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Full text of "Von Der Koniglichen Gesellschaft Der Wissenschaften Zu Gottingen 1918"

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Xachrichten 


von der 


Kfiiiiglicheii Gesellscliaft der Wissenschaften 

zu Gottingen. 


Philologisch ■ historische Klasse 

aus dem Jahre 1918. 




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Berlin, 

Weidmannsche Buchhandlun^. 
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Iirurk iler Uicti'i'i. b^' hen I'niv -lim-li'lrnck'M'ei ( \V. I’l', K'leitnei ) in iluttiiiuen. 



Register 

liber 

die Nachrichten vou der Kdnigl. Gesellschaft derWissenschaften 

zu Gottingen. 

Philologisch -historische Klasse 
aus dem Jahre 1918. 

Seite 

Bechtel. F., Ziir Kenntnis der grieehischen Dialekte .... 397 

Bonwetsch, N., Zur handschriftlichcn Uborlieferniig des iJanielkoni- 

mentars Hippolyts 313 

■ — ■ Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi . 347 

Hermann, E, Silbischer und unsilbLcher Laut gleicher Artikiila- 
tion in einor Silbe und die Aussprache der indogennanisclitui 
Halbvokale n und i . . . 100 

— Sachliches und Sprachliches zur indogerinanisehen GroBfamilie 204 

— Die bbotische Betonung 27,3 

— Etymologisches 281 

•Tacobsohn. H., Die altesten Beriihrungen der Eussen mit den 

nordostfinnischen Volkern und der Xame der Eussen . . 300 

Littmann, bl, Ge'ez-8tudien. Ill 318 

Lidzbar.ski. M., Ein inanicliaisches Gedicht 501 

Oldenberg. H.. Die vedischen Worte fur ,.sch6n'‘ und ..Schoii- 

heii" und das vedische Schonheitsgefiihl ... ... 3.'> 

— .Jatakastudien 429 

EahHs. A, Uber einige alttestauiontliche Handschriften des Abes- 

sinierklosters S. Stefano zu Eoin . . . . Ill] 

Eeitzensteiu, E., J.ivius und Horaz uber die Entwicklung des 

romischcn tjchauspieL . 233 

— Die Scholien zu Horaz Gd. 1, 14 ... 393 

Robert, C, Der Argonauteukatalog in Hygins Faljelbneli . . 4(19 

Scliraram, E.. Movuyxcoi’ und oiunjcr 2.59 



Seite 


Schroder, E. Reitrage zur Textkritik Herborts von Fritzlar . . 

— Die Heimat des Linzer Entechrist 34fi 

— Eeiniitudien. I 378 

— Eeimstudien. II 407 

— Zur k’berlieferimg imd Textkritik tier Ivudiuii. 111. lY . . 500 

Set be, K., Eiii iigyptischer Yertrag riber den AbschluB einer Ebe 

auf Zeit in demotiscber Scbrift 288 

Zachariae. Tb.. IJber die Breve X oticbi do' eiTiis i|Ue teni 

Gentios do Concao da India 1 



Cber die Breve Noticia dos erros que tern os Gentios 
do Concao da India. 

You 

Theodor Zaehariae. 

Vorselegt in der Sitziiiig \oca 2<i. Oktober 1917 von H. Olden berg. 


Unter den portugiesischen Abhandlnngen iiber den Hinduismn®, 
die r'aland nnd F.;kber in liollandischer Ubersetzung veroffentlicht 
haben (Drie ouds Portugeo-sehe Verliandelingen. Amsterdam 1915), 
ist namentlich die dritte: Over der Oost-Indianen Goden 
en Godheden geeignet, unser voiles Interesse in Anspruch zu 
nehmen. Es ist eino reiz voile Aufgabe, die mannigfachen Schick- 
sale der Abliandlnng zu verfolgen und ihren urspriinglichen Um- 
i'ang sowie den Xamen und die Zeit ihres Verfassvi’s festzustellen. 
Was ich tiuiher hieriiber zu sagen verraochte, babe ich in meiuer 
Anzeige der Drie oude Verhandelingen (GGA. 1916, 592 tf. ; nie- 
dergelegt. Seit dieser Zeit ist neucs, handscuriftliches Material in 
mcine Hiinde gelangt. Auf Grand dieses Materials mochte ich die 
Entersnehung noch einmal aufnehmen und meiiie friiheren Angaben 
berichtigen. crganzen und erweitern. Wenn ich z. B. die Yermu- 
tung aussprach la. a. 0.. S. 602\. daB die von Caland herausgegebne 
Auhandlung nur ein Teil der portugiesischen Aljhandlung sei, so 
kann ich jetzt mit Bestimmtheit behaupten . daB sich das portu- 
giesische Original nieht nur mit den indisehen G<>ttheiten. sondern 
auch mit anderem, namentlich mit den Sitten und Brtiuchen der 
Inder bcfaBte. dafi dieses Oidginal ungefahr n >ch einmal <o groB 
war wi ' die Abliaudlung. die Caland in hsll indischem Gewande 
zum Druck beferJert hat. 

Die anonyme, von Einigen clem beriihmten Jesuitenmissionar 
Jouu (le Brito zugeschriebene Abliandlnng Breve Xoticia dos 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Klasse. 1918. Heft I. 1 



2 


Theodur Zarhariae, 


erros cjue tern osGentios do Concao da India ist, wie es 
scheint, verloren gegangen. Moglich ist es allerdings, dafi noch 
eine Handschrift auf einer Bibliothek, etwa in Rom oder Lissabon, 
aufbewahrt wird. Jacquet. dessen Arbeiten^) wir sofort kennen 
lernen werden, bebauptet sogar, dad die Abhandlung im Druck 
erscbienen sei. Er scbreibt in der Inde Franoaise II 50. n. 1 : 
L’ouvrage du P. J. de Britto a d’ailleurs ete integralement pnblie 
a Lisbonne il y a quelques annees. Diese Bekauptung diirfte aber 
auf einem Irrtum , auf einer Verwechslung berubn. Das Diccio- 
nario bibliograpbico Portuguez flibrt einen solcben Brack nicht 
auf; ebensowenig J. C. de Figaniere in seiner Bibliograpbia bisto- 
rica Portugueza (Lisboa 1850). Dieser Gelebrte nennt die beiden 
Abbandlnngen, die Caland imd Fokker an erster und z waiter Stelle 
verbfPentlicht haben (die Relacao das Escripturas dos gentios da 
India oriental und die Koticia summaria do Gentilismo da Asia) 
unter Nr. 988 und 961 : sollte er den Druck der Noticia dos erros 
iibersebn haben , wenn ein solcber wirklieb vorbanden ware f So 
gut wie sicher ist, did Jacquet den Druck, von dem er spricht, 
niemals gesehn hat. Sonst verstebt man nicht, warum er sich nie 
auf die Noticia beruft, wozu er genug AnlaB gebabt batte; man 
verstebt nicht, weshalb er die Zitate aus Brito, die ihm begeg- 
neten, nicht auf ibre Quelle zurilckfiihrt. 

Vorlaufig sind wir, wenn wir uns ein Bild von der Noticia 
dos erros machen wollen. angewiesen auf die Zitate daraus und 
auf die L b er s etz un gen und Umarbeitungen, die dem Werke 
zuteil geworden sind. 

Zitate aus der Noticia, gewbhnlicb unter dem'Namen des P. 
de Brito, finden wir in den Scbriften des Karmeliten Paulinus a 
S. Bartbolomaeo und in dem Traite de la Religion des Ma- 
labars gentils. Paulinus, dem ein vollstandiges MS. der Breve 
Noticia vorgelegen hat, zitiert den Brito ziemlich oft'). In der 
Regel nennt er ihn nur beim Namen; seltner gibt er Zitate im 
Wortlaut. Zu den Zitaten, die icb bereits in den GGA. 1916, 


1) Uber die Arbeiten Jacciuets auf dem uns hi., beschaftigenden Gebiote 
vgl. F. Neve, Memoire sur la vie d'Eugene Jacquet p. 41—49 (Memoires couron- 
nes et memoires des savants etrangers publ. par I’Academie Royale. Tome 27. 
Bruxelles 1856). 

1) Barone tubrt in seinem Buclie: Vita, precursori ed opere del P. Paolino 
da S. Bartolommeo (Napoli 1888) unter den Vorlaufern des Paulinus auch den 
Giovanni de Brito auf (p. 90); ohne ersichtlichen Grund. Denn mit keinem tVorte 
gedenkt er der Tatsache, daB Paulinus den Brito wiederholt zitiert und ein be- 
stimrates, ihm zugeschriebnes Werk, die Breve Noticia, namhaft macht. 



tber die Breve Noticia dos erros q^ue tem os Gentios do Coucao da India. 3 

595 f. 599 f. angefiihrt habe , kommt nocb eine Stelle, die Paulinas 
in seiner India orientals Christiana, Romae 1794, p. 231 aus dem 
6. Kapitel der Xoticia mitteilt: Todas as terras sao da Coroa, 
nao ha vassallo, que tehna (tenha) nemhuma quinta, nemhuma her- 
dade, nemhum campo de semeadnra, que possa deixar a seas filhos ^). 
Ihrem Umfang nach bedeutender sind die Zitate, die in dem Traite 
de la Religion des Malabars begegnen. Einige davon werde ich 
weiter unten anfiihren. Leider sind sie vielfach in ziemlich ver- 
derbter Giestalt uberliefert, wenigstens in den Munchner Hss. des 
Werkes, den einzigen Hss., die ich habe einsehn konnen. 

Die Religion des Malabars, wie ich das M^erk kurz bezeichnen 
will, bestebt aus einer Yorrede und drei Teilen mit 32 4-38 + 31 Ka- 
piteln. Handscbriften befinden sicb in Miincben (bescbiieben im Cat. 
codicum manu scriptorum Bibl. Reg. Monacensis VII p. 14. 338) und 
in Paris (Cat. des manuscrits de la Bibl. de I'Arseiial II p 454 no. 2242. 
Cat. des mss. de la bibl. Sainte-Genevieve I p. 272 no. 528. Omont, 
Cat. general des manuscrits frauqais, ancien suppl. franqais I p. 305 
no. 9092, siebe aucb weiter unten). Auszuge aus dem IVerke hat B. 
Jaoquet gegeben-). Zuerst im Nouveau Journal Asiatique YIII (1881) 
535 S., IX 562 ff, X 291 fl. 4544' 4784., sodann in der Inde Fran- 
caise^j II, Paris 1835, p 1 — 119. Die in der Inde Fran 9 aKe verof- 
fentlichten sehr umfangreichen Auszuge sind aucb als Sonderdruck er- 
scbienen u. d. T. Recbercbes sur la religion des Malabars, 
ouyrage extrait d'un manuscrit iaedit de la Bibliotheque Royale, et 
publid par E. Jacquet. Paris, Arlhus Bertrand, o. J. Exemplare dieses 
Sonderdrucks befinden sicb in Gottingen und Munchen. In zablreicbeu 
Anmerkungen bat sicb Jacquet bemiibt, den Text der Religion des Ma- 
labars, soweit er ibn mitteilt, zu erl.'iutern. Das Ricbtige zu trefien, ist 


1) In Manuccis Storia do Mogor (Berliner IIs., Phillipps 1945, Bd. Ill 
S. 117) entspricbt: Toutes les terres apartiennent a la couronne, il n’y a aucim 
particulier qui aye en propre cham on heritage ou aucime possetion quelconque, 
qu’il puisse laisser a ses enfans (vgl. Manned libers, von Irvine III 46+ in De 
la Flottes Essais historiques p. 251 ; Toutes les terres appartiennent an Prince, 
et aucun vassal ne possede en propre uu domaine, ou un champ qu’il puisse lais- 
ser a ses enfans. Dieso Stelle ist es aucb, die Paulinus im Sinne hat, wenn er 
in seiner Reise nach Ostindien (Berlin 1798 S. 54) den Pater Johannes de Brito 
zitiert, ‘dessen noch zur Zeit ungedruckte Nachrichten' er in Handen babe. Vgl 
auch S. 1G4 (‘Alle Landereien ohne Ausnahme gehoren dem Konige’). 169. ."OS : ' 

2) Einen kurzen Auszug aus der Religion des Malabars, nach der Munchn r 
Handschrift Gall. 666, gab Stanley in seiner Ubersetzung des Duarte Barb. -.i, 
Loudon 1866, p. 231 (= Inde Francaise II p. 72). 

3) Den vollstandigen Titel dieses wichtigen, wchl nur auf groBeren Biblio- 
theken vorhandenen Werkes gibt W. Siegling bei Baines, Ethnography p. 204. 
I gl. auch Journal Asiatique XI (1827) 126 ft’. Auf die Auszuge aus der Religion 
des Malabars in der Inde Fxancaise hat mich Prof. L. Scherman hingewiesen. Ich 
bin ihm fur diesen Hinweis den groBten Dank schuldi? 

I * 



4 


Theodor Zachariae, 


ihni nicLt iminer gegluckt. Das gilt namentlicli von seinen Yersuchen, 
die Eigennamen, die meist in der Tamilfonn gegeben vverden , auf die 
Sanskritfonnen zuriickzufnbren. Hier ein Beispiel. In der Eeligion des 
Malabars II 10 (Inde Fr. II 77f.) wird die Bbasmasirra-Legende 
mitgeteilt. Start Bbasmasura land Jacquet die bandschriftliche Lesart 
Pastmasouren vor^ die er fiir offenbar falscb halt. In einem Original- 
■text ist ihm die Legende nicht begegnet; er hat sie nur in der Eelation 
des En’eurs (s unten) und in den Essais historiques sur I Inde gefunden, 
wo der Xame des ‘Eiesen' in den Formen Parmesouren und Parame- 
thouren erscheint. Daher setzt Jacquet Parainesouren in den Text, d. h. 
die Tamilform von Skr. Par ames vara, das aber, wie Jacquet selbst 
zum Feberflufi bemerkt , ein gewohulicher Xame des Siva ist. Sollte 
uer Held einer Legende, in der auch Siva eine Eolle spielt, den Xamen 
Paramesvara fiihren? Das ist sehr unwahrscheinlich. Ich zeige jetzt, 
daB die Legende und ihr Held, Bbasmasura, zu der Zeit als Jacquet 
schrieb nicht so unbekannt waren, wie man aus seinen Worten sehliefien 
mufite. Man vergleiche die Ceremonies et coutumes religieuses des peuples 
idolatres (Amsterdam 17'23) I 2 p. 9t) (Paimejuvan) ; [Ziegenbalgs] Be- 
schreibung der Eeligion und heiligen Gebrauche der malabarischen Hin- 
dous (1791) S. 157, wo der Name des ‘Eiesen' nicht genannt wird; 
Polier. Jlythologie des Indous (1809) I 221 fi. (Basmagut; wohl nur 
Druckfehler V I ; Wilks. Historical Sketches bei Ehode, Ueber religiose 
Bildung der Hindus II 224 (Busm-Asur; vgl. Indian Antiquary 1160); 
die CollecQ^.o de noticias para a historia e geografia das nances ultra- 
marinas I 1 (Lisboa 1812) p. 10 (morte de hum gigante chamado Bas- 
masur) und Dubois, Moeuiv, institutions et ceremonies (= Hindu man- 
ners transl. by Beauchamp, Oxford 1897. p. 523: Bbasmasura) 

Die Eeligion des Malabars gehdrt dem 1. Yiertel des 1:^. Jhs. an 

inde Fianeaise II 32 n.; Catalogus codd. m.ss. Bibl. Eeg. Monacensis 
VII 14. 33 ti). Die von Jacquet zwar aufgeworfno. aber nicht geloste 
Frage nach dem Namen des "V'erfassers lalit sich vieileicht beantwoiien. 
in (Jmonts Catalogue general, nouv. acquisitions frauetises 1 (1899) 
werden unter den Nrr. 454 — 5-5 zwei Hss init dem Titel Traitte (oder 
EeDaioni de la religion des Majabars 'de la coste Coroinandellej auf- 
gefuhrt und einem M. Tessier, prestre missionnaire , zugoschrieben. 
Stimmen ditse Hss., w'oran doch kaum zu zweifeln ist, inhaltlich mit 
d( n von .Jacquet eszerpierieu Us.?, iiberein, so ware Tessier als der Ver- 
fa^^el■ der Eeligion des Malabars anzusehn, und diescr Testier kiinute 
icieiitisch sein mit dem von Norl)ert erwahnten .Tacquos du Querelai 
Tessier. Proeureur general des Missions etrangeres de Paris, ‘qui fai.soit 
sa ve-idence ordinaire a Pondiclieri’ ('Memoires historiques I 344. 393. 
11 23-. vgl Irvine zu Manned lY 79). In der Munchner Iland^chrift 
Gaii. 20’^ I tAhluBhemerkung) heiBt der Yeifasser ‘nne pei'ocnne de- mis- 
sions e'anngeres', iind von der anderen Jlundmur H-. wird gescerf : ce 
n.aniuriit vicnt eTidemmc nr de i., mei- 'U ui ^ yii-ej. jv- K ; ; - .--Ic-he 

aucli .Jacquet, N. Jciui;;! .''-siriiqi ■. X i 1.'S32 172. 

Wir wendeii tins zu :iu I i.ui'setzivp'tn rnd Umarheitung'en 
der Prove Notioia dos eri’o-. 

Ijio iilteste I bev.-otzur;,;;’ drrfr.. die sei;\ die Nicoolao 31 a- 



Uber die Breve Noticia dos erros que tern os Geatios do Conciio da India. 5 


nucci seiner Storia do Mogor‘) eingefiigt hat. Sie steht in 
der englischen, von William Irvine angefertigten Ubersetzung 
dieses Werkes im 3. Bande S. 1 — 76. Die dieser Ubersetzung zu- 
grunde liegende Handschrift ist die jetzt in Berlin aufbewahrte 
Handschrift -) Phillipps 1945. Hier, im 3. Teile der Hs., hebt sich 
das uns beschaf'tigende Stiick sclion rein iiuBerlich als etvvas Be- 
sonderes heraus : Manucci bedient sich darin der fr anzo sischen, 
dagegen in dem unmittelbar vorhergehenden sowie in dem folgenden 
Abschnitt (Dos Ellefantes) der portugiesischen Sprache 
Auch sind vor dem iibersetzten Traktat drei, dahinter vier 
Blatter leer gelassen. Ahnlicli liegen die Verhaltnisse, nach den 
Angaben Irvines in der Einleitung zu Manucci S. XLIII vgl. LXX f., 
in der Venediger Hs. der Storia. Auch bier ist die Ubersetzung 
der Breve Noticia in franzosischer Sprache iiberliefert^). Der Ver- 
dacht liegt nahe, daB Manncci nicht das portugiesische Original, 
sondern eine fraazbsische Ubersetzung dieses Originals benatzt hat. 
Wie dem auch sei: er hat die Ubersetzung der Breve Noticia tlir 
sein eignes Werk ausgegeben; bemerkt er doch in der Inhalts- 
angabe des 3. Teiles der Storia : Cinquiesmement je donnerai une 
Courte Relation de la Religion des Uentils (vgl. Ma- 
nucci libers, von Irvine II 330). 

Manuccis Ubersetzung wird mit cinem ‘Avertissement’ ein- 
geleitet. Ob er dieses Avertissement selbst verfaBt oder dem por- 
tugiesischen Original entlehnt hat, liiBt sich kaum feststellen. Das- 
selbe diirt'te von dem SchluBwort (Ir\ ioe III 75 f.) gelten. Die 
eigentliche Abhandlung hebt an mit der Uberschrift Brieve Re- 
lation de ce que les Gentils croyent de Dieu. et des sentimens, 


1) Storia do Mogor or Mogul India I16.j3 — 1708) by Xiecolao Maiiutci. Ve- 
netian. Translated by MTlliam Irvine, 4 vnls. London 1907 — lyOb. 

2 ) M ie die Hs. aus Fraukreich uber Iloll.ind und England narh Berlin ge- 
langt ist, besebreibt Irvine in der Einleitung zu seiner Ubersetzung. Sielie auch 
Irvine, Fote on N. Manucci and bis ‘Storia do Mogor’, im Journal of the K, 
Asiatic Society 1903, 723 ff. 

3) Je nach der Hatioualitat seiner Schreiber bedient sich Manucci in der 
Berliner Hs. der franzbsischen und portugiesischen, in dem Venediger Codex (Ir- 
vine, Introduction p. XXXIII tt.) auch der italienischen Sprache. In eineni Schreiben 
an den Senat von Venedig bemerkt er iiher den Venediger Codex : Xor must it 
be thought strange if varicus languages apiiear in the work now sent, for accor- 
ding to the amanuensis whom I chanced upon, did I compose the work sometimes 
in French, sometimes in Italian, and occasionally in Portuguese (Irvine p. XXXV; 
vgl. XXXIII. XXXVII. XLIII. LXXf,). 

4) Nach Irviuc S XLIII ist auch die Hand des Schreibers im Venediger 
Codex diesolhe wie in der Berliner Handschrift Bd. Ill S. 90 — 135, 



6 


Theodor Zachariae, 


quils ont de son essence; das Ganze besteht aus neun Kapiteln 
mit mehreren Unterabteilnngen, wahrend das Original, wie wir 
bestimtnt wissen, ans sieben Kapiteln bestand ’). 

Xach seiner eigenen Angabe bat Manucci im J. 1700 (oder 
friibestens 1699; s. Irvine S. LXXIV) die franzijsische Ubersetzung 
der Breve Noticia seinem Schreiber in die Feder diktiert ’). Fine 
andre franzbsiscbe Ubersetzung ist nngefahr zur selben Zeit ent- 
standen, jedenfalls vor 1709, denn in diesem Jabre erschien sie 
zum ersten Male im Druck. , Als ihr Verfasser gilt der franzosi- 
scbe Arzt Dell on, der, in der 2. Halfte des 17. Jhs., mebrere 
Jabre in Indien zubracbte. Seine Reisebescbreibung erscbien zu- 
erst in Paris 1685. Aufierdem scbrieb er, angeblicb wenigstens, 
eine Relation de I’Inquisition de Goa (zuerst ; Leiden 1687). Dellon 
soil namlicb von der Inquisition in Goa ins Gefangnis geworfen 
und im J. 1676 nacb Lissabon gebracbt worden sein. Dort gelang 
es ibm, sicb zu befreien und nacb Frankreicb zuriickzukebren. Auf 
dem Scbiff, das ihn nacb Lissabon trng, befand sicb aucb ein por- 
tngiesiscber Jesuitenmissionar, ein ‘Religieux tres-sgavant et tres- 
pieux’, der ein von ibm selbst verfaBtes Manuskript iiber die Re- 
ligion der indiscben Heiden bei sicb hatte, das er in Portugal zum 
Druck befordern wolltc. Unterwegs aber ereilte ihn der Tod. Vor 
seinem Tode iibergab er Dellon das Manuskript, das dieser dann 
ins Franzbsiscbe iibersetzte. Soweit der Bericht"). Was daran 
wahr ist, wissen wir nicht. Vielleicbt ist der Bericht nur eine 
Erdicbtung. Wird doch aucb Dellons Relation de ITnqnisition de 
Goa fiir eine Erdicbtung, eine Falschung gehalten. Aber, die Tat- 
sache bestebt. daB die Breve Noticia am Ende des 17. oder im 
Anfang des 18. Jbs. nacb Europa gebracbt. und daB die erste 
Halfte der Abhandlung alsbald in franzbsiscber Ubersetzung ge- 
druckt wurde '‘). Der erste Druck betindet sicb in dem seltnen 

1) hber !Manuccis I bersctzuiig und ibr Vcrbaltnis zmn Original liaiidle icli 
weiter unten in einem besondern Absobnitt. 

:2) DaC iManiuci diktiert hat, ergibt sich aus zwei Stellen im Berliner 
MS . wo er sich versprach iiiid sofort wieder verbesserte, was sein Schreiber wurt- 
licb nacbgescbrieben bat. Die erste Stelle lautet • I.e resseiitimein qu'eut Bruma 
je dis Rutrim. de se voir ainsi decouvert par Bruma; die zweite: La. disent 
ils, demeure Paitrim avec ses femmes, la est aussi .son Tanreau a\ec ses femmes 
jo veux dire son taiiroan ipii est la monture dont il se sort (vgl. Manucci 
ubers, von Irvine II, 11. 2i). 

3) Ygl. meiiie ausluhrlicbc, oben z. T. vviedeiholte Mittciluiig in den G (i. A. 
1016, 564 und das Journal des Scavans XLY, -joS f. 

4) Es ware inoglich, dau diese Ubersetzuns, so gut wie diio des Manucci 
beroits auf ir.discbcmi Boden verfaUt u-.id in diesor Oostalt no. h Europa gebracbt 


wurde. 



rber die Breve Noticia dos erros que tern os Gentios do ConcSo da India. 7 


Buche; Voyages de JP Dellon; avec sa Relation de I’lnquisition 
de Goa, augmentee de diverses pieces curienses ; et 1’ H i s t o i r e 
des Dienx qu’adorent les Gentils des Indes. 3 Tomes. 
Cologne (lingierter Drnckort) 1709. Eine sehr ausfiihrliclie An- 
zeige des Buches erschien im Journal des Seavans 45 (Amsterdam 
1709), S. 530 — 543. Die Histoire des Dienx wnrde wieder abge- 
druckt in den Ceremonies et coutumes religienses des penples ido- 
latres I 2 S. 83 — 100 (Amsterdam 1723). Rack der hollandischen 
Ubersetzung der Ceremonies ot coutumes wnrde die Abbandlung 
herausgegeben nnd mit Anmerkungen versehen von W. Caland in 
den Drie oude Portugeesche Verkandelingen over het Hindoeisme, 
Amsterdam 1915, S. 149 — 206. 

Die Histoire des Dieux umt'aBt 19 Kapitel. Die ersten 17 
Kapitel entsprecken den ersten 6 Kapiteln in Manuccis Ubersetzung 
(3Ianucci III S. 1—37). Dagegen kaben Kap. 18 — 19, librigens auck 
das, was am SckluB des 17. Kapitels iiber die Seelenwanderung 
gesagt wird, bei Manucci keine Entsprechung. Der auck tiir Kap. 
19 geltende Titel des 18. Kapitels lautet: Qui fait voir, que la 
plupart des points de la doctrine des Gentils, ont du rapport a ce 
cpu’enseigne le Ckristiauisme. DaB beide Kapitel auf das portugie- 
siscke Original zurllckgehn, ist nicht zu bezweifeln. Hier treten 
zwei Zeugnisse des Paulinus beweisend ein. Wenn in Kap. 19 
(S. 201 Caland) ein Greis namens Tirruvalluven als der Held 
der FlutsageM auftritt, so bemerkt Paulinus, Systema Brahma- 
nicum p. 80; R. P. Brito ex traditione Brakmanum Madur4ensium 
regem ilium, quern Visknu a diluvio liberavit, dicit fuisse Tiruva- 
luven, qui unacum sua Alia periculum evasit. Ebenso kennt Pau- 
linus die Worte, die in Kap. 19 auf die Darstellung der Flutsage 
unmittelbar folgen (On trouve encore dans ces memes Livres une 
peinture, et une idee grossiere des combats de David et de Sam- 
son ), da er im Systema Br. p. 145 schreibt; Alii^) eum 

(Ramam) Samsonem esse arbitrantur ut R. P. .Johannes Brito. 

Da Dellons Ubersetzung (die ich, well der Name des Ver- 
fassers nickt feststekt, immer als ‘franzosiscke Ubersetzung’ 
zitieren werde) jetzt in Calands Ausgabe der hollandischen Uber- 

1 j Tiruvalluven als lleUl der Flutsage ist mir bis jetzt iiur noeh in einer 
Lebensbesihreibung des gleicbnamigen Dirhteis (Tiruvalluvarj bei Graul, Biblio- 
tlieea Tamulica 11 ibO begegnet. Bevor Tinivalluvar von der Frau eines Vellalan 
an Kindesstatt aiigenonimen v\-urde, sclnvanim er, als Brahma, der Zukuni't kundig, 
in (.inem aussjehoblten Kurbis auf der •groUen Flat’ daher iind wurde von Siva 
heauftragt, die verwustete tVelt wiederherzustellen. 

Zu dLii ‘Alii’ gehort der Pater Bouchet (l.ettres editiautos XI 331). 



8 


Theodor Z a c ii a r i a e , 


setzung bequem zuganglich ist, so babe ich an dieser Stelle wenig 
mehr dariiber zu sagen. Bemerken will ich nur, daB die franzbsi- 
sche tibersetzung ausfiihrlicher oder wortreicber ist, als das Ori- 
ginal, soweit man nach den Bruchstiicken, die davon erbalten ge- 
blieben sind, urteilen kann. Die Tibersetzung ist z. T. mehr Pa- 
raphrase als tibersetzung. Manucci dagegen scbeint sicb durcbweg 
enger ans Original angeschlossen zu haben. 

Eine dritte tibersetzung. ricbtiger vielleicht Umarbeitung, der 
Breve noticia dos erx'os ist die Relation des erreurs qui se 
trouvent dans la religion des Malabars gentils de la cote de Co- 
romandel (so der Titel nach Jacquet, X. Journal Asiatique X, 472). 
Jacquet, dem wir Mitteilungen iiber diese Abhandlung verdanken 
(a. a. 0. und im 2. Bande der Inde Francaise), hat 3 Hss. der Bi- 
bliotheque Royale fjetzt Bibliotheque Xationale) in Paris benutzt. 
Ich selbst kenne nur 2, jetzt fiir mich leider unerreichbare Hss. 
der Xationalbibliothek , verzeichnet in Omonts Catalogue general, 
nouv. acquisitions francaises 1 (1899) p. 69 no. 451 und p. 288 
no. 1823. Eine dritte Hs., die Jacquet nicht gekannt hat, finde 
ich angefuhrt bei Backer-Sommervogel, Bibliotheque des ecrivains 
de la Compagnie de Jesus V 1780 und beschrieben im Katalog der 
Bibliothek zu Saint-Calais unter No. 9 (Cat. general des manuscrits 
des bibliotheques publiques de France, Departements. t. XX p. 283). 
Su knrz diese Beschreibung auch ist, sie ist dock austilhrlicher als 
die der Pariser Hss. bei Omont. Da sie von dem (angeblichen) 
Verfasser sowie von den friiheren Besitzern der H.s. berichtet, so 
soli .sie hier fast vollstandig mitgeteilt werden. 

'Eeiation des cireurs qui be trouvent dans la religion des gentils 
Malabars de la c«»te Coroujandelle, dans I'lnde, augmentee de plusieurs 
remaiques toiichaut les meteors et les pianettes . . . par le E. P. E o - 
bert Nobily, de la Compagnie de .Tesus, missionnaire aux Indes 
Crientalle-j’. 

'Cette relation est divisee en sept chapitres . . .’ La seconde pariie 
a une pagination speciale; elle est relative a ‘la gentilite du Bengala’. 
— Cet ouvrage du celebre missionnah-e n’est pas signale’^) dans la Bi- 
bliotheque des ecrivains de la Compagnie de Jesus t. II (1872). 

On lit, au fob A : ‘Ce present livre appartient a moy .lean Louis 
Morinet . le jeune, maitre perruquier a Vendome. 1741’. — On lit. en 
outre, a I'interieur de la couverture de la fin : 'Michel Morinet, aubergisto 
a Montoire'. 


1) Dies ist jedoth gesehehn, niit eineni Verweis auf den Katalog der Biblio- 
thc4; Saint-Calais. in der Eeubearbeitung der Baekerschen Bihliotheque von 
Carlos Somm. I'.ogel (V 17.S0; wo man den sinnsturenden Druckfehler metiers 
statt mett'urs i e. iOitigen mbge/. 



Tiber die Bre\e Koticia dos erros que tern os Gentios do Concao da India 


9 


Wir erfabren aus dieser Beschreibung. daB die Hs. zwei Ab- 
handlangen enthiilt: die Relation des errenrs and eine Abhandlung 
Tiber das Heidentum von Bengalen. Als Verfasser dieser ALband- 
lungen (oder nur der ersten?) wird Robert Xobily genannt 
— jener beriibiiite J esuitenmissionar, dem man aucb den Ezonr- 
vedam zugescbrieben hat \i. Indessen eine Scbrift iiber das ben- 
galiscbe Heidentum kann tr nicbt verfaBt haben, da er niemais in 
Bengalen war. Aber aucb als den Autor der Relation des eireurs 
kann man ihn nicbt betracbten, wie ich meiue scbun desbalb nicbt, 
weil im 7. Kapitel dieser Scbrift von Roberto de’ Xobili in der 
dritten Person gesprocben wird (X. Journal Asiatique X, 474- if.). 

Da icb bandscbriftlicbes Material nicbt benutzen Tiann , da 
meine Yersuche, etwas Xaberes iiber die Pariser Hss. zu erfabren, 
feblgescblagen sind, so kann ieh nur mit Kilfe der Uberlieferten 
Brucbstiicke und der Mitteiluugen, die Jacquet gemacht hat, zeigen, 
daB die Relation des erreurs als eine Ubcrsetzung oder Umarbei- 
tung der Breve noticia dos erros angesehn werden muB — eine 
Tatsacbe, worauf uns iibrigens scbon die Abnlicbkeit der Titel 
binweist. Zuniichst wird ein langeres Zitat gegeben -) in den Er- 
lauterungen zum Ezourvedain, Yverdon 1778, II 2u9 ff. (Die Sit- 
tenlehre der Braminen iibers. von Itb, Bern und Leipzig 1794. II 
195 ff.). Wenn es da von dem Berge Meru beiBt. daB er auf acnt 
Elefanten rube, cliese auf einer Scbildkrbte, und diese wieder auf 
einer Schlange (Sesa oder Adi.se^a) : wenn es ferner beiBt. daB die 
Inder auf die Erage. wurauf sick diese Schlange stiitzt. die Ant- 
wort schuldig bleiben: und dafi dui’ch die Bewegungen der Schlange 
die Erdbeben hervorgerufeu werden — so kehrt das alles, und 
zwar z.T. woitlicb wieder bel Manucci III 31 f. und im 14. Kapitel 
der franzosiscben Ubersetzung (vgl, Caland S. 183 f.) Die Que lie 
aber ist letzten Endes die portugiesiscbe Xoticia dos erros. Das 
laBt sicb beweisen. Paulinus niimlich, Musei Borgiani Yelitris co- 
dices manuscripti (1793) p. 231 teilt mit, daB ‘R. P. Johannes a 
Brito in cod. Lusitano mss. Dos erros dos gentios do Con- 
cao da India cap. 4.’ den Meruberg 3Iup(i 3[f nt I'urriuudu m 


1) ^'gl. Incle T'l'ar.i^aise II, 117. liarker-Sommervi gel, I!il)iiotlit'i[ue II oGO. 
Jules Vinson, Revue de Linguistique 35 (l;)02), 281 ft'. 

2j Aus einem jIS. der Bibliotheque du Roi de Fraiue ‘Sur les erreurs des 
Indiens de la cote de Malabai’’. Diese Bezeu'haung des Titels ist entscLicden 
falscli. ('Die Malabareu' und ‘die Malabarkuste’ sind vernechselt worden T'gl. 
Hobson-Jobson u. d. W. Malabar.) Richtig dagegen ist die Angabe, daft das Zitat 
im vierten Kapitel des Manuskriptes steht. Ich war im Iritum, wenn iih in 
den GOA. 191G, 601 die Riclitigkeit be/.weifelto 



10 


Theodol’ Zachariae 


geiiannt hale. Dies ist aber genau die Form, die in der franzosi- 
schen tlbersetzung Kap. 14 (vgl. Kap. 4) gebraucht wird 

Einen mebr oder weniger wbrtlichen Anszug’^) aus dem 7. 
Kapitel der Relation des erreurs hat Jacqnet gegeben im N, Jour- 
nal Asiatiqne X 478 — 73 (wiederholt in der Inde Francaise II 
115 ff.). DaB dieses Stiick im wesentlichen aus der Breve noticia 
geschopft ist. erscheint zweifellos, wenn wir zwei grofiere Bruch- 
stiicke dieser Schril't, die zufallig in der Religion des Malabars 
erhalten sind, zur Vergleichung heranziehn. Fines dieser Bruch- 
stltcke werde ich weiter iinten mitteilen. AuBerdem hat Jacquet 
otters Stellen aus der Relation des erreurs, einige Male ohne sie 
ausdriicklich zu nennen, in den Xoten zur Religion des Malabars, 
im 2. Bande der inde Francaise, zitiert (vgl. S. 17. 77 f, 68. 65). 
Fast alle diese Zitate lassen sich auch bei Manucci oder in der 
franzosischen Fbersctznng der Breve noticia nachweisen. Es gibt 
allerdings Ausnahmen. Wenn z. B. nach Jacquet. Inde Fr. II 95 
n. 2 in der Relation de.s erreurs gesagt wird , , ‘que les Tamouls 
considerent comme une relique de Hanouman®) la celebre dent 
de Bouddha qui t'ut solemnellement brnlee a Ceylan par le celebre 
Constantin de Bragance’ — , so kann ich nicht bestimmt behaupten, 
daB diese Angabe auf die Breve noticia zuriickgeht. 

Dennoch konnen iiber die auBerordentlich naben Beziehungen 
zwischen Xoticia und Relation keine Zweifel bestehn. Was scblieB- 
lich den Ausschlag gibt. ist die Zahl und der Inhalt der Kapitel 
in der Relation des erreurs. Wir werden spater sehn, daB diese 
Kapiteleinteilung auch die der Xoticia dos erros ist. DaB die Zahl 
der Kapitel in der Relation sie ben betriigt, haben wir oben aus 
dem Katal >g der Bibliothek zu Saint-Calais erfahren. Die Kapitel- 
iiberschriften hat Jacquet in der Inde Francaise II 4 mitgeteilt. 
Sie lauten : 

I. Erreurs des Malabars au sujet de la divinite ; 

II. Erreurs des Malabars au sujet du paradis et de I’enfer; 


1} ^ i;l. MailUt 1 i III lo. .Ji. Oo la !■ lotto, Kss.u's Historii|uos j) 2o3 Le 
(4e;;til, Y'-.xattt d.aiis les mors do Linde I IS'.i {Mitr<jamentijarnicad:u„ ■. qiuelle: 
(lie 1 'i n m aue- et coiitumO') 

2) Ls ist /u bc.Lruern. d.tC sich .Jac Anderunueii cilaiiht ii.t: Jai eu- 
hCicinciit renuiua.- le st\lo', liomerkt er, Er hat n.imlieii an der Sprache des 
Ver:'a-eis .innoC senommen; er r.ieint, dieser habe uber dem Studiiim des Tamil 
1111(1 de, Lehnffa s^ine .Muttersprache vergossen. Aber LiCt sich das mangelliafte 
Eircizc-iseli des Voifa'^sers iiicl.t einfach aiis dor Annalune erklaren, dab er cin 
p j r t u g i e s 1 s c ii e s Work, die Breve noticia, benutzte iind olt wortlich iibersetzteV 

3) ^gl. oLiiiuiu 111 2 ,;s IV 450 Baldaeus , Abgotterey der ostindischen 
IT yJen s. 453 tg i’ar L.is, I'llgrimage (iOJiJi p. 5GI. 



Uber die Breve Notieia dos erros ijiie tern os Geiitios do C’oneao da India. H 


III. Errears des Malabars an snjet de Tame; 

IV. Erreurs des Malabars an snjet du monde; 

V. Erreurs des Malabars an snjet de I’hoinme ; 

VI. Grouvemement, coutnmes, rites nuptiaux et fnneraires des 
Malabars ; 

VII. Opinion qne les Malabars ont des Europeens on Piranguis 

An vierter Stelle ist die Bearbeitung der Breve noticia zu 
nennen, die uns geboten wird in deni Buche' von D e laElotte'^): 
Essais bistoriqnes snr I’lnde, precedes d’un journal de voy- 
ages et d’une description geographique de la cote de Coromandel, 
Paris 1769, nnd zwar in dem Abscbnitt De la religion des Indiens 
S. 163 — 3ii6. Wie De la Elotte anf S. 167 angibt, hat er eine 
Handschrift ausgezogen, die im J. 1767 aus Pondichery (an die 
Kgl. Bibliothek in Paris'?) durch die Vei’mittlung des Herrn 
Porcher^), ehemaligen Gouverneurs von Karikal, gesandt worden 
war. Dafi diese Hs. eine Hs. der Relation des erreurs ist, ist sehr 
wohl uioglich, ja durchaus wahrscheinlick °). Dock laBt sioh nichts 
Bestimmtes ausmachen. Nur so viel scbeint sicher : De la Elotte 
hat allerdings seine Vorlage oft fast wortlich ansgeschrieben, oft 
hat er sie aber anch gekiirzt, andrerseits hat er auch Zusatze ge- 
macht. DaB ihm Fehler untergelaufen sind, darf nicht Wunder 
nehmen. Ich bespreche einige Einzelheiten. 

De la Flotte kennt keine Einteiluug in Kapitel. Dock sind die 
einzelnen Abscbnitte init Uebersclulften versehn, and diese Eebersehriften 


1) tVillkurliolie Anderung Jacfiuets; die bandpi-bi iftlbhe Lesart ist: Pa- 
rangiiis (A'. Journ. .Isiatuiue X, 473 nl. Diesellm Sehreiimng in eineni Zitate 
aus dem 7. Kapitel dor Breve noticia in der Keligion des Malabars 11 12. Siehe 
auch Sonnerat I 58 Mullbauer, Geschichte S. 172. 

2j Her Verfasscr fubr 1757 nacli Indien, nahm an den K.iuipfen der Fran- 
zosen (unter Lally) niit den Englandern Teil. ceriet in engliscl.e Gefangenschalt 
nnd wurde nach London gebracht. ILer erhielt er seine Frciheit wicder und 
kehrte 1701 nacli Frankrei'di zuruck 

3) Die IIs. (jetzt in der Xationalbi’uliotliek V) enthalt Bilder der indisehen 
Gottheite-i. Fins \on dieson Bildern ist wohl das Bild 'ks Braina in den Essais 
historiipies p. 171. 

4) A. P. Porcher des Gulchc.-, conseiller du Gi:i',(l Gonscil de Pondidiery 
et commandant de Karikal (s. Mnson, Revue de Linguistiiiue 30, 290), 8ch\vieger- 
vater des besser hekannten Ilcrrn von Maiidave tModavo). Aus den ilanden Mo- 
daves erhielt Voltaire (1700) den beruhmten — oder beruc! tigtou — Ezoiirvedam. 

b) DaJj nahe Beziehnngen zwischen der Rel.uion ilc? erreurs und den Essais 
historiques De la Flottes bestehn, ja dad dieses tVerk wai rs-oheinlich von jcneni 
abhansrig ist, ist von .lacaiuet nicht erkannt vvorJen I’lrl doth war er nalie an 
der riehticen Erkenutnis : s Indc P'ranvaise II, 77, n. r,. 



12 


Theodor Z a c h a r i a e , 


btimmen im allgemeinen mit deu Kapiteluberschril'ten in den Parallel- 
texten, bei Maniicci u. s. w.. iiberein. Aucb die Anordnung des Stofies 
ist dieselbe wie in den Paralleltexten ; mit einer Aiisnahme : von dem 
Inhalt des 7. — 9. Kapitels bei Manucci ‘De la Politesse, Gouvernement 
et Coutumes que les Gentils observent entre eux’ bringt De la Photte 
zunachst, wohl in Uebereinstimmung mit der Relation des erreurs, den 
Abschnitt ‘Du Gouvernement des Indiens’ p. 2jl und dann ei’st handelt 
er von der ‘Politesse des Indiens' p. i'63. Bei Manucci dagegen stelit 
der Abschnitt uber die Politesse an erster Stelle; ebenso in der Breve 
noticia, wie rvir einer Mitleiluug des Paulinas in seiner India orientalis 
Christiana p. 160. 231 entnehmen konnen. 

Yon kleineren Abschnitten bei De la J'lotte, die sich bei Manucci 
nicht linden , und die er wohl aile seiner handschriftlichen I'orlage ent- 
nomnien hat, mogen genannt werden : Ueber den Salagrama-Stein S. 198, 
Rudraksa 201. Untergeordnete Gottheiten 207, Musik 210. Tempel 212 
(mit Ansiehtj Medizin 244. Anatomic 243. Betel 268. Indische BuBer 
312. Aut S. 317 — 21 bringt De la Flotte die Uebersetzung von 22 
Versen des Kural ') nach einer Hs., die der oben erwahnte Oberst De 
Mondave i.so ! ) aus Indien mitgebracht hatte und die sich jetzt in der 
Nationalbibliothek befindet. 

Weitore Unterschiede zwischen De la Flotte und den 
Paralleltexten. — Sehr auft'allig ist die Kasteneinteilung W. 1G8. 
246 ft'. Der Aiitor unterscheidet 4 Kasten, die Brahmanen, die Rajas, 
die Ghoutres und die Sandalen iC'audfUas), Die Brahmanen sind aus 
dem Haupte, die Rajas aus den tSchultern, die C’houtres aus den FuDen, 
die 4 Kaste ist aus einem abgesehnittnen Gliede des Brahma entstanden 
(nach S. 1C8 die Cboutres aus den Schenkeln, die ‘niedrigen Kasten' 
aus den FiiBen!). Die Kaufleute treten als eine Art L'nterabteilung der 
Brahmaueukaste, nici.' als besondre Kaste ant (les Banians pretendent 
avoir le memc avanmgc (jue les Brames S. 246). Dagegen hat man 
nach der tranzo.sischen Ueber.setzung der Breve noticia Kap 3. 17 (vgl. 
Manucci III 7 f . ; 35] 5 Kasten zu unterscheiden : die Brahmanen, Rajas, 
C’omatis (Kaufleute), Xutres und die Niger oder Xandalam, welch 
letztere wieder in 4 Zweige zerfallen Auch im 7. Ka^htel der Re- 
lation des erreurs (N. Journ Asiatique X 475] werden unterschieden : 
Brahaines. Radjas, Comittis, Ghouttas. gens de bas.se extraction; und R. 


1) Vgl. Jaciiuet, hide i ramjoise li. 4!). n. 4, Ide Kunde iom Rural ge- 
lar.gte sdion fruli nach Europo. Ih-rcits Piogo do Couto (V, G, 4] verbreitot sich 
uher den Inlialt von Tiriivalliivar.s liichtuiig uiid gibt die Zahl der i'erse ganz 
richtig mit ld.su an last wnrtlich dassolbe best man t'ci Giuseppe di Santa 
Maria, I’rima si»editione all' Indie oriental; (Roma IGGi;) II 17 ji 157. Sieha sunst 
auch die Ilallisclien Missiousl eriehte I ebO ff. 


2] GG.4. 1916 
Tribes VI 43 : The 
uj) as being ‘that g 
fifth caste, and 
Bandani'. .Vc cording 
the Paii'ij;'. t’. e Ba' 


, 012 11 Iriir.e zu ilanucci III 3.5. Thurston. Castes and 
Panchamas are. in the Madras Census Report, 1S71, suuimed 
real division of the jicople, siiokeu of iiy themselves as the 
destnhed by Buchanan and other writers as the Paneliam 
to Buchanan, the I'ancham Baudum ‘consist of four tribes, 
bnin, the rshekliar. and the Toti'. 



I'ber die Urcve Noticia dos erros que tern os Oentios do Concao da India. 


de’ Nobili nennt in seiner Vertcidigungsschrift die drei boberen Kasten : 
Brahmanen, Eajabs, Comatis^). 

Auffallig ist ferner, dafi nacb De la Flotte S. 189 Routren dem 
Vinaguien (Ganesa) das Haupt abschlagt Nacb der franzdsischeu Ueber- 
setzung Kap. 8 (Caland S. 168) totet Virabhadra den Vinayaka ; 
ebenso nacb der Relation des eiTeurs (s. Jacquet, Inde Fran^aise II 17 
n. 1). — Sonderbar liest sieh der Satz S. 226: ‘Un cygne Ini [dem 
Brahma] sert de monture, et quelquefois un cbeval pour ses voyages’. 
Die Paralleltexte wissen nicbts davon, daU Brahma bisweilen auch das 
Pferd als Eeittier gebraucbt. — S. 227 wird der FluB Vaycaram (Vai- 
taranl) une riviere de fer genannt. Fer mag Dinckfehler fiir feu sein. 
P^ebrigens ist der eiserne FluB iibei’gegangen in den Ezourvedam II 
160 Anm. — Nacb den Paralleltexten bat der Verfasser der Breve no- 
tieia keine naheren Angaben iiber die Fiscbinkar nation macben 
kdnnen (Manucci III 10; Fr. Uebers. Kap. I: On ne s<,’ait pas quel fut 
le motif de cette metamorphose). Dagegen bemerkt De la Flotte S. 172 
t. uber den Nara-Avadaram (so!): La premiri-e incarnation de Yichenou 
fut en poisson. pour servir de gouvernail a I’arche du de- 
luge. Er fiigt nocb binzu : II paroit constant que toutes les nations 
conservent Fepoque d'un deluge. Les Brames disent qite Yichenou fut 
engendre une seconde fois sur les eaux qui couvroient la surface de la 
terre, dans la feuille d’un arbre, nomme Arrechel-q dont tous les 
Gentils se servent dans les ceremonies de Icur.s mariages Ce Dieu ainsi 
regenere prend le nom de Parapatera-Saby ®). Aucb von diesem 
Zusatz findet sicb in den Paralleltexten keine Spur. 

Als bemerkenswert will icb nocb den Gebraucb des AYortes va- 
rang lie (ou galerie formee par un petit nuvent que .soutiennent des co- 
lonnes de bois fort minces) S. 275 f hervorbobeu. Die gewobnlicben 
franzdsiscben Wiirterbucber kenmn das AVort nur in der Bedeutung 
'Baucbstuck eines Schiffs'. Bei Sacbs-A’illatte tinde icb als Beleg fur 
die Bedeutung Veranda’ll die Stelle : George Band. Indiana 24: im 
Hobson-Jobson s. v. Veranda eine* Btelle aus Bonnerats Rei-sebeschreibung, 
mit der Bemerkung: ‘There is a French nautical term, varaniiue, ‘the 
ribs or floor- timbers of a ship’, which seems to have led the 
writer astray here'. Alan beaclite aber. dull rarandain im Diction- 


1 ) Alullbauor. Gesriiiclite der katlicli'cLen Aiissionen 8.102, Ifle Komi’itis 
weidcn in Suciindien von den Drahraaueii als Vaisyas anccsean (Tl.u.s on. Castes 
and Tribes V!i '271; auders Soiujerat, Voy.iS'a Ibij und ni>-i t .-elten als o. Kaste 
bezoichnet (Lettres editiantes XiV 2:!). XTuh einem Zitat aus dem 'racanisme 
Indi'. n’ im F/ouiaedam II 82 n, m.u-l.cn die Coinattis deu aime^ehnsten Te;! der 
H. K,aste aus 

2) Tamil ar'i.b;, .--kr. pqijial.!. Ficus rriiLi'''!. Vgl. Fr.' t’.iohno, llci'C ii.ich 

S. 9,s. 

o) Y ohl = r .itipaiti-fiirii/i. Vgl. T7; apa rach a liei 8o;iuerat I 294, 

y<(l'iijatr(d::ii iiei Jo’ucau-Dubronil. .iicln. oloeie du 8^,1 de iTndo II 69 

■tl Zur Ktyuiob'gio ebs iiOi Ti iinmer nuht sii '.;or erki.irteu Wortes erranda 
vgl llobson-.Iobson u. d AV : Hug. .'‘cbu''I..a; dt in der Zs. I'.ir lom'iiis be Iliiio- 
logi.- XlII 491 Ann:. 



14 


r li e 0 d o r Z a r h a r i a e . 


naire Tamoul-Franoais erkkirt wii-d mit ‘varaade, (ou plus ordinal 
rement) varangue. coiTidor. portiqiie’, etc. 


So viel liber die Bearbeitungen und Ubersetzungen , die der 
Breve iioticia zuteil geworden sind. lYir sind jetzt vorbereitet 
zur Beantwortang der Frage nach dem Aiifentbaltsort, dem Namen 
und der Zeit des Verfassers. sowie nach der Einteilung, dem Um- 
fang und dem Inhalt seiner Abhandlung. 

Wo der Verfasser residierte, wo seine Missionsstation lag. 
ergibt sich aus dem Tit el der Abhandlung: Breve noticia dos 
erros que tern os Gentios do Concao da India. Er schildert die 
Religion, die Regierung, die Sitten und Gebriiuche (qovenw e costu- 
mes) der Bewobner von Concao. Was ist unter Concao zu ver- 
stehn '? Es liegt nahe,. an das Konkan, den wohlbekannten Land- 
strich an der Westkiiste Indiens, zu denkeu. iCllein die Annahme, 
dafi sich der Verfasser in dieser Gegend aufhielt, verbietet sich 
durchaus, schcn deshalb, weil dort, wo er lebte und schrieb, sicber- 
lich kein Koukanl. sondern, wenigstens vorzngsweise, Tamil ge- 
sprocheu wurde. Dafiir treten u. a. beweisend ein: uijvaialical'-) 
die unreife Frucbt der Bryonia laciniosa; das Satzcben Arrunia- 
(lainttthici ‘moge uns der Sechsgesicbtige belfen’ (GGA. 1916, 606); 
jS’aUc-Faiiihoti (Tamil i<alia-j>ai)ibu 'die gate Scblange’) = Sesa ; die 
Gotternamen FaUeyny {Pillaiyar, Gaiicsu) und Yelayadam (= Su- 
brabmaijya; GGA. 1916, 615); der Plural liaxadey. die Feminina 
Bramuute (ebenda S. 611 f.j und Audichi ‘Frau eines Andi (De la 
Flotte 192); das Wort tmuDihu ‘Strohhalm’ (Manucci III 70). Der 
Aufenthaltsort des Verfassers mu8 im Siiden Indiens, in einer Ge- 
gend, die von einer Tamil sprecbendeu Bevolkerung bewohnt war. 
gesucht werden. Ich meine, diese Gegend ist der Kougudesa (Ivoii- 
gamanclalam), d. h. der Laiidstricb Siidindiens, der allgemein mit 
den heutigen Distrikten Coimbatore und Salem (genauer : mit den 
siidwestlichen Taluks von Salem) identifiziert wird-). Der Kon- 
gadesa liegt oder lag sudlich von Maisur. Da6 aber die Portu- 
giesen das genannte Gebiet mit dem Namen Concao bezeichnet 
haben, dafiir haben wir das Zeugnis des Paulinas ^) in seiner India 


1) S. die Belege bei Calaiid, Drie oude Portugeesche Verbandclingen S. 212f. 

2) Imperial Gazetteer of India, neue Ausgabe, X bo8. Coimbatore heillt 
Boch beute Koiigiinad Das Dirt Tamoul-Franrais sagt; Koiigii. pays qiii fait 
partie du Malealam ou da pays mala bare et m.une du C o i m b a t o u r et du 
Maissour^ Die Konige des Landes werden aufgezahlt in der Tamilcbronik 
Koiigudesarajakkal (ein Plural; ‘die Kuuige des Kungulandes’. Lassen I A. IP 
1035 bat falschlich Kongudesarajakula dafiir einijesetztj. 

3) Audi die LanJseiiaft Concao, die Paulinas ia seiner Reisobescbreibimg 



L’ber die Bre\e Notieia dos erros que tern os Geatios do Goncao da India 15 

orientalis Christiana (Romae 1794). In der Erklarang der dem 
Buche beigegebenen Karte sagt er S. 235 f. : In mediterraneis sub 
gradu 13. usque ad 11. est regnuin Concam, quod Lusitani 
scribunt (Joncao, et Arabes apud Renaudotium Kenkem, und 
S. 237 bemerkt er : In Palacaticsheri incipit Missio Christiana regni 
Concam, et inde versus ortum excurrendo numerat paroecias 
Caramuttampatti, Bharaburam, Mettupaleam, Pudupari, Calcaveri, 
Calangani, Dharmapuri - ). Ob die Angaben des Paulinas ganz 
richtig sind, namentlich, ob sie fiir die Zeit gelten, in der der Ver- 
fasser der Breve noticia lebte, mufi dahingestellt bleiben. tibrigens 
werden dieselben acht paroeciae oder ecclesiae, die nach S. 237 zur 
Mission des Reiches Concam gehoren, von Paulinus S. 159 zur Mis- 
sion von Concam und Mai stir *) gerechnet. 

Das Concao wurde schon frlih in den Wirkungskreis der Je- 
suiten gezogen. Kach Salem unternahm Roberto de' Nobili der 

(deutscli von Forster, Berlin 179i> wiederliolt erwabnt, ist ohne Zweifel mit dem 
Kongudesa idontisch. Forster irrt sich. wenn er in dc-m geographischeii Index, 
den er seiner Ubersetzung beigefugt bat, S. 470 Concao als -ein Reich in der 
liacbbarsc'baft von BombaC bezeichnct. 

1) Genieint ist S 157 der Anciennes relations dos Indes ct de la Chine, 
Paris 1718. 

2) Calangani kann icb nicht identitizieren. I bor die anderu Orte will ich 
bemerken; Calcaveri im Salem District ist nocli beiite Missionsstation (Manual of 
the Salem District I 163). Caramuttampatti wird von Mullbauor S 226 als Mis- 
siousstation genaunt. In Dharaburam im Coimbatore District bestand bereits 
1608 eiiie Kapolle der Jesuiten (Sewell, Lists I 219. Imperial G.izetteer X 301). 
In Dharmapuri (Salem District) rosidierten die Missionare Susiapere Swamiar und 
Antoniar, die im J. 1675 von Joao de Brito besucht warden (Salem District Ma- 
nual I 165). Mettupaleam (Mettupalaiyam) liegt in Coimbatore am Fusse der 
Nilagiris (^jewell I 217; ein andrer Ort desselbeii Kamens ib. 219) Palaciiticsberi 
(Palakkriduseri), an dem Pali zwischen Malabar und Coimbatoie im beutigen Ma- 
labar District, ist nach Fra Paolino, Reise S. 177 vgl. 141 die letzte im Wosten 
belindliche Stadt dos Kunigreichs Concam. Zu Pudupari vgl. Budliapadi oder 
Biidapari (iu Maisur) bei Fra Paolino S. 35, Pudappadi in don Hallischen Mis- 
sionsberichten III 807. 

3) In der Xahe von Maisur lebte der Verfasser der Breve noticia 
sicherlich; zeigt er sich doch vertraut mit eiuem eigentumlichen , zu seiner Zeit 
in Maisur berrschenden Brauebe. De la Flotte S. 257 f. beriebtet daruber; ‘Un 
genre de cruautc inouie qiii exists dans les Ktats duMaissour, e'est que, lors- 
qu’il nait un enfant an Roi, on envoie, par le conseil des Brames, mettre le feu 
a plusieurs villages pour tirer I'boroscope de cet enfant, et comme les maisons 
sont presque toutes couvertes de ebaume, elles s’einbrasent avec tant de vivacite, 
que la pliipart des babitans perdent souvent la vie avec leurs biens'. Dasselbe 
berichten Mauucci III 52 (wo aber das Reich Maisur nicht geuannt wird) und 
Jacquet, Inde Francaise II, 35 n. 2 nach den ‘anciens vojageurs’. Was fur Rei- 
sende meint er? Sollte er nicht aus der Relation des errenrs geschopft haben? 



16 


The’odor Zachariae, 


Begriinder der Madura-Mission, seine erste Missionsreise aufierhalb 
Maduras (1623). Der erste Ort, wo er verweilte, war Sendamaii- 
galam'). Es ist nicht unmoglich, daB der Verfasser der Breve 
noticia za den Missionaren gehorte, die Xobili, nach dem Zeugnis 
des Paulinus. ins Concao sehickte ; Prosperum suornm labornm suc- 
cessum perspiciens advocat alios socios, quos mittit in regnum Con- 
cam. seu ut Lusitani scribunt Concao, quod tunc regi Ma- 
dhurensi subjectum erat (India or. Christiana p. 155). 

Wie aber Jautet der Name des Verfassers der Breve noticia? 
Dellon, der den Verfasser personlich gekannt za haben bebauptet, 
hat den Namen leider nicht genannt. Und auch wenn uns ein 
vollstandiges Manuskript der Breve noticia zugebote stiinde, so 
w’iirden wir hier den Namen des Verfassers schwerlich angegeben 
Snrlen : die Breve noticia ist ein anonymes AVerk, genau so wie 
die 1 eiden Abhandlungen . die Caland und Fokker in den ‘Drie 
oude Portngeesche Verhandelingen’ an erster und zweiter Stelle 
veri'itVntlicht haben. 

Xun aber besteht eine bestimmte Uberlieferung, wonach der 
leriiliinte Jesuitenmissionar Joao de Brito der VerSasser der 
Breve noticia gewesen ist. Auf diese wenig bekannte, z. B. von 
Backer-Sommervogel gar nicht erwahnte Tatsache hat zuerst Ca- 
land ^) hingewiesen. Paulinus zitiert in verschiedenen seiner AVerke, 
be^onders haufig im Systema Brahmanicum. die Breve noticia unter 
dem Famen d'=‘S Brito. Dasselbe tut, erheblich frhher. der Ver- 
I'aS'Cr der Religion des Alalabars. Dazu kommt ein Zeugnis in 
Xorberts Memoires historiquei (Besaneon 1747). ein Zeugnis. das 
i:h nicht tibergehen moehte. In einem Briefe vom 7. September 
174t) bei Xorbert II 40S ff. ist von der Seligspr. chung *) des Brito 
die Rode. L'ber dieselbe Angolegenheit finden wir in einem an- 
deren Briefe (vom 16. Sept.; b-vi Xorbert II. 412 tf.) die folgende 
Renierkung : 

Apres avoir f.cheve ma ]c:Uv. j'ai roou do 31. I'Eveipio de 3Ie- 


III' 

(LaA 

(T.:e 

o\ ei‘ 


ii e.iulll'onev s I'j ; f,. Manual of the Salem I, 47. 1C4. 165. 

Biito. oehoren 16-17 in Li;sabon, witkte von 1073 bis lli'.tS in InJisn. 
4 . elir’uar IG'lo erlitt or don Martyrertod. ]»er Aaitip oft Siiitto ge- 

■eb 'I . aber lirif.j s.-limbon iiortugic.Mscbe .Autoritaten tiie Barbosa .Maci<ado 
lorbs. a Liisitam II olO) und Frandsro de S. .Maria (.Anno bistorico 1 212). 
■-)) De auteur der derde .oude Portugeesche verhaudeiiiig over hot KinJot-isnio. 

.oi''_>el aan de verlianaeliP!; Dric oude rortuseesohe ■crliaudelingen 

but i iinuoeiime. ) Am^terd.tjn , Aovember 1015 

4) Diese orfolgto, nach Parkor-doniinertogcl II lOq am is, Mai ls52. 
oi itaum .Irtiliir .Jahre n.ich liri-os- 'io-l wurde vom Ilischof zu Meli'ipor 



Uber die Breve Xoticia dos erros que tem os Gentios do Concao da India. 17 


liapure une lettre Pastorale, avec ordre expres de la lire a la grande 
Messe et de I'afficher a la porte de nos Eglises; ce que nous avons 
execute avec la derniere exactitude. Cette Pastorale contenoit un Man- 
dement de la S. Congregation des Kits sur deux questions: Savoir si 
quelques-uns de nos Chretiens avoient connoissance d’un livre intitule 
La vie de I'ldole Brachmane, traduit du Malahare en Portugais 
par le K. P. Jean de Britto Missionnaire de la Societe de Jesus 
dans le Eoyaume de Tanjaours. En second lieu, si quelqu'un possedoit 
ou avoit vu I’image de ce Pere avec des habits de Gentils. 

Im Folgenden ist leider nur von dem Bildnis des Brito die 
Rede. Das Buck aber, worauf sich die erste Prage der Riten- 
kongregation beziebt, das Bach, das der P. Jean de Brito von der 
Gesellscbaft Jesu aus dem lilalabariscben d. h. ans dem Tamil ins 
Portugiesiscbe iibersetzt baben soli , ist bein anderes als die No- 
ticia dos erros, zitiert u. d. T. La vie de ITdole Bracbmane. Einer 
der ersten Abscbnitte der Xoticia fiibrt namlicb die Bezeicbnung : 
Da vida deBroumba (Religion des Maiabars II 8. 10; vgl. 
N. Journ. Asiatique X 470. Manucci III 7). 

Es fragt sicb aber sebr, ob die Uberlieferung, wonacb Brito 
die Breve noticia verfafit bat, glaubwiirdig ist. Selbst die Autori- 
taten, die das Werk nnter dem Xamen des Brito zitieren, sind 
ibrer Sacbe nicbt sicber. Der Yerfasser der Religion des Maiabars 
sagt an zwei Stellen (U 1. 8) uusdriicklicb, dab man die Xoticia 
dem Brito nur zuscbreibt. Dasselbe tut Paulinus in der Gram- 
matica Samserdamica p. 3, wo ‘Anonymus quidam e S. J. Mis- 
sionarius’ als der Yerfasser der Xoticia bezeicbnet und der Xame 
Brito nur in der Anmerkung z. d. St. genannt wird ; und in der 
India orientalis cbristiana p. 231 n. leitet Paulinus ein Zitat aus 
dem 6. Kapltel der Xoticia mit den Worten ein: 'Si P. Joanni de 
Britto, sea auctori libri manuscripti: Breve noticia dos 

erros , credimus , regum Bisnagari , Maissur, et Concam 

auctoritas et regimen absolutum, asperum, et tyramiicum erat'. 

Es scheiiit in der Tat, als biitte man dem Brito die Xoticia 
nur zugeschrieben , weil er ein beriibmter Mann war : genau so, 
wie man den nocb beriibmteren Jesuitenmissionar R. de’ Xobili 
zum Yerfasser der Relation des erreurs gestempelt bat (s. oben 
S. 9). Aucb lassen .-icb Griinde anfiihren, wonacb sicb Britos 
Verfasserscbaft als wenig wahrscbeinlicb , ja als fast unmoglicb 
berausstellt. Sicberlicb besab Brito die Begabung und die Kennt- 
nisse, die ibn zur Abfassung einer Scbrift uber die Religion und 


anf .Vnordnung der Koiigi egation der Riten in Rom der InformationsprozeB be- 
ziiglich der Beatitikation eingeleitet. (Mullhauer S. 235.) 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachricht?n. I’hil.-hist Klasse. 191#. Heft 1. 2 



18 


Theodor Zachariae, 


» 

die Sitten der indischen Heiden befahigten. Liest man aber die 

Biographien des Brito oder auch nur das, was Miillbaner S. 231 ff. 

iiber ihn berichtet, so kommt man zu der IJberzeugang, da6 Brito 

wahrend seiner angestrengten Missionstatigkeit die fiir literarische 

Arbeiten notige Ruke nnd MuBe nicht gefunden baben kann. Dem, 

was J. H. Nelson i) iiber diesen Punkt bemerkt hat, wird man nnr 

beistimmen kbnnen. 

Ferner diirfen wir nicht vergessen, was Dellon iiber das von 
ihm iibersetzte MS. der Breve noticia berichtet. Er will es von 
dem Verfasser, einem Missionar, im J. 1676 auf der Fahrt von 
Groa nach Lissabon erhalten haben. 1st dieser Bericht glaubwiirdig 
— was allerdings zweifelhaft ist — , so kann Brito nnmoglich der 
Verfasser sein. Brito kam erst 1673 nach Indien und brachte zu- 
nachst einige Zeit in Goa zu, um seine theologischen Stndien zu 
vollenden (Miillbaner S. 231). Vor dem Jahre 1676 war er kei- 
nesfalls imstande, eine Schrift iiber ‘die Irrtiimer der Heiden des 
Concao’ zu verfassen. AuBerdem soil der Verfasser dieser Schrift, 
nach Dellons Bericht, im J. 1676 auf der Fahrt nach Europa ge- 
storben sein. Aber Brito trat erst 1688 eine Reise nach Europa 
an; er starb auch nicht auf der Uberfahrt, sondern erst 1693 in 
Indien. 

Endlich ist eine bestimmte Zeitangabe, die uns im 16. Kapitel 
der franzosischen Ubersetzung entgegentritt, zu beachten. Danach 
soli das Kaliyuga vor 48448 Jahren begonnen haben. Diese An- 
gabe ist allerdings hochst sonderbar -). Auch weichen die Parallel- 
texte ab ; bei Manned (vgl. Ill 33) lautet die Zahl quatre cents 
mille quatre cents quarante huict, bei De la Flotte 242 : quarante 
mille quatre cens quarante-huit. Indessen stimmen die Zehner 
und Einer in alien drei Angaben iiberein. Es ist daher wahr- 
scheinlich, daB sichs um das Jahr 48 irgend eines Jahrhunderts 

1) The Madura country, Madras 1868, part III., p. 223 : Though sufficiently 
qualified by his talents and by his education to be an author, De Britto did not 
imitate the example of Robert de Nobilibus, and if he ivas the author of any 
■works, they have perished and nothing is known of them. It seems probable 
however that his purely missionary labors occupied his wliole 
time and attention and left him no leisure for composition . . . . 
Whilst Robert has left behind him voluminous and able contributions to polemical 
literature, John has left nothing but a series of letters, admirable as memorials 

of the life and labors of a truly pious man but of no great literary value. 

Zu bemerken ist hierzu , daB Nelson von der Noticia dos erros, die dem Brito 
zugeschrieben wird, otfenbar keine Kenntnis besaB. 

■ 2 ) Eine andre sonderbare Angabe uber die Dauer des Kaliyuga findet man 
in einem Briefe des P. De la Lane v. J. 1709 (Lettres edifiantes XI 232 1 . 



Uber die Breve Noticia dos erros que tem os Gentios do Concao da India. 19 


des Kaliyuga, d. h, nm das Jahr 47 eines christlichen Jahrhunderts 
bandelt. Da aber nur das 17. Jh. der christlichen Ara in Frage 
bommen kann, so gewinnen wir das Jahr 1647 als das Jahr, wo 
die Breve noticia geschrieben wnrde ^). Der Annahme, da6 diese 
Schrift wirklich so alt ist, steht, soviel ich zn sehen vermag, nichts 
entgegen. Ist aber 1647 das Abfassungsjahr , so kann Brito un- 
moglich der Verfasser sein, denn er erblickte erst i. J. 1647 das 
Licht der Welt. 

In diesem Zusammenhang will ich noch auf ein anderes Datum 
aufmerksam machen. Wenn die nnten'^) aus der Relation des 
erreurs angefuhrte Stelle wortlich ans dem portugiesischen Original 
ubersetzt ist — woran ich nicht im geringsten zweifle — , so mu6 
der Verfasser der Noticia elf Jahre in der Madura-Mission tatig 
gewesen sein, als er seine Abhandlung niederschrieb. 

Ich glaube gezeigt za haben, da6 die IJberlieferung , wonach 
Joao de Brito der Verfasser der Noticia war, auf sehr schwachen 
FtiBen ruht. Dennoch ware es moglich, dafi dieser Uberlieferung 
etwas Wahres zugrunde liegt^). Vielleicht war nicht der beriihmte 
Joao de Brito der Verfasser, sondern irgend ein andrer, weniger 
bekannter Brito. Es hat verschiedene Jesuitemnissionare mit dem 
Namen Brito gegeben, die in Indien wirkten. Da ist vor alien 
der P. Emmanuel de Brito zu nennen, der i. J. 1657 nach Indien 
ging und daselbsf am 23. Dez. 1671 starb^). Seine Residenz war 
Congupatti (Koiigupatti). Ich kann diesen Ort nicht identifizieren. 
Dock geht aus dem Namen selbst sowie aus den Angaben Miill- 
bauers hervor, dad der Ort im Kohgudesa d. h. im Concao zu 
suchen ist, in der Gregend also, wo der Verfasser der Noticia 
gewohnt haben mu6. Ich nenne noch den Erzbischof Stephan 
Britto®) und den P. Johannes de Brito ‘den Jiingeren' (Mullbaner 
S.‘237). 


1) Die obigen Ausfiihrungen grunden sicli auf eine Mitteilung, die ich Herrn 
Prof. Jacobi, einer Autoritat auf demGebiete der indischen Chronologie, verdanke. 

■ 2 ) \ oilii ce que m’ont permis de reconnaitre de frequens rapports avee les 
Malabars, pendant les onze annees que j'ai assuste a la mission du Madurc' 
{Xoiiveau Journal Asiatique X 474.) 

3) Auf diese Moglichkeit hat mich Herr Prof. Caland in einer brieflicli ■ i 
Mitteilung hingewiesen. 

4) A. Franco, Annus gloriosus Societatis Jesu in Lusitania, Viennae 1720, 
p. 750. Mullbauer S 222. Caland verweist mich auf das mir nicht zugangliche 
Buell von Auguste Jean: Le Madurc. Pancienne et la nouvelle mission, Bruxelles 
1694, p. 74. 

5 Mullbauer S. 297 ff. Aus einer Schrift des (oder eines Stephanus de 
Brito wird eine Stelle zitiert von Samuel Purchas, Pilgrimage (London 1626) p. 554. 



20 


Theodor Zachariae, 


Ich gebe jetzt eine Ubersicht iiber die in der Noticia beban- 
delten Stofte'). Vorausgeschickt sei, dafi die Kapiteleinteilung 
des portngiesiscben Originals, wie ans Anfiihrungen bei Panlinns 
u. s. w. hervorgeht, nnr in der Relation des erreurs unversehrt 
erhalten ist. Beide Texte, die Noticia und die Relation, umfassen 
sieben Kapitel. Dagegen weicben Manucci und die franzbsiscbe 
Tiber setznng in der Zablung der Kapitel mebr oder weniger 
vom Original ab, und De la Flotte zablt die Kapitel iiberbaupt 
nicbt. Docb sind die Uberscbriften der Kapitel und vermut- 
licb aucb die der TJnterabteilnngeu (Paragrapben) in den drei znletzt 
genannten Paralleltexten ans dein portngiesiscben Original, grodten- 
teils wbrtlicb, ilbernommen worden. Icb werde dies an einigen 
Beispielen zeigen. Eine genaue Anfzablung aller IJberscbriften 
wtirde zn viel Raum beansprncben. 

Das erste Kapitel bandelt von Gott und seinemWesen; von 
den drei grofien Gottc:n der ‘falscben Trinitat’ (Brahma. Visnu, 
Rndra). Bei Manucci enispricht Kap. I (Bd. Ill S. B — 22 in Irvines 
tibersetzung) : in der franzbsiscben Ubersetzung: Kap. I — X; bei 
De la Flotte- S. 163-108. 

Kap. II: Was die Heiden vomParadies und von derHblle 
sagen; = Manucci Kap. II, frz. Uber.setzung Kap. XI— XII, De 
la Flotte S. 221—233. 

Kap III; .Von der Seele; = Manucci Kap. Ill, frz. tlber- 
setzung Kap. XIII, Do la Flotte S. 233 — 234. 

Kap. IV: Was die Heiden von dieser Welt sagen; von den 
Planeten; von den Zeitaltern. Manucci Kap. IV — V, frz. tlber- 
setzung Kap. XIV- XVI, De la Flotte S. 234 — 244. 

Kap. V: Vom Mens c hen (Kasteneinteilung)-). Manucci Kap. VI; 
frz. Ubersetzung Kap. XVII (Ce que les Indiens croyent de I’bomme. 
Uber Kap. XVIII — XIX der frz. Ubersetzung vgl. oben S. 7); 
De la Flotte S. 246 — 250. Manucci gibt in seinem IX. Kapitel 
(Bd. Ill S. 68) , worin er die Hocbzeitsbraucbe behandelt , einen 
Ver-weis auf das V. Kapitel. Diesen Verv?eis scheint er wbrtlicb 
dem portngiesiscben Original entnommen zu liaben ; denn die Stelle, 

I) Zu einer genaiicrcu I'l’ aksuojabo foiilt es mir an Ranni. rbii.'Or.s sitnl 
die franzubisilie Uhcrse*ziuiy Notui.i (in Calands .\usga! e der holl.indischeii 
l'bc-rsetzuDi,'j sowie Manuecis I 'oersetzun- (ui Inines eiiglisel.or Lbcrsetzungi leii ht 
eneiebhar. 

Ji Alls diescm Aljbchnitt wild ein langeres Zitat in der llcligion des Malabars 
II, 1 gegebeii, und zwar Soil es .ans dem v i e r t e n Kapitcd des Originals stamnien- 
Ii li wriij zur Zeit keine sithre Eiklariing fur diese Angabe zu liefcrn. 



Uber die Breve Noticia dos erros que tem os Gentios do Concao da India 21 

worauf sich derVerweis bezieht, steht bei ihm selbst nicht im V., 
sondern im VI. Kapitel, 

Wir kommen jetzt zu den Abschnitten des Originals, die nnr 
in den Ubersetzungen Manuccis und De la Flottes einigermafien 
vollstandig erhalten sind. 

Das VI. Kapitel fiihrt nach Paulinus, India or. Christiana p. 160 
im Original den Titel: ‘Da Politica, Groverno, e costumes 
destes Grentios etc.’; bei Manucci: ‘De la Politesse, Gonveme- 
ment et Contumes que les Gentils observent entre eux’. Der Titel 
von Kap. VI § 2 lantet nach Paulinus 1. c. p. 231 n. ; ‘Do modo do 
governo que guardao entre sy’ = ‘De la maniere de Gouverne- 
ment qu'ils ont parmi eux’ bei Manucci. 

Dem VI. Kapitel des Originals entspricht Kap. VII — IX 
S. 37 — 73 bei Manucci, und S. 251 — 312 bei De la Flotte. Da6 
De la Flotte (oder bereits seine Vorlage?) eine Umstellung der 
Paragraphen dieses Kapitels vorgenommen hat, ist oben S. 12 
bemerkt worden. GroBere Zitate aus Kap. VI finden sich in der 
Religion des Malabars II 1. 8. 19. 

Das VI. Kapitel ist nicht nur das umfangreichste , sondern 
unstreitig auch das wichtigste und interessanteste Kapitel der 
portngiesischen Abhandlung. Der Autor handelt hier von den 
GruBformen, von Kleidung und Wohnung, von der Art wie man 
iBt, von erlaubten und verbotnen Speisen, von der Regierung, von 
der Art wie man die Steuern eintreibt, vom Kriege (leur maniere 
de faire la guerre, De la Flotte p. 258 j. Besonders ausfiihrlich 
behandelt er die Hochzeitsbrauche: nach einigen allgemeinen Be- 
merkungen bespricht er der Reihe nach die Brauche der Brah- 
manen, Rajas, Kaufleute, Siidras und Parias. Zuletzt foigt eine 
Darstellung der Tuten- und Bestattungsgebrauche. 

Ich kann es mir nicht versagen, aus dem Abschnitt iiber die Hoch- 
zeitsbrauche Einiges hcrvorzuheben. Venn ein Brahmane, der 
zu heiraten wiinscbt, seinen zukunftigen Schwiegervater um die Hand 
seiner Tochter gebeten hat, so verlaBt er das Haus der Braut und betritt 
ein anderes Haus, wo ihn die Verwandten der Braut erwarten. Naclidem 
er sich eine Zeit lang mit ihnen unterhalten hat, gibt er vor. zornig zu 
sein, steht jjlotzlich auf , zieht ein Paai- alte Schuhe an , nimmt einen 
Stab in die Hand , steckt ein Buch unter seinen Arm und sagt , dab er 
eine Pilgerfahrt antreten wolle. Er gebt wirklich weg , wird aber 
alsbald von den Verwandten der Braut zuruckgeholt mit dem Versprechen, 
ihn ohne Verzug zu verheiraten (Manucci III 50 vgl. IV 441). Diese 
von dem Portugiesen gut geschilderte , auch unter den Brauchen der 
Bajas (s. Manucci HI 62) erwahnte Zeremonie heiCt pamdes'apravesa oder 
(gewohnlich) Kasiyatrd und wird namentlich von den Vaidiki Brahmanen 
in Siidindien geiibt : s. Thurston, Ethnographic Xotes in Southern India 



22 


Theodor Zachariae, 


p. 1, Castes and Tribes of Southern India I 279. 357. 369. Sie kommt 
aber auch vor bei den PaUans und Kamsalas (Ethnographic Notes 26 f., 
Castes and Tribes V 479. Ill 146), bei den Devahgas, Kavarais, Komatis 
und bei den Eazus oder Rajus (Castes and Tribes 11 163. Ill 264. 332. 
VI 253). Aus dem weiteren Verlauf der brabmanitchen Hochzeitsfeier- 
lichkeiten fiihre ich an : Les parents le (le marie) relevent par la main et 
le font asBoir conjointement avec la mariee sur un balancier fait de 
planches qui est attache avec des cordes a une solive, puis les uns les 
font balancer et les autres chantent leur louanges (soManucci; 
8. Manucci III 56 vgl. 58; ausfuhrlicher De la Flotte 290). Vgl. dazu 
Thurston, Castes and Tribes VII 258 : During the marriage ceremonies 
of BrShmans and some non - Brahman castes , the bride and bridegroom 
are seated in a swing within the marriage booth , and songs called 
uyyala pataht (swing songs) are sung by women to the accompaniment 
of music: I 280 (Brahmanen); III 332 (Komatis); VI 255 (Razus) *). — 
Von der Witwenverbrennung handelt der Portugiese an zwei 
Stellen ; s. Manucci III, 60, 65 f. — In dem Abschnitt iiber die Brauche 
der Rajas ist das Fischorakel bemerkenswert. ‘Ils (les nouveaux maiiez) 
jettent dans un grand vaisseau qui est la tout prest et plein d’eau un 
poisson imaginaire fait d’une drogue qui est comme de la farine, 
et qu’un des parents des nouveaux mariez tient par une corde le faisant 
alter d’un cotd et dautre autour de lean; alors le marie pour montrer 
son adresse tire une petite fleche avec un arc sm’ le poisson; et si il le 
touche, tout le monde chante ses louanges et dit qu’il est fort adroit 
au maniment des armes , fort vaillant et fort fortune ; et si il manque 
ils le disent malheureux et maladroit’. So Manucci III 64 (Berliner Hs.). 
DaB es sich bei der Zeremonie um ein Ora k el handelt, tritt in dem 
Paralleltext De la Flotte S. 300 f. besser hervor. Ubrigens laBt dieser 
Autor die Brant, nicht den Brautigam, nach dem kiinstlichen Fisch 
schiefien. Dieselbe Abweichung in einer Mitteilung Jacquets (Inde Fran- 
(j-aise 11 12, wo die Braut drei Pfeile abschieBt). Hat er aus der Re- 
lation des eireurs geschopft ? — Ausgehend von einer Stelle im Baudha- 
yanagrhyasutra '') babe ich diese Zeremonie, nnd verwandte Zeremonien ^), 


1) Der Branch wird nicht erwahnt von Frazer in dem Exkurs ‘Swinging as 
a magical rite’. Golden Bough- II 449 — 56. Eine Puppe ist an die Stelle der 
Brautleute getreten in dem Brauche, den Crooke, Folk-Lore XI (1900) p. 2.3 
schildert: When in Madras tlie Reddi brings home his bride, a swin-g is hung 
from the house-beam, a wooden doll is hung in it, and swung by husband and 
wife, while the women sing songs, obviously a charm to make their union 
fertile. 

2) I 13. Vgl. dazu Fawcett im Madras Government .Museum Bulletin HI 
(1900) p. 65 und Thurston, Castes and Tribes V, 202, wo, anders als bei Baudlia- 
yana, ein Brahmacarin eine Frage an den Brautigam richtet. 

3) Zu der in der WZKM. 18, .300 aus Baldaeus, Abgbtterey S. 606 ange- 
fuhrten Stelle stimmt Faria y Sousa , Asia Portiiguesa II 4, 6, 2 [Los Xobios] 
vienen a un caldero dc agua que esta prevenido con peces vivos; y c6 un 
paho (pie toman los dbs , cad.i uno por su punta, van pescando coiiio con red. 
Cogidos los peces, tomanlos revcrentemente con la mano derecba, y ponenlos sobre 
las cabei,’as. Creen que si cogiereii mucl.cs, tendran muchos hijos, y al contrario. 



Uber die Breve Noticia dos erros que tem os Gentios do Concao da India. 23 

ausfuhrlich besprochen in der Wienei- Zs. f. d. Kunde des Morgenlandes 
18, 299 ff. 22, 4S1 ff. Siehe noch Thurston, Castes II 306. IV 87. V 203. 
VI 240. — In demAbschnitt iiber die Brauche der ‘marchands ou bouti- 
quiers’ d. h. der Kbmatis (Manned III 67 ff.; bei De la Flotte ausgelassen) 
ist die Angabe von Interesse, dali die Karrfleute nicht beiraten konnen, 
ohne den Schubmacher des Ortes vorher zu benaebriebtigen, also obne 
ibn um Erlaubnis zu bitten. Als Grund wird angefiihrt, daB, der Sage 
nacb, die Kaste der Komatis aus der Verbindung eines Brahmanen mit 
der Frau eines Sebusters bervorgegangen ist. Zu der Sitte und ihrer 
Begriindung vgl. Baines, Ethnography p. 36. Thurston, Ethnographic 
Notes 88 fi. , Castes and Tribes III 325 fi. — In dem Absebnitt iiber 
die Sudra - Hoebzeiten beschrankt sicb unser Autor auf wenige Bemer- 
kungen iiber die Brauche, die in der Kaste der D i e b e (d. b. der Kalians 
nacb Irvine zu Manucci HI 69) iiblich sind. Bei diesen, sowie bei 
einigen andren niedrigen Kasten, herrscht eine ‘barbarisebe' Sitte : W enn 
ein Mann seiner Frau iiberdriissig ist, so iibergibt er ibr einen Stroh- 
halm, ‘den man Tmumbo (Tamil turumbu) nennt’, und die Ehe gilt ale 
gesebieden. Auch kann sicb eine Frau ibres Mannes entledigen, indem sie 
ibn notigt, ibr den Strobbalm zu geben (Manucci III 70 ; De la Flotte 306). 
In iibereinstimmung damit sebreibt *) Thurston, Castes III, 7 9 nacb dem 
Census Report v. J. 1891 : As a token of divorce a Kalian gives bis 
■wife a piece of straw in the presence of bis caste people. In Tamil 
the expression ‘to give a straw’ means to divorce, and ‘to take a straw’ 
means to accept divorce. 

Das VII. Kapitel fiihrt im Original den Titel ; Do conceito 
que estes Gentios tem dos Earopeos; bei Manucci: De lo- 
pinion qu’ont les Gentils des Europiens et des Maures-j; in der 
Relation des erreurs : De I’opinion que les Malabars ont des Euro- 
peens ou Paranguis; bei De la Flotte 321: Prejuges des Indiens 
centre les Europeens. V on dem Inhalt dieses Kapitels konnen wir 
uns ein ziemlich genaues Bild machen, da wir auBer der Wieder- 
gabe bei Manucci und De la Flotte ein groBes Stiick des VII. Ka- 
pitels der Relation des erreurs in Jacquets Veroifentlichungen 
(s. oben) und zwei groBere Bruchstiicke des Originals (zitiert in 
der Religion des Blalabars II 12) zur Verfiigung haben. Ans einer 

1) S. auch Jacquet, Iiide Franraise II 8 n.: Les Tamouls nomment la repu- 
diation touroumboH, litteralemeiit paille, parce que le mari la signitie en rompant 
uii fetu de paille dont uii bout est entre ses doigts et I’autre entre ceux de son 
epouse. — Zum Brecben des Strohbalms vgl. Baldaeus 8. 603“. 

2) Manucci beginut das Kapitel mit dem Satze: ‘Les Gentils apellent tous 
les Europiens et les Maures, qui sont aux Indes, faranguis’. Daran hat 
Irvine (zu Manucci III 73) AnstoS genommen, indem er sebreibt : ‘This inclusion 
of Mahomedans among Farangis is an exceedingly disputable statement’. Ich be- 
merke clazu, daB Manuccis Behauptung — die Ausdebnung des Xamens F’aranguis 
aiil' die Mubaramedaner — sicherlicb nicht in seiner Vorlage, dem portugiesischen 
(Iriginal, gestanden hat. Die anderii Ansflusse des Grundwerks, die Relation des 
erreurs (X. Journ. Asiatiqiie X 473) und de la Flotte, wissen nichts davon. 



24 


Theodor Zachariae, 


Vergleichung der genannten Texte ergibt sich, dafi Manucci und 
De la Flotte -wohl den Anfang des Kapitels annahernd genan 
wiedergegeben , von dem iibrigen Inhalt aber ein grodes Stuck 
ganz ausgelassen haben. Es kann kein Zweifel dariiber bestehen, 
dafi sich der portugiesische Autor in seinem letzten Kapitel nicht 
nur ‘liber die Meinung, die die Heiden von den Enropaern haben’, 
sondern auch iiber die Madura-Mission , der er selbst angehbrte, 
namentlich iiber ihren beriihmten Griinder Roberto de’ Nobili aus- 
gesprochen hat. Dies letztere Stiick ist nur in der Relation des 
Erreurs erhalten geblieben: und dafi es echt ist, dafi es auf das 
portugiesische Original zuriickgeht , dafiir treten die genannten 
Bruchstiicke des Originals beweisend ein. Beide Bruchstiicke, na- 
mentlich das zweite, finden ihre genane. z. T. wortliche Entspre- 
chung in der Relation des Erreurs ^). Zur Erhartung des Gesagten 
stelle ich das zweite Bruchstdck und die entsprechende Stelle in 
der Relation des Erreurs (N. Journal Asiatique X476f.) einander 
gegeniiber. 

Breve noticia dos erros. 

0 mod(j que 0 Grande Padre 
Eoberto Nobili da nossa Companba 
e os mais padres seus companbeiros 
guardai'ao [por semelbar] os Bra- 
bammes Sanyasis destas terras 
[estava] vestendo-se de bums pannos 
tintos de cave''), que e como al- 


ii Manucci ^ribt sonst noch zu einer frutier geniachten Bemerkung (qua les 
Gentils i.e connoisseiit point de plus grande felicite au monde que la compagnie 
de la feijiiiie: v.ul. Manucci HISS'?) ciuen Naclitrag, in dem er die bekaunteu 
4 Klas^cii der Frauen {Padnund. Chaterni, AUent, tienffueni) aufzahlt. Be la 
Flotte liat nichts iiieieu. Statt dcssen hetont er, daB nichts der Ausbreitung des 
C'liristentums in Indien mehr geschadet babe, als die Unuiafiigkeit der ersten Er- 
oberer: und uni zu z.eigeii, was fur einen Abscbeu die Inder vor der Triuikenbeit 
haben, er/Milt er eiiie Gsschichte, die sich in Outremaloiir (Uttiranmerur ; Sewell, 
Lists 1 al)oes’,delt haben soil 

2) Die L'bereinstimmuiig wiirdc iiewiB noch grofier seiii. wenn Jaiqiiet einen 
wijrtlichen Alidriu.I; seiner besten 11s aegol,en hatte. Ubor sein Verfahreii lieinerkt 
er seli.jt: .fe n’ai i onserve de rouvrage que les fails et fordre dans lequel ils 
sont exposi's ; j'ai en tier ein cnt renouvele le style. 

3) Bel der Ilerstelluug des Textes hatte kh inich des Beistandes eines Ro- 
rnanisteii. des Herru Prof. Alfons Hilka, zu erfreuen. Fur seine IMuliwaltung 
sprei 'uo ich ilim auch an dieser Stelle meiiien Dank ans. 

-1) Nobili naiinte sich Brahamme Sanyasi Romano. Sielie N. .Journal A^ia- 
tique X, 175 Jacquet. Inde Francaise II 02 n. 0. 

5i l: ter Gker; Tamil bhi (vgl. Dubois, Hindu manners p. 531. oil). Jemne 
foi'c: im trail, ■-•.s.h-.-n Text ist wilikurliche Ancierung Jacquets; seine Hs. hat; 


Relation des erreurs. 

Le P. Nobili et les autres mis- 
sionnau’es de son ordre n'avaient 
rien neglige de ce qui pouvait leur 
donner quelque ressemblance avec 
les Brahames sannyasis ; ils allaient 
vetus d’une toile teinte. cn jaune 
fence, la barbe et les cbeveux rasds, 



Uber die Breve Koticia dos erros que tern os Gentios do Concao da India. 25 


magre, andando con cabe^a et barba 
rapada, furadas oreillas et trazendo 
nestas hums pdozinhoa de amargo- 
zeira ') ou de outro arbousto, a que 
cbamao pdo leve-) (porque e contra 
a profissao dos religiosos a qne 
chamao Sanyasis a trazer [arjrecadas 
de ouro ou prata ou qualquer outra 
joia dos ditos metaes), trazendo na 
mao esquerda hum vaso de cobre 
como panella, e na direita hum 
bordao da sua mesma altura*) con 
sette nos natm'aes ®), e neste atado ®) 
hao [hum pannoj pequeno da mesma 
cor do vestido a modo de bande- 
rinha. 


les oreilles percees et traversees, 
comme celles des penitens indiens, 
par de petits morceaux de bois de 
margousier tres-legers (car il n’est 
pas permis au Brahame sannyasi de 
se parer de pendans d’oreilles d’or, 
d’argent ou d’autre metal). 11s por- 
taient de la main gauche un petit 
vase de cuivre, et de Fautre un baton 
de lem- hauteur, divise par sept 
noeuds bien formes, et dont Fextre- 
mite superieure etait garnie d’une 
banderole de meme couleur que les 
pieces de vetement. 


Anhang: Manuccis Ubersetzung der Breve noticia. 

Von den TJbersetzungen oder Bearbeitungen , die der Breve 
noticia dos erros zuteil geworden und bis jetzt niiher bekannt ge- 
worden sind, ist Bfanuccis Ubersetzung unstreitig die wichtigste. 
Erstreckt sich dock die sonst schatzenswerte franzbsische IJber- 
setzung i’.i Dellons Inquisition de Goa nur iiber die erste Halfte 
der Xoticia, und De la Flottes Ubersetzung gebt nicht unmittelbar 

couleur de cafe (srirklich soV), Zum Verst.iiidnis von cafe verweist .Jacquct auf 
Dubois, Moeurs et Institutions des pays de Flnde II 261. 

1) Amargozeira , der Kimba- Baum; vom portugiesisci.en nmargoio 'bitter'. 
Vgl. amergousin , Do la Flotte 298. Siehc auob Fra Faolino, Reise S 11.") und 
Hobsou-Jobson s. v. Maryosa. 

2j Vuo Icce (v. 1. pano leiie) •lobLtes Ilolz’. Was fur eine lloUart gemeint 
ist, kaun ich niciit sagen. GeLt Hres-leyers' der i'ranzosiscben (von Jacquet zurecht- 
gestutzten V) I bersetzung auf den pdo leve des portugiesiseben Textcs zuriKk ? 

•j) III der Tat ’■ragt Nobili das GefaC in de-' linken Hand auf dem Rildnis 
in Irvines Manned Hi 104. Der Sainnyasi bei Soniierat I 2oG (Tafel C.S) triigt 
es in der r e c ii t c n. 

4) The statf must be exactly bis own height. — Dubois, Hindu manaors p. 5d4. 

5) Paulinu.s, Systeina Hrahmauienm p. 57; Ad niauiim dexter am Guru tradit 
discipulo scipionem vel clavam, q'lae VII. nodos naturales habere debet. 
Siehe auch Dubois 634. iian beachte bien tonnes im franzbsischen Texte 
als Ubersetzung des potugiesisehen naturaes 

G) atudo (a tudo) die IIss ; atado ist Ililkas Koujoktur. Sie wird bestatigt 
durch Faria y 8ousa, Asia Portuguesa II, 4. C, Fntregale (iidmlich: der Guru 
dem Xovizenj una vara, con otro pedaco de paiio de la inisma suerte, atado eii 
la punta; y un sombrero de paja. — Man sehe das I’abncbeii am Stabe des 
Sapinyasi bei Sonnerat I 256 (Tafel 0?) 



26 


Theodor Zachariae, 


auf das portugiesische Original zuriick. Uberdies hat er seine 
Vorlage an vielen Stellen gekiirzt. Unter diesen Umstanden diirfte 
eine kritische Betrachtnng von Manuccis Ubersetzung wohl am 
Platze sein. Auf den ersten Blick scheint es ja allerdings schwierig 
zu sein, an Manuccis Arbeit*) Kritik zn iiben, da das portugie- 
sische Original nicht zuganglich , vielleicht sogar fur immer ver- 
loren ist. Dennoch erweist sich eine Kritik als ausfiihrbar. Es 
sind immerhin einige Bruchstucke des Originals erhalten geblieben, 
und vor allem lassen sich Manuccis Angaben meistens mit Hilfe 
der genannten Paralleltexte kontroilieren. 

Bei den folgenden kritischen Bemerkungen lege ich die Les- 
arten der Berliner Handschrift zugrunde, und nicht Irvines Uber- 
setzung, da diese nicht immer zuverlassig ist. Falle, wo ich Fehler 
Manuccis nur vermute, lasse ich fast ansnahmslos beiseite. Fehler, 
die bereits in seiner Vorlage gestanden haben konnten, darf man 
ihm nicht zur Last legen. 

Rudra, sagt der Portugiese (s. das Original in den GrGA. 1916, 
600) erlangte von seiner Mutter Parasakti die Macht, alles zu zer- 
stbren und zu vernichten, was seine Briider, Brahma und Yisriu, 
erschafifen und erhalten haben wiirden (criassem e conservassem). 
In der franzosischen Ubersetzung richtig : auroient cred et conserve 
(vgl. De la Flotte p. 201: Routren a la puissance de detruire et 
d'aneantir ce que Brama a cree, et ce que Vichenou conserve); 
falsch aber bei Manucci: tout ce cjue ses freres feroient et cree- 
roient. Irvine macht daraus; all that his brother (Singular!) should 
do or create; siehe Manucci III 6. 

Nach der franzosischen Ubersetzung (am SchluB des 4. Kapitels) 
und nach De la Flotte 175 wird dem Yisnu unter der Figur eines 
Ebers Verehrung dargebracht. Manucci III 11 sagt das Gegenteil. 
Kicht minder auffiillig ist Folgendes. In der Erzahlung von der 
Zwerginkarnation (Manucci III, 1 2 f.) ist Konig Mahabali bereit, 
der Bitte Visnns um drei Fu6 Land zu willfahren und zur Be- 
kraftigung seines Geschenkes das Schenkungswasser iiber Yisnus 
rechte Hand zu gieGen. Das sucht der Morgenstern (Sukra), der 
Ratgeber Mahabalis , zu hintertreiben : er dringt mit Hilfe der 
Zauberkunst in den Ellbogen des Konigs ein, um ihn am GieGen 
zu verhindern. Dieser laGt den Ellbogen mit einem Stilett offnen; 


1) Es ist rau?lich, dafi die L'ljcrsetzung gar nicht von Manucci, sondern von 
einem Anonyinus herrniiit. Da er sic alier fur sein Eigentnm ausgegeben liat, so 
wird er die Verantwortung dafiir tragen und sicli eine Kritik gefallen lassen 
mussen. 



Uber die Breve Noticia dos erros que tem os Gentios do Concao da India. 27 

der Morgenstem wird bei dieser Operation eines Auges beraubt. 
— Wie Manned zu dieser Darstellnng gekommen ist , ist nicht 
abznseben: hat er willkiirlich geandert? Die frz. IJbersetznng 
Kap. 5 and De la Flotte p. 177 weichen durchans ab. In diesen 
Texten schliipft der Morgenstem in die Ke hie des Konigs und 
verschlieht sie, ‘afin que Fean qu’il avoit deja dans la bonche n’en 
put pas sortir’ ^). 

In den Geschichten, die von Krsna erzahlt werden, kommt bei 
Manucci der Satz vor : apres s’estre marie avec deux femmes , il 
(Cbrisne) alia conrir les bordels avec seize mille Bergers (he 
took to frequenting houses of ill fame along with sixteen thousand 
cowherds; Irvine, Manucci III 16). Bergers, von Irvine nicht 
beanstandet, mu6 ein Fehler fiir bergdes sein. Dies geht aus den 
Paralleltexten (z. B. aus De la Flotte 184) hervor; iiberdies werden 
die 16000 Frauen oder Konkubinen des Krsna im Harivamsa und 
in anderen Quellen erwahnt (Baldaeus 535. Ziegenbalg, Genealogie 
S. 99. Sonnerat I 169). 

In der Sage vom Unsprung des Vinayaka (Ganesa) bei Manucci 
III 18 heist es , dafi Virabhadra den Konig Daksa Prajapati und 
viele Andere getotet habe, und daS Einige von den Uberlebenden 
dem Vinayaka den Kopf abschnitten (il y en eust de ceux qui 
etoient restez qui couperent la teste de Vinaigem). Dies ist ent- 
schieden falscb, d. h. nicht aus dem portugiesischen Original stam- 
mend. Virabhadra ist es, der dem Vinayaka das Haupt abschlug; 
siehe oben S. 13. 

Als falsch wird es aucb bezeichnet werden miissen, wenn Ma- 
nucci III, 31 behauptet, der Meruberg werde von einem (einzigen) 
Elefanten getragen; siehe GGA. 1916, 601. 


1) Nach dem Bericht des Baldaeus (den schon Caland angezogen bat: Drie 
oude Port. Verhandelingen S. 159) verstopfte der Planet Venus den Hals des 
Wasserkruges, sodafi kein Wasser daraus laufen konnte (Baldaeus 488). Ganz 
nabe steht die Religion des Malabars in der Inde Francaise II, Zl, ein Text, den 
ich, weil er nicht leicht erreichbar ist, genauer niitteilen will. Bali schickte sich 
an, dem Zwerg (Visiiu) Wasser auf die rechte Hand zu gieBen : mais aussitot le 
gourou [Cboukouren] s’introduisit dans le pot et en boueba I’ouverture avec sa 
tete, pour empecher I'eau de couler. Le nain, a qui cette ruse n’avait pas 
echappe, poussa une paille dans Pouverture du vase pour le deboutber, et creva 
un oeil an gourou. Weiter abstehend die Darstellung des al-Beruni (India Kap. 46 ; 

Saebaus L'bers. I 397); Venus brought in the jug, but had corked the 

spout, so that no water should flow out of it, whilst she closed the hole in the 
cork with the kusa-grass of her ringiinger. But Venus had only one eye: she 
missed the hole, and now the water flowed out. — Andere, altere Darstellungen 
des Vorgangs sind mir nicht bekannt. 



28 


Theodor Zachariae, 


Manacci III 33 sagt, dafi die drei ersten Weltalter wahrhaft 
goldne Zeitalter gewesen seien, u. a. wegen ihrer (langen) Dauer. 
Aus den Paralleltexten ergibt sich aber , da6 der portngiesische 
Autor vielmehr ‘la prodigieuse dnree de laviedes hommes 
d’alors’ betont bat. Wird doch auch nachher, anch von Manucci 
selbst, beim Kaliy uga die Kiirze des menschlichen Lebens 
hervorgehoben. 

Von der fiinften Kaste (s. oben S. 12) .sagt Manucci : ils la- 
pellent dans leur langne, Chandalon on negre s. Irvine gibt (III 35) 
negres mit blacks wieder. Icb glanbe aber nicbt , dafi man ein 
Recht bat. die Mitglieder der o. Kaste vorzugsweise als 'Schwarze’ 
zu bezeichnen. Es sei nur verwiesen auf die Ausfiibrungen in der 
Relation des Errenrs N. Journ. Asiatique X 475. wonacb die Ma- 
labaren ‘alle melir oder weniger schwarz’ sind. Dem sei wie ihm 
wolle : Manuccis negres ist entschieden falscb. Die frz. Ubersetzung 
bat Niger, und das ist sicherlicb aucb die Lesart des Originals. 
Tatsachlicb kommt Niger vor in einem Fragmente des Originals, 
das in der Religion des Malabars II, 1 angefiibrt wird. Dazu 
tritt das Zeugnis des Fra Paolino, der in seiner Reisebescbreibnng 
S. 310 vgl. 2(88. 291 die geringeren Kasten Ciandala (Oiandaler) 
Oder Nisha (Nisber) nennt. Aber was ist und was bedeutet Niger? 
Icb sebe Niger als einen Plural') an, als einen Plural wie z. B. 
Js'astirjiiu- (so zu lesen; s. Manucci 111,44. IV 441 und vgl. Nnx- 
tar/hrf, Lettres cdifiantes XI 252); Roxader in der frz. Ubersetzung 
Kap. 19 (= Tamil u-<U:fud(ir ; s. Caland in den Drie oude Port. 
Verbandelingen S. 201 und vgl. Roc,V(f(cr.s- bei Sonnerat 1 189. 198); 
Wi/'/cr bei Paulinus. Syst. Br. p. 298; Choutn-.r, iJl/ac/avader, Xafrler 
u. s. w. im Bbagavadam p. 17. 19. 29. 58. Icb balte ferner Niger 
fiir ein aus dem Sanskrit entlehntes Tamilwort; Niger ist = Skr. 
nlrtih . die Geringen, Niedrigen, Gemeinen, ‘les gens de la plus 
basse extraction’, N. Journal Asiatique X 475. 

Ill 44 bezeicbnet Manucci die Laksmi als die Mutter des 
Visnu (von Irvine nicbt beanstandet !). Diese falsche Angabe kann 
Manned nicbt dem Original — das zufallig in der Religion des 
Malabars II 19 iiberliefert ist — entnommen haben. denn bier 
steht ricbtig; mulber. Um iibrigens zu zeigen, wie scblecht Ma- 
nucci unterriebtet war, bemerke icb, dafi er III 350 sagt. Ad.snu 
babe die Bavati (Savitrl) oder Parvati(!) gebeiratet. Aucb III 338. 
349 wird Savitrl als Vi'rinus Frau bezeicbnet. 

1) 1 Ue fiz, 1 herrietzuii'j Kap 1. uohraiicht Niger auch als .Singular und 
liildet tineii Tlural N'isers. 



rber die Breve Xoticia dos erros gue tem os Gentios do C'oncao da India. 29 

Ich gebe schlieBlich noch ein groBeres Brachstlick de.s Originals 
(aus der Religion des Malabars II 19) nnd stelle Manuccis TJber- 
setznng gegeniiber (s. Manucci III 44 nnd vgl. De la Flotte 283 f.). 
Die von mir durch Sperrdrnck bervorgehobene Stelle ist von Ma- 
nucci entscbieden miBverstandon and falscb wiedergegeben worden. 
Freilich ware es moglich, daB in der Handschrift, die er benutzte, 
die urspriingliche Lesai't nicht mebr rein erhalten war. 

Breve noticia dos erros. Manucci (Berliner Hs.). 

Para alcangar indulgentia plenai’ia Pour obtenir indulgence pleiniere 
de todos sens peccados, dizem ser de tons leur pechez, ils disent qu’il 
necessaria buma bebida que consta est necessaire d’avoir un breuvage 
de leite, manteiga, tairo orina et compose de lait, de beiire, dvrine, 
bosta de vacca, et com esta mesinha et de fiente de vacbe , et qu'avec 
dizem se vao nao so os peccados, cette medecine non seulement tons 
mas tambem todas infamias que les pechez s'en vont, mais aussi 
vierao-) a os Brahammes, os toutes les infamies, car alors les 
quaes SOS podem alcan^ar este ju- Bramenis intervionnent , parce 
bileo ; et sao obrigados a primeira que il n'y a qu'eux seuls, qui puis- 
vez quando se cazao , quando a sent obtenir ce jubile, ce qu'ils sont 
mulher tem o primeiro mes, et tarn- obligez de faire la premiere fois 
bem quando qualquer outro tem dia qu’ont se marie, quand les femmes 
aziago^). Os homes que sao mais ont leur premier mois, aussi quand 
spirituaes et que tem desprezado il arrive quelque jour malbeureux. 
todo o mondo, mandao bostas a Les hommes les plus spirituels et 
casa®) antes de comer, et ali mesmo qui meprisent le monde, font frotter 

1) Die Hss. schwanken zwischeii cuiro und tairo. Fur riclitig fi.. u, 
tairo, und sehe darin die indoportuziesische Form des Tamihrortes tayir (the 
common term in S. India for curdled milk. It is the Skt. dadhi , Hind, dahi of 
L'pptr India; Ilobson-Jobscn s. v. tyre). Vgl. Tayrsamoutram, mer caillt'e Baga- 
vadam p. 125; Ta'ir ou lait caille Soiinerat I 171 n.; andre Stellen im Ilobson- 
Jobson 1. c. — Manucci hat tairo ganz ausgelassen Doth gibt er III, S46 die 
Bestandteile des yancagavya (k.flram dadhi tathd cdjyam mittrayi gomayam era 
ca) ricbtig an : dung, urine, milk, buttermilk, butter. De la Flotte nennt nur 
3 Bestandteile. Die dem oben aus dcm Original zitierten Bruchstiii k ontspreibende 
Stelle lautet bei ibm ; Pour effarer les peches les plus graves , il suftit encore 
d’avaler un breuvage compose de lait, dc beurre et d'uu peu de bouze de 
vacbe. Les Brames sont obliges d’user une fuis de cette boisson, quand ils se 
marient, ou quand leurs femmes ont leurs premiers raois. 

2) ‘die den Brahmanen zustoBen (tverden)’. Manucci sebeint das Dativ- 
zeichen a vor o-? Brahammes ilberseben zu haben. [Hilka ] 

3) Irvines Lberselzung der Stelle; ‘It (the jubilee) is obligatory when marrying 
for the first time’ ist ungenau. 

4) Die IIss. ; oiitra endia (India) aziado. Die Ilerstellung des Textos nach 
einem V'orscblage Hilkas. Manucci las vielleicht entra ‘tritt ehi’ statt outra. 

5) Hier ist wobl das Verbum esfregar ‘reiben’ ausgefallen. [Hilka] 



30 


Theodor Zachariae, 


sem outro prato nem sal se *) man- la maison avec de la fiente de vache 
dao laii9ar o que ande [sic] comer, avant que de manger, et la meme 
e comem. sans autre ceremonie font servir leur 

repas et mangent. 

Ich wende mich za Irvines Ubersetzung von Manncci 
nil — 76. Die Berliner Hs., worauf sich die Ubersetzung griindet, 
ist sebr gut geschrieben und fast fehlerfrei. Dennoch ist es Irvine 
nicht gelungen, eine ganz einwandfreie Ubersetzung herzustellen. 
Das hat z. T. offenbar darin seinen Grund, da6 die Kopie der Hs.. 
die sich Irvine hat anfertigen lassen, nicht immer geniigte. 

Die indischen Worter und Namen erscheinen hei Irvine ofters 
nicht in der Gestalt, wie sie die Hs. bietet ; auch ist die Zuriick- 
fiihmng auf die entsprechenden Sanskritworter nicht immer ge- 
lungen. Manncci III 8 nennt, sonderbar genug und sicher nicht 
in Ubereinstimmung mit dem Original, die dritte Kaste Catharis 
ou Marchands boutiquiers. Irvine setzt Catharis = Khatris, Ksha- 
triyas. Das erste Aquivalent mag richtig sein (vgl. Baines, Eth- 
nography p. 34); das zweite ist falsch. Ill 30 Saladaland ist nicht 
= Sutala, sondern Talatala; Backchadaland nicht = Gabhastimat, 
sondern Easatala; Chuduland nicht = Nitala, sondern Sutala. 
Falsch ist die Gleichnng Parubravastu = Parama-vastu III 24. 

Die Worte 'the reason of which I will here state’ 1118,5 
v. u. sind irreleitend. Nicht hier, sondern erst nachher {cy 
aprcs hat die Hs. !) wird der Grund angegeben, weshalb Brahma 
keine Tempel hat; s. Ill 11 Woher Irvines ‘king of penitent 
monks, called I\Io7i[/h' (III 14 vgl. IV 563) stammt , ist mir un- 
klar. In der Hs. steht: ‘une sorte de moines penitens qu’ils apel- 
lent 3Iongis\ Ob Irvines Gleichsetzung von 3Ion[/is mit ^nuni richtig 
ist. weiB ich nicht. Die Paralleltexte (frz. Ubers. Kap. 6 und De 
la Flotte 179) lassen uns hier ganz im Stich. Ill 24 wird von 
Rudra gesagt : ‘he has numerous mistresses’. In der Hs. steht 
aber ‘ils (namlich die Bewohner des Kailasa) ont une grande 
quantite de maistresses’. Ubrigens liegt der Verdacht nahe, dafi 
Manucci hier falsch iibersetzt hat (vgl. Kap. 11 der frz. Uber- 
setzung). Nach S. 29 sollen von den 14 Welten 7 liber und 6 
unter dieser Erde liegen. In der Hs. heiBt es aber: ‘sept au 
dessous de la terre et six au dessus’. Ebenso falsch und gegen 
die Hs. ist die Angabe S. 30, daB sich unter der irdischen Welt 
(dem hli)iJol:u) die Lnftwelt (der bhiivarloJca) befinde. S. .30, 4 v. u. 
heiBt es vom JamiJoka, der Welt der Riesen: ‘in which place there 


1) So nach Hilka; die Handschriftea nem fidza mioiddo 



tiller die Breve Noticia dos erros que tern os Gentios do Concao da India. 31 


are many sacli, of all degrees’. Das ist keine richtige Wieder- 
gabe der hands chriftlichen Lesung: ‘dans lequel lieu il y en a 
beaucoup de tontes sortes d’ E s t a t .s’. Vgl. die frz. Ubers. Kap. 14 : 
‘la on trouve des personnes de toutes Tribus, et de tons etats’. 
Nach S. 31 soil das Gewicht des golJnen Meruberges 24 Karat 
betragen. In der Hs. steht aber deux cents quatre vingt, in IJber- 
einstimmung mit S. 10, wo dieselbe Zahl gegeben wird. Im por- 
tugiesischen Original stand wahrscheinlich eine viel hohere Zahl : 
12080; weim derEelation des Errenrs zu trauen ist (s. GGA. 1916, 
601). In dem Abschnitt liber die GrnBformen S. 38 helBt es, da6 
sich ein Brahmane, wenn er eine Person besucht, ohne irgend- 
welchen Gru6 hinsetzt und wahrend der Unterhaltung Titel wie 
‘Herrlichkeit’, ‘Exzellenz' o. s. w. gebraucht. So die Hs. (auch De 
la Flotte 267 ; il traite la personne qu’il visite , de seigneurie, 
d’excellence, etc.). Aber Irvine iibersetzt: the host accords him 
(dem Brahmanen) the titles of lordship or excellency. Auch S. 58 
The next da^' they rub oil on the head of the bride ist gegen 
die Hs. , wo la teste du marie steht. S. 72,18 they bathe the 
body: die Hs. liest levent le corps, nicbt lavent. S. 72,3 v. u. 
the deceased: in der Hs. steht la mort (ebenso bei De la Flotte 
310). 

Diese Beispiele mogen geniigen, um zu zcigen, daB Irvine nicht 
immer richtig iibersetzt hat. Wie schon bemerkt, erklart sich das 
Meiste von dem, was ich habe aussetzen miissen, wohl aus der 
Mangelhattigkeit der Kopie der Berliner Hs.. die Irvine ins Eng- 
lische iibertrug. Dies gilt naraentlich auch von den folgenden 
beiden Fallen, die ich etwas ausfuhrlicher besprechen mochte. 

Was auf S. 18 zu lesen steht: ‘He (Rudra) in his rage drew 
forth ^) a horse-whip and struck it on the ground with all his 
strength, and by force of his blow there was born instantly a 
giant’ (namlich Virabhadra), ist durchaus gegen die sonstige Uber- 
lieferung. Kach dem Bhagavatapurana bei hluir 0. S. T^. IV 382 
ist .der Gegenstand, den der erziirnte Siva auf die Erde wirft, 
eine Haarlocke (vgl. Bagavadam S. 103 f. : Taylor, Cat. Raisonne 
III 101). Dieselbe oder eine ganz ahnliche tJberlieferung in der 
Religion des Malabars I 17 (Inde Franeaise II 16), bei Faria y 
Sousa, Asia Portuguesa II 4,1,15 (De la cabellera de Ixora 
derramada por el suelo nacio Virapatrem) und bei Polier (WZKM. 
23, 226). Es gibt allerdings auch noch andre Berichte iiber den 


1) Die Handschrift hat; se tira. Dieses se kummt in Irvines Ubersetzung 
nkht zu seinem Recbt. 



32 


Theodor Zachariae, 


Ursprtmg des Virabhadra *). Dafi aber der Yerfasser der Breve 
noticia der eben angegebenen tJberlieferimg gefolgt ist, erhellt aus 
der franzosiscben Ubersetznng Kap. 8; s’arrachant une poignee 
de cheveux. Manucci wird also seinem Schreiber scbwerlich 
fouet de chevaux in die Feder diktiert baben, was man dock 
nacb Irvines Ubersetznng annehmen miiBte. In der Tat lautet 
auch die Lesnng der Hs. ganz anders. namlich: couet'-) de che- 
veux, ‘Haarschopf’. Die Schuld an Irvines Ubersetznngsfehler 
tragt ohne Zweifel der Abschreiber der Handschrift. Es ist we- 
nigstens sehr nnwahrscheinlich, da6 Irvine die richtige Lesart vor 
sich gehabt, sie zu fouet de chevaux umgeandert und danach iiber- 
setzt hat. Denn der Ausdruck conet de cheveux kehrt noch dreimal 
in der Hs. wieder (S. 103. 112. 113) und wird von Irvine ilchtig 
mit ‘lock of hair’ oder ‘tail of hair’ iibersetzt (s. Manucci III 31. 
39. 4(0. 

In dem Abschnitt iiber die Hochzeitsbrauche der Brahmanen 
S. 56 erscheint ein Wort scaderis in dem Satze ‘He (the brother 
of the bride) seats her on a scuderh'. Die Erklarung dieses sonder- 
baren W ortes hat Irvine und seinen Mitarbeiteni viel Kopfzer- 
brechen, und zwar, wie wir sehen werden, iinnbtiges Kopfzer- 
brechen verursacht. Irvine will das Wort vom lateinischen sndarhim 
ableiten. Er fiigt hinzu : I have seen siidnris used in Scotch for 
a handkerchief; but, quoting Padfield , ‘Hindu at home’, p. 123, 
Mr. Frazer points out that ‘the bride is brought out seated in a 
kind of wicker basket’, not on a handkerchief. Das Zitat aus 
Padfield beweist nicht das Ueringste fiir die Bedeutung des Wortes 
S' iideris. Ferguson (s. Manucci IV 441) meint. scuderis sei identisch 
mit dem einheimischen Wort [/udri a quilt (s. Hvbson- Jobson s. v. 


Ij Yirabhadra spriiigt bcwatinot aus Sivas drittoin Auge tervor; Gerraann 
zu Ziogeabalg, Genealogie S. liiS; Arunacalapurana bei 'J'aylor, Cat. Raisonne 
HI, 140. Oder er entsteht au» dem Sell we IB, der dem erzurnten !§iva auf der 
Stirn ausbricht; Ziegenhalg S. ItlO (aus dem Skandapuranaj ; Rogerius, Open- 
Deure II 2 p. 91 ed Caland; Sonnerat, Voyage I ls3 f. , .louveau-Dubreuil, Arcbeo- 
logie du Sud do ITiide 1150 (legeiide tanioule). Oder er geht .aiis Aivas Mund 
hervor : Vayupurana I 30, 122, 

2) Couet in der Bedeutung ‘Haarschopf’ feldt in den Wdrterbucbern. Das 
Wort ist die Diminutivform von altfrz. cone (nfrz. queue \ lat cauda). Zur Be- 
deutung vgl. it. coda Zopf, frz. cqueiie Haarzopf (der VlannerJ, span, coleta Ilaar- 
zopf, und namsntlich, worauf mich Prof Hilka hinweist, couelte im Supplement zu 
Saclis-1 illatte . couettes cle clteieux^ Haariockobon an den Schliifen und liinteii 
am Halse’ 

3) Vgl. Donaldson, Supplement to j3mie..on‘s Scotch Dictionary, p, 2.31. 



liber die Breve Noticia dos erros que tem os Gentios do Coneao da India. 33 

goodry) ^). Irvine verweist dazu auf Manned III 70 , wo es heiBt, 
dafi die Brant auf eine Matte gesetzt wird (was anch sonst vor- 
kommt ; vgl. z. B. Fra Paolino, Reise 280. Thurston, Castes V 482). 
Anch mit diesem Zitat wird nichts bewiesen. Uberdies ist auf 
S. 70 von den Hochzeitsbrauchen der ‘Biebe’; S. 56, wo scuderis 
steht, von den brahmanischen Hochzeiten die Rede, 

Das Wort scuderis zerfliefit vor unseren Augen in nichts, wenn 
wir den Paralleltext De la Flotte S. 290 f. herbeiziehn, der Irvine 
und seinen hlitarbeitern leider unbekannt geblieben ist. Hier lesen 
wir: Un des plus proches parens de la fille la prend entre ses 
bras et la porte sur un monceau de riz. Es ist also klar, daB 
wir scuderis in scu de ris zerlegen miissen. In der Berliner Hs. 
endlich ist ganz deutlich sac de ris geschrieben. Dies ist also die 
richtige Lesart, wenigstens fiir Manucci. Ob sie auch der Lesart 
des Originals genau entspricht, ob nicht viehnehr De la Flotte mit 
seinem monceau de riz das Original genauer wiedergegeben hat, 
ist nicht leicht zu sagen. Denn in den Berichten iiber die Hoch- 
zeitsbrauche lesen wir zwar nicht selten von Reishanfen, worauf 
die Braut (oder das Brautpaar) sitzt oder steht; es ist aber auch 
die Rede von Reispackchen, oder von Korben, die mit Reis gefiillt 
sind 

Die Erlanter ungen, mit denen Irvine, von verschiedenen 
Gelehrten unterstutzt, seine IJbersetzung ausgestattet hat, sind 
ungeniigend. Vieles, was hatte erklart werden sollen, wird nicht 
erklart ; und die Erklarungen , die gegeben werden , sind nicht 
selten verfehlt. Schwerlich richtig sind die von Frazer und Barnett 
beigesteuerten Erklarungen von L acres S. 20 (= Laris bei De 
la Flotte 192). Professor Hultzsch verweist mich auf das Diction- 
naire Tamoul-Francais s. v. Ilndar, wo dieses Wort (ein Plural) zu 
Skr. Lata gestellt und mit ‘peoples — , yoghis de Guzerate’ erklart 


1) Derselbe Ferguson erklart das bei Manucci III 339 vorliegende tVort 
ramade (a sort of four-cornered tent) fiir ein Tamil wort; s. Manucci IV 454. 
Es ist aber viel wahrscheinlicber, daS ramade, wie auch Irvine bemerkt, ein por- 
tugiesisches IVort ist (rainada). Ubersehen hat Irvine: Baldaeus 408, wo Ifa- 
made und Pandaal (oder ‘Himmel-laube’) als Synonyma erscheinen. 

2) Uber dem Worte sac scheint sich eine Rasur zu befinden.’ 

3) Indian Antiquary 24, 228 (The Chitpavan bride and bridegroom stand on 
rice heaps). Thurston, Ethnographic Notes p. 29. 70. 78; Castes and Tribes 
I 283. 2S4. 357. II 138. Jolly, tJber einige indische Ilochzeitsgebrauche (Album 
Kern, Leiden 1903) S. ISO. Siehe auch Crooke, Popular Religion and Folk-Lore 
of Northern India II 26 f. 

Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1918. Heft 1. 


3 



34 Theodor Zachariae, tiber die Breve Noticia usw. 

wird'). Der Name der Sekte (? die Handschrift hat sexte) Vanan- 
gamory S. 38 (vgl. De la Flotte 267 n.) ist nur in seinem ersten 
BestandteUe von Frazer richtig erklart worden. Der zweite Teil 
des Wortes ist nicht = Tamil mori ‘Wort’, sondern mud'i ‘Haupt’. 
Das Dictionnaire Tamonl - Francais erklart Vananga-mudiyati mit: 
‘Donryodhanen qni ne plia jamais la tete pour saluer personne, 
on pour se soumettre ; celui qni ne salue, ne respecte per- 
sonne’. Die Identifikation der Nastiguer (so, nicht Nostiguer, 
ist mit der Handschrift zu lesen) S. 44 mit den Jainas hatte 
nicht als zweifelhaft hingestellt werden sollen. Werden doch zwei 
Eigentiimlichkeiten dieser Nastiguer (= ndstilzah) hervorgehoben, 
die fur die Jainas charakteristisch sind. Einmal wird gesagt, da6 
sich die Nastiguer den Bart nicht rasieren lassen, sondern die 
Haare mit einer kleinen Zange ausreiBen. Man denkt sofort an die 
Svetambara Jainas, die das Haupthaar durch Ausraufen entfernen 
(Juncitamurdhajah WZKM. 16, 37). Ferner heifit es , da6 man die 
Nastiguer nicht essen sehen darf ; sie selbst diirfen, wenn sie essen, 
keine menschliche Stimme horen; daher lassen sie wahrend des 
Essens ein kupfernes GefaB vor ihrer Tttr anschlagen. Das ist 
also ungefahr das, was Biihler von den Digambaras berichtet: At 
their meals they sit perfectly naked, and a pupil rings a bell 
to keep off all strangers (Indian Antiquary Vli28; vgl. 
dazu W. Crooke, Popular Religion 1 293). Der Name, den die 
Einheimischen der Wit we geben, bedeutet nach Manucci wortlich 
‘la femme qui a coupe le Taly’. Frazer bei Irvine zu Manucci 
III 71 bemerkt dazu ; ‘There is no special word’. Das Tamilwort 
fur Witwe, das Manucci (oder vielmehr der Verfasser der Breve 
noticia dos erros) im Auge hat, lautet, wie mir Herr Prof. Hultzsch 
mitteilt, tdli-y-aridt-aval. 


1) Uber die Sekte der Larres (Larer, Lader) vergleiche man die Halliscbea 
Missionsberichte I 378. Ill 309. 805 und die Inde Fran^aise 1168 n. 5 (Quelle: 
die Relation des Erreurs?) sowie den erlauternden Text zu Lieferung 19, Tafel 6. 



Die vedischen Worte fiir „schdn“ und „Schonheit“ 
und das vedische Schdnheitsgefiihl. 


Von 

H. Oldenberg. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 8. Februar 1918. 

Fur die Erkenntnis davon, wo das vedische Indieu Schonheit 
gesehen hat und wie es sie gesehen hat, ist es zuvorderst wichtig 
die bezugUchen sprachlichen Ausdrucke zu betrachten, wobei es sich 
empfiehlt, mehrere nur benachbarte, auch einige nnr scheinbar 
hierher gehorige mit zu beriicksichtigen. Auf jene eben bezeich- 
neten Hauptfragen selbst dann wenigstens kurz einzugehen mochte 
ich mir nicht versagen. 

1. An die Spitze stelle ich das hier oifenbar in erster Linie 
in Betracht kommende Wort: srt mit dem zugehorigen und, wie 
sich von selbst versteht, sehr deutlich auch als zugehorig empfun- 
denen sreyas, srlstha '). Bekanntlich sind diese Worte so gut 
awestisch wie vedisch. Wenn Rv. VI, 41, 4 vdsyan — sreyan neben 
einander steht und es in den jungeren Veden beifit ydtha nah 
sreyasah Mrad, ydtha no vdsyasah Icdrat (Ts. I, 8, 6, 2 und Parallel- 

1) Vgl. sriye sreyanisuh Kv. V, 60, 4 ; sresthab . . . sriyd II, 33, 3. S. auch 
Ait. Br. V, 22, 5 ; Sat. Br. Ill, 4, 2, 2 ; XI, 1, 6, 23 ; XII, 4, 1, 11 und sonst sehr haufig. 
Hier fuhre ich auch den bekannten Vers aus der Sunahsepaerzahlung an : nan a 
srdntaya snr asti . . . papo nrsadvaro janab (Ait. Br, VII, 15, 1), in den gelaufige i 
Gegensatz von ireydti und pdpiyan ist statt des ersteren sr%b eingetreten. r);^' 
selbe Zusammengehorigkeit von Nomen und Steigerungsgraden kommt im Awesta 
zum Ausdruck, s. Bartholomae WB. unter srdy-. Ich bemerke noch, da6 ich 
in der folgendeii Untersuchung uber sri nicht iin Einzelnen Stellung nehme zu 
den Auffassungeu von Pischel, Ved. Stud. I, 53 f. Sie beruhen auf seiner An- 
schliefiung von sri an Wgl. sri- ; dafi die irrig ist, wird, hoft'e ich, durch die Oe- 
.samtheit der folgenden Erorterungen bewiesen. 


3 * 



36 


11. Oldenbcrg 


stellen), so zeigt die ubereinstimmende , ini Awesta mehrfach be- 
legte Verbindnng von smesta mit vahiSta, srayan mit vunhan, dazu 
der Eigenname Sriravaiahii, dafi bier indoiranische Denk- und Rede- 
weise vorliegt. 

Wie spater sri die Vorstellung zugleich der Scbonbeit und 
der Woblfabrt in sich schlieBt, so beriihren sich diese beiden 
Nuancen anch im vedischen Geb ranch des Worts. Es ist wicbtig 
ihr Verbaltnis klar zn stellen. Der Eorscher, der sich wobl zuletzt 
dariiber geaufiert hat, Geldner (Glossar), setzt als Grundbeden- 
tnng an „ Anszeichnung, Vorrang" und gelangt von da zn den Be- 
dentnngen a) „Schonheit, Pracht“, pi. „Pntzsachen, Zieraten, 
Herrlichkeiten“, b) „ ho her Rang, Ehre, Herrlichkeit, Gluck, Reich- 
tum, pi. Gliicksgiiter, Reichtumer“. Ich babe meine Bedenken 
gegen den Versuch, die mit einem Wort wie diesem verbundene 
Vorstellung in ihrem konkreten Leben und mit der ihr eignen 
Farbung durch eine solche Haufnng deutscher Worte, wie sie in 
der lexikographischen Praxis ja nun einmal tiblich ist, zum Aus- 
drnck zu bringen. Die Xuancen, die es wiederzugeben gilt, lassen 
sich, wie ich meine, oft mit andern Mitteln genauer erreichen, als 
durch derartige iiber allzu unbestimmte Weiten sich verstreuende 
Wortmassen; ich denke vielmehr an eine in die Form einer bloBen 
Wortubersetzung nicht faBbare Beschreibung des Vorstellnngs- 
bildes. Bei andern der zu untersuchenden Worte werde ich Ge- 
legenheit haben hierauf zuriickzukommen. Spezielle Zweifel aber 
erweckt mir das eben wiedergegebene Bedeutungsarrangement. Zu 
ihrer Begriindung gehe ich von der Vergleichuug des Awesta aus. 
Werden da verschiedenste Wesen als sitra beschrieben, so erscheint 
m. E. als ungezwungener Bedeutungsansatz, wie es auch Barth o- 
lomae (WB.) ansieht, einfach „schbn“. Wenu das Madchen, in 
d essen Gestalt ArdvT Sura Anahita erscheint (Yt. 5, 64), das Pferd, 
n dessen Gestalt Tistrya erscheint (Yt. 8, 18), srJra ist, wenn die 
Arme der Gottin silra und weifi heifien (Yt. 5,7), und an vielen 
gleichartigen Stellen, deutct nichts dahin, daB etwas andres als 
jene Bedeutung anzunehmen ist: wobei es sich, wie B art ho- 
le mae zeigt, iiberwiegend um Schbnheit von Sichtbarem, daneben 
dann von Horbarem handelt. Im Einklang damit nun tritt, wie 
ich glaube, auch in den rgvedischen Belegen so vielfach und viel- 
seitig das Moment der Schonheit hervor und anderseits fehlt es so 
entschieden an speziellen Indizien der einen Vergleich mit Andern 
einschlieBenden Vorstellung von Auszeichnung und Vorrang^), daB 

1) Bei irestha iresthatama baftet das Moment des Yorrangs oft'eiibar am 
Superlativ, nielit am Wortstamm. 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ u. „Sch6nheit“ u. d. vedische Schonheitsgefulil. 37 


ich allein in der ersteren die wahrscheinliche Haaptbedentung des 
indoiranischen and rgvedisclien srt erkennen kann: wobei sich von 
selbst verstebt, daB, wenn wir von j,Scbonbeit“ sprechen, zunachst 
vorbehalten bleibt, wie weit sich die Vorstellnng der Alien, der 
wir knrzweg jenes Wort anheften , mit unsrer Schonheitsvorstel- 
Inng deckt. 

Ich mustere nun zur Begriindung und naheren Prazisierung 
des Gresagten die Belege des Rv. durch und hebe zuvorderst die 
stattliche Reihe von Stellen hervor, an denen Ableitnngen von dns- 
die Beziehung der M auf erfreulichen An b lick erweisen. So 
YII, 15, 5 sparhti yasya sriyo drse ; X, 45, 8 drsdnb rukmd itrviya 
vy ddijnid und gleichfalls mit Erwahnung des ruhnd IV, 10, 5 tdva 
svddisthdgne sdmdrstih . . . sriye rtikmb nd rocafa updl’e (wozu man 
noch vergleiche I, 188, 6 SHruhne hi supi’sasMhi sriya virajatah ) ; 
II, 1, 12 tdva spdrhe vdrna ci samdfsi sriyah ; IV, 1, 6 asyd srestha 
suhhuyasya samdrk; I, 122, 2 snryasya sriyd sudfst Jiiranyaih; IV, 23, 6 
sriye sudrso vdpiir asya sargdh ; V, 3, 4 tdva sriya sudrso deva devah ; 
V, 44, 2 sriye sudrs^h: IV, 36,7 srestham rah peso (zu diesemWort 
vgl. das eben angefiihrte I, 188, 6 ; auch V, 57, 6 visvd vah srir ddlii 
tandsu pi pise] X, 110, 6 ddhi sriyarn sulrapisam dddhane) ddhi dhayi 
darsatdw, VI, 63, 6 yuvdm srtbhir darsatdhhir dbhih suhhe piistim 
uhatlmh sUryayHh ; X, 91, 2 sd darsatasrir dtitliir grhe-grhe. Das 
Obige zeigt , wie mit dem Leitmotiv drs- sich andre verwandte 
verbinden, die alle, wie riikind, pis-, pbsah, auf Schonheit der Er- 
scheinung deuten. Ich fiige weiter zunachst einige Stellen hinzu, 
in denen jedesmal die Vorstellnng von Licht oder G-Ianz auftritt. 
1, 87, 6 sriydse Mm hliannhhih sum mimiksire; VII, 77, 5 asme sresthehhir 
hlidnuhliir vi hhahi ; X, 91, 5 tdva sriyo varsyusyeva vidydtas citrd.i 
cikitra usdsam ud ketdvah; I, 118, 1 iddm srestham jybtisdm jybtir 
tiyac citrdh praketb ajanista vibhva ; I, 92, 6 sriye clidndo nd smayate 
vibhrdt ; V, 61, 12 yesdrn sriyddhi rodasi vibhHijante ; IV, 5. 15 asyd 
sriye . . . dmkam damn d raroca. Weiter mit der schon im Obigen 
mehrfach begegnendeu Hindeutung auf Sichreinigen, Sichschmucken 
u. dgl. : V, 3, 3 idea sriye mariito marjayantu ; VIII, 7, 25 stibhrd 
vy unjata sriye (das Schlagwort subh- wie oben VI, 63, 6, nnten 
VII, 72, 1) ; X, 77, 2 sriye mdryaso (die erscheinen auch V, 59, 3, 
s. unten) anjihr akrnvata ; IV, 22, 2 sriye pdrusnim usdmdna urnam ^). 
Sodann folgende verschiedenartige , durchweg dem Vorangehenden 


1 ) Auch daB Indra den Yajra in die Hande nimmt, geschieht iriye I, 81 , 4 : 
die Phantasie ist natiirlich geneigt, den Gott als durch alles, was zu seinem Auf- 
zuge gehort, gcschmiickt anzusehen. 



38 


H. Oldenberg, 


und onter einander sich xmgezwungen anschlieBende Stellen : 1, 179, 1 
mindti sriyam jarimA tanunam, wo die gauze Sitaation des Gesprachs 
von Agastya und Lopamudra anf „Schonheit“ deutet; mit tami 
auch VII, 72, 1 sparhdya sriyti tanvh siihJidnn (Jnhh- wie mehrfach 
oben) und I, 88, 3 sriye Team vo delhi tandsu tdiih (s. auch sogleich 
X, 85, 30) ; VIII, 20, 12 dnikesc ddhi sriyah (dmhi auch oben IV, 
5, 15); Y, 59, 3 ydrcim iva sriydse srngani uttamdm . . . mdrya iva 
sriydse cetathd tiarah. Umgekehrt mit asrird: VI, 28, 6 asrlrdm cit 
krnutJia suprdtikam (diese SteUe mit prdtika halte man neben die 
erwahnten mit dmka) ; im Zusammenhang mit dem befleckten Braut- 
hemd ^) X, 85, 30 cisnrd taniir (dies Subst. wie mehrfach oben) ilm- 
vati ^). 

Nach alien diesen Stellen scheint mir klar, dafi der Besitz 
der srt fiir die rgvedische Vorstellung in erster Linie nicht sowohl 
ein Hervorragen , Ausgezeichnetsein , als vielmehr wohlgefallige 
Erscheinung bedeutet. Der asrird, der von seinem MiBgeschick 
befreit wird (VI, 28, 6), wird dadurch nicht etwa unter den andem 
hervorragend, sondern er wird suprdttka. In mannigfachsten Formen 
spezialisiert , mit den verschiedensten andern Schlagworten sich 
verbindend , bald anf das der Person an sich innewohnende gute 
Aussehen hinweisend bald anf Geschmlicktheit : so zeigt sich die 
Bedeutung „Schonheit“ bz. „schon“ als die beherrschende und in 
ihrer Ubereinstimmung mit dem Awesta als die indoiranische Haupt- 
bedentung des Worts 


1) Nicht unahnlich der Verbindung, in der srl Erl'' t’p. VI, 4, G erwahnt 

■wird, 

2) Uber die dritte Stelle mit asrird VIII, 2, 20 asrird iva jdmdtd', vgl. Pis ch el, 
Ved. Stud. II, 77 ft’., wage ich kein sicheres Urteil. Ich vermute, daB es sich um 
eiuen Schwiegersohn handelt, der wegen seiner haBlichen Erscheinung (oder seiner 
■wenig glanzenden Lebenslage ? s. die weiteren Aust'uhrungen uber sri) im Hause des 
Schwiegervaters unbeliebt "ist und sich von dort fern halt. Der Bedeutuugsansatz 
„unnobel“ sclieint mir unbegrundet. 

3) Dazu stimmt auch die Auswahl der Gotter, denen der Rv. sri beizulegen 
ptiegt. Im allgemeinen sind die Gotter liberhaupt als solche den Sterblichen an 
iri uberlegen; wenigstens VI, 48, 19 ■wird das ausgesprochen. Unter ihnen aber 
finden offenbar Unterschiede statt. Agni mit seiner leuchtenden Ersclieinung tritt 
als Besitzer von sri besonders hervor. Ferner die Maruts mit ihrem prachtigen 
Aufzuge und die Asvin in ihrer Jugendschonheit, durch die sie die Sonnentochter 
gewinnen, weiter Usas. Es scheint bezeichnend, daC Indra zwar mehrfach M 
beigelegt wird, diese aber doch, wenn ich mich nicht tausche, im Verhaltnis zur 
Ausdehnung der an ihn gerichteten Lobpreisungen mehr zurhektritt. Auch fur 
\ aruna ist offenbar die sri nicht charakteristisch. tVenn es sich um hohe, andern 
hberlegene Stellung im Weltdasein handelte, ware das schwer verstundlich. DaB 
Ptisans sri gelegentlich von des Sangers Hbflichkeit betont wird, mag damit zu- 
sammenhangen , daB es bei ihm besonders nah lag sie zu vermissen. Dem Soma 



Die vedischen Worte fiir „sch6n“ u. „Sch6nheit“ u. d. vedische Schonheitsgefuhl. 39 


Zur weiteren Charakteristik der Vorstellung weise ich zunachst 
auf die Hattfigkeit des Plurals hin; gem ist von den v'lhdh sriyah 
jemandes die Rede. DaB bei solcliein Plural konkret an „Putz- 
sachen, Zieraten“ gedacht sei (Geldner, Glossar), glaube ich kaum ; 
ich finde dafiir keinen Anhalt, der z. B. in den Stellen liber den 
Prunkaufzug der Maruts schwerlich fehlen wiirde. Vielmehr ver- 
stehe ich die lisvcth sriyah nach Art von visiani paiimsya, atnftani 
i-isvd, Mivyani visvd: es ist die Gesamtheit der Schonheitspotenzen 
gemeint, die dem schonheitbegabten Wesen anhaften. Bezeichnend 
ist V, 57, 6: rstdyo vo maruto (hnsuyor ddhi sdha ojo hdhcor vobdlam 
lutdm, nrmnd sirsdsv uyiidhd rdthesu vo vtsva vah srtr ddhi tantisu 
pipise: also ahnlich wie auf dem Streitwagen die Waffen, befinden 
sich die Schbnheitskrafte einem Schmuck gleich auf den gottlichen 
Leibem. Das hier erscheinende ddhi kehrt in diesem Znsammen- 
hang haufig wieder : dnJJcesv ddhi sriyah , visvd ddhi sriyo \Uiita, 
sapid ddhi sriyo dhire usw.; es scheint danach, daB die stiyah als 
auf demKorper ruhend vorgestellt wurden'). Auch ddhi ni dadhidi 
findet sich I, 72, 10, vgl. 43, 7. Es ist ja bekannt, wie die alter- 
tiimliche vedische Vorstellungsweise die Eigenschaften der Wesen 
Oder Dinge zu Substanzen verkorpert , denen ein gewisses luftig 
konkretes, mystiscbes Elirsichsein znkommt. Das Satapatha Brah- 
mana XI, 4, 3, 1 erzahlt, wie die srl des Prajapati , durch dessen 
Tapas vertrieben, aus ihm herauskam {udnhrdmat , hier also ihm 
innewohnend gedacht). Sie stand leuchtend, glanzend, wogend da 
als ein gottliches Weib. 

Doch von diesen Bemerkungen fiber die Daseinsform der srt 
miissen wir noch weiter auf den rgvedischen Gebrauch des Worts 
zuriickkommen. Bisher nicht erwahnte Verbindungen, in denen es 
erscheint, schlieBen sich leicht an die beschriebenen an. Neben 
der weitaus vorherrschenden Verwendung fur Schonheit des Sicht- 
baren kann es sich auch um Horbares handeln: X, 95, 6 sriye gdvo 
nd dhfiidvu 'navanta. Weiter werden geistige AVesenheiten wie 
ddlsa X, 31, 2, Handlungen oder Wirkungen wie savd I, 164, 26, 
sd' iinan VI, 71, 2 = X, 36, 12, dvas VIII, 9, 13 als srryas oder 
snsfa bezeichnet. Im Hinblick auf die weitere Eiitwicklung der 
•■jr?- Vorstellung verdienen besondere Beachtung die Stellen, an 
denen Dinge wie rayi, vurya, drdvina, hhdjana (V, 82, 1) als srtstha 
(auch rayi als susri IX, 43, 4) bezeichnet werden. Auch hier reichen 
wir leicht mit der ungefahren Bedeutung „sch6n“ : wie man auf 

schreiben einige Stellen in zu ; bei ibm greifen die durcb das Scblagwort irlnati 
bezeicbneten speziellen Fragen ein, von denen unten zu sprechen ist. 

1) So wird aucb gern von Sicbbekleiden mit iri gesprochen (II 10, 1- 
III, 38, 4 ; IX, 94, 4). 



40 H. Oldenberg, 

dem Wort Iphigeniens , daB die Gotter dem Vater ^die schonen 
Schatze“ erhalten haben, natiirlich keinen Bedeutungsansatz etwa 
„scbon“ = ^reicLlicb" aufbaaen wird. Bezeichnend ist VII, 15, 5 
sparJici ydsya sriyo drsS ray'ir virdvato yatha: man sieht, wie bier 
die scbone Erscbeinung Agnis mit der Scbonbeit von Beicbtum 
verglicben wird*). Nun bleiben, an solcbe Stellen docb wobl an- 
zuscbliefien, AuBerungen folgender Art iibrig : I, 43, 7 asme soma 
sriyam ddhi n'l dhelii satdsya npiam, mdihi srdvas tuvinrmndni ; 1 , 188,8 
til (die Gottinnen Bharati usw.) nas codayata sriye-, V, 79, 4 dicb 
Usas preisen nmghair maglioni susnyah ; VIII, 8, 17 krtdrn nah susrlyo 
tiara] VI, 26, 8 PrAtardanih Jcsatrasrtr astii srestho gliane vrtranam 
sandiye dhdnanam ; Katb. XXXVIII, 2 tesam (der Abnen) srtr mdyi 
kaljKitam. Offenbar bandelt es sicb da nicbt nm korperlicbe Schon- 
beit. Wenn vvir die Weiterentwicklung der Bedeutung von sri im 
folgenden Zeitalter (s. unten) beriicksicbtigen , die sicb m. E. bier 
anspinut, werden wir wabrscbeinlicb finden, daB glanzende Lebens- 
stellung gemeint ist. Ist aber nicbt deutlicb, daB von der Hanpt- 
bedeutung ein leicbter Weg — wenn man iiberbaupt von einem 
solcben sprecben will — bierber fiibrt? Die „Scb6nbeit“, die dem 
vediscben Sanger vorscbwebt, bat offenbar einen starken Anflug 
von Glanz, Prunk, Gescbmiicktbeit ; das gebt aus den oben beige- 
bracbten Stellen bervor. Statt „scbon'' konnte man auch versucbt 
sein „ansebnlicb“ zu sagen. Zu den Wesenbeiten, die „scbon“ zu 
beifien ptlegen, gebort Besitz, Reicbtum. Ist es da nicbt natlirlicb, 
daB das glanzende, prunkreicbe Dasein dessen, der im Leben obenan 
stebt, ebenfalls als sri erscbeint-)? — 

Ehe wir den Rgveda verlassen, muB nocb der besonderen, 
schwierigen Probleme gedacht werden, welche die Beziebung der 
srf auf den Soma bietet. Sie bangen eng mit etymologischen 
Eragen zusammen. 

Wo von der Versetzung des Soma mit Milcb u. dgl. die Rede 
ist, wird bekanntlicb oft das Verb .«;■(- gebrancbt {srinanti, drinita, 
srtnun, s/viandli] ricbtiger der Uberlieferung entgegen, mit der ge- 
wobnten Anderung *srhf zu .scbreiben; dann dritd^). Der Beisatz 


1) So wild rayi, druvina u. dgl. gern ah cilrd bezeiclmet, raijl ist auch 
candrd, dyumdid] die pusti ist »iidfsl IV, 16, 15, u. dgl. mehr. 

2; Gehort hierher auch die schwierige Stelle isur nd sriyu mdheh X, 95, 3, 
wo, wie es scheint, das nachtliche Aufspringen des Pururavas mit dem Zumvor- 
scheinkommen eines Pfeiles aus dem Kucher verglichen wird? Wenn das sriye 
geschi.,lit: ist da an den Glanz gedacht, zu dessen Erringung der Pfeil dienen 
soli. Oder an das schbne Aussehen des pfeilbewehrten Helden? 

3) Hierher gehort auch srayaua Katy. Sr. IX, 6, 9. 10. 



Die vedischenWorte fur „sdiOn“ u. nSchonheit*- u. d. vedisclie Schonheitsgefiihl. 41 


selbst heifit oft aHv, hierzn P. p. p. ohrfa VIII, 2, 9. Wie verhalt 
sich das alles zu srt? 

Wir gehen von naherer Betrachtnng des Verbs srmciti aus. 
Vielfach wird diesem die Bedeutung „aiiscben“ zugeschrieben , so 
dafi gohldli srinlin maisardm beiBt : „mit Kuh(milch) mischt den be- 
rauschenden“ . Mir scheint das nnzutreffend. Das Paucavinisa Br. 
bericbtet wiederbolt, wie es irgend einem Wesen scblecht ergeht 
{sa dugdito rirkano "manyata ; sa tyahhramsata): dieses „sieht“ darauf 
irgend ein Saman, irgend welcbe Samans: tenahuandm samadnnat 
prajayd pasuhliir indriyena tair (drndnam samasrlncit (IX, 6, 7; XIV, 
3,22); das geschieht hhesajayaiva sdnfyai (XVI, 12, 5). Da paBt 
„miscben" nur recht gezwungen. Vollends XVIII, 11, 1; Indra 
vyabhramsata und tena (namlich durch das drdyantiya) ntmdnam 
samasntud] dem entsprechend der Mensch piinttr evatmdnum saiubri- 
nnti. Und VIII, 2, 10 Prajapatis reias ist znr Erde niedergefallen : 
tad asrmad idam me md dusad Hi — an welcben Stellen offenbar 
von „mischen“ keine Rede sein kann, vielmekr etwas Ahnliches 
wie „starken“ gemeint sein mad; liber den genaneren Inhalt der 
Vorstellung spater. Ahnlich Taitt. Br. I, 2, 6, 7 : von zwei Per- 
sonen, die in einem Ritus auftreten, yad evaishn snJcrtum ya raddhih, 
tad anyataro 'bltisrindti ; yad eccdsam dusJcrfain ynrnddhih, tad anya- 
taro 'pulaidi. Bbhtlingk (Worterb.) gibt hier fiir abhisrlnnti 
die Bedeutang „herbeifuhren, verschaffen“ : offenbar mit Unrecht; 
wie wiirde sich das mit dem, was wir sonst von sn- wissen, ver- 
einigen? Gemeint muB etwa sein — wieder nnter Vorbehalt der 
genaneren Xuance — „kraftigen“. Nach alldem scheint mir klar, 
daB somam snnanti keineswegs heiBt : „sie mischen den Soma (mit 
Milch sondern ungefahr: ,.sie kraftigen den Soma“ , was aller- 
dings eben durch die Milchbeimischung geschieht 

Mit dem Verb „kochen“, mit dem man dies srt- znsammen- 
gebracht hat, hat es m. E. nichts zu tun’). Die Bedeutungen 
liegen weit auseinander; das den Ritualtexten gelaufige Praesens 
jenes Verbs ist irapayati, dessen Verschiedenheit von srlnati in 


1) Nicht ubel wird Paiic. Br. VIII, 2, 10 ciiriitut mit sad akarot gleicligesetzt. 
Ahnlich ist auch die mehr oder minder ausgesprochene Gleichsetzung von srittdti 
mit sarnardhayati Sat. Br. IV, 1,4,8; 2,1, 11, vgl. 4,2, 13. Doch verlieren die 
Stellen dadurch an Wert, da6 sarnardhayati iiberhaupt in den Brahmana-erkla- 
rungen hesonders helieht ist. 

2) Wenigstens nicht in den historisehen Zeiten, mit denen wir uns hier be- 
schaftigon. Wie in der Urzeit „die heiden Basen *kerd- und *kerai~ (Brugmann 
IF. XVII, 361; Reichelt, KZ. XXXIX, 21) sich zu einander verhalten haben, 
bleibt hier auBer Betracht. 



42 


H. Oldenberg 


dem Sprtich iMiyarn prtmlii liar yarn srimlii havyani srayaya (Katb. 
XL, 12) bervortritt. Zu diesem srapayati gehort Ppp. srta (z. B. Gobb. 
I, 7, 7 f. JcuMasytam iva sthahpakam h-apayet . . . srtam abhhjliarya 
usw. ; Asv. G. I, 10, 8. 12 nana srapayet . . . srtani hnvlmsy ablii- 
gharya usw.); dagegen zu srmati gebort srlta (man balte Rv. VIII, 
82,5 gohldh sritdh, IX, 109, 15 gobhih sntdsya usw. sowie das Kom- 
pos. goh-ita neben IX, 109, 17 gobhih snnanalr, IX, 107,2 srmdnta 
gobhih usw.). Natiirlicb wird man sicb nicbt irre macben lassen, 
wenn Katb. XXVII, 4 zur Vorschrift payasn maitraranmam innati 
die nabere Bestimmung gefiigt wird srtena iruiati (vgl. Sankb. Sr. 
XIII, 6, 3); da stehen die beiden abnlicben Worte, wie auf der 
Hand liegt, rein zufaUig neben einander. Genauere Priifung aber 
verlangen Stellen wie vor allem Ts. VI, 5, 9, 1.2. Inbezug auf 
den hariyojana fordert Agni: nd mdyy (imam hosyasiti. Man weiB 
sicb zu belfen : tdm dhanuhhir airinat, tarn srtdm hhiitdm ajuhot. Der 
Anscbein nun aber, dafi da asrinat und srtdm zur selben Wurzel 
gebbren, ist trligeriscb. srtd beifit bier wie iiberaU _gekocbt“, wie 
zum tiberfluB der Gegensatz von amd beweist. Das feststebende 
Ritual des hariyojana aber zeigt, daB von einem wirklicben Kochen 
dieses Soma nicbt die Rede ist; a'-riiiat bedeutet ofFenbar wie sonst 
die Starkung der Opfergabe (durcb einen Beisatz) '), und die Stelle 
lauft darauf binaus, daB der Soma, den man (in mystiscbem Sinn) 
als srta aufzufassen wiinscbt, zu dieser Eigenscbaft dadurch gelangt, 
daB man ihn asrinnt: ein Wortspiel, wie dergleicben in den Brab- 
manas ja uberbaufig ist ''). Man wird dieselbe Autfassung in der 
Bescbreibung des pntnicata Katb. XXVIII, 8 wiedererkennen ®) ; 
ebenso wird man das bier aufgewiesene Wortspiel in der langen 
Sprucbreibe bei Apastamba Sraut. XII, 19, 5 wiederlinden : hgtau 
sfliah pro nn pfinan nw sriiutam ; irto 'si vyanam me srmthi etc.; welche 
beliebte Vermiscbung der beiden Vorstellungen es begreiflicb macht, 
daB der Fassung bei Apastamba loc. cit. irtas team srto 'hum in 
Kathaka XXXV, 11 gegeniiberstebt sritas tram srito 

1 j Vgl. Sat. Br. IV, i, .3, 7 im gleichen Ziisammenhang : atha dlmna arapati 
Das be.sagt dasselbe wie wenn es bei Apastamba XIII, 17, 2 heiBt balinblur dlulna- 
hhih sritva. Vgl. znr Sache C'alancI - Henry 384 Die Stelle von Ts hat Keith 
richtig wiedergegeben. 

2) Vgl. aach Katb. XXIII, 9 p. 10.3, 14; Maitr. S. IV, 7, 4 p. 98, 12. — Ent- 
sprei-hend ist zu beurteilen Sat. Br. Ill, 8, 3, 20 agnis h'd iruiatv i'y agnir hy 
etac chrapayati : ein ahnliehes Wortspiel wie da^. I, 0, 4, 7. 8 anderseits mit srtena 
und asrayan vorliegt (s. auch Tb. Ill: 7, 6, 12; Ait. .Ar. II, 1, 4 ; Rv. Khila zu V, 87, 
Vers lOj. 

3) Wenn dort, wie ieh glaube, C aland richtig konjizieit (s. die .Ausgabe). 

4 1 Trafe es, entgegen aller Evidenz, doch zn. daC sViwclIi und •■i.r/rt zusammen- 



Die vedischen Worte fiir „schon“ u. ^Sebonheit*' n. d. vedische Schonbeitsgeftihl. 43 

jSIach diesen I'eststellungen fiber das Verb srinaii^) nnd in- 
sonderheit seiner Ablosnng von sra- „kocben“ muB nun seine Be- 
ziebung zu dem das Hauptobjekt nnserer Untersucbung bildenden 
Subst. srt gepriift warden. Hier scbeint mir eine solcbe Nahe der 
beiderseitigen Vorstellungen und nberbaupt so mannigfacbe Bezie- 
hung sick aufzudrangen, daB ich es scbwer finde — wofiir icb auch 
schlechterdings kein Motiv entdecken kann — nur znfallige Klang- 
ahnlichkeit anzunehmen. Rv. VIII, 72, 13 heiBt es a side sincata 
srhjam rodasijor abhisriyaiH : da wird der Beisatz des Soma direkt 
sri genannt-). V7ie hier das Xomen ahhisrt, das doch fraglos mit 
dem so oft von der Milch versetznng des Soma gebrauchten Verb 
abh't-sri- zusammengehort , neben srt steht, wird man auch adhva- 
rdnain abhisrUjam VIII, 44, 7, udhvartuiam abliisriijah X, 66, 8 nicht 
von cullnarosri trennen ; enthalt der gangbaren Annahme ent- 
sprechend dies das Subst. sri^), so stellt sich hier wieder eine 
Verbindung zwischen diesem und dem Verb -hi dar. Weiter ver- 
weise ich auf IV, 41,8 sriye^) nd gum vpa sdniam asthur indrani 
giro vdritnam me manlsuh; da wird die srt, welche die Kiihe = 

geboren konnen, braucbte immer noch nicht zu folgeu, dafi ein (in der Tat trotz 
dem Dhatup. nicht vorhandenes) s'n«dit „er kocht“ (so PW. 1. *•/ !-) anzusetzen 
ist. Sondern es ware zu fragen, ob nicht das gewOhnliche, vielmehr allein existie- 
rende sru.iSti mit srd- eben nur in einer gleichlautenden Ableitung zusammentrifft 
(ahnlich, doch nicht ganz so, Simon Ind. verbor. zum Katb. p. 199 .-^nm.). Wie 
freilich der bei alldeni vorausgesetzte Sprung von srlnati zu srta grammatisch zu 
rechtfertigen ware, bliebe mir dunkel. 

1) Ich glaubc recht getan zu haben, mich dabei allein auf die altindischen 
Materialien zu stiitzen und durch Glekhsetzungen, die versucht worden sind, wie 
von *ri>idsi mit lat. cllnas (Bartholomae Studien II, 140) mich nicht beeinflussen 
zu lassen. 

2) Vgl. auch die Zusammeusetzungen l-nrasri usw. 

3) Determinatives Kompositum. Doch konnte auch wurzelhaftes Nomen 
agentis als Schl»6glied vorliegen (Typus havirdd, Wackernagel Gramm. II p. 174 f.). 
Dieselben MOglichkeiten bei yaj'Msri, janasrt, devairi. Dagegen possessives Kom- 
positum ist, neben dem schon durch den Akzent als solches charakterisierten 
mdryasri, offenbar darsaiasri (vgl. yiirdm srihhir darsatubhili VI, Go, 6), saMusrt, 
kstrairi, ghrtasri , ksatrasri (vgl. Av. VI, 54,1; Sat. Br 11,1,3,7; Ait. Br. I, 
30,30), harisri, vermutlich auch agniiri, yanairi. Freilich kann bei mehreren 
dieser Komposita (wie saJciusri etc) auch an wurzelhaftes Xomen agentis mit 
neutralem oder passivischem Sinn als Schlufiglied (vgl. Wack. a. a 0. 175) gedacht 
werden. — Unverkennbar scheint mir, beiliiutig bemerkt, auch das Enthaltensein 
von sri in den Keutris hahihsri, antalisri Sat. Br. XI, 4, 2, 10 f. (anders PW. und 
Eggeling). — Man vergleiche zu einigefl dieser Zusammensetzungen V’ackernagel 
a. a. 0. 297. 301, Reuter KZ. XXXI, 205. 212. 

4) Zugleich an einen Infinitiv des Verbs Sri- hier zu denken (Geldner Gloss.) 
finde ich keinen Grund; der gelaufige Dat. sriye scheint mir auszureichen. 



44 


H. Oldenberg, 


Milchbeisatze dem Soma bringen. mit der sri verglichen, die die 
Preislieder den Gottern mitteilen ; nicbt der mindeste Anlafi , da 
die Verwendangen des Worts von einander und vom Verb sri- 
loszureifien. Wenn es darnm Ts. I, 3, 10, 1 heifit srtr asy, agn'is 
ti'd snnafK, wird der an sich ja mogliche Gedanke an blofies Wort- 
spiel dock als nnmotiviert abznweisen sein. 

Gebbren also , wie icb das file kaum zweifelhaft halte , das 
Nomen nnd das Verb znsammen, so scheint sich mir fiir die Be- 
deutungsentwicklung Folgendes zu ergeben. srt „Schbnheit" ist 
keineswegs zu beurteilen als „das Bedeutnngselement des Harmo- 
nischen der Vereinignng hervorkehrend" (Brugmann IF. XVII, 
365), denn das Verb sn-, auf das bin dieser Ansatz gemaebt ist, 
bedeutet kein Vereinigen, sondern wie oben vorlaufig und an- 
naherungsweise festgestellt wurde, etwa ein Kraftigen. Jetzt 
werden wir dies nun auf Grand des iiber das Substantiv Er- 
mittelten bestimmter dabin formulieren konnen, dab in rgvediseber 
Zeit vielmebr ein Mitteilen von Sebonheit — d. h. Ansehnlichkeit, 
Praebt, Geschmucktheit — gemeint gewesen sein wird‘). Ver- 
mutlich hat sich dann auch beim Verb, entsprechend wie beim 
Substantiv, die Vorstellung des Erhebens zu gliicklicber, reicber 
Fillle immer mehr vorangeschoben. 

Ebe wir diese Weiterentwicklung des Substantivs betraebten, 
muB nocb nacb dem Verbaltnis der eben besprochenen Worte zu 
aiirta gefragt werden. Die enge sachliche Naebbarsebaft, die 
im Ritual zwiseben Ctsir und srinati bestebt, brauebt nicbt erst 
hervorgeboben zu werden. Aber die bisherigen Erorterungen 
sebeinen mir als das Wahrscbeinliche berauszustellen — was 
otfenbar aucb rein sprachlich nur durch gewagteste Hypothesen 
vermieden werden kann — , daB etymologischer Zusammenbang 
nicbt bestebt^). Auf der einen Seite bandelt es sich um die Vor- 
stellung des Scbonmachens. Auf der andern docb wohl um die 
des Misebens, Vereinigens; man hat ja keinen Grund die gang- 
bare Zusammenstellung von ns'ir mit awest. sar- und gr. y.sgccvwui 


IJ In diesem Sinn winl denn auch .sruuin . . . cUcam I, 03, 1 und wohl das 
allerdings selir dunkle dinnltadiiam X, 01,3 zu verstehen sein. srciyantali VIII, 
09, 3 scheint mir dagegen zu Wzl. sra- zu gehoren ; s. raeine Xote zu der St. 

2) Willkommene Bestatigung gibt mir Wackernagel, dessen Ansicht ich 
erbat und der mir schreibt: „Yom morphologischen Standpunkt ware es am be- 
quemsten mindestens drei Wurzeln sclieiden zu konnen: 1) sr- mit der Erwei- 
terungsform ird- ^kochen*-, 2) sir- „mischen, vereinigen“ [wozu doch wohl auch 
yugaioram in Kath. und Ms.], 3] sri- (Bedtg.'?) “ Die Bedeutung von sVi- hoffe 
jch meh’.erseito diuxh die obigen Ausfiihrungea herausgestellt zu haben. 



Die vedischen Worte fur „schon‘‘ u. ^Sthonheif* u. d. vedische Schonheitsgefuhl. 45 


aufzugeben. Da6 dann das Zusammentreffen der Gebrauchssphare 
und der aknliclie Klang die Worte fiir das Giefiihl der Redenden 
einander angenahert hat, ist denkbar; insonderheit mag darauf, 
dab anstelle eines zu asir gehdrigen *srnati vielmebr die W endung 
mit srTnati gewahlt wurde, das Bestreben hingewirkt baben, Zu- 
sammengeraten mit smati „er zerbricht“ zu vermeiden ^). Ob ander- 
seits zwiscben dsif und s/d- im letzten Grnnde Zusammenbang 
bestebt, ist bier nicbt zu untersuchen. — 

Wir werfen jetzt einen Blick auf den Gebrauch von sri in 
der jiingeren vedischen Zeit. Die Vorstellung der s/i als Scbbn- 
heit geht ofFenbar nicbt verloren; man sieht sie ja noch in viel 
spaterer Zeit fortleben. In den Brahmanas nnd verwandten Texten 
aber dominiert durchaus die Bedeutung des Worts, die wir im 
Egveda neben „Scbonheit“ treten geseben baben (oben S. 40) : glan- 
zende Lebensstellung; Von den Asuras, die eia rituelles Verseben 
begangen baben, wird gesagt; „Ihre srt ist zuriickgegangen ; sie 
waren im Gliicke (bhadra), aber sie werden unterliegen“ (Tb. I, 1, 
4, 4). Ein bestimmtes Opfer wird fiir den vorgeschrieben , der 
„fahig zur in ist und doch auf gleicher Stufe mit den Seinigen 
verbleibt" (Ts. U, 2, 8, 0). wird mit blntinan gleicbgesetzt ; wer 
auf Erden blitiyisthain uindate, ist h-estba ; fiir den. der srt erreicbt, 
wird die vina gespielt (Sat. Br. Ill, 1, 1, 12; Xi, 1, 6, 23: XIII, 1, 
5, 1). Gern verbindet sich srl mit bhafi (Av. XII, 1, 63, vgl. IX, 
5, 31), rdstra, Isatra, annddya u. a. mebr, besonders mit yaias. Mit 
Pathos ist davon die Rede, da6 auch die machtigsten Kbnige 
sterben mvissen „ihre grofie srl verlassend“ (Maitr. Up. I, 4). In 
der Rituallehre stellte sicb als ein so zu sagen technischer BegrifF 
der des gatasri („der die i'ri erreicbt bat“) fest: den drei Kasten 
entsprechend der gelehrte Brabmane, der Dorfvorsteber und der 
rajanya ( W e b e r , Ind. Stud. X, 20). OfFenbar trat bei dem bier 
besprochenen Gebraucb von sn zunachst die Riicksicht auf die 
glanzende Erscheinung des gliicklicben , gehobenen Daseins 
hervor^); dieses Vorstellungselement mag sich dann abgescbwacbt 
baben und geschwunden sein ^) : durch welche Annahme strenge 
Kontinuitat der Bedeutungsentwicklung erreicbt wird. 

1) Anders, nicht iiberzeugend, uber das Verhaltnis von -'sniati zu ifindti 
J. Schmidt, Festgr. an Doth 186, worauf mich iVackernagel hinweist. 

2) Man sehe, wie es Ait. Br. VII, 34, 9 f . von groJleu, gliicklicben Konigen 
heifit; aditi/a iva lia sma sriydm pratisthitds tapanti. Die Stelle ist charaktc- 
ristisch fiir dies Hervortreten des Motivs glanzender Erscheinung bei dem in 
Rede stehendeu Gebraucb von iri. 

3) Dieser Schwund ist wohl noch starker als bei srl bei sreyas, srestha ein- 



46 


H. Oldenberj, 


2. Die bemerkenswerteste Tatsache aber in diesem Zeitalter 
ist die sick voUziehende Vereinigung der Vorstellnngen and Aus- 
drticke von sri und laJcsnu. 

Die Grrnndtatsachen Uber das letztere Wort sind im Ganzen 
durchsicbtig nnd ricbtig erkannt. Indem ich bier an sie erinnere, 
versuebe icb in einigen Beziebnngen einen scbarferen Ausdruck fiir 
sie zn finden. 

Die Verwandtsehaft von Jalsmt mit Idlcsman „Zeichen, Merk- 
mai^ liegt anf der Hand. Wenn spater Kalidasa spielend sagte 
malinam api himamsor laksnia laksmim fanoti, so bat scbon in sebr 
viel friiberer Zeit das Satapatba Brabmana (VIII, 4, 4, 11, vgl. 5, 
4, 3) anf den Zusammenbang beider W orte bingedentet : yasya dale- 
sinato lakpm hhavafi turn ptmyalalcsm^la ify acaksate. laksman ist 
das anSere Merkmal glucklicber oder nngliicklicber Disposition; 
Jaksml ist diese Disposition selbst, die dnreb ein laksman angezeigt 
wird Oder angezeigt vperden kann *). Uber die Daseinsweise einer 
solchen lak^nil unterrichtet nns die vedisebe Hanptstelle Av. VII, 11 5, 
Einhnndert und eine laksmt werden dem Menseben angeboren. Ge- 
flugelt konnen sie ihm anfliegen, sicb anf ihm festsetzen wie eine 
Flecbte auf einem Baum. Zauber (besebrieben Kaus. S. XVIII, 
16 ff.) maebt die bose laksmi versebwinden ; Gott Savitar entfernt 
sie; mit Nageln kann man sie dem Peind anbeften. Die gnten 
lahvms, aber sollen verweilen. Diese Doppelseitigkeit der lahsmi- 
Vorstellung, die stebend in den Beiworten bhadra, siva, besonders 
piqiya, und anderseits papa zum Ausdruck konunt, tritt dann weiter- 
bin zuriick, und es bleibt ausschliefilich oder fast ausscblieBlich 
der giinstige Sinn des Worts. Damit nun ist dieses der Vorstel- 
lung der .sri, wie wir sie sicb entwickeln geseben baben, ganz nab 
geriickt. Beiderseits handelt es sicb urn dasselbe Ideal von Wohl- 
befinden und Daseinsglanz. Wie sicb das in einer Vielbeit von 
laksmts bypostasiert, gibt es viele sriyah (oben S. 39). Die Nuance, 

getreten. \\"enn ein allbekannter Vers der Katha Up. (II, 1) das sreyas i^m preijas 
gegenuberstellt und jenes als das boebste Ideal der asketischen Weltanschauung 
verstebt, ist Beziebung auf Glanz schlechterdings niebt mebr vorhanden und — 
in unsrer Ausdrucksweise — nicht mebr vom Schonen sondern vom Guten die 
Rede. 

1) DaB lakswi geradezu im Sinne von lakman stehen kann, bezwcifle ich. 
Das Pet. Wb. nimmt das fur den altesten Beleg des Worts an , den einzigen rg- 
vedischen (ausjunger Gegend des Rv.) bhatlraisdw laksmtr nihitadU vaci X,7l '2; 
zu wekher Auffassung ich keinen Anlafi finde. Man konnte etwa noch an Av’ 1 
IS, 1, Ts. II, 1, 5, 2, Tb. II, 1, 2, 2 denken ; daC aus diesen Stellen ein wirklicbes 
ZusammentiieBen der beiden einander immerhin nalistehenden Vorstellnngen fol<re 
glaube ich dock nicht. ' ° ’ 



Die vedischen Worte fiir „scbon“ u. „Sch6aheit“ a. d. vedische Schonheitsgefuhl. 47 


da6 srl jenes Gliick an sich, laksnii ursprlinglich die Disposition 
daza bedeutet, konnte sich natSrlich leicht verwiscben. sns ca 
lalcsnm ca steben neben einander an der Spitze einer Reihe segen- 
bedentender BegritFe Taitt. Ar. (Andhrarezension) X, 64 (vgl. 63), 
nnd Vs. XXXI, 22 erscheinen Sri and Laksmi zusammen als zwei 
gbttliche Weiber. Hinansgehend liber solche Verbindung tritt 
dann vollkommene Identifikation ein. Ein vergleicbsweise altes 
Denkmal dieser ist das fiir die Geschichte der bier bebandelten 
Vorstellungen wicbtige Srisukta, das am Ende von Rv. V ange- 
fiigte KbUa ^). Mancbe Ziige der Ausdrncksweise, daza die Hanfig- 

keit der Messnng u ii. in den Silben 5 — 8 der Slokazeile ver- 

bieten es, das Siikta allzu hoch hinaufznriicken. Aber anderseits 
wird es bekanntlicb von der Brbaddevata erwahnt, nnd in jenen 
Silben tritt nicbt ganz selten nocb die alte Messnng anf 

(z. B. sriyam clevim uyu Jivaye, ^riyam icisaya me (irhe)-, bbberes Alter 
als der altbnddhistischen kanonischen Poesie ist danacb wohl wabr- 
scbeinlich. In diesem Sukta nun besteht zwiscben ^rir devl, 
Mutter Sri und anderseits Laksmi offenbar kein Unterscbied mehr ; 
so werden sie beide urdra (v. 4. 13. 14), beide padmamcdini (v. 11. 
14) genannt-). Wenn wir im Satapatha Brahmana (s. oben S. 39) 
den Beginn einer vorlaufig nocb vagen gottlicben Personifikation 
der Sri beobachten konnten, ist jetzt die Gottin der spateren Zeit 
im wesentlichen fertig; aucb die Lotosblume spielt in ihrem Bilde 
schon die spatere Rolle: die Gottin wird als padme sthita, padma- 
vurncij padmarnalUa beschrieben. Nur der Ebebund mit dem in 
seiner spateren Wesenbeit jetzt docb wobl nicbt vorbandenen Visnu 
ist nocb nicbt gescblossen. Wenn die europaiscbe Wissenscbaft — 
in unbestinuntem Gedanken an Griechenland ? — von einer Gottin 
des Gluckes und der Scbonbeit zu sprecben pflegt, so scheint 
mir fraglicb, ob das bier zutrifft. Genauer ist wobl, daB die 
Gottin scbon, insonderbeit scbon gescbmiickt ist, und dafi sie iiber 
Gliick und Woblstand berrscbt. Sie ist suvarnarajafasraj, yasasd 
jvalanti usw. ; ihr lotusbaftes und lotusreicbes Wesen wurde scbon 
beriibrt. Was man aber von ihr erbittet, sind Rinder, Pferde, 
Gold; da sollen Elefanten briillen; Idrti und vrddhi soil sie ver- 


1) ‘Vgl. Scheftelo\Yitz, Apokryphen des Rgveda p. 72ff. ; Macdonell 
zu Brhaddevata V, 91. — DaB gelegentlich doch nock in viel spaterer Zeit Sri und 
Laksmi unterschieden werden , ist nicht verwunderlich. Vgl. Hopkins, Epic 
Myth. 224; Jataka 521 v. B. 

2) Die entgegengesetzten i'oindlichen Machte heifien nicht mehr „bbse 
sondern alakpin. So auch Gohh. IV, 6, 3 ; Apast. Mantrap. I, 1,5. Die laksmi 
ist also jetzt etwas an sich gates. 



48 


H. Oldenberg 


leihen, Hunger, Durst, alle abhuti nnd asamrilclhi abweliren. Dutch 
die spateren Zeiten verfolge ich das Bild der Gbttin Sri hier nicht 
eingehender. Ich begniige mich kurz auf eine epische und eine 
altbuddhistische Scbilderung ihres Wesens zu verweisen, welche 
von weit auseinanderliegenden Standpunkten die Gottin recht ver- 
schieden einschatzend dock in der Bestatignng des eben Gesagten 
zusammentreffen ^). Im Epos (MBh. XII, 8343 ff.)__tritt SrT-Padma 
in strablender Schonheit nnd gliinzendem Schmuck auf. Alle, sagt 
sie, erstreben meine Wesenheit. Ich bin Gedeihen, Festigkeit, Ge- 
lingen. Bei siegreichen Konigen wohne ich, bei den Gerechten 
nnd "Wahrhaften. Fruher weilte icli bei den Asnras, solange die 
alle Tngenden iibten ; da sie sich aber der Siinde zuwenden, ver- 
lasse ich sie und gehe zn Indra iiber. Die Bnddhisten auf der 
andern Seite erzahlen im Jataka 535®), wie zwischen den Gotter- 
frauen Asa Saddha Siri Hiri eine Art Parisurteil stattfindet. Siri, 
schon wie der Morgenstern, spricht; „’W’em ich Freude wiinsche, 
der geniefit jegliche Lust“. Aber ihr wird entgegengehalten, da6 
ohne sie auch der Kundige und Weise es zu nichts bringt; der 
Trage, Niedriggeborene, HaBliche (arupimn) aber hat von ihr be- 
schirmt Erfolg. So ist sie unwahr und ermangelt der rechten 
Unterscheidung. Der Preis wird ihr versagt. Ihn erhalt Hiri. 
Von einer Gbttin der Schonheit ist in diesem Bilde der schonen 
Gbttin kaum etwas zn spiiren®). 

3. Ein weiteres hier zu betrachtendes Wort ist hhadrd. Es 
bietet kaum erhebliche Schwierigkeiten. Ftir die alteste Zeit ist 
bltadn'i off'enbar das, was vermbge seiner Wesenheit, seiner Krafte 
und Eigenschaften tiir den Inhaber, den Xahestehenden, den Inter- 
essierten wertvoll ist, Glilck und Freude bedeutet. Wahlt man 


Ij Daneben ware unter dem vergleichsweise Altereu besonders noch das 
Kapitel Yisnu Dharm. XCIX heiTorzuheben. 

2) Schon der Dighanikaya (I p. 1 1) weiB librigens 'i om SirkMyana. Die 
spater so liberaus haufige Darstellang der Sri mit den wassergieBenden Elefanten 
(vgl. ^ isna Par. I, 9, 102) findet sicb schon auf einem Tore von Sanci. 

3) Doch uberblicke ich die spateren Materialien nicht in der Vollstandig- 
keit, die ganzliche Sicherheit geben kdnnte. DaB das Appellativum in auch 
in der spateren SpracLe neben dem Glanz des Gluckes immer noch den Glanz 
und die Schonheit der auBeren Erscheinung umfaBt, wurde schon bemerkt; im 
Xaisadhiya (III, 36) wird geradezu im Dual iriyau gesagt, d. h, nacb dem Komm. 
Mntisampatti, womit die Getrenntheit der allmahlich auseinander gefallcnen zw'ei 
Arten der sri in aller Form konstatiert wird, Ausgeschlossen ist es danach nicht, 
daB auch die Gbttin in vollerem Sinn, als es die bis jetzt von mir durchgesehenen 
Materialien ergeben, Ansprnch auf den Charakter einer Gbttin der Schonheit be- 
sitzen konnte. 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ u. „Sch6nlieit“ u. d. vedische Schonheitsgefiihl. 49 

die etwas umstandliche , doch wesentlich zutreffende tlbersetzung 
5 gliickbringend“, so darf man dabei nicht, dem deutschen Wortsinn 
entsprechend, an einen Mechanismns denken, durch den ein irgendwo 
anfierbalb liegendes ^Grlttck^ hei'angeholt wiirde. Sondern was 
bhadrd ist, spendet Gliick von sich selbst ans, oder etwa — offenbar 
ein Nebenfall — es steht (wie im Fall des gliicklichen Omens) in 
mystisch - zanberhafter Korrespondenz mit der gliickspendenden 
Macht, ist in gewissem Sinn mit ihr identisch. Dafi eine Beden- 
tnng „glanzend, stralilend“ zu Grnnde liege, ist willkurliche An- 
nahme Grafimanns (vgl. Bergaigne, Rel. ved. Ill, 317). Das 
Wort war indoiranisch, wie das awestische hubndra lehrt; icb ver- 
mute, dafi es sehon in der Vorzeit baufig war, wie es im Rgveda 
als beliebtes Schlagwort baufig, bisweilen im selben Vers mehrfach 
wiederbolt ist; im Awesta wird es, bis auf jenen Rest, desbalb 
ansgestorben sein, weil die zaratbustriscbe Weltanschauung spe- 
ziellere Werte als den des bhadm bervorzubeben gewobnt war. 

Zur Veranscbaulicbung der VorsteUung von bhadrd gebe icb 
von der ubergrofien Masse der Materialien eine Auswahl. 

bhadrd sind die Gotter im allgemeinen oder der einzelne Gott, 
von dem der Betende Gliick erwartet, 1, 123, 11; VIII, 19, 19; 
X, 3, 3; 72,5. Des Gottes Korper oder Erscbeinung IV, 11, 1; 
X, 69, 1. Seine Hand, die dem Beter radhas darbietet IV, 21, 9, 
vgl. bhadrahaatu I, 109, 4. Seine sahti, sein ideas I, 83, 3; 94, 15. 
Seine Gnade I, 114, 9; III, 1, 21; 30, 7. Sein Schntz V, 1, 10; X, 
142, 1. Seine rat't 1, 168, 7 und oft. Die an ihn gerichtete An- 
rufung, das ibm gebrachte Opfer VIII, 19, 19; X, 53, 3; 64,11. 
bhadrd ist oder soli sein die innewobnende geistige Kraft {mdnas 
Tcrdta n. dgl.) I, 67, 2; 123, 13 ; X, 25, 1. Die Mutter, die das Kind 
gesund, stark, glucklich gebiert X, 1 34, 1 if. ; die sebone, begluckende 
Frau oder Geliebte 1, 95, 6; V, 80, 6; X, 27, 12 (vgl. bhadrajani 

V, 61, 4). bhadrd ist ferner, was der Menscb (oder event, der Gott) 
als wertvolles Gut besitzt IV, 58, 10 , das Haus VI, 28, 6 (vgl. 
Sankb. G. 111,5,3), das Feld V, 62, 7, die Rosse 1,115,3, das 
Kleid I, 134, 4 ; III, 39, 2 ; IX, 97, 2. Der gnte Ruf oder Rubm 

VI, 1, 12. Die giinstige laksmi X, 71, 2 (vgl. oben S. 46). Der er- 
freulicbe oder gliickbringende Anblick wie des Agni, der Sonne, 
der Morgenrote IV, 6, 6; VI, 1, 4; 64, 2; VIII, 102, 15; X, 69, 1 
(vgl. aucb bhadrasoci). Der giinstige, ominose Laut oder das giin- 
stige Omen iiberhaupt I, 89, 8 ; II, 42, 2. 3 ; 43, 2. 3 (s. aucb das 
Kbila binter II, 43, und vgl. bhadravac, bhadravadhi). Der giinstige 
Tag V, 49, 3, vgl. Av. VI, 128. Dies ist das bhadrdm am anusdsana, 
dafi man dadurcb den Weg findet, den man sonst niebt kennen 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Ktasse. 1918. Heft 1. 4 



50 


H. Oldenberg, 


wiirde X, 32, 7. Schliefilich ist hhadrdm ganz im allgemeinen das 
Gltick , das man sich wiinscht VII, 96, 3 ; VIII, 47, 12 (vgl. Av. 
Vn, 8, 1; 18, 2; Ms. IV, 14, 14, p. 239, 16): vismm tad hhadrdm ydd 
dvanti devah H, 23, 19. 

An diese positiven Feststellnngen knupfe ick zwei negative. 

Znnachst: das Moment der Schonheit, des schonen Anblicks 
ist in der Vorstellnng von bhadrd keineswegs wesentlich enthalten. 
Wird ein Weib hhadra genannt, heifit das nicbt eigentlicb, daS 
sie schon ist. Sondern sie ist ein wertvoller, erfreulicher Besitz 
wie irgend ein andrer; da6 die Marnt hhadrajani sind, steht auf 
einer Linie damit, dafi die ASvin bhadrahasta sind, oder dafi das 
uns fordernde gottliche sdvas bhadrd ist. Die Stellen, wo Schon- 
heit, speziell Frauenschonheit im Spiel ist, treten — anders im 
Fall von sri — im Ganzen der Belegmassen nicbt derartig hervor, 
dafi anf besondere Beziehung von bhadrd auf eine solche Vorstel- 
lung geschlossen werden konnte. 

Ferner bemerke ich, da6 ich in der altesten Zeit bhadrd nur 
von Wesenheiten gebraucht finden kann, deren Besitz, Nahe, Gunst 
usw. fiir die genannten oder nicbt genannten in Frage kommenden, 
sie besitzenden usw. Snbjekte begliickend oder erfreuend ist, nicbt 
aber von diesen Subjekten als gliicklichen selbst. Der Sanger ver- 
langt nacb zahlreichen Dingen oder Einfliissen, die alle bhadrd 
sein mussen. Aber er spricbt nicbt den Wunscb aus; mogen wir 
hhadrdh sein‘). Wenn der Gott bhadrd heiBt, bedeutet das nicbt, 
daB er sicb gottlicber Seligkeit erfreut, sondern daB er fiir seinen 
Verebrer gluckbringend ist; bhadrd no agnir dhuto bhadrd ratih 
suhhaga bhadrd adhvardh VIII, 19, 19 — eine Stelle wie diese laBt 
das klar erkennen*). Wenn Geldner (Glossar) iiber VI, 28, 6 
(an die Kiihe) hhadrdm grhdm hrmdha bhadravacah anders urteilt 
and dort die Bedeutung „gesegnet, glucklicb“ annimmt, so glaube 
icb oben (S. 49) die Stelle in einen Zusammenhang eingeordnet zn 
haben, der zeigt, daB es sich in der Tat um den fiir den Besitzer 


1) In der Verwiinschung derer ye .. . Ihadrdrn, dusdyanti svadhabhift VII, 
104,9, ist bhadrd naturlich nicht der Gluckliche, sondern der brave Mensch, der 
Gates um sicb verbreitet, im Gegensatz zum bbsen Zauberer. 

2) So wird zu einem Gott gesagt bhadro me 'si, and das Brahmaija fiigt 
erklarend hinzu bhadro hy asyaisa bhavati. Sat. Br. Ill, 3, 4, 14. — Aus dem Rv. 
konnte als vereinzelte Ausnahme von dem bier Festgestellten X, 72, 5 in Betracbt 
kommen tdm (scil. dditim) devd dnv ajdyanta bhadrd amiHabandhavah- DaB das 
mit den devd bhadrds santo von Tb. (s. weiterbin) auf eine Linie zu stellen ist, 
ist an sich nicht ausgeschlossen, freilich in Anbetracbt des sonstigen rgvedischen 
Gebrauchs durchaus zweifelhaft. 



Die vedischen Worte fur „schon“ u. „Seh6nheit“ u. d. vedische SchSnheitsgefdhl. 51 

begluckenden Besitz eines schonen, erfrealichen Haases handelt. 
In der jiingeren Vedazeit iadessen ist das offenbar anders ge- 
worden. So an einer Stelle der Maitr. Samb. (I, 6, 9, p. 100, 6), 
die Greldner neben die eben besprochene rgvediscbe stellt: annena 
misyo bliadro hhavati. Weiter Ts. VI, 5, 1, 4 tasmad ekatri yantam 
haJiavo 'nu yanti, tasmad eko haliunam bhadro bhavatij Tb. I, 1, 2, 2 
deva vai bkadras santo ’gnirn adhitsanta ... § 3 yah pura bhadrak 
san paptyant sydt nsw. ; I, 1, 4, 4 (vgl. oben S. 45) praticy esdm srTr 
agat; bhadra bhutva parahJiavisyantiti^). Der IJbergang, der bier 
Ton der Vorstellung des Grluckbringenden zu der des Gliickge- 
niefienden sich voUzogen hat, kann nicht befremden. 

Ehe ich bhadra verlasse, einige Bemerkungen fiber die das 
Element bhand- enthaltenden Worte. Deren an sich zweifellose 
Znsammengehorigkeit mit bhadra-) wird darcb das Aussehen der 
Belegstellen voUanf bestatigt. Nacbt and Morgenrote sind bhdnda- 
mdne I, 142, 7 ; III, 4, 6 *) ; vgl. dazu I, 95, 6 (von denselben Got- 
tinnen) ttbhe bhadre josayete nd mene *). Agni bhandate, ist bhdndif^ha 
III, 3, 4®); V, 1, 10, wie er bhadra ist; V, 1, 10 wird dicbt neben 
seiner Benennung als bhdndistka sein sdrma bhadrdm ansdrficklich 
hervorgehoben. Den Indra erreicht niemand sdvasa nd bhanddna 
VIII, 24, 17 : vgl. bhadrena sdvasa I, 94, 15. Danacb scbeint mir 
zweifellos, da6 bhandate nicht bedeatet „janchzenden Zuruf emp- 
fangen“ (BR., ahnlich Geldner Gloss.) oder „glanzen“ (Gr.), son- 
dern „sich als bhadra betatigen“. Vermutlich ist die Ansetzang 

1) In diesen Satzen ist der Gegensatz von bhadra und papa , sodann die 
Terbindung von bhadra und sri hervorzuheben. Jener Gegensatz tritt schon im 
Rv. 1, 190,5 auf, blickt dort auch X, 164, 1. 5 durch. Was sri anlangt, so ist 
bier zu erwahnen, dafi in der jiingeren Vedaspracbe mehrfach mit dem Eompa- 
rativ sreyas als sinneszugeboriger Positiv bhadra zusammengescbobeu ist: so ia 
den liaufig angefiihrten Spriichen bhadrad abhi sreyah prehi, bhadran nah sreyah 
sam anaisia devdh, bhadrarn ca me sreyas ca me ; ahnlich auch mehrfach in der 
stobha-Saramlung des Samaveda. Man beachte noch die Znsammengehorigkeit, in 
der die Gottinnen §ri und Bhadrakali erscheinen Sahkh. G. 11, 14, 14 ; Manu III, 89 
(Bhadr. dialektische Form fiir bhadrakdn? Vgl. Jat. V p. 60). Bei der oben 
S. 45 besprochenen Entwicklung der sri-Vorstellung ist das alles begreiflich. 

2) Auch Yaska ist sich ihrer bewuBt gewesen (bhadre bhandanlye Xir. XI, 19) . 

3) Man beachte die Vorliebe fiir bhand- in den ersten Hymnen von III. 

4) Danacb wird man es ablehnen (trotz bhadravati Tb. Ill, 4, 1, 15, was BU. 
mit fraglichem Recht als ,,Freudenmadchen“ verstehen), die yosd bhadra, der die 
Morgenrote V, 80, 6 verglichen wird, mit Pischel, Ved. Stud. I, 309 als Hetare 
zu deuten. 

b) Ilier bhandate . . . kavih, womit zu vergleichen ist bhdndisthd ime kavdyah 
Rv. Khila I, 8, 2 (Scheftelowitz p. 63), beziiglich, scheint es, auf die priesterlichen 
Sanger, die als Besitzer gliickverbreiteader Kunst dies Beiwort verdienten. 

4 * 



52 


H. Oldenberg, 

von jZnrnf empfaiig^“ dnrch hhdndamanah sumdnmahMh III, 2, 12 
veranlaBt. Dies scheint mir zn bedenten : „sich als bhadrd bewei- 
send infolge der (Anrufnngen der) siimdnman^ i) ; zum Gebrauch 
des Instr. vgl. Delbriick Ai. Syntax § 87. hhanddna bedeutet ent- 
sprechend das Sicbbetatigen als bhadrd. Dazu das Denominativam 
bhandanciy-. Da dies von den Feinden gebraucht wird {jahi sdtruhr 
abhy a bhandanayatdh IX, 85, 2) , kann es nicht soviel beiBen wie 
^bhadrd sein‘‘. Der Gott, scheint mir, soil die Feinde schlagen, 
die gegen uns sick nm die bhanddna (der Machte, welche ihnen 
bhadrd sind) beeifem, diese bhanddna gegen nns in Wirksamkeit 
setzen ^). Zu bhandddisti endlich vgl. ZDMG. LXII, 474. 

4 . Um seiner spateren Geltung willen ist bier weiter cam 
zu betracbten. 

Die rgvediscben Belege ergeben mit Sicberbeit die nngefahre 
Bedentung, dock kaum die genaue Nuance. Dadurch, daB das 
"Wort in den Brahmanas stark zariicktritt, entgebt nns wesent- 
Hcber Anhalt. Es ist klar, dafi es sich nm ein lobendes Beiwort 
wie nngefahr jangenehm“ handelt. cam ist besonders der Soma 
Oder sein wdda, Opfer imd Gebet, iiberhaupt was dem Gott dar- 
geboten wird; weiter der Name der Gotter. In Vergleicben heifit 
es : c. wie der rayi (I, 58. 6), wie dtyah siibhcdh (V, 59, 3), JLsenyhsa 
ahyb na cdravah (IX, 77, 3; d. b. wie Kiibe? Vgl. meine Note zn 
der St.). „Angenehm“ paBt znr Ableitong von Wzl. M- (Bar- 
tholomae Air. WB. 462)“). So steht es mehrfach neben priyd 
(IX, 34, 5 ; X, o6, 1 ; vgl. die bald anzufubrende Stelle des Ait. Br. 
und Av. 11, 36, 4, wo ctiru neben priyd, jusfd, sdmpriya stebt). Aber 
dem Wort wobnt, scheint es, nicht der subjektive Charakter bei, 
der in der Kegel eine Angabe dariiber erwarten lieBe, wem die 
betretFende Wesenheit angenehm ist; vielmehr verhalt es sich im 
Ganzen wohl etwa wie wenn wir „lieblich“ sagen, ohne ausdriick- 
lich era Subjekt des Liebens nambaft zu macben. In dieser Hin- 
sicht nnterscheidet sich cam m. E. von Die Angaben G r a 6- 

manns allerdings wilrden zn einer andern AutFassong fubren, aber 
ich glanbe , daB da MiBverstandnisse im Spiel sind. So gibt Gr. 
fiir cam nnter der Bedentung „jemandem [b. L ] lieb, angenehm, 
wert‘-' beispielsweise die Belege matir ayndye VI, 8, I, indrhjdm 

Ij Vgl. auth indra uhthchhir hhandistkah Saiikh. Sr. VII, 10, 18. Dem bhdn- 
damanah sumdnmabhib steht nah d hMndisthasya numatim cikiddhi V, 1, 10. 

2) abhy d yerbinde iih wegen der Wortstellung mit bhandanayatdh, nicht 
mit jahi. — Hi 1 le b r an d t, Lieder des Ry. 34, iibersetzt „heranlarmen“. 

3) Vgl. lat. carus. Uoch ist die Etymologie ja bestritten y«l Guntert 
IF. XXXVII, «5. 



Die vedisclien Worte fiir „schoii“ u. „Schonheit“ u. d. vedische Schonheitsgefiihl. 53 


jdnesu I, 55, 4. Die erste Stelle nun lantet vaisvanardya matlr nd- 
vyasi sucih soma iva pavaie carur agndye] die zweite cant jdnesu 
prahruvand indriydm. Es sclieint klar, da8 da nicht zu verbinden 
ist „angenehm demAgni“, sondern „lautert sich dem Agni“; nicht 
„angenehm den Lenten" (worth ^unter den L.“), sondern „unter 
den Lenten verkiindend". Leicht miBverstehen konnte man den 
Spmch bei Apastamba Sr. XXIV, 12, 6: carmi adya devebhyo vacam 
udyasam cnrum hrahmabliyas carum mantisyehhyas carum narcisamsayd- 
numatdm pitrhliih : auch bier aber hangen].die Dative in der Tat nicht 
von carum ab, sondern vom Verb, vgl. Saiikh. Sr. I, 5, 9 madhuma- 
tim adya devebhyo vacam vadisyami carum manusyebhyah. Von In- 
teresse ist Ait. Br. IV, 17, 3 f. sarcasya vai yavah premanam sarvasya 
carutdm gatdh, sarvasya premanam sarvasya caruidm yacchcdi ya evam 
veda. Hier ist in der Tat das Snbjekt, welches das Objekt als 
cdrti empfindet, namhaft gemacht‘): vielleicht wed der Satz dnrch 
das vorangehende preman in diese Bahn gelenkt war. Der Unter- 
schied zwischen cdru und bhadrd ist natiirlich nicht scharf^); nn- 
gefahr ist er wohl damit ansgedrtickt, dafi das letztere das Gliick- 
bringende, das erste mehr das Angenehme, Wohlgefallen Erre- 
gende ist. Wenn das Opfer oder seine Elemente sowohl cdru wie 
bhadrd heifien, ist bei cdru deren den Gottern angenehme, bei 
bhadrd ihre fiir die Menschen segensreiche Natur gemeint ^). Beim 
Soma tritt hervor, da6 er cdru ist; das gottliche sdpnan, der 
menschliche hrdtu sind bhadrd. cdru kann natiirlich, so gut wie in 
vielen andern Beziehungen, auch da stehen, wo es sich um Schon- 
heit der Erscheinung handelt ; so I, 72, 10 (sriyam cdrum) ; IV, 6, 6 ; 
IX, 77, 3; 102, 6; vgl. auch II, 8, 2. Aber so wenig wie bei bhadrd 
ist das ein wesentlicher oder auch nur hervortretender Zug. Spater 
wird das bekanntlich anders, wo cam oder vielmehr dessen Zu- 
sammensetzungen insonderheit inbezug auf Frauen, die schbnangigen, 
schbnlachelnden usw., groBe Beliebtheit gewinnen. 

5. Bisher ist uns ein Adjektiv geeignet z. B. ein Weib als 
„schon“ zu charakterisieren noch nicht begegnet. Das Wort, 
welches dies leistet, ist kalydna. Indra hat eine kalyantr jayd 


1} Wekhe Moglicbkeit auch fiir den Rv. durch das Gesagte nicht ausge- 
schlossen werden soli ; wie II, 2, 8 dtitkis cdrur aydve. 

2) Selbstverstiindlich kann dieselbe Wesenheit zugleich eins und das andre 
sein, IV, 6, 6. 

3) Man vergleiche, um nur weniges anzufnbren, fur cdru I, 137, 2; III, 52, 5 ; 
IV, 49, 2; VII, 98, 2, und beriicksichtigfe die eben besprochene Verbindung rait 
priyd usw., auch mit matsard IX, 30, 6; 72, 7 = 86,21. Fiir bhadrd: IX, 96, 1; 
X, 62, 1 usw. 



54 


H. Oldenberg, 


HI, 53, 6. Die Ghrtagiisse nahen Agni wie yosah Icalyanyhh IV, 58, 8. 
Soma freut sich an den Wassern Icalydnthhir yuvatibhir nd mdryah 
X, 30, 5. Aber anch ein mannlicbes Wesen, Agni wird als kalyana 
angeredet I, 31, 9. Dies sind alle rgvedischen Belege ‘) ; man sieht, 
dad sie sich dnrchweg auf personliche Schonheit menschlicher oder 
gbttlicher Wesen beziehen. Dasselbe trifft auf den Atharvaveda 
zu, nnr kommt dort (V, 17, 18) die scbone dhenu binzu^). Betrachtet 
man die angefuhrten Stellen, dazn die Erwahnnng der kanyk ka- 
lydnt und dkalydnt Av. XX, 128, 8. 9, striyau kalydnzm cdtikalydnim 
ca Sat. Br. XI, 6, 1, 7 , den schonen (kalyana) Mann PB. XIII, 6, 9, 
dann Sankh. ^r. XII, 21, 2, 3. 4 und die janapadakalydni der Bnd- 
dhisten, so wird man nicht bezweifeln, dad dies der normale Ausdruck 
fiir schone personliche Erscheinung war. In der jlingeren Veda- 
sprache ist die Gebrauchssphare weiter; k. erscheint als Beiwort 
u. a. von vac, von loka ; angenehme Funktionen und Eindriicke der 
verschiedenen Geisteskrafte und Sinnesorgane heiden kalymux (Sat. 
Br. XIV, 4, 1, 3ff.); wer eine schone d. h. gute, jenseitigen Lohn 
verdienende Tat vollbracht hat, sagt kalydnam akaravam (das. XIV, 
7, 2, 27) “). Die Verteilung der Belege ladt vermuten, dad das gegen- 
iiber der Beziehung auf Personliches sekundar ist. Insonderheit 
liber die in der letztaugefiihrten SteUe vorliegende etbische Ver- 
wendung des Worts wird man zuversichtlich so urteilen*). 


1) Drei der vier Stellen stehen in Anhangshymnen bz. im X. Buch. Zusammen 
mit dem I und n scbeint dies das Wort als minder alt zu erweisen. Doch ist 
schwer zu glaiiben, daS ein gleichwertiges Wort. nicht auch in altester Zeit vor- 
handen gewesen sei. Wurde damals noch *lcaryma (von dem kajymia sein n be- 
zogen hatte? vgl. AVackernagel Gramm. 1,193) oder vielleicht snra gesagt 
(man bemerke den Gegensatz von aslUam und kalyanavi Kath, Xll, 10, p. 173, 7; 
\gl. auch PB. II, 17,4 mit V. 9, 14)V DaB Belege fehlen, kann doch wohl nur 
Zuiall sein. 

2) Vgl. kalyani von einer schonen Kuh Ts. VII, 1, 5, 7 ; (i, ( 5 . 

3) Hier noch aus dem ^at. Br. einige Zeugnisse fur die sehr begreitlichen 
Beruhrungen von JcalyCuia mit nahstehonden Ausdrucken. Ill, 5. 4, 17; IV^ G, 9, 19 
erscheint k° ais ungefahres Synonymum von hhadra. 111,4,4,27 steht sreyamsam 
lokam jnyati wie IV, .3, 8, 11 kalyanam lokam ajaifit. Auoh mit scidhii vermischt 
sich der Gebrauch von kalyana, XI, (,,7 und an der eben angefuhrten Stelle 
XIV, 7. 2, 27. 

41 Leumann IvZ. XXXII, 309 hat vermutet, daC ein dem hekamiten 

-dfii-Typus zugehbriges Feminmum, das Masc. Keutr. kalyana erst daraus gebildet 
ist Das Iberwiegen feminiuischer Belege in ulterer Zeit ware ein uberzeugen- 
deres Argument daiur, vvenn in den hetrellenden Tc.xtschkhten sich fur das Masc. 
etwa kalya tande. Da das ni. ht der Fall ist, mochte ich in jenem Flicrwiegen 
des I cm. elen nur sel.en, daC man Frauens. honhcnt mehr als Maunerschouheit 
heariitete. 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ u. „Sch6nheit“ u. d. vedische Schonheitsgefuhl. 55 

6. DaB der Wzl. hibJi- und ihreii Ableitungen die Vorstel- 

lung des Sichschonmachens, von Putz nnd Prnnk beiwohnt, 
ist klar und bekannt ‘). Belege wie die folgenden sind haufig: 
Viranyena man'ma simhhamanaTi gomataro ydc chubhdyante 

mj'Mns tcmusii sitbhru dadhire virukmatah 1,85,3; siiblie rtiJcmdm 
nd darsatdm niMatam I, 117, 5 usw. Es brancbt sicb nicht durcb- 
aus um die Verwendung von Schmuck zn handeln. Aucb von den 
Enten , die sicb pntzen , beifit es tanvdh sumbhata svdh X, 95, 9. 
Scblief^cb kann der Dicbter aucb von der einfacb scbonen oder 
ansebnlicben Erscbeinnng als etwas Gescbmiicktena sprecben, wo 
dann die dem htbh- beiwobnende Vorstellung docb im Gninde die- 
selbe bleibt : so bei (josv dsvesu sitbhrisii I, 29, 1 (vgl. V, 34, 8), wo 
iibrigens die Vorstellung von Putz, den die Tiere an sicb tragen, 
nicbt ausgescblossen ist; sparhdya sriyd tanvd sabltdnu VII, 72, 1. 
Die Vorstellungen von srl und sdbh, die bier zusammentrefFen (vgl. 
oben S. 37), sind docb deutlicb nuanciert. Die Sonne, Agni be- 
sitzen vor allem srt. Die feblt den Marut keineswegs, aber sie, 
die reich geschmilckt in ihrem Prachtaufzug einberziehen (ydc 
chiibham ydthdna narah), sind docb vor allem Besitzer der subhah ^). 
Bezeicbnend scbeint, dafi den fiir das Opfer zubereiteten Soma die 
Milcbgiisse snnanti, die Lieder dagegen dnmbltanti : die irt ver- 
scbmilzt mit dem Wesen selbst; sdbh bangt diesem mebr auBer- 
licb an®). 

7. Die Bedeutung „Schonbeit‘' wird in Anspracb genommen 
fiir vdpns; tdimse, suble, sriye sollen sjTionATn sein: so Geldner 
(Ved. Stud. Ill, 95 Anm. ; Glossar), der neben „Pracbt, Farbe, 
Scbonbeit“ u. dgl. dann dem Substantiv die Bedeutungen ..Indieaugen- 
fallen, Staunenerregen, Bewunderung“ und „Scbauspiel, Wunder“ 
gibt. Aucb bier kann icb in solcb bunter Haufung verscbiedener 
Bedeutungen®) nicbt die zutreffende Losung des Problems seben. 
Vielmebr liegt uns meines Eracbtens der Versucb ob , von der 

1) Die, wie es seheiiit, speziell dem Prakrt ange'aOrige Bedeutung sobhu = 
mayd (Liiders SB. Berl. Akad. 1910, 791 f.) kommt hier naturlich nicht in 
Betracht. 

;2) Indessei! , Mas auft'allen kann, iiiil.t sic sondern die As\in sind es, die 
stehend Suhhds pdti genannt Mevden. 

3) Was nathrlicli boi der Alaunigfaltigkeit vediseher Gedankenliguren Joch 
auth die Vorstellung vun der tvie eiii Kleid angelegten dri (S. 39 A. 1) nicht aus- 
schliefit. Ein Vergleich etMa der Felego der Dative iriye und sitblid laCt neben 
der IJeruhrung den bier angedeuteten Uiiterschied durchaus empfimlen. 

4) Wie doren Daseinsltereehtigung zu erweisen ist, sehe ich in der Tat niclit, 
Worauf beruht z, B. die Ansetzung von ,,Farbe“ V Eine Stelle wie I, 62, 8 (J^rsnt:bhih 
. . . rukidhliir cdintrhhili) reicht dazu nicht aus. 



56 H. Oldenberg, 

zunachst festzuhaltenden Wahrscheinlichkeit ausgehend, da6 die 
mit dem Wort verkniipfte Vorstellnng einheitlich, iiberalP) giltig 
gewesen sein wird, diese aufzuzeichnen. 

Xun wird vdinis und die mit ihm zusammengekorige Wort- 
groppe, wie dem Vedaleser gelaufig ist, in der Tat sehr haufig 
von glanzenden, sckonen Erscheinnngen gebraucht : dem Licht Agnis, 
dem Wagen der Asvin nsw. Ich sehe aber nicht, wie man mit 
einem allein bierauf basierten Bedentnngsansatz dem Vers VI, 66, 1 
gerecht werden kann rui:ur 'iiu tdc eikitvse cid astu: es wird dann 
davon gesprocben, dab die irdiscben Kiihe und die so anders ge- 
artete Prsni den gemeinsamen Namen dlienu fiihren. „Das mu6 
dock auch dem Kundigen ein Wnnder sein“, iibersetzt v. Br adke 
(Festgr. f. Both 121), und ich wlifite nicht, wie man wesentlich 
anders sich ausdrlicken will; vd,piis mu6 hier eben etwas sein, das 
in der Begel allein fiir den IJnknndigen, nur in besonderen Fallen 
auch fiir den Kundigen dasein kann. Damit halte man weiter 

V, 47, 5 zusammen: iddm vdpur nivdcanatri janasas cdranti ydn nadyds 
tastJivr apoh usw. : auch hier ist nicht von Schonem, Prachtvollem, 
sondern von ratselhaft Scheinendem, Staunen Erweckendem die 
Rede. Nicht anders steht es mit i-dpuso vdpusfaram X, 32, 3. Auch 
bei III, 1, 4 deruso ayithn jdnimaii vapvsyan liegt es nah, an das 
Staunen iiber die wunderbare Erscheinung des nengebornen Grottes 
zu deoken. Findet sich nun von hier aus nicht leicht der Weg 
zu jenen Stellen, an denen lichte, glanzende Erscheinungen tdpus 
heiBen? Mir scheint, dab iiberall die Vorstellung des Erstaun- 
lichen hinreicht , welche die einander so eng verwandten Mog- 
lichkeiten von Bewunderung, Verwxmderung, Wnnder in gleicher 
Weise umfabt. Dab citrd, vor allem dursatd u. dgl. gem neben 
vdpus tritt, dab vapusy'o vibltdva stehende Verbindnng ist, begreift 
sich von dieser Annahme aus ebenso leicht, wie bei einer Be>- 
deutung „Pracbt, Schonheit"; dasselbe gilt von der Neigung von 
tdpus sich mit dem Verb cJiand- zu verbinden {(dd in me cliantsat 
vdpuso vdpustaram X, 32, 3, sd me tdpus chaduyad asvinor yo rdthdh 

VI, 49, 5); welche Ausdrucksweise kann natiirlicher sein als „das 
und das scheint mir staunenswurdig“ ? Damit sind wir nun etwa 


1) Damit meine ich: uberall im jjv. und der uahestehenden Literatiir. Die 
prinzipiell auch innerhalb dieser Grenzen anzuerkennende Mbglichkeit, dafi Ver- 
schiebungen, Spaltungen der Bedeutung stattgefunden haben (die Beweislast fallt 
dem zu, der seiches behauptet), tritt naturlich sehr viel starker in den Vorder- 
grucd, wenn wir die Folgezeiten mit in Betracht ziehen. 

2) Auf die fiir den vorliegenden Zweck unwesentliche Unterscheidung adjek- 
tivischen und substantivischen Gebrauchs gehe ich nicht ein. 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ n. „Schonheit“ u. d. vedische Schonheitsgefuhl. 57 

aaf den Standpunkt des Pet. WB. znrtickgelangt, das auf das ko- 
merische d-avfia ISes&ai hinweist: uberfliissig diirfte diese Ansein- 
andersetzung mit jener eine allzu unbestimmte , scbillernde Phy- 
siognomie ergebenden lexikograpbischen Technik doch nicht ge- 
wesen sein, speziell ancb um im Hinblick auf die uns beschafti- 
gendePrage nach den Ausdritcken fiir „Schonheit“ und Verwandtes 
der Wortgruppe ibre Stelle anzuweisen. 

8. Scbwer zn bestimmen ist die genaue Bedeutung von valgu. 
Vom Verb vulg-, das springende oder wogende Bewegung beaeichnet 
(Pferde, Affen, frobe Menscben, dann Wasserwogen, der wogende 
Bnsen), entfernt sicb der Gebraucb des Adj. anifallend. Die Zn- 
sammengebbrigkeit wird man kaum bezweifeln, aber eine besonders 
entscbiedene selbstiindige Entwicklung des Adj. annebmen miissen. 
Dessen rgvediscbe Belege bezieben sicb teils auf die Asvin, teils 
— wie aucb recbt baufig spater (aucb im Pali) — auf Reden. Die 
ersteren Stellen lieBen sicb allenfalls mit der Bedeutung des Verbs 
in Einklang bringen. Soil man dies bei den letzteren durch Heran- 
ziebung davon erreichen, da6 die Gottin Vac salila ist (Saiikb. G. 
I, 24, 10) '? Scbwerlicb ; die Belege weisen mebr auf den freund- 
lichen, einscbmeicbelnden Cbarakter der Rede, als auf deren W ogen 
bin (vgl. aucb valguydti IV, 50, 7), und in dieselbe Ricbtung zeigt 
die jungere Vedaliteratur , z. B. Av. II, 36, 1 vom Weibe: jns^tn 
varcsu sdrnanesn ralgiih; TAr. IV, 11, 3 scbeint v. etwa synonym 
mit saniytkllidydh. Kurzweg „scbbn“ ist wobl nicht zu iibersetzen. 
Icb vermnte, dafi das Wort nicht sowohl woblgefalligen Eindruck 
an sicb bervorhebt, als vielmebr die gescbickte, gliicklicbe Bewe- 
gung, die solchen Eindruck weckt. Das paBt auf die Asvin und 
deren freundliches Nahen nach der Nacht. Nur wenn Av. XII, 
3, 32 vom Barhis gesagt wird ptiydm ImJcls (dksuso ralgv dstu, 
miiBte Abblassen der Wortbedeutung oder phantasievolle Aus- 
schmiickung der Vorstellung angenommen werden. 

9. ScbieBlich fiihre icb noch eine Reihe mebr oder weniger 
den bier bebandelten Bedeutungen nahestebender Worte auf, bei 
denen bloBe Erwahnung oder eine kurze Bemerkung genligen wird. 
Die Grenzen fiir das bier zu Beriicksichtigende scbarf zu zieben 
ist natiirlich unmoglich. 

Aucb citrd scbeint mir mit Unrecht in der oben erwahnten 
Weise mit einer Menge von Bedeutungen ausgestattet zu werden, 
wie „farbenprachtig, bunt, scbillernd, schimmernd, prangend, blitzend, 
blinkend; iiberh. pracbtig, sehenswiirdig, wunderbar“, dann „deut- 
lich, vernebmbar^, ;,bunt, mannigfaltig, verschiedenartig“, wozu 



68 


H. Oldenberg 


noch substantivisch ,,Ausgezeiclmetes, Sehenswurdigkeit , Natur- 
wander, Natarsclionheit* gefugt wird (Greldner, Glossar). Die 
haafigen Stellea, an denen citrd sich mit dem Verb cH- verbindet 
{citrdin ciJciie n. dgl. ; s. I, 113, 4 ; II, 34, 10 ; IV, 14, 3 ; 23, 2 ; VI, 6, 7 
usw.), veranschaulichen, wie lebendig der etymologische Zusammen- 
hang fiir das BewuBtsein derVedazeit war. Die so sicb ergebende 
Bedeutung ^was (vor anderm) wabrgenommen wird“ ^), scheint mir 
liberall durchaus zu passen Wabrgenommen wird naturlich 
werden vorzugsweise das Helle, Farbenpracbtige, Bnnte, anch das 
Scbimmernde, das Blitzende ; darum bedeutet citrd dock weder 
..bunt“ noch „schimmemd“ noch „bli±zend“ ; wie sollte anch ein 
und dasselbe Wort fiir denselben Kxeis von Redenden®) so Ver- 
schiedenes bedeuten'*)? Der Vorstellung des Schonen, wie diese 
in der Vedazeit gestaltet gewesen ist, steht citrd offenbar nah 
genug, dab die Erwahnung des Worts hier gerechtfertigt ist; nm 
mehr als eine gewisse Xachbarschaft handelt es sich nicht. 

Hier erwabne ich weiter dar s a t d (d arsata^rt, vgl. oben 
S. 43 A. 3), sudrs, s ((S a ?«(?;• .s, sudrsilca {s udfsll: ar tlpu, 
sudr^thasamdrs; (legensatz d-irdfsilia), anch snsaml:asd. 
Diese Worte geben Gelegenheit, an das s u- als einen alleraltesten 
Ausdruck der W ertscbatznng zu erinnern, in dem praktische, asthe- 
tische, moralische Bewertnng noch ungeschieden vereint ist : wofiir 
Belege liberfliissig scheinen. Die meisten der angefiihrten Zusam- 
mensetzungen (nicht darsatu) treten nur in gelegentlichem Ge- 
brauch anf. 

rap a „clie Gestalt® kann wie spater (z. B. Sat. Br. IX, 4, 1,4; 
XIII, 1, 9, 6) so wahrscheinlich schon im Rv. anch „sch6ne Gestalt. 
Schbnheit® bedeuten. Die Belege sind nicht unbedingt sicker; mit 


ll Wobei airh innere, geisti-c Wahniehmung iu Betracht kommt. tber- 
■^^iegen'l aber beireitticherwL-isc ncsiclitswalirnebmung 

2) Auch fur das substantivierte Xeutrum ci'rani (vj;l. BE. citra 4; Geldner 
Ved. Stud. 111,142; Caland Ai. Toten- und Bestattungsgebrauche 32) sind be- 
sonders in die Augen fallemle Objekte. 

3) Henn aiicli hier untersuche irh ni.lit, wao in spateren Zeitaltern l'C- 
wordi-n i^t. 


-i) W.D dann b.d der Vertc-ilung der Stellen auf die BedeutunEen subjektives 
Ermcssen cdne Ib.dle spielt. die mir doch bedenklidi scheint. IVarum soli beispiels- 
weite bei cUrn,,, I, 03. 8 die Bedentmig ,,biiut, maunigfaltig- vorlicLo;n, da- 
gcgfii bid ctrdiy Unjfinaw A’ll, 74, 2 die Bedeutung .,prai'htig‘= u. dgl. (Geldner).-' 
Steht etwas dem entgegen . die einc Stelle aufzul'ussen wie die andre ' Odor 
woher wissen wir. daiJ in Tb. Ill, .s. l, l OOvV ,ulksatram bhurott, titnhn va etdt 
kurmu ynd oiaimedhah bei cltrdm an .Maunigfaltigkeit und nicht an die in die Augen 
fallende Gewichtigkeit und Prarht geda- ht ist> 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ u, „Schonheit“ n. d. vedische Schonheitsgefiihl. 59 


blofier Bedentung „Gestalt“ ausznkommen ist scUiefilich moglich. 
Dock liegt im Hinblick auf die jimgere Vedazeit und anf den be- 
sonders glanblichen Bedentungsiibergang kein AnlaB vor sich gegen 
die andre Bedentung zn strauben; ich mochte sie etwa I, 71, 10; 
IX, 65, 18 wahrscheinlich finden ’). Daneben werden dann gele- 
gentlich Ausdriicke fiir „Scb6nheit“ und „schon“ dnrch Hinzufii- 
gung eines Adjektivs zn rupd oder eines Vordergliedes der Zu- 
sammensetzung gebUdet : so sresthai rupath X, 112,3; sit rupd 
VIII, 4, 9 (vgl. I, 4, 1 ; Gegensatz virupa) und das scbon erwahnte 
sudrslliarupa IV, 5, 15, dann anavudydrupa X, 68, 3, wozu 
ich — ohne Vollstandigkeit zu erstreben — aus der Brahmana- 
literatur rfipasamrddJia fiige: dies freilich wohl vielmehr voll- 
kommene Korrektheit der Erscheinung bezeichnend als Schonheit; 
rupasamrddlia ist der Wohlgekleidete Sat. Br. XIII, 4, 1, 15. 

Batten wir es hier mit Ausdriicken zn tun, die den Gesichts- 
sinn betreiFen, so wird svadii „sufi“, svadmdn und sv adman 
„Sufiigkeit“ natiirlich in erster Linie von der Geschmacksempfin- 
dung gebraucht. Aber — wohl mit steigender Haufigkeit in den 
jiingeren Partien des Rv. — sii6 hei6t auch der Freund und die 
Freundschaft, das Zusammensitzen {samsM) der pitdrah ; es gibt 
siifies Denken und vor allem slifie Rede; siiB ist die Gabe {rati, 
Vni, 68, 14). Es ist begreiflich, da6 bei solchen "Wendungen jemand, 
dem das Betreffende suB ist, gern genannt wird oder leicht dazu- 
gedacht werden kann. An svndd sind die mudhu enthaltenden 
Ausdriicke anzuschliefien. 

ranvd — unter den Bedeutungen, die man dem Wort gibt, 
findet sich auch „schon'‘ — wird, wie auf der Hand liegt. durch 
seine Etymologic definiert als das, was von Wohlsein, Befriedi- 
gung erfiillt oder damit verbunden ist'-): wobei sowohl an das 


1) Hier mache ich anf das r fipat a ma des §.at. Br. aufjierksam. iMir sclieiiit 
das zu bedeuten „das ausgesprocbenste rupa“'. uicht „farbigst“ (BE.). 

2) Bei dieser Gelegenheit bemerke icli uber das mit raijvd so eng zusam- 
niengeborige rdija, dad icji gegeu die herkbmmliche, befremdeiid ausseheiule Doppel- 
ansetzung der Bedeutuiig 1. ,Ergdtzen“, 2. ,,Kampf“ (das Bindeglied soli die Vor- 
stellung der Kampfeslust abgeben) Bedenken habe. Ich glaube, die zweite Bedeu- 
tuiig ist iur den t eda zu streichen, obwohl sie, wie iiiir si beint, auf Grund iniG- 
versfandlicher .\uttassung des Veda, bekanntlieb in der spateren Sprache lebeudig 
gewesen ist. Die dafur in Auspruch genoranienen Belege scheineii mir docli nicbt 
ganz auszuseben wie die von yiidh. Ich veranschauliche nieine Autfassuiig von 
rdna an dera fur die Bedentung .,Kainpf" angefuhrtcn Beieg iulierAgni) dhanam- 
jayo rune-rane (1,74,3; VI, 16, 15; vgl Av. V, 2, 4) Die Deutung knupfe ich 
daran an, dad es, in Ivonlorrnitat mit dieseni Wortlaut, ein dhanajit und ebenso 
ein ranyajit gibt. ranyajit ist nun der gojit, uivajit, zu dem man sagt prajiivad 



60 


H. Oldenberg, 

Subjekt, das diese Stimmang empfindet, gedacbt sein kann, wie 
daran, was sie erregt. Die am Soma sick freuenden G-otter werden 
mit naro ranviih verglichen (VII. 59, 7); ranid sind die mit Agni 
vereinten naro nrsddane (V, 7, 2) ; anderseits ist ranvd das okah i) 
(IV, 16, 15: vgl. ksitram mi ranvdm muse X, 33, 6), die 2 ^nsp (I, 65, 5; 
II, 4, 4; vgl. IV, 16, 15) u. dgl. mehr. 

Keine vollkommen seharf gezeichnete Physiognomie — wie ja 
nicht befremdet — zeigt vamd. Klar ist der Znsammenhang mit 
van-, und zwar unter den so weit auseinander gehenden Gebranchs- 
typen dieses Verbs (oder dieser Verba ?) doch wohl mit AuBerungen 

rdtnam a bhara (auch rcitna zu ran- gehorig, wie ja langst vermutet ist?), IX, 
59,1. Und ranya sind solcbe Oinge, wie fur Indra der Soma IX, 96, 9 (vgl. 
Pischel, Ved. Stud. 1,66). Es scueint mir nicht hinreichend begriindet, da6 
man auch fur rchiya eine Bedeutung „Kampf“ in Anspruch genommen bat (BR.). 
Die einzige Stelle, die ernstlich bedenklich macheu konnte, ist X, 112, 5 yasya 
sdsvat papivdn indra sdiriin ananuh-tyd ranya caTcdrtha (vgl. Gaedicke, Akku- 
sativ 269). Der Tejs ergibt doch offenbar kein sicheres Resultat. Er kann sehr 
wohl bedeuten, da6 Indra an den Feinden unnachahmliche, (ihm, uns) Woblge- 
fallen schaffende Taten getan hat (vgl. krte cid dtra mariito rattanta VII, 67, 5). 
ranyajit wird dementsprechend der sein, welcher Wohlsein erzeugende Giiter er- 
siegt. Ist dauach nicht der rdna zu heurteilen, der mit .Agni dem dhanainjayd 
verknupft ist? Bedeutet also dhanamjayd rdn,e-rane nicht, dab bei einem liber 
dem andern AYohlsein (rdna), das den Frommen (und den Gotteni selbst?) zuteil 
wird, immer Agni, den man ranyajit nennen konnte, sich als Gewinner des be- 
treffenden Gutes und Glucks erwiesen hat? 111,31,4, VIII, 96, 16 veranschaulicht, 
wie der Sieg des Gottes den Welten rdna (Wohlsein) bringt; vgl. auch X, 115,4 
das Xebeneinander von rai.ndsab (fur welches Wort man doch m. W. kriegerische 
Bedeutung nicht in Anspruch genommen hat) und yiiyudhayaji. Neben alldem 
kann man ubrigens dann noch die (mir allerdings nicht wahrscheinliche) Moglich- 
keit geltend machen, claB VI, 16, 15 rdne-rane uberhaupt nicht mit dasynhdntamam 
zusammengehort, sondern mit sdin idhe. — Ein Beleg Geldners (Glossar) fur 
den kriegerischen Sinn von rdna ist VI, 31,5 (an Indra); mdhaU rdnaya rdtham 
d tiatbu. Wird dies maliate rdnaya anderes bedeuten als brJiate riindya Av. IL 
4,1, wo das Amulet seinem Trager zu Wohlsein verhil ft? Oder als das brhate 
rdnaya Rv. Ill, 34, 4, make rdnaya X, 9, 1 usw.? Warum also nicht VI, 31, 5 dahin 
verstehen, dafi Indra den Wagen besteigen soil, urn zu groBem Wohlsein zu ge- 
langen ? — Den Pururavas starken die Gotter mahe rdnaya dasyuMtyaya X, 95, 7 
(auch bier r. nach Geldner „Kampf“); was daran eriunert, wie an der eben be- 
sprochenen Stelle VI, 16, 15 neben dhanamjaydin rdne-rane steht dasyuhdntamam. 
Soli bier maM rdiidya etwas andres sein als X, 9, 1 ? Warum nicht „zu (Gewinn 
von) groBera Wohlsein"? — Die fruher (Ved. Stud, 11,39) von Geldner, offen- 
bar mit Riicksicht anf die klassische Sprache, angenommene Bedeutung „Iaut 
werden“ fur vedisches ran- hat er im Glossar fallen gelassen, m. E. mit Recht. 
Auf die Vermutungen iiber vorgeschichtlichen Zusammenhang mit ram- (woruber 
zuletzt Brugmann GrundriB^ 11,3 S. 314) ist hier nicht der Ort eiuzugehen. 

1) Oder dieses wird, genauer gesagt, der Vorstellung des ranvd sehr nab 
geruckt. 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ n. „Schonheit“ ii. d. vedische Schonheitsgefiihl. 61 

wie vdsmi ...id vanamahe 1, 15, 8 (vgl. VII, 94, 9) ; ahnlich sprechen 
ja die Brahmanas mit Yorliebe vom vamam vnsn (Ts. I, 5, 1, 1 ; 2, 3; 
Tb. I, 1, 2, 8; Kath. XXV, 6, vgl. XXXIX, 1); vamsiindhi vamam 
heibt es VI, 19, 10. Als vamd wird dem entsprechend, scheint mir, 
in erster Linie das bezeichnet, an dessen Erlangung man sich frent 
Oder frenen mochte. Dazn paBt, dafi das Wort gern als substan- 
tiviertes Xeutrnm erscbeint. Gegeniiber dem in seiner Bedentnng 
ja nicht fern stehenden bhadrd betont vamd wohl mebr, dafi es sich 
Tim das Ziel eines daranf gerichteten (gerichtet gewesenen) Strebens 
handelt; vUva vam&ni dhimahi ist eine mehrfach wiederholte Wen- 
dung. Der h'din ist Wiadrd ; dafi er vamd hiefie, lage kanm nab 
Des Grottes hdsta sind hhadrd IV, 21, 9; Usas ist bhudrci, aber sie 
leuchtet uns auf sabd vamena (1,48, 1) und ist dntivama VII, 77,4. 
Nun wird freilich vamd vereinzelt auch von personlichen Wesen 
gebraucht wie I, 164, 1; X, 122, 1, oder von einer Wesenbeit wie 
dem suUu (Opferformel bei Caland-Heniy 221). Wenn PB. XIII, 
3, 19 vama als Beiwort eines zu lobenden (yam . . . prasamsanti) 
Kindes, Rosses, Mannes erklart wird, triift diese Angabe, zu der 
die Besprechung des denAnlaB gibt, den rgvedischen H aupt- 

sinn des Worts doch nur ungefahr. Die spezielle Beziehung auf 
Korperschonheit (wie in vamahhrft, vamanetva) ist jung. 

10. Wir haben die vedischen Worte fiir Schonheit und ver- 
wandte VorsteUungen durcbmustert. Es liegt nab noch einenBlick 
darauf zu werfen, wie der Dichter des Rgveda die ihm vorschwe- 
benden Erscheinungen von Schonheit beschreibt — vielmehr Frag- 
mente von Beschreibungen gibt, denn fiir ihn handelt es sich ja 
darum den Gott zu preisen — : wobei naturlicb reichere Ausdrucks- 
mittel verwandt werden, als jene die Schonheit direkt benennenden 
Worte. 

Ein junger vedischer Autor sagt einmal: „Wer tanzt, wer 
singt, an dem hiingen dieWeiber am meisten“. Kein Zweifel, daS 
in solch profaner Lyrik, die selbstverstiindlich auch in der Zeit 
des Rgveda in Bliite stand, vieles anders ausgesehen hat, als in 
den Opferhymnen. Wir kennen leider nur diese, and von ihnen 
allein konnen wir sprechen. 

Schonheit sah der vedische Poet zunachst in der menschlichen 
Erscheinung und — dies fiir die geistlichen Sanger der Haupttall 
— in der Erscheinung der menschenahnlichen Gotter. Er sah sie 
weiter in der Natur : was denn wieder vielfaltigst auf die Gotter- 
welt fiihrt, insofern die Natur sich in gottlicher Verkorperung 
darstellt. Er sah sie endlich in den Werken menschlicher Knnst- 
fertigkeit, vor allem in seinem eignen Werk, dem Gedicht. 



Wir beginnen mit den Gottem. 

Dem vedischen Gott kommt Schonheit keineswegs als selbst- 
verstandlicher Besitz zn. Wie onter Menschen, so gibt es anch 
in der Gotterschar nicht nnr junge nnd alte, sondern anch schone 
nnd minder schone ^). Beim groBen Dreinschlager Indra tritt neben 
seiner Riesenstarke Schonheit wenig hervor. Der erhabenste aller 
Vedagotter, Varu^a, wnrde, wenigstens nach der Angabe jungerer 
Texte, bei einem bestimmten Opfer durch einen verkriippelten, 
kahlkopfigen, gelbaugigen Menschen dargestellt : „das ist die Gestalt 
des Varuna“. Hat die Schen vor dem gefahrlichen Gott seiner 
Erscheinnng eine Furchtbarkeit mitgeteilt, die als abstoBendste 
HaBlichkeit erschien? 

Znr Veranschanlichung nun davon, wie Gotterschonheit sich 
imVeda darstellt, greife ich zwei Beispiele heraus. Auf der einen 
Seite eine dnrchsichtigste, schon sprachlich dnrch den Namen an- 
gezeigte Vergottlichnng einer Natnrerscheinung , anf der andern 
ein Gotterpaar, dessen Natnrbedentung fur das Verstandnis der 
Verehrer verdunkelt war. Jene weiblich, dies Paar jiinglingshaft 
mannlich: Usas (die Morgenrote) nnd die beiden Asvin. 

Bei Betrachtung der Usas erinnern wir nns zuvorderst daran, 
dafi hier die Natnrerscheinung nnd das menschenahnliche Bild be- 
standig durcheinander flieBen. Der Lichtglanz des Morgenhimmels 
gerinnt zu weiblicher Gestalt; diese Gestalt verschwimmt wieder 
in der Lichterscbeinung : solches Hin nnd Her ist eben das Cha- 
rakteristische. Was das Ange am Morgenhimmel sieht, ist bald 
die Gottin, bald ist es ein Teil von ihr, etwa ihr Bnsen; oder es 
ist ihr Gewand , ihr Schmuck , ihr Getier , ihre Hervorbringung, 
ihre Gabe. Unaufhorlich wechselt eine Anffassung mit der andern, 
spielt anch zwischen direkter Gleichsetzung nnd bloBer Vergleichung 
ein bestandiges Sichlockern nnd Sicbbefestigen der Bilder hin nnd 
her^). Durch alles aber zieht sich der unverwandte Hinblick auf 
Usas’ Schonheit. Sie ist das schonste (.sVest/m) Licht der Lichter. 
Leuchte nns mit deinen schdnsten Strahlen, ruft man sie an. 
Zur Schonheit (.sV?) haben sich die leuchtenden Morgenrbten er- 
hoben. Der Schein der Himmelstochter Usas ist erschienen, daB 


Ij Man wird an dieser sich aufdrangenden Beobachtung nicht durch eine 
solche gelegentliche AuBerung wie VI, 48, 19 (oben S. 38 A. 3) irre werden. 

2) Wie es da auch nur ein reines Wortspiel zu sein braucht, das die Briieke 
zwisciien Bild und Wirklichkeit schlagt , zeigt 1,92,3 drccmti ndrtr apdso nd 
visHhhUi, wo der Doppelsinn von arc-, „leuchten“ und „singen“ dazu fuhrt, dafi 
die leuciitenden Morgonrdten mit fleifiigen, bei der Arbeit singenden Frauen ver- 
glichen werden. 



Die vedischen Worte fur „sch6n“ u. „Seh6nheit“ a. d. vedische Sc hdnheitsgef iihl. 63 

Schonheit gesehen werde. So lassen die Dichter der^Usas- 
hymnen es sich fortwahrend angelegen sein, Vorstellungen gefal- 
liger Anmut, Erinnerungen an bunt erfrenliche Eindriicke — bier 
und da streifen sie vielleicbt an das Sinnliche — heraufzube- 
schworen. 

Es ist eine wahrhaft staunenswerte Fiille sinniger Gedanken- 
spiele tmd tiefgriindiger Gedanken, die jenen Alien der Anblick 
des Morgenhimmels geweckt hat nnd in deren Mitte wie in einer 
Umrahmung die Erscheinung der schonen Gottin steht — vielmebr 
nicbt steht, sondern in wechselnden Gestalten schwankt. Da ist 
die Rede vom Schwesternpaar Nacht und Morgenrote, die gemein- 
sam ihren unendlichen Weg zieben, die scbwarze der hellen das 
Eeld ranmend — von den Vergangenbeitsfernen der ersten Morgen- 
rote, die des ersten Tages Namen kennt — von den Morgenroten 
der Zukunft, den vielen, die nocb nicbt aufgelenchtet baben — 
vom Ziigel des Rta, der Weltordnnng, der die unwandelbar ge- 
■wisse Wiederkehr der Morgenroten lenkt — vom Anfflammen des 
morgendlicben Feuers, dem Auffliegen der Vogel, dem Sicberheben 
der Menschen vom Schlafe, wenn die Gottin Usas kommt nnd ibr 
nacbgehend, wie ein Jiingling dem Madchen, der Sonnengott. Und 
nnn die Bilder ihrer eignen Erscheinung und ihres Tuns. Einen 
Teil der Ziige liefern die Motive von Licbt und Himmelsweiten. 
Es wurde schon erwabnt, daB sie das schonste Licbt der Lichter 
genannt wird. Bis zu des Himmels Ende hat sie sicb ausgebreitet 
und bis zur Erde. Ihre hellen, unsterblichen Strahlen verteUen 
sich iiber die Raume. Sie steht da, das Wahrzeichen der Unsterb- 
lichkeit. In Licbt ist die Himmelstochter gekleidet. Rotlicbe Kiibe 
fahren ihren Wagen. Andre Ziige dieser Bilder stammen aus dem 
menscblicben Dasein, dem Alltagsleben. Wie ein Madchen mit 
ihrem Korper prangend, lacbelnd zeigt die Junge ihren Bnsen. 
Wohl anzuschauen wie ein Weib von der Mutter geschmiickt zeigt 
sie ihren Korper. Wie ein Madchen, das keine Binder hat, geht 
sie den Mannem entgegen. Sie salbt sich mit Salben, wie Frauen, 
die zu einem Fest gehen. Aufgerichtet steht sie da gleich einer 
Badenden, daB wir sie schauen mogen. Belles Gewand tragend 
ist sie licht erglanzt. Dazwischen Vergleiche aus andem Spharen 
der taglichen Existenz : wie eine Stute — daran, dafi gottliche Er- 
habenheit solchen Vergleich ausschlosse, ist natiirlich nicbt zu 
denken — ; dann ein Bild, dem man die Herknnft aus der Priester- 
phantasie ansieht : wie die Opferpfosten, die bei den Opfem anf- 
gerichtet sind (um die Tiere daran zu binden). Naher ausgefiihrt 
werden alle diese Bilder nicbt ; ebenso wenig findet sich znsammen- 



64 


H. Oldenberg, 


hangende Schilderung von Vorgangen, in denen sich die Erschei- 
nnng der Gottin abzeichnen kbnnte. Sondern ordnungslos verstreut 
bier dieser, dort ]'ener Zug, viel Earbe und Licbt, wenig feste 
Linien, alles vermischt mit dem Preise von Usas gottlichen Wohl- 
taten and mit Bitten. Portwahrende Vergleicbe miissen die noch 
unentwickelte Eahigkeit , die Erscheinungen direkt zu zeicbnen, 
erganzen. Bemerkenswert ist, daB vom Antlitz der Gottin, wenn 
icb nicht irre, nirgends die Rede ist, man miiBte denn die Erwab- 
nung ibres Lacbelns bierher zieben; wie uberbanpt Leben und 
Scbonbeit des menscblichen Gesicbts den Dichtern des Egveda 
noeb wenig aufgegangen ist '). Eiir unsere Empfindnng liegt eine 
gewisse Dissonanz darin, daB deren Pbantasie, welcbe die nn- 
endlicben Weiten der Himmelsranme, der Vergangenbeit und Zu- 
kunft so kiibn durcbstreift, dann, wenn sie der Gbttin Gestalt 
menscbengleicb zu bilden versucbt, sicb nicbt iiber die schlichteste 
Wirklicbkeit des umgebenden Kleinlebens zu erbeben weiB. Was 
sie da scbafft, ist die Gestalt einer anmntigen Dorfscbbnen von 
zweifelbaften Sitten. Der ambrosiscbe Zug feblt. — 

Bei den beiden Asviu lag, wie scbon bemerkt, fiir die ve- 
discben Dicbter eine andre Situation vor, da bier die Naturgrund- 
lage — meiner Uberzeugung nach Morgenstern und Abendstem — 
in Vergessenbeit geraten war. Man sab U§as; die Asvin sab man 
nicbt. Scbonbeit {sri) schreibt der Rgveda diesem Gotterpaar wohl 
noch baufiger and nachdriicklicher zu, als der Morgenrote. „Mit 
Scbonbeit seid ihr vereint“, wird zu ihnen gesagt; man gedenkt 
ibrer ,ansebnlicben Scbonbeiten^ {sr^bh'ir dursatahhih) ; „zur Schon- 
beit bat die Tocbter der Sonne euren Wagen bestiegen* ; „eure 
Scbonbeit bat das junge Weib erwablt, der Sonne Tocbter**. TJnd 
mebrere der andern oben besprocbenen, der Vorstellung der Scbbn- 
heit nab stebenden Ausdriicke werden mit Vorliebe eben inbezug 
auf die A^vin gebraucht-). Man nennt sie jung, sebr glanzend; 
sie tragen Goldschmuck, den Lotuskranz. Von der Lebendigkeit, 


1) Man seLe, um nur einiges berauszugreifen, II, 32, 6. 7 ; X, 86, 8 : was da 
an Frauen — daB es gdttliche sind, macht keinen Unterschied — geruhmt wird, 
sind die scLonen Arme und Finger {sttbahiib — welch andres Bild gibt Hev^mXsvos 
— svangurili}, die starken Zopfe, der breite jaghana (dessen gewaltige Dimension 
bei einer Gottin Hath. VIII, 17 herrorhebt). Auf die Haartracht legt ancb Vs. XI, 56 
besonderes Gewicht. Die Schonheiten, welche By. X, 86, 6 die Gottin an sich preist 
{nil mat stri subhasattara usw.), hangen natiirlich mit dem besondern Zweck zu- 
sammen, den sie dort verfolgt. 

2) Sie sind die iubhds pdU, oben S. 55 ; valgii, oben S. 57 ; hautig begegnet 
in Zusammenhangen, die sie betreffen, das Wort vdpus (S, 55 f.j. 



Die vedischen Worte fiir „sch6n“ u. „Sch6nheit“ n. d. vedische Schonheitsgefiihl. 65 

die an manchen Stellen der TJsashymnen erreicht wird, fehlt meiner 
Empfindung nach ihrem Bilde doch etwas. Die vedischen Dichter 
scheinen in diesem Fall durch die VerscWebungen , welche die 
Grotter von der Naturerscheinung entfernt haben, gehemmt zu sein ; 
die Kraft auch Nichtgesehenem voile, anschanliche Wirklichkeit zn 
verleihen, haben sie eben nur selten bewahrt. Bei den Asvin 
griffen sie gern, wie um den Mangel gntzumachen, noch weit uber 
ihr gewohntes Ma6 hinans zu Vergleichungen, znweilen in langen 
Reihen — Vergleichungen, die keine feste Linienfiihrung eines 
selbstandig dastehenden Bildes beleuchteten und belebten, sondern 
sich ihrerseits allein in den Vorder grand drangend, bunt mit ihren 
Motiven wechselnd durch Haufungen gesuchter EinfaUe die PhaU' 
tasie eben nur bin tind her warfen: wie zwei Brahmanen tragen 
die A5vin ihren Spruch vor; wie zwei Weiber sind sie, die sich 
putzen; wie zwei Schiffe mogen sie uns zum Ziel brmgen, und so 
fort*), wo dann die Masse der Bilder das Bild ibrer Erscheinung 
und ihres Tuns durchaus verbirgt. Es ist bezeichnend, da6 diese 
Lieder ziemlich ebenso viel wie vom Aussehen der Asvin selbst von 
dem ihres Wagens sprechen, des glanzenden, goldenen, schonge- 
schmiickten, der mit seinen Radscbienen leuchtet, dessen Geleise 
von Butter triefen. Den Dichtezm , die den Herren prachtiger 
Wagen dienten oder selbst Wagenbesitzer waren, hat dies Phan- 
tasiebild des gottlichen Wagens vielleicht in grofierer Bestimmtheit 
vorgeschwebt , als die ungewisse, lichtumwobene und doch keinem 
der sichtbaren Lichtgebilde verwandt scheinende (xestalt der himm- 
lischen Jiinglinge selbst. — 

Wenden wir uns von diesen rgvedischen Bildern der Gotter- 
schbnheit zu denen der Naturdinge und Naturereignisse , so ist, 
wie schon bemerkt, die Grenze verschwimmend. Es ist ja nur 
ein relativer Unterschied, ob dem Dichter mehr jene iibermensch- 
lichen, doch von der Natur meist untrennbaren Gestalten sich her- 
vorheben oder das Katurbild, das seinerseits iiberall von jenen 
Gestalten belebt ist, in ihnen sein Wesen und seinen Sinn zu- 
sammenfaBt. 

Eine bedeutendste, fiir das Dasein des vedischen Inders durch- 
aus entscheidende Katurmacht sind die Fliisse, nnter denen, „den 
dahineilenden , an Gewalt voran die Sindhu (Indus) steht“. Wie 
schildert der Dichter den machtigen Strom? „Am Himmel hat 
ihr Rauschen seinen Stand, droben uber der Erde. Endloses Un- 


1) Ich weise vornehmlich auf 11,39; VIII, 35, 7 — 9 und das meist dunkle 
Lied X, 106 bin. 

Kgl. Oes, d. Wiss, Nachrichten. Phil.-hist. Klasse, 1918. Heft 1. 


5 



66 


n. Oldenberg, 


gestiim erregt sie mit ihrem Licht. Wie aus der Wolke donnern 
die Eegengiisse hervor, wenn die Sindhu einhergelit gleich briil- 
lendem Stier . . . Vorwarts stromend, bunt, hell in ihrer GroBe 
verbreitet sie dnrch dieWeiten ihre Liifte, die untriigliche Sindhu, 
der Tatigen tatigste, gleich einer Stute prachtig, wie eine W under- 
gestalt anzuschauen . . . Ihren leichten Wagen hat die Sindhu 
angespannt , den roBgezogenen. Mit ihm hat sie den Siegespreis 
gewonnen in diesem Wettlauf. GroB seine GriiBe wird geriihmt, 
der untriiglich ist, selbstglanzend, segenstr6mend“ (X, 75, 3. 7. 9). 
Man sieht, wie Himmel und Erde dienen miissen, die Sindhu zu 
verherrlichen, Licht und Liifte, Wolke und Regenstrome, Wagen, 
RoB, briillender Stier. Auch hier eine Flut von Bildern, die sich 
in des Dichters Phantasie drangen; jedes wirft er mit einemWort 
hin, hei keinem verweilt er; alle zusammen geben einen Gesamt- 
eindruck, in dem grenzenlose Weiten, Glanz, Getose, stiirmende 
Bewegung, Sieg dnrch einander blitzen und wogen. Ein andrer Poet 
spricht vom Gewitter (V, 83); Lowengebriill erhebt sich aus der Feme, 
wenn Gott Parjanya das Regengewolk schafFt. Die Winde sturmen 
hervor. Die Blitze fliegen. Die Krauter schieBen empor. Die Sonne 
trieft von Feuchtigkeit. Die Erde beugt sich nieder unter des Gottes 
Gebot. Oder der Sonnenaufgang (I, 50) : die Sterne schleichen weg 
wie Diebe, die Sonnenstrahlen werden sichtbar unter den Menschen, 
glanzend wie Feuerflammen. Aber neben dem Wunderanblick der 
Sonne lafit der Gott den Menschen auch den der Finsternis schauen 
(VII, 88, 2) — das ruhevolle Bild der Xacht (X, 127). An vielen 
Orten hat die Gottin Xacht aufgeblickt mit ihren Augen; alle 
Schonheiten (ir'njah) hat sie sich angelegt. Sie hat die Weite er- 
fiillt, die Tiefen und die Hohen. Die Dorfer sind zur Ruhe ge- 
gangen, zur Ruhe was lauft, zur Ruhe was fliegt, zur Ruhe selb.st 
die gierigen Adler ^). Nun der Mond- und Sternenschein (I, 24, 10) : 
jenes Barengestirn dort oben — bei Xacht sieht man es ; bei 
Tage ist es fortgegangen , man weiB nicht wohin. Dnrch die 
Xacht blickend geht der Mond. Endlich der Wald, wo die Wald- 
frau haust (X, 146) — oh sie sich nicht in der Einsamkeit fiirchtet ? 
Tierstimmen erklingen; dem Ruf des Stierbriillers antwortet der 
Zwitscherer. Da meint der Wanderer, daB er Rinder weiden 
sieht, oder daB er ein Haus sieht. Abends hort man ein Knarren 
wie von einem Lastwagen: das ist die Waldfrau . . . 

Alle einzelnen Erscheinungen der Xatur aber fassen sich zu- 
sammen im Bilde eines machtigen, kunstvoll gefiigten Ganzen. 

1) Neben das rgvedische Lied halte man Av. XIX, 40. Auch dort ist von 
der irt oder den sriyal} derNacht die Rede, indem sie samhlniainTi genannt wird. 



Die vedischen Worte fiir „schdn“ u. „Sch'6nheit“ u. d. vedische Scbonbeitsgefuhl. 67 

Weise in seiner Grofie ist des Gottes Wesen, der die beiden Welten 
(Himmel und Erde) aus einander gestiitzt hat, der das erliabene 
Hinimelsgewolbe emporgetrieben , Stemenwelt und Erde ausge- 
breitet hat (VII, 86, 1) — jener gate Werkmeister. der die wohl- 
gegrlindeten Luftwelten im balkenlosen Ilaum weise zusammen- 
fhgte (IV, 56, 3) — der Vater, der Himmel und Erde in Gestalt 
gekleidet hat, so dafi sie die Wesen behiitend dastehen gleich zwei 
stolzen Frauen, wunderbar anzuschauen (I, 160, 2). 

Die priesterliche Kiinstelei, mit der die vedische Atmosphare 
in der Tat reich und iiberreich gesattigt ist, hat, das sieht man aus 
alldem, dem unbefangenen Gefiihl der Nahe gegeniiber der Xatur 
samt ihren groBen Machten und Herren doch keinen Eintrag getan. 
Man rechnet auf deren Freundschaft, den altbewahrten Verkehr 
mit ihnen in Geben und Nehmen. Sie verschmiihen es nicht, daC 
man ihnen schmeichelt. So spricht man ihnen vor allem von ihrer 
Grofie, und man unterlafit nicht leicht, die eifrig ins MaClose zu 
steigern. Doch wo nur immer die Xaturerscheinung dazu einladt, 
klingt aus solchem Preise zugleich auch die bewundernde Freude 
an ihrer Schonheit hervor. So bunt .die Fiille der wechselnden, 
oft wirren Bilder ist, mit denen man die Schilderung dieser Schon- 
heit umkleidet, sie selbst sieht man doch im Grunde in ihren ein- 
fachen, grofien Zligen. Die Schonheit nicht des Kleinen, sondern 
vor allem der Kraft und Grofie, vorwarts eilender Bewegung wie 
der des Stromes — die Schonheit des Lichts, des mild anmutigen 
der Morgenrbte wie der siegreichen Strahlengewalt von Sonne und 
Feuer, Doch auch im lichtbestromten Dunkel und Frieden der 
Xacht entdeckt man „alle Schonheiten'^ : wir bemerkten, dafi dies 
Wort da ausdriicklich ausgesprochen wird. Wie anders, wie viel 
schlichter betrachtet und verherrlicht der vedische Dichter all das, 
als die Poesie der klassischen Zeit mit ihrer weichen, so oft weich- 
lichen Schwelgerei in der Xatur, wo man unermiidlich, kein Ende 
findend alle verstecktesten Ziige des Xaturbildes sammelt, auf sie 
anspielt , uberkiinstliche Labyrinthe aus ihnen erbaut , um darin 
die eigne Empfindsamkeit und iippiges Geniefien berechnend zu 
spiegeln ! — 

Xun noch einige Worte dariiber, wie der vedische Dichter von 
der durch menschliche Kunst hervorgebrachten Schonheit spricht. 
Aufierungen liber die greifbaren Objekte, welche die Kunst — 
vielmehr das Kunstgewerbe — geschaffen hat, konnen hier kaum 
herangezogen werden; die Texte sind allzu unergiebig, und Funde 
kommen nicht zu Hilfe. Hijchstens darauf ware hinzuweisen, dafi 
schon der Veda die Xeigung zu reichem Schmuck, die bekanntlich 

5* 



68 


H. Oldeuberg, 


auch Megasthenes an den Indern bemerkte, deutlich erkennen 
lafit *) : ganz im Einklang mit allem, was sick nns bisker iiber das 
vediscke Sckbnkeitsideal ergeben hat. Reichlicker finden sick AuBe- 
rungen nur iiber das Kunstprodnkt, das dem vediscken Poeten am 
nacksten lag ; iiber sein eignes religibses Lied. Freilich auck kier- 
von wird dock kiirzer, abgerissener gesprocken, als etwa von den 
Eindriicken der Morgenrote, des Gewitters : begreiflick, daS man 
znm Gott von den Herrlichkeiten seines gottlichen Seins und Tuns 
eingekender redete , wahrend man ikm gegeniiber der Schonheit 
des menscklicken Dicktwerks nur mit kurzen Beiworten zn ge- 
denken gewoknt war. 

Zwei AufFassnngen des vediscken Dickters von der Entstekung 
seines Gedickts vermiscken sick mit einander. Bald ersckeint ikm 
dieses als gottlickes Geschenk — gottgegeben wird es genannt; 
der G ott kat es ikm in den Mund gelegt ; der gottlicke Eausch- 
trank, der Erzeuger der Gedanken, kat ikm die Bede erregt (IX, 
96, 5; VI, 47, 3). Bald anderseits fiiklt er sick selbst als den Er- 
zeuger Oder als den Verfertiger des Gedickts, das er nmsicktig 
und kunstreich „wie trefflicke, gntgearbeitete Kleider, wie einen 
Wagen ein klugjr, gesckickter Werkmeister gezimmert kat‘‘ (V, 
29, 15) Es gentigt diese Ansckannngen kier kurz zu beriikren. 
In jedem Fall nun gekort znr Wirksamkeit des Gedickts auBer 
seinen zauberiscken Eigenschaften selbstverstandlich auck, dafi es, 
um dem Gott „das Herz zu berUkren“, dessen Woklgefallen weckt, 
daB es also, wie wir uns ausdriicken wiirden, „sckon“ ist. 

In den AuBemngen des E,v. , die es in dieser Ricktung cha- 
rakterisieren, tritt das Wort, das Korpersckonkeit am nnzweideu- 
tigsten bezeicknet, halyana (oben S. 53 f.) nock nicht anf. Bernht 
dessen Verwendnng fiir das kier in Frage kommende Gebiet anf 
spaterer Ausdeknung seines Gebraucks ? In nachrgvedischen Texten 
steht es mehrfack von Redegebilden. Dagegen sagt der Rv. IV, 
41, 8 srt den g'lrali, manisdh nack, t hhadm lalcsmih — dies freilich 
genau genommen nickt eigentlick anf Schonheit zielend (oben S. 46) 
— ist in der vac niedergelegt (X, 71, 2). Besonders kiinfig sind die 
Aufierungen, die die Schonheit des Gebets, des Dicktwerks, als 
Helligkeit, in die Augen fallende Sicktbarkeit u. dgl. feiern. Brkaspati 


1) Naheres s. bei Zimmer, Altindisches Leben 261 fif, 

2 ) DaC, wenn ich nieht irre, der Topfer, dorSchmied nicht in gleicber Weise 
zur \ ergleichung mit dem Dicbter berangezogen wird, scbeint mir duct nurZufall 
ZU sein 



Die vedischen Worte fiir „schdn“ a. „Scli6nheit“ b. d. redische Schonheitsgefiihl. 69 

legt dem Sanger dyunidttm vcicam in den Mund X, 98, 2. 3 ^) : be- 
greiflicb, daB bei solcher Eigenschaft der Rede an ibje Gott- 
gegebenheit gedacht wird. Die idcah des Sangers sind jyotiragrah 
VII, 101, 1 ; vgl. vipum jydtinisi III, 10, 5. Aucb citrd, siici, sukrd 
(sulcrdvania^)) wird ahnlicb gebraucht. Weiter wird, wie zu er- 
warten , der V orzng des scbbnen Gedicbts oder Gebets als SiiBig- 
keit aufgefafit; so wird svadil, svadiyas, svddisfia, svadmdn ge- 
braucbt. Bei den hanfigen mit mddhu {mddhiimant usw.) gebildeten 
Ausdriicken wird die Vorstellung der SuBigkeit, die das Wort in 
sich tragt ®), verstarkt durch die der SuBigkeit, in deren Besitz es 
den Menschen setzt (so bei dhiyani mddhor ghrtdsya p>ipyusim VIII, 
6, 43 a. dgl.). Aucb unter den verbalen auf die Herstellung des 
Preisliedes durcb Menscbenkraft beziiglicben Ausdriicken finden 
sicb neben solcben, die das Motiv der HandwerksmaBigkeit ent- 
balten („zimmern“, „weben“), nicbt wenige, die das schone Ausseben 
des Kunstwerks beriibren. Man mag schwanken, ob man dabin 
das nReinigen*' {pa-, aucb mrj-) des Gedicbts recbnen soil. Be- 
stimmter tritt das beim ^Salben* bervor {girah sdm anje I, 64, 1 
u. dgl. j das Gedicbt ist selbst aJctii VI, 69, 3 ; vgl. NGGW. 1915, 
212 A. 3). Weiter ist von „Scbonmacben“ {subh-}, von „Verzieren“ 
{pis-, vgl. sucipesasam dhiyam I, 144, 1) die Rede. Bestandig findet 
man aucb in diesen Zusammenbangen , wie ja eben zu erwarten, 
dieselben Ricbtungen der Scbonbeitsvorstellung auf das Glanzende, 
das SiiBe, das Gescbmiickte wieder, denen wit aucb sonst fort- 
wabrend begegnen. Der Hymnus an die V ac X, 125, auf den man 
bei Untersucbung dieses Vorstellungskreises in erster Linie bin- 
seben mocbte, feiert allein die Macbt der Rede, nicbt ibre Eabig- 
keit, Scbonheit in sicb aufzunebmen und zu verbreitcn. Aber wenn 
der wundervolle Vers X, 71, 4 dem Bbnden und Tauben, der die 
Vac nicbt zu seben, nicbt zu horen weiB, den Begnadeten ent- 
gegenstellt, dem die Gottin ibren Leib bingibt, wie dem Gemabl 
die scbbngewandige Gattin: kRngt daraus nicbt lebensvoUes be- 
gliicktestes Verstandnis aucb fiir die Scbonheitsmacbte beraus, d’e 
in der Spbare der vac walten? 


1) Ist hier, wie die gangbare Anuabme ist, mit „hell“ gemeint „laut“? Ich 
glaube, daB eher an Herrlichkeit im Allgemeinen gedacht ist, wozu allerdings 
kraftiger Klang mit gehoren wird. Mehr Belege s. bei BK. dyumat !•> ; vgl. aucb 
dyumndvant, dyumnUi, dyumndhuti. ^Yeiter sei an den Terminus puroruc u. dgl. 
erinnert. Yon Sfimannamen spreche ich hier nicht. 

2) liber dies Wort, mir nicht uberzeugeud, llillebrandt , Ritiial-Litt. 13. 

3) Hierbei erinnore ich an die llolle des mddhu bei Narasamsa, dem Gonhis 
der Lobpreisung, NGGW. 1915, 212 A. 3. 



70 


H. Oldenberg, 


11. Wollte man die Sammluijg altvedischer Aufierungen, die 
Mer vo^elegt wurde. fiir die Folgezeit fortsetzen, wiirde man in 
den Brahmanas nnr diirftigste Ausbente finden: die Opfer- und 
Zauberkiinstler, die dort das Wort fiiliren, reden von Schbnlieit 
wenig. Um so reichere Ernte wiirde , noch vor den Zeiten der 
groBen Epen, die buddhistische Literatur bieten. Wie hat bier 
die gesteigerte Kultur, das Hindurchgehen des Innenlebens durch 
so manche Kampfe und Krisen den Blick iind die Ausdrucbsfahig- 
keit der Rede fiir Schonheit gestiirkt und verfeinert ! Dicse kibnehe 
dem Welttreiben entflohen, viele von ihnen ihre Tage und Jahre 
ganz in der Stille der Natur zubringend und deren Leben mit der 
Kraft indischer Phantasie erspiirend, wie bat sich ihnen die Schon- 
heit der bliitenreichen Waldeinsamkeit aufgetan, des Gebirges mit 
seinen Strbmen und seinem Wild, des Morgensterns , wenn das 
Morgenrot naht, der Sonne am wolkenlosen Herbstbimmel nach 
vergangener Regenzeit, der lotusblauen, sternumkranzten Nacht! 
Und ebenso hat der Erauenschonheit das Anders werden der Lebens- 
formen gesteigerte, oft gefahrliche klacht verliehen. Mogen die 
geistlichen Texte von der in noch so feindlichem Ton sprcchen, 
sie bezeugen darnm nicht nainder die stilvolle Feinheit, in der jene 
sich darstellto und von Kennern gewiirdigt ward; die Reize des 
geschmiickten, bekranzten, sandelduftenden WeiBes iind die Yoll- 
kommenheiten ihrer Glieder. Bald verzeichnet die trockene, hie- 
ratische Prosa der Predigttexte die Eindriicke der Schonheit, in 
ihrer Weise Reihen vonSynonymen ansammelnd, welche alleWohl- 
gefallen ausdriicken. Bald erscheint die Bilderfiille reicher Puesie. 
Und Anftinge psychologischer Analyse stellen den Ort fest, an 
dem jenes Wohlgefallen sich in denKreis der mit einander gesetz- 
miiCig verketteten seelischeu Vorgange einordnet. 

Doch die anziehende Aufgabe, von diesen Dingen zu sprcchen, 
inuB ich der Zukunft vorbehalten. Fiir jetzt blicko ich nur noch 
kurz auf die aus dem Yeda beigebrachten Beobachtungen zuriick 
und versuche die Summe zu ziehen. 

Es fand sich eine Fiille von Ausdriicken fiir Vorstellungen, 
die unserm ,schon“ mehr oder weniger ahnlich sind — hier Worte 
von allgemeinerer oder vielmehr unbestimmterer Bedeutung, dort 
fester nuancierte. Da ist der uralte, allgemeinste Ausdruck der 
Wertschatzung, die Vorsetzsilbe sa-, die gleichermaBen auf Gutes, 
Schbnes, Angenehmes, Niitzlichcs geht. Von altersher entschie- 
dener, wie es scheint, auf Schonheit eingestellt ist das Wort -Ov — 
auf die Schbnheitsvorstellung jener Zeiten, in der die Faktoren 
des Ansehnlichen, von Glanz, Pracht, Geschmiicktheit dominieren. 



Die vedischen Worte fiir „sction“ u. „Sch5nheit“ n. d. vedische Schonheitsgefubl. 71 

Tmmer mehr aber bildet dieses Wort im Lanfe der Zeit seinen 
Gebrauch, in asthetischer Richtung ihn nicht verfeinernd, vielmebr 
fiber die Vorstellung des in die Angen fallenden Glanzes von 
Lebensstellnng und Lebenshaltnng zum Ausdruck ffir Ideale ans, 
die Reicbtum, Erfolg, Woblergeben bedenten. Andre Worte, mit 
denen wir uns bescbaftigten, weisen anf das Angenebme, Erfreu- 
licbe, ancb anf das Gepntzte bin. In mancben Eallen wind das 
lebhafte und wobltnende Berubrtsein eines Sinnes bervorgeboben : 
besonders des Gesichts-, dann des Geschmacbssinnes, wo dann die 
Tendenz zu Ubertragnngen gern die nrsprfinglicbe Begrenznng 
nacb weiten, unbestimmten Gebrancbsspbaren bin fiberschreitet. 
Spezielle, durcb ausgepragten Aufbau des Worts scbarf cbarakte- 
risierte Ausdrficke wie „wohlgestaltet“ treten in sparlicher Ver- 
wendung anf. 

Hat im vediscben Indien jener ProzeB der Veredlnng gewirkt, 
der fiber das Angenebme, Glanzende, SfiBe zu dem im vollen 
Sinne „Scbonen“ hinanfFfihrt? Unsern Versuchen des Nacbffiblens 
kann diese Erage nur unsicher beantwortbar sein. Manches von 
dem, was bier betracbtet wnrde, erweckt den Eindrnck, daB sie 
bejabt werden darf. Freilicb erst in nacbvediscber Zeit verstarken 
sicb die Spnren, die daranf deuten. Und verkennen laBt sich nicbt. 
daB es der vediscben und, kann man hinzuftigen, ancb der spatern 
Sprache durcbaus an einem Wort von der zentralen Stellung, dem 
vollen und tiefen Klang des nalov gefeblt bat. Unter die groBen 
Weltmacbte wie Gut und Bose, Wabr und Unwabr bat Indien 
das Scbone aucb in der Eolgezeit nie eingereibt. Was damit zu- 
sammenbiingt: die feinen und tiefen Probleme des Verbiiltnisses 
von Scbdn und Gut wurden bier nicbt aufgeworfen, konnten nicbt 
aufgeworfen werden. Der Streit dieser Ideale unter einander 
batte aucb keinen Platz im Gesicbtsfelde gefunden, das von einem 
scbrofferen Gegensatz erffillt war. „Ein andres ist das Bessere ^)“, 
so bebt in der Katba Upanisad die Verkfindigung des Gottes an, 
„und ein andres das Liebere; beide verscbiedenen Sinnes fesseln 
den Menscben“. Es steht fest, daB bier die ,bange Wabl zwiscben 
Sinnenglfick und Seelenfrieden“ gemeint ist. An sie bat das in- 
discbe Denken und Leben seine hochsten Krafte gesetzt. GewiB 
kann entfernt nicbt gesagt werden, daB durcb die Kampfe, die 
bier gekampft sind, der Schonbeitsfreude aller Raum genommen 
Worden sei. Aber sicb siegreicb zu bocbster Macbt erheben, zu 
voller Reinbeit lautern bat sie in Indien nie gekonnt. 


1) sreijas. Vgl. obon S. 45 A. 3. 



Beitrage ziir Textkritik Herberts von Fritzlar. 

o 


Von 

Edward Schroder. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 8, Marz 1918. 

I. 

In unsern Nachrichten 1909, S. 92 — 102 steht ein kurzer Auf- 
•satz van mir ‘Znr Uberlieferung des Herbert von Fritzlar’ : er 
ist im Anschlafi an meine TJntersuchung fiber Albrecht von Halber- 
stadt entstanden und gedruckt warden and hatte kein hoheres 
Ziel als das auBere Bild der Uberlieferung und ihr Verhaltnis zu 
derjenigen von Heinrichs von Veldeke ‘Eneide’ festzulegen. Da 
in den 72 Jahren seit dem Erscheinen der ersten and einzigen 
Ausgabe des ‘Trojanerlieds’ (von Frommann 1837) nur die beiden 
Berliner Blatter einer zweiten Handschrift (B) zu Tage gekommen 
waren, mufite mein Urteil ziemlich resigniert ausfallen, was aber 
im Angesicht des recht guten Textzustandes in der vollstandigen 
Heidelberger Hs. (H) ohne Beschwer hingenommen werden konnte. 
Auf die Textkritik selbst einzugehn hatte ich damals keine Ver- 
anlassung: daS dem spaten Wfirzburger Schreiber von H scharf 
auf die Finger gesehen werden mfisse, war nach den massenhaften 
Andeutungen des Herausgebers Frommann durch Sperrdruck im 
Text and der reichen, von Benecke gemehrten, Beisteuer zur Text- 
kritik in den Anmerkungen ohne weiteres klar, und ich selbst 
ware schon damals in der Lage gewesen, von den Randern meines 
Handexemplars die weitern Fruchte einer drei- oder viermaligen 
Lektfire des Werkes bekannt zu geben (s. jetzt unter II). Ffir 
die Vorlage *H aber war ich zu der Uberzeugung gelangt, da6 
sie ’eine sorgfaltig redigierte Kopie’ darstelle. 

Da erhielt ich im Jahre 1911 von Professor Hjalmar Psilander 



Beitrage zur Textkritik Heiborts von Fiitzlar 


73 


in Uppsala die NachricM. dad er bei der Inventarisiernng der alt- 
deutschen Handscbriften aus schwedischem Besitz in der Brahe- 
Wrangelschen Bibliothek zu Skokloster zwei zasammen 784 Verse 
umfassende Doppelblatter des Herbert von Fritzlar anfgefnnden 
babe and in ihnen eine altere, kiirzere Fassnng des ‘Trojanerliedes’ 
feststellen konne (vgl. die Mitteilnng BSB 1914, S. 140). Icb hatte 
keinen Grrnnd an dieser Mbglichkeit zu zweifeln, mnSte allerdings 
fiir micb sotbrt die Einschranknng machen, da6 die 'erweiterte 
Form’ dann nur eben von deni Autor herriihren konne, Dafiir gab es 
von vornberein verschiedene Anbaltspunkte. Finmal hatte icb 
selbst bei der Lesnng des Werkes friiher scharf anf die Moglich- 
keit von Interpolationen geaebtet und war nur an ganz wenigen 
Stellen zu einem Fragezeieben , nirgends zu einer entschiedenen 
Ausschaltung gelangt. Dann aber besitzen wir seit 1907 in der 
Leipziger Dissertation von Waltber Bracbmann ‘Zum Reimgebraucb 
Herberts von Fritzlar’ eine Untersuebung, die immerbinzu den bessern 
Arbeiten ihrer Art gebbrt und vor allem anf einem zuverlassigen 
Reimregister beruht, und aus dieser lassen sich, ohne dab sie doi’t 
formuliert sind, zwei wichtige Resultate entnebmen. Erstens bat 
der Verfasser iiber die von Fronimann vorgenommen'en (und zu- 
meist unanfechtbaren) Reiinkorrekturen hinaus in den 18458 Versen 
nur etwa ein Dutzend AnstoBe gefunden : soweit er diese nicht selbst 
beseitigt, werde icb sie im II. Kapitel erledigen. Zweitens sind 
die Doppelformen welcbe Bracbmann im Reimgebraucb Herberts 
feststellt, siimtlicli derart dafi sie sich aus der Einwirkung der 
litterariseben Tradition erklaren, und obendrein kommen sie teil- 
weise nur in den ersten Partieen vor und werden im Fortsebreiten 
des Werkes bald friiher bald spater uberwunden. Von der Ein- 
iniscbung eines dritten , fremden Elements ist nirgends etwas zu 
spiiren. wo immer der Reini AnstoB erregt, handelt es sich um 
eine Entgleisung des Sebreibers. 

Nacb alledem erwartete icb von dem schwediseben Fragment 
zwar keine einsebneidenden Korrekturen u n s e r e s Textes , sab 
aber doch der Publikation dieser versprochenen ’alteren Fassung’ 
recht gespannt entgegen. Vor einigen Monaten ist sie nun ans 
Licht getreten in der Uppsala Universitets Arsskrift 1917 , Pro- 
gram 2: ’Ett fragment af den tyska Trojasagan i det Wrangelska 
biblioteket paSkokloster af H j al m ar Ps il and er’. (Uppsala 1917) 
— und ich will’s gleich gestehn: sie hat mir eine schwere Ent- 
tauschung gebracht! Wieder einmal bestatigt sich die alte Er- 
fahrung, daB der Finder oft ein scblechter Beurteiler ist: das 
I'ragment aus dem Skokloster (S) steht zwar mit einer Anzahl 



Edward Schroder 


74 

gnter Lesarten unserer tlberlieferung aaabhangig gegenuber, sein 
Yersbestand aber hat keinen Anspruch als urspriinglich angesehen 
zu werden; es handelt sich vielmehr um eine Handschrift, deren 
Urheber seine gate Vorlage in rohster Weise verstiimmelt and 
auBerdem was er beibehalt sehr nachlassig abgeschrieben hat. 

Erhalten sind uns zwei zusammenhangende Doppelblatter. 
welche der Partie 7735 — 8510 der Frommannschen Ausgabe ent- 
sprechen: sie boten dafiir ihrerseits 734 Yerse, von denen aber 
eine Anzahl abgeschnitten oder am Rande weggesche.uert sind. 
Psilandei* gibt leider keinen diplomatischen Abdruck, sondem er- 
weckt durch Korrekturen und Erganzungen aus H den Eindruck 
einer kritischen Behandlung seines Textes ; diese wenigen Korrek- 
turen hat er durch ein Sternchen markiert, die eigenen Lesarten von 
S lafit er durch Speri'druck hervortreten, ist dabei aber sehr wenig 
sorgsam verfahren und bat vor allem nicht bedacht, da6 die wich- 
tigste Grnppe der Yarianten, die Wortauslassungen auf diese Weise 
nicht znr Geltung kommen. Jedenfalls muB man annehmen, da6 
er den Text, so wie er ihn bietet, fiir einen guten. zuverlassigen 
halt, der durch seine von Ps. nicht angetasteten Lesarten seine 
Vortrefflichkeit bezengen soli. Ein Versuch, den Yorzug der Fas- 
sung S kritisch zu erweisen ist nicht gemacht; Ps. meint (S. XXI 
unten) alien Ernstes, -'schon die fliichtigste Yergleichung’ lief ere 
den Beweis, dafi uns in H (B) ein entstellter Text, eine oberflacb- 
liche Retuschierung oder Umarbeitung vorliege, die hauptsachlich 
die Tendenz metrischer Glattung verrate. Die Erwagung, ob nicht 
etwa diese ‘Umarbeitung’ eine zweite Ausgabe durch den Autor 
selbst darstelle, ist ihm gar nicht gekommen — file mich. der ich 
in dieser Erwartung an das schwedische Fragment herantrat, ist 
sie alsbald hinfallig geworden; die starken Abweichungen in S 
sind zumeist derart, daB sie ihrerseits unbedingt eine fremde und 
zwar eine recht tappische Hand verraten. 

Da es Ps. dem ‘Fragmentisten’ iiberlasseii hat, sich selbst zu 
rechtfertigen , bin ich einer weitern Polemik zunachst ilberhoben 
und kann alsbald an die Yergleichung der Texte H und S selbst , 
herantreten. Die Fragmente von B ermoglichen hier keine Yer- 
gleichung, aber bei der einschneidenden Y erschiedenheit von H und 
S einerseits und den sehr gex’ingen Difterenzen zwischeu H und B 
anderseits bestebt kein Zweifel, daB sich B in alien wichtigen Les- 
arten gegen S zu H stellen wttrde; auch Psilander hat das natiir- 
lich gesehen. 

Tch beginne mit einer Musterung des Versbestands. S hat 
einerseits 44 Verse weniger als H, anderseits 4 Yerse mehr. Die 



Beitrage zur Textkritik Herberts von Fritzlar. 


75 


Verspaare von H die in S fehlen, sind die folgenden*): 7736 and 
38. _ 7789. 90. — 7799. .800. — 7891. 92. — 7939. 40. - 8051. 

52. — 8201. 02. — 8227. 28. — 8245. 46. — 8266. 66. — 8326. 

26. — 8353—56 (4 Verse!). — 8381—86 (6 Verse!). — 8396. 96. 

— 8401. 02. — 8437. 38. — 8449. 50. — 84.59. 60. — 8497. 98. 

— S bietet zweimal ein Reimpaar mebr: nach 7812 (S 73. 74) — 
fur 8249. 50 : 4 Verse (S 499 — 502). In der Mehrzahl der Falle 
ist eine versehentliche Auslassung von Seiten des einen oder des 
andern Schreibers ansgeschlossen: die meisten haben in S nicht 
nnr Narben hinterlassen , sondern anch mehr oder weniger 
gewaltsame Nahte veranlaSt, auf die ich nnten zn sprechen 
komme. 

Der Reimcharak ter der Plusv’erse. Von den 22 Plus- 
Reimpaaren in H weisen 18 neutrale reine Reime auf, die fiir 
Dichter jeder hochdeutschen Landschaft als rein gelten muBten 
and anch bei Herbert reichlich ihre ParaUelen haben. Dialek- 
tisch gefarbt , aber fiir Herbert bezeugt sind 8383 f. man : han 
(Brachmann § 14), 8459 f. sclmne : h'one (Br. § 4) und vor allem 
8051 f. widerreden : frklen (vgl. rede : frede 7303 f. Br. § 24. 36) und 
8365 f. gesimet : grhnet (Br. §31, vgl. bes. jenen: grinen 6315 f.). 
Den isolierten Reim man : han 8384 bessere ich indessen in das 
anch Herbert sehr gelaufige man: gewan-, 8597 hiu dan: gan ist 
entdn zu lesen (s. unter II zu 8867); dann bleibt von Brach- 
mann § 14, 1) nur iibrig 4501 f. sdn : an Qict an geidn ?) und 281 f. 
Stan : grnozsant, das ich zu den vielen Besonderheiten der Eingangs- 
partie rechne und im Hinblick auf grnozscmi 181 nicht andem mag. 
Unter den 44 Reimwortern (40 verschiedenen) erscheint nur eines 
das bei Herbert anderweit nicht belegt ist : grimet {gremet) ^). Dem 
gegeniiber stehn ausgesprochene Lieblingsreime wie strUen: sUen, 
schom: Ter one, schtdde : htddc und vor allem underdes {: Achilles), ein 
Reimwort das durch die vielen griechischen Eigennamen auf -es 
herbeigerufen, in manchen Partieen geradezn wuchert (vgl. gleich 
7771. 7796). — Von den wenigen Plusversen in S hingegen voll- 
zieht sich zwar die Anschwellung von 8249. 50 auf vier Verse 
(S 499 — 502) ohne anstoBigen Reim, im zweiten Fall aber (nach 
7812, S 73. 74) tritt ein Reimpaar auf das doppelt bedenklich ist : 
Von ir gerenne: Sic heretm iz etiswenne-, gerenne (Htr.) ware ein azai 
XsfOfiEVoy, das wir dem Dichter, der gesprenge, gedrenge, gedense, 


1) Ps. gibt rechts die Zahlung Fromuianns, links eine Eigenzahlung des Frag- 
ments, von der ich nnr gelegentlich Gebrauch mache, wobei ich ein S voranstelle. 

2) Das Prat, zu grimmen: gram steht mehrfach im Reime. 



Ed^vard ScLroder, 


76 

gezcryc u. a. braucht, schon zugestebn konnten , wenn nicht das 
Adverbimn beiihm bloB mit dem a bezeugt ware; manne: etiswanue 
14319. ; icilen icanne 15080. 

Dazu treten nun aber eine Reibe von An d er ungen des 
Reimes in S, die fast durchweg verdiichtig und z. Tl. anstoBig, 
ja unmbglich sind. Icb ilbergeb dabei ganz Entgleisungen die 
Psilander selbst als solche anerkennt, wie 7815 hert (st. daz swert) ; 
phcrt, wie ich anderseits eine Umstellung von H 7753 f. yed range, 
getaenge st.: gepcange , gedrenge: fiir spatere Betrachtung aufspare. 
Davon abgesehen zahl ich 11 Falle in denen das eine Reimwort 
abweicht, und 4 in denen S ein ganz neues Reimpaar bietet. Von 
den erstern beseitigt 7963 craft ‘un maht' st. craft (; naht) ofFen- 
sichtlich einen fiir Herbert litterarisch unanstoBigen Reim (Br. § 77), 
die Eintiihrung des Adv. scMne 8465 statt des Subst. seJaene (: lone) 
ware fiir Herbert ebenso unnotig (Br. §4), und nur die Ausdrucksver- 
schiebimg 8347 ilittin darh ndn her^e in st. — durch duz her.ze nnn 
bringt allerdings eine Reimverbesserung (Br. § 34). Die iibrigen 
8 FaUe beriihren die Reimtechnik nicht und sollen, soweit sie eine 
Entscheiduug gestatten, wetter uuten besprochen werden. 

Bei dem volligen Ersatz eines Reimpaars liegt zweimal reim- 
technische IndifFerenz vor: 7989 {mt-re: -stle gegenuber geschiet: uiet 
H, 8441 f. ge.^'hrhui: gesetdn gegeniiber gehen: gelehen H), in den 
beiden andern Fallen aber bringt S unmogliche Bindungen ; 7835 f. 
mit dem Reimwort nu. das bei Herbert iiberhaupt niemals am 
Versausgang erscheint: nit: dit (do) gegeniiber do: .-no H, das Br. 
§ 70 9mal belegt (dazu 2mal d6:frito): und 8455 f., wo das Reim- 
paar von H Und tdc.: sic detunen rlten. Er cnlitz vie nitit hilen ersetzt 
wil'd durch Vn liia dm sutd tij Icin, St/- innstc ritiii tthir cin. Der 
Inf. ligi ii ist bei H( rbort, der ja sonst in weitem Umfang ege > ci 
werden liiOt (Dr. § 55), ausscblieBlich im Reime auf (Dat. PI.) 

bezeugt; 5119. 6348. 6495. 8813. 11547, und dies .s/ri/tu reimt z war 
auch 2mal auf ci/gcgcn 14715 und 13184, aber hier ist unzweifel- 
haft an der unkontrahierten Form festzuhalten , wie sie an der 
zweiten Stelle das Fragment B und an der ersten auch H bietet; 
der Dichter brauchte deutlich beide Formeu und nach seiner wort- 
spielenden Art sogar gelegentlich neben einander : so nicht nur im 
A"ers; 4481 Hie engegen da citgein'^), sondern auch im Reimwechsel; 
14713 — 16 enge'me: Idcinc, slcgcn: engegot. Und obendrein laBt sick 
gegen das Reimpaar von S noch zweierlei anfiihren; 1) in alien 

i) \ /.I) n'untn ir her and istn, G1‘J7 An detn tjrahen und an 

der ‘A aft und unton S dk Xauli\\Ri:>e tiu’ Oh’c uttde oiu. 



Beitrage zur Textkritik Ilerborts von f'litzlar. 


77 


iiinf Fallen wo sicli bei Herbert legcu im Reime einstellt, handelt 
es sicli um den Inf. {beyiimten) ^tto legeu, 2) iiher cm ist hier sebwer zu 
verstehn, keinesfalls hat es die sonst allgemein iibliche Bedentung 
‘insgesamt’, die auch far Herbert bezeugt ist (z. B. 13716). 

Unter sieben (3 + 4] Reimpaaren welche S gegeniiber H in ganz 
eigener, neuerForm bietet, sind mithin drei welche als liir Herbert 
unmoglich abgewiesen werden miissen: S73. 74 (nach7S12); S 97. 98 
(fiir 7835 f.J und S 681. 82 (ftir 8455 f.). Dem gegeniiber haben 
wr nur einen einzigen Fall (bei 44 Plusversen in H und 11 weitern 
Reimdilferenzen zwischen S und H) feststellen konnen, wo S ednen 
bessern Reim als H bietet: 8347. Das ist aber nur erst die rein 
aufierliche Betrachtung der Varianteu unter dem Gresichtspunkt 
der Sprache und Reimtechnik. Ich gedenke dabei nicht stehn zu 
bleiben. 

Am liebsten wiirde ich nun so verfahren, dab ich meine 
eigene Recension des Textes H derjenigen des Textes S, so wie sie 
Psilander gegeben hat, gegeniiberstellte ; das ware iiir den Leser 
die lehrreichste und fiir mich die bequemste Form, die Uberlieferung 
von H im Gaiizen zu rechtfertigen und den Gewinn den wir 
im Einzelneu aus dem neuen Fund ziehen . die Lehren fiir eine 
Weiterfiihrung der Kritik die wir aus ihm schopfen konnen — 
durch Hinweise im Text und Hervorhebung der Lesarten — anzu- 
deuten. Da aber heutzutage mit dem Papier gespart werden mu6, 
beschranke ich mich auf einen Ausschnitt und wahle dafiir die 
Klage derBriseida mit ihrer kurzeiiEinleitung (V. 8331 — 8408). 

Ich bitte, diesen Ausschnitt nicht etwa als Probe einer kri- 
tischen Ausgabe Herberts anzusehen. Ich babe weder eine Unter- 
suchung von Herberts Metrik angestellt, nocb vei flige ich iiber ein 
vollstandiges Reimregister nach Zwierzinas Sluster, wie es gerade 
beiflerbort reiche Ergebuisse verspricht: ich meine ein solches das 
die vollstiindigen Verse oder Verspaare nach dem Reim ordnet ‘) 
Was ich hier vorlege hat ja nur denZweck, die Behauptung Psilanders, 
er hale das Bruchstiick einer urspriingliclien Fassung aufgefunden. 
zuriickzuweisen, das Vertrauen in unsere bislierige Uberlieferung 
zu starken und weiterhin aus der Konfronfierung beider Texte die 
Aufgaben der Kritik fiir jene 23 Vierundzwanzig.-.tel der Dichtung 
zu ermitteln, fiir die uns S leider keine Kontrolle liefert. 

Mein Text ist also zunachst auf Grund meine.s Handexemplars 
hergestellt, in das iibrigens schon der mir unbekannte Yurbesitzer 

1) Ben fraiizosiscliou Text in der Aiisgate moi tuii>t.\ns i iri. 11) liab ieli 
herav.e.zogen, olinc davau> sorlaiidg vie! zu gewinneii 



78 


Edward ScLrSder, 


allerlei kleine Anderangen eingetragen hat (so anch bier das un- 
entbehrliche kh 8369). Diese kleinen Anderungen (auch (/enus,Te fur 
gfnie.re 8391) ergaben sich von selbst; eine Ansnahme macht nur 
all enfalls V. 8404, wo ich mir die Parallele 15829 rur gneite langst 
an den Rand geschrieben hatte, aber ohne die Bestatigang gettn 
S^) nicht den Mat gefnnden haben wiirde, sie in den Text zu 
setzen. Manches von dem was Psilander als durch S gefundene 
Besserungen ansieht and in seinem Text als solche durch Sperr- 
drnck bezeichnet, ergibt sich auch ohnedies als selbst verstandliche 
Korrektnr von Schreibfehlern des H-Textes : dafi z. B. fur 8342 
betdere als -Bettlerin’ hetelerc d. i. heteleren zu lesen ist (hede- 
lerin S) sieht jeder ; die movierten Feminina zu -tere (-d-k) sind mit 
der Form auf -h-en wiederholt im Reime bezeugt: sunder eu 
('peccatrix’) : /on'/'en 16462, sengeren (-cantatrices’); rren 17866. 

Ich habe am AuSenrande die in S fehlenden Verse mit 7 ' 
markiert, im Text mit * auf alle Stellen hingewiesen wo die 
Lesart von S zu erwagen bleibt; wo dies * fehlt, halt ich die 
Textform von S fiir bewudte Anderung, die znmeist mit einer 
Auslassung zusammenhangt. 

Do Briseida gesach 
Daz ir ze rCimene geschach 
Die stat da si inne was geborn, 

Sie sprach ‘Wer ich groz als ein 
85)35 Ich imiesle kleine werden [torn. 

Von sorgen und von swerden 
Und von grozen leiden. 

Sol ich hinnen echeiden? 

Wie echeide ich joch hinne? 

340 Ich bin ein kiiniginne; 

Nu muoz ich hinnen keren 
Als ein beteleren 
Unde itimen daz lant. 

Hete ich daz in der hant 
345 Daz ich han in dem gemuete, 

Ein mezzer wiiete 
Mitten durch daz* herze min. 

Wan daz ich hofiende bin 
Daz mir ze blibene gesche, 

350 Mins lebens enwere niet me'. 

Jemerlicher dan ich nch sage 
Wart der frouwen klage, 
rSie sprach ‘Owi unde owe! 
tOwi nu und immer me 
355 f [Owi] daz ich den lip ie gewan ! 

ij Ps. !iat (la.s Wort rkhtig heurteilt, aher es iiidit ein/ustellen ife\va*'t. 


-fTroyle, herzelieber man! 

Mir ist min unselikeit, 

Herre, um dich eine« left. 

Ez ist mir allez umme dich, 
360 Ich enruoche niet umme mich. 
Enweres du, herre, alleine, 
Wtird ich danne zeime steine, 
Des wiirde guoU rat. 

Ginge ich als ein crete gat 
060 Und soldich hi eime zhne gan 
Und mehtich din also vil han 
Daz ich dich gesee, 

Swaz (so) mir* geschee, 

Daz Tertriiege {ich) harte w-ol. 
370 Xu enweiz ich waz ich tuon sol. 
Selic naht und selic tac 
An .sweder ich* hi dir gelacl 
Eya, troyesch kunne! 

Sweu ie liep gewiinne, 

375 Der vergiinne mu- des 

Daz ich engelde ich enweiz wes, 
Daz ich lazen einen belt 
Den ich arme hete ei-welt 
Zuo mime* libe. 

380 An mir armen wibe 



Beitrage zur Textkritik Ilerborts von Fritzlar. 


79 


yNu eftweiz ich waz man richet, 
-fDaz man mir leide sprichet 
-fTJnde tribet von dem man 
-J-Den ich von herzen liep yemm. 

385 -fOwJ unde owe! 

Owi nu und iminer me ! 

Waz wil man an mir rechen '? 
Oder waz mac icb nu sprcchen? 
Icli enweiz ob ich engnlde 
390 Mines vater schulde. 

So gem/zze ich mit* rehte 
Daz min geslehte, 

Min man iinde min kint 
Yon diser stat geborn sint. 


395 yOwi nil unde owe! 

f Owi nu und immer me ! 

Ist ieman der daz vernomen hat 
Daz ich mit worten oder mit tat 
Oder mit gerete 
400 tjbel ie getete, 

7 Daz ich verschuldet han den tot, 
V So hiot mir sc/ieddiche not. 

So suit ir niht beiten, 

Heizet -fiur ge e it e n 
405 Und lazet mich verbr/nnen. 
Kere ich alsus hinnen 
In ein unkiinde, 

Des hat ir alle sunde". 


8331 oJoie Absaf^ Alse S' 334 Sie sprach fehlt S also S torm H 
V. 336 Yon ruwin von swerdin S V. 337 Yon sorgin von leidin S 
338 Soldich S 339 scheidin ich h. S. 342 betelere H 346 daz 
wute S 347 min herze in S 348 ich andirs h. S VV. 350 
— 352 ahgeschenert res//, fortyesehniiten S VV. 353 — 356 fehlen S 
353 owe vnd H 358 Dnrch dich S einev H einigin S 360 enruochej 
in;;: ; e^?) S 361 Wene dh aleine S 362 ich zv eineme S 
363 harte gdt S 366 eineme S 368 Swaz mir dan S 369 ich 

fehlt H 372 ich i e hi »S. 373 Troies >S' 374 Der .S' 376 ingeltin *S 

379 minselbislibeS' V. 380 Waz riechit man an mir wibe .S' 
VV. 381 — 86 fehlen ,S 384 han H 387 Odir waz .s' 388 Waz S 
V. 389 Ob ich nu ingulde S 391 genieze H non r. S. 392 andir 
min (S' V. 394 In grozin truwin hie sint S VV. 395. 96 fehlen S 

397 Ob iz iman v. S 409 Ie iibil getede S UU. 40l. 02 fehlen S 

402 schediehe H V. 403 Wea mugit ir langir nu betin S 404 ein 
groz fiur S bereite H getin N 405. 06 vnrbiinen; hunne H 
406 sus (S' 408 Ir hat is S'. 


Den 78 Yersen von H stehn in S (577 — 640) 64 Verse gegen- 
uber: 4 + 6 + 2 + 2 Yerse von H fehlen. Da es sich hauptsachlich 
um Ausrufe handelt, die ohne syntaktischen Eingriff herausge- 
nommen werden konnten. sind die Liickenrander bier weniger stark 
beeinfluBt worden als anderwarts, obwohl der Vei-such einer Gregen- 
probe jeden iiberzeugen muB, daB die Hinzufiigung der ‘Plusverse’ 
durch H resp. dessen Mutterhs. einfach undenkbar ist. Eine Be- 
trachtnng des rhetorischen Aufbaus der Klage in H ergibt ein 
kiinstlerisches Oebilde, das von 8 in der plnmpsten Weise gestort 
ist, indem der Schreiber glaubte durch Weglassung der ‘Owe’- 
Ausrufe und ihrer Umgebung am bequemsten klirzen zu konnen. 
Gerade diese Ausrufe aber kehren in den Frauenklagen Herberts 



so 


E d ward Schroder. 


oft wieder ; so 2661. 66 — 69 Helena) ; 2756. 62 f. (Cassandra) ; 5277 
(Konigin von Femenie). und dabei machen wir eine Beobachtang 
welcbe die gute tlberlieferang von H bestatigt. 7385 nnd 7395 
lesen wir Ou t nmir owe! nnd wahrscbeinlich hat so auch 7353 
gelautet; diesen Wechsel aber linden wir auch 5277, und 2762 f. 
w’ird er sogar dnrch den Reim bestatigt : 

Bei'le ferre unde hi. 

One unde Owi! 

Owi unde Owe! 

IFt/.- liiniet noch ton raride ... '?’ 

Auch sonst enthalten die ‘Plusverse’ deutliche Anklange an 
echte Partieen : 8365 Baz ich den Up ie gewan ist sogar wortlich 
gleich 2658. Psilander will allenfalls 8355. 56 als echt zuge- 
stehn. weil da in dem Anruf des Troylus ein deutlicher Anklang 
an die Quelle (Constans 132861.) vorliegt. Aber hier gibt es 
nur eine prinzipielle Entscheidung ; H hat nirgends nachweislich 
zugesetzt, S aber hat zweifellos vielfach gestrichen und dann die 
Rander geflickt wo es notig schien. Bei der ersten Stelle (8353 
— 56) ging es ohne das, an der zweiten (8381 — 86) wurde der vor- 
dere Raiidvers aufgeschwellt : An nut atnien wile > Was riechit 
Jiiun on vnr wile !' und der hintere mit einem hochst ungeschickten 
Odrt angeschlossen nus wd man an mit tcchin?), das aus 

der nachstfolgenden Zeile entnommen werden konnte ; beim dritten 
Male sind die Anderungen welche die Randverse erfahren haben 
(8394 u. 397) nicht durch die Auslassung bedingt, an der letzten, 
Stelle war der Nachsatz mit So schon durch die Streichung von 
8402 aufgegeben, und der Bearbeiter fuhr nun mit einem Fragesatz 
fort AVes nutfjit it vu betinV 

Von den sonstigen JiCsarten ist 336. 37 Wm rnwin. ton swetdin 
Von 'iorgin, ton leidin S sclion metrisch verdachtig: die tlberlieferung 
H wil’d durch reichliche Parallelen gestiitzt. von denen ich nur 
antiihre 14072 f. Von sot gen und. von swetden, Von gtoseii 
tinwctde}i , 1613i Von sotge}i und von sweten, 8404 wird das 
schlichte HusO fiur bereiten (resp. geeiten S) gegeniiber ‘■ein gros 
tier S empfohlen durch das einfache fiat geeiten 15829 und fiur 
nuicheu loi52t. In den iibrigen Fallen die noch erwogen werden 
konnen. handelt es sich urn einen glatten Vers in S, dem ein Vers 
mit beschwerter Hebung oder liberladenor Renkung in H gegen- 
iiber steht, aber immer ein Vers wie er fiir Herbert zugestanden 
werden mufi: .so (8348.) 8361. 8363. 8367. (8368.) 8379. (8392.) 
Bei den nicht eingeklammerten Stellen wird eine auf metrische 



Beitrage zur Textkritik Herborts von Fritzlar, 


81 


Untersuchungen gestiitzte Nachpriifung vielleicht zn Gnnsten von 
S entscheiden. — Ich selbst wiirde jetzt schon das i e Y. 8372 und 
von rehte st. mit r. 8391 anfnelimen ; gegen das metrisch gate rmd 
dnrch Parallelen zu stiitzende liarte guot 8363 stranb ich mich (trotz 
8912), weil der Schreiber nachweisHch (s. u.) ofters Imrte znge- 
setzt hat ; meine Bessertmg 8368 (die nicht metrisch notwendig ist) 
mocht ich gegenilber S beibehalten, wed dies altertiimliche so nach 
siver, swie, swelh in H mehrfach ausgefallen ist, s. zn 15480 (S, 99). 

Eh ich zar Durchmusternng der Varianten anherhalb dieses 
Probestiicks schreite, schalt ich eine knrze Charakteristik des 
Fragments ein, wie sie schon ein rascher Uberblick ergibt: sie 
wird wohl dazu beitragen, nnser Urteil zn festigen. S mag immer- 
hin ein Menschenalter alter sein (‘um 1300’) als H (1333), und es 
steht dem Niederhessen Herbert entschieden naher als diese ost- 
frankische, Wiirzbnrger Handschrift. Ps. bezeichnet die Sprache 
von S als siidfrankisch ^), ich setze die Hs. etwas weiter nordlich, 
ins siidwestliche Gebiet des Eheinfrankischen. In einigen Pnnkten 
steht die Orthographie dem Eeimgebranch des Dichters nahe, wo H 
in die eigene Spraehform auszuweichen pflegt, so schreibt S 8121 
iMit (vgl. Brachmann § 41 , 2) und selbst im nentralen Eeim richtig 
rittirschaf: iodeschaf 7999. 8000. Besonders bemerkenswert ist, da6 
imVersinnern (resp. Verseingang) dreimal no eh dant (7918. 7947), 
noch dan (7933) steht, wo H Bannoch bietet. Hier liegt unzweifel- 
haft einer der Fade vor wo H iiberwiegend geandert hat : die 
Eeime erweisen fiir Herbert noch dant 14202. 14395 und ncch dan 
3415, im Vers aber findet sich dies in H nur ausnahmsweise : 652. 
4813, wahrend es in zahlreichen Fallen durch Bannoch (dannocJi) 
ersetzt wird 982. 1847. 1714. 1900 u. s.w. Es ist mir kein Zweifel, 
da6 Herbert nur die Form nochdan{t) gebraucht hat und diese also 
liberall in den Text eingefuhrt werden muB, denn dannoch wird im Eeim 
augenfallig gemieden : es gab ja nicht eben viele Eeimgelegenheiten 
vgl. immerhin iedoch : niht noch 8256. noch : loch 17892), aber wenn 
man bedenkt, daB hier Herbert, der die ‘erlaubten’ riihrenden Eeime 
sehr liebt (s. Brachmann § 128 — 141 : 3,2 ® 'o seines Eeimbestandes 


1) Wenn er S. XXIII sagt, da6 das ‘skriftens form och ortografien 
iittvisa’, so ist das wohl ein lapsus calami — so weit sind wir in Deutschland 
wenigstens in der Kenntnis der Schreibschulen noch nicht, iim derartiges nach- 
weisen zu konnen. 

• 2 ) Einschalten will ich hier eine Beobachtung andererArt: dieL’berlieferung 
bietet nehen i/nke (/iflwt) 5239 vorwiegend 1084. 1086. 9080. 13584, ein Wort 
das ich dem Hessen Herbert unbedingt nicht zutraue, sondern auf den ostfrankischen 
Kopisten abschieben mochte. 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichlen. Phi!.-hist. Klasse. 1918. Heft 1. 


6 



S2 Edward Schroder, 

sind derart!). in noch: dannoch eine ihm sehr gemaCe Bindang ge- 
funden hatte, dann ist es klar: dannoch war ihm derart fremd 
dad wir es auch aus dem Versinnern ansschalten mlissen. — Weiter 
bietet S neben vereinzeltem ros 8281 uberwiegend ors, wahrend 
es in H nmgekehrt steht : es stimmen mit urs iiberein H8 7791, 
dagegen steht ors {orsc) S gegen ros {rosse) H 7793. 798. 804. 807. 
810; anderwarts finden sich auch inH die ors gelegentlich gruppen- 
weise beisammen, so 8971. 9040. 9494. 9496. uhd es besteht mir kein 
Zweifel, dafi die nd. Form dem Original zugesprochen werden muB. 
Der Reim kann hier nicht entscheiden, denn weder filr ors noch 
fiir ros gibt es Reimbander, und das ist eben auch der Grand 
warum Herbort ini Reim neben pfert so oft das anf hochdeutschem 
Boden auffallige phage (page) verwenden muB. — SchlieBlich diirfte 
anch in der Bevorzugung von imz S gegeniiber hi.i H (7885. 7996) 
immerhin etwas altertiimliches stecken . obwohl hiz dem Dichter 
gewiB nicht abzustreiten ist und dem Herausgeber, wenn die Metrik 
versagt, die Entscheidung hier schwer fallen wird; der Zustand 
in H wird durch ein Beispiel beleuchtet in dem formelhaften Vers 
Von der sicarten um- {biz) an daz sw'd, wo H (das ihn allein iiber- 
liefert hat) lx anz (11282; und 2x htz (5590. 8567) bietet. Fiir 
u) 2 z in der Vorlage von S spricht auch ein Schreib- oder Lese- 
fehler wie uzer dem fiir im~ an den 7785. 

Diesen mehr oder weniger deutlichen Bewahrungen urspriing- 
lichen sprachlichen Bestandes stehn nun aber Neuerungen gegen- 
iiber, die sofort ins Auge fallen. Der alte Unterschied zwischen 
Do (‘cum’) und als (‘cum primum’) ist in S vollstandig verwischt: 
S setzt als{e) fiir do ein 7759. 8097. 8307. 8331. 8445. 8491: 8133, 
auBerdem als do fiir nnd als 77i0. 7825. — ■ Jedem Leser wird bei 
Herbort der starke Gebraueh des Steigerungsadverbiums harte auf- 
fallen; in S aber wuchert dies harte geradezu wie ein Unkraut, 
einem einzigen Ausfall (8179) stehn zwolf Stellen gegeniiber, wo 
S ein in H fehlendes harte bietet, zumeist deutlich hinzugefiigt hat. 
Ich unterscheide folgende Falle: 1) harte fiir ril 7977. 8115.°8123. 
2) harte Zusatz 7763. 8087. 8315. 8363 ; 3) harte mit einem blassen 
Adj. (oderAdv.) ersetzt ein einfaches, emphatisches Adjektiv : 7779. 
7917. 8077 ; 4) harte als sonstiger Ersatz 8056. 8225. 

Ich greife die dritte Gruppe heraus: 

7779 Mit 7a enl idler erefte H Mit ‘hai'te stoi-lu)-' crefte S 
7317 VndimidcngrimmigenmortB. Vnbe den ■harte grozin mart S 
8077 Er 7iam ir guote ware H Er nam ir ‘harte looV ware S 
Es ist klar daB es sich jedesmal um eine Gliittung des Verses 
handelt: nach diesen Beispielen, deneu sich manche der schon be- 



Beitrage ziir Textkritik Herberts von Fritzlar. 


83 


sprochenen anreihen liefien, erscheint die Cliarakteristik von H als 
einer Handschrift, die nach der Weise der mhd. Epigonen ‘utmar- 
kande jambisk-trokeiske versmattet’ einfiihren soil, schleckthin un- 
fafibar. Einen Anhaltspunkt far diese Aaffassung Psilanders glaabe 
ich weiter unten aufgefunden zu haben. 

Die Verse von H sind gar nicht selten von der Art daS sie 
ein oberflachlicher Leser etwa bei der ersten Lektiire Herberts 
am Hande korrigieren mag. Ich selbst finde in meinem Exemplar 
‘gebessert’ den Vers 10921 Mit {ciT) grOzer flehe, babe das vil aber 
beseitigt, nachdem ich mir den Wortlaut Mit grozer fUhe noch zwei- 
mal notiert hatte; 13725. 15775. Und ebenso hatte ich einge- 
tragen 8087 Mit (viT) grozer kiindekeit — wofiir jetzt.S bietet Mit 
‘harte’ grozir kundiheit', aber ich meine, das dreifache Mit grozer 
flehe stiitzt zugleich auch 2Ut grozer kiindekeit, und lasse mich durch 
S vorlaufig nicht wankend machen. Von den obigen drei Versen 
sind die beiden ersten unzweifelhaft in H richtig tiberliefert, beim 
dritten wird man vielleicht das harte anerkennen dlirfen, indem 
man unter Berufung auf V. 1171 Nemen harte giiote ware die 
beiden Lesarten vereinigt. 

Zu den sichern Unarten von S gehoren weiter die zugesetzten 
rehte 7852. 7984. 8171. 8242 und gewisliche IT^l. 8233, schliefilich 
eine gewisse Vorliebe far idoch. (8232. 8251) resp. dock (8268): es 
ist fiir die lassige Art des Schreibers charakteristisch. daft diese drei 
Ealle innerhalb weniger als vierzig Versen eintreten. — Sprachlich 
direkt anstdfiig und deutlioh Verschuldung eines jiingern Schreibers 
ist das mehrfache ioch fiir uoch (7755. 7943. 7944). 

Soweit ich die Stellen bisher noch nicht besprochen habe, 
werde ich sie nunmehr nach Ausscheidung durchsichtiger Schreib- 
fehler in drei Gruppeu einteilen: 1) zweifelioser Vorzug von H, 
2) zweifelioser Vorzug von S; damit ist dann die Charakteristik 
der beiden Handschriften zum Abschluft gelangt, und ich kann zum 
Schlufi 3) eine Reihe von Fallen behaudeln, wo der Wert der 
Lesart nicht ohne weiteres festzustellen ist, die Entscheidung aber 
versucht werden darf; eben aus der Ansicht die wir von dem Ver- 
haltnis der Handschriften zum Originaltext gewonnen haben. 

Ich fange wieder mit den Auslassungen an. Gleich beim Beginn 
des Fragments hat S einen Vierreim des Originals zu einem Reim- 
paar zusammengezogen ; 


\) Wie 77t)4 troyane H fur Troye oder 7815 uide hert S fur daz sivert. 


6 



84 


Edward Schroder, 


■ 7734 Torste deliein man 

H Bisen vulant bestdn, S Diesin duvil hestan, 

Yernemet wes ic)i gedaht lain: 

Wir loellen in ahinibe van, Wir tcoUhi in getvisliche tmibevan 

Bas ist daz beste uns getCtn, 

Es ist ein Irrtum Brachmanns (§ 148) wenn er meint, solche Reim- 
haufung finde sich nur mit kiinstlerischer Absicht in der groBen 
Klage der Helena (14035 — 078): einen ganz ahnlichen Vierrreim 
treffen wir 18226 — 229 : hdn : stem : Ian : gevdn. Dem V. 8738 ent- 
spricht So ist uns bezzer getem 15142. Die Belastnng des neuen 
Randverses mit geicisUche ist charakteristisch fiir die Art wie S 
nicht nnr aus auBerer Notigung, sondern ans einem eigentiimKchen 
Ersatztrieb heraus den verbleibendenRandvers zniiberladen pflegt. — 
Der auBere Zwang liegt-im nachsten Ealle vor: 

7788 If ieejelicli ^) begunde rdmen, 

H B eide Hector unde Achilles, 

Wie er dem andern underdes 

Sin ors genhne S Wie er dem andrin sin ors neme 

Tiber den Lieblingsreim Achilles : underdes s. o. S. 75. — Ohne An- 
derung vollzieht sich die Anslassung der Verse 7799, 800: Vil 
snellichen er lief, Starlce er im na rief: in S bleibt der Anrnf ohne 
Einfiihrung; snelUche{n) ist ein Lieblingswort Herberts. — 

Der Eortfall von 7891. 892 Bie dd solden striien, Bie 
qudmen von beiden sit en hat nnr die Anderung von Und in 
Sie im Gefolge. — 

7935 Baz ir bluot nider goz 
Unde in daz mer schoz 

H Also starlce und also sere S So starlce und so sere 

Als ez ouch ein leazzer were, Als iz outvie ivazzir were. 

Baz dd riinne und fliizze 
Und in daz mer schiizze. 

ouwic ivazzir, bisher nnbelegt, ist offenbar ‘FluBwasser’ im Gegen- 
satz zum Seewasser: mit diesem knappen Ansdruck hat der Re- 
daktor S die Verse 7939. 40 erledigt, — 

8049 Allen gemeine. 

H Hector alleine S Iz wiedirredete Hector eine 

Ber begunde ez wider reden 
Unde wolde ez niet freden. 

Tiber den gutherbortischen Reim s. oben S. 75. — 


1) So beide Hss. ! man erwartet ieiceder, doch vgl. unter II zu 5137. 



Beitrage zur Textkritik Herborts von Fritzlar. 35 

Penthesilea hat dem Hektor allerlei goldene und silberne Klein- 
gesandt : 

8198 lyitreli cler frouicen minne 

B Truoc er das goU an siner hant S Drue er gdt an der hunt 

Unde ein giddin Mrbant Vffe deme hoiibete guldin harhant. 

In den selben stunden^) 

Uni sin houbet geb unden. 

DaB der schlechte Vers, der hier in S einer Dreizahl vonHgegen- 
ubersteht, nur eine Kontraktion darstellt, laBt sich diesmal anf einem 
Umweg erweisen : das Motiv von dem Haarband der Dame anf dem 
Hanpte eines geliebten Mannes spielt namlich auch schon in einen 
Monolog der Lavinia hinein , und zwar mit sehr deutlichen An- 
klangen: Eueide 12019 Si spracli ‘het her "min hdrbant! 23 umb 
sin houbet gebunden 29 mi se disen sttmden. — 

8224 H Icli gesetze uch so nidere, S Ich gesetzin ucli nocli niedere 
Also lesterliche Harte lestirliche 

Hie in Iiwerme riche, In uwirme riche. 

Daz irs immer laster licit 
Die wile disc werlt stdt, 

TJm den Satz mit 8226 abzuschlieBen , hat S die vorausweisenden 
so und cdsd unterdriickt und der ganzen Drohung ihre Wucht ge- 
nommen. — Die Weglassung von 8245. 46 ist mit einer Zerriittung 
der umgebenden Verse in S verbunden, die schon Psilander frucht- 
loses Kopfzerbrechen verursacht hat. — 

8264 Ich iveiz wol daz ez iibel stdt 
H Und vil iibel {uch) geziniet 
Daz ir vergeben uch sus 
g r i met, 

Ouch enstdt ez uns niet u'ol, S V-n geziemit niht wol 
Ob ich ouch nu sprechen sol Daz ich dock sprechin sol 

Hier ist in S der ganze Sinn verdreht, denn Hector redet ja zunachst 
von den Griechen, dann von den Trojanem: er versucht beiden 
gerecht zu werden, indem er ihre Lage gleichpeinlich nennt. — 
Noch krasser ist die Verstummelung im folgenden Fall. Das 
Widerstreben des Troylus, die Briseida ihrem Vater auszuliefern, 
wird auch dadurch verstarkt : 

8324 Ouch was daz niet cleine intcas iz S 
H Daz er dtirch ir schuldc 
Siner gote huld e 

1) Natiirlich ohne alle Emphase : ‘gleichzeitig’, wie so oft. 



86 


Ed ward Sehri) der 


TJnde ir minne heie verlorn Daz er sine gote liete virlorn 
TJnd grozliclien ir zorn Und eivelicJie irin zorn 

Hiie immer mere 

Hier genligt allein schon das dem immer mtr vorausgeschickte 
etceVtciie, um den nngescliickten Textfalscher zu entlarven. Das 
wichtigste : ‘um ihretwillen’ ist fortgefallen ! — 

8435 Gehabe dich menlkliel^ Gehalt S 
Ez stdt dir bdsliche. 

H Waz tvilt dll beginnen? S 
Dm salt dicJi versinnen 

Daz du ein man bist Sit du des her z in ein man list, 

Und dir der sin engangen ist. Daz dir der sin ingangin ist. 

Hier liegt die Sache nicht ganz einfach. Zwar da6 die Verse 
8437. 38 von S fortgelassen sind, ist zweifellos, aber die Worte 
des herzin wurden in keiner Weise durch diese Kiirznng herbei- 
gezogen : sie kbnnten also urspriinglich sein, obwohl sie niemand 
vermissen wird, denn der Zuruf -Besinn dicb daB du ein Mann 
bist und nur die Besinnung verloren hast' *) geniigt vollstandig. 
Und in der Tat findet sich eine ahnliche Ausdrucksweise noch 
mehrfach bei Herbert, so 6588 f. Er ist des Jibes ein gmt hieht 
Und von sfetem herzen ein man, 7396 f. Beide an der gebhe Und 
an dem herzen ein man; wie hier korperliche Erscheinung und Cha- 
rakter, so werden oben Charakter (Entschlossenheit) undVerstand 
(Besonnenheit) gegeniibergestellt. — 

Troylus und Briseida sind durch den Zuspruch des Priamus 
sehr erleichtert worden: 8446 f. Do teas in eds sie hehart^) Von 
einer siihte Keren, Dann heiBt es weiter 8448 
H Von ir her zestveren S AJsq intliez sich ir sivere. 

Muo st en sie sich t tv ingen 
Mit sw erlichen ding e n. 

Mit einem SchluBsatz der kaum ein Vers zu nennen ist, schliigt 
S eine richtige Stilbliite Herberts tot. — 

Kach 8459 Wen ir vurice eine laBt S die Verse weg Die teas 
also schone, Ir gezf me ivol die hrone (‘mit ihrem Teint allein 
schon erwies sie sich als wiirdig der Krone’) und fahrt dann hbehst 
ungereimt und beziehungslos fort : So inhinde sich in niht gelichin. 
— Tappisch ist auch die Zusammenziehung des als Ausruf einge- 

1) Ich habe absichtlich diese L’bersetzung hierher gestellt, well ich dem be- 
gegnen wollte, dafi jemand AnstoB niniint an Du .mit dicli versinnen Daz dir der 
sui engangen ist. 

2j In S entstellt. 



Beitiage zur Textkritik Herkorts von Fritzlar. 


87 


leiteten Satzes 8497 IF. Wcia dO zu den stunden Klagen dd hegnnden 
Unde tveinen Ecnld . . .! in die eine Zeile Da weinete sere HeJcitba. 

Ich denke die Streichungen von S sind znr Geniige charakte- 
risiert; sollte jemand noch auf den Einfall kommen, eines dieser 
Verspaare dem Herbert abzusprechen, so kann es nur ein solches 
sein das in H entstellt ist: denn ganz gewiB gesteh ich dieMbg- 
lichkeit von Verderbnissen innerhalb der ‘Plnsverse’ von H ebenso 
gut zu wie bei dem iibrigen Text. 

7740 und 7806 hat S den Anruf Wol dane s ch i ere! zerstbrt, 
indem es eirmal das sdiure strich, das andere mal zouivit dafiir 
einschob. — 798 Haior lief im ze fiiezen net, hn fehlt S. — 851 f, 
Agamemnon besonte Die herren die er erhante gegen A. die 
besante Die er rehte erhatiie S; vgl. z. B. 17220 f. Froive Egial be- 
sante Ir frmide die sie belarde. — 860 f. So hat ouch her Hector Thoam 
ge van gen gegen So hat der herre Hector Toam ouch gevangen S. — 
862 Daz ist unlange ergangen gegen lange S. — 864 Ob nu icessel 
geschiet, nicht tcandel S; es handelt sich um einen Austausch, und 
auch in S folgt 869 ivehsil S. — 951 Vor ves-perzU ein liizzel e 
gegen deij S, das aus 949 eingeschlupft ist. — 969 Hoch von st rite 
grazer ungemach gegen das junge und lahme Hoch ouch gr. u. S. — 
976 f. Uns ist ale gevangeyi Vil manic liiene swertdegen gegen 
Sie hunt uns abe gevangin Harte manichin limin degin S; das alter- 
tiimliche stcertdegen begegnet freilich bei Herbert nur hier, aber 
auch in der Kaiserchronik (4409), im Strafib. Alexander (3668) und 
in andern Werken kommt es nur je einmal vor, von einem jungen 
Schreiber kann es kaum herriihren ; zu Uns ist abe gevangen stimmt 
im zweitnachsten Vers 7978 Ouch ist ir uns tot vil gelegen, vgl. 
ferner 5322 Daz im abe gevangen ivas. — 979 Hu Idzet ir herren 
iverden schhi gegen So mir got, nu irerde schin •, vgl. 10934 f. Kiicne 
hclde, Idzet schin Werden; naturlich fehlt unserm Herbert auch die 
Formel ‘so mir got' nicht (vgl. 2270. 5201. 8207. 8966), aber dann 
handelt es sich doch immer um eine beteuernde Aussage, meist mit 
einem Ich-Satz [kh enruochen, ich tednde, mir ist). — 982 Ob ich 
tar u nd ob i c h sol gegen Ob ich dar odir sol S. — 984 So sol 
daz we sen min rut gegen ist daz rehte S, rehte von S auch 7852 
eingeschmuggelt. 

8001 Danne her Ulixes Unde Diomedes {Daz icdren zwhie wise 
man) gegen Dan -der wise Ulixes Und 'her' Diomedes S, das hier 
das tcise unbedacht vorausnimmt. — 010 Hiibisch unde riche gegen 
Gefiige u. r. S. ; gefiiege fehlt bei Herbert nicht , hat aber die Be- 
deutung ‘geschickt’ und erhalt darum einen Zusatz : Gefiiege zuo 
dem schilde 148, Also gefiiege in allewis 3023; hiibisch dagegen ist 



88 


Edward Schroder, 


sehr haufig und erscheint auch in Nachbarschaft von riche: 13104 
J^r ist hiihisch und wdl getan, 106 Riche unde tool geborn. — 029 
Rifles frides sullen wir hiten st. IJmbe einin friede S, vgl. 12896. 
13412. — 043 f. Rer hiinic hies sie dannen gun. Dnd als dd gez sen 
teas sun st. essin g. . ■ . das geheisin S. — 054 War urn es mir 
mi s s e v alle st. niht geoalle S ; missevallen 15044. — 072 Do{ch) 
vereinten sie sich do st. virendetin S; vgl. Und vereinten sick des 
4648, ahnlich 10176. 10865. 13818. 14946. 15176; anderseits auch 
Wie wir ims verenden 3465, das aber bier nicht zutrifft. — 094 Got 
gebe dir i miner gut st. immer mer S. — 116 Die Asche der Toten 
wird aufbewahrt In der erden oder in eime steine st. Undir erdin 
odir undir e. st. S; S hat offenbar stein fiir ‘Grabplatte’ genommen, 
es ist aber bei Herbert immer ‘Sarkophag’, vgl. z, B. stein 10797. 
13753. 13781. 14115 = sure 10789. 13776. 13785. 14129, and daher 
findet die Bestattung stets in eime {schoenen, marmel-)steine statt; 
7353. 10791. 12046. 13782. 14420—22. 15518. — 118 Das dehein 
hwser smac Noch iibel rucli quam dar abe st. Das ‘der drat iooh' 
hosir gesmac Noch iibil roch nie inquani abe S; drat ist ein Wort 
das bei Herbert nie vorkommt, und es stort hier als drittes Syno- 
nymon den Ausdruck ruch und smac der als Zwillingsformel bei 
dem Dichter fest ist : 9347. 13876. 14123, — 125 Wdren Helen 
viersehen naht si. So warin irgangin v. n. S; das altertiimliche Part. 
liden (ohue perfektives ge-) findet sich so noch im StraBb. Alex. 
5108 Do die none liden teas. — 133 Disc darinne die dd vor st. 
Die da inne diese hie vor S. — 154 Daz ich wire i r wlssagc st. ein S. 

— 169 So hume ich gerne an den rdt st. So dun ich genie uwerin 
rat S; an den rdt homen z. B. 2585. — 174 Achilles und Hector 
treiben friedliche Kampfspiele : 31it fride und mit m i n n e n st. mii 
sinne S; es ist der Gegeasatz zu Ze strite und zc amnimien 1265S. 

— 184 Beide nein unde jd (wortlich = 3832) statt Fh laohedin 
dar na S. — 187 Und bewilen ouch dd vor st. Ouch bewilin da 
vor S. — 192 Gemachet ivol mit fli.se, ivol fehlt S. — 209 Nu I at 
es uch betrdgen (Frommann vergleicht Iw. 520) statt Inlat es in 
niht tragin S. — 218 Her Hector den ir hdt crslagen st. Den 
daz ir h. e. S. — 224 Ich ejesetze uch sb nidere, Also lesterliche 
Hie in uwerme riche st. noch . . . Harte ... In . vgl. 436 f. Ich gc- 
setzein also nider In sin selbes lande. — 233 Ir sit star c und 
Jcihne st. Ir sit ‘gewisliche^ Jcime, mit dem fiir S charakteristischen 
Eindringsel, vgl. 7737. — 247. 48 Ich wine diver herze has sti 
Danne uwer rede hie gi st, Daz ‘min' rede baz ge Danne ‘mir' daz 
herze ste S (vgl. Psilanders misgliickten Korrekturversuch). — 271 
Wer u'inet ir da s ir sit st. wer S. — (280) 281 (TF« nti, mine Uute?) 



Beitrage zur Textkritik Herberts von Fritzlar. 


89 


Brings t min ros tind nun sivertf Bringet fehlt S. — 282 Er sol 
der sit sin geivert st. werden g. S. — 284 Nu werde schin teas er 
tuo, Eu fehlt S. — 286 Und Meschen siverl sc hilt und sper, schilt 
fehlt S. — 289 Sie heten cddci an der stat (auf der Stelle) Den 
fride sebrochen gegen '•cor' der stat . . . 'beide' gebrochen S. — ■ 291 
Beiden vil leide st. Beidersit S. — 300 Zuo ir fritnden st. 
Ir igelich su sinin frundin S. — 306 Do dis {des?) le ides gestcigot 
teas st. Als Achilles g. u\ (Psilander beseitigt den Unsinn). — 
417. 18 {In so grbzer leide) Das sie enwisten was sie wolden Oder 
was sie tiion solden: statt S, das die in H mit 419 einsetzende 
^naphorische Aufreihung (5maliges Si enwisten) schon mit 417 be- 
ginnen la6t: Sie neivistin teas sie looldin, Sie newistin teas sie soldin. 
429 dd st. is S. — 435 Gehahe dich menliche st. Gehalt S. — 
444 Was tuot ir? es ist schande st. Und did ir sus S. — 461 Ir 
enmohte niht gelichen st. So enkmde sich in niht gelichin S. — 
478 — 80 Von einer hunde tiere Was die hiirse genomen, Und was 
von eime lande komen st. 'Die uel’ won eineme tiere Zi'i der cursin 
tvarin gemlmin Und ivarin won deme lande Icitmin S, das offenbar 
die Ktirsen fiir ein Pelzgewand halt, wahrend es sich nach der 
Quelle (ed. Constans V. 13341 fif.) urn ein ‘drap enchanteor’ handelt ; 
13352 De cel drop fa fais li manteaus, und zu dem ‘drap’ war aller- 
dings ‘la pel’ des wunderbaren Tieres ‘dindialos’ verwandt, d. h. 
die Haare verwebt worden; der Stoif und nicht ‘die Felle’ waren 
aus dem Orient importiert. — (481) 482 {Dd die sunne wf gut) S'i 
der morgen enstdt st. So 'sie des morgenis' intstat S. — 483 Ir 
kielt was guot i n allewls st. Ir gewant to. g. alleicis S. — 488 — 90 D d 
die fr oil we lii'esas, Das was ein seldende phert Und was 
tool hundert marke wert st. Das seldinte phert da sie tiffe sas. 
Das teas ein also gut phert, Is was 'dusinf marke wert S. Zum 
Ausdruck in H vgl. etwa 7402 f. Den er nf solde tragen, Der helm 
{was} ti.ser muzen guot und anderseits 11701 Dd der man nfe sas. 

Dem gegenuber enthalt nun freilich S auch auBer den schon 
gelegentlich vorgekommenen eine Anzahl Lesarten die zweifellos 
den Vorzug vor H verdienen. So gleich 7739 Einsit und andersif 
S, An einesit u. a. H. — Verkannt hat Psilander die gate Uber- 
lieferung von S 757 A 1 gewunnin die Criechin ubil sit {Ouch H), 
iedoch wart er al suschit {gar s. Hj , wo er Alse einsetzt und nach 
sit stark interpungiert : al c. ind. od. opt. bedeutet aber hier ‘ob- 
wohl, wenn auch’, vgl. z. B. 7105 Vnd al si mir nu sus geschehen ; 
c. ind. 12121 Al bistu stare, du bist ein kint] haufiger braucht Herbert 
hierflir allein (c. ind. od. opt.); 4139. 4380. 5558. 9856. — 751. 52 



90 


Edward Schroder, 


ist die Wortfolge (lange:) ycdranye, yetivtnye (: lcnye)'Q. in yedivanye, 
yedrenye S zu andern, vgl. einerseits yehvanye (Dat.); lunye 5624, 
anderseits yedrenye: 'yesprenye 5187, : enge 6866, :ftw£genye 6406; 
freilicli kommt anch dicht neben yedrenye 4261 yedranc 4267 im 
Reime vor, aber nur einmal durch den Ausdruck gefordert {Bu 
ims dranc iiher yedranc), und die fiektierte Form yedrange ist nicbt 
bezeugt. — 809 iz hat schon Frommann (Anm.) ergiinzt. — 878 
Klageten jene {dort) andcrs'd H, das uberfliissige und durch keine 
Parallele gestiitzte dort fehlt S. — 928 wird Hiih S st. Erhuop 
H, 935 8<j starle nnd so sere S statt Also st. u. also s. H, 941 
Belite tnnbe mitten tag S st. uni den m. t. H durch die sonstige 
Gepflogenheit des Dichters empfohlen. — 961 wird die Wortfolge 
von S Ir neuas dechein so stare gegeniiber Jr deliein ivas H durch 
die Parallele 8354 gestiitzt, wo der Vers (und sogar das Eeim- 
paar) wiederkehrt. — 964 Wene daz si schiet die ^sivarze' nalit ist 
das Epitheton. das in S fehlt, verdachtig, da es nie wiederkehrt: 
allenfalls konnte die tinster naht dagestanden haben, wie 6560. 
8007. 16138. — 9671. Uf der haut und uf deni Iniie mit S gegen 
die Inic H. 

8110 1. Von s pel den und von spachen mit S gegen holze H. 
— 8120 fiir leyclichen H hat schon Frommann Eteliclien S 
vorgeschlagen. — 126 fF. les ich mit S: Ouch so teas die erde 
emplaht Und y era met als e Von der hurc biz an den se statt 
entacht — yrimte — Vz d. h. H. — 208 Ein ist ernest ein ist spot 
S st. ein cinder ist H; vgl. den Rhythmus der Verse 7l6 Iz ist 
ernest oder spot, 2746 Der in ernest der in spot, 3505 JBeide in 
ernest und in spot. — 216 Ben 'friinf den ich verlorn hdn H, 
besser yesellen S, vgl. Patroclum stnen yesellen 6075. — 261 nns 
S st. nnch H. — 283 [Er sol der zit sin yewert) Und des v el des 
dar ztio mit S gegen iverdes H, zit ist die Stunde und velt der 
Platz des Zweikampfs ; bei iverdes hatte ich an eine Reminiszenz 
an den ‘Holmgang gedacht, wie wir einen solchen bei Gottfried in 
dem Zweikampf Tristans mitMorolt auf einem'Wert’ (6745) haben, 
aber davon ist bei Herbert nirgends die Rede, iverdes ist einfach 
unter dem Einflufi von iverde der nachsten Zeile aus veldes ent- 
stelit worden. — Den Vers 313 Bo Troylus vries H hatte ich mir 
naturlich langst mit daz yevriesch erganzt, ehe die Bestatigung 
durch S kam, ebenso das ich 369, das Frommann freilich fiir un- 
notig halt. — 319 bietet S das in H fehlende (von Frommann 
falsch ergiinzte) Snbjekt er. — 372 An sivedir ich ie bi dir yelac 
entnehm ich ebenso unbedenklich aus S. — Besonders interessant 
i.st 470 Von cime ferren lande H, von Tcrdien lande S, was Psi- 



Beitrage zur Textkritik Herberts von Fritzlar. 


91 


lander in der Anmerkung hiibsch ausgefiihrt hat. Im frz. Text (ed. 
Constans 13341) steht En hide la Superior-. Herbert muB dafiir 
ans eigener Gelehrsamkeit das anderweit bezeugte India Tertia 
eingesetzt nnd dies als Tertien lant angedeutscht haben. Der 
Schreiber H aber bat das sonderbare Wort nicht verstanden und 
dafiir einen neutralen Ansdruck eingefiihrt. Von einer absichts- 
Yollen Anderung kann auch hier nicht eigentlich die Rede sein, 
— 456 tvdren ir Meit S st. teas H, vgl. 8463 Meider und 3258. 
59 Meider = Meit. 

Und so steht es in H, das im Einzelnen recht viele Rehler 
hat und gewifi mehr als wir geglaubt haben, ehe wir S kannten, 
fast durchweg: es handelt sich um Auslassungen, um zumeist me- 
chanische Wortvertauschungen, dazu um Verlesungen nnd Ver- 
schreib ungen, nirgends um eine absichtliche Veranderung; in keinem 
einzigen Falle ist bisher eine solche fiir den Reim nachgewiesen, 
wahrend die Zahl der Anderungen des Reimes in S recht groB ist. 
Man wird also da wo die Lesarten gleichwertig einander gegen- 
uberzustehen scheinen, zunachst immer nach Parallelversen (die 
sehr zahlreich sind) und nach dem Vorkommen ahnlicher Situation 
und ahnlichen Ausdrucks suchen miissen. Wo dies Hilfsmittel, 
das in der Mehrzahl der Falle zu Gunsten von H sprechen wird, 
versagt, darf man dem unaufmerksamen aber konservativen H 
mehr Vertrauen schenken, als dem riicksichtslos iindernden und 
obendrein sehr liederlichen S. 

V. 7735 variiert Herbert den tiufel von 7728 mit v u I a n f, 
8124 das hestatten von 8122 mit heejrahen, beidemal bleibt S bei 
dem ersten Ausdruck — aus Lassigkeit. S war olFenbar einer 
von den Sebreibern, die sich getrauen eine groBere Anzahl von 
Versen im Gedachtnis zu behalten, wahrend H wohl zumeist nur 
ein Reimpaar las und kopierte; bei H sind nicht wenige Fehler 
visueller Hatur , wahrend bei S die Mehrzahl durch das innere 
Gehor und ungenaues Gedachtnis verursacht sind. Der Schreiber 
H konnte selbstVerse machen, wie sein bei FrommannS. XXVIII ff. 
abgedrucktes gereimtes Nachwort beweist, aber es laBt sich ihm 
in keinem Falle nachweisen, daB er Verse eigener Mache in den 
Text des Herbert eingeschwarzt habe; dem Schreiber S hingegen 
haben wir bereits eine ganze Anzahl eigener Verse aufs Konto 
gesetzt. Darum werden wir uns iiberall da wo ganze Verse schein- 
bar gleichwertig einander als Lesai’ten gegeniiberstehn , fiir H 
entscheiden: so 7898 Sie hnoben heidersit den strit gegen 
Sie lostin die zit S; 7989f. Lihte uns ze ivizzene tjeschiet 
Daz wir no eh enwizzen niet gegen 3Jiiije leir vtrnemhi daz mere 



92 EdwardSchroder, 

Das gesenftit imsir sicere S ; 8241 Vi I r elite teas ich uch sage 
gegen Was ist dirre sage? eine Frage, die nie wiederkehrt. — 
8249 f. Das Patroclus ist erslagen, WeJIet ir das so sere dagen gegen 
S (499 — 502) 1st ill hide geschehin , Also lian ich vide das gesehin 
Das ich ungeliieJee sacli{l)', Mir ist hit min migemach] 8318 Si teas 
im Hep als der lip gegen Truric war ime allir der lip S; 8394 
Fow dirre stat gehorn sint gegen In grosin truivin hie sintS>\ 
8441 f. Es mac uns s chi ere got gehen Das wir n ns Hebe 
geleben gegen Is mac schire geschehin Das ir iu liehe solit gesehin S. 
Fnd so wiirde ich die weit iiberwiegende Mehrzahl der ‘indiiFe- 
renten’ Lesarten von S schon jetzt nnbedenklich verwerfen. 

Ich habe bisher kurzerhand von S als einem Individuum ge- 
sprochen, das ich fiir alle Mangel und Siinden seiner IJberlieferung 
allein verantwortlich machte. Es ist aber moglich, daB wir mit 
zwei Stationen rechnen miissen ; man konnte mir z. B. entgegen 
halten, dafi ich demselben Schreiber sowohl eine gewisse Tendenz 
zur Versglattung wie rucksichtslose tlberladung der Verse Schuld 
gebe : das letztere besonders am Rande von Anslassangen wie auch 
bei der Einschaltung gewisser Lieblingsworter wie iedoch, geivis- 
liche. Es ist immerhin denkbar, daB sich die Griattung des Vers- 
niaBes auf der Vorstnfe *S, die meisten iibrigen Entstellungen des 
Textes erst in S selbst eingestellt haben. Allzuweit ab vom Ori- 
ginal resp. dem Archetypus wird man S genealogisch nicht riicken 
diirfen; dagegen spricht folgende Beobachtung: das Fragment hat 
fiir Idincc regelmaBig die Abkiirzung . h . 7769 (S 33). 8037 (S 295). 
8043 (S 301); das ist eine Eigentumlichkeit die sich aus den 
franzosischen Handschriften herleitet nnd sehr oft in mittelnieder- 
landischen, dagegen selten in alten deutschen Handschriften vor- 
kommt, wie z. B. im Kasseler Reinhart-Fragment, wo der Held 
iramer als e. geschrieben erscheint; ich bin geneigt diesen Zug 
auf die Originalhs. Herborts zurnckzufiihren. 

Ob der Archetypus, auf den H (B) -f S zuriickgehn, mit dem 
Original identisch war, das der ‘gelarte schuolere’ gewiB selbst 
angefertigt hat, oder bereits Fehler aufwies, die uns zwingen eine 
fremde Kopie anzunehmen, wird schwer zu entscheiden sein. V. 7747 
hatte ich mir ein fehlendes dd am Rande notiert — nun fehlt es 
auch in 8, Psilander vermiBt es ebenso wie ich und stellt es 
gegen beide Hss. ein. 8471 hatte ich was in wire geandert : in S 
steht nun gleichfalls icus — aber moglich ist auch der Indikativ. 
Einen dritten gemeinsamen Fehler hat wieder Psilander hervorge- 
hoben : 8027 laiitet H Zr swein dnanen' oder si drin, und S bietet gar 



Beitrage ziir Textkritik Herberts von Fritzlar. 


93 


mannin, obwohl derSinnxmd das franzosische Original (ed. Constans 
12893 Bous meis o treis) ‘Monate’ verlangen; Ps. setzt denn auch 
nianedin in den Text. Der Fehler ist immerhin derart da6 er 
sich zweimal unabhangig einstellen konnte; dem Herbert selbst 
freilich kann er niebt passiert sein, denn fiir ihn lantete ^as Wort 
•mant, flekt. tnajide, gesicbert durch den Heim : trande (17024. 17593), 
das seinerseits : lande, sande reimt (s. Bracbmann § 13, 2). So sebreibt 
denn aneb H im Versinnern der Hegel nacb mant (618), mande(n) 
(290. 3040. 9176. 9193. 10716. 10918. 16398); daneben kommt aber 
niebt nnr manet (14865) and manede (6063. 14353), sondern aneb 
mane (9528. 11063) vor, and dies konnte sebr leicht mit mane 
(Sdro’ 5566), mane (‘viris’ 14912) verwechselt und so verschrieben 
werden. Einen Zwang, fiir unsere Uberlieferung einen von der 
Originalhs. verschiedenen Archetypus einzustellen , kann icb in 
diesen drei Fallen niebt erblieken. 

II. 

Da mieh das Hervortreten des Fragments S und die verkehrte 
Wertschatzung mit der es dureb seinen Finder uns vorgestellt 
wurde, genotigt bat iiber die Uberlieferung Herberts zu sebreiben, 
so benutz icb die Gelegenbeit, um bier eine Auswabl von dem 
mitzuteilen was icb mir wabrend mebrfacber Lektiire des mir 
lieben und micb dureb seinen Wortschatz beimatlicb vertraut anmu- 
tenden Autors zur Textkritik an den Rand notiert und eben jetzt 
nur durchgesiebt babe. Icb liebe derartige Mitteilungen sonst 
wabrbaftig niebt, denn icb bin iiberzeugt, dafi reebt viele Facb- 
genossen in ibren Handexemplaren reicblicb Beitrage zur Kritik 
von Texten aufgespeicbert haben, die bisher nur in mehr oder 
weniger unberiihrter handscbriftlicher Wiedergabe verofFentlicht 
sind. Es gab auch eine Zeit wo icb holfen durfte, diese Ahren- 
lese berufenen Handen anzuvertrauen : Eugen Joseph plante eine 
Monograpbie iiber Herbert, den er sorgfaltig mit dem Original zn 
vergleichen begonnen hatte, und er gedachte damit soviel TeU- 
nahme fiir den Dichter zu weeken, da6 sich auch eine kritische 
Ausgabe lohnen wiirde. Jetzt aber darf icb kaum nocb hoffen 
eine solche zn erleben — icb grilBe mit diesem Biindel textkri- 
tischer Bemerkungen den Herausgeber der einmal kommen wird, 
und icb entbinde ihn feierlich von der Verpflichtung, bei jeder Kon- 
jektur die er aufnimmt meinen Namen zu nennen, wenn er es 
dafiir unterlafit gegen diejenigen zu polemisieren, die er auf Grrund 
eingehender Studien getrost verwerfen kann. 

106 1. Baz [ivelsche] buoch von des herren lobe. Bei diesem 



94 


Edward Schroder, 


ersten Quellenverweis hat der Schreiber das icelsche eingeschaltet 
der Verf. selhst braucht das Adjektiv allerdings zweimal : 1178 
Daz icelsche liioch von Jasonc und 4786 Mir saget cla.z icelsche 
huoch SKS, aber weit ilberwiegend ist das einfache huoch: Ah ich 
daz huoch hcere sagen 1437. 4699. 6516. 12923; Als mir daz huoch 
gesaget hut 10647, vgl. 515. 1717 : Als iclt ez von dern hiioche hdn 
6687 ; Als ich ez an dem buoche las 2782. 12942 ; 3Iir saget ouch 
daz huoch sus 4029 : ... als an dem huoche skit 7701 ; {cant) An 
disein huoche gcscrihen IhWo ] weiter 14270. 14289 u. s. w. — 1681. 
veter {st. cater), vgl. z.B. 1176. — 1891. V f einie felsen in dem mer 
(st. In — uf). — 2281. Frien und die dienestman (st. Frauwe)-, 
diese Besserung ist notwendig und geniigt (vgl. 510 Hcrren find 
die hiehie ) ; da die fursten schon 225 genannt sind, kommt Fiirsten, 
frien, dienestman (1231. 4201. 6237) nicht in Betracht, allenfalls 
aber Graven, frien, dienestman (2557). — 247 f. 1. Daz (Fr.) verre 
in dem mere lit, Wol gecestent in aUe sit; das hsl. in einer mure 
ist wohl unter Einflu6 des gecestent entstanden: fiir in alle sit (st. 
an) vgl. 466. 1248. 1596. 1814. 2056 u. 6. — 287 1. schierest. — 
304. 1. enhrast. — 534 Hs. Vn trostc sie cn fragete damite, 1. Unde 
fragtc sie d(h)iit>‘. — 545 Als mir daz huoch {hat ge')sagct , vgl. 
1717. 10647. — 581 1. zouherinnen (wie 849). — 626 1. ziere (nicht 
geziere Fr.). — 664 1. Enhete sie [an gifte noch] an lone. — 7241. 
hcidersit (st. in h.), vgl. 1451. 2417. 2448, 2533. 2892 u. 6. — 798 1. 
Des enticeich im sin [herzc^ sivere. — 901 streiche Vfi. — 941 1. heide. 
— 9o2'3 1. In daz hcthiis sie in leite, Du sic ir goto inne vant; 
hethiis (Hs. heth) braucht Herb, bestandig fiir ‘templam’ (s. From- 
inann zu 1584); cjote (Hs. irn got) sind Jupiter (983). Juno (965), 
Venus (967) und Pallas (969). 

1275 1. Also muo.z ez geschehen st. muste. — 427 1. Sinen [hcrren] 
hiinic er sach. — 681. 82 besser umzustellen : Dem der richtuom 
gcschach, Deiphehus del anz gemach. — 715. 16 1. No did an lute 
Priam Relite drizzic {hehes}Jciut; vgl. 4811 Ir wctren drizzle heheshint. 

2128 1. Ich wil ez (aT)so erhehen. — 321 Lant, hurc, ‘lint', man 
Und die disc gclmrent an(\) ist wunderlich und wird durch 2696 
Lant, hnn, d i r m- st man zur Anderung empfohlen : vgl. auch die 
^i^erdran^ un^ von dienestman 6171. — 369. 70 Hs. Die fuorten hin 
iibcr mer Dri tdsent ritter . . . Brachmann § 26 verzeichnet hier eine' 
vollig isolierte (und fiir Herb, unmogliche) Reimbindung : der zweite 
Vers ist unvollstandig. am wahrscheinlichsten hangt aber der Fehler 
mit einer Entstellung des ersten zusammen, sodaB oben zu lesen 
ist iiljcr st, unten zu erganzen oder me resp. unde ouch me (wie 
z. B. 4249. 3835. 7601. 9384); will man iiher mer bestehn lassen. 



lieitrage zur Textkritik Herberts von Fritzlar. 


95 


so kann man 2370 etwa erganzen ypAt ir her (vgl. 3370). — 511 I. 
Mulite (s. Mage). — 541 1. Reiten. — 754 f. (ritterschaf :) Der liinic 
gclot eine ivirtschaf; Die wirtschaf iverte sihen tage; der riihrende 
reim ritterschaft : rittersihaft der uberliefernng ware nicht zu recht- 
fertigen, wie es Frommann versucht. — 768 l.grfnvet. — 818 streiche 
auclt. — 828 1. inrihte. — 894 u. 6. 1. siere st. gezirde (nicht ge- 
ziere Fr.). — 999 1. ivere? 

3019 1. schal. — 074 Und [gnot"[ siiese niiiDiere. ■ — 032 1. {Sin 
tagent teas undersniten) Mit guoter suht, mt gnoten siten {D.S. gate 
tugede). — 148 1. Siiese stimme, uihf (se) Idf. — 191 1. Dar suo. — 
232 1. Das, gefordert von das spor 3231 (vgl. 1930). — 298 1. Kiinige, 
graven, hersogen. — 416 streiche so. — 446 1. (siuiden:) Und sullen des 
nilit Qidn') vermiden ; dad in dem scheinbaren smlden : verniiden der 
tJberlieferung ein Fehler vorliege, erkannte Brachmann § 34, ohne 
diesen aufzudecken. Herb., der bei snidea den grammat. Wecbsel 
bewahrt {sniten: geriten 5024 u. 6.), hat ihn bei (nnden und) Uden 
ausgeglichen, vgl. den Reim geliden: Uden 13343 und im Versinnern 
Uden 10237 nnd 8125. Zum Ausdruck vgl. Er tvoldc si gerne hun 
erslagen 16348, llTiw er sie gemordet icolde hdii 15235, Si enmolden 
si dci niet hdn genomen 18275; man kounte aber auoh Ian vermiden 
schreiben. — 672 1. antwerc. — 677 1. Einsit und [auch] andersU, 
vgl. 5453. 4480. - 

4098. 99 1. Einhalp sas Antenor, Anderhalp Troylas. — 185 1. 
Wol uf, (ritter,) es ist tad = 6661. — 207 Vil halde and (iv7) 
gcrade. — 291 1. Noch {so) feist noch su grds. — 330 Fiir Schatse 
rn gesteine lies Geschiitse unde steine wie 14487: geschutse ist 
auBerdem sehr oft belegt (4494. 4738. 7058 u. s. w.), gesteine scheint 
Herb, nur von Edelsteinen und feinern Steinarten zn brauchen (9931. 
10808 u. 6.). — 344 1. (Das des meres iinden) Von gemenge u iirden 
triiebe, Hs. wart. — 439 (Ir ros waren icol hedacld .•) • Uf covertiure’, 
Riche unde tiure ist schwerlich in Ordnung, es muB gebessert werden: 
Uf in Oder Darufe — allenfalls auch Uf {geleit} covertiure vgl. 
Covertiure uf geleit 8720. — 480 1. Einsit. — 661 1. VaterhaJp, 
ebenso 4768. — 811 str. der. — 856 1. Der Criechen fUrsten. — 
908 1. Ouch scJiarten {do) sich , vgl. 4899 Ouch scharten sich do. — 
939 1. Ouch so nam sin {guotc) ware? vgl. 1171. 8077. — 981 1. 
Deide dir re unde \aucli\ der. 

5039 1. Do nam er dem {toten) man. — 137 1. leiccder den 
andern enphinc ; dock darf nicht verschwiegen werden, daB Herb, 
bereits neben ietveder auch iegellch, durch den Reim gesichert, flir 
‘uterque’ braucht: 16905 von den beiden Sohnen des Ajax, 3177 
von dem Briiderpaar Elenus und Deiphebus. — 140 1. {So) das is 



96 


Edward Schroder, 


gar hesoiif = 1109. — 171 1. {Die idle daz disc striten) Qadmen 
gine zuo geriten st. dise. — 691 wahrscheinlich Diser raid, der 
raid. — 5742 1. Der hraJde ir einen zuo gezogen st. der hruder. 

6135 1. Turen mule himmen, {Touhen unde stummen), Tote ist 
wohl nur Drnck- oder Lesefehler. — 156 Den der (indge') dehein 
Die mit mir cin fleiscli Sint). — 171 1. Kiinic, ritter, dienestman st. 
sine man. — ■ 461 1. Der giner (icart} gevangen. — 480 1. Durch {daz} 
lierze. do iz hestimt. — 505 1. Also wit als ein fureh {mit Drack- 
fekler'?). — 

7079 sigeneme ist in ein Wort zn schreiben, wie anch sigevaht 
11586. 14894 u. o., sigestreit 14456; die Worterbiicher haben alle 
diese Belege iibersehen. — 109 1. Sin ivolte nemen (gnote) ware? vgl. zn 
4939. — 110 Hs. Und reit wtndenveit’ dar, vermntlich ist under werhe 
einzusetzen, das dem Dichter sonst gelaufig ist; 5926. 12018. 
13971. — 143 1. JUit slegen und (mit) stichen. — 166 1. {Von tdhe 
und von Icinde) (Und) von dem ingesinde. — 178 1. 3Iit Hebe und 
(mii) senftilceit. — 387 1. Agamemnon [in] andersU. — 561 1. 
siirde: triirde; von den bei Bracbmann § 145 b) verzeichneten glei- 
tenden Reimen des Typns ist nnr allenfalls hangete: helangete 
7469 f. zu belassen. — 577 str. Vnd. — 662 1. Dise selben liste st. 
Die? — 707 1. Ir dehein er gcnas. — 736 1. Wa nu Agamemnon? 
st. Waznu; anch Wie nu, das mehrfach begegnet (so 10113) diirfte 
durch Wd nu zu ersetzen sein. — V. 735 — 8510 ist in S iiber- 
liefert, dariiber siehe oben unter I. 

8512 1. engeschiet, enschiet ist unter EinfluB des enschcide der 
vorhergehenden Zeile eingedmngen. — 530 1. den zchenen st. der 
zehende, vgl. 8526. — 601 1. Dock entsebe ich (harte) wol. — 644 1. 
Als sie kite rouwe st. hette si. — 662 1. Ir suit dise rede Idn st. 
die. — 867 1. entdn (s. Frommann zu 8936) st. kin dan, vgl. 
14597. 

9116 1. liber tal und (iiber) berc. — 118 u. 19 1. EtesMchcr. — 
311 1. Sivaz (ie) uf der erden ginc {Und in den luften ie wart). — 
349 1. (man:) Slne{n) gesunt er tvider gewan (st. nam) ; mit der Her- 
stellung dieses Reims ist die Zabl der Bindungen m : n auf 3 be- 
schrankt , die sich samtlich im ersten Fiinftel des Werkes (bis 
V. 3623) finden, s. Brachmann § 119. — 407. 8 Daz Hector hvas' 
ion stme stage ‘Genesen’ und von sinen w unden sind sicher verderbt ; 
wahrscheinlich Daz Hector genas von stme stage Und von sinen wunden. 

500 ‘da hare' ist sowohl fur den Dichter wie fiir den Schreiber 
unmoglicb, Brachmann hatte die Form nicht ernst nehmen dtirfen 
(§ 219), denn es handelt sich nur urn einen Zwitter von dar{e) und 
dd ker{e), dar ist einzusetzen. — 549 ff. Nuwen swert gesliffen Wol 



Beitrage znr Textkritik Heiborts von Fritzlar. 


97 


(jeueget tvol gewort HtUen ir icherfe vn ‘vorf ; Frommann nahm 
Istiwen richtig fiir J^iuwiu und wollte nach Beneckes Vorschlag 
cort = uorJit beibehalten; ‘neue Schwerter batten ihre Scbarfe und 
darin ihre Furcbt, d. h. was sie furchtbar macbte, ihren Schrecken’. 
Unmoglich! und noch unmoglicher die Erwagung, vort zn ruerea 
zu stellen. Es ist unbedingt ir scherfe unde {ir) ort zu lesen (zum 
Reim Brachmann § 98), dasselbe was sonst ecke und ort heifit (6702), 
was also zu stiche imd zu stage taugt (9656); sicertes ort z. B. 10023, 
1110. Zweifelhaft bleibt nur, ob Heten ir bleiben darf oder in Heten 
si scherfe unde ort geandert werden mud. — 709. 10 1. gdhte: ndhte. 

10265 Daz er (dd) gevangen ivart. — 379 seinecliche ‘zogemd’ 
ist zu belassen gegeniiber Frommanns Vorschlag semellche. — 431 1. 
(Nider) uf die erden. — 647 1. .4.7s {niir) daz tnwch gesaget hdt, vgl. 
1717. — 751 1. [Man tiete in zu lone) {Vnd) von reJite gegehen, — 
752? — 767 1. [hi ivazzer und in erde,) Von fischen (itnd) von iieren. 

777 1. Swer ez (ie) gesee. — 781 1. Daz icli ie geivar icart st. 
ie ich. — 821 1. fon Troye {und) von llion. — 848 1. [under dts:) 
Paliinedes st. Polidamas. 

11168 1. Im was gar zeruunen st. cutruunen [Der tugtnde der er 
ie geivan). — 178 1. durch einen uihesnamen st. d. eines w. u. — 
184 1. Noch st. loch. — 241 str. so. — 277 ff. ist iiberliefert Des 
sten ich ir ze t.iioze : Sie tiio niit ndr ‘■die siieze' Ze gndde und ze 
rehte Als niit wnie knehte. Den Reim huoze : siieze versucht Brach- 
mann § 9 zu rechtfertigen, allein das Subst. ‘die Siidigkeit’ hat 
hier gar keinen Sinn, ich vermute Sie tuo mir sur[e) und saoze 
und nehme dies chiastisch zu ‘Gnade und Recht’. Den von Brach- 
mann ebenda angefiihrten V ers i 558 les ich [fuoze ;) Dd wart sur 
suoze und nehme das Reimwort als Adverb. Die mitteldeutsche 
Form des Adjektivs suoz (wie hart, fast, sanff) ist durch keinen 
Reim gesichert, und urn ein ‘Fehlen des Umlauts’ handelt es sich 
hier nicht. — 337 1. Von ir {dd) gegehen ■wart. — 349 1. Wiste in 
he) unde dar, der F ehler Mn erklart sich durch Einmischnng von 
hin unde her. — 353 1. An tihe und cui gebere st. swere. — 632 Da .c- 
im sin helm alter erschrac ist vielleicht geniafi 12498 in a 7 zusehrac 
zu andern, da der Helm otFenbar zerspringt; him aber braucht aus 
diesem Verse nicht heriibergenommen zu werden , denn schrecken 
hat^ fiir Herb, noch durchaus die Bedeutung der pbysischen Er- 
schiitterung, vgl. 7420 Daz im sin schitt evn teil erschrac. — 642 str. 
in. vgl. 724. — 847 1. Wan daz = 11936 u. 6. — 865 1. Daz nie 
deheiner genas. — 905 1. [Do (judmcn con Ajdce) Die hoten {. . .) gcrant, 
halde ware ein Notbehelf. — 914 1. Dd tohetrn sie den {kiieneuj 
degen ; degen scheint sonst nie ohne ein Epitheton zu stehn. 

Kgl Ges. d. Wiss. Nachrichten. I’hil.-hist. Klasse. 1918. Heft 1. 7 



98 


Edward Schroder, 


13041 1. Falimedes statt Polidames. — 89 str. V. — 243. 44 1. 
Noch st. V. — 203 1. Uncle (viT) gar ver-agef. — 942 1. AJs ich {ez} 
an (lem hnoche las = 2782. 

13017 — 290 sind in B iiberliefert; icb verzeicbne nur die we- 
nigen sicbem oder moglicben Besserangen, die sich daraus ergeben. 

— 076 Bezalte Troyhis den pris B, Behilt H; vgl. 14328. 14937. 

— 153 zu den sinen B, den fehlt H. — 178 Ez duM in ein un- 
w'isheit B, ein fehlt H. — 183. 84 eng e gen : sic gen B, cngein : 
sleinB. — 195 gar zerschiet B, rasfe zuschiet B. — 212 Und fehlt 
B. — 230 Der in an deni 2)ferde furte B, Der Troglum furte H. — 
232 harte leit, fehlt H. — 236 ir mirsB, irsmirlB.. — 239 Burch 
den hitch it z anderstt (vgl. 5666), fehlt H. — 269 dii fehlt B. — 
280 Achilles het in z e r s chit B . A. in zc sch'it H. — 284 ouch 

fehlt B. — 290 ouch fehlt B. 311 1. Bitter, froaire, maget, 

hieht st. Bitter frou-v ^ntanic Inechf, was die (chiastische) Grnppierung 
zerstort. — 578 Die zwcne do ivol wisten [Wes jenen ivas ze miiote) 
st. lene : so ist anch vorher gesagt ; 571 Die zwene hcrren . . . 574 lene ; 
es mnB nun freilich auch 582 Diejene zivinc in Dise zu-ene geandert 
werden. — 629 1. Tretet ini zuo (in) all e sit ; wahrend die IJberlie- 
ferung fast durchweg einsit, andersit, beidersit bietet und dem Autor 
sichert, findet sich ebenso konstant in allesU: 466. 1248. 1596. 1814. 
2036 u. s. w. : nur hier und 14024 hab ich cdlesif ohne in notiert. 

— 646 1. zerschiten {tsUen), vgl. 13280. 13656, — 697 1. Jlif rittern 
und (mit) niannen. — 977 1. Ez was [iw] ein unsclic tac (Des tagcs 
do er tot lac), vgl. 6176; allenfalls lieBe sich in rechtfertigen (‘den 
Trojanern’), wie 7905 In entstunt ein unsclic tac: vgl. auch 9149 
Si hcten ein unsclgen tac. 

Nach 14267 fehlt eine Beimzeile zum Sechsreim. 379 — 641 
liegt wieder B vor. — 380 jure B, taeje H. — 392. 93 schreibt B 
richtig als eine Reimzeile. lies Swelh wip {froirc H) erheben mold 
ein swert. — 397 Do enwas dd B, Da teas da H. — 417 sich reitte 
H, sich rechte B; vgl. 422 Reitet uch B, Bercitet uch H: 435 re it 
.sich B, hereitte skhB. — 431 Ich enwcu waz ich mir spreche, ich fehlt 
H. — 454 Sttmelichen geschach d a heil B, daz H. — 506 cds con H, 
alle vol B, — 531 Vnd{e) c cr qncme dannen B, i fehlt H. — 548 Sic 
sol den vil nd erzagen B, wuren ... verzagcAi B. ~ enhrunten B, 
verhranten B. — 576 Vn fehlt B. — 585. 86 hiez : liezB, hiez : hicz H. 

• .390 Mil dze und rnit tranke B, ezzen H. — 597 entdn B. hin 

dan H. — Einen gemeinsamen Eehler bieten HB in V..623. der als 
Entgleisung eines Schreibers verstandlich, doch schwerlich zweimal 
nnabhiingig eintreten konnte,_ also auf die gemeinsame Mntterhs. 
weist. V. 620 ff. lautet die tiberliefernng HB ; 



Beitrage zur Textkritik Herberts von Fritzlar. 


99 


Des tages ir wenic gems. 

An dem dritten tage alsam{e) 

Yon wibeii manic mannesnam{e) 

An dem ‘tage’ tot lac, 

wo in der letzten Zeile zweifellos velde gelesen werden muB. — — 
4322 str. in. — 843 L Vaterlialp. — 884 1. [Beide sie unde er) Sluogen 
under arm din sper st. zu arme , vgl. 14799. — 943 1. Burch 
iibermuot mid {dureh) nit. — 960 1. Swaz er ie ane gevinc st. ir. 

15165 f. Daz Priamus hie riet Des envinde ich ‘hie’ niet ist hie 
im zweiten Vers mechanische Wiederholung, ich schlage vor Des 
envinde ich an dem huoche niet. — 445 1. (Daz man men gans 
vant) Und tvurmezic [<s^] innen'i — 480 1. Sicaz {so) uch gevalle, vgl. 
9857 Steer so er were, 7705 Swelche so er getraf. — 691 1. Daz die 
Criechen im hunt uf geleit st. hette. — 763 str. dane. — 876 1. 
Anienor [sic/*| genante; obwohl neben genenden auch sich genenden 
seit dem Strafiburger Alexander mehrfach bezeugt ist, halt ich 
es hier doch fiir sekundar, vielleicht gar darch Misverstandnis 
eingedrungen, vgl. 1013 Zu hant sie do genante, 4274 Die Criechen 
genanten. — 934 1. gezimmer wie 16040. 

16119 1. entte resp. ente ‘endete’? — 210 str. Tn. — 229 1. 
Und als {ez) cpiam an (oder uf) den tac, vgl. 16738. — 258 Dd 
•liefen’ die frouicen inne (: luhieginne) ist unmoglich ; liefen ist wohl 
wiederholt aus 254, und es muB sdzen (oder wonten) eingesetzt 
werden. — 661 Ytis ‘bereitef niich des ist mir verdachtig, aber 
berihtet (vgl. 11138) und bescheidef (vgl. 14270) sind gleich moglich, 
hereitet ist vielleicht eine Zwitterform von beiden, doch vgl. immer- 
hin 17066 Als ich es vor hereitet bin. dem 11138 Als ir vor berihtet 
sit gegeniibersteht. — 675 1. in libe. — 988 str. mer. 

17002 1. liber bcrc und (uber) grunt. — 065 1. (Beide vor unde 
vort.) Beide hie unde dort st. Vnd. — 118 Daz selbe {teil) daz ir 
genus, ‘diejenigen unter ihnen die am Leben blieben’. — 142 1. 
Durch haz unde {durch) nit. — 462 1. Durch haffen und {durcK) 
schouwen. — 562 1. Warn daz ich durch tiurhc.it Von spise daz lant 
verkos st. Durch. 

18107 1. sente, mitteldeutscher Opt. Praet. — 217 1. Ez sprach 
(vgl. 18216. 217. 221. 223. 226). 


7 *- 



Silbischer und unsilbischer Laut gleicher Artikulation 
in einer Silbe und die Aussprache der indogerma- 
niscben Halbvokale u und i. 

Von 

Eduard Hermann. 

Vorgelegt i;i der Sitzung vom 22. Marz 1918. 

1. Man priegt eine Form wie gr. Air aus idg. *Hii herzuleiten 
(Brugmann G-rundr.^ II, 2. 182) und sich dabei vorzustellen, dab in 
der rekonstruierten Form derselbe Laut i dreimal hintereinander 
vorkam, erst als Sonant, dann als Konsonant und darauf wieder 
als Sonant. Mit einem derartigen Ansatz macht man die still- 
schweigende Voraussetzung, dab man innerhalb ein- und derselben 
Silbe einen Laut, obne die Artikulation zu verandem, hinterein- 
ander unsilbisch und silbisch sprechen kbnne. Gegen solche Laut- 
verbindungen ist, soviet ich weiB, bisher kein Widersprnch erhoben 
worden. Nur wer etwa mit J. Schmidt Sonantentheorie 3 fg. an 
idg. i und n iiberhaupt nicht glaubt und statt ihrer die Spiranten 
j und c einsetzt, billigt die Rekonstruktion *Jin nicht. Dab sie 
phonetisch unmbglich ist, haben die Anhanger der Schmidtschen 
Theorie nicht ausgesprochen. End da sich zeigen laBt, dab im 
Urindogermanischen wirklich die Halbvokale i und ii vorhanden 
waren, tauchen ahnliche Formen wie *liii in der sprachwissen- 
schaitlichen Literatur gar nicht selten aut'. 

Aber nicht nur ii. nu nnd i[. nu werden in tbeoretischen 
Formen ein- und derselben Silbe zugewiesen , auch die silbischen 
und unsilbischen Xasale und Liquiden werden in derselben Weise 
mit einander verbunden. Hiergegen hat allerdings lebhafter Wider- 
spruch eingesetzt. Bartholomaes (KZ 29, 273) hat bei 

den Gegnern der Sonantentheorie reichlich Spott geerntet, s. Bechtel 



Silbischer und unsilbischer Laut gleicher Artikulation usw. 101 

Hauptprobleme 131 und J. Schmidt Sonantentheorie 186. Letzterer 
tat an der genannten Stelle auch noch andre phonetische TJnge- 
heuer ahnlicher Art lacherlich zu machen versucht. Aber dieser 
Spott war nicht vollig gerechtfertigt ; denn Bechtel und Schmidt 
nahmen eigentlich nur daran Anstofi, dafi mm usw. in den Einzel- 
sprachen Vokal + Konsonant ergeben haben soUe, wahrend Vokal 
+ Geminata zu erwarten sei ; beide spotteten nur dariiber, daS 
derartige rekonstruierte Worter, die Nasale und Liquiden mehr- 
fach als Sonant und Konsonant hinter einander zeigen, unaus- 
sprechbar seien. Der Grund , weshalb man gommmme nicht aus- 
sprechen kann, haben Bechtel und Schmidt iibersehen. Nicht die 
Haufung derselben Laute, nicht die zwei sonantischen Nasale oder 
Liquiden hinter einander machen solche Worter unmoglich. Mit 
Recht hat ja Sievers Phonetik® § 112 darauf hingewiesen, da6 wir 
in der landlaufigen Aussprache einer Verbindung wie die herittenen 
Offiziere wirklich zwei n sprechen. Auch die Aufeinanderfolge von 
silbischem und unsilbischem Laut derselben Artikulation ist in ge- 
wissem Sinne nicht anstoBig. Darauf konnen wir wieder die Probe 
an unsrer Sprache machen; wir haben ijn hinter einander in be- 
rittene Offiziere. Dabei ist allerdings n neben n nicht anders zu 
verstehen als ss in iissn = essen. Mit der Geminata soil ja 
nicht gesagt sein, da6 zwei n artikuliert werden, ein sonantisches 
und ein konsonantisches, sondern nur, daB n zu zwei Silben gehort, 
ebenso wie sich ss ja auf die beiden Silben verteilt. Phonetisch 
richtiger ware es asy. zu schreiben. Dem entsprechend ware in 
phonetischer Schrift auch bei herittem: nur ein n berechtigt. Der 
grundsatzliche Fehler, der in *g 2 mmmmc steckt, liegt anderswo. 

Ihn macht auchSiev^ers mit, wenn er flir ‘berittenen' berititi-nnn 
ansetzt, wobei die letzte Silbe nijn sein soil. Er gibt dazu noch 
folgende irrefiihrende Erlauterung: ‘Ein und derselbe Laut wird 
also fort wahrend zwischen den beiden Kategorien [Sonant und 
Konsonant] bin- und hergeworfen, und vielfach hangt es ganz vom 
Belieben des Sprechenden ab, ihm die eine oder andere Funktion 
zuzuteilen’. Diese Worte sind darum unrichtig, weil sie eine an 
sich richtige Beobachtung falsch ausdriicken. Es ist ganz berechtigt 
zu sagen, daB man die letzte Silbe von herittenen so sprechen kann, 
daB n erst schwacher, dann starker, dann wieder schwacher ist. 
Aber es ist unrichtig, dabei von verschiedener Funktion des n zu 
sprechen. Die Unterschiede sind nicht nur gering, sondern laufen 
innerhalb einer Silbe auch ganz allmahlich in einander iiber. 
Wenn ich das Wort so nicht diphthongisch spreche, setze ich bei 
dem 0 starker ein und lasse es schwacher werden. Wem wUrde 



102 


Edu ard Hermann 


es aber einfallen, dies phonetisch mit soo zu nmschreiben ! Hierfiir 
haben wir doch die Bezeichming so. Wenn also n der letztea 
Silbe von herittenen wirklich in der Mittte am starksten ist, dann 
mufi man H umschreiben oder, da das n der vorletzten Silbe 

in der Starke ebenfalls abfallt, besser bcritinn. Die Umschrei- 
bnng der letzten Silbe mit nnn ist zu grob. 

Ein und derselbe Laut kann also innerkalb einer Silbe nicht 
erst Sonant und dann Konsonant sein oder umgekehrt. In beiden 
Fallen ist es nur ein Laut, und zwar im ersten ein abnehmender, 
im zweiten ein zunehmender. oim, U, rr und ii, uu sind in 

einer Silbe ebenso unmoglich wie mm, 11, rr und ii, uu. Xur 
auf zwei Silben verteilt, haben diese Lautverbindungen einen ge- 
wissen Sinn. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dafi in den meisten 
Fallen ebenfalls nur eine einzige Aitikulation vorliegt, nicht zwei 
Laute, deren zweiter neu angesetzt wird. Zwiefache Artikulation 
desselben Lautes wird in den meisten Sprachen iiberhaupt nur an 
der Grenze zwischen zwei Wbrtein vorkommen kbnnen. So kann 
einen mundartlich zu nv zusammenschwinden ; beginnt das daraut 
folgende Wort mit einem n wie in dem Satz icli habe ynir einen 
neuen Anzvg gclauft, so ist es theoretisch wohl mbglich. das zweite 
n von dem folgenden n zu trennen und n neu zu artikulieren ; 
zumeist diirfte aber auth da mit n zu einer einheitlichen Arti- 
knlation verbunden weiden. Nur weil das letzte Stuck des Nasals 
zur folgenden Silbe gehbrt, hat es eine gewisse Berechtigung \imi 
zu schreiben. Von seittn der Phonetik ware also gegen Bartho- 
lomaes Ansatz nichts einzuwenden gew'esen, wenn er statt gvnjn,mme 
vielmehr ^gatatmie geschrieben hatte. 

Sprachgeschichtlich wiirde ich auch *g 2 mmmc fiir verkehrt 
halten, ganz ohne Rikksicht auf die Berechtigung der Sonanten- 
theorie, die ich hier weder zugeben noth ablehnen will. Die ave- 
stischen Formen mit aw, die Bartholomae KZ 29, 279 fg. vorgelegt 
hat, sind doch wohl samtlich Analogiebildungen nach thematischen 
Formen, wie das Reichelt Awest. Elementarbuch 98 fiir liiscama'de 
als die eine Moglichkeit neben idg. -nnn- zugibt. Man braucht 
sich auch gar nicht zu wundern, daJl gerade die Formen J//y/awa, 
M.scama'cle ein a eingefiigt haben, erst durch diesen analogis.chen 
Vokal werden sie leichter aussprechbar. Da im Iranischen Ge- 
minata vereinfacht worden zu sein scheint, wiirde der Form JO/yawia 
ohne Einfiigung des a, je nachdem, wie man es auifassen will, das 
m des Stammes oder der Endung gefehlt haben. 

Der hier geriigte Fehler zieht sich durch einen grofien Teil 
der sprachwissenschaftlichen Literatur hindurch, besonders die 



SUbischer und unsilbiscber Laut gleicher Artikiilation usw. 103 

Verbindung p, mi kann man haufig lesen. Manchmal ist der Fehler 
dadurch verdeckt, dafi ji, vu oder wu geschrieben wird. So setzt 
Hirt Handbuch d. griech. Laut- und Formenlebre^ 400 als altere 
Stufe des Dativs inot die Gestalt *y]x6ji an. Darin steckt aber 
der Fehler gerade so gut, wie wenn er *riy6ii geschrieben hatte; 
denn S. 217 wird gesagt, das j seinem Lautcharakter nach ein un- 
silbisches i war. Manche Forscher scheinen zu glauben, dafi i u n m 
usw. als Sonanten und Konsonanten prinzipiell geschieden seien, so 
z. B. Meillet Einfiihrung in die vergleichende Grammatik Ubers, 
V. Printz S. 68. Diese Ansicht beruht auf einem leicht erweis- 
lichen Irrtum ; dadurch dafi einVokal konsonantisch oder ein Kon- 
sonant sonantisch wird, tritt an sich keine Veranderung in der 
Artikulation ein. Ich mufi daher auch Forscher, welche dieser 
Ansicht huldigen, des Fehlers zeihen, dafi sie Laute derselben Ar- 
tikulation hinter einander in einer Silbe als Sonant und Konsonant 
oder umgekehrt fur mbglich halten. Man braucht nur ein bischen 
zu blattem, um den geriigten Fehler bei den verschiedensten Sprach- 
forschern anzutreffen. Ich nenne hier nur einige : Boisacq Diet, 
etym. 364, Braune Got. Gramm.® 25, Brugmann Grundrifi^ I, 268 ; 
II, 2, 182, Charpentier Die verbalen ? -En8ungen 57 fg. , Giintert 
Indogerm. Ablautprobleme 6, Kluge Elemente des Gotischen® 43 fg,, 
Leskien Grammatik der altbulg. Sprache 44, Lindroth IF 29, 173 
(trotz der phonetischen Auseinaudersetzung iiber i. }, ii, w), Loewe 
German. Sprachw.® II, 75, Luick, Hist. Gramm, engl. Spr. I, 116, 
Maurenbrecher Parerga zur lat. Sprachgesch. 43, Meillet Einfiih- 
rung 178, Niedermann Melanges Saussure 60, 62, OsthofF Morph. 
Enters. 4, XI und 298, v. Planta Gramm, osk.-umbr. Dialekte 1, 179, 
272 ; II, 152, de Saussure Memoire sur le syst. prim. 208, Solmsen 
Studien z. lat. Lautgesch. 42 fg., Sommer Handb. lat. Laut- und 
Formenl.- 67, Streitberg Gotisches Elementarbuch®''* 82, Walde Die 
german. Auslautgesetze 149 fg. usw. *). Ich glaube, wir haben alle 
oder fast alle miteinander den Fehler mitgemacht. Nur zwei 
Stellen^) sind mir zur Hand, an denen die richtige Erkenntnis 
durchschimmert. KZ 38, 325 sagt Pedersen, mis sei unter der Vor- 
aussetzung leicht sprechbar, dafi das konsonantische u etwas ge- 
schlossener als das sonantische >1 war. Aber vollig scheint Pedersen 
die Sache nicht erkannt zu haben; denn in seiner spater erschie- 

1 ) Wenn Bezzenberger Mit. lit. lit. Ges. 2, 32, 5 s tatO'lcu schreibt, so kann 
das nur den Sinn baben. daC das bochgesetzte u eine andre Artikulation bat als 
das vorausgehende. 

2) Nirbt reebt \erstandlich ist mir Vondr.tks Bemerkuug Altkirchensl. Gramm. - 
67 uber das Verluiltnis von ii zu i. 



104 


Eduard Hermann, 


nenen Vergleichenden Grammatik der keltischen Sprachen 1, 47 nennt 
er den irischen Akk. Plur. cona als Beispiel fiir die Fortsetzung 
eines idg. ns. Das enthalt die nieht zn bUligende Voraussetzung, 
da6 cona aus *ktmns entstanden sei. Vermischte Beitrage 14 nennt 
Wackernagel ij eine undenkbare Lautfolge, nnd doch macht er 
Akzentstudien III NGG 1914, 120 den Ansatz *duoiiidi und geht 
Sprachl. Untersuch. z. Homer 99/100 von idg. Formen mit -nn- aus. 

2. Wer wie Bnigmann den Ansatz eines idg. u fiir richtig 
halt, kommt bei Hekonstruktion des Akk. Plur. der «-Stamme 
jedenfalls ins Gedrange. Nach dem Schema der Bekonstruktion 
fiihren ai. cunas, gr. y.vvas, ir. cona^ lit. s-un'is ebenso wie lat. 
homines, abulg. kameni den Anhanger der Sonantentheorie gleich- 
mahig auf die phonetisch unmogliche SchluBsilbe -nns. Theoretisches 
nns kbnnte nichts anderes als {ts sein. Lautete da die Urform 
von xvvag etwa *ku{is ? Dai*aus hatte doch wohl *xvag, ai. *cuas 
usw. werden miissen, Oder will jemand das neue Lautgesetz auf- 
stellen, dafi y hinterVokal im Altindischen na, im Griechischen vu 
usw. ergab? Derartiges kbnnte man sich wohl fiir diejenigen Sprachen 
denken, die aus n sonst einen Yokal entwickelt haben. Aber die 
Sprachen wie das Lateinische, Germanische, Litauische, die aus ),i 
Vokal + gemacht haben, wlirden dann ja hinter Vokal n zu 
Nasal + Vokal + Nasal entwickelt haben miissen; das ist natiirlich 
ausgeschlossen. Indes auch mit den Sprachen, die nur Vokal fiir 
n haben, entsteht eine Schwierigkeit, sowie man sich klar machen 
will, wie es mit denjenigen Stammen stand, in denen dem -n nock 
ein Konsonant vorausging. Nach Brugmann GrundriB- II. 2, 228 
lautet zu ai. iiksnis die rekonstruierte idg. Form *uiisnns, was fiir 
nns nur *a(isns bedeuten kann. Aber aus *uiisns wiirde indisch 
*uksas, nicht uksnas entstanden sein. 

Mit Giinterts Schwa sekundum (Indog. Ablautprobleme 127) 
wiirde man nicht viel weiter kommen. Zwar fiir das Baltisch- 
Slavische z. B. wiirde o-i ausreichen, so *kuno 2 ns = lit. s 2 uh)s, 
aber fiir andere Sprachen nicht, wir wiirden ja ai. usw. 

^ erwarten miissen. 

Solche Bedenken wie bei dem Akk. Plur. der >/-Stamme gibt 
es noch bei manchen andern Formen, bei dem Akk. Sing, der at- 
Starame wie lat. hiemcm, im Verbum bei Formen wie got. ncmnin 
u. a. Auch ai. ughnata gehbrt hierhin. Wackernagel halt Glotta 

B Niclit unerwdbut s^ll bleiben, ilaB laan nach Osthott' .M.U, IV, 2S5 statt 
*kuns viellpicht oin *];uns anzn^etzen batle. 



Silbischer und unsilbischer Laut gleicher Artikulation usw. 


105 


259 = Sprachl. Unters. Horn. 99 diese indische Form fiir laut- 
gesetzlich und verlangt statt hom. -xitfavtai ein alteres 
vermutlich zu Unrecht. Wenn im Urindogermanischen Formen mit 
-nnt- d. h. mit -nt- zugrunde lagen, war die 3. Person im Singular 
und Plural bei derartigen Verben nicbt unterschieden ; lautgesetz- 
liche Entwicklung ware ^ititfarca, *t£Taro gewesen, deren Verdran- 
gung durch ni(pcivTat, rhavto besonders leicht v^erstandlich wiirde. 

Die Scbwierigkeiten, die sich bei den n- und H 2 -Stammen er- 
geben, schwinden sofort, wenn man Brugmanns Nasalis sonans 
ganz fallen laBt und dafiir J. Schmidts e'‘. c”' einsetzt. Diesen 
Dedankengang haben die G-egner der Sonantentheorie nicht einge- 
schlagen ; sie batten aber daraus eine Hanptwaffe gegen Brngmann 
Schmieden konnen. Da sie sich diese Gelegenheit haben entgehen 
lassen, ist es nicht meine Sache, einen nicht gemachten Angriff 
abzuwehren. Aber mir scheint es noch gar nicht sicher, daB in 
den genannten Fallen iiberhaupt in der iiblichen Art zu rekon- 
struieren ist. ai. ul-snas, ins Vorurindogermanische umgesetzt, 
konnte etwa *'*euqsenens gelautet haben. Nicht gern trete ich in 
das mystische Dunkel vorurindogermanischer Formen ein und schlage, 
um mein Heil zu wahren, gleich zwei Kreuze. Das ist bier notig. 
Denn Giintert hat Idg. Ablantpr. 115,125 ganz recht mit derFor- 
dernng, dafi man nicht von Wurzeln oder Basen ausgehen miisse, 
um den Ablaut richtig zu begreifen, sondern von Wbrtern. Bei 
dahin gehenden Versuchen wird man aber meist nur zu ganz phan- 
tastischen Gebilden gelangen : auch **€n(jsei)ens mag von dieser Art 
sein, obwohl es nach den Regeln der Kunst rekonstruiert ist. Wenn 
man sich nun fragt, was denn im Indogermanischen hieraus nach 
dem Wirken der Ablautgesetze geworden sein kann, so wird man 
nicht umhin konnen. sein volliges Nichtwissen einzugestehen : cn 
mag zu )i oder n geworden sein, was aber wurde aus enen? Etwa 
im oder li ? Man wird nur vermuten dttrfen, daB es ein Resultat 
ergab, das von der iiblichen Form des betreffenden Kasus und des 
dazu gehorigenSubstantivstammes etwas abwich. Formen wie y.vva^. 
ai. runns, aisl. prnii, lat. hiemem usw. sehen gar zu regelmaBig aus, 
sie lassen sich trotzdem nicht in eine phonetisch mogliche indo- 
germanische Form umsetzen. wir bekamen ja nur -nn- und -mm^ 
heraus. Sie werden also — die Richtigkeit von Nasalis sonans einmal 
vorausgesetzt — analogisch umgebildet warden sein, und zwar in 
einer Zeit, als v und in ihre einheitliche Artikulation als sonan- 
tische Nasale aufgegeben batten, d. h. in den Einzelsprachen. 

Die lautgesetzliche Form des Akkus. Sing, eines n^-Stammes 
vermute ich in ai. I'^rnn. av. nun. Zu diesen Akkusativen ist dann 



106 


Eduard Hermann, 


der Nominativ I’Sds, £ 0 . neugebildet (Brugmann Grdr- 1, 317). dra.uK 
darf man nicht mit Brugmann Grundrifi- II, 1, 136 auf *ddmm za- 
riickfiihren, armen. fnu lafit nur auf idg. *dom schliefien; eine be- 
sondere antekonsonantische Form diirfte es nicht gegeben haben. 
dra fasse ich dagegen als eine Bildung des Stammes dom- anf, wie 
got. namu u. a. von einem «-Stamm gebildet sind. Zu Sa wird 
drajua eine spatere Weiter bildung sein. 

3. Eine viel grollere Rolle als bei den Xasalen spielt das in 
Frage stebende Problem bei i nnd n. Wir werden sehen , da6 
sieh nicht nur das Alter mancher Analogiebildung und manches 
Lautgesetzes erst jetzt festlegen lafit, sondern da6 auch die Aus- 
sprache der konsonantischen Reflexe von i und u mitbestimmt 
werden kann und dab sich besonders an die zweite Sorte dieser 
Laute Fragen ankniipfen, die tiefer in den Aufban der indoger- 
manischen Sprachwissenschaft eingreifen. Zum Teil spielen hier- 
hinein auch die Sonantentheorie und die Gutturalfrage ; von Bei- 
spielen der Art sehe ich in dieser kleinen Untersuchung vollig 
ab, um sie hotfentlich ein andermal fiir sich behandeln zu kontien. 
Es sollen also Falle wie ai. amd, got. ivtdla aus angeblichem *i/lna^ 
got. aurtigard-i aus angeblichem '*ifrd- usw. ebenso wenig unter- 
sucht werden wie lat. qitercus. kelt. Uercyniu, got. fairguni aus 
usw. Hier soil im Mittelpnnkt die Aussprache der beiden 
genannten Laute stehen, soweit sie mit unserem Problem zusammen- 
hiingt. Es wird sich allerdings nicht ganz vermeiden lassen, die 
Aussprache zuni Teil auch noch etwas weiter zu verfolgen. Um 
.Schwierigkeiten in der Bezeichnung aus dem Weg zu gehen, setze 
ich als Ausgangspunkt idg. i und tj an, die Zeichen der Halb- 
vokale, ohne damit iiber die Ausprache dieser Lautzeichen irgend- 
wie vorher urteilen zu wollen. 

Ich beginne mit dem Slavischeii. Uber die heutige Aus- 
sprache des slavischen / werden wir von Broch, Slavische Phonetik 
genau unterrichtet. Xach seinen Ausfiihrungen S.S. 38, 72, 77, 
86, ill, 91, 99, 105, 217, 272 finden wir in samtllchen .slavischen 
Spraehen gleichmiifiig jegliches j, einerlei welcher Herkunft , ob 
aus idg. i ererbt oder erst im Slavischen entstanden, bald als 
Spirant /, bald als Halbvokal i. Bei langsamerem uiid deutlicherem 
Sprechen wird j mehr geoffnet und wird geradezu zu einem e : die 
Aussprache liegt also nicht fest, sondern wechselt selbst bei dem 
einzelnen Individuum. Bei dem geringen lautphysiologischen Unter- 
schied zwischen j und i ist dieses Schwanken nicht so sehr wunderbar. 
Yielleieht ist das im Englischen und in dentschen Mundarten, die 



Silbisther uiid unsilbischer Laut gleicher Artikulation usw. 


107 


i kennen, nicht viel andeis. Es braucht ja die ZuDge, die bei i 
den Zahnen scbon sehr nahe ist, nur noch ein klein wenig vorge- 
schoben zu werden, nnd es entsteht ein Reibungsgerausch, das den 
Halbvokal zum Spiranten macht. Bemerkenswert erscheint mir, 
da6 diesen Wandel alle Slavinen gleichmadig kennen. Das beweist 
naturlich noch nicht , dafi es im Urslavischen auch schon so war, 
macht aber die Vermutung, dafi es nicht erst in den einzelnen 
slavischen Sprachen so geworden ist, recht wahrscheinlich. TJnd 
zu dieser Annahme pafit raanches andre. Auch wiirde sie erst 
verstandlich erscheinen lassen, dafi weder das glagolitische noch 
das kyrillische Alphabet einen besondern Buchstaben fiir diesen 
schillernden Laut hatte. Um das i auszndrucken, behalf man sich 
in der verschiedensten "VVeise, vgl. Vondrak Aksl. G-r.- 66 fg. Das 
Zeichen fiir j. das man in der Glagolica in Fremdwortern wie 
jeona schrieb, wandte man fiir i nicht an. Man schied also zwischen 
beiden in der Aussprache. } hatte eben wahrscheinlich ein sehr 
deutliches Reibungsgerauch, das dem i, mindestens in diesem MaBe, 
abging. 

Neben i derselben Silbe kann sich i nur dadurch balten, daft 
es merklich enger artikuliert wird (Broch 262 fg. vgl. Smal-Stockyj 
Ruthen. Gramm. 15) wie in kleinruss. cifi, zum Spiranten wird es 
dadurch noch nicht unbedingt. So verstehen wir auch, dafi ein 
konsonantisches und ein sonantisches i-. eben mit verscbiedener Ar- 
tikulation, hinter einander in den Formen des Pronomens der dritten 
Person stehen konnen wie in russ. UMt, hxt. usw., vgl. entsprechend 
kleinrussisch huij,, Smal-Stockyj ebda. 

Inwieweit i sich mit folgendem i im Slavischen verbunden 
hat, vermag ich mit den mir zu Gebote stehenden Mitteln nicht 
ganz zu beurteilen. Wahrend im Russischen und andern slavischen 
Sprachen das Pronomen der dritten Person oft mit ii- bez. ji- an- 
lautet, Laben dieselben Kasus im Slovakischen, in einigen miih- 
rischen Mundarten usw. den Anlaut i, z. B. Instr. Sing. im. Nach 
Yondrak IF 10, 116 stellt dabei der Anlaut i- den urslavischen 
Zustand dar, wahrend ii-, ji- auf Analogic beruhen soil. Leskien 
will das IF 10, 261 gelten lassen , obwohl ein Beweis dafiir nicht 
erbracht sei. Der Beweis lafit sich aber vielleicht erbringen, falls 
sich ein Dnterschied im Anlaut des deklinierten Relativums (mit j) 
und der zu Konjunktionen erstarrten Kasus des Relativums (ohne j) 
nachweisen lafit, was meiner Beurteilung entgeht. 

Im Inlaut hinter Konsonanten hat Leskien IF 10, 259 fg. die 
Lautgruppe -ii bez. -ji festgestellt. Wie es hinter Vokalen steht, 
bleiht noch zu untersuchen. Die verschiedenen slavischen Sprachen 



108 


Eduard Hermann. 


stimmen heute darin nicht iiberein. Wahrend im Cechischen der 
Nominativ Pluralis des Possessivum rnoji, im Serbisclien moji lautet 
und im Rutheniscben z. B. cmoimi als stojit' (Smal-Stockyj, Ratten. 
Grramm. 16) und im Weifirussiscben z. B. cbohx-b als scajich (Berneker 
Slav. Chrest. 102) za sprechen ist, spricht man groSrass. moi, shi, 
arm 'd usw. ohne Konsonant vor dem -i der Endung. Die Slavisten 
greifen diese Frage vielleicht bald einmal auf, zamal sie durch 
Bruckners Streitruf Gesch. idg. Sprachwiss. II, 3, S. 2 wegen der 
Geltung des slaviscben h fiir i + 1 auf den Schlachtplatz heraus- 
gefordert sind. 

Mir kommt nach Bruckners Mahnnng Leskiens Ansatz abg. 
moji> usw. nicht mehr richtig vor; man wird moj ansetzen miissen. 
Also hinter Vokal ist i + fc zn einera Laut verschmolzen, so auch 
beim enklitischen Pronomen, z. B. wvVaaclio i — moVaaclioj, vgl. 
BphW 1918,41. Hinter Konsonant ist es aber, ebenso wie bei 
langem ? hinter i, anders. Man konnte einen Haken auf den Kon- 
sonanten setzen und fiigte t hinzu, z. B. d. h. man sprach 

eine Art i oder j vor a. Auch hier laBt sich nicht sehen, ob der 
Aniaut dieses Akkusativs jh lautgesetzlich geblieben oder analo- 
gisch wieder eingefiihrt worden ist. Ebenso ist es mit Formen 
wie honh- lioni. 

Im absoluten Aniaut ist i vor b nicht geblieben. Wir konnen 
aber nicht recht erkennen, wie verandert worden ist, wir sehen 
nuv das Endergebnis : ?, also eine Dehnung '). So warden behandelt 
B- und alle Verbindungen von anlautendem )- mit b, gleichgiiltig 
welcher Herkunft, z. B. idg. di in imo, idg. jit in igo, idg. i oder 
>0- in He. Lautgesetzlich ergab sowohl idg. *is wie idg. im 
Slavischen /; sollte nicht dieser Umstand zu einer Vermengung 
der beiden Pronomina gefiihrt haben? Wir werden sehen, da6 
diese auch im Baltischen eingetreten sein kann. Andrerseits mag 
die Veranderung des Anlauts und die Reduktion des Nominativs 
auf einen Laut, wogegen sich ja die indogermanischen Sprachen 
vielfach strauben, vgl. Wacbernagel KGG 1906, 147 fg.. bewirkt 
haben, da6 man den Nominativ i durch oni ersetzte und da6 die 
ebenfalls einsilbigen Nominative /a. Jr infolgedessen durch oita. ono 
verdrangt warden. 

Verluren gegangen ist das anlautende i vor b also auf irgend 
eine Weise : ob das, nachdem b- zu i- geworden war, geschah oder 
vorher, wird zu untersuchen sein. Vondrak stellt sich Aksl. Gr- 79 

1) Bruckners Ansatz Gesch. Siiiuchw. 11, •:!, Ui, lOO ji- z B. /h/n ist nicht 
riclitig, vd. HplAV lOl-', 11. 



Silbischer und unsilbiscber Laut gleirher Artikulation usw. 


109 


den Vorgang so vor, daS ans ib zunachst ih wurde; irgend einen 
Beweis fur diese Metathesis hat er aber nicht erbracht. 

Selbstverstandlich handelt es sich bei iJ-e, into, igo um eine 
Debnung. wie es ja auch von den Slavisten aufgefaBt vvird, nicht 
etwa nm die Vereinigung von i oder j + 'i zn ?; denn diese Ver- 
einigang ergabe nicht sondem f. Das verdient noch einmal be- 
sonders gesagt zu werden. Wenn i oder / zu T hinzakommt, wird i 
natiirlich langer; aber es wird noch kein langes t. Umgekehrt 
wiirde <+;’(?’) ein langes ? ergehen, wofiir man iibrigens gerade 
ans dem Slavischen etwa abulg. irije neben trhje u. a. nennen darf. 
Denn hier wird die Dehnnng doch wohl darauf beruhen, dafi man 
einen Teil des Xi) schon in der ersten Silbe vorausnabm , es also 
geminierte, wie man gewohnlich ohne Riicksicht anf die einmalige 
Artikulation statt ‘verlangerte’ sagt. Das sieht zunachst vielleicht 
wunderbar aus, verliert aber sofort alles Befremdende, wenn man 
sich ein wenig weiter umsieht. 

Im griechischen nnd lateinischen Vers macht bekanntlich nnr 
der hinter demVokal clerselben Silbe stehende Konsonant Position, 
nicht der vor ihm. Vor dem Vokal diirfen sogar mehrere Konso- 
nanten stehen, ohne die Silbe zu langen, daher ist hinter der Zasnr 
die Silbe apo- kurz ; A 84 rbv d’ accausi^6(isvog n go o s (pr} Ttodag 
ax'bg ’Ap^/syg, ebenso die Silbe iv-: A 273 xal glv gsv ^ovkaav 
%vvi£v nai^ovto rs Dionys von Halikarnafi erwahnt Jt. ewd. 

or. 15, dad die erste Stelle von ergocpog trotz der drei Konso- 
nanten noch knrz ist. Bei Catull heidt es in der rein iam- 
bischen Hexapodie 4, 9 ; Fropontida trucemve Ponticura sinum. Die 
experimentellen Untersnchungen haben denn auch ergeben, dad die 
silbenanlantenden Konsonanten durchweg kiirzer sind als die silben- 
auslautenden, s. Jespersen, Lehrbuch der Phonetik 182 fg. Uuter 
den hier S. 187 ans E. A. Meyers Englische Lautdauer S. 30 und 
77 zusammengestellten Tabellen zeigen besonders die inlautenden 
Konsonanten, die wenigstens hinter langem Vokal Aulaut der fol- 
genden Silbe sind. viel geringere Zeitdauer als die anlantenden 
hinter kurzem Vokal; aber auch die anlautenden sind kiirzer, zum 
Teil recht erheblich, z. B. I 10.6: 17,4 Hundertstel Sekunden, m 
10,2 : 17,8. Bei inlautenden Konsonantenverbindungen ist der zweite 
Konsonant besonders kurz, s. Meyer S. 79: b hinter m 2,8 Hun- 
dertstel Sekunden, hinter langem Vokal 6,2; p ebenso 3,6: 8,0. 
Im Auslaut einsilbiger Worter beansprucht b hinter langem Vokal 
8,8, hinter kurzem 10,1 Hundertstel Sekunden; p 12,6: 14,8. Im 
Serbischen sind die Unterschiede allerdings geringer, s. LC 1917, 791. 
In den alteren indogermanischen Sprachen dagegen muB der Unter- 



110 


Eduard Hermann, 


schied der Zeitdauer zwischen silbenanlautenden und silbenauslau- 
tenden Konsonanten noch gro6er als im Englischen gewesen sein. 
Nur so erklart sicb die Positionslange und ebenso die Ersatzdeh- 
nung. wie sie in f tjti , got. ga^eihcin usw. z;nm Ausdruck kommt. 
Die Yerschmelzung von i mit folgendem i, von « mit » konnte 
also, wie das auch die Beispiele im folgenden iiberall bestatigen 
werden, nur 7 oder a ergeben. 

AVenn Sommer Sprachgesch. Erlauterungen f. d. griech. Unterr. 
49 das 7 in ai. hlmrantl aus idg. jd (gemeint ist i») kontrabiert sein 
lafit, befindet er sicb im Irrtum ; denn er scbeint zu glauben, dafi 
a im Indischen erst zu i wurde und dafi dann i + 7 eine Lange 
ergab. Dabei ist aber zum TJberfluB aucb noeb iiber.seben, dafi im 
Litaniscben (;vekaiifi) und im Gotiscben (frijondi) usw. das a nicbt 
zu 7 geworden sein kann, sondern a batte werden und im Grotiscben 
abfallen mussen. Genau denselben Febler wie Sommer macbt Giintert 
Indog. Ablautprobleme 6, wenn er, andern folgend, 7 in ai. pinu- 
und jitd- als die Fortsetzung von idg. h ansiebt. das im Ariscben 
zu ii und weiter zu 7 geworden sei. Die Gruppe der indiscben 
Worter gebort docb mit ini-an-. ij'tcar'i usw. zusammen, und von 
diesen sind ntow. nhigu nicbt zu trennen, deren i aus p nicbt 
berleitbar ist. Ebenso scbeitert Ostboffs Tbeorie MU IV. 281 fg., 
nacb der **uey]tO > *ii'Uc/)io > *0(jh7) geworden ist. 

Bei dem siaviscben v stebt es nicbt ganz so wie bei )■ Fast uberall 
ist !• heutzutage Spirant, und zwar labio- dentaler Reibelaut, s. 
Brocb 30. Ganz augenfallig zeigt sicb dieser Unterschied im Rus- 
siscben, wenn v vor folgendem stimmlosen Konsonanten selbst stimm- 
loser Spirant wird z. B. in iforoj; dagegen der i-Laut bleibt stimm- 
baft z. B. in pojti. Nur insofern zeigt sicb nocb die, wie wir gleicb 
seben werden, alte balbvokaliscbe Xatnr des c, als es selbst einen 
vorausgebenden stimmlosen Konsonanten nicbt stimmbaft macben 
kann, wie das die stimmhaftenVerschlufilaute undSpiranten tun, z. B. 
(■ in gegeniiber in .'-//orx oder t > d in otiifh Das n in nord- 
groBrussiscben Mundarten, z. B. pdn.p/ Berneker, Slav. Chrestomatbie 
99 und im Weifirussiscben z. B. use ebenda 102 fg. kann natiirlich 
nur einen bilabialen Spiranten meinen, wie sicb scbon aus der Stel- 
lung in der Silbe ergibt. Wie wird aber nordgroBruss. bleztiiiii 
S. 99. gl'wnuij S. 100 und weifiruss. ikbian S. 103 zu beurteilen 
sein? — Intere.ssant ist in diesem Zusammenbang aucb der tlber- 
gang von unbetontem u in v in kleinruss. cdanf = udarit', s, Smal- 
Stockij und Gartner, Grammatik d. ruthen. Sprache, 84. 

^Mr in ugrorussischen *) und .siidserbischen Mundarten und im 

1) Man vergleiche aber ruthen. uauMo = naoMo, s, Smal-Stockyj und 



Silbisfher und nnsilbischer Laut gleicber Artikulation usw. 


111 


Slovenischen liegen die Yerhaltnisse ganz gleieh denen des y, so 
daB dort v mit u and in langsamer Rede sogar mit o wechselt, 
s. Broch 31 fg., 74, 81, 93, 243 fg., 252, 254. Hierin konnte sich 
vielieicht der urslavisclie Zustand fortgesetzt haben. Aber wie im 
Neubulgarischen v Spirant ist, so konnte es das auch im Altbul- 
garischen schon gewesen sein. Die beiden slavischen Alphabete 
haben ja einen besonderen Buchstaben fiir r . eine TJmbildung des 
griechischen /i, das in jener Zeit bereits spirantisch gespruchen 
wurde. So finden wir denn c aucli vor t., das, aus o oder a ent- 
standen, einen fiir das Altbulgarische noch nicbt genau festgelegten, 
iiberkru-zen Vokal (Leskien. Gramm, altbulg. Spr. 10) darstellte. 
DaB dieses o dnrch die Zwisehenstufe T/ einmal hindurchgegangen 
war, ist wahrscheinlich. 

Hinter Konsonant soil v naeh Brugmann Grnndr.- 1, 340 vor 
folgendem h in alter Zeit geschwunden sein. daher die isolierte 
Form redx. dagegen bei den naeh der ao-Deklination flektierten 
Wbrtern soil v schon im Altbulgarischen wieder eingefiihrt sein, 
daher wj'i0 1 ., wahrend hinter Vokal c auch in den isolierten Formen 
wie steht. Diese Ansicht durfte nicht richtig sein und 

ist von Brugmann selber Grundr.- II, 1, 571 aufgegeben worden. 

Wie der Nominativ solcher slavischen Partizipien zustande 
gekommen ist, hat fiir mich hier kein Interesse, da die Verbindung 
vh nicht nur in dieser einen Form zu finden ist; haben wir doch 
neben ved'hsa auch snac'hHt usw. im Genetiv und neben vcd-hii auch 
^iiai'bsi usw. im Femininum. Diese Bildungen reichen vielieicht 
iiber das Slavische hinaus, sie haben in den baltischen Sprachen 
ziemlich genaue Entsprechungen. z. B. dorx. lit. dCicaa. s. Brugmann 
Grundr.- II, 1. 371 fg.; II, 3, 492 fg. In beiden Sprachgruppen hat 
das auf die Verbindung eines konsonantischen tj mit einem sonan- 
tischen. u deutende Element da.s Partizipium der meisten voka- 
lischen Stamme erobert, obwohl noch nicht alle wie altb. cJivaTh, 
lit. inyh'jns, preuB. nnlfyaHS ; am weitesten ist dabei das PreuBische 
gegangen, s. Osthotf MU. IV. 379. Wie das Suftix entstanden ist, 
hat Brugmann an der ersten der genannten Stellen auseinander- 
gesetzt. Den Ausgangspunkt lieferten die Verbalstiimme auf -u 
(und -u). Wenn hier ein vokalisch anlautendes Suffix antrat. ent- 
stand ein n als Ubergangslaut zwdschen Stamm und Suffix, und 

Gartner, 83. Uberbaupt sdieint die halbvokalisL-lie -^ussprache des v in den drei 
russischen Sprachen weiter verbreitet zu sein, als es Broch angibt, s. die aller- 
dings nicht ganz einwaudfreien Bemerkungen Sobolevskijs, Lekcii* 120 fg. Weitere 
Spuren s. Yondnik Ygl. Gr. I, 282 fg., yi O mit Recht urslavischer Halbvokal an- 
gcnommen wird. 



112 


Eduard Hermann, 


dieses u wurde auf die Formen mit Suffix -us ubertragen : so steht 
neben abulg. hyv'hs't scbon ai. haWiuvusj, how. neffwia. Es erhebt 
sicb die Frage, wie alt derartige Bildungen sein mogen. Die ver- 
schiedene Quantitat des Stammvokals, Lange im Slavischen davT,^ 
hyi"h Kfirze im Litauischen ddvus, liivtis, Lange im Prenfi. dauns 
konnte nabe legen, dafi der Hiatus erst in den Einzelspracben 
getilgt ist, zumal im PreuB. -icuns nur vereinzelt erscheint wie in 
taylwiruns , meist nur -wits, wie in hilhuns, dciuns usw. , Berneker 
Prenfi. Sprache 230 fg.. Trautmann Die altpr. Sprachdenkm. 255 fg. 
Aber bei der Unzuverlassigkeit preoBiscber Schreibung, vgl. be- 
sonders noch humins, darf man kaum Schliisse daraus ziehen. DaB 
im Preufiischen der Ubergangslant {u) mit dem folgenden a ver- 
scbmolzcn sei, wird man angesichts der Formen auf -ivitns ebenso 
wenig fest behaupten diirfen, wie dafi dauns die altere Stufe dar- 
stelle, in der w noch nicht von den S-Stammen iibernommen sei. 
Man wird aber jedenfalls mit der Moglicbkeit rechnen diirfen, dafi 
scbon im Lrbaltischslavischen ein Teil der vokaliscben Stamme, 
zum wenigsten die ii- Stamme Partizipien mit u vor der Endung 
■us- bilden konnten, wenn sicb aucb Gewifiheit dariiber nicht er- 
reicben lafit. Also scbon in jener Sprachperiode konnte es viel- 
leicbt Formen gegeben haben. in denen a mit folgendem u nicht 
verscbmolz. Die Aussprache dieses m muB dann von der des fol- 
genden u irgend wie abgewichen sein. Sie konnte geschlossener 
gewesen sein, also n, oder spirantisch, also etwa bilabiales ic. Was 
als das Wabrscheinlichere zu gelten hat. wird sicb im Lauf der tfnter- 
suchung bofl?entlich deutlicher zeigen. Hier sei fiber das Partizipium 
nur noch bemerkt, daB Formen mit -vus- im Altindiscben nur von den 
u-Stammen vorliegen, also fiber das Ur.sprimgsgebiet nicht hinaus- 
gewachsen sind. Man wird fragen diirfen. ob dies nicht etwa gar 
ein urindogermanisches Erbstfick ist. Die andern Vokalstamme 
verlieren im Altindiscben ihren Vokal vor dem Suffix -vs- z. B. 
tasthusi von siho , und das konnte im IJrindogermanischen ent- 
sprechend gewesen sein. Bei den «-Stammen lag das aber anders : 
das u von *hhu war vermutlich doch die Schwundstufe einer zwei- 
silbigen Basis; da wird also im Partizipium vor dem -us- nicht 
auch u geschwunden sein. Eher konnte man daran denken, daB 
sich u mit -us- zu -ns- verband, wie sicb das Brugmann KZ 21, 85 
ahnlich vorstellte; der Sj^stemzwang konnte aber damals scbon 
-US- zweisilbig gemacht haben, wobei dann aucb hier ein ii'gendwie 
beschalFenes u (wohl u) vor n in betracht kame. 

Sicherlicb erst innerhalb des Slavischen ist im Aniaut der 
A orschlag vor x und y, zu einer Zeit, als sie noch «-Laute waren, 



Silbischer und unsilbisclier Laiit gleicher Ardkulation usw. 


113 


entstanden. Dieser Vorschlag wird bei seiner Entstehnng eher ein 
M, also ein geschlossenes ?/, als ein Spirant gewesen sein, da « 
dem Vokal n in der Artiknlation naher liegt. Man setzte etwas 
geschlossener ein nnd fnhr geoiFneter fort, das konnte leicht zur 
Scheidung in zwei Lante fiihren, wie z. B. bei dem weifirussischen 
in betonter geschlossener Silbe ans o entstandenen uo, Berneker 
Chrestom. 102 fg. Im Ruthenischen ist u («) auch vor das jiingere 
aniautende n- getreten, Smal-Stockyj and Gartner 85. Von bier 
ans darf man aber nicbt etwa einen Scblufi anf anlantendes i- ziehen; 
der i-Vorschlag vor i, den z. B. Leskien Gramm, altbnlg. Spr. 65 als 
sicher annimmt, ist nnr eine der verschiedenen Mogliehkeiten. 
Die beiden Vokale verhalten sicb in der Tat dock ganz verschieden, 

ergibt i-, dagegen u- und u- ergeben vt.-, ry-. Des Parallelismus 
wegen ist man also zur Forderung eines vorgeschlagenen % nicbt 
berecbtigt. 

Im Baltiscben Kegen die Verbaltnisse etwas anders als im Sla- 
viscben. Uber das LettiscLe kann ich nor anfiibren, was Bielen- 
stein Die lettiscbe Spracbe 87 fg. sagt. tv ist Halbvokal, lautet 
nie wie v und bat fast vokalisnbe A’atur, nur zwischen Vokalen 
hat es eine mebr konsonantiscbe Ausspracbe, so dab auch die Ober- 
zaine d;e Lnteilippe beiiibien. Danach scbeint gemeint zu sein 
dab w aufier zwischen Vokalen kein Spirant ist. j wird ahnlich 
beschrieben : es ist mebr konsonantisch zwischen Vokalen, mebr 
vokaliscb im Anlaut und Auslaut. Dabei ist das Beispiel fiir letz- 
teren bemerkenswert, weil es vor dem j ein i hat: sJcreif ‘lauf’. 
liieselbe Artiknlation wie das vorausgehende i kann das anslau- 
tende i natiirlicb nicbt baben. 

Im L/itauischeii dagegen scbeint / meist Spirant zu sein. 
Kurscbat setzt es Gramm, lit. Spracbe 24 dem deatschen j gleich, 
womit er wohl den norddeutschen Spii-ant meint, wozn auch altlit. 

Bezzenberger Beitr. Gesch. lit. Spracbe 93 pafit. In ge- 
wissen Gegenden ist aber j im Litauiscben Halbvokal, z. B. in 
Godlewa, s. Leskien-Brugmann Lit. Volkslieder undMarchen S. 285 
V's wird bier zu is reduziert; ebenso ist im Adjektivnm j vor i 
kaum Oder nicbt borfaar z, B. in geraji^, geroji. Auch im Ostlitauischen 
ist ') vor i verkluDgen; bei Szyrwid wird fiir jent'e die Form inte 
^^S^geben (bratowa fratria uxor fratris inte), bier war en lautge- 
setzlich zn in geworden. Wenn der vorausgehende konsonantiscbe 
Ankut mit i verschmolzen ist, lafit das eber auf i als anf j schlieben, 
da j von dem i in der Artiknlation starker abweicht. Aber ostiitauisch 
lautet das Pronomen j'ls, nicbt etwa *is. Wie ist das zu versteben? 
Trat die Verschmelzung nur mit dem aus e sekundar entwickelten 

Kgl. Oes, d, Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1918. Heft 1. 8 



114 


Eduard Hermann, 


i einV Oder ist j in jis nur analogiscli wieder eingefiilirf? 1st 
j'is etwa iiberhaupt im Litauischen so zu versteken? Nach Sommer 
Die indog. iu- mid /o-Stamme im Baltischen 225 fg., 368 fg. i&t -io- 
z, B. hinter einein Dental wie in .to lis oder hinter einem s voka- 
lisiert worden und hat mit deni ehemaligen o zusammen I ergeben, 
iibrigens wieder ein Vorgang. der bei der halbvokalischen Natur 
eines i begreiflicher ist als bei einem spirantischen j. Dann darf 
man aber -is aucli in (jeriisis auf -los zuriickfiihren, Ferner ware 
es denkbar, da6 ebenso auch das Demonstrati vpronomen *ios, wenn 
es unbetont war, zii *i.s fiihrte; wodnrcb eine Vermengung mit dem 
Pronomen *is- leicht berbeigefiibrt werden konnte wie im Slaviscben. 
Aber im Litauiscben zeigt sick die Verquieknng deutlicker; denn 
die Form j) sckeint das Femininnm zn *is zn entkalten, das nns 
ans dem Avestischen als i bekannt ist. Voraussetzung fiir diese 
Erklarnng der Bestimmtkeitsform im Norn. Sing, und fiir ps, j) ist 
also. da6 jis, ji ikr j analogisck wieder erbalten kaben nnd p sein j- 
von dem spater verloren gegangenen F emininum *ja bezogen kat. DaB 
Qcrasis und geraj{, gerojl mit dem } nickt gleickmaBig bekandelt 
warden, konnte in der Versckiedenkeit der vorausgehenden Laute 
(Konsonant: Vokal) seine Begrlindung iinden. Xotwendig ist diese 
ganze Hypotkese nickt, die Vermengung, der Pronominalstamme 
und *io- laBt sick auck okne .sie begreifen; immerkin wlirde 
sie die Vermengung ganz besonders verstandlicb ersckeinen lassen. 
Eine Parallele zu der Ausdeknung des anlautenden j im Pronomen 
der dritten Person liefert das weiBrussiscbe Jnon, Jena, jeno, jeng. 

Das. was im Slaviscben zweifelhaft bleiben niiiBte, der Vor- 
scklag vor anlautendem kommt in litauischen Mundarten wirklick 
vor. Doritsch Beitriige z. lit. Dialektologie § 124 erwahnt ihn aus 
der Mundart von Aszen, wo j- vor jeden hellen Vokal tritt. § 190 
fiihrt er auBerdem ji = ir an aus der Mundart von Rund-Groerge. 
Bei Leskien-Brugmann 283 wird das j in jant. als schwach und 
unstet bezeichnet. Aus einem an einen litauischen Defangenen 
gericbteten Briefe, der aus der Nake von Bausk abgesandt war, 
babe ich mir per jilgii Mlcu lange Zeit kindurck' notiert. Auck 
der Vorseklag von j spricht dafiir, daB, wenn nickt jetzt, so dock 
zur Zeit seiner Entstekung ein Halbvokal gesprochen wurde, und 
zwar wohl ein mehr geschlossener. 

Somit komnie ich von verschiedenen Seiten fiir das Litauiseke 
auf I neben j, auf Halbvokal neben Spirant. Ist es etwa ahnlick 
wie im Slaviscben. wo die Aus.spracke individuell weckselt? Wenn 
man I'ragt. was das Altere dabei sein wird, i oder j, so wird man 
auf i gefiilirt, und dazu paBt auch die lettische Ausspracke sehr 



Silbischer und unsilbiacher Laut gleiciier Artikulation usw. 


115 


-wohl. Kiinftige phonetische Forscliung wird das besser festlegen 
und zugleich feststellen konnen, ob nicbt in manchen Gegenden 
des Baltischen i im allgemeinen als aber vor i als i gesprochen 
wird. 

Aucb fiir v werden wir schlieBlich anf den Halbvokal m gefiihrt, 
nbwohl Wiedemann Handb. lit. Spr. 1 v als Spirant bezeichnet. In 
manchen Gegenden wird apokopiertes ac als aa gesprochen, so 
spricht man tua oder tail fiir tdvei z. B. in Godlewa, ferner in meh- 
reren Mundarten, wie aus Doritsch a. a. 0. S. 115 zu ersehen ist, 
«benso in der Mundart bei Scheu-Kurschat, Zemaitische Tierfabeln 
217, vgl. auch Jacoby Mit. lit. lit. Ges. 1, 73 aus Memel snsiijati = 
susiejoiva usw. Wird etwa v in alien diesen Gegenden wie in 
Godlewa jetzt noch als n gesprochen. oder^geschah das nur noch 
zur Zeit der Apokope, fiir die mir a wahrscheinlicher diinkt als 
Spirant tv? Im nbrdlichen PreuBisch-Litanischen wird intervoka- 
lisches i oft als n gesprochen, vgl. Bezzenberger Mitteil. lit. lit. 
Ges. 2, 34, so, auch S. 31, sd i adadeii^ und 42, est sogar tas uaihs. 
Dancben gibt es hier auch Ubergang von nichtspirantischer zu spi- 
rantischer Aussprache 29, s bainc', 42, 64 tc'Uvois, aber 33 , 59 ghv^s. 
Doritsch § 39 erwahnt aus Matzutkehmen suu neben saw mit bila- 
bialem ic. Diese Verhaltnisse deuten anf individuellen Wechsel 
wie im Slavischen. In Gefangenenbriefen fand ich z. B. loshaus 
neben loslacs au.s loshavas- aber die Schreibung allein beweist ja 
noch nichts. 

Andre Beobachtungcn fiihren darauf, daB n im Lita'uischen in 
gewissen Zeiten und Gegenden nach dem 0 bin klang, also ein 
otfenes a war. In szii, ihl, vielleicht aucb in sunri, ist it vor einem 
n-Laut gefallen, der aus o entstanden war. und das kann ein durch- 
gehendes litauisches liautgesetz gewesensein; die heutigen Worter 
mit der Lautfolge e + d oder a sind alle junge Worter oder lassen 
sich wenigstens leicht aus dem Systemzwang erklaren wie culya- 
riszras. Yiikie, tuvi'i von idti ’umkommen’ (vgl. Schleicher Lit. Gr. 
240, Ostholf MU IV, 393), gycfise usw. Dazu paBt sehr gut, da6 
in der Mundart der Scheuschen Tierfabeln statt des vulgaren -it, 
im Auslaut -zu- erscheint. z. B. kiiv. s. Scheu-Kunschat Vorrede 7 . 
Eine noch deutlichere Sprache spricht die Verschmelzung des a 
mit folgendem 0 in einer Mundart aus der Xachbarschaft TelsA’s 
M. 1. 1. G. 5. 87 panViaote lustig leben', siivencaofas ‘vermahlt’, da- 
neben aber tan ‘dir usw. und im Paradigma sogar he tjalvos, ont 
Jocob: Deii'o. im Anlaut pasvodimi. Aus einem nach Pnpsti bei 
Kielmy gerichteten Brief eines litauischen Gefangenen babe ich 

8 * 



116 


Eduard Hermann, 


mir oMslas = l oLi.ikas anfgezeichnet, eine Form mit bezeichnender 
Verschmelznng des v vor o in einem Lehnwort. 

Eigentiimlicb ist der Vorscblag eines v vor anlantendem no, 
den Traatmann 158 aus dem Zenaitischen , Ostlitauischen und aus 
Grodlewa erwabnt. Brugmann nennt Leskien - Brngmann 283 ans 
G-odlewa tuszv'e. vitdegn. Danaeh setzt man vor dem n des n schon 
mil einem konsonantischen n ein, gemeint kann hier wokl nur n 
sein. Yor einem u wie in vnpe ist dieser Vorscblag nicht so dent- 
lieb und regelmafiig in dieser Mundart zu horen. Brngmann er- 
wahnt aber anch den Vorscblag vor o S. 280, z. B. in uos^Jea. In 
andem Mnndarten ist anlantendes no zu ico geworden, so in Wil- 
komierz iror/encis ‘'ein Platz, wo Beeren wacbsen’, s. Geitler Li- 
tauisebe Studien 121 und in Marcinkancy uvdegii mit labialem w neben 
imlegit Boritscb CXLVIll. Es wird liber diese Versebiedonheit 
sebwer zu sagen sein, ob der Voi’scblag mebr fiir ein « oder ein ?,(, 
bez. It dentbar ist; jedenfalls spriebt er aber fiir jetziges oder ein- 
stiges V als Halbvokal. 

Ganz abnlich stebt es mit dem V orschlag des w *) im Prenssischen : 
s. Trautmann 158 fg. Im pomeraniseben Dialekt ist w vor o und u 
vorgeschlagen n'oble ‘ApfeF lit. obnlos, u-twdern ‘Wasser’ lit. iinds,. 
in dem samlandischen Dialekt des Kateebismus I stebt n- vor v : 
wuftchte ‘seebster’. Danacb ist wobl aucb im Preufiiseben w einmal 
Halbvokal gewesen. 

Will man die litauisebe oder baltiscbe Ausspracbe friiberer 
Zeiten festlegen , so wird man sebr wobl mit dem auskommen 
konnen, wie es im Slavischen zum Teil nocb zu finden ist : indivi- 
duelles Sebwanken voni Halbvokal zum Spirant, gescblossenere 
Ausspracbe des Halbvokals vor n. Aus dem Streben heraus, das 
« mit dem folgenden u nicht zusammenflieBen zu lassen, das durcb 
den Systemzwang veranlaBt ist, erklart sich der gescblossenei’e 
Charakter des n neben einem n sebr einfacb. Zweifellos aber 
hat das baltiscbe ebenso wie das slaviscbe v als Halb- 
vokal nicht immer den Cbarahter eines ausgespro- 
chenen u, sondern neigt bisweilen aucb zu o bin. 

Zu einem abnlicben Resultat wie das Baltiscb-Slaviscbe fiibrt 
aucb das Germanische. Aucb bier baben wir teilweise nocb beute 
Halbvokale, so besonders im Eiiglischen, das niebt nur i wie das 
Deutsche, sondern aucb u kennt. Die Angaben der Pbonetiker 

1> Ubrigens gibt es diesen Vorscblag aucb sonst nocb in indogermanischeu 
Spiachen, z. B. in engl. one oder in iranischen Muudarten vor tt in dem Vakhan- 
dialekt von AVestpamir wuz ans uz ‘icb’ s. Hyuler, The second danisb Pamir ex- 
pedition, S. -Ju. Icb moebte aber aus solchen Fallen wetter keine Scbliisse ziehen. 



Silbischer iind unsilbischer Laut gleiclier Artikulation usw. 


117 


stimmen allerdings nicht ganz iiberein, vgl. Vietor Elemeate der 
Phonetik" 181 Anm. und 230 Anm. 2. W eun statt i and ti von 
manchen j und iv in phonetischer Schrift gebraucht werden, so 
ist nicht immer ganz klar, ob damit mehr als ein Untersdiied in der 
Fanktion gegeniiber einem i- oder «t-Vokal gemeint ist. Storm nennt 
Engl. Philologie'- I, 56 Anm. und 124 den Laut in engl. ive weniger 
vokaliscb als in frz. oui. W&s fiir ein Laut ist da (f? Es scbeint 
mir, als ob im Engliscben die Aussprache wie im Slaviscben zwiscben 
i und j bez. ii und w bei demselben Individuum wechselt. Es mag 
aber sein, wie es will, daran wird nicht zu zweifeln sein, da6 im 
Engliscben i und m meist als Halbvokale ohne spirantische Ge- 
riiusche vorkommen. Nach freundlicber Auskunft Francis J. Curtis’ 
unterscheidet sich engl. tv, wie er es kennt, stets von einem eng- 
lischen «-Vokal. Es ist aber ein Unterschied zu machen je nach 
dem folgenden Vokal. Die Zunge wird nicht so hoch gehoben wie 
bei einem tt, und die Lippen werden aufier vor ii nicht so stark 
gerundet wie bei einem u ; dagegen vor einem ii werden sie starker 
gerundet. Was also die Pundung anlangt, so liegt ein vokalisches 
tt in der Mitte zwischen tv vor i und ic vor a. Wir haben demnach 
ahnlich wie im Slaviscben fiir gewohnlich u, dagegen vor h ein w. 
Damit stimmt das, was Sievers Phonetik=~§ 417 sagt; ‘Hier [bei 
engl. yc, wool, wonnd] wird, wie iiberhaupt da. wo vor einem sil- 
bischen Yokal wie i, h der korrespondierende unsilbische Vokal 
gebildet werden soil (also bei Grappen wie ji. «w) der letztere 
stets etwas geschlossener eingesetzt als der erstere , so dafi hier 
zum Teil Engen- bez. Rundungsgrade erreicht werden, die bei den 
silbischen Vokalen derselben Sprachen sonst nicht liblich sind’. 
Laute gleicher Artikulation stehen also — selbstverstandlich — 
auch hier nicht innerhalb einer Silbe nebeneinander als Sonant 
und Konsonant. Es ist daher ungenau, wenn Sievers ye, dessen 
zweites unsilbisches i er kurz vorher ebenfalls als geschlosseneren 
Laut dem vorausgehenden silbischen i gegenlibergestellt hatte, mit 
iii umschreibt; diese Schreibung enthalt die Ungenauigkeit gleich 
doppelt ; richtiger war iii zu schreiben. Dagegen ist die TJmschrift 
uti-l und niihid fiir ivool und wound einwandfrei, obwohl sie beson- 
dere Rundung und Enge des ir auch noch nicht zum Ausdruck 
bringt; hier hatte sich etwa u oder wenigstens u mehr empfohlen. 
Jedenfalls ladt sich diese Berner kung Sievers’ in Verbindung mit 
Curtis' phonetischer Definition fiir das hier behandelte Problem 
gut verwenden. 

Xur nebenher zu gebrauchen ist eine andre Tatsache, auf die 
von Phonetikern ofters hingewiesen wird. Vor anlautendem i und 



118 


Eduard Hermann 


n steht als unbestiminter Artikel nicbt die antevokalische Form 
an, sondern die antekonsonantische a. Man sagt an infant and an 
omel ‘eine Schwarzdrossel’ aber a year und a winter wie a man. 
Anlautendes y und ?r ist also behandelt wie jeder andere Konso- 
nant. Das mag zwei Griinde haben. Erstens scheint es mir nicht 
ausgeschlossen, dafi jeder einzelne statt it gelegentlich spirantisches 
tr, statt i spirantisches y spricbt. Das Entscheidende dabei ist 
aber doch wohl, dafi an iiberbaupt nnr dann gebrancht wird, wenn 
der scballreichste Lant das folgende Wort beginnt. Darauf rea- 
giert aucb das naive Sprachgefiihl des Sprechenden. In der ge- 
lehrten Sprache der Grammatik sagen wir dann, an steht nnr vor 
Sonant, a vor Konsonant, und wnndern uns wombglich. dab der 
Sprechende trotz Mangels an Reflexionen dariiber so sauberlich 
zwischen Sonant nnd Konsonant scheidet. Wenn man sich klar 
macht. daB Sonant niehts anderes zn bedeuten hat als schallreichster 
Lant der Silbe. dann ist die Verteilung von a nnd an leichter ver- 
standlich; in winter wird ja doch i nnd nicht n mit starkstem Schall, 
bez. Druck in der Silbe gesprochen, wahrend sich bei unite I und 
n nmgekehrt verhalten. Blit der Silbenbildung hat die Verteilung 
iibrigens niehts zn tun: wie man a nnntero mit der Lautfolge nia 
hat, so ware auch an Unitarian, an nniver.>ity mit niil fiir den 
Englander sprechbar, es heiBt aber doch a Unitarian, a univt rsity. 

Wahrend heutzutage engl. xv auch vor gesprochenen w-Vokalen, 
nicht nur anlautendes u . sondern auch postkonsonantisches u\ als 
u vorkommt, z. B. in ■-■tcoon ‘in Ohnmacht fallen’, ist im Spat- 
mittelenglischen postkonsonantisches tv vor «-Vokal geschwunden, 
wie man sich ausdriickt, oder besser : mit u verschmolzen, s. Marik, 
if-Schwund im Blittel- und Friihneuenglischen, Wiener Beitrage 
z. engl. Philologie XXIII, vgl. two, uho. Der Anlaut war also 
hier starker als der postkonsonantische Inlaut. In alterer Zeit 
dagegen verhielt man sich wie im Englischen heutzutage, man 
sprach w vor n auch hinter Konsonant; denn man hatte Formen 
wie forsnutgun, suuJton u, a., s. Cosijn, Altwestsachs. Grammat. II, 
134. 140: auch Formen wie Brodivulf kbnnen sehr wohl der ge- 
sprochenen Sprache angehbrt haben. Es liegt aber kein AnlaB vor 
anzunehmen, dafi ags. w im Verlauf der Entwicklung zum Xeu- 
englischen seinen Lautcharakter wesentlich verandert hat. Und 
gerade darum mufi es als etwas sehr Xatiirliches erscheinen, wenn 
w im Angelsachsischen mit den Vokalen nicht alliteriert; denn 
dies beruht auf derselben Grundlage wie der englische Artikel a 
vor einem mit tv anlautenden Substantivum. Wenn die Vokale 
unter sich alliterierten , so bestand unter ihiien die Gleichheit. 



Silbisclier und imsilbischer Laiit gleieher Artikulation usw. 


119 


daB hier jedesmal der schallstarkste Laut die Silbe eroffnete, wah- 
rend anlautendes w nicht der schallstarkste Laut der Silbe war. 
Piir sick allein wtirde diese Gleichheit vielleicht nicht geniigt haben, 
die Vokale unter sich als einheitlich aufzufassen. Der erste An- 
laB mag gewesen sein, daB manche alte alliterierende Verbindungen 
infolge des Umlauts der Vokale ihre alte vollige Gleichheit ver- 
loren batten. Das ist ein von Kock geiiuBerter Gedanke, Ost- 
nordiska och Latinska medeltidsordsprak I, 113 Anm. Aber, wie 
gesagt, nur AnlaB zur allgemeinen Alliteration der Vokale kann 
dieser Umstand gegeben haben. Denn Vokale wie Beow. 135 ac 
yml due nihf oft gefremede w'aren nicht durch einen Umlaut und 
eine sonstige Lautveranderung aus einst gleichen Vokalen hervor- 
gegangen, sondern waren von jeher ungleich. Die Verallgemeine- 
rung mufi demnach noch einen andern Grand haben. Und dieser 
Grund scheint mir eben der obengenannte zu sein. Xach einer 
— wie ich glaube. trotz Kock noch — verbreiteten Ansicht soil 
jedoch das Einende der alliterierenden Vokale der starke Einsatz 
der Vokale sein, der ja gerade im Deutsehen zu linden ist. Diese 
Annahme hat aber ihre Bedenken. Starker Einsatz ist uns sonst 
durch nichts in den altgermanischen Dialekten bezeugt; auch ist 
in keinem Alphabet etwas Ahnliches zu seiner Bezeichnung auf- 
gekommen wie der griechische Spiritus, der in seinen beiden Ge- 
stalten zwei verschiedene Einsatze bezeichnet zu haben scheint, 
Wir wissen auBerdem gar nicht, wie alt der starke Einsatz des 
Deutsehen ist und wie weit er in friiherer Zeit gereicht haben 
mag. Es kommt nicht nur hinzu, daB, wer stets starken Einsatz 
spricht, so wie der Deutsche das tut — abgesehen von phone- 
tischen Versuchen, besonders beim Flustern — das Knackgeriiusch 
ganz zu liberhoren pHegt, wahrend es nur den anders Sprechenden 
an uns auffallt. Es ware dann doch auch noch wieder die Frage 
zu beantworten, warum im Westgermanischen m, i nicht auch mit 
den Vokalen alliterieren. SoUen etwa diese beiden Laute leisen 
Einsatz gehabt haben? Die weitere Frage ware dann unausbleib- 
lich, warum denn u. i, wenn sie im iibrigen nur durch die Funktion, 
nicht durch die Artikulation von Vokalen unterschieden waren, 
vom starken Einsatz ausgeschlossen wurden. Etwa, weil sie nicht 
die schallreichsten Laute ihrer Silbe waren? Wenn man weiter 
Sievers Altgerm. Metrik 3t3 folgt. wiirde zwar im Altnordischen 
das mit den A^okalen alliterierende j, weil es aus einem Vokal 
entstanden war, seine Erklarung linden, nicht aber das ebenfalls 
so alliterierende ir. Fiir die Alliteration der Vokale scheint mir 
also der feste Einsatz nicht zur Erklarung auszureichen. .Jeden- 



120 


Eduard Hermann, 


falls aber wlirdc er sich. nicht fiir das Verstandnis des engliscben 
Artikels a vor h , / gebrauchen lassen. Denn weun die noch gar 
nicht alte Eegelang von an und a mit angeblichem einstigem — 
inzwischen verlorenem — festem Einsatz zu tun hatte, miifite man 
doch wohl a und nicht an vor festem Einsatz erwarten. Und so 
kann es doch kaum gewesen sein, dab ic, ; festen und die Vo- 
kale leisen Einsatz gehabt hatten. Die Erklarung des an vor Vo- 
kalen und der Alliteration der V okale im Giegensatz zu dem V er- 
halten halbvokalischer «, i im Westgermanischen diirften wohl nicht 
weit von einander zu suchen sein. Meiden der Elision vor i und 
y im Lateinischen, s. unten S. 137, vor / im Griechischen, s. S. 153, 
beruht otfenbar auf etwas Ahnlichem^). 

Abgesehen von dem Englischen finden wir w in den westger- 
nianiselicii Sprachen jetzt als Spirant. Das ist jedoch erst eiue 
jiingere Sprachform; in den alteren Phasen haben wir wie im 
Angelsachsischen einen mit den Vokalen nicht alUterierenden Halb- 
vokal, vgl. fiir das Althoehdeutsche Braune Ahd. Gramm. 88, fiir 
das Altsachsische Holthausen Altsachs. Elementarbuch 22. Man 
darf dabei wohl vermuten, daB die Aussprache dieses Halbvokals 
genau so war, wie wir sie fiir das EngHsche und Angelsachsische 
angenommen haben. u vor u wird dadurch nahe gelegt, daB wir 
die beiden Laute in einer Silbe hintereinander sehen konnen wie 
in den Analogieformen ahd. gidununyan, alts, hclhivunyan-, lautge- 
setzlich verband sich «• mit folgendem d im Inlant z. B. ga^tm, 
vgl. Paul Deutsche Grammatik I, 289. 

Vor den andern dunkeln Vokalen scheint iv ein ofFenes ic ge- 
wesen zu sein. Im Althochdeutschen hat sich ic mit folgendem 
liO vereinigt, das aus D hervorgegangen war, wie in hnosto snoi^i. 
Wenn nun analogisch eingefiihrtes iv vor n gesprochen werden 
konnte, altes u mit dem relativ jungen no aber verschmolz, .so 
kann der Grund kaum anderswo zu suchen sein als darin, daB die 
Aussprache des tv vor den beiden Vokalen verschieden war. Am 
allerersten konnte tc mit no verschmelzen , wenn es offener war, 
also mehr znm o hin lag; denn uo entstand ja aus o. DaB west- 
germanisches w vor a- odero-Vokal ein zum o hinneigendes u war, 
haben auch andre aus der Vokalisation des w zu o in ahd. hteo, 
ags. I)e<> geschlossen, vgl. z. B. Jellinek ZdA 36, 268, Luick Histor. 

ll Morsbach gibt mir freuudlicli zu bedenken, ob nicht die Weite der 
Mundoifnuiig eine Uolle dabei gesjiielt haben konne. Der Gedanke hat etwas 
A erlockendes. Die Vokale werden mit der groCten Mundbffnuug oresprochen. 
Dieseii Hiatus meidet man durch Gebrauch des an statt a im englischen Artikel, 
dnrch Elision im Eateiniseiien und Griechischen. Die Alliteration der Vokale 



Silbischer und imsilbiseber Laut gleicher Artikulation usw. 121 

Xxramm. engl. Sprache I, 118, 271. Nur nach u, u fiel w aus. vgl. 
ahd. tou, ha *). Die Frage nacli der noch fruheren Aussprache des 
tc hangt also jedenfalls eng mit der Beurteilung der Schicksale 
des u znsammen. Hier diirfte Bremer IF 26, 148 fg., obwokl er in 
der Wakl der Beispiele, die fiir i und u eiue Eolle spielen, die 
Warnung Collitz’ Journal of Engl, and German. Pkilology 6, 2.o3 fg. 
nicht beacktet bat, Eecbt kaben mit der Vermutung, da6 idg. P 
ini TJrgermaniscken offen war. also zu o hinneigte. Wenn ir ein 
aknlickes Sckicksal vorauszusetzen sekeint, kommen wir demuach 
gerade auf den Laut, der sick bisker als der walirscheinlickste er- 
geben kat, auf u. Nur vor folgendem a und i ist der Vokal a ge- 
scklossener. Bei dem Halbvokal ii konneu wir dieselbe Beobachtung 
nur vor u macken, wie wir sckon sahen ; jedenfalls ist im keutigen 
Englisck iv vor i ofFen wie vor a und nickt gescklossen wie vor u. 
Man darf also wokl sckon fiir das Urwestgermaniscke « und vor 
V. gescklossenes u voraussetzen. 

Im Urgcrmanischeii Uegen die Dinge ein wenig anders als 
im Westgermaniscken. Hier war ic vor u nur im absoluten Anlaut 
mbglich, nock nickt im gedeckten Anlaut oder im Inlaut. TJenu 
wir anneliraen, da6 vokalisckes u im Hrgermaniscken vielleickt erst 
geoffnet wurde, so ist jenes ein reckt begreiflicker Yorgang. ^Nur 
im absoluten Anlaut kat sick dann eine Art von Dissimilation ein- 
gestellt, u ist kier besonders stark gerundet worden. Wir kaben 
daker got. wulfs, mdpus, tcnlla, tnimh, icujins usw., aber got. 
n'ntnda. aisl. niunda, akd. nianto aus *nemitds. aisl. sniid, ags. bxnd 
aus akd. assuniuian aus sum-, akd. gidmujun aus anord. 

Hrodulf, ags. Hroctulf, alts. Lindulf, akd. Hraodolf. deren zweiter 
Teil wie got. iculfs usw. auf *ulg^-os (bez. *Hdl(i^os Giintert, Indog. 
Ablautprobl. 36, 81) beruht. Ebenso ist der labiale Beiklang des 
Labiovelars ganz in dem aus den sonantiscken Nasalen kerausgetre- 
tenen u aufgegangen, so in ags. ctiineu, akd. lamft aus ags. 

sre^on aus aisl. hniyum, ags. hnizun , akd. knicinn aus 

usw. Formen wie akd. giduaioujini, ags. forsawon, got. 
sivumfsl, gaqiimps sind analogiscke Neubildungen . die erst in den 

bembt dann auf ahiiliiher IVeite der Mundoft'nung. Icii babe aber dagegeu das 
Bedenken, daB u- und i- in den verschiedenen germanisclien und den beiden 
klassisclien Sprachen dock vielleicht mit nicbt viel geringerer Mundoffuiing als die 
Vokale «, i gesprocben worden seinkdunten; znm niindesten \\ird der Abst.ind bei 
der Mundoffnung zwisehen ihnen vermutlicli \ielfaeli geringer sein als zwischen u. 
i und den andern Konsonanteu. 

Ij Loewe, der KZ 45, bob fg. auf das \erscliiedene Vcrbalten der deutschcu 
Mundarten hinweist, glaubt , daB im Altbochdeutschen nur naeli Konsonaut oder 
langem Vokal auslautendes w zu o geworden, sonst aber zu u \erschoben ist. 



122 


Eduard Hermann, 


einzelnen germanisclien Sprachen aufkamen. So ist auch Tatians 
und Otfrids stror^a als die jlingere Form anzusehen, neben der 
got. Mioyja, ags. so/j die altere und lautgesetzliche Form dar- 
stellen. Das w konnte bier, wenn ich diese Vermutung auBern 
darf, von einem ganz andern Wort hex’gekommen sein, etwa von 
swur -schwer, einem Wort, mit dem es gewiB ofter verbunden 
wurde. Die neuenglische Aussprache des iv {ii und u 
yovii) kann alsoschon im Urgermanischen gegolten 
baben. 

tiber die Ausspracbe der urgermanischen Greminaten ii, nu laBt 
sicb nicbt leicbt eine Vermutung auBern, da sie im Gotiscben und 
Nordgermaniscben Guttui-ale usw. bervorgebracbt baben. Man sieht 
nur, daB sie anders als u artikuliert worden sind. Im Westger- 
maniscben, das auch bier den alten Halbvokal beibehielt, bat .sicb 
der erste Teil der Geminata mit vorausgebendem a zu einer ein- 
zigen Artikulation vereinigt, und zwar naturlicb zu einer Lange, 
da die Geminata in der Zeit vor dieser Assimilation Position ge- 
bildet baben wird. daber ahd. ^chwo gegeniiber got. sJcuggwa. Die 
Kiirze. die Sievers fiir ags. scuica PBB 10, 154, 507 feststellen zu 
konnen glaubt, kann nicbt als lautgesetzlicb angeseben werden. Darf 
man, in Sat. 455 scmvan nicbt Lange anerkennen. vielleicbt 

sugar aucb in den andern bei Sievers genannten Versen? 

Schon im altesten Runenalpbabet hat w ebenso wie j sein be- 
sonderes Zeicben gehabt, Wimmer Die Runenscbrift 119 ; es wird 
sicb also die Artikulation von einem ti und i unterscbieden baben, 
das paBt auch sehr -wohl zu den bisherigen Ergebnissen. 

Eine Bemerkung verdient nocb der Umstand, daB man fiir it 
und u iiberall nur e in Zeicben angewandt bat, sowobl im altesten 
Runenalpbabet wie in den spateren Scbriftarten. Die Erklarung 
bierfiir liegt wohl darin, daB seit urgermanischer Zeit beide Laute 
haufig im Aniaut ein- und desselben Verbums oder Wortstammes 
vorkamen, so in denjenigen Formen, die gotisch ivinda und wundiim 
lieferten. 

Das Nurdgermaniscbe und das Gotische babe ich bisber aus 
der Sonderbetrachtung absicbtlicb ausgeschaltet. Hier liegen die 
Verhaltnisse etwas anders. DaB im Nordgermaiiiseben dasRunen- 
alphabet die Rune fiir tv verlor, will allerdings nicbt viel besagen, 
weil aucb andre Runen auBer Brauch kamen, s. Wimmer Die Runen- 
bchriit 179 fg. Wichtiger ist, daB im Altislandischen //- mit den 
A'okalen bis ins 10. Jabrhundert binein alliteriert, s. Gering PBB 
13. 202 fg. Das baben Mogks gegenteilige Behauptungen IF 20, 211 fg. 
nicbt widerlegen konnen. Each Gering ZdPb 42. 233 las.^en sicb 



Silbisclier und unsilbisther Laut gleicher Artikulation nsw. 


123 


vielleicht 27 falle dieser Alliteration nachweisen. Fiir die alt- 
islandische Poesie ist demnach das westgermanische Prinzip, die 
Vokale nnr unter sich alliterieren zu lassen, nicht maBgebend, es 
alliterieren auch die konsonantisch gebrauckten Vokale {w und j) 
mit den silbischen Vokalen. Das diirfte mit dem sogenannten 
Schwund des iv vor samtlichen ti- und o-Vokalen. vor kurzen und 
langen und ihren Umlauten, also vor n, n. y, y, o, d, o, 6. s. Xoreen 
Altnord. Gramm. 149, II, 191, Geschichte der nord. Sprachen'* 
14, 105 in Zusammenhang stehen. Wiederum handelt es sich na- 
tiirlich nicht uni wirklichen Schwund, sondern uni Verschmelzung 
des w mit dem folgenden Vokal; denn Schwund ware sonst auch 
vor den andern Vokalen zu erwarten. Deswegen. weil dnrch den 
Verlust des vor den o- und n-Vokalen diese jetzt anlautenden 
Vokale mit anlautendeni «■ vor andern Vokalen alliterierten, wurde 
die Alliteration des ir iiberhaupt gestbrt und w auch mit von je 
anlautenden Vokalen alliteriert. Kocks Hypothese hilft also weiter. 
Aber auch hier reicht sie nicht aus; denn genau so wie iv wird 
auch T) mit folgenden o- oder a-Vokalen verschmolzen, s. Xoreen 
Gramm. 1^151,11 186; h alliteriert aber nicht mit den Vokalen. 
Gerade die Ausdehnung auf w und (s. untenl j beweist, dad Kock 
mit seiner Theorie auf der richtigen Fahrte ist, sie bedarf iiur 
einer Erganzung. Die Westgermanen saHen sich wegen der Ver- 
anderiing der Vokale dazii gedrangt, iiberhaupt die schallstarksten 
Laute alliterieren zu lassen. Die Nordgermanen machten wegen 
der Veranderung auch der genannten Konsonantcn nicht an der- 
selben Linie halt, sondern lieBeii alle Vokale, sonantische wie kon- 
sonantische, unter einander alliterieren; das stets spirantische 5 
zogen sie dagegen nicht mit in diesen Kreis, weil es w§gen seines 
Reibegerausches ja weiter von den Vokalen ablag. 

Verschmelzen konnte halbvokalisches iv mit jenen Vokalen 
natiirlich am ehesten, wenn es vor eineni ((-Vokal einem n und 
vor einem o-Vokal einem o nahe stand, d. h. wenn es u, bez. « war. 
f> wird sich von diesem ir im wesentlichen nur dnrch spirantischen 
Beiklang unterschieden haben. Mit der urgermanischeii Verschmel- 
zung des IV mit folgendem sekundarem u steht dieser altnordische 
Vorgang in keiner Beziehung. Das beweist die Ausdehnung der 
Verschmelzung auf die Stellung vor o-Vokalen, auf die Stellung 
im absoluten Anlaut und auf 5 zur Geniige. In der Runeninschrift 
war ja auch iv noch so erhalten, wie es die andem germanischen 
Sprachen zeigen, z. B. in wurte usw. Auf die vielen schwierigen 
Fragen, die sich weiter an die Aussprache des anord. ir anschlieBen, 



1-24 


Eduard Hermann, 


vgl. z. B. Lindroth IF 20, 129 fg., 35, 292 fg. einzugehen. erscheint 
hier iiberflussig. 

Im Gotisehen fallt zunachst die groBe Zahl von Beispielen 
mit »■ vor a auf. Nicht nui’ im absoluten Anlaut wie icuJpus, 
icitlfs usw. , sondern auch ini gedeckten Anlaut wie in sicumfsJ, 
srcidtaicairjjja, gaswulhin u. a. ist «• so zu finden. In den letz- 
teren Fallen ist -iv- analogisch wieder eingefiihrt. Ebenso ist der 
Labiovelar wiederhergestellt in qums, nehmndju u, a. Wenn man 
sich erinnert, daB der grammatisebe W echsel im Grotischen bis auf 
verschwindeiide Reste ganz aufgegeben ist , wird man verstehen, 
dafi auch hier durch Ausgleiehung ic auBer in isolierten Wortem 
wie niunda iiberall wieder hergestellt worden ist. Auch vor idg. 
ii, das sich im Grotischen durch nichts von dem aus » m n ] bez. 
din usw. herorgegangenen unterscheidet . sehen wir ic und Labio- 
velar in Grebrauch so in manivus, glaggivuha, aggwits. GewiB wird 
auch hier w bez. Labiovelar analogisch wieder eingefiihrt sein; 
fab-h:us dagegen, das den Kiinsten der Etymologisierung zu spotten 
scheint, mag ein Fremdwort sein. wofiir auch der IJmstand spricht, 
dafi im Gegensatz zu /?«//', ivnlfa der Labiovelar nicht an den Labial 
assimiliert ist. Jedenfalls aber sind die Formen nicht geeignet, 
idg. u oder Erlialtung des Labiovelars vor altem u im Inlant zu 
erweisen. 

Wie gotisches w ausgesprochen worden ist, bildet seit langem 
eine Streitfrage unter den Germanisten. Der von mir herange- 
zogene Gesichtspunkt darf dabei natiirlich nicht iibersehen werden. 
DaB w anders artikuliert wurde als u. geht aus dem ebeh Erdr- 
terten deutlich hervor. Wulfila hat also sehr wohl AnlaB gehabt, 
zwei verschiedene Zeichen fiir die zwei Laute einzufiihren. Mir 
scheint es" als Konsonant kein ganz reiner Halbvokal mehr ge- 
wesen zu sein. Die Gi ttnde gegen diesen hat Jellinek ZdA 36, 268 fg. 
vgl. ZdA 41, 369 fg, aufgezahlt ; seine Vermutung wie die van Heltens 
ZdA 37, 131 fg. und IF 14. 69 fg. , dafi iv Spirant mit a-Stellung 
sei, bez. dafi dem Halbvokal nicht -periodische Schwingungen der 
Stimmbander beigemengt seien . kann das Richtige treffen ; sie 
stellen beide nur zwei der phonetischen Moglichkeiten dar. Wenn 
das Zeichen fiir n- wirklich von dem griechischen v hergeleitet ist, 
was nicht so vdllig feststeht, so darf man annehmen, dafi Wulfila 
den griechischen Spiranten ?r, der im Diphthong vor stimmhaftem 
Laut durch v ziim Ausdruck kam, seinem eigenen Laut u' als nicht 
so sehr unahnlich empfunden haben wird. Das griechische und das 
riimische Ohr haben aber den gotisehen Laut eher als Halbvokal 
denn als Spirant aufgefafit, da sie ihn meist mit or bez. hk. viel 



Silbibcher und unsilbischer Laut gleicher Artikulatioii usw. 


125 


seltner mit /3, bez. nh wiedergaben. Auch diese TJnstimmigkeit in 
der Wiedergabe konnte dafiir sprechen, daB got. w gerade an der 
Grenze zwischen Halbyokal und Spirant lag. Die Ausspracbe wird 

dann vor u mehr einem u, vor den andei-n Vokalen mehr einem n 

^ ^ 

ahnlich gewesen sein. 

Aus dem Urindogermaniscben ist die Lautverbindung ivu wohl 
nirgends ins Germanische gekommen. Dasselbe ist von ji zu sagen. 
Die Versuchnng liegt nabe, sich die Entwicklung des gcriuauischen 
y dem w ganz parallel zn denken. Zur Durehfuhrung dieses Ge- 
dankens fehlen mir die Beweisstiicke. In gewisser Beziehung dart 
man ihn aber wobl anerkennen. Da j jetzt noch im Engliscben, 
im Friesischen z. B. auf Helgoland, s. Siebs Helgoland 175, und 
in suddeutscben Mundarten (Sievers Phonetik® § 341) als i zu linden 
ist, laBt sich vermuten, daB es auch in den alten westgermanischen 
Dialekten — ebenso wie im Altnordischen — so war. Aber nur 
im Altislandischen laBt sich das leicht zeigen. Hier war nach 
Schwund des anlautenden y vor Vokalen sekundar aus anlautendem 
e ein neues j entwickelt worden, das — wie bei seiner Herkunft 
leicht begreif lich — mit den V okalen alliterierte. DaB in den west- 
germanischen Dialekten j mit den Vokalen nicht alliterierte, wird 
man bei dem gleichen Verhalten des w wohl verstehen kiinnen. 
Aber j alliterierte im Westgermanischen nicht nur mit sich, soa- 
dern auch mit dem aus urgerm. j entstandenen Laut, selbst wena 
dieser vor dunklen Vokalen stand wie Beowulf 72 geongion ond 
ealdum, swylc him god sealde oder Heliand 133 He quad that 
the godo gumo Johannes te namon. Hing das nur damit zu- 
sammen, dafi j vor hellem V okal so wie das englische } vor t be- 
senders geschlossene , zum Spiranten hinneigende Aussprache (?) 
hatte ? W enigstens deutet die Schreibung mit g im Althochdeutschen 
und Altsachsischen, die nur vor i, e bevorzugt wird, wahrend im 
Inlant vor a, o dafvir e beliebt ist, auf i vor hellem, auf i vor 
dunklem Vokal hin, vgl. iiber die Schreibung Wilmanns Deutsche 
Gramm.^ I, 165, Braune Ahd. Gramm.®'^ 96, Holthausen Altsachs. 
Elem. 62. (Ist es auch im Friesischen so'?, s. Heuser Altfries. 
Lesebuch 17.) Aber die Alliterationen mit gutturalem g scheinen 
diese Annahme doch fast auszuschlieBen. War etwa gar westger- 
manisches j Spirant? Ich will diesen Zweifel wenigstens aus- 
sprechen, obwohl er mir zn weit zu gehen scheint. 

DaB im altesten Runenalphabet ein besonderes Zeichen fiir j 
vorhanden war, hat an iv wieder eine genaue Entsprechung. Und 
wenn Wulfila j neben i einfiihrte, so hat das naturlich den Grund 
gehabt, daB er zwei verschiedene Laute sprach, was ja auch schon 



126 


Eduard Her m a ii ii , 


durch die sehr haufige Verbindung ji, wie in Jinlai, Jiarjia bewiesen 
wil’d 1). Diese Verbindnng kommt aucli in den andern germanischen 
Sprachen wie in ags. jif. alts, (jiulnt ahd. gihii vor. Ob der ungedeckte 
Anlaut wie bei (!■;/(«!() so auch bei./'i {it) starkere Kraft hatte als andere 
Stellung, wil'd scliwer auszumacben sein. Fiir den Inlaut sind die 
Gfegensatze harjis: litiiidei iind nuvjip: sokeijj hierbei nicht obne 
weiteres verwendbar. Das gegenseitige Verhaltnis der vier Formen 
ist nur durch eine genaue Untersuchung iiber die Silbenbildnng 
heransznbekommen, vgl. dazn Lindroth IF 29. 182 fg,, IF 35, 292 fg. ; 
ohne diese Untersuchung wird man anch nicht definitiv iiber ahd. 
ne)'i^^ nnd die Verschmelzung von j + i urteilen kdnnen. Nur der 
Kominativ hairdeis mag hier Erwahnung linden, well er auf *];er- 
dJiiios mit Synkope des letzten Vokals zuriickgefiihrt zu werden 
pflegt. Gegen die starkere Kraft der Dissimilation des Anlautes 
bei iV- wlirde es nicht sprechen, wenn man got. ei mit lit. jei gleich- 
setzte. Da jahai zu dem idg. Kelativum *io- zu gehoren scheint, 
liegt es sehr'nahe, auch in ci eine Form von '*io- zu sehen. Del- 
briick hat, andern Gelehrten folgend, Vgl. Syntax III, 347 ei aus 
*iod herleiten wollen; dem widersprechen aber die Lautgesetze zu 
deutlich, wie sich Delbriick ja auch selber natiirlich nicht verhehlt 
hat. Man konnte auch in ei den gotischen Bruder des griechischen 
ii sehen, beide als Lokative zu dem Stamm o'e gedacht. Aber 
ebensu nahe liegt dock vielleicht die Verbindung mit lit. jei. Da- 
gegen sprechen die Lautgesetze nicht. "Wenn sich i/- hielt, braucht 
die Verbindung von mit t nicht ebenso bewahrt worden zu sein. 
Schon der Umstand. dab im Gotischen die langen Vokale geschlos- 
sener waren als die kurzen. wiirde diese Verschiedenheit in der 
Lautentwicklung sehr wohl begreifen la.ssen. Auch griech. si liefie 
sich iibrigens aus idg. *iei herleiten, wenn man Schwund, d. li. 
Dis.similierung des ersten i gegen das zweite annehmen wollte ; da 
aber im Griechischen andre Konjunktionen wie ij sichtlich zu dem 
Stamm ’^o e- gehoren, ist es riitlicher, auch si dahin zu ziehen. Wie 
got. ei von *io- konnte Jtei von *to- gebildet sein, eine Ansicht, der 
Delbriick ASGW 27, 686 nicht abgeneigt zu sein scheint, wahrend 
Brugmann BSGW 63, 166 fg. die Verbindung des got. ei mit gr. 
si = idg. ci fiir empfehlenswert halt. 

Auch im Italisehen sind « und i lange Zeit hindurch Halb- 
vokale gewesen. So lange wie Seelmann Aussprache 232 laBt 

1) Wenn die auf Grund des Gegeiisatzes von waurstic v;aurstirii : kuni, 
kujtjis geauBerte Ansidit richtig ist, daB got. v' Spirant, j aber Halbvokal war, 
wurde sich im Gotischen wie im iS'euhochdeutschen und auch im Slavischen hei i 
die halhvokalische Aussprache Linger gehalten hahen als bei ij 



Silbisclier und unsilbisclier Laut gleiclier Artikiilation usw. 


127 


man heute die halbvokalische Ausspraehe im Lateinischen aller- 
dings iiicht mehr gelten ; immerliin setzt man als Grrenze erst die 
Zeit nach Christus (1. oder 2. Jahrhundert) an, so Sommer Hand- 
buch lat. Laut- und Formenl.- 163. Xiedermann Histor. Lautlebre 
des Lat.- 11, Stolz Lat. Gramm.'' 35. Ich glaube. dad man die 
Grenze weiter binaufriicken mud'). 

Besonders wick tig und lehrreicli ist bierfiir die Verbindung 
von V mit u. Nach der gangbaren, von Solmsen, Stud. z. lat. Laut- 
gescb. begriindeten, KZ 34, 546 fg. in Einzelbeiten weiter ausgebauten 
Ansicht bat sich im alien Latein t mit u verbunden, auder wenn 
es im ungedeckten Anlaut stand. Gegen diese hat sick Juret Do- 
minance et resistance dans la pbonetique latine in scbarfsinnigen 
Ausfiihrungen gewandt. die Solmsens Gebaude nicbt unbedenklich 
ins Wanken gebraebt haben. Aber gerade in dem fiir micb bier 
wesentlicben Punkt bat sicb Juret geirrt; dad /• vor o auch auder- 
balb des ungedeckten Anlauts lautgesetzlich geblieben sei, bat er 
nicbt wabrscbeinlicb zu macben verstanden. Icb kann nur zugeben, 
dad eine Zahl von Beispielen, die Solmsen unter das erwabnte 
Gesetz hat bringen wollen, vielleicht besser anders aufzufassen 
sind. das brauche ich bier nicbt zu untersucben. Aber in dem bei 
J. verbleibenden Rest inlautender -vo- steckt nichts Lautgesetz- 
liches, sondern nur Analogiebildungen. Sekundiir wiedereingefiibrt 
wurde -vo- nur in den Ausgangen -ros, -rom. Meine Kritik Jurets 
braucht sicb also nur hieran zu balten. Die ubrigen Beispiele 
kbnnte ich ganz ausschlieden , obne meinen Auseinandersetzungen 
etwas an Beweiskraft zu nehmen. Nur ein ganz nebensacblicber 
Punkt wiirde durcb Juret S. 62 fg. mit beriibrt. Wenn aus 

^.-iijcso-v und auch coqno aus *qi<eqno nicbt durcb Verschmelznng des 
n mit dem zu o gewordenen e erklart werden diirfen — wobei 
qaod, quondam, qiioniani, quot, qnotiis als Analogiebildungen aufzu- 
fassen waren — fallt die Ubereinstimmung mit dem Germanischen, 
wo ja u auder im ungedeckten Anlaut mit a verscbmilzt. 

Piir die Verbindung von ij mit o sind die besten Beispiele: 
loum. qHii'um, cahaiiuia. houm will J. 245 als Analogiebildung nach 
dem Nom. has aufPassen. Er hat aber dabei versaumt zu erklaren, 
waium gerade der Gen. Plur. Anlad zu dieser Analogic gegeben 
haben soil ; ich kann einen Grnnd fiir eine derartige Bildung nicbt 
ausfindig macben. Uber q-arum ist J. in seinem Buck hinwegge- 


1) Nach AbschluC nieiner Arbeit erst koniite idi -inclersons .Vut'satz Trans- 
act. Americ. Philol. Assoc. 40, 99 fg. nachlesen, ich freue mich der rbereinstim- 
muiig mit ihm, die sicli zum Teil auch auf die Itegrundiing erstreckt. 



128 


Eduard Hermann, 


gangen. Tn cler Erwiderung auf meine Rezension seines Buches 
BphW 1917, 798 leitet er parimi aus dreisilbigem pamam ab nnd setzt 
es mit passum ans pagsunm gleich. Dagegen wind man aus mehreren 
Griinden Widerspruch erheben diirfen. DaB das v von parvus 
einmal sonantisch war, wird nicht bestritten zu werden brauchen, 
aber das von servus u. a. war es doch nicht weniger. Wie es mit 
der Konsonantierung eines alten sonantischen ii hinter Konsonant 
stand, hat Maurenbreeher Parerga 234 nntersucht und gezeigt, daB 
der LautUbergang nach r zwischen 350 — 200 v. Chr. stattgehabt- 
haben mhsse; Konsonantierung nach dagegen gibt es nicht. 
tibrigens widerspricht — worauf es mir nicht ankoinmt — Jurets 
Behauptnng, daB nrvom bei Plautus stets dreisilbig sei, der Fest- 
stellung Maurenbrechers S. 239. Die portugiesische Form aro neben 
der logudoresischen arva kann nichts entscheiden, sie paBt ebenso- 
gut zu Jurets wie zu Solmsens Hypothese. Dagegen widerspricht 
der ersteren italienisch itovo, dessen Diphthong nach Meyer-Liibke 
Einfhhrung- 129, 146 darauf hindeutet, daB eine Zeitlang ovum ohne v 
gesprochen wurde. AuBer romanischen Fortsetzungen ohne v : ital. 
leva, lat. rn-um, portug. jjG, lat. ywiras, it. neo, lat. naevus, mit 
denen J. fertig werden konnte, haben wir it. usw. rio, das er S. 245 
zwar erwahnt, aber nicht zu erklaren weiB. Fiir deus und Gnaeus 
ist er zu der Annahme gezwungen, daB u hinter frliherem i {*deiiios 
^Gnainos) vor kurzem Vokal + Konsonant schwand. Vergeblich 
sieht man sich da nach einem G-rund dafiir um, daB der Schwund 
des H an voraufgehendes i und folgenden kurzen Vokal + Konso- 
nant gebunden sein soli, wobei noch dazu e + i in *deiiiei, *deiy,e'is 
als derartige Kiirze + Konsonant angesehen wird. SchlieBlich das 
Beispiel calumnia aus *cahiomnia (Solmsen KZ 34, 547) hat J. iiber- 
gangen. Ich bleibe danim dabei, daB in den genannten Fallen ii 
mit 0 zusammengeflossen ist ’). 

Die Verschmelzung von u mit o konnte sich natiirlich am 
leichtesten vollziehen, wenn n hier — wie es wohl auch vor a, c 
i gesprochen wurde — em ofFenes u wai’. Da aber, wo im Anlaut 
V blieb, werden wir es im Lateinischen ebenso wie in den bereits 
behandelten Sprachen mit einem Akt der Dissimilation zu tun 
haben; man darf also fiir volnits, vortex usw. vermutlich geschlos- 

1) Jurets Haupteinwendung, daU bei Ausgleicbungen die andern Kasus wohl 
dem Xominativ und Akkusativ Singularis folgen, aber nicht umgekehrt, will nicht 
viel besagen, da auch nach J. bei parvus, arvum, morUius der yom. und Akk. 
^erdrdngt sind. Eine groBe Zahl von Beispielen liefert das Neuhocbdeutsche in 
vielen Mundarten , z. B. Cobargisch dax ‘Tag’, ‘Ring’, mhd. tac, rinc, vgl. 
auch ruthenische Beispiele bei Smal-Stockij und Gartner 110. 



Silbischer und unsilbischer Laut gleii her Artikulation. 


119 


senes u ansetzen. Im Inlaut wnrde aufier in isolierten Formen -vo- 
anch in der Folgezeit in der Schrift noch beibehalten. Da die 
Dichter den voransgehenden Konsonanten anber in qii Position bilden 
lassen, wnrde also -vu- nicbt nur geschrieben, sondem ancb ge- 
sprocben. Die gewbbnliche Annahme geht daher auch dahin, dafi 
man bald ^paros durch parvos wieder ersetzte, um das Paradigma 
in seinem Stamm wieder einbeitlicb zn gestalten. Mancbe glauben 
aber weiter, Solmsen folgend, dafi parvos spater lantgesetzlich zu 
partus wnrde, dafi jetzt t noch einmal dasselbe Schicksal wie 
friiher erlitt, dafi also pants zu stande kam und dafi erst eine 
zweite Analogiebildung notig war, nm parvus von neuem — defi- 
nitiv — herzustellen, wie es nns gelaufig ist. So stellt sich z. B. 
auch Sommer- 162 den Hergang vor. Ich mufi gestehen, dafi ich 
mich mit dieser verwickelten Hypothese nicht recht befreunden 
kann. Ich konnte mir allerdings denken, dafi ii in parvus mit dem 
folgenden u verschmolz; ich wiirde aber nicht recht verstehen, 
warum sich patyos zn panuts nachtraglich entwickelt haben sollte; 
ich wiirde vermuten, dafi die dissimilierende Kraft des m die Ver- 
engung des o auch noch weiter aufgehalten haben mufite. Ver- 
standlich wird mir die nachtragliche Umgestaltnng von parvos in 
parvus und ebenso von volgus in culgus eigentlich nur, wenn u 
inzwischen spirantisch geworden war. Mit dieser Veranderung 
gab der Laut naturlich seine dissimilatorische Kraft anf; zugleich 
war aber auch wohl die Verschmelzung von v mit u in grofiere 
Feme geriickt. Ich ziehe daraus den Schlufi, dafi v weder zum 
zweiten Mai schwand noch zum zweiten Mai analogisch wieder 
eingefiihrt wnrde. 

Danach sind also lautgesetzliche Formen bourn, paniiii, vius, 
ecus, stcumlus nsw. Anf Analogie beruhen bovom, parvos, servos 
n. a. Die letzteren sind lantgesetzlich zu parvus, equus etc. weiter- 
gefiihrt worden. In der Schrift tauchten paruus und ahnliche 
Formen wohl nicht sofort anf, als man sie sprach. Die Orthographic 
pflegt veranderter Anssprache ja immer nachzuhinken, vgl. aber die 
durch diese veranlafiten falschen Schreibungen wie quom und oquoltod, 
Sommer^ 158. In unserem Fall lag es aber besonders nahe , dafi 
man die Schreibung nicht so schnell modernisierte. "Wie wir aus 
der romanischen Fortsetzung des Wortes anom ersehen konnen, 
sprach man im Volk spater nicht gleichmafiig; manche sprachen 
arum , das hat portng. aro ergeben ; andre sprachen arvum , das 
im Logudoresischen zu arvu gefiihrt hat. So war es sicherlich bei 
ahnlichen Wortern vielfach. Auch ans der Bemerkung des Velins 
Longus Gramm. Lat. VII, 59, 3 ed. Keil fiber die Anssprache von 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist Klassc, 1918. Heft I. 9 



130 


Eduard Hermann 


equus kann man das vielleicht heransleseu ; auribus quidem suffi- 
ciebat, ut eqtois per unum a scriberetur, ratio tamen duo exigit. 
Damit ist ja nicbt unbedingt gesagt, dafi man in jener Zeit nur 
ecus, aber iiberbaupt nickt equas gesprochen babe. Wenn nun die 
Ausspracbe nicbt einbeitlicb war, lag es umso naber, die altere 
Scbreibung mit m beizubebalten, als die beiden jungeren Formen 
in der Scbrift anstoBig sein konnten: artium wird man ebenso wie 
uidgns nicbt gleicb gescbrieben baben , weil u bierin in verscbie- 
dener Ausspracbe vorkam ; anon aber wird der Schulmeister leicht 
als unrichtig verworfen baben, weil docb dabei 'ein Bucbstabe 
verscbluckt' wurde. Die Scbule blieb ja, wie uns Quintilian I, 7, 26 
bezeugt, nocb im 1. Jabrbundert bei der Scbreibung uo steben. 

Da8 sicb die Analogieform hoviim iiberbaupt nicbt durcbge- 
setzt bat, lafit sfcb begreifen, da die Deklination dieses Wortes 
aucb sonst im Stamm wecbselte. Wobl aber scbrieb man nocb 
lange hoKom. Die Handscbriften iiberliefern uns zwar bourn, wenn 
man sicb auf Handscbriften dabei verlassen darf, scbon fiir Cato de 
agri cultura 22, 3. Soweit houoiii bezeugt ist, wird es also in der 
Hauptsacbe nur historiscbe Scbreibung sein. Da6 sicb Formen 
wie senis. vhts nur selten linden, ist bei dieser Sacblage ganz na- 
turlicb. Dariiber daB sie erst verbaltnismaBig spat (1. Jabrbundert 
V. Cbr.) inscbriftlicb bezeugt sind, braucbt man sicb nicbt zu wun- 
dern; die Zabl der alteren Inscbriften ist eben docb bedeutend ge- 
ringer. Das vereinzelte Flans aus der 1. Halfte des 2. Jabrbunderts 
muB aber entgegen Solmsens Annabme Studien 37 fg. in Yerbindung 
mit dem unortbograpbiscben quom fiir cum -mit' CIL 1, 31 und 
[o]quoUod ebda 196 als wertvolles Zeugnis alter Zeit gelten. Gerade 
wenn im 2. Jabrbundert v. Cbr. die Ausspracbe ku aufgekommen 
sein sollte, wird man versteben, daB bei dem jetzt vermutlicb nocb 
tarkeren Eintreten der Schulmeister fiir die allein ‘richtige’ Scbrei- 
bung no die Formen wie senis sicb nur ganz selten in der Scbrift 
hervorwagten und nur darum in jenen -Jahrzebnten gar nicbt 
bezeugt sind. 

Niedermanns *) Versuch Melanges Saussure 59, aus Varro ed. 
Gbtz-Scboll 240, 26 den Nachweis zu flihren, daB zur Zeit dieses 
Grammatikers vidniis gesprochen worden sei, ist allerdings miB- 
gllickt. da die Stelle nach den Herausgebern s. S. 300 der Un- 
echtbeit verdacbtig ist und nach Skutsch Glotta 2, 370 zum wenig- 
sten in dem Beispiel cidnns einen Zusatz aufweist. Aber wenn 


1) Leider kann ith Sturtevants Aufsatz uber Dissimilation und uo bei Plautus 
Class. Philol. XI, No. 2 nicht nachlesen. 



Silbischer iind unsilbischer Laut gleicher Artikulation usw. ' 131 

sich auch Niedermanns Beweis nicht halten lafit, so ist darum iiber 
die Ausspraehe rolmts oder vuhiiis zur Zeit Varros noch nichtg 
gesagt. Denn die romischen Grammatiker haben viel za wenig 
auf die lebende Sprache geachtet. als dafi man sie gleich als Kron - 
zeugen fur die Nichtexistenz anrufen diirfte, wenn sie einen Sprach- 
gebrauch nicht erwahnen. Wenn bei Varro wirklich die Stelle 
folgendermaBen gestanden haben sollte : nemo abnuit syllabas, in 
quibus ii littera locum obtinet consonantis. ut sunt in Ms verbis 
primae: vafer velum cinmn vomis, crassum et quasi validum sonum 
edere . wird damit also viibius noch nicht als unmbglich zu be- 
trachten sein. Noch lange Zeit, nachdem nachweislich die Laut- 
folge H'li langst iiblich geworden war, haben die Grammatiker an 
ahnlichen Stellen davon keine Notiz genommen, sondern nur Bei- 
spiele mit va, ve. ri, vo fortgeschleppt wie Terentius Scaurus Gr. L. 
VII, 17,2: H littera omnibus vocalibus et praeiectiva et subiecta 
consentit. ut ua ae ui uo et rursus an eu in oh. in quibus syllabis 
non vocalis, sed consonantis vicem praestat. Genau so lehren die 
Grammatiker noch Jahrhunderte spater, wie die im 4. Jahrhundert 
lebenden Charisius (Keil 1. 8, 1) und Diomedes (I, 22, 14). So kann 
also auch schon Varro durch seine Vorganger, vielleicht durch Aelius 
Stilo, hierin beeinfluBt seiii. Bezeugt ist die Schreibung nn fur Kon- 
sonant •+ u allerdings erst in der 2. Halfte des 1. Jahrhunderts v. Chr., 
s. Sommer'^ 67, 143: am frlihesten ist tin fiir die beiden Vokale u 
in .sHum aus dem Jahre45 v. Chr.. iiberliefert '). Nimmt man diese 
Momente alle zusammen. so wird man doch wohl sagen diirfen, 
daB «' schon eine ganz geraume Zeit friiher gesprochen worden 
sein wird. Ausgang des zweiten Jahrhunderts v. Chr. werden wir 
also wohl ansetzen diirfen. 

Zu diesen meinen Ansatzen fiir Ausspraehe und Zeit passen 
die Umschreibungen des r bei den Griechen sehr gut. Wenn v 
in alterer Zeit ii, vor o aber u war . werden wir in griechischer 
Schrift 0 und ou fiir u und ou fiir u erwarten diirfen. Und so ist 
es in der Tat. s. Eckinger, Die Orthographic lateinischer Worter 
in griechischen Inschriften S. 82 fg. o wird allerdings nur selten 
verwandt, aber nur in alterer Zeit, so in 2iepoi/ltoj. Das delphische 
Beispiel Valsgiog GDI 2581, 86 ist nach Baunack zwar unsicher. 
Die neuen Funde werden die Zahl der Falle sicherlich erhohen, 

1) Das Metrum Iloraz Sat. I. 2, 71 velatnnuuie stola, mea confcrvuit ira, wo 
die Ilandsclirifteu b statt u haben. bietet fur die Ausspraehe to keine sicliere 
Dewahr, obwnbl hier das vokalische u nicht aus o verengt , sondern aus andern 
Verhen mit « analogisch ubertragen war. Die Form war eben auch mit u 
moglicli. 


9 * 



132 


Eduard Hermann 


ich nenne nur aus Euboa IG XII. 9, 916, lo 'Oi^iog aus dem 1, 
Torchristlichen Jahrhundert; besonders fiir qu (s. unten S. 133) 
finclet sich baufiger xo, z. B. Kohrog ebenda Z. 50, aus Arkadien 
IG Y, 2, 146, beide auch aus dieser Zeit. Es verlohnte wohl, die 
Eckingerscbe Sammlung fiir v zu erganzen ’). Dabei wiirde sich 
yielleicht auch deutlicher als bisher herausstellen , daB die Um- 
schrift mit /3 jiinger ist. Nach Eckinger sind die Beispiele fiir /J 
aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. nicht dnrchaus sicher. Die Sache 
verlangt neue Priifung mit Zusammenstellung der hinzugekom- 
menen Falle. Jedenfalls spricht die Emschreibuug mit ji, das 
selbst der Ausdruck eines Spirauten war, sehr fiir spirantiscbe 
Aussprache des v. In das 1. vorchristliche Jahrhundert gelangt 
man von dieser Seite aus zum aJlermindesten. Wenn man dagegen 
noch in viel spaterer Zeit auch on neben ^ fiir v gebrauchte, so 
ist das nichts als histori.sche Orthographie. 

Bei den Romern muBte sich diese in unserem Fall selbstver- 
standlich in viel starkerem MaBe geltend machen als bei den 
Griechen, weil diese viel seltener AnlaB batten, ein lateinisches 
Wort oder einen romischen Namen zu schreiben. So finden wir 
denn bei den Romern selber Verwechslung mit b erst geraume 
Zeit spater, im 1. Jahrhundert n. Chr., s. Sommer'^ 163. Das alteste 
Beispiel dieser Art als Dokument fiir die Grenze zwischen halb- 
vokalischer und spirantischer Aussprache zu betrachten, wie es 
Sommer zu tun scheint, geht umsoweniger an, als Voraussetzung 
fiir die Yerwechslung mit b sein muB, daB auch dieses Spirant 
geworden war. Emd das kann doch spater als bei v geschehen sein. 

Unrichtig ist auch der SchluB, der von Sommer^ 163 aus dem 
Wortspiel Cauneas: cave )i<: eas bei Cicero div. II, 84 gezogen \^ird. 
Entweder gab es keine synkopierte Form fiir cave ne, dann lafit 
sich cau ebensowenig fiir die Aussprache verwenden, wie fiir den 
Xachweis apokopierter Imperative. Oder can ne war wirklich eine 
.alte Formel; auch dann vermag can ne so wenig wie cautus etwas 
fiir die halhvokalische Aussprache des v zu Ciceros Zeiten zu be- 
weisen. 

Ebensowenig geht es an, die Entwicklung der 2(-Diphthonge 
fiir unsre Frage auszubenten. Bekanntlich sind en und ou zusam- 

1 ) Ich mache bei dieser Gelegeuheit auf das merkwiudige Evittico aus 
Amorgos IG XII, 7, 53 , 23 aufmerksam Der Sebreiber batte wohl eine .-ibrning davon, 
daB da, wo man zu seiner Zeit ov in romischen Xamen setzte, wie in Aovkios, 
fruher iv geschrieben worden war, also Jfcjnoj, so auch in Amorgos 418, ,. 425, e. 
Darum setzte er auch in diesem Xamen , fur den seine Zeit neben B- auch Ov- 
im Anlaut kannte, falschlieh Ev ein. 



Silbisclier imd imsilbisclier Laut gleicher Artikulation usw. 133 

mengefallen und haben im weiteren Verlauf gescblossenes ft ge- 
liefert. Diese Tatsache konute zu der Meinung verlocken, dad 

V eher ein m, als ein u geweseii sein miisse. Aber dabei wlirde 
man doch zweierlei auSer ackt lassen. Erstens haben die indo- 
germanischen Diphthonge hier iiberhaupt bei Seite zu bleiben — 
darum ist oben auch die Monophthongierung der ((-Diphthonge im 
Slavischen zu u beiseite gelassen worden — da ihr zweiter Bestand- 
teil nicht ohne weiteres mit einem sonstigen ij in der Aussprache 
gleich zu sein braucht. Zweitens wissen wir gar nicht, seit wann 
lat. ft geschlossen war. 

Besonders will ich hier noch einmal an die bekannte Tatsache 
orinnern, dad idg. 2“ ganz wie In behandelt wird ; denn wir haben 
secundtis neoen ecus, wie ja auch in sequi und equi das qu keine 
Position macht. Wenn aber Velius Longus VII, 58, 17 sagt ; v 
litteram digamma esse interdum non tantum in his debemns anim- 
advertere in quibus sonat cum aliqua aspiratione, ut in valente et 
vitulo et primitivo et tjenetivo , sed etiam in quibns cum q confusa 
haec littera est, ut in eo, quod est qnis, so darf man wohl (vgl. 
Sommer'^ 222) daraus entnehmen, dad v hinter q langer Halbvokal 
geblieben war, der sich aber in der Aussprache von den Vokalen 
unterschied. Fiir beides kbnnte auch die haufigere Schreibung 
mit y.o in griechischer Umschrift sprechen, z.B. xodpKvri;? quadrans 
im Neuen Testament Blad u. Debrunner 26, s. auch Dietrich By z ant. 
Arch. 1, 74. Auch an das spate qunglator fiir conylaior sowie iiber- 
haupt an das in den romanischen Sprachen aus co vor Vokal entstan- 
dene qn. z. B. it. quatto aus coacfiis, span, qncjar aus coaxare sei er- 
innert. 

Nicht mit in Rechnung gezogen habe ich bisher die Falle. wo 

V in den Endungen hinter sonantischem u stand wie in nmiuos, 
sms. Diese stehen mit .servos und den andern Fallen mit konso- 
nantischem v nicht auf einer Stufe. Da in ihnen n und 0 in zwei 
verschiedenen Silben stand, lag keinAnlad zur Verschmelzung wie 
bei pariim vor. Als das unbetonte 0 sonst zu (( wurde, machte 
sich aber genau wie bei voJniis die Kraft der Dissimilation geltend. 
In Gregensatz zu senios ist mortnos auch damals noch die lautge- 
setzliche Form gewesen. Wenn aber spater gleichwohl mortuns 
dnrchdrang, so ist nicht lautgesetzlich no zu uii geworden: denn 
man miifite sich wundern. wenn hier die dissimilatorische Kraft, 
die zwar ein spirantisches v in vulniis, parvus natUrlich nicht mehr 
besaS, dem sonantischen n verloren gegangen ware, wahrend, wie 
wir gleich sehen werden. sonantischem i diese Kraft gegeniiber 
dem e stets blieb. Alle Formen wie mortnus usw. werden demnach 



134 


Eduard Hermann, 


wohl analogisch gebildet sein. Zu der Umfoimung mvrtt(os> /tiortuits 
war um so eher Anlafi gegeben, wenn auch die analog] schen Formen 
st7tws, patiios lantgesetzlich zn seruus, partiim gewoiden waren und 
ke inen Anhalt mehr tiir eine Deklination aul -os, -? gaben. 

Der tibersicht halber stelle ich bier noeh L j-niul die chrono- 
logische Folge der Lautentwicklungen zusammen: 

1 tmlta itohius sertios -moiiiios 

2 . „ seros „ 

3 , „ anal, seriios „ 

4 mujta uoliins „ „ 

o „ 'icuhms seriviid „ 

6 „ „ „ anal, mo/iuus 

Keine Rolle fiir die Entscheidnng der Aussprache des u spielt 
die Entwicklnng von anlantendem idg. q~ vcr n und von anlau- 
tendem gy. Each der Ansicht maneher Spracbforscher ist dabei 
der Guttural gefallen. Gesetzt, die Ansicht ware richtig, dann 
brauchte man sich den Hergang noch nicht so zu denken wie z. B. 
Walde Gesch. idg. Sprachwissensch. II, 1, ISl will. Nach Walde 
soli uli so entstanden .sein, dafi q^- zu qtcn- und weiter zu wti- 
und ti- wurde. Der Ansatz des Spiranten ist dabei ganz iiber- 
fliissig, q“u- hatte ja axjfli zu werden kbnnen. das liegt naher; 
nun frage ich, warum dann y., das doch durch Dissimilation gegen 
das iolgende u entstanden sein muKte, schlieBlich doch mit n zu- 
sammenflofi. An den Abiall des Gutturals kann ich aber iiber- 
haupt nicht glauben. In alien Zusammensetzungen hat uhi den 
Guttural vor sich: iieonhi, alunbf, sicubi. Soli im Inlaut die Ent- 
wicklung wieder eine andre gewesen sein? Jleiner Ansicht nach 
ist genau so, wie im Inlaut Jt?ic-aos und im Anlaut bei der 
Media y Urdus Sommer® 1&7 entlabialisiert worden ist, neq-ubi zu 
neiA(bi geworden, weil sich h mit n verbinden muBte; die Gestalt 
^neq'^iibi existiert nur an t dem Papier. Selbst Walde gibt — wenig- 
stens fiir das Oskisch-Umlrische — Uber alteste sprachliche Bezie- 
hungen zwischenKelten und Ita1ikern58 Entlabialisierung des Labio- 
velars vor o zu; der Vorgang war aber nicht auf diesen Teil des 
Italischen beschrankt. Als q- in qtioiit usw. noch test war, hatte man 
bereits *iobi, neadti. Der Anlaut des *ciibi stimmte nicht zu dem 
von qttoi, qttom usw., der et;jmologische Znsammenhang war daher 
zerrissen. Indem man darum ttectibi falsch zerlegte, entstanden 
usw. Wie jung ubi, tdor usw. waren, ersieht man z. B. aus rientor, 
dessen ra nicht monophthongiert wurde. utcHure hat ebenso wie 
vapvr nie einen Guttural besessen, uu itan; stellt sich mit / du 



Silbisclier und unsilbischer Laut gleicher Artikulation usw. 135 

willst’ und rnvitus zu ai. abhivihts ‘erwiin'scht’, vaper ist von lit. 
hvupas zu trennen; es gehort einer nicht identischen, sondem nur 
reimenden Wurzel an, wiePersson, Beitr. idg. Wortf. 527 annimmt. 
vcqjer verhalt sich also zu Ivapas ahnlicli wie lat. vermis^ got. 
ivunnns zu ai. Das, was dieSache verdunkelt, ist nur, da6 

vaper der einzige IJberrest dieser Wurzel mit idg. u- geblieben ist. 

tiber die Entwicklung des idg. i im Lateinischen kann ich 
mich kiirzer fassen. Das Problem der io- Verba nach der dritten 
und vierten Konjugation gehort im wesentlichen in eine Unter- 
suchung der Silbentrennung, die hier nicht mit abgemacht werden 
kann. So bleibt als Wichtigstes die Erklarung des Stammvokals 
der Komposita von iacere. Die einfachste Losung bringt hier die 
Vergleichung mit den Verhaltnissen bei u vor o. 

Ohne den UmlautsprozeB von mittelsilbigem a zn i wie Exon 
Hermathena 12, 219 in zwei auf einanderfolgende zeitlich getrennte 
Vorgange zu zerlegen, s. KZ. 48, 102 fg., wird man comedo als eine 
Zwischenstufe zwischen *conkmo und conicio auffassen dtirfen, die 
genau so wie variego, purietem, Nerienis (Meister Lat.-Griech. Eigenn. 
14) u. a. infolge von Dissimilation ein f hinter i zeigte. Is'icht f, 
sondern f ist dabei anzusetzen; denn nur der naher verwandte 
Laut g konnte einen Dissimilationsvorgang gegeniiber vorausge- 
hendem i hervorrufen, man wird also if bez. ie (s. unten) gesprochen 
haben. Wahrend aber in purietem ein Nebenton auf v die Veren- 
gung zn i fiir immer authielt, war if der Weiterentwicklung 
preisgegeben (KZ 48, 108 fg.). Wie n mit o verschmolz, so verei- 
nigte sich auch inlautendes i mit f (nicht auch mit dem bei co- 
nkdus vorliegenden f) zu f, das alsbald zu i wurde. Zeitlich 
branchen die beiden Vorgange nu > o und ie > e nicht zusammen- 
zufallen, oder es miifite umgelautetes coniedo schon erreicht ge- 
wesen sein, als o noch gar nicht zu a geworden war. Jedenfalls 
ist uns die zweite Zwischenstufe *coneciu nicht iiberliefert, was 
auf sehr kurze Dauer derselben schlieBen lafit, wahrend wir von 
Schreibungen wie coniedo manche Zeugnisse auf Steinen und in 
Handschriften haben. Die Form mit i allein ist uns ebenfalls 
iiberliefert, am altesten bei Kaevius, ferner in dem spat bezeugten 
(Kene V agner^ I, ^05) Kominativ obex, der nur aus obkis usw. er- 
wachsen konnte, dazu auch vielleicht in amicio, falls dies wirk- 
lich ein Kompositum von iutio ist. Im iibrigen bildeten spater die 
Komposita von iacere wegen des i in den andern Formen (Perfek- 
tum und Participium) und wegen des Reimes auf die Komposita 
mit faiere auch das Prasens mit i vor ?. Dieses i in dido kann 
man sich, sofern es nicht iiberhaupt Spirant war, nur als sehr ge- 



136 


Eduard HermaBB, 


scblossen vorstellen: aafJerdem ware ja i mit i zusammengelaufeB. 
Gesichert ist -ijcio hez. -jicio schon seit Plautus’ Zeiten durch das 
Metrum, falls nicbt -/mo einzusetzen ist, wie das Exon a. a. 0. 
will. Die Orthographie aber bat die beiden i neben einander 
nicht recht aufbommen lassen. Wahrscbeinlich wurde, wie die 
metriscben Messungen bei Seneca, Lucan und Martial das nahe 
legen, die lautgesetzlicbe Form mit blofiem / neben der analo- 
giscben noch lange fortgefiihrt; etwa so lange, als I Halbvokal 
war; denn i und i waren in der Artiknlation so wenig unter- 
schieden, daS die Gefabr zusammenzulaufen fur sie immer nabe 
lag. So kommt es denn, da6 wir bei der Abneigung gegen die 
Schreibung mit doppeltem i meistens -kio geschrieben seben. Ven- 
dryes mag vielleicbt damit Eecbt baben (Rechercbes sur I’bistoire 
et les effets de I'intensite initiate en latin 267), dafi -kio bei den 
genannten drei Dichtern die spanische Ausspracbe des Lateins 
darstellt. In Rom konnte / zur selben Zeit spirantiscb geworden 
sein wie u- Fiir die vorausgegangene Zeit erbalten wir damit als 
Ausspracbe / vor /. sonst i. 

Dazu wiirde sebr gut die von Sommer- 114 bingeworfene Ver- 
mutung passen, dafi das vokaliscbe i vor den offnenen Vokalen selbst 
olfen war. Leider entbebrt sie zu sebr der Begriindung und wobl 
aucb der Wabrscbeinlicbkeit. — Die Ausspracbe des i in AVortern 
wie pei'ior ist naturlicb ein Kapitel fiir sicb. 

Das bisber gewonnene Resultat erofPnet vielleicbt die Mog- 
lichkeit, zur Erklarung der (o- Verba der dritten Konjugation 
Stellung zu nebmen. Aus *kai>iesi batte nacb unseren Erorte- 
rungen wobl (*l:api(si >) und weiter aqiis werden Lonnen. 

Sollte man aber dann von der iilteren Form mit -ie- nicbt nocb 
Spuren vorfinden. wie sie in coniedaik nocb vorbanden sind? Da 
sie fehlen, stebt von dieser Seite aus also wenigstens nicbts im 
AVege, die Erklarung aus */.apksi mit Sommer- 503 iiber Bord zu 
werfen. 

Auf einem anderen Brett stebt inirktis, dessen e sicb, bis zu e 
umgelautet, durcb Dissimilation des / bielt. Es bat an mortuos 
die nachste Parallele. Die geschlossene Ausspracbe des e wird 
durcb die Fortsetzung im Romaniscben : frz. parol gewabrleistet, 
liber die Einzelbeiten s. KZ 48, 106 fg. 

Blit idg. -i ba.t sicb /- vollig verelnigt, der Fall liegt vor im 
(renetiv der /o-Stamme; die Verscbmelzung kann scbon au.s dem 
Urindogermaniscben stammen und so ins Italiscbe und Keltiscbe 
verei bt srin : aucb im Indischen liegt eine abnlicbe Verscbmelzung 
vor. .s. unten S. 157. 



Silbisciier und misilbischer Laiit gleicher Artikiilation usw. 


137 


Fiir das altere Latein kommen wii‘ also auf lialbvokalisclie 
Aussprache des / und r. Da ist es bemerkenswert, da6 vor diesen 
Lauten nie Elision eingetreten ist ; J und v stellen sich als Halb- 
vokale demnach in ahnlichen Gegensatz zu den Vokalen wie engl. 
j und IV in der Behandlung des unbestimmten Artikels. 

tiber die anderii italischeii Mundarten kabe icb nicht so viel 
vorzubringen. Jedenfalls ist es unriclitig, wenn v. Planta 1, 272 
von V in osk. tttbaroluiiuin bebauptet, dab es ebenso artikuliert 
worden sei wie das folgende a. leh glaube allerdings iiberhaupt 
nicbt, dafi oskiscbes und umbrisches* v ein Halbkvokal war, wie 
V. Planta annimmt. Es wird ja trotz J. Scbmidts Reserve (Pauly- 
Wissowa. s. Alphabet) dabei bleiben, daS die oskiscli-umbrische 
Schrift aus der etruskischen herstammt. Im Etruskischen aber 
verwandte man v auch in sonantischer Geltnng, ebenso wie in dem 
faliskischen pvrtis. Warum hat man nun im iilteren Oskisch und 
im Umbrischen gleichwohl fiir etymologisches o. das von etymolo- 
gischem u nach Ausweis der jiingeren Schrift geschieden war, n 
fiir beide Vokale gebraucht, statt r fiir den einen dieser Vokale 
zu benutzen? Den Fall gesetzt, dab im Etruskischen die beiden 
Zeichen v und « einen Vokal bezeichneten. wiirden sich die beiden 
wohl auch in der Aussprache unterschieden haben, der eine kbnnte 
etwa mehr zum u, der andre mehr zum o hin geklungen haben. 
Warum gebrauchten dann die Osker und Umbrer die beiden Zeichen 
nicht wie im Etruskischen zur Unterscheidung der beiden Quali- 
taten? Warum warfen sie o und u in der Schrift zusammen. mn 
es nur von einein halbvokalischen v zu scheiden. dessen Aussprache 
von dem einen der beiden gar nicht so sehr weit entfernt gewesea 
sein konnte? Es miifite v dann vielleicht besonders ^tark gerundet 
gewesen sein. Aber auch da hatte es dock wobi naher gelegen, 
das etymologische u und diesen Halbvokal durch das eine und das 
etymologische <> durch das andre Zeichen wiederzugeben. Wenn 
dagegen v im Etruskischen Spirant war, ist erst recht nicht zu 
verstehen, warum das Oskisch-Umbrisclie bei halbvokalischer Aus- 
sprache die Zeichen so angewandt haben sollte, wie wir es wirk- 
lich sehen. Die Grlinde, die v. Planta I, 18U fiir halbvokalische 
Aussprache im Oskisch-Umbrischen beibringt, sind denn auch alle 
miteinander nicht stichhaltig. Die Griinde 1. 2. und 1 enthalten 
ein und denselben typischen methodischen Fehler ; Yerwechseiung 
der Entstebungszeit einer Spracherscheinung und der Zeit der Be- 
lege. Als ob ein friiher halbvokalisches n in spatcrer Zeit nicht 
Spirant geworden sein kbnnte! Wegen des zum Spiranten ge- 



138 Eduard Hermann, 

wurdenen Gleitlauts vgl. lakon. Ev^dvogog. No. 3 und 5 gehen 
nur das Etruskische an. 

Sowie man aber c im Oskisch-Umbrischen ebenso wie im Etrus- 
kischen Spirant sein laBt, wird das alles leicht verstandlich. Die 
Erklarung der Orthographic lage also eigentlich aufierhalb des 
Bereiches der indogermanischen Sprachwissenschaft. So lange wir 
aber noch keine Entwicklung der etruskischen Laute kennen und 
es nicht mbglich ist festzustellen . wie die Verwendung des v zu- 
stande kain, kann es sich fiir mich also nur darum handeln, iiber- 
hanpt irgend eine theoretisch^Moglichkeit zu suchen. Ich hoffe, dafi 
dies gelingt. Bei der fiir das Etruskische charakteristischen Sjti- 
kope (s. Skutsch Glotta 4, 187 fg., Deecke BB 2, 161 fg., Herbig lA 
37, 21 fg.j ware es gar nicht verwunderlich , wenn etwa in der 
Lautverbindung ace, nee mit spirantischem v das e synkopiert 
wurde. Nimmt man aufierdem an, dab der Diphthong au im Etrus- 
kischen ebenfalls zu ac wurde, wie das Herbig Glotta 2, 87 wirk- 
lich tut, dann hatte man bei Anwendung historischer Orthographic 
fiir die Lautverbindung a + Spirant die Zeichen nv und an. Dies 
konnte zu Unsicherheit in der Schreibung AnlaB geben, so dafi 
man an Stellen, wo a am Platz war, auch v schrieb. So konnten 
wir etruskLche Schreibungen wie pinii CIE 2647, worunter be- 
merktnswerterweise in der lateinischen Ubersetzung Pnoti steht, 
erklaren. Da ein Diphthong an ausgeschlossen ist, findet man na- 
tiirlich nur a und r, nicht u und a neben einander, z. B. rnvfni. 
3Ieine Vermutung scheint sieh durch die Tatsachen wirklich zu 
bestiitigen: Herbig macht mich freundlichst auf acelc , av'ile auf- 
merksam , das auch synkopiert als ucle auftritt ; wenn es da- 
neben auch ante gibt, so kann das ebensogut falsche Schreibung 
wie jungere Entwicklung sein. Ist meine Hypotbese richtig oder 
entsprach die Entwicklung des Etruskischen wenigstens dem End- 
resultat, dafi v das Zeichen fiir den Spiranten war und urspriing- 
lich nur durch Verwechslung auch fiir n gesetzt wurde, dann liifit 
.-ich denken, dafi auch die Osker und Lmbrer v als Zeichen fiir 
einen Spiranten gebraucliten , dafi sie andrerseits aber fiir o und 
" nur den einen Buchstaben verwandten, der im Etru-skischen (s. 
Herbig S. Bay. Ak. 1914, 2 Abh. 3U 33, BphW 1916, 1441) einen 
Vokal zwischen a und n bedeutete. In der Darstellung von a oder 
' T Spirant schlossen sich die Osker dem Vorbild ebenfalls ganz 
an; sie scTirieben daher .stets iiv, aber neben nc auch an. Ich nehme 
al'j an. dab die O.sker keine Diphthonge mehr batten, sondern 
cine Lautverbindung mit Spirant, wie .-ie die Heugriechen kennen. 
Damit befinde ich mich zwar in Widerspruch mit v. Planta 1, 138 fg.. 



Silbitclifer und uiiiilbiscLer I.aut jxleidier Aitikulation usw. 


139 


155 fg. ; seine Gegengriinde sind aber so wenig durchscUagend, 
dafi ich auf eine weitere Wideilegnng nach dem scbon Erortertea 
verzichten darf. 

Fiir sphantische Ausspracbe des c lassen sich dagegen noch 
i'olgende Griinde vorbrirgen. Die griechisch geschriebenen In- 
scbriften gebrauchen fiir v das griechische Digamma. Dieses wurde 
aber in SiziUen und Unteritalien zur Zeit der Ubernabme dieses 
griechischtn Alphabets sicherlich nicht mehr als Halbvokal ge- 
sprcchen. In alien griechischen Landen war /, so weit noch vor- 
handen. vielleicht im 4. Jahrhundert bereits nur noch Spirant, s. 
S. 143. / in den oskischen Inschrilten wird also einen Spiranten 

bedeuten. Ganz besonders anffallig ist dabei die Schreibung 
Twfro, diese spricht sehr fiir Spirant , wahrend tuvqo^ die andre 
etruskische Schreibung spiegelt und Aov/mvo^l wie das nicht er- 
klarte tovtg oder tovti Hachahmung von dieser etruskischen Schrei- 
burg oder griechische Schreibung zeigt. 

Auch die Orthographie der lateinisch geschriebenen oskischen 
und umbrischen Inschriften lafit sich bei der Annahme des Spi- 
ranten sehr wohl verstehen. Wenn die Romer damals Halbvokal 
gesprochen batten, so wiirde den Oskern und Umbrern ein andres 
Zeichen als u fiir ihrtn Spiranten eben nicht zur Verfiigung ge- 
standen haben. Aber vermutlich sind die lateinisch geschriebenen 
Teile der iguvinischen Tafeln sowie die Tabula Bantina erst in 
einer Zeit anfgezeichnet , in der lat. v schon Spirant geworden 
war, s. die Zeitbestimmungen bei v. Planta I, 29 fg., Conway The 
Italic Dialects I, 407 und 24. 

Wenngleich so oskisch und umbrisch v zur Zeit der Denkmaler 
Spirant war, lafit sich doch erkennen, daB in einer f'riiheren Pe- 
riode Halbvokal gesprochen worden sein wird. Die Griinde hierflir 
sind die, welche v. Planta I, 180 fg. unter 1, 2. 4 fiir diese Aus- 
sprache zur Zeit dor Denkmaler selber vorgebracht hat; dazu 
kommt noch, daB idg. « hinter r vielleicht zu luj und weiter zu nu 
entwickelt ist in osk. nravd, umbr. aruvia, doch ist der Lautiibergang 
zweifelhaft. Auch umbr. courtust ’converterit’ gegeniiber umbr. 
vurtus ‘verteris’ diirfte hier nur mit einem Fragezeichen zu nennen 
sein. Vielleicht ist r mit diesem n im Inlaut verschmolzen, wah- 
rend es im Anlaut geblieben ist, eine Erscheinung, die uns im 
Vorausgegangenen nun schon mehrfach begegnet ist. Ist etwa 
auch osk. iukJci mit sekundarem aus *dinokl(‘i so aufzufassen, 

wie ja auch lat. nudius sich aus *dinos erklaren liiBt , beide mit 
o-Stamm wie ai. dive dive? Dann wiirden umbr. eonortuA u. a. als 
Analogieformen zu betrachten seien. und das oben als lateinisch 


140 


Eduard Hermann, 


angesprochene Lautgesetz (inlautendes no > o) wiirde zwar nicht als • 
uritalisch anzusetzen, aber doch auch auf das Oskisch-Umbrische 
auszadebnen sein. Wic wiirden damit fiir eine friihere Periode 
auch dieser Mundarten auf Halbvokal als « kommen. Aber diese 
zwei Beispiele fiir Verschmelzung sind doch recht unsicher. Den 
Vorgang fiir uritalisch zu halten, ware jedenfalls nicht ratlich, 
weil das verbale Kompositum coartust keinen Anspruch auf so 
hohes Alter erheben kann. Angesichts der Tatsache, dafi die Laut- 
verbindung va = v mit etymologischem o auch in menvum steckt 
und durch Einschiebung des Gleitlantes r sogar erst entstanden 
ist z. B. in osk. triburakacihn, wird mir die Verschmelzung in diesen 
italischen Mundarten iiberhaupt sehr zweifelhaft. Das auch hinter 
u vorkommende v, umbr. ttivos wird in lateinischer Schrift nicht 
mitgeschrieben, v. Planta I 184, Buck Elem. 44; das steht durchaus 
in Einklang mit der gleichzeitigen Schreibung im Lateinischen 
wie iuenis usw. 

Eine bestimmte Entscheidung. wie idg. w im Uritalischen als 
Halbvokal gesprochen wurde, kann ich nnter diesen Umstanden 
nicht treffen. Immerhin la6t sich wohl soviel sagen. dab man mit 
li durchzukommen scheint. Jedenfalls weist hier wiein den 
vorher besprochenen Sprachen mancherlei darauf 
hin. dafi der Halbvokal teilweise zu einer offenen 
Aussprache hinneigte. 

Uber i im Oskisch-Umbrischen mbchte ich mich nicht auslassen. 

Wie im Oskisch-Umbrischen sehen wir auch im Griecliischeu 
zur Bezeichnung des idg. if wieder ein besonderes Zeichen ver- 
wandt. Auch hier kiinnen wir eine Vermutung iiber seine Ent- 
stehung wagen. Das semitische Alphabet , das dem griechischen 
als Muster diente, gab eine Scheidung von / und r nicht an die 
Hand, sie ist also erst griechisch. Und sie scheint nicht die Er- 
findung eines einzelnen Mannes oder eines einzelnen griechischen 
Stammes gewcsen zu sein. Das Bedhrfnis fiir ein besonderes 
Zeichen scheint allgemeiner gewesen zu sein; denn wir sehen, dafi 
an verschiedenen Stellen griechischen Landes neue Zeichen ver- 
mutlich vers .’hiedener Art aufkommen, um den Unterschied festzu- 
legen. Das ware sehr eigentiimlich, wenn die Zeichen nicht auch 
zwei deutlich geschiedene Laute darstellen sollten: umso merk- 
wlirdiger, als man es gar nicht so eilig hatte, andre Lautunter- 
schiede ebenfalls durch die Schrift festzulegen. In Kreta und 
anderwiirts schrieb man fiu’ ^ und (p, fur x und % immer noeh je 
ein Zeichen, als man liingst v und f auseinanderzuhalten wufite. 

Ich ^timine also Gercke Hermes 41, 541 durchaus darin bei. dafi v 



Silbistlier und unsilbisfher Laut glekher Artikulation nsw. 


141 


und / zwei verschiedene Laute bedeutet haben miissen. Zunachst 
aber gait T als Zeicben fiir beides, fiir v und /. Als man sich 
nach einer Scheidung umsab, schuf man nicbt etwas ganz Neues, 
sondern ging von dem Vorhandenen ans, vgl. jetzt M. P. Nilsson^ 
Die tibernahme und Entwicklung des Alphabets durch die Griechen, 
Danske Vid. Selsk. Hist. fil. Medd. I, 6, 1918, S. 20 fg. Das neue 
Zeicben verwandte man nicbt fiir den Vokal v, sondern fiir den 
Konsonanten /, das war ganz begreiflich, da v viel haufiger in 
der griechiscben Sprache vorkam als /. Der alte Xame Vau blieb 
aber an dem f hangen, auch das kdnnen wir wohl versteben. Der 
Buchstabennamen enthielt als ersten Laut ja doch ein / und kein 
V , das akrophonische Prinzip verlangte also die Beibebaltung. 
Und daB man Vau in dem Alphabet- an seiner alten Stelle lieB, 
war ganz selbstverstandlich, warum batte man andern sollen ! Das 
Zeicben T erbielt aber jetzt einen neuen Namen, man nannte es 
U, sowie der e-Laut U («) hieB ^). Es trat natiirlich im Alphabet 
hinter das letzte bisherige Zeicben, hinter Tau, ebenso wie die 
spater geschaffenen Bucbstaben — auBer | — sich an dem SchluB 
anreihen muBten. So liiftet sich der Schleier des Geheimnisses, 
warum das neue Zeicben / die Stelle des semitischen Vau erbielt 
und das alte Zeicben T an den ScbluB kam. Genannt wurde das 
Vau jau, da, wie wir sehen werden, / als n gesprochen wurde. 
Es scheint mir iibrigens moglich, daB auch schon der semitische 
Bucbstabe nicbt mit u, sondern mit also dem Mittellaut zwischen 
M und 0 , begann; jedenfalls verdient Beachtung, daB das Waw 
den Iraniern als Zeicben fiir den n- und o-Laut diente, s. Andreas 
und Wackernagel NGG 1911, If'g. 

V batte spater den Wert eines u, friiher ist v allgemein als 
u gesprochen worden. Auch im Diphthong war es von Haus aus 
ein «, sonst batte sich bier v nicbt in der Scbrift eingebiirgert. 
In der Hauptsache ist der Lautwert u im Diphthong auch ge- 
blieben, obwobi auch da in manchen Gegenden Veranderungen vor 
sich gingen, s. unten S. 146 f. Das Normale im Altgriechiscben 
war also u in uv, sv lange Zeiten hindurch. Auch in und 

den andern von Solmsen Untersucbungen z. griech. Laut- und Vers- 
lehre 1 68 fg. genannten Wortern, die, wie es scheint, erst im Grie- 
chischen einen vokaliscben Vorschlagsvokal erhalten haben, ist es 
mit dem v so bestellt. Ebenso in fvpdj’ij u. a. Fiir ?„« in andern 
Formen beweisen diese Dinge nichts. Wenn auch zu im 


1) Ein ahnlicher Fall liegt bei den Zeicben fiir die semitischen h-Laute 
Yor, s. Sethe GGN. 1917, 444’, Nilsson 20. 



142 


Eduard Hermann, 


Aolischen Augmentformen wie avgdyij gebildet warden, so darf 
man doch nocli nicht mit Solm-ien a. a. 0. 177 fg. daraus den SchluB 
zieben . daB /o- zur Zeit dieser Schreibung im Aolischen als ar- 
ausgesprochen wurde. Hier liegt erstens wieder der oben bei der 
Kritik an v. Planta schon gerugte Fehler vor. Zweitens beweist 
auch fur eine frlihere Zeit avQc.yi] nicht unbedingt die Aussprache 
des / gerade als n. Auch wenn /p- als vr- ausgesprochen wurde. 
so kann doch mit vorausgehendem Augment eur- immer wieder 
von neuem sofort entstanden oder spater geworden sein. Jonisch. 
attisches setzt dagegen allerdings wohl voraus, daS in diesen 

Mundarten / vor q- vorher spirantisch geworden war. Brugmanns 
Annahme CrrundriB- 1, 307, fo- hatte pp- ergeben, ist nicht, wie 
Solmsen meint, wenig wahrscheinlich. sondern unhaltbar. Gemi- 
nata ist im Anlaut ebenso wie im Auslaut unmbglich. DaB der 
Ausdruck Geminata, geuau genommen, nnr auf zwei gesondert 
hintereinander hervorgebrachte Laute derselben Art bezogen werden 
kann, beschaftigt uns dabei natiirlich liberhaupt nicht: denn auch 
in dem andern Sinn , daB jeder Konsonant , der sich auf zwei 
Silben verteilt. Geminata heiBt. kaign im Anlaut nicht von einer 
Geminata die Ptede sein. Das einzige, was sich aus assimilierten 
Lauten im An- oder Auslaut allenfalls auBer dem gewohnlichen Laut 
zugestehen lafit, ware ein langer Konsonant. Auch diesen werden 
wir nicht t'lir jonisch-attisch pfp/ri’.iu, wenigstens nicht zur Zeit der 
ioniseh-attischen Dichtung, anzusetzen hahen. Unter den verschie- 
denen Mbglichkeiten, die man sich iiberhaupt ausdenken kann, 
scheint mir daher immerhin Solmsens Vorschlag. fiir eppd/i/r von 
einem .spirantischen / auszugehen, bei weitem die annehmbarste 
und wahrscheinlichste. Brugmann hat sie denn auch KVG 100 
angenommen. 

Der Unterschied. zwischen jon.-att. ippciyi]. iiol. Evpayi] ist aber 
kein grundsatzlicher und durchgreifender, er ist nur zeitlich. Uberall 
hahen Avir avovg u.s.w.. nirgends *tppu^. Im Jonisch- Attischen, 
das fruh das /- liberhaupt verloren hat. war es auch besonders 
friih im Anlaut vor p, vielleicht auch in andern Stellungen. spi- 
rantisch geworden. Dieser Vorgang tritft auch andre Mundarten. 
Aus dem Lesbischen sogar haben wir inschriftlich zKrappiiotor statt 
zut' c'Qvaiov IG XII. 2. 15. ifi fSchulze. Gdtt. gel. Anz. 1897, 881 fg.). 
dazu IG XII. 2. 500 , 11 ca’UQprjciii', aus Pergamon Hoffmann Gr. Dial. 
11 148 0 £oppjjTO 5 , aus Bootien BCH 21, o57, 13 upoppsist^, aus 
Gortyn K.ToppifffVru GDI 4991, IX, 17 . ... aus hafpriy^iav 

oOiJl.s, Qy'jXGcaslv] 4965,3 dipadiog in einer nicht ganz aufgekliirten 
Form 4991 IX. ir,. aus Olus auf Kreta zAaimppddon 5104 a, is, aus 



Pilljischer und unsilliiotlier Laut gleiclier Artikulation us\t. 


143 


Herakleia dpptjy.TO] 4629, ix und in; iiber noXvQQ)ivio:>v s. 

nnten S. 147, aus dem Delphischen iiffiigs}[a]inu GDI 2561. I) as. 
Demnach war in alien diesen Mundarten f vor g im Anlaut ver- 
mutlich spiranti.sch geworden, die Vurbedingung fur die Assimi- 
lation. Statt / wird in spaterer Zeit meist /3 gescbrieben in La- 
konien, Kreta, Elis u. a., in Pampbylien ip; es unterliegt keinem 
Zweifel, dafi / spater Spirant wav. Da6 / im 4. Jahrlmndert 
iiberhaupt irgendwo nock Halbvokal war, ist mir selir zweifelhaft. 

Es hat aber einmal einen dnrchgreifenden Enterschied gegeben, 
der nicht zeitlich verlauft. In einem Teil der IMundarten ist f 
vor den o-Lauten aufier vor vi niit diesen verschmolzen, in dem 
andern nicht. Verschmolzen ist / sicher im Aolischen, das hinter 
Homers Sprache stecht, wie im Lesbischen z. B. owav Bechtel 
Lexilogus 338, dann im Gortyniscben und den Xaehbarmundarten, 
vielleicht aueh im Kyprischen (??) vgl. jetzt dazn auch ova BGGW 
1910, 235. im Korinthischen (s. J. Schmidt KZ 33, 455 fg.) ; auch 
das Bbotische (Thumb IF 9, 313 orpaiX- 6^(4-) und Thessallsche konnten 
in Frage kommen, s. Solrasen Untersuch. 18G fg. Das Lakonische, 
das Solmsen 145 wegen der Alkmanstelle ov^ bgyji Parth. 50 
auch dazu stellen wollte. hat nach Ausweis der Inschriften f auch 
vor den o-Lauten bewabrt. Die neu entdeckten Inschriften liefern 
daflir nicht nnr Beispiele aus junger Zeit, die nach meiner Auf- 
fassung IF 32, 358fg., 33. 433 allerdings auch schon beweisbraftig 
.sind, sondern auch aus alterer, z. B. Fuiafoyo SG D, S. 680 '*4416. m, 
/ 099 -«[ica] S. 682 “3, / 09 [^ca«(] "4u. s.w.. s. auch S. 706. So scheint 
mir auch Epicbarms by<i bgi] gegen Solmsen 155 den Schwund des 
/ vor o-Vokalen fiir Syrakus noch nicht zu gewahrleisten. Die 
Dichterspraohe ist zu sehr abhangig von Homer; wegen der lesbi- 
schen Lyriker vgl. W. Schulze GGA 1897, 887 fg. und die Zustim- 
mung bei Wilamowitz Sappho und Simonides S. 86 fg. Eigentiim- 
lich verhalten sich in dieser Frage Kreta und Arkadien. Auf 
Kreta ist / verschmolzen in Gortjm, geblieben in Olus und Aptera 
u. a., s. Brause. Lautlehre d. kret. Dialekte 44fg. Da die Gorty- 
nische Mundart so viel achaische Zlige bewahrt hat, vgl. Kieckers, 
Die lokalen Verschiedenheiten im Dialekte Kr etas 75 fg., in Gegen- 
satz zu dem starker dorisch durch.setzten Osten und Westen der 
Insel, wird man gern auch diesen Schwund des / am besten auf 
das Konto des achaischen Untergrundes der mittelkretischen Mund- 
arten setzen, wahrend seine Erhaltung dann dorisches Gut sein 
wiirde. Der starker dorisierenden Mundart von Hierapytna oder 
Priansos ware (icoi'av GDI 5024 . 24 in dem Vertrag Gortyns und 
Hierapytnas mit Priansos zuzuweisen, wie ,ja auch Aptera in West- 



144 


Eduard Hermann, 


kreta die Foitn Bog&i’a mit — f geliefert hat, vgl. dazu Brause 
41 fg.. and der Name der ostkretischen Stadt Olns auf einem Ver- 
trag zwischen dieser und dem benachbarten Lato GDI 5075 mit 
spirantiscbem / (BoAd«{v)ri) erscheint. In Arkadien sehen wir die- 
selbe Verschiedenheit wie anf Kreta : wir haben fotpXtxoei, IG V, 

2, 262, IS ans Mantineia und fogbaeUi IG V, 2, 429, is aus Kotilion, 
dagegen otpXkv u. a. IG V, 2, 3, 4 ans Tegea, otfskXovOi ebda 343, A, 23 
und [f[moQy.ivzi C ly aus Orchomenos. Die Geminata der Form 
dgjf'lAovUt hat schon Danielsson IF 35, 105 Anm. 3 als einen spezi- 
bscben Achaismus angesprochen. Die Mundarten Arkadiens scheinen 
danach Achaisches und Dorisches teilweise stark durcheinander ge- 
worfen zu haben, was man zugeben wird, wenn man bedenkt, da6 
die halbdorische Xuthiasinschrift IG V, 2. 159 ganz ans der Nachbar- 
schaft Tegeas herstammt. Dad / vor 0 und a> im Dorischen geblieben 
i st, bezeugt aufier dem Lakonischen argiv. Bo^d-ayogag GDI 3260, s ; 
auch an ^ogsov ffravgov ’Hkiioi Hesych sei erinnert, lokr. /drt 
(^Vackernagel RhM 48, 301) ist zu unsicher. Nimmt man dazu 
noch , da6 gerade die soviet Achaisches aufweisenden Mundarten 
von Lesbos, Thessalien, Bootien, Koianth und Kypern (??), ferner die 
Homers anlautendes / vor o-Lauten verloren haben, dann scheint 
sich die fiir das Kretische und Arkadische ausgesprochene Ver- 
mutung durchaas zu bestatigen. Uberall scheint die Verschmel- 
znng mit den o-Vokalen als ein Uberrest achaischer Sprache. Viel- 
leicht haben aufier den Achaern auch die Jonier einmal hieran 
teilgehabt: denn der einzige Uberrest eines der bei den Joniem 
durchschimmert, ist der Hiatus gerade vor ot bei Herodot und 
andern Joniem, worauf Wackernagel Glotta 7, 268 == Sprachl. Unters. 
Homer, 108 und Daniels.son IF 25, 278 hinweisen, z, B, ov oL Da, 
wo / im Anlaut vor den o-Lauten gefallen ist, wird die Ahnlichkeit 
der Artikulation eines f und eines 0 gewirkt haben, Ich ziehe 
daraus den SchluB, daB / im Achaischen wie ehemals im Jonischen 
nicht ohne weiteres ij, sondern ein zum 0 liinneisrendes n war. 

Die Verschmelzung fand statt vor 0 und 10 , die unter ein- 
ander nicht gleicher Qualitat gewesen sein diirften; die gegen- 
seitige Annaherung war also verschieden stark, Wenn sie nicht 
auch vor 01 stattfand, so lag das natiirlich an der Beschaffen- 
heit dieses Diphthongs. Es ist aber doch wohl unrichtig , wenn 
man glanbt, daB u in ot offener als sonstiges 0 und m war. Wir 
sehen doch gerade, daB in den meisten Mundarten 0 der ge- 
schlossene und to der offene Laut war; das Zeichen fiir co war ja 
nicht wegen des Quantitats-, sondern wegen des Qualitatsunter- 
schieds erfunden worden, Man sollte also erwarten, daB ein be- 



Silbiselier und unfcilbisi.her Laut gleicber Artikulation usw. 


145 


senders offenes o in ot mit w, nieht mit o geschrieben worden 
ware. Da dies nicht der Fall ist, wird auch die Anssprache des 
01 eine andre gewesen sein ; o war vermntlich auch in oi dem sonst 
geschlossenen o ahnlich. Aber nur ahnlich, nicht vollig gleich! 
Ich denke mir, dal5 o in oi geschlossenen war als sonst, ohne darum 
einem ii gleich zu sein. Bekanntlich ist oi spater mit v zusammen- 
gefallen in den Lant ii, s. BlaB Aussprache^ 69 fg. Am friihesten 
hat sich im Bootischen ot diesem Laut genahert. Aus der Schrei- 
bung oe auf archaischen Inschriften, besonders Tanagras, konnen 
win den Weg der Entwicklung zum Teil verfolgen; Thumb hat 
ihn Handb. gr. Dial. 224 durch Einschiebnng von iic so erganzt; 
oi, oe, ue, ii. Ich glaube darum, daB auch in andern Mundarten o 
in ot uber ein stark gescblossenes <> hinweg die Kontraktion zu ii 
anbahnte. Also nicht o-artig, wie Brugmann-Thumb^ 46, 57 ange- 
genommen wind, scheint mir der o-Laut von oi gewesen zu sein, 
sondem im Gregenteil geschlossener als gewohnlich. Fiir diesen 
Laut verwandte man selbstverstandlich o und nicht a. Wie wir 
aber schon in verschiedenen Spraehen vor u ein starker geschlos- 
senes u beobacliten konnten, so wird man auch in diesem Fall im 
Streben, / und ot deutlich zu artikulieren, das anlautende « starker 
als sonst geschlossen haben. Diesen Vor-gang haben wir zeitlich 
selbstverstandlich vor die Verschmelzung von / mit o/co anzu- 
setzen, bei der sich eine ahnliche Dissimilation eben nicht wieder- 
holt hat. Man mag diese Auseinandersetzungen etwas ausgetuftelt 
finden, ich glaube aber doch in diesem Zusammenhang verpflichtet 
zu sein anzugeben, wie ich mir eine Erklarung denke. — Meillets 
AuBerungen Glotta 2, 27 iiber stimmhaftes Digamma vor ot im 
Pamphylischen legen nur die Aussprache test, ohne die Erhaltung 
des Digamma vor ot zu erklaren. 

Zu diesem Ergebnis, dafi / ein zum o hinneigendes n war, stimmen 
noch weitereTatsachen. In dem Gortyn benachbarten Vaxos schrieb 
man / bis ins 2. Jahrhundert faxoiov u. s. w., s. Brause 49. Die 
Aussprache muB aber einem o recht ahnlich gewesen sein ; denn 
iibereinstimmend in zwei Gegenden Griechenlands wurde derVaxier 
als '’Ou%ios bezeichnet. Wenn .sich der Vaxier fu^iog nannte, so 
klang das ofFenbar fiir andre Griechen nicht viel anders als ’Od^iog. 
So lautet daher der Marne auf einem attischen Leichenstein GDI 
5148 a, auf einer delphischen Freilassungsurkunde 1951, » und auf 
einem BeschluB des atolischen Bundes 1412, s und s, s. Brause 40 fg. 
W. Schulze charakterisiert die Schreibung KZ 33, 395 nicht geniigend, 
wenn er sagt, daB den meisten Griechen ungelaufig und unbe- 
quem war und deshalb wiedergegeben wurde, so gut es eben an- 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil -hist. Klasse. 1918. Heft 1. 10 



14(5 


Eduard Hermann, 


ging‘. Die Orthographie der delpbischen wie der atolischen In- 
schrift ist dabei vielmebr sehr bemerkenswert. In der Freiiassungs- 
urkunde wird der Yaxier Krinolaos in delpbiscber Mnndart 
genannt: als ^ejiuuorij^si zeicbnen zwei Yaxier mit ihrer Unter- 
scbrift, sie nennen sicb selber nocb fd^ioi mit /. aber dieses / 
vermbgen sie mit den Zeiehen, die in Delphi damals iiblich waren. 
nnr durck o auszndriicken. Ganz ahnlich ist es in dem ebent'alls 
aus Delphi stammenden BeschluB der Atoler. Hier werden die 
Yaxier nach der in Delphi iiblichen Orthographie als 'Ud^ioi be- 
zeichnet GDI 1412, dagegen in dem eingelegten Schreiben der 
Yaxier, das in kretischer Mnndart gehalten ist. als (bez. 

/«d|to£) GDI 5151, Auch Stephanos von Byzanz ed. Meineke I, 482 
spricht von '"Ou^og itohg und nennt den Biirger der Stadt 

’Oc#|toj. Auch an 'OuEvg = pu.Bvg ist zu erinnern. vgl. besonders 
Kretschmer, Wiener Eranos zur Philologenvers. in Graz S. 121. 
obwohl ein SchluB auf die Aussprache des lokrischen Digamma 
darum noch nicht erlaubt ist. Das arkadische oAoKtj IGY, 2, 514, is 
wlirde sich auch heranziehen lassen, wenn es feststande, daB hier 
0 flir / gebraucht ist, vgl. Prellwitz Bursians Jahresber. 10(5, 105 £g. 
Aus der griechischen Umschreibung des lateinischen c in Eigen - 
namen. die Schulze a a. 0. nennt, mochte ich fiir das Griechische 
keine Schliisse ziehen. da solche Zeugnisse ebenso gut nur fiir das 
Dateinische etwas beweisen kbnnen. 

Auch Schreibungen andrer Art au.s Gortyn und Pingegend 
I'iihren ebenfalls auf ein o-artiges /, und zwar als IJbergangslaut. 
Wir finden diesen nicht nur zwischen a und u in rirv/og (^neben rfror- 
/aoS-b aus Yaxos Brause 40). sonderm auch in rafvQog. Idj/rrcr und 
(Brause 39j. Da wir AnlaB haben zu verniuten, daB v 
in Gortyn noch lange Zeit n war und / wenig.stens in diesen Wortern 
keinen Spiranten bedeuten kann, well ja sonst der Diphthong in 
zwei Silben zerfiele, was wir doch kaum annehmen werden. ein n 
und '!( aber in einer Silbe noch dazu hinter einem a, c derselben Silbe 
nicht aussprechbar sind, bleibt kaum etwas anderes als ein o-haltiges 
u fiir / iibrig. Es ist eine phonetisch genaue Umschreibung des 
Diphthongs, der aus «. bez. e, einem Gleitlaut u und einem h be- 
steht. Der Gleitlaut wird zwischen der Artikulation von «, bez. 
€ und der von h liegen. Ein solcher Laut kann nur o-artig sein. 
Die Schreibung d/roV SGD 49d2, i ’Afkdin ebenda 3 und t dagegen 
beriicksichtigt vielleicht nur diesen — urspriinglichen Gleit— LautM. 
Ebenso wird sj-d-f. riTofros. b/rb, /Ju/'h (Brause 18) aus Gortvn. 

t Ki (la/.u aufli ’OfurCt,i fur OvKTi'rjg Dfil 'liSi'i 



Silbisclier und uiisilbischer Laut gleicher A.rtikulatiovi usw. 147 

«/to aus Eleutherna, emfSddv, dazu . . f xos GrDI 5126 a ausVaxos 
(Brause 30) aufzufassen sein, EinBeispiel wie exofdddv belehrt uus 
aufierdem mit aller nur wiinschenswerten Grenauigkeit daruber, daS 
der Gleitlaut, wie ilberhaupt nicht dem o ganz gleich war, son- 
dern ein Mittellant zwischen o und it. Wahrscheinlich hatte im 
Diphthong vor Konsonant der Gleitlaut in Goityn und Nachbar- 
schaft das it . das von alters her zweiter Bestandteil des Diph- 
thongs gewesen war , fast iiberwuchert. Wenn gleichwohl der 
Diphthong vor Konsonant nur in ganz alter Zeit mit / geschrieben 
wil’d, dagegen in der grofien In.sehrift von Gortyn ausnahmslos 
mit V (Brause 40j. so ist auch das sehr wohl verstandlich. Man 
war ja in Griechenland gewohnt, zum Ausdruck des zweiten Teils 
des Diphthongs ein Zeichen zu gebrauchen, das sonst schon langst 
eine andre Bedeutung erhalten hatte. In Athen und anderwarts 
war V sonst das Zeichen fiir ir. im Diphthong driickte es hier 
aber noch den Wert it aus. So ist es also kein Wunder, wenn 
man auch in Gortyn anfing. in Verbindungen wie tcv, ev etwas 
anderes als die V okaie a ft- » , c + u zu sehen. Das konnte umso 
leichter geschehen, wenn : in andern Stellungen (im Anlaut) in- 
zwischen schon spirantisch geworden war, worauf nicht nur /3 
in GDI 5004, u deutet (Brause 39), sondern vor 

allem auch die nur aus spirantischer Aussprache eines anlautenden 
f erklarliche Assimilation in (croQQsd-evru usw. spricht, s. die oben 
S. 142 fg. genannten Beispiele, Wenn der Name der Stadt Polyrhen 
auf den einbeimischen Miinzen stets als UoXvgijv erscheint. dagegen 
auf auswartigen Inschriften (Teos und Magnesia) als TIoXvqq^v. 
so ist das erstere vielleicht die einheimische lautgesetzliche Weiter- 
entwicklung eines altereu Sprachzustands . wo / Halbvokal war 
und sich mit dem vorausgehenden v in einen Laut vereinigte, wah- 
rend die beiden andern Beispiele die Aussprache des Naniens in 
den Stadten Teos und Magnesia darbieten kbnnten; ebenso ist arkad. 
<ju/oMcu<c IG V, 2. 343 C 2 s trotz des assimilierten v mit einfachem / 
hinter dem v aufzufassen. Nebenher sei bemerkt, daB |3 in BuxCvQ-iog 
aus Lato auf Kreta ebenfalls spirantisches / bezeichuen wird. Brause 
zieht S. 12 aus der Schreibung den SchluB, daB demnach damals das 
A'psilon als u ausgesprochen worden sei. weil / nur aus u. nicht 
aus a hervorgegangen sein konne. Ganz abgesehen von der Her- 
kunft, iiber die Kretschmer Wiener Eranos 118 fg., vgl. Glotta 7, 332 
richtiger urteilt. sieht man nicht ein. warnm zur Zeit der Schreibung 
Bay.ivd-tog interkonsonantisches n nicht ii hiitte geworden .sein kiinnen. 
Wieder einmal werden Ausgangspunkt eines Lautwandels und spatere 
Zeit der Aussprache verwechselt. Genau denselben typischen Fehler 

' 10 * 



143 


Eduard Hermann, 


macht Brause, wenn er S. 43 aus Ba/Jv&iog schliefit, dafi mit /i nur 
if gemeint sein konne. Als ob nicbt anch dieses h za irgend einer 
Zeit zum Spiranten batte werden konnen! Die Orthographie (1 
spricht eben doch gerade dafUr, dad / zu >c geworden war. 

Ganz alinlicb wie- liir Gortyn wird man den Gleitlaut / zu 
beurteilen haben , wenn cr in andern Gegenden , vgl. Brugmann- 
Thumb"* 460, anftritt , so z. B. in Korinth und seinen Kolonien 
afvruv, Ei’fccQxog GDI IV, S. 387, in Mantineia in Ar- 

kadien Evfah’[o], Ev/dro, Evpuvoq\o\s IG IV, 2, 323, i und 5 und 15 
auf Ky'pern rdgvfog, dvfccvoi, Evpayogo, xuTsexavfcces, vfalg Hoff- 
mann Gr. Dial. 1, 195fg. Kyprisch sPgBtcleaTv stebt vielleicbt 
aucb auf derselben Stufe wie gortyn. afrov, sicberlicb ist das aber 
der Fall bei dem bisber verkannten o' oj‘ 1 m • re, das man unricbtig, 
(vgl. aucb Sommer Glotta 1, 154) ov yag zu umscbreiben pflegt, 
wabrend man of yug schreiben mud. Dieses 6/ ydp ist also ganz 
80 zu versteben wie errofddcv aus Vaxos. Aucb im kypriscben 
Dipbtbong bat sicb das '• zum f bin verscboben. Aber bier baben 
wir aucb if/pfrcouru daneben. Ist das eine Vermiscbung pbone- 
tischer und historischer Scbreibweise, oder hat sicb im Kypriscben 
vor dem g hinter dem Diphthong iv, der. nacb aol. eigdyt] zu ur- 
teilen, von. alters her beim Augment der mit / + Konsonant be- 
ginnenden Verba berecbtigt war, der Ilbergangslaut p = H einge- 
stellf? Aucb nsvsvfov kann jetzt verstandlich werden. Hier ge- 
horte das etymologische u zur Silbe des folgenden 0 . Klang da 
der Laut in dem an 0 angrenzenden Teil vielleicbt ein wenig 
anders, mehr zum 0 bin als der erste Teil, und hat das der Scbreiber 
durch vp bezeicbnet? Man vergleicbe iibrigens das weidrussische 
nvajinoH bei Berneker Slav. Chrestomatbie S. 102 fiir gaoBr. voAol 
und weiter Scbreibungen wie got. Vbad'da usw. in lateinischen Ur- 
kunden, Braune Got. Gramm.^ 23 u. a, 

Wenn intervokaliscbes .r spirantiscb wurde. konnte das aus 
dem Gleitlaut hervorgegangene r ebenfalD .spirantiscb werden, 
wofiir lakoniscbe Scbreibungen wie Ev^uvogog, Ev^uXxtig, GDI IV, 
S. 707 Zeugen .sind. Dasselbe scbeint von dem stimmhaften Di- 
gamma im Pamphylischen zu gelten, in EsXvVkuvg, ferner a^ruiOi, 
da h£)boTC( ja ri(iaT(c zn sein scbeint und die Grammatiker pam- 
phyliscbes f durcb wiedergeben : dabin werden Meillcts Bemer- 
kungen Glotta 2, 26 fg. ri. btig zu .stellen sein. Als eine Parallel- 
crscheinung aus einer andern Spracbe erwiibne ich aus einer nord- 
l-reuBiscb-litauiscben Mundart jeijus.z = jci asz Jlit. lit. lit. Ges. 2. 31. 

Aucb anSerbalb des Gebietcs, das / bewabrt bat, findet man 
>len Gleitlaut durch f dargestellt; auf joniscbem und attischem 



Silbischer und unsilbischer Laut gleicher Artikulation usw. 


149 


Oebiet in dfvro, I’ufvjojyog usw. GDI IV. S. 925 Meisterhans- 
Schwyzer Gramm, att. Inschr.^ 3, Anm. 15. Wiederum beweist die 
Stellung vor einem n derselben Silbe, da6 mit / ein Laut zwischen 
0 und It gemeint sein wird, da ja Spirant ausgeschlossen scheint. 
Zu diesem Ergebnis, dab der im Diphthong entwickelte Gleitlaut 
einem o nahe kam, stimmt sehr gut die Darstellung des ganzen 
zweiten Teils des Diphthongs durch o, wie sie besonders auf jo- 
uischen und inseldorischen Inschriften bezeugt ist mit so, cco fur 
£v, av, s. Brugmann-Thumb* 60. 

Besondere Erwahnung verdient der Ubergangslaut in dem rho- 
dischen Genetiv neSic'dafo GDI 4247 u. a. vgl. Brugmann-Thumb* 
263, weil er zwischen a und o kaum ein e-haltiges u gewesen 
sein wird; denn wenn man von einem a zu einem o gelangen will, 
stellt sich nicht u als Gleitlaut ein. Ganz ahnlicb steht es mit 
jonisch 'AyaQLXiJ^o Jahrb. arch. Inst. 1899, Anz. S. 142 . War hier 
/ vielleicht zum orthographischen Zeichen des Silbentrenners zwischen 
Vokalen herabgesunken, wie bei uns in idi gehe oder in lat. ahemis 
s. Sommer- 154 x4.nm. 192 und ahnlich im Oskisch-Umbrischeu s. 
V. Planta I, 60 h ohne efcymologisclie Berechtigung gebraucht wird? 
Eine gauze Anzahl von Beispielen mit / zwischen u, ij oder i und 
o bringt E. Meister BSGW 1911, 25 aus dem Kyprischen und Alt- 
phrygischen. 

Manchmal finden wir / vor o, a auch in denjenigen Mund- 
arten, die / mit o, w vereinigt haben. So wird fog in Gortyn mit 
f geschrieben und zeigt bei Homar Digamma wirkung. Aus den 
andern Mundarten, die f mit '.>-Laut verbunden haben. fehlt ein 
Beleg dieses Wortes. Sollte aber fog wirklich, wie Brugmann- 
Thumb* 46 annimmt, Analogieform seinV Undigam niertes ong ist 
nur beweiskraftig . wemi in seinem ersten Stuck wirklich *siioiJ- 
steckt, was ich bezweifle, s. Griech. Forsch. I, 229, Ist etwa nur 
ungedecktes/ mit ojio zusammengeflossen, das aus Of entstandene, 
sogenante stimmlose nicht? Verrat sich darin vielleicht aspirierte 
Anssprache des stimmlosen /? Der Hauchlaut zwischen f und 
o' to war ja wohl geeignet , die Vereinigung zu verhindern. Die 
Festigkeit des f war jedenfalls im Griechischen ganz anders auf 
die Stellung in der Silbe verteilt als in den bisher besprochenen 
Sprachen. Auch hinter inlautendem Konsonant hielt sich f vor 
0, CO in manchen der Mundarten, die es im ungedeckten Anlant mit 
o, CO verbanden; die aolische Mundart, die hinter Homers Sprache 
steckt. war allerdings vielleicht davon ausgenommen, s. unten S. 154. 

Eine besondere Stellung nehmen Personennamen ein, weil sie 
auch aus andern Mundarten stamraen kbnnen. Wie steht es da 



150 


Ednard Hermann 


aber mit deni Kyprischen? Wir haben Hoffmann Gr. Dial. 1, S. 193 
'Enidgog, 'Ovatsiogog, aber T(po/o'[po], figodogu? Sind die Formen 
mit / nicht dialektecht ? Es kommt hinzn , da6 vielleicbt auch 
9^vpc/d[pds] anzuerkennen ist, ein Wort, das leider nicht so sicher 
steht. wie Hoffmann S. 95 glaubt. Die neue Inschritt SBA 1910, 
151 liefert dazn nock Zofogo, das durch Haplologie aus *Zofofdgo 
entstanden sein wind, nach Zo/dffepig BSGW 1911,32 zu urteilen. 
Ist etwa nnr pogoSogo nicht dialektecht oder falsch gelesen, und 
/ in -fogog auf den Inlaut zu schieben? Aber fast sieht es doch 
vielmehr so aus, als ob f- vor ojco im Kyprischen nicht geschwunden 
sei: sind dann Worter wie ogxog, awci aus andrer Mundart ins 
Kyprisehe gew'andert? Oder steht es so wie auf Kreta und in 
Arkadien, s. S. 14. Das Richtigste ist wohl, mit dem Urteil, wie 
es Solmsen KZ 32, 287 tat, zuriickznhalten, bis neue Beispiele einen 
sicheren SchluB erlauben. leh habe daber oben S. 144 bei Auf- 
zahlung der Mundarten die f- mit o/w haben verschmelzen lassen, 
hinter das Kyprisehe zwei Fragezeichen gesetzt. Jedenfalls geht 
es aber nicht an, so wie es bei Brugniann-Thumb* 46 geschieht, das 
Kyprisehe ohne Einschrankung fur diesen Lautwandel anzufiihren. 

Die Ausspracbe des j- mochte ich noch etwas weiter verfolgen ! 
Solmsen hatte Untersuch. 129 fg., besonders 161 fg. fur Houier im 
Anlaut die Aussprache g und Silbentrennung vor dem vorausgehenden 
Konsonanten aus demFelilen der Position in Thesis bei auslautendem 
V, g vor anlautendem / festgestellt und in der Weiterentwieklung 
von inlautenden vf, g/, /./ ohne Ersatzdehnung z. B. im Attischen 
eine Bestatigung hierfur gefunden. Einem solchen Resultat hat 
Danielsson IF 25, 264 fg. fur Homer widersprochen und dagegen 
S. 274 fg. vier Einwande formuliert. Diese sind nach meiner fl^ber- 
zeugung alle vier nicht stichhaltig. DaB die Silbenanlaute tuj und 
)-u im Griechischen und den andern indogermanischen Sprachen 
sonst nicht vorhanden oder aufierst selten sind. ist ebensowenig 
ein ernstlicher Einwand wie die Tatsache, daB im Indischen und 
Lateinischen Silben vor nu und m Position erleiden. Auch daB 
der A^ergleich mit Muta 4- Liquida nicht stimmen soil, will nicht 
viel besagen. Der Unterschied, den Danielsson herausliest, besteht 
noch dazu nicht ganz so. Es ist allerdings richtig, daB Muta und 
Liquida im Griechischen .stets Position bilden. wenn sie zwei ver- 
schiedenen Wortern angehoren. Aber Danielsson iibersieht, daB 
diese zwei Worter, weil nur tx in betracht kommt, immer einen 
Konnex bilden, der auch bei -r, ~g + /- im Epos jederzeit Position 
gelten laBt, 

Am schwersten wiegt scheinbar der an erster Stelle gemachte 



Silbischer und unsilbisclier Laut gleicher Aitikulation usw. 


151 


Einwurf, auf den Danielsson selbst am wenigsten Gewicht legen 
will. Wenn im lockeren Wortverband wie 106 in XQijyvov sinag 
ebenso wie im kompositionellen Inlaut z. B. A 555 in nageimj der 
auslautende Konsonant zar folgenden Silbe gezogen , dagegen im 
engeren, enklitischen Konnex wie a 239 in tc5 xev ol die beiden 
Konsonanten getrennt werden, so scheint das allerdings ein sonder- 
barer Widersprnch zu sein. Ich sehe aber nur nicht, daB er fur 
Solmsens Tbeorie verhangnisvoller ist als fur die Danielssons. Ganz 
gleichgiiltig; ob man / fiir Homer anerkennt oder nicht, wird man 
naQBi'xr, mit der Messung des Anlauts im lockeren Wortverband 
entweder nur daraus erklaren konnen, daB die Wortstellung zsV 
01 alter sein wird als M'q vor fi'n:;;, oder daraus, daB sich siTty] in 
TiaQBt.Tttj analogisch nach dem Anlaut des Simplex gerichtet hat. 
Der schwedische Gelehrte hat leider keinen Versuch gemacht, den 
Widerspruch mit seiner eigenen Tbeorie in Einklang zu bringen. 
Aber obwohl ich seine vier negativen Argnmente gegen Solmsen 
nicht anerkennen kann, stimme ich doch mit seinem Urteil (S. 276 fg.) 
liber / bei Homer iiberein ; Das einst voxdiandene Digamma war 
im Wortanlaut geschwunden. Die andre Moglichkeit, die er noch 
offen lafit, dafi / wenigstens stark reduziert war. muB ich ab- 
lehnen; denn ich kann mir unter diesem reduzierten Laut nichts 
Rechtes vorstellen. Ich meine vielmehr, daB Homer (der oder die 
Dichter der Ilias und Odyssee) als Jonier / sogar im Wort- 
inlaut nicht mehr sprach. Wenn er seine Dichtung niederge- 
schrieben hatte , wlirde er nirgends / gesetzt haben. Wohl aber 
respektierte er , den Gesetzen der epischen Kunst entsprechend, 
in der Mehrzahl der Eiille noch die ehemalige Wirkung dieses 
Konsonanten, wie ja auch Herodot noch on oi und die jonischen 
Jambiker ovdt ol anwenden, s. Wackernagel Sprachl. Lnt. Homer 
108 = Glotta 7, 268 und Danielsson IF 25, 278. Fiir diese Ansicht 
scheinen mir folgende Griinde ausschlaggebend zu sein ; 1) Kiirzung 
eines langen Vokals und Elision sind nur verstandlich, wenn das 
folgende / iiberhaupt nicht mehr gesprochen wurde. Die Zahl 
dieser Falle ist zu grofi und ihre Verteilung auf die Gesange der- 
artig, daB es nicht angeht, alle in Betracht kommenden Verse als 
jiingeres Machwerk zu verdachtigen. 2) Der Dichter der Ilias wie 
der Odyssee war ein Jonier; was an Wirkungen ehemaligen Di- 
gammas vorliegt , scheint aolisch zu sein. Bei Annahme einer 
fremden Mundart pflegt man aber seine eigenen Laute zu substi- 
tuieren und einen fremden Laut iiberhaupt nicht so leicht aufzu- 
nehmen, vgl. Griech. Forsch. 1, 216. 3) TJnsere tiberlieferung weifi 
nichts von einem Digamma bei Homer, obwohl .sie diesen Laut der 



152 Eduard Hermann, 

lesbischen Ljrik zuerkennt. Das wird kein Zufall sein. Ich glaube 
daher, da6 / nicht in den Homertext gekoct. Solmsen sckeint aber 
gemeint zu haben , dad / da zu sckreiben sei, wo seine Wirkung 
verspiirt werde ; ebenso verstebe icb die Darlegungen Meillets 
MSL 16, 31 fg. Es ware nur wunscbenswert, wenn jeder G-elebrte, 
der f bei Homer bebandelt, sicb liber diesen Pnnkt so deutlicb 
wie z. B. Cauer Grundlagen- 155 ansspracbe imd nicbt dabei im 
Unklaren lieBe, wie er im einzelnen Fall fiir ? den Text gestaltet 
seben mocbte. v. Wilamowitz’ Vorscblag, Die Ilias und Homer 10 
Anm. 2, / als eine Form des Spiritus in den Texten zu verwenden, 
hatte nur eine Berecbtigung . wenn / bei Homer ein reduzierter 
Laut war. Wurde / dagegen von dem Dicbter nicbt mebr ge- 
sprocben, dann dart aucb kein Zeichen dafiir eingesetzt werden, 
wenn aucb die Wirkung des Van mancbmal nocb zu spiiren ist. 

Diese Wirkung zeigt sicb nocb in der Position eines Konnexes 
wie xtv 01 gegenilber der Kiirze bei lockerem Wortverband wie 
in si.’tug. Mit Recbt bat Danielsson in der Position die 

liber den Scbwund des / hinaus in der altertiimlichen Dicbter- 
spracbe nocb andauernde Kraft des einstigen Konsonanten geseben. 
Die aoliscben Vorganger Homers spracben / nocb, Homer selbst 
bat nur die Tecbnik der aoliscben Positionsbemessung vielfacb 
beibebalten , obne den ihm fremden Laut zu llbernehmen. Die 
Aolier vor Homer spracben / als Halbvokal im Anlaut, also in 
y.Qt'iyvoi' d%ag und in ^cageijcij, dagegen vielleicbt als Spirant im Inlaut, 
also aucb in y.iv oi. Solmsens fllr Homer ausgedacbte Verteilnng der 
Ausspraehe und der dainit zusammenbiingenden Positionsbildung. die 
nur vor dem Spirantcn. nicbt vor dem Halbvokal moglicb war. 
gilt also nicbt f'llr den Dicbter der beiden groBen Epen. sondern 
bbchstens file die aoliscben Vorganger. Jetzt erst wird alles recbt 
verstandlich. Da Homer F llberbaupt nicbt mebr kannte, verstieB er 
in der Kurzmessung in der Fuge xprjyvop eiTtag natlirlicb gar nicbt 
gegen die bergebraebte Tecbnik ; die auslautenden Vokale vor ebe- 
maligem / des Wortanlautes dagegen bebandelte er, wenn aucb 
nur mancbmal, aucb nacb MaBgabe .seiner eignen Ansspracbe in 
tfegensatz zur llberliefertcn Dichterspracbe, 

Dad man sicb /- bei Homer so, wie auseinandergesetzt, zureebt 
legen muB, bestatigen die von Meillet MSL 16, 31 fg. aufgedeckten 
Tatsacben. Danach ist erhaltene Lange eines langen Vokals oder 
Diphthongs in Senkung keineswegs obne weiteres das Xorinale 
vor digammatisebem Anlaut. sondern nur in syntaktiseben Kon- 
nexeu und in formelhaften Wendungen. In Ausdrilchen, die nicht 
formelhaft auftreten. wird gekiirzt. Also hat Homer anlautendes 



Silbiseher und unsilbischer Laut gleicher Artikulation iisw. 


153 


Digamma nicbt mehr gesprochen, er hat nur eine Zahl von For- 
meln imd syntaktischen Gebilden mit der alten Messung bewmhrt. 
Das stimmt auch genau zu den Ansfiihrungen Danielssons, dad 
Hiat wie Erhaltung der Lange vor bei Homer auf ganz be- 
stimmte Falle beschrankt ist. Es zeigt sich eben in jeder Bezie- 
hnng, dad / bei Homer anders behandelt ist als ein wirklicber 
Konsonant. Demnach ist es verkehrt , mit Meillet S. 4 L fg. die 
fehlende Positionslange vor /- in der Wortfuge in AnscbluB an 
Sommer Glotta 1, 145 fg. mit Homers Schen vor Position in der 
Fuge iiberhaupt oder auch nur mit der entsprecbenden Erscbei- 
nnng bei Muta cum Liquida und bei o- + Konsonant oder g- auf 
eine Stufe zu stellen. Vor diesen Lauten wird niclit wie vor ge- 
schwundenem f- irgendwo Lange gekiirzt oder Kiirze elidiert. Die 
Positionsbildung bier wird nicbt radikal aufier in Konnexen ver- 
nachlassigt, sondern, wenngleich der Dicbter Positionsbildung in 
der Fuge nicbt gerne anwendet. so herrscbt doch auch Vernacb- 
lassigung der Position nicbt unumschrankt , sondern erscbeint bei 
Muta + Liquida 564 mal unter 604 Fallen in jambiscb-anlautenden, 
sonst nicbt verwendbaren Verbindungen, wabrend o- + Konsonant 
und g- gar 27 mal unter 27 Fallen so vorkommen. 

Wir gelangen also zu dem Ergebnis, daB zwar Homer (bez. 
die be iden D icbter der Ilias und Odj^ssee) anlautendes 
/- vor Vokal nicbt mehr gekannt hat, daB es aber in 
der aolis chen Di cht er spr ache , in der vor Homer das 
Epos gepflegt wurde, eiir H alb vokal gewesen sein 
muB. und zwar war es da ein Mittellaut zwiscben >< 
und 0 . Weiin vor diesem Halbvokal einst Elision und Vokalkur- 
zung ausgeschlossen waren, wabrend sich beides vor Vokal fand, 
so ist man berecbtigt zu fragen. worauf denn dieser .Unterschied 
berube. Die Antwort wird lauten miissen, daB er ebenso wie 
bei Elision vor Vokal, aber Hiatus vor r. j im Latei- 
niscben durch dasselbe Pr inzip bedingt ist wie der 
Unterschied in der Anwendung des engliscben Ar- 
tikels ail, a vor Vokal oder vor ic, j. 

Im Inlaut binter Konsonant lagen die Verhiiltnisse anders. 
Hier war / nicbt etwa im Joniscben gescbwunden und im Aoliscben 
Halbvokal. denn unter diesen IJmstanden wlirde sich bom. H^rro^ 
Iiberhaupt nicbt erklaren lassen. Diese Form setzt vorau.s, wie 
Solmsen richtig erkannt hat, daB / binter Konsonant einmal 
Spirant geworden war. liber Kiirze vor eberaaligem / binter 4, 
1 ', Q bat uns Wackernagel Glotta 7. 280fg. aufs beste belebrt. 
Nur das will ich bier noch bervorheben. daB bei Beurteilung dieser 



154 


Eduard Hermann, 


Frage im Griechischen iiberhaupt Wbrter wie unci Koqk 

nicht recht zn einer Entscheidung geeignet sind, weil sie leiclit 
entlehnt sein konnten — eine Moglichkeit, die auch Buck Greek 
dialects 47 hervorhebt. AuBerdem ist aber nicht zu vergessen, 
daB manche derjenigen Mundarten, die anlautendes f mit o/co zu- 
sammenwachsen lieBen, vielleicht auch im Inlaut, z. B. in dem Pa- 
radigma von ^svo^ u. a. das / in einer groBeren Zahl von Formen 
lautgesetzlich verlieren muBten. Konnte etwa im Lesbischen ^evog 
die lautgesetzliche Gestalt, ^twog die Fortsetzung der analogisch 
wiederhergestellten Form ^svfog .sein, dessen / spater spirantisch 
wurde, ebe es assimiliert ward? ywog n. a. brauchte dazn nicht 
unbedingt eing Erfindung spaterer Zeiten zu sein, wie das z. B. 
Schulze Quaest. ep. 6 Anm. und Brngmann-Thumb'* 47 annehmen. 
Die Beispiele bei Hoffmann Griech. Dial. II. 480 kann man .sich 
danach wohl zurecht legen. Auch fiir die honierischen Formen 
igaj.ieQ'a, gorcattfi'^ u. a. konnte der berhhrte Gesichtspunkt von 
Bedeutung sein. Uber die Schwierigkeit der Kurzmessung bei fVaza 
bringt am besten Fraenkels Yor.schlag BphW 1917,420, sw/.u ein- 
zusetzen. hinweg. 

So konnen wir also / im Griechischen in zwei verschiedenen 
Artikulationen nachweisen : als u und in jiingerer Zeit als Spirant. 
Bei Vorantritt des Augments und der Reduplikation ist nur in 
alterer Zeit / vor Konsonant noch Halbvokal gewesen, spater 
sehen wir es iiber Spirant hinweg assimiliert. In einer Form 
wie argiv. /f/pf.ufw.' kann aber das zweite / sehr wohl Halbvokal 
sein. man muC clann nur annehmen, daB es y war und in der Ans- 
sprache von argirischem v abwich. 

Worter mit der Lautfolge fv oder vf innerhalb einer Silbe 
sind aus dem Urindogermanischen nicht ins Griechische gekommen 
mit Ausnahme etwa von Partizipien wie hom. nstpwia, das aller- 
clings auch analogisch neugebildet sein kann zu Ttsifvag. Da oben- 
drein / in ntsqivvia nicht vorhanden ist, verzichte ich auf eine Aus- 
beutung dieser Form fiir die Aussprache. 

tiber die Fortsetzung des idg. i im Griechischen laBt sich 
nicht viel sagen. Der Laut ist ja im Anlaut Spiritus asper ge- 
worden, bez. geschwunden, im Inlaut zwischen Vokalen liber Spi- 
ritus asper hinweg ebenfalls geschwunden; hinter Konsonant hat 
er diesen mouilliert. 

Ob auch hier als altererbt aus alter Zeit die tauto.syllabische 
Verbindung von > mit i fehlte, bleibt unsicher. Gelegenheit hierzu 
war in der Praesensreduplikation der mit i einst anlautenden Verba 
gegeben, wo natiirlich nach etwa vorausgegangener A’'erschmelzung 



Silbischer iinJ unsilbibclier Lant gleicber Artikulatioii iisw. 155 

eine analytische Xeubildiing eintreten konnte. Hier kamen wohl 
idnrto und in betracht. Ob beide auf der Stufe von indisch 
iyaJckdi oder auf der der analogischen yiyali jaii stehen, konnen wir 
in beiden Fallen nicht entscheiden. Bei ianrci ist der Spiritus 
lenis nicht aus&chlaggebend, weil das Wort homerisch ist, bei dem 
attischen Iryit der Asper ebenso wenig, weil die Aspiration wie 
bei SVC 3 aus s von dem Inlaut berstammen konnte (Sommer Glriech. 
Lautstudien 1 fg.) '). 

Da, wo i. spater fiir den Ubergangslaut zwischen ( und Vokal 
geschrieben wird (Brugmann - Thumb'‘ 44) , so besonders im Ky- 
prischen und Pampbylischen , kann es ebenso gut Halbvokal wie 
Spirant bedeuten. Die Schreibung mit p auf Papyri (Mayser 
Gramm, griech. Papyri 167 fg.) weist wohl auf spirantische Aus- 
sprache hin. Hierunter gibt es auch Beispiele mit i hinter j, z. B; 
Mvriysiog — Mvryog. Wenn umgekehrt der ehemalige Verschlufi- 
laut y hinter i gar nicht mehr geschrieben wird, s. Mayser 164, 
wie in iziovyg. vunvoysv , so ist das nicht notwendig der Beweis 
daflir, dafi y zum Halbvokal geworden war. Falls die Auslassung 
nicht iiberhaupt nur orthographisch ist. veranlaBt dadurch, daB in 
Fallen wie vyiycdvr^g (Mayser 168) das zweite y den mit altem y 
zusammengefallenen Gleitlaut darstellt, der in der historischen 
Orthographie gar nicht geschrieben wurde, so sind eben i und } 
wegen ihrer Ahnlichkeit in i verschmolzen. Mbglich ware es. daB 
dies irgendwo in agyptischer Aussprache so war; es kommt mir 
aber gar nicht wahrscheinlich vor, weil dann der Gleitlaut zwischen 
i und dunkeln Vokalen fehlen wiirde, wahrend er sich doch sonst 
gerade hier eingestellt hat. Die neugriechische Aussprache, die 
spirantisch ist , zeigt j vor i erhalten . z. B. yeiromg — jitomis, 
yi’Qog — jiros. Thumb Handbuch der neugriech. Volkssprache 1. 

Samtliche bisherige Sprachen haben gezeigt, daB « eine Zeit- 
lang zum Teil ein offenes « war ; so weit altere Sprachperiodcn in 
Betracht kamen, konnte die F eststellung dadurch gemacht werden, 
daB die Sprachen o-Laut haben ; das Arisehe, das von o keine Spur 
mehr zeigt, laBt von it nichts erkennen, vielleicht eben nur darum, 
weil 0 nicht vorhanden war. 

Die indischen Gr’ammatiker definieren r als labiodentalen Spi- 
ranten, s. Wackernagel Altind. Gramm. I 228. Es ist also kein 
Wunder. wenn wir die Lautverbindung vu im Anlaut wie im Inlaut 
antreffen, so im Anlaut in rud, im ya, nls, vm Ifa. Wir haben aber 

1) Xicht behaudle ich hier den Sehwuiid deb iiitervokalischen aus si ent- 
steLenden ii, der sicli vielleicht nur in Veibinduiig mit tolsendem s, fi, rj, 7;i voll- 
zieht, >gl. meine AhhaiiJluns uher Silbenbihlung. 



150 


Eduard Hermann. 


Anlafi anzunehmen, daB das erst jiingere Bildungen .sind, s. OsthofF 
Morph. Unters. 4, X Anm. ; mit cn imAnlaut ist keine idg. Form 
ins Indi.sclie gekommen, kein isoliertes Wort kennt va. Wir sehen 
dasesren noch. daB sich v mit folgendem ii verbindet, das ist der 
Fall in der Fuge, wenn -av vor anlautendes u zu stehen kam, 
Wackernagel ai. Grr. I 323. Dasselbe ist vielleicht auch der Fall 
im Innern eines Wortes, wofiir sich nur das Beispiel ai. yo<-, av. 
yao^ anfiihren laBt. falls hier wirklich an den Stamm auf -av- das 
Suffix us angetreten ist; hier ware dann weiter u mit u zu einer 
Silbe verbunclen worden. Es ist darum sehr wohl moglich, daB 
auch Formen wie susnivus. susuviis. bah/iurusi erst innerhalb des 
Inclischen neugebildet worden sind. Man wird aber auch die Mog- 
lichkeit oiFen lasscn miissen; dafi hier ein urindogermanisehes Erb- 
teil vorliegt s. oben S. Hlfg. Fiir den Anlaut haben wir auBer in 
der Fuge keine Beispiele der Verschmelzung von v mit u, wenn 
nicht die mit sonantischen Liquiden hinter r hierherzuziehen sind, 
z. B. ai. urnd 'Wolle' aus angeblichem Ich will diese bei 

seite lassen, weil ich der Ansicht bin, daB man hieruber nicht ur- 
teilen kann. olme die «-Entwicklung vor den Liquiden in alien 
Sprachen und nicht nur hinter idg. u zu behandeln. Zur Zeit der 
Verschmelzung ist v vermutlich noch Halbvokal gewesen: nicht 
vorsichtig genug in der Ausdruckswei.se ist darin "Wackernagel 
197. Hervorheben will ich noch einmal, obwohl das eigentlich 
liberfiussig sein sollte. daB aus dem Wechsel zwischen u bez. i 
vor Konsonant, v bez. // vor Vokal fiber die Aussprache des v. y 
im Altindischen nichts zu ersehen ist, sondern daB dies hbchstens 
fiir cine frfihere Zeit, als der Wechsel entstand. gelten kann. 
Jedes spater hinzukommende Wort konnte sich. auch bei spiran- 
tischem v. analogisch dem Wechsel anschlieBen. So weit wir zurfik- 
blicken konnen, ist v aber, als es noch Halbvokal war, einem u in 
der Artikulation ahnlich gewesen. Ob er mehr often oder ge- 
schlossen war. liiBt sich darau.s nicht ersehen. 

Wie V hat auch j (//) sein besonderes Zeichen in den alt- 

arischen Sprachen. In Formen aus idg. Zeit finden wir anlautendes 

y nie vor i. also nicht innerhalb einer Silbe. Doch sind Wbrter derart 

wohl vorhanden wie ai. Yiftiui, reduplizierte Formen wie i/iyuhsciti, 

yiynL^-u. ylyaviYi. yiydsri. yajusu oder av. Yiiua. yini. Das .sind lauter 

jiingere Worter und Bildungen, s. Osthoff a. a. 0. Im Avestischen 

sind sie durch Fmlautung eines a in i entstanden, im Altindischen 

sind es auBer dem Xamen Yitthu Analogieformen; dasAltere lieH 

in iyal.saii. iyah.-n vor. Auch im Inlaut scheint / mit i ziisanimen- 

geHossen zu sein. wenn man ai. rn-stluis, av. u. a riclitio- 

*■0 



Silbischer und unsilbistlier Laut glekher Artikulatioii usw. 


157 


als Bildungeu aul -is-, das an einen -/-Dipli thong angeti’eten ist, 
anffaBt ; Lokative wie Jkiiji, mayi, trayi ii. a. sind dann Analogie- 
formen. Aber ganz sicher la6t sich das nicht ausmachen. Auch 
die vedischen Lokative gaurT, sarasl (Macdonell Vedic grammar 271) 
fiihren keine Entscheidung herbei, da die mehrsilbigen Stamme 
dieser Art in den andern schwaehen Kasas auf -i-, nicht wie die 
einsilbigen auf -iy- ausgehen. Sind die Superlative (jrcNthas usw. 
richtig beurteilt, dann wird man nicht mit Bai'tholomae Grundr. 
iran. Philol. I, 31 und Brugmann Grundr.^ I, 268 ii erst im TJr- 
arischen zu i werden lassen. Anlab zu dem Ansatz eines idg. ii, 
natiirlich mit liegt nicht unbedingt vor. Mit -7 dagegen verband 
sich vorausgehendes -i zu -? im Altindischen z. B. tnafiki- ’eggenh 
s. Wackernagel, Melanges Saussure 129, vgl. oben S. 136. Jeden- 
falls geniigen iyaksati usw. fiir die Annahme, dab i auch im Arischen 
einmal Halbvokal war und erst in den einzelnen arischen Sprachen 
zum Spiranten geworden ist, der neben sich ein i natiirlich leicht 
duldete. 

4. Die fiinf wichtigsten Zweige der indogermanischen Sprachen 
haben uns dasselbe Ergebnis geliefert: die Laute, die wir als 
i und If zu rekonstruieren gewohntsind. waren in den 
alteren Stufen dieser Sprachen Halbvokal e. Wir 
diirfen nicht daran zweifeln, daB sie das auch im Ur- 
indogarmanischen waren. Worter mit dem indogermanischen 
Anlaut i- oder u und dem entsprechenden indogermanischen So- 
nanten hat es in den alteren Stufen der fiinf indogermanischen 
Sprachzweige nicht gegeben, sie .sind erst durch Veranderungen 
der Sonanten hinter i, n spater entstanden, sie werden also im 
Urindogemanischen nicht vorhanden gewesen sein '). Das konnte 
daranf schliefien lassen, dab im TJidndogermanischen i imd u in 
der Artikulation den Sonanten i und n naher standen als z. B. im 
Slavischen. Der Schlub ware voreilig ; denn wenn es nur den 
Anlaut /, u aber nicht ii, iiti, d. h. etwa iiu, gab, so darf man 
nicht vergessen, dab auch Wurzeln, die mit *iei-, *ucu- oder ahnlich 
begannen, nicht vorhanden waren. Wohl gab es Wurzeln, die 
auf beiden Seiten der Sonanten Yerschlublaute batten, aber nicht 
solche, bei denen der Silbentrager von zwei i oder zwei « um- 
geben war. Dab die Tiefstufe dazu ebenfalls fehlte, braucht also 
nicht an der Aussprache der i, n als Halbvokale derselben Arti- 
kulation wie i, u zu liegen. Der Vergleich der fiinf Sprachen 
fiihrt ja, so weit sich eine genaiuere Aussprache feststellen lieb, 

1) Vgl. Bartholomae IF !>, 271 untl Zur Bucheiifrage HSB IIUS, S. 11. 



158 


Eduard Hei ruaiui. 


eher auf oit'enes j und >j. Mit folgendem /• oder o verschmolzen 
diese Laute aber nicht, der Anlaat *ie- oder *no- war gelaufig. 

Im Inlaut gab es bereits im Urindogermanischen innerhalb der 
Flexion Gelegenheit fur i und u mil folgendem i bez. n z. B. file 
i + / im Glenetiv-Adverbialkasus der /o-Stamme fiir I + i im Lokativ 
Sing der ^-Stamme; fiir «+« im Partiz. Perf. Dad i +t za indo- 
germ. I wurde, legen das Lateinische. Keltische, Altindlsche nabe, 
s. Wackernagel. Melanges Saussure 1‘29. Dagegen ob bier -/?, -im 
gesprochen wurde oder die Lante zusammenflossen. wird sebwer zu 
entsebeiden sein. War letzteres der Fall, dann wurde der Lokativ 
der i-Stamme, die Brugmann GrrnHdr,'- II, 2, 132 mit -eh ansetzt, 
auf -ei bez. -ei gebildet. Damit gewanne man niebt nur eine ein- 
fache Erklarung z.B. fiir abulg. Icosfi. sondern man konnte aucb 
die andern mit den reinen Stammen iibereinstimmenden Lokative 
als Analogiebildungen ansehen. Icb will derartiges niebt nocb 
welter ausspinnen. Das aber liiBt sicb wobl mit Bestimmtbeit 
sagen, dad ; und ij im Urindogermaniseben Halbvokale waren. 
J. Sebmidt war also Sonantentbeorie 10 mit dem Ansatz y, w als 
Spiranten im Unreebt. 

Aucb in einer andern Bezlebung hat J. Sebmidt niebt sebarf 
genug geseben. Er war der Meinung. dafi wir niebt wissen konnten. 
ob in den Diphtbongen der zweite Bestandteil Konsonant war oder 
niebt. Icb vermute. dad er Konsonant war. Wenn z.B. im Op- 
tativ die 3. Person Pluralis *bhcr:ihjto niebt %heroinio lautete, vgl. 
Ostboff MU lY, 1, 285, Wackernagel Glotta 7, 249 fg. — Homer 89 fg.. 
so mud wenigstens in diesem Fall o allein Sonant gewesen sein : 
im andern Falle wiirde man dabinter m, n als Konsonant erwarten 
diirfen. Umgekebrt liiGt sicb aber aus iptooivTo usw. kein Scblud 
zieben. n als Konsonant vertriigt sicb ebensowobl mit vorausge- 
henclein / wie i derselben Silbe. Andrerseits legt eine Form wie 
z.B. (/3a))'. ai. ijniii) nabe, dad im Urindogermaniseben we- 

nigstens gewisse Langdipbtbonge ebenfalls nur den ersten Teil des 
Diphthongs sonantisch batten ; denn stammt von ber, 

indem es wobl ein j. aber niebt ein sonantisebes u verloren baben wird. 

Fiir die Beurteilung der Ausspracbe des i. " in den Einzel- 
spracben ist diese Erkenntni.s leider niebt verwendbar, da der 
zweite Teil eines Dipbtongs andern Bedingungen unterliegen kann 
— aucb wenn er konsonantiseb ist — ■ als ein konsonantisebes i. n 
in andrer Stellung. Die Ausspracbe des zweiten Bestandteils der 
i- und a-Diphtbonge zu untersuebeu. babe icb daber bei der vor- 
liegenden Arbeit niebt fiir nbtig gebalten. 



Silhischer iind unsilbisther Laut gloicher Artikiilation usw. 


159 


Nachschrift. 

Der voraufgehende Aut'satz hat wegen Papiermangels bei der 
Kuhnschen Zeitschrift liber zwei Jahre auf den Druck war ten 
miissen, so dab ich mich endlicb entscblossen tiabe, ihn bier zum 
Abdruck zu bringen. Die Neuerscbeinangen babe icb, so gut es 
ging. nacbgetragen und babe V erandernngen vorgenommen. Mancbes 
babe icb aber nicbt verbessert, im besondern nicbt einiges liber 
SUbentrennung. an der icb zur Zeit wieder arbeite. So ist es mir 
zweifelbaft geworden. ob die Aolier vor Homer, wie ich es S. 152 
ausgesprocben babe , inlautendes / hinter Nasal oder Liquida als 
Spirant gesprocben haben. Falls im Lesbischen in spaterer Zeit 
das Digamma in dieser Stellung restlos geschwunden sein sollte, 
wird man halbvokalische Ausspracho fllr die aolische Dicbtung vor 
Homer aucb im nacbkonsonantischen Inlaut anzunebmen haben. 
Dann mlifite man aber Kurzmessungen wie in dock 

mit Hiilfe von Sommers Tbeorie Glotta 1, 145 fg. zu erklaren ver- 
sucben. worliber icb micb nicbt waiter auslassen will. 

An Verscbmelzungen von i mit I laCt sich nocb nachtragen, 
dab die lateiniscben Formen c>. cio dafilr in betracbt kommen, 
womit sich andre Moglichkeiten als bei Herbig IF 37, Anz. 37 er- 
geben. Aucb der Dativ dev i-Deklination auf -lei konnte fllr das 
Lateiniscbe wie fllr das Baltiscb- Slavische auf dieseni Weg er- 
klarbar sein. indem sicb (, nachdem ei zu c oder / geworden war, 
mit diesem verband; daniit konnte man Meillets Tbeorie MSL 
18, 378 fg. umgehen. 


Berichtigung. 

S. 134/5 ist i'njior statt cnjier zu lesen. 




tTber einige alttestamentliche Handscliriften des 
Abessinierklosters S, Stefano zu Rom. 

Von 

Alfred Rablfs. 

Vorgelegt in der Sitziing am 17. Mai 1918. 


Chaine = M(arius) Chaine, Uu monastere Ethiopian ii Rome au XV® et XVI® 
sRcle, S. Stefano dei Mori; Universite Saint- Joseph, Beyrouth (Syrie). Me- 
langes de la Faculte Orientals. V, fasc. 1 (1911), S. 1 — 80. Mit einer Tafel. 

D illm. B odl. = Catalogus codicum manuscriptorum Bibliothecae Bodleianae Oxo- 
niensis. Pars VII ; Codices Aethiopici. Digessit A. Dillmann. 0.xonii 1848. 

Dillm. Oct. = Biblia Veteris Testamenti Aethiopica ed. Aug. Dillmann. Tom. I: 
Octateuchus. Lips. 1S53{ — 1855}. Die Zitate beziehen sich stets auf die 
besonders paginierte „PaTs posterior, qaae continet apparatum criticum‘‘. 

Flemming 1 und 2 — J. Flemming, Hiob Lndolf; Beitrage zur Assyriologie, 
hrsg. T. Fr. Delitzsch u. P. Haupt 1 (1890), S. 537 — 582, und 2 (1891 resp. 
1894), S. 63—110. 

Juncker = Commentarius de vita, scriptisque ac meritis illustris viri lobi Lu- 
dolfi . . . Auctore Christiano lunckero . . . Lips, et Francof. 1710. Diese 
Lebensbeschreibung beruht groBteuteils auf eigenen Aufzeichnungen Ludolfs, 
s. Junckers Vorrede. 

Ludolf Comm. = lobi Ludolfi alias Seut^olf diet! Ad suam Historiam Aethio- 
picam antehac editam Commentarius. Francof. ad M. 1691. 

Platt = Th. Pell Platt, A catalogue of the Etbiopic biblical mss. in tbe Boyal 
Library of Paris, and in the Library of the British and Foreign Bible So- 
ciety; also some account of those in the Vatican Library at Rome. London 
1823. 

Rahlfs Niss. u. Petr. = Alfred Eahlfs, Mssel und Petraeus, ihre athiopi- 
schen Textausgaben und Typen; Nachrichten der K. Gesellschaft d. Wiss. 
zu Gottingen, Philol.-hist. Kl. 1917, S. 2GS — 348. 

R 0 u p p = N. Roupp, Die iilteste athiopisrhe Handschrift der vier Bucher der 
Konige. Zeitschrift fur Assyriologie 16 (1902;, S. 29G— 343. Mit vier Tafeln. 

Kgl. Oes. d. Wits. Nachrichten, Phil.-hist. KUsse. 1918, Heft 2. 11 



162 Alfred Eahlfs, 

Tisserant = Tabulae in usum scholanim editae sub cura loh. Lietzmann. 8; 

Specimina codicum orientalium, conlegit Eug. Tisserant. Bonnae 1914. 
Zotenb. = Manuscrits orientaux. Catalogue des manuscrits ethiopiens (glieez 
et amharique) de la Bibliotbbque Rationale (von H. Zotonberg). Paris 1877. 

Diclit hinter der Apsis der Peterskirche zu Rom^) liegt ein 
altes, sckon im Jahre 732 erwahntes -) Kloster, -welches nebst der 
daza gehorigen Kirche dem hi. Stephanas geweiht ist. Dieses 
Kloster wurde nin 1500®) den nach Rom pilgernden Abessiniern 
iiberwiesen and bekam infolgedessen den Ramen „S. Stefano dei 
Mori“ oder »degli Indiani“ oder „degli Abissini“ ^). Tiber seine 
seitherige Geschichte nnterrichtet am besten Chaine, der auch alle 
auf die abessinischen Insassen beziiglichen TJrkunden zusammen- 
gestellt hat®). Hier sei nur auf die geradezn grimdlegende Be- 
deutnng hingewiesen, welche S. Stefano dei Mori fiir die athiopi- 
sche Philologie gewonnen hat. Dort lernte der Kolner Propst 

1) Die genaue Lage des Klosters ersieht man z. B. aus den von Frz. Ehrle 
herausgegebenen alten Pianen Roms von Leonardo Bufalini (Roma al tempo di 
Giulio III. La pianta di Roma di Leon. Buf. del 1551 riprodotta dalP esemplare 
esistente nella Bibl, Vat, Roma 1911) nnd von Du Perac-Lafrery (Roma prima 
di Sisto V. La pianta di Roma Du Perac-Lafrery del 1577 riprodotta dalP esem- 
plare esistente uel Musco Britannico, Roma 1903), oder aus dan drei Tafeln bei 
Ehrles „Ricerche su alcune antiche cbiese del Borgo di S. Pietro" in den Disser- 
tazioni della Pontificia Accademia Romana di Arcbeologia, Ser. II, tom. X (1907 
resp. 1910), S. 1 — 43 (Taf. 1 und 2 enthalten Ausschnitte aus den beiden soeben 
ervfahnten Pianen, Taf. 3 aus dem Plane des Giambatt. Xolli vom Jahre 1748). 

2) P. Fr. Kehr, Regesta pontificum Romanorum. Italia pontificia. Yol. 1; 
Roma (1906), S. 146 unter „Monasterium s. Stephani maioris". Weitere Literatur 
s. bei E. Calvi, Bibliografia di Roma nel medio evo, Suppl. I (1908), App. S. 130 
unter „S. Stefano Maggiore". 

3) Das Datum ist nicht iiberliefert, und die Vermutungen dariiber gehen 
weit auseinander, s. F. Gallina, Iscrizioni etiopiche ed arabe di S. Stefano dei 
Mori; Archivio della R. Societii Romana di Storia Patria 11 (1888), S. 231—283. 
Mafigebend kann m. E. nur die von Chaine S. 8 mitgeteilte Katasternotiz vom 
Jahre 1607 sein, nach welcher S. Stefano damals seit 100 Jahren von Abessiniern 
bewohnt war; ,Ante annos centum, ut notant censualia praedicta, ex concessione 
capituli, habitant eamdem ecclesiam abissini ethiopes sive Indiani, quibus sanctis- 
simus Dominus noster dat alimenta et basilica nostra dat ecclesiam et habitationem". 

4) Uber die Bezeichnung der Abessinier als Mohren und Inder s. Ludolf 
Comm. S. 52. 54. 75 — 78. 

5) Dabei sind Chaine allerdings die von Flemming 1, S. 567 — 582 und 2, 
S. 63—110 publizierten Briefe des mit Hiob Ludolf befreundeten Abba Gregorius 
entgangen; sonst hatte er auch nicht auf den geradezu abenteuerlichen Gedanken 
verfallen konnen, daB Ludolf die im Comm, mitgeteilten Briefe Gregors vielleicht 
selbst fabriziert hatte (Chaine S. 35 ; „peut-etre quo la paternite doit en revenir 
a I’auteur lui-meme de VHistoria Aethiopica^). 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zn Horn. 103 

Job. Potken im Jabre 1511*) die abessinischen Moncbe kennen, 
von denen er Atbiopiscb lernte und den Text des athiopiscben 
Psalters bekam, welchen er zwei Jabre spater in Rom als erstes 
athiopiscbes Druckwerk beransgab. Und ebenda lebte 12 Jabre 
lang Tasfa-Sej on (Petros Aetbiops), der 1548/49 das atbiopiscbe 
Rene Testament mit einem liturgiscben Anbang beransgab nnd 
1550 in der Kircbe S. Stefano beigesetzt wnrde ®). So sind gerade 
die beiden Texte, auf die man beim Studinm des Atbiopiscben an- 
fangs ausscbliefilicb und aucb nacbber noeb lange Zeit in erster 
Linie angewiesen war, von S. Stefano ansgegangen. 

In diesem Kloster hat nun bekanntlicb Hiob Lndolf im 
Jabre 1649 den Abba Grregorins kennen gelemt, der ibm ein 
trener Freund wnrde nnd ibm wicbtige Anfschliisse ilber die Ge- 
scbicbte, Literatnr nnd Spracben Abessiniens gegeben bat ^). Gleicb 
bei der ersten Begegnnng legte Gregorius, wie Lndolf Comm. S. 30 
bnmorvoll erzablt®), ibm einen grofien Pergamentkodex vor, nm 
seine atbiopiscben Kenntnisse zu priifen; und dieser Kodex — es 
war ein Senodos, jetzt in Rom, Bibl. Vat., Borg. aeth. 2®) — 
hat dann Lndolf sehr interessiert ^), und er hat iiber ihn im Comm. 
S. 301 — 340 einen recbt ausfuhrlichen Bericht erstattet. Aber 
auBerdem gab es damals in S. Stefano anch einige alttestament- 
licbe Handschriften, iiber welche Lndolf dicbt vorher auf 
S. 298 f. berichtet. Lndolf gibt dort nnter der Uberscbrift „Ma- 
nnfcripti in Europa babentur* ein Verzeicbnis der in Enropa be- 
findlichen atbiopiscben Handscbriften, von denen er Knnde erhalten 


1) Potkens romischer Psalterdruck wurde laut seiner Nachschrift zum Cant, 
am 10. Sept. 1513 vollendet. In der Vorrede sagt Potken, daB er die Abessinier 
„biennio -vix elapso** kennen gelernt babe. 

2) Einer dieser Moncbe, Thomas, hat sich in einer atbiopiscben Nachschrift 
zu den Oden mit unterzeichnet, vgl. Chaine S. 14 Anm. 2. 

3) 1. Guidi, La prima stampa del Nuovo Testamento in etiopico, fatta in 
Eoma nol 1548-1549; Arcbivio della R. Societa Romana di Storia Patria 9 (1886), 
S. 273 — 278. Chaine S. 9 f. 14 f. (beachte S. 15 Anm. 1 iiber die Wappen in den 
Dedikations-Exemplaren !). 17. 27 f.; Faksimile seiner Grabschrift auf Chaines 
Tafel. 

4) Ludolf Comm. S. 28 — 47. Juncker S. 48 — 50. 67 — 83. Flemming 1, 

S. 542—548. 567 fF. 

5) Nacberz'.iblt von Flemming 1, S. 543. 

6) Tisserant S. XLIII Nr. 63. 

7) In seinen Briefen an Gregorius erkundigt er sich gerade nach dem Se- 
nodos hesonders dringend und hittet den Gregorius, ihm diese Hs. mitzubringen 
Oder wenigstens Abschriften daraus zu besorgen , s. Flemming 2, S. 107 (Nr. VI 
und IX). 


11 * 



164 


Alfred Rahlfs, 


hatte. Dies Yerzeielmis 'beginnt mit den Handschriften von S. Ste- 
fano, iiber welcbe er also berichtet (Comm. S. 298f.); 

1. Pentaieuclius, cnjus Apograpbum ex benevolentia Ludovici 
Piques D. & Socii Sorbonse poffideo. Protograpbum antem vidi 
Romae in sedibus Habeffinorum. ' 

3. lofua, quern & ego pof- 5. I. et II. Samuel is-, alias I. & 
fideo. II. Regum. 

3. Liber Iitdicmn. 6. I. et 11. Begum ; alias III. & 

IV. Regum. 

4. Biitli. 7. Efaias Propbeta. 

Quatuor magnis voluminibus continentar, quae, referente Grego- 
rio, a Regibus JStbiopim olim Hierololymam mifla fuerunt, qoi- 
que nomina fua inlcripferunt, nempe Gehra-Meslel , Ifaacus, et 
Zer-a-jacohus. Inde Romam in holpitium Habeffinorum, iftis 
autem fato functis, ut audivi, in Bibliothecani Vaticanam translati 
fuerunt. 

Ludolf benennt und trennt bier die bibliscben Biicber in der bei 
den Protestanten ilblicben Weise. Setzen wir dafiir die bei den 
Griecben und Abessiniem iiblicben Namen ein und fassen wir die 
Biicber in der bei ibnen iiblicben Weise zusammen, so bandelt es 
sicb nur um drei Nummem, namlicb 

1) den Oktateucb oder, wie die Abessinier sagen, das Gesetz 
(’orit), 

2) die Biicber Regum, 

3) den Isaias. 

Von diesen — um es gleicb zu sagen, sebr wicbtigen — Hand- 
scbriften bat man den Oktateucb und die Biicber Regum mebr 
oder weniger sicber wiedergefunden ; jenen in der Bibliothek der 
British and Foreign Bible Society in London, diese in dem seit 
1902 der Biblioteca Vaticana einverleibten Bluseo Borgiano (Borg, 
aetb. 3, vorber L. V. 16, s. Roupp S. 298 Anm. 2 und Tisserant 

S. XLII f. Nr. 62). Der Isaias aber ist nocb nicbt gefunden , und 
aucb die Fragen, die sicb an die beiden anderen Handscbriften 
kniipfen, sind nocb nicbt samtlicb beantwortet. Daber nebme icb 
das Thema nocb einmal auf und bolfe, nunmebr iiber alles vollige 
Klarbeit scbalFen zu kbnnen. Dabei wird zngleicb nocb eine wei- 
tere Handscbrift von S. Stefano wieder ans Licbt kommen, die 
gleichfalls scbon im XVII. Jahrb. eine erbeblicbe Rolle gespielt 
hat und die Grundlage mebrerer Textausgaben geworden ist. 

Ebe icb jedocb zur Sacbe selbst iibergebe, muB icb einen 
Febler bericbtigen, der Ludolf oder seinem Amanuensis an der 
soeben abgedruckten Stelle untergelaufen ist, und der mich an- 



tiber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 165 

fangs, ehe icli seine Quelle entdeckt katte, eimgermafien irritiert 
liat. Ludolf gibt hier namlich. an, der Oktateuch, die Biicher Re- 
gum und der Isaias seien in vier groBen Banden enthalten. Wenn 
aber der Oktateuck und die Biicker Regum, wie man sckon bisker 
annakm, und wie sick im folgenden nock sickerer bestatigen wird, 
je einen Band bildeten, so kommen, da naturlick auck der Isaias 
nur einen Band gebildet kaben kann, bloB drei Bande keraus. 
Und mekr sind es auck in Wirklickkeit nicht gewesen. Wir konnen 
das jetzt ganz sicker nackweisen, da uns bei Flemming 2, S. 72 
Z. 34 — S. 73 Z. 4 der Origin^lberickt des Gregorius vorliegt, auf 
dem die Darstellung Ludolfs nach seiner eigenen Angabe („refe- 
rente Gregorio “) berukt. Er findet sick im 8. Briefe des Grego- 
rius an Ludolf vom 25. Febr. 1651 und lautet nack Flemmkigs 
Ubersetzung (2, S. 99 Z. 1 — 5) also; „Jene vier grofien Biicker, 
die sick in unserem Haase [d. k. in S. Stefano] befinden, diirfen 
wir okne die Erlaubnis des Majordomus Q nickt wegnekmen, denn 
sie sind einem jeden bekannt, als solcke, welcke die Konige von 
Atkiopien mit der Einzeicbnung ikres Ramens nack Jerusalem ge- 
sckickt kaben. Dies sind die Kdnige : Gabra Maskal, Isaak, Zar’a 
Jakob. “ Welches „jene vier grofien Biicker'* sind, sagt allerdings 
Gregorius an dieser Stelle nicht. Wokl aber ergibt es sick aus 
seinem 6. Briefe vom 7. Jan. 1651, in welckem es keifit (Flemming 
2, S. 96 Mitte) ; „Die athiopiscken Bucher, welcke in unserem Hause 
sind, sind Gesetz [d. k. Oktateuck], Konige, Jesaias, Synodos und 
das Neue Testament vollstandig.'* Nur mussen wir hier, um die 
„vier grofien Biicker** kerauszubekominen , das „vollstandige Neue 
Testament** fortlassen; dies war offenbar keine Handschrift — von 
einer solcben koren wir sonst in jener Zeit nickt das mindeste, 
obwohl wir mekrere Berickte iiber die Hss. von S. Stefano be- 
sitzen ■ — , sonderu es war der sckon erwahnte, in S. Stefano selbst 
entstandene Druck von Tasfa-Sejon ; Ludolf katte seinen Abessinier 
nack den athiopiscken Biickern von S. Stefano gefragt (s. Flem- 
ming 2, S. 107 unter Nr. YIH), und dafi dieser daraufkiu das Druck- 
werk auf gleicker Stufe mit den Handsckriften nannte, erklart 
sick ebenso leicht, wie dafi Ludolf den wabren Tatbestand sofort 
merkte, und auck Gregorius, vielleicht von Ludolf dariiber auf- 
geklart, jenes Druckwerk nackker nickt mebr mitzaklte. Die^ „vier 
gTofien Biicker “, von denen Gregorius im 8. Briefe sprickt, und 
die auck Ludolf in gar zu genauem Anschlufi an seine Quelle in 


1) Ygl. Chaine S. 12 ; „le majordome meme du Pape lut ^tabli leur [d. h. 
der Munclie von S. Stefano] procureur**. Ygl. aueh ebeuda S. 19 unteu. 



166 


Alfred Rahlfs, 


seine Darstellung heriibergenonimen hat, sind also die drei, welche 
Lndolf nennt, und der Senodos. Und da6 dieser bier in der Tat 
mit gemeint ist, ergibt sich mit volliger Sicberheit ans dem Um- 
stande, daB Gregorius und aucb Ludolf selbst unter den Konigen, 
welcbe die Hss. nacb Jerusalem geschickt baben, aucb den Zar’a- 
Ja'kob nennt, der gerade den Senodos nacb Jerusalem gestiftet 
hat, wie Gregorius im 7. Briefe (Flemming 2 , S. 97 Z. 3 f.) und 
Ludolf im Comm. S. 301 berichten ‘). Hiermit ist also das Ver- 
seben in Ludolfs Darstellung vollstandig aufgeklart, und wir baben 
nunmehr bei den alttestamentlicben,Handscbriften, die er aufzablt, 
nicht mebr mit einer Vierzabl, sondern nur mit einer Dreizabl zu 
recbnen. 


I. Der Oktatench. 

Dillmann hat seiner Ausgabe des athiopiscben Oktateucbs 
in erster Linie die beiden Hss. zugrunde gelegt, welcbe er mit 
den Sigeln F und H bezeicbnet. 

F ist eine nacb Dillmanns Schatzung (vom Jabre 1853) etwa 
fiinf Oder sechs Jahrbunderte alte, also, aus dem XIV. oder gar 
XIII. Jahrb. stammende Pergament-Hs., welcbe den ganzen Okta- 
teuch enthalt, Sie gehort der British and Foreign Bible Society 
in London. Dillmann beschreibt sie Oct. S. 4 — 6 (vgl. aucb Oct. 
S. 162 f. 164. 167. 173). Er verweist dort (S. 4 Anm. 1) auf eine 
kurze Bescbreibung in „the third Appendix of the Report of the 
British Church Missionary Society of the year 1817 — 1818“, wo 
sich aucb eine Scbriftprobe finde; dieses Werkes babe icb aber 
aucb mit Hilfe des Auskunftbureaus der deutscben Bibliotbeken 
zu Berlin nicht habhaft werden kbnnen. Und aucb das Verzeichnis 
der athiopiscben Hss. der British and Foreign Bible Society bei 
Platt S. 9 bilft uns nichts ; denn da wird unter Nr. I nichts weiter 
gesagt als „The Pentateuch and three following Books (the Octa- 
teuch)“. Icb bin also zur Zeit, wo aus London keine Auskunft 
zu erhalten ist, auf Dillmanns Bescbreibung allein angewiesen, und 
sie geniigt aucb, obwohl sie nicht alles so genau mitteilt, wie es 
fiir uDsern Zweck wiinscbenswert ware. 

H (vgl. Dillm. Oct. S. 6f. 167 f.) ist eine 1731 und 1732 in 
Halle a. d. Saale entstandene Papierhandscbrift, die sich nocb heu- 
tigen Tages in Halle befindet und jetzt der dortigen Universitats- 
Bibliotbek gehort. Sie besteht aus zwei Banden. Der erste, dessen 


1) Ludolf Comm, S. 301 — 304 druckt die Stiftungsurkumle Zar’a-Ja'kdbs aus 
der Senodos-Hs. vollstandig ab. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Eom. 167 

Bibliotheks-Signatur „Ya. 2“ ist, enthalt den Pentateuch. Sein 
Titel lautet : 

I Hoc elt, I PENTATEUCHUS 1 AETHIOPICUS, | oUm^ 
ah Exemplari ] LUDOVICI PIQVES \ Parifiis, | jam ex Apo- 
grapho I D. JOH. HENR. MICHAELIS ] defcriptus. | Halm Sa- 
xon ttm I CIO locc xxxn. 

Der zweite Band, dessen Signatur „Y'a. 3“ ist, enthalt das Bnch 
losue und Eragmente anderer alttestamentlichen Bucher (vgl. unten 
S. 172 Anm . 2). Sein Titel lautet: 

HA.PA’fi: I Hoc eft, I LIBER JOSUAE 1 AETHIOPICE, | 
ex Manufcripto 1 D. JOH. HEHRICI 1 MICHAELIS | defcriptus. | 
Halw Saxonnm \ cio locc xxxi. 

Beide Titel sind mit einem aus einer Krone und zwei Palmen- 
zweigen gebildeten Kranze umrahmt; der athiopische Kame des 
Buches ist beidemal in die Krone hineingezeichnet, wahrend der 
iibrige Titel in Typendruck hei’gestellt ist. 

H ist der jiingste') Sprofiling einer Eamilie europaischer 
Hss,, deren altere Glieder auch noch vorhanden sind. Die Ge- 
schichte dieser Familie, die zngleich ein Stuck der Geschichte der 
athiopischen Philologie wiederspiegelt, will ich hier kurz erzahlen. 

Job. Mich. Wansleben, der bekannte Schuler Hiob Lu- 
dolfs'^), hat nach der Ruckkehr von seiner ersten Orientreise im 
Jahre 1666®) die im Abessinierkloster S. Stefano zu Rom befind- 
lichen Hss. des Oktateuchs und der Bucher Regum abgeschrieben^). 
Mit dieser Abschrift und auch mit anderen Werken, die er fur 
den Druck vorbereitet hatte, ging er 1670 nach Paris in der HofP- 
nung, dort Colberts Unterstiitzung fiir ihre VerblfentKchung zu 
gewinnen. Colbert lieB sich auch von Wansleben Bericht iiber 
seine Publikationsplane erstatten, und dieser Bericht erschien im 


1) Bei los. gibt es allerdings eine noch jungere Hs., die wiedenim aus H 
abgescbrieben ist, s. unten S. 173. 

2) Vgl. meine demnachst in diesen Nachrichten erscheinenden „Beitrage zur 
BiograpMe 'VYanslebens“. 

3) Kach Ludolfs Notiz in der IIs. Gottingen, Univ.-Bibl., Aeth. 1, S. 79 hat 
Wansleben seine Abschrift am 12. Mai 1G66 vollendet. 

4) Ludolf, Lexicon Aethiopico-L.atinum, ed. II (1699), zweite Seite des „Ca- 
talogus librorum“. Zotenb. S. 1. Vgl. auch Vansleb, Nouvelle relation . . . d’un 
voyage fait en Egypto (1677), S. 170: „En ce niefme temps [d. h. im Mai 1672J, 
il arriva aufli au Caire Dorn Pietro, Abyflin de Nation, que j’avois autrefois fort 
particulierement connu a Rome, & qui m’avoit procure les Manufcrits des Synodes 
[d. b. des Senbdos, s. die nachste Anm.], & celuy du vieux Teftament en Langue 
Ethiopique“. 



Alfred Eahlfs 


168 

folgenden Jahre gedruckt unter dem Titel ^CONSPECTUS | OPE- 
EUM I ^ETHIOPICORUM [ Qufe ad excudendum parata habet i E. 
P. Er, JOAN. MICHAEL VANSLEBIUS | ERFOEDIENSIS THU- 
EINGUS. OED. PEH5D. ] Eilius Conventus Eomani S. Marite I'u- 
per Minervam. | Uhtlh-ijiwto Domino, D. Joaxxi Baptists | Colbeet, 
Ik(ji ab iutimis Conliliis, et 8e-\(n-dis; Generali jErarij Blodcrntori, 
Siininio 1 liefjionim jEdiJieiorum Frnfedo, rietjioritm | Ordinum Qi'a- 
ftori, BJarchioni de Seiynday j EXHIBITUS. | (Signet.) | PAEISllS, | 
E TA’PCGRAPHIA EEG-IA. | M. DC. LXXI.‘- Aber zum Druck 
der atbiopiscben Texte, wofiir ubrigens erst atbiopische Typen 
batten angeschafft werden miissen^), kam es nicbt. Vielmebr scbickte 
Colbert im April 1671 Wansleben wiederum in den Orient®), und 
als er dann 1676 nacb Paris zuriickkebrte, war er bei Colbert in 
Ungnade gefallen und erbielt von ibm nicbt die erwartete Belob- 
nung. Hierdurch geriet Wansleben in grofie Not und verkaufte 
im Winter 1676/77 seine atbiopiscben Hss. ^). Damals wird er 

1) 28 Seiten in 4". Ich beniitzte das aus Schlicbtings (s, Eahlfs Xiss, u. 
Petr. S. 336) Xachlasse stammeade Exemplar cler Kieler Uaiv.-Bibl, (Siguatur ; 

§ 50 4°), welches Hiob Ludoli mit vier eigeuhandigeu Raiidnoten versohen Iiai.'' 
Der Bericht selbst beginnt auf S. 3 mit Jer Ubersrlirift „Fr. JOAN, MICHAEL 
VANSLEBIUS, 1 Erfordieii/is Thurhiyits, Onl. Pradicatarum, et ) Eilius Con- 
ventus Eomani S. Maria fuper Miner-\vam, degens modo Parij'iis, in Ccaiventu 
FF. I Preedicatorum , in vico S. Honoraii attidit fecum | Bomd nonnulla Opera 
Hdthiopiea Manii/cripta, | et Pralo parata, quorum Catalogus J'cquens ej't.'- llier- 
auf folgt unter Nr. I auf S. 3—20 eiu sehr eiiigelioiider Bericht ubcr den Seuodos, 
welchen Wansleben gleichfalls aus der Hs. von S. Stefano abgeschrieben hatte 
(vgl. die vorige Anm.). Dann hommt auf S. 20f. unter Nr. II dor Bericht uber 
den Oktateuch und die Bucher Kegum, „ijui omnes haetenus nunquam funt editi, 
neque in Bibliis Polyglottis Anglorum k-guutiir“, und auf S. 21 f. unter Nr. Ill — 
VII der Bericht uber andere Werke.' Zum SchluB fordert Wansleben Colbert auf, 
„vt ad cffitera Tua prmclara facta, qiicc pro Ciinisxi.vxissiJii GAi.LiAPan Eegis 
G loria toto orhe amplianda, feliciter hacteiius peregifti; hoc rpioque addere, Ope- 
rumque tarn infignium publicationeni promovere digneris : ne diim inclyta Gallia- 
rum Natio, omnibus vicinis Gentibus glorim palmam Heroicis factis, & prmclaris 
ftudiis prteripit; in hoc folo, quod nondum Typographiam zEthiopicam habeat, 
etiam fibi longe inferioribus gloria cedere videatur.“ 

2} Siehe den ScbluS der vorigen Anmerkung. 

3) rber diese zweite Orientrei.se Wanslebens s. auBer der obeu ,s. 167 Anm. 4 
zitierten Eeisebeschreibung Wanslebens besonders II. Dmont, IMi.ssion.s ardieologi- 
ques francaises en (Jneut aux XYID et XVilD elegies (1902), 3 . 54—171; ebeuda 
b. &7u— 951 Verzeiehiiisse der von Wanslelieu fur die Bibliothek des Kunigs ge- 
kaufteu IIss. 

4) (Xiceron,) Memoires pour servir a I'histoire des bommes illustres dans 
la rbpublique des lettres 26 (1734), S. 13; „Mais I'hyver il I'e tronva dans la der- 
niere neceflite, & fut reduit ii emprunter do toutes parts A ii veudre prelipie pour 
rien les (Manulcrits Ethiopiens qu'U avoit apportes.“ 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 169 

au(fti seine Abschrift des Oktateucbs und der Bucher Regum ver- 
kauit haben. Sie ging iu den Besitz des Pariser Grelehrten Louis 
Picq^ues*) iiber. Dieser vermachte spater seine Hss. dem Domi- 
nikanerkloster der Rue Saint-Honore zu Paris ^), demselben Kloster, 
in welchem Wansleben 1670/71 gewohnt hatte (s. oben S. 168 
Anm. 1). Und aus diesem warden sie bei der Aufhebung der Kloster 
in der Revolutionszeit in die Bibliotheque Rationale iiber- 
fiihrt, wo Wanslebens Abschrift des Oktateucbs und der Bucher 
Regum jetzt die Signatur Eth. 1 (Pentateuch) and 2 (los. — Reg. IV) 
tragt, s. Zotenb. S. HI und S. 1 — 4. 

Wahrend Wanslebens Abschrift sich im Besitze von Picques 
befand, hat nun aus ihr wiederum Hiob Ludolf, als er vom 
9. Kov. 1683 bis zum 1. Marz 1684 zum dritten Male in Paris war 
(Juncker S. 128. 143), den Pentateuch nnd das Buch losue teils 
durch seinen Sohu Christian “) abschreiben lassen, teils selbst ab- 
geschrieben. Zwei Notizen darilber linden sich in der Pariser Hs. 
selbst; die eine stammt von Ludolf und lautet: „Priorem partem 
nempe Pentateuchum hujus scripturae sethiopicee accepi a Dn. 
Piques in hunc finem ut hoc in loco a filio meo describatnr in 
usum publicum, prout dicto D"“ Piques visum fuerit, et lideliter 
atque integre reddatur. Lut. Parisiorum, die 27 Febr. 1684. J. Lu- 
dolfus“; die andere stammt von Picques und lautet: „En 1683 hP 
Ludolf a pris copie et Pa envoy ee a Hambs pour imprimer“ (Zo- 
tenb. S. 4). Die Abschrift des Pentateuchs, welche Ludolf an 
der oben S. 164 abgedruckten Stelle seines Comm, und am Anfange 
seines Lexicon Aethiopico-Latinum, ed. II. (1699), auf der zweiteu 
Seite des „Catalogus librorum" als in seinem Besitze befindlich 
erwiihnt, ist spater in den Besitz seines Schulers und Amanuensis*), 
des Hallenser Professors Job. Heinr. Michaelis, iibergegangen, nach 
dessen Tode (10. 3. 1738) auf der Auktion seines Rachlasses im 
Jahre 1740 von seinem Nelfen Christian Bened. Michaelis, gleich- 


1} So scbreibt Zotenb. S. Ill und S. 4 etc. den Namen, und so wird er aucb 
in Picques’ Bricfwcchsel mit anderen Gelehrten, darunter Hiob Ludolf, in lo. Diet. 
D'incklers Sylloge anecdotoium (^Lips. 1750), S. 281 if. geschrieben. Dagegen scbreibt 
Ludolf stets Piques oime c, s. z. B, d.as Zitat aus Ludolf oben S. 164, und ebenso 
scbreibt Le Grand iu seiner Ausgabe der „Pielation historique d’Abissinie du R. 
P. Jerome Lobo ‘ (Paris 1725), S. IbO ff., wo er einige zwischen Ludolf und Picques 
gewecbselte Briefe niitteilt. 

2) Tliesaimis epistolicus Lacrozianus cd. Ublius 1 (1742), S. 82. Zotenb. S. HI. 

3) Geboren am 21. Juli 1664 (Juncker 8. 182). 

4) Siehe die Vorredon zu Ludolfs amhariscber Grammatik (1698) und Lexikon 
(1698), zum atbiopiscbeu Lexikou (1699) und Psalter (1701). 



170 


Alfred Rahlfs, 


falls Professor in Halle (f 22. 2. 1761), erworben^), von di*sem 
anf seinen Sohn, den bekannton Gottinger Professor Job. Dav. 
Michaelis, vererbt und scblie61ich nach dessen Tode (22. S. 1791) 
von der Kgl. Universitats- Bibliothek zu Gottingen an- 
gekaaft. Die jetzige Signatur der Hs. ist „Cod. MS. Michael. 270“, 
s. Verzeicbniss der Handschriften im prenssischen Staate, I: Han- 
nover, 3 : Gottingen, 3 (1894), S. 200. Ihr Titel lautet : 
PENTATEVCHVS | AETHIOPICE | a 1 CHBISTIANO LV- 
DOLFO I ILLVSTRIS VIRI | lOBI LYDOLFI i EILIO | ub 
exemplari | DM. LVBOYICI PIQYES, DO„,CTOIlIS et SOCII 
SORBOMMAE: | Quod ilU loh. Mich. Wansleben Bonue \ a fe de- 
fcriptum vendiderat, ] PARISHS | Ao‘. cio loc lxxxiv ] defcriptus.-) 
Gescbrieben ist sie gewifi in der Hanptsache, wie anf dem Titel 
angegeben wird, von Ludolfs Sohn Christian; doch ist auch Hiob 
Lndolfs eigene Hand an einigen Stellen, z. B. bei den in Exod. 36 
— 39 eingeschalteten lateinischen Bemerknngen, mit voller Sicher- 
heit zu erkennen. — Die Abschrift des Buches losue ist andere 
Wege gegangen; diese haben sie aber gleichfalls in die Gottinger 
Universitat.s-Bibliothek gefiihrt, fiir die sie bereits 1776 
aus dem Nachlasse des am 6. Mai 1775 verstorbenen Gothaer Rek- 
tors Job. Heinr. Stufi"*) augekauft wurde. Sie tragt jetzt die Sig- 
natur jCod. MS. Aethiop. 1“ (friiher ^Orient. 20“), s. das ange- 
fiihrte Hss.-Verzeichnis 3, S. 308. Ihr Titel lautet; 

lOSUA I tETHIOPICE I d ] lOBO LUDOLFO 1 ah ExewpJan mn- 
nufcripto ] D. LTJDOYICI PK^IJES, ] Bocloris ct Socij Sorhomc, dc 
quo 1 fiqn-a in titulo Fentateuchi ; ] Cum initio An: 1684. Lutetiic 
Fari ,,\jtoruni esfct, \ defcriptus.^) 

Sie ist ganz von Hiob Ludolf selbst gescbrieben. Am Schlusse 
des Buches losue auf S. 78 hat Ludolf den Titel des darauf fol- 


1) Dieser hat selbst auf dem Xitel der Handschrift bemerkt: ,,Ex bibliotheca | 
B. Ioann. Ilenr. Michaelis | cmclimis iiire acceffit \ libris | Christ. Benedicti Mi- 
chaelis 1 A. 1740.'^ 

2) Die fett gedruckten Wdrter siad mit roter, das Ubrige mit schwarzer 
Tinte gescbrieben. 

3) Die Art, wie diese Benierkungen in den atbiopischen Text einsescbaltet 
sind, beweist, dafi sie von Hiob Ludolf, der die Abschrift seines Sobues naturlich 
uberwachte, gleich bei der Abschrift binzugefiigt sind. 

4) Allgemeine Deutsche Biographic 37 (1804), S. 08 f. Die Gottinger Univ.- 
Bibl. besitzt den Auktionskatalog „Bibliotlieca Stussiana oder AerzeichniC der 
ansehnlichcn Bucher-Sammlung Ilerrn Job. Heinr. StuCens . . . Gotha 1770“ ; darin 
findet sich die los.-Hs. auf S. 58 untor Nr. 387. 

5) Auch bier sind, wie heim Pentateuch, die fett gedruckten Worter mit 
roter, das Ubrige mit schwarzer Tinte gescbrieben. 



liber einige alttestam.'^Hss. d. AbessinierMosters S. Stefano zu Kom. 171 

genden Buches ludicum noch mit abgeschrieben, aber hinzugefiigt : 
.,06 inopiam temporis descriptio fieri non potiiit^^). Auf S. 79 hat 
Ludolf sich einige Notizen iiber die von Wansleben abgeschriebene 
romische Hs. und iiber Wanslebens Abschrift gemacht; auf S. 80 
hat er als Probe aus lud. die vier Verse 3 12 — is abgeschrieben. 

Die oben S. 169 angefiihrten Eintragungen von Ludolf und 
Picques in Wanslebens Abschrift lehren, da6 Ludolf sich ebenso 
wie friiher Wansleben mit der Absicht getragen hat, den athiopi- 
schen Text nebst lateinischer Ubersetzung herauszngeben. Dasselbe 
ergibt sich auch aus der tJberscbrift, mit der Ludolf seine soeben 
erwahnten Notizen iiber die romische Hs. und Wanslebens Ab- 
schrift versehen hat: jSequentia in impressione adcli poienint“. Nach 
Picques (s. oben S. 169) hat Ludolf seine Abschrift auch schon 
wirklich zu diesem Zwecke nach Hamburg geschickt. Dariiber 
babe ich sonst zwar keine Nachricht gefunden; aber da Picques 
mit Ludolf im Briefwechsel gestandeu hat (s. oben S. 169 Anm. 1), 
wil’d er dies von Ludolf selbst erfahren haben, und auch an sich 
ist es gar nicht unwahrscheinlich, denn in Hamburg gab es athiopi- 
sche Typen-), und dort hatte Ludolf in Christoph Schlichting einen 
iithiopischen Schuler, der den Druck iiberwachen konnte®). Es ist 
danu allerdings nichts daraus geworden, wahrscheinlich weil sich 
niemand fand, der die Kosten getragen hatte. DaB aber Ludolf 
auch spater den Plan nicht ganz aufgegeben hat, erfahren wir 
von seinem Schuler Georg Christian Biircklin ; dieser bemerkt nam- 
lich im Yorwort seiner Ausgabe der ^Quatuor prima capita Ge- 

1 ) Wie Ludolf im Lexicon Aeth.-Lat., ed. II (1G99), auf der zweiten Seite 
des „Catalogus librorum“ sagt, hat ev Picques vergeblich gebeten, ihm die Wans- 
lebensche Abschrift nach Frankfurt a.il. zu schicken, um dort auch die noch 
fehlenden Bucher ludicum und Piegum abschreiben zu konnen; „JucJicn,m atque 
Begum Libros TV. Wanslebii nianu defcriptos modo laudatus Doctor quoque 
poffidet, fed ad me mittere recufaTit.“ (Das Buch Ruth nennt Ludolf nicht, weil 
es bereits von Nissel herausgegeben war.) 

2) Siehe Piahlfs Niss. u. Petr. S. 336 ff. 

3) Die mechanischen Arbeiten bei der Herausgabe seiner Werke lieS Ludolf 
bekanntlioh in der Regel durch seine Schuler und Amanuenses besorgen. Schlich- 
ting war 1684 — 1687 bei Ludolf in Frankfurt a. M. gewesen, s. Rahlfs Kiss. u. 
Petr. S. 336 Anm. 1, Bei meiner Annahme wurde Ludolf seine Abschrift nicht 
sogleich, naehdem er sie genommen hatte, nach Hamburg geschickt haben, sondern 
erst, spater ; aber das ist auch sehr wohl mbglich , da Picques’ Zeitaugabe „eE 
1683“, die ubrigens niebt ganz genau ist, sich nur auf die Anfertigung der Kopie, 
nicht auch auf ihre Sendung nach Hamburg zu beziehen braucht. — Spater hatte 
Ludolf noch einen anderen Schuler aus Hamburg, Job. Friedr. Winckler, s. Rahlfs 
Kiss. u. Petr. S. 342 Anm. 2 ; aber dieser kommt bier wohl sicher noch nicht in 
Betracht, da er erst im Dez. 1679 geboren ist. 



172 


Alfred Bahlfs, 


neseos, J^tbiopice et Latiiie“ (Frkf. a. M. 1696) : „Is [d. h. Ludolf] 
Pentateucbum integrum ^Ethiopice manufcriptum poiTidet, & li re- 
pertus fuerit, qui fumptus impreffionis facere velit, eum publico 
non denegabit.“ 

Wir haben gesehen, dafi Ludolfs Pent.-Abscbrift spater im 
Besitze von Job. Heinr. Michaelis war. Ludolfs los.-Ab^chrift 
bat Micbaelis nicbt besessen, wohl aber bat er sie sicb kurz vor 
Ludolfs Tode ') durcb seinen Xeffen Christian Benedikt Micbaelis 
abscbreiben lassen. Diese Abscbrift ging spater ebenso, wie die 
Ludolfscbe Pent.-Abscbrift, in den Besitz von Christian Benedikt 
und Johann David Micbaelis nnd nacb dessen Tode in den Besitz 
der Gbttinger Universitats-Bibliotbek uber. Sie ist ent- 
balten in dem aus Handscbriften und Drucken zusammengesetzten 
Sammelbande ;,Cod. MS. Michael. 264“ und nimmt in ibm Bl. 24 — 76 
ein, s. das oben S. 170 zitierte Gbttinger Hss.-Verzeichnis 3, S. 198. 

Diese beiden im Besitze von Job. Heinr. klicbaelis befindlicben 
Hss., also die friiber Ludolfscbe Pent.-Abscbrift und die Micbaelis- 
scbe los.-Abschrift (jetzt Gottingen, Univ.-Bibl., Mich. 270 und 264), 
sind nun die Vorlagen der beiden von Dillmann benutzten Hallen.ser 
Handscbriften gewesen-). AVenn es also in den oben S. 167 an- 
gefiibrten Titeln der Hallenser Hss. beillt, sie seien „ex Apograpbo“ 
resp. „ex Manufcripto D. Job. Henr. Micbaelis" abgescbrieben, so 
ist das nicbt so zu verstehn, als ob J. H. Micbaelis die ibnen zu- 
grunde liegenden Hss. selbst gescbrieben habe“). Der Pent, war 
vielmebr von Christian Ludolf, der los. von Christ. Ben. Michaelis 
gescbrieben, und J. H. Micbaelis war nur zu der Zeit, wo der unbe- 
kannte Hallenser Gelebrte, vermutlicb einScbiiler von J.H. Micbaelis, 
seine Abscbriften nabm, im Besitze der beiden Handscbriften. 

1) Ludolf start am 8. April 1704 (Juncker S. 153. 1S7). Die Michaelis’sclie 
Abschrift wird, da eine andere Michaelis'sche Abscbrift eines gleicbfalls von Lu- 
dolf geliehenen Stiickes, die sich in demselben Bande flndet, vom Jabre 1703 da- 
tiert ist (s. unten S. 177 Anm. 2j, aus derselben Zeit stammen. 

2) Die Hallenser los.-Hs. entbalt hinter dem los. und den von Hiob Ludolf 
am Schlusse des los, hinzugeftigten Bemerkungen (s. oben S. 170 f.; diese Bemer- 
kungen sind jedoch in der Hallenser Abschrift gekiirzt) aucb iiocb „Fragmenta 
Bibliorum Aetbiop:" (ygl. Dillm. Oct. S. 107), welcho sich in Ludolfs los.-IIs. nicbt 
tinden. Sie stammen gleicbfalls aus dem Cod. Mich. 204, in velcbem sie nur nidit 
hinter, soudern vor los. stehen (doch bat der Hallenser Abscbreiber die Pent.-Frag- 
mente, mit weicben der Cod. Mich, beginnt, und aucb die Rutb-Fragmente fort- 
gelassen, offenbar deshalb, well er vom Pent, und Ruth vollstaudige Teite besali). 
Ubrigens gebt aucb diese Saminlung von Fragmenten der atbiopischen Bibel im 
letzten Grunde zweifellos auf Hiob Ludolf zuruck, vgl. unten S. 180 Anm 1 

3) So bat es Boyd in seiner Ausgabe der atbiopischen Genesis S. XVH ver- 
standen (den Titel dieser Ausgabe s. unten S. 170 Anm. 1). 



fiber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 173 

Von der Hallenser los.-Hs. hat ein Jahrhnndert spater wie- 
dernm Friedrich Tuch, damals Privatdozent in Halle, nachher 
Professor in Leipzig, eine Abschrift genommen. Sie gehort jetzt 
der Universitats-Bibliotheh in Leipzig und tragt dort die Signatur 
„V 1093 b“. Ihr Titel lautet: 

HKPtt’h: I Liber Josnae | Aethiopice | ex Msc. | Bibliothecae 

Regiae Halensis I descriptus. j Halis Saxonum M.DCCC.XXXII. 
AuBerdem gibt es, wie der Vollstandigkeit halber erwahnt sei, 
noch mehrere NebensproBIinge derselben Familie, welche di- 
rekt oder indirekt auf die Lndolfschen Abscbriften zuriickgehen : 

Gottingen, Univ.-BibL, Aeth. 2 (friiher Orient. 21): losne; s. 
das oben S. 170 zitierte Gottinger Hss.-Verzeichnis 3, S. 308f. 

Hamburg, Stadtbibl., Or. 271: Genesis; s. Katalog der Hss. 
der Stadtbibl. zn Hamburg III 1 : Die arab., pers., . . . ath. 
H.SS. beschrieben von C. Brockelmann (1908), S. 178 Nr. 319. 

Hamburg, Stadtbibl., Or. 272, zweite Abteilung Bl. la— 19b: 
Exodus 1 — 4; Bl. 27b— 67b: Exodus 36 — 40; Bl. 70b— 
176 b: losue (Kap. 1 mit Ausnahme der letzten Worte und 
Kap. 12 1 ^ — 13?^ sind doppelt vorhanden); s. den soeben zi- 
tierten Katalog Brockelmanns S. 178 — 180 Nr. 320. 

Kiel, Univ.-Bibl., § 50 4°: Sammelband athiopischer Druckwerke, 
besonders von Nissel und Petraeus (vgl. aber auch oben S. 168 
Anm. 1), wozu handschriftlich andere Stiicke hinzugefiigt sind, 
darunter Exodus 1 — 4 (hinter den Nissel-Petraeus’schen Aus- 
gaben biblischer Bucher). 

Diese NebensproBlinge stammen samtlich von Ludolfs Hamburger 
Schiilern Christoph Schlichting und Joh. Friedr. Winckler^). 
Winckler hat die Gottinger Hs. geschrieben. Die beiden Ham- 
burger Hss. und der Kieler Band riihren jedenfalls von Schlichting 
her; sie hangen untereinander aufs engste zusammen: einerseits 
stimmt die Hamburger Gen.-Hs. Or. 271 in der ganzen Art ihrer 
Ausfiihrung vollig mit der Abschrift von Exod. 1 — 4 in dem Kieler 
Bande iiberein, und andrerseits finden sich die meisten der in die- 
sem Kieler Bande handschriftlich zu den Druckwerken hinzuge- 
fligten Stiicke auch in dem Hamburger Or. 272; allerdings sind 
die drei Bande nicht durchgehends von einer und derselben Hand 
geschrieben, sondern es wechseln darin zwei Hande, doch lassen 
sich diese auch in anderen Hss. Schlichtings, z. B. Gottingen, Univ.- 
Bibl., Aeth. 6, ebenso unterscheiden. 

Sehen wir nunmehr von jenem spiiten Nachtriebe und diesen 

1) fiber Schlichting und tVinckler s. oben S. 171 Anm. 3. 



174 


Alfred Rahlfs, 


SeitenschbBlingen ab tmd beschranken nns auf die direkt von dem 
romiscben Archetypus bis aaf die von Dillmann benatzten and mit 
der Sigel bezeichneten Hallenser Hss. herabfiihrende Haupt- 
linie, so ergibt sick folgender Stammbaum: 

Original in S. Stefano zu Rom 

1 

Abschrift Wanslebens vom J. 1666, spater im Besitz von Picq^nes, jetzt Paris, 
Bibl. Nat., Eth. 1 (Pent.) nnd 2 (los. — Reg. IV) 

Pent.-Absehrift Christian Ludolfs vom los.-Abschrift Hiob Ludolfs vom J. 

J. 16S4, spiiter im Jiesitz von J. H., 1684, jetzt Gottingen, Uuiv.-Bibl, 

Chr. B. und J. D. Michaelis, jetzt Aeth. 1 

Gottingen, Univ.-Bibl., Mich. 270 1 

los.-Abscbrift von Chr. B. Michaelis 
aus der Zeit um 1703, anfangs im Be- 
sitz von J. H., dann von Chr. B, und 
J. D. Michaelis, jetzt Gottingen, Univ.- 
Bibl., Mich. 264 

I 

Pent.-Abschrift eines Unbehannten vom los.-Abschrift eines Unbekannten vom 

J. 1732, jetzt Halle, Univ.-Bibl., Ya. 2 J. 17S1, jetzt Halle, Univ.-Bibl., Ya. 3 

(= Dillmanns „H“) (= Dillmanns „H“) 

Nackdem wir uns so iiber die Herkunft H’s aus der romiscben 
Original-Hs. genan orientiert haben, kommen wir zu der Frage: 
Wie verkalt sick H zuF, der anderen von Dillmann in erster 
Linie zugrunde gelegten Hs., die jetzt der British and Foreign 
Bible Society in London gehort? 

Dillmann Oct. S. 6f. kat mit vollem Rechte bemerkt, dad 
H und F aufierordentlick nahe miteinander verwandt sind. Sieht 
man von allerlei Verseben und absichtlicken Anderungen ab, wie 
sie sick bei europaiscben Gelehrten-Absckriften des XVII. und 
XVIII. Jakrh. eigentlick von selbst versteken, so bietet H einen 
Text, der „miro modo“ mit F verwandt ist und mit F sogar in 
Archaismen und sonstigen Besonderheiten „fere ubique“ Uberein- 
stimmt. Daher kat sick Dillmann der Verdacht aufgedriingt, dafi 
H in direkter Linie auf F zuriickgehe, dad also die jetzt im Be- 
sitze der British and Foreign Bible Society befindkcke Hs. F keine 
andere sei als die, welche zur Zeit Ludolfs und Wanslebens im 
Abessinierkloster S. Stefano zu Rom war, und er hat sick deshalb 
die auBerste Miihe gegeben zu erfahren, von wo P nach London 
gekommen sei, okne jedoch daruber Auskunft erkalten zu kbnnen '). 

1) Dillm. Oct. S, 6 : „Quae suspicio qcium me moveret, acerrime quidem id 
ogebam, iit comperirem, unde Britanni librum comparavissent et Londinum depor- 
tavisscnt, sed quamquam itenim iterumque percontabar, nemo mihi, quae scire 
volui, respondit.“ 




tiber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 176 

Da ihm nun der historische Beweis fiir die Identitat F’s mit der 
romischen Hs. fehlte, und er in H doch auch Lesarten fand, „quas 
aliunde haustas esse necesse est“, so hat er sich schlieBlicli fiir 
die Annahme entschieden, da6 H nicht direkt auf F, sondern nur 
auf einen nahen Verwandten F’s znriickgehe ^), und daher in seinem 
textkritischen Apparat H neben F notiert^). 

Nacbtraglich aber scbeint sich Dillmann dock der anderen An- 
nabme, dafi F selbst die zu Ludolfs und Wanslebens Zeit in Rom 
befindlicbe Hs. sei, zngeneigt zu habeu. Ich schlieBe das aus den 
Addenda et corrigenda am Scblusse des Oct. (S. 219), in welchen 
Dillmann zu S. 6 Z. 3, wo er erwahnt hatte, daB F laut Unter- 
schrift „ab Isaac quodam, eins possessore" den Abessiniern in Je- 
rusalem gestiftet sei, folgenden Nachtrag gibt : „postquam ea, quae 
Ludolfus in Comm, ad hist. Aeth. p. 298 seq. [das ist die oben 
S. 164 abgedruckte Stelle] de libris Aethiopicis in hospitio Abys- 
sinorum Romae asservatis atmotavit, inspexi, equidem Isaacnm il- 
ium, qui nostrum codicem F Axuma Hierosolymam misit, regem 
Abyssiniae (saeculo XIV [lies XV]) fuisse suspicor." Denn weim 
Dillmann nunmehr in dem Isaac, der F nach Jerusalem gestiftet 
hat, den Konig Isaac vermutet, well Isaac nach Ludolfs Angabe 
einer der Konige ist, welche einst die spater in Rom befindlichen 
Hss. nach Jerusalem gestiftet haben*), so muB er eigentlich an- 
nehmen, daB F mit einer jener romischen Hss. identisch ist. 

Uber Dillmann hinaus ging Zotenberg S. 1 in seiner Be- 
schreibung der Abschrift Wanslebens, indem er F geradezu und 
ganz bestimmt fiir den Archetypus erklarte, welchen Wansleben 
abgeschrieben babe. Einen Beweis hierfur gab er nicht, doch scheint 
er dadurch, daB er aus DBlm. Oct. aufier „p. 4 et sniv.“ auch 
„p. 164“ zitiert, anzudeuten, worauf er seine Annahme griindet. 
Dillmann handelt namlich an dieser Stelle tiber Lektionsvermerke 
in F und fahrt dann fort: „Etiam in codice H eorum multa con- 
servata sunt; sed cum librarii eorum sensum non intelligerent, 
satis inepte et annotationes et sigla in ipsum orationis contextum 
receperunt" *). 


1) Ebenda S. 7 : „codicem F et codicis H archetypum intima inter sese con- 
junctos esse cognatione et idem textus gennini et antiqui genus praebere“. 

2) Ebenda: „Quare lectiones e codke n annotare baud omisi.“ 

3) Siebe bieriiber unten S. 179 f. 

4) Vgl. auch scbon Dillmanns Bescbreibung von H auf S. 7; „nec rare li- 
brum arcbetypum a librario falso lectum et descriptuni esse clarissime apparet 
(ex. gr. sigla, quibus pericopae in ecclesia legendae signantur, perperam in ipsum 
verborum contextum saepius inserta sunt).“ 



176 


Alfred Rahlfs , 


Ebenso wie Zotenberg entscbeidet sich J. Oscar Boyd in 
seiner nenen Ansgabe des atbiopischen Oktatencbs fiir Herkunft 
H’s von F wegen der „intimate relationship of the text of H to 
the text of F‘‘. Damit ist er aber im Grunde nicht iiber Dillmann 
hinansgekommen ; denn die „cognatio intima“ oder „intima neces- 
sitndo“ der beiden Hss. hatte schon Dillm. Oct. S. 6 hervorgehoben. 
Einen wirklich durchschlagenden Beweis fiir die Herkunft H’s von 
E hat Boyd so wenig wie Zotenberg geliefert. 

IJnd doch lafit sich ein solcher Beweis sehr wohl liefern. In 
der alten Pergament-Hs. F sind namlich, wie Dillmann Oct. S. 4 
bemerkt, das 7. nnd 8. Blatt ansgefallen nnd spater durch zwei 
Papierblatter ersetzt. Der Text dieser beiden Papierblatter, Gen. 
4 15 — 6 11 , weicht aber in seinem ganzen Charakter vollig von dem 
tibrigen Texte F’s ab, so sehr, da6 Dillmann annimmt, dafi hier 
gar nicht die altathiopisehe , sondern eine ans einer arabischen 
Ubersetzung oder vielmehr Paraphrase geflossene, ganz junge Uber- 
setznng vorliege, s. Dillm. Oct. S. 28 — 31 nnd vgl. auch Boyds 
Varianten zu jenem Abschnitt. Hier handelt es sich also um einen 
Textwechsel, der durch eine mechanische Verletzung F’s veranlaBt 
ist, nnd der Textwechsel reicht genau so weit wie der Wechsel 
zwischen dem alten Pergament nnd dem jnngen Papier. Stammte 
nun H nicht von F, sondem von einer mit F verwandten Hs. ab, 
so muBten H and F hier auseinander gehen; denn daB auch in 
der mit F verwandten Hs., welche Dillmann als Archetypus H’s 
ansetzt, gerade genau dieselbe Stelle ansgefallen und in genau der- 
selben W else erganzt worden ware, das ware doch ein schlechthin 
unwahrscheinlicher Zufall. Indessen ist auch hier, wie Dillm. Oct. 
S. 28 selbst bemerkt, H aufs engste mit F verwandt : „Totas locus 
inde a C. 4, 15 usque ad C. 6, 11 non tantum in codice F sed etiam 
in codice H, qui illi intime cognatus est, prorsus corruptus est.“ 
Daraus folgt mit vdlliger Sicherheit, daB H in direkter Linie 
von F abstammt, und man muB sich nur wundern, daB nicht 
schon Dillmann diesen ganz selbstverstandlichen SchluB gezogen hat. 

Geht H aber in direkter Linie auf F zuriick, so wird F auch 
dieselbe Handschrift sein, welche einst im Abessinierkloster 
S. Stefano zu Rom war und dort von Ludolf gesehen und von 
Wansleben abgeschrieben wurde. Fiir diese Tatsache , die sich 
schon aus dem Texte von F und H mit groBer Wahrscheinlichkeit 


1) Bibliotheca Abessinica ed. by E. Littmami. Vol. Ill : The Octateuch in 
Etbiopic according to the text of the Paris Codex, with the variants of five other 
mss. ed, by J. Oscar Boyd, Part I : Genesis (Leyden & Princeton 1909), S. XVIII. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Kom. 177 

ergibt, vermag ich zwei Bewe ise zu liefem, die, wie mir scheint, 
jeden Zweifel ansscMieBen : 

1) Dillm. Oct. S. 6 sagt in seiner Besclireibung F’s ; „E sub- 
scriptionibus a calce, fob 283 seq., additis eum Axumae, in regni 
et ecclesiae metropoli, exaratum et ab Isaac quodam, eius posses- 
sore, Hierosolyma missum et Abyssinis in bospitio Hierosolymitano 
degentibus dono datum esse apparet.“ Von den Unterscbriften, 
deren Inhalt er bier angibt, fand sicb aber wenigstens die eine 
ganz sicher aucb in der Hs. von S. Stefano. Wansleben bat 
dieselbe mit abgescbrieben ; sie stebt in seiner Abscbrift nacb Zo- 
tenb. S. 3 Sp. II (unter „a“) binter Ruth, also genau wie in F am 
Scblnsse des Oktateucbs, und lautet folgendermafien : „Betet^) fiir 
die, die wir uns an diesem Bucbe abgemiibt baben, und fiir Isaak 
eureu^) Knecbt, der dieses dem beiligen Jerusalem gegeben bat“. 
AuBerdem baben wir iiber dieselbe .Unterscbrift nocb einen Bericbt 
bei Platt. Dieser teilt namlicb auf S. 7 f. eine Bescbreibung der 
atbiopiscben Hss. von S. Stefano mit, welche Hiob Ludolf im Jabre 
1700 von seinemNeffen Heinricb Wilbelm Ludolf bekommen®) 
und dann eigenbandig am Scblusse eines jetzt „in the Royal Li- 
brary “, d. b. in der Bibliotb^ue Nationale zu Paris, beflndlichen 
Exemplars seines Comm, unter dem Titel ^Miscellanea varia pro 
futura fortassis editione", d. h. fiir eine eventuelle zweite Ausgabe 
des Comm., eingetragen hat. Diese Bescbreibung, die ich bier ganz 


1) Der Verfasser der Unterscbrift redet bier die Mdncbe des abessiniscben 
Klostcrs in Jerusalem an. Vgl. iiber dieses Kloster H. Duensing, Die Abessinier 
in Jerusalem; Zeitscbr. d. Deutscben Palastina-Vereins 30 (1916), S. 98 — 115. 

2) tber Ileinr. Wilb. Ludolf s. die Stammtafel bci Juncker vor S. 187. H. 
W. Ludolf war Sekretar beim Prinzen Georg von Danemark, dem Gemahl der 
Konigin Anna von GroBbritannien. Er verfaBte eine russische Grammatik, die 
1696 in Oxford erscbien. 1698 — 1700 machte er eine grofiere Keise, bei der er 
aucb Athiopiscbes fur seinen Obeim sammelte. Im Okt. 1698 scbreibt Hiob Lu- 
dolf an Picques; „Mon neveu eft deja parti de Livorne, je ne fgai fi c’eft pour 
Conftantinople ou pour Scandrona", s. Relation bistorique d’Abissinie, du E. P. 
Jerome Lobo . . . Traduite . . . par M. Le Grand (Paris 1728), S. 182 [im Druck 
ist diese Seite irrtumlich mit der Zahl ,178“ verseben], Im Nov. 1699 war H. 
W. Ludolf bei den Abessiniern in Jerusalom; denn der Cod. MS. Michael. 264 der 
Gottinger Univ.-Bibl. enthalt auf Bl. 96 — 101 eine im Jabre 1703 von Cbristian 
Benedikt Micbaelis angefertigte Abscbrift eines atbiopiscben Festkalenders und 
eines Gebetes, welcbes H. W. Ludolf „ex 3ISto Eabeffini Meraici-Cliristos, Jlhi 
commvnicato, Ilkrofohjmis, menfe Kovembri ciOJDCXCix.'^ abgescbrieben und dann 
offenbar seinem Obeim mitgeteilt hatte. Im Mai 1700 war H. W. Ludolf in Bom 
und besebaftigte sicb dort mit den atbiopiscben Hss. von S. Stefano, s. Roupp 
S. 300. 

Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. KUsse. 1918, Heft 2. 


12 



i78 


Alfred Kahlfs, 


abdracke *), well sie auch fiir imsere weitere Xlntersucbung in Be- 
tracbt kommen wird nnd sich in einem schwer znganglichen Bnche 
findet, lantet folgendermafien: 

De libris Aethiopicis in bospitio Habessinornm Romae re- 
pertis sequentia ad me scripsit Heinricus Wilhelmns Ludolfus. 

FOLIO. 

1. Octatencbns: nim. Qninqne libri Mosis, libri Josnae, Jn- 
dicnm et Ruth. In fine extat: ‘Orate pro iis qui mihi labora- 
runt in hoc Rbro, et pro me Isaaco qni eum vobis Hierosolymis 
degentibns dedi.’ Hiinc tomum descripsi, p. 298. 

2. Qnatuor libri Regum. Bene est compactus in corio rubro, 
et Rex Amda-Tzion, cajns nomen regni Gebra-Meskel ■*) , eum 
Hierosolymas misisse dicitur. 

3. 1*14° Cni praemissa est Epistola Regis HC A JP 

Diversi qnaterniones incompacti. 

QUARTO. 

1. Esaias. Post finem cap. LXVI. incipit alius liber voca- 

tus et postea quaedam Esdrae. 

2, Undecim Prophetae minores — Deest Hoseas. 

3. Tennis liber qni videtnr Litnrgia, incipit enim: ‘Oratio 
quando sacerdos induit vestimenta sacerdotalia.’ 

4, 5. Duo volumina. Unum in charta pergamena, et alterum 

in charta communi; quod hie Romae tempore Urbani VIII. tran- 
scriptum dicitur ; ‘Organon Dinghil’ mihi videntur ; posterius 
enim ita concludit: : fiHP ; 

6, 7. Duo libri Preenm. 

Diversae schedae multos characteres Amharicos continentes. 

Psalterium in majori octavo. 

In 12 mo. Duo libri Preenm, maximam partem ad B. Vir- 
ginem directarnm. 

Alii tres libri in 12 mo. ejusdem argumenti. 


1) Auf die tier abgedruckte Beschreibung der IIss. von S. Stefano folgeii 
noch einige Angaben uber iithiopische Hss. in Florenz (Senodos, Paulusbriefe, 
Zaubergebete). Diese lasse ich fort. 

2) Hierzu bemerkt Hiob Ludolf (nach Platt): „Iste Isaacus rex esse videtnr 
qni hunc tomum Hierosolymam misit, nt Gregorius mihi indicavit. (P. 298. § G. 
[dies ist die oben S. 164 abgedruckte Stelle des Comm.])“. 

3) Auch bier verweist Hiob Ludolf auf die oben S. 164 abgedruckte Stelle 
seines Comm. 

4) Hierzu bemerkt Hiob Ludolf (nach Platt) : „Is quoque ibidem nominatur.** 
Siehe wiederum oben S. 164. 



tiber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 179 

Endlicli ist auch noch die oben S. 164 abgedruckte Stelle aas L u - 
dolfs Comm, beranzaziehen. Ludolf gibt dort an, dafi die in S. 
Stefano befindlicben athiopischen Hss. „k Eegibns Jithiopise olim 
Hierofolymam miffa fuerunt, qniqne nomina fna infcripferunt, nempe 
Gebra-MesM, Ifaacus, et Zer-a-jacohus.‘‘ Lndolf stutrt sich hier, 
wie bereits oben S. 16of. ansgefiihrt, anf einen Bericbt des Abba 
Gregorius, nacb welcbem die Konige Gabra-Maskal , Isaak nnd 
Zar’a-Ja'kob einst jene Hss. „mit der Einzeichnnng ihres Namens 
nacb Jerusalem gescbickt haben“. Aucb bier erscbeint also unter 
den Stiftern derselben ein Isaak, nnd es kann nicht wobl zweifel- 
baft sein, dab aucb diese Angabe des Gregorius anf ebenjene IJn- 
terscbrift des Oktateucbs zuriickgebt. Mit Recbt also bat Dill- 
mann, wie scbon S. 175 bemerkt, diesen von Gregorius und Lndolf 
erwabnten Isaak mit dem Isaak der Londoner Hs. E identifiziert. 
Eine andere Erage ist es freilicb, ob dieser Isaak wirklicb, wie 
Gregorius und Ludolf^) und im AnscbluB an sie anch DiUmann 
und Boyd^) annabmen, der bekannte abessinische Konig ist, der 
1414—1429 regierte. blir ist das mindestens sebr unsicber. Denn 
der oben S. 177 aus Zotenb. mitgeteilte Wortlaut der Unterscbrift 
weist mit keinem Worte auf koniglicbe Wurde des Stifters bin®). 
Da6 aber nicbt etwa nocb eine andere Unterscbrift vorbanden ist, 
in der Isaak als Kbuig cbarakterisiert wurde, scblieBe icb aus dem 
Umstande, dafi Dillmann anfangs in seiner Bescbreibnng F’s (Oct. 
S. 6) nnr sagt, aus den Unterschriften ergebe sicb, dafi die Hs. 
„ab Isaac quo dam, eius possessore“ nacb Jerusalem gescbickt sei, 
und erst nacbtraglicb (Oct. S. 219) durch das Studium von Ludolfs 
Comm, auf den Gedanken gekommen ist, dafi es sicb hier um den 
Konig Isaak handle. Denn wenn jener Isaak in der Hs. selbst 


1) Siehe oben S. 178 Anm. 2. 

2) J. Oscar Boyd, The text of the Ethiopic version of the Octateuch (= 
Bibliotheca xVbessinica ed. by E. Littmann, II, Leyden & Princeton 1905), S. 17 
unten; „Codex F is ancient, written not later than 1429“; dies Jahr ist das To- 
desjahr des Kouigs Isaak. Spater allerdings, in seiner Ausgabe der Gen. (s. oben 
S. 170 Anm. 1) S. XVII, setzt Boyd zii der Identifikation des in F geuannten 
Isaak mit dem Konig Isaak ein Fragezeichen. 

3) Der Schreiber der Unterscbrift sagt, indem er sich an die Monche des 
abessinischen Klosters in Jerusalem wendet (s. oben S. 177 Anm. 1): „Betet . . . 
fiir Isaak euren Knecht . . .“. Derselbe Ansdruck „euer Knecht“ findet sich auch 
in einer Unterscbrift der spater zu besprechenden Eeg.-Hs., aber nicht in der 
Stiftungsurkunde des Konigs, sondern in der in jungerer Zeit hinzugefiigten Bitte 
eines gewissen 'Estifanos an seine „Vater und Bruder“, seiner in ihren Gebeten 
zu gedenken, s. Roupp S. 342 Anm. 2 und Taf. 4. 


12 * 



180 


Alfred Eahlfs 


deutlich als Konig charakterisiert ware, so wllrde Dillmann dies 
zweifellos sofort bemerkt haben. 

2) Dillm. Oct. S. 6 sagt in seiner Bescbreibung F’s ; „Quando 
autem et a quo bic liber Hierosolymis in Europam transvectus sit, 
equidem compertum non habeo, sed cum argnmentum libri iu 
primo folio latine inscriptum ibidemque annus Domini 1696, Sep- 
tember 20, adscriptus sit, sequitur ante hunc annum volumen esse 
transportatum." Ebenso wie der Londoner Oktateuch hat aber 
auch die borgianiscbe Hs. der Bucher Regum, in der Roupp die 
zu Ludolfs Zeit iu S. Stefano befindliche Reg.-Hs. wiederentdeckt 
hat (s. unten S. 184 ff.), auf einem dem athiopischen Texte voran- 
gehenden Vorsetzblatte eine lateinische Inhaltsangabe, welche 
Roupp S. 299 f. abgedruckt hat. Diese stammt von dem romischen 
Lector theologian Johannes Pastritius und ist von ihm in der 
Hauptsache am 18. Mai 1700 (Roupp S. 300 Z. 16) nach Angaben 
des damals in Rom weRenden Heinr. Wilh. Ludolf (s. oben S. 177 
Anm. 2) niedergeschrieben (Roupp S. 300 Z. 25 ff.). Sie beginnt 
jedoch mit den Worten „Hic Codex continet libros 4 Regum. Jo. 
Pastritius 1694 et 1696 20 Sept.“ End was diese Worte zu be- 
deuten haben, lehrt uns der letzte Abschnitt (Roupp S. 300 Z. 19 if.), 
wo Pastritius berichtet, da6 er, obwohl der athiopischen Sprache 
unkundig, „anno 1694 primum, turn 1696“ auf Bitten Hiob Ludolfs 
„omnes libros manuscriptos qui in domo S. Stephani Abyssinoram 
reperiebantur“ verzeichnet babe. Pastritius hat also der Hs. nicht 
erst am 18. Mai 1700 eine Inhaltsangabe voraufgeschickt, sondern 
er hatte schon vorher im Jahre 1694 und am 20. Sept. 1696 ihren 
Hauptinhalt mit den Worten „Hic Codex continet libros 4 Regum“ 
kurz angegeben. Hier haben wir also in dem 20. Sept. 1696 
genau dasselbe Datum wie iu dem Londoner Oktateuch. Und iiber- 
dies hat auch der Senodos, der einst in S. Stefano war (s. oben 
S. 163. 178) und jetzt als Borg. aeth. 2 in der Biblioteca Vaticana 
aufbewahrt wird, nach Tisserant S. XLIII gleichfalls „notulam 20 
sept. 1696 a lohanne Pastritio exaratam in fob I“. Bei dieser 
voRigen Ubereinstimmung der drei Hss. kann es keinen Augenblick 
zweifelhaft sein, daB auch das „argumentum“ des Londoner Okta- 
teuchs, dessen Verfasser DiUmann nicht nennt, von Job. Pastritius 


1) In Pioupps Abdruck der Inhaltsangabe steht hier nicht sondern 

„Js.“ Aber dies ist gewifi ein Druckfehler; denn bei Roupp S. 300 Z. 10 f. 
VO der Name ausgeschrieben ist, heifit es; „ Joannes Passtritius [sol] Dalmata 
Spalatensis, Lector Theologiae". Vgl. auch Tisserant S. XLIII unter Nr. G2 
und 63. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Eom. 181 


stammt. Vermutlich hat dieser sich auch in der Londoner Hs. 
ebenso unterzeichnet wie in den beiden anderen, und Dillmann, 
der ja iiberhaupt den Wortlaut des „argtimentum“ nicht mitteilt, 
hat Pastritias blob deshalb nicht genannt, weil es sich um einen 
unbekannten Namen handelt, und weil es ihm nur darauf ankam, 
nachzuweisen, dafi die Londoner Hs. schon vor 1696 nach Europa 
gekommen sei. Dafi Pastritius in der Tat anch den Oktatench mit 
einer derartigen Eintragung versehen hat, ist um so sicherer, als 
er selbst in seiner Vorbemerkung zu der Reg.-Hs. auf diese Ein- 
tragung verweist: Roupp S. 300 Z. 18 „ut et innuebam in Octa- 
teucho n" 1.“^). Hat aber Pastritius sowohl den Oktatench, als 
die Reg.-Hs. und den Senbdos am 20. Sept. 1696 mit einer Inhalts- 
angabe versehen, so miissen natiirlich an diesem Tage noch alle 
drei Hss. an demselben Orte vereinigt gewesen sein. Und dieser 
Ort kann kein anderer gewesen sein als das Abessinierkloster S. 
Stefano, welches ja Pastritius, wie wir sahen, in seiner Vorbemer- 
kung zu der Reg.-Hs. ausdrlicklich als ihren Aufenthaltsort nennt. 
Hiermit ist erwiesen, dafi der Londoner Oktatench „E’^ im Jahre 
1696 in S. Stefano war. Daraus folgt dann aber auch, dafi er 
mit dem Oktatench identisch ist, der einige Jahrzehnte friiher in 
S. Stefano von Hioh Ludolf gesehen und von Wansleben abge- 
schrieben wurde. Denn es ware doch ein gar zu sonderbarer Zu- 
fall, wenn Hiob Ludolf 1649^), Gregorius 1651 (s. oben S. 165), 
Wansleben 1666 (s. oben S. 167 Anm. 4 und S. 168 Anm. 1), Pa- 
stritius 1696 und Heinr. Wilh. Ludolf 1700 (s. oben S. 178) samt- 
lich einen Oktateuch, eine Reg.-Hs. und einen Senodos in S. Stefano 
vorgefunden batten, und es sich dabei nicht um dieselben Hss. 
handeln sollte. Daher hat auch Hiob Ludolf zweifellos recht, wenn 
er zu der Oktateuch-Beschreibung seines Neffen hinzufiigt, dies 
sei derselbe Band, den er in seinem Comm. S. 298 beschrieben habe 
(s. oben S. 178). 

Nach alledem kann, glaube ich, auch nicht der leiseste Zweifel 
mehr moglich sein, dafi E in der Tat die von Wansleben kopierte 
Hs. und damit zugleich der Archetypus H’s ist. Daraus ergibt 
sich dann aber als praktische Konsequenz, dafi die ja auch an sich 


1) Zu „ii<> !.'• vgl. oben S. 1(U. 165. ITS, wo die Oktateiich-Hs. von Hiob 
Ludolf, Abba Gregorius und Hciur. Wilh. Ludolf auch immer an erster Stelle 
genannt wird. 

:2) \'on Ludolf wissen wir allerdings mit Sicherheit nur, dafi er den Okta- 
teueh und den Senodos gesehen hat. Das Yorhandensein der Reg.-Hs. hat er 
vielleicht erst durch die Briefe des Gregorius erfahren. 



182 


Alfred Rahlfs, 


ganz sekundare Handschrift H in Zukunft aus demtextkriti- 
schenApparat, in welchem sie noch Boyd sonderbarerweise 
beibehalten hat, obwohl er sie fiir einen direkten Abkommling F’s 
halt, endgiiltig zu verschwinden hat. Wo sie von F ab- 
weicht, haben wir es bestenfalls mit Korrekturen Ludolfs, in der 
Regel aber mit Versehen Wanslebens oder der spateren Abschreiber 
zu tim (vgl. die Bemerkung iiber Ungenauigkeiten in Wanslebens 
Abschrift der Konigsbiicher unten S. 186 f.). 


Bisher habe ich nur iiber Wanslebens Abschrift F’s und deren 
weitere Abschriften gesprochen. Nnn ist aber noch zu erwahnen, 
daB schon vor Wansleben ein anderer Gelehrter zwei allerdings 
kleine Stiicke ans F abgesehrieben und sogar zum Brack befbrdert 
hat. Es handelt sich um TheodorPetraeus, mit dem ich mich 
kiirzlich in meinem Anfsatz „Nissel und Petraeus, ihre athiopischen 
Textausgaben und Typen“ (s. oben S. 161) eingehender beschaftigt 
habe. 

Petraeus hat 1060 im Anhange zu seiner Ausgabe des iithiopi- 
schen lonas die vier ersten Kapitel der Genesis herausgegeben, 
s. Rahlfs Niss. u. Petr. S. 277. Dieser Text soil nach Bilim. Oct. 
S. 12 ein „textus mixtus et ab editore castigatus“ sein. Letzteres 
wird fiir einzelne Stellen zutreffen, obwohl Petraeus selbst in der 
Uberschrift behauptet, ihn „Meliter“ aus der Hs. abgesehrieben 
zu haben. Aber Billmanns „textus mixtus “ ist mindestens irre- 
fuhrend, da es den Eindruck erweekt, als liege hier eine Mischung 
der beiden von Billmann unterschiedenen Texttypen (FH und CG) 
vor. Bavon kann aber keine Rede sein. Vielmehr beruht Petraeus’ 
Ausgabe einzig and allein auf F. Man kann das sehr leicht nach- 
weisen. Beim gerade in dem 4. Rapitel der Gen., mit dem die 
Ausgabe des Petraeus schlieBt, beginnt ja mit Vers 15 der oben 
S. 176 besprochene, in seinem ganzen Charakter vullig von der 
altathiopischen Ubersetzung abweichende, junge Text, der in F 
erst nachtraglich zur AusMlung einer durch den Ausfall zweicr 
Blatter entstandenen Liicke eingeschoben ist. Geradeso wie die 
Abschrift Wanslebens und deren Abkommlinge geht hier nun auch 
die Ausgabe des Petraeus nicht etwa mit den iibrigen von Bill- 
mann und Boyd (s. oben S. 176 Anm. 1) kollationierteu Hss., son- 
dern mit F zusammen ; nur hat Petraeus in dem ersten Verse dieses 
jungen Textes den ersten der groBen tlberschusse, welche der.selbe 
gegeniiber dem hebraischen und griecbischen Texte aufweist, iri- 
folge eines Versehens oder absichtlich fortgelasscn. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 183 

In demselben Jahre 1660 ist dann anch das Buch Ruth athio- 
pisct erschienen, gleichfalls nacb der Abschrift des Petraens, aber 
nicht von ibm selbst, sondern von seinem Freunde Nissel herans- 
gegeben , s. Eablfs Niss. n. Petr. S. 277—279. Da6 dieser Text 
ebenfalls ans F stammt, gebt schon aus DiUmanns Charakterisie- 
rnng desselben hervor, s. Oct. S. 216: „Textus, qui boc libro [d.b. 
Nissels Rutb-Ausgabe] continetur, fere omnibus in locis cum nostro 
codice F mire convenit, et easdem formas verborum obsoletas eos- 
demque librariorum errores, quibus F insignis est, fere omnes.ex- 
hibet.“ 

Dafi Petraens gerade F benutzt bat, erklart sich nun aucb 
leicbt. F war damals, wie wir geseben baben, im Abessinierkloster 
S. Stefano in Rom ; Petraens aber ist, wie icb a. a. 0., S. 292 — 291 
nacbgewiesen babe, im Jahre 1656 in Rom gewesen und bat dort 
unter anderen die Abessinier aufgesucbt. So ist es ganz natitrlicb, 
dafi er, der ja iiberall mit in erster Linie'auf Handscbriften fabn- 
dete, aucb die athiopiscben Handscbriften von S. Stefano geseben 
und benutzt bat (vgl. aucb unten S. 189. 194 — 196). AUerdings 
bat weder Petraens nocb Mssel den damaligen Aufentbaltsort F’s 
deutlicb angegeben. Petraens sagt, er babe Gen. 1 — 4 abgescbrieben 
,,ex pervetufto Manufc. Fentateiicho , ex .Ethiopia Hierofolymam 
allato“ ; Nissel sagt, das Bucb Rutb sei „e vetufto Manufcripto, 
recens ex Oriente allato erutus". Aber darin baben wir, wie icb 
a. a. 0., S. 277. 279 ausgeflihrt babe, wobl nur absicbtlicbe Yer- 
schleierungen des wirklicben Tatbestandes zu erblicken, wie sie 
bei Entdeckern, die ibre Entdeckung fur sich zu reservieren wiin- 
scben, so banfig vorkommen. Beide Angaben sind, wie icb dort 
gesagt babe, „an sich nicht falscb; ja, nimmt man sie nur in der 
ricbtigen Weise zusammen, so bekommt man sogar die Gescbicbte 
der Wan derung der Hs. beraus: sie war zuerst im Orient aus 
Atbiopien nacb Jerusalem und dann, nicht sebr lange vor Petraens’ 
Rcise, aus dem Orient nacb Europa gebracbt. Aber nur der Ein- 
geweihte vermag jene beiden Angaben ricbtig zusammenzusetzen 
und zu denten. Der Uneingeweihte wird aus der einen Angabe 
schlieCen, Petraeus babe seinen Gen.-Text aus einer in Jerusalem 
befindlicben Pentateucb-Hs. abgescbrieben, aus der anderen dagegen, 
er selbst babe die Rutb-Hs. aus dem Orient mitgebracbt.“ 

Zum Schlusse ist bier nocb zu erwiibnen, dafi Petraeus nicht 
nur Gen. 1—4 und Rutb aus dem rbmiscben Oktateucb abgescbrieben, 
sondern sich aucb sonst allerlei Notizen aus demselben gemacbt 
baben muB. Denn wenn er in den Anmerkungen zu seiner Aus- 
gabe des lonas auf S. 8 — 24 (also auf den dem Texte von Gen. 



184 


Alfred Ralilfs, 


1 — 4 voi’aufgehenden Seiten) eine grufiere Zahl andererStellen 
aus dem Oktateuch, besonders der Genesis, ■ zitiert (Gen. 8?. 
12 14 . 222 . 28ll. 14 . 2920 . BOsT. 38i2. 4321. 44?. it. 20. 4632 . Jl zneimal. 
473 . 48 11. Exod. 2 17. 19 . 99.10.23.28.33. 10 19. Lev. 9 1.3. 16 s. Nuiu. 
2 I 28 . los. 2 io. 423 . 24 i 6 . lud. 196 . 10.23), .so kann er den Wort- 
laut auck dieser Stellen nicbt wohl anderswober als au.s ebenjenem 
rbmischen Oktateuch gekannt haben. 


Tiber die Art, wie der Oktatem.h nach London gekommen sein 
wird, s. unten S. 190 — 193. 


n. Die Biielier Regniu. 

Die einst in S. Stefano befindliche Hs. der Biicher Regura hat 
N. Roupp, angeregt durch seinen Lehrer Ignazio Guidi, in sei- 
nem Aufsatz alteste athiopische Handschrift der vier Biicher 
der K6nige“ in der Zeitschrift fiir Assyriologie 16 (1902), S. 296 
— 343 nachgewiesen. Sie ist heutigen Tages in der Biblioteca Va- 
ticana und triigt dort die Signatur Borg. aeth. 3, s. Tisserant 
S. XLII -Nr. 62. 

Aus Roupps Darlcgungen ergeben sich folgende Grhnde fiir 
die Identitat dieser Hs. mit derjenigen, die zu Ludolfs und 
Wanslebens Zeit in S. Stefano war: 

1) Borg. aeth. 3 ist, wie die schon oben S. ISOf. herangezo- 
gene Eintragung des Pastritius beweist, in den Jahren 1694, 1696 
und 1700 zweifellos in S. Stefano gewesen 

2) Dieselbe Handschrift ist auch schon vor 1694 in S. Stefano 
gewesen. Denn am unteren Rande des Blattes, auf welchem der 
athiopische Text beginnt, hat sie nach Roupp Taf. 1 und S. 303 


1) Roupp selbst meint allerdings S. 303, sie sei ilamals nicht melir in S. 
Stefano gewesen, sondern Pastritius habe sie aus dem Kloster gekauft und lGlJ-1 
Oder spatestens 1696 in eigeuem Besitze gehabt. Aber das isr, i\ie scbon Tis- 
serant S. XLIII Z. 2f. mit Kecht bemerkt hat, ein eiiJeutes 'i'ersehcu 1 lou))1)s. 
Pastritius hat die Hs. niemals besessen, und er behauptet dies aueh gur nieht ; 
vielmehr gehorte sie nach seiner ausdrucklkhen Angabe zu deu „libri inanuscripti 
qui in domo S. Stephani Abyssinorum roperiebantur-' (Pioupp S 300 Z. 23 f.). 
\ ieUeicht bat sich Roupp durch deu Schlufi der Vorbcinerkung des Pastritius 
irrefuhren lassen, wo derselbe sagt, er habe die Inlialtsaiigabe in die Hs. cinge- 
tragen als „beneficium hoc modo futurum turn domiii turn cintoribus“ (lloupp 
S. 300 Z. 29 f.), llierdurch weist Pastritius jedoch nur auf die Muglichkcit hiu, 
daB das Kloster die Hs. oinmal verkaufen konnte. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zii Kom. 185 

folgende Notiz in iithiopischer Sprache^): „Im Jahre 1637 nach 
Christi Geburt'-j babe ich Abba Mahsanta-Marjam zaMandamba 
dieses Each als Druckexemplai* gebracbt. Es ist das Eigentum 
Jerusalems. Wir werden es zuriickgeben, nacbdem wir es gedruckt 
haben.“ Wobin der Scbreiber dieser Eotiz, ilabsanta-Marjam, die 
Hs. im Jabre 1637 gebracbt bat, sagt er nicbt. Aber da er einer 
der vier Abessinier ist, welcbe das atbiopiscbe Gedicbt vor dem 
1638 in Rom erscbienenen Lexicon Aetbiopicum von lacobus Wem- 
mers unterzeicbnet baben^), so bat er natiirlicb damals in S. Ste- 
fano gewobnt und dortbin aucb nnsere Hs. der Konigsbiicber ge- 
bracbt. So erklart sicb ancb die Angabe, da6 er die Hs. als Druck- 
exemplar gebracbt babe. Icb vermag zwar keine anderen Nacb- 
richten iiber den Plan einer Heransgabe der iitbiopiscben Konigs- 
biicber in Rom nacbznweisen. Aber gerade in Rom begreift sicb 
ein solcber Plan leicbt. Dort waren friiber der Psalter und das 
Neue Testament erscbienen (s. oben S. 162 f.) ; so konnte man dort 
wobl auf den Gedanken kommen, aucb die iibrigen Teile der Bibel 
berauszugeben. Und gerade um 1637 lag, wie mir scbeint, dieser 
Gedanke besonders nabe. Kurze Zeit vorber batte die Mission 
der Jesuiten in Abessinien ibre bocbste Bliite erreicbt, und damals 
batte Urban YIII. fiir dieselbe durcb die Propaganda zu Rom 
neue atbiopiscbe Typen scbneiden lassen, die der gelebrten Welt 
1630 durcb eine Keuauflage der Grammatik des Victorius bekannt 
gemacbt waren, und mit denen dann aucb das eben erwabnte, 1638 
er.scbienene Lexikon von Wemmers gedruckt wurde *). G-erade 
diese eifrigen Bemiibungen um die Gewinnnng der Abessinier fiir 
die rbmiscb-katholiscbe Kircbe konnten den Gedanken eines Bibel- 
druckes sebr wobl nabelegen. Kun war allerdings die Macbt der 
Jesuiten in Abessinien im Jabre 1632 jab zusammengebrocben ; 
aber es verstebt sicb von selbst, da6 man Abessinien nicbt sofort 

1) Ich gebe die Ubersetzung im AiischluB an Roupp S. 303. 

2) Rer in Rom lebende ilrilisanta-Marjam folgt hicr offenbar der romischen 
Jabreszablung, gcnau so, vie es ancli Ilabta-Marjam (s. unten S. 198 Anm. 1) in 
der 16 iO von ihm in 8. Stefano geschriebeuen Hs. London, Brit. Mus., Add. 19892, 
Gregorius bei Flcniming 1, S. 571 Z. 24,25 etc. und die Grabinschriften von S. 
Stefano bei Cliainc S. 27 ft. tun. Xach der in Abessinien herrschendeii alexan- 
driuiseben Weltara des Paiiodorns fallt die Geburt Ghristi in das 8. Jahr unserer 
Ara (s. V.. B. Liidult Comm. S. 387), aber die Abessinier ptiegeu sonst aucli nicbt 
nach Jahren der Geburt Christi zu datieren, soudorn diese buchsteus nebenbei 
anziigoben. 

o) Dies hat schoii Wanslebeu bemerkt, s. unten S. 186 den SchluB von Anm. 1. 

4) Genauere Mitteiluugen uber diese Typen s. bei Rahlfs Niss. u. Petr. 
S. 324 f. (dritte Typenart). 



186 


Alfred Kahlfs, 


aufgab, sondern zrmachst noch auf eine baldige Wiedei’kehr bes- 
serer Zeiten boffte. Und so wird man auch den Plan einer Bibel- 
ausgabe weiter verfolgt haben, zumal da gerade damals in Eom 
Gelehrte wie lacobus Wemmers und Athanasius Kircher lebten, 
die sich lebhaft fiir die athiopische Sprache und Literatur inter- 
essierten (vgl. Chaine S. 16), und da ja auch das fiir einen solchen 
Druck erforderliche Typenmaterial in Rom vorhanden war. 

3) Die soeben besprochene Notiz iiber die Verbringung der 
Hs. von Jerusalem nach Rom findet sich, wie Zotenb. S. 3 Sp. II 
lehrt, ebenso, blo6 mit einigen orthographischen Varianten, in 
Wanslebens Abschrift der Konigsbiicher ^). Daraus folgt, dad 
Wansleben seiner Abschrift eben nnsere Hs. zugrunde gelegt hat. 
Da6 Wansleben die Hotiz erst am Schlusse der Konigsbiicher bringt, 
wahrend sie in der Hs. am Anfange — jedoch am unteren Rande, 
also doch nicht zu Anfang des Textes — steht, macht natiirlich 
nichts aus, vgl. Ronpp S. 339 f. 

4) Wanslebens Text der Konigsbiicher stimmt, soweit es sich 
nach den Mitteilungen iiber denselben bei Zotenb. beurteilen lafit, 
sowohl in seinem Wortlaut, als auch in seiner Einteilung meistens 
mit dem Borg. aeth. 3 iiberein, s. Roupp S. 336 f. 

Nun hat allerdings Ronpp 8,336—341 in lobenswerter Vorsicht 
eine Reihe von Unterschieden zwischen Wanslebens Abschrift 
und dem Borg. aeth. 3 aufgefiihrt, die gegen die Identifikation 
dieser Hs. mit der Vorlage Wanslebens ins Eeld gefiihrt werden 
konnten. Aber mit Recht hat Roupp auch geurteilt, da6 jene 
Unterschiede keinen geniigenden Gegenbeweis gegen die sonst so 
wohl begriindete Identifikation abgeben, und sie richtig daraus 
erklart, dafi Wansleben bei der Abschrift des Bibeltextes ofters 
fliichtig und ungenau gearbeitet und einige Zutaten, die nicht zum 
Bibeltexte selbst gehoren, ganz fortgelassen hat. Die Uberein- 

1) Aus Wanslebens Abschrift hat Hiob Liulolf diose Xotiz mit abgescbrieben 
in den oben S, 170 f. erwahnten Bemerkungen am Schlusse seiner los. -Abschrift, und 
von da ist sie dann in die weiteren Abschrifton, auch in die Hallenser, uberge- 
gangen. Daher kann auch Dillm. Oct. S. 1G7 berichten, dad Wanslebens Abschrift 
(Dillm. meint'mit einem leicht erklarlichen Irrtum ; auch die des Oktateuchs, wahrend 
es sich in Wirklichkeit mir um die Bucher Regum handelt) genommen sei „e co- 
dice autographo, quern anno 1G3S Jlahtzenta-Marjam, Mand-Ambensis, llicrosolyma 
Romam attulit, ubi ty-pis exprinieretur et unde perfecta typograi)hia Hierosolymam 
rcportaretur” („lGo8“ ist ein Fehler Dillmanns; auch die Hallenser IIs. hat richtig 
„1637“ und bemerkt nur, wie schon Wansleben bei Zotenb. a. a. 0. , daB es sich 
bier um donsellien Mahtzeuta-Marjam handle, der das athiopische Gediclit vor dem 
1638 in Rom erscliienenen athiopischen Lcxikon von Wemmers mit unterzeichnet 
babe). 



L'ber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Kom. 187 

stimmung der Abschrift mit dem Original ist bier eben genau so 
unvollkommen wie beim Oktateuch, wo sich ja Dillmann durch 
iihnliche Unterschiede zwischen H nnd T sogar zu der Annahme 
batte verleiten lassen, daB H gar nicbt direkt auf F, sondern nur 
auf einen naben Verwandten E’s zuriickgebe (s. oben S. 174 f.). Einer 
eingebenden Widerlegung jedes von einem derartigen Unterscbiede 
bergenommenen Gegengrundes bedarf es nicbt; docb mocbte icb 
mil’ zu Roupps Ausfiihrungen, die jene Gegengrlinde im groBen 
und ganzen scbon binreichend entkraften, nocb] zwei kurze Bemer- 
kungen gestatten: 

1) Roupp S. 336 recbnet mit der allerdings von ibm' selbst als 
nicbt wabrscbeinlicb bezeicbneten Moglicbkeit, daB Mab§anta-]\Iar- 
jam mebrere Reg.-Hss. nacb Rom gebracbt und mit derselben bTotiz 
verseben und Wansleben eine andere dieser Hss. abgescbrieben 
batte. Aber eine solcbe Moglicbkeit wird dadurcb ausgescblossen, 
daB nicbt nur nacb Heinr. Wilb. Ludolf (s. oben S. 178), sondern 
aucb scbon nacb Gregorius und Hiob Ludolf (s. oben S. 166 und 
164) bloB eine einzige Reg.-Hs. in S. Stefano vorbanden war. 

2) Roupp S. 341 bemerkt als auffallig, daB Wansleben die am 
Scblusse der Hs. stebende, fur ibre Gescbicbte so wicbtige Scben- 
kungsurkunde nicbt erwabnt , durcb welcbe der Konig 'Amda- 
Sejon, mit Regierungsnamen Gabra-Maskal (1314 — 1344), die Hs. den 
Abessiniern zu Jerusalem stiftet (Roupp Taf. 4 und S. 304). Aber 
wenn aucb Wansleben sie unerwabnt gelassen bat, so finden wir 
docb Hinweise auf sie nicbt erst bei Pastritius (Roupp S. 299 f.) 
und Heinr. Wilb. Ludolf (oben S. 178), sondern aucb scbon bei 
Gregorius und Hiob Ludolf, die ja Gabra-Maskal unter den Ko- 
nigen nennen, welcbe einst die spiiter in S. Stefano befindlicben 
Hss. nacb Jerusalem gescbickt baben (s. oben S. 165 und 164). Da 
nun in S. Stefano, wie eben bemerkt, nacb alien Nacbricbten im- 
mer nur eine einzige Reg.-Hs. gewesen ist, so kann Wansleben 
aucb nur diese abgescbrieben baben und muB in der Tat, wie Roupp 
S. 341 annimmt, jene Schenkung.surkunde entweder ganz iiberseben 
oder nicbt geniigend beacbtet baben. 


III. Isaias. 

Hinter dem Oktateuch und den Biichern Regum nennen Abba 
Gregorius und Hiob Ludolf den Isaias, s. oben S. 165 und 
164. Dieser ist noeh nicbt identitiziert, und aucb mir wollte es 
anfangs nicbt gelingcn, ibn zu identifiziercn, bis icb Heinr. Wilb. 
Ludolfs oben S. 178 abgedruckte Bescbreibung der Hss. von S. 



188 


Alfred Eahlfs, 


Stefano fand und daraus ersah, daB die Isaias-Hs. aufier dem ka- 
nonischen Buche auch noch die Ascensio Isaiae und „quaedam Es- 
drae^ enthielt. Hiermit ergab sich die Identilikation ganz von 
selbst. Bis jetzt sind niimlich nur drei Hss. der Ascensio Isaiae 
bekannt, die schon Dillmann fiir seine Ausgabe des Werkes’) be- 
nutzt bat, und zu denen auch Charles’) keine weitere hat hinzu- 
fiigen kbnnen, namlich 

1) Oxford, Bodl. Libr., Aeth. 7, die Hs., auf der die Editio 
princeps des Werkes von Rich. Laurence^) beruht, 

2) London, Brit. Mns., Orient, 501, 

3) London, Brit. Mus., Orient. 503. 

Von diesen kommen aber die beiden Londoner Hss. schon deshalb 
nicht in Erage, weil sie erst neuerdings nach Europa gekommen 
sind; denn beide stammen aus der Beute der 1868 von den Eng- 
landern eroberten abessinischen Stadt MagJala. Auch paBt ihr 
Inhalt (s. W. Wright, Catalogue of the Ethiopic mss. in the Brit. 
Mus. [1877] , S. 19—21 Nr. XXV und XXVII) nicht zu der von 
Heinr. Wilh. Ludolf gegebenen Beschreibung. Dagegen stimmt die 
Oxforder Hs., wie schon Platt in einer Anmerkung zu jener 
Beschreibung bemerkt hat^j, vollig mit ihr tiberein; denn sie ent- 
halt 1) das kanonische Buck des Propheten Isaias, 2) die Ascensio 
Isaiae, 3) die Apokalypse des Esdras = Esdr. I nach abessinischer 
oder Esdr. IV nach lateinischer Zahlung, s. Dillm. Bodl. S. 9f. 

Aber stammt nun diese Hs. wirklich aus S. Stefano? In 
Oxford selbst denkt man dariiber anders. P. Madan, Summary 
catalogue of western mss. in the Bodl. Libr. 5 (1905), S. 414 Nr. 
28166 sagt iiber die Herkunft der Hs. : ^Probably brought by 
Theod. Petraeus from Jerusalem^. Von wem diese Vermutuiig 
stammt, und worauf sie sich griiiidet, sagt Madan nicht. Man 
wird aber nicht fehlgehen, wenn man annimmt, dab die Oxforder 
sie von Dillmann tibernommen haben; denn dieser sagt in seiner 
Ausgabe der Ascensio Isaiae S. VI Anm. 10 : „Hunc codicem . . . 


1) Ascensio Isaiae Aethiopice et Latino. Lips. 1877. 

2) The Ascension of Isaiah, translated from the Ethiopic version etc. London 

1900. 

3) Ascensio Isaiae vatis. Oxoniae 1819. 

4 ) Platt S. 8 Anm. 1; „The MS. from which Dr. Laurence published his 
•■Ascensio Isaiae Vatis," seems to have had exactly the same contents, and the 
‘■ciuaedam Esdrae" here mentioned, proved to he the fourth Book attributed to 
that Prophet in the Vulgate, or the first, according to the Ethiopic Version.‘- 
Daraii, daB es sich in beiden Fallen um dieselbe lls. handle, hat Platt, wie seine 
Ausdrucke zeigen, offenhar nicht gedacht. 



tiber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Eom. 189 


quondam Th. Petraei fuisse arbitror. Etenim e verbis librarii sub 
calcem Ascensionis subscriptis (impressa sunt apud Laurence p. 78 
— 80) elucet, codicem in usum Aaronis clerici et monacbi, Hiero- 
solymam peregrinati vel peregrinaturi, exaratum esse. Petraeum 
autem ut alios . . . ita hunc quoque Hierosolyma in Europam re- 
portasse videtur. Sane Ascensionem Aetbiopicam a se inspectam 
esse Petraeus ipse testatur in suo libello, qui inscriptus est Pro- 
pbetia Jonae ex Aethiopico in Latinum versa 1660, p. 20.“ Wah- 
rend nun aber die Vermutung selbst entschieden falsch ist, ent- 
balten die sie begriindenden Ausfiihrungen Dillmanns ganz ricbtige 
Beobachtungen, welcbe blofi anders gedeutet zu werden braucben, 
um durcbaus fiir Herkunft der Hs. aus S. Stefano zu sprechen. 
Denn 1) kann eine Hs., die fiir einen Jerusalempilger gescbrieben, 
also frliber einmal in Jerusalem gewesen ist, ja nicht blofi von 
Petraeus nacb Europa gebracht, sondern ebenso wie der Oktateuch 
und die Reg.-Hs. scbon vor der Orientreise des Petraeus aus Je- 
rusalem in das Abessinierkloster S. Stefano zu Rom gekommen 
sein; 2) wenn Petraeus die Hs. benutzt bat — und daran kann 
nacb dem von Dillmann sebr gut nacbgewiesenen Zitat aus der 
Asc. Is. bei Petraeus kein Zweifel sein, da es ja, wie bemerkt, 
aufier den beiden erst neuerdings aus Abessinien nacb Europa ge- 
kommenen Londoner Hss. nur noch diese einzige Hs. der Asc. Is. 
gibt — , so braucht er sie nicbt erst selbst nacb Europa gebracbt 
zu baben, sondern kann sie ebenso wie den Oktateuch (s. oben 
S. 183) und die spater zu besprecbende Hs. der kleinen Propheten 
(s. unten S. 194 — 196) scbon in S. Stefano vorgefunden und ein- 
gesehen baben. Dariiber aber, dafi er die Hs. wirklicb dort kennen 
gelernt bat, besitzen wir sogar eine direkte Angabe in dem Got- 
tinger Cod. Michael. 264 und der daraus abgeschriebenen Hallenser 
Hs. Ya. 3 (s. oben S. 172 und 167). Beide enthalten namlich am 
Schlusse der oben S. 172 Anm. 2 erwahnten Sammlung von Bibel- 
fragmenten solche aus der Apokalypse des Esdras mit der aus- 
drilcklichen Angabe, dafi Petraeus dieselben in Rom gesammelt 
babe : IV. Lihro Esdrce Theodoriis Petneus fragmenfa qucedam 

Eonice collegit, quce hie adferipta fimE^), Diese stammen aber zwei- 
fellos gleichfalls aus unserer Isaias-Hs., die ja nacb Heinr. Wilh. 
Ludolf aucb „quaedam Esdrae“, d. h., wie wir jetzt wissen, eben 
die Apokalypse des Esdras , entbielt ^). 

1) Siehe EaMfs Niss. u. Petr. S. 293. Dort habe ich anch scbon bemerkt, 
dafi Hiob Ludolf diese Fragmente aus den Adversaria des Petraeus baben wird, 
die er von Olfert Dapper gesebenkt bekommen hatte. 

2) Aucb in den Anmerkungen zum lonas (vgl. oben S. 183 f. und die soeben 



190 


Alfred Kahlfs 


Nach alledem kann die Identitiit der Oxforder Hs. mit der 
einst in S. Stefano befindlichen nicht mekr zweifelhaft sein , und 
es fragt sich nur nock: Wie ist jene Hs. nack Oxford ge- 
kommen? Nack Madan a. a. 0. kat sie der Oxforder Prof. Ri- 
ckard Laurence im Jakre 1822 der Bodleiana .gesckenkt. Yorker 
katte Laurence aus ikr die „Ascensio Isaiae“ (Oxon. 1819) und 
„Primi Ezrae libri, qui apud Vnlgatam appellator quartos, versio 
Aetkiopica“ (Oxon. 1820) herausgegeben. In dem ersten dieser 
beidenWerke S. V Anm. a gibt er nun an, wo er die Hs. erworben 
kat: „Ab J. Smitk Bibliopola Londinensi in vico “Drury Lane,” 
qui eum ex quibus nescivit libris sub hasta divenditis mercatus 
erat.“ Daraus seken wu-, da6 die Hs. aus Italien nickt direkt 
nack Oxford, sondern zunackst nack London gekommen ist. Wann 
Laurence die Hs. erstanden kat, sagt er nickt. Da er sick aber 
mit der Herausgabe des zweiten “Werkes, wie er selbst am An- 
fange seiner Vorrede bemerkt, moglichst beeilt und es bereits ein 
Jahr nack dem ersten veroffentlickt kat, so wird er auck mit der 
Herausgabe des ersten Werkes nickt lange gezogert kaben. Mog- 
licherweise hat er also die Hs. erst im Jakre 1818 erworben und 
sich sofort an die Herausgabe der Ascensio Isaiae gemackt und 
diese ebenso wie die der Esdras-Apokalypse innerkalb eines Jahres 
fertiggestellt ; denkbar ist jedoch auck, dak die Vorbereitungen 
fiir diese erste Publikation etwas langere Zeit in Anspruch ge- 
nommen kaben, und er die Hs. ctwa im Jakre 1817 erworben katte. 
Diese beiden Jakreszahlen 1817/18 kekren nun in kockst autfalliger 
Weise bei dem Londoner Oktateuck wieder. Denn wie ick oben 
S. 166 bemerkt kabe, ist derselbe nack Dillmanns Angabe kurz 
besckrieben im ^Report of the British Cknrck Missionary Society 
of the year 1817 — 1818“, und obwokl ick diesen Berickt nickt zu 
Gesickt bekommen babe, ist es mir dock nack der ganzen Sach- 
lage keinen Augenblick zweifelkaft, da6 er die erste Besckreibnng 
einer erst kiirzlick erworbenen Hs. gibt. Da6 dieser Oktateuck 
dann aber durch die Hande desselben Londoner Buckkiindlers ge- 
gangen ist wie die Isaias-Hs., und da6 J. Smith inDruryLane 
um dieselbe Zeit die eine Hs. an die British Church Missionary 


abgedruckte Stelle aus DiUmanns Asc, Is.) zitiert Petraeus auf S. 13 zwei Stellen 
aus der Apokalypse des Esdras (4i3. 17). Ferner zitiert er ebenda S. 1.5. 1-1 17, 
wobl gleichfalls aus tinserer Isaias-Hs , die Stellen Is. l.s. 2i!i. 5i. (Ebenda S. 24 
zitiert or auth ler. 4 30 und Ez. 23 -lo; woher er diese Stolleii kennt, vermag itb 
nicht zu sagen.) 



ijber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Kom. 191 

Society ^), die andere an Laurence verkauft hat, ist eine selbst- 
verstandliche Folgernng. 

J. Smith will die Isaias-Hs. lant seiner oben zitierten Angabe 
anf einer Auktion] gekauft, aber niebt mehr gewufit haben, auf 
welcher. Er muB mir aber gestatten, bierzu nacbtraglicb ein 
kleines Eragezeicben zu setzen. Mag eines Bncbbandlers Gedachtnis 
nocb so belastet sein, so wird es sicb ibm docb, sollt’ ich meinen, 
ganz von selbst einpragen, wo er so rare Sacben wie diese alten 
atbiopischen Bibeihandschriften erworben bat. Bei dieser sonder- 
baren Gedacbtnisscbwacbe drangt sicb mir nnwillkiirlicb der Ver- 
dacbt anf, dafi der ehrenwerte J. Smith sie simnliert hat, um die 
niebt ganz einwandfreie Art der Erwerbung jener Hss. zn ver- 
deeken. 

Wann und wie -die Hss. nacb London gekommen sind, konnen 
wir nun allerdings niebt feststellen. Aber ganz sicber ist, daB sie 
einige Jahrzebnte zuvor nocb in Rom gewesen sind. Denn Jakob 
Georg Christian Adler hat sie bei seiner in den Jahren 1780 — 
1782 ausgefiibrten Romreise nocb in der „Bibliothek der Pro - 
pagande" vorgefunden. Nacb der „kurzen Uebersiebt seiner 
bibliscbkritiscben.Reise nacb Rom“ (Altona 1783), S. 172f. gab es 
damals in dieser Bibliotbek folgende atbiopischen Hss. : 

@ej(^t(^te ber Sbnige in ©t^iopien (N. XLII. D. 14.), ferner B. 
Virginis preces et encomia quotidie recitanda et colloquium eius- 
dem B. Virginis cum lefu (inepte compofitum), ac tandem bene- 
dictiones aquae in nomine B. Virginis, in 12. )e'^r alt, (N. XL. 
A. 28.) llnb bon Sibelftiilfen, i^entoteui^, Soina, ibid^ter unb 
ouf ipergament, alt, (N. XLII. D. 13.), bie 12 Ileinen 
p'^eten, auffer §ofea, ^ergam. (N. XX. E. 4.), SefoiaS unb 4 
©frd, fel^r alt, iperg. (N. XX. A. 13.), ipfalme, ^o^elieb, unb einige 
Sobgefange ber Slibel, fepr alt, 5perg. (N. XX. E. 21.), bag §o^e= 
lieb, ^ergam. (N. XX. E. 20.). 

DaB es sicb bier um die friiber in S. Stefano befindlichen Hss. 


1) Hierbei setze ich voraus, dafi die Church Missionary Society, welche in 
ihrem Jahresberichte von 1817/18 iiber die Hs. berichtet, damals auch die Be- 
sitzerin derselben war. Ganz sicher ist mir dies freilich nicht, da ich, wie ge- 
sagt, des fraglichen Jahresberichtes nicht babe habhaft werden konnen. Denkbar, 
obwohl etwas sonderbar, ware es schliefilich auch, dafi die Church Missionary 
Society hier uber eine Erwerbung der British and Foreign Bible Society berich- 
tete, in deren Besitze sich die Hs,, wie Platt lelirt (s. oben S. 166), spatestens 
seit 1823 befindet. Am wabrscheinlichsten ist es aber doch wohl, dafi die Church 
Missionary Society in der Tat die Hs. gekauft, aber dann an die Bibelgesellsehaft 
als mehr in deren Arbeitsgebiet faUend abgegeben hat. 



192 


Alfred Kahlfs 


handelt, liegt auf der Hand ‘). Die „GescHchte der Kdnige in 
Ethiopien“ ist nichts anderes als die oben S. 184 ff. besprochene 
Reg.-Hs. ; Adler konnte kein Atbiopisch und hatte, wie er in der 
Fortsetzung der soeben abgedruckten Stelle sagt, auch keinen 
Athiopier zur Hand, der ihm , Auf klar ungen iiber diese Hand- 
scbriften“ hatte geben konnen; daher hat er den Inhalt der Hs. 
nach dem ihrem Einbande aufgepragten, irrefiihrenden Titel ,,MSS 
AETH 1 HIST. REGU4I | ET CATALOG 1 POETIF.“ (Roupp 
S. 297) angegeben-). „B. Virginis preces“ etc. in 12“ wird eine 
der am Schlusse von Heinr. Wilh. Ludolfs Hss.-Verzeichnis (oben 
S. 178) nur suinmarisch beschriebenen Hss. „in 12mo“ sein. Dann 
folgen der Londoner Oktateuch, die noch zu besprechende Hs. der 
kleinen Propheten (s. unten S. 193 £P.) und unsere Isaias-Hs.; wenn 
Adler angibt, letztere enthalte auch „4 Bucher Esra‘'‘, so ist das 
ofPenhar ein Versehen fiir „4. Buch Esra“. Ein Psalter, der natur- 
gemaB auch das Hohelied und die Oden enthalt, findet sich gegen 
Ende von H. W. Ludolfs Verzeichnis unmittelbar vor den Duodez- 
banden. Nur das „Hohelied“ am SchluB von Adlers Liste laBt 
sich nicht identifizieren, ist mir aher auch sehr zweifelhaft, da Hss., 
die nur das Hohelied enthalten, mindestens ungewohnlich sind. 

Aber wie sind die Hss. in die Bibliothek der Propaganda, in 
der sie Adler vorfand, gekommen? Durch papstliches Breve vom 
15. Januar 1731 war das Kloster S. Stefano, in welchem schon 
seit mehreren Jahrzehnten keine abessinischen Monche mehr wohnten 
(Chaine S. 11. 18), der Propaganda unterstellt, s. Jos. Sim. 
Assemanis Abhandlung „Della nazione dei Copti“ in Ang. Mais 
,,Scriptorum veterum nova collectio“ 5 (1831), zweite Abteilung, 
S. 181 unten, sowie den Abdruck des Breves im Bullarium pon- 
tificium S. Congregationis de propag. fide 2 (1840), S. 71 — 74. DaB 
aber die Propaganda nunmehr die athiopischen Hss. von S. Ste- 
fano, die dort doch nicht mehr benutzt warden, in ihre eigene 
Bibliothek iiberfuhren lieB, war eigentlich selbstverstandlich. So 

1) Von den Signaturen, welche Adler angibt, habe ich allerdings nirgends 
eine Spur gefunden, Auch hei Tisseraut, der bei der Eeg.-Hs. eine ganze Eeihe 
alterer Signaturen notiert (S. XLII Nr. 02; „olim IIII Aeth 3, dein 2; 10; L.V. 
16“), findet sich gerade die Adlersche „N. XLII. D. 14.“ nicht. Dies beweist je- 
doch nicht gegen die Kichtigkeit der Identifikation. Die Adlerschen Signaturen 
haben vielleicht bloB auf Zetteln gestanden, die auf die Einbande geklebt waren, 
und sind infolgedesseu bei der Umsignierung vbllig verschwunden. 

2) ^ gl. Eoupp, der a. a. 0., ohne Adlers Werk zu kennen, sagt; „Wollte 
man sich blofi auf den Titel verlassen, so konnte man meinen, es wurdo in dieser 
Ilandschrift die Geschichte der Kdnige Aethiopions erzahlt und zu- 
gleich die Eeihenfolge der MetropoUten angegeben". Vgl. auch unten S. 202. 



Tiber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Kom. 193 

erklart es sich nun anch, da6 die in Rom gebliebenen Hss. der 
Bucher Regum rmd des Senodos spater ins Mnseo Borgiano 
gekommen und mit diesem im Mai 1902 (Ronpp S. 298 Anm. 2) in 
die Biblioteca Vaticana liber fiihrt worden sind. Denn das Mnseo 
Borgiano gehorte eben der Propaganda und befand sich in ihrem 
G-ebaude; es enthielt nicht nur die Hss., welche die Propaganda 
von ihrem 1804 verstorbenen Prafekten, dem bekannten Kardinal 
und gelehrten Sammler Stefano Borgia *), dem zu Ehren sie eben 
das Museo Borgiano grilndete^), geerbt hatte, sondern es warden 
diesem Museum auch diejenigen Hss. einverleibt, welche die Pro- 
paganda schon vorher besessen hatte und erst nachher erhielt^). 

Hiernach ist es klar, dafi der Oktateuch, der Isaias und ebenso 
die nunmehr zu besprechende Hs. der kleinen Propheten einst in 
der Bibliothek der Propaganda und auch wohl noch im Museo 
Borgiano gewesen sind. Wann und wie sie aber daraus entwendet 
und nach England gebracht worden sind, entzieht sich begreif- 
licherweise unserer Kenntnis. 

IV. Kleitie Propheten. 

Abba Grregorius und Hiob Ludolf nennen auBer dem Okta- 
teuch, den Bilchern Regum und Isaias keine alttestamentlichen 
Handschriften (s. oben S. 165 und 164). Wohl aber fugt Heinr. 
Wilh. Ludolf (s. oben S. 178) noch hinzu: 

„Undecim Prophelae minores — Deest Hoseas.“ 

Und ebenso Adler (s. oben S. 191): 

„bie 12 fleinen ^ropl^eten, auffer §ofeo, ^ergont." 

Nun hat aber auch die Bodleiana neben der Isaias-Hs. (Aeth. 7) 
eine Hs. der kleinen Propheten auBer Osee (Aeth. 8), und diese 
Hs. ist ebenso wie jene von Laurence im Jahre 1822 geschenkt, 
s. F. Madan an der oben S. 188 zitierten Stelle^). Da liegt doch 
die Vermutung auBerordentlich nabe, daB auch diese Hs. aus 
S. Stef ano stammt und denselben Weg gegangen ist wie die 
Isaias-Hs., mit der sie noch jetzt in Oxford zusammensteht. 

Gegen diese Vermutung darf man nicht anfuhren, daB in 
der Oxforder Hs. auBer Osee auch noch die erste Halfte des Amos 

1) Siehe uber ihn auch Adler a a. 0., S. 167 f. Ah Adler in Rom war, 
war Stefano Borgia noch Sebretar der Propaganda. Spater wurde er ihr Prafekt. 

2) A. Ciasca, S. Bibliorum fragmenta Copto-Sahidica Musei Borgiani 1 (1885), 
S. XVII. 

3) Tisserant S. XXVI Nr. 32 beschreibt z. B. einen Codex Borgianus, welcher 
der Propaganda erst iin Jabre 1S79 geschenkt wurde. 

4) Nur diese beiden IIss. der Bodleiana stammen von Laurence- 

Kgl. Oes. d. Wiss, Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1918. Heft 2. 13 



194 


Alfred Rahlfs, 


feMt; nach Dillm. Bodl. S. 10 beginnt sie namlicb erst mit Am. 
5 14 . Denn in den snmmarischen Verzeichnissen Heinr. Wilh. Lu- 
dolfs und Adlers bann man natiirlich nicht so genaue Angaben 
erwarten wie in Dillmanns ausfiihrlichem Katalog. 

Umgekebrt spricht f iir unsere Vermntung und zwar ausschlag- 
gebend die von Dillmann beobacbtete Ubereinstimmung des Textes 
der Oxforder Hs. mit den von Petraens und Nissel 1660 und 
1661 herausgegebenen Texten der vier kleinen Propheten loel, 
lonas , Sophonias und Malacbias *). Scbon. 1848 hat Dillm. Bodl. 
S. 10 f. in seiner Besehreibung der Oxforder Hs. bemerkt: „Textas 
Joelis, Jonae, Sophoniae et Malachiae cam editionibus impressis, 
in ipsis mendis, tarn accurate concordat, ut hie Codex non possit 
non esse idem, quo olim Th. Petraens et Nisselius usi snnt“. Femer 
sagt derselbe in der Vorbemerknng zu seiner Nenausgabe des 
athiopischen loel am Schlusse von A. Merx, Die Prophetie des 
Joel (1879), S. 450; „Der hier zu Grund gelegte alteste oder ur- 
spriingliche Text (A) ist genommen aus der alten Handschrift Cod. 
Oxon. Bodl. Vin (Katalog p. 10), und ist dieser Cod. ohne Frage 
derselbe, aus dem Th. Petraens a. 1661 den Joel athiopisch herans- 
gegeben hat (die Ahweichungen dieser Ausgabe beruhen theils auf 
Versehen und Druckfehlem des Petraens, theils auf A^erhesserungen, 
vielleicht nach einer andern Handschrift). “ Ahnlich auch Joh. 
Bachmann in seiner Nenausgabe des Malachias in „Dodekaprophe- 
ton Aethiopum" Heft II (1892), S. 5: „Petraeus diirfte seiner Aus- 
gabe ebenfalls cod. Ox i [d. h. unsere Hs.] zu Grunde gelegt haben, 
obwohl es nicht an mannigfachen Varianten fehlt, die vielleicht 
der Vergleichung eines andern Codex ihre Entstehung verdanken. 
Moglich auch, dafi sie auf MiBverstandnissen des Herausgebers be- 
ruhen.“ Was Dillmann und Bachmann hier iiber Abweichungen 
der Ausgaben des Petraens von der Hs. bemerken, hat seine vol- 
lige Parallele an dem oben S. 174 f. 182. 186 f. beim Oktateuch und 
den Buchern Begum Bemerkten; daB Petraens noch eiue andere 
Hs. der kleinen Propheten benutzt habe, darf man daraus ebenso- 
wenig schlieBen, wie man dort aus ahnlichen Unterschieden schlieBen 
durfte, daB Petraens und Wanslebeh andere Hss. des Oktateuchs 
und der Bucher Regum neben oder statt der uns hier beschafti- 
genden benutzt haben. Petraens hat ofFenhar — daran kann nach 
den Beobachtungen von Dillmann und Bachmann kein Zweifd 
sein — die vier Prophetentexte, welche er und sein Freund Nissel 

1) Eine genaue hibliographische Besehreibung dieser Aussaben s. bei Rahlfs 
Niss. u. Petr. S. 276 f. 282—284 unter Nr. 5. 8—10. 



Tjber einige alttcstam. Hss. d. AbessinierUosters S. Stefano zu Rom. 195 

herausgegeben haben, dem jetzigen Bodl. Aeth. 8 und nur diesem 
entnommen. 

Aber bat denn Petraeus diese Hs. wirklich im Abessinierkloster 
S. Stefano zu Eom, das er im Jabre 1656 besucbte (s. oben 
S. 183), vorgefunden und dort seine Texte aus ibr abgescbrieben ? 
Dies ist jedenfalls die nacbstliegende Annabme, da er, wie wir 
oben S. 183 f. 189 geseben baben, aus S. Stefano aucb seine Texte 
von Gen. 1 — 4 und Euth und seine Exzerpte aus dem Oktateuch, 
der Ascensio Isaiae und der Apokalypse des Esdras hat, Indessen 
konnte man dagegen zwei Einwande erheben, und diese miissen 
wir jetzt nocb erbrtern und zu entkraften versuchen. 

1) Wie icb scbon in Niss. u. Petr. S. 282 f. ansgefiibrt babe, 
scheint das, was Nissel und Petraeus selbst iiber die Herkunft 
ihrer Prophetentexte sagen, auf eine andere Spur zu weisen. Nissel 
sagt auf dem Titel seiner Ausgabe des Sopbonias, der Text stamme 
aus einem „vetuftifsimus MS. Codex“ und sei „nunc primum‘‘ aus 
dem Orient mit den iibrigen kleinen Propbeten nach Europa ge- 
bracbt. Derselbe nennt in der Widmungsepistel seiner Ausgabe 
des Buches Euth die zwolf kleinen Propbeten unter den Hss., 
welcbe Petraeus „baud ita pridem Hierofolymis, & in .Egypto . . . 
acquifivit‘‘. Aucb auBert Petraeus selbst in der Widmungsepistel 
seiner Ausgabe des Tonas die Absicbt, diesem kleinen Propbeten 
die iibrigen elf folgen zu lassen. Hiernach wiirde man znnachst 
annehmen, daS den Propheten-Ausgaben von Petraeus und Nissel 
eine vollstandige Hs. der zwolf kleinen Propbeten zugrunde liege, 
welcbe Petraeus von seiner Orientreise, etwa aus Jerusalem, mit- 
gebracbt hiitte. Aber aucb bier baben wir es offenbar, wie beim 
Oktateuch (s. oben S. 183), mit einer absichtlichen Verschleierung 
des wirklichen Tatbestandes zu tun. Wir haben dort geseben, dafi 
Petraeus trotz seiner und Nissels scheinbar in ganz andere Eich- 
tungen weisenden Aussagen docb vollig zweifellos sowohl Gen. 
1 — 4 als das Buch Eutb der damals in S. Stefano befindEchen 
Londoner Oktateucb-Hs. entnommen bat. Da konnen wir natiirlicb 
aucb auf seine und Nissels Angaben iiber die Hs. der kleinen 
Propbeten kein besonderes Gewicbt legen. Nxin ist es durcb Heinr. 
Wilh. Ludolfs Zeugnis (s. oben S. 178) iiber alien Zweifel erhaben, 
da6 diese Hs. einige Jabrzebnte spater in S. Stefano gewesen ist. 
Dortbin batte sie aber nicht wobl kommen konnen, wenn erst Pe- 
traeus sie aus dem Orient mitgebracht batte. Denn ein Grrmd, 
weshalb er diese Hs. nicht wie die iibrigen, die er im Orient er- 
worben batte, fiir sicb behalten, sondern nacb S. Stefano gebracht 
haben sollte, ladt sicb kaum ausfindig machen. Aucb hat er seine 

13* 



196 


Alfred Rahlfs, 


Riickreise aus dem Orient gar nickt, wie die Hinreise, liber Rom, 
sondern iiber England gemacbt, s. Rablfs Niss. u. Petr. S. 297 

— 2991). 

2) Hiob Lndolf weifi noch in seinem 1691 erschienenen Comm, 
nichts von einer in S. Stefano befindlichen Hs. der kleinen Pro- 
pbeten, s. oben S. 164. Aber Lndolfs Angaben im Comm, bernben, 
wie bereits S. 165 gezeigt, durcbans anf den Mitteilungen, weicbe 
ihm Abba Gregorius im Jahre 1631 gemacbt batte. Und dafi dieser 
Abessinier anf Lndolfs Frage nacb den atbiopiscben Hss. von S. 
Stefano ihm kein seblecbtbin vollstandiges Verzeichnis gescbickt, 
sondern nnr die groBeren und vollstandig erbaltenen genannt, da- 
gegen eine so wenig umfangreicbe und nocb dazu verstiimmelte Hs. 
wie die der kleinen Propbeten (nur 71 Blatter) nnerwabnt gelassen 
bat, ist um so wabrscheinlicber, als er selbst von „gro6en Bii- 
cbern“ spricbt" (s. oben S. 165). Sollte aber trotzdem die Hs. der 
kleinen Propbeten im Jahre 1651 noch nicbt in Rom gewesen sein, 
so bliebe bis 1636, wo Petraeus in Rom war (s. oben S, 183), im- 
mer nocb eine Frist von einigen Jahren, in der die Hs. nacb Rom 
gekommen sein konnte. 

T. Geschichte der vier Handschriften 

(zugleich Zusammenfassung der Resultate). 

Die vier Hss., die wir besprocben haben, sind samtlicb fur 
abessiniscbe Verhaltnisse sehr alt. Der Oktateuch stammt nacb 
DiUmanns Schatzung aus dem XIII./XIV. Jahrhundert, s. oben 
S. 166. Derselben Zeit mu6 die Reg.-Hs. angebbren, da sie ja 
bereits von dem 1314 — 1344 regierenden Konige 'Amda-Sejon, mit 
Regierungsnamen Gabra-Maskal, nacb Jerusalem gestiftet ist, s. 
oben S. 187, Von den Hss. des Isaias und der kleinen Propbeten 
gibt Dillm. Bodl. S. 9 f. an, da6 sie „literis grandioribus et forma 
antiquioribus “ , resp. „characteribus grandioribus formaque anti- 
quioribus“ gescbrieben seien; aucb bemerkt er S. 10 Anm. y, dab 
die Scbrift der beiden Hss. iibnlicb sei. In seiner Ausgabe der 


1) In seinen Anmerkungen ziim lonas (vgl. oben S. 183 f. und S. 189 Anm. 2) 
zitiert Petraeus aus den nicht von ihm edierten kleinen Propbeten nur Mich. 1 6 
und Agg. I 4 (beide Zitate finden sich auf S. 15). Daraus lafit sich naturlich kein 
sicherer SchluB ziehen. Immerhin aber darf man darauf aufmerksam machen, 
daB der Refund wenigstens nicht gegen unsere Identitikation spricht, da die in 
der Oxforder Hs. ganz oder teilweise fehlenden Propbeten 0.see und Amos aucb 
Ton Petraeus nicbt zitiert werden. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Eom. 197 

Biblia Veteris Testamenti Aethiopica 5 (1894), S. 193 setzt er die 
Isaias-Hs. ins XIV./XV. Jahrliundert *). 

Ihrem Alter entsprechend enthalten alle vier Hss. auch dnrch- 
weg, soweit sie untersucht sind, sehr wertvolle alte Texte* 
Anf die Oktateucli-Hs. „F“ hat Dillmann seine Ansgabe in erster 
Linie gegriindet, und auch Boyd sagt in seiner oben S. 179 Anm. 2 
zitierten Schrift auf S. 21 : . . . is indisputably a MS that 

embodies the ancient text^. liber die Reg.-Hs. urteilt Roupp 
S. 329 nach Prlifung ihrer Lesarten in Reg. I : „Wir besitzen also 
in Cod. Borg, die alteste bis jetzt bekannte Handschrift der versio 
(mtiqua der IV Libri Regum. “ Der Isaias-Text selbst ist noch 
nicht untersucht; Joh. Bachmann, Der Prophet Jesaia nach der 
athiopischen Bibeliibersetzung 1 (1893) hat die Hs. „aus auBern 
Grrunden“ (S. YIII) nicht beriicksichtigt ; er hatte erst nachtraglich 
eine Kollation derselben bekommen und woUte diese im 2. Teile 
seines Werkes verwerten, ist jedoch vorher gestorben. Wohl aber 
haben wir iiber die Texte der Ascensio Isaiae und der Apokalypse 
des Esdras, die in unserer Hs. auf das kanonische Buck Isaias 
folgen, das TJrteil Dillmanns; beide schatzte er so hoch ein, daB 
er sie seinen Ausgaben in erster Linie zugrunde gelegt hat, s. 
Asc. Is. (1877), S. VII f.: „In constituendo igitur textu quam ar- 
ctissime ad librum A [d. h. unsere Is.-Hs.] me applicui“, und Biblia 
V. T. Aeth. 5 (1894), S. 193 in der SchluBbemerkung zur Esdr.- 
Apokal. : „Principatum codicum laudatorum [es handelt sich um 
nicht weniger als 11 Hss.] obtinet L [d. h. unsere Is.-Hs.], ejusque 
auctoritatem in conformanda libri editione potissimum sequendam 
esse, ultro elucet‘‘. Ebenso steht es mit der Hs. der kleinen Pro- 
pheten. Dillmann sagt in der schon oben S. 194 zitierten Vor- 
bemerkung zu seiner Ausgabe des loel; „Der hier zu Grund ge- 
legte alteste oder urspriingliche Text (A) ist genommen aus der 
alten Handschrift Cod. Oxon. Bodl. VIII“ d. h. aus unserer Hs. 
der kleinen Propheten. Und auch Joh. Bachmann hat seinen Aus- 
gaben des Abdias und Malachias (Dodekapropheton Aethiopum Heft 
I und II, Halle 1892) unsere Hs. zugrunde gelegt. 

Der Oktateuch ist laut Unterschrift in ’Aksum, dem politi- 
schen und religidsen Mittelpunkte des alteren Abessiniens, ge- 
schrieben, s. Dillm. Oct. S. 6. Uber die Heimat der iibrigen Hss. 
wissen wir nichts. Die Is.-Hs. ist zwar, wie Dillmann aus einer 


1) Dillmann sagt dort, die Hs. stelle „traditae versionis condicionem, qualis 
X1V° vel XV“ saeculo evaserat“ dar und sei „seTeriori grammaticorum disciplinae, 
quam inde a saeculo XVI in Geez Uteris observare licet, nondum subjectus". 



198 


Alfred Ralilfs, 


Notiz am ScUusse der Ascensio Isaiae mit Reclit gefolgert hat 
(s. oben S. 189), fiir einen Jerusalempilger geschrieben ; aber die^e 
Notiz ist so unbestimmt formnliert, dafi man nicht sehen kann, ob 
jener Pilger bereits in Jerusalem war oder erst dorthin ziehen 
wollte (Dillmann; „peregrinati vel peregrinaturi“). 

Die drei ersten Hss. sind dann sicker in Jerusalem gewesen. 
Den Oktateuch hat ein Isaak, der kaum mit dem 1114 — 14’29 re- 
gierenden Kbnige Isaak identisch ist, „dem heiligen Jerusalem“, 
d.h. den in Jerusalem wohnenden Abessiniern, geschenkt, s. oben 
S. 177 — 180. Die Reg.-Hs. hat der Kbnig 'Amda-Sejon (1314 — 1344) 
„ der Herrin Maria nach Jerusalem geweiht“, d.h. wohl der Keniset 
Sitti Marjam im Kidrontale, deren westlichen Qnerfliigel die Abes- 
sinier innehatten, s. Ronpp Taf. 4 und S. 304 nnd vgl. Rahlfs Niss. 
n. Petr. S. 296. Die Isaias-Hs. ist , wie eben erwahnt, fiir einen 
Jerusalempilger geschrieben. Nur die Hs. der kleinen Propheten 
enthalt keinen Hinweis auf Jerusalem; doch darf man wohl ver- 
muten, dafi auch sie aus Jerusalem nach Rom gekommen ist. 

Die Reg.-Hs. hat Mahsanta-Marjam im Jahre 1637 nach Rom 
in das Abessinierkloster S. Stefano gebracht, damit sie dort als 
Druckvorlage diente, s. oben S. 184— 18G. tiber die Zeit, wann 
die iibrigen Hss. nach Rom gebracht sind, haben wir keine Nach- 
richten ^). Da sich aber die Texte so schbn erganzen (Glen. — Reg. 
IV und die Propheten, diese allerdings noch recht unvollstandig), 
so liegt die Yermutung nahe, daB sie nicht zufallig so znsammen- 
gekommen, sondern absichtlich zu einem und demselben Zwecke 


1) Dagegen wissen wir, dafi der SenOdOs (s. oben S. 163 u, o.) um dieselbe 
Zeit wie die Reg,-Hs. von Jeru.salera nach Rom gebracht ist. Abba Gregorius 
sagt bei Flemming 2, S. 97 Z. 4f. : „aus Jerusalem liabeu ihn die Munebe kurz 
vor dem Tode des Papstes Urban VIII [f 1644] gebracbt“. Xoch geuauer be- 
richtet V'ansleben in seiuem oben S. 168 beschriebenen „ Conspectus" auf S. 20: 
„Romam delatus eft a (piodam Monacho .Etbiope, Monafterij Gubae, HaUe 3lar- 
jam Tocato, ante annos circiter viginti-quin(iue“ [der „Conspectus“ ist von 1671 
datiert, aber yielleicbt schon 1670 gedruckt], Uber den abessiuiseben Munch, der 
ihn nach Rom gebracht hat, wissen wir sonst folgendes; k\bba Habta-Marjam 
von Dabra-Guba’e restanrierte laut einer insebrift bei Chaiue 8, .31 f. im Jahre 
1638 gemeinsam mit einem .anderen Abessinier auf eigene Kosten die Kirdie von 
S. Stefano. Er gehort zu den vier Abessiniern, wdehe das atbiopischo Gedicht 
vor lac. Wemmers’ 1638 in Rom erschieueuem athiopiseben I. exikon unterzeiebnet 
baben. Als Hiob Ludolf 1649 S. Stefano besuclfte, lebtc Ilabta-Marjam uocb, s. 
Ludolf Comm. S. 30. Zu Anfang des Jabres 1651 aber starb er an der Schwiml- 
sucht, s. Flemming 2, S. 92 Z. 9f., S. 96 Z. 3 f. 18—21, S. 97 Z. 6, 8. 100 Z. 18 
und den SebluB der soeben zitierten Insebrift bei Cbaine S. 32. Vgl. auch oben 
S. 185 Anm. 2. 



Uber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Eom. 199 

ausgewalilt worden sind. Ging man in Rom einmal mit dem, wie 
y. 185 f. gezeigt, gerade zu jener Zeit wohl begreiflichen Plane 
eines Druckes atMopischer Bibeltexte um, so wird man anch nicbt 
blofi beabsicbtigt haben, nur die Konigsbilcber zu drucken ; da das 
ganze Alte Testament mit Ausnabme des Psalters und seiner An- 
bange (Oden, Cant.) noch nicbt gedruckt war, ware eine solcbe 
Bescbrankung gerade auf die Konigsbiicber docb ziemlich sonder- 
bar gewesen. Vielmehr wird man einen Druck des ganzen Alten 
Testamentes oder der ganzen Bibel ins Auge gefafit und dafiir 
die notigen Vorlagen gesammelt baben. Dafi man aber nicbt gleicb 
das ganze Alte Testament zusammenbracbte, ist wobl erklarlicb; 
bat docb sogar Tasfa-Sejbn seinerzeit, als er den Druck des atbiopi- 
scben Neuen Testaments begann, nicbt einmal fiir dieses eine voll- 
standige bandscbriftlicbe Vorlage beisammen gebabt und daber die 
Paulusbriefe erst in einem ein Jabr spater erscbienenen Nacbtrage 
gebracbt‘), ja fiir groBe Teile der Apostelgescbicbte iiberbaupt 
keine Handscbrift besessen, sondern sie selbst aus dem Lateiniscben 
und Griechiscben ins Athiopiscbe iibersetzt'^). Icb nebme also an, 
dafi alle vier Hss. um dieselbe Zeit von Jerusalem nacb Rom ge- 
scbafl’t sind und samtlicb als Vorlagbn fiir den beabsicbtigten Druck 
des Alten Testamentes oder der Bibel baben dienen sollen, Und 
dafiir waren sie ja aueb sebr gliicklicb gewablt, da sie, wie wir 
saben, samtlicb gute alte Texte entbielten. 

Wesbalb dann aber aus dem geplanten Bibeldrucke nicbts ge- 
worden ist, wissen wir nicbt, wie wir ja iiberbaupt iiber den ganzen 
Plan aufier der Notiz des Mabsanta-Marjam keine Nacbricbt baben. 
Moglicberweise scbob man den Beginn des Druckes binaus, bis die 
V orlagen aucb fiir die iibrigeu Biicber des A. T. einigermafien voll- 
standig beisammen waren, und inzwiscbeu erkaltete der erste Eifer, 
was um so erklarlicber ware, als es sicb immer deutUcber beraus- 

li Siehe Tasfa-Sejoiis Xachwort zinii Neuen Testament Bl. 226 b; „epistoJa 
ad Sebrcsos j'uo loco non ejl, pofita est autem a ywbis ante acta apostoloram, hoc 
autein idea factum est, quia cum quatuor Eiiangelia, Apocalypfim, feptem cano- 
nicas epistolas, et apostolorum acta, typis iam ab hinc bknnio excudi fecerimus, 
Pauli epistolas Italice non hubebamus, ni/i illam quie est ad Hehreos, et idea, ne 
quis forte malus euentus facrum illiul opus prariperet, tunc und cum alijs im- 
prej'j'n cst'‘. 

2) Sielie Tasfa-SejCnis atbiopisclies Naehwort zur Apostelgescbicbte Bl. 157 a 
n Z. 7 — 11; in lateiuiscber t’bersetznng tindet man die Stelle bei Ludolf, Historia 
Aetbiopica ;^1661), Lib. Ill cap. IV § 11; „ljla Acta Apojtolorum maxima, fui 
parte verfa j'unt Bomce e linyud Eomund tboc ell Latina) et Greecd in JEthio- 
pieam, propter defectum Archetypi; id quod addidimus cel omifmus, condonate 
nobis, cos autem emendate illud.^ 



200 


Alfred Rahlfs, 


stellte, dafi eine Wiederaufnabme der Mission in Abessinien we- 
nigstens vorlaufig unmoglich war, und damit aueh der praktische 
Nutzen eines Druckes der atbiopischen Bibel in Wegfall kam^). 

Mahsanta-Marjam bat, wie wir saben (oben S. 185), am Scblusse 
seiner Notiz in der Reg.-Hs. ausdriicklicb bemerkt: „Sie ist das 
Eigentum Jerasalems. Wir werden sie zuriickgeben, nacbdem wir 
sie gedrnckt baben.“ Diese Notiz ist yermntlicb dadnrcb veran- 
laBt, dafi die meisten athiopiscben Hss. von S, Stefano nm jene 
Zeit (am 13. Mai 1638) in die Biblioteca Vaticana iiberfiibrt war- 
den, s. Cbaine S. 14 nnd vgl. aucb Abba Giregorius bei Elemming 
2, S. 96 Mitte: „Die im Vatican befindlicben [naml. atbiopiscben 
Biicber d. b. Handscbriften] babe icb nicbt geseben, aber icb babe 
mit eigenen Obren gehort, da6 viele scbbne Biicber vorbanden sind, 
welcbe einst atbiopische Moncbe, die vor uns da waren, mitgebracbt 
baben." Mahsanta-Marjam woUte dnrch seine Notiz wabrscbeinlich 
verhiiten, da6 die Reg.-Hs. gleicbfalls in die Vaticana iiberfiibrt 
wiirde nnd damit ibren rechtmaBigen Besitzern , den Abessiniern 
von Jerusalem, verlorenginge. Er bat diese Absicbt aucb erreicbt : 
die Reg.-Hs. ist ebenso wie die iibrigen uns bescbaftigenden Hss., 
die wobl aucb nur leibweise^) von Jernsalem nacb Rom gebracbt 
waren, in S. Stefano geblieben, was iibrigens aucb desbalb not- 
wendig war, weil diese Hss. eben als Druckvorlagen dienen sollten. 
Aber zum Druck ist es dann ja nicbt gekommen, und scbliefilicb 
ist aucb die Riickgabe nacb Jerusalem unterblieben. Und das ist 
fill’ die Wissenscbaft nur zum Segen gewesen. Denn in Rom und 
spater in England waren die Hss. den abendlandischen Gelebrten, 
die ja doch allein die atbiopische Wissenscbaft gescbaffen baben, 
viel leicbter zugiinglicb als in Jerusalem, wo die Hss. so gut wie 
sicher unbenutzt gelegen batten und wombgHch gar mit der Zeit 
verschoUen waren. Und die abendlandischen Grelehrten 
baben sich aucb in der Tat bald der Hss. angenommen und gerade 
diese Hss. in besonders ausgiebigem MaBe benutzt. 

Schon 1649 hat Hiob Ludolf bei seinen Besuchen in S. Ste- 


1) Yiellekht ist es aueh ^on Einflufi gewesen, daC Jlrihsanta-M.'iijam nieht 
gar lange naehher starb. Seiu Todesjahr kenuen wir zwar nicbt, docii war er 
scbon tot, als Ludolf 1649 die Abessinicr iu S. Stefano aufsucbte, s. Ludolf Comm. 
S. 30 und Gregorius bei Flemming 2, S. 96 Z. 19—21. 

2) Vgl. das, was Gregorius an Ludolf uber die Seu6d6s-IIs. von S. Stefano 
schreibt (Flemming 2, S. 89 Z. 9 — 11): „In betrelf Eurer Frage nacb dem Synodus: 
so steht es nicbt in meiner Macht, ibn Eucb nacb Venedig zu briugen, denn er 
ist Eigenthum der Kircbe von Jerusiilcm, und der Oborkouig von Atbiopien bat 
ibn gescbickt [naml. nacb Jerusalem]“. 



liber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zu Rom. 201 

fano mindestens den Oktateucla personlich in Augenschein genonunen 
(s. oben S. 164). Nach seinem Fortgang von Rom bat er sich dann 
dnrcb Abba Gregorius Ausziige aus den Bibelbss. nnd dem Senodos 
machen lassen, s. Gregorius’ Brief vom 4. Juli 1650 bei Flemming 
2, S. 85 Z. 27 — 29 : ,,V/as jene Vocabeln aus der Thora [d. h. dem 
Oktateuch], dem Jesaias und Sy nodes und andere Redensarten an- 
belangt, die Ihr mir besonders an das Herz gelegt habt, so babe 
icb getban, wie Ibr mir gesagt babt“, sowie Ludolfs Lexicon 
Aetbiopico-Latinum, ed. II. (1699), zweite Seite des „Catalogns 
librorum“, wo er die „Vocabula“, welcbe Gregorius exzerpiert bat, 
,.fed plane imperfecta^, unter den Quellen seines Lexikons anfiibrt. 
Auch hat Gregorius das dritte Kapitel der Genesis fiir Ludolf 
abgeschrleben (s. Flemming 2 , S. 92 Z. 19 und S. 106 Z. 6 f.) und 
ihm auf seine Anfrage einige, wenn aucb nur recht diirftige, Nach- 
richten iiber die Hss. gegeben (s. oben S. 165 f. 196). 

Viel wicbtiger und ertragreicber ist dann aber die Benutznng 
der Hss. durcb Tbeodor Petraeus im Jabre 1656 (s. oben S. 183) 
geworden. Denn dieser bat sie nicbt nur exzerpiert (s. oben S. 183 f., 
S. 189 Text und Anm. 2 und S. 196 Anm. 1), sondern aucb mehrere 
YoUstandige , wenn aucb kiirzere Texte aus ibnen abgescbrieben 
und dieselben nach der Heimkebr von seiner Orientreise in den 
Jabren 1660 und 1661 in Leiden teUs selbst veroffentlicbt , teUs 
seinem Freunde Nissel zur Veroffentlicbung iiberlassen. So sind 
scbon damals Gen. 1 — 4, das Bucb Rutb und die Bucher der 
vier kleinen Propheten loel, lonas, Sopbonias und Zacba- 
rias aus unseren Hss. herausgegeben , s. oben S. 182 f. 194 f. ' 

Bald darauf, im Jabre 1666, bat Jobann Michael Wansleben 
den ganzen Text des Oktateucbs und der Biicber Regum abge- 
scbrieben und 1670/71 in Paris Colberts UntcrstUtzung fiir eine 
Ausgabe dieser Texte zu gewinnen versucbt, jedocb vergeblicb, s. 
oben S. 167 f. Aus Wanslebens Abscbrift, die inzwiscben in den 
Besitz des Pariser Gelebrten Louis Picques iibergegangen war 
(jetzt Bibl. Xat., Etb. 1 und 2), bat dann 1683/84 Hiob Ludolf, 
gleicbfalls in der Absicbt, den Text zu veroffentlicben, den Penta- 
teucb und das Bucb losue teils selbst abgescbrieben, teils durcb 
seinen Sobn Christian abschreiben lassen; aber auch aus seinen 
Editionspliinen ist nichts geworden, sondern seine Abscbrift (jetzt 
Gottingen, Univ.-Bibl., Micb. 270 nnd Aetb. 1) bat nur nocb wei- 
tere Abschriften seiner Scbiiler und spaterer Gelebrten gezeitigt, 
s. oben S. 169 — 174. Docb hat Ludolf das Interesse an den Hss. 
auch spiiter nicht verloren, sondern sich um weitere Rachricbten 
iiber sie bemiibt. Hierauf bat er zuniicbst die falscbe Auskunft 



202 


Alfred Rahlfs, 


bekommen, welche er am Schlusse der oben S. 164 abgedruckten 
Stelle seines Comm, mitteilt, daB die Hss. in die Vaticana iiber- 
fiikrt seien. Nackdem er aber erfabren hatte, daB sie doch nock 
in S. Stefano waren, kat er 1694 und 1696 von dem rbmiscken 
Lector tkeologiae Jokannes Pastritius ein Verzeicknis der Hss. 
von S. Stefano erbeten nnd erhalten, welckes allerdings, da Pastri- 
tius kein Atkiopisch konnte, nur sekr summarisck ausfiel ; gleick- 
zeitig iibrigens kat Pastritius in die Hss. selbst, wenigstens in den 
Oktateuck and die Reg.-Hs., sowie auck in den Senodos kurze In- 
kaltsangaben eingetragen, die samtlick vom 20. Sept. 1696 datiert 
sind nnd uns dadurck den Nackweis ermoglickten , daB der Lon- 
doner Oktateuck damals in der Tat nock mit den in Rom ver- 
bliebenen Hss. der Konigsbiicker und des Senodos zusammen ge- 
wesen ist, s. oben S. 180 f. Endlick aber hat Lndolf im Jahre 
1700 durch seinen Netfen Heinr. Wilk. Lndolf nock eine et- 
was genauere Beschreibung der Hss. bekommen. Und diese kat 
er eigenhandig in ein spater in die Bibl. Nat. zu Paris gekommenes 
Exemplar seines Comm, eingetragen, um sie in eine eventuelle 
Neuauflage dieses Werkes aufzunehmen, s. oben S. 177 f. Diese Be- 
schreibung ist fiir unsere Untersuckung sekr wertvoll gewesen. 

Pastritius recknet in seiner ausfiihrlicken Vorbemerkung zur 
Reg.-Hs. mit der Moglichkeit, daB das Kloster S. Stefano die Hs. 
einmal verkaufen konnte, s. oben S. 184 Anin. 1. Hierzu ist es 
jedock nicht gekommen, vielmehr sind die Hss., nackdem im Jahre 
1731 das sckon seit mekreren Jakrzeknten nicht mekr von abessi- 
nischen Mbnchen bewoknte Kloster der Propaganda unterstellt war, 
in die Bibliothek der Propaganda uberfiikrt und kier von 
Adler, der 1780—1782 seine „biblisckki'itiscke Reise nach Rom“ 
mackte, nock samtlick gesehen worden, s. oben S. 191 f. Am An- 
fange des XIX. Jakrh., als die Propaganda zu Ehren ihres hock- 
verdienten Priifekten, des 1804 verstorbenen Kardinals Stefano 
Borgia, in ikrem flebaude das Museo Borgiano erricktete und 
diesem auck die bereits in ihrer Bibliothek befindlichen Hss. ein- 
verleibte, kamen auck die Hss. von S. Stefano in dies Museum, 
s. oben S. 193. Aber bald darauf warden sie arg dezimiert : ein 
Dieb stakl alle Bibelhss., mit denen wir uns besckaftigt kaben, 
mit Ausnahme der Reg.-Hs., die ikm wohl nur deskalb entging, 
weil er, durch den ihr aufgepragten Titel „MSS AETH | HIST. 
REGUM I ET CATALOG ] PONTIF.“ *) irregefiihrt, sie nicht als 
Bibelks. erkannte, vgl. oben S. 192 Text und Anm. 2. 


1) ..catalog 1 rOIiTIF.‘‘ erkliirt bich daraus, daJ] sich uuter den Zutaten 



L'ber einige alttestam. Hss. d. Abessinierklosters S. Stefano zuRom. 203 


So kamen nun der Oktatench und die beiden Prophetenhss. 
an den Londoner Buchhaiidler J. Smith in Drury Lane. Und 
dieser verkaufte um 1817 den Oktatench an die British Church 
Missionary Society, die ihn dann sehr bald an die British 
and Foreign Bible Society weitergab ^). Die beiden Pro- 
pheteuhss. aber verkaufte er gleichzeitig an den Oxforder Professor 
Richard Laurence, der aus der Is.-Hs. 1819 die Ascensio 
Isaiae, 1820 die Apokalypse des Esdras herausgab ‘und 
darauf beide Hss. 1822 der Bodleian Library zu Oxford 
schenkte, s. oben S. 190. 193. 

In neuerer Zeit sind dann die nach England gekommenen Hss. 
besonders von Dillmann ausgenutzt. Er hat 1848 die beiden 
Prophetenhss. in seinem Kataloge der athiopischen Hss. der Bod- 
leiana eingehend Leschrieben und sie spater seiuen Ausgaben der 
Ascensio Isaiae (1877), des loel (1879) und der Esdras- 
Apokalypse (1894) zugrunde gelegt; und ebenso hat er seine 
Ausgabe des Oktateuchs (1853—35) vor allem auf die Londoner 
Hs. gegrlindet; s. oben S. 1(56. 197. 

Die in Rom vetbliebene Hs. der Konigsbiicher blieb dagegen 
im Museo Borgiano versteckt, bis Ignazio Guidi sie wieder ans 
Licht zog und sein Schuler N. Roupp auf seine Anregung hin 
sie untersuchte und sie durch seinen oft zitierten Aufsatz, iu 
welchem er auch schou ihre Ideutitat mit der Vorlage Wanslebens 
nachwies, der gelehrten Welt bekannt machte. In neucster Zeit 
(im Mai 1902, s. Roupp S. 298 Anm. 2) ist sie in die Biblioteca 
Vaticana uberfiihrt. Roupp und Tisserant haben photogra- 
phische Proben aus ihr gegeben; Roupps vier TafeIn enthalten 
Reg. I 1 1-11 mit der oben S. 183 angefiihilen Notiz Mahsanta-Mar- 
jams, Reg. Ill 13 5 — is, Reg. IV li— « und die Schenkungsurkimde 
des Konigs 'Amda-Sejon; Tisserauts Taf. 62 enthalt Reg. I 29 10 
— 30 1. 30 3— 6. 


am bchlusse der Hs. auch eiii Verzeichiiis der judischen Huheiipriester lindet, s. 
Roup]) S. d'J'J. 301. 

1) Hierzu vgl. oben S. 191 Anm. 1. 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen 

Grossfamilie. 

Von 

Eduard Heriuann. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 17. Mai 1918, 

1. Die Cfrossfamilie. 

Wenn von der indogermanischen GrroBfamilie gesprochen wird, 
pflegt man auf indische, armenische, irische, slavische und albane- 
sische Verhaltnisse hinzuweisen (vgl. z. B. Schrader Reallex. 218 fg., 
Feist Knltur der Idg. 114) und die geringeren "Uberreste bei den 
Griechen , Romern und Germanen zu erwahnen. Die Zeugnisse 
lassen sich aber noch vermehren. Vor allem sind dabei die Iranier 
nicht zu ubersehen. GroBfamilie besteht noch heute, wie mir 
Andreas mitteilt, bei den Afghanen und Belutschen, s. Anhang. 
Dasselbe ergibt sich wohl auch mittelbar fvir die Osseten aus den 
Darstellungen ihrer Gewohnheiten bei v. Klaproth Reise in denKau- 
kasus II, 608 Anm,, Haxthausen Transkaukasia, Kovalewsky Cou- 
tume contemporaine et loi ancienne, droit coutumier o.ssetien eclaire 
par rhistoire comparee und aus der S. 210 genannten Schrift Schana- 
jevs. Auch die Parsen in Indien, die sich darin nach Spiegel Era- 
nische Altertumskunde III, 676 nicht von den alten Iraniern unter- 
scheiden, leben noch so. Elir die Kurden ist das sicherlich eben- 
falls anzunehmen, wie die Nachrichten v. Stenins Globus 70, 223 fg. 
nahelegen. 

Auch fiir die Balten gibt es Zeugnisse der GroBfamilie. Von 
den PreuBen kennen wir sie aus den Scriptures rerum Prussicarum 
I, 267. Von den Litauern ist mir ein solches direktes Zeugnis 
nicht bekannt, aber Nachklange finden sich vielleicht noch in den 
litauischen Dainas. In diesen Volksgesangen ist ein haufiges Motiv, 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 205 

da6 die Brant oder junge Frau iiber ihr schweres Los klagt. Zu- 
meist richtet sich die Klage gegen die Schwiegermutter , unter 
deren strengem Regiment sie zu leiden hat. Aber damit ist ja 
noch nicht gerade die GroBfamilie gegeben, ebenso wenig wie bei 
unsern Bauern, wenn die Jungveimahlte unter der auf dem Alten- 
teil sitzenden Schwiegermutter zu leiden hat. Bei Nesselmann 
Litauische Volkslieder lesen wir aber unter No. 229: uz anytel^ 
ugnuz(^ kursiu, uz moszyteles wandens parnesziu ‘fiir die Schwieger- 
mutter werde ich Feuer anmachen, fiir die Schwagerinnen (Rhesa 
moczutel^ ‘Mutter’ !) werde ich Wasser holen’. Das ist doch wohl 
am ersten aus der GroBfamilie heraus zu verstehen ; nicht die un- 
verheirateten Schwestern des Mannes werden friiher damit gemeint 
gewesen sein, die nichts zu befehlen haben, sondern die Frauen seiner 
alteren Briider; die Ehrenstellung in der Familie war ja bei den 
Indogermanen genau abgestuft, man denke an die Reihenfolge der 
Verheiratung und an die BegriiBung bei den Indern. Noch deut- 
licher ist No. 248: Tenay rasi dfwerelius, bernuzio brolytelius, 
deweruzelius, ne broluzelius, skaitys koju zingsnelius. Tenay rasi 
moszyteles, bernuzio sesereles, moszytuzeles, ne sesuzeles, n’atmis 
tawo wardeli. ‘Dort wirst du deine Schwager finden, die Briider 
deines Geliebten, deine Schwager, nicht Briider, sie werden die 
Schritte deiner FliBe zahlen. Dort wirst du deine Schwagerinnen 
finden, die Schwestern deines Geliebten, deine Schwagerinnen, nicht 
Schwestern, sie werden sich deines Namens nicht erinnern’. So 
scheint also die Daina noch Reminiszenzen aus einer Zeit zu be- 
wahren, als auch bei den Litauern die GroBfamilie zu Hause war. 
DaB diese SchluBfolgerung richtig ist, ergibt sich daraus, daB die 
rnssischen Volkslieder die Leiden der jungen Frau ahnlich besingen; 
bier ist aber die Beziehung auf die GroBfamilie durch die Ver- 
bal tnisse selber gegeben. Die oben erwahnte Rhesasche Variante 
beweist aber, daB die Litauer den Inhalt solcher Lieder nicht mehr 
verstehen. 

Fiir die Kelten ist nicht nur auf die Iren hinzuweisen (Schrader 
Reall. ^ 219, Hirt Indogerm. 422) , sondern auch auf die Kymren 
(Walter Das alte Wales 143, 438, 440). 

Auch Deutsche wohnen heutzutage noch in GroBfamilien zu- 
sammen. Ich denke dabei nicht an die Gemeinderschaften der Schweiz, 
auf die z. B. in G. Kellers Novelle ‘Das verlorene Lachen’ ange- 
spielt zu werden scheint, sondern an die Verhaltnisse bei den Wolga- 
deutschen. Diese sind aber nicht etwa ein altgermanisches ErbteU, 
sondern nur durch die Landverteilung bei der Ansiedelnng durch 
erzwungene Nachahmung russischer Sitte entstanden, fiir die wir 



206 


Eduard Hermann, 


keine anschaulichere Darstellang haben als die in Maxim Q-orkijs 
kurz vor Kriegsausbrucb entstandenem Roman Detstvo. 

WennTacitns die GroBfamiKe bei den Germanen nicbt erwabnt, 
so ist das nocb kein Beweis dafiir, da6 dieser romische Schrift- 
steller sie bei unsern Vorfabren nicbt gekannt bat. Vermntlicb 
waren ibm solcbe Yerbaltnisse von Rom ber bei seinen Landslenten 
nicbt nngelanfig. "Wenn nun etwa ancb bei den Germanen damals 
abnlicb wie in Rom die GroBfamilie binter der Einzelfamilie zu- 
riicktrat, so fiel das dem Ebmer so wenig auf, daB er in seiner 
Germania dieser fur nns wicbtigen Sonderbeit nicbt Erwabnnng 
tat. Ebenso mag e.s bei andern Scbriftstellern des Altertnms ge- 
wesen sein, so etwa bei Caesar da, wo er von den Germanen nnd 
den Galliern spricbt. TJberbanpt wird in Rom nnd in Griecben- 
land die GroBfamilie nicbt so gar selten gewesen sein, wie es ibre 
vereinzelte Erwabnnng erscbeinen laBt. 

Enter den Zeugnissen fur Griecbenland wird die Nacbricbt, 
daB in Atben der vaterlicbe Grofivater seiner Enkelin eine Mitgift 
geben mufite, mit B. W. Leist Graecoitalische Rechtsgeschicbte 75 
dahin anfzufassen sein, daB zu jener Zeit der verheiratete Sobn nicbt 
mebr in der Gewalt des Vaters stand; aber diese Sitte ist, wie 
icb glaube, ein Uberrest aus einer andern Periode, wo der verbei- 
ratete Sobn der Gewalt des Vaters nocb nicbt entriickt war, wo 
er nocb aUgemein in der GroBfamilie verblieb. 

Wenn sicb nun so die GroBfamilie in weiterer Ausdebnung 
nacbweisen laBt, als das bisber der FaU war, so mbcbte icb im 
Gegensatz zn Feist a. a. 0. glanben, daB sie bei den Erindoger- 
manen die gewbhnlicbe Form derFamilie war und daB die Griecben, 
Romer und Germanen am frubesten von dem alten Zustand abge- 
wichen sind. Bei den Griecben und Germanen, bei denen das 
Streben nacb individueller Freibeit aucb sonst besonders bervor- 
tritt, werden wir das Eberbandnebmen der Sonderfamilie aus diesem 
Gesichtspunkt bcraus leicbt begreifen. Zu meinem obigen ScbluB 
veranlafit micb aucb eine Bemerkung Wesnitscbs iiber die ser- 
biscbe Familie in Montenegro Zeitscbr. f. vergleicb. Recbtswissensch. 
9,4:7: „Der einzelne fiir sicb lebende Menscb mit seiner Frau und 
seinen Kindern und obne den Bund mit einem Stamm oder mit 
einer Familiengenossenscbaft ist in Montenegro und in den umlie- 
genden Distrikten gar nicbt zu finden, er wlirde den dortigenVer- 
baltnissen widersprecben. Ja, wenn sicb ein solcher fande, so 
miiBte er sicb an einen von den vorbandenen Stammen anscbliefien, 
und zwar nicbt aus dem Grunde, weil dies ein Gesetzesgebot ware, 
sondern weil es seine Lebensinteressen erbeischen. Die Mitglieder 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 207 


der I’amiliengenossenscliaft sind einander zu jeglicher Hiilfeleistting 
verpflichtet“. Sollte es bei den Urindogermanen nicht ahnlich ge- 
wesen sein? 

2 . Sianotva. 

DaB SieaoLva als Femininnm zu dem Maskulinum 
gebort, laBt sick nicbt gut bezweifeln. Aber die Laute wollen 
nicbt stimmen. Aus *dE67toTvia kann Si6itoiva nicbt entstanden 
sein, jene altere Form batte nur *Ss 0 :T 6 tvicc liefern konnen, wie 
ja das Femininum zu noSig in der Tat jtoTvia lautet, und das ist 
durcbaus die Form, die man zu erwarten hat. Das Altindische, 
Avestiscbe und Altlitauische lehren gemeinsam, daB die Fran des 
Haushaltungsvorstandes der indogermanischen Familie, bez. GroB- 
familie *potm hieB, liber dessen Bildung man Brugmann Grundr.^ 
II 1, 215 vergleicbe. Da wir im Griechischen statt -7 stets -la 
vorfinden, mlissen wir im Gricbischen jedenfalls von *jtotvuc aus- 
geben, und statt dieses i erscheint binter zwei Konsonanten regel- 
maBig i als Vokal. Demnacb ist jrdri'toc die lautgesetzlicbe Form. Will 
man fax ds 6 :iotvK einen etymologiscben Zusammenbang mit dfffjto'Tj;? 
und rtdffig nicbt iiberhaupt aufgeben, dann muB man versuchen, 
seine Lautgestalt mit Hiilfe der Analogic zu erklaren. DaB die 
Analogic bier eingriff, ist ganz besonders leicbt verstandlicb ; denn 
eine Femininbildung auf -via gab es sonst nur von Ji-Stammen. 
Im Baltiscben ist ja dieses absonderlicbe Femininum ebenfalls ver- 
andert worden. Aus dem altlitauischen wieschpatnl (Mit. lit. lit. 
Ges. 5, 164) ist jetzt vcszpafi geworden, und so heiBt entsprecbend 
der Akkusativ scbon im PreuBischen ivaispattin. 

Einen Halt hiitte * 8 e 0 u 6 tviu allenfalls noch gebabt, wenn das 
Maskulinum *d£U3roUtg gelautet batte und notvia in der Bedeutung 
das Femininum zu it6<sig gewesen ware. Beides ist nicbt der Fall. 
Die Entwicklung der Bedeutung batte jtoGig und noxvia ausein- 
andergerissen , s. Delbriick Verwandtscbaftsnamen 41 fg. Nocb 
konnen wir aber erkennen, dafi Jt6rvi,a einmal ‘Ehefrau’ bedeutet 
baben muB. Unter den Gottinnen hat bei Homer vor den andem 
besonders diejenige das Beiwort norvia, welche als Gattin und ge- 
wissermaBen als *}w(in der Gotterfamilie, wenn icb so sagen darf, 
gedacbt wird : die (iounig TtoTtvuc'HQi], Die adjektivische Verwendung 
gerade bei spricbt ebenfalls fiir diese altere Bedeutung. Wie 

man im Indogermanischen dazu kam, zu dem Maskulinum * pot is 
das Femininum *potm zu bilden, entziebt sich ganz unsrer Beur- 
teilung. Im Griechischen konnte sich neben d$0n6rr]g die Bildung 
* 8 E 67 c 6 tvia jedenfalls nicbt balten, zu einem Wort auf -tijg gab es 



208 


Eduard Hermann, 


sonst nie ein Femminnm auf -tvia. War es da so merkwlirdig, 
da6 man das Wort volksetymologisch an novog anlehnte nnd *ds- 
(jjcovici daraus machte, woraus dann dESTtoiva werden muBte? DaB 
der Frau des Hansherrn die Leitung der Arbeiten zukam, seken 
wir ja an Penelope bei Homer nnr allzu deutlich. 

3. Witwe. 

Delbrlick hat Verwandtschaftsn. 391 fg., 442 fg., 553 fg. anf 
die merkwilrdige Tatsache hingewiesen, dafi die Vergleichung der 
indogermanischen Spracben wohl ein Wort fiir Witwe, nickt aber 
eins fiir Witwer rekonstrnieren laBt, nnd sie daraus erklart, daB 
es der Frau verboten war, sick nack dem Tode des Mannes wieder 
zn verkeiraten , wakrend die Wiederverkeiratung des Mannes als 
etwas ganz Naturlickes betracktet wurde. Dem liiBt sick nock 
kinzufugen, daB nack Mann V, 168 nnd Yajnavalkya I, 89 der Witwer 
sogar die Pflickt kat, als bald nack der Verbrennung desLeichnams 
seiner Gattin eine andre Frau zu nehmen. Den von den Sprack- 
forsckern gesammelten Stellen, die eine zweite Heirat der Frau 
ausscklieBen , diirfte nock anzureihen sein, daB bei den Osseten 
eine Witwe, die Kinder hat, nickt wieder heiraten darf (Haxt- 
hausen Transkaukasia 11,21); dasselbe gait bei den Parsen nock 
im 17. Jakrkundert (Menant Les Parsis I, 173). Oifenbar jiinger 
ist die von Andreas fiir die Osseten erforsckte jetzige Sitte, s. An- 
kang. Diese iraniscke Einsckrankung ist iiberkaupt natiirlick das 
Altere. Nickt jeder Witwe war die Wiederverkeiratung verboten, 
nickt der soknlosen , weil die Witwe dem soknlos verschiedenen 
Mann durch eine zweite Heirat kiinstlich nock zu einem Sohn zu 
verkelfen katte. Es gab also bei den TJrindugermanen , wie Del- 
bruck ricktig erkannt hat, nur Witwen, aber keine Witwer, darum 
konnte es auch keinen spracklicken Ausdruck fiir Witwer’ geben. 

Nun kat Lommel Studien iiber indogermaniscke Femininbil- 
dungen 21 fg. zu erweisen versucht, daB '^HuilicHd Witwe’ zwar 
kein Maskulinum *Hi<lhcuos neben sick gekabt hake, daB aber ein 
Adjektivum *iii<lhcijos ‘gattenlos’ vorkanden gewesen sei. Das will 
mir nickt einleuckten. Ich verstehe wokl, daB z. B. oQua nur im- 
perfektiv , sldov nur perfektiv ist und daB in mancken Forma- 
tionen gewisse Anwendungen und Bildungen nickt gebrauckt werden ; 
warum aber zu dem Adjektivum *mdheHos eine Substantivierung 
nur im Femininum moglich gewesen sein soli, ist mir unfaBbar. 
Nack Lommel bedeutete das Adjektiv ‘gattenlos’, das ist aber, 
wie er selber ausfuhrt, nickt nur ‘verwitwet’, sondern auch ‘nock 
mckt verkeiratet’, ‘vom Gatten verlassen’, ‘okne Beisckliiter’. Diese 



Sachliches und Spraohliches zur indogermanischen GroBfamilie. ^09 

Eigenschaften lassen sich doch ebenso gut auf den Mann wie 
auf die Frau beziehen. War aber *iiidlieiios als Maskulinform 
iiblich, so wird es ebenso wie das Femininum nicbt nur als Ad- 
jektiy, sondern auch als Substantiv gebraucht worden sein. Man 
mufi sicb das nur an einem andern Beispiel klar macben, das 
Lommel in demselben Zusammenbang S. 21 nennt : spowsa ist schon 
bei Terenz, sponsas erst bei Cicero bezeugt, das Maskulinum ist 
also jiinger. Hier liegt die Sacbe aber docb erbeblicb anders. Das 
Part. Pf. von spondere war, auf Menscben angewandt, nur bei der 
Braut mbglicb : der Brautigam wird nicbt ‘versprocben’, aucb wenn 
er nocb im Hause seines Vaters lebt; nur die Braut wird ver- 
sprocben. So ist iponsa zunacbst Partizip-Adjektiv, wird aber dann 
Substantivum, und erst als solcbes, in der Bedentung ‘Braut’, kann es 
ein Maskulinum dazu erbalten. Warum aber *aidheuos nicbt ebenso 
wie *uidliVHa batte Substantiv sein konnen, ist mir unerfindlicb. 
Lommels ScbluBfolgerung ist also vermutlicb unricbtig. Nicbt die 
Bedeutung, sondern der sjntaktiscbe Giebraacb von ijtO-fos batte 
ihn leiten sollen. ist nur Substantiv, und das ist nie anders 

gewesen. Im Urindogermaniscbeu gab es nur das Femininum 
*uidlieafi, und zwar nur als Substantivum in der Bedeutung ‘Witwe’. 
Im Griecbiscben ist dazu ein Maskxilinum gebildet worden, das 
wir in der Bedentung ‘Junggeselle’ kennen; die Zwiscbenglieder 
lassen sicb verscbieden denken. Es mag z. B. sein, daB das Femi- 
ninum die Bedeutung ‘Jungfrau’ bekam und daB dazu ein Masku- 
linum ge.«cbaifen wurde. Das russiscbe vdovyj ist ebenfalls erst 
eine junge Bildung. Es entstand auf dem Wege, daB vdova auch 
als Adjektivum gebraucht und diesem dann ein Maskulinum bei- 
gesellt wurde. Sollte dieses Maskulinum seinerseits substantiviert 
werden, so gescbab es in derselben Weise wie bei andem Adjek- 
tiven, namlicb durcb eine Bildung auf cc'b. Die slavischen Sprachen 
stimmen aber nicbt einmal alle darin iiberein; es gibt nicbt bloB 
Bildungen, die wie das russiscbe rdoicch auf vhdovhi'h zuriickgeben: 
im Serbischen baben wir ein Maskulinum zu vhdoca (serb. ttdova) 
in der Form ndoc. Das lateinische vidims erweist sicb schon aus 
dem Gebrauch sowohl als Substantiv wie als Adjektiv nacb den Aus- 
fuhrungen Delbriicks 444 fg. als jiinger. Ich glaube also, wir konnen 
ganz getrost sagen, *Hidhenu war nur Femininum und nur Sub- 
stantiv. 

Man konnte sicb damit und mit der Delbriickschen Erklarung 
begniigen und allenfalls nocb hinzufiigen, daB bei den vielen kriege- 
rischen Ereignissen alter Zeiten sebr viel haufiger der Gatte vor 
der Gattin den Tod gefunden baben wird als umgekehrt. Aber 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist, Klasse, 1928. Heft 2. X4: 



210 


Eduard Hermann 


die Etymologie zwingt, glaube ich, noch etwas weiter Umschau 
zn halten. Gefnnden hat sie Roth KZ 19, 223, indem er *uidheua 
zu ai. vidh ‘leer sein von, einer Sache ermangeln’ gestellt hat. Mir 
scheint aber noch nicht recht erkannt zu sein, wessen sie erman- 
gelte. Man stellt sich wohl vor, dafi die Witwe eben ‘des Gatten 
entbehrte’. Aber welchen Sinn hat das fiir indogermanische Zeiten? 
Soli es heiHen, dafi sie auf den GeschlechtsgenuB fortab verzichten 
mufite? Wlirde man das nicht vielleicht damals mit derber Deut- 
lichkeit genauer ausgedriickt haben? Oder soil es heiBen ‘die 
Schutzlose’ ? Stimmt das? Verblieb sie nicht in dem Schutz der 
GroBfamilie, in die sie hineingeheiratet hatte? leh glaube aller dings, 
daB mit *ifidhctja die ‘Schutzlose’, ganz besonders z. B. die Witwe 
des Haushaltungsvorstandes, die gewesene und abgesetzte *potht, 
hezeicbnet wurde. Man muB sich nur richtig klar machen, wie e.s 
wohl einer solchen Frau gegangen sein wird. 

Die *potn% als Gattin des Haushaltungsvorstehers war den an- 
dern Frauen der GroBfamilie gegeniiber die Herrin, und sie lieB 
das die andern wohl meist gehorig fiihlen. Man braucht bloB 
einmal zu lesen, wie es noch bei den Osseten zugeht. Nach Scha- 
najev, Sbornik svedenij o kavkaskich gorcach IV, 10 gebietet die 
Schwieger ganz unumschrankt iiber die Schnur, zumal in der ersten 
Zeit nach der Hochzeit. Erst allmahlich verbessert sich die Stel- 
lung der jungen Frau. Bei den Ilrindogernianen ist das zweifellos 
um kein Haar besser gewesen. Die jiingeren Frauen batten unter 
dem Regiment der Hausherrin mehr oder weniger zu seufzen. 
Starb dann der Hausherr, so wurde sie ihrer Wiirde als Haus- 
herrin entkleidet. Die neuo Herrin aber, die bisher nnter schwerem 
Druck zu gehorchen hatte, lieB das die bisherige *potnl entgclten. 
Da war diese allerdings ‘vereinsamt’ und ‘leer’, sie ‘ermangelte’ 
jetzt der machtigen Stellung. Ihre Lage war wirklich nicht 
beneidenswert. War es da ein Wunder, wenn sie ihrem Mann 
.sogar in den Tod folgte? Sollte sich nicht von bier aus die Sitte 
erklaren, daB bei gewissen Stammen die Witwe den Tod des 
Gatten nicht uberleben durfte? 

Aber auch die Witwe eines Mannes, der es in der GroBfamilie 
noch nicht bis znm Hausherrn gebracht hatte, war nicht viel besser 
daran. Auch sie war die ‘Fremde’ innerhalb der Blutsv^rwandten, 
die nun an dem Gatten keine Stiitze mehr hatte ; bezeichnet man 
doch auch jetzt noch die V erwandtschaft der Frau im Russischen 
als ‘die fremde Seite’ ciiiaja storona. Wie schlecht in Indien die 
Witwe behandelt wird, legt Jolly GrundriB indo-ar. Phil., Recht 
und Sitte, 69 fg. dar. 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 211 

Von Karl Fritzler habe ich mir sagen lassen, daB bei den 
GroBrussen wie bei den benacbbarten tatariscben Stammen anch 
in der Einzelfamilie die Witwe eines mnzik immer das fiinfte Rad 
am Wagen ist, sie bat nirgends mehr etwas zu sagen. Er konnte 
mir folgenden Fall erzablen, den er gerade von einem gefangenen 
russischen Studenten, dem Sobn eines Bauem aus Saratov, gebort 
hatte. Die Scbwester des Gefangenen war verwitwet. Da ver- 
scbiedene Verwandte im Dorfe sie nicbt leiden konnten, wnrde 
sie nicbt selbst Vormund ibrer Kinder, sondern der Bruder ibres 
Mannes. Als sicb dieser nicbt nm die Kinder bekiimmerte, er- 
reicbte sie zwar, daB ein andrer Mann aus dem Dorf znm Vor- 
mnnd bestimmt wnrde ; aber es ward nicbt besser. ScbReBlicb 
wurde die alteste Tocbter znm Vormund iiber die kleineren Ge- 
schwister eingesetzt. Ganz typiscb ist es nacb Fritzler, daB eine 
alleinstebende Witwe im ganzen Dorf verfolgt wird. Jeder glaubt 
sie beleidigen zu diirfen. Kommt ein Betrunkener in den Ort, 
danu muB sie ibn aufnebmen nnd bewirten. Uberall wird ibr ein 
Scbabernack gespielt, bis allmablicb ibre Kinder groBer werden nnd 
der alteste Sobn, obwobl nocb nicbt gesetzlicb, aber in der Tat 
als mnzik auftritt und sie scbiitzt. Die Witwe ist also so unter 
den russiscben Bauern die Schntzlose. Und dieser Sinn wird eben 
aucb binter dem indogermanischen *aidlieud ‘die Ermangelnde’ stecken. 

4, Die Eltern. 

Die Ansichten daiiiber, ob es im Urindogermanischen eine Be- 
nennimg fur das Elternpaar gegeben hat, geben anseiijander. Del- 
briick (Verwandtsch. 452) ist geneigt die Frage zu bejahen, Schrader 
(Reallex.‘ 182, Spracbvergl. 306) und Feist (Knltur 105) verneinen 
sie. Am weitesten in der Verneinung geht Schrader Reallex. 182, 
wo er das Feblen des Begriffs Eltern aus der verschiedenartigen 
Stellung des Vaters und der Mutter den Kindern gegeniiber zu 
erklaren versucht. Diese kulturgeschichtlich weitgehende Folge- 
lung bat Feist abgelebnt; wie ich meine, mit Recht. Die Einzel- 
volker baben ja alle eine zusammenfassende Benennung fiir die 
Eltern, wenn es aucb nicbt immer ein besonderes Wort ist; bei 
mancben der historiscben indogermanischen Volker wird die Stel- 
luiig des Vaters aber kaum weniger uberragend gewesen sein als 
in urindogermanischen Zeiten. Bei den Romern z. B. hatte der 
2)at('r faniilias ja sogar das Recht iiber Leben und Tod der Frau, 
und doch gab es das Wort purcntvs. DaB man Vater und Mutter 
in der Familie in gewissser Beziebnng gleichhoch bewertete, ergibt 
sicb daraus, daB die *potni nacb dem *-potis benannt war; oder 

14* 



212 


Eduard Hermann, 


wenn man dieses Beweisstiick allein noch nicht anerkennen will, 
wird man gegen das Wortpaar ^sijelcuros und *suelinls nickts ein- 
wenden konnen. Damit ist jedenfalls die Ansicht widerlegt , daB 
die Indogermanen den Begriff Eltern iiberhaupt nicht gehabt haben 
kbnnten. 

Eine andre Erage ist, ob sie fiir diesen BegrifF anch einen 
sprachlichen Ausdruck batten. Die Vergleichung der Sprachen 
vermag nicht, ihn nnmittelbar zn liefern. Den yedischen Dual 
pitnrcL darf man nicht etwa mit den Pluralformen Ttars^sg, lat. 
patres auf eine Stnfe stellen, nm daraus den Dual des Wortes 
‘Vater’ als indogermanische Bezeichnung fiir die Eltern zu rekon- 
strnieren. Das griechische wie das lateinische W ort sind nur ganz 
vereinzelte, spat belegte Ansdriicke, s. K, Meister Latein.-griech. 
Eigennamen 1, 123 und 126. Gleichwohl sehe ich in diesem Dual 
ein altes Wort fiir ‘Eltern’, Zu dieser Annahme glaube ich mich 
durch eine tJberlegung berechtigt, die auch Delbriick schon an- 
deutet. Ein zusammengehbriges Paar wurde bei verschiedener Be- 
nennung der Einzelteile entweder durch das Dvandvakompositum 
des Duals beider Worter oder durch den elliptischen Dual aus- 
gedriickt (Delbriick Altind. Synt, 98, Vgl. Synt. 1, 137 fg., Eest- 
gruB an Roth 15 fg., Brugmann, Grrundr.- II, 2, 458), Da nun 
nach Ausweis von *sij.phiroft: *sijeh-a-. und '*potk: pohn Vater und 
Mutter im SprachbewuBtsein als etwas Zusammengehdriges auf- 
fafibar waren, wird man gar nicht darum herum kommen, den 
Dual von ‘Vater’ als Ausdruck fiir Eltern anzusetzen. Dieser 
Dual ist mit Ausnahme des Altindischen allerdings verloren ge- 
gangen, wie das dem elliptischen Dual iiberhaupt meist so gegangen 
ist. In den andern Sprachen traten zumeist Worter dafiir ein, 
die zu Verben mit der Doppelbedeutung ‘erzeugen’ und ‘gebaren’ 
gehoren, wie lat. jiarenfes (Meister 124), Toxfjsg (iiber homerisch 
T03f}> s. Wackernagel Sprachliche Unters. Homer 64 fg.), yovsig, abulg. 
roditelja. Auch das litaui.sche (jmuhjtojni wird dahin gehoren wegen 
seiner mannlichen Form, obwohl (jhndyfi nur ‘gebaren’ zu bedeuten 
scheint. 

Anders liegt es aber mit dem altindischen Dual mdiciydu] das 
ist doch das genaue Gegenstiick zu pifamu. Und dieser Form 
steht das gotische hertisjos nahe. Hier liegt eae von Haus axis 
feminine Bildung vor, vgl. Brugmann Grundr.^ II, 2, 458, es ist 
zweifellos das Femininum zu einem verloren gegangenen Partizi- 
pium des Verbums hairan ‘tragen’. Mit Recht hat, wie ich meine, 
Brugmann IF 24, 168 Anm. daran erinnert, daB in hprusjoi^ der tlber- 
rest eines elliptischen Duals wie bei maiamu vorliegt. Wenn Janko 



Sachliches uiid Sprachliches zur iadogermanischen GroBfamilie. 213 

IFA 27, 39 auch formell darin einen Dual mit einem Plural-s sieht 
so kanu ich ihm allerdings ebensowenig folgen wie in der Annakine, 
dafi cech. rodict ‘die Eltern’ als ‘die beiden Gebarenden’ aufzufassen 
sei, wahrend es abulg. raditelja zu vergleichen ist. nidtarau und 
henidjos heiBen eigentlicb ‘die beiden Mutter’, das ist als Bezeick- 
nung fiir ‘die Eltern’ in indogermanisclien Sprachen etwas so Un- 
gewobulicbes, daB man auf gemeinsamen Ursprung schlieBen darf. 
Danach gab es fiir ‘Eltern’ im Urindogermaniscken neben dem el- 
liptiscben Dual *pc,tere auch den elliptischen Dual *mdtere, der im 
Gotischen durch herusjus ersetzt ist. Das von Meister 121 erwahnte 
iiutirkes auf einer vuigarlateinischen Inschrift (Diehl 204) wage 
ich dagegen nicht hiermit in Verbindung zu briugen; es scheint 
mir lediglich eine Augenblicksbildung zu sein^). 

Das Eigentiimliche und uns Befremdende an der Ausdrucks- 
weise ist die Bevorzugung des Eamens der Mutter. Das hangt 
aber mit einem andern Problem zusammen, der Voraussetzung des 
unwichtigeren von zwei Begriffen, z. B. in dem altertiimlichen 
CWackernagel SBA 1918, 408 fg.) sanskritischen matarapilaraii fiir 
■Eltern', s. Delbriick Synt. Eorsch. 5, 98. Andreas erinnert mich 
an av. posiiard (pasuvim) usw., dem Bartholomae Altir. Wb. 1453 
Ovids jjc'iades lironque und Wackernagel KZ 43, 29(3 VergUs ai mentu 
vbvstiue zur Seite gestellt haben, und fiigt als Erklarung hinzu, daB 
man iiberhaupt nicht erwarten diirfe, das begrifflich Wichtigere 
gerade an der ersten Stelle zu finden, die Starke des Nachdrucks 
konne sick von alters her duck auch in aufsteigender Linie bewegt 
haben. Die Sache verdient eine weitere Grundlage, als ich sie heute 
geben kann; ich erinnere nur an sniiufatarungo im HUdebrandslied, 
an niutrem d patrcDi Plant. Capt. 549 und die andern Beispiele bei 
Meister 120 fg., an kleinruss. sribh-xloto ‘Gold undSilber’ in Sevcenkos 
Gedicht Hamalija (Berneker, Slav. Chrestom. 143) usw. Auch unser 
Geschwiater, das Delbriick Rothfestschrift 17 behandelt hat, gehort 
hierher. Spielt auch der Rhythmus eine Rolle dabei? DaB aber 
auch ganz andre Griinde maBgebend sein kdnnen, lehren die Ver- 
bindungen von Nacbt und Tag sowie von Winter und Sommer. 


1 ) iSetho macLit mich darauf aufmerksam , daB im Aj,n'ptischen in gewisser 
Hiiibicht ahuliche elliptische Duale des Femininunis gebrauclit werden und daB 
sich auch die Worlstellung Mutter und Vater helegen laBt (Sounenhymnus Ame- 
nophis’ IV, N. Davies, Ainarna 4, 32), die uach Andreas im Tiirkischen das Ubliche ist. 



214 


Eduard Hermann, 


5. Die Grosseltern. 

Wahrend eineBezeichnungderScliwiegereltern nnd derSchwager- 
schaft fiir die Vcrwandten der Frau von alters her gar nicht vor- 
handen ist, fallt fiir die Kinder die Scheidewand zwischen denVer- 
wandten des Mannes nnd der Frau in dcr Benennung der GrroBeltern, 
des Muttersbruders und derEnkel, Netfen, Nichten. Dafi bier die Ver- 
wandtscbaft der Frau als ‘Verwandtschaft’ gilt, ist nur zu natiirlich. 
Wenn auch der Mann in dem Yater und der Mutter seiner Frau 
noch nicht seinen Sclitciilter und seine S<‘hicii ger sah, so war fiir 
seine Kinder die Sache doch anders : die Eltern der Mutter waren, 
wenn sie mit ihr zu diesen kamen — und das geschah doch na- 
tiirlich — ebenso blntsverwandte GlroBeltern wie daheim die Eltern 
des Yaters. Fiir die GroBeltern des Mannes gab es vielleicht 
von Hans aus, abgesehen von Lallwortern, mehrere Benennungen, 
oft mbgen die Ausdriicke *jwtis und *potni geniigt liaben, vgl. Del- 
briick 483. Daneben mag indes noch eine andre Bezeichnung her- 
gegangen sein, die sich gelegentlich vielleicht auch auf die Ur- 
groBeltern erstreckt haben kann ; ‘der Alte’ und ‘die Alte’. Das 
Wort dafiir war da.«selbe, das in unserm AJm steckt, ahd. cum, 
f. (iva, ein Y^ort, zu dem preuB. u»c ‘GroBmutter’, lit. cuigta 
‘Schwiegermutter der Frau’, arm. aner ‘Yater der Fran' gr. uvinq' 
gtjTQog i; ;r«rp6g g^jrrjQ Hesych. und lat. cuuis ‘alte Fi'au’ gehoren. 
In manchen Sprachen sind andre Worter fiir alt an die Stelle ge- 
treten wie lit. amis ‘GroBvater’ usw. Das litauische run)(a und das 
arm. ancr bezeichnen nicht mehr die vaterlichen Grofieltern, sondern 
sind auf andre Yerwandte in leicht verstiindlicher Weise iibertragen ; 
beide lehren aber, daB derAusdruck von Haas aus den Yerwandten 
des Mannes zukommt, lit. angtu zeigt es direkt, arm. cumr, wie 
M. E. Schmidt KZ 47, 189 dargelegt hat, indirekt: fnmr, idg. *(tiicros 
ist ‘etwas wie der Alte’, ‘etwas wie der (niimlich vaterliche) GroB- 
vater’, d. h. ‘der miitterliche GroBvater’. 

Fiir die Grofieltern miitterlicherseits gab es im Urindogerma- 
nischen eine andre Bezeichnung, und zwar, wie ich glaube, die 
beiden Worter, die wir im Lateinisehen als «i7(.s und ru'/rt antrefPen. 
Die zwei lateinisehen Ausdriicke werden allerding.s fiir die beider- 
seitigen Grofieltern angewandt, aber das muB etwas Sekundares 
sein, die etymologisch dazugehorigen Worter zeigen deutlich, daB 
mit dem Stamm *a(t- zunachst nur Yerwandte der Frau gemeint 
sein kbnnen. Das sind lat. avunculus ‘der Mutter Bruder’ und in 
derselben Bedeutung ahd. ryheim l^aunyaiyyui- ‘der beim GroBvater 
Wohnende’), lit. ctignas, pr. atris, slav. iijb ferner lit. ura 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 215 

‘IMutterschwester’, walirend korn. euiter auf beide Obeime geht nnd 
die genaue Bedeutung des got. awo ‘Grofimutter’ unbekannt ist. 
Ich stimme also mit Delbriick 482 fg. iiberein, lasse es aber dabin^ 
gestellt, ob wirkUcb von Haus aus ‘Gdnner’ bedentet bat, 

6. JEnTiel. 

tiber *nei)ot, *nepti weiB icb kaum etwas Neues zu sagen. 
Unterdriicken will ich aber nicht, dafi mir Delbriicks Ansicbt 
(S. 504), die ntpotts seien urspriinglich nur die Enkel gegenliber 
dem Vater ihrer Mutter und die Neffen gegenliber dem Bruder 
derselben gewesen, nicbt ganz gebeuer vorkommt. Es ist nicht 
nur der TJmstand, dafi fllr die Enkel und NelFen mannlicherseits 
keine rechte Bezeicbnung iibrig bleibt; man darf docb aucb nicht 
vergessen, dafi in keiner Spracbe *nepot, *nepfi die Kinder der 
Tocbter ausscbliefilicb oder iiberwiegend bedeuten, sondern dad 
nur die Bedeutung ‘Scbwestersobn’ da und dort in den Yorder- 
grund tritt. Icb mocbte dies daher docb eher fiir eine Bescbran- 
kung balten, die sich einstellte, weil fur die verwandten Kinder 
mannlicherseits neue Bezeichnungon aufkamen. 

Zu diesen zable ich aucb unser Wort Enl;d , ahd. enincliili. 
Tiber sein Verbaltnis zu den baltisch - slaviscben Wbrtern , deren 
lautlicbe Scbwierigkeiten Briickner Gesch. idg. Spracbwissensch. II, 
3, SS. 8, 47, 104 neuerding.s wieder bervorhebt , obne sie zu besei- 
tigen, mocbte ich micb nicht auslassen. Dafi Enl:d wirklicb ‘der 
klelne Abn’ ist, hat W. Schulze KZ40, 408fg. und 411 Anm. 2 
von neuem gegenliber Schrader IE 17, 35 fg. wabrscbeinlicb gemacht. 
Er erinnert dabci daran, dafi der Name des Grofivaters haufig auf 
den Enkel vererbt werde, und vermutet darin ein Stuck alter re- 
ligioser Yorstellung: der Grofivater solle so in dem Enkel aucb 
korperlicb mit dem Namen fortleben. Um dies nocb deutlicher 
zum Ausdruck zu bringen , babe man das Enkelkind liberbaupt 
gleich den kleinen Grofivater genannt. So einleuchtend mir das 
erstere ist, so wenig kann ich dem zweiten Gedanken folgen. Der 
Ausdruck En'kcl wird docb wohl vom Grofivater gepragt sein ; soil 
aber dieser aus dem genannten Grund seinen Enkel einen kleinen 
Grofivater genannt baben? Das ist nicht recht glaublich. Ich 
kommu daher ganz auf die alte Erklarung zuriick, die Schrader 
a. a. 0. S. 35 wohl mit Unrecht verworfen bat. Genau so, wie 
Vdter zuerst ‘des Yaters Bruder bedentet, dieser aber den Ans- 
druck in der Anrede an seines Bruders Sobn zuriickgibt, ist es 
aucb bei Enkel und Grofivater. Im Bayriseben bedentet enJ, dnl, 
ini Osterreiebiseben did, ml sowobl ‘Grofivatercben’ wie ‘Enkel’ 



216 


Eduard Hermann, 


Dasselbe ist fiir das schweizerische Ahni vorauszusetzen wegen 
enny im Schweizer Idiotikon I, 24S unter -Enkel’ ^Das ein an 
ir enny niit soli erben, als ein muotter kind och niit erbt“ nacb 
Landr. March ; vgl. iiberhaupt die Zusammenstellung bei School 
Ztschr. hochd. Mund. l,263fg, , auf die niich Ed. Schroeder auf- 
merksam macht. Daran, da6 T^nkel im Sinn von Grobvaier nir- 
gends belegt ist, brancht man, glaube ich, wirklich nicht AnstoG 
zn nehmen; denn dab der GroBvater bei dem Anredewechsel das 
Wort mit einem Deminntivsuffix versieht, ist doch schlieBlich etwas 
ganz Naturliches. Zum ano ist das Enkelkind noch zn klein, drum 
nennt es der GroBvater nur emiichili ‘den kleinep ano’. 

7 . JEidam. 

Mit der Etymologie von Eidatn hat man sich viel herumgequult, 
ohne zu einem befriedigenden Resultat zn kommen. Man hat es 
z. B. zn got. nipei 'Mutter’ gestellt. Damit ist aber kaum ge- 
holfen: denn das Wort aipci selber i.st dunkel, und der begriffliche 
Zusammenhang zwischen ‘Mutter’ und ‘Sehwiegersohn’ ist mehr als 
zweifelhaft. aipci mag vielleicht ein Wort aus der Kindersprache 
sein und mit unserem e>, ci zusammenhangen. Andre haben Eidam 
mit Eid verkniipft und sich auf engl, son- in-hue berufen sowie auf 
die Zusammengehbrigkeit von got. lingan ‘heiraten’ und mir htiye. 
‘Eid’ hingewiesen. Aber die Etymologie von Unyati ist recht nn- 
sicher, und die Berufung auf son-in-hnv ist vbllig unstatthaft. 
Meben son-in-law gibt es auch father-in-law, brother-in-law usw. ; 
man sieht also gar nicht, warum gerade der so n- in-law allein 
herhalten soil. Gazu kommt noch als ausschlaggebend, daB mit 
latv nach freundlicher Auskunft Hatscheks das kanonische Recht 
gemeint ist. Die Worter soii-in-b(w usw. sind zunachst, wie Hat- 
schek meint, wold als eine Art von Spottausdruck gepriigt. Eine 
.Parallele zu Eid und Eidain liegt also auf keinen Fall in bon-in- 
law. So miissen wir uns nach einer andern Etymologie umsehen. 

Falls das Wort Eidam ein verhiiltnismaBig hohes Alter haben 
sollte — und die Eigentiimlichkeit seiner Bildung spricht sehr 
dafllr — liegt es nahe. daB es flir den Erbtochtermann aufkam: 
denn ein andrer Sehwiegersohn wohnte ehemals nicht in einer 
Hausgemeinschatt mit seinen Schwiegereltern zusammen und gait 
daher nicht als verwandt, es ware ihm also kaum eine be.sondere 
Bezeichnung zugekommen. Fiir den Erbtochtermann erbtfnet sich 
aber sehr leicht eine Etymologie. Eidam, ahd. eidnm, ags. dh/on, 
afr. dthom fiihrt auf urgerman. *aipHi)ius zuriick und gehbrt ver- 



Sachliches und Sprachliches ziir indogermanischen GroBfamilie. 217 

mutlich zu osk. adds ‘des Teiles’, gr. alea ‘Gebiihr, Anteil’ ^), horn. 
i' 60 a ‘Anteil’, i00a6&ui' 'AijQove&ca (Hesych), av. oito- {ada-) 

‘gebiihrender Teil’. Das germanische Wort kann auf idg. *uitJi»ios 
zuriickgehen. Die Bedeutnng lafit sick besonders an dem lesbiscben 
i 60 i( 0 &ui ■ '/ 2 >iQOv 0 d-ca Hesycbs begreifen. So wie die Erbtochter 
tTtMijQog heiBt, ist der Erbtochtermann : ‘der Teilende’ oder ‘der 
das Erbe bat’ genannt; die Bildungen anf -mos sind leider ent- 
wicklungigeschichtlicb nicbt ganz klar, s. Brugmann, GrundriB^ 
II, 1, 123. Bei den Armeniern tritt der Erbtochtermann unter 
Aufgabe seines Namens in die Familie der Frau ein und erbt als 
Glied dieser Familie, s. Klidschian, Zs. vgl. Eechtsw. 25, 301 fg., 321; 
ebenso ist es in gewissem Sinn bei den Siidslaven, KrauB Sitte und 
Branch der Siidslaven, 470, 474 fg. ; denn wenn er meist auch 
rechtlich seinen Xamen behalt, so nennt ihn doch das Volk nach 
dem Schwiegervaterbaus. In Athen wurde bei mehreren Erbtochtern 
der Mann der einen adoptiert (Demosthenes 41, 3, Isaeus 3, 42). 

Fiir die Richtigkeit meiner Erklaruug scheint ein Umstand 
zu sprechen, der mir erst nachtraglich bekannt geworden ist. V on 
dem aus Dahlem in der Eifel gebiirtigen Lehrer lllellingen erfahre 
ich, daB in seiner Heimat das Wort Mu ‘Eidam’ nicht von jedem 
Schwiegersohn gebraucht wird, sondern nur von dem Einheirater, 
wie dort auch Schiutr nur auf die einheiratende Schwiegertochter 
angewandt wird. Obwohl ich diese Einschriinkung weder in andem 
Mundarten noch in der Literatur babe feststellen kbnnen, bin ich 
doch nicht abgeneigt, darin etwas Altertiimliches zu erblicken; es 
wilrde in schonstem Einklang zu meiner Etymologic stehen. 

8. yener. 

Der Erbtochtermann, der seinen Eamen ablegt und ganz in 
die Familie der Frau iibertritt, steht bei den Siidslaven nicht sehr 
in Achtung, KrauB 467 fg., 478. Ja , es kommt vor , daB es dem 
Erbtochtermann bliiht, nach der Geburt eines Sohnes, der erwachsen 
die Verwaltung des Hanses uberniinmt, fortgejagt zu werden; er 
darf dann froli sein, wenn er wieder in sein Stammhaus zuriick- 
treten kann, KrauB 480. In Athen blieb der Erbtochtermann im 
Besitz des erheirateten Verinugens nur bis zur Volljahrigkeit seines 
Suhnes (Demosthenes 46, 20). Beides ist vermutlich der Uberrest 
einer bocharchaiscbeii Sitte, die wir bei den alten Indern deutlich 
vorfinden. llier gilt der erste Sohn des Erbtochtermanus nicht 
als Sohn und Erbe seines Vaters, sondern als der seines sohn- 

1) Kifftfioa' ist \Yolil erst cine iin Griecliischeu aus cuaa gebildete Ableituiig. 



218 


Eduard Hermann 


losen GroBvaters. Ebenso war dies bei der Yoganehe d. h. der 
Erbtocbterebe der Perser der Fall, s. Spiegel Eran. Altertumskunde 
III, 678. Hierauf scbeinen auch die Bestimmungen des sasani- 
discheii Bechtsbuehs (Bartholomae S. Heid. Ak. 1910, No. 11, Bfg.) 
bezug zu nehmen, vgl. Kohler Zs. vgl. Bechtsw. 25, 434. Auch in 
Bom findet sich eine Spur dieser sonderbaren Sitte. Bei Festus 
(ed. Lindsay p. 174) heifit es von dem einzigen Uberlebenden der 
300 Fabier; inductus magnitudine divitiarum uxorem duxit Otacili 
Maleventani, ut turn dicebantur, fiiiam, ea condiciune, ut qui primus 
natus esset, praenomene avi materni, Numerius appellaretur. Ahn- 
lich ist die Uberlieferung De praenominibus 6 im Anhang zu Va- 
lerius Maximus. Damit haben wir sicherlich eine zweite urindo- 
germanische Form der kiinstlichen SchafFung eines Sohnes fiir 
einen sohnlosen Mann vor uus. Fiir einen solchen Schwiegersohn 
hatte die Bezeichnung ‘Eidam’ nicht gepafit. Haben wir hier die 
Erklarung des Wortes gemr zu suchen? Ich mochte das aller- 
ding.s glauben. 

Sclion langst hat man gener mit gignere zusammengebraoht und 
als den ‘Erzeuger’ erklart. Warum hiefi aber der Schwiegersohn 
gerade fiir seinen Schwiegervater der Erzeuger? Darauf gab es 
bisher keiue Antwort. Nunmehr liegt sie auf der Hand. Der 
Tochtermann, der seinen ersten Sohn seinem Schwiegervater abtrat, 
war in der Tat fiir diesen der ‘Erzeuger’. Wie gener sind die 
Nebenfoi'm gentn (Corp. gloss. II, 32, u) , abulg. lit. Jeiifnr, 

alb. dendsr zu beurteilen. Die indogermanische Bildung .scheint 
dabei verwischt. Ich glaube, man hat von *(je)iiis ‘das Zeugen', 
das unverandert in lat. gens, av. fnroeonfi^ {frasnintis) vorliegt, 
auszugehen. Der Schwieger.sohn wurde also, vielleicht mit einem 
Anflug von Spott, ‘das Zeugen’ seines Sehwiegervaters genannt. 
W orter dieser Art auf -ii- sind friihzeitig zu Maskulinen geworden, 
vgl. Brugmann Grundr.- II, 1, 611. Im Slavischen ist dieses Wort 
so geblieben. Im Litauischen, das die maskulinen /-Stiimme stark 
beschrankt hat, finden wir ienf-is in die o-Deklination iibergefiihrt. 
Daneben gibt es ein hier anklingendes Maskulinum der i Stamme 
mit der weiteren Bedeutung ‘Verwandter’ gcut'/s, aber mit g. Liegt 
da ein Zusammenhang vor? Im Lateini.schen wird oie-er durch 
EinfluB seines Oppositums sutvr analogisch umgestaltet sein, das 
-f- gewahrt man aber noch in der Glosse geittn. 

Ist meine Erklarung rich tig, dann gibt sie indirekt wohl ein 
Zengnis fiir Exogamie der TJrindogermanen, die auch Schrader 
Beallexikon' 908 fg. anzunehuien geneigt ist. Sollte aber nicht 
gerade die Erbtochter mit AnlaB gegeben haben, die Form der 



Sachliches und Sprachliches ziir indogermanischen GroBfamilie. 219 


Exogamie aufzugeben ? Der Wunscli, das der Erbtochter zufallende 
Vermbgen den Blntsvenvandten zu erbalten, mag bier bestimmend 
gewesen sein, wie ja aucli die Leviratsebe bei don Osseten nacb 
V. Klaprotb, Eeise in den Kaukasus III, 605 mit demselben Wunscb 
z u s ammenhangt. 


9. und yciuoi;. 

Von ganz andrer Art als Eidum und ijeiu r ist die griecbiscbe 
Bencimnng des Scbwiegersobns. Die Bedeutung des Wortes erklart 
sich aus seiner Herkunft. Es liegt auf der Hand, dab es von 
yc'^og, yci^isa abgeleitet ist, die Bedeutung ist daber zunacbst 
‘Hucbzeiter’, dann ‘Heiratsverwandter’. Die weitere Bedeutung 
zeigt sicb nocb deutlicb E 471, wo Sarpedon zu Hektor sagt : qoTjs 
710V dtSQ Xa€)V Tcokiv e^E[.iEv jjd’ aTHxovgai’ oioj, 6vv yun^goiBL xaSi- 
yvijioKji T£ 00101 V. So wie .T:ixg6g ‘scbarf’ eigentlicb ‘stecbend' zu 
*pe/l- 'stecben', abulg. ^T,(?rL 'wacbsam’ zn *b]icit(lh ‘wacben’, Tctupog 
■Stier’, eigentlicb ‘stark’ zu *taa ‘stark sein’ gebort, so stebt y«ft- 
^Qos zu j'ap- ‘beiraten’. Dab ‘Hoobzeiter, Heirater’ zu ‘Scbwieger- 
sobn’ wurde , ist vielleicbt nicbt ganz obne Einflub des Suffixes 
-pOb’ des Opposituras ixupOb’ vor sicb gegangen, das selb.st wieder im 
Akzent von Tcaxtlg, ddeXtfo^ beeinflubt wurde ebenso wie ;r£?'9'£pdj. 
Meillets (MSL 8, 238) von Boisacq Diet. 235 wiederbolte Ansiebt, 
dab ixvgo^ seinen Akzent von Tiav&Egog babe, iibersiebt ganz, dab 
a:£i'9-£pub’ genuib dem Wbeelerscben Ge.setz selbst Paroxytonon sein 
sollte. 

Gern denkt man sicb yuiijigog, indem man es zir yd/iog stellt, 
gleicb dem ai. Jams aus idg. /Tiros bervorgegangen ; nocb Wacker- 
nagel bait in seinen Spracbl. TJnters. Homer S. 171 an dieser An- 
siebt fest. Sie ist aber aus zwei Griinden unwabrscbeinlicb. Im 
G-rieebiseben passen die Laute nicbt dazu; ?T/ bat ft«, aber nicbt 
Hit ergeben. Zweitens maebt die Bedeutung des indiseben Wortes 
Scbwierigkeiten. jaras beibt ‘Liebbaber, Buble’, die indisebe Heirat 
war aber keine Liebesbeirat ; dazu kommt, dab yccfijSgog uns ver- 
st andlicb ist als ‘Heiratsverwandter’, eine Benennung, die Vater 
und Briider der Frau auf den Hann anwenden: jams ist aber der 
Buble der Erau selber. Anders ware es, wenn fiir ya'^i^gog als 
vermittelnde Bedeutung ‘Beiscbliifcr’ zur Vcrfiignng stande, das 
sebeint aber nicbt der Fall zu sein. jams labt sicb denn aucb 
viel leiebter mit eiuem ganz andern Wort zusammenbringen, und 
zwar mit einem, das nocb keinen befriedigenden Anseblub gefunden 
bat, gr. j3oiUo/(«(, dessen j3 nacb Ausweis des doriseben dr;Aouca 
usw, Labiovclar gewesen ist. Hodiger ist in seiner Untersuebung 



220 


Eduard Hermann, 


liber ^ovXo^ai Glotta 8, Ifg. zii dem Ergebnis gekomtnen, daf5 die 
Grundbedeutung sei ‘lieber wolleu, vorziehen, erwahlen als das 
Bessere’, wahrend ‘bereit sein, geneigt sein zu einem Tun’ 

ausdriicke. Unabhangig davon ist Fox BphW 1917, 597 fg., 633 fg. 
zu einem Eesultat gekommen, das damit in Widerspruch steht. 
Fiir j3ou2of(«t fiillt dieser weg, wenn man von der in jSoL’Adpfrog 
‘der Lust hat’ steckenden Bedeutung ausgeht. Von dieser Grund- 
bedeutung aus ist die Briicke zu jams leicht zu bauen. /loiUouat 
heist ‘ich babe Lust’, jams ist ‘der, welcher Geliiste hat’. Wahr- 
scheinlich liegt demnach eine leichte Basis zu Grunde, **g"ele ‘Lust 
haben’. Ob zu ihr auch toch. al-al ‘Verlangen’, ab. irlati u. a. ge- 
horen konnen, will ich nicht untersuchen. ya^^gog und jciyas sind 
also von einander zu scheiden. 

In Gegensatz zu Waldes Annahme Lat. et. Wb.- 337, dafi ya^- 
^Qog kaum erst einzelsprachlich gebildet sein werde, bin ich der 
Ansicht, dab es vermutlich gerade erst innerhalb des Griechischen 
entstanden ist. Eben so wird erst verstandlich, dab es -gog liinter 
derjenigen Form der Tiefstufe zeigt, die vor Vokalen berechtigt 
war — andernfalls mlibte man eine jiingere Analogiebildung an- 
nehmen. Es gibt ja sonst noch andre speziell griechische Bil- 
dungen auf -gog mit vorausgehender Tiefstufe, vgl. ii^vdgog ‘lugen- 
haft’, rgtjgog ‘furchtsam’ au.s ^rgaagog, 0ic:cg6g ‘fanl’, Brngmann 
Grdr.’* II, 1, 351. Um die Etymologic von ya^^gog zu verstehen, 
mub man ydfiog, ya^m richtig ankniipfen. 

Das ist zwar bereits langst geschehen; man mub diese Worter 
mit yevro, gcntiid u. a. vei’kniipfen. Nur mub man dabei von der 
richtigen Bedeutung ausgehen. Meiner Ansicht nach birgt sich 
diese in yk'to ‘er erfabte’. *<jeni- hieb nicht ‘umfassen’, wie Fick 
D401, und nicht ‘paaren, verbinden, zusammenfassen’, wie Walde 

336 ansetzt, sondern ‘erfa.ssen’. Deutlich zeigt sich diese 
Bedeutung auch in kypr. vyyiuog- 0vUv.^\. Zalaiuvioi Hesych. 
Demnach heibt ydaog von Haus aus ‘Erfassung’, namlich ‘Hand- 
ergreifung. Inhaltlich ist es also mit ind. panigrahana und lat. 
maiifipuHo zu verkniipfen. Die Handergreifung war ja ein besonders 
wichtiger Akt der indogermanischen Eheschliebung. Dab nicht nur 
bei den Inderu und Romern (dextrarum coniunctio). sondern auch bei 
den Germanen der Mann durch die Handergreifung die Gewalt liber 
die Frau (hier muaf) erlangt, i.st langst bekannt; IF 17, 3«7 habe ich 
hinzugefiigt, dab auch bei den alten Iraniern und vielleicht bei 
den Kymren die Handergreifung eine Rolle gespielt hat. Bei den 
Armeniern ist diese Zeremonie notig im Elternhause der Braut in 
Anwesenheit des erkorenen Vormunds, s. Klidschian, Zs. vgl. Rechtsw. 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen Grofifamilie. 221 


25,315. Von den Letten, bei denen sonst das Handgeben gar nicht 
uWicb ist, berichtet Hupei, Topographiscbe Nacbrichten von Lief- 
und Ebstland 1774, II, 149 und 192, daB der Brautigam bei der 
Verlobung die Hand der Brant feierlich ergreift. DaB auch die 
Slaven die Sitte gekannt haben, werden wir gleich sehen. Man 
vergleiche auch das Handergreifen bei den Litauern Lepner Der 
Preusche Littauer 1690, S. 32, den Parsen Modi Marriage customs 
among the Parsees S. 30 und bei den Bretonen Rbemsberg-Diirings- 
feld Hochzeitsbuch 246. Es ist eben ein Branch, der seit urindo- 
germanischer Zeit gepflegt worden ist und der bei der christlichen 
Vermahlung in der Kirche in der Zusammenlegung der Hande des 
Brautpaares durch den Geistlichen immer noch eeinen symbolischen 
Ausdruck findet. 

Diese feierliche Handlung heiBt bei den Griechen, wie bekannt, 
iyy^ri eigentlich ‘das in die Hand geben', was, worauf mich Reitzen- 
stein aufmerksam macht, besoudei-s deutlich zum Ausdruck kommt 
in Eurip. Ipb. Aul. 703, wo es von Thetis heiBt: Zevg xkI 

Videos’ 6 y.vQLog. Wir haben also zwei Ausdriicke fiir dieselbe 
Sache : eyym^ ist hergenommen von der Handbewegung des Braut- 
vaters, yee^og von der des Brautigams. Wieder von einer andern 
Seite wird die Handergreifung betrachtet bei dem Verbum JzdoiJvat. 
Damit ist nicht wie bei syyvij ausgedriickt, daB die Braut in die 
Hand, in den Schutz des Brautigams gegeben wird, sondern daB 
sie aus der Hand, aus dem Schutz des Vaters entlassen wird. 
Unter diesem Gesichtspunkt werden vielleicht manche der von 
W. Schulze KZ 40, 40D genannten Worter zu versteben sein, so 
z. B. etwa got. fnKjiftg. Bei andern Ausdrlicken wie lit. sal\n ejti 
‘sich verheiraten’ ist allerdings darau nicht mehr gedacht. 

Aus der Zeremonie der Handergreifung ist wohl auch abulg. 
Iml'h ’Hoebzeit’ zu verstehen. Berneker stellt in seinem Etym. 
Worterbuch 1,81 Inili, , dessen Plural im Altrusslschen noch 
hhrm i lautet, dem Herkommen gemaB zu hhmii ‘nehmen’ und auBerst 
unter Zuriickweisung des Gedankens an Raubehe die Vermutung, 
dafi bhiati vielleicht ein Terminus technicus fiir eine bei der heid- 
nischen EheschlieBung iibliche Zeremonie gewesen sein kann. Dafi 
diese Zeremonie die Handergreifung war, diirfte nach dem eben 
Erorterten nahe liegen. 

10. Die Manner zweier vSeliwestern. 

Ganz unter demselben Gesichtspunkt wde das Aufkommen der 
Worter fiir Schwiegersolin hat man es zu verstehen, dafi von indo- 
germanischen Zeiten her ein Wort vorhanden gewesen zu sein 



‘222 


Eduard Hermann 


scheint fiir die ‘Manner zweier Schwestern’. Giriech. de'Xioi, bez. 
uiXioi wird man von anord. svilar, mit dem es langst verbunden 
worden ist, wobl nicbt trennen diirfen. Das Wort wird von Hans 
aus nur die Manner zweier Schwestern bedeutet haben, die Erb- 
tdchter waren. Wegen der Seltenheit des Vorkommens soldier 
Schwestern scheint aber der Ausdruck in den meisten Sprachen 
verloren gegangen zu sein. 

11. Des Mannes Sehwester. 

Alle bisher besprochenen Verwandtschaftsbezeichnungen fiigen 
sich gut in den Rahmen der indogermanischen Grrofifamilie. Wie 
lafit sich da der Ausdruck fiir ‘des Mannes Sehwester’ verstehen, 
der in mehreren indogermanischen Sprachen vorliegt und dessen 
Lautgestalt noch nicht sicher festgestellt ist? Im Lateinischen 
haben wir glos, dazu gehoren gr. ycdoag, wie der Nom. Sing, zu 
dem Dat. yalomi. und dem Gen. Plur. yuXoav fiir Homer anznsetzen 
sein wird, und abulg. z'hJ'hvu, serb. zaoi a, russ. zoJvj. Den Ausgang 
dieser Worter mbchte ich aus -uvs herleiteu trotz der Resignation 
Solmsens Stud. lat. Lautg. 108. Lat. glos geht dann auf *gloijos 
zuriick; die griechische Form laBt sich mit Hiilfe von Giinterts 
Schwa secundum leicht auf die ganz ahnliche Lautstufe ^gs-ilonos 
zuriickfiihren und die slavische auf goiU-zuOs = gr> 2 httios. In der 
ersten und in der zweiten Silbe lag also ein kurzer Vokal zu 
Grunde. Dazu pa6t nun sehr biibsch die phrygische Glosse ysXapog' 
cidsX(fov yvvTi] ^gvyiQxi aus Hesjeh, die gleich dedgoiyiag [df]dotzc6b’, 
TQ£- as Kggrsg Verwecbslung von f und q zeigt. Man hat also 
yslafog zu lesen. Eine genauere Untersuchung der phrygischen 
Lautentwicklung darf ich mir wohl schenken. Das y statt des zu 
erwartenden g diirftc kein unubersteigbares Hindernis bilden. Vor 
Vokal + I, r findet haufig, wie ich bald zu zeigen hoffe, ein Wechsel 
der Gutturalreihen statt. Die Bedeutung des phrygischen Wortes 
macht keine Schwierigkeit, sie enthiilt dieselbe Erweiterung, die auch 
fiir lat. glUs vorliegt. Man kommt also auf diese Weise zu einem 
Wort fiir ‘Mannesschwester’, das urindogermanischen Adel hat. 

Das aber ist in gewisser AVeise dock verwunderlich ; denn da.s 
Vorhandensein dieser Bezeichnung scheint nicht recht zu der GroB- 
familie zu passen — auBer wenn man annimmt, daB damit nur die 
unverheiratete Sehwester des Mannes bezeichnet wurde. Eiir die 
Verwandten auBerhalb der GroBfamilie gab es keine indogerma- 
nischen Ausdriicke. Innerhalb dieser ging die Sonderbenennung 
allerdings recht weit, fehlte doch auch das Wort fiir die Frau des 



SacUiches und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 


223 


Bruders des Gatten nicht, das nicht nur im Indischen, Griechischen ‘), 
Lateinisclieu , Baltisch-Slavischen und Plirygischen nachgewiesen, 
sondern von Andreas auch in afghan. ior entdeckt ist. *ffDloHos 
wird also nur die unverheiratete Schwester des Mannes bezeichnet 
haben. 


12 . exSoog. 

Boisacq bezeichnet die Etymologic des Wortes ix^pog als un- 
bekannt, da die bisher vorgetragenen Deutungen nicht befriedigten. 
Unter diesen beiindet sich auch die Waldes KZ 34, 485, der es an 
lat. extents unter Zugrundelegung der Bedeutnng ‘von auBen kom- 
mend’ ankniipft. DieserVersuch uberzeugtallerdings nicht. Lautlich 
ist aber Waldes Vorschlag ey&Qog — *eg}istro^inwajiMvei, er scheint 
mir anch richtig zu sein, nur bedarf er einer neuen Begriindung 
seitens der Bedeutung. Ich fasse sx^Qog als ‘exsnl’. 

Meine Vermutung griindet sich anf die Auseinandersetznngen 
B. W. Leists in seiner Graekoitalischen B.echtsgeschichte und in 
seinem Altarischen J us Gentium iiber Blutrache. In letzterem Buche 
sagt er S. 423 sehr treffend: „In dem Blutracherecht haben wir 
die technische Privatfeindschaft der alten Zeit vor uns“ und 8. 290, 
Anm. 5: „Der Morder ist der ixd^Qog". Homer erwahnt ja eine 
ganze Reihe von Fallen, wo sich der Morder durch Flucht der 
Rache zu entziehen sucht: BOOlfg., A 694 fg., iI570fg., ^83fg., 
V 256 fg., I 378 fg., o 272 fg., 118 fg. Also wegen der Flucht 
nannte man ihn ‘den drauOen Befindlichen’. Die Beziehung des 
Wortes ix&Qog zum Morder zeigt sich bei Homer in der Bedeutung 
des Wortes nicht mehr unmittelbar. Ebenso wie bei £;^9'os, ccjtsx&d- 
vogui usw. tritt der Begriff ‘verhaBt’ dabei bereits in den Vorder- 
grund. Es ist aber ein Unterschied zwischen dem Hafi, der durch 
sx&Qog, sx^^S usw., und dem, der durch (iioea ausgedrhckt wird. P 272 
ist fu6rj0£v vom Unwillen gebraucht, dagegen bedeutet den 

unversohnlichen HaB. ‘ex^ga 6 a got tov d&QU, tCm 6 e giv ev xagbg 
uicij sagt AchUl I 378 von den Geschenken, die ihm Agamemnon 
zur Yersohnung anbieten laBt, und 7 312 heiBt es : ex^Qog ydg got, 
xalvog ofuag ’Aiduo itvXrjdiv, dg x’ Stsqov fisv xsvd'i} ivi (pQSSCv, «/lAo 
6e BiTtij. Derartiger HaB ist der Ha 6 gegen den Morder, an dem 
es Blutrache zu nehmen gilt. Deutlichere Beziehungen des Wortes 
zum Morder und zur Blutrache zeigen manche Stellen bei Aischylos, 


1) Die Betonung des griechischon ilvaTSQcg beweist, daB diese Form den 
aolisclien Bestandteileii der Dichtung znkoiDmt, vgl, die vou Wackernagel GGN 1914, 
47 fg. erorterten Fade. 



224: 


Eduard Hermann 


z. B. Agam. 132'2 fg. {jAiov d’ e':isv%o^ca rrpdj vetaror (fcig roig sfiotg 
tt^iccoQotg (poi'svei rolg Sfiotg rCvBiv o^ov oder Choeph. 122 

^mg d’ or, rbv ixd'Qov avruiiSL^sGd'ai xaxotg und 308 fg. avri iiav 
i%%Qc:g yla66r]g ix^QCi rsXsLed-a . . . uvtl d£ ^Irjyfig (fovlag 

(povLuv 7tXrjyi]v rivaza. Das Wort B'xd'Qog ist also auf die Gesin- 
nung, das Gefiihl iibertragen. Wenn man es auch auf den poli- 
ti.^ctien Feind anwendet, wird der Umstand, dad die Blutrache 
zwiscben groBen Geschlechtern einem Krieg nahekommt, nicht ohne 
EinfluB gewesen sein ; man denke z. B. an die Alkmenoiden. Be- 
sonders dentlich vermogen die siidslavischen Blutfehden zu zeigen, 
wie daraus geradezu internationale Fehden werden, vgl. Wesnitsch, 
Zs. f. vgl. Rechtsw. 9, 61 fg. So heiBt es denn auch in dem Vertrag 
zwiscken Hierapytna und Lyktos SGDI 5041.16 rov ahr'ov (flXov 
xcd ex^Q^^' :ioXffirj6S) unh vl xcc y.ul 6 lEQa:rvrviog. 

Besonders beaekte man Herodot VII, 145 xatcdXusesed'ai, rc'.g rs 
ix^^Qag y.al tovg xur’ aXXtjXovg aovrccg ixoXaiiovg. 

Besonders deutlich wird der Begriff des Morders als exsul aus 
den Worten Acbills I 63 dO-sgt^Tog, dveenog ^6xiv exstvog, 

bg TtoXipLov BQcctai, ixidri^itov oy.Qvotvrog. Der Morder ist recbtlos, 
er ist ausgeschlossen aus dem Gesetz und aus der Gemeinde; denn 
die Familie des Ermordeten darf an ihm Rache nebmen. Sebr 
hiiufig sehen wir bei Homer denjenigcn Morder auf der Flucht, der 
einen Verwandten, einen Mitbewobner des Hanses, getotet bat. 
Und das ist ja natiirlicb, daB der Verwandtenmbrder am aller- 
wenigsten sicher zu Hause war. So erzahlt Herodot I, 35 auch 
von dem Phryger Adrast, daB er seinen Bi’uder getotet babe und 
darum bei Krosus erscheint, i^sXijXMfisvog vx:o rov Ttargog. Aber 
Homer kennt die Flucht auch in solchen Fallen, wo der Ermor- 
dete kein Yerwandter ist, so z. B. bei der Flucht des Patruklos 
¥*■ 85 fg. Nach dem Morde zu fliehen, war wahrscheinlich schon 
lange vor der griechiscben Zeit iiblich, das war schon urindoger- 
maniscber Branch. Schrader erwahnt ihn Reall.^ 153 fg. aus Schweden 
und aus Montenegro. Der Branch erklart zur Geniige, wie iy&Qog 
‘der drauBen Befindliche’ zur Bedeutung ‘Feind’ kommen konnte. 
‘Der drauBen Befindliche’, filer AusgestoBene’ ist ja doch darum 
landesfluchtig, weil er die Rache, die Feind.schaft der Familie des 
Ermordeten fiirchten muB. 

Wie nabe an einander die Begriffe -Feind’, ‘geiichtet’, ‘riichen', 
‘verfolgen’ liegen, sehen wir auch in anderen Sprachen. Abulg. 
luwjT, ‘Feind’ gehbrt etymologisch zu ai. pantcrj ‘VerstoBener’, ao-s. 
ivrerca, ahd. reihco nsw. ‘Verbannter’, got. ufilani ‘verfolgen’ usw.. 



Sacbliches und Sprachliclies zur indogermanischen GroBfamilie. 225 


nM. rachen] ahd. fehida ‘Feindscliaft’ usw. gehort zu ags. fdJi ‘ge- 
achtet, verfetint, friedlos’. 

Bisher habe icb nur von gesprochen. 1st aber dieses 

Wort die alteste Bildnng des Stammes? Man darf nicbt ver- 
gessen, dafi bei Homer neben sy&gos scbon vorliegen: Ey9i6tog, 
ilxfeGd'aL, d:cE%%clvo[Lai^ a^Ey^alga, dazu kommen ans spaterer Zeit 
Eyd-icov, Ey^i^i-og, sy^ga. Ey&gog ist also anfznfassen wie xvSgog, 
xvdiow, 'AvSiiSrog, xvdos, y.vdifiog, xvdc'vm, wie alffygog, aleyimv usw., 
und E’y&gog : syd'ga = AsTtgog : Xdjtga s. Fraenkel KZ 42, 124 Anm. 2, 
Wackernagel Spracbl. Unters. Homer 234 fg. Es hat demnacb das- 
selbe Suffix -ro-, das wir oben bei yaft^gog angetroflPen baben. 
Darnm gebt es nicbt an, in eine komparativartige BHdung 

mit Tiefstnfe vor g zu seben, wie das Walde KZ 34, 485 wiU, der 
es lat. externs nnmittelbar gleicbsetzt. 

Es erbebt sich aber eine Scbwierigkeit. Wie soil man das •9' 
erklaren? Ansgangspunkt muB *e(/]udht'os sein, das ans *eglis-tros 
Oder ans *eghs-dhros bervorgegangen sein konnte. In beiden EaUen 
ware daran zu erinnern, dafi aucb sonst Formen mit Dental vor 
dem Suffix -ro- vorkommen, s. Brugmann Grrdr.® II, 1, 340 und 378; 
es sind nur gerade die Maskulina dieser Art selten, obwobl daizgog, 
iargog, 6x£&g6g usw. vorbanden sind. Zu ix&g6g hat man dann 
Eyd-(cn’, Eyd-iStog, sy&og gebildet, wozu aiGyuov, cdeyiorog, ahyog das 
Vorbild geliefert baben diirften; gerade die Adjektiva auf -gog baben 
ja mebrfacb, wie oben scbon erwabnt, Bildungen auf -iwv, -i0rog 
neben sich. 


13. Altrussisch vira. 

Das Wei’geld wird von Schrader Spracbvergl. u. Urgescb.^ 396, 
sowie Reallex.- 157 und andern als eine urindogermanische Einricb- 
tung angesprochen. Entscbeidend fiir diese Ansicht ist die Grleicbung 
ags. ivere, mbd. iccre, ai. vaira ‘Wergeld’. Aucb im Altrussischen gibt 
es ein abnlicbes Wort bierfiir: in der Greatalt vira. Ist dieses mit 
dem germaniscbefl und dem indischen W ort urverwandt, dann ist der 
Beweis fiir das urindogermanische Alter des Wergeldes wesentlicb 
verbessert. In dem Festgrufi an Roth 49 fg. hat L. von Schroeder 
russ. vira als echtslaviscbes Wort zu erweisen versucht. Schi’ader 
aber glaubt, in vira ein germaniscbes Lehnwort suchen zu diirfen. 
Wie stebt es mit diesen Wilrtern? 

So leicht, wie es sich Schrader macht, lafit sich die Entleh- 
nung jedenfalls nicbt feststellen. Fiir sie spricht zunacbst nur die 
Tatsacbe, dafi das Russiscbe allein unter den slavischen Spracben 
das Wort vira ‘Wergeld’ kennt. Dagegen hat aber scbon L. von 

Kgl. Oes. d, Wiss. Nachrichten. I’lul.-liist. Klasse. 1918. Heft 2. 15 



226 


Eduard Hermann, 


Schroeder mitRecht geltend gemacht, dad der Vokal des russischen 
Wortes lang, der des germanischen kurz ist. Vor allem aber scheint 
mir noch ein ganz anderes Hindernis vorzuliegen. Voii einem 
germaniscbcn *h(>v 7 ‘Wergeld’ kann gar nicbt die Rede sein. Im 
Mittelhochdeutscben ist, soviel ieb aus den Worterbiichern ent- 
nehmen kann, were mit der Bedeutung ‘WergeW nicbt vorbandeii. 
Auch im Angelsaebsischen heiGt das Wort naeb Liebermann Ge- 
setze der Angelsacbsen II, 24<J fg. zunacbst nicbt were, sondern als 
Maskulinnm ifcr. Die Form mit -e ist erst nacbtraglich aufge- 
kommen und findet sicb nur gelegentlicb, obwobl sie in lateiniscbe 
und franzosisebe Urkunden [icera und were) als Femininum iiber- 
gegangen ist. Das Wergeld beifit vielmehr zunacbst ags. ^rerey'dd 
und abd. iceragelt, mit dem Wort iccr ‘Mann’ gebildet , genau so 
wie altisl. manwjjiM und ags. Jeodrjild. Aus ags. loergdd hat sicb 
nun das sebon erwahnte iver fiir "Wergeld’ losgelost, so wie nacb 
R. Schroder, Lebrbucb der deutseben Recbtsgeschichte“ S3 neben 
ags. hodyild auch saliscb Jendisusw. steht. Ein gennanisebes Wort 
*iftra Wergeld’ bat es also scbwerlicb gegeben, und wenn auch in 
lateini.scbe Urkunden iccra aufgenijmmen wurde, kann die iiltere 
Lautstufe ^luta doch nicbt schon ins Slaviscbe entlehnt worden sein. 

So bliebe denn Urverwandtsebaft ilbrig? Icb glaubo auch das 
nicbt. Das Slaviscbe kennt ‘Mann’ nicbt, obwobl im Li- 

tauiseben ignis, wie v. Schroeder bervorbebt, lebendig ist. Im 
Gregensatz zu v. Schroeder maebt micb der Mangel stutzig. Und 
welter! Was fiir eine Bildung soil denn ciru sein? Wie soil es 
zu der Bedeutung ‘Wergeld’ gekommen sein? Icb finde bier nicbt 
reebt eine Briicke. Was aber den Aus.;chl<ig gibt, ist der Um- 
stand, da6 im Altrussischen keineswegs nur die Form viiri vorkommt. 
sondern auch die Form veni] auch die Ableitung nniil und rihinj 
kommen mit e vor, s. Sreznevskij, Material^ dlja slovarja drevne- 
russkago jazyka I, 262fg. Diese Worter vera, idrniJ;. vcrrujj sind 
aber keine andern als die gelaufigen slavischen Worter mit den 
Bedeutungen ‘Glaube, Treue’ usw. Altruss. vim bat also mit unserm 
Wort Wergeld gar niebts zu tun und gehbrt vielmebr zu lat. vems 
usw. Wir baben es bei vira, Ttrnil:, / irugj nur mit dem in meb- 
reren russiseben Mundarten (kleinrussiscb, Novgorod usw.) tiblicben 
Wandel von e zu i zu tun. Das i.-.t natiirlicb fiir die Gegend der 
Entstebung des Bruuebs von Wiebtigkeit. Icb muB es mir aber 
versagen. darauf einzugeben, und fiibre nur aus den Pravdas ein 
weiteres Beispiel fur 2 = e an in Pravdas 1, N. G lli'hiju = 

Die andern slavischen Spracben kennen ihii fiir ‘Wcr-T-eld’ 
nicbt, im Serbischen gibt es aber eine sebr bemerkenswerte Ver- 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 227 


wendung des Wortes in Verbindung mit der Zahlung des Wer- 
geldes. Wie es dabei in Montenegro zngeht, beschreibt Wesnitsch 
ausfulirlich Z. vgl. Rechtsw. 9, 68 fg. Am verabredeten Tag kommen 
samtlicbe Verwandte des Morders, mit Gescbenken beladen, zu- 
sammen, die vierundzwanzig Altesten geben ohne Watfen denVer- 
wandten des Erscblagenen entgegen, die moglichst zablreich, 100 — 200 
an der Zabl, samtlich bewaffnet ersclieinen. Dann nahert sick der 
Schuldige entblbfiten Hauptes ani den Knien, das Grewebr am Hals. 
Er mub dem Racber die Hand und das Knie kiissen, worauf er 
aufgeboben und ibm die Watfe abgenommen wird. Hebeugten 
Hauptes gebt er zuriick. Darauf wird dem Beleidigten ein Knab- 
lein seiner Verwandtscbaft gebracbt, in dessen Wiege das ausbe- 
dungene Wergeld liegt. Es werden mebrere Patenscbaften zwischen 
beiden Parteien abgescblossen, worauf cin Versbbnungsmahl folgt. 
Ebe die Zeremonie stattfindet, muB fiir den Morder um freies Geleit 
gebeten werden, dieses beifit vh-<t (oder in andern Mundarten r im), 
eigentlicb ‘Treue’. 

Hat die russiscbe vira damit etwas zu tun? Icb babe Be- 
denken daran anzukniipfen, erstens weil die Zablung des Wer- 
geldes in Montenegro etwas ganz Modernes zu sein scheint, zweitens, 
weil das Geld bei den Russen vielieicbt nicht die Eamilie des Er- 
scblagenen erbielt, sondern dem Fiirsteu bezahlt wurde. Goetz ist 
Zs. vgl. Recbtsw. 24, 306 fg., 321 fiir die alteste Periode allerdings 
andrer Ansicbt, die ricbtige Auslegung ist jedocb mit so vielen 
sacblichen, historiscben und juristiscben, Scbwierigkeiten verkniipft, 
dab icb dazu nicbt Stellung nebmen mbcbte. Icb verweise aber 
darauf, dab K. Eritzler in Gegensatz zu Goetz die Grundziige 
der russiscben Pravdas fiir germaniscbes Recbt in Ansprucb nebmen 
wird. Wie er mir sagt, stimmt die Abstufung der Strafen so 
genau zu den nordgermanischen Recbten, dab man in der russiscben 
v/ra nicbts ecbt Russiscbes erblicken darf. Icb lasse das alles dabin- 
gestellt, bis Eritzlers Untersucbungen im Druck vorliegen. Falls 
sicb wirklicb feststellen labt, dab die lira nicht nur der Familie 
des Erscblagenen, sondern auch dem Fiirsteu gezahlt wird, ferner 
dab die lira nicbt auf slaviscbcr, sondern auf germanischer Sitte 
berubte , dann wird man in v/ra lediglich eine Ubersetzung von 
frcdar. fridiis zu seben baben. 

Das russiscbe Wort vira ist demnacb in keiner Weise geeignet, 
fiir das imb germanische Alter des Wergeldes ein Zeugnis abznlegen 
Fiillt aber aucb ags. icvrc mit mbd. were dabin und bleibt nur ags. 
wcreijild mit abd. tceraijrli neben ai. vaira iibrig, so wird man ans 
dem Wortstamme beraus iiberbaupt keinen Beweis fiir das 

15 * 



228 


Eduard Hermann 


Alter des Wergeldes herleiten konnen. Ja, mit Riicksicht darauf, 
dafi in Montenegro erst 1855 dnrch den Fiirsten Danilo der erste 
ernstliche Versuch gemackt worden ist, die Blutrache dnrch Wer- 
geld abzuschaffen, dafi in Albanien erst wahrend des Krieges der 
osterreichische kommandierende General erklaren konnte, dab der 
Gottesfrieden nunmehr angenommen nnd die Blutrache tatsachlich 
abgeschafft sei (Frankfurter Zeitung vom 8. 11, 1916, No. 310, 2. 
Morgenblatt) nnd dab bei den iranischen Stammen, wie den Af- 
ghanen (s. Anhang), die Blutrache noch in alter Weise iiblicli ist 
halte ich es fiir ansgeschlossen , dab schon in urindogermanischer 
Zeit das Wergeld sich an die Stelle der Blutrache zu setzen be- 
gonnen habe. Die ungefahre Ubereinstimmung der Summe bei den 
Indern nnd Russen (v. Schroeder a. a. 0.) beweist also nichts. 

Id. Latcinisch Manes. 

In der Andreas gewidmeten Festschrift 63 fg. hat es Christensen 
wahrscheinlich gemacht, dab eine il/«;i«legende nicht nurinindien, 
sondern auch in Iranien vorhanden war, dab bei denPersern 

als Stammvater der Priester gegolten habe, wie er bei den Indern 
als erster Opferer gait, dab er von beiden Volkern urspriinglich als 
der Urmensch aufgefabt worden sei. Nun haben wir zu ai. manu, 
av. wiOHit {manu) ‘Mann, Mensch' gehbrig: got. manna ‘Mann, Mensch’, 
ahd. man usw., abulg. moH, ferner den Namen Mdvt]g fiir das Metall- 
mannchen, auf das beim Kottabosspiel, das aus Sizilien nach Griechen- 
land kam, der Wein tropfenweise fiel, vgl. Athenaus XI, p. 487 c 
Kakstrca de Mdvrig y.ic'i to ini tov xottd/iov 487 e rw xotrdjia 

ngoasoti aal Mc'-viig rig cionsQ oixBtijg; das Versmab in Muvrjg d' ovdiv 
katdycov cciBi Hermippos Kock Com. Att. fragm. I, 238 No. 47 beweist 
die Lange des «; und dahin gehort wahrscheinlich auch der in 
Phrygien, Paphlagonien und Lydien gebniuchliche Name Mi'vy]g. 
Auch die keltischen Volkernamen auf -nicini (Norden SBA 1918, 
93 fg.) sind wohl hierhin zu stellen. Man wird nicht irre gehen, in ai. 
maim- die Fortsetzung eines gemeinurindogermanischen Wortes fiir 
‘Mann, Mensch’ zu sehen. Wenn man aber weiter bedenkt, dab 
bei den indogermanischen Volkern die erweiterten Grobfamilien, 
die einzelnen Geschlechter und Stamme an die Spitze ihres Ge- 
schlechts oder Stammes einen Heros zu setzen pflegten, nach clem 
sie sich nannten, wie die Herakliden den Herakles, .so wird man 
auch in dem indisch-iranischen JiLami einen solchen Stammheros 
sehen. Dieser stimmt nun im Namen ganz zu dem Stammheros 
der Westgernianen, dem Mannas, den Tacitus Germania 2 als den 
Stammvater der Ingvaeones, Hermiones und Istvaeones bezeichnet. 



Sachliches und Sprachliches zur indogermanischen Grofifamilie. 229 

Die Stamniheroen waren teils sagenhafte, teils wirkliche Per- 
sonliclikeiten. Nach dem Ahnenglauben der Indogermanen lebten 
die Seelen der Verstorbenen weiter, ihre Stammberoen waren also 
z. T. die Seelen langst Verstorbener. So la6t sicb ancb der Manu, 
3Iannus aulFassen als der Reprasentant der verstorbenen Abnen, 
kurzbin ‘Mann, Menscb’ genannt. Das bringt die Manes der Romer 
in Erinnerung. Etymologiscb laBt sicb dieses W ort, das man bisber 
meist mit lat. manus ‘gut’ oder mit zusammengebracbt bat,' 

sebr wobl bier unterbringen. Der Ablaut nnd die Snffigierung 
sind zwar anders als bei den ariscb-germaniscben Wortem, das 
bedeatet aber keine Schwierigkeit. Aach lat. manus ‘gnt’ wiirde 
sicb in der E orm anscbliefien lassen, aber die Bedentung liegt trotz 
der Eumeniden zn weit ab, als dafi icb es bier mit beranziehen 
mocbte. Dagegen wird zu den besprocbenen Wbrtern vielleicbt 
eber das pbrygiscbe firjv geboren, auf das Kretschmer Einleitnng 
Q-escb. griecb. Spracbe 197 Anm. 4 binweist. Darf man fiijv fiir 
eine joniscbe Umbildnng von dem pbrygiscben Wort fiir ‘ab- 

gescbiedene Seele’, balten? Abnlicb fafit ja ancb scbon Kretschmer 
den Sinn des W ortes auf, obne aber den etymologiscben Zusammen- 
bang in dieser Weise anzuerkennen. Der konigHcbe Schwnr der 
pontiscben Elirsten, der nacb Strabo XII, 557 *) ti^xW /3«etAacos xccl 
pijx'tt 0aQvdxov bieB, bedeutet also vielleicbt ‘beim Gliick desKonigs 
und der Seele des Pbarnakes’. Grerade, daB Pbarnakes als ‘Stammvater’ 
der kappadokischen Satrapen (Diodor XXXI, 19, 1) gait, ist bierfur 
Von Wicbtigkeit. Es wird eben die Seele des altesten Abnen an- 
gerufen. Die Genetive M))v Tdpov, ]\h)v Kccqov, Alijv ^ugvdxov 
werden so durcbaus verstiindlich ; besonders aber bekommt der_JH?)v 
y.aruxd'oviog jetzt seine Erklarnng: Sterret, Pap. Amer. School II, 
S. 2U0 X. 211 0 ^ d’ idv ij d[d]ixij6si, e'xoi, tb[v 

Karax&6i’i[o]v xexolco^h’oi’ und III, S. 174 Xo 284 iv[o]Qxi^6[i£d'a dh 
Mijvu xaTax&bviov stg rovro ^vrjustov ^ijdtva ti0eX&eiv. 


1) Die Xacliriclit Sh’abos Si ymI to icgbv Mrjibg iPciQvdy.ov KaXovfisvov, 
T?'jv 'Xuapi'ca’ ■/Uouo'jioXiv -JtoXXovg hQoSovXovg t'j^ovaav jjtogKi' tfpcj', /;j/ 6 Ifpo)- 
fisvog cis'i y.ciQTtovrai.. hi^ir^aav S’ oi ^aaiXsig to iiqov tovto ovrcog lig vTceg^oXijv, 
LOOTS run jhiaiXiy.bv v.ccXoifisvon OQy.on TovTov Anitprivav ‘ti'xtjv ^aatXscog’ zai ‘•Mfjva 
<fcoi'LVZ 0 i’’. fOrt Si y.ai roi-ro rf/g asXrjvr^g to uqov ist mit Ramsay vermutlich so 
zu erklareii, daB die Mondgottlicit erst nachtraglich iu das an das Wort fiir ‘Mond’ 
anklingende Mi'jv bineingedeutet wurde. 



230 


Eduard Hermann 


15. Die Adoption. 

Schrader hat Realles.’ 15 darauf hingewiesen . daB in Rom 
bei der Adoption der Gebnrtsakt symbolisch nachgeahmt werde. 
Die von ihm welter herangezogene Stelle Diodor IV. 39, 2 erweist 
dieselbe Sitte nicht nur fiir Barbarenstamme , sondcrn wohl auch 
fiir die Griechen; denn es heiBt da: ^QoadstEov 6’ ijuti' roi^ 

I’Otj, oTt ,u£T« rrjv U'Xod'EmGiv avrov Zsvg "Hgav atv ajtsiffsv v'Cttokj- 
rhv "Hqu-aIscc -/.cci to Ioittoi' slg rov ujtcani: iqovov u>,Toog 
svi’OLug ctaQsy^sOd'ai, r^v da TSy.i/coSii’ yavaOd'ui cfadl roic'.vTijv Xhv 
"Hquv avci^aOuv sig zAAiyi' x«t tbv ^Hoccy.Xa'a :TQo6Xu^oiiai>yii' itQog to 
eCo^a dia tS)v bvdviidrcjv atpaivaL jrpbsT?)r y)]v ^iu.ovuain]v r{\v 
yavaOLV ' OJtaQ jisyQi tov vvv tzoislv roirg fiaQjScQOvg, otav d'ETOv i<lbv 
•xoiEiO&ui j5ov?Mvrat. Was hier von der griechischen Gottin gesagt 
wird, darf man wohl auch von den alteren Griechen ruhig an- 
nehmen. Xachahmnng des Zeugungs- bez. des Gehurtsakts bei 
fiirstlicher Adoption im Mittelalter hatKogler Zeitschr, derSavigny- 
Stiftung fiir Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 25, 166 fg. belegt, nnd 
zwar aus Bulgarien, Spanien nnd bei der Adoption des Bruders 
Gottfrieds von Bouillon durch den Fiirsten von Edessa. Ahnlich 
wie die Adoption des Herakles beschreibt Klidschian Z. vgl. Rechtsw. 
25, 304 die armenische Adoption in Aschtarak (Gonv. Erivan) in 
der ersten Halfte des vorigen Jahrhunderts : „Die Adoptivinutter 
> zieht unter Anwesenheit des Adoptivvaters das zu adoptierende 

Kind zu sich heran , bringt es in knieende Stelluiig nnd birgt cs 
unter ihrer Schiirze. Da das zu adoptierende Kind nach der Adop- 
tion dem armenischen Recht nach als leibliches Kind betrachtet 
werden mull, wird in der angegebenen Weise eine Geburt simu- 
liert'b 

Eine andre bemerkenswerte tJberein.stimmung ist die SchoB- 
setzung, die sich nicht nur bei den Germanen (Hoop.s Reallex. 39), 
sondern auch bei den Indern findet. In der Geschichte von ('unah- 
cepa heifit es Ait. Brahm. 7, 17, 2 : atha ha cnnahcepo viiyamitra- 
sya>;kam asasada 'da setzte sich I'unahcepa anf den Schofi des Ihrva- 
mitra’. Da auch die Sitte des Haarschneidens bei der Adoption den 
Indern und Germanen gemeinsam ist, konnte es fast so scheinen, 
als habe man hier Reste altindogermanischer Brauche vor sich. Aber 
man darf nicht vergessen, daC das Haarab.schneiden auch sonst bei 
der Aufnahme in die Eamilie iiblich ist, so bei der der altindi.schcn, 
altgriechischen und litauischen Brant. Gleich Schrader Reall.- 15 ist 
es darum auch mir zweifelhaft, ob die Adoption eine urindogerma- 
nische Sitte war, zumal da keine einheitliche Terminologie zu 



Sacliliclies und Sprachliches zur indogermanischen GroBfamilie. 231 

linden ist. Al^Gegengrund lassen sich allcrdings nictt die andern 
Einrichtungen zur kiinstlichen Schaffang eines Soknes anfiihren, 
da in manclien Fallen weder Erbtochter nock Zeugungskelfer oder 
Leviratseke den gewiinsckten Erfolg kaken konnten , z. B. fiir 
einen kranken, verwitweten und kinderlosen Mann. 

Aiiliang. 

Andreas kat sick auf meine Bitte von iraiiiscken Gefangenen 
liber das Familienleken Angaben macken lassen, die ick mit seiner 
freundlicken Erlaubnis kier zum Abdruck bringe. 

Ein Ossete aus dem Dorf Snay , das von der Familie der 
Gtihuita bevvoknt wird und von dem UrgroBvater des Befragten 
gegriindet ist, gibt an, dafi man seine Frau aus einem andern Dorfe 
zu suchen babe und dafi sick eine Witwe nickt in dem Dorfe 
(— Geschleckt) ibres verstorbenen Mannes wieder verheiraten diirfe. 

Afgkanen vom Stamme der AfnJt (gesprochen Aprldi), die 
nickt unter engliscker Herrsckaft steken, bekundeten, dafi ihrVolk 
kaufig in GroBfamilien woknt. Eine soknlose "VVitwe ist zur Heirat 
mit ikrem Sckwager gezwungen, auck wenn sie nickt will. Da6 
der Sckwager sckou vorker verkeiratet ist, kann kein Hinderungs- 
grund sein, weil die Afr7(li Muslims sind. Hat die Witwe sckou 
einen Sokn, so brauckt sie nickt wieder zu keiraten. Die Erb- 
tockter wird in der Familie bekalten und von dem niicksten Ver- 
wandten — einen Bruder kat sie ja nickt — ■ gekeiratet. Uberkaupt 
keiraten (dui’ck Kauf) die Afridis vorwiegend Madcken aus ikrem 
Stamme; dock werden ikre Tockter auck den aks nake verwandt 
angesekenen OrcZ'4 7, spr. Wr'tzyl gegeben. Die Blutracke spielt unter 
denjenigen Afgkanen, die nickt unter engliscker Herrsckaft steken, 
eine grofie Eolle. Zwiscken Blutfeinden kann aber ein WalFen- 
stillstand, ‘Stein' la'iwie genannt, abgescklossen werden, und zwar 
durck einen vermittelnden Stamm. Wenn der Vertrag nickt ge- 
kalten wird', brennt der Vermittler das Dorf des Breckers des 
\\kilfenstillstands nieder. Bei einem Ausgleick wird je nack Zakl 
der Toten und A erwundeteii und der Art der Verwundung eine 
Recknung aufgestellt ; da gibt e.s dann eine regelreckte Taxe. der 
Ausdruck fiir dieses ‘"WArgeld’ ist nd^a. 

Ein Belutsck [UdJOc) aus Sonk;. (^auf der Karte Soran genannt) 
von dem Stamme JHu'i l>ezeugt, dafi in seiner Heimat die GroB- 
familie zwar vorkommt, aber nickt sekr iiblick ist. Hier kennt 
man die Blutracke nickt mekr. Die Witwe kann wieder keiraten, 
und zwar, wen sie will. 



232 Edu ard Hermann, Sachliches u. Sprachliches zur indogerm. GroBfamilie. 

Zn den Ausfiihrungen oben S. 217 fg., ist nacteutragen , dafi 
zwei verscMedene Griinde die Exogamie bei der Erbtochterheirat all- 
mahlich anfgeboben baben mogen. Da die Stellung des Einheiraters 
nirgends fiir besonders ehrenvoll gegolten haben wird, es aber 
darauf ankam, unbedingt einen mannlichen Xacbkommen fiir die 
Darbringung der Totensakra zu scbaifen, wird man darauf ver- 
fallen sein, den niicbsten Verwandten vaterlicherseits zur Heirat 
mit der Erbtochter zu zwingen. In alterer Zeit gesellte sick dazu 
als zweiter Grund der Vorteil fiir die Gesamtfamilie, dafi die Erb- 
tochter nicht erst gekauft zu werden brauckte , in jiingerer Zeit 
die Aussicht, das Erbe der Erbtochter in der Familie zu behalten 
(vgl. Plutarch Solon 20 und die Bemerkungen iiber die Afghanen 
im Anhang). 

S. 217 hatte ich nicht mit solcher Bestimmtheit sagen sollen, 
daB nur der erste Sohn des Erbtochtermanns bei des* alten Indern 
als Sohn seines Grofivaters mlitterlicherseits angesehen wurde, da 
die indischen Quellen nicht von dem altesten Sohn der Erbtochter 
(putriMputra) , sondern nur von ihrem Sohn im Singular sprechen. 
Jolly hat mir liber diesen Punkt freundlichst folgende Auskunft 
gegeben : Er weist darauf bin, daB die neueren Bearbeitor des 
indischen Reehts verschiedener Ansieht sind, Mayne Hindu Law 
and Usage’ 91 glaubt, daB nur der erste Sohn dem GroBvater 
gehort, dagegen GhoSe Principles of Hindu Law- 98 will ihm alle 
Sohne seines Schwiegersohns zueignen. Fiir den ersten Sohn allein 
spricht nach Jolly die Bestimmung bei Mann IX,. BO, daB in dem 
analogen Fall des Jci'etnij'j, d. h. des Sohnes, der dem sohnlos ver- 
storbenen Gatten von seinem Bruder in der Leviratsehe gezeugt 
wird, ein einziger Sohn aus solcher Verbindnng als Sohn des ver- 
storbenen Ehegatten seiner Mutter zu gelten hat. Im moderneii 
Indien beerben allerdings alle Sohne einer Erbtochter den niiitter- 
lichen GroBvater, s. A Manual of Malabar Law 114 fg. Im allge- 
meinen halt es aber Jolly ‘fiir wahrscheinlich, daB [im alten Indien] 
nur der alteste Sohn als putrilcupntra gilt , wahrend die jiingeren 
als die Sohne ihres leiblichen Vaters Jbetrachtet werden’. So bleibt 
es leider immerhin zweifelhaft, wie die Dinge im alten Indien lagen. 



Livius imd Horaz liber die Eutwicklung des romiscben 

Schanspiels. 


Von 

K. Reitzonstein. 

Vorgelegt in der Sitziing vom 19. Mai 1918. 

Leo hat in.einem feinen Aufsatz uber ‘Varro und die rbmische 
Satire’ (Hermes XXIV 1889 S. 67 ff.) das beruhmte Kapitel , in 
welcbem Livius die Greschichte des romiscben Dramas berichtet 
(VII 2), weil es von Jahn u. a. Varro zugeschrieben war, mit be- 
handelt und einer herben Kritik unterzogen: seine Angaben sind 
sachlich wertlos und nur in Xachalimnng griecbischer Theorie er- 
funden. Den Grundgedanken nahm Hendrickson, The Dnaiiatic Sa- 
tiira and the Old Comedy at Ilovie {American Journal of Philology XV 
1894 S. llF.) auf, formulierte ibn nock scharfer b und nabm zu- 
gleicb die zweite einscblagige Stelle der alteren lateinischen Li- 
teratur binzu, die Leo nur beilaufig gestreift hatte ^), Horaz Ep. 
II 1, 145 — 160. Sie bebandelt nacb ihm die gleiche Entwicklung 
und stammt aus der gleichen Quelle, daher darf man die einzelnen 
Wendungen des Livius nacb ihr deuten und z. B. hinter der von 
Livius erwabnten satiira die alte attische Komodie sueben, die auf 
Xaevius gewirkt bat. .Die Gleichsetzung der Satire des Lucilius 
mit der ap‘/ata z(op.cp§ia bat die ‘abenteuerlicbe Erfindung’ veran- 
lafit. In einem zweiten Aufsatz A Pre- Tar ronmn Chapter of Ponian 
Literary lihtorij {Ameriean^Journul of Phdology XIX 1898 S. 285 if.) 
fiibrte Hendrickson dann einen friiher von ihm fliicbtig bingewor- 


1) Ygl. S. 30 A. I ; y,The assumption is so monstruosly unhistorical^ . 

2) Leo a. a. 0. S. 81A.: „Man konntc tlic Satze (des Horaz) ohne Miihe der 
Darstellung des Livius einfugen". 



234 


R. Reitzenstein, 


fenen Gedaiiken naher aus, Horaz v. 156 — 165 deute auf den von 
Accius gegebeiien falscheu Ansatz des Livins Andronicu.s, den Varro 
spiiter lerichtigt liat. Da nun Horaz und Living auf eine ge- 
meinsame Qnelle. zurnckgingen, so stamme ancli Lisins VII 2 ans 
einer vorvarroniscken Quelle, vielleiekt, wie Hendrickson andeutet, 
aus Accius selbst. Ein letzter Aufsatz Sutura — the Gcnci'is uf a Lite- 
rary Form (Ctussival I'Jriloloyy VI 1911 S. 129) bring! kierzu nnr 
nock die eine Umgestaltung, daB aus der Geschickte der Bezeich- 
nung eafiira fiu.- das literarische des Hohngediclites nnnmebr 

erschlos sen wil’d, die unmittelbare Quelle des Livins und Horaz 
konne nick! wokl vor etwa 30 v. Ckr. fallen. Sckon vorker war 
Leo auf die ersten beiden Aufsatze des amerikaniseken Gelekrten 
in einer Erwiderung ‘Livius und Horaz iiber die Vorgesckickte 
des rbmiscken Dramas’ (Hermes XXXIX 1904 S. 63 if.) eiugegangen 
und hatte Hendricksons These, dab Horaz und Livius die gleiche 
Entwicklung sckilderten, mit einigen Einsckrankungen libernommen ^), 
gerade kieraus aber gefolgert, dull die starken UnterschieJe zwi- 
schen ikneu uns zwiingen, die Benutzung vers chi e den er Quellen 
anzunekmen; der Berickt des Horaz, den Leo jetzt auf Vers 139 
bis etwa 170 ausdebnte, sei vorvarronisck , der des Livius, den 
man wokl ganz dcssen annalistiscker Qnelle znweisen diirfe, nickt- 
varronisck; die wortlicken Uebereinstimmungen, die Leo friiker 
selbst nachdriicklich hervorgekoben liatte, bernkten nur auf der 
Verwendung der gleiclien griechiscken Mcthode in den beiden ver- 
sckiedenen Quellen. Die an diese Aufsatze scklieCende Literatur -) 
zaklt am vollstandigsten 0. Weinreieh in eiiiem Aufsatz ‘Zur ro- 
miscken Satire’ (Hermes LI 1916 S. 386 If.) auf und bring! in einem 
Punkte der Analyse des livianiscken Bericktes einen auBerordent- 
licli dankenswerten Fortschritt iiber Leo kinaus, bleibt aber freilick 
in der Hauptfrage wokl zu sebr in dem Bann einer eonununis ojjinlo, 
die sick unter dem EinfluB eines leickt entschuldbaren Irrtums bei 
Leo und seiner VergroBerung durck Hendrickson allmaklick ge- 
bildet bat. So gibt er mir den AnlaB, einen Deutungsversuck 
vorzulegen, den ick unter dem friscken Eindruck der ersten grund- 
legenden Arbeit Leos im AVinter lb89 in Hostock meinen Horern 
vortrug. Ick kabe nur A\ eiiireicbs feine Beobachtuiig hinzugefiigt 


1) I'ie Iruliere Aiideiitiinjr, daC er das Vcilialtiii.s der beiden Rerichte aiiders 
lasse I vgl. uliLii S' l-li.-li iiubeiucksi.litigt, 

2 1 J)eii i.lirenjdatz \erdieut in ibr die teiiio unu eindiingende Kritik ]!. L. 
Ullmans DnniKitic ,,Satuni-' {Cla^biad I'Moloyy IX Ibl:; S. Iff.), die mir fur 
die Jieutuiig des livianisehen lieriebtes auBerordcntlicb ertragrticli silieint. 



Livius imd Horaz iiber die Entwicklung des romisclien Schauspiels. 235 

und die Analyse des Livius ein wenig weiter ausgefiitirt. Von 
dem Wege Weinreiciis mull sich dabei der meine sehr bald schon 
trennen; denn wahrend dieser vor allem den Namen der Quelle 
ermitteln will, mbchte ich bauptsacblich feststellen, was sie eigent- 
lich lehrte. Dazu mu6 icb zuniiclist untersuchen, wie Livius bei 
der olienbar sehr starken Verkiirzung verfahren ist. Erst dann 
liifit sick die weitere Frage aufwerfen, ob sich bei Livius oder bei 
Horaz die Benutzung einer griechisehen Theorie so stark geltend 
macht, dafi sie die Verwendung auch guter romischer Tradition 
von vornherein ausschliefit. Dafi Leo diese Frage voranstellte und 
bejahte, hat ihn, den Meister der Interpretation, olfeubar ver- 
hindert, zunachst die Quelle selbst zu rekonstruieren, und Hen- 
drickson, der in der Wertung des Berichtes ganz von Leo abhangig 
ist, lafit in seiner Deutung alle Scharfe mid Methode vermissen. 
Paul Lejay endlich, der in seiner grofien Ausgabe der Satiren 
(1911) p. LXXXIIIfF. das Problem streitt, bleibt in der Interpre- 
tation ganz von Hendrickson abhangig, wahrend er die Ergebnisse 
offenbar „in konservativem Sinu'‘ umzugestalten bemiiht ist. Xicht 
auf ein derartiges Ergebnis konnmt es mir an — von dem Eifer auf 
jeden Fall die „Ueberlieferung‘’ zu retten, weifi ich mich frei — , 
wohl aber aut die Analyse der beiden Berichte. Leider i.st es 
unvernieidlich sie selbst noch einmal abzudrucken , sogar in wei- 
terer Ausdehnung, als es meist geschieht, damit klar wird, wie 
weit beidemal eine antiquarische Quelle iiberhaupt reichen kann. 
Ich beginne mit dem Berichte des Livius. 

VII cap. 2: Et hoc ci insc(jucnti catnu C.Siilpicio Ectivo C. Li- 
cinio iStolone coitsuJUnis ■pestilciitla fnit. (2) co uihtl dxjnitui uionoria 
actitm, nisi quod pacts deuni cxposccndae causa tertio turn post condi- 
fuiii urhem tcctisternium fait. (3) et cunt vis morhi nec hunianis con- 
siliis nec ope divina leraretur , vktis supcvstitionc animis hidi quoque 
scciitci, nova res iellicoso poqndo — nuni circi nwdo spcctactd inn fuerat — , 
itder alia luelesiis irae placamina tustiiuti dicuntur. cctcrum parva 
quoque, III ferine principia oinuia, et ca ipsa pcrcijrina res fait, sine 
cunnuie ullo, sine iiuiiandonan rarniinum actu hidiones , ex Etruria 
otLifi, ad tihicinis modos Sidtanfes hand indccoros inofus more Tusco 
didnnd. (^5) nnicart drinde cos iuventus siinul inconditis infer sc io- 
iittaria fii-ndcntis vcrsibus tocperc; nec ahsoni a incc niotus vrunt. 

(6) arnpla ifaque res saepiusque usurpaudo rxeitata. rcnuicidis artifi- 
tihus, fjida istcr Tusco ccrho hiditts rouihutur, nomen kistriondnis indituin ; 

(7) qui non, sii id ante, F< srennino arsn sirnil'.in iia onposduin tcuicre 
uc rudcrn idfcrnts iaciehant. .><.«' inphtas inod/s saluras destriido iani 
ad fillchuni Ldvtu induquc conprnenti peraijtiunt. (_ 8 ) Livius post 



236 


R. Reitzenstein, 


aliquot annis, qiii ah saturis ausus est primus argumoito fahulam sc- 
rcre, idem scilicet, id quod omucs turn erant, suorum carminum actor, (9) 
dicitur, cum saepius rerocutus rocem obtiidisset, vcnia pelita qnierum ad canen- 
dum aide tihiciiiem cum sfatuisset, canticum egisse aliquanto magis rigente 
motu, quia nihil rods nsus inpediehat. (10) incle ad mantiin cantari histri- 
onihus coeptum direrhiarque taiitum ipsoriim rod relicta. (_ll) piostiqltam lege 
line fabidarum ah risu ac suluto ioco res acocalutur et hulus in arteni 
paulatim verterat, inventus histrionibus fahellarum actu relido ipsa inter 
se more antiquo ridicnla intexta versihas iuetitarc coepit ; quae exodia 
posted appcllatn consertaqiie fabellis potissimum Atclhinis sunt. (12) 
quod genus ludorum ah Oscis accepAum tenuit iurentus, nee ah histrionihus 
podui passa est ; eo institutum manct, ut adores Atellanarum nec trihu mo- 
veantur et stipendia, tamquam expertes artis ludicrae, faciant. (13) inter 
aliarum qoarva principia rerum ludorum quorque primri origo ponenda 
visa est, ut apparerct, quani ah sano initio res i)i hanc vix opulentis 
regnis tolerahilem insaniam vencrif. 

cap. 3. Nec tamen ludorum primum initium proeurandis religi- 
onihus datum aut religione unimos aut corpora morhis lecaiit ; (2) rquin 
ctiani , cum medios forte ludos circus Ttbcri superfuso inriga.tus i)ipc- 
disset, id vero, velut aversis iam diis aspernantihusque qilacamina irae, 
terrorem ingentem fecit. (3) ituque C. Genucio L. AmnUio Alumcrco 
iteruni consulihus, cum quaetdorum -magis tvnquisitio unimos quam cor- 
I'ora morhi adficcrvnt, repetitum ex seniorum memoriu dicitur, qjcsti- 
Icntium quondam clavo ah didutore fixo sedatam. 

Sehr fein hat Weinreich hier gegen Leo (vgl. oben S. 234) 
auf die Wiederholung bedeutungsvoller Worte an Anfang und 
Elide des Haiiptberichtes verwie.sen iind aus ibr geschlossen, daB 
Livius in einen annalistischcn Grundtext eine Einlage ans einer 
andern Quelle gemacht hat. Handgreiflich ist die Absicht bei der 
* Wiederholung der Eingang.sworte ccterum parva quoque, ut ferine 
princijiia omnia, ct ca ipsa perrgrinu res fuii im ScbluB des Ab- 
schnittes inter aliarum qtarva q/rincipia reruin ludorum '■) quoque priina 
orujo jionenda visa est e. q. s. Aber in Verbindung mit ihnen miGt 
Weinreich mit Recbt auch der Wiederholung der Worte inter aha 
ceudestis irae ptaeamina in den spateren aversis iam diis aspernunti- 
husque placaminu irae (gcrade von den ludi svaenici gesagt) eine ge- 
wisse Bedeutung bei-). Es ist fiir den, dor die Technik der 


1) Das Behvort .scaeniconiw ist wesfselassen, weil es sich nach § 3 von .selbst 
versteht, nicht weil die Quelle nur die Bubneusiiiele beliandelte. 

2) Auch die Worte victis superstitione nniinis ludi quoque scacnici, iiora res 
helhcoso populo werden in ludorum primum indium proeurandis rchgiomhus datum 



Livius und Horaz iiber die Entwicklung des romischen Schauspiels. 237 

Wiederholungen nach Digressionen und Einlagen etwas verfolgt 
hat, durchaus sicher : was zwischen 2, 4 und 2, 13 steht, entstammt 
einer anderen Quelle ; ich nenne sie die antiquarisehe. Wir kdnnen 
den Inhalt der annalistischen und den Anfang der antiquarischen 
Quelle vermutungsweise noch etwas genauer festlegen. Festus 
p. 326, 26 M. gibt unter lauter Glossen, die mit den Buchstaben 
SAL beginnen, auch die Grlosse^l [Sa/iici qui ii\nnc liidi, scenicos 

\olim dkehaid. qno\^ iiyiimun fecisse C [fi\hdm 21. FopiUinn 

21. [fdium cundes aydile? memoriae \^nosirae prodiderunt] his tor id 

soleoaid [enim ludiones sadtare in\ o[rc]hestra, dum [/«]- 

hidae conpoyierent[^ur, cum gestibus non objscaenis. Da M. Popilius 
359 Consul ist, also 364 sehr wohl Aedil sein konnte, liegt offenbar 
derselbe annalistische Bericht zugrnnde, der sowohl die Jahresbe- 
amten wie die Spielleiter nannte und auBerdem eine andeutende 
Beschreibung gegeben haben muB, die denWorten des Livius sine 
carmine nllo entsprach, sunst konnte der Lexikograph sich nicht 
die fiir ihn moderne Bezeichnung saliici htdi (vgl. scdticae fabuJoe 
in der vita Lncani) fur diese scenici ladi bilden; wir haben ein ge- 
wisses Recht, aus den Worton des Livius hand indccoros motus die 
SchluBworte der Glosse zu ergiinzeu-). Dagegen gehbit die Erkla- 
rung des Wortes histrio kaum in die annalistische Quelle; denn 
Cluvius Rufus (bei Plutarch Attta Tcapar/.a 107) benutzt diese 
ebenfalls®), bietet aber cine etv/as andere Erklarnng des Wortes. 
Erst von § 5 (imitari dcinde eos) ist bei Livius die antiquarische 
Quelle allein benutzt. 

Diese Quelle, die nunmehr einzig fur uns Wichtigkeit hat, 


wieder aufgenomiQen. Das Mittel, durch derartige Wiederhohingen die Rtickkelir 
zu einer Ilaupterzahlung oder Hauptijuelle deutlich zu machen, bietet sich jedem 
aucli kunstlosen Erzabler von selbst, h.it aber bei bestimmten Historikern wie 
z. B. Polybios oifenbar bewuISte Ausgesfaltiing gefunden und laBt sich bei ihm 
jetzt mit Laqueurs Buch, in dem es freilich miBverstaudon ist, am leichtesten ver- 
folgeu. DaB wir die planmaBige tViederholung nicht etwa der annalistischen Quelle 
des Livius zuweiseu durfen, wird die Analyse der Fortsetzung zeigeu, die darzutun 
hat, wie stark Ijivius hier kurzt und die Aiiordnung der ihm vorliegenden Quelle 
umgestaltet. Uebrigens zeigt auch das folgcnde Kapitcl (VII 3) deutlich die Ver- 
bindung einer annalistischen mit einer antiquarischen Quelle. 

1) Ich beuutze cine eigene Collation des Farnesinus aus dem Jahre 1835. 
Dio Erganzungen Mullers nacli der Glosse Onhestra sind gauz unsicher. Die 
Glosse Salva res est, die danach folgt, ist in der Ilandschrift selbst deutlich als 
neuer Artikol abgehoben. 

2) Wohl im Gegensatz zu dein ialarius hidus, der von Anfang an ausge- 
lasscn war (Cicero Ue off'. I 150). 

3) Er neuut dieselben Cousuin 



238 


R. Reitz enstein, 


betrachtete ni. E. die Einfiihrung der Tanzspiele nicht als den 
Ausgaiigspunkt, sondern nue als den Wendepunkt einer Entwick- 
lung, die sich gar nicht auf die Jadi scaenici in dem romischen 
Jahresfest beschrankte. Sie mufite notwendig vor der Einfiih- 
rnng der Tanzspiele den alteren Branch freier Spottgesange 
schildern, da ihr ja darauf ankam, nachzuweisen, daB diese Ge- 
sange durch das Hinzutreten des Tanzes eine entschcidende Acn- 
derung erfahren hahen. Man kann das in dem Text sogar noch 
herausliihlen. Die Worte qid non si rat ante Fesmuimo versa 
siatU'.m iarompo.'itdm temere ac rudcni ultcrnis iaciehaut befremden in 
ihrem AnschluB an die Erklarung des Wortes Jiistriu-, sie 
wiederholen ferner nur, was vorher schon mit den Worten incon- 
ddis infer se iocalarhi fiijulentis rersdais gesagt war, iind geben hier 
Erlauterungen, die wit eigentlich vorher erwarten duriten: es 
waren nicht mehr eigcntliche Fcsccnniid , wohl aber etwas den 
Fesc' nnini noch immer Aehnliches. Der Begriif vvird durchaus als 
bekannt vorausgesetzt, wie wir spiiter sehen werden, wahrschein- 
lich sogar in einem Sinne, der durchaus nicht der allgemeinen 
Auffassung entsprach. Zunachst scheint mir sicher, daB die Er- 
klarung des Wortes histrioncs ungeschickt eingefugt ist ^). Die 
Schilderung muBte urspriinglich sich fortsetzen: vcrjiuculi deinde 
atfifkes )ion sicut ante c. q. s. Die Hervorhebung des zeitlichen 
Abstandes dieser Entwicklungsphase, die ich durch Einfligung des 
Wortchens deinde angedeutet habe, mufite unferbleihen, als die 
Namenserklarung eingeschoben wurde; Livins bringt sie — so 
konnte man vielleicht sagen — aus diese in Grunde in den fol- 
genden Worten non sievt ante nach. Allein gerade durch diese 
Worte entsteht eine schwere Unklarheit. Beziehen sie sich auf 
jene ersten Kachahmungen der iurentus'^), so ist zunachst nicht 

1) Siehe hiei'zu aucli Ullman Classical I’Jdldloijy IX 6. 

2) So Lejay und Hendrickson (Am Joarn. of Pliilol. XIV 8j Sie nelimen 

dabei an, daC die iurentns erst nach 3G1 zu singen bogonnen hat. Das ist auch 
sadillch uiiwalirsi-hcinlic.h ; das Singen der Xeckliedcr lieim Tiiumph — und also 
auch bci der pumpn — ist nicht durch die Einfuhrung des ernsten Tanzes zu 
erklaren und gilt ofl’enhar als sehr alt. Ganz andcre Erklarungen dafur batten 
sich ohne weiteres geboten und scheinen nach den VArten Fesemnino versa si- 
milem auch virklich in der Quelle vorgebradit zu sein. Detrachtete sie die Verso 
als schon gegeben, den gleichzeitigen Tanz zur Flotenbegleitung als neu hiuzuge- 
kommen. so ist der Ausgaugsjmnkt dieser Konstmktion klar; in dor ziehen 

wirklich nach Dionys von Halikaniass VII 7'2 nai h dem Chor der Waft'entanzer 
die lustigen Personen in ahnlichem Chor und ahmen ihn parodierend nach (\cl. 
unten S. 2-13). Aehnliches wird hier berichtot ; denn naturlich nelimen die Vorto 
nec ahsoni a voce mottis erant ihre Bedeutung zugleich ans den vorausgehonden 
inter se iocularia fundentes. 



Livius und Horaz tiber die Entwicklnng des romischen Schauspie " 239 


abzusehen, warum Livius in dein knappen Bericht deren Beschrei- 
bung ietzt wiederholt und in betrachtlicher Verstarkung wieder- 
kolt ; ja der Zosatz Fescenniuo vcrsii similein wird geradezu unbe- 
greiflicb. Aber nock unbegreiflicher wird bei dieser Annahme das 
Verbaltnis der cfrna^-idi artifices, d. h. dann also der hisfriones, zu 
der iurpi'itus, also den Dilettanten. Hendrickson, der gegen Jahn 
u. a. scbon die saturac den hisfriones zuweist, hebt hervor, die iu- 
renfus beginne ilir Spiel erst wieder nach Einliibrung der fnhnlae 
des Andronicns. Hierbei bleibt ebenso unerklart, woher die ver- 
nacitJi artifices denn kommen, wenn nicht ans den Reihen der in- 
ventus — Livius setzt dock offenbar voraus, dafi sie das Spiel der 
iuventus fortfiikren; nur unter dieser Voraussetznng hat der kurze 
Bericht iiberkaupt nock einen Sinn — wie andrerseits die Worte 
§ 11 po.dquaw lefie hac fahulanm ab risii ac soluto ioco res nvoenbatur 
et Indus in arteui /.autatim verteiat, inventus his/rionihits fabellarnni 
acta rctkto unverstiindlick bleiben. Nicht einmal der Ausweg kilft, 
Jcjie lac I'ahtdanun auf zwei Arten der falnda, die sntnra und die 
fibula im eigentlichen Sinne, zu beziehen; von der spater zu er- 
orternden lexikalischen Schwierigkeit abgesehen, wiirden wir, da 
jene beiden Arten ganz versekiedene ‘Gesetze’ haben, dann min- 
destens den Plural erwarten niiissen; lege hac falndarum kann nur 
keiken : durch diese Norm, fohular (mit festem Argument) zu bieten. 
Das wird anch in dem folgenden Paragrapken (12) durck die auf die 
Zeit n a c k Einfiikrung des eigentlichen Dramas beziiglichen Worte 
gesickert: qno l genus hidoriim . . . fennit inventus nec ah histriunibus 
pvUui passa cst. Erst das eigentlicke Drama bringt eine strengo 
Sekeidung der histriones und der inventus; bis dakin sind es im 
wesentlicken iS'sXovra! mit mekr oder weniger Sckulung. Die Un- 
klarkeit ist in Wakrheit nur durck die Einlage der Etymologie des 
Wortes histrio entstanden, das Livius hernach im Sinne der spateren 
Zeit f Acteur einer fremden Dichtung) gebrauckt. Dak sie die Einlage. 
die freilick ans der gleicken Hauptquelle stammen wird, nicht erkann- 
ten, hat die neueren Erklarer (auBcr Ullman) irre gefiikrt. Die ver- 
nucidi artifices sind zunackst nock kein fester Stand. Bedeutet dock 
artifex nack dem Sprachgebrauck aller Zeiten nur denjenigen, der bei 
den ludi mit irgend einer Darbietung auftritt (vgl. fiir die altere Zeit 
Plautus Amqddtr. 69,70, Poen.37) und Livius hat das Wort V 1, 5 
daker mit Eeckt eben von jenen etrnskischen Tanzern schon ge- 
braucht. Jene rbmische Jugend, welche den etrnskischen Tanz- 
brauck nachalnnt und mit dem Gesang improvisierter Sckerzlieder 
verbindet, ist selbst als ventacidi artifices bezeichnet, mag auch der 
Gedanke an eine gewisse Uebung und Sckulung der bfter auftre- 



240 


R, Reitzenstein, 


tenden Personen (vgl. res saepius usurpando excitcda) dabei scbon 
mitwirken. Dann aber konnen die Worte non, sicut ante, Fcscen- 
nino versu similem incompositum teinere ac rudem alternis iaciclant 
nicbt eine blobe Wiederbolung der friiberen inconditis inter se io- 
culariu fundentes versihus bieten; notwendig miissen die Worte sicut 
ante sicb auf die Zeit vor 364, nicbt nacb 364 bezieben. Livins 
konnte diese Zeit nicbt besonders beriicksicbtigen ; nur in einer 
Art Einlago verweist er auf sia. Die Annabme, daC die antiqaa- 
riscbe Quelle ibre Darstellung ebenfalls mit dem Jabr 364 be- 
gonnen baben miisse, bat keinerlei innere Berecbtigung und schafft 
nur Scbwierigkeiten. Greben wir sie auf, f?o ist der Grundgedanke 
klar. Vollig frei improvisierte und kunstlose Neckverse lassen 
sicb mit den einer bestimmten Melodie angepafiten und einer festen 
Entwicklung nnterworfenen Tanzbewegungen in der Tat nicbt ver- 
einigen ; eine Umgestaltung muBte eintreten ^). In der Quelle des 
Livius war die Entwicklung also folgendermaBen gezeicbnet: den 
Braucb, kunstlose Spottverse zu singen, batte die romiscbe Jugend 
von sebr friiher Zeit ber und libte ihn aucb bei der pompa oder 
den Spielen. Als nun aus Etrurien das stumme Tanzspiel zur 
Eldtenbegleitung auf einer Bretterbiiline eingefiibrt war^), abmte 
sie es nacb, indem sie es zu gleicher Zeit mit dem eignen Braucb 
der Necklieder verband. Diese Neubildung wurde allmiiblig ein 
Teil der offiziellen Eeier, aucb auf der Biibne. Es bildete sicb 
bei den dadurcb gesteigerten Anforderungen an den Sanger eine 
Art Stand einbeimiscber gewohnbeitsmaBiger Blibnenkiinstler , in 
dem die weitere Ausgestaltung sicb vollzog; so warden aus den 
urspriinglicb roben und improvisierten Wecbselgesangen allmablig 
impdetae modis saturae- aus der zunacbst von selbst sicb ergebenden 
Responsion von Gesang und Tanz (nec absoni a voce motus erant) 
wurde jetzt die planmaBige Komposition und scbriftlicbe Eixierung 
{descripto iani ad tihicincin canhi motitque cowjrucnti perapebant). Die 
letzte Eortbildung bringt diesem Spiel, bei welchem der Text 
scbon kiinstleriscbe Bedeutung gewinnen (zum eigentlicben carmen 
werden) konnte , Andronicus durcb die zusammenbangende Hand- 
lung, die zugleicb aucb gesprochene Partien notwendig macbt. Die 
tecbniscben Anforderungen an die scbauspielerische Kunst wacbsen 

1) Auch das Schnadahiipfl hat nur deshalb die Freiheit in der Wahl der 
Strophe und des Verses, weil der Sanger sich selbst auf der Zither hegleitet oder 
obne jcdo niusikalische Beglcitung eine bekannte kur/.e Weise nachahmt. Sohald 
die Mnsik unabhangig wird, verlangt schon sie eine kunstlichere Ausgestaltung 
des gesungcncn Textes. 

Der Tanz verlangt die Bretterbuhne ; so gelit von ihr die Entwicklung aus, 



Livius und Horaz iiber die Entwicklung des romischen Schauspiels. 241 


dadurch noch mehr, und zugleich wird die MehrzaU der Darsteller 
Werkzeug des Einen, der den einheitliclien Text schreibt. So lost 
sich jetzt ein wirklicb geschlossener Stand der Schauspieler, Mstri- 
ones, von der inventus, den Dilettanten, ab; letztere sinken zu der 
alten, kunstloseren Form zuriick ^). Den histriones bleibt das eigent- 
licbe Drama, das jetzt auch dem in diesen Darbietnngen friiber 
ganz ausgescblossenen Ernst (der Tragodie) zuganglicb ist. Den 
aufieren Anbalt dafiir, die Begriindung eines festen Scbanspieler- 
standes erst unter Andronicus anzusetzen, mocbte dem Grrammatiker, 
auf welcben diese ganze Konstruktion zuriickgebt, die Tatsache 
bieten, dafi erst in der letzten Zeit des Andronicus das collegium 
scriharum tt histvionum begriindet worden ist. Die Bezeicbnnng 
zeigt, dafi die scbriftlicbe Aufzeicbnung der Zeit als etwas Wicb- 
tiges und Neues gait. Zur Gilde geboren anfier den scribae nur 
nocb die histriones (das Wort ist jetzt auf die an den Text ge- 
bundenen Darsteller des literariscben Dramas bescbrankt). 

Das Fortleben des alten Braucbes, den die Dilettanten wieder 
aufnebmen, findet der Autor dann in den Liedern, die man s p a t e r 
mit dem griecbiscben Kunstnamen exodia bezeicbnet babe^); sie 
baben sicb besonders in der Atellane erbalten. Die Deutung der 
Worte consertaque fabellis potissimum Atetlanis sunt ist strittig. Na- 
tiirlicb konnen sie an sicb, wie Leo will, bedeuten: ‘sie sind be- 
sonders den Atellanen angefiigt worden’ (vgl. Ovid Am. Ill 6, 10 
nodi conseruisse diem). Nur ist der Ausdruck dann etwas unge- 
wbbnlich; die Wabl des Wortes conserere sebeint mir eber davon 
beeinftuBt, daB Livius soeben argumento fabidam severe fiir die ge- 
ordnete Zusammenfiigung der Handlung gesagt bat; das Wort 
conserere wird gern von der Zusammenreibung der Bestandteile 
eines Ganzen gebrauebt*), vgl. Seneca Quaest. nat. 1130 nubem . . . 
turn arida quam hiimida conseruut, Quintilian V 10, 71 nt sunt auteni 
tria tempora, it a ordo rerum tribus momentis consertus est; hahent 
mini omnia initium, incrementum, sunimum, Seneca 90, 16 plumae 

1) inter se more antiiiuo ridicida intexta versibus iactitare. Es ist klar, 
wanim bei dieser zweiten Wiederholung nur noch die poetische Grundform, nicht 
niehr die Roliheit der Ausfubrung betont ■wird. 

2) Das spiite Vorkommen der technischen Bezeicbnnng in Eom darf also 
nicht gegen die Glanb-wiirdigkeit der Quelle geltend gemacht werden (Leo, Hermes 
XXIV 79). 

3) Hermes XXXIX 68 A. 2. 

4) Auf den engen Zusammenbang wird dahei der Ton gelegt, vgl. Seneca 
Dial. YlllCt, 2 misceri inter se et conseri dehent, Epist 90,3 virtutes consertae inter 
se et cohaerentes, Cicero De faio 31 conserte cmitexteque. Die Stellen danke ich 
dem Thesaurus. 

Kgl. Oes, d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1918. Heft 2. 16 



242 


R. Reitz ens te in , 


in nsum vesfis consenintur, Lucan III 512 sed rttdis et qitalis pro- 
cimhit rnontihiift arbor conserifur, sfabilis nnvalihus area hcJlis, Culex397 
qnem circum lapklem leii de marmore formaus conserit. Ich halte 
demnach die Deutung von ridicida carmin-i consort a Afellunis ‘Scherz- 
lieder, die in Atellanen (durcli die Atellanen. daher zu Atellanen) 
mit einander verbunden sind’ fiir sprachlich durchaus einwandfrei. 
Im Sinne scheint sie mir sogar noch besser; der Ausdruck wiirde 
zugleich den friiheren Worten iinpletas mod is saturas einigermaBen 
entsprechen. 

Livius leitet sich mit diesen Worten zu der Erwabnung einer 
andem Art von Judi iiber, die seit ihrer ersten Uebernahme von 
den Oskern den Dilettanten verblieben nnd iiberhaupt niemals den 
hisfrionrs verfallen ist’j. Deutet man die Worte fenuif inventus 
streng. so mufi die Uebernahme nach der Ansicht des Grrammatikers 
vor die eigentliche Begriindung eines Schanspielerstandes gefallen 
sein. DaB dies tatsachlich einer grammatischen Tradition ent- 
spricht, zeigt bekanntlich Festus 217 M. Pcrsovafn f'-donJa. Alte 
Erklarer nahmen an, daB das so betitelte Stuck des Xaevius aus 
Mangel an hisfriones von Atellatii, also von personafi, wie die Neben- 
bezeichnung der Atellanendarsteller lante, aufgefiihrt worden sei. 
Es fragt sich danach nur, ob die Quelle des Livius nicht jene 
Uebernahme des oskischen Spiels sogar schon vor dem .Tahr 364 
erwahnt hat; sie hatte sie ja sonst in der Darstellung der Ent- 
wicklung mit beriicksichtigen miissen'-). 

Aitch in diesem Teil hat Livius in die kurze Skizze der Haupt- 
entwicklung recht ungeschickt eine Einlage aus spateren Ausfiih- 
rungen iiber die Auffiihrungsart des eigentlichen Dramas gemacht ; 
die Worte idem scilicet quod omnes turn erant suorinn carnnnum actor 
.... diverbiaqite tantum ipsorum rod reJicta zerreiBen alien Zu- 
sammenhang. Livius zeigt in dem Anfang des nachsten Satzes 
postcquam lege liar fab ul a rum ja selbst, daB er nnter der le.v operis 
der fuhida nur den einheitlichen Inhalt, bzw. den Zusammenhang 
der Handlung, meint. Er kniipft also an den Relativsatz qni 

Ij Die Worte nec ah histnonibus poUui jjassa est (Gegeiisatz zu histrionibus 
fubdlaram actu relieto) erhaltcn voile Bedeutung erst, wemi der Grammatiker die 
kiinstleriscbe Ausgestaltaiig der Atellane im ersten Jahrhundert v. Chr, sclion 
kennt, Auch ibre Darsteller LUden ja auch nach ihm einen Stand imd iiben ihre 
Kunst berufsmafiig (daher Afetlanarnm histrio abusiv Sueton A^’ero 39) ; der Unter- 
scliied zwiscben ihnen und den Idstriones ist nur historisch zu orklaren. Auf die 
Zeit des Accius weist bei Livius scbleehthin niebts. 

2) DaB die Uebernahme fruber erwahnt war, gelit aus tenuit hervor; die 
Worte ab Oscis acceptum sind von Livius ebenso aus den friiheren Ausfuhruiigen 
entnomnien wie in §'7 Feseennino versu similem e. q. s. 



Livius und Horaz libor die Eatwicklung des rdmischen Schauspiels. 243 

ah saturis ausus est a r gtcmeni o fabulam severe nnd erlautert ilm 
zugleich : durch das argumentum, die einheitliche komplizierte Hand- 
lung, wird, was vorher nur satura war, zur fabula, zur^rzahlung *). 
Gerade der Hauptsatz bleibt in der Fortsetzung ganz unbe- 
rilcksichtigt ; er bietet nnr eine nebensachlicbe Angabe, die nns 
abnen laBt, wie reich an antiquarischem Detail seine Quelle war^). 
Etwas gescbickter ist die letzte derartige Digression eingelegt eo 
institutum manet . . iamqiiam expertes artis ludicrae faciant. Ist sie 
doch dnrcb die Wabl des Verbums pollui wenigstens vorbereitet ; 
aber die Verklirzung zeigt sich auch bier. Die Quelle mu6 An- 
gaben geboten baben, dafi die histriones, die sicb docb nrspriingKcb 
aus der inventus rekrntiert batten, nacb ibrer Loslosong als Stand 
vollig der MiBacbtung verfielen und gegen sie jene Bestimmungen 
erlassen warden, von denen der Atellanenspieler nicht betroffen 
wurde. Die drei Digressionen zeigen , am besten den Cbarakter 
der Quelle, die otFenbar weniger eine Gescbicbte der dramatiscben 
Dicbtung in Rom^) als eine Gescbicbte der ars hidicra oder des 
Schauspielerstandes geben wollte. So kann ich es nicht so be- 
fremdlicb finden, dab Livius gar nicbt erwabnt, dab die eigent- 
licben Dramen TJebersetzungen aus dem Griecbischen sind, oder 
mit Leo vermuten, dab er diese Tatsacbe babe verscbleiern wollen *). 
Er durfte derartig elementare Kenntnisse bei seinen Lesern wohl 
voraussetzen. Ebensowenig diirfen wir die unbestimmte Angabe 
2Mst aliquot annis irgendwie beanstanden und aus der Absicbt, 
Widerspriicbe iiber die erste Auffiihrung des Andronicns zu ver- 
biillen, erkliiren. Die Zeitangabe recbnet nicht von der Einfiih- 
rung scenischer Spiele im Jahre 364 — dann ware sie, gleicbviel ob 
sie sicb auf das Jabr 240 oder 197 beziehen sollte, in jedem Falle 
abgeschmackt — , sondern von der Verfeinerung der inconditi versus 
zur satura modis impleta. Sie lieb sich zeitlich natiirlicb nicbt 


1) Damit verlieren risus et solutus ioeus ihre ausschlieBIiche Bedeutung und 
die Schauspielerkunst muB sicli nun weitcr entwkkeln, die dilettantische Jugend 
sich also von diesen Darldotungen zuruckziehen. Voiaussetzung ist immer, daB 
der freie, selbstandige Scherz der iuventiis vorher nachdriicklich zugesprochen ist. 

2) Das sehriftstellerische Verfahren ist ahnlich wie bei der ersten Einlage. 
Eine lange Darlegung will Livius in einer moglichst kurzen luhaltsiibersicht zu- 
sammenfasseu, flicht aber dennocb ein paar Einzelheiten, die aus antiquariscbem 
oder spracbgeschichtlichem Grunde sein Interesse besonders gefesselt baben , in 
vollerer Form ein. Solche Eiulagen lassen sich, wie wobl jeder von uns schon 
selbst erfabreu hat, nicbt immer leicht in den Zusammenhang der starker abge- 
kurzten Darstellung einfugen ; wir verwendcn dann den Notbebelf der Anmerkung. 

3) So Leo Hermes XXXIX G5. 

4) Hermes XXXIX 69. 


16 * 



244 


R. Reitzenstein , 


datieren ; der Seliriftsteller will nur ausdriicken , da6 diese neue 
Art geraume Zeit bestanden hat, bis die nachste Verfeinerung ein- 
setzte, und tut dies in dnrchaus passender Weise. 

Die folgenden Worte, die fiir den Wert des ganzen Berichtes 
und fiir die Arbeitsweise des Historikers Livius entscheidende Be- 

deutting haben, gilt es genauer zn priifen: Livius ciui ab 

saturis ausus esf primus argumento fahulam severe, idem scilicet, id 
quod omnes turn erant , suorum carminam actor. Leo ') meinte in 
ihnen die Tendenz des ganzen Berichtes und zugleich die Unglaub- 
wiirdigkeit der Angaben nachweisen zu kdnnen und verglich zu- 
nachst die ersten Worte mit der Angabe des Aristoteles Poet. 5 
tm Sk ’Ab-vivYjaiv KpdTti? Y,p|sv dzspievoi; rijc iosa? 

zadokou mistv Xd'coo? xal (loboo;. Die Uebereinstimmung schien ihm 
so stark, dab er den Worten ah .saturis die Deutung d'psp-svo? tfjc 
aatup'y.'^c ISsa? glaubte unterlegen zu dilrfen. Hendrickson, der 
dies aufnahm, redete geradezu von einer wortlichen Uebersetzung 
und fand danach die satura in den Worten des Horaz iam saevus 
apertiini in rcdnem coepit verti iocits charakterisiert. An ihn wieder 
schloB Lejay sich an, der in seltsamer Inkonsequenz zwar die fun- 
damentalen Unterschiede zwischen den sachlichen Angaben des 
Livius und Aristoteles hervorhebt, dennoch aber ruhig wiederholt, 
Livius babe den Satz aus Aristoteles iibernommen. Ich betone 
demgegeniiber zunachst: ab saturis kann nur heiben ‘ausgehend von 
den saturae, nach den saturae’. Dab diese sahirae irgend etwas 
mit der lap.^tXYj iSsa zu tun haben, labt sich aus dem Bericht des 
Livius zunachst nicht entnehmen. Ferner: Aristoteles meint, Krates 
habe den Charakter des personlichen Hohnes aufgegeben und den 
Eeden wie der Erfindung (jj,o9-o?) eine allgemeine Richtung und 
Beziehung gegeben; er ist darin der Vorlaufer der vsa xto;j.woia 
geworden. Die lateinischen Worte besagen dagegen nur: Andro- 
nicus hat eine Zeit lang saturae gedichtet, dann aber durch eine 
einheitliche Handlung, die in ihrem Verlauf ordnungsmabig dar- 
gestellt wird, etwas hergestellt, was man fahida (Erzahlung) nennen 
kann'-). Tatsachlich zeigt die Geschichte dieses Wortes, dab dies 
das Neue, dem Romer Auffallende in dem griechischen Biihnenspiel 

1) Hermes XXIV 77. 

2) Es ist ahnlich, wenn Weinreich a. a. 0. S. 411 einem Hinweis R. Sclioells 
folgend mit den AVorten idem scilicet, id qiiod omnes turn erant, suorum carminum 
actor den SosoxA&u; 4 vergleicht, wo ebenfalls in der Form der Parenthese 
gesagt wird r.d'/M yap -/.at o itoivj-rijc u5TC-/.p{vsTo abtri; fvorausgeht eine Erwahniing 
der [j.f/.po'.r;o)v(a, die bei Livius folgt). Auch bier taiischt tins, wie ieb uberzeugt 
bin, eine zufallige auBerliche Uebereinstimmung und ist wirkliebe Benutzung von 
Yornherein unwahrscheinlich. 



Livius und Horaz iiber die Entwicklung des romischen Schauspiels. 246 

war : es gibt eine voile, einheitliche Erzahlung. Nur deBhalb 
konnte der Begriff des Dramas bei dem Romer diese Wiedergabe 
finden ^). Wenn Hendrickson und Lejay bekaupten, Livius sckeide 
zwischen fabulae mit argumentmn and solchen okne argumentum^), 
so halte ich diese Deutung fiir unvereinbar mit den Worten des 
Schriftstellers und mit dem Sinne des Wortes fabula. Eine fahula 
sine argumento ist ein Widersprnck in sick selbst ®), and Livius katte 
dann den BegrifF fabida in dem ersten Gliede unterbringen miissen : 
inipJetas modis fdbidas peragehunt . . . Livius his fabulis argumenta 
uddereausus est. Die Worte, die er tatsachlick gewaklt kat, lassen 
nor die eine Deutung zu : erst seit Androniens die in fester series 
sick entwickelnde Erzaklung kereinbringt, entstekt das, was man 
als fabida bezeicknen kann; vorker war es era ordnungsloses Neben- 
einander von Gesangstucken. Dieses zusammenhangslose Nebenein- 
ander muB fiir ihn in dem Worte satura liegen, das fiiklbar in 
Gegensatz zu fabida gestellt wird. Der Begriif des Liedes kann 
nicht darin liegen, sonst katte er nickt impletas modis damit ver- 
bunden. Von dem Charakter der einzelnen Gesangnummern kann 

1) Wissowa (Realencycl. VI 1943) erklart es etwas kurz als Uebersetzung yon 
(jiu9o;. Das ist in einer Hinsicht ja durcliaus berechtigt, da p-nSo; die Erfindung 
(Handlung) bezeichuet (vgl. die Aristoteles-Stelle), dem argumentum entspricht 
(vgl. Thesaitr. I lat. II 548, 40) und in gewissem Sinne wie dies Wort fur das 
Drama selbst eingesetzt werden kann (vgl. Quintilian V 10, 9 nam et fabulae ad 
actum scenarum compositae argimenta dicuntur, eine Behauptung, die freilich 
durch die Fortsetzung stark eingesebrankt wird); allein fabula ist seit altester 
Zeit zugleich die teebnisebe Bezeichnung der Literaturgattung, 
und das ist p08o; nicht. Aus dem Latein ubersetzte spate Stellen wie Johannes 
Lydus de mag. I 40 p. 41,11 W. beweisen dafiir so wenig wie die lateiniscb- 
griecbischen Glossen. “Wie das Wort diese Bedeutung annebmen konnte, kann 
ich mir nur erklaren, wenn in dieser Art p08o;, bzw. fabula (argumentum), gegen- 
uber einem alteren Branch der charakteristische Unterschied der neuen Art emp- 
funden wurde. 

2) Lejay p. LXXXYII deutet argumento fabulam severe geradezu; er gibt der 
satura ein argumentum. 

3) Vgl. Pro Caelio 64 relut Jiaec lota fabella veteris et plurimarum fabula- 
rum poetriae quam est sine argumento, quam nullum incenire exitum potest! . . . 
mimi ergo iam exitus, non fabulae, in (quo cum clausula non invenitur, fugit ali- 
quis e manihzis, dein scabtlla concrepant, aulaeum tollitur. Ein Spiel mit den 
'Worten IrAim und fabula scheint mir Plautus Vapt. 52 zu bieten ■ haec res agetur 
nobis, vobis fabula'. fiir die Persouen der Handlung ist es ein wirkliches Ge- 
schehen, fur die Zuschauer nur eine ergotzende Erzahlung. Ein griechisches 
Vorbild mag trotzdem den AnlaC gegeben baben ; anders und doch abnlich ist die 
Stelle in Platos Gorgias 523 a, auf welche mich mein Kollego Prof. Pohlenz ver- 
weist : axo’jE of,, tpaat, peiXa xaXoO X.o-j-O'j, ov an piv r-pq-jr, p\i8ov eIvoi, luj iqui oTpen, 
jyih OE Xd^ov (u; aXrjbf, ydp dvva sot Xe^u) d pEAXto Xeyeiv. 



246 


R. Rei t z enst e in 


iiberhaupt nicht die Rede sein; eine Bezeichnung des literarisclien 
YEVo; des Ganzen brauchen wir keinesfalls darin zu suchen. Der 
Zusatz imp] das nmlis weist ofFenbar auf einen bildlichen Ansdruck, 
und zwar eker auf die satura luvx als auf das ycnus farciininis. 
Nur dafi das Bild scbon auf die Literatur iibertragen war, diirften 
wir auch aus Livius folgem, wenn es nickt auch sonst geniigend 
feststande ^). 

Mit derartigen freien Verbindungen verschiedener Gesangs- 
vortrage , die mit rhythmischer Bewegung verbunden waren , ist 
nach der Quelle des Livius der Dicbter Andronicus zuerst hervor- 
getreten (ab satiiris aiisus est c. q. s.) und war wie sie alle damals 
Dichter und Darsteller zugleicb -). Er behielt das, fuhr die Quelle 
nunmehr fort, zunachst auch naeh der Einfiihrung der fahulat bei 
und erleichterte sich erst in hbherem Alter die nunmehr sehr viel 
schwieriger gewordene Aufgabe durch die Zuziebung eines Sangers, 
ohne selbst die Aktion aufzugeben, die ihm also Hauptsache war. 
Als Zeagnis dafiir waren wohl Stellen, die eine ahnliche Gepflogen- 
heit fiir spatere Zeit belegten, angefiihrt ®). Wir erkennen jetzt, 
wie Livius bei der Verkiirzung verfuhr. 

Es ist diese Stelle, an welche Leo seine vernichtende sachliche 
Kritik geschlossen hat: alles, was hier berichtet wird, beruht nach 
ihm lediglich auf Erfindung! Und doch ist uns ein m. E. durchaus 
einwandfreies Zeugnis erhalten, dafi gerade diese Scbilderung Wort 
fiir Wort geschichtlich ist. Bekanntlich bestand noch zu Plautus 
Zeit, ja wahrscheinlich dariiber hinaus in der fabula ein a-fcov der 
Schauspieler unter einander. Die Einrichtung ist sinnlos innerhalb 
des literarischen Dramas, das durch den Umfang und die Besonder- 
heit der Rollen einen Wettbewerb aller Schauspieler fast unmoghch 
macht, ja selbst aufs schwerste leidet, wenn jeder Schauspieler 
seine Rolle mbglichst in den A^ordergrund drangen will; sinnvoll 
ist sie bei einer freien Abfolge von Einzelvortragen oder bei im 
wesentlichen improvisierten AYettkampfen, z. B. der Mimen, und ist 
hier ja auch immer geblieben; man denke an den von Caesar ver- 

1) Aehnlich Tjllman p. 14 und naturlich aucb Leo , zu dessen Grundan- 
schauung wir damit zunickkelireu. 

2) PaB omnes tian nur die Kunstler dieses sahira im Gegensatz zur fabula 
benannten Spieles sein konnen; hat ijeo Hermes XXIV 78 richtig betont. Von 
einer Fulle von Dramendichtern wurde man damals zunachst noch gar nicht reden 
konnen ; auch erwartete man dann eher plerigue post eum poetae oder dgl. X'ur 
Leos Deutiing gibt fcrner einen Fortschritt des Berichtes. 

3) Ein solches cantare ad manum keunt als Notbehelf auch die neuere 
Iheatergeschiehte. Ein Grund der Verdachtigung liegt in der vielleicht zu Un- 
recht verallgemeinerten Angabe sicher nicht. 



Livius und Horaz uber die Entwieklung des ronjischen Schauspiels. 247 

anIaBten Wettkampf des Laberius und Pnblilius Syrus ‘). Die Vermu- 
tung, da6 in die Anffilbrung deTfuliilac eine Einricbtung iibernommen 
ist, die urspriinglich fiir ganz andere Darbietungen, Darbietungen 
eigener Dichtung, bestimmt war, ist gar nicbt abzuweisen. Eun fiibrt 
uns Plautus ina Trinummus 627 if. ein Streitgesprach zweier Jimglinge, 
Lysitoles undLesbonicus, vor,das von demSklaven Stasimus belauscht 
wird. Es ist in trocbais^en Langversen, also einem urspriinglich 
gesungenen Mafi verfafit, ist also nach antikem BegritF ein caiiti- 
cum^). Der lauschende Sklave ruft gegen Ende v. 705: non enim 
j)ossum quill exdamtin engt. tuge, Lysitdes, icolX'.v. facile pulmam liahes: 
hie V id list, cicit tiia comoedia. hie agit mag is ex argumento et versus 
mdioris facit. Das ergibt klar das Bild eines improvisierten Agons 
iiber ein gegebenes Thema, bei dem jeder der beiden Darsteller 
gewisserniaBen sein eigenes Stlick bietet und fiir sicb, nicbt inner- 
balb des Ganzen, wirken will. Micb erinnerte es immer an die 
Wettstreite zweier Improvisatoren iiber ein gegebenes Tbema wie 
etwa ‘Feder und Schwert’, die ich in meiner Jugend nocb in Elo- 
renz gehbrt babe. Aucb sie vereiuten Dichtung und Gesang ^). 
In dem von Plautus gesebUderten Agon muB nocb eine Art knnst- 
voller Bewegung oder wenigstens Gestikulation hinzugetreten sein, 
denn sie wird als besonders wichtig betont hk agit mai/is ex ar- 
gumento {nec uhsoni a vuce mofiis erai/f — caufn moiuqiie congnienfi)^). 
Die Besebreibung ist so lebhaft und ansebaulieb, daB icb vermute, 
die Horer des Plautus kannten derartige Agone nocb aus eigener 
Ansehauung und konnten die Einzeldarbietung mit dem Eamen 
evnwtclia bezeichnen, weil solcbe freien Spiele nocb neben den Ko- 
modien iiblich waren und einen festen IS! amen nicbt batten. 

Eine gewisse innere Wabrscbeinlicbkeit wird man dieser Ver- 
mutung wobl zusprechen. Die iiber vier Tage ausgedehnten ludi 
boten dem Yolke das Allerverschiedenste. Die ISteueinfilhrung 
einer Spielart schlieBt also die AbschatFung der friiberen nicbt ein. 
Es i.st bei dem sakralen Cburakter der Ault'iibrungen und dem 
konservativen ►Sinn der Homer sogar wabrscbeinlich. daB aucb 
Ueberboltes sioh nocb lange hielt, besonders wenn es beim niedern 

1) Aus dem Xaehei i" ler der Darbietungen konnte sich das Xebeneinander 
einzelner leiclit und uiigezwungen enttvirkeln ; man denke an den Branch des 

oder die SchaJahuptin. 

2) Das VersmaS herrscht nocb in den Resten der literarisclien .\tellane. 

3) Die Improvisation ward diirch den Gesang, der es gestattete, den SchluB 
der Zeilen und Struplien zu dehnen, iiberliaupt erst ermbglicht. 

4) Sie b'ldet bei den Entscbeidungeii ein Kriterium . daB diese Septenare selbst 
kaum mehr mit T anz bowegungen verbunden waren, macht zuuachst nichts aus. 



248 


R. Reitzenstein 


Volk beliebt war ; nur konnte, was nicht literarisch war, in der 
Literatur natlirlich. keine Spuren hinterlasseii. Wir miissen uns 
an vereiuzelte Andeutungeu oder Festbeschreibungen halten. 

Von Wichtigkeit erscheint mir bei dieser Sacblage die Schil- 
derung der pmiija bei Dionys von Halikarnass VII 72, deren Be- 
deutung fiir die Benrteilung des livianischen Berichtes zu meiner 
Freude auch Ullman erkannt bat (a. ar, 0. S. 14). Hinter den 
otYwviaTat, die bei den liidi dann auftreten sollen , folgen zunachst 
opxiatai, und zwar in verscbiedenen Cbbren, zuerst die zu ern.sten 
Tanzen, aucb Waffentanzen, bestimmten Kiinstler, dann die '/opoi 
oatoptoTwv *). Von ibnen bezeugt Dionys eine Parodie der Darbie- 
tungen der ernsten Chore (goto'. 7.atsoy.o)7:t6y ts zal zaTspipoovTO to? 
azoodaiag xivT^asi? sirl to ysXotovBp/x [xsTO'pspovTs?), bezeichnet ibren 
Tanz als xspTojj-o? xal op'/Yjoi? und erinnert an die Spott- 

lieder der Soldaten beim Triumph, die SpaJBmacber beim Begrabnis 
der Vornehmen und daneben an die aztbp.p.aTO a;i6 twv ipiot^wv zu 
Atben. Mit einem gewissen Recht, wie eine Anzahl lateinischer 
Glossen beweisen. So bericbtet Festus bekanntlich p. 128 M. 
3Ianduci effigies in ponqxi untiquormi inter ceteras ridiciilas 
form idulosasq lie ire solchat , magnis iiiaJis uc late dehiscens et 
ingentem dentihus sonitim faciens, de qua Plautus (End. 535) ait : 
^Quid si (aliquo) ad liidos me pro ■manduco Jocem? Qaapropter? — 
{Quia pol) dare crepito dentihus^. Seine Scbilderung wird dnrch 
Placidus (Corp. gloss, tut. Y S3, 30 = 83,5; 116,13) Manducmn lig- 
neam hominis fguram ingentem, quae sold citcensibus mains movere 
quasi manducando erganzt. In der pompa wird der TJnbold im Ab- 
bild gefabren oder getragen sein ; bei den Spielen trat, wie die 
Plautus-Stelle zeigt, ein artifex fiir ihn ein und iibte mit den eigenen 
Kinnbacken jenes Knnststlick, das ibm beutzutage der toskanische 
Stentorello nacbmacht; es ist cbarakteristisch , daB der romische 
Popanz spiiter in das sogenannte ‘oskiscbe Spiel’ iibergegangen ist. 
Eine abnlicbe Erscbeinung mag jene Petreia gewesen sein , von 
der ein Spricbwort Pdreiu inpudentior stammt, vgl. Festus 242 M. 
Petre^ia vocahatur quae pomqKun qiraccedcns in cvloniils aid [munici- 
piis imitulatur anum ebrium ah] ugri citio, [scdicd petris, appetlata] 

reqireculis-) C.\^GraedniS Lon\vcrtar ad ilium 

inpudentior ntvr legationes Ypo^est. Aebnlicb jene Citei-ia, 


1) In der BescLreilning ihrer Tracht liebt Dionys besonders liervor, was 
seiner Tendenz, Reste altgrieehischen Jirauehes in Rom wiederzufinden, dient ; 
eine gewisse Hellenisierung mag allmalilig aiuh eiiigetreten sein. 

2j vepraeciUi Cod. Die Erscheiuung des Unholds war vielleicht beschrieben. 



Livius und Horaz liber die Entwicklung des romiscben Schauspiels. 249 

mit der Cato einen Gegner verglich, Festas p. 59 Citeria appella- 
hatiir effigies quaedam arguta et loqtiax ridiculi gratia, quae in pompa 
vein soJita sit. Cato in M. Caecilium: Quid ego in illma dissertem, 
amplius, quern ego denique credo in pompa vectitatum ire ludis pro Citeria 
atque cum spectatoribus sermocinaturam'^. Wie bei dem manducus 
scbeint es mir bei der Citeria klar, da6 sie nicbt nur im Zuge, 
sondern auch bei den Spielen selbst aufgetreten ist. Auch jene 
feierlichen Tanze sind ja nicbt nnr bei dem Zuge aufgefiihrt, son- 
dern haben sicb bei den Spielen selbst bis tief in die literarische 
Zeit erbalten. Das zeigt ein friiber falscblich anf eine Tragbdie 
bezogenes Geschichtchen bei Polybios (XXX 14) : Anicius, der Ueber- 
winder des Kbnigs. Genthios, wirbt fiir die Begleitung einer der- 
artigen Tanzauftubrung die vier beriihmtesten Plbtenvirtnosen 
Griecbenlands und lafit sie, jeden mit seinem Chor, zusammen anf 
derselben Biibne auftreten. Als ihr Spiel dem Festgeber zu lang- 
sam und gemessen scbeint, sendet er ibnen den Befebl aqmi'Qza&ai 
p.aX).ov, und der Lictor erklart dies, sie sollten eine Art Kampf 
auffubren. Sie lassen voll Hobn gegen den Barbaren ibre Chore 
gegeneinander marscbieren, und als ein Cborent gegen einen der 
Virtuosen mit geballter Faust losgeht, erbebt sicb stiirmiscber Bei- 
fall. Das ist, wenn wir davon abseben, dab die Tanzer offenbar 
nicbt die voile "Waffenriistung tragen, genau das Bild, das wir 
nacb der Beschreibung der pompa erwarten muBten, und entspricbt 
einigermaBen aucb der Angabe des Livius iiber die alteste Form 
der liidi scaenici : sine carmine ullo, sine imitandormn carminum actu 
. . . ad tihicinis niodos saJtantcs-). Aucb die beitere Nacbabmung 
dnrcb die SpaBmacber darf uns jetzt als bezeugt gelten. Selbst 
jene Einzellieder zur Flbte baben sicb bei dem Feste bis an das 
Ende des zweiten Jahrbunderts v. Chr. weiter erbalten, vgl. Cas- 
siodors Zeugnis (Mommsen Chronica Minora II 131): L. MeteJlus 
et Cn, Domitiiis censores artem ludicram ex ttrbe removerunt praeter 
latinum tibicinem cum cantor et ludiiin talarium. 

Bis in die Zeit der grammatiscben und antiquariscben Studien 
bat sicb in den Darbietungen der Indi alter und neuer Branch 


IJ Mail denke au den arcMmimua beim Begrabnis Yespasiaus. Cato nimmt 
bohnend an, daB sicb sein Gegner zu den ludi veidingen wild, wie der Sklave bei 
Plautus es mocbte. DaB die Darsteller dieser Kollen Maskeu tragen ist besonders 
begreitiicb. 

2) Mit Marx (Ilealencyelop. II 1015) von einem Indus Graecus zu sprecben 
haben wir schworlich AnlaB. Der Cbor, den Pohbios scbildert, war romiscb. 

3) Der griecbisehe b’ldtenmimus ist ausdrucklicb ausgescblossen, man will 
nur die nationale Ueberlieferung dulden. 



250 


E. Reitzenstein, 


neben einander erhalten. Der Versnch, hiernacb eine Geschichte 
der Entwicklung zu entwerfen, konnte gemacht werden und ist 
ofFeabar gemacht worden. So gilt es jetzt iiocb einmal die Erage 
aufzuwerfen, wie weit er durch die Tbeorie des Aristoteles beein- 
fluBt sein maB. GewiB kann man antworten. der ganze Gedanke 
einer bistorischen Entwicklung muB auf grieehischer Anregung be- 
ruhen und die Betracbtungsart ist griechisch. Aber direkte Ent- 
lehnnngen aus dem Griechischen finde ich bisher nicht. Leo glaubt 
eine solche freilicb nacbweisen zu konnen; Livius kann gar nicht 
selbst Schauspieler gewesen sein, denn er ist Schulmeister ge- 
wesen ; das war ein immerhin anstandiges Gewerbe, das des Idstrio 
war es nicht. Er selbst weist dabei darauf bin, daB uns die An- 
gabe in drei unabhiingigen TJeberliefernngen vorliegt, in der Quelle 
des Livius, sodann bei Eestus p. 333 M. in der Angabe, daB zu 
Ehren des Livius Andronicus das coUegiiou scriharum et hisfrioninn 
begriindet wird, quia is ct scribebat fabuius et ayebut, endlich in dem 
Liber glossarum {Carp, gloss, laf. V 250, 10) Tragocdias couiocdinsqae 
primus egit idemque etiam conposnit Livius Andronicus ditplui toga 
infidatus. Wenn Leo annimmt die Vereinigung der Dicbter und 
Schauspieler in einem Kollegium sei der AnlaB fur die Erfindung 
iiber Livius Andronicus gewesen, so ware damit besten Falls eine 
Moglichkeit, einen sonst erwiesenen Irrtum zu .erklaren, gewonnen, 
aber zugleich die Annahme der Einwirkung der griechischen The- 
atergeschichte iiberflussig gemacht. Auch liefie sich sofort ein- 
wenden, daB die Vereinigung von Dichtern und Schauspielern zu 
einem Kollegium, gerade wenn die Atimie des Schauspielers da- 
mals so schwer empfunden wurde und die soziale Stellung des 
Dichters so hoch war, wie Leo voraussetzt, nun ihrerseits be- 
fremdlich wird. 

Konnen wir nach dem Wenigen, was uns bekannt ist, iiber- 
haupt eine Entscheidung fallen ? GewiB, Plautus hat vierzig Jahre 
nach Einfuhrung des Dramas seine jabulae einem dux yregis zur 
Auffiihrung iibcrgeben; aber als maccus ist er vorher selbst vor 
das Publikum getreten *). Als Livius seinen kiihnen Schritt wagte, 

1) Ich halte, wie Leo, hierau trotz W. Schulze test, naturlich ohne Plautus 
dadurch zum „ Schauspieler" zumaehen. Er war artifex scenicus. Wenn Leo freilich 
(schon im Hermes XXIV 78) die Angabe des Gellius III 3, Id als „legendarisch“ be- 
zeichnet, kann ich nur teilweise zustiraraen. Sie kann — besonders wenn man den 
geschraubten .'\usdruck ad drciimagendas molas quae trusatdes appellantur yergleii ht 
recht wohl aus einer Stelle eines der drei Stiicke stammen, die man mit Kecht oder 
Inrecht als Anspielung auf eigeues Erleben falite: die Worte in opens artipcum 
scemcorum mussen wir nach archaischem Sprachgebrauch deuten (vgl. z. L. Jler- 



Livius und Horaz uber die Entwicklong des romischen Schauspiels. 261 

gab es einen dux grcyis, an den er sichwenden konnte, iiberhanpt 
nicht, nur Tanzergesellschaften und, nach nnserm Bericht, freie 
Einzelsanger und SpaBmacher. Er batte alien Anlafi, selbst in 
die Liicke zu treten'), wenn das moglick war. Dafi seine Nene- 
rung — besonders die Einfiibrung der Tragbdie — einem Wunsch 
gerade der vornehmeren Kreise entsprach, ist sicher; ob sie, die 
keinen AnstoB daran nahmen, dafi der Sklave and Freigelassene 
ihre Kinder unterrichtete, dies fiir unmoglich erklart batten, wenn 
er in dem neueingefiibrten griecbischen Spiele auftrat, kann wobl 
niemand sagen -). Dafi, sobald ein Stamm ausgebildeter Scbau- 
spieler vorbanden war, die Trennung tatsacblicb eingetreten ist 
und die Stellung des Dichters sich gehoben hat, bestatigt uns die 
Angabe, dafi der Scbauspieler — weil er zugleicb Tanzer blieb 
(vgl. Cicero De off'. I loO) — zunachst misacbtet war, aber es be- 
recbtigt uns nicbt, die Angaben iiber den Notbebelf in der ersten 
Zeit kurzer Hand beiseite zu scbieben. Eecbtlicbe Bestimmungen 
werden sicb erst nach der Ausbildung des Standes ergeben haben. 

Fallt dieser Einwand also fort, so sehe ich nicbt, was man 
an dem Bericht der Quelle des Livius als abenteuerliche Erfindung 
bezeichnen will, mbchte aber, ehe ich die Folgerungen aus ihm 
ziehe, zunachst die mit ihm verglichene Stelle des Horaz (Epist. 
II 1, 139 ff.) ins Auge fassen. Wieder muB ich , leider , den Text 
dem Leser noch einmal vorlegen. 

Agricolae pirisci, foAcs par vogue beati, 

140 coudita post frumenta levantcs tempore festo 

corpus et ipsum animum spe finis dura ferentem 
cum sociis operum, pueris et coniuye fida, 

Tellurem porco, Silvanum lacte piabant, 
floribus ct vino Genium memorem brevis nevi. 

146 Fescennina per hunc inventa licentia morem 
versibus alternis opprobria rustica fudit, 
libertasque recur rentis accepta per annos 
I us it amabiliter, donee iani saecus apertam 

cator 816 pol hand censeiam istarum esse operarum patrem)\ der Plural steht 
fur den Singular (vgl. das lehrreiche Gegenbild Big. 32, 73, 3 proinde si quis servos 
habuit proprios, sed quorum operas locabat cel pistorias vel histrionicas vel alias 
similes). Nur freilich, fur Plautus gewinneu wir doch niebts , da die Echtbeit 
jenes Stiickes ja bestritten war. Er wird nicbt der einzige Komiker gewesen 
sein, der von der Picke auf gedient bat. 

1) Er wird in der Quelle des Livius durebaus als Protagonist, also als dux 
gregis, besebrieben. 

2) Der Yerweis auf Naevius, der Soldat gewesen sei (aber nicht romiseber 
Burger), hat nocb weniger Ueberzeugungskraft. 



252 


K. Keitzenstein, 


hi rahiem coepit verti ioeus et per honestas 
150 ire donws inpune minax. doluere cruento 
dente lacessiti, fait hitactis quoque cura 
condicione super cummuni, quin etiam lex 
poenaque lata, nialo quae noUet carmine quemquuni 
describi. vertere modum, fonnidine fustis 
155 ad bene dicendum deledandimque redacti. 

Graecia capta fertim ricturem cepit et artis 
intidit agresti Latio. sic Jiorridus ille 
deflitxit numerus Saturnius et grave virus 
munditiae pepidere ; sed in longutn tamen aevum 
160 manserunt hodieqiie manent vestigia ruris. 
seriis enini Gruecis admovit acimina chartis 
et post Funica bella cquietus quaerere coepit 
quid Sophocles et Thespis et Aeschylus utile ferrent. 
temptavit qnoque rem, si digne vertere posset, 

165 et placuit sibi natura suhlimis et acer-. 

nam spirat tragicton satis et felkiter audet, 
sed turpem putat inscite metuitque lituram. 
creditur, ex medio quia res arcessit, habere 
sudoris minimum, sed laibet comoedia tanto 
170 plus oneris, quanto teniae minus, adspice, Plautus 
quo pacto partis tutetur amantis ephebi, 
id patris attenti, lenonis ut insidiosi, 
quanfus sit Possennus edacihus in parasitis, 
qiiam non adstricto percurrat pulpUa soqco. 

176 gestit enirn nummum in locidos deniittere, post hoc 
securns, cadat an redo slet fabula tcdo. 

Blit Livius beriihi’eii sich niir die Yerse 139 —155. Nur sie 
geben einen zusammenhangenden Bericbt, der sich auf eine literar- 
historische oder antiquarische Darstellung zuruckfiihren lafit, und 
auch sie geben ihn naturlich nur in der XJmgestaltung durch einen 
Dichter, der aus der gelehrten Angabe ein anschauliches nnd in 
sich geschlossenes Bild herairsgestaltet. Was nur diesem Zwecke 
dient, werden wir als sein Eigentum absondern und zugleich mit 
der Wahrscheinlichkeit rechnen miissen, dafi jenes Bild in einen 
neuen, durch den Zweck des Briefes gegebenen Gredankenzusammen- 
hang geriickt ist. Die Charakteristik der altlatinischen Bauern 
und ibrer Gedanken wird niemand fiir die Quelle in Ansprucb 
nebmen; danu diirfte man es freilich auch nicht ohne weiteres mit 
der entsprechenden Angabe der Stimmung und Gedanken der 
Stadter, die zu dem Gesetz fUhren, Auch hier waltet eine Breite 



Livius und Horaz fiber die Entwkklung des romiscben Schauspiels. 253 

und Anschaulichkeit, die mekr fiir den Diehter als fiir die gelehrte 
Quelle Zweck hat. Grerade hier aber finden sich die Beruhrungen 
mit den Traktaten iiber die attische Komodie, die besonders Hen- 
drickson hervorhebt. Tatsachlich sind hier Ziige aus dem Grrie- 
chischen ubernommen, und sie passen sogar fiir die romische Si- 
tuation nicht recht. Setzen sie doch ein Einzelgesetz voraus, das 
unmittelbar aus den geschilderten TJebelstanden entspringt, wah- 
rend in der Quelle, wie wohl kein Erkliirer mehr bestreitet, von 
dem Gesetz der Zwolf Tafeln die Rede war ^). Nun kennt Horaz, 
der ja schon frllh die Satire des Lucilius mit der a.^yain 
vergleicht und selbst mit der vsa wetteifern mbchte, jenes angeb- 
liche Verbot des ovop-aaii oxtuTtrstv in Athen. Die Einzelnheiten 
dieser Schilderung kbnnen daher durchaus auf ihn selbst zuriick- 
gehen, ja sie erweisen sich bei naherer Betrachtung als eng mit 
dem Grundgedanken verbunden, in den er die Angaben der anti- 
quarischen Quelle geriickt hat. Horaz benutzt sie, um einerseits 
zu betonen, daB die romische Dichtung nnter den Bauern entstanden 
sei und die Spuren dieses Ursprungs erst spat, ja eigentlich nie 
vollig losgeworden sei, andrerseits um hervorzuheben, daB nur die 
grausamste Strafe (das fustiarimn) die erste Wendung dieser Dich- 
tung zu einer harmlosen Kunstubung erzwungen habe. Die Worte, 
die er dabei gebraucht formidinc fustis ad bene dicendum de- 
ledandunique redacti, zeigen dabei in dem Spiel mit der Doppel- 
deutigkeit der Worte bene dicendum die Erinnemng an ein eigenes 
friiheres Wortspiel Sat. II 1,80 fF. we forte negoti incutiat tibi quid 
sanctarum inscitia legim: si mala condiderit in quern quis car- 
niina, ins est iudiciumque. — Esto, si quis mala: sed bona si quis 
iudice condiderit laudatus Cnesare'i Auch hier wird auf das Zwolf- 
tafelgesetz angespielt. Wir begreifen, welche Gedankengange und 
Erinnerungen ihn bei der Ausgestaltung der antiquarischen Quelle 
beeinflussen konnten. Fiir diese selbst glaube ich mit einiger 
Sicherheit nur folgende Angaben in Anspruch nehmen zu kbnnen : 
das Alter der Poesie in Latium bezeugen schon die Zwblf Tafeln-); 
das malum carmen, von dem sie sprechen, miissen die sogenannten 
Fescennini versus gewesen sein, die mit ihrer Ankniipfung an das 
landliche Leben bis in friihe Zeit hinaufreichen miissen; sie haben 
freilich unter der Einwirkung dieses Gesetzes ihren Charakter und 

1) Vgl. auch Useners klassiscLen Aufsatz ‘Altitalische Volksjustiz’ Rhein. 
Mus. LYI Iff. = Kl. Schriften IV 35Cff. 

2) Vgl. Cicero Tusc. IV 4; quamquam id quidem etiam XII tabulae decla- 
rant, cmidi iam turn solitum esse carmen, qiwd'ne Uceret fieri ad alterius iniuriam, 
lege sanxerimt (vgl. De re p. IV 12). 



254 


K. Reitz en stein 


ihre Weise einigermaBen geandert. So weit reicht ein klarer Zu- 
sammenhaug and ist gelehrtes Material benatzt. Was Horaz welter 
hinzufUgt, sind allgemeine Betrachtangen, fiir die er eine antiqua- 
rische Quelle nicht bedarf ’). Wenn er wirklich in v. 162 die falsche 
Datierung des Andronicus durch Accins voraussetzt, was mir nicht 
ganz sicker erscheint, so ist nur er selbst, nickt die Quelle, fiir dies 
Festkalten an einem langst ‘berichtigten Irrtum seines Lekrers 
verantwortlick. 

Horaz kat uns also nur eine Angabe, die bis zum Jahre 450 
reickt, erhalten; der Berickt des Livius beginnt erst 364. Ein 
Vergleich, wie ihn Leo in seinem zweiten Aufsatz anstellt nnd 
Weinreich welter fortfiikrt (Horaz nimmt landlicken, Livius stadti- 
scken Ursprung an u. s. w.) kann daher nicht beweisen , was er 
soil, die beiden Sckriftsteller reden von ganz Versckiedenem. Hen- 
dricksons Deutungen des Livius aus Horaz und des Horaz aus 
Livius kennzeicknen sick nunmehr okne weiteres als schwere Ver- 
stbfie gegen die Metkode der Quellenforschung wie der Interpre- 
tation. Wohl aber lohnt es zu fragen, ob nickt Leos erster Ge- 
danke, das Horaz-Stuck liefie sick in die Darstellung des Livius 
einfiigen ^), gliicklicher war. Ich mochte fiir ihn eintreten. 

Es ist sehr auffallig, dafi Livius und Horaz den Vers nickt 
nur fast mit denselben Worten ckarakterisieren, sondern dafi auch 
der eine sckarf hervorkebt, da6 er nickt mekr von dem Ftsccn- 
ninus versus selbst, sondern von einer ihm ahnlichen Eortbildung 
redet {qui non, sicut ante, Fesccnnino versii siniilem incom- 
positum tcnierc ac rtulem alicrnis iacichnnt), wahrend der andere 
berichtet, dafi dieser Vers durch das Zwblftafel - Gesetz seinen 
Ckarakter geandert kat {Fescennina per Imnc inventa licentia morem 
vers Hits alternis opprobria rustka fudit . . . , vertere modim 
formidinc fustis)^). Fiir beide Berickte ist die Voraussetzung, dafi 
die versus Fescennhn die alteste lateiniscke weltliche Poesie dar- 
stellen. Mir geniigen diese sehr auffalligen Uebereinstimmungen, 
urn kei Horaz den Anfang des von Livius benutzten Berichtes 
wieder zu erkennen, dock mu6 ick befiirckten, dafi sick bei der 

1) Kunstlerisfhes Interesse und Kuustempfiuden kam erst aus Griechenland; 
so konnte Ennius den Hexameter einfuhren, Terenz n, a, auf den serrno purus 
achten n. s. w. 

2) Vgl. oben S. 233 A. 2. 

3) Den Charakter des Wechselgesanges mochte man dabei entweder aus den 
noch iiblichen Xeckereien bei der Hochzeil oder aus anderen Neckversen, wie den 
bei dem Triumph bekannten, erscblieBen. Die Improvisation (auf sie deutet ja 
das von Lejay u, a falsch iibersetzte Wort temere) war durch die gleichen Ana- 
logien und die Theorie gegeben. 



Livius und Horaz fiber die Entwicklung dea romischen Schauspiels. 265 

Metrzalil der Forsclier das Mifitrauen gegen dessen sachliclie An- 
gaben eben dadurch steigert, da sie den Fescennimis versus anders 
betrachten. Ich muB daher auf ibn noch eingehen. 

Wissowa geht in seiner Besprechung Realencycl. VI 2222 von 
dem Gedanken aus, daB wo die Worte Fescenninus versus u. dgl. 
im lebendigen Sprachgebrauch erschienen — die Stellen reicben 
von Catull bis zum Ausgang des Altertnms — , Hocbzeitsgesange 
bezeicbnet wiirden; also sei dies die nrspriinglicbe Beden- 
tung; wegen ibres ausgelassenen Cbarakters sei dann die ur- 
spriinglicb spezielle Bezeicbnnng vereinzelt auch fur kecke Spott- 
gedicbte allgemeineren Cbarakters verwendet worden, so von Oc- 
tavian fiir Hobngedicbte auf Asinins Pollio (Macrobius Sat. II 4, 21), 
ja der alte Cato babe das Wort Fescennimis geradezu in dem 
Sinne von ‘Frecbling’ verwendet. Die beiden bisber besprochenen 
Stellen des Livius und Horaz werden dabei als Konstruktion eines 
Gelebrten, der die Aristoteliscbe Darstellung der Anfange des 
griechischen Dramas auf Italien iibertrug, beiseite geschoben. Allein, 
wenn seit der klassischen Zeit ein alter Brauch improvisierter 
Scberzlieder nur nocb bei der Hochzeit nachweisbar ist, so folgt 
daraus nicht notwendig, daB die Bezeichnung dieserLieder 
urspriinglicb nur fiir die Hochzeit gepragt ist; unverstandlicb 
bleibt ferner, warum diese Lieder dann den Namen ‘Verse aus 
Fescennium’ erbielten, bedenklicb endlich, daB wir bierbei von 
einer tecbniscben Bezeicbnung einer Dicbtart oder Versart aus- 
geben '), zumal da der alteste Gebraucb Fescenninus als Personen- 
oder Standesbezeichnung kennt. Ich mocbte von diesem Gebraucb 
ausgehen. 

In der Rede Si se 31. Caelius trihunus plebis appellasset bat 
Cato seinen Gegner als lacberliche Person cbarakterisiert : er ver- 
gleicht ibn mit der Citeria, die bei der pompa mit den Zuscbauem 
plaudert (oben S. 249) , mit dem Quacksalber, der unter Witzen 
seine Mittel ausschreit, mit dem Bettelsanger, der fiir ein Stiick 
Brot redet oder scbweigt, endlich mit dem Fescenninus : hi colo- 
niam me hercules scrihere nolim, si triiimvirum shn, spatiatorem atqiie 
Ffscennimim. Das Bild erweitern die unmittelbaren Schilderungen 
praeterea cantat, uhi cullibuit, interdum Graecos versus ayit, iocos 
died, voces denuded, staticulos dat3) und descendit de cantherio, inde 

1) Auf den versus Saturnius wird man sich kauni berufen konnen, er setzt 
in. E. die liezeichnung Italiens als Saturnia tellus voraus, ist also eine relativ 
junge, kunstliclie Bildung. 

2) Eine Datierung der Rede ist Jordan nicht gelungen ; sie ist fur uns zeitlos. 

3) Vgt. Plautus Persa 824 nequeo, km, qidn tibi saltern statkulim, olim 



256 


R. Reitzenstein 


statiridos dare, ridicidaria fundere. Ein lebensvolles Bild nicbt des 
FrecUings, sondern des gewerbsmaSigen SpaBmacbers 
wird bier gezeicbnet ; er ist der Fescennimis. Icb mocbte in dem 
Fragment sogar einen gebassigen Seitenbieb auf Fulvius Xobilior 
seben, der den Ennius als Burger in die Kolonie aufgenommen bat, 
nnd fiir die Verbindung mit spafiafor das bekannte Fragment aus 
dem Carmen dc moribus (Gellius XI 2) vergleicben : poetkae artis 
honos non erat. sigms in ea re studehat ant scse ad convivia adpli- 
tabut, (jrassator vocabatur. Von bier gewinnen wir eine verstand- 
liche EntwicHung: der fahrende Mann, der bei den Fasten der 
latiniscben Bauern erscbien nnd seine SpaBe vortrug, war ur- 
spriinglicb nacb der slidetrurischen Stadt Fescennium benannt 
worden, in der vielleicbt eine Art Gilde bestand oder von wo zu- 
erst einige bekanntere Vertreter dieses Gewerbes gekommen waren'-). 
Leicbt erklarlicb ist dann, wie bieraus die Sachbezeicbnungen 
Fef,annma iocatio, oder Fescennini ioci (bzw. versus) enstanden. Als 
die Nacbabmnng des alten Branches im wesentlicben auf die Hoeb- 
zeit beschrankt war, entstanden fiir sie dann neue Erklarnngen, 
deren eine wir durch ihre Benutzung bei Lukan II 368 auf eine 
bestimmte Quelle zuruckfiihren konnen: 

non soliti lusere sales nec more Sabin o 
excepit tristis convicia fesla maritiis. 

Die gelebrte Quelle ist klar. War in ihr ein altitaliscber 
Braucb auf die Sabiner zuruckgefiihrt , wie das Varro ja liebte, 
so konnte der Name des Verses dabei kaum von der etruriseben 
Stadt abgeleitet werden. Also gebt von den beiden im Altertum 
liblichen Worterklarungen, die Festus (Paulus) p. 85 M. verbindet, 
Fesiennini versus-, qui canebanhir in naptiis, ex urbe Fescennina di- 
cmitiir cdlati (vgl. Servius zn Aen. VII 695), sire ideo dicti, quia 
fascinum piutabantur arcere, die zweite, spracblicb unmogliche auf 
Varro zuriick, der dabei eine altere auf die Person des Fescenninus 

quern Ileejea faciebat. vide vero, si tibi satis placet. — Me qiioque rolo reddere, 
Jliodorus quern olim faciebat in Ionia. 

1) Cato weiB also, daB zu den Gelagen itnd Festen sclion in der Vorzeit 
fahrendes Volk zu kommen pflegte, das, ahnlich wie in seiner Zeit die poetae bei 
den Jlahlen der Grofien, fiir Unterhaltung sorgte; nur waren jene Leute miBachtet. 

2) Auf die Personen, nicht aber auf die Verse konnte sich auch die Glosse 
des Festus (Paulus) p. 86 beziehen: I'escenmoe (wobl Fesceninoe) vocabantur, qui 
depellere fascinum credehantur. Es ware an sicli durchaus moglicli, daB jene fah- 
renden Gesellen in alterer Zeit auch allerlei Zauberbraucli getrieben liaben oder daB 
der sakrale Charakter ihres Tuns starker empfunden worden ist. Doch gestattet 
die Unsicherheit uber die Herkunft und Beziebung der Glosse, die auf ein S])racb- 
denkmal sebr fruher Zeit bezug nehmen muB, keine sicheren Schlusse. 



Lirins und Horaz uber die Entwicklung des rdmischen Schauspiels. 267 

bezugliclie Glosse benutzt haben mag. 1st dies ricbtig, so hatte 
seine y.rkiarnng des Begriffes zwar manche Aebnlichkeit mit der 
bei Horaz und Livius gebotenen (auch er betont ja die convicia), 
nnterschied sicb aber dock von ihr; fiir nns ist sie in keiner Weise 
verbindlich. 

Eine gewisse Bestatigung meiner Annahme, daB der technische 
Gebraucb des Wortes zunachst von der Person ausgebt, bietet 
vielleicht eine Betrachtnng der zweiten Bezeichnung, die bei Li- 
vius voransgesetzt wird, Atellana. Wie ein Blick in den Thesaurus 
uns lehrt, steht neben der Bezeichnung Atellana fahitla eine zweite 
Atellania'^) (einmal auch fahiila Atellania Gellius XII 10,7). Das 
ist aha leichtesten begreiflich, wenn wir auch hier von der Personen- 
bezeichnung Atellanus ausgehen, die nach den Glossen den ^ 10 X 670 ?, 
ioculator, cantor, mimus bedeutet, wie ja auch die typischen Eiguren 
der Atellane ebenda samtlich als parasiti bezeichnet werden*). Nach 
Festus p. 217 (Personata) traten sie von Anfang an in Masken auf 
und unterschieden sich dadurch von den Fescennini^). Auch in 
ihrer Kunst spielt der Gesang und wahrscheinlich auch der Tanz 
eine grofie Eolle (vgl. Terentiauns Manrus G. L. VI p. 396 K). 
Eine Darbietung, in welcher mehrere solcher Atellani auftraten, 
ward in einer neuen Ableitungsform Atellania genannt (wie Atel- 
lania ars die Kunst des Atellanus ist). DaB daneben auch Atellana 
fahula iiblich wurde, besonders als man die Arten der fabula, also 
des rbmischen Dramas, zu scheiden und nebeneinander zu stellen 
begann, ist wieder leicht begreiflich. Wir entgehen bei dieser Annahme 
den Schwierigkeiten, die sich von selbst bei der anderen ergeben, 
Atellana fabula sei urspriinglich der technische Ausdrnck, von dem 
die weiteren Bildungen ausgehen; ein ausgebildetes literarisches 
YEVo? miiBte vor der Schlacht von Cannae und doch — wegen der 
schon festen Bildung des Begriffes fabula fiir Drama — nach 240 
aus Atella ubernommen und dabei so stark romanisiert sein, daB 
die Personennamen nicht oskisch, sondern griechisch wurden, wah- 
rend es die Heimatsbezeichnung weiter behielt. Ein AnlaB dafiir 
ware damals kaum zu erweisen ; was wir durch Lucilius und Horaz 
von oskischen volkstiimlichen Spielen wissen, wiche weit ab. 

Die beiden vielleicht nicht ohne Beziehnng auf einander ge- 


1) Daher im Briefwechsel des Fronto (p. 34 N.) Atellaniolae. 

2) Der Wortgebrauch von Atellanus entspricht genau dem von mimus. 

3) DaB aucb Porphyrio zu Fp. II 1, 145 die carmina Fescennina mit den 
Atellanica zu identifizieren scbeint, mochte ich nicht hervorheben, da das Siitzchen 
vielleicht verstummelt ist (etwa: ut et Atellanica nominata sunt) und in den so- 
genannten Acro-Scholien fehlt. 

Kgl. Qts. d. Wisa. Nichrichten. Phil.-hist. Klatse. 1918. Heft 2. 17 



258 R' Reitzenstein, Livias u, Horaz ilb. d. Entwickl. d. rom. Schauspiels. 

bildeten Bezeicbnungen der fahrenden Leute als Fescennini and 
Atellani zeigen ans die Einfliisse, die zunachst auf Latium wirken, 
den etruskiscken and den oskischen. Beide geben in letzter Linie 
, griechische Anregnngen weiter; es ist an sick nickt wunderbar, 
dafi die Metrik der Gesangspartien, welche die romiscke fabula 
gegen ihre attiscken Origmale, offenbar dem Gesehmack des Pabli- 
kams znliebe, einlegte, die hellenistiscke Technik zeigt. Nur mochte 
ich darans nickt okne weiteres mit Leo aaf ein kellenistisckes Sing- 
spiel schlieBen, das okne genugenden Grand mit dem gesprochenen 
Drama verqaickt wnrde. Nar Einzelvortrage , nickt eigentlicke 
Singspiele dieser Art sind nns aaf grieckisckem Boden bisker be- 
zeugt. Dagegen bietet die Geschickte des romiscken Biihnenspiels 
dnrchaus die Moglichkeit , auck eine Verbindung jener Einzelvor- 
trage zu heiteren Szenen fiir Eom selbst anznnekmen ^). An sie 
sckloB spater das rein griechische Drama an. 

Die Theatergeschichte, welcke die Qaelle des Livins bot, war 
gewiB nickt frei von kiikner Konstrnktion and war in Erinne- 
rung an griechische Tkeorien entworfen*). Dennoch ist in ihr 
gates Material im ganzen verstandig benntzt ; die Einwirknng der 
Theorie ist lange nickt so stark, als man annahm; wir dilrfen sie 
gewifi nickt kritiklos verwenden, aber nock weniger ikre Angaben 
nnberiicksichtigt lassen, wenn wir nns von den Anfangen der ro- 
mischen Dichtung eine Anschauung zn bilden versacken. 


1) Von einer dramatischen saiura kann bei scharfer Interpretation nicht die 
Rede sein; fur die Existenz von Gesangsszenen gewinnen wir wirklicb eine Art 
Zeugnis. 

2) Man denke an die Verbindung der Fescennini versus mit dem Geaetz der 
Zwolf Tafeln. Gegeben war nur die Auffassung der Fescennini versus als con- 
vicia, die man in den Neckliedern bei der Hnchzeit noch wiederfand , und das 
Verbot beschimpfender carmina (nach der von griecbischer Anschauung beein- 
flufiten, damals allgemein verbreiteten Deutung der iStelle). 

3) Auf Aristoteles selbst weist nichts. 



MovdyTiuov und onager. 


Von 

E. Schramm. 


Vorgelegt in der Sitzung yom 22. Marz 1918 von R. Reitzenstein. 


Das als Einarm, p.&va 7 xa)v, bezeichnete griechische Wurfgeschiitz 
wird bei Heron and Philon iiberhanpt nocb nicht, bei den iibrigen 
griechischen Kriegsscbriftstellern nur selten und fast nur nebenbei 
erwahnt. 

Die erste Bescbreibung und Zeicbmmg eines dem Einarm ahn- 
lichen Instrumentes gibt die „Belagerungsknnst“ de.s Apollodoros 


AnOAAOAflPOr nOAlOPKHTIKA. 

Sie lantet W escher 188. 2 ff. 

IlaXiv 6 xpid? 6v psaov at 
xXipaxec; tp^pouai Xfj<j)£Tai xat’ ixpov 
tsTpaYwvooj Soo waavsi 

otaYo'via. Tauta Tprj&evta yovn- 
xtSa? XTjfJfSTat xal otpocpac vsupwv 
xal aYX&va ptoov paxpov, oiot statv 
ot XtdopdXot p.ovd 7 Xa)VE; du? «vs? 
o'peySdvac xaXooatv, oc ’) oTib x-^c 
pOTT'^C Ijtiyspdpevo? t(jj veix^i, O'/txa- 
xirjptav Xa^wv £;ray»iast xoij tb'.'xo- 
yuXaJi xdv p-ovdYXWva, xal noXXrjV 
ipyAaemt xwv £<pEaxd)xu)v aXwoiv. 


Fernerbekommtder Widder, 
der in der Mitte der Leitern ge- 
tragen wird, vorn 2 vierkantige 
Ansatze, gleichsam Backenstiicke. 

Diese werden dorchbohxt und 
erhalten Buchsen nnd Sehnen- 
biindel mit einem langen Arm in 
der Mitte, wie die einarmigen 
Steinwerfer, die manche SchJeu- 
der nennen. Wird er (der Wid- 
der) dann gegen die Maner ge- 
schwungen, wird der Abzug frei, 
daB der Einarm gegen die Maner- 
verteidiger scblagen und eine 
grofie Menge der Dortstehenden 
fangen wird. 


1) Siehe auch R. Sclineider, Griechische Poliorketiker Abhandl. d. Kgl. Ges. 
d. Wissenschafteu GGttiijgen. X, 1, S. 46. 

2) 6 &£ y.{;loc R. Sclin. 



260 


E. Schramm 



Biia 1. cod. M. fol, 44. 


Einen ahnlichen, aber sehr erweiterten Text geben die ano- 
nymen Anweisungen zar Belagerungskunst IIAPArFEAMATA IIO- 
AIOPKHTIKA, ANQNTMOr HTOI HPQNOS BTZANTIOT. Hand- 
scbrift vom Jabre 1535. Der Text lautet W. 252.3 v. n. '): 


252. '0 os •/.ptd?, ov xara (asoov 
ai xXipaxs? ^spouatv, si sxatspwv 
Twv Trlaytcov xara to IjiTtpoo^sv azpoy 
TTpooXapoi iztTryj’cjiaTa 6uo TstpaYwva, 
(253) xa&ajisp aLa^ovta, dpO'a xpo? 

OfjiOi;, uTTspavsaTrp/.dta too xptoo ■7rf^- 
ysm; diypi, si? 6s T'ijv itpoo’/^Xojavv 
v.al 7.aT<obev 6ia Tty Taoiv too to- 
voo aa'paXiCdp.sva. 

TauTx 5s TpoTrdaO-waay stc’ so- 
bsta? drtsvavTtov dXXrjXwv itpd? to 


Wenn die Leitern den Wid- 
der in der Mitte tragen, kann 
man an dessen Vorderende zu 
beiden Seiten 2 viereckige An- 
satze, gleicksam Backenstiicke, 
senkrecbt anbringen, die oben den 
W idder nm eine Elleiiberr agen und 
unten durcb ein starkes Qnerbolz 
verbunden sind, nm sie vor der 
Kraft der Spannsebnen zu sicbern. 

Diese Backenstiicke sollen in 
der Mitte an 2 gegeniiberliegen- 


1) Siehe auch R. Schneider a. a. 0. XI, 1, S. 60. 


MovaY‘/.(ov und onager. 


261 


-;jj.saov, v.(d £^l Ta s^w&sv (i-spTj tfiv 
Tp7j[J.aTa)V ;rpoo'/jXdDa{>(oaav ats'^avai 
aTspsai xa&airsp y.pixot, Ss)(dp.£yai 
"/tata p-saov ta? XsYop-evac '/oivixiSac, 
6p.otoup,syac sv ayvjp.aatv darpautvotc 
owXTjviStoi?, s'/C yaXaou slpYaap-sva? 
airo tdpvoD £a(iD-&sv t] eotovtov 
atSyjpot; i^w-frsv sySsSsp-Sva? ;:sTdX- 
Xotc, soputepac j3das'? Tcspl TYjv ■fts- 
o'.y syooaac, ''tai '/.ard tYjy zsptatfio- 
^tjV oTtd Tfiiv ^rpoo'/iXw&sv'ctdv y.pi'xtov 
xtnX«oiJ.sva<: too icapsxxixtstv tou? 
tfSv Tp'rjp.dxwv 'COTCOtx;. 

Td §s twy yotytxiSwy dvaxoits- 
xwoay atd(j.ta xai Ssyso&waay xa- 
vdyta xsrpdycti'^a STTcp-Patyoyta waaysl 
TTspiaiop-iSa?, Jtpo? td dxpa toiv ato- 
p.i(j}y Tcaps^syovta • Ttpd? a ysopot? 
d)}j.tatots ^ ycoixaEoi? ^rdytwy C^wv 
TrXrjv ODwy Sid [xsaou xdiy yotyixtSwy 
Sispyop.£VOic eJtl fj] zfjf orpoy^? cdasi 
Sid TO sDToyov, (Ssi) ') TrspiscXsiailai, 
^ Toii; sx vTj'jXdTwy oYjpixwy dSpote- 
poi? (iaXddoiC, Tj xai oyoiyiot; ix 
Xiyoo yYjp,axixoi?, xaxd {j.£aoy elaSe- 
y_op,iyoi? SoXoy p.axp6v sp.paXXdp.svoy 
kv ayTjpatt TraXivtdyou d^xcivoc dv- 
TsaTpap.p.Eyoy oirtafl'sv xai xaxaxXetSi 
xpaxo6p.£voy, oioi sioiv oi XtdopdXoi 
p.oydYX(«}ye?, (254). o5? xtys? o'psv- 
Sdva? xaXoOot. 


MoyXby Ss (osl) aiorjpoov pi- 
CoxpiXiv syovxa, xpoc xd? pYjd'slaac 
xspioxoptSa? ■ sp.paXXdp.evoy, P'.aiay 
x^jy sxiaxpo'pTjy sxl xwv yoivixloiov 


den Stellen durckbohrt werden, 
an die Aufienseiten der Locher 
sollen ringformige Kranze ge- 
nagelt werden, welcbe die soge- 
nannten Buchsen umfassen. Diese 
sind tonrohrenformig aus Erz 
hergestellt und inwendig ausge- 
bohrt , oder aus starkem und 
aufierlich mit Eisenbleck beschla- 
genem Holze ; an der Auflage ist 
der Rand breiter, bei der Em- 
drebung verbindern die aufge- 
nagelten Ringe, daB sie von der 
Stellung iiber den Locbern wei- 
cben. 

Die Bncbsen sollen oben Ein- 
scbnitte erbalten und darin vier- 
bantige Bolzen aufnebmen, gleicb 
wie Klammern, die iiber die En- 
den der Ausschnitte bervorragen. 
Daran werden Scbulter- und 
Riickensebnen aller Tiere, auBer 
der Scbweine, befestigt, die zwi- 
scben den Bucbsen liegen und 
mit Kraft straff gezogen werden, 
aucb starkeres Seidengarn und 
Hanfstricke sind verwendbar, und 
endlich wird in deren Mitte ein 
starkes Holz durcbgeschlagen, 
das in der Art wie ein Arm beim 
Palintonon riickwarts gedreht 
und mit einem Riegel festgebalten 
wibd, wie bei dem einarmigen 
Steinwerfer, von Einigen Scbleu- 
der genannt. 

Ein eisemer Hebei mitWur- 
zelringistauBerdemnotig, erwird 
auf die genannten Klammern ge- 
schoben, um die Bucbsen mit Ge- 
walt berumzudreben und dadurcb 


1) dll xf ivTQvi'ni (durch die Spanaleiter) R. Schn, 



262 


E. Schramm, 


Ttotetv xat G'foSpav zriv tdaiv AJtsp- eine starke Kraft zn erzeagen. 
yaCsG&at. '0 5s y.pto? aztb twv xXt- Der Widder wird yon den Leitern 
[i.dz(oy co&oDfJLSvoc v.al tw rsr/st gegen die Maner gestofien, wird 
E;:L'fsp6p.svoc Ercippetsi w? rsr/o^o- den freigewordenen Einarm gegen 
Xaliv ttTtoXo&Evia tbv povdY^tova, die Verteidiger der Maner schla- 
zal TtoXXfjV spYotastai xmv £(psoxtoTo>v gen und eine groBe Menge der 
aXcoaiv. Kalxb o'/f^p-a xaraYSYpotTcxoa. Dortstehenden erfassen. Das Bild 

ist beigefugt. 



Bild 2. cod. B. fol, 182. 


Bild und Beschreibung geniigen um das Instrument als eine 
Art Menscbenfalle zn rekonstruieren. Die Breite des griifiten be- 
kamiten Widderbalkens des Hegetor von Byzanz betriigt 369,6 mm, 
rund 37 cm. Die Kobe iiber Widderbalkenoberkante ist auf 44.3,1) mm. 
rund 44 cm angegeben. Die Dicke des Balkens betragt 295,7 
rund 30 cm. 

Obgleich der Widder sich nach vorn verjiingt, nm ihn wegen 
des dortiges Eisenbeschlages und der Tauumwickelnng nielit zn 
schwer zu ma'’hen, ist trotzdcm in der beigegebenen Zeichnnng 
(Bild 3) absichtlicb seine groBte 8tarkeabmessung eingesetzt, da- 



* 


Movi^xtov und onager. 


263 


mit die Leistung des daranf befindlichen Instrumentes, 
tangen soli, Heber liberschatzt als oaterschatzt wird. 


das Menschen 



JJUU «>. 

.ta* O^den seb, 

bit 

thion eines Gescbiitzes <jn f ^ liaben, wie bei dem Plia- 
Wcka, wie s.rt; vleh^^ J”” 1 Kalibee 

spiechen, nicht geniigen, aie aind also''at'*t“ enl- 

darcbbohrten Backen die die dn ^ ^ b^idea 

setzen mussen, werla au eina er- 

batten, vernanilieb /ratln^ht tf d“t° 
genea Eisenblechrahmen sowt dn,.^K ^ aufgezo- 
Die wegen des Reifiens des Holzes unbedi'^ T” bmtea Kopfea. 
bleche ersetzea zugleich auf jeder Seite^dfe VnST 
Ohae diese Verstarkuagea wurde Lt f 
ligen Schwindea des Holzes des k n ^ ™d allmah- 

Spanning dee Sehnen eL 

etattanden. Die Bnchaen yeeheUen lb Inn Tn ?b T 
und iassen sich aicht mehr drehen. Lagern 



264 


E. Schramm, 


2) Bei normalem Philon’schen Rahmen miiBten die Bnchsen 
5^/2 Kaliber Abstand von einander haben. 5 Kal., wie in beiliegender 
Zeichnnng angenommen ist, dvirfte als auBerste Grenze eines ka- 
tatonischen Rahmens bezeichnet werden und ist bei Gesckiitzen 
mit 2 Bogenarmen vielleicht auch angewandt worden, aber dann 
bei gleichzeitiger Vergrofierung der Bogenarme, nm einen geniigend 
langen Pfeilweg unter Druck zu erreichen, obne eine Verdrehung 
der Bogenarme bis fiber 30® zu benotigen. Ffir das Instrument 
auf dem Widderbalken reicht aber eine Bewegungsfreiheit des 
Armes von 30® nicht aus um mit einem Querholz und einer Schlinge 
daran den Feind zu erfassen. Er mufi bis vor die Spitze des 
Widders scklagen konnen. 

Die grofite Breite des Widders ist eingesetzt worden weil da- 
durck der Abstand der Bucbsen von 5 Kal. leicbter erreicht werden 
kann. Trotz dieser absichtlicb gfinstig gewahlten Verhaltnisse 
kann man von einer nnr einigermaBen erkeblichen Leistungsfakig- 
keit des Instrumentes nickt reden. Denn nach der beigegebenen 
Konstruktionszeichnung kann das Kaliber des Spannloches nicht 
fiber 4 Daktylen (knapp 8 cm) gewesen sein. (Also entsprechend 
dem Ampuriasgeschtitz, aber nur mit einem Arm). Das ist sehr 
wenig und ffir das Fangen von Feinden mit Schlingen oder Netzen 
sehr schwach bemessen. Das ganze Instrument ist keine gluck- 
liche Konstruktion zu nennen. 

Alles in Allem kann weder die Beschreibung bei Apollodoros 
noch bei dem Anonymus den Eindruck erwecken, daB man es mit 
einem wirklichen Geschfitz zu tun hat, es soil nur „nach Art des 
einarmigen Steinwerfers“ einen in einer V ertikalebene beweglichen 
Arm haben, und zwar nicht zum Schleudern mit der o'fsvSdvvj son- 
dern zum tlberwerfen einer Schlinge oder eines Netzes. 

Das Wichtigste an der Beschreibung beider Kriegsschriftsteller 
sind einmal die Worte: „wie die einarmigen Steinwerfer, die manche 
Schleuder nennen“, und in zweiter Linie: „wie beim Palintonon 
rfickwarts gedreht und mit einem Riegel festgehalten**. Dadurch 
erhalt die Beschreibung und Zeichnnng des Instrumentes erst den 
richtigen Wert, denn ohne sie hatten wir nur Vermutungen fiber 
das Anssehen des Einarmes. Wenn man aus der Beschreibung 
beider Kriegsschriftsteller auch nicht direkt die Konstruktion des 
Einarmes ableiten kann, so sind dock einige Anhaltspuhkte gegeben. 
Geht man beiden Satzen genau auf den Grund, so tritt allmahlich 
das einarmige Steingeschfitz immer klarer vor unsre Augen. Die 
griechische Stockschleuder, o'pevgov*], besteht aus einer hanfenen 
Oder ledernen Schleuder mit 2 Osen. Die eine Ose fest an einem 



MovoYxtuv und onager. 


266 


Stocke befestigt, die andere lose liber das sorgfaltig geglattete 
daumenartige Ende des Stockes gescboben. Beim Wurfe ziebt das 
in der Schlender befindlicbe Geschofi die obere Ose vom Stocke 
ab nnd der Stein wird frei. 

Der menscbKche Arm, die Hand und der Schlenderstock werden 
beim Geschutz dnrch den Wurfarm ersetzt, die Armkraft aber 
bedentend verstarkt. Die Schlender bleibt die gleiche. Der Wurf- 
arm mnfi sick wie der menschliche Arm in einer senkrechten Ebene 
bewegen. Dieser Arm wird wie beim Palintonon nach riickwarts 
gedreht und dnrch einen Riegel befestigt. 

Das Spannsehnenbiindel liegt, wie bei dem Widderinstrument, 
horizontal. 

Der Halbrahmen eines Palintonon horizontal gelegt mit einem 
Schleuderarm an Stelle des Bogenarmes entspricht also dem Mo- 
nankon. Der Wurfarm bewegt sich dann in einer senkrechten 
Ebene. Der Stein soli die Schlender unter einem Winkel von 45** 
verlassen, well er dann die groBte Schufiweite erreicht. Das Vnr- 
lassen der Schlender mu 6 erfolgen knrz ehe der Arm gegen das 
Widerlager anschlagt, damit moglichst der ganze Weg des Steines 
in der Schlender unter Druck zuriickgelegt wird. VerlaBt er die 
Schlender erst spater, so geht ein Teil der Kraft nutzlos in dem 
zn starken Scblag gegen das Widerlager verloren, verlaBt er sie 
schon fruher, so wird die Kraft des Armes nicht voll ansgenntzt. 

Die Bewegnngsfreiheit des Wurfarmes ist wie die ^er Bogen- 
arme keine beliebige. 

Das normale Enthytonon mit nur 6^/2 Kal. Spannlange eignet 
sich nicht znm Vergleich mit dem Einarm, da es znnachst beim 
Spannen nur Ansschlagswinkel der Bogenarme unter 30® anwendete 
nnd erst mit abnehmender Spannung 30® erreichte, sicher nicht 
hberschritt. Denn die Verlangerung des Pfeilweges ist nur bis 
zn einer gewissen Grenze von Vorteil. Das Palintonon mit 7 ^ 1 % 
Kal. Spannlange kann nnbeschadet um die Ausdaner des Sehnen- 
biindels von vornherein starker in Anspruch genommen werden 
und allmahlich dieser Winkel unter Ausnutznng der ganzen Leiter- 
lange beim Zuriickziehen des Schiebers bis ca. 4 o® erhoht werden, 
bei gebogenen Bogenarmen noch etwas mehr. Diese Erfahrungen 
sind auf den Einarm zn iibertragen. 

In beistehendem Bilde (Bild 4) ist die ^ewegung des Armes 
und der Schlender von der Spannstellnng bis zur Knhestellnng 
am Widerlager eingezeichnet. Der Weg des Schlendersteines in 
der Schlender i.st abed nnd von da ab nach dem Yerlassen der 
Schlender d f. 



266 


E. Schramm, 


V 

, \ 



>1 •na/jwv'^ciivficfjc CXtxinc>'H'nr,xg^ iRa^nie'rVi. 


Bild 4. 

Die Schleuderlange von ‘/i der Bogenarmlange bat sich als 
die praktischste herausgestellt. Zu lange- Schleudern beeintrach- 
tigen dieWucht des Wurfes durch ihr elastisches Nachgeben, aucb 
diirfen sie nicht bis auf das Spannseil herabreichen. Zu kurze 
Schleudern sind fiir wechselnde SteingrdBen nicht brauchbar, sie 
verlassen, wenigstens bei Anwendung grofierer Wurfkdrper, leicht 
vorzeitig mit der losen Ose den Daumen des Wurfarmes. Berech- 
nungen sind ganz unzuverlassig. Dieselbe Schleuder, die sich an- 
iangs durch ihre Steifigkeit und durch starke Reibung der losen 
Ose am Daumen schwer von dem Wurfarme lost , ergibt nach 
einigen Feilstrichen am Daumen grofiere Abgangswinkel und im 



Movayxoiv und onager. 


267 


Laufe ihrer Verwendting mufi sogar durch die Daumenform nach- 
geholfen werden, dafi sie den Schlenderarm nicbt zn friili verlaBt. 

1st der Arm, der Daumen an demselben und die Schleuder 
scliliefilich richtig zu einander eingespielt, so geht der Wurfstein 
nicht von d nach e wie es der Fall sein wiirde wenn die Ose den 
Daumen nicht verlaBt, sondern bereits in der Stellung des Steines 
bei d streift sich die lose Ose vom Daumen ab und der Stein fliegt 
unter einem Winkel von 45® waiter. Der Bogenarm hat an dieser 
Stelle einen Ausschlag von 37 V 2 Grad gemacht, also einen Winkel von 
67 Vs Grad zur Horizontalen erreicht : den gleichen Winkel mufiten 
auch die Spannbolzen in den Buchsen haben, wenn in dieser Stel- 
lung der Druck des Sehnenbiindels auf den Wurfarm zu Ende 
sein soil. Unmittelbar darauf miiSte der Wurfarm gegen das 
Widerlager schlagen. Dann ware der ganze Weg unter Druck 
zuriickgelegt und Jceine Kraft verloren. Bei frischer Bespannung 
ist das das Kichtige. Leider ist man durch das Nachlassen der 
Spannung bald geubtigt die Buchsen zu iiberdrehen. Dadurch wird 
sofort die Ki'aft des Schlages gegen das Widerlager so stark, dab 
trotz der Bolsterung desselben der Wurfarm leicht bricht. Des- 
halb hat sich eine Anordnung des Widerlagers unter 75® vor- 
teilhalter herausgestellt , als unter 6772 Grad zur Horizontale. 
Die Anordnung der Spannwelle und des Angriffspnnktes des Spann- 
seiles mufi ungefahr der Zeichnung entsprechen ; liegt der Angrift's- 
punkt mehr nach dem Drehpunkte zu, wird die Kraft zum Spannen 
vergrbbert, liegt er entfernter davon, storen sich Seil und Schleuder. 

Die Anordnung des Spannrahmens ware theoretisch richtig 
wie sie im Bilde dargestellt ist mit Schragstellung der Stander 
unter 45®, wenn dafi Keifien des Holzes in Richtung der Maserung 
nicht beriicksichtigt werden miifite. Dieses Reifien zwischen Bohr- 
loch und AuBenseite ist aber in diesem Falle hochst wahrscheinlich, 
vor allem wenn man bei grofieren Geschiitzen gezwungen ist, um 
das Gewicht nicht zu sehr zu erhohen, den Schwellen aufierhalb 
des Spannrahmens, wo sie dem Drucke der Spannsehnen nicht aus- 
gesetzt sind, mbglichst kleine Abmessungen zu geben. 

Ferner beansprucht die llerstellung schraggestellter Stander 
eine viel schwierigere Bearbeitung des Holzes, so dafi man auch 
aus diesem Grunde annehmen kann, dafi die Stander einfach senk- 
recht gestellt warden. Das bedingt zwar eine Schwachung des 
riickwartigen Standees durch den Einschnitt fiir den Bogenarm, 
die sich aber durch etwas starkere Abmessungen desselben und 
Eisenbeschlag wieder ausgleichen lafit. 

Die mutmafiliche senkrechte Anordnung der Stander zeigt 



268 


E. Schramm, 



Bild 6. 

Bild 5. Bei kleineren Geschiitzen lieB man vermutlich auch die 
Ausbiegnng nach nnten weg, so dafi das anf der Tafel dargestellte 
Geschiitz entsteht ^). 

Stimmt nun diese Konstruktion des Einarmes mit der Be- 
schreibung des Ammianus Marceilinas XXIII, 4 vom onager? 

Der Text dieser Beschreibung lautet : 

Scorpionis autem, quern ap- Der Skorpion aber, welcher 
pellant’nunc onagrum, huiusmodi jetzt onager genannt wird, hat 
forma est. Dolantur axes duo quer- folgende Form. Zwei eichene 
nei vel ilicei curvanturque me- oder steineichene Schwellen wer- 
diocriter , ut prominere videan- den bearbeitet und maBig so ge- 
tur in gibbas, hique in modum rundet, daB sie sich in Buckeln 
serratoriae machinae connectun- zu erheben scheinen, diese wer- 
tur, ex utroqne latere patentius den nach Art einer Sage ver- 

1) Die Tafeln, aus „die antiken Geschutze der Saalburg 1917“ entnommen, 
sind von der Saalburgverwaltung kostenlos uberlassen worden, wofiir auch hier 
der begte Dank ausgesprochen wird. 




Movayxiov und oiiag6ft. 


269 


perforati ; quos inter per caver- 
nas funes colligantur robusti com- 
pagem, ne dissiliat, continentes. 


Ab hac medietate restium 
ligneus stilus exsurgens obliquus 
et in modum iugalis temouis e- 
rectns ita nervorum nodulis im- 
plicatur, ut altius tolli possit et 
inclinari ; sunimitatique eius unci 
ferrei copulantur, e quibus pen- 
det stuppea vel ferrea funda. 
Cui ligno fnlmentnm prosternitur 
ingens, cilicium paleis confertum 
minutis, validis nexibus illiga- 
tum‘). Et locator^) super con- 
gestos caespites vel latericios ag- 
geres. Nam muro saxeo huiusmodi 
moles imposita disiectat, quid- 
quid invenerit subter, concussione 
violenta, non pondere. 


Cum igitur ad concertatio- 
nem ventum fuerit, lapide rotundo 
fundae imposito quaterni altrin- 
secus iuvenes repagula, quibus in- 
corporati sunt funes, explicantes 
retrorsus stilum paene supinum 
inclinant ; itaque demum sublimis 
adstans magister claustrnm, quod 
totius operis continet vincula, 
reserat malleo forti percussum; 
unde absolutns ictu volucri stilus 
et mollitudine offensus cilicii 


bunden, auf beiden Seiten mit 
grofien Lochem versehen. Zwi- 
schen ihnen sind durch die Lbcher 
starke Tane gezogen, welche das 
Gestell zusammenhalten, da6 es 
nicht auseinanderfalle. 

Mitten in diesen Seilen er- 
hebt sich scbrag ein Holzarm 
nacb Art einer Wagendeichsel 
aufgerichtet, und so in den Seh- 
nenknauel eingefiigt, daB er auf- 
gerichtet und gesenkt werden 
kann. An seiner Spitze werden 
eiserne Haken befestigt, von de- 
nen eine hanfene oder eiserne 
Schleuder herabhangt. Diesem 
Holze wird ein Widerlager ent- 
gegengesetzt, ein mit kleinge- 
machter Spren voUgestopftes 
Haartnch,dasmitstarken Stricken 
befestigt ist. Man stellt es 
auf eine Rasenziegel- oderZiegel- 
mauer, denn stellt man ein sei- 
ches Ungetiim auf eine Bruch- 
steinmauer, so zerstbrt es durch 
die Erschiitterung, nicht durch das 
Gewicht, alles TJnterliegende. 

Kommt es zum Kampfe, wird 
ein rnnder Stein in die Schleuder 
gelegt und 4 junge Manner auf 
jeder Seite drehen die Welle, um 
die das Tan geschlungen ist, und 
ziehen den Arm weit nach ruck- 
warts (fast horizontal), dann erst 
lost der Geschiitzmeister, von er- 
hohtem Standpnnkte zur Seite, 
den Riegel zur Verbindnng mit 
dem Geschutz durch kraftigen 
Hammerschlag, worauf der Arm, 


1) Punkt statt Eomma gesetzt. 

2) locator statt locatom gesetzt nach Schn. 



270 


E. Schramm 


saxum contorqaet, quidquid in- durch den schnellen Schlag frei- 
currerit, collisurum. geworden, indem er auf das 

elastische Haartuchkissen auf- 
schlagt, den Stein fortschleudert, 
der alles zerstort was er trilFt. 

Et tormentum quidem ap- UndTorsionsgeschiitz wird es 
pellatur ex eo, quod omnis expli- deshalb genannt, weil alle seine 
catio torquetur; Scorpio autem, Kraft aus der Torsion hervor- 
quoniam aculeum desuper habet gebt, Skorpion aber, weil es 
erectum; cui etiam onagri voca- einen aufrechten Stachel bat; die 
bulum indidit aetas novella ea Neuzeit gab ibm aucb den Na* 
re, quod asini feri, cum venati- men Waldesel weil die wilden 
bus agitantur, ita eminus lapides Esel, aufder Jagdverfolgt, binten 
pust terga calcitrando emittunt, ausscblagend Steine mit solcber 
ut perforent pectora seqnentium Kraft ruckwarts scbleudern, dafi 
aut perfractis osslbus capita sie die Ernst der Verfolger durch- 
ipsa displodant. bobren oder selbst ibre Scbadel 

zerscbmettern. 

Die naive Beschreibungundnamentlich das „ne dissiliat“ werden 
dem braven Ammian zum Vorwurf gemacbt. Man kann aber aucb 
obne bervorragende techniscbe Kenntnisse ein tiicbtiger Soldat 
sein. Wort fiir Wort der Beschreibung stimmt auf das vorbeschrie- 
bene einarmige Gescbiitz. Die Langscbwellen, die Buckel an dem 
Spannrabmen, die Bobrlbcher fiir das borizontale Spannsebnenbiindel, 
der Wurfarm, die eiseme oder banfene Scbleuder, das Widerlager 
init einera mit Spreu woblgestopftem Haartuchkissen, das mit Seilen 
an dem Holze des Widerlagers festgebunden ist. 

Ammian bat sicb bemiibt seinem Leserkreise die Sache so an- 
schaulicb als mdglicb zu machen. Wie bei der Handsage der 
Knebel, steckt der Bogenarm in dem Sehnenbundel. Wenn man bei 
der Handsage den Knebel herauszieht, kann man sie ganz ausein- 
andemebmen, das bat ibm bei dem Ausdrucke : „Damit sie nicbt 
auseinanderfalle“ vorgeschwebt. 

Dab die drei rekonstruierten onager den Eindruck von Sage- 
bbcken macben, war jedenfalls nicbt beabsicbtigt. Ubersetzt man, 
vde Schneider, serratoria machina mit Drescbmaschine, so stimmt 
die Eekonstrnktion, wenn man die Rader weglaBt, die ja nur zum 
Transport da sind und beim Gebraucbe abgezogen werden kbnnen, 
wie bei unseren alteren Morsem. 

Absichtlicb ist bei jedem der 3 onager die Spannvorrichtung 
etwas anders konstruiert worden um zu zeigen,' dafi es zweifellos 
verschiedene Konstruktionen derselben gegeben hat. 



Movctyxuiv und onag6r. 


271 


Ammian schreibt, da6 an der Spitze des Sehleuderarmes eiseme 
Haken befestigt waren. Vielleicht war das nur bei Verwendung 
eiserner Schleudern notig. Eiserne Haken warden mit eisemen 
und hanfenen Schleudern ansprobiert. Nach wenigen Schiissen 
zerbrach regelmafiig der Bogenarm, selbst bei Umwickelung des- 
selben mit Eisenblech oder geleimten Stricken. Alle entsprechenden 
Holzarten warden probiert; Eschenholz hat sich am besten be- 
wahrt. Schliefilich wurde der eiserne Haken ganz weggelassen, 
der Arm hielt und die SchuBweite vergrofierte sich. Eine eiserne 
Einlage fur die Kugel in die Hanfschleuder hat sich als giinstig 
herausgestellt. Auch das wiirde der Beschreibung entsprechen. 

Ammian schreibt ferner, daB der Greschiitzmeister von erhohtem 
Standpunkte mit einem Hammerschlage den SchuB loste. Der Ab- 
zug lag bei einem onager von doppelter GroBe wie das groBe Saal- 
burggeschiitz auf 2 m Hohe iiber dem Boden. Man muBte also 
auf ein Podium treten, um ihn mit dem Hammer zuriickschlagen 
zu konnen. Das Abziehen mit der Leine, das der Gefahr wegen 
nur seitlich erfolgen konnte, zog den Wurfarm seitlich aus der 
Richtnng. Der Hammerschlag brachte den Wurfarm nicht aus 
seiner Richtung, war leichter und bequemer. Beim Schlage auf 
die rechte Schwelle des Geschutzes zu treten war zu gefahrlich 
and deshalb ein Auftritt notig. 




Nachrichten von der Konigl. Oesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen. 
Phil.-hist. Klasse 1918, Heft 2 (Schramm). 



Phil.-hist. Klasse 1918, Heft 2 (Schramm) 



Onager nach Ammiaiius Marcelliiius 

! Ldngssdmitt . ‘.\ lmichtjvn derSeite, .7 von Ohen , dwnlunteii , 
.j Sptuui- a. Abziufsvorruhtwicf / 4 ^ 


tOdm 


- - - - 


MaiSstab /• 'tO 


A- 


3^ 






Die bootische Betonimg. 

Von 

Edaard Hermann. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 14. Juni 191S. 

Von der Betonnng des Bootischen haben uns die Alien keine 
Nachrichten hinterlassen. Meister konnte daber in seinen Griecbi- 
schen Dialekten I, 213 fg. auck nur ein paar oxytonierte Eigen- 
namen zusammenstellen und daraus den ScbluB zieben, dab die 
bootiscbe Mundart in der Betonung nicbt mit dem Lesbiscb-Aoli- 
scben zusammengegangen sei. Einen wirklicben Einblick in die 
bootiscbe Betonung baben wir erst erbalten, seitdem Papyrusblatter 
aus dem 2. Jabrbundert v. Cbr. zwei Gedicbte der Korinna ans 
Tageslicbt gefordert baben. Ibr erster Herausgeber, v. Wilamo- 
witz, bat in den Berliner Klassikertexten V, 2, 42 fg. die Akzent- 
zeicben der Papyrusblatter vermutlicb mit Becbt sofort fiir das 
Bootiscbe in Ansprucb genommen und die Betonung ricbtig als 
zwiscben der attiscben und doriscben liegend bezeicbnet. So kiim- 
merlicb nun aucb die IJberreste sind, mocbte icb docb die bootiscbe 
Akzentuation nocb etwas genauer, so weit es moglicb ist, festlegen. 

Bei den Nacbricbten iiber doriscbe Betonung sowie in den 
akzentuierten Papyrusrollen, die doriscbe Verse entbalten, finden wir 
neben Ecbtdoriscbem gelegentlicb die Betonung der Koine. Wenn 
nun der Korinnatext eine Akzentuation aufweist, die nur in ein- 
zelnen Fallen von der attiscben abweicbt, konnte man auf den 
Gedanken kommen, dab nur die Abweicbungen sicker Echtmund- 
artlicbes entbalten. Ein solcber Gedanke scbeint mir nicbt be- 
recbtigt zu sein. Icb will natlirlicb nicbt bebaupten, dab die Be- 
tonung der Koine dem Scbreiber nirgends eine Form seiner Aus- 
spracbe der Betonung in die Finger diktiert biitte, aber im groben 

Kgl. Ges, d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist Klasse. 1918. Heft 3. 18 



274 


Eduard Hermann 


ganzen sdieint mir die tJberlieferung des Papyrus Echtes zu ent- 
halten, dazu ist die Akzentuation in sich zu folgerichtig. Wir 
wollen deshalb einmal den Versncb machen, die iiberlieferte Ak- 
zentnation der Korinna iiberall zu versteken. 

Die Drittletzte wird im allgemeinen ebenso betont wie im 
Attiscken, dafiir liefern Beispiele 1,29 y.(c[d-]£xro 3 , 2,68 ;r£d[o/o]s, 
2,76 JJoriddavog, 2,132 nXKrrj[av], 2,85 6 })ii 6 v[£ 66 i,v], 1,29 \X 6 \vjtr 101 , 
2,81 TCOVEX, 1,18 EfielllEEfl, 1,90 SOQOVSEV, 1,20 ETCCtTOV, 1,27 EXOSjliOV, 
2,97 Fccdo[ar]], 2, 107 fudo^rj tE, 2,98 iravofuj, 2,62 ieyEvvdeovQ-'’, 2,69 
xu 66 ovd-r,. Auch das Hemagesetz sckeint geherrscht zu haben; 
denn wir lesen; 1,6 q)ovlov, 2,55 ^v^og, 1, 30 [xcci.En]il 6 Lv, 2,6 (ar[£], 
1,22 S)Q&Ev. Eine Ausnahme maeben nur l,i9 2, 8i Adv[(Jov], 

2,111 Fadiiav. 

Eiir [imeri hat v. Wilamowitz an die dorische Betonuug naCdEg 
erinnert. Wenn meine Ausfiihrungen iiber die dorische Betonung 
IF 38 richtig sind und im Bootischen das Hemagesetz einmal 
bestanden hat, kann diese Ankniipfung nicht richtig sein. Wir 
haben im Dorischen sogar Falle, die dem bootischen ^coerj noch ahn- 
licher zu sein scheinen, z. B. xgavai, und doch liefern, wie ich 
glaube, diese vom Attischen abweichenden Betonungen des Dori- 
schen keine Parallele fiir das Bootische. Wohl aber stehen aiiBi- 
QoyLEVM u. a. mit geos'); auf einer Stufe. 

Wie ich IF 38 auseinandergesetzt habe , beruhen dyxv^ai, 
avEi,QoiiEvaL usw. auf analogischer Einwirkung des Akzents des 
Dativs und Akkusativs Pluralis. Ebenso wird grasi; zu erklaren 
sein. Weil man gcosijj, gcoSceg sprach, anderte man gfisi; in gtoffr; 
um. Wir werden vermuten diirfen, daB die Maskulina sich ent- 
sprechend verhielten, d. h., daB z. B. nach ddficov, ddjivg, ddficog der 
Kominativ dagv zu ddfiv geworden war. Ja, man wird die weitere 
Vermutung wagen diirfen, daB die Maskulina bei diesem Ausgleich 
den Femininen vorausgegangen sein werden, weil bei ihnen da- 
durch der ganze Plural in seiner Betonung einheitlich wurde. Ob 
man auch die Proparoxytona unter den Nominativen der Maskulina 
und Feminina nach den beiden ersten Deklinationen zu Paroxy- 
tonen umgestaltete, wie das im Dorischen mit dvd-gditoi, dyxvQcci, 
geschah, kbnnen wir nicht wissen, weil in dem Korinnatext keine 
derartige Form belegt ist. Wie dem aber auch sein mag, analogi- 
sche Veranderung des Akzentes werden wir im Bootischen jeden- 
falls wegen goour; anzuerkennen haben. 

Wenn nun bootisch geoui; auf Analogic beruht, liegt es nahe, 
auch bei dorisch xgdvui, an Analogic zu denken und in der eror- 
terten Akzentveranderung des Bootischen einen dorischen Einschlag 



Die bootische Betonung. 


275 


in dieser Mundart zu vermuten. Das ware aber doch verkehrt. 
Manche der dorischen Dormen mit mundartlichem Akut auf der 
Vorletzten lassen sick nicht gnt als Analogiebildnngen verstehen, 
so vdsg und wokl auch die Infinitive aiivvui, auf die doch kaum der 
Akzent der Infinitive des Mediums oder der Partizipien eingewirkt 
haben wird. Pur das Dorische bleibt eben nichts andres als die 
Annahme tibrig, dafi das Hemagesetz nie wirksam gewesen ist. 
Im Bootischen war das aber anders, vorausgesetzt, dafi man 0v^og, 
(povXov als dialektecht anerkennen will. 

Mit der Betonung fuSsiav hat es seine besondere Bewandtnis. 

V. Wilamowitz halt sie a.a. 0. S. 35 fiir falsch, S. 44 fur ratsel- 
haft, ‘wenn die Lange nicht etwa besagen soil, dafi das -uv so 
lang war, dafi es den Zirkumflex verbot’. Ich meine, ein Versehen 
ist dabei ziemlich ausgeschlossen ; der Schreiber miifite sich dann 
schon zweimal versehen haben. Das Langezeichen auf dem u spricht 
deutlich genug. Lange und Kiirze werden in nnsrem Text ja 
nnr aus besonderen Grunden bezeichnet. So steht ziemlich haufig 
fiber V der Strich, um zum Ausdruck zu bringen, dafi bier v ffir 
attisch OL stebt. Umgekehrt tragt dcrxgov t fiber dem ov das 
Zeichen der Kiirze ; denn ov war im Attischen und in der Koine 
lang. Der Stricb fiber cc in fadsiav war also bei derartiger Schreib- 
weise, die ffir einen der Mundart nicht machtigen Leser berechnet 
war, sebr angebracht, vorausgesetzt, dafi dieses a lang war : denn 
die Lange steht im Gegensatz zu der Messung im Attischen und 
in der Koine. Paroxytonon und Lange stfitzen sich aber gegen- 
seitig, also sind beide richtig. AVir haben demnach aus dieser 
Schreibung zu lernen, dafi im Bootischen die Peminina zu Adjek- 
tiven der «-Stamme nicht mehr auf -la, sondem auf -la ausgingen. 
Die Kiirze des Nominativs und Akkusativs war also verdrangt 
durch die Lange dss Genetivs und Dativs. Eine Lange von auBer- 
gewohnlicher Art, namlich eine, die zur Kiirze hinneigt, ist dem- 
nach nicht darin zu suchen, sondern die gewohnliche zweimorige 
Lange der c7-Stamme. 

V. Wilamowitz ist geneigt, das ohne Akzent iiberlieferte yviuv 
2,78 auch zu akuieren. Ich weifi nicht, ob das richtig ist. Wenn 
man die Betonung von 2,132 nMTri[av] als echt gelten lassen will, 
wird man vorsichtiger sein mfissen. Man soil nur nicht vergessen, 
dafi die Analogic Schritt fiir Schritt wirkt; gegen diese Grund- 
wahrheit wird leider nur gar zu haufig verstofien. Dieses lang- 
same Umsichgreifen der Analogic werde ich an andrer Stelle in 
grofierer Ausffihrlicbkeit behandeln. Hier sei nur deswegen mit 


18 * 



276 


Eduard Hermann 


besonderem Nachdruck karz darauf kingewiesen , weil v. Wilamo- 
witz fiir 1 , 22 (allerdings aus andem Grunden) anch srarrov fordert. 

Da6 huTTov zu schreiben ist, lebrt 1,27 exodfiiov. Mit dem 
ehemals auslautenden -t hat der dorische Akzent in ilsyov n. a. 
nichts zu tun, sondem beroht anf Analogiebildung , s. IF 38. 
Dagegen ist mit Recht der Singular eXeyov im Dorischen propa- 
roxytoniert. Die im Korinnatext iiberlieferten Akzente sind sehr 
wohl zu verstehen. Im Bootischen hat die Analogie eben nicht so 
weit um sich gegriiFen wie im Dorischen oder hat andre Wege 
eingeschlagen, so wie in [laetj. 

In dem Akzent von 2,84 l6v[6ov] steckt aber nicht etwa eine 
— unverstandlich bleibende — Analogiebildung ; hier war vielmehr 
die erste Silbe im Bootischen, wie wir hieraus lemen konnen, kurz, 
also die Kiirze, nicht der Akzent war anaiogisch eingefiihrt. Da- 
gegen laht sich iiber 1,46 a0[(3ov], falls es richtig erganzt ist (Cro- 
nert liest «o« . .), kein bestimmtes Urteil fallen, weil man ebenso- 
gut an analogische Betonung wie an Kiirze denken kann. 

Was das merkwiirdige ijttr 2,7? fiir ensna anlangt, so ist es 
vielleicht erlaubt, an die von Hirt IF 16, 88 und genauer von 
Vendryes MSL 13, 218fg. fiir s^ioiye gegebene Erklarung anzu- 
kniipfen. Wie bei fester Komposition aus f’uof -f ys durch das 
Hemagesetz erst *ifiotys werden muBte, das dann im Attischen 
in e^oiys umschlug, gleich iQT,tiog in so wLirde ixtC, mit tu 

verkniipft, *euaira ergeben haben, das im Attischen waiter zu 
Hnaixu wurde. Auffallig ist allerdings, da6 wir im Gegensatz zu 
usw. nichts von einer auBerattiscben Akzentuation bei 
wissen. Aber vielleicht darf man sich dariiber hinwegsetzen, ho- 
merisches axeixu wiirde ja auch aolisch sein konnen ; wir vermissen 
also nur jonisches *£7t£ixa und dorisches *s:tei'ra. Dabei darf man 
jedoch nicht vergessen, da6 die Betonung von Eicaixa bisher ziem- 
lich im Dunkeln geblieben war. Fiir die Richtigkeit meiner Ver- 
mutung kiinnte noch eixa sprechen, das den bei €x:£ixci vermiBten 
Zirkumflex aufweist. Diese Auffassung scheint mir vor der Wacker- 
nagels (Beitrage zur Lehre vom griech. Akzent 15) den Yorzug 
zu verdienen. Bootisches enixu kame bei meiner Hypothese leicbt 
unter, es wiirde eine erst nach dem Wirken des Hemagesetzes 
vollzogene Komposition darstellen so wie ovxe usw. 

V. Wilamowitz erwahnt noch als etwas Besonderes S. 43 die 
Stellung des Akuts auf dem ersten Vokalzeichen eines Diphthongs. 
Er meint damit vermutlich 2,98 jr«ro[fi);], ni fadetdv, so ovxuv, 
64 [,uJ«[i'roo]duj'ra, 55 xoccxovvi, 140 9P(Adi'p[tvo], ss zdn.Tptj, g4 X6v[0ov], 
1,'29 [X6]v7tt]Si, 2,64 r’ uxtiQfor (= X dytiQco x). Es ist aber unge- 



Die Lootische Betonung. 


277 


nau zu sagen,' daB die Stellung des Akuts anf dem ersten Vokal- 
zeicken der guten Praxis entspreche. Genau genommen ist ja 
beides tmricMig, der Akut auf dem ersten wie der auf dem zweiten 
Zeichen. Da beim Akut der Ton von Anfang bis zum Ende an- 
steigt, miiBte der Strich iiber die beiden Zeichen gesetzt werden. 
In der Tat zeigt auch das Facsimile auf der Tafel VII Berl. Klass. V 
ganz deutlich, da6 der Akut in einigen der genannten Falle nicht 
nur auf dem ersten Vokalzeichen steht, sondern sick iiber beide 
erstreckt, und zwar bei xqccto'vvi, xovjtgig, ’/ix[Qr)](fslv, fadsiuv, q)i- 
XovqIlvo] , der Akut wurde also ebenso wie der Zirkumflex z. B. 
1,6 q)Svlov in guter Praxis iiber die zwei Vokalzeichen gesetzt. 
DaB diese Sckreibung nickts mit einer absonderlicken Betonung zu 
tun hat, gekt znr Geniige auck daraus kervor, daB sowokl eckte 
wie uneckte Dipktkonge den Akut auf dem ersten Vokalzeichen 
tragen. Und es ist nicht etwa so, daB der Strich nur aus Fliick- 
tigkeit iiber die beiden Vokale geraten ist. Denn da jeder Vokal, 
der kein Akzentzeichen tragt, den Gravis hat, ware z. B. Xoveov 
so viel wie Xovgov, das ware aber nickts anderes als Xdveov. DaB 
daran gar nicht zu denken ist, ergibt sick aus ^rduofi?;, ^ccvroeovvco 
usw. Wie in unserm Text wird denn auch in andern Papyris der 
Akut kaufig auf beide Teile des Diphthongs gesetzt, oder er steht 
scheinbar nur auf dem ersten. 

Eine besondere Eigentiimlichkeit des Bootischen scheint nach 
V. Wilamowitz die haufige Doppelakuierung eines Paroxytonons 
vor einem Enklitikon zu sein, s. Meillet MSL 16, 51fg. Belegt 
ist sie dreimal in 1, le [r]av(xK vtv, 2, 48 [oi']a:dz’ ccvrp , wobei 
die Enklise des avzo Erwahnung verdient, und in 2,89 ddxgov x . 
Nach den Lehren der alten Grammatiker wurde sonst nur ein 
trochaisch ausgehendes Paroxytonon so behandelt. Wie das zu 
verstehen ist, hat Wackemagel durch eine glanzende Kombination 
erkannt (Beitrage zur Lehre vom griechischen Akzent, 24 f.) ; da- 
nach ist ivd'u ol aus ev^cc ol umgebildet. Da die Grammatiker 
auch die Betonung oq?QK tot lehren, die bei dem Momentanlaut cp 
nicht auf alterer Schleiftonigkeit der ersten Silbe beruhen kann, 
und ferner vor den mit 6cp- beginnenden enklitischen Formen des 
Personalpronomens der dritten Person auch ein nichttrochaisches, 
d. h. jedes Paroxytonon doppelt akuiert wird, konnte es nahe lie- 
gen, fiir das Bootische eine weitere Verallgemeinerung des Doppel- 
akuts auf einem Paroxytonon, das vor einem Enklitikon steht, 
anzunehmen. Ich glaube aber doch nicht, daB damit das Richtige 
getroffen ware. 

In der Koine gibt es ja auch nock ein paar andre Falle der 



278 


Eduard Hermann, 


Doppelakaierung, das sind orrt /tot, xiTcri usw., die Wackernagel 
a. a. 0. 25 richtig aus der alten Enklise des zweiten Tells erklart 
hat. Dieselbe Erklarung paBt nun auch auf ovTtox avto and wahr- 
scheinlich auch auf tavlxd vlv. Hier wlrd doch wohl -y.a enklitisch 
angetreten sein wie in oxu, uXloxcc, avrlxa. Diese Worter verraten 
die Zusammensetzung durch die Betonung ravCxa avtixa gegeniiber 
ciXloyM. Sie enthalten, wie ich vermute, dasselbe -i- wie ovro&i, 
boot. TOIL usw., rciv- ist dann Akknsativ zum Ausdruck der Zeit- 
erstreckung. Diese Erklarung setzt sich allerdings in Widerspruch 
mit der Perssons IP 2, 251 (vgl. E. Meister IP 25, 315) , der in 
ruvCy.a die Partikelform ni sucht. Aber auch, wenn Persson recht 
haben sollte, konnte man die Doppelakaierung von taviy.a vlu ver- 
stehen, und zwar aus dem Wheelerschen Gesetz. Wegen xiqvLy.ddB 
vermutet ^Yheeler (S. 94), da6 die Barytonese in xrjvi'yM infolge 
des daktylischen Rhythmus entstanden ist. xaviy.K viv konnte dann 
die altere und jlingere Betonung zusammengeschmiedet haben, in- 
dem sich zunachst noch Tuviy.a viv hielt, spater aber wegen taviy.a 
zu xavixci VIV wurde. Mag man die erste oder die zweite Deutung 
vorziehen, in beiden Fallen bleibt nur noch dc'XQOv xe iibrig, das 
mit vcpQC' xoi ganz auf einer Stufe steht. Danach wlirde also das 
Bootische nicht jene sonderbare Betonung eines Paroxytonons vor 
einem Enklitikon zeigen, die von allem sonst Bekannten abwiche. 
Wenn iibrigens in dem Pindarpapyrus Oxyrrh. Pap. Y, S. 40, Z. 44 
ev9-d .u£ und an der von Meillet herangezogenen Alkmanstelle [s] 0 xC 
xog steht, kann das kaum echt dorische Betonung sein; denn wenn 
im Dori.schen das Hemagesetz nie geherrscht hat, wird auch die 
Doppelbetunung trochaischer Paroxytona, die uns nur als Polge 
des Heniagesetzes verstandlich ist, nicht iiblich gewesen sein. Die 
jetzt vermehrten Beispiele doppeltbetonter Paroxytona, die niemals 
den Schleifton getragen haben konnen, lehren aber, da6 diese Ak- 
zentuierung doch mehr als eine Schrulle der Grammatiker sein 
wird, woriiber Wackernagel noch im Zweifel war. Bemerkenswert 
ist nur, daB bloB solange trochaisch war. als Muta mit Li- 

quida noch Position bildete. Demnach muB die Doppelakaierung 
vor einem Enklitikon stehender Paroxytona alter sein als die 
Yeranderiing der Silbengrenze bei Muta + Liquida, d. h. alter als 
Homer. 

Ohne Belang fiir die Sprachwissenschaft ist die Betonung des 
Dativs Eyoivoviioi.. Wilamowitz hat sich darin geirrt, daB sie be- 
sonclers wichtig sei. Piir den Akzent ist -oi jedenfalls lang, mag 
es aus -at geklirzt oder alte Lokativendung sein. Beide Endungen 
batten Schleifton, vgl. oi'xot gegeniiber oiy.oi, und galten darum 



Die bootische Betonung. 


279 


fiir die Betonnng als lang. Zur Entscheidung der Frage, wie das 
bootische -ot im Dativ entstanden ist, tragt also unsre Form 
nichts bei. 

liber djiog brauchen wir ims den Kopf nicht zu zerbrechen, 
da sich der Aknt als Spiritus asper entpuppt hat und auog zn 
lesen ist. — Die Setzung eines Gravis in ISTichtschluBsilbe 1 , 21 Ki- 
&riQa}v, 2,85 8ij^6v£6Giv, 2,6o hvvi, 2, lor bedentet keine Fber- 
raschnng, da in einigen Papyris sogar jede nnbetonte Silbe den 
Gravis erhalt. Das Besondere kbnnte wie anderwarts sein, daB 
hier lediglich die vor der Hanpttonstelle des W ortes stehende Silbe 
den Gravis tragt, Gegenbeispiele sind nicht vorhanden. 

SchlieBlich sei daranf hingewiesen, dafi die Oxytona vor dem 
folgenden Wort ihren Akut nicht immer in den Gravis verwandeln 
sollen. Das wiirde allerdings glatt erklart werden konnen, vgl. 
Wackernagel a. a. 0. 6fg. Aber die von v. Wilamowitz genannten 
Beispiele halten der Kjitik nicht ganz stand. 1 , 4 yogdag steht 
nicht nnr am Versende, sondem vielleicht auch am Ende eines 
Satzes, es kann also gar nicht mitzahlen. 2.49 d'u'cg behalt seinen 
Akzent mit Recht, wenn, wie vermutet wird, t daranf folgt. Es 
bleibt nnr 2, 7 s [/Jcr librig, das nach einer Vermntnng Cronerts 
RhM 63,174 gemaB dem /«(5o[,u»/] 2,97 als [/]«r zu lesen ist. 

Wir konnen also, wie ich gezeigt zu haben hofPe, iiber die 
Schwierigkeiten der bbotischen Betonnng Herr werde.i. Wenn wir 
znriickblicken, werden wir erkennen, daB eine besonders groBe Ahn- 
lichkeit mit der dorischen Betonung nicht vorliegt, sondern daB, 
abgesehen von verschiedenen Einzelheiten, ungefahr die Betonung 
des Attischen iiblich war, daB aber wie im Dorischen durch System- 
zwang die Analogie manches Altere aufhob. 

Demnach diirfte man vielleicht annehmen, daB das Dreisilben- 
gesetz schon urgriechisch war, daB das Hemagesetz sich aber nnr 
auf die jonisch-attischen und vielleicht auch die achaischen Mund- 
arten erstreckte, das Dorische aber nicht mit umfaBte. Im Lesbi- 
schen haben das DreisBben- wie das Hemagesetz alle Wbrter er- 
faBt, d. h. sie haben jeden alteron naher am Wortende liegenden 
Akzent beseitigt. Im Attischen vollzog sich ein Kampf mit dem 
Dreisilbengesetz, der beim Xomen zumeist mit dem Sieg des alten 
Akzents endete. Das Bootische und das Dorische scheinen hierin 
dem Attischen nahegestanden zu haben. Das Attische blieb dann 
im ganzen bei dieser Betonung. Im Bootischen dagegen durch- 
brach die Analogie das Hemagesetz , dem sich iibrigens auch im 
Attischen jtingere Zusammensetzungen mit einem Enklitikon wie 



280 


Eduard Hermann, Die bootische Betonung. 


toveds nicht mehr zu fugen hatten. Im Dorischen setzte sich die 
Analogie wie im Mittel- nnd Xengriechisclien iiber das DreisUben- 
gesetz binweg. 

Anders liegt aber die Situation, wenn die tlberlieferung des 
Akzents im Korinnatext nicht soviel Vertrauen verdient, als ich 
ihr vermutungsweise im Obigen geschenkt babe. War etwa nur 
dialektecbt, (povXov aber nicbf? Galt etwa im Bootiscben 
das Hemagesetz so wenig wie im Dorischen? Dann ware wobl 
auch die Betonung daxpou r nicht echt; denn nur im Hemagesetz 
findet sie ihre Erklarung. Wahrscheinlich kommt mir das nicht 
vor. Immerhin kbnnen erst weitere akzentuierte bootische Texte 
Sicherheit geben. 



Ety mologisches. 

Von 

Eduard Henuann. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 14. Juni 1918. 

1. Qadiog. 

Boisacq sagt von gadiog Diet. 831 ‘sans parents en dehors du 
grec’. Dieses Urteil stammt von Wackernagel (Vennischte Bei- 
trage 14), der nns gezeigt hat, da6 hom. gsa, gsta, aol. ^qu als 
*fQa[s]u aufznfassen ist. Soli die hier zutage tretende Wnrzel 
etwa so, wie wir das in letzter Zeit von gar manchem 
griechischen Wort gelemt haben, von den nichtindogermanischen 
vorgriechischen Bewohnem Griechenlands entlehnt sein? Das ist 
gleich auf den ersten Blick hochst unwahrscheinlich wegen der 
Bedeutnng des "Wortes, der mancherlei Ableitungen, die man von 
der Wnrzel kennt; gsa, gadcog, gaav, gr^tregog, gut^co, nnd wegen 
des indogermanischen Aussehens. 

scheint gebildet zn sein wie -^gv^fcc, ndXcc, 6K(pu u. a. 
Man darf daher in ga Tiefstufenvokalismus F vermnten. Das fiihrt 
daranf, fgus- an ai. xarsman- ‘Hohe’, lit. virszus ‘das Obere’, ab. 
vr'hch'h ‘Hbhe’, ahd. riso nsw. anznknilpfen , die Hirt Ablaut 127 
unter der Basis **ueres- vereinigt hat. Es bedarf nur der An- 
nahme, dafi es neben **tieres die schwere Basis **«e>-es gegeben habe, 
nm /gu6- als Tiefstnfenform idg. *uFs- zu verstehen. Die Beden- 
tung von **Heres wird ‘heben, erheben’ gewesen sein, *fga[ 0 \a war 
also ‘hebbar’ and erinnert an levis ‘leicht’ neben levare ‘heben, 
erleichtern’. 

Zn einer schweren zweisilbigen Basis, aber ohne -s-, d. i. **uere, 
gehort anch hom. ditrjvgd, dnovgag, wahrend aus einer wieder an- 



282 


Eduard Hermann 


ders gebildeten leichten Basis asLga und horn, azosges herzuleiten 
sind. Alle diese Basen werden in der Bedeutung ‘heben’ vereinigt. 

gadiog liefert also neben dzi^vga ein weiteres Beispiel fiir die 
Lautentwicklung f > gci . wahrend sich pco immer deutlicher als 
Hocbstufe Oder analogiscbe Bildnng fiir gu = f herausstellt. Da- 
mit gesellen sich zu den Beispielen fiir diese mit Unrecht be- 
strittene Lautentwicklung (vgl. Jahresber. phil. Ver. Berlin 40, 
140 fg.) zwei sehr erwlinschte isolierte Balle. 

Die richtige Zusammenstellung der Worter gaSiog usw. hat 
schon Prellwitz Etym. Worterb. ^ 393 gegeben, aber ohne sich auf 
die Einzelheiten der Bddung einzulassen. 

2. no a. 

W. Schulze hat att. zod, jon. aronj, dor. zoi'u Quaest. ep. 45 
Anm. 2 mit lit. ‘Wiese’ verkniipft. Eine weitere Beziehung 
ist bisher nicht aufgedeckt worden. Sucht man bei Brugmann 
Grdr. ^ II, 1, 207 unter den Suffixen -m , so ist allerdings nicht 
leicht ein Leitmotiv herauszufinden, eine gemeinschaftliche Bedeu- 
tung wird nicht ersichtlich ; die einzige Bemerkung, die weiter 
fiihren kann, steht S. 624. Hier wird mit Bezug auf S. 205 litt.- 
lett. -ava als Suffix fiir Ortlichkeitsnamen angefiihrt. Leskiens 
Bildung der Komina im Litauischen S. 346 fg. laBt aber erkennen, 
da6 nicht nur -aca, sondem auch schon -va als derartiges Bedeu- 
tuugselement betrachtet werden muB. Man findet hier: dirvd ‘Acker', 
uiypiti greiva ‘EluBbett’, halca ‘Hiigel’, wmiva ‘Sumpf in einer Wiese', 
iiarva ‘Bienenzelle’, reca ‘Steinkluft’, stora ‘Stelle’, iirva ‘Hohle’. 
Demnach sind die Worter auf -ava sekundare Bildungen, wie ja 
auch ohne weiteres ersichtlich ist, sekundare Bildungen, die erst 
auf Grund solcher wie der obengenannten moglich waren. Man 
vergleiche auch abulg. niva und die Worter auf -nva, s. Von- 

drak, Vgl. si. Gr. 1, 410. Es ist also ratlich, auch bei piiva nicht 
von der iiblichen Bedeutung des griechischen Wortes : ‘Gras’, son- 
dern von der des litauischen auszugehen. Dann ergibt sich aber 
leicht A^erkniipfung mit lit. pemu ‘Hirtenjunge’, dessen ehemaliger 
Diphthong in dem finnischen aus dem Litauischen entlehnten paimen 
deutlich sichtbar ist, und mit gr. zoipriv. Die Bedeutung von 
ist darum von Haus aus ‘Weideplatz’, woraus dann ‘AViese' 
geworden ist. Dicselbe Bedeutungsentwicklung liegt im Griechi- 
schen vor. ‘AEeideplatz' haben wir Homer i 449 zu iibersetzen, 
wo Polyphem zu dem AVidder sagt: dlld zoXv zgatog vigaai rigsv 
iivxfaa zonjg gay.gcc jiifidg, zgarog d's godg zorapav dcptydvsig , da- 



Etymologisches. 


283 


gegen ‘Wiese’ z. B. Xenoph. Hellen. IV, 1, 30; ’AyTqeClaoi y.ul oC 
asgl ttvthv TQic'xovra failed iv %6u xivi xcctaxsi^Evoi avtyiavov und 
Plutarch Agesil. 36: hq ds sagav . . . avd-gmjtov xgs6^vzr]v y.ura- 
KsCgEvov Ev Tivi %6a %agk rriv ?t('.k<y.66av. Des weiteren ist dann 
erst die Bedeutung ‘Putterkraut’, ‘Gras’ entstanden. 

Zu den genannten AVortern gehort auch noch lit. jn'sa ‘Herde’, 
das Leskien a. a. 0. 221 in sonderbarer A'erkennung des handgreif- 
lich Bicbtigen in pcs-a zerlegt. In der Tat aber entbalt pesa das 
Suffix -sa, das aucb in andern litauiseben AVortern vorkommt, die 
gewissermaben KoUektiva eines Xomens agentis sind. pesa ist 
‘das V^eidende, die Herde’, wie s^vesa ‘das Leuebtende, das Licbt’, 
gaisa ‘das Sebeinende, der Liebtsebein’, lett. rusn ‘das rot Seiende, 
der Host’ ist. Dieselbe Bedeutung hat -sa sebon von urindoger- 
maniseben Zeiten her besessen, wie lat. term aus *tersa ‘das trocken 
Seiende, die Erde’, luy/ ‘das Fliefiende, das Al^'asser’, aisl. eisa ‘das 
Brennende, die feurige Asche’, Joiissa — gr. y.vi'er} ‘das Dampfende, 
der Fettdampf usw. lehren. Interessant ist dabei der in -cl steckende 
Kollektivbegriff, weil sicb hieran gerade die Sebmidtsebe Hypo- 
tbese von dem aus einem Kollektivum entstandenen Xeutrum Plu- 
ralis auf -a besonders biibsch verfolgen la6t. Gerade weil Nomina 
agentis zugrunde liegen, laBt sicb bier auch fiir uns Deutsche leiebt 
die Neigang der kollektiven Bedeutung zum Neutrum bin nach- 
fiiblen. AVollen wir die in })i-sa steckende Bedeutung ‘weidend’ 
wiedergeben, so konnen wir im Deutschen nur das Neutrum ‘AVei- 
dendes, das AFeidende’ anwenden. Auf der andern Seite vermag 
diese Erkenntnis Solmsens Vermutung (Beitrage grieeb. AVortf. 
244 fg., KZ 42, 227) zu stiltzen, da6 die AVorter auf -sos von Haus 
aus Nomina agentis waren. Von dem Kollektivum aus ist dann 
leiebt die Brlicke zu den Abstrakten auf -sn gefunden wie abulg. 
];rasa ‘Scbbnbeit’, lit. tanisu ‘Dunkelbeit’, ai. bhadl ‘Sprache’, abd. 
wlsa ‘Kenntnis, AVeise’ usw. 


3. jilClQtJ. 

Man bat friiber gcgij ‘Hand' mit g,ccg^zco ‘erfasse’ zusammen- 
gebraebt. Davon ist man abgekommen, seitdem man es mit lat. 
vianiis zusammenstellt. Man kann aber mit letzterer Etymologie 
einverstand'en sein, obne erstere abzulehnen. Allgemein gilt wobl 
die tiberzeugung , daB udgnzeo und ai. mars ‘anfassen, beriibren' 
zusammengeboren. Beide stimmen aber nur in den ersten drei 
Lauten iiberein. Damit kommt man auf eine Basis **nwr ‘erfassen’. 
Hierzu stellt sicb gdgr] sehr einfacb als ‘Greiferl’ mit einer Be- 



284 


Eduard Hermann, 


deut Tingsentwicklung ahnlich wie bei lit. ranJ:a Hand gegeniiber 
renJiu ‘sammle anf’ oder gr. ayoerog ‘Hand’ gegeniiber aysCQm (s. 
Solmsen Beitr. gr. Wortf. 16). Das a in y-dqui, yiUQitxm lafit sich als 
Griinterts 92 auiFassen. Will man ancli mantis damit verkniipfen, 
so hat man von einer Basis mit einer nasalen statt einer liqniden 
Erweitemng auszngehen. Wiedernm kann a anf 92 zuriickgehen, 
desgleichen aber auch u von ahd. munt. Moglich ist, dafi man 
statt **me-r nnd **me-n vielmehr **atne-r and **ame-n oder mit 
anderem anlantenden Vokal anzusetzen hat, das erlaubt dann lat. 
ansa u. a. anzukniipfen, vgl. Walde Tiber alteste Beziehungen zw. 
Kelten n. ItaHkern 43 Anm. 2 nnd Persson Beitrage idg. Wort- 
forsch. 1 fg. 

4. vnccQ. 

Die Etymologie von vitaQ ist eigentlich langst gefunden, sie 
steht bei Johannsson BB 14, 163 nnd bei Prellwitz ^ 333 fg. Sie 
hat aber keinen Glanben gefunden. Boisacq urteilt 1002 knrz: 
etymologie obscure. Es verlohnt damm, die bereits gefondene 
Etymologie so zu begriinden, da6 ihre Einfachheit nnd Wahr- 
scheinlichkeit auch erkannt wind. 

vMCQ ist das Gegenstiicb zu ’ovuq. Das sollte man nicht be- 
zweifeln, sein Gebrauch zeigt es ja nur gar zn deutlich. Bei Homer 
kommt es nur zweimal vor, beide Male in Verbindung mit ’ovuq ; 
T 547 ova ovctQ, aXli vsta^ iuO-Adv, 0 rot xBxsXE6y.ivov eexai und 
V 90 ^st£t ova eq}ccfir/V ovccq EjiyEvca, vituQ fjd)/. Auch in 

spaterer Zeit erscheint das Wort vorzngsweise in derselben Ver- 
bindung, ich nenne : Aischylos Prom. 486 : xaxQtva tJtQ&xog ovel- 
Qtxxcov d %Qri vzuQ yEV£6&ai,, Pindar 01. 13, 66 fg. ovelqov d’ «u- 
xCxu riv vzuo, Plato Rep. 382 e und PhUeb. 63 e vzag ovxs 
ovuQ, Phileb. 36 e ovxe dij ovuq ov&’ vzuq, Phaidros 277e xb ydg 
dyvoEtv vzccQ xs y.al bmg, Theait. 158 b zeqI xov bvccg xe xal vzag^ 
158 d zoxEgov saxiv vzug ^ bvag, Politikos 277 d xivdvvEvEi ydg 
fjjiav Exaaxog oiov bvccg sidag uzavxa av zccXtv, aansg vnag ayvoEtv, 
278 e iva vzccg dvx’ dvE(gaxog ijfiiv ylyvrixai. Rep. 576 b iaxt da zovy 
olov bvag bitjX&o^uEv, bg dv vzag xoiovxog 1 ) , vgl. 574 e, Briefe 319 b 
vzag dvx bvsiguxog yeyovEv, Demokrit (Diehls Vorsokr. B 17) xal 
vzag xal bvag, Libanios Reden 62, § 66 vzag bvag Xoyi^bfiEvog x6- 
xovg, Heliodor Aith. 2, 16 xal Eld’s yE vzag fjv xal fir) bvag, Plu- 
tarch Moralia 565 B orra xb vzag dv Eiri xov bvsCgaxog EvagyiaxEgov. 

Die Eiille dieser Belege lehrt, daB vzag wirklich der Gegen- 
satz zu bvag ist und daB das Wort ganz besonders in der Ver- 
bindung mit seinem Oppositum in der Sprache lebte, wie ja auch 



Etymologisches. 


285 


Photios v^uQ als ovx iv ovsCgm interpretierte. Dabei ist 

2 u beachten, dab sehr baufig, darnnter an den beiden Homerstellen, 
gerade die mit vjikq reimende Form ovap, nicht ein andrer Kasus 
gebraucbt ist. Das aber liefert alie nur wiinschenswerte Klarheit 
fiir die Etymologie. Nichts liegt naber als in diesem Giegensatz 
aucb die Entstebung des Wortes vjcccq zu sucben. Danacb mnB 
vTtag mit rein griecbiscben Spracbmitteln gebildet sein und nar- 
als vTto ‘unten, darnnter’ der Giegensatz zu 6v-, das fiir avd ‘darauf’ 
stebt, sein. Daraus folgt weiter, dab jene Giriecben, bei denen 
vTtag aufbam, das Wort ovccg volksetymologiscb mit der Prapo- 
sition 6v- znsammenbracbten. Das konnten aber nur solche Griecben 
sein, bei denen 6v- gebraucblicb war. Zn diesen gebbrten, soviet 
wir seben, nnr die acbaiscber Mundart, ob einmal ancb die andem 
Griecben sie besessen batten, wissen wir nicbt. Somit wird es 
sebr wabrscbeinlicb, dab vxag ans der aoliscben Spracbe Homers 
berstammt nnd von da ans seinen Weg in die griecbiscbe Lite- 
ratnr gefnnden bat. Das Wort batte also fiir den Griecben der 
nacbbomeriscben Zeit einen poetiscben Beiklang, so versteben wir 
aucb, dab es sicb so lange in der Verbindung mit ’ovc'.g gebalten 
bat. Daran 'kann man wieder einmal lernen, dab sicb die Analogic 
nnr scbrittweise ausdebnt. Das Wort vTcag macbt eben gar keine 
recbten Anstalten, ein eigenes Leben zu fiibren, es braucbt noch 
lange die Anlebnung an sein Oppositum ’ovag. 

Diese volksetymologiscbe Zerlegung des Wortes dvag zeigt 
sicb aber aucb nocb an etwas anderem. Hesycb bewabrt uns die 
Glosse dvaigov ’ovsigov auf. Hier seben wir die Ankniipfung 

an die Praposition ja ganz deutlicb. Das u des Diphthongs ist 
dabei natiirlicb aus einer Kontamination von ovag und oveigov ent- 
standen. 

Die Bedeutung der Gegensatze ovag, vxug bat Prellwitz be- 
reits in die richtigen Worte gekleidet: ^vtcuq bezeicbnet den wirk- 
lichen Kern im Gegensatz zum darliber befindlicben, verganglicben 
Scbein und Tranm’. 

Nocb etwas anderes gilt es dabei festzubalten : vnag ist in- 
deklinabel. Aucb das ist aus ovag beraus zu versteben, ovag kommt 
ja nur als Nominativ und Akkusativ sowie adverbial 'im Traum’ 
vor. Die andern Kasus werden von oveigog, ovsigov gebildet, zu 
denen dem Sprachgefiibl nacb aucb ovsigarog u. a. gehort baben 
werden. Genau so wie ovag ist vTtag im Gebraucb: als Nominativ 
und Akkusativ sowie adverbial ‘in Wabrbeit’, dariiber binaus sind 
Kasus von v:tag nicbt gebildet worden. Wiederum ein Wink, wie 
die Analogic wirkt : sie macbt keine Spriinge, sondern gebt Scbritt 



286 


Eduard Hermann 


fiir Schritt voran. Erst ganz spat hat man gewagt, xaQ-’ vtcuq 
zu sagen, wie man auch y.Kt’ ovug sagte, so Matthausevangelium 
1, 20 uyyekog Kvgiov y.icx^ ovag icfC'V)^ uvra. Also beide Adverbien 
hat man spater gleichmaBig verandert, man sieht wiederum, wie 
stark die beiden znsammenhangen. 

Hochst interessant ist dazu die Bemerknng des Phrjmichos 
(ed. Lobeck 421, Eutherford 494) : y.ut' ovuo ‘ noXeuav 6 lavr/.bg 
jdiiuod&svovg rov gtlrogog sixoi'u yccXyi^v ev ’AqxIyi'Xlov tov sv Ueq- 
ydyia xt'i Mvsicf civa&Elg i’XEyQaiysv E:tiyQCij.iu.a xoiovds ' 

IlccLai’ieu JloXeuav y.ax bvug, ddoy.iyiaxdra xa y.ax bvag yoi]QdusvQg. 
StGTCEQ yug vTCag ov kiyExca &)X v:xag, ovxcog ovda y.ut’ ovag, 

uUJ ?)rot bvag idhv ij ovai'gov bi^scjg. Lobeck hat an ,der ge- 
nannten Stelle eine Zahl von Belegen fiir dieses von Phrynichos 
als unattisch geriigte y.ax’ bvug znsammengetragen. Die Sammlnng 
enthalt Beispiele nur ans spaterer Zeit, wie auch xud’’ vjtag erst 
spat aufkommt. 

So geht also der Parallelismus zwischen bvag nnd vnccg dnrch 
die ganze griechische Literatnr hindurch. Offenbar war dabei lange 
auch die adverbiale Bedentnng der beiden Wdrter dentlich im 
SprachbewuBtsein, erst die Verbindung mit xaxd zeigt, daB sich 
das spater geandert hat. Vielleicht war auch der Aysgangspunkt 
gerade der adverbiale Gebrauch gewesen, Formen wie d^ug, avtdg, 
drdg, ydg konnten es dem griechischen Sprachgefiihl nahe legen, 
in bvag (vzag) ein Adverbium zu suchen, das nur gelegentlich auch 
als Substantivum gebraucht wird, aber natiirlich der Deklination 
entbehrt. 


5. ox&fjocct. 

Boisacq 735 und Prellwitz ^ 347 sind geneigt, oyd-f^dai zu E%9og 
zu stellen. Diese Etymologie scheint mir ganz unmbglich zu sein. 
Die Bedeutungen der Worter passen gar nicht zu einander. eyd-og 
braucht man von dem todlichen HaB, besonders von der ans der 
Blntrache stammenden Feindschaft, dx^ijsai ist nur ‘nnwillig, un- 
wirsch, aufgebracht werden’, die beiden Worter unterscheiden sich 
in dem Grad so wie der Orkan und der Wind, sie konnen also 
nicht zusammengehdren. Auch die Form scheint ihre Verbindung 
zu verbieten. Wenn ich mit Recht von der Praposition 6^ 

ableite (GGN 1918, 223 fg.), darf man nicht eine dazu ablautende 
Bildung in suchen; denn i'x&og, e-yd-gog usw. werden erst 

im Griechischen entstanden sein. 

oyd'rlaca hat man vielmehr an dy&og, dyd’afiai anznkniipfen, de- 
ren Bedeutungen ‘Kummer’ und ‘nnwillig sein’ sich eng an die 



Etymologisches. 


287 


von 6i^fi<5ai anschliefien. Des weiteren gehoren dazu uyvvnai, uyo- 
uai ‘unwillig sein’ und uyos ‘Verdrud, Schmerz’. Nun bedeuten 
aber uy^og, ayd-o^ai auBerdem auch noch ‘Last’ und ‘belastet sein’. 
Welche dieser Bedeutungen die alteste ist, laBt sich leicht ver- 
muten: docb wohl die anschaulichere ‘Last’. Danacli hat sich aus 
1) ‘Biirde’ entwickelf; auf der einen Seite 2) ‘physischer Druck’, 
d. i. ‘Schmerz’, auf der andern 3) ‘psychischer Druck’, d. i. ‘Kummer’ 
und weiter 4) ‘Unwille’. Daneben steht weiter aus 3) entwickelt 
‘Furcht’ im Germanischen und Keltischen; denn wir werden got. 
agis ‘Fnrcht’, unagands ‘furchtlos’, air. aichthi ‘furchtbar’, ferner 
got. og und air. dgor ‘fiirchte’ nicht beiseite lassen diirfen. Yon 
der Bedeutung ‘Biirde’ aus sind auch got. uglus ‘schwierig’, usayljan 
‘bedrangen’ ausgegangen. 

Fine gewisse Schwierigkeit konnte der Vokalismus bereiten; 
denn Giintert wird IF 37, 1 fg. damit recht haben, daB a nicht in 
Ablaut mit o stand. Aber wieder Giintert kann uns da aus der 
Verlegenheit helfen mit seinem Schwa secundum. Wir werden 
von einer Wurzel *ogh auszngehen haben, die in oy&fleai, agis, 
aichtJii vorliegt ; die Dehnstufe dazu steckt in og, dgor ; 92 haben 
wir in uy^og usw. zu sehen. Die Neutra auf -os haben sonst al- 
lerdiugs meist die Hochstufe, daneben gibt es aber auch tiefstufige, 
vgl. Brugmann Grundr. - 11, 1, 516. Tiefstufe in clywgca ist selbst- 
verstandlich , s. Brugmann - Thumb. 337; uyogai, &y%-ogai, werden 
seknndare Bildungen sein. Vielleicht hat man aber auch in uyvv- 
gai eine Umbildung zu sehen, falls Giintert Ablautprobl. 24 fg. fiir 
92 im Griechischen wegen des folgenden v mit Recht Entwicklung 
zu t fordern sollte. Jedenfalls lassen sich die Wbrter auch nach 
der formellen Seite hin ohne Schwierigkeit mit einander verbinden, 
wie sie ja auch schon friiher, z. B. von Leo Meyer, allerdings unter 
Vermischung mit Falschem, mit einander verbunden worden sind. 



Ein aegyptischer Vertrag iiber den Abschluss einer 
Ebe auf Zeit in demotischer Scbrift. 


Von 

Kurt Sethe. 

Hierzu eine Tafel. 

Yorgelegt in der Sitzung vom 28. Juni 1918, 

I. 

Spiegelberg hat im J. 1909 in der Aeg. Ztschr. 46, 112 fiF. 
ein demotisches Oistrakon aus dem Ende der Ptolemaerzeit, im 
Besitze der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu StraSburg, verof- 
fentlicht, das in den Kreisen der Bechtshistoriker berechtigtes 
Aufsehen erregt hat, enthalt es doch eine Eechtsurknnde ganz 
eigener Art, einen Vertrag iiber die SchlieBung einer Ehe auf 
knrze Zeit, oder, wie Spiegelberg es (wir werden sehen, in ge- 
wissem Sinne richtig) nannte, einer Probeehe. 

Durch E. Babel, der sich fiir das Stiick lebhaft interessierte, 
auf die Probleme, die es bot, hingewiesen, habe ich die TJrkunde 
seit langerer Zeit nicht aus den Augen yerloren und immer wieder 
von Zeit zu Zeit vorgenommen. Dabei lichtete sich das Dunkel, 
das iiber dem merkwiirdigen Texte lag, zwar allmahlich in ein- 
zelnen Punkten, aber die eigentliche Pointe blieb verborgen, bis 
mir die soeben erschienene ausgezeichnete Arbeit von Georg 
M oiler, Zwei aegyptische Ehevertrage aus vorsaitischer Zeit 
(Abhandl. der Berliner Akademie 1918, Phil. -hist. Kl. Br. 3) durch 
einige trelfende Bemerkungen, die der A^erfasser unserer Urkunde 
widmete, AnlaB gab, die Sache nochmals zu durchdenken. Dabei 
fand ich des Batsels Losung. Der letzten Hindernisse, die sich 
dem Verstandnis in einigen nebensachlichen Punkten noch in den 



Kurt Sethe, Eia aegypt. Vertrag uber d. AbschluB einer Ehe auf Zeit etc. 289 

Weg stellten, Herr za werden und den Wortlant des Textes 
liickenlos zu gewinnen, gelang mir erst angesichts des Originales, 
das mir Spiegel berg mit der freundschaftlichen Bereitwilligkeit, 
dnrch die er mich so oft schon za Dank verpflichtet hat, dnrch 
Vermittlung der StraBburger Landesbibliothek znm Stndiam nach 
Gottingen senden liefi. 

Nach Spiegelbergs Lesnng und Dentang des Textes soUte 
in der Urknnde ein Ganseziichter Psenmin (Psenminis) fur 5 Mo- 
nate eine Prau Tamln znr Ehefran nehmen, indem er fiir sie ein 
Pranengeschenk (Morgengabe) von 4 Silberlingen (80 Silberdrach- 
men) in zwei Tempeln deponierte und mit ihr vereinbarte, dafi 
dieses Geld an ihn zuriickfallen solle, falls sie ihn vor Ablauf 
der 5 Monate verlasse nnd in ihr Hans zurhckkehre, dagegen ihr 
zustehen nnd ansgezahlt werden soUe, falls er seinerseits sie inner- 
halb der genannten Prist von sich gehen lasse. 

M oiler wendet nun in seiner erwahn ten Arbeit (S. 24) gegen 
Spiegelbergs Definition der Sache als Probeehe ein, eine solche 
konute doch nnr den Zweck haben, „die Pruchtbarkeit der Pran 
vor dem Eingehen einer dauernden Bindung zn priifen“. Daun 
wurde, meint er, der Schreiber aber wohl klar nnd nnbedenklich 
geschrieben haben: „bist du am 1. Choiak des Jahres 17 (der Ter- 
min, mit dem die angegebene Prist von 5 Monaten ablief) nicht 
schwanger, so lasse ich dich gehen, imd das Geld verfallt dir“ 
d. h. zn deinen Gunsten. Gegeniiber Mitteis’ Bemerkung (Grund- 
zuge der Papyruskunde S. 204) aber, daB in der TJrkunde ein ehe- 
liches Verhaltnis begriindet werde, das der Vollehe diametral ge- 
genuber stehe, miisse ausdrucklich festgestellt werden, daB der 
Vertrag die beiden Kennzeichen der Vollehe trage, insofern die 
Pran zur Ehefran erblart werde und eine Morgengabe erhalte, 
wenn diese auch vorerst fiir sie nur deponiert werde. Mo Her 
meint (wie wir sehen werden, mit vollem Recht), es wiirden per- 
sonliche Verhaltnisse besonderer Art vorgelegen haben, die dem 
Ehemann verboten, der Erau eine langere Dauer der Ehe in Aus- 
sicht zu stellen. Er sieht in der Sache also einen singularen Ans- 
nahmefall. 

Mir war es seit langem klar, daB die Losung des Ratsels von 
einer Bemerkung des Urkundentextes in Z. 17/18 (Rs. 2/3) ausgehen 
werde, die bisher nicht richtig verstanden worden ist. Dort ist 
namlich nach meiner Lesung und Deutung, die beide ganz sicher 
sind (s. u.), von einem Eide die Rede, den die Prau dem Manne 
geleistet babe „betreffs jenes Menschen, von dem“ er sie „getrennt 
habe“. Das kann m. E. nur so verstanden werden, daB es sich 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist, Klasse. 1918. Heft 3. 19 



290 


Kurt Sethe 


um eine Frau handelt, die sich von ihrem ersten Mann, ob es nun 
ihr Ebegatte oder nur ihr Liebhaber war, geschieden hat und nun 
ihrem zweiten Manne einen Eid iiber ihr Verhaltnis zu dem ersten 
geleistet hat. 

Machdem nun Mo Her (iibrigens ohne Kenntnis der richtigen 
Auffassung der kritischen Stelle) richtig die Erage der Schwanger- 
schaft als den springenden Punkt erkannt hat, um den sich die 
Sache drehen miiBte, wenn es sich wirklich um etwas wie eine 
Probeehe handeln sollte, ward mir sogleich klar, worauf sich der 
erwahnte Eid der Eran bezogen haben wird. GewiB hat sie ge- 
schworen, dad sie mit dem ersten Manne entweder iiberhaupt nicht 
oder nicht mehr in der letzten Zeit geschlechtlich verkehrt habe, 
jedenfalls aber daS sie kein Kind von ihm nnter dem Herzen trage. 

1st das aber richtig, so wird die Bemessung der Erist fiir die 
neue Ehe auf 5 Monate seltsam. Was man erwarten sollte, ware 
9 Monate oder allenfalls auch 10, wenn dieselbe vorsichtige Praxis 
wie im romischen und im modernen burgerlichen Rechte ange- 
wendet sein sollte ')• Das erstere, 9 Monate, steht nun in der Tat 
auch da, wenn man das Datum, das den Anfang der Erist bezeich- 
net, richtig liest. Spiegelberg las „Jahr 16 Monat 3 der Som- 
merjabreszeit Tag 1“, also den 1. Epiphi. Xichts hindert aber, 
stattdessen „Monat 3 der Winterjahreszeit Tag 1“ d. i. den 1. 
Phamenoth zu lesen , wodurch das Datum um 4 Monate zuriick- 
gertickt wird. Die Schreibungen fiir die 2. und die 3. Jahreszeit 
des aegyptischen Kalenderjahres 2 n-(./) „Winter“ und smw „Sommer“ 


1) Die HocLstdauei' der ScliwangerscLaft "wird liekanntlich auf rund 280 
Tage = 40 tVoehen = 10 Mondmonate = 9 Sonnenmonate berechnet. Die mo- 
dernen Rechte geben der Frau eine Frist von 300 Tagen nach der Beendigung 
der Ehe fur die Geburt eines als ehelich anzuerkennenden Kindes. DaB die 
Aegypter im burgerlicheu Leben mit 9 Monaten rechneten , was bei der jS’atur 
ihres Kaleiiders (Jahr von 305 Tagen j zu erwarten ist, geht aus einer aegypti- 
sthen Textstelle hervor, deren Kenntnis ich einer frenndlicben Mitteilung M oilers 
verdanke. Auf dem aus romischer Zeit stammendeu Sarge Berlin 17043 (aus den 
Ausgrabungen von Abusir el Melek) LeiBt es in einem Totentexte; „o Osiris NN 
deine Mutter ist schwanger geworden mit dir, sie gebiert dich“ < — ^ ^ ® 

„bis zum 1. Tage des 10. Monats“. Wenn dagegen, worauf mich gleichfalls 
Mo Her hinweist, in dem Isistexte von der Insel los (,C. I. Gr. 12, fasc. 5,1, 
S. 21/, Z. 22j die Gdttin von sich sagt: iyai yvvai^i Sz'ndy.r^vov ^Qsg}og ivittx^u, 
so ist das weniger aegyptisch als griechisch gedacht, vgl. S$y.afir}viaLov pQS<pos 
„ein 10 Monat alter, im 10. Monat stehender Foetus“ Pint. Numa; yvvrj nvti St- 
■/.afir,vos „das Weib tragt 10 Monate lang“ Menand. bei Gell. Noct. att. 3, 16. 
Der griechische Kalender beruhte ja auf dem Mondjahr, und auf den Mondmonat 
bezieht sich ja auch die Bezeichnung der xarajiTjrta. 



Ein aegyptischer Vertrag uber den AbschluB einer Ehe auf Zeit etc. 291 


sind einander dermaBen ahnlich, daB man immer wieder in Zweifel 
gerat, was denn eigentlich gemeint sei, wenn man nicht Beispiele 
fiir beide Worte in einer und derselben Ilrknnde nebeneinander 
hat, sodaB eine Yergleichnng ermoglicht ist. Der eine Schreiber 
schreibt so, wie der andere smic. Was in unserm Texte steht, 

hat tatsachlich eine Form, die man nicht nnr jederzeit auch 
lesen darf, sondern bei der diese Lesnng, wie Sgiegelberg jetzt 
selbst zugibt (brieflich), sogar die palaographisch naher liegende ist. 

Die Dauer unserer Probeehe — um eine solche handelt es sich 
also wirklich, wenn anch in anderem Sinne als man erwartete — 
ist demnach auf die Zeit vom 1. Phamenoth (7. Kalendermonat) 
des Jahres 16 bis znm 1. Choiak (3. Kalendermonat) des Jahres 
17 festgesetzt und somit auf 9 Monate oder, da die Epagomenen 
in diese Zeit fallen, auf genau 275 Tage bemessen. Kommt die 
Frau in dieser Zeit nicht nieder, so wird die provisorische Ehe 
in eine definitive umgewandelt werden. Das ist im Texte zwar 
nirgends gesagt, ist aber otfenbar die stillschweigende Voraus- 
setzung der ganzen Abmachung. Und noch etwas anderes muB 
dabei, so seltsam es auch scheinen muB, vorausgesetzt sein, wenn 
es sich um eine Probeehe zu solchen Zwecken handeln soil: die 
neuen Ehegatten mlissen wenigstens fur die ersten Monate der 
Ehe auf den natiirlichen GieschlechtsgenuB verzichtet haben, wenn 
anders das Ganze seinen mutmaBlichen Zweck nicht verfehlen 
sollte. 


II. 

Ich lasse nunmehr den Text der Urkunde, wie er sich jetzt 
darstellt, in Umschrift^) und tlbersetzung folgen und verweise fur 
das demotische Textbild auf die Tafel. Das Faksimile, das sie 
bietet, beruht auf einer nach Spiegelbergs Publikation von mir 
hergestellten Pause, die durchweg nach dem Original berichtigt 
wurde. Ein Lichtdruck wiirde an den ohnehin ganz deutlichen 
Stellen nicht mehr als Spiegelbergs erste Lesnng, die als solche 
vortrefilich war, zeigen, an den minder deutlichen SteUen, an denen 
Spiegelberg damals noch nicht die endgiiltige Lesung gefnnden 
hat und auf die es jetzt gerade ankommt, aber nichts ergeben. 


1) Die demotische Scbrift umschreibe ich im Unterschied zu Spiegelberg^ 
da, wo sie historisch schreibt, was bekanntlich meist der Fall ist, auch historisch, 
lautlich hingegen nur da, wo sie wirklich rein lautlich, unhistorisch, schreibt. Das 
hat den groBen Vorteil, daB der Kenner der aeg. Sprache (und fur den ist dock 
nur die Umschrift berechnet) sogleich erkennen kann, was dasteht. 

19 * 



292 


Kurt Sethe 


Umschrift. 

a) Vorderseite. 

1. hi.t-sp 16 ihd 3 pr(.t) ssto 1 

2. Pi-sr-(n-)mn si ^nsw-dhiotj pi min.io ipd 

3. pi ntj dd n Ti{-Tri>.)-tnn tl (t*.) Pi(ni>.)-nmt pij hd wdh (1) 2 r 
(= irj-n) sttr lO.t r (= irj-n) hd tvdh 2 '« 

d. ivih-j dj.t st n-t m-bih H.t-hr (3) pij Tij hd tvdh 2 r (= irj-n) 
sttr lO.t 

5. r (= irj-n) M wdh 2 ‘n ntj wih-j dj.t st (3) n-t m-hih 
il.wj (4) r (= irj-n) hd wdh 4 r (= 'rj-n) sttr 20.t 

6. r (= irj-n) hd wdh 4 'w ntj toih-j dj.t st n-t m-bih ni nfr.w 
s-hm.t.tv 

7. mfw-t f^pr n pij-j \tvj (hi) iw-t mtw-j n hn.t n-tij-n (a-ssti) pi-hrio 
(nooTf) 

8. hi.t-sp 16 ihd 3 pr(J) sstv 1 r-hn-r hi.t-sp 17 ihd 4 ih(^.t) ssw 1 
iiv-f yr 

9. tw sm(-t) n-t (5) r pij-t '.wj (hi) iw bn-pw-t ij (ei)^) r ibd 4 
i^(.t) ssw 1 

10. n pij-j \wj (hi) mtw-t mh pi hd wdh 4 («) hl.t (6) ntj sh hrj 
itv-f (7) hpr 

11. iiv ink pi ntj tvih (8) dj.t sni-{t) n-t iw bn-pw-t tj (ei) r ibd 4 
il}{.t) ssw 1 

12. mtw-j mh pi hd wdh 4 ntj sh hrj mtw-t (9) wih-j mh-w r 

13. d.t ni rd.tv («) P}-sr-{n-) inp (10) pi sbj.tj (11) 

14. pi rd (13) mttv-j tm dj.t hn-f (13) 

16. r.hr-t (epo) 

b) Ruckseite. 

16. iw bn^) tw-j (14) m-si-t n 'nh n s-hm.t in (e.n) 

17. m-si pi "nh ntj wih-t ir-f n-j r (15) pi rmt (16) ntj wih-j 

18. prd-f ’rin-t (17) m-si (18) pi 'wj 

19. n pi iv^bijt) n pij-j ".wj (h.) (19) r ir-f (30) n-j n kj hrw 


1) Unter dem Zeichen fiir ij „kommen“ in Z. 9 und dem Zeichen fiir In 
„nicht‘^ in Z. 16 steht im Original noch ein einzeln dastehender Fullpunkt, wie 
er bei diesen und andern sich horizontal in die Lange erstreckenden Zeichen 
haufig (vgl. die Schreibungen derselben heiden \Yorte in Z. 11, sowie s«i „gehen“ 
in Z. 9, '.uj „naus“ in Z. 7. 10. 19, inic „ich“ in Z. 11, p von prd in Z. 18, mn 
von Pi-mnt in Z. 3), aber keineswegs regelmafiig zu stehen pflegt (vgl. in in Z. 9, 
sm in Z. 11). In den genannten beiden Fallen ist dieser Punkt bei Herstellung 
der Zinkatzung fur die Tafel durch Schuld der technischen Anstalt weggefallen 
Und konnte in der Reproduktion nicht wieder hergestellt werden. 



Ein aegyptischer Vertrag iiber den AbschlaS einer Ebe auf Zeit etc. 293 


tjbersetzung. 

a) Vorderseite. 

1. Jahr 16, Monat 3 der Winterjahreszeit (Phamenotli) , Tag 1. 

2. P-sen-min, Solm des Chens-dhowt, der Ganseliirt, 

3. ist es, der sagt zu Ta-mln, Tochter des Pa-mont; „Jene 2 
(voll)ansgegosseiien (1) Silberlinge, — macht 10 Statere, maclit 
2 vollansgegossene Silberlinge wiedemm — , 

4. die ich dir gegeben babe vor (der Gottin) Hathor (3), (nnd) 
jene andern 2 (voll)aiisgegossenen Silberlinge, — macbt 10 
Statere, 

6. macbt 2 (voll)ansgegossene Silberlinge wiedemm — , die ich 
dir gegeben babe vor (der Gottin) (4), (das) macbt (zu- 

sammen) 4 (voll)ausgegossene Silberlinge — macbt 20 Statere, 

6. macbt 4 (voll)ausgegossene Silberlinge wiedemm — , die icb 
dir gegeben babe vor den Gottinnen. 

7. Du wirst in meinem Hause sein, indem du mir eine Ebefrau 
bist, von hente, 

8. Jahr 16, Monat 3 der "Winterjahreszeit (Phamenotb), Tag 1 
bis zum Jahre 17, Monat 4 der "[Jberscbwemmnngsjahreszeit 
(Choiak), Tag 1. Wenn es gescbieht, 

9. dafi du weggegangen bist (5) in dein Hans, bevor dn gekom- 
men bist zum Monat 4 der "[Jberscbwemmungsjabreszeit (Choiak), 
Tag 1 

10. in meinem Hause, so wirst du die 4 (voll)ausgegossenen Sil- 
berlinge von friiher (6), die oben gescbrieben sind, (zuriick)- 
zablen. Wenn (7) es gescbieht, 

11. dafi ich es bin , der dicb bat (8) weggeben lassen , bevor du 
gekommen bist zum Monat 4 der TJberscbwemmungsjabreszeit 
(Choiak), Tag 1, 

12. so werde icb (dir aus)zablen (lassen) die 4 (voll)ausgegossenen 
Silberlinge, die oben gescbrieben sind, die (9) icb bereits ge- 
zablt babe 

13. in die Hand der Vertreter (oder Beauftragten) des P-sen-anup 
(10), des Geldwechslers (11), 

14. des Vertreter s (d. i. des Treuhanders) (12). Und icb werde 
ibn sicb nicbt nahern lassen (13) 

15. dir (d. h. keine Forderungen an dicb stellen lassen). 

b) Eriickseite. 

16. Ich bin (14) aber nicbt hinter dir in bezug auf (d. b. ich babe 
von dir nicbt zu fordern) einen Frauenspersonen-Eid 



294 Kurt Sethe, 

17. aufier dem Eide, den du mir bereits geleistet bast betreffs 

(15) jenes Menschen (16), den icb 

18. yon dir getrennt babe (17), (sowiei auSer (18) dem Eide 

19. de(me)r Reinigung in bezng auf mein Hans (19), der mir zn 

leisten ist (30) an einem andern Tage“. 

Kommentar. 

1. Zn diesem Ausdruck, dessen Lesung nnd Ubersetzang nn- 
sicber ist, der aber jedenfalls irgendwie die Vollwertigkeit der 
Miinze bezeicbnen muB, s. Griffith, Ryl. Ill 270 note 4, der 
dort den Beweis lieferte. daS die altere Lesung dhn „Pfund“ nn- 
moglicb ist. 

2. Das erganzende Praedikat zn diesem nnd dem koordinierten 
Parallelausdruck ist sicherlich in der Summierung „macbt (zu- 
sammen) 4 Silberlinge“ (Z. 5) zu sucben, vgl. „was aber den Hori- 
zont der Sonnenscbeibe betrifft von der siidlicben Stele bis zur 
nordlicben Stele, gemessen zwiscben Stele nnd Stele, so macbt das 
(iriv-n) 6 Schoinoi nnd 179 Ellen‘‘ Davies, Amama 5, pi. 28, 
S. 18. 

3. st im Original deutlicb, wenn anch verblaBt, erbalten. 

4. Neue Lesung von Spiegelberg, die er demnacbst in der 
Aeg. Ztscbr. begrilnden wird. Hatbor nnd die ibr wesensabnlicbe 
B,' -t-tiAV), die in Hermontbis zu Hause ist, sind vielleicht in ibrer 
Eigenschaft als Gottinnen der Liebe und der Mutterscbaft zu Zeu- 
ginnen der Geldzahlung gewablt. 

5. blan konnte an sicb zweifeln, ob so zu erganzen ist oder 
’«■(-/) sni „da6 du gebst“. Fiir die perfektiscbe Fassung spricbt 
der Satz in Z. 11, der von der entsprecbenden Tat des Mannes 
redet. Aucb dad der Scbreiber in Z. 7 ricbtig hv-t und in Z. 11 
ebenso nnricbtig Sm{-f) gescbrieben bat, spricbt gegen die Ergan- 
zung hv-t sm^). In Verbindung mit dem futuriscb gedacbten „wenn 
es gescbiebt^ entspricbt das Perfektum unserm Futnrum exactum: 

n^eun es gescbiebt, daC du gegangen bist“ =deutscb: „-wenn 
du gegangen sein wirst“. Vgl. Spiegelberg, Erbstreit S. 52, III. 

6. hi.t ^friiber** {anted) findet sicb wie bier als mutmafilich 
genitiviscber Zusatz aucb sonst gern bei Geldbezeicbnungen, z. B. 
„du bast mein Herz zufriedengestellt mit ihm (dem Pacbtzins) in 


1) Die eglassuug des Sufdxes 2. f. sg. t bei sm an beiden Stellen durfte 
mit der Ahulichkeit, die das Determinativ des Gehens mit einem t hat, zusammen- 
gebangen haben. 



Ein aegyptischer Vertrag uber den Abschlufl einer Ehe auf Zeit etc. 295 

G-eld von friiher {MI ^ 1 . 1 )“ Kairo 30615,7: „15 Artaben Weizen, 
davon ab Greld von friiher zn meinen Lasten hente = 11 Artaben, 
bleiben 4 Artaben“ Kairo 30815. 14 ; vgl. anch : „da bast mir ibn 
(den Pacbtzins) gegeben in Geld von fruber als bente (Ac? h^.t 
pl-limY Kairo 31079,18/9. 30613,11. Uberall bandelt es sicb da- 
bei uin eine Darlebensscbuld. Vielleicbt soli aucb an nnserer Stelle 
das fiir die Frau deponierte Geld, das sie gegebenenfalls zurlick- 
zablen soil, als ein solcbes Darleben bingestellt werden. 

7. iw in Resten erbalten. 

8. Der Ausdrucksform sdm „icb babe gebort^, „babe 

bereits gebort“, eigentlicb ^icb bin fertig mit Horen" = altkopt. 

, die unser Text so gern mit dem Relativwort ntj ver- 
bnnden gebraucbt (Z. 4 — 6. 12. 17) ^). entspricbt bier ein ntj wih sdm 
„welcher bereits gebort bat“, das die Bedentung eines alten Part, 
act. perf. bat. Es ist oifenbar das Prototyp des acbmim. e-r-&.2^- 
cui'jjuL, fiir das icb Aeg. Ztscbr. 52,112 eben eine solcbe Entste- 
bung postuliert babe. DaB dieser letztere Ausdrnck mit e-v-*.o^- 
im Kopt. nnr auf den Dialekt von Acbmim bescbrankt ist nnd daB 
nnser Ostrakon, das in Lnksor gekanft wnrde, in den Namen der 
beiden Kontrabenten P-gen-min (.,der Sobn des Gottes Min“) und 
Ta-min („die des Gottes Min“) Beziebungen zu einem Orte, der 
dem Gotte Min diente, also Acbmim oder Koptos, zn verraten 
scbeint, ist ein merkwiirdiges Zusammentreffen. Man konnte da- 
nacb anf den Gedanken kommen, daB wir in nnserer Urknnde, die 
sicb in dem oben belegten Gebraucb des perfektiscben Hiilfsverbums 
will im Relativsatz mit ntj merklicb von der iibrigen Masse der 
demotiscben Urkunden ans Memphis, dem Faijum, Theben, Gebelen 
nnd Edfn nnterscheidet , das alteste Denkmal des acbmimiscben 
Lokaldialektes zn erblicken batten. Dagegen spricbt jedocb der 
von Spiegelberg gelesene Name der Gottin der ebenso 

wie der Personenname Pa-mont eher auf die IJmgegend von Er- 
ment (Hermontbis) als eigentlicben Herknnftsort des Ostrakons 
schlieBen laBt. Die mit lilin gebildeten Personennamen linden sicb 
in griecbiscb-romiscber Zeit tatsacblicb ancb ebenso in der Um- 
gegend von Erment, in Gebelen wie in Tbeben, nicbt selten, sind 
also damals keineswegs auf die eigentlicben Knltorte des Min be- 
scbrankt gewesen. 

9. Das mtw-t (nwe), das bier stebt, muB, wie Spiegelberg 
bereits sab, eine Verscbreibung fiir das Relativwort m/ sein, das 
der Zusammenhang mit Notwendigkeit fordert. Vielleicbt verrat 


1) Anderweitig , soviel ich weiB, bisher uoch nicht belegt. 



296 


Kurt Sethe 


sich in dieser Fehlsclireibmig die Aussprache, die das Eelativwort 
in der Verbindnng mit dem Hiilfszeitwort u ih-j damals nocb batte, 
etwa *enie~hal. 

10. Man kann zweifeln, ob das r-d.t m rd.w (n) Fi-sr-{n-)\np 

„in die Hand der Vertreter des P-gen-annp“ mit dem vorbergeben- 
den Eelativsatz ^die icb bereits gezablt babe*' zu verbinden ist^ 
wie das oben in der Ubersetzung angenommen 'worden ist, oder 
mit dem Hauptsatze „so werde icb zablen''. Wegen des plurali- 
scben Ausdrnckes nl rci.ic „die Vertreter “ ist wohl das erstere 
vorzuziehen. Denn darin sind dock gewiB die Personen zu er- 
kennen, die die beiden Zahlungen in Gegenwart der Gbttinnen 
Hathor und also vermutlicb in deren Tempeln, entgegen- 

genommen haben. 

11. Das letzte Zeichen des Wortes ist bier wie in Kairo 30601 

und Berlin 3116, 3, 13, wo das Femininnm davon vorliegt {t’, sb.tj.t 
„die Geldwecbslerin"), deutlicb tj. Das Wort, das vom Infinitiv 
Sbj.t (ujefiie-, uji&e) kommt, wird entweder (vgl. iijniH'T) oder 

(vgl. Aicpn) gelautet baben. 

12. Da vor pi rd „der Vertreter“, „der Beauftragte“ kein n 
stebt, kann nicbt daran gedacht werden, etwa einen den Empfanger 
angebenden Dativ zu dem Hauptsatz „so werde icb zablen“ darin 
zu suchen: „dem Vertreter" im Sinne von „deinem Vertreter". 
Der Ausdruck kann vielmehr nur Apposition zu „P-sen-anup, der 
Geldwechsler" sein. Andernfalls ware auch wobl der Possessiv- 
artikel pij-t „dein** zu erwarten. Die Ersetzung eines solcben Pos- 
sessivausdrucks durch den einfacben bestimmten Artikel ist ja sonst 
gerade bei appositionellem Verbaltnis nicbt selten (vgl. die Bei- 
spiele bei Sethe-Partscb, Demot. Biirgschaftsurlmnden , Urk. 
15, § 15) , aber naturgemafi iiberall nur da anzutrelfen , wo das 
TV ort , auf das sicb das nicbt ausgedruckte Pronomen personale 
beziebt, im seiben Satze vorber genannt ist. Das ist an unserer 
btelle aber nicbt der Fall, wenn man das „der Vertreter" nicbt 
als „mein Vertreter" deuten will, was durcb den Zusammenbang 
ausgeschlossen erscbeint. Aus diesem Grunde wird man in dem 
pi rd wobl den Vertreter einer dritten Person oder Korporation 
zu erkennen haben, etwa des Notars, der Priesterschaft oder der 
Gaubeborde ^). Das paBt in der Tat auch allein in den Zusam- 
menhang, der als Empfanger der ersten Doppelzahlung eine neu- 

1 ) So z. B. in den Statuten der Priesterkorporation von Tebtj’nis, vgl. meine 
Arbeit Sarapis und die sogen. ndroxoi S. 93. 

2) Vgl. Ryl. 9, 7, 1 , 



Ein aegyptischer Vertrag iiber den AbschlnB einer Ehe anf Zeit etc. 297 


trale Stelle erfordert, die die Geldsamme bis zar Entscheidung 
der Angelegenbeit za verwahren hat, einen Treuhander. Nur sa 
wird auch das nachher folgende mtiv-j tm dj.t hn-f r-hr-h „nnd ich 
lasse ihn sich dir nicht iiahern“ verstandlich, s. a. 

13. tm aaf dem Original ganz deatlich. Das dj.t, das damit 
zasammengelaafen ist, ist in seiner linken Halfte etwas verblafit. 
Daher das Ganze von Spiegelberg verkannt. Zar Lesang von 

hn „sich nahem“ (z*nn) and seiner Konstraktioh mit r vgl. 

II / 

Spieg., Mythas4, 29 {hn-s r jn giw „sienaherte sich der SpeiseJ- 
'£ni± Griffith-Thomps on, Mag. Pap. 4,4 {lic-f l±n r didi-h 
„indein er deinem Kopfe nahe ist“). 

Das Saffix 3. m. sing, f in Im-f kann sich nnr aaf das anmit- 
telbar vorher genannte ^P-sen-anap, der Vertreter“ beziehen, also 
aaf die Person, die das Geld in Verwahrang genommen hat. Der 
Sinn der Zasicherang „and ich werde ihn sich dir nicht nahern 
lassen“ kann nar sein, dad die Eraa vor etwaigen Forderangen, 
die diese Person an sie bei oder nach der Aaszahlnng des ihr ver- 
fallenen Geldes stellen sollte, etwa aaf Provision, Spesen oder der- 
gleichen, sicher gestellt sein soil, indem der Ehemann diese Un- 
kosten abernimmt. Wir haben in dem Aasdrack dj.t hn x. r y. 
„ Jemanden (x.) sich einem andern (y.) nahern lassen“ olfenbar das 
Gegenstiick za dem bekannten Aasdrack der demotischen Rechts- 
sprache dj.t wij x. r j. „Jemanden (x.) sich von einem andem (y.) 
entfernen lassen“ d. i. bewirken, dad er keine Anspriiche in bezag 
aaf etwas {n bezw. im-) an den andern stelle, dad er es ihm iiber- 
lasse. Nar pflegt das kansative dj.t „veranlassen", „bewirken“ im 
negierten Satze meist die Bedeatang „lassen“, „zalassen“ za haben. 
Der Ehemann verspricht also wohl, nicht znlassen za wollen, dad 
die Fraa mit Anspriichen des Geldwechslers verfolgt werde. 

14. Spiegelberg las mtic-j. Der von ihm far m gehaltene 
Strich mad, da er nicht zafallig za sein scheint, wohl oder iibel 
za der Negation bn gehoren. nitw-j gibt keinen Sinn. Der adver- 
biale Nominalsatz and die Negation bn — In (n — *.«) verlangen 
das tu'-j des Praesens I (e-n-'f-Iiciu *.n). 

15. Es steht deatlich r ^betrelfs^ da, nicht n „in bezag aaf“, 

das in Z. 19 hinter steht. 

16. Es steht vollig deatlich nnt ,Mensch“ da, das Spiegel- 
berg nar deshalb in hd „Silber" emendieren wollte, weil er mit 
rmt nichts anznfangen wadte ; and dies war wohl lediglich Eolge 
seiner Verkennung des folgenden Relativsatzes. 



298 


Kurt Set he, 


17. 2 ^rrZ (ninp^) vom Trennen eines Paares auch Mag. pap. 
13.1: prd hivtj r s.hm.t ,,Mann von Weib trennen “ ; ib. 13,9: sj' 
mtw-v: prd r ny-tc irj.w „bis sie (Mann und Weib) sich von ein- 
ander trennen“. Hier ist das Verb mit r konstrniert. Die Kon- 
struktion mit inn „mit“, ,nnd“, die bei nns stattdessen vorliegt, 
ist indeB aus dem Kopt. gat belegt in : nen-vevq-nuip'aL efeoA nUiia.-p i) 
„der, welcber sick von ihnen getrennt hatte“ Act. 15, 38 (rbv dito- 
6xuvru an avrmv), eigentlich ,,der, welcber sich und sie getrennt 
hatte“. Bei nns konnte man es etwa so wiedergeben ; „zwischen 
den und dich ieh getreten bin“. Die dem Hiiltsverbum ivih inne- 
wohnende Bedeutungsniiance der vollkommenen Vollendnng der 
Handiung kann hier so wenig wie in Z. 11 und" auch sonst oft 
im Deutschen durch „bereits“ wiedergegeben werden, eher viel- 
leicht durch das Plusquamperfektum. 

18. Dieses Wort, das Spiegelberg in seinem ofFenbar nicht 
nach dem Originale selbst, sondern nach einer mangelhaften Photo- 
graphie hergestellten Faksimile (s. u. Isote 13) als undentlich an- 
gab und js „siehe“ lesen wollte '-), ist im Original vollig deutlich 
m-sl „auBer“ in genau denselben Formen, die es vorher in Z. 16 
und Z. 17 hatte. 

19. p] "nfi n p\ n p\j-j \wj (hi) „der Eid der Eeinigung 
in bezug auf mein Haus“, das ist wohl ein Eid, durch den sich 
die Frau, wenn sie das Haus des Mannes verlassen sollte, von dem 
Verdachte zu reinigen hat, daB sie Dinge aus dem Haushalte des 
Mannes verdorben oder beiseite geschafft habe. Zum Ausdruck 
"nh H pi tdb mit der ungewbhnlichen Setzung des bestimmten Ar- 
tikels vor dem Infinitiv vgl. mtw-u' ^rl--iv (n) pi "nJ} («) "nh (n) p 
iv%-f „und sie schworen den Eid als einen Eid der Selbstreinigung“ 
Bev. eg. 4, pi. 1 zu p. 143. Danach wird vermutlich auch bei 
nns hinter ivV) das reflexive Objekt in Gestalt des Suffixes 2. fern, 
sing, -t „dich“ zu erganzen sein, das ja so oft unbezeichnet bleibt, 
weil es in der Aussprache weggefallen war fz. B. Z. 9. 11 nach 
im). Zu Kh mit reflexivem Objekt vgl. Griffith Ryl. Ill 339. 

Das Wort tv'b, das in Spiegelbergs Faksimile ein sehr 
ungewbhnliches Aussehen hat und daher von ihm nur zweifelnd 


1) In Budge’s Ausgabe irrig nach dem bohair. Text xxixooy erganzt. 

2) Dieses y ort js ..siehe^ ist nebenbei bemerkt recht problematiscb. Cber- 
all da, wo Spiegelberg bisher so lesen wollte, liegen m. E. audere Worte vor. 
Das gut beglaubigte Aefjuivalent des kopt. eic im Demotiscben sieht wie iw-s 
„es isf aus, mit dem memer Aleinung nacb das kopt. eic ebenso wie die alt- 
aegyptische Partikel Is in der Tat identisch ist. 



Ein aegyptischer Yertrag liber den AbschluB einer Ehe auf Zeit etc. 299 


SO gelesen wurde, hat im Original durchaus wohlerhalten seine 
normale spatere G-estalt, wie sie seit dem letzten vorchristlichen 
Jahrhundert (z. B. Spiegelberg, Prinz-Joachim-Ostraka Taf. 4, 
Nr. 10 vom J. 59 v. Chr.), dem unser Text angehoren diirfte, iib- 
lich ist. 

20. r ir-f „zu machen“ neben n ir-f der gewohnliche Aus- 
druck fiir das Grerundivum im Demotischen, s. Sethe-Partsch, 
Demot. Bilrgschaftsurkunden S. 67. Unsere Stelle macht es wahr- 
scheinlich, da6 die beiden Ausdrncksformen nicht, wie dort noch 
angenommen wnrde, nnr graphisch versehieden und tatsachlich iden- 
tisch, sondern dab sie wirklich von einander versehieden waren. 



Die altesten Beriihrangen der Eussen mit den nord- 
ostfinnischen Volkern iind der ^N'arne der Eussen. 


Von 

H. Jaeobsohn in Marburg i. H. 

Vorgelegt von E. Hermann in der Sitzung vom 12, Juli 1918. 

Der alte russische Chronist Nestor, der von 1056 bis etwa 
1116 gelebt hat, erwahnt einige Male ein Volk der Petscheren •. 
Kapitel 1 (der Ausgabe von Miklosich): tvi Jafetoivje Se casti sjed- 
jatb Riisb, Cjudb i si jasytsi: Merja, Muroma, Wesb, Ilorzdva, Za- 
woJcbskaja Cjudb, Pernib, Pecera, Jamb, Vgra nsw. nsw. = „im An- 
teil Jafets sitzen Russen, Tschuden und diese Volkerschaften : 
Merja, Mnroma, Wepsen(?), Mordwinen, Tschuden von jenseits des 
Wolok, d. h. der groBen unbebauten Waldstrecke, Permier, Pet- 
scheren, Jamen, Ugrier nsw. usw.“ Kapitel 7 a se sutb ini jazytsi, 
He danb dajuib Pusi : Cjudb, Merja, Wesb, 3Iuroma, Ceremisa, 
3Iorbdva, Perms, Pecera, Jams nsw. nsw. = „das sind andere Na- 
tionen, die Tribut an RuBland geben: die Tschuden, Merja, Wep- 
sen(?), Mnroma, Tscheremissen, Mordwinen, Permier, Petscheren, 
Jamen nsw. usw.“ Dazu kommt eine beriihmte Stelle, die die 
ersten zuverlassigen Nachrichten iiber das Volk der Ugrier bringt, 
von der ich aber nur den Anfang ausschreibe, Kap. 81: se &e cho- 
stSju sbkasati, jaie sliisachb prjeide sichb cetiirh Ijeh, jaie szJcaza mi 
Gurjata Eogovistsb Noicogradbtsb . . jako poslacJib otrokb moi wb 
Peceru, ljudi. He sutb dans dajustse Noivu Gradu i ... olb tudu ide 
m Jugru. Jugra ie. ... sbsjedjatb Sb Samojadiju na polunostsbniicJib 
stranackb : „dies will ich erzahlen, was ich vor vier Jahren hbrte 
(das ist das Jahr 1096), was mir ein Nowgoroder, Gurjata Rogo- 
witsch sagte : ich sandte meinen Diener zu den Petscheren, Lenten, 
die Nowgorod Tribut zahlen, und von dort ging er zu den Ugriem. 



H. Jacobsohn, Die altesten Beruhrungen der Eussen etc. 301 

Die Ugrier aber sind Nacbbarn der Samojeden in den nordliclien 
<Jegenden.“ 

Die Wohnsitze dieses Volkes der Petscheren lassen sich ziem- 
lich dadurcb bestimmen, da6 sie Kap. 1 nnd 7 in Verbindnng mit 
den Permiem und Jamen genannt werden, dab Nestor sie Kap. 1 
rdcbt weit von den Tschuden von jenseits des Wolok und den 
Ugriern stellt, und daB sie nach Kap. 81 deutlich (westlicbe) Nack- 
barn der Ugrier sind'). Die Annahme liegt sehr nahe, daB sie 
den Syrjanen zuzurechnen sind, einem finniscb-ugrischen Volke, das 
mit den Wotjaken zusammen den permiscben Zweig dieses Sprach- 
stammes bildet und heut seine Wohnsitze auf dem nngeheuer aus- 
gedehnten Grebiet an den Fliissen Petschora, Ishma, Mesenj, WascJika, 
Wytschegda, Sysola, Lusa und Kama in den Gouvernements Wologda, 
ArchangelsTc, Wjatka und Perm hat, und das ist auch friih aus- 
gesprochen worden. Vgl. etwa Schafarik, Slavische Altertiimer IE 
54 f. Aber man ist zn dieser Annahme oiFenbar nur deswegen 
gelangt, weil in spaterer Zeit wie noch hente der nordlichste Teil 
der Syrjanen an der mittleren Petschora sitzt. Einen Beweis da- 
fiir hat man nicht versucht, und noch vor wenigen Jahren haben 
es Yrjo Wichmann, Die tschnwaschischen Lehnwbrter in den permi- 
schen Sprachen (= Memoires de la soci4t4 finno-ongrienne 21) 146 
und Jalo Kalima, Die russischen Lehnworter im Syrjanischen (= 
Memoires de la societe finno-ougrienne 29) 180 f. nur fiir wahr- 
scheinlich erklart, dafi die Petscheren zu den Syrjanen gehbrten. 
Ich glaube, der Beweis, daB dies richtig ist, laBt sich fiihren. 

Es wird niemandem einfallen, den Namen der Petscheren von 
dem Flusse Petschora zu trennen ^). Unzweifelhaft ist der FluB- 
name das primare und hat dem an seinen Ufern hausenden Volke 
erst den Namen gegeben. Entscheiden laBt sich nicht vollig, ob 
der Name der Petscheren bei dem Volke selbst aufgekommen ist, 
als dieses sich am Flusse Petschora niedergelassen hatte, oder ob 
die Russen ihm diesen Namen erst gegeben haben. Aber durchaus. 


1) Genannt werden die Petscheren noch lange nach Nestor, so in der etwas 
spater oben im Text angefiihrten russischen Chronik von 1396, wo sie zwischen 
Lappen, Korelaern, Jugrern auf der einen Seite, Wogulen und Samojeden auf der 
andern Seite unter einer grofien Anzahl von Volkernamen als Petscheren erwahnt 
werden, ebenso das Land Petschera in einer Chronik fiir das Jahr 1264, wo von 
den Iristrikten Nowgorods unter anderen Jugra, Saivolohsie, Perem (= Perm) und 
Petschera aufgezahlt werden, und so standig unter den Wolosten der Eepublik 
Nowgorod, vgl. Lehrberg, Untersuchungen zur Erlauterung der alteren Geschichte 
EuBlands 29 f. ; 32 f. ; 57 Anm. 1 usw. 

2) Vgl. den in der Chronik von 1264 genannten Distrikt Petschera Anm. 1. 



302 


H, Jacobsohn, 


wahrscheinlich ist das Letztere. Dafiir spricht auch die Form. 
Die Russen haben docb wohl die Gegend an der Petschora nach 
dem Plusse benannt und dann die Bezeichnung fiir das Land 
kollebtiv auch fiir das dort wohnende Volk gebraucht, wie es der 
Sprache Xestors entspricht, wo "VVorter wie Litiva, Merja, TJgra, 
Hash usw. gleicherweise fiir das Land und kollektivisch fiir das 
Volk verwandt werden^). Man beachte auch, dab die Russen ge- 
rade die einzelnen Teile der Syrjanen gern nach den Fliissen be- 
nennen, an denen diese ihre Sitze haben. leh verweise auf eine 
Chronik vom Jahre 1396. die ein Verzeichnis der Volkerschaften 
des nordlichen Rufilands enthali, und in der von Volkern der per- 
mischen Landschaft und der umliegenden Gegenden nnd Orter 
unter anderm genannt werden die Wytschegdaer, das sind die Syr- 
janen von der Wytschegda, und die Juger, das sind die Syrjanen 
am Jug nsw. In dieser Chronik folgen nun gleich auf die Juger 
die Syrjanen selbst, aber Xestor und die altesten russischen Chro- 
niken kennen den Xamen Syrjdnen noch nicht. Sie reden zwar 
von Perm tern , unter denen wohl Syrjanen mit einbegriffen sind. 
Aber Penn ist ein Gebiet, das nach derselben Chronik innerhalb 
der Grenzen der Wytschegda nnd Kama liegt ^). Die Gegend an 
der Petschora fallt auberhalb dieses Landstrichs. Waren nun die 
Petscheren ein Stamm der Syrjanen, was erst bewiesen werden 
soli, so kannten doch die Russen zu Nestors Zeiten diesen Zusam- 
menhang mit den iibrigen Syrjanen oder Permiern nicht. Um so 
naher lag es fiir sie, diesen Stamm, den sie nicht einordnen konnten, 
nach der Gegend zn benennen, in der sie ihn trafen. 

Wir werden also keinen Fehler begehen, wenn wir annehmen, 
da6 der Name Petscheren auf die Russen zuriickgeht. Fiir unsere 
Dntersuchnng ist es iibrigens gleichgiiltig. Die Hauptsache ist 
vielmehr die : gelingt es, den FIuBnamen Petschora einwandfrei aus 
syrjanischem Sprachgut zu erklaren, haben erst die Syrjanen die- 
sem FluB im auBersten Nordosten Europas den uns bekannten 
‘Namen gegeben, so setzt auch der Volksname Petscheren die An- 
wesenheit von Syrjanen in diesen Gegenden voraus ®). Nun scheint 


1) Ygl. zu diesem Gebrauch, der dem des Finnischen entspricht, V. Thomsen, 
Der Ursprung des russischen Staates (deutsche Ubersetzung) 101 if., aber auch 
W. Schulze, i£. Z. 41, 168 f., der denselben Gebrauch im Gotischen nachweist. 
Haben ihn die Finnen aus dem Germanischen entlehnt? 

2) Mit dem heutigen Gouvernement Pmn deckt sich dies Gebiet nicht. 

3) Xatiirlich hat der FluBname Petschora nichts mit dem russischen Orts- 
uamen Petschory zu tun, der ‘Hiihlen’ oder ‘Grotten’ bedeutet und zu der kirchen- 
slavischen Form pestsera gehort. Diese fruber vertretene Ansicht, die z. B. Lehr- 



Die altesten Beruhrungen der Eiissen mit d. nordostflnnischen Yulkern etc. 303 

es mir ohne weiteres klar, dafi im Flasse Petschora das syrjani- 
sclie Wort fiir „Nessel“ steckt: pe/.ser oder /jetsdr nack Wiedemanns 
syrjanisckem Worterbuch 224 £, pttser mit dem Vokal e, der zwi- 
scken d nnd e steht nnd bei Rnkelage der Znnge gesprochen wird, 
in den beiden Dialekten ans dem Bezirk Ust-Sysolsh des Gronver- 
nements Wologda, ans denen ich Autzeichnungen macken konnte. 
In beiden Dialekten wurde der FluBname ebenfalls in der zweiten 
Silbe mit demselben Vokal gesprocken. Aber anck die Wortbil- 
dung, das im FluBnamen iibersckussige a, laBt sick vortrefflick ans 
dem Syrjaniscken denten. Nack Wiedemann, Grramm. der syrj. 
Spr. 46, bildet das Snffix -a im Syrjaniscken „am kaufigsten Ad- 
jektive, welcke dann . . . wieder snbstantivisch gebrauckt werden 
konnen : das-a „zekn entkalteud“, „Zekner im KartenspieP zn das 
„zekn“; gos-a „fett, fettig, mit Fett verseken“ zn gos nFett^ ; 
esa-a ,mit Easen verseken ■ zn eza „Itasen“ ; va-a „wiisserig“ zn 
va „Wasser“. So ist petsera, Petschora der mit Nesseln bestan- 
dene, an Nesseln reicke FluB’). Vgl. den syrjaniscken Namen der 
Wytschegda: ei-va, ein Kompositum ans ei, eia, „Rasen, Grasplatz“ 
nnd va „Wasser, Flu6“ = „der RasenfluB, das Rasenwasser“. 

So bleibt nnr die Frage, was die Syrjanen in diesen Gegenden 
veranlafit kaben kann, dem FluBnamen grade diese Bezeicknung 
zu geben. DaB an dem llittellauf der Petsckora, dort wo ein Teil 
der Syrjanen sitzt, nnd wokin Syrjanen ans andern Gegenden als 
Jager oder in andrer Tatigkeit kommen, die FluBufer stark mit 
Nesseln bewacksen sind, haben mir meine syrjaniscken Gewahrs- 
manner erzaklt. Aber es liiBt sick nun auck verstandlick macken, 
warum den Syrjanen die Nessel so wicktig war, daB sie von ikr 
den Namen der Petsckora kerleiteten. 

Bekanntlick kaben die Griecken, Lateiner, Germanen nnd Slaven 
den Hanf nnd seine Verwendung znr Herstellnng von Stricken, 
Webstotfen nsw. von den Volkern des ostlichen Enropas kennen 
gelemt. 0. Sckrader kat das Wort fur Hanf in den europaisck- 
indogermaniscken Spracken, icdvva^ig, lat. cannabis, akd. Jtanaf, 
ags. hcenep, altnord. hanipr, altkirckenslav. konoplja, lit. kandpes, 
altpreuB. knapios^) ans dem Ostfinniscken kergeleitet nnd es als 


berg a. a. 0. 65 Anm. 6 ausspricht, kann schon deswegen nicht richtig sein, weil 
keine einzige dieser Vdlkerschafteu des Yordens mit einem Namen aus mssischem 
Spracbmaterial genannt wird. 

1) Vgl. etwa die deutschen Ortsnamen Nesselbach in 'Wiirtemberg, Kessdn- 
bach in der Schweiz, Nesselbrunn im Marburger Kreise. 

2) Die schwierigen Fragen, die sich an die Herleitung des Wortes kniipfen, 
behandele ich hier nicht weiter. Immerhin ist doch hervorzuheben, daB das 



304 


H. Jacobsohn, 


eine Zusammensetzung aus den beiden Bestandteilen lianna, liana 
und 'pis, his erklart , von denen der erste zn tscheremissisch Ixne, 
liine ^Hanf"' gebore — vgl. moksa-mordwinisch hantf, erzja-mord- 
•winiscb liaiit — , wahrend der zweite mit syrjaniscli pis „Hanf‘‘, 
wotjakisch pis, pes ^Hanf“ identisch sei. Mit Sicherheit ist an- 


Schwanken zwischen 6 und p in v.dvva^ig, lat. cannabis einerseits, slayisch ho- 
noplja andrerseits — ygl. lat. cannapis Thesaurus Linguae Latinae III 262, 70 ff. 
— ein Zeichen finnisch-ugrischen Ursprungs sein kann und moglicherweise auf 
die Sprache zuruckgeht, aus der das Wort stammt. In weitem Umfange kennen 
finnisch-ugrische Sprachen eine Art von ‘auBerem’ Sandhi, durch den anlau- 
-tende Teouis nach stimmhaftem Auslaut zur Media wird, eine progressive An- 
gleichung, die im Indogermanischen hinter der regressiven sehr zuriicktritt und 
nur in der Lenition des Keltischen eine grofie RoUe spielt. Mag es sich nun hier 
um einen einmal durchgefiihrten Satzsandhi handeln oder dieser Sandhi eigentlich 
nur in Wortgmppen zur Erscheinung kommen, jedenfalls halt er sich auch in 
Sprachen, die ihn im eigentlichen Wortanlaut nieht mehr kennen, in engen Wort- 
verbindungen, und so kbnnte auch 6 von y.dvva^ig, lat. cannabis seine Deutung 
flnden gegentiber syrjanisch pis usw. In slavischem kmoplja wurde p aus dem 
selbstandigen zweiten Gliede restituiert sein. Dies konoplja aber muB ein Kollek- 
tivum sein. Es ist entweder vom Stamme kcnopi- mittels -d abgeleitet wie rus- 
sisch gospodd, das als Plural zu gospodin „herr“ fungiert, altbulgarisch gospoda 
■xavSoxsCov usw. mit demselben Suffix vom Stamme gospod-, oder von einem 
Stamme konopo- mittels des Kollektivsuffixes -Jd wie das urslavische bratrbja, 
bratbja, das als Plural zu bratn, „Bruder“ dient (russisch brdtbja usw.). Vgl. 
die gi'iechischen Bildungen <fQatQ-d und (f^atg-Cu zu (pgdfgg. Auf die urspriing- 
lich kollektive Natur des Wortes fuhrt mit Sicherheit, dafi das Wort fur Sanf 
in den slavischen Sprachen immer wieder als neutrales KoUektiv oder als Plurale 
tantum erscheint. Vgl. kleinrussisch pluralisches kmopH neben singularischem 
kmwpla, serbokrotisch pluralisches kinioplje, Genitiv kbnopdljd neben singulari- 
sehem konoplja usw. usw., dazu die aus dem Slavischen entlehnten litauisch ka- 
ndpes, lettisch kdnepes, altpreuBisch knapios-, ferner die neutralen Kollektive 
bulgarisch konop'e, serbokroatisch konoplje, slovenisch konopie. Ob das Kollek- 
tivum die Hanffasern bezeichnet oder aber Hanf hier in der Weise gehraucht 
wird wie „Korn, Roggen“ usw., weiB ich nicht zu sagen. Sehr merkwiirdig sind 
bulgarisch ko^idp Mask. ^Hanf-*, serbokroatisch konop, Genitiv kon'opa Mask. 
„Strick“, die ehensognt auf altes *koHopos wie auf *konopis zuriickgehen konnen. 

11 t gl. Munkacsi, A Votjak nyelv szdtdra 557. Ich habe von einem Wot- 
jaken aus dem Bezirk Glasof, Kreis Jagoschursk, piz^ aufgezeichnet. Ubrigens 
erinnert Schrader Reallexikon 331 zu tscheremissisch kehe, kine selbst an das 
erste Glied von tatarisch kcn-div, tschuwaschisch kan-dyy. Vgl. auch ungarisch 
ken-der aus alttschuwaschisch ^kiindir, vgl. GombocZ) Die bulgarisch-tiirkischen 
Lehnworter in der ungarischen Sprache 92 f., dessen Bemerkungen uber die Sippe 
uberhaupt zu vergleichen sind. Bei den Kasantataren bedeutet kln-dir sowohl 
,Hani‘‘ (den „weiblichen llanf“, russisch konoplja) wie die daraus hergestellte 
grobe Leinwand, russisch cholst. DaB in diesem Worte ubrigens wirklich als 
erstes Glied kin- abzutrennen ist, was die Verkniipfung mit tscheremissischem 
kihe um so sicherer maeht, lehrt kasantatarisch kln-djep „der Faden“, eigentlich 



Die altesten Beriihrungen der Russeu mit d, nordostfinnischen Volkern etc. 305 

zunehmen, daB die Syrjanen seit alters den Hanf gekannt haben. 
Nun ist nachgewiesen, dafi sie ibre nordlicben Wobnsitze in den 
Gouvernements Wologda nnd Arcbangelsk, in denen jetzt der 
groBte Teil des Volkes wohnt, erst spater erreicbt haben. Der 
Beweis ist gefiibrt auf Grand der tschuwascbiscben Lehnworter, 
die das Syrjaniscbe in alien seinen Dialekten hat. Die Tscbu- 
"wascben reprasentieren fiir uns den einzigen Best der ebemals 
macbtigen Wolgabulgaren, die ihr Reich an der mittleren Wolga 
batten. Beriihrungen zwischen ihnen und den Syrjanen kbnnen 
nher nur stattgefunden haben, als die letzteren noch weiter siidKeh 
saBen, etwa im Gouvernement Wjatka, wo noch heute die ihnen 
nachstverwandten Wotjaken wohuen, nur bier konnen die Syrjanen 
Lehnworter aus dem Tschuwaschischen aufgenommen haben. Aber 
anch die Zeit fiir diese Beziehungen laBt sich einigermafien bestim- 
men. Die Wolgabulgaren, die Vorfahren der heutigen Tschu- 


konojjljdnaja nitka „der hanfene Faden“, denn djep heiBt auch an sich „Faden“. 
Also bleibt km als Bezeichnung fur „Hanf“ ubrig. (Das eatsprecbende kirgisische 
kln-jep bedeutet entweder „grobe Leinwand“, = russiscb ckolst , oder „Faden“). 
Muiikiiczi, Keleti szemle 5, 327 ; 6. 209 stellt die erwahnten tscheremissiscben, 
tatariscben und mordwinischen Wbrter zu ossetisch giinci, gdn „Hanf“. Fiir 
syrjanisch p'ls, wotjakisch p°s ist moksa-mordwinisch paiej, erzja-mordwiniscb 
paie „mannlicber Hanf“ zu nennen, die Paasonen, Journal de la socie'te finno- 
ougrieime 15, 2, 43 aus mischartatarisch pazi ds. ableitet, das mit kasantatarisch 
basd, tschuwaschiscb jjozd zusammengebort. Im kasantatarischen , wo kln-cUr den 
■weiblichen Hanf und die daraus hergestellte grobe Leinwand bezeichnet, steht 
neben basd „mannlicber Hanf“ als Vfoit fiir die aus dem mannlicben Hanf be- 
reitete feine Leimcand (russiscb polotnd) buss (kirgisisch dk>‘- buss „Leinwand“ 
= turkisch bez, krimtatariscb basmd). Andrerseits vergleicht Paasonen, Beitrage 
zur finnischugrischen-samojediscben Lautgeschichte 262 mit den permischen Wor- 
tern osttscheremissisch patsai „der mannlicbe Hanf“. 

[C.-N. Das osttscheremissiscbe kltie ^Hanf" stimmt im i-Vokal zu kin-di r 
meines kasantatarischen Gewabrsmannes. Das von kln-dtr abgeleitete Wort fiir 
„Strick“ gab mir dieser in der Form kindrd an (a bedeutet ein sebr gescblossenes 
a, in der Klangfarbe etwa wie mittelhannoversches a), sagte aber, daB die Frauen 
bei ihnen aucb kgndrd sprachen. Das osttscheremissiscbe bat bier kand'rd mit 
a-Vokal. Vgl. tscbuwasch. kandrd. Vgl. dasselbe Verhiiltnis der Vokale in fol- 
genden ostscherem. Lebnwortem aus den Tiirksprachen , wobei unter tatarisch 
immer die Spracbe meines kasantatarischen Gewabrsmannes zu verstehen ist : 

osttscheremissisch kaskii ) „ . , . , , ikeska. 

kask-i ) ‘ tatarisch kiska, bascbkirisch 

„ kastii „Dacbsparren“ = „ klsta , „ kesta 

(tscbuwasch. kasta „Querbalkeu an der Zimmerdecke“). 
„ katik „Brucb“ = tatarisch kitik, baschkirisch ketik 

„ kawils „Eat“ = „ kiugos. „ kewiis 

usw. usw.]. 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Klasse. 1918. Heft 3. 


20 



S06 


H. Jaeobsohn, 


■waschen, sind nicht A’or dem sechsten nachchristlicten Jahrhundert 
an die mittlere Wolga gekommen, vgl. Wichmann a. a. 0. 140 if. 
Erst nach dieser Zeit konnen die Syrjanen gegen Xorden anfge- 
brcchen sein, etwa im achten nnd neunten Jahrhundert, und nun 
gelangten sie in Gegenden , in denen der Hanf infolge der Kalte 
nicht gedieh. Um so notwendiger war es fiir sie, einen Ersatz zn 
finden, um Garn nnd daraus ihre Webstotfe herznstellen. Diesen 
Ersatz aber hot ihnen die Nessel, sei es dafi sie selbstandig daranf 
verfielen, ans ihren Easern Zwirn zn verfertigen, sei es dafi sie 
es YOU den arktischen Vblkern lernten, anf die sie dort trafen. 
Ahlquist, die Kultnrworter der westfinnischen Sprachen 43, er- 
wahnt, dafi das wogulische Wort fiir „Hanf“, pania nnd ponal, 
ebenso das ostjakische polm nnd potleii eigentlich Vessel bedente, 
erst seknndar diese Worter fiir Hanf gebraucht waren. „Dies er- 
klart sich dadurch", fahrt er fort, „daB die Volker im asiatischen 
jSTorden, wo kein Kulturgewachs, also auch der Hanf nicht gedeiht, 
es verstehen, ans den Fibern einer wildwachsenden Nesselart . . . 
Garn zn bereiten und erst durch die Russen Bekanntschaft mit dem 
Hanf gemacht haben, anf den sie dann den Namen des ihnen friiher 
bekannten Fasergewachses iibertragen haben“. A^gl. das. S. 78 ff. 
Alle diese Volker taten nnd tun ja nnr das, woranf wir wieder 
im Kriege znriickgegrifFen haben, indem auch wir jetzt Kileider- 
stoffe und Stricke ans Kesselfasern herstellen. Ein Syrjiine ans 
der Gegend der Petschora erzahlte mir, dafi in der Xahe seines 
Dorfes eine Insel in der Petschora lage, die dicht mit Kesseln be- 
standen sei. Auch heute noch verwende man die Nesseln von 
dieser Insel, um Stricke, Hosen, Jacken daraus zn verfertigen, 
weil Hanf nnd Flachs bei ihnen wegen der Kalte nicht wiichsen. 
Ereilich geschahe dies nnr noch selten, da man jetzt fertige An- 
ziige, die ans Hanffasern gemacht wiirden, kaufen konne. 

Wir finden daher in diesen Sprachen sehr haufig, dafi Hanf 
und Nessel mit demselben Worte bezeichnet werden, bez. nrspriing- 
licJt identische Bildungen sind. Ein Wort fiir Nessel ist im Wo- 
gnlischen inai/s-panla , das ist ^der wognlische Hanf“. Erinnern 
will ich auch an das russische ost}dtsJ;aja Icrapiva {urtica cannabinci} 
„der Nesselhanf, die sibirische HanfnesseP, wortlich „die ostjaki- 
sche Nessel®. Im Ostjak-samojedischen bedentet sac (am mittleren 
Ob), sacu (in der Ketschen Mnndart) usw. — die Eormen der ein- 
zelnen Dialekte bei Castren, Worterverzeichnis ans den Samojedi- 
schen Sprachen 157 — sowohl Hanf wie Nessel. Vgl auch H. 
Paasonen , Beitrage zur finnischugrischen - samojedischen Laut- 
geschichte 169, der diese Worter mit syrjanisch sddk, socU ,,Easer, 



Die altesten Beriihrungen der Eussen mit d. nordostfinnischen Yolkern etc. 207 

Hede, Werg“, ungarisch s^oss „Hanf, Werg“ zusammenbringt. 
So wird man wohl anch otne weiteres ein anderes syrjanisches 
Wort fiir Xessel, das icli aus dem Kreise Turinsk, Bezirk Jarinsk 
des Gouvernements Wologda anfgeschrieben babe, ]dn, nnd das 
Wiedemann im Worterbnch als jon, jon aus dem Dialekt an der 
JsJima verzeicbnet , das aber aucb die Bedentung von ‘Klette, 
Distel’ hat'), mit jurak-samojediscb jien, tawgy-samojedisclf jenti, 
jenissei-samojediscb jeddi gleichznsetzen haben, das im Samojedi- 
schen iiberall ^Hanf'* bedentet. Von diesen Wbrtern aber kann 
man kaum trennen die gleichlantenden jnrak-samojedisch jien,- Jen 
„Bogensebne“, tawgy-samojedisch jenti, jenissei-samojediscb jeddi, 
ferner ostjaksamojediscb liend (am mittleren Ob), I'endde (in der 
Ketscben IVInndarO, cend (in der Narymscben Mnndart) nsw., vergL 
das Verzeicbnis bei Castren Worterverzeichnis 116, 208, der selbst 
schon an der letzten Stelle unter tawgysamoj. jenti anf das gleicbe 
Wort fiir Hanf verweist. Diese samojediscbe Gruppe aber gebort 
znsammen mit finnisch jdnne (Grundform jdntce aus ’^jdnteeje) ..Sebne, 
Bogensebne , Saite“, tscberemissisch jidiin , Strang, Bogensehne“, 
wogulisch icinhe^ „Bogersebne“, ostjakiscb pnd) ds., nngariscb ideg 
ds.. ,;Nerv“. Vgl. znletzt Paasonen ds. 87, 269. Diq Bogcnsehne ist 
also in der „nralischen‘‘, d. b. finniscb-ngriscb-samojediscben Ur- 
spracbe die aus Hanffasern oder Kesselfasern gesponnene Scbnur, 
wobei icb micb iiber das Verhaltnis der znletzt genannten Worter 
zu sj’rj. jun nicbt weiter auslasse. Bestimmen laBt sicb naturlicb 
nicbt, ob das Wort urspriinglicb Bessel oder Hanf bieB. Denn 
es kann ancb grade umgekehrt, als Ablquist es angibt, die Be- 
zeicbnung fiir Hanf anf die Bessel als Ersatzmittel des Hanfs 
iibertragen worden sein, wenn ein Stamm ans siidlicberen Gegenden 
in kalte Regionen einriickte, in denen der Hanf nicbt gedieb. 

Haben demnacb die Syrjanen dem Flnsse PetscJwm erst den 
Hamen gegeben, so miissen die nacb ibm benannten Petsclieren ein 
syrjanisches Volk gewesen sein. Die Annahme, daB die Syrjanen 
das Wort fiir ,,^08801“ nnd den FlnBnamen von einem A'olke iiber- 
nommen baben, das vor ihnen in den dortigen Gegenden saB, ist 
nacb jeder Seite nnglanbbaft, schon deswegen, vreil petsi-r als 
Name der Nessel aucb aufierhalb des Gebiets an der Petscbora 
bei den Syrjanen gebrauchlicb ist. Es kommt binzn, daB petser 
ofFenbar zusammenhangt mit dem ossetiscben Wort fiir Nessel: 


1) permjakisch Jen „Distel“ ; das Wort kann vegen seiner Bedeutuug nnd 
Vcrbreitung in den syrjanischen iMuudarten nicht etwa aus dem Juraksamojedi- 
schen entlehnt sein. 


20 * 



308 


H. Jacobsohn, 


ostossetisch plsiro, 2 )s°ira, westossetisch pin-sil mit Umstellung der 
inneren Konsonanten.' Vgl. zu dieser Umstellung Wsewolod Miller, 
Sprache der Osseten 37*)-). Ureilicli so sicher mir diese Wortglei- 
cbung zu sein scbeint, so wenig bin icb in der Lage, das genane 
lautlicbe Verbaltnis des ossetiscben und syrjaniscben Wortes auf- 
zuklaren. Scbon das ist die Frage, ob das Wort von den Iraniern 
zu dell finniscb-ngriscben Stammen gewandert ist, oder ob es um- 
gekebrt die Iranier entlehnt baben. Die linniscb-ugriscben Spracben 
haben in sebr alter Zeit eine Reibe von Worten von den Vorfabren 
der Osseten iibernommen, mogen dies nun im Einzelfall die Alanen 
oder andere nahverwandte skytbiscb-iraniscbe Stamme gevfesen sein. 
Eine groSe Anzabl von iraniscben Lebnwortern im finniscb-ugri- 
scben, die im Ossetiscben ihre direkte Entsprecbnng baben, gibt 
davon Zeugnis. Vgl. Mnnkacsi, Keleti szemle o, 304 if., besonders 
326 f. ; 6, 208 if. Aucb die permiscben Spracben weisen solcbes 
Spracbgut auf. Ob das umgekebrte stattgefunden, das Ossetiscbe 
aus den finniscb-ngriscben Spracben entlebnt bat, ist weniger sicber, 
die Beispiele , die Miller a. a. 0. S. 8 dafiir bringt, sind samtlicb 
nicbt voll beweiskraftig. Wir haben also nicbt die Moglicbkeit, 
zu sagen, welcbe Sprache die gebende war. Das Wort braucbt 

1) Fernzuhalten ist wotjakisch piisner ‘Nessel’. 

2) Eine ahnliche Konsonantenumstellung treffen wir in vestossetisch nimal 
,.Freund“ neben liman, ostossetisch Timcin, vgl. Miller ds. Hier zeigt die Her- 
kuuft des Wortes, da6 nitnal sekundar ist. Andreas hat das Wort auf dem 
Kopenhagener OrientalistenkongreB auf altiranisch oryomon zuriickgefuhrt, das ist 
„der Stanimesgeuosse‘-, also „der Freand“, Aber der „Stammesgenosse‘‘ kann 
auch ganz allgemein als „Mensch“ aufgefafit warden, vgl. etwa den umgekehrten 
Torgang in syrjiinisch Jcomi „Syrjane, Permier“ zu wogulisch giou, hhum, khom 
„Mensch“. So besteht die Herleitung des gemein-mordwinischen Ionian „Mensch", 
das dann sekundar „Fremder“ bedeutet, aus ossetisch liman, liman zu recht (z. B. 
Setala, Journal de la societe finno-ougrienne 14, 3, 37), noch dazu, wenn man be- 
denkt, dafi die finnisch-ugrischen Spracben das Wort fiir „Mensch“ des dfteren 
dem Arischen entlehnt haben. Vgl. etwa wotjakisch mnrt, syrjanisch mart „Mensch“ 
= altindisch maria „Sterblicher, Mensch“, awestisch miiria „Mensch“ usw. usw. 
Dann aber ist mordwinisch Ionian nicht nur ein weiterer Beweis fur die unur- 
sprungliche Konsonantenfolge in westossetisch niw.dl gegen limiin, ostossetisch 
Ihndn, es bringt auch eine hochst erwiinschte Bestatigung fur den Yokal o, der 
von Andreas fur die zweite Silbe des altiranischen oryomon angesetzt wird, und 
der dem ossetiscben i, I vorausliegt. In loman ist sozusagen die Zwischenform 
wirklich belegt, die wir zwischen altiranisch ori/omon und ossetisch limiin, Umcin 
erschlieBen mussen. DaB Andreas’ Ansatz des altiranischen Vokalismus auch 
sonst teilweise durch die iranischen Lehnworter im Finuisch-Ugrischen bestatigt 
wird, hoffe ich bald zeigen zu konnen, bemerke aber, daB die obige Gleicliung 
wotjakisch mort, syrjanisch murt „Meusch“ = awestisch morta (altindisch maria) 
nicht ohne weiteres als beweisend in Frage kommt. 



Die altesten Beruhrungen der Kussen mit d. nordostfiunischen Yolkern etc. 309 

aber weiter weder direJct aus dem ossetiscben, bez. alanischen, ins 
syrjaniscbe nocb bei einem ev. umgekehrten Wege aus dem syr- 
janischen ins ossetische gedrungen zu sein. Aber bei dieser Un- 
sicherheit wird man alle Versucbe, das Wort zu etymologisieren, 
unterlassen ^). 

Die von verschiedenen Forschern geauBerte Vermutung, dab 
die Syrjanen schon im 11. Jahrhundert an der Wytschegda und 
Isbma und Petschora in ibren heutigen Wobnsitzen in den Gou- 
vernements Wologda und Arcbangelsk gesessen haben, lafit sick 
auch von einer ganz anderen Seite ker bestatigen, namlick durck 
die Form, in der der Fame der liussen bei den Syrjanen ersckeint. 
Bekanntlick kat V. Tkomsen diesen, der zuerst als kollektiver 
Singular Hust belegt ist, mit der finniscken Bezeicknung fiir Sckwe- 
den, Biiofsi, znsammengebrackt: Tkomsen, Der Ursprung des russi- 
scken Staates (deutscke Ubersetzung) 97 ff. Huotsi batten auch die 
skandinaviscken Ansiedler auf der Ostseite des bottniscken Meer- 
busens, an der finniscken Kiiste, geheifien, und so sei der Fame 
auck auf den Teil der skandinaviscken Warager ubertragen, der 
unter Rurik und seinen Fachfolgem das Gebiet der russiscken 
Slaven unterwarf. Von den Finnen iibernakmen ikn die Slaven, 
und schliefilick verier er bei diesen seine alte ethnograpkische Be- 
deutung und ward erst von dem Lande und dann auck von dessen 
Bewoknern gebraucht, fiber die die Ruriks kerrschten. Gegen diese 
ausgezeicknete Herleitung ist immer wieder eingewandt worden, 
dafi dem Russennamen das ts von Eiiotsi von Anbeginn an mangele, 
es gebe keinen Beleg daffir, dafi die Form mit ts ffir etwas an- 
deres als Sekweden gebraucht sei. Diese Lficke kat nun Mikkola 
ausgeffillt, der auf die syrjanisek-wotjakiseke Benennung ffir die 
„Russen“ kingewiesen kat : syrjanisch ruts ^), wotjakisch d^uts (mit 
IJbergang des anlautenden r im Wotjakiseken in di), vgl. Finnisch- 
ngrische Forsekungen 2,75. Syrjanisch rots-), wotjakisch d^uis 
setzen eine Form rotsi voraus, mit d wie in estnisck Bots „Sckweden‘‘, 

1) An sich lieBen sich ostossetisch pistra, 2 >s°‘ra, westossetisch pursa anf 
eine Grunclform altiraniscli *posuro- ziuuckfuhren und mit altindisch jMsas 
„Schlinge, Fessel, Strick‘‘, pas ..Strick“, pasayati ^biudet'*, griech. mqyvvixi „be- 
festige", Ttdyr] ,Falle, Scblinge" usw. usw. verbiuden, d. h. sie warden zu der indo- 
germanischen Y'urzel pak „flechten, winden'* usw. gehOren, so etwa wie man ahd. 
nazza, nezzila, ags. netele .,Xe5sel“ usw. mit gotisch nati ..Xotz" usw. verkniipft. 
Auch im Suffix, d. h. in der Bildung, konnten ahd. nezzila, ags. netele, norwegisch 
netla,, Nessel“ und iranisch *posuro- fast zusammentreffen. Aber alles dies ist 
ganz unsicher. 

2j So, mit langem u, babe ich die Form aufgezeichnet aus den beiden oben 
erwahnten Dialekten des Bezirks Ust-Sysolsk; das s' von ruts ist mouilliert. 



310 


H. Jacobsohn, 


Eotslane „der Schwede", wotisch Eotsi „Schwedeii“, Edtsalaine „der 
Scliwede“ ; no des finnischeii Euotsi beruht erst auf spaterer Diph- 
thongierung. 

Es ist oben bervorgeboben worden, daB die Wanderungen der 
Syrjanen in die Gouvernements Wologda nnd Arcbangelsk frii- 
bestens im acbten Jabrbundert begonnen baben konnen. Im neunten 
Jabrbundert dringen die germaniscben Eiish in EuBland ein, Mitte 
des nennten Jahrbunderts setzt sicb Rnrik in Nowgorod test. Friib 
sind die Russen von Nowgorod waiter nacb dem Osten RnBlands 
gezogen, nm dort Handel zn treiben, vor allem, die kostbaren 
Eelle und Pelze der dortigen Gegend einzutauschen. Wir wissen, 
dafi die Nowgoroder im elften nnd zwolften Jabrbundert dem GroB- 
fiirsten von Kiew die petschorische Abgabe entricbten mlissen. Mogen 
die Nowgoroder zuerst nocb als Germanen in diesen Gegenden 
anfgetreten sein, gar bald kamen sie als Russen im beutigen Sinne, 
mit rassiscber Sprache, sie batten sicb mit den Ostslaven, die sie 
in Nowgorod vorfanden, verscbmolzen. Es muB aber eine kurze 
Periode bestanden baben, in der die von den Einnen beriiberge- 
nommene Form zur Bezeiciinung der skandinaviscben Eindringlingej 
Eotsi, nocb als solcbe in Nowgorod gebraucbt wurde, bevor sie 
formell zu Eust abgewandelt ward. End die Form Eotsi wird 
dort eine Zeit aucb nocb fiir die slavisierten Warager, bez. fiir 
das aus der Verscbmelzung von Germanen uml Slaven bervorge- 
gangene Volk gegoltcn baben. In dieser kurzen Epocbe nun, die 
von der Ubertragung des Namens auf das aus Waragern und Ost- 
slaven gebildete Volk bis zu seiner IJmwandlung in Ru.5» verstricb, 
miissen die Nowgoroder zuerst mit den Syrjanen, die in den Gou- 
vernements Wologda uud Arcbangelsk saBen, in Fiiblung getreten 
sein. Damals nabmen diese die Form Ej*ii auf, um sie fiir 
alle Zeit als Bezeicbnung der Russen festzubalten und sie weiter- 
zugeben an die stammverwandten Wotjaken und weiterbin an die 
Samojeden und Tungusen; vgl. juraksamojediscb ?r<c'a, jenissei-sa- 
mojediscb tuoiu, tungusiscb luca (Yrjo Wicbmann, Finniscb-Ugri- 
scbe Forscb ungen 2, 183). Dabei aber kann es sicb nur um die 
ersten Jabrzebnte nacb dem Erscbeinen der Warager unter Rurik 
in Nowgorod bandeln, aucb wenn wir annebmen, daB die Form 
Eotsi sicb in Nowgorod lunger als sonst gebalten bat. Denn daB 
s fiir ts sicb sonst scbnell im Russenname durcbsetzte, zeigen die 
Scbriftst.jllerbelege , Tbomsen a. a. 0. 42 If. Wir werden also auf 
die Wende des neunten zum zebnten Jabrbundert als die Zeit ge- 
fiibrt, in der die Syrj.anen scbon in ibre nordlicben Wobnsitze 
gelangt waren und dort mit den Nowgorodern in Verbindung traten. 



Die altesten Berilhruageu der Russen mit d. nordostfianischen Volkern etc. 311 


Ddrfeii wir das Grleiche aach daraus folgern, daS syrjanisch 
rots im o zu altfinnisclieni Rjtsi stimait? Das u des russisch-sla- 
wiscben Riisb erklact sich bekaniitlich so, daS die Slawen das d 
von altfinnischem Rotsi darch ii ersetzten, weil sie kein langes o 
batten : Thomsen a. a. 0. 102. Wir diirfen zudem voranssetzen, 
da6 das alte finnische o eln geschlossener Lant war, also slawisch- 
russiscbem u, nahestand. An sich konnte nun das syrjanische o 
nmgekehrt slawisch-russisches u der Form *Ratsi wiedergeben ^). 
Aber mbglich ist doch anch Folgeudes ; wenn wir anch keinen Be- 
leg dafiir haben, daS der skaudinavische Stamm, der sich in Rn6- 
land festsetzte, den Namen Rotsi oder eine dem ahnliche Form, die 
die Finnen dnrch R^tsi wiedergaben, selbst gefiihrt hat, hevor er 
die Slawen nnd Finnen nm Nowgorod nnterwarf, so konnten.diese 
Skandinavier doch schon sehr friih diese Benennnng, die sie bei 
ihren Untertanen batten, von diesen aufgenommen haben. Sie 
kbnnten sie sich angeeignet haben, als sie noch anf der Grrenze 
der Assimilation standen, soznsagen schon mit einem Fu6 im Sla- 
wentum steckten, aber ihre heimische Sprache noch nicht ganz 
aufgegeben batten. Ob es sich so erklSren wlirde, dab die Leute 
schwedischer Nationalitat, die der byzantinische Kaiser Theophilos 
nach dem Bericht des Bischofs Prudentius von Troyes in den An- 
nales Bertiniani nnter dem Jahre 839 an Ludwig den Frommen 
schickte, angaben, ihr Volk heiCe 'Pojg? DaS diese Leute durch 
Rubland nach Konstantinopel gekommen sind, ist sicher, vgl. 
Thomsen 44 , der selbst die Stelle anders auffabt , 42 If. ; 94 IF. 
Haben sie denKamen von ihren Untertanen ubernommon, so kbnnten 
sie das o des Kamens Rotsi, den sie nicht nnr von den Slawen, 
sondern auch von den Finnen kannteii , noch eine Zeit lang fest- 
gehalten.nnd diese Form zu den nbrdlichen Sy rjanen getragen haben. 
Auch das wlirde anf dieselbe Zeit fuhren, da sie ja immer von 
Nowgorod ausgingen, urn diese fernen Gegenden zu erreichen. Da- 
bei ist es gleichgdltig, ob sie damals noch teilweise germanisch 
sprachen, nnd die Syrjanen sie so kennen lernten, oder ob sie als 
zweisprachige Leute auch in ihrer Aussprache des russisch-slawi- 
schen eine Zeit lang das 0 nicht eingebiiBt batten. Immer waren sie 
fiir die Syrjanen die Leute von Nowgorod, das sind fiir die Syr- 
janen noch lange die Russen xaz’ sloxt'iv. ;Alle diese Moglichkeiten 

1) In dem oben genannten Buch vou Jalo Kalima, Die russisclien Lebnworter 
im Syrjanischen, wird das tVort nicht erwahnt. Dio von K. behandelten Lehn- 
worter gehoren einer jungereu Zeit an, die bei ihnen vorhandenen Lautentspre- 
chungen (syrjanisch u meist = russisch u : Seite 2'J) sind also fiir rots nicht ohne 
weiteres niaCgebend, 



312 


H. Jacobsohn, Die altesten Beriihrungen der Eussen etc. 


tier genau darznlegen, scheint mlr zwecklos. Am wahrscheinlichsten 
bleibt es immer, daB die Eussen, die ihre Eeisen zu den Syrjanen 
in Wologda und Archangelsk mackten, schon Eeprasentanten des 
verschmolzenen slawisck-germanischen Volkes waren, daB die Syr- 
janen unter rots von Anfang an durch die Jahrhunderte hindurck 
dieselben Eussen verstanden kaben. Die Annakme, daB bei ihnen, 
zu denen die Xowgoroder nur als Handelsleute kamen. der Name 
dieselbe Verschiebung in der Bedeutung erfakren kabe tvie in Now- 
gorod tind Kiew, ist nickt ohne Bedenken. So ist es denn auch 
das Nackstliegende, das o von rots gegeniiber u von *Iiutsi aus 
dem Sonderleben des Syrjaniscken zu erklaren. Kein Vokalwecksel 
ist in den permiscken Spracken kaufiger als der von o und u, vgl. 
Y. Wickmann, Zur Gesckickte des Vokalismus der ersten Silbe im 
Wotjakiscken usv/. 74 § 1S5. DaB dabei in einer Eeike von Fallen 
wotjakisck u gegen syrjanisch o das urspriinglicke ist, sckeinen 
Beispiele wie finnisck julma „grausam“ ; wotj. jun ,,stark, test; 
sekr“, syrj. jon, ds., finnisck htskdncn — wotj. luiiii „Ameise“, 
syrj. kot-JcocUu ds. usw. zu erweisen. Die Syrjanen kaben also 
tc von Eiitsi in o geandert, im wotjakiscken dkuts ist das ii geblieben. 

Ausgescklossen ist, daB die Syrjanen den Namen fur die Eussen 
direkt von den Finnen ubernahmen. Erstens haben damals sicker 
keine Beziekungen zwiscken Finnen und Syrjanen bestanden, kein 
Leknwort heruber und hiniiber gibt von solcken Kunde. Dann 
aber hat sick Rnotsi im Finnischen niemals auf die Eussen bezogen. 
Vielmehr heiBt EuBland seit alters bei den Finnen Ventija. Diese 
Form gekt auf *Fc«dY/« zuriick: Thomsen, EinfluB der germanischen' 
Spracken auf die finnisch-Iappiscken 72, 1S2; Setala, Yfiteissuoma- 
lainen aiinnekistoria 66. Sie entsprickt den Venedi des Plinius, den 
Yeneti des Tacitus usw. usw. Mag sie nun aus dem Germanischen 
entlehnt sein oder nickt, so setzt jedenfalls sckon ikre dreisilbige 
Gestalt ein betrachtlickes Alter voraus. Ware sie jiingeren TJr- 
sprungs, d. h. in dem Falle entlehnt und zwar erst nack der Zeit, 
in der der Name FiOtsi zu den Slawen kam, so miiBten wir eine 
zweisilbige Form erwarten wie in altnordisck Vuijn-, Vindr, mkd. 
^Vint , nkd. Wtnde. 


Ij So y ichiaanii, yotjakiscbe Chrestomatie 77; anjers Jlunkaczi, ’Arja es 
Kaukiizii.si elemek I 3261. (Wichmann, Finuisch-ugrische Forschungen 11, 182), 
der das y ort aus den kaukasischen Sprachen ableitet. Auch dann hat es ur- 
sprunglich u. 



Zur handschriftlicheii Cberlieferuug des Daiiiel- 
kommentars Hippolyts. 

Von 

Xatliaiiael Bonwetseh. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 12. Jali 1917. 

In diesen Xachrichten, philol.-hist. Klasse aus dem Jahr 1896r 
S. 16 ff. habe ich iiber die band.scliriftliche Uberlieferung des Daniel* 
kommentars Hippolyts gehandelt (vgl. anch Xacbr. 1895, S. 515 ff. 
iiber „die Datierung der Geburt Christi in dem Danielkommentar 
Hippolyts*). Inzwischen ist ein nener Textzenge fiir umfangreiche 
Abschnitte des Danielkommentars entdeckt worden, nnd die Giite 
des Herrn Rahlfs hat mir die photograpbischen Aufnalimen der 
betreffenden Teile der beriihmten Handschrift der Bibliothek des 
Fiirsten Chigi gr. R. VII, 45 — u. a. von Lagarde herausgegeben 
in Hippolyti Romani quae feruntur omnia graece, Lpz. 1858, S. 151 ff. 
nnd von mir in meiner Ausgabe jenes Kommentars verwertet nach 
einer Kollation von H. Achelis — nnd der Handschrift der Daniel- 
catene aus derselben Bibliothek R. VIII, 54 zur Verwertung freund- 
lichst iiberlassen. Es erscheint angezeigt, dariiber zu berichten, 
welchen Beitrag zur Kenntnis des Textes Hippolyts der neue Fund 
nnd die Kollationen der Chigihandschriften liefern. 

Der russische, 1885 verstorbene Bischof Porfirij Hspenskij hat 
zuerst in einem Katalog der bemerkenswerten Handschriften der 
Meteorischen und Kissawo - Olympischen Kloster — aus seinem 
XachlaB 1896 herausgegeben — auf eine Handschrift des Meteoron- 
klosters in Thessalien hingewiesen, die neben Hippolyts Schrift 
iiber den Segen Jakobs (diese unter dem X*amen des Irenaeus) auch 
Teile des Danielkommentars Hippolyts enthalt. Alexander Berendts 
hat auch die abendlandische 'Wissenschaft auf sie aufmerksam ge- 
macht und iiber ihren Inhalt berichtet („Texte und Untersuchungen* 



314 


Xatlianael Bonwetscli, 


von V. Greliliardt u. Harnack, N. F. XI, 3, S. 87 ff., Leipzig 1904). 
Er hielt, von mir befragt, nickt fiir ausgeschlossen, dafi die Hand- 
sckrift nack Atken gebrackt worden sei. Wilkelm Meyer bat jedock 
auf meine Bitte, als er in Atken weilte, festgestellt, dab eine 
tlberfiikrung von Handsckriften des Meteoronklosters nack Atken 
nickt stattgefnnden kabe. Inzwiscken aber katte der verdienstvolle 
eifrige Erforscber der Bibliotheken der Meteoraklbster N. Bei's in 
Atken die Anfmerksamkeit auf jene Handsckrift gelenkt. Seine 
Mitarbeit bat es C. Diobouniotis in Atken ermoglickt, den Text 
der Sckriften Hippolyts aus jener Handsckrift kerauszugeben (in 
jenen Texten nnd Unters., 3. Heike, VIII, 1, Leipzig 1911). Ick 
kabe den Brack der Ansgabe geleitet und trage namentlick die 
Verantwortung fiir Interpunktion und Einteilung. Fiir Hippolyts 
Erklarung des Segens Jakobs ist die Meteoronkandsckrift 573 (frii- 
her 108) die einzige griechiscke. Der armeniscke Text ist nock 
unediert, und die Ilbersetzung des Georgiscken ins Russiscke, aus 
der ick 1904 jene Erklarung kerauszugeben katte, ist leider in 
reckt freier Weise gekalten. Hack VerofFentlickung der armeni- 
scken Version und einer erneuten tlbertragung bezw. einer Edition 
der georgiscken wird erst die definitive Ausgabe jener Abkandlung 
Hippolyts erfolgen konnen, diirfte es sick -wohl gleick um keine 
grofieren Differenzen gegeniiber dem jetzt vorliegenden Text kandeln. 

Von derselben Hand s. X, XI wie jene Abkandlung sind auck 
in der Meteoronkandsckrift die Bruckstlicke des Danielkommentars 
auf Bl. 156^ — 201'' gesckrieben. Von beiden Texten bat die Kircken- 
vaterkommission der Honigl. preuBiscken Akademie der Wissen- 
Bckaften auf meine Bitte durck die Expedition von Jantzsck Auf- 
nakmen in Sckwarz-WeiS macken lassen und mir giitigst ikre 
Verwertung gestattet. Ick kabe ihren Text aufs Xeue verglicken. 

Welches ist nun das Verkaltnis des Textes der Meteoron- 
handsckrift (= E) zu dem der sonstigen Uberlieferung des Daniel- 
kommentars Hippolyts? Schon Bereadts kat auf seine Verwandt- 
Bckaft mit dem der altslaviscken tlbersetzung (= S) jenes Kommen- 
tars kingewiesen. Wie diese und wie die Vorlage der Catenen- 
fragmente (= C) kat auck E das Danielbuck in Visionen eingeteilt. 
Aber nickt vfie in S und in C stekt in E die Gesckickte der Su- 
sanna voran, sondern sie folgt erst als zwolftes Gesickt, wie in 
der urspriinglicken Septuagintalibersetzung. Die nahe Beziehung 
zu S und C wird dadurck dock nickt aufgekoben. Mit S und C 
stekt aber auck die Athoshandsckrift (= A) des Danielkommentars 
in enger Verwandtsckaft. Ick kabe dies ^Xackrickten" 1898, S. 38 
gezeigt. Einzelne Belspiele mogen die Zugekorigkeit von E zu 



Zur handschriftliclien Uberlieferung des Danielkommentars Hippolyts. 315 

der Grruppe ASC belegen. Im Gregensatz za der Ctalkihandschrift 
(B) , aus der Georgiades zuerst das vierte Buch des Danielkom- 
mentars Hippolyts keraasgegeben bat, kommt in einer ganzen An- 
zahl von Fallen E mit A iiberein. Dies tritt gleich dort zu Tage, 
wo neben A, S und B auch E als Textzeuge einsetzt, S. 228, 17 ff. 
meiner Ansgabe jenes Danielkommentars. Zwar bietet E 230, 3 
oTt Iyyi)? w ts'Xo? aknlich wie B o-c'. Iyyc)? lar'.v B, wahrend in AS 
^ dies fehlt; 230, 3f. kommt s'/'spD-rj'^ovtat yap Xiysi mehr mit B spsp- 
■0-T]asTa’. yip 'pTjmv Iiberein als mit Sto Xiysi in A, und ebenso lieiBt 
es 230, 6 ap-/al (XSivoiv 'pYjaiv wie in B, statt 'pr^alv upyai iLStvcov wie 
in A. Aber 230, 1 fehlt gegen ASE pLovoo in B, 230, 7 sv abioi?, 
230, 11 izsi. 230, 10 haben ASE Sr/jp. Ss gegeniiber Siryf. yip in B, 
/. 11 i[i:rdvM? (saTcopo? B), Z. 12 rai? ^wvai? (tf, 'fwvp) B), Z. 18 fehlt 
izsivoc in E wie in S, Z. 19 lesen ASE :ra’§'ltov (tszvwv B), Z. 20 
arcsX^iiv nach spYjaov (s^sX&etv vor si? t. Ip. B), S. 232, 3 iva (y.ai B), 
Z. 4 SE d;:’ aozoo (St’ AB), fehlt Traatv in B, Z. 5 ::opsod;aEVot 

+ AE, Z. 8 (fai'^zt'j .1 AE ('pavsi B). Z. 9 p-r/p’. AE (sco? B), Z. 14 
pixpoi; ASE (sotiX-ij; und + pdvov B;, Z. 15 ::apfjv AE {Tiapsyi'mo B), 
Z. 16 lassen ASE ;rdv':a? dpaptwXox zal weg, ebenso Z. 17 ztatwv 
(aUerdings Z. 18 f. si;, sv and sz, Z. 21 tip + A) und Z. 20 I'f&aasv 
yip sz’ aoTov oovtiXita, 234, 1 otu-paXwc, Z. 6 ahrco -poXIpov^roj, tb; 
Zzi sysa-cTQXsv f/p-spa too v.optoo, Z. 21 azp;^*?, Z. 22 zal tat? saoiwy 
TrXdyat? zA Toi? sototwy syo;:yiot; zai [j-ofl-oXopEa’.? zai Xdpot; ppawSsaty, 
236, 4 irpoar/cyts? opapaat p-ataEo'.; zai StSaazaXEat? SatpoyEwy zai, Z. 5 
zai zop'.azpj zoXXdz’.c. S. 318, 3 fehlt ztatoE, Z. 16 apEwy ASE, 322, 10 
zai zaTa/S-oyEwy; S. 326,18 haben ASE apEwy filr dy&pwzwy; aller- 
dings S. 318, 16 AS ayaozaztoptsywy fiir zaTaazazTop,=ywy in BE. 

Das Verwandtschaftsverhaltnis von ASE gegeniiber B ist so- 
mit ein klares. Alle drei, ASE, sind aber treffliche Textzeugen. 
Da erhebt sich die Frage, ob nicht einfach, was ASE bieten, die 
urspriingliche Textgestalt ist, da6 alle Abweichungen in B spatere 
Korrekturen und daher fiir die Herstellung des Textes bei Seite 
zu lassen sind. Zufallig kann die Differenz von B einerseits, ASE 
andererseits nicht sein. Fiir den hohen Wert der Textuberlieferuno- 

O 

in A ist kein Geringerer als TJsener eingetreten („Sol Invictus", 
Rhein. Mus. f. Fhilol,, N. F., 60, S. 485 if.). Er hat dort in scharf- 
sinniger Weise gezeigt, wie in der mannigfachen Korrekturen 
unterzogenen Stelle Buch IV, 23 A und S, zum Teil A allein den 
urspriinglichen Text erhalten haben, da ihre Datierung der Geburt 
Christi mit der sonst von Hippolyt vertretenen iibereinkomme. Der 
Text von ASC empfangt nun durch den Hinzutritt von E noch 
eine Starkung. Sind nun dem entsprechend die Abweichungen von 



316 


Jsathanael Bonwetscli 


B in IV, 18 ff., S. 230 if. als Anderungen der ersten Yorlage und 
als Zusalze zu bearteilen? Obne Zweifel machec IV, 19, 4, S. 234, 6 f. 
die an azouaav'LS? sich anscblieBenden Worte autou ^rpoXsYovToc, wc 
OT’. evsatr^zsv -q r/J-spa too v.opioo durcbaus den Eindruck der Echtbeit, 
obscbon sie nach dem vorangegangenen slrcsv 'gvwazsTs, aSsX^ot, 
ozi •is'ca sviaoxov -q v.piaii; [lsXXsl '(i'/sa&oci entbebrt werden konnen. 
Ein AnlaB, sie einzuschalten, lag doch kaum vor. Dasselbe gilt 
von den Worten, die IV, 20, 1, S. 234, 22 f. (s. o.) B uber ASE hinaus^ 
bietet. Koch klarer liegen die Dinge IV, 20, 3, S. 236, 4f. Hier 
trilit der Satz zpoasyovrs? 6pd;j.aa'. pLatato'c z.al S'SaazaXEa'c Sat}j.ovt(OV 
wortlich mit dem zusammen, was Epiphanius Panarion haer. 48, 1, 
S. 426. 20 f. aus Hippolyt entlehnt hat, er geht also so gnt wie 
gewiB auf Hippolyt selbst zuriick. Es konnten sich etwa in dem 
Archetypus von ASE die Auslassungen dadurch erklaren, dafi der 
in Kap. 19 f. gegebene historische Bericht in dem exegeti- 
schen Werk nicht mehr interessierte. 

Dafi aber ASE gegeniiber B auf einen gemeinsamen Afche- 
typus zuriickgehen, empfangt eine Bestatigung durch IV, 59, 9 ff ,, 
S. 336, 9 ff. Es soli nach Dan. 12, 9 f. die Schrift der Weissagung 
versiegelt bleiben, stoc dv ky.Xsy(ii>a'.v zal i/ljozayffcoaiv y.al ezTOpwffwoiv 
zoXXo'. Xun fragt Hippolyt IV, 59, 3ff. nach ASE nur, wer die 
£-/.Xs 7 lp.jvoc und die Xsoza'-vop-ivo' sind, dagegen nach B auch, wer 
die r/.r’jpoD;j.£vo'.. Er mu6 aber doch auch diese Frage gestellt 
haben. Damit stimmt der Inhalt ihrer Beantwortung iiberein, 
denn das Hindurchgehen durch Feuer und Wasser, von dem hier 
Hippolyt unter Hinweis auf Ps. 66, 12 redet, entspricht der Deu- 
tung, die dieser Psalmstelle der von hippolytischer Tradition ab- 
hangige Methodius von Olympus De res. I, 56 gibt. — Auf eine 
Auslassung in der Vorlage von AS in III, 28, 6, S. 174, 17 habe 
ich schon in meiner Ausgabe des Kommentars hingewiesen. 

Haben somit ASE eine gemeinsame Wurzel, so fragt es sich 
weiter, ob E naher A oder S verwandt ist. Es will nicht viel 
besagen, wenn II, 26, 1, S. 88, 11 S und E iSwv lesen gegeniiber 

siSwc in A und 88. 15 ;tavT(o<; pap statt nur Travtcoc wie A. Aber 

II, 26, 4, S. 90, 1 und 5f. heifit es in A Koppoo und Koppo? 6 IIspoYjc,^ 

dagegen in ES AapEoo und AapEo? o 90, 6 zaTapptoffsvia statt 

zaTarr&hsvca, und II, 27, S. 90, 12 f. lassen E und S auTwy und szsi 
Drtspiayosv x6 too [iaa'Xio); pfyp,a weg und fiigen 90, 20 y.aXw? hinzu 
(cia vo’jio fehlt freilich daselbst in S). 92, 2 lieBt E mit S Ttavta 
statt zdyzozs in A, 92, 8 vry I2iav statt tov lotov, 92, 14 sv. yob? statt 
£x yy’-pb;, II, 32, S. 104, 19 ratpb? (nicht Trysop-ato?) p-uar/^pLa, 104, 21 
+ £■/. xf,? v.ap.'lyciu, 106, 3 7,Xauvbp.3Vov statt i:5Xo6p.£yoy, III, 7, S. 134, 25 



Zur handschriftlichen t'berlieferung des Danielkommentars Hippolyts. 317 

oTTOTs statt TOTS, 136, o a.'ja.~(^ekX=i statt aTTTj-fcs'.Asv. 136, 20 feUt tov 
paaiXsa xal svSo^ov Ysvsoa-ai in SE, dagegen IV, 30, 9, S. 266, 11 
’lYjaou; + SE, nnd sie lesen IV, 49, 1 6 XaXwv statt XaXTjac'; IV, 
35, 3, S. 278, 15 freilich haben AE Iv iravri ttp xoaftcp fiir sv jravtl 
■Eoxcj) in B nnd „an alien Orten“ in S. 

Ein naheres Verhaltnis von E zu den Excerpten aus Hippolyt 
in den Catenen laBt sich darans noch nicht entnehmen, daB S. 106, 16 
E nnd C soxi liest gegen fp/ in A and daB S. 108, 1 beide sv xau.’V(p 
binzufiigen. S. 4, 2 lafit C ’Iwata? weg gegen SE nnd 4, 13 fiigt 
C xal sj55dp.(p hinzu. 

Wie in der Cbigibandscbrift B, VII, 45 (= J, vgl. Nacbricbten 
1896, S. 22) sind auch in E Stiicke aus Hippolyt De antichristo 
nnd In Danielem vereinigt; aber es sind nicbt dieselben Stiicke, 
vielmebr in J ans De anticbr. c. 23—23, in E aus c. 48. 50 f. nnd 
54. Mit J liest E S. 330, 5 l;:i zb '/slXo? fiir sxl too y^siXmi; in AB. 
Eine nahere Beziehung von E nnd J ist nicht nachzuweisen, nnd 
ergibt sich daher auch aus E nichts fiir das Verhaltnis von J zur 
sonstigen Textliberlieferung. 

Dujch E liegt jetzt fast der ganze Danielkommentar Hippo- 
lyts auch im griechischen Text vor. 

Die Vergleichung der photographischen Aufnahme des Textes 
v 0 n J zeigte die Zuverlassigkeit der Kollation von H. Achelis. — 
Ebenso bestatigte die Vergleichung des photographischen Textes 
der Danielcatene in Chis. VIII, 54 s. X, daB diese Handschrift die 
Vorlage des in meiner Ausgabe des Danielkommentars verwerteten 
Paris, gr. 159 ist. Schon der verstiimmelte Anfang zeigt dies (vgl. 
Caro-Lietzmann, Oaten, graec. catalogus S. 118 (350)). Auch die 
Seitenanfange treffen zusammen. Danielkommentar II, 5, 2, S. 52, 18 
steht im Chis. Bl. 455^ vostv am Rand; infolge davon ist dies Wort 
versetzt im Parisinus Bl. SIO’^ nnd steht dort hinter suaTxXaY/viav. 
Dasselbe ist aber auch im Vat. 1153/54 der EaU, von dem Faul- 
haber, Die Prophetencatenen nach romischen Handschriften (Ereib. 
1899), gezeigt hat, dafi er aus dem Chisianns abgeschrieben ist. 
Xun lesen aber auch der Vaticanus und der Parisinus S. 290, 12 f. 
axXYjpoxdpSiov fiir axXTipoxpd^^TjXov. Daher wird der Parisinus dnrch 
Vermittlung des Vaticanus auf den Chisianns zuriickgehen. Der 
Anfang von Vat. 1153 war dann noch nicht in dem MaBe wie 
gegenwartig verstiimmelt, als Far. 159 von ihm abgeschrieben wnrde. 



Ge'ez-Stiidien. 

Von 

£nno Littmanii. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 26. Juli 1918. 

in. 

Texte iind Paradiffmata iiach Takla-Marvam. 

O %/ 

Im Xachtrag zu Teil II meiner Ge'ez - Studien (Xackrichten 
der K. G. d. W., Phil. -hist. KL, 1917) babe ich darauf hingewiesen, 
daB ich in einem dritten Teile die Angaben verwerten wiirde, die 
ein Abessinier iiber die Aussprache des Ge'ez gemacht hat. Es 
handelt sich um die dort genannten Schriftchen von Takla-Maryam 
Samharay : Mamh.yra Jascina giaz und Fatnn malniade flclal tvanabab 
zalasana ga'az. Beide sind in Rom im Jahre 1911 erschienen^). 

Im Mamhor setzt der Verfasser nach der Einleitung, in der er 
von seinen Vorgangern spricht, sein eigenes System der diakritischen 
Zeichen {ta'^mariata sal, fat) auseinander. Dann gibt er die Accentre- 
geln fhr Verba, Substantiva, Pronomina nnd Partikeln, Eigennamen, 
danach fiir \ erba nnd Substantiva sowie Partikeln mit Suffixen. Die 
diakritischen Zeichen teilt er ein in solche fiir den Accent fabzat} 
nnd fiir die Verdoppelung {’asna^o). Den Accent definiert er dahin, 
jdaB man auf einen Buchstaben mehr Ton verv 7 enden miisse {yad- 
mas) als anf die, welche mit ihm in demselben Worte vereint sind. 
E’nd ein Buchstabe, auf dem der Accent ruht, heiBt betont (da- 
Er verwendet vier Accentzeichen: 1) Vd’a?-) (d.i. nCrhebe^), 


1) Ersteres zitiere ich als MamJiar, letzteres als Malmade. 

2) Diese Xamen erinnern in merk'wurdiger Weise an die Benemningen in 
der hebraischen Grammatik b'liyba und . 



Ge'ez-StiKlien. III. 


319 


wenn der Ton anf dem ersten Buchstaben dcs Wortes Hegt; 
2) ^andh (d. i. „erhblie“ oder „ver]angere“), wenn er anf einera 
der mittleren Buchstaben liegt; 3) \isnan^) (d. i. ,.neige“), wenn 
er auf dem letzten Buchstaben liegt; dazu kommt 4) ^alias (d. i. 
^halte fest“), ■, fiir Buchstaben mit dem 6. Vohalzeichen , wenn 
dieser Buchstabe innerhalb eines Wortes nicht vokallos, sondern 
mit einem unbetonten kurzen ^ zu sprechen ist, oder wenn 9 der 
einzige Yokal eine.s einsilbigen Wortes ist. Denn Buchstaben der 
6. Vokalreihe haben dreierlei Aussprache nach T.-M. : a) hochbe- 
tont {Ja’rda dams), wenn sie den Accent haben; b) kurzbetont (7m- 
slra dams), wenn sie am Anfang oder in der Mitte der Worter mit 
kurzem 9 zu sprechen sind; c) schwachbetont {dalaona daws), wenn 
sie am Schlusse oder in der ilitte der Worter ohne Vokal zu 
sprechen sind. 

Diese Unterscheidung nach Buchstaben ist rein willkiirlich und 
aufierlich. Sie fiihrt auch zu groSen Inkonsequenzen ; so hat z. B. 
tiad den ’ATol, za den "Asnon, za den ’Ahaz, warad den ’Al’ol, 
qahar den ’Anoh, \dla den ’Asnon, u. s.w. Darans ergibt sich, 
daB die Art des Accents in alien' Fallen dieselbe sein muB. Ich 
habe daher flir ’Al’ol, ’Aneh und ’Asnen in der Umschrift stets 
den Acut gesetzt, flir ’Ahaz in den wenigen Fallen, in denen er 
zum Ausdruck gebracht ist, jedoch den Gravis. Fine Unterschei- 
dung zwischen musikalischem und exspiratorischem Accent ist, wie 
man sieht, nicht gemacht ; die Bezeichnung des so wichtigen Ge- 
gentons und Vortons, mag dieser nun exspiratorisch oder musika- 
lisch sein, fehlt vollstandig. Aus den von T.-M. gewahlten Xamen 
jedoch geht mit groBer Wahrscheinlichkeit hervor, daB er im We- 
sentlicben den musikalischen Hochton im Auge hat -). 

Das flir die „Verdoppelung“ angewandte Zeichen ’Asna’o sind 
zwei Punkte (") iiber dem betreflcenden Buchstaben; ich habe in 
diesen Fallen natiirlich den Konsonanten doppelt gesetzt. 

Im Malmade gibt T.-M. zunachst eine Art Lesefibel: Alphabet, 
Konsonanten zuerst mit dem 1. Yokal. dann mit anderen Yokalen, 
Leseiibungen einzelner Buchstaben, dann ganzer Y'brter ; zwischen 
diese Worter werden die Namen der Monate, Jahre u. s.w. ein- 


1) S. -Anm. 2 der vorigen Seite. 

2) So wil’d aucli im liebraischen gottesdieiistlichen Vortrag der Accent we- 
sentlicli musikalisch gewesen sein; vgl. die Sclirift von E. Hommel, Der Akzent 
des liebraischen; man miiC dabei aber die Worte von E. Sievers, Metr. Stndien 
I, S. G5, im Aiige bebalten, wonaeh al’e Accentsysteme gemischt sind und nur 
bald das eine bald das andere Prinzip vorwiegt. 



320 


Enno Littmauu, 


gestreut. Dann folgt ein (d. i. „Starker“) genannter Ab- 

scknitt mit weisen Spriichen, die zum groBten Teile aus dem Buche 
Sirach genommen sind; am Schlusse der Schrift stehen die ersten 
drei Kapitel des 1. Jobannes-Briefs aus dem Xeuen Testamente. 

Die Xamen der Buchstaben werden nicbt gegeben, doch steht 
neben u ]iaUe, neben rh humdr. neben UJ oidgtis, neben J*1 
neben b^zuhan, neben A neben D \dn, neben A salut und 

neben 0 sahdi. Dazu vergleiche man die Xamen in Teil II {Nacli- 
richten 1917, S. 677 f.). 

Am Schlusse des Ge'ez-Alphabets, nacb den ZaKlzeicben, stehen 
auch die Zeichen, die im Amharischen und Tigrina neu hinzuge- 
kommen sind. In einer Anmerkung weist T.-M. darauf hin, da6 
tp, nnd "jQ” nur im Tigrina vorkommen, ferner daB die Aus- 
sprache des Tl im Amharischen verschieden ist von der im Ti- 
grifia, endlich daB im Tigrina U— /il— "5, A— D von V — ''h. — "J, 
\—0} verschieden sind und nicht mit letzteren zusammenfallen 
wie im Gre'ez. 

In der Verwertung des von T.-M. gebotenen Materials bin 
ich nun folgendermaBen verfahren. Zuerst gebe ich in A die zn- 
sammenhangenden Texte in Umschrift {3Iahnade, S. 25 — 33) ; dann 
die einzelnen "Worter aus den Leseiibungen, und zwar, des rascheren 
Verstandnisses wegen. in XJrschrift und Umschrift; danach die 
Aufzahlungen der Wochentage u. s. w., einzelne Satze, den Mathe- 
Abschnitt nur in Umschrift. In B folgen die Beispiele zu den 
Accentregeln aus dem MamJtor. Da T.-M. immer nur die Buch- 
staben fiir die Accentregeln zu (Irunde legt, ist seine Anordnung 
vielfach ganz anders, als wir sie nach den Silben treffen wiirden. 
Auch ist bekanntlich die grammatische Einteilung bei den Abes- 
siniern ganz anders als bei uns. Da es sich hier aber nicht um 
eine Darstellung der abessinischen Nationalgrammatik, sondern le- 
diglich um eine moglichst iibersichtliche hlaterialsammlung handfelt, 
habe ich alle Eormen, deren Aussp cache durch diakritische Zeichen 
festgelegt ist, hier in der Weise unserer Grammatiken und Para- 
digmata angeordnet. Es war nicht moglich, dies Prinzip restlos 
durchzufiihren , weil dazu eine systematische Darstellung notig 
gewesen ware; aber ich hoffe doch, daB eine gute Ubersichtlichkeit 
erreicht ist. Die Verbalformen sind nur sparlich vertreten, die 
Xominalformen aber de&to reichlicher ; das ist sehr erwunscht, da 
in Teil II die Nomina, infolge der Art, wie sie in den Tabellen 
bei Dillmann erscheinen, sehr stiefmiitterlich behandelt sind. Im- 
merhin liiBt sich aus den Texten in Teil I und in IIIA eine groBe 



Ge'ez-Stndien. III. 321 

Anzahl Nomina znsammenstellen ; imd so haben wir ein gates Ver- 
gleichsmaterial zu der Darstellung bei Trompp. 

Meine Art der Umscbrift moB bier naturgemaB von der in Teil 
I and II gebraachten etwas abweichen; denn bei letzteren handelt 
es sicb am die von mir geborte, individaelle Ansspracbe eines Ein- 
zelnen, bier in Teil III jedocb am meine Wiedergabe einer ge- 
druckten Vorlage, die von ibrem Verfasser als ein normiertes Sy- 
stem beabsicbtigt ist. Aber gerade die Abweicbangen werden fiir 
eine bistoriscbe Gesamtbetracbtung der tlberlieferang ibren Wert 
haben. 

Ich babe also den 5. and den 7. Vokal bier darchweg einfach 
mit e and o amscbrieben ; es ist durcbans moglicb, daB Takla-Mar- 
yam, dessen Mntterspracbe Tigrina ist, selbst aacb a oder in 
halb tigriniscber, balb ambariscber Weise 'a spricbt. Die IjTorinal- 
ausspracbe fiir die beiden Laate sollte der Tbeorie nacb e and 5 
sein, and danacb babe icb micb bier gericbtet, da mir die Unter- 
lage individaeller Praxis bier feblt. So babe icb aacb den Ge'ez- 
Vokal immer darcb a wiedergegeben , obgleicb er wobl mit Aas- 
nahme der Faile, in denen er vor oder nacb Gntturalen stebt, 
mebr oder weniger konsequent als a gesprocben wird. 

Besondere Scbwierigkeiten bietet wiederam der 6. Vokal. Wenn 
T.-M. sein ’Abaz konsequent in alien Fallen, in denen ein anbe- 
tontes 3 stebt, gesetzt batte, so ware keinerlei Zweifel moglicb, 
Aber das bat er eben leider nicbt getan , sondem er hat es nur 
da gesetzt, wo eine Verwecbslung stattfinden kbnnte, also z.B. 
bei ksfhl („teile‘‘) im Unterscbiede von k3fl („Teil“), ferner bei dem 
W orte zd, das er aber ebenso gat zS batte scbreiben konnen. Ich 
babe micb bier, soweit es moglicb war, nacb meinen eigenen, in 
Teil I and II niedergelegten Erfahrangen gericbtet; am nur eins 
za erwabnen, fiir die Form die von Gabra-Mika’el 

ikaffdldnni gesprocben warde, babe ich die Umscbrift ihafsJdni ge- 
wablt, da T.-M. scbreibt *). 

Fiir gewobnlich wird, wie es scbeint, in der iiberlieferten Ans- 
sprache des Ge'ez ebenso wie im Hebraiscben and im Tigre, teU- 
weise aucb im Tigrina kein vokaUoser Guttural im Inneren eines 
Wortes gesprocben, vielmehr moB ein Guttural, der im Silbenaus- 
laut vor einem anderen Konsonanten stebt, einen kurzen vokali- 
scben Nacbscblag erbalten, falls man sicb nicbt in anderer Weise 
aus der Scbwierigkeit bilft , wie z. B. bei ’’aimdra (vgl. Teil I, 
Nachrichten 1917, S. 631). T.-M. macbt bei solcben Wortern aber 


1) Zur Verdoppelimg des Suffix-Konsonanten vgl. unten S. 336. 
Kgl. Oes. d. Wiss. Naehrichten. Phil.-hist. Klasse. 1918. Heft 3. 21 



322 


Enno Littmann, 


nie sein ’Ahaz-Zeichen, so da6 man annehmen konnte, er betrachte 
den 6. Vokal dort als jScliwacbbetont“. Aber wenn er z. B. load, 
ladk als dieselbe Form ansieht wie sad^q, sidas, so dentet er eben 
an, dafi bei den ersteren beiden 0 nnd mit Vokal zn sprechen 
sind. In Teil I nnd II finden sich mancbe Schwankungen bei 
solcken W ortern. Ich babe nnn, nm bier, wo icb die gesprocbenen 
Formen nicbt gebort babe, wenigstens ein gewisses System dnrch- 
znflibren, nacb ’ stets den Hilfsvokal dnrcb bocbstebendes ® ange- 
dentet, anch bei ‘}\ als zweitem Radikal von fa‘l- nnd fid- (q&tl-) 
Formen, die sonst im Ge'ez nacb der Tbeorie einsilbig zn sprechen 
sind ; das Ambariscbe nnterscheidet sich eben hierin von der iiber- 
lieferten Ge'ez-Ausspracbe wie das Syriscb-Arabiscbe vom Agyp- 
tiscb-Arabischen. Bei /'a7- oder /j7-Formen entstebt im Kontext 
ein Hilfsvokal am Scblusse ; vgl. Teil 1 {Sachrichten, 1917), S. 630. 
Die sen Hilfsvokal babe ich in den Texten nnd Satzen bier natiir- 
licb ancb gesetzt. Wenn aber solcbe Formen in pausa stehen, babe 
ich ibn, ancb bei Bildnngen von Stammen tertiae gnttnralis, nicbt 
ausgedrlickt ; das ’ nnd h ist dann sicher nur sebr scbwach zn 
boren. Hoffentlicb werden kiinftige Forscbungen diese Frage, die 
fiir die Uberlieferung des Ge'ez von gewisser Wicbtigkeit ist, ein- 
mal restlos anfbellen. Bei h ist ancb im Inlant der Hilfsvokal 
nicbt angedentet, da bier nacb meiner Erinnernng die vokallose 
Ansspracbe vorwiegt. 

Mit allem Hacbdruck aber sei bervorgeboben, da6 so sebr T.- 
M. ancb znm Scblusse des Ilamhdr (s. unten am Ende von Teil III, 
S. 339) betont , seine Accentregeln seien durcbaus einbeitlich nnd 
giiltig, dock (1) bei ihm selbst Inkonsequenzen vorkommen, nnd daB 
(2) von ibm Yerschiedenbeiten der tiberliefernngsscbnlen zngegeben 
werden; fiir das Hebraiscbe vgl. Noldeke, Inkonsequenzen in der 
hehriiiscJien Funltafion (Zeitschr. f. Assyr. 26, Iff. — Festschrift fiir 
Ignaz Goldziber, 1 ff.). Von ersteren seien erwahnt kafaldna neben 
leakahanna, nskapdakdniu neben nozeyidieakkamu. Yermntlich aber 
bat er an Stellen, wo er sein Augenmerk nur anf den Accent rich- 
tete, oft das Yerdoppelungszeichen vergessen, nnd zuweilen anch 
den Accent nicbt gesetzt, wo er wobl znnacbst die Verdoppelnng 
im Ange batte ; bier babe ich in der Umscbrift stets verbessert, 
nnd zwar so, daB ich bei nicbt bezeichneter Verdoppelnng den 
zweiten Konsonanten in eckigen Klammern hinznfiigte, bei feh- 
lendem Accent aber in einer Anmerknng anf die Form bei T.-M. 
binwies. Von Verscbiedenbeiten der Schnlen fiibrt T.-M. an tohoh- 
laru, tohohdrd, hohoru neben den regebnaBigen Formen mit Paennl- 
tima-Betonung (nnten S. 333, Anm. 1); qeqsh neben qeqdh (bei den 



Ge'ez-Studien. III. 


323 


Nominalformeii, S. 334, 5bj3); ytired, yosef, rtman neben denFormen 
mit Ultimabetonung (bei den Eigennamen, S. 335) ; betontes Snffix 
-kan neben unbetontem (bei den Verbalformen mit Snffixen, S. 336). 

In Teil I nnd II sind die nmschriebenen Texte und Worter 
in gewohniicber Antiqna-Scbrift gedrnckt. Icb hatte znnachst be- 
absicbtigt, aUes, was umscbrieben ist, knrsiv drucken zu lassen. 
Als aber damals bereits ein ganzer Bogen in 1. Korrektur mit 
Antiqna-Satz ankam, konnte icb meine ursprunglicbe Absicbt nicbt 
dnrcbfiibren, sondern bebielt diese Scbrift bei, zumal die Drnckerei 
einige neue Typen in ibr batte anfertigen lassen. Flir die Um- 
scbrift von 1. Job. 1 — 3 babe icb diese Scbrift ancb bier beibe- 
balten. Aber dort, wo Emscbrift nnd Ubersetzung oder sonstiger 
dentscber Text znsammenstoBen, ma6 nnbedingt ein Scbriftnnter- 
scbied gemacbt werden. In letzteren Fallen, bier am Ende von A, 
sowie durcbgangig in B, babe icb also die umscbriebenen Worter 
in Eursivscbrift gegeben; diese Inkonsequenz bitte icb zn ent- 
scbnldigen. 

Die Wissenscbaft ist dem gelebrten Abessinier Takla-Maryam 
filr das, was er geboten bat, sebr dankbar. Wenn ancb seine Dar- 
stellnng nocb nicbt als abscbliefiend gelten kann, so bringt sie 
dock viel nenes nnd wicbtiges Yergleicbsmaterial, das innerbalb 
des Eabmens meiner Ge'ez-Stndien nicbt feblen darf und Anspruch 
anf sorgfaltigste Berucksichtigung hat. 


A. 

mal’okta yobanas bawarya walda zabde“6s qadamawi. 
ma’^raf I kafl I. 

nazenawakkamu ba’anta wa’atu zahallo ’amqadm wa’atu 1 
zasama’^nabu wazaraTnabfl ba’a’^yantina wazataiyaqna waza- 
gasasahd ’adawtna ba’anta nagara baiwat. — ’asma baiwat 2 
ta’auqat lana wara’lnaha wasam’a konna wanazenawakkamu 
lak5munf baiwata ’anta la’alam ’anta ballawat baba ^) ’ab wa- 
ta’anqat lana. — wara’inabsi wasama’’naba wanazenawakkamu 3 
lak5munf kama ’antamuni takunu sutafe maslgna. wasutafg- 
nassa masla ’ab wamasla waldd ’ij’asds krastos. — wazanta 4 
nasabaf lakamu kama tafsabtak5mu fassamta tdkun. — wazati 5 
ya’ati zena ’anta sama’^naha takat ’am[an]ngba wanazenawak- 
kamu kama ’agzi’ababgr barban wa’dtu wasalmatassa ^) ’albD 


1) So ! L. ?ta6a. 


2) Im Text -sa ohne Accent. 


21 * 



Enno Littmann, 


324 

6 habehu wa’l’abattinl. — wa’ammassa nabelakemii bana sutafs 
maslebd wawasta salmat nabauwar nabgssu wa’inagabara larat’. 

7 — wa’ammassa wasta barhan nabauwar bakama wa’atu wasta 
barban wa’atu sutuMn nabna babainatma wadamu la’iyasds 

8 krastOs yanasahanna ’amkulld batawa’ina. — wa’ammassa 
nabj ’albana hati’at nageggl lara’®sana wa’albd rat’a babgna. 

9 — wa’ammassa nagarna wa’amanna batl’atana ma’^man wa’atu 
wasadeq kama yabdag lana batawa’ina wayanasabanna ’am- 

10 kulltt ’abasdna. — wa’ammassa nabS ’i’abbasna bassawS na- 
resayO lotd waqalnni*) ’iballc babdna. 

ma’^raf II. 

1 daqiqaya zanta ’asabaf lakamu kama ’ita’abbasu wa’am- 
msTif bo za’abbasa paraqlitos bana baba ’ab ’lyasds krastOs 

2 sadaq. — wa’atu y^hdag lana batawa’ina wa’akko ba’anta 

3 zi’ana babtltd ’alia ba’anta ’alamani. — waba’anta za na- 

4 ’ammar kama ’a’‘marnabu la’amma ’aqabna ta’^zazO. — wa- 
zassa yabj ’a’amarO wa’Iya’aqqab ta’^zazd bassawi wa’atu 

6 wa’albo §adqa ’agzl’ababer [. . — • • -l^) fos^dm la’®lebd. wa- 

6 bazantd na’ammar kama botd ballauna. — wazassa ydbi botd 

7 ballauku maftdq yabur bakama bora zaktd. — ’abawina ’akkd 
ta’^zdza baddisa za’asabaf lakamu ’aUa ta’^zSza balita ’enta 
bak^mu takat. ’asma ta’®zaz baldi wa’atu zantd qdl zasama- 

8 ’®kamu. — waka’®ba ta’®zaza baddisa ’asdbef lakamu wa- 
wa’atu ’amdn botd wabakamu. ’asma halafat salmat wabar- 

9 ban zaba’amdn wadd6’a ’astar’aya. — wazassa yabJ wasta 
barban balloku waisalla’ biso bassawi wa’atu wawasta sal- 

10 mat balld ’aska ya’®zd. — wazassa yafaqqar bisD wasta 

11 barhan inabbar wa’albo ’aqaft bahabehd. — wazassa isalla’ 
bi?d wasta salmat wa’atu yahauwar wa’iya’ammar baba ya- 

12 hauwar ’asma salmat ’a’orO ’a’°yantibd. — ’asahef lakamu da- 
qlqaya ’asma tahadga lakamu hati’atakamu ba’anta samd. — 

13 ’asabaf lakamu ’abau ’asma ’a’'markamuw6 laqadamawi. ’asa- 

14 baf lakamu warazdt ’asma mo’®kamuwo la’akkdi. — sahafku 
lakamu daqiqaya ’asma ’a’‘markamuwo la’ab. sabafku lakamu 
’abau ’asma ’a’‘markamuwo laqadamawi. sahafku lakamu wa- 
razdt ’asma sanu’dn ’antamu waqala ’agzi’ababdr inabbar ha- 

15 bekamu wamo’^kamiiwo la’akkdi. — ’itafqaruwo la’alam wa’i 
zaballo wasta ’alam. wazassa ’afqard la’alam ’iballo faqra 

16 ’agzi’ababdr babebd. — ’asma kulld zahalld wasta ’alam fat- 


1) S. 323, Anm, 1. 


2) Hier fehlt ein Satz im athiopischen Text. 



Ge'ez-Studien. III. 


325 


watn lassga wafatwatd la’ain wasarahd lamanbart ’ikdna zantd 
’amliaba ’ab ’alii ’am’alam wa’etu. — wa’aMmani yahallef 17 
wafatwatdiu wazassa igabber fatwato la’agzi’ababBr inabbar 
la’alam. — da(iiqaja zatl sa’at dahaiit ya’ati wabakama sa- 18 
ma’^kamu kama imassa’ hassawe masib waya’®zeni^) konu ba- 
zuhin hassawayana masib. wabazantfl ’a’^arna kama dabarit 
sa’at ya’ati. — ’asma ’amanngna was’u ’alia ’ikonu bahtd ’a- 19 
mannina. wasobassa ’amannBna ’amuntfi ’amnabaru maslgna." 
wababtd kama yat’awaqu kama ’ikonu kuUdmu ’amanngna. — 20 
wa’antamussa qab’at bakamu ’amanna qaddds wata’ammaru 
kuUo. — ’isabafku lakamii kama za’Ita’amaruwa lasadq ’alia 21 
kama ta’amaruwa. ’asma kulla bassat ’ikonat ’amsadq. — wa- 22 
mannd wa’atu bassawi za’anbala zaikabad wayabj ’asma ’lya- 
sds ’iksna masiba wazantd wa’atu bassawe masib zaikabad 
ba’ab wabawald. — wakulld zaikabad bawald waba’abani^) ’i- 23 

ballQ wazassa ya’amman bawald waba’abani ') ballawa. — wa’an- 24 
tamussa zasama’®kamu takat layanbar babekamu wa’ammassa 
zasama’®kamu takat nabara babekamu wa’antamuni tanabbaru *) 
ba’ab wabawald. — wazati ya’ati tasfa ’anta ’^safPawanna 25 
baiwata zala’alam®). — wazanta na§abaf lakamii ba’anta ’alia 26 
yasabatukamii. — wa’antamussa qab’at bakamu ’anta nasa’®- 27 
kamu ’ambabebd tanabbar babekamu wa’Itafaqqadu mannuhi 
yamharkamu ’alia manfasa zl’ahd imeharakkamu ba’anta kulld 
wa’amdn wa’atu wa’ikOna hassata. wabakama tamhartakamu 
nabaru bati. — waya’®zeni^) daqiqaya nabaru bati kama'’ama 28 
’astar’aya narkab gassa wa’inathafar ’amannebd ’ama imassa’. 

— wa’ammassa ra’ikamu kama sadaq wa’atu ’a’‘maru kama 29 
kulld zaigabard lasadq ’amannebd tawalda. 

ma’®rdf HI. 

wara’ayu zakama ’afd faqrd zawababanna ’ab kama wa- 1 
luda ’agzl’ababdr nakun wakonnahi waba’antaza ’Ifatawanna 
’alam ’asma lotdni^) ’Iya’'marD. — ’ahawina ya’®zessa daqiqa 2 
’agzl’ababgr nabna wa’adi ’Ita’auqa lana manta nakauwan. — 
na’ammar babtd kama ’amkama ta’auqa lana kamabd nakau- 
wan ’asma nare’ayd lotd bakama wa’atu. — wakulld zatawak- 3 
kala klyahd yanassah ra’®s6 bakama wa’atu nasdb. — wakulld 4 
zaigabard labatl’at wala’abasdni gabrd wa’atu ’asma ’abasd 
batl’at wa’atu. — wata’ammaru kama ’astar’aya zaktd kama 5 


1) Im Text -ni oline Accent. 
3) Im Text ohne Accent. 


2) Im Text ohne Yerdoppelungszeichen. 



326 Enno Littmann, 

6 yasas[s]9lla lahati’at wahatl’atassa ’albo habehti. — wakulld 
zabotd inabbar ’iy^’ebbas ’esma kulld zak’ebbos ’iy^re’eyS wa’i- 

7 ya’amard. — daqiqdy'a ’iyasahatukamu kulld zaigabara la- 

8 sadq sadaq wa’atu bakama zaktd sadaq wa’atu. — wazassa 
igabard lahatl’at ’amanna gangu wa’atu ’asma qadamibd sai- 
tdn ’abbasa. waba’anta zantd ’astar’aya walda ’agzi’abahdr 

9 kama yas’ar gabrO lagandn. — wakulld zayatwallad ’am ’ag- 
zl’abaker ’iy®gabara lakati’at ’asma zar’a zi’akd bold inab- 

10 bar wa’iyakj ’abbasd ’asma ’am ’agzi’abahsr tawalda. — wa- 
bazantd ’amurdn wa’atdmu daqiqa ’agzi’ababdr wadaqiqa ga- 
ndn. wakulld za’ly’gabard lasadq ’ikdna ’am’agzi’abahgr. wa- 
ll kamahd za’Iyafaqqar bis6. — ’asma zatl ya’ati ta’®zdz ’anta 

12 sama’^amu takdt kama natfaqar babainatina. — wa’akkd ba- 
kama qayan za’am’akkdi wa’atu waqatald la’ahubd. waba’anta 
mant qatalo? ’asma magbara zi’ahd ’akkdi wa’atu waza’ahuhdssa 

13 sadaq wa’atu. — wa’itankaru ’ahawina ’ammahi ’alam sal’a- 

14 kdmu. — nahna na’ammar kama ’adauna ’ammot wasta haiwat 
’asma nafaqqar bisana. wazassa ’iyafaqqar bis6 wasta salmat 

15 inabbar. — 'kulld zaisalla’ bls6 qatals nafs wa’dtu wata’am- 
mdru kama laqatale nafs ’albd haiwat zala’alam ’anta tahsllu 

16 la’dehd. — wabazantd ’a’*marnahd latafaqard ’asma wa’atu 
mattawa nafsO ba’anti’ana wanahnani idalawanna namattu 

17 nafsana ba’anta bisana. — wazabotd manbarta zantd ’alam 
wairs’i bls6 sanndsa waya’assti mahratd ’amannehd, ’afo inab- 

18 bar faqra ’agzl’abahdr la’^lekd? — daqiqaya ’inatfAqar baqal 

19 wabalasdn za anbala bamagbdr wabasadq. — • wabazantd na’am- 
mar kama ’am sadq nahna. wanahnassa qadmehd namak[k]arro 

20 lalabbana. — wa’ammassa yarsahasahanna,^) labbana ’am ’aba- 
sdna waya’abayd ’agzl’abahdr lalabbana waya’ammar kulld. 

21 — ’ahawina ’ammassa ’iqalayanna labbana gassa bana haba 

22 ’agzi’abahdr. — wazahi sa’alnahd nanassa’ ’am habehd ’asma 

23 ta’^zazd na’aqqab wanagabbar zak’edamd qadmehd. — wazati 
ya ati ta’^zazd kama na’^man bawaldd ’iyasds krastds wanat- 

24 faqar babainatina bakama wahabanna ta’^zazo. — wazassa ya- 
aqqeb ta ’zazD botu inabbar wawa’atuni ") bbtd. wabazantd 
na ammar kama inabbar maslena ’amanna manfasd qaddds za- 
wahabaima. 


Ij L. yursaliasolidnna. 


2) Im Text -nx ohne Accent. 



Ge'ez-Studien. III. 


327 


Einzelne Worter aus den Leseiibiingen. 


S. 16 und 17 (mit zwei Buchstabeu . 



marra 

J*(D’ 

tau 

n 

nage 

a:> 

sag" 

^FO 

so’a 

A^ 

Mi 

iX’fX k“ak”a 

eC 

sar 


qB’a 


q'arra 

niA 

talla 


ddd 

U-A 

bal 

ify 

bobg 

UP 

habO 

P'2 

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22 

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AU 

’ah 

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qal 

1 P 4 : 

’Of 

cpcj> 

inaqa 


pisa 

A<1» 

Igqa 


fstt 



jea 

ibS 


’adt 




S. 18 mit drei Buchstaben . 

hob^t AJP 4 ; saiyaf sadal zamada 

TT/i. papTri HOrO zaw^’ H7n zagaba 'Sbn 

dafun ’orit ’azb ta’iiin 

S. 19 (mit vier Bucbstabeb . 

UCflJ? harbada AUYIP ’ahkaya maltan 

IUzi7A saragala U7^F.^ saqayit A^^A^ lamlama 

tamaiyana trAlP^ haUatat rabbanat 

Xjjrc^oj.^ 

slmatat irUj’'!' hohayat iVUA'E lu’alawi 


S. 20 (mit funf Bucbstaben). 



tanbaMnna 


’anamart 

'i^csr'iA' 

hasawant 

A4P^^ 

’arabonat 

ilWAj*'? 

nasa’ayan 

Ahrfi'I’J* 

’ashatya 


nagastat 

AfiAiQ^ 

’asrabat 


natabtab 


q’^al’eyat 


nuzazeyat 





828 


Enno Littmann 


S. 21 mit sechs Buchstaben). 


’astawadada 
’asfaredata 
tauhastat 
dansawayan 
ma’ar’iran 
AJ?’A^A‘|2 ’adlaqla(iu 


mastasamer 

tanqaqeyat 

tag’artat 

;?’-n03‘nf’A dab’ank^sl 

dark^ak^tat 


Die Wocbentage S. 18). 

’altfid. santii. salus. rabiV. hannis. ’drb. qacldm. 

Die vier Jahreszeiten ^S. 19). 

saddi. Icardmt. masdu. hagai. Oder: taicdn. samdna zar’. 
zamdna s9gL ma’^rdr. 

Die zwblf Monate S. 20). 

maskardni. tecjdmt. hsddr. tahscis. tdr. yakatit. maggclhit. 
ngyazyd. gmhdt. saiwi. hande. nahasS. — {wa'slattit tdrrafata 'au- 
rah ydssammdya) pag’'mt. 

Die Evangelistenjahre (S. 21). 

zamdna m(iti'‘os. zamdna mdrqos^). zamdna luqas. zamdna 
yohduas. 


Einzelne Satze-) (S. 17). 

kim him hdgga hdllii sail? hahd ’db 

„Sei gut, hiite das Gesetz, bete zum Vater*. 

nd’a ,sd’ hur habd habt bdl\t\o qdla rabbt 

„Wohlan, geh hinaus®), geh zum Hauptmann, sage ibm das 
Wort des Meisters !“ 

qeha kamd dam „Er war rot wie Blut“. 

sad lota saga ad „Bringe ibm das Fleisch des Armes (Vorder- 
beines)“. 

dibd mdj, him ^Auf dem Wasser ging er“. 
mo'a sdr{r\a „Er besiegte den Feind“. 


1) Im Text manqos] wobl Druckfehler. 

2) Biese Satze haben die einzelnen Wortaccente wie beim Skandieren. 

3) Der Brack hat AO („uberwinde!“J; es ist aber wobl OA gemeint. 



Ge'ez-Studien. III. 329 

mit -gdssa ’am liabci hdssa „Wende das Antlitz von dort, wo 
wenig ist“. 

Itita rddu, hdhu sddu „Grelit ztim Hans hinab, gebt, bringt!*^ 

’alle, 16 lam beta labhii gim hallo 

nWebe dem, in dessen Herz Eachednrst ist“. 


S. 22—24. 

myasdt[t]at hadtita yahagg^'al hazulia 

^Wer ein wenig vernachlassigt, verdirbt viel“. — Siracb 19 1 . 
him fatuna lusami wag^anddya lanahib 

„Sei schnell znm Horen und langsam znm Reden“. — Jacob. I19. 
’3m[m]d tabibn Mnka lara’^saka tabiba takduivan labtsaka. 
pWenn du weise bist fiir dich selbst, so wirst du aucb weise 
sein fiir deinen Nachsten“. 

’itatkdhad ba’antd sadq 

„Rede nicbt wider die Wabrheit!“ — Sir. 4s5. 
sayalidb[b]a’ ’abasu ifdqqad ’artqa; misdlla’assd habfa %Ulli 
’a’^rdkia 

„Wer die Scbnld verbirgt, wiinscbt die Yersohnnng; wer [sie] 
aber nicbt verbergen will, trennt die Freunde“. — Proverbia 179. 
’drk haddts wdin haddts 
„Neaer Freund, neuer Wein“. — Sir. 9 10 . 

’itahdag ’arkdka zatakiit 'asmd 'tifkauwanakka kamdlm 'drka gabt 
„Gieb einen alien Freund nicbt auf; denn wie er ist dir der 
zufallige Freund nicbt — Sir. 9 10 . 
wastd ’ada kenyahti yassdma’^) gahrii 

„Durcb die Hand seines Kiinstlers wird das Werk glanzend“. 
— Sir. 9 17. 

'iyamsatka ’arkaka ’amd tafsahtaka wa’iyathaba^ka salaika 'amd 
mandabeka 

„Dein Freund fliehe nicbt vor dir zur Zeit deiner Freude, und 
dein Feind bleibe dir nicbt verborgen zur Zeit deiner Not“. — 
(Siracb 12 8; statt des Jussivs ware besser der Indikativ zu lesen). 
ktdlii ’ansasd yafdqqar zamado 
„Jedes Tier liebt seine eigene Art“. — Sir. 13 15. 

’dahres hassdta la’da b'tsaka ica’itagbar kama&d Id’Ha ’arkaka 
„Sae nicbt Liige auf deinen Hacbsten, und tue nicbt so gegen 
deinen Freund !“ — Sir. 7 12. 

la’agzfabaher faraho wa’dkbar mya.vsammado 

„Furcbte Gott und ebre den, der ibm dient!^ — Sir. 7 31. 


1) Im Druck -sa ohne Accent. 


2) So im Druck; 1. yatldmma'. 



330 


Enno Littmann, 


hakaUii hlibaha 'alcharro la’abiika tvaltarsa' Imnamd laammaJca 
„Von ganzem Herzen ehre deinen Vater nnd vergiB nicht die 
Wehen deiner Mutter !“ — Sir. 7 21 . 

ssriif saigadafo laabiiha tvarsgian zayanid’d’a la'dmmu 
„Ein Gotteslasterer ist. wer seinen Vater im Stiche laBt, und 
verflucht ist, wer seine Mutter erzurnt. — Sir. Sie. 

’aJcbdro ’db yaJcdbbdr tea asfahaq9rd ’amm yahdssar 
„Den Vater ehren bringt Ehre, und die Mutter verachten 
briugt Schande“. — Vgl. Sir. 3n. 

zaibdrrt gabba labtsti nedddaq loastetu 

„'W’er seinem Nachsten eine Grube grabt, fallt in sie hinein“. 
Sir. 27 26 j Prov. 2627 ; Eccles. 10 8 . Vgl. anch die von mir heraus- 
gegebenen Arabic Proverbs, Cairo 1913, S. 42. 
babazha ') tantagii ibdzsah lalidu fahnu 

„Darch die Menge seiner Scheite mehrt sich des Feuers Glnt“. 
— Sir. lisa. 

"dbd 'amhoMt iheimas btta ha' ad ivaba'astssd^) tabib iqduivam 'af’a, 
„Der Tor schaut durch die Tiir in das Haus des Anderen; 
der kluge Mann aber bleibt drauBen stehen“. — Sir. 21 23 . 

mqdhara ’db ydsdnna’ ’ahyata ivamargd/na ’amm isSrru masardta. 
„Der Segen des Vaters festigfc die Hauser, und der Pinch der 
Mutter reifit das Fundament aus“. — Sir. 89 . 

lanaddi safah ’adska kamd fessamta takun barakataka 
„t)em Armen reiche deine Hand, damit dein Gluck vollkommen 
sei!“ — Sir. Ist. 

’na’dhbas lahagaraka wa’ltasahet ra’^saka^) bama’kdla Imbaka 
„Sundige nicht gegen deine Mitblirger und fuhre dich nicht 
selbst irre unter deinem Volke!“ — Sir. 7?. 

’amd ’aUta satmdit irasa’uwa la’akktt wa’amd ’aldfa ’akktt ira- 
sa’iava lasanndit 

„Am Tage des Glucks vergiBt man das TJngliick, und am Tage 
des Ungliicks vergiBt man das Gliick". — Sir. 11 25 . 
qoqdh tasdgra baq"dsla i) ’nsraqo 

,,Ein Rebhuhn wurde gefangen in geflochtener Schlinge (?)'h 
Sir. 11 30 : dieser Satz ist bier sehr wenig am Platze ; er ist 
nnvoUstandig und unverstandlich. 

bald Ha *) waludu yastara’i lasdb’a nabratii 

,,An seinen Nachkommen erscheint des Menschen Art“. — 
Sir. 11 28 . 


1) Im Brack ohne Accent, 
.so auch in Billmann’s Ausgabe. 


2) S. 329, Anm. 1. 


3) Besser ra’^saka; 



Ge'ez-Studien. III. 


331 


'atriha tvalidlycm ycCduivar 'ok^yanUhomii latahlban 
„Gresclienke und Gaben blenden die Augen der Weisen“. — 
Sir. 20 29. 

la Ha garalita fta’asi AaMi haldfku, waluiba 'asada wdina ba’ast 
naddya 'a^'inarQ Jiorku; tvanahu baq^dla IciHeliii sole icaya'dhbar sd- 
’*ru fdsstma icaiMuican bddwa tvasaq^dna '"abanthu hidlial. 

„Am Acker eines faulen Marines ging ich voriiber und zum 
Weinberg eines Mannes von wenig Verstand ging icb. Und siehe 
da, auf ihm sind Dornen gewachsen, und sein Gras ist voUig ver- 
dorrt und er ist wiiste und sein Steinzann zerfallt". — Prov. 
24 30 f. 

tabiba kun waldaya kamd y9ifas[s]9hdnni hbbaya 
„Sei weise, mein Sohn, damit mein Herz sich freue“. — Vgl. 
Prov. 23 13. 27 11 . 


B. 

Formen und Paradigmata aus Mamhara hsana gaaz. 


Verbalformen (S. 14—18 


Starkes dreiradikaliges Verbuni. 

Oi 


Perfectum 


qatdla 

qatdlu 

qatdlat 

qatdla 

qatdlka 

qatalkdmu 

qatdlki 

qatalMn 

qatdlku 

qatdlna 


gdbra 

ydbrat 


Imperfectum Imperativ 


Indikativ 

Jussiv 




ikdffal 

ydkfdl 


kdfal (S. 12) 


tsgdbbar 

tSgbar 


sdfah (Malmade S. 24). 


0, 



A, 

Perfectum 

Imp erf. Indik. 

Jussiv 



u'ad[d]dska 

t9wed\d\3S 

t9ll'dd\(I\3S 

'aqad[d]dsa 

^abdraka 

qad[d]dsa 

iqSd\(J[\dSd 

iqad\S\jsd 

yaqed[d]9s 

ydbdrrak 




yaqdd[d]9S 

yabdrah 


Imperatir U'dd[d]9S 



332 


Enno Littmann 


Ta 

tafdqdra 

tafaqdrat 

tdtfaqqar 

tdtfaqar 


Vierradikaliges Verbum. 



0 . 

A. 


T, 

Perfectum 

dangdsa 

'amandciha 

tamanddba tamaJi§dna 

Impf. Indik. 

idandgg^s yamanddddb y9tmandddab ydtmahd§san 

Impf. Jussiv 

iddngds 

yamdnddb 

ydtmdndab ydtmahsan 

Imperativ 

ddngas 


tamdndab 

Terbnm mediae geminatae. 

Verba mit Guttnralen. 



T. 

0 : 

O 3 T. 

Perfectum 

, 

ndbba 

tandhha 

bdhla 

baWiM tabdMa 


ndbbu 

tmabdbka 

bdhdllil 

balahJcdmu 

Impf. Indik. 

indbbdb 

tattidbbab 

tdb9lidli 

'abdlbli 


inahbdbU 



t9balUhii 

Impf. Jussiv 

ydnbdb 

tdtndbab 

tdblidll 

’dbdJgli 


ydnbdbu 



tabodahu 

Imperativ 


tandbab 

bahdh 

baUhu 

Die xmregelmafiigen Formen von 'QUA: 


lie 


ydbl 

ydbal 


tdbi 


tJbl 

tdbal 


tdM 


Uhl 

tdbal 

bdl 

tdMli 

tibli 

tabdll 

ball 

’she 


’dbl 

’’Sbal 


ihilu 

ySblu 

ibdUi 


ibelci 

ydhlci 

ibdla 


tdhtlri 

tablu 

tdbdJii 

bdlu 

tdbila 

tdbla 

tdbdia 

bdla 

nab& 

ndbl 

nabal 





T 2 


Perfectum 

( taqdtla 

Perfectum ■{ , „ 

\tagabra 

taqad[d]dsa 

taqad\d\dsu 

taqad[d]dsat 

taqad[d]dsa 

Impf. Indik. yatqdttcil 

taqad[d\dsTca 

taqadldlaslcdmu 

Impf. Jussiv yatqatal 

taqadldldsTii 

taqad[d]asliin 


taqad[d]ds]cu 

taqad[c[\dsna 


Stg 

N.(?) 

Perfectum 

’’astaqatdlna 

'angal\V\dggri 

Impf. Indik. 

ndstaqattdl 

’angdl[[\sg 

Impf. Jussiv 

ndstaqatal 

'’angdl\J^dg 



Ge'ez-Studien. III. 


333 


Yerbiim mediae P. 

A, 

Oi sima Perfectum 'asema 

Ti tasdinia 'asSmu 

Impf. Indik. yasdiyim 
yasaiymu 
Impf. Jnssiv yasini 
yasimu 

Verbnm secnndae e. 

Perfectvim leUina Impf. Indik. nBlelll Impf. Jussi v naUlz 


Perfectum 
Impf. ludik. 

Impf. Jussi V 
Imperativ 

Doppelt schwaclies Verbnm. 

Ts tasiyandwa (so im Druck, mit H,). 

Sts ’astawaddya, ’astasana dwa 

Nomina, Pronomina, Partikeln. 

(S. 19—26). 

1. Einsilbige vokalisch auslautende Wdrter : zd bd M zd bo. 

2. Partikeln und Pronomina (in Pansa): ’osmd baontd baind 

’dnbaind hoyantd habd mangold ivd’odd Icamd bazd 'omzd sobd 
’’amd 'aslcd 'ontd ’onbald dibd. 

Ansnalimen: ’’onka zdya <3g[g']a ’dwa 'dnta nohna 

3. Enklitika. 1) An Partikeln angehangt: ba’ontassd zant 

sobahu, — 2) An andere Worter angehangt: qdlossd^) 
tagbdront nabdband ico’atimmd-) ma^’zemmd^). 

4. Alle Worter, die auf t u a e d ausgehen, [mit Ausnahme 
der snffixlosen Formen des Verbnm finitum anf u, a, t sowie ver- 

1) Nach anderer Schuluberlieferung ; tahob'bdrd, tdhobdrd, hobdrd. 

2) Im Druck feblt der Accent auf der letzten Silbe. 


Verbnm secnndae o. 


0, 

A, 

Sts 

hobdrat 

'amogdsa 

'astamtvagdha 

hSbarkan . 


'astamwdgdhna 

tahdbbdr 

yamdggas 

nastamwdcjgoh 

tohobbdrd 

tohObdr 

yamdgos 

nastamicdqdh 

tdhobira 


TN 

hobdra 


tan^U'a 


Verbnm mediae (D. 

Oi sdra 
Ti tasdura 



334 


Enno Littmann 


scHedener Verbal- nnd Nominalformen mit Suffixen] haben den 
Ton auf der letzten Silbe. iotu kidhi kantii dci^mu idlitu. — 
rdb[U\t ’adt Jcaist qataJt mafqari daliciri. — g’Vdpjct ^al\l\a ta- 
hdCi Jcawdla dabtard — iM gize bdral\l\i q'‘9nq'‘nB Jia2\l]d 
’aA[A']5 ’aZfco qafd ddrbd qad[d]9s6 bardM degdno liobdrd dan- 
gdso masanqo mahrsM. 

Ausnabmen : wa’diii ysi’Mt ’anti ’antdmu. 

5. Konsonantiscb aoslautende Worter. 

a) Worter mit zwei Konsonanten: Idi ndd ddq{q\ su liq 

qim qtd stf ldb[b] rOs bdk (1. bdk?). 

b) Worter mit drei Konsonanten, deren zweiter vokallos ist 
oder a bat. 

«) Mit a (a) beim 1. Konsonanten; MbJi Idwli sdni bddii 
tear’ icd’r Idhm bd’^s ddlin. 

[Sebeinbare] Ansnabmen : baggd’ ma’ddd. 

Worter, die auf nnd JB endigen : qalmi salian mdhaii 
bakai sanai rd’ai laha^. 

Komina agentis: saddq rata bd’al dagam kdla’ sdJas, n. s.w. 
bis ’asar ‘). 

[Sebeinbare] Ausnabmen: bd’ad Ui’ak. 

Eine genauere Besprecbnng dieser Eormen wird in Teil IV 
gegeben werden. Hier sei nnr bemerkt, dab bu’dd imd Wak keine 
/(I'iZ-Formen, sondern /Vi'Z-Eormen sind, daher durebaus regelmabig 
den Ton auf dem a baben ; vgl. ba\l in den alten insebriften. Da- 
gegen wlirde man die Form dakan erwarten, da die Insebriften 
dahan baben, vgl. den Index zu Deutsche Aksum-Expedition Bd. IV. 
Die Worter bagga’ und ma’add gebbren natiirlicb nur dem abessini- 
seben Scbriftbilde nacb mit den vorbergebenden Wortern zusammen; 
die Verdoppelung des g in bagga zeigt sicb aucb im Tigriria und 
Tigre, und maddd gebt auf maadt {*md’idat) zuriick. 

/3) Mit M, 7. e beim ersten Konsonanten : qust liqt Mrt qeqak 
(nacb anderer Uberlieferung: qeqah). 

y) Mit 0 beim ersten Konsonanten : qoba’ moqah moga hoMt. 

(5) Mit a beim ersten Konsonanten : halm math bar’ sarii gabr 

’A'7i. 

Ausnabme : ’ahat. Mit OX’ und ^ : ’ahati ta’ai lahai hetay, 
’asau . 

c) Worter mit drei Konsonanten, deren zweiter einen anderen 
Vokal als a bat: qabdr hariir buruk kafid balili baldh nabib 


1) Druck; ’asir. 



Ge'ez-Studien. III. 


335 


sayim qaiil laMl saltim liasen qanut hiirdt muldd Jieran 

qalat galldb (1. g9ldb7) snhdt mogds roman qolar. 

(?) Worter mit vier oder mehr Konsonanten: masardt niafqd 
’arut sarait maleltt ragonat mar’ut malahot sdrno manafdq 
’atlut clalaUr tvarazut huruMn q9d[d\imit naJardn lalihdt masfdh 
ma\msih ’altaJis nag^adg'^ad ^asfarid haimanot 'adharat masa- 
ratdt ddngusdn mdhrfdcdt ddb'dnli'‘sl mastabq^o’ niastagciddl on- 
zdldul ketrogcados mastagadoldt mastaqcdslan. — qdddast kahart 
burakt manidft maltdM lianqart dangast maJirakt maVakt ua- 
liayazt ’’abkart kalasist matddlaH nmtarast mastagadalt niasta- 
ivadadd. — mashat matliat mastaivakat nafast. — 'anthi. 

Wenn die Endung -a antritt, so bleibt der Accent wie vor- 
her: Idya td’dsfa. — qdrna ndfha — raltdba ta^aggasa — feqro ka- 
sdta (gehort nur bierher, weil faqrd im Akkusativ steht). — nada- 
ydna ’ab’dla. 

Worter im sogen. status constructus und Partikeln (mit Aus- 
nahme derer, die auf -f<, -i endigen, sowie ’fl?[?]d) verlieren den 
Ton im Kontext. 

gabra sdb\ — 'aqdbs sardi. — sah'a ’agCinant. — ’aidara '^nzird, 

’asma ’az\z\dza. — ba’anta zataudkfa. — fada zabdl’a. — gize 
tansa'a. — dlba ’anliast ’argil. — bizd sdb’a mOia. 


Eigennamen. 

Sie werden betont wie die Appellativa. 

’lyasii ’aragatvi lalibalu ]ia>i[n]d takid mandsi ’ityUpya 
’asya ’afrdqya sar gabs sand tak\lc\azi tak\Ti\azi zdg'^i. damd 
’ak^siim kardn (d. i. Cheren) ’asmard. — neivdya S9?[?]i1s. — walda 
mdryajn. — gabra mikail. — aalai[t]a qaddiisdn. — ’amata yohanas 
(so! Aber oben S. 323 ydkdnas; die haufigere Aussprache ist aber 
wohl yohdmias), 

Gekiirzte Formen: ivaldd takJa ’asgadd gabra (im Drnck 
mit dem 1. Vokal) takld gabrd kabrd. 

Fremde Eigennamen sollen wie in der Urspracke betont werden 
[aber wenige Leute in Abessinien werden diese Ursprache kennen] ; 
jedocb betont nur eine Schule in dieser Weise, die andere betont 
nacb abessinischer Weise, daher die Varianten 

yarid : yared, — yosif : yosef. — roman : roman u. s. w. 



336 


Enno Littmann 


Verbniu mit Sufflxen. 


(S. 29—33;. 
3. Pers. masc. sing. 


kafald 

ikufalo 

yakfallo 

kafald 

ikafald 

yakfalla 

kafaldka 

ikafaldka 

yekfalka 

kafdldkl 

ikafaidki 

yakfalki 

kafaldnl 

'ikdfaJcttii 

yakfaldni 

kafaldmu 

ikafaldhiu 

yakfalldmU 

kafdlon 

ikafaldn 

yakfallon 

kafalakdmu 

, ikafalakamu 

yakfalkanm 

kafaJdkdn 

ikafaldkan 

yakfalkan 

kafuldna 

ikafaldna 

yakfaldna 

Ajim. : Nacli 

anderer ScbuliiberHeferang wird -kan stets be 

tont; dann also kafalakan, ikafalakan, yskfalkan; 

kafalatakan, takafala- 

kan; kafalukan, ikafaUikan, yakfolukin u. s.w. 


Hier sind die Konsonanten nach dem Bindelaat nicht verdop- 

pelt; vgl. aber wahabdnna 1. Job. 3 1 . 23 . 24 ; 'ifatawdnna ib. 3i; yd- 

nasahdnna ib. I 7.9 

; nesSnaivakkanm ib. 1 1 ; 1 

6 ; ’asaffawdnna 2 25 ; 

imeharakkamu 2 27 ; 

idalaimnna 3 is ; 'Jifkamvandkka , oben S. 329, 

Z. 22 ; yatf as[s\3hdnni S. 331, Z. 12 u. a. 


3. 

Pers. fern. sing. 

kafaldto 

takafald 

takfallo 

kafaldtd 

takafald 

takfalla 

kafalatdka 

takafaldka 

takfalka 

kafalatdkl 

takafaldkl 

takfalki 

kafalatdnt 

takufaJdni 

takfaldni 

kafalatimu 

takafaldmu 

takfalldmu 

kafaldton 

takafaJdn 

takfallon 

kafalatakamU takafalakanm 

takfalka mu 

kafulatdkan 

takafaldikan 

takfalkan 

kafalatdna 

takafaldna 

takfaldna 

2 . 

Pers. masc. sing. (H^4.’n). 

kafalkd 

takafald takfallo 

kafallo 

kafalkd 

takafald takfalla 

kafalla 

kafdlkdni 

takafaldm takfaldni 

kafdldnJ 

kafalkdmu 

takafaldmu takfalldmu 

kafalldmu 

kafalkon 

takafaldn takfdUun 

kafallon 

. kafalkdna 

takafaldna takfaldna 

kafdldna 



Ge'ez-Studien. III. 


337 


2. Pers. fern. sing. 


hifalhiyo 

takafal'iyo iakfdliyo 

kafhliyo 

kafalhtya 

takafaViya takfaliySi 

kafaliyd 

kafalkam 

takafalam takfaUni 

kaf^Iani 

kafalkiyomu 

takafaliyomu takfaliyornti kaftUydniu 

kafalktyun 

takafal'iyoH takfaUyon 

kafdVtyon 

kafalkana 

takafdUnn talcfalana 

1. Pers. sing. JHA5). 

kaf^Una 

kofalkimo 

"okafalo 

'akfallo 

kafalki'iwa 

’akufald 

'alfalla 

kafalkuka 

’’akofaldka 

'akfalka 

kafalkttki 

^dkafaldkl 

'akfalki. 

kafalkimdmu 

'akafaloiiiu 

’akfalloinu 

kafalkuwon 

‘‘akafaldn 

'skfalldn 

kdfalkukanm 

^akafalakaniU 

'akfalkamu 

kafalktikan 

’akafaJdkan 

' akfalka n 

3. Pers. niasc plur. 

kafal lUro 

ikafahhro 

yakfahitvo 

kafdhUva 

ikafahhcd 

yakfaluwd 

kafal tika 

ikofalttka 

yakf aliika 

kafal tiki 

ikafaltiki 

yakfaltiki 

kafaltiul 

ikafaittni 

yakf alma 

kafal ittcoDiu 

ikufahiicoinu 

yakf aluicdmu 

kafahhvon 

ikafaldicoH 

yakf ahhvon 

kafalukaiiiil 

ikafal ukattm 

yakf alukamii 

hifaltikan 

ikafaldkait 

yakfalukan 

kafal mta 

ilafaltum 

yakfoluna 


3. Perf fern. plur. 


kafalaliti 

ikafalahd 

yakfaldJtu 

kafal aha 

ikufaldku 

yakfaldha 

kafaldka 

ikafaldka 

yakfaltika 

kafaldkl 

iknfaluli 

yakfaldki 

kafal dill 

ikafal a III 

yakf alum 

kafalnJiumu 

ikaf alakdnui 

yakfaJaJiumu 

kafaldliun 

ikaf alahtin 

yakf alalion 

kafuldkamii 

ikaf aldkamu 

yakfalakamu 

kafaldkan 

ikaf alakan 

yakfalukan 

kafaldna 

ikafaldna 

yakfaldna 

Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. 

Phil. -hist. Klasse, 1918, Heft 3, 

22 



338 


Knno Littmann, 



2. Pers. masc. plur. 


liafalJcstmiicd 

takafahiwo 

takfaluwD 

kafahiivo 

l;af al}:3muicCl 

takafaliiicd 

takfdh'nvd 

kafdiiica 

JcafaJlcamiuii 

tdkafalum 

takfdltini 

kaf'aluni 

Jcafancamiacomu 

takaf dJincdmu 

tdkfahncvniti 

kafduivdniu 

Juifcdkaniihcon 

tskaf ahhvun 

idkfah'iiron 

kdfdhitcon 

liaf cdhamuna 

takafaliina 

tahfdJuna 

kaf'dltina 


2. Pers. fern, pi 

ur. 


kafalJcancd, u 

iokafaldltu 

takfajajid 

kaf drill ti 

kafnlk aval III 

iakafalfdid 

tolfalahd. 

kdfdfdid 

leaf aV, ana >17 

takafalani 

tdkfahinl 

kafdiini 

kafulkancdioniu 

takufaldJidmu 

td fdahOmfi 

k'df'dldhdnm 

kafadkattalion 

tdkaf aldhoii 

iakfajdhuii 

kafdrlhdn 

kafalkaniina 

takafoldna 

talfddna 

kafdiina 


1. Pers. plur. 


lafah'iahii, 

kafahui 

nakafdlo 

7h)kfaUo 

kafalnaJ'Ct, 

kafahiii 

nakafald 

nakfalla 

knfcdndka 


nakafaUika 

nalfdka 

knfidntikl 


hakafaidkl 

nakfilkl 

kafalnahdiiiij, kof idninna 

nakafalonid 

iidkfaUdnni 

kafulndhon 

, kafcdndu 

ndaifdon 

nalfdloH 

kafalndlJvtd 

iiakuf aUdidinu 

nakf dlkantu 

kiifahidkan 


'udkafalakan 

'ndkfdhoii 

Wenn eir 

L VerbutQ mit Suffix ein Objekt nach sich hat, warden 

die Accente nicht veriindert: sataqd iatdhr vidahlof omu lu’ssnddL 


>omiua nnd Partikeln mit Snfflxen. 


fS. 

34 f. . 


quid 

kafilofti 

knftld 

\djidid 

qCda 

kiifilofd 

knfdd 

\ihrdid 

qcdjka 

kafdotakn 

kafddka 


qfdaki 

kiifdotali 

kof/ldkj 


qnJaija 

kaftiotai/a 

knfdaya 


qrddmfi 

kaf'lloiomu 

kof 'ddmu 

’’iihilhoniu 

qcddii 

IcafilOtdn 

kcifildii 

\diidton 

qdVjkdnui 

kafdofjkJmd 

kafilukdinu 


qcddLdii 

kafdotokin 

kuf ilakdn 


qdlJiia 

kafdOtJna 

kafiJuna 




Ge'ez-Stndien. III. 


339 


Im Kontext bleiben die Accente: hBta luhadJ. — hah otu lahs- 
hsst. — ([ddduiii laoyzdohohtr. — ■ Tcaniahu laJcrostSs Jcono. — nahdra 
chheM lasaragula. — luaslehomu ligiguyan taJi'‘alldq’‘a. 

Wbrter, die nur darch diakritische Zeichen unterscliieden wer- 
den konnen (S. 36), sind A'iHl, Ui/Tt*. , D. i. 

\llia^ (-wohl = Arfl'H) „ich moge flie6en“, „niinm!“. — sCtu 

„sie verkauften-, srtu „seiii Preis“. — ddq „falle!“, ddqq ^Kind**. 
— kdf'Ma „teilet!“ (fern.), kifdHa „teile sie!“, /.v/'/d „ihr Teil“. — 
Dazu vgl. auf S. 12 : und 51A»A : set-jUiiiu ,euer 

Preis“, setkdmu „ihr habt verkauft“. — kdfil „teile!“, kdfl ,Teil“. 

Die proklitiscken Worter ini-, la-, ’i-, la- haben keinen Ac- 
cent; ivardd „und steig liinab!“, — lanasf lawshib. — 'ikafdla; 
iifkdffdl] u. s.w. Vgl. aber 'vdi’a’i'idtu? 1. Job. Is. 

Wenn zwei Suffixe an dasselbe Verbum antreten, kommt nur 
das erstere fiir den Ton in Betracbt (S. 37): hahdrnyo; sag^yticd- 
niyd; ydsmo’duahd ; n'ldadjkukoniuwa. 

Als be.sondere Zeichen werden nock vorgeschlagen : ' zur Be- 
zeichnung des Yerbums, ' zur Bezeichnung des Substantivs. in 
zweifelhafien Fallen, z. B. gabra' lasodq la'aman *) „er tat das 
Bechte fiirwahr" ; gabra lapdq „Diener der Gerechtigkeit“ : ferner 
ein kleines C hlier dem letzten Buchstaben eines Wortes, falls 
dieser einen unbetonten Vokal hat. 

SchluBbemerkung des Verfassers (S. 37): „So z-weifle 
nun niemand mehr an der Richtigkeit dieser Accentregeln , sofern 
er es nicht mit denen halt, die sie im Q-esang {ee»ia) anwenden; 
denn wo sie nach Belieben abweichen, machen sie sich ea)if9l ’aqa- 
mcital (d. i. „betone falsch, kokettire!“) zur Kegel, indem sie die 
gewbhnlichen Accentgesetze aufier Acht lassen ; manchmal aber 
auch geschieht es, weil ihnen die Stimme ausgeht und sie nicht 
den Accent erfassen lafit“. 


1) Die Wortaccente felilen im Druck. 


22 * 



Die Heimat des Linzer Entechrist. 


Von 

Edward Schroder. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 26. Juli 1918. 

Den von Hoffmann v. Fallersleben in den Fundgruben II (1837) 
S. 102 — 134 aus einer Pergament-Handschrift der Bibliothek zu 
Linz verbffentlichen •Entechrist’ einer bestimmten Heimat ziizu- 
weisen ist bisher nicht gelungen, obwohl es mit den durch Kraus 
und besonders Zwierzina verfeinerten Mitteln der Reimforschung 
nicht eben schwer fallen ddrfte. Scheins, der in der Zs. f. d. Alt. 
16, 157 ff. die Unmbglichkeit nacbwies. das Werk mit einer ver- 
lorenen Dichtung desselben Stoffs von Hartmann, dem Verfasser des 
‘Credo’, gleichzusetzen, blieb doch bei mitteldeutscher Herkunft 
des Autors stehn, obwohl diese bereits von Reifienberger, Tiber 
Hartmanns Rede vom Glauben (Leipz. Diss. 1871) S. 17 Anm. ent- 
schieden bestritten worden war. Wundrack, Der Linzer Entechrist 
(Marb. Diss. 1836) S. 6f. sprach sich, da ihm die Reime keine Ent- 
scheidung gewahrten, auf Grand des W ortschatzes fur oberdeutsche 
Heimat aus, und zwar fiir die Gegend in welcher das Gedicht 
handschriftlich aufgefunden wurde, also ftir Oberosterreich. 

Die dem Ausgang des 12. Jahrhunderts zuzuweisende Hand- 
scbrift stammt namlich aus dem Benedictinerkloster Gleunk (altere 
Schreibung Gleink) im oberosterreichischen Trauntal. Aber eben 
darauf hatte Scherer eine andersartige Vermutung gegriindet, und 
Kelle ist ihm darin gefolgt. Das um 1121 gegrlindete Kloster 
(vgl. jetzt Hauck, Kirchengeschichte IV 973) ist eine Stiftung Otto- 
kars IV von Steiermark und seines Sohnes Leopold, bei der aber 
auch Bischof Otto I von Bamberg mit Giitern und Lehen beteiligt 



Edward Schroder, Die Heimat des Linzer Entechrist. 


341 


war. Scherer Q.-F. I 69 wies auf diese bambergischen Beziebungen 
bin, die ihm aucb flir die litterariscbe Tendenz nnseres Gredicbtes 
wegweisend scbienen, und hat dieses dann Q.-F. XII 35 nnter 
Franken eingereiht. Kelle bat im II. Bande seiner Litteratur- 
gescbicbte S. 164 diesen Hinweis erneuert, ohne Scherer zu nennen: 
bei ibm siebt es fast so aus, als ob er die Handschrift znr altesten 
Ansstattung der Grlennker Klosterbibliothek rechne, was natiirlicb 
ganz ausgescblossen ist. 

Zu einem ganz andern Ergebnis kam Benscbel, Untersucbnngen 
zu den deutscben Weltgericbtsdichtungen des 11. bis 15. Jabr- 
bnnderts I (Leipz. Biss. 1896) S. 11 ff.; er meint, das Werk sei ale- 
mannisch. und zwar eher scbweizerisch als scbwabisch. ‘]\Iindestens 
zweimal wnrde dann das Gledicbt abgescbrieben, das erste Mai in 
Mitteldentscbland (Moselfranken?), das zweite Mai in Bayern’. 

Aber die Erorternngen von Benscbel sind nnsicber tastend, nnd 
die wicbtigsten Dinge bleiben dabei unberiibrt. So erklarte denn 
Zwicrzina Anz. f. d. Alt. 23,199 die Ausfubmngen R.s zn Dialekt 
nnd Heimat fiir ‘ziemlicb problematiscb’, ohne eine eigene Meinnng 
zn verraten, nnd Vogt in Pauls G-rundrUB II 2, 166 Anm. 3 nrteilt: 
‘Weder durch Wnndracks nocb dnrcb Reuscbels Untersncbnngen 
liber die Spracbe des Entechrist ist die Herkunft des Denkmals 
festgestellt’. 

Das Gedicht nmfafit 594 Reimpaare, zu deren Feststellung 
icb meine Bemerkungen znr Textkritik Zs. f. d. Alt. 47, 289 f. beran- 
ziebe; davon sind bei Beriicksicbtigung der dialektiscb-reinen Bin- 
dnngen 15% unrein, das Werk gebort mitbin der Zeit zwiscben 
1160 und 1180 an, man mag es ‘um 1170’ datieren. Icb zable 
273 einsilbig stumpfe, 50 zweisilbig stnmpfe Reime, soda6 also 
271 Reimpaare d. i. fast 46 % klingend sind. Die meisten nnd 
starksten Dnreinbeiten begegnen natiirlicb bei den klingenden, wo 
die arcbaiscben Reime des Typus zivdre : u'cere (107, 25 f.), bhwte : qiiete 
(124, 35 f.) und weiter mqiincrffte ilufte (116, 41 f.), ti)de : gndde (126, 
16 f.), homhen : zekhen (127,5-7), lunde : itrhotde (123, 26 f.) ein 
voiles Drittel aller unreinen Bindungen darstellen. Dm so bemerkens- 
werter ist es, daB selbst bier nur das eine gescciden : liden 131. 42 f., 
kein Reim d : ou und vor allem keiner der so iiberaus beliebten bai- 
riscb-osterreichiscben Reime wie icorte :linrte, valfe : solfe begegnet. 
Die Reime dieser altertiimlichen Tecbnik sind also nur negativ 
verwertbar, insofern sie nichts fur bajuvariscbe Herkunft bieten. 
Koch unergiebiger sind die konsonantischen Unreinbeiten, auf die 
einzugeben es sich bier so wenig lohnt als bei den zweisilbig 



342 


Edward Schroder, 


stumpfen Reimen. Vokalisch unrein sind von den zweisilbig 
stumpfen nur ligen : icege (107, 39 f.) und die Eeime von e : e: ent- 
svebtt :Iebet 111, 12i., wonach ick gebessert babe strcbinf : *]i.ebint 
112, 5 f. ; ferner steie : tefe 117, 1 f., : anehete 123, 32 f. 

Unter den einsilbig stumpfen Reimen treffen wir nur ganz 
wenige konsonantische Freiheiten; -s : -z in Judas :chiz 107, 31 f. 
hus : {dar)uz 124, 21 f. 133, 32 f,; -t : -p in trat : gup 117, 5 f.; -c : -ch 
creftic : geUcli 109, 10 f. ; iiberschiefiendes n in vtrlioln : sol 111, 22 f. ; 
-ic : -Inc in icidiru erdic : dine 108, 32 f. Die Qualitat des Vokals diffe- 
riert nur bei groz : muoz 128, 29 f. und bei den e - Reimen Mr : icer 
132, 19 f., wncert : ernert 121, 27 f. und *eerfert : sicert 120, 9 f., die 
unter diesen Umstanden entscheidend gegen Mitteldeutschland 
sprechen wiirden, wenn es iiberliaupt eines derartigen Einwandes 
bediirfte. Es fehlen alle dem Bajuvaren gelaufigen Reime, wie 
wort : vart, mir : tier, sini : hionl Die Qualitat wird niebt beriick- 
siebtigt bei creftic : geUch 109, 10 f., was wieder gegen Osterreicb 
spriebt. Das alte Prasens und Partizipium Prat, der II. sebw. Konj. 
auf -6t duldet neben 5 Bindungen auf not {: eroffenbt 109, 32 f. :ver- 
icandeldt 130, 12 f. : gesamenOt 134, 3 f.) und tot {: weigerot 123, 34 f. 
: gelbnbt 125, 15 f.) cine auf got {: gebildot 116, 39 f.). 

In der Behandlung von -age-, -ege- (vgl. Zwierzina Zs. f. d. 
Alt. 4.4, 345 ff.) stellt sicb das Denkmal deutlicb zu H. Fisebers 
zweiter , der alemanniscben Gruppe : d. b, es kennt neben treit 
(; cristenheit 131, 27) aucb seit (; leit 118, 12. .• warheit 103, 16. ; cristen- 
lieit 115,25), wahrend irwagit : clagit (110,42.43) : sagint (120,31), 
irzaget ; gedagit (126, 2. 3) sowie magit : sagit (103, 20) der Kontraktion 
widerstreben ; beides bait der Sebreiber fest. 

Bei der groBen Zabl der einsilbig stumpfen Bindungen mit 
kurzem and mit langem a ist nun aber die Strenge, mit der die 
Quantitat im Reime gesebieden wird, besonders beachtenswert. 
Von Reimen, bei denen Ronkurrenz der beiden Quantitaten in 
unserm Denkmal moglicb ist, zabl icb: 

al-.al 5x (112, 19 f. 37 f.; 116, 25f.; 121, 5f.; 125,29f.) — 
at : dl 1 X (134, 33 f.) — kein al : ul ! 
an: an 6x (107. 7 f.; 109, 24 f.; 119, 9 f. 41 f.; 122, 36 f.: 123, 
2f.) - im:dn 22 x (107, 7 f. 35 f.^); 108, 10 f. 44 f.^); 110, 
6f. 14f.; lll,20f. 36f. 40f.; 116, 43 f.; 118, 15f.; 123, 6f.; 
124, If.; 128, 25 f. 45 f.; 129, 38 f.; 130, 4 f. 34 f.; 132, 39 f.; 
133, 14 f. 36 f.) — kein an: an I 


1 1 han : Dan. 

'2) iizan :beyan. 



Die Heimat des Linzer Entechrist. 


343 


at: at 3x (113, 21 f.; 127. 18 f.; 132, 41 f.) at : ap lx (117, 
5f.) - at -.at 15 X (118, 29 f.; 119, 3 f. 27 f.; 122, 4 f.; 124, 
40 f.; 125, 9 f. 39 f.; 130,181. 20 f. 30 f.; 131, 6 f. 40 f.; 132, 
9f.; 133,331.; 134,71. — kein at : dt\ 

Da6 sich neben diesen 15 nnd 38 Fallen kein einziger Reim 
mi l al : dl, an : an, at : at einstellt, ist eine Erscbeinung, die in einer 
bairisch-osterreichischen Dichtung nicht nnr dieser sondern aacb 
die Folgezeit, der Zeit dgr reinen Reime, ganz unerhort ware. 
Die einzigen Abweichungen von dieser strengen Einbaltung der 
Q,nantitat finden wir je einmal bei ant nnd ar : 

6 X (109,421.; 110,241.; 119,131.; 121,351.; 123, 
381.; 132,151.) — dnf : dnf 4 x (112,91.; 131,141.; 132, 
5 1. ; 133, 6 1.) — daneben stdnt : want 127, 10 1. 

ar:or7x(110, 281.; 112,271.; 115,301.; 123,141.; 130,281.; 
131,221. 321.) ~ dr: dr 2x (113,131.; 121,211.) — da- 
neben hluotvar : war 123,351. 

Nachdem dieses Zwierzinasche Kriterium (vgl. Zs. 1. d. Alt. 
45, 68) uns mit Sicherheit aus dem bajuvariscben Sprachgebiet 
heraasgeliibrt bat, werden die Anzeichen, welcbe deutlick liir 
Alemannien sprechen, Besser gewdrdigt werden. Da ist zunacbst 
die charakteristiscbe Negation niut {:Vmt 128,24. 133,5); dann 
weiter das mit seiner Lange gesickerte Adverb ii^dn {: began 108, 
44j. Neben der einen Prasens- und den liinl Partizipiallormen aul 
-dt (s. 0 .) lehlen ancb voile Vokale in den Endungen des Nomens 
nicht: 110.341. reimt aul OUveti : seti (mbd. scete, ‘segetes’); der 
Schreiber hat diese Form offenbar bewahrt nnd nicht mechanisch 
eingestellt; und 132, 171. miissen wir den Reim gewiB lesen als 
giieti : beneclictt; man erinnere sich. da6 noch Hugo von Langen- 
stein derartige J-Feminina (wie gdidrsamV) im Reime branch!. 

Weniger beweisend ist die Reimlorm kit {: zU 106,2. 110,41. 
126, 6), denn obwohl es richtig ist, daB die normale bairische Form 
kiut lanten mufi (so chiut : tint bei Heinr. v. Melk, Erg. 109 1.), 
drangt sich doch anch bei bairischen Dichtern das beqneme schrilt- 
sprachliche kit (quit) vor: charakteristisch ist da das Anegenge, das 
zwar echt bairiscb chot {:gebot,goi) reimt: 18,10. 13,43. 25,72; 
aber daneben das Prasens chit (; wlp, sit) braucht : 16, 17. 33, 9, das 
dann Ireilich derselbe Schreiber, der chot bewahrte, in seit nm- 
anderte (Q.-F. 44, 3). 

Aus dem Wortschatz ist zunacbst heranszuheben das st. Ntr. 
icdzgewitere 114.23 (Sturm auf demWasser), das ebenso in der 



344 


Edward Schroder 


Mainaner Natnrlehre 14 begegnet nnd dessen Varianten {geivasgeivifcr, 
geivasiviter, wasiveter) sowie die Ableitung ivosivitfrig die Worter- 
biicber ansschlieBlich aus alemann. Quellen belegen; ww geicitere im 
obd. (Angsbnrger ?) Servatius wird man davon trennen miissen. 
Dann das zweimal (und das zweite Mai im Eeime!) verwendete 
Adv. viirdermdl ‘binfort’ 134,3.33; es ist anderweit nur bei dem 
Thurgauer Ulrich v. Zatzichoven Lanz. 5904 und dann vor allem 
bei Hartmann von Aue bezeugt, bei dem es ganz gewiB zu den 
bodenwiichsigen Idiotismen gehort, die ihm eben darnm nur ganz 
gelegentlich einmal unterlanfen: Erec4265, Biichl. 1025, Gregor 2183, 
Iwein 8080 (wozu Lachmanns Anmerknng, die deutlich zeigt, wie 
fremdartig das Wort den meisten Schreibern erschien). Worter 
von landscbaftlicher Beschrankung diirften ferner sein die selten 
bezeugten; mune resp. tnibic (Blur. 107,20 ; Hinc) ‘cogitationes’ (bisher 
nur bei dem EBlinger Johann v. Wiirzburg nachgewiesen ; dne miin 
und dne sin 9346 u. 6.); sege st. F. (127, 17) vom Fallen resp. Tief- 
stand des Wassers (zu sigan, vorlaufig ; foum st. M. 

(128, 34), das sich freilich liber Bayern litterarisch bis nach Ost- 
deutschland verfoJgen lal3t, findet sich auch wieder in der Mai- 
nauer Naturlehre 8; geivoht st. M. (134,6) ist mhd. nur noch in der 
‘Hochzeit’ (Waag V. 750) bezeugt, und die Abfassung der aus Karn- 
ten iiberlieferten Gedichte ‘Kecht’ und ‘Hochzeit’ laBt sich jetzt 
auf Grund des Zwierzinaschen Kriteriums der a-Reime- mit viel 
groBerer Bestimmtheit als friiher (Kraus, Hecht u. Hochzeit S. 6 f., 
dazu Anz. f. d. Alt. 17, 289 f.) nach Alemannien verlegen. 

Der Kachweis, daB der Linzer Entechrist ein alemannisches 
Werk ist (wie das Houschel schon ausgesprochen hat, ohne es 
aber bewiesen zu haben), ist fiir die Litteraturgeschichte nicht 
gleichgiltig. Man bedenke, wie diirt'tig unsere direkte Uberlieferung 
fiir Alemannien aus der ganzen Zeit zwischen Notker und Hart- 
mann von Aue ist; bisher waren es eigentlich nur ‘Memento Mori’, 
‘Mariensequenz von Muri’, ‘Rheinauer Paulus’ — und dann Heinrich 
der Glichezare. Zwischen die beiden letztem stellt sich nun der 
Entechrist, dem damit vorlaufig freilich nur recht auBerlich ein 
Platz angewiesen ist. Und vor ihm noch werden ‘Recht’ und ‘Hoch- 
zeit’ einzureihen sein. 

Wichtig ist die Feststellung auch fiir die Geschichte der Litte- 
ratursprache in Alemannien, insofern uns das Werkchen neben 
der Bewahrung einiger weniger vollen Endungen doch schon den 
weit vorgeschrittenen Gebrauch des klingenden Reims mit ab- 
geschwachtem e zeigt. 



Die Heimat des Linzer Entechrist. 


345 


Wie steht es nun aber mit der Uberlieferung des Gedicbtes? 
Die sich bisher darliber geauBert haben, waren der Meinung, es 
sei durch die Hande dialektfremder Schreiber gegangen: Scbeins, 
der es fur mitteldeutsch hielt. scbob einem Schreiber die ober- 
deutschen Elemente zu, Wundrack. der es als oberdeutsch er- 
kannte, fand in der Handschrift ‘oft Spuren mitteldeutscher Schreib- 
weise’, Eeuschel, dessen Blick auf Alemannien gerichtet war, wollte 
eine mitteldeutsche und eine bairische Uberlieferungsstation auf- 
spiiren. 

In Wirklichkeit ist die Handschrift so gut alemannisch wie 
das Gfedicht! — und das scheint mir fast das wichtigste an meinem 
Hand, daB wir nun zu den sehr wenigen bekannten alemannischen 
Handschriften des 12. Jahrhunderts eine bisher unbeachtete ge- 
winnen. Die charakteristischen Reimformen des Diehters sind von 
dem Schreiber nur selten gestort : ich weise nochmals auf das 
dreimalige A'it, axd innan vnt vz(in 108,44, a-wt sCti 110,35, tihit 128, 
24. 183, 5 bin. Und, was wichtiger ist, die so gesicherten Eormen 
sind auch im Versinnern bewahrt: so chit 107,39, kit 109,30; 
124,27, kiet 124,15 usw. — kein md. quit^ kein bair. chlvt; nivt 
steht 107,8.15; 108,20.23; 109.2; 111,41; 112,32; 117,40; 119. 
28; 120,9.20.29.41 usw. als herrschende Form des Negations- 
Adverbs (nnd -Substantivs, vgl. niite 120,5) — das seltener 
vorkommende mth 111,23; 114,32; 115,4 usw. kann recht wohl 
auch in der Originalhs. daneben bestanden haben: braucht doch 
auch der Dichter neben zweimaligem niuf im Reim einmal vAeht : lieht 
(128, 16, geschrieben nl/j; und noch wenige^ widerspricht die dritte 
Form nitvit 109,39; 121,13. Auch da wo der Schreiber vom Reim- 
gebrauch abweicht, bietet er entweder bekannte alemannische For- 
men, wie etwa 123, 16 ruppin (; cuhcgrutnn), oder er stellt uns doch 
solche zur Erwagung, wie in der oftern Schreibung stein, gein 
(121, 4. 5. 13; 126, 34. 35; 129, 29). Es ist schlechterdings unmoglich, 
daB ein Werk wie dieses jemals einen mitteldeutschen Schreiber 
passieren und dabei konstant fiir Ind. u. Konj. Pras. die Form 
n/e//c(/0(107,7; 114,12; 116,44; 120,18; 122,31; 125,23; 131,13), 
fiir den Konj. Prat, mehtc (122,3.4 [we/;0'!]; 124,24) bewahren 
konnte. Ebenso ist die Festhaltung der archaischen Formen cristan 
(119,26; 121,15), achtodim (128,201, eivcJftnn (129,2), oheroste (131, 
23) nnr eben bei einem Alemannen natiirlich, und nur aus alem. 
Hss. ist bisher howescrikll (111, 39) bekannt. Mitteldeutsch rautet 
gestii re (128, 13) an, das aber sogar durch den Reim gesichert scheint. 

Enter diesen Umstiinden gewinnt die Orthographie der Hand- 
schrift eine bisher nicht erkannte Bedeutung , was besonders 



346 


Edward Schroder, Die Heimat des Linzer Entechrist. 


fiir die Schreibung dec Dentale gilt. Dafi sicli beispielsweise im 
Konj. Prat. Hide (122, 38) schon dieselbe Dehnung des Konsonanten 
zeigt wie in hitdirn (122, 39), dritde (127, 15) (freilich aucb soUde 
(133,35), sandte Johannes (112,33), hetvtde (127,29)), ist gerade 
wieder fiir Alemannien und speziell Hochalemannien charakteri- 
stisch; nnd anderseits darf hier dock auck die Sckreibung d fiir 
anlautendes t, die in unserer Handsckrift sekr stark kervortritt 
(dac, dot, diveJ, drutin, did, dete, doivin), keineswegs wunder nekoien. 
Diese Anlauts-d aber und allenfalls die Schreibung e fiir den Um- 
laut des d sind faktisch die einzigen, sekr triigerischen Ankalts- 
punkte fiir diejenigen gewesen, welche bald das Gedickt bald die 
Handsckrift nack Mitteldcutschland setzen wollten. 


Bericktigung zu oben S. 81 Anm. 2. 

Die Yermutung, daS das im heutigen Hessisch fehlende lerz (‘link’) dem Wiirz- 
hurger Schreiber von Herberts Trojanerkrieg angehore, muB ich zurucknehmen, 
nachdem ich es inzwischen auch in dem althessischen Athis A* 120 aufgefunden 
habe. E. S. 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quast. 


Von 

N. Boiiwetsch. 

Vorgelegt in der Sitzung vom IS. Oktober 1915. 


In seinen Briefen an Hengstenberg. den Herausgeber der Evan- 
gelischen Kirchenzeitung (vgl. diese Nachrichten. Phil.-hist. Klasse 
1917 Heft 3 und 4), gedenkt Heinrich Leo wiederholt mit beson- 
derer Verehrung der Schwiegermutter desselben, Fran von Quast, 
als einer Frau noch von altem Schlage und besseren Nerven als 
der iSTachwuchs (vgl. 522. 533. 51S). Each Hengstenbergs Tod (1869) 
suchte sie ihn zur weiteren Mitarbeit an der Kirchenzeitung zu 
bestimmen, auch fiir eine Biographie Hengstenbergs zu gewinnen. 
Dies fiihrte zu weiterer Correspondenz. Duich die Giite der Enkelin 
Hengstenbergs, Fraulein Therese Hengstenberg in Berlin, von der 
die Konigliche Bibliothek die Sammlung der Briefe an Hengsten- 
berg erhalten, sind mir auch diese Briefe zur Verfiigung gestellt 
worden. Sie bieten eine wertvolle Erganzung der an Hengsten- 
berg selbst gerichteten. Sie zeigen Leo als einen schwer er- 
krankten Mann. Aber die ganze Eigenart seines Wesens tritt in 
ihnen noch unmittelbarer hervor, ja wohl nirgends labt sie sich 
in dem Ma6e erkennen, wie in diesen Briefen. Der Zeitraum, dem 
sie angehoren ist ein kurzer 1869 — 1871, aber eben 1869 — 71, Sie 
zeigen daher sem in innerster Beteilignng erfolgtes Miterleben der 
grofien Vorgange des Jahres 1870, so sehr auch da jnanches seinen 
Wiinschen nicht entsprach und so sehr er auch das Bedenkliche 
der Entwicklung nach dem Krieg vorausschaute. Zur Wertung 
der Briefe diirfte schon geniigen, Wie Leo der Auseinandersetzung 
mit England als einer viel ernsteren als der mit Frankreich ent- 
gegensieht. 



348 


N. Bonwetsch, 


[6. 6. 1869], Yerwundert und erfrent zagleich habe icb, meine 
innig verehrte Gonnerin und Freundin! die fast blitzscbnelle Ant- 
wort anf meinen kurzen Brief erbalten — v^erwnndert, dafi es Ihnen 
verebrteste Fran moglica geworden ist, in der ohne Zweifel co- 
lossalen Unrube der letzten Tage, aucb Zeit zu finden fiir micb — 
erfrent, weil icb daraus scbliefien darf, daB es wenigstens Ibnen 
nnter den so von alien Seiten znsammenbrecbenden Verwandten 
nocb nicbt an Lebenskraften mangelt. iiber allem diesen Jammer 
oben zu bleiben und geistige Elasticitat genng zu bebalten, aucb 
an micb unbedeutenden Trabanteo Ibres Hanses zu denken. Icb 
wundere micb mit um so mebr Grand dariiber meinerseits, als icb 
in Folge eines Nervenleidens seit September voriges Jabres mit 
einemmal um alle Elasticitat des Korpers and Geistes gekommen 
bin ; wenn aucb die Liibmung, die icb anfangs in den FilBen fiiblte, 
sicb in bobem Grade gebessert bat, so daB icb wieder obne Stock 
sogar (was mir anfangs das schwerste war) aucb Treppen berunter 
geben kann, and der anfangs mit solchen Versucben verbandene 
Schwindel sicb fast ganz verzogen bat, bin icb docb nocb immer 
moraliscb wie gelabmt; in meinen Yorlesangnn babe icb alle le- 
bendige Eeproductionskraft verloren and bin fast ganz anf meine 
alten .Hefte verwiesen, aller innere Antrieb ist wie ausgebrannt, 
die Poesie ist fort, das Pblegma ist geblieben! — DaB 
Sie diesen klaglichen Zastand. in dem icb micb befinde. ., nocb nie 
personlicb an mir gekannt baben, dieses bilflose Versinken in eine 
energielose Gleichgiiltigkeit und Interesselosigkeit, die micb fast 
jeder Betbatigang unfabig macht, so daB icb aucb meine Lebr- 
tbatigkeit nur wie ein matter Esel einen Karren miibsam fort- 
scbleppe — dies allein kann Sie, meine Hocbverebrteste Gonnerin! 
anf den Gedanken gebracht baben, icb sei der recbte Mann, un- 
serem lieben, unvergeGlicben Hengstenberg aucb ein bffentlicbes 
Denkmal zu stiften — mir dagegen erscbeint es, wenn icb zu Ihrer 
Auffoiderang Ja sagen wollte, nur wie die argste Selbstverblen- 
dang, deren icb docb nur in auBerster Geistesscbwacbe and Ver- 
kennung meiner Krafte fabig sein konnte. Vielleicbt kebren meine 
Krafte nocb einmal wider, zunacbst aber erscbiene es mir fast wie 
ein Frevel an dem Andenken des Seligen, wenn icb micb in meiner 
Liebe zu ibm binreiBen lieBe, diese Rolle in meiner Dankbarkeit 
zu iibernehmen. Eine solche Scbrift miifite ja vor alien Dingen 
scblagend und in scbarfen Umrissen die Yerdienste des Seligen in 
seinem wissenscbaftlicben and kircbenpolitischen Tbun bervorbeben 
— allein daza feblen mir sogar die Kenntnisse, dean wenn icb 
aucb einen groBen Theil der Scbriften Hengstenbergs gelesen und 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi, 


349 


melireren von ihnen erst das VerstandniS einiger der Biicher der 
Bibel zu verdanken babe, so daB Er sie mir gewissermaBen erst 
erobert nnd entdeckt hat [z. B. die Oifenbarang Johannis und das 
Hohe Lied, die mir friiher unverstandlich, ja! sogar unangenehm 
waren) so fehlen mir doch so sebr weitere, umfassendere objective 
Kenntnisse hber diese Dinge, daB ich bei jeder Zeile zittern mliBte, 
ob ich nicht. wie es so haufig Schlilern bei AeuBerungen hber ihre 
Lehrer geht, Dinge drucken lieBe, die Hengstenbergs Andenken 
eher compromittirten als feierten ; und so bin ich auch wohl seinen 
AeuBerungen iiber die Stellung zur Kirche treu iiberall gefolgt, 
habe mich auch den von ihm ausgesprochenen und verfochtenen 
Ansichten fast iiberall angeschlossen, aber ich habe das nie miteinem 
so geschaftsmaBigen GredachtniB und mit der eindringenden Auf- 
merksamkeit gethan, daB ich nicht auch da fiirchten miiste, zumal 
bei dem in der letzten Zeit eingetretenen Taubwerden gewisser- 
maBen meines Gedachtnisses fiir Einzelheiten , nngehdriges nider- 
zuschreiben, was mich vielleicht in Kurzem furchtbar reuen wiirde. 
Ich habe, seit ich der obeii angedeuteten Nervenschwache verfallen 
bin, mich wohl gehiitet, irgend etwas drucken zu lassen — nur 
im Volksblatt habe ich ein Paarmal kleine, fast ganz auf von an- 
deren gebrachtes Material sich beziehende Arbeiten gebracht — 
und iibrigens im Gefiihl meiner Gebrechlichkeit und der dieselbe 
nothwendig begleiten mlissenden Lebensklugheit geschwiegen ; sollte 
ich nun mit einemmale so aller Discretion gegen mich und gegen 
das Andenken eines so verehrten Freundes vergessen und eine 
solche Arbeit, wie Sie mir zudenken, in meine schwachgewordene 
Hand nehmen? Das konnen Sie unmoglich — das kiinnen Sie in 
Hengstenbergs Interesse nicht, das konnen Sie in dem Interesse, 
was ich eitel genug bin, Ihnen auch noch fiir mich beizumessen, 
nicht, das konnen Sie unmoglich wiinschen. 

Verzeihen Sie, wenn ich es also wage im Interesse der Sache 
diesmal mich Ihren Wiinschen unfligsam zu erweisen — das La- 
zareth entbindet ja auch im iibrigen Leben einen Ritter des 
Dienstes seiner Dame — und im Lazareth bin ich, wenn ich auch 
in freier Luft herumgehe und taglich meine Stunde Yorlesung im 
Schweifie meines Angesichts und in innerer Beschamung hernnter- 
wiirge. In unverbriichlicher Liebe und Treue der Ihrige H. Leo. 

Halle den 6 ten Juni 18()'.3. 

[13. 6. 1869]. Verzeihen Sie, meine gnadige nngnadige, dasz 
ich mehrere tage habe vergehen lassen, ohne Ihnen zu antworten, 
nber Sie gaben mir so fest und unumwunden auf den kopf hinauf 



350 


X Bonwetsch, 


schuld, dasz icli flansen mache, gar nicht krank sei und gar nicht 
wolle; so dasz die sacke mir vollkommen imponirte, und ich wirk- 
lick der meinung war, ick miisze dock genau mick priifen, ob ich 
denn krank sei oder nickt. Deshalb besoklosz ick also erst heute, 
sonntag den 13 ten juni zu sckreiben und die tage bis dahin mit 
mir genaue recknung zu halten. Das babe ick nun gethan und kann 
dock nicht anders als wieder sckreiben : ja ! ick bin zwar nickt in 
einer fieber- oder sonstigenacuten krankkeit, aber krauk und scbwack, 
an leib und seele bin ich dock — denn e r s t e n s ick trinke auf 
befekl des arztes Eger-Franzensbrunnen was das zeug halt, z w e i- 
tens ick kabe von vorigem September bis zu letzten Ostern ge- 
kinkt wie ein vom scklage getroifener . . , drittens kabe ick mick 
auck geistig fast okne alle productionsfahigkeit gefiikit und end- 
lick vierteus hat auck pastor Besser, der zu pfingsten bei mir 
war, mir Irisckweg erklart, als mick im juni 1866 der leickte 
scklaganfall getroifen gehabt kabe und er mick kurz kernack be- 
suckt kabe. babe er mick lange nickt so verandert gefunden, als 
dieses jahr. wo ick durch mein zitteriges steken und unruhiges 
herumtrippeln ihm einen vollig greisenkaften eindruck macke. als 
seie ick seit vorigem jahre nicht ein, sondern zehn jakre alter 
geworden — summa summarum ick bin krank, ick musz, wenn 
es eine liige ist, wie Sie zu bekaupten die giite kaben, dock 
alles respectes ungeachtet. den ick vor Ikrein urtheil kabe, bei 
dieser liige bleiben. Korperlick allerdings bin ick fast ganz 
wider kergestellt. aber geistig hlingt mir nock gewaltige sckwache 
an — kaujitsacklick und mick am meisten und hartesten treifend, 
le defaut de memoire — wenn ich mick nock so gut vorbereitet 
kabe und auf das catkeder komme. okne mein woklausgearbeitetes 
heft in der tascke, bin ick ein verlorener mann. Das beste zeugnik 
dariiber ertheilen mir die studenten durck ihr ausbleiben — in 
meiner historiscken vorlesung sind nur 4 angerneldete studenten, 
und von diesen fcklen oft zwei, ja einraal schon dreie so dasz ick 
vor einem lescn muste — und wirklicken fleisz und eifer finde 
ick nur nock in einer spracLlicken vorlesung liber islandiscke 
spracke, in der ich abschnitte aus der Edda erkliire. Ob ick je- 
mals wider dazu kommen werde eine vorlesung auf dem catkeder 
mit einer gewissen freiheit und frische zu reproduciren, das weisz 
ick nock nickt — kurz! ich bin in einem ahnlicken zustande wie 
unser tkeologiscker college [Julius] Mliller — nennen Sie das ge- 
sundsein ? — nennen Sie das eine eingebildete krankkeit ? Ick kann 
es wakrhaftig nicht ? Ich bin ja auck zu diesem zustande gekommen 
wie durck einen zweiten scklaganfall — ick gieng eines sonntag’s 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau yon Quasi. 


351 


im vorigen September gegen mittag aus, zu einem spatziergang 
auf die buschige hbhe binter Kosen — gleicb beim austritt aas 
meiner wobnnng begegnet mir ein kleines munteres madcben, eine 
tocbter meines scbiilers und freundes Vorreiters, der als lebrer 
in Giiterslob gestorben ist; das kleine ding fragt micb, wo icb 
bin will und icb sage ibr, icb wolle spatzieren gebn, da fragt sie, 
ob sie mitgeben diirfte, icb erlaube es und sie lauft ins bans, um 
von ibrer mutter, der doctorin Vorreiter, einer tocbter des doctors 
E-osenberger, bei dem icb wobnte, ebenfalls erlaubniB zu boblen 

— und nun kommt sie wider, und schieszt wie ein pfeil vor mir 
ber, den berg in die bobe; da neben dem gebabnten wege eine 
menge sebr steile stellen waren, und sie nacb alien seiten berum- 
quirlte, kam icb in die groseste angst, sie moge einen bbsen fall 
thun, und so kam icb endlicb auf der bobe ganz abgebetzt an, und 
setzte micb in der sonnenbitze, um auszuruben auf einen stein in 
pralle sonne ; abwarts gieng es nocb iibler, denn sie batte ein 
kleines kind in einem wagelcben erblickt, wie es von einer scbwester 
desselben gezogen war, und letztere rief sie, ob sie ibren kleinen 
bruder seben wolle, er sabe so biibscb aus, da war kein balten 
mebr und in einem sturm flog sie den berg abwarts, icb binterber, 
bis icb sie wider unten batte. und so kam icb nicbt wie von einem 
spatziergang, sondern wie von einer hetzjagd unten an. Als icb 
anderes morgens aufsteben wollte, war mein linkes bein gelahmt 

— icb glaubte mir bei der jagd am vorigen tage den fusz oder 
das knie verdebnt zu baben und rieb meine gelenke des linken 
fusses stark mit kampferspiritus und arnica ein, aber nicbt nur 
balf das nicbts, sondern diese einreibungen batten micb aucb so 
aufgeregt, dasz icb in der folgenden nacbt nicbt einen augenblick 
scblafen konnte — icb setzte die einreibungen, aber nur mit ar- 
nica, nocb etwa 14 tage fort, aber sie balfen nicbts; als icb dann 
wider nacb Halle kam, sagte mir mein arzt, diese einreibungen 
wiirden mir iiberbaupt nicbts belfen, denn es sei keine gelenkver- 
dehnung sondern die lahmheit rlihre von einer irritation der riicken- 
marksnerven ber; er verscbrieb mir ein pulver, dessen bauptbe- 
standtheil scbwefeleisen w^ar, icb konnte bald wieder gehen aber 
nur am stocke, und alles abwartsgehen, namentlicb auf treppen 
war mit starkem scbwindel und groszer angst dasz icb fallen 
moge veibunden , sogar das aussteigen aus einem wagen macbte 
mir angst, nur abends, wenn es dunkel war, gieng die sacbe obne 
fremde bilfe und obne scbwindel. In diesem zustande war icb 
nocb kurz vor weihnacliten in Berlin im Herrenhause ; und dabei 
wurde mir, wenn icb im zusammenbange spracb wie betrunken 



352 


N. Bonwetsch, 


gewissermaszen und nachdeni ich aufgeliort hatte zu sprcchen, 
hatte ich beim gehen das gefiihl. als hatte ich sand in den striimpfen. 
Das hat sich nun alles wider gebeszert; ich kann wider gehen, 
auch ohne stock; der schwindel ist weg und namentKch seit ich 
seit etwa 3 wochen Eger Franzensbrunn trinke fiihle ich mich tag- 
lich wieder frischer und ich hofFe wenn die ferien konimen und 
ich meine vorlesungen, die mich fortwahrend angstigen, eine zeit 
lang ganz los bin, wird alles wider in ordnung kommen — aber 
fiir’s erste bin ich noch krank, Sie mogen’s glauben oder nicht, 
und eine arbeit deren mislingen mich schmerzen, deren vorsatz 
trotz meiner inneren gelahmtheit, so lange er nicht ausgefUhrt 
ware, mich angstigen wtirde. ware das beste mittel, eine eigentliche 
genesung unmbglich zu machen. und mich in einem zustande fest- 
zuhalten, wie ihn der arme Wilke nun schon seit einigen zwanzig 
jahren tragt. Ich wundere mich iibrigens iiber meinen znstand 
nicht im mindesten. Ich kann nun seit 225 jahren riickwarts meine 
familie urkundlich verfolgen — mein vater starb, wie er 42 jahre 
alt war, am neryenschlage ; mein groszvater, wie er 49 jahre alt 
war, am nervenschlag : mein urgroszvater, wie er 42 jahr alt war, 
am nervenschlag : mein ururgroszvater, wie er 56 jahre alt war, 
am nervenschlag — ich bin der erste in dieser ganzen reihe, der 
das 60 te jahr erreicht hat und bin nun sogar voile 70 jahre alt, 
so dasz ich in die wege meiner mutter und groszmiitter einzubiegen 
scheme ; meine mutter starb im 75 ten. meines vaters mutter im 
'75 ten, meines groszvaters mutter im <Suten, meines urgroszvaters 
mutter freilich im kindbett mit ihm, mit ihrem ersten kinde, also 
jang. 

Dasz ich so alt geworden bin, ist mir salbst ein blaues wunder 
— als student habe ich mehrere jahre tief in der demagogie ge- 
steckt und in dieser zeit, wie viel botengange mit wenig geld und 
groszer anstrengung fast durch ganz Deutschland gemacht. Ich 
bin einmal, wo mir das geld ausgieng und ich mit den letzten paar 
groschen noch nach Griefien gelangen muBte, die ganze strecke von 
Nassau an derLahn bis Giefien, zehn meilen, wobei ich mich noch 
zuletzt so verlief, daB ich auf das falsche Lahnufer kam, in einer 
tagtour gelaufen^); und iihnliche marsche mehrfach; ebenso habe 
ich dann als die demagogischen untersuchungen begannen 4 jahre 
von ostern 1819 bis ostern 1823, wo ich meinen frieden mit herrn 
von Kamptz machte, eigentlich in steter angst gelebt, denn nicht 
blosz Kamptz sagte mir, sie hiitten mich fur einen mittelpunct 

1) Vgl Heinrich Leo, Meine Jugendzeit, Gotha 18S0, S. 211. 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi 


353 


der ganzen demagogie gehalten und doch nirgends, weder in Got- 
tingen, noch in Jena, sondern erst in Rndolstadt faszen konnen 
und da sci otFenbar mein verhor ganz schlecht gefiihrt worden, 
weshalb sie micb nochmals in Erlangen batten verhoren laszen, 
wo aber otFenbar mein verhor ganz dumm gefiihrt worden sei. 
Es ist ganz richtig, ware ich friiher als in Rndolstadt nnd da 
nicht so verhort worden, dasz mir das Mainzer requisitorinm am 
morgen vor dem verhor, was des nachmittags erfolgte, vorgelesen 
worden nnd so gehalten worden, dasz ein vetter und alter freund 
meiner familie es gehalten, der daranf hielt, dasz anch nicht 
ein wort, woran man mich hatte faszen konnen, in das protokoU 
kam, so ware ich in die ganze untersnchung verstrickt nnd am 
ende, wie andere, die minder betheiligt waren als ich, znm tode 
vernrtheilt und anf 23 jahr festnng begnadigt, vielleicht wie eben 
d.iese anderen mit 10 jahren schon entlaszen worden — aber meine 
ganze lebensbahn ware doch zerstort worden — nnd diese besorgnifi 
hat mich 4 jahre begleitet nnd ward, wenn ich sie einmal ein 
wenig vergeszen hatte, immar in wnnderbarster aber gliicklich 
immer rettender weise erneuert — so in Gottingen, wo ich einmal, 
als ich friih 8 uhr aus der vorlesung kam, an meiner thiire einen 
zettel befestigt fand, der mir andeutete, wenn mir an meiner 
sicherheit etwas liege, moge ich machen, dasz ich bis 11 uhr ans 
der stadt sei — so in Rndolstadt wo mich eines schonen morgens 
(als ich schon in Erlangen privatdocent und wahrend der ferien 
zu hanse war) der geheimrath von Beulwitz rufen liesz nnd mich 
mit dem Mainzer requisitorium bekannt machte und fiir den nach- 
mittag das verhor ankiindigte ; so wider in Erlangen, als ich wider 
dahin znriickgekehrt war, und mich eines schonen abends der stadt- 
commissar (polizeichefj Wohrnitz rufen liesz nnd dann ein wirklich 
dummes verhor hielt, wobei er eine in Frankfurt mit tausenden 
von unterschriften versehene und abgegebene, in ganz Deutschland 
•colportirte petition — mit einer nie stattgehabten an den grofi- 
herzog von Darmstadt — verwechselte, so dasz ich ohne zn liigen, 
alle seine fragen verneinend beantworten konnte, wahrend ich 
selbst einer der drei verfaszer, jener ersten eigentlich in den 
Mainzer anfragen gemeinten petition gewesen war, und sie selbst 
1818 auf dem Eulbacher markte im Odenwalde den beiden Colpor- 
tenren, herrn von Miihlenfels, damals stattanwaltsgehiilfe in Coin, 
und dem Advocat Heinrich Hofmann in Darmstadt iibergeben hatte. 
[Vgl. Meine Jugendzeit S. 206]. 

Und wie habe ich sonst bald in toller Inst, bald in toller angst 
Oder entschloszenheit auf meinen armen kdrper gewiithet, anch ab 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist Klasse. 1918, Heft 3. 23 



354 


N. Bonwetsch, 


nnd zu durch acstrengende arbeit auf meinen geist — and das 
alles hat docb, o wander gottes ! siebenzig jabre gehalten! and 
scbeint nocb langer balten zu wollen. 

Nun also: trotz alledem: icb bin krank — verstebe Sie 
aber aafricbtig gestanden, auch nicbt recbt, was Sie von mir wollen 
— also: einen lebensabrisz nicbt, nnd darin baben Sie jedenfalls 
recbt. Tauscber [der aeue Herausgeber der Evang. Kircbenzeitang] 
fordert micb eben zu einem solcben auf and verspricbt mir von 
Hengstenbergs Brader material dazu, soviel icb braucbe — icb 
denke aber aucb das macht beszer ein anderer, der aucb einen 
tbeologiscben beruf und voiratb dazu hat. Aas Ibrem briefe 
mocbte icb scblieszen, dasz Sie sicb eigentlich dachten, icb sollte 
eine geistige rackete steigen laszen , zu des lieben Hengstenberg 
todtenfeier- — aber erstens konnte icb das docb nicbt beszer maeben, 
aucb nicbt ernster und verehrendtr, als es Xatbusius in der nr. 45 
seines volksblattes es[!] scbon gemacbt hat — und sodaan was 
glaaben Sie, dasz jetzt das niitzen konne. Unsere zeit reitet so 
scbnell , wie die todten , denn sie ist selbst eine todte — es ist 
weit beszer fiir Hengstenbergs andenken, und liir das weiterfort- 
wirken seines andenkens, wenn die evangel. Kircbenzeitang in der- 
selben festen, klugen und unwankenden weise weiter getragen 
wird , wie bisber. Sie ist docb sein scbonstes und dauerndstes 
monument, and sie zu biiten, ihr zu belfen, so viel jeder nur ir- 
gend kann, das balte icb fiir etwas weit bedeatenderes und wicb- 
tigeres, als zehn racketen die icb losliesze. In diesem sinne werde 
icb aucb Tauscber antworten. 

Vor alien dingen, ebe icb nacb irgend einer seite etwas irgend 
wie bedeutcnderes tbun kann mit der ftder, muB die moraliscbe 
seekrankbeit, an der unsere zeit leidet wider soweit voriiber sein, 
dasz icb sie selbst abgeschiittelt babe, dazu gebort aber aucb vor 
allcm, dasz icb zunachst nicbts mit der kr eutzzeitung zu 
tbun bekomme. Wenn das irgend einen verniinftigen sinn hat, 
dasz Bismarck die pracbtige zeit des krieges und sieges nicbt nur 
bat voriiber geben laszen, obne clurcb irgend einen scbritt dem 
parlamentariscben wesen einen tieferen knick zu geben, so kann 
es dock nur der sinn sein, dasz er durch iiberkropfung der zeit- 
gcnoszen mit parlamentariscben redeanstalten, mit reicbstag, zoll- 
parlament, directen wahlen etc. etc. gleicb den auszersten gipfel 
all dieses ursinnes bat erreicben und die leute mit parlamenta- 
riscber langeweile die krbpfe bat so voll laden wollen, dasz ibnen 
libel und web werden sollte — dazu batte aber gebort, dasz die 
conservativen zeitungen nicbt blosz das langweilige zeug abdruckten, 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quast. 356 

sondein aucli von holin und spott iiberfloszen auf die philistrose 
eitelkeit und phrasendresclierei iind liundertmal widerholt batten, 
dasz sie ihr geld an solchen verdammten plunder von parlamen- 
tarischen lumpenreden verschwenden miisten, die im publicum docb 
kein einziger verstandiger menscb vor purer langerweile 
mebr Icsen konnen. Davon aber ist sebr wenig zu lesen gev’esen 
sondern nur die weitscbweifigst abgedroscbenen pbilisterreden. Auch 
bat Beutner [Redakteur der Kreuzzeitung] seinem mutbe gar kein 
groszes denkmabl errichtet, dasz er die scbwacblicbe haltung der 
regiernng der TJsedomscben note und Lamamorascben publication 
gegeniiber, gar nicbt gestriecbelt bat. Dasz unsere regiernng 
daran gedacbt hat, Bobmen und Ilngarn zu revolutioniren, ist 
nacb der proclamation mit der nnsere trnppen in Brag eingeruckt 
sind und nacb der berstellung der ungariscben legion gar nicbt zu 
leugnen — watum bat man da nicbt die courage, die Usedomscbe 
note, die ja docb nur den dreiklang mit jenen beiden tbaten voll 
macbt, selbst auf sicb zu nebmen ? und zu erklaren, ja ! da wir 
einmal krieg batten mit Oestreicb und zwar in notbwebr, well 
dies uns verderben wollte, waren wir aucb entscbloszen Oestreicb 
wo miiglicb zu grunde zu ricbten, wer will uns das iibelnebmen? 
Freilicb batten wir auf diesem wege aucb wabrscbeinlicb krieg 
mit Frankreicb bekommen — aber, wenn das nur gescbeben ware j 
es ware 1866 ein wabres gliick gewesen — die Franzosen batten 
scblieszlicb docb aucb biebe bekommen, wie unser volk bis auf den 
kleinsten mann iiberzeugt und entscbloszen war, und das rbein- 
landevolk ware durcb die angst, die es durcbgemacbt butte, uns 
nocb etwas beszer verbunden worden als durcb den sieg in Bobmen 
all ein. 

[3, Juli 1869]. Meine bocbverebrteste gonnerin und freundin! 

Zweimal mabnen Sie micb , dasz mein letzter brief keinen 
schluz gehabt. leb kann das nur so versteben, dasz der formale 
scblusz gefeblt babe, was icb gern glaube, aber wenn Sie darauf 
besteben, Sie miisten den scbluB aucb nocb baben, so konnen Sie 
docb immoglicb wiinscben, dasz icb Ibnen einen formalen brief- 
scblusz auf einen briefbogen scbreibe, zu einem briefe, den Sie 
scbon vor drei wocben oder larger erbalten baben. Icb batte eine 
anzabl briefe zu scbreiben, was fiir ein armes zerqualtes gebim 
jetzt scbon eine scbwere arbeit ist. Sobald icb den einen im we- 
sentlicben dem inbalt nacb fertig batte, legte icb ibn bin , damit 
er austrockne — als sie alle fertig waren, sucbte icb die couverte, 
fiigte die formellen scbliisze binzu couvertirte und siegelte — bei 

23* 



356 


N. Bonwetsch, 


solchem verfahren konnte es auch gekommen sein, dasz Sie einen 
ganzen falschen, an jemand andres gerichteten brief erkalten batten. 
Dies ist nun gliicklicberweise, wie icb aus dem anderweitigen in- 
halte Ihrer letzten briefe ersehe, nicht der fall gewesen, aber icb 
babe olfenbar bei dem an Sie gericbteten briefe den formalen 
scblusz ganz vergeszen, und jetzt weisz icb nun aucb das einzelne 
des inbalts nicbt mebr, kann also aucb zn dem inhalte nicbts er- 
ganzendes mebr zufiigen — bin iiberbaupt mit meinem gedacbt- 
nisse nocb immer entsetzlicb bronillirt — und wenn icb aucb kor- 
perlicb durcb den gebraucb des Eger-Franzensbrunn wider leidlicb 
bei wege bin, wider meine zwei stunden marscbiren und nur nocb 
nicht obne scbmerzen nnd ermattnng langere zeit rubig steben 
kann, so bin icb docb geistig nocb labm und es will nicbt vor- 
warts ; icb kann nicbts arbeiten, nnd babe, um die plage fur micb 
nnd meine zuborer losz zu werden , meine vorlesungen in diesem 
semester aufgegeben nnd nur ein privatissimum bebalten, in dem 
icb auf meiner stube mit einem zuborer die Snorra-Edda lese — 
icb babe offenbar mit meiner arbeit nnd namentlicb mit meinem 
gedacbtnisse scblecbte und nnbedacbte wirtbscbaft getrieben, babe 
nm iiberall selbst zuseben zu konnen und nm micb nicbt auf fremde 
iibersetzungen verlaszen zu miiszen, almalicb 36 spracben soweit 
erlernt dafi icb in ibnen verfaszte biicber selbstandig lesen nnd 
sicber versteben konnte — die balfte davon aber, die icb erst 
nacb dem 40 ten jabre gelernt, sitzen so locker in meinem gedacbt- 
nisse, also namentlicb alle slawiscben nnd keltiscben, dasz icb alle 
jabre einmal ein buck in ibnen lesen musz, soil icb sie nicbt im- 
versebens wie einen Inmpigen tbalerscbein aus meinem porte-monnaie, 
so aus meinem porte-langage verlieren. Das nimmt mir scbon eine 
masse zeit von anderer ernsterer arbeit binweg. . . Es ist , . [?] 
wie eine leidlicbe bibliotbek, die einen ja aucb zwingt auf eine 
menge wobnungen zu verzicbtenj die man sonst wablen konnte, 
nnd die man nur und allein nicbt wablen kann, well keine mog- 
licbkeit ist, die dazu gehorigen dummen biicber alle in bequemer 
weise unter zu bringen — also z, b. micb jetzt in einer wobnnng 
auBerbalb Halle d b. im letzten bause gegen Giebicbenstein bin 
festbalt, die zwar, in beziebnng auf gute luft und biibscbe aus- 
sicbt vortreffiicb ist, aber nur unter den grbszesten unbequemlicb- 
keiten einen logir-gast zulaszt und entsetzlicb weite wege auf 
scblecbtestem pflaster zulaszt nnd auf tausend andere bequemlicb- 
keiten verzicbten laszt — scbon die wege znr post, die fast eine 
balbe stunde entfernt liegt, laszt eine menge zeit verlottern und 
reibt einen menscben, der wie icb sieben monate lang labme beine 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi. 


357 


hatte, schon korperlich mehr auf als mir gut war . . . Nun auch 
dieses wird voriibergehen! Aber dock zunackst wakrsckeinKck nur 
dadurck, dafi ick mick bei gelegenkeit selbst auf die beine uiacke 
und ausfliege — wahrend reisen dock fiir mick auck eiue art ratten- 
gift ist und das sitzen in fremden kanse und ...[?] an das eisen- 
bakn und wirtkskausgesindel die galle den ganzen tag in bewe- 
gung halt , mir auch niekt dient. . . Nun ! ick muBte Iknen aber 
dock endlick auck antworten , sckon weil Sie mir schrieben, ick 
solle Tauscker und die ev. K. Z. im thiitigen angedenken kalten. 
Ick kabe ikm geschrieben, dad ick das in demselben masze wiU, 
wie es bei unserm seligen freunde der fall war, und er kat mir 
niekt geantwortet, so dafi ick am ende fiirchte es ist nock ein 
brief von mir verloren . . . und so tragen wir denn auf alien seiten 
folgen davon, dad . . . die postverbindung so woklfeil geworden, 
dasz gar keine sicherheit mehr in derselben sein kann . . . Den kauf- 
lenten zu gefallen wird das postgeld auf ein minimum reducirt, 
so dasz wir ein deficit bekommen und dann hindert die canaille, 
dasz wir eine borsensteuer bekommen, die das deficit decken hilft. 
Kurz ! es wird alles miserabel. Bismark kat uns dock offenbar 
mit reickstag und zollparlament iiberladen, nm uns die politiseken 
versammlungen und redeubungen zum breckmittel zu macken . . . 
Das alles mackt mir so iibel, dasz ick niekt einmal mehr einen 
krieg wiinseke — denn dann feiert dock nur die freimaureriseke 
kumanitat (alles was international keiszt ist ja in unsrer zeit frei- 
maurerisek und wird von den logen aus regirt) wider triumpke 
xmd verdirbt und vergiftet unser gut deutsches — allem interna- 
tionalen wesen abgekehrtes empfinden so sckeuBlick, dasz man am 
ende lieber ein jude . . sein mochte als ein deutseker — wenn wir 
Frankreich kalb Frankreick absiegen, so kriegt Frankreick dock 
alles wider, wie Oestreich Bdkmen, die kochburg Deutschlands, 
okne die nock niemand in Deutschland eigentlicke herrschende ge- 
walt gekabt hat. Und wenn wir ja von dem eroberten etwas be- 
kalten, wird das sogleick mit vollem recht wie alle alten PreuBen 
in den preufiiseken landtag eingestellt — Gott behiite uns vor 
solchen kriegen — zwischen Deutschland und Frankreick miiste 
eine 10 meilenbreite wiiste gesekaffen werden, an deren grenzen 
sogar die eisenbahnen ein ende batten und die nur zum dienst der 
regierungen von telegrapkiscken depeseken iiberschritten werden 
diirfte. Im jahr 1848 batten die guten burger, von denen ja nock 
ein rest ubrig war, die groste sehnsuckt nack neuer corporativer 
organisation und erlosung aus der auf blosze concurrenz der wokl- 
feilen preise gestellten gewerbefreikeit. Als ick Gerlack auf dies 



358 


N. Bonwetsch 


wichtige antirevolutionare moment aufmerksam machte. lac’ate er 
mich aus — er mochte freilich beszer wiszeii als icb, dasz die re- 
gierungswelsheit unsrer bebbrden so ersoffen ware in den neuen 
theorieen, dasz daraus dock nichts ordentliches werden konne — 
nun ja! es ist wabr, etwas theurere preise hielten die ziinfte and 
auck sonst war man durch sie genirt — aber sie hielten einen 
ehrenf esten handwerksstand , und was wir noch mit dem s. g. ar- 
beiterproletariat flir erfahrungen zu machen und wie viel geld 
wir, urn es nider zu halten, zahlen miiszen, weisz auch zur zeit 
niemand — und wenn das zeug nidergehalten werden soil, wirds 
auch nur der geschliffene degen und die huge! im laufe than und 
die liebe humanitat sich als ehrliche metze an den arm hangen. 
Gog und Magog werden heranziehen — aber nicht so wie man 
sonst dachte, mit hollischen fuhrern, sondern in der Form, dasz 
sich alles lebendige in lause verwandelt und wir von diesen bei 
lebendigem leibe gefreszen werden — und dennoch habe ich noch 
lebenslust genug, um zu wlinschen, das ding zu guter letzt noch 
selbst mit ansehen zu durfen — das ist dann zum schlusze 
doch wirklieh auch noch etwas neues. 

Nun will ich aber doch diesmal den formal en schlusz nicht 
wider vergeszen — also erlauben Sie mir, dasz ich mir die ehre 
gebe mich zu unterzeichnen Ew- Hochwolgeboren, wenn nicht iiber- 
all ganz unterthaniger — doch sicherlich uberall mit treuestem 
herzen ergebenster H. Leo. 

Leider gottes darf ich nicht schreiben Dr. Leo, denn wenn 
mein Dr. eine wirklichkeit ware, ich wollte die welt lehren mit 
blut und eisen eine ganz andere wirthschaft herzustellen als mit 
internationaler humanitat. Die leute wollen jetzt alle nichts vom 
teufel wiszen, blosz ofFenbar, weil sie sich vor dem eszenkehrer 
viel zu sehr fiirchten — ich fiirchte mich gar nicht, denn der kerl 
soil und musz uns ja dienen — aber freilich dasz er uns wirklieh 
diene, dazu ist die erste bedingung, dasz wir selbst Gott recht 
lieb haben von ganzem herzen, dann werden wir auch courage 
genug haben, den herrn teufel Excellenz in unsrer kiiche mit un- 
seren anderen dienstboten als kutscher oder velocipeder miteszen 
zu laszen. 

[11. 8. 1869]. Meine verehrteste Gbnnerin und Freundin! Ich 
kann unmbglich von Halle scheiden, ohne Ihnen noch vorher auf 
Ihren letzten Brief zu antworten. Ich will iibermorgen Freitag 
den 13 ten August eine Reise antreten mit meinem Tochterchen 
zus.immen. Meine Frau geht inzwischen nuch Rudolstadt zu meinen 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quast. 


359 


dortigen Verwandten; ich aber babe eine groBe Sehnsucbt noch 
einmal die Schweitz wieder za sehen von demselben Platze von 
dem ich sie zuerst sab, von der Hobe jenseits Tutlingen, wo man 
den ganzen Hegan mit seinen Bargen, Hobentwiel, Hobenkraben 
n. s. w. unser sicb bat, weiterbin den Bodensee und dann als ScbluB 
der Biibne die scbweitzeriscben Hocbalpen von den Kubfirsten nnd 
dem Dodi bis znr Jnngfrau — es macbte damals vor nun 46^/2 
Jabren^) den groBartigsten Eindrnck auf micb. Nun weiB icb 
allerdings, daB das ein riskirtes Ding ist, es kommt so viel auf 
Wind, Wetter und Beleucbtnng an, daB icb fast wollen kann, wenn 
Grott nicbt besonders gnadig sein wird, daB es ein ganz oder balb 
verfeblter Versucb ist, docb wollte icb ibn meinem Tocbtercben 
gonnen, auf die Gefabr bin, damit Fiasco zu macben. Je alter 
man wird, je mabr Courage bekommt man za solcben Dingen — 
wirds nicbts, nun so scbalets aucb nicbt ungebeuer und die Freude 
einer galnngenen Repetition ist docb zu groB. Um micb besorgt 
zu sein wegen meiner Kranklicbkeit haben Sie keine Ursacbe; es 
ist scbon wider nm vieles besser geworden; icb leide im Wesent- 
licben an Blutmangel, wie ein bleicbsiicbtiges Midcben und mit 
Hilfe von Stahlarzneien und Eger-Franzensbrunn babe icb scbon 
wieder einen leidlicb Vorratb an Blut und jedenfalls ware die 
Sacbe scblimmer, wenn icb an BlutiiberfluB litte, weil dann der 
Erbfebler meiner Familie ein Gebirnscblag weit naber lage. In 
die Scbweitz selbst herein werde ich nicbt geben, sondern nur nach 
Scbaifhausen und von da nacb Lindau, dann boife icb rascb zu- 
riickzukommen, so daB icb zum Anfange Septembers scbon wieder 
in Halle bin, d. b. mit Grottes gnadiger Hilfe. 

Im iibrigen ist mir allerdings cnrios in der Welt zu Muthe 
— icb komme mir oft vor, wie einer, der das Ungliick hat, in ein 
Narrenbaus gesteckt zu sein, wahrend er selbst seine fiinf Sinne 
nocb bei einander bat. Courage hat fast niemand mebr als der 
Pabst, der aber aucb mit seinem Concil in eine Greschicbte herein 
taumelt, von der er die Folgen scbwerlicb ricbtig taxirt bat. 
Meines Eracbtens wird die Sacbe mit einem Ende der romischen 
Herrlichkeit enden und eine Trennung der romaniscben und ger- 
maniscben Volker zur Folge haben. Villeicbt, daB sicb dadurcb 
aucb die Erwerbung Siiddeutscblands fiir uns erleicbtert. Jeden- 
falls wird dies Concil mebr Rumor macben, als alles andere was 
gegenwartig in der Luft liegt. Als ich vor etwa 10 Jahren ein- 
mal dem Priisident Gerlacb sagte, an Stelle des Konigs von PreuBen 


1) Im Fruhling 1823 bei Gelegenheit seiner Reise nach Italien. 



360 


N. Bonwetich, 


wiirde ich dem Pabst eine preufiische, katholische Besatzung fiir 
Eom anbieten — er lachte micb damit ans, wie mit dem anderen 
Gedanken, PreuBen miisse Bobmen nehmen, denn nur wer Bbhmen 
fest in der Hand babe, sei Herr in Germanien. Es bat mir furcbtbar 
leid getban, daB Bismarck 1866 Bobmen so leicbt fabren lieB — 
allein batte er es bebalten, so batten wir allerdings einen Krieg 
mit Frankreich gehabt; es damals aber auch geschlagen und batten 
nan Luxemburg iiberdies, nnd alles ware anders gekommen; aucb 
ware dann an dies Concil wabrscbeinlicb nicbt gedacbt worden; 
Oestreicb ware zu dem Ende gekommen, auf welcbes es jetzt 
iangsam zubrustet, und wir batten Hannover und Hessen aucb, 
aber nicbt annectirt, sondern in Personalunion, womit beide neue 
Landestbeile sehr zufrieden waren ; sie batten ibre Namen Hessen 
und Hannover nicbt verloren und ibre innere Einricbtung nicbt 
verloren; deren Verlust sie nun widerwartig macbt und taglicb 
mebr machen wird, denn die auBerordentlicbe Eabigkeit unserer 
preufiischen Bureaukratie fremde Eigenthumlicbkeit ricbtig zu fassen, 
ist ja weltbekannt, nnd sie scbicken alle Augenblicke Leute in die 
neuen Landestbeile die die Widerwaitigkeit nocb vermebren werden. 
Um den Verlust des Welfenkonigs und des Casselschen Dietricbs 
allein, batten sicb die Leute nicbt zwei Monate gekiimmert — nun 
sind wir im besten Zuge, uns Feinde im eigenen Lande zu zieben. 
Dock wo gerathe ich bin mit m^einem Pbantasien ? ich muB docb 
aucb schon eine kleine Anlage zur Verriicktbeit, die in der Zeit 
liegt, in mir baben, sonst kame ich nicbt auf den Einfall micb um 
Dinge zu kiimmern", die Gott in seiner Hand bait und wofiir icb 
gar nicbts zu verantworten, also aucb nicbts zu kritisiren babe. 
Jetzt sage icb aucb scbon; Gott bebiite uns vor einem Kriege — 
oder wenn's einer sein soil, dann wenigstens nicbt ein abnlicber 
wie der Sommernacbts-Siegestraum wie der ostreicbiscbe. Nur so 
viel weiB icb, das Concil macbt uns die AVrwirrung in der wir 
leben, fiir einige Jabre nocb toller, als sie scbon ist. 

Im October bin icb wider auf einige Zeit in Berlin, hoffent- 
licb ist bis dabin einiges schon klarer, als in diesem Augenblicke. 

Heine besten Empfeblungen an Frau von K . , nnd falls Sie 
ibn sebcn an Htrrn Obristlieutenant von Senfft, der allerdings 
voriges Jabr nicbt glauben wollte, daB es mit der conservativen 
Pai’tei bei uns zu Ende sei, und meinte, als ich ibm sagte als 
Partei batten wir keine Grundsatze mebr als das Halten an der 
Mcnarchie, wir batten ja Mosen und die Propbeten. Leider passen 
aber die mcsaiscben Gebote und die Eatbscblage der Propbeten 
nicbt mebr recbt zu der Politik unserer Tage, und das Anpassen 



Briefe des Historikers Heinrkh Leo an Frau von Quasi. 361 

derselben wird in gut deutscher Weise in jedem Kopfe ein anderes 
sein. Xun ! wir sind alle in Grottes Hand ! er wirds ja am Besten 
machen — die Schlacht von Jena war 1806 auch ein groBes Un- 
gliick nnd nun sehen wir ein, daB doch fast alles was wir gates 
nnd auch noch festes unter den FiiBen haben, auf Jena gebaut 
worden ist, oder doch von da seinen Auslanf genommen hat. 

Her Brief ist zwei Tage liegen geblieben nnd fiige nun hinzu : 
Es ist doch wohl barmherzig vom lieben Grott, daB er Hengsten- 
berg abgerufen hat. So daB er die Widerspriiche und Narrheiten 
unserer Tage nicht mehr in der beschrankten Weise nnserer Tage, 
sondern gleich in ihrer ewigen Bedeutung d. h. in der Losung ihrer 
Disharmonien sieht und vielleicht preist, vor dem wir erschrecken . . 
Ich bin nun zur Eeise fertig 13 ten August 69. 

In alter Liebe nnd Treue der Ihrige Dr. L. 

[1. 4. 70]. Meine hochverehrteste Gonnerin nnd Preundin! 

Sie haben mir ruit ihrem Briefe eine auBerordentliche Freude 
gemacht, namentlich, daB Emma Ihnen so viel Freude gemacht 
hat. Ich bin selbst ein Bischen in sie verliebt, lasse es ihr aber 
natiirlich nicht merken, denn sonst wiirde ich bald meinen Willen 
nicht mehr zu finden wissen. . . . 

Was iibrigens Tauschers Zeitung anbetritft, so gefallt sie mir 
ganz gut — nur fehlt ihr Eines, was ihr unser lieber Hengsten- 
berg zubrachte, namlich die weiten Augen, mit welchen dieser die 
Hinge ansah, und eigentlich alle Zweige und Aste der sittlichen 
Bildung bedachte und beachtete. Tauscher halt sich mehr im 
engen kirchlichen, eigentlich kirchlichen Kreis. — Das mag 
fiir’s Erste sehr zweckmaBig sein ; aber mit der Zeit muB er doch 
die Augen weiter aufthun und eineu grofieren, weiteren Kreis in 
seine Theilnahme ziehen, wenn er der Zeitung ihre fruhere Be- 
deutung erhalten will. 

Halle den 4 ten Marz 70. 

In alter Liebe nnd Treue Ihr H. Leo. 

[27. 5. 70]. Meine hochverehrteste gonnerin und freundin! 

Wie kbnnen Sie auch nur mit so groszen worten von meinem 
s. g. jubileom reden ! [11. 5. 1870 vgl. M. Jugendzeit S. 235]. Ich 

danke gott, dasz ich das ding im rucken haben. Hatte ich ge- 
wust, an welchem tage es war, so ware ich feig genug gewesen, 
der geschichte ans dem wege zu gehen, so aber wnste ich nnr den 
monat und konnte doch unmoglich auf einen ganzen monat aus- 
reiszen. Erst zwei tage vor dem eigentlichen tage kam der rector 



362 


N. Bonwetsch, 


zu meiner frau um sie zu avertiren, damit die sache uns nicht 
ganz unerwartet iiber den lials kame, denn er hatte sick in Jena 
nack dem tage erknndigt. Mit dem ausreiszen wer [!] ick die sacke 
dock nickt los geworden, ick katte sie nur versckoben nnd ikr das 
genommen, was mir nacktraglich die kauptsacke daran ist, dasz 
ick namlick — ohngeacktet ick in meinem leben genug menscken, 
wenn auck nickt absicktlick dock durck mir einmal naturlicke also 
gottverliekene art, sckwer genug geiirgert nnd so lange ick in 
Halle bin mir alle welt auf armslange von kalse gebalten kabe, 
also annekmen muste, dasz ick sekr wenig frennde kier hatte, 
kabe ick dock auszer der kergebrackten fiir die Yoigtiscke tkeorie 
spreckenden complimente , auck viel wirkliche frenndlickkeit er- 
fakren, so da6 mein stolztrotziger nnd stbrrischer sinn durck dies 
jubileum einiger maszen gebengt worden nnd mir vom lieben gotte 
zu dieser vorfeier meines begrabnisses, was im grande jedes jn- 
bileum ist, auck eine milde lehre nnd zuckt gewahrfc worden ist, 
okne mir in irgend einer weise weke zu tkun. Jedes jubileum ist 
ja von gottes und recktswegen zugleick oder vielmehr vor allem 
ein buszfest — auck ein ehejubileum ist es. Hengstenbergs wider- 
willen gegen solcke dinge begreife ick vollkommen — aber im 
grunde ist solcker widerwille grundlos — es ist einmal sitte der- 
gleicken feiem zu begehen und ganz entziehen kann man sick 
iknen nur wenn man kart und scharf dagegen protestirt, was dock 
mancke verletzungen im geleite hat und nur den meisten menscken 
als eigensinn ersckeint — da ist dock das beste den steifen 
nacken zu beugen und den stolz der persbnlicken gesinnung kier 
wie in tausend fallen zum opfer zu bringen. Es giebt viele opfer 
die weit sckmerzlicker sind und dock gebracht werden miiszen. 

Dasz ick mick den arbeiten ^ fiir die kirckenzeitung wegen 
meiner angelsacksiscken arbeit auf einige zeit eutzieke, kaben Sie 
mir wie es scheint sekr iibel genommen und diese angelsacksiscken 
interessen als dummes zeug ckarakterisirt — worin ick Iknen 
freilick nack einer seite vollkommen reckt geben musz, allein ganz 
kann ick es dock nickt. Ick fiir mein tkeil kalte das wacksen 
und verandern der wortbedeutungen fiir wicktigere dinge , als 
scklackten und diplomatische vertrage — denn an jenen siekt man 
den wecksel des menscklicken denkens und das ist dock auck der 
tiefere grund der scklackten und diplomatiscken actionem Nun 
ist aber die angelsacksische spracke eine rein deutscke und zvvar 
plattdeutscke mundart und zeigt uns unser liebes plattdeutsck wie 
es vor tausend jahren war — und wie trostlick ist es das erbe 
des deutscken geistes in mancher kinsickt so uralt zu seken. Der 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi. 363 

glanbe an die nnsterblichkeit der seele, der jetzt der heutzntage 
den meisten nnseres gebildeten und leider ancb des nngebildeten 
pbbels ziemlicb anf gleicber linie stebt mit dem gespensterglanben 
war damals, wie man der ganzen spraehe anfiiblt fest wie ein 
stablblock in den berzen der m cnscben — ist das nicht mebr wertb 
dasz nnsere vorfabren ancb als deutscbe heiden so fest diesen tbeil 
des glaubens gehabt baben. Das wort pflicbt ist ancb damals 
scbon Yorbanden als plibt, aber es bedentet urspriinglicb den 
einsatz den jemand im bazardspiel in der plega macbt, woraus 
folgt dasz die menscben damals das leben als etwas betracbteten 
worin jemand einen einsatz zn macben nnd diesen einsatz zu 
zablen batten, die pflicbt zu leisten batten, wenn sie nicbt ebrlos 
werden wollten. Ist das nicbt scbon; muth zn baben nnd zu be- 
weisen, war ein tbeil dieses einsatzes, den der men=cb in diesem 
bazardspiel des lebens zu macben batte, und wer sicb einmal als 
feig oder als wortbriicbig ertappen liesz, batte seine pflicbt nicbt 
geleistet und seine ebre verloren — war das nicbt beszer als das 
gieren und bascben unserer manner nacb purem geld und dafiir 
zu kaufender lust — und das und nocb viel scbones anderes lernt 
man aus diesen alten spracben unserer vorfabren — ancb macbt 
die umkebr der leute zum cbristentum einen ganz anderen ein- 
druck, als unsere neumodiscben judenbekehrungen. Da ist iiberall 
metall in den lenten und das metall lernt man aucb in ibren 
worten kennen — wir seben neben diesen alten priichtigen kerlen 
samt und senders aus wie candidaten geistiger sebwindsucbt. 

Haben Sie berzlicben dank fiir Ibr treues angedenken — ancb 
fiir Ibren verspateten gliickwunscb zum jubileum — obwobl Sie 
ihn mit etwas salzspeck spicken — icb bin aber eben scbon von 
selbst in sicb ganz wobl dazu schickender buszstimmung. Icb 
urspriinglicb blutarmer pfarrersjunge bin vom lieben gott durcb’s 
leben gefiibrt worden so dasz icb allezeit gebabt babe was mir 
noth war und aucb immer etwas mebr. Ist das nicbt iiber bitten 
und verlangen? und was babe icb dafiir meinem gotte grosz ge- 
leistet ? — ursacbe zur demutb ! zur bescbeidenbeit, zur busze ! 
auf alien Seiten. 

Halle den 27 ten Mai 70. 

In alter liebe und treue Ibr Dr. Leo. 

[Aug. 1870]. Hocbverebrteste Gbnnerin und Freundin! 

Dafl Sie mitten in diesem Trouble der Freude und des Dankes 
aucb nocb meiner gedenken, babe icb eigentlicb gar nicbt verdient 
und nun wollen Sie gar von mir wie von einem Orakel allerband 



364 


if. Bonwetsch, 


Weihespriiche haben: Was wird aus Frankreich, weim Napoleon 
abdanken muB? — Ja! fort wird er allerdings miissen; aber 
gleich dem Lonis Philipp wie ein iiberflussig gewordener Barbier 
fahrt er nicht im Fiaker davon. Er hat erst noch grofies zu voll- 
bringen. Die Strafe fiir die Herzenshartigkeit und Liiderlichkeit 
des franzosischon Volkes fiir jenen infamen Konigsmord ist noch 
immer nicht einkassirt und der Herr will die Frevel der Vater 
bis ins dritte Glied strafen — die dritte Generation wird aber 
erst in den 1890 er Jahren ausgehen, dafiir scheint mir der Louis 
Napoleon recht eigentlich als Biittel ausgewahlt und erzogen zu 
sein. . . . 

Ich babe immer nur Angst vor nnserem Weichwerden, wenn es 
zum Frieden geht, und Bismarck ist eigentlich fiir diesen letzten 
Act nieine einzige Hoifnung, der hat doch noch ein festes Riick- 
grat und hoffentlich keine Thranen, wenn Alles nm ihn zu heulen 
anfangt. DaB die Siiddeutschen Konige zu unserem. dann nicht 
mehr norddentschen sondern deutschen Bunde treten werden, sehe 
ich als selbstverstandlich an; und daB unser Konig dann Kaiser 
werden m u B , schon um den Siiddeutschen das Eintreten in den 
Bund zu erleichtern, sehe ich als selbstverstandlich an ; aber auch 
daB dann der Bund eine Etwas allgemeinere Haltnng bekommen 
mnB. Einen Einheitsstaat ertragt unser Deutschland auf die 
Dauer doch nimmermehr, nur in einer straffen Militarverfassung 
und soweit sie damit zusammenhangt Finanzverfassung muB es 
beim bisherigen bleiben. — Die Einerleimachung der Bechts- 
bildung und der Rechtsverfassung hat nun von selbst eine Unter- 
brechung erhalten, und man wird hoffentlich die scheusliche Ge- 
setzmacherei nicht noch einmal anlangen, wenn man nach dem 
Siege Deutschland nicht nachtraglich ruiniren will. Der Rest von 
Frankreich mag dann Republik werden, zum abschreckenden Exempel 
aller Vcilker, und zu unserer Ruhe auf lange Zeit. Die Orleans 
wenigstens werden dort nichts machen. Die friiheren Zeitlaufe 
haben hoffentlich von ihnen hinltinglich zuriickgeschreckt, so daB 
auch die Franzosen ein Grauen davor haben. 

Mit unseren Siegen, scheint es, ist nun auch die Infallibili- 
tatsnarrheit des Herrn Pabstes der Hauptsache nach in Brunnen 
gefallen — in Deutschland wenigstens wird diese jesuitisch-ro- 
manische abstracte Autfassung des Summepiscopates nicht durch- 
dringen, uud unsere Kirchensachen wird hoffentlich auch ein deut- 
scher Kaiser ihren eignen Weg gehen lassen und sich seinen Waffen- 
sieg nicht durch das Bestreben, auch einen theologischen Federsieg 
seinem Waffensieg beizugesellen, verderben. 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi. 


365 


Ihr Rothenmoorer Malzahn gefallt mir, obwobl da auch einige 
theatralische Buchmacherei mit unterlanft, — nnd da6 der liebe 
Gott endlich anfangt aucb nnserer Kronprincessin ein deutscbes, 
ein prenfiiscbes Herz zu geben, ist auch prachtig — obwohl das 
noch manchen Kampf kosten wird , weun es endlich darauf an- 
kommt, auch das englische Schlangengezisch vornehm ablaufen zu 
lassen. Nur behiite uns Gott vor einem Frieden a la 1815, den 
wir damals dem schlafmiitzigen Alexander verdankt haben. Jetzt 
wird das slawische Gesindel wohl das Maul halten miissen, denn 
durch die Bauernfreiheit ist ja nun der ostliche ColoB bis tief in 
das Innere so desorganisirt, daB es nichts in den nachsten Jahr- 
zehnten wagen darf, zumal auch in seinem Riicken, das neue Slaven- 
volk, was in Sibirien erwachsen ist, die Siberaks, auch schon ein 
hinlanglich trotziges BewuBtsein gewonnen hat. 

Kurz ! dieser Krieg ist der 5 te Act des groBen Dramas der 
Freiheitskriege — und Gott gebe uns nur nicht zu leichte Siege, 
sondern so daB auch die zu Hause gebliebenen Ernst und Trauer 
genug erhalten; denn ein Krieg, der libera 11 so glatt liefe, wie 
der Sommernachtstraum von 1866, ware der Anfang nnseres Endes, 
wenn es in Uebermuth und Luxus so fortgehen sollte, wie seit 
1866. Dann konnte es noch kommen, daB man unsere jetzigen 
Siege beklagen rniiste. 

Traum ist das, was wir erleben, nicht, aber Poesie, 
prachtige Thatenpoesie, Gott gebe nur, daB die elende Zerschlagen- 
heit der Franzosen, und das Grauen unserer Diplomatie nicht 
alles wider verderben, was das Blut und die Tapferkeit unserer 
braven Leute gut gemacht haben. Amen! Amen! Amen! 

In alter Liebe und Treue 

Ihr 72jahriger Junger — 

denn dieser Sommer ist eine jungmachende Badekur — wer hatte 
1815 einen solchen prachtigen SchluBact auch nur traumen konnen ! — 

[Sept. 1870]. Mein Gott! mein Gott! was soli ich sagen. Mir 
wird Angst vor soviel Gliick ! Noch habe ich lebendig im Ge- 
dachtniB, wie wir am Abend des 18 ten Octobers 1814: aus der 
Kirche, wo Dank-Gottesdienst gewesen war, traten, und an dem 
herrlichen Abend alle Berge der Dmgegend mit Freudenfeuern 
gekront fanden — und wie viele langweilige Norgeleien , Ver- 
pfnschungen u. s. w. folgten hinter her. — Winds nun besser gehen? 
Wenn das Pestloch, das Metz, aufgeht und unsere durch die furcht- 
baren Anstrengungen und Spannungen der letzten Wochen ange- 
gritfene Armee den Pesthauch aufnimmt — was wird dann be- 



366 


X. Bonwetsch, 


ginnen. — Seit 40 Jaliren ist das stete ScMcksal gewesen, da6 
man mit nichts zn wirklichem festen Abschlusse gekommen ist — 
Nickts, Nichts ist fertig, was; seitdem begonnen worden ist, 
nicbt einmal die Orleans sind wir entsckieden und ganz los — 
sie fabren immer nock in der Welt kernm und vor England kabe 
ick grofiere BesorgniB als vor Erankreich. Bei allem Gesckwiitz 
von Religion ist kein europaisches Volk innerlick religionsloser 
und mammonistiscker als das engliscke und dabei frecker und un- 
versckamter. Wer sick als die Fruckt unseres jetzigen Gliickes 
alsbaldigen Frieden traumt wird sick entsetzlick tauscken — das 
eigentlick bose Ringen wird nun erst beginnen und dabei wird 
sick zeigen, wer ein festes Herz kat — wer eigentlick an Gott 
glaubt. Wir geken einem tiefen, tiefen Reinignngsprocesse ent- 
gegen — und nickt wegen des zeitherigen Gllickes, sondern darum, 
da6 Gott uns solckes Alles zu tragen geben wird — kebt sick 
meine Hoflnung erfrisckt — es ist mir als stiinden wir in den 
letzten Dingen mitten darin und ick sake mit olfnen Augen in die 
Gekeimnisse des Himmels kinein. Rock kat unser Herr und Gott 
nie seinen Kindern grofiere Hasten auferlegt, als die er iknen, zu 
tragen, auck Kriifte gegeben katte — also ; Durck ! Durck ! und 
mitten kinein! 

Ick katte gezbgert auf Ikren letzten Brief zu antworten, und 
mufi deskalb um Verzeikung bitten — dafi Sie auck sckweres per- 
sonlickes Leid zu tragen batten, wuste ick sck(;n — aber wer 
kann damit jetzt ein Leid verbinden, dafi einer im Siege fallt und 
des weiteren Ringens iiberkoben ist; er siekt nun sckon klar den 
letzten Sieg, wakrend wir nock alle Zwisckenstationen zu fiirckten 
kaben. Zuweilen mochte ick, ick ware auck sckon todt — aber 
dann kommt mir solcker Wnnsch dock wieder wie purer Frevel 
vor, wenn ick das Tkeater betrackte, dessen Vorkang der liebe 
Gott eben nock in meinen alten Tagen vor meinen Augen aufrollt. 
Wo keine Mensckenweiskeit und Menschentapferkeit mekr ausreickt, 
mufi Er ja helfen und wird Er kelfen — und das ware dock 
nock ein ganz andrer Triumpk als die Capitulation von Sedan, 
wenn unsere Filrsten endlick test, d. k. lebendig in der Bewegung 
jedes Blutstropfens fiiklten und erkenneten, dafi Er allein kilft 
und kelfen kann, wenn sie iiber alle judisck-menscklicke Bereck- 
nung kinaus den Glauben gewdnnen, dafi er auck wirklick kelfen 
wird — und Etwas von solcker Einsickt dammert dock sckon — 
Gott gebe uns, dafi es Lickt werde und vor aller Augen die Sonne 
aufgeke. 

Unsere gestrige Hlcunination brackte ein Transparent : Kaiser 



Briefe des Historikers Heinricli Leo an Frau von Quast. 


367 


Napoleon ist gefangen • — acli war er duch gehangen! clarin ist 
auch ein Schimmer der ErbenntniB von Gottes Gerechtigkeit — 
denn dafi ein Mensch wie der, nackdem er sick auf das frevelkaf- 
teste vermessen, nun nackdem er’s so weit gebrackt, dafi er in 
Paris zerrissen wiirde, nock die Judengesckeidigkeit kat, sick un- 
serm Konige zu FiiBen zu werfen, wo er weifi, da6 er konett be- 
kandelt werden wird, das ist wirklich Etwas von dem alten Volks- 
witz: lustig gelebt und selig gestorben das heiBt : dem Teufel die 
Eecbnung verdorben. Ick finde es natiirlick, daB Menschen, die 
nickt innerlich so vornekm sind, wie miser Konig, den edlen Louis 
lieber kangen lieBen . . als ibn nack Wilkelmskbk sckickten. — 
Der liebe Gott ist aber innerlich nock weit vornekmer! damit 
diirfen wir uns trosten, daB die Gerechtigkeit der Weltregierung 
oft nock eine viel andere ist als die unsrige. 

Wir gehen dem 5 ten Act in dem furcktbaren Drama, was mit 
1806 anfing entgegen — und auck unsere Kraft — wo? fangt sie 
an, wenn nickt bei Salfeld und Jena — damals sckienen wir zer- 
treten und nun wird einem Angst vor der Erkokung. Mir ists 
als sollte ick nun im allervornekmsten Saale der Welt naekstens 
einireten, und mir wird angstlick dabei um mein kockzeitlickes 
Kleid — ick denke, ick werde ob meiner Lumpen vor die Tkiire 
geworfen. 

Wakrend mir Angst wird vor dem lieben Gott und seinen 
Gerickten — schickt er mir einen Tropfen Balsam auf die Zunge 
— Emma, die um Pfingsten an einer fast todtlicken Lungenent- 
ziindung erkrankte, eben als ick im BegrifiF war, zu ikr zu reisen, 
hat wie ick gestern erfuhr, endlich eben wider die ersten Zeicken 
einer Neuerstarkung gegeben. Sie liegt in voller Einsamkeit in 
Warnemiinde, und kann endlich wider Etwas Fleischbruke und 
Fleisck genieBen okne sick zu erbrechen — nur die Brust ist nock 
sehr angcgriffen, dock kat ikr die kiihle, rauke Seeluft bisker nur 
stiirkend gedient. 

In alter Liebe und Treue wie immer 

der Ikrige Dr. Leo. 

Der arme D. dauert mich von Herzen! WeiB dock keiner, wie 
und wann ikn sein Sckicksal ruft — dock Alles dergleicken ist 
einem jetzt ja im Grunde irrelevant geworden — o wer dock nock 
einmal 17 Jahre alt ware — dock nickt um alle die Siinden nock 
einmal aufzudecken. die nun im Riicken liegen? dock wer ist rein 
bevor er als Todter gewascken wird? 



363 


X. Bouwetsch. 


Meine hochverehrteste gonnerin und freundin! 

Ich habe diesmal langere zeit auf antwort warten laszen, weil 
icb zugleicb an Tauscber, der mir aucb gescbrieben, antworten und 
ibm nnd Ibnen dadurcb einigermaszen den willen tbun wollte. 
Tanscber scbreibt mir. icb mocbte ibm nur einen abnlicben anfsatz, 
wie die letzten briefe an Sie scbicken — da irrt er sicb aber in 
zweierlei, erstens darin, dasz er gleicb Ibnen anf diese briefe einen 
besonderen wertb legt und zweitens darin, dab er meint anfsatze 
scbreibe man so bequem wie briefe. Einen [!] brief liegt in einem 
anderen briefe in der regel eine veranlaszung, anf die er antwort 
ist zu grande, er ist gewissermaszen nur ein abglanz des vorher- 
gebenden, und so mag es, wenn an meinen briefen etwas war, eben 
nur der abglanz von Ihren vorbergebenden, auf die sie antwor- 
teten, sein. Wenn icb einen brief scbreibe, reflectire icb gar nicbt, 
sondern ilberlasze micb dem eindruck dessen was icb zn beant- 
worten babe, und denke iibrigens nur, wie fast mein leben lang 
in bildern und abnnngen und driicke diese ans. Dagegen, so wie 
icb einen anfsatz scbreiben will, fange icb an zu reflectiren, zu 
spindisiren, sucbe zweck und mittel zusammen zu bringen — kurz ! 
bin ein ganz anderer mensch und zwar ein viel unbebilflicberer, 
pedantiscberer. So ists mein lebelang gewesen — icb babe alle- 
zeit etwas nur im unmittelbaren berausgeben wirksames gehabt — 
und gar nichts, sobald reflexion und vermittelter entschlusz vor- 
bergeben muste — in den ersten jabren nacb 1848 babe icb mit 
reden in versammlungen etwas wirken konnen, weil icb durcb zorn 
und unmittelbar dazu getrieben war und micb geben liesz und 
geben laszen konnte — im berrenbause tauge icb gar nicbts, weil 
icb da urn nicbts ganz ungeboriges zu reden am tage vorber die 
sacbe bedenken und das merken miiste — das gebt mir nicbt — 
icb musz ungenirt berausplatzen konnen obne das gefiihl einer 
rlicksicbt, oder das maul balten. Xun sind aber gegenstande und 
personen im berrenbause selten so , dasz icb einen zorn daruber 
empfinde, und sitten und ausdrucksweisen der berren alle so ver- 
scbieden von denen, bei den icb aufgewacbsen bin, dasz icb micb 
nie ungenirt fiihle. Das feine jiidcben Stabl war fiir diese berren 
wie gescbaffen, dasz man micb binein gescbickt bat, ist eigentlicb 
grundlos, zumal icb nm nur meine meinung ausdriicken zu konnen, 
zuerst mit einer polemik gegen Stabl anfangen miiste, denn dessen 
art von conservatismus babe icb nie von berzen tbeilen konnen. 
Ea! icb babe nun also docb eine art anfsatz an Tauscber ge- 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quast. 


369 


schrieben und zugleich mit diesem briefe abgesandt '). Ich an 
seiner stelle liesze ihn aber nicht drucken, denn er ist zn persbn- 
licb gebalten und ohngeachtet er reflexionen groszestbeiles ver- 
meidet und die sacbe historiscb zu faszen sucht, doch zu trocken 
und langweilig. Also — ich nahme, falls ich redacteur ware, 
den aufsatz nicht, und er hat ja nach dieser seite vollkommen 
freiheit zu thun was er will. Aber wenn er ihn nimmt, bitte 
ich mn correcten abdruck, und Sie, dasz Sie diesem interesse 
miitterlichen schutz gewahren. . . 

Sie wollten noch wiszen, mit wem wir frieden schliefien 
sollten. Das denke ich ist unsere sorge gar nicht — wir brauchen 
nur auszuhalten. Die Franzosen sind ja nicht blofi anszerKch, 
sondern auch innerlich, so geschlagen und auseinander gefahren, 
dasz fast jede that und auszernng derselben jetzt ein wahnsinns- 
merkmal wird — Grott hat sie mit blindheit geschlagen, verblendet 
— haben wir nur noch ein vierteljahr geduld, so verlieren sie ent- 
weder alle einheitspunkte oder kommen auf ihren knieen gerutscht 
und betteln um frieden, dann haben wir die wahl: zeit, ort und 
personen zu bestimmen — laszen wir also getrost die sorge, wie 
sie’s anfangen woUen, frieden zu erhalten. Wer wird sich mit 
fremden sorgen beladen — Bismarck scheint zu derselben ansicht 
gekommen zu sein — wenn nur Majestat die geduld nicht verliert, 
und nicht zu gutmiithig ist, das iibrige wird sich alles finden. 

In alter liebe und treue der Ihrige H. L. 

[7. 11. 1870]. Ich habe lange, viel zu lange gezbgert mit 
meiner Antwort, aber ich dachte immer, ich wollte den Schltifiact, 
den Strafact filr Paris erzogern, was der Welt soviet Leid zuge- 
fiigt hat, und eigentlich schon lange der rechte Blocksberg war, 
wo alltaglich imd allnachtlich Teufelsdienst gehalten wurde . . . 
Ich denke mir auch die Yerhandlung iiber den WafFenstillstand sei 
ein Bismarckscher Humor — er weiB doch da6 bei den verruckten 
Menschen nichts draus wird, und schiebt damit den Franzosen alle 
Schuld des weiteren Krieges in die Schuhe — oder wenn Etwas 
daraus wird, so bricht der Wahnsinn den WafFenstillstand durch 
irgend ein Attentat oder andere feindliche Handlung. Eine Haupt- 
sorge von mir, daB durch die Pocken- und Typhuskranken und 
Lazarethbrandkranken aus Metz nun auch neben der Viehseuche 
eine Menschenseuche iiber Deutschland ausgesaht werden mochte, 
wie 18l4 im Anfange des Jahres, die ja weit graulicher war als 

1) Oifenbar Deutschland und Frankreich, Ev. K. Z. 1871. 

Kgl. Gcs. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Klasse. 1918. Heft 3, 


24 



370 


Is. Bonwetsch, 


die Cholera, ist ja nan auch beseitigt, dadurch, dafi keiner der 
Kranken dieser Art nach Deutschland gebracht werden darf. Dafi 
Sie von meiner Federthiitigkeit noeh so viel erwarten, ist zwar 
filr mich personlich recht schmeichelhaft, aber es thuts halt nimmer- 
mehr — es ist kein Anhalten mehr in meiner Thatigkeit, das Er- 
lahmen des Alters liegt nicht sowohl im 'Wegfallen der Einfalie, 
als im Aushalten bei deren Ausfiihrung, trotz aller Lust noch am 
Lehen, bin ich miide, schlafmiide durch und durch, und eigentlich 
immer halb im Traume, auBer wo ich ganz trockne Sachen vor- 
nehme. Lexicunarbeit, wobei ein Wort miihelos zum andern fiihrt 
kann ich noch machen, aber Sachen wobei Gredanken festgehalten 
nnd ausgeliihrt werden wollen, gehen nicht mehr. Ich fiihle wie 
ich almalich inwendig znsammenschrumpfe und in eine G-leichgiil- 
tigkeit hereinfalle, von der ich sonst keinen Begriff mehr hatte . . . 

Ich halte in diesem Winter auch nur eine einstundige Vor- 
lesung alle Woche — alle unsere einjahrigen Ereiwilligen sind fort 
und bleiben fort bis zum Ende des Krieges. Was irgend noch 
dienstlos da war und im Juni noch sein Abiturientenexamen unter 
erleichterten Formen abmachen konnte ist im August freiwillig 
eingetreten und Ende September der Armee nachgeschickt worden. 
Alle meine Zuhorer vom vorigen Semester liegen vor Paris und 
sehen ungeduldig dem Bombardement entgegen, Wir haben bier 
wenig Studenten, groBestheils nur Theologen und in irgend einer 
Art Kriippel — sugar tmsere Oekonomiestudirenden sind diinn ge- 
worden, da eine so groBe Menge Inspectoren und Yerwalter in die 
Armee eingezogen sind, und also auch jiingere Landwirthe jetzt 
sehr giinstige Anstellungen finden. Zu meinen Privatvorlesungen 
hatte sich als ich herein kam, sie anzufangen, noch nicht ein ein- 
ziger gemeldet; ich gieng herein, da ich den Anfang einmal an- 
gekiindigt hatte und fund II Zuhorer, sagte ihnen aber rund heraus, 
ich wtirde nicht anfangen, wenn sich nicht wenigatens 5 meldeten; 
ob sie das verdroasen hat, weiB ich nicht, es hat sich aber nie- 
mand weiter gemeldet als ein in Folge des bohmischen Krieges 
zur Disposition gestellter, mit Orden decorirter Ritmeister, so daB 
ich diese Vorlesung nicht anfangen konnte, und auf ein einstiin- 
diges Publicum iiber mittelaltrige Geographie reducirt bin, was 
mir auch langweiiig genug ist. Kurz ! in allem tragischen Tumult 
wire! mir die Welt taglich langweiliger. Dazu ist mir auch nun 
das eine Bein durch rheumatische Schmerzen halb geliihmt, daB 
ich bei dieser naBkalten Witterung nur mit Mlihe meine taglichen 
Spatziergange machen kann, und eine ganz stubensieche, aschfarbene 
Couleur bekomme. Immer noch bequemer als bei gleichem Wetter 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi. 371 

vor Paris Waclie halten. Die ewige traurige Melodie der Wache 
am Rhein, wird mir almalich auch langweilig. 

In alter Treue nnd Liebe verehrnngsvoll 

Halle 7/11 70. H. Leo. 

[Anfang 1871J. Hochverehrteste Gronnerin und Prenndin! 

. . . Tauschers A^orwort hat mir auBerordentlich wohl ge- 
fallen, wenn er auch nicht die gewissermassen wissenschaftlich- 
fiirstliche Stellung in demselben nimmt, die ungesucht und natiirlich 
Hengstenbergs Vorworte, in den letzten Jahren zumal, stets be- 
gleitete — indessen glaube ich nicht, dafi irgend jemand anders 
die Sache zweckentsprechender eingerichtet und geschrieben hatte, 
als Tauscher; Hengstenbergs Blick, der ihn zum Fortfuhrer seines 
Werkes ausersehen, hat sich auch nach dieser Seite sehr gut be- 
wahrt . . . 

Ihrem Herrn Sohn, der wohl noch bei Ihnen weilt, bitte ich 
mich allerbestens als einen alten Verehrer zu empfehlen — mich 
aber Ihnen selbst als Weissager zu empfehlen trage ich grofie 
Bedenken. Mir thut nur leid, wenn unser Kaiser die G-utmiithig- 
keit so weit ausdehnt, dab er dies alte Satansnest, Paris, nicht in 
der AVurzel zerstort, denn leider haben wir gute Deutsche (wobei 
ich mir die Freiheit nehme, mein romanisches Herz diesmal aus- 
zunehmen) so viel von gutmlithiger Schwache in nns , dab unser 
Hab allein uns nicht gegen den auch nun noch fortdauernden Ein- 
flub von Paris schlitzt, und da doch der liebe Gott in dem ganzen 
Kriege oifenbar den Kaiser so gefiihrt hat, dab er seiner Aufgabe 
gewissermaben die Spitze abbricht, wenn er in Paris einen Stein 
auf dem anderen labt, so kommt mir ein Schonen von Paris ge- 
wissermaben wie ein im Stichelassen der von Gott gestellten und 
ermoglichten Aufgabe vor, und wie ein Unterlassen der Befreiung 
Deutschlands von Satans Einflub. JedesfalLs bekommen wir in 
einigen Jahren doch einen neuen Krieg mit Frankreich, und wer 
wird aufschieben, was man augenblicklich rein und priicis abmachen 
kann. AVer weib ob wirs so schbn wider in unsre Hande be- 
kommen! Der liebe Gott wird sich htiten, uns noch einmal so in 
die Hande zu arbeiten, wenn wir einmal unsre Pflicht versaumt 
nnd seine HofPnung auf uns getauscht haben. . . [Aber siehe den 
Br. V. 2. Pfingst. 71]. 

In alter Liebe und Treue der Ihrige Dr. Leo. 

[April 1871[. Ihr letzter eben erhaltener Brief, meine hoch- 
verehrte Gbnnerin und Freundin! erinnert mich lebhaft an meine 

24 * 



372 


N. Bonwetsch, 


Simden, Ihnen so lange Antwort schuldig geblieben zu sein, da 
aber zu -wirklicben Siinden aber wesentlicb aucb gebbrt, daS man 
aucb anders batte handeln kbnnen, und icb eben die ganze Zeit 
iiber unfabig war, zu antworten, bin icb eben aucb nicbt an wirk- 
licbe Siinden, sondern an das erinnert worden, was Lutber Pnppen- 
siinden nennt, denn icb bin scbon seit Anfang dieses Jabres in 
einem balben Krankbeitsznstande, in dem sicb illr die letzten 14 
Tage eine entsetzlicbe Grippe vorbereitete, die micb nun scbon so 
lange zu Stubenarrest vernrteilt und aucb zu der kleinsten Pro- 
duction voUig unfabig gemacbt bat. Die 72 Jabre^) meines Alters 
macben sicb eben docb almalicb sebr bartnackig geltend und strafen 
aucb fiir jedes geringste WagniB. Dazu ist nun znletzt nocb der 
verbaltnisniafiig traurige Ausgang dieses Krieges gekommen, der 
micb statt einer Triimmermasse, wie die von Babel und Ninive 
an der Stelle von Paris seben zu lassen einen traurigen Abzug 
unseres Heeres seben laBt, der uns mebr als genarrte Leute denn 
als Sieger den kommenden Gescblecbtern prasentirt, und das mo- 
derne Babel in seinem Einflufi auf Prankreicb und dadurcb Frank- 
reicbs EinfluB auf die Welt in unveranderter Weise binstellt. Der 
Ausgang ist wirklicb fiirchterlicb matt, so daB er micb auf das 
lebbafteste an v. Arnims Worte im Wintergarten erinnert; „seit 
Gott nun genialiscb ist es die Welt nicbt mebr“ — und das gebt 
mir scbwer ein . . . Natlirlicb denen, die bei der Stang v^aren, 
ist alles nicbt so langweilig gewesen, wie uns in den Winterquar- 
tieren, die zum Ernst ermabnt, dock nirgends zu recbtem tiefen 
Ernst kommen konnten, sondern immer von Neuem durcb die GroB- 
tbaten unsrer Frauen unterhalten und zerstreut wurden, um am 
Ende einer GroBthat der Humanitats- u. Freimaurerreligion zuzu- 
scbauen. Mich trostet und erfriscbt dieses Spiel der Humanitat 
nacb keiner Seite, aucb weiB icb nicbt was uns diese Freude un- 
serer altliberalen an dem humanen Scblusse im Inneren belfen soil 
— ja wenn man daraus auf ein inhumanes Finale gegen das 
liberale Zeug im Dande selbst scblieBen diirfte — aber im Gegen- 
theil, die Humanitat wird da znletzt aucb den Vogel abschieBen 
und uns freudig mit langer Hase als die geprellten Sobne des 
Conservatismus abzieben seben. Icb babe micb. aucb wenn icb 
batte ausgeben durfen, diesmal aucb grundsatzlicb an keiner Art 
W abl betbeiligt. Kein Conservativer giebt sicb die mindeste Mlihe 
eine Wabl aus sicb zu zieben oder fiir eine solcbe Wabl das min- 
deste Vertrauen zu erwerben. Was soli man Zeit und Krafte 


1) Leo war geboren am 19. Marz 1799. 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quasi. 


373 


daran wenden leeres Stroh zu dreschen nnd leere Xiisse aufzu- 
beiBen. Icb bleibe dabei, es bilft uns nichts, als wenn endlicb 
einmal alle ordentlichen Menscben dazu kommen, zu keiner Wakl 
nur zu gehen, fiir keine auch nur eine Sylbe zu reden und da- 
durck endlicb den Beweis zu fiibren, dafi dies gauze constitutionelle 
Puppenspiel fiir Deutschland eine isarrbeit ist, eine Leerbeit obne 
Fundament. Es kann sein meine Stimmung ist z. Tbeil nur das 
ErgebniS meiner von lange ber eingefiidelten nnd durcb diesen 
tiickiscben Winter groBgezogenen Grippe. Icb will micb desbalb 
aucb nicbt zn sebr innerlicb aufbringen lassen — aber ein Refran 
bleibt docb scblieBlicb: Gott bessers, und macbe seine Genialitaten 
in Zukunft nicbt so ganz alleine, wie diesmal, wo er den Menscben 
docb eigentlicb nur die strategiscben Berecbnungen und das sitt- 
Hcbe Ertragen iiberlassen bat , worin sie ibm boffentlicb leidlicb 
genug getban baben, um in zwei Jabren (langer wirds docb nicbt) 
dieselben Leistungen nocb einmal zn iibernebmen. 

Emma ist wobl und munter und die Freude an ibrem kleinen 
Cbarlottcben ist so kindlicb und binreiGend, daB sie sogar micb 
alten Knasterbart damit ansteckt. Icb werde Ibre GriiBe bestellen 
und daB Charlotte Ibren Taufnamen tragt treulicb bericbten, wo- 
mit icb gewifi groBe Freude anstelle. TJnd nun bebiite Sie Gott 
treulicbst wie bisber, icb flircbte auf keinen Fall diesmal meinen 
letzten Brief an Sie gescbrieben zu baben. Meine besten Empfeb- 
lungen an Ibren Herrn Sobn ... — aucb an Tauscber, dem icb 
aus gleicben Griinden , wie Ihnen die Antwort auf seinen letzten 
Brief scbuldig geblieben bin. Wie sebr icb micb aucb an seiner 
Zeitung freue, schicken kann icb ibm docb fiir dieselbe nicbts. Icb 
stebe mit meinen Gedanken und Pbantasieen docb zu weit dabei 
bei Seite. Pm in dieser letzten langweiligen trilben Zeit nicbt 
gar zu sebr in langer Weile zu verkommen, babe icb mir Lubke’s 
bistoire de la renaissance Francaise kommen lassen und erfreue 
micb an den franzosiscben ScbloB- und Hotelbauten, die micb aucb 
in Zeiten Frankreichs zuriickfilhren, wo von ibren beutigen Teu- 
feleien nocb viel weniger an den Franzosen bieng dagegon viel 
Weltverstand nnd verstandige Weltfreude. Um von diesen Dingen 
einen Sprung in unsere protestantischen Kircbenfreuden zu macben, 
miisten aber meine Kniee allerdings nocb eine groBere Sprungkraft 
besitzen, als in diesem Augenblicke meine Grippe nocb gestattet; 
nicbt einmal an der Correctur meines angelsachsischen Worter- 
bucbes babe icb die voUe Freude, die icb da von holFte — dies gute 
engliscbe Volk ist docb aucb durcb sein constitutionelles Wesen 
ein groBeres Rindvieb geworden, als icb ibm zugetraut babe — 



374 


N. Bonwetsch, 


das Zeug verdummt jeden der sich damit einlafit — Gott sei Dank 
dafi uns kein Eid aufgelegt worden ist das Zeug zu lieben, sondern 
nur es zu beobachten d. b, griindlicb hassen zn lernen. 

In alter Liebe und Treue der Ihrige H. Leo. 

Der gute Senfft schatFt auch im treuen Dienst das Seine — 
allerdings zuweilen in zu einfacben Reflesionen, fiir die unsre 
Zeit nicbt mebr gescbaffen scbeint. Warum ist nur unser guter, 
braver, einfacber Wilhelm nicbt aucb einfacb bei solcber Einfacb- 
beit geblieben, sondern bat sicb von diesem iiberbiirgerlicben Staats- 
rasonnement imponiren lassen; jedermann fast . . . jubelt . . . wenn 
wir einmal von der letzten Wabl boren, deren jede docb mit einem 
Stuck von altem preuBischen Wesen zum Teufel fabrt. Gott er- 
balte uns wenigstens unser Heer in alter Treue und Geborsam, die 
nocb keine Wabl bat anfecbten kdnnen. 

[etwa Mai 1871], Xacb Berlin zum Herrenbause bin icb aller- 
dings nocb nicbt gekommen, werde aucb in diesem Jabre nicbt 
kommen, denn icb bin fast unmittelbar nacb dem Ende der Eerien 
wider in wunderbarer Weise erkrankt imd wabrend der ersten 
Wocbe nacb den Eerien etwa 9 mal auf der StraBe der Lange nacb 
zu Eoden gefallen und zwar zum Tbeil sebr gefabrlicb — das 
eine Mal mit dem Kopf an ein Wagenratb, so dafi nur der Zufall, 
dafi der Mann, der den Wagen leitete, neben demselben bergieng 
und denselben unmittelbar anbalten konnte und nicbt erst abzu- 
steigen braucbte [!] Der Minister Miihler bat micb fiir dies Semester 
von Vorlesungen dispensirt; icb war bei den engen Strafien und 
dem miserablen Pflaster in Halle wenn icb in unseren Strafien zu 
geben wagte in der Regel sebr bald wie bebext und kann nur, 
wenn micb meine Frau flibrte und geleitete, es wagen auf der 
Strafie zu geben. Erst in den letzten Tagen babe icb wider einiger- 
mafien geben kdnnen. Zu Hause geht es leidlicb; docb nie obne 
Leitnng und Aufrecbtbaltung. Etwas besser scbeint es wider geben 
zu wollen namentlich im Ereien, wo icb nocb nicbt gefallen 
bin, dagegen in den Strafien der Stadt gebt es nocb durcbaus 
nicbt; der Arzt macbt mir Hoffnung nur, wenn icb gar keine Ex- 
perimente mache, namentlich nur, wenn icb gar keine Versuche zu 
geben in der Stadt macbe; jedes neu umfallen werde mir Schwindel 
und Hinfallen verursachen; nur wenn icb micb sebr in Acbt nebme 
und viel im Ereien gebe, macbt er mir Hoffnung auf dauernde 
Besserung . . . Icb selbst babe eigentlicb wenig Hoffnung auf 
griindlicbe Besserung, obwobl der Arzt die beste Hoffnung bat, 
zumal es in den letzten Wocben besser gebt, denn bei meinem 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quast. 


375 


"Vater war das ebenso ; der Schlag riihrte ihn plotzlich; Prasident 
V. Gerlacb . . hat mich durch Tholuck warnen lassen. Ich moge 
mich in Acht nehmen, es scheine zu Ende zu gehen. Nun, wie 
Gott will! ich bin auf Alles gefafit. Wenn unsere Welt nur nicht 
so sentimental zu werden anfienge. Dafi nnser Geschlecht keine 
Courage mehr hat, zum Tode zn vernrtheilen, ist doch ein sehr 
bedenkliches Zeichen — am Ende wird man anch keine Courage 
mehr haben, Krieg zu fiihren. 

[2. Pfingstt. 1871], Meine hochverehrte gbnnerin und freundin! 

Ich schreibe Ihnen heute nach langem schweigen in einer art 
zerknirschung ! Sie konnen sich denken, dasz ich meine aufregung, 
dafi die preuBische armee in einer art einsiedlerischer demuth 
Paris passirt ist, nicht blosz Ihnen, sondern alien freunden auch 
tier laut genug ausgesprochen habe, dasz die plane gottes an 
diesem der fauligen gahrung anheimgefallenen Paris so ganz von 
unseren lenten unbeachtet gelaszen sind, nnd nun zeigt sich dasz 
die plane gottes doch weit griindlicher und ohne alien schaden fiir 
uns ausgefiihrt worden sind, als wir sie hatten ausfiihren konnen. 
Wenn wir Paris in einen triimmer- und aschenhaufen verwandelt 
hatten, welch ein geschrei uber die nordischen barbaren wiirde das 
gegeben haben, nun wo die Franzosen das alles selbst weit griind- 
licher leisten, als wir es gekonnt hatten, werden die neutralen 
trbpfe, die herren englander, belgier und italiener belehrt, daB sie 
zeither esel ohne alle einfalle gewesen sind und miiszen uns nach- 
traglich nach alien seiten recht geben — ich bin durch die ge- 
schichte belehrt, dasz ich auch ein esel war, dasz ich mir ein- 
bildete, der liebe gott brauche unsre preuBische armee, um zu 
strafen, wie er .es fiir recht findet, wahrend er doch strafmittel 
die hiille und fiille auszer der preuBischen armee hat, wenn er 
strafen will in seiner gerechtigkeit. Wenn man sich denken kbnnte, 
Bismarck habe eine gottgleiche voraussicht gehabt und in dieser 
voraussicht den ganzen handel um den praliminarfrieden ange- 
fangen und ausgefiihrt, so miiBte man ihm eine raffinirte bosheit 
zutrauen, wie er sie entfernt nicht hat, denn so wie mit diesem 
scheinbar so barmherzigen praliminarfrieden ist noch . so lange 
die welt steht kein volk hinters licht und in sein verderben ge- 
fiihrt worden, wie jetzt die franzosen, von denen nun auch die in 
Deutschland auf sicherem boden sitzenden gefangenen noch zur 
theilnahme an der strafe herbeigeholt werden und sie in dem Paris, 
was sie von innen heraus in ranch aufgehen laszen, einen mittel- 
punct aufgehen laszen, den weder sie, noch irgend ein Mensch 



376 


N. Bonwetsch 


ihnen zn ersetzen vermag, wie viel kunstwerke, wieviel einzig in 
Paris vorhandene sohriftwerke werden in diesen tagen von feuer 
verzelirt werden, und was gerettet wird, so viel es sein mag, wird 
dock nur ein armseliger rest sein. . . und eke Frankreick sick von 
dieser strafe nur ein wenig erkolt, werden dort ganz neue kil- 
duDgen und sckopfungen erwacksen und stadte wie Lyon und Tou- 
louse werden Paris weit voran wacksen, neue mittelpuncte sick 
bilden, keiner so kerrsckend wie Paris, keiner so gottlos und ver- 
derkend wie Paris, und eine ganz andre welt wird dem Frank- 
reick, was diesen dampf iiberdauert, in die augen sehen, nickt der 
krieg von 1870 sondern der brand von 1871 wird den ckarakter 
der neu entstekenden welt bezeichnen. . . Als ick gestern, als am, 
ersten pfingsttage, ohne in der kirche gewesen zu sein, ausgeken 
wollte, traf ick an meiner kaustkiire einen prediger, der mir sagte, 
er passe eben auf mich, um mir eine predigt zu kalten, und mick 
zu fragen , wie ick dazu komme? unsres kerrn Gottes gottlickes 
regiment zu tadeln, der uns dock gerade durck sein regiment so 
endlos besckamt und gezeigt kabe, was und wie es katte gesckeken 
miiszen, um seinen willen, auck seinen strafwillen, durck zufiikren 
und dennock uns vor den vorwurfen keidniscker barbarei zu be- 
wakren; ick tkate beszer, in sack und ascke busze zu tkun als 
dariiber zu eifern, dasz unsere leute Paris unberlikrt kinterlaszen. 
und es seinen eignen sbknen zur strafe und zerstbrung kinter- 
laszen katten. . . 

In alter liebe und treue der Ikrige 

Dr. Leo. 

[Sommer 1871]. Leider, verehrteste Gbnnerin und Freundin ! 
bin ick nickt wokl. Es gekt mir allerdings besser, aber ick braucke 
fortwakrend den Stock zum Geken und kabe bei der geringsten 
Anstrengung Zittern in den Beinen und mein Gedacktnifi wird 
immer weniger prasent, das keifit — namentlick Namen verlieren. 
sick mir oft auf Viertelstunden dann sind sie plbtzlick wieder da. 
Emma ist wokl und ikre kleine Ckarlotte gedeikt, die ick leider 
nock nickt geseken katte. Ick dackte zu Pfingsten nack Rostock 
zu reisen, aber meine Frau setzte sick mit Mackt dagegen, wokl 
auck mit Reckt ! denn da ick aus keinem gewbhnlicken Wagen 
okne die Hilfe eines Stockes aussteigen kann, und mir[!] das in 
der Eegel ungesckickte Helfen andrer Leute nickt leiden mag, 
auck durck irgend Etwas, was mick reitzt sogleick in entsetzlicke 
Auiregung gebrackt werde, kat meine Frau sckon mekrfack Scenen 
erlebt, wo wenig gefeklt hat, daB ick einen ungesckickten Kutscker 



Briefe des Historikers Heinrich Leo an Frau von Quast.. 


377 


mit dem Stocke iiber den Kopf gescUagen hatte, stellte sie vor; 
was soli darans werden, wenn Da in solchem Znstande auf einem 
fremden Bahnhofe einen Bahnbeamten bebandelst und doch ist 
nicbts wahrscheinlicber als das geschiebt und dazu das iiberall 
jetzt bbcbst aufgeregte and empfindliche Volk, was iiberall nur 
Kespect baben nnd seben will, well es uns wie sie meinen allein 
vor den Franzosen bewabrt babe, daB das die Officiere in erster 
Stelle mebr gethan baben, als es selbst, will ja niemand begreifen, 
da man sogar dem Kbnige iibelnimmt, daB er iiberall dem lieben 
Gotte die Ebre giebt, die wie es meint dem deutscben Volke ganz 
allein gebiibrt. Hoffentlich bin icb bis zum August wider so weit, 
daB icb obne Stock aus einem Wagen kommen kann — icb babe 
jetzt wenigstens eine kraftige Stablarznei, die auch augenscbeinlicb 
Etwas hilft — mir mehr Bube scbaft, das Zittern der unteren 
GliedmaBen mildert und micb ordentlicb scblafen laBt. . . 

Der Arzt batte gewollt, icb sollte diesen Sommer nicbt lesen. 
Icb babe es aber docb dnrcbgesetzt. Es war mir zu baBlicb, daB 
icb nacbdem icb 70[!] Jabre gelesen, nun, bei gesnnden Sinnen 
mein Amt im Sticbe lassen sollte . . 

Die Zeit ist allerdings sebr confus — daB der jetzige Pabst 
so groBe unnbtbige Eumor macbt am Gangelband der Jesuiten ist 
wohl begreiflicb, da er vom Biscbofe Malacbias die Propbezeibung 
bekommen hat : cruce de cruce ! ein Kreutz vom Kreutze ! — da- 
gegen bat der nacbste: lumen de coelo. Der jetzige also era 
Kreutz vom Kreutze, der nacbste ; ein Licbt vom Himmel ! Da 
finde icb aucb nocb Etwas, was Sie noch lernen miissen — namlicb 
warten ! und Geduld ! — Warten Sie nur, das Licbt vom Himmel 
wird auch noch kommen — die katholiscbe Kircbe bat ja die 
Wahrsagung, daB nur der letzte Pabst wider Petri Priesterjabre 
erreicben werde: Petrus war ilacb der katholiscben Tradition iiber 
25 Jabre Haupt der Kircbe, und Leo IX[!] ist in den letzten 
Wocben auch iiber das 25, Jabr hinausgekommen — es scbeint also, 
er wird der letzte sein. — DaB das gerade mit dem n e u e n Kaier- 
tbum zusammen trifft — der erste protestantiscbe Kaiser — wenn 
nun der nacbste Pabst aucb der erste protestantiscbe Pabst wiirde '? 
was dann? Wo ware dann die Infallibilitiit? . . 



Reimstudien I. 


Von 

Edward SchrSder. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 18- Oktober 1918. 

Das Adverbium zn hoch. 

Die vorstehnde Studie xmd in engem Zusammenhang mit ihr 
auch die zweite sind erwachsen aus Erwagungen iiber die Text- 
gestalt von ein paar Versen des ‘Helmbrecht’ (210. 605 f. 1391 f.), 
auf die ich S. 379. 381 zu sprechen komme. und ihre Entstehung liegt 
schon eine Reihe von Jahren zuriick. Eiir die Form aber in der 
ich sie jetzt zum Drnck bringe, ist das Material nicht nnr nen 
iiberpriift , sondern bedeutend vermehrt worden : alles in allem 
hab ich nach meiner Zahlnng uber 700,000 Verse altdeutscher 
Dichter auf die in Frage kommenden Reime exzerpiert ^) , anna- 
hernd ebensoviele fliichtig darchgesehen. Es gilt das namentlich 
fur die zweite Studie, aber ich erwahn es schon hier, um Behaup- 
tungen grofiern Nachdruck zu geben, die ich hier aufstellen mu6, 
ohne den Raum fiir das Bewei.smaterial zur Verfiigung zu haben. 

Unsere mittelhochdeutschen Worterbiicher (Mhd. Wb. I 696 f., 
Lexer 1 1323) notieren zu Loch das Adverbium mit den Formen 
hohe und ho, Lexer schaltet zwar dazwischen noch hoch ein; aber 
indem er nur zwei spate Belege anfiihrt, verrat er, dab er dies 
hoch fiir eine apokopierte Form halt^j. Die Grammatiken schweigen 


1 ) wobei ich mich frcilich iiberall wo Reimlexika existieren (fiir etwas mehr 
als 100,000 Verse), auf diese rerlassen babe. 

2) Die verbangnisvolle Xachwirkung der Worterbucber zeigt z. C. das Glossar 
von Singer zu seiner Ausgabe des Heinrich von Xeustadt, wo geradezu angesetzt 
wird ; ‘ho Adv.’ — ‘hoch Adj.’ 



Reimstudien I. 


379 


demgemafi von der Form und betrachten das Adv. M als Kontrak- 
iion aus hohe > hoe: so Wilmanns § 90 Anrn. 1, der die Erklamng 
von Kogel aus einer Form mit gic (Idg. Forscb. 3, 295) als ge- 
kiinstelt ablehnt, und Paul, Mhd. Gr. § 72, der in der Anm. ho = hoch 
(‘wabrscbeinlich’j auf solche Formen zuruckfiihrt, ‘wo h im Inlaut 
zwisclien Vokalen stebn wiirde’. Nur Michels, Mhd. Elementar- 
buch §118 wirft die Frage auf: ‘Oder ist in einem Teil der mhd. 
Dialekte ch im Auslaut nach langem Vokal lautgesetzlich geschwun- 
den ?’ — von dem Adverbium speziell sagt er nichts, er wiirde aber 
jedenfalls nichts dagegen haben, auch das Adv. ho aus einer Form 
hoch abzuleiten , wenn sick eine solche nachweisen und morpholo- 
logisch begriinden lafit. 

Dem im Ahd. unbedingt vorherrschenden hoho (Graff I 777), 
der alten Ablativform des Adverbs, entspricht im Mhd. natiirlich 
zunachst hohe. Es fehlt aber dafiir fast ganz an Eeimbelegen: 
denn ier vUh springt zwar ‘hoch’, kommt aber in der Poesie wenig 
vor (und gar im Dativ !) ; bleibt also nur der (NGAkk.) Plural des 
Mask. Idh und der Dat. Sg. des gleichen Wortes (als Mask. u. 
Ntr.): tatsachlich beschranken sich die Reimzengnisse auf hohe: 
{in dem) Idhe Neidh. 29, 35: 37, wo Uberlieferung und Stropbenform 
die Form sichern, und ahnlich Helmbr. 605. 1391, wo dieAusgaben 
seit Haupt der Hs. A folgen — wie sich unten zeigen wird, mit 
Unrecht. 

In der Zasur und im Versinnern ist die zweisilbige Form hohe 
iiberreich belegt. In der Zasur z. B. Nib. B 207, 2. 462, 2. 826, 1 
u. s. w. : Kudr. 59,2. 253,4. 366,2. 863,3 u. s. w. ; im Versinnern 
einerseits daz ez im hohe stut Nib. 330, 3, ir dine in heiden hohe stdt 
Nib. 546, 4; vil hohe man die ivac Kudr. 605,2, ich ivii dich hohe 
mleten Kudr. 1296, 3; so hohe stet des hiineges dine Bit. 4994, do hete 
hohe tif envegen Bit. 10843 u. s. w. — anderseits si sint viJ hone ge- 
muot u. ahnl. Nib. 390, 4. 955, 4. 1171, 4. 1669, 4. Fiir Wolfram 
sind sichere Belege z. B. hdite oh den lecrden Parz. 254,25, side iin~ 
hohe inch ditz idgt Parz. 287, 24. Bei Walther steht hohe als takt- 
fuUend sechsmal, das nahere s. u. S. 390 f. 

Nun zeigt aber die Uberlieferung mhd. Dichter nicht selten 
im Vers die Adverbialform d c/; , aber hier pfiegen unsere Heraus- 
geber einzugreifen und sie durch hohe zu ersetzen, so oft dies ir- 
gend moglich erscheint. Ein solcher Fall ist Helmbr. 210, wo 
beide Hss. bieten {daz ich hi dem selhen knahen) den idben hot un- 
hoch erhahen, und weiter a. Heinr. 386 daz hoch off'en sfiioiit sin 
tor, wo es vor Gierach gleichfalls alle Herausgeber fiir nutig ge- 
halten haben, gegen die (hier einzige) Hs A zu schreiben hoh. 



380 


Edward Schroder, 


Diese Adyerbialform hCcli ist jedoch auch in guten alien Hss. 
iiberliefert, so in der Milst. Exodus 162, 9 sin hunt er liocJi of 
Jtiip, Ilf. sa scstiint er sich of tete ho eh als ein more. Eeicblich 
so alt ist aber ancb mein friihster Eeimbeleg, Rol. 109, 12 {die 
furen gegen dem himeie) in die lufte vil hdcJi {lensdch). Aus der 
Bliitezeit fiihr icb bier an: K. Fleck 6824 {als ez sich darzuo 
gezoch) iiiht ze nidere nocli zehuch, M’olfr. Parz. 740, 23 der heiden 
ivarf daz sicert uf hoch {: gezoch), Will. 88, 27 hastdnen bourne ein 
schache dd stuont mit icinrehen hoch {: enpfloch)] aus den Epigonen: 
Reinmar v. Zweter 159, 5 ; Ulrich v. Licht. Lied m 58, 30; Ulrich v. d. 
Tiirlin 140, 17. 132, 18; Ulrich v. Eschenbach Alex. 4855. 7375; 
Heinr. v. Freib. Trist. 5208; Lohengr. 275,4. 326,1. 531,1; Boner 
42,49. 49,1. Ich babe mich auf Autoren beschrankt, fiir die das 
-ch im Reimwort feststeht, nndFalle fortgelassen wie Pass. I (Hahn) 
30,4, wo man flir hoch: zoeh allenfalls auch ho: zd erwagen konnte. 
Allzu zahlreich sind die Belege natiirlich auch hier nicht, da {<je)z6ch 
nnd {eiffloch fast die einzigen Reimworter sind nnd diese sich 
schlecht zu hoch gesellen. 

Eigentlich hatte es solcher Reimbelege auch gar nicht bedurft, 
um die Adverbialform ]<och zu erkennen ; wir besitzen eine ganze 
Reihe adjektivischer Zusammensetzungen oder Zusammenriickungen, 
in denen hdch schlechterdings nichts anderes als dasAdverbium sein 
kann. DaG man das jemals verkannt hat, erscheint merkwiirdig 
und dock ist es so : in dem oben zitierten Glossar von Singer wird 
hoc h g eb orn ausdriicklich beim Adj. hoch eingestellt. Aber die 
entsprechende Form bei guot lautet nicht *guotyeborn, sondern wol- 
geboru, wie es ebenso ivobjemuot und wolgezogen heiGt ! So sind denn 
all die Bildungen wie hochg elol et , hoch g emeit , hdchg emuot, 
hoch g en a n i, hochbesihorn u. s. w. als mit dem Adverbium zusammen- 
gesetzt anzusehen und trotz ihrer auGern Zugehorigkeit zu hdchvart 
{hochvcrtic), hdehgcmikte, hdchgerihte, hdchgezit von diesen formell zu 
scheiden. Besonders lehrreich ist in dieser Beziehung das Nibelungen- 
lied. Zu den zahlreichen Stellen, in denen hoh'e gemuol (besonders fiir 
die letzte Halbzeile) gesichert ist, treten ebenso zahlreiche mit 
Jiochgemuot (s. Bartschs Wb. ^); man vgl. z. B. die Halbverse 
si sint vil hohe gemuot 390, 4 
und si sint vil hbchgemuot 1721, 3. 

Die im vorhergehnden aus dem Reim, der Wortbildung und der 
Uberlieferung gesicherte Adverbialform hoch ist nun auch mit der 


1) naturlich weichen die Lesarten hier vielfach ab. 



Reimstudien I. 


381 


Handsclirift B an den beiden Stellen des Helmbrecbt in den 
Reim einznsetzen. 606 f. ist im genauen AnscbluB an diese Hs. 
zu lesen 

wie dll Boldest fliegen ho eh: 
iiher velt und uber loch. 

veil und loch geben bier ein besseres Paar als ivalt und loch oder 
gar ivalt und lake, wie A tiberlieferte, so dafi von den Heransgebem 
erst in ivelde und luhe geandert werden mnfite. — Ebenso scblieB 
ich micb, nnd bier bab icb einen Vorganger an Kraus, Zs. f. d. Alt. 
47,308, an B an 13911: 

derselbe fitter sie gevienc, 

1390 do sie den dbent spate gienc 
suochen Jcelber in den loch: 
des stat ouch mir min nniot hoch. 

Die Mutter war in das Waldcben gegangen, die dort weidenden 
Kalber beimzubolen ; der Akkusativ ist es der bier verlangt wird, 
nicbt der Dativ ; und das ouch mir ist kaum zu entbehren , denn 
die Scb wester sagt zu dem Brnder ‘dn hast nicbts vor mir voraus’. 
Was aber zuletzt bei Panzer steht: suochen kelber in dem lohe : des 
stdt min nniot so hohe ist uberhaupt ein abscbenliches Reimpaar 
(kl. 4: 3 Hebungen), wie es so wenig bei Werner dem Gartner 
wie sonst in dieser Zeit vorkommt. 

Wie ist nun dies Adverbium hoch anfzufassen? Keinesfalls 
als Apokope von hohe — also mu6 es eine ganz andere Form sein. 
Es bieten sicb zwei Mbglicbkeiten : ‘boch’ ist unter alien Umstanden 
ein relativer BegrifF, somit wlirde der Komparativ des Adver- 
biums leicbt an die Stelle des Positivs treten konnen : es kbnnte 
dann hoch sicb zu hceher verbalten wie bas zu bezzer, d. h. auf ein 
german. *hauhiz zuriickgefuhrt werden, das in lautgesetzlicber Ent- 
wickelung zu ahd. hoch wurde. Gegen diese Auffassung wird man 
vielleicbt einwenden, da6 die Adverbialform hoch vorlaufig im Abd. 
nicbt belegt sei; mir scbeint dieser Einwand nicbt sticbhaltig, 
aber ich glaube selbst, dafi eine andere Erklarung naher liegt. 

Wir wissen dad neben dem Ablativ, der in hohe wie in lat. 
merito vorliegt, bei vielen Adjektiven aucb der Akkusativ des Keu- 
trums als Adverbium gebraucbt wird, bei uns wie im Lateinischen 
{nmltum, satis, facile). WUmanns II 602 f. hat dafiir eine sehr lehr- 
reicbe Sammlung geboten; er zeigt aucb, dafi in einzelnen Fallen 
von demselben Adjektiv beide Bildungsweisen , die akkusativiscbe 


1) vgl. den niederdeutschen Ortsnamen Kalverlah (bei Gifhorn) und die J'a- 
miliennamen Kalberlah und Kalberloh im Berliner Adrefibuch. 



382 


Edward Schroder, 


und die ablativische vorkommen (so garo — garaico, ndh — ndJio), hat 
aber kaam erkannt, dafi diese Erscheinung eine grobere Ausdeh- 
nung besitzt. So ist ihm nicht nur das Paar lidcl-lidlie entgangen, 
sondern noch eine Eeihe weiterer Falle, wo wir eben gewohnt waren 
mit Apokope zu rechnen. Ich greife davon nur einige herans. 
Ea ist zunachst die weit verbreitete Adverbialform auf -Itch {-I ich), 
besonders auch in der Zusammenriickung beliebt : jdunerlich gevar, 
'kmnherlich gemuot. Weiterhin lane neben lange. Sodann rechne 
ich hierher unsere neuhochdeutschen ‘schon’ und ‘fast’, die adver- 
bial schon um 1300 in ostmd. Quellen bezengt sind denen Apokope 
keineswegs gelaufig ist (s. Weinhold § 318): es sind das die nach 
dem Sieversschen Synkopiernngsgesetz regular entwickelten Eormen 
der adjektiv. i-Stamme ; neben cast und scliun ist auch hart so 
anzusetzen, vgl. Pass. ed. Hahn 65, 3 die sncle iraf in also hart, 
— Auf oberdeutschem Boden haben wir dieselbe Erscheinung, wenn 
neben sehicre auch schier als Adverbium schon friih erscheint, und 
zwar durch den Keim belegt in alten Quellen die noch keine Apo- 
kope aufweisen, so z. B. in Albers Tundalus 659. 995 schier: {ein) 
tier. In alien diesen Fallen liegt nicht ein verkiirztes Ablativad- 
verb vor, sondern vielmehr die Akkusativform des Eeutrums, die 
daneben die gleiche Verwendung hatte and offenbar in historischer 
Zeit mehr und mehr Raum gewann. 

Eine reichere Bezeugung im Reim als hoch findet naturgemab 
die Form ho, filr die sich bequemere Bindungsmoglichkeiten bieten. 
Es sei mir gestattet, meine Auffassung des Gutturalschwunds hier 
voranzustellen, eh ich das Alter und die Ausbreitung der Erschei- 
nung in den mhcl. Quellen beleuchte. Die vorwiegende Meinung, 
wie sie Wilmanns und Paul vertreten, geht dahin, dab dies h zu- 
nachst lautgesetzlich im Inlaut geschwunden sei und die /w-Form 
des Adverbs also durch Ivontraktion , die des Adjektivs durch 
Formiibertragung ihre Erklarung finde. Nachdem wir ein Adver- 
bium hoch festgelegt haben, mub die Moglichkeit, dab hd direkt 
aus hoch. entstanden sei, zunachst fiir die Adverbialform ins Auge 
gelabt werden; wir konnen davon freilich das unflektierte (pradi- 
kative) Adjektiv nicht trennen. 

Man sieht eigentlich nicht ein, warum fiir das auslautende -h 
so hartnackig die Analogie verantwortlich gemacht und der Um- 
weg iiber die Formen mit Schwund im Inlaut gesucht wird. Bei 
zd[h) z. B., wo dieser Abfall weit verbreitet ist, kann er nicht aus 
dem Prat, stammen und mubte also aus dem Pras. sien abgeleitet 
werden, dem die Prateritalformen siigen, siige, gezogen doch wahr- 



Reimstudien I. 


383 


lich ein Gegengewicht boten ; eher konrite man schon ausderForm 
mit enbliniertem Fronomen wie zoher den Aasfall herleiten. Warum 
soil aber nicbt ebensogut der Abfall des -h {-ch) nacb langem V okal 
mbglicb gewesen sein, wie der Abfall des -r, der sich in ddr, war, 
sdr vor nnsem Augen vollziebt ? Haben wir dock in den beutigen 
Gialekten anf weitansgedebntem Gebiete den Scbwand des -ch nicbt 
nur in hoch, sondern aucb in auch und gleich, wo das ch sogar einem 
germaniscben k entspricbt ! atich bat seinen auslantenden Gnttural, 
wie der Spracbatlas erweist, nabezu anf dem gesamten bocbdeut- 
scben Spracbgebiet verier en, ylei statt git uh berrscbt in zwei ans- 
gedebnten Territorien : Scbwaben und Obersacbsen. 

Tiber den Scbwund des -ch beim pradikativen Adjektiv hOch 
gibt der Bericbt Wredes im Anz. f. d. Alt. 22, 101 genane Auskunft; 
das betr. Blatt des Spracbatlas, das icb in Marburg selbst einge- 
seben babe, weist zwei getrennte Hauptgebiete auf, Mittelfranken 
und Scbwaben: dort hii, bier ho mit Neigung zur Dipbthongierung. 
Die scbwabiscbe Grenze mufi dann in die Xordostscbweiz fortge- 
fubrt werden (wofiir icb gegenwartig nur auf das Scbweizer Idio- 
tikon II 972 verweisen kann), und anderseits erstreckt sicb die 
Erscbeinung bald in dicbten Ortsgruppen, bald mebr vereinzelt tief 
nacb Bayern binein. Was bier fur das piadikative Adjektiv fest- 
gestellt ist, gilt naturlicb ebenso fiir das Adv erbium hoch. 

Ein paar Belege iiir das Adv. h 6 finden wir scbon bei Notker : 
Boetb. I 2 (Piper I 9, 26) So si das huuhct h 0 uferhureta, Ps. 130, 1 
Noh nihiiu ougtn nesint ho irhduen (vgl. 9, 15 JDtt mich hOho irJteuesf, 
72,9 tJf hoho hiioben sie iro munt). Icb bin nicbt sicber, ob fiir 
diese Palle bereits die Erklarung durcb Abfall des -h zutrifft: ho 
stebt bier beidemal im Satzinnern vor Vokalanlaut, und so war 
zunacbst Elision (Apokope) gegeben (wie bei Otfrid an Hartm. 63 
Hoh er oba mdiuwn snebcta) und weiterhin innerer Ausfall des 
h moglicb, den icb darum keineswegs aus der Berecbnung ganz 
ausscbalten will. 

Auf Reimbelege, bei denen icb gleicbmabig das Adv. und das 
unflektierte Adj. beacbte, sie aber in meiner Sammlung geschieden 
babe, bab icb zunacbst die gesamte Dicbtung von ca. 1050 bis 1200 
durcbgelesen und glaube versicbern zu konnen, da6 bis mn 1150 
nicbt ein einziges Beispiel vurkommt. Das kann freilicb auch mit 
dem merkwiirdigen Zuriickbleiben der o-Reime zusammenbangen, 
das icb in Studie II erortere. Nicbt nur die grofien bayriscb- 


1) Da diesem einen hoh siebenmaliges hoho bei Otfrid gegemibersteht, bab 
icb es bestimmt nicbt als Beleg fur die Adverbialform hoch angeseben. 



334 Edward Schroder, 

osterreicMschen Werke von der Wiener Genesis bis zum Rolands- 
lied und der Kaiserchronik ermangeln der Bel^e, auck was wir 
von rheiniscber Litteratur ans dieser Zeit besitzen: beim Bother 
konstatier ich freilich die merkwlirdige Tatsache , daB er iibh. 
keinen Beim auf -d bietet. Die Dichter bajuvarischeu Stammes 
meiden den Beim zunachst auch weiterhin, z. Tl. mit grofier Strenge, 
wie wir nnten sehen werden : im 12. Jh. fehlt er anch bei Heinrich 
v. Melk, in der Litanei, in Anegenge, in Werners Marienleben, in 
Albers Tundalus , im obd. Servatius ; in Alemaimien fehlt er dem 
Linzer Entechrist, in Mitteldeutschland dem Credo Hartmanns, was 
bei 3800Versen immerhin auftallig ist. und der alten (erschlieBbaren) 
Eassung des Brandanus; s. n. S. 408. 

Die friihsten Belege entfallen auf mitteldeutsche Dichter. 
Wild. Mann, Ghristl. Lehre 136 vro: ho Adv.; Werner v.Xieder- 
rhein, Vier Scheiben 132 also: lid Adv.; Werner v. Elmen- 
dorf 713 ho Adv.; Cicero. Wiihrend die Form im Vorauer Text 
fehlt, stehn im StraBburger Alexander drei Belege auf engem 
Baume: Adj. Jio: 6101. 6466. 6854. Bei alien vier Dichtem ist 
der Fortfall der aaslautenden -h anch fiir andere Worter gesichert, 
der Beim also sicher bodenstandig. Dasselbe trifft fiir das alteste 
alemannischeZeugnis zu: aus dem alten Beinhart hat die deutsch- 
bohmische Ilmarbeitnng den Beim ho: fro 797 f. ebenso beseitigt 
wie an 5 Stellen (795 f. 969 f. 1689 f. 1699 f. 1729 f.) die Bindung 
gd(ch) : sd resp. dci. Es sei schon bier betont, daB der elsassische 
Landsmann Heinrichs des GleiBners Gottfried v. StraBburg keine 
Spur derartiger Beime aufweist. 

In der Sprache des Autors begriindet ist das Beimwort ho 
ferner im Lanzelet des Ulrich v. Zatzichoven: Belege fiir das 
Adverb 2912. 3729. 4793. 5931. 6429; Adj. 765. 6573. 

Auch bei Hartmann von Aue entstammt das Beimwort 
ho sicherlich der Heimatsmundart. Ich finde es im Erec als 
Adverb 1432. 7341. 7661. 10040, als Adj. 9015, dariiber hinaus 
aber nur noch je einen Beleg im Gregorius 734 (Adj.) und im 
Iwein 7031 (Adv.), was dafiir spricht daB H. die Form spater 
gemieden hat ; weniger wahrscheinlich ist, daB er sie einem andern 
Sprachgebiet litterarisch entlehnte und spater aufgab. 

Ebenso sprech ich die Form der Mundart des Schwaben F r e i- 
dank zu: Adv. 43,2 {imho). 103,27. 118,24. 123,22; Adj. 9, 10. 

Sie gehort sicher zu eigen dem Hadlaub, fiir den ich (in 
2220 Ver sen) 5 Falle des Adv. /m notiere : 6,23. 20,10. 24,9. 32,3. 
39,3, undnoch spater dem Konrad v.Ammenhausen; Adj. hd : 
3917. 8821. 18140 — der Dichter reimt auch do-, empfld 9558, 



Reimstudien I. 


385 


rintscJii'.o: zuo 11751. 19315. Ulrich Boner, fiir den ich oben 
zwei Balle von Mcli (Adv.) im Beim verzeichnete (dazu Adj. 16, 11), 
der aber den vlo immer obne reimt (48, 1. 35. 130. 137), hat auch 
zweimal ho (Adv.): 49,44. 82.14. Welche Form seiner Mnndart 
entstammt, miissen die Schweizer feststellen. 

Im rechten Gregensatz zu Gottfried steht 125 Jahre spater 
der Eappoltsteiner, oder wie man wohl besser sagen sollte, Strafi- 
bnrger Parzival, fiir den ich in 3000Versen 5 Beispiele des Ad- 
jektivs ho im Reime verzeichne : 92, 25. 95, 17. 95, 37. 102, 7. Ill, 24 ; 
dabei schreibt Henselin im Versinnern 79, 2 die ivorent fief und 
hocli erhahen. 

Bei den ubrigen Alemannen fehlt die Form entweder ganz, 
wie bei den Elsassern Gottfried von StraBburg und Egenolf 
von Staufenberg und ihren nordlichen Nachbarn, dem Dichter des 
Moriz von Craon und dem von Tristan als Monch, ferner in der 
Gnten Frau, in Ulrichs von Tiirlieim Tristan, bei Heinrich von Be- 
ringen, bei Johann von Wurzburg und im Friedrich von 
Schwaben — oder sie tritt nur ganz vereinzelt auf, und dann ist 
es nicht immer leicht zu entscheiden, ob sie als Dialektform unter- 
driickt wnrde, oder aber als litterarischeReminiszenz eingeschliipft ist. 

Fest steht, dad sie dem Churratier Rudolf vonEms fremd 
war: im Guten Gerhard hab ich kein Beispiel gefunden, und fiir 
die ganze Weltchronik weist Wegeners Reimregister nur den einen 
Beleg 32189 auf. Konrad v. Wurzburg, der das Adj. immer 
auf fluch, zoch reimt, hat im Engelhard, den ich allein ausgezogen 
babe, einmal Adv. ho (; do) 2594. Konrad Fleck, der hoch als Adj. 
4174. 4229, als Adv. 6824 im Reim bietet, braucht dem gegeniiber 
einmal das Adv. ho (: fro) 5304. Ebenso findet sick ein Beleg bei 
Konrad von StofPeln (1746). A"on den Lyrikern verdient Reinmar 
d. A. Beachtung; zweimal Adv. hv: 174,15. 185,18; sodann haben 
Gottfried v. Keifen (4, 1) und Ulrich von Winterstetten (Leich 
IV 30) je einmal adverbiales ho im Reime. Im Reinfried von Braun- 
schweig hab ich in 9000 Versen nur fro: ho (Adj.) 8794 gefunden, 
bei Hugo V, Langenstein in ebenso viel nur (Adj ) ho : Paulo 96, 58. 

An die Grenze des bairisch-schwabischen Gebiets gehort Konrad 
von Heimesfurt : ohne Beleg : Siidfranken und Osterreich teilen 
sich in den Strieker, dessen Daniel gleichfalls kein Beispiel 
aufweist. Auch den Barlaam des Otto II von Freising schlieB 
ich hier an, der in mehr als 16000 Versen nur das eine Adv. ho 
(: do) 12487 ergibt. 

Wir wenden uns wieder nach Mitteldeutschland und be- 
ginnen mit dem mittelfriinkischen Gebiet, in welchem heute hfi 
Kgl. Ges. d. Wiss, Nachrichten. Pin!. -hist. Klasse. 1918. Heft 3. 25 



386 


Edward Schroder, 


herrscht. Das starke Hervortreten des Reimworts ho im Herzog 
Ernst B (808. 2125. 2835. 2935. 3848) gekt gewifi auf das mfrk. oder 
rhfrk. Original zuriick, dessen Fragmente zu wenig umfangreich sind, 
um es zu bestatigen. Dem Heimatsdialekt entsprickt deutlick das 
Marienlob aus dem Ahrtal (Zs. f. d. alt. 10) : bier ist nickt nur das 
Adv. 46, 38f., sondern auch das Adj. als ho: bezeugt, und gerade 
dies recM reicblich: 3, 9. 9, 9. 13, 16. 70, 28. 71, 38. 80, 20. 91, 35. 
125, 1. 131,35 — im ganzen lOmal auf 5140 Verse. Ebenso steht 
die Sacbe inMorant undGalie (Karlmeinet), wo auch das hier 
haufige zd(h) zu den Reimen auf -6 tritt ; ho : als Adv. 260, 6. 
274, 25 und bes. als Adj. 223, 26. 247, 60. 272, 24. 278, 4. 285, 55. 
291,57. Fiir Hermann v. Luxemburg notier ich Adj. unhd 
1609, Adv. ho 807. 5823 ; hier reimen vloich : zoich ausschlieBlich 
untereinander. — AufKllig ist der vbllige Ausfall der Reimform 
bei Gottfried Hagen (6292 Verse), wo Dornfeld § 102 den 
Schwund des -h immerhin fiir na (5x), geic (2x), vlo (lx) notiert. 

Fiir sich mag Heinrich v. Veldeke behandelt werden. 
Die 21 Ao-Reime der Eneide zahlt v. Kraus § 63 auf, auf das Ad- 
verb fallt nur ein gutes Drittel: 594. 2147. 4756. 6833. 10884. 
11926. 12466. 13263. Im Servatius hab ich im ganzen 9 Falle 
gezahlt; in den Liedern einen (63,6). 

Von den rheinfrankischen und hessischen Dichtern 
weist derPilatus (in nur 445 Versen) zwei Beispiele auf: Adv. 291, 
Adj. 41, daneben das Adjektiv hoch: zoch 183. Die Athis-Frag- 
mente dagegen (ca. 1590 Verse) bleiben ohne Bel eg, den der Reim 
troste: hoste F 99 allenfalls erwarten lieBe. In Ottes Eraclius ein 
Fall: Adj. ho: stro 2199. Fiir Herbert von Fritzlar stellt 
Brachmann § 92 5 Belege fest, die durch zahlreiche nd : dd u. s. w. 
gestiitzt werden. Sparsam damit ist die Elisabeth, wo in 
10534 Versen 3x das Adjektiv ho: begegnet (1307. 3783. 3852), 
anderseits hoch: Antioch die Erhaltung des Gutturals sichert; in 
der Erlosung (6593 VV.) dagegen zahl ich das Adverb 5 x (307. 
1772. 1966. 3100. 4751), das Adj. 2x (4031. 6179). Die gleich- 
falls rheinfrankisebe Marien Himmelfahrt Zs. f. d. Alt. 5 (1844 VV.) 
ergibt wieder nur ein Beispiel fiir das Adverb sungen ho : ded 1454. 

In Thiiringen baben wir zunachst Ebernand von Er- 
furt (4/'52 VV.), bei demhantscimoch: enruoch 3759, zdeh: vldch unter 
sich oder gar auf den Eigennamen^GuadeWcA 4070 reimen, dagegen 
nu ‘prope’ {:dd) 8x und /m6x: Mj. 75. 1467. 1799; Adv. 1431. 
3o30. 4126. Noch zahlreicher sind die Falle bei Heinrich v. 
Morungen (ca. 900VV.): 122,12. 132,30. 133,25. 143,12, durch- 
weg Adverb, und fiinfzig Jahre spater bei Heinrich v. Kroll- 



Eeimstndien I. 387 

witz (4889 YV.): Adj. 3316. 4713. 4725, Adv. 824. 3719. 4340. 
4415. 

Weiter nordlich gehort das Reimwort M zur Litteratursprache 
Eilards v. Oberg (Gieracb §53, 2), Bertholds v. Holle, der 
im Demantin (11760 VV.) ho: als Adj. lx (6938), als Adv. 2x 
(7572. 7957) verwendet und Bruns yon Scbonebeck, bei dem 
icb es in den ersten 3000 Versen 5 X gefunden babe. Auch in der 
Braunschweig. Reimchronik taucht es gelegentlich auf (2446 f.) und 
nock viel spater bei Eberhard von Zersen (231. 935). 

Von D eut scho r dens di cht er n hab ich 6000 Verse des 
Passionals (Hahn 1 — 33,63; Kopke 53 — 84,78) ohne Ergebnis 
gelesen, in Heinrichs v. Hesler Evangelium Hicodemi (5392 VV.) 
nur einmal das Adv. ho : gefunden 3779. 

Bei den Ostfranken, die kein nd im Heime kennen, ist als 
bodenstandig auch kein 1:6 zu erwarten: in der Tat sind die ver- 
einzelten Beispiele bei Wirnt (Adv. 87,27. 150,22) als Litte- 
raturreime anzusehen, denen Belege fiir das viel schwerer zn rei- 
mende hoch gegeniiberstehen (Adj. 175, 29. 245, 7). Im Renner des 
Hugo V onTrimberg V. 1 — 6000 hab ich nur das eine Adv. ho 
1208 gefunden. 

Fiir Ulrich von dem Tiirlin, Ulrich v on E s ch e n b ac h 
und Heinrich von Freiberg hab ich oben S. 380 Reimbelege zu 
dem Adv. hoch gegeben : wenn sich bei alien dreien daneben die 
Doppelform ho : findet, ist dies ein Zeugnis fiir die ahnliche Sprach- 
mischung dieser deutschbohmischen Dichter: U. v. d. Tiirlin 
140, 22 (Adj.), 154, 31 (Adj.) ; U. v. Eschenbach Alex. 5622. 6356. 
6899 (immer Adv.); H. v. Freiberg Trist. 2074 (Adv.). 

Auch der Schlesier Johann v. Frankenstein hat beides: Adv. 
hoch : 9214, Adv. ho 3466. In Ludwigs Kreuzfahrt aber ist zwar 
Adj. hoch: 1418 und ho: 275, aber als Adv. nur ho zu finden 734. 
2239. 

Die Bayern und Oster reicher , zu denen wir nun kommen, 
lassen von vornherein keine Verwendung von /w im Reim erwarten. 
In der Tat fehlt die Form voRstandig bei W o If ram von Eschen- 
bach, im Nibelungenlied, in der Klage, in der Kudrun, 
imBiterolf, weiter bei Konrad von EuBesbrnnnen, Rein- 
bot V. Diirne, in der Warnung, bei dem Pleier (in 9000 
von mir ausgezogenen Versen), bei Herrant von Wildon, Werner 
dem Gartner, Konrad von Haslau, Rudiger von Hunkhofen, im 
Lohengrin und bei dem sog. Seifried Helbeling. Wir diirfen 
also da wo wir sie trotzdem antreffen, wieder auf unbewubte Re- 



388 


Edward Schroder, 


miniszenz oder bewuBte litterarisclie Entlehnung schliefien, Das 
erstere gilt ohne weiteres fiir die Falle vereinzelten Vorkommens, 
z. B. Xei dkar t 63, 5 (Adv.), "Wigamur 1213. 5727 (Adj.), Eiiikel 
CWchr. 1:936). Ottokar 13456. 68024, G-undacker (4630), Tho- 
rn a sin, der einmal Kundern hu 8249 und ein anderes Mai sogar 
das Abstractum in der Form {icedtr sin tiefa nocJi sin) hu 8390 
brancht. Nur wenig zahlreicher sind die Belege bei Heinrich 
V. d. Tiirlin, der in V. 1 — 10000 vier Falle bietet (1424. 3750. 
4164. 4568), mid beiHeinrich vonNeustadt, wo ich zwar in 
V. 1 — 6000 des Apollonius nur ein Beispiel fiir das Adv. Iw no- 
iierte (5330), nachtraglich aber in Singers Glossar unter ‘/<9 Adv.’ noch 
10 Stellen aus andern Partieen der Werke finde, von denen 5 freilich 
als adjektivisch zu fassen sind. Der Dicbter von Mai und Bea- 
flor braucht das Adv. ho: nur zweimal im Eingang seines Werkes : 
13,10. 18,36. 

Zahlreicher (im Verbal tnis) sind die Belege bei L intwin 
(3942 VV.), den Zwierzina Zs. f. d. Alt. 44, 252 (wie Steinmeyer Anz. 
f. d. Alt. 8, 230) nach Osterreich setzt; Adv. 1857. 3835, Adj. 3073. 
3822, 

Es bleiben nun noch zwei osterreichische Dichter zu besprechen, 
von denen der eine, Ulrich von Lichtenstein eine merkwiirdige Wuche- 
rung des Eeimbrauchs aufweist, der andere, Walther von der Vogel- 
weide uns durch die Frage nach der Herkunft der Erscheinung 
besonders interessiert. 

DaB Ulrich von Lichtenstein ‘das Adv. ho als gefiiges 
Reimwort sehr haufig anwende’ , bemerkt Bechstein gleich zu 1, 8 
des Frauendienstes. In der Tat erstreckt sich diese massenhafte 
Yerwendung iiber alle Teile des Frauendienstes und obendrein 
iiber das Frauenbuch. Ulrich kennt und braucht auch die beiden 
andern Formen : hdhc freilich nur innerhalb des Verses, z. B. Man 
lobt si hohe: das was rent 6,5, 3rtn miiot von wibeu holie s/tR 424, 7 
= 429,9, Oder gar nun mnot der stiiont inir hohe ho 60,16; hoch 
sowohl im Versinneru : si ist ze hvvh (jar iins jcboni 5,27 (wo Bech- 
stein falsehlich hohe einfuhrt) , wie gelegentlich einmal im Reime : 
Hbher miiot dn twinjest mir den Vtp se huch: ftoch 58, 30 (Lied iii). 
Die eigentliche Reimform fiir diesen echten Dichter des hohen Mutes 
ist indessen ho : es hndet sich im erzahlenden Text des Frauen- 
dienstes (14800 VV .) : 70 x, in den kleinen Zwischenstucken (95 VV.) : 
0 X, in den drei Biichlein (1155 VV.) : 3 x, in den Liedern (2339 VV.) ; 
14 X, schlieBlich im Frauenbuche (2136 VV.): 10 x, alles in aUem 
in 20525 Versen 97 x, d. h. nahezu ein Prozent aller Reimpaare 



Eeimstudien I. 


389 


(die Lieder mogen einmal als paarig gereimt gelten) enthalt das 
(Reimwort ho. Das klingt an sich. schon erstannlich, wird es aber 
noch mebr, wenn man erwagt, daB die Form der Heimatspracbe 
Ulrichs unbedingt fnemd war. Sein Freund Herrant von Wildon 
bat in 1702 Vers en kein Beispiel, sein jungerer Landsmann Ottokar 
laBt sick die litterariscbe Form nur ganz vereinzelt entscbliipfen, 
aucb in den 5320 Versen des Steiermarkers Gundacker von Juden- 
bnrg begegnet sie nur ein einziges Mai. Und bei Ulricb kommt 
ein Fall auf 100 Reimpaare! 

Es bandelt sick so gut wie ausschlieBlick um das Adverbium, 
und das Reimwort ist in der Mehrzahl der Falle fro : in den 
Liedern fro 9 X ^), unfru lx-), so d X ^). Damit haben wir deut- 
liche Hinweise auf die litterariscbe Quelle des Reimes , denn fro 
ist (wie die II. Studie zeigeu wird) ein Reimwort, das erst mit 
der Lyrik kockkommt, und ebenso entstammen dem Minnesang die 
samtlicken Wendungen, in denen das Adverb ho bei Ulricb er- 
scbeint. Fur die Lieder ist das selbstverstandlicb, ich will daber 
zum Zeugnis die 10 Belege des Frauenbuchs vorfuhren, in dem sick 
der Dicbter gewiB am meisten von der lyriscben Ausdrucksweise 
entfernt. Hier reimen 

auf also: des stet min muot von scltulden ho 595,4; 
auf fro: und unser gmiiete trayen ho? 598,32 

und ir geniiiefe tragen ho 625, 14. 655, 4 
tind diu ir ijemiiete ho (. . . treit) 626, 18 
{ir gemiiete) von mhes giiete stiyct ho 637,11; ferner 
der muot tins stet vil ofte nuho 596. 14 
C.V hiiehe uns all von rehte unho 516,4; 
auf hh/)’o ; U7id stiget ir gemiiete ho 623,11 

und uns der muot niht stiget ho 651, 32. 

Nun ist die Pbraseologie dieser /io-Verse allerdings bier in Ulrichs 
spatestem Werke nock mebr zusammengeschrumpft, aber sebr reicb 
ist sie nie gewesen: alsSubjekt und Objekt wecbseln ich (resp. mich), 
min muot, gemiiete, sin, herze, das Verbum ist stan, homen, stigen, 
hehen, tragen. Die Variationen dieser Floskel sind es nun aber, 
denen wir aucb vor Ulricb iiberall im Minnesang verstreut be- 
gegnen, wo das ho im Reime sich einstellt. Icb notiere 

Reinmar d. A. 177, 15 sin herze stdt, oh irz gelietent, iemer ho (; fro) 
185, 30 und min gemiiete tragen ho (; fro) 

1 ) 97 , 24 . 400 , 3 . 410 , 25 . 423 , 12 . 457 , 7 . 507 , 20 . 530 , 12 . 549 , 22 . 550 , 21 . 

2 ) 556 , 9 . 

3 ) 110 , 12 {unlw). 553 , 27 . 554, 16 (; also) 530 , 20 . 



390 


Edward Schroder 


H. V. Morungen 132,30 so stiiont ir das herze M [:frd: do) 
Walther 41, 15 toiigenliche stdt mhi herze ho (; fro) 

44, 5f. imd tragen genniete ze maze nider unde ho 
ijfro) 

76,13 mhi herze aiceht in sunneyi ho (Vokalspiel) 
.117,2 inhi herze si an frOiden ho (jalsu: fro) 
Neidhart 63, 5 des iruret manic herze des gemiiete stuont 
e ho {:frd: do) 

Gr. V. Neifen 4, 1 nan herze slUende ho (; fro) 

U. V. Winterstetten 

Lied IV 30 reht so stiiende mhi gemiiete ho (gfro: so). 

Bei Eeinmar, Neidhart, Neifen und "Winterstetten sind die aufge- 
fiihrten die einzigen Verse mit dem Ausgang hd nnd uberhanpt 
mit Bortfall des -h : ein deutlicher Beweis , daB es sick hier um 
eine beliebte, leichten Modifikationen nnterliegende Wanderzeile 
handelt. Einen weiteren Beleg dafiir bietet aucb Wirnt von G-rafen- 
berg mit den beiden einzigen Versen mit Abwurf des -h, die er 
seinem Dialekt entgegen znlafit: 87, 17 stigeni diu herzen ho und 
160,21 deiswdr, gesfuonf din herze ie ho? 

So deutlich nun anch die Verbreitung des Versausgangs ho 
in Verbindung mit einer bestimmten lyriscben Floskel ist’), zu 
einer Wucherung wie wir sie bei Ulrich von Lichtenstein antretFen, 
war in dem Minnesang der vorausgehenden Zeit kein AnlaB ge- 
boten; das ist des Steiermarkers eigenste Leistung, und es gibt 
keine Vermutung dariiber, von welcher Seite er liberhaupt die 
Anregung dafiir erhielt. Nach unserer "Uberlieferung kamen nur 
Eeinmar mit den obigen beiden Beispielen, Morungen (dessen 3 
iibrige Beispiele ganz' abliegen) und Walther in Betracht. 

Walther von derVogelweide, dem ich mich am Schlnsse 
zuwende, hat auBer den oben angefiihrten noch zwei Belege : 

17, 37 cr ist guot nider unde ho (: fro : stro) 

85, 31 daz imrcr lop da enzivischen stiget unde siveihet ho (: fro: also). 

Ich fasse alle 6 Ealle adverbiell auf, auch 117, 2, wenn nicht 
gar hier gegen die Uberlieferung (CE) zu andern ist min herze ste 
an frdiden ho. 

Im Versinnern la'Bt sich bei Walther ausschliefilich die zwei- 
silbige Eorm nachweisen, denn wenn wir finden das Adverbium 
taktfiillend : 

17, 12 sit ez in also hohe ste 

43, 22 daz ir so hohe thiret minen lip 

1) Ein zweiter Trager der Verbreitung war die feste Formel nider und ho. 



Eeimstudien I. 


391 


47, 3 nil bin ich aber ze Mhe siech 
58, 16 als einen der vil liohe springet 
101, 16 daz ich dicli ie so hohe tcac 
111, 20 dill ir swarzen nac vil hohe blecken Idt, 
so ist natiirlich auch die zweisilbige Form mit Elision nnanfeclitbar : 
28, 13 sit gewis, wenn ir uns hornet, ir werdet hohe enpfangen 
47, 1 tvirbe ich nidere wirbe ich hohe, ich bin vers&ret. 

Der Dichter hat also die F orm ho ausschlieBlich urn des Reimes willen 
verwendet: er hatte dafiir einen Anhalt an seinen beiden Vor- 
bildern Reinmar nnd Mornngen — weiter brancht man nicht zu 
snchen. In seiner eigenen Sprache bot sich ihm kerne TJnterlage: 
W. hat bei haufigem Reim auf d kein nd nnd gd, bei massenhaften 
e-Reimen kein geve nnd ve?-ze, nnd das einzige Mai wo er sich iiber 
das ganz isolierte litterarische ho hinauswagt, geschieht es in dem 
am meiBnischen Hole gedichteten nnd vorgetragenen Yokalspiel: 
hier hat er beim o anfier hv(h) auch noch beim it ru(Ji) and 

druQi) verwendet: vor einem Publikum, vor dem er sich dies ge- 
statten dxirfte, ja dessen Sprache mit den vielen Langvokalen im 
Anslaut ihn wohl direkt zu dieser Spielerei ermnntert haben mag. 

Ich bin mir durchaus dariiber klar, daB ich nicht alle Fragen 
gelost habe, die uns bei diesem winzigen Ausschnitt aus dem 
Reimgebrauch der mhd. Dichtung entgegentraten. Ich habe zwar 
meist angedeutet and in den meisten Fallen, denk ich, dem Leser 
dariiber Klarheit gegeben, ob ein Antor mit dem Glebrauche der 
Form ho seinem Heimatsdialekt folgte oder litterarischem Branch 
resp. einer Erinnerung seiner Lektiire nachgab. Aber nicht immer 
war ich in der Lage, diese Frage zu entscheiden. Einmal hab ich 
nicht die Zeit aufwenden mogen, mich iiber den heutigen Stand der 
Mundarten genan zu unterrichten, nnd dann steh ich nicht dem ver- 
gleichenden Stadium der heutigen Dialekte and der alten Schrift- 
sprache , wohl aber der augenblicklich geiibten Methode and den 
durch sie gewonnenen Schliissen mit starker Skepsis gegeniiber. 
Unter alien Lokalisierungsversuchen der letzten dreifiig Jahre hat 
auch nicht einer entfernt ein so reinliches Resultat erzielt wie 
Norrenbergs kostliche Festlegung des niederrheinischen Marienlobs 
im Ahrtal. In den thiiringischen Dialekten von heute eine genaue 
Widerspiegelung der mittelalterlichen Verbal tnisse zu sehen, halte 
ich z. B. fiir grundverkehrt : hier haben sich (wie weiter ostlich) 
Verschiebungen in der Bevolkerung vollzogen, die sprachlich ihre 



392 


Edward Schroder, Eeimstudien I. 


voile Wlrkung erst ausgeiibt haben viele Generationen nacbdem 
die Bewegung selbst zum AbschlaB gekommen war. Man kalte 
sich nnr einmal den Fall des Dialekts vcm Merseburg vor Augen: 
dort sprach und scbrieb man zur Zeit Tbietmars eine angloi'rie- 
siscbe Mundart — und kaum 300 Jabre spater ist mit dem Auftaucben 
deutscher Urkunden aucb die letzte Spur tlavon verscbwunden. 

Drei Zentren baben wir im Laufe unserer Wanderung durcb 
die Litteratur der deutscben Landscbaften erkannt, wo das ho 
bodenstiindig gewesen sein mufi ; Scbwaben mit der Isordostscbweiz, 
Mittelfranken mit Teilen von Ebeinfranken (aber obne Sildfranken) 
und Thuringen mit Meiben. Aber in Scbwaben, wo wir bisber 
keinen der alteren Autoren genauer lokalisieren kbnnen, trafen 
wir die merkwiirdigste Verscbiedenheit ; im Elsab, wo Gottfried 
von Strafiburg unserer Erwartung entsprecbend kein Beispiel bot, 
stand der Dicbter des Reinhart dazu in auffalligem Gegensatz, In 
Koln ist Gottfried Hagen von einer Erscbeinung ganz frei in iiber 
6000 Versen, fiir die das Fragment des wahrscheinlicb hessiscben 
Pilatus in knaftp einem Zwolftel davon gleicb zwei Beispiele bringt^). 
Die Dicbter die wir sonst als Hessen anzuseben gewobnt sind, 
verhalten sicb darin ganz verscbieden. und nur die thiiringische 
Gruppe erscheint einheitlicb — aber nicht in Ubereinstimmung mit 
der beutigen Mundart. A^olle Klarbeit gewannen wir fiir die 
Bajuvaren und die meisten ostdeutschen Dicbter : sie alle kennen 
das hij nur als Entlehnung aus dem Reimgebraucb anderer Land- 
scbaften; inwneweitbierfiiraberMittel- und Hiederfranken, Scbwaben 
oder Tbiiringen in Betracht kommen, labt sich nur in einzelnen 
FiiEen vermuten: so bei Walther v. d. Vogelweide, wo der Aufent- 
halt in Thuringen und Meifien jedenfalls Voraussetzung ist. Aber 
aucb ibm konnte scbon in Wien Eeinmar ein Vorbild abgeben — 
und wober dieser sein ho bat, wissen wir wieder nicbt. 


1) Einen Versuch, solche Fillle reimjisychologisch zu erklaren, macht die 
II. Studie. 



Die Scholien zu Horaz Od. 1 14, 


Von 

B. Bcltzenstein. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 15. November 1918. 

Die Aufschriften des Gedichtes geben zwei, bzw. drei ver- 
schiedene Deutungen; eine vierte fiigt der sogenannte Acro-Com- 
mentar binzu. Sondern wir zunachst den Bestand. 

1) FX' iiberscbreiben : Paracnetice tetracolos a cl Brutum. Die 
gleiche Deutung bietet bekanntlich Porphyrio und bewahrt sie 
durcb die ganze Erklarung des Gedichtes ; es ist nach ihm (zu v. 1) 
Warming vor der zweiten Schlacht. Polemik gegen eine 
andere Deutung scheint er zu verraten zu 3; manifestae allegoriae, 
per (piias significat ex parte iam debilitatum exercitam Bruti et vires 
partium eius miniitas esse und zu 17; ecce hie manifeste ostendit se 
poeta partium Bruti fuisse e. q. s. Die Aufschriften der Klasse P 
stehen in diesem ganzen Teil in nahem Verhaltnis zu Porphyrio; 
auch hier entspricht bei diesem ; in hac ode ad 31. Brutum loquitur. 

2) AB (und wahrscheinlich auch zwei Blandinii) iiberschreiben : 
Ad rem publicum tetracolos. Ebenso deutet bekanntlich Quin- 
tilian VIII 6, 44 : navem pro re publica, fluctus et tempestates pro bellis 
civilihus, portum pro pace aUpie concordia dicit. Zu der gleichen 
Deutung gehoren aus Aero (AFaep) die Scholien zu 2. 3: (fluctus) 
helium civile vocavit, (portum) pacem ut Terentius : „m porta navigo‘', 
ferner zu 6. 9 : (sine f unibus) aut sine udmini strationibiis^) 
intellegendum aut sine expensis et pecunia. (integra lintea) integer 


1) So f'p ; administratoribus Keller niit Ary. Vgl. zu 1: metajilioram autem 
simpsit a tiavi ex cuius armamentis et milites. et cliversas voluit adnmiistrationes 
intellegi (vgl. das Folgende oben). 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist Klasse, 1918. Heft 3. 26 



394 


E. Reitzenstein, 


curstis sine exerdtu vel mixiliis. Untea vero vela dixit nt „dare lintea 
retro", ferner zu 10 (qitos iterum) sicut sub Gaio Caesare oppressa 
malis rogavercd, wahrsclieinlich also auch : in hoc deos vidt iratos in- 
tellegi, quod denuo de hello civili cogifetur, endlich zu 17 : id est ^); navis 
sive res puhlica, quae solUcitudinein ex suis rnalis induxerit, ne iterum 
sicut sub Caesare trepidaret. Es ist eine einheitlich bis ins kleinste 
durchgefiihrte Deutung ; leider darf die auffallige IJbereinstimmung 
mit Quintilian fur die chronologische Eestlegung kauin verwendet 
werden. Es ist offenbar die Vulgaterklarung der Schule. 

3) B,, der auch sonst in diesen Uberschriften einen einheit- 
lichen und festen Stil hat und sich weit von F entfernt, iiber- 
schreibt: Be Bruto reparante-) belhm civile in navi. Mit ihm 
beriihrt sich eng CDa : In navem^) de Bruto reparante^) belluni ci- 
vile 1 Ad rem publicani tetracolos% Die letzten vier Worte stammen 
offenbar aus einer zweiten Vorlage, die mit AB iibereinstimmte. 
Zwei gesonderte Uberlieferungen sind hier kontaminiert. Es ware 
an sich moglich, dem entsprechend die Aufschrift in R ebenfalls 
schon aus Kontamination zu erklaren: In navem {navim) konnte 
ein Schreiber als Aufschrift gewahlt baben, der wie Muretus und 
Tanaquil Faber oder in neuerer Zeit Ernest Ensor *) eine Allegorie 
nicht anerkennen wollte’); die erste Vorlage von CDa bote dann 
die gleiche Mischung zweier Uberlieferungsformen in anderer Reihen- 
folge. AUein moglich ist an sich auch eine andere Deutung, dafi 
naroKch der Verfasser der in R erhaltenen Uberschrift an den 
Ausbruch dieses Blirgerkrieges , namlich an die Abfahrt des 
Brutus und Cassius nach dem Osten dachte und den Dichter dabei 

1) Eingeschoben ist das auf mihi beziigliche Scholion se posuit pro naci<ia>. 
Die Form ist wegen v. 14 gewaUlt. Ahnlich eingeschoben ist in das ebenfalls 
vohl zu diesem Teil gehorige Scholion Ordo est; tu cave, nisi deles htdibrium 
vends, id est eris exercitium ventorum ein anderes : ccae pro caveas (Fcp zu 15. IC). 

2) reparentem R urspriinglich. 

3) navim Da. 

4) reparantem C. 

5) tetralocos C, fehlt a. — Ich nehme die deteriores, deren Aualjse hier 
nichts ergibt, in andern Gedichten freilich recht lehrreich ist, mit hinzii, namlich 
d-: Paraenetice telracolos (soweit aus F) | edlegorice Bruto \ vel ad rent publicum 
(Ursprungliche Benutzung derF-Klasse ist auch nach der Variante actus afrko wahr- 
scheinlich), ferner u; Praymatke dicolos d) ad navem Bruti, endlich y; ud navem 31 
Bruti reparantem helium civile (man konnte versucht sein, hier repetentem zu 
schreiben, doch widersprache das Acro-Scholion zu 1, vgl. unten S. 395). Ebenso, 
doch mit dem Zusatz seu <ad?> rem puhlicam ein Blandinius. 

C) Classical Review XVII 1903 S. 158. 

7) Die Polemik des Porphyrio zu 3 (oben S, 393) konnte darauf bezon-en 
werden, braucht es aber naturlicb nicht. 



Die Scholien zu Horaz Od, 1 14. 


395 


das Schiff anreden Auch aaf diese Deutung des Gedichtes 

weisen namlich einzelne Scholien, so zn 19 sis alt e mis a belli 
consiliis und zu 15 hoc est ne v ictus turintiidini liidibrioqtie subiaceas, 
und wenn man sie lediglich mit einer Deutung auf S. Pompeius 
in Verbindung bringen wollte , wiirde das Scholion zu 11 wider- 
sprechen : cmt reni pubikam adloquitur aiit Cassium — • rel Pompeium, 
cuius pater de Mitridate Pontico iriumphavit . Fiir Cassius ist nur 
bei dieser Auffassung des Gedichtes auf den Ausbruch des Krieges 
Platz. Eine voile AUegorie liegt dann nicht vor; es handelt sich 
um den zweiten Krieg, nicht um die zweite Schlacht. 

Fiir diese Auffassung scheint mir nun der Eingang des Kom- 
mentars zu sprechen, der freilich stark verdorben ist ; Kellers Ap- 
parat gibt iiber die Tradition zu wenig AufschluB, um die Worte 
sicher herstellen zu lassen. nur den Sinn kann man einigermaSen 
erkennen : Per aUegoriam oden istam civile bellum seen n d u in 
(designate certum est}, in (qua volant (alii Brutum nioneri) , alii rent 
publicam. Der Verfasser sollte fortfahren secundum autem civile 
bellum, schiebt aber vorher eine eigene Deutung ein, die gegen die 
Beziehung auf Brutus und den zweiten Biirgerkrieg polemisiert 
certius tamen est (quod Sextum Ponipeium filium Pompei moneat, qui 
. . . helium civile reparure demio voluit*). Ich glaube aus demWort- 

1) Hart ware dabei allerdings die Verbindung yon in navi mit reqiarante 
bellum civile-, man wiirde eher ein Verbum des Bewegens, also etwa auch bier 
repelente erwarten oder einsetzen wollen und die Schreibung repareniem vielleicht 
dafur anfiihren kbnnen. Allein reparare scheint durch die Uberlieferung von CDay 
und die Wiederholung in der abweichenden Deutung auf S. Pompeius (Aero zu 1, 
siehe oben den Text) gesichert. Die Haxte ware durch die in der Aufschrift erfor- 
derliche Kurze entschuldigt. Der Erfinder derseiben will zum Ausdruck bringen, 
dad Brutus schon auf dem Sehiff ist und dies statt seiner angesprochen wird, 
und will daneben den Plan des Brutus angeben, nicht aber ausdriicken, daB das 
Sehiff zur Verwirklichung des Planes dient. 

2) Ich vermute <.Brutum et> Cassium. 

3) In quodam Hss. Nur nach Erwahnung der Zahl schlieBt richtig an 
secundum autem civile bellum inter Augustum Caesarem et Cassium et Brutum eraU 
(qui fuerunt interfectores Gai Caesaris. Naturlich darf nicht , wie bei Kellers 
obne Eiicksiclit auf die IIss. aus llauthal entnommenem Text civile bellum der res 
publica entgegengesetzt werden. Die Bezeichnung des zweiten Biirgerkrieges 
kehrt fast mit den gleichen liVorten in dem zweiten Scholion I’bV zu Epod. 16, 1 
wieder: Execratur autem bella civilia, quia post bellum commissum a Caesare et 
Pompeio alterum parabatur ab Augusta Caesare (fehlt br, ist aber zu 
halten) contra Brutum et Cassium interfectores Caesaris. Das erste 
dem widersprechende Scholion von FbV stammt aus Porphyrio. Vcrgleiche auch 
das Scholion AV zu Epod. 17,1. Sie gehoren einem Autor. 

4) In ahnlicber Weise ist an die Deutung von v. 11 ac si diceret ; rnagnae 
originis et nohilitatis, sed per metaphoram aut rem publicam adloquitur aut 



396 K. Reitzenstein. Die Scholien zu Horaz Od. 1 14. 

laut entnehmen zu dlirfen, dafi er fiir die Deutung auf Bratus, 
schon die Form fand; de Brnto reparcmte helhun civile, ja vielleicht 
selbst dieWorte in navi, die ihn am leichtesten auf seinen eigenen 
Versuch fiihrerx konnten. Die Sachlage ist m. E. so : der Verfasser 
benutzte zwei schon recht armliche Schulkommentare, deren einer 
das Lied auf die res pnUica, der andere auf Brutus deutete, der 
den zweiten Biirgerkrieg beginnt. Die aus beiden entnommenen 
Glossen scbob er einfach in einander^) und fiigte ein paar eigene 
Zusatze (aus Eebenquellen ?) hinzu Dazu mag auch das einzige 
Sckolion geboren, da6 sich in der Auffassung mit Porphyrio be- 
rukrt, ohne dock aus ihm stammen zu konnen, zu 4; niidatim lattis 
fuya Cassi et amissione exercitus, vgl. Porphyrio; manifestae alle- 
(joriae, iw qiias significat ex parte iam dehilitntum exercitum Bruti 
et vires partkim eius minatas esse ^). 

Den drei Grundtypen der Aufschrift entsprechen also drei 
Erklarungen, die des Porphyrio und die der beiden Hauptquellen 
des sogenannten Aero; daneben findet sich bei diesem noch ver- 
sprengtes Gut. 

Ist es nun wirklich denkbar, dafi der ganz einheitliche Text 
des Porphyrio und der sich mit ihm hier kaum beriihrende Text 
dieser Sammiung erst in karolingischer Zeit aus demselben Arche- 
typus abgeleitet sind ? Oder dafi die Verschiedenheit der Aufschriften 
damals entstand? Jedenfalls konnte man erwarten, dafi Vollmer, 
der dies annimmt, versuchte den Hergang irgendwie zu erklaren 
und zu veranschaulichen , sei es auch nur fiir dies Gedicht. Fiir 
die wirkliche Erkenntnis der Horaz-IJberlieferung ware es wichtig, 
zu untersuchen, oh in jiingeren mit Scholien versehenen Hand- 
schriften eine der beiden bei dem sogenannten Acron vereinigten 
Erklarungen etwa noch allein erscheint. Vielleicht regen diese 
Zeilen dazu an. 


<Brutum ct> Cassium nachtraglich angefugt. vel Pompeiwn, cuius pater de Mitri- 
date Pmitieo triumphant. Sclion weil dies oft'enbar Zusatz ist, sind die Scholien 
zu 19 und 15 (zu denen man noch das zu 14 gehorige zufiigen kann) schverlich 
ursprunglich auf S. Pompeins gemiinzt. 

1) So ist zu erklaren , daC in der Einleitung der Satz metapliorum aulem 
^unqisit a navi, ex cuius armamenfis et milites et diversas administrationcs vojuit 
mtcllegi (vgl. ohen S. 39?> A, 1) von dem ursprunglich vorausstehenden in (pin voliint . 
<nmieri> . . rein publicam durch die Worte der zweiten Haujjtquelle getrennt 
wnrden, 

2) A gl, zu 1 suh cpiibus Horathis militaverat mit Porphyrio": (pioniam suh 

ipso militaverat , 



Nachrichten von der Konigl. Oesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen. 
Phil.-hist. Klasse 1918, Heft 3 (Sethei. 


V'llft v/VflU/F^ 

\ V.v.4_ -X%^ ./»l<J<n h 

\ j»v>u t^/. 

^ I il I -7* it- ^ f33 u ^ j; J y/ 





Demotisches Ostrakon Strassburg D. 1845. 
^,4 nat. Gr. 

(Zu den Zeilen n uiid Ui s. die Anmerknug auf 8eite 2;U) 




Zur Kenntnis der griechischen Dialekte. 


Von 

Friedrich Bechtel, 

aus^vartigem Mitgliede. 

Vorgelegt in der Sitzuug vom 12. Dezember 1918. 

1. Lokrische Conjunctive auf -EEI. 

Auf dem Epokengesetze von Naapaktos erscheinen drei Con- 
junctive, die man mit ^LnorsXs'ei, av/ogeei, doy.iei, umschreibt. Bei 
diesem Verfahren kommt man den Formen ccv/oqeiv, y.Qarstv, Ttajio- 
toq:uyEt6raL der selben Bronze gegeniiber in das groBte Gedrange, 
da man nicbt erklaren kann, warum die Hiaten bier beseitigt, dort 
offen gelassen werden. Wen die iibliche Ausrede nicbt befriedigt, 
der sucbt nacb einer andren Auffassung. 

Man gewinnt diese, wenn man sich der tbessaliscben Con- 
junctivform y.tttoiy.siovvd-i erinnert. IJbertragt man sie in das Lo- 
kriscbe, so erbiilt man xaroiK^covTi. Und wenn man nacb der 
Singularform sucbt, die zu diesem Plurale gefordert wird, so ge- 
langt man zu yaTOixjpjt. Umschreibt man nacb dieser Anleitung 
die lokrischen Conjunctivformen mit ^iMreksei, uv^ogtEi, doxiai, 
so ist die Scbwierigkeit , die sich der bisberigen AuiFassung ent- 
gegenstellte , beseitigt: in diesen Gebilden fallt der Hiatus nicbt 
auf, denn sie sind erst dann in das Leben getreten, als das Wirken 
der Contraction zu Ende gekommen war. 

In der Gruppe der nordwestgriechiscben Dialekte sind die Zeug- 
nisse fiir die Umbildung der Verba auf -sa, die in den besprocbnen 
Formen zu Tage kommt , nicbt selten ; parallel mit den neuen 
Prasentien auf -tjco gehn Prasentia auf -mo. 

Aus dem Atoliscben stammt die Form 

%on]Ehs Ditt. Syll.® 622 B lo 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist Klasse, 1913. Heft 4. 


27 



398 


Friedrich Bechtel, 


in einem Briefe der Yaxier an die Atoler, der zusammen mit einem 
Dekret der Atoler in Delpkoi eingehauen tvorden ist. Sie stimmt 
zn den delpliiscken 

Ttoirfivea Eiiscli Gramm, d. delpli. Dial. I 328 no. 27 5, 
aoiiioieuv BCH 22. 60 no. 56 s, 

die eben darum anders erklart werden miissen , als bei Riisch 61 
geschiebt. Es ist dabei gleicbgiltigdob das Prasens jtoula in Delpboi 
bodenstandig oder erst durcb die atolische Kanzleisprache nach 
Phokis gelangt ist. Von der gleicben Art sind die bekannten, 
fast sammtlich auf delpbischen Freilassungsurkanden erscbeinenden 
Eormen 

cc7ta?J.oroibiOL7] Coll. 1718 is, azulXoTQLaovSa 1681 s; 

1851?, 19524, 1967 10 ; 
yJuiQcoEiv Ditt. Syll.® 617 33; 
liaGriyaav Coll. 2261 is; 

6ta(pcci'aaT03 1776 n, 1801 s. 

Sie baben in Orcbomenos Parallelen: 
datxuoi^iiv BCH 19. 157 II 7, 

dc'.uicooi'Teg ebd. Ii, IG VII 31986, 3199i2, 3200i4, 3201 lo, 
3203 12, 3201 it; 

daS diese aus Atolien eingedrungen sind, bat Sadee richtig bemerkt 
(De Boeotiae titul. dial. 29). 

Hier wird nun aucb die delpbiscbe Form 
Gvhjoi’teg Coll. 2lOOio, 2l07 12 

verstandlicb, die wiederbolt bebandelt worden ist. Wenn ein Formen- 
paar ctotsco und rtoD'jCO neben einander lief, so war es unansbleib- 
licb , daB neben gvIeoi, GvXtav, Gvltovrig, avlsovGa mit rj vokali- 
sierte Formen in das Leben traten. Eine davon ist eben GvXijovTsg. 
Es bleiben nocb die delpbischen Conjunctive 
cldixctj Coll. 2088 23, 

7ro(£)/ Riisch 316 no. 2 8, 

die in scbneidendem Gegensatze zu zccrayogi'ii auf dem Labyaden- 
gesetze (Bsi) und doy.j,i auf dem Ampbiktyonengesetze von 380/79 
(Ditt. Syll." 11025 ) stehn, durcb ibren Hiatus aber zu den west- 
lokriseben Formen stimmen, von denen die Untersucbung ausge- 
gangen 1 st. Icb betracbte sie als Aacbkommen von ddixijr]!, jron/ijt. 
Es ist bekannt, daC die Liingen d, tj, a in einem Teile der grie- 
chiscben Dialekte vor a, o und vokaliscbem t verklirzt werden 
kbnnen. So sind auf Ivreta ans vaog, t'li;o^, ^Hgcol'dag die Formen 
vcog, T/.tog, IlQotdc'.g bervorgegangen (BrauseLautl. d. kret. Dial. 66ff.). 
Die delpbischen y.uru'nQiiGd-ui, xurax^aiG&aGav, yQaCyisvog (Ditt. Syll.® 
072b2.53, 138ii) werden verstandlicb, wenn es ein Prasens xqeouui 



Zur Kenntnis der griechischen Dialekte. 


399 


gab, das auf dem gleicben Weg aus ymio^ui geflossen war wie 
kret. %Qeos aus yqffii. Betrachtet man die Conjunctivformen delpk. 
a^sroQsoivri. (Cpll. 2034:17), rkod. eygaad’eavri (Coll. 4110 7 ), kret. 
7cei&&icoi'rL (Coll. 50223), herakl. aj'/jjAijS-tcorw (Coll. 4629 lisa), so 
nimmt man wakr, dad in dieser Kategurie die Verkiirznng des 
vor CO den westgrieckiscken Dialekten gemeinsam ist und dad sie 
im Kretischen und Herakleotischen in ein hohes Alter hinaufreiclit, 
da der verkiirzte Vokal nock von dem Wandel des a zn l getrolFen 
wird. Hierauf gestlitzt darf man bekaupten, daS auck das der 
Conjunctivformen ubiy.^a, ddczcjcogej, adrAr^avri, die auf Gerund des 
tkessaliscken naroiy.eiow&i angesetzt sind, der Glefakr der Verkiir- 
zung ausgesetzt war. Erlag es ikr, so entstanden die nenen Con- 
junctivformen ddtxic}, adixHoiisg, cedixsavn, die nun mit adix-qiiig, 
abLxiqi]i, ddixypiTE zum Systeme verbunden waren. Dieses System 
konnte in zweifacker Weise einkeitlich gemackt werden. Die, auf 
die es kier ankommt, bestand in der Ersetzung von ddrxyjriig, dSi- 
xtjr]i, ddixtjr/TS durch ddr/Jtji, ddtza'jjra. In den delpkiscken 

Conjunctiven ddixe')], nois'tj sehe ick Zeugnisse dafiir, da8 dieser 
Weg in Wakrkeit eingesclilagen worden ist. 

2. Lokr. te'Xeog = xvpiog. 

Die letzte Bestimmung des Epokengesetzes lautet: 

JKa'i TO roig Hvjtoxvc'.uidi'oig AoqQolg rahxa tHeov 

styLSv Xalsiioig roig Our ’Avri^dxaL foixexuig. 

Sie verwendet also xeXsov in Sinne des attiseken xvqiov. 

Den gleichen Sprackgebrauck beobacktet man auf dem Bundes- 
vertrage der Atoler mit den Akarnanen, der Ditt. Syll.® 421 be- 
kandelt ist. Hier ersekeinen xvqiov und xiksiov neben einander. 
Wakrend Z. 8 f. festgesetzt wird 

v:xsQ 8 's xav xsQixovav xov IlQccvxog, fi ^isy xa Xxqkxioi xcd 
Aq'/kToi Qvyxcogscovxt uvTol jiot ’ uvxovg, xovxo xvqiov i'Orco, 
seklieGt der nackste Punkt der 0vvd-tjxa mit dem Satze 
xccd'ag ds y.u xsQjKX^mvxi.^ xeXsiov eerco. 

Aus dieser tibereinstimmung mu6 man seklieBen, dafi es Eigen- 
tlimlickkeit der nordwestgrieckisckenDialektgruppe war den Begriff 
von xvQiog mit xslstog auszudriicken. 

Es ist nun von hokem Interesse wakrzunekmen , daB sick die 
Eleer an dieser Eigentiimlickkeit beteiligen. Auf der 7. Olym- 
piseken Bronze fiudet man die Bestimmung (Z. 2 f.) : 

cd 8s xig jtccQ to yodepog Sixddoi, drsksg yd sls u 8Cxa, & 8e 
xa /QdxQcc a da^ioOi'a xeksia sis dixdSoOu. 


27 * 



400 


Friedrich Bechtel, 


Also drehjg in dem Sinne, den man sehr oft in Delphoi (z. B. Ditt. 
SyU.^ 672 13 TO iiiaq:i(3Q'lv J) SuuveQ-'bv axvQOv xccl drsAag i'droi), aber 
auch bei Platon {drslil '/.id axvoov yiyvte&ai ry)v 8rxr,v Ges. 954 e) 
antritft, rakaiog jedoch in einer \Yeise gebraiicbt , die bisber nur 
aus dem Nordwesten ') bekannt geworden ist. Man darf diese Er- 
scbeinung nnter die Ziige aufnehmen, die anf ein engres Ver- 
haltnis der Eleer zn den Nordwestgriecben hinweisen. 

3. Delph. ig. 

Dab die Praposition im Phokischen vor Cousonanten die 
Gestalt sg annebmen konnte, weifi man, seit die Lesnng xipyurav 
fiir das Labyadengesetz gesickert ist (Bilsch Gramm, d. delpk. Dial. 
I 271 Anm.j. Es gibt aber nock ein zweites Beispitl liir diese Ersckei- 
nung. Die erste Bestimmnng der Insckrift an der Stiitzmauer des 
delpkiscken Stadions lautet nack der Lesnng ikres Herausgebers 
Homolle (BCH 23. 611): 

Tbv J-oXvov ye (fu.Qev eg to [Ejnd.jd lion. 

Ihren Inkalt gibt Zieken Leges sacrae II 217 mit den Worten wieder : 
Lex cle L'ihO ub Eudromi fario yrolubendo. Der sonst nickt bekannte 
Heros Evd^ouog ist durck Kegauociov'E.og (Ecp. dgj/. 1906. 157 ff.) 
beseitigt, der durck neue Untersuckung des Steins festgestellt kat, 
dab an der Stelle, an der Homolle E einsetzt. niemals ein Zeicken 
eingekauen gewesen ist. So kommt man notwendig anf die Lesnng 
eg TOO dpoyov. KegciuoTioid.log, der diese selbst vorscklagt, wird 
alsbald dadurck in Vcrlegenkeit gefiikrt, dab er eg als Vertreter 
von eig nimmt ; denn so wird der Genetiv unbegreitlick. Diese 
Sekwierigkeit tritt nickt ein, wenn man dem Dialekte keine Gewalt 
antut, sondein eg so nimmt. wie es in einem nordwestgriecki.-^cken 
Texte genommen werden mu6 : als Vertreter von eg. Denn nun 
sprickt der Satz das Verbot aus, den zu einem bestimmten Zweek 
in den dgoy.og gebrackten Wein (es keibt rbi’ foivov, nickt foivov) 
aus ikm zu tiagen, um ikn anderwiirts zu gebniucken. Aknlicke 
Bestimmungen sind aus Kos bekannt; der fiir Delpkoi bekaupteten 
kommt am nacksten der Satz: rourcon ovx txipoQU ex rov vaov 

Ditt. Syll.' 617io. 

4. Delpk. ToixxEvc: xrjvci. 

Die Analyse dieser beiden Worter, die zweimal auf dem Am- 
phiktyonengesetze von 380,79 (Ditt. Syll.® 145 si) ersekeinen, ist 
bisker nickt gegliickt. Fiir das zweite kolfe ick zu einem annekm- 
baren Vorscklage gelangt zu sein. Zur Erklarung des ersten kabe 

Ij “Vi egen arg. aliaia tsXsia verweise ich auf Dittenbergers Bemerknng zu 
Syll.^ 594, 1. 



Zar Kenntnis der griechisclien Dialekte. 401 

icli nur einen Einfall, dea ich aber laut werden lassen will, weil 
er vielleicht Andre zu einem bessren anregt. 

DaS y.tjvcc mit y.Tjfai im Zusammenbange stebt und Brandopfer 
bedeutet, ist eine sicbre Erkenntnis, zu der Bockh (CIGr I 811) 
dureb Heranziebung der Hisycbglosse xyjl'a' ya&douccta deu Weg 
gewiesen bat. Aber die Bildung des Wortes ist aucb von Prell- 
witz (Beitr. 17. 167 f.) nicbt ins Reine gebracbt. Icb sebe in y.rjva 
eine Form der gleicben Art wie uyvia, also den Xacbkommen einer 
Participialform \ die sieli, wie y.tjfv^ zu y.y\v%, liber nijfvLu 

zu entwickelt bat. Ob die bistorisch gegebne Form y.^va 

mit oder obne Hiatus gesprocben v.mrden, ob l mit dem voraus- 
gebenden v zur L'inge verscbmolzen (vgl. att. y.ursayva und iibn- 
licbeFormen bai bleisterbans® 54) oder zum Consonanten geworden 
und so gescbwunden sei, laGt sicb nicbt feststellen, ist aucb flir die 
Analyse gleicbglltig. 

Das an enstar St?lle erscbeinende Wort ToixTsva ist scbon von 
Abrens (De dial. dor. 49 i) als ‘mira forma' bezeicbnet worden. 
In der Tat bietet es Scbwierigkeiten , die aucb von den beiden 
Gelebrten, die sicb zuletzt mit ilim bescbaftigt baben, nicbt be- 
seitigt worden sind. 

Das Abstractum -giy.rv^ ist flir Sopbron bezeugt : als^c- 

(fL'.Qacv/.av Fragm. 3. Xeben ibm bat toixtih'. bestanden. Diese 
Gestalt des Wortes ist bei Hesj'cbios ilberliefert : tqixxvlc ■ . &vsuc 

y.cirrjov, xqiov, rc'.vooi’, bergestellt ist sie filr Epiebarmos vonKaibel 
(Fragm. 137 ), flir Kaliimacbos von Schneider (zu Fragm. 403). Das 
A^erbiiltnis der beiden Bildungen ist klar ; es ist das gleicbe, das 
zwiscben iy'.'vg: i/vv)] und abnlicben Paaren bestebt. Aui Attica 
ist die Form rgirroia bescbraiikt (Ditt. Syll.^ 83 s?) : sie lii.Qt sicb 
als Umbildung eines alien Abstractums rQc/.rofia betracbten (Frankel 
Kom. ag. 1205). Wie aber soil man sicb die Gescbicbte des bisto- 
riscben xQiy.rfvu donken? 

Brugmann (Grundr.- 111,447) lebrt, iudem er von der Vocalbe- 
wegung bandelt, die in iynavg: ryiireiu waltet, sie sei der in tqlzzvs, 
delpb. TQLXTsvt: und att. tqittou: in Erscbeinung tretenden zu ver- 
gleicben. Dabei bleibt, von andrem abgeseben, gerade die Haupt- 
scbwierigkeit unberabrt : die Difterenz der Ausgange -eia und -sva. 

Frankel spricbt sicb dabin aus, da6 >rQixr6vu .... speciali- 
sierende Apposition von y.i]vu< sei, und bait im Gefolge dieser Auf- 
fassung >TQiy.tsva .... fiir eine von xQiy.rvu nur dureb den Ablaut 
versebiedene Parallelformt (206 unten). Hier vermiGt man den 
Nacbweis, da6 es Abstractbildungen auf -evu gegeben bat, die mit 
Abstracten auf -Eia parallel liefen. 



402 


Friedrich Bechtel 


Denkt man sich, daB neben dem dnrch att. tqlttoic'. aiigedeu- 
teten Abstractum roixTo/i'a ein rr.it s vocali^iertes bestand , so 
wilrde sein lautgesetzlicber Xacbfolger die Gestalt tolhtsu'. aaf- 
weisen. Das ist die Form, der Ahrens den Vorzug vur Toiy.Tsva 
geben tvollte, von der aber der jetzt besser bekannten Uberliefe- 
rung gegeniiber nicht mehr die Eede sein kann. Aber vielleicht 
ist sie erst nachtraglicb ans dem Felde gescLlagen worden: viel- 
leiclit ist dadurcb , daB Toiy.reu'. mit y.riva zu enger Gemeinschaft 
verbnnden war, bewirkt worden. daB -gryTsu'. in seinem Ausgang 
an y.r^vci angeglichen ward. Warum die Eeeinflussung stecken ge- 
blieben ist, onr einen Teil der Endong getroften hat, weiS ich freilich 
nicht zu sagen. Ich wollte ja aber auch nnr einen Einfall vortragen. 

o. Arkad. MsilCyav, Msh'yjog. 

Der arkadische Xame MaiUyav, den ein Tegeate des 4. oder 
3. Jahrhunderts fiihrt (IG V 2 no. 38 ei), beweist durch den Gegen- 
satz, in dem sein ti zu dem in KXr,i'i'ag 61bi, Qa^va 26021, 
iyxayfjQi/XOi und (p&ijOcov 612. n steht, daB im Arkadischen die Folge 
J?.i eine ahnliche Entwicklung wie in Attica genommen hat, indem 
in Arkadien der offne f-Laut vor At zur geschlossnen, mit si ge- 
schriebnen, Lange gefiihrt worden ist, in Attica aber die geschlossne 
Lange, die in ion. MsXtyio^, yj/.toi bewahrt ist, nach dem Xach- 
weise Wackernagels (Idg. Forsch. 25. 328 f.) sclion in der altesten 
Periode des Dialekts bei 7 angekommen ist. 

Xun aber ist im hochsten Giad auifallig, daB nebon MsiUyav 
n Arkadien Msliyioq erscheint: z/ii IdsUyJai auf der Weihin- 
schrift 90i. DaB dieKiirze nicht angetastet werden darf, machen 
die parallel gehenden Kiirzen von q^^sgav Bs und ’Ogi^i'covog 271 is 
ge\rifi. Damit aber ist ein Gegensatz in der Behandlung der Liquida- 
gruppen constatiert , den man nur unter der Annahme begreifen 
kann , daB das Arkadische ein Mischdialect sei. Diese Annahme 
wind auch durch das gleichzeitige Erstheinen von zs und uv in 
dem gleichen Dialekte niitig: ich fahre niimlich fort die Gruppe 
EIKAN in ft yj uv aufzulosen, wie ich Beitr. VIII 305 zuerst vor- 
geschlagen habe. 

Der Gegensatz, der soeben zwischen 2Is?uyiog, ’OgiTiuovog. (f&sQui 
und den mit iyysmQiyy.oi gleich vocalisierten Formen festgestellt 
worden ist , Lesteht auch im Lakonischen. Zu 'Ogntimv stimmt 
’OoLTiTtidag IG V 1 no. 90 4. Aus der Zahl der lakonischen Sciten- 
stiicke zu ark. 'iyysy7](}y\y.oi fiihre ich zwei an, die Hesjchglossen 
&i]Q[rug' ’Evvdkiog, itagu /IdxmGiv. 

Ur^Qsifih’siK' nsgesifovsiK. Ady.aveg, 



Zur KenntJiis der griecliischen Dialekte. 


403 


deren erste zuerst von W. Schnlze (Ztschr. f. Gymnasialw. 1893. 
162) richtig beiirteilt worden ist. Da6 im Lakoniachen Erschei- 
nungeii zweier verscliiedner Dialekte mit einander verbmiden sind, 
ist liingst beobacbtet; zu denen, die man als vordoriscbe Ziige 
betrachtet, tritt jetzt das Anftreten von altem rz als q. 

6. Arkad. svdi'OQfi'c:. 

Die Kenntnis dieses Wortes verdanke icb der Giite des Herru , 
Hiller von Gartringen, der mir seine Ab^cbril't einer Grenzbe- 
scbreibung aus dem arkadiscben Orchomenos zur Verfiigung ge- 
stellt bat, die in dem mir nicht zuganglicben 39. Baude des Bull, 
de corr. hell. (1915) verofFentlicht worden ist. Das Compositum 
erscheint in der Bestimmung (Z. 14) 

tcjii' raivv sv&voo/t'av Ttbz degfc'.v ).6q:oi'. 

Man sagt sick sofort, daC man bier eine Wortform vor sick hat, 
die auf die Geschichte you att. evd-vagui (z. B. ov -/.at sv^vcoolav 
alia y.ara xi'zloi’s Aristot. Ilsoi ^cbicov uoq. 654 air), herakl, evd'vooQSUc 
(tovTCog Ttc'.vrc'.g av sid'vcoQitc'i' buo?.6yoog c:/./.c/.oig Coll. 4629105) belles 
ticht wirft. Denn es wird durcb .sie bewiesen. dafi avd-vcogi't:, 
Ev&vcoQeuc AUS ii'^vcoQ/u:, Erdvagfei'a hervorgegangen sind. Haben 
diese Formen aber bestanden. so sind sie, wie a/.Xtjlon’ und bom. 
e:iry/y.si'i'6sg, aus der Periode der Spracbe iibrig geblieben, in der 
aucb solcbe Kurzen von der Compositionsdebnnng betrofFen warden, 
die durcb zwei Consonanten bescbwert waren (vgl. Wackernagel 
Dehnungsgesetz 33 f). Ilmen gegeniiber zeigt ark. evdvoQfiK den 
Bau, der zur Norm erboben worden ist. 

Das Adjectivum , zn dem sv&vgq/u: Abstractum ist. bat man 
sicb als sv&voQ/og zu d^nken. Bei Xenophon bat es die Gestalt 
svd-vcjQog (si'd-vcogov aycov Anab. II 2, 16), die auf avi^vtogfog zuriick- 
weist. 

Die Etj'mologie ist nun nicht melir zu verfehlen. Das Element 
-OQfog ist Laut fur Laut identiscb mit ar. ana- in avest. aurva- 
(scbnell) und germ, arra- in altisl. yrr, ags. caru, alts, fo ti (schnell, 
bereit). Die Zueammensetzung ev^voQfog, av&vcogfog bedentet also 
‘gcradeaus eilend’. 


Die Hrkunde, der icb avd^ogfta entnommen babe, gibt dem 
Grammatiker und dem Etymologen mancbes Riitsel auf. Yon den 
neuen \Y urtern bringe icb noch eines zur Spracbe , weil es eine 
interessante Parallele zu einem bomeriscben ^Yorte bildet. Z. 20 
wird eine Ortlicbkeit Tgicr/xaiu genannt. Das ist die Dreitaler- 



404 


Friedrich Bechtel, 


scliaft', die Stelle, an der drei c.y/.ec. zusammenstoBen. Das liome- 
risclie uiOyuyxEia driingt sich dabei jedem auf. 

7. Arkad. TTavdyooSis- 

Von dem op in IJai'ayoQai, T^iMivayooeios des Teaipelgesetzes 
von Alea (ID \ 2 no. 3) lekrt Hoffmann (Griech. Dial. I 173) , dafi 
es silbebildendes r vorstelle. Mnstert man die iibrigen Zengnisse, 
die diese Geltung der Yerbindnng op fiir Arkadien erwagenswert 
ersckeinen lassen. so sind sie von mekr oder weniger ztveifelhafter 
Beweiskraft. Es kommen in Betracht : 

Bpoyvs IG V 2 no. 500; 

^Topxcdos in Ji'o£ Sroprciio 84; 

TETuprc'.v 6 104, 78, [rsr]dpr« 33 n: 

£(fd'OpyMS 6 10. 

A^on diesen vier Beispielen ist das letzte schon von Spitzer 
beseitigt. der das o des z-Perfects aus dem starken Perfect iiber- 
nommen sein lafit (Lautl. d. arkad. Dial. 12). A"on den drei andren 
ware Bpoiv^ entscheidend. wenn Arkadien die Heimat des Toten 
ware ; aber die Herkunft des Steins ist unbekannt. Die arkadische 
Form OTOQTid muG niit dem kypriselien arpoTtd, das durch die 
Hesychglosse orpoird • dorparoj. ndqiioi geboten wird , zu dreisil- 
bigem oropo.Td zusammengesetzt werden, dessen Oropo.T- die gleicbe 
AVealisation zeigt wde ozoAoir- in axoXoO und go/o;^- in syrak. 
kret. uoloy/i ; die drei Xomina beralien auf den Elementen erspsTt- 
(vgl. erspo.T))), oy.sXez-. ns?.£x- und enthalten die in den o- und d- 
Stammen regelmaGige Ablautung e : o. also keine silbebildende Li- 
cjuida. Die Form Tsroprog endlicb, nelien der rerKproj in dem Xamen 
des Tegeaten Ttrc-.prog (IG A" 2 no. 32 o) erscheint, ist auf die gleicbe 
AA'^eise zu seinem o gekommon wie di'isoro/und ezordr, die A'orbilder 
von jiduTioTog {jctuTtura Sdisi, zu dem ibrigen: durcb Assimilation 
des unbetonten A^ocals der zweiten Silbe an den der dritten (Job. 
Schmidt KZ 32. 371). 

Da es also um die Geltung des arkadisclien op als Nachkommen 
des silbebildenden r mislich stebt, .so cmpfieblt es ."icb, das A^er- 
stiindnis der A^ocalisation aui andrem AVego zu sucben. Fbid dicser 
AA'eg liegt niclit weit au. Es sind jetzt gerade vierzlg Jabre, dab 
Fick mir seine Theorie von o als dem zu c ablautenden A^ocale 
des Xacbtons vorgetragen bat, die von ihm spiiter (GGA 1880. 
421 ft’.) ausfiiLrlicber entwickelt worden ist und die so gliinzende 
Combiiiationen wie die von iiyia und tdoipiog (Beitr. 14. 318) mog- 
licb gemacbt bat. Jndein icb micb von ihr leiten lasse, bebaupte 
icb, daB -o.yopdig die Gestalt des aus Milet bekannten Nomens 



Zur Kenntnis der griecLischen Dialekte 405 

((y£Q6ig (Coll. 54983 . 17 ) Yorstellt, die im zweiten Gliede des Cum- 
positums einzutreten hatte. 

8. Lesb. evi’Ey.a. 

Auf einer AnzaM lesbiscber Inscbriften, als deren alteste ver- 
mutlich die Ehruag der Adobogiona, der Tochter des Galaters 
Deiotaros (IG XII 2 no. 516) . zu gelten bat, die also der ersten 
Halite des ersten vorcbristlichen Jabrbunderts angebort (vgl. 
Hanssoullier Etudes sur I'bistoire de 31ilet 222 f.) . begegnet die 
Form avvEKu. DaB die doppelte Xasalis, die sie aufvveist. nicbt 
Assimilationsprodnct von vf vorstellen kann, weifi man lange, steht 
vollends seit dem Bekanntwerden der Form e.-repos’ lest, die lebrt. 
daB in der lesbischen Spracbe des 3. Jabrbunderts / binter Con- 
sonant spurlos verschwunden war. Aber wie kommen Lente, die 
sick des klinstlicben Dialekts befleiBigen. dazu 'ivvaza zn scbreiben? 
Darauf kann man jetzt mit Sicberbeit antworten. 

Anf einem der neuen Alkaiosfragmente aus Oxyrhyncbos OP 
1233 Er. 2 helBt es (Z. 17) 

vcoi.th' z' h'Vc/i £--. 

Will man wissen, welcber Wort dem dcppelten v zukomme, so 
braucht man nur in zwei Versen eines andren Brucbstiicks. OP 1234 
Col. II0.7 

ioiniQ ertsidt) TtQuyTOv oi’ETQorta. 
crataLug yug ovi’Logira I'vy.rt'.g, 

auf deu Gegensatz zwiscben i>vaTgoxa und oricogivs zu acbten. um 
Bescbeid zu erbalten : die Gelebrten, die den Text der lesbiscben 
Lvriker cunstituiert babeu, scbrieben doppelte Xasalis. wo der 
A^ers Langung des kurzen Yocales verlaugte. Genau nuii wie Bal- 
billa den lesbiscben Dialekt. in dtm sie dicbten wollte, aus den 
Ausgaben der lesbiscben Dicbter kennen lernte, denen sie aucb 
falsche Formen entnahm (vgl. Drenkhabn KZ 46, 3601.), so grilfen 
die Scbriftkundigen , die eine Prosaurkunde in dem ausgestorbnen 
Dialekte herzustellcn wiinscbten, naeh den Ausgaben des Alkaios 
und der Sappho und orientierten sicli aus ilinen iiber die Gestalt 
der Formen, die sie anwenden wollten. So siiid sie zu ibrem O'vaza 
gelangt. 

9. Lesb. Xaggcoi’. 

In einem Gedicbte des Alkaios, in dem die Hocbzeit des Peleus 
mit Thetis bescbrieben war, erscheint der Name des Chiron in der 
Gestalt Xeggov: OP 1283 Fr. 2 Col. II 9 

ddjiov Xaggcovog. 



406 Friedrich Bechtel, Zur Keinitnis der griecliischon Dialekte. 


Angesichts des Zengnisses einer hocharchaischen Felseninschrift 
aus Thera (!& XII 3 no. 300) und einer Anzahl attischer Yasen 
(Kretschmer Ya,seniiisehr. 131 f.i, die iibei einstimmend AYpcon ge- 
wahren, fiillt A'foocon in lioheni Grad auf. Denn daB der Xame in 
zweifach vocalisierter Gestalt lebendig gewesen sei, deren eiiie 
sich bei den Aolern erhalten babe, wahrend die andre anf Thera 
und in Athen herrschend geworden sei, wird niemand fiir moglich 
halten. der Answeg aber Xiocou dureh lautliche Entwicklung aus 
Xeggav hervorgehn zu lassen ist abgeschnitten , weil diese nur zu 
Xsgcov hatte fiihren konnen. Ich sehe daher in Xsggcop keine selbst- 
standig in die Zeit der Lyriker hinaufreichende tlberliefernng 
sondern das Ergebnis grammatischer Speculation. Die Gelehrten, 
denen die Lyrikerausgaben verdankt werden, sind von der Xamen- 
form Xsigcov ausgegangen, sei es claB sie diese als Umdeutung der 
undurchsichtigen urspriinglichen Form schon in der Bildungssprache 
vorfanden, sei es dafi sie die Umdeutung selbst vornahmen. Sie 
verstanden den Xamen also so, wie ihn die heutigen Gelehrten 
bis zum Bekanntwerden der genuinen Form Xigcov ebenfalls ver- 
standen haben, als Benennung des xeigi6o(pog, und setzten ihn in 
der Gestalt Xsggcov in das Lesbische urn, weil sie wuBten, dafi dem 
attischen xsig- bei den Lesbiern %£gg- entsprach. 



Beimstudieii H. 


Vou 

Edivard Sehi-Oile;\ 

A’orgelegt in der Sitznng vom 1?. C-l-;tober 1918. 

Die Reime auf -0 in tier mlid. Littei’atur. 

Wie icb clazu gekommen bin, aiif den in der Ubersclirift an- 
geklindigten Ansschnitt aus dem ReimbestPaid der mhd. Zeit eine 
nicht unbetriichtliclie Zeit urd Miihe zn verwenden , ergibt sich 
aus der I. Studie. Die Untersuchung iiber die Reime auf -6 mufite 
den Hintergrund aufhtllen, auf dem die Reime mit J:6 und ihr 
ungleicbmaiiiges Auftreten verstilndlicli wurden; was sie dariiber 
binaus ergeben bat , ist begreiflicberweise nicbts abgescblossenes : 
es sind Heine Ergebnisse fiir die Grammatik, wicbtigere Gesicbts- 
punkte fiir die Reimstatistik und Reimpsyebologie. 

Wer sich eininal mit der jungen Uberlieferung von Dicbtungen 
des 12. Jabrbunderts bescbiiftigt bat, erinnert sich des bald ver- 
einzelten bald haufigen I'orkommens von Xotreimen, die in der 
bequemsten Weise dadurch zu Stande gebracht sind, dull binter 
die urspriinglicben Triiger der arcbaiscben Bindung Heine Flick- 
wbrtcben angeklebt wurden. wie da: und besonders do: so. 

Bei der Arbeit seben wir so einen Rcimflicker in den Xiirnbcrg- 
Ermlitzer Bruchstiicken des R other, wo ein Ivorrektor binzuge- 
scbrieben hat 10S6 f. tcceijrnf] do : sa7)ient] fo und 1387 f. 

I a age] do: manm^ fo. In der Deutscbordensbs. von 'VVerners 
Maria linden wir gegeniiber der Berliner die plumpen Retuschen 
eng el do: ivandcl so (6S1 f. = 156,31) und svec (st. liarte) do: 
w or t e ()i) So (1665 f. = 170, 1<1). So bat denn Bartsch (Beitr. S, 496) 
im Anegcnge 3. 35f. go ore dd: rule aho gewifi ricbtig den 9. 67 f, 
iiberlieferten alterti'mlicben Reim gnotc: tide erkannt, und gegen- 



Jl d w a r u S e U r o d c r , 


4ijS 

fiber einem alinliclien Faile bei Eiiard v. Oberg 45S5 war Gieracb 
S. 114 gewiiJ nicht gut beraten. als er dem gpn6'']i : DB die 

Lesart genug so : :o-h jo H vorzog. Das Reimpaar im Herzog Ernst 
B 3927 f. vermutlicli bei Bartsch (nach Hs. b) Iter nuler in dar 
scltif do: ruofie ir den rei Juti so ebenso unecbt wie in a mit dd .• sd. 
Besonders kraC liegen die Dinge in der uns fiberlieferten Fas- 
sung des Brandanus. wo alle 8 Reime init do: so uinmer in 
dieserFolge: 20f. 567 f. 859 f. IRlli. 1117 f. 14411. 1457 f. 1903 f.) 
und obendrein nocb do: hd 1S7 f.. sd: jo 41 f. anf Recbnung des 
IJberarbeiters kommen, vgl. bes. lS7f. fJaz sie den leie^ g e n- ii n)i e n 
do: des gofe-s lot- s n g cn ho, 1011 f. t'm dm et g'^roti mich harte 
do: tell gd. cz ,rd s.,,tr vorhfe so, 1457 f. harte n sie zelande do: 
U'hicr in die tvinde s6. 1903 1. di spradt dan gates stimme do: tu 
d-:,!! hd.Jijcn man he sd. — Aucb im jangen Reinhart ist nicht 
nur do: so 907 f. eine gedcherte Anderuag, sondern anch 1925 f. ist 
der Reirn unecht: statt ergon sO : dj.nticn dd stand im alten Text 
organ: dar.aci, genau wie im Fragment 775, wo der Bearbeiter 
gleichfalls das alemannische da.uiu-i aus dem Reim herausschatFte ; 
M’enn wir sehen, wie 1871 f. der Reim also: do eingeschwarzt wird, 
erkennen wir leicht, da6 er anch 1947 f. seknndar ist fur ergie: 
died , und nicht minder verdachtig erscheint er dann in dem ein- 
zigen Falie der noch iibrig bDibt : 1457 f. — In d'-r Voraner tlber- 
lieferung der Gedichte der A va steht kein einziges do im Reime : die 
Gbrlitzer Fassung hut 1805 i. aus ^^oicre > sudert do gemacht und ft 
'o'arcn fil a, no 6 in die angen.scheinliche Liicke gesetzt, ihr wird 
auch der Reim fro: dd im Johannes 429 f. zuzusprechen sein. Anf 
die t’iierlieferung cities spiiteron Gi'dichtes. des Wigamur, konime 
ich weiter unten (3. 414j zu .sprechen. 

Aus alien diesen Zutaten edner jungern und im Reime zv/ar 
anf Reinbeit hiii.strebenden , aber sonst wenig feinffihligen tlber- 
lieferung wird man zuniichst die Vorstellung gewinnen, daB ein 
R"im wie do: so an sich zu den Kennzeichen niederer Kunst ge- 
bore. Und weim wir aus spiiterer Zeit einen elenden Reituer 
herau.sgreifen wie etwa den schlesiscben Verfasser der Kreuzfahrt 
Ludwigs, der dicse Bindung massenbaft verwendet (etwa in V. 1 
— 100 ) 5x do: .''d. 2x do: also' . s) scheint sich das zn bestii- 
tigen. Uni doch ist die Vermutnng keineswegs allgoinein zutref- 
fend : das ynlgare Paar wird weder von alien Dichtern die etwas 
anf ihre Kun.st halten. gemieden, nocli stellt es sick bei jecleni be- 
quemen Reimschmied ohne weiteros ein. 

Bei Gottfried von StraCburg haben wir in 19552 Versen 
151 Reime aaf 6, in annahernd gleicher Verteilung fiber das gauze 



Eeimitiidien II. 


409 


Qedicht (79 in der ersten, 72 in der zweiten Halfte), also 1:65 
Reimpaare ; davon zahlen 136 do als das eine Reimwort, nnd nicht 
weniger als 80 Reimpaare bringen dd: so (31) resp. do: also (49) 
d. i. 1 : 122 Rpp.. Von seinen Scbiilern bat Konrad von Wurz- 
burg im Engelhard auf 6504 Verse 42 o-Reime, also 1 : 77 Rpp., 
dabei 39 mit do, nnd 22 x do: (n/)s6 d. i, 1:148 Rpp.; Rudolf 
von E ms im Guten Gerhard auf 6928 Verse 62 o-Reime, 1:56 
Rpp., davon 48 mit do, 15 x do: d. i. 1:231 Rpp. In der 

Weltchronik, die entschieden lassiger gereimt ist, haben wir nach 
Wegener 319 o-Reime in 33064 Versen, d. i. 1 : 52 Rpp., darunter 
278 mit do und 175 X do: fa?).m d. i. 1 : 94 Rpp. Zu bemerken ist 
bei den Epigonen die starke Zunahme des also gegeniiber so: im 
Engelhard do: id 5x, do: also 17 x ; im G. Gerhard do: so 4 x, 
do: also 11 X, in der Weltchr. gar dd: so 18 x, do: uJcv 157 x. 
Der Grund ist natiirlich die bequeme Taktiullung im iambischen 
Vers dieser Dichter. Von irgend einer Xeigung, den 6-Reim und 
insbesondere das Reimpaar do: (id)sd zu m-eiden, ist bei keinem der 
drei etwas zu spliren; die Verhaltniszahlen liegen nicht allzuweit 
von einander. 

Ganz anders steht es schon mit Hartmann und Wolfram. In 
Hartmanns von Aue epischcu Werken, auf die ich mich bier 
beschranke, kommen auf 23828 Ver^e 143 o-Reime, d. i. 1:83 Rpp., 
davon 85 mit dd. aber nur 12 x dd: ('(/).so, also 1 : 1000 Reimpaare; 
bei Gottfried bilden diese Reime 53 ^/o, bei Hartmann nur S°;o der 
o-Reime. Von der Gesamtzahl entfallen auf den Erec (10135 VV.) 
68 d. i. 1 : 74 Rpp., auf den Iwein (8166) 38 d. i. 1 ; 108 Rpp., was 
eine sehr deutliche Abnabme bedeutet; daran siiid beteiligt die 
Reimwoi’ter fid und utifid (Erec 53 x, Iwein 25 x''., ltd (Erec 5x, 
Iwein lx) und vor allem do (Erec 46 x, Iwein 17 x)'); die Zahl 
der Bindungen do: {p.T).d ist in beiden Dichtungen die gleicbe (41, 
nur scbeiut bei Hartmann selbst die Verdrangung von so durcb 


uhd bervorzutreten: 

do: sd do: also 

Erec 3 1 

Gregorius 1 1 

a. Heinrich — - 2 

Iwein 1 3 


Ij Unter do: so u. s. w. versteh uh, wenn niclit aiisdnicklidi das Geger.teil 
beiaerkt ist, stets aucb die umgekehrte Stelluiig so: do mit. 

2) Diesen Riu-kgang der (Zd-Reiine bei Hartmann bat schon beobachtet und 
sehr gilt erklart Zwierzina Zs. 45, 28 i. 



410 


L d a r il Schroder. 


Bei Vrolfram von EschenLach sclieiclet cler Titurel wegen 
seiner anssclilieBlicli kliugenden Yersausgange aus. Anf die 3S738 
Verse von Parzival und Vdllehalni entfailen i. g. 06 d-Eeime, d. i. 

1 : 2iJ 2 Rpp. , davon nur -ii. also die knappe Hiilfte init do (bei 
Gottfried wareu es ‘Vio. bei Hartmann irnnier nock und gar 

nnr 16 (12 + 4J Reime do: sd resp. nJ-o, also 1 : 1210 Rpp. — niithin 
nur ein Zehntel des Gebranclis den Gottfried von dieser beqnemen 
Bindmig maclit. 

Bei Hartmann ist es gewin der Reichtum der Biudungen, die 
Sorgi'alt der Reimwabl uiid die Freiheit der "Wortstellung. die ihn 
su weit von Gottfried abriicken L.ssen. bei Wolfram bat die Sacbe 
einen andern Grand: er sebwankte zwiscben den beiden Formen 
do und duo, wenn er auch die letztere nur 3 x anwendet : j'/'ko 
P. 166,8; -.^Ho 368,14. 762,8. 

Wolframs frankiscber Xachbar Wirnt von Grafenberg 
kennt dies duo nicbt. Bei ibm entfallt zunachst auf 240 Dreireime 
ein einziger mit -i: 61.13 — 15 fru: a! dnO. Enter Fortlassuug 
dieser Abscbnittscbliisse fallen auf 100S3 Verse SO o-Reime, d. i, : 
1 : 68 Rpp , also genau soviel wie bei Hartmann im Erec , und 
daruiiter 7 (3 + 4jx do: resp. ulio. Da6 die Verhaltniszahl in 

der ersten Halfte, die gaiiz imter Hartmanns Einflufi stent, etwas 
glinstiger ist als in der zweiten . wo der EinfluB Wolframs vor- 
wiegt (46 + 1 Dreireim gegen 34). balte icb fiir einen Znfall. 

Bayriscbe und frankische Elemente in einer ganz personlichen 
Mischung weist die Sprache L amp r edits von Regensburg 
auf, der im S. Franciscos 30:5049 d. i. 1:84 Rpp. bat; darunter 
19 X fro; 4x Fremdwbrter, 5x dO: 

Das osterreichiscbe Xibelungenlied hat in 2379 Stropben 
(Bj mit aussclilieBlicb stuo’.pfen Reimen nur 13 <i-Reime. d. b. genau 
so viele wie der arme Heinrich: dabei ziililte der a. Heinrich 510 
stumpfe Reimpaare, clas Xibl. 4758 — Hartmann bat bier aliO fast 
das Zebnfache! Gbendrein bandclt es sicb im Nibl. ausscblieGlich 
um den Reim do : fro — alle andern Biii'lungen feblen , vor allem 

do: So! 

End nock merkwurdiger ist die bairi^cbe Kud run : sie kennt 
in 1705 Stropben, cl. h. (mit den 98 Nibelnngenstropben) in 1803 
stumpfen Reimpaaren tiberbaupt keinen o-Reim! Das ist um 
so aulralliger. als sick Versausgiinge auf Laugvokal im ganzen 
recbt baubg finden: -u 6. -7 44, -<■ 15, -io 30, -uo 19, zusammen 114. 

In der Klage entmllen auf 4360 Verse 3 o-Reime {inj'. do 
1147 1. 2455 f.; so: v,o 3031 1 .), d. i. 1:726 Rpp., auf einen ent- 
sprecbcnden Abscbnitt des Biterolf (V. 1 — 4360) 8, auf das 



Eeimstudieu II. 41 ^]^ 

ganze Yv’erk IG (1:422 Rpp.) siimtlicli Reime mit fro: namlich 
: du 6. : so 9, : dro 1. 

Von weitern bajtivarischen DicMungeu haben je drei Reime 
mit fro der Servatius^) auf 3548 VV. und die W arnung anf 
38S9 YY.. je einen der Helmbr ecbt (so : fro 1025 f.) auf 1934 YY., 
und Konrad von Haslau {fro: dro 817 f.) a.uf 12G1 A^Y. ; Rli- 
diger v on Hiinkbo f eii im Scblegel bring! keiuen einzigen 6-Reim 
in 1200 YY. — 

Icb niacbe bier einmal Halt, um die durcliaus verwandte Lage 
in den angefilbrten AYerken und insbesondere in den Gedicbten aus 
der Heldensage zu erlautern. Y^ir sahen bei Grottfried von StraS- 
burg, daB unter 151 Reimpaaren auf -u nicht weniger als 13G den 
Komponenten do aufwiesen : dag ist offenbar bei einem gewandten 
Erzahler, der durcb keinerlei lautliche Bedenken behindert wird, 
das gegebene ; es folgen nacb dem Grade der Haufigkeit : cdsO (58) 
+ (37) 95 X, fro {-xQ) nrfiu (1) 52 x. 2Iarjod6 11 x. zu:o 7 x, 

stro 1 X. Run fallt fiir den groCten Teil der bairiscben Dickter 
do als duo fort, und wenn nun frij aus irgend einem Grunde, der 
im Stotfe sogut wie in der Psyche des Dichters liegen kann, zuriick- 
tritt oder im Untergrunde des BewuBtseins bleibt , dann kann es 
eintroten. daB der 6-Reim vollstandig ausfallt. wie bei dem Dichter 
der Kudrun, der ganz gewiB nicht mit Absk-ht diese Bindung 
gemieden hat. Merkvriirdig ist dabei, daC er auch das dno im 
Reime verschmaht; er hat llx :uo:tuo (119. 258. 189. 691. 753. 
779. 1052. 1061. 1209. 1612. 1625). lx -uo: frtio (267. 138. 1106. 
1185. 1229. 1270. 1692) und nur einmal duo: frvo (827). Mit dieser 
doppelten Abneigung gegen do und duo und dem gleichzeitigen 
Fehlen des fri steht die Kudrun unter den groBern Dichtungen 
isoliert strong da : eine komplizierte Uberlieferung. wie sie Miillen- 
hoff' und gar AA’ilmanns angenommen haben. ist dadurch ganz aus- 
geschlossen, die Einheitlichkeit des Gedichtes erhiilt eine neue 
Stiitze. 

Klage und Biterolf stehn sich wie in so vielem auch im 
Punkte der 6-Reime und speziell des do naher. Der Trager des 
6-Reimes ist bei beiden durchweg das in der Kudrun ganz aus- 
fallende fiu: es reimt in Kl. :s6 3031, : do 1117. 2155; in Bit. 
:{al'is6 l2l. 1291. 1385. 2173. 3315. 5715. 6735. 730o {mi frO). 12135; 
; (/o 1853. 3817. 3879. 10057. 12993. 13169; :dro 9351; den Rcimen 
du : fi 0 stehen aber gleichzeitig in liberwiegender Zahl Reime auf 
duo gegeniiber. denn dies wird gebunden : in der Klage : zuo 663. 


1) ciabei erscheint mir 1075 f. verdachtig, urspruuglich alhe : ^VaIhe ? 



Edward Schroder, 


•il2 

2399. 3851. 4013; im Bit.: -tio 1193. 3395. 3513. 5309. 7107. 7291. 
7325. 8505. 8555. 9297. 11589. 11785. 12723. 13363; : fiio 2451. 
2487. 5489. 9931 ; 1013. 4855. 4861. 7579. 9567 ; es verhalt 

sich also die Gesamtzahl cler d-Eeime zn den f/.'W-Eeimen allein 
wie 3 : 4 in der Klage, wie 16 : 23 im Biterolf. 

Wieder anders liegt dieSache im Nibelungenlied mit seinen 
13 Eeimen do: fro. Dies umfafit in B 4758 stumpfe Eeimpaare, das 
sind mehr als in der Gesamt^^umme des Erec enthalten sind, der 
im ganzen 65 d-Reime und daranter do: fro 30 x bringt, die An- 
gabe ‘sebr oft’ fiir das Nibl. (Zwierzina Zs. 44, 88) bedarf also einer 
Einscbranbung*. Das Eeimwort di<o (: rriio) findet sick nur zwc-imai 
anf engem Eanme: 1813. 1830 (30. Aventiire). 

Ich scbalte bier zunacbst die Lyr iker Waltber und Neidhart 
ein. Waltber von der Vogelweide bat in rnud 4800 Versen, 
wenn ich das Vokalspiel abziehe, 34 d-Keime, d. b. 1:141 Verse 
(nicht Eeimpaare); daranter sind 2 Dreireime nnd 1 Vierreim. Ein- 
mal sd .• do (64, 8/12), in alien andern Eeimen ist frd enthalten, 
zumeist als Eeimtrager. Von den 6 Eeimen mit ltd entfallen nur 
zwei auf ein Beimpaar, die iibrigen auf Mebrreim, scdaB man deut- 
lich sieht ; die fremde Form wird bier berangebolt. — Eeidhart 
vonEeuental ist der ecbte Bajuvare aucb in der splirlichen 
Anwendung des d-Eeims; in ca. 3800 VV. brancbt er ihn 6 x, 
d. i. 1 ; 633 Verse ; das einzige ho steckt in dem eiiizigen Dreireim 
(63, 5). 

Von den spixtern osterreichiscben Dicbtungen nehmen die Sa- 
tiren des sog. Seifried Helbeling eine eigentiimliche Stellung 
ein. In seinem Vokalspiel (XIT) reimt der Dicbter unter A nur 
reine «-Eeime, unter 0 aber sieht die Eeibe in gates Mhd. umge- 
scbrieben so aus: 

lid: frd: sad: ougeuhrd : dd: nd[h): U'd: also: 6, 
also 6 d and nur 3 d. Danacli sollte man erwarten, daB die Bin- 
dung -a : -d und in der Schreibung der Hs. etwa iibh. die Eeime 
auf -d stark bervortraten. Das Gegenteil von beidem ist der Fall: 
icb zable 15 reine Eeime auf -u (8 durch Eigennamen verursacht, 
kein dd: sd), zwei KompromiBreime (also: dd VIII 713 f. fid: frd 
VII 399 f.)^), aber aucb nur 6 reine Eeime auf -d: ahd: ho ho hd t 
XIV 27 f., :zvd II 479 f. : did VII 1125 f.; strd: frd IX 89 f,, dd: so 
I 816 f. VII 987 f., d.i. (bei liber 8000 Versen mit iiberwaltigend 


1) weitere Reime d; 6 und o s. bci Seemiiller S. LXX f. 



Reimstudien II. 


413 


stnmpfem Eeim) 1 : 667 Epp. Der bequeme Eeim do : so findet 
sicb also nur einmal auf 2000 Epp., obwohl der Verf. kein duo: 
kennt. 

Bei Ottokar fallen anf V. 1 — 6000 11 unserer Eeime (0 mit 
fro resp. unfro) d. i. 1 : 273 Epp., darunter ein do: also 49C3 f. Bei 
Gundacker von Judenburg wird der Versausgang -d dutch 
die vielen latein. Eormen {Eyipto, PUato, lieresno, evanyelio) ange- 
zogen and liegt dem Dichter schon deshalb nahe, er verwendet ihn 
in 5320 Versen 41 x, d. i. 1:65 Epp., etwas haufiger als Wirnt 
nnd Hartmann im Erec; dd: so nnr einmal (1591 f.). Dem altern 
Herrant vonWildon liegt er vielleicht von derLyrik her; in 
seinen Erzahlungen (1630 VV.) kommen 8 Falle (1 : 102 Epp.) vor, 
aber kein dd: so, 7x fro, unfro. 

Eiir Ulrich von L ichtenstein hab ich oben S. 388 f. die emi- 
nente Haafigkeit des ho: konstatiert; daraus ergibt sich ohne wei- 
teres die starke Verwendrmg des Versausgangs auf -6 uberhaupt: 
fiir das Gesamtwerk des Dichters stellt er mit 296 anf 20525 VV. 
fast 3 °/o aller Eeime, in den erzahlenden Strophen des Frauen- 
dienstes wird diese Zahl gut erreicht, 230 anf 14800 Verse, also 
1 : 32 Epp., ein Verhaltnis das im 12. und 13. Jh. nirgends anna- 
hernd wiederkehrt ; auch im Frauenbuche (29 auf 2136) sind es 
noeh 1 : 37 Epp. Dabei kann man das Anwachsen der d-Eeime im 
Frd. gut beobachten : auf die ersten 3000 Verse (Bechstein Str. 1 — 375) 
fallen deren 31 (l/d.- 10), auf die letzten 3000 (Bechst. Str. 1476 — 
1850) 55 (Jid: 19). Die Haufigkeit der Eeimglieder ist: fro [unfro) 
168 X, {al)s6 157 X, /m 79 x, do 55 x, dro lx. Also do, das bei 
Gottfried an erster Stelle steht, tritt bier ganz zuriick, und man 
kann beobachten, wie der Dichter mit dessen Gebrauch anfangs 
zogert und dann. nacbdem er das Eeimwort vorhei* nur einmal 
(12,71) in Tiber 1900 Versen angewendet bat, mit einemmale die 
Zuriickhaltung aufgibt (79, 3. 11. 22). Spater entschlieBt er sich 
dann auch, das seiner Heimatssprache gemaBe duo (: cruo) zu brauchen; 
206,3. 211,5. 464,23. 484,26. 495,-19. 496,28. 

Ulrichs auffallige Vorliebe fiir den o-Eeim stammt unzweifel- 
haft aus der Lyrik; in den 2136 Versen seiner Lieder linden sich 
30 derartige Eeimpaare (1:71 Verse): darin erscheint fro 25 x, 
}w 14 X, [a])s6 19 X, dro 1 x, do 1 x ; fro nnd ho sind in der 
Lyrik die Trager des Eeims und werden von da in die Erzahlnng 
und in das Lehrgedicht iibernommen. 

Thomasin von Zirclaere hat, wenn ich das fiinfmalige 
Auftreten des Paars Fudio- Imag 'matio abrechne , 15 u-Eeime auf 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Klasse. 1918. Heft 4. 28 



414: 


Edward Schroder 


14752 Verse, also 1:492 Rpp. — das vollige FeUen von do: so 
kann hier so wenig auffallen wie bei Freidank. 

Konrad von FuBesbrunnen bat anf 3026 VV. 20d-Reime, 
d. i. 1 : 75 Rpp.; 7 X ist der Reim durcb ein Fremdwort berbei- 
gefiibrt, 8x stekt do:, darunter 4x do: {al)s6; kein duo:. 

In der Wolfenbiittler Bearbeitung des Wig am nr kommen 
(nacb Abzng der sieben rein graphiscben Reimbilder mit -o) 30 
Fiille anf 6106 Verse, also rund 1:100 Rpp.; fiir das Original 
aber gebn davon einige do: so ab, die sich aus Vergleichung mit 
dem Fragment M (S gibt keine Gelegenbeit) nnd aus andern Er- 
wagungen (z. B. 1932 f. darn tube do: ze stunde so) als Zusatze 
oder anch als einfache Scbreibung fiir dd: sd (so 792 f.) ergeben. 
Das Paar duo: fnio ist fiir den Dicbter durcb M 988 und W 712 
gesicbert — wie bei vielen Dichtern die zwiscben do und duo scbwan- 
ken, spielt dies Adverbium im Versausgang eine unbedeutende 
Rolle. 

Heinricb von demTUrlin bat im Mantel anf 994 VV. nur 
den einen Fall fr6 : zu d 792 f. ; aucb in der Krone gebt er mit dem 
o-Reim sebr sparsam um: icb zable auf V. 1 — 3000: 5, auf V. 3001 
— 6000: 6, auf V. 6U01 — 10000: 9 Falle, darunter kein einziges 
dd: s6! Im Durchscbnitt nur 1 : 250 Reimpaare; spater tritt noch 
eine leicbte Zunahme ein, die sicb vor allem in den Dreireimen 
offenbart: auf die groBere erste Halfte desWerkes entfallen davon 
nur 2 mit demAusgang -o (2742 ff. 8427 fP.), das ist ein Verhaltnis 
wie im Wigalois, auf die kleinere zweite dagegen 8 (17269 ff. 19226 tF. 
21774£P. 22330fF. 237l6fP. 25010ff. 28769fP. 29870ff.), also im ganzen 
10:1008, nicbt ganz l^'o; dd: {id)id wird erst in 4 von den 5 
letzten Dreireimen eingeschlossen. Die ausgesprocbene Abneigung 
gegen dies^ Reim erklart sich natiirlich wieder aus der dem jkutor 
gelaufigen Form duo, von der er freilicb nicbt gern Glebraucb 
macbt. 

Im Lohengrin (wo aucb die kurze tbiiringiscbe Partie des 
Eingangs obne -d bleibt) ist die Entbaltsamkeit wombglich nocb 
strenger: in 7670 Versen (OO^'o stumpf) baben wir nur 8 Fiille, 
also 1 : 470 Rpp., nur 2x dd, kein dd: so! 

Vom P 1 e i e r bab icb ausgezogen Garel V. 6001 — 9000, Tan- 
darois V. 3001 — 6000, Meleranz V. 1 — 3000; Resultat 20 + 19 + 
34 = 73 : 9000, d. i. im Durchscbnitt 1 : 62 Rpp. , mehr als bei 
Hartmann im Erec. Darunter dd : fro 13 + 12 + 25 = 50 x, 
{(O)-^d: f rd 7 + 6 + 6 = 19 X, ded: dd lx, {a>)s6: dd (nur im Me- 
leranz) 3x. duo ist fur den Pleier durcb den Reim gesicbert: 
duo: fruo z, B. Garel 12297. Tand. 2027. Mel. 1529; der baufige 



Eeimstudien II. 415 

Gebrauch der Bindung do : fro geKt also auf litterarische TJbung 
zariick. 

Ziemlich ahnlich 'wde im Meleranz stebt es mit Mai und Bea- 
flor: in V. 1 — 3000 finde icb 30 o-Reime d. i. 1 : 50 Rpp., darnnter 
aber 6 x do : {al)sd und anscbeinend keiu duo ; die Reimwahl bat 
wie beim Pleier durcbaus den Cbarakter der Litteratnrspracbe. 

In Enikels Weltcbronik V. 1 — 6000 zabl icb 32 o-Reime, d. i. 
1:94 Rpp., wovon aber allein 6 auf Fharau fallen; 4x a/so; dd, 
das also nicbt gemieden wlrd. — Bei Heinrich vonNeustadt 
V. 1 — 6000 sind es 47, d. i. 1 ; 64 Rpp., dabei 12 Eremdnamen, 
2x ho (5131. 5330), aber nur ein einziges a/so; do (265 f.). — In 
Liutwins Adam und Eva 19; 3942 VV., also 1 : 104 Rpp., davon 
aber mehr als ein Drittel (7) do: so (also). 

Von den deutscb - bbhmischen Dicbtern baben Ulrich von 
demTurlin im Wdbelm 1 — 3100 (so gezablt wegen der Dreireime) 
13 o-Reime (1 : 119 Rpp.), darnnter 1 x do: sd (106, 15 f.); Ulrich 
V. E s cbenb acb im Alexander V. 3001—9000 deren 18 (1 ; 167 Rpp.), 
kein (/(5; (a/)>d.'; Heinrich von Freiberg in den 6890 Versen des 
Tristan 17 (1:203 Rpp.), wovon aber 11 mit do und 4x d6:s6 
(1829 f. 2109 f. 2391 f. 2267 f.). 

Auf der Grenze zwischen Bayern und Scbwaben steht Konrad 
von Heimesfurt (M. Himmelfahrt 1130 + Urstende 2160 VV.), 
zusammen 19 d-Reime auf 2290 Verse, d. i. 1 : 86 Rpp. ; davon 6x 
; Fremdworter, llxdd;, 4x do; also — und Otto II von Frei- 
sing: V. 1 — 3000 des Barlaam weisen 18 5-Reime auf, d. i. 1:83 
Rpp., davon 14 mit dd, 5 do: (al)so (347 f. 1154 f. 1358 f. 1968 f. 
2258 f.). 

Ein ahnliches Interesse wie die bayrisch-osterreichischen Dichter 
erregen die Mittelfranken, da auch bei ihnen mit dem duo 
gerechnet werden mu6. Dieser Umstand drlickt von vornherein 
die Zabl der d-Reime herab, die man im Hinblick auf den bier zn 
erwartenden Abfall des h nacb 6 als boch vermuten konnte. Die 
5140 Verse des Marienlob es (Zs. f. d. Alt. 10) bieten 18 d-Reime, 
d. i. 1:142 Rpp-; Komponenten sind; (al)s6 13 x, h6(h): und vro 
je 10 X, Maydalo lx und scblieBlich cloji): zd(h) 106, 3 If. ; do 
kommt also uberhaupt nicbt vor, aber ebensowenig duo ; das wird 
nicbt ausscblieBlicb an der lyriscben Natur des IVerkes liegen. 
Die Seltenbeit des Versausgangs no (icb babe nur zwei Beispiele 
29, If. Ill, 31 f. notiert) hiingt allerdings damit zusammen. 

Ganz anders steht es bei Morant und Galie (im Karl- 
meinet): auf 5200 Verse entfallen 32 Reimpaare, 1:81 Rpp., 

28* 



416 


Edward Schroder, 


darunter 8 auf h6(h), 8 anf £o(h)-, do steht nie im d-Reim, woU 
aber 14 x als duo im Reim auf suo, rruo. 

Die Praxis GottfriedHagens stell ich vorlaufig hin, ohne 
sie zu erklaren; er hat iiberhaupt in 6292 Versen nur 4 d-Reime, 
d. i. 1 ; 786 Rpp. , und zwar alle in der zweiten Halfte seines 
Werkes : vru: also 3107. : so 5063. ; f?d 5117; vld[li): also 4909; er 
meidet aber auch das duo durchaus, das der Dichter von Morant 
nnd Galie so haufig verwendet. 

Hermann von Luxemburg hat in 5962 Versen 38 d-Reime, 
d. i. 1:78 Rpp., davon 33 x {mi)ird: (al)sv, 2x Ji6: also, 2x 
stro: a7sd resp. : unvro, lx iDiho : unvrd, — niemals dd, aber eben- 
sowenig dafiir duo. Von Hagen unterscheidet sich der Dichter 
dadurch, dafi seine wenigen (5) «(o-Reime sich ganz auf .tu: vru 
beschranken, wahrend jener (ebenso oft) ausschliefilich zti : tii bindet. 

Auch die niedrige Reimkunst P h i 1 i p p s des Karthausers 
weibt keine hohen Zahlen auf, wohl aber groBere IJnsicherheit. In 
V. 1 — 6000 hab ich 17 echte d-Reime gezahlt, d. i. 1:176 Rpp., 
darunter 4x ho(lt}: (2217. 2796. 3246. 3727) und 3x z6(li): (141. 
652. 4322). Zweimaligem do: also (4774 f. 3800 f.) steht duo: zuo 
3 X, duo: irtio 1 x gegeniiber, auch sicuo: duo 2764 les ich so. 
Unreine Reime sind also: hanisihuo 3642 f., :Jesi\ 3660 f., darzuo: 
z6{li) 4328 f. '). 

In der Eneide Heinrichs von Veldeke gestaltet sich 
das Verhaltnis der Reime auf -d sehr verschieden innerhalb des 
Gedichtes ; ich teile ein : 

a) V. 1 — ^3000: 45 d. i. 1:33 Rpp., b) 3001 — 6000: 13 d. i. 
1:231 Rpp., c) 6001—9000: 5 d. i. 1:300 Rpp., d) 9001—12000: 
16 d. i. 1 : 94 Rpp., e) 12001- — 13528 : 7 d. i. 1 : 109 Rpp. Im ganzen 
also 86 d. i. im Dnrchschnitt 1 : 79 Rpp. DaB auf den ersten Ab- 
schnitt weit mehr als die Halfte entfallt, erklart sich aus dem 
starken Vorwiegen der Fremdnamen, von denen hier allein Dido 
31 X im Reim erscheint; der Abscbnitt c), in dem dies Material 
ganz ausfallt, hat auch die kleinste Zahl. Nach ihrer Haufigkeit 
ordnen sich die Reimworter so: Eremdnamen 53 x (Dido 84, an- 
dere 19); fdsd (25) und bd (21) 46 x ; fro {2b) und uufro (20) 45 x; 
hofli) 22 X ; zd(li) 3x; /7d(t) 2x; stro lx. do: fallt also ganz 
aus, wie schon v. Kraus S. 75 bemerkt hat, indem er zugleich 


1) Eiier rheinfrankisch als mittelfranki.sch ist die Erziililuncf voni Junker 
und dem treuen Heinrich ; 10 d-Reime auf 2185 Versr, d i. 1 ; 109 R])p , Ecim- 
trager durchweg fro, kein do: so, kein duo 



Keimstudien II. 


417 


nachwies, daB der Dichter auch duo: keineswegs ohne AnstoB ge- 
brauckt: die 11 Belege verteilen sick obendrein derart, daB 10 
auf V. 3155—7187, der elite auf V. 13113 fallen. — Im Ser- 
vatius (27: 6224 VV., d. i. 1:115 Rpp.), wo das dd gleichfalls 
fehlt, wird'dao: sogar nur einmal verwendet: 1,1729. 

Die noch iibrigen Alemannen sowie die Binnendeutschen und 
Ostdeutscben mit der gleicben Ausfubrlicbkeit wie die Bayern nnd 
Mittelfranken zn bebandeln verbietet mir gleichmaBig die Riick- 
sicht auf den Leser und auf das Papier. Icb werde micb also 
auf eine Aufzablung in losen Grruppen beschranken und nur be- 
sonders eigenartige Erscheinungen hervorbeben. 

Wenn wir uns vor Augen balten, daB das Verbaltnis der 6- 
Reime zur Gesamtzahl der Reimpaare bei Gottfried 1 : 65 , bei 
Hartmann (im Durcbscbnitt der episcben Gesamtproduktion) 1 : 83 
war, bei Konrad von Wurzburg zwiscben beiden in der Mitte 
stand, bei Rudolf von Ems nock iiber Gottfried kinaufstieg, dann 
uberrascken die niedrigen Zaklen nakezu aller ihrer alemanniscken 
Zeitgenossen zwiscken 1190 und 1300. UlrickvonZatzickoven 
kat 28 d-Reime in 9444 VV., d. i. 1 : 168 Rpp., obwohl der Spracke 
des Dickters liQ, £6, vlo gemafi sind (s. Beywls Reimregister) ; nur 
ein einziges d6 : so 435 f., und dies kein Flickreim , da so in der 
Frage stekt. — Im auflfalligsten Abstand von Gottfried bietet 
Konrad Fleck nur 21: 8006 VV., d. i. 1:190 Rpp., ^xdd:ulsd, 
alle andern Reime bekerrscht dnrck fro, toifio. — Auch der Dickter 
der Guten Frau mit 12: 3058 VV., d. i. 1:127 Rpp. — wobei 
kein do: &d — entfernt sick weit von seinem Lekrer Hartmann. — 
Gottfrieds Fortsetzer Ulrich vonTiirkeim: 11 : 3728 VV.^ d. i. 
1:169 Rpp., 2x do: cdso. 

Bei dem Spruckdichter Freidank darf das Feklen des do 
nicht Wunder nehmen, erhat 12 FaUe in ca. 4800 VV., d. i. 1 : 182 Rpp., 
davon 7 mit /Vo, 5 mit hd. 

Spatere Epiker :beiKonradvonStoffeln find ick in Kkulls 
Text 14: 4172 VV., d. i. 1 : 149 Rpp., kein do : so, im Iibrigen 13 X 
ffo:, lx ]i6:. Auck in den ca. 2000Versen aus I oder D, welche 
der Herausgeber in die Lesarten verwiesen kat, bleibt das Ver- 
kaltnis iihnlick und fehlt do: so durckaus. — Nock sproder der 
jiingere Friedrich vonSckwaben: 14: 8064 VV., d. i. 1:288 


1) Zu den von v. Kraus aufgezahlten tritt noch 3757, wo Behaghel ohne 
Ndtigung doen (; toe) gegen das do aller Hss. eingesetzt hat. 



418 


Edward Schroder 


Epp., alle bedingt durch fro, also auch kein do: so! Aus Hugo 
von Langenstein hab ich zwei Proben mit recht verschiedenem 
Ergebnis entnommen; V. 1 — 6000 mit sebr vielen (12) Fremd- 
wortem tind Eigennamen im Reim hat 22 o-Eeime, d. i. 1 : 136 Epp., 
V. 9001 — 12000, wo diese fortfallen, nur 3, also 1 ; 500 Epp. Her 
Eeim do: so kommt in diesen 9000 Vers en nur einmal vor: 31, 13f. 
— Eeinfried vonBraunschweig V. 1 — 6000; 27, d. i. 1:167 
Epp., aber mit recbt ungleicbmaHiger Verteilung, sodafi auf V. 4001 
— 6000 17 Falle kommen, darunter o von den 7 do: {al)sd. — 
Walther von Ebeinau, Buch II Bl. 49 — 101% 3000 Verse mit 

15 Fallen, d. i. 1:100 Epp.; 10 x dd: {iin)frd, 5x do: (al)sd. — 
Egenolf von Stanfenberg; 8:1174VV., 1:73 Epp., 3x 
do: also — und dem wieder entgegen vom Nordrand Scbwabens 
Johann von Wurzburg der in V. 1 — 6000 nur 9 d-Reime 
bringt, 1:333 Epp., 5 mit fro:, 3 mit Fremdwortern, ein do: so 
3425 f. 

Jiingere Didaktiker: Heinrich von Beringen in V. 1 — 3000: 

16 d. i. 1 : 94 Epp. , aber darunter 7 mit fremden Eigennamen^ 
ein do: also (1530f.). — Minnelehre 9:2250 VV., 1:142 Epp.^ 
ein do: also 499 f. — Konrad von Ammenhausen Y. 1 — 3000: 
25 d. i. 1 : 60 Epp., gut die Halfte (13) dd; {al)sd. — Ulrich Boner 
Nr. 1 — 56, 3000 YV. mit 31 Fallen, d. i. 1 : 48 Epp. ; 6 X do: (al)s6. 

Mit diesen Dichtern des 14. Jahrhunderts und ihrer lassigen 
Reimkunst haben wir den Zahlenstand Gottfrieds nicht nur wieder 
erreicht, sondern iiberschritten. Ubertroffen werden sie noch von 
den Fortsetzern des Strafiburger P ar zival , in deren Sprache 
freilich d' und o bereits zusammengefallen sind: Y. 3001 — 6000 
ergeben zunachst 27 reine d-Reime (1 : 56 Epp.) und davon 18 do: 
{al)s6, dazu noch 12 KompromiBreime « ; d, also im ganzen 39, d. i. 
1 : 38 Epp. — 

Von den Lyrikern hatReinmar d. A. in annahernd 2000 
Yersen 19 solcheReime, d. i. 1 : gut 100 Verse; ein do: so (185, 23f.), 
sonst steckt in alien fro, zweimal auf M reimend. — Ulrich 
von Winterstetten, ca. 2220 VV. (mit vielen Binnenreimen), 
12 d-Reime, d. i. 1:200 Verse, samtlich fro {unfro): so {also). — 
Gottfried von Neifen, rund 1800 Verse, 6 d-Eeime (alle mit 
fro), d. i. 1:300 Verse. — Hadlaub, 2220 Verse mit 23 Fallen, 
also 1 : rund 100 Verse; in 22 Reimen steckt fro (inkl. 1 loifrd), in 
5 ho, dies immer :fro. 



Eeimstudien 11. 


419 


Den tibergang von den Alemannen zn den Slidfranken 
stellen dar: Moriz von Craon: 8 anf 1784 VV., d. i. 1 : 124 Epp., 
lx fro: (u'lifro), kein M, kein do: so^ und Tristan als Mbnch: 
18 auf 2705 VV., d. i. 1 ; 75 Epp., kein ho, 3 x do : so. — 

Anffallend gering ist die Zahl der d-Eeime bei dem Hessen 
HerbortvonFritzlar, sobald wir wenigstens die Eremdnamen 
abzieben {Juno, Pricuno, Prothesilao u. s. w.): mit ihnen enthalten 
V. 1 — 6000 30 d-Eeime, d. i. 1:100 Epp., ohne sie nur 10 d. i. 

1 : 300 Epp., und das obwobl der Dichter flo'Ji) : fro 2047 f. reimt, 
ich also unbedenklicb ancb ho: enpldo 1785 bingenommen babe, do 
kommt in dieser Partie 7 x im d-Eeim vor: 1848. 2422. 3339. 3399. 
3970. 4899. 5243, aber nur einmal findet sicb also : do 3969 f. ; 
Herbert bat diesen Eeim also otfenbar gemieden — datiir aber 
verwendet er, anfangs zogernd, dann baufig das ibm gewiB niebt 
eigene duo im Eeim auf zuo 701. 4251. 4600. 4724. 5525. 5683. 
Hier liegt zweifellos EinfluB mittelfrankiscber Diebtung vor, und 
gewifi niebt nur von Seiten Veldekes. — Nacb Hessen setzt man 
aucb den Atbis, der in 1570 Versen der erbaltenen Fragmente 
keinen d-Eeim aufweist, imd Ottes Eraclius mit 14 auf 5392 
Verse, d. i. 1 : 192 Epp.; 9 werden durcb fro getragen, 3 durch 
Fremdworter , einmal stebt ho {:stro) im Eeim 2199 und einmal 
do : so 4201 f., wo aber so die Frage seblieBt, also kein Flickreim 
vorliegt. duo : fehlt bier wie bei dem folgenden. 

Aus dem Ende des Jahrbunderts bat die Elisabeth in 10534 
Versen 33 Falle, also 1 : 160 Epp,, 9 mit Fremdwortern, 3 mit ho: 
(immer Adjektiv, und daneben 3 x hoch ;), 6 x do: also ; fro ist 

14 X Eeimtrager, je 2 x mit ho und mit Fremdwortern gebunden. 
— Fast doppelt so stark ist die Zabl in der Erlosung: 37 auf 
6593 VV., d. i. 1 auf 89 Epp.; dabei ist der Eeim berbeigefiihrt 

15 X durcb fro, lx durcb ho, 12 x durcb Fremdworter; bis iiber 
V. 4000 binaus sind diese drei Gruppen alleinberrscbend , dann 
tauebt im letzten Drittel der Flickreim kdd : also auf (4428 f. 
4652 f. 5014f.). — In Marien Himmelfabrt (Zs. f. d. Alt. 5) 
baben wir 14: 1844 Verse, l:66Epp. ; 12 sind durcb /"ro, je einer 
durcb h6{: deo 1454 f.) xmd durch einFremdwort {Effeso : also 747 f.) 
bedingt; kein do: so. 

Von den Thiiringern bat Ebernand von Erfurt nur 
18:4752 YY., d. i. 1:132 Epp., obwobl er ho: fast so oft (6x) 
im Eeime verwendet wie fro (7 x) ; ein einziges do : also (349 f.). 
Bei Heinrich von Krollwitz (4889 VV.) liegen die Verbalt- 
nisse nocb einfacher : 7 x reimt ho : also {so), 3 x fro : also, dem- 
nacb nur 1:244 Epp.; kein do: {al)so. — Der MeiBner Hein- 



420 


Edward Schroder, 


rich von Miigeln hat in der Meide Kranz bei 2592 ausschliefi- 
lich stumpfen E,eimen nur 7 d-Reime mit Fremdwortern und auBer- 
dem ho : ic6 83 f. — also iiberhaupt keines der altgewohnten Reim- 
paare, vor allem auch kein do: so. 

Der Lyriker Heinrich vonMornngen hat in rund 900 VV. 
6 d-Reime, d. i. 1 auf 150 Verse, wobei je ein Binnenreim, ein 
Dreireim nnd ein Vierreim. fro (5 x) und ho (4x) sind Reim- 
trager, dazu kommt lx do: also 130,21/24. 

Ich mache einen Abstecher nach Norden. Von den Hieder- 
sachsen hat Albrecht von Halberstadt in den 424 Versen 
der alten Fragmente 2x rro (uncro): d. i. 1 : 106 Rpp. — Eilard 
von Oberg in der TJberlieferang der Fragmente (wozn jetzt 
Fragm. X PBBeitr. 41, 513 ff. tritt) von echten d-Reimen 4; 1070 VV., 
d. i. 1 : 134 Rpp. ; sie kehren samtlich im jiingern Text wieder : 
vro: do X136f. = L. 7199 f. X276f. = L. 7343 f. X438f. = 
L. 7501 f., dazu^'Md; do Vni34f. = L. 3061 f. Wahrend ein Reim 
do: so fehlt, kommt do im Reim anf vro = vruo III 50 = 1778 
und anf darzu X 337 = L. 7404 vor, ohne dafi eine Entscheidung 
moglich ist, ob hier eine heimatliche Bindung :-6 oder aber litte- 
rarischer EinfluS vom Rheine ; -iio vorliegt. In Lichtensteins Text 
fallen auf V. 1 — 3000 14 echte d-Reime, 'd. i. 1 : 107 Rpp., wovon 
4x do: so. — Berthold von Holle hat nur 13 Falle auf den 
ganzen Demantin (11760 VV.), d. i. 1:452 VV., also auffalligste 
Zuriickhaltung : kein do : so ! Reimtrager ist 10 x fro, 3 X ho , zur 
Fiillung dient 10 X do, 3x {uiyir, es ist mithin keine Abneigung 
gegen do an sich vorhanden. — Brun von Schonebeck V. 1 — 3177^) 
ergibt 17 hochdeutsche d-Reime und dazu 4, in denen ~~d = zuo 
auf d gebunden wird, im ganzen 1 : 71 Rpp., darunter 2 X do: («/)sd. 
— In der Braunschweigischen Reimchronik kommen auf 
V. 1 — 3o00 zwar 11 reine d-Reime. aber davon sind 10 durch 
Xamen herbeigefiihrt, dazu nur das eine vro-. dho 1912 f. 

Bei dem Schlesier Johann von Frankenstein ist be- 
reits der Zusammenfall des -« mit -d vollzogen, der auch vor dem 
Latein nicht Halt macht : so: pascha 389 f. 1193 f.: materia 3885 f. 
Rechnet man zu den reinen d-Reimen die Bindungen zwischen 
-d ■■ -6 hinzu, so ergeben sich 36: 1—6000, d. i. 1:83 Rpp., 13 X 
do : so, vrovon aber der erste Beleg 2905 f. — Der argste Reim- 
stiimper ist der Verfasser von Ludwigs Kreuzfahrt, wobei 


1) das sind 3000 deatsche Verse, nach Abzng der lateinischen Zeilen. 



Keimstudien II. 


421 


freilich die vielen Namensformen auf -o einwirken: in den ersten 
1000 Versen sind es 33 Talle, d. i. 1:15 Reimpaare ! (da von 7 
do : (a/)s5), in V. 1 -3000 1) : 68, d. i. 1 : 22 Rpp. 

Ans der Deutsckordenslittei’atur kab ich znnacbst vom 
Passional Buck I V. 1—3000 (Hakn 1 — 33,63) and dann nock 
3000 Verse ans dem III. Buck (Kopke 53 — 84, 78) geprlift: ick 
land dort 17, kier 27 Palle, wobei die grofiere Anzakl der Premd- 
worter (dort 7, kier 14) mitwirkt — - im ganzen 44 ; 6000 d. i. 
1 : 68 Reimpaare'-) — aber nnr einmal do: also (Kopke 71, 5 f.). — 
Sodann HeinrickvonHesler, Evangelinm Xicodemi : 5392 VV. 
mit 10 Fallen, d. i. 1:270 Rpp., ein also: do 49 f., also ganz am 
Eingang, wahrend do als Reimfiillsel nock 5 x ersckeint : littera- 
riscker Reim ist daneben vruo: do 2645 f. (s. Helm s. XLVI). 

Die Wander ung durck die dentsckeLitteratur, die uns vom Els ak 
bis nack Westprenfien, von den Alpen bis znm niedersacksiscken 
Tiefiand gefiikrt bat, umspannte nur die Zeit von etwa 1180 
bis 1350 — kier muBte sie Halt macken, weil mit der wack- 
senden Yermiscbung von d nnd 6, die insbesondere dd und do 
betrifft, nene und fiir die Beurteilung sckwierige Verkaltnisse ein- 
treten. 

"Wenn wir beim Eintritt in die Bliitezeit, speziell bei Gottfried 
von StraBburg, den o-Reim stark entwickelt und in reicker Ver- 
wendung antretfen wie etwas selbstverstandlickes, so liegt es, da 
in ihm dock keinerlei jiingere Formen zu Tage treten konnen, 
nake, ikm ein hohes Alter und eine lange Tradition zuzusckreiben. 
Die Betracktung der vorausliegenden Zeit, der drei Jakrkunderte 
von Otfried bis zum Anbruck der mkd. Blliteperiode erweist das 
Gegenteil und stellt neue Fragen, die wir nickt okne weiteres be- 
antworten konnen. 

TJnter den 7426 ‘Versen’ d. i. Reimpaaren Otfrids finden 
sick rund 530 auf -o, d. i. 1:14 Rpp., das sind aber zu fast 95 o/o 
Bindungen von tieftonigem -b beiderseits, sodaB fiir unsere Betrack- 
tung streng genommen nur 6 (1 : 1238 Rpp.) und allenfalls 27 Falle 
(1 : 275 Rpp.) ilbrig bleiben, namlick 

fro: m 5 X (I 2, 9. II 8, 9. Ill 2, 29. 20, 174. [unfrO] V 15, 30). 

fro: so lx {N 11,28). 


1) resp. 3001 in v. d. Hagens falschen Zahluug. 
2j wie im Erec. 



422 


Edward Schroder, 


tlid: -0 8 X (lirlolyono 14,56. : eino II 14, 13. :redino II 14,35. 

giclottgno III 15, 35. Jiidono 11123,27. V 11, 1. :Mmo 
III 24, 50. ; ferro IV 18, 1). 

sd:-l) 13 X (: gewisso 10 X, s. Ingenbleck S. 83. : icasso 11,84. 
; egiso V 4, 22. 39). 

Resultate: fro, das einzige VoUwort anf -d, reimt auf die Partikeln 
f]i6 und so, aber niemals anf tieftoniges -b ; diese Partikeln findet 
man nie nnter sich gereimt; im Reim auf -b scheinen sie derart 
bescbrankt, dab so nur auf -so gebunden wird, tho nur auf -nb, 
-mb, -r'o {-Jo mag zufallig feblen); so erscheinen alle Zablen iiber- 
raschend niedrig. 

Bei den kleinern abd. Denkmalern zu verweilen, lohnt sick 
nicbt. Ich will gleich erwabnen, dab in unserer Uberlieferung das 
letzte Beispiel fiir die abd. Reimtecbnik die Exodus (spatestens 
1120) mit dem einen Reim do : ercJiomenJwJio 543 f. bietet. Bei 
Ezzo (1064) haben wir d?( 0 ; brunno 15,10; ^i<o: eino 3,10. : geloubo 
29,8; im Lob Salomonis (ed. Waag) auber scono; Ltjbano 151 f. 
Lyhano: do 107 f. und tro: eingiJo 213 f., im Nabucbodonosor 
Ahdenago : do 37 f. 

Die Reimtecbnik der Wiener Genesis (Eundgruben II) ist 
nocb durcbaus altbocbdeutscb, aber im einzelnen von Otfrid griind- 
licb verscbieden. Vollworter reimen zunachst untereinander, aber 
naturgemab selten: unvrb : drb 40,71. : sfru 46, 10, dann die Par- 
tikeln: do: also 42,4. : so 62,44. Weiter reimt dann vro: ant- 
u'urto 34,41. : ivorto 37,41. : undurfto 43,13. ihelido 70,4; gelieizzo 
37,17, also nur auf Gen. Plur. ; do bingegen auber :Jiebo 32,4. 
ibrunno 32,35. : reJito 39,41. : ivorto 45,45 aucb auf mute 40,17. 
48, 5. 68, 10. ; unmute 51, 6. ; liute 74, 20 und namentlicb 9x aufAd- 
verbienmit-/L7(o20, 4. 39,28.38. 48,34.40. 53,18.31. 57,43. 64,32. 
Der Form do stebt aber die der Heimatspracbe der Dichtung ge- 
mabe Form duo: zuo gegeniiber 11,27. 19,1. 22,4. 37,9. 38,7. 
39,24. 43,31. 44,3. 49,9.15. 63,2. 66,10, und anderseits reimt 
aucb zuo : -6 sowobl als ;-o; vro {unvrb): zuo 38,41. 57, 39; Fharao: 
zuo 61,19; ib: frbJivho 71,17 u. a. Gegeniiber dem baufigen und 
gescbmeidigen db-duo, das icb im ganzen 37 x im Reime gezablt 
babe, wird {al)sb gemieden; von den beiden Reimen auf do (s. o.) 
scheint der eine (42,4) als Dreireim do: aJsb: gerno aufzufassen. 
Die Praxis ist keineswegs in alien Teilen der Dicbtung gleicb: in 
den ersten Partieen feblen die Reime -b : -b ebensogut wie die 
Reime -6: -o; icb mag aber bier auf die Verfasserfrage nicbt ein- 
geben, obwobl icb sie keineswegs fiir gelost balte. 

Die Milstater Bearbeitung bat Anstob genommen an den 



Reimstudien II. 


423 


Keimen vro ; gelieiszo, : undurfto, : Jielido (die bei Otfrid ganz feblen) 
und bier in vro: do geandert, obne aber konsequent zu verfakren. 

Ziehen wir die Reime mit tieftonigem -u ab, so bleiben in den 
6063Versen der Genesis nur 4 Falle, d. i. 1 : 758 Rpp. Mit diesem 
Eindruck treten wir ins 12. Jh. und in die mittelhochdeutsche 
Litteratur ein, und er findet bier seine Eortsetzung und Bestati- 
gung. 

Die Griinde dafiir liegen klar zu Tage : 1) /Vo ist, wie schon 
friiher bemerkt wurde, ein Reimwort, das erst durch die Lyrik 
zu haufigem Brauche kam und dem Gedachtnis der Dichter dann 
allzeit bereit lag, die iibrigen Vollworter (sfro. dro, zivu) kommen 
naturgemaB noch weit seltener zur Verwendung, ltd ist landscbaft- 
lich beschrankt und findet erst spater litterarische Verbreitung; 
2) die Formworter do und {aT)sd werden zunachst wie bei Otfrid 
und in der Genesis im Reime von Dicbtern , die etwas auf sich 
halten, gemieden; 3) do ist obendrein fur die Bayern und Mittel- 
franken als duo kein Reimtrager und nur allenfalls Reimfiillsel 
fiir den o-Reim; 4) so bleiben vorwiegend die lateinischen Wort- 
formen und Eigennamen als Trager iibrig, die besonders bei den 
Dicbtern der Ubergangszeit und bei den geistlicben Dicbtern aucb 
weiterhin (wie wir scbon geseben haben) den o-Reim fordern und 
anzieben, sei es daB sie untereinander reimen oder mit do, so 
(selten vro) gebunden werden. 

Indem icb Gedicbte, die weniger als 250 Verse haben, iiber- 
geb, geb icb nun eine Ubersicbt zunachst fiber die geistlicbe 
Dichtung. 

Obne jeden ecbten o-Reim bleiben das Ann o -Li ed (876 VV.), 
das mittelfrankische Legendar (764 VV.) ’), die Gedicbte 
vom Recbt (549 VV.) und von der Hocbzeit (1088 VV.), das 
Himmlische Jerusalem (473 VV.), die Vorauer Sfinden- 
klage (858 VV.), der ganze Heinrich von Melk (1788 VV.); 
ferner die Gedicbte der Ava (ed. Piper) in der Vorauer Hs, 
(2942 VV.) ; im Johannes der Gorlitzer Hs. begegnet freilicb 429 f. 
ein fro: do, das aber zweifellos dem Bearbeiter gehort, sodaB also 
ffir die samtlicben 3388 Verse kein d-Reim fibrig bliebe ; dn reimt 
ausscblieBlicb auf und dieses wieder auf Fremdworter {: Jericho 
679 f. : jwediYacio 2381 f); wabrend do ganz fehlt, haben wir (?« ; 
Jesus 849 f. 1031 f. 1039 f. 1471 f. 1528 f. 


1) unreine Reime Petru: zu {= zuo) 207 f., gez6{h] : sco (= scuoh) 076 f. 

2) wobei ich ratio : meditaiio im Jungst. Gericht 331 f. nicht als d-Reim 
ansehe. 



424 


Edward Schroder 


Die Litanei S (1468 W.) hat zweimal fro im Reim auf 
Fremdworter {: vinju 1035. : JSlcujdulo 1097), der Linzer Ente- 
christ (1188 W.) ebenso also {: discessio 109,28) resp. so {: fucio 
134, 22) und dazu einmal Reim vmn Fremdwortern unter sich (evan- 
gelio: agro 24, 13f.); Arnold in der Siebenzahl (1044 VV.) im 
Reim auf Fremdworter 3 x so (336, 18. 346, 7. 379, 9) und je 1 x vro 
(349,11) und do (349, 23) i). 

In der Exodus (3316 YV.) reimen Vollworter dro : unvro 
1821 f., Formworter do: so 1517 f., ein Fremdwort Jetro : do 377 f., 
die Endung do : erchomenliclio 543 f. ; diesen drei Beispielen mit do 
als Rotbehelf steht sechsmaliges duo: ziio gegeniiber 245 f. 1569 f. 
1793 f. 2301 f. 2359 f. 2427 f. — In der etwa gleichzeitigen j tin- 
ge rn Judith (1820 VV.) werden drei Reime durch ein Fremd- 
wort bedingt; do: Jericho 141, 1. -.niirto 161, 8 f. ; also: Cannelo 
132, 6; dazu tritt fro: do 170, 4 und anderseits dii; eu 133, 51. 27 f. 
— F iinfzig J ahre naehher noch hat ^yerners Marienleben 
(Berliner Hs. ca. 5280 VV.) auf Fremdworter 5 Reime von also 
(; Leucio 149, 34) resp. do (: templo 164, 17. ; Jericho 166, 40. : concilio 
188,4. : deo 199,7) und daneben ein /-Vo ; do 155, 16, so: fro 205,32; 
und wenig spater das Anegenge-) (3240 VV.) zwar ein do: virago 
16, 18f., ein do: fro 24, 43f., aber daneben 11 X den bayrischen 
Reim duo: ^uo. 

Auch die mitteldeutschen Dichter der Zeit von 1150 bis 
1175 bieten kein wesentlich anderes Bild, obwohl man hier doch 
den Abfall des h in h6{h), £6{h), (r/o(/<) erwarten darf und in der 
Tat auch findet. Der rheinische Tundalus (505 VV.), fiir 
den duo: zuo 108 f. 324 f. die gegebene Bindung ist, hat darliber 
hinaus nur go{l’): angdo 128 f. :iinvro 395 f. — Der wilde Mann 
(im ganzen 1584 VV.) hat nur drei Reime mit vro (^unvrO ) ; ho 
Christl. Lehre 135 f.; : Sgon Ver. 307 f. 4751'.; bei Werner vom 
Is ie d e r rhein (690 VV.) haben wir nur cdso : ho 131 f. — Werner 
von Elmendorf (1200 VV.) meidet ebenso do im Reim und be- 
schriinkt sich auf also: fro 430 f., ho: Ctcero 713 f. 

Ein eigenes Interesse bietet file uns, was dem Scharfblick 
Bruchs entgangen ist, Hartmanns Credo (3800'VV.). Es gewahrt 
nur einen einzig.'m* ]’eindeutschen o-Reim, der iibrigens in der Hs. 
entstellt ist, ohne da6 man bisher daran AnstoB genommen hat. 


1) Auch der Milstater Physiologus, unbedingt die elendeste Reimerei 
der altdeutsohen Litteratur (ca. 12m Verse), hat nur 4 Beispiele von d-Reim mit 
so ; Fremdwort. 

2) aus dem wir oben s. 407 den Reim do ; also 3, 35 f. beseitigt haben. 



Keimstudien If. 


425 


denn V. 2801 f. ist natiirlich zu lesen tvedcr sus noch so — du ne- 
tveisi selhe wo (st. sico, das im Fragesatz jeder Art undenkbar 
ist)^). Dazu treten dann 9 Reime mit Frenidwortern ; 3x 
binden solche antereinander (387 f. 2101 f. 3627 f.), 4 x ; also (596. 
792. 2347. 2688), 2x :frd (1317. 2779), Es fehlt also voll- 
standig do im Versausgaag, dagegen steht dno : ^■/io 1880 f. 27501'.; 
:getiioin) 579 f. ; tuo{ri) 2252 f. — das •widerspriebt den thiiringiscben 
Dichtern, stimmt aber anfs beste zu Heinrich von Veldeke und 
den Mittelfranken. 

Ganz besonders merkwlirdig ist der KonigRother; er ent- 
halt in 5200 Versen der Heidelberger Hs. keinen einzigen d- 
Reim. nnd aueh das in ihm zu erwartende duo: zuo erscheint 
nur ein einziges Mai ganz gegen Ende des Werkes, V. 5146 f. 
Allerdings zeigt der Dichter ilberhaupt eine merkwiirdige Abnei- 
gung gegen die V ersausgange auf Langvokal : ich zahle nur 2 x 
3 X -e, 2 X -t, 2 X -ie, 2 x -uo, und dazu noch hochstens 13 
Falle mit iiberschiefienden Konsonanten (u, r, i) auf einer Seite. 
Filr die Frage nach der tjberliefemng des Gedichtes sind diese 
Beobachtungen keineswegs gleichgiltig : ich bin langst zu der Uber- 
zeugung gelangt, dafi es zwar stark interpoliert ist, aber immer 
durch den Autor selbst. 

Flir den Vorauer Alexander hat Zwierzina die rich- 
tige Bemerkung gemacht, dafi im Yersansgang eine gewisse Ab- 
neigung gegen die Verwendung einsilbiger Partikeln, Pronomina, 
Adverbien bestehe, die hingegen der StraBbnrger Bearbeiter sicht- 
lich bevorzuge (Verhandl, d. StraBb. Phil.-Yers. 1901, S. 133, s. jetzt 
die Dissertation von J. Kuhnt S. 59). Filr unseren Beobachtungs- 
ausschnitt will das besageu, daB in den 1533 Versen nur 2 x 
also: {un)frd 503 f. 1003 f. und dann 2x duo: suo 437 f. 953 f. 
vorkommt ^) ; diesen Bestand hat S in dem entsprechenden Ab- 
schnitt um 5x do: Fremdwort {'Skolao, Dario, Alexavdro) 762 f. 
155 f f. 1643 £. 1651 f. 16('3f. (und 2x zuo: Fremdwort -d 17S1 f. 
2011 f.) vermehrt, sodaB das Verhaltnis bei ihm im ersten Teil 
9.2037 d. i. l:113Rpp. wird; nnd dem entspricht nun auch die 
Fortsetzung des StraB burger Alexanders , in dem ich bei 
5265 Yer.sen 31 reine AReime d. i. 1:85 Rpp., zahle, d. h. bei 
diesem Dichter begegnen wir zuerst einer Praxis, die sich der der 


1) Dies M-o ‘wie’ (as. liwo, mnd. wo, ahd. hmio, leuo) ist in mhd. Quellen 
ziemlitli selten nnd auf iMitteldontschland beschrankt, z. B. Floyris V. 252. 

2) Die inzwischen aufgefnndenen Tobias- Fragmente Lamprechts (^274 YV.) 
bieten nur den Reim also: ho 211 f. 



426 


Edward Schroder, 


hofischen Epikern zu nahern scheint, von welcker unsere Betrach- 
tungen ausgingen. Die Siclitung der Reime ergibt allerdings : 
8 X Fremdwort : Eremdwort {Alexamlro : Dario u. a.), 2 x do : Dario, 
6x do: Alexandra, 2x so: Alexamlro, 3x fro: Candaido, sodafi 
nur 10 Ealle okne Fremdwort iibrig bleiben, getragen 6x durcb 
{tin)fr 6 {: also 5283 f.; ; do 3201 f. 5391 f. 6281 f, 6583 f.); weiter 

durcb hu{]i) {-.also 6101 f. :d6 6463 f. :icnfrd 6853 f.), fld[h) {:dd 53791.). 
do :(al)s6 wird auch bier gemieden, und anderseits reimt duo: fruo 
60791., : zuo 31841. 34901. 47441. 50551., 57131., allerdings aucb 
£■ 110 : Alexandra 20451., Dario 29681. 37681., ja :frd 21671. 

Dem mosellrankiscben Pfaffen Lambrecbt und seinem rbein- 
Irankiscben Fortsetzer stell ich den Plallen Konrad von 
Regensburg gegeniiber, zunacbst mit dem Rolandslied, das 
die einlachsten Verhaltnisse aulweist. In 9094 YV. baben wir 
bier nur 11 reine d- Reime, d. i. nurl : 413 Rpp. lx reimen Eigen- 
namen untereinander Alto:Ivo 116,121., 2x stebt ein Fremdwort 
im Reim deo: fro 187,21. 243,221.i); 3x fro: do 64,141. 90,231. 
122, 22 1. 129, 5 1. ; 2 x dro : do 53, 9 1. 150, 71.; 2 x do ; so 132, 171. 
242, 27 1. 

In der Kaisercbronik stand der gleicbe Dicbter einem 
Quellenmaterial gegeniiber, das sicb aus deutscber Diebtung und 
lateiniscber Prosa zusammensetzte, imd bei der langjabrigen Arbeit 
und unter wecbselnden Einfliissen unterlag seine Praxis deutlicben 
Verscbiebungen. Man kann also unmoglicb die Gesamtverbalt- 
nisse (^74 d-Reime aul 17240 VV. d. i. 1 : 115 Rpp.) mit deneu des 
Rolandsliedes vergleicben, aucb nicbt nacb Abzug der Reime mit 
lateiniscben Namenslormen, die mebr als die Halite (38) der Fiille 
ergeben-) und zu denen das aus dem Franzosiscben ilbersetzte 
Roland.slied keinen AnlaB gab. Die grammat. Reimbedingungen 
sind dieselben, d. b. es leblen Worter mit /<-Ablall; fro: do 19 X, 
: fd)su 3x; drd:inifrv 2 x, sodann do: so 12 x, aber in bocbst 
ungleicbmaBiger Verteilung: — 17321. 21921. — — — — — — 
92091. 94421. 94481. 93421. 103431. 107301. 112861. — 132571. — 
159881. — 172301.; man beacbte, daB nacb 21921. aul iiber 7000 
YertC kein einziges Beispiel liillt, und das ist gerade aucb eine 
der Partieen, in denen der Anteil Konrads am wenigsten gemiscbt 


Ij Man erwartet so etwas ofter nach dor Angabe des Dichters, daC er den 
fianzijsisdien Text zunacbst ins Latein ubertragen babe — aucb sonst hab ich 
zur Bestatigung dieser Aussage niemals einen Anhalt gefunden. 

^,) es warden dann 1 : 240 Kpp. berauskommen. 



Eeimstudien II. 


427 


erscheint '). Anderseits sind aber docli aucb fremde Bestandteile 
der groBen Komposition arm and-Reimen; so bat die Crescentia 
(V. 11352 — 12808) nur einen einzigen : tmfrd: dru 121991. und dazu 
6 unreine Reime tio : o {fruo: do 119741.; zuo: do 118271.; : so 
113961. 120241. 126651.; : dro 122141.). 

Wie die Reime mit do, bes. auch do: so, so sind in der Kaiser- 
cbronik anch die bayrischen Reime duo ; zuo, fruo, die das Rolands- 
lied nocb zn meiden scheint-), zahlreicher. 

Jedenlalls nahern wir uns mit der Kaiserchronik nnd nocb 
mebr Ireilicb mit dem Strafiburger Alexander den Verbaltnissen, 
wie wir sie in der bofiscben Epik der Bliitezeit vorlanden. 

So treffen wir denn aueb in den episcben Dicbtungen der 70 er 
und 80 er Jabre regelmaBig vorgescbrittene Verbaltniszablen, die 
icb bier nocb rascb anliibre: Graf Rudolf (ca. 1400 Verse) 
8 Belege d. i. 1:88 Rpp., alle mit {un)fr6: do 6x, : so 2 x. — 
Trierer Aegidius (1720 VV.) 7 Falle d. i. 1:123 Rpp., aus- 
scblieBlicb {i(»)frd : do — im merkwiirdigen Gegensatz zu dem 
Floyris (368 VV.) der gleicben Herkunft, der nur duo im Reime 
kennt (11 1. 146 1. 212 1. 273 1.) und sonst keinen o-Reim bat. — Der 
alte Reinbart (690 VV): 4 o-Reime, d. i. 1 : 86 Rpp., namlicb 
{un)fr6: ho 7971. 17931. :sd 16651.; oho: so 15551. — Die Frag- 
mente des Herzog Ernst (400 VV.): Frgm. A 11601. ttnfro.-do, 
Konneckes Fragm. Bl. 2 rrO; do^), also 1 : 100 Rpp. — ScblieBlicb 
der P ilatus (4451.) : /iy .' fl/so 41 1. : Puyno ■,Tyro: o?sy 1071., 
also 1 : 74 Rpp. 

So deutlich nun aucb die Zunabme der o-Reime im ganzen 
ist, merkwiirdig bleibt nocb immer die unzweifelbafte Meidung des 
Reimes do : {aT)s6. DaB er vorbanden war und bequem lag, zeigt 
ein Stumper wie der Piaffe Adelbrecbt um die Mitte des Jabr- 
bunderts , der ibn in 267 VV. der erbaltenen Fragmente seines 
Johannes Baptista gleicb zweimal anwendet : 481. 791. Aber sonst 
baben wir ihn in der ganzen frlibmittelhochdeutscben Litteratur vor 
Hartmann von Aue zuniicbst nur verschwindend selten gefunden, 
namlicb in der Genesis 2x, Exodus lx, Rolandslied 2x, Kaiser- 


1) Der umfassende personliche Anteil Konrads an der Kaiserchronik wird 
durch die Verschieb ungen im Keimgebrauch ebensowenig erschuttert wie durch 
die ganz auBerlicbe Wortliste Leitzmanns Beitr. 43, 28 ff. , die gleich hochst un- 
glucklieb begiunt mit ageJeize: das fehlt freilich im Rolandslied und steht in der 
Kaiserchronik 5 mal — aber 4mal in der Crescentia und dann noch einmal 
1000 Terse spater ! 

2) aus dem Gedachtnis — der betr. Kotizenzettel ist mir abhanden gekommen. 

3 was schon gegen Mittelfranken als Ileimat zu sprechen scheint. 



428 


Edward Schroder, Eeimstudien II. 


chronik 12 X. Man erinnere sick, daB er in umfangreicken Werken 
(von liber 5000 Versen) ganz feklte : im Rotker nm 1150, in Werners 
Marienleben 1172, im StraBburger Alexander um dieselbe Zeit, 
daB ikn Veldeke (wie iiberhanpt das do im Reime) gemieden kat, 
— daB ikn aber anderseits ein klimmerlicker Reimschmied anf 
engem Ranme zweimal verwendet. TJnd an dieser Bindnng, die 
wenig Tradition nnd gar keinen Adel hat, nehmen die grofien 
Kiinstler der Bliitezeit keinen AnstoB, ja Gottfried von Strafiburg 
erkebt sie zn einem seiner Lieblingsreime. 



Jatakastudien. 


Von 

H. Oldcnberg. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 7. Februar 1919. 

1. Zur Verteiliing you Prosa and Versen in den Jatakas. 

Fruhere Untersuchungen, insonderheit liber die Entwicklung 
der buddhistischen kanonischen Literatur und uber die prosaisch- 
poetische Form der Erzahlung, haben mir wiederholt Gelegenbeit 
gegeben, mich mit der Kunstform und dem Stil der Jatakas zu 
beschaftigen ‘). Indem ich bier auf diese Erzahlungen zuriickkomme, 
mocbte ich versuchen, ihnen nach einigen Richtungen bestimmtere 
Aufschllisse, als bis jetzt erreicht sind, iiber die Geschichte der 
alteren indischen Erzahlungskunst abzagewinnen. Wir haben hier 
einen recht ausgepragten Stil vor uns, den zu beschreiben und 
dessen so zu sagen kunstgeschichtliches Verhaltnis zu dem in den 
groBen Epen herrschenden Stil festzustellen mir eine lohnende 
Aufgabe scheint. 

Ich beschaftige mich zunachst mit dem Verhaltnis von Prosa 
und Versen in den Jatakas^). 


1) Ich verweise auf meine „Litteratur des alien Indien“ 103 if. (wo, wie ich 
jetzt glaube, die Authentizitat der vom Kommentar gegebenen Prosaerzahlungen 
uberschatzt ist) ; weiter MGGW. 1911, 441 fl'. ; 1912, 183 ff. 214 if. ; „Zur Geschichte 
der altindischen Prosa“ 79 ft’. 

2) Eine wunschenswerte, gegenwartig aber aus naheliegenden Griinden mir 
unausfuhrbare Vorarbeit wiirde hier sein, den Umfang des Versbestandes, wie er 
in den allein die kanonischen Verse enthaltenden Handschriften erscheint (vgl. 
HGGW. 1911, 447 f), genau festzustellen. DaB im Text, den Fausbdll veibf- 
fentlicht hat, viele jenem Bestand nicht zugehorlge Verse erscheinen, ist zweifel- 
los. Beispielsweise ist es vollkommen klar, dafi Xr. 547 v. 627. 628 (Bd. VI, 570), 

Kgl. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Klasse. 1918. Heft 4. 29 



430 


H. 0 Idenb erg . 


Ein Ergebnis friiherer TJntersricbungen, das ich erneuter Er- 
brterung nicbt fiir bedilrftig halte'), ist, dab in Indien der rein 
nietrischen Form des Erzahlens eine andre voranging, die bei pro- 
saischer Girundlage zu bald sparlicberer bald reichlicher Einfiigung 
von Versen neigte. Eine der vielen Fragen nun, liber die uns das 
so unerscbbpflich bedeutsame Jatakabncb Belebrung gibt, scheint 
mir die nach deni TJbergang von jener alteren Erzahlungsform zur 
rein metrischen zn sein. Das Jataka veranschaulicht schon das 
scbrittweise Vordringen des metriscken Elements: wobei kaum 
ausdriicklich bemerkt zu werden braucht, dafi — wie ja oft in 
analogen Fallen — zu dem bier aufzustellenden idealen Entwick- 
lungsscbema die tatsacblicben Altersverbaltnisse der in Frage kom- 
menden Texte im Einzelnen keineswegs iiberall zu stimmen brauchen. 

Bekanntlich sind die in die Prosa eingelegten Verse alterer 
indiscber Erzablungen iiberwiegend Reden auftretender Personen. 
Die Entwicklung des Ganzen zur rein metrischen Form aber voU- 
ziebt slch, indem sicb neben diesen Reden aucb die Erzahlung der 
Begebenbeiten immer mebr in Versform kleidet. Daber soil im 
Folgenden vorzugsweise von den Jatakaversen erzablenden und 
verwandten Inbalts die Rede sein, das Anwacbsen ihrer Geltung 
durch eine Reibe von Typen hindurcb bescbrieben werden. 

Diese T^^pen zu veranschaulichen wable ich vorzugsweise Ja- 
takas mit einer grbOeren Anzahl von Versen'-), wie sie in den 

YOU Faiisb, als Textverse gezuhlt und in der englischen Ubersetzung mit den 
vorangehendeu Versen als ibnen gleichberecbtigt zusammengescblossen , nicht in 
den Text gehoren, sondern vom Kommentar als Parallele zu jenem aus dem Ca- 
riyaiiit. (I, 9, 52. 53) angefuhrt sind. 

1) Ich daif abor wohl glauben, dafi, wenii es im Folgenden gelingen sollte, 
auf jenem Fundament baltbare wcitere Bauten aufzufubren, dies eine neue, frei- 
lich m. E. kaum mebr erforderlicbe Bestatiguug dafur bringen wird, dafi das 
Fundament richtig gelegt war. — Hier beraerke ich iiocb, d.iC bei der Unter- 
suchung uber das Verhaltnis von Prosa und Versen selbstverstaiidlich das Kuna- 
lajataka (Xr. 530), das eine eigenartige Sonderstelluug einnimmt ("XGGW. 1911, 
448 A. 1), unberucksichtigt gelassen ist. 

2 ) Ich werde mehrfacb davon zu sprecben haben. dafi eutgegen einer ver- 
breiteten Ansicbt nicht nur die fur Buddha in der Vergangenheit liegeudeu Haupt- 
erzahlungen, sondern aucb die jedesmal dazu gehorigen Rahmenerzahlungen aus 
seiner eigenen Zeit einen wesentlicben Bestandteil dor einzelnen Jatakas bilden. 
Es bedarf wohl nicht der Rechtfertigung, wenu ich im Folgenden trotzdem der 
Einfachheit wegeu, sofern nicbt ausdrucklich auf die Piahmenerzahlung Bezug 
genommen wird, immer nur die Ilaupterzablung kurzweg als das und das Jataka 
bezeichne. — 'SVeiter ist es nicht itberflussig daran zu erinnern, dafi den viel- 
versigen Jatakas, mit denen wir es iiberwiegend zu tun haben werden, als groBe 
Mehrzahl die mit nur wenigen Versen gegenuberstehen ; iiber die Halfte aller Ja- 
takas enthalteu nur 1 — 3 Verse. 



Jatakastudien. 


431 


drei letzten Banden Fausbolls enthalten sind : da ist am besten 
die Moglicbkeit gegeben, dab sich die erzahlenden Verse gegeniiber 
den Redeversen in der ihnen eignen Rolle ans:haulich abbeben. 
Mit einer Haufigkeit nun, die iiber die typische Natur der betref- 
fenden Erscheinung keinen Zweifel laSt, treten da Falle wie die 
folgenden auf. 

Y uv a fij ay a j a t aka (Nr. 46')j. Der Konigssobn Yuvaujaya 
wlinscht Asket zu warden. In zebu Versen Grespracb zwiscben 
ibm und seinen Eltern, die seinem Entscblub widerstreben ; Klagen, 
wie es scbeint, seiner Mutter. Zum SchluB ein elfterVers: „Beide 
Jiinglinge warden zu Asketen, Yuvanjaya und Yudbitthila, Mutter 
und Vater verlassend. des Todes Band zerrei6end“. Vom zweiten 
dieser beiden zeigen die vorangebenden Verse, die immer nur Yu- 
vafljaya nennen, keine Spur. Die Prosa muB bericbtet baben, wie 
der uns vorliegende Kommentar in der Tat tut, daB nocb ein 
Jlingling sicb jenem anscbloB. Man empfangt, freilicb nicbt mit 
unbedingter Sicberbeit (oder wird es durcb v. 10 bewiesen?), den 
Eindruck, daB das Resultat, die pahhajja der beiden, nicbt erst in 
diesem A^ers bericbtet wird. Sondern davon wird die Prosa er- 
zablt baben; der Vers faBt nur nocb einmal das Ergebnis zusam- 
men, feiert es gleicbsam. 

Mabamorajataka (Nr. 491). Der Jager bat den Pfauen- 
konig gefangen. 16 Averse, Grespriich beider: dem Jager wird Er- 
kenntnis zuteil: er gibt alien gefangenen Vogeln die Freibeit. 
Dabinter Scblufivers; »Der Jager ging mit der Scblinge im AValde 
den berrlicben Pfauenkonig zu fangen. Als er den herrlicben 
Pfauenkonig gefangen batte , wurde er (selbst) vom Leid erlost 
wie icb erlost bin“ ^). Aucb bier abscblieBende , verberrlicbende 
Zusammenfassung. 

Samkbaj ataka (Nr. 442j. Ein AVobltater bat einem bei- 
ligen Mann Scbube gescbenkt. Zum Lohn nimmt sicb , wie er 
Scbiffbrucb leidet, eine Gbttin seiner an. Reden in neun Versen 
von ibm, seinem Diener, der rettenden Gottin. Zebnter Vers zum 


Ij 'Wenn die Uberlieferuag den vierteu Vers nur zur zweiten Halfte diesem 
Gespriicli zureclinet. die erste H.ilfte aber als Erzablung auffafit, ist das irrig; 
der gauze Vers ist Rede des Yaters. 

21 Statt jjainuHCl scbeint mir lyiiniiaa zu iesen ianders M und \V. Geige r. 
Die zweite Dekado der Rasavahini, S. 5 f. ; ich nidchte dock an eiiien ufter wie- 
derkehrenden Felder der Hss, glanben). Das „ich“, offenbar auf Buddha bezug- 
licb, gehbrt zu den Anzeichen dafur, daB die Jiitakas nicbt gleicbsam in der Luft 
schwebende Erzahlungcn, sondern. eben wie die Uberlieferung es auffaBt, mit be- 
stimmten Situationeu des Ijebens Buddhas verkniinft sind, der sie vortract. 

29 * 



432 


H. Oldenb erg 


Schlufi : Die Gottin befriedigt iiber ibn scbuf ein Schiff und fiibrte 
ibn sammt dem Diener zum Ziel seiner Reise. Der Wortlaut (so, 
im Eingang des Verses an das vorangebende Versgespracb an- 
scblieBend) macbt den Eindrack, dab der gliicklicbe Ansgang, auf 
den das Ganze binzielt, bier zuerst erziiblt wird, nicbt etwa in 
Prosa erzablt war. So liegt bier nicbt, wie in den vorigen Eallen, 
verberrlicbende Wiederbolung vor, sondern der Vers fiibrt die Er- 
zablung weiter. 

Dutajataka (Nr. 478). In 12 Versen Gespracb des Scbiilers, 
der Gold zur Honoriernng seines Lebrers zn erlangen wiinscbt, 
mit dem Konig, von dem er dies Gold erbofft. Dabinter Scblufi- 
vers : ibm gab der Konig reicblicb Gold — wobl die Erzablnng 
zum Abscblub fllbrend wie im vorangehenden Eall. 

Salikedarajataka (Nr. 484). Der Papagei bolt Reis vom 
Eeld des Brabmanen fiir seine Eltern und Jungen. Gespracb des 
Eeldbiiters mit dem Brabmanen; dann, als der Papagei gefangen 
ist, des Brabmanen mit diesem. Tugendlicbe Belebrung seitens 
des Vogels. Nacb 16 Gespracbs versen Schlubvers : der Brabmane 
erfreut wandte sicb dem zu, Speise und Trank geistlicben Mannern 
zu geben. Dieser Vers offenbar erzablend wie in den beiden voran- 
gebenden Eallen. 

Mabasuk ajataka (Nr. 429). Gespracb zwiscben dem Pa- 
pagei, der dem verdorrten Baum treu bleibt, und dem Gott in der 
Gestalt eines Scbwans. Auf des Papageien Bitte wird der Baum 
wiederbelebt. Nacb 9 Gespracbsversen erzablender Scblubvers : 
nacbdem der Gott diesen VTunscb gewabrt, kebrte er mit seiner 
gdttlicben Gemablin zum Himmel zuriick. 

Da sar atbajataka (Nr. 461). Rama bat dem Vater Dasa- 
ratba die letzten Ebren erweisen lassen und an seinen Tod erba- 
bene Betracbtungen gekniipft. Nacb 12 Rede- oder Predigtversen 
Scblufivers (vgl. Liiders NGGW. 1897, 130f.): 16000 .Jabre wal- 
tete Rama der Herrscbaft. — 

Diese Materialien lieBen sicb leicbt vermebren; beispielsweise 
sei nocb Nr. 282. 286 erwabnt. Das Beigebracbte aber wird bin- 
reicbend erweisen, da6 bier ein fester Typus vorliegt. Neben 
vielen Redeversen ein Erzablungsvers oder ein Vers, der Erzabltes 
resiimiert, und dieser stebend am Ende. Wenn die wichtigeren 
Reden in ihrer vergleicbsweise kunstreicben, pointierten metriscben 
Geformtbeit sicb aus dem nackten Bericbt liber die Vorgange (ein- 
scbliefilicb der unerbeblicheren Gesprache) bervorbeben, so kann 
an dieser Vorzugsstellung teilnehmen aucb der gehobene, vielleicbt 
epigrammati sober Zuspitzung sicb nabernde Ausdruck fiir das Hin- 



Jatakastndien. 


433 


gelangen der Vorgange zum Ziel, dem sie zustreben, fiir ihre Wich- 
tigkeit und ihren Wert. Da ergibt sicb die SchluSstellang eines 
solchen erzablenden — in manchen Fallen genauer: wertenden oder 
resiiniierenden — Verses von selbst. Das hobe Alter dieses Tj^ns 
bezeugt das Veda. Man sehe, wie Rv. I, 179 nacb den Wechsel- 
reden zwiseben Agastya und Lopamudra und dem Siibnsprucb fiir 
den Brucb des Greliibdes scblieBlicb der Erzablnngsvers iiber Aga- 
styas Hingelangen zum Ziel folgt. Oder wie in der Sunabsepa- 
erzablnng nacb einer Masse von Versen, die durcbweg Rede bez. 
Wecbselrede sind, zum ScbluB zwei Verse in einem Ton, welcber 
dem des eben erwabnten Rgverses ganz ahnlicb ist *) , das segens- 
volle Ergebnis der Vorgange fiir Sunahsepa zusammenfassen. 

Wenn nun bier ein Verspaar erscbeint, so fiibrt uns dies 
weiter zu einer Reibe von Fallen der Jatakas, wo anstatt des 
einen ScbluB verses irgendwelche erweiterte Formen der SchluB- 
verserzablung auftreten. Ich hebe folgende Falle bervor. 

Kbantivadijataka (Nr. 313): nacb zwei Dialogversen 
fassen am ScbluB zwei erzablende Verse den Inhalt des Glanzen 
und das Ergebnis zusammen. 

Cetiyajataka (Nr. 422): nacb 13 Redeversen am ScbluB-) 
zwei zusammenfassende Verse : der erste erzablt den abscblieBenden 
Vorgang; der zweite spricbt die Moral aus. Mir scbeint, daB 
prinzipiell solche moralisi^rende Verse mit denen , welcbe erzab- 
lend oder Tatsacben konstatierend das Wesentlicbe der Handlung 
zum Ausdruck bringen, auf eine Linie zu stellen sind ®). In beiden 
Fallen bandelt es sich eben gleicbermaBen darum, Sinn und Essenz 
des Gauzen dem Horer vorzufiihren. 

Dipijataka (Nr. 426): ganz abnlicb; nacb 6 Dialogversen 
zwei ScbluBverse: der erste erzablt auch bier den abscblieBenden 
Vorgang; er gebt dann zur Moral iiber, die im zweiten Verse 
voUer entwickelt wird 

Nandiy amigaj ataka (Nr. 385) : nacb 5 Dialogversen wird 
in drei ScbluBversen die Handlung rekapltuliert *). 

1) Man vergleicbe einersoits tibliaii vtirnar rsih . . . puposa, auderseits adlil- 
ynta . . . rikthayor itbliayor rsHi. 

2) Der Kommentar erzahlt .allerdings noch weiter. Ich glaube. daB die Er- 
zahliing vielmehr mit diesen Versen endet. 

3) Darum liatten zu der oben gegebenen Rcihe von Jatakas mit erzahlendem 
Schlufivers streng genommen auch solche mit raoraUsierendem gestellt werden 
konnen. 

4) Und zwar hebt dabei Buddha als Redender ausdrucklich seine Identitat 
mit dem Gazellenkonig , dem Ilelden der Deschichte, bervor. Ygl. oben S. 431 
Anm. 2. 



434 


II. Olden berg, 

Cullasukajataka (Xr. 430): nach 7 Dialogversen ein Vers, 
Erzahlnng wie das Hauptziel der Handlung (Belebung des ver- 
dorrten Baumes) erreicht ■n'ird. Dann wieder ein Redevers; end- 
lich erzahiender SchlnBvers : Ruckblick aiif das Ergebnis tind Aus- 
klingen — Gott und Gottin kehren nacb vollbracbtem Gesckaft 
zum Himmel zuilick. Das Ganze ist ^'ariante zu Xr. 429 (oben 
S. 432' ; der SchkiBvers ist, wie ein Teil der Gesprachsverse, auf 
beiden Seiten identisch. Es ist bezeichntnd , wie neben jenem 
Exemplar mit deni eineii Scblnfjvers bier eines mit der eben be- 
scbriebenen Eiweiterung steht. 

D h am ni a j a t a ka (Xr. 457): wieder 7 Terse mit Reden nnd 
Entgegnnngen. Dann ScMuC von vier Yersen, die beiden ersten 
den Ausgang der Begebenbeit erzablend ; die folgenden nioraliscbe 
Xutzanwendung. Dem fiiiter Aufgefiibiten gegeniiber ist der 
Umfang des Scblusses gewachsen. 

Phandanajataka (Xr. 4751: G Gespi’achsverse, Dann tritt 
ein nener unerwarteter Redner auf, und der siebente Yers hebt 
an mit dem Bericbt, dalj dieser jetzt spricht : iti phandanaml 'Jw 
pi taio.dc ajjhollflsiifl.a . worauf im zweiten Hemistich und dem 
nacbsten Yers die betreffende Rede folgt. Auf diese hiiufige Tei- 
lung eines Yerses in den Bericbt dariiber, daB der und der redet, 
und die Rede sellst komme ich noch zuriicb. Die letzten fiinf 
Averse enthalten Riickblick auf den AYrgang und Moral; daB binter 
dem ersten davon der in diesem Averse angedeutete abscblieBende 
Yorgang nocb ausdriicklicber in Prosa bericbtet wurde — so wie 
es im vorliegenden Kommentar in der Tat gescbiebt — , ist mog- 
licb. AVieder ist verg.b'cben mit dem friiher Besprocbenen das 
ScbluCstiick gewacbsen. — ^ 

Ist nun in den bisber eiorterten Fallen Sitz der Erzablungs- 
stropben der ScbluB des Jutaka, was nacb der Haufigkeit nnd nacb 
der inneren Begreifiicbkeit als Xormalfall angeseben werden muB, 
so feblt es docb aucb niebt an Eiillen, wo inmitten des Yerlaufs 
etwa eine besonders patbetisebe Situation oder ein Ab.=cbnitt der 
Handlung AnlaB gibt, erziiblende oder den Yorgang konstatierende, 
resiimierende Yerse einzufiigen. Ich gebe einige Beispiele. 

Mabaukkusajataka (Xr. 486). AuBer Gespraebsversen 
und der am Sehlufi gegebenen versifizierten Moral ein erzahlender 
oder besser konstatierender AYrs (6) in der Mitte. Der Meeradler 
hat mit eigner Lebensgefabr die jungen AYgel vor dem Flammen- 
tod gesebiitzt. Jetzt kann er niebt mebr; Ablosung muB kommen. 
Bei die.sem Absebnitt ein A^ers; eine schwere Tat hat der eio'e- 

CD 



Jjtakastudiea. 435 

borene Yogel getaii, daB er bis gegen Mitternacht die kleinen Vogel 
rettete. 

Abniich Rohantamigajataka (Nr. 501). 29 Gresprachs- 

verse. Aber in der Mitte der Greschicbte in einer besonders patke- 
tischen Situation (die Hindin will den gefangenen Brnder nicht 
verlassen und setzt ihr eignes Leben anfs Spiel) ein A^ers genan 
wie der zuletzt besprockene: das furcktsame Tier bat eine sckwere 
Tat getan (dasselbe AVort siiduMaruM wie in Xr. 486). daB es sick 
dem Tod anssetzte. 

Somanassajataka (Xr. 505). Uber 20 Gespracksverse bz. 
Aloralpredigt einer der kandelnden Personen in den Mnnd gelegt. 
Aber an einer besonders aufgeregten Stelle (der Konig will seinen 
verleumdeten Sokn toten lassen) Erzahlimgsverse bz. erzaklende 
Einflikrung der Reden (v.d— 6). Die Boten spracken zum Prinzen : 
der Konig bat deinen Tod befoklen. Da jammerte der Konigs- 
sokn, faltete die Hande und bat: flikrt mick zum Konig, Sie 
brackten ikn zum Konig. End wie der Sokn den Vater sab, re- 
dete er ikn aus der Feme an nsw. Hier also vollstandige Erzak- 
lung,. die Reden umgebend, wakrend im Ubrigen die Averse nur 
die Reden enthalten und deren Umkiillung der Prosa zufallt. 

Matiposakajataka (Xr. 455). Der edle Elefant ist ge- 
fangen znr Stadt gefiihrt. Er will nickts fressen, denn seine blinde 
Mutter ist kilflos zuriickgeblieben. Da liiBt der Konig ikn frei. 
Und nun, auf dem Hohepunkt der Geschickte, zwei erzaklende 
Averse (gegeniiber zekn Gesprachsversen) : der Elefant von Banden 
befreit ging ins Gebirge. Und im Teick schbpfte er mit seinem 
Russel A\^asser und bespritzte die Mutter. ■ — Die Erziiklung gekt 
dann in Prosa mit Redeversen nock ein Stuck weiter. 

Es kann etwa nock auf das Campeyyajataka (Xr. 506) 
V. 24ff.. das Sn vannabakkatakajataka (Xr. 389) v. 2, das 
Samuggajataka (Xr. 436) v. 4, das H attkipalaj ataka (Xr. 
509) V. 20 verwiesen werden. An der letzten Stelle zeigt das 
idairi vati'd, dafi der Erzaklungsvers unmittelbar an die vorange- 
henden Reden anscklieBt. nickt etwa dazwisckenstekende Prosa 
resiimiert. Das M a t anga j at a k a (Xr. 497) bat zugleick erzak- 
lenden A^eis in der Mitte und SchluBvers. AuBer 22 Dialogversen 
tritt zuerst ein Erzaklungsvers (v. 10) so zu sagen als AktschluB 
ein: der AA^eise, den man miBhandeln und toten lassen will, diegt 
in die Luft auf und entzieht sick seinen Feinden. Dann am Ende 
des Ganzen, hier wokl mekr resiimierend als eigentlick erziiklend : 
fur den Tod des kerrlicken Mataiiga i.st das ganze Mejjkareick 
ansgerottet worden. — 



436 


H. Oldenberg, 

Bei einem nunmehr sich anscUieBenden Typus tritt, wie in 
den letztbesproclienen Fallen, irgendwo im Lauf der Grescliiolite 
Versform der Erzahlung ein; hier aber wird sie bis zutn SchluB 
mit hochstens geringfiigiger prosaischer Unterbrechung festgebalten. 
Man hat den Eindruck, daB der Erzahler, einmal in metrisches 
Fahrwasser geraten, darin festgebalten wird; vielleicht auch, daB 
er auf diese Weise eine Steigernng hervorbringen, den zweiten Teil 
des Ganzen iiber den ersten erbeben will. 

Ein Beispiel gibt das Cbaddantajataka (Nr. 514). Woher 
der HaB der Konigin gegen den secbszahnigen Elefanten stammt i). 
wie sie nacb seinen Zahnen begehrt, die Jager sicb versammeln, 
sie einem von ibnen den Auftrag und die notigen Instrnktionen 
gibt, wird in Prosa, teilweise mit eingelegten Bedeversen (1 — 17) 
berichtet. Nun macht sicb der Jager zur verbangnisvollen Expe- 
dition auf: und wie die Handlung in dies neue Stadium tritt, er- 
scbeinen Erzablungsverse. Von da an ist die Gescbichte, Begeben- 
heiten wie Reden, vollstiindig in den Versen enthalten^). 

Auch das Samajataka (Nr. 540), von dem weiter unten 
nocb eingehender gesprocben werden soli, gerat nacb 31 Rede- 
versen, die umgebende Prosa verlangen, mit v. 32 (wo die Kata- 
strophe eintritt, Sfima visamu samapnjjatha) in metrisches Erzablen. 
Nur ganz unbedeutende prosaische Zwiscbenbemerkungen werden 
dann nocb anzunebnien sein^). 

Cull a- und Mabahamsajataka (Nr. 583. 584): zwei 
Exemplare (I und II) derselben Erzahlung (vgl. auch Nr. 502; 
Jiitakamala Nr. XXII), gegenseitig die an ibnen zu macbenden 
Beobacbtungen bestatigend. Im Eingang beider ist die Prosazutat 
unentbehrlich : wie die eine goldne Gans gefangen wird, die andre 
anbanglicb sicb bei ihr einfindet. Die Anspielung in II, 57 ft. be- 
statigt, daB ein in den Versen nicht entbaltenes Stiick Erzahlung 
bier vorbanden war. Zwiscben den Gansen entspinnt sicb nun ein 
Versdialog: da kommt der Jiiger (I, 13, teilweise = II, 10), und 
bier gleitet aus den Gespriicbsversen auch die Erzahlung in metri- 
scbe Form biniiber. Nunmehr geben die Verse im 'VVesentlicben 
alles vollstandig. Allerdings konnten bier und da bei den Reden 

1) DaC fur den Verfasser der Verse auch dieser Teil der Cfeschichte da 
war. ist zweifellos, geht auch ausdriicklich aus v. 3B hervor. 

2) Vur bei der Episode mit dem Mdnchsgewand des Jagers eutsteht Zweifel; 
i'-h komme darauf S, 446 Anm. 2 zuriick. 

3) llau kommt allerdings leicht in Versuchung, liber Stellon, an die eine 
sob he Zwiscbenbemerkung geliort. wegzulesen. So setzt v. 33 su devntn {'vgl. 
V looj otieubar voraus, daB von dieser Gottheit irgendwue die Rede gewesen ist, 



Jatakastudien. 


437 


Angaben, wer der Redende ist, erwiinscht sein *). Hinter II, 19 
— 20 mufi eine Erklarung des Jagers auf die in diesen Versen 
enthaltene Alternative (hat er die Gans auf eignen Antrieb oder 
in fremdem Auftrag gefangen?) angenommen werden. Und auch 
im Ubrigen schliebt die Moglichkeit. mit den Yersen allein anszu- 
reichen, doch anderseits nicht aus, dab karze prosaische Zwiscben- 
bemerkungen anznnehmen waren, wie die Fassung der Jatakamala 
sie in der Tat gibt. Dab aber vvenigstens der Hanptsacbe nach 
in beiden Fassnngen vom Frscheinen des Jagers an Verse an Stelle 
der Prosa getreten sind, ist unverkennbar. 

Nock manche weitere Jatakas lassen sich mit groberer oder 
geringerer Sicberheit diesem Typus des Hineingeratens in metri- 
sche Frzahlung zurechnen. Uber manche Falle wird man schwanken. 
Ich mbchte hierher beispielsweise Fr. 513 (doch mit einer dnrch 
Prosa auszufuUenden Liicke) und Xr. 523 stelien, auch Xr. 529. 
531. 538. 545. sowie das langste aller Jatakas, das von Vessan- 
tara (Xr. 547): auch bei' diesen werden nur ganz unbedeutende 
Prosasatze erforderlich scheinen, sobald die Darstellung einmal in 
das metrische Fahrwasser sich hineingefunden hat. Auf dem Ge- 
biet der auberbuddhistischen Literatur labt sich unter den alten 
prosaisch-poetischen Stiicken des Mahabharata die Geschichte von 
den Rossen des Yamadeva (III cp. 192) mit den hier aufgefiihrten 
Jatakas vergleichen. 

Ist in diesen Fallen eine gewisse Regelmabigkeit nicht zu ver- 
kennen, so kann es nicht befremden, wenn gelegentlich ein pro- 
saisch anhebendes Jiitaka auch mehr oder minder regellos bald in 
metrische Frzahlungsform gerat, bald wiederum seine Yerse auf 
weitere Strecken Lhcken lassen, die, wie es jetzt der Kommentar 
veranschaulicht, ofFenbar auch von Anfang an dorch Prosa aus- 
gefiillt waren : man priife etwa das umfangliche Bhuridatta- 
j a t a k a (Xr. 543). — 

Xun aber, im Gegensatz zu alien diesen Jatakas mit Prosa- 
anfang, findet sich auf der andern Seite auch eine Anzahl von 
Jatakas, bei denen gleich der Fingaug metrische Form hat. Zu- 
vorderst solche, bei denen dann die Versdarstellung grobere oder 
geringere Liicken labt, die durch Prosa ausgefullt gewesen sein 
mussen. 

Fin Beispiel gibt das Sattigumbajataka (Xr. 503) von 
den beiden Papageienbriidern. die durch schlechte und gute Gesell- 


1) Uber Setzung uni Xichtsetzmig derartiger Aiigabeu bei deii Buddliisteii 
s. ,,Zur Goschiclite der altind. Prosa*' 7G A. 1 ; 77. 



43S 


II. 01 Jenberg, 


schaft selber scLleclit nud gut geworden sind. Der erste Vers 
,,Auf die Jagd ging der groBe Konig der Paficalas" nsw. sielit 
entscMeden naeh Anfang des Ganzen aus ; -s', -as der Kommeiitar 
vorausscliickt. ist teils bequem entbehrlich, teils kann es an spa- 
terer Stelle gestanden baben. Ganz ohne Prosazutaten — wohl 
von geringem ITmfang — sind die Verse doch nicht denkbar. Es 
wird erklart sein. wer Patikolamba (v. 7) war; auch ilber Pup- 
pbaka, den allein im Kommentar enthalteneii, aber doch wohl authen- 
tischen Xamen des guten Papageien, wurde ofFenbar Aufklarung 
gegeben. Vor v. 12 war unzweifelhaft erzahlt. wie der Konig von 
der silndigen Stiitte zu der der Tugend gelangt. Auch ein Prosa- 
schluB war vermutlich vorhanden. Immerhin ist der hauptsachliche 
Bestand des Jataka von Anfang an in den Versen gegeben. 

Das folgende Jataka (Bhallatiy a jataka Kr. 504j hat 
ganz ahnlich wie dieses einen ersten Vers, der nach Eingang des 
Ganzen aussieht : „Es war ein Konig Bhallatiya mit Namen“. Im 
weiteren Verlauf geben die Verse — freilich weit iiberwiegend 
Eeden enthaltend — vollstandigen Zusammenhang. SchlieBlich 
greifen unter drei durch gleiche Anfangsreihe zusammengehaltenen 
Strophen die beiden letzten aus der Haupterzahlung in die Eah- 
menerzahlnng hinhber; ein recht bemerkenswerter Sachverhalt, 
der in einen schon beruhrten (S. 431 A. 2) , unten noch weiter zu 
beleuchtenden Zusammenhang hineingehort. Ein Stiick Eahmen- 
erzahlung ist auch die dann noch folgende Strophe (der dem Buddha 
zuhbrenden Kbnigin). Mit Athetese in diese Vermisehung von 
Haupt- und Rahmenerzahlung hineinzugreifen ware offenbar ver- 
fehlt. Das Hanptstiick der Eahmenerzahlung muB natiirlich in 
Prosa gegeben gewesen sein. Sehen wir — wie das in diesen Er- 
brterungen durchgehend geschieht (S. 430 Anm. 2) — von ihr ab, 
so haben wir hier ein Jataka, das wie mehrere spater aufzufiih- 
rende ganz in Versen verfaBt ist. Ich babe es hierher gestellt 
nur weil in der eben besprochenen Hinsicht Prosa und Verse in 
einander verlaufen *). 

Ahnliche Anfangsverse finden sich im K im i j a t aka (Nr. 541 : 
„Ein Wunder ist es, was fiir ver.^tandige Manner in der \yelt er- 


1 ) Zur er.-'ten .Strophe flieses Jataka benierke ich im Vorubergehen , daB 
1-’ a u s b Cl 1 1 mit Unrecht abteilt ; 

rajjam paliaya /lugai'am amri so. 
unnma girivaraiii Gaiidhan.aiJunatii . 

Oas so gtbort zur zneiten Zeile. F.s Anderungsvorschlag ginvarani rigautd ist 
nicht am Platz. 



Jatakastudien. 


430 


scheinen, wie der Konig Nimi \var“ iisw.) und im Kliandaha- 
lajataka (Xr. 542: „Ein Konig, der wilde Taten vollbrachte, 
war alleiniger Herrscher in Pupphavatl“): beidemal verlangen dann 
die Verse nnr unerhebliche Prosazntat. Yielleicht bierlier aucli 
das Mahanaradakassapajataka KXr. 544; ,,Es war ein 
Konig der Yidehas, ein Eiirst Aiigati mit Xameii’*). von dem schwer 
ist zu entscheiden , ob Prosazntat anzunehnien ist : binter v. 190 
mochte man eine solche, berichtend etwa iiber das Verscbwinden 
desWeisen und den Erfolg seiner Predigt, wahrscheinlich iinden ^). 

Zweifel dieser Art kebren otter wieder : der Xatur der Sacbe 
nacb ist ja iiber die Moglicbkeit. dafi die Verserzablnng an irgend 
einer Stelle — es pflegt sicb fiir uns nm den ScbluB zu bandeln — 
durch eine vielleicbt wenig wesentliche prosaiscbe Hinzufiigung 
erganzt war, sichere Entscbeidung vielfach unerreicbbar. So sebe 
icb es an beim Akittij ataka (Xr. 480), das iibrigens fast ganz 
aus Reden bestebt-): am ScbluC kann, wie der Kommentar es in 
der Tat hat, erzablt gewesen sein, daB der Gott verscbwand nnd 
der ^Yeise das Ziel seiner Askese erreichte. Abnlicb das Maha- 
vanijajcitaka (Xr. 493); vielleicbt nacb v. 21 Erzablung, 
wie die Xagas die Kanfleute auBer ibrem tugendbaften Filhrer 
toteten. Das Dasabrah m an aj ataka (Xr. 495) : alles auBer 
der ersten Zeile ist Gesprtich zwischen A'udbittbila und dem weisen 
Vidhura, natiirlicb dem A'udbistbira und Yidura des Epos : auch 
bier kann ein ProsaschluBwort feblen. Das Mabakapij ataka 
(Xr. 516), ganz abnlicb anfangend wie mehrere der eben erwabnten 
Jatakas: .In Benares war ein Konig, ein Mebrer des Kasireichs" ; 
die Geschichte von undankbaren Brabmanen und dem Afien ; wieder 
bleibt fraglicli, ob prosaisclies ScbluBwort da war^). 

Man siebt, wie wir >Scbritt fiir Schritt bis zu Jatakas gelangt 
sind, bei denen von Prosa nur ein goringfiigiger Best, vielleicbt 
nicbt einmal ein solcber geblieben ist. SchlieBlich sind einige an- 
zufiihren, die m. E. als durchaus metrisch angesehen werden kon- 
nen‘). So das Gijjbajataka (Xr. 427), das mit dem Ausgang 


1) Docli fur dicse luul uludithe Fulle vgl. A. 3. 

2) ErziiLlend rur die eisto Zeilo, die natiirlich zu leseii ist AktUhn ihscd 
^ainmaHtanj (iiicht aammotatii) Sal;l:o hliutapati hroci. 

3) AVeun imsrer Einjifnidiiiig \iel!eieht ein solehcs erwunsclit ist, kann die 
darin doth fehlgc-bcn. Es verdient Beachtiiiig. daC in der Jatakamala (Xr, XXIV) 
die Gesi-hiciite mit der Rede des Anssatzigen siLliedt; denn was dahinter noch 
folgt, kommt nieht in Betraett. 

4) Ich moelito Licrl.cr nidit das V ak a j a t a k a (Xr. :3o0; in v. 1 lies samd- 
ddya) und d.as B a v e r u j fi t a k a (Xv 339) stellon. Bei lieiden -'Clieinen mir die 



440 H- Oldenberg, 

der Erzahlung und der Moral einen AbscliluB erreicht, der eine 
noch folgende Prosazutat aasschlieBt. Das Kalingabodliija- 
taka (Mr. 479; vgl. Liiders NGrGW. 1897, 126 A. 2), bei dem 
allerdings ein Prosasatz vor v. 15 nicht undenkbar ist. Das Ma- 
bapalobhanajataka (Mr. 507); bier geben die Verse vollstan- 
digen AbschluS ^). — 

Ein besonderer, fiir sich stehender Typus metrischen Erzahlens 
mufi bier scbliefilicb nocb erwabnt werden: die Einfilhrung der 
Versrede durcb die Angabe in Versform „da sagte N. X.“ — diese 
Angabe oft ein erstes Hemistich (oder ersten Pada) fiUIend, wab- 
rend die Rede im zweiten stebt oder darin beginnt. Z. B. die 
scbon erwahnte Stelle Xr. 475 v. 7 ; 

iti pliandananthl^ho pi tavade ajptahhasatha: 
mayliani pi racanam attld, Bharadvaja sunolii me. 
Entsprechendes findet sich Nr. 449 v. 4; Xr. 506 v. 14; Xr. 522 
V. 13; Xr. 529 v. 2. 9 und sonst baufig. Ahnlicbe Einfiibrung der 
Rede zugleicb mit kurzer Angabe der Situation: Xr. 537 v. 8. 39. 
Ebenso, dock was an jenen Stellen Einfiibrung ist, der Rede viel- 
mebr nacbgestellt : Xr. 378 v. 6; Xr. 547 v. 13. Mit diesen Fallen 
ist es wobl verwandt, wenn in Nr. 454 zwischen zwei in nacbster 
Beziebung zu einander stebenden Reden (v. 1. 3) der Vorgang, in 
dem diese Beziebung sich ausdriickt, gleicbfalls in Versform be- 
ricbtet wind: aucb bier hat die Versrede eng damit zusammen- 
gebbriges Gescbeben an der metrischen Form teilnebmen lassen. — 

So glaube icb die wesentlicben Erscbeinungsformen versmaBiger 
Erzahlung in den Jatakas bescbrieben zu baben. Man hat aus dem 
Gesagten gesehen, in wie mannigfachen Gestalten, mit wie ver- 
scbiedener Intensitat in diesen Massen teils ecbtbuddbistischer teils 
von den Buddbisten adaptierter Geschicbten jene Tendenz gewirkt 
hat, die von prosaiscbem Erzahlen mit eingelegten Versen, haupt- 
siichlicb Rede- und Dialog versen, zu metriscbem Erziiblen fiihrte. 
Um bier in der Kiirze auf die Vorgeschicbte dieser Entwlcklung 
zuriickzugreifen, so gab es urspriinglich, scbeint es, Prosaerzahlung 
eventuell mit Einlegung von Versen da „wo aucb aufierbalb er- 
zablenden Zusammenbangs die Primitiven, gern zur poetischen 
Form greifen ; wo ein Gott angerufen, ein Zauberwort gesprocben, 
feierlicbes Gebot, Segen oder Finch verhangt wird , wo Gefiibl 


kurzen ^ ersstufke niclit als die eigentliche Erzahlung, tondern als Rekapitulation 
von ihr aufzuf'assen. 

1) Man beachte, da6, was Fausholl zwischen den Halften von v. 7 als 
Prosa gibt {fai» tathavniliniM rJjO J:Hmirrim eUid chravi}, vielmelir Vers ist. 



Jatakastudien. 


441 


sich Luft macht, wo der Stimmungsgehalt einer Situation, die ihr 
innewohnende Absonderlichkeit oder Bedeutsamkeit hervorgehoben 
wird, oder wo Scbarfsinn in pointierter Sprache Ratsel aufgibt 
und lost" ’). Bald aber bildet sick ein Gef'ubl dafilr, daB es am 
Platz ist, die Erzahlung nicbt nnr, wenn sich das zufallig so fiigt, 
mit Versen auszustatten. Ich vermute, wie ich bier in Erganzung 
meiner friiheren Erorterungen bemerke, daB dabei neben dem 
asthetischen Moment auch ein rituell-zanberisches im Spiel gewesen 
ist. Wird am Ende des Suparnadhyaya dessen Studium zur Er- 
laagung der Himmelswelt, von Sohnen usw. empfohlen, so dachte 
man diese Erfolge dock wokl speziell an den ma/i^ra-artigen Stoff 
gekniipft, der allein in fester Eorm da iiberliefert ist : an die 
Verse, nickt aber an die in keinen bestimmten Wortlaut gefaBte 
Prosa, die zur Ausiibung von Zauberwirkungen in Ermangelung 
jeder solennen Formuliertheit dock wokl nickt im Stande war — 
an die Verse, die auck beim Vortrag der Sunabsepagesckickte, je 
nachdem sie rcah oder gathdh waren, durch om oder tatha hervor- 
gekoben warden, offenbar als etwas besonders Heiliges d. k. zau- 
berisck Wirksames. Das Verlangen eben nack solcber Wirkens- 
kraft wird mit dazu getrieben haben, Gesckickten mit Versen aus- 
zustatten: es ist ja bekannt — das groBe Epos bezeugt es fort- 
wakrend — , wie allgemein die erziihlenden Dickter liir das An- 
kbren ikrer Produktionen zauberische Lauterungskraft und solcke 
Wirkungen, wie sie der Suparnadhyaya von sick riikmt, in An- 
spruck nehmen. Kam nun auch fiir die buddkistiscke Erzaklungs- 
kunst derartiges nickt direkt in Erage, so stand die dock selbst- 
verstandlick unter dem EinfluB der anderweitig herausgebildeten 
Darstellungsform. Danack werden wir es begreifen, daB fiir die 
Jatakas die eingelegten Verse wesentlich waren®), das einzelne 
Jataka nack den Anfangsworten des ersten Verses benannt werden 
konnte, die ganze Sammlung den Verszaklen nack geordnet war. 

Was alsdann das so natiirliche weitere Vordringen des Vers- 
elements anbelangt, so lassen, sckeint mir, die obigen Unteisu- 
chungen wokl etwa die Erscbeinungen erkennen, die man auch im 
voraus erwarten wiirde. Einige ziemlich bestimmt ausgepragte, 
ant begreiflicken Motiven beruhende Typen stellen sick keraus, als 
solcke durck kaufige Wiederkekr charakterisiert. Um sie kerum 


1) Ich wiederhole diese Formiilierung aus meiner Schrift ,,Zur Geschichte 
der altind, Prosa‘‘ 97. 

2) Die Einschrankungen, die das erleidet („Zur Geschichte der altindiscben 
Prosa“ 82 A. 1), sind unerheblich. 



442 H- Oldenberg, 

liegen daiin regellosere Bildangeu. DaG es an denen nicht fehlt, 
kann ja nicht befremden; vielmehr ware es seltsam, wena in einer 
Entwicklung wie die?er nicht auch zerstreute Wirkungen singu- 
larer Ursachen, dazu Launen und Zufalle. vielleicht die Folgen 
sekundarer Uberarbeitung und dgl. sich geltend machten. So gleitet 
aul' dieser Entwicklungsbahn — eine andre ist ja die, welche 
z, B, durch die Jatakamala veranschaulicht wird — die Bewegung 
bis dicht an die rein metrisehe Form heran, so daB die in allem 
Wesentlichen herrscht, voii Prosa nur geringe Reste, mehr oder 
minder selbstverstandlichen Inhalt erledigend, iibrig bleiben. Und 
wie sollten nicht dann schlieSlich aucli solche Reste verschwinden, 
die voile Einheitlichkeit der Form im Siege des Metrums iiber die 
Prosa sich nicht herstellen? 

2. Zulu Stil tier Jataka verse. 

Nach diesen Bemerkungen liber das Verhaltnis der Jataka- 
verse zur Prosa versuche ich nun den in den Versen. insonderheit 
in den Erzahlungsversen erscheinenden Stil zu beschreiben ’j. Als 
Unterlage wahle ich zuvbrderst das schon oben i,S. 43dj erwahnte 
Jataka, an dem Foucher (Melanges L4vi 231 if.) so erfolgreich 
die inhaltlichen Wandlungen der Erzahlung vom Altertmn zur 
Spatzeit aufgewie.'en hat: das Chaddanta Jataka (Nr. 514). 
Dieses eignet sich gut filr meinen Zwecb. da es zum verhaltnis- 
maGig groBen Teil in Erzahlungsversen verlauft, welche viele 
— freilich. wie wir sehen werden, nicht alle — Charakteristika 
des hier herrschenden Stils recht deutlich aufweisen. 

Die ersten 17 Verse sind Glesprache ; die Kunigin drlickt ihr 
Verlangen nach den Zahnen des sechszahnigen Elefanten aus und 
in.struiert den Jager, der sie ihr verschalfen soli. Ich iibersetze 
vom 18. Ver.se anh. 

18. „Da diese Rede entgegennehmend j ergriff der Jager Kocher 
und Bogen. |( Er iiberschreitet sieben hohe Berge | zum herrlichen 
Berg mit Namen Suvannapassa. 


li Es wird eine lockeiiJe und wiciitige Autgalie sein, stilgesdiichtliclie Uii- 
tersucliuugen wie die tier iinteniommeiien auch auf j a i ni s t i .s c li e Texte aus- 
nudehiien. Ich fuhle micli den hier entsteuenden Schwierigkeiteu, wie ich schon 
bei fniherer ahnlicher Ctelegenlieit ausgesproclien, fiir nicht gewachsen und 

(lehalte c- der Zukunft vor dieser Arbeit naher zu treten. 

2) End zwar ohne Rucksicht auf die Losbarkeit der deutschen Satze mit 
inuclidist genauer Wiedergabe auch der Wortverteilung auf die Teile des Verses. 
Idi sondere diese Teile durch Teilstriche. 



Jatakastudien. 


443 


19. Besteigend den Berg, der Kinnaras Wohming ! blickte er 
herab auf des BergfuBes Wurzel. i| Da sab er von wolkengleicber 
Farbe | einen kbniglichen Nyagrodlia. achttausendmal gewnrzelt. 

20. Da sab er den secbszahnigen Elefanten. | ganz weiC, scbwer 
zu bezwingen von andern. l| Ibn scbiitzen acbttausend Elefanten ] 
bezabnt wie mit Deicbseln. stofiend gleicb Sturmgewalt. 

21. Da sab er den Loto.steicb ') nicbt fern , j angenebm . mit 
scbonen Badeplatzen und vielem Wasser, 1| bliitenreicb, von Bienen- 
scbaren umscbwarmt, ; wo jener Elefantenkbnig badet. 

22. Sebend des Elefanten Geben und Steben. | was sein Pfad 
beim Badegang ist. |; ging zu einer Grube der unedel Geartete. | 
angetrieben von der ibrem Geliist Geborcbenden (der Konigin). 

23. Einen Graben bereitend deckte er ibn mit Brettern. | der 
Jager sicb selbst verbergend und den Bogen. || Den dicbt beran- 
gekommenen Elefanten mit macbtigem Pfeil | traf er. der Tater 
bbser Tat. 

24. End der Elefant getrolfen stieB furcbtbares Gebriill aus. | 
Die Elefanten alle brtlllten in furcbtbarer Art. || Gras und Holz 
zermalmend | liefen sie nacb den aebt Himmelsgegenden rings. 

28. -) Getroffen vom macbtigen Pfeil der Elefant j von Bosem 
unberiibrten Sinnes spracb zum Jager : Ij „Zu welcbem Zweck, 
Freund, oder aus welcbem Grunde I bast du micb geschossen. oder 
von wem kommt der Antrieb V" 

29. ,,Des Kasikonigs Gemablin. Herr. , Snbbadda ini Konigs- 
hause geehrt : | sie hat dich geseben und mir von dir gesagt. j und 
■die Zabne will icb haben'. so bat sie zu mir ge.sprocben“. 

30. ,,Viele herrlicbe Zahnepaare babe icb. , die von meinen 
Vatern und Grofivatern (^starameni^l. |; Das weiB jene zornmiitige 
Konigstocbter. | Meinen Tod begebrend bat die Tbrin Feindscbaft 
geiibt. 

31. ,.Stebe auf. Jager. ninnn ein Messer j und schneide diese 
Ziibne ab. ebe icb sterbe. || Sagen sollst du der zornmlitigen Ko- 
nigstochter; j ‘Getiitet ist der Elefant. Sieh. da sind seine Zabne!'" 

32. Aufstand der Jager, nahm ein Messer j und schnitt die 
Zabne des edelsten Elefanten ab, ji die scbonen. scbmucken. unvcr- 
gleicblichen auf Erden. | Er nabm sie und ging schnell von dannen. 

1) Von deii) liatte die Konigin ihm gesprotlien. 

2) Icli lasse Vers 2.3 — 27 (vgl Milindapaiilia p, 221) lort , der Elefant will 
den Jager toten, sielit abcr, dad er ein Asketengewaud (oder ein dem Asketen- 
gewaud ahuliches Kleid'O tragt. So ist er unvorletzlkli. V'erse uber berechtigtes 
und uuberecbtigtes Tragen des Asketenkleides (aiis dem Dliammapada). 

3) Diese VVendung unter dem EiiitluB von Vers 7 



444 


H. Oldenberg 


33. FurcLtbefallen. durch des Elefanten Totung bekilmmert ( 
die Elefanten, die nach den acht Himmelsgegenden gelaufen wa- 
ren, |( als sie keinen Mann, des Elefanten Eeind, saben, | kebrten 
sie dabin um, wo jener Elefantenkonig war. 

34. Dort klagten nnd weinten die Elefanten, | streuten Staub 
auf ibr Haupt || nnd gingen alle nacb Hause, | voran die Kbnigin, 
die sebr berrlicbe ‘). 

33. Xebmend die Zabne des edelsten Elefanten, j die scbonen, 
scbmucken, nnvergleicblicben anf Erden, j mit Groldstreifen rundum 
in ibrem Innern, |j ging der Jtiger nacb der Kasistadt. | Er bracbte 
der Konigstocbter die Zabne: | „Gretbtet ist der Elefant. Sieb, da 
sind seine Zabne !“ 

36. Wie sie die Zabne sab des edelsten Elefanten, | ibres 
lieben Gatten in friiberer Geburt, |j da zersprang ibr das Herz. | 
So fand sie den Tod , die T6rin“ -). — 

Liest man diese Verse, so fiihlt man, wer die gewesen sind, 
die sicb an ibnen riihrten nnd erbanten : die Stillen, Sanften, die 
aus moncbiscber Abgescbiedenbeit voll Scbrecken auf das Treiben 
der Welt mit ihren Begierden und Grausamkeiten hinsahen, scbau- 
dernd vor all der Bosbeit und vor den Hollenstrafen, die ibr sicber 
sind. In kindlicber Handgreiflicbkeit stellt man Gut und Bose 
gegeniiber ; zum Guten gebbrt vor allem unbeHingtes Nacbgeben, 
Dulden, unerscbutterlicber Gleicbmxit. An dieser Tugendlicbkeit 
nimmt das Getier ganz wie die Menscbenwelt teil. Der Wunder- 

1) Die Elefantenkonicin. Im Text Latte Fa us boll fur mahesuii sdbha- 

hhaddntti nicht sahbnlhaddtun maheshn vermuten sollen. mahesi „K6nigiu“ ist sebr 
oft (nicht iiberall, s. IsT. 281 v. 2; Xi'. 547 v. 11) zu messen, offenbar durch 

mohesi .,der grofie ll.si" bccinfluCtc falsche Scbroibuug fur *mahisi. — Ebenso 
ist Fausbolls Icaivd pure fur purakkhatcu ubertiussig; das DIetrum begrundet kein 
Bedenken. 

2) Es folgen nocb einige Verse, iu denen Buddha zu den Jiingern spricht : 
er war danials der Elefant, Devadatta der Jager usw. Diese Verse, unmittelbar 
an das Vorangebende anschliefiend, eincn Teil von Vers 35 wurtlich wiederholend, 
untcrliegen nicht dem Verdacbt juugerer Ilerkunft. Sie stellen sich zu den Jla- 
terialien, die der Abtrcunung der umrabmenden Erzahlungen aus Buddhas eigner 
Zcit als spaterer Zutaten widersprechen (\gl. XGGtV. 1912, 186 f.j. Man be- 
merke besonders v. 38 yam addasutha dalairitn kumdrim kasdyavattliam anagd- 
riyan earantvn : Bezugnabme auf die daharaVhiklhuni, von der die Umrahmungs- 
erzahlung handelt. Andre Stellen, die die Beseitigung des Ralimens als unzulassig 
erweisen, sind uns oben begegnet (S. 431. 433. 438). Hier mache ich nocb auf das 
te XT. 423 v. 6 aufmerksain, das in einem mitten in der llauptgeschichte stehenden 
V ers sich an eine Person der Kahmenerzahlung wendet. Warum hat sowohl die 
deutiche wie die engliscbe Ubersetzung dies fur den Aufbau des Ganzen so be- 
sonders charakteristische Wortchen unubersetzt gelassen? 



Jatakastudien. 445 

elefant ist in Wahrheit kein Elefant; er ist buddhistischer Weiser, 
als Elefant verkleidet . . . 

Aber wir haben die Erzahlung ja nicht von der moraliscben, 
sondern von asthetisch-stilistischer Seite zu betracbten. 

Wer et’wa von der Lektiire der Epen oder vollends der Kunst- 
dichtung berkommt, dem fallt znnachst die groBe Scklicktheit der 
Darstellung in die Augen. Mit wie einfachen Mitteln wird, was 
groB oder schon sein soli, als grofi und scbon gescbildert ! GroBe 
Zaklen : der Elefant hat seeks Zahne ; achttausend Elefanten folgen 
ihm; ebensoviele Wurzeln hat der Baum. Vergleiche kurz nnd 
einfach: der Baum ist wolkengleich ; die Elefanten konnen mit 
Sturmgewalt stoBen. Das alles hebt sich von der spateren Weise 
sehr deutlich ab. Hier kommt der Jager herau, nicht etwa, wie 
ein jiingerer Poet vielleicht gesagt hatte, gleich dem Todesgott '). 
Der Wunderelefant ist „ganz weiB, schwer zu bezwingen von 
andern''. Wie viel schwungvoller Asvaghosa (Sutralamkara, tjbers. 
Huber, 403) : da ist dasselbe Tier „gigantesque. Comme la Kau- 
mudini aus fieurs blanches, comme le lait ou la neige, tel est son 
aspect. II les egale tons en blancheur; il est pareil a une grande 
montagne blanche qui aurait des pieds et qui marcherait. Ce grand 
roi des Elephants 4gale par sa conleur la lune“ usw. Der Lotus- 
teich in der Jatakadichtung ist „angenehm, mit schbnen Bade- 
platzen und vielem Wasser, blutenreich, von Bienenscharen um- 
schwarmt“ ; von der bunten Bliitenpracht der Lotusse und all dem 
vielen, was sonst spatere Dichter von diesem Lotusteich zu ver- 
melden gewufit batten, ist nicht die Rede. Der Jager schieBt den 
Elefanten: „er traf ihn mit machtigem PfeiD. Man halte gegen 
diese nackte Angabe des Tatsachlichen etwa, wie es im Mahabha- 
rata (XIV, 2206 ff.) aussieht, wenn ein Elefant geschossen wird: 
„Darauf wehrte der Panjuide zornig den Elefanten mit einem 
Xetz von Pfeilen ab, wie das Gestade das Heim der Delphine '-). 
Der vorziiglichste der Elefanten, der schone, stand da, von Arjuna 
abgewehrt, mit pfeilzerschossenem Kbrper wie ein stachliges Sta- 
chelschwein . . . Als er ihn (Arjuna den Elefanten) anstiirmen 
sah, entsandte des Pakaziichtigers Sohn®) machtvoll einen feuer- 
gleich anzuschauenden naraca-'Sfeil wider den Elefanten. Von dem 


1) Poch in der Tat tritt auch im Jataka 533 (v. 13) der Jager auf aturn- 
nani iv’ aniaJiO. 

2) 'Wie das Meeresgestade dem Meer das Vordringen verwehrt. Diese Ver- 
gleicLung findet sich ubrigens auch im Jataka (Xr. 535, 93, vgl. 544, 45). 

3) Arjuna ist von Indr.r, dem Toter des I’aka, erzeugt. 

Kgl. Oes. d. Wilt. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 1918. Heft 4. 


30 



446 


H Oldenberg. 


an seinen Geleuken schwer getroffen stiirzte der Elefant gewaltig 
zu Boclen. einem donnerkeilzerschlagenen Berg gleich'^. Die na- 
heren Umstande dieser Elefantentotung sind ja andre als im Ja- 
taka. Aber man wird nickt zweifeln. dafi auck den Vorgang des 
Jataka der episcke Dickter mit andrer Wucht. andrer Fiille der 
Bilder, der Farben dargestellt katte. als der Buddhist, der von 
der tragiscken Katastrophe eben nur zu berichten weifi, dafi der 
Jager das Tier „mit machtigem Pfeil traf“. 

Ebenso einfach lafit der Dickter den Jager zum Elefanten 
sagen: „die Konigin hat dick gesehen": dafi sie ihn im Traum ge- 
sehen hat'), mag sick der Horer. wenn er will, dazu denken-}. 
Nickt weniger einfach sagt die Kbnigin : „die Ziikne will ich kaben", 
und verkalten sick die Elefanten, als sie genug geklagt kaben : 
,,sie gingen alle nack Hause“. Aus dem Teil. der dem kier IJber- 
setzten vorangekt, hebe ich als aknlith im Ton die Frage des 
Jagers an die Konigin hervor: ..Vier Weltgegenden, vier Zwiscken- 
gegenden. j oben. unten: das (sind) die zekn Weltgegenden. i| In 
welcher Weltgegend weilt der Elef'antenkbnig, ! den du im Traum 
geseken hast, der seekszahnige't“ Streift die \Veise. in der bier 
der Jager die Weltgegenden aufzaklt, nicht ans Kindlicke? 

All dem entspricht ganz der sprachliche Ckarakter der Verse. 
Ein kleiner Hauptsatz von einfackstem Ban sckliefit sick an den 
andern. Selten enthalten .sie viel mehr als Subjekt. Priidikat, 
Objekt, so dafi unter den auftretenden Kasus die Nominative und 
Akkusative weit vorkerrschen®;. Kelativ.satze oder nberhaupt Xe- 
bensatze sind nicht haufig ; Konjunktionen, die die Richtung der 
Gedankenbewegung nuancieren konnten, fehlen fast ganz ; Xeben- 
handlungen auszudriicken treten immer wieder nur Partizipien und 
Absolutive ein. Zu einem Flufi der Diktion, der in rascher Energie 
die vom Metrum gegebenen Grenzen iiberstromte. kommt es nicht ; 
wie in der obigen tJbersetzung die Angabe der Reihenteilung in 
den meist vierreikigen Strophen zu verfolgen erlaubt, pflegen nicht 


1) tVie das mehrere Verse an trulierer Stelle des Jataka zeigeu. 

2 ) Ideser Ungesehicklidikeit alinlich i.st \ielleicht eine, die das Asketen- 
gewand des Jagers zu l)etreffen sclicint foben S. 4i3 A. 2j. DaB er ein solches 
trug, ist nii'gonds erwidint; iind dock scdieint in dieser ganzen Partie die voll- 
'tandige Pirzubluiig in den Versen entbalten. (ider tausdit dieser Eindruck? 
ilbglidi bleibt audi. daB an friiherer Stelle des Jiitaka die Prosa die notige Er- 
klarung gab. 

3j In der t'bersetzung liiBt sich das nidit ganz wiedergeben, da die geringe 
I ahigkeit des Deutschen zur Bildung iiossessiver Komposita bier Abweickungen 
beJingt 



Jatakastuclien. 


447 


nur zwischen den Strophen. sondern auch im Innern der einzelnen 
Strophe die Abschnitte des Vorstellungslanfs und die der gram- 
matischen Konstruktion sich dnrchaus der Herrschaft des Metrums 
nnd seiner Abschnitte zu nnterwerfen. Im Ganzen ist das freilich 
auch noch im Epos der Fall, doch. scheint mir. dort mit deutlich 
fiihlbarem Nachlasseu der Strenge’). 

Hier mochte ich noch den eben aus diesem Jataka beigebrachten 
Beispielen naiver Schlichtheit einige weitere aus andern Jatakas 
anreihen. Sie zeigen immer dasselbe typische Aussehen : dieselbe 
IJberdeutlichkeit, die unbefangen auch Selbstverstandliches auszu- 
sprechen nicht unterlaBt: dasselbe geradlinige, nuancenlose Kund- 
geben von Eindriicken und Empfindungen, die feiner durchzu- 
arbeiten, iiber das Nachstliegende hinaus mit reicherem Inhalt zu 
erfiillen man nicht die Fahigkeit besitzt, nicht das Bediirfnis fiihlt. 

Da sind Mahnungen zur Tugend. Der Gott hat die tugend- 
reiche Fiirstin Sumedba besucht und verabschiedet sich von ihr; 
5 ,Bewahre lange, Sumedha. freudig in dir die Tugend. Jetzt gehe 
ich in den Dreihimmel. Es war mir lieb dich zu sehen" (Nr. 489. 
25). — Des Kbnigs Leben ist dem Menschenfresser verfallen. Er 
ninimt von seinem Sohn Abschied: ,,La6 dich heute zur koniglichen 
Wiirde salben. IJbe Recht unter den Deinen und den Fremden. 
LaB keinen Fbeltater in deinem Konigreich sein. Jetzt gehe ich 
zum Menschenfresser!" (Nr. 513, 9). — Ein Weiser ist in ein ahn- 
liches Verhanguis geraten. Er verabschiedet sich vom Kiinig. Der 
schlagt vor, den Feind zu beseitigen; so wiirde der Weise bleiben 
konnen. Das lehnt dieser ab : „Richte deinen Geist nicht aufs 
Unrecht. Auf Nutzen und Recht sei bedacht. Pfui iiber bose. 
unedle Tat. die vollbringend man dann zur Holle eingeht!* (Nr. 
545, 178). 

Gefiihlsauijerungen von kindlicher Geradheit. Der Konig Sivi 
hat sich in die schone Gattin des Ahiparaka verliebt. Er spricht 
seinen Herzenswiinsch aus: .Wenn Sakka (Gott Indra) mir einen 
Wunsch gewahrte und mir der Wunsch zu Teil wiirde. so mochte 


]) Verse wie Savitr. o, lOD (ich zitiere nach Lalands Ausgabe), wo die Za- 
sur das bhartuh sabdk, 5. lOS, wo sie das gncJia panthdiiam zerschneidet, Xala 
4, 31, wo zwischen udnlirtam und mcajd das Zeilenende steht, Xala 14, 4, wo 
das iitdca. zur ersten Zeile gehorig auf die zweito hinuberhangf, werden sich im 
Jat. wohl nur ganz selten linden. Es wird cine interessante Aufgahe sein. diese 
Verschiebungen des Vcriialtnisses von Satzabschnitten und Versabschnitten in der 
indischen poetischen Technik zu verfolgen. Ini Kathasaritsagara z. B. ist die Sach- 
lage dem Altertum gegenuber stark verandert. Fur die Psychologie des kiinst- 
Icrischen Formens ist derartiges nicht unwichtig. — 5 gl. Hopkins, (fr. Ep 193. 

30 “^ 



448 


H. Oldenberg, 


ich eine Nacht oder zwei Nachte Ahiparaka sein. Habe ich mich 
dann an Ummadantl erfreut, mochte ich wieder der Kdnig Sivi 
sein ‘)“ (Xr. 527. 14). — Der Weise ist von Gefahr befreit gliick- 
lich heimgekehrt. Alle freuen sich und bringen ihm viel zu essen 
nnd zu trinken. „Viele Lente waren froh, als sie den znriick- 
gekebrten Veisen sahen. Als der Weise angelangt war, scLwenkte 
man die Gewander“ (Xr. 545, 312; 546, 195i. ■ — Der Sohn bietet 
sich an statt des Vaters zu sterben. Der Unhold sagt zu ihm: 
„Ich sehe, du hist des Jayaddisa Sohn, denn so sieht das Gesicht 
von eoch beiden aus. Da hast du eine sehr schwere Tat getan, 
dafi du den Tod suchst den Vater zu befreien“ (Xr. 513, 22). 

Endlich eine Stelle, die das selbstverstiindliche Ergebnis einer 
Handlung mit kindlicher Ausdriickiichkeit beschreibt. Der Konig 
lafit sich vom Arzt die Augen herausnehmen nm sie dem bettelnden 
Brahmanen zu geben. „Des Konigs Augen herausnehmend bot er 
sie dem Brahmanen dar. So hatte der Brahmane Augen; blind 
setzte der Konig sich nieder“ (Xr. 499, 16). 

Zeigt sich nicht in alldem deutlich die AuBerungsweise eines 
Zeitalters, fiir das die einfachsten EiFekte ihr Interesse noch nicht 
verloren haben — Etfekte. unbelastet mit alldem, was die Folge- 
zeit von Verfeinerungen in sie hineintragen wird? 

hlit den betrachteten Eigen.schaften der Jatakapoesie steht 
nicht in Wider.spruch, daB sich an manchen Stellen doch auch eine 
gewisse, im Grunde froilich von Primitivlieit nicht sehr weit ent- 
fernte Uppigkeit entwickelt in Schilderungen von Schonheit, Reich- 
tum, Slachtentfaltung u. dgl.: worin sich deutlich die IJberladen- 
heit der spateren Dichtung mit derartigem ankiindigt. So wird 
einmal (Xr. 546, 165 tf.) die Reizesl'ulle einer schonen Fran mit 
einem Strom von mehr als zwei Dutzend Beiworten bedacht, zum 
Teil langen Zusammensetzungen („safflorplatten[gleich]sch6nhuftig, 
schwanengesang[gleichjredend“ usw.) : ein Beiwort neben dem an- 
dern in fortlaufender Reihe"'), die nur hier und da von Yergleichen 
unterbrochen wird (schongeboren jungem Reh gleich, winterlicher 
Feuerflamme gleich ‘‘)^). Die Waldumgebung , in der Yessantara 


1 ) Yermutlich s.yan ti fur siya ti zu lesen 

2) Y<rl. auch die Jicschreihiui" der ScheiiBlichlccit des Jujaka, Xr. 547. 474 ff. 
Solche Beiwortreibeii — Anfange davoii sflion im ligveda — werdeu immer mehr 
zu eiiiem Chaiakteristikiim des indischen 2 'oetisthen Stils, bezcichnend fur dessen 
XYi^iung zu unorganisierter Fulle. Man sehe die Ubertreibungeii dieser iteJe- 
weise in der I'rosa des Kunalajataka. 

?j) Aiff den iiesondern Fall der groCen Bohvortreiho von Xr. 544. Ibltf., in 
der Wort fur Wort Komposita die Bestandteile einer koniplizierteii Ycrgleiclmng 



Jatakastudien. 


449 


als Einsiedler hanst, wird beschrieben (Xr. 547, 370 if.) : endlose 
Xamenreibe der dort wachsenden Baume, der Scblinggewacbse, 
der im Walde herumlaufenden Tiere, der Vogel und Wassertiere, 
weite Strecken hindurch mehr Register, Nummer fiir Xummer, als 
wirkliche Schilderung eines Ganzen; aber doch heben sick aus 
jenen Aufzahlungen bier und da kleine Bilder voll anmiitigea Lebens 
sparlicb beraus (v. 393 ; „za beiden Seiten des Mucalindasees steben 
scbone Blumen; mit blauen Lotusbliiten ist der scbmuckreicbe ^yald 
bedeckt; tragt man sie einen balbeii llonat, verlieren sie docb nicbt 
ibren Daft“ u. dgl. mebr). Es ist bezeicbnend, daB Scbilderungen 
dieser Art iiberwiegend in Reden enthalten sind und diese mit 
ibrer Pracbt, ihrem Reicbtnm filllen. Wo dagegen Handlung in 
Versen bericbtet wird, pdegt das, wie die oben niitgeteilten und 
weiter nocb mitzuteilenden Proben veranscbaulicben , knapp und 
scbmucklos zu gescbeben. Nur scbiicbtern entwickeln diese Teile 
der Dicbtuug sicb iiber die Grenzen binaus, die ibnen durcb die 
alten Gewobnbeiten der prosaiseb-poetiscben Erz.ahlungsforrQ ge- 
zogen sind ’). 

Icb werde \Yeiter unten einige Jatakaabscbnitte episcben Pa- 
rallelen gegeniiberstelleu uni so nocb naber zu veranscbaulicben, 
wie die Eiguren des Jataka, anders als die episcben mit ibren 
wenigstens vergleicbsweise freien und mannigfaltig nuancierten 
Haltungen, in unbebilflicber Geradbeit und Steifbeit dazusteben 
pflegen, wie ibre Bewegungen und AuBerungen weniger von den 


enthalten (aliuliches nicht seiten im Epos), weise ich hier nur bin obne miher 
darauf einzugehen. 

1) Ganz ausnabmslos ist das freilich nicht. Eine bemerkenswerte Ausnabine 
liefert der Ausgang des Vess-intarajataka (.047 1 : die Bescbreibuug des Heeres- 
zugs, der sicb nacli der Eiiisiedelei des Yess, Iiinausbewegt, und der Yorg.inge 
dort. Weiter weise ich auf Yr. 535 bin. Soli man diesen Ausnabmen ancb die 
docb nur kurze Bescbreibuug der Umgebungen zurecbuen. in denen der Chad- 
danta-Elefaut lebt, und des Elefanten selbst (514, lyft'.)'' Dieselbe Bescbrei- 
bung war vorher in einer Rede gegeben, und die Absickt giug oli'eubar dahiii 
auszufubren , dali Alles in Wirklicbkeit so war, wie jene Rede es angezeigt 
batte. — Aus dem bier Gesagteii scbeineii sicb mir mancbe Erscheiuuugen, 
die sonst auftalleu warden, zu crklaren. Beispielsweise daB man ini Alani- 
busaj. (Yr. 523) von der Schonbeit der Apsaras eiugebeuJer erst bort, als der 
Asket Gelegenbeit hat in seiner Rede diese zu schildern (v. 14ff.j. Oder daB 
im Yidhurapandit.ij. (Xr. 545) die uppige Pracbt von Yarun.is Wobnung und die 
Schonbeit der Vimalfi nicht iin Zusainmenbang der ersten Szene zwischen diesem 
Gattenpaar Iff.) beschrieben wird, soadern erst v. 25tt'. ; da erst tiniet sicb 
bequeme Mogliebkeit, diese Besehreibung in einer Rede (des Pimuaka an Kuvera) 
zu geben. 



450 


H. UlJenberg. 


besoncleren Motiven der jedesmaligeii Situation regiert unci zu 
deien charakteristifcchem Ausdruck gestaltet werden, als sie viel- 
mehr in jedem Einzelfall eben nur das allgemeine Schema wieder- 
holen. Hier mochte ich noch, was das gegenseitige Verhaltnis 
dieser einzelnen Elemente des Glanzen zu einander anlangt, etwas 
naher auf den schon bei Gelegenheit der eben erwahnten Waldes- 
schilderungen (S. 449) beriihrten Zug eingehen, claB man — wofilr 
ja Parallelen aus der Geschichte der bildenden Kilnste nah liegen 
— jetzt in vielen Beziehungen noch nicht dariiber hinausgekom- 
men ist, jene Elemente in primitiver Unabgestuftheit gleichberech- 
tigt neben einander aufzureihen. ohne Unterscbeiclung von Vorder- 
grund und Hintergrund. von Bedeutsamem und Enwesentlichem. 
Wie Jujaka (in Xr. 547) dazu kommt, Vessantaras Kinder haben 
zu wollen, und was ihm beim Suchen nach dessen Wohnsitz be- 
gegnet, wird, obwohl es nach nnsern MaBstaben durchaus Xeben- 
handlung ist, dtch mit derselben eingehenden Sorgialt clem Hoi’er 
vorgeiiihrt, wie dann die entscheidenden Ereignisse in der Ein- 
siedelei'). Dasselbe gilt im Bhuridattajataba (Xr. 543) von den 
verwickelten Wegen, auf denen der Held der Geschichte ins Ba- 
sein kommt ®), ocler auf denen der schlangenbandigende Brahmane 
in den Besitz des zauberkraftigen Steines gelangt. Ein Vorgang, 
der so ganz und gar nicht zu den wirklichen Faktoren der Hand- 
lung gehdrt wie der Austausch der Hoflichkeitsformeln zwischen 
zwei einander begegnenden Personen, wircl, genau wie in der 
hieratischen Prosa der Buddhisten, immer wieder mit derselben 
Sorgfalt verzeichnet, so ausiuhrlich, als handelte es sich urn die 
Kundgebung bedeut^amsten, folgenreichstcn Empfindens. Immer 
wieder, wenn ein Konig angeredet wircl, die Frage, ob sein Reich 
in Blilte steht und gerecht regiert wird, ob die Beaniten sich 
tadellos benehmcn, ob die kdnigliche Gemablin freundlich redend 
und folgsam, rcich an Kindern und Schbnheit ist; wenn es sich 
um einen Waldeinsiedler handelt, ob er hinreichende Xahrung an 
Wurzeln und Friichten findet, ob Fliegen und Miicken ihn nicht 
belastigen, die wilden Waldtiere ihm keinen Schaclen tun. Ja 

IJ Ohne soli he Einsehrankung kann eiiie derartige Behauptung, wie man be- 
greifen wird, nicht aiisgesproclien werden. Schon die Verwendung der Verse 
neben und zwischen der Prosa schlieBt ja unvermeidlich eine gewisse Henor- 
hebmig decs einen vor dera audern ein. 

2 1 Man betrachte etwa die Eeden der M'eiber gegon Jujakas Gattiii (Nr. .b47, 
V. 207 — 279), Oder J s Suclien im AValde (das v. — ol4j. 

ii) Vollends wenn man das allein im Kommentar Erzahlte, durch die Verse 
mcht Gewalirleistete mitrechnet. 



Jatakastuilieu. 


451 


sogar wie Papagei und Starenweibchen sich begegnen, fehlen die 
entsprechenden Fragen nicht (Nr. 546, 27 f.; vol. VI, p. 418). Auch 
das Epos geht an der Verzeichnung solcher Hoflichkeitsbezeigungen 
nicht vorliber. Aber gegeniiber der starren, unerbittlichen Aus- 
fiihrlichkeit des Jataka hat es doch merkliche und bezeichnende 
Fortschritte in freierer und zugleich zuriickhaltenderer Cehand- 
lung dieser Dinge gemacht ^). 


1 1 Ich fuge tier noeh eiiiige Bemerkungeii die Komjiositiou der Jatakas lie- 
treftend an, die nur rein vorLinfig an weitere Probleme riihren niecren. 

Die Fahigkeit, eiue lange, koniplizierte Reihe von Vorgungen festzuhalten, hat 
schon jetzt eine bemerkenswerte Huhe erreicht. Man dart' bezweifeln, daB in der 
Brahmanazeit Ahniiches unternomnien worden und gelungen v,\,re, wie in dieser Hiii- 
sicht im Vidhurapanilitaj. (Xr. 545) oder im Mahaiimmaggaj, (540) geleistet ist. DaB 
dabei Xebenhandlungen sich leicht imverhaltuismaBig vordrangen, wurde eben be- 
merkt: ein gewisser wemi aucb oit loekerer Zusammenhang der Teile unter einander 
bleibt doch wohl immer gewabrt. Als Ausnabme kounte man das Sudbabhojanaj. 
(535) aufubren, wo die Bekeliniug des Geizlialses und das Parisurteil zwischen 
den vier Gottiiiueu in der Tat uiibts mit einander zu tun haben, Aber wie die 
Anfangsvorte des Kommeutars zu Xr. 5.i!5 ergebeu, dug dies Jataka erst mit v. 22 
an. Der vorangehende Teil bildete das Kosiyaj. (Xr. 470, vgl, Dutoit, Kuhn- 
Festscbrift 351) : womit jene Iieiden Geschichten roinlicli aus einander ge- 
schnitten sind. 

Anfange der Einschachtelung einer Gesthklite — oder, aui bekannte lungere 
Gebilde hindeutend, ganzer Gescbiriitenreibeu — in eine audre linden sich schon 
jetzt, worm sich die spatere Te^hnik freilich erst vorbereitet. So im Indriyaj. 
(Xr. 423), dein I'adakusalamauavaj. (Xr, 432), dem Takkariyaj. (Xr. 4il), dem 
Mahasutasomaj. (Xr. 537), wobei es tur uus gleichgiitig ist, ob tVatanabe mit 
Eecht in seiner wertvollen Studie ulier dies Jataka die betretfenden Dartieii dessen 
urspruuglicher Gestalt abspricht (JPTS. I'JO'J, 257. 2G4); schon in der Versscbicht 
der Pfilifassung erweisen sie sich jecleni'ulls als voIlberecLtigt. Anders im Ma- 
haunimaggaj. (546). wie wieder die Anfaugswortc des Kommentars ergebc-n, ge- 
horen die eingelegten Gescliiehten so weuig wie die ganze Vorgeschiclite der 
kanonischen Fassung an (ricbtig dariiber Dutoit a. a. 0. 352: danach ist es be- 
greiflich, daB die Inschrilt von Bharhut das yai'ainajhaJciya/n als besonderes J. 
nennt). Im Kunalajataka (536) sind die ausfuhrlichen Geschichten von schlechtea 
Frauen Kommentar, nicht Text, Dem eigentlichen Text gehoren nur kurze Hin- 
weise anf die betreflenden Vorfalle an; von eingelegten GescliicLten kann man da 
nicht sprechen. Ich lerzeichue bei dieser Gelegeiiheit, was in dem in Betracht 
kommendeu Teil des Jataka (vol. Y p. 424 — 444 clerAiisgabe) Text ist: 424,15 — 
126, 25; 432, 31—435, 25; 440, 12-15; 444, 3— C; 25— 2.S. 

„Eiiistrangigkeit" der Erzahluiig liegt keiueswegs immer \or. Iib erinnere 
aus dem Bhuridattaj, an das Ilinuberspriugen von den Erlebuissen Bliuridattas, 
seiner Gefangenuabme, zu deu Yorgangen in seiner Familie (Xr. 543, v, Gl. Go), 
aus dem Yessantaraj. an die Erzahluiig aus dem Iiauslichen Leben des Jujaka 
(Xr. 547, v. 2G5ff.). 

Auch das Gesetz, das man fur die Yolksepik aufgestellt hat, daB hochstens 
zwei Personeii zugleich auftreten, gilt hier nielit. 



Refrain and Verwandtes. Ein wichtiges, meist sehr 
hervortretendes stilistisches Charakteristikum der Jataka verse zu 
beobachten gibt uns gerade das Chaddantajataka, von dem wir 
ausgingen, zufalligerweise wenig Grelegenheit ; die oft durch lange 
Yersreilien gekende Wiederholung des gleicben Wortlauts im Aus- 
gang Oder Eingang der Strophe, den Refrain und Gregenrefrain. 

Es ware von Interesse, die vedische Vorgeschichte der bud- 
dhistischen Refraintechnik einmal im Zusammenhang zu verfolgen. 
Im Rgveda spielt das samanodarl;a bz. das samanaprabhrti keine 
sehr grofie Rolle. Eine weit erheblichere im Atharvaveda: inwie- 
weit das auf dem Streben nach magischer Wirkung des immer 
wiederholten Wortlauts beruht, inwieweit auf zunehmender Gre- 
wbhnung das Lied als Ganzes, beim einen Vers den andern be- 
rlicksichtigend zu gestalten. soli hier nicht untersucht werden. 
In den Dialogversen der Sunahsepaerzahlung findet sich der 
Refrain nicht '). Dagegen spielt er und auch der Gegenrefrain 
eine nicht unbedeutende Rolle im Suparnadh^mya : ich hebe hervor, 
wie auf diese Weise dem Gebot der Schonung gegen den Brah- 
manen (sa brahnianas tarn sma ma Imn (juriitnKoi 17, 1 f.), dem ent- 
riisteten Erstaunen Iniras, daB ihm der Soma hat entfiihrt werden 
kpnnen {yon j)ui uiduin harnti Vai)iateyaJi 23, 3 £f.), ISTachdruck ver- 
liehen wird. Aus den alten Resten des prosaisch-poetischen Ma- 
habharata erwahne ich, von Unerheblicherem absehend, die nach- 
driickliche Wiederholung des PaJa hJulain prapannam yo hi dadati 
kitrave in der Szene von Konig, Falk und Taube (III, 13 281 IF.): 
jedesmal der dritte Pada der vierreihigen Strophe, also ein Mittel- 
refrain. 

Man sieht aus alldem, daC — was ja auch ohnedies in Anbe- 
tracht der uralten, weltweiten Verbreitung des Refrains selbst- 
verstandlich ist-) — diese Versverzierung im alten Indien keines- 
wegs nur den Buddliisten ®) angehbrt. Aber allerdings erscheint 
sie wohl kaum irgendwo in der indischen Literatur so ilberhaufig 


Weiteres Eiiigeben auf Frageu die Koiupositionstechaik der Jatakas be- 
treffend muD kunftigen Untersuchungen vorbctialton werden. 

Ij Das vpcM iiutmtom mit dem danii zwoimal fulgouJeii upeyam taca pu- 
tratdni Ait. Br. VII, 17. .")f. wird man kaum als sok-hen aiisehn. 

2) Mail rergleielie liieruber Eieli. M. Moyer, Uber deii Refrain, Zschr. f. 
vgl. Literaturgescb, I, S4ft'. 

3j Xoch weniger speziell der Palitradition des Buddhi.sinus. An Beschran- 
kung der Ersebeinung aut diese wird ein Einsichtiger kaum denkeu. Die Ver- 
weisung etwa auf das Kusajataka in seiner nordbuddiiistisLlien Gestalt (Maliavastu) 
iMirde zur ^^iderlegung genugen. 



Jatakastudien, 


453 


wie eben bier. Ihr Auftreten in buddhistischen Akhy anaversen gehort 
offenbar znsammen niit ihrem allgemeinen Grebrancb in der buddbi- 
stiscben Poesie, in der dogmatiscben and moralisierenden so gut wie 
in der erzablenden oder dialogiscben. Und weiter: dab in dieser 
Poesie jene Figur zu so besonderer Greltung gelangt ist, kann 
kaum aufier Znsammenbang mit der Eigenart aucb der altbnddbi- 
stiscben bieratischen Prosa steben. Diese Prosa und ibren Zu- 
sammenbang mit dem Gesammtbabitus des buJdbistiscben geistlicben 
Lebens zu bescbreiben babe icb anderwarts versucbt : diese in 
unabanderlicb festen Babnen sicb bewegende Diktion, die bestiindig 
genau parallele Satze oder Satzgruppen an einander reibt, oft so, 
dafi mebrere derartige Systeme auf einander foigen, jedes in sicb 
durcb dieselbe starre Einerleibeit seiner Glieder zusammenge- 
scblossen. Wo der einzelne Prosasatz — abulicb wie der einzelne 
buddbistiscbe Mbncb — so ganz und gar niebt seine eigene . frei 
seiner Natur geborcbende Individualitat besitzt, sondern genau wie 
der Satz vor ibm und wie der Sutz nacb ibm das ibnen alien ge- 
meinsame, unabanderlicbe Schema zu verwirklicben verpflicbtet 
wird, da ist es begreiflich, dab aucb die Poesie auf das starkste 
dazu neigt, eine, wie wir saben, obnebin vorbandene Tendenz stei- 
gernd, in Versreiben voll Wiederbolungen jo nacb dem Zusammen- 
bang bald des Eingangs, bald des Ausgangs, oft von mebr als 
nur dem einen oder dem andern, sicb zu ergeben. Der Refrain 
wirkt bier also keineswegs allein als lyriscbos odor musikaliscbes 
oder der Erzablung, der Schilderung, dem Didaktiscben Akzente 
mitteilendes Element; mindestens ein Teil seiner Geltung ist von 
andrer Natur und Herkunft. 

Im eben Gesagten ist nun scbon auf die weitgebende Ver- 
scbiedenbeit der Formen bingedeutet. in welcben die refrainartigen 
Wiederbolungen erscbeinen. Zuweilen ist das wiederbolte Glied 
ganz kurz: so das vers- oder halbverserblfnende tatih' addma, mit 
dem im Cbaddantajataka (v. 19. 20. 21) bescbrieben wird. wie der 
Jager alles das sieht, was ibm die Kbnigin vorber angegeben bat. 
Vielfacb umfabt die Wiederbolung einen Pada des Metrums oder 
aucb ein Hemistich. Niebt selten aber sind ganze Verse reihen- 
weise mit einander identiscb — bis eben auf einen wie aucb immer 
gestellten Ausdruck, auf dem die Versebiedenbeit von Vers und 
Vers berubt. Abnlicb der eben inbezug auf die Prosa bervorge- 
bobenen Besonderbeit Ibsen sicb inmitten liingerer Absebnitte oft 


1) „Zur Gesohichte der altindischen Prosa" Sott. Dort S. 32 iiber die Vor- 
stufe des betrett'endeii Stils in den Upanisaden. 



45-i jI- Uldenb ei 

mehrere durcli Eefrains oder solche Identitaten zusammengehaltene 
Systeme ab, wobei deren Struktur, wenn man das eine System 
mit dem andern vergieicht, keineswegs sjmmetrisch zu sein braucht. 
Zuu Veranschanlickung davon, wie viele verschiedene Figuren sich 
hier dnrch einander wirren kbnnen, analysiere ich aus dem Yes- 
santarajataka v. 108 — 133 die Klagen der Konigin darilber, dad 
Yessantara mit der Grattin in den Wald verbannt werden soli (ich 
bezeichne die vier Padas des Yerses mit a. b, c. d). v. 108 — 109 
unter einander gleich bis auf kleine Yariante in }>. v. 110—111 = 
108 — 109, doch kleine Yariante jenen gegeniiber in a. in welchem 
Patla diese Yerse immer zu je zweien unter einander gleich sind. 
V. 11'2 ah neu und filr sich alleinstehend, cd den vorangehendenYersen 
gleich: im Ubrigen dann die Yerse bis 117 nur dnrch ungefahre 
Ahnlichkeiten zusammengehalten. 118 — 120, 121 — 123 je drei Yerse, 
von denen immer der letzte ein uberschiissiges Hemistich hat; die 
zweite Triade auch durch das eroff'nende ynssa in sich zusammen- 
gehalten ; im Ubrigen innerhalb jeder Triade verschiedene, teil- 
weise weitgehende Entsprechungen in tvechselnden Figuren ^). 124 
— 126 in ab gleich; 125 und 126 auch in d. 127 — 129 die Yer- 
gleichung von 12Y — 126^ durch andre Yergleichung ersetzend, 
sonst die vorangehenden drei Yerse mit ihren Gleichheiten und 
Ungleichheiten genau wiederholend. 130 ■132 wieder neue Yer- 
gleiehung, diesmal das ganze erste in den drei Yersen identische 
Hemistich umfassend; die drei zweiten Hemistiche wiederholen die 
der vorangehenden beiden Yerstriaden. Endlich 133 fiir sich 
stehender Schlufivers. Man sieht. dab, wenn der Gebrauch von 
Eefrains und dgl., insonderheit in solchem Umfang wie hier, eine 
Tendenz starker Stilisierung der Eede in sich schlieBt, doch ander- 
seits wieder diese Symmetrien mit recht naturwiichsiger Unsym- 
metrie gehandhabt werden : ein tiir die Charakteristik dieser Kiinst- 
lichkeiten nicht unwesentlicher Zug Besondere Beachtung scheint 

1 1 Im VoriibergeLen ein Wort uber den Text von v. 123 yassu Indassu 
(juttasia uhikassd pavassaio suttana tiadato bhltd . . . pacedhati. Es Landelt sich 
darnm, dab die Furstin sogar einen Eideuschrei nicht huren kanu ohne zu er- 
schrecken. Was soli da Indcusa gottassn'i Die (.'ambridger L’bersetzung ..she ii'ho 
of Indra’s royal race" gcht oti'enbar fehl, Nicht die Furstin, sondern die Eule 
(als Kautdka) ist Iiidras Geschlechtsgenossin. DaB dies die I’ointe ist, hat schon 
Dutoit als inogliih erkannt. Nur ist es nicht bios mdglich , sondern evident. 
Weiter a her ist evident. daB dann zu lesen ist indasagottassa ■, vgl. Nr. 535 v. 95. 
In .JPX'S. 1!J(J9, 20 ist der Sachverhalt offenbar erkannt. 

2) .\ls bezeithnende Beispiele von Unregelmafiigkeit liebe ich noch hervor 
Nr. 5 : 32 , 11-'- tf, (Setzung und Niclitsetzung des Refrains ko eti siriya jalaui)-. Nr. 
•531, 37 ff, idesgl. von gayhu cako gacchati yenakdmanj). 



Jatakastudien. 


455 


mir die hier deutlich erkennbare Xeigung zur Trcabildung zu ver- 
dienen. Anderwarts wiederum zeigt sicb die nicht; wo etwa das 
zwischen den zusammengeborigen Versen wechselnde Element seiner 
Natur nach auf eine andre Zahl fiihrt, dock oft auch obne der- 
artige Kbtigung finden sicb statt der Dreiheiten andre Gruppie- 
rungen. Im vorliegenden Fall aber kann die deutlicbe Chara.kte- 
risierung von v. 118 — 182 als fiinf Triaden unmbglich Zufall sein ‘). 
Man wil’d an den Anfbau vedischer Trcalieder erinnert ; und wenn 
dann auf die Trcareibe ein einzelner ScbluBvers folgt, stimint auch 
dies zu weitverbreitetem vedischem Gebrauch-). 

Man durchblattere irgend ein veroreicheres Jataka wie z. B. 
das von Vessantara : man gewinnt leicht eine Yorstellung vun der 
auberordentlich starken Vorliebe. niit der die hier beschriebenen 
Figuren verwandt werden. Die leiseste Muglichkeit, eine Vor- 
stellung durch mehrere Synonyma oder ungefiihre Synonyma aus- 
zudrlicken und ahnliche Sachlagen geniigen den Poeten als Anlad 
zu ermudend inhaltsarmer Aneinanderreibung verschiedener Verse, 
die im Fbrigen identiseh sich nur durch die Setzung jetzt des 
einen, jetzt des andem jener Ausdriicke unterscheiden ; so Xr. 547 
V. 39. 40 zwei Verse aus je drei Hemistichen, in denen nur das 
Schlufiwort oruso bz. cdni ;0 wechselt; manches derartige in der 
langen Rede das. v. 76 if. und biter. Derartige Stellen lassen 
empfinden, wie ganz diese Vaiiationen zur Manier geworden sind. 
Von der Wucht und Tiefe der Wirkung, die dem Refrain eigen 
sein kann, ist da nichts zu spllrcn. 

Wiederholungen der beschriebenen Art finden sich nicht nur 
im Innern derselben Rede, sondein auch im Dialog zwischen Rede 
und Gegenrede (z. B. Xr. 443 v. 4. 5; man beriicksichtige auch 
das Verhaltnis zu v. 2. Weiter Nr. 455 v. 5. G; Xr. 458 v. 11. 
12 und sonst haufig). Ebenso in erziihleudeu u. dgl. Verspartien 
(z. B. Xr. 457 v. 10. 11; Xr. 538 v. 50. 53; Xr. 539 v. 116 if. ; 
Xr. 545 V. 181 if. usw.), oder auch zwischen Rede und Erzahlung 
(Xr. 530 V. 8. 10). Ja sogar verschiedene einversige Jatakas 
kbnnen durch derartige Entsprechung ihrer Verse auf einander 
bezc'gen werden (Xr. 61. 52; 59. 60). 

Zu den Umstanden, welche die Anwendung dieser Figur be- 
giinstigten, gehbrt, neben der schon oben hervorgehobenen allge- 

1) Als audre Beispiole in die Augen falleiuler TrcabikUuia' t'uhre ich an Xr. 
504 V. 5 — 7; ' 22 — 24: der zweite Fall der oben IS. 43s besprochene, wo der Tria 
aus der Ilaupterzabluiig in die Rahmenerzalilung hinuberreii.lit. "Weiter Xr. 5o9, 
V. lie— 118; 119—121. 

2) Sielie nieine Prolegomena 131 f. 



456 


H. Oldenberg, 

meinen Tendenz dec baddhistisclieii literarischen Formgebung, 
speziell wobl aueh der prosaisch-poetiscbe Aufbau dieser Erzab- 
lungen. Indem Reden, in diesen enthaltene Beschreibungen u. dgl. 
nicht in den GesammtflnS der Erzahlung aufgelost warden, be- 
giinstigte die Sonderstellung dieser Scbmuckstiicke , da8 man sie 
in sich zu besonders scbarf ausgepragten selbstandigen Einheiten 
znsammenschloB ; nnd eben solcben ZusammensckluB verwirklichte 
der Refrain in sicbtbarster Weise. Tiber das alles aber scheint 
mir ein bedeutsamer Faktor in der altertiimlichen Unfreiheit des 
kdnstleriscben Empfindens za liegen, die sick bier verrat. Wie 
auf so vielen Denkmalern arcbaiscber bildender Kunst die Einzel- 
fignr nocb nicbt ibre eigene Wesenbeit besitzt, sondern unver- 
andert die Haltung der umgebenden Figuren wiederbolt, so ist es 
aucb bier. Die Bewegung, in strenge Form eingebend, ist in dieser 
Form versteinert, nnd in starrer Einerleibeit reiben sicb so die 
Gebilde an einander, die mit freiem. weeks elreicbem Leben zn 
durebdringen diese Kunstiibung nocb nicbt gelernt bat. 

Gegeniiberstellung von Jatakas nnd Absebnitten 
der Epen; die Sy amaerzahlung. Icb versuebe die im Obigen 
besebriebenen stilistiseben Cbarakteristika der Jatakas weiter zu 
veranscbaulicben an den Kontrasten zwiseben diesem Stil und dem 
in der grofien Hauptmasse der beiden Epen herrsebenden. Dazu 
wable icb zunaebst eine Erzahlung, die sich anf beiden Seiten in- 
haltlich im Wesentlicben identiscb findet; die Gesebiebte vom As- 
ketenknaben, den der koniglicbe Jager versebentlicb getroffen bat, 
Jat. isr. 540 und Ramayana II, cp. 63. 64 ed. Bombay ^). 

Gleicb die ersten Jatakaverse sind ebarakteriseb. Der ver- 
wundete Asketenknabe spriebt : 

„Wer hat micb mit dem Pfeil getroffen, den sorglosen Wasser- 
boler? Ein Ksatriya, ein Brabmane, ein Vaisya? Wer bist du, 
der du micb aus dem Versteck getroffen bast? 

„Mein Fleiscb ist nicbt eBbar. Meine Haut ist nicbt zu brau- 
cben. Aus welcbem Grunde hast du denn gedaebt, daB du micb 
treffen willst? 

1) Die Gestalt der Geschiehte im MaliabUrirati III, llOjIff, uuJ im 9. lia- 
pitel des Raguuvaiiisa liegt weiter ab. Im Eamayaija (R,j tritt nicht seiten noch 
Zusammenhang mit den Gathfis des Jstaka (J.) deutlich liervor. Vgl. J. 29 ayam 
ekapadi raja, R. 63, 44 iyam ekapadl rajan] J. 39 adfisalcCi pitaputtd tayo eku- 
siind liatci, R, 63,32 vrddh.iu ca mdtapitardv aham aii/cesund hatah\ J. 76 ff. 
'na kihcim ahJiihliasasi, R. 64. 30 na ca vidni abhibhdsase : J. 85 ko ddni blimja- 
yissati I'anamidaphcdOni ca, R. 64, 34 k indamCdaphal im hrlvd yo main . .. hho- 
— Die Fassung des llahavastu II p. 209 ff. 219 ff heranzuzielien ist 

uiiuutig 



Jatakastudien. 


457 


„Wer bist du und wessen Sohn? "Wie sollen wir dich kennen? 
Ich frage dich, Freund, sag es mir: was willst du, dab du mich 
aus dem Versteck getroffen hast?^ — 

Worauf der Kdnig in ganz ahnlichem Ton antwortet ^). 

Wie gleichmlitig klingt das alles I Der jahlings zum Tode 
Verwundete schreit nicht auf, macht keiner schreckensvollen Er- 
regtheit Luft, oder wenn vielleieht seine seelische Erhabenheit die 
ausschliefit, keiner Betrachtung iiber den Weltlauf, liber das Herr- 
schen der Gewalt u. dgl. In ruhigster, sachlichster Spracbe er- 
kundigt er sick, wer geschossen hat, ob ein Ksatriya oder welcher 
Kaste er angehort. Ebenso sachlich legt er die Zwecklosigkeit 
solches Schusses dar. Er braucht genau die auch sonst , in selir 
anders gearteten Situationen, gelaufigen Wendungen der Erkundi- 
gung : A'O i d tvam Icassa cd putto, lathain jdniMH turn mayrnn, puftlio 
me samma ahlihahi. 

Wie ganz anders das Ramayana (63, 25 If.). Zuerst ein Schrei: 
Ha! ha! End dann ein Ergufi pathetischer Beredsamkeit. Auch 
hier sagt der Verwundete wie im Jataka, dab er dabei war Wasser 
zu holen. Aber die Situation wird reich und anschaulich ausge- 
malt: zum einsamen Flub war ich in der Xacht gekommen Wasser 
zu holen. Und weiter : wem babe ich nur etwas zu Leide getanV 
Bin ich doch Asket — und eine Menge von Beiworten beschreibt 
die Erscheinung des Asketen und sein Wesen, das Kiemandem 
Schaden bringen kann: nijastadanclasija vnne vanijena jivaiah .. . ja- 
iablidrailharasinnia rcdhaldjinacdsasuh. Mit einem gunitalpagn wird 
der Tater verglichen. Und schon hier drangt sich der Gedanke 
an die hilflosen Eltern in den Vordergrund: durch einen Schub 


1) In dieser Antwort ist das dal/hadhammo (to bezeiclinet sich der KOnig 
selbst) zwar nicht vom Kommeutar, der das Richtige hat, aber von beiden I ber- 
setzern niiliverstaiidon worden (.stout is my heart nor given to change’h ,,als 
starker Maim bin b h bekamit“). Im vorangehenden wie im folgeuden Satz rulimt 
der Konig seine Rogenkunst; offenbar liegt also, wie auch Franke, Pali u. Skt. 
97 erkannt hat, Entspreehung von Skt drdhadhanvan- vor. Xarh Geiger. Pali, 
65 (vgl. auchPischel, Gramm, der Prak.-Sprachen 20.5) Yfare ixinr *dalhadha>u !0 
zu erwarten , was wegen der Ahiilichkeit mit dhamma leicht entstellt werden 
konnte, wie ja in der Lberlieferung des Pali nichts hautiger ist als Versibie- 
buiigen der 'VVortgestalt auf Grund derartiger Ahnlichkeiten. Doch sclieint mir 
dialektisehes Eintreten von mm infclge der labialen Xatur des r immerbin nicht 
undenkbar. Ungefalir vergleichbar ware das dialektische Nebeneinandorstehen 
von atta- und appa- = Citman-. 5Vie verbalt es sich nun mit Dliammantan (Jat. 
IV p. 496) = iJhanvantarih'i DaC der in Rede stehende fragliche Lautwandel 
beidemal gerade auf das gclautige dlmmma- fuhrt, bleibt doch verdachtig. — Der 
Vers mit dajhadhammo kehrt in diesem Jataka noch mehrfach wieder. 



45S 


H. Olden berg. 


sind wir alle drei getrofFen — welcher Tor. dessen Ich die Leiden- 
schaften nicht bezwungen hat. hat das getanV 

leh beriihre nur in der Kiirze noch Folgendes ; gegeniiber der 
immer sich gleichbleibenden Schlichtheit der Jatakaverse die Klagen 
des Knaben im Ramayana, daG Tapas und Gelehrsamkeit keinen 
Lohn finden — ■ daG der Vater ihn nicht liegen sieht: doch wilBte 
der von meinem Ungliick. konnte er ja doch nicht helfen, so wenig 
wie der Baum dem Baum, der umgebrochen wird, helfen kann. 
Im Jataka die Botschaft des Knaben an seine Eltern: ..Meiner 
Mutter und meinem Vater richte. wie ich es dir auftrage, meine 
Ehrfurcht aus.“ Im Ramayana wie viel etfektvoller : ,,Gehe hin 
und erwirke seine (des Abaters) Gnade. damit er nicht im Zorn 
dich verfluchel“ End dann im Jataka kurz und einfach: ,.Als 
Sama so gesprochen, der Jiingling .schon anzuschauen. betaubte 
ihn des Gifts Gewalt. und ihm schwanden die Sinne.‘’ Dagegen 
im Riimayana wortreiche Beschreibung . wie dem am Boden sich 
Windenden der Pfeil herausgezogen wird , wie er zitternd den 
Konig anblickt und aus dem Leben scheidet. 

Nur eine A’erspartie auf beiden Seiten. ein Haupt-stiick des 
Ganzen. stelle ich noch gegeniiber. ehe ich diese Erzahlung ver- 
lasse: die Klagen der Eltern. die der Konig zum Korper Syamas 
gefiihrt hat (J. 72 ft'.. R, G4. 30ft'.). Im Jataka 14 Strophen, zer- 
fallend in drei Gruppen. jede in der oben be.sclmebenen Weise 
bis auf den Wechsel eines Worts oder oines A’’ersteil- Strophe fiir 
Strophe sich wortlich wiederholend. z. B.: ,.GewiG hist du einge- 
.schlafen (dafiir in den folgenden A^erson: gestiirt. verwirrt, erziirnt 
usw.). Sama schbn anzuschauen. daG du heut. wie die Zeit hinge- 
gangen ist, nicht zu uns i-'Mest* *;■. End dann: ..AA^er wird jetzt 
den Besen nehmen und die Einsieclelei kehren't dafiir im Eol- 
genden' AA’er wird uns jetzt mit kaltem AVasser und mit warmem 
waschen':' AA"er wird uns jetzt mit den AA^urzeln und Friichten 
das Alcaldes speisen?). Unser Sama ist hingegangen. der fiir uns 
Blinde sorgte!“ Auch bier alles .schlicht und kindlich, die Ge- 
schafte des alltaglichen Kleinlebens mit eingehender Sorglichkeit 
bedenkend. AA^elch' andern Flug nimmt die Beredsamkeit des Ra- 
mayana I Manche der eben aufgefiihrten Motive des Jataka kehren 
auch hier wieder-j, aber in wie andrer Form ! So die Vorstellung, 

1) Die cngliscbe L'bersetzung zieht die 14 Strophen in vier zusammen, ..as 
they are full of repetitions". Vom echten Aiissehen des Origintls , zu dem nun 
einmal cben diese Wiederholungen gehbren, geht dadurch doch Wesentliches ver- 
Uivon. 

■-I DaB dem Epo-^ in irgend einer Fassung die altertiimlichen Verse vorge- 



Jatakastudien, 


459 


der Solm kcnnte erziirnt sein: ^Was bist du denn erzurntV Bin 
ich dir vielleicht nicht lieb , mein Sohn ? So sieb doch deine 
Mutter an, die gate! Warum umarmst du sie nicht. mein Sohn? 
So sprich doch ein freundliches Wort !" Oder die Sorge. wer sich 
nun um das Mahl klimmern wird: „(Wer ist es.) der Knollen, 
Wurzeln und Frlichte nehmen und wie einen lieben Gast mich 
speisen wird, der ich zu alleni Tun ungeschickt bin, lenkerlos und 
tuhrerlos?" Man sieht, wie die einfache Vorstellung des andern 
Textes hier bereichert, nuanciert, mit Akzenten versehen ist, Dazu 
kommt nun aber in R. weiter eine Fiille mannigtacher neuer Fi- 
guren von Gedanken und Ausdruck. Wesson Stimme zn Herzen 
gehend werde ich beim Kommen dts Morgens horen, wenn er ein 
Lehrbuch oder sonstige Weisheit vortragt? Bleib hier. geh nicht, geh 
nicht, mein Sohn, in des Todes Reich! Morgen wirst du mit uns gehen, 
wenn du dich erholt hast, mit mir und mit deiner Mutter ! V on 
dir verlassen werden wir beide in Yamas Reich hinabsteigen — 
und weiter, was dann der Yater zum Totengott sagen wird. und 
zu welchen Himmeln der Sohn eingehen soli, welche berlihmten 
Konige dort wohnen, welche Guttater dort den Lohn ihrerWerke 
empfangen. Jetzt Frage. jetzt Mahnung, jetzt phantastisches 
Yoraussagen kommeuden Geschehens. jetzt Gebet — fortwtihrend 
hunter ^Vechsel der einander drangenden Motive, der Stellungen. 
die der Redende einnimmt. Halt man das neben die eintonige 
Stilisiertheit des Jataka, sein unentwegtes Feststehen auf dem- 
.selbenPunkt und Wiederholen derselben abgezirkelten Bewegungen, 
so wird man empfinden, wie jene Rede in diesem. diese in jenem 
Text schlechterdings undenkbar sein wiirde \). 

Zur Bestatigung, daB wir uns nicht durch zufalliges Aussehen 
w’illkurlich gewahlter Probestiicke tauschen lassen, stelle ich noch 
einen andern Jatakaabschnitt einem epischen gegeniiber. Die Si- 
tuation aut beiden Seiten ist nicht dieselbe, aber doch, scheint 
mir, verwandt genug, um Yergleichung zuzulassen. Maddi kommt 
zur AYaldeinsiedelei zurvick : ihre beiden Kinder sind verschwunden ; 
sie bricht in Klagen aus (Xr. 547. v. 546 tt'.). Damayanti erwacht 
im Walde: ihr Gatte ist verschwunden: sie bricht in Klagen aus 
(Xala Kap. 11). 

k'gen liaben, die vir aus dem .T.ltaka kennen lerneu, isr wahrscheinlieh; vgl. obeii 
S, 45G Anm. 1. 

1) Dafi speziell der Kefrain, dessen Auftreten und yichtauftreten hier als 
ein unterscheidendes Charakteristikum zwischen den beiderseitigen Reden hervor- 
gehoben vurde, im Ubrigen dem Epos keineswegs prinzipiell fremd ist, ubersehe 
kh naturlicli nicht. Aber wie gering ist dort seine Geltung verglichcn mit der 
im .Tataka! 



460 


II. Oldenberg 


.,An dieser StelIe-‘. sagt MaddT, stehen sonst die Kinder stanb- 
bedeckt. Sie sind mir entgegengekommen, wie junge Kalber der 
Mutter. 

..An dieser Stelle stehen sonst die Kinder staubbedeckt. Sie 
sind mir entgegengekommen, wie Schwane iiber den Teich. 

,,An dieser Stelle stehen sonst die Kinder staubbedeckt. Sie 
sind mir entgegengekommen nicht weit von der Einsiedelei." 

Solche Wiederholungen, wenn auch groBtenteils nicht so weit 
getrieben. gehen auch durch das Folgende dnrch. Die nachsten 
zehn Strophen schlieBen sammtlich mit derZeile: „Heute’sehe ich 
die Kinder nicht, Jali und Kanhajina beide", oder mit den Worten: 
.,Ieh sehe die Kleinen nicht“ — Strophe fiir Strophe einfache, 
anmutig zarte Bilder aus dem Kleinleben von Mutter und Kindern, 
von Kindern und Mutter; immer nur wenige Worte, ofter dieselben 
Motive wiederholend, jedes kleine Bild unabhangig neben dem andern, 
durch den umrahmenden SchluBsatz vom andern getrennt. Wie 
Rehe mit gespitzten Ohren laufen die Kinder sonst frohlich um- 
her; wie einer Ziege ihre Jungen kommen sie mir aus der Ein- 
siedelei entgegen, sehen mich von weitem; hier liegt ihr Spielzeug 
von gelbem Bilvaholz ; auf meinem SchoB suchen sie umher, die 
Eine hangt sick an meine Brust . . . Znm SchluB drei Strophen 
voll von der Angst des Mutterherzens : 

..Sonst wie ein Festplatz erscheint mir die Einsiedelei; heute 
wo ich die Kinder nicht sehe, dreht sich mir die Einsiedelei vor 
den Augen. 

,,Wie so lautlos erscheint mir die Einsiedelei! Kicht einmal 
die Raben schreien. GewiB sind meine Kleinen tot! 

,.Wie so lautlos erscheint mir die Einsiedelei! Nicht einmal 
die Vogel schreien. GewiB sind meine Kleinen tot!“ 

Sehr anders das Epos. Als die verlassene Damayanti erwacht 
und den Gatten nicht sieht, „laut schrie sie zitternd zum Nishadher : 
GroBer Kdnig! Ha, mein Hort! Ha, mein Konig! Ha, mein Ge- 
bieter! Was verlaBt du michV Ach, ich bin erschlagen! Ich bin 
vernichtet! Die Eurcht faBt mich im einsamen Walde!“ Und so 
stromt sie ihren Jammer aus : Wie konntest du deine treue Gattin 
verlassen und von ihr gehen! Wirst du mir nicht wahr machen, 
was du vor den welthutenden Gottern mir gelobt hast ? Ich sehe, 
daB vor der Zeit, die bestimmt ist, kein Sterblicher hinscheiden 
kann, wenn dein geliebtes Weib, von dir verlassen, auch nur einen 

1) Die beiden Refrains gehen regellos durch einander, Ygl. das oben S. 4.54 
nber solche Eegellosigkeiten Bemerkte. 



Jatakastudien. 


461 


Augenblick am Leben bleibt. G-enug deines Scberzes ! Ich fiirchte 
mich! Zeige dich mir, Konig! Ich sehe dicb! Ich sehe dich! 
Hinter den Biischen hast du dich verborgen! Warum sprichst du 
nicht zu mir? Welche Untat begehst du, der du in diesem Elend 
mich, die Klagende, nicht trostet, nicht zu mir kommst ! Ich jam- 
mere ja nicht um mich selbst, um nichts sonst. Xur um dich, 
mein Fiirst, jammere ich: wie wird es dir ergehen, wenn du allein 
hist? Abends zwischen den Baumwurzeln, wenn du durstest, 
hungerst, ermattet hist und mich nicht siehst! 

ITber Damayanti ist ja das Leid schon gewisser herein- 
gebrochen als hber Maddi, die fiir jetzt nur erst schwerste Serge 
vor sich sieht. Aber auch seiche Serge batte der Verfasser des 
Nalagedichts gewiB sehr anders als der buddhistische Poet, den 
Klagen Damay antis ahnlich geschildert. Vielleicht mag man die 
Schlichtheit des buddhistischen Gedichts als echter, als tiefer zu 
Herzen gehend, den ErguB Damayantis als allzu beredt empfinden. 
Aber dariiber, wie viel weiter es der Epiker in der freien Herr- 
schaft liber die poetische Form gebracbt hat, kann keine Frage 
sein : was ich nach dem oben zu den beiden Fassungen des Syama- 
gedichts Bemerkten naher auszufiihren nnterlasse. 

Ahnliche Beobachtungen kann man machen, vergleicht man, 
wie im Jataka und anderseits in den Epen etwa der bunte Wald, 
der Gebirgswald , die schbne Frau geschildert wird ’), oder auch 
wie verschiedene philosophische Weltanschauungen einander gegen- 
iibertreten (aus dem Jat. vgl. besonders Hr. 544): das Ergebnis 
ist immer das gleiche. 

Sell man nun die hier vorliegenden Unterschiede vielmehr auf 
die Verschiedenheit zweier neben einander stehender poetischer 
Gattungen — wie man auf andern geschichtlichen Gebieten das 
Lied mit seiner Neigung zu AViederholungen und das Epos zu 
unterscheiden hat — als auf das zeit- und entwicklungsgeschicht- 
liche Verbal tnis zuriickfiihren? 

Mit Biicksicht auf die speziell indischen Verbal tnisse scheint 
hinsichtlich dieser Frage Folgendes zu bemerken. 

In der Vedenzeit finden wir als alleinigen Vorganger der uns 
beschaftigenden literarischen Typen den der Sunahsepadichtung 

1) Ein bezeichnender Zug : -wo in den Jatakas von schonen Frauen die Rede 
ist — ein ja auch dort gelaufiges Thema — , spielen in der poetischen Maschinerie 
die Lotus entfernt nicht die RoUe wie in den Epen. Die literarische Lebens- 
geschichte des Lotus und einiger andrer dieser den Indern so teuren poetischen 
Requisiten zu verfolgen ware, auch fur chronologische Fragen, von Interesse. 
Einiges uber den Lotus gibt jetzt Macdonell ERE. VIII, 142 f. 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil. -hist. Klasse. 1918. Heft 4. 31 



462 H. Oldenberg, 

und des Suparnadhj-aya (mit den dort hinzuzudenkenden Prosa- 
erganzungen). Dies ist eben der eigenartige Grundzug dieser in- 
dischen Entwicklungen. dab bier durcbaus vom prosaisch-poetischen 
Typus auszugeben ist‘). Fiir die Zeit der eben genannten Texte 
liegt kein Grand zur Annahme vor, dab es neben ihrem Typus 
nocb einen von ibnen verscbiedenen des bbberen , eigentlicben 
„Epos“ gegeben babe. Das Gedicbt von Sanabsepa veranscbaulicbt 
vielmebr ofFenbar den bbcbsten, feierlicbsten Stil des Erzablens, 
den man damals kannte. Jiingere, weiter entwickelte, in mancber 
Hinsicbt variierte, minder feierlicb gebaltene Exemplare dieses 
Typus liegen dann in den Jatakas vor. Und aucb das Bbarata 
und die Ramadicbtung sind durcb eben dies prosaiscb-poetiscbe 
Stadium bindurcbgegangen ■^) ; wir werden sie uns da,, wie die er- 
baltenen Reste des Urbbarata zn bestiitigen scbeinen, von ibrem 
grofieren Umfang abgeseben, vielen Jatakas ahnlich vorzustellen 
baben. Eiir das Problem, wie sicb dann das Herauswachsen der 
rein poetischen Epen aus dieser Vorstufe vollzogen bat, geben 
uns die oben dargelegten Beobacbtungen iiber das Vordringen der 
poetiscben Form in den Jatakas Fingerzeige, die man freilicb nicbt 
liberscbatzen, denen man nicbt allzu unbedingt folgen wird. Denn 
statt um die massenbaften, leicbt veranderlicben Produktionen 
dieser Erzablungsliteratur bandelt es sicb ja auf der andern Seite 
um wenige, umfanglicbe, allem Anscbein nacb scbwerer wandelbare 
literariscbe Scbbpfungen. Dab die etwa der Reibe nacb durcb die 
Stadien batten bindurcbgeben miissen. die sicb an den kleinen Er- 
zablungen beobacbten lassen. ware natiirlicb eine gewagte Annabme. 
V on einer andern Seite geben uns dann einen in mancber Hinsicbt 
bestimmteren Anbalt dafiir. uns den Ubergang von der alteren 
zur jiingeren Erzablweise vorzustellen. solcbe Beispiele wie die 
Gescbicbte von Konig Sibi mit Falk und Taube. die im Epos so- 
wohl in der altertiimlicben prosaiscb-poetiscben wie. an zwei Stellen, 
in der gewohnlichen epischen Erzablweise vorliegt, und weiter 
vor allem die Suparnagescbicbte, von der wir so gliicklicb sind 
das prosaiscb-poetiscbe Exemplar zu besitzen, welches — oder ein 
ibm ganz ahnlicbes — einer der -Mitarbeiter am Mababbarata be- 
nutzt bat. als er die dort vorliegende rein poetiscbe Fassung ge- 


1) Die in vedischen I’exten fur gewisse rituelle Gelegenlieiten erwiilinton 
knrzen, eventuell mit Instrumentalbegleitung gesungenen Strophen preisenden In- 
halts zu Ehren von Konigen liegen von den hier zur Betrachtung stehonden Ge- 
hilden durchaus ali. 

2) ^gl. meine Abliandlung ,.Zur Gescbicbte der altindiscben Prosa‘', S. 03. 



Jatakastudien. 


463 


staltete: auf die hochst lehrreichen an diesem konkreten Fall zn 
machenden Beobachtungen liber die Wandlung der alien in die 
neue Form denke ich demnacbst znriickznkommen. 

Ich nehme also an, nm es noch einmal mogKchst bestimmt 
auszndriicken , daB der Erzahlungstypns des Jataka einst aucb in 
Werken geberrscbt hat, denen man schon fiir jene Zeit gewifi 
nicht das voile Recht bestreiten wird als Epen zu gelten. Fort- 
schritte des kiinstlerischen WoUens und Konnens — vermntlich 
daneben auch solche des Schriftgebrauchs — haben dann zu der 
neuen, in den Epen herrschend gewordenen Form gefiihrt, welche 
die friiher in einer gewissen Selbstandigkeit einzeln dastehenden 
metrischen Einlagen in den groBen FlnB der nunmehr aasschlieB- 
lich metrischen Gesammtdarstellung auflbste und entsprechend die 
durch jene Einzelstiicke durchgehenden Wiederholungen zuriick- 
drangte. Wie daneben in andern Entwicklungslinien (Paucatantra, 
Jatakamala) der alte prosaisch-poetische Typus festgehalten und 
anch hier wieder eigenartig weiter entwickelt wurde, werde ich 
hinsichtlich einer der da entstandenen Formen. derjenigen der Ja- 
takamala, alsbald zu berllhren haben. 

Was noch speziell das chronologische Verhaltnis zwischen Ja- 
takas nnd Epen anlangt, so ist natilrlich nicht vollkommen gewiB, 
daB wir dieses kurzweg nach dem entwicklimgsgeschichtlichen zu 
beurteilen haben. Die Mbglichkeit laBt sich nicht abweisen, daB 
die literarische Praxis der altbuddhistischen l^louche noch auf pri- 
mitiverer Stufe verblieb, als die raschere Beweglichkeit weltlicher, 
hofischer Kreise schon dariiber hinausgeschritten war. Solches 
Bedenken wird dadurch nicht beseitigt, daB ahnliche Gegeniiber- 
stellungen des iilteren und jilngeren Stils . wie sie hiei^zwischen 
Jatakas und Epos vorgenommen wurden, wesentlich in der gleichen 
Weise auch zwischen der Hauptmasse des Epos uad einigen alteren 
in das Mahabharata selbst eingespreiigten Partien ausfiihrbar sind. 
DaB sich hier etwa dasselbe Bild fortschreitender Bewegung er- 
gibt, wie zwischen den Jatakas und der Hauptmasse des Epos, 
wiirde liber die chronologische Frage natilrlich nur dann entschei- 
den, wean eben das feststande, was nicht feststeht : daB das inner- 
lich Gleichartige auf beiden Seiten immer auch gleichzeitig ge- 
wesen sein muB. Vollkommene Sicherheit wird sich hier schwer- 
lich erreichen lassen. Immerhin sind doch wohl die Indizien, die 
der Jatakapoesie das hbhere Alter zuzuweisen scheinen, auf dem 
hier betrachteten Gebiet des Stils wie llbereinstimmend damit auf 
manchen andern Gebieten so breit gelagert, dafi man jener zu- 


31 * 



464 


H. Oldenberg, 


nachstliegenden Ansicht des Zeitverhaltnisses die -weitaus iiber- 
wiegende ‘VTahrscheinliclikeit unbedenklich zusprecken wird^). 

Zum A’erhaltnis der Jatakas und der J atakamala. 
Unsre Beobachtungen iiber deu Stil der Jatakas zu stutzen scheint 
es endlich nock zweckmafiig, an einigen Stellen die spatere, kunst- 
mabige Ansgestaltung ihres alten Textes in der Jatakamala^) 
zn vergleicken. Man beacbte, daC die Jm. nicht an sich selbst den 
Gegenstand der folgenden Bemerkungen bilden soil, beispielsweise 
nicbt etwa die Praxis ihres Verfassers der Theorie des Alamkara 
gegeniibergestellt werden wird. Vielmehr geht die Absicht allein 
dahin, durch ihren Kontrast verstarktes Licht auf die Eigenart 
der Jatakas zn werfen. 

Es handelt sich znnachst um die Rolle, die im Ganzen der 
Erzahlungen den Yersen zufallt. Sodann um deren stilistisches 
Aussehen. 

In der Jm. sind die Geschichten ungefahr — was natiirlich 
mit einiger VYeite verstanden werden muB — gleichmaBig mit 
Yersen durchsetzt. Hat das zn Grunde liegende Jataka wenige 
Yerse, wie das einversige 40 oder das vierversige 316, so fiigt 
Jm. (lY bz. YI) massenhaft Yerse hinzu. Anderseits bei einem 
ausnahmsweise ganz in Yersen verfaBten J. (516) setzt Jm. (XXIY) 
an vielen Stellen Prosa ein, nm das allgemein geltende Yerhaltnis 
anch hier aufrecht zn erhalten. In der Diktion der Yerse nnd 
der Prosa zeigt die Jm. die gleiche Kllnstlichkeit. Die Yerse 
aber kann ein mit dem J. Vertrauter nicht lesen, ohne zn emp- 
finden, daB da neben den Bearbeitnngen der alten J.verse fort- 
wahrend Yerse nnd Yersmassen erscheinen, die anch wenn man 


Ij Wenn in den vorstelienden Untersuchungen unternommen ist, dem Stil 
der Jatakas verglichen mit dem jiingeren, dem episclien, seine Stelle anzuweisen, 
entstande nun die Aufgabe, entsprechende stilistisehe Vergleiobungen mit dem 
alteren, vediscben Erzablungsmaterial vorzimehmen, das natiirlich viel sparlicher 
zur Verfugung steht. Viel Tiird sich da freilich kaum ergeben. Halten wir uns 
etwa an die Sunahsepageschichte, so scheidet deren Prosa fur unsern Zweck im 
Wesentlichen aus, da wir alte Prosa der Jatakas (bekannte Ausnabmen abge- 
rechnet) ihr ja nicht gegennberstellen kbnnen. Und die Verse liegen inhaltlich 
von denen der Jatakas so weit ab, daC von Vergleichungen nicht allzu viel die 
Rede sein kann. Trotzdem, meine ich, wird man die — in rein chronologischer 
Hinsicht ja ohnehin uber jeden Zweifel feststehende — hohere Altertumlichkeit des 
ifaunahsepam deutlich cmpfinden, wenn man etwa die dortige Behaudlung des 
Themas vom Vater, der seinen Sohn toten will, mit Analogem aus den Jatakas 
vergleicht (so Mr. 531. 53S. 542, vol. V p. 301 if.; VI p. 11 ff. ISofif.). 

2) Ich bezeicbne diese als Jm. gegenuber Jataka = J., die Nummern von 
Jm. mit lateinischen, die von J. mit arabischen Ziffern. 



Jatakastndien. 


465 


sie sicli in den schlichteren Stil von J. iibertragen denkt, dort 
nicht leicht stehen warden. So die den edlen Cliarakter des 
Helden schildernden Verse, welche die Jm. gern in den Eingang 
ihrer Geschichten setzt; Sckilderungen von Naturszenerie oder 
einem Naturvorgang, wie dem Lotusteich XXII, 8ff., dem Seesturm 
XIV, 3ff. , weiter von weiblicher Schonheit XIII, 4 ff., n. dgl. 
mehr. Das J. bat die Grenzen fiir die Verwendnng von Versen 
eben enger gezogen. Im Eingang des Ummadantijataka (527, vgl. 
XIII) sagte gewifi auch in alter Zeit die Prosa, wie die Attba- 
vannana es tut, dafi jene Frau scbon war: das wird in diesem 
Kommentar kurz in allgemeinen Ausdriicken konstatiert, und fiir 
das bbbere Altertum von J. mogen wir uns solcbe Konstatierang 
in Worte gekleidet denken, wie die kanonischen Texte sie von 
einer scbonen Frau zu braucben pflegen; sie war ahMrupa dassa- 
niya pdsadilm imramdya vcoinapoJcldiarataya samannclguta. Spricbt 
dann eine im J. auftretende Person ihre Bewunderung der Scbon- 
beit ans, so kann deren Rede wobl eine Bescbreibang, sogar eine 
ansfubrlicbe Bescbreibang enthalten. Im unparsonlicben Zasam- 
menbang der Erzahlang aber wird derartiges — gewisse Aas- 
nabmen abgerecbnet, vgl. oben S. 449 — vermieden. Oder rich- 
tiger, nicbt eigens vermieden; es liegt von selbst fern. Das J. 
greift eben nocb nicbt wie die Jm. nacb vblligem Belieben znr 
metriscben Form um sicb iiber irgend ein Tbema, das dazn einladt, 
in verberrlicbender Rbetorik zu verbreiten. Sondern nocb wird 
die Darstellungstechnik von alt liberkommenen, mit den Ersprungen 
der prosaiscb-poetiscben Form zusammenbiingenden Begrenzangen 
des Versgebraucbs beberrscbt. End wenn, wie wir geseben haben, 
dock aucb Tendenzen einer Lockerung und Uberwindung dieser 
Grenzen an mancben Stellen wirksam sind ^), so ricbten sicb die 
ganz iiberwiegend anderswobin als auf jenen spater in Jin. ver- 
wirklicbten Zustand : es handelt sicb vielmebr um Entwicklung der 
Prosaerzablung mit Verseinlagen in der Ricbtung auf reine Vers- 
erzahlang, als darum, Verseinlagen, die in friiherer "VVeise und mit 
der friiberen Geltung Verseinlagen inmitten von Prosa bleiben, 
auf jedes beliebige Tbema auszudehnen. So deutlich, was ja nicbt 
erst ausgefiibrt zu werden braucht, gescbiebtlicber Zusainmenhang 
zwiscben der alten und der modernen Gestalt der Jatakas auch 
in der Stellungnabme zur Alternative von Poesie und Prosa her- 


1) Es ist noehmals daran zu eriuuern, dal3 diese Tendenzen sicli nur bei 
einer verbaltnismafiig kleinen Zabl you Jatakas zeigen. Eine Besprechung, die 
eben auf diese F.dle gerichtet ist, laBt das leicht vorgessen. 



466 


II. Olden berg 


vortritt, so entschieden zeigt sicli eben binsichtlich solcher Aus- 
dehnang die altere Tecbnik als vor einem Umwandlungsprozefi 
liegend, der sich in der jiingeren als vollzogen, als vielleicht langst 
vollzogen erweist. — 

Die Verse der Jm. zerfallen von Natnr in drei Kategorien: 
zuerst die nicbt sehr hanfigen, die ans J. im Wesentlicben nnver- 
andert beriibergenommen sind und infolgedessen begreiflicberweise 
von den iibrigen sich merklich abznheben pflegen^); sodann ans 
dem J. stammende, aber nmgearbeitete Verse; endlich solche, die 
vom J. nnabhangig sind. 

Uns interessiert hier natiirlich die zweite Grnppe. Ich stelle 
fiir einige charakteri.stiscbe Falle die tJbersetzung von Vorbild 
nnd Nachbild neben einander. 

Der Gatte der schonen Fran bietet sie dem Konig an. Jm. 
XIII, 29. „0 Wunschspender, freilich (kamada kdinarn: nicht wieder- 
gebbares Wortspiel) ist sie mir lieb. Und eben darnm whnscbe 
ich sie dir zu geben. Denn wer Liebes gibt, der Mensch emp- 
fangt in jener Welt (als Lobn) Liebes, das hocb begliickt." J. 527, 
29; ,,l\Iannerbeherrscher, dn weifit, sie ist mir lieb. Xicht ist sie 
mir nnlieb, o Erdbehiiter. Um Liebes gebe ich dir die Liebe, 
Mannerbeherrscher. Die Geber von Liebem, Konig, empfangen 
Liebes." Der jiingere Dichter hat die altertiimliche , kindliche 
Fignr „lieb, nicht nnlieb" (derartiges findet sich in der kanonischen 
Sprache des Bnddhismus hanfig) getilgt. Anch die Beseitignng 
der nnbefangenen zweimaligen Setznng von , Mannerbeherrscher" 
ist gewiO kein Zufall. Dafiir Hinzufiignng des Ornaments in ka- 
mada Mmam, nnd bestimmtere Ansmalnng der ZnknnftshofFnnng. 

Der Konig hat dem bettelnden Brahmanen seine eignen Angen 


1) Es kebrt also hier, vie nicht anders zii ervarten, dieselbe Diskrepanz 
vieder, die auf dem Gebiet der buddhistischen Kunstdichtung bei einer andern 
Gelegenheit (N6GW. 1912, 203A.) von mir fiir Asvaghosa, und vielfaltig fiir die 
jungere kanonische Literatur aufgeviesen ist. Es braucht kaum noch eigeus dar- 
auf hingewiesen zu werden, daC wenn die festgewurzelte Geltung der alten Ja- 
takaverse, unbeschadet redaktioneller und gelegentlich anch mehr als nur redak- 
tioneller Textverschiedenheiten, sich bestandig in der Jm. kundgibt, das eben nur 
ein Spezialfall eines allgemeinen fur die nurdliche Literatur geltenden Verhalt- 
nisses ist. Zahlreiche Beispiele liefert das Mahavastu. Aus andern Texten greife 
ich zunachst den Widerschein heraus, den Yerse der Mittavindakagescbichten im 
2iorden gefunden haben; J. 309 v. 2 (vgl. 82 v. 1) vgl. Avadanasataka Xr. 30; 
J. 439 V. 5. 9 vgl. Avadanasataka ebend., Divyavadana p. 007 Z. Ilf, AVeiter 
J. 316 V. 4 vgl. Avadan. X'r. 37. Das sind wenige Ealle, die ich eben zur Hand 
babe. Eine planmafiige Durcharbeitung der nordlichen Jatakaparallelen ware 
bochst ervunscht. 



Jatakastudien. 


467 


gegeben. Jm. 11,29; „Darauf der Konig, als er seine Augen hin- 
gegeben hatte, sein Antlitz lotuslosem Lotusteich abnlich, empfand 
Befriedigung, die nicht geteilt ward von den Bnrgern. Doch in 
vollem Besitz der Augen sab man den Brabmanen^. Gegeniiber- 
stebt der scbon oben S. 448 beriibrte Vers J. 499, 16 (vol. IV 
p. 408), in der Erzablung der Begebenbeit etwas weiter znriick- 
reicbend: „Anf des Sivikonigs Befebl (der Arzt) Sivaka, seinem 
Wort geborsam, des Konigs Augen berausnebmend bot sie dem 
Brabmanen dar. So batte der Brabmane Augen; blind setzte der 
Konig sicb nieder“. Der jiingere Dicbter bat die Xaivetat der 
letztenWorte beseitigt, dafiir durcb den preziosen Vergleicb vom 
Lotusteicb — dabei ein pompbaft langes, deutscb nicbt wieder- 
gebbares Kompositum — und durcb die Hervorhebung der ent- 
gegengesetzen Empfindung von Konig und Biirgern den Vers in 
seiner Weise ausgescbmnckt. Der Scblicbtbeit des alten Boeten 
lag dergleichen fern. 

Der verirrte Wanderer findet einen Baum mit Frlicbten. Er 
klettert auf einem Ast des Baumes entlang. Jm. XXIV, 2 (mit 
einigen dem Vers vorangebenden Prosaworten) : „und aus Begier 
nacb den Frlichteu drang er bis zu seinem (des Astes) Ende vor. 
Dar auf tie! jener Ast dieses erderwacbsenen (Baumes), durcb das 
GewicbtsiibermaB gebeugt und durcb seine Diinnbeit, wie vom 
Beil wurzeldurcbbauen, mit Getose zerbrecbend plotzlicb nieder.^ 
J. 516, 13 f.: „Ungesattigt erstieg icb den Baum: ‘Dort werde ich 
micb satt essen’. Eine (Frucbt) batte icb gegessen; nacb der 
zweiten verlangte micb. Da zerbracb der Ast wie mit einem Bed 
zerbauen.“ In Jm. viele Abstrakta: „aus Begier nacb den Friicb- 
ten‘‘, wortl. „aus Frucbtbegier“, wogegen J. sehr konkret „da 
werde icb micb satt essen* ; dann: „durcb das GewicbtsiibermaB*, 
„ durcb Diinnbeit*. Viele erklarende, ausmalende Ziige ; in J. nicbt 
mebr als der schlicbte UmriB des Vorgangs. 

Schliefilicb ein Gleicbnis des Konigs, der die ibm angebotene 
scbone Frau (oben S. 447) ablebnt, die koniglicbe Pflicbt des Recbt- 
bandelns betont. Jm. XIII, 39 : „Wie des Stieres verkebrtem oder 
geradem Vorgang die nacbwandelnden Kiibe nacbfolgen, so die 
Untertanen, ungestoBen vom Haken ‘) des Zweifels, den sie von 
sicb geworfen baben, dem Wandel des Landbebiiters (Konigs).* 
Diesem einen Vers liegen vier des J. 527, 48 — 51 zu Grunde: 

„Wenn Kiibe (einen Flub) iiberscbreiten und der Stier ver- 
kebrt gebt, dann geben sie alle verkebrt, da ibr Fiibrer verkebrten 
Gang nimmt. 

1) Es scheint an den Ilaken gedackt, mit dem der Elefant gelenkt wird. 



463 


H. Oldenberg, Jatakastudien. 


„Ebenso unter den Mensclien wer am hoclisten angesehen ist : 
wenn der ungerecht wandelt, um so viel mehr das iibrige Volk. 

„Wenn Kiihe (einen Flufi) ubersehreiten und der Stier richtig 
geht, dann gehen sie alle richtig, da ihr Fiihrer richtigen Grang 
nimmt. 

„Ebenso unter den Menschen wer am hbchsten angesehen ist: 
wenn der gerecht wandelt, um so viel mehr das iibrige Volk.‘' 

Hier die Altertiimlichkeit der endlosen Wiederholungen zwi- 
schen den vier Versen; dort sind die weggeschnitten Dazu 
hier im Innern des ersten und dritten Verses die Wiederholung ; 
„wemi der Stier verkehrt (richtig) geht“, und „da der Fiihrer 
verkehrten (richtigen) Giang nimmt‘'. Auch das ist weggeschnitten. 
So ist in dem einen Verse anstelle der vier Raum gewonnen, 
den Seelenzustand der Untertanen zu schildern, die von Skrupeln 
geplagt waren, bis sie sahen, wie der Fiirst handelt; nun sind sie 
von dem inneren Stachel hefreit. Solche Subtilitat liegt dem J. 
fern. — 

Auch aus diesen Vergleichungen wieder, die ich nicht weiter 
ausdehne, tritt, scheint mir, dieselbe schlichte Altertiimlichkeit von 
J., die wir so vielfach beobachteten, anschaulich hervor. 


1) Beseitigimg von Refrains und dgl. des J. lafit sich in Jm. ofter beobachten, 
So bei den Reden der vier Tiere in J. ;316 = Jm. YI, bei den Eiden iiber die 
gestoblenen Lotusfasern J. 4SS = Jm. XIX; statt des immer gleicben tVortlauts 
ist wecbselnder eingefubrt. 

2) Begegnet es infolge dieser ^Yiederbolungen des Schemas dem Verfasser 
von J. nkbt, et>vas zu sagen, das er eigentlicb nicbt batte sagen wollen? Dad 
wenn der Konig sundigt, die Untertanen erst rocbt sundigen, ist verstandlicb. 
Aber daB wenn der Konig gut bandelt, die Untertanen das erst recbt tun? 



Der Ar2;onaiitenkataloa’ in Hvains Fabelbiidi. 

Yon 

Carl Rolbert. 

Voi'gelegt in der Sitzung vom 21. Februar 1919. 

Die dunkle und verwickelte Textgesckiclite der fabulae Hygiiii 
laBt sick wie ich glaube wenigstens fLir die letzten vor dem Frisin- 
gensis liegenden Pkasen durcli eine genaue Analyse der die Liste 
der Argonauten enthaltenden Id. Fabel bis zu einem gewissen 
Grade aufhellen. Dafi bier im -wesentlichen Apollonios zu Grunde 
liegt, ist bereits dem ersten Herausgeber Jacobus Micjdlus klar 
gewesen. Wir diirfen heute von vorne herein vermuten und werden 
es unten bestatigt finden, daB neben dem Dichtertext auch die 
Scholien benutzt worden sind. Aber der Katalog ist reichhaltiger 
als der des alexandrinischen Epikers. Hinter den Boreaden werden 
als Teilnelimer an der Fahrt eine Anzahl Heroen, darunter z. B. 
der Pelopide Hippalkimos, Asklepios, Neleus, lolaos und Philoktet, 
aufgezahlt, die bei jenem fehlen. Gegen die Athetese dieser Li.ste, 
die Moritz Schmidt vorgenommen hat, ist von Otto Jessen in der 
trefflichen Berliner Dissertation Prolegomena in Argonautarum 
catalogum p. 21 mit Recht Einspruch erhoben worden. Wir haben 
es hier mit einer von Apollonios unabhangigen und darum be- 
sonders wertvollen Uberlieferung zu tun. von der es dahingestellt 
bleiben mag, ob sie der Mythograph aus vollstandigeren Scholien 
Oder aus einerNebenquelle entnommen hat. Aufierdem aber hat Hygin 
liber die Abstammung und Heimat einzelner Argonauten Angaben, 
die nicht nur dem Apollonios unbekannt, sondern neu und iiber- 
raschend, ja zum Teil befremdend sind. So soil nicht nur der 
Opuntier Eurytion, sondern auch der Doloper Eurydamas ein Sohn 
des Iros und der Demonassa gewesen sein. und doch werden beide 
nicht zusammen, sondern an verschiedenen Stellen genannt. Der 



470 


Carl Robert, 


Steuermann Tiphys, nacli iibereinstimmeiider Sageniiberlieferuug 
ein Boeoter, erscbeint als Sohn des Phorbas und der Hyrmine, 
ware also ein Eleer. Als Vater des Schiffbaumeisters Argos wird 
auBer Polybos auch Danaos, an einer spateren Stelle sogar nur 
dieser allein genannt. Nun gehort es aber zum Wesen der alten 
Danaossage, daB der Xachkomme derlo nnrTocbter und keineSobne 
bat, so daB diese Angabe an Ptolemaios Hephaistion erinnert. 
Bernbt aucb dergleicben auf wertvoller Nebeniiberlieferung oder 
anf Textverderbnis ? Denn daB das Capitel durcb Namenscor- 
rnptelen, Umstellungen und Liicken stark entstellt ist, hat man 
schon langst erkannt. 

Wir wollen mit dem schon friiher festgestellten beginneu. 
Als Heimat des Euryiion, der wie gesagt ein Doloper ist, wird 
die eubbische Stadt Kerinthos angegeben ah oppido Cerintho. Dazu 
bemerkt Micyllus; Canthus, id Apollonius. Die Verse des Apol- 
lonios lauten I 77 f. uvrtcQ c<% Eb/lottj; Kdv&og xls, rov qu Kdptj&os 
TCEiX’XBv ’A^uvnddriS IshVi^Evov, ov ^ev epeXXsp vo6rrl0£iP Ki'iQi.pQ'op 
vn6TQo:cog. Mit Recht hat daher Mnncker vor diesen Worten den 
Ausfall von Canthus Canethi filius statuiert. Gleich darauf heifit es von 
Oilens, nachdem als seine Heirat nach allgemeiner mythischer Tra- 
dition die opuntische Stadt IsTaryx angegeben worden ist : alii aiunt 
ex Euhoea. Hierzu bemerkt Micyllus: Apolloninm non Itunc sed 
CantJium ex Euboea renisse ait, ckletar ergo haec clausula fransposita 
esse a lihrario. Da aber Oileus bei Apollonios unmittelbar nach 
Eurytion genannt wird, so ist es unwahrscheinlich, daB der My- 
thograph den Kanthos zwischen beide eingeschoben haben sollte. 
Nicht also sind die Worte ex Euhoea, sondern ah oppido Cerintho 
umzustellen. Mit Recht hat daher M. Schmidt angenommen, 
daB die Erwiihnung des Kanthos hinter Oileus und vor den fol- 
genden Eurytos-Sbhnen ausgefallen ist und dorthin vor alii aiunt 
ex Euhoea die verschlagenen Worte ah oppido Cerintho gestellt 
Xur durfte er das alii aiunt nicht stehen lassen. Diese Worte 
sind von einem Interpolator hinzugefiigt worden, der nun das ex 
Euhoea auf Oileus beziehen muBte und den Widerspruch mit ex 
ttrhe Earyce uberkleistern wollte. Hygin hat also geschrieben 
Canthus Canethi jilio ah oppido Cerintho ex Euhoea. 

Von Aethalides, dem Herold der Argonauten heiBt es: hie 
ostendit nullo modo centuuros ferro se posse vulnerare, sed truncis ar- 
horum in cuneiim adactis. Hierzu sagt Jlicyllus : videntur haec cor- 
rupte leyi et ad serpientem potius Cae^icuni referri dehere. Sic enim 
Apollonius [I 59 if.], ex cpio hue nndfa ad verhum etiam translata 
reperias: Kuipaa yaQ ^aop xsp stl hXbiovOcp doedoi KsvTavQOLCiv 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbucb. 


471 


okeeQca, oxi 6 (fBccg oiog an’ ukkcav il/.c: 6 ’ ciQiexy']cov' o’i d’ £finuki.v 6 q- 
liYj^ivxsg ouT£ [iiv ayAkivat, nQoxs^a ed'ivov ovxs dcci^at «AA’ a^grjxtog 
axaunxog idvesxo vEio&i ycdt]?, d-aivo^iavog 6 xi{iagrpi y.axatydrjv ala- 
X 01 V. Et de eodem in commeniario fere eadem verha sequiaitur, quae 
Me de Neptuno et nmnere eius citantur. Qiiamquam Apollonius non 
ipsiim Caenea, sed fUum Coroniim cum Argonautis profectum dicif. 
Tiber Kaineus also schreibt Hygin nacli den oben ausgehobenen 
Worten: Caeneus Elaii films, Magnesiiis. liunc ncnnulU feminam 
fiiisse dicunt. cui ptetenti Eeptumnn propter connuhhim optatiim de- 
disse, id in invenilern spieciem conversns mdlo ictu interfici posset. Das 
zu Grunde liegende Apollonios-Scholion aber lantet : I 57 pagv- 
d-avxai da h Kaivavg ngdxagoi/ yayovavai yvvp' alxa UosaLdavog avxfj 
n/.rjgucOavxog gaxa^kri^rp'ui alg uvdga' xovxo yag f/Ti;sa y.al axocoOu'.v. 
Aber mit einer einfacben Dmstellnng der Satze des liberlieferten 
Hygintextes ist es nicht getan. Denn zwei anf dieselbe Person 
beziigiiche Satze kbnnen wohl in einem Scholion, das verschiedene 
Quellen benntzt, jeder durch das Demonstrativpronomen eingeleitet 
asyndetisch neben einander stehen, nicht aber bei Hygin, der zwar 
anch contaminiert, aber die verscbiedenen Versionen entweder zu 
einer einbeitlichen Erzablung verarbeitet oder sie ausdriicklicb als 
Varianten bezeicbnet. Daber wollte Muncker den ganzen in die 
Besprecbung des Aetbalides verschlagenen Satz als eine anf Apol- 
lonios beruhende Interpolation tilgen ; kein gliicklicber Ausweg, 
da ja Hygin selbst, wie gesagt, in dem ganzen Capitel im wesent- 
lichen den Apollonios parapbrasiert. Sollte er in diesem Falle nnr 
das Scholion ansscbreiben und nicht anch die Verse, zn denen es 
gehbrt? Es muB also bei der TJmstellung bleiben. Aber unmog- 
lich kann der Satz vor: Jianc nonnulli feminam fuisse dicunt etc. 
gehoren, wohin ibn Bunte und M. Schmidt verweisen; nicht nur 
weil der Tod des Kaineus nicht vor seiner Verwandlung erzahlt 
werden darf, sondern anch weil die ihm von Poseidon verliehene 
IJnverwundbarkeit die Voraussetzung fiir seine Todesart ist. An 
ut ill iuvenilem speciem conversns mdlo ictu interfici posset kann nun 
freilich Me ostendit mdlo niodo Centauros ferro se posse ridnerare nicht 
anschlieBen, weil das Asyndeton sowohl ans dem eben angefithrten 
Grunde als wegen des Cansalnexus unertraglich ist. Aber es 
geniigt schon itaqne fiir hie zu schreiben, um diesem tJbelstand ab- 
zuhelfen. Allerdings wiirde man auch ein neues Praedicat fiir den 
zweiten Satzteil wiinschen und es ist zn erwagen, ob nicht necatus 
est hinter adaefis einzusetzen ist. Kun leuchtet es ein, daB es 
sich hier nicht um eine einfache Corruptel und um eine Satzver- 



472 


C arl Kob ert . 


stellung durch ein Sehreiberversehen ') handelt. Yielmehr ist der 
Tatbestand der, daB. wie in dem zuerst besprochenen Fall, im 
Arcbetypns des Frisingensis ein Satz aasgefallen, diesmal aber am 
Eand nacbgetragen war. Er ist dann an eine falscbe Stelle ein- 
gesetzt worden, und da dort die Causalpartikel keine Beziehung mehr 
hatte, ist sie durcb das Demohstrativpronomen ersetzt worden, 
das Hygin nach dem Vorbild der Scholiasten zur Ankniipfung mit 
Yorliebe verwendete-). Hier haben wir es also mit einer will- 
kiirlicben Andernng zu tun. Der Ansfall scbeint schon erfolgt 
gewesen zn sein, als binter nuVlo ictu inferfici posset die rationa- 
listische Bemerkung interpoliert wurde: quod est nnnqucm factum 
neque fieri jiotest ui qnisquarn morialis non posset fcrro necari aut ex 
nutliere in virum converii. Ob dieser Interpolator derselbe war, 
der den Satz vom Tod des Kaineus an falscbe Stelle eingefiigt 
bat, lassen wir dabingestellt. 

Aber aucb die im Frisingensis dem verstellten Satz unmittelbar 
voransgebenden ^Yorte urbc Gyrtone konnen sicb. wie bereits 
ScbefFer geseben bat, nicbt auf Aetbalides bezieben. Hygin konnte 
wobl scbreiben TItessaJus ex Larissa oder Thessahis ex Gyrtone, aber 
nun und nimmer Larissaeas ex Gyrtone, wenn aucb beide Stadte 
einander benacbbart waren. Yielmebr ist G-yrton die Heimat des 
Kaineus und seines Sobnes Koronos, Apollon. I 57 f, 6' 

c'.cfvsiriv TtQoliitav rvgrSyvu KoQcavos Kcavsidy;. Auf diese ^Yorte 
gestiitzt nabm Scbetfer an, daB zwiscben Larissaeas und urbe Gyrtone 
der Name Koronos aasgefallen sein, und Bunte und M. Scbmidt 
sind ibm bierin gefolgt. Aber daB Hygin Yater und Sobn un- 
mittelbar binter einander als Argonauten aufgezablt baben sollte. 
obne auf das verwandtscbaftlicbe Yerbaltnis ausdriicklicb binzu- 
weisen, ist nicbt sebr wabrscbeinlicb ®). Yielmebr folgt er bier 

1 Hingegen sclieiiit ein Bolches in dem Satz liber Admet vorzuliegen, der 
mit den Worten sehlieBt monte ChalcoJonio, unde oppidnm et fhimen nomen fraxlf. 
Der Xame des Berges ist dem Apollonios entnommen I 50 iiTtb ay.OTtiijv ogeog 
Xul-Ao Son’ C olo, .aber eine Stadt und ein FluD dieses Namens sind sonst nioht be- 
zeugt und ihre Existenz i.st nicbt gerade rvanrscheinlich. Nun sagen aber die 
Scholien ui Sfgizi Covouae^r^aav cnt'o (ffojjro? rov Korid’eag, tov 'ASurirov xov 
naxQog. Also gehort der Relativsatz binter Pheretis filiurn, und rrenn aucb ein 
Fluijchen Pheres sonst nicbt vorkommt. so k.ann man doch eher an es glauben, 
als an einen Cbalkodon. 

2j So durchgehend im zweiten Buch der Astronomica. 

o, Anders liegt der Fall n'eiter unten, wo Hygin die Liste des Apollonios aus 
verschicdenen Nebenquellen, vielleicht aus vollstiindigereii Scholien ergiinzt, und 
iwei weitere Suhne des Kaineus, Focus und Priasus (die Namen sind noch nicbt 
gebeilt) ncnnt. Beachtenswert ist daB er aucb als deren Heimat Magnesia be- 
zeichnet. 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbuch. 473 

niclit clem Apollonios, sondern dessen Scholiasten, bei dem wir 
lesen riveg ds (fast Kuivta 6vit:i?.£vGut, roig 'Agyavuvraig, ov Kogavov. 
Die Worte urle Gijrtone oder wie man nach dem festen Sprach- 
gebrauch Hygins scbreiben mnB, {ex) nrhe Gyrtone beziehen sich 
also anf Kaineus und gehoren hinter Caeneus Ehdi fdiits Mag- 
nesius, Sie sind dort ausgefallen. am Rande nachgetragen nnd 
spater an falscher Stelle eingefiigt worden. Scbwierigkeit macbt 
dann nnr nocb der angefiigte Relativsatz quae est in Thessalia. 
Ibn in die TJmstellung mit bineinzuzieben geht nicht wobl an; 
denn Magnesius ex urhe Gyrtone quae est in Thessalia wird Hygin 
schwerlich geschrieben haben. LaBt man ilin aber an seinem alten 
Platz, so erhalt man Larissaeus, quae est in Thessalia, was ebenso 
nnmbglicli ist. Vielleicht liegt aber liier derselbe Fall vor, wie wir 
ihn unten an einer ancleren Stelle bei den Dioskuren finden werden, 
wo der Interpolator Sqiartanos aus ex urhe Sparta gemacht hat. 

Nach einer anderen Version hieB der Yater des Kaineus nicht 
Elatos, sondern, wie sein Enkel, Koronos, Apollodor. I 9, 16, 8. 
Diese Angabe fand Hygin in einer seiner Nebenquellen, nahm 
daher unter den Argonauten einen doppelten Kaineus an und 
schrieb weiter unten: Catneus alter, Coroni filius, (ex) Gyrtone. 

Noch eine Bemerkung zu den mit Recht beanstandeten Worten 
tru.ncis arhoruni in cuneum adactis. DaB sich die Kentauren der 
Baumstamme bedienen, um den gegen Eisen gefeiten Kaineus zu 
toten, versteht man; aber was soil es heiBen, daB sie diese Stamme 
zn einem Keil aufschichten ? Scheffer wollte in cmnitlum adicciis 
nach Ovid. Met. XII 514 f. ohrutus immani cumulo sub pondere Cae- 
neus aestuat arhoreo, Muncker in euin conieetis (oder congestis) nach 
Lactant. arg. Met. XII 4. eongestisque in eion arhorum truncis 
schreiben ; diesen Gedanken griff Bunte auf, indem er annahm, daB 
cuneum aus einer iibergeschriebenen Glosse Cacneum verderbt sei. 
Aber Hygin hat die in den Scholien citierte Pindar stelle (fr. 167 
Schr.) im Auge: b 6s ilagaig sXdxaiGi rvxslg vjto 

Kaivsvg OxCoaig bg&a nodi yccv. Auf den unverwundbaren Kaineus 
kommen die Kentauren mit ihren Fichtenstammen los, bis sie ihn 
in die Erde hineingetrieben haben — wie einen eisernen Keil. So 
stellen auch die zahlreichen Bildwerke die Sache dar, nur daB 
sich dort die Kentauren auBer den Stammen auch machtiger Fels- 
blbcke bedienen. Ovid hat den Vorgang mifiverstanden, wenn er 
Kaineus unter den Stammen ersticken laBt. Hygin hat also ge- 
schrieben: truncis arhorum {ut) in cuneum adactis. 

Eine iihnliche Satzumstellung, die ebenfalls auf Auslassung, 
Nachtragen am Rand und Einsetzen an falscher Stelle zuriickzu- 



474 


f a r I Robert, 


filhren sein wird, bat Berkel in dem Abschnitt erkannt, der von 
den Platzen, die den vornebmsten Helden in der Argo einnabmen, 
bandelt, der jedoch nicht dem Apollonios, sondern einem Autor 
entnommen ist, den sicker auch Valerius Flaccus ^), vielleicht auch 
Philostrat-) benutzt hat. Am Vorderteil sitzt der scharfblickende 
Lynkeus ; das Commando iiber die beiden Ruderreihen fiihren die 
Boreaden, die beiden ersten Platze unter den Rudern nehmen die 
Aeakiden, die letzten Herakles und Idas ein. Orpheus gab durch 
Gesang und Spiel den Tact an: proreta navigavit Lynceus Apliarei 
qui midtum vklebut, toecharchi^) aatcm fuerunt Zetes et Calais 
Aqitilonis filii. qui pennas et in capife et in pedibus Jiabuerunt. ad 
2yi'orae [prora et Fr.) renios sederunt Peleus et Telamon, ad pitidiim 


1) Argonaut. I 853 if. hitic laevom Tel amo >i pehtgus'tenet, altior inde occupat 
Ale ides edited mare. 403 if. nec P ele us fretus soceris et coniuge dica defuit, ac 
prora splendet tua cuspis ah alto, Aeac ide 460 if, breciore petit iam caerida renio 
occupat et longe siia transtra novissimus Idas, at frater magnos Lynceus 
servatur in ttsus, guem tulit Arene, piossit epci rimpere terras et Styga trans- 
misso to.citam deprendere visa, fluctibus e mediis terras dahit ille magistro et 
dabit astra rati, cutnque uethera luppiter umbra perdiderit, solus transibit nubila 
Lynceus. quin et Ceropiae prole.s racat Oritliyiae, temperet ut tremulos 
Zetes frateregue ceruclios ("rgl. Artemid. II 2:3, unten A. 8). nec vero Odrysius 
transtris impenditar Orpheus out pontura remo subigit, sed carmine tonsas 
ire docet, summo pjassim ne gurghe pugnent. S. O. lessen a. a. O. 21; Maria Goetz 
de scholiastis graeois poetanim romanoriirc auctoribus quaest sel. (Diss. Jen. 191S) 68. 

2j Imag. II 15, 1 y.al ^tXyti tip- ^ciXarrav ’Ogrfsvg &d'coi\ rj d'i ayovsi 
v.cii veto t]j &6fj ytirca 6 Tlovrog, td usv orj aymyiixa rfjs vscog Aioayovgoi y.ai 
'Hq ay.7. tjg Alu-/.{bi<i re y.al Bo g edS a i y.al oaov rgg rjui&eov qtoa&s rjv&et. 
3 y.al Tittpvg yev, co rtaf, y.v^sgvg, Xeysrai S'e oiroal ttgarog dvd'ocaTiav artiarov- 
fiavrp' &aQQriaai, rip reyj’rp, .ivyy.e 'vg de b ’Atpagsojg eziirerayrai rfi Ttgaiga, 
Seivbg cov ev. rcoXXov rt iSeiv y.al eg ttoXv y.ara^X.expai rov jSd-d'ovg y.al ttgarog tier 
vTtov.eiysvav egucWojv ataiteci&ai, eegatrog 6i hrtotpaivovauv ygv amc.nuaQ'ai. 
Abgesehen von den selbstverstandlichen Dioskuren sind das dieselben Argouanten. 
die Hygin an der fraglichen Stelle nemit, aucli Tij)h\s, s. u. S. 475. 

Sj So Muucker fur das tutarclii des Fris. Vgl. Artemid. I 35 dgyei de ^e- 
QLveov filv 6 roiyagyog. II 23 y.al ru y.egag toy roCyagyov (eguaiveij. Poll. I 95 
6 be roiyagyog ovouagouevog Xoyco dv X.eyoiro roiyoiv agyog. Luk, dial, meretr. 
14, 3 vvr ydg ijb'g roi'you dgyo) rov be^iov. 

i) Dies M oit hat Hygin offenbar aus seiner griechiselieii Vorlage beibehalteii : 
es bezeiehnet eigentlich den Kuderschlag, erhalt aber bei den Dichtern auch die 
Bedeutung ,,St'hifl'‘', Fur. Tr. 1123 veitg pev rtirvl.og elg XsXeipevog und dazu 
Schol. dvn rov pCa vavg. ^irvX,og yug rj y.attriX.aata, vgl. Tr. S17 f. big be bvQiv 
rtirvXoiv reCyg negl AugSaviag rpoivia v.areXvaev alyuc.. I. T. 1050 y.al pijy vemg 
ye TtirvXog evgggg rtcLgu. Durch ad pitylum wird also, abgesehen von der mi- 
passenden Praeposition, der Platz des Herakles und Idas in der Argo, der, vvie 
wir aus ^ aler. PL I 4G1 (oben A. 1) entnehmen , der letzte in jeder Reihe war 
nu'ht naher bezeiehnet. Es avird zu schreiben sein- ad pitu<li gubernaciOhnn. 



Der Argonaiitenkatalog in Hygins Fabelbiicli. 


475 


sederunt Hercules et Idas, ccteri ordinem servavernnt. celeuma dixit 
Orpheus Oeagri filius. Hier stort die Bemerkung, dafi die vibrigen 
Argonauten die Eeihe beibekalten katten; man wiirde erwarten 
ceteri religiia transtra occiipaveriint, wenn dies nicht selbstverstandlich 
ware. Nun fabrt aber Hj'gin fort; post relicto ah (eis)^) Hercide 
toco eius sedit PeJeus. Also naebdem der den geraubten Hj’Iks 
suckende Herakles von den Argonauten in Mysien zuriickgelassen 
worden war, nakm Peleus seinen Platz ein, d. h. er rtickte von der 
ersten Stelle seiner Reike an die nock wicktigere letzte. Danack 
ist die Bemerkung, daB die iibrigen Argonauten ikre Platze be- 
kielten, durckaus angemessen, und der Satz ceteri ordinem servarerunt 
gekort also kinter Peleus. 

Auck am Anfang dieses Abseknitts ist, wie Muncker geseken 
kat, ein Satzeken ausgefallen, aber diesmal nicht am Rande nack- 
getragen worden. tJberliefert ist; juher Argus Danai filius, cuius 
post mortem rexit naveni Ancaeus Heptuni filius. Danack wiirde 
Argos nickt nur der Erbauer der Argo, sondern auck ikr erster 
Steuermann gewesen sein, aber davon weiB weder Apollonios etwas 
nock die sonstige IJberlieferung. Hygin selbst kat vorker in Uber- 
einstimmung mit der feststehenden Anschauung des ge.¥ammten 
Altertums Tipkys als den Steuermann bezeicknet, Tipligs Phorhantis 
et Phjrmines filius'-) Boeotius. is fuit guhernator naeis Argo, und 
etwas weiter unten erzahlt, daB nack dessen Tode Ankaios an seine 
Stelle trat : T'lpjhys autem morho alsumptus csi in Ilarijundinis in 
Propontide apud Lgcum regem, pro qua navem rex'it Colchos Ancacus 
Neptuni filius-, dasselbe wiederkolt er fab. 18; Tiphijs Phorhantis 
filius moritur, tunc Argonautae Ancaeo, Heptuni filio, navem Argo 
gubernandam dedere. Die Quelle ist Apollonios II 850 IF., aus dem 
auck Apollodor I 9, 23, 1 schbpft. Also hat Muncker mit Recht 
vor cuius post mortem die Worte guhernator fuit Tiphys einge- 
sekoben^). Auck in dem den SchluB des Capitels bildenden Citat 
aus Ciceros Pkaenomena sind drei Verse ausgefallen, okne am 
Rand nachgetragen zu sein. 

Von dem Tkestiaden Iphiklos keiBt es: Iphiclus alter, Thestii 
filius, mafre Leucippe, Althaeae frater ex eadem matre, Lacedaemonius. 
Hier miissen die Worte ex eadem matre befremden, zumal kurz 
vorker matre Leuc'ippe steht. Bei Apollonios findet sick nichts 


1) Burcli den einfachen Einscliiib dieses Wurtcheiis hat Perizonius die Stelle 
geheilt. 

2) I'ber diese unmogliche Genealogie 3. u. S. 470 f. 
f!) Vgl. Philostr. a. a. 0 S. 474. A. 2. 



476 


Carl Kobert 


ahnliches, wohl aber heifit es bei diesem von dem unmittelbar 
vorher genannten Oheim des Meleager, Laokoon, I 191 s. Aaoxocov 
Oivijog c.delcfEog' ov uev ys ego g, a/J.ci e yvin) rexs. 

Mit Eecht bat daher M. Schmidt die fraglichen Worte auf Laokoon 
bezogen und sie mit hinzugefiigter legation zwischen Oenei filius 
uad CuJydonitts gestellt; auch sed hatte er noch hinzufiigen sollen. 
Wieder waren diese Worte sed non ex eadem matre im Archetypes 
ausgefallen, sind dann am Rande nachgetragen, an falscher Stelle 
von einem Abschreiber eingesetzt und durch Tilgung der bei 
Iphiklos nicht passenden Negation in ihr Gegenteil verkehrt 
■worden. Dagegen hat Schmidt entschieden geirrt, wenn er auch 
die folgende Charakteristik des Iphiklos Me fuit acer^)-, cursor, 
lacidator an eine friihere Stelle unter den Arkader Ankaios gestellt 
hat ; denn eben von Iphiklos sagt Apollonios I 199 f. sv fisr axovri, 
Bi) ds xul iv eruSCiy Sadayy-ivog dvricfageod-ccL-), welche Worte Hygin 
paraphrasiert. Otto Jessen, der dies richtig bemerkt, hatte aber 
nicht so weit gehen diirfen, auch die Notwendigkeit der Um- 
stellung der Worte ex eadem matre zu bestreiten. 

Das sind die bisher erkannten Falle. Es sind ihrer aber viel 
mehr, und welche Verwiistung die Einfiigung der ausgelassenen 
Worte an falscher Stelle angerichtet, welch unmogliche Genea- 
logien sie geschaffen hat, welche Interpolationen sich die Ab- 
schreiber erlaubt haben, ist noch lange nicht im ganzen Um- 
fange beobachtet worden. 

Ich beginne mit einem Falle, auf den ich schon in den ein- 
leitenden Worten hingewiesen habe: Von dem beriihmten Steuer- 
mann der Argo heifit es: Tiplujs, Phorbanfis et Hijrmines filius, 
Boeothis. Hyrmine ist die Eponyme einer eleischen Stadt (11. B 
616. Strab. VIII 341. Pans. I 5, 1 s.) und demgemafi nach Pans, 
a. a. 0. eine Tochter des Epeios, nach Schol. Apollon. I 172 des 
Neleus. Phorbas ist allerdings ein verbreiteter Heroenname, 
sein beriihmtester Trager aber ist gleichfalls ein Eleer oder ein 
nach Elis eingewanderter Lapithe (Diod. IV 69), Grofivater des 
Kaukon und Ergrofivater des Lepreus (Zenodot bei Athen. X 412 
A; Aelian v. hist. I 24), Vater des Aktor, den er nach Pans. a. a. 0. 
mit derselben Hyrmine erzeugt, die ihm nach Hygin den Tiphys 
geboren haben soil. Um so mehr befremdet es, dafi der Mytho- 


IJ So -nird Areas z\\ lesen sein (aeWs Muncker] ; aber auch Zac«(2acmonj!«5 
ist Terd-ichtig. 

2) Das Vorbild ist II. O. 282 s, rro es von einem anderen Aetoler, dem 
Ihoas, heillt Micrduivos filv uy.ovti, ic&Xbs 6' iv OT/xSiTj. 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbucli. 


477 


graph diesen nicht als Eleer. sondern als Boeotier bezeichnet ^). 
Sonst heiBt der Vater des Tiphys nach einstimmiger Uberlieferung 
Hagnios, so daB man erwarten diirfte, diese Abstammung von 
Hygin wenigstens als Variante angefuhrt zu sehen und wieder an 
einen Ausfall denken wird. Nun ist aber Phorbas auch Vater des 
Augeias (Apollod. II 5, 5, 1) und von diesem heiBt es Schol. 
Apollon. I 172 ovrog yova plv fjv ‘HXiov, tm'xXriaLv ^OQ^avrog 
i'K r%g NiiXiag 'TQ^ivr,g. Den Anfang dieses Satzes liest man auch 
bei Hygin, und zwar auch mit Angabe der Mutter; also nach 
einer vollstandigeren Fassung des Scholions: Augeas Solis et Aaw- 
sidames (Naupidames FRIS), Amplndamantis filiae filius. Kein 
Zweifel, daB urspriinglich auch der zweite Teil folgte alii ahmt 
Fliorlantis et Hyrmines. Diese Worte sind ausgefallen, am Rand 
nachgetragen und an einer friiheren Stelle hinter Thiplnjs einge- 
setzt worden, wo sie das richtige Ilagniae'^), vielleicht auch den 
sonst nirgend iiberlieferten Namen der Mutter, verdriingt haben. 

Auf ahnliche "Weise wird auch die ganz unmdgliche Angabe 
entstanden sein, daB Argos ein Sohn des Danaos gewesen sei, 
znmal sie nur als Variante auftritt: Argus Fohjhi et Argiae filius, 
alii aiiint Fanai fliiiw, hie fttif Argiius. Nun kann freiUch ans 
den schon oben dargelegten Griinden kein Argonaut, wie iiber- 
haupt kein griechischer Heros als Sohn des Danaos bezeichnet 
werden, wohl aber als sein Enkel Fanai (fdiae) filius. Und in der 
Tat lesen wir bald darauf: Nauplius Atepiuni et Amijmones Fanai 
filiae filius, Argivus] das entspricht den Worten des Apollonios 
I 133 f. tc5 6’ £jrt 6{] &£loio xuv Aavaolo yivsd'Xov NavxXiog und 
dem Scholion dazu: vVog Uooetd&vog jcal Agvgavgg rijj Aavaov. 
Die Worte Fanai filiae filius waren ausgefallen und am Rande 
nachgetragen worden. Sie sind dann an zwei verschiedenen Stellen 
in den Text eingefiigt worden, an der richtigen hei Nauplius und 
an einer falschen, bei Argus, hier als Variante mit Zufilgung 
von alii aiunt und Weglassung von filius, so daB Danaos nun einen 
Sohn erhielt. Als Grund fiir diese doppelte Einfiigung wird man 
vermuten diirfen, daB der Randnachtrag nach dem von Brinkmann 
erlauterten Schreiberbrauch mit dem Stichwort Argivus, dem Wort 


1 ) Den Erkli'.rungSTersiicb C. O. Mullers (Orchom. 264) wird heute Niemand 
mehr vertreten wollen. 

2) DaB dabei die sehr entfernte Ahiilichkeit der Buchstaben hag>'I und 
HVRMIN mitgewirkt hat, ist moglich, aber nicht gerade wahrsclieinlich. 

3) Ehein. Mus. LVU 1902 S. 481 £F. S. auch Praechter Herm. L 1915 S. 
626 £f. LI 1916 S. 316 ff. LII 1917 S. 156 f. 

Kg!. Oes. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist. Klasse. 191S. Heft A. 


32 



478 


Carl Robert 


vor clem er einzufiigen war, bezeichnet war. Da nun aber kurz 
vorber auch unter Arrjus das Etknikon Arfja-us steht, wurde ein 
Abscbreiber zweifelhaft, wohin der Nachtrag gehflrte und setzte 
ihn an beiden Stellen ein, das eine mal mit den durcb den Zu- 
sammenhang gebotenen Anderungen. Aber anch die Abstammung 
von Arestor, der bei Apollonios und iiberhaupt nacb allgemeiner 
tiberlieferung Vater des Argos ist. kann nicbt gef'eblt baben. 
Mind estens als Variante wil'd man sie erwarten. Wabrscbeinlicber 
aber ist daB der ISTame wegen der gleicben Anfangsbucbstaben 
ausgefallen ist und dafi Hygin gescbrieben batte Anjus Aycstoris et 
Argiae Polybi filiae filius. 

In einem anderen dieseni sebr abnlicben Fall war der Aus- 
gangspunkt nicbt eine Liicke, sondern eine scbwere Textverderbnis. 
Vor den im Anfang besprocbenen an falscbe Stelle verscblagenen 
Worten ah oppido Cerintho stand im Frisingensis : Eurijtion Iri et 
Demonassae ftlins. Ixition. Die Quelle ist Apollonios 1 74 "Jqov 
6’ EhQvvicov. Die Mutter Demonassa wire! Hygin einem vollstan- 
digeren Sebolion entnommen baben. Das Wortungetiim Ixition 
aber ist niebts anderes als das verstiimmelte Iri et Demonassae, 
wobei vielleicbt mitwirkte, daB das Ange des Sebreibers auf das kurz 
vorber (unter Piritboas) stebende Ixionis filius abgeirrt ist. Xeben 
der vom Rande in den Text eingetragenen Correctur ist dann die 
Corruptel steben geblieben. Aber diesmal war der Randcorrectur 
als Sticbwort nicbt das folgende. sondern das vorbergebende Wort, 
der Name Eurijtion und zwar offenbar in der Abkilrzung Eunj 
beigesebrieben. Dies Sticbwort bezog ein Abscbreiber statt auf 
Eurytion. auf den kurz vorber genannten Eurydamas. von dem 
Hygin urspriinglicb bemerkt batte Eurydumas Cthneni filius. gui 
iuxta lucum Eynium Dolopcidem urhein inhahifobrit entspreebend 
den Apolloniosv^ersen I 67 f. ydh y.cd Evgvddycg Kriyevov Ttc'.ig' ’dyyjb 
de Xiyvi'iS Svviccdog Kriuivip' AoXoTfij'da. raistdaoy.ev. Nacbdem dann 
die Worte Iri et Demonassae filius eingesetzt waren, muBte diese 
riebtige Genealogie zur Variante berabsinken. und so sebrieb denn 
der Interpolator alii aiunt Gtimeni fiUum etc. Abnlicb ist es aucb 
zu benrteilen, wenn der samisebe Ankaios Sohn der Thestiostoebter 
Althaea beifit {Althaea Thestii Nic. Heinsius; der Frisingensis mit 
falscber Wortabteilung Alfa Cathesti), wabrend er bei Apollonios 
II 866 ss., nacb den Sebolien I 185, II 866 und Pausanias VII 4, 1 
Sobn der Pboinixtoebter Astypalaia ist, eine Genealogie, die Hygin 


1) Buiite vrollte hier ;ms Apollonios Ctiiueneli einsetzen: luibedingt not- 
■n-endia ist das nicht. 



ber Argonautenkatalog in Hygias Fatielbuch. 


479 


selbst an einer spateren Stelle anfilhrt und auch auf Klymenos 
oder wie er ibn auch dort nennt Periiklymenos ausdehnt ’). AUer- 
dings kennt die Ilias einen Pleuronier Ankaios W 635 (danach 
Quint. Smyrn. IV 311 f.) und nennt Agios als Mutter der Asty- 
palaia und Gremahlin des Pboinix eine Tochter des Oineus Perimede. 
Aber zwischen Pleuron und Samos besteht sonst keine Verb indung, 
und Oineus wird bei dem samischeii Epiker wohl nicht der Kbnig 
von Kalydon, sondern Kurzform fiir den Oinopion von Chios ge- 
wesen sein. Auch kennt die Sage Althaia rvohl als Geliebte des 
Dionysos und des Ares, aber nicht als solche des Poseidon. Da 
nun bei Hygin unmittelbar darauf unter Meleager die Worte 
Althaeav Tucsfii fiUco^ folgen. so vrird es sich wohl wieder um Aus- 
lassung und Randnachtrag handeln. den ein Abschreiber als Cor- 
rector des ihm ungewohnten Ramens AA^fulaea mifiverstand. 

Derselbe Fall liegt bei Mopsos vor. Im Frisingensis stand; 
lilojisits Ariqjini et j'diits. i:'n augttrio iJod’fs ah ApolUne. 

ex Oeciiulia cel, id (piidian putard. Lypareii^ii. Die paraphrasierten 
Apollonios-Verse lauten I 65 1'. : Sj/.v&e 6' av ^lovog Tnagyleiog, or 
•zsqI Tte.vrmv Ai,TOidr,g sdidate d^soctQoctiag ohyvav. wonacli schon Mi- 
cyllus das unsinnige Ltiparensl^ in Tdansiiis. Muncker in Titarensis 
verbessert hat. Die Eltern entnahm Hygin den Scholien: ’Auxvhov 
vibg 6 Alovog rov Tiragcovog. fDjTgbg ds XAohidog. Aber daB nach 
einer anderen Tradition der Seher in Oichalia — sei es dem thes- 
salischen oder dem eubiuschen (das messenisch-arkadische kommt 
nicht in Frage) — zu Hause gewesen sei. clavun steht weder in 
den Scholien noch sonst w'o etwas zu lesen. Isun folgen aber im 
Katalog bald darauf zwci Argonauten. die wirklich aus Oechalia 
sind, Klytios und Iphitos. die Sohne des aus der Heraklessage be- 
kannten Eurytos: Cli/tii's d Jphdus . Eariitt cf Aidiupcs Eylonis 
filiac films, rajes Oerfnliut. hie cccicessa ah Apolhne sogitt'irmn scienlia 
cum uudore mauevi' roufrmlisse dkirnr. Das eutspricht den Apol- 
lonios-Versen I S6 if. ra 6' uq e:tt Kavtioj re xai "Igcrog rjytQE- 
'&OVTO. OiyKkh]g ectiovgoi ccTDp't'og Evovrov vitg. Evqvtov, a tcoqs 
To^ov Ey.)]fi6}.og‘ oud’ unovipo 6ar(v},g' evra ydg axlov EQLd),i'E doTh,Qi. 


1) F;ib. liT ycptii} ! phi .... Peciclyineiiiis [Eiktyinenui Fk., verb. r. 
Muncker) et Aventus ex As>i/paliua iAnIhei's ex Astydiile Fr,.. verb. v. Scheffer) 
Plwehicis jlho 

2) Diese M urte, die H\gin duixdi reyes Oechuluie u iedertriljt, verbieten es 

bei ihm regis tlixUaliae zu s.^lireiben, ivodurcb so’vohl der AnscIduB des uaohsten 
Satzes Ilk concessa ah ApoJlwe etc. als der des ubcrniiebsten filtits Ch/tius. 

ah<hoc> xieeius (Aecta Fr.i interfutu- at (s. iiber die T.csung Arch. Jahrb. Ill 
IS.SS S. 53) besser eyerden n'urde. 


32 * 



4S0 


Carl Robert, 


Die Mutter fand der Mythograph in dem Scholion: ’Avrionrjg; 

er muB es aber nocli vollstandiger mit dem Namen des mutterlichen 
GroBvaters Prdon gelesen haben, der auf Hesiods Kataloge zu- 
rlickgeht (fr. 110, Schol. Laur. Soph. Track. 266), wo er aber zu 
:tcdc(iov verderbt und erst von Bentley aus Hygin wieder berge- 
stellt worden ist. Nun scbeint Oechaliae im Text ausgefallen und 
am Rand nacbgetragen worden zu sein, diesmal mit langerem 
Stichwort; Jtic concessa ab ApoUine'^)- das ist aber den von Mopsos 
gebraucbten Worten Me aiigurio dodus ah ApoUhie abnlich; und 
so fiigte ein Absebreiber es aucb dort in der Dorm ex Oeebalia 
ein. Nun muBte aber die wirblicbe Heimat Titaron wiederum znr 
Variante berabsinken und wurde durcb cel id quidem pidaiit ange- 
kntipft. Endlicb baben wir sebon oben (S. 470) denselben Pall 
bei Oileus constatiert, zu dem die auf den ausgefallenen Kantbos 
beztiglicben Worte ex Euboea, durcb alii aiant als Variante ange- 
knlipft, verschlagen worden sind. 

Ein under er Fall entbehrt niebt eines gewissen Humors. Im 
Frisingensis stand Ancaeas Lycurgi films, alii nepotem dicunt, Te- 
geates. Run ist es gewifi denkbar, da6 in einer arkadiseben Ko- 
nigsliste Ankaios eine Generation tiefer geriickt worden war; aber 
in unserer sonstigen Uberlieferung ist niemals Lykurgos, sondern 
stets Aleos sein GroBvater ■^). So aucb bei Apollonios, der ibrn 
seinen beiden Obeimen Ampbidamas und Kepbeus anreibt und seine 
Teilnabme damit begriindet, daB sein Vater Lykurgos ibn an seiner 
Stelle mitgesebiekt babe, weil er selbst zur Pflege des greisen Aleos 
zu Hause bleiben wollte; I 161 fF. y.cd gyv ’AgcpiSdgug Kgg}£vg x 
I'auv ’Agy-udCrfisv. oi Tepeyv xed zlijpor ’AepEibavrsiov ivuiov, vis dva 
AMov' TQiTaxog ys gsv saner’ iovaiv Ayxuiog, rbv giv ga naryg 
Avxoogyog ensgnsi’, zmv dgipcj yvarhg nQoysvsexsQog. kAA’ o g'sv 
fjdr^ yi]Q(iexovT ’Alshv Unsr ug noKiv bcpQu xogi^oi, naiSa d’ sbv 
agsrigoiae xaat-yvrfioiaiv bnaaasv. Danacb Hygin Ampidamas et 
CepAieus Alei^) et Cleobules filii de Arcadia. Die Mutter Kleobule 
hat Hygin wieder aus einem vollstandigeren Scholion ; in der Tele- 


1) Vielleicht auch nnr hie — ab Apolline. 

2) t gl. die Ziisammenstellung der Listen Lei Hiller von Gaertringen IG 
V 2 p. XXX. 

3) Egei Fei.s..; schon von Micylbis verbessert. Her Schreiber dachte an 
Aegeus, den Vater des Theseus. Der Fall gehort zu den im Arch. Jahrb. a. a. O. 
erorterten, vro ein entlegener Heroennamen dureh einen bekannteren ersetzt vird. 
Auf ahnliehe Weise ist bei dem Apollonsohn Idmon als flutter die beriihmte 
Xyiene emgeschmuggelt , Hygin hatte geschrieben Asteries Coroni filiae fdius, s. 
Pherckydes Schol. Apollon. I 139. 



I>er Argonautenkatalog in Ilygins Fabelbiich. 


481 


phossage heifit sie Iseaira. Apollod. Ill 9, 1,2. Hyg. fab. 243 
{Megcra PR., verbessert von M. Scliniidt) ; bei Apollod. Ill 9, 2, 1 
heifit die Gattin des Lj’kurgos Kleophyle. Rach dem Gesagten 
wird man nicbt bezweifeln, daC Hygin Ancaens Lijcunji filius, Alei 
neyos gescbrieben hat. Die beiden letzten Worte waren ausge- 
lassen and am Rand nachgetragen worden. Pin Abschreiber hielt 
Alei fiir alii und setzte als Variante in den Text alii nepotem dicmd. 

Nur auf solche Weise erklart sick auch die unglaubliche Tau- 
tologie in dem Satz itber die Dioskuren: Castor et Folliix loiis ei 
Ledae Thestii ftliae filius Lacedaemonii, alii Spartunos dicinit. Dadurch 
daB man die letzten Worte mit Muncker als ein nimis pntidton 
glossema bezeichnet, ist ihre Herkunft noch nicht erklart. Bei 
Apollonios steht I 146 tf. y.al pi]v AitcoVig ygarsQOV IIo/.vbEvy.sa 
Aridr] KcuStoQu r my.v:t6'^cov cooffet' dadarpiavov IG-tcor ATrctprijS'Er. 
Also hat Hygin geschrieben Lacedaeutonii ex Sparta. Die beiden 
letzten Worte sind ausgefallen, am Rand nachgetragen und in der 
Passung idii Spartanos dic.nnt von einem Abschreiber als Variante 
wieder in den Text gesetzt worden. 

Bei Eurytlon haben wir einen Pall gefunden, wo Corrnptel 
und Correctur neben einander im Text stehen, Dasselbe beobach- 
ten wir bei dem unmittelbar vorhergenannten Argonauten Eri- 
lotes, Teleontls fditts. Amelcon. Vgl. Apollonios I 73 Ijroi o gsv 
Tsi.Eovrog ivy.lsn)g ’Eyvj3i6!:t;g. Hier ist Ai/ieleoii nichts weiter, als 
das schwer verclerbte Teleontis. 

An anderen Stellen erscheint die Correctur als Variante. 
tiber das achaeische Briiderpaar stand im Prisingensis : Asfe/v'on et 
Ampltion Ypciadi fdii, alii aiunt Hipasi, ex Pelleuo. Apollonios sagt 
I 176 f. AGTSQiog dl y.id 'Agepib^v V'HEoaeiov viag Uelhlvgg urfiy-avov 
A%audog. Hyperasii war zu Yoetadi verderbt, Hipa?i ist die Cor- 
rectur, die aber diesmal nicht an den Rand, sondern dariiber ge- 
HIP R SI 

schrieben war YPETACLI. Ein Abschreiber hat aus diesen Buch- 
staben Hipasi gemacht und dies mit alii aiunt als Variante in 
den Text gesetzt. 

Past dieselben Worte alii Hijipasi fdi.nn .... faissc dicunt 
kehren bei dem Xauboliden Iphitos wieder; hier sind sie aber 
anderen Ursprungs. Die Stelle lautet im Prisingensis: Ipliitus 
EaahoU filius, Fhocciisis, alii Hippusi fdium ex Feloponneso fuisse 
dicunt. Also scheiubar nicht nur ein anderer Vater, sondern auch 
gine andere Heimat. Bei Apollonios steht I 207 f. h. d’ cioa ^co- 
xr'jcoii y.iEv Acfirog ’O^wtlduo Nav^6?.ov sy.-yByaag. Dazu bemerken 
erganzend die Scholien tov d's ’Irpirov yEvac.loyai i\c;i',3dAou y.al Us- 



482 


Carl Robert 


givelntii xf^^’Inixo^dyov. Also hat Hygin geschrieben : Ipliitus Nan- 
loli fifnts r:X Ferinke Hippomacld filia PJwcoisis. Die Leiden Namen 
sind im Archetypus schwer verderbt gewesen, so daB ein Ab- 
schreiber den des GroBvaters als Hippasi. den der Mutter als ex Fe- 
lopoitiieso verlesen konnte. Da sich dies niit der phokischen Heimat 
des Iphitos nicht vertrug, glaubte er es mit einer A^ariante zu 
tun zu haben, and schrieb alii Hip/osi ftlinnt lx Feloponneso fuisse 
diciint. 

In einem anderen Fall, wo die Correctur als Akiriante in den 
Text eingedrungen ist, hat dies auf die ganze Umgebung verheerend 
gewirkt, zumal auch noeh Liicken da waren. Wir mlissen daher die 
ganze Stelle im Zusammenhang betrachten; sie steht in dem Ab- 
schnitt, der von den Argonanten handelt. die sich erst wahrend 
der Hinfahrt angeschlossen haben: ikni accesserunt ex insula Dia 
Fltrioci Claletopes 3ledeae sororis filii, Anjus. I\lelas, FhrontuJes, 
Cylindiu?, ut alii aiunt, vociiatos Fhroidus, Bemoleon, Autohjcus, 
Fhlogius, (pios Hercules cum rjuxissei hahilurus comltes, dum Amcc- 
aOHUiu hcdfcum petit, rehcpiit terrore perpidsos a Dascylo, cpii reyis 
Mansuaden fdia. Danach hatten es also fur die vier Sohne des 
Phrixos zwei verschiedene Xamenreihen gegeben, und Herakles 
hatte diese Phrixossohne auf seinem Zug ins Amazonenland mit- 
genonimen. Sie wiiren aber aus Furcht vor Daskylos zuriicbge- 
bliebcn, und zwar wie man nach dem iiberlieferten AA^ortlaut an- 
nehmen miiBte, auf der Insel Dia \), wo sie dann von dem Argo- 
nauten gefunden werden und mit ihnen nach Kolchis weiterfahren. 
Die Sohne des Phrixos heiBen bei Apollonios II 1030 £f. Argos, 
Melas, Phrontis und Kytisoros, und dieselben Namen sind durch 
Apollodor I 9, 1, 4, Amlerius Flaccus V 460 ss. und Hygin fab. 3 
(der vierte Mamen dort eben.so corrumpiert wie im Argonauten- 
katalog) bezeugt. £.s kann daher nicht zweifelhaft sein, daB bei 
Cptisorus statt Cyllndrus und Fhrontis statt FJirontides zu 
schreiben ist. Die von Herakles auf seine Fahrt ins Amazonenland 
mitgenommenen und zuruckgelassenen Gefahrten sind bei Apollonios 
nicht Sohue des Phrixos, sondem des Deimachos von Trikka; es 
sind ihrer nicht vier, sondern nnr drei, mit Mamen Deileon, Au- 
tolykos und Phlogios II 93o If. eu&a ds Tgoexccioto cipccvov z//pftd- 
XOio vLss, Arpkeav re xcd Avrokvxog tPAopiog re Xiipog sN, HgccxXijog 
uxcozkUQxd-evxeg, evaiov xxk. Sie haben sich am Halys niedergelassen, 
rufen die vorliberfahrende Argo an und werden von ihr aufge- 


, . , ^ II 1031 heiCt die Insel ’jQrjricg, daher M. Scliinidt liel- 

.eicnt Hat lU'cht bei Hygin Atia lesen vill, wahrend Rnnto Aretiade sclireibt. 



Der Argonautenkatalog in Ilygins Fabelbucb. 


483 


nommen. Es lencMet ein , daS Hygin hier wieder den Apol- 
lonios ausschreibt. zumal aucli die Reihenfoige der Namen die- 
selbe ist \vie bei ihm. Dcnwicou ist ganz gewiB mit Mnncker in 
Dtileon zn verbessern. Xun bleibt aber Fltroidus iibrig. Dies ist 
aber sicherlich nichts anderes als die wiederum verderbte Cor- 
rectin’ von l'li,-ontides, die abermals als Variante mit ut alii ainnt 
cocitatus in den Text gesetzt ist. Diesmal aber baben vrir es mit 
mehreren Stadien der Verderbnis zu tnn. Ein spiiterer bielt 
namlicb aucb die Namen der drei Deima.cbo.ssubne fiir Varianten 
der Eamen der drei iibrigen Phrixos.sobne und anderte vccit'itus in 
vodtutos, so dafi nun die oben dargelegte unmogliche Gescbichte 
herauskam. Streicbt man nnn aber die interpolierten Worte ut 
aJii .... Pltronii's, so feblt zn den Deimacbos-Soiinen das Prae- 
dicat. Daber wollte Bunte ileui arceAsenint Deiinadti filii ein- 

setzen, was dem Sinne nacb gewiB ricbtig ist. Jedenfalls mnB _ 
man sich biiten mit Scbeiter und M. Scbmidt einen Gegensatz 
zwiscben dieser Gescbichte und der von den Pbrixossobnen binein- 
zubringen. Das Scbicksal der Deimacbcs-Sdbne aber erzablt Hygin 
nicbt nar nacb Apollonios, der es nur durch'Hoaz4r;o; unozlayi^h'rsi 
andeutet. sondern aucb nacb denScbolien: ovtol y.caidEKf&ivxEs vtco 
‘Haccx/Jovg E:tl rbv tiis \4uc(t6vog gcoSTijoa yExcoQryy.oTog y.rl., wonach 
man fiir das im’p&ssienie Aniazonum hfdt earn mit Mnncker Auiaro/idfaj 
lalteum zu lesen baben wird. DaB Schreckc-n die Hrsacbe war, 
wesbalb sie zuriickblieben, kdnnte Hygin wieder aus einer vollstan- 
digeren Eassung des Scbolions baben, aber giinzlicb ausgeschlossen 
ist es, daB es Daskjdos ist, der den Gefabrten des Herakles diesen 
Scbrecken einjagt; denn dieser ist mit semem Vater Lykos dem 
Herakles in Ereundscbaft verb’anden und ibm zum Dank verpflichtet. 
Vielmebr ist die Gescbichte der Sohne des Deimachos mit tcrrore 
puradsoy, y^oiuv m&n errore 2 >ropiilsos (d.’COTtP.ayxd-E'vTEg) zu lesen bat, 
zu Ende, und es folgt etwas neues. Daskylos gehbrt niimlicb 
selbst zu denen, die sicb den Argonauten angescblossen baben, 
Oder genauer gesagt, er wird ibnen von seinem Vater Lykos als 
Eiibrer mitgegeben; dieser sagt 11 802 f. lur/j p'sv Tidvrsaatv 6u6- 
OroAor vpuiv Excse&ca ddexvlov otqvve'co, Eabv visa und 813 f. beiBt 
es : zed d’ avTog <3i'v roiffi Avxog xie, pvQp b:xc'(}0ag SaQU cpEQEiV 
upci d’ via ddgeor ex TtEynE vee69ui. Also baben wir vor a Dascylo 
eine Liicke anzunebmen, in der etwa gestanden baben mag: in 
Coh'hos uutem dcducti sttnf. Die verderbten ScbluBworte bat sebon 
Micyllus in iXfjis Mariamhjni filio emendiert, aber erst Muncker 
hat erkannt, daB in qui das unentbebrliche Lyd steckt. 

Der ausgebobene Absebnitt beginnt mit den Worten i7e;« 



484 


Carl Robert 


accesserunt. Also miiBte schon vorher von einem oder mehreren 
Argonauten die Eede gewesen sein, die erst auf der Fahrt hinzn- 
gekommen sind; in der Tat ist das nach der Textgestaltnng des 
Frisingensis der Fall. Da heiSt es von dem Seher Mopsos, da6 
er nach der Ermordung seines Vaters sich angeschlossen habe; 
derselbe Mopsos, von dem es unmittelbar vorher hei6t, dafi er in 
Afriha an einem Schlangenbih gestorben sei. Er schliefit also 
zugleich die Liste derer, die auf dem Riickwege umgekommen sind 
{in reversione auteni periemnt etc.), und erbffnet die der auf der 
Hinfahrt hinzugekommenen. Der Tod des Mopsos in Africa wird 
von Apollonios IV 1502 fF. erzahlt und auch von Lykopbron 881 IF. 
(vgl. SchoL), Seneca Med. 654 if. und Ammianus Marcellinus 
XIV 8, 3 bezeugt. ■ Aber dafi er erst nach Ermordung seines Vaters 
— unklar ist ob durch ihn selbst oder einen andern — sich den 
Argonauten angeschlossen habe, liest man nur hier, und das ist 
um so bedenklicher, als er nicht nur bei Apollonios die Fahrt von 
Anfang an mitmacht, sondern auch vorher von Hygin unter den 
Argonauten ohne jede nahere Bemerkung an derselben Stelle wie 
bei Apollonios verzeichnet wird. Mit Recht bat daber M. Schmidt 
die sonderbare Angabe athetiert, aber damit ist ihre Herkunft 
noch nicht erklart. Nun lautet aber die Stelle im Frisingensis 
folgendermafien : Mopsus a'otern Annjci filius ah serpentis morsn in 
Africa, obiit, is ontem in itinere accesserat comes Argonantis, Amyco 
patre occiso. Wie man sieht, ist der Name des Vaters des Mopsos, 
Ampykos. hier zu Amykos verderbt, wahrend er an der fruheren 
Stelle des Katalogs richtig iiberliefert ist. Ein denkender Ab- 
schreiber — und das sind die scblimmsten — identifizierte diesen 
Amj-kos, mit dem bekannten von Polydeukes uberwundenen und 
getoteten Bebrj ker und zog daraus den unglaublichen Schlufi, dafi 
dessen Sohn nacb dem Tod seines Vaters sicb den Argonauten zu- 
gesellt babe. Streicbt man aber die Worte is — patre occiso, so hat 
das item accesserunt, mit dem die Phrixossbbne eingefiihrt werden, 
keine Beziehung mehr. Man wird an Stelle von item das aus dem 
interpolierten Satz entlehnte in itinere (als Gegensatz zu dem vor- 
hergebenden in reversione) setzen und item accesserunt oder auch 
blofi item dort einfiigen. wo es auch Bunte ohne den Sachverhalt 
zu durchschauen eingesetzt hat, vor die Erwiihnung der Siibne des 
Deimacbos ^). 

1) Vergleichen lafit sich eine willkurliche Anderung iu fal). 15, die in ihrer 
ursprunglichen Fassung in den Statius-Scholien V29 erhalten ist. Im ArchetypiH 
des Frisingensis war hier der Name des Ivonigs von Nemea, hei dem Hypsipyle 
als ScliMu dient, zu Lyco verderbt. wiihrend die Statius-Scholien das richtige 



Der Argonautenkatalog ia Hygins Fabelbucli. 


485 


Eine ahnliche, wenn auch nicht so krasse Interpolation, findet 
sick noch an einer anderen Stelle. Ton den. Hermessolinen Emytos 
und Eckion keiBt es: Ecnjfas et Eu dun. Mer(.urii et A)itio.nirap 
Meneti {Antreatue Mervti Fk., verk. von Sckeffer) filiae fiVius cx 
urbe Alope, quae nunc rocatur Ephesus {Ehtsus Fii.. verb, von SckelFer), 
quidam auctores Thessalos putanK Die parapkrasierce Apullonios- 
stelle lautet I 51 fF. ov8' ’AkoTO] uCavov n:oAi.'Aipot EqueCuo vIee; 
£v dsdaCors doAovs ’'E^vrog y.c:l 'Eyjcov. Dazu bemerken die Scholien 
&s66aXCug Ttokig MuyvqeCag. Der Interpolator kat ans Plinius 
V 115 die Identiticierung mit Epkesos eingesetzt und muBte nun 
die tkessaliscke Herkunft der beiden als Variante bezeicknen. 
Hygin wird etwa gesckrieben kaben: ex a, 'be Alopr. Thessah. 

Sekr verwickelt liegt die Sadie bei dem Tkessaler Asterion. 
TJberliefert ist: Asterion Pi/renti fuiiis, matre Aniujoua Eheretis pVci. 
ex urbe Feline, alii aiunt Prisci fiJiinn, uric Piresia. nnae est in 
radicihus PhyUaei monfis, qui esf in Thessalia. quo loco duo flundna, 
Apidatvas et Enipens, separatim proieda, in ujinm confcni'unt. Die 
zu G-runde liegende Apollonios-Stelle lautet I 35 ff. i'lkvdx d’ ’Agte- 
Qi'cov ui'xoaysbov, oi' qa KoLn',tqg ysivcTo divqei'Tog sq' vdccGiv ’Azi- 
Sc'.volo, IlsigcOidg ogeog ^vkktpov c.yyo&i raiov, i’r&u u'av Anidavog 
TS ps'/ag y.al dtog 'Evmsvg ciyepa 6vyqoQEoiTi:i, dTCorTQod-Er aig 6i> 
iovTsg. Die letzten drei Verse gibt Hygin correct wieder. aber 
wo bleibt der Vater KometesF Man darf erwarten. dab er sick ent- 
weder in Pyremus oder m Priscus versteckt: aber wie den Xamen 
ohne aufierste Gewaltsamkeit wieder herstellenV Versucken wir 
es also auf einem anderen Wege. Xickt nur eiuen doppelten Yater, 
auck eine doppelte Heimat gibt Hygin fur Asteriun an: neben 
Piresia, das dem. UaiQsGicd des Apollonios entspricht, nennt er Feline, 
worin sckon Muncker das ackaeiscke Pellene erkannt hat. kiun 
gibt es tatsacklick einen Achaeer Asterion, der mit seinem Bruder 
Ampkion an der Argofahrt teilnimmt, und den Hygin an einer spa- 
teren Stelle nennt. Wie wir oben (S. 481) saken, ist dort der Xame 
seines Yaters H;\’p)erasios zu Yjxdadits verderbt gewesen, das dann 
durck iibergesckriebene Buckstaben verbessert worden ist, die als die 
Yariante Hipasus in den Text gesetzt worden sind. IViederam ist 
es Muncker gewesen, der erkannt kat. daC an der frliheren Stelle 
der Thessaler Asterion mit seinem ackaeiscken Xamensvetter. der 
ilbrigens bei Apollonios selbst ’Aaragiog keillt. wiikrend die Sckolien 
ikn ’AGra^icoj’ nennen. verwechselt wird. Xur darin irrte er, dab 


Lycurqo hixben. Der Interpolator, der Lykos au3 lab < als Koiiig von Theben 
kannte, setzte nun iuy XcirtCCD/i, vie richtig in den Statius-Sebulien steht, Theban ein. 



486 


Carl R 0 Is e r t , 


er den Yaternamen Ni/x-ii'asii in Frisci sachte ; er steclit viel- 
rneiir in Fijrt},u, wabrend Priseus dem Koaiirr^g entsprechen mu6. 
Um eine einfaclie Bnchstaben-Corruptel kann es sick aber nicht 
bandeln, wobl aber nm eine TJbertragung in das Lateinisebe. Das 
nacbstliegende ware Crinitus gewesen, aber aucb Crl^pus. womit 
die Glossare ovXog wiederzugeben pflegen, war nicbt iibel. Aus 
Crispas ist dann diircb leicbte Bnchstabenverstellang Friscm ge- 
worden. Antigone die Tochter des Pberes, die Hygin als Mutter 
des Asterion nennt, wird weder von Apollonios nocb in unsern 
Scbolien erwabnt. stammt also wiederum aus einem vollstandi- 
geren Scbolion. Macb dem Text des Prisingensis ware sie die 
Mutter des acbaeiscben Asterion nnd Gremablin des Hyperasios; 
da sie aber an der spateren diesem gewidmeten Stelle nicbt ge- 
nannt wird nnd eine Tocbter des Pberes als Gattin besser f'iir 
einen Tbessaler pafit, als fur einen Acbaeer, wird sie wobl die 
Fran des Yoto/Ti^S-Crispus sein. Also batte Hygin gescbrieben: 
Asterion Crispi fltiiis, mntre Antiijom Flieretis filia, urhe Piresia. 
Denn die A^erwecbslung mit dem gleichnamigen Acbaeer wird man 
nicbt ibm selbst, sondern einem Abscbreiber oder Leser zur Last 
legen, wenn es sicb iiberbaupt um eine Verwecbslung nnd nicbt 
um eine am Hand notierte Parallele bandelt ; denn mit einer Rand- 
giosse baben wir es auf jeden Fall zu tun. Ein Leser notierte 
sicb aus dem folgenden: Ast. Pi/reini (Corruptel von IFjperasii) fdius 
ex iirbe Felle.ie. Ein Abscbreiber setzte die Genealogie an erster Stelle 
in den Text, so dab die ricbtige wieder zur Variante wurde und 
Crispus sogar seine Gemablin Antigone an Ppremus abtreten muBte. 

Focb an einer anderen Stelle ist eine abnlicbe Randglosse in 
den Text eingedrungen und bat dort nocb groBeren Scbaden an- 
gericbtet. Im Frisingensis stand: in recersione aident perkrunt Ea- 
rihutes Tdcontis ftUus, n Cctnids Ccriontis filius interfecti sunt in 
Lphia n padore CejmuUonc Nasanionis fratre, filio Tritonidis nymphae 
et Ainplil‘e,mdis, cuius faste pccas depopulahantur. Hm mit Selbst- 
verstandlicbem zu beginnen, so ist die ricbtige Ortbograpbie Libya 
von Commelinus, Canthus und Amphithemidis von Bunte bergestellt, 
Ceriontis von M. Scbmidt in Ceriidhius Canethi verbessert worden; 
daB binter pericrunt zu interpungieren und vorber hi einzuscbieben 
ist, bat ScbeiFer geseben; was in fusle steckt, ist nocb nicbt er- 
mittelt worden ^). Die zu Grunde liegenden Apolloniosverse lauten 
IV 148-5 ff. K('v&e, ffh d’ ovlopsvm cvi K>]Q£g slovto. zmsSc 

ffsoj^optuoiei 0vu)jurs£g ' sitcsto 6’ dvijo KvXiTtjg, b o’ stov pyjAcov zeQi, 


1) Airtis Miinck., /Vstr Toll., forle Heins., puite cuius SeheS.'. eiellficht biiifsfe. 



487 


Der Ai-gonautenkatalog in Hygius Fabelbucb. 

roqcp’ iraQOuSiv dsvofiL’oig y.ouL0Eiag. cJ.slousvog ■/.c:re:i£(pvsv lui ^c:Xcov 
eccsi ov ^lEv aq:avQ6TeQ6g y athvxro, viojvbg ^oi'jioio Av/mqeiolo 
K dcpavQog xov^rjg z cddo(i]g Ayay.cc/J.idog, :tors duvayg ag Yliiivr]v 
i'.-jtiva66E Qeov ^aQv '/.vau cpioovGur, d-vyuzEgtc ecfETEQrjV >] d’ c<y?Mbv 
vLEu WoL^ca zCy.zEv , bv ’A i.i (f (■& e (i i v raQC'.aai'td zs y.iyXrj6xov6iv. 
lIuqji&Euig 6’ uq' ariEiza aCyt] Tgitcovi'di vv^ffty t] 6’ «o« 
N a G d n CO V u ZE/.EV y.QazEQOv zs Kucfuv qo v , bg t6ze Kc; v d-o v EjzEcpvE v 
e:iI QhVEGGiv iolGiv. Wie man sielit, weiB Apolionios niir vom Tod 
des Kanthos, niclit auch von dem des Ei-ybates ; und docli ist es 
bei der wortlieben IJbereinstimmung ausgeschlossen, daG Hrgin 
eine andere Quelle, oder aucb nur eine Xebenquelle benutzt haben 
sollte. Denn wenn der Kaphauros des Apolionios bei ihm Ctpha- 
licn heifit, so wird man nacb den Erfahrungen, die wir mit den 
Xamenscorruptelen im Frisingensis gemacbt haben, kein Bedenken 
tragen, dafiir Caplia{ai-o Ai)ol)li(nis} neQooie) herzustellen. Wie 
kommt nun der Sohn des Teleon Ein-ihaies wie bier steht, wahrend 
an den frilheren Stellen Erihotes iiberliefert ist, wie er auch bei 
Valerius 1402 und 111478 heifit, obgleich bei Apolionios 171.73 
’EQv^azT]g steht, in diesen Zusammenhang? Wiederum aiis einer 
Eandglosse. wie bereits oben angedeutet ist. Unmittelbar vorher 
ist das Schicksal des Butes erzahlt, der gleichfalls Sohn eines 
Teleon, freilich eines ganz andern ist. Dazu hat sich ein Leser 
den Efibotes Tehontis [ilius notiert, ohne dafi sich entscheiden Itifit, 
ob er beide fur Briider 0 hielt. Spater ist die Glosse an falscher 
Stelle in den Text geraten und der Interpolator hat fiir inferfetids 
est und depopulabutur den Plural hergestellt. 

Wir lernen also, dafi der Archetypus des Frisingen,^i3 durch 
zahireiche Xamenscorruptele und Liicken entstellt'-j war. Die 
Corruptelen sind zuweilen corrigiert and diese Correcturen fiir 
Yarianten gehalten , die ausgefallenen Worte hiiufig, aber nicht 
immer am Eande nachgetragen and an falscher Stelle in den Text 
eingefiigt worden. Ebenso ist es mit Eandglossen gegangen. Dabei 
hat es auch an gewaltsamen Anderungen nicht gefehlt. Kurz wir 
diirfen den Text des Frisingensis als stark interpoliert bezeichnen. 
Um die Stadien der Yerderbnis zu veranschaulicheu, drucke ich 
anf S. 488 if. den ersten Teil des Capitals, bis zu den einer Xeben- 
cjuelle entnommenen Argonauten, in drei Columnen ab, von denen 

1) Vgl. Schol. Apolloi’.. I 9.3 ETEQOg Si iarii- u Takiui' oi'ros u Bortov :TciT>]o 
Ttaoic rbv trgotiQoi' sigr^iiii'oi’, rbv Egi’iicotov trattga. 

2) Audi d;i6 zivisdicii Piiii?.s luid Hercules die Soiiiic dc'i Biui luid cer 
Peru fehlen (Apolhn. I llSii'.}, full: geudfi deii Alisdirdbern uiul nldr; de;u Autor 
zur Last. 



438 


Carl E 0 b e rt 


die eine den gereinigten die zweite den yerstummelten und am 
Eand corrigierten Text, die letzte den des Frisingensis mit alien 
seinen orthographisclien Fnarten zeigt. In einer weiteren Columne 
seize ich die Yorlage, also Apollonios und seine Scholien. Damit 
will ich aber keineswegs gesagt haben, dab sick die Verderbnis 
und Interpolation nnr in zwei Stadien abgespielt hat, so dafi 
zwischen clem unverderbten und unverfalschten Text und dem des 
Frisingensis nur eine Zwischenstufe lage. Haben wir doch in 

1) Einige selbstveritLindliche Verbesserungeii hubs icli siillsch^.-eigend in 
diesen eingesetzt. 

APOLLONIUS C. SCHOL. TEXTUS INTEOER. 


1 230 f. 'Ir; a 0 V a, yiivuxo u(jr/;o ’A/.- 
y.iusSrj KXvusxt]s Miwr^tSos lyysyavia, 
cf. Scliol. I 23 ff. xtQara vvv ’OgcffiOi 
(iviqaoius&u, rov oa Ttot avTi) KuX- 
JliOTtr; Qgt'jLv.i cfarC^izai si’vrj&ttaa Oii.- 
yga CHOrriiyS niiJL7tXr,idog dyyi 
SCHOL. ^^u, 1 I/.Slcg yoyotov y.c'.rc: Uisguif 
81 d'sXyoiiivog q^oguiyyi. I 3011. ijXvd'e 
S' ’ActSQLoyv avToaytSov, ov ga Ko- 
ftjjT/;? yeCvaxo Sii'ijexxog t(p' vSaatv’Axxi- 
Scivolo, IliigfGLug 'ogtog ^v).Xr,Cov c.yyo^i 
VULCDV, h'&a jiir’A:Tiduv6g xi utyag v.al 
SLog’Evixisvg ciucpoy av;x(fOQiOi'xcci, Lxi6- 
xrgo&sv si’s 'A lOi'xtg. I 40ff. .Ic'.Qieuv 
S’iTxl xotai XiTtoiV JTo ?. i' qs Tju 0 s I'yavtv, 
EiXaxi'd'r^g. 43 f, x6x’ av flccQv9tay.e oi 
TiSt] yvta. I 45 ft', oi St fisr"! cp i y.Xog 
^vXdy.ij i'l-i Sr, gov tXsixixo . fiij'roojs 
AiaoviSao. y.aaiyvrjxr,v yug uxxinsv A'l- 
emv ’AX.y.iiiiSriv ^v7.ciy.r,CStc. SciloL. xoxi 
ds vlbg ^vXuv.ov v.ui KXvaivi\g rfjg 
Mii'vov. I 4'J ovS'i (^tgciig ’'A 6 n r,x 0 g 
xvggrjvsaaiv civc.oaoyv fiuivxv vtxo ayo- 
7CLr,v opsos XaXy.mSovLOio. SciloL. xd 
ifsgccl oivoadc9r,Bav drro S^tgr,xog xov 
iCpfjftstBS, xov ’AS^ir,xov xov xxaxgog .... 
Sgog VTTSQcivca ^igiov xo XccX.y.aSovtov. 
I 51 ft. oiS’ ’AXorcy uifivov xtoX.vXyioi 
'Egg-iiuo vUtg si' SsSacoxs S6Xovg,''E gv- 
rog y.cd ’E y t ra v. xoioi 6’ s'lri xgixuxog 
yi'coros '/.is viOBoaivoiaiv Ai 9 a7. C S yg. 
v.ui xov alv sir’ ’Aacfovaaoio gofjBii' 
TSIvgutdovog y.ovgr\ d>&ic;s xiv.sv Evtxo- 
zsusic;' Tco S'cci’x’ ey,yiyaxr,v MtvxxyC- 


I a s 0 n Aesonis filius et Alci- 
medes Clj’menes iiliae et Thes- 
salorum dux. Orphe us Oeagri 
et Calliopes Musae filius, Thrax, 
ru’be Pimpleia, quae est in 
Olj’mpo monte ad fluvium Eni- 
peum, acris citharista. Aste- 
rion Crispi filius matre Anti- 
gona Pheretis filia. urbe Pi- 
resia , quae est in radicibus 
Phyllaei montis, cpii est in Thes- 
salia. Cjuo loco duo flumina, Api- 
danus etEnipeus, separatim pro- 
iecta, in unam couveniunt. Poly- 
phemus Elati filius matre Hippe 
Anthippi filia, Thessalus ex urbe 
Larissa, pedibus tardus. Iphi- 
clus Phylaci filius matre Cly- 
meiie Minyae filia, ex Thessa- 
lia, avunculus lasonis. Adme- 
tus Pheretis filius, unde op- 
pidum et flumen nomen tra- 
xit, matre Periclymene Minyae 
filia ex Thessalia, monte Chalco- 
donio. Erytus et EchionMer- 
curii et Antianirae Meneti filiae 
filii ex urbe Alope, Thessali. Ae- 
t halides Mercurii et Eupole- 
miae Myrmidonis filiae filius. hie 



Der Argonautenkatalog in Hygias Fabelbuch. 


489 


einem Falle deren mindestens zwei constatieren konnen. Ebenso 
wenig bilde icb mir ein den urspriinglichen Text des Hygin her- 
gestellt zu haben. Welcbe Wandlungen dieser durcbgemacht hat, 
zeigen der Niebuhrsche Palimpsest nnd die von nnserer Uberlie- 
ferung unabhangigen Excerpte in den Germanicus- nnd Statius- 
Scholien-). Meine Textgestaltnng stelit nur die friihste flir uns 
erreichbare Stnfe dar. 

1) Robert Eratosthen. cataster. rel, p. 211 S', 

2J Ern. Bieber Hygini fab. supplemeiitum fDiss, ilarp.) 1904. 


TEXTUS LACUXOSES. 

I a s 0 n Aesonis filius et 
Alcimedes Clymeni filiae 
et Thessalorum dux. Or- 
pheus Oeagri et Calliopes 
Musae filius, Thrax, nrbe 
Flevia quae est in Olympo 
monte, ad fluvium Enipeum 
Martis cytharista. Aste- 
Pjremi filius rionPriscifilius.matreAn- 
^Peline* tigona Pheretis filia, urbe 
Piresia, quae est in radici- 
busPhyllaei mentis, qui est 
in Thessalia. quo loco duo 
flumina Apidanus et Eni- 
peus, separatim proiecta in 
unum conveniunt. Poly- 
phemus Elati filius, matre 
Hippea Antippi filia, The.s- 
salus ex urbe Larissa, pedi- 
bus tardus. Iphiclus Phy- 
laci filius matre Pericly- 
mene Minyae filia ex Thes- 
salia, avunculus lasonis. 
A d m e t u s Pheretis filius 
huius Apolli- matre Periclymene Minois 
nem pecus giig. cx Thessalia, monte 
ferant! Calcodonio, unde oppidum 
et flumen nomen traxit. 
Eurytus et E chi on, 


ERISINGEXSIS. 

I a s 0 n Aesonis filius et Al- 
cimedes Clymeni filiae et Thes- 
salorum dux. Orpheus Oeagri 
et Calliopes Musae filius, Thrax, 
urbe Flevia, quae est in Olympo 
monte, ad fluvium Enipeum Mar- 
tis cytharista. A s t e r i o n Py- 
remi filius, matre Antigona Phe- 
retis filia, ex urbe Peline. alii 
aiunt Prisci filium urbe Piresia, 
qua.e est in radicibus Phyllaei men- 
tis, qui est in Thessalia, quo loco 
duo tiumina Apidanus et Enipeus 
separatim proiecta in unum con- 
veninnt. Polyphemus Elati 
filius matre Hippea Antippi filia, 
Thessalus ex urbe Larissa, pe- 
dibus tardus. Iphiclus Phy- 
laci filius matre Periclymene, 
Minyae filia, ex Thessalia, avun- 
culus lasonis. Admetus Phe- 
retis filius matre Periclymene 
Minois filia ex Thessalia, monte 
Calcodonio, unde oppidum et 
flumen nomen traxit. huius Apol- 
linem pecus pavisse ferunt. Eu- 
rytus et Echion, Mercurii 
et Antreatae Mereti filiae filius, 
ex urbe Alope, quae nunc vo- 



Carl Robert, 


490 

bos ’-'ivTic'.viiQi];. SciiOI. A/.utii] Gto- 
ccclic'.s rrb/.is ')] Iilc:'/i't]etc!s. I 57 ti'. 
i'l'/.vdc- S' c.:(pTSiiii’ rrgo.'in'tbr rvQT&ra 

KoQutvos Kuii'^iSr^s ScHOL 

rii'ss <5f qpf.'O! Kuivia aviizt/.svatii rots 

’AqyoviLvrais. oh KoqoU’ov ufftr- 

&ivrai bi- b Kcavti’S ■hqox^qov y^yovhrtii 
yvi'ij, ftr« Tloanbitivos avTij rtXrfiic.- 
CcivTOg slg clvbQCi' rovro 

ycio i Tf]C£ Kcd C-rqmeu'.r. I59ff. Kcavicc 
'/c-'p Jf'j&i' Tt^o ETi yj.Bt'ovciv c.oiboi K(t'- 

raiqoioiv OXhcQai clqqry/.ros 

crAcatTtToo ibvasro viioSt yair^s, &in'6- 
jiEi’OS crtpcQfjBi v.araiybi^v eXcTijOii- 
I i'Of. ii'/.v&i S' c'v M oil’ os TivaQt'iaios. 
bv mol rtc.vroiv .IjjToi'oijs bSiSu'ge ■O'cO- 
rtqOTttaq olo'>vmi'. StIIOL ’AartV/iov iHog 

0 il/oii'os rov TirS.gavoi, ar^rqbs bl X/.cb- 
QiSos. I 07 ft', ijbi y.cii Ei'QV bccaas Kri- 
fiivov Ttc'.is Ly/j bl u'urr;? Zwiclbos Kri- 
ixivi]v Jo7,om-,i6a vuistaaay.sv I 101 ft’. 
Otja s c; S' . . . ciiSiy.og vrrb ■/d'ova btaubs 
i'qvy.si', Tleigid'co taTtoasvov. Contra 
catalog Scholiorurn et Apollodor.l%, 16,6 
Orfiivg Jiyioyg I GOf. y.cd tigv ’Ay.taiQ 
via dlivoltLOV 'Ortoifrog mocev. 

1 71 ft. ii'mro b’ E vq V r i oj f rs y.cu 6.1- 
■Ai'iiig 'E Qv p OJT ris , vhg b ulv TC-.iovrog, 
b d'’'lQov 'Ay.roqiSao ' ryzoi buiv TeXioi'tog 
ivy-XsiriS ’Egvj^arr^g. ’'Igov S' Evovn'oyv 
e'vvv.c'.'i tqirog i]iv'0 1 X s vg. 177 ft', airaq 
6.n' Evjtot'riS Kd r d og y.is. rov qa Kdvr,- 
& 0 S irtumv Aitavrtc:Sr,s Xi?.i),uh’OV 
ov ulv i'utXXiv voarrjO£iv Kt'iqiv&ov vrto- 
rqOTTog. I SO SS. rot b' aq irti K X, v r to g 
ri y.c:l tgirog fjysqi-d^ovro. OtygiXirjg 
STtLovqOL.ciTrri viog Evqvrov vhg, Ehqirov, 
c;i crbgf ro^ov 'Ey.rifoXos' ovb' a^ovryo 
bo)rti'7]g avrci ya.q ty.tov iq{br]V£ borqqi. 
SciIOL ncuStg'Avrioitrfi. I1114ff uvrorg 
b' Aqr^rog u^v^brjiov Evqvrov vioVtcfirov 
6.'Qulhj y.oqvvij arvqplXi^rv sXdooag, ovttoi 
v.r,ql y.ay.fi Tt^^qcousvov 7) yuq tusXXlv 
avrbg bgacscitaL vitb ^icpr'i KXvrtoio. 
190 ft’, ratal 6 trt' Aiuy.iSiu p^rsy.i'u&ov 
OK Ucv i:u’ c'lugrcij, or b' b.ubS'fr ' voGtfiv 
yan uXtvc'.ixEvoi y.ativaodsv JiyiVTiS, 
on ^ojy.of i.SsXifsbv t^ivc-qi^av capqa6i>l. 
1 ' a uvj r iitv iv’AvQi'St vdcaciro vr^eco ' 


fuit ex urbe Larissa, c[uae est in 
Thessalia. Caeneus Elati filins 
Magnesius ex urbe Giyrtone, 
hunc nonnulli feminam fuisse di- 
cunt. cuipetentiXeptunnm prop- 
ter connubium optatum dedisse, 
nt in iuvenilem speciem con- 
versus nullo ictn interfici pos- 
set. itaque ostendit nullo modo 
centanros ferro se posse vulne- 
rare, sed truncis arbornm ut 
in cuneum adactis necatus est. 
Mopsns Ampyci et Chloridis 
filins. hie augurio doctus ab 
Apolline . Titaresins. Enry- 
damasCtimeni films, qni iuxta 
lacum Xynium Dolopeidem ur- 
bem inhabitabat. Theseus 
Aegei et Aethrae Pitthei filiae 
filins a Troezene, alii aiunt ab 
Athenis. Pirithous Ixionis 
filins frater Centaurornm, Thes- 
salns M e n 0 e t i n s Actoris 
filins Opuntius. Ery botes Te- 
leontis filins. E n r y t i o n Iri 
et Demonassae filins. Oilens 
Hodoedoci et Laonomes Per- 
seonis filiae filins ex urbe Na- 
ryce. C a n t h u s Canethi filins 
ab oppido Cerintho ex Euboea. 
C 1 y t i u s et I p h i t u s Euryti 
et Antiopes Pylonis filiae filii, 
reg’es Oechaliae. hie concessa. 
ab Apolline sagittarum scientia 
cum auctore muneris conten- 
disse dicitur. huius filins Cly- 
tius : ab hoc Aretus interfec- 
tus est. Pelens et Tela- 
mon. Aeaci et Endeidos Chi- 
ronis filiae filii . ab Aegina in- 
sula. qui ob caedem Plioci 
fratris relictis sedibns .suis di- 



T*er Argonaiiteiikatalog in Hygina I'abel'uucli 


491 


quae nunc 
vocatur 
Epliesus, 


ex urbe Gyr- 
tone. 

itaque l.ic 
ostendit nullo 
mode Centau- 
ros ferro se 
posse Yuliie- 
rare,sedtrua- 
cis arbomnj 
ut in ciineum 
adactis. 


Teleontis 

filius'. 

Eury: In et 
Demonassac 
iilius. 

Cauthus ab 
oppido Ce- 
rintho ex 
Euboea. 

Oechaliae ; 
hie cone, ab 
Apolline. 


Mercnrii et Antreatae Me- 
reti filiae filins . ex nrbe 
Alope, The.'Saii, Ethali- 
d e s Jlercurii et Eupolemiae 
lUyrmidonisfiiiae films, hie 
fuit ex lerbe Larissa, quae 
estinThessalia. Caeneus 
Elati iilius Magnesius. hune 
nonnulli loeminam fuis.se 
dicunt. cui petenti Xeptu- 
num propter cunnubium 
optatum dedissa ut in iu- 
venilem speciem con ver- 
sus nullo ictu iuterfici pos- 
set. Mops a s Arnpyci et 
Chloridis filius. hie au- 
gurio doctus ab Apol- 
line. Lyparensis. Eury- 
d a mas Ctimeni filius. (jui 
iuxta laeum Xynium Do- 
lopeidem uibein inhabi- 
tabat . Theseus Aegei 
et Aethrae Pytthei filiae 
filius a Troezene, alii aiuiit 
ab Athenis. Pirythous 
Ixionis filius. frater Ceii- 
taurorum, The.ssalus. Me- 
n 0 e t i u s Actoris filius. 
Amponitus. Eribotes 
Ameleon , E u r y t i o ii Ixi- 
tion. 0 ileus Leodaci et 
Agrianomes Perseonis fi- 
liae filius ex urbe Naricea. 
Clytius et Iphitus 
Euryti et Antiopes Py- 
lonis filiae filius, reges. 
hie concessa ab Apolline 
sagittarum scientia cum 
autore muneris conten- 
disse dicitur. huius filius 
Clytius ab Aeeta inter- 
fectus est. Paeleus et 


catur Ehesns. quidam autores 
Thessalos putant. Ethalides 
Mercnrii et Eupolemiae Mirmy- 
donis filiae filius. hie fuit La- 
rissens ex urbe Gyrtone, quae 
est in Thessalia. hie ostendit 
nnllo modo Centaur os ferro se 
posse vulnerare. .sect truncis 
arborum in curieuin adactis. C a e- 
neus Elati filins. Magnesius. 
hunc nonnulli foeminam fuisse 
dicunt. cui petenii Neptunum 
propter connubimn optatum de- 
diss-'', ut in iuvenilem speciem 
conversus nullo ictu interfici 
posset, quod e.st nunquam factum 
nec fieri potest, ut quisquam 
raortalis non posset ferro necari 
aut ex muliere in virum con- 
verti. M 0 p .s n .s Arnpyci et 
Chloridi.s fiiius. hie augurio 
doctu.s ab Apolline. ex Oechalia. 
vel ut •luidam putant . Lypa- 
ren.sis. Enrydarnas Iri et 
I'emonassae filius. alii aiunt Cti- 
meni filiuin . qui iuxta lacuni 
Xyninm Ilolopeidem urbem in- 
hal'itabat. Theseus Aegei et 
Aethrae Pytthei filiae filius a 
Troezene. alii aiunt ab Athenis. 
P iry thou s Ixionis filius. frater 
Gentaurorum. Thessalus. M en o e- 
tius Actoris filius, Amponitus. 
Eribotes Teleontis filius. Ame- 
leou. Euryti on Iri et Demo- 
nassae filius. Ixition ab oppido 
Gerintho. Oil e us Leodaci et 
Agrianomes Perseonis filiae filius. 
exurbeXaricea. alii aiunt ex Eu- 
boea. Clytius et Ip hit us Euryti 
et Antiopes Pylonis filiae filius, 
reges Oechaliae. hie concessa ab 



492 


Carl Robert 


Tlr^Xsvg S's W&t'j; sri SatuaTU j'Ciif iiaad^ii'g. 
I 95 if. roig S’ firi Ksy.Qortir^&sv d-pj;io; 
llv&s BovTTig, -^Tcag CLyc'9ov TsXsor- 
Tog, ivuiMsXir^g rl ^>dXriQog ■ ’'AX.y.ar uiv 
^TQoiriV.s ^ari]Q tog 1 103 f. Tiq:vg 
d”A-/i'u'.St]g Ziifcifcz y.dXXi-ce 6r,u.oi- 0sa- 
Ttiiojv. I 324f. S-cQiia 3' o usv raiooLO 
TTcSriVsy.lg diicfi/cT oniovg'J q y o g'Josero- 
QtSr,g Xdy^vt] jiiXai’. Ill f. cvv St ot {Ti- 
]pi\j) Aoyog Ttl'^t uiarem) ’jQSGroQiSr,g 
v.si'vr,g (Jluiercae) v^od-r^uoavi'?]atv. 
I 115 li. ‘f’XLC'.g S' ai-x’ iit'iTOisiv’Aoui- 
Srpf ijS'f j' Ty.civtv , frtt’ cicfvtibg ivuis 
Jtcoviaoio ty.ryri, rtaxoog tov, 7tr,yfi6iv 
icftaxLog Aaaxroto. ScHOL. xcoXig UiXo- 
xiovv/gov r, Agcii&vQea, Xj vvf uioan- 
SouiiTj ’PXLOvg .... Aaa-xog xioxaubg 0rj- 
(3tbr, i'xai' xLg rtr,ydg tv 'jQaL&vgiu. 
1 122ff. ovSt jiix oiids ^t'riVy.gaxegotfQOi’og 
'Hgay.Xfjog Tttv&oatO'’ AiCoviSuo Xl- 

Xatoatvov (■:d'tgL%ai 

Jvgy.riov ’jigyog duti'xbag .... djgut;&rj' 
ci'V v.v.i oi’TXag v.tiv so&Aog bxtdav, 
xrgcad’r^r^g. .SCHOL. ovxog ’Hguy.Xeog 
ig&uti’og, vibg Ss ©tioSauavrog rov 
JgvoTiog. I 188 If. t& S’ i'-rti Sr, Qtt'oto 
y.itv Aciiaoio ysvi&Xrj , yavTiXtog 

TLoatiSdavi S't y.ovgr] rcgCv xtox’ 

’Aiivacovr^ Aava'ig xiy.ix’ ti'vrfiiica Nav- 
xtXiov. I 139 ff. 'ISucov S’ vaxdxtog 
uSTiy.t'ad'Sv, oaaoi ivaiov ''Agyog, inti 
SsScLog xbv tbv uogov oiavoioiv i’,tt, 

ov fi'tv 

b y fiSv"A^avxog ixjfxvuog, SX.Xd uiv avxbg 
ytivuxo y.vSaXiuoig ivug{9uiov AioX.i- 
SrjGiv ArixoiSr^g. ScHOL. 6 St’lSficav, <bg 
LGxogtL ^tg£y.vSi]g. iyivtxo naig’Aaxsgic'.g 
xf/g Kogavov y.al ’AnoXXmvog. IllGff. 
y.al ufjv AlxaiXXg y.gaxtgbv TloXv S t v - 
y. £ a AxiSri Xdaxogd z' iiy.vnoSojv 
ihgctx SsSarjati'ox innojv Zndgxri&tv. 

ScuoL. r] Si ^h'.Sa r^v 

BiaxCov &vydxrig. ^ ^bl ff. oi' x ’A<pa- 
gr^ridSui Av yv.tvg %al inig^iog ’'ISag 
’AgrjvriS-tv i'§cir, ittydXy ntgid-agotig 
dXy.fj dutfoxegoi' Avyy.tvg Si y.al o|d- 
TcTos iyiyaaxo dufiaatv, tl ixtov yt 
xtcXti y.X^og, dviga v.tivov gr^iSimg y.al 
lEpffE yaxU x^ovbg uvyd^ta&ai. SCHOL. 


versas petierunt domos. Peleus 
Phthiam , Telamon Salamina, 
quam Apollonius Rhodius in- 
sulam Atthida vocat. B u t e s 
Teleontis et ^euxippes Eridani 
fluminis filiae films. Phaleros 
Alconis filius ab Atbenis. Ti- 
pbys Hagniae filius. Boeotius, 
is fuit gubernator navis Argo. 
Argus Arestoris et Argiae 
Polybi filiae filius. tiic fuit 
Argivus , pelle taurina lanu- 
ginis nigrae adopertus. is fuit 
fabricator navis Argo. P h 1 i a s 
Liberi patris et Ariadnes Mi- 
nois filiae filius , ex urbe Phli- 
unte, quae est in Peloponneso. 
alii aiunt Thebanum. Her- 
cules lovis et Alcumenae 
Electryonis filiae filius, Theba- 
nus. Hylas Theodamantis et 
Ifiecionices nympliae Orionis filiae 
filius, ephebus ex Oechalia, alii 
aiunt ex Argis comitem Her- 
culis. Xauplius Neptuni et 
Amymones Danai filiae filius 
Argivus. I d m 0 n Apollinis et 
Asteries Coroni filiae filius, 
quidam Abantis dicunt , Ar- 
givus. bic augurio prudens 
quaravis praedicentibus avibus 
mortem sibi destinari intel- 
lexit , fatali tamen militiae 
non defuit. Castor et Pol- 
lux lovis et Ledae Thestii 
filiae lilii, Lacedamonii ex Sparta, 
uterque imberbis. his eodem 
quoque tempore stellae in ca- 
pitibus ut viderentur accidisse 
scribitur. Lynceus et Idas 
Apharei et Arenae Oebali filiae 
fiUi , Messenii ex Peloponneso. 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbuch. 


493 


Telamon, Aeaci et Pae- 
neidos Ceptionis filiae filii, 
ab Aegyna insula, qui ob 
caedem Phoci fratris re- 
lictis sedibus suis diversas 
petierunt domos, Pelaeus 
Phthiam , Telamon Sala- 
minam, quam Apollonius 
Phodius Atthida vocat. 
Bates Teleontis et Zeu- 
xippes Eridani fluminis 
dliae filius. Pbaleros 
Alcontis filius ab Athenis. 
T i p b y s Hagniae filius, 
Boetius. is fuit gubernator 
navis Argo. Argus Po- 
lybi et Argiae filius, hie 
fuit Argivus, pelle taurina 
lanugine adopertus. is fuit 
fabricator navis Argo. 
Phliasus Liberi patris et 
Ariadnes Minois filiae filius, 
ex urbe Phliunte, quae est 
inPeloponneso. alii aiunt 
Thebanum. Hercules lo- 
vis et Alcimenae Electryo- 
nis filiae filius, Thebanus. 
Hylas Theodamantis et 
Menodices nymphae Oreo- 
nis filiae filius, ephoebus, 
ex Oechalia, alii aiunt ex, 
Argis comitem Herculis. 
Hauplius Xeptuni et 
Danai filiae Amymones Argivus. I d- 
IQ n Apollinis et Gyrenes 
nymphae filius , quidam 
Abantis dicunt, Argivus. 
hie augurio prudens quam- 
vis praedicentibus avibus 
mortem sibi destinari in- 
tellexit, fatali tamen mili- 
tiae non defuit. Castor 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. phil.-hist. 


Apolline sagittarum scientia eum 
antore muneris contendisse dici- 
tur. huius filius Clytius ab Aeeta 
interfectus est. P a e 1 e u s et T e- 
lamon, Aeaci et Paeneidos Cep- 
tionis filiae filii, ab Aegyna insu- 
la, qui ob caedem Phoci fratris re- 
lictis sedibus suis diversas petie- 
runt domos, P elaeus Phthiam, Te- 
lamon Salamina, quam Apollonius 
Rhodius Atthida vocat. Butes 
Teleontis et Zeuxippes Eridani 
fluminis filiae filius. Phalero.s 
Alcontis filius ab Athenis. T i- 
phys Phorbantis et Hymanes 
filius, Boetius. is fuit gubernator 
navis Argo. Argus Polybi et 
Argiae filius, alii aiunt Danai 
filium. hie fuit Argivus, pelle la- 
nugine adopertus. is fuit fabri- 
cator navis Argo. Phliasus 
Liberi patris et Ariadnes Minois 
filiae filius, ex urbe Phliunte, 
quae est in Peloponneso. alii 
aiunt Thebanum. Hercules 
lovis et Alcimenae Electryonis 
filiae filius, Thebanus. Hylas 
Theodamantis et Menodices nym- 
phae Oreonis filiae filius, Ephoe- 
bus, ex Oechalia, alii aiunt ex 
Araris comitem Herculis. Xau- 
plius Xeptuni et Amymones 
Danai filiae filius, Argivus. Id- 
mo n Apollinis et Cyrenae nym- 
phae filius. quidem Abantis di- 
cunt, Argivus. hie augurio pru- 
dens quamvis praedicentibus avi- 
bus mortem sibi destinari intel- 
lexit. fatali tamen militiae non 
defuit. C a s 1 0 r et P 0 1 1 u X lovis 
et Ledae Thesti filiae filius, La- 
cedaemonii, alii Spartanos di- 
Klassc. 1913. Heft 4. 33 



494 


Carl Robert. 


^iQBy.vdtjs rl]v u7]TeQCi riav tisqi ’'[Sccv 

^ Jgi]vr^v cf r^aiv I 15C ff. 

ci’V di U s Q Lv.Xv jJL B V 0 5 r^Tjlijiog mgto 
vhad'ccL, :tQse§vraros rtcuStav, oaoi 
TlvXm i^syivovzo Nr^XTjog 9£ioio. Sc HOL. 
Nrilshg S' fa;j£v TtaiSag fx usv XXa- 
QiSog Nsaroga Usqlv.Iviibvov y.tX. 
I 1(31 fl. Y.ai fi'ev ’JiKpiSdaug Kt]- 
(jPSi’S z' laav 'AQy.uS(t}&£v, dt Tsyir^v 
v.ui v.lrlQov ’AqisiSdvztiov fvaiov, vie 
fii'M 'A7.SOV' ZQizazog ye tisv tazrsz' 
toveiv 'Ayy.uTog, zbv jxiv ga nazr^o 
Avy.oogyog BTtlfiztsv , z&v autpa yvm- 
zdg TtgoyeveaziQog. I 172 f. Si y.al 
Avyeirjg, ov Srj (pcctig’HsXiotoe^uBvai' 
HXbloicl S ’ 0 y’ dvSgdatv BajiaaO.BVBi’. 
SCHOL. ouTOs yova ixiv tiv'HX.lov, bzcl- 
yj.rjaiv Si ‘fiogj^avzog , iy. zfjg IVril.faje 
’Tg^tvrfi. I176f. 'AazBgiog Si y.ul 
’A itzfCm V 'Trr6()a<T('ot> vtsg I7fA?.);r?]s &(pt- 
v.uvovAy^aUSog. I179ff. Taivagov avz’ 
SJTi zoiei Xlzi(ov Ev (f t] ti 0 g I'y.avBv, zov 
QarioeeiSclavizcoScoy.rJazcizov dXXojvEi- 
gaTiri Tizvoio (isyuad-Bviog zh.B v.ovgri- 
y.sCvog avi'iQ y.cd izovzov izti yXavy.oto 
dBBoy.Bv oi'Suazog oiSi &oovg jidztzsv 
aoSag. I Itfo ff. y.ccl S'ciX.Xca Sio itaiSs 
noBBiSdavog I'y.ovzo' fjzoz 8 fiiv rtzo- 
Xis&Qov ayavov MiXzjzoio voazpia&eig 
’Egytvog, o S’ ’la^gaffirig iSog "'Hg^g. 
Tlugd-BViriv’AyyaLOg vTisg^iog. ScHOL. 
’Ayy.aiog zHog ’AazvTtuXuCag zfjg ’Poiviy.og 
y.ul noBBiSaivog, 'Egytvog Si EXvusvov 
zoi' IlgBBfiaivog y.ul Bovgiyrjg zgg ylvy.ov. 

TLug&Bviu Si j] Sdfiog utzo Tlug- 

d’Si'tag zijg Eufiov yvvuiy.bg c'ivoud:B9ri. 
1 IbO ft’. OtvBi'Srjg S’ B7ZI zotBiv uqpogftrj- 
iiBig KuXvSCovog uXy.r/Big ]\J bX b u y g og 
civrd.vd'B .Luoy.ooiv zb. AuoKOcovOivt/og 
uSeXtfiBOg ■ oi> fxiv lijg ye firjZBgog. I lOttff. 
y.ut lii]v 01 fiTjzgotg uvzi]v oSbv Bv fiiv 
uy.ovzL, Bt Sb y.ul iv ozuStij 8B8arifiBi*og 
uvzKpBoBB&ui, 0BBZLu8rjg”I (p I y.Xog Bq:oi~ 
fidgzT]BS -Movzt. ScHOL. 'AX9aLU 
y.i.ug uSbJ.cpoi by. AT]i8auBiag zijg Uegiij- 
govg. 1 207 f. By. 6 dgcc ^l^oiv.rfoiv v.{bv 
X ip i z 0 g ’OgvvziSuo JXuv^oXov By.yB~ 
lUvig. Scnoi.. rbv Si^Iipizov yBVBuXoyBi 
XS «! iioi.ov V.UI TJegi vB(v.v,g zijg '[ziTTOfiuyov. 


ex his Lynceus sub terra quae- 
que latentia vidisse dicitur. 
Item Idas acer, ferox. P e r i- 
cly menus Xelei et Cblori- 
dis Amphionis et Niobae filiae 
films, hie fuit Pylius. Am- 
phidamas etCepheus, Alei 
et Cleobules filii de Arcadia. 
A n c a e u s Lycnrgi filius , Alei 
nepos, Tegeates. Augeas Solis 
et Xausidames Amphidamantis 
filiae filius. alii dicunt Phor- 
bantis et Hyrmines filium. hie 
fuit Elens. A s t e r i o n etAm- 
p h i 0 n Hyperasii filii , ex Pel- 
lene. Euphemus Xeptuni et 
Europes Tityi filiae filius, Tae- 
narius. hie super aquas sicco 
pede eucurrisse dicitur. An- 
caeus alter, Neptuni filius, 
matre Astypalaea Phoenicis filia, 
ab Imbraso insula, quae Par- 
thenia appellata est, nunc autem 
Samos dicitur. Erginus Nep- 
tuni filiuS , a Mileto , quidam 
Clymeni dicunt. Orchomenius. 
Meleager Oenei et Althaeae 
Thestii filiae filius, quidam Mar- 
tis putant . Calydonius. L a o- 
coon Porthaonis filius Oenei 
frater, sed non ex eadem matre, 
Calydonius. Iphiclus alter, 
Thestii filius, matre Leucippe, 
Althaeae frater, Lacedaemonins. 
hie fuit acer. cursor, iaculator. 
Iphitns Xauboli filius ex Pe- 
rinice Hippomachi filia, Phocen- 
sis. Zetes et Calais Aqui- 
lonis venti et Orithyiae Erech- 
thei filiae filii. hi capita pedes- 
que pennatos habuisse ferun- 
tur crinesque caeruleos , qui 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbucli. 


495 


et rollux iovis et Ledae 
Thestii filiae filiius, Lace- 
ex Sparta. daemonii,uterqueimberbis. 

bis eodem quoque tempore 
stellae in capitibus ut vide- 
rentur accidisse scribitnr. 
Lynceus et Idas Apha- 
rei et Arenae Bibali biiae 
filii, Messenii ex Pelopon- 
neso. ex his Lynceus sub 
terra quaeque latentia vi- 
disse dicitur. Item Idas 
acer. ferox. Periclime- 
nus NUei et Chloridis 
Amphinois et Niobes fi- 
liae filius. hie fuit Py- 
lius. Amphidamus et 
Cepheus Egei et Cleo- 
bules filii de Arcadia. An- 
Alei nepos. caeus Lycurgi filius, Te- 
geates. Augeas Solis et 
alii dicunt Naupidames Amphidaman- 
Phorbantiset^-g hie fuit 

Hyrmmes » i. • i 

filium, electus. Asterion et 

Hip r SI 

Amp h ion Yeptacli filii, 
ex Pellene. Euphemus 
Keptuni et Europes Tityi 
filiae filius, Taenarius. hie 
super aquas sicco pede 
cucurrisse dicitur. A n- 
caeus alter. Xeptuni fi- 
lius , matre Astypalaea 
Phoenicis filia, ab Imbraso 
insula, quae Parthenia ap- 
pellata est, nunc autem 
Samos dicitur. Erginus 
Neptuni filius a Mileto, 
quidam Periclirneni dicunt, 
Orchomenins. Meleager 
et Althaeae Oenei filius, quidam Martis 
Thestii tlliae. Calydonius. Lao- 

c 0 0 n Porthaonis filius. 


cunt, uterque imberbis. his eodem 
quoque tempore stellae in capi- 
tibus ut viderentur accidisse scri- 
bitur. Lynceus etldasApha- 
rei et Arenae Bibali filiae filii, 
Messenii ex Peloponneso. ex his 
Lynceus sub terra quaeque la- 
tentia vidisse dicitur, neque ulla 
caligine inhibebatur, alii aiunt 
Ljmeeum noctu nullum vidisse. 
idem sub terra solitus cernere 
dictus est, ideo quod aurifodinas 
norat ; is cum descendebat et au- 
rum subito ostendebat, ita rumor 
sublatus. eum sub terra solitum 
videre. Item Idas acer, ferox. 
Periclimenus Nilei et Chlo- 
ridis Amphinois et Yiobes filiae 
filius. hie fuit Pyliu.s. Amphi- 
damus et Cepheus Egei et 
Cleobules filii de Arcadia. An- 
caeus Lycurgifilius, aliinepotem 
dicunt. Tegeates. Augeas Solis 
et Naupidames Amphidamantis 

filiaefilius. hie fuit electus. Aste- 
rion et Amphi on Ypetaclifilii, 
alii aiunt Hipasi, ex Pellene. Eu- 
p h e m u .s Neptuni et Europes Ti- 
tyi filiae filius, Taenarius. hie 
.super aquas sicco pede cucurrisse 
dicitur. A n c a e u s alter , Xep- 
tuni filius, matre Alta Cathesti 
filia. ab Imbraso insula, quae 
Parthenia appellata est, nunc 
autem Sam o s dicitur . Erginus 
Xeptuni filius. a Mileto, quidam 
Periclirneni dicunt. Orchomenius. 
Meleager Oenei et Altheae 
Thestii filiae filius, quidam Mar- 
tis putant, Calydonius. Lao- 
coon Porthaonis filius, Oenei 
frater. Calydonius. Iphiclus 
33 =*^ 



496 


Carl Robert, 


1 2 1 1 ff. ZtiT (iv KdXcits rt Booijwi 
vhs i'v.ovTo, oi's ^or 'Eofjfd-jjig Bogiy 
TP/ifv 'Slosi'^-vui iaxarifi ©gj;-/?;? Svaxsi- 
u^QOv . . . . Tcb u£v in' dy.QQtccrotet nodav 
f'/.ccTSe&fv ipfurc-'S eiLOv attQOuivco nri- 
Qvyus, uiyci &avuc! iSie&c't, x^veiLciig 
rfoXiSlCdL Siavyicg, ccfirfl il vcatoig v.Qaa- 
Tog i^ i'rtdroio ^). y.ctl Kt'/fi’Og frO'Ci y,UL 
i'r&u y.vdviOL Soviovro (lerd nroiijeiv 

i9HQUL II 290 f. Ztqo- 

(fddag 6i ^srcivJ.iiovd^ dv^ofanoL vrjoovg 
toto ■/’ 'iy.r^Tt, nccgog UXazag y-uXiovTSS- 
I 1302 ff. Tf cqrii’ atvyegi'} tictg fjrlfi’ 
inuaaa xegalv eg:’ 'Hgccv.Xr,og, o uiv di- 
^la&ciL i'gvy.oi’ (j,Oit Rylae rapiiim per 
Rysiam erra/item). diXXcov yug IlsXiao 
SiSovnoTOg ut' dvcdviag Ttjio} iv du- 
(figvT?] ns(fr£v, y.al dutjauto yatuv du(p’ 
ciVTOcg, artjXag Ts Sva y.a&vntg&sr ft(v- 
|fv, S>1’ izigri, ^c:a§og iriQid>aiov &v8gd6i 
Xivcasiv, y.h'vrat rj,r,£ftog inb nvoifj 
Bogicio. 


pervio aere usi sunt, hi aves 
Harpyias fugaverunt a Phineo 
Agenoris filio, eodem tempore 
quo lasoni comites ad Colchos 
proficiscebantur , quae inhabi- 
tabant insulas Strophadas in 
Aegaeo mari, quae Plotae ap- 
pellantur. hi autem , Zetes et 
Calais, ab Hercule Teni occisi 
sunt, quorum in tumulis super- 
positi lapides flatibus paternis 
moventur. hi autem ex Thracia 
esse dicuntnr. 


IJ So hat Hygin interpungiert. indem er c:pg:i ds vtbzoig y.gdazog f’l vztdzoio 
an: die Flegel bezog. In AVahrheit beziekt es sick auf die Naekenhaare, gehdrt 
zum folgenden, und v.gduzog steht zu ai'xivog parallel. 


Xun muS ich aber auf den Einwurf gefaBt sein, da6 drei der 
von mir dem Interpolator zugeschriebenen und als unmoglich be- 
zeichneten Genealogien auch an spateren Stellen des Fabelbuchs 
wiederkehren ; Argos wird in demselben Capitel, wo vondemVer- 
haltnis der einzelnen Argonauten zu ihrem Schiif die Rede ist, 
als Sohn des Danaos, Tiphys in Fab. 18 als Sohn des Phorbas, 
Mopsos in Fab. 173 als der des Amykos bezeichnet. Diese Er- 
scheinung mussen wir in groBeremZusammenhang betrachten. Denn 
zwei ahnliche Corruptelen des Argonautenkatalogs hnden sich schon 
an friiheren Stellen der kleinen Schrift. So heifit, worauf schon 
hingewiesen wurde, der Phrixossohn Kytisoros auch bereits in Fab. 3 
Cylindrus, und dieselbe Corruptel kehrt auch in Fab. 21 wieder. 
Lehrreicher ist der zweiteFall. Enter den Argonauten, die Hy^gin 
aus einer Xebenquelle hinzufiigt, erscheint ein MiJeus Hippocoontis 
fiUiis Pylhis. Schon Muncker hat es erkannt. dad damit Helens 
gemeint ist, dessen Name vorher, wo er als Vater des Perikly- 
menos erwiihnt wird, zu Xile-is verderbt ist. Dieselbe befremd- 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbuch. 


497 


sed non ex Oenei frater, Calydonius. 
eadem matre- 1 p h i c 1 u s alter , Thestii 
films, matre Leucippe, Al- 
thaeae frater, Lacedaemo- 
nias. hie fuit Areas, eur- 
ex Perinice sor, iaeulator. Iphitus 

Hippomachi ;^auboli filius , Phocensis. 
iilia. _ , r, ■ 

Zetes et Calais Aqui- 

lonis venti et Orithyiae 
Erichthei filiae filii. hi 
capita pedesque pennatos 
habuisse feruntur crines- 
qiie ceruleos, qtd pervio 
aere usi sunt, lii aves Har- 
pyas fugaverunt a Phineo 
Agenoris filio eodem tem- 
pore, quo lasoni comites 
pienAcheloen ad Colchos proficisceban- 
inhabitabant in- 
cuntur capiti- sulas Strophadas in Aegeo 
bus gallina- ^ari. quae Plotae appel- 

tae,alasiiueetlantur. hi autem, Zethes 

bracliia lui- Calais, ab Hercule telis 
mana, ungui- ... . , 

bus magnis, occisi Sunt, quorum m tu- 

pedibusque maiis superpositi lapides 
pectus album flatibus paternis moventur. 

i'oeminaque autem ex Thracia esse 
humana. , . , 

dicuntiir. 


tres Thau- 
mantis et 
Ozomenes 
Alias, Alo- 


alter, Thestii filius, matre Leu- 
cippe, Altheae frater ex eadem 
matre, Lacedaemonlus. hie fuit 
Areas, cursor, iaeulator. Iphi- 
tns Xauboli filius, Phocensis. alii 
Hippasi filium ex Peloponneso 
fuisse dicunt. Zetes et Calais 
Aquilonis venti et Orithyiae 
Erichthei filiae filii. hi capita pe- 
desqiie pennatos habuisse fe- 
runtur crinesque ceruleos . qui 
pervio aere usi sunt, hi aves 
Harpyas tres Thaumantis et 
Ozomenes filias Alopien, Ache- 
loen, Ocypeten fugaverunt a Phi- 
neo Agenoris filio eodem tem- 
pore, quo lasoni comites ad Col- 
chos proficiscebantur. cjuae in- 
habitabant insulas Strophadas in 
Aegeo mari, quae Plotae, appel- 
lantur. hae fuisse dicuntur capi- 
tibus gallinaceis, pennatae, alas- 
que et brachia humana. unguibiis 
magnis, pedibusque gallinaceis, 
pectus album foeminaque humana. 
hi autem, Zethes et Calais, ab 
Hercule telis occisi sunt, quorum 
in tumiilis superpositi lapides 
flatibus paternis moventur, hi 
autem ex Thracia esse dicuntur. 


liche Genealogie liest man auch in Fab. 10. die ich zum groBten 
Teil hersetzen miiB; Chloric JSiobes et {hi urbe Sell FE, verb, von 
Salmasius) et Ainphioms ftlia, quae ex septan mpeyu'-vnd. hnuc Imbud 
in coniugeni Helens Hippocoantis plius. ex eput procreueit hhiros 
niusculos XII. Hercules tuni Pyluni expugnard, Aelcum interjedt et 
fllios eiiis decern, iindecbnns autem Perich/menus hcneficiu iSeptuni uvi 
in aquilue effujiem comnintatus, inortan effugit. nam duodecim;is iSedor 
in cxiUo {llio FR. verb, von Barth) crat. Auch in Fab. 31, wo 
die Veranlassung vom Hafi des Herakles aiif Xeleus angegeben 
wil’d, heifit dieser ein Sohn des Hippokoon; Iseleum ILpiinr-oonfa 



49S 


Carl Robert, 


filium cum dcceni filiis occkVit, qiioniam is eum purgare sive Justrure 
noluit. Gresetzt nun, diese dreimal wiederholte Genealogie ware 
richtig und Xelens ware wirklich ein Sohn des Hippokoon und 
Enkel des Oibalos gewesen, wie kommt es dann. dad er nicht als 
Lakedaemonier, sondern als Pyiier bezeichnet wird? Hocbstens 
konnte er nach Pylos ausgewandert sein, woven aber weder Hwgin 
noch eine andere mythograpbische Quelle etwas zu berichten weiB. 
Aber die 10. Fabel enthalt auch einen direkten Widerspruch gegen 
diese Abstanunung, wenn sie den Neliden Periklymenos als Enkel 
des Poseidon bezeicbnet. Wie sollte das moglich sein, da weder 
Hippokoon noch die Xiobide Chloris von diesem Gotte abstammen ? 
Wohl aber kennt die ganze mythologische Uberlieferung schon von 
der Odyssee her den Xeleus als Sohn des Poseidon und der Tyro, 
und diese Genealogie bel'olgt Hygin spater selbst, wo er in der 
Liste der Iseptiml filil Fab. 157 iSeleus et Pelias ex Tyro, Salmonei 
film nennt. Also ist die Angabe Hipyocoordis fdius ohne Zweifel 
falsch, aber um eine einfache Xamenscorruptel kann es sich nicht 
handeln. Die Aufklarung bringt Apollodor, der von Herakles II 7, 
3, '2 sagt ; eXcov ds ri]v IlvXov iSTQccTsv^sv eh\ ^axidaifiova, gsrsXd'Elv 
toi'g ’I'Xnoy.oovTog TCcddag d'eXav jxsi> ykg cckroig aal diori 

Xi^Xst CvuE!xdxr}0a.v y.rX. Dieser Zug, da6 die Hippokoontiden dem 
Xeleus gegen Herakles beizustehen versuchten, wird auch bei Hygin 
nicht gefehlt haben, der etwa geschrieben haben mochte : Hercules 
cam Tylum expuyncu-et, XiJeuin, cui Hiypocooyitis filii atixilio veneraut, 
hderfecit. Auf welchem Wege dann die Verderbnis oder, wie wir 
vielleicht richtiger sagen werden. das MiBverstandnis entstanden 
ist, kann nach den beim Argonauten - Katalog gemachten Erfah- 
rungen nicht zweifelbaft sein. Das kurze E,elativsatzchen war 
ausgefallen und am Rande nachgetragen worden. Ein Abschreiber, 
der den Randnachtrag nur fliichtig ansah, bezog Hippocoontis fil. 
auf Xeleus und fiigte die Worte an falscher Stelle ein, wo sie die 
richtige Genealogie Xeptuni ct Tyrus filius verdrangt haben, ein 
Vorgang, fiir den uns ebenfalls der Argonauten-Katalog Beispiele 
geliefert hat. Der Fehler ist also in Fab. 10 entstanden und 
dann in Fab. 11 und 31 hineingetragen worden. Daraus ersehen 
wir, dafi einmal das Fabelbuch systematisch, wenn auch nicht kon- 
ser^uent, so durchcorrigiert worden ist, dafi die an erster Stelle 
auftretende Genealogie, um Einheit herzustellen, in die spateren 
Stellen hineingetragen worden ist, und so erklart es sich auch, 
daB die Fehler, die in den interpolierten Stellen des Argonauten- 
Ratalogs ihre Wurzel haben, weiter fortgepflanzt worden sind. 
Es ware leicht, noch eine ganze Reihe analoger Falle anzu- 



Der Argonautenkatalog in Hygins Fabelbuch. 


490 


fiihren^), doch mag es an einem geniigen. In Fab. 79 steht: 
ub (fid FR., verb. v. Muncker) Helinctiii Cmior et Pollux fratres 
lelligeranmt et AetJiiwn Thesei niatrem et Phisadieni Pirithoi soro- 
rein ceperunt et in servitutem soruri dedenint. DaB mit der 
Schwester des Peirithoos, die in der Ilias L 144 (daraus Ov. Epist. 
XVI 267) neben Aethra als Dienerin der Helena genannte Kly- 
mene gemeint ist, liegt auf der Hand-), aber ebensso daB Phisndie 
nicbt aus Clymene verderbt sein kann. Wenn wir uns aber er- 
innern, daB im Argonanten-Katalog Teleonth filius zu Amclcon und 
Iri et Demonassae filius zu Ixition verstiimmelt ist, werden wir 
uns nicht bedenken, in dem Namensungetlim PJtisidie die Triimmer 
von jihilia (d. i. filkt) JDiae zu erkennen. Hygin hatte cbiastisch 
geschrieben Cbjmenen filianiDiae (oder vielleicht lovis et I) me), Perl- 
thoi sororem. Xach dem Ansfall des Eigennamens suckte man 
diesen in dem verstiimmelten filkon Diae. Dieselbe Corruptel ist 
dann auch mit einer leicbten Vai-iante in Fab. 92 hineingetragen 
worden: Alexander Veneris impidsu Helenatn a Lacedaemone ah hospite 
Menelao Trokini ahduxit eantqne in coniugio hahuit cum ancilUs dualvs 
Aethra et Thisadie, qitas Castor ct Pollux taptivas ei assignaraiif, 
uliquando reginas. 

Es ist nun aber nicht gesagt, daB in den Fallen, wo es sich 
um Gienealogie handelt, imnier der falsche Vatername den rich- 
tigen verdriingt hat. Es konnte auch sein, daB erst der Interpolator 
iiberhaupt die Angabe des Vaters hinzugefiigt hat. Es muB nem- 
lich auffallen, daB in dem Fabelbuch die Abstammung der einzelnen 
Heroen immer und immer wieder mit geflissentlicher Weitliiufigkeit 
angegeben wird, mag dies vorher auch nocb so oft geschehen sein. 
Ohne Zweifel geschieht das in der Absicht, dem Leser diese Daten 
immer wieder in das Gedachtnis zu rufen, damit er sie sich mbg- 
lichst fest einprage, mit anderen Worten zum Zweck des Unter- 
richts. Dem gleichen Zweck dient die Kiirze der meisten Capitel, 
bei denen man sich des Eindrucks nicht erwehren kannn, daB sie 
zum Ausvvendiglernen bestimmt sind. Allerdings soil nicht be- 
stritten werden, daB die Schrift im Gegensatz zu Apollodors 
Bibliothek von Anfang an in Capitel eingeteilt war, nicht nur 
wegen der Analogie der Astronomica , bei denen diese Einteilung 


1) So hat der Interpolator die falsche Lesart Lyciis 'oben S. 184 A. 1) aus 
Fab. 15 in Fab. 74 und 273 eingesclimuggelt, wiihrend n Xemea dort unangetaset 
liefi. Auch der famose Konig DennonUs 'fab. ISO;, der aus dem Fuiripideischen 
Tragodientltel MilavUnr] r, gsaftiirig entstanden ist, gehort in diesen Zusammen- 
hang. 

2) Vgl. V. M'ilamotvitz Homer, tnters. 221 f. A. 15. 



500 Carl Eobert, I>er Argonautenkatalog in Hygins Fabelbuch. 

durch den Stoif geboten war, sondern aucb weil die von dem Ma- 
gister Dositheos benutzte griechische tlbersetzung diese Gliederung 
in Capitel aufwies. Aber noch der Eedactor der Scholia Strozziana 
des Germanicus las unsere Fab. 2 und 3 als eine fortlaufende Er- 
zahlung ’). Es hat also einmal eine Zerlegung in noch kleinere 
Capitel stattgefunden , d. h. das mythologische Handbuch ist zu 
einem mythologischen Schulbuch umgearbeitet worden, und zwar 
zu einer Zeit, als der Text bereits sowohl liickenhaft als interpoliert 
war. Da aber eine solche Emarbeitung nur im spateren Alter- 
tum stattgefunden haben kann, muB der Archetypus des Frisin- 
gensis, dessen Zustand unsere dritte Columne zu veranschaulichen 
versucht, in sehr friihe Zeit zuriickreichen. 

1) Germanicus ed. Breysig p. 142 s. vgl.' Eobert Eratostlisnis catasterism. 
rel. p. 2 S3. 


Nachtrag. 

IVahrend der Drucklegung bin ich noch auf eine treitere an falsche Stelle 
versohlagene Argonauten-Mutter gestoBen. Hylas heiBt Tlieodamaniis et Mecionices 
vtywphae Ononis filiae fiUns 'oben S. 492’. Da der Name der Mutter des schonen 
Knaben sonst nirgends uberliefert ist. liest man zunachst hieruber hin’ireg. Geht 
man aber der literarischen Lberlieferung fiber diese verschollene Heroine nach, so 
irird man stutzig. Die alteste ifir uns faCbare Erwahnung steht in einem you den 
Pindarscliolien ^Pyth. IV 35, zitierten Fragment der Hesiodeisehen Ebeen ,14.3 Rz.' : 
5) oZ'/j "TQiy nvy.trotpQcav Mr,y.ioviy.r„ 

;] riy.tv Evq;riUov ’Evpociyuia 

uSL/^d-ita’ iv (fUoTr^n crolv^gvoov ’AcpooShrig. 

Auch fur das Altertum scheint diese Stelle die einzige Quelle geti'esen zu sein. In 
der erhaltenen Literatiir begegnet sie uns, von Hygin abgesehen, erst wieder bei 
Tzetzes in den Chiliaden II CIS ff. und in einer fast gleichlautenden Stelle der Lyko- 
phronscholien 867. In den Chiliaden heiCt eS: 

Ev(friuog iiccig JoiQtdog Th. KieGling, y.cd tov Iloctiduirog 

liV ovv EigcoTtrig Tirvov ii'xs Mriy.iovty.r,g 
rfjg 9vyaTQog 'Slgi'on’og, 

worauf das erwahnte Pindarscholion, nicht ohne ein grobes MiBverst.indnis, para- 
phrasiert n'ird. Aber auch in den ausgesehriebenen AVorten erkennt man auf den 
ersten Blick ein yersifiziertes Scholion, offenbar dasselbe, das uns verkurzt zu Apol- 
lonios 1 179 vorliegt: EvgmTiri Tirvov rov ’ElcLgrig rtcadog. Da es nun kaum glaiib- 
lich ist, da6 man eine obskure Orionstochter auGer dem Euphemos auch dem Hylas 
ziir Mutter gegeben haben sollte, so ryird Hygin geschrieben haben; Ehqihemus 
Keqjtnni et Eiiropes Tityi filiae s. S. 494;, alii aiiint Hlecionices nympliae Orionis 
filiae fitins. Die Variante ist u'ieder ausgelassen und am Rand mit dem Stichrvort 
fiUin nachgetragen U'orden, ryorauf sie vor das filius hinter Tlieoilumantis, 'vvo man 
dii-- Angabe der Mutter ■. ermiCte, eingesetzt rvurde. 



Ein manichaisches Gediclu. 

Von 

Mark Lidzbarski. 

Vorgelegt in der Sitzung vom 21. Feliruar 1919. 

TJnter den in Turfan gefundenen maiiichaisclien Texten in per- 
sischer Sprache verdient ein Gedicht besondere Beachtung. Es 
wnrde von F. W. K. Miiller in Hamhchriften-Eeste in Esrangelo- 
ScJiriff aus Turfan, Chinesiscli-Turldstan, II (Abbandlungen der Berl. 
Akademie 1901), p. 51 veroffentlicht. C. Salemann gab davon 
eine berichtigte Transkription in Maniihdi^clic Shnlien I (Zapi.ski 
der Petersburger Akademie, Serie VIII, bistor.-pbil. Klasse, Bd. 
VIII, n. 10), p. 4, und diese Transkription gebe icli bier %Yieder; 

o o D’n DDnsD’i i’or 'S 

o o — o o c’n "12 nS'D^’Ni is -on 

jjsnvsN =’n :oNis 
o o c^n nsiis :i’Dr b’SNs fs ’S 

b’SNs ;s’or fN c’n nsi-s 
0 — 00 jnu’ST ID ora ^Nons is 

cNnns ^NT’ Nisry in 
iTn’n |n; 2 run 
— 00 i;DnriON ID INDSN IN 

Hr. Andreas stellte mir cine neue Ubersetzung des Stiickes 
zur Verfugung. die ieh bier mitteile: 



502 Mark Lidzbarski, 

Ein dankbarer Scbiiler bin ich, 

der aus Babel dem Lande entsprossen ich bin. 

Entsprossen bin ich aus dem Lande Babel. 

nnd an der Wahrheit Pforte hab ich gestanden. 

Ein verkiindender Schiiler bin ich, 

dei’ ans Babel dem Lande fortgezogen ich bin. 

Eortgezogen bin ich aus dem Lande Babel, 

anf daB ich einen Schrei schreie in der auf Erden gewor- 

denen (Welt)O- 

Euch, (ihr) Getter, will ich anfiehen, 
ihr Gutter alle, erlasset (mir) 
meine Slinde dnreh (enre) Verzeihung. 

In der Einleitung zu den Mandais<:hen Liturgien (Erganznngs- 
heft zum laufenden Jahrgange) snche ich zu zeigen, daB die man- 
daischen Hymnen in ihrer Eorm auf kurze Gedichte von vier 
Zeilen zu drei Hebungen zuriickgehen. In den erhaltenen poeti- 
schen Stiicken erscheinen je zwei knrze Verse zn einem Doppel- 
verse vereinigt, und der zweite Halbvers wird gewbhnlich mit i 
(pron. relat. oder „auf daB'-) oder i „und“ eingefiihrt. Ferner 
wird sehr oft der zweite Halbvers mit umgekehrter Wortfolge 
als erster Halbvers des folgenden Verses wiederholt. Alle diese 
Eigentiimlichkeiten haben auch die beiden ersten Strophen des ma- 
nichaischen Gedichtes, und wie Hr. Andreas mir mitteilt, sind diese 
Eigentiimlichkeiten der persischen Poesie ganz fremd. Ich fragte 
mich daher , ob das Gedicht nicht ursprlinglich in aramaischer 
Sprache abgefaBt war. In der mandaischen , wie auch in der 
alteren syrischen Poesie hat der kurze Vers drei Hebungen. Um 
zu sehen, wie die manichaischen Verse sich aramaisch ausnehmen, 
ubersetzte ich sie ins babylonische Aramiiisch. Ich habe fiir die 
Ubersetzung die mandaische Schreibweise genommen, da das Man- 
daische hier am ehesten als aramaischer Dialekt in Betracht kommt. 

D’lOn’J SpiN \'>2S2 pi NJNniND NJN 
n’ONp Nuti’iDi N3K3 byi spiN p 

n’ps’j Npis pi Ni’onxn njk Niixp 
Nobs3 Nbsp invyl b’ssn ^^p^N p n’pD’j 

JIS’NbW N’MnVn JID’NJ’rD; 

snnN’nn ’N'NiDsn N’bipiaty 

1) Oder „zuschreie uem auf Erden gewordeneu’'. 



Ein manichaisches Gedicht. 


503 


Es zeigt sich nun, claB die Verse je drei Tonworter enthalten. 
Nur beim zweiten Verse der dritten Strophe ist es unsicher, aber 
bei dieser ist es iiberhaupt fraglicb, ob sie zum Gedichte gehort. 
Im Yorliegenden persischen Text haben die Verse nach Andreas 
je acht Silben, doch kann dies der Ubersetzer hineingebracht haben. 

Die hervorgehobenen Momente sprechen an sich noch nicht 
bindend fiir das Aramaische als Ursprache. Die besonderen Eigen- 
tiimlichkeiten der mandaischen nnd aramaischen Poesie lassen sich 
ja auch in anderen Sprachen nachbilden. Aber eines scheint mir 
zu zeigen, dab das Gedicht urspriinglich aramaisch abgefafit war. 
Die erste Strophe enthalt ein Wortspiel: .,der Wahrheit Pforte“ 
spielt auf ,,Gottes Pforte“ an. Xur im Aramaischen ist 

das Wortspiel vorhanden, im Persischen nicht. Fiir den Aramaer 
war die Bedeutung von S’iSD durchsichtig, zumal in Kreisen, in 
denen man kiinstlich viele Namen mit ausgehendem V bildete; dem 
Perser war die Bedeutung unbekannt. In einem persisch geschrie- 
benen Gedichte durfte auf die Bedeutung von b’UKa iiberhaupt 
nicht angespielt oder es muBte eine Erklarung von beige- 

fiigt werden. 

Es sei mir verstattet, ein Beispiel aiis der neueren deutschen 
Literatur anzufiihren. Theodor Fontane fiigte in den Roman ,,Vor 
dem Sturm“ ein Gedicht auf Seydlitz ein. Er spielt darin auf 
Calcar als Geburtsort des Reitergenerals an und sagt: 

Zu Calcar war er geboren 

Und Calcar, das ist Sporn. 

Der Dichter mufite annehmen, dab die meisten deutschen Leser 
die Bedeutung des lateinischen calcar nicht kennen, daher gab er 
eine Erklarung des Wortes. Ware das Gedicht lateinisch abge- 
fabt, so brauchte, ja durfte eine solche Erklarung nicht stehen. 
Ebenso verhalt es sich mit dem manicbaischen Gedichte : aramaisch 
geschrieben brauchte es nicht zu sagen, was bedeutet, per- 

sisch geschrieben mubte es eine Erklarung geben. 

In der Litnrgie, in der das Stiick steht, werden vielfach nur 
die Anfange von Hymnen gegeben. Dab die beiden Strophen zu- 
sammengehbren und nicht etwa die Anfange zweier Gedichte sind, 
ist klar. Sie zeigen vbllig gleichen Bau, und die zweite Strophe 
schliebt sich inhaltlich an die erste an. Babel ist die Heimat des 
Dichters, von dort zieht er als Herold des wahren Glaubens in 
die Welt hinaus. Durch die kiinstliche Umstellung der Worte im 
ersten Halbvers der zweiten Strophe ist diese zum Gegenstiick 
der ersten gemacht, wie wir innerhalb der Strophe Vers und Ge- 
genvers haben. Doch kbnnen die Strophen eine Fortsetznng ge- 



504 


Mark Lidzbarski, 


habt liaben, die bier weggelassen ist. Unsieber ist es aucb, ob 
die dritte Strophe von vornberein zum Gedicbte geborte vmd ob 
aucb sie urspriinglicb aramaiscb abgefafit war. Andreas bait die 
Strophe fiir eine Responsion zum vorbergebenden Gredichte. In 
der mandaiscben Liturgie fiir die Tage der Wocbe in der Oxforder 
Sammlnng folgt anf ein erzablendes Stiick mit strengerem Metrnm 
als Responsion ein Stiick in freierem Metrnm, gewbhnlicb mit 
einem Gebete. Andererseits seben wir bei Qolasta 31 und 57, 
daB in demselben Stiicke anf Verse ein Gebet um Siindenvergebung 
in Prosa folgt. 

Zur aramiiiscben IJbersetzung sei bemerkt. Ancb das Gedicbt 
Qolasta 90 beginnt mit NJS Rl’OINn- — NJS’niSO bat den Sinn 
,,bekennend“ nnd ,,dankend''‘. jnnuti’y bedeutet nacb Andreas 
nur „dankbar“. Es ist aber mbglich, dafi urspriinglicb der Sinn 
,,bekennend“ gemeint ist. — Statt N’llNp konnte es aucb KJSTiVdNO 
beiBen, das aber schlecbt voransteben wiirde, nicbt aber silbiOi 
das „Stimme, Ruf" bedeutet. Andreas sagte mir, daB persiscb 
DTl5 ))laut scbreien“ nicbt „rafen‘‘ bedeute, Man darf daber den 
Ealbvers nicbt mit S’lpyi iibersetzen, woran man 

nacb Ginza recbts, p. 64, 14 ff., worauf Miiller nacb Brandt scbon 
hingewiesen bat, denken konnte. beiBt ..meine Siinde" 

und ,,mein Siinden“. Letzteres wiirde fiir die Stelle besser passen. 

Die Ankniipfung an das Scbrifttum der babyloniscben Taufer 
kann nur in den Anfangen des Manichaismus stattgefunden baben. 
Einer unserer zuverlassigsten Gewahrsmanner fiir Mani, der Araber 
En-Radim, sagt, daB Mani seine Jugendjabre bei den babyloniscben 
Taufern verbracht babe ’j. Derselbe En-Nadim sagt bei der Auf- 
zahlnng der Scbriften Mani’s, eine sei in persiscber, secbs in syri- 
scher (aramaiscber) Sprache verfaBt {Fihrist, p. 336). Nacb einem 
Zitat aus Manis Scbrift Sapiiragan bei Alberuni (Chronologic, 
p. 207, 17) sagte Mani, die Prophetic sei durch ibn, den Gesandten 
des Gottes der Wabrbeit, ins Land Babel gekommen. Daber 
vermute icb, daB das Gedicbt, oder wenigstens die beiden ersten 
Strophen von Mani selber herriihren. Icb stieB micb anfangs am 
Ausdruck ,;Schiiler“. Mani, der Religionsstifter, war der Meister, 
kein Jiinger. Aber Hr. Andreas sagte mir, daB nur den 

Schiller als Lernenden, nicbt den Jiinger in seinem Verbaltnis zum 
Meister bezeichne. 


1) In den McmOiiisclien Litiirgien als Teil II veroffentlicht, 

2) Fihrist, p. sielie dazu Sitzungsberichte der Berliner Akademie Ibid, 



Ein manichaisches Gediclit. 


505 


Das Interesse an der hier erorterten Frage geht iiber das 
kleine Gedicht hinaus. Ich habe auf die Angabe En-Xadims hin- 
gewiesen, daB Man! die meisten seiner Schriften aramaisch ge- 
schrieben habe. Wir diirfen anch hier En-Nadim als zuverlassigen 
Gewahrsmann ansehen. Von den Schriften wurden nun Bruch- 
stiicke in persischer Sprache gefnnden. Man wird bei der Unter- 
snchnng dieser anch an die aramaische Grundlage denken miissen. 
In Mullers „Itesten''‘ und IJbersetzungen von Andreas, die ich ein- 
sehen durfte, stieB ich ofter anf Stellen, bei dencn meiner Ansicht 
nach der Text erst nach Riickhbersetzung ins Aramaische ver- 
standlich wird. 



Zur Tjberliefeiiing und Textkvitik der Kiidmii II. 


Von 

Edward Schroder. 

Vorgelegt in der Sitzung vora 21. Febrnar 1919. 

Indem ich nach mehr als Jahresfrist mit der Yeroffentlichung 
meiner Yorstudien fiir eine neue Kudrun-Ausgabe (vgl. diese Nach- 
richten 1917 S. 21 ff.) fortfahre, muB ich ein Bekenntnis ablegen. 
Ich habe friiher den verschiedenen Ansgaben des Gedichtes von 
Eartsch (bei Brockhaas 1865. 4. And. 1830, nnd bei Spemann 1885) 
und den Yorarbeiten, die er in der Germania Bd. lU veroffentlicht 
hat, nicht die Anfmerksamkeit geschenkt die sie verdienen ; indem 
ich mich auf die beiden Ansgaben von Martin nnd Symons be- 
schrankte. war ich der Meinung, da6 in sie aufgegangen sein 
muBte, was etwa die Ausgabe von Bartsch gates bieten konnte. 
Ich gesteh zugleich. dab ich das nicht allzu hoch einschatzte: in 
Erinnerung an die in der gleichen Brockhausschen Sammlung er- 
schienene Ausgabe des Parzival. 

Ich habe mich griindlich geirrt ! Bartsch.s Ansgaben der Kudrun, 
in erster Linie die alte Brockhanssche, von der mir die 2 . Auflage 
(1867) jetzt dauemd zur Hand liegt, haben fiir die Kritik reichlich 
soviel geleistet, wie alle librigen Ansgaben vor nnd nach ihm zn- 
sammengenommen. Yor allem ist er der einzige Herausgeber ge- 
wesen der die Kndrunverse wirklich gelesen und nicht etwa blob 
wie Martin und Symons skandiert hat i). In mehreren hundert Fallen 
hat Bartsch als Erster die metrischen Mangel der Uberlieferung 
erkannt, und in der guten Mehrzahl hat er dann auch die richtige 


1) i on Bartsclis Naclifolgev in der Kursclmersolien Sammking, Piper, 
.'' liWeigt man lieber. 



Edward Schroder, Zur Uberlieferiing u. Textkritik der Kudrun II. 507 

Verbesserung gefunden. Das wird in der Folge dieser Studien 
immer wieder zu Tage treten, die sich bei der Ausarbeitung ofter 
zu einer Verteidigung Bartscbs gestaltet haben, wahrend ich bei 
den Vorarbeiten glaubte durchans Eigenes bieten zu kbnnen. 

Die Grrlinde fiir diese ganz unzweifelbafte IJberlegenheit Bartscbs 
und seine Frucbtbarkeit in der Aiedern’ Kritik sind zweierlei Art. 
Einmal ist B. niemals durcb die Yorstellung von Aufgaben der 
hohern Kritik der Kudrundichtung gegenliber gehemmt gewesen: 
er sab in dem Gedichte stets eine Einheit und traute seinem Ver- 
fasser eine ausgeglichene formelhafte Sprache und eine ziemlich 
glatte Metrik zu ; damit hat er Recht belialten. Dann aber kannte 
er das Kibelungenlied und seine Handschriften, auch die Ambraser 
Hs. d, die von demselben Schreiber herriilirt, grlindlich, und diese 
Kenntnis ist die erste Vorbedingung fiir die kritische Arbeit am 
Kudruntext: das Nibelungenlied muB man im Kopfe haben und 
mit der Arbeitsweise Hans Rieds muB man durchaus vertraut sein. 

Aufier Bartsch hat m. W. bisher nur einer unserer Fach- 
genossen den Schreiber der Ambraser Hs. seiner Aufmerksamkeit 
gewiirdjgt: Moriz Haupt, von dem sich nachweisen hiBt, daB er 
fiir die zweite Auflage des Erec alle Texte die in der Uberlieferung 
Rieds vorliegen, sorgsam gelesen hat. 

II. Die stumpfe Zasur. 

Fiir die ungeraden Halbverse der Xibelungenstrophe gilt die 
Regel; dreihebig klingendl ausnahmsweise vierhebig stumpf, haupt- 
sachlich zu Gunsten der Personennamen, denen in beschranktem 
Emfang andere Falle sich anschlieBen; alles in allem ca. B50, d. i. 
nicht ganz 7 Prozent. Ausfiihrlich behandelt ist die stumpfe Ziisur, 
unter Heranziehung der Handschriften, von Bartsch in seinen 
Entersuchungen iiber das Kibelungenlied (1865) S. 163—174; fiir 
mich geniigt Bartschs Text der Vulgata, gegen den ich in diesem 
Punkte nur unbedeutende Einwande zu erheben hiitte. 

Personennamen erscheinen in der stumpfen Zasur des 
Kibelungenliedes (2379Strophen) nach meiner Zahlung 548 x, 
d. h. etwa einmal auf je 4 Strophen. In der Kudrun (1705 Stro- 
phen) zahlt man 275 Falle, d. h. einen auf etwa 6 Strophen, nam- 
lich lldrfiiihot 56, Kudrun 45. IK rule 41. LuiJeuic 24, Ortidn 19, 

GirUnt 17, Edrdnt 14, EUdcldrc 13. Mdrhnc 11, Lidt 7, Ortrfinl, 
Slf/ehant 7, Sifr'd 5, tKr{r)riart 3 ; den Rest bildet 6 maliges Wute, 
das aber, wie sich zeigen wird, durchweg verdachtig ist. Das 
verhiiltnismaBig haufigere Vorkommen im Xibelungenliede erklart 



508 


Edward Schroder, 


sich leicht; es sind daran 40 Xamen beleiligt gegeniiber 15 resp. 
14 in der Kudruu, wo die Zabl der handelnden Personen iiber- 
hanpt viel kleiner ist; bier ist in der Zasur Hartnntot mit 56 Vor- 
kommen, dort S'lfrit mit 112 der banfigste Name, nnd Hartmuot fiigt 
sicb 33 X, Sifrit nur 13 X zum Endreim. 

Dagegen zeigt sicb ein Unterscbied bei den Landernamen: 
zwar ist deren Zahl nnd Vorkommen in der Kudrun an sicb groBer, 
aber docb mnfi es auftallen, daB dem einzigen Libia Nib. 429, 3*) 
in der Kudrun 12 Ealle gegeniiberstebn, namlicb AJzabe 667, 4. 
698, 4**); Bdljan 161,2; Gdrade (so zu lesen !) 126,1. 150,4; 
Wale'is 208, 2 ; feruer Irlnat Dat. 183, 1. 1680, 2 (1. Hildehurc dz Irlanf) ; 
Orilant Nom. 204, 4; Tenelant Dat. 571, 4. 1549, 4. 1612, 4. Es 
bleibt immerhin bemerkenswert, daB dem 12maligen Vorkommen 
des Dat. BiderJaut in den Reimen des Nibelungenliedes kein ein- 
ziger Zasurfall gegenubertritt ; daB der Nibelungendicbter diese 
Moglicbkeit gemieden hat, scheint mir zweifellos : in der Kudrun 
baben wir bei dem etwa gleichbaufigen Tenelant das Verbaltnis 15 : 3. 

Von den Eigennamen abgesehen bat das Nibelnngenlied in 
Bartscbs Text noch rund hundert Ealle Yon stumpfer Zasur bei vier 
Uebungen; nirgends zwingt uns die Uberlieferung, in solchem Ealle 
Dreihebigkeit zu dulden, wie das in unsern K u d r u n - Ausgaben 
so oft gescbieht und noch neuerdings besonders fiir den Ausgang 
i- ^ von Panzer, Hilde-Gudrun S. 17 ausdriicklich aufrecbt erhalten 
worden ist. Nun ist die Praxis des Kudrundicbters freilicb, wie 
wir bald sehen werden. im einzelnen nicbt die gleicbe wie im 
NibL, aber sie darf im ganzen eher als die strengere bezeicbnet 
werden, und daB sie in den Ausgaben nicbt so erscheint, liegt 
eben an der Unsicberheit und Nachgiebigkeit der Herausgeber 
gegeniiber der Uberlieferung. Wiirden wir fiir das Nibl. allein 
auf die Ambraser Hs. d angewiesen sein, so stiinde unser Text 
dem Kudruntext wesentlich naher. 

Was uns bier gar nicbt beriihrt, ist die Erage nacb der Ent- 
stebung der Nibelungenstropbe und der Vorstufe der dreibebig 
klingenden ungeraden Halbzeilm. Der Kudrundichter scbrieb im 
zweiten Viertel des 13. Jabrhunderts : er kannte nur das fest- 
stebende Prinzip und die erlaubten Ausnahmen. Aber auch fiir 
den Wiener Nibelungendicbter, der etwa ein Menscbenalter alter 
war, lag die Sacbe schon nicbt viel anders. Einerlei ob er die 

1) Wonnez 1025,4 nehm ich klingend, zumal es ebensogut Wormze gelesen 
werden kann. 

2) dagegen lies 706,2 mit Bartsch an den vonAlzable: uber diesen Weclisel 
der Form vgl. die IV. Studie. 


Zur Uberlieferimg und Textkritik der Kudrun 11. 509 

Personermamen von der Form xk resp. xxk noch zahlreich als 
Reste einer altern Praxis in der Zasur vorfand, oder sich selbst 
genotigt fuhlte, sie so zu verwenden, znnachst waren sie es fiir 
ilin, die das Prinzip der klingenden Zasnr zu durchbrecken ge- 
staiteten, und wenn er sich dann noch in bescheidenem ITmfang 
weitere Freiheiten erlanbte, so wird es vornehmlich imAnschlufi an 
die Personennamen geschehen sein, die ihm bier die Bahn wiesen: 
was fiir Ddncicurt nnd BladeVm erlaubt war, konnte doch nnmog- 
lich fiir hercart nnd Idinegin verhoten sein. 

Ich stelle nun den Bestand derartiger Zasuren in beiden 
Dichtungen einander gegeniiber, wobei es geniigen wird, einfach 
die Zasurwbrter zn verzeichnen; die Ubereinstimmnngen imWort- 
bestande, die beim Kudrnndichter wenigstens teilweise auf Remi- 
niszenz an den Branch seines Vorbildes znriickgehn, zeichne ich 
dnrch Sperrdruek aus. 


Kominalkomposita^). 


Mibl. 

burgetor 5S2, 2: halpfut 935,3; her- 
vart o8,B\ hdch{ge)zit bm.S. 565,4. 
689,4. 1412,2. 1484,2.2119,4; mar- 
sch alch 11, 1. 800, 3. 1645, 3. 1647, 1. 

1870.1. 1922,2; mereu'lp 1535,1. 

1539.1. 1588, 1 ; oeheim 716,2. 
1628, 1. 2271, 1; segelseil 381, 1; 
sicestersun-) 119,2; tarnhut 
iiberm HOt 1865,4; iirloup 1705,4; 
fiiverstat 950, 3 : widerspel 2272, 4. 

magezoge 1962,1; vrilfiave 1857,2; 
willekomen 126A. 789,3. 1167,1. 

1183.2. 1739, 1. 1810,1. 

ticherheii 3lb, ivdrlieit 191,4,. 1043,4. 

2015, 2 ; icerdekeit 12, 2. — 
botescliaft 746,1. 1193,4. 1421, 1; lih’- 
schaft 993,4. 1334, 1. 1494,2; mei- 
sterschaft 423,3; lientscJiaft 1552,4; 
vriunUchaft 1739, 2. 2160,4. 2191,4.— 
vorhtlich 1665, 4. — 


Kudrun. 

bur get or 1457,3; hocbvart 998,3; 
h6ch(ge)zit 172,4. 190,4. 1667,3; 
kintspil 858, 2 ; marschalc 553, 1 ; 
merkint 109,4-, ceheim 49-2, 4-, schif- 
iHctu 111, 1; sineivel 649,2; uber- 
muot 203,2; icestericint 1134,4. 


magezogen 53, 3; ic ill ek omen 
152, 1. 236. 2. 


bilUch 1693, 3, unbilUch 636, 2 ; aller- 
tdgelich 1041,3 0- — 


1) Mnalit Nib. 651, 2, dem gleicb hinte 653, 1 u. o. gegenubersteht, mag hier 
in der Anmerkuug einen Platz finden; hinte auch Kudr. 1346, 2. 

2) der Streit, ob iu-ester sun zu lesen sei (Bartsch, Untersuchungen S. 166), 
mag hier auf sich beruhen. 

3) wo Ettmiillers Anderung tegeliche von B. S. zu Unrecht aufgenommen ist. 

Kgl. Ges. d. Wiss. Nachrichten. Phil.-hist KUsse. 1918. Heft 4. 34 : 



510 


Edward Schroder. 


Schwere A-bleitung nnd Flexion^). 
tulant 1394, 1 ; x‘teyd 1704, 4. — 

[cirheit 44, 4 C. 1744, 1 C] — arheit i7. 4. 217, 4. 247, 3. IOG9, 4. 

1321, o. 1652, 4. 1055, 4. — 

I'lixetj'rn 516,4, 1327.2. — Tijiiiefitii 990,4, 12o0, 4 1253, 4. 

16S1, 3, — 
magedin 1249, 4, — 

guldoi nt?!. 2; Mfiiun lc?2C, 1; s'ldiu 
429, 1. — 

vaterVut 3S6, 4; xingerVin 299,4, xogeJ- 
Uti 1195,4. — 

heidiu 735,1. S25, 2: delieiniii — anniu 929,4. 1209, 1. 1277,2. 1359,3; 

eiuiu 81, 1. 484, 4, 1237, 3. 1242, 1; 
gruziii 159,3; iegellchiii 105,4; scd- 
wiu 12G9, 3; schceniu 211,3. — 

Fr emdworter. 

fernoib 576,3: jasgm 1783,3: polas baldeJd>iS01,Q', pilgenn H9,l. dB3, 2 . — 
602,3; JcaidJibhi 1542,3. 1574,4. — 

Ich habe die Vergleichung soweit gefiihrt, wie es einerseits 
die tjbereinstmimuTig der beiden Dicbtwerke und anderseits die 
Zuverlassigkeit der Uberlieferung fiir die Kudrun gestattete. Von 
bier ab empfieklt es sich, die Kudrun fiir sick zu bebandeln und 
das Kibl, nur zur Aufhellung und zum Kontrast heranzuziehen ; 
im iibrigen verweis ich dafiir auf Bartsch. Untersucbungen 
S. 163-174. 

Filter den Fallen, wo sich die beiden letzten Hebungen der 
vierhebigen ungeraden Halbzeile auf zwei Worter verteilen, sind 
zunachst ein paar, die dem Kompositum recht nahe kommen: das 
er als ein hegozzcn brunt 364,2: de^ mulitl die vdrndc diet 48, 3 
(wo Symons ohne Xot mit C. Hofmann umstellt): weiterhin des 
vd richcH liilnetjes s/'in 161,4; ditt irurcn rine^i niter bint 414,4; 
dus ich ndnen bf'r,ten r riant 534.3 und die sich gegenseitis 
stiitzenden Falle: (si spruch) Wcde, lieher rriunt 239,4. 531,1. 
1490,3; si sprach 't rat nespil m' 'ti' 1626,3; getbrste ich vor dem 
niter min 407,4; dan Liideicic der vdter min 964,4. In alien 
diesen Fallen setz ich fallende Betonung voraus. denn ich habe 
keinen gesicherten Fall von steigender Betonung in der Za.sur 

1) Nicht hier eingestellt, sondern unhedonklioh als Mingend gerechnet hab 
ich die Zahlwurter tdserd (1615, 4j, zireinzic 108, 1, selizic 1300, 1: und die in der 
Kudrun besonders zahlreidien Adjektiva auf -ic : geniedic 158,1. 557, 1. 626,3. 
1699,2, urigen(rdic\Gi~i,2-, (/ewY/iO'e 14, 4. 119,4. 163,4. 1663, 3; hocliveitic 381,3-, 
maene 1429, 1, unmiiezic 18o, 4. 264, 2. 268, 4. 785, 1. 1146, 3. 1347, 1. 1516, 4; 
sc-etzic 875, 2. 1514,3, sicertmazic 940,3. uhermiietk 238,3; icinic 1579,2. 



Zur Uberlieferung und Textkritik der Kudrun II. 


oil 


gefunden, wie etwa l!sibl. 999, 2 si leUen in lif einen sciiUt, 2053, 1 
Irinc Oh' vil Jci'ieiie eii sch'dt, 2196, 1 id tjcrne ivitre idi dir ijiiot, 
1012, 4 und ivesse ich icfr iz liH ijetun, 1220, 4 vh ir tinders n'dd <je- 
tilot, 2005, 2 dbich vhr dem dt'gen )e ijesdz. So les ich denn Kudr. 
761,2 die hrdlde er mit ini nhernicr und baite damit die IJberlie- 
ferung gegen B. M. uhere ; ich glauhe aber auch, da6 sich 959, 3 
im enicar ez von dent vuter gesJaht halten liiBt. Gregenseitig 
stiitzen sich ferner sica: er in genoinen Jiat 316,4^), ivie si niit 
dir get rug en licit 1586,2*), sicaz ich von ini verI6r{t)n hdn 
1406,3; vgl. dazu Nihl. 422, 4 mold ich es im geiceigcri liun, 2236,2 
sivuz ich nocli her gelehet liun. Zu halten ist ferner mit Bartschs 
allerding’s notwendiger Erganzung min rater ir (iJrii) vuter slaoc 
1016, 4 gegen M.’s Emstellnng. Mit Recht andern dagegen alle neuern 
Herausgeher iZefeh-u dtoher muof 585,1 in hdchgemuete (V.B. M.) 
resp. miiot der hClie (CHofm. S.); richtig stellte Martin um der 
ritter guot und edele 654.4; CEofm. Bi im gecriesch Ilagene 
509, 1. 654, 3 bleib ich bei Martins Kudrun eniJuenc in (sclwne), 
1656,3 stell ich nm Waten hat er riten mit in unde Fruoten. 

Mit die.sen 65 (49 + 16) Fallen glaub ich allerdings das ge- 
sicherte Vorkommen der stumpfen Zasur in der Kudrun (von den 
Eigennamen abgesehen) erschiipft zu haben; ihnen stehen in 
Bartschs Nibelungentext 100 Ealle gegeniiber. von denen ich aber 
(auBer 651, 2 noch) 6. 4. 376,2. 886,1. 1812,3. 2117,4 zu streichen 
geneigt bin, sodaB nur 95 (69 + 26) blieben; das ware fast das 
gleiche Verhaltnis; 4'*/o Nib., 3,8 " u Kudrun. 

Nachdem wir bisher die gleichen Freiheiten der Zasur. in 
ahnlicher Ausnutzung (resp. Zuriickhaltung) und mit nahestehenden 
A^^erhaltniszahlen gefunden haben, muB der fiir die Kudrun allein 
verbleibende Rest doppelt iiberraschen: ich meine die dreihebig 
stumpfen Halbverse mit der Zasur 'i Ich zahle bei Martin, die 
Falle mit ^Vate abgerechnet, 30. und M. nimmt so wenig daran 
AnstoB, daB er diesen Ausgang des ungeraden Halbverses einige- 
male erst durch Erganzung {niagh 211, 2. 543, 1) oder durch Um- 
stellung {vaier 1016, 4) herbeigefiihrt hat. Auch Sj’mons zeigt nur 
hier und da ein Widerstreben (das er PBBeitr. 9, 89 iiberhaupt 
nicht eingestehn wollte) und hat dann im AnschluB an Bartsch 
geandert, gelegentlich fiihrt aber auch er eine solche Zasur ganz 
neu ein, besonders schlimm in dem Vers 851,4 dci ze siben tagen. 


1) icbhatte fruher andern -sYollen siciiz er iu <ie> genceme und tde sie mit dir 
gctriiege. 



512 


Edward Schroder, 


Wie angstlich der Dichter einem Worte wie tage{yi) in der Zasur 
aus dem W ege geht, zeigt die W ortstellung : 

137, 3 iage sibenzehene 
164, 1 Ndcli tagen vierselienen 
216,4 inner tagen sibenen. 

Der Schreiber aber begebt den gleicben Febler in Nibl. 762, 3, 
wo er fiir inner tagen sicetven scbreibt inner zicelf tagen! 

Dabingegen bat Bartscb Germ. 10, 74 ff. den nngeraden drei- 
bebigen Halbversen mit dem Ausgang « u scbarfe Febde angesagt 
und sie in seiner Ausgabe iiberall beseitigt: in der Mebrzabl der 
Falle durcb Umstellnng (innerbalb des Halbverses oder iiber die 
Zasur binweg) oder Wortersatz, einigemal durcb grapbiscbe resp. 
lautlicbe Anderung des Wortbildes (nerjen fiir neren, bitten fiir 
hiten)\ in andern Fallen aber, indem er den dreibebigen Vers vier- 
bebig las oder so gestaltete — dies jedenfalls eine recbt ungliick- 
licbe Prozedur, denn sie scbalFt einen nenen Verstypus, den ander- 
weit weder das Nibelungenlied nocb die Kndrun iiberliefert bat 
und der mit seiner steigenden Betonung aus der Melodie unserer 
Strophe beraustritt. Es bandelt sicb urn Halbverse (mit B.s Skan- 
dierung) wie 

397, 4 ddniite diende ze lioce 
1015,4 ddz si dtch und dinen vdfer 
1167, 3 ich bin ein bote {dir} von gate 
1281, 3 mit mir {her} ze hove trdgen 
1482, 3 tch- (en}ii'eiz niht icie ich miige. 

Recbt libel ist die Versmelodie namentlicb im letzten Falle: 
miige (das iibrigens erst durcb v. d, Hagen aus dem zweiten Halb- 
vers in die Zasur gebraebt wurde), wird man getrost mit Martin 
in mbhte andern diirfen, wie der Sebreiber aucb im Nibl. gelegent- 
licb das Priis. mag fiir das Prat, mohte einsetzt (1261, 8). 1167, 3 
seblag icb vor {ich bin ein bote von gate {gesdnt} oder besser) ich 
bin ein bote run himete; 1015,4 empfieblt sicb die einfacbe Um- 
stellung das sie dich und den vdter din, vgl. vater min in der 
Zasur 407, 4. 964, 4 ; 1281, 3 andere icb mit mir ze hove fiieren-, 
397, 4 etwa dd mite diente Hurant ze hove (woT) der snelle degen guote. 

Dagegen bebalt Bartscb Recbt in der Mebrzabl der Falle, 
wo er die anstofiige Zasur einfacb durcb Umstellung innerbalb 
der Halbzeile beseitigt; es liegt bier meist so, dafi der Sebreiber 
unwillkiirlicb die prosaisebe Wortfolge eingefiibrt batte. Icb lese 
also mit Bartscb : 

400,1 swaz {so) im biite din frouwe 

637,3 ich hdn des jehen hceren 



Zur Uberlieferung und Textkritik der Kudrun II. 513 

815,2 sen boten ungeniuofen 
887,1 Do er {deny neven sinen 

1044:, 3 ir suit mit siten giioten (vgl. mit siten eJleydliaften 580.2) 

1346.4 e ez tage morgen 

1639.2 geben hie ze icibe 

1699.3 drt stunt sehen des jures. 

Die Berechtigung dieses Verfalirens an sich ist natiirlich 
keinem Gelehrten zweifelhaft : in einzelnen Fallen ist es friih 
gelibt (wie 244, 3 das si se hove sol ten, umgestellt von Ziemann) 
nnd dann von keinem spateren Heransgeber beanstandet worden: 
so hat denn auch ein weiterer Vorschlag B.s 

1032,4 ivas schaden iuiver rerlen (fiir teas iuwer rechen schaden) 

den Beifall von M. S. gefunden, die seine librigen Umstellungen 
nicht mitmachen. Woher diese Inkonsequenz? Offenbar ans keinem 
andern Grande, als da6 die Zabl der Falle zn gro6 erscheint. am 
ein radikales Durcbgreifen za gestatten. Dies Bedeuken mliCte 
also beseitigt werden; zavor aber will ich nieine Vorschlage za 
Elide flihren. 

39.4 kbmen keim (Jtin M.) se ‘hovd, 1. Iteiiii ze husc. vgl. Kadr. 
103, 2 ze hiise I heim, Nib. B. 256, 1 ludm ze Inlse ; B. stellt 
am dar zc hove kbmen 

82.2 si Kolten hi in ‘nereu' {nerjen B.), 1. siehen 

93.2 dem grifen einen 'cetech', 1. vereihen B. 

211, 2 1. ich tveiz eine (Jkoinccu) V. S. 

387,4 dus uns hie ze ‘hove', 1. huse'f 

436, 3 scheide uir, icir ‘mugen , 1. rnuozen 

440, 4 1. hie mite riten {dimneny [{schbne} B.) 

460,1 Den boten hies er ‘geben' {gdben B.), 1. teilen 

543, 1 1. Do ivulten si die 7Hage{dey resp. meide, s. GGN. 1917. S. 26 

825,3 des rniige icir uns ‘erholen’, 1. ergefzcn Z. V. B. 

905, 3 U)id heizet die ‘hestaten, l.herelhenD. i^besser als btscrkcii M.) 
1055, 3 dar zuo ‘bringen ndigt, 1. rniige bringen (besser als brmgen 
k u n n e B.). 

Zweimal erscheint biten in der Zasur, in dichter Folge 409, 2. 
410, 2 ; zufalliger Weise begegnen auch im Nibl. zwei Falle : 559, 3 
tees inch der kiinic bitet, 1253, 1 Til minnecTtche biten. und da hier 
die tJberlieferang gesichert i.st, hat Bartsch die Zasur durch Ein- 
fiihrang des it klingend gestaltet. In der Kudrun verfahrt er 
ebenso, aber hier taucht mir doch ein Zweifel auf ; Hans Bied hat 
namlich beim Abschreiben des Nibelungenliedes wiederholt ein 
fJegen seiner Vorlage durch biten ersetzt, so 10S1.2. 1112,4, und 



514 


Edward Schroder, 


zum mindesten Kudr. 409, 2 (wo ich friilier umgestellt hatte 
suit ir hiten Hcujenen) konnte man anch lesen Hagenen flegen. 

Zwei Worter des Typus vi u, namlich hote{n) und 14 'ate{n), 
ersclieinen in der TJberlieferung der Kudrun so oft, daB man ver- 
suclit sein konnte. gegen ihre grundsatzliche Anssckaltung aus der 
Zasur Bedenken zn erheben und bier etwa bereits Silbendehnung 
durck Verschari'ung des Konsonanten anznnehmen, die dann wohl 
aucb fiir cctech und bestiden gelten diirfte. Bei jenen muB icb daher 
etwas verweilen, um zu zeigen, wie das fehlerhafte Aufkommen 
solcher Zasurbilder sick vollziekt. 

734, 1 kat die Hs. Do spi'cich der pote, einen unmoglicken Halb- 
vers, und auBerdem ist vorker (733) nur von der Mekrzakl die 
Rede gewesen : so kat denn sckon Z. genau nack 771, 1 geandert 
Do sprach der hoten einer, und alle Spateren sind ikm gefolgt. 
Umgekekrt wird der Halbvers 229,2 Imhet er mb' einen 'hoten' 
durck das unnotig erlauternde hoten iiberladen, das darum von V. 
gestricken wurde und von M. nickt wieder katte aufgenommen 
werden .sollen. 616, 3 kab ich oben Bartsch zugestimmt, indem 
ich Idn als hinnen zur ersten Halbzeile zog, was also kaum eine 
Textanderung bedeutet; bei 815, 3 die ungenmofen hoten kab ich 
Bartschs Umstellung zen hoten ungeiniwfen gehilligt', auck in diesen 
beiden Fallen liegt die Entstekung der stumpfen Zasur klar zii 
Tage. Es bleibt nur nock iibrig 835, 2 xvaz er von shien hoten 
Jeider nuere ercant, und kier wird man unbedenklick die Umstellung 
von B. M, gut keiBen; ivai er Jeider nuere von sinen hoten errant. 

Wie hote eines der allerkaufigsten Appellativa, so ist Wate 
einer der haufigsten Eigennamen des Gedicktes: mit 210 Vor- 
kommcn folgt er auf Hartmuot (233 x) und iibertrifFt H'dte (201 x) 
und Kudrun (188 x). Aker er begegnet niemals im Eeime, und 
in der Zasur bietet ihn die tlberlieferung nur 6 x, d. i. kaum 
2^ 2 ®, 0 , wakrend etwa bei Hem ic die Zasur 50 ° o, bei Hartmuot 
die Zasur 42 ®o, Zasur + Endreim 58^2 °/o der Belege liefern. Von 
vorn herein zeigt das, daB das Wort in der Zasur gemieden wird, 
und da iiberdies alle von der TJberlieferung gebotenen Halbverse 
mit dem SckluB Wute{xi) nur dreikebig gelesen werden kbnnen, 
bietet sick jedenfalls keine Stiitze fiir Bartschs Annakme un- 
gerader vierkebiger Halbverse mit dem Ausgang u. Gleickwokl 
< bringt es B. fertig, mit kleinen Zutatcken auck zwei der TUafe- 
Verse iiir den von ikm erfundenen Verstypus zurechtzumacken: 

235, 4 t'r ((je)ddlite wie er HYctcm 
1512,3 (nu) uis ii'Uhliumcn, Wide. 

HeinUrteil liber diese Konstruktion branch ick nichUzu wiederholen. 



Zur Uberlieferung und Textkritik der Kudrun II, 


515 


Ich geh aus von dem verkriippelten Halbvers 451, 3 sich hefe 
'der' Wafe ; dies der vor dem Personennamen. der richtige Artikel, 
ist eine dutzendt'ack bezeugte TJnart Rieds und darf niclit in du her 
‘aufgelost’ werden (M. S.). wir haben also fiir die notwendige Er- 
ganznng hinter dem Namen freie Hand und sebaffen mil B.s b'telt 
Iteie Wate {der aJte) einen Vers, der zahlreiche Parallelen hat. Die 
gleiche Ergiinzung heifi ich gut 574, 2 deit etqdiulch er ^YatL^n (dem 
aiten}: Wofe der alte steht 30 x in der Zasurl Die in ahnlicher 
Knappheit nicht wiederkehrende GruBform le'ilhliomen , Wide! 
1512, 3 andere ich in Wate, (nd icid) icUlel-omen, was ins intimere 
hbersetzt die Parallele bietet zu her Wate. (nl) bit tcillelcoiiten'^) 
236, 2. Da allein der Nona. Horant 12 x in der Zasur steht, 
empfiehlt sich 300, 4 die Umstellung Wate andc Horant. Die Um- 
stellung von 945, 1 Do sprach Wate m'lt Visten (B.) wird durch das 
20malige(!) Do sprach Wide der alte (s. Studie IID gegen metrisebe 
Bedenken gestlitzt; zugleich aber beweist dies konstante 
Do sprach Wate der dUe [gegeniiber ebenso festem Du 
sprach dm alte {iibele) Ge rl i nt n. s. \\.], nebendem sich kein 
einziges Do sprach der alte Wate findet, daB der Dich- 
ter in der Tat gegen Wate in der Zasur hbehst 
empfindlich war. Und schlieBlich erkenn ich in 235,4 der 
Uberlieferung wieder nur die ganz besonders im letzten Vers 
liberaus haufige Einfilhrung der prosaisehen Wortfolge und andere 
er duhte icie er suite Waten suien alien friniif emphuhen. 

So hab ich mit durchweg leichten Eingriifen auch die samt- 
lichen Falle von Wait au.s der Zasur fortgeschafft. Dafi ich dazu 
wie iiberhaupt zu meinem ganzen Verfahren berechtigt war und 
es durchfilhren muBte selbst auf die nattlrlich unbestreitbare Mbg- 
lichkeit bin, daB dem Dichter trotz prinzipieller Abneigung gegen 
diesen Zasurtypus der eine und andere Fall dnrchgeschliipft sein 
kunnte. wird man kaum bestreiten. Den Bedenken aber, welche 
etwa noch bleiben, mbcht ich mit der schlieBenden Ausflihrung 
begegnen. 

Schon mehrfach hab ich im vorausgehenden zur Stlitze von 
Anderungen am Texte der Ambraser Hs. auf gleiche oder ahnliche 
Entstellnngen hingewiesen, die sich Hans Ried gegeniiber dem 
Nibelungenliede zu Schulden kommen laBt, wo wir in der Lage 
sind, sie ihm unfehlbar nachzuweisen. Ich zahle in den Lesarten 
von d bei Bartsch annahernd hundert Fiille, in denen die Zasur 
geandert, gestbrt oder vbllig verwischt ist. und alle Arten solcher 


1) tkas von Bartsch eingefugte )ii( ist metrisch notwemlig, daruber spater. 



516 Edward Schroder, Ziir Uberlieferung u. Textkritik der Kudrun II. 

Textverderbnis, die wir dort antreffen, begegnen in der Kudrun 
wieder; selbstverstandlicb hat man auch hier die grbblichen friih- 
zeitig erkannt und gewifi die Mehrheit langst beseitigt oder doch 
zu beseitigen versucht. In der kleinern Zahl der Ealle handelt es 
sich — im Nibelungenliede, bei dem ich hier bleiben will — ■ um 
eine Umstellung, welche auch den zweiten Halbvers beriihrt und 
dann vielfach die Zasur unkenntlich gemacht hat (vgl. 134, 2. 529, 1. 

759.4. 896,2. 1024,2. 1151,2. 1168,2. 1459,2. 1510,3. 1679,1. 
1690, 3/4. 1693, 1. 1867, 3. 2049, 4). In einer andern Gruppe ist 
das Zasurwort (oder zwei Worter) ausgefallen (so 204. 2. 226, 4. 
452,3. 524.1. 870,1. 1561,4. 1563,3. 1891,4. 1916,1). Entstand 
schon hierdurch gelegentlieh eine meist ohne weiteres als fehler- 
haft erkennbare stumpfe Zasur, so ist dies noch haufiger der Fall, 
wo Wortumstellung oder Wortersatz eintritt, etwa Jtie^ er lalde^ 
er ialde MeJ] 98, 2, niht cinders] anders nicht 1223, 1, heinltche] haym- 
Uchait 1255, 2, geiciz^en] wissenVich 1459, 1, unforhten] unforcldsam 

1 785. 4. Besonders aber interessieren uns die Falle, wo durch 
Verlust, Austausch oder Umstellung ein zweisilbig stumpier Zasur- 
ausgang des dreihebigen Halbverses entsteht: lidbe von relite] von 
recite hale 109, 3, do sprach der bote (sciere) 226, 4, valde] icale 263, 4, 
inner tagen ^tvelven] inner zuelf fagen 762, 3, scelte] sehen 795, 3, 
geliutet] gepiiret 1056, 3, vUgen] piten 1081, 2, pouge] page 1634, 2. 
1662, 4, Idinne] Jcnnig 1915, 1 u.s.w. 

Weim die Zahl solcher Entstellungen in der Kudrun grofier 
ist als im Kibelungenliede, so hangt das hauptsachlich mit der 
zunehmenden Lassigkeit des Schreibers zusammen: es ist kein Zu- 
fall, daB in den oben aufgefiihrten Beispielreihen die bei weitem 
groBere Mehrzahl auf die zweite Halfte des Nibl. fallt, und in 
der Kudrun, die sich in der Hs. anschlieBt, tritt die Abstumpfung 
Kieds noch deutlicher zu Tage. Allerdings ist auch die Uniiber- 
sichtlichkeit der Strophe in Kieds dreispaltiger Vorlage daran mit- 
schuldig, und diese steigerte sich noch bei der Kudrun mit ihrer 
iiberlangen SchluBzeile; die reimpaarigen Texte der Klage, die 
zwischen beiden steht, und besonders des Biterolf, der auf die 
Kudrun folgt, sind bei ihm unvergleichlich besser iiberliefert. 

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GOVT. OF INDIA 
Department of Archaeology ^ 

NEW DELHI. ^ 


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5. B., UB. N. DELHI.