IN BLAUB RERNEN
IN BLAUE FERNEN
VIVIENNE VON WATTENWYL
IN BLAUE FERNEN
Afrikanische Jagdabenteuer
Mit eigenen Aufnahmen der Verfasserin
VERLAG HALLWAG BERN
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Titel des Originals “Out in the Blue”
Übertragung aus dem Englischen von Rolf Bally
Alle deutschen Rechte vorbehalten vom Verlag Hallwag Bern
Druck: Hallwag AG.
Printed in Switzerland
Aufbruch
Die «Modasa» pflügte ihren Weg durch die dunklen
Wogen, geradewegs hinein in die untergehende Sonne.
Der schwarze Küstenstreifen mit seinen glitzernden
Lichtern glitt am Steuerbord vorüber, und ein hie und
da vor uns auftauchendes schattenhaftes Segel verlor
sich bald hinter uns in der Abenddämmerung. War es
wirklich wahr geworden, dass wir uns endlich an Bord
befanden und jeder rhythmische Schlag der Schiffs-
schrauben uns unwiderruflich vorwärts brachte Tag,
und Nacht, Afrika entgegen ?
Während der letzten zwei Wochen hatten wir kaum
Zeit gefunden, über unsern bevorstehenden Aufbruch
nachzudenken. Ausserdem hatten wir nie ganz daran
glauben können, weder als wir die Kataloge von Silver
studierten und viele Tage darauf verwendeten, unsere
Camp-Ausrüstung zusammenzustellen, noch als wir die
Schiffsplätze belegten. Ja, noch am Vorabend des 4. Mai
1923, dem Tag unserer Abfahrt, als wir in Benjamin
Edgington’s Werkstätte unser aufgeschlagenes Zelt
und die ganze Ausrüstung in aller Eile kontrollierten,
schien uns die endliche Verwirklichung unseres Trau-
mes kaum fasslich.
Denn wer lange auf die Erfüllung eines Wunsches
gehofft hat, dem scheint sie immer unwahrscheinlicher.
Wir hatten diese Expedition seit sieben Jahren ge-
plant und hatten gespart dafür, als ich noch zur Schule
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ging, und nun, mit zweiundzwanzig Jahren, stand ich
endlich vor der Verwirklichung dieses so lange herbei-
gesehnten Augenblicks.
Unmittelbar vor dem Weltkrieg 1914 hatte B., mein
Vater, zwei Jahre in Zentralafrika verbracht und das
Land, seine Jagdweisen und Reisemöglichkeiten gründ-
lich kennengelernt. Dann unternahm er eine Expedition
durch Nordost-Rhodesien, von welcher er eine schöne
Trophäensammlung zurückbrachte, die er dem Museum
in Bern überliess.
Einige Jahre später wurde dort ein neuer Kurator
gewählt, der mit seiner ganzen Persönlichkeit dafür
eintrat, dass das Museum neuen Schwung bekommen
solle, und der sein besonderes Interesse der Erneuerung
der Sammlung afrikanischer Fauna widmete. Hier bot
sich endlich die so lange ersehnte Gelegenheit: Die
Museumsleitung erklärte sich bereit, Transport und
Verpackung aller ihr zugesandten Trophäen zu tragen
— eine grosse Erleichterung für unser Expeditions-
Budget —, und was die übrigen Unkosten betraf, so
konnten wir, nachdem wir alle unsere Ersparnisse
flüssig gemacht hatten, zwei ganze Jahre lang unter-
wegs bleiben.
Man kann nicht gänzlich ohne Übergang vom Alltag
in das gesteigerte Erlebnis eines Abenteuers treten, und
da lag die Zeitspanne einer langen Seereise vor uns.
Allein zuzusehen, wie der Bug des Schiffes das Wasser
durchschneidet und es weißschäumend beiseite wirft,
macht uns das eine vergessen und erfüllt uns mit
lockenden Visionen des andern. Genügt das noch nicht,
so sind Port Said und Port Sudan wohl geeignet, einen
Vorgeschmack des Ostens zu geben, und der Suez-
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Kanal — von wo aus der Blick über endlosen Sand und
steinige, im Sonnenglast flimmernde Hügel schweift —
einen Vorgeschmack der Wüste.
Einen Monat später lief die «Modasa» in die blaue
Bucht von Kilindini-Harbour ein. Bei Einbruch der
Nacht verliess der Zug den Hafenplatz und trug uns
mit wachsender Geschwindigkeit landeinwärts in die
Dunkelheit.
Der Mond schien abwechselnd bald in das eine Fen-
ster, bald in das andere, während der Zug sich durch
das ersehnte afrikanische Grasland wand, undwir glaub-
ten in unserer Ungeduld den Tagesanbruch nicht mehr
erwarten zu können. Doch allmählich erstarb das Ge-
räusch der Räder, und unter Vorstellungen von Löwen-
jagden und dem Donner der Tsavobrücke in den Ohren
verfiel ich in festen Schlaf, bis mich die helle Morgen-
sonne weckte.
Die Regenzeit war gerade vorüber. Alles war grün
wie ein Park, die Atmosphäre so leuchtend klar, dass,
fast hundert Meilen entfernt, der schneeige Gipfel des
Kilimandjaro wie eine weisse Wolke am Himmel hing.
Aus Hügeln und Busch gelangten wir allmählich in
offeneres Gelände, die Athi-Hochebene, eine ungeheure
Grasfläche, die im Winde wogte wie ein Meer.
Solange es aufwärts gegangen war, hatten wir uns
fast die Augen aus dem Kopf geschaut, um Wild zu
entdecken und sahen auch richtig einige Giraffen und
dann und wann ein Hartebeest (Kuhantilope) —
aber grasten ganze Herden von Hartebeests, Gnus, Ga-
zellen und Zebras buchstäblich neben dem Geleise und
hoben kaum die Köpfe, als der Zug vorüberdonnerte.
Es war ein erstaunlicher Anblick und ganz dazu ange-
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tan, einem die Lust am Töten von Grosswild für immer
zu nehmen. Dies war jedoch ein Wild-Reservat; ausser-
halb seiner Grenzen würden wir Mühe genug haben,
zu erjagen, was wir für unsere Sammlung brauchten.
Es stellte sich dann auch heraus, dass wir noch ge-
nügend Zeit finden würden, um die Freude am Jagen
wiederzugewinnen. Wir hatten gehofft, schon eine
Woche später unter unsern Zelten zu schlafen, aber
noch. fast einen Monat wurden wir in Nairobi fest-
gehalten, bevor wir uns auf den Weg machen konn-
ten; denn selbst mit Unterstützung des Game Warden
(Vorstand des Wildschutz-Departements) — und seine
Hilfe ging so weit, dass er unsere ganze Karawane zu-
sammenstellte — können dreissig kräftige Träger nicht
im Umsehen zusammengetrommelt werden. Mit der
Anwerbung eines so vorzüglichen Gewehrträgers wie
Kongoni, eines Vormannes wie Bokari und Leuten,
die etwas vom Abhäuten der Beute verstehen, unge-
rechnet den Koch und persönliche Dienerschaft, wurde
ein längerer Aufenthalt unvermeidlich.
Doch so sehr wir nach dem Aufbruch brannten, war
diese Verzögerung nur unser Vorteil. Die Regenzeit
war im Innern ungewöhnlich heftig gewesen. Das be-
deutete, dass nun das Gras sehr hoch stand, und dass
die Elefanten nicht vor zwei bis drei weitern Monaten
in den Meru-Wald zurückwechseln würden.
Der Elefant war die grösste Aufgabe unserer Expe-
dition, denn wir beabsichtigten, seine Haut mitzuneh-
men; damit wollten wir den Anfang machen, um diese
schwerste Arbeit bald hinter uns zu haben. Ob wir es
fertigbringen würden, einen Elefanten zu häuten und
seine ganze Haut zu präparieren, war für uns noch eine
ungelöste Frage, denn B.’s Erfahrung auf dem Gebiet
der Taxidermie hatte sich bis daher nur auf die Los-
lösung der Maske von Antilopen erstreckt. Ein Gross-
wildjäger, der darin Erfahrung hatte, versicherte uns
nachdrücklich, dass ohne Mithilfe von mindestens hun-
dert Mann und einem Kran und Flaschenzug nicht
daran zu denken sei. Bis jetzt war es nur ein Plan ge-
wesen, gerade so wie die Erbeutung des weissen Nas-
horns, und niemand glaubte weniger daran als B. selbst.
Nun jedoch wurde der Elefant plötzlich das Hauptziel
unseres Ehrgeizes.
Ein kurzer Ausflug nach dem obern 'Tana würde die
Zwischenzeit prächtig ausfüllen und uns trainieren,
denn erst hinter Meru sollte die eigentliche Expedition
beginnen: zum nördlichen Teil des Uaso Nyiro, mög-
licherweise bis zu den Lorian-Sümpfen, dann hinüber
an den untern Tana und der Küste entlang nach Lamu.
Es war ein verlockendes Programm, dessen Ausfüh-
rung acht oder neun Monate beanspruchte und zeitlich
nur durch den Wiederbeginn des Grossen Regens be-
grenzt war.
Der obere 'Tana war eine wildreiche Gegend und bot
uns mancherlei Gelegenheit, unsere Sammlung zu be-
ginnen; überdies lag er gerade auf unserer Route. Zwar
erstreckten sich noch etwas über hundert Meilen ge-
bahnten Weges zwischen ihm und Meru, aber diese
Strecke konnten wir gegebenenfalls auch mit dem Wa-
gen zurücklegen. Alle Jagd-Expeditionen in Ostafrika
benützten Automobile, wo sie konnten, und B.’s An-
sicht, dass man, wenn man im Grasland an einen be-
stimmten Platz gelangen wolle, einfach dorthin mar-
schiere, war total veraltet.
Hier war einmal Armut gleichbedeutend mit Frei-
heit. Wir mochten wohl vorgeben, dass ein Marsch mit
der Kolonne viel romantischer sei als eine Reise im
Automobil, oder dass, trotzdem die Erfahrungen eines
berufsmässigen weissen Jagdführers für grösseren Er-
folg bürgen würden, der ganze Reiz unseres Unter-
nehmens darin bestehe, unsere Erfahrungen selbst zu
machen; wir hatten jedoch nicht aus eigener Wahl auf
beides verzichtet. Wer gewusst hätte, was der Ankauf
unserer sechs Packesel für unser Budget bedeutete,
der hätte schnell eingesehen, dass wir auf alle weiteren
Bequemlichkeiten verzichten mussten. Diese Packesel
waren eine Nebenausgabe, mit der wir nicht gerechnet
hatten, die sich aber als völlig unumgänglich erwies.
In dem Landstrich, den wir bereisen wollten, konnte
man nämlich keine Nahrungsmittel kaufen, und wenn
auch die Träger Fleisch von dem erlegten Wild essen
würden, hatten sie doch Anspruch auf ihre Tagesration
«Posho » (Maismehl). Da nun für die Träger, die unsere
Lasten trugen, andere Träger Posho tragen müssten,
müsste für diese wiederum Posho vorhanden sein; die
Packesel lösten diese komplizierten Berechnungen auf
einfache Weise, denn für sie fand sich immer Gras.
Unter dem Aussuchen der Esel und Packsättel, dem
Kauf zweier Reitsättel (wir hofften später zwei Maul-
tiere anzuschaffen), dem Ankauf von Proviant, Seilen,
Fleischmessern, Skalpellen, Sturmlaternen und all den
hundert Dingen, die Robinson Crusoe gebraucht, ver-
gingen die Tage; ja, es gab so viel anzuordnen und nach-
zusehen, dass ein Monat gerade genügte. Beeilen konn-
ten wir uns dabei nicht, niemand in Nairobi beeilte sich
jemals, und jede Einzelheit erforderte einen Morgen für
Io
sich. Der Koch, einmal auf einen Verkaufsladen von
Haushaltartikeln losgelassen, verbrachte einen ganzen
Tag mit der Auswahl seiner Töpfe und Pfannen. Hätten
wir allen seinen Wünschen Gehör geschenkt, dann
hätte er uns noch einen grossen Fleischkasten, eine
Kaffeemühle und eine grössere Fleischhackmaschine
aufgebürdet.
Vielleicht hatte er mit seinerHackmaschinedochnicht
so Unrecht gehabt, aber sie passte so wenig zu unserer
vorgefassten Meinung über das «rauhe Lagerleben»,
dass wir ihn nur auslachten. Noch hatten wir keine Er-
fahrung in Büffelsteaks, oder B. hatte sie nicht mehr in
Erinnerung, und über solche Kleinigkeiten machten
wir uns am Vorabend unseres Aufbruchs zur «Safari»
das Herz nicht schwer. Kein Wunder, dass man uns
beneidete, denn «Safari*» bedeutet Jagen und Aben-
teuer, weitab von gebahnten Wegen, draussen in den
«Blauen Fernen. »
* Wörter wie «Safari», «Posho», «Boma», «Zariba» etc. kom-
men häufig vor und nachdem sie einmal verwendet, werden sie
ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Die «Blauen Fernen»
von Ost-Afrika sind gleichbedeutend mit dem südafrikanischen
Begriff «Grasland».
II
Am Oberlauf des. Tana
Nachdem wir die Höhe von Fort Hall hinter uns
gelassen, durchquerten wir den Tana und folgten seinem
linken Ufer. Wie herrlich war es, die gebahnten Strassen
endlich hinter uns zu haben, denn von Thika aus hatten
wir zwei Tage lang ihre Hitze und ihren Staub einge-
atmet, mit halbgeschlossenen Augen und mit keinem
andern Gedanken ausser dem, dass wir dreissig lange
Meilen abmarschieren mussten. Nun aber, auf dem
schmalen Pfad durch hohes Gras, über kleine Hügel
und quer durch Bachbette, vergassen wir über unserm
Verlangen, Wild zu erspähen, völlig, dass wir marschier-
ten. Am zweiten Tag erst sahen wir das erste Wild.
Wir hatten gerade einige Perlhühner aufgescheucht,
als B. niederkniete und anlegte. So sehr ich auch spähte,
ich konnte nichts entdecken. Da tauchten auf seinen
Schuss ein halbes Dutzend Tiere mit rostrotem Rücken
aus einem Grasfleck auf, gerade dort, wo ich sie ver-
geblich gesucht hatte, und flohen davon. Es waren
Impala-Antilopen gewesen, eine davon mit kapitalem
Gehörn, wie B. sagte. Er jagte hinter ihnen her, feuerte
noch zweimal und kam nach Ablauf einer Stunde zu-
rück, nachdem er das Rudel im Dickicht verloren hatte.
Das war ein peinlicher Umstand, denn seit Anbeginn
fühlten wir uns von unserer Gefolgschaft mit skepti-
schen Blicken beobachtet, und bisher hatte noch nichts
zu unsern Gunsten gesprochen. Der Koch sah in der
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Bescheidenheit unserer Vorräte beinahe eine persön-
liche Beleidigung. Und dass wir die Landstrasse zu
Fuss hinter uns gelegt hatten statt in Automobilen,
war für unsere Vorräte nicht vorteilhaft gewesen. In-
dessen, sagte B., schade es nichts, wenn man sich am
Anfang bescheiden müsse. Um so erfreulicher werde es
sein, wenn sich die Dinge später zum Bessern wendeten,
und wenn die Leute einmal Wildbret bekämen, werde
ihre Zuversicht schnell wachsen. Aber nun waren wir
auf Wild gestossen, und es hiess bei den Leuten, B.
könne nicht schiessen. Wir waren uns bewusst, wieviel
vom ersten Eindruck abhängt; und von Kongoni, dem
früheren Gewehrträger des Prinzen Wilhelm von
Schweden, bis herab zum Küchenjungen, betrachtete
uns die ganze Gesellschaft mit fast mitleidiger Ver-
achtung.
Über einer so beschämenden Situation durften wir
die Sonne nicht untergehen lassen, und nachdem wir
einen Lagerplatz gefunden hatten, machten wir uns
mit einem kleinen Stossgebet um ein besseres Jagd-
glück auf die Pirsch. Ausser einer alten Büffelfährte
sahen wir jedoch keine Spur eines lebenden Wesens,
und die anbrechende Nacht liess uns schon umkehren,
als Kongoni unmittelbar vor uns einige Impalas ent-
deckte. B. nahm sich diesmal Zeit, zielte mit grösster
Sorgfalt und war überzeugt, den Bock getroffen zu
haben, aber unser fruchtloses Nachsuchen und das
Fehlen jeglicher Spur von Schweiss am Anschuss liessen
uns wieder daran zweifeln, als wir im hohen Gras un-
versehens auf den verendeten Impala stiessen. Das war
ein grosser Augenblick. Die Boys fielen über ihn her,
zerhackten und zerschnitten ihn, indem sie sich bis
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zu den Ellbogen mit Blut besudelten, bis nichts als ein
dunkler Fleck am Boden übrig war und jeder Schwarze
seine Last an Wildbret hatte. Bis daher hatte ich mir
nie diesen Teil des Jagens vorgestellt, und als das ver-
endete Tier mit seinen sanften Augen vor uns lag, hätte
ich alles dafür gegeben, dass die Kugel auch diesmal
ihr Ziel verfehlt hätte.
Das Gehörn war leider nur mittelmässig, und wir
fanden nachher, dass unser Jagdpass uns nur noch drei
Impalas erlaubte. Und doch war es der Mühe wert
gewesen, denn der Erfolg brachte das Lager in die
hoffnungsfreudigste Stimmung. Wir sassen an unserm
ersten Lagerfeuer, und während wir zusahen, wie die
hellen Flammen die Finsternis fernhielten und unser
Zelt und die schützenden Bäume in ihren traulichen
Kreis einschlossen, fühlten wir uns durchdrungen von
der wahren Zufriedenheit des Jägers seit Urbeginn.
Dies würde ein herrliches Leben werden, und ich be-
gann mich mehr und mehr meiner Tränen über den er-
legten Impala zu schämen, besonders, da ich gerade in
seine frischgeröstete Leber mit der gleichen Lust ein-
hieb wie irgendeiner im Lager.
Ein langer Marsch am folgenden Tag, an dem wir
aber kein Wild zu Gesicht bekamen, brachte uns in
eine Gegend, die mehr und mehr nach dem echten
Afrika aussah, und wir atmeten auf, als — endlich —
die melancholische, grüne, endlos gewellte Ebene hinter
uns lag. Kaum hatten wir unser Lager aufgeschlagen,
als einige alte Kikuyu-Häuptlinge mit ihren Frauen er-
schienen. Sie setzten sich in einen Kreis und gebärdeten
sich sehr freundschaftlich. Sie boten sich an, B. eine
Büffelherde zu zeigen, und er brach mit ihnen auf,
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während ich mich bereitmachte, auf den Fischfang zu
gehen, um für unsern Abendtisch etwas zu fangen. Wir
hatten Brahimo als meinen Gewehrträger gewählt;
ich musste versprechen, ihn mit der Büchse mitzu-
nehmen.
Es war ein erregender Gedanke, allein in die Wildnis
zu wandern, und ich wollte gerade aufbrechen, als B.
noch einmal zurückkam, um mir einzuschärfen, dass ich,
im Falle ich einen Löwen sehe, nicht auf nahe Distanz
schiessen und auch keine Nachsuche anstellen dürfe.
Ich sah jedoch sogleich, dass ich mir keine Hoffnungen
auf einen Löwen zu machen brauchte, denn zwischen
Lager und Fluss sah die Gegend nach allem andern als
nach Dschungel aus; sie glich vielmehr einem sehr
zahmen Maisfeld.
B. hatte keine Anzeichen von Büffeln bemerkt. Aber
am folgenden Morgen — wir waren vor Tagesgrauen
aufgebrochen — stiessen wir sehr früh auf zwei Nas-
hörner. Sie bewegten sich gleichmütig in unserer Rich-
tung durch das offene Land, riesige, schwerfällige Krea-
turen, die völlig harmlos und dumm aussahen. Unsere
Boys schrieen und suchten sie mit Steinwürfen zu ver-
scheuchen, und der Koch zog mich zu meinem gröss-
ten Ärger am Arm zurück und stellte sich vor mich hin.
B. meinte zwar, das sei ein glänzendes Zeugnis dafür,
dass der Koch im Notfall seine Geistesgegenwart be-
wahren würde. Ich aber hegte damals noch den absur-
den Glauben, dass ich mich mit allem Wild auf freund-
schaftlichen Fuss stellen könne.
Zur Mittagsstunde machten wir bei einem kleinen,
kristallklaren Bach, einer Augenweide nach dem schmut-
zigtrüben Wasser des Tana, halt und schlugen dort
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unser Lager unter einigen Schirmakazien auf. Da unsere
Kikuyu-Gefolgschaft sich inzwischen auf sechs Mann
vergrössert hatte, schickte B. sie nach Süden, Osten
und Westen, um nach Wild zu spähen. Wir hatten einen
langen, heissen Marsch hinter uns und waren so glück-
lich, endlich im Schatten ruhen zu können, so dass wir
beinahe wünschten, ihre Suche bleibe erfolglos.
Alle Arbeit war getan, die Träger schliefen, und die
Stille eines heissen afrikanischen Nachmittags lag reg-
los über dem Lager. Kein Blättchen bewegte sich an
den Zweigen, und ausser einer Zikade, die eintönig
in der Nähe zirpte, schien alles Lebende in Schlaf ver-
sunken, als zwei der Kikuyus leise zu unserm Zelt
traten und meldeten, sie hätten vier Löwen gesichtet.
Im Nu versetzte diese Meldung das Lager in Auf-
regung; Kongoni machte den Dolmetscher. Sie hatten
gesehen, wie sich die Löwen im hohen Gras nieder-
taten, und waren sogleich unbemerkt zurückgekehrt,
zwei ihrer Kameraden in der Nähe zurücklassend, um
die Örtlichkeit zu markieren.
Wir griffen zu den Büchsen, steckten einige Biscuits
in die Taschen und machten uns schleunigst auf den
Weg, der Führer voran. Bergab verfielen wir alle in
Trab, und ausser Atem keuchten wir die nächste An-
höhe hinauf. Als wir ein kleines Plateau erreicht hatten,
bewegten wir uns vorsichtiger vorwärts und glaubten
uns schon ganz nahe, als ein Paar Kiebitze zu unseren
Füssen mit schrillem Warnruf hochflog. Wir machten
uns aber unnötig Sorge, dass sie den Löwen unsern
Standort verraten könnten, denn wir waren noch weit
von ihnen entfernt, und da der Wind sich inzwischen
gedreht hatte, sahen wir uns genötigt, einen grossen
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Umweg zu machen. Dadurch verloren unsere Führer
die Richtung. Wir gingen zwei gute Stunden und be-
gannen schon, ihre Löwenmeldung für falschen Alarm
zu halten, als wir auf ihre beiden wartenden Gefährten
stiessen.
Wiederum machten sie halt und begannen nochmals
einen hitzigen Wortwechsel in lautem Flüsterton, unter
eifrigem Deuten und Gestikulieren, und schwatzten
dabei so durcheinander, dass selbst Kongoni nicht klug
daraus wurde. Auf alle Fälle war es nun zu spät, und
obgleich es wohl möglich war, dass die Löwen sich hier
niedergetan hatten, kosnten wir kaum von ihnen er-
warten, dass sie, ungestört von dem Gekreisch eines
halben Dutzends Eingeborener, ruhig in ihrem Ver-
steck blieben. Das Schilfrohr erstreckte sich meilen-
weit in die Ferne, und wir blickten darüber hin, als
eine Bewegung im Schilf unmittelbar vor uns aller Auf-
merksamkeit spannte. Und plötzlich schnellte beinahe
vor unsern Füssen etwas Gelbes in die Höhe. Einen
Augenblick lang waren knurrende, fauchende Löwen
ringsum. Ich zählte sieben im ganzen, die nun nach allen
Richtungen flüchtig wurden. Einer, ein halbausge-
wachsenes Junges, schrak zurück und sprang dann,
nur wenige Schritte an mir vorbei, den andern nach.
B. erlegte einen Löwen, fehlte eine Löwin, die in
hohen, schnellen Fluchten durch das Schilf setzte, und
gab dann auf einen grossen Löwen mit schwarzer
Mähne Feuer, im Augenblick, als er verhoffte. Er
strauchelte, kam wieder hoch und verschwand im Schilf.
All dies war das Werk eines Augenblicks; ich stand
noch immer wie festgewurzelt, und als mir der Ge-
danke kam, die Kamera oder die Büchse zu gebrauchen,
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war alles vorüber, die Löwen fort, verschwunden.
Unterdessen gab der erste Löwe, der nun ausser Sicht
irgendwo zwischen den Büschen lag, tiefknurrende,
vibrierende Laute von sich, ein seltsam schöner, mark-
erschütternder Ton, der die Luft erzittern macht. Die
Neger warfen Steine, um ihn zu veranlassen, hochzu-
kommen, und endlich konnten ihn unsere nur mit
Speeren bewaffneten Führer sehen. Er lag in einer
Bodensenkung, zerbiss das Gras und zersplitterte die
umherliegenden Zweige in ohnmächtiger Wut. B. gab
ihm den Fangschuss. Dann beugten wir uns auf die
wundervolle Beute und liessen unsere Hände über seine
weiche goldene Flanke streichen.
Nun galt es, den grossen, krankgeschossenen Löwen
zu finden. Wir drangen in ein Dschungel von verfilztem
Gras, das hoch über unsere Köpfe reichte, jeden Augen-
blick gewärtig, dass eine der Löwinnen uns annahm.
Die Suche war kurz; als wir auf einen Streifen freien
Geländes kamen, fanden wir den Löwen auf der Seite
liegend, verendet. Er war ein Riese. Allein seine mächti-
gen Vorderpranken zu heben war eine Anstrengung.
Wie Stricke fühlten sich seine Muskeln und Sehnen
unter der fahlen Haut an. Haupt und Schultern waren
von einer majestätischen Mähne umhüllt.
Kongonis bisheriger Ausdruck geduldiger Lange-
weile war nun verschwunden, er konnte seine Freude
nicht verhehlen. Er schüttelte uns beiden die Hände
und rief B., zum erstenmal ins Englische fallend, zu:
«Good luck, my boy!» während die Kikuyus singend
um die Jagdbeute herumtanzten.
Die Sonne war am Untergehen, es blieb uns keine
Zeit mehr für photographische Aufnahmen; leider ka-
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men wir auch nicht mehr dazu, die notwendigen Kör-
permasse zu nehmen. B. machte die Anschnitte, und
wir alle gingen ans Werk, den Löwen abzustreifen. Da
ich nichts davon verstand, musste ich zu meinem Kum-
mer mein Messer einem der Kikuyus geben. Es war
harte Arbeit; Kongoni sagte, die Decke dieses alten
Löwen sei so zäh wie die eines Büffels. Wir mussten
uns sehr beeilen, und niemand hatte ein wirklich schar-
fes Messer bei sich. Eine der Pranken war stark ent-
zündet, wir fanden als Ursache den Stachel eines Sta-
chelschweins, der tief und fest darin stak.
Die Nacht war herzingebrochen, bevor noch der
zweite Löwe abgestreift war, und beim Schein von
Streichhölzern, mit denen ich ihm leuchtete trennteB.
ihm den Kopf vom Rumpf. Wir fragten uns schon, wie
wir wohl das Lager finden würden, als wir von ferne
einen Ruf hörten. Auf unsere Antwort hinsahen wir bald
einen Lichtschein auf uns zukommen. Der erfahrene
Kongoni hatte einen der Kikuyu zum Lager zurück-
gesandt, und nun kam Bokari mit ı5 Trägern herbei.
Es gab ein grosses Beglückwünschen und Hände-
schütteln, und endlich, während die Häute in Lasten
verschnürt wurden, konnten wir uns niedersetzen. Ob-
wohl unsere Hände nach der harten Arbeit nicht ge-
rade appetitlich waren, liessen wir uns unsere Biscuits
schmecken und drehten uns eine wohlverdiente Ziga-
rette. Der Rückweg zum Lager war weit, doch bald
erschien der Vollmond und half uns, den Weg durch
die Dornbüsche zu finden. Wir aber dachten nicht an
Müdigkeit. War das verwunderlich, wenn ein Blick
hinter uns die dunklen Umrisse von Trägern zeigte,
die unter einer so stolzen Last schwankten ?
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Mit unbeschwerten Gedanken kehrten wir heute ins
Lager zurück, wir wandelten wie auf Wolken. Unter-
wegs erzählte mir B. von der Löwenjagd in Rhodesien,
wie dort die Eingeborenen die Erbeutung eines Löwen
stets mit Gesängen feiern. Da begannen auch hinter uns
die Träger zu singen, einer als Vorsänger, worauf die
übrigen mit leiser Stimme im Chor einfielen. Als wir
uns dem Lager näherten, wurden uns lodernde Fackeln
entgegengeschwenkt, und mit Jubelgeschrei liefen uns
die Zurückgebliebenen entgegen. Bevor wir wussten,
wie uns geschah, ergriffen sie uns, hoben uns auf ihre
Schultern und trugen uns im Triumph ins Lager. Der
Gesang wurde lauter und lauter, die ganze wilde Pro-
zession bewegte sich in einer Art hüpfendem Tanz vor-
wärts. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als wir das La-
gerfeuer erreichten. Es war ein wildes Schauspiel, diese
halbnackten, mit Asche weissbemalten, mit Grasbü-
scheln geschmückten Wilden in ihrem Tanz um das
Feuer, das sie seltsam beleuchtete.
Wir fanden nie heraus, wer der Urheber dieser De-
monstration gewesen, sie endete mit einem Bakschisch
für jedermann, womit wir vermutlich einen kurzsich-
tigen Präzedenzfall schufen, aber ausser unserer Freude
über den ersten Löwen zählte heute nichts mehr. Es
war in der Tat ein wunderbarer Glücksfall gewesen,
und erwünscht kam er uns auch, denn es bedurfte
schon der Erlegung eines schwarzmähnigen Löwen,
um die Erinnerung an den schlechten Anfang zu ver-
wischen. \
Wir fürchteten für die Felle, wenn wir mit dem Prä-
parieren bis zum Morgen warten würden, und so be-
gannen wir die Arbeit auf der Stelle. Um vier Uhr früh
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waren beide Schädel sauber herausgeschält, aber nun,
nach beinahe vierundzwanzigstündiger Anstrengung,
waren wir beide so müde, dass wir uns kaum noch zu
unsern Feldbetten schleppen konnten.
Erst am darauffolgenden Nachmittag waren die zwei
Häute für die Behandlung mit dem Konservierungs-
mittel bereit und im Schatten zum Trocknen aufge-
spannt. Es war das erste Mal, dass unsere Leute ihre
Geschicklichkeit im Präparieren erprobten, und zu un-
serer angenehmen Überraschung waren sie viel ge-
wandter, als wir zu erwarten hofften. Mvanguno, der
«Ober-Abbalger», ein :brummiger, alter Kauz mit O-
Beinen, tat sehr beleidigt, als B. ihn fragte, ob er Schä-
del entfleischen könne. Und in der Tat, er machte seine
Sache gut, bis er dann doch B. freimütig eingestand, er
wisse nicht, wie die Nüstern losgetrennt würden. Kon-
goni machte sich auch heran und brachte B. mit viel
Geheimnistuerei vier seltsam geformte Knöchelchen,
die Schlüsselbeine der Löwen, unfehlbare Glücks-
bringer.
Am vorhergehenden Abend hatten wir in unserer
Eile ganz vergessen, dass das Museum für jedes Exem-
plar die Laufknochen bis zum Becken und Schulter-
gürtel brauchte. Als B. aber zurückging, um sie zu
bergen, waren auch nicht mehr die kleinsten Überreste
der beiden Kadaver zu finden; alles war schon von
den Hyänen verschlungen worden. Auf seinem Rück-
weg wäre ihm um ein Haar ein böser Unfall zugestos-
sen. Während er durch das Gras ging, hörte er ein
zischendes Geräusch. Er glaubte, es sei sein hinter
ihm gehender Boy, der sich die Nase putze. Es waren
indessen zwei Puff-Ottern, die nur wenige Zentimeter
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von der Stelle im Grase lagen, wo B. seinen Fuss nie-
dergesetzt.
Da wir uns jetzt in wildreicheren Gegenden befanden,
machten wir nur einen kleinen Tagesmarsch. B. hatte
gerade in der Nähe ein Stück Wild geschossen, als Köder
für Löwen, als einer der Kikuyus die Nachricht brachte,
er habe eine Büffelherde gesichtet. Wir machten uns so-
fort auf die Suche mit Kongoni, Brahimo und zwei Trä-
gern. In einer halben Stunde glaubten wir zur Stelle zu
sein, aber wir brauchten fast 2% Stunden Gehens, bis
wir an die Herde herankamen. Wir fanden sie in für uns
sehr ungünstiger Stellung, inmitten einer Senkung, von
deren Rand wir uns gegen den Himmel abhoben.
Wir schätzten die Herde auf mindestens hundert
Stück. Sie ästen friedlich von dem blassgrünen Gras,
das ihnen bis an den Bauch reichte, und von dem sie
sich in der Beleuchtung der schräg am Himmel stehen-
den Sonne kohlschwarz abzeichneten.
Jedes Gestrüpp und jedes Grasbüschel als Deckung
benützend, pirschten wir uns vorsichtig näher. Es war
nicht leicht, gedeckt zu bleiben, denn wir bewegten uns
den Hang hinunter. Wir waren gerade auf Schussweite
herangekommen, als die uns zunächst stehenden Tiere
unruhig wurden. Sie hoben die Köpfe, und den Blick
gerade auf uns, die Lauscher gegen uns gerichtet, be-
wegten sie sich einige Schritte auf uns zu. Dann ver-
hofften sie. Flach in das Gras geschmiegt, ohne einen
Muskel zu bewegen, selbst den Atem unterdrückend,
warteten wir, und bald konnten wir, zwischen den
Halmen hindurchblickend, zu unserer Erleichterung
beobachten, wie sie wieder beruhigt die Köpfe senk-
ten, um weiter zu äsen.
22
B. versuchte, einen starken Bullen aufs Korn zu
nehmen, aber die Tiere bewegten sich während des
Äsens beständig durcheinander. Auch wenn hier und
dort ein mächtiges Haupt sich hob, so war das dazuge-
hörige Blatt nie lange genug sichtbar, um einen sicheren
Schuss zuzulassen. Endlich trennte sich ein Bulle von
der übrigen Herde, und B. gab Feuer. Der Knall der
schweren Büchse zerriss die Stille wie ein Kanonen-
schuss.
Das friedliche Bild hatte sich mit einem Schlag in
wildes Durcheinander verwandelt. Mit dröhnendem,
zornigem Brüllen, ein Meer von geschüttelten Hörnern,
jagte die Herde in einer Staubwolke davon. Wir rann-
ten quer durch die Senkung der Herde nach, was das
Zeug hielt. Kein Schweiss am Anschuss: B. musste also
gefehlt haben. Weiter, der Herde nach! Wir gewannen
an Boden, und schon sahen wir sie wieder, dicht zu-
sammengedrängt, am obern Rand der Senkung. Diesen
Rand ungesehen zu erreichen, war keine leichte Auf-
gabe, denn es lag ein Streifen ganz offenen Geländes
dazwischen. Dahinter befand sich wieder eine schützen-
de Mulde. B. und Kongoni suchten sie so rasch wie
möglich zu erreichen. Ich blieb mit den andern zurück
und konnte von meiner Deckung aus beobachten, was
sich nun abspielte. B. und Kongoni gelang es, bis zur
Mulde zu kommen, die so nahe unter dem Rand der
Senkung lag, dass weder sie die Büffel noch die Büffel
die Jäger sehen konnten. Gerade als es aussah, als ob
sie diesmal an die Herde herankommen würden, er-
eignete sich etwas Eigentümliches: eine junge Büffel-
kuh löste sich aus der Herde, näherte sich mit offen-
kundiger Absicht bis auf zwanzig oder dreissig Schritt
23
der Mulde, warf sich dann plötzlich herum und galop-
pierte zurück. Auf diesen Alarm hin jagte die ganze
Herde wieder davon.
Wir sprangen auf und rannten, so schnell uns die
Beine trugen, nach, und als wir den Rand des Plateaus
erreichten, sahen wir auf dessen anderer Seite die Herde
hinweggaloppieren. Wenigstens bezweifelten wir kei-
nen Augenblick, dass sie vor uns flüchteten, bis wir
plötzlich gewahr wurden, dass ihre Front gegen uns
gerichtet war: die Herde war nicht flüchtig, sie nahm
uns an! Was war zu tun? Kein Baum in Sicht, keine
Deckung.
Das Ganze spielte sich mit solcher Schnelligkeit
ab, dass wir diesen Wechsel der Situation kaum
erfasst hatten, als die Herde schon heranpreschte, im
letzten Augenblick abbog und an uns vorüberdonnerte.
Obgleich die Herde auf nicht weniger als etwa siebzig
Schritt herangekommen war, schien es uns unheim-
lich nahe, wie sie an uns vorbei- und weiterstürmte,
während der Boden unter ihren Hufen dröhnte und die
Luft von ihrem dumpfen Brüllen erfüllt war.
Als sie an uns vorüber waren, verhofften sie wieder-
um, Front gegen uns, und über dem Gras konnten wir
die mächtigen Häupter mehrerer Bullen erkennen, die
nach uns äugten. Einer derselben trug eine kapitale
Hauptzier. B. pürschte sich an, kniete nieder und legte
an. Der Schuss setzte die Herde von neuem in Galopp,
schnaubend und dumpf brüllend wie vorher, aber dies-
mal liessen sie einen Bullen am Platz. Er lag auf der
Seite, und als wir uns näherten, hob er den Kopf und
versuchte hochzukommen. B. gab ihm einen Fang-
schuss, obgleich schon die erste Kugel tödlich gewesen,
24
eine schöne Leistung für die kleine 318er* auf über
100 Meter Distanz.-
Die Sonne stand jetzt kaum mehr eine Handbreit
über dem Horizont, es hiess sich beeilen. Wir schickten
Brahimo mit einem der Träger zum Lager, um eine
Windlaterne und genügend Leute zu holen, um die
Haut zu tragen.
Nach der Aufregung der letzten halben Stunde und
dem Tumult und dem Getöse der flüchtigen Herde
umgab uns nun eine Totenstille. Nichts war geblieben
in der weiten Grassteppe als der gefällte Büffel und
hoch oben am Himmel zwei ruhig kreisende Geier.
Wenn man einen Büffel zum erstenmal unmittelbar
vor sich liegen sieht, so macht er einen mächtigen Ein-
druck. Unser fünf mussten alle Kraft aufwenden, um
ihn auf den Rücken zu wälzen. Wir stellten unsere
Büchsen gegen seine Schultern, um ihn in dieser Lage
zu halten. Die Haut war ausserordentlich zäh, aber dies-
mal hatten wir scharfe Messer und einen Wetzstein
mitgebracht. Da wir kaum zu fürchten brauchten,
Löcher in eine so dicke Haut zu schneiden, konnten
wir rasch arbeiten. Nur hie und da unterbrachen wir
uns, um die Zecken abzulesen, die in grosser Zahl auf
uns herüberwanderten. Als die Nacht hereinbrach, war
die Haut fertig abgestreift.
Wenn wir für den Weg nach dem Lager und wieder
zurück je etwas über zwei Stunden rechneten, würde es
zehn Uhr werden, bis unsere Leute zur Stelle waren.
Wir machten es uns darum gemütlich und sammelten
Holz, um ein Feuer anzuzünden. Wahrscheinlich fiel
* Unser Arsenal bestand aus je einer 318er Wesley Richards
und einer 416er Rigby express.
25
Tau, denn durch nichts wollte sich das Holz zum Bren-
nen bewegen lassen, bis schliesslich Kongoni einen
Zipfel seines Hemdes opferte. Als es aber Mitternacht
wurde und die Leute noch immer nicht gekommen
waren, begriffen wir, dass uns nichts übrig blieb, als die
Nacht hier zu verbringen. Wir machten uns alle auf,
Holz zu sammeln, nachdem wir mit den letzten Ästen
das Feuer hoch aufgeschürt hatten, um nicht auch diese
unfreiwillige Lagerstelle aus den Augen zu verlieren.
Die Nacht war dunkel, der Mond von Wolken verdeckt,
aber der Himmel war noch hell genug, dass sich die
Bäume als schwarze Schatten von ihm abhoben und
die abgestorbenen Zweige und Äste auf dem Boden
weisslich schimmerten. Dennoch war es eine grosse
Erleichterung, wieder in der Nachbarschaft des schüt-
zenden Feuers zu sein; wir liessen es hell auflodern,
während die Boys uns aus Gras ein Nachtlager berei-
teten.
Die Hyänen hatten das Aas bald gewittert und stri-
chen in der Nähe umher; fast die ganze Nacht hindurch
liessen sie ihr unheimlich klagendes Geheul vernehmen.
Allmählich begannen wir grossen Hunger zu verspü-
ren. Ich schnitt daher ein Stück Fleisch vom Büffel
herunter und spiesste es an einen Stock, den ich nach
Art der Eingeborenen über die Glut schräg in den
Boden steckte. Bald roch es herrlich nach Braten, aber
das Fleisch schmeckte widerlich fade, denn wir hatten
kein Salz bei uns. Wir beschlossen, künftig, was wir
auch sonst Wichtiges vergessen mochten, stets ein
Päckchen Salz mitzuführen. B. war meinem Braten
nicht übermässig zugetan, aber etwas musste er doch
davon essen, wenn auch nur um der Romantik willen,
26
im offenen Grasland am Feuer neben unserem erlegten
Büffel zu nächtigen, ohne Decken und Proviant, an-
gewiesen auf halbgeröstetes Büffelfleisch, um unsern
Hunger zu stillen. Weder Kongoni noch der Träger Mu-
tua assen etwas. Nur der junge Kikuyu-Wilde, der sich
den ganzen Abend geheimnisvoll damit zu schaffen ge-
macht hatte, die Fettschicht vom Bauche des Büffels zu
lösen, briet nun grosse Stücke davon und ass sie nach
bewährter Eingeborenenart: ersteckte ein Ende in den
Mund und schnitt es dicht davor mit seinem Messer ab.
So warerstundenlang still beschäftigt und hörte anschei-
nend nur darum auf, weil sein Messer stumpf geworden
war. Zum Schluss spuckte er noch einmal verächtlich
ins Feuer, wickelte sich in seine Decke und verfiel als-
bald in einen gesunden Verdauungsschlaf. Während
wir ihn so beobachteten, stellten wir trübselige Be-
trachtungen an über die Überlegenheit des Schwarzen
gegenüber dem Weissen für dieses ursprüngliche Leben
in der Steppe. Für uns war diese Nacht ein Erlebnis
und brachte viele Unbequemlichkeiten mit sich; für
ihn bedeutete es ein alltägliches Ereignis, höchstens
verbunden mit einer bessern Mahlzeit als gewöhnlich.
Wie dieser Schwarze hiess, konnten wir nie herausbrin-
gen, obwohl er lange Zeit als Führer bei uns blieb.
Wir nannten ihn «Pet», und diesen Namen behielt er.
Wir waren gerade am Einschlafen, als in der Nähe
ein Löwe knurrte; später in der Nacht hörten wir ein
Rauschen im Gras und fanden am Morgen, dass ein
Nashorn ganz dicht an uns vorbeigewechselt war.
Beim Morgengrauen machten wir uns auf den Weg
zum Lager; Mutua, der freiwillig während der ganzen
Nacht Wache gehalten hatte, blieb bei der Büffelhaut
27
zurück, bis die Träger für ihren Abtransport ein-
trafen.
Ein Vogel begann zu zwitschern, ein leichter Mor-
genwind wehte über die Grassteppe und eine urplötz-
lich flammenumsäumte Hügelkuppe kündete die auf-
gehende Sonne an. Wie mit einem Schlag war das
dämmergraue Gras in Gold verwandelt, zart-violette
Schatten lagen in den Niederungen, und Lerchen stie-
gen mit schwirrendem Flügelschlag in den morgen-
klaren Himmel hinein. In dieser ersten Glorie wandelte
sogar der Führer wie verklärt einher; seine Haut war
von purpurnen Schatten überhaucht wie die unberührte
Wachsschicht über einer dunklen Traube.
Auf halber Strecke begegneten wir den Trägern; sie
hatten in der Nacht den Weg verfehlt und dann in
einem Kikuyu-Kraal übernachtet. Sie brachten uns
keinen Proviant mit, und, was wir noch mehr vermiss-
ten, auch kein Wasser. Aber endlich erreichten wir das
Lager, unsere Gürtel schon im letzten Loch, und nach
einem ergiebigen Frühstück legten wir uns nieder und
schliefen bald wie die Murmeltiere.
Am folgenden Tag erlegte B. einen starken Impala-
bock als Köder, doch da er nicht angenommen wurde,
obwohl wir allnächtlich Löwen hörten, beschlossen wir,
ein Treiben zu veranstalten.
Unterhalb des Lagers zog sich ein Streifen Grasland
ungefähr eine halbe Meile breit und mehrere Meilen
lang wie ein Flussbett hin. Mit seinem hohen Gras-
wuchs schien er ein sehr geeigneter Aufenthaltsort für
Löwen. B. am einen Ende der Treiberkette und ich am
andern, drückten wir mit acht oder neun unserer Leute
den Streifen durch. Wir stiessen auf eine Buschgruppe
28
wie die, in welcher sich die sieben Löwen aufgehalten
hatten — eine grüne Staude, die einer Nessel ähnlich
sieht —, und es war erregend, Schritt für Schritt darin
vorzudringen, die Büchse schussbereit, dabei an die
Stauden klopfend wie bei einem Hasentreiben, jeden
Augenblick darauf gefasst, einem Löwen gegenüberzu-
stehen. Doch Stunde um Stunde in Hitze und Sonnen-
glast schläferte unsere gespannten Sinne allmählich ein;
wir bewegten uns schliesslich in einer Art Betäubung
vorwärts, aus der wir nur von Zeit zu Zeit mit einem
Ruck auffuhren, wenn plötzlich ein Rebhuhn schwir-
rend zu unsern Füssen hochging oder unser Blick den
erdfarbenen Schatten eines flüchtig gewordenen Hasen
traf.
Am gleichen Abend kehrten unsere Packesel von
Fort Hall zurück, wohin wir sie geschickt hatten, um
unsern Vorrat an Posho zu ergänzen, und die Esel-
treiber berichteten eine schlimme Geschichte von einem
Löwen, der sie inder vorhergehenden Nacht angegriffen
hatte. Er war mit einem Satz über die Dornhecke ge-
sprungen, hatte einen Esel geraubt und einen zweiten
arg zugerichtet. Trotzdem seine Pranken nur ein ein-
ziges Mal zugefasst haben mussten, waren auf beiden
Seiten der Kruppe des Esels bis zum Knochen klaf-
fende Wunden, so tief, dass drei Finger darin Platz
hatten; ein Anblick, der einen mit tiefem Groll gegen
alle Löwen erfüllen konnte. Das einzig noch Mögliche
war eine Behandlung mit Kalium-Permanganat, doch
glaubten wir nicht, dass viel Aussicht auf Rettung des
armen Tieres vorhanden sei. Wir banden seine Hinter-
beine an einen Holzpflock, um es am Ausschlagen zu
verhindern, wenn die Permanganat-Kristalle es brann-
29
ten, aber das wäre nicht nötig gewesen; das arme, kleine
Tier blieb völlig apathisch.
Da der Esel nun nicht marschfähig war und auch die
Büffelhaut noch einige Tage zum Trocknen brauchen
würde, liessen wir das Lager vorläufig an seinem Platz
und unternahmen mit nur leichtem Gepäck eine Streife
den 'Tana abwärts.
Zwischen zwei Hügeln, die wir auf der Karte als
Twoinoini bezeichnet fanden, stiessen wir auf den Fluss.
Als wir auf ein Rudel von Kuhantilopen trafen, schlug
B. vor, ich solle meine Weidmannskunst an ihnen ver-
suchen. Ich hatte vorher schon einige Male auf eine
Scheibe geschossen und brannte nun darauf, meine
Geschicklichkeit an lebendem Wild zu erproben. Es
war eine lange und heisse Pürsche; ich zitterte vor Auf-
regung und sagte mir immer wieder die Regel vor,
dass man beim Schiessen das Blatt und nur das Blatt
ins Auge fassen und eine ruhige Hand behalten müsse.
Kongoni schien ziemlich gelangweilt über das ganze
Experiment und darüber, dass er in der heissen Nach-
mittagssonne einen Hügel hinaufkriechen musste, nur
um zu sehen, wie ich ein altes Hartebeest fällte. Ich
spürte förmlich, wie er zehn gegen eins wettete, dass
ich fehlen würde —, und — ich fehlte!
B. erlegte eine Kuhantilope später am Tag, liess sie
als Köder unter einen Baum schleppen, und da es noch
zeitig genug war, erstiegen wir den höheren der beiden
Hügel. Von dort hatten wir eine unbehinderte Sicht
nach allen Seiten, eine gute Gelegenheit, unsern Stand-
ort genau zu bestimmen. Zwölf Meilen vor uns sahen
wir den Rauch von unserem Lager aufsteigen, und ganz
in der Ferne glitzerten die Windungen des Flusses.
30
Gegen Norden konnten wir ungefähr erraten, wo Embu
liegen musste und ein Sumpf, von dem unsere Leute
viel erzählten, der « Tinga-Tinga», wo sich die grossen
Büffel aufhalten sollten. Als wir wieder am Fuss des
Hügels angekommen waren, hatten die Boys uns für
die Nacht einen bequemen kleinen Unterschlupf aus
Gras hergerichtet.
Es war ein wunderschönes Plätzchen unter ausladen-
den Bäumen und Vorhängen verflochtener Schling-
pflanzen. Den ganzen Morgen verbrachten wir mit
Fischen und Schmetterlingfang. So ein Ruhetag, den
man wirklich geniessen konnte, war eine angenehme
Unterbrechung. Wir sassen gerade im Schatten, um
unsere Schmetterlinge zu ordnen, als plötzlich ein
höchst aufgeregter Kikuyu heranstürmte. Zwei Löwen
lägen schlafend bei dem Köder, er habe die schwarzen
Quasten ihrer Ruten zwischen dem Gras hindurch
erblickt.
Es war die heisseste Stunde des Tages, und wir
waren schon beinahe am Ziel, als die übrigen Kikuyus,
«Pet», der Führer, voran, zwischen den Felsen über
uns erschienen und uns herunterriefen, es sei bisher
kein Löwe auch nur bis in die Nähe des Aases gekom-
men. Den Dummkopf, der uns so schmählich alar-
miert hatte, schickten wir sogleich wieder den Hang
hinunter mit dem Auftrag für die Träger, sie sollten
aufpacken und zum Hauptlager zurückkehren. Wäh-
rend wir im Schatten der wilden Feigenbäume auf
seine Rückkehr warteten, zuckte der Führer plötzlich
auf wie ein Spürhund, er nahm eine charakteristische
Stellung an und deutete in der Richtung, in der er ein
Wild erspäht hatte. Wir suchten das trockene Gras nach
31
Löwen ab, aber ohne Erfolg, sahen eine Büffelherde in
zu weiter Entfernung, als dass wir ihr hätten folgen
können, und erst lange nach Einbruch der Dunkelheit
kamen wir ins alte Lager zurück. Dort wurden wir
mit dem Bericht begrüsst, dass sich Büffel den ganzen
Tag in Sichtweite des Lagers aufgehalten hatten und
dass in der Nacht zwei Löwen in unmittelbarer Nähe
zur Tränke gekommen seien.
Die Büffelherde blieb aber auch am nächsten Tag
in geringer Entfernung. Wir folgten ihr, und B. erlegte
einen Bullen. Sein schlechtes Gehörn enttäuschte uns,
doch war uns das Wildbret willkommen, als Proviant
wie als Köder. Die Boys schnitten sich aus seiner Haut
Sandalen, was wir sehr begrüssten, denn bisher hatten
sie darauf bestanden, Stiefel zu tragen, und wenn ein
Eingeborener sich unter gewöhnlichen Umständen so
geräuschlos fortbewegt wie das Wild selbst, so macht
er in Stiefeln mehr Lärm als ein Weisser. Die Jagd auf
den Bullen war aufregend gewesen, denn er schien
unverwundbar und war überdies vollkommen furcht-
los. Statt flüchtig zu werden, machte er immer wieder
Front und erwartete uns kampfbereit. Zweimal war
er niedergebrochen, und als er endlich sein letztes
Röcheln ausgestossen und wir uns vorsichtig genähert
hatten, fanden wir, dass ihn alle fünf Kugeln in der
Nähe des Blattes getroffen und zwei davon den Herz-
muskel angerissen hatten.
Es war kaum anzunehmen, dass wir nochmals ein
so ergiebiges Löwen-Revier passierten, und selbst wenn
wir am Uaso-Nyiro auf Löwen stiessen, so würde es
nicht die prachtvolle schwarzmähnige Varietät des
32
obern Tana sein. Aber wir mochten noch soviel Schilf-
dickicht durchspüren, nie wieder begegnete uns ein
ähnliches Jagdglück wie bei unserm ersten Löwen-
abenteuer. Mochten wir auch Nacht für Nacht im Ansitz
verbringen, nie nahm ein Löwe den Köder an.
Eines Tages fanden wir ein ausgetrocknetes Fluss-
bett, eine Örtlichkeit, die uns wie geschaffen schien als
Aufenthalt für Löwen, und bald entdeckten wir auch
frische Fährten im Sand. Hier war also wieder einige
Aussicht auf Erfolg. Wir schlugen unser Lager in der
Nähe auf, beschafften einen Köder, den wir in das
Flussbett schleiften, und errichteten auf der hohen
Böschung eine «Boma»*, die einen guten Überblick
gewährte. In der ersten Nacht geschah nichts, doch in
der zweiten bemerkten wir, gleich nachdem wir die
Boma bezogen und B. die Blendlaterne geöffnet hatte,
dass der Köder seine Lage geändert hatte. Wir waren
noch nicht lange wieder im Dunkeln, da vernahmen wir
Scharren von Pranken, Knurren und Schnauben. Einen
Augenblick schien es, als ob sich das Geräusch gegen
uns die Böschung heraufbewegte, doch als gleich dar-
auf B. die Laterne aufflammen liess, beleuchtete ihr
Licht eine Löwin, die hochaufgerichtet neben dem
Köder sass. Sie bewegte keinen Muskel. B. zielte und
drückte ab. Ich wartete mit verhaltenem Atem, aber
statt eines betäubenden Knalls kam nur ein metallisches
Knacken .— sonst nichts. Ein Versager, und bis B.
wieder geladen hatte, war die Löwin verschwunden.
Sie versuchte dann, den Köder hinter einen Busch zu
zerren, indem sie den Kadaver geschickt als Deckung
benutzte, und wir konnten nur ihre Stirn und darunter
* Ansitz
33
die glühenden Lichter sehen. Die zweite Kugel sass,
doch die Löwin verschwand lautlos mit einer riesigen
Flucht.
Ein Lichtstrahl der verhüllten Laterne fiel auf die
Büchse; sonst tiefste Finsternis, eine schwüle Nacht,
nur belebt vom eintönigen Chor der Grillen, der alle
andern Geräusche, nach denen wir angestrengt lausch-
ten, verschlang. Plötzlich schien sich da unten wieder
etwas zu regen, und der aufblitzende Lichtstrahl be-
leuchtete grell eine zurückprallende Löwin. Zugleich
glühten von der benachbarten Böschung eine Reihe
phosphoreszierender Lichter auf.
Wiederum schwarze Dunkelheit, endloses Warten,
währenddem unsere Glieder in der unbequemen Lage
steif wurden, da wir nicht wagten, sie in eine bequemere
Stellung zu bringen, bis es schliesslich unwahrscheinlich
wurde, dass die Löwen zurückkämen. Wir kletterten
hinunter, um uns umzuschauen; keine Spur von
Schweiss, nicht das geringste Anzeichen. Wir hatten
die einzige gute Chance verpasst: die Löwin vor uns,
hell beleuchtet wie bei Tageslicht, und dann dieser
Versager. Trotz alledem, die Spuren, denen wir ge-
folgt waren, konnten nicht von einer einzigen Löwin
stammen, und B. entschloss sich zu einem nochmaligen
Ansitz auf den sicherlich ganz kapitalen König der
Tiere. Wir verschafften uns einen neuen Köder und
bauten nochmals eine Boma. Nachdem wir einen pas-
senden Platz gefunden und den Leuten ihre Arbeit an-
gewiesen hatten, sahen wir auf dem Rückweg ein Rudel
Kuhantilopen. B. erklärte mir, wie ich mich anpürschen
müsse, zuerst ein Bachbett hinunter und in einem an-
dern aufwärts, und ich zog los, diesmal allein. Aber als
34
ich unten war, hatte ich schon die Richtung verloren
und kam zu weit nach rechts, so dass die Tiere Wind
von mir bekamen, bevor ich auf der Bildfläche erschien,
und flüchtig wurden. Ich ging jedoch weiter, nur um
mir noch den Köder von gestern zu besehen. Ganz
unvermittelt stiess ich darauf, und ein Blick durch die
Büsche hindurch machte mich mit klopfendem Herzen
jäh erstarren. Waren das nicht Kopf und Vorderteil
eines Leoparden? Fast atemlos vor Aufregung hob
ich langsam und vorsichtig die Büchse an die Schulter,
zielte — und erkannte plötzlich, dass ich auf das Aas
selbst angelegt, ein Stück gelben Felles, schwarz ge-
sprenkelt von den daraufsitzenden Fliegen. Schnell
schaute ich mich nach allen Seiten um, ob niemand
Zeuge dieser letzten zwei Minuten geworden sei, und
richtig, da stand B., der auch gekommen war, um den
Köder zu besichtigen, auf der Böschung über mir.
Er schien belustigt und augenscheinlich nicht ganz
klar über mein Verhalten; und ich muss gestehen, die
Erklärung fiel mir nicht ganz leicht.
Bei Einbruch der Nacht ging B. zum Ansitz zurück;
gerade als ich mich niederlegen wollte, hörte ich ein
Knurren in der Nähe, das so sehr nach Löwen tönte,
dass ich die schussbereite Büchse neben mich legte.
Wenn ich im Lager allein blieb, bestimmte Bokari fünf
bis sechs Träger, die am Feuer schliefen und der Reihe
nach wachen mussten. Lange Zeit hielt mich noch ihr
Schwatzen wach, und als ich endlich am Einschlafen
war, gab es plötzlich einen furchtbaren Aufruhr im
Lager, und unter Knurren und Fauchen stürmte etwas
an meinem Zeltvorbei. Ich sprang auf, ergriffdieBüchse
und fand draussen das halbe Lager zusammengelaufen.
35
Die knurrenden Laute waren verstummt, ausserhalb
des Feuerscheins lag undurchdringliche Finsternis. Ich
bekam nicht recht heraus, was geschehen war, etwas
war mitten durch das Lager gestürmt. Die einen woll-
ten einen Löwen erkannt haben, andere nur eine
Hyäne. Der Kikuyu erbot sich, für den Rest der Nacht
bei meinem Feuer zu wachen, und bald lag das Lager
wieder in nächtlichem Frieden. Die in den Boden ge-
steckten Speere hoben sich wie stumme Wächter
schwarz gegen die tanzenden Flammen ab.
B. kam kurz nach Tagesanbruch zurück und fragte,
ob ich seinen Schuss gehört habe; diesmal habe er den
grossen Löwen erwischt. Auf diese frohe Kunde hin
veranstalteten die Neger einen Festzug, schmückten
sich mit Blättern, bemalten ihre Gesichter mit Asche
und sangen wie schon früher ihren Triumphgesang, der
mit «Camiso, camiso» beginnt und mit der täuschen-
den Nachahmung eines fauchenden Löwen schliesst.
Der erlegte Löwe wurde stolz an einer Stange herum-
getragen. Endlich legten sie ihn auf die Erde, und wir
besahen ihn genauer. Es war ein prächtiges, schwarz-
mähniges Ungetüm; ich kniete bei ihm nieder, um
sein seidenglattes Fell zu streicheln und die riesigen
Reisszähne zu bewundern, als mir plötzlich zum Be-
wusstsein kam, dass B. nicht die geringste Freude über
das seltene Weidmannsheil an den Tag legte. Beim
Frühstück erzählte er mir, wie es sich zugetragen: Wäh-
rend der ganzen Nacht war der Köder unberührt ge-
blieben; B. war ein wenig eingeschlummert, als Kon-
goni ihn vorsichtig weckte und: «Simba » flüsterte. Ge-
rade graute der Morgen, und B. erkannte auf der Höhe
der gegenüberliegenden Böschung die riesige fahle Ge-
36
stalt des Löwen. Er beobachtete ihn eine Weile hinge-
rissen von der unbewussten Würde des königlichen
Tieres, das reglos, wie in Gedanken versunken, da-
sass, während der Morgenwind in seiner Mähne spielte.
Endlich hob B. die Büchse und gab Feuer. Ohne einen
Laut, ohne eine Bewegung zur Flucht, kollerte der
Löwe die Böschung hinunter und fiel langhingestreckt
neben den Köder. B. hatte wahrlich wenig Anlass, auf
so leichte Beute stolz zu sein, und auch ich fühlte, das
war ein unwürdiges Ende für eine so majestätische
Kreatur.
Unsere Marschroute führte nun über ein Hochpla-
teau, über den Baumwipfeln konnten wir Berge er-
kennen. Es gab hier Rebhühner, und so griffen wir
zur Flinte, um einige zu erlegen. Wir folgten einem
lustig plätschernden Bach, der silbern über Steine
hüpfte, und dessen unterhöhlte Ufer von ulmenähn-
lichen Bäumen beschattet waren, und wir wanderten
zurück über blumenübersäte Wiesen, die in saftigem
Grün prangten wie unser Weideland. An den Hängen
leuchteten petunienartige Winden, da wuchsen Sesam
und Ginster, blaue Blumen wie Rittersporn und lachs-
farbene Crossandra. Veilchen gab es hier und goldene
Gentianazeen, wir streiften durch süssduftenden Thy-
mian, und scharlachrote Blumen schimmerten im Gras.
Solche Heimwege waren unvergesslich in ihrer Lieb-
lichkeit. Doch manchmal erhob sich aus der schweigen-
den Dämmerung das Gespenst der Einsamkeit mit
schrecklicher Wucht und heftete sich fast greifbar an
unsere Fersen, um erst wieder von uns zu lassen, wenn
das geschäftige Treiben im Lager hörbar wurde. Wenn
dann die Feuer wie freundliche Fanale aufloderten,
37
lachten wir über unsere Furcht. An solchen Abenden
waren wir voller Zuversicht für ein gutes Gelingen
unseres Unternehmens und begannen unsere anfäng-
lichen Zweifel zu vergessen. Denn jetzt ging alle Arbeit
wie am Schnürchen. Nach getanem Tagewerk war ge-
nügend Fleisch vorhanden, und wir konnten hören,
wie sich unsere Leute an ihren Feuern vergnügten, ihr
Gelächter schallte durch die Nacht.
«Lass sie lachen», pflegte B. zu sagen. «Das ist das
beste Zeichen, dass alles in Ordnung ist.» Dann mochte
Kasaja wohl seine Geige stimmen, und bald sangen alle
zur Begleitung mit. Allmählich war uns ihr Gesang
so vertraut, dass kein Abend ohne ihn vollkommen war.
Kasaja begann etwa so:
Presto
m —— |. wo Am Mm” wu In Ham Mn im a HERE ER GR Dr Man mn mai a BI” War
Alle waren nun so gut in Form, dass die langen
Märsche keine Anstrengung mehr bedeuteten. Sogar
der verwundete Esel, an dessen Aufkommen wir sehr
gezweifelt, hatte sich prächtig erholt.
Was mich betraf, so blickte ich auf die ersten Tage
unserer Reise (als ich noch die Vorräte unmethodisch
verpackte, noch nicht Suaheli sprechen konnte und
zweifelte, ob ich den Marsch bis zum Ende aushalten
würde) mit der Überlegenheit eines alten Afrikaners
zurück. Nach fünfzehn MeilenMarschund oft anschlies-
senden Pürschgängen bis zum Einbruch der Nacht
war mein einziger Gedanke die süsse Ausspannung des
Schlafs gewesen. Und so schmerzlich bald wieder ent-
rissen mich der Hahnenschrei, das unbarmherzige Klir-
38
ren des Frühstücksgeschirrs, das Kratzen von Jims
Füssen auf der Zeltbahn den Armen der Vergessenheit,
wenn er um fünf Uhr früh die Laterne, den Tee und die
Biskuits brachte. Immerhin gab es noch drei Minuten
Gnadenfrist während er die Schuhe und Gamaschen
holte, dann aber sprang ich schnell auf, ehe ich Zeit
fand, mich nochmals wohlig zu strecken und mich zu
bedauern. Es war noch dunkel, meine Kleider fühlten
sich feucht an, ich schauderte, und meine Glieder
schmerzten von der Müdigkeit des vergangenen Tages.
Nun aber war ich gestählt, und ich begann mich auf
diese Stunde der Morgendämmerung zu freuen, da
ich, an einem Grashalm kauend, still mit der Trägerlinie
durch das graue, lauschende Schweigen schritt und den
durch den Tau verstärkten herben Geruch der roten
afrikanischen Erde, des trockenen Grases und der
Asche einatmete. Die Bäume, die Erde und alle ihre
Kreaturen schienen des so wichtigen Augenblicks zu
warten, da die Sonne sich erhob. Ihn zu versäumen
hätte bedeutet, die lebenspendende Geburt des ganzen
Tages verfehlt zu haben.
An den folgenden Tagen war es bitter kalt in der
Frühe. Nach Norden hin erstreckte sich ein weites
Land, eine unabsehbare Einöde unter einem stählernen
Himmel, und wir wanderten meilenweit, ohne auch nur
ein Stück Wild zu erblicken. Die Einförmigkeit wurde
durch eine Kuhantilope mit ausnahmsweise gutem Ge-
hörn unterbrochen. B. erbeutete sie nach langer Pür-
sche und erlebte dabei einen merkwürdigen Fall von
Gesichtstäuschung. Er war sonst ein guter Schütze,
und so konnten wir uns nicht erklären, warum die
Kugel stets im Sand aufschlug und die Antilope unver-
39
sehrt weiterflüchtete. Erst nachdem er beide Fesseln
zerschmettert hatte, gab er sich Rechenschaft, wie sehr
er die Entfernung unterschätzte, und als er nun das
Visier auf 300 m stellte, brachte der nächste Schuss sie
zur Strecke.
Nun war es allmählich Zeit geworden, neue Jagd-
gründe aufzusuchen, und nach einem langen Tages-
marsch erreichten wir den Thiba, ein idyllisches Flüss-
chen, das ungefähr halb soviel Wasser führte wie der
Tana. Währenddem das Lager aufgeschlagen wurde,
gingen wir fischen. Das war eine so herrlich ausruhende
Beschäftigung nach dem heissen Tagesmarsch, dass wir
sitzenblieben bis die Dämmerung kam, die Frösche
ihren Chor anstimmten und Fledermäuse umherhusch-
ten. Da neigte sich plötzlich die Angelrute, die Rolle
surrte, und ein grosser Fisch biss an. Zweimal versuchte
er vergebens, sich in das Schilf zu retten, beim dritten
Mal gelang es ihm, sich loszureissen, und die Leine hing
wieder schlaff herab. Diese Fische, eine Art von Barben,
sollen die Fähigkeit besitzen, wie Aale im eingetrock-
neten Flußschlamm die Trockenheit zu überdauern. Sie
schmecken vorzüglich. Wir ärgerten uns über unser
Missgeschick. Kongoni war indessen mit einer Laterne
gekommen, um uns ins Lager zurückzuführen.
Ein weiterer langer Marsch brachte uns zu den
grossen Tinga-Tinga-Sümpfen. Kongoni suchte Ngon-
du, einen Kikuyu-Häuptling, auf, der uns alles Wissens-
werte über die Büffel sagen konnte. Tagesanbruch sei
die günstigste Zeit für die Pürsche, da sie dann ausser-
halb des Sumpfes ästen. Er erbot sich, B. am nächsten
Tag als Führer zu begleiten. B. brach noch vor Sonnen-
aufgang auf und begab sich zuerst zu Ngondus Kraal.
40
Ngondus vierjähriges Söhnchen übernahm die Pflich-
ten des Hausherrn, bis der Vater bereit war. Es kam |
auf B. zu, gab ihm mit ernster Miene die Hand, dann
schüttelte es seine Decke aus, hüllte sich darein und
setzte sich nieder.
Später liess mir B. ausrichten, ich solle ihm mit einer
Angelrute, mit dem Koch und dem Essen folgen. Es
hatte in der Nacht geregnet, der Bach, der unterhalb
des Lagers in den Sumpf mündete, war angeschwollen
und floss ungefähr brusttief mit reissender Strömung
dahin. Schon glaubte ich, ihn durchschwimmen zu
müssen, als der Träger Muthoka mir anbot, mich auf
seinen Schultern hinüberzutragen.
Ich traf B. am Ufer des Flusses, und während wir
das Angelgerät bereitmachten, berichtete er mir über
seine morgendliche Pürsche. Er war bald auf die Herde
gestossen, hatte einen Bullen angeschossen, der mit
zerschmetterter Schulter in das Papyrus-Dickicht des
Sumpfes flüchtig wurde. B. machte sich sofort mit
Kongoni auf die Suche. Der Papyrus reichte ihnen weit
über den Kopf, und im Halbdunkel desDickichts wären
sie beinahe an die dunkle Gestalt gestossen, die zwi-
schen den Stauden hindurch wie ein Schatten aussah.
B. konnte nicht einmal feststellen, welcher Teil des
Büffels ihm zugewandt war, und so feuerte er gerade
in dessen Mitte. Das Tier warf sich herum, fiel kra-
chend zu Boden und wühlte bei seinen Anstrengungen,
wieder hochzukommen, Schlamm und Wasser auf wie
ein Mühlrad. B. beeilte sich, ihm den Fangschuss zu
geben. Erst dann entdeckte er, dass es gar nicht der
angeschossene Bulle war, sondern eine uralte Kuh, der
schon eine Anzahl Zähne im Unterkiefer fehlten. Sie
4I
trug jedoch ein prächtiges, edelgeschwungenes Ge-
hörn. Da sie im Wasser lag, war es nicht möglich, auch
ihre Haut zu bergen.
Am darauffolgenden Tag machte B. einen erneuten
Versuch, einen Bullen zu erlegen und hatte sich schon
fast bis auf Schussweite an einen herangepürscht, als
ein Rudel Wasserböcke seine Anwesenheit verriet. In
weniger als einer halben Minute war die Herde wieder
im Sumpfdickicht verschwunden, das sie den ganzen
Tag über nicht mehr verliess.
Am Nachmittag kamen unsere Leute von Embu mit
den Maultieren an; sie brachten einen Brief von Crufty,
der besagte, dass er zwei gute Tiere gewählt habe:
ein braunes und eines mit grauem Kopf. Ferner schrieb
er uns, die Elefanten seien noch immer nicht in den
Wald zurückgewechselt, und das Gras stehe noch hoch,
so dass durchaus keine Eile nötig sei, nach Meru zu
kommen. Ich machte mich daran, die Sättel auszu-
packen, damit wir die Maultiere sogleich probieren
könnten. Die Boys erklärten, dass der Graugesichtige
niemanden nahe kommen liess, der Braune dagegen sei
ganz fromm, und so näherten wir uns ihm getrost, um
ihn zuerst zu satteln. Beim blossen Anblick des Sattels
aber warf er sich herum, schlug mit beiden Hinterbei-
nen aus und brannte durch. Der Zaum war zu lang,
doch dem war bald abgeholfen. Das Anpassen des
Sattels dagegen bot grössere Schwierigkeiten: der Gurt
war viel zu kurz, und so sehr wir auch zogen und uns
abmühten, die Enden wollten nicht zusammenkommen.
Wir waren noch daran, etwas zu ersinnen, um hier Ab-
hilfe zu schaffen, als der «Syce»* auf der Bildfläche
* Pferdeboy
42
erschien. Er drängte uns ohne viel Umstände beiseite
und ergriff den Sattel. Er war ein ungehobelter Bengel
mit einer Armbanduhr, aber er schien seine Arbeit zu
verstehen — man musste nur sehen, wie er mit dem
Sattel umging. Er kam rasch vorwärts mit seiner Arbeit,
bald würden wir unsern ersten Galopp durch die Steppe
machen. Plötzlich aber hielt er inne; etwas schien nicht
zu klappen. Er drehte sich um und gab uns seine er-
staunliche Entdeckung kund: der Gurt sei zu kurz.
B. liess ihn nachher zu sich kommen, um ihn zu
fragen, warum er sich nicht gleich bei seiner Ankunft
gemeldet habe und warum er ihn nicht mit «Bwana»
(Herr) anrede; er lachte ihm nur ins Gesicht, worauf
B. ihm eine gesunde Ohrfeige gab, die sein Benehmen
von da ab sehr vorteilhaft veränderte.
Auch die Packesel kehrten nun zurück mit neuem
Posho und einem grossen Büschel Bananen. Das war
ein Geschenk von Sancho Pansa, einem der Eseltreiber,
um das Geschehnis beim letzten Transport wieder gut-
zumachen. Wir fanden dies so rührend, dass B. ihm
einen Schilling gab. Später kamen wir allerdings da-
hinter, dass er stattdessendieKiboko (Nilpferdpeitsche)
verdient hätte, denn es stellte sich heraus, dass er in der
Nacht, als der Löwe den Esel raubte, zu faul gewesen
war, die Tiere mit einer Zariba* zu umgeben.
Eine fast noch traurigere Überraschung stand uns
aber bevor: unser «Pet», der uns mit einem Vorschuss
auf seinen Lohn verlassen hatte, um, wie er sagte, eine
neue Hütte zu kaufen, kam nun zurück, von Kopf bis
zu Fuss neu bekleidet, unkenntlich und strahlend vor
Stolz. Wir starrten ihn entsetzt an. Sein verblichenes
* Dornenhecke
43
Tuch war verschwunden und hatte dem stereotypen
Khaki-Anzug weichen müssen. Verschwunden war
auch seine wilde, krause Mähne, und auf den rasierten
Schädel hatte er einen lächerlichen neuen Fez gestülpt.
Sogar auf seinen Speer hatte er verzichtet, zusammen
mit allen übrigen Attributen der Wildheit. Er sah uns
erwartungsvoll an und schien ein wenig gekränkt dar-
über, dass wir seine Veränderung nicht mehr zu schät-
zen wussten. Aber nicht nur seine äussere Erscheinung
war verändert: zusammen mit seiner Eingeborenen-
tracht schien er sich seines ganzen eigenen Charakters
entledigt zu haben, er war nicht mehr unser vertrauter
Pet.
Der folgende Tag war reich an Abwechslung. Da
der Standort der Büffel ziemlich weit vom Lager ent-
fernt war, beschlossen wir am Abend, dass B. in der
Frühe aufbrechen sollte, während ich später am Tage
die Safari zum Fluss hinunterführen und dort einen
neuen Lagerplatz suchen würde.
Das war nun eine Gelegenheit, das braune Maultier
zu erproben, und da der Gurt noch nicht geändert war,
wollte ich es mit einer Decke reiten. Die Safari war
fertig zum Aufbruch und wartete nur darauf, mir zu
folgen. Kaum war ich aber aufgesessen, als das Tier
kehrt machte, die Nase zwischen die Beine steckte und
den Hang hinunterjagte. Die Decke rutschte über seinen
Hals hinab, und es fehlte nicht viel, dass ich ihrem
Beispiel folgte; dann ging es in den Bach hinein, wo
das Tier endlich im Schlamm steckenblieb, und wir
mussten beide beschämt ans Ufer schwimmen.
Nachdem ein geeigneter Platz für das Lager gefunden
war, ging ich mit Brahimo und Mutua auf die Suche
44
nach B. Bald entdeckten wir ihn und Kongoni am
gegenüberliegenden Rand des Sumpfes. B. hatte nicht
erwartet, dass ich ihn finden würde und war schon auf
dem Rückweg. Doch nun änderte er seinen Plan; wir
schickten Brahimo zurück, den Koch zu holen, und
während wir auf ihn warteten, überlegten wir uns, wie
wir den Tag noch zu einem erfolgreichen Ende führen
könnten.
B. hatte in der Frühe kein Glück gehabt; er hatte
zwei Büffelbullen schwer krankgeschossen, doch konn-
ten sie beide noch in den unwegsamen Sumpf hinein
flüchtig werden. Darin lag gerade die Schwierigkeit
der Jagd; Büffel waren in grosser Zahl vorhanden,
doch wenn es nicht gelang, sie auf dem schmalen
Streifen Grasland, den sie zur Äsung aufsuchten, zur
Strecke zu bringen, dann waren sie für den Jäger ver-
loren. Zu beiden Seiten erstreckte sich meilenweiter
Sumpf, in dessen Schutz sie sicher geborgen waren.
Wagte man sich da hinein, dann schlug der bis zu
zwölf Fuss hohe Papyrus über dem Kopf des Jägers
zusammen, und man konnte keinen Schritt weit sehen;
man watete knöchel- bis gürteltief im Wasser, so dass
sich auch die stärkste Schweißspur nicht halten liess.
Und doch, irgendwo da drinnen barg der Sumpf zwei
Büffel, vielleicht schon verendet, während wir hier in
Sonne und Sicherheit dasassen. Etwas musste ge-
schehen.
Smaragdgrün leuchtete der Sumpf zu uns herüber
und schien uns lächelnd herauszufordern. Eine Un-
entschlossenheit überkam uns, die uns ebensosehr den
Mut raubte einzudringen, wie die Willenskraft, vom
Sumpfe fernzubleiben. Doch schliesslich, waren wir
45
hier, um Abenteuern aus dem Wege zu gehen? Wir
sprangen auf, und Kongonis Augen leuchteten, als er
murmelte: «Büffel, gro-o-sser Büffel ».
Wir nahmen die Fährte auf und tauchten in das
Dämmerlicht des Schilfs, Mutua voran, dann B.,
Kongoni und zuletzt ich auf dem Maultier. Der Sumpf
war uns günstig geneigt, die Fährte so breit, dass ein
Streifen Himmel über uns sichtbar war, das Wasser
so seicht, dass wir die reichliche Schweißspur halten
konnten. Bei einem so starken Schweissverlust konnte
der Büffel nicht weit gekommen sein; doch immer
weiter führte uns die Spur, bis in die innerste Tiefe des
Sumpfes. Zweimal hatte uns der Büffel eine Falle ge-
stellt, indem er plötzlich im rechten Winkel abge-
schwenkt und parallel zu seiner Fährte zurückgekehrt
war, um uns im Schilf verborgen zu überraschen.
Hätte er ausgeharrt, dann wären wir überrumpelt wor-
den, ehe wir von seiner Anwesenheit wussten, aber
jedesmal brach er wieder krachend durch das Dickicht
aus, bevor wir noch zu seinem Versteck gelangten.
An den Stellen, wo er uns erwartet hatte, war das
schmutzige Wasser vom Schweiss tiefrot gefärbt; lies-
sen wir jetzt mit der Verfolgung des krankgeschossenen
Tieres nicht locker, dann würde der Blutverlust es
bald so stark erschöpfen, dass es sich niedertun musste.
Aber unsere Verfolgung brachte den Büffel nur in
grössere Wut, und beim dritten Mal schien er Ernst
machen zu wollen. Wir pürschten uns vorsichtig
Schritt für Schritt der Spur entlang, während unsere
Blicke nach allen Richtungen das Riedgras zu durch-
dringen suchten, als wir plötzlich sein keuchendes
Schnauben vernahmen. Es war ganz unmöglich, die
46
Richtung der Laute festzustellen, auch war nicht das
geringste zu sehen, und doch fühlten wir mehr, als
dass wir es wussten: ganz nahe hinter den dichten
Papyruswänden, vielleicht rechts, vielleicht links von
uns, stand der Büffel und beobachtete uns. Sollten wir
vorwärts gehen oder zurück? Eine lähmende Unge-
wissheit überfiel uns, als plötzlich wieder ein Schnau-
ben ertönte, ein Prasseln im Schilf, das von allen Seiten
zugleich zu kommen schien, und der Büffel wiederum
flüchtig wurde.
Diesmal war er ganz bedenklich nahe gekommen,
und doch hatten wir nichts, rein gar nichts gesehen.
Dass wir den Büffel entdecken würden, bevor er uns
sah, war in dieser Schilfwildnis so gut wie ausgeschlos-
sen. Sogar Kongoni, der doch schon manche Büffel-
jagd mitgemacht, hatte nun einigermassen genug. Jetzt
wäre es eine unnötige Herausforderung der Gefahr ge-
wesen, mit der Suche fortzufahren. Der Büffel war in
einem Zustand, dass er bis morgen sicherlich schon ver-
endet oder doch wenigstens bewegungsunfähig gewor-
den war. Die Schweißspur würde auch morgen noch
gut zu halten sein, und so war es sicherlich das Klügste,
die Suche auf den morgigen Tag zu verschieben. Wir
bezeichneten daher die Stelle mit einem Stück Papier
und kehrten um. Das war nun so ein Fall, an dem der
wahre Waidmann seine Schulung beweisen konnte.
Denn hat man eine Spur aufgenommen, sie gefunden,
verloren und wiedergefunden, dann gerät man leicht
in einen Eifer, der alle andern Gedanken und Überle-
gungen erstickt. Wie ein Spürhund hinter seiner Beute
kennt man nur noch ein Ziel: das Wild zu erreichen.
Auf diese flammende Jagdlust verzichten zu können,
47
wenn die Pulse fliegen und man vor Furcht und Jagd-
fieber bebt und doch wieder über jedem Furchtgefühl
steht, dazu gehört eine eiserne Selbstbeherrschung.
Ich, die ich von dieser Schule noch nichts wusste und
zum ersten Mal von solchen elementaren Gefühlen
durchwirbelt war, empörte mich zutiefst und war voll
Verachtung darüber, dass die er aufgegeben
wurde.
Wir machten uns nun so rasch wie möglich wieder
auf den Rückweg. Da die Aufregung vorüber war,
war ein ausgiebiges Frühstück unser erster Gedanke,
denn wir befanden uns nun schon seit sieben Stunden
unterwegs, mit nichts ausser Tee und Zwieback als
Proviant. Als wir wieder ins Sonnenlicht hinaustraten,
fanden wir den Koch und die Träger schon vor, und
ein herrlicher Duft nach gebratenem Speck wehte uns
entgegen. Schon eilten wir auf sie zu, als der Führer,
der unser Kommen erwartet hatte, uns entgegenlief
und berichtete, er habe Büffel im Sumpf hinter uns ge-
hört. B. gab mir ein Zeichen, weiterzureiten, während
er mit Kongoni, im Gras gebückt, sich wieder dem
Sumpf zuwandte. Ich konnte nichts erkennen noch
hören, stieg ab, band das Maultier fest und ging lang-
sam zurück bis an den Rand des Schilfdickichts. Ein
Schuss fiel, und die Leute schrieen mir zu, ich solle
zurückrennen. Ich sah mich um, verwundert, dass
sie solchen Lärm schlugen, als drei Büffel im Galopp
gerade auf mich zukamen. Sie waren noch mindestens
200 Meter entfernt, hatten mich jedoch nicht bemerkt,
sondern waren gegen den Sumpf hin flüchtig.
Nachdem B. mit Kongoni sich vorsichtig ange-
pürscht hatte, erklomm er einen mit weissen Winden
48
bewachsenen Hügel, der einen guten Überblick über
den Sumpf gewährte: Sie hatten kaum dort Fuss ge-
fasst, als ihnen das Lärmen der Madenhacker die Nähe
der Büffel verriet. Bald nachher traten sie einer nach
dem andern in die Lichtung, vertraut wie eine Vieh-
herde. Als sie auf Schussweite herangekommen waren,
gab B. auf den Bullen Feuer, worauf sie alle kehrt
machten und in einem Schilfdickicht verschwanden.
Das Geräusch durch den Sumpf stampfender, spritzen-
der Hufe verstummte mit einem Schlag, und wieder
herrschte tiefes Schweigen. Dies dauerte eine Minute,
als die Herde plötzlich wieder herangaloppierte, ge-
radewegs auf den Hügel zu, den die Jäger innehatten.
Der Abstand zwischen Herde und Hügel verringerte
sich rasch, als sie mit einer Schnelligkeit und Entschlos-
senheit heranstürmte, die nichts schien aufhalten zu
können. So gewaltig war ihre Stosskraft und so dicht
gedrängt ihre Formation, dass der Leitbulle, der im
letzten Augenblick eine Kugel erhielt, sich aufbäumend
schräg über die übrigen fiel und einige Meter weit von
ihnen vorwärts getragen wurde. Doch nun, als die
Kühe bemerkten, dass ihr Anführer niedergestreckt
war, zerstreuten sie sich und kehrten sich dem Sumpfe
zu, während der tödlich getroffene Bulle, vorwärts
strauchelnd, dumpf zu Boden schlug.
Ich wollte mir den Ort dieser Geschehnisse ansehen,
und wir gingen zusammen zurück. Als ich auf dem
Hügel stand, sah ich erst, wieviel von diesem Schuss
abgehangen hatte, denn der verendete Büffel lag keine
zehn Meter von B.’s Standort entfernt.
Wir beschlossen nun, dass B. den andern Büffel, den
er in der Frühe krankgeschossen hatte, suchen solle,
49
während ich mich am Rande des Sumpfes postierte, um
etwa ausbrechendes Wild unter Feuer zu nehmen. Aber
B. geriet bald in so dichtes Schilfgestrüpp, dass er wie-
derum zwei Büffel fast berührte, bevor er sie bemerkte,
und er gab daher die Nachsuche zu meiner grossen
Erleichterung auf. Unser Bedarf an Aufregung und
Büffeljagden war nun für einen Tag reichlich gedeckt.
Die Sonne ging schon unter, als wir uns endlich dem
Lager näherten. Auf dem Rückweg hatten wir nichts
Aufregenderes als eine vorüberstreifende Schnepfe ge-
schossen.
An jenem Abend setzte B. sich, zwei Zigaretten dre-
hend, mit seinem üblichen: «Gib Feuer, Murray, mein
Sohn», zum Lagerfeuer. « Jawohl, hoher Herr», sagte
ich, und nun war die schönste Stunde des Tages ge-
kommen, nämlich die, ihn nochmals zu durchleben.
Wir kamen dabei zum Schluss, dass wir wirklich gute
und zuverlässige Leute hätten. Kongonis Tugenden
standen ausser Zweifel, und er hatte sie auch heute
wieder bewiesen, als er, ohne zu wanken, neben B. den
annehmenden Büffel erwartete, obwohl er selbst keine
Waffe trug. Auch Mutua, der die Nachsuche auf den
krankgeschossenen Büffel angeführt, hatte keine Spur
von Furcht gezeigt; und nicht zuletzt der Koch, der,
stets bereit mit dem lebenspendenden Teekessel, immer
fröhlich und vergnügt auf dem Posten war. Es war ein
eindrucksreicher Tag gewesen, und ich fühlte, dass
dieser furchtbare Sumpf noch manche Nacht in meinen
Träumen wiederkehren werde.
Am nächsten Morgen, als B. schon auf der Suche
nach dem krankgeschossenen Büffel unterwegs war,
5o
*
kamen einige Kikuyus ins Lager, die berichteten, sie
hätten soeben zwei Löwen gesehen, die am andern
Flussufer einen Wasserbock rissen.
Das lautete günstig, und ich sandte die Kikuyus so-
fort voraus, während ich schnell mit den Maultieren
B. nacheilen wollte. Bald merkte ich aber, dass, was die
Maultiere betraf, von Eile keine Rede sein konnte. Nur
um «Greyface» zu satteln, brauchten wir eine volle
Stunde. Acht Mann konnten ihn nicht halten, und wir
mussten ihn an einen Baum binden, die Beine fesseln
und eine Schlinge um seine Oberlippe legen, bis er
stillhielt. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst,
als ich in den Sattel stieg, aber überraschenderweise
war er nun ganz fromm; «Brownie» dagegen, der sich
gut satteln liess, vergeudete die kostbare Zeit damit,
dass er den Pferdeboy abwarf.
Der Tag neigte sich schon zu Ende, als ich B. endlich
fand, der weder die Kikuyus gesehen noch von den
Löwen gehört hatte, und nun war es zu spät, um ihnen
nachzuspüren.
Auf der Suche nach dem Büffel hatte B. sich im
Sumpf verirrt; er war in ein fast undurchdringliches
Schilfdickicht geraten, in dem er überdies bis zum Gür-
tel im Wasser versank, und hatte den ganzen Morgen
gebraucht, um sich wieder herauszuarbeiten. Danach
bemerkte er, dass Kongoni in diesem Wirrsal den Zeiss-
Feldstecher verloren hatte. Das war ein doppelt emp-
findlicher Verlust, da wir nur dies eine Fernglas be-
sassen.
Die Löwen sollten ungefähr eine Stunde vom Lager
entfernt gesehen worden sein. Doch als wir uns am
tolgenden Tag nach dreistündigem Marsch noch immer
$I
mehrere Meilen von ihrem Standort entfernt fanden,
sandten wir einen Boten zurück, um Proviant zu holen,
setzten uns unter einen Dornbaum und verwünschten
das ganze Pack der Kikuyus.
Nach zwei weitern Stunden gelangten wir zu einem
Kraal, dessen Häuptling, ein Riese an Gestalt und Um-
fang, uns alles Wissenswerte über die Löwen sagen
konnte. Sein Äusseres war so finster und drohend, dass
wir beide ihm sofort den Namen «Nero» beilegten.
Er gab uns indessen neuen Mut, indem er angab, die
Löwen strichen in der Lichtung oberhalb seines Kraals
herum, die Kikuyus hätten sie nicht weit davon ge-
sehen. Wir hatten uns also nicht umsonst in der glühen-
den Sonne rösten lassen auf unserm mehrstündigen
Marsch. Sofort machten wir uns daran, einen Köder zu
beschaffen und eine Boma zu errichten.
Früh am folgenden Morgen hatten die Leute ein
schlafendes Krokodil am Ufer einer Lagune neben dem
Fluss angetroffen und überredeten mich, mit ihnen zu
kommen, um es zu erlegen. Unterwegs überlegte ich
mir beständig, wo die einzig tödliche Stelle sei — am
Kopf oder hinter dem Blatt. Aber als ich nach atemloser
Pürsche ans Ufer kam, war die Riesenechse verschwun-
den. Inzwischen war B. von dem Ansitz zurückgekom-
men, er hatte mit den Löwen kein Glück gehabt. Wir
gingen nun hinunter, um nochmals nach den Kroko-
dilen zu sehen und kamen, einer grasbestandenen Rinne
folgend, an den Fluss. Dort fanden wir durch Zufall
das Versteck, wohin die Löwen ihre Beute geschleppt
hatten. Es lag in einer tiefen, halb mit Treibholz an-
gefüllten Unterhöhlung der Uferböschung. Der Sand
war zerpflügt von ihren scharfen Krallen, und in einem
52
Winkel lagen die stinkenden Überreste des Aases.
Auf dem Rückweg bekamen wir vier Impalas zu Ge-
sicht, die von einem kapitalen Bock geführt waren.
Sollten wir ihn erlegen ? Es fiel uns schwer, dies zu ent-
scheiden, denn dann hatte B. später nur Anrecht auf
ein einziges Stück, und am Uaso Nyiro sollte es viel
bessere Böcke geben. Wir beobachteten den Bock, wie
er völlig vertraut einherzog, sich graziös zwischen Stei-
nen und Stauden einen Weg suchte. Bald würde das
Gestrüpp ihn unsern Blicken entziehen. Jetzt oder nie!
B. feuerte, ein vernehmlicher Kugelaufschlag, und der
Bock brach zusammen; die augenblickliche Wirkung
der Kugel war fast verblüffend. Wir eilten auf ihn zu
und legten das Bandmass an sein Gehörn, voller Angst,
dass es uns enttäuschen würde, aber es war beinahe um
drei Zoll länger als das letzte, ein wirklich kapitales
Exemplar.
Wir waren nun in ein Gebiet gekommen, in dem
wir nach Angabe von Capt. C. auf Kenya-Oribis stos-
sen würden, eine örtliche Spielart, von der B. ein
Paar erbeuten wollte. Ein kleines Treiben blieb ohne
Erfolg, doch auf dem Heimweg lenkte einer der Träger
unsere Aufmerksamkeit auf zwei Warzenschweine. B.
sandte dem einen eine Kugel nach, worauf es mit
zerschmettertem Hinterlauf an uns vorbei flüchtig
wurde. Es verlor reichlich Schweiss, doch mussten wir
ihm eine weite Strecke folgen, ehe es sich stellte. Ein
zweiter Schuss brachte das wie ein Ferkel quiekende
Tier zu Fall. Sein Gebräch war nur schwach entwickelt,
aber sonst war es ein starker Bursche. Indem wir das
schwindende Tageslicht noch ausnützten, balgten wir
es so rasch als möglich ab.
53
Das Lager war noch einige Meilen entfernt, doch
Ngondu, der Häuptling, behauptete, es sei ihm ein
leichtes, den Weg im Dunkel zu finden. Seinen Über-
wurf um sich gewunden, den langen Speer über der
Schulter, machte er einen höchst zuverlässigen Ein-
druck, doch er sollte unser Vertrauen bald gründlich
erschüttern, indem er uns in den sonderbarsten Zick-
zackwegen über das Plateau führte und endlich zugeben
musste, er habe sich verirrt. Wir hörten den Fluss auf
der falschen Seite rauschen und entdeckten, dass wir
auf ein Licht am gegenüberliegenden Ufer zugesteuert
waren, weit oberhalb Neros Kraal. Nach manchem
Zusammenstoss mit Felsen und Bäumen in der tinten-
schwarzen Nacht kamen wir endlich wieder auf den
richtigen Pfad und sahen die Lagerfeuer uns entgegen-
leuchten.
B. wollte noch wegen Löwen auf den Ansitz gehen,
und Pet schritt ihm mit einer Laterne voran. Die Boma
war genau 25 Minuten vom Lager entfernt, Pet aber
brauchte genau drei Stunden und 40 Minuten, um sie
zu finden, und diese Glanzleistung verhalf ihm zum
Ende seiner Laufbahn.
Löwen gab es rings um uns. Kaum war die Sonne
untergegangen, als wir sie aus allen Richtungen knur-
ren hörten. Aber sie waren erstaunlich vorsichtig und
liessen alle Köder unberührt liegen. Wir vergassen den
Schlaf über dem Suchen nach Mitteln und Wegen, wie
sie zu überlisten seien. Eine unserer Ideen war, einen
Termitenhügel zu untergraben, um in ihm verborgen
beim Köder anzusitzen. Die Löwen würden uns nicht
so leicht wittern, und man wäre völlig unsichtbar.
Denn ohne Zweifel würde ein Dornenverhau in der
54
Nähe des Köders, und wäre er noch so klein, die Auf-
merksamkeit des Löwen wecken, und ist sein Verdacht
einmal rege, dann ist kein Wild listiger und schlauer
als er. Schliesslich fanden wir heraus, dass es am besten
war, ein als Köder erlegtes Stück Wild einfach liegen-
zulassen, es mit Zweigen zu verdecken, und wenn es
von einem Löwen angenommen wurde, einen Ansitz
aus Dornen zu errichten, ihn aber erst nach einer oder
zwei Nächten zu benützen, wenn der Löwe sich an den
Anblick gewöhnt hatte. Der Nachteil dabei war der,
dass das Aas nach drei bis vier Nächten — wenn über-
haupt etwas davon übrig blieb — so stark verludert
war, dass es die Löwen nicht mehr lockte; wurde aber
ein frischer Köder an die gleiche Stelle gebracht, so
erregte dies wiederum den Verdacht der vorsichtigen
Raubtiere. Häufig kam es auch vor, dass die Hyänen
den Köder vorwegnahmen.
Wir verlegten das Lager etwas nach Norden an einen
kleinen Bach, und B. schoss ein Zebra. Während der
Nacht nahm ein Löwe den Köder an, zog die Zweige
sorgfältig beiseite und verzehrte den Magen und eine
Keule. B. liess einen Verhau errichten und begab sich
kurz nach Sonnenuntergang auf den Ansitz. Der Ver-
hau war nur wenige Fuss vom Köder und etwas unter-
halb desselben angelegt, so dass alles, was sich ihm
näherte, sich gegen das schwindende Licht des Himmels
abheben würde. Später konnte der Mond genügendes
Büchsenlicht liefern.
Nach kurzem Warten sah er schon die Umrisse eines
Löwen über die Beute ragen. Nicht das leiseste Ge-
räusch war zu vernehmen; der Löwe stand regungslos
verhoffend, während B. Zoll um Zoll die Büchse an die
55
Schulter brachte. In diesem Augenblick hustete Kon-
goni hinter ihm. Der Löwe war augenblicklich ver-
schwunden. Vielleicht war es nur, weil er so nahe ge-
wesen, dass B. ihn mit ausgestrecktem Arm hätte be-
rühren können, aber er hatte den Eindruck, es sei der
grösste Löwe gewesen, den er je gesehen.
Für seine Enttäuschung wurde er aber bald darauf
entschädigt: er schoss später in der Nacht auf eine
Gestalt, die er als eine Hyäne ansprach. Doch als das
Tier den Schuss mit einer sechs Fuss hohen Flucht
quittierte, und B. die lange Rute sah, glaubte er, einen
kleinen Löwen vor sich zu haben. Er war daher sehr
überrascht, als die Laterne einen verendeten Leoparden
beleuchtete. Es war ein kapitales, prachtvoll gezeichne-
tes Tier. B. war über diesen Glücksfall sehr erfreut, denn
obgleich es nicht schwer ist, einen Leoparden in der
Falle zu erbeuten, bekommt man ihn selten vor die
Büchse.
In der darauffolgenden Nacht erlegte B. eine Hyäne
und hätte sie auch bergen können, wenn nicht ihr
Genosse, während sie noch am Verenden war, begon-
nen hätte, sie zu verzehren. Es entspann sich ein wüten-
der Kampf, B. hörte ihr Scharren und Fauchen in der
Dunkelheit. Darauf gelang es dem verendenden Tier,
in ein Erdferkelloch hinabzurutschen, so dass weder
B. noch ihr Gefährte sie wieder zu Gesicht bekamen.
Kongoni schüttelte missbilligend den Kopf; eine
Hyäne zu schiessen bringe Unglück, und B. würde nun
nie wieder einen I.öwen erlegen. So lächerlich dieser
Aberglaube war, so stand doch das ganze Lager unter
dem Eindruck dieses Zwischenfalls. Wir wären selbst
davon angesteckt worden, wenn es uns nicht ange-
56
spornt hätte, den Aberglauben so rasch wie möglich
zu widerlegen. Nach einem langen Tag vergeblicher
Pürsche nach dem Kenya-Oribi erlegte B. einen Köder,
und die Boys errichteten wiederum, doch ohne rech-
ten Mut zur Sache, eine Boma.
Nachdem sie fertiggestellt war, ritten wir heimwärts
durch das Schweigen des Abends, im roten Licht der
untergehenden Sonne. Stets war dies der feierliche
Augenblick des Tages, und selbst am Anfang unserer
Reise, als uns das Graslandnoch inseiner Unermesslich-
keit bedrückte, schien sich dann ein Friede über seine
Feindseligkeit zu senken, der uns aufatmen und den
Blick zuversichtlich heben liess.
Vom Gesichtspunkt des Sammlers aus waren die
Kenya-Oribis wichtiger als Löwen. Wir verwendeten
ganze Tage auf seine Jagd, nahmen ein Dutzend Trä-
ger mit als Treiber, doch erfolglos. Dabei sind die
Oribis weder selten noch besonders schwer zu erjagen;
nur war jetzt nicht die richtige Jahreszeit für Antilopen-
jagd. Einen Monat später, wenn das Gras niederge-
brannt war, wäre es viel einfacher gewesen; jetzt stan-
den die Halme so hoch, dass die Tiere unsichtbar blie-
ben, ausser wenn ihre hohen Fluchten sie über das
Gras hinaustrugen. Waren sie aber einmal flüchtig ge-
worden, so verschwanden sie rasch in langen Sprüngen,
ohne je in Schussweite zu kommen.
Unsere Streifjagden brachten uns an den Thiba zu-
rück. Während wir dem Fluss entlang zogen, machte
uns Ngondu auf eine dunkle Masse am andern Ufer
aufmerksam, die wie ein im Gras liegender Felsen aus-
sah. Bald erkannten wir, dass es ein Flusspferd war.
Es richtete sich auf seinen kurzen Vorderläufen auf
57
und sah nun mit seinen gegen uns gerichteten winzi-
gen Lauschern genau wie ein überfetter gutmütiger
Hund aus.
Plötzlich bemerkte es uns, stürzte gegen den Fluss
und tauchte unter. Noch beobachteten wir den Wasser-
spiegel, als Mutua einen Schrei ausstiess und rief, er
sei von einer Schlange gebissen worden. Zufälligerweise
hatte ich gerade die Taschen-Apotheke bei mir, als sie
einmal nötig war. B. machte einen Einschnitt über der
gebissenen Zehe, den wir mit den Kristallen füllten.
Die Schlange selbst war von niemandem gesehen wor-
den; es war aber wohl eine Giftschlange gewesen,
denn das ganze Bein schwoll auf den doppelten Um-
fang an, und es dauerte viele Tage, bis Mutua es wie-
der gebrauchen konnte.
Das war überhaupt ein Tag voller Missgeschick:
Kongoni glitt auf einem Felsen aus und schlug einen
Splitter aus B.’s Büchsenschaft, Brownie stürzte in ein
verborgenes Erdferkelloch, und auf dem Heimweg,
als wir auf einen Flug Perlhühner gestossen waren und
einige derselben erlegten, trafen mich zwei Schrot-
kugeln, die von einem Baum abprallten, in den Hals.
Ich konnte mir gar nicht denken, was geschehen war,
denn ich hatte nur ein Gefühl, als ob mich zwei Golf-
bälle sehr stark getroffen hätten. Dann, als ich Brahi-
mos ziemlich erschrockenes Gesicht sah, fühlte ich mit
der Hand nach und bemerkte, dass mein Hals mit
Blut bedeckt war. Es schien mir unfasslich, dass zwei
abgetriebene Schrotkugeln noch solche Durchschlags-
kraft besassen, oder dass ein Perlhuhn einen Treffer
überleben konnte, selbst wenn es nicht an einer töd-
lichen Stelle getroffen wurde.
58
Nach dem Abendbrot griffen wir wieder zur Büchse
und gingen hinunter zum nächtlichen Ansitz am Bach,
in der Hoffnung, dass der Löwe, dessen Spuren wir
in der Nähe des Eselpferches bemerkt hatten, seinen
Besuch wiederhole. Ein Ochsenfrosch quakte, Leucht-
käfer schwirrten über das Wasser, sonst herrschte
grosse Stille und tiefe Dunkelheit. Dann machten wir
die unliebsame Entdeckung, dass wir unsere Laternen
nicht zum Brennen bringen konnten, was uns ver-
anlasste, schleunigst die Böschung hinaufzuklettern,
um in ziemlicher Eile zum Lager zurückzukehren,
während wir hinter jedem Busch einen Löwen ver-
muteten.
Die drückende Stille wurde durch ein Gewitter
unterbrochen, und mitten in der Nacht stürzte unter
Krachen und Knacken das Zelt über unsern Köpfen
zusammen. Der Regen strömte hernieder. Obgleich
wir das Zelt nicht wieder aufzurichten vermochten,
konnten wir doch darunter schlafen. Wir hatten ver-
gessen, die Zeltleinen zu lockern, und der Regen hatte
sie so stark gespannt, dass sie den Zeltpfosten ge-
krümmt und schliesslich gebrochen hatten. Die Bruch-
stelle war so schräg, dass der Pfosten am Morgen bald
provisorisch repariert war.
Für heute war ein Marsch vorgesehen, aber zu der
Verspätung, welche die Gewitterschäden verursacht
hatten, kam noch B.’s Entdeckung, dass die Zebradecke
begonnen hatte in Fäulnis überzugehen. Mvanguno,
der für die Häute verantwortlich war, behauptete
zwar, sie seien alle fertig zum Verpacken, doch da nun
das Zebra verdorben war, sah B. auch die übrigen
Häute nach und stellte fest, dassauch das Warzenschwein
59
ruiniert war. Die Warzen waren nicht aufgeschlitzt
worden, wie es sich gehörte, und wir mussten das Fell
fortwerfen. Das war ein harter Schlag. Es war nicht
nur schade um die vergebliche Mühe und die schönen
Felle, es zeigte uns auch, dass Mvanguno keineswegs
so zuverlässig war, wie es geschienen hatte. Man kann
keinem Eingeborenen, und sei er noch so geschickt,
einen verantwortlichen Posten anvertrauen. Es war
ein Jammer, dass ich von der Arbeit nichts verstand
und nicht selbst die Anzeichen der beginnenden Fäulnis
zu erkennen vermocht hatte. Ich konnte es wohl noch
lernen, doch wenn Mvanguno mit all seiner Erfahrung
sich als unbrauchbar erwies, wieviel weniger konnte
ich da helfen. Aber den ganzen Tag jagen, nachts auf
dem Ansitz sein und daneben noch die Trophäen zu
überwachen war mehr, als ein einzelner leisten konnte.
Dennoch wurmte es mich, dass mein Anteil an der
Expedition so bescheiden war. Ich war Verpflegungs-
offizier und ausserdem noch — schlecht und recht, so
gut es eben ging — Schiffsarzt und Photograph. Nicht
einmal schiessen konnte ich, und so unentbehrlich war
ich nicht, als dass ich nicht gerade so gut hätte daheim-
bleiben können.
Ich war in solch trübe Überlegungen versunken, als
B. vorschlug, heute einmal einen Ruhetag einzuschal-
ten und mit Schmetterlingsnetzen und Angelruten an
den Fluss zu gehen. Wir wussten ein liebliches Plätz-
chen, wo sich das Ufer sanft gegen den Rand des Flus-
ses senkte, und das umrahmt war von dichtbelaubten
Bäumen. Das war ein verlockender Plan, und um Zeit
zu gewinnen sattelten wir die Maultiere. Sie hatten sich
in lammfromme Tiere verwandelt, die sich von uns
60
in zwei Minuten satteln liessen, während sie dem Pferde-
wärter noch immer gern eins auswischten.
Kaum hatten wir uns aber auf den Weg gemacht,
als uns die Kikuyus einholten, und ein Blick auf diese
Tröpfe genügte mir, mich zu überzeugen, dass es mit
dem Picknick am Fluss für diesmal aus war. Ihr Bericht
liess uns aber die Enttäuschung schnell vergessen: drei
Löwen ganz in der Nähe, gerade beim Reissen ihrer
Beute gestört!
Wir liessen die Maultiere im Lager zurück und be-
gaben uns so rasch wie möglich an die Stelle, an der die
Löwen ihre Beute gerissen hatten. Doch wir sahen
sofort, dass unsere Eile keinen Zweck gehabt, denn die
Antilope war schon völlig verzehrt. Wir hatten die
Kikuyus falsch verstanden: sie hatten uns gesagt, dass
nur wenig von dem Aas übriggeblieben sei, während
wir verstanden hatten, sie hätten es noch kaum be-
rührt, und daraus folgerten, die Löwen würden nun
bald zu ihm zurückkehren. Das war nur eine der zahl-
reichen Lehren, wie wichtig es war, ihre Sprache zu
verstehen. Hätten wir uns nun nicht weiter um das Aas
gekümmert und sofort die Suche aufgenommen, dann
hätten wir die Löwen möglicherweise noch erreicht.
So aber verloren wir viel kostbare Zeit und erschöpften
uns dann in einer fruchtlosen Suche, stundenlang durch
hohes Schilfgras, unter einer unbarmherzigen Mittags-
sonne. Am frühen Nachmittag waren wir denn auch
völlig erschöpft und gaben sie auf. Wir hatten die
Löwen ganz in der Nähe des Lagers vermutet, hatten
weder Tee noch Wasser mitgenommen und waren
nun ausgedörrt vor Durst. Während ich meinen Weg
durch das hohe Gras bahnte, wiederholte ich mir
61
immer stumpfsinnig die Alternative: «Löwe oder Limo-
nade», und da mir nicht die Gunst zuteil wurde, zwischen
beiden zu wählen, blieb es jedesmal bei der Limonade.
Es regnete viel, die feuchte Hitze machte das Jagen
sehr beschwerlich, und die Häute trockneten schlecht.
Wir erlebten in diesen Tagen aber zwei Dinge, auf
die wir seit Beginn unserer Reise gehofft hatten.
In der Nacht hörten wir einen Löwen brüllen. Es
war ein erschütterndes Konzert und hallte so klar über
die Ebene, dass, als es erstarb und noch einige knur-
rende Laute folgten, man fast glaubte, sein Atemholen
zu hören. Er mochte wohl gegen 400 Meter von uns
entfernt sein, und doch erfüllten die donnernden Laute
die Nacht und machten die Luft erzittern, so mächtig
war seine königliche Stimme.
Mit den Worten: «Da liegt der Mount Kenya!»
weckte mich B. am andern Morgen, und im Rahmen
des Zelteinganges, weit über dem Ozean von goldenem
Gras, erhob sich der riesige Berg, dessen schneebedeck-
ter Gipfel im zitternden Licht des anbrechenden Mor-
gens schimmerte.
Bisher hatten wir immer nur die Vorberge und die
Umrisse seines Fusses gesehen; darüber aber hing wie
ein Vorhang eine Wolkendecke, die sich niemals ge-
lüftet hatte. Schon unzählige Male hatten wir versucht,
uns vorzustellen, was sie wohl verberge, hatten uns
schwarze Abgründe und schimmernde Gletscher aus-
gemalt und uns gefragt, wie hoch über diese Wolken
der Gipfel wohl reiche, und wie wohl Schneeberge
unter dem Aequator sich ausnehmen würden. Doch nie
konnte sich unsere Einbildungskraft mit dem unver-
gleichlichen Anblick messen, die der Kenya in Wirk-
62
lichkeit bot. In den tauklaren, kristallenen Morgen
ragten seine beiden Gipfel, über einem zarten Wolken-
gürtel, mit frischem Schnee bedeckt.
Den ganzen Tag über marschierten wir in Sicht des
Berges, hatten eine lange Pürsche auf Wasserböcke
und schlugen bei Einbruch der Nacht unser Lager am
Ufer eines Flüsschens auf, unser letztes Lager auf un-
serm Streifzug nach dem obern Tana.
Am folgenden Morgen packten wir alle Häute zu-
sammen, nachdem wir sie mit Naphtalin bestreut hat-
ten, und nähten sie in grüne Willesden-Säcke, die, aus
stärkstem Hanf gewoben und mit Arseniklösung ge-
tränkt, sogar das gefährlichste aller Ungeziefer, den
Speckkäfer, fernhalten. Wenn alles beieinanderlag, die
Büffelhaut, drei Löwen, der Leopard, ein Zebra, die
Kuhantilope und das Impala, Schädel und Knochen
mit Draht in Gras verpackt, so war es eine recht an-
sehnliche Sammlung für den Anfang. Doch war auch
ihre Unvollständigkeit allzu offenbar: noch fehlten
weibliche Stücke von Kuhantilope, Impala und Büffel
— das Museum aber musste Paare haben. Dem konnte
später abgeholfen werden, denn diesen Tierarten wür-
den wir immer wieder begegnen. Dagegen war das
fehlende Kenya-Oribi eine Lücke in unserer Samm-
lung, die wir nicht mehr ausfüllen konnten.
Kongoni hatte für kleineres Wild nie viel übrig ge-
habt; die Boys hatten überhaupt seit langem ihr In-
teresse am Oribi verloren. Da wir aber wussten, dass
sich nie wieder Gelegenheit zu seiner Erbeutung bieten
würde, beschlossen wir einen letzten Versuch zu ma-
chen und begaben uns ohne Begleitung auf einen Pürsch-
gang. Es war kurz nach der Mittagsstunde, kein Wind-
63
hauch brachte Kühlung von der glühenden Hitze, aber
wir dachten nur an unsere Beute. Wir bahnten uns
unsern Weg unermüdlich durch das hohe Gras, immer
noch auf Erfolg hoffend, bis der Abend hereinbrach.
Erst als die Dämmerung kam, die Nachtschwalben
lautlos an uns vorüberglitten und wir noch weit vom
Lager entfernt waren, mussten wir eingestehen, dass
die kleinen Oribis uns endgültig geschlagen hatten.
Wir machten uns wieder auf den Marsch, und zwei
Tage später erreichten wir Embu.
64
Embu — Meru — Maua — (Jombeni-Kette)
«Er ist zum mindesten ein 90-Pfünder. Die Einge-
borenen behaupten, seine Zähne ziehen Furchen am
Boden, weil sie so schwer sind, dass er sie nicht heben
kann.»
So lautete die Beschreibung eines Elefanten, von dem
uns Mr. L. erzählte, als wir bei ihm beim Kaffee sassen.
Es mutete uns ganz seltsam an, wieder ein Dach über
uns zu haben; die Bücherregale, die Bilder an den Wän-
den und die silbernen Bestecke auf dem weissen Tisch-
tuch umgaben uns mit einer behaglichen Atmosphäre
der Geborgenheit. Aber wenn es auch schön und gut
war, eines Tages zu all diesen Dingen zurückzukehren,
so fühlten wir doch eine geheime Freude darüber, dass
dies nicht schon jetzt sein musste. Im Augenblick hatten
wir nur Sinn für den Bericht über diesen riesigen Ele-
fanten, und unser einziger Gedanke war, zu erfahren,
wo und wie wir ihn finden konnten.
Wenn wir die weite Entfernung nicht scheuten, dann
war er unser. Er war ein alter Einzelgänger und hatte
sich, solange irgendein Eingeborener denken konnte,
in einem kleinen Waldkomplex in der Nähe zweier
Hügel aufgehalten.
Mr. L. hätte am liebsten selbst noch einmal den Ver-
such gemacht, ihn zu jagen, aber er versicherte uns,
dass seine Pflichten ihn nun von jenem Distrikt zu-
rückhielten, so sei es sehr fraglich, ob sich ihm diese
65
Gelegenheit je wieder bieten würde. Er erbot sich,
nach Meru zu schreiben, um uns denselben Führer zu
verschaffen, den er gehabt und der am besten mit den
Gewohnheiten und dem jeweiligen Standort des Ele-
fanten vertraut war.
Eine Frage drängte sich B. sogleich auf: Wenn diese
kapitalen Zähne des Elefanten so von sich sprechen
machten, warum war nie jemand ernstlich darauf aus-
gegangen, sie zu erbeuten? Doch es schien, dass eben
nur wenige davon wussten, und die Örtlichkeit war
viel zu abgelegen, als dass man die Jagd auf ihn für
lohnend hielt. Es war sechzig Meilen von Meru ent-
fernt — sechzig Meilen hin und sechzig Meilen zu-
rück — und dies zu Fuss. Das war ein Dämpfer sogar
für unsere Begeisterung, doch wenn wir sicher damit
rechnen konnten, den Elefanten zu finden, mochte es
sich wohl lohnen. Abgesehen davon, dass die Jagd auf
einen wirklich kapitalen Elfenbeinträger ihre besondern
Reize hatte — mit dem Verkauf der Stosszähne könn-
ten wir die Hälfte unserer Expedition bezahlen —,
musste der Elefant selbst ein mächtiger Geselle sein.
Immerhin war es eine riskierte Sache, denn wir würden
fast einen Monat damit verlieren. Sonst gab es dort
wenig Wild, jedenfalls keine Arten, die wir nicht auch
später antreffen würden. Wir erwogen aber diese Für
und Wider, als wir uns schon auf dem Marsch befanden
und Embu bereits hinter uns lag.
Embu war die erste Vorposten-Siedlung, die wir
getroffen hatten, und wir waren überrascht, inmitten
der Wildnis Gärten voll wundervoller Rosen, mit
sauber geschnittenen Buchsbaum-Hecken umsäumt,
und bewässerte Rasenflächen zu sehen.
66
Es war vielleicht ein Zeitverlust von fünf Tagen,
eine Strecke zu Fuss zurückzulegen, die man im Auto-
mobil bequem in einem oder höchstens zwei Tagen
durchmessen konnte, aber wir bereuten es nicht, denn
die Gegend zwischen Embu und Meru ist ausserge-
wöhnlich reizvoll.
Nach Wild hielt man freilich vergebens Ausschau,
denn die Gegend ist dicht bevölkert, aber wir fanden
herrliche Schmetterlinge und verkürzten manchen lan-
gen Marsch damit, sie zu sammeln. Während der ersten
Tage benützten wir die zahlreichen Abkürzungen, um
Zeit zu gewinnen; das Gelände ist hügelig, und die
Strasse schlängelt sich in zahllosen Windungen dahin,
zwar ziemlich eben, aber sehr auf Kosten von Distanz
und Zeit.
Aber auch die Abkürzungen waren sehr gewun-
dene Pfade, oft schienen sie nicht kürzer als die
Strasse selbst; was wir scheinbar an Kürze gewannen,
verloren wir damit, dass sie ständig bergauf und berg-
ab führten. Als in einer Nacht Regen fiel, wurden die
Wege zudem so schlüpfrig, dass wir die Maultiere und
Packesel auf die Hauptstrasse dirigieren mussten. Aber
selbst für uns, die wir keine Lasten trugen und kräftige
Stöcke benutzten, war das Begehen der Pfade mühsam.
Bergauf mussten wir uns oft mit den Händen festhal-
ten, und bergab war es mehr ein Rutschen als ein
Gehen. Wie würden sich wohl die beladenen Träger
anstellen ? Doch sie entledigten sich einfach ihrer San-
dalen und nahmen die Steigungen und Gefälle barfuss
so sicher wie Bergziegen, trotz ihren Lasten von fünfzig
bis sechzig Pfund. Geradezu erstaunlich war die Sicher-
heit, mit der sie ein Flüsschen überschritten. Es war
67
angeschwollen und die Brücke fortgerissen. Die einzige
schwankende Verbindung mit dem andern Ufer be-
stand aus zwei jungen Stämmchen, die man darüberge-
legt. Wir glaubten, es werde eine langwierige Sache
sein, alle unsere Lasten da hinüber zu bringen, und
trösteten uns damit, dass wir mit einem Kraftwagen
nun in einer bösen Klemme wären. Als aber die Träger
die Notbrücke erreichten, schoben sie nur ihre Lasten
zurecht und gingen Mann für Mann über den schaukeln-
den Steg, als wäre er eine feste, breite Brücke.
Das war kurz hinter Chuka gewesen, und wir waren
ein wenig näher an die Hänge des Meruberges heran-
gekommen. Die sanftgerundeten Hügel mit ihren Ba-
nanen- und Maispflanzungen lagen nun hinter uns, die
Gegend war hier schon grossartiger und gebirgiger;
hier begann auch der Urwald. Bisher hatten wir am
Grunde jedes Tälchens einen leicht zu überschreiten-
den Bach gefunden, aber nun waren es Flüsse zwischen
steilen Hängen, und es gab weder Abkürzungen noch
Furten. Es blieb uns nur noch übrig, der Strasse zu
folgen, die dem Hang entlang die engen Täler hinauf-
führte, oben die Brücken überschritt und auf der gegen-
überliegenden Talseite zurückging. Es waren richtige
Haarnadelkurven, und oft waren die sich gegenüber-
liegenden Strassenabschnitte nur wenige hundert Meter
voneinander entfernt, obwohl es manchmal eine halbe
Stunde kostete, sie über die Brücke zu erreichen.
Am dritten Morgen hellte sich das Wetter auf, der
Nebel verzog sich, das Sonnenlicht strömte durch die
Blätter und zeichnete bunte Flecken auf den Wald-
boden. Die Erde erwachte zu neuem Leben, die Vögel
sangen, und wohin man blickte, waren lebendiges Licht
68
und Farbe, gaukelnde Schmetterlinge, glitzernde, im
Sonnenlieht sprühende Tautropfen. Gleich silbernen
Säulen standen die Baumstämme vor dem dunklen
Laubwerk, ihre Äste bildeten ein phantastisch ver-
schlungenes Dach über uns.
Wir fanden uns in unserm Marsch plötzlich aufge-
halten durch eine Barriere aus Zweigen, welche die
Strasse versperrte, und gleichzeitig kam uns eine alte
Frau entgegengelaufen. Unser Hund kläffte sie an, das
schien sie völlig in Wut zu bringen. Sie tanzte umher,
kreischte und schnitt schreckliche Grimassen, dann
trabte sie mit gespreizten Ellbogen und zurückgeboge-
nem Kopf einher, als wollte sie, einen Vogel Strauss
nachahmen. Wir sahen gleich, dass das arme Ding
wahnsinnig war. Die Boys waren natürlich entzückt
über dieses Intermezzo und reizten sie, bis sie der-
massen in Wut kam, dass wir uns ins Mittel legen muss-
ten und die grösste Mühe hatten, sie abzuschütteln.
Da wir uns um die üblichen Lagerplätze nicht ge-
kümmert hatten, mussten wir in der vierten Nacht
unser Zelt mitten auf der Strasse aufschlagen, als dem
einzigen ebenen Lagerplatz. Am nächsten Morgen, als
wir der Trägerkolonne vorausmarschierten, bemerkten
wir einen grossen, weissgestrichenen Wegweiser. Schon
aus der Ferne versuchten wir zu erraten, was die In-
schrift besagen könnte. Es war ein so schöner, ver-
trauenerweckender Wegweiser, und wir glaubten seiner
hoffnungsvollen Inschrift gerne: Meru ı5 Meilen. Als
auch diese Strecke überwunden war, erfuhren wir, dass
Mr. L. tatsächlich schon geschrieben, so dass man uns
nicht nur erwartete, sondern sogar schon nach dem
Führer gesandt hatte.
69
Aber auch so würden wir noch fünf Tage auf ihn
warten müssen, und wir begannen innig zu wünschen,
wir wären nicht von unserer ursprünglichen Reise-
route abgewichen. Grufty, mit dem wir uns besprachen,
hatte ebenfalls seine Bedenken; hauptsächlich machte er
geltend, dass, selbst wenn uns die Erbeutung des Ele-
fanten gelänge, wir niemals die schwere Haut den gan-
zen Weg zurücktransportieren könnten. Im Wald von
Meru könnten wir Elefanten sozusagen von der Land-
strasse aus schiessen; warum also unsere kostbare Zeit
hier verschwenden? Das waren ja ganz einleuchtende
Gründe, aber nun hatte man schon nach dem Führer
geschickt; für die Elefanten des Meruwaldes war es
noch zu früh, und auf keinen Fall gab es unter ihnen
einen Riesen, der sich mit dem 9o-Pfünder messen
konnte. Darum hatten wir für Cruftys Argumente
wenig übrig, und da wir nun einmal diesen Elefanten
im Kopf hatten, gab er nach.
Diese fünf Tage des Wartens waren übrigens nur
vom Standpunkt des Schiessens aus vergeudet, und der
Gedanke daran konnte unsern Aufenthalt nicht ver-
derben. Crufty bestand darauf, uns in einem Haus ein-
zulogieren und uns in der Offiziersmesse zu bewirten.
Wir ritten vor dem Frühstück aus, sahen bei der Parade
und beim Polo zu, wir fuhren in den Wald und für
ein Wochenende nach Siolo, um Federwild zu schies-
sen, verbrachten fröhliche Abendstunden mit Bridge-
spiel und Musizieren und vertrieben uns die Zeit auf
so angenehme Weise, dass es uns beinahe leid tat, als
der Führer eintraf.
Doch einmal unterwegs, waren wir wieder Feuer und
Flamme, und was Maithia, den Führer, betraf, so hätte
79
er, glaube ich, selbst Crufty nach dem Elefanten auf
die Beine gebracht. Ein Ungetüm, von dem nur Mungu
(Gott) sagen konnte, wieviel hundert Jahre es zählte,
und seine Zähne — nun das war sicher: sie waren
länger als Maithia mit hochgestrecktem Arm. Er musste
mehrere Meter von einem Baum zurücktreten, um uns
eine Vorstellung ihrer Länge zu geben. Ihr Gewicht
musste gewaltig sein, und natürlich war es richtig, dass
der Elefant sie manchmal am Boden entlang schleifte.
Maithia veranschaulichte dies, indem er mit seiner Zehe
eine Furche im Sand zog. Bei der blossen Erwähnung
des Elefanten ging ein Leuchten überMaithias ehrliches
altes Gesicht. Ganz so gross wie er es haben wollte,
war der Elefant wohl nicht; doch eines war gewiss:
finden würden wir ihn. Maithia kannte die ganze
Gegend wie seine Handfläche; er würde uns selbst mit
verbundenen Augen zu ihm hinführen.
So waren wir also voll der besten Zuversicht, als
wir uns auf den Weg machten. Die Strasse nach Maua
scheint zum Teil mehr von Elefanten begangen zu
sein als von Menschen, und wenn wir im Staub ihre
riesigen Fährten entdeckten, fühlten wir uns jedesmal
neu angespornt für die Überwindung der vielen Mei-
len, die uns noch vom Gebiet unseres Elefanten trenn-
ten. Es war nicht nur das Auffinden der Elefanten-
fährte, das unsern Marsch verkürzte; der Weg selbst
ist reich an Abwechslung und zieht sich bald durch
Waldungen, in denen die breiten Blätter der Bananen
wie helle Fahnen im Waldesdämmer hängen, bald über
Hügel, von denen der Blick weithin über Ebenen und
Berge in ihrem beständigen Wechselspiel von Licht
und Schatten schweift.
71
Dennoch war es ein langer Marsch. Wir wurden
beide krank, und auch die Träger hatten einer nach dem
andern Anfälle von Schüttelfrost. Als wir endlich in
Maua ankamen, fanden wir einen weissen Ansiedler im
Rasthaus einquartiert. Er warnte uns, dass das Gebiet,
das wir aufsuchen wollten, und das eine Tagesreise
vom Kinna (Mackenzie-Fluss) entfernt liegt, von der
Tse-Tse-Fliege verseucht sei. In zuvorkommender
Weise erbot er sich, bis zu unserer Rückkehr nach
unserem Hündchen und den Maultieren zu sehen. Wir
setzten unsern Marsch fort und kampierten auf halber
Höhe des Abhanges. Das Waldland um Maua — die
Jombeni-Kette — ist sehr hoch gelegen und sein
Klima neblig und kalt. Der Abstieg führte uns nur
halbwegs nach der Ebene hinunter, doch war der kli-
matische Unterschied sehr fühlbar, und beim ersten
Sonnenschein erholte sich bald jedermann. Von dem
Plateau, auf dem wir lagerten, sahen wir die Ebene
sich zu unsern Füssen ausbreiten; den Fluss, der von
uns weg nach links bog, mussten wir überschreiten,
und gerade vor uns, etwa zwei Tagereisen entfernt,
lagen die beiden kleinen Hügel, die im blauen Abend-
licht kaum zwei Stunden entfernt schienen. Das Ziel
war also in Sicht, doch vorläufig noch unerreichbar.
So sehr wir darauf brannten, den Marsch fortzu-
setzen, so waren wir doch so erschöpft, dass wir am
folgenden Tag nur bis zum Fluss gelangten, und, nach-
dem wir ihn überschritten, mussten wir kampieren.
Noch erinnere ich mich, wie wir am Ufer sassen und
auf die Safari warteten, wie im Schatten der Palmen
das Wasser silbern in einen kleinen Weiher rieselte,
während sich opalfarbige Schmetterlinge im Sonnen-
72
licht schaukelten. Wie klein und schwach waren wir
doch inmitten dieser lächelnden Natur. Damals fühlte
ich plötzlich, dass Afrika furchtbar werden konnte,
wenn einen das Glück verliess; mir war, als ob es ewig
mit uns spielte, indem es uns bald wie auf einem
Wellenkamm emportrug, bald wieder mit seiner un-
endlichen, schrecklichen Weite überschwemmte, in der
selbst das Sonnenlicht hart und grausam war. Doch
zählte ich damals erst zweiundzwanzig Jahre, und es
war wohl, weil ich noch so wenig von diesem Land
begriffen hatte, dass mir solche Gedanken kamen. Oder
war es, weil mir B. schwere Sorgen machte, der
gerade wieder an einem heftigen Fieberanfall litt? Ich
sass bei ihm bis spät in die Nacht hinein, und von
meinem Platz aus konnte ich sehen, wie der Vollmond
nach Westen sank und ein tauschwerer Nebel sich über
das Lager legte, der die Feuer erstickte; und immer-
fort schallte der Gesang der Grillen durch die nächt-
liche Stille.
Doch das Missgeschick schien uns nicht lange ver-
folgen zu wollen. Drei Tage später stand unser Zelt
am Fluss gegenüber den beiden Hügeln, und Maithia
war unterwegs, um den Standort des Elefanten fest-
zustellen.
Die Büchse durften wir nun nicht gebrauchen, und
wir verbrachten den Tag mit Fischen. Zwar waren die
Fische schlecht und voller Gräte, aber es war ein hüb-
scher Zeitvertreib; B. fing ein Dutzend, alle zwischen
ı/a bis 2 Pfund.
Der unermüdliche Maithia kam gegen Mittag zurück,
wie immer mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wischte sich
den Schweiss von der Stirne und schickte sich an, einen
73
schlimmen Bericht vom Stapel zu lassen. Er hatte
weder den Elefanten noch seine Spuren gesehen; die
Wakambas hatten alles Gras um seine Lieblingsplätze
niedergebrannt. Das war allerdings stark! Uns den gan-
zen Weg bis hierher zu führen, um uns dann mit einer
solchen Nachricht abzuspeisen.
Am nächsten Tag schickten wir ihn wieder auf die
Suche, und am Abend kam er mit dem gleichen Be-
richt zurück: keine Spur von dem Elefanten. Aber
was nützte alles Zürnen, Diskutieren oder Drohen?
Maithia hatte wirklich sein Äusserstes getan, und wenn
er nun müde und abgehetzt zurückkam, enttäuscht,
doch ergeben die Schultern hob mit dem fatalistischen
Ausspruch: «Shauri aMungu»*, dann war eben nichts
mehr zu wollen. Es war leider wahr, dass die Wakam-
bas die ganze Gegend zu grauer Asche verbrannt hat-
ten. Die Asche lag überall mehrere Zoll hoch, alles
war schwarz und verkohlt, die Bäume glimmten noch
tagelang. Wir wateten durch Asche, kampierten auf
Asche, assen Asche; ein Windstoss, und das Zelt war
voller Asche, überall drang sie ein. In kürzester Zeit
waren wir, unsere Kleider und alles, was wir berührten,
schwarz, und wir zweifelten, ob wir je wieder sauber
würden.
Da es mit dem Elefanten nun nichts war, machten
wir uns auf die Jagd nach dem kleinen Kudu. Doch
schien es uns höchst zweifelhaft, ob wir je eines zu
Gesicht bekämen, denn das Dorngestrüpp war hier so
dicht, dass wir uns nicht ohne Geräusch darin fortbe-
wegen konnten, und zweimal machten wir Dikdiks
flüchtig, bevor wir sie zu sehen bekamen.
* Es ist Gottes Wille
74
Wir waren schon mehrere Stunden unterwegs und
hatten offenes Gelände vor uns, als wir drei äsende
Kudus sichteten. Das Glück war uns hold, denn wir
sahen sie, bevor sie uns eräugten. Als der Bock sichernd
das Haupt hob, traf ihn die Kugel in die Brust, und er
brach auf der Stelle zusammen. Sein Gehörn war zwar
bescheiden, doch besass sein Fell solch seidenen Glanz
und seine Formen solche Vollkommenheit, dass er
uns als das schönste Geschöpf erschien, das wir je
gesehen.
Am gleichen Tag fand Maithia eine Elefantenfährte.
Zwar war sie nicht sehr frisch, dennoch nahm B. sie
am folgenden Morgen auf. Er folgte ihr während zehn
Stunden, und auf dem Rückweg hatte er eine unlieb-
same Begegnung mit einem Nashorn, das plötzlich
schnaubend aus den Büschen auf ihn losfuhr. Der An-
griff geschah so unerwartet, dass B., wie er mir nachher
erzählte, wie hypnotisiert das heranstürmende Ungetüm
anstarrte. Bevor er begrifl, was geschah, war sein
drohendes Horn zwei Fuss von seiner Brust entfernt.
Er sprang gerade noch zur Seite, und das Nashorn raste
in gerader Linie weiter. Es warf einen Träger zu Boden
und begann dann, den armen alten Maithia im Kreis
herumzujagen. Maithia wich nach links und rechts mit
Katzensprüngen aus, manchmal so knapp, dass das
Horn kaum einen Zoll von ihm entfernt schien. Es
war verblüffend, mit welcher Gewandtheit das schein-
bar so schwerfällige Tier sich drehen und wenden
konnte. B. blieb im Anschlag, um eine günstige Ge-
legenheit für eine Kugel abzupassen, aber Maithia war
viel zu nahe bei seinem Verfolger. Dieser gab glück-
licherweise die Jagd auf, raste weiter und war bald
75
zwischen den Bäumen verschwunden. Maithia war
knapp genug davongekommen; das Horn des Rhino
hatte ihn so nahe gestreift, dass sein Lendentuch zer-
. tissen und eine Rippe gequetscht war.
Wir hatten viele Schauergeschichten von angreifen-
den Nashörnern gehört, und von solchen, die über die
bewilligte Anzahl hinaus — angeblich aus Notwehr —
erlegt wurden, und hatten dies nie so recht geglaubt.
Das aber war nun ein solcher Fall, wo ein Nashorn
ohne jegliche Herausforderung die Jäger angriff.
Über die folgenden Tage unserer Elefantenjagd ist
nicht viel zu sagen; sie kamen uns vor wie ein böser
Traum, indem wir uns Stunde um Stunde in betäuben-
der Hitze vorwärts bewegten und in ein ewiges Wirrsal
von Ästen und Zweigen starrten, bis die Augen uns
in dem unbarmherzigen Sonnenglast schmerzten.
Rings um die beiden Hügel führte die noch frische
Spur, und wir hielten sie, stundenlang einem Bach-
bett folgend. Die Fährte war enorm, sie mass fast
24 Zoll im Durchmesser, und wir waren überzeugt,
dass es die Spur unseres Riesen-Elefanten sein musste.
Wir stiessen auf seine frische, noch warme Losung,
. vielleicht kaum eine Stunde alt, und auf gebrochene
Zweige, an deren Bruchstelle der Saft noch weiss und
feucht war. Auch fanden wir Löcher im Sand, wo er
mit seinen Stosszähnen nach Wasser gegraben hatte.
Einmal führte die Spur aus dem Bachbett und die
Böschung hinauf, und wir hofften schon, er habe sich
nun entschlossen, einen Ruheplatz für den Tag zu
suchen. Doch nachdem wir sie eine Stunde lang weiter
verfolgt hatten, führte sie wiederum in das Bachbett zu-
rück. Zweimal stiessen wir auf frische Spuren, mussten
76
aber beidemal feststellen, dass sie von andern Elefanten
herrührten. Das Betrüblichste aber war die Unfähig-
keit der Leute, die Spur zu halten. Je undeutlicher sie
wurde, desto mehr schwatzten sie untereinander; wir
hörten geduldig ihre zahllosen Palaver an, die dann
doch nur zu ziellosem Umherwandern führten.
Das Gelände war scheusslich, undurchdringlicher
Dornbusch bis auf die Wildwechsel. Es bestand wenig
Aussicht, dass wir den Standort des Elefanten von
einem Baumwipfel aus feststellen konnten, denn der
Busch erstreckte sich meilenweit nach allen Seiten.
Das knackende Unterholz verriet uns in einigem Um-
kreis, aber noch verräterischer war der Wind, der aus
allen Richtungen zu wehen schien, bald von vorn, bald
von hinten, kleine Windstösse, die sicherlich unsere
Witterung immer wieder zu ihm hintrugen.
Es waren furchtbar anstrengende Tage (für mich war
es ermüdend genug, jeden dritten Tag mitzukommen).
Denn, wenn die Sonne sich feurigrot hinter denMorgen-
nebeln erhob, waren wir schon unterwegs auf der
Fährte, und wenn wir todmüde ins Lager zurückkehr-
ten, war sie schon untergegangen. Wir erlaubten uns
keine Rast während der Mittagshitze, und wir verdop-
pelten unsere Anstrengungen nach jedem erfolglosen
Tag. Wenn man einer bestimmten Wildart nachgeht
und keinen verräterischen Schuss riskieren darf, kommt
einem oft anderes Wild verführerisch vor die Büchse,
So sahen wir beständig Wasserböcke und kleine Kudus,
die ganz vertraut nach uns äugten, und einmal zwei
prachtvolle Impalaböcke, die mit hellem Getrappel aus
dem Busch brachen und abschwenkten, als sie auf uns
stiessen. Die schönste Begegnung aber war die mit zwei
77
äsenden Giraffen, auf die wir ganz unvermutet kamen.
Die eine war uns zugekehrt und so nahe, dass wir ihre
langen Wimpern erkennen konnten, und sie schlang
gerade ihre dünne graue Zunge um einen Akazien-
zweig, als sie uns plötzlich eräugte. Einen kurzen
Augenblick verhofften sie regungslos und schienen uns
mehr neugierig als furchtsam zu betrachten, dann
wandten sie sich beide und wurden flüchtig. Lautlos
bewegten sie sich durch den scheinbar undurchdring-
lichen Busch mit sanften und fliessenden Bewegungen
wie Schiffe auf hoher See.
Wenn der Busch auch dicht und undurchdringlich
war, so brauchten wir doch ein Verirren darin nicht zu
befürchten. Auch wenn wir das Bachbett verliessen
und dabei gelegentlich die Richtung verloren, so konn-
ten wir stets von einem Baum aus die beiden Hügel se-
hen, nach denen wir uns orientierten. Als eines Abends
B. nicht nach Hause kam und ich ihn vergebens im
Lager erwartete, beruhigte mich das Wissen um diese
beiden Orientierungspunkte sehr. Von allen Aufre-
gungen, die man im Busch erleben kann, ist die Angst
des einsamen Wartensdas Schlimmste, sicherlich schlim-
mer als ein gefährliches Abenteuer, das man miterlebt.
Man hat so schrecklich viel Zeit, sich auszumalen, was
wohl geschehen sei und so wenig Möglichkeit, etwas
zu tun, denn ohne eine Ahnung der einzuschlagenden
Richtung kann man nicht dem ersten Gedanken nach-
geben und eine Rettungskolonne abschicken. Alles, was
übrig bleibt, ist, dass man an einem erhöhten Punkt
ein Feuer anzündet und Signalschüsse abgibt.
Ein Leopard strich während der ganzen Nacht um
das Zelt, schnüffelnd und von Zeit zu Zeit ein eiskal-
78
tes rauhes Fauchen ausstossend, das mich jedesmal aus
dem Schlaf -aufschrecken liess. Ich tastete nach der
Büchse, fand sie aber entladen; die Streichhölzer konnte
ich nicht finden, mit denen ich die Lampe anzünden
wollte, um Patronen zu suchen. Das Feuer war ausge-
gangen, und so dauerte es eine Ewigkeit, bis die Mor-
gendämmerung anbrach.
Erst gegen 10 Uhr früh kam ein Bote mit Nachricht.
B. hatte an unserm früheren Lagerplatz übernachtet,
dem ersten, den wir am Fluss unterhalb des Graben-
randes bezogen hatten.
Die Zelte waren schon abgebrochen und unsere
Leute schon seit Tagesanbruch marschbereit. Die Trä-
ger schätzten die Strecke auf etwa fünf Stunden. Da
ich schneller ging als sie, brach ich allein auf und ging
voraus.
Am Nachmittag, als ich einem Hügel entlang wan-
derte, hörte ich einen Pfiff und entdeckte aufblickend
B. auf halber Höhe des Hangs. Er hatte dort auf einen
Chanler’s Riedbock Jagd gemacht. Bald sassen wir
beisammen im Schatten eines alten Affenbrotbaumes,
und während der Koch das Feuer schürte und mit der
Bratpfanne hantierte, berichtete B., was er inzwischen
erlebt hatte.
Kurz nach ihrem Aufbruch am vorhergehenden Tag
waren sie auf die Spur von vier grossen Elefanten-
bullen gestossen. Maithia folgte ihr lange Zeit mit der
Sicherheit eines Spürhundes, bis er unglücklicherweise
ein Nashorn sah, das unter einem Baum schlief. Keine
Macht der Welt hätte ihn dazu gebracht, an diesem Nas-
horn vorbeizugehen; ein langer Umweg kostete viel
Zeit, und als sie die Spur endlich wieder aufnehmen
79
konnten, verlor sie sich bald gänzlich im dichten Wald-
bestand. Sie überquerten zwei Flussbette und folgten
der Spur den ganzen Tag. Bis sie gegen Osten den
Grabenrand erreicht hatten, war die Nacht hereinge-
brochen.
Hier bot sich nun Gelegenheit zur Erbeutung von
Chanler’s Riedbock, und wir stiegen den Hügel wieder
hinan. Er erhob sich in drei Gipfeln, die gegen einen
Krater abfielen. Wir veranstalteten ein Kesseltreiben,
indem wir von unsern Leuten das Gras anzünden
liessen.
Als die Sonne unterging, hatte der Wind den ganzen
Krater in ein Flammenmeer verwandelt, das sich huf-
eisenförmig nach aussen verbreitete, an den Hängen
heraufleckte wie eine Flut und alles in seinem Bereich
vernichtete. Allmählich verstummte das Tosen und
Knistern, und nur noch der eine Gipfel, der unserm
Standort gegenüberlag, war von züngelnden Flammen
gekrönt. Auf die wildtosende Feuersbrunst senkte sich
die Abendstille mit verdoppelter Feierlichkeit, und die
purpurne Nacht verwandelte die verkohlte Fläche in
ein Meer von Schatten.
Nur widerstrebend verliessen wir die Stätte dieses
Schauspiels und stiegen langsam den Hügel hinab. Der
folgende Tag würde uns wieder auf dem Rückweg
nach Meru finden, unsere Pläne schmählich zunichte.
Doch eine Möglichkeit stand uns noch offen: der Wald
von Maua war voll von Elefanten, und es stand ausser
jedem Zweifel, dass die vier grossen Elefanten sich auf
dem Wege dorthin befanden.
Die Frage war nur die: sollten wir ohne weitern Zeit-
verlust nach Meru zurückkehren, oder sollten wir
80
\laua
gleich jetzt unser Glück im Wald von Maua versuchen,
dem wir so.nahe gekommen waren?
Ein Marsch von sieben Stunden trennte uns noch
von der eigentlichen Elefantengegend. Wir konnten
uns kaum mit dem Gedanken befreunden, dass wir nun
so weit gekommen waren und nichts weiter aufzuwei-
sen hatten als ein einziges kleines Kudu. Die Erbeu-
tung eines mittelmässigen Elefanten, eines 40- bis
so-Pfünders zum Beispiel — die durchlebten zwei
Wochen hatten unsere Ansprüche gewaltig zurückge-
schraubt —, hätte unsern Abstecher genügend gerecht-
fertigt. Wenn es uns zudem gelänge, seine Haut zu
bergen, so könnten wir ihn immer noch als vollen
Erfolg buchen.
Das war entscheidend. Am nächsten Morgen stiegen
wir den Grabenrand hinauf und fanden den Weg viel
weniger ermüdend als zuvor, denn nun waren wir ge-
stählt und trainiert und fühlten uns jeder Anstrengung
gewachsen. So beelendend es ist, auf Safari krank zu
werden, so gibt es kaum ein Gefühl, das dem Stolz
der körperlichen Leistungsfähigkeitgleichkommt, wenn
man sich fühlt, als habe man seine Kraft versechsfacht
und vermeint, Berge versetzen zu können. Vielleicht
liegt gerade darin eine gewisse Gefahr, denn es fällt
dann schwer, seine Energie im Zaum zu halten, und
leicht mutet man sich zu grosse Anstrengungen zu.
Jede Meile, die wir hinter uns legten, trug dazu bei,
unsere Hoffnungen steigen zu lassen. Entweder kreuz-
ten wir eine frische Elefantenfährte, oder wir begegne-
ten Eingeborenen, die etwas über die Elefanten wuss-
ten, denn wir befanden uns wieder in bewohntem Ge-
biet und folgten einem ausgetretenen Pfad, der von
Dorf zu Dorf führte. Die Dörfer waren oft nur ein
paar von Gärten umgebene Hütten, kleine Lichtungen,
wie Inseln im Wald verstreut.
Die Eingeborenen beklagten sich, dass die Elefanten
allnächtlich in ihre Shambas* einbrächen und in den
Saaten schon solche Verwüstungen angerichtet hätten,
dass eine Hungersnot drohe. Was unsere Hoffnungen
verdoppelte, war der Bericht, dass die Elefanten ihre
gewohnte Vorsicht schon soweit vergässen, dass sie
oft lange nach Tagesanbruch in den Lichtungen anzu-
treffen seien.
Maithia war hier in seiner Heimat, und jedesmal,
wenn uns ein Eingeborener begegnete, gab es eine
ausgiebige Begrüssung, die sich meist hinauszog, bis
der Bekannte weit ausser normaler Hörweite zurück-
geblieben war, denn wir konnten nicht ständig anhal-
ten. Dabei erhielten wir einen Beweis für das erstaun-
liche Gehör der Eingeborenen: Maithia, der an der
Spitze marschierte, sprach vor sich hin als rede er
mit sich selber, ohne die Stimme zu erheben oder auch
nur den Kopf zu wenden, und bald kam die Antwort,
für unsere Ohren ein gerade noch hörbarer Laut, für
ihn offenbar wohlverständlich. Es wardeutlich zu sehen,
er war hier eine bekannte und beliebte Persönlichkeit,
und nun, da er den Weissen zur Abwehr gegen die
Elefanten brachte, wurde er als Befreier begrüsst.
Es kam uns sehr zustatten, dass uns die Eingeborenen
willkommen hiessen, denn ohne ihren guten Willen
hätten wir unsere Pläne nicht ausführen können. Wir
sollten in einem Punkt auf ihre Hilfe angewiesen sein,
* Felder, Pflanzungen
82
der vorerst durchaus unwahrscheinlich schien. Zu un-
serer Linken wareine Bergkette; rechts von uns senkte
sich das Gelände gegen die bewaldete Ebene hin. Wir
befanden uns auf einer Stufe dazwischen, einem ziem-
lich hügeligen und zerrissenen Plateau, von Hunderten
von Rinnen durchzogen, die während der Regenzeit
wilde Sturzbäche sein mussten. Die Gegend prangte
in einem so saftigen Grün, und die Vegetation gedieh
so üppig in einer feuchten Atmosphäre, dass wir an
alles andere als an Wassermangel dachten, und doch
gab es hier kein Wasser; der nächste Fluss war fast
neun Meilen von hier entfernt. Noch unerklärlicher
war es uns, dass die Eingeborenen so weitab vom Was-
ser lebten. Lieber treiben sie aber ihr Vieh sechs Stun-
den weit zum Fluss und wieder zurück, als dass sie
ihre Pflanzungen im Stich liessen.
Wir waren nun bei der Lieblings-Shamba der Ele-
fanten angelangt, deren Besitzer so sehr darauf be-
dacht waren, uns bei sich zu behalten, dass sie sich so-
gar erboten, unsern Wasservorrat täglich zu erneuern.
Im Windschatten eines Hügels fanden wir einen ge-
schützten Lagerplatz, doch als wir sahen, dass der Ort
eine Tabakpflanzung war, wollten wir gerade eine an-
dere Stelle suchen, als der Dorfhäuptling mit einer
grossartigen Handbewegung seinen Frauen gebot, sie
auszuroden.
Man behandelte uns überhaupt wie die Fürsten,
und wir erhielten hier, was wir uns schon lange ge-
wünscht hatten, nämlich zwei Milchziegen. Noch nie
hatte uns frische Milch so herrlich geschmeckt, nach-
dem wir drei Monate lang nur Büchsenmilch genossen
hatten. Unterdessen stiess der Herold fleissig ins Horn,
83
um die Bevölkerung aufzufordern, den Aufenthalt der
Elefanten auszukundschaften.
Am nächsten Morgen waren wir schon vor Sonnen-
aufgang unterwegs, der abnehmende Mond leuchtete
noch über uns, aber bald erhoben sich Nebel aus der
Ebene und entzogen den Himmel und die Baumwipfel
unseren Blicken. Wir bahnten uns einen Weg zwischen
triefenden Büschen hindurch, die uns bis auf die Haut
durchnässten. Das kümmerte uns aber wenig, waren
wir doch voller Hoffnung, die Elefanten bald zu errei-
chen. Die ganze Nacht hindurch hatten wir die Rufe
von Eingeborenen gehört, die durch den Lärm die
Elefanten aus den Pflanzungen fernzuhalten suchten.
Doch mussten wir uns überzeugen, dass die Elefan-
ten noch nicht so nahe waren, denn anstatt sich so laut-
los wie möglich vorwärts zu bewegen, zogen unsere
Führer ihre Erkundigungen von den Eingeborenen der
Umgegend ein, indem sie sich mit ihnen auf halbe Kilo-
meterlänge im Brüllton unterhielten. VielZeitging auch
damit verloren, dass wir auf einen wichtigen Späher
warteten, der den genauen Standort der Elefanten wis-
sen sollte. Als er endlich kam, wusste er gar nichts,
und unsere Leute schalten den Häuptling wütend einen
«Mwongo» (Lügner).
Endlich nahmen wir die Spur eines anscheinend
starken Bullen auf. Es war in der Nähe einiger Bananen-
stauden, die er ausgerissen und umhergestreut hatte.
Grosse entwurzelte Bäume lagen überall auf seinerSpur,
andere waren nur geknickt, als habe er ihnen im Vor-
beigehen einen spielerischen Schlag versetzt. Wir konn-
ten es kaum fassen, dass er in einer einzigen Nacht ein so
gründliches Zerstörungswerk hatte vollbringen können.
84
Kongoni hielt die Spur gut, nachdem er sie einmal
gefunden hatte. Sie führte die Pflanzung hinunter bis
an deren Rand, den ein offener Hang vom eigentlichen
Wald trennte. Hier hätten wir sie infolge eines Gras-
feuers beinahe wieder verloren. Der Rauch, der von
ihm aufstieg, hatte die Sonne zu einem rotglühenden
Ball verdüstert, und als die Spur näher darauf zuführte,
strömte ein heisser Aschenregen auf uns nieder. Jetzt
sahen wir erst, dass die Spur mitten auf den prasselnden
Feuerherd zuhielt. Schon glaubten wir, sie aufgeben zu
müssen, als der Wind den Rauch für einen Augenblick
verwehte. Es waren zwei Feuerherde und dazwischen
eine schmale, noch nicht brennende Öffnung. Wir hol-
ten tief Atem und stürzten hindurch, während der Rauch
uns einschloss und zu ersticken drohte und die Glut
unsere Kleider versengte. Doch wir kamen glücklich
auf die andere Seite und konnten die Spur ohne Zeit-
verlust wieder aufnehmen. Wir waren nun auf einem
starkbegangenen Wechsel, einer richtigen Elefanten-
Heerstrasse, die so ausgetreten war, dass wir ihr bis zum
Waldrand im Laufschritt folgen konnten.
Der plötzliche Unterschied zwischen dem blendenden
Sonnenlicht und dem Dämmer des Waldes war so
gross, dass wir zuerst wie in nächtlichem Dunkel tapp-
ten. Doch als unsere Augen sich an das Dämmerlicht
gewöhnt hatten, sahen wir, dass wir in einem herrli-
chen Wald standen, dessen Geäst sich hoch über uns
zu einem Dache wölbte. Nur hie und da stahl sich ein
Sonnenstrahl hindurch, der einzelne Blätter in leuch-
tend durchsichtigem Grün schimmern liess. Der Boden
war völlig trocken, vergebens suchten wir nach An-
zeichen der Fährte. Wir fanden nur einen Baum, der
85
hoch über uns tiefe Eindrücke zeigte, wo der Elefant
seine Stosszähne aufgestützt hatte, um auszuruhen. In
diesem kühlen Waldesinnern hätten wir stundenlang
verweilen mögen, aber in einem Labyrinth von Schat-
ten, ohne hilfreiche Fährte und bei stets wechselndem
Wind nach Elefanten zu spüren, war völlig nutzlos.
So traten wir, wenn auch ungern, hinaus ins alltägliche
Sonnenlicht und gingen den Weg zurück, den wir ge-
kommen waren.
Neben dem Lager stand ein Baum, von dem aus man
die Lichtung bis zum Waldrand herrlich überblickte,
und wir verbrachten den Rest des Tages damit, von
seinem Geäst aus nach den riesigen blaugrauen Ge-
stalten zu spähen.
Gegen Abend glaubte ich einmal bestimmt, einen
Elefanten zu erkennen und holte den Feldstecher
(Oberst L. hatte uns sein Glas geliehen), doch war es
nur ein Klumpen abgestorbener Schlingpflanzen, der
im Geäst eines Baumes hing. B. hatte das Glas noch
darauf gerichtet, als ich weit draussen in der Ebene
zwei dunkle Punkte bemerkte. War es möglich, dass
dies Elefanten waren? Doch wenige Augenblicke spä-
ter erkannte ich durch das Fernglas deutlich zwei der
Dickhäuter, die sich dem Waldrand entlang bewegten;
ab und zu leuchteten ihre weissen Stosszähne auf.
In wenigen Sekunden waren wir unten und ergriffen
die Büchse; auf das Zauberwort «Tembo» (Elefant)
standen Kongoni, Brahimo und Maithia bereit, und
wir rannten den Abhang hinunter. Auf unserm Eil-
marsch durch das hohe Gras wurde ein starker Busch-
bock vor uns flüchtig, und nach zwanzig Minuten ab-
wechselnden Laufens und Gehens krochen wir einen
86
Hügel hinauf, von dessen Höhe wir die Elefanten beob-
achten konnterr. ”
Wir zählten zehn oder elf Stück, die sich langsam
vorwärts bewegten. Sie rissen mit ihren Rüsseln Gras
aus, spielten mit den Büscheln und schlugen dabei mit
ihren mächtigen Lauschern, offenbar zum Zeitvertreib,
bis es genügend dunkel war, um in die Pflanzungen
einzudringen. Zuerst glaubten wir nur Kühe vor uns
zu haben, dann erschien ein Bulle, doch er war nur
klein, und einer seiner Stosszähne war abgebrochen.
Kurz darauf tauchte ein zweiter, weit grösserer Bulle
auf. Niedergeduckt berieten wir uns, ob wir die jetzt
gebotene Gelegenheit nützen oder aber bis zum Tages-
anbruch warten sollten, um sie auf ihrem Rückweg zu
fassen, wenn sich vielleicht ein noch stärkerer Bulle
bieten würde. Es war in erster Linie das rasch schwin-
dende Tageslicht, das uns Bedenken machte, denn wäh-
rend wir sie noch beobachteten, schienen die massigen
Gestalten sich in Schatten aufzulösen und vor unsern
Augen zu verschwinden.
Doch B. entschloss sich zum Handeln, und wir
pürschten uns durch die Senkung. Da hoben sich über
uns die riesigen Umrisse eines Bullen gegen den Himmel
ab. Ein Hirnschuss war für das schwindende Büchsen-
licht zu unsicher; B. pürschte sich näher heran und
setzte ihm eine Kugel aufs Blatt. Mir schien, es bedürfe
zum mindesten einer Kanonenkugel, um den Koloss
zu fällen, und der Schuss tönte so schwach wie der
Knall eines Luftgewehrs. Der Elefant warf sich auf der
Hinterhand herum, die Herde wurde schnell und ge-
räuschlos in der Richtung des Waldes flüchtig, und der
Bulle folgte nach. Während er sich umwandte, bot er
87
Gelegenheit zu einer zweiten Kugel, doch leider
klemmte sich die Patrone im Magazin, wir verloren
Zeit, und als wir ihm endlich nacheilten, war er in der
Dämmerung verschwunden. Da standen wir nun ent-
täuscht in der schweigenden Lichtung.
«Er wird sterben », sagte Kongoni voll Überzeugung,
und da ein Elefant mit einer Kugel im Herzen manch-
mal dreihundert Meter weit kommt, bevor er zusam-
menbricht, stieg unsere Hoffnung. Eine Nachsuche
war aber ausgeschlossen, bevor der Tag anbrach, und
wenn er schon jetzt verendete, so würde das Abhäuten
nach zehnstündigem Warten bedeutend erschwert.
Doch leider ergab sich, dass uns seine Haut keine
Sorgen machte, denn wir sollten sie nie zu Gesicht be-
kommen. Am nächsten Tag fanden wir keine Spur von
Schweiss am Anschuss, und auch der Wald gab nicht
den geringsten Anhaltspunkt.
Die nun folgenden Tage, an denen wir uns in der
Morgendämmerung und bei Einbruch der Nacht auf
den Anstand begaben, rieben uns völlig auf. Wir be-
kamen Fieber und Erkältungen, und schliesslich wurde
uns eines klar: Elefanten hin oder her, wir mussten
fort von hier, und zwar so schnell wie möglich. Wir
fühlten uns tatsächlich so elend, dass, wäre selbst der
grösste Elefant neben dem Lager gestanden, wir auf
ihn verzichtet hätten, denn wir hätten nicht mehr die
Kraft besessen, seine Haut zu präparieren.
Es war nicht das gewöhnliche Fieber, an dem wir
litten; niemand konnte etwas essen, und wir alle hatten
Brechanfälle. Das Wasser trug die Schuld an unserm
Zustand. Um auf dem langen Transport in Kesseln
ein Ausschütten zu verhindern, hatten die Eingebore-
nen Bananenblätter darüber gedeckt; vielleicht trugen
diese nicht-mehr ganz frischen Blätter die Schuld an
dem verdorbenen Wasser. Den wahren Grund entdeck-
ten wir erst auf dem Rückweg, als wir an den Fluss
kamen. Da sahen wir denn, dass das Wasser gerade
dem durch das Vieh verunreinigten Tränkplatz ent-
nommen war, statt oberhalb desselben.
Der eine abgefeuerte Schuss hatte die Elefanten für
den Augenblick aus den Shambas verjagt; darüber
hinaus war aber der Jagdzug des weissen Mannes nicht
gerade ruhmreich gewesen. Er wog dies damit auf,
dass er für den Transport seiner Trägerlasten aus dem
Distrikt eine fast unberechenbare Zahl von «Centies»
versprach.
Ein Bote wurde nach Maua vorausgeschickt, um die
Maultiere zu holen, die wir mit Ungeduld als Retter
in der Not erwarteten. Doch der Pferdeboy brachte
nur Grayface und eine Botschaft des Ansiedlers, er
habe sich Brownie geborgt und werde ihn uns später
zustellen.
Drei Tage später, als wir gerade einen Frühstücks-
halt machten, hob Grayface, der friedlich gegrast
hatte, plötzlich den Kopf und galoppierte den Weg
hinunter. Doch diesmal war es nicht einer seiner ver-
schrobenen Anfälle, wie wir zuerst vermuteten, denn
ungefähr eine Meile weiter fanden wir ihn vergnügt
seine Nüstern an denen Brownies reiben. Wir waren
ungefähr zwanzig Meilen von Meru entfernt und be-
fanden uns auf einem bedenklichen moralischen Tief-
stand. Denn wir hatten Zeit genug gehabt, die Unüber-
legtheit unseres Abstechers einzusehen, und jede Meile
brachte uns dem Augenblick näher, an dem wir dies
89
vor andern eingestehen mussten. Aber in Meru er-
warteten uns gute Nachrichten: Die Elefanten waren
in den Wald zurückgewechselt. Ja, es hatte ihnen schon
jemand einen Besuch abgestattet und einen 70-Pfünder
erbeutet. Das war nur die erste Strafe, die wir für
den Unglücks-Ausflug nach Maua erleiden mussten.
Da in sechs Wochen infolge der Regenschauer die
Strassen für schwere Lasten nicht mehr passierbar
waren, beschlossen wir, auf der Stelle aufzubrechen.
Ohne uns daher in Meru aufzuhalten, machten wir
uns sofort auf den Weg nach dem Wald. Unterwegs
rasteten wir bei einer Sägemühle, deren Besitzer — einer
von ihnen war Berufsjäger — uns bereitwillig über die
möglichen Standorte der Elefanten Auskunft gaben.
Ein besonders glücklicher Umstand war es auch, dass
sie Lastwagen-Transporte machten und versprachen,
die Haut des Elefanten noch vor dem Einsetzen der
Regenzeit sicher nach Nairobi zu schaffen. Das war
eine wesentliche Erleichterung für uns. Die Transport-
frage hatte uns weitaus die grösste Sorge gemacht,
denn das einzige Transportmittel, mit dem wir bisher
gerechnet hatten, war Motis Ochsenkarren (Moti war
der indische Bazarbesitzer), ein Gefährt, das sicherlich
sehr langsam war, ohne deswegen besonders zuver-
lässig zu sein.
Am nächsten Morgen befanden wir uns schon früh
auf der Suche nach dem Gunga-Kratersee. Unser
Führer war ein Ausbund von Dummheit, und der Koch
stand ihm nicht nach; der eine verirrte sich, und der
andere hatte vergessen, Wasser mitzunehmen. Es wurde
Mittag, bevor wir den See fanden. Er ist entzückend
gelegen, ein überraschender Anblick, wenn man ihn
909
nach mühseligem Erklimmen der kahlen Hänge zwi-
schen den Felsen eingebettet unter sich sieht.
Man blickt auf eine durchsichtige Wasserfläche hin-
ab, blau wie Türkis, ungebrochen von der stillen Spie-
gelung der Bäume, die weit unten zurückgeblieben
sind.
Die Elefanten kommen hier zur Tränke, und der
Ort ist ein idealer Beobachtungsposten. Er liegt ober-
halb der Baumgrenze, so dass man von hier aus den
Weg des Wildes verfolgen kann, wenn es ins Freie
tritt.
Wir waren bald wieder unterwegs, doch konnten wir
keinerlei Anzeichen von Elefanten bemerken, und als
wir bei Sonnenuntergang zurückkehrten, fanden wir,
dass unsere Boys alle Zeltpflöcke vollständig zersplit-
tert hatten in ihrem Eifer, sie in den harten Lavaboden
einzuschlagen. Der Wald konnteuns abermorgengenug
neue Pflöcke liefern, ebenso auch eine solide Zelt-
stange als Ersatz für die erste, die am Thiba im Gewitter
zerbrochen war. Für diese Nacht behalfen wir uns,
indem wir die Zeltleinen an Lavablöcken festbanden.
Unsere Leute hatten auf dem Marsch am Morgen eine
Spur gefunden, und am folgenden Tag ging es zurück
in den Wald. Der Ort, den wir als Lagerplatz wählten,
war zunächst eine mit wildem Gestrüpp überwucherte
Lichtung, doch unsere Leute säuberten den Platz mit
soviel Geschick, dass sie bis zum Abend einen unserer
hübschesten Lagerplätze daraus gemacht hatten. Man
trat gebückt durch einen niedrigen, von Büschen über-
dachten Tunnel; richtete man sich auf, so stand man im
Lager, das, eine kleine Welt für sich unter einem hohen
Blätterdach, von einem mächtigen silbergrauen Baum-
91
stamm beherrscht war. Man konnte ein dutzend Mal
auf dem Weg von Meru an der Biegung vorbeigehen,
die um die Lichtung führt, und an dem Bach, der dort
in einen Teich plätschert, ohne zu ahnen, dass dicht
hinter der Blätterwand eine ganze Safari ihr Lager auf-
geschlagen hatte. Das grüne Zelt war fast unsichtbar
inmitten der Blätter, wir brannten nur kleine Feuer,
verhielten uns so still wie Mäuse und blieben beinahe
sogut versteckt wie die Elefanten selbst.
Es war nun Mitte September geworden, und wir
sollten schon bald nach dem Uaso Nyiro unterwegs
sein. Diese Überlegung bestimmte uns, die Jagd mit
der äussersten Energie aufzunehmen. Gegen Mittag
kamen wir zu einem Sumpf inmitten des Waldes, der
von einer felsenumsäumten Quelle gespeist wurde.
Dann und wann wehte uns ein betäubender Aasgeruch
entgegen, und eine halbe Meile weiter stiessen wir auf
den verluderten Kadaver eines Elefanten. Seine Rippen
ragten über der schwarzen Körperhöhle, und daneben
war eine kribbelnde Masse von Maden, von der aus
ein zischendes Geräusch mehrere Meter weit hörbar
war. Nun besassen wir eine Erklärung dafür, warum
wir hier keine frische Spur fanden, denn das genügte,
um die Elefanten vom Wald fernzuhalten.
Wir drangen weiter durch Gestrüpp und Nesseln vor,
kletterten über gestürzte Bäume, und die Schatten
begannen schon länger zu werden, doch immer noch
hatten wir die Strasse nicht gefunden. Der Führer ging
gerade in entgegengesetzter Richtung, davon waren
wir überzeugt, und dazu waren wir nicht einmal
untereinander einig, wo die Strasse liegen musste. Wir
wussten zwar, dass wir sie zu unserer Rechten suchen
92
mussten, aber sie zieht sich in so vielfältigen Windun-
gen dahin, dass wir keine Ahnung hatten, unter wel-
chem Winkel wir auf sie zuhalten sollten.
Es sah schon ganz so aus, als hätten wir uns verirrt,
als wir plötzlich einen schmetternden Ton, halb wie
Gewieher, halb wie Trompeten, vernahmen, der weit-
hin durch den Wald hallte. Das konnte niemand anders
gewesen sein als unser treuer Brownie. Indem wir in
seiner Richtung vorwärtsstrebten, kamen wir bald auf
die Strasse. Doch jetzt waren wir erst recht verwirrt,
denn die Strasse lag rechts von uns statt links. Sie
beschreibt hier eine grosse Schleife, und unser allzu
hastiger Versuch, sie im rechten Winkel zu schneiden,
hatte uns so weit nach rechts geführt, dass wir fast pa-
rallel mit ihr zurückgegangen waren. Als wir Brownies
Gewieher hörten, waren wir gerade im Begriff, auf
knapp die Entfernung eines Steinwurfs am Lager vor-
beizugehen.
Gegen Abend postierten wir uns in der Nähe des
kleinen Teiches oberhalb der Strasse, in der Erwartung,
dass die Elefanten hier zur Tränke kämen.
Die Sonne war untergegangen, und die verschieden-
sten Vögel liessen ihren Lockruf erschallen. Dann und
wann ertönte das seltsame Krächzen und Geschnatter
der Hornraben, dessen synkopischer Rhythmus fast
musikalisch ist. Die Buschkrähen riefen sich unter-
einander, und ganz in der Nähe gurrten zwei Turtel-
tauben. Aus der Ferne tönte das chromatische Decres-
cendo eines Buschkuckucks, und das ganze Konzert
war begleitet von dem monotonen metallischen «Tink-
Tonk» des Kupferschmieds, das klingt, als ob zwei
Hämmer auf einen Amboss schlügen. Bald verwischte
93
die fortschreitende Dunkelheit alles Gegenständliche,
und wir konnten nur noch die hellen Stämme zweier
Bäume vor uns schimmern sehen. Nun herrschte tiefes
Schweigen. Auch wir verhielten uns regungslos und
lauschten. B. hob die Büchse, doch es war schon zu
dunkel, um Korn und Visier zu erkennen, und wir
überlegten uns gerade, auf welchem Weg wir ins Lager
zurückkehren sollten, als auf der andern Seite des
Wassers etwas Weisses aus den Büschen ins Freie glitt.
Welches Tier besass eine weisse Brust? Ich suchte die
Frage vergebens zu beantworten, als B. mir zu-
flüsterte: «Ein Elefant, sieh seine Stosszähne», und
sich vorsichtig erhob. Ich bat: «Geh nicht zu nahe hin,
es ist ja stockdunkel». Doch B. hatte seinen Entschluss
gefasst: «Doch, ganz nahe, das ist die einzige Möglich-
keit», und pürschte sich an das Ufer hinunter.
Der Elefant, ein dunkler Schatten hinter den gebo-
genen Stosszähnen, die wie zweiHalbmonde leuchteten,
kam lautlos zum Wasser hinunter und begann seinen
Durst zu löschen. Dann drehte er plötzlich um, be-
gann die Böschung wieder zu erklimmen und ver-
hoffte regungslos.
Er, B. und ich und die ganze Welt ringsum waren
in angestrengtem Lauschen erstarrt. Doch der Elefant
kehrte wieder um und begab sich ganz in das Wasser
hinein. Die Mondsichel, die hinter den Wolken er-
schien, zeigte, dass er gerade dahin gewandt stand, wo
ich B. vermutete.
Trotzdem ich auf den Schuss gefasst war und in
seiner Erwartung in die Dunkelheit blinzelte, zerriss
er die Stille mit erschreckender Heftigkeit. Zwei wei-
tere Schüsse folgten in kurzen Zwischenräumen, das
94
Mündungsfeuer blendete wie zwei Blitze, und dann
stürzten Kongoni, Brahimo und ich zu B. hinüber. Er
stand noch da, wo er gefeuert hatte, keine fünf Meter
von der Stelle, wo der Elefant gewesen.
Wir lauschten atemlos, hörten den Elefanten den
Hang hinauf krachend durch die Büsche flüchten und
dann einen dumpfen Ton, wie von einem Fall.
Es folgte absolute Stille, bis zu unsern Füssen die
Frösche zu quaken begannen, dann leise, und wie in
weiter Entfernung ein Brechen von Zweigen.
Nun konnten wir nicht länger warten, vorsichtig
überquerten wir den Bach und tasteten uns durch die
Büsche den Hang hinauf. Ich fühlte etwas Nasses auf
meiner Hand, und als ich sie gegen das Mondlicht hielt,
sah ich einen dunklen Fleck darauf. Alle Zweige, an
die wir streiften, waren klebrig von Blut. Wir war-
teten, lauschten mit klopfenden Pulsen, dann schlichen
wir wieder ein paar Schritte weiter und kamen schliess-
lich bis zu einem der hellen Baumstämme. Kongoni,
der zuvorderst ging, hielt an und streckte seinen Arm
aus: dort, im Schatten, leuchtete etwas Weisses. Wir
näherten uns vorsichtig und konnten die Stosszähne
des Elefanten erkennen und dann seine dunkle, massige
Gestalt, gegen einen Baum gelehnt.
Brahimo trat leise näher und warf einen Ast danach,
aber diese Vorsicht war nicht mehr nötig; der Elefant
war schon verendet.
Nun war es endlich zur Strecke gebracht, das stolze
Wild, das wir wachend und in unsern Träumen alle
diese Wochen hindurch gejagt hatten. Ungläubig stau-
nend standen wir vor ihm und zweifelten, ob wir nicht
träumten. Doch er war greifbar vor uns, seine wie
95
ein mächtiger Granitblock gewölbte Stirn, die riesigen,
friedlich gegen die Schultern zurückgelegten Lauscher,
und um seinen rauhen, noch warmen Rüssel hing ein
Duft, der an Brombeeren erinnerte. So verloren und
zusammengeschrumpft lehnte er da, dass ich ihn hätte
liebkosen mögen, und auch B. war von einer geheimen
Reue erfüllt.
B. besah ihn mit kritischen Augen und schätzte seine
Zähne auf kaum 30 Pfund. Immerhin war es ein aus-
gewachsener Elefant, und wenn wir nur seine Haut
retteten, so war dies alles, was wir uns wünschen konn-
ten. Dazu durften wir aber keinen Augenblick verlieren.
Unser Rufen wurde vom Lager aus sofort beantwortet,
und einige Minuten später kamen alle Träger mit Sei-
len und Laternen herbei, und wir machten uns an die
Arbeit.
96
I
ar au
Im Wald von Meru
Wir konnten keine günstigere Zeit für die Erlegung
des Elefanten ausgesucht haben als den Einbruch der
Nacht.
Die Schwierigkeit bestand nämlich nicht nur in der
sehr schweren Arbeit des Abbalgens, sondern haupt-
sächlich darin, dass dies so rasch wie möglich geschah;
wenn man das Konservierungsmittel nicht fast augen-
blicklich in die Haut rieb, verdarb sie unweigerlich.
Je grösser die Hitze, desto weniger Zeit darf man ver-
lieren. Wenn Hitze und Fliegen am ärgsten waren,
konnte eine Antilopendecke sogar anfangen zu riechen,
bevor sie fertig abgestreift war. Nun aber hatten wir die
ganze Nacht vor uns, und da wir der Sonne um eine
Marschroute voraus waren, war es ein herrliches Be-
ginnen.
Die Lage, in der sich der Kadaver befand, war übri-
gens denkbar ungünstig. Auf einer Seite an einen
Baum gelehnt und auf der andern gegen die Böschung,
bot er nur zwei Möglichkeiten: entweder mussten wir
ihn ein Stück bergauf schleppen oder aber den Baum
fällen, und es schien wirklich, als ob wir ohne Kran
und Flaschenzug nicht viel ausrichten könnten. Mit
zwei kräftigen Stangen als Hebel und dreissig Mann an
den Stricken begann das Seilziehen. Ein rhythmischer
Gesang machte uns im Takt arbeiten. Doch, obwohl
wir auch unser vereintes Gewicht in die Seile legten
97
und hin und her zerrten, bis der Boden unter uns nach-
gab, die tote, unbewegliche Masse zog uns zurück. Sie
gab so wenig nach, als wäre sie ein Felsen, den wir
vom Berg loszureissen trachteten.
Nach vielen Anstrengungen vermochten wir ihn in
eine Rückenlage zu bringen, indem wir den Boden
abgruben und ihn mit Hilfe von Hebeln wendeten.
Dann kletterte B. auf ihn und machte die Einschnitte,
eine mühsame Arbeit, da die dicke lederne Decke von
der Spitze des Rüssels bis an das Schweifende aufge-
schnitten werden musste, und dann auf der Innenseite
eines jeden Laufes im rechten Winkel bis zum Haupt-
schnitte in der Mitte.
Vor allem wollten wir die Haut in einem Stück los-
lösen, und dies gelang uns auch, ohne einen überflüs-
sigen Schnitt zu machen, obwohl die Vorderläufe schon
in kniender Stellung völlig steif geworden waren.
Das Abhäuten in so grossem Maßstab erforderte
keine besondere Sorgfalt, denn die lederige Haut war
so dick, dass man sie kaum durch versehentliche
Schnitte beschädigen konnte, und das Licht der Sturm-
laternen genügte für die Arbeit. Nur der Rüssel mit
seinen zahllosen Muskelansätzen in seiner ganzen Länge
und seiner sehr zarten Haut bot grosse Schwierigkei-
ten. Auch der Kopf, besonders die Partien des Maules,
gaben mühsame Arbeit, und wir mussten die Kiefer
mit Keilen auseinandertreiben. Stunde um Stunde zer-
rann bei der Arbeit, und langsam löste sich die gerollte
Haut von dem riesigen Körper.
So eifrig waren wir bei der Arbeit, dass keine Unter-
haltung aufkam; nur dann und wann ein kurzer Aus-
ruf, ein paar Worte, sonst unterbrach kein Laut die
98
nächtliche Stille als das gleichmässige Abreissen der
nachgiebigen Haut unter der Schneide und das Schlei-
fen der Messer auf dem Wetzstein.
Maua mit seinen Enttäuschungen und Entbehrungen
schien nun einer andern Welt anzugehören. Unsere
jetzige Arbeit, der wir uns trotz schmerzenden Fingern
und steifem Rücken mit wahrem Vergnügen unterzo-
gen, im frohen Bewusstsein, unsere Aufgabe gelöst
zu haben, war doch etwas anderes als das stets erfolg-
lose Pürschen bis zur völligen Erschöpfung von damals.
Es mochte gegen fünf Uhr morgens gewesen sein,
als wir die Haut endlich abgelöst hatten, denn als wir
in das Lager zurückgingen, um noch zwei Stunden
Schlaf zu erhaschen, begann der Himmel schon sich
über den Bäumen zu verfärben.
Lange bevor die Sonne den Meridian erreichte, wurde
die Haut im Triumph auf einem Traggeflecht aus Zwei-
gen in das Lager gebracht. Man sah es diesen Leuten,
die unter der Last daherschwankten und sich vor Be-
geisterung heiser schrieen, nicht an, dass sie sich die
ganze Nacht hindurch wie Sklaven abgerackert hatten.
Wenn die Arbeit getan ist, dann vergisst man leicht,
welchen Anteil die Leute daran hatten. Doch hätten
sie nicht ihr Bestes hergegeben und nicht bis auf den
letzten Mann Hand angelegt, der Koch und unsere
persönlichen Boys inbegriffen, wären sie nicht mit
dem gleichen Eifer bei der Sache gewesen wie wir
selbst, dann wäre die Haut des Elefanten nie nach
Europa gekommen.
Mit dem Abhäuten war es aber noch lange nicht
getan; das war sozusagen nur die Einleitung gewesen.
Ausser dem Herauspräparieren der Fussknochen und
99
Knorpel, dem Wenden der Ohren und dem Säubern
des Rüssels musste die ganze fast überall zolldicke Haut
dünngeschabt werden. Das bedeutete eine zweitägige
harte Arbeit für B. und acht geübte Leute.
Man hatte uns für das Wenden der Ohren einen
nützlichen Wink gegeben. Ihr riesiger Umfang machte
es unmöglich, einfach das Innere nach aussen zu kehren,
und doch mussten die beiden Oberflächen irgendwie
getrennt und von der dazwischenliegenden Knorpel-
schicht befreit werden. Statt nun den Rand der Ohren
vom Ansatz aus ringsum zu spalten, ist die einfachere
Methode die, über die ganze Aussenseite einen kreuz-
weisen Schnitt zu ziehen. Man hat dann vom Mittel-
punkt des Kreuzes aus vier getrennte Hautlappen, die
man bis zu einem Zoll vom äussern Umfang des Ohres
zurücklegen kann.
Doch wiederum war es der Rüssel, der die gröss-
ten Schwierigkeiten bot. Vom Abstreifen abgeschen
musste B. sechzehn Stunden darauf verwenden. Jede
seiner Runzeln — und deren gibt es einige Hunderte —
entspricht einem Muskelwulst, so dass die sonst geübte
Methode, das Fleisch glatt von der Hautfläche abzu-
schaben, hier versagte. Alle diese kleinen Gruben wären
sonst mit Resten des Muskelfleisches ausgefüllt geblie-
ben und hätten bald genug Fäulnis hervorgerufen. Das
Ausschaben dieser Vertiefungen ist eine wahre Ge-
duldsprobe, eine äusserst subtile Arbeit, die man mit
der Spitze eines Federmessers und mit der grössten
Vorsicht machen muss, denn die Epidermis ist hier so
dünn wie Schlangenhaut.
Nachdem einmal die ganze Haut präpariert und auf
einem Gestell drei Fuss über dem Erdboden aufge-
IOoo
spannt war, glaubten wir uns ihretwegen weiterer Sor-
gen so-ziemlich ledig. Doch so weit war es noch
nicht, es kann einer Haut noch vieles zustossen, bis sie
endlich im Museum untergebracht ist.
Wir mussten täglich mehrere Stunden darauf verwen-
den, die ganze Oberfläche genau nachzusehen, hier und
dort dünner zu schaben und die Ränder zu strecken.
Das Trocknen machte prächtige Fortschritte, doch dann
fanden wir die Haut eines Morgens mit Tau getränkt
und hätten sie beinahe dadurch verloren. Ein unglück-
seliges Versehen trug die Schuld daran: Man hatte
uns statt der bestellten Alaun- und Salpetermischung
70 Pfund Arsenikseife geschickt.
Dann aber folgte eine längere Periode so schönen
Wetters, dass selbst die dickste Haut dabei trocknen
konnte. Kalte Nächte folgten auf klare sonnige Tage,
an denen ein steter trockener Wind durch den Wald
blies, und als die kritischen Tage endlich einmal vor-
bei waren, begann die Haut wie durch Zauber zu trock-
nen. Der ganze Prozess fesselte uns fast zwei Wochen
lang an ein und denselben Platz, aber es gab hier so
viel Wild, dass wir auch für zwei Monate genügend
zu tun gehabt hätten.
Ich wurde dieser Pürschgänge durch den Wald nie-
mals müde; selbst wenn man kein Wild antraf, konnte
man doch üben, sich geräuschlos unter diesem Blätter-
baldachin zu bewegen, zwischen den seltsamen Bäumen
hindurch, in deren zerklüfteten Stämmen mit der
knorrigen und doch wieder glatten Rinde, die wie mit
einer Schicht von geschmolzenem Blei überzogen aus-
sah, man sich leicht hätte verbergen können. Es war
unendlich reizvoll, sich zwischen den Lianen hindurch-
101
zuwinden, die in armdicken Schlingen von den Ästen
hingen und am Boden hinkrochen wie Schlangen.
Man war in steter Spannung, denn die Schatten ge-
wannen Leben, wo man es am wenigsten vermutete.
Wenn man das Unterholz durchstreifte, ohne mehr zu
erwarten als die winzige Dikdik-Antilope, konnte man
unversehens mitten in eine Büffelherde hineinspazieren.
Oder man suchte im Geäst der Bäume nach Colobus-
Affen, wenn das Knacken eines Zweiges und ein vorbei-
flitzender rostroter Schatten verriet, dass man die un-
wiederbringliche Gelegenheit für einen Harveys-Ducker
verpasst hatte. Wir unternahmen manchen Pürschgang
auf diese scheue Antilope, doch es gelang uns nur, ein
einziges Stück zu erbeuten, eine Abnormität, ein ge-
hörntes Schmaltier. Auch Buschböcke gab es hier, und
wir stiessen immer wieder auf Elefantenspuren.
Als uns die Verfolgung eines Buschschweins ein-
mal auf eine Lichtung führte, sahen wir an einem
gegenüberliegenden Hang eine rote Staubwolke. Als
sie sich verzog, stand dort ein Elefant, der ein Staubbad
nahm. Er blies den Staub erst hinter das eine, dann
hinter das andere Ohr, blieb noch eine Weile stehen,
ein Vorderbein wie zum Ausruhen nach vorn gestreckt,
und verschwand darauf wieder im Wald.
Neben unsern Pürschgängen besuchten wir regel-
mässig bei Tagesanbruch den Kadaver des Elefanten;
am ersten Morgen sahen wir zwei Leoparden, die den
Hang hinauf flüchtig wurden. Das Aas des Elefanten
ist einer der besten Köder, ausserdem waren die Nächte
jetzt mondhell. Bei einem gut getarnten Ansitz konn-
ten wir mit Bestimmtheit damit rechnen, einen Leo-
parden zu erlegen, wenn nichts dazwischenkam.
102
Was dann dazwischenkam, war nur geringfügig,
aber es genügte-durchaus, um Menschen, Tiere, ja
borener — die Boys schworen, dass es keiner unserer
Leute gewesen — hatte auf einem Baum ganz in der
Nähe ein Bienenvolk ausgeräuchert, um an den Honig
zu gelangen, und nun umschwärmte eine Wolke ge-
reizter Bienen den Kadaver, um jeden, der sich näherte,
zu überfallen. Menschen und Tieren war aus diesem
oder jenem Grunde daran gelegen, an den Kadaver
heranzukommen, doch die Bienen verteidigten ihn wie
eine Festung.
So verloren wir eine gute Gelegenheit, und als der
Ansitz endlich errichtet war, hatten die Leoparden ent-
weder die unliebsame Bekanntschaft der Bienen ge-
macht, oder die Verwesung des Kadavers war schon
so weit fortgeschritten, dass er sie nicht mehr interes-
sierte; jedenfalls liessen sie sich nicht mehr in der Nähe
blicken.
Er lockte nur noch eine Hyäne, die B. eines Morgens
erlegte, ein grosses Exemplar der gemeinen gefleckten
Varietät, mit vor Alter abgenutztem Gebiss. Unweit
davon trafen wir im Wald auf eine zweite Hyäne. Von
einer Kugel getroffen, flüchtete sie in ein Gestrüpp,
wo wir sie stellten; fauchend grub sie ihre Fänge in die
eigenen Vorderläufe, ein widerwärtiger Anblick. B. er-
ledigte sie sogleich mit einem Fangschuss. Im Vergleich
zur ersten war sie nur klein, und da auch die Haut der
Vorderläufe durch ihre Bisse stark beschädigt war,
wollte B. sie liegenlassen; ihr Fell war es nicht wert,
dass wir uns ein zweites Mal dem unbeschreiblich ekel-
haften Gestank aussetzten. Ich aber hätte es schade
103
gefunden, das Fell zu verlieren, denn wir hatten so lange
vergeblich Hyänen zu erlegen versucht, und nun wür-
den wir gerade ein Paar haben. Darum bat ich B., mich
zurückzulassen, damit ich mich an ihr im Ausbalgen
versuchen könne. Es war für mich ein grosser Augen-
blick, denn noch nie vorher hatte ich die Hauptschnitte
gemacht. Bald war ich so sehr bei der Sache, dass ich
mich um den Gestank nicht mehr bekümmerte. Das
Messer unter der Haut einzusetzen und die Schneide
in einem saubern, glatten Schnitt der ganzen Länge
nach zu führen, war bedeutend schwieriger, als es aus-
sah, und ich machte alle Fehler eines Anfängers; der
Mittelschnitt war ziemlich gezackt, und die Schnitte
an der Innenfläche der Läufe trafen sich nicht auf glei-
cher Höhe. Ich war noch mitten in der Arbeit, als B.
wieder zurückkam; er hatte sich Sorge um mich ge-
macht, weil ich unbewaffnet zurückgeblieben war. Ich
war enttäuscht, denn ich hatte mich darauf gefreut,
die Haut allein abzustreifen und damit einen trium-
phierenden Einzug ins Lager zu halten; aber es war
vernünftiger so, und während Maithia die angefangene
Arbeit vollendete, setzten wir unsern Pürschgang fort.
Heute hatten wir Glück; wir waren noch nicht weit
gekommen, als B. einen Colobus-Affen schoss. Er
sauste aus den sechzig Fuss hohen Ästen herab und
fiel mit einem dumpfen Aufschlag gerade zwischen uns
zur Erde. Nachdem wir ihn seines schönen Felles ent-
ledigt, kehrten wir um, ausgehungert aber zufrieden
mit unsern drei neuen Trophäen.
Am nächsten Tag vervollständigte B. die Dikdik-
Gruppe, und da die Elefantenhaut hart und trocken war
wie Wellblech, wurde es Zeit, dass wir weiterkamen.
104
Jeden Abend wurde sie einige Stunden lang zu-
sammengelegt;-so dass sie leicht die richtigen Falten
annahm, und indem wir sie nochmals mit Hilfe von
Seilen und einem Dutzend Boys fest verschnürten,
brachten wir die Haut in die Form eines Paketes von
5x6x 2 Fuss. Sie war zu gewaltig, um in einem der
Leinwandsäcke Raum zu finden, doch nachdem wir
sie in arsenikgetränkten Kattun und in eine äussere
Hülle von Sacktuch eingenäht hatten, war sie gesichert
gegen Ratten und Insekten und für die lange Reise
wohlgeschützt.
In frischem Zustand hatte es zwanzig Mann ge-
braucht, um sie zu heben; jetzt konnten fünf Mann
sie zur Strasse hinuntertragen, und mit einem Seufzer
der Erleichterung sahen wir das Lastauto mit ihr hin-
ter einer Biegung verschwinden.
Abschiedsstimmung lag in der Luft, und das Lager
begann schon verlassen auszusehen: die Plattform leer,
vor dem Zelt ein fadendünner Rauch, der sich langsam
im Geäst verlor, ein Bild, das sich in unsere Erinnerung
eingrub. Nie wieder würde es hier sein wie heute. Unter
solchen Gedanken beschlossen wir, am folgenden Mor-
gen noch einen letzten Pürschgang zu machen.
In Meru erwartete uns ein ausgefüllter Tag mit all
den Anordnungen für den Transport, den Vorberei-
tungen für die Expedition nach dem Uaso-Nyiro, dem
Ankauf von weitern Packeseln und Posho sowie mit
der Ergänzung unserer eigenen Vorräte. Die zweite
Sendung, die Moti schon vor sechs Wochen von Nai-
robi hätte bringen sollen, war noch immer nicht da;
Moti entschuldigte sich damit, dass die Kisten für
Trägerlasten zu schwer gewesen seien, weshalb er sie
105
in Thika zurückgelassen habe. Bis Mitte Oktober
hätten wir sie dann gewiss, und so lange reichte unser
Vorrat an Büchsenkonserven, wovon wir wenig ge-
braucht hatten. Der hilfsbereite Bezirks-Amtmann
hatte uns nämlich mit frischem Gemüse und Früchten
verschwenderisch versorgt, während wir im Wald von
Meru kampierten.
Vor uns lag ein weiter Weg, grösstenteils durch
Wüstenland, und um sicher zu sein, dass wir- unsere
Vorräte auch wirklich erhielten, zahlten wir Moti zwei
Trägerlöhne für jede Kiste von Thika aus voraus. Der
Bezirks-Amtmann half uns noch bei der Anwerbung
von zwölf Trägern. Unsere eigenen Träger aus Nai-
robi hielt er für eine zweifelhafte Gesellschaft. Auch
wir hatten noch so geurteilt während der Tage am
Oberlauf des Tana; doch jetzt hätten wir sie gegen
keine andern Träger in ganz Afrika getauscht.
Wir beschlossen frühzeitig aufzubrechen und ver-
liessen das Lager im Schein unserer Handlaterne. Es
war noch stockfinstere Nacht, und eine unmittelbar
vor uns flüchtig werdende Büffelherde veranlasste uns,
ein Feuer anzuzünden und den Anbruch des Tages
abzuwarten.
Als sich endlich der Himmel violett verfärbte und
die Sterne einer nach dem andern verblichen, brachen
wir auf und überquerten die Ebene zwischen dem Wald
und den Bergen. Gerade vor uns ragte der Kenya
empor, fast durchsichtig schimmernd im Dämmerlicht;
seine Schneefelder lagen wie zartrosa Blumenblätter
unter dem Gipfel. Im Osten entfachte sich die Glut
bald zu leuchtender Flamme, und feurige Strahlen
schossen über das Firmament. Noch einmal stiessen wir
106
auf drei Büffel, die ihre Häupter hoben und nach uns
äugten, drei dunkle Silhouetten gegen den Himmel,
bis sie sich plötzlich herumwarfen und polternd gegen
den Wald hin flüchtig wurden.
Hinter dem Wald, die Jombeni-Kette zur Rechten
und die Hügel von Siolo zur Linken, erstreckte sich
die Ebene bis zu Archer’s Post, den Chanler-Fällen,
Merty und, weiter über den sichtbaren Horizont hin-
aus, zu den Lorian-Sümpfen. Lauter Namen, die unsere
Phantasie beschäftigten. Bis jetzt waren es zwar nur
Worte, die wir immer wiederholten. Indem wir diese
Orientierungspunkte, die uns Kongoni in weiter Ferne
zeigte, zu erkennen versuchten, hatten wir uns inner-
lich schon vom Meru-Wald losgesagt und marschierten
wieder neuen Zielen entgegen.
107
Die Siolo- Ebene
An der Strasse nach Siolo befindet sich ein Maji-
Chumbe — eine Salzwasserstelle. Inmitten einer aus-
gedehnten Öde von braungetrocknetem Gras und ver-
dursteten Bäumen leuchtet dieser Fleck saftigen Grüns
wie ein herrlicher Smaragd.
Das Wasser ist spürbar salzhaltig — Seife schäumt
darin nicht — doch wenn man es an der Stelle schöpft,
wo es aus der Erde tritt, abkocht und filtriert, dann ist
es durchaus geniessbar. Und da es das Wild von weit-
her wie ein Magnet anzieht, kampierten wir dort wäh-
rend zehn Tagen.
Endlich unterwegs nach dem Uaso-Nyiro, hatten wir
zwar kein sonderliches Verlangen, uns an der Strasse
lange aufzuhalten, anderseits bot sich hier eine Gelegen-
heit, die wir nicht vorübergehen lassen durften: wir
mussten noch eine Giraffe erbeuten. Wenn wir sie hier
erlegten, so konnte sie auf ebenso einfache Weise wie
der Elefant mit dem Lastwagen an die Küste gebracht
werden.
Die Giraffe, besonders die «reficulata», ist ein herr-
liches Wild, aber ihre Erlegung ein höchst unwaidmän-
nisches Unterfangen; Giraffen sind hier so häufig und
so vertraut, dass man leicht mit dem Auto auf Schuss-
weite herankommt. So sagte man uns wenigstens in
Meru, und es tat uns aufrichtig leid, dass wir eines der
schönen Geschöpfe abschiessen mussten.
108
Doch beim Waidwerk lässt sich nichts vorausbe-
rechnen, und als-wir zu dem Maji-Chumbe kamen,
war weit und breit keine Giraffe zu sehen.
Jeden Morgen, wenn wir uns in aller Frühe zu
anstrengendem Pürschgang aufmachten, warf derMond
noch unsere Schatten auf die Erde, bis er allmählich
im Morgenlicht verblich. In dieser Beleuchtung ge-
mahnte die weite Ebene von Siolo mit den steinigen,
kegelförmigen Hügeln und dem pfeifenden Wind be-
reits an die Wüste, und Maithia, der wie ein Araber
in seine Decke gehüllt voranschritt, verstärkte noch
diesen Eindruck. Doch mit ihrem plötzlichen, blen-
denden Aufgang hob die Sonne die Erde aus den
freudlosen Nebeln, übergoss sie von neuem mit strah-
lender Pracht.
So bekamen wir, gerade als die Sonne aufgegangen
war, ein Rudel Giraffen zu Gesicht. Sie ästen zwischen
einigen Akazienbäumen, und es war nicht schwer, sich
ihnen zu nähern. Sie waren durchaus nicht misstrauisch,
der Wind blieb günstig, und wir hatten genügend Zeit,
in dem Rudel von etwa zwanzig Stück den stärksten
Bullen auszulesen. Ein wohlgezielter Schuss mit der
416er Büchse konnte ihn sicherlich zur Strecke bringen;
B. nahm den Bullen sorgfältig aufs Korn. Doch nichts
erfolgte als ein Staubwölkchen, das vor seinen Hufen
aufstob, wo die viel zu kurz gezielte Kugel einschlug.
Augenblicklich machte die Herde kehrt und wurde mit
dem ihr eigentümlichen, gleichförmigen Passgang
flüchtig. Obgleich wir rannten, was unsere Lungen
hergaben, um sie in Sehweite zu behalten, waren sie
bald zwischen der spärlichen Deckung verschwunden,
als ob der Erdboden sie verschlungen habe.
109
Dann folgte eine Art von Versteckspiel zwischen
dem Rudel und uns, denn jedes Mal, wenn wir an Boden
gewannen, sagte uns ein gedämpfter und rasch sich
verlierender Hufschlag, dass sie uns bemerkt hatten.
Es war nicht der Wind, der uns immer wieder ver-
riet; die Giraffen eräugten uns über die Gipfel der
Bäume hinweg, lange bevor wir auf Schussweite heran-
kamen. Wir mussten offenes Gelände passieren, dessen
niedriges Buschwerk zwar vor anderem Wild als Dek-
kung genügt hätte, nicht aber vor diesen lebenden
Wachttürmen.
Sie waren nun endgültig gewarnt und verliessen sich
nicht allein auf ihre vorzüglichen Augen, sondern ver-
suchten auch, uns unter den Wind zu bekommen, in-
dem sie einen weiten Bogen schlugen. Als B. diese
Absicht durchschaute, rannte er vorwärts, um ihnen
zuvorzukommen und den Weg abzuschneiden. Bald
blieb ich ganz zurück und verlor die Jagd schliesslich
aus den Augen. Maithia war mit mir zurückgeblieben;
ich schickte ihn voraus, damit er mit der Jagd in Ver-
bindung bleibe oder wenigstens beobachte, welche
Richtung sie nahm, und warf mich selbst in den
Schatten.
Maithia war schon einige Zeit gegangen, doch so
sehr ich lauschte, kein Ton drang bis zu mir. Ein
Warzenschwein trottete dicht neben mir aus dem Ge-
büsch und begann in der Asche zu wühlen. Ich sass
ruhig da und beobachtete sein Tun, als Maithia auf der
Anhöhe erschien und aufgeregt winkte. Icheilte ihm ent-
gegen. Er konnte kaum sprechen vor Erregung und war
völlig ausserstande, sich über eine Reihe von Schnalz-
lauten und wilden Freudenschreien hinaus verständlich
1IOo
zu machen. Nur langsam und stückweise konnte ich
aus ihm herausbringen, dass B. die Giraffe erlegt hatte.
B. war parallel mit der Herde vorwärts gerannt,
mehr in der Absicht, sich unter dem Wind zu halten,
als sie zu überholen, und es war eigentlich ein noch
sehr kleines Giraffenjunges, das die Jagd zu seinen
Gunsten entschied. Es konnte nicht mit den übrigen
Schritt halten, und der alte Bulle blieb immer wieder
zurück, um es zu erwarten und vorwärts zu treiben.
B. feuerte, ohne irgendein: Resultat. Er hatte die Ent-
fernung schon wieder falsch eingeschätzt, und dazu
kam, dass die Giraffen, die so hoch über dem Erdboden
standen, viei näher schienen. Erst als B. das 500-Meter-
Visier benützte, erreichte die Kugel ihr Ziel.
Das Rudel setzte die Flucht fort, das Kalb, so gut es
konnte, allein hinterher, denn der Bulle war zusammen-
gebrochen. Halbaufgerichtet auf den Vorderknien
schwenkte er den langgestreckten Hals hin und her
und schlug einige Male so gewaltig mit den Hinter-
läufen aus, dass es durch die Luft zischte. Er war am
Verenden, doch Kongoni warnte B. davor, zu nahe zu
gehen. Man konnte sich kaum denken, dass ein so sanf-
tes Geschöpf gefährlich werden könnte, doch die Wucht,
mit der es seinen Hals schwenkt, genügt, um tödliche
Schläge auszuteilen. Kongoni versicherte, es sei wohl-
bekannt, dass eine Giraffe sich auf diese Art verteidige.
Trotzdem es das stärkste Stück des Rudels war,
zweifelte B. anfänglich, ob es nicht doch ein weibliches
Tier sei, da es sich so sehr des Kalbes angenommen
hatte. Aber es war ein kapitaler Bulle, ein altes Exem-
plar, das in seiner ganzen Höhe etwas über ı8 Fuss
(ca. 6 m) mass.
III
Im Tod verliert der Löwe seine Wildheit, und der
Büffel sieht harmlos aus. Selbst der Elefant verliert von
seiner Grösse, doch die Giraffe war noch riesiger, als
wir sie uns vorgestellt hatten und hatte noch im Tod
nichts von ihrer Grazie eingebüsst.
Die Jagd hatte in einer baumlosen Ebene ihr Ende
gefunden, ungefähr zehn Meilen vom Lager entfernt,
und Maithia schickte sogleich nach den Trägern.
Die fünf Träger, die wie ich zurückgeblieben waren,
holten uns bald ein, und da es hier weder Zweige noch
Blätter gab, um unsere Beute vor der Mittagssonne zu
schützen, machten wir uns ohne Aufschub daran, die
Haut abzulösen. Sie ergab eine gewichtige Last, und
der Weg führte durch schwieriges Gelände, so dass
wir erst mit Einbruch der Nacht in Sicht der Lager-
feuer kamen.
Der Speisezettel für den nächsten Abend war:
Giraffensuppe
Giraffenzunge alles ausgezeichnet
Giraffenschwanz
Es war nur schade, dass sich das Fleisch nicht für
später aufheben liess, denn nachdem wir zwei Tage
lang an der Giraffe gearbeitet und ihren Geruch unaus-
löschlich in der Nase hatten, empfanden wir einen
gewissen Widerwillen davor, des Abends noch davon
zu essen. Mit dem Rüssel des Elefanten war es uns
ebenso ergangen: er war tagtäglich zum Essen erschie-
nen, ein vorzüglicher Ersatz für kalte Zunge, bis
B. sich energisch weigerte, immer wieder die beiden
Nasenlöcher vor sich auf dem Teller zu haben.
Das Präparieren der Giraffenhaut war, wenn auch
in kleinerem Maßstab, gerade so schwierig wie das
II2
Präparieren der Elefantenhaut, ja, in mancher Hinsicht
noch schwieriger. Beim Elefanten wussten wir von
vornherein, dass uns eine gewaltige Arbeit bevorstand,
man hatte uns ja prophezeit, dass wir sie niemals zu
Ende führen könnten, und so waren wir auf unüber-
windliche Schwierigkeiten gefasst. Aber niemand schien
das Häuten einer Giraffe für besonders schwer zu hal-
ten, und wir machten uns daher ziemlich sorglos an
die Arbeit. Die Giraffenhaut ist indessen fast ebenso
dick und viel zäher als die des Elefanten. Eine Elefan-
tenhaut ist grobkörnig und runzlig, und dünngeschabt
ist das Netzwerk ihrer Falten fast durchsichtig dünn;
die Giraffenhaut bildet ein einheitliches Ganzes, fein-
körnig und zäh wie Kautschuk. Keine andere Haut
stumpfte die Messer schneller ab, und wir verwandten
fast ebensoviel Zeit auf das Schärfen der Schneiden
wie zum Schaben. Die Boys, die doch Meister darin
waren, die Fussknochen aus den Schalen zu lösen,
brauchten dazu einen ganzen Tag. Eine heikle Arbeit
war auch das Entfernen der Haut von den Hörnern,
heikler noch als das Präparieren des Elefantenrüssels.
Es sah ganz leicht aus, bis man sich an die Arbeit
machte. Dann zeigte sich erst, dass die Gehörnknochen
mit kleinen Erhebungen bedeckt sind, an denen die
Haut wie Pergament festklebt. Dazwischen sitzt kein
Fleisch, so dass das Messer entweder einen dieser kleinen
Knochenhügel trifft oder aber in die Haut schneidet.
Während B. an den Hörnern arbeitete, präparierte
ich Lippen, Nüstern und Lider, wobei ich manches
über die Feinheiten des Muskelgefüges lernte.
Dass ich am Kopf arbeiten durfte, bedeutete für mich
einen grossen Fortschritt, und als B. am Abend meine
113
Leistung besah und sie als ein sauberes Stück Arbeit
erklärte, fühlte ich mich im siebenten Himmel, denn es
war mein grösster Ehrgeiz, mich gerade in dieser Arbeit
zu bewähren.
Überhaupt bezeichnete Maji-Chumbe für mich einen
Abschnitt in unserer Reise, denn von nun an war ich
ein nützliches Mitglied der Expedition. Wir begannen
uns in die Arbeit zu teilen, deren es genug gab, um uns
beide voll zu beschäftigen: B. jagte, und ich befasste
mich im Lager mit den Trophäen. Nachdem ein Stück
Wild erlegt war, brauchte B. sich um nichts weiter zu
bekümmern. Sein Anteil an der Arbeit endete mit der
Erlegung der Beute, die meine, wenn die Haut zu-
gerichtet, getrocknet und verpackt war.
War uns in Maua das Glück nicht hold gewesen, so
zeigte es sich hier ganz besonders grosszügig, und noch
vor Ablauf der zehn Tage unseres Hierseins war unsere
Sammlung um ein Dutzend neuer Arten bereichert.
Es waren Stücke darunter, die wir später schwerlich
wieder treffen würden, wie das Kenya-Hartebeest, von
dem nur mehr zwei Rudel in diesem Distrikt existieren
sollen. Das Kenya-Hartebeest ist vielleicht eine Kreu-
zung zwischen Coke und Lelwel jacksoni oder Neu-
manns Hartebeest (Alrelaphus neumanni), und sein
eigentlicher Aufenthalt liegt weiter nördlich an den
Ufern des Rudolfsees. Sie schienen uns beträchtlich
grösser als das gewöhnliche Cokes Hartebeest und auch
schöner und leuchtender in Farbe und Zeichnung. B.
hatte das seltene Glück, ein schönes Paar zu erbeuten.
Es waren lange, ermüdende Tage, und oft war B.
dankbar, dass er Brownie für den Rückweg hatte,
wenn die Jagd ihn weit in die Steppe hinausführte.
114
Die beiden Maultiere waren mit der Zeit so unzer-
trennliche Gefährten geworden, dass, wenn Brownie
allein gebraucht wurde, Grayface ein so herzbrechen-
des Geschrei ausstiess, dass das Wild im Umkreis
einer Meile flüchtig wurde. Und darin erwies sich das
Tier so unbelehrbar, und es war so geschickt, sich der
Strafe zu entziehen, dass am Ende nichts übrig blieb,
als Grayface jeweilen auch mitzunehmen. Wenn er
allein zurückblieb, rührte er kein Futter an, er war nur
zufrieden, wenn er mit einem Strick um den Hals dem
Gefährten nachtraben durfte.
Das Sammeln von Kleinwild ist immer sehr müh-
sam, und B. freute sich darum besonders, als es ihm
gelang, ein Paar der Klippspringer und ein Paar der
Chanler’s Riedböcke zu erlegen. Für diese kleinen
Antilopen war die 318er Büchse zu grosskalibrig, und
ein Weichmantelgeschoss riss am Ausschuss die halbe
Flanke weg, wodurch das Fell unbrauchbar wurde.
Vollmantelgeschosse waren die einzigbrauchbareMuni-
tion dafür. Sie erschwerte anderseits die Nachsuche be-
trächtlich (Vollmantelgeschosse hinterlassen selten eine
Schweißspur), und die scheuen, kleinen Steeneböcke
entzogen sich allen Nachstellungen bis zuletzt, trotz-
dem sie hier häufig waren und beständig in Sicht kamen.
Immerhin gelang die Erbeutung eines Steenebockes,
und bald darauf vermehrte sich unsere Sammlung um
Exemplare der Elen-Antilope, Oryx, Grants-Gazelle,
des Warzenschweins, weiter um drei Schakale und eine
junge Löwin.
Die Löwin erlegte B. im Frühansitz über einem ge-
rissenen Stück Wild. Bevor sie erschien, versuchten
aka nad ein paar Schakaleilasaersisrilänii
115
Es war aber so mit Ästen zugedeckt, dass die Hyänen
sich nicht hindurchzwängen konnten, nur die kleinen
Schakale schlüpften hinein. Die Hyänen erwarteten sie
draussen, und jedesmal, wenn ein Schakal mit seinem
Happen erschien, verjagten sie ihn und verschlangen
seine Beute. Mochten sich die Hyänen den Schakalen
weit überlegen fühlen, so war es doch keinen Moment
zweifelhaft, wer hier Herr und Meister war, als die
Löwin auftauchte. Trotzdem sie kaum halbwüchsig
war, nahmen die Hyänen augenblicklich Reissaus.
Bislang war das Wetter für die Konservierung der
Häute ausnehmend günstig gewesen; ein stetiger heis-
ser Wind trocknete sie aus wie ein Ofen. Doch nun
brachte uns jeder Tag der Regenzeit näher. Die Wolken
türmten sich täglich höher, es regnete des Nachts,
und die Luft blieb den Tag über feucht und drückend.
Jede Nacht brachten wir alle Häute im Zelt unter, so
dass sie unsere Betten bis unter das Vordach drängten.
Die Giraffenhaut machte sich zwar durch einen durch-
dringenden Geruch bemerkbar, aber es war kein eigent-
licher Fäulnisgeruch, und die Felle schienen sich soweit
gut zu halten, bis B. eines Morgens feststellte, dass einer
der Schakale zu faulen begann, dann die Grant-Gazelle
und bald darauf die junge Löwin.
Diese Entdeckung bestürzte uns sehr, denn hatte der
Fäulnisprozess einmal begonnen, dann war mit Arsenik-
seife nicht mehr zu helfen, und wir betrachteten die be-
troffenen Häute schon als verloren. Es gab noch eine
Rettung, wenn wir nur das richtige Konservierungs-
mittel zur Hand hätten. Glücklicherweise traf am glei-
chen Tag eine Sendung von dreissig Pfund aus Meru
ein, Es war geradezu ein Genuss, das sauber trock-
116
nende Pulver zu benützen nach der mühsamen Arbeit
mit der schmierigen Arsenikseife, die unsere aufge-
sprungenen Finger ätzte und die Häute nur unvoll-
kommen trocknete. Mit dem frischen Pulver hatten wir
bis zum Abend die schon aufgegebenen Häute gerettet.
Das Konservierungsmittel, das wir benutzten, schien
niemandem bekannt, doch waren einige Leute, die wir
trafen, von unsern Erfolgen davon so beeindruckt,
dass auch sie es versuchen wollten.
Bei günstiger Witterung ist Arsenik zwar völlig ge-
nügend, auch hat es den Vorteil, dass es die Häute vor
den Angriffen aller Arten Insekten schützt. Die meist-
verwendeten Konservierungsmittel sind Alaun oder
Salzlauge. Beide haben den Nachteil, dass die mit
ihnen behandelte Haut selbst nach Jahren bei Witte-
rungswechsel zu schwitzen beginnt, was bei ausge-
stopften Stücken ein Reissen der Nähte verursacht.
Man soll darum nur gebrannten Alaun verwenden. Das
Rezept, das übrigens in einem Buch über 'Taxidermie
von Brown, dem frühern Präparator des Museums zu
Exeter, zu finden ist, ist einfach: drei Teile gebrannter
Alaun, ein Teil Salpeter. Man kannnoch etwasKampher
beimengen, doch die Hauptsache ist, dass die Mischung
so fein als möglich zerstossen wird.
Eines Morgens war ich gerade auf den Knien dabei,
die Haut der Löwin mit dem Pulver einzureiben, als
Mac, der in Siolo stationiert war und zum Frühstück
herüber kam, hinzutrat. «Man sieht, Sie sind noch Neu-
ling in diesem Land», bemerkte er, nachdem er mir eine
Weile zugesehen, «sonst würden Sie einen Eingebore-
nen für sich schwitzen lassen.» Umsonst wollte ich ihm
begreiflich machen, dass ich selbst die Arbeit wahr-
117
scheinlich gewissenhafter ausführe als ein Neger; Mac
liess sich nicht überzeugen. «Es ist ein Grundsatz»,
sagte er. «Sie sollten in einem Stuhl sitzen und aufpas-
sen, dass ein Boy unter Ihrer Anleitung die Arbeit
gründlich besorgt; was die Gründlichkeit betrifft, so
sind seine Hände um mindestens die Hälfte härter als
die Ihren, also würde er Ihr Pulver sicherlich besser
einreiben, als Sie es können. »
Ich dachte ziemlich beschämt über Mac’s Worte nach,
als er gegangen war, und ihre Berechtigung leuchtete
mir so sehr ein, dass ich mich wohl von nun an in den
verachteten Stuhl gesetzt hätte, um von da aus meine Di-
rektiven zu geben, hätte ich nicht eine fürchterliche Ent-
deckung gemacht: dieGiraffenhautbegannzu verderben!
Heute sollte sie vom Lastauto abgeholt werden; am
vorhergehenden Abend hatten wir versucht, sie zu-
sammenzufalten, aber sie war so steif gewesen, dass wir
sie kaum biegen konnten. Wir liessen sie deshalb über
Nacht im Freien, damit der Tau sie etwas erweiche.
Das Wetter war wieder schön, die Haut fertig präpa-
riert, und ein bisschen Tau konnte ihr nichts schaden.
Zwischen drei und vier Uhr morgens weckte mich ein
von der Vorsehung gesandter Schakal mit scharfem
andauerndem Bellen, und gleichzeitig drang das mono-
tone Trommeln von Regen an mein Ohr. Ich rannte
hinaus, um nach der Haut zu sehen, fand sie schon
ziemlich durchnässt und versuchte sie unter das Zelt
zu ziehen. Doch wie sehr ich auch zerren und reissen
mochte, sie rührte sich nicht. In einer Stunde musste
B. aufstehen. Er hatte einen aufreibenden Tag hinter
sich mit einer langen vergeblichen Pürsche aufChanler’s
Riedbock, die er heute fortsetzen wollte,und ich mochte
118
ihn nicht wecken. Ich schleppte so leise wie möglich
ein halbes Dutzend Kisten heran, stellte sie rings um
die Haut und stahl mich in das Zelt, wo ich die Tren-
nungswand losmachte, eine Zeltbahn, die gross genug
war, um die ganze Haut zu decken.
B. meinte zwar, dass der Regen keinen Schaden an-
gerichtet habe, besonders da nun ein Wind einsetzte
und der Tag versprach, das Trocknen zu begünstigen.
Als ich die Haut aber genauer untersuchte, fand ich,
dass nicht nur Teile am Kamm und um die Hufe weich
geworden, sondern dass sie in ihrer ganzen Ausdeh-
nung am Verderben war. Das Fell hing über den Ge-
stellen wie ein phantastischer Teppich; die mahagoni-
farbenen Flecken leuchteten seltsam zwischen dem
unregelmässigen breiten Streifennetz hervor. Gestern
noch gesichert und trocken, liess sich heute das Haar
von der Haut wegwischen wie Moos von einer Mauer.
Die einzige Möglichkeit, die Haut noch jetzt zu retten,
bestand darin, einige Pfund des kostbaren Konservie-
rungsmittels zu opfern, einen Teig anzurühren und
beide Seiten damit zu bedecken. Es war nun beinahe
zehn Uhr morgens, und das Lastauto sollte gegen drei
Uhr eintreffen. Jede Sekunde bis dahin musste also
damit ausgenützt werden, die Masse über die ganze
Ausdehnung der Haut zu verstreichen und beständig
an den Stellen zu erneuern, wo sie eintrocknete. Stun-
den zerrannen bei dieser Beschäftigung. Ich verdiente
es, dass die Sonne mit verzehnfachter Glut auf mich
niederbrannte, und dass mich die Arbeit doppelt und
dreifach erschöpfte, denn es war alles meine Schuld.
B. war dagegen gewesen, dass die Haut dem Tau aus-
gesetzt wurde.
119
Während meine Finger ununterbrochen die Masse in
die Haut einrieben, hatte ich nur zwei Gedanken: wie
sollte ich B. das Missgeschick gestehen, und die Hoff-
nung, dass B. vor der Ankunft des Lastwagens zu-
rückkam. Doch das Auto kam zuerst, und Mr. Y., der
sich schon verspätet hatte, wollte sogleich abfahren.
Was sollte ich tun? Das Lastauto kam nicht nochmals
zurück, und die Haut in diesem Zustand fortzubringen,
hatte keinen Zweck.
Endlich kam auch B. Er war müde von langer Jagd,
und ich hätte mit meinem Bericht gerne gewartet, bis
er Zeit fand, sich ein wenig auszuruhen; doch als ich
ihn kommen sah, konnte ich doch nicht anders, als ihm
unumwunden gestehen, was geschehen war. Auch B.
hatte einen Tag voll vergeblicher Mühe hinter sich;
er sagte nur müde: «Je nun», als hätte es eben so sein
müssen, und ich hätte vor Scham weinen mögen.
Mr. Y., für den eine Giraffenhaut nicht mehr bedeu-
tete als irgendein anderes Stück Fell, nahm nun doch
soviel Anteil an unserm Kummer, dass er seine Eile,
vor Dunkelheit fortzukommen, nicht mehr erwähnte,
und wir gingen alle hin, die Haut anzusehen. B. be-
klopfte sie, um zu untersuchen, wie weit sie getrock-
net war, und fragte dann: «Was soll denn der Haut
fehlen? sie ist ja tadellos.» Er hatte nicht gesehen, wie
das Haar ausging, und um es ihm zu zeigen, zog ich
an einem Büschel. Aber so sehr ich auch zog, ich
konnte es nicht ausreissen. So unglaublich es schien,
das Konservierungsmittel und der dreimal gesegnete
Wind hatten die Haut in diesen wenigen Stunden ge-
rettet.
120
Am nördlichen Uaso-Nyiro
Wir wollten nun möglichst bald an den Uaso-Nyiro
gelangen, so fand uns die aufgehende Sonne schon
unterwegs in der Richtung unserer langen, blauen
Schatten über die sandige Ebene. In der Ferne zeich-
nete sich der Flusslauf durch eine Linie von Palmen ab.
Seit vier Monaten hatte uns der Uaso-Nyiro als ein
Eldorado vorgeschwebt, und es war ein grosser Au-
genblick, als wir endlich durch sein schmutzigbraunes
Wasser wateten. Wenn es auch bisher an Wild nicht
gefehlt hatte, so waren wir nun in den «Gesegneten
Jagdgründen » angelangt, und nach allem, was man uns
erzählt hatte, standen uns grosse Dinge bevor.
Wild aller Arten, zahlreicher als irgendwo sonst in
Afrika, war stets in der Nähe zu finden, sogar die
scheuen Büffel hielten sich nahe an den Fluss.
Je weiter wir vordrangen, desto klarer erkannten
wir den Grund dafür: das Wild hielt sich an die Nach-
barschaft des Flusses, weil er durch eine Wüste loss —
ein schmales, lebenspendendes Band inmitten einer
toten Welt.
Die Wüste rückte uns hier nahe auf den Leib. Das
linke Flussufer war nur ein schmaler Streifen, begrenzt
von einer unregelmässigen Hügelkette. Nördlich dieser
Hügel und südlich des Uaso dehnt sich die wasserlose
Einöde. Kein Wunder, dass das Wild sich nicht weit
da hinein zerstreute. Wir hatten schon so lange keinen
121
Fluss mehr gesehen — unsere Jagdzüge hatten sich
vom Maji-Chumbe bis hierher immer nur von Wasser-
loch zu Wasserloch bewegt — dass uns nun die stete
Nähe des Flusses ein beruhigendes Gefühl der Gebor-
genheit gab.
Meine Phantasie verfolgte den Lauf des Flusses hin-
auf bis zu seiner Quelle unter dem Aequator, wo er
aus einer Höhe von mehreren tausend Metern brausend
herabstürzt, ein gletschergeborener Bergstrom, und
abwärts bis an sein klägliches Ende, wo er, ungespeist
von Zuflüssen, schwächer und schwächer wird, bis er
irgendwo hinter den Lorian-Sümpfen, von der Wüste
überwältigt, versandet.
Wir wählten einen Dornbaum mit flacher, schattiger
Krone als Lagerplatz und begaben uns dann an das
Flussufer hinunter. Das Wasser war lauwarm und
schlammig, aber nach dem Sonnenglast der kahlen
Ebene war es ein unbeschreiblicher Genuss, im Schat-
ten zu liegen und die Wellen vorüberziehen zu sehen,
die Augen auf dem sattgrünen Gras ruhen zu lassen
oder sie ganz zu schliessen und dem Plätschern der
Strömung und dem einschläfernden Wispern der Pal-
men über uns zu lauschen.
Obgleich wir weite Strecken absuchten, sahen wir
auffallend wenig Wild. Die Rinderpest hatte auch hier
gewütet, und es schien, als ob selbst die Hyänen die
Opfer dieser Plage verschmähten, denn überall fanden
wir Kadaver von Vieh, manche schon halb im Sand
vergraben, andere unberührt mit der eingeschrumpften
Haut über den Knochen, und wieder andere, deren
nackte Rippen nach oben starrten, ein trostloser An-
blick in dieser sonnenglühenden Öde.
122
Das Vieh gehörte den Boran, einem sehr zutrau-
lichen Nomadenstamm. Wir trafen einige ihrer Hirten,
als sie die Herden zur Tränke trieben, und da sie auch
Esel besassen, vereinbarten wir mit ihnen, dass sie
unsere Vorräte an Posho bis Merty mitnahmen; wir
ersparten so unsern eigenen Eseln einen doppelten Weg.
Für dieses Abkommen mussten wir mit ungefähr
zwanzig Häuptlingen eine Sitzung abhalten. Sie hock-
ten um ein Feuer und zogen sich drei- oder viermal
ausser Hörweite zurück, um’den Fall zu beraten, so dass
es Mitternacht wurde, bis eine Einigung zustande kam.
Die Poshofrage war damit in befriedigender Weise ge-
löst. Nun machten uns nur unsere eigenen Vorräte
Sorgen, von denen eine Sendung schon seit einem
Monat fällig war. Als letzte Möglichkeit, sie noch zu
bekommen, schickten wir Bokari den weiten Weg nach
Meru zurück.
Noch hatten wir keine Anzeichen von Löwen be-
merkt, als an einem Nachmittag ein Träger in grosser
Angst ins Lager zurückgelaufen kam und berichtete,
er habe, als er zum Fischen an den Fluss gegangen sei,
einen Löwen schlafend unter einem Baum angetroffen,
und in seiner Eile hatte er beim Davonlaufen sein
Messer verloren. Wir begaben uns sogleich zu dem be-
sagten Baum, fanden aber weder den Löwen noch das
Messer, so dass uns der Bericht des Trägers etwas zwei-
felhaft erschien. Trotzdem legten wir einen Köder aus,
und als wir uns am folgenden Morgen zwischen Lava-
blöcken hindurch der Stelle vorsichtig näherten, über-
raschten wir dort eine Rotte Hyänen, aber keinen Löwen.
Der Rest des Tages verlief unter einer Reihe erfolg-
loser Pürschen auf Oryx, die längste auf einen kapitalen
123
Bullen, der immer wieder hinter dem Rudel durch-
wechselte. Sie endigte mit einem Fiasko: B. feuerte,
und als er näherkam, um seine Beute zu. besichtigen,
lag an Stelle des Bullen eine Kuh.
Wir waren nun in der Nähe eines Sumpfes, den
Kongoni als einen der besten Jagdgründe für Löwen
und Büffel gepriesen hatte, aber obwohl wir die Gegend
meilenweit absuchten, fanden wir nichts als einige sehr
alte Spuren. Aber es war unsere eigene Schuld, und wir
bereuten wieder einmal den verlorenen Monat in Maua.
Nun waren wir nicht mehr die ersten am Platz, sondern
wir zogen hinter einer Safari her, die nach Marsabit
wollte, und die das Wild aus der Gegend vergrämt hatte.
Der vergebliche Ansitz im Sumpf bot uns eine kleine
Entschädigung dadurch, dass wir eine Herde der zier-
lichen Grant-Gazellen auf wenige Schritt Entfernung
an der Tränke beobachten konnten. Dreissig bis vierzig
Strausse näherten sich ebenfalls. Wenn ihnen auch die
Witterung versagt bleibt, so machen sie diesen Mangel
mit ihrer Sehschärfe wett, sie eräugten uns auf eine
geradezu unglaubliche Entfernung. Als wir sie noch
beobachteten, trabte ein Schakal vorbei mit heraus-
hängender Zunge und mit im Sonnenlicht zu Schlitzen
zusammengekniffenen Augen.
Der Rückweg führte uns an einem andern Sumpf
vorbei, der weisslich und lehmig aussah und wie ein
Zementsee roch, so dass wir den Plan fassten, das
Jagen aufzugeben und eines schönen Tages hierher zu-
rückzukommen, um mit seiner Ausbeutung ein Ver-
mögen zu machen.
Wir begannen nun unsere Tagesmärsche immer lange
vor Sonnenaufgang, um so den grössten Teil schon
124
hinter uns zu haben, bevor die Sonnenglut ihren Höhe-
punkt erreichte-Nach dem Frühstückshalt teilten wir
uns gewöhnlich: B. hielt landeinwärts, um zu jagen,
während ich am Fluss entlang marschierte, um den
nächsten Lagerplatz zu wählen. Aber wenn wir auch
früh aufbrachen, um die kühlen Morgenstunden voll
auszunützen, so waren doch die Abende die besten
Stunden in der Wüste. Das Morgenrot in all seiner
Schönheit bedeutete den Beginn der sengenden Glut
eines Tages; der Abend hingegen verhiess Rast und
Erholung. Die Erde wurde kühler, die sandigen Flä-
chen verwandelten sich in Gold, und die Hügel, die
bislang noch in der glühenden Atmosphäre geflimmert,
ragten in klaren Umrissen in den Abendhimmel.
Die Anstrengung und der Durst versetzten einen
den Tag über in eine Art von Betäubung, in eine völlige
Stumpfheit, und erst am Abend kehrte die Freude an
den Dingen des Lebens zurück.
Oberhalb der Chanler’s Fälle stiessen wir auf die
ersten Büffelspuren, darunter die von zwei Bullen. B.
folgte ihnen neun Stunden lang, bis er die Tiere zu Ge-
sicht bekam. Sie hatten an einer Stelle über den Fluss
gesetzt, wo er sich in drei Arme teilte. Der dritte Arm
war nur wenige Meter breit, doch so tief, dass B. ihn
durchschwimmen musste. Die wirbelnde Strömung
riss ihn aber sogleich unter die Oberfläche, so dass er
einen Augenblick zweifelte, ob er je wieder hochkäme;
der schmale Kanal musste vier bis fünf Meter tief ge-
wesen sein.
Das Jagen in den heissesten Stunden während vieler
aufeinanderfolgender Tage und das unfreiwillige Bad
trugen wohl die Schuld an einem heftigen Fieberanfall.
125
Während einem oder zwei Tagen musste B. liegen,
und da unser Küchenschrank leer war, zog ich mit der
Schrotflinte aus, in der Hoffnung, auf Perlhühner zu
stossen und zur Abwechslung einmal zu treffen. Ich
fand aber keine, dagegen erlegte ich nach langer Pür-
sche einen Dikdik, einen guten Bock, worauf ich sehr
stolz war, denn er war meine erste Beute; auch würde
es nun für B., der keine feste Nahrung zu sich nehmen
konnte, eine gute Fleischbrühe geben. Ich legte ihn
um meine Schultern (wie der Gemsjäger im Bilder-
buch) und machte mich auf den Rückweg.
Als ich nach einiger Zeit auf Giraffen stiess — genau
an der Stelle, wo ich das Lager vermutete — verlor ich
die Orientierung, und wenn ich, einmal am Fluss, mich
auch nicht ernstlich verirren konnte, wusste ich doch
nicht mehr, ob ich seinem Lauf stromauf- oder strom-
abwärts folgen sollte, und eine halbe Stunde lang war
ich tatsächlich ratlos.
B. freute sich so sehr über den Dikdik, dass ich ihn
auf sein Bett legte, und wir betrachteten ihn mit einer
Freude, als sei er die Haupttrophäe unserer Expedition.
Dabei bemerkten wir erst, dass er abweichend vom
Dikdik des Meruwaldes einen Haarkamm zwischen
dem Gehörn trug und eine seltsam verlängerte pelzige
Nase besass; er stellte darum eine Bereicherung unserer
Sammlung dar, wahrscheinlich war es Smith’s Varietät.
Der schöne Erfolg mit dem Dikdik hatte mir Mut
gemacht, und wiederum machte ich mich mit derBüchse
auf, diesmal, um zwei Perlhühner nach Hause zu brin-
gen, so dass der Fleischtopf stets gefüllt blieb. Dass
es mit unserer Fleischkost zeitweise schlecht bestellt war,
daran trug hauptsächlich der Koch die Schuld. Seitdem
126
esihm an Büchsen fehlte, hatte er so sehr allen Unter-
nehmungsgeist verloren, dass er sogar an einem Tag,
nachdem B. einen Büffel erlegt, behauptete, er könne
kein Fleisch auftischen. Dies konnte ich ihm noch ver-
zeihen; nicht aber, dass er nun noch B.’s Geburtstags-
kuchen zu Kohle verbrannte. Es sollte eine Überra-
schung werden, und ich hatte so wenig dabei mit Man-
deln, Rosinen und Zitronat gespart, als ob das Kolo-
nialwarengeschäft an der nächsten Ecke gewesen wäre.
Alles in allem war es ein recht bescheidener Geburts-
tag: die Löwen brüllten die ganze Nacht, was B.’s er-
zwungene Ruhe doppelt lästig machte, denn natürlich
wollte er aufstehen und einen Köder auslegen. Früh
am Morgen zog ich wieder aus, um ihm einen Köder
zu beschaffen. Ich pürschte erst auf Zebras, dann auf
Wasserböcke, aber ohne jeden Erfolg, und kam am
Ende eines langen Tages bedrückt nach Hause.
Als am Abend alles im Lager still geworden war,
liess uns ein plötzliches Grunzen, von donnerndem Huf-
schlag gefolgt, auffahren. Ein Nashorn raste mitten
durch die Lagerfeuer. Es schwenkte nur einmal herum
und steuerte geradewegs auf das Zelt los, doch bog es
im letzten Augenblick ab und verschwand krachend
in der Dunkelheit. Die Boys behaupteten, die Maultiere
hätten uns gerettet, indem sie so heftig nach ihm aus-
schlugen, dass sie ihm den Besuch verleideten.
Das Fauchen eines Löwen schien auf B. besser zu
wirken als die beste Medizin; er schwor, er sei wieder
bei Kräften, und es fehle ihm nichts als wieder einmal
eine richtige Löwenjagd.
Wir brachen vor Tagesanbruch auf und sichteten
auch bald einen Löwen, oder wenigstens einen Teil
127
von ihm, als er gerade in einem Dickicht beim Fluss
verschwand. Erst suchten wir ihn durch Lärm hochzu-
bekommen, dann nahmen wir die Spur nach allen
Regeln der Kunst auf. Noch nie hatten wir eine an-
strengendere Suche gehabt. Kongoni und Brahimo ent-
wickelten einen unermüdlichen Eifer und wirkliches
Geschick. Bei bewölktem Himmel wäre es leichter ge-
wesen, obwohl die Suche in die Hügel führte und oft
über kiesigen Grund, wo es fast unmöglich war, sie
auch nur zu erraten. Heute aber herrschte eine drük-
kende Gewitterschwüle, und die Sonne war selbst für
den Uaso-Nyiro ausnahmsweise heiss. B. war am Ende
seiner Kräfte, und auch ich konnte mich gerade noch
von einem Stückchen spärlichen Schattens bis zum
nächsten schleppen, um dort halb betäubt nach Luft
zu schnappen.
Doch gerade die Hitze gab uns einen Vorteil, denn
der Löwe schien sie noch mehr zu fühlen als wir, er
tat sich in immer kürzeren Abständen nieder. Aber da
er sich sorgfältig unter dem Wind hielt, bekam er stets
rechtzeitig Witterung von seinen Verfolgern und trollte
sich. Zweimal bekamen wir ihn zu Gesicht, und das
gab uns erneute Energie, denn er war ein riesiges
Exemplar mit goldener Mähne. Gegen drei Uhr nach-
mittags verwischte sich die Spur völlig. Nachdem wir
sie so manche Meile hatten halten können, wollten wir
sie nicht ohne einen letzten Versuch aufgeben, und B.
schlug vor, in einer Linie nach der Richtung, die der
Löwe genommen hatte, vorzurücken. Ich versprach
mir wenig Erfolg von diesem Plan und gab zu beden-
ken, dass wir später nach eingetretener Dunkelheit un-
sern neuen Lagerplatz schwerlich finden würden. B.
128
aber war entschlossen, und ehe wir hundert Meter ge-
gangen waren, fanden wir die Fährte wieder, und im
nächsten Augenblick sahen wir den Löwen vor uns,
B. rannte vorwärts, um ihn im Auge zu behalten, und
sobald es die Büsche erlaubten, feuerte er — ein Schuss
im Laufen, der sofort mit einem Knurren beantwortet
wurde. Die Spur wies Schweiss auf, und bald gab uns
ein erneutes Knurren aus tiefer Kehle die Richtung an.
Er hatte hinter einem gestürzten Baumstamm so ge-
schickt Deckung genommen, dass seine Brust ge-
schützt war; wir sahen nur seinen Kopf mit den flach
angelegten Lauschern.
B. trat dicht heran, um zu feuern. Ich beobachtete
jede Bewegung des Löwen und sah, wie er seinen
Schweif steif über den Rücken erhob, als wollte er zum
Sprung ansetzen. Zwei Schüsse brachten ihn noch nicht
zur Strecke, und beim dritten machte er kehrt und
nahm nach einigen Fluchten unter einem Busch Dek-
kung. Selbst ein weiterer Schuss brachte sein wüten-
des Knurren nicht zum Schweigen. «Knurren» ist ein
unzulängliches Wort für die Laute, die ein in die Enge
getriebener Löwe ausstossen kann. Sie lassen einem
das Mark in den Knochen erstarren, und ebenso fehlen
mir die Worte, um den verzehrenden Hass auszu-
drücken, der in seinen gelben Augen glühte. Er war
am Verenden, unfähig, uns anzugreifen, doch die Fel-
sen, die ganze Luft vibrierten unter seinem Zorn, und
ihn so liegen zu sehen, wie seine Pranken Furchen in
den steinharten Boden rissen und das Blut aus seinem
Rachen schoss, während seine Fänge zolldicke Äste
und Zweige zersplitterten, konnte einen vor Furcht
erzittern machen.
129
Wir fanden nachher, dass er diese Äste mit halbzer-
schossenem Unterkiefer durchbissen hatte. Es war ein
prächtiges Exemplar, und wir stellten fest, dass sein
Magen keine Nahrung enthielt; es war also nicht eine
ausgiebige Mahlzeit gewesen, die ihn zum Anhalten
bewegt hatte, sondern lediglich die grosse Hitze.
130
Die Lorian-Sümpfe
Die übergrosse Hitze war ein Vorbote für heftige
Gewitter gewesen, die mehrere Tage andauerten. Am
folgenden Morgen hörten wir ein unheimliches Rau-
schen, das immer näher kam, bis der Fluss in mächtiger
Springflut heranrollte. Ein Glück, dass die Ufer hier
sehr hoch waren, sonst hätte er unser Lager überflutet.
Aber auch so drohte die Situation ernst zu werden,
denn die Flut hatte uns am falschen Ufer überrascht.
Der Regen erweckte wie durch Zauber eine Welt
von Insekten. Ameisen nisteten sich in unsern Kisten
ein, und wir mussten für unsere Nachtmahlzeiten auf
Licht verzichten, denn die Laternen lockten die flie-
genden Ameisen, die Käfer und Heuschrecken in sol-
chen Massen an, dass sie unsere Suppe zu einem Brei
verdickten, ehe wir Zeit fanden, sie zu essen. Wir
töteten drei Skorpione und zwei Tausendfüssler im
Zelt. Sancho Pansa erbat sich einen der Skorpione,
denn er war gebissen worden und behauptete, dass ein
zerstampfter Skorpion auf den Biss gelegt das einzig
wirksame Gegenmittel sei.
Es half nichts, dass wir bereuten, um einen Monat
zu spät in dieses Wildparadies gekommen zu sein. Die
lange Regenzeit hatte begonnen, das Wild fand überall
Wasser und saftige Äsung, so dass es die Ufer des
Flusses verlassen hatte und sich weit umher zerstreut
aufhielt.
131
Ein Unglück kommt selten allein. Nun begann auch
die Haut des Löwen zu verderben. Den ganzen Tag
rackerte ich mich damit ab, sie dünner zu schaben und
die Konservierungsmasse darauf zu verstreichen; mit
einer Art Flaschenzug hisste ich die an eine Stange ge-
bundene Haut an einem Baum hoch, damit sie möglichst
frei in der Luft hing; aber die Feuchtigkeit der Luft
war so gross, dass alles tropfnass wurde.
Mittlerweile nützte B. jede Stunde des Tages mit
Jagen aus, denn das Wild wurde immer seltener in der
Gegend, und wir begannen daran zu zweifeln, ob wir
die noch fehlenden Arten überhaupt noch zusammen-
bringen würden.
B. erlegte ein Grevy-Zebra, dessen Haut schon vom
Regen durchnässt war, als es noch lebte. Ich verbrachte
den 'Tag über der Arbeit mit der Zebra- und der Lö-
wenhaut und geriet über beide fast in Verzweiflung.
Wachend und träumend verfolgte mich die fixe Idee,
dass sie mir unter den Händen verderben würden.
Doch, erlebte ich einen aufregenden Tag mit den
Häuten, so hatte es B. noch schwerer gehabt mit einer
Jagd auf Elefanten, von der er erst lange nach Einbruch
der Nacht zurückkehrte. Bei einem Wasserloch hatte
er eine sehr grosse, noch ganz frische Spur gefunden.
Sie führte in einen Waldgürtel, und bald stiess er auf
den mächtigen Dickhäuter, der im Schatten hinter einer
dichten Wand von Buschwerk stand. Nichts war von
ihm sichtbar als der obere Teil seines Hauptes und die
kleinen glänzenden Augen. Der Wind war unbestän-
dig, und der Elefant hatte schon Verdacht geschöpft.
B. konnte beobachten, wie er den Kopf nach allen
Seiten wandte — mit einem gewichtigen Schwung, der
132
auf ein Paar stattlicher Stosszähne schliessen liess —,
die riesigen-Lauscher ausbreitete und mit erhobenem
Rüssel den Wind sorgfältig prüfte.
B. meinte nachher, er hätte auf alle Fälle zurück-
gehen und sich ihm von einer andern Seite nähern
sollen, wo der Wind günstiger und wahrscheinlich
auch die Sicht besser war. Er bat mich wiederholt,
in meinem Tagebuch besonders hervorzuheben (er
selbst hatte nie eines geführt), dass man in solcher
Hitze nicht immer ganz zurechnungsfähig sei. Es pas-
sierte ihm öfters, dass er, wenn er zwischen zwölf und
drei Uhr mittags jagte und dabei irgendeine Entschei-
dung traf, er sie später als völlig unzweckmässig er-
kennen musste.
Der Elefant stand nun im Schatten, und das wech-
selnde Spiel der Sonnenflecken auf seiner grauen Haut
machte es unmöglich, die Ohröffnung zu erkennen.
Mit der kleinen 318er aber gab es nur zwei Möglich-
keiten: ein Hirnschuss oder den Elefanten zu verlieren.
Das Tier quittierte B.’s Kugel, indem es in die Knie
brach und hinter der grünen Blätterwand verschwand.
Aber bevor B. zur Stelle war, kam es wieder hoch
und wurde flüchtig. Es entfernte sich krachend durch.
das Unterholz, das hier so dicht und undurchdringlich
war, dass B. und seine Leute sich ihren Weg mit den
Buschmessern bahnen mussten. Sie folgten ihm den
ganzen Tag, überschritten dabei den Uaso, und erst die
untergehende Sonne setzte der Jagd ein Ende.
B. hatte die Stosszähne nie zu Gesicht bekommen,
aber er war gewiss, dass sie mindestens achtzig Pfund
wogen, und dass ihm damit wohl die letzte Gelegenheit
zur Erbeutung eines kapitalen Elefantenbullens ent-
133
gangen war. Doch wenn er auch die Spur am nächsten
Tag aufgenommen hätte, war die Wahrscheinlichkeit
gering, ihn einzuholen, denn bis dahin war der Elefant
wohl schon in der Gegend von Kom, ungefähr dreissig
bis vierzig Meilen von hier.
In der Nacht erwachte ich an einem malmenden
Geräusch dicht beim Zelt, ab und zu von einem kurzen
Knacken unterbrochen, das beinahe wie Pistolen-
schüsse tönte. Augenblicklich wurde mir klar, dass
Hyänen sich an unsern 'Trophäen gütlich taten, und
ich stürzte hinaus, um sie zu verjagen. Ich befürchtete
Schlimmes und sah schon die Gehörne des Gerenuks*)
und der Oryx-Antilopen ruiniert, doch die Hyänen
hatten sich mit den Zebraknochen begnügt und die
wertvolleren Trophäen unberührt gelassen.
Das Wetter besserte sich etwas, und es schien, als ob
die gefährdeten Häute doch noch zu retten wären.
B. freute sich sehr darüber, besonders da er wieder
einen Tag voller Fehlschläge hinter sich hatte: ein
Gerenuk war in der Dickung verschwunden im Augen-
blick, als er auf ihn abdrücken wollte, eine Büffelherde
wurde keine zwölf Meter vor ihm im dichten Busch
flüchtig, und ein Kleines Kudu stand in einer Lichtung,
als gerade Kongoni die Büchse trug.
Wir waren nun im Gebiet des Kleinen Kudu, und
da das Hochwasser sich wieder verlaufen hatte, schick-
ten wir die Safari über den Fluss voraus, indessen wir
landeinwärts hielten, um zu jagen. Der Koch sollte
uns mit dem Frühstück folgen, verstand aber seine
Instruktion falsch, und die Folge war, dass wir ihn,
die Maulesel und die Safari verloren und das Lager
» Giraffengazelle
134
erst spät am Nachmittag fanden. Der nächste Tag ent-
schädigte uns aber dafür und für manchen andern er-
folglosen Pürschgang, indem B. einen starken Kudu-
bock erlegte. Hier trennten wir uns. Ich sollte sofort
mit der Haut das Lager aufsuchen, während B. noch
ein weibliches Kudu erlegen wollte. Wiederholt traf
ich auf schmale Streifen von Palmenbestand, die ich
für das Flussbett hielt, das ich aber erst spät am Nach-
mittag erreichte. Der Koch, der die Gegend kannte,
hatte behauptet, Merty sei nur eine halbe Stunde von
unserm letzten Lager entfernt, und unsere Leute hatten
darum die Anweisung, dort das heutige Lager aufzu-
schlagen. Er hatte sich aber wiederum geirrt und ver-
sicherte jetzt, es seien noch drei Stunden bis Merty.
Ein Gewitter hatte jede Spur verwischt, und nun wusste
ich nicht, befand sich die Safari vor oder hinter uns.
Unterwegs erschlug der Koch mit seinem Stock
eine Puffotter; niemand wollte sie anrühren, und so
übernahm ich es, sie abzuhäuten.
Ich entschied mich dafür, dass die Safari hier noch
nicht vorübergekommen sei und ging stromaufwärts
durch das dichte Gestrüpp zurück, als uns unvermittelt
ein Nashorn annahm.
Sehr verzagt und vorsichtig gingen wir weiter fluss-
aufwärts. Ohne mir Rechenschaft abzulegen warum,
wählte ich unter den vielen Wildwechseln, die nach
allen Seiten liefen, einen, der von der ursprünglichen
Richtung völlig abwich. Es war eine glückliche Ein-
gebung, denn alsbald stand ich B. gegenüber. Hätten
wir uns in diesem dichten Dschungel nur um wenige
Meter verfehlt, dann wären wir unweigerlich aneinan-
der vorbeigelaufen. Auch B. hatte sich verirrt, erriet
135
aber, als er die abgehäutete Schlange fand, dass ich dort
vorbeigekommen war.
Inzwischen war es Abend geworden, und wir sandten
zwei Boys voraus, um die Safari zu suchen.
B. hatte, kurz nachdem ich ihn am Morgen verlassen,
sein weibliches Kudu erlegt, so dass nun auch Brahimo,
mit der frischen Haut beladen, auf der Suche nach
dem Lager im Busch umherlief.
Die Nacht brach herein, ohne dass wir von der Safari
oder von den beiden Boys, die sie suchen gegangen,
etwas hörten. Wir machten daher ein Feuer, und der
Koch briet etwas Kudufleisch. Die Leute rührten es
aber nicht an, da das Kudu nicht nach ihrem Brauch
geschächtet war. (Durchschneiden der Gurgel.)
Fast die ganze Nacht hindurch regnete es in Strömen,
dennoch unterhielten wir ein loderndes Feuer, und
nachdem ein Schutzdach für die Kuduhaut hergestellt
war, wickelten wir uns in die Decken der Maultiere,
und mit den Sätteln als Kopfkissen schliefen wir, so
gut es eben ging. Die Safari fand uns bald nach Tages-
anbruch. Das Lager war kaum eine Meile von uns ent-
fernt gewesen, doch die Dunkelheit und das umher-
streifende Nashorn hatten genügt, uns für die Nacht
zu trennen. Der arme Brahimo hatte auf einem Baum
übernachtet. Seine Kuduhaut war ganz durchweicht,
und da der Regen am folgenden Tag nicht aufhörte,
konnten wir sie nur trocknen, indem wir sie aufspann-
ten, ein Schutzdach darüber bauten und auf jeder Seite
ein Feuer unterhielten. Die ständige Überwachung des
Trocknens beschäftigte mich bis zum Abend, als B.
mit einem erlegten Grevy-Zebra zurückkam, als Ersatz
für die von den Hyänen ruinierte Haut.
136
Am folgenden Tag erreichten wir Merty. Unterwegs
hätten wir um ein Haar unsern kleinen Hund verloren;
sein ständiger Durst und die damit verbundene An-
ziehungskraft, die der Fluss auf ihn ausübte, wären ihm
fast zum Verhängnis geworden. Er hatte eine Rotte
von Meerkatzen umhergejagt und legte sich nun in
das seichte Wasser, von dem er gierig lappte. Plötzlich
tauchten nicht weit von ihm die Schnauze und die vor-
stehenden Augen eines Krokodils auf, das wie ein
Torpedo auf ihn zuschoss. Unser Geschrei verscheuchte
es, aber es war schon so nahe gewesen, dass es beim
Umwenden eine Welle hoch ans Ufer warf. Der Zwi-
schenfall war nicht dazu angetan, uns zum Durchwaten
des Flusses zu ermuntern, der zudem hier ziemlich
reissend war.
B. stand mit schussbereiter Büchse Wache, bis alle
drüben ankamen; die Ziegen wurden getragen, die
abgesattelten Esel schwammen hinüber, und alles
wickelte sich ohne Störung ab. Nur die Last, die unsere
Trophäen enthielt, wurde nass, und wir mussten den
Rest des Tages damit zubringen, sie wieder zu trocknen.
Mit einem Seufzer der Erleichterung deponierten wir
unsere Sammlung in den K.A.R.*-Stores in Merty,
wo sie nun endgültig vor allen Unbilden der Regen-
zeit geborgen war.
In Merty fanden wir Bokari, der von Meru zurück-
gekommen war, ohne aber eine einzige unserer Vor-
ratskisten mitzubringen. Wir hatten Moti stark im
Verdacht, dass er sie nicht herausgab, um uns dadurch
zu zwingen, neue Vorräte von ihm zu kaufen. Aber
das konnten wir uns jetzt nicht mehr leisten, selbst
* Kings African Rifles
137
wenn wir es gewollt hätten, und es bestand somit
keine Aussicht mehr, in den einförmigen Speisezettel
von Fleisch und Reis viel Abwechslung zu bringen.
Wäre das Fleisch nur frisch gewesen! Meistens aber
erinnerte sein Geruch so sehr an verdorbene Felle,
dass wir unwillkürlich an Alaun und Salpeter denken
mussten; es war zähe und zugleich fast in Verwesung
übergegangen, so dass wir uns versucht fühlten, aus-
schliesslich von Tee zu leben.
Ein heftiges Gewitter verzögerte unsern Abmarsch
von Merty. Wir beobachteten die rasch heraufziehende
schwarze Wand und fanden gerade, als es losbrach,
einen Unterstand. Es wurde beinahe dunkel, nur der
herabstürzende Regen leuchtete weiss. Er fiel mit sol-
chem Tosen hernieder, dass man sich kaum verständi-
gen konnte. Noch nie hatten wir solch sintflutartigen
Wolkenbruch erlebt, und während wir aneinanderge-
drängt im Eingang der Hütte hockten und hinausblick-
ten, sagten wir uns, dass der Ausdruck: «Regen wie in
Merty» bei uns von nun an sprichwörtlich sein würde.
Mit dem Grabenrand von Merty im Rücken schritten
wir jetzt durch eine steinlose Ebene, dienachdem schwe-
ren Gewitter mehr den Anblick einer Reihe von Lagu-
nen bot. Stunde um Stunde wateten wir durch Schlamm
und Wasser, und als wir in der Abenddämmerung
unser Lager aufschlugen, trennten uns doch erst wenige
Meilen von der breiten Silhouette des Grabenrandes.
Wir alle waren todmüde und machten uns nicht
einmal die Mühe, Feuer anzuzünden. Es war sehr still
im Lager diese Nacht. Denn das war kein gewöhn-
licher Schlamm; es gibt kaum ein heimtückischeres
Element als diese schwarze Baumwollerde. Nach jedem
138
halben Dutzend Schritten hat man ein solches Gewicht
von Erde an den Füssen, dass man sie kaum mehr
heben kann. Der klebrige Schlamm ist nur eine obere
wasserdichte Schicht, geht man darüber hinweg, so
bleibt der trockene Boden an den Schuhen hängen, der
nächste Schritt fügt eine weitere Schicht hinzu und so
fort, ad infinitum, bis man, am Weitergehen verhindert,
stehen bleibt, ihn abkratzt und von neuem beginnt.
Es goss die ganze Nacht hindurch, so dass wir am
Morgen warten mussten, bis sich das Wasser etwas ver-
laufen hatte, statt wie gewöhnlich vor dem Frühstück
ein gutes Stück des Tagesmarsches hinter uns zu brin-
gen. Und selbst dann war das Gehen so beschwerlich,
dass wir schon nach zwei Stunden haltmachten, um
zu warten, bis die Sonne den Schlamm auszutrocknen
begann.
Während wir uns ausruhten, ging B. allein auf die
Jagd und erlegte ein Zebra in der Absicht, den Leuten
Fleisch zu verschaffen. Und da sie die beiden Kudus
verschmäht hatten, weil sie nicht geschächtet gewesen,
schnitt er ihm diesmal selbst stilgerecht die Gurgel
durch. Aber auch das sollte vergebens sein, denn die
Leute weigerten sich wiederum, wenn auch etwas weh-
mütig, davon zu essen, weil der Ritus von einem An-
hänger des Islam ausgeführt werden muss.
Am nächsten Tag bekamen wir vierzig Elefanten zu
Gesicht und fanden die frische Spur von acht Löwen,
was uns bestimmte, unser Lager hier aufzuschlagen.
B. machte sich auf, einen Köder zu erlegen. Die Ele-
fanten hielten sich am gegenüberliegenden Flussufer
auf, B. beobachtete sie mit Kongoni von einem Baum
aus. Da kam Maithia, der auf eigene Faust nach Ele-
139
fanten gespürt hatte, in grosser Aufregung zu mir.
Er hatte weiter unten am Wasser mehrere Stück ge-
sehen, und ich folgte ihm nun dorthin, denn ich hatte
mir schon lange gewünscht, photographische Auf-
nahmen von Elefanten zu bekommen.
Sie suhlten sich gerade, und ich konnte zuerst nichts
weiter erkennen als eine Flanke, die wie eine Insel aus
dem Wasser ragte; dann erschienen Haupt und Ohren
eines der Tiere, als es sich umdrehte. Wir kamen, von
Bäumen gedeckt, bis auf eine sandige Landzunge und
hatten von da aus eine unbehinderte Sicht quer über
die halbe Breite des Flusses, in dem sich fünf Elefanten
völlig vertraut suhlten. Sie griffen mit ihren Rüsseln
in die herabhängenden Zweige und liessen sich dann
geniesserisch in das Wasser zurücksinken, das über
ihren Köpfen zusammenschlug, so dass nur noch die
Enden ihrer Stosszähne sichtbar waren.
Wie wünschte ich mir da, dass ich nun einen Film-
apparat zur Hand hätte! Aber ich hatte nur noch drei
Negative übrig, und während ich noch auf einen
günstigen Augenblick wartete, um wenigstens diese
so gut wie möglich anzubringen, bekamen die Ele-
fanten unsere Witterung. Die Rüssel erhoben und die
grossen nassen Lauscher ausgebreitet, kamen sie auf
uns zu. Dann machten sie kehrt und flüchteten sprit-
zend und stampfend gegen das jenseitige Ufer. Wäh-
rend sie auf uns zugekommen waren, hatte Maithia
mir eindringlich Zeichen gegeben, ich solle zurück-
weichen und mich zuletzt sogar am Ärmel weggezogen;
aber ich war entschlossen, mir diese einzigartige Ge-
legenheit nicht entgehen zu lassen, und watete noch
weiter hinaus, um so nahe wie möglich zu kommen.
140
Dass die Tiere Wind von uns bekommen hatten,
war sehr ärgerlich, und ich war beschämt, als B. mir
sagte, ich habe damit die ganze Herde gründlich ver-
grämt. B. hatte sie so lange beobachten wollen, bis er
einen starken Bullen vor die Büchse bekam, und nun
hatte ich alles verdorben. Dazu hielt B. mir vor, dass
es idiotisch war von mir, in einem Fluss herumzuwaten,
der voller Krokodile war. Meine gehobene Stimmung
über die Aufnahmen, die ich einzigartig glaubte, war
dahin. Wäre B. mir wirklich böse gewesen, so hätte
ich es noch besser ertragen, aber er tröstete sich bald
damit, dass die Aufnahmen vielleicht eher einen dauern-
den Gewinn darstellten als ein erlegter Elefant, und
jetzt verfolgte mich die ganze Zeit der Gedanke, dass
sie am Ende schlecht oder gar nicht herauskommen
würden.
B. liess den Köder an den Fluss hinunterschaffen,
an dessen gegenüberliegendem Ufer er Löwen beob-
achtet hatte. Es mochten wohl die gleichen acht Löwen
gewesen sein, deren Spuren wir schon gesehen, und
da die Geier durch ihre Kreisflige um den Köder
seine Lage prächtig bezeichneten, durften wir mit
ziemlicher Sicherheit mit ihrer Rückkehr rechnen.
Als wir aber am nächsten Morgen vorsichtig die
Stelle aufsuchten, war der Köder verschwunden. Die
Spur erwies, dass die Räuber zwei Leoparden gewesen
waren; wir suchten die Umgebung umsonst nach ihnen
ab. Doch wurden wir am gleichen Tag durch einen
Buschbock entschädigt, dessen prachtvolles Fell ge-
fleckt und auch gestreift war, eine Abart, die Selous
als ein Bindeglied zwischen Sylvaticus und Seriptus an-
sieht. Wie dem auch sei, das Exemplar besass noch ein
141
weiteres Interesse, indem es die allgemeine Ansicht
widerlegte, dass der Buschbock in der Nähe des Lorian
nicht vorkomme. Ein überzeugender Beweis dafür,
dass er diese völlig steinlose Ebene wirklich bewohnte,
war der Zustand seiner Hufe, die mangels genügender
Abnutzung in dem weichen Boden um einige Zoll
länger waren als gewöhnlich, so dass ihre Spitzen
zurückgebogen waren.
Der aus seinen Ufern getretene Fluss brachte uns
viele Meilen von unserer Richtung ab. Wir hielten uns
aber an einen Zebra-Wechsel, der uns viel zielloses
Suchen im Sumpf ersparte. Unterwegs kreuzten wir
eine frische Löwenfährte, worauf B. sich sogleich daran
machte, einen Köder zu beschaffen, aber ohne Erfolg.
Wir schlugen das Lager erst nach Einbruch der
Dunkelheit auf, und da wir kein Feuer machten, ban-
den wir die Esel dicht bei den Zelten der Leute fest
und die beiden Maultiere bei unserm eigenen auf bei-
den Seiten aufgerollten Zelt. Während der Nacht gab
es einen grossen Lärm, die Maultiere schlugen aus und
wieherten, und am Morgen fanden wir die deutliche
Spur einer Löwin, die um das Zelt gestrichen war.
Allem Anschein nach war es dasselbe Tier, dessen
Fährte wir am vorhergehenden Tag gekreuzt hatten,
und aus der Art und Weise, wie die Spur zwischen
und um alle Büsche herumführte, schloss B., dass sie
sehr hungrig sein musste. Sie selbst erbrachte den
schlagenden Beweis dafür, indem sie, wie sich nachher
herausstellte, eine Segeltuch-Badewanne verzehrt hatte.
Zuerst schien uns dies etwas unglaublich. Wir dachten,
Jim habe vergessen, sie einzupacken und lasse nun
seiner Phantasie diesmal etwas zu sehr die Zügel
142
schiessen. Aber er zeigte uns zwei Enden zerkauter
Schnur und ein Stück Segeltuch, woran noch der Spei-
chel glänzte, so dass wir ihm doch Glauben schenken
mussten. Tatsächlich hatten wir erst einige Tage vor-
her in alter Löwenlosung zwei kräftige Nägel und ein
Stück Sacktuch gefunden.
Dass ein Löwe eine ganze Segeltuch-Badewanne ver-
zehrte, war ein deutlicher Beweis für die Spärlichkeit
des Wildes. Sie wurde immer offensichtlicher, und der
Loriansumpf, dem wir in so mühsamen Märschen zu-
strebten, würde sicherlich eine grosse Enttäuschung
werden. Wir sollten dort unsern grossen Elefanten
schiessen, doch hatten wir ja schon festgestellt, dass
auch die Elefanten zu wandern begonnen hatten, und
unser Marsch nach dem Lorian hatte nur noch den
Zweck, die Brücke, die dahinterlag, zu erreichen, um
dort den Uaso zu überschreiten. Die Lockung des
Wildreichtums war somit verschwunden. -
Noch immer hatten wir Grund zur Eile: erstens ging
das Posho bedenklich zur Neige, zweitens mussten wir
in Merty zurück sein, wenn Capt. D. durch das Wüsten-
gebiet nach Garba-Tula zog, damit wir von den Was-
serkamelen profitieren konnten, die er mitführte.
Auf diese Weise wurde aus unserm Marsch nach
dem Lorian eine Art von Rennen, und wenn auch
wenig dabei zu gewinnen war, so glaube ich, dass wir
eher vor Erschöpfung umgefallen wären, als kehrt zu
machen.
Die scheuen Gerenuks waren fast das einzige Wild,
das wir antrafen. Sie hielten sich zumeist in Paaren, zu
dritt oder höchstens zu vieren. Gelingt es, sich ihnen
unbemerkt zu nähern, so bieten sie das anmutigste
143
Bild, das man sich denken kann. Sie äsen am liebsten
von den jungen Schösslingen der Dornbäume, und um
sie zu erlangen, richten sie sich frei auf den Hinterläufen
auf, ohne nach Art der Ziegen einen Vorderlauf gegen
den Stamm zu stützen. Zierlich halten sie das Gleich-
gewicht, während sie sich schlank emporstrecken, und
ihre Anmut ist wirklich bezaubernd. Ihre Bewegungen
erinnern in mancher Hinsicht an die der Giraffen. Im
Lauf strecken sie ihre langen, geraden Hälse nach vorn,
mit einem leicht gebogenen Schwung, der ihnen von
der Seite eine fast schwanenhafte Silhouette gibt. Es
tat uns leid, sie erlegen zu müssen, nur um unsere Vor-
räte an Wildbret zu ergänzen, und da unser Jagdpass
nur vier Stück erlaubte, würden wir gehörig Abbitte
tun müssen, wenn wir das nächste Mal den «Game
Warden» besuchten. Aber es war nicht zu ändern; die
Leute konnten mit Posho allein nicht das leisten, was
von ihnen gefordert wurde, und wir selbst hatten bei
unsern knappen Vorräten keine andere Wahl. Der Koch
fand nun zwar eine Pflanze, die ein gutes spinatartiges
Gemüse lieferte; eine weniger glückliche Hand hatte
er mit Pilzen, die uns, obwohl sie wie eine essbare
Sorte aussahen und unbeschreiblich gut schmeckten,
bedenkliche Magenkrämpfe verursachten.
Der folgende Tag verlief sehr unbefriedigend. Wir
mussten uns durch ein Wirrsal von Wasserläufen hin-
durcharbeiten und ununterbrochen sumpfige Stellen
umgehen, so dass wir nur wenig vorwärts kamen, ob-
gleich wir von Sonnenaufgang bis -untergang mar-
schierten.
Es gab nirgends festen Boden in der Nähe des Flus-
ses. Es blieb uns nichts übrig, als das Lager im Schlamm
144
Bernhard von Wattenwyl mit einem Kudu
J« ımbeni-( sebirge
B.v.W. mit der Haut eines Waldschweins
berdare-Gebirge
inmitten melancholisch quakender Frösche aufzuschla-
gen. Wir alle waren erschöpft und niedergeschlagen,
weil die Esel nicht nachkamen und B. zwei Grant-
Gazellen, die er unterwegs für die Leute geschossen,
verloren hatte; die eine kam hoch und flüchtete im
Augenblick, als Kongoni sich daran machte, sie zu
«chingern» (schächten) und die andere liess Maithia,
den wir zurückgelassen, bis die Träger das Tier holten,
schmählich im Stich. Er holte uns mit entsetzten Augen
ein und berichtete von einem Dutzend Löwen, die in
geschlossener Linie gegen ihn vorgerückt seien. Seine
Löwen entpuppten sich dann als die Esel, so dass die
Leute wenigstens ihr Posho erhielten.
Wir befürchteten, dass sich das Gelände gegen den
Lorian zu stets verschlimmern würde, doch dies war
der schlimmste Marsch gewesen, den wir erleben soll-
ten. Am folgender Tag wurde der Boden zu unserer
Überraschung trockener, und wir kamen um gute
zwanzig Meilen weiter, was uns auf die Höhe des
Lorian brachte. Wir befanden uns auf einer monotonen
Ebene, die kaum durch einen Busch unterbrochen
wurde. Nichts war zu sehen als eine grenzenlose Weite
von Gras- und Schlammflächen. Der Lorian selbst
unterschied sich nur durch das höhere Gras, Flecken
von satterem Grün und durch grosse Flüge weisser
Sumpfvögel. Sonst wies nichts darauf hin, dass wir
ihn endlich erreicht hatten.
Seitdem wir Merty verlassen, beobachteten wir täg-
lich Luftspiegelungen: Bäume, die sich in türkisblauen
Flächen spiegelten, wo wir wussten, dass es weder
Bäume noch Wasser gab. Heute aber erlebten wir noch
eine andere Erscheinung: alle Gegenstände zeigten sich
145
in so starker Vergrösserung, dass wir ein Zebra für
einen Elefanten hielten. B. gab Feuer auf eine Oryx-
Antilope, die so gross schien wie eine Giraffe, und
stellte das Visier auf 300 Meter, während sie tatsächlich
gegen 1000 Meter entfernt war.
Von Elefanten sahen wir nichts als alte Spuren, die,
halb mit Wasser gefüllt, wie Granattrichter aussahen.
Nun wir glücklich den Lorian erreicht hatten, sollte
es unmöglich sein, an das andere Ufer zu gelangen;
einige Hirten vom Stamm der Boran, denen wir be-
gegneten, brachten uns diese niederschmetternde Nach-
richt. Das ganze Land auf der andern Seite sei unter
Wasser gesetzt, berichteten sie.
Das überstieg unsere schlimmsten Befürchtungen so
sehr, dass wir beschlossen, uns durch den Augenschein
selbst davon zu überzeugen. Wir folgten der Strasse
jenseits der Brücke während einiger Meilen und schlu-
gen dann wieder die Richtung nach dem Fluss ein,
wobei wir aber den Sumpf in weitem Bogen umgingen.
Das kostete uns viel Zeit und manche Wegstunde und
erwies sich überdies als ganz überflüssig, denn das
Terrain war hier überall viel besser. Wenn auch die
Erde so mit Rissen und Spalten durchzogen war, dass
wir die Reittiere nicht gebrauchen konnten, so hatten
wir doch wieder festen Boden unter den Füssen, und
wieder einmal war unsere Tagesleistung zwanzig Meilen.
Der Morgen war herrlich klar, beinahe frisch, und
das Gras wogte im Wind unter dem hellblauen Him-
melszelt. Wir befanden uns auf dem Rückmarsch, der
bangen Sorge ledig, wann wir den Lorian erreichen
würden, und ob uns die Flut den Weg nicht versperrte.
Die Zeit war wieder unser. Stolz auf das, was wir in
146
diesen Tagen geleistet hatten, schritten wir durch den
goldenen Morgen mit der siegesgewissen Zuversicht
von Welteroberern dahin. ;
Eine Baumgruppe in der Ferne schien uns der geeig-
nete Ort für unsern Frühstückshalt. Aber so kräftig wir
ausschritten, es wurde Mittag, und die Baumgruppe
flimmerte und schwankte noch immer in weiter Ferne;
sie schien förmlich vor uns zurückzuweichen.
Wir fanden eine Erklärung dafür, dass das Wild
hier so ausserordentlich scheu war, denn wenn wir
hinter uns blickten, schienen unsere Träger mit ihren
Lasten wie zwölf Fuss hohe Riesen und die Maultiere
wahre Ungeheuer. Als wir endlich bei der Baumgruppe
anlangten, waren wir aufs äusserste erschöpft, und
wenn auch ihr Schatten willkommen war, so fanden wir
hier kein Wasser, wie wir gehofft hatten, und konnten
von Glück sagen, dass ein Boran uns mit einem
Viertelliter Milch vor wirklichen Durstesqualen be-
wahrte.
Nach zwei weitern Marschstunden gelangten wir
wieder an den Fluss. Noch nie hatten wir dankbarer
dem Plätschern fliessenden Wassers gelauscht.
147
Am nördlic hen Lauf des Uaso-Nyiro
Mit der Umgehung des Lorian hatten wir das Sumpf-
gebiet noch nicht gänzlich hinter uns gelassen; während
der folgenden Tage mussten wir beständig weiteSumpf-
strecken umwandern. Jedesmal, wenn wir den Weg
endgültig frei glaubten, zeigten uns das saftiggrüne
Gras und das Quaken der Frösche an, dass wieder
Sumpfland vor uns lag.
Diesmal errichteten wir das Lager auf dem nackten
Schlammboden, in einiger Entfernung von Gras und
Büschen, in der Hoffnung, dadurch die Mückenplage
zu vermeiden, aber sie fanden uns bald genug und
kamen pünktlich bei Sonnenuntergang in dichten Wol-
ken angerückt. Ja, sie trieben es so toll, dass die Boys
ihnen den Tod unseres Hahns zuschrieben, der in der
Nacht einging und der bisher unser zuverlässiger
Wecker gewesen war.
B. legte einen Köder aus, der aber ausser zahlreichen
Geiern und einer Hyäne nichts anzulocken vermochte.
Die Hyäne war so ausgehungert, dass wir sie am hell-
lichten Tag beobachten konnten, wie sie versuchte,
sich dem Aas zu nähern. Wäre es die gestreifte Varietät
gewesen, von denen wir zwei noch am Lorian gesehen,
so hätte B. sie trotz dem Aberglauben unserer Leute
erlegt.
Im Grunde waren wir unserm Schicksal dankbar,
dass uns nichts mehr in dieser Gegend zurückhielt;
148
nach einem weitern Tag hatten wir das Sumpfland end-
gültig hinter uns gelassen. Über unserm nächsten
Lagerplatz wogten wieder die Häupter der Dompal-
men, der Lieblingsbäume des Elefanten. Es war eine
wirkliche Erlösung, denn man kann sich schwerlich
eine melancholischere Gegend denken als diese sump-
fige Öde, die sich monoton flach bis zum Horizont
unter den trüben Wolken dehnt, unbelebt ausser von
Reihern und den unsichtbaren, aber mit unerbittlicher
Eintönigkeit quakenden Fröschen.
Heute und am nächstfolgenden Tag wurden meine
medizinischen Kenntnisse auf die Probe gestellt. Un-
sere Leute zeigten Symptome, deren Behandlung mir
einiges Kopfzerbrechen verursachte. Fieber ist mit
einer Messerspitze Chinin schnell beseitigt, und Epsom-
salz war mein harmloses Mittel gegen alle Leiden;
doch hier versagte beides. Die Leute beklagten sich
über Magen- und Kopfschmerzen, ohne aber Dysen-
terie- oder Fiebererscheinungen zu zeigen.
Die Tiere litten bedenklich unter der Fliegenplage
— parasitische Fliegen, gelb und grün gesprenkelt, be-
deckten sie in Scharen. Besonders die Maultiere waren
so mitgenommen, dass sie sich im Lager zu Boden
warfen, bevor man sie abpacken konnte.
In der Nacht weckte uns das Geschrei der Leute.
Ein Körper streifte dicht an unserm Zelt vorbei, und
wir hörten das unverkennbare Fauchen eines Löwen.
Bokari kam mit dem Bericht, dass der Löwe eines der
Maultiere angegriffen habe. Beim Schein einer rasch
angezündeten Laterne fanden wir auch richtig den
armen Grayface, dem das Blut von Hals und Kehle
strömte.
149
Am Morgen konnten wir erkennen, wie nahe der
Löwe unser Zelt gestreift hatte: eine Zeltleine war ihm
im Weg gewesen, er hatte sie über das Zeltdach ge-
schleudert. Er war glatt über das Feuer gesetzt, doch
der Lärm im Lager hatte ihn nicht endgültig vergrämt,
denn die Spur zeigte, dass er kurz darauf versucht
hatte, in die Zariba der Esel einzudringen.
Diese kaltblütige Frechheit war doch etwas stark,
und wir beschlossen, ihn zu suchen, bis es Abend würde,
wenn es sein müsste. Wir machten uns alsbald auf den
Weg in Erwartung eines anstrengenden Tages. Doch
noch keine halbe Stunde hatten wir seine Spur aufge-
nommen, als wir ihn schon zu Gesicht bekamen,
nicht weit hinter einem Stück offenen Geländes, auf
dem unsere Esel weideten. Der erste Schuss fällte ihn;
B. gab ein zweites Mal Feuer, worauf der Löwe mit
unfasslicher Geschwindigkeit hochkam, herumschnellte
und uns annahm. Ein dritter Schuss legte ihn im letzten
Augenblick um.
Es war ein noch junges Exemplar mit prachtvollem
Gebiss, so dass wir uns seine Unfähigkeit, Grayface
zu überwältigen, zuerst nicht erklären konnten. Wir
fanden aber eine Verletzung an seinem Rückgrat, eine
alte Speerwunde, die wohl die Ursache für seinen ge-
schwächten Zustand war.
Er hatte sich nur wenige Meter von den Eseln ent-
fernt aufgehalten, keine hundert Meter vom Lager,
und wollte wohl den Augenblick abwarten, da einer
der Esel ausser Sicht kam.
Er war ein so abstossender Geselle, ohne jede Spur
von Adel, dass wir diesmal nicht das leiseste Mitleid
mit unserm Opfer verspürten. Da er ausserdem so
150
wenig Respekt vor Lagerfeuern und Menschen an
den Tag gelegt.hatte, waren wir sehr beruhigt, ihn aus
dem Weg geräumt zu wissen. Das nächste Mal hätte
seine Wahl leicht auf einen von uns fallen können.
Die grausame Wildheit seines Ausdrucks, als er
herumschnellte und uns annahm, war entsetzlich. Es
dauerte nur eine Sekunde — die Welt um mich ver-
sank —, als dieser fauchende Löwe mit geöffnetem
Rachen auf uns zustürzte, eine Kraft, für die es kein
Zurückhalten mehr gab, und ich hatte nur eben Zeit,
darüber zu staunen, dass nicht auch B. von diesem
Anblick gelähmt war, sondern kaltblütig die Büchse
hob und Feuer gab.
Der Magen des Löwen enthielt nichts als Gras, ein
überzeugender Beweis für den Mangel an Wild und
eine Erklärung für seine Furchtlosigkeit, denn er
musste buchstäblich am Verhungern gewesen sein. Be-
vor wir seine Haut abstreiften, führte ich Grayface an
ihn heran, um ihm zu zeigen, dass er gerächt war. Und
merkwürdigerweise scheute das Maultier nicht, wie die
Tiere sonst tun, wenn sie einen Löwen wittern, sondern
blickte ruhig wie in Betrachtung versunken auf ihn
hernieder, bevor er sich abkehrte.
Wenn der leere Magen des Löwen auch das Gegen-
teil zu beweisen schien, so kehrte das Wild doch all-
mählich wieder zum Fluss zurück, und B. erlegte am
nächsten Tag einen Wasserbock, eine weibliche Impala
und zuletzt noch eine kapitale Grant-Gazelle.
Unsere Abhäuter hatten wieder alle Hände voll zu tun,
und ich dachte an die schönen Tage am Maji-Chumbe.
Mac hatte ganz recht: der Eingeborene beurteilt
einen Weissen danach, wieviel Arbeit er andere für sich
151
verrichten lässt. Dennoch waren mir die Häute wich-
tiger, und man kann sich auch dadurch Achtung ver-
schaffen, dass man seine Arbeit gründlich versteht. Ge-
schick beim Abbalgen ist nur eine Frage der Übung,
und ich hatte inzwischen gelernt, das Messer mit Sicher-
heit zu handhaben. Das Gefühl für die Arbeit sass mir
nun sozusagen in den Fingerspitzen. Daneben gab es
immer Unterhaltung. Die Leute schwatzten ununter-
brochen, so dass ihr Suaheli mir im Verlauf der Zeit
verständlicher wurde. Zuerst hatte mir ihre Sprache
nur wie ein verworrenes Geschnatter geklungen, aber
allmählich konnte ich fast ihre ganze Unterhaltung ver-
stehen, besser vielleicht, als sie mir zutrauten. Ja, sie
vergassen bald ganz, dass ich mitten unter ihnen war,
und sie schnupften, räusperten sich und spuckten in
die Weite (ein besonders beliebter Sport), als ob sie
ganz unter sich wären.
Ihnen zuzuhören bei ihren Diskussionen über irgend-
einen Vorfall, über einen andern Träger oder über frü-
here Herren, ihrer primitiven unbewussten Poesie zu
lauschen, die ihre Bilder stets der greifbaren Umwelt
entnahm, ihre Geduld und ihren Fatalismus und beson-
ders ihren Sinn für Humor kennenzulernen, alles dies
trug viel dazu bei, ihr Wesen zu verstehen. Sie spreizen
sich gerne in den Kleidungsstücken des Weissen und
ahmen seine Gewohnheiten nach, so dass man leicht
in Versuchung gerät, sie vom eigenen und viel zu kom-
plizierten Standpunkt aus zu beurteilen. Dabei sind sie
aber so unkompliziert, so ganz natürlich, so unglaub-
lich einfach und ungekünstelt, dass sie niemals wirklich
altern, niemals gänzlich erwachsen sind, sondern immer
die gleichen, unverantwortlichen Kinder bleiben.
152
Wir hatten eine Anzahl Häute zu präparieren, so
dass wir heute nicht marschieren konnten, und B.
machte sich allein auf, um einen Köder zu erlegen.
Die Haut des Löwen hatte zu faulen begonnen. Es
war mir noch ein Rätsel, wie man in der Regenzeit eine
Löwenhaut konserviert. Denn diesmal hatte ich von
Anfang an Stunden darauf verwendet und, um der
Fäulnis vorzubeugen, alle Stellen im voraus bestrichen,
die zuerst angegriffen werden.
Während ich noch beim Auftragen der Paste war,
kam Grayface keuchend und schnaubend auf mich zu
und stiess seine heissen Nüstern an meinen Arm. Ich
wusch nochmals seine Wunden aus, gab im Wasser und
Salz und etwas Posho, worauf er zu grasen versuchte.
Da trat Schaum aus seinem Maul, er strauchelte und
legte sich nieder. Aber noch wollte er nicht nachgeben,
er stand noch einmal auf, doch nur, um wieder zu
stürzen, und nach wenigen Sekunden wurde er steif,
und seine Augen verglasten.
Während ich noch auf den so armselig kleinen Kör-
per zu meinen Füssen blickte, kam Brownie heran,
um nach seinem Gefährten zu schauen. Als er sah, was
geschehen, blickte er nachdenklich zu ihm hinab. Ich
sprach mit ihm, doch er schien mich weder zu sehen
noch zu hören; er senkte den Kopf, beschnupperte
den toten Kameraden, machte dann langsam und be-
dächtig kehrt und entfernte sich wieder. Nie mehr
rief er von da ab nach Grayface, wie es sonst seine
Gewohnheit gewesen.
Gegen Abend hatte B. einen Köder erlegt, und wir
wanderten miteinander zurück. Die Palmen zu unserer
Linken zeichneten sich kohlschwarz vom roten Abend-
153
himmel ab, während rechts von uns der Vollmond, noch
blassgrün wie ein Stück Eis, über der Steppe hing. Kein
Laut war hörbar, ausser dem Gurren der Tauben.
So gewiss ein bestimmter Duft oder ein Laut in uns
die Erinnerung an irgendeinen Ort mit plötzlicher
Wehmut auslöst, so gewiss würde uns von nun an das
Gurren von Tauben immer wieder an die Ufer des Uaso
versetzen. Durch das Tagesgrauen und durch das
silberblaue Morgenlicht, durch die glutheisse Stille
des Mittags bis hinein in die erlösende Kühle der
violetten Nacht ertönte ihr immerwährendes Gurren.
Manchmal schien uns ein leiser Spott darin zu klingen,
denn ihr immer und immer wiederholtes «Muguu,
Muguu guu» klingt fast genau wie «Mguu», das Sua-
heliwort für «Spur». Und was taten wir anderes, als
Spuren entziffern, Spuren folgen und gar oft wieder
verlieren ?
Beständig sahen wir neue Arten von Vögeln, deren
Namen wir leider nicht kannten, und dann und wann
lag eine hell- und dunkelblau gezeichnete Feder, schim-
mernd wie ein Edelstein, auf unserm Pfad.
Die Vogelwelt war hier so reich, dass wir uns an ihre
farbige Pracht gewöhnten. Die bunten Weber, die sich
in ihren geflochtenen Nestkolonien tummelten, die
Buschkuckucke, die bei ihren chromatischen Duetten
immer wieder aus dem Takt fielen wie zwei mutwillig
trabende Pferdchen, die Würger, die eine Note pfiffen,
dann ihre Oktav (nur um ein weniges zu hoch) und
dann die erste Note wiederholten, die Lerchen, die sich
mit schwirrendem Flügelschlag in die Höhe schwangen,
die Stare mit ihrem Metallglanz wie grüne Käfer, und
andere Vögel mit flammenden Brustfedern, die Eisvögel
154
und Schwalben. Am vertrautesten aber war uns der
Ruf des Perl- und Rebwildes in der Dämmerung.
Die acht Löwen und die vierzig Elefanten hatten an-
scheinend nicht auf uns gewartet; so gingen wir wieder
über den Fluss zurück. Wir fanden eine Furt, an der uns
das Wasser nur bis zum Gürtel reichte. Der Fluss war
in fünf Tagen um ebenso viele Fuss gefallen. Wir
marschierten eine knappe Stunde, als wir auf Elefanten
stiessen. Es befand sich keiner darunter, den zu erlegen
es sich verlohnt hätte, der Leitbulle hatte einen ab-
gebrochenen Stosszahn.
Die langersehnte Gelegenheit für meine Kamera
war da! Beim Anpürschen gelangten wir unmittelbar
hinter eine Kuh, doch im dichten Unterholz war es
unmöglich, sich ihr von der Seite zu nähern. Wir
warteten eine Weile, aber als sie sich nicht rührte,
krochen wir zurück, um ihr von einer andern Seite
beizukommen. Dies brachte uns zu einer kleinen Lich-
tung, auf der eine zweite Kuh stand. Imgleichen Augen-
blick trat ein Kalb ins Freie; es war noch so klein, dass
man es beinahe hätte auf den Arm nehmen können.
Es war überaus reizend, zuzusehen, wie es bedächtig
auf uns zukam, mit den Ohren klappte und mit dem
kleinen Rüssel sorgfältig den Boden untersuchte, mit
komisch selbständigem Gebaren, wie die Miniatur-
Ausgabe eines erwachsenen Elefanten. Einen gestürz-
ten Baumstamm, der in seinem Weg lag, betrachtete
es eine Weile, dann hob es einen nach dem andern
seiner Läufe, die voll Lehm waren, und putzte sie fein
säuberlich ab.
So sehr nahm uns der Anblick gefangen, dass es
uns gar nicht in den Sinn kam, die Kamera zu gebrau-
155
chen, bis der Kleine wieder ausser Sicht zwischen
den Bäumen verschwunden war. Aber wir kamen
nicht dazu, uns über diese Unterlassung zu grämen,
denn im gleichen Augenblick teilten sich die Büsche,
und der Bulle erschien. B. hatte die Büchse schussge-
recht und sagte mir ins Ohr: «Reiss aus, wenn ich rufe».
Der Elefant verhoffte; er witterte Gefahr, aber er schien
über die Richtung unschlüssig. Plötzlich besann er sich
und kam den Pfad entlang, geradewegs auf uns zu,
die Ohren weit ausgebreitet. Ich hatte nur noch ein
Negativ übrig, und kurz entschlossen stellte ich die
Entfernung auf zehn Meter ein und nahm mir vor,
auszuharren, bis das majestätische Tier, das wie ein
Schiff unter vollen Segeln auf uns zusteuerte, das Blick-
feld ausfüllte.
Als B. mir das verabredete Zeichen gab, machte ich
kehrt, lief so schnell ich konnte zwischen Baumstäm-
men und Büschen hindurch und schloss die Kamera
im Laufen, Brahimo folgte dicht hinter mir im gleichen
Tempo, und so sah ich keinen Grund, anzuhalten, bis
ein weiterer Zuruf B.’s mich stoppte.
Für B. hatte sich der Vorgang nicht ohne Komik
abgespielt: Als der Elefant die Stelle erreicht hatte, an
der wir vorher gestanden, bekam er plötzlich unsere
Witterung in seinen schwingenden Rüssel. Augen-
blicklich wurde er flüchtig, und während ich nach
links ausriss, schlug er sich nach rechts in die Büsche;
eine halbe Minute später suchte die ganze Herde pras-
selnd und trompetend das Weite.
In der Annahme, dass die flüchtige Herde nun alles
übrige Wild vergrämt habe, beschlossen wir, unsere
Tätigkeit wieder dem andern Flussufer zuzuwenden.
156
Als wir am Rand des Wassers standen, bemerkten wir
in einiger Entfernung ein Krokodil; wir warteten in
der Hoffnung, dass es sich auf Schussweite nähern
würde. Wohl hatten wir schon viele Krokodile gesehen,
aber bis jetzt waren sie noch immer zu schlau gewesen.
Bald erschien es wieder an der Oberfläche, und zwar
so nahe, dass seine Absicht, uns näher in Augenschein
zu nehmen, offenbar war. Einen Augenblick später
tauchte aus einem Wirbel gerade zu unsern Füssen
seine schleimig-grüne Schnauze auf. B. feuerte aus
nächster Nähe, und das Untier schnellte senkrecht in
die Luft, wie von einer Mine hochgeschleudert, fiel
aufklatschend ins Wasser zurück und sank dann wie
ein Stein. Einer seiner kurzen Läufe ragte noch über
die Oberfläche, daran banden wir einen Strick. In
diesem Augenblick kamen unsere Leute heran, und
bald hatten wir den Burschen auf dem Trockenen.
Doch obgleich die Kugel tief in seinen Schädel ein-
gedrungen war, wand es sich noch und warf sich mit
nicht zu bändigender Gewalt hin und her; ein Schlag
seines mächtigen, hornbewehrten Schweifes hätte leicht
einem Unvorsichtigen das Schienbein zu brechen ver-
mocht.
Wir wollten es so schnell wie möglich abhäuten,
um alsdann unsern Marsch fortzusetzen. Aber als es
nach Ablauf einer Stunde noch nicht möglich war,
ihm nahezukommen, warfen wir eine Schlinge über
seinen Kopf und zogen es an einem Ast in die Höhe.
Kaum hing das Untier mit seinem ganzen Gewicht in
der Luft, als der Strick riss. Dreissig Neger fielen auf
den Rücken, während am andern Ende das Krokodil
auf die Erde krachte.
157
Alle betrachteten die Sache als einen Riesenspass,
stürzten sich in corpore auf das Krokodil und hielten
es durch ihr Gewicht nieder, während B. die nötigen
Schnitte anbrachte.
Das Loslösen der Kopfhaut nahm den ganzen Tag
in Anspruch. Die Haut ist mit der Schädeldecke fest
verwachsen; es war eine wahre Steinmetzarbeit, sie
von ihr zu trennen. Um jeden einzelnen Zahn des
rechenartigen Gebisses musste ebenfalls ein Schnitt
gelegt werden.
Wir brauchten Arsenikseife in grossen Mengen,
denn es ging ein Gestank von dem zwölf Fuss langen
Kadaver aus, der alle unsere bisherigen Erfahrungen
übertraf. Für den Uaso besass das Krokodil eine ganz
respektable Grösse.
Wir bezweifelten nicht, dass das Krokodil es auf
einen von uns abgesehen hatte. Es stimmte nachdenk-
lich, sich vorzustellen, wie gering die Aussicht war,
einem so blitzschnellen und zielbewussten Angriff zu
entgehen. Ebenso klar war es, dass es nur der grim-
mige Hunger so kühn gemacht hatte, denn in seinem
Magen fanden wir keine Spur von Nahrungsresten,
dafür aber siebzehn blanke Kieselsteine. Es war eine
so unheimliche Begegnung gewesen, dass es uns beide
noch lange kalt überlief, und wir beschlossen, von einer
Überquerung des Uaso abzusehen, solange wir darin
noch solche ausgehungerte Saurier antreffen konnten,
denen die weissen Kiesel im Magen klapperten.
Als wir das Ende des nächsten Marsches erreicht
hatten, erhob sich der Grabenrand gerade wieder über
dem Horizont, und wir lagerten an diesem Abend nur
wenige Stunden von Merty entfernt.
158
Die fortgeschrittene Jahreszeit hatte inzwischen eine
fast unglaubliche Veränderung der Bodenbeschaffen-
heit mit sich gebracht, wir konnten in wenigen Stunden
eine Strecke zurücklegen, für die wir noch vor eini-
gen Wochen mehrere Tage gebraucht hatten.
Wir brannten darauf, den Grabenabsturz aus der
Nähe kennenzulernen, eine eigentümliche Felsenmauer
von ungefähr hundert Metern Höhe, mit einer Reihe
von Vorsprüngen wie Bastionen und oben flach wie
das Dach eines Forts. Er besteht aus schwarzen, glatten
Blöcken, so steil aufgetürmt, dass man aus einiger Ent-
fernung kaum begreift, dass sie nicht alle herabrollen.
Das Plateau selbst ist kahl und erstreckt sich viele
Meilen ins Innere. Man sagt, es werde gelegentlich
von Elefanten und Büffeln durchzogen. Wir bekamen
aber kein Wild zu Gesicht, denn die Sonne war schon
im Sinken; doch unser Auge schweifte von dieser
Felsbastion über einen Horizont, unendlich wie das
Meer, und durch das Land, das wie eine Landkarte
zu unsern Füssen ausgebreitet lag, schlängelte sich der
Uaso in die Ferne. Über alles senkten sich langsam
die weichen Flügel der Nacht.
159
Am Unterlauf des Tana
Der Wegnach Garba-Tula sollte eine richtige Wüsten-
route sein und die einzige Wasserstelle der dortige
Brunnen.
Wir stellten uns demgemäss eine sandige Öde unter
einem ehernen Himmel vor; statt dessen mussten wir
den grössten Teil dieser sechzig Meilen knöcheltief
durch Wasser waten, die Wüste war grün und blumen-
übersät wie ein Garten, und Garba-Tula mit seinen
Strohdächern, die sich um eine Wiese gruppierten, so
ländlich wie ein Bauernhof im Herzen Englands.
Die Wasser-Kamele nahmen sich in dieser Umgebung
höchst grotesk aus; es gibt kein Geschöpf, das durch
Regen so ganz aus der Fassung gebracht wird wie das
Kamel. Ihre kläglichen Versuche, auf dem schlüpfrigen
Boden vorwärts zu kommen, boten einen jämmerlichen
Anblick ; die langen Beine glitten hilflos nach allen Rich-
tungen, jedes für sich, wie ebensoviele schlecht be-
festigte Stelzen. Wir hatten gehofft, sie als Reittiere zu
benutzen, doch die Boran-Kamele sind nicht zugeritten
und sollen überhaupt so unzähmbar sein, dass sie jeden,
der es doch versucht, sie zu reiten, mit den Zähnen
von ihrem Höcker herunterreissen oder mit ihm auf
Nimmerwiedersehen durchbrennen. Ich hätte gerne
die Wahrheit dieser wilden Gerüchte auf die Probe
gestellt, nicht nur, weil ein Kamelritt mir schon lange
als Hauptreiz dieses Treks vorgeschwebt hatte, sondern
160
gleichen Augenblick teilten sich die Büsche,
und der Bulle erschien (S. 156)
B.v.W. mit Bongoköpfen
Te
a
ee
A:
weil jetzt auch eine Frage akut wurde, die ich schon
lange erwartet hatte: B. bestand darauf, dass ich Brow-
nie, jetzt unser einziges Reittier, benützen sollte. Glück-
licherweise konnten wir aber ein zweites Maultier auf-
treiben, gerade als wir im Begriff waren, Merty zu ver-
lassen.
Wir marschierten meist bei Nacht, so dass wir wenig
Wild zu Gesicht bekamen. Dennoch bereicherten wir
unsere Sammlung um ein wertvolles Stück. B. rettete
es gerade noch davor, in unser Feuer zu laufen und
fand bei näherem Zusehen, dass es eine der seltenen
Nacktratten war. Sie hatte ungefähr die Grösse einer
Maus, war vollständig unbehaart und besass nur rudi-
mentär entwickelte Augen und Ohren, dafür aber
vier sehr lange Zähne, die ihr das Aussehen eines klei-
nen Walrosses gaben. Ein paar Tage später fanden wir
drei weitere Nacktratten. Weil sie sich mit Posho füttern
liessen und überhaupt gut mit uns auskamen, aber auch,
weil wir nur noch eine Spiritusflasche übrig hatten,
liessen wir sie am Leben.
In Garba-Tula gab es einen indischenKramladen, zur
grossen Freude unserer Leute, die allsogleich Vorschuss
verlangten; aber auch wir stöberten eifrig darin nach
Konserven. Die Büchsen waren für uns ihr Gewicht
in Gold wert, und augenscheinlich auch für den Babu,
der sie uns verkaufte. Wir feilschten um ein Dutzend
Büchsen und etwas Mehl und Zucker wie etwa Anti-
quitätenhändler um kostbares altes Zinngeschirr. Die
Aufschriften dieser Büchsen, «Pfirsiche», «Petits
pois», «Bohnen mit Speck», Wörter, die wir fast an-
dächtig lasen, erschienen uns wie ein Märchen. Wir
bezahlten für alles nicht weniger als 200 sh. Aber dass
161
wir sie überhaupt bekamen, war schon mehr als wir ge-
hofft, und wir wussten, dass uns diese Extravaganz
auch später nicht reuen würde. Ausserdem kauften
wir noch einige Hühner und über ein Dutzend wirklich
frischer Eier.
Die teuer erworbenen Vorräte hatten uns ingehobene
Stimmung versetzt; mit neuem Mut machten wir uns
wieder auf den Weg, zwischen den seit dem Regen
blütenduftenden Dornbüschen hindurch, gefolgt von
unsern vier Kamelen, die wie vier dünkelhafte Philo-
sophen im Rhythmus ihrer hölzernen Glocken auf
weichen Sohlen hinter uns her stolzierten.
Wir hatten einen Führer gefunden, der uns zum
Kinna- (oder Mackenzie)-Fluss führen sollte. Er sah
wie ein Halbsomali und geborener Führer aus. Am
Handgelenk trug er einen kleinen geschnitzten Schemel,
und zu seiner weitern Ausrüstung gehörte eingänzlicher
Mangel an Ortssinn, wie wir alsbald entdecken sollten,
denn schon am ersten Morgen führte er uns falsch.
Den ganzen Tag wand sich der Pfad zwischen Dorn-
büschen hindurch, eine sehr ungemütliche Gegend,
um sich darin zu verirren. Bei Sonnenuntergang liessen
wir den Führer kommen und fragten ihn, wie weit
es noch bis Bisanadi am Kinna-Fluss sei. Er hob die
Schultern und nahm Allah zum Zeugen dafür, dass er
nicht wisse, ob es bis zum Kinna zwei oder fünf Tage-
reisen seien. Da niemand von uns in dieser Gegend ge-
wesen, waren wir völlig in seiner Hand und trösteten
uns damit, dass wir die Wasser-Kamele bei uns hatten
und häufig auf Regenpfützen stiessen. In der Trocken-
zeit wäre es allerdings bedenklich gewesen, hier vom
rechten Weg abzukommen. Aber schon am folgenden
162
Tag — wir waren kaum sechs Stunden unterwegs —
senkte sich der Boden, und in der Ferne zeichnete sich
ein schmaler, baumbestandener Streifen ab. Diesmal
war es keine Luftspiegelung, und bald wateten wir
durch die Wasser des Kinna. Wo Bisanadi lag, wusste
niemand, aber das bekümmerte uns nicht mehr, hatten
wir doch jetzt den Fluss als sichern Führer.
Der Kinna erschien uns reizvoller als der Uaso und
viel einsamer. Der Uaso ist das anerkannte Jagdrevier
aller Sportsleute, hier in dieser weltverlorenen Gegend
kamen wir uns wie Forschungsreisende vor. An einem
einzigen Tag bekamen wir hier mehr Wild zu Gesicht
als während einer Woche am Uaso, und B. erbeutete
einen kapitalen Oryx-Bullen, eine Trophäe, die schon
seit Maji-Chumbe das Ziel unserer Wünsche gewesen
war. Die Verfolgung des Bullen führte ihn auf einen
Hügelzug, von dem aus der Blick bis zurück nach
Maua und auf die Jombeni-Kette reichte.
Als wir in eines der vielen ausgetrockneten Fluss-
betten hinabstiegen, hielt der Führer plötzlich an und
wies auf die gegenüberliegende Böschung. Wir hatten
Mühe, gegen das schräge Sonnenlicht und durch das
Gewirr der Blätter ein Kleines Kudu zu unterscheiden,
das mit erhobenem Haupt nach uns äugte. Eine Kugel
machte den Sand unter ihm aufstieben, es schnellte
sich hoch in die Luft und setzte in das Dickicht. Sein
schöngewundenes Gehörn, das einen Augenblick lang
verführerisch in der Sonne geglänzt hatte, liess uns
seine Spur mit besonderem Eifer aufnehmen. Doch
wir erreichten es nicht mehr, dagegen bekamen wir
im Verlauf unserer Pürsche drei weitere Böcke zu
Gesicht.
163
Kurz daruaf traten wir aus einem Waldsaum und
fanden uns unvermittelt am Ufer eines breiten Flusses
— wir waren am Tana.
Wir trauten unsern Augen kaum, denn der Führer
hatte uns versichert, dass wir noch weit von Bisanadi
entfernt seien, und von dort bis an den Tana sollten
es noch immer zwei Tagereisen sein. Waren wir 5o oder
150 Meilen von Hamaye entfernt? Auch die Karte gab
keinen Aufschluss, denn wir wussten nicht genau, an
welcher Stelle wir den Kinna verlassen hatten. Erst in
Hamaye aber konnten wir unsere Vorräte an Posho
ergänzen, von dem wir gerade noch genug für drei
Tage hatten. Wir waren daher über den Anblick des
Tana höchst erfreut und schlugen hier unser Lager auf,
in der bestimmten Voraussicht, in spätestens zwei
Tagen in Hamaye zu sein.
Wir hatten gehört, es sei nicht gewiss, dass der Kinna
tatsächlich in den Tana münde, und um weitere Zweifel
zu zerstreuen, machte ich von der Mitte des Kinna aus
eine Aufnahme, die zeigt, wie er sich im rechten Winkel
in den Tana ergiesst.
Von Hamaye aus sollte die Safari über Maua und
Meru nach Nairobi zurückkehren — eine Strecke, um
die wir sie nicht beneideten —, während wir uns den
Tana hinab in Einbäumen an die Küste tragen lassen
wollten.
Der Abschied von den Leuten ging uns beiden sehr
nahe, besonders die Trennung von unserm treuen
Maithia, der in seine Heimat, Maua, dem Aufenthalts-
ort des sagenhaften Riesen-Elefanten, zurückkehrte.
Es war noch Zeit für eine Gruppen-Aufnahme, und
da sie vor allem «typisch» werden sollte, schwangen
164
die Träger ihre Messer und Pangas, Kasaya spielte auf
seiner kleinen Geige, Mvanguno wetzte sein Schab-
messer, der Koch rührte in seinem Kochtopf, Jim
bereitete einen Siphon, Kisima reichte Platten, der
Ziegenboy brachte seine Ziegen, der Syce die Maul-
tiere, und sogar die Kamele konnten nach vielem Wie-
derholen des Zauberwortes «Tuuh» dazu bewogen
werden, sich dem Gesamtbild einzufügen. Die Leute
waren trotz dem bevorstehenden Marsch in Fest-
stimmung. Als Überraschung bekamen sie noch alle
«King-Stork »-Zigaretten, dann machten sie sich unter
Singen, Lachen und Rufen an die erste Etappe ihres
langen Rückwegs, wie Kinder auf einem Schulausflug.
Nach vierundzwanzigstündigem Regenguss war der
Abend wolkenlos klar und erfüllt von den murmeln-
den Stimmen des Wassers. Die Erde schien zu jubi-
lieren über die Wasseradern und Giessbäche, die in eili-
gem Lauf dem Fluss zustrebten. Der neue Mond hing
wie ein silberner Bogen am Himmel, daneben funkelte
der Abendstern. Im bleichen Glanz schimmerte der
Fluss, der in reissendem Lauf die Zweige der Büsche
erfasste und wieder zurückschnellen liess.
Der Anblick der hoch ans Ufer gezogenen Barken
erinnerte uns plötzlich wieder daran, dass wir uns im
Morgengrauen des folgenden Tages dieser wirbelnden,
tanzenden Flut anvertrauen würden.
Als wir am nächsten Tag die Boote genau besahen,
kamen uns leise Bedenken, wie es wohl um ihre See-
tüchtigkeit stehe. Die Wellen warfen sie rauh gegen-
einander und zerrten an den Bootsleinen, und der Berg
an Ladung, der neben ihnen aufgetürmt lag, schien
nimmer darin Platz zu finden.
165
Es waren im ganzen sechs Einbäume, je zwei mit
Stricken vereinigt, die uns, unsere Lasten, das Zelt,
sieben Träger, vier Ziegen, den Hund und zwölf Rude-
rer aufnehmen sollten. Die Lasten konnten wir unmög-
lich noch weiter einschränken, und noch weniger konn-
ten wir einen der sieben Leute missen. Es waren nur
noch die Gewehrträger, die persönlichen Boys, Mvan-
guno, Bokari und der Koch übrig. Allein um das Zelt
aufzuschlagen, konnten wir keinen von ihnen entbeh-
ren. Endlich war alles verstaut, bis auf ein aufgeregtes
Huhn, für das kein Plätzchen mehr übrig schien. Der
Koch war sogleich Herr der Situation: ohne ein Wort
zu verlieren, ergriff er es, verschwand mit ihm hinter
einem Busch und schnitt ihm dort seelenruhig die
Kehle durch. Wenn wir diese Tat auch als gefühlsroh
empfanden, mussten wir doch abends zugeben, dass uns
der Braten ausgezeichnet schmeckte. Endlich waren wir
eingeschifft und stiessen vom Ufer ab. Die Strömung
erfasste uns, drehte uns bei und trug uns flussabwärts;
die Ufer glitten vorüber, der sonnenbeschienene Lan-
dungsplatz verschwand hinter einer Biegung.
Die Boote bestanden ganz einfach aus ausgehöhlten
Baumstämmen, aber sie waren weit genug, um unsere
Matratzen aufzunehmen. Über das Gitterwerk, das sich
über unsere beiden Einbäume wölbte, breiteten wir rote
Wolldecken und eine Zeltbahn und hatten auf diese
Weise ein schönes Sonnendach. Aber es war zu niedrig,
um aufrecht sitzen zu können, so blieb uns nichts
übrig, als lang ausgestreckt, den Oberkörper durch
Kissen gestützt, dazuliegen.
Das waren paradiesische Tage! Träumend zurück-
gelehnt, schauten wir durch halbgeschlossene Augen
166
den Ruderern zu, deren in rhythmischem Schwung
bewegte Schultern sich bronzefarbenvondem wechseln-
den Hintergrund, Himmel, Grün und Wasser, abhoben.
Es war köstlich, im Halbschlummer dem Plätschern
des Wassers zu lauschen, das an der Bordwand dahin-
gurgelte, während der Fluss uns mit einer Geschwin-
digkeit unserem Ziel entgegentrug, die unsere ge-
wöhnlichen Marschzeiten um das Doppelte und Drei-
fache übertraf. Nach den Anstrengungen all dieser end-
losen Märsche nun wirklich auszuruhen und zu genies-
sen, erfüllte uns mit tiefster Genugtuung.
Die Ufer waren mit der üppigsten tropischen Vege-
tation überwuchert; die Urwaldriesen griffen oft weit
über die Wasserfläche hinaus, so dass die Boote manch-
mal unter belaubten Bogengängen dahinfuhren. Dann
und wann strichen Blätter mit leisem Zischen über das
Dach, oder ein Ast streifte kratzend die Bordwand.
Nach zwei Tagen gleichmässiger Fahrt erreichten
wir die Stromschnellen. Wir schickten die Leute ans
Land, während wir selbst uns diese Sensation nicht
entgehen lassen mochten. Nachher mussten: wir uns
allerdings eingestehen, dass wir recht unvorsichtig ge-
wesen, denn unter unserm Sonnendach wären wir wie
die Mäuse in der Falle ertränkt worden, wenn das
Kanoe gekentert wäre. Zwei alte Schiffer von einem
benachbarten Kraal dienten als Piloten, sie dirigierten
unsere schwerfälligen Fahrzeuge mit bewundernswerter
Geschicklichkeit durch die Schnellen, von denen sie
jeden Zollbreit zu kennen schienen.
Wir schossen aus der bernsteinfarben schimmernden
Wasserfläche unmittelbar in den kochenden Strudel
hinein; es donnerte in unsern Ohren, Schaum spritzte
167
hoch über uns, die Ufer sanken zurück, und es sah aus,
als wäre Rettung aus diesem Hexenkessel unmöglich.
Es waren aufregende Augenblicke, und doch, als wir
uns wieder im flachen Wasser befanden, Atem holten
und wieder Herr über unsere Boote geworden, bedauer-
ten wir nur, dass es nicht länger gedauert hatte. Im
eigenen Kanoe, ohne Büchse, die nicht nass werden
durfte, und vor allem ohne Sonnendach, müsste diese
Stromschnellenfahrt ein aufregender Sport sein. Doch
das konnten wir uns nicht leisten, wir mussten unsere
Fahrt stromab ohne weitern Zeitverlust fortsetzen.
Um zu warten, bis die an Land geschickten Leute
uns einholten, landeten wir beim Kraal. Die beiden
Piloten, die ein kleines Bakschisch ganz überglücklich
gemacht hatte, brachten uns einen jungen Schafbock
als Gegengeschenk. Dann breiteten sie feingeflochtene
Matten aus, und die ganze Bevölkerung kam herbei,
um uns in Augenschein zu nehmen. Da sie kein Suaheli
verstanden, kam keine Unterhaltung zustande; doch
waren sie sehr freundlich und gutgeartet. Sie gehören
zu den primitivsten der überlebenden Stämme, und
doch benahmen sie sich mit solch gelassener Würde,
dass für sie der Ausdruck «Wilde » kaum angebracht war.
Hier, an den weltvergessenen Ufern des Tana, war
der Begriff der «kostbaren» Zeit noch unbekannt. Kei-
nen Augenblick kam in uns das Gefühl auf, dass wir
hier Zeit verloren, die wir vielleicht anderswo besser
ausnützen konnten. Wir waren in lebendiger Berüh-
rung mit der Poesie, die sich noch in alten Reisebe-
schreibungen verbirgt und die wir heute auf unserm
Erdteil vergeblich suchen; denn so selten haben wir
Zeit, stillzustehen und den Augenblick zu erleben.
168
Leider konnten wir nicht länger verweilen, und wir
bedauerten sehr, von diesem unberührten Land nicht
mehr zu schen als nur zwei undurchdringliche Wälle
von Urwald zu beiden Seiten unserer Wasserstrasse.
Jeden Morgen aber benützten wir die Zeit, wenn das
Lager abgebrochen wurde, um kleine Streifzüge land-
einwärts zu unternehmen. Eines Tages hatte B. einen
ausgedehnteren Pürschgang beabsichtigt. Wir ver-
abredeten, dass ich eine halbe Stunde unterhalb des
Lagerplatzes wieder landen und einen Signalschuss ab-
geben solle. Im Augenblick aber, als ich vom Ufer
abstossen wollte, hörte ich in einiger Entfernung
stromaufwärts einen Pfiff, zum grossen Glück für B.,
der in dem fast unentwirrbaren Ufer-Dschungel so
gründlich die Richtung verloren hatte, dass er sich
einige Meilen stromabwärts glaubte, während er tat-
sächlich stromaufwärts gegangen war — bei den viel-
fachen komplizierten Windungen des Flusslaufs kein
Wunder.
Als wir wieder in offeneres Gelände kamen, führte
uns die Jagd nach dem Kleinen Kudu oft weit landein-
wärts, und wir kehrten erst gegen Mittag zu den Booten
zurück. ‘
Sankuri, eine Regierungsstation am Ufer des Flusses,
lag hinter uns. Wir hatten dort unsere Reise für zwei
Tage unterbrochen. Den einen benützten wir zur
Löwenjagd, den andern verbrachten wir auf der kühlen
Veranda des Regierungsgebäudes. Man trifft so selten
Weisse, und es gab deshalb so viel zu erzählen und zu-
zuhören, dass die Stunden unmerklich verstrichen und
wir unsere ungeduldig an den Stricken zerrenden Boote
ganz vergassen.
169
Einen Löwen hatten wir zwar nicht bekommen,
aber B. brachte einen Leoparden zur Strecke, und da
in den andern Booten kein Schatten zum Aufspannen
seiner Haut war, hing sie nun unter unserm eigenen
Sonnendach und machte im Verein mit dem Hund,
den Nacktratten, einem Chamäleon, einem Ichneumon
und noch viel anderem den Aufenthalt darunter fast
unerträglich. Dazu wurde es täglich heisser, denn mit
jedem Tag gelangten wir in um einige Fuss tiefer ge-
legene Zonen.
Während der Mittagsrasten am Ufer hatten wir
wenigstens zeitweise Ruhe vor unsern Mitpassagieren.
Eines Tages, als wir ganz zufällig irgendwo am Ufer
anlegten, öffnete sich vor uns ein Zauberwald, den
sicherlich noch nie der Fuss eines Weissen betreten.
Ein jeder Wald hat seine eigene Seele, dieser hier aber,
mit seinen dämmerigen hohen Stämmen, zwischen
denen die Sonnenflecken wie verstreute Goldstücke
am Boden lagen, liess uns den Atem anhalten. Gegen
Abend kletterten wir gewöhnlich aus unserer Mause-
falle hervor und setzten uns vorn auf die Spitze des
Bootes. Lautlos wie Vögel im Flug glitten wir dann
über die@Wasserfläche dahin, so dass wir oft Trupps
von Affen überraschten, die dann unter Kreischen und
Schütteln von Ästen das Weite suchten.
Nach neun Tagen Ruderfahrt vertauten wir unsere
Boote am Landungssteg von Masa-Bubu.
170
Am Unterlauf des Tana, Lamu
Von Masa-Bubu aus unternahmen wir eine kleine
Expedition landeinwärts zur Erbeutung von Hunter’s
Hartebeest (Damaliscus Hunteri‘).
Diese Art, die hier Hirola genannt wird, war für
unsere Sammlung von grossem Wert, da sie eine Zwi-
schenform von Hartebeest und Impala sein soll. Ihr
Vorkommen ist sehr beschränkt; ausser im Jubaland
ist sie nur in dem kleinen Gebiet nördlich des Tana
anzutreffen, das wir nun aufsuchten. Der ganzen Tana-
fahrt hatte die Absicht zugrunde gelegen, eben diese
seltene Antilope zu erbeuten.
Da das Gebiet der Hirola erst 40 Meilen landeinwärts
beginnt, nahmen wir Wasser-Kamele mit. Zuden Kame-
len erhielten wir eine Eskorte von sechs Askaris als
Schutz gegen umherziehende Somali-Räuber.
Alles schien sich im Anfang dem Aufbruch entgegen-
zusetzen: eines der Kamele verendete, ein zweites war
ebenfalls nicht weit davon, ein Askari bekam Fieber,
und wir konnten zuerst keine Träger bekommen. Als
diese Schwierigkeiten glücklich beseitigt waren, wur-
den die Askaris widerspenstig und brachten allerlei
Gründe vor, warum wir nicht aufbrechen könnten:
das Gras sei schon zu hoch, die Wasserstellen ausge-
trocknet und so fort, und wenn wir nicht sehr ener-
gisch aufgetreten wären, hätten wir an Ort und Stelle
unser Lager aufschlagen können. Wir erreichten es
aber, die noch viel widerspenstigeren, brüllenden
171
Kamele zu beladen und einen langen Nachtmarsch
hinter uns zu bringen.
Wir waren übereingekommen, bis zu einer ungefähr
20 Meilen entfernten Wasserstelle zu marschieren. Als
nach Ablauf einer Stunde der Führer der Askaris
feierlich erklärte: «Hier ist das Lager», nahm ihn B.
sich einmal ganz gehörig vor. Das war das einzig wirk-
same Mittel, sich Geltung zu verschaffen, und von
nun an ging alles nach Wunsch.
Die nächtliche Wanderung im bleichen Vollmond-
schein neben der Kette geräuschlos einherschwanken-
der Kamele, die schweigende Steppe: nie hatten wir die
Poesie der afrikanischen Landschaft packender emp-
funden. Wir befanden uns auf der Strasse nach Lamu,
und die verschiedensten Fährten waren so deutlich er-
kennbar wie im Tageslicht. Plötzlich erschien zwischen
Giraffe, Oryx und Kudu eine neue Spur, scharfumrissen
wie ein Pique-Ass — die Spur des Hirola.
Bis das Lager fertig aufgeschlagen war, wurde es
beinahe Morgen, und B. machte sich sogleich auf zu
einer kurzen Orientierung, wie er meinte. Es wurde
indessen beinahe Sonnenuntergang, bis er endlich zu-
rückkam, und selbst das hatte er nur einer gütigen Vor-
sehung zu verdanken.
In diesem Flachland — Sand- und Dornbusch, so-
weit das Auge reicht — war die Strasse das einzige
Hilfsmittel, wonach man sich orientieren konnte. B. war
südlich der Strasse in den Busch abgewichen und hatte
dort eine Giraffengazelle mit einzigartig schönem Ge-
hörn angeschossen. Er nahm sogleich die Nachsuche
auf, und das waidwunde Tier hatte ihn kreuz und quer
durch das Gestrüpp geführt, bis endlich die Schweiss-
172
spur aufhörte. B. wartete dann auf den Koch und die
Träger, in der Absicht, mit ihnen zur Strasse und darauf
zum Lager zurückzugelangen ehe die schlimmste Tages-
hitze begann.
Aber nun wusste niemand mehr, wo die Strasse lag.
Ali, der Koch, deutete nach Norden; keiner der andern
wollte eine eigene Meinung haben.
Ali hatte uns zwar schon früher wiederholt irre-
geführt, aber seine Abstammung als halber Somali ver-
leitete uns immer wieder dazu, uns seinem Ortssinn an-
zuvertrauen. Nachdem B. den Kompass konsultiert,
schlug er darum eine nördliche Richtung ein.
Die Sonne stieg höher und höher, und noch immer
marschierten sie nordwärts.
Allmählich war es allen klar geworden, dass sie sich
verirrt und in der Aufregung der Jagd irgendwo die
Strasse überschritten haben mussten, ohne darauf acht-
zugeben. |
Man muss es selbst erlebt haben, um sich den Schrek-
ken zu vergegenwärtigen, den die Gewissheit, sich ver-
irrt zu haben, auslöst:
Du bist in einer bestimmten Richtung geradeaus ge-
gangen in der festen Überzeugung, du brauchst sie
nur lange genug einzuhalten, um nach Hause zu ge-
langen; aber Stunden vergehen, und das silbergraue
Gezweig bildet ein flimmerndes Gewirr vor deinen
schmerzenden Augen. Verdacht steigt plötzlich in dir
auf, und kurz entschlossen machst du kehrt, um jetzt
mit gleicher Überzeugung die entgegengesetzte Rich-
tung einzuschlagen.
Du tröstest dich, wenn du nur den Kopf nicht ver-
lierest, werde es schon gut herauskommen, aber mehr
173
und mehr erfüllt dich das ganze Entsetzen des Verirrt-
seins, und ein quälendes Verlangen nach Wasser
— Schlamm, wenn es sein muss, nur irgend etwas
Flüssiges — lähmt alle Entschlussfähigkeit.
Sinnlose Angst, Panik erfasst dich..., du beginnst
zu rennen, hierhin, dahin, planlos, kopflos, bis du eine
Stunde später plötzlich die erschreckendste aller Ent-
deckungen machst: du stehst wieder vor deinen eigenen
Fußspuren.
B. hatte auf seiner Irrfahrt kein Hirola zu Gesicht
bekommen, aber der Führer der Askaris machte sein
unbotmässiges Betragen vom vorigen Tage wieder gut
durch eine lange Suche und kam mit dem Bericht zu-
rück, er habe ein Hirola-Rudel festgestellt und ausser-
dem — in einer Entfernung von zwölf Meilen — eine
Wasserstelle.
Es erübrigt sich, auf eine nähere Beschreibung der
fünf Jagdtage einzugehen, in deren Verlauf B. eine
schöne Gruppe für das Museum erbeutete. So auf-
regend, spannend und immer wechselnd das Erlebnis
der Jagd ist, so eintönig wirkt die wiederholte Beschrei-
bung.
Im offenen Dornbusch war es nicht schwer, einen
guten Bock auszumachen; das gab uns den Ehrgeiz,
einen Rekordbock zu erbeuten, was uns während dieser
fünf Tage manche vergebliche Anstrengung kostete.
Wie oft sprang der Wind um und machte den Erfolg
unserer Pürsche zunichte: die Hirolas verhofften, schüt-
telten ihr Gehörn, und im Handumdrehen sahen wir
ihre weissen Spiegel in der Ferne verschwinden.
Die Jagd im Dornbusch besass einen ganz besondern
Reiz, der teilweise darin lag, dass er den Jäger so voll-
174
ständig in der Gewalt hatte. Verlor man sich einmal
darin, so konnte man sich nur durch ein Wunder wieder
zurechtfinden. Die Strasse war wie ein treuer Freund,
nur durfte man nicht vergessen, auf welcher Seite man
sie gelassen. Dass man dies vergessen konnte, klingt
zwar unwahrscheinlich, aber die «Strasse » war ja nichts
weiter als eine sandige und zum Teil wieder über-
wucherte Spur, die man nur gar zu leicht übersah. Ich
erfuhr dies einmal an mir selbst, als B. mich auf einer
Pürsche im Scherz fragte, wo die Strasse wohl liege.
Ich deutete nach vorn, und doch hatten wir sie ganz
kurz vorher gekreuzt, ohne dass ich es bemerkt.
Ohne die Strasse hätte selbst eine vieljährige Steppen-
erfahrung nicht geholfen, denn die Eingeborenen ver-
loren die Orientierung ebenso leicht wie wir. Hielt
man von einem Termitenhügel Ausschau, so traf das
Auge nach allen Richtungen nichts als Busch in un-
unterbrochener Fläche bis zum Horizont. Anfangs ver-
fehlten wir auf dem Rückweg regelmässig das Lager,
bis wir endlich einen Mast errichteten, an dessen Spitze
ein weithin sichtbares Badetuch flatterte. Dieses Signal
ersparte uns viel zielloses Umherwandern.
Die Wüstenhitze war für uns ein neues Erlebnis.
Sie erschien uns nicht nur als eine blosse negative Un-
bequemlichkeit, die man ertragen musste — nein, sie
war eine lebendige Kraft, überwältigend wie ein Orkan
und doch schweigend und erbarmungslos. Der Boden
war wie heisses Eisen und machte jeden Schritt zur
Qual; die Schultern schmerzten, die zu dünnen Augen-
lider vermochten nicht, den glühenden Sand und den
Metallglanz der Dornbüsche, die in dem blendenden
Sonnenglast wogten und schimmerten, abzuhalten.
175
Wie angenehm entspannend war es dann, nach diesen
sonnendurchglühten Jagdtagen im kühlen Mondlicht
zum Fluss zurück zu marschieren und wie unsagbar
schön, nach dem nackten Glast der Wüste wieder das
Grün der Bäume zu erblicken.
Masa-Bubu war überaus lieblich. Das Zelt lag halb
verborgen unter schattigen Bäumen, der Fluss, der in
kühnem Bogen vorüberzog, war in dem friedlichen
Landschaftsbild das einzige bewegte Element. Bäume
und Sträucher standen reglos in der Mittagshitze, die
Eingeborenen ruhten in ihrem Schatten, aber der Tana
eilte unentwegt dem Meere zu, zurück zur Aussenwelt,
und bald trug er auch unsere Boote hinweg aus diesem
Paradies des Friedens, das wohl ewig unverändert und
ungestört hier weiterträumen würde.
Einmal hatte es allerdings den Anschein, als ob wir
nicht fortkommen sollten, da unsere Bootsleute er-
klärten, sie seien des Ruderns müde, und alle unsere
Bemühungen, sie umzustimmen, versagten. Dabei wa-
ren wir noch über 200 Meilen von der Küste entfernt.
Es war ein Glück, dass die Boote dem «Sultani» ge-
hörten, der versprach, uns sogleich eine andere Be-
mannung zu senden. Von da ab wechselten die Ruderer
bei jedem Kraal; bei unserer Ankunft stand immer
eine neue Rudermannschaft bereit, und die Ablösung
vollzog sich ohne Zeitverlust, meist wateten die Leute
den Booten in den Fluss hinaus entgegen. Sie sangen
beständig, um ihrer Arbeit Rhythmus zu geben, und
unsere Hoffnung, dass sie des Singens müde würden,
gaben wir bald auf, denn die Ablösungen erfolgten un-
gefähr alle zwanzig Minuten. So melodisch ihre Lieder
waren, so wirkten sie doch am Ende eines Tages, nach
176
neun bis zehn Stunden, ermüdend; dennoch konnte
man sich vorstellen; mit welcher Wehmut man sich
dieser Melodien später wieder erinnern würde. Meist
war es nur ein einzelner Satz, vorgesungen vom ersten
Boot und dann wiederholt von den andern, zuweilen
nur ein Fragment, das im Gedächtnis haften blieb;
und immer war es in Moll. Nichts wäre so wie diese
einfachen Lieder und wie der Gesang der Vögel ge-
eignet, das Bild Afrikas hervorzuzaubern, wenn wir sie
nur alle festhalten könnten. Doch hier ist eine Wieder-
gabe zweier dieser Strophen:
Vögel sahen wir in Mengen am folgenden Tag, als
wir die Waldzone verliessen und wieder durch Sumpf-
gebiet fuhren.,Der Sumpf machte einen öden Eindruck.
Gleich dem Lorian prangte er in fast unnatürlichem
Grün und tönte ringsum wider vom Quaken unzäh-
liger Frösche, dass es klang wie dasKochen und Zischen
von tausend Wasserkesseln. Und dieser Sumpf war
nicht leblos. Störche stelzten gleich Schildwachen längs
seiner Ufer, Flamingos in zartrosa Farben wie Abend-
wölkchen standen im Wasser, während die schlammige
Uferlinie von Ibissen mit ihren weissen, schwarzgerän-
derten Schwingen — Ägyptens geheiligte Vögel —
177
bevölkert war. Pelikane schwammen eine halbe Meile
weit vor uns her, bevor sie sich mit schwerem Flügel-
schlag erhoben und über unsere Köpfe hinweg zurück-
flogen. Selbst die Eisvögel (es waren wohl ein Dutzend
Arten, einer davon nicht grösser als ein Schmetterling,
mit purpurschimmerndem Gefieder), die Fischadler und
anderes Federwild, das man überall am Lauf des Tana
trifft, traten hier zahlreicher auf als anderswo.
Trotz diesem Vogelreichtum bedauerten wir nicht,
das Sumpfland in Booten zu passieren, und wir atme-
ten auf, als es endlich hinter uns lag. Wiederum kamen
wir durch Waldgegenden, und in Kosi, wo wir anleg-
ten, fanden wir Mango- und Bananenhaine und sahen
die ersten Kokospalmen. Im Schatten der Mangobäume
zu liegen, ihre herrlichen Früchte zu essen und den
immerwährenden Durst mit frischer Kokosmilch zu
löschen, schien mir ein würdiger Abschluss dieser
Schlaraffentage. B. aber hatte nie viel für die geruh-
samen Reize eines Südseedaseins übrig gehabt, und sein
Interesse erwachte erst wieder, als wir Mwina erreich-
ten und er im Schilf eine Bewegung wahrnahm. Es war
schon fast dunkel, so dass wir nicht mehr zu erkennen
vermochten, was sie verursacht hatte. Aber als wir
am nächsten Morgen zum Aufbruch bereit waren und
unser Hund nirgends zu finden war, wussten wir,
was die Glocke geschlagen. Es war geschehen, was wir
schon lange befürchtet und was unabwendbar einmal
kommen musste: ein Leopard hatte ihn geraubt.
B. war entschlossen, einen Tag zu opfern, um dem
Räuber aufzulauern. Eine Ziege wurde bei einer Dek-
kung angebunden, und es vergingen keine zehn Minu-
ten, als sie schon von einem Leoparden gerissen wurde,
178
der nun knurrend über ihr stand. Mit einer Kugel in
der Kehle konnte er trotzdem noch in den Schilf-
bestand hinein flüchtig werden. B. folgte und sah bald
sein schwarzgoldgeflecktes Fell zwischen den Halmen
hindurchschimmern.
Die Eingeborenen berichteten, dass der gleiche Leo-
pard erst am Vortage vier Ziegen nacheinander ge-
würgt habe, um sich an ihrem Blut zu sättigen; dies
war die fünfte gewesen, und in seinem Magen fanden
wir die Überreste eines Huhns, einige Rippen und
Klumpen gelblichen Haarpelzes, die unzweifelhaft von
einem Airdale-Terrier stammten.
Einen Leoparden bei hellichtem Tage am Köder zu
erlegen, war etwas ganz Ungewöhnliches. Wir hatten
es bei jeder Lagerstelle versucht, mit Ziegen oder
Affen als Köder, doch stets vergeblich. Allnächtlich
hörten wir das Knurren von Leoparden, die hier über-
all häufig vorkommen, aber sie liessen sich nie zu der
Unvorsichtigkeit verleiten, den Köder anzunehmen.
Später hörten wir von einer List, die einer der ge-
übtesten Jäger des Tanalandes mit Erfolg angewendet
hatte: eine Ziegenherde wird des Wegs getrieben, ge-
folgt von zwei Männern, die eine weisse Ziege führen,
an deren einem Hinterbein ein Stein mit einem Strick
befestigt ist. Ist die vorher vereinbarte Stelle erreicht,
dann gräbt der eine schnell ein Loch, der andere senkt
den Stein hinein und scharrt das Loch zu. Dann gehen
beide weiter ihres Weges, die Ziege bleibt wie zufällig
zurück und meckert trübselig, nur wenige Schritt vom
Ansitz des Jägers entfernt.
Während B. dem Leoparden nachstellte, beschäftigte
ichmich damit, den Inhalt der Arzneikiste zu trocknen,
179
die über Bord gefallen war. Der Träger, dem sie ins
Wasser fiel, hatte nicht die Geistesgegenwart, sie sofort
herauszufischen, sondern schaute ihr erst mit offenem
Mund zu, wie sie davontrieb, und nun war ihr ganzer
Inhalt mit einer von Permanganat gefärbten Brühe
durchtränkt. Sogar einige meiner Filme hatten gelitten,
glücklicherweise aber nicht die Elefantenaufnahmen.
Am Abend, als wir in Kulesa anlegten, stand die
Arzneikiste hoch im Kurs: wir hatten einige Frauen
photographiert, die Korn stampften; sie benutzten dazu
enge, drei Fuss hohe Mörser und über fünf Fuss lange
Stössel, die sie mit beiden Händen schwangen und mit
grosser Wucht herabstiessen. Dies bahnte freund-
schaftliche Beziehungen an, die darin endeten, dass wir
bald von ihren Kranken und Siechen belagert wurden.
B. drückte sich und ging Enten schiessen. Der schlimm-
ste Fall, den man mir zur Behandlung brachte, war ein
winziges Bürschchen mit einer Bronchitis. Seine EI-
tern, die Grossmutter und eine Tante, die ihn gebracht,
schauten mit grossem Ernst zu, wie ich ihm eine un-
schädliche Dosis Chlorodyne verabreichte und seinen
Brustkorb in Watte packte, alles mit einer Selbstver-
ständlichkeit, als hätte ich jahrelange Erfahrung.
B. war entsetzt, als ich ihm von der Dosis Chloro-
dyne erzählte, und behauptete, wir müssten von Glück
reden, wenn es gelänge, von hier fortzukommen, ohne
den ganzen Stamm auf dem Hals zu haben. Aber er
hatte Unrecht; die Eltern waren entzückt über die
Wirkung, und wir kamen am folgenden Tag ohne
Zwischenfall bis Garsen.
Garsen war uns überall am Fluss als ein Wildparadies
beschrieben worden. Riesige Herden von Topis sollten
180
regelmässig an die Ufer zur Tränke kommen, ebenso
Oribis und Wasserböcke in ganzen Scharen.
Der Sultani in Garsen machte unsere Hoffnungen
unzweideutig zunichte. Er behielt recht; die beiden
Topis, die B. erbeutete kosteten ihn manche Anstren-
gung, und ihre Häute mussten wir inmitten eines dich-
ten Qualms zurichten, um uns die Moskitos vom Leib
zu halten.
Hier und in Golbante hofften wir auf eine letzte
Gelegenheit für einen guten Wasserbock, doch Gol-
bante erwies sich noch ärmer an Wild, da sich gerade
die Gallas mit ihren Viehherden dort aufhielten. Die
Gegend galt für besonders schlangenverseucht, und
auf unsern Pürschgängen stiessen wir auf mehrere
giftige grüne Mambas. Als B. auf der Jagd nach Perl-
hühnern eine Lichtung überschritt, hörte er ein Zischen,
und als er aufblickte, sah er sich einer schwarzen
Mamba gegenüber, deren Haupt ihm drei Fuss hoch
über dem Erdboden entgegendrohte. Ein Schrotschuss
tötete sie augenblicklich; es war ein grosses, acht Fuss
langes Stück.
Im Lager legten wir den Körper der Schlange in
Ringen zusammen, so, als ob sie noch lebte, und brach-
ten den Ichneumon in seine Nähe. Das Tierchen näherte
sich in weitem Bogen, neugierig, aber mit gesträubtem
Nacken. Wir hatten ihn als ganz junges Tier eingefan-
gen, und dies war jedenfalls seine erste Begegnung
mit einer Schlange.
Als wir ihm zum erstenmal ein Hühnerei angeboten,
hatte er sein Interesse auf ganz ähnliche Art bekundet,
und es war unterhaltend, zu beobachten, wie sein
Instinkt langsam erwachte. Als er eingesehen, dass er
181
die Schale nicht zerbrechen konnte, trabte er zum
nächsten Baumstamm, betrachtete ihn kritisch, rollte
dann das Ei zu ihm hin und stellte sich mit dem Rücken
gegen den Stamm auf. Dann schleuderte er das Ei
kunstgerecht zwischen den Hinterläufen hindurch ge-
gen den Stamm und zerbrach es auf diese Weise.
Ehe wir nach Golbante kamen, hatten wir eine Nacht
in Ngao zugebracht, wo Mr. R., ein Pionier des Tana,
uns einen herzlichen Empfang bereitete. Die aus weissem
Korallenkalk erbaute Missionsstation besass einen mau-
risch anmutenden, palmenbeschatteten Hof und war
auf einem freistehenden Hügel gelegen. Als das
Schönste aber erschien uns nach unserer langen, zwi-
schen zwei monotonen Uferlinien verbrachten Strom-
fahrt der unbegrenzte Ausblick von ihrer höchsten
Zinne. Nach allen Seiten, scheinbar bis zum Ende
der Welt, tauchte der Blick in einen Farbenschmelz
aller Schattierungen von Grün und Blau.
Man hatte uns gesagt, dass Kone-Dirtu jagdlich sehr
interessant sei, doch der Häuptling dieses Ortes, ein
alter Araber mit edlen Zügen unter einem weissen
Turban und mit der Würde eines Königs, den wir in
Anasa trafen, erklärte uns, das Gras stehe in dieser
Jahreszeit schon über mannshoch, und die Elefanten
hätten die Gegend verlassen.
Wir fuhren daher weiter stromab bis Kao. Von hier
an ist der Fluss den Gezeiten unterworfen, und zu
unserm Leidwesen mussten wir von ihm Abschied
nehmen; fürs erste war der Landweg kürzer und schnel-
ler, und zum andern führte er uns durch die Heimat
von Haggard’s Oribi, einer lokalen Abart, die wir noch
unserer Sammlung einzuverleiben gedachten.
182
Unterwegs sichteten wir einen anscheinend kapitalen
Straussenhahn, der uns gleichfalls für die Sammlung
willkommen war. Der scheue Vogel wurde flüchtig,
bevor wir noch auf 200 Meter herangekommen waren.
Eine Kugel, die seine Achillessehne streifte, behinderte
ihn aber in seiner Flucht, so dass wir ihn ohne Schwie-
rigkeit einholten. Erst dann sahen wir, dass wir ihn
im schlimmsten Stadium der Mauser erwischt hatten —
er war stellenweise geradezu schamlos nackt. Der
Jagdpass erlaubte nur den Abschuss eines einzigen
Stücks — zu fünf Pfund Sterling. Für uns war er
vollkommen wertlos, und das Präparieren seiner Haut
nahm einen ganzen Tag aufreibender Arbeit in An-
spruch. Die noch haftenden Federn staken nur lose
in der Fettschicht unter der Oberhaut; wir durften
diese daher nicht entfernen, und so kostete er uns noch
den Rest unseres wertvollen Konservierungsmittels.
Das Gras stand auch hier schon hoch, und die Oribis
benahmen sich nicht weniger scheu als ihre Artgenos-
sen vom obern Tana. Nach zwei oder drei fruchtlosen
Jagdtagen in der Gegend von Witu marschierten wir
nach Mkonumbe, am obern Ende eines Creeks (schmale
Meeresbucht). Als wir den freundlichen Regierungs-
posten von Witu spät am Nachmittag verliessen und
durch die umliegenden Kokosplantagen wanderten,
liessen wir uns nicht träumen, dass wir eine Etappe
von 25 langen Meilen vor uns hatten. Die Schuld daran
trug ein eingeborener Polizist, der ebenfalls nach
Mkonumbe wollte und sich uns angeschlossen hatte.
Da er es eilig hatte, verriet er uns die Stelle, wo das
Rasthaus der ersten Etappe war, erst lange nachdem
wir es passiert hatten. Doch es schadete nichts, es war
183
ohnehin sehr heiss für Tagesmärsche, und wir waren
froh, die Strecke bei Nacht zurückgelegt zu haben.
Wir verkürzten uns den Weg mit Reminiszenzen an
vergangene Abenteuer. Der Mond ging unter, das
südliche Kreuz und der grosse Bär tauchten über dem
schwarzen Rand der Erde auf; endlich hatten wir die
baumbestandene Steppe hinter uns. Der Pfad führte
über eine sanft abfallende Heide, und in der einsetzen-
den Morgenbrise lag schon der Geruch des Meeres.
Nach ein paar Stunden Rast ging B. Oribi jagen,
während ich den kleinen Mungo zum Fischen mit-
nahm. Der Strand war übersät mit den Löchern der
kleinen, mit einer einzigen weissen oder lachsfarbenen
Schere bewaffneten Krabben, und sowie ich mich
näherte, flitzte jede Krabbe in ihr Loch zurück, wo nur
ihre Schere noch einen Augenblick sichtbar blieb, ehe
sie gänzlich verschwand. Es war sehr unterhaltend, dem
Mungo bei seinen Versuchen, sie zu fangen, zuzusehen,
denn es waren viele Tausende, so dass der Strand wie
ein Feld von Schneeglöckchen aussah, die zurück-
wichen, wenn man sich ihnen näherte und plötzlich
wieder erschienen, sobald man ihnen den Rücken zu-
kehrte.
Die wenigen Oribis, die B. zu Gesicht bekam, ver-
hielten sich so scheu, dass er nie auf Schussweite heran-
kam. Diese kleinen Antilopen leisten Unglaubliches im
Springen. B. mass einige Sprünge von über neun
Metern Länge, und er schätzte, dass ihre Hufe sich
am höchsten Punkt ihres Sprunges bis zwei Meter
hoch über dem Boden befinden. Er erlegte ein weib-
liches Tier inmitten eines solchen Riesensatzes, so dass
es wie ein geschossener Vogel zur Erde fiel.
184
Da B. grossen Wert darauf legte, einen Bock zu er-
beuten, nützte er jede Stunde bis zur Abfahrt des
Schiffes; es blieb uns daher wenig Zeit, Lamu anzu-
sehen, das geschichtlich von einigem Interesse ist. Aben-
teuerliche Legenden von arabischen Sklavenjägern um-
geben noch heute seine altertümlichen Gassen und Tor-
bogen mit einer düstern Romantik. Die Insel besteht
aus Sand, vom Wind zu kegekörmigen Hügeln ge-
staltet. Der Sand ist in immerwährender Bewegung,
der grösste Teil der alten Stadt liegt mehrere Faden tief
unter den Dünen begraben. Ein Neuling hatte einmal
sein Haus auf dem höchsten Hügel erbaut, wohl um
der prächtigen Aussicht willen, aber nach kurzer Zeit
gab es Risse in den Wänden, und schon wenige Jahre
darauf versank das Erdgeschoss in den Keller.
Der Oribibock blieb aber unerreichbar, und nach der
letzten erfolglosen Pürsche waren wir versucht,eine ge-
worfene Münze entscheiden zu lassen, ob wir die Dhow*
nicht doch ohne uns abgehen lassen sollten. Das hätte
aber den Verlust eines ganzen Monats bedeutet. Schon
jetzt war unsere Zeit bis zur Regenperiode knapp.
Wir beabsichtigten, die Bahnfahrt von Mombasa
nach Nairobi in der Gegend von Voi zu unterbrechen,
um dort auf die fransenohrige Oryx-Antilope und in
der Athi-Ebene auf das Kilimandjaro-Gnu und die
Thomson-Gazelle Jagd zu machen. In Nairobi mussten
wir eine Woche rechnen, um die gesammelten Trophäen
in Ordnung zu bringen und um eine neue Expedition
nach den Aberdare-Bergen vorzubereiten, denn B.
hatte es vor allem darauf abgesehen, einen Bongo für
seine Sammlung zu erbeuten.
* Arabisches Segelschiff
185
Der Kapitän der Dhow, die uns den Creek hinunter
in den Hafen von Lamu brachte, war gewiss der roman-
tischste Spitzbube, der je in See gestochen, und wer
. weiss, ob sich wieder einmal die Gelegenheit bot, in
einer Dhow zu segeln. Trotzdem waren wir froh, dass
wir nicht für die ganze Fahrt nach Mombasa hinunter
auf sie angewiesen waren. Wir hatten kaum genügend
Platz zum Sitzen, die Eingeborenen drängten sich um
uns herum, und Gerüche von faulenden Fischen, Ab-
fall und Negern hätten bei etwas rauherem Seegang
auch den seetüchtigsten Magen umdrehen können.
Bei Einbruch der Nacht schifften wir uns ein. Der
Wind blies unserm Kurs entgegen, so dass wir ständig
kreuzen mussten und der schwerfällige Kasten sich
bedenklich neigte, wenn ihm der Wind die Segel blähte
und die Wellen an seine Längsseiten klatschten. Beim
Kreuzen konnte die Segelstellung nicht vom Heck aus
geändert werden; ein Schiffer musste jedesmal mit dem
flatternden Segelende vorn um den Mast gehen, um
es dann an der andern Bordseite zu vertauen.
Der Mond, der uns den grössten Teil der Fahrt ge-
leuchtet hatte, tauchte endlich in honigfarbenem Dunst
unter, und wir dösten und froren in den Morgen hinein.
Wir segelten schon der Küste von Lamu entlang, als
das Segel wie ein schneeiger Gipfel in den Strahlen
der Morgensonne erglühte. Ein Wald von Palmen
spiegelte sich im opalschimmernden Meer, und die
Sonne begann gerade die alten Mauern und Befesti-
gungen der Stadt mit ihren ersten Strahlen zu röten,
als wir in den Hafen einliefen.
186
Bongo-Jagd in den Aberdare-Bergen
Dass er sich in der Einsamkeit der Bambuswälder
aufhielt, dass er sehr selten war, sehr scheu und eine
der schönsten Antilopen, die es gibt, das war alles, was
wir über den Bongo in Erfahrung bringen konnten.
Auch wie er aussah: eine Antilope, beinahe so gross wie
das Grosse Kudu, auffallend gezeichnet mit weissen
Streifen auf leuchtend kastanienbraunem Grund. Wir
hofften, dass ein Wild, das als so buntfarbig geschildert
wurde, selbst im undurchdringlichsten Urwald nicht
lange verborgen bleiben könne.
Aber über seine Lebensgewohnheiten war fast nichts
in Erfahrung zu bringen. Wanderte er über weite
Gebiete wie das Kudu, oder hielt er sich, gleich dem
Buschbock, an einen besonderen Standort? Lebte er
einzeln oder rudelweise? Was war seine bevorzugte
Äsung? Niemand wusste etwas über solche Einzel-
heiten. Aber gerade das bildete einen Hauptreiz unserer
Aufgabe, dass wir ihre Besonderheiten erst heraus-
finden mussten, bevor wir die Jagd mit einiger Aussicht
auf Erfolg aufnehmen konnten.
Der erste Schritt hiezu war, dass wir unser Lager
im Gebiet des Bongo aufschlugen und uns mit den Ein-
geborenen befreundeten.
Wir erstiegen die Anhöhen von Kijabe und wandten
uns dann landeinwärts. Auf sumpfigem Plateau, das
sich wie eine Bucht zwischen Inseln von Bambus-Dick-
icht und den Berghang hineindrängte, schlugen wir
187
unser nach Möglichkeit getarntes Lager auf. Die ein-
zigen Bewohner dieses Landstrichs sind die Dorobos,
kleingewachsene, misstrauische Leute und geborene
Jäger. Sie waren mit allen Gewohnheiten des Bongo
vertraut und zeigten sich viel zutraulicher, als wir an-
fänglich erwarteten. Zwei Spurenleser erklärten sich
bereit, uns beizustehen.
Eine Schwierigkeit erwuchs uns einzig in der Be-
dingung, die sie an ihre Mithilfe knüpften: sie brachten
einen gelben Hund von undefinierbarer Abstammung
mit; er war alt, voller Narben, ein Auge hatte er im
Kampf mit einem Leoparden verloren, und sie bestan-
den darauf, dass ohne seine Hilfe der Bongo auch dem
besten Jäger unerreichbar sei. Dies stellte uns vor das
folgende Dilemma: die Dorobos weigerten sich, ohne
den Hund zu jagen, und das Gesetz untersagte die Jagd
mit Hunden. Die Jagdbehörde hatte aber für diesmal
ein Einsehen, weil unsere Expedition einen rein wissen-
schaftlichen Charakter trug.
Mit dem Hund und mit der Bereitwilligkeit der Ein-
geborenen konnte es nun nicht fehlen, und B. war voller
Zuversicht. Doch mit jedem Tag gelangten wir mehr
zur Überzeugung, dass die Jagd auf den Bongo in
dieser Bambuswildnis ungefähr soviel Aussicht hatte
wie das Suchen einer Nadel in einem Heuschober.
Der Wald und selbst die Dorobos schienen sich ver-
schworten zu haben, ihren Bongo nicht herauszugeben.
Sie konnten eine Spur manche Stunde lang unermüdlich
halten, doch, wenn sie dann zu tief in den Wald führte,
gaben sie vor, sie verloren zu haben oder stellten sich
dumm. Wir waren überzeugt, dass sie genau wussten,
wohin sich der Bongo gewandt hatte, und wie konnten
188
sie sich hier verirren, wo wir überall auf ihre eigenen
Fallen und Gruben stiessen? Ein jeder Baum in ihrem
Wald musste ihnen- doch bekannt sein, ein Glied in
einer langen Kette vergangener Geschehnisse bilden.
Die Jagd führte zu keinem Ziel, und am Ende des
zehnten Tages wusste B. genau soviel, als er schon
am Ende des ersten gewusst hatte. Und doch hatten
wir inzwischen manches gelernt, was nur die Übung
zu lehren vermochte. In erster Linie musste man es ver-
stehen, sich lautlos im dichten Wald zu bewegen, den
umherliegenden Stämmen ansehen, ob sie unser Ge-
wicht aushielten oder aber mit einem Knacken nach-
geben würden, das unsere gespannten Sinne wie ein
Pistolenschuss traf; wir mussten ohne das leiseste
Geräusch über Stämme klettern, die in Hüfthöhe den
Weg versperrten, oder aber unter ihnen durchschlüpfen.
Zur Wahrung des Gleichgewichts konnte man sich
leicht versehentlich an einem abgestorbenen Bambus-
stamm halten, der unter dieser Berührung knickte und
in seiner ganzen Länge — oft 40 bis 5;o Fuss —krachend
zusammenstürzte, ein Lärm, der die Bongos im Um-
kreis einer Meile vergrämen musste.
Die nun folgenden Tage glichen insofern einer dem
andern, als alle damit begannen, zu suchen, bis wir eine
frische Spur fanden und sie zu halten versuchten, bis
sie sich im Nichts verlor oder bis die Nacht herein-
brach. Eintönig aber waren diese Tage darum nicht;
im Gegenteil, je länger wir den Bambuswald kennen-
lernten, desto stärker zog er uns an. Er hielt uns in
seinem Bann wie früher der Wald von Meru, und wie
dieser erfüllte er uns mit dem gleichen Gefühl der Er-
wartung. Und doch, wie wenig glich er dem Meru-Wald
189
oder irgendeinem andern Wald, den wir bisher gesehen.
Sein Zauber nahm uns gefangen, sobald wir ihn be-
traten; er war wie eine Welt für sich von Bäumen,
Lianen und dichten Reihen schlanker Bambusstämme,
soweit das Auge reichte. Generationen von Bäumen
bezeugten den Wandel der Zeiten mit der Deutlichkeit
geschriebener Geschichte: lebensstarke Armeen reck-
ten sich stolz, wo ihre gefallenen Kameraden lagen,
und aus den in Humus zerfallenden Leibern drängten
sich zarte Schösslinge ans Licht. In der Stille seines
geheimnisvollen Dämmers, in dem man wie in einer
Kirche unwillkürlich die Stimme dämpfte, spielte sich
ein gewaltiger Kampf ab zwischen den Hunderten und
Tausenden von Bäumen um ihren Platz am Licht,
während die würgenden Lianen Lebende und Tote in
einem unentwirrbaren Netz ineinander verstrickten.
Aber noch immer waren wir unserm Ziel,demBongo,
nicht näher gekommen. Schon waren zwei Wochen
verstrichen, und die Dorobos hatten genug. Das war
eine unerwartete Schwierigkeit, aber im Grunde waren
sie auch keine bessern Spurenleser als Muthoka, einer
der Kamba-Träger, der sich am Uaso so gut bewährt
hatte, dass ihn B. nun zum Gewehrträger ausbildete.
Die Dorobos konnten wir demnach verschmerzen,
wenn sie uns nur «Rusapi», ihren Hund, zurückliessen.
Nur mit Mühe brachten wir sie dazu, ihn uns für kurze
Zeit zu überlassen. Bald sollten wir uns selbst von den
Eigenschaften überzeugen, die ihn seinen Besitzern
so wertvoll machten, dass sie ihn gegen keine Reich-
tümer der Welt tauschen mochten.
Und das kam so: B. war den ganzen Tag einer Spur
gefolgt, als er zwischen den Stämmen einen rotbraunen
190
Schatten gewahrte. Bevor er Zeit fand, die Büchse
hochzureissen, entpuppte sich der Schatten als die
Flanke eines Bongo, der im gleichen Augenblick ver-
schwand. Wie von einer Sehne geschnellt, war Rusapi
hinter ihm her, wobei er Laut gab wie ein Hatzhund.
B. folgte, und im nächsten Augenblick hatte sich der
Bongo gewendet, kam hochflüchtig gerade auf ihn
zu, fegte an ihm vorbei und verschwand im Gehölz.
Ohne eine Möglichkeit zum Zielen drückte B. auf ihn
ab und fehlte. Doch Rusapi war wieder hinterher, und
bald tönte in der Ferne sein Standlaut. Es hielt schwer,
ihm zu folgen; der Hang war so steil, dass B. ihn nur
mit Hilfe der daraufwurzelnden Bäume erklimmen
konnte. Ebenso steil war der Abstieg auf der gegen-
überliegenden Seite. Doch da unten, nicht weit unter
ihm, hatte sich der Bongo gestellt, das Haupt gesenkt,
mit bebenden Flanken, das Auge flammend und blut-
unterlaufen. Vor ihm, gerade ausser Reichweite, stand
Rusapi und verbellte ihn, was seine Lunge hergab.
B.’s Kugel brachte den Bongo in die Knie, aber er kam
sofort wieder hoch und nahm mit gesenktem Gehörn
an. Ein zweiter Schuss brachte ihn zur Strecke; er fiel
seitwärts und glitt den Abhang hinab.
Erst jetzt erkannte B., dass er gar nicht den Bullen
vor sich hatte, dessen Spur er gefolgt war, sondern ein
ausnahmsweise kräftiges weibliches Tier.
Alles hatte sich so schnell und einfach abgespielt,
dass wir gar nicht begreifen konnten, warum man soviel
Aufhebens von den Schwierigkeiten der Bongojagd
machte. Nachdem aber die erste Aufregung vorüber,
das Gehörn sorgfältig eingeölt, die Haut zugerichtet
und verpackt war, erschien uns das Ganze wie ein
191
Traum; wiederum war der Wald so ausgestorben und
der Bongo so unerreichbar wie je zuvor.
Tage und Wochen vergingen, ohne dass etwas ge-
schah. Mit der Zeit aber sammelte B. seine Beobach-
tungen. So fand er am Waldrand drei oder vier Wasser-
stellen mit Salzlecken, die fast jede Nacht von Bongos
aufgesucht wurden. Wenn es das Mondlicht irgendwie
erlaubte, postierte er sich in einem als Ansitz ausge-
worfenen Graben, nachdem er die bevorzugte Lecke
zuvor mit Salz bestreut hatte. Aber seine Mühe wurde
nie belohnt, und noch war das Rätsel ungelöst, wohin
die Bongos sich verzogen, wenn sie den Tränkplatz
verliessen. Die Spur führte zurück in den Wald, stets
auf dem gleichen, gut angelegten Wechsel. Sie hielt
sich meist auf den Kämmen, um ab und zu in ein
Tälchen hinabzutauchen, Bäche zu überqueren und
sich dann auf einem andern Kamm fortzusetzen. Aber
nachher? Das Tageslicht währte nie lange genug,
dass wir dies herausfinden konnten. Sicher war es,
dass die Bongos jeden Tag grosse Strecken zurück-
legten. B. hielt oft Spuren von neun bis zehn Meilen,
ohne eine einzige Stelle zu finden, wo sie sich nieder-
getan oder zur Äsung aufgehalten hätten.
Mit jedem Tag rückte die Regenzeit näher, und wie
um uns ihr Nahen zu verkünden, begann ein böiger
Wind durch die Wälder zu pfeifen. Während wir eifrig
die Spuren entzifferten, seufzte es in den Baumkronen
über uns, und die Zweige schlugen mit hohlem,
melancholischem ’Ton gegeneinander. Dem wider-
strebenden Holz schienen sie Schreie zu entlocken, die
wie Violintöne einen kleinen Satz in Moll oder gar ein
ganzes, endlos wiederholtes Arpeggio wiedergaben.
192
In den gefiederten Kronen der Bambusstauden rauschte
es wie eine Brandung, während ein Regen ihrer lan-
zettförmigen Blätter den Boden wie mit einem Teppich
belegte. Gerade dies erschwerte das Erkennen der Spur
ausserordentlich; die Schalen des Bongo hinterliessen
auf diesem weichen, elastischen Teppich nur den lei-
sesten Eindruck, der zwar noch sichtbar blieb, solange
Regen oder Tau ihn feucht erhielt, aber völlig ausge-
löscht wurde, sobald die höhergestiegene Sonne die
zerdrückten Blätter trocknete und glättete.
Da die Erlegung des weiblichen Stücks eine Sache
des Zufalls gewesen, konnte dasselbe auch mit einem
Bullen geschehen, obwohl B. der Ansicht war, dass, wie
beim Kudu, die alten Bongobullen sich an einsameren
Örtlichkeiten aufhalten als die weiblichen Tiere und
dementsprechend schwerer zu jagen seien. Darum war
die Aussicht wohl am grössten, wenn man jeden Tag
und von früh bis spät im Wald war, ob man nun einer.
Spur folgte oder nicht. Dies brachte B. auf den Gedan-
ken, wechselnde kleinere Lager zu beziehen. Es kam
vor allem darauf an, dass er beim ersten Morgenlicht
schon einer Fährte folgte. Das Lager in die Nähe einer
Salzlecke zu verlegen, wäre unzweckmässig gewesen;
ein Dutzend Menschen konnten unmöglich lange un-
bemerkt bleiben, und die Feuer allein hätten unsere
Anwesenheit verraten. Wir richteten uns daher so ein,
dass ich die Aufsicht über das Hauptlager übernahm,
während B. mit zwei Leuten und einem Trägerzelt oft
zwei bis drei Tage unterwegs blieb.
Wenn auch der Bongo für uns allmählich fast zu
einem sagenhaften Bild verblasst war, und wenn er B.
auch so manche harte Anstrengung kostete, so trübte
193
doch nichts den Frieden dieser Tage. Wir betrachteten
das Lager stets als unser Heim; aber noch niemals hatten
wir eine schönere Heimstatt als hier im Revier des
Bongo, und wir waren ihm im Grunde genommen
dankbar dafür, dass er uns so lange hier zurückhielt.
Es kamen einige schöne Herbsttage, und wir fühlten
uns auf unserm kleinen Plateau aller Sorgen der Welt
enthoben. Schon lag des Morgens Reif in den Schatten
der Täler, aber die sonnenwarme Luft duftete nach
Heidekraut, und die Aberdare-Berge flimmerten im
blauen Himmel.
Dann kam die Sintflut über uns. Wir hatten schon
empfindliche Nachtfröste gehabt, denn das Lager lag
3000 Meter über Meereshöhe, aber es war eine klare,
trockene Kälte gewesen, während jetzt nasskalte Nebel-
schwaden über uns hingen. Bald glich der Lagerplatz
einem Sumpf, und der unaufhörliche, alles durchdrin-
gende Regen liess uns daran zweifeln, ob wir je wieder
trocken würden. Die Leute begannen über die Kälte
zu klagen. Überhaupt kam mit der Zeit eine so ge-
drückte Stimmung auf, dass die Sehnsucht nach Wärme
und Sonnenschein beinahe stärker wurde als der
Wunsch, den ewig unerreichbaren Bongo zu erbeuten.
In dem nassen Laubboden waren die Spuren zwar
deutlich genug zu sehen, aber es war mehr denn je
eine Jagd mit der Zeit, denn immer wieder verwischte
ein erneuter Regenguss die Fährte. An solchen Tagen
herrschte ein fast nächtliches Dunkel im Wald. Nebel-
“ fetzen wanden sich zwischen den Stämmen, und überall
tropfte es mit dumpfem, eintönigem Aufklatschen.
Unsere Aussichten konnten kaum trostloser sein.
Nach sieben Wochen waren wir dem Bongo nicht
194
näher gekommen; die Leute waren nahe daran zu
meutern, und B. fühlte, dass ihm ein Fieberanfall be-
vorstand.
Ich hatte mich schon resigniert mit dem einen er-
legten Tier zufriedengegeben und machte Pläne, wie
wir am schnellsten wieder nach Nairobi kamen. Halb-
heiten aber waren nie B.’s Art gewesen, und als er sich
zu mir setzte und bedachtsam eine Zigarette rollte,
wusste ich, dass er entschlossen. war, um jeden Preis
durchzuhalten. Und er hatte recht: jetzt die Flinte ins
Korn zu werfen, war undenkbar. Der Bongo war eine
Sache der Ausdauer und des Glücks. Wir durften nicht
nachgeben, und wenn wir die ganze Regenzeit hier
überstehen mussten. B. teilte den Leuten seinen Be-
schluss mit, und wenn sie sich bis dahin aufsässig ge-
zeigt hatten, in der Hoffnung, er werde sich erweichen
lassen, so mussten wir anerkennen, dass sie sich der
vollendeten Tatsache ohne weiteres, ja fast freudig
unterwarfen.
Schon dass wir uns zu einem Entschluss aufgerafft
hatten, belebte unsere Zuversicht aufs neue. Nun
konnten wir uns auch besser einrichten, neue Vorräte
und vor allen Dingen mehr Wolldecken beschaffen,
kurz, uns gegen die Unbilden der einbrechenden
Regenzeit zweckmässig schützen. Die Leute mussten
für sich ein grosses Schutzdach errichten, unter dem
ihre Zelte Platz fanden, für den Koch eine Küche, und .
für unsere Kuh (die wir von einem Kikuyuhäuptling
gemietet hatten) einen Stall. Bald erfasste sie ein solcher
Baueifer, dass im Nu ein kleines Dorf entstand. Jeder-
mann wollte seine eigene Hütte haben und seinen Nach-
barn mit einer noch längern Fahnenstange überbieten.
195
Die sehr bescheidene Fahne war nichts weiter als ein
an eine vierzig Fuss hohe Bambusstange geknüpfter
Fetzen von einem ausgedienten Hemd.
Da schnellte die Aussage eines Eingeborenen aus
einem nahen Kikuyukraal unsere Hoffnungen wieder
in die Höhe: er berichtete, dass seine Maisernte von
Bongos verwüstet und der Boden von Bongospuren
zerpflügt sei.
Bei Einbruch der Nacht war B. zur Stelle, das Nacht-
visier an der Büchse, und den Mond im Rücken. Bald
hörte er das Rascheln von Blättern und dann das gleich-
mässig rupfende Geräusch des Äsens. Obwohl er so
nahe war, dass er das Abreissen der saftigen Stengel,
das leise Mahlen der Kiefer und das Schnauben der
Tiere deutlich hörte, sah er nicht einmal einen Schatten,
der sich bewegte. Und als der Tag anbrach, fand er die
Spuren von Wasserböcken.
So herb die Enttäuschung war, so befriedigte es uns
andrerseits beinahe, dass der Bongo dadurch nichts von
seinem sagenhaften Nimbus der Unerreichbarkeit ein-
gebüsst hatte.
Nicht lange danach bekam B., während er einem
kleinen Rudel nachspürte, den Bullen zu Gesicht und
hatte gerade noch Zeit, einen Schuss anzubringen;
eines der Tiere blieb im Feuer, die übrigen wurden
flüchtig. Beim Nähertreten fand B., dass er ein junges
weibliches Tier erlegt hatte, es musste sich im letzten
Augenblick vor den Bullen geschoben haben, dessen
Blatt er aufs Korn genommen hatte; die Kugel war
der Kuh in die Flanke gedrungen.
Die Erlaubnis für den Abschuss eines weiblichen
Bongo war eine ganz besondere Vergünstigung seitens
196
der Jagdbehörden gewesen, da sie sonst bedingungslos
geschont werden. Dass wir nun zwei auf dem Gewissen
hatten, war sehr schlimm; es blieb uns nichts übrig,
als unser Missgeschick umgehend zu beichten und
dem Wildhüter alle weitern Entscheidungen zu über-
lassen. Wir fürchteten, dass wir nun auf den Bullen
verzichten mussten.
Aber die Götter zeigten sich gnädiger, als wir ver-
dienten: wieder schien uns die Sonne, und wieder war
der Bongo das ersehnte Ziel unserer täglichen Jagd-
züge. Wenn wir ihn bis dahin mit allem Eifer gejagt
hatten, so wiesen wir jetzt die Möglichkeit, ohne ihn
die Berge zu verlassen, kurzerhand von uns.
Wir malten uns den endlichen Triumph aus, wie
wir nach Jahren mit wallendem weissem Haar und
einem vom vielen Bücken unter den Bambusstauden
gekrümmten Rückgrat von dannen ziehen würden.
Aber so lange sollte es doch nicht dauern, denn nur
wenige Tage verflossen, als das Unmögliche Tatsache
wurde.
Wie gewöhnlich hatte die einbrechende Nacht der
Jagd ein Ende gesetzt. B. war den ganzen Tag der
frischen Spur eines starken Bullen gefolgt, hatte den
Ort bezeichnet und sie bei Tagesanbruch sofort wieder
aufgenommen. Plötzlich bemerkte er, dass er der Spur
entgegenging, statt ihr zu folgen; der Bongo musste
demnach auf seiner Spur kehrt gemacht haben. Rusapi
begann eifrig am Boden zu wittern. Noch nie waren die
Aussichten besser gewesen, als sich die Spur mit der
eines Waldschweins vermischte. Bis sie sich über ihre
Richtung wieder klar waren, verrannen kostbare Minu-
ten, und dann hörte die Spur des Bongo plötzlich auf;
197
kein verschobenes Blatt und kein geknicktes Zweig-
lein, das irgendeinen Anhaltspunkt gegeben hätte.
Immer war es dasselbe: die Spur liess sich stunden-
lang halten, um dann entweder von einem Gewitter
verwischt zu werden oder unvermittelt aufzuhören,
als habe der Bongo Flügel bekommen.
Weiterzugehen hatte kaum einen Zweck; dennoch
untersuchte B. den Boden in einer Richtung, die ihm
die wahrscheinlichste schien, und er war kaum fünfzig
Meter weit gegangen, als er einen einzelnen Schalen-
abdruck fand. Von hier ab war die Spur deutlich er-
kennbar. Während B. und die Führer ihr alle Aufmerk-
samkeit schenkten, war Rusapi unbemerkt verschwun-
den, und plötzlich hallte sein Standlaut durch den Wald.
B. bahnte sich so schnell er konnte einen Weg durch das
dichte Unterholz, in der Richtung der willkommenen
Laute. Unterwegs kamen ihm Bedenken, ob Rusapi
nicht wieder Affen verbellte, wodurch er schon bei
anderer Gelegenheit die Jagd verdorben hatte, und
ob der Lärm den Bongo nicht schon veranlasst hätte,
ein paar Meilen zwischen sich und seinen Verfolger zu
legen.
Kurz darauf bekam B. über eine Lichtung hinweg
den Bongo für einen Augenblick zu Gesicht, gerade
lange genug, um auf ihn abzudrücken. Der Bongo
quittierte den Schuss und wurde prasselnd in das Ge-
büsch flüchtig, das sich wie ein Vorhang hinter ihm
schloss.
B. fürchtete schon, dass er gefehlt, als Muthoka, der
ihm vorangeeilt war, triumphierend ein gerötetes Blatt
emporhob. Rusapi war dem Bongo mit hellem Geläute
gefolgt, aber jetzt wurde es wieder verdächtig still.
198
B. blieb stehen, um zu lauschen. Kein Laut war zu
hören als ein leiser Wind in den Zweigen und dann
und wann das Fallen eines Blattes.
B. eilte weiter, der Schweißspur nach und stiess so
unvermittelt, dass er beinahe über ihn gestolpert wäre,
auf den verendeten Bongo.
Es war fast unfasslich: vor ihm lag endlich das uner-
reichbare Wild, greifbar, noch lebenswarm; seine starke
Witterung hing in der Luft, und:rot rann der Schweiss
von seiner Flanke.
Es war ein prachtvoller alter Bulle. Der Rumpf
leuchtete zwischen den weissen Streifen rostrot, um
über ein tiefes Kastanienbraun gegen die Hälsung hin
glänzend schwarz zu werden, und sein Gehörn, zwei
wuchtig geschwungene Spiralen, war mit bernstein-
farbenen Enden gekrönt.
Aber er war durchaus nicht die grazile und leicht-
füssige Antilope — wie etwa das Kleine Kudu —, die
wir uns vorgestellt hatten. Übrigens hätten wir dies
schon aus mancherlei Zeichen seiner Spur schliessen
können. Er war über die Baumstämme, die seinen Pfad
versperrten, nicht im Sprung gesetzt, sondern hatte
sie mit mächtigem Ruck seines gewaltigen Nackens
emporgehoben, um unter ihnen hindurch zu passieren.
Er war stämmig und gedrungen wie ein Büffel, seinen
Vorderarm konnte man mit beiden Händen nicht um-
spannen, die Sprunggelenke waren ungemein kräftig
entwickelt, die Hälsung massiv wie eine Säule. Und
doch, wieviel Anmut war in seinem kleinen, zierlich
gesetzten Haupt, dem sanften Auge, den schön ge-
schwungenen Nüstern, in den beweglichen Lauschern,
die hundert feinste Tonschattierungen wahrzunehmen
199
vermochten, die dem menschlichen Ohr längst ent-
gehen.
Es wurde Mitternacht, bis B. sein Notlager am Tränk-
platz erreichte, so dass ich die Nachricht erst am folgen-
den Morgen erhielt. Mit möglichster Eile machte ich
mich mit Mvanguno auf den Weg. Wir hatten lange
genug Zeit gehabt, unsere Messer zu schärfen, und
nun konnte Mvanguno es kaum erwarten, bis er sie an
der begehrtesten Trophäe unseres Jagdunternehmens
ansetzen konnte. Er legte unterwegs unter unablässi-
gem Schwatzen eine solche Begeisterung an den Tag,
dass ich den gewiegten Jäger, den selten etwas aus der
Fassung bringt, in ihm kaum wiedererkannte. Bisher
hatte er sich jedesmal, wenn wir ein Wild erlegten,
einer noch bessern Trophäe zu erinnern gewusst, die
gelegentlich eines frühern Jagdausfluges erbeutet
wurde.
Seine Beredsamkeit hätte B. wohl einigermassen
erstaunt, hätte er zugehört: dass wenn der Bwana sich
ein Ding in den Kopf gesetzt, er dann ausharre, bis er
es bekomme und dass er, Mvanguno, bereit sei, ihn
nach Uganda und bis an den Kongo zu begleiten,
oder an jeden andern Ort im weiten Afrika!
Mit der Erlegung des Bongo war unsere Aufgabe in
den Wäldern der Aberdare-Berge noch nicht zu Ende,
denn noch galt es, das Waldschwein zu erbeuten, an
dem uns beinahe soviel lag wie am Bongo selbst. Es
war die gleiche Jagdweise: tagelanges erfolgloses Spü-
ren, und erst nach zahllosen Misserfolgen gelang es B.,
den ersten Keiler zu erlegen.
Als Spürhund verwendeten wir diesmal «Major»,
denn Rusapi war von seinen Besitzern zurückgefor-
200
dert worden. Auch Major, ein schwarzer «Jock of
the Bushveldt» (den wir von einem Ansiedler gekauft),
war alt und schon grau um die Schnauze, aber mutig
und ergeben. Major gab Standlaut, und als B. hinzu-
eilte, konnte er im Schatten eines gestürzten Baumrie-
sen die dunklen Umrisse des Keilers und seine weiss-
schimmernden Gewehre erkennen. Die erste Kugel
sass zu hoch und verletzte die Lunge, so dass er schau-
migen Schweiss spie. Major fasste zu, aber im nächsten
Augenblick hatte ihn der grosse Keiler im Bogen in die
Luft geschleudert. B. sprang näher, um eine zweite
Kugel anzubringen, doch der Keiler nahm ihn an.
B. trat einige Schritte zurück, um zu laden, dabei ver-
fing sich sein Fuss in einer Schlingpflanze, und im
nächsten Augenblick lag er am Boden, der Keiler bei-
nahe über ihm. Major allein rettete die Situation. Sein
erneutes Zufassen lenkte den Keiler ab, der sich einen
Augenblick besann, auf welchen seiner beiden Gegner
er sich zuerst stürzen sollte. B. sprang auf und gab eine
dritte Kugel auf ihn ab, die ihn niederstreckte.
Das war nur die erste von vielen Gelegenheiten,
da Major seinen unerschütterlichen Mut bewies. Er
hatte sich uns nur ganz allmählich angeschlossen; den
grauen Kopf griesgrämig abgewendet, hatte er alle un-
sere Annäherungsversuche über sich ergehen lassen.
Aber nachdem er sich endlich entschlossen hatte, stand
er mit einer Anhänglichkeit und Treue zu uns, auf die
es sich wohl lohnte, etwas gewartet zu haben. Als wir
ihn erwarben, ahnten wir noch nichts von dem tapferen
und liebenswerten Herzen, das in seiner Brust schlug.
Ich will den Leser nicht mit einer ausführlichen
Schilderung der Erbeutung von fünf Waldschweinen
201
ermüden, noch darauf eingehen, wie wir zwei Frisch-
linge einfingen und zähmten und wie sie uns schliess-
lich wieder wegliefen. Dagegen möchte ich erzählen,
wie wir am letzten Tag unseres Bleibens im Wald wie-
derum Bongos zu Gesicht bekamen.
Um möglichst viel Zeit zu gewinnen, legten wir die
erste Etappe, die durch wohlbekannte Waldgebiete
führte, vor Tagesanbruch zurück. Wir machten uns
um drei Uhr morgens bei Laternenschein auf den Weg
und drangen tiefer ins Innere des Waldes als je zuvor.
Hier konnten wir endlich feststellen, worin die
eigentliche Äsung des Bongos besteht: unter den Bäu-
men wuchert ein Busch*, der zehn bis zwölf Fuss hoch
wird, mit nesselartigen Blättern und rötlichen Blatt-
stielen. Hier fanden wir frische Spur und zahlreiche
Wechsel. An einigen Stellen, an denen die Bongos sich
niedergetan hatten, waren die Büsche zur Erde gedrückt.
Wir waren noch ganz von diesen interessanten Fest-
stellungen in Anspruch genommen, als Major Laut gab.
Wir eilten zu ihm hin und fanden, dass er einen jungen
Bongobullen gestellt hatte. Dieser richtete seine ganze
Aufmerksamkeit auf den Hund und beachtete uns nicht
im geringsten, so dass wir uns bis auf wenige Schritte
nähern konnten. Wir waren nahe genug, um sein zor-
niges Schnauben zu hören, und zu sehen, dass die Iris
seines Auges nicht dunkelbraun ist, wie man sie ge-
wöhnlich darstellt, sondern gelb wie die des Löwen.
Er bot ein Bild höchster Verlegenheit, wie er steif-
beinig zurückwich, mit gekrümmtem Rückgrat und
eingeklemmter Rute. Er benahm sich fast wie ein Hund,
der von einem andern angefallen wird. Mit gesenktem
* Mimulopsis Thomsonii
202
Haupt und funkelnden Lichtern lauerte er auf einen
unbewachten Augenblick, in dem er Major aufspiessen
und so das verhasste Geläute beenden konnte. Dann
ein Schnauben und ein Ausfall gegen Major oder eine
Kehrtwendung zur Flucht, Major wie ein Pfeil hinter-
her, dabei ständig nach seinen Schenkeln beissend, bis
der Bongo sich wieder stelite. So ging die Flucht
sprungweise bergab, manchmal so steil, dass wir nur
folgen konnten, indem wir flach auf dem Rücken
hinabrutschten.
Die sechs Filme unserer Kamera hatten wir alle be-
lichtet und wünschten, wir hätten deren sechzig gehabt.
Wir ahnten damals nicht, dass infolge des gedämpften
Lichtes und des dichten Unterholzes auf den Bildern
vom Bongo nichts zu sehen war.
Endlich brachten wir Major dazu, von seinem Opfer
abzulassen, und wir hielten eine kurze Rast.
Wir befanden uns auf einer jener Lichtungen, wo
der Bambuswald in respektvollem Umkreis vor einem
Urwaldriesen zurückgewichen war; Farne bedeckten
den Boden, und hoch über uns ragten die knorrigen
Arme seines Geästes, zwischen denen der Himmel hin-
durchblickte. Mochte der Wald melancholisch und still
sein, diese Lichtungen strömten eine sorglose Fröh-
lichkeit aus; hier sandte die Sonne ihre goldenen Pfeile
herab, hier nickten Blumen, hier spielte eine Quelle
plätschernd ihre Feenmusik über die moosigen Steine.
Die Sonnenpfeile fielen nun schräg, und wir muss-
ten zum Lager zurückkehren. Aber der Gedanke daran,
dass wir all dies unverändert, unberührt zurückliessen,
dass alles ewig bleiben würde, wie wir es geschaut,
tröstete uns über die Wehmut des Abschieds hinweg.
203
Uganda, Victoria-See, Kivu-Vulkane
(Mufumbiro-Kette)
Über ein Jahr war verstrichen, seitdem wir nach
dem Oberlauf des 'Tana aufgebrochen waren; die Tro-
phäen hatten wir nach Hause geschickt, und da jetzt
auch unsere stark mitgenommene Ausrüstung wieder
instand gesetzt war, konnten wir uns wiederum auf
die Reise begeben.
Unsere Pläne hatten inzwischen Gestalt angenom-
men, denn die Nachricht war eingetroffen, dass man
uns den Abschuss eines weissen Nashorns gestattete.
Das war mehr, als wir je zu hoffen gewagt; die wenigen
in Afrika noch lebenden weissen Nashörner werden
liebevoll behütet und geschont. Die Museumsleitung
würde über eine so unverhoffte Zugabe entzückt sein.
Seine Jagd würde uns an die Ufer des Weissen Nils
bringen, und da wir im Semliki-Tal auch den Sing-
Sing-Wasserbock jagen wollten, kamen wir dem Kongo
nahe; damit bot sich eine vielleicht nie wiederkehrende
Gelegenheit zur Jagd auf Gorilla und Okapi.
Das Okapi hatte uns schon lange gelockt, einmal,
weil der zum Teil noch unerforschte Wald von Ituri
eine mächtige Anziehungskraft auf uns ausübte, dann
auch, weil das Okapi eines der seltensten Tiere der
Welt ist, hauptsächlich aber, weil man uns versicherte,
dass nicht die geringste Aussicht bestehe, dass wir die
Erlaubnis für den Abschuss erhielten. Ja, wir hatten
schon jede Hoffnung aufgegeben, als wir nach Entebbe
204
kamen. Dort versprach uns aber Seine Exzellenz, Sir
Geoffrey Archer (der uns schon die Abschusserlaubnis
für das weisse Nashorn verschafft hatte), er wolle sich
für uns-beidder belgischen Regierung verwenden.
“ Wirklich, das Glück schien uns nicht zu verlassen.
Bis die Antwort eintraf, machten wir einen Ausflug
auf die Inseln des Victoria-Sees, um dort auf Situ-
tunga-Antilopen zu jagen. Auch dabei hatten wir
Glück, denn wir erhielten die Erlaubnis zu einem zwei-
tägigen Aufenthalt auf der Insel Damba, die wegen
Schlafkrankheit unbewohnt und infolgedessen absolu-
tes Schongebiet ist. Auf den Sesseinseln, die sonst
allein den Jägern zugänglich sind, wird der Situtunga
auch von den Eingeborenen viel gejagt, er ist dement-
sprechend selten.
Die Jagd bot wenig Interessantes, besonders nicht
für B., der den Situtunga schon in den Sümpfen des
Bangweolo-Sees in Nord-Rhodesien gejagthatte. Dr. D.
hatte ihm eine Situationskarte gezeichnet und ihm ge-
sagt, er werde an einer bestimmten Stelle zu bestimm-
ter Stunde auf Situtungas treffen, und genau so war es
gekommen; ein Uhrwerk konnte nicht pünktlicher
ablaufen. Aber es war doch nicht so einfach, in den
zwei Tagen, die uns zur Verfügung standen, unsere
Museumsgruppe zu bergen: wir waren in drei Booten
ausgezogen, die gleich anfangs durch einen Sturm
getrennt wurden; das Kanoe mit den zum Ausbalgen
bestimmten Leuten fand uns erst wieder, als die Zeit
um war. Wir selbst aber hatten nicht einmal einen
Wetzstein bei uns, und während B. nach einem Bock
spürte, arbeitete ich mit einem hoffnungslos stumpfen
Messer an der Decke der erlegten Geiss.
205
Es war eine abenteuerliche Bootsfahrt gewesen. Wir
hatten wegen andauernder Gewitter erst in den frühen
Morgenstunden abfahren können, waren jedoch gleich
so durchnässt, und die Wellen gingen so hoch, dass wir
wieder anlegen mussten. Wir blieben bei den Booten,
gegen die die Wellen brandeten. Der Wind pfiff durch
unsere durchnässten Kleider, und während wir warte-
ten, erhellte das erste Tagesgrauen den Horizont über
dem Sumpf und dem sturmgepeitschten See. Abzu-
warten, bis sich der hohe Seegang gelegt, wäre aus-
sichtslos gewesen, denn als die Sonne aufging, erhob
sich der Wind mit erneuter Heftigkeit. Bis wir über
die heftige Brandung hinaus waren, gab es einige kri-
tische Augenblicke, aber einmal draussen, schaukelten
die Boote verhältnismässig sicher auf den grossen
Wogen auf und ab. Im gleichen Mass wie wir durch-
nässt wurden, trocknete uns die Sonne wieder, und
obwohl wir kaum genügend Platz fanden, um kauernd
am Boden zu sitzen, übermannte uns unwiderstehlich
der Schlaf. Der monotone Singsang der Ruderer und
der rhythmische Schlag ihrer Trommel begleiteten
uns bis in unsere Träume hinein.
Als wir erwachten, hing der Himmel wie ein dunkler
Saphir über uns, und die Sterne warfen ihr funkelndes
Licht über den See. Noch immer sangen die Ruderer;
es schien uns in unsern Booten, als hätten wir schon
seit Tagen auf diesem riesigen See getrieben. Dabei
kam uns Odysseus in den Sinn, und wir wurden von
aufrichtiger Bewunderung für diesen Seehelden erfüllt.
Noch lange nachdem wir die Mühseligkeiten dieser
Fahrt vergessen hatten, klangen uns die Gesänge der
Ruderer in den Ohren.
206
Erst sang ein Mann einige Worte in hohem Fal-
sett, dann kam der tiefe, volltönende Refrain im Takt
mit jedem ausholenden Schlag der Ruder, die uns un-
serer Bestimmung näher brachten.
— >
zes: E:
%
Um Mitternacht erreichten wir die Insel Kome, und
am Mittag des folgenden Tages legten wir auf Dumba
an, an einem Platz, den die Eingeborenen Calliam-
busi nennen. Vor uns dehnte sich das Grün des Waldes,
und hinter uns lag der glitzernde See. Die Insel besteht
fast nur aus Wald und Sumpf. Man hätte Tage darauf
verwenden können, den Wald zu durchforschen, aber
wir sahen nur wenig von ihm, denn unser Wild hielt
sich in den Sumpfgebieten auf, und unsere Zeit war
kurz bemessen.
Als wir die Rückfahrt antraten, hatte sich der Sturm
gelegt, die Boote blieben beisammen. Rhythmisch wie
ein Pulsschlag tönte die Trommel durch die Finsternis.
So mögen in längst vergessenen Tagen, als der Victo-
riasee noch Legende war, die Kriegs-Kanoes in den
Kampf gezogen sein.
Als wir im Morgengrauen erwachten, leuchteten die
grünen Ufer von Entebbe in den ersten Strahlen der
Sonne auf, während die schlafende Wasserfläche noch
in Nebel gehüllt lag. Entebbe blieb uns darum immer
—z
.
207
als ein lieblich grünes, im Morgentau schimmerndes
Fleckchen Erde in Erinnerung. Lange Schlagschatten
lagen über den Rasenflächen; das Sonnenlicht liess die
Blumen in flammenden Farben aufleuchten, und zwi-
schen den Bäumen hindurch blickte man weit auf den
See hinaus. Der Hügel hinter «Government House»,
mit seiner Aussicht auf Lagunen und Bananenhaine
hebt sich von der übrigen Insel ab. Von dort aus sieht
man des Abends, wenn das Festland schwarz aus dem
wellengekräuselten Silber steigt, wie Entebbe zuäusserst
auf schmaler Landzunge erbaut ist, allseitig umschlos-
sen von der Fläche des Sees.
So bezaubert waren wir von Entebbe, dass es schon
eines Okapi bedurfte, um uns fortzulocken.
Gerade als wir Entebbe verliessen, türmten sich wie-
der Gewitterwolken auf allen Seiten. Wir hofften, dass
mit unserm Erfolg auf der Insel Damba — B. hatte eine
schöne Gruppe von Situtunga-Antilopen erbeutet —
unser Pech der letzten Woche aufgehört habe. Zwi-
schen Nairobi und Kisumu war nämlich alles fehlge-
schlagen: eine Woche der Jagd unterhalb Kijabe hatte
uns nur einen Serval eingetragen, während wir in erster
Linie einen guten Büffel brauchten; und eine weitere
Woche verloren wir in Gilgil, wo B. vergeblich dem
Nakuru-Hartebeest nachgestellt hatte. Aber unser Pech
hielt an: entweder fanden wir gerade diejenige Wildart
nicht, die wir suchten, oder B. schoss schlecht, oder es
ging sonst etwas schief. So wurde eine Jagd auf Fluss-
pferde an der Mündung des Katonga ein Fiasko, und
da die Dampfbarkasse sogleich nach Entebbe zurück-
kehren musste, und keines der Eingeborenenboote
geräumig genug war, um eine Flusspferdhaut nach
208
Männlicher Leopard, Thiba-Fluss
Bukukata zu schaffen, war es zwecklos, noch länger
hierzubleiben. Es folgten zehn erfolglose Tage in
Sanga, einem Sumpf an der Strasse von Masaka nach
Mbarara, in welchem sich besonders kapitale Impalas
aufhalten sollten. Aber es war nichts zu machen: wir
hätten gerade so gut zehn Monate hierbleiben können,
die Impalas schienen vor uns gefeit.
B. erbeutete nach mancher anstrengenden Pürsche
ein Stück des schwarzschwänzigen' Oribi, eine örtlich
beschränkte Abart, die für das Museum von grossem
Wert war. Am Tag, an dem er den Bock erlegte, kam
der sehnlichst erwartete Drahtbericht, der uns die
Jagdbewilligung für das Okapi erteilte.
In Mbarara verloren wir endlose Zeit mit der An-
werbung von Trägern für unsere Lasten — bis hierher
hatten Regierungslastwagen die Transportfrage auf
einfache Weise gelöst —, und als wir endlich einen
Inder gewinnen konnten, uns nach Kabale zu fahren,
schien wieder eine Wendung zum Bessern eintreten
zu wollen.
Zuerst galt es, die Steigung des Lotobo-Hügels zu
überwinden, die so lang und steil ist, dass der Wagen
abgeladen werden musste, um sie zu erklimmen. Von
da ab stieg der Weg ständig an, Felsklippen auf der
einen Seite, ein Gebirgsflüsschen zur andern, um
schliesslich in das weite, grüne Tal von Kabale zu
münden. Wieder war ein längerer Aufenthalt zur An-
werbung von Trägern unvermeidlich, aber in Kabale
vergassen wir beinahe unsere Ungeduld, weiterzu-
kommen. Man hatte uns ein leerstehendes Haus über-
lassen mit weissgetünchten Mauern unter breit aus-
ladendem Dach. Schwalben flogen darin ein und aus,
209
über ein Beet von Rosen und Löwenmäulchen hinweg
blickten wir auf die friedliche Hügellandschaft.
Wir mussten bald einsehen, dass es keine so einfache
Sache ist, nach Belgisch-Kongo hineinzukommen. Es
gab da eine Menge anzuordnen und zu disponieren.
Wir hatten nur vierzehn unserer eigenen Leute von
Nairobi mitgebracht; Simba, B.’s Gewehrträger war
neu dazugekommen, ebenso der Koch, und an die
Stelle von Bokari war Abde getreten; nicht, weil
unsere bisherigen Leute unzulänglich waren — wir
liessen sie im Gegenteil nur ungern zurück —, aber
wir mussten unsere Unkosten herabsetzen, wo es nur
irgend anging. Die Boys hatten sich plötzlich in den
Kopf gesetzt, der Kongo sei ein böser Ort, und B.
konnte ihre Angst nur dadurch zerstreuen, dass er
ihnen durch den District Commissioner offiziell er-
klären liess, sie würden nicht aufgefressen, wenn sie
sich da hinein wagten. Es war noch eine ärztliche
Untersuchung der Leute erforderlich, die Dr. S. in
liebenswürdiger Weise übernahm. Er führte uns nach-
her durch die Schule und das Spital. Mit besonderem
Stolz zeigte er uns den Operationssaal, der mit den
modernsten Einrichtungen versehen war. All dies
war auf der abgelegenen Station um so anerkennens-
werter, als hier drei Jahre zuvor noch kein Stein auf
dem andern gestanden hatte.
Jetzt konnten wir unsere Pläne endgültig festlegen:
zuerst sollte es an den Vulkanen vorbei nach Rutchuru
gehen, und unterwegs wollten wir es auf dem Muha-
vura mit der Gorilla- Jagd versuchen. Erhielten wir
die Erlaubnis für Gorillas auch für Belgisch-Kongo,
so würden wir noch den Distrikt von Kiwu aufsuchen,
210
von dort nach Kabari am Edward-See marschieren,
uns nach Kasindi einschiffen und dann über Beni zum
Urwald von Ituri-vordringen. Dann zurück nach
Fort Portal und zum Semliki, und zu Schiff den Albert-
see hinunter zum Nil, um das weisse Nashorn zu jagen.
Dass die Gorillas von den belgischen Behörden streng
behütet werden, war uns bekannt; in zehn Tagen soll-
ten sich aber die Regierungsvertreter von Uganda und
Belgisch-Kongo an der Grenze‘ treffen. Es war ver-
einbart, dass wir uns dies Zusammentreffen zunutze
machen durften, und wir hofften, dadurch, dass wir per-
sönlich vorstellig wurden, die Erlaubnis zu erwirken.
Der hinter Kabale stetig ansteigende Weg brachte
uns auf einen Grat, von dem aus wir den Bunjonisee
zu unsern Füssen liegen sahen. Die vielen Inselchen
und Halbinseln seiner Ufer waren von düstern Bergen
umschlossen, und unter dem wolkenverhängten Him-
mel erinnerten sie uns so sehr an unsern eigenen See
in Norwegen, dass wir beide den Eindruck hatten, wir
hätten dies Bild schon manches Mal gesehen. Der
Lagerplatz war auf dem gegenüberliegenden Ufer. Die
Boote waren so klein, dass manche gerade nur einen
Träger und seine Last fassen konnten und wir zusam-
men eine kleine Flotte bildeten. Es ist bis heute noch
nicht gelungen, die Tiefe. des Bunjonisees zu messen.
Wohl wurden Lotversuche angestellt, aber stets er-
reichte die Leine ihr Ende, bevor sie auf Grund kam.
Daran mussten wir denken, als wir uns schon in der
Mitte befanden, und da der Bootsrand des Kanoes, in
dem unsere Gewehre verstaut waren, kaum einen Zoll
über den Wasserspiegel ragte, hielten wir an, um seine
Last besser zu verteilen.
211
Der Abend senkte einen so zauberischen Schleier
über den See, dass wir wie im Traum über seine sche-
menhafte Fläche glitten. Die fernen Berge verschwam-
men im Dämmer, die nahen wurden zu körperlosen
Schatten, und unsere Kanoes schossen wie schwarze
Fische auf sie zu; dann tauchte eine Uferlinie mit dem
Lager von Bufundi vor uns auf.
B. war schon vor Sonnenaufgang in einem Einbaum
auf dem See, er hoffte, einen krallenlosen Otter zu er-
beuten. Er erlegte zwei Stück, aber sie sanken augen-
blicklich, und vergeblich wartete er, dass sie wieder an
die Oberfläche kämen. Enten gab es in grosser Zahl,
aber sie hielten sich stets ausser Schussweite. Ge-
trieben hätten sie zweifellos reiche Beute ergeben,
doch auch durch vorsichtiges Anpürschen gelang es B.,
zwei Enten zu erlegen. Sie waren grösser als eine
Krickente, grau und bronzefarbig, mit einem weissen
Streifen über den Flügeln und Augen so rot wieRubine.
Um uns ein paar Meilen Marsch zu ersparen, liessen
wir uns quer über die Bucht rudern. Jetzt leuchtete die
Sonne über diesem See, dessen Abgründe einst flammen-
speiende Krater gewesen, die nun erloschen unter der
unbewegten blauen Fläche ruhten. Die Berge spiegel-
ten sich darin, und Seerosen öffneten der Morgensonne
ihre goldenen Kelche.
Bis Behungi waren es nur vier Stunden Marsch, aber
es ging steil bergan und war recht anstrengend.
Das Rasthaus ist wie ein Wachtturm auf einem Grat
errichtet, von dem aus man mitten hinein in die Berg-
welt blickt. Schwarze Streifen niedergebrannten Grases,
die sich an der grünen Bergflanke hinaufzogen, erweck-
ten den Eindruck von kaum erkalteten Lavaströmen.
212
Plötzlich enthüllte ein Riss in den Wolken weit hinter
den Ketten der Vorberge die ragenden Häupter der
drei Vulkane. Muhavüra, der erste, ist ein vollkommen
regelmässiger Kegel, ein Sattel (den wir auf der Jagd
nach den Gorillas würden erklimmen müssen), ver-
bindet ihn mit dem zweiten, Mgahinga; der dritte, ein
kühngezackter Gipfel, ist der Sabinio. Hinter diesen
drei liegen noch vier oder fünf andere, darunter der
Karissimbi, der so hoch ist, dass ewiger Schnee seinen
Gipfel bedeckt.
Schon hier hatten wir ein Gefühl, als liege Schnee in
der Luft. Fröstelnd nach dem heissen Aufstieg kauer-
ten wir auf dem Grat beieinander und blickten auf
diesen ungeheuren Schauplatz vorzeitlicher Gewalten.
Drohende Bergzacken wuchsen durch rauchgrauen
Dunst; Seen funkelten in den Strahlen einer uns ver-
borgenen Sonne wie poliertes Kupfer und als wären sie
von innen erleuchtet. Es war ein so gewaltiger und ur-
weltlicher Anblick, dass es uns kaum überrascht hätte,
wenn plötzlich ein Dinosaurus vor uns aufgetaucht
wäre.
Es verstrich noch geraume Zeit, bis unsere Leute an-
kamen. Unsere eigenen Träger waren vom Anstieg
erschöpft, die Eingeborenen der Gegend aber schienen
abgehärteter und zäher zu sein als Tiere, denn ganz
unbekümmert um den schneidend kalten Wind streck-
ten sie ihre schweissbedeckten und beinahe nackten
Körper auf der Erde aus.
Schon in Kenya hatten wir gehört, dass in den Bergen
von Behungi Harvey’s Ducker vorkommen, und da-
neben eine unbekannte schwarze Art. Wir beschlossen,
ihnen hier zwei Tage zu opfern und waren schon beim
213
ersten Morgengrauen unterwegs. Durch Sümpfe und
Hügel, Bambusdickicht und Busch pürschten wir nach
ihnen, völlig umsonst; ausser einem einzigen und
scheinbar allgegenwärtigen Buschbock fanden wir nicht
das geringste Anzeichen von Wild. Es gab hier keine
Wildwechsel, und man musste entweder den Viehpfaden
folgen, die auch von den Eingeborenen viel benutzt
werden, oder aber sich durch den undurchdringlichen
Busch hindurcharbeiten. Als eine Folge der Kälte
traten bei den Leuten schon die berüchtigten Veldt-
Schwären auf, andere bekamen Fieber. B. machten
die verlorene Zeit und die Nutzlosigkeit der Jagd in
einer wildlosen Gegend ungeduldig, und wenn wir
uns auch mit dem Gedanken trösteten, dass wir hier
einen der wenigstbereisten Teile Afrikas sehen durften,
so wirkte doch der Aufenthalt in dieser dunstigen
Berglandschaft seltsam bedrückend.
Wir streiften den Schmutz von Behungi endgültig
von unseren Füssen und folgten — niedergeschlagen
durch unsere Misserfolge — weiter dem unsinnigen
Auf und Ab der Strasse.
Die nächste Etappe brachte uns an den Fuss der Vul-
kane und ein dreistündiger Aufstieg bis zum Lager-
platz unterhalb des Bergsattels. Die Wolken waren vom
Gipfel des Muhavura gewichen. Sie bildeten nun ein
Nebelmeer zu unseren Füssen, das die Welt vor unseren
Blicken verhüllte und uns allein liess mit dem düsteren
Berg.
Nun konnte endlich die Gorillajagd beginnen. Das
Spüren nach dem Bongo im Bambuswald, die mühsame
Jagd auf das Waldschwein, dem wir in seine eigenen
Höhlen nachgekrochen, waren ein Kinderspiel gewesen
214
im Vergleich zur Jagd auf die Gorillas, an den Hängen
eines Vulkans hinauf, der höher ist als die Jungfrau.
Zugegeben, dies war die schwierigste Gegend, in
der män sie jagen konnte, aber es war zu ungewiss,
ob wir die Erlaubnis für den Kiwu-Distrikt bekommen
würden, als dass wir uns jede andere Möglichkeit ent-
gehen lassen wollten.
Mit welch naiver Zuversicht folgten wir doch unse-
ren drei Pygmäenführern an jenem ersten Tag! Berg-
auf und bergab hackten wir unsern Weg den glitschigen
Wildwechseln entlang durch verfilzten Bambus, klet-
terten über verrottete Äste oder krochen auf allen Vie-
ren in sumpfigem Schlamm. So dicht war der Urwald,
dass sich auf eine Speereslänge eine ganze Armee hätte
versteckt halten können, ohne sich uns zu verraten.
Wir fanden Gorilla-«Hütten», bei welchen die Bam-
busspitzen mit fast menschlichem Geschick zu Platt-
formen oder Stockwerken verflochten waren — Schlaf-
stellen für Mutter und Kind, fünf bis zehn Fuss über
dem Boden.
Man sagt, das Männchen schlafe darunter am Boden,
den Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt, und halte
Wache. Doch diese «Häuser» waren jetzt zerfallen und
verlassen.
Wir machten einen Frühstückshalt, und unsere klei-
nen, freundlichen Pygmäen nahmen ihre Feuerstöck-
chen aus den fettigen Bastbeuteln, die sie um den Hals
trugen, und machten ein Feuer an. Es sieht so einfach
aus, wie sie ihr Stöckchen zwischen den Handflächen
quirlen, die Spitze gegen einen zweiten Stock am
Boden gedrückt, und schon nach einer halben Minute
steigt ein Räuchlein aus dem Holz auf. Aber wenn sie
215
uns auch zeigten, wie man es macht, und wir das Stöck-
chen voller Eifer wirbelten: wir brachten es nie zur
leisesten Rauchentwicklung.
Diese Pygmäen (es waren nicht die echten Pyg-
mäen des Ituri-Waldes, die noch etwas kleiner sind)
waren faszinierende kleine Gesellen, mehr gnomenhaft
als menschlich, und es war ein Jammer, dass uns keine
Elfensprache zur Verfügung stand, um uns ihren ern-
sten Mienen verständlich zu machen, die sie stirnrun-
zelnd in noch ernstere Falten legten in ihrem Bemühen,
uns zu verstehen.
Auf dem Rückweg begegneten wir einem Trupp
Pygmäenjäger, alle mit winzigen Pfeilen und Bogen
bewaffnet, und ein jeder trug seine schwarze Tonpfeife
mit gebogenem Pfeifenrohr. Unsere Führer stellten
uns vor, und sie begannen eine lange Unterhaltung, die
erst richtig im Schwung war, als wir uns schon eine
Viertelmeile von ihnen entfernt hatten. Sie versprachen,
für uns nach Gorillas Ausschau zu halten.
Die folgenden Tage verliefen ergebnislos, wir waren
von Pech verfolgt. Die Aussicht auf ein Zusammentref-
fen zwischen uns und den Gorillas wurde immer un-
wahrscheinlicher. Wenn wir auch von Jagdfieber ver-
zehrt wurden, so konnten wir es körperlich nicht länger
durchhalten. B. litt an Gelbsucht, ich war behindert
durch Veldt-Schwären und begann die nassen Zweige
zu hassen, die wie Reitpeitschen gegen meine blossen,
wunden Knie schnellten.
Einer nach dem andern der Schwarzen bekam Ma-
laria, der Koch nicht ausgenommen.
Nirgends gab es eine Stelle, die genügend eben war,
um das Zelt aufzuschlagen, und es verging eine Woche,
216
bis wir Träger aus dem Tiefland rekrutieren konnten,
um das Lager auf die windgeschützte Flanke des Bergs
zu verlegen. _
Inzwischen mussten wir unter einem elenden Schutz-
dach aus Gras kampieren, das wir unterhalb des Sattels
errichtet hatten; ein eisiger Luftzug pfiff durch seine
Bambuswände, die in dem nebligen Dämmerlicht
ächzten und stöhnten.
Die Wolldecken und die Blahe, mit denen wir die
den Winden ausgesetzte Seite zu schützen versuchten,
nützten nur wenig.
Manchmal befürchteten wir, unser Refugium könnte
unter der Wucht eines Hagelschauers ganz in sich zu-
sammenfallen. Es war, als hätte ein böser Traum uns
verbannt in ein nebliges Nichts zwischen ziehenden
Wolken und der schwarzen Felswand des Muhavura.
Muhavura! Schon der Name war prachtvoll und
schrecklich wie das Grollen des Donners. Er hatte
einen Klang wie ein Ruf zu den Waffen. Und doch,
wie elend fühlten wir uns hier, wie innig sehnten wir
uns nach dem warmen Sonnenschein des Tieflands.
Fast hatten wir vergessen, wie es war, wenn man sich
warm und trocken fühlte. In diesem bleichen Dämmer-
licht und dem unheimlich heulenden Wind wurden
wir von einer unbeschreiblichen Traurigkeit erfüllt,
wie von kommendem Missgeschick.
Die Zeit verging, bis eines Tages die Pygmäenjäger
von sich hören liessen. Die Gorillas befanden sich an
der anderen Seite des Berges.
Nach all unserem Spüren auf längst verlassenen
Fährten entflammte diese Nachricht unsere Hoffnung
wie berauschender Wein. All unsere Not war ver-
217
gessen, als wir der Laterne und unserem Führer in den
frühen Stunden vor Beginn der Morgendämmerung
folgten. Er führte uns auf dem kürzesten Weg zu den
Gorilla- «Häusern», und als der Himmel sich erhellte,
löschten wir die Laterne und begannen unsern Weg
knietief durch ihre «Gärten » zu bahnen — mit saftigem
Kräuterwuchs bedeckte abschüssige Waldlichtungen,
durch Pfade in rechteckige Stücke aufgeteilt, die fast
so regelmässig sind wie Schrebergärten.
Diese «Häuser» und «Gärten », so interessant sie vom
wissenschaftlichen Standpunkt aus sind, trugen nur dazu
bei, meine Abneigung gegen die Gorillas zu erhöhen.
Wer leugnet, dass Liebe und Jagd verwandte Pas-
sionen sind, der hat selbst nie gejagt, hat nie selbst
Stunden oder gar Tage auf die Verfolgung eines Stückes
Wild aufgewendet. Er wird niemals verstehen, wie man
eins wird mit eben diesem Wild, fast bis zu dem Punkt,
wo man aus dem Jagenden selbst zum Gejagten wird.
Aber auch wenn man fast alle Vögel und Tiere
lieben und sich mit ihnen identifizieren kann, so wehrt
man sich doch irgendwie dagegen, den Stamm der
Affen in ihr unschuldiges Reich einzulassen.
Ihre so menschlichen Augenlider und Fingernägel
lassen auf menschenartige Gedankengänge schliessen,
aber doch bestialischer und noch unerlöster Art.
Die Gorillahäuser schienen den Keim menschlichen
Denkens zu bergen, ihre Gärten zu betreten erfüllte
mich mit Scham, als ob ich Privatrechte verletzte.
Es wurde mir leicht, den haarsträubenden Erzählungen
der Pygmäen Glauben zu schenken, nach denen die
Gorillas ihre Verfolger beschleichen und in ihren
mächtigen Armen erdrücken.
218
Bald kamen wir in einen ihrer Gärten, der schändlich
geplündert war; die Pygmäen steckten ihre Zehen in
den gelblichen Gorilla-Kot und erklärten grinsend, er
sei noch warm.
Wir folgten unserem Führer in eine so dichte Dschun-
gel, dass wir nicht auf Armlänge vor uns sehen konnten
und auf allen Vieren unter der Blättermasse hindurch
wie durch einen grünen Tunnel steil bergan krochen.
Angestrengt horchend klommen-wir durch das feuchte
Dämmer empor. Dann und wann blickte der Führer
auf uns zurück und wies auf einen gebrochenen Zweig
oder ein abgerissenes Blatt. Es war kein Zweifel, dies-
mal waren sie nicht weit.
Der Tunnel stieg und stieg, beschrieb hier eine
Schleife, ging dann wieder steil bergan wie eine Seil-
bahn, und die Wände üppiger Vegetation auf beiden
Seiten umschlossen einen durchdringenden Pilz- und
Modergeruch wie in einem unterirdischen Laufgang.
Ich hisste mich mit Händen und Fingernägeln zwischen
den schlüpfrigen Wurzeln nach oben, so stumpf vor
Erschöpfung, dass ich nur noch an B.’s Stiefel denken
konnte, die sich vor mir in die Höhe arbeiteten, als
plötzlich ein markerschütternder Schrei die Stille zer-
riss. Er machte mir fast das Blut gerinnen. Der Führer
kollerte kopfüber auf uns herab, und über ihm sahen
wir gerade noch eine dunkle Gestalt im Laubgewirr
verschwinden.
«Ngajis», flüsterte der erschrockene Pygmäe und
zählte an seinen Fingern die Zahl sechs ab.
Das Blut hämmerte in unsern Schläfen, als wir wieder
vorwärts krochen, jeden Augenblick einen weiteren der
schrecklichen Schreie erwartend.
219
Verwundete Büffel, die uns im Sumpf aufgelauert,
hatten mich nie mit annähernd gleichem, atembeneh-
mendem Gefühl der Unsicherheit erfüllt wie diese be-
haarten, halbmenschlichen Wesen, die auf Armeslänge
hinter dem Blättervorhang lauerten. Wäre es ihnen ein-
gefallen, uns anzugreifen, wir wären in unserm Tunnel
wie Kaninchen im Bau gefangen gewesen.
Auf diese kurze Distanz war es B. hier unmöglich,
einen Schuss abzugeben; wenn wir nicht die Gorillas
in sichtigerem Gelände trafen, war nicht die geringste
Aussicht auf Erfolg. In diesem Augenblick barst ein
zweiter gellender Schrei unmittelbar neben uns. Wäh-
rend wir geduckt warteten, erscholl rings um uns ein
wildes Trommeln, das klang, als ob Riesenhunde ihre
Behänge schüttelten; die Gorillas trommelten in ihrer
Wut mit den Fäusten auf ihrer Brust.
Wiederum brachen sie aus. Nichts war zu hören
ausser dem eintönigen Tropfen des Regens und dem
Klopfen unserer Herzen. Das Gelände wurde immer
schwieriger. Wir mussten uns acht und neun Fuss an
Ästen emporziehen, die über senkrechte Felsen hingen.
Darnach führten die Spuren einen Fall von 30 Fuss
hinab, so dass wir glaubten, die Gorillas hätten ihre
Taktik geändert und seien talwärts gegangen. Wir
folgten ihrer mutmasslichen Richtung auf einem Um-
weg, verloren dadurch einen Teil unseres schwer er-
kämpften Aufstiegs und mussten entdecken, dass sie
sich dem Gipfel zugewandt hatten.
Nach zwei Stunden geduldigen Spurenlesens und
mühseliger Kletterei gelangten wir über den Bambus-
gürtel hinaus in samtene Bestände von Riesen-Sene-
cionen. Endlich waren wir wieder im Freien, konnten
220
frische Luft atmen, aufrecht stehen und um uns blicken.
Beim Absuchen dieses grünen, von Nebelschwaden
teilweise verschleierten Meers verriet uns ein plötz-
liches silbernes Aufleuchten von Blattunterseiten, dass
die Gorillas uns wieder zuerst entdeckt und sich ver-
zogen hatten. Wir schlichen gebückt zwischen scharfen
Felsen und wollblättrigen Stauden vor. Aber sie ver-
liessen das Dickicht und wandten sich mit einem Wut-
geschrei nach dem Rand der Schlucht. Wir rannten
ihnen nach, so schnell wir konnten, die Augen ständig
auf ihre auf- und niedertauchenden Köpfe und mächti-
gen Arme geheftet. Sie liefen aufrecht und schwangen
sich mit den Armen über die Felsen. Wenn wir sie jetzt
auch sahen, so waren sie doch weit ausser Schussweite.
Als wir den Felskamm erreichten, über den hinweg
sie verschwunden waren, konnten wir es nicht glauben,
dass irgendein Wesen, es wäre denn mit Flügeln be-
gabt, einen solchen Weg für seine Flucht wählenkonnte.
Wir schauten in einen Abgrund, Hunderte von Fuss
tief, an dessen Steilwand nur hier und da ein verkrüp-
pelter Busch wuchs. Und da sahen wir sie auch schon
wieder, diese stahlharten Menschenaffen, wie sie sich
an der gegenüberliegenden Wand hochschwangen.
Ihre Akrobatik und Kraft verschlug uns fast den Atem
und erfüllte uns mit Neid und Bewunderung.
Ihnen hier zu folgen kam gar nicht in Frage. Das
Tageslicht hielt noch zwei Stunden an. Soviel Zeit
und mehr brauchten wir, um zu den « Gärten» zurück-
zugelangen. Dort zündeten wir wieder die Laterne an
und stolperten todmüde zum Lager zurück.
Die Gorillas waren viel zu klug, einen weiteren sol-
chen Tag zu riskieren und verliessen den Berg. Am
221
Ende einer Reihe erfolgloser Jagdtage gelangten wir
zur Überzeugung, dass sie auf den Sabinio hinüberge-
wechselt waren, in belgisches Gebiet, wohin wir ihnen
nicht folgen konnten.
Unsere Niederlage war um so bitterer, als wir schon
so nahe am Ziel gewesen. Und doch, wenn ich daran
dachte, dass ich kalten Blutes einem dieser menschen-
ähnlichen Giganten hätte die Haut abziehen müssen,
dann war meine Bitterkeit mit ein wenig Dankbarkeit
versüsst, und ich packte Messer und Stahl nicht ohne
Erleichterung wieder fort.
Wir machten dann noch auf Harvey’s Schopfanti-
lope und den kleinen Bergelefanten Jagd, aber ohne
jeden Erfolg. Was wir hier auch unternahmen, schlug
fehl.
Eine Ersteigung des Muhavura selbst bot eine letzte
Möglichkeit für einen, wenn auch anders gearteten
Erfolg.
Seitdem wir Behungi verlassen, hatte B. ihn durch
sein Fernglas studiert, und es lockte uns beide, die Be-
steigung zu versuchen. Vom Sattel aus war es aussichts-
los. Mitglieder einer schwedischen Expedition hatten
von dort einen vergeblichen Vorstoss unternommen;
ein überhängender Fels nahe dem Gipfel konnte nicht
erstiegen werden, und sie waren der Ansicht, dass er die
Ersteigung ringsum verunmögliche. In Kabale hatten
wir ausserdem gehört, dass der Berg noch nie erstiegen
worden sei. War auch wenig mit einer Besteigung ge-
wonnen, so wollten wir uns doch die Genugtuung ver-
schaffen, wenigstens einen Erfolg verzeichnen zu kön-
nen. Wir versahen uns mit einem Trägerzelt, einem Seil
und Proviant für zwei Tage und marschierten los.
222
B. beabsichtigte, den Berg von der dem Sattel gegen-
überliegenden Seite zu nehmen. Es ist dies die von
Behungi aus sichtbare Ostflanke. Der Führer wusste,
dass ein Teil des Aufstieges keine Schwierigkeiten bot,
und wir hatten uns schon durch das Fernglas über-
zeugt, dass ihn dort kein Bambuswald erschwerte.
Wir brauchten viele Stunden, um den Berg zu um-
gehen, wobei wir einem irritierenden Negerpfad folg-
ten, der bergauf und bergab und dabei ständig vom
Muhavura weg gegen die Ebene zu unserer Rechten
führte. Zu unserem Schaden mussten wir aber bald
erfahren, dass es kein Vorteil war, wenn wir uns dicht
am Berg hielten, denn seine Flanke ist von tiefen
Schluchten zerrissen, die wir umgehen mussten.
Wir kamen durch weite Pflanzungen von Bohnen
und Erbsen, die in voller Blüte standen und die Luft
mit ihrem süssen Duft erfüllten. Unterwegs fand ich,
halb in der Erde vergraben, einen Schädel, den ich
zuerst für einen Gorillaschädel hielt. Wir fanden aber,
dass er vor vielleicht fünfzig Jahren einer Pygmäen-
frau angehört haben musste. Er war seltsam geformt,
die fliehende Stirne schmal und platt, und der Raum,
den das Gesicht einnahm, verhältnismässig sehr klein.
Der Aufstieg war steil; der hartgebrannte Boden und
das Lavageröll gaben dem Fuss wenig Halt, so dass wir
es zu keinem gleichmässigen Tempo brachten. Aber
nach zwei Stunden harter Arbeit hatten wir doch eine
ziemliche Höhe über der Ebene erreicht. Bäume, die
uns als unerreichbare Merkpunkte erschienen waren,
lagen unter uns, und bevor der Abend hereinbrach,
waren wir auf der düstern Schulter angelangt, zu wel-
cher wir den ganzen Tag über aufgeblickt hatten.
223
Dort fanden wir eine kleine, geschützte Senkung.
Wacholderstauden, die sich zypressengleich von den
ziehenden Nebelfetzen abhoben, lieferten das Feuer-
holz, und so schlugen wir hier unser Lager auf. Wir
häuften die abgeschnittenen Büschel rings um das
Trägerzelt und machten es auf diese Weise gemütlich
und unsichtbar wie ein Wachtelnest. Dann hefteten wir
Decken über das Zelt, die es warm hielten und vor dem
bitterkalten Wind schützten.
Als wir am frühen Morgen aufbrachen, hüllte uns
der Wind in dichte Nebelschwaden, so dass wir weder
nach oben noch nach unten Sicht hatten. Wir waren
beständig ausser Atem und litten unter der Kälte. Nach
dreistündigem Klettern machten wir halt auf der
windgeschützten Seite eines Grates.
Riesen-Senecionen und Lobelien gediehen hier in
üppiger Fülle, und die abgestorbenen Stengel mit ihren
geschwärzten Blütendolden erinnerten so sehr an grosse
Raketen, dass sie gleich die Annehmlichkeiten eines
lodernden Feuers in uns wachriefen. Aber der schwere
Nebel hatte alles mit einem grauen Schleier kleiner
Tröpfchen überzogen, so dass wir kein trockenes Zweig-
lein fanden. Allmählich begann uns die Kälte zu schüt-
teln, wir gaben fast die Hoffnung auf, je wieder aus
diesem traurigen Nebel herauszukommen. Unsere Boys
hatten vor Kälte so steife Finger, dass sie es nicht fertig-
brachten, ein Streichholz anzuzünden. Auf einmal fiel
uns das Paraffin in unserer Sturmlaterne ein, und in
wenigen Augenblicken hatten wir zwei Feuer im Gang
und eine Rauchentwicklung, die nichts zu wünschen
übrig liess. Das Brennmaterial roch eigentümlich nach
verbrannten Filmen oder Leim. Das Feuer erweckte
224
Rhino-Camp
Weisses Nashorn,
Be
unsere erstarrten Lebensgeister wundersam, noch mehr
aber das heisse Essen, das der Koch im Handumdrehen
bereit hatte. Wir mussten alle Gegenstände mit den
Händen festhalten und uns selbst mit den Füssen
sichern, um nicht abzurutschen, denn wenn etwas
hinunterfiel, so fiel es unwiederbringlich in den gäh-
nenden Abgrund.
Endlich teilten sich die Nebel, und die Sonne be-
schien uns mit wärmender Strahlenflut. Einen Augen-
blick sahen wir den Grat vor uns, darüber eine Fels-
wand, die uns eine Kletterpartie in Aussicht stellte.
Wir mussten die vorübergehende Aufhellung so gut
wie möglich ausnutzen und machten uns unverzüglich
auf den Weg, denn noch hatten wir keine Ahnung von
der Art der Hindernisse, die zwischen uns und dem
Gipfel lagen. Die vorbeiziehenden Nebelschwaden
schlossen sich zuweilen so dicht, dass sie unsern Weg
in Dämmer hüllten.
Wir schätzten die Entfernung bis zum Gipfel noch
auf zwei bis drei Stunden, aber nach kaum einer halben
Stunde gelangten wir auf ebenen Grund, und vor uns
lag ein kleiner Kratersee: der Gipfel war erreicht, und
so unvermittelt war es gelungen, dass wir fast vergas-
sen, uns darüber zu freuen. Die ganze Ersteigung war
lediglich eine Sache der Ausdauer, keinesfalls aber der
besonderen Berggewandtheit gewesen. Im Grunde
waren wir es zufrieden, dass wir das Ende schon er-
reicht hatten, während wir uns noch fragten, ob wir
wohl das Schlimmste hinter uns hatten; für eine Erst-
besteigung schien es aber lächerlich einfach.
Aus dem umherliegenden Geröll bauten wir ein vier
Fuss hohes Steinmännchen. Um den Bau zu vollenden,
225
umging ich auf der Suche nach kleineren Steinen den
Kratersee, dabei stiess ich auf drei oder vier Felsstücke,
die wie von Menschenhand aufeinandergeschichtet
lagen. Ich rief zu B. hinüber, dass wir scheinbar doch
nicht die ersten hier oben seien. Als ich die Steine be-
rührte, fielen sie in sich zusammen, dabei gab es einen
hohlen, metallischen Klang, und ich fand darunter eine
alte rostige Blechbüchse, die eine mit Grünspan über-
zogene, zerfressene Schrotpatrone — belgischen Ur-
sprungs! — enthielt. Die Sache wurde spannend: neben
unserer Enttäuschung stellte sich die Hoffnung ein,
einem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Hatte der
Eigentümer dieser von der Zeit zernagten Patrone den
Muhavura schon vor einem halben Jahrhundert er-
stiegen? Doch als wir das Stück Papier darin entfaltet,
stand darauf zu lesen:
«Mission Ge&ologique*
de la Banque de Bruxelles,
le 17 novembre 1922.»
Gezeichnet: «HELURE.
BOLIE. »
B. schrieb nun unsere Namen auf ein zweites Blatt und
fügte hinzu: «Mit unserm alten Hund Major, 5. Aug.
1924», und wir steckten die beiden Dokumente zu-
sammen in eine verschraubbare Flasche und brachten
sie in dem Steinmännchen unter.
Wir schritten rings um den Gipfel, strengten unsere
Augen an und hofften vergeblich, dass sich der Nebel
nur einen Augenblick hebe, um uns eine der schönsten
*) Erst später erfuhren wir, dass der Muhavura einige Jahre
zuvor von Dr. D. aus Entebbe erstmalig bestiegen wurde.
226
Aussichten zu enthüllen, welche die Erde bietet. Denn
unter uns dehnten sich mächtige Seen und Ebenen,
und über die benachbarten Vulkane hinweg, die schein-
bar in Kniehöhe um uns ragten, musste man in den
Kongo bis nach Kiwu oder bis zurück nach Kabale
blicken können. Dahinter der Edwardsee mit dem
Ruwenzori auf der einen und dem Victoriasee auf der
andern Seite. Wie klein und fern musste von hier oben
die Welt erscheinen, der wir entstiegen waren... Aber
wir sahen nichts von alledem. Erst gegen Abend verzog
sich das Gewölk, aber da waren wir schon wieder in
die Ebene hinabgestiegen.
227
Kongo — Edwardsee
Zwei 'Tagesmärsche brachten uns an die Grenze von
Belgisch-Kongo, und am dritten Tag trafen wir in
Ruchuru ein.
Unser Weg hatte sich zuerst zwischen kleinen Vul-
kanen hindurchgewunden, die grösstenteils schach-
brettartig vom Fuss bis zum Gipfel bebaut waren. Die
viereckigen Felder waren zum Teil so steil, dass sie
sich wie Fenster in einem Schloss ausnahmen. Dann
führte uns der Weg bergauf zwischen blühenden Ger-
berakazien, an Papyrussümpfen und Waldrändern vor-
bei, über Anhöhen, von denen man in Täler blickte, die
sich mit ihren ins Blaugrüne spielenden Schattierungen
wie kühle Seen ausnahmen.
Eine Meile vor Ruchuru gerieten wir in ein so hef-
tiges Gewitter, dass wir von Kopf bis zu Fuss durchnässt
dort ankamen. Alle unsere Vorräte waren so durch-
tränkt, als seien sie in den Fluss gefallen. Fünfzig
Pfund Zucker waren in Sirup verwandelt, das Mehl
in Teig, die Streichhölzer aufgelöst, und Salz, Seife,
Rosinen und Zwiebeln schwammen in einer Brühe.
Aber was das Schlimmste war: die Patronen und Filme
hatten gelitten.
Um unsern Gorilla-Freipass war es schlecht bestellt.
Man gab uns indessen den Rat, ihn von der Heimat
aus zu erwirken, die Absage hier sei nur eine Formalität
gewesen. B. kabelte also an das Museum. Es würden
mindestens zehn Tage vergehen, bis die Antwort ein-
228
traf, wir konnten uns aber eine solche Verspätung
kaum mehr leisten, denn die Regenzeit stand unmittel-
bar bevor, und der Wald von Ituri ist selbst in der
besten Jahreszeit kein bekömmlicher Aufenthalt. Es
heisst, dass man zwei Wochen lang darin marschieren
könne, ohne je einen Sonnenstrahl zu sehen. Und nun
sassen wir hier fest, kaum zwei Tagereisen von Kiwu
entfernt, das selbst für afrikanische Begriffe abgelegen
ist, denn man kann es nur in wochenlangen Märschen
erreichen, gleichgültig, woher man kommt. Wieviel
abgelegener würde es sein, wenn wir erst wieder in
Europa waren.
Die Gorillas waren dort häufig, und das Gelände
lange nicht so schwierig wie am Muhavura. Sobald wir
den Jagdpass besassen, waren sie uns so gut wie sicher.
Ein Gorillapaar wäre von grossem wissenschaftlichem
Wert für unsere Sammlung, und die Schwierigkeiten,
die man uns machte, bestärkten nur unsern Vorsatz.
Noch einmal wurden unsere Leute, und diesmal
auch wir, auf Tuberkulose untersucht. Dass man uns
nach den Leistungen, die wir hinter uns hatten, noch
verdächtigen konnte, von einer so verzehrenden Krank-
heit befallen zu sein, schien uns einigermassen lächer-
lich. Aber auch das war eine Formalität. Ebenso die
Liste, die wir von unsern bescheidenen Habseligkeiten
anfertigen mussten und der erstaunlich hohe Zoll, der
darauf gesetzt war, sowie die Ausweiskarten, die man
uns ausstellte — unsere Pässe wurden für ungenügend
befunden — und das Einbrennen einer hässlichen «47»
auf alle unsere Gewehrkolben*).
*) Wenn wir auch damals sehr aufgebracht waren über das
bürokratische Schneckentempo und über die Verspätung der
229
Aber alle diese Formalitäten konnten die zehn Tage
Wartezeit nicht ausfüllen, und so beschlossen wir einen
Marsch an die Ufer des Edwardsees, wo die Löwen
besonders zahlreich sein sollten. Man warnte uns zwar
vor dieser als gefährlich und unheilbringend verschrie-
nen Gegend, einer Wüste und einer Brutstätte für
Spirillenfieber. Noch keine Safari hatte sich hinein-
gewagt, ohne dort einen Mann zu verlieren. Auf all
dies war unsere Antwort nur: «Absit omen», und bald
zogen wir wieder in die sonnige Steppe hinein.
Unsere Kongo-Träger teilten augenscheinlich die
schlechte Meinung über das Land, denn in Maiahivi,
unserm zweiten Lagerplatz, desertierten sie bis auf den
letzten Mann, noch ehe sie die erste Löhnung erhalten
hatten. Es war eine trübselige Gesellschaft gewesen,
ohne den mindesten Respekt vor dem Weissen, gleich-
zeitig aber in steter Furcht. Dass letzteres der Fall
war, fanden wir erst heraus, als wir eine andere Mann-
schaft anwarben, die versicherte, sie werde bei uns
bleiben, «wenn sie nicht geprügelt würden». Um sie
noch sicherer in der Hand zu haben, nahm ihnen Mvan-
guno heimlich ihre Taschen weg. Jeder Träger trug
nämlich eine Tasche aus der Haut einer Moor-Antilope
Kabelnachricht, die uns in arge Verlegenheit gebracht, so trug
doch niemand Schuld daran, und die Regierungsbeamten in
Ruchuru bezeigten uns die herzlichste Gastfreundschaft und
Zuvorkommenheit.
Erst viele Jahre später — und ganz zufällig — erfuhr ich von
der grossen Mühe, die sich Monsieur Dubuisson gemacht hatte,
um mir weitere Formalitäten zu ersparen, die mich gezwungen
hätten, noch einmal nach Ruchuru zurückzukehren, und ich
benütze diese Gelegenheit, ihm meinen besonderen Dank aus-
zusprechen.
230
um den Hals — die Vorderbeine wurden als Trag-
riemen daran gelassen —, in der sich seine gesamte Habe
befand, die aus etwas Tabak, einer zerkauten Pfeife
und einem Stück gedörrten Fleisches bestand.
Wir begegneten zahlreichen Rudeln von Moor-Anti-
lopen. B. musste aber sechs Böcke erlegen, bevor er
ein unversehrtes Stück erbeutete. Alle andern hatten
wundgescheuerte Stellen unter den Lauschern, die sie
als Museumsstücke wertlos machten. Beim Riedbock
sind diese kahlen Stellen normal, nicht aber bei der
Moor-Antilope. Im Verhältnis zu ihrer Grösse ist die
Moor-Antilope das zählebigste Wild, das wir ange-
troffen. Selbst ihre Haut besitzt die Zähigkeit von Kaut-
schuk. Sie erreicht die Schulterhöhe der Impala, wird
aber zehn Zoll längerund gegen fünfzig Pfund schwerer.
Bald nachdem wir dem zwischen Palmen glitzernden
Ruchuru den Rücken gekehrt, stiessen wir auf eine
Löwenspur. Wir lagerten an dieser Stelle, und B.
machte sich sogleich daran, einen Köder zu beschaffen.
Nachdem ich die Haut der Moor-Antilope gereinigt
und die Schnitte zusammengenäht hatte, unternahm
ich auf eigene Faust eine Pürsche in der Umgegend. Ich
versuchte, ein Rudel Moor-Antilopen zu beschleichen,
kehrte aber nach ein paar Meilen vergeblicher Jagd um.
Um ja nicht irre zu gehen, hatte ich mir vorher einen
Baum in der Nähe des Lagers gemerkt, der aussah, wie
aus der Arche-Noah-Spielzeugschachtel meiner Kind-
heit entnommen.
B. hatte zuerst eine weibliche Moor-Antilope krank-
geschossen. Sie wurde auf ein Schilfgebüsch zu flüch-
tig, Major dicht hinterher. Sie hatte die Deckung schon
beinahe erreicht, als ein zweites Tier, das B. zuerst als
231
Wildschwein ansprach, sich durch das Schilfgras auf
einen davorliegenden Busch zu bewegte. Als die
flüchtige Antilope den Busch passierte, wurde sie von
dem Tier mit mächtigem Sprung niedergerissen. B.
konnte gerade noch erkennen, dass es sich um einen
Löwen handelte. Major, der nun ebenfalls bei dem
Busch angelangt war, stutzte und kehrte zu B. zurück.
Als B. an die Stelle gelangte, war weder von dem
Löwen, noch von der Antilope etwas zu sehen. Major
setzte nur noch zögernd und mit gesträubtem Nacken
einen Fuss vor den andern, und plötzlich sah sich B.,
als er um einen Busch bog, drei Löwen gegenüber, die
im Begriff waren, die Beute zu verzehren. Im gleichen
Augenblick hatten sie Major eräugt und setzten in das
Dickicht. B. hatte gerade noch Zeit für eine Kugel auf
den zunächststehenden Löwen. Es war ein schöner
Blattschuss, und die Träger brachten die Beute im Tri-
umph ins Lager zurück.
Der Löwe war das beste Mittel, um die Misserfolge
der letzten zehn Wochen vergessen zu machen, alle
freuten sich darüber. Sicherlich bedeutete seine Erle-
gung den Auftakt zu einer glücklicheren Periode.
Wir setzten unsern Marsch fort bis nach Mukunda,
einem Fischerdorf am Ufer des Sees, das uns seit Ru-
churu als das ideale Löwenrevier geschildert wurde.
Der «Mwami» des Dorfes jedoch, den wir ausfragten,
schien davon keine Ahnung zu haben. Er wiederholte
das Wort «Simba», als höre er es zum ersten Mal in
seinem Leben und schüttelte den Kopf; Löwen gab es
anscheinend nicht in diesem Teil von Afrika.
Wir zogen weiter in der Richtung eines Waldrandes,
der in der Ferne sichtbar war. Ringsum pfadlose Wild-
232
nis, wir mussten unsern Weg mühsam durch schilf-
überwucherte, ausgetrocknete Bachbette bahnen. Die
Sonne brannte auf uns herab; keiner unserer Leute
kannte sich hier aus, aber alle waren darin einig, dass
es kein Wasser gebe. Wir schickten den Führer mit
unserer Feldflasche zurück, und während wir geduldig
warteten, löschten die Träger ihren Durst aus ihren
mitgeführten Calebassen.
Endlich näherten wir uns dem Punkt, an dem der
Wald in Schilf überging, als ein willkommenes Rauschen
an unsere Ohren drang. War es nur das Rauschen des
Windes im Schilf, oder war es der Wellenschlag des
Seeufers ? Unsere Müdigkeit war vergessen, und wir be-
schleunigten unsern Schritt, um zu sehen, was hinter
der Schilfwand lag, als im Gras dicht neben uns ein
Löwe flüchtig wurde. Ein gelber Schatten, und schon
war er im Schilf verschwunden. Wir postierten uns am
Rand des Schilfs, während Simba die Stelle umging,
um ihn uns zuzutreiben.
Plötzlich setzte eine Löwin ins Freie. B. ib Feuer,
und sie schlug ein Rad wie ein Hase. Unglaublich, die
augenblickliche Wirkung dieser einzigen Kugel! Eine
Sekunde später richtete sie sich jedoch auf, und im
selben Augenblick nahm sie uns blitzschnell an. Mit
offenem Rachen und fauchend hätte sie uns beinahe er-
reicht, als ein zweiter Schuss sie dicht vor unsern Füs-
sen zur Strecke brachte.
Muthoka, der Wasser holen gegangen war, hatte
meine Büchse bei sich, und mir blieb nichts übrig, als
stillzustehen. So hatte sich jede Bewegung der Löwin
in mein Gehirn wie mit Flammen eingegraben: wie sie
den Bruchteil einer Sekunde gezögert hatte, bevor sie
233
uns annahm, wie sie, die Lauscher flach am Kopf, die
Augen sprühend, uns entgegenstürzte. Kein glattes
Katzenfell, überhaupt nichts Katzenartiges war an
diesem Angriff. Mir schien, als ob sie über und über von
Fängen und Krallen starrte.
Während sie noch verendend am Boden rollte,
brach eine zweite Löwin aus dem Schilf, doch sie
flüchtete zurück, bevor B. feuern konnte. Die erlegte
Löwin war ein altes Tier, dessen Fangzähne nur noch
abgenützte Höcker waren. B. meinte, sie mochte wohl
einer der Menschenfresser gewesen sein, von denen
wir gehört hatten; dies hätte auch ihre Furchtlosigkeit
erklärt. Andererseits mochte sie uns auch angegriffen
haben, weil wir schon so nahe waren, als sie die erste
Kugel empfing.
Kein Wunder, dass wir — wie wohl auch der Leser —
während dieses Intermezzos all unser Interesse am
See vergessen hatten, denn es war wirklich der See,
und noch nie war uns Wasser so verlockend erschienen.
B. erlegte ein Flusspferd als Fleisch für dieLeute, aber
wenn wir erwarteten, dass sie über den Anblick von so
viel «Nyama» (Fleisch) entzückt seien, so sahen wir
uns enttäuscht. Das Flusspferd war auf einer Sandbank
gestrandet, kaum hundert Meter vom Ufer, aber keiner
der Träger getraute sich ins Wasser, und als wir unsere
eigenen Leute — dieselben, die den angeschwollenen
Uaso durchschwommen hatten — dazu aufforderten,
weigerten auch sie sich, in diesen spiegelglatten See
zu waten, der völlig frei von Krokodilen ist. Endlich
konnten wir Saidi an seinem Ehrgefühl packen, so dass
er sich ein Herz nahm und zögernd hineinwatete. Um
den andern Mut zu machen, wateten auch wir hinaus
234
und entdeckten, dass das Wasser nicht abgründig tief
war, sondern uns nur bis an die Hüften reichte. Da be-
gannen auch die Leute, Geschmack an dem Unterneh-
men zu finden, und mit einem «Heave-ho!»-Gesang
zogen sie den Kadaver aufs Ufer.
B. liess einen Teilals Köder festpflöcken und da-
neben einen Ansitz errichten. Um Mitternacht. sollte
ich ihn mit einigen Boys und einer Laterne dort ab-
holen. Die Nacht war pechschwatz, und überall hörte
ich Löwen knurren; plötzlich stürmte etwas, das tiefe
Kehllaute von sich gab wie ein Löwe, auf uns zu. Es
war zwar nur ein Flusspferd, immerhin schlotterten mir
die Knie, und es verschlug mir den Atem. Ehrliche,
regelrechte physische Angst ist doch ein wundervolles
Gefühl!
Jeden Tag zogen wir ein paar Meilen am Seeufer ent-
lang und jagten im angrenzenden Waldgürtel. Im
Wald, der zum grossen Teil aus Euphorbien besteht,
erbeutete B. eine Geschirr- Antilope. Sie ist kleiner
und zierlicher als der gemeine Buschbock, mit vielen
Streifen und Flecken gezeichnet und von gelblicherer
Farbe. Es war ein grosser Tag für Major, der sie nach
langer, hartnäckiger Hatz in einer Dickung verbellte.
Als B. zur Stelle kam, nahm die Antilope den Hund
mit gesenktem Haupt an, verfehlte ihn und stürmte
weiter, auf B. zu.
Es ist erstaunlich, wie hartnäckig sich selbst ein so
schwaches Wild wie der Buschbock zur Wehr setzt,
wenn es in die Enge getrieben wird. Ein angeschossener
Uganda-Kob (Moor-Antilope) hatte sich ganz ähnlich
verhalten. B. hatte keine Patronen übrig, und der nur
leicht krankgeschossene Kob wurde von Major im
235
offenen Gelände verbellt. Es war eine groteske Situa-
tion. Die Antilope hatte jeden Gedanken an Flucht auf-
gegeben. Vor ihr, fast zwischen ihren Vorderläufen,
sass Major, von der Hatz erschöpft, mit lang heraus-
hängender Zunge, und wir standen ringsum, fürch-
teten uns, sie anzupacken, und hatten keine Waffe,
um ihr den Rest zu geben. Endlich versuchte Simba,
eines der Hörner zu fassen, worauf der Kob mit ge-
senktem Haupt auf den verblüfften Simba losfuhr,
der bei dem plötzlichen Stoss in seine Leibesmitte wie
ein wohlerzogener Kegel der Länge nach auf den
Rücken fiel. Im nächsten Augenblick hatte der Kob
seine Aufmerksamkeit meiner Wenigkeit zugewandt,
und es fehlte nicht viel, dass ich Simbas Schicksal teilte.
Diesen hatte übrigens das Attentat auf seine Person
nicht aus der Ruhe gebracht; er erhob sich mit be-
leidigter Miene und untersuchte sich gleichmütig auf
etwaige Schäden. Unterdessen war über den Kob eine
blinde Wut gekommen, die seltsam mit dem sonst so
sanften Tier kontrastierte. Er machte verschiedene
Ausfälle gegen Major, den er auch einmal erwischte;
ein Haarbüschel Majors blieb an einem Horn hängen.
Der ungleiche Kampf endete damit, dass B. einen
Hinterlauf zu fassen bekam, während Muthoka und
ich gleichzeitig die Hörner ergriffen; im Nu war er am
Boden und «gechingert » (geschächtet).
In diesen Tagen brachten die Boys eine junge Gin-
sterkatze ein. Sie war so klein, dass ihre Augen noch ge-
schlossen waren, aber sie nahm die Flasche ohne Um-
stände und gedieh prächtig. Kasaia flocht ein Trag-
körbchen für sie, und da sie stündlich, Tag und Nacht,
genährt werden musste, trug ich das Körbchen be-
236
ständig mit mir, ob wir nun nach Büffeln spürten oder
auf Löwen ansassen; und ein dankbareres Schosstier
kann man sich nicht vorstellen.
Als wir am frühen Morgen unsern Köder inspizier-
ten, sahen wir gerade noch einen sich entfernenden
Löwen. Auf einer kleinen Anhöhe verhoffte er und
sicherte nach uns zurück. B. gab Feuer, und die Kugel
fand ihren Weg durch das Hirn und zum Auge heraus,
so dass der Löwe, wo er stand, in sich zusammen-
klappte. Es war der schönste schwarzmähnige Löwe,
den wir angetroffen, und die kohlschwarzen Lauscher
und besonders seine schwarzen Sprunggelenke gaben
ihm ein majestätisches Aussehen. Wir wendeten fast
den ganzen Tag an das Präparieren der Haut, und als
wir damit fertig waren, schlug B. einen Spaziergang ans
Seeufer vor, um mir gleichzeitig Gelegenheit zu geben,
mit der 416er-Büchse ein Flusspferd zu schiessen.
Wir sassen in unserm Schilfversteck mit Flusspferden
rings um uns her; einzelne ragten wie Felsblöcke halb
über das flache Wasser hinaus. Einmal gab es Stampfen
und Geplantsch im Wasser, begleitet von einem Trom-
peten wie von Elefanten, als zwei Flusspferde miteinan-
der kämpften. Dann versank wieder alles in der lässigen
Stille des Nachmittags. Die Flusspferde gähnten und
gaben schlaftrunkene Töne von sich — eine Art von
dröhnendem, innerlichem Wiehern. Scharen von Vögeln
sammelten sich am Ufer, und in den seichten Stellen
spielten Fische, deren Rückenflossen über den Wasser-
spiegel ragten. Träumend lappten kleine goldgrau-
schimmernde Wellchen an das Ufer, die Umrisse der
Berge im Westen verschwammen in Duft, ein Eis-
vogel schwebte gegen das Sonnenlicht.
237
Diesen Frieden durch Gewehrschüsse zu stören, war
eine Entweihung, aber merkwürdigerweise nahm kei-
nes der Tiere davon Notiz. Und warum sollten sie
auch? Jahrtausende hindurch war es hier so gewesen:
die vorsintflutlichen Flusspferde, die vertrauten Was-
servögel und dieser in der Sonne glitzernde See. Hier
in dieser friedfertigen Einsamkeit lernte man begreifen,
dass Ewigkeit nicht notwendig die Folge ungezählter
Zeitalter bedeuten muss, sondern ebensogut, ja noch
hundertmal sinnfälliger, im Farbenspiel eines Sonnen-
unterganges oder einer Dämmerung oder in dem ruhi-
gen Umriss der unwandelbaren Berge zum Ausdruck
kommen kann. Und zu verstehen, dass wir nicht ein
unendlich kleiner, von Raum und Zeit begrenzter
Funke sind, sondern ein Teil von Himmel und Erde
und allen Elementen, dass unsere Seele so weit ist wie
die grossen Fernen, in alles hineingegeben, das hiesse,
die wahre Freiheit zu erfassen.
Als wir uns am nächsten Morgen dem Köder näher-
ten, bemerkten wir eine Löwin, die im Gras aufgerichtet
nach uns äugte.
Sie verschwand, aber als wir ihr nacheilten, bekamen
wir sie und noch zwei andere Löwinnen wieder zu
Gesicht. Bald schlossen sich ihnen noch mehrere an,
sie schienen von allen Seiten aus der Erde zu wachsen.
Wir zählten insgesamt acht Stück. Sie trollten sich ge-
mächlich, indem sie bald ausschritten, bald in Trab
verfielen, und wir rannten ihnen nach, so schnell wir
konnten. Doch obgleich sie sich nicht zu beeilen schie-
nen, wurde die Entfernung zwischen ihnen und uns
immer grösser. Als eine alte Löwin, die den Rückzug
zu decken schien, etwas zurückblieb, legte B. auf sie an.
238
Sie mochte, als sie uns innehalten sah, geglaubt
haben, dass wir erst jetzt gewahr geworden, wen wir
verfolgten, und dass es an der Zeit sei, uns einzuschüch-
tern. Jedenfalls machte sie halt und wandte sich osten-
tativ gegen uns. Im gleichen Augenblick erhielt sie die
Kugel. Sie strauchelte und fiel dumpf knurrend auf die
Seite. Obwohl ein stattliches Exemplar, war ihr Fell
von Narben bedeckt, und an der Rute fehlte die
schwarze Quaste. Sie war vollständig vollgefressen;
in ihrem Magen fanden wir beinahe einen ganzen Topi.
Es wäre zwecklos gewesen, in dieser Gegend wieder-
um einen Köder auszulegen; er hätte bestimmt wieder
die sieben Löwinnen angelockt, von denen keine den
Abschuss verlohnte. Wir zogen daher weiter land-
einwärts und schlugen unser Lager auf einer Terrasse
auf, die den Isashafluss beherrscht.
Die Köder hatten in der Nacht keine Beachtung ge-
funden; als wir im Morgendämmer ins Lager zurück-
kehrten, bekamen wir einige Topis zu Gesicht. Da
wir wieder Wildbret brauchten, pürschte sich B. an,
während ich weiterging, als sei nichts geschehen, um
ihre Wachsamkeit zu täuschen. Am Rand der Terrasse
rastete ich, um zu warten. Die Sonne erhob sich gerade
über dem Horizont, eine blutrote Scheibe. Einen Au-
genblick schien sie reglos frei zu schweben, gleichsam,
um sich für ihr bevorstehendes Tagewerk zu sammeln.
Dann schoss sie, aufwärtssteigend, ihre leuchtenden
Strahlenbündel über die erwachende Erde hinweg.
Ganz versunken in die Herrlichkeit dieses Schauspiels
erträumte ich mir, dass ich ihr heute als erste gegen-
übertrete und von ihr heischen dürfe, sie möge für
diesen einzigen Tag die Welt glücklich machen.‘ Ich
239
dachte dabei mehr an das Getümmel der Städte als an
die Welt, die sich vor meinen Füssen breitete. Dies war
ohnehin ein gelobtes Land, diese reizvolle Wüste, die
gerade zum Leben erwachte, deren Schattenberge
plötzlich Gestalt annahmen, während die Baumkronen
sich noch wie Inseln über perlfarbige Nebel erhoben.
In der nächsten Nacht erwachten wir an einem un-
heimlichen Stöhnen, das hin und wieder in einem
schrecklichen Aufschrei gipfelte. B. stand auf, um nach-
zusehen, was die Ursache sei, und fand Hamesi bei
seinem Zelteingang sitzen, fassungslos jammernd, dass
er entsetzliche Schmerzen leide und sterben müsse.
Die Boys berichteten, er habe eine riesige Fleischmahl-
zeit verschlungen, und so erregte er mit seinem fürch-
terlichen Lärm eher unsern Widerwillen als unser Mit-
leid. Wir wussten nicht, wie ihm helfen, denn er konnte
keine Medizin bei sich behalten. Beständiges Auflegen
von heissen Kompressen verschaffte ihm etwas Er-
leichterung, am nächsten Abend schien sein Zustand
viel besser, und er schlief ein, so dass wir schon
glaubten, er werde sich schnell erholen. Aber schon
während der Nacht kam Abde mit dem Bericht, Ha-
mesi sei tot.
Am frühen Morgen schaufelten die Boys sein Grab,
und als es bereit war, riefen sie uns. Ich weiss nicht,
ob schon viele Weisse bei mohammedanischen Beerdi-
gungs-Zeremonien zugegen gewesen und sie beschrie-
ben haben; wir fassten es jedenfalls als ein Zeichen
grossen Vertrauens auf, dass wir aufgefordert wurden,
dem Begräbnis beizuwohnen.
Die Riten waren von einer rührend ernsthaften Ein-
fachheit. Nachdem der Leichnam Hamesis in die Grube
240
gesenkt worden, überdachten die Boys ihn und die
beiden noch im Grab arbeitenden Leute mit einer
Decke. Dann reichten sie ihnen ungefähr fünfzig fuss-
lange Stücke Holz, Grasbüschel, ein paar Steine und
Erdklumpen, die Muthoka mit Wasser geknetet hatte.
Darnach wurde die Decke entfernt und das Grab mit
Erde gefüllt. Die ganze Zeremonie wurde von einem
Chorgesang in Moll begleitet, geführt von einem Vor-
sänger, der zwei Worte, die wie: «Byam Mohamed»
klangen, vorsang. Als ein lockerer Hügel sich über
dem Grab wölbte, kniete Jim an seiner Seite nieder
und legte seinen Arm darüber; der Koch ergriff ihn
auf der andern Seite bei der Hand und zog ihn auf
dem Grab hin und her. Dann schüttete er Wasser auf
die so eingeebnete Fläche und wiederholte einige Worte.
Zum Schluss wurde ein Zweig als Grabmal in das
gegen Osten gerichtete Kopfende gesteckt.
Die unerwartete Plötzlichkeit dieses Geschehnisses
bestürzte uns. B. war den ganzen Tag gedrückt, und
er machte sich Vorwürfe, dass er sich des Kranken
nicht gründlicher angenommen hatte. Gerne hätte er
eine Sektion veranlasst, aber im Umkreis von fünf
Tagesmärschen gab es keinen Arzt. Hamesi hatte
Flusspferdfleisch gegessen, auf das es geregnet hatte,
doch alle seine Kameraden hatten dasselbe getan. So
war die einzig plausible Erklärung, dass er ein beson-
ders verdorbenes Stück erwischt hatte und die Todes-
ursache also eine Ptomain-Vergiftung war.
Dieser Todesfall in unserer Mitte warf einen Schat-
ten auf das Lager, und wir beschlossen, die gedrückte
Stimmung durch einen langen Marsch in eine andere
Gegend zu mildern.
241
B. war am nächsten Morgen schon früh unterwegs,
um einen Köder für Löwen zu erbeuten. Auf dem
Rückweg zum Lager wurde er einer Büffelherde an-
sichtig, die friedlich auf der ungedeckten Ebene äste.
Er hatte sich bis auf Schussweite herangepürscht und
war gerade daran, sich in eine bequemere Stellung zu
bringen, als er zu seiner Seite eine Bewegung mehr
fühlte als sah, die ihn umschauen liess. Er sah gerade
noch die gelbe Schulter eines Löwen verschwinden.
Im nächsten Augenblick flüsterte Muthoka: «Simba».
Und da, mitten in der offenen Steppe, lauerten drei
Löwinnen den Büffeln auf. Noch hatten sie B. nicht be-
merkt, der gemächlich eine von ihnen aufs Korn nahm
und feuerte. Die einzige Deckung in dem offenen Ge-
lände war der Busch, den B. sich selbst ausersehen
hatte, und die Löwin kam geradewegs in langen Fluch-
ten auf ihn zu. Sie gewahrte B. erst, als sie nur wenige
Meter von ihm entfernt war, worauf sie zur Seite
schnellte und in dem Gestrüpp verschwand.
Der Schuss hatte die Büffel misstrauisch gemacht;
sie standen dicht zusammengedrängt und sicherten
nach allen Richtungen. B. gab eine Kugel auf einen
Bullen ab, der nun ebenfalls in gestrecktem Galopp
auf ihn zujagte. Es sah aus wie ein Angriff, in Wirk-
lichkeit war es ihm — wie vorher der Löwin, nur darum
zu tun, die nächste Deckung zu erreichen. B. folgte
und stiess im Dickicht unvermittelt auf den Bullen,
der ihm den Spiegel zukehrte. B. hatte nur noch ein
Vollmantelgeschoss übrig, und als sich der Büffel im
gleichen Augenblick herumwarf und ihn annahm,
gab er Feuer. Wieder wendete sich das Tier und suchte
krachend durch das Dickicht das Weite.
242 \
Unterdessen war die Löwin verendet. Nachdem B.
sie abgestreift hatte (merkwürdigerweise fehlte auch
ihr die Schweifquaste), kehrte B. zum Lager zurück,
um die schwere Büchse zu holen. Es gab voraussicht-
lich eine interessante Nachsuche wie damals im Tinga-
Tinga, bei der auch ich mitgeholfen. Ich wäre gerne
wieder mitgekommen, B. sagte aber, es sei ein gefähr-
liches Gelände, und je weniger Verfolger, desto besser.
Ich machte mich daher an die Beatbeitung der Löwen-
decke und war noch lange nach Sonnenuntergang beim
Schein des Lagerfeuers damit beschäftigt.
Endlich kam B. zurück. Er war der Spur einige Stun-
den gefolgt, als Major aus seinem Halsband schlüpfte
und mit hellern Geläute davonschoss. Fast gleichzeitig
stürmte der Büffel durch das Unterholz heran. Es war
unmöglich festzustellen, woher er sich näherte, und
ebenso unmöglich, seinem Ansturm auszuweichen,
denn der Busch war ausser dem Wechsel der Büffel un-
durchdringlich. Schon erbost über seine Wunde, stei-
gerte der Hund die Wut des Büffels aufs äusserste.
Er schnaubte durch das Dickicht auf der Suche nach
seinen Verfolgern, um seinen Zorn an ihnen auszu-
lassen. Nur wenige Meter fegte er an B. vorüber, aber
das Schilf stand so dicht, dass er nur einen Augenblick
sichtbar wurde, als er schon vorüber war. B. riss die
schwere Büchse herum und brannte ihm eine 416er
aufs Blatt. Es war ein Schuss zur rechten Zeit, denn
der Büffel hatte Kasaia schon beinahe erreicht, ja, er
war ihm so nahe, dass B. ihn schon zwischen den aus-
ladenden Hörnern sah.
Es war eine für alle Beteiligten gleich gefährliche
Situation gewesen, und B. gelobte sich, nie mehr im
243
Dickicht die Suche nach einem krankgeschossenen
Büffel zu riskieren. Ich wünschte, er möchte Wort
halten, denn unter solchen Umständen war jeder
Schritt mit Lebensgefahr verbunden. Aber man gerät
in solche Situationen, ehe man es sich versieht, und
dann bleibt nichts übrig, als durchzuhalten.
Der erlegte Büffel lag ein gutes Stück vom Lager ent-
fernt. B. schlug darum vor, dass ich, während er ihn
am nächsten Morgen aufsuchte, mit Kasaia zusammen
den Topi-Köder übernehmen solle, um auch einmal
Gelegenheit zu haben, einen Löwen zu erlegen.
Vor Aufregung über diese Aussicht konnte ich kaum
schlafen. Wir gingen miteinander, bis sich unsere Wege
trennten. Ich war noch nicht weit gekommen, als ich
ein halbes Dutzend Eingeborener sah, die über dieEbene
daherspazierten, ausgerechnet in der Nähe des Köders.
Sie drückten sich, bevor ich mit ihnen sprechen konnte,
aber augenscheinlich patrouillierten sie hier mit der
Absicht, die Raubtiere fernzuhalten, um nachher von
B. den Köder für sich zu erbetteln. Mit meiner Löwen-
jagd war es damit aus. Die Eingeborenen dieser Gegend
waren durchwegs eine primitive Gesellschaft. Auch
unsere hier angeworbenen Träger machten uns zu schaf-
fen, sie schienen sich nur unter Zwang wohl zu fühlen.
Die belgischen Safaris scheinen ihre Trophäen zu ver-
schachern, denn einer der hiesigen Träger fragte mich,
während ich an der Löwenhaut arbeitete, ob ich sie ihm
für drei Francs (siebzig Cents) verkaufen wolle. Ich
sagte, der Bwana verlange gewiss nicht mehr als 1.50
Francs, aber er lachte nicht einmal über meinen Scherz.
Wenn wir es bis hierher als unnötigen Luxus be-
trachtet hatten, vierzehn Boys aus dem fernen Nairobi
244
mitzubringen, so sahen wir bald ein, dass wir ohne sie
im Kongo nicht weit gekommen wären.
Unsere Leute freuten sich königlich über die Er-
legung der Löwin und des Büffels, und Kasaia spielte
wieder einmal fröhlich auf seiner Geige. B. sagte ganz
richtig, dass mit möglichst viel Abwechslung die Leute
keine Gelegenheit hätten, sich über Hamesis Tod
schwarze Gedanken zu machen. Er gab ihnen einen
freien Nachmittag und verteilte Angelhaken, denn es
ging ihnen nichts über den Fischfang. Die Tragödie
des armen Hamesi hatte viel dazu beigetragen, uns
enger aneinander zu schliessen. Sie waren uns nur un-
gern in den Kongo gefolgt und hätten allen Grund ge-
habt, uns dies jetzt fühlen zu lassen; aber nie hatten sie
rücksichtsvollere Fügsamkeit gezeigt als gerade jetzt.
Der Verlust eines Mannes ist für jede Safari ein harter
Schlag, besonders wenn die Leute, wie die unseren,
schon seit eineinhalb Jahren zusammenarbeiteten und
sich beinahe als eine grosse Familie betrachten.
Bei Anbruch des nächsten Tages inspizierten wir
wieder unsere Köder, und diesmal fand ich bei meinem
Köder einen Löwen. Aber schon entfernte er sich in
einem fördernden Galopp, und als er einmal ausser
Sicht war, verriet der hartgedörrte Boden nicht die
Richtung, welche er genommen. Ich drückte durch
den Busch, aber nur Federwild kam hoch und — ein
plötzliches Knacken — ein Riedbock. Allein auf mich
angewiesen, fand ich die Löwenjagd entschieden an-
regender, und ich brannte darauf, in Erfahrung zu
bringen, ob ich mich wirklich so kaltblütig dabei be-
nehmen würde, wie ich es mir vorstellte.
245
Da B.’s Köder keinen Besuch erhalten hatte, wollten
wir es am nächsten Tag nochmals mit meinem Löwen
versuchen. Das war aber nicht so einfach, denn er hatte
den Topi schlau in einen Busch geschleppt, der isoliert
auf einer Anhöhe das Lager überragte. Von keiner
Seite war es möglich, gedeckt heranzukommen; Mond-
licht gab es zur Zeit auch nicht, und so planten wir, in
einer Boma in der Nähe des Köders zu schlafen, um
beim ersten Büchsenlicht bereit zu sein. Am Tage war
der Ansitz zwanzig Minuten vom Lager entfernt, da
wir ihn aber erst bei völliger Dunkelheit aufsuchen
wollten, peilte ihn B. so genau wie möglich mit seinem
Kompass an. Als wir uns auf den Weg machten,
lastete die Dunkelheit wie eine erstickende Decke über
uns. Wir stolperten beständig über Termitenhügel und
konsultierten alle paar Schritte den mit Leuchtziffer-
blatt versehenen Kompass. Viele Stunden schienen
darüber zu vergehen. Vögel gingen mit flatternden
Schwingen unter unsern Füssen hoch, aufgestörte
Riedböcke klagten schrill, Laute, die uns jedesmal zu-
sammenfahren liessen. Endlich stiessen wir auf die
Boma und mussten entdecken, dass unser Feldzugsplan
gänzlich missraten war. Unsere Absicht war gewesen,
den Köder unberührt daliegen zu lassen, wo ihn der
Löwe gefunden, so dass er ihn, ohne Verdacht zu
schöpfen, wieder aufsuchen und eine ausgiebige Mahl-
zeit halten würde. Dann war die Wahrscheinlichkeit
gross, dass er sich bis zum Morgen in der Nähe aufhielt.
Unsere Leute hatten aber stets den Köder in nächster
Nähe der Boma festgepflöckt, und so hatten sie es auch
diesmal gehalten. Daran war jetzt nichts mehr zu än-
dern, und wir zündeten die Laterne an.
246
Vom Köder war wenig mehr als die Rippen und der
Hals übrig, und der Sand wies frische Spuren auf.
Kaum hatten uns die Boys mit Dornenzweigen ein-
gehegt, als sie uns schon zuraunten, sie hörten Löwen
bei der Mahlzeit. Wir krochen wieder heraus, B. zu-
vorderst, dann Kasaia mit der Sturmlaterne auf dem
Kopf, dahinter Muthoka und ich, und bald sahen wir
uns drei glühenden Augenpaaren gegenüber. Es schien
ein tollkühnes Unterfangen, drei gereizte Löwen bei
ihrer Mahlzeit zu stören und einen Schuss beim flak-
kernden Licht einer Sturmlaterne zu riskieren, aber es
kam nicht dazu, denn im gleichen Augenblick ver-
schwanden die Augen. Wir fanden die Reste des Kö-
ders und schleppten ihn bis dicht an die Boma.
Wieder in unserem Versteck, die Büchsenläufe durch
die Zweige gerichtet, hatten wir noch nicht so lange
gewartet, bis die flackernde Laterne der Boys im Dun-
kel verschwunden war, als wir einen Löwen knurrend
den Köder anspringen hörten. Seine Umrisse zeichne-
ten sich gegen den von einem Grasfeuer erhellten Him-
mel ab, aber er schnellte ins Dunkel zurück, bevor wir
zum Schiessen kamen.
Nach unsern Erfahrungen am obern Tana war es
fast unverständlich, dass Löwen sich so unbekümmert
benehmen konnten. Sie umgaben uns auf allen Seiten,
und stundenlang konnten wir ihnen zuhören, wie sie
Knochen zermalmten und zersplitterten, oft so nahe,
dass sie die Zweige buchstäblich gegen uns drückten.
Wir befanden uns zwar in völliger Sicherheit, waren
aber unfähig, etwas zu unternehmen, denn, wenn uns
auch nur eine dünne Scheidewand von Dornenzweigen
trennte, sehen konnten wir nichts.
247
Nach einiger Zeit bewegte sich ein Schatten an uns
vorüber, und wir gaben Feuer. Er sank mit einem
merkwürdig hundeähnlichen Gewinsel zu Boden —
eine Hyäne.
Die Moskitos summten und sangen in hungrigen
Scharen um uns, dass die Luft wie vom Klang vieler
Violinsaiten vibrierte. Unerträglicher noch war ihr
Blutdurst, und da wir zur Unbeweglichkeit verurteilt
waren, freuten wir uns beinahe, als sich die Löwen end-
lich entfernten.
Am nächsten Morgen kam Bericht, dass eine Ele-
fantenherde in der Nähe sei. B. brach sogleich auf, um
Jagd auf sie zu machen, während ich die Safari über den
Isasha-Fluss führte. Er bildet die Grenze zwischen
Belgisch-Kongo und Uganda, und wir fanden auf der
andern Seite einen grossen Kraal mit vielen Hütten,
Schafen, Ziegen, jungen Hunden, Kindern, getrock-
neten Fischen und den unvermeidlichen Bananen-
bäumen. Die Eingeborenen waren sehr freundlich; es
war überraschend, wie das Überschreiten eines kleinen
schmutzigen Wasserlaufs einen solchen Unterschied im
Benehmen der Eingeborenen hervorrufen konnte.
Die Elefanten enttäuschten uns. B. stiess in einem
Wald auf sie, eine Herde von sieben Stück, der Leit-
bulle ein mächtiger Geselle, aber mit schwach ent-
wickelten Stosszähnen. Sie bewegten sich äsend unter
dem Wind vorwärts. Dabei vollführten sie einen ziem-
lichen Lärm, und B. erriet ihre Nähe zuerst an den weit-
hin hörbaren kollernden Verdauungsgeräuschen. Er
beobachtete sie eine Weile, wie sie sich mit Sand be-
stäubten, dann und wann ein übermütiges Kalb mit
klatschendem Rüsselschlag zurechtwiesen und in ge-
248
mütlichem Tempo über den sonnengesprenkelten Wald-
boden wanderten.
Später erlegte er einen Büffel, mit dem er ein ähn-
liches Erlebnis hatte wie mit dem letzten: weidwund-
geschossen, wurde er in so dichten Busch hinein
flüchtig, dass B. ihn dreimal hochbrachte, bevor er ihn
zu Gesicht bekam.
Nun gab es wieder Fleisch für die Träger. Als es aber
am folgenden Tag eingebracht wurde, erklärte Abde,
es sei schon verdorben und dürfe nicht mehr genossen
werden. Es war noch keine zwölf Stunden alt und hatte
während der ganzen Zeit im Schatten gelegen, so dass
Abdes Einspruch ungerechtfertigt schien. Aber keiner
von uns war damals darauf aus, Experimente in dieser
Richtung zu wagen; die geringste Magenverstimmung
jagte uns einen Schreck in die Glieder, und mein Boy
Kisima weinte heisse Tränen über einen ganz unbedeu-
tenden Fieberanfall, überzeugt, dass er das Br
nicht mehr erleben werde.
Da die Träger damit beschäftigt waren, das Wildbret
einzubringen, hatten wir einen Tag für uns, den wirdazu
benützten, unsere ’Trophäen zu etikettieren und zu-
sammenzupacken. Wir waren gerade dabei, die Schädel
der Löwen in Arsenik zu waschen, als ein uniformierter
Askari mit einem Militärgewehr, Fez und riesigem,
aufgedrehtem Schnurrbart auf der Bildfläche erschien,
mit der augenscheinlichen Absicht, uns als belgische
Wilddiebe in flagranti zu verhaften. B. kam ihm aber
zuvor, indem er sogleich bemerkte, wie sehr er sich
freue, das Land unter so vorzüglicher Polizeiaufsicht
zu sehen. Als sich der Hüter des Gesetzes überzeugt,
dass wir keineswegs «Birigeegees» (Belgier) waren,
249
und uns einige nützliche Winke über die Gegend und
den Wildbestand gegeben hatte, überreichte B. ihm ein
Bakschisch, worauf er die Hacken zusammenschlug und
höchst befriedigt seines Weges zog. Bei dieser Gelegen-
heit konnten wir Simba verabschieden, der nun in
Gesellschaft des Askaris in seine Heimat zurückkehrte.
Wie jemand auf den sonderbaren Gedanken gekommen,
ihn ausgerechnet «Simba» zu taufen, war uns stets
unerfindlich geblieben, denn etwas weniger Löwen-
mässiges als ihn konnte man sich schwerlich vor-
stellen. Seit zehn Tagen hatte er sich jeder Dienstlei-
stung entzogen und führte nun alle seine Leiden auf die
Begegnung mit dem unhöflichen Kob vor drei Wochen
zurück.
Am folgenden Tag schlugen wir uns eine Weile mit
undurchdringlichem Elefantengras herum und hielten
dann wieder auf den Fluss zu. Wir gelangten dabei
zu einer Art natürlichem Baumgarten aus immergrünen
Bäumen, aus blendender Sonne schritten wir unver-
mittelt in seinen kühlen Schatten. Behaglich streckten
wir uns unter dem dichten Blätterdach, in dem der
Wind rauschte, und hatten schon Visionen von einem
erfrischenden Tee, als Muthoka meldete, er habe so-
eben einen Büffel gesehen.
B. griff unverzüglich zur Büchse und kam bald nach
kurzer, erfolgreicher Jagd zurück. Diesmal war das
Wildbret unleugbar frisch. Der erste Schuss war fehl-
gegangen und der Büffel in eine Dickung flüchtig ge-
worden, die in einer Biegung des Flusses lag. Der
Büffel hatte von hier aus wahrscheinlich das gegen-
überliegende Ufer gewinnen wollen, woran ihn aber
die steile Uferböschung hinderte. Infolgedessen wurde
250
er in dem Flussknie wie in einer Falle gefangen, an
deren Ende B. sich postierte, während er seine Beglei-
ter nach dem andern Ende schickte, damit der Büffel
Wind von ihnen bekommen sollte. Er kam in voller
Flucht heran, so dass seine tiefgestreckte Rückenlinie
kaum über demnicht vielmehr als kniehohen Gras sicht-
bar wurde. Wie ein grauer Streifen sauste er an B.
vorüber, den Wedel steif aufgerichtet. Eine Kugel legte
ihn in vollem Lauf um, als er gerade ins Dickicht zu
tauchen drohte.
Die Hälfte des Kadavers verwendeten wir als Köder
und blieben die ganze Nacht im Ansitz, doch hörten
wir die Löwen nur in weiter Ferne, während Hyänen
sich an dem Aase gütlich taten. Erst hatte sich nur eine
einzelne vorsichtig, unter beständigem Sichern nach
allen Seiten, genähert. Während sie über dem Kadaver
stand, mit erhobenem Haupt, die Lauscher aufmerksam
vorgestreckt, hatte sie ihr übliches schleichend-feiges
Aussehen abgelegt. Es gesellten sich ihr drei weitere
Hyänen zu, und als sie einmal mit ihrer Mahlzeit begon-
nen hatten und die Haut herunterrissen, dass es sich
anhörte wie das Zerreissen von Segeltuch, liessen sie
sich durch keinen Lärm, den wir verführten, stören.
Wohl verhofften sie ständig, aber ihre Ängstlichkeit galt
nicht uns, sondern den Löwen, und wir konnten sie nur
vertreiben, wenn wir Löwenknurren nachahmten.
In der folgenden Nacht erlegte B. einen kapitalen
Leoparden. Seine Kühnheit war erstaunlich: B.’s Büchse
versagte beim ersten Schuss, und beim Wiederladen ist
ein metallisches Knacken nicht zu vermeiden. Der
zweite Schuss ging fehl, aber wieder kehrte der Leo-
pard zum Köder zurück.
251
B. hatte schon lange vergebens nach einer gutge-
hörnten Moor-Antilope gesucht, doch in dieser Gegend
schienen sie es nur zu einer schwachen Kopfzier zu
bringen. Er folgte gerade einem krankgeschossenen
Bock, als er sich unvermutet vier Büffeln gegenüber
sah. Zeit zum Überlegen oder gar zum Wechseln der
Büchse gab es nicht mehr; er feuerte auf das zunächst-
stehende Tier, worauf alle zusammen kehrt machten
und die Flucht ergriffen.
Hierauf nahm er die Suche nach der Antilope wieder
auf, bis er an die Böschung des Flusses kam. Von ihrer
Höhe aus konnte er die Antilope erkennen, wie sie ge-
duckt unmittelbar am Ufer verhoffte. Eine Kugel ins
Rückgrat tötete sie augenblicklich, doch mit einer
letzten gewaltigen Flucht verschwand sie im Wasser.
Wäre der Fluss nicht frei von Krokodilen gewesen,
so hätte man darauf schwören mögen, dass ein Kroko-
dil die Antilope unter die Oberfläche gezogen. Das
Wasser wallte blutrot auf, zog weite Ringe, und schon
hatte die öligglatte Strömung alles verwischt. Die Boys
suchten mit langen Bambusstangen nach ihr, wobei sie
bis zur Brust im Wasser standen, aber obwohl sie
Löcher von sieben bis acht Fuss Tiefe sondierten, blieb
die Antilope verschwunden.
Am nächsten Tag suchten wir die Ufer ab und fanden
das Tier in einer Bucht etwa eine Meile flussabwärts.
Kurz vorher hatte B. noch mit dem angeschossenen
Büffel die gefährlichste Begegnung seines Jägerlebens
gehabt. Kaum hatte er ihn in seinem Wundbett fest-
gestellt, als ihn der Büffel wie ein wahrer Wirbelsturm
annahm. B. sah schon die drohenden Hörner unter sich
und hatte gerade noch Zeit, sich zur Seite zu werfen.
252
Der Büffel donnerte vorüber, und kaum war die Spitze
seines Horns um weniger als einen Zoll an B. vorbei-
gesaust, als er schon gewahr wurde, dass er seinen
Feind verfehlt. Die Gewalt seines Ansturms verhinderte
ihn aber anzuhalten oder abzubiegen. Als er sich endlich
zum Stehen gebracht, witterte er zögernd, um B. aus-
findig zu machen, der diesen Augenblick wahrnahm
und ihm eine Kugel in den Spiegel jagte, die ihn kra-
chend zu Fall brachte. Augenblicklich war er wieder
auf den Läufen, warf sich schnaubend vor Wut herum
und hätte noch einmal B. um ein Haar erwischt, wenn
sich nicht der tapfere kleine Major eingesetzt und die
Aufmerksamkeit des Büffels auf sich gelenkt hätte, wo-
durch B. Zeit zum Feuern bekam. Zugleich krachte
auch die 318er, die Muthoka trug, glücklicherweise
weit vom Ziel, denn hätte er nur einigermassen gezielt,
dann hätte er von seinem Standort aus B., der vor dem
Büffel stand, zuerst treffen müssen.
Eine weitere Kugel gab dem Büffel den. Rest. Er
fiel schwer auf die Seite, und die beiden Boys, die bei
seinem ersten Angriff Reissaus genommen hatten, fan-
den sich wieder ein. Er war ein mächtiger Kämpe, mit
Narben übersät, darunter eine, die von einer Gewehr-
kugel zu stammen schien.
Es war ein rühmlicher Kampf gewesen, und als B.
zurückkam, zog ihm das ganze Lager entgegen und
salutierte. Als er mir aber den Hergang erzählte, brachte
ich kaum ein Wort hervor, der nachträgliche Schreck
hatte mich fast krank gemacht.
Wir zogen nun nach Kinyonza, einem kleinen Platz
am Uganda-Ufer des Flusses. Dort hofften wir, von
unserer erwarteten Kabel-Nachricht zu hören, denn
253
aus den zehn Tagen waren inzwischen drei Wochen
geworden. Die kongolesischen Träger waren anschei-
nend noch ungeduldiger als wir, denn als Ndezi in
unser Lager kam, wurden sie bei ihm vorstellig, sie
wollten sogleich in ihre Heimat zurückkehren, wobei
sie mit keinem Wort erwähnten, dass sie sich für einen
ganzen Monat bei uns verpflichtet hatten. Ndezi war
der Häuptling aller Häuptlinge und augenscheinlich
ein kleiner König in seinem Land, und es sah bedenk-
lich danach aus, als sollten wir unsere Träger endgültig
verlieren, besonders als B. zur Eröffnung der Zusam-
menkunft seine Königliche Hoheit gehörig zur Rede
stellte, weil er nicht «Guten Morgen» gesagt hatte.
Tiefgekränkt stolzierte Ndezi mit seinem Tropenhelm
und Malakkarohr vom Platz. Als wir ihn endlich zur
Rückkehr bewogen hatten, schmollte er wie ein unge-
zogenes Kind und weigerte sich, auch nur ein Wort zu
sprechen. Aber niemand konnte sich lange B.’s gewin-
nendem Wesen entziehen, und bevor das Palaver aus
war, schüttelten sie sich die Hände, und das Ende war,
dass Ndezi sich für unsere Sache mit Begeisterung ins
Zeug legte. Der Anführer der Träger gab schliesslich
zu, dass sie sich für die Dauer eines Monats verpflichtet
hatten, und er rechtfertigte seine Widersetzlichkeit,
indem er angab, er habe geglaubt, wir seien schon zwei
Monate unterwegs, so dass er dafür unsere Sympathie
zugleich mit unserer Absolution verdiene.
Kinyonza war eine typische Löwengegend, in einer
welligen Ebene, in der es von Kob- und Topi-Rudeln
wimmelte.
Ein nächtlicher Ansitz am Köder verlief ergebnislos.
Der Vollmond warf scharfe Schlagschatten, die Löwen
254
brüllten, wie wir es noch nie zuvor gehört, aber sie
fanden unsern Köder nicht.
Es mussten gegen zehn Löwen gewesen sein, die
gleichzeitig ihre Stimmen erhoben, ein dröhnendes und
eindrucksvolles Konzert wie das Schlagen von 'Trom-
meln und Pauken.
Am nächsten Tag ging B. daran, eine Plattform in
einem Baum zu errichten, der ungefähr in der Gegend
stand, wo wir die Löwen hatten brüllen hören, wäh-
rend ich auf der andern Seite des Flusses einen Köder
zu erbeuten suchte.
Ich hatte es auf ein Rudel von Wasserböcken abge-
sehen, aber immer, wenn ich mich ihnen näherte, ver-
riet ein Rudel von Kobs meinen Standort, und das
Ende war, dass die Wasserböcke in einem Dickicht ver-
schwanden. In der Luft hing ein schwerer, durchdrin-
gender Büffelgestank, und etwas weiter entfernt war sie
von dem Kadaver eines Elefanten verpestet. Die Stoss-
zähne des Tieres fehlten, und wir konnten feststellen,
dass es mit einem Wurfspeer getötet worden war. Die
Zahl der um das Aas versammelten Geier und Marabus
ging in viele Hunderte. Als wir sie aufstörten, verdun-
kelten sie den Himmel.
Ich schlug eine neue Richtung ein und stiess wie-
der auf ein Rudel Wasserböcke. Diesmal liess ich
beim Anpürschen keine Vorsichtsmassregel ausser acht
und kroch mit der List einer Schlange über die Stop-
peln, immer aber in voller Sicht einer Antilope. End-
lich fand ich in einem Busch Deckung und pürschte
mich darin auf Schussweite an einen kapitalen Bock
heran (er schien wirklich ein Rekordbulle, denn seine
Hauptzier ragte so hoch, dass er sich darunter ganz
255
klein ausnahm), als zwei Schüsse fielen. Die Wasser-
böcke warfen die Häupter hoch und machten sich wie
auf Kommando aus dem Staub. Ich fand keine Gelegen-
heit, auf den Bock abzukommen, fehlte ein weibliches
Tier, traf-aber ein zweites.
Kasaia kam mit Major herbeigerannt, und eine wilde
Hetzjagd setzte ein. Ich folgte Majors hellem Geläute
so rasch ich konnte, jeden Augenblick gewärtig, die
gestellte Antilope zu finden; ich wusste nicht, dass sich
der Wasserbock nicht verbellen lässt. Die Jagd führte
in so dichten Busch, dass wir stellenweise auf allen
Vieren kriechen mussten, aber die Schweißspur wurde
immer reichlicher. Wir kamen in Eifer, ich achtete gar
nicht darauf, wie die Stunden verrannen, und als wir
aus dem Dickicht traten, sah ich mit Schrecken, dass
die Sonne schon am Untergehen war. Und ich hatte
doch B. versprochen, zwischen drei und vier Uhr zurück
zu sein, um zeitig mit ihm zum Ansitz zu gehen. Wir
bezeichneten die Stelle, an der wir die Suche abgebro-
chen, und eilten durch die einbrechende Dämmerung
zurück. Im Laufen sagte ich mir beständig: wenn ich
doch nur für meine Verspätung eine bessere Entschul-
digung hätte als vier Weichmantelgeschosse, um nichts
als einen Wasserbock weidwund zu schiessen. B. er-
legte seine Köder stets mit einem einzigen Vollmantel-
geschoss. Im Grunde war ich aber über meinen Wasser-
bock mindestens so stolz wie die meisten Jäger auf
einen Bongo.
Ich kam lange nach B. ins Lager zurück. Er war es
gewesen, der bei seiner Rückkehr die beiden Schüsse,
die meine Wasserböcke vergrämt, als Signalschüsse
für mich abgegeben hatte.
256
Während ich unsere kostbare Munition verschwen-
dete, hatte er zwei Löwen erlegt. Er hatte sich gerade
einen Baum auf seine Eignung für eine Plattform be-
sehen, als Löwen aus dem darunter wachsenden Ge-
büsch hervorsprangen. Den ersten streckte er nieder
und wollte eben auf den zweiten abkommen, der unter-
dessen im hohen Gras flüchtig geworden war, als ein
dritter Löwe keine drei Meter vor ihm ausdemGestrüpp
setzte. B. feuerte auf ihn aus Notwehr, während der
zweite dadurch entkam. Der erste war ein mächtiges
Tier mit goldener Mähne, auch war er ganz ungewöhn-
lich fett.
Es wuchsen nur wenige Bäume verstreut in der
Ebene, und das Dickicht unter ihrem breiten Blätter-
dach bot in weitem Umkreis das einzige gute Versteck
für Löwen. Am folgenden Tag trieben wir sie syste-
matisch durch, B. auf der einen und ich auf derandern
Seite postiert, während die Leute mit Speeren bewaffnet
durch das Gebüsch drückten. Es war eine nerven-
kitzelnde Treibjagd, auch wenn uns dabei kein Löwe
vor die Büchse kam. Bei einer systematischen Löwen-
jagd glänzt der Löwe meist durch Abwesenheit, und
man trifft ihn gewöhnlich dann, wenn man ihn am
wenigsten erwartet.
Hinter dem Plateau dehnt sich eine ähnliche Ebene
bis zum Lutungwe-Fluss, aber sie ist bewohnt, und
Eingeborene, die wir befragten, schilderten sie als
gänzlich wildarm. Hier aber waren wir unzweifelhaft
am richtigen Ort, die Eingeborenen beider angrenzen-
der Landstriche waren darüber einer Meinung. Es war
das erste Mal, dass wir eine solche Einstimmigkeit er-
lebten, denn wenn man sich sonst auf die Aussagen
257
von Schwarzen verlässt, liegt das wildreichste Gebiet
stets etwas weiter voraus, oder man hat es soeben hinter
sich gelassen.
Die Erlegung der beiden Löwen vergrämte indessen
die übrigen, und da wir wieder Löwengebrüll von der
Kongoseite her vernahmen, verlegten wir das Lager
auf das gegenüberliegende Ufer zurück.
Ich brannte darauf, B. zu meinem Rekord-Wasser-
bock zu führen. Wir suchten ihn vergeblich. B. fehlte
eine weibliche Geschirr-Antilope, die er zur Vervoll-
ständigung des Paares für das Museum haben wollte,
aber dicht beim Lager erlegte er noch einen Büffel, der
als Köder herhalten musste.
Als B. sich in der Frühe dem Köder näherte, sah
er einen Löwen, der sich in einiger Entfernung davon
niedergetan hatte. Im unsichern Büchsenlicht der
Morgendämmerung ging B.’s Kugel zu tief in den
Brustkorb, der Löwe setzte mit mächtiger Flucht über
die Böschung hinab. Angeschossen und vollgeschla-
gen wie er war, sprang er den 82 Fuss hohen Steil-
hang hinunter und berührte ihn nur einmal.
B. bekam ihn nach langer Suche durch dorniges
Gestrüpp zu Gesicht und zerschmetterte ihm mit einer
Kugel den Hinterlauf. Die Verletzung behinderte den
Löwen so, dass er in eine Felsspalte fiel, die er passieren
wollte. Der Spalt war ı5 Fuss tief, eng und steil wie ein
Kamin, eine wahre Fallgrube. Der Löwe war ausser-
stande, sich herauszuarbeiten, und der Anblick der
über ihm stehenden Gestalt brachte ihn in einen Paro-
xysmus der Wut. Er warf sich mit Wucht an die Wände
des Felsspalts, von dem seine Pranken die Erde
herabrissen und brüllte, dass der Boden zitterte. B.
258
warf einen Klumpen Erde hinab. Der Löwe warf sich
rasch wie der Blitz darauf und zerfetzte ihn mit Pran-
kenschlägen zu Atomen.
Es war so dunkel und eng am Boden der Grube, dass
es schwerhielt, einen Fangschuss anzubringen, und
noch schwieriger wurde es, als der Löwe B.’s Blicken
ganz entschwand, indem er sich in eine Unterhöhlung
der Felswand zurückzog. Sein anhaltendes dröhnen-
des Knurren tönte wie ein Echo aus der Unterwelt.
Um ihn aus seinem Versteck auszuräuchern, liessen
die Boys ein brennendes Grasbündel an einer langen
Stange bis an die Höhlenöffnung hinab. Mit einem
wütenden Schlag seiner Pranke riss er es sogleich in
Fetzen. Bei einem zweiten Hieb kamen sein Kopf und
seine Schulter zum Vorschein, und B., der mit der
Büchse bereit stand, sandte ihm eine Kugel in den
Nacken.
Es hielt schon schwer, in die Höhle hinabzusteigen,
ganz unmöglich aber war es, den Löwen herauszu-
ziehen, so dass B. ihn in dem engen Loch, das nicht
einmal genügte, den Kadaver auszustrecken, mit
Muthoka zusammen ausbalgen musste. Der Boden
der Höhle war infolge eines Regengusses mit Schlamm
angefüllt, und als das Fell, verkrustet von Blut und
Schlamm, im Lager ankam, schien es kaum mehr zu
retten zu sein. Doch alle Leute griffen an, und zuletzt
bürstete ich den getrockneten Schlamm ab und kämm-
te die Mähne, bis sie trocken war. Als ich die letzte
Hand angelegt hatte, meinte B., sie sei «so schön wie
ein von Ward präpariertes Fell».
Der Unterschied zwischen den Löwen aus Uganda
und denen des Kongo fiel uns auf. Es ist merkwürdig,
259
dass der kleine Isasha-Fluss eine so scharfe Trennungs-
linie bildet. Vielleicht ist es nur ein Zufall unserer
Jagderfahrungen, aber wir fanden die Löwen auf dem
Uganda-Ufer durchwegs gross, mit enorm entwickelter
Schwarte und goldener Mähne, während uns die
Löwen auf der Kongoseite als kleiner, feingliedriger
und schwarzgemähnt auffielen*.
Wir konnten uns nicht erklären, warum das Wild in
dieser Gegend, die selbst von den Eingeborenen ge-
mieden wird, so ausserordentlich scheu war. Die Ur-
sache dafür fanden wir, als wir einmal einem weissen
Kob nachspürten — einem Albino —, den wir in einem
Rudel von über hundert Muttertieren gesehen hatten,
und der für das Museum Interesse haben mochte —
und ein Pack jagender Wildhunde antrafen. Sie hetzten
einige Topis und holten langsam aber stetig auf. Der
Leithund gab dabei ein tiefes, tönendes Geläute von
sich; dann verschwand die wilde Jagd hinter einem
Höhenzug.
Die Wildhunde verursachen grossen Schaden unter
dem Wildbestand. Sie sollen ihr einmal erwähltes Opfer
gelegentlich zwei Tage lang ununterbrochen verfolgen
und so furchtlos sein, dass sie mitunter gar einen Büffel
oder Löwen stellen und reissen. Sie sehen den Hunden
der Eingeborenen ähnlich und sind wie sie meist räudig.
*) In einer der Besprechungen des englischen Originals
dieses Buches wurde kritisiert, B. habe eine unnötige Zahl von
Löwen erlegt. Es sei darum hier erwähnt, dass die Trophäen,
gerade wegen ihrer grossen Zahl, welche die individuellen Ab-
weichungen erkennen lässt, einen wissenschaftlichen Wert be-
sitzen und inzwischen einer Reihe anderer europäischen Museen
zu Studienzwecken geliehen wurden.
260
Einst überraschten wir ein Pack auf einem Stein-
Kopje in der Athi-Steppe, zwei der Hunde liefen gegen
uns zu und bellten auf uns herab wie Wachthunde.
Als wir von unserer Begegnung mit den wilden
Hunden zurückkehrten, erblickten wir in der Ferne
zum ersten Mal den Ruwenzori. Er erhob sich über die
Wolken weit hinter dem See, die zackigen Flanken von
einem schneeigen Zwillingsgipfel gekrönt. Die Däm-
merung hatte die Vulkangruppe und die Berge des
Kongos schon verschlungen, als nur noch sein Gipfel,
den Tag überdauernd, in blendender Weisse vor den
glutroten Abendwolken ragte.
Wir hatten dem Isasha den Rücken gekehrt und zogen
wiederum auf den See zu. B. erlegte zwei Kobs. Nach-
dem er den zweiten geschossen hatte, sah er Geier auf
den ersten herniedersausen und kehrte nochmals zu-
rück, um ihn mit Zweigen zuzudecken. Beim Näher-
kommen fiel ihm auf, dass sich die Aasvögel nicht auf
die Beute selbst niedergelassen hatten, sondern in der
Nähe beisammenhockten und ängstlich die Hälse reck-
ten. B. pürschte sich näher, konnte aber nichts Ver-
dächtiges erkennen als drei braune Streifen, die er an-
fänglich für Grasbüschel hielt. Plötzlich begannen sie
sich zu bewegen, und B. sah drei Löwen vor sich.
Die Löwin hob den Kopf, als wollte sie ihren Gefähr-
ten ein Zeichen geben, ihr zu folgen. Das Junge ge-
horchte, während ihr Gemahl nur aufblickte und dann
ruhig mit seiner Mahlzeit fortfuhr. B. feuerte erst auf
ihn, dann auf die inzwischen flüchtig gewordene Löwin.
Die Kugel musste getroffen haben, denn sie änderte
ihre Richtung und lahmte stark. B. gab dem Löwen
den Fangschuss und nahm dann die Spur der Löwin
261
auf, die in einem Halbkreis zwei Meilen weit führte.
Die Spur war schwer zu halten, denn sie wies fast
keinen Schweiss auf. Endlich gewahrte B. die Löwin
in einem ausgetrockneten Bachbett inmitten eines
Wäldchens. Vorerst sah er nur die dunklen Spitzen
ihrer Lauscher; er näherte sich geräuschlos, bis ein
knackender Zweig ihr seine Anwesenheit verriet. Als
sie das Haupt nach ihm hob, zielte er nach der Gurgel
und zerschmetterte ihr den Kiefer. Sie schleppte sich
tiefer in die Büsche, wo sie sich ruhig verhielt, und
die Boys erklärten sie für verendet. Als B. aber näher
trat, erhob sie ihre fauchende Stimme mit erneuter
Wut, und erst ein weiterer Schuss brachte sie zum
Schweigen.
Am Abend erbat sich Saidi die Erlaubnis für ein
besonders feierliches Camubi (Löwentanz), um den
siebzehnten Löwen gebührend zu würdigen. Bald
tanzten alle unsere Boys um die lodernden Feuer. Die
Gesichter mit Asche geweisst und mit Laubwerk ge-
schmückt, schwangen sie Eimer und Kochtöpfe, wobei
sie den alten Löwengesang anstimmten, der uns im
Lauf der Zeit so vertraut geworden, dem zu lauschen
wir aber nie müde wurden. Saidi, der den sterbenden
Löwen darstellte, sang den Text unter mächtigem
Knurren, Brüllen und Stampfen, während die übrigen,
mit Feuerbränden bewaffnet, einen Angriff auf ihn
mimten und am Ende jeder Strophe im Chor «Camiso »
sangen. Wir konnten nie herausbringen, was das Wort
Camiso zu bedeuten hatte, aber immer endete das Fest
mit drei Hochrufen und damit, dass B. von Jim die
«Debi-a-Rupees» (Kasse) holen liess und ein Bak-
schisch verteilte.
262
Der Löwentanz brachte uns die schönen vergangenen
Tage am obern Tana in Erinnerung und damit so viel
von unserer frühern Unternehmungslust, dass wir noch
pläneschmiedend an der glimmenden Asche sassen,
als schon der Orion am westlichen Himmel leuchtete.
Wir hatten in Ruchuru Vorräte und Munition für
nur drei Wochen mitgenommen — wir hofften ja auf
dem Weg zur Gorilla- Jagd in Kiwu dort wieder vor-
beizukommen — und hatten es fertiggebracht, sechs
Wochen damit auszukommen, so dass wir den Boten,
der endlich mit dem erwarteten Kabelbericht eintraf,
nun doppelt willkommen hiessen. Wir wagten kaum
zu atmen, als wir das Schriftstück umdrehten, um seine
Botschaft zu lesen. Sie lautete aber:
«Autorisation enfin refusee.»
Da wir jetzt über unser Schicksal in bezug auf die
Gorillajagd Bescheid wussten, konnten wir endlich
einen neuen Plan festlegen. Am liebsten hätten wir uns
ohne Säumen nach Kasindi und von da in den Wald
von Ituri begeben. Wäre der Kabelbericht nur wenige
Tage früher eingetroffen, dann wäre dies noch mög-
lich gewesen. Nun hatten wir aber keine andere Wahl,
als wiederum zwei Wochen zu warten, bis das nächste
Boot nach Kasindi fällig war.
Was sollten wir aber mit diesen zwei Wochen an-
fangen? Weder hier noch in der nähern Umgebung
gab es eine Wildart, die für die Sammlung noch in
Frage kam. B. wollte mir Gelegenheit geben, meinen
ersten Löwen zu erlegen, und günstigere Bedingungen
als in dem nahen Wild-Reservat, in dem es von Löwen
nur so wimmelte, konnte man für diesen Zweck kaum
263
antreffen. Der einzige Haken daran war, dass man keine
Köder auslegen konnte. Aber da das Reservat so nahe
war, entschieden wir uns doch dafür, die Zeit, bis das
Boot und der erwartete Proviant eintrafen, dort zu
verbringen.
Ein langer, heisser Marsch brachte uns nach Kabari.
Schon damals war es ein wichtiger Platz und wird an
Bedeutung noch gewinnen. Wenn einmal eine Strasse
nach Kasindi und dem anderen Ende des Edward-Sees
gebaut ist, wird es zu einem der Handelstore in den
Kongo werden.
Jetzt bestand Kaban nur aus einer Handvoll elender
Hütten, die inmitten einer baumlosen Ebene in der
Sonne brieten. Wir hatten gehofft, dort Posho zu fin-
den, aber es war nicht ein Krümchen zu haben. Und,
schlimmer noch, ich las von meinem blossen Bein eine
der gefürchteten Spirillumzecken.
Wir hatten gehört, dass Spirillumfieber dauernde
Blindheit und sogar den Tod zur Folge haben kann,
und tatsächlich erfuhr ich später, dass die Gattin eines
belgischen Beamten, der in der Nähe kampierte,
wenige Tage nach unserer Durchreise daran gestorben
war.
Wir hielten uns daher nicht länger in Kabari auf
und zogen augenblicklich weiter an den Ruchuru-
Fluss. Der Mvami hatte nach Kanoes geschickt, um
uns über den Fluss zu bringen, aber es waren keine er-
schienen; irgendwie hatte sich das Gerücht verbreitet,
Kasindi sei unser Ziel, was einer Odyssee von mehreren
Wochen gleichgekommen wäre. Wir gingen darum
stromaufwärts bis zu unserm alten Lagerplatz (dem
Ort mit dem Baum aus Noahs Arche, bei dem B. seinen
264
ersten Kongo-Löwen geschossen hatte) und wateten
dort zum anderen Ufer hinüber. Das Wasser reichte
uns bis zur Brust, und die Strömung war ziemlich
reissend. Ich leerte darum meine Taschen und schwamm
hinüber. In der Nähe, kaum weiter entfernt, als die
Länge eines Schwimmbassins beträgt, hielten sich ein
halbes Dutzend Flusspferde auf. Die Versuchung, zu
ihnen hinzuschwimmen, war gross. B. verbot es mir
aber sehr energisch, denn sie waren imstande, auch
wenn es nur aus purer Ängst geschah, einen Menschen
in Stücke zu reissen. Viel nützlicher sei es, wenn ich sie
im Bilde festhalten würde. Zusammen mit der den
Fluss überschreitenden Safari photographiert, konnte
man den Gegensatz zu andern, vielbesuchten Jagd-
gründen nicht besser veranschaulichen.
Unterwegs nach dem Ruindi, einem Fluss, der parallel
mit dem Ruchuru und fast unmittelbar am Fuss der
Kongokette entlangfliesst, sahen wir kreisende Raub-
vögel. Wir wichen vom Weg ab, um nachzusehen,
was sie anzog, als aus einem Busch in der Nähe eine
Löwin flüchtig wurde. B. streckte sie in voller Flucht
nieder; ein eindrucksvoller Schuss, denn das mächtige
Raubtier hatte unaufhaltbargeschienen in seiner Flucht.
Die Löwin war von solcher Grösse, dass B. sie zuerst
für einen mähnenlosen Löwen gehalten hatte. Wir
untersuchten ihr Versteck und fanden darin einen
weiblichen Kob, den sie aber nicht angeschnitten hatte.
Dicht daneben aber lag ein noch ungeborenes Kitz,
sauber aus der Eihaut gelöst und mit abgebissenem
Kopf. Die kaltblütige Sicherheit, mit der die Löwin
diese Operation bewerkstelligte, machte mich um so
mehr betroffen, als sie selbst trächtig war.
265
Die Antilope lieferte indessen den erwünschten
Köder, und nicht weit davon fanden wir einen noch
lebenden Kob in einer Fallgrube. Die Träger entdeck-
ten ausserdem noch vier Topis und einen weitern Kob,
alle in Fallen gleicher Bauart; nun hatten wir Köder im
Überfluss, ohne das Gesetz übertreten zu haben.
Der Mvami von Katana, einem kleinen Kraal,
stattete uns einen Besuch ab —, der Hut schien auf
seinem Kopf festgewachsen — um uns mit dem Selbst-
bewusstsein eines untadeligen Hüters des Gesetzes zu
bedeuten, dass wir uns in einem Wild-Reservat befän-
den, in dem die Jagd verboten sei. Er wurde sehr klein
und bescheiden, als er entdeckte, wieviel wir von seinen
Fangmethoden wussten.
Die Fallgruben sind lange, schmale, ungefähr acht
Fuss tiefe Gruben, die sich nach unten verjüngen. Die
Opfer werden darin durch die Wucht ihres Falles
solchermassen festgekeilt, dass es schwerhält, sie
heraus zu bekommen. Diese Fangart ist um so grau-
samer, als die Eingeborenen die Gruben nicht regel-
mässig untersuchen. Einer der Topis war fast nur noch
ein von Haut überzogenes Skelett, aber noch am Leben,
ein anderer schon verludert. Die Fallgruben sind mit
grossem Geschick angelegt, oft zwanzig nebeneinan-
der und die meisten unverdeckt, so dass das Wild die
verblendeten Gruben für Durchgänge zwischen den
offenen Gruben hält.
Löwen brüllten, als kaum der Abend dämmerte,
und wir hatten für den folgenden Tag eine grosse
Löwenjagd geplant. Falls die ausgelegten Köder sie
nicht locken sollten, wollten wir die Schilfbestände
durchdrücken; da bekam ich einen Fieberanfall. Ein
266
Trost blieb mir dafür, dass ich zurückbleiben musste:
ich konnte das Fell der Löwin im Auge behalten.
Eine Krähe sass über mir im Baum, und ihr rauhes,
unheimliches Krächzen verfolgte mich den ganzen
Tag bis in meine Fieberträume wie eine Stimme des
Unheils. Als B. zurückkam und ich hörte, wie er Jim
Wasser holen hiess, sprang ich mit plötzlich wachem
Angstgefühl auf und rief: «Ist etwas geschehen?»
B. antwortete: «Diesmal hat der Löwe mich erwischt»,
und mit diesen Worten trat er ins Zelt.
Die Kleider hingen in Fetzen an ihm herunter, Blut
rann überall von ihm, ausser von seinem leichenblassen
Gesicht. Er war über zwei Stunden gelaufen und war
fast unfähig zu sprechen.
So geschwächt war er, dass ich ihn nach jedem
frischen Verband ausruhen lassen musste; aber er war
fest entschlossen, jetzt nicht ohnmächtig zu werden,
er sagte, er habe doch den ganzen Weg dagegen an-
kämpfen können. Auch mir wurde so schwach, dass
ich hinausgehen und, die Hände an den Stamm des
Dornbaums gestützt, um Kraft ringen musste.
Ich brauchte beinahe drei Stunden zum Verbinden,
denn tiefe Risse liefen von den Hüften abwärts an bei-
den Beinen hinunter, an denen das Muskelfleisch in
Streifen herausgerissen war, und ich war ausserstande,
das Blut zu stillen. Doch er trug es, ohne ein Wort
darüber zu verlieren. Er sprach mir dann und wann
Mut zu und versicherte mir, er fühle keinen Schmerz.
Aber als er mich die scharfen Permanganatkristalle
in seine Wunden streuen und die zerfetzten Gewebe-
teile wegschneiden liess, musste er unbedingt Qualen
erleiden.
267
Während ich B. so quälte, konnte ich mich nicht
enthalten zu rufen: «Dieses Scheusal von einem
Löwen!» B. wollte dies nicht wahrhaben und bestand
darauf, dass er einem Gegner, der seinen Kampf ritter-
lich bis zum bittern Ende gekämpft, nur Achtung
zollen könne. Dann fragte er, ob die Leute ihn schon
eingebracht, und ich musste gehen, ihn mir anzusehen.
Als ich zurückkam, sagte ich, es sei der königlichste
aller Löwen, die er je erlegt. B. freute sich darüber und
legte mir ans Herz, dass wir seine Haut unbedingt
retten müssten.
Wir befanden uns acht bis neun Tagereisen von
Kabale entfernt. Ich schickte daher augenblicklich
einen Eilboten nach Ruchuru, um den dortigen Arzt
zu bitten, so schnell wie möglich zu kommen. Wenn'’es
mir gelang, die Wunden vier bis fünf Tage lang sauber
zu halten, konnte der Arzt inzwischen eingetroffen
sein. Als ich am nächsten Tag Bs. rechten Arm ver-
band, besah er ihn kritisch und sagte: «Kannst du ihn
mir wohl retten ?» Er war vom Ellbogen bis hinab zur
Hand aufgerissen, so tief, dass der Knochen freilag,
und die Hand selbst war innen und aussen zerfetzt. Und
doch, ich war überzeugt, wir würden sie retten, und
wir durften keinen Augenblick daran zweifeln!
Mit unsäglicher Anstrengung beherrschte er sich;
einmal schaute er mich voller Mitleid an, dass es mir
einen Stich ins Herz gab, und sagte: «Eigentlich bist
du es, die wir pflegen sollten ».
Doch schon, als die Sonne sank, starrten seine ge-
brochenen Augen an mir vorüber...
Abde wollte wissen, was ich zu tun gedenke. Er und
Muthoka begannen die Büchsen wegzuräumen. Ich
268
fragte, warum. Abde antwortete, damit ich mich nicht
erschiesse, Ich befahl ihm, sie an ihrem Ort zu belassen
und sagte, es gebe vieles zu tun. Aber es traf mich wie
ein Schlag ins Gesicht. Zorn riss mich aus meiner
stumpfen Betäubung. So stand es also: sie oder ich!
Es durfte kein Zweifel aufkommen, wer hier der Herr
war. Ich musste an B.’s Stelle getreten sein und die Füh-
rung übernehmen, ehe sie zur Besinnung kamen.
Ich bedeutete Abde, dass wir B. am folgenden Tag
begraben und tags darauf nach Kabale aufbrechen
würden. Darauf schrieb ich dem Arzt ab und dann nach
Kasindi, um die Post zurückzurufen, die nach Kasindi
abgegangen war. Kasindi? Das Wort klang vertraut,
und ich fragte Abde, ob es der Name des Flusses sei,
bei dem wir kampiert. Mein Verstand war aus der
Bahn geworfen, und ich rang und rang und konnte
ihn nicht ins alte Gleichgewicht bringen.
Die ganze Nacht hindurch hielt ich Wache, die
Hyänen schlichen sich so nahe, dass ich, neben B.’s
Bett am Boden sitzend, ihre Lauscher sich gegen den
Sternenhimmel abheben sah; Major bellte in einem fort
bis zum Morgen. Morgengrauen! Die leichte, fröstelnde
Brise, welche die Lichter der Sterne ausbläst, die all-
mähliche Aufhellung des Firmaments, das Erwachen
der Vögel — ein Morgengrauen wie hundert andere,
die wir zusammen erlebt hatten — das war das Un-
fassliche.
Einen ganzen Tag dauerte das Schaufeln des Grabes
in dieser metallharten Erde, der nur mit einer Axt
beizukommen war. Ich arbeitete an der Haut des Lö-
wen, ohne aufzusehen, denn schon hatte Fäulnis ein-
gesetzt, und er unter allen Löwen musste gerettet wer-
269
den. Aber es half mir: es hielt mich vom Zelt zurück,
in dem der Hauch des Todes herrschte, in dem mein
Blick unwiderstehlich die Gestalt suchen musste, die
sich unter dem Tuch abzeichnete, die gefalteten Hände
wie ein kleiner Hügel über der Brust.
Die Leute kamen zurück, bereit, die Bahre fortzu-
tragen. Die Berge flimmerten im violetten Dunst.
Kleine Wölkchen schwebten vor ihnen wie einSchwarm
weisser Vögel. Ein paar Topis hoben ihre Köpfe und
äugten zu uns herüber; es war gerade die Stunde, da
B. zur Büchse griff und wir noch miteinander einen
kurzen Pürschgang machten. Während ich hinter der
kleinen Prozession herging, hatte ich nur den einen
Gedanken: «Wie schön, wie wunderschön ».
Der Schlaf mied mich auch in der folgenden Nacht.
Erinnerung war erstarrt, gleichzeitig aber wirbelten
und jagten sich meine Gedanken, dass ich meinte,
wahnsinnig zu werden. Darin lag Gefahr, wenn ich
mich nicht fest in die Hand bekam, und zwar sogleich.
Zwei Nächte war ich ohne Schlaf geblieben und drei
Tage beinahe ohne Nahrung; ich musste entschluss-
fähig werden, oder es wurde mir zur physischen Un-
möglichkeit, die Safari zurückzubringen. Darauf kam
es jetzt an, und mit allem andern konnte ich nachher
fertig werden. Ich versuchte jetzt, mein fieberndes
Gehirn zu beruhigen, indem ich mir vorstellte, ich
wandere durch endlose, friedliche Waldpfade und durch
blumige Wiesen, bis ich in tiefen, traumlosen Schlaf
versank. Freudig wie sonst war mein erstes Erwachen,
und erst, als ich die verpackten Gewehrfutterale und
B.’s Tropenhelm erblickte, schlug es wieder wie eine
schwarze Woge über mir zusammen.
270
Steine gab es nicht in dieser Gegend; Kasaia fällte
darum einen Dornbaum, und während die Safari sich
zum Aufbruch rüstete, zimmerten wir ein Kreuz.
Ich weiss nicht, wie lange wir uns abmühten, rostige
Nägel in das grüne Holz zu treiben. Ich konnte keine
Inschrift hinterlassen, die den Unbilden der Zeit lange
widerstehen würde, und es fielen mir nur die Shake-
speare’schen Zeilen ein:
«Fear no more the heat o” the sun,
Nor the furious winter’s rages,
Thou thy worldly task hast done,
Home art gone, and ta’en thy wages. »
Nun blieb mir nichts übrig, als den Ort der Einsam-
keit preiszugeben. Ich blickte um mich, war er wirklich
preisgegeben? Die Sonne schien, der Baum spendete
kühlen Schatten, und die kleinen Lerchen stiegen mit
surrenden Schwingen in den Morgen. Nichts hatte
sich im Grunde geändert; alles nahm seinen Lauf wie
gewöhnlich. Dieser Gedanke hob mich und gab mir
Trost auf den Weg: der Geist der blauen Ferne würde
diese Stätte treulich behüten und sie in seinen lächeln-
den Frieden schliessen.
Ich kam vom Pfad, der zum Fluss führte, ab, und
hätte wohl schwerlich die Furt gefunden, wäre nicht
der Baum aus Noahs Arche dabeigestanden, dessen ich
mich noch erinnerte.
Heller Sonnenschein lag über der schweigenden
Wildnis, aber für mich war es finstere Nacht. Wenn
ich strauchelte, beschämte und ermutigte mich die
Erinnerung, wie B. sich jene zwei Stunden hatte zum
Lager schleppen müssen. Ich litt ja an nichts Schlim-
merem als an Fieber, und ich zwang mich dazu, Auf-
271
nahmen von den Topis zu machen, um mir zu bewei-
sen, dass meine Umgebung völlig normal und wirklich
sei. Im Fieberwahn sah ich die Dinge wie durch einen
Schleier, und noch immer hatte ich das Gefühl, nichts
sei greifbar, und ich werde erwachen, um mich zu über-
zeugen, dass ich nur geträumt.
Wieder schwamm ich über den Fluss, und nachdem
ich Abde erklärt, wir würden am Nachmittag zu un-
serm alten Lagerplatz zurückkehren (wo wir wenige
Tage zuvor dem Löwen-Tanz zugesehen hatten), über-
holte ich die Trophäen und legte mich schlafen.
Es waren sieben oder acht Meilen Marsch. Ich jagte
während der ganzen Strecke und noch ein Stück dar-
über hinaus, mit dem Versuch, Fleisch für die Leute
zu beschaffen. Eine Sendung Posho, die wir von Ru-
churu her erwarteten, war nicht eingetroffen. Die Trä-
ger hatten zwar noch einen kleinen Vorrat, meine eige-
nen Leute aber besassen keinen Happen mehr. Nie in
meinem Leben hatte ich wirklich Wild erlegt, so be-
schäftigte mich unterwegs beständig die Sorge, ob ich
wohl imstande sei, für das nötige Fleisch aufzukommen.
Wieder begegneten wir jagenden Hyänenhunden, und
das Wild war sehr scheu.
Endlich bekamen wir ein Rudel Topis zu Gesicht,
gerade an einer Stelle, an der B. ein Topi als Löwen-
Köder für mich erlegt hatte. Sie ästen im offenen Ge-
lände, es war unmöglich, näherzukommen. Ich lehnte
mich gegen einen Termitenhügel und stellte das Visier
auf 2oo Meter ein. Zu meinem Erstaunen sass die
Kugel. Eine Kuh sonderte sich von dem Rudel ab,
Major war sogleich hinter ihr her, doch bald gab er
die Jagd auf und kehrte zurück.
272
Kobherde am Ruindi-Fluss
Wasserloch im Semliki-Tal
Ich setzte mich verzweifelt auf den Boden, denn
schon brach die Nacht herein, und die Nahrungsfrage
war noch nicht gelöst. Da bemerkte ich einen einzelnen
Kob, dessen Fell sich hell gegen die Dämmerung ab-
zeichnete. Ich zielte mit der grössten Sorgfalt, starrte
ihm krampfhaft auf das Blatt und drückte ab. Deutlich
hörte ich den Einschlag der Kugel, und er jagte heftig
zeichnend davon. Die Boys liessen Major von der
Leine, aber er nahm zuerst eine falsche Spur auf, und
wieder glaubte ich alles verloren. Doch plötzlich hörten
wir ihn Laut geben. So schnell wir konnten, folgten wir
den willkommenen Tönen. Der Kob hatte sich gestellt.
Wir ergriffen ihn beim Gehörn und fingen ihn ab.
Ich konnte mein Glück kaum fassen und weinte vor
Dankbarkeit.
Die Boys weideten das Tier flink aus und zerlegten
es; Major erhielt seinen Anteil auf der Stelle, denn
ohne ihn hätten wir den Kob nie bekommen. Dann
beluden wir uns mit dem Rest, ohne das kleinste
Stückchen zurückzulassen.
Unterdessen war es stockfinster geworden, ein Ge-
witter prasselte auf uns hernieder, und wir wanderten
endlos lange auf der Suche nach dem Lager umher.
Endlich Rufe und vom Feuer beleuchtete Baum-
kronen. Ich verlor kein Wort über den Kob, aber als
ich durch das Lager schritt, konnte ich es deutlich
fühlen: ich hatte einen guten Eindruck gemacht. Noch
nie hatte ich für die Leute gejagt, aber das musste
jetzt gerade so selbstverständlich sein, als ob B. es für
sie getan. Für sie musste alles in gewohnter Weise
weitergehen, so dass ihnen gar nicht zum Bewusstsein
kam, was eigentlich geschehen war.
273
Wenn der erbeutete Kob wohl nur einen Glücksfall
bedeutete, so bewirkte er doch, dass ich meine bis-
herige Unsicherheit verlor. War meine Schiessfertigkeit
erwiesen, so konnte ich ja B.’s Werk zu Ende führen.
Ihn hätte nichts daran hindern können, zu vollenden,
was er begonnen; musste mit dem Tod unbedingt alles
aufhören ?
Nein, das musste es nicht und durfte es nicht! Wenn
es dennoch weitergehen konnte, dann war ja diese
niederdrückende Machtlosigkeit vor dem Tod über-
wunden. Und wenn es mir gelang, ohne die Hilfe Aus-
senstehender auszukommen, dann war es noch immer
sein eigenes Werk.
Von diesem Entschluss erfüllt, schlief ich ein, er-
wachte aber plötzlich wieder an dem Glanz eines
schimmernden Lichtstreifens über mir. Zwei kleine,
schlanke Flügelchen, ungefähr 4 Zoll breit, flatterten
hin und her, während der Lichtstreifen ruhig leuchtete.
Es erschien mir als ein segnender Gruss von B.’s auf-
steigender Seele, und ich betete inbrünstig, seine Jagd-
erfahrung und seine Treffsicherheit möchten auf mich
übergehen. Nachdem ich gelobt, sein Werk zu vollen-
den und die Karawane heil zurückzubringen, als ich
um Vergebung allen Unrechts, das ich je getan, und
um Segen gebeten hatte, senkte sich das Licht näher
auf mich herab, breitete sich weiter aus und ver-
schwand.
Es war das letzte Lebewohl. Aber es war auch die
Gewähr, dass wir das gleiche Ziel erstrebten. Ich
konnte wieder in die Zukunft schauen.
Am nächsten Tag kamen wir an dem Lagerplatz vor-
über, da der schwarzmähnige Löwe über den Felsrand
274
gesprungen und in die Spalte gefallen war. Die Asche
unserer Feuer und alles übrige fanden wir noch un-
berührt vor. Wir hielten uns aber nicht auf, sondern
setzten unsern Marsch ohne Unterbruch bis Kinyonza
am jenseitigen Ufer des Isasha fort.
Wild kam uns nicht zu Gesicht, und so hatte ich Zeit,
im Gehen über meine Lage nachzudenken. Das Nahe-
liegendste war wohl, dass ich so schnell wie möglich
in zivilisiertere Gegenden zurückkehite; wenn ich in
der Wildnis blieb und mit der Jagd fortfuhr, setzte ich
mich unweigerlich der schärfsten Kritik aus. Aber
durfte mich das kümmern ? Vor allen Dingen lag mir
die Vollendung der Sammlung — B.’s Vermächtnis —
am Herzen. Hatte ich das Land einmal hinter mir,
dann gab es kein Zurück mehr; ich musste also meinen
Entschluss jetzt fassen: die Sache weiterführen und fest
an den endlichen Erfolg glauben, bis ich tatsächlich
geschlagen war.
Mein erster Schritt war ein Brief an Mr. E. in Kabale
mit der Bitte, die Nachricht von dem Geschehnis zu
unterdrücken. Ich wollte selbst brieflich davon Mittei-
lung machen und fürchtete, dass es durch Kabel weiter-
berichtet würde, wenn die Nachricht vor mir in Kam-
pala eintraf.
Gegen Abend unternahm ich einen Pürschgang, um
Fleisch für die Leute zu beschaffen und mich gleich-
zeitig für die morgige Jagd auf Wasserböcke einzu-
schiessen. Ich nahm Muthoka mit mir. Als wir das
Lager hinter uns gelassen, musste er mir berichten,
was er von der Begegnung mit dem Löwen wusste.
Die ausgelegten Köder waren scheinbar nur von
Hyänen besucht worden, und B. war schon unterwegs
275
nach dem Schilfdickicht, als er — es war acht Uhr
morgens — einen Löwen brüllen hörte. B. war nur
von Muthoka und dem Koch begleitet. Die beiden zün-
deten das Schilf an, und B. postierte sich am Rand. Als
ein Schuss fiel, kamen sie herbei und erfuhren von B.,
dass ein Löwe, zwei Löwinnen und zwei Löwenjunge
ausgebrochen seien, dass er den Löwen angeschossen,
worauf er sich wieder in das Schilf zurück verzogen
habe. Sie nahmen sogleich die Schweißspur auf und
brachten ihn zweimal hoch, ohne ihn aber zu Gesicht
zu bekommen. Beim dritten Mal sprang der Löwe un-
vermittelt aus dem Dickicht, erhob sich auf die Hinter-
läufe und warf sich auf B.; dann wurde er wieder
flüchtig. B. hatte noch nicht eine Schramme abbekom-
men, wie er mir noch selbst erzählt hatte. Erst als er
sich aufrichtete und nochmals feuerte, wirbelte der
Löwe herum, warf sich voller Wut auf ihn und zer-
riss ihn mit seinen Pranken. B. lag wehrlos unter dem
Löwen, brachte es aber noch fertig, die Mündung der
Büchse unter seinen Kiefer zu schieben und abzufeuern.
Die Krallen hatten sich im Todeskampf geschlossen,
so dass B. sie sich einzeln aus dem Fleisch reissen
musste, bevor er sich erheben konnte. Muthoka wollte
zum Lager laufen, um Leute zu holen, die B. zurück-
tragen konnten, aber B. verschmähte es. Er wusste,
dass ich es dann erfahren würde, und das wollte er ver-
meiden. Das war mir noch gar nicht in den Sinn ge-
kommen; mir hatte B. gesagt, er sei zu Fuss gegangen,
um zu verhüten, dass seine Wunden steif würden.
Und nun erfuhr ich, dass er sich meinetwegen gezwun-
gen hatte, dem Sterben nahe, unter der glühenden
Sonne zwei ganze Stunden zum Lager zurückzugehen.
276
Indem mir Muthoka alle diese Einzelheiten berich-
tete, waren wir bis zur Ebene gelangt, wo wir einen
Büffel äsen sahen. Muthoka rannte zurück, um die
schwere Büchse zu holen, und unterdessen tat sich der
Büffel nieder, wodurch er fast unsichtbar wurde. Ich
umging ihn im Bogen in der Hoffnung, dass er wieder
hochkomme, aber er schien keine Notiz von mir zu
nehmen, obwohl er mich bemerkt haben musste. Ich
nahm ihn aufs Korn, so genau die schlechte Sicht es
gestattete. Auf den Schuss sprang er auf, fiel nach
vorne und schlug ein vollständiges Rad, so dass seine
Hinterläufe im Halbkreis durch die Luft fuhren. Es
glich so sehr einem Zirkustrick, dass ich nur staunte
und zusah, statt ihm eine zweite Kugel zu geben.
Er kam wieder hoch und wurde nun in donnerndem
Galopp auf die Dickung zu flüchtig. Es war schon zu
dunkel geworden, um die Verfolgung aufzunehmen.
Jetzt verstand ich, voll Mitteilungsbedürfnis über die
Begegnung, wie es B. zumute gewesen, als er seine
zwei Löwen erlegt hatte und mich nicht im Lager vor-
fand, weil ich mich auf den Wasserbock eingelassen
hatte.
Wie angebracht es gewesen, die Nachsuche auf den
folgenden Morgen zu verschieben, sahen wir, als eine
starke Schweißspur hinter einem Busch verriet, dass
uns der Büffel dort aufgelauert und uns unbedingt
überrascht hätte. Darnach führte die Spur durch so
dichten Busch, dass wir stellenweise auf allen Vieren
kriechen mussten. Regen hatte sie verwaschen, und
andere Büffelspuren kreuzten sie; doch konnten wir sie
halten, solange sie Schweiss aufwies. Als aber auch
dies aufhörte, mussten wir sie aufgeben.
277
Wir wateten darauf durch den Fluss, um nach Sing-
Sing-Wasserböcken zu spüren. Nach einiger Zeit be-
merkten wir die Enden eines Gehörns und pürschten
uns näher. Es war ein Rudel von Wasserböcken, das
sich hier niedergetan hatte. Zwischen den Halmen hin-
durch war es unmöglich, die Gehörne auf ihre Stärke
anzusprechen, und ich zögerte so lange, bis sie von
uns Wind bekamen und flüchtig wurden.
Wir holten sie wieder ein, und ich legte auf ein
weibliches Tier an. Es stürzte im Feuer, erwies sich
aber bei näherem Zusehen als ein junger Bock, dessen
Gehörn eine Länge von kaum vier Zoll hatte. Dennoch
streifte ich ihn ab in der Annahme, dass ein so wenig
entwickeltes Exemplar die Gruppe anschaulich ergän-
zen würde, um den Unterschied in der Färbung auf-
zuzeigen; die Härung war braungelb gefärbt.
Es war mir unverständlich, dass sich am entgegenge-
setzten Blatt ein Ausschuss befand, bis ich entdeckte, dass
Muthoka das Magazin für den Büffel mit Vollmantel-
geschossen geladen und vergessen hatte, sie auszu-
wechseln. Ich konnte deshalb von Glück reden, dass
mir ein so schön gezirkelter Blattschuss gelungen war,
der das Herz durchbohtrte; sonst hätte ich wahrschein-
lich wieder das Nachsehen gehabt.
Als ich am nächsten Morgen zur Jagd aufbrach,
kam uns ein Eingeborener entgegen, der schwärzeste
Neger, den ich je gesehen. Schon von weitem sah die
von Kopf bis zu Fuss schwarze Gestalt wie ein Un-
glücksrabe aus. Als er näher kam, sah ich, dass er in
schwarze Tücher gehüllt war und schwarzen Trauerflor
um den Kopf gewunden hatte. Er brachte Briefe für
mich aus Ruchuru, die mich aufforderten, unverzüglich
278
dorthin zurückzukehren; doch stellte sich heraus, dass
sich dies vermeiden liess.
Die Wasserböcke hatten die Dickungen aufgesucht,
und jedesmal, wenn wir uns näherten, hörten wir sie
flüchtig werden, ohne sie je zu Gesicht zu bekommen;
überdies sprang der Wind ganz unberechenbar um.
Als wir auf die Böschung stiegen, um Ausschau zu
halten, sahen wir einen Büffel ungedeckt auf einer
Lichtung stehen. Sein Gehörn war schwach, und Fleisch
brauchten wir auch nicht, so wünschte ich inbrünstig,
er möchte wieder im Dickicht verschwinden. Aber er
rührte sich nicht, und die Boys waren überzeugt, dass
ich Angst habe. Das war eine gefährliche Meinung, die
ich nicht in ihren Köpfen aufkommen lassen durfte.
Ich sagte deshalb, ich wolle es mit ihm versuchen.
Unten zwischen den Büschen kamen wir etwas aus
der Richtung und waren früher, als wir geschätzt, in
seiner Nähe, so dass er uns zuerst eräugte. Es war ein
ziemlich unheimlicher Augenblick, als das schwarze
Untier regungslos mit ausgebreiteten Lauschern da-
stand, und ich hätte allerlei dafür gegeben, wenn ich
hätte weitergehen dürfen.
Ich lehnte mich kniend an einen Termitenhügel, der
sich über das Gras erhob, und legte an. Im gleichen
Augenblick duckte der Büffel den Kopf, der Schweif
flog in die Höhe, und prasselnd und splitternd schob
er durch das Dickicht ab. Ich war gleichzeitig sehr er-
leichtert und schwer enttäuscht.
Wir waren aber noch nicht weit gekommen, als Mu-
thoka mir wiederum die schwere Büchse reichte und
«Mboko» flüsterte. Wieder eräugte der Büffel uns,
warf sichernd das Haupt empor. Das hohe Gras liess
279
nur einen Schuss im Stehen zu, und es vergingen einige
Sekunden, bis ich die schwere 416er ruhig im Anschlag
hatte. Der Büffel strauchelte, dann kam er wieder hoch
und wurde im Galopp flüchtig.
Wir fanden wenig Schweiss, wenn auch genug, um
die Spur aufzunehmen. Bis sie in dichten Busch führte,
hielten wir sie, dann lehnte ich es ab, ihr zu folgen. Die
Boys waren natürlich verblüfft, dass ich solchermassen
versagte, und ich sank an jenem Tag in ihrer Achtung,
auch wenn ich ihnen erklärte, es gebe erst wichtigere
Dinge zu erledigen, und wenn die Trophäen alle nach-
gesehen seien, bliebe noch genügend Zeit, dem Büffel
nach Herzenslust nachzuspüren.
Das war keine glänzende Leistung, den zweiten Büf-
fel weidwund im Busch zurückzulassen, ohne auch nur
den Versuch zu machen, ihn von seinen Schmerzen zu
erlösen. Es war gerade das, was B., der nie ein ange-
schossenes Wild seinem Schicksal überliess, stets un-
nachsichtlich verurteilt hatte.
Am gleichen Abend bot sich mir noch eine Gelegen-
heit, die Waagschale zu meinen Gunsten zu heben, als
einer der Boys die Nachricht brachte, er habe einen
Wasserbock am jenseitigen Ufer gesehen. Ich pürschte
mich durch das hohe Gras heran und konnte einen
Bock und zwei weibliche Tiere unterscheiden. Sie be-
gannen sich zu trollen, und als sie verhofften, um nach
mir zu sichern, gab ich Feuer. Dabei beging ich den
Fehler, durch die Grasspitzen zu schiessen. B. hatte mir
schon oft gesagt, dass die Kugel durch Grashalme
in der Nähe der Mündung leicht abgelenkt werde; wie
dem auch sei, ich fehlte. Nun kroch ich durch das Gras
auf den einzigen Busch zu, um ihn als Deckung zu
280
benützen, als ein Rudel von Kobs — wohl dasselbe,
das mich schon an dem bewussten Nachmittag gestört
hatte — pfeifende Warnsignale ausstiess und damit
die Wasserböcke endgültig vergrämte. Den Kobs aber
konnte ich mich auf die Entfernung eines Steinwurfes
nähern, bevor sie sich dazu bequemten, ihrerseits das
Weite zu suchen.
Noch immer hoffte ich, die Ehre des Tages retten
zu können, aber obwohl ich die Wasserböcke noch
zweimal zu Gesicht bekam, stets waren sie die Schlaue-
ren, und als es dunkelte, kehrte ich unverrichteter
Dinge wieder über die Furt zurück. Nach einem Miss-
erfolg wird Ermüdung plötzlich doppelt fühlbar;
immerhin bewirkte er, dass ich jetzt felsenfest ent-
schlossen war, so lange hier zu bleiben, bis ich meine
Wasserböcke hatte.
In der Nacht schwoll der Fluss gewaltig an, riss die
Brücke fort und machte die Furt unpassierbar. Auf
unserer Seite war mir ein Standort von Wasserböcken
nur in der Nähe eines früheren Lagerplatzes, etliche
Meilen von hier, bekannt. Ich versah mich also mit
Proviant für einen Tag, denn ich beabsichtigte, erst in
der Nacht bei Mondlicht zurückzukehren.
Während ich durch die Morgendämmerung über die
schweigende, tauschimmernde Steppe dahinschritt,
sarın ich darüber nach, ob es wohl möglich sei, diesen
grossen, alles umfassenden Frieden in Worte zu klei-
den. Eine Harmonie von Form und Farbe umgab mich
wie Musik, und ich fühlte mich eingeschlossen in eine
unendliche Liebe, die von den Bäumen, dem Himmel,
ja, von dem Erdboden, den ich beschritt, ausströmte.
Es war ein beseligendes Gefühl, über sich hinaus zu
281
wachsen auf den Schwingen der Erkenntnis, so dass
man unbewegt wie ein Baum oder ein Berg über den
Ereignissen der Welt stand, innig verbunden mit der
Natur und nicht mehr ihr Gegenspiel.
So träumte ich vor mich hin, als der vor mir gehende
Muthoka einen plötzlichen Sprung zur Seite machte
und ich im Weiterschreiten um ein Haar auf eine
Python getreten wäre, die lang über den Pfad gestreckt
lag. Die Leute schnalzten vor Schreck mit der Zunge,
behaupteten, sie sei sehr giftig und verlangten, dass ich
sie erlege. Doch ich hatte eine Vorahnung, dass mir
dies kein Glück bringen werde und behauptete, wir
würden niemals unseres grossen Bullen habhaft wer-
den, wenn wir sie töteten. Muthoka nahm diesen Aus-
spruch so wörtlich, dass er bei der Schlange Wache
stand und jeden aufforderte, sie in weitem Bogen zu
umgehen.
Unterwegs stiessen wir auf frische Elefantenspur.
Wir waren noch nicht weit gekommen, als uns ein
Krachen und Knacken aufschreckte und ein Büffel uns
unvermittelt annahm. Es kam so plötzlich, dass mein
Gehirn wie gelähmt war. Instinktiv tastete meine Hand
nach hinten, doch sie fasste ins Leere, und als ich einen
Blick zurückwarf, sah ich, dass die Leute Reissaus ge-
nommen hatten. Zu meinem Glück bog der Büffel
gute sieben Gänge vor mir zur Seite. In diesem Augen-
blick liessen die Boys Major von der Leine, der nun
kläffend an mir vorbeifuhr. Das jagte mir einen neuen
Schrecken ein, denn ich fürchtete, es könne den Büffel
zu einem erneuten Angriff reizen. Aber Major kam bald
zurück, und der Büffel blieb verschwunden. So war
die Sache noch glimpflich abgelaufen, und die Boys
282
kamen beschämt zurück. Sie hatten geglaubt, es sei ein
Elefant gewesen.
Wahrscheinlich hatten wir dem Büffel einen grösse-
ren Schrecken eingejagt als er uns, aber im Weiter-
gehen fragte ich mich unwillkürlich, was wohl die
dritte Überraschung sein werde.
Wir fanden schliesslich die Wasserböcke, aber das
Anpürschen wurde durch zwei Umstände erschwert:
den ständig umspringenden Wind und ein Rudel miss-
trauischer Kobs. Am Ende blieb nur noch ein Wasser-
bock übrig. Muthoka behauptete, es sei ein weibliches
Tier, und da meine Ansprüche bescheiden geworden
waren, gab ich Feuer. Sie machte nur einige Fluchten
mit gespreizten Hinterläufen, dann brach sie zusam-
men. Ich rannte hinter ihr her, voller Angst, sie möchte
doch noch entkommen. Aber sie war bereits verendet,
nur entpuppte sie sich bei näherer Betrachtung wieder
als ein junger Bock.
Während die Leute den Bock zerteilten, setzte ich
mich in den Schatten eines Baumes und versuchte,
mich philosophisch über mein Pech zu trösten. B. war
es oft genug ebenso ergangen, wenn er es auf ein be-
stimmtes Stück Wild abgesehen hatte.
Noch waren wir nicht weit gekommen, als ich wieder
zwei Wasserböcke, die unter einer Baumgruppe stan-
den, gewahrte. Ich gab den Leuten ein Zeichen, gerade-
aus weiterzugehen und kehrte selbst um. Die Wasser-
böcke äugten misstrauisch zu mir herüber. Der eine
trug ein langes, stolzgeschweiftes Gehörn. Noch war
die Schussdistanz sehr gross, aber ich wollte nicht
mehr riskieren, ihn wieder aus den Augen zu verlieren.
Ich nahm ihn also aufs Korn, zielte so sorgfältig wie
283
möglich und gab Feuer. Zu meiner Freude hörte ich
den Einschlag der Kugel, die Leute kamen zurück,
und wir nahmen die Spur auf. Wir fanden reichlich
Schweiss am Anschuss und bekamen ihn auch bald zu
Gesicht, aber er wurde wieder flüchtig, bevor ich einen
zweiten Schuss anbringen konnte. Als wir ihn wieder
einholten, zerschmetterte ihm meine Kugel einen
Hinterlauf. Dann aber verzog er sich in immer dichteres
Gebüsch — dasselbe verwachsene Gestrüpp, das den
Büffeln so zusagt —, und meine Hoffnung schwand.
Er bewegte sich unter dem Wind und wurde jedes-
mal flüchtig, bevor wir auf Schussweite heran waren.
Dreimal brach er aus, ohne dass wir ihn zu Gesicht
bekamen. Nur die starke Schweißspur gab uns immer
wieder Hoffnung, versiegte sie, dann mussten wir uns
als geschlagen bekennen. Doch plötzlich blieb Muthoka
stehen und deutete unter die Zweige; dort lag der Bock
— verendet.
Wie in einem Traum legte ich das Bandmass an sein
Gehörn. Seine Dimensionen waren nicht ausserordent-
lich, aber recht gut; es war ein alter Bursche, dessen
Decke schon stark ins Blaue spielte. Er war im Unter-
holz in eine Art Mulde gestürzt, mit den zwei Leuten,
die ich bei mir hatte, konnte ich ihn nicht herausziehen.
Wir massen ihn und balgten ihn ab, so wie er lag, und
kamen erst nach Einbruch der Nacht ins Lager zurück.
Die Leute erklärten einmütig, es sei ein ungewöhn-
lich grosser Bock, und legten eine Begeisterung an den
Tag, als sei es wirklich eine seltene Trophäe. Mvan-
guno zählte die Ringe an seinem Gehörn und behaup-
tete, er müsse mindestens achtundzwanzig Jahre alt
sein.
284
Überhaupt verhielten sich die Leute bewunderungs-
würdig, immer waren sie willig und guter Dinge, nie
war ein Wort der Ermunterung nötig, denn sie waren
mit dem gleichen Feuereifer bei der Arbeit wie ich
selbst. Der Koch setzte mir als Überraschung Fische
vor, die er am Nachmittag gefangen hatte, und eine
noch grössere Überraschung wartete meiner: sie hatten
den zweiten Büffel verendet aufgefunden. Die Leute
hatten Raubvögel über ihm kreisen gesehen, und nun
bargen sie das Wildbret und brachten den Kopf ein.
Inzwischen hatten sie auch eine neue Brücke gebaut,
und am nächsten Morgen gingen wir über den Fluss,
um nochmals Jagd auf Wasserböcke zu machen.
Wir pürschten den ganzen Tag vergeblich, schon
liess uns die Dämmerung umkehren, als Kasaia plötz-
lich stehenblieb: ein einzelner weiblicher Wasserbock
kam vor dem Wind gerade auf uns zu. Auf meinen
Schuss preschte das Tier auf einen Gebüschstreifen zu.
Ich rannte hinterher, und von einer Anhöhe herab sah
ich, wie es sich am Boden wälzte. Als ich hinzutrat, war
es schon verendet. Auch diesmal ein altes, kapitales
Stück mit einer Decke, die ebenso blau schimmerte
wie die des Bockes.
B. pflegte zu sagen, das wahre Vergnügen liege in
der Jagd selbst, mit der Erlegung des Wildes sei die
Freude vorbei. Dennoch war ich es zufrieden, die müh-
selige Jagd auf dieses Wasserbockpaar hinter mir zu
haben. Zusammen mit dem jungen Bock würden sie
eine prächtige Gruppe bilden, an der auch B. seine
Freude gehabt hätte. Ihre Erbeutung war mir schon
darum eine besondere Befriedigung, weil B. sie schon
lange erlegt hätte, wenn ich ihm nicht immer wieder
285
vorgehalten, wir müssten in Rücksicht auf das Okapi
mit dem Konservierungsmittel haushalten.
Am folgenden Tag schickte ich meine Leute aus, um
nach Büffeln zu spüren. Als es aber Nachmittag wurde,
ohne dass sie zurückkehrten, unternahm ich einen
Pürschgang nach einem Platz, wo B. vor einiger
Zeit einen weiblichen Buschbock gefehlt hatte. Nun
ist gerade der Buschbock eine Wildart von so unbe-
rechenbaren Gewohnheiten, dass es ein ziemlich un-
logisches Beginnen war, die gleiche Örtlichkeit wieder
aufzusuchen mit der Absicht, das gleiche Stück Wild
zu erlegen. Mein eigentlicher Beweggrund war auch
die Tatsache, dass ich es nicht länger im Lager aushielt.
Es war drückend heiss, und die Leute glaubten so
wenig an einen Erfolg wie ich, als Kasaia der Treiber-
linie entlanggelaufen kam, um mir zu melden, er habe
den Buschbock gesehen.
Ich pürschte mich zurück und konnte gerade die rost-
rote Decke durch das Gezweige schimmern sehen.
Eine Bewegung gab mir Aufschluss über die Stellung
des Tieres, und ich gab auf gut Glück Feuer. Statt
des erhofften Einschlags hörte ich aber die Kugel durch
die Luft singen und machte mir Vorwürfe, dass ich
nicht bessere Sicht abgewartet hatte; es lohnte sich
wohl kaum, nachzusehen. Major zerrte jedoch so un-
geduldig an der Leine, dass wir uns seiner Führung
überliessen, und bald fanden wir zu unserm Erstaunen
eine Schweißspur. Ein Dutzend Schritte weiter lag der
Buschbock, verendet! Das Vollmantelgeschoss (ein
Halbmantelgeschoss hätte die Decke zu stark beschä-
digt) hatte das Blatt beidseitig glatt durchschlagen und
nach dem Ausschuss gesungen.
286
Ich traute meinen Augen kaum, dass diese zarte,
goldbraune Kreatur nun vor mir im Sande lag, die
Läufe mit den zierlichen Schalen wie in Ruhestellung
halb unter sich gezogen; selbst die Boys schauten eini-
germassen verwundert drein.
B. würde es nie für möglich gehalten haben, dass ich
allein den Buschbock so meisterlich zur Strecke brin-
gen könnte, und auch ich war überzeugt, dass hier
mehr als meine Geschicklichkeit im Spiel war.
Allnächtlich wanderte ich zu einem Baum ausser
Sicht- und Hörweite des Lagers, und dort, in der weiten
Stille der mondbeglänzten Ebene kniete ich und betete
zu Gott um seinen Beistand. Indem ich mich ganz in
seine Hand begab, verlor ich alle Furcht. Immer deut-
licher fühlte ich die Gegenwart einer Macht, die mich
beschützte, mir Kraft einflösste und die mir eines nach
dem anderen der Tiere in die Hände gab, um die ich
betete.
Ohne diese geheimnisvolle Macht hätte ich nichts
erreicht, und ich musste ständig daran denken, dass
meine Erfolge mit meinem Ich nichts zu tun hatten.
Diese drei Wochen, allein draussen, waren mir ein
so tiefes seelisches Erlebnis, dass ich über der Materie
zu schweben schien, gleichsam gebadet in schimmern-
dem Licht.
Die überirdische Schönheit und Weltentrücktheit
erweckten mich zum wahren Bewusstsein der Wirk-
lichkeit, neben der dieses Leben nur ein Schatten ist
und ein Traum. Es war etwas, das sich über den Glau-
ben erhob, denn eine Liebe, die über alle Vorstellungs-
kraft ging, schloss mich ein in die Einheit des Alls.
Es war, als sei ich meinem Schutzengel von Angesicht
287
zu Angesicht begegnet, und er habe mich unter seine
Fittiche genommen.
Die Büffeljagd war über Nacht besprochen worden:
Abde sollte die schwere Büchse tragen, denn wenn er
auch für gewöhnlich nur die Aufsicht über die Leute
führte, so war er doch ein erprobter Gewehrträger.
Wir waren noch nicht eine Stunde unterwegs, als wir
die Büffelherde zu Gesicht bekamen. Das Gelände er-
leichterte das Anpürschen. Abdes Stiefel aber knarrten
so fürchterlich, dass ich überzeugt war, sie würden
alles verderben. Nichts dergleichen geschah jedoch,
die Büffel ästen völlig vertraut, die Köpfe ständig an
der Erde. Kein Laut, als das regelmässige Abzerren des
Grases oder ab und zu das Husten eines der Tiere war
zu hören, genau die gleichen Laute wie die einer Vieh-
herde im Morgennebel auf einer Weide in der Heimat.
Ich richtete mich vorsichtig auf und liess mir von
Abde eine starke Kuh zeigen. Er deutete auf ein vom
Schlamm ganz hellgefärbtes Tier. Ich kroch noch wei-
ter vorwärts in der Hoffnung, einen Termitenhügel zu
erreichen, gegen den ich mich sitzend lehnen konnte,
doch das Gras war zu hoch; ich musste wohl oder übel
im Stehen feuern. Die Kuh bot mir gerade ihre Flanke,
und auf meinen Schuss versank sie im Gras, während
die übrigen die Häupter aufwarfen, einen Augenblick
verhofften und dann davongaloppierten.
Im Gras blieb alles still, wir wussten, die Kuh war
verendet; aber ich fürchtete noch immer, einen jungen
Bullen oder nur eine schwache Kuh auf der Strecke zu
finden.
Die Boys jedoch versicherten, sie sei enorm, und sie
schüttelten mir die Hände und riefen: «Good luck».
288
wort
wi
Nachtbild in der ostafrikanischen Steppe, Hyänenhunde links,
Tüptelhyäne nhyäne am gefallenen Zebra
Berr r nd Vivienr n Wattenwyl
Das Gehörn war nicht viel wert, aber die Haut war
alles, was wir zu der kapitalen Kopftrophäe brauchten,
die B. am Tinga-Tinga bei Embu erbeutet hatte.
Ich hatte das Blatt anvisiert, aber die Kugel hatte ihr
Ziel um mehrere Zoll verfehlt und war mitten durch
den Hals gegangen, so dass ich ihre sofort tödliche
Wirkung nur meinem Glück zuschreiben konnte. Das
Tier war mit einem geburtsreifen Kalb trächtig, und
auch das war ein besonderer Glücksfall, denn es war uns
auf der ganzen Reise nicht gelungen, unsere Büffel-
gruppe durch ein Kalb zu vervollständigen, da wir
nie eines zu Gesicht bekommen hatten.
Am Abend versammelte ich die Leute um mich. Ich
rief ihnen ins Gedächtnis, wie lange wir schon mitein-
ander an der Sammlung gearbeitet hatten, erinnerte
sie an die Mühen, die uns der Elefant, die Giraffe, das
Hunter’s Hartebeest und der Bongo gekostet, und an
die neunzehn Löwen. Sie wussten, noch fehlten das
Okapi und das weisse Nashorn, und nun legte ich
ihnen eine Frage vor — für mich hing alles von ihrer
Antwort ab —: wollten sie mit mir gehen, oder wollten
sie nach Nairobi zurückkehren ?
Während meiner ganzen Rede hatten sie mir beifällig
zugestimmt; als ich aber zu dieser verhängnisvollen
Frage kam, wappnete ich mich gegen die Möglichkeit
einer stillschweigenden Absage. Aber nicht Schweigen,
sondern einmütiges Freudengeschrei antwortete mir.
Nichts kann die gehobene Stimmung beschreiben, in
die mich dieses Vertrauensvotum brachte, das mir
Gefolgschaft versprach, wohin ich sie auch führen
würde, «durch Feuer und Wasser, bis ans Ende der
Welt».
289
Da wir nun alle Lücken in unserer Sammlung aus-
gefüllt hatten, war mir jetzt sehr daran gelegen, so
rasch als möglich nach Kabale zu kommen.
Dieser Besuch war nun einmal nicht zu umgehen,
und je früher ich ihn hinter mir hatte, desto besser.
Vor allem galt es keine Zeit mehr zu verlieren, denn
bald begann über dem Wald von Ituri die Regenzeit.
Auf der Karte sah ich, dass wir noch fünf bis sechs
Tagesmärsche von Kabale entfernt waren; aber meine
Ungeduld für den Aufbruch erlitt einen Dämpfer durch
das Einsetzen von Regenwetter. Die Feuchtigkeit ge-
fährdete die Haut der Büffelkuh, die stündlich un-
brauchbar zu werden drohte. Das Büffelkalb und sogar
die Wasserböcke begannen gleichfalls zu verderben.
Noch schlimmer wurde es, als das letzte Restchen des
Konservierungsmittels aufgebraucht war.
Da brachte Mvanguno den Regenmann.
Er schien uralt und war nicht viel grösser als die
Pygmäen von Muhavura. Er trug einen Stab, an dessen
Ende ein Büschel von Kräutern festgebunden war und
mit dem er den Himmel bedrohte. Er begleitete uns
dann den halben Weg bis Kabale, bis die Häute ge-
trocknet und verpackt waren, sang unterwegs in regel-
mässigen Zwischenräumen seine Beschwörungen und
pfiff seltsam durch die Zähne. Die Leute glaubten be-
dingungslos an seine Unfehlbarkeit, und wenn die
sich auch nicht gerade erwies, so schien er doch be-
merkenswerte Kräfte zu besitzen. Ich erinnere mich,
wie an einem Nachmittag ein Sturm über uns herauf-
zog und ich aus dem Zelt stürzte, um die Häute unter
Dach zu bringen. Mvanguno erklärte meine Sorge für
überflüssig, denn der Regenmann sei an der Arbeit.
290
Vielleicht war es ein Zufall, tatsächlich sah ich aber mit
eigenen Augen, wie der Sturm sich teilte und zu beiden
Seiten vorüberzog. Das ganze Land umher sprühte
unter dem Wolkenbruch, nur der schmale Streifen,
auf dem das Lager stand, blieb trocken. Wie wünschte
ich, wir hätten den Regenmann früher getroffen; B.
wäre über seine Person wie über seine Gabe entzückt
gewesen.
Der erste Marsch brachte uns bis Ruanga, wo es
besonders starke Wasserböcke geben sollte, und da ich
hoffte, den erlegten Bock durch einen noch bessern
zu ersetzen, unternahm ich eine letzte Pürsche. Sie
verlief indessen ergebnislos. Als ich zurückkam, hatten
Mvanguno und Saidi Fieber, und was noch unerfreu-
licher war, Franzisko war ohne Erlaubnis fortgeblie-
ben und nicht zur Stelle um seine Last aufzunehmen,
als die Safari aufbrach. Das war ein ernster Verstoss.
Ich liess ihm die Wahl zwischen zehn Hieben oder einer
Meldung beim D.C. in Kabale. Die Wahl zwischen
den beiden Möglichkeiten musste ich ihm offen lassen,
denn der «Kiboko » ist ungesetzlich, jeder Eingeborene
hat das Recht, gegen seine Anwendung Klage zu füh-
ren.
Der arme Franzisko liess meine Rede geduldig wie
ein Lamm über sich ergehen und sagte, er wolle jede
Strafe auf sich nehmen, die ich über ihn verhänge.
Ich rief also die Leute zusammen, erklärte ihnen, wes-
halb Franzisko die Peitsche verdient habe, und Abde
holte mit Widerstreben den Kiboko. Mein Entscheid
rief eine nur schlecht verhehlte Mißstimmung hervor.
Franzisko selbst schien sich am wenigsten dagegen
aufzulehnen, denn er entkleidete sich, ohne ein Wort
291
zu verlieren, und ertrug seine zehn Streiche wie ein
Mann. Ich hatte einen solchen Strafvollzug noch nie
gesehen, denn bei den ganz seltenen Anlässen, die sie
notwendig machten, hatte ich mich ausser Hörweite
entfernt. B. aber hatte ihnen stets beiwohnen müssen,
und so beaufsichtigte auch ich ihn mit so strenger
Miene wie möglich.
Man darf solche Strafverfügungen nicht auf die
leichte Schulter nehmen. Eingeborene haben einen aus-
geprägten Sinn für Gerechtigkeit, und so sehr sie
ungerechte Bestrafung nachtragen können, so sehr ver-
achten sie den, der zu strafen unterlässt, wo Strafe am
Platz ist. Den ganzen Abend hindurch sann ich über
die Sache nach, ob ich sie wohl richtig angepackt.
Der nächste Morgen zerstreute aber alle meine Zweifel,
denn im Lager herrschte ein beinahe militärischer Geist.
Wir waren zuletzt schnell vorwärtsgekommen, dann
verloren wir einen Tag, weil ich wieder heftiges Fie-
ber bekam. Auch am folgenden Tag konnte ich mich
nur bis Nakisheni schleppen. Kisima hatte unter-
wegs unser Ginsterkätzchen verloren, und ich musste
die halbe Wegstrecke zurückgehen, um es zu suchen.
Nakisheni erreichte ich nur dank dem dortigen Mvami,
der mir eine «Machiela»* entgegenschickte. Ich nahm
sie dankbar an, viel zu erschöpft, um darnach zu fragen,
ob sie vielleicht verlaust sein könnte, und versank
in Fieberdelirien.
Aber nie fühlt man sich besser in Form als nach
einem Fieberanfall, und wir holten die verlorene Zeit
schnell wieder ein. Der Mvami hatte für frische Träger
an jedem Lagerplatz vorgesorgt, und wir machten acht-
*) Tragstuhl
292
und neunstündige Tagesmärsche, bis wir nach Kabale
kamen.
Dort hielten wir uns nur einen Tag auf und hatten
alle Hände voll zu tun. Die Vorräte mussten ergänzt
und verpackt, das Zelt und die Ausrüstung über Land
nach Fort Portal geschickt werden, um dort für den
Vorstoss nach Semliki und dem Wald von Ituri zu
unserer Verfügung zu sein.
Ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen, als ich end-
lich von Dr.S. ein fachmännisches Urteil zu hören
bekam und nun die Gewissheit hatte, dass ich für B.
alles getan, was Menschenkräfte tun konnten. Denn in
der Einsamkeit der letzten drei Wochen hatte mich
stets der Gedanke verfolgt, ob die Dinge nicht eine
andere Wendung genommen, wenn ich mehr Erfah-
rung besessen hätte.
Aber seine Verwundung war so schwer gewesen,
dass der Körper von Beginn an nicht die Kraft besass,
gegen das Gift anzukämpfen, und als ich die Wunden
nach seiner ersten schmerzensreichen Nacht neu ver-
band, hatten sie schon alles Gefühl verloren. Schon
damals schien mir, die ich selbst an Fieberdelirien litt,
dass dies ein schlechtes Zeichen sei. Dr. S. war davon
überzeugt, dass B., selbst wenn er zehn Minuten nach
seiner Verwundung ins Spital gebracht worden wäre,
statt diese quälenden zwei Stunden in der glühenden
Sonne zu gehen, gleichwohl nicht mehr zu retten ge-
wesen wäre.
Was mein Fieber betraf, das in regelmässigen Ab-
ständen wiederkam und mit heftigen Augenschmerzen
verbunden war, so handelte es sich nach Dr. S.’s Dia-
gnose richtig um Spirillenfieber. Mit seiner Kenntnis
293
über das Wesen dieser Krankheit, die grosse Schonung
und sorgfältige Pflege erfordert, konnte er kaum ver-
stehen, dass ich all die Wochen anstrengender Jagd und
langer Märsche hatte aushalten und überleben können.
Wenn ich daran zurückdenke, so ist es mir ein Be-
weis dafür, dass, wenn die Not es verlangt, Geist und
Wille die Materie so beherrschen können, dass der
Körper nur noch ihr Werkzeug ist. In viel stärkerem
Mass hatte doch B. dies bewiesen, als er — mit kaum
einem Muskel oder einer Sehne heil in seinen Beinen —
noch zwei volle Stunden ging; dabei hatte er später, als
keine Anstrengung mehr nötig war, nicht einmal mehr
die Kraft besessen, seine Beine zu bewegen, um die
Schmerzen zu lindern.
Während der zwei trübseligen Tage der Rückfahrt
im Kraftwagen und während der noch trübseligeren
Tage in Kampala brachte mir die Erinnerung an diesen
letzten Marsch nach Kabale Trost wie ein Leitstern in
schwarzer Nacht.
Die Morgensonne hatte sich über den Hügeln er-
hoben, die sanften Linien verschwammen im Licht-
meer und senkten sich gegen das Tal, dessen wogende
Nebel von Regenbogen schimmerten. Der Frühwind
trug den Hahnenschrei und die Stimmen der Hirten an
mein Ohr und schüttelte den Tau von den Zweigen.
Selbst der Staub und das grelle Sonnenlicht, die
Gleichgültigkeit fremder Gesichter in Kampala, konn-
ten diesen zarten Visionen nichts anhaben. Sie waren
wie ein unsichtbares Band, eine Verheissung, dass sie
den, der sich zu diesen Dingen wahrhaft bekennt,
nimmer im Stich lassen, dass die Blaue Ferne durch
alles hindurch auf mich warte.
294
Alle Nachrichten waren so gründlich unterdrückt
worden, dass ich sie als erste der Bank und der African
Mercantile überbringen musste.
Ich hatte noch nicht daran gedacht, dass mir daraus
Schwierigkeiten erwachsen könnten, wenn ich Geld
abheben wollte. Jetzt bedeutete man mir, dass ich
weder Geld abheben noch mein Anrecht auf das Geld
beweisen könne. Das war zwar nur eine Frage der For-
malität, ihre Lösung war einfach. Ich brauchte nur
nach Hause zu kabeln; aber gerade das wollte ich ver-
meiden. In Kabale war meine Absicht, die Expedition
allein zu Ende zu führen, durchwegs auf Mitgefühl
gestossen; hier hielt man mich offensichtlich für ver-
rückt. Ziemlich sicher würde man daheim den gleichen
Standpunkt einnehmen, und ein Kabel könnte leicht
den Erfolg haben, dass man mich an der Weiterfüh-
rung hinderte. Ausserdem wollte ich mein Vorhaben
aus eigener Kraft zu Ende führen, und das Schlimmste
wäre mir gewesen, um Hilfe zu bitten.
Nachdem aber die Rückfahrt für die Leute auf dem
Regierungs-Transportwagen bezahlt war, blieben mir
kaum noch ein bis zwei Silberschillinge übrig; noch
waren aber dreissig Pfund für Wagenmiete zu bezahlen,
und dazu kam die Hotelrechnung. Das Kabel schien
doch der einzige Ausweg, als die Bank plötzlich ein
Einsehen hatte und sich erbot, mir 100 £ zu leihen.
Es ist fast nicht zu glauben, welch wunderbare
Macht in 100 £ verborgen liegt! Alles schien mir wie
durch Zauberkraft verwandelt. Sogar der Staub zu
meinen Füssen war Gold, und ich fühlte mich jetzt so
geborgen und gesichert, dass ich es sofort mit fünfzig
Kampalas und Imperial-Hotels aufgenommen hätte.
295
Was das Wichtigste war: die Trophäen befanden sich
in sicherer Verwahrung bei der African Mercantile Co.,
der Leiter der Firma nahm sich persönlich ihrer an.
Schon wurden nach ihren Massen mit Zinkblech aus-
geschlagene Kisten angefertigt, noch im Lauf dieser
Woche sollten sie verladen werden.
Als ich darüber Gewissheit besass, hielt es mich
keinen Tag länger in Kampala. Ich konnte nun an Lady
Archer telephonieren. Sie lud mich sofort ein, nach
Entebbe zu kommen. Etwas schüchtern erklärte ich ihr,
dass ich fünfundzwanzig Trägerlasten mit mir habe,
einen Hund und eine gefleckte Ginsterkatze; auch
schien es mir nicht gerade angezeigt, meine dreizehn
Leute unbeaufsichtigt in Kampala zurückzulassen.
Lady Archer liess meine Einwände nicht gelten, ich
solle nur kommen und alles mitbringen. Sie hatte noch
keine Ahnung von dem, was geschehen war, bis ich
in einem schwarzen Kleid bei ihr erschien.
Wie.schnell war dann alles vergessen, dieses Ge-
dränge von Schwarzen, diese Ansammlung von Men-
schen, das endlose Gewirr von Strassen und Well-
blechdächern, die Kaufläden, in denen ich meine Ein-
käufe gemacht, getreulich gefolgt von Major, der jeden
eingeborenen Hund befehdete und jedermann zwischen
die Beine geriet. Unter dem Blätterdach der schönen
Bäume yon Entebbe versank die Erinnerung an all
den Staub und an meine Mutlosigkeit, als seien sie nie
gewesen. Vielleicht war es nur der plötzliche Gegen-
satz, aber dieser erste Nachmittag im «Government
House» steht noch heute wie eine glückliche Vision
vor meinen Augen. War es das Gefühl wohliger Ge-
borgenheit oder der Gegensatz zwischen der dürren
296
Öde ringsum, die nur von dem melancholischen Schrei
der Fischadler widerhallte, und diesem Garten mit sei-
nem kühlen, stillen Schatten, dem grünen Rasen und
den freundlichen Menschen unter seinen Bäumen ?
Ich war hierher gekommen mit der festen Absicht,
meine Pläne gegen alle und jede Opposition durchzu-
setzen und fand nichts als freundliches Entgegenkom-
men und Verständnis; das war vielleicht der grösste
Gegensatz.
297
Das Semliki-Tal und der Weisse Nil
Erst an einem Nachmittag gegen Ende November,
als die Abendsonne die Vorberge des Ruwenzori ver-
goldete und die ungeheure Tiefebene von Semliki
sich zu meinen Füssen weitete, konnte ich ganz daran
glauben, dass dieser letzte Jagdzug greifbare Wirk-
lichkeit geworden war. Ich stieg die Böschung hinab
in das weite Tal, in dem die Bäume, die Erde, ja selbst
die Steine Leben zu atmen schienen. Das Gurren der
Turteltauben verschmolz mit der Stille rings um mich
her, und jetzt erst erfasste ich, dass ich wieder zurück
durfte in die geliebte Wildnis. Aber erst, als die Nacht
hereingebrochen war, als der altgewohnte Gesang der
Grillen zu ertönen begann, und als sich mein Zelt
wiederum unter dem sternenbesäten Himmel spannte,
wurde mir ganz bewusst, wieviel Dank ich der gütigen
Hilfe und wohlwollenden Unterstützung schuldig war,
ohne die ich es nimmermehr hätte durchsetzen können,
meine selbstgesteckte Aufgabe zu Ende zu führen.
Auf den Ituri-Wald hatte ich allerdings verzichten
müssen; das schwerwiegendste Argument dagegen
war, dass er nicht auf britischem Gebiet lag.
Die Erbeutung des weissen Nashorns war allein
schon eine gewaltige Aufgabe. Ich hatte unbeirrt daran
festgehalten, dass ich sie bewältigen könne, aber jetzt,
da die formalen Schwierigkeiten beseitigt waren und
nur diejenigen übrigblieben, die in der Natur des
Unternehmens lagen, schien das Unternehmen plötzlich
298
gewaltig zu wachsen. Denn jetzt handelte es sich nicht
mehr um die Sammlung allein, bei der es niemanden
als mich kümmerte, ob es gelang oder nicht. Diesmal
ging es um mehr: von allen Seiten war ich unterstützt
worden, bis zu einem gewissen Grade glaubte man an
mich, und so war ich doppelt und dreifach zum Erfolg
verpflichtet.
Es war keinerlei Gefahr dabei, denn es gibt kaum ein
harmloseres Wesen als das weisse Nashorn und kaum
ein Wild, das leichter über den Haufen zu schiessen ist.
Die Schwierigkeit lag darin, ein kapitales Stück aus-
findig zu machen und noch mehr, die ganze Haut zu
bergen, die dicker ist als die des Elefanten. Schon vor
Monaten hatte man uns auf die grossen Schwierigkeiten
aufmerksam gemacht, das Lostrennen des Horns allein
sollte einen ganzen Tag erfordern. Ähnlich wie beim
Elefanten war die Bergung der Haut eine Frage rascher
Arbeit. Das Klima war hier denkbar ungünstig, denn
im Niltal herrschte eine feuchte Hitze, wie in den Lo-
riansümpfen zur Regenzeit.
Meine Leute aber waren mit Leib und Seele bei der
Sache, und so war schon vieles gewonnen. Bis dahin
aber hatte ich noch beinahe zwei Wochen Zeit, um im
Semliki-Tal einen guten Wasserbock zu erbeuten.
Captain S., der jeden Fussbreit in diesem Distrikt
kannte, hatte mir den Standort der besten Böcke am
Ufer eines kleinen Flusslaufs, dem Dura, genau be-
schrieben und mir sogar einen ungefähren Situations-
plan aufgezeichnet; wenn es mir also nicht gelang, ihn
zu erbeuten, so war mangelnde Kenntnis der Örtlich-
keit sicherlich nicht die Ursache. Andererseits konnte
ich kaum eine ungünstigere Jahreszeit gewählt haben.
299
Das Gras war noch zu grün, um zu brennen, und doch
schon so hoch, dass es uns stellenweise über den Kopf
reichte. In einer solchen Dschungel, konnte es passie-
ren, dass man auf fünf Meter an einem Rekordbock
vorbeispazierte, ohne eine Ahnung von seiner Nähe
zu haben.
Man konnte geradesogut im Dunkeln jagen wie
zwischen diesen undurchdringlichen Graswänden, über
die man nur hin und wieder Ausblick hatte, wenn man
auf einen Baum kletterte. Mindestens zweimal wären
wir buchstäblich über Büffel gestolpert, wenn Kuh-
reiher (die fast stets die Büffel begleiten) nicht Alarm
geschlagen hätten.
Mein Spezialjagdschein gab mir das Anrecht auf
zwei Wasserböcke, aber schon am dritten Tag hatte ich
mir die eine Möglichkeit für einen davon verdorben.
Das war so gekommen: Nach einem langen Marsch
schlugen wir das Lager an einer Wasserstelle auf. Die
Boys hatten einen Bock gesichtet, dessen Spur wir so-
gleich aufnahmen, ohne ihn aber einzuholen. Kurz
vor Sonnenuntergang sahen wir ihn gegen die Wasser-
stelle zurückwechseln. Ich postierte mich an seinem
Wechsel und hatte ihn bald auf Schussweite vor mir.
Sein Gehörn liess mich vor Aufregung zittern, aber
— leider — traf die Kugel nur zu gut, denn das Gehörn,
das 32 Zoll zu überbieten schien, mass keine Finger-
breite mehr als 28 Zoll.
Um mir die letzte Chance nicht nochmals zu ver-
derben, war ich jetzt entschlossen, die Ufer des Dura
systematisch abzusuchen, bis mein Aufenthalt dem
Ende zuging, und dann erst auf den stärksten Bock
Jagd zu machen, den ich unterdessen beobachtet. Aber
300
es war eine ermüdende Beschäftigung und besonders
für meine Leute entmutigend, denn, hatten wir nach
stundenlanger Pürsche ein Rudel gefunden, und ich sah
kein wirklich befriedigendes Gehörn darunter, dann
half nichts, ich wendete mich konsequent ab, um weiter
zu suchen.
Nicht genug damit, ehe 24 Stunden um waren,
zeigten sich bei mir dysenterieartige Erscheinungen, die
wohl auf das stark salzhaltige Wasser des Dura zurück-
zuführen waren. Es war mir bald klar, dass ich unter
diesen Umständen über kurz oder lang auf den zweiten
Wasserbock verzichten musste. Als ich darum eines
Morgens, drei Tage ehe das Schiff fällig war, schon
mindestens acht recht gute Böcke ausgeschieden hatte
und einen einzelnen Bock antraf, von dem die Boys ver-
sicherten, er sei stärker als alle bisher gesehenen, be-
schloss ich, meine Karte auf ihn zu setzen.
Seine Verfolgung hielt uns so sehr in Atem, dass auch
ich mich allmählich dafür begeisterte. Endlich, als er
zwischen zwei Büschen ungedeckt verhoffte und die
Sonne sein kühngeschweiftes Gehörn beleuchtete, ver-
liessen mich die letzten Zweifel, und ich gab Feuer.
Aber — das angelegte Bandmass ergab nicht mehr
und nicht weniger als 30!/, Zoll.
Selbstvorwürfe nützten nun nichts mehr; ich ver-
schob sie auf später. Vorläufig stellte ich mich, als sei
ich ganz zufrieden, um das Entzücken der Leute nicht
allzusehr zu dämpfen, sie hatten sich ja mit nie ver-
sagender Geduld für ihn ins Zeug gelegt, während vieler
Tage, die uns wie ebenso viele Wochen vorkamen.
Als ich die Gehörnmasse der beiden Böcke mit dem
am Kinyonza erbeuteten Bock verglich, fielen mir
301
charakteristische Unterschiede auf: Der Bock vom Kin-
yonza hatte eine um beinahe sechs Zoll grössere Schul-
terhöhe. Die Kobs (Moorantilopen) hingegen scheinen
im Semliki-Tal grösser zu sein als am Kongo. Da sie
überdies um Seher und Lauscher eine deutliche weisse
Zeichnung aufwiesen, erlegte ich ein Paar. Die Schul-
terhöhe des Bocks übertraf die der grössten Stücke vom
Kongo um drei Zoll.
Die Stunde vor Sonnenuntergang war mir immer die
liebste Tageszeit; dann griff ich zur Schrotflinte und
wanderte ohne Begleitung in den Busch, um etwa noch
ein Perlhuhn zu erlegen. Einmal begegnete ich dabei
einem Wasserbock ; nur wenige Meter voneinander ent-
fernt hielten wir an und beäugten uns gegenseitig.
In der Abendsonne glänzte er kupferrot. Dann senkte
er wieder beruhigt den Kopf und fuhr fort, zu äsen, als
wüsste er, dass er nichts von mir zu befürchten habe.
In meiner Einsamkeit waren solche Manifestationen
des Zutrauens ein süsser Trost; es war, als ob die Natur
mich als zugehörig betrachtete, ja mehr noch, als zuge-
hörig anerkannte. Und mit diesem Wissen um meine
Zugehörigkeit fühlte ich mich geborgen.
Zwischen dem Semliki und Rhino-Camp unterbrach
die «Baker» ihre Fahrt in Butiaba, einem kleinen Hafen-
ort am Ufer des Albertsees, am äussersten Ende einer
öden, sandigen Landzunge. Eine ganze lange Woche
musste ich dort warten. Weder Träger noch Proviant
waren hier aufzutreiben, und damit gab es keine Mög-
lichkeit, der eigenen Trübsal zu entrinnen.
Übrigens konnte ich von Glück sagen, dass ich über-
haupt bis hierher gekommen war: in meinem Tagebuch
hatte ich dem November gedankenlos 31 Tage gege-
302
ben und entdeckte erst in letzter Stunde, dass ich nun
mit meiner Zeitrechnung um einen Tag zurück war.
Es war drei Uhr nachmittags, als ich ganz zufällig
meinen Irrtum an einem Kalender auf der Rückseite
eines Schreibblocks bemerkte. Vom Lager bis zum
Ufer des Sees war es noch ein guter Tagesmarsch.
Sofort brachen wir auf und kamen kurz nach Sonnen-
untergang nach Ntoroko, und bei Tagesanbruch lief
die «Baker» ein. Hätten wir sie verfehlt, dann wäre
aus dem weissen Nashorn nichts geworden, denn wir
hätten nochmals zwei Wochen verloren, und der Jagd-
pass erlosch Ende des Jahres — ein etwas teures Lehr-
geld, um sich zu merken, dass der November nur dreis-
sig Tage zählt.
In diesem halbzivilisierten Nest war es mir nicht
möglich, mein Zelt aufzuschlagen, ich musste in einem
Rasthaus Quartier nehmen. Hier fand ich nichts ande-
res zu tun als die Wasservögel am Seeufer zu beob-
achten und mich darin zu versuchen, die unbeschreib-
lich schönen Sonnenuntergänge zu malen, bis der
Regierungsbeamte sich meiner erbarmte und mir ein
Kanoe mit Ruderern zur Verfügung stellte. Nun ver-
brachte ich Tag und Nacht mit erfolgloser Jagd auf
Flusspferde. Vernünftigerweise hätte ich diese Woche zu
gründlichem Ausruhen benutzen sollen, aber ich konnte
keine innere Ruhe finden, und ausserdem hoffte ichhier
unsern Misserfolg vom Viktoriasee wettzumachen.
Des Nachts, wenn der Mond auf den See herab-
schaute und die Kongoberge in unendlicher Ferne wie
ein silberner Schleier über dem Horizont ruhten, erhob
sich das rhythmische Schlagen der Negertrommeln.
Immerfort dröhnte ihr pulsierender Schlag, und ferne
303
Stimmen hoben und senkten sich in steter Wieder-
holung einer so wilden, unheimlichen und seltsam
traurigen Melodie, dass ich fast wahnsinnig wurde vor
Trübsinn.
Nicht nur meine kleine Ginsterkatze hatte ich zurück-
lassen müssen, auch Major, mein treuer Gefährte, war
nicht mehr bei mir, ein Verlust, der meine Einsamkeit
hundertfach fühlbar machte.
Ich hatte mich im letzten Augenblick überreden
lassen, ihn nach Entebbe zurückzuschicken, wegen der
Ansteckungsgefahr durch die Tsetse-Fliege im Sem-
liki-Tal. Noch heute bereue ich bitter, dass ich dieses
Risiko nicht auf mich genommen hatte. Denn während
ich ihn jeden Tag in der Wildnis mehr vermisste, lag
er — wie ich später erfuhr — von früh bis spät in
Government House vor der Tür und wartete auf mein
Kommen. Er schien taub für alles, was um ihn vorging
und sprang nur auf, wenn er glaubte, meine Schritte
zu hören, um dann, enttäuscht, kläglich aufzuheulen.
Einen Monat später sollte Lady Archer ihn auf ihrer
Reise nach dem Sudan selbst zu mir nach Rhino-Camp
bringen. Im Durcheinander der Abreise aber ver-
schwand Major. Vielleicht wollte er mich suchen
gehen? Er wurde bald darauf gefunden, zerrissen und
blutig, nach einer Beisserei mit sechs Eingeborenen-
hunden, die zusammen über ihn hergefallen waren;
vielleicht hatte er geglaubt, er verteidige mich gegen
sie? Er hatte nicht nachgegeben, sein tapferes altes
Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen.
Auch die Woche in Butiaba ging schliesslich vor-
über, und nach achtzehnstündiger Fahrt legte die «Ba-
ker» unter den Bäumen von Rhino-Camp an.
304
Mehr als je sehnte ich mich nach der freien Wildnis,
und ich hätte mich am liebsten sogleich zur nächsten
Wasserstelle aufgemacht. Aber im Innern gab es kein
Wasser, und so blieb mir keine Wahl, als das Zelt bei
dem Rasthaus unmittelbar am Fluss aufzuschlagen.
Captain W., der zu meinem Schutz hierher beordert
wurde, eröffnete mir dies gleich bei meiner Ankunft.
Er war beauftragt, in Rhino-Camp zu bleiben, hin das
weisse Nashorn glücklich erlegt war.
Wäre ich allein gewesen, dann hätte ich, dem Bei-
spiel B.’s folgend, meine Zeit wenn nötig bis zur Syl-
vesternacht ausgenützt, um mir ein möglichst starkes
Exemplar zu sichern. Aber ich war ja nicht allein, und
es war undenkbar, dass ich mit einem Begleiter, der
nicht das geringste Interesse an meinen Plänen haben
konnte, Tag für Tag auszog, unbekümmert um die
verrinnende Zeit. Hätte ich es so gehalten, dann würde
mein Nashorn zweifellos noch heute durch die Dschun-
gel streifen.
So aber hatte die Jagd nach drei Tagen schon ihr
Ende erreicht, und ich war überaus dankbar für alle
Hilfe, die mir zuteil wurde, denn ich machte mir jetzt
ständig Sorge darüber, ob ich weiteren Anstrengungen
noch gewachsen sei. Ich hätte die Schmach kaum über-
lebt, mich in letzter Stunde für geschlagen erklären zu
müssen, nur weil ich mich körperlich nicht auf derHöhe
fühlte, jetzt, nachdem ich so viele und so grosse Schwie-
rigkeiten überwunden hatte.
Das Gras stand hier ebenso hoch wie im Semliki-
Tal, und da wir nach zwei Pürschgängen einsahen, dass
wir unter diesen Umständen kaum je ein Nashorn zu
Gesicht bekommen würden, setzten wir es in Brand.
305
Glücklicherweise war es schon trocken genug, und
bald verbreitete sich der Widerschein des Steppen-
feuers über den nächtlichen Himmel. Darnach war die
Gegend in eine verkohlte Steppe verwandelt, jeder
Tritt wirbelte Wolken von Asche auf. Aber man konnte
wenigstens sehen.
Bei klarem Sternenlicht brachen wir auf — unver-
gesslich ist mir der herbe Geruch der taufeuchten
Asche —, und als der Osten sich zu röten begann, waren
wir an der Stelle angelangt, an der wir zuletzt eine
Nashornspur gesehen. Die Leute verteilten sich, um
die Umgegend abzusuchen, aber die Sonne stand schon
hoch am Himmel, und Tau und Morgenfrische waren
lange dahin, bis eine Meldung eintraf. «Wieder ein Tag
verloren», dachte ich, doch schliesslich konnte ich
nicht erwarten, dass ein weisses Nashorn ohne harte
Anstrengungen zu erbeuten sei. Wir hatten übrigens
schon zwei oder drei Bullen zu Gesicht bekommen,
aber als zu schwache Stücke ausgeschieden. Doch nun
kamen die Askaris zurück und meldeten, dass sie ganz
in der Nähe ein äsendes Nashorn gesehen hätten.
Der Wind war unbeständig, denn es war zu jener
Tageszeit, da er unentschlossen abwechselnd aus allen
Himmelsrichtungen bläst. Dreimal zwang er uns um-
zukehren, und als wir die bezeichnete Stelle endlich
erreichten, war von dem Nashorn nichts mehr zu sehen
als seine sich entfernende Spur in der Asche.
Mittag war schon vorüber, als wir drei Nashörner
im Schatten einiger Bäume erblickten, eine Kuh mit
Kalb und einen Bullen nicht weit dahinter. Wieder galt
es zu entscheiden, ob das Horn die erhoffte Länge habe.
Als er das Haupt hob, ein schwarzes Profil gegen das
306
grelle Licht der Steppe, sah es riesig aus, unter einem
andern Winkel unbedeutend, dann wieder liess seine
kühngebogene Linie mein Herz schneller schlagen.
Ich hob das 30-Zoll-Mass in die Höhe, das S. E. der
Gouverneur mir für eine annähernde Schätzung emp-
fohlen hatte, aber noch immer konnte ich mich nicht
entschliessen. Captain W. bezweifelte, dass es das er-
forderliche Mass erreichte, während die Leute es für
riesig erklärten. Das taten sie aber steis, und sie hatten
ja noch nie vorher ein weisses Nashorn gesehen.
Schliesslich vertauschte ich die Büchse mit der Kamera
und pürschte mich näher heran. Doch das Nashorn
eräugte mich und wurde flüchtig, ich hinterher, um
noch eine Aufnahme zu erhaschen, bis ich bei einem
Busch beinahe in die Kuh mit dem Kalb rannte, und
alle drei verschwanden in einer Wolke von Asche
und Staub.
Wir waren noch nicht weit gekommen, als wir
wieder auf einen Bullen stiessen, dessen Horn diesmal
einstimmig für kapital befunden wurde.
Das hier noch hohe Gras erforderte einen Schuss im
Stehen. Während wir uns vorsichtig anpürschten, wo-
bei das Nashorn unruhig zu werden begann, kamen
mir hundert Bedenken, ob ich nicht noch zuwarten
sollte. Ich zögerte noch, als Muthoka flüsterte, das Nas-
horn sei im Begriff, sich zur Flucht zu wenden. Jetzt
oder nie! Liess ich auch diesen Bullen gehen, so waren
mir wieder endlose Strapazen gewiss, und würden wir
wohl wieder einem annähernd so starken Bullen be-
gegnen? Es war wohl, weil ich meines Entschlusses
nicht ganz sicher war, denn als ich abdrückte, fehlte
ich dieses riesige, nicht zu verfehlende Ziel.
307
Er warf sich herum und polterte davon, in wenigen
Augenblicken würde er mir endgültig verloren sein.
Ich nahm mich also zusammen und schickte ihm eine
Kugel nach. Er hielt in seiner Flucht inne und gab mir
Zeit, mich zu nähern. Ich kauerte auf die Erde, zielte
lange und sorgfältig auf die Mitte der Brust und gab
Feuer. In einem letzten wilden Anlauf donnerte er
vorüber, und dabei schien mir sein Horn kaum noch
einen Fuss lang. Das benahm mir alle Lust, auch nur
hinzugehen, um ihn aus der Nähe zu besehen.
Da er indessen jetzt verendet vor mir lag, war das
Nächstliegende, mit dem Abhäuten zu beginnen. Im
übrigen war es interessant, ein weisses Nashorn aus
der Nähe zu betrachten, denn sein merkwürdig breites
Maul, dem die Greiflippe fehlt, die grossen, mit
schwarzen Borsten befransten Lauscher gaben ihm
ein dem gewöhnlichen schwarzen Nashorn recht un-
ähnliches Aussehen, von dem es auch eine etwas
hellere Färbung unterschied. Nach den Aufregungen
der Jagd war mir das Hantieren mit dem Bandmass
stets besonders langweilig erschienen; in diesem Fall
mussten wir den Kadaver unterhöhlen, um seinen Lei-
besumfang zu messen.
Es brauchte zehn Askaris, um den ungefügen Kör-
per auf den Rücken zu wälzen und ihn so im Gleich-
gewicht zu halten, während ich darauf kletterte und die
nötigen Schnitte zog. Muthoka hatte die Klinge ge-
schärft wie ein Rasiermesser, und das war auch not-
wendig, denn sogar am Bauch war die Haut fast einen
Zoll dick.
Als die Leute zum Abhäuten eintrafen, waren wir
schon ein gutes Stück vorwärtsgekommen, aber das
308
Loslösen des Horns war eine schwere Aufgabe, und
die Sonne ging unter, während wir noch immer daran
schnitten und hackten. Ein Trupp von Wegarbeitern,
die sich für das Wildbret interessierten, kam uns sehr
gelegen. Sie zimmerten eine Art Rost, dreissig Mann
luden die Last auf ihre Schultern und brachten sie so
ins Lager ein.
Als wir den Rückweg antraten, war es wiederum im
Sternenlicht, aber selbst nach einem bescheidenen Er-
folg ist auch eine späte Heimkehr ein kleines Fest und
lässt keinen Gedanken an Müdigkeit aufkommen. Ein
um ein paar Zoll längeres oder kürzeres Horn ändert
nichts an der mühseligen Arbeit des Abbalgens, und
ich hatte schon lange Bedenken gehabt, ob nur vier
erfahrene Leute sie bewältigen konnten.
Nun musste noch die ganze Haut dünngeschabt
werden. Ein Dutzend ansässiger Eingeborener wurden
zugezogen, so dass zwanzig Mann damit beschäftigt
waren; wir arbeiteten den ganzen Tag von sechs Uhr
früh bis sechs Uhr abends. Es war eine harte, anstren-
gende Arbeit, aber was machte das? Der Augenblick,
an dem wir an der Trophäe des weissen Nashorns
arbeiten konnten, war während vieler Wochen der
Gipfel all meiner Wünsche gewesen.
Am folgenden Tag sollten S. E. der Gouverneur
und Lady Archer auf der Fahrt nach dem Sudan an
Rhino-Camp vorbeikommen. Captain W. liess durch
seine Askaris Berge von Papyrus-Stauden holen, und
wir unterhielten uns den ganzen Morgen damit, das
Lager auszuschmücken. Über den Ehrensitzen brachten
wir ein Wappenschild an, mit einem schreitenden
weissen Nashorn, darunter das Motto: «White is
309
might». Über den Landungssteg hängte ich ein Tuch,
worauf ein aus weissem Kattun ausgeschnittenes Nas-
horn prangte und darunter das Wort: CAMP. Dieses
Nashorn war mit blossem Auge auf weite Entfernung
sichtbar und schloss jede Möglichkeit aus, dass die
«Baker» versehentlich an Rhino-Camp vorüberfuhr.
Das andere Nashorn lag auf einer Plattform unter
den Bäumen ausgebreitet, und schnell gab ich dem
Horn noch eine letzte Politur. Erde und Schmutz
hatte ich mit Wasser und Seife abgeschrubbt und es
dann mit Vaseline eingerieben. Dies brachte einen so
schönen Bernsteinglanz hervor, dass man wirklich
versucht war, es zu bewundern — wäre es nur um drei
Zoll länger gewesen. Mir bangte etwas vor dem Augen-
blick, da ich diese 28 Zoll eingestehen musste, denn der
Gouverneur hatte ausdrücklich betont, dass eine Tro-
phäe unter 30 Zoll nicht in Frage kommen dürfe; ich
fürchtete, er möchte bedauern, sich meinetwegen solche
Mühe gegeben zu haben, wenn ich nichts Besseres zu-
wege brachte.
Als Seine Excellenz nun doch nicht so enttäuscht
dreinschaute, wie ich befürchtete, das Horn sogar sehr
schön fand und seine breite Basis bewunderte, war
mein erstes, in «Ward’s Records» nachzuschlagen,
denn an diesen Trost hatte ich nicht gedacht.
Die «Baker» setzte ihre Reise fort, Captain W. kehrte
nach Arua zurück, und mir blieben noch zehn Tage in
Rhino-Camp.
Während der ganzen Jagdreise, bereits in den ersten
Tagen, hatte mir oft geträumt, sie sei schon zu Ende,
aber ich war immer wieder erwacht mit dem Blick auf
den umgekehrten V-förmigen Ausschnitt von blauem
310
Himmel unter dem grünen Zeltdach. So freudig
stimmte mich dann solches Erwachen, dass ich jedes-
mal hätte hinauslaufen mögen, um der aufgehenden
Sonne meinen Gruss zuzujubeln. Nun aber wurde aus
dem Traum bald Wirklichkeit, und mein Erwachen
würde umschlossen sein von vier Wänden, fern der
freien Natur.
Jede Stunde brachte mich dem Tag näher, an dem
ich mich von ihrer heilenden und szgnenden Gegen-
wart losreissen und allein mit meinem tiefen Schmerz
wieder zurückkehren musste in die Einöde der Zivi-
lisation.
Jetzt kam mir erst zum Bewusstsein, wieviel ich
dem weissen Nashorn verdankte, denn bis dahin hatte
es sich wie ein mächtiger Berg vor das Ende geschoben.
Meine Erschöpfung äusserte sich in einem so ungeheu-
ren Schlafbedürfnis, dass mir nur übrig blieb, entweder
dauernd zu arbeiten oder auf immer in Schlaf zu sin-
ken. Doch noch hier half mir das Nashorn, Gedanken
an die Zukunft, vor der mir graute, zu verdrängen,
denn seine Haut drohte zu verderben, und ich hatte
soviel Sorge und Arbeit damit, sie zu schaben, mit
Chemikalien zu behandeln und zu überwachen, dass
mir keine Zeit blieb, meinen Gedanken nachzuhängen.
In diesen letzten Tagen unterlag ich mehr und mehr
dem Zauber des Nil. Stundenlang konnte ich in seine
langsam und ruhig ziehenden Fluten schauen, bis
mein ganzes Wesen mit dem tiefen und doch zielbe-
wussten Frieden seiner Strömung eins zu sein schien.
Ausgestreckt lag ich neben dem Fluss, wie man an
Lethes Ufern liegen mag, im Schauen die Gedanken
befreit, in erlöstes Vergessen getaucht.
311
Er glitt so friedlich vorüber, ohne Hast und Rast,
auf seinen Wogen trieben schaukelnd die kleinen Nil-
pflanzen* vorbei und verschwanden in der Ferne. Man
mochte sitzen und seinem Lauf nachträumen, stunden-
lang oder durch tausend Jahre hindurch, der Strom
war an sich schon ein Symbol der Zeit. Spiegelte sein
Lauf nicht die ganze Entwicklung wieder? Hier, nahe
seinem Ursprung, sind seine Ufer wild und unberührt,
seine Anwohner so primitiv wie der erste Mensch, und
an seinem Ende, nachdem er Wüsten durchmessen,
spiegeln sich Brücken und mächtige Kulturen vieler
Epochen in seinen Wassern. Wie die Eingeborenen,
die am Ufer sitzend über ihn hinblickten, schien die-
ser Strom Sinnbild einer unerschütterlichen Geduld,
einer Geduld, die schliesslich alles zu überwinden ver-
mag. Es ist dieselbe Geduld, die dem Neuling über-
all entgegentritt, eine aufreizende Apathie und fühl-
lose Gleichgültigkeit, ein Fatalismus, der einen in Wut
zu versetzen vermag. Und doch liegt hier vielleicht
das Geheimnis: Afrika ist zu mächtig für etwas so
Brüchiges wie die Ungeduld, und unsere Stärke liegt
nicht darin, unsern eigenen Willen dagegen zu stem-
men, sondern uns einzufügen.
Was mich in all den Monaten des Jagens immer
wieder beeindruckte, das war der stoische Mut des
Wildes; stets kämpfte es bis zum letzten, keine
Schmerzempfindung dämpfte je seinen Lebensmut,
nichts brach ihn als der Tod selbst. Auch die Leute
waren Stoiker. Zugegeben, sie hatten hundert Fehler,
mangelnde Geduld durfte man ihnen jedoch nicht vor-
werfen.
*) Nile cabbages (Pistia stratiotes).
312
Der Tag war gekommen, an dem sie die Rückreise
nach Nairobi antreten mussten. Da kam jeder einzelne
zu mir und bat mich, ihn bei der nächsten Safari wieder
mitzunehmen. Das war Musik in meinen Ohren, und
ich machte mich daran, die Fleischmesser einzufetten
und sorglich in die Werkzeugkiste zu packen, nicht
damit die «African Mercantile» nach Belieben darüber
verfüge, sondern sie mir aufbewahre.
Es war fast Mitternacht, als die «Baker» wiederum
anlegte. Ich war der Finsternis dankbar, denn vor dem
Abschiednehmen war mir gar nicht recht geheuer.
Noch dankbarer war ich dem alten Mvanguno, der
einen hartnäckigen Streit um einen Kochtopf vom
Zaun brach, auf den er alleiniges Recht beanspruchte
trotz allen Argumenten, die Abde gegen ihn ins Feld
führte. Das gemahnte so sehr an alte Zeiten, dass der
Abschiedsschmerz für den Augenblick vergessen war.
Und schliesslich endete der Zauber der «Blauen
Ferne» ja nicht mit dem Verlassen von Rhino-Camp.
Die Strecke von Nimule nach Rejaf, die ohnehin nie von
Touristen heimgesucht wird, war zu dieser Jahreszeit
so verlassen, wie ich es mir nur wünschen konnte,
nie begegnete ich einem Weissen. Nur einmal, am Neu-
jahrstag, überholte mich ein Missionar auf seinem Fahr-
rad und bedauerte mich, weil ich zu Fuss gehen musste.
Ich konnte es ihm nicht erklären, aber nicht um alle
Fahrräder der Welt hätte ich auf einen Schritt dieser
letzten Wanderung verzichten mögen. Es war ein
herrlicher, anstrengender Marsch, denn die «Baker»
hatte sich verspätet, das Schiff in Rejaf aber nicht, so
dass mir nur noch sechs Tage blieben, um diese 96 Mei-
len zurückzulegen.
313
Ich befand mich jetzt im Sudan, in glühender Wüsten-
hitze, und marschierte nur in der Nacht. Wild gab es
wenig, aber ich liebte diese einsame, steinige Strasse,
über der jeden Morgen die Sonne in feuriger Pracht
aufging, während der Wind in Orgeltönen zwischen
den Felsblöcken brauste.
Die letzte Etappe war die schönste von allen, denn
während die Sterne noch funkelten, rollte eine alte,
wohlbekannte Musik, die machtvolle Stimme eines
brüllenden Löwen über die Ebene. Wieder und wieder
erschütterte ihr Donner das Schweigen und verlor sich
dann ausklingend unter dem Himmel. Dann stieg leise
aus grauen Nebeln die Dämmerung herauf, ein leichter
Wind erhob sich und wirbelte die dürren Blätter am
Boden auf, während die erste Morgenröte ihre hauch-
zarten Farben über die Wüste legte.
In Rejaf gab es alle Hände voll zu tun: Einfuhr-
scheine für die Gewehre waren auszufertigen, Geld
musste gewechselt, Zoll bezahlt werden. Aber ich war
glücklich über diese Ablenkung, die mir weniger Zeit
liess, über das andere nachzudenken — über den Ver-
kauf des Zeltes und der Ausrüstung und all der Dinge,
die mir so vertraut geworden waren. Ich muss es dem
Leser gestehen, dass ich im letzten Augenblick die
Säge wieder auspackte und die Zeltstange unter der
Fassung entzweisägte. Es war das Stämmchen, das wir
im Wald von Meru geschnitten hatten.
Jetzt musste ich auch Jim und den Koch entlassen,
die mich bis zum letzten Tag der Safari begleitet hatten,
und schliesslich kam der Dampfer in Sicht. Es war
zwischen ihm und mir ein Wettrennen gewesen, das
ich gewonnen hatte. Bis zuletzt hatte ich noch gehofft,
314
seine Ankunft würde irgendwie verhindert, aber jede
Drehung seiner Schaufelräder, ja selbst die Strömung
schienen sich gegen diese Hoffnung zu verschwören.
Und es war gut so, denn so gerne ich die ganze Jagdreise
noch einmal unternommen, meine Kräfte hätten kaum
noch für einen Tagesmarsch gereicht.
Wir lichteten die Anker erst in der Nacht, so blieb
mir noch Zeit, den Berg von Rejaf zu besteigen. Um
seinen Gipfel kreisten die Weihe, und die granitenen
Zacken glimmten im Abenddämmer. Unter mir dehnte
sich der Nil von Horizont zu Horizont, und die Erde
wölbte sich unter dem Himmel, soweit das Auge
reichte. Hier und da verstreut ein Hügel, eine Gruppe
von Büschen und eine gewundene Strasse. Wohin
mochte sie führen? Irgendwohin in die untergehende
Sonne hinein oder dem Morgen entgegen, wie alle
Strassen in Afrika. Glücklich, wer auf ihnen wandern
darf.
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