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Full text of "In blaue Fernen; afrikanische Jagdabenteuer. Mit eigenen Aufnahmen der Verfasserin. [Übertragen aus dem Englischen von Rolf Bally]"

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IN BLAUB RERNEN 


IN BLAUE FERNEN 


VIVIENNE VON WATTENWYL 


IN BLAUE FERNEN 


Afrikanische Jagdabenteuer 


Mit eigenen Aufnahmen der Verfasserin 


VERLAG HALLWAG BERN 


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Titel des Originals “Out in the Blue” 
Übertragung aus dem Englischen von Rolf Bally 
Alle deutschen Rechte vorbehalten vom Verlag Hallwag Bern 
Druck: Hallwag AG. 


Printed in Switzerland 


Aufbruch 


Die «Modasa» pflügte ihren Weg durch die dunklen 
Wogen, geradewegs hinein in die untergehende Sonne. 
Der schwarze Küstenstreifen mit seinen glitzernden 
Lichtern glitt am Steuerbord vorüber, und ein hie und 
da vor uns auftauchendes schattenhaftes Segel verlor 
sich bald hinter uns in der Abenddämmerung. War es 
wirklich wahr geworden, dass wir uns endlich an Bord 
befanden und jeder rhythmische Schlag der Schiffs- 
schrauben uns unwiderruflich vorwärts brachte Tag, 
und Nacht, Afrika entgegen ? 

Während der letzten zwei Wochen hatten wir kaum 
Zeit gefunden, über unsern bevorstehenden Aufbruch 
nachzudenken. Ausserdem hatten wir nie ganz daran 
glauben können, weder als wir die Kataloge von Silver 
studierten und viele Tage darauf verwendeten, unsere 
Camp-Ausrüstung zusammenzustellen, noch als wir die 
Schiffsplätze belegten. Ja, noch am Vorabend des 4. Mai 
1923, dem Tag unserer Abfahrt, als wir in Benjamin 
Edgington’s Werkstätte unser aufgeschlagenes Zelt 
und die ganze Ausrüstung in aller Eile kontrollierten, 
schien uns die endliche Verwirklichung unseres Trau- 
mes kaum fasslich. 

Denn wer lange auf die Erfüllung eines Wunsches 
gehofft hat, dem scheint sie immer unwahrscheinlicher. 
Wir hatten diese Expedition seit sieben Jahren ge- 
plant und hatten gespart dafür, als ich noch zur Schule 


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ging, und nun, mit zweiundzwanzig Jahren, stand ich 
endlich vor der Verwirklichung dieses so lange herbei- 
gesehnten Augenblicks. 

Unmittelbar vor dem Weltkrieg 1914 hatte B., mein 
Vater, zwei Jahre in Zentralafrika verbracht und das 
Land, seine Jagdweisen und Reisemöglichkeiten gründ- 
lich kennengelernt. Dann unternahm er eine Expedition 
durch Nordost-Rhodesien, von welcher er eine schöne 
Trophäensammlung zurückbrachte, die er dem Museum 
in Bern überliess. 

Einige Jahre später wurde dort ein neuer Kurator 
gewählt, der mit seiner ganzen Persönlichkeit dafür 
eintrat, dass das Museum neuen Schwung bekommen 
solle, und der sein besonderes Interesse der Erneuerung 
der Sammlung afrikanischer Fauna widmete. Hier bot 
sich endlich die so lange ersehnte Gelegenheit: Die 
Museumsleitung erklärte sich bereit, Transport und 
Verpackung aller ihr zugesandten Trophäen zu tragen 
— eine grosse Erleichterung für unser Expeditions- 
Budget —, und was die übrigen Unkosten betraf, so 
konnten wir, nachdem wir alle unsere Ersparnisse 
flüssig gemacht hatten, zwei ganze Jahre lang unter- 
wegs bleiben. 

Man kann nicht gänzlich ohne Übergang vom Alltag 
in das gesteigerte Erlebnis eines Abenteuers treten, und 
da lag die Zeitspanne einer langen Seereise vor uns. 
Allein zuzusehen, wie der Bug des Schiffes das Wasser 
durchschneidet und es weißschäumend beiseite wirft, 
macht uns das eine vergessen und erfüllt uns mit 
lockenden Visionen des andern. Genügt das noch nicht, 
so sind Port Said und Port Sudan wohl geeignet, einen 
Vorgeschmack des Ostens zu geben, und der Suez- 


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Kanal — von wo aus der Blick über endlosen Sand und 
steinige, im Sonnenglast flimmernde Hügel schweift — 
einen Vorgeschmack der Wüste. 

Einen Monat später lief die «Modasa» in die blaue 
Bucht von Kilindini-Harbour ein. Bei Einbruch der 
Nacht verliess der Zug den Hafenplatz und trug uns 
mit wachsender Geschwindigkeit landeinwärts in die 
Dunkelheit. 

Der Mond schien abwechselnd bald in das eine Fen- 
ster, bald in das andere, während der Zug sich durch 
das ersehnte afrikanische Grasland wand, undwir glaub- 
ten in unserer Ungeduld den Tagesanbruch nicht mehr 
erwarten zu können. Doch allmählich erstarb das Ge- 
räusch der Räder, und unter Vorstellungen von Löwen- 
jagden und dem Donner der Tsavobrücke in den Ohren 
verfiel ich in festen Schlaf, bis mich die helle Morgen- 
sonne weckte. 

Die Regenzeit war gerade vorüber. Alles war grün 
wie ein Park, die Atmosphäre so leuchtend klar, dass, 
fast hundert Meilen entfernt, der schneeige Gipfel des 
Kilimandjaro wie eine weisse Wolke am Himmel hing. 
Aus Hügeln und Busch gelangten wir allmählich in 
offeneres Gelände, die Athi-Hochebene, eine ungeheure 
Grasfläche, die im Winde wogte wie ein Meer. 

Solange es aufwärts gegangen war, hatten wir uns 
fast die Augen aus dem Kopf geschaut, um Wild zu 
entdecken und sahen auch richtig einige Giraffen und 
dann und wann ein Hartebeest (Kuhantilope) — 
aber grasten ganze Herden von Hartebeests, Gnus, Ga- 
zellen und Zebras buchstäblich neben dem Geleise und 
hoben kaum die Köpfe, als der Zug vorüberdonnerte. 
Es war ein erstaunlicher Anblick und ganz dazu ange- 


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tan, einem die Lust am Töten von Grosswild für immer 
zu nehmen. Dies war jedoch ein Wild-Reservat; ausser- 
halb seiner Grenzen würden wir Mühe genug haben, 
zu erjagen, was wir für unsere Sammlung brauchten. 

Es stellte sich dann auch heraus, dass wir noch ge- 
nügend Zeit finden würden, um die Freude am Jagen 
wiederzugewinnen. Wir hatten gehofft, schon eine 
Woche später unter unsern Zelten zu schlafen, aber 
noch. fast einen Monat wurden wir in Nairobi fest- 
gehalten, bevor wir uns auf den Weg machen konn- 
ten; denn selbst mit Unterstützung des Game Warden 
(Vorstand des Wildschutz-Departements) — und seine 
Hilfe ging so weit, dass er unsere ganze Karawane zu- 
sammenstellte — können dreissig kräftige Träger nicht 
im Umsehen zusammengetrommelt werden. Mit der 
Anwerbung eines so vorzüglichen Gewehrträgers wie 
Kongoni, eines Vormannes wie Bokari und Leuten, 
die etwas vom Abhäuten der Beute verstehen, unge- 
rechnet den Koch und persönliche Dienerschaft, wurde 
ein längerer Aufenthalt unvermeidlich. 

Doch so sehr wir nach dem Aufbruch brannten, war 
diese Verzögerung nur unser Vorteil. Die Regenzeit 
war im Innern ungewöhnlich heftig gewesen. Das be- 
deutete, dass nun das Gras sehr hoch stand, und dass 
die Elefanten nicht vor zwei bis drei weitern Monaten 
in den Meru-Wald zurückwechseln würden. 

Der Elefant war die grösste Aufgabe unserer Expe- 
dition, denn wir beabsichtigten, seine Haut mitzuneh- 
men; damit wollten wir den Anfang machen, um diese 
schwerste Arbeit bald hinter uns zu haben. Ob wir es 
fertigbringen würden, einen Elefanten zu häuten und 
seine ganze Haut zu präparieren, war für uns noch eine 


ungelöste Frage, denn B.’s Erfahrung auf dem Gebiet 
der Taxidermie hatte sich bis daher nur auf die Los- 
lösung der Maske von Antilopen erstreckt. Ein Gross- 
wildjäger, der darin Erfahrung hatte, versicherte uns 
nachdrücklich, dass ohne Mithilfe von mindestens hun- 
dert Mann und einem Kran und Flaschenzug nicht 
daran zu denken sei. Bis jetzt war es nur ein Plan ge- 
wesen, gerade so wie die Erbeutung des weissen Nas- 
horns, und niemand glaubte weniger daran als B. selbst. 
Nun jedoch wurde der Elefant plötzlich das Hauptziel 
unseres Ehrgeizes. 

Ein kurzer Ausflug nach dem obern 'Tana würde die 
Zwischenzeit prächtig ausfüllen und uns trainieren, 
denn erst hinter Meru sollte die eigentliche Expedition 
beginnen: zum nördlichen Teil des Uaso Nyiro, mög- 
licherweise bis zu den Lorian-Sümpfen, dann hinüber 
an den untern Tana und der Küste entlang nach Lamu. 
Es war ein verlockendes Programm, dessen Ausfüh- 
rung acht oder neun Monate beanspruchte und zeitlich 
nur durch den Wiederbeginn des Grossen Regens be- 
grenzt war. 

Der obere 'Tana war eine wildreiche Gegend und bot 
uns mancherlei Gelegenheit, unsere Sammlung zu be- 
ginnen; überdies lag er gerade auf unserer Route. Zwar 
erstreckten sich noch etwas über hundert Meilen ge- 
bahnten Weges zwischen ihm und Meru, aber diese 
Strecke konnten wir gegebenenfalls auch mit dem Wa- 
gen zurücklegen. Alle Jagd-Expeditionen in Ostafrika 
benützten Automobile, wo sie konnten, und B.’s An- 
sicht, dass man, wenn man im Grasland an einen be- 
stimmten Platz gelangen wolle, einfach dorthin mar- 
schiere, war total veraltet. 


Hier war einmal Armut gleichbedeutend mit Frei- 
heit. Wir mochten wohl vorgeben, dass ein Marsch mit 
der Kolonne viel romantischer sei als eine Reise im 
Automobil, oder dass, trotzdem die Erfahrungen eines 
berufsmässigen weissen Jagdführers für grösseren Er- 
folg bürgen würden, der ganze Reiz unseres Unter- 
nehmens darin bestehe, unsere Erfahrungen selbst zu 
machen; wir hatten jedoch nicht aus eigener Wahl auf 
beides verzichtet. Wer gewusst hätte, was der Ankauf 
unserer sechs Packesel für unser Budget bedeutete, 
der hätte schnell eingesehen, dass wir auf alle weiteren 
Bequemlichkeiten verzichten mussten. Diese Packesel 
waren eine Nebenausgabe, mit der wir nicht gerechnet 
hatten, die sich aber als völlig unumgänglich erwies. 
In dem Landstrich, den wir bereisen wollten, konnte 
man nämlich keine Nahrungsmittel kaufen, und wenn 
auch die Träger Fleisch von dem erlegten Wild essen 
würden, hatten sie doch Anspruch auf ihre Tagesration 
«Posho » (Maismehl). Da nun für die Träger, die unsere 
Lasten trugen, andere Träger Posho tragen müssten, 
müsste für diese wiederum Posho vorhanden sein; die 
Packesel lösten diese komplizierten Berechnungen auf 
einfache Weise, denn für sie fand sich immer Gras. 

Unter dem Aussuchen der Esel und Packsättel, dem 
Kauf zweier Reitsättel (wir hofften später zwei Maul- 
tiere anzuschaffen), dem Ankauf von Proviant, Seilen, 
Fleischmessern, Skalpellen, Sturmlaternen und all den 
hundert Dingen, die Robinson Crusoe gebraucht, ver- 
gingen die Tage; ja, es gab so viel anzuordnen und nach- 
zusehen, dass ein Monat gerade genügte. Beeilen konn- 
ten wir uns dabei nicht, niemand in Nairobi beeilte sich 
jemals, und jede Einzelheit erforderte einen Morgen für 


Io 


sich. Der Koch, einmal auf einen Verkaufsladen von 
Haushaltartikeln losgelassen, verbrachte einen ganzen 
Tag mit der Auswahl seiner Töpfe und Pfannen. Hätten 
wir allen seinen Wünschen Gehör geschenkt, dann 
hätte er uns noch einen grossen Fleischkasten, eine 
Kaffeemühle und eine grössere Fleischhackmaschine 
aufgebürdet. 

Vielleicht hatte er mit seinerHackmaschinedochnicht 
so Unrecht gehabt, aber sie passte so wenig zu unserer 
vorgefassten Meinung über das «rauhe Lagerleben», 
dass wir ihn nur auslachten. Noch hatten wir keine Er- 
fahrung in Büffelsteaks, oder B. hatte sie nicht mehr in 
Erinnerung, und über solche Kleinigkeiten machten 
wir uns am Vorabend unseres Aufbruchs zur «Safari» 
das Herz nicht schwer. Kein Wunder, dass man uns 
beneidete, denn «Safari*» bedeutet Jagen und Aben- 
teuer, weitab von gebahnten Wegen, draussen in den 
«Blauen Fernen. » 


* Wörter wie «Safari», «Posho», «Boma», «Zariba» etc. kom- 
men häufig vor und nachdem sie einmal verwendet, werden sie 
ohne Anführungszeichen wiedergegeben. Die «Blauen Fernen» 
von Ost-Afrika sind gleichbedeutend mit dem südafrikanischen 
Begriff «Grasland». 


II 


Am Oberlauf des. Tana 


Nachdem wir die Höhe von Fort Hall hinter uns 
gelassen, durchquerten wir den Tana und folgten seinem 
linken Ufer. Wie herrlich war es, die gebahnten Strassen 
endlich hinter uns zu haben, denn von Thika aus hatten 
wir zwei Tage lang ihre Hitze und ihren Staub einge- 
atmet, mit halbgeschlossenen Augen und mit keinem 
andern Gedanken ausser dem, dass wir dreissig lange 
Meilen abmarschieren mussten. Nun aber, auf dem 
schmalen Pfad durch hohes Gras, über kleine Hügel 
und quer durch Bachbette, vergassen wir über unserm 
Verlangen, Wild zu erspähen, völlig, dass wir marschier- 
ten. Am zweiten Tag erst sahen wir das erste Wild. 
Wir hatten gerade einige Perlhühner aufgescheucht, 
als B. niederkniete und anlegte. So sehr ich auch spähte, 
ich konnte nichts entdecken. Da tauchten auf seinen 
Schuss ein halbes Dutzend Tiere mit rostrotem Rücken 
aus einem Grasfleck auf, gerade dort, wo ich sie ver- 
geblich gesucht hatte, und flohen davon. Es waren 
Impala-Antilopen gewesen, eine davon mit kapitalem 
Gehörn, wie B. sagte. Er jagte hinter ihnen her, feuerte 
noch zweimal und kam nach Ablauf einer Stunde zu- 
rück, nachdem er das Rudel im Dickicht verloren hatte. 

Das war ein peinlicher Umstand, denn seit Anbeginn 
fühlten wir uns von unserer Gefolgschaft mit skepti- 
schen Blicken beobachtet, und bisher hatte noch nichts 
zu unsern Gunsten gesprochen. Der Koch sah in der 


I2 


Bescheidenheit unserer Vorräte beinahe eine persön- 
liche Beleidigung. Und dass wir die Landstrasse zu 
Fuss hinter uns gelegt hatten statt in Automobilen, 
war für unsere Vorräte nicht vorteilhaft gewesen. In- 
dessen, sagte B., schade es nichts, wenn man sich am 
Anfang bescheiden müsse. Um so erfreulicher werde es 
sein, wenn sich die Dinge später zum Bessern wendeten, 
und wenn die Leute einmal Wildbret bekämen, werde 
ihre Zuversicht schnell wachsen. Aber nun waren wir 
auf Wild gestossen, und es hiess bei den Leuten, B. 
könne nicht schiessen. Wir waren uns bewusst, wieviel 
vom ersten Eindruck abhängt; und von Kongoni, dem 
früheren Gewehrträger des Prinzen Wilhelm von 
Schweden, bis herab zum Küchenjungen, betrachtete 
uns die ganze Gesellschaft mit fast mitleidiger Ver- 
achtung. 

Über einer so beschämenden Situation durften wir 
die Sonne nicht untergehen lassen, und nachdem wir 
einen Lagerplatz gefunden hatten, machten wir uns 
mit einem kleinen Stossgebet um ein besseres Jagd- 
glück auf die Pirsch. Ausser einer alten Büffelfährte 
sahen wir jedoch keine Spur eines lebenden Wesens, 
und die anbrechende Nacht liess uns schon umkehren, 
als Kongoni unmittelbar vor uns einige Impalas ent- 
deckte. B. nahm sich diesmal Zeit, zielte mit grösster 
Sorgfalt und war überzeugt, den Bock getroffen zu 
haben, aber unser fruchtloses Nachsuchen und das 
Fehlen jeglicher Spur von Schweiss am Anschuss liessen 
uns wieder daran zweifeln, als wir im hohen Gras un- 
versehens auf den verendeten Impala stiessen. Das war 
ein grosser Augenblick. Die Boys fielen über ihn her, 
zerhackten und zerschnitten ihn, indem sie sich bis 


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zu den Ellbogen mit Blut besudelten, bis nichts als ein 
dunkler Fleck am Boden übrig war und jeder Schwarze 
seine Last an Wildbret hatte. Bis daher hatte ich mir 
nie diesen Teil des Jagens vorgestellt, und als das ver- 
endete Tier mit seinen sanften Augen vor uns lag, hätte 
ich alles dafür gegeben, dass die Kugel auch diesmal 
ihr Ziel verfehlt hätte. 

Das Gehörn war leider nur mittelmässig, und wir 
fanden nachher, dass unser Jagdpass uns nur noch drei 
Impalas erlaubte. Und doch war es der Mühe wert 
gewesen, denn der Erfolg brachte das Lager in die 
hoffnungsfreudigste Stimmung. Wir sassen an unserm 
ersten Lagerfeuer, und während wir zusahen, wie die 
hellen Flammen die Finsternis fernhielten und unser 
Zelt und die schützenden Bäume in ihren traulichen 
Kreis einschlossen, fühlten wir uns durchdrungen von 
der wahren Zufriedenheit des Jägers seit Urbeginn. 
Dies würde ein herrliches Leben werden, und ich be- 
gann mich mehr und mehr meiner Tränen über den er- 
legten Impala zu schämen, besonders, da ich gerade in 
seine frischgeröstete Leber mit der gleichen Lust ein- 
hieb wie irgendeiner im Lager. 

Ein langer Marsch am folgenden Tag, an dem wir 
aber kein Wild zu Gesicht bekamen, brachte uns in 
eine Gegend, die mehr und mehr nach dem echten 
Afrika aussah, und wir atmeten auf, als — endlich — 
die melancholische, grüne, endlos gewellte Ebene hinter 
uns lag. Kaum hatten wir unser Lager aufgeschlagen, 
als einige alte Kikuyu-Häuptlinge mit ihren Frauen er- 
schienen. Sie setzten sich in einen Kreis und gebärdeten 
sich sehr freundschaftlich. Sie boten sich an, B. eine 
Büffelherde zu zeigen, und er brach mit ihnen auf, 


14 


während ich mich bereitmachte, auf den Fischfang zu 
gehen, um für unsern Abendtisch etwas zu fangen. Wir 
hatten Brahimo als meinen Gewehrträger gewählt; 
ich musste versprechen, ihn mit der Büchse mitzu- 
nehmen. 

Es war ein erregender Gedanke, allein in die Wildnis 
zu wandern, und ich wollte gerade aufbrechen, als B. 
noch einmal zurückkam, um mir einzuschärfen, dass ich, 
im Falle ich einen Löwen sehe, nicht auf nahe Distanz 
schiessen und auch keine Nachsuche anstellen dürfe. 
Ich sah jedoch sogleich, dass ich mir keine Hoffnungen 
auf einen Löwen zu machen brauchte, denn zwischen 
Lager und Fluss sah die Gegend nach allem andern als 
nach Dschungel aus; sie glich vielmehr einem sehr 
zahmen Maisfeld. 

B. hatte keine Anzeichen von Büffeln bemerkt. Aber 
am folgenden Morgen — wir waren vor Tagesgrauen 
aufgebrochen — stiessen wir sehr früh auf zwei Nas- 
hörner. Sie bewegten sich gleichmütig in unserer Rich- 
tung durch das offene Land, riesige, schwerfällige Krea- 
turen, die völlig harmlos und dumm aussahen. Unsere 
Boys schrieen und suchten sie mit Steinwürfen zu ver- 
scheuchen, und der Koch zog mich zu meinem gröss- 
ten Ärger am Arm zurück und stellte sich vor mich hin. 
B. meinte zwar, das sei ein glänzendes Zeugnis dafür, 
dass der Koch im Notfall seine Geistesgegenwart be- 
wahren würde. Ich aber hegte damals noch den absur- 
den Glauben, dass ich mich mit allem Wild auf freund- 
schaftlichen Fuss stellen könne. 

Zur Mittagsstunde machten wir bei einem kleinen, 
kristallklaren Bach, einer Augenweide nach dem schmut- 
zigtrüben Wasser des Tana, halt und schlugen dort 


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unser Lager unter einigen Schirmakazien auf. Da unsere 
Kikuyu-Gefolgschaft sich inzwischen auf sechs Mann 
vergrössert hatte, schickte B. sie nach Süden, Osten 
und Westen, um nach Wild zu spähen. Wir hatten einen 
langen, heissen Marsch hinter uns und waren so glück- 
lich, endlich im Schatten ruhen zu können, so dass wir 
beinahe wünschten, ihre Suche bleibe erfolglos. 

Alle Arbeit war getan, die Träger schliefen, und die 
Stille eines heissen afrikanischen Nachmittags lag reg- 
los über dem Lager. Kein Blättchen bewegte sich an 
den Zweigen, und ausser einer Zikade, die eintönig 
in der Nähe zirpte, schien alles Lebende in Schlaf ver- 
sunken, als zwei der Kikuyus leise zu unserm Zelt 
traten und meldeten, sie hätten vier Löwen gesichtet. 

Im Nu versetzte diese Meldung das Lager in Auf- 
regung; Kongoni machte den Dolmetscher. Sie hatten 
gesehen, wie sich die Löwen im hohen Gras nieder- 
taten, und waren sogleich unbemerkt zurückgekehrt, 
zwei ihrer Kameraden in der Nähe zurücklassend, um 
die Örtlichkeit zu markieren. 

Wir griffen zu den Büchsen, steckten einige Biscuits 
in die Taschen und machten uns schleunigst auf den 
Weg, der Führer voran. Bergab verfielen wir alle in 
Trab, und ausser Atem keuchten wir die nächste An- 
höhe hinauf. Als wir ein kleines Plateau erreicht hatten, 
bewegten wir uns vorsichtiger vorwärts und glaubten 
uns schon ganz nahe, als ein Paar Kiebitze zu unseren 
Füssen mit schrillem Warnruf hochflog. Wir machten 
uns aber unnötig Sorge, dass sie den Löwen unsern 
Standort verraten könnten, denn wir waren noch weit 
von ihnen entfernt, und da der Wind sich inzwischen 
gedreht hatte, sahen wir uns genötigt, einen grossen 


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Umweg zu machen. Dadurch verloren unsere Führer 
die Richtung. Wir gingen zwei gute Stunden und be- 
gannen schon, ihre Löwenmeldung für falschen Alarm 
zu halten, als wir auf ihre beiden wartenden Gefährten 
stiessen. 

Wiederum machten sie halt und begannen nochmals 
einen hitzigen Wortwechsel in lautem Flüsterton, unter 
eifrigem Deuten und Gestikulieren, und schwatzten 
dabei so durcheinander, dass selbst Kongoni nicht klug 
daraus wurde. Auf alle Fälle war es nun zu spät, und 
obgleich es wohl möglich war, dass die Löwen sich hier 
niedergetan hatten, kosnten wir kaum von ihnen er- 
warten, dass sie, ungestört von dem Gekreisch eines 
halben Dutzends Eingeborener, ruhig in ihrem Ver- 
steck blieben. Das Schilfrohr erstreckte sich meilen- 
weit in die Ferne, und wir blickten darüber hin, als 
eine Bewegung im Schilf unmittelbar vor uns aller Auf- 
merksamkeit spannte. Und plötzlich schnellte beinahe 
vor unsern Füssen etwas Gelbes in die Höhe. Einen 
Augenblick lang waren knurrende, fauchende Löwen 
ringsum. Ich zählte sieben im ganzen, die nun nach allen 
Richtungen flüchtig wurden. Einer, ein halbausge- 
wachsenes Junges, schrak zurück und sprang dann, 
nur wenige Schritte an mir vorbei, den andern nach. 
B. erlegte einen Löwen, fehlte eine Löwin, die in 
hohen, schnellen Fluchten durch das Schilf setzte, und 
gab dann auf einen grossen Löwen mit schwarzer 
Mähne Feuer, im Augenblick, als er verhoffte. Er 
strauchelte, kam wieder hoch und verschwand im Schilf. 
All dies war das Werk eines Augenblicks; ich stand 
noch immer wie festgewurzelt, und als mir der Ge- 
danke kam, die Kamera oder die Büchse zu gebrauchen, 


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war alles vorüber, die Löwen fort, verschwunden. 
Unterdessen gab der erste Löwe, der nun ausser Sicht 
irgendwo zwischen den Büschen lag, tiefknurrende, 
vibrierende Laute von sich, ein seltsam schöner, mark- 
erschütternder Ton, der die Luft erzittern macht. Die 
Neger warfen Steine, um ihn zu veranlassen, hochzu- 
kommen, und endlich konnten ihn unsere nur mit 
Speeren bewaffneten Führer sehen. Er lag in einer 
Bodensenkung, zerbiss das Gras und zersplitterte die 
umherliegenden Zweige in ohnmächtiger Wut. B. gab 
ihm den Fangschuss. Dann beugten wir uns auf die 
wundervolle Beute und liessen unsere Hände über seine 
weiche goldene Flanke streichen. 

Nun galt es, den grossen, krankgeschossenen Löwen 
zu finden. Wir drangen in ein Dschungel von verfilztem 
Gras, das hoch über unsere Köpfe reichte, jeden Augen- 
blick gewärtig, dass eine der Löwinnen uns annahm. 
Die Suche war kurz; als wir auf einen Streifen freien 
Geländes kamen, fanden wir den Löwen auf der Seite 
liegend, verendet. Er war ein Riese. Allein seine mächti- 
gen Vorderpranken zu heben war eine Anstrengung. 
Wie Stricke fühlten sich seine Muskeln und Sehnen 
unter der fahlen Haut an. Haupt und Schultern waren 
von einer majestätischen Mähne umhüllt. 

Kongonis bisheriger Ausdruck geduldiger Lange- 
weile war nun verschwunden, er konnte seine Freude 
nicht verhehlen. Er schüttelte uns beiden die Hände 
und rief B., zum erstenmal ins Englische fallend, zu: 
«Good luck, my boy!» während die Kikuyus singend 
um die Jagdbeute herumtanzten. 

Die Sonne war am Untergehen, es blieb uns keine 
Zeit mehr für photographische Aufnahmen; leider ka- 


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men wir auch nicht mehr dazu, die notwendigen Kör- 
permasse zu nehmen. B. machte die Anschnitte, und 
wir alle gingen ans Werk, den Löwen abzustreifen. Da 
ich nichts davon verstand, musste ich zu meinem Kum- 
mer mein Messer einem der Kikuyus geben. Es war 
harte Arbeit; Kongoni sagte, die Decke dieses alten 
Löwen sei so zäh wie die eines Büffels. Wir mussten 
uns sehr beeilen, und niemand hatte ein wirklich schar- 
fes Messer bei sich. Eine der Pranken war stark ent- 
zündet, wir fanden als Ursache den Stachel eines Sta- 
chelschweins, der tief und fest darin stak. 

Die Nacht war herzingebrochen, bevor noch der 
zweite Löwe abgestreift war, und beim Schein von 
Streichhölzern, mit denen ich ihm leuchtete trennteB. 
ihm den Kopf vom Rumpf. Wir fragten uns schon, wie 
wir wohl das Lager finden würden, als wir von ferne 
einen Ruf hörten. Auf unsere Antwort hinsahen wir bald 
einen Lichtschein auf uns zukommen. Der erfahrene 
Kongoni hatte einen der Kikuyu zum Lager zurück- 
gesandt, und nun kam Bokari mit ı5 Trägern herbei. 

Es gab ein grosses Beglückwünschen und Hände- 
schütteln, und endlich, während die Häute in Lasten 
verschnürt wurden, konnten wir uns niedersetzen. Ob- 
wohl unsere Hände nach der harten Arbeit nicht ge- 
rade appetitlich waren, liessen wir uns unsere Biscuits 
schmecken und drehten uns eine wohlverdiente Ziga- 
rette. Der Rückweg zum Lager war weit, doch bald 
erschien der Vollmond und half uns, den Weg durch 
die Dornbüsche zu finden. Wir aber dachten nicht an 
Müdigkeit. War das verwunderlich, wenn ein Blick 
hinter uns die dunklen Umrisse von Trägern zeigte, 
die unter einer so stolzen Last schwankten ? 


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Mit unbeschwerten Gedanken kehrten wir heute ins 
Lager zurück, wir wandelten wie auf Wolken. Unter- 
wegs erzählte mir B. von der Löwenjagd in Rhodesien, 
wie dort die Eingeborenen die Erbeutung eines Löwen 
stets mit Gesängen feiern. Da begannen auch hinter uns 
die Träger zu singen, einer als Vorsänger, worauf die 
übrigen mit leiser Stimme im Chor einfielen. Als wir 
uns dem Lager näherten, wurden uns lodernde Fackeln 
entgegengeschwenkt, und mit Jubelgeschrei liefen uns 
die Zurückgebliebenen entgegen. Bevor wir wussten, 
wie uns geschah, ergriffen sie uns, hoben uns auf ihre 
Schultern und trugen uns im Triumph ins Lager. Der 
Gesang wurde lauter und lauter, die ganze wilde Pro- 
zession bewegte sich in einer Art hüpfendem Tanz vor- 
wärts. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als wir das La- 
gerfeuer erreichten. Es war ein wildes Schauspiel, diese 
halbnackten, mit Asche weissbemalten, mit Grasbü- 
scheln geschmückten Wilden in ihrem Tanz um das 
Feuer, das sie seltsam beleuchtete. 

Wir fanden nie heraus, wer der Urheber dieser De- 
monstration gewesen, sie endete mit einem Bakschisch 
für jedermann, womit wir vermutlich einen kurzsich- 
tigen Präzedenzfall schufen, aber ausser unserer Freude 
über den ersten Löwen zählte heute nichts mehr. Es 
war in der Tat ein wunderbarer Glücksfall gewesen, 
und erwünscht kam er uns auch, denn es bedurfte 
schon der Erlegung eines schwarzmähnigen Löwen, 
um die Erinnerung an den schlechten Anfang zu ver- 
wischen. \ 

Wir fürchteten für die Felle, wenn wir mit dem Prä- 
parieren bis zum Morgen warten würden, und so be- 
gannen wir die Arbeit auf der Stelle. Um vier Uhr früh 


20 


waren beide Schädel sauber herausgeschält, aber nun, 
nach beinahe vierundzwanzigstündiger Anstrengung, 
waren wir beide so müde, dass wir uns kaum noch zu 
unsern Feldbetten schleppen konnten. 

Erst am darauffolgenden Nachmittag waren die zwei 
Häute für die Behandlung mit dem Konservierungs- 
mittel bereit und im Schatten zum Trocknen aufge- 
spannt. Es war das erste Mal, dass unsere Leute ihre 
Geschicklichkeit im Präparieren erprobten, und zu un- 
serer angenehmen Überraschung waren sie viel ge- 
wandter, als wir zu erwarten hofften. Mvanguno, der 
«Ober-Abbalger», ein :brummiger, alter Kauz mit O- 
Beinen, tat sehr beleidigt, als B. ihn fragte, ob er Schä- 
del entfleischen könne. Und in der Tat, er machte seine 
Sache gut, bis er dann doch B. freimütig eingestand, er 
wisse nicht, wie die Nüstern losgetrennt würden. Kon- 
goni machte sich auch heran und brachte B. mit viel 
Geheimnistuerei vier seltsam geformte Knöchelchen, 
die Schlüsselbeine der Löwen, unfehlbare Glücks- 
bringer. 

Am vorhergehenden Abend hatten wir in unserer 
Eile ganz vergessen, dass das Museum für jedes Exem- 
plar die Laufknochen bis zum Becken und Schulter- 
gürtel brauchte. Als B. aber zurückging, um sie zu 
bergen, waren auch nicht mehr die kleinsten Überreste 
der beiden Kadaver zu finden; alles war schon von 
den Hyänen verschlungen worden. Auf seinem Rück- 
weg wäre ihm um ein Haar ein böser Unfall zugestos- 
sen. Während er durch das Gras ging, hörte er ein 
zischendes Geräusch. Er glaubte, es sei sein hinter 
ihm gehender Boy, der sich die Nase putze. Es waren 
indessen zwei Puff-Ottern, die nur wenige Zentimeter 


21 


von der Stelle im Grase lagen, wo B. seinen Fuss nie- 
dergesetzt. 

Da wir uns jetzt in wildreicheren Gegenden befanden, 
machten wir nur einen kleinen Tagesmarsch. B. hatte 
gerade in der Nähe ein Stück Wild geschossen, als Köder 
für Löwen, als einer der Kikuyus die Nachricht brachte, 
er habe eine Büffelherde gesichtet. Wir machten uns so- 
fort auf die Suche mit Kongoni, Brahimo und zwei Trä- 
gern. In einer halben Stunde glaubten wir zur Stelle zu 
sein, aber wir brauchten fast 2% Stunden Gehens, bis 
wir an die Herde herankamen. Wir fanden sie in für uns 
sehr ungünstiger Stellung, inmitten einer Senkung, von 
deren Rand wir uns gegen den Himmel abhoben. 

Wir schätzten die Herde auf mindestens hundert 
Stück. Sie ästen friedlich von dem blassgrünen Gras, 
das ihnen bis an den Bauch reichte, und von dem sie 
sich in der Beleuchtung der schräg am Himmel stehen- 
den Sonne kohlschwarz abzeichneten. 

Jedes Gestrüpp und jedes Grasbüschel als Deckung 
benützend, pirschten wir uns vorsichtig näher. Es war 
nicht leicht, gedeckt zu bleiben, denn wir bewegten uns 
den Hang hinunter. Wir waren gerade auf Schussweite 
herangekommen, als die uns zunächst stehenden Tiere 
unruhig wurden. Sie hoben die Köpfe, und den Blick 
gerade auf uns, die Lauscher gegen uns gerichtet, be- 
wegten sie sich einige Schritte auf uns zu. Dann ver- 
hofften sie. Flach in das Gras geschmiegt, ohne einen 
Muskel zu bewegen, selbst den Atem unterdrückend, 
warteten wir, und bald konnten wir, zwischen den 
Halmen hindurchblickend, zu unserer Erleichterung 
beobachten, wie sie wieder beruhigt die Köpfe senk- 
ten, um weiter zu äsen. 


22 


B. versuchte, einen starken Bullen aufs Korn zu 
nehmen, aber die Tiere bewegten sich während des 
Äsens beständig durcheinander. Auch wenn hier und 
dort ein mächtiges Haupt sich hob, so war das dazuge- 
hörige Blatt nie lange genug sichtbar, um einen sicheren 
Schuss zuzulassen. Endlich trennte sich ein Bulle von 
der übrigen Herde, und B. gab Feuer. Der Knall der 
schweren Büchse zerriss die Stille wie ein Kanonen- 
schuss. 

Das friedliche Bild hatte sich mit einem Schlag in 
wildes Durcheinander verwandelt. Mit dröhnendem, 
zornigem Brüllen, ein Meer von geschüttelten Hörnern, 
jagte die Herde in einer Staubwolke davon. Wir rann- 
ten quer durch die Senkung der Herde nach, was das 
Zeug hielt. Kein Schweiss am Anschuss: B. musste also 
gefehlt haben. Weiter, der Herde nach! Wir gewannen 
an Boden, und schon sahen wir sie wieder, dicht zu- 
sammengedrängt, am obern Rand der Senkung. Diesen 
Rand ungesehen zu erreichen, war keine leichte Auf- 
gabe, denn es lag ein Streifen ganz offenen Geländes 
dazwischen. Dahinter befand sich wieder eine schützen- 
de Mulde. B. und Kongoni suchten sie so rasch wie 
möglich zu erreichen. Ich blieb mit den andern zurück 
und konnte von meiner Deckung aus beobachten, was 
sich nun abspielte. B. und Kongoni gelang es, bis zur 
Mulde zu kommen, die so nahe unter dem Rand der 
Senkung lag, dass weder sie die Büffel noch die Büffel 
die Jäger sehen konnten. Gerade als es aussah, als ob 
sie diesmal an die Herde herankommen würden, er- 
eignete sich etwas Eigentümliches: eine junge Büffel- 
kuh löste sich aus der Herde, näherte sich mit offen- 
kundiger Absicht bis auf zwanzig oder dreissig Schritt 


23 


der Mulde, warf sich dann plötzlich herum und galop- 
pierte zurück. Auf diesen Alarm hin jagte die ganze 
Herde wieder davon. 

Wir sprangen auf und rannten, so schnell uns die 
Beine trugen, nach, und als wir den Rand des Plateaus 
erreichten, sahen wir auf dessen anderer Seite die Herde 
hinweggaloppieren. Wenigstens bezweifelten wir kei- 
nen Augenblick, dass sie vor uns flüchteten, bis wir 
plötzlich gewahr wurden, dass ihre Front gegen uns 
gerichtet war: die Herde war nicht flüchtig, sie nahm 
uns an! Was war zu tun? Kein Baum in Sicht, keine 
Deckung. 

Das Ganze spielte sich mit solcher Schnelligkeit 
ab, dass wir diesen Wechsel der Situation kaum 
erfasst hatten, als die Herde schon heranpreschte, im 
letzten Augenblick abbog und an uns vorüberdonnerte. 
Obgleich die Herde auf nicht weniger als etwa siebzig 
Schritt herangekommen war, schien es uns unheim- 
lich nahe, wie sie an uns vorbei- und weiterstürmte, 
während der Boden unter ihren Hufen dröhnte und die 
Luft von ihrem dumpfen Brüllen erfüllt war. 

Als sie an uns vorüber waren, verhofften sie wieder- 
um, Front gegen uns, und über dem Gras konnten wir 
die mächtigen Häupter mehrerer Bullen erkennen, die 
nach uns äugten. Einer derselben trug eine kapitale 
Hauptzier. B. pürschte sich an, kniete nieder und legte 
an. Der Schuss setzte die Herde von neuem in Galopp, 
schnaubend und dumpf brüllend wie vorher, aber dies- 
mal liessen sie einen Bullen am Platz. Er lag auf der 
Seite, und als wir uns näherten, hob er den Kopf und 
versuchte hochzukommen. B. gab ihm einen Fang- 
schuss, obgleich schon die erste Kugel tödlich gewesen, 


24 


eine schöne Leistung für die kleine 318er* auf über 
100 Meter Distanz.- 

Die Sonne stand jetzt kaum mehr eine Handbreit 
über dem Horizont, es hiess sich beeilen. Wir schickten 
Brahimo mit einem der Träger zum Lager, um eine 
Windlaterne und genügend Leute zu holen, um die 
Haut zu tragen. 

Nach der Aufregung der letzten halben Stunde und 
dem Tumult und dem Getöse der flüchtigen Herde 
umgab uns nun eine Totenstille. Nichts war geblieben 
in der weiten Grassteppe als der gefällte Büffel und 
hoch oben am Himmel zwei ruhig kreisende Geier. 

Wenn man einen Büffel zum erstenmal unmittelbar 
vor sich liegen sieht, so macht er einen mächtigen Ein- 
druck. Unser fünf mussten alle Kraft aufwenden, um 
ihn auf den Rücken zu wälzen. Wir stellten unsere 
Büchsen gegen seine Schultern, um ihn in dieser Lage 
zu halten. Die Haut war ausserordentlich zäh, aber dies- 
mal hatten wir scharfe Messer und einen Wetzstein 
mitgebracht. Da wir kaum zu fürchten brauchten, 
Löcher in eine so dicke Haut zu schneiden, konnten 
wir rasch arbeiten. Nur hie und da unterbrachen wir 
uns, um die Zecken abzulesen, die in grosser Zahl auf 
uns herüberwanderten. Als die Nacht hereinbrach, war 
die Haut fertig abgestreift. 

Wenn wir für den Weg nach dem Lager und wieder 
zurück je etwas über zwei Stunden rechneten, würde es 
zehn Uhr werden, bis unsere Leute zur Stelle waren. 
Wir machten es uns darum gemütlich und sammelten 
Holz, um ein Feuer anzuzünden. Wahrscheinlich fiel 


* Unser Arsenal bestand aus je einer 318er Wesley Richards 
und einer 416er Rigby express. 


25 


Tau, denn durch nichts wollte sich das Holz zum Bren- 
nen bewegen lassen, bis schliesslich Kongoni einen 
Zipfel seines Hemdes opferte. Als es aber Mitternacht 
wurde und die Leute noch immer nicht gekommen 
waren, begriffen wir, dass uns nichts übrig blieb, als die 
Nacht hier zu verbringen. Wir machten uns alle auf, 
Holz zu sammeln, nachdem wir mit den letzten Ästen 
das Feuer hoch aufgeschürt hatten, um nicht auch diese 
unfreiwillige Lagerstelle aus den Augen zu verlieren. 
Die Nacht war dunkel, der Mond von Wolken verdeckt, 
aber der Himmel war noch hell genug, dass sich die 
Bäume als schwarze Schatten von ihm abhoben und 
die abgestorbenen Zweige und Äste auf dem Boden 
weisslich schimmerten. Dennoch war es eine grosse 
Erleichterung, wieder in der Nachbarschaft des schüt- 
zenden Feuers zu sein; wir liessen es hell auflodern, 
während die Boys uns aus Gras ein Nachtlager berei- 
teten. 

Die Hyänen hatten das Aas bald gewittert und stri- 
chen in der Nähe umher; fast die ganze Nacht hindurch 
liessen sie ihr unheimlich klagendes Geheul vernehmen. 
Allmählich begannen wir grossen Hunger zu verspü- 
ren. Ich schnitt daher ein Stück Fleisch vom Büffel 
herunter und spiesste es an einen Stock, den ich nach 
Art der Eingeborenen über die Glut schräg in den 
Boden steckte. Bald roch es herrlich nach Braten, aber 
das Fleisch schmeckte widerlich fade, denn wir hatten 
kein Salz bei uns. Wir beschlossen, künftig, was wir 
auch sonst Wichtiges vergessen mochten, stets ein 
Päckchen Salz mitzuführen. B. war meinem Braten 
nicht übermässig zugetan, aber etwas musste er doch 
davon essen, wenn auch nur um der Romantik willen, 


26 


im offenen Grasland am Feuer neben unserem erlegten 
Büffel zu nächtigen, ohne Decken und Proviant, an- 
gewiesen auf halbgeröstetes Büffelfleisch, um unsern 
Hunger zu stillen. Weder Kongoni noch der Träger Mu- 
tua assen etwas. Nur der junge Kikuyu-Wilde, der sich 
den ganzen Abend geheimnisvoll damit zu schaffen ge- 
macht hatte, die Fettschicht vom Bauche des Büffels zu 
lösen, briet nun grosse Stücke davon und ass sie nach 
bewährter Eingeborenenart: ersteckte ein Ende in den 
Mund und schnitt es dicht davor mit seinem Messer ab. 
So warerstundenlang still beschäftigt und hörte anschei- 
nend nur darum auf, weil sein Messer stumpf geworden 
war. Zum Schluss spuckte er noch einmal verächtlich 
ins Feuer, wickelte sich in seine Decke und verfiel als- 
bald in einen gesunden Verdauungsschlaf. Während 
wir ihn so beobachteten, stellten wir trübselige Be- 
trachtungen an über die Überlegenheit des Schwarzen 
gegenüber dem Weissen für dieses ursprüngliche Leben 
in der Steppe. Für uns war diese Nacht ein Erlebnis 
und brachte viele Unbequemlichkeiten mit sich; für 
ihn bedeutete es ein alltägliches Ereignis, höchstens 
verbunden mit einer bessern Mahlzeit als gewöhnlich. 
Wie dieser Schwarze hiess, konnten wir nie herausbrin- 
gen, obwohl er lange Zeit als Führer bei uns blieb. 
Wir nannten ihn «Pet», und diesen Namen behielt er. 
Wir waren gerade am Einschlafen, als in der Nähe 
ein Löwe knurrte; später in der Nacht hörten wir ein 
Rauschen im Gras und fanden am Morgen, dass ein 
Nashorn ganz dicht an uns vorbeigewechselt war. 
Beim Morgengrauen machten wir uns auf den Weg 
zum Lager; Mutua, der freiwillig während der ganzen 
Nacht Wache gehalten hatte, blieb bei der Büffelhaut 


27 


zurück, bis die Träger für ihren Abtransport ein- 
trafen. 

Ein Vogel begann zu zwitschern, ein leichter Mor- 
genwind wehte über die Grassteppe und eine urplötz- 
lich flammenumsäumte Hügelkuppe kündete die auf- 
gehende Sonne an. Wie mit einem Schlag war das 
dämmergraue Gras in Gold verwandelt, zart-violette 
Schatten lagen in den Niederungen, und Lerchen stie- 
gen mit schwirrendem Flügelschlag in den morgen- 
klaren Himmel hinein. In dieser ersten Glorie wandelte 
sogar der Führer wie verklärt einher; seine Haut war 
von purpurnen Schatten überhaucht wie die unberührte 
Wachsschicht über einer dunklen Traube. 

Auf halber Strecke begegneten wir den Trägern; sie 
hatten in der Nacht den Weg verfehlt und dann in 
einem Kikuyu-Kraal übernachtet. Sie brachten uns 
keinen Proviant mit, und, was wir noch mehr vermiss- 
ten, auch kein Wasser. Aber endlich erreichten wir das 
Lager, unsere Gürtel schon im letzten Loch, und nach 
einem ergiebigen Frühstück legten wir uns nieder und 
schliefen bald wie die Murmeltiere. 

Am folgenden Tag erlegte B. einen starken Impala- 
bock als Köder, doch da er nicht angenommen wurde, 
obwohl wir allnächtlich Löwen hörten, beschlossen wir, 
ein Treiben zu veranstalten. 

Unterhalb des Lagers zog sich ein Streifen Grasland 
ungefähr eine halbe Meile breit und mehrere Meilen 
lang wie ein Flussbett hin. Mit seinem hohen Gras- 
wuchs schien er ein sehr geeigneter Aufenthaltsort für 
Löwen. B. am einen Ende der Treiberkette und ich am 
andern, drückten wir mit acht oder neun unserer Leute 
den Streifen durch. Wir stiessen auf eine Buschgruppe 


28 


wie die, in welcher sich die sieben Löwen aufgehalten 
hatten — eine grüne Staude, die einer Nessel ähnlich 
sieht —, und es war erregend, Schritt für Schritt darin 
vorzudringen, die Büchse schussbereit, dabei an die 
Stauden klopfend wie bei einem Hasentreiben, jeden 
Augenblick darauf gefasst, einem Löwen gegenüberzu- 
stehen. Doch Stunde um Stunde in Hitze und Sonnen- 
glast schläferte unsere gespannten Sinne allmählich ein; 
wir bewegten uns schliesslich in einer Art Betäubung 
vorwärts, aus der wir nur von Zeit zu Zeit mit einem 
Ruck auffuhren, wenn plötzlich ein Rebhuhn schwir- 
rend zu unsern Füssen hochging oder unser Blick den 
erdfarbenen Schatten eines flüchtig gewordenen Hasen 
traf. 

Am gleichen Abend kehrten unsere Packesel von 
Fort Hall zurück, wohin wir sie geschickt hatten, um 
unsern Vorrat an Posho zu ergänzen, und die Esel- 
treiber berichteten eine schlimme Geschichte von einem 
Löwen, der sie inder vorhergehenden Nacht angegriffen 
hatte. Er war mit einem Satz über die Dornhecke ge- 
sprungen, hatte einen Esel geraubt und einen zweiten 
arg zugerichtet. Trotzdem seine Pranken nur ein ein- 
ziges Mal zugefasst haben mussten, waren auf beiden 
Seiten der Kruppe des Esels bis zum Knochen klaf- 
fende Wunden, so tief, dass drei Finger darin Platz 
hatten; ein Anblick, der einen mit tiefem Groll gegen 
alle Löwen erfüllen konnte. Das einzig noch Mögliche 
war eine Behandlung mit Kalium-Permanganat, doch 
glaubten wir nicht, dass viel Aussicht auf Rettung des 
armen Tieres vorhanden sei. Wir banden seine Hinter- 
beine an einen Holzpflock, um es am Ausschlagen zu 
verhindern, wenn die Permanganat-Kristalle es brann- 


29 


ten, aber das wäre nicht nötig gewesen; das arme, kleine 
Tier blieb völlig apathisch. 

Da der Esel nun nicht marschfähig war und auch die 
Büffelhaut noch einige Tage zum Trocknen brauchen 
würde, liessen wir das Lager vorläufig an seinem Platz 
und unternahmen mit nur leichtem Gepäck eine Streife 
den 'Tana abwärts. 

Zwischen zwei Hügeln, die wir auf der Karte als 
Twoinoini bezeichnet fanden, stiessen wir auf den Fluss. 
Als wir auf ein Rudel von Kuhantilopen trafen, schlug 
B. vor, ich solle meine Weidmannskunst an ihnen ver- 
suchen. Ich hatte vorher schon einige Male auf eine 
Scheibe geschossen und brannte nun darauf, meine 
Geschicklichkeit an lebendem Wild zu erproben. Es 
war eine lange und heisse Pürsche; ich zitterte vor Auf- 
regung und sagte mir immer wieder die Regel vor, 
dass man beim Schiessen das Blatt und nur das Blatt 
ins Auge fassen und eine ruhige Hand behalten müsse. 
Kongoni schien ziemlich gelangweilt über das ganze 
Experiment und darüber, dass er in der heissen Nach- 
mittagssonne einen Hügel hinaufkriechen musste, nur 
um zu sehen, wie ich ein altes Hartebeest fällte. Ich 
spürte förmlich, wie er zehn gegen eins wettete, dass 
ich fehlen würde —, und — ich fehlte! 

B. erlegte eine Kuhantilope später am Tag, liess sie 
als Köder unter einen Baum schleppen, und da es noch 
zeitig genug war, erstiegen wir den höheren der beiden 
Hügel. Von dort hatten wir eine unbehinderte Sicht 
nach allen Seiten, eine gute Gelegenheit, unsern Stand- 
ort genau zu bestimmen. Zwölf Meilen vor uns sahen 
wir den Rauch von unserem Lager aufsteigen, und ganz 
in der Ferne glitzerten die Windungen des Flusses. 


30 


Gegen Norden konnten wir ungefähr erraten, wo Embu 
liegen musste und ein Sumpf, von dem unsere Leute 
viel erzählten, der « Tinga-Tinga», wo sich die grossen 
Büffel aufhalten sollten. Als wir wieder am Fuss des 
Hügels angekommen waren, hatten die Boys uns für 
die Nacht einen bequemen kleinen Unterschlupf aus 
Gras hergerichtet. 

Es war ein wunderschönes Plätzchen unter ausladen- 
den Bäumen und Vorhängen verflochtener Schling- 
pflanzen. Den ganzen Morgen verbrachten wir mit 
Fischen und Schmetterlingfang. So ein Ruhetag, den 
man wirklich geniessen konnte, war eine angenehme 
Unterbrechung. Wir sassen gerade im Schatten, um 
unsere Schmetterlinge zu ordnen, als plötzlich ein 
höchst aufgeregter Kikuyu heranstürmte. Zwei Löwen 
lägen schlafend bei dem Köder, er habe die schwarzen 
Quasten ihrer Ruten zwischen dem Gras hindurch 
erblickt. 

Es war die heisseste Stunde des Tages, und wir 
waren schon beinahe am Ziel, als die übrigen Kikuyus, 
«Pet», der Führer, voran, zwischen den Felsen über 
uns erschienen und uns herunterriefen, es sei bisher 
kein Löwe auch nur bis in die Nähe des Aases gekom- 
men. Den Dummkopf, der uns so schmählich alar- 
miert hatte, schickten wir sogleich wieder den Hang 
hinunter mit dem Auftrag für die Träger, sie sollten 
aufpacken und zum Hauptlager zurückkehren. Wäh- 
rend wir im Schatten der wilden Feigenbäume auf 
seine Rückkehr warteten, zuckte der Führer plötzlich 
auf wie ein Spürhund, er nahm eine charakteristische 
Stellung an und deutete in der Richtung, in der er ein 
Wild erspäht hatte. Wir suchten das trockene Gras nach 


31 


Löwen ab, aber ohne Erfolg, sahen eine Büffelherde in 
zu weiter Entfernung, als dass wir ihr hätten folgen 
können, und erst lange nach Einbruch der Dunkelheit 
kamen wir ins alte Lager zurück. Dort wurden wir 
mit dem Bericht begrüsst, dass sich Büffel den ganzen 
Tag in Sichtweite des Lagers aufgehalten hatten und 
dass in der Nacht zwei Löwen in unmittelbarer Nähe 
zur Tränke gekommen seien. 

Die Büffelherde blieb aber auch am nächsten Tag 
in geringer Entfernung. Wir folgten ihr, und B. erlegte 
einen Bullen. Sein schlechtes Gehörn enttäuschte uns, 
doch war uns das Wildbret willkommen, als Proviant 
wie als Köder. Die Boys schnitten sich aus seiner Haut 
Sandalen, was wir sehr begrüssten, denn bisher hatten 
sie darauf bestanden, Stiefel zu tragen, und wenn ein 
Eingeborener sich unter gewöhnlichen Umständen so 
geräuschlos fortbewegt wie das Wild selbst, so macht 
er in Stiefeln mehr Lärm als ein Weisser. Die Jagd auf 
den Bullen war aufregend gewesen, denn er schien 
unverwundbar und war überdies vollkommen furcht- 
los. Statt flüchtig zu werden, machte er immer wieder 
Front und erwartete uns kampfbereit. Zweimal war 
er niedergebrochen, und als er endlich sein letztes 
Röcheln ausgestossen und wir uns vorsichtig genähert 
hatten, fanden wir, dass ihn alle fünf Kugeln in der 
Nähe des Blattes getroffen und zwei davon den Herz- 
muskel angerissen hatten. 


Es war kaum anzunehmen, dass wir nochmals ein 
so ergiebiges Löwen-Revier passierten, und selbst wenn 
wir am Uaso-Nyiro auf Löwen stiessen, so würde es 
nicht die prachtvolle schwarzmähnige Varietät des 


32 


obern Tana sein. Aber wir mochten noch soviel Schilf- 
dickicht durchspüren, nie wieder begegnete uns ein 
ähnliches Jagdglück wie bei unserm ersten Löwen- 
abenteuer. Mochten wir auch Nacht für Nacht im Ansitz 
verbringen, nie nahm ein Löwe den Köder an. 

Eines Tages fanden wir ein ausgetrocknetes Fluss- 
bett, eine Örtlichkeit, die uns wie geschaffen schien als 
Aufenthalt für Löwen, und bald entdeckten wir auch 
frische Fährten im Sand. Hier war also wieder einige 
Aussicht auf Erfolg. Wir schlugen unser Lager in der 
Nähe auf, beschafften einen Köder, den wir in das 
Flussbett schleiften, und errichteten auf der hohen 
Böschung eine «Boma»*, die einen guten Überblick 
gewährte. In der ersten Nacht geschah nichts, doch in 
der zweiten bemerkten wir, gleich nachdem wir die 
Boma bezogen und B. die Blendlaterne geöffnet hatte, 
dass der Köder seine Lage geändert hatte. Wir waren 
noch nicht lange wieder im Dunkeln, da vernahmen wir 
Scharren von Pranken, Knurren und Schnauben. Einen 
Augenblick schien es, als ob sich das Geräusch gegen 
uns die Böschung heraufbewegte, doch als gleich dar- 
auf B. die Laterne aufflammen liess, beleuchtete ihr 
Licht eine Löwin, die hochaufgerichtet neben dem 
Köder sass. Sie bewegte keinen Muskel. B. zielte und 
drückte ab. Ich wartete mit verhaltenem Atem, aber 
statt eines betäubenden Knalls kam nur ein metallisches 
Knacken .— sonst nichts. Ein Versager, und bis B. 
wieder geladen hatte, war die Löwin verschwunden. 
Sie versuchte dann, den Köder hinter einen Busch zu 
zerren, indem sie den Kadaver geschickt als Deckung 
benutzte, und wir konnten nur ihre Stirn und darunter 


* Ansitz 


33 


die glühenden Lichter sehen. Die zweite Kugel sass, 
doch die Löwin verschwand lautlos mit einer riesigen 
Flucht. 

Ein Lichtstrahl der verhüllten Laterne fiel auf die 
Büchse; sonst tiefste Finsternis, eine schwüle Nacht, 
nur belebt vom eintönigen Chor der Grillen, der alle 
andern Geräusche, nach denen wir angestrengt lausch- 
ten, verschlang. Plötzlich schien sich da unten wieder 
etwas zu regen, und der aufblitzende Lichtstrahl be- 
leuchtete grell eine zurückprallende Löwin. Zugleich 
glühten von der benachbarten Böschung eine Reihe 
phosphoreszierender Lichter auf. 

Wiederum schwarze Dunkelheit, endloses Warten, 
währenddem unsere Glieder in der unbequemen Lage 
steif wurden, da wir nicht wagten, sie in eine bequemere 
Stellung zu bringen, bis es schliesslich unwahrscheinlich 
wurde, dass die Löwen zurückkämen. Wir kletterten 
hinunter, um uns umzuschauen; keine Spur von 
Schweiss, nicht das geringste Anzeichen. Wir hatten 
die einzige gute Chance verpasst: die Löwin vor uns, 
hell beleuchtet wie bei Tageslicht, und dann dieser 
Versager. Trotz alledem, die Spuren, denen wir ge- 
folgt waren, konnten nicht von einer einzigen Löwin 
stammen, und B. entschloss sich zu einem nochmaligen 
Ansitz auf den sicherlich ganz kapitalen König der 
Tiere. Wir verschafften uns einen neuen Köder und 
bauten nochmals eine Boma. Nachdem wir einen pas- 
senden Platz gefunden und den Leuten ihre Arbeit an- 
gewiesen hatten, sahen wir auf dem Rückweg ein Rudel 
Kuhantilopen. B. erklärte mir, wie ich mich anpürschen 
müsse, zuerst ein Bachbett hinunter und in einem an- 
dern aufwärts, und ich zog los, diesmal allein. Aber als 


34 


ich unten war, hatte ich schon die Richtung verloren 
und kam zu weit nach rechts, so dass die Tiere Wind 
von mir bekamen, bevor ich auf der Bildfläche erschien, 
und flüchtig wurden. Ich ging jedoch weiter, nur um 
mir noch den Köder von gestern zu besehen. Ganz 
unvermittelt stiess ich darauf, und ein Blick durch die 
Büsche hindurch machte mich mit klopfendem Herzen 
jäh erstarren. Waren das nicht Kopf und Vorderteil 
eines Leoparden? Fast atemlos vor Aufregung hob 
ich langsam und vorsichtig die Büchse an die Schulter, 
zielte — und erkannte plötzlich, dass ich auf das Aas 
selbst angelegt, ein Stück gelben Felles, schwarz ge- 
sprenkelt von den daraufsitzenden Fliegen. Schnell 
schaute ich mich nach allen Seiten um, ob niemand 
Zeuge dieser letzten zwei Minuten geworden sei, und 
richtig, da stand B., der auch gekommen war, um den 
Köder zu besichtigen, auf der Böschung über mir. 
Er schien belustigt und augenscheinlich nicht ganz 
klar über mein Verhalten; und ich muss gestehen, die 
Erklärung fiel mir nicht ganz leicht. 

Bei Einbruch der Nacht ging B. zum Ansitz zurück; 
gerade als ich mich niederlegen wollte, hörte ich ein 
Knurren in der Nähe, das so sehr nach Löwen tönte, 
dass ich die schussbereite Büchse neben mich legte. 
Wenn ich im Lager allein blieb, bestimmte Bokari fünf 
bis sechs Träger, die am Feuer schliefen und der Reihe 
nach wachen mussten. Lange Zeit hielt mich noch ihr 
Schwatzen wach, und als ich endlich am Einschlafen 
war, gab es plötzlich einen furchtbaren Aufruhr im 
Lager, und unter Knurren und Fauchen stürmte etwas 
an meinem Zeltvorbei. Ich sprang auf, ergriffdieBüchse 
und fand draussen das halbe Lager zusammengelaufen. 


35 


Die knurrenden Laute waren verstummt, ausserhalb 
des Feuerscheins lag undurchdringliche Finsternis. Ich 
bekam nicht recht heraus, was geschehen war, etwas 
war mitten durch das Lager gestürmt. Die einen woll- 
ten einen Löwen erkannt haben, andere nur eine 
Hyäne. Der Kikuyu erbot sich, für den Rest der Nacht 
bei meinem Feuer zu wachen, und bald lag das Lager 
wieder in nächtlichem Frieden. Die in den Boden ge- 
steckten Speere hoben sich wie stumme Wächter 
schwarz gegen die tanzenden Flammen ab. 

B. kam kurz nach Tagesanbruch zurück und fragte, 
ob ich seinen Schuss gehört habe; diesmal habe er den 
grossen Löwen erwischt. Auf diese frohe Kunde hin 
veranstalteten die Neger einen Festzug, schmückten 
sich mit Blättern, bemalten ihre Gesichter mit Asche 
und sangen wie schon früher ihren Triumphgesang, der 
mit «Camiso, camiso» beginnt und mit der täuschen- 
den Nachahmung eines fauchenden Löwen schliesst. 
Der erlegte Löwe wurde stolz an einer Stange herum- 
getragen. Endlich legten sie ihn auf die Erde, und wir 
besahen ihn genauer. Es war ein prächtiges, schwarz- 
mähniges Ungetüm; ich kniete bei ihm nieder, um 
sein seidenglattes Fell zu streicheln und die riesigen 
Reisszähne zu bewundern, als mir plötzlich zum Be- 
wusstsein kam, dass B. nicht die geringste Freude über 
das seltene Weidmannsheil an den Tag legte. Beim 
Frühstück erzählte er mir, wie es sich zugetragen: Wäh- 
rend der ganzen Nacht war der Köder unberührt ge- 
blieben; B. war ein wenig eingeschlummert, als Kon- 
goni ihn vorsichtig weckte und: «Simba » flüsterte. Ge- 
rade graute der Morgen, und B. erkannte auf der Höhe 
der gegenüberliegenden Böschung die riesige fahle Ge- 


36 


stalt des Löwen. Er beobachtete ihn eine Weile hinge- 
rissen von der unbewussten Würde des königlichen 
Tieres, das reglos, wie in Gedanken versunken, da- 
sass, während der Morgenwind in seiner Mähne spielte. 
Endlich hob B. die Büchse und gab Feuer. Ohne einen 
Laut, ohne eine Bewegung zur Flucht, kollerte der 
Löwe die Böschung hinunter und fiel langhingestreckt 
neben den Köder. B. hatte wahrlich wenig Anlass, auf 
so leichte Beute stolz zu sein, und auch ich fühlte, das 
war ein unwürdiges Ende für eine so majestätische 
Kreatur. 

Unsere Marschroute führte nun über ein Hochpla- 
teau, über den Baumwipfeln konnten wir Berge er- 
kennen. Es gab hier Rebhühner, und so griffen wir 
zur Flinte, um einige zu erlegen. Wir folgten einem 
lustig plätschernden Bach, der silbern über Steine 
hüpfte, und dessen unterhöhlte Ufer von ulmenähn- 
lichen Bäumen beschattet waren, und wir wanderten 
zurück über blumenübersäte Wiesen, die in saftigem 
Grün prangten wie unser Weideland. An den Hängen 
leuchteten petunienartige Winden, da wuchsen Sesam 
und Ginster, blaue Blumen wie Rittersporn und lachs- 
farbene Crossandra. Veilchen gab es hier und goldene 
Gentianazeen, wir streiften durch süssduftenden Thy- 
mian, und scharlachrote Blumen schimmerten im Gras. 

Solche Heimwege waren unvergesslich in ihrer Lieb- 
lichkeit. Doch manchmal erhob sich aus der schweigen- 
den Dämmerung das Gespenst der Einsamkeit mit 
schrecklicher Wucht und heftete sich fast greifbar an 
unsere Fersen, um erst wieder von uns zu lassen, wenn 
das geschäftige Treiben im Lager hörbar wurde. Wenn 
dann die Feuer wie freundliche Fanale aufloderten, 


37 


lachten wir über unsere Furcht. An solchen Abenden 
waren wir voller Zuversicht für ein gutes Gelingen 
unseres Unternehmens und begannen unsere anfäng- 
lichen Zweifel zu vergessen. Denn jetzt ging alle Arbeit 
wie am Schnürchen. Nach getanem Tagewerk war ge- 
nügend Fleisch vorhanden, und wir konnten hören, 
wie sich unsere Leute an ihren Feuern vergnügten, ihr 
Gelächter schallte durch die Nacht. 

«Lass sie lachen», pflegte B. zu sagen. «Das ist das 
beste Zeichen, dass alles in Ordnung ist.» Dann mochte 
Kasaja wohl seine Geige stimmen, und bald sangen alle 
zur Begleitung mit. Allmählich war uns ihr Gesang 
so vertraut, dass kein Abend ohne ihn vollkommen war. 
Kasaja begann etwa so: 


Presto 


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Alle waren nun so gut in Form, dass die langen 
Märsche keine Anstrengung mehr bedeuteten. Sogar 
der verwundete Esel, an dessen Aufkommen wir sehr 
gezweifelt, hatte sich prächtig erholt. 

Was mich betraf, so blickte ich auf die ersten Tage 
unserer Reise (als ich noch die Vorräte unmethodisch 
verpackte, noch nicht Suaheli sprechen konnte und 
zweifelte, ob ich den Marsch bis zum Ende aushalten 
würde) mit der Überlegenheit eines alten Afrikaners 
zurück. Nach fünfzehn MeilenMarschund oft anschlies- 
senden Pürschgängen bis zum Einbruch der Nacht 
war mein einziger Gedanke die süsse Ausspannung des 
Schlafs gewesen. Und so schmerzlich bald wieder ent- 
rissen mich der Hahnenschrei, das unbarmherzige Klir- 


38 


ren des Frühstücksgeschirrs, das Kratzen von Jims 
Füssen auf der Zeltbahn den Armen der Vergessenheit, 
wenn er um fünf Uhr früh die Laterne, den Tee und die 
Biskuits brachte. Immerhin gab es noch drei Minuten 
Gnadenfrist während er die Schuhe und Gamaschen 
holte, dann aber sprang ich schnell auf, ehe ich Zeit 
fand, mich nochmals wohlig zu strecken und mich zu 
bedauern. Es war noch dunkel, meine Kleider fühlten 
sich feucht an, ich schauderte, und meine Glieder 
schmerzten von der Müdigkeit des vergangenen Tages. 
Nun aber war ich gestählt, und ich begann mich auf 
diese Stunde der Morgendämmerung zu freuen, da 
ich, an einem Grashalm kauend, still mit der Trägerlinie 
durch das graue, lauschende Schweigen schritt und den 
durch den Tau verstärkten herben Geruch der roten 
afrikanischen Erde, des trockenen Grases und der 
Asche einatmete. Die Bäume, die Erde und alle ihre 
Kreaturen schienen des so wichtigen Augenblicks zu 
warten, da die Sonne sich erhob. Ihn zu versäumen 
hätte bedeutet, die lebenspendende Geburt des ganzen 
Tages verfehlt zu haben. 

An den folgenden Tagen war es bitter kalt in der 
Frühe. Nach Norden hin erstreckte sich ein weites 
Land, eine unabsehbare Einöde unter einem stählernen 
Himmel, und wir wanderten meilenweit, ohne auch nur 
ein Stück Wild zu erblicken. Die Einförmigkeit wurde 
durch eine Kuhantilope mit ausnahmsweise gutem Ge- 
hörn unterbrochen. B. erbeutete sie nach langer Pür- 
sche und erlebte dabei einen merkwürdigen Fall von 
Gesichtstäuschung. Er war sonst ein guter Schütze, 
und so konnten wir uns nicht erklären, warum die 
Kugel stets im Sand aufschlug und die Antilope unver- 


39 


sehrt weiterflüchtete. Erst nachdem er beide Fesseln 
zerschmettert hatte, gab er sich Rechenschaft, wie sehr 
er die Entfernung unterschätzte, und als er nun das 
Visier auf 300 m stellte, brachte der nächste Schuss sie 
zur Strecke. 

Nun war es allmählich Zeit geworden, neue Jagd- 
gründe aufzusuchen, und nach einem langen Tages- 
marsch erreichten wir den Thiba, ein idyllisches Flüss- 
chen, das ungefähr halb soviel Wasser führte wie der 
Tana. Währenddem das Lager aufgeschlagen wurde, 
gingen wir fischen. Das war eine so herrlich ausruhende 
Beschäftigung nach dem heissen Tagesmarsch, dass wir 
sitzenblieben bis die Dämmerung kam, die Frösche 
ihren Chor anstimmten und Fledermäuse umherhusch- 
ten. Da neigte sich plötzlich die Angelrute, die Rolle 
surrte, und ein grosser Fisch biss an. Zweimal versuchte 
er vergebens, sich in das Schilf zu retten, beim dritten 
Mal gelang es ihm, sich loszureissen, und die Leine hing 
wieder schlaff herab. Diese Fische, eine Art von Barben, 
sollen die Fähigkeit besitzen, wie Aale im eingetrock- 
neten Flußschlamm die Trockenheit zu überdauern. Sie 
schmecken vorzüglich. Wir ärgerten uns über unser 
Missgeschick. Kongoni war indessen mit einer Laterne 
gekommen, um uns ins Lager zurückzuführen. 

Ein weiterer langer Marsch brachte uns zu den 
grossen Tinga-Tinga-Sümpfen. Kongoni suchte Ngon- 
du, einen Kikuyu-Häuptling, auf, der uns alles Wissens- 
werte über die Büffel sagen konnte. Tagesanbruch sei 
die günstigste Zeit für die Pürsche, da sie dann ausser- 
halb des Sumpfes ästen. Er erbot sich, B. am nächsten 
Tag als Führer zu begleiten. B. brach noch vor Sonnen- 
aufgang auf und begab sich zuerst zu Ngondus Kraal. 


40 


Ngondus vierjähriges Söhnchen übernahm die Pflich- 
ten des Hausherrn, bis der Vater bereit war. Es kam | 
auf B. zu, gab ihm mit ernster Miene die Hand, dann 
schüttelte es seine Decke aus, hüllte sich darein und 
setzte sich nieder. 

Später liess mir B. ausrichten, ich solle ihm mit einer 
Angelrute, mit dem Koch und dem Essen folgen. Es 
hatte in der Nacht geregnet, der Bach, der unterhalb 
des Lagers in den Sumpf mündete, war angeschwollen 
und floss ungefähr brusttief mit reissender Strömung 
dahin. Schon glaubte ich, ihn durchschwimmen zu 
müssen, als der Träger Muthoka mir anbot, mich auf 
seinen Schultern hinüberzutragen. 

Ich traf B. am Ufer des Flusses, und während wir 
das Angelgerät bereitmachten, berichtete er mir über 
seine morgendliche Pürsche. Er war bald auf die Herde 
gestossen, hatte einen Bullen angeschossen, der mit 
zerschmetterter Schulter in das Papyrus-Dickicht des 
Sumpfes flüchtig wurde. B. machte sich sofort mit 
Kongoni auf die Suche. Der Papyrus reichte ihnen weit 
über den Kopf, und im Halbdunkel desDickichts wären 
sie beinahe an die dunkle Gestalt gestossen, die zwi- 
schen den Stauden hindurch wie ein Schatten aussah. 
B. konnte nicht einmal feststellen, welcher Teil des 
Büffels ihm zugewandt war, und so feuerte er gerade 
in dessen Mitte. Das Tier warf sich herum, fiel kra- 
chend zu Boden und wühlte bei seinen Anstrengungen, 
wieder hochzukommen, Schlamm und Wasser auf wie 
ein Mühlrad. B. beeilte sich, ihm den Fangschuss zu 
geben. Erst dann entdeckte er, dass es gar nicht der 
angeschossene Bulle war, sondern eine uralte Kuh, der 
schon eine Anzahl Zähne im Unterkiefer fehlten. Sie 


4I 


trug jedoch ein prächtiges, edelgeschwungenes Ge- 
hörn. Da sie im Wasser lag, war es nicht möglich, auch 
ihre Haut zu bergen. 

Am darauffolgenden Tag machte B. einen erneuten 
Versuch, einen Bullen zu erlegen und hatte sich schon 
fast bis auf Schussweite an einen herangepürscht, als 
ein Rudel Wasserböcke seine Anwesenheit verriet. In 
weniger als einer halben Minute war die Herde wieder 
im Sumpfdickicht verschwunden, das sie den ganzen 
Tag über nicht mehr verliess. 

Am Nachmittag kamen unsere Leute von Embu mit 
den Maultieren an; sie brachten einen Brief von Crufty, 
der besagte, dass er zwei gute Tiere gewählt habe: 
ein braunes und eines mit grauem Kopf. Ferner schrieb 
er uns, die Elefanten seien noch immer nicht in den 
Wald zurückgewechselt, und das Gras stehe noch hoch, 
so dass durchaus keine Eile nötig sei, nach Meru zu 
kommen. Ich machte mich daran, die Sättel auszu- 
packen, damit wir die Maultiere sogleich probieren 
könnten. Die Boys erklärten, dass der Graugesichtige 
niemanden nahe kommen liess, der Braune dagegen sei 
ganz fromm, und so näherten wir uns ihm getrost, um 
ihn zuerst zu satteln. Beim blossen Anblick des Sattels 
aber warf er sich herum, schlug mit beiden Hinterbei- 
nen aus und brannte durch. Der Zaum war zu lang, 
doch dem war bald abgeholfen. Das Anpassen des 
Sattels dagegen bot grössere Schwierigkeiten: der Gurt 
war viel zu kurz, und so sehr wir auch zogen und uns 
abmühten, die Enden wollten nicht zusammenkommen. 
Wir waren noch daran, etwas zu ersinnen, um hier Ab- 
hilfe zu schaffen, als der «Syce»* auf der Bildfläche 

* Pferdeboy 


42 


erschien. Er drängte uns ohne viel Umstände beiseite 
und ergriff den Sattel. Er war ein ungehobelter Bengel 
mit einer Armbanduhr, aber er schien seine Arbeit zu 
verstehen — man musste nur sehen, wie er mit dem 
Sattel umging. Er kam rasch vorwärts mit seiner Arbeit, 
bald würden wir unsern ersten Galopp durch die Steppe 
machen. Plötzlich aber hielt er inne; etwas schien nicht 
zu klappen. Er drehte sich um und gab uns seine er- 
staunliche Entdeckung kund: der Gurt sei zu kurz. 

B. liess ihn nachher zu sich kommen, um ihn zu 
fragen, warum er sich nicht gleich bei seiner Ankunft 
gemeldet habe und warum er ihn nicht mit «Bwana» 
(Herr) anrede; er lachte ihm nur ins Gesicht, worauf 
B. ihm eine gesunde Ohrfeige gab, die sein Benehmen 
von da ab sehr vorteilhaft veränderte. 

Auch die Packesel kehrten nun zurück mit neuem 
Posho und einem grossen Büschel Bananen. Das war 
ein Geschenk von Sancho Pansa, einem der Eseltreiber, 
um das Geschehnis beim letzten Transport wieder gut- 
zumachen. Wir fanden dies so rührend, dass B. ihm 
einen Schilling gab. Später kamen wir allerdings da- 
hinter, dass er stattdessendieKiboko (Nilpferdpeitsche) 
verdient hätte, denn es stellte sich heraus, dass er in der 
Nacht, als der Löwe den Esel raubte, zu faul gewesen 
war, die Tiere mit einer Zariba* zu umgeben. 

Eine fast noch traurigere Überraschung stand uns 
aber bevor: unser «Pet», der uns mit einem Vorschuss 
auf seinen Lohn verlassen hatte, um, wie er sagte, eine 
neue Hütte zu kaufen, kam nun zurück, von Kopf bis 
zu Fuss neu bekleidet, unkenntlich und strahlend vor 
Stolz. Wir starrten ihn entsetzt an. Sein verblichenes 


* Dornenhecke 


43 


Tuch war verschwunden und hatte dem stereotypen 
Khaki-Anzug weichen müssen. Verschwunden war 
auch seine wilde, krause Mähne, und auf den rasierten 
Schädel hatte er einen lächerlichen neuen Fez gestülpt. 
Sogar auf seinen Speer hatte er verzichtet, zusammen 
mit allen übrigen Attributen der Wildheit. Er sah uns 
erwartungsvoll an und schien ein wenig gekränkt dar- 
über, dass wir seine Veränderung nicht mehr zu schät- 
zen wussten. Aber nicht nur seine äussere Erscheinung 
war verändert: zusammen mit seiner Eingeborenen- 
tracht schien er sich seines ganzen eigenen Charakters 
entledigt zu haben, er war nicht mehr unser vertrauter 
Pet. 

Der folgende Tag war reich an Abwechslung. Da 
der Standort der Büffel ziemlich weit vom Lager ent- 
fernt war, beschlossen wir am Abend, dass B. in der 
Frühe aufbrechen sollte, während ich später am Tage 
die Safari zum Fluss hinunterführen und dort einen 
neuen Lagerplatz suchen würde. 

Das war nun eine Gelegenheit, das braune Maultier 
zu erproben, und da der Gurt noch nicht geändert war, 
wollte ich es mit einer Decke reiten. Die Safari war 
fertig zum Aufbruch und wartete nur darauf, mir zu 
folgen. Kaum war ich aber aufgesessen, als das Tier 
kehrt machte, die Nase zwischen die Beine steckte und 
den Hang hinunterjagte. Die Decke rutschte über seinen 
Hals hinab, und es fehlte nicht viel, dass ich ihrem 
Beispiel folgte; dann ging es in den Bach hinein, wo 
das Tier endlich im Schlamm steckenblieb, und wir 
mussten beide beschämt ans Ufer schwimmen. 

Nachdem ein geeigneter Platz für das Lager gefunden 
war, ging ich mit Brahimo und Mutua auf die Suche 


44 


nach B. Bald entdeckten wir ihn und Kongoni am 
gegenüberliegenden Rand des Sumpfes. B. hatte nicht 
erwartet, dass ich ihn finden würde und war schon auf 
dem Rückweg. Doch nun änderte er seinen Plan; wir 
schickten Brahimo zurück, den Koch zu holen, und 
während wir auf ihn warteten, überlegten wir uns, wie 
wir den Tag noch zu einem erfolgreichen Ende führen 
könnten. 

B. hatte in der Frühe kein Glück gehabt; er hatte 
zwei Büffelbullen schwer krankgeschossen, doch konn- 
ten sie beide noch in den unwegsamen Sumpf hinein 
flüchtig werden. Darin lag gerade die Schwierigkeit 
der Jagd; Büffel waren in grosser Zahl vorhanden, 
doch wenn es nicht gelang, sie auf dem schmalen 
Streifen Grasland, den sie zur Äsung aufsuchten, zur 
Strecke zu bringen, dann waren sie für den Jäger ver- 
loren. Zu beiden Seiten erstreckte sich meilenweiter 
Sumpf, in dessen Schutz sie sicher geborgen waren. 
Wagte man sich da hinein, dann schlug der bis zu 
zwölf Fuss hohe Papyrus über dem Kopf des Jägers 
zusammen, und man konnte keinen Schritt weit sehen; 
man watete knöchel- bis gürteltief im Wasser, so dass 
sich auch die stärkste Schweißspur nicht halten liess. 
Und doch, irgendwo da drinnen barg der Sumpf zwei 
Büffel, vielleicht schon verendet, während wir hier in 
Sonne und Sicherheit dasassen. Etwas musste ge- 
schehen. 

Smaragdgrün leuchtete der Sumpf zu uns herüber 
und schien uns lächelnd herauszufordern. Eine Un- 
entschlossenheit überkam uns, die uns ebensosehr den 
Mut raubte einzudringen, wie die Willenskraft, vom 
Sumpfe fernzubleiben. Doch schliesslich, waren wir 


45 


hier, um Abenteuern aus dem Wege zu gehen? Wir 
sprangen auf, und Kongonis Augen leuchteten, als er 
murmelte: «Büffel, gro-o-sser Büffel ». 

Wir nahmen die Fährte auf und tauchten in das 
Dämmerlicht des Schilfs, Mutua voran, dann B., 
Kongoni und zuletzt ich auf dem Maultier. Der Sumpf 
war uns günstig geneigt, die Fährte so breit, dass ein 
Streifen Himmel über uns sichtbar war, das Wasser 
so seicht, dass wir die reichliche Schweißspur halten 
konnten. Bei einem so starken Schweissverlust konnte 
der Büffel nicht weit gekommen sein; doch immer 
weiter führte uns die Spur, bis in die innerste Tiefe des 
Sumpfes. Zweimal hatte uns der Büffel eine Falle ge- 
stellt, indem er plötzlich im rechten Winkel abge- 
schwenkt und parallel zu seiner Fährte zurückgekehrt 
war, um uns im Schilf verborgen zu überraschen. 
Hätte er ausgeharrt, dann wären wir überrumpelt wor- 
den, ehe wir von seiner Anwesenheit wussten, aber 
jedesmal brach er wieder krachend durch das Dickicht 
aus, bevor wir noch zu seinem Versteck gelangten. 

An den Stellen, wo er uns erwartet hatte, war das 
schmutzige Wasser vom Schweiss tiefrot gefärbt; lies- 
sen wir jetzt mit der Verfolgung des krankgeschossenen 
Tieres nicht locker, dann würde der Blutverlust es 
bald so stark erschöpfen, dass es sich niedertun musste. 
Aber unsere Verfolgung brachte den Büffel nur in 
grössere Wut, und beim dritten Mal schien er Ernst 
machen zu wollen. Wir pürschten uns vorsichtig 
Schritt für Schritt der Spur entlang, während unsere 
Blicke nach allen Richtungen das Riedgras zu durch- 
dringen suchten, als wir plötzlich sein keuchendes 
Schnauben vernahmen. Es war ganz unmöglich, die 


46 


Richtung der Laute festzustellen, auch war nicht das 
geringste zu sehen, und doch fühlten wir mehr, als 
dass wir es wussten: ganz nahe hinter den dichten 
Papyruswänden, vielleicht rechts, vielleicht links von 
uns, stand der Büffel und beobachtete uns. Sollten wir 
vorwärts gehen oder zurück? Eine lähmende Unge- 
wissheit überfiel uns, als plötzlich wieder ein Schnau- 
ben ertönte, ein Prasseln im Schilf, das von allen Seiten 
zugleich zu kommen schien, und der Büffel wiederum 
flüchtig wurde. 

Diesmal war er ganz bedenklich nahe gekommen, 
und doch hatten wir nichts, rein gar nichts gesehen. 
Dass wir den Büffel entdecken würden, bevor er uns 
sah, war in dieser Schilfwildnis so gut wie ausgeschlos- 
sen. Sogar Kongoni, der doch schon manche Büffel- 
jagd mitgemacht, hatte nun einigermassen genug. Jetzt 
wäre es eine unnötige Herausforderung der Gefahr ge- 
wesen, mit der Suche fortzufahren. Der Büffel war in 
einem Zustand, dass er bis morgen sicherlich schon ver- 
endet oder doch wenigstens bewegungsunfähig gewor- 
den war. Die Schweißspur würde auch morgen noch 
gut zu halten sein, und so war es sicherlich das Klügste, 
die Suche auf den morgigen Tag zu verschieben. Wir 
bezeichneten daher die Stelle mit einem Stück Papier 
und kehrten um. Das war nun so ein Fall, an dem der 
wahre Waidmann seine Schulung beweisen konnte. 
Denn hat man eine Spur aufgenommen, sie gefunden, 
verloren und wiedergefunden, dann gerät man leicht 
in einen Eifer, der alle andern Gedanken und Überle- 
gungen erstickt. Wie ein Spürhund hinter seiner Beute 
kennt man nur noch ein Ziel: das Wild zu erreichen. 
Auf diese flammende Jagdlust verzichten zu können, 


47 


wenn die Pulse fliegen und man vor Furcht und Jagd- 
fieber bebt und doch wieder über jedem Furchtgefühl 
steht, dazu gehört eine eiserne Selbstbeherrschung. 
Ich, die ich von dieser Schule noch nichts wusste und 
zum ersten Mal von solchen elementaren Gefühlen 
durchwirbelt war, empörte mich zutiefst und war voll 
Verachtung darüber, dass die er aufgegeben 
wurde. 

Wir machten uns nun so rasch wie möglich wieder 
auf den Rückweg. Da die Aufregung vorüber war, 
war ein ausgiebiges Frühstück unser erster Gedanke, 
denn wir befanden uns nun schon seit sieben Stunden 
unterwegs, mit nichts ausser Tee und Zwieback als 
Proviant. Als wir wieder ins Sonnenlicht hinaustraten, 
fanden wir den Koch und die Träger schon vor, und 
ein herrlicher Duft nach gebratenem Speck wehte uns 
entgegen. Schon eilten wir auf sie zu, als der Führer, 
der unser Kommen erwartet hatte, uns entgegenlief 
und berichtete, er habe Büffel im Sumpf hinter uns ge- 
hört. B. gab mir ein Zeichen, weiterzureiten, während 
er mit Kongoni, im Gras gebückt, sich wieder dem 
Sumpf zuwandte. Ich konnte nichts erkennen noch 
hören, stieg ab, band das Maultier fest und ging lang- 
sam zurück bis an den Rand des Schilfdickichts. Ein 
Schuss fiel, und die Leute schrieen mir zu, ich solle 
zurückrennen. Ich sah mich um, verwundert, dass 
sie solchen Lärm schlugen, als drei Büffel im Galopp 
gerade auf mich zukamen. Sie waren noch mindestens 
200 Meter entfernt, hatten mich jedoch nicht bemerkt, 
sondern waren gegen den Sumpf hin flüchtig. 

Nachdem B. mit Kongoni sich vorsichtig ange- 
pürscht hatte, erklomm er einen mit weissen Winden 


48 


bewachsenen Hügel, der einen guten Überblick über 
den Sumpf gewährte: Sie hatten kaum dort Fuss ge- 
fasst, als ihnen das Lärmen der Madenhacker die Nähe 
der Büffel verriet. Bald nachher traten sie einer nach 
dem andern in die Lichtung, vertraut wie eine Vieh- 
herde. Als sie auf Schussweite herangekommen waren, 
gab B. auf den Bullen Feuer, worauf sie alle kehrt 
machten und in einem Schilfdickicht verschwanden. 
Das Geräusch durch den Sumpf stampfender, spritzen- 
der Hufe verstummte mit einem Schlag, und wieder 
herrschte tiefes Schweigen. Dies dauerte eine Minute, 
als die Herde plötzlich wieder herangaloppierte, ge- 
radewegs auf den Hügel zu, den die Jäger innehatten. 
Der Abstand zwischen Herde und Hügel verringerte 
sich rasch, als sie mit einer Schnelligkeit und Entschlos- 
senheit heranstürmte, die nichts schien aufhalten zu 
können. So gewaltig war ihre Stosskraft und so dicht 
gedrängt ihre Formation, dass der Leitbulle, der im 
letzten Augenblick eine Kugel erhielt, sich aufbäumend 
schräg über die übrigen fiel und einige Meter weit von 
ihnen vorwärts getragen wurde. Doch nun, als die 
Kühe bemerkten, dass ihr Anführer niedergestreckt 
war, zerstreuten sie sich und kehrten sich dem Sumpfe 
zu, während der tödlich getroffene Bulle, vorwärts 
strauchelnd, dumpf zu Boden schlug. 

Ich wollte mir den Ort dieser Geschehnisse ansehen, 
und wir gingen zusammen zurück. Als ich auf dem 
Hügel stand, sah ich erst, wieviel von diesem Schuss 
abgehangen hatte, denn der verendete Büffel lag keine 
zehn Meter von B.’s Standort entfernt. 

Wir beschlossen nun, dass B. den andern Büffel, den 
er in der Frühe krankgeschossen hatte, suchen solle, 


49 


während ich mich am Rande des Sumpfes postierte, um 
etwa ausbrechendes Wild unter Feuer zu nehmen. Aber 
B. geriet bald in so dichtes Schilfgestrüpp, dass er wie- 
derum zwei Büffel fast berührte, bevor er sie bemerkte, 
und er gab daher die Nachsuche zu meiner grossen 
Erleichterung auf. Unser Bedarf an Aufregung und 
Büffeljagden war nun für einen Tag reichlich gedeckt. 
Die Sonne ging schon unter, als wir uns endlich dem 
Lager näherten. Auf dem Rückweg hatten wir nichts 
Aufregenderes als eine vorüberstreifende Schnepfe ge- 
schossen. 

An jenem Abend setzte B. sich, zwei Zigaretten dre- 
hend, mit seinem üblichen: «Gib Feuer, Murray, mein 
Sohn», zum Lagerfeuer. « Jawohl, hoher Herr», sagte 
ich, und nun war die schönste Stunde des Tages ge- 
kommen, nämlich die, ihn nochmals zu durchleben. 

Wir kamen dabei zum Schluss, dass wir wirklich gute 
und zuverlässige Leute hätten. Kongonis Tugenden 
standen ausser Zweifel, und er hatte sie auch heute 
wieder bewiesen, als er, ohne zu wanken, neben B. den 
annehmenden Büffel erwartete, obwohl er selbst keine 
Waffe trug. Auch Mutua, der die Nachsuche auf den 
krankgeschossenen Büffel angeführt, hatte keine Spur 
von Furcht gezeigt; und nicht zuletzt der Koch, der, 
stets bereit mit dem lebenspendenden Teekessel, immer 
fröhlich und vergnügt auf dem Posten war. Es war ein 
eindrucksreicher Tag gewesen, und ich fühlte, dass 
dieser furchtbare Sumpf noch manche Nacht in meinen 
Träumen wiederkehren werde. 


Am nächsten Morgen, als B. schon auf der Suche 
nach dem krankgeschossenen Büffel unterwegs war, 


5o 


* 


kamen einige Kikuyus ins Lager, die berichteten, sie 
hätten soeben zwei Löwen gesehen, die am andern 
Flussufer einen Wasserbock rissen. 

Das lautete günstig, und ich sandte die Kikuyus so- 
fort voraus, während ich schnell mit den Maultieren 
B. nacheilen wollte. Bald merkte ich aber, dass, was die 
Maultiere betraf, von Eile keine Rede sein konnte. Nur 
um «Greyface» zu satteln, brauchten wir eine volle 
Stunde. Acht Mann konnten ihn nicht halten, und wir 
mussten ihn an einen Baum binden, die Beine fesseln 
und eine Schlinge um seine Oberlippe legen, bis er 
stillhielt. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst, 
als ich in den Sattel stieg, aber überraschenderweise 
war er nun ganz fromm; «Brownie» dagegen, der sich 
gut satteln liess, vergeudete die kostbare Zeit damit, 
dass er den Pferdeboy abwarf. 

Der Tag neigte sich schon zu Ende, als ich B. endlich 
fand, der weder die Kikuyus gesehen noch von den 
Löwen gehört hatte, und nun war es zu spät, um ihnen 
nachzuspüren. 

Auf der Suche nach dem Büffel hatte B. sich im 
Sumpf verirrt; er war in ein fast undurchdringliches 
Schilfdickicht geraten, in dem er überdies bis zum Gür- 
tel im Wasser versank, und hatte den ganzen Morgen 
gebraucht, um sich wieder herauszuarbeiten. Danach 
bemerkte er, dass Kongoni in diesem Wirrsal den Zeiss- 
Feldstecher verloren hatte. Das war ein doppelt emp- 
findlicher Verlust, da wir nur dies eine Fernglas be- 
sassen. 

Die Löwen sollten ungefähr eine Stunde vom Lager 
entfernt gesehen worden sein. Doch als wir uns am 
tolgenden Tag nach dreistündigem Marsch noch immer 


$I 


mehrere Meilen von ihrem Standort entfernt fanden, 
sandten wir einen Boten zurück, um Proviant zu holen, 
setzten uns unter einen Dornbaum und verwünschten 
das ganze Pack der Kikuyus. 

Nach zwei weitern Stunden gelangten wir zu einem 
Kraal, dessen Häuptling, ein Riese an Gestalt und Um- 
fang, uns alles Wissenswerte über die Löwen sagen 
konnte. Sein Äusseres war so finster und drohend, dass 
wir beide ihm sofort den Namen «Nero» beilegten. 
Er gab uns indessen neuen Mut, indem er angab, die 
Löwen strichen in der Lichtung oberhalb seines Kraals 
herum, die Kikuyus hätten sie nicht weit davon ge- 
sehen. Wir hatten uns also nicht umsonst in der glühen- 
den Sonne rösten lassen auf unserm mehrstündigen 
Marsch. Sofort machten wir uns daran, einen Köder zu 
beschaffen und eine Boma zu errichten. 

Früh am folgenden Morgen hatten die Leute ein 
schlafendes Krokodil am Ufer einer Lagune neben dem 
Fluss angetroffen und überredeten mich, mit ihnen zu 
kommen, um es zu erlegen. Unterwegs überlegte ich 
mir beständig, wo die einzig tödliche Stelle sei — am 
Kopf oder hinter dem Blatt. Aber als ich nach atemloser 
Pürsche ans Ufer kam, war die Riesenechse verschwun- 
den. Inzwischen war B. von dem Ansitz zurückgekom- 
men, er hatte mit den Löwen kein Glück gehabt. Wir 
gingen nun hinunter, um nochmals nach den Kroko- 
dilen zu sehen und kamen, einer grasbestandenen Rinne 
folgend, an den Fluss. Dort fanden wir durch Zufall 
das Versteck, wohin die Löwen ihre Beute geschleppt 
hatten. Es lag in einer tiefen, halb mit Treibholz an- 
gefüllten Unterhöhlung der Uferböschung. Der Sand 
war zerpflügt von ihren scharfen Krallen, und in einem 


52 


Winkel lagen die stinkenden Überreste des Aases. 
Auf dem Rückweg bekamen wir vier Impalas zu Ge- 
sicht, die von einem kapitalen Bock geführt waren. 
Sollten wir ihn erlegen ? Es fiel uns schwer, dies zu ent- 
scheiden, denn dann hatte B. später nur Anrecht auf 
ein einziges Stück, und am Uaso Nyiro sollte es viel 
bessere Böcke geben. Wir beobachteten den Bock, wie 
er völlig vertraut einherzog, sich graziös zwischen Stei- 
nen und Stauden einen Weg suchte. Bald würde das 
Gestrüpp ihn unsern Blicken entziehen. Jetzt oder nie! 
B. feuerte, ein vernehmlicher Kugelaufschlag, und der 
Bock brach zusammen; die augenblickliche Wirkung 
der Kugel war fast verblüffend. Wir eilten auf ihn zu 
und legten das Bandmass an sein Gehörn, voller Angst, 
dass es uns enttäuschen würde, aber es war beinahe um 
drei Zoll länger als das letzte, ein wirklich kapitales 
Exemplar. 

Wir waren nun in ein Gebiet gekommen, in dem 
wir nach Angabe von Capt. C. auf Kenya-Oribis stos- 
sen würden, eine örtliche Spielart, von der B. ein 
Paar erbeuten wollte. Ein kleines Treiben blieb ohne 
Erfolg, doch auf dem Heimweg lenkte einer der Träger 
unsere Aufmerksamkeit auf zwei Warzenschweine. B. 
sandte dem einen eine Kugel nach, worauf es mit 
zerschmettertem Hinterlauf an uns vorbei flüchtig 
wurde. Es verlor reichlich Schweiss, doch mussten wir 
ihm eine weite Strecke folgen, ehe es sich stellte. Ein 
zweiter Schuss brachte das wie ein Ferkel quiekende 
Tier zu Fall. Sein Gebräch war nur schwach entwickelt, 
aber sonst war es ein starker Bursche. Indem wir das 
schwindende Tageslicht noch ausnützten, balgten wir 
es so rasch als möglich ab. 


53 


Das Lager war noch einige Meilen entfernt, doch 
Ngondu, der Häuptling, behauptete, es sei ihm ein 
leichtes, den Weg im Dunkel zu finden. Seinen Über- 
wurf um sich gewunden, den langen Speer über der 
Schulter, machte er einen höchst zuverlässigen Ein- 
druck, doch er sollte unser Vertrauen bald gründlich 
erschüttern, indem er uns in den sonderbarsten Zick- 
zackwegen über das Plateau führte und endlich zugeben 
musste, er habe sich verirrt. Wir hörten den Fluss auf 
der falschen Seite rauschen und entdeckten, dass wir 
auf ein Licht am gegenüberliegenden Ufer zugesteuert 
waren, weit oberhalb Neros Kraal. Nach manchem 
Zusammenstoss mit Felsen und Bäumen in der tinten- 
schwarzen Nacht kamen wir endlich wieder auf den 
richtigen Pfad und sahen die Lagerfeuer uns entgegen- 
leuchten. 

B. wollte noch wegen Löwen auf den Ansitz gehen, 
und Pet schritt ihm mit einer Laterne voran. Die Boma 
war genau 25 Minuten vom Lager entfernt, Pet aber 
brauchte genau drei Stunden und 40 Minuten, um sie 
zu finden, und diese Glanzleistung verhalf ihm zum 
Ende seiner Laufbahn. 

Löwen gab es rings um uns. Kaum war die Sonne 
untergegangen, als wir sie aus allen Richtungen knur- 
ren hörten. Aber sie waren erstaunlich vorsichtig und 
liessen alle Köder unberührt liegen. Wir vergassen den 
Schlaf über dem Suchen nach Mitteln und Wegen, wie 
sie zu überlisten seien. Eine unserer Ideen war, einen 
Termitenhügel zu untergraben, um in ihm verborgen 
beim Köder anzusitzen. Die Löwen würden uns nicht 
so leicht wittern, und man wäre völlig unsichtbar. 
Denn ohne Zweifel würde ein Dornenverhau in der 


54 


Nähe des Köders, und wäre er noch so klein, die Auf- 
merksamkeit des Löwen wecken, und ist sein Verdacht 
einmal rege, dann ist kein Wild listiger und schlauer 
als er. Schliesslich fanden wir heraus, dass es am besten 
war, ein als Köder erlegtes Stück Wild einfach liegen- 
zulassen, es mit Zweigen zu verdecken, und wenn es 
von einem Löwen angenommen wurde, einen Ansitz 
aus Dornen zu errichten, ihn aber erst nach einer oder 
zwei Nächten zu benützen, wenn der Löwe sich an den 
Anblick gewöhnt hatte. Der Nachteil dabei war der, 
dass das Aas nach drei bis vier Nächten — wenn über- 
haupt etwas davon übrig blieb — so stark verludert 
war, dass es die Löwen nicht mehr lockte; wurde aber 
ein frischer Köder an die gleiche Stelle gebracht, so 
erregte dies wiederum den Verdacht der vorsichtigen 
Raubtiere. Häufig kam es auch vor, dass die Hyänen 
den Köder vorwegnahmen. 

Wir verlegten das Lager etwas nach Norden an einen 
kleinen Bach, und B. schoss ein Zebra. Während der 
Nacht nahm ein Löwe den Köder an, zog die Zweige 
sorgfältig beiseite und verzehrte den Magen und eine 
Keule. B. liess einen Verhau errichten und begab sich 
kurz nach Sonnenuntergang auf den Ansitz. Der Ver- 
hau war nur wenige Fuss vom Köder und etwas unter- 
halb desselben angelegt, so dass alles, was sich ihm 
näherte, sich gegen das schwindende Licht des Himmels 
abheben würde. Später konnte der Mond genügendes 
Büchsenlicht liefern. 

Nach kurzem Warten sah er schon die Umrisse eines 
Löwen über die Beute ragen. Nicht das leiseste Ge- 
räusch war zu vernehmen; der Löwe stand regungslos 
verhoffend, während B. Zoll um Zoll die Büchse an die 


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Schulter brachte. In diesem Augenblick hustete Kon- 
goni hinter ihm. Der Löwe war augenblicklich ver- 
schwunden. Vielleicht war es nur, weil er so nahe ge- 
wesen, dass B. ihn mit ausgestrecktem Arm hätte be- 
rühren können, aber er hatte den Eindruck, es sei der 
grösste Löwe gewesen, den er je gesehen. 

Für seine Enttäuschung wurde er aber bald darauf 
entschädigt: er schoss später in der Nacht auf eine 
Gestalt, die er als eine Hyäne ansprach. Doch als das 
Tier den Schuss mit einer sechs Fuss hohen Flucht 
quittierte, und B. die lange Rute sah, glaubte er, einen 
kleinen Löwen vor sich zu haben. Er war daher sehr 
überrascht, als die Laterne einen verendeten Leoparden 
beleuchtete. Es war ein kapitales, prachtvoll gezeichne- 
tes Tier. B. war über diesen Glücksfall sehr erfreut, denn 
obgleich es nicht schwer ist, einen Leoparden in der 
Falle zu erbeuten, bekommt man ihn selten vor die 
Büchse. 

In der darauffolgenden Nacht erlegte B. eine Hyäne 
und hätte sie auch bergen können, wenn nicht ihr 
Genosse, während sie noch am Verenden war, begon- 
nen hätte, sie zu verzehren. Es entspann sich ein wüten- 
der Kampf, B. hörte ihr Scharren und Fauchen in der 
Dunkelheit. Darauf gelang es dem verendenden Tier, 
in ein Erdferkelloch hinabzurutschen, so dass weder 
B. noch ihr Gefährte sie wieder zu Gesicht bekamen. 

Kongoni schüttelte missbilligend den Kopf; eine 
Hyäne zu schiessen bringe Unglück, und B. würde nun 
nie wieder einen I.öwen erlegen. So lächerlich dieser 
Aberglaube war, so stand doch das ganze Lager unter 
dem Eindruck dieses Zwischenfalls. Wir wären selbst 
davon angesteckt worden, wenn es uns nicht ange- 


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spornt hätte, den Aberglauben so rasch wie möglich 
zu widerlegen. Nach einem langen Tag vergeblicher 
Pürsche nach dem Kenya-Oribi erlegte B. einen Köder, 
und die Boys errichteten wiederum, doch ohne rech- 
ten Mut zur Sache, eine Boma. 

Nachdem sie fertiggestellt war, ritten wir heimwärts 
durch das Schweigen des Abends, im roten Licht der 
untergehenden Sonne. Stets war dies der feierliche 
Augenblick des Tages, und selbst am Anfang unserer 
Reise, als uns das Graslandnoch inseiner Unermesslich- 
keit bedrückte, schien sich dann ein Friede über seine 
Feindseligkeit zu senken, der uns aufatmen und den 
Blick zuversichtlich heben liess. 

Vom Gesichtspunkt des Sammlers aus waren die 
Kenya-Oribis wichtiger als Löwen. Wir verwendeten 
ganze Tage auf seine Jagd, nahmen ein Dutzend Trä- 
ger mit als Treiber, doch erfolglos. Dabei sind die 
Oribis weder selten noch besonders schwer zu erjagen; 
nur war jetzt nicht die richtige Jahreszeit für Antilopen- 
jagd. Einen Monat später, wenn das Gras niederge- 
brannt war, wäre es viel einfacher gewesen; jetzt stan- 
den die Halme so hoch, dass die Tiere unsichtbar blie- 
ben, ausser wenn ihre hohen Fluchten sie über das 
Gras hinaustrugen. Waren sie aber einmal flüchtig ge- 
worden, so verschwanden sie rasch in langen Sprüngen, 
ohne je in Schussweite zu kommen. 

Unsere Streifjagden brachten uns an den Thiba zu- 
rück. Während wir dem Fluss entlang zogen, machte 
uns Ngondu auf eine dunkle Masse am andern Ufer 
aufmerksam, die wie ein im Gras liegender Felsen aus- 
sah. Bald erkannten wir, dass es ein Flusspferd war. 
Es richtete sich auf seinen kurzen Vorderläufen auf 


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und sah nun mit seinen gegen uns gerichteten winzi- 
gen Lauschern genau wie ein überfetter gutmütiger 
Hund aus. 

Plötzlich bemerkte es uns, stürzte gegen den Fluss 
und tauchte unter. Noch beobachteten wir den Wasser- 
spiegel, als Mutua einen Schrei ausstiess und rief, er 
sei von einer Schlange gebissen worden. Zufälligerweise 
hatte ich gerade die Taschen-Apotheke bei mir, als sie 
einmal nötig war. B. machte einen Einschnitt über der 
gebissenen Zehe, den wir mit den Kristallen füllten. 
Die Schlange selbst war von niemandem gesehen wor- 
den; es war aber wohl eine Giftschlange gewesen, 
denn das ganze Bein schwoll auf den doppelten Um- 
fang an, und es dauerte viele Tage, bis Mutua es wie- 
der gebrauchen konnte. 

Das war überhaupt ein Tag voller Missgeschick: 
Kongoni glitt auf einem Felsen aus und schlug einen 
Splitter aus B.’s Büchsenschaft, Brownie stürzte in ein 
verborgenes Erdferkelloch, und auf dem Heimweg, 
als wir auf einen Flug Perlhühner gestossen waren und 
einige derselben erlegten, trafen mich zwei Schrot- 
kugeln, die von einem Baum abprallten, in den Hals. 
Ich konnte mir gar nicht denken, was geschehen war, 
denn ich hatte nur ein Gefühl, als ob mich zwei Golf- 
bälle sehr stark getroffen hätten. Dann, als ich Brahi- 
mos ziemlich erschrockenes Gesicht sah, fühlte ich mit 
der Hand nach und bemerkte, dass mein Hals mit 
Blut bedeckt war. Es schien mir unfasslich, dass zwei 
abgetriebene Schrotkugeln noch solche Durchschlags- 
kraft besassen, oder dass ein Perlhuhn einen Treffer 
überleben konnte, selbst wenn es nicht an einer töd- 
lichen Stelle getroffen wurde. 


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Nach dem Abendbrot griffen wir wieder zur Büchse 
und gingen hinunter zum nächtlichen Ansitz am Bach, 
in der Hoffnung, dass der Löwe, dessen Spuren wir 
in der Nähe des Eselpferches bemerkt hatten, seinen 
Besuch wiederhole. Ein Ochsenfrosch quakte, Leucht- 
käfer schwirrten über das Wasser, sonst herrschte 
grosse Stille und tiefe Dunkelheit. Dann machten wir 
die unliebsame Entdeckung, dass wir unsere Laternen 
nicht zum Brennen bringen konnten, was uns ver- 
anlasste, schleunigst die Böschung hinaufzuklettern, 
um in ziemlicher Eile zum Lager zurückzukehren, 
während wir hinter jedem Busch einen Löwen ver- 
muteten. 

Die drückende Stille wurde durch ein Gewitter 
unterbrochen, und mitten in der Nacht stürzte unter 
Krachen und Knacken das Zelt über unsern Köpfen 
zusammen. Der Regen strömte hernieder. Obgleich 
wir das Zelt nicht wieder aufzurichten vermochten, 
konnten wir doch darunter schlafen. Wir hatten ver- 
gessen, die Zeltleinen zu lockern, und der Regen hatte 
sie so stark gespannt, dass sie den Zeltpfosten ge- 
krümmt und schliesslich gebrochen hatten. Die Bruch- 
stelle war so schräg, dass der Pfosten am Morgen bald 
provisorisch repariert war. 

Für heute war ein Marsch vorgesehen, aber zu der 
Verspätung, welche die Gewitterschäden verursacht 
hatten, kam noch B.’s Entdeckung, dass die Zebradecke 
begonnen hatte in Fäulnis überzugehen. Mvanguno, 
der für die Häute verantwortlich war, behauptete 
zwar, sie seien alle fertig zum Verpacken, doch da nun 
das Zebra verdorben war, sah B. auch die übrigen 
Häute nach und stellte fest, dassauch das Warzenschwein 


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ruiniert war. Die Warzen waren nicht aufgeschlitzt 
worden, wie es sich gehörte, und wir mussten das Fell 
fortwerfen. Das war ein harter Schlag. Es war nicht 
nur schade um die vergebliche Mühe und die schönen 
Felle, es zeigte uns auch, dass Mvanguno keineswegs 
so zuverlässig war, wie es geschienen hatte. Man kann 
keinem Eingeborenen, und sei er noch so geschickt, 
einen verantwortlichen Posten anvertrauen. Es war 
ein Jammer, dass ich von der Arbeit nichts verstand 
und nicht selbst die Anzeichen der beginnenden Fäulnis 
zu erkennen vermocht hatte. Ich konnte es wohl noch 
lernen, doch wenn Mvanguno mit all seiner Erfahrung 
sich als unbrauchbar erwies, wieviel weniger konnte 
ich da helfen. Aber den ganzen Tag jagen, nachts auf 
dem Ansitz sein und daneben noch die Trophäen zu 
überwachen war mehr, als ein einzelner leisten konnte. 
Dennoch wurmte es mich, dass mein Anteil an der 
Expedition so bescheiden war. Ich war Verpflegungs- 
offizier und ausserdem noch — schlecht und recht, so 
gut es eben ging — Schiffsarzt und Photograph. Nicht 
einmal schiessen konnte ich, und so unentbehrlich war 
ich nicht, als dass ich nicht gerade so gut hätte daheim- 
bleiben können. 

Ich war in solch trübe Überlegungen versunken, als 
B. vorschlug, heute einmal einen Ruhetag einzuschal- 
ten und mit Schmetterlingsnetzen und Angelruten an 
den Fluss zu gehen. Wir wussten ein liebliches Plätz- 
chen, wo sich das Ufer sanft gegen den Rand des Flus- 
ses senkte, und das umrahmt war von dichtbelaubten 
Bäumen. Das war ein verlockender Plan, und um Zeit 
zu gewinnen sattelten wir die Maultiere. Sie hatten sich 
in lammfromme Tiere verwandelt, die sich von uns 


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in zwei Minuten satteln liessen, während sie dem Pferde- 
wärter noch immer gern eins auswischten. 

Kaum hatten wir uns aber auf den Weg gemacht, 
als uns die Kikuyus einholten, und ein Blick auf diese 
Tröpfe genügte mir, mich zu überzeugen, dass es mit 
dem Picknick am Fluss für diesmal aus war. Ihr Bericht 
liess uns aber die Enttäuschung schnell vergessen: drei 
Löwen ganz in der Nähe, gerade beim Reissen ihrer 
Beute gestört! 

Wir liessen die Maultiere im Lager zurück und be- 
gaben uns so rasch wie möglich an die Stelle, an der die 
Löwen ihre Beute gerissen hatten. Doch wir sahen 
sofort, dass unsere Eile keinen Zweck gehabt, denn die 
Antilope war schon völlig verzehrt. Wir hatten die 
Kikuyus falsch verstanden: sie hatten uns gesagt, dass 
nur wenig von dem Aas übriggeblieben sei, während 
wir verstanden hatten, sie hätten es noch kaum be- 
rührt, und daraus folgerten, die Löwen würden nun 
bald zu ihm zurückkehren. Das war nur eine der zahl- 
reichen Lehren, wie wichtig es war, ihre Sprache zu 
verstehen. Hätten wir uns nun nicht weiter um das Aas 
gekümmert und sofort die Suche aufgenommen, dann 
hätten wir die Löwen möglicherweise noch erreicht. 
So aber verloren wir viel kostbare Zeit und erschöpften 
uns dann in einer fruchtlosen Suche, stundenlang durch 
hohes Schilfgras, unter einer unbarmherzigen Mittags- 
sonne. Am frühen Nachmittag waren wir denn auch 
völlig erschöpft und gaben sie auf. Wir hatten die 
Löwen ganz in der Nähe des Lagers vermutet, hatten 
weder Tee noch Wasser mitgenommen und waren 
nun ausgedörrt vor Durst. Während ich meinen Weg 
durch das hohe Gras bahnte, wiederholte ich mir 


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immer stumpfsinnig die Alternative: «Löwe oder Limo- 
nade», und da mir nicht die Gunst zuteil wurde, zwischen 
beiden zu wählen, blieb es jedesmal bei der Limonade. 

Es regnete viel, die feuchte Hitze machte das Jagen 
sehr beschwerlich, und die Häute trockneten schlecht. 
Wir erlebten in diesen Tagen aber zwei Dinge, auf 
die wir seit Beginn unserer Reise gehofft hatten. 

In der Nacht hörten wir einen Löwen brüllen. Es 
war ein erschütterndes Konzert und hallte so klar über 
die Ebene, dass, als es erstarb und noch einige knur- 
rende Laute folgten, man fast glaubte, sein Atemholen 
zu hören. Er mochte wohl gegen 400 Meter von uns 
entfernt sein, und doch erfüllten die donnernden Laute 
die Nacht und machten die Luft erzittern, so mächtig 
war seine königliche Stimme. 

Mit den Worten: «Da liegt der Mount Kenya!» 
weckte mich B. am andern Morgen, und im Rahmen 
des Zelteinganges, weit über dem Ozean von goldenem 
Gras, erhob sich der riesige Berg, dessen schneebedeck- 
ter Gipfel im zitternden Licht des anbrechenden Mor- 
gens schimmerte. 

Bisher hatten wir immer nur die Vorberge und die 
Umrisse seines Fusses gesehen; darüber aber hing wie 
ein Vorhang eine Wolkendecke, die sich niemals ge- 
lüftet hatte. Schon unzählige Male hatten wir versucht, 
uns vorzustellen, was sie wohl verberge, hatten uns 
schwarze Abgründe und schimmernde Gletscher aus- 
gemalt und uns gefragt, wie hoch über diese Wolken 
der Gipfel wohl reiche, und wie wohl Schneeberge 
unter dem Aequator sich ausnehmen würden. Doch nie 
konnte sich unsere Einbildungskraft mit dem unver- 
gleichlichen Anblick messen, die der Kenya in Wirk- 


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lichkeit bot. In den tauklaren, kristallenen Morgen 
ragten seine beiden Gipfel, über einem zarten Wolken- 
gürtel, mit frischem Schnee bedeckt. 

Den ganzen Tag über marschierten wir in Sicht des 
Berges, hatten eine lange Pürsche auf Wasserböcke 
und schlugen bei Einbruch der Nacht unser Lager am 
Ufer eines Flüsschens auf, unser letztes Lager auf un- 
serm Streifzug nach dem obern Tana. 

Am folgenden Morgen packten wir alle Häute zu- 
sammen, nachdem wir sie mit Naphtalin bestreut hat- 
ten, und nähten sie in grüne Willesden-Säcke, die, aus 
stärkstem Hanf gewoben und mit Arseniklösung ge- 
tränkt, sogar das gefährlichste aller Ungeziefer, den 
Speckkäfer, fernhalten. Wenn alles beieinanderlag, die 
Büffelhaut, drei Löwen, der Leopard, ein Zebra, die 
Kuhantilope und das Impala, Schädel und Knochen 
mit Draht in Gras verpackt, so war es eine recht an- 
sehnliche Sammlung für den Anfang. Doch war auch 
ihre Unvollständigkeit allzu offenbar: noch fehlten 
weibliche Stücke von Kuhantilope, Impala und Büffel 
— das Museum aber musste Paare haben. Dem konnte 
später abgeholfen werden, denn diesen Tierarten wür- 
den wir immer wieder begegnen. Dagegen war das 
fehlende Kenya-Oribi eine Lücke in unserer Samm- 
lung, die wir nicht mehr ausfüllen konnten. 

Kongoni hatte für kleineres Wild nie viel übrig ge- 
habt; die Boys hatten überhaupt seit langem ihr In- 
teresse am Oribi verloren. Da wir aber wussten, dass 
sich nie wieder Gelegenheit zu seiner Erbeutung bieten 
würde, beschlossen wir einen letzten Versuch zu ma- 
chen und begaben uns ohne Begleitung auf einen Pürsch- 
gang. Es war kurz nach der Mittagsstunde, kein Wind- 


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hauch brachte Kühlung von der glühenden Hitze, aber 
wir dachten nur an unsere Beute. Wir bahnten uns 
unsern Weg unermüdlich durch das hohe Gras, immer 
noch auf Erfolg hoffend, bis der Abend hereinbrach. 
Erst als die Dämmerung kam, die Nachtschwalben 
lautlos an uns vorüberglitten und wir noch weit vom 
Lager entfernt waren, mussten wir eingestehen, dass 
die kleinen Oribis uns endgültig geschlagen hatten. 

Wir machten uns wieder auf den Marsch, und zwei 
Tage später erreichten wir Embu. 


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Embu — Meru — Maua — (Jombeni-Kette) 


«Er ist zum mindesten ein 90-Pfünder. Die Einge- 
borenen behaupten, seine Zähne ziehen Furchen am 
Boden, weil sie so schwer sind, dass er sie nicht heben 
kann.» 

So lautete die Beschreibung eines Elefanten, von dem 
uns Mr. L. erzählte, als wir bei ihm beim Kaffee sassen. 
Es mutete uns ganz seltsam an, wieder ein Dach über 
uns zu haben; die Bücherregale, die Bilder an den Wän- 
den und die silbernen Bestecke auf dem weissen Tisch- 
tuch umgaben uns mit einer behaglichen Atmosphäre 
der Geborgenheit. Aber wenn es auch schön und gut 
war, eines Tages zu all diesen Dingen zurückzukehren, 
so fühlten wir doch eine geheime Freude darüber, dass 
dies nicht schon jetzt sein musste. Im Augenblick hatten 
wir nur Sinn für den Bericht über diesen riesigen Ele- 
fanten, und unser einziger Gedanke war, zu erfahren, 
wo und wie wir ihn finden konnten. 

Wenn wir die weite Entfernung nicht scheuten, dann 
war er unser. Er war ein alter Einzelgänger und hatte 
sich, solange irgendein Eingeborener denken konnte, 
in einem kleinen Waldkomplex in der Nähe zweier 
Hügel aufgehalten. 

Mr. L. hätte am liebsten selbst noch einmal den Ver- 
such gemacht, ihn zu jagen, aber er versicherte uns, 
dass seine Pflichten ihn nun von jenem Distrikt zu- 
rückhielten, so sei es sehr fraglich, ob sich ihm diese 


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Gelegenheit je wieder bieten würde. Er erbot sich, 
nach Meru zu schreiben, um uns denselben Führer zu 
verschaffen, den er gehabt und der am besten mit den 
Gewohnheiten und dem jeweiligen Standort des Ele- 
fanten vertraut war. 

Eine Frage drängte sich B. sogleich auf: Wenn diese 
kapitalen Zähne des Elefanten so von sich sprechen 
machten, warum war nie jemand ernstlich darauf aus- 
gegangen, sie zu erbeuten? Doch es schien, dass eben 
nur wenige davon wussten, und die Örtlichkeit war 
viel zu abgelegen, als dass man die Jagd auf ihn für 
lohnend hielt. Es war sechzig Meilen von Meru ent- 
fernt — sechzig Meilen hin und sechzig Meilen zu- 
rück — und dies zu Fuss. Das war ein Dämpfer sogar 
für unsere Begeisterung, doch wenn wir sicher damit 
rechnen konnten, den Elefanten zu finden, mochte es 
sich wohl lohnen. Abgesehen davon, dass die Jagd auf 
einen wirklich kapitalen Elfenbeinträger ihre besondern 
Reize hatte — mit dem Verkauf der Stosszähne könn- 
ten wir die Hälfte unserer Expedition bezahlen —, 
musste der Elefant selbst ein mächtiger Geselle sein. 
Immerhin war es eine riskierte Sache, denn wir würden 
fast einen Monat damit verlieren. Sonst gab es dort 
wenig Wild, jedenfalls keine Arten, die wir nicht auch 
später antreffen würden. Wir erwogen aber diese Für 
und Wider, als wir uns schon auf dem Marsch befanden 
und Embu bereits hinter uns lag. 

Embu war die erste Vorposten-Siedlung, die wir 
getroffen hatten, und wir waren überrascht, inmitten 
der Wildnis Gärten voll wundervoller Rosen, mit 
sauber geschnittenen Buchsbaum-Hecken umsäumt, 
und bewässerte Rasenflächen zu sehen. 


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Es war vielleicht ein Zeitverlust von fünf Tagen, 
eine Strecke zu Fuss zurückzulegen, die man im Auto- 
mobil bequem in einem oder höchstens zwei Tagen 
durchmessen konnte, aber wir bereuten es nicht, denn 
die Gegend zwischen Embu und Meru ist ausserge- 
wöhnlich reizvoll. 

Nach Wild hielt man freilich vergebens Ausschau, 
denn die Gegend ist dicht bevölkert, aber wir fanden 
herrliche Schmetterlinge und verkürzten manchen lan- 
gen Marsch damit, sie zu sammeln. Während der ersten 
Tage benützten wir die zahlreichen Abkürzungen, um 
Zeit zu gewinnen; das Gelände ist hügelig, und die 
Strasse schlängelt sich in zahllosen Windungen dahin, 
zwar ziemlich eben, aber sehr auf Kosten von Distanz 
und Zeit. 

Aber auch die Abkürzungen waren sehr gewun- 
dene Pfade, oft schienen sie nicht kürzer als die 
Strasse selbst; was wir scheinbar an Kürze gewannen, 
verloren wir damit, dass sie ständig bergauf und berg- 
ab führten. Als in einer Nacht Regen fiel, wurden die 
Wege zudem so schlüpfrig, dass wir die Maultiere und 
Packesel auf die Hauptstrasse dirigieren mussten. Aber 
selbst für uns, die wir keine Lasten trugen und kräftige 
Stöcke benutzten, war das Begehen der Pfade mühsam. 
Bergauf mussten wir uns oft mit den Händen festhal- 
ten, und bergab war es mehr ein Rutschen als ein 
Gehen. Wie würden sich wohl die beladenen Träger 
anstellen ? Doch sie entledigten sich einfach ihrer San- 
dalen und nahmen die Steigungen und Gefälle barfuss 
so sicher wie Bergziegen, trotz ihren Lasten von fünfzig 
bis sechzig Pfund. Geradezu erstaunlich war die Sicher- 
heit, mit der sie ein Flüsschen überschritten. Es war 


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angeschwollen und die Brücke fortgerissen. Die einzige 
schwankende Verbindung mit dem andern Ufer be- 
stand aus zwei jungen Stämmchen, die man darüberge- 
legt. Wir glaubten, es werde eine langwierige Sache 
sein, alle unsere Lasten da hinüber zu bringen, und 
trösteten uns damit, dass wir mit einem Kraftwagen 
nun in einer bösen Klemme wären. Als aber die Träger 
die Notbrücke erreichten, schoben sie nur ihre Lasten 
zurecht und gingen Mann für Mann über den schaukeln- 
den Steg, als wäre er eine feste, breite Brücke. 

Das war kurz hinter Chuka gewesen, und wir waren 
ein wenig näher an die Hänge des Meruberges heran- 
gekommen. Die sanftgerundeten Hügel mit ihren Ba- 
nanen- und Maispflanzungen lagen nun hinter uns, die 
Gegend war hier schon grossartiger und gebirgiger; 
hier begann auch der Urwald. Bisher hatten wir am 
Grunde jedes Tälchens einen leicht zu überschreiten- 
den Bach gefunden, aber nun waren es Flüsse zwischen 
steilen Hängen, und es gab weder Abkürzungen noch 
Furten. Es blieb uns nur noch übrig, der Strasse zu 
folgen, die dem Hang entlang die engen Täler hinauf- 
führte, oben die Brücken überschritt und auf der gegen- 
überliegenden Talseite zurückging. Es waren richtige 
Haarnadelkurven, und oft waren die sich gegenüber- 
liegenden Strassenabschnitte nur wenige hundert Meter 
voneinander entfernt, obwohl es manchmal eine halbe 
Stunde kostete, sie über die Brücke zu erreichen. 

Am dritten Morgen hellte sich das Wetter auf, der 
Nebel verzog sich, das Sonnenlicht strömte durch die 
Blätter und zeichnete bunte Flecken auf den Wald- 
boden. Die Erde erwachte zu neuem Leben, die Vögel 
sangen, und wohin man blickte, waren lebendiges Licht 


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und Farbe, gaukelnde Schmetterlinge, glitzernde, im 
Sonnenlieht sprühende Tautropfen. Gleich silbernen 
Säulen standen die Baumstämme vor dem dunklen 
Laubwerk, ihre Äste bildeten ein phantastisch ver- 
schlungenes Dach über uns. 

Wir fanden uns in unserm Marsch plötzlich aufge- 
halten durch eine Barriere aus Zweigen, welche die 
Strasse versperrte, und gleichzeitig kam uns eine alte 
Frau entgegengelaufen. Unser Hund kläffte sie an, das 
schien sie völlig in Wut zu bringen. Sie tanzte umher, 
kreischte und schnitt schreckliche Grimassen, dann 
trabte sie mit gespreizten Ellbogen und zurückgeboge- 
nem Kopf einher, als wollte sie, einen Vogel Strauss 
nachahmen. Wir sahen gleich, dass das arme Ding 
wahnsinnig war. Die Boys waren natürlich entzückt 
über dieses Intermezzo und reizten sie, bis sie der- 
massen in Wut kam, dass wir uns ins Mittel legen muss- 
ten und die grösste Mühe hatten, sie abzuschütteln. 

Da wir uns um die üblichen Lagerplätze nicht ge- 
kümmert hatten, mussten wir in der vierten Nacht 
unser Zelt mitten auf der Strasse aufschlagen, als dem 
einzigen ebenen Lagerplatz. Am nächsten Morgen, als 
wir der Trägerkolonne vorausmarschierten, bemerkten 
wir einen grossen, weissgestrichenen Wegweiser. Schon 
aus der Ferne versuchten wir zu erraten, was die In- 
schrift besagen könnte. Es war ein so schöner, ver- 
trauenerweckender Wegweiser, und wir glaubten seiner 
hoffnungsvollen Inschrift gerne: Meru ı5 Meilen. Als 
auch diese Strecke überwunden war, erfuhren wir, dass 
Mr. L. tatsächlich schon geschrieben, so dass man uns 
nicht nur erwartete, sondern sogar schon nach dem 
Führer gesandt hatte. 


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Aber auch so würden wir noch fünf Tage auf ihn 
warten müssen, und wir begannen innig zu wünschen, 
wir wären nicht von unserer ursprünglichen Reise- 
route abgewichen. Grufty, mit dem wir uns besprachen, 
hatte ebenfalls seine Bedenken; hauptsächlich machte er 
geltend, dass, selbst wenn uns die Erbeutung des Ele- 
fanten gelänge, wir niemals die schwere Haut den gan- 
zen Weg zurücktransportieren könnten. Im Wald von 
Meru könnten wir Elefanten sozusagen von der Land- 
strasse aus schiessen; warum also unsere kostbare Zeit 
hier verschwenden? Das waren ja ganz einleuchtende 
Gründe, aber nun hatte man schon nach dem Führer 
geschickt; für die Elefanten des Meruwaldes war es 
noch zu früh, und auf keinen Fall gab es unter ihnen 
einen Riesen, der sich mit dem 9o-Pfünder messen 
konnte. Darum hatten wir für Cruftys Argumente 
wenig übrig, und da wir nun einmal diesen Elefanten 
im Kopf hatten, gab er nach. 

Diese fünf Tage des Wartens waren übrigens nur 
vom Standpunkt des Schiessens aus vergeudet, und der 
Gedanke daran konnte unsern Aufenthalt nicht ver- 
derben. Crufty bestand darauf, uns in einem Haus ein- 
zulogieren und uns in der Offiziersmesse zu bewirten. 
Wir ritten vor dem Frühstück aus, sahen bei der Parade 
und beim Polo zu, wir fuhren in den Wald und für 
ein Wochenende nach Siolo, um Federwild zu schies- 
sen, verbrachten fröhliche Abendstunden mit Bridge- 
spiel und Musizieren und vertrieben uns die Zeit auf 
so angenehme Weise, dass es uns beinahe leid tat, als 
der Führer eintraf. 

Doch einmal unterwegs, waren wir wieder Feuer und 
Flamme, und was Maithia, den Führer, betraf, so hätte 


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er, glaube ich, selbst Crufty nach dem Elefanten auf 
die Beine gebracht. Ein Ungetüm, von dem nur Mungu 
(Gott) sagen konnte, wieviel hundert Jahre es zählte, 
und seine Zähne — nun das war sicher: sie waren 
länger als Maithia mit hochgestrecktem Arm. Er musste 
mehrere Meter von einem Baum zurücktreten, um uns 
eine Vorstellung ihrer Länge zu geben. Ihr Gewicht 
musste gewaltig sein, und natürlich war es richtig, dass 
der Elefant sie manchmal am Boden entlang schleifte. 
Maithia veranschaulichte dies, indem er mit seiner Zehe 
eine Furche im Sand zog. Bei der blossen Erwähnung 
des Elefanten ging ein Leuchten überMaithias ehrliches 
altes Gesicht. Ganz so gross wie er es haben wollte, 
war der Elefant wohl nicht; doch eines war gewiss: 
finden würden wir ihn. Maithia kannte die ganze 
Gegend wie seine Handfläche; er würde uns selbst mit 
verbundenen Augen zu ihm hinführen. 

So waren wir also voll der besten Zuversicht, als 
wir uns auf den Weg machten. Die Strasse nach Maua 
scheint zum Teil mehr von Elefanten begangen zu 
sein als von Menschen, und wenn wir im Staub ihre 
riesigen Fährten entdeckten, fühlten wir uns jedesmal 
neu angespornt für die Überwindung der vielen Mei- 
len, die uns noch vom Gebiet unseres Elefanten trenn- 
ten. Es war nicht nur das Auffinden der Elefanten- 
fährte, das unsern Marsch verkürzte; der Weg selbst 
ist reich an Abwechslung und zieht sich bald durch 
Waldungen, in denen die breiten Blätter der Bananen 
wie helle Fahnen im Waldesdämmer hängen, bald über 
Hügel, von denen der Blick weithin über Ebenen und 
Berge in ihrem beständigen Wechselspiel von Licht 
und Schatten schweift. 


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Dennoch war es ein langer Marsch. Wir wurden 
beide krank, und auch die Träger hatten einer nach dem 
andern Anfälle von Schüttelfrost. Als wir endlich in 
Maua ankamen, fanden wir einen weissen Ansiedler im 
Rasthaus einquartiert. Er warnte uns, dass das Gebiet, 
das wir aufsuchen wollten, und das eine Tagesreise 
vom Kinna (Mackenzie-Fluss) entfernt liegt, von der 
Tse-Tse-Fliege verseucht sei. In zuvorkommender 
Weise erbot er sich, bis zu unserer Rückkehr nach 
unserem Hündchen und den Maultieren zu sehen. Wir 
setzten unsern Marsch fort und kampierten auf halber 
Höhe des Abhanges. Das Waldland um Maua — die 
Jombeni-Kette — ist sehr hoch gelegen und sein 
Klima neblig und kalt. Der Abstieg führte uns nur 
halbwegs nach der Ebene hinunter, doch war der kli- 
matische Unterschied sehr fühlbar, und beim ersten 
Sonnenschein erholte sich bald jedermann. Von dem 
Plateau, auf dem wir lagerten, sahen wir die Ebene 
sich zu unsern Füssen ausbreiten; den Fluss, der von 
uns weg nach links bog, mussten wir überschreiten, 
und gerade vor uns, etwa zwei Tagereisen entfernt, 
lagen die beiden kleinen Hügel, die im blauen Abend- 
licht kaum zwei Stunden entfernt schienen. Das Ziel 
war also in Sicht, doch vorläufig noch unerreichbar. 

So sehr wir darauf brannten, den Marsch fortzu- 
setzen, so waren wir doch so erschöpft, dass wir am 
folgenden Tag nur bis zum Fluss gelangten, und, nach- 
dem wir ihn überschritten, mussten wir kampieren. 
Noch erinnere ich mich, wie wir am Ufer sassen und 
auf die Safari warteten, wie im Schatten der Palmen 
das Wasser silbern in einen kleinen Weiher rieselte, 
während sich opalfarbige Schmetterlinge im Sonnen- 


72 


licht schaukelten. Wie klein und schwach waren wir 
doch inmitten dieser lächelnden Natur. Damals fühlte 
ich plötzlich, dass Afrika furchtbar werden konnte, 
wenn einen das Glück verliess; mir war, als ob es ewig 
mit uns spielte, indem es uns bald wie auf einem 
Wellenkamm emportrug, bald wieder mit seiner un- 
endlichen, schrecklichen Weite überschwemmte, in der 
selbst das Sonnenlicht hart und grausam war. Doch 
zählte ich damals erst zweiundzwanzig Jahre, und es 
war wohl, weil ich noch so wenig von diesem Land 
begriffen hatte, dass mir solche Gedanken kamen. Oder 
war es, weil mir B. schwere Sorgen machte, der 
gerade wieder an einem heftigen Fieberanfall litt? Ich 
sass bei ihm bis spät in die Nacht hinein, und von 
meinem Platz aus konnte ich sehen, wie der Vollmond 
nach Westen sank und ein tauschwerer Nebel sich über 
das Lager legte, der die Feuer erstickte; und immer- 
fort schallte der Gesang der Grillen durch die nächt- 
liche Stille. 

Doch das Missgeschick schien uns nicht lange ver- 
folgen zu wollen. Drei Tage später stand unser Zelt 
am Fluss gegenüber den beiden Hügeln, und Maithia 
war unterwegs, um den Standort des Elefanten fest- 
zustellen. 

Die Büchse durften wir nun nicht gebrauchen, und 
wir verbrachten den Tag mit Fischen. Zwar waren die 
Fische schlecht und voller Gräte, aber es war ein hüb- 
scher Zeitvertreib; B. fing ein Dutzend, alle zwischen 
ı/a bis 2 Pfund. 

Der unermüdliche Maithia kam gegen Mittag zurück, 
wie immer mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wischte sich 
den Schweiss von der Stirne und schickte sich an, einen 


73 


schlimmen Bericht vom Stapel zu lassen. Er hatte 
weder den Elefanten noch seine Spuren gesehen; die 
Wakambas hatten alles Gras um seine Lieblingsplätze 
niedergebrannt. Das war allerdings stark! Uns den gan- 
zen Weg bis hierher zu führen, um uns dann mit einer 
solchen Nachricht abzuspeisen. 

Am nächsten Tag schickten wir ihn wieder auf die 
Suche, und am Abend kam er mit dem gleichen Be- 
richt zurück: keine Spur von dem Elefanten. Aber 
was nützte alles Zürnen, Diskutieren oder Drohen? 
Maithia hatte wirklich sein Äusserstes getan, und wenn 
er nun müde und abgehetzt zurückkam, enttäuscht, 
doch ergeben die Schultern hob mit dem fatalistischen 
Ausspruch: «Shauri aMungu»*, dann war eben nichts 
mehr zu wollen. Es war leider wahr, dass die Wakam- 
bas die ganze Gegend zu grauer Asche verbrannt hat- 
ten. Die Asche lag überall mehrere Zoll hoch, alles 
war schwarz und verkohlt, die Bäume glimmten noch 
tagelang. Wir wateten durch Asche, kampierten auf 
Asche, assen Asche; ein Windstoss, und das Zelt war 
voller Asche, überall drang sie ein. In kürzester Zeit 
waren wir, unsere Kleider und alles, was wir berührten, 
schwarz, und wir zweifelten, ob wir je wieder sauber 
würden. 

Da es mit dem Elefanten nun nichts war, machten 
wir uns auf die Jagd nach dem kleinen Kudu. Doch 
schien es uns höchst zweifelhaft, ob wir je eines zu 
Gesicht bekämen, denn das Dorngestrüpp war hier so 
dicht, dass wir uns nicht ohne Geräusch darin fortbe- 
wegen konnten, und zweimal machten wir Dikdiks 
flüchtig, bevor wir sie zu sehen bekamen. 


* Es ist Gottes Wille 


74 


Wir waren schon mehrere Stunden unterwegs und 
hatten offenes Gelände vor uns, als wir drei äsende 
Kudus sichteten. Das Glück war uns hold, denn wir 
sahen sie, bevor sie uns eräugten. Als der Bock sichernd 
das Haupt hob, traf ihn die Kugel in die Brust, und er 
brach auf der Stelle zusammen. Sein Gehörn war zwar 
bescheiden, doch besass sein Fell solch seidenen Glanz 
und seine Formen solche Vollkommenheit, dass er 
uns als das schönste Geschöpf erschien, das wir je 
gesehen. 

Am gleichen Tag fand Maithia eine Elefantenfährte. 
Zwar war sie nicht sehr frisch, dennoch nahm B. sie 
am folgenden Morgen auf. Er folgte ihr während zehn 
Stunden, und auf dem Rückweg hatte er eine unlieb- 
same Begegnung mit einem Nashorn, das plötzlich 
schnaubend aus den Büschen auf ihn losfuhr. Der An- 
griff geschah so unerwartet, dass B., wie er mir nachher 
erzählte, wie hypnotisiert das heranstürmende Ungetüm 
anstarrte. Bevor er begrifl, was geschah, war sein 
drohendes Horn zwei Fuss von seiner Brust entfernt. 
Er sprang gerade noch zur Seite, und das Nashorn raste 
in gerader Linie weiter. Es warf einen Träger zu Boden 
und begann dann, den armen alten Maithia im Kreis 
herumzujagen. Maithia wich nach links und rechts mit 
Katzensprüngen aus, manchmal so knapp, dass das 
Horn kaum einen Zoll von ihm entfernt schien. Es 
war verblüffend, mit welcher Gewandtheit das schein- 
bar so schwerfällige Tier sich drehen und wenden 
konnte. B. blieb im Anschlag, um eine günstige Ge- 
legenheit für eine Kugel abzupassen, aber Maithia war 
viel zu nahe bei seinem Verfolger. Dieser gab glück- 
licherweise die Jagd auf, raste weiter und war bald 


75 


zwischen den Bäumen verschwunden. Maithia war 
knapp genug davongekommen; das Horn des Rhino 
hatte ihn so nahe gestreift, dass sein Lendentuch zer- 
. tissen und eine Rippe gequetscht war. 

Wir hatten viele Schauergeschichten von angreifen- 
den Nashörnern gehört, und von solchen, die über die 
bewilligte Anzahl hinaus — angeblich aus Notwehr — 
erlegt wurden, und hatten dies nie so recht geglaubt. 
Das aber war nun ein solcher Fall, wo ein Nashorn 
ohne jegliche Herausforderung die Jäger angriff. 

Über die folgenden Tage unserer Elefantenjagd ist 
nicht viel zu sagen; sie kamen uns vor wie ein böser 
Traum, indem wir uns Stunde um Stunde in betäuben- 
der Hitze vorwärts bewegten und in ein ewiges Wirrsal 
von Ästen und Zweigen starrten, bis die Augen uns 
in dem unbarmherzigen Sonnenglast schmerzten. 

Rings um die beiden Hügel führte die noch frische 
Spur, und wir hielten sie, stundenlang einem Bach- 
bett folgend. Die Fährte war enorm, sie mass fast 
24 Zoll im Durchmesser, und wir waren überzeugt, 
dass es die Spur unseres Riesen-Elefanten sein musste. 
Wir stiessen auf seine frische, noch warme Losung, 
. vielleicht kaum eine Stunde alt, und auf gebrochene 
Zweige, an deren Bruchstelle der Saft noch weiss und 
feucht war. Auch fanden wir Löcher im Sand, wo er 
mit seinen Stosszähnen nach Wasser gegraben hatte. 
Einmal führte die Spur aus dem Bachbett und die 
Böschung hinauf, und wir hofften schon, er habe sich 
nun entschlossen, einen Ruheplatz für den Tag zu 
suchen. Doch nachdem wir sie eine Stunde lang weiter 
verfolgt hatten, führte sie wiederum in das Bachbett zu- 
rück. Zweimal stiessen wir auf frische Spuren, mussten 


76 


aber beidemal feststellen, dass sie von andern Elefanten 
herrührten. Das Betrüblichste aber war die Unfähig- 
keit der Leute, die Spur zu halten. Je undeutlicher sie 
wurde, desto mehr schwatzten sie untereinander; wir 
hörten geduldig ihre zahllosen Palaver an, die dann 
doch nur zu ziellosem Umherwandern führten. 

Das Gelände war scheusslich, undurchdringlicher 
Dornbusch bis auf die Wildwechsel. Es bestand wenig 
Aussicht, dass wir den Standort des Elefanten von 
einem Baumwipfel aus feststellen konnten, denn der 
Busch erstreckte sich meilenweit nach allen Seiten. 
Das knackende Unterholz verriet uns in einigem Um- 
kreis, aber noch verräterischer war der Wind, der aus 
allen Richtungen zu wehen schien, bald von vorn, bald 
von hinten, kleine Windstösse, die sicherlich unsere 
Witterung immer wieder zu ihm hintrugen. 

Es waren furchtbar anstrengende Tage (für mich war 
es ermüdend genug, jeden dritten Tag mitzukommen). 
Denn, wenn die Sonne sich feurigrot hinter denMorgen- 
nebeln erhob, waren wir schon unterwegs auf der 
Fährte, und wenn wir todmüde ins Lager zurückkehr- 
ten, war sie schon untergegangen. Wir erlaubten uns 
keine Rast während der Mittagshitze, und wir verdop- 
pelten unsere Anstrengungen nach jedem erfolglosen 
Tag. Wenn man einer bestimmten Wildart nachgeht 
und keinen verräterischen Schuss riskieren darf, kommt 
einem oft anderes Wild verführerisch vor die Büchse, 
So sahen wir beständig Wasserböcke und kleine Kudus, 
die ganz vertraut nach uns äugten, und einmal zwei 
prachtvolle Impalaböcke, die mit hellem Getrappel aus 
dem Busch brachen und abschwenkten, als sie auf uns 
stiessen. Die schönste Begegnung aber war die mit zwei 


77 


äsenden Giraffen, auf die wir ganz unvermutet kamen. 
Die eine war uns zugekehrt und so nahe, dass wir ihre 
langen Wimpern erkennen konnten, und sie schlang 
gerade ihre dünne graue Zunge um einen Akazien- 
zweig, als sie uns plötzlich eräugte. Einen kurzen 
Augenblick verhofften sie regungslos und schienen uns 
mehr neugierig als furchtsam zu betrachten, dann 
wandten sie sich beide und wurden flüchtig. Lautlos 
bewegten sie sich durch den scheinbar undurchdring- 
lichen Busch mit sanften und fliessenden Bewegungen 
wie Schiffe auf hoher See. 

Wenn der Busch auch dicht und undurchdringlich 
war, so brauchten wir doch ein Verirren darin nicht zu 
befürchten. Auch wenn wir das Bachbett verliessen 
und dabei gelegentlich die Richtung verloren, so konn- 
ten wir stets von einem Baum aus die beiden Hügel se- 
hen, nach denen wir uns orientierten. Als eines Abends 
B. nicht nach Hause kam und ich ihn vergebens im 
Lager erwartete, beruhigte mich das Wissen um diese 
beiden Orientierungspunkte sehr. Von allen Aufre- 
gungen, die man im Busch erleben kann, ist die Angst 
des einsamen Wartensdas Schlimmste, sicherlich schlim- 
mer als ein gefährliches Abenteuer, das man miterlebt. 
Man hat so schrecklich viel Zeit, sich auszumalen, was 
wohl geschehen sei und so wenig Möglichkeit, etwas 
zu tun, denn ohne eine Ahnung der einzuschlagenden 
Richtung kann man nicht dem ersten Gedanken nach- 
geben und eine Rettungskolonne abschicken. Alles, was 
übrig bleibt, ist, dass man an einem erhöhten Punkt 
ein Feuer anzündet und Signalschüsse abgibt. 

Ein Leopard strich während der ganzen Nacht um 
das Zelt, schnüffelnd und von Zeit zu Zeit ein eiskal- 


78 


tes rauhes Fauchen ausstossend, das mich jedesmal aus 
dem Schlaf -aufschrecken liess. Ich tastete nach der 
Büchse, fand sie aber entladen; die Streichhölzer konnte 
ich nicht finden, mit denen ich die Lampe anzünden 
wollte, um Patronen zu suchen. Das Feuer war ausge- 
gangen, und so dauerte es eine Ewigkeit, bis die Mor- 
gendämmerung anbrach. 

Erst gegen 10 Uhr früh kam ein Bote mit Nachricht. 
B. hatte an unserm früheren Lagerplatz übernachtet, 
dem ersten, den wir am Fluss unterhalb des Graben- 
randes bezogen hatten. 

Die Zelte waren schon abgebrochen und unsere 
Leute schon seit Tagesanbruch marschbereit. Die Trä- 
ger schätzten die Strecke auf etwa fünf Stunden. Da 
ich schneller ging als sie, brach ich allein auf und ging 
voraus. 

Am Nachmittag, als ich einem Hügel entlang wan- 
derte, hörte ich einen Pfiff und entdeckte aufblickend 
B. auf halber Höhe des Hangs. Er hatte dort auf einen 
Chanler’s Riedbock Jagd gemacht. Bald sassen wir 
beisammen im Schatten eines alten Affenbrotbaumes, 
und während der Koch das Feuer schürte und mit der 
Bratpfanne hantierte, berichtete B., was er inzwischen 
erlebt hatte. 

Kurz nach ihrem Aufbruch am vorhergehenden Tag 
waren sie auf die Spur von vier grossen Elefanten- 
bullen gestossen. Maithia folgte ihr lange Zeit mit der 
Sicherheit eines Spürhundes, bis er unglücklicherweise 
ein Nashorn sah, das unter einem Baum schlief. Keine 
Macht der Welt hätte ihn dazu gebracht, an diesem Nas- 
horn vorbeizugehen; ein langer Umweg kostete viel 
Zeit, und als sie die Spur endlich wieder aufnehmen 


79 


konnten, verlor sie sich bald gänzlich im dichten Wald- 
bestand. Sie überquerten zwei Flussbette und folgten 
der Spur den ganzen Tag. Bis sie gegen Osten den 
Grabenrand erreicht hatten, war die Nacht hereinge- 
brochen. 

Hier bot sich nun Gelegenheit zur Erbeutung von 
Chanler’s Riedbock, und wir stiegen den Hügel wieder 
hinan. Er erhob sich in drei Gipfeln, die gegen einen 
Krater abfielen. Wir veranstalteten ein Kesseltreiben, 
indem wir von unsern Leuten das Gras anzünden 
liessen. 

Als die Sonne unterging, hatte der Wind den ganzen 
Krater in ein Flammenmeer verwandelt, das sich huf- 
eisenförmig nach aussen verbreitete, an den Hängen 
heraufleckte wie eine Flut und alles in seinem Bereich 
vernichtete. Allmählich verstummte das Tosen und 
Knistern, und nur noch der eine Gipfel, der unserm 
Standort gegenüberlag, war von züngelnden Flammen 
gekrönt. Auf die wildtosende Feuersbrunst senkte sich 
die Abendstille mit verdoppelter Feierlichkeit, und die 
purpurne Nacht verwandelte die verkohlte Fläche in 
ein Meer von Schatten. 

Nur widerstrebend verliessen wir die Stätte dieses 
Schauspiels und stiegen langsam den Hügel hinab. Der 
folgende Tag würde uns wieder auf dem Rückweg 
nach Meru finden, unsere Pläne schmählich zunichte. 
Doch eine Möglichkeit stand uns noch offen: der Wald 
von Maua war voll von Elefanten, und es stand ausser 
jedem Zweifel, dass die vier grossen Elefanten sich auf 
dem Wege dorthin befanden. 

Die Frage war nur die: sollten wir ohne weitern Zeit- 
verlust nach Meru zurückkehren, oder sollten wir 


80 


\laua 


gleich jetzt unser Glück im Wald von Maua versuchen, 
dem wir so.nahe gekommen waren? 


Ein Marsch von sieben Stunden trennte uns noch 
von der eigentlichen Elefantengegend. Wir konnten 
uns kaum mit dem Gedanken befreunden, dass wir nun 
so weit gekommen waren und nichts weiter aufzuwei- 
sen hatten als ein einziges kleines Kudu. Die Erbeu- 
tung eines mittelmässigen Elefanten, eines 40- bis 
so-Pfünders zum Beispiel — die durchlebten zwei 
Wochen hatten unsere Ansprüche gewaltig zurückge- 
schraubt —, hätte unsern Abstecher genügend gerecht- 
fertigt. Wenn es uns zudem gelänge, seine Haut zu 
bergen, so könnten wir ihn immer noch als vollen 
Erfolg buchen. 

Das war entscheidend. Am nächsten Morgen stiegen 
wir den Grabenrand hinauf und fanden den Weg viel 
weniger ermüdend als zuvor, denn nun waren wir ge- 
stählt und trainiert und fühlten uns jeder Anstrengung 
gewachsen. So beelendend es ist, auf Safari krank zu 
werden, so gibt es kaum ein Gefühl, das dem Stolz 
der körperlichen Leistungsfähigkeitgleichkommt, wenn 
man sich fühlt, als habe man seine Kraft versechsfacht 
und vermeint, Berge versetzen zu können. Vielleicht 
liegt gerade darin eine gewisse Gefahr, denn es fällt 
dann schwer, seine Energie im Zaum zu halten, und 
leicht mutet man sich zu grosse Anstrengungen zu. 

Jede Meile, die wir hinter uns legten, trug dazu bei, 
unsere Hoffnungen steigen zu lassen. Entweder kreuz- 
ten wir eine frische Elefantenfährte, oder wir begegne- 
ten Eingeborenen, die etwas über die Elefanten wuss- 
ten, denn wir befanden uns wieder in bewohntem Ge- 


biet und folgten einem ausgetretenen Pfad, der von 
Dorf zu Dorf führte. Die Dörfer waren oft nur ein 
paar von Gärten umgebene Hütten, kleine Lichtungen, 
wie Inseln im Wald verstreut. 

Die Eingeborenen beklagten sich, dass die Elefanten 
allnächtlich in ihre Shambas* einbrächen und in den 
Saaten schon solche Verwüstungen angerichtet hätten, 
dass eine Hungersnot drohe. Was unsere Hoffnungen 
verdoppelte, war der Bericht, dass die Elefanten ihre 
gewohnte Vorsicht schon soweit vergässen, dass sie 
oft lange nach Tagesanbruch in den Lichtungen anzu- 
treffen seien. 

Maithia war hier in seiner Heimat, und jedesmal, 
wenn uns ein Eingeborener begegnete, gab es eine 
ausgiebige Begrüssung, die sich meist hinauszog, bis 
der Bekannte weit ausser normaler Hörweite zurück- 
geblieben war, denn wir konnten nicht ständig anhal- 
ten. Dabei erhielten wir einen Beweis für das erstaun- 
liche Gehör der Eingeborenen: Maithia, der an der 
Spitze marschierte, sprach vor sich hin als rede er 
mit sich selber, ohne die Stimme zu erheben oder auch 
nur den Kopf zu wenden, und bald kam die Antwort, 
für unsere Ohren ein gerade noch hörbarer Laut, für 
ihn offenbar wohlverständlich. Es wardeutlich zu sehen, 
er war hier eine bekannte und beliebte Persönlichkeit, 
und nun, da er den Weissen zur Abwehr gegen die 
Elefanten brachte, wurde er als Befreier begrüsst. 

Es kam uns sehr zustatten, dass uns die Eingeborenen 
willkommen hiessen, denn ohne ihren guten Willen 
hätten wir unsere Pläne nicht ausführen können. Wir 
sollten in einem Punkt auf ihre Hilfe angewiesen sein, 


* Felder, Pflanzungen 


82 


der vorerst durchaus unwahrscheinlich schien. Zu un- 
serer Linken wareine Bergkette; rechts von uns senkte 
sich das Gelände gegen die bewaldete Ebene hin. Wir 
befanden uns auf einer Stufe dazwischen, einem ziem- 
lich hügeligen und zerrissenen Plateau, von Hunderten 
von Rinnen durchzogen, die während der Regenzeit 
wilde Sturzbäche sein mussten. Die Gegend prangte 
in einem so saftigen Grün, und die Vegetation gedieh 
so üppig in einer feuchten Atmosphäre, dass wir an 
alles andere als an Wassermangel dachten, und doch 
gab es hier kein Wasser; der nächste Fluss war fast 
neun Meilen von hier entfernt. Noch unerklärlicher 
war es uns, dass die Eingeborenen so weitab vom Was- 
ser lebten. Lieber treiben sie aber ihr Vieh sechs Stun- 
den weit zum Fluss und wieder zurück, als dass sie 
ihre Pflanzungen im Stich liessen. 

Wir waren nun bei der Lieblings-Shamba der Ele- 
fanten angelangt, deren Besitzer so sehr darauf be- 
dacht waren, uns bei sich zu behalten, dass sie sich so- 
gar erboten, unsern Wasservorrat täglich zu erneuern. 
Im Windschatten eines Hügels fanden wir einen ge- 
schützten Lagerplatz, doch als wir sahen, dass der Ort 
eine Tabakpflanzung war, wollten wir gerade eine an- 
dere Stelle suchen, als der Dorfhäuptling mit einer 
grossartigen Handbewegung seinen Frauen gebot, sie 
auszuroden. 

Man behandelte uns überhaupt wie die Fürsten, 
und wir erhielten hier, was wir uns schon lange ge- 
wünscht hatten, nämlich zwei Milchziegen. Noch nie 
hatte uns frische Milch so herrlich geschmeckt, nach- 
dem wir drei Monate lang nur Büchsenmilch genossen 
hatten. Unterdessen stiess der Herold fleissig ins Horn, 


83 


um die Bevölkerung aufzufordern, den Aufenthalt der 
Elefanten auszukundschaften. 

Am nächsten Morgen waren wir schon vor Sonnen- 
aufgang unterwegs, der abnehmende Mond leuchtete 
noch über uns, aber bald erhoben sich Nebel aus der 
Ebene und entzogen den Himmel und die Baumwipfel 
unseren Blicken. Wir bahnten uns einen Weg zwischen 
triefenden Büschen hindurch, die uns bis auf die Haut 
durchnässten. Das kümmerte uns aber wenig, waren 
wir doch voller Hoffnung, die Elefanten bald zu errei- 
chen. Die ganze Nacht hindurch hatten wir die Rufe 
von Eingeborenen gehört, die durch den Lärm die 
Elefanten aus den Pflanzungen fernzuhalten suchten. 

Doch mussten wir uns überzeugen, dass die Elefan- 
ten noch nicht so nahe waren, denn anstatt sich so laut- 
los wie möglich vorwärts zu bewegen, zogen unsere 
Führer ihre Erkundigungen von den Eingeborenen der 
Umgegend ein, indem sie sich mit ihnen auf halbe Kilo- 
meterlänge im Brüllton unterhielten. VielZeitging auch 
damit verloren, dass wir auf einen wichtigen Späher 
warteten, der den genauen Standort der Elefanten wis- 
sen sollte. Als er endlich kam, wusste er gar nichts, 
und unsere Leute schalten den Häuptling wütend einen 
«Mwongo» (Lügner). 

Endlich nahmen wir die Spur eines anscheinend 
starken Bullen auf. Es war in der Nähe einiger Bananen- 
stauden, die er ausgerissen und umhergestreut hatte. 
Grosse entwurzelte Bäume lagen überall auf seinerSpur, 
andere waren nur geknickt, als habe er ihnen im Vor- 
beigehen einen spielerischen Schlag versetzt. Wir konn- 
ten es kaum fassen, dass er in einer einzigen Nacht ein so 
gründliches Zerstörungswerk hatte vollbringen können. 


84 


Kongoni hielt die Spur gut, nachdem er sie einmal 
gefunden hatte. Sie führte die Pflanzung hinunter bis 
an deren Rand, den ein offener Hang vom eigentlichen 
Wald trennte. Hier hätten wir sie infolge eines Gras- 
feuers beinahe wieder verloren. Der Rauch, der von 
ihm aufstieg, hatte die Sonne zu einem rotglühenden 
Ball verdüstert, und als die Spur näher darauf zuführte, 
strömte ein heisser Aschenregen auf uns nieder. Jetzt 
sahen wir erst, dass die Spur mitten auf den prasselnden 
Feuerherd zuhielt. Schon glaubten wir, sie aufgeben zu 
müssen, als der Wind den Rauch für einen Augenblick 
verwehte. Es waren zwei Feuerherde und dazwischen 
eine schmale, noch nicht brennende Öffnung. Wir hol- 
ten tief Atem und stürzten hindurch, während der Rauch 
uns einschloss und zu ersticken drohte und die Glut 
unsere Kleider versengte. Doch wir kamen glücklich 
auf die andere Seite und konnten die Spur ohne Zeit- 
verlust wieder aufnehmen. Wir waren nun auf einem 
starkbegangenen Wechsel, einer richtigen Elefanten- 
Heerstrasse, die so ausgetreten war, dass wir ihr bis zum 
Waldrand im Laufschritt folgen konnten. 

Der plötzliche Unterschied zwischen dem blendenden 
Sonnenlicht und dem Dämmer des Waldes war so 
gross, dass wir zuerst wie in nächtlichem Dunkel tapp- 
ten. Doch als unsere Augen sich an das Dämmerlicht 
gewöhnt hatten, sahen wir, dass wir in einem herrli- 
chen Wald standen, dessen Geäst sich hoch über uns 
zu einem Dache wölbte. Nur hie und da stahl sich ein 
Sonnenstrahl hindurch, der einzelne Blätter in leuch- 
tend durchsichtigem Grün schimmern liess. Der Boden 
war völlig trocken, vergebens suchten wir nach An- 
zeichen der Fährte. Wir fanden nur einen Baum, der 


85 


hoch über uns tiefe Eindrücke zeigte, wo der Elefant 
seine Stosszähne aufgestützt hatte, um auszuruhen. In 
diesem kühlen Waldesinnern hätten wir stundenlang 
verweilen mögen, aber in einem Labyrinth von Schat- 
ten, ohne hilfreiche Fährte und bei stets wechselndem 
Wind nach Elefanten zu spüren, war völlig nutzlos. 
So traten wir, wenn auch ungern, hinaus ins alltägliche 
Sonnenlicht und gingen den Weg zurück, den wir ge- 
kommen waren. 

Neben dem Lager stand ein Baum, von dem aus man 
die Lichtung bis zum Waldrand herrlich überblickte, 
und wir verbrachten den Rest des Tages damit, von 
seinem Geäst aus nach den riesigen blaugrauen Ge- 
stalten zu spähen. 

Gegen Abend glaubte ich einmal bestimmt, einen 
Elefanten zu erkennen und holte den Feldstecher 
(Oberst L. hatte uns sein Glas geliehen), doch war es 
nur ein Klumpen abgestorbener Schlingpflanzen, der 
im Geäst eines Baumes hing. B. hatte das Glas noch 
darauf gerichtet, als ich weit draussen in der Ebene 
zwei dunkle Punkte bemerkte. War es möglich, dass 
dies Elefanten waren? Doch wenige Augenblicke spä- 
ter erkannte ich durch das Fernglas deutlich zwei der 
Dickhäuter, die sich dem Waldrand entlang bewegten; 
ab und zu leuchteten ihre weissen Stosszähne auf. 

In wenigen Sekunden waren wir unten und ergriffen 
die Büchse; auf das Zauberwort «Tembo» (Elefant) 
standen Kongoni, Brahimo und Maithia bereit, und 
wir rannten den Abhang hinunter. Auf unserm Eil- 
marsch durch das hohe Gras wurde ein starker Busch- 
bock vor uns flüchtig, und nach zwanzig Minuten ab- 
wechselnden Laufens und Gehens krochen wir einen 


86 


Hügel hinauf, von dessen Höhe wir die Elefanten beob- 
achten konnterr. ” 

Wir zählten zehn oder elf Stück, die sich langsam 
vorwärts bewegten. Sie rissen mit ihren Rüsseln Gras 
aus, spielten mit den Büscheln und schlugen dabei mit 
ihren mächtigen Lauschern, offenbar zum Zeitvertreib, 
bis es genügend dunkel war, um in die Pflanzungen 
einzudringen. Zuerst glaubten wir nur Kühe vor uns 
zu haben, dann erschien ein Bulle, doch er war nur 
klein, und einer seiner Stosszähne war abgebrochen. 
Kurz darauf tauchte ein zweiter, weit grösserer Bulle 
auf. Niedergeduckt berieten wir uns, ob wir die jetzt 
gebotene Gelegenheit nützen oder aber bis zum Tages- 
anbruch warten sollten, um sie auf ihrem Rückweg zu 
fassen, wenn sich vielleicht ein noch stärkerer Bulle 
bieten würde. Es war in erster Linie das rasch schwin- 
dende Tageslicht, das uns Bedenken machte, denn wäh- 
rend wir sie noch beobachteten, schienen die massigen 
Gestalten sich in Schatten aufzulösen und vor unsern 
Augen zu verschwinden. 

Doch B. entschloss sich zum Handeln, und wir 
pürschten uns durch die Senkung. Da hoben sich über 
uns die riesigen Umrisse eines Bullen gegen den Himmel 
ab. Ein Hirnschuss war für das schwindende Büchsen- 
licht zu unsicher; B. pürschte sich näher heran und 
setzte ihm eine Kugel aufs Blatt. Mir schien, es bedürfe 
zum mindesten einer Kanonenkugel, um den Koloss 
zu fällen, und der Schuss tönte so schwach wie der 
Knall eines Luftgewehrs. Der Elefant warf sich auf der 
Hinterhand herum, die Herde wurde schnell und ge- 
räuschlos in der Richtung des Waldes flüchtig, und der 
Bulle folgte nach. Während er sich umwandte, bot er 


87 


Gelegenheit zu einer zweiten Kugel, doch leider 
klemmte sich die Patrone im Magazin, wir verloren 
Zeit, und als wir ihm endlich nacheilten, war er in der 
Dämmerung verschwunden. Da standen wir nun ent- 
täuscht in der schweigenden Lichtung. 

«Er wird sterben », sagte Kongoni voll Überzeugung, 
und da ein Elefant mit einer Kugel im Herzen manch- 
mal dreihundert Meter weit kommt, bevor er zusam- 
menbricht, stieg unsere Hoffnung. Eine Nachsuche 
war aber ausgeschlossen, bevor der Tag anbrach, und 
wenn er schon jetzt verendete, so würde das Abhäuten 
nach zehnstündigem Warten bedeutend erschwert. 

Doch leider ergab sich, dass uns seine Haut keine 
Sorgen machte, denn wir sollten sie nie zu Gesicht be- 
kommen. Am nächsten Tag fanden wir keine Spur von 
Schweiss am Anschuss, und auch der Wald gab nicht 
den geringsten Anhaltspunkt. 

Die nun folgenden Tage, an denen wir uns in der 
Morgendämmerung und bei Einbruch der Nacht auf 
den Anstand begaben, rieben uns völlig auf. Wir be- 
kamen Fieber und Erkältungen, und schliesslich wurde 
uns eines klar: Elefanten hin oder her, wir mussten 
fort von hier, und zwar so schnell wie möglich. Wir 
fühlten uns tatsächlich so elend, dass, wäre selbst der 
grösste Elefant neben dem Lager gestanden, wir auf 
ihn verzichtet hätten, denn wir hätten nicht mehr die 
Kraft besessen, seine Haut zu präparieren. 

Es war nicht das gewöhnliche Fieber, an dem wir 
litten; niemand konnte etwas essen, und wir alle hatten 
Brechanfälle. Das Wasser trug die Schuld an unserm 
Zustand. Um auf dem langen Transport in Kesseln 
ein Ausschütten zu verhindern, hatten die Eingebore- 


nen Bananenblätter darüber gedeckt; vielleicht trugen 
diese nicht-mehr ganz frischen Blätter die Schuld an 
dem verdorbenen Wasser. Den wahren Grund entdeck- 
ten wir erst auf dem Rückweg, als wir an den Fluss 
kamen. Da sahen wir denn, dass das Wasser gerade 
dem durch das Vieh verunreinigten Tränkplatz ent- 
nommen war, statt oberhalb desselben. 

Der eine abgefeuerte Schuss hatte die Elefanten für 
den Augenblick aus den Shambas verjagt; darüber 
hinaus war aber der Jagdzug des weissen Mannes nicht 
gerade ruhmreich gewesen. Er wog dies damit auf, 
dass er für den Transport seiner Trägerlasten aus dem 
Distrikt eine fast unberechenbare Zahl von «Centies» 
versprach. 

Ein Bote wurde nach Maua vorausgeschickt, um die 
Maultiere zu holen, die wir mit Ungeduld als Retter 
in der Not erwarteten. Doch der Pferdeboy brachte 
nur Grayface und eine Botschaft des Ansiedlers, er 
habe sich Brownie geborgt und werde ihn uns später 
zustellen. 

Drei Tage später, als wir gerade einen Frühstücks- 
halt machten, hob Grayface, der friedlich gegrast 
hatte, plötzlich den Kopf und galoppierte den Weg 
hinunter. Doch diesmal war es nicht einer seiner ver- 
schrobenen Anfälle, wie wir zuerst vermuteten, denn 
ungefähr eine Meile weiter fanden wir ihn vergnügt 
seine Nüstern an denen Brownies reiben. Wir waren 
ungefähr zwanzig Meilen von Meru entfernt und be- 
fanden uns auf einem bedenklichen moralischen Tief- 
stand. Denn wir hatten Zeit genug gehabt, die Unüber- 
legtheit unseres Abstechers einzusehen, und jede Meile 
brachte uns dem Augenblick näher, an dem wir dies 


89 


vor andern eingestehen mussten. Aber in Meru er- 
warteten uns gute Nachrichten: Die Elefanten waren 
in den Wald zurückgewechselt. Ja, es hatte ihnen schon 
jemand einen Besuch abgestattet und einen 70-Pfünder 
erbeutet. Das war nur die erste Strafe, die wir für 
den Unglücks-Ausflug nach Maua erleiden mussten. 

Da in sechs Wochen infolge der Regenschauer die 
Strassen für schwere Lasten nicht mehr passierbar 
waren, beschlossen wir, auf der Stelle aufzubrechen. 

Ohne uns daher in Meru aufzuhalten, machten wir 
uns sofort auf den Weg nach dem Wald. Unterwegs 
rasteten wir bei einer Sägemühle, deren Besitzer — einer 
von ihnen war Berufsjäger — uns bereitwillig über die 
möglichen Standorte der Elefanten Auskunft gaben. 
Ein besonders glücklicher Umstand war es auch, dass 
sie Lastwagen-Transporte machten und versprachen, 
die Haut des Elefanten noch vor dem Einsetzen der 
Regenzeit sicher nach Nairobi zu schaffen. Das war 
eine wesentliche Erleichterung für uns. Die Transport- 
frage hatte uns weitaus die grösste Sorge gemacht, 
denn das einzige Transportmittel, mit dem wir bisher 
gerechnet hatten, war Motis Ochsenkarren (Moti war 
der indische Bazarbesitzer), ein Gefährt, das sicherlich 
sehr langsam war, ohne deswegen besonders zuver- 
lässig zu sein. 

Am nächsten Morgen befanden wir uns schon früh 
auf der Suche nach dem Gunga-Kratersee. Unser 
Führer war ein Ausbund von Dummheit, und der Koch 
stand ihm nicht nach; der eine verirrte sich, und der 
andere hatte vergessen, Wasser mitzunehmen. Es wurde 
Mittag, bevor wir den See fanden. Er ist entzückend 
gelegen, ein überraschender Anblick, wenn man ihn 


909 


nach mühseligem Erklimmen der kahlen Hänge zwi- 
schen den Felsen eingebettet unter sich sieht. 

Man blickt auf eine durchsichtige Wasserfläche hin- 
ab, blau wie Türkis, ungebrochen von der stillen Spie- 
gelung der Bäume, die weit unten zurückgeblieben 
sind. 

Die Elefanten kommen hier zur Tränke, und der 
Ort ist ein idealer Beobachtungsposten. Er liegt ober- 
halb der Baumgrenze, so dass man von hier aus den 
Weg des Wildes verfolgen kann, wenn es ins Freie 
tritt. 

Wir waren bald wieder unterwegs, doch konnten wir 
keinerlei Anzeichen von Elefanten bemerken, und als 
wir bei Sonnenuntergang zurückkehrten, fanden wir, 
dass unsere Boys alle Zeltpflöcke vollständig zersplit- 
tert hatten in ihrem Eifer, sie in den harten Lavaboden 
einzuschlagen. Der Wald konnteuns abermorgengenug 
neue Pflöcke liefern, ebenso auch eine solide Zelt- 
stange als Ersatz für die erste, die am Thiba im Gewitter 
zerbrochen war. Für diese Nacht behalfen wir uns, 
indem wir die Zeltleinen an Lavablöcken festbanden. 

Unsere Leute hatten auf dem Marsch am Morgen eine 
Spur gefunden, und am folgenden Tag ging es zurück 
in den Wald. Der Ort, den wir als Lagerplatz wählten, 
war zunächst eine mit wildem Gestrüpp überwucherte 
Lichtung, doch unsere Leute säuberten den Platz mit 
soviel Geschick, dass sie bis zum Abend einen unserer 
hübschesten Lagerplätze daraus gemacht hatten. Man 
trat gebückt durch einen niedrigen, von Büschen über- 
dachten Tunnel; richtete man sich auf, so stand man im 
Lager, das, eine kleine Welt für sich unter einem hohen 
Blätterdach, von einem mächtigen silbergrauen Baum- 


91 


stamm beherrscht war. Man konnte ein dutzend Mal 
auf dem Weg von Meru an der Biegung vorbeigehen, 
die um die Lichtung führt, und an dem Bach, der dort 
in einen Teich plätschert, ohne zu ahnen, dass dicht 
hinter der Blätterwand eine ganze Safari ihr Lager auf- 
geschlagen hatte. Das grüne Zelt war fast unsichtbar 
inmitten der Blätter, wir brannten nur kleine Feuer, 
verhielten uns so still wie Mäuse und blieben beinahe 
sogut versteckt wie die Elefanten selbst. 

Es war nun Mitte September geworden, und wir 
sollten schon bald nach dem Uaso Nyiro unterwegs 
sein. Diese Überlegung bestimmte uns, die Jagd mit 
der äussersten Energie aufzunehmen. Gegen Mittag 
kamen wir zu einem Sumpf inmitten des Waldes, der 
von einer felsenumsäumten Quelle gespeist wurde. 
Dann und wann wehte uns ein betäubender Aasgeruch 
entgegen, und eine halbe Meile weiter stiessen wir auf 
den verluderten Kadaver eines Elefanten. Seine Rippen 
ragten über der schwarzen Körperhöhle, und daneben 
war eine kribbelnde Masse von Maden, von der aus 
ein zischendes Geräusch mehrere Meter weit hörbar 
war. Nun besassen wir eine Erklärung dafür, warum 
wir hier keine frische Spur fanden, denn das genügte, 
um die Elefanten vom Wald fernzuhalten. 

Wir drangen weiter durch Gestrüpp und Nesseln vor, 
kletterten über gestürzte Bäume, und die Schatten 
begannen schon länger zu werden, doch immer noch 
hatten wir die Strasse nicht gefunden. Der Führer ging 
gerade in entgegengesetzter Richtung, davon waren 
wir überzeugt, und dazu waren wir nicht einmal 
untereinander einig, wo die Strasse liegen musste. Wir 
wussten zwar, dass wir sie zu unserer Rechten suchen 


92 


mussten, aber sie zieht sich in so vielfältigen Windun- 
gen dahin, dass wir keine Ahnung hatten, unter wel- 
chem Winkel wir auf sie zuhalten sollten. 

Es sah schon ganz so aus, als hätten wir uns verirrt, 
als wir plötzlich einen schmetternden Ton, halb wie 
Gewieher, halb wie Trompeten, vernahmen, der weit- 
hin durch den Wald hallte. Das konnte niemand anders 
gewesen sein als unser treuer Brownie. Indem wir in 
seiner Richtung vorwärtsstrebten, kamen wir bald auf 
die Strasse. Doch jetzt waren wir erst recht verwirrt, 
denn die Strasse lag rechts von uns statt links. Sie 
beschreibt hier eine grosse Schleife, und unser allzu 
hastiger Versuch, sie im rechten Winkel zu schneiden, 
hatte uns so weit nach rechts geführt, dass wir fast pa- 
rallel mit ihr zurückgegangen waren. Als wir Brownies 
Gewieher hörten, waren wir gerade im Begriff, auf 
knapp die Entfernung eines Steinwurfs am Lager vor- 
beizugehen. 

Gegen Abend postierten wir uns in der Nähe des 
kleinen Teiches oberhalb der Strasse, in der Erwartung, 
dass die Elefanten hier zur Tränke kämen. 

Die Sonne war untergegangen, und die verschieden- 
sten Vögel liessen ihren Lockruf erschallen. Dann und 
wann ertönte das seltsame Krächzen und Geschnatter 
der Hornraben, dessen synkopischer Rhythmus fast 
musikalisch ist. Die Buschkrähen riefen sich unter- 
einander, und ganz in der Nähe gurrten zwei Turtel- 
tauben. Aus der Ferne tönte das chromatische Decres- 
cendo eines Buschkuckucks, und das ganze Konzert 
war begleitet von dem monotonen metallischen «Tink- 
Tonk» des Kupferschmieds, das klingt, als ob zwei 
Hämmer auf einen Amboss schlügen. Bald verwischte 


93 


die fortschreitende Dunkelheit alles Gegenständliche, 
und wir konnten nur noch die hellen Stämme zweier 
Bäume vor uns schimmern sehen. Nun herrschte tiefes 
Schweigen. Auch wir verhielten uns regungslos und 
lauschten. B. hob die Büchse, doch es war schon zu 
dunkel, um Korn und Visier zu erkennen, und wir 
überlegten uns gerade, auf welchem Weg wir ins Lager 
zurückkehren sollten, als auf der andern Seite des 
Wassers etwas Weisses aus den Büschen ins Freie glitt. 
Welches Tier besass eine weisse Brust? Ich suchte die 
Frage vergebens zu beantworten, als B. mir zu- 
flüsterte: «Ein Elefant, sieh seine Stosszähne», und 
sich vorsichtig erhob. Ich bat: «Geh nicht zu nahe hin, 
es ist ja stockdunkel». Doch B. hatte seinen Entschluss 
gefasst: «Doch, ganz nahe, das ist die einzige Möglich- 
keit», und pürschte sich an das Ufer hinunter. 

Der Elefant, ein dunkler Schatten hinter den gebo- 
genen Stosszähnen, die wie zweiHalbmonde leuchteten, 
kam lautlos zum Wasser hinunter und begann seinen 
Durst zu löschen. Dann drehte er plötzlich um, be- 
gann die Böschung wieder zu erklimmen und ver- 
hoffte regungslos. 

Er, B. und ich und die ganze Welt ringsum waren 
in angestrengtem Lauschen erstarrt. Doch der Elefant 
kehrte wieder um und begab sich ganz in das Wasser 
hinein. Die Mondsichel, die hinter den Wolken er- 
schien, zeigte, dass er gerade dahin gewandt stand, wo 
ich B. vermutete. 

Trotzdem ich auf den Schuss gefasst war und in 
seiner Erwartung in die Dunkelheit blinzelte, zerriss 
er die Stille mit erschreckender Heftigkeit. Zwei wei- 
tere Schüsse folgten in kurzen Zwischenräumen, das 


94 


Mündungsfeuer blendete wie zwei Blitze, und dann 
stürzten Kongoni, Brahimo und ich zu B. hinüber. Er 
stand noch da, wo er gefeuert hatte, keine fünf Meter 
von der Stelle, wo der Elefant gewesen. 

Wir lauschten atemlos, hörten den Elefanten den 
Hang hinauf krachend durch die Büsche flüchten und 
dann einen dumpfen Ton, wie von einem Fall. 

Es folgte absolute Stille, bis zu unsern Füssen die 
Frösche zu quaken begannen, dann leise, und wie in 
weiter Entfernung ein Brechen von Zweigen. 

Nun konnten wir nicht länger warten, vorsichtig 
überquerten wir den Bach und tasteten uns durch die 
Büsche den Hang hinauf. Ich fühlte etwas Nasses auf 
meiner Hand, und als ich sie gegen das Mondlicht hielt, 
sah ich einen dunklen Fleck darauf. Alle Zweige, an 
die wir streiften, waren klebrig von Blut. Wir war- 
teten, lauschten mit klopfenden Pulsen, dann schlichen 
wir wieder ein paar Schritte weiter und kamen schliess- 
lich bis zu einem der hellen Baumstämme. Kongoni, 
der zuvorderst ging, hielt an und streckte seinen Arm 
aus: dort, im Schatten, leuchtete etwas Weisses. Wir 
näherten uns vorsichtig und konnten die Stosszähne 
des Elefanten erkennen und dann seine dunkle, massige 
Gestalt, gegen einen Baum gelehnt. 

Brahimo trat leise näher und warf einen Ast danach, 
aber diese Vorsicht war nicht mehr nötig; der Elefant 
war schon verendet. 

Nun war es endlich zur Strecke gebracht, das stolze 
Wild, das wir wachend und in unsern Träumen alle 
diese Wochen hindurch gejagt hatten. Ungläubig stau- 
nend standen wir vor ihm und zweifelten, ob wir nicht 
träumten. Doch er war greifbar vor uns, seine wie 


95 


ein mächtiger Granitblock gewölbte Stirn, die riesigen, 
friedlich gegen die Schultern zurückgelegten Lauscher, 
und um seinen rauhen, noch warmen Rüssel hing ein 
Duft, der an Brombeeren erinnerte. So verloren und 
zusammengeschrumpft lehnte er da, dass ich ihn hätte 
liebkosen mögen, und auch B. war von einer geheimen 
Reue erfüllt. 

B. besah ihn mit kritischen Augen und schätzte seine 
Zähne auf kaum 30 Pfund. Immerhin war es ein aus- 
gewachsener Elefant, und wenn wir nur seine Haut 
retteten, so war dies alles, was wir uns wünschen konn- 
ten. Dazu durften wir aber keinen Augenblick verlieren. 
Unser Rufen wurde vom Lager aus sofort beantwortet, 
und einige Minuten später kamen alle Träger mit Sei- 
len und Laternen herbei, und wir machten uns an die 
Arbeit. 


96 


I 


ar au 


Im Wald von Meru 


Wir konnten keine günstigere Zeit für die Erlegung 
des Elefanten ausgesucht haben als den Einbruch der 
Nacht. 

Die Schwierigkeit bestand nämlich nicht nur in der 
sehr schweren Arbeit des Abbalgens, sondern haupt- 
sächlich darin, dass dies so rasch wie möglich geschah; 
wenn man das Konservierungsmittel nicht fast augen- 
blicklich in die Haut rieb, verdarb sie unweigerlich. 
Je grösser die Hitze, desto weniger Zeit darf man ver- 
lieren. Wenn Hitze und Fliegen am ärgsten waren, 
konnte eine Antilopendecke sogar anfangen zu riechen, 
bevor sie fertig abgestreift war. Nun aber hatten wir die 
ganze Nacht vor uns, und da wir der Sonne um eine 
Marschroute voraus waren, war es ein herrliches Be- 
ginnen. 

Die Lage, in der sich der Kadaver befand, war übri- 
gens denkbar ungünstig. Auf einer Seite an einen 
Baum gelehnt und auf der andern gegen die Böschung, 
bot er nur zwei Möglichkeiten: entweder mussten wir 
ihn ein Stück bergauf schleppen oder aber den Baum 
fällen, und es schien wirklich, als ob wir ohne Kran 
und Flaschenzug nicht viel ausrichten könnten. Mit 
zwei kräftigen Stangen als Hebel und dreissig Mann an 
den Stricken begann das Seilziehen. Ein rhythmischer 
Gesang machte uns im Takt arbeiten. Doch, obwohl 
wir auch unser vereintes Gewicht in die Seile legten 


97 


und hin und her zerrten, bis der Boden unter uns nach- 
gab, die tote, unbewegliche Masse zog uns zurück. Sie 
gab so wenig nach, als wäre sie ein Felsen, den wir 
vom Berg loszureissen trachteten. 

Nach vielen Anstrengungen vermochten wir ihn in 
eine Rückenlage zu bringen, indem wir den Boden 
abgruben und ihn mit Hilfe von Hebeln wendeten. 

Dann kletterte B. auf ihn und machte die Einschnitte, 
eine mühsame Arbeit, da die dicke lederne Decke von 
der Spitze des Rüssels bis an das Schweifende aufge- 
schnitten werden musste, und dann auf der Innenseite 
eines jeden Laufes im rechten Winkel bis zum Haupt- 
schnitte in der Mitte. 

Vor allem wollten wir die Haut in einem Stück los- 
lösen, und dies gelang uns auch, ohne einen überflüs- 
sigen Schnitt zu machen, obwohl die Vorderläufe schon 
in kniender Stellung völlig steif geworden waren. 

Das Abhäuten in so grossem Maßstab erforderte 
keine besondere Sorgfalt, denn die lederige Haut war 
so dick, dass man sie kaum durch versehentliche 
Schnitte beschädigen konnte, und das Licht der Sturm- 
laternen genügte für die Arbeit. Nur der Rüssel mit 
seinen zahllosen Muskelansätzen in seiner ganzen Länge 
und seiner sehr zarten Haut bot grosse Schwierigkei- 
ten. Auch der Kopf, besonders die Partien des Maules, 
gaben mühsame Arbeit, und wir mussten die Kiefer 
mit Keilen auseinandertreiben. Stunde um Stunde zer- 
rann bei der Arbeit, und langsam löste sich die gerollte 
Haut von dem riesigen Körper. 

So eifrig waren wir bei der Arbeit, dass keine Unter- 
haltung aufkam; nur dann und wann ein kurzer Aus- 
ruf, ein paar Worte, sonst unterbrach kein Laut die 


98 


nächtliche Stille als das gleichmässige Abreissen der 
nachgiebigen Haut unter der Schneide und das Schlei- 
fen der Messer auf dem Wetzstein. 

Maua mit seinen Enttäuschungen und Entbehrungen 
schien nun einer andern Welt anzugehören. Unsere 
jetzige Arbeit, der wir uns trotz schmerzenden Fingern 
und steifem Rücken mit wahrem Vergnügen unterzo- 
gen, im frohen Bewusstsein, unsere Aufgabe gelöst 
zu haben, war doch etwas anderes als das stets erfolg- 
lose Pürschen bis zur völligen Erschöpfung von damals. 

Es mochte gegen fünf Uhr morgens gewesen sein, 
als wir die Haut endlich abgelöst hatten, denn als wir 
in das Lager zurückgingen, um noch zwei Stunden 
Schlaf zu erhaschen, begann der Himmel schon sich 
über den Bäumen zu verfärben. 

Lange bevor die Sonne den Meridian erreichte, wurde 
die Haut im Triumph auf einem Traggeflecht aus Zwei- 
gen in das Lager gebracht. Man sah es diesen Leuten, 
die unter der Last daherschwankten und sich vor Be- 
geisterung heiser schrieen, nicht an, dass sie sich die 
ganze Nacht hindurch wie Sklaven abgerackert hatten. 

Wenn die Arbeit getan ist, dann vergisst man leicht, 
welchen Anteil die Leute daran hatten. Doch hätten 
sie nicht ihr Bestes hergegeben und nicht bis auf den 
letzten Mann Hand angelegt, der Koch und unsere 
persönlichen Boys inbegriffen, wären sie nicht mit 
dem gleichen Eifer bei der Sache gewesen wie wir 
selbst, dann wäre die Haut des Elefanten nie nach 
Europa gekommen. 

Mit dem Abhäuten war es aber noch lange nicht 
getan; das war sozusagen nur die Einleitung gewesen. 
Ausser dem Herauspräparieren der Fussknochen und 


99 


Knorpel, dem Wenden der Ohren und dem Säubern 
des Rüssels musste die ganze fast überall zolldicke Haut 
dünngeschabt werden. Das bedeutete eine zweitägige 
harte Arbeit für B. und acht geübte Leute. 

Man hatte uns für das Wenden der Ohren einen 
nützlichen Wink gegeben. Ihr riesiger Umfang machte 
es unmöglich, einfach das Innere nach aussen zu kehren, 
und doch mussten die beiden Oberflächen irgendwie 
getrennt und von der dazwischenliegenden Knorpel- 
schicht befreit werden. Statt nun den Rand der Ohren 
vom Ansatz aus ringsum zu spalten, ist die einfachere 
Methode die, über die ganze Aussenseite einen kreuz- 
weisen Schnitt zu ziehen. Man hat dann vom Mittel- 
punkt des Kreuzes aus vier getrennte Hautlappen, die 
man bis zu einem Zoll vom äussern Umfang des Ohres 
zurücklegen kann. 

Doch wiederum war es der Rüssel, der die gröss- 
ten Schwierigkeiten bot. Vom Abstreifen abgeschen 
musste B. sechzehn Stunden darauf verwenden. Jede 
seiner Runzeln — und deren gibt es einige Hunderte — 
entspricht einem Muskelwulst, so dass die sonst geübte 
Methode, das Fleisch glatt von der Hautfläche abzu- 
schaben, hier versagte. Alle diese kleinen Gruben wären 
sonst mit Resten des Muskelfleisches ausgefüllt geblie- 
ben und hätten bald genug Fäulnis hervorgerufen. Das 
Ausschaben dieser Vertiefungen ist eine wahre Ge- 
duldsprobe, eine äusserst subtile Arbeit, die man mit 
der Spitze eines Federmessers und mit der grössten 
Vorsicht machen muss, denn die Epidermis ist hier so 
dünn wie Schlangenhaut. 

Nachdem einmal die ganze Haut präpariert und auf 
einem Gestell drei Fuss über dem Erdboden aufge- 


IOoo 


spannt war, glaubten wir uns ihretwegen weiterer Sor- 
gen so-ziemlich ledig. Doch so weit war es noch 
nicht, es kann einer Haut noch vieles zustossen, bis sie 
endlich im Museum untergebracht ist. 

Wir mussten täglich mehrere Stunden darauf verwen- 
den, die ganze Oberfläche genau nachzusehen, hier und 
dort dünner zu schaben und die Ränder zu strecken. 
Das Trocknen machte prächtige Fortschritte, doch dann 
fanden wir die Haut eines Morgens mit Tau getränkt 
und hätten sie beinahe dadurch verloren. Ein unglück- 
seliges Versehen trug die Schuld daran: Man hatte 
uns statt der bestellten Alaun- und Salpetermischung 
70 Pfund Arsenikseife geschickt. 

Dann aber folgte eine längere Periode so schönen 
Wetters, dass selbst die dickste Haut dabei trocknen 
konnte. Kalte Nächte folgten auf klare sonnige Tage, 
an denen ein steter trockener Wind durch den Wald 
blies, und als die kritischen Tage endlich einmal vor- 
bei waren, begann die Haut wie durch Zauber zu trock- 
nen. Der ganze Prozess fesselte uns fast zwei Wochen 
lang an ein und denselben Platz, aber es gab hier so 
viel Wild, dass wir auch für zwei Monate genügend 
zu tun gehabt hätten. 

Ich wurde dieser Pürschgänge durch den Wald nie- 
mals müde; selbst wenn man kein Wild antraf, konnte 
man doch üben, sich geräuschlos unter diesem Blätter- 
baldachin zu bewegen, zwischen den seltsamen Bäumen 
hindurch, in deren zerklüfteten Stämmen mit der 
knorrigen und doch wieder glatten Rinde, die wie mit 
einer Schicht von geschmolzenem Blei überzogen aus- 
sah, man sich leicht hätte verbergen können. Es war 
unendlich reizvoll, sich zwischen den Lianen hindurch- 


101 


zuwinden, die in armdicken Schlingen von den Ästen 
hingen und am Boden hinkrochen wie Schlangen. 

Man war in steter Spannung, denn die Schatten ge- 
wannen Leben, wo man es am wenigsten vermutete. 
Wenn man das Unterholz durchstreifte, ohne mehr zu 
erwarten als die winzige Dikdik-Antilope, konnte man 
unversehens mitten in eine Büffelherde hineinspazieren. 
Oder man suchte im Geäst der Bäume nach Colobus- 
Affen, wenn das Knacken eines Zweiges und ein vorbei- 
flitzender rostroter Schatten verriet, dass man die un- 
wiederbringliche Gelegenheit für einen Harveys-Ducker 
verpasst hatte. Wir unternahmen manchen Pürschgang 
auf diese scheue Antilope, doch es gelang uns nur, ein 
einziges Stück zu erbeuten, eine Abnormität, ein ge- 
hörntes Schmaltier. Auch Buschböcke gab es hier, und 
wir stiessen immer wieder auf Elefantenspuren. 

Als uns die Verfolgung eines Buschschweins ein- 
mal auf eine Lichtung führte, sahen wir an einem 
gegenüberliegenden Hang eine rote Staubwolke. Als 
sie sich verzog, stand dort ein Elefant, der ein Staubbad 
nahm. Er blies den Staub erst hinter das eine, dann 
hinter das andere Ohr, blieb noch eine Weile stehen, 
ein Vorderbein wie zum Ausruhen nach vorn gestreckt, 
und verschwand darauf wieder im Wald. 

Neben unsern Pürschgängen besuchten wir regel- 
mässig bei Tagesanbruch den Kadaver des Elefanten; 
am ersten Morgen sahen wir zwei Leoparden, die den 
Hang hinauf flüchtig wurden. Das Aas des Elefanten 
ist einer der besten Köder, ausserdem waren die Nächte 
jetzt mondhell. Bei einem gut getarnten Ansitz konn- 
ten wir mit Bestimmtheit damit rechnen, einen Leo- 
parden zu erlegen, wenn nichts dazwischenkam. 


102 


Was dann dazwischenkam, war nur geringfügig, 
aber es genügte-durchaus, um Menschen, Tiere, ja 
borener — die Boys schworen, dass es keiner unserer 
Leute gewesen — hatte auf einem Baum ganz in der 
Nähe ein Bienenvolk ausgeräuchert, um an den Honig 
zu gelangen, und nun umschwärmte eine Wolke ge- 
reizter Bienen den Kadaver, um jeden, der sich näherte, 
zu überfallen. Menschen und Tieren war aus diesem 
oder jenem Grunde daran gelegen, an den Kadaver 
heranzukommen, doch die Bienen verteidigten ihn wie 
eine Festung. 

So verloren wir eine gute Gelegenheit, und als der 
Ansitz endlich errichtet war, hatten die Leoparden ent- 
weder die unliebsame Bekanntschaft der Bienen ge- 
macht, oder die Verwesung des Kadavers war schon 
so weit fortgeschritten, dass er sie nicht mehr interes- 
sierte; jedenfalls liessen sie sich nicht mehr in der Nähe 
blicken. 

Er lockte nur noch eine Hyäne, die B. eines Morgens 
erlegte, ein grosses Exemplar der gemeinen gefleckten 
Varietät, mit vor Alter abgenutztem Gebiss. Unweit 
davon trafen wir im Wald auf eine zweite Hyäne. Von 
einer Kugel getroffen, flüchtete sie in ein Gestrüpp, 
wo wir sie stellten; fauchend grub sie ihre Fänge in die 
eigenen Vorderläufe, ein widerwärtiger Anblick. B. er- 
ledigte sie sogleich mit einem Fangschuss. Im Vergleich 
zur ersten war sie nur klein, und da auch die Haut der 
Vorderläufe durch ihre Bisse stark beschädigt war, 
wollte B. sie liegenlassen; ihr Fell war es nicht wert, 
dass wir uns ein zweites Mal dem unbeschreiblich ekel- 
haften Gestank aussetzten. Ich aber hätte es schade 


103 


gefunden, das Fell zu verlieren, denn wir hatten so lange 
vergeblich Hyänen zu erlegen versucht, und nun wür- 
den wir gerade ein Paar haben. Darum bat ich B., mich 
zurückzulassen, damit ich mich an ihr im Ausbalgen 
versuchen könne. Es war für mich ein grosser Augen- 
blick, denn noch nie vorher hatte ich die Hauptschnitte 
gemacht. Bald war ich so sehr bei der Sache, dass ich 
mich um den Gestank nicht mehr bekümmerte. Das 
Messer unter der Haut einzusetzen und die Schneide 
in einem saubern, glatten Schnitt der ganzen Länge 
nach zu führen, war bedeutend schwieriger, als es aus- 
sah, und ich machte alle Fehler eines Anfängers; der 
Mittelschnitt war ziemlich gezackt, und die Schnitte 
an der Innenfläche der Läufe trafen sich nicht auf glei- 
cher Höhe. Ich war noch mitten in der Arbeit, als B. 
wieder zurückkam; er hatte sich Sorge um mich ge- 
macht, weil ich unbewaffnet zurückgeblieben war. Ich 
war enttäuscht, denn ich hatte mich darauf gefreut, 
die Haut allein abzustreifen und damit einen trium- 
phierenden Einzug ins Lager zu halten; aber es war 
vernünftiger so, und während Maithia die angefangene 
Arbeit vollendete, setzten wir unsern Pürschgang fort. 

Heute hatten wir Glück; wir waren noch nicht weit 
gekommen, als B. einen Colobus-Affen schoss. Er 
sauste aus den sechzig Fuss hohen Ästen herab und 
fiel mit einem dumpfen Aufschlag gerade zwischen uns 
zur Erde. Nachdem wir ihn seines schönen Felles ent- 
ledigt, kehrten wir um, ausgehungert aber zufrieden 
mit unsern drei neuen Trophäen. 

Am nächsten Tag vervollständigte B. die Dikdik- 
Gruppe, und da die Elefantenhaut hart und trocken war 
wie Wellblech, wurde es Zeit, dass wir weiterkamen. 


104 


Jeden Abend wurde sie einige Stunden lang zu- 
sammengelegt;-so dass sie leicht die richtigen Falten 
annahm, und indem wir sie nochmals mit Hilfe von 
Seilen und einem Dutzend Boys fest verschnürten, 
brachten wir die Haut in die Form eines Paketes von 
5x6x 2 Fuss. Sie war zu gewaltig, um in einem der 
Leinwandsäcke Raum zu finden, doch nachdem wir 
sie in arsenikgetränkten Kattun und in eine äussere 
Hülle von Sacktuch eingenäht hatten, war sie gesichert 
gegen Ratten und Insekten und für die lange Reise 
wohlgeschützt. 

In frischem Zustand hatte es zwanzig Mann ge- 
braucht, um sie zu heben; jetzt konnten fünf Mann 
sie zur Strasse hinuntertragen, und mit einem Seufzer 
der Erleichterung sahen wir das Lastauto mit ihr hin- 
ter einer Biegung verschwinden. 

Abschiedsstimmung lag in der Luft, und das Lager 
begann schon verlassen auszusehen: die Plattform leer, 
vor dem Zelt ein fadendünner Rauch, der sich langsam 
im Geäst verlor, ein Bild, das sich in unsere Erinnerung 
eingrub. Nie wieder würde es hier sein wie heute. Unter 
solchen Gedanken beschlossen wir, am folgenden Mor- 
gen noch einen letzten Pürschgang zu machen. 

In Meru erwartete uns ein ausgefüllter Tag mit all 
den Anordnungen für den Transport, den Vorberei- 
tungen für die Expedition nach dem Uaso-Nyiro, dem 
Ankauf von weitern Packeseln und Posho sowie mit 
der Ergänzung unserer eigenen Vorräte. Die zweite 
Sendung, die Moti schon vor sechs Wochen von Nai- 
robi hätte bringen sollen, war noch immer nicht da; 
Moti entschuldigte sich damit, dass die Kisten für 
Trägerlasten zu schwer gewesen seien, weshalb er sie 


105 


in Thika zurückgelassen habe. Bis Mitte Oktober 
hätten wir sie dann gewiss, und so lange reichte unser 
Vorrat an Büchsenkonserven, wovon wir wenig ge- 
braucht hatten. Der hilfsbereite Bezirks-Amtmann 
hatte uns nämlich mit frischem Gemüse und Früchten 
verschwenderisch versorgt, während wir im Wald von 
Meru kampierten. 

Vor uns lag ein weiter Weg, grösstenteils durch 
Wüstenland, und um sicher zu sein, dass wir- unsere 
Vorräte auch wirklich erhielten, zahlten wir Moti zwei 
Trägerlöhne für jede Kiste von Thika aus voraus. Der 
Bezirks-Amtmann half uns noch bei der Anwerbung 
von zwölf Trägern. Unsere eigenen Träger aus Nai- 
robi hielt er für eine zweifelhafte Gesellschaft. Auch 
wir hatten noch so geurteilt während der Tage am 
Oberlauf des Tana; doch jetzt hätten wir sie gegen 
keine andern Träger in ganz Afrika getauscht. 

Wir beschlossen frühzeitig aufzubrechen und ver- 
liessen das Lager im Schein unserer Handlaterne. Es 
war noch stockfinstere Nacht, und eine unmittelbar 
vor uns flüchtig werdende Büffelherde veranlasste uns, 
ein Feuer anzuzünden und den Anbruch des Tages 
abzuwarten. 

Als sich endlich der Himmel violett verfärbte und 
die Sterne einer nach dem andern verblichen, brachen 
wir auf und überquerten die Ebene zwischen dem Wald 
und den Bergen. Gerade vor uns ragte der Kenya 
empor, fast durchsichtig schimmernd im Dämmerlicht; 
seine Schneefelder lagen wie zartrosa Blumenblätter 
unter dem Gipfel. Im Osten entfachte sich die Glut 
bald zu leuchtender Flamme, und feurige Strahlen 
schossen über das Firmament. Noch einmal stiessen wir 


106 


auf drei Büffel, die ihre Häupter hoben und nach uns 
äugten, drei dunkle Silhouetten gegen den Himmel, 
bis sie sich plötzlich herumwarfen und polternd gegen 
den Wald hin flüchtig wurden. 

Hinter dem Wald, die Jombeni-Kette zur Rechten 
und die Hügel von Siolo zur Linken, erstreckte sich 
die Ebene bis zu Archer’s Post, den Chanler-Fällen, 
Merty und, weiter über den sichtbaren Horizont hin- 
aus, zu den Lorian-Sümpfen. Lauter Namen, die unsere 
Phantasie beschäftigten. Bis jetzt waren es zwar nur 
Worte, die wir immer wiederholten. Indem wir diese 
Orientierungspunkte, die uns Kongoni in weiter Ferne 
zeigte, zu erkennen versuchten, hatten wir uns inner- 
lich schon vom Meru-Wald losgesagt und marschierten 
wieder neuen Zielen entgegen. 


107 


Die Siolo- Ebene 


An der Strasse nach Siolo befindet sich ein Maji- 
Chumbe — eine Salzwasserstelle. Inmitten einer aus- 
gedehnten Öde von braungetrocknetem Gras und ver- 
dursteten Bäumen leuchtet dieser Fleck saftigen Grüns 
wie ein herrlicher Smaragd. 

Das Wasser ist spürbar salzhaltig — Seife schäumt 
darin nicht — doch wenn man es an der Stelle schöpft, 
wo es aus der Erde tritt, abkocht und filtriert, dann ist 
es durchaus geniessbar. Und da es das Wild von weit- 
her wie ein Magnet anzieht, kampierten wir dort wäh- 
rend zehn Tagen. 

Endlich unterwegs nach dem Uaso-Nyiro, hatten wir 
zwar kein sonderliches Verlangen, uns an der Strasse 
lange aufzuhalten, anderseits bot sich hier eine Gelegen- 
heit, die wir nicht vorübergehen lassen durften: wir 
mussten noch eine Giraffe erbeuten. Wenn wir sie hier 
erlegten, so konnte sie auf ebenso einfache Weise wie 
der Elefant mit dem Lastwagen an die Küste gebracht 
werden. 

Die Giraffe, besonders die «reficulata», ist ein herr- 
liches Wild, aber ihre Erlegung ein höchst unwaidmän- 
nisches Unterfangen; Giraffen sind hier so häufig und 
so vertraut, dass man leicht mit dem Auto auf Schuss- 
weite herankommt. So sagte man uns wenigstens in 
Meru, und es tat uns aufrichtig leid, dass wir eines der 
schönen Geschöpfe abschiessen mussten. 


108 


Doch beim Waidwerk lässt sich nichts vorausbe- 
rechnen, und als-wir zu dem Maji-Chumbe kamen, 
war weit und breit keine Giraffe zu sehen. 

Jeden Morgen, wenn wir uns in aller Frühe zu 
anstrengendem Pürschgang aufmachten, warf derMond 
noch unsere Schatten auf die Erde, bis er allmählich 
im Morgenlicht verblich. In dieser Beleuchtung ge- 
mahnte die weite Ebene von Siolo mit den steinigen, 
kegelförmigen Hügeln und dem pfeifenden Wind be- 
reits an die Wüste, und Maithia, der wie ein Araber 
in seine Decke gehüllt voranschritt, verstärkte noch 
diesen Eindruck. Doch mit ihrem plötzlichen, blen- 
denden Aufgang hob die Sonne die Erde aus den 
freudlosen Nebeln, übergoss sie von neuem mit strah- 
lender Pracht. 

So bekamen wir, gerade als die Sonne aufgegangen 
war, ein Rudel Giraffen zu Gesicht. Sie ästen zwischen 
einigen Akazienbäumen, und es war nicht schwer, sich 
ihnen zu nähern. Sie waren durchaus nicht misstrauisch, 
der Wind blieb günstig, und wir hatten genügend Zeit, 
in dem Rudel von etwa zwanzig Stück den stärksten 
Bullen auszulesen. Ein wohlgezielter Schuss mit der 
416er Büchse konnte ihn sicherlich zur Strecke bringen; 
B. nahm den Bullen sorgfältig aufs Korn. Doch nichts 
erfolgte als ein Staubwölkchen, das vor seinen Hufen 
aufstob, wo die viel zu kurz gezielte Kugel einschlug. 
Augenblicklich machte die Herde kehrt und wurde mit 
dem ihr eigentümlichen, gleichförmigen Passgang 
flüchtig. Obgleich wir rannten, was unsere Lungen 
hergaben, um sie in Sehweite zu behalten, waren sie 
bald zwischen der spärlichen Deckung verschwunden, 
als ob der Erdboden sie verschlungen habe. 


109 


Dann folgte eine Art von Versteckspiel zwischen 
dem Rudel und uns, denn jedes Mal, wenn wir an Boden 
gewannen, sagte uns ein gedämpfter und rasch sich 
verlierender Hufschlag, dass sie uns bemerkt hatten. 

Es war nicht der Wind, der uns immer wieder ver- 
riet; die Giraffen eräugten uns über die Gipfel der 
Bäume hinweg, lange bevor wir auf Schussweite heran- 
kamen. Wir mussten offenes Gelände passieren, dessen 
niedriges Buschwerk zwar vor anderem Wild als Dek- 
kung genügt hätte, nicht aber vor diesen lebenden 
Wachttürmen. 

Sie waren nun endgültig gewarnt und verliessen sich 
nicht allein auf ihre vorzüglichen Augen, sondern ver- 
suchten auch, uns unter den Wind zu bekommen, in- 
dem sie einen weiten Bogen schlugen. Als B. diese 
Absicht durchschaute, rannte er vorwärts, um ihnen 
zuvorzukommen und den Weg abzuschneiden. Bald 
blieb ich ganz zurück und verlor die Jagd schliesslich 
aus den Augen. Maithia war mit mir zurückgeblieben; 
ich schickte ihn voraus, damit er mit der Jagd in Ver- 
bindung bleibe oder wenigstens beobachte, welche 
Richtung sie nahm, und warf mich selbst in den 
Schatten. 

Maithia war schon einige Zeit gegangen, doch so 
sehr ich lauschte, kein Ton drang bis zu mir. Ein 
Warzenschwein trottete dicht neben mir aus dem Ge- 
büsch und begann in der Asche zu wühlen. Ich sass 
ruhig da und beobachtete sein Tun, als Maithia auf der 
Anhöhe erschien und aufgeregt winkte. Icheilte ihm ent- 
gegen. Er konnte kaum sprechen vor Erregung und war 
völlig ausserstande, sich über eine Reihe von Schnalz- 
lauten und wilden Freudenschreien hinaus verständlich 


1IOo 


zu machen. Nur langsam und stückweise konnte ich 
aus ihm herausbringen, dass B. die Giraffe erlegt hatte. 

B. war parallel mit der Herde vorwärts gerannt, 
mehr in der Absicht, sich unter dem Wind zu halten, 
als sie zu überholen, und es war eigentlich ein noch 
sehr kleines Giraffenjunges, das die Jagd zu seinen 
Gunsten entschied. Es konnte nicht mit den übrigen 
Schritt halten, und der alte Bulle blieb immer wieder 
zurück, um es zu erwarten und vorwärts zu treiben. 
B. feuerte, ohne irgendein: Resultat. Er hatte die Ent- 
fernung schon wieder falsch eingeschätzt, und dazu 
kam, dass die Giraffen, die so hoch über dem Erdboden 
standen, viei näher schienen. Erst als B. das 500-Meter- 
Visier benützte, erreichte die Kugel ihr Ziel. 

Das Rudel setzte die Flucht fort, das Kalb, so gut es 
konnte, allein hinterher, denn der Bulle war zusammen- 
gebrochen. Halbaufgerichtet auf den Vorderknien 
schwenkte er den langgestreckten Hals hin und her 
und schlug einige Male so gewaltig mit den Hinter- 
läufen aus, dass es durch die Luft zischte. Er war am 
Verenden, doch Kongoni warnte B. davor, zu nahe zu 
gehen. Man konnte sich kaum denken, dass ein so sanf- 
tes Geschöpf gefährlich werden könnte, doch die Wucht, 
mit der es seinen Hals schwenkt, genügt, um tödliche 
Schläge auszuteilen. Kongoni versicherte, es sei wohl- 
bekannt, dass eine Giraffe sich auf diese Art verteidige. 

Trotzdem es das stärkste Stück des Rudels war, 
zweifelte B. anfänglich, ob es nicht doch ein weibliches 
Tier sei, da es sich so sehr des Kalbes angenommen 
hatte. Aber es war ein kapitaler Bulle, ein altes Exem- 
plar, das in seiner ganzen Höhe etwas über ı8 Fuss 
(ca. 6 m) mass. 


III 


Im Tod verliert der Löwe seine Wildheit, und der 
Büffel sieht harmlos aus. Selbst der Elefant verliert von 
seiner Grösse, doch die Giraffe war noch riesiger, als 
wir sie uns vorgestellt hatten und hatte noch im Tod 
nichts von ihrer Grazie eingebüsst. 

Die Jagd hatte in einer baumlosen Ebene ihr Ende 
gefunden, ungefähr zehn Meilen vom Lager entfernt, 
und Maithia schickte sogleich nach den Trägern. 

Die fünf Träger, die wie ich zurückgeblieben waren, 
holten uns bald ein, und da es hier weder Zweige noch 
Blätter gab, um unsere Beute vor der Mittagssonne zu 
schützen, machten wir uns ohne Aufschub daran, die 
Haut abzulösen. Sie ergab eine gewichtige Last, und 
der Weg führte durch schwieriges Gelände, so dass 
wir erst mit Einbruch der Nacht in Sicht der Lager- 
feuer kamen. 

Der Speisezettel für den nächsten Abend war: 

Giraffensuppe 
Giraffenzunge alles ausgezeichnet 
Giraffenschwanz 

Es war nur schade, dass sich das Fleisch nicht für 
später aufheben liess, denn nachdem wir zwei Tage 
lang an der Giraffe gearbeitet und ihren Geruch unaus- 
löschlich in der Nase hatten, empfanden wir einen 
gewissen Widerwillen davor, des Abends noch davon 
zu essen. Mit dem Rüssel des Elefanten war es uns 
ebenso ergangen: er war tagtäglich zum Essen erschie- 
nen, ein vorzüglicher Ersatz für kalte Zunge, bis 
B. sich energisch weigerte, immer wieder die beiden 
Nasenlöcher vor sich auf dem Teller zu haben. 

Das Präparieren der Giraffenhaut war, wenn auch 
in kleinerem Maßstab, gerade so schwierig wie das 


II2 


Präparieren der Elefantenhaut, ja, in mancher Hinsicht 
noch schwieriger. Beim Elefanten wussten wir von 
vornherein, dass uns eine gewaltige Arbeit bevorstand, 
man hatte uns ja prophezeit, dass wir sie niemals zu 
Ende führen könnten, und so waren wir auf unüber- 
windliche Schwierigkeiten gefasst. Aber niemand schien 
das Häuten einer Giraffe für besonders schwer zu hal- 
ten, und wir machten uns daher ziemlich sorglos an 
die Arbeit. Die Giraffenhaut ist indessen fast ebenso 
dick und viel zäher als die des Elefanten. Eine Elefan- 
tenhaut ist grobkörnig und runzlig, und dünngeschabt 
ist das Netzwerk ihrer Falten fast durchsichtig dünn; 
die Giraffenhaut bildet ein einheitliches Ganzes, fein- 
körnig und zäh wie Kautschuk. Keine andere Haut 
stumpfte die Messer schneller ab, und wir verwandten 
fast ebensoviel Zeit auf das Schärfen der Schneiden 
wie zum Schaben. Die Boys, die doch Meister darin 
waren, die Fussknochen aus den Schalen zu lösen, 
brauchten dazu einen ganzen Tag. Eine heikle Arbeit 
war auch das Entfernen der Haut von den Hörnern, 
heikler noch als das Präparieren des Elefantenrüssels. 
Es sah ganz leicht aus, bis man sich an die Arbeit 
machte. Dann zeigte sich erst, dass die Gehörnknochen 
mit kleinen Erhebungen bedeckt sind, an denen die 
Haut wie Pergament festklebt. Dazwischen sitzt kein 
Fleisch, so dass das Messer entweder einen dieser kleinen 
Knochenhügel trifft oder aber in die Haut schneidet. 

Während B. an den Hörnern arbeitete, präparierte 
ich Lippen, Nüstern und Lider, wobei ich manches 
über die Feinheiten des Muskelgefüges lernte. 

Dass ich am Kopf arbeiten durfte, bedeutete für mich 
einen grossen Fortschritt, und als B. am Abend meine 


113 


Leistung besah und sie als ein sauberes Stück Arbeit 
erklärte, fühlte ich mich im siebenten Himmel, denn es 
war mein grösster Ehrgeiz, mich gerade in dieser Arbeit 
zu bewähren. 

Überhaupt bezeichnete Maji-Chumbe für mich einen 
Abschnitt in unserer Reise, denn von nun an war ich 
ein nützliches Mitglied der Expedition. Wir begannen 
uns in die Arbeit zu teilen, deren es genug gab, um uns 
beide voll zu beschäftigen: B. jagte, und ich befasste 
mich im Lager mit den Trophäen. Nachdem ein Stück 
Wild erlegt war, brauchte B. sich um nichts weiter zu 
bekümmern. Sein Anteil an der Arbeit endete mit der 
Erlegung der Beute, die meine, wenn die Haut zu- 
gerichtet, getrocknet und verpackt war. 

War uns in Maua das Glück nicht hold gewesen, so 
zeigte es sich hier ganz besonders grosszügig, und noch 
vor Ablauf der zehn Tage unseres Hierseins war unsere 
Sammlung um ein Dutzend neuer Arten bereichert. 
Es waren Stücke darunter, die wir später schwerlich 
wieder treffen würden, wie das Kenya-Hartebeest, von 
dem nur mehr zwei Rudel in diesem Distrikt existieren 
sollen. Das Kenya-Hartebeest ist vielleicht eine Kreu- 
zung zwischen Coke und Lelwel jacksoni oder Neu- 
manns Hartebeest (Alrelaphus neumanni), und sein 
eigentlicher Aufenthalt liegt weiter nördlich an den 
Ufern des Rudolfsees. Sie schienen uns beträchtlich 
grösser als das gewöhnliche Cokes Hartebeest und auch 
schöner und leuchtender in Farbe und Zeichnung. B. 
hatte das seltene Glück, ein schönes Paar zu erbeuten. 

Es waren lange, ermüdende Tage, und oft war B. 
dankbar, dass er Brownie für den Rückweg hatte, 
wenn die Jagd ihn weit in die Steppe hinausführte. 


114 


Die beiden Maultiere waren mit der Zeit so unzer- 
trennliche Gefährten geworden, dass, wenn Brownie 
allein gebraucht wurde, Grayface ein so herzbrechen- 
des Geschrei ausstiess, dass das Wild im Umkreis 
einer Meile flüchtig wurde. Und darin erwies sich das 
Tier so unbelehrbar, und es war so geschickt, sich der 
Strafe zu entziehen, dass am Ende nichts übrig blieb, 
als Grayface jeweilen auch mitzunehmen. Wenn er 
allein zurückblieb, rührte er kein Futter an, er war nur 
zufrieden, wenn er mit einem Strick um den Hals dem 
Gefährten nachtraben durfte. 
Das Sammeln von Kleinwild ist immer sehr müh- 
sam, und B. freute sich darum besonders, als es ihm 
gelang, ein Paar der Klippspringer und ein Paar der 
Chanler’s Riedböcke zu erlegen. Für diese kleinen 
Antilopen war die 318er Büchse zu grosskalibrig, und 
ein Weichmantelgeschoss riss am Ausschuss die halbe 
Flanke weg, wodurch das Fell unbrauchbar wurde. 
Vollmantelgeschosse waren die einzigbrauchbareMuni- 
tion dafür. Sie erschwerte anderseits die Nachsuche be- 
trächtlich (Vollmantelgeschosse hinterlassen selten eine 
Schweißspur), und die scheuen, kleinen Steeneböcke 
entzogen sich allen Nachstellungen bis zuletzt, trotz- 
dem sie hier häufig waren und beständig in Sicht kamen. 
Immerhin gelang die Erbeutung eines Steenebockes, 
und bald darauf vermehrte sich unsere Sammlung um 
Exemplare der Elen-Antilope, Oryx, Grants-Gazelle, 
des Warzenschweins, weiter um drei Schakale und eine 
junge Löwin. 
Die Löwin erlegte B. im Frühansitz über einem ge- 
rissenen Stück Wild. Bevor sie erschien, versuchten 
aka nad ein paar Schakaleilasaersisrilänii 


115 


Es war aber so mit Ästen zugedeckt, dass die Hyänen 
sich nicht hindurchzwängen konnten, nur die kleinen 
Schakale schlüpften hinein. Die Hyänen erwarteten sie 
draussen, und jedesmal, wenn ein Schakal mit seinem 
Happen erschien, verjagten sie ihn und verschlangen 
seine Beute. Mochten sich die Hyänen den Schakalen 
weit überlegen fühlen, so war es doch keinen Moment 
zweifelhaft, wer hier Herr und Meister war, als die 
Löwin auftauchte. Trotzdem sie kaum halbwüchsig 
war, nahmen die Hyänen augenblicklich Reissaus. 

Bislang war das Wetter für die Konservierung der 
Häute ausnehmend günstig gewesen; ein stetiger heis- 
ser Wind trocknete sie aus wie ein Ofen. Doch nun 
brachte uns jeder Tag der Regenzeit näher. Die Wolken 
türmten sich täglich höher, es regnete des Nachts, 
und die Luft blieb den Tag über feucht und drückend. 
Jede Nacht brachten wir alle Häute im Zelt unter, so 
dass sie unsere Betten bis unter das Vordach drängten. 
Die Giraffenhaut machte sich zwar durch einen durch- 
dringenden Geruch bemerkbar, aber es war kein eigent- 
licher Fäulnisgeruch, und die Felle schienen sich soweit 
gut zu halten, bis B. eines Morgens feststellte, dass einer 
der Schakale zu faulen begann, dann die Grant-Gazelle 
und bald darauf die junge Löwin. 

Diese Entdeckung bestürzte uns sehr, denn hatte der 
Fäulnisprozess einmal begonnen, dann war mit Arsenik- 
seife nicht mehr zu helfen, und wir betrachteten die be- 
troffenen Häute schon als verloren. Es gab noch eine 
Rettung, wenn wir nur das richtige Konservierungs- 
mittel zur Hand hätten. Glücklicherweise traf am glei- 
chen Tag eine Sendung von dreissig Pfund aus Meru 
ein, Es war geradezu ein Genuss, das sauber trock- 


116 


nende Pulver zu benützen nach der mühsamen Arbeit 
mit der schmierigen Arsenikseife, die unsere aufge- 
sprungenen Finger ätzte und die Häute nur unvoll- 
kommen trocknete. Mit dem frischen Pulver hatten wir 
bis zum Abend die schon aufgegebenen Häute gerettet. 

Das Konservierungsmittel, das wir benutzten, schien 
niemandem bekannt, doch waren einige Leute, die wir 
trafen, von unsern Erfolgen davon so beeindruckt, 
dass auch sie es versuchen wollten. 

Bei günstiger Witterung ist Arsenik zwar völlig ge- 
nügend, auch hat es den Vorteil, dass es die Häute vor 
den Angriffen aller Arten Insekten schützt. Die meist- 
verwendeten Konservierungsmittel sind Alaun oder 
Salzlauge. Beide haben den Nachteil, dass die mit 
ihnen behandelte Haut selbst nach Jahren bei Witte- 
rungswechsel zu schwitzen beginnt, was bei ausge- 
stopften Stücken ein Reissen der Nähte verursacht. 
Man soll darum nur gebrannten Alaun verwenden. Das 
Rezept, das übrigens in einem Buch über 'Taxidermie 
von Brown, dem frühern Präparator des Museums zu 
Exeter, zu finden ist, ist einfach: drei Teile gebrannter 
Alaun, ein Teil Salpeter. Man kannnoch etwasKampher 
beimengen, doch die Hauptsache ist, dass die Mischung 
so fein als möglich zerstossen wird. 

Eines Morgens war ich gerade auf den Knien dabei, 
die Haut der Löwin mit dem Pulver einzureiben, als 
Mac, der in Siolo stationiert war und zum Frühstück 
herüber kam, hinzutrat. «Man sieht, Sie sind noch Neu- 
ling in diesem Land», bemerkte er, nachdem er mir eine 
Weile zugesehen, «sonst würden Sie einen Eingebore- 
nen für sich schwitzen lassen.» Umsonst wollte ich ihm 
begreiflich machen, dass ich selbst die Arbeit wahr- 


117 


scheinlich gewissenhafter ausführe als ein Neger; Mac 
liess sich nicht überzeugen. «Es ist ein Grundsatz», 
sagte er. «Sie sollten in einem Stuhl sitzen und aufpas- 
sen, dass ein Boy unter Ihrer Anleitung die Arbeit 
gründlich besorgt; was die Gründlichkeit betrifft, so 
sind seine Hände um mindestens die Hälfte härter als 
die Ihren, also würde er Ihr Pulver sicherlich besser 
einreiben, als Sie es können. » 

Ich dachte ziemlich beschämt über Mac’s Worte nach, 
als er gegangen war, und ihre Berechtigung leuchtete 
mir so sehr ein, dass ich mich wohl von nun an in den 
verachteten Stuhl gesetzt hätte, um von da aus meine Di- 
rektiven zu geben, hätte ich nicht eine fürchterliche Ent- 
deckung gemacht: dieGiraffenhautbegannzu verderben! 

Heute sollte sie vom Lastauto abgeholt werden; am 
vorhergehenden Abend hatten wir versucht, sie zu- 
sammenzufalten, aber sie war so steif gewesen, dass wir 
sie kaum biegen konnten. Wir liessen sie deshalb über 
Nacht im Freien, damit der Tau sie etwas erweiche. 
Das Wetter war wieder schön, die Haut fertig präpa- 
riert, und ein bisschen Tau konnte ihr nichts schaden. 
Zwischen drei und vier Uhr morgens weckte mich ein 
von der Vorsehung gesandter Schakal mit scharfem 
andauerndem Bellen, und gleichzeitig drang das mono- 
tone Trommeln von Regen an mein Ohr. Ich rannte 
hinaus, um nach der Haut zu sehen, fand sie schon 
ziemlich durchnässt und versuchte sie unter das Zelt 
zu ziehen. Doch wie sehr ich auch zerren und reissen 
mochte, sie rührte sich nicht. In einer Stunde musste 
B. aufstehen. Er hatte einen aufreibenden Tag hinter 
sich mit einer langen vergeblichen Pürsche aufChanler’s 
Riedbock, die er heute fortsetzen wollte,und ich mochte 


118 


ihn nicht wecken. Ich schleppte so leise wie möglich 
ein halbes Dutzend Kisten heran, stellte sie rings um 
die Haut und stahl mich in das Zelt, wo ich die Tren- 
nungswand losmachte, eine Zeltbahn, die gross genug 
war, um die ganze Haut zu decken. 

B. meinte zwar, dass der Regen keinen Schaden an- 
gerichtet habe, besonders da nun ein Wind einsetzte 
und der Tag versprach, das Trocknen zu begünstigen. 
Als ich die Haut aber genauer untersuchte, fand ich, 
dass nicht nur Teile am Kamm und um die Hufe weich 
geworden, sondern dass sie in ihrer ganzen Ausdeh- 
nung am Verderben war. Das Fell hing über den Ge- 
stellen wie ein phantastischer Teppich; die mahagoni- 
farbenen Flecken leuchteten seltsam zwischen dem 
unregelmässigen breiten Streifennetz hervor. Gestern 
noch gesichert und trocken, liess sich heute das Haar 
von der Haut wegwischen wie Moos von einer Mauer. 
Die einzige Möglichkeit, die Haut noch jetzt zu retten, 
bestand darin, einige Pfund des kostbaren Konservie- 
rungsmittels zu opfern, einen Teig anzurühren und 
beide Seiten damit zu bedecken. Es war nun beinahe 
zehn Uhr morgens, und das Lastauto sollte gegen drei 
Uhr eintreffen. Jede Sekunde bis dahin musste also 
damit ausgenützt werden, die Masse über die ganze 
Ausdehnung der Haut zu verstreichen und beständig 
an den Stellen zu erneuern, wo sie eintrocknete. Stun- 
den zerrannen bei dieser Beschäftigung. Ich verdiente 
es, dass die Sonne mit verzehnfachter Glut auf mich 
niederbrannte, und dass mich die Arbeit doppelt und 
dreifach erschöpfte, denn es war alles meine Schuld. 
B. war dagegen gewesen, dass die Haut dem Tau aus- 
gesetzt wurde. 


119 


Während meine Finger ununterbrochen die Masse in 
die Haut einrieben, hatte ich nur zwei Gedanken: wie 
sollte ich B. das Missgeschick gestehen, und die Hoff- 
nung, dass B. vor der Ankunft des Lastwagens zu- 
rückkam. Doch das Auto kam zuerst, und Mr. Y., der 
sich schon verspätet hatte, wollte sogleich abfahren. 
Was sollte ich tun? Das Lastauto kam nicht nochmals 
zurück, und die Haut in diesem Zustand fortzubringen, 
hatte keinen Zweck. 

Endlich kam auch B. Er war müde von langer Jagd, 
und ich hätte mit meinem Bericht gerne gewartet, bis 
er Zeit fand, sich ein wenig auszuruhen; doch als ich 
ihn kommen sah, konnte ich doch nicht anders, als ihm 
unumwunden gestehen, was geschehen war. Auch B. 
hatte einen Tag voll vergeblicher Mühe hinter sich; 
er sagte nur müde: «Je nun», als hätte es eben so sein 
müssen, und ich hätte vor Scham weinen mögen. 
Mr. Y., für den eine Giraffenhaut nicht mehr bedeu- 
tete als irgendein anderes Stück Fell, nahm nun doch 
soviel Anteil an unserm Kummer, dass er seine Eile, 
vor Dunkelheit fortzukommen, nicht mehr erwähnte, 
und wir gingen alle hin, die Haut anzusehen. B. be- 
klopfte sie, um zu untersuchen, wie weit sie getrock- 
net war, und fragte dann: «Was soll denn der Haut 
fehlen? sie ist ja tadellos.» Er hatte nicht gesehen, wie 
das Haar ausging, und um es ihm zu zeigen, zog ich 
an einem Büschel. Aber so sehr ich auch zog, ich 
konnte es nicht ausreissen. So unglaublich es schien, 
das Konservierungsmittel und der dreimal gesegnete 
Wind hatten die Haut in diesen wenigen Stunden ge- 
rettet. 


120 


Am nördlichen Uaso-Nyiro 


Wir wollten nun möglichst bald an den Uaso-Nyiro 
gelangen, so fand uns die aufgehende Sonne schon 
unterwegs in der Richtung unserer langen, blauen 
Schatten über die sandige Ebene. In der Ferne zeich- 
nete sich der Flusslauf durch eine Linie von Palmen ab. 

Seit vier Monaten hatte uns der Uaso-Nyiro als ein 
Eldorado vorgeschwebt, und es war ein grosser Au- 
genblick, als wir endlich durch sein schmutzigbraunes 
Wasser wateten. Wenn es auch bisher an Wild nicht 
gefehlt hatte, so waren wir nun in den «Gesegneten 
Jagdgründen » angelangt, und nach allem, was man uns 
erzählt hatte, standen uns grosse Dinge bevor. 

Wild aller Arten, zahlreicher als irgendwo sonst in 
Afrika, war stets in der Nähe zu finden, sogar die 
scheuen Büffel hielten sich nahe an den Fluss. 

Je weiter wir vordrangen, desto klarer erkannten 
wir den Grund dafür: das Wild hielt sich an die Nach- 
barschaft des Flusses, weil er durch eine Wüste loss — 
ein schmales, lebenspendendes Band inmitten einer 
toten Welt. 

Die Wüste rückte uns hier nahe auf den Leib. Das 
linke Flussufer war nur ein schmaler Streifen, begrenzt 
von einer unregelmässigen Hügelkette. Nördlich dieser 
Hügel und südlich des Uaso dehnt sich die wasserlose 
Einöde. Kein Wunder, dass das Wild sich nicht weit 
da hinein zerstreute. Wir hatten schon so lange keinen 


121 


Fluss mehr gesehen — unsere Jagdzüge hatten sich 
vom Maji-Chumbe bis hierher immer nur von Wasser- 
loch zu Wasserloch bewegt — dass uns nun die stete 
Nähe des Flusses ein beruhigendes Gefühl der Gebor- 
genheit gab. 

Meine Phantasie verfolgte den Lauf des Flusses hin- 
auf bis zu seiner Quelle unter dem Aequator, wo er 
aus einer Höhe von mehreren tausend Metern brausend 
herabstürzt, ein gletschergeborener Bergstrom, und 
abwärts bis an sein klägliches Ende, wo er, ungespeist 
von Zuflüssen, schwächer und schwächer wird, bis er 
irgendwo hinter den Lorian-Sümpfen, von der Wüste 
überwältigt, versandet. 

Wir wählten einen Dornbaum mit flacher, schattiger 
Krone als Lagerplatz und begaben uns dann an das 
Flussufer hinunter. Das Wasser war lauwarm und 
schlammig, aber nach dem Sonnenglast der kahlen 
Ebene war es ein unbeschreiblicher Genuss, im Schat- 
ten zu liegen und die Wellen vorüberziehen zu sehen, 
die Augen auf dem sattgrünen Gras ruhen zu lassen 
oder sie ganz zu schliessen und dem Plätschern der 
Strömung und dem einschläfernden Wispern der Pal- 
men über uns zu lauschen. 

Obgleich wir weite Strecken absuchten, sahen wir 
auffallend wenig Wild. Die Rinderpest hatte auch hier 
gewütet, und es schien, als ob selbst die Hyänen die 
Opfer dieser Plage verschmähten, denn überall fanden 
wir Kadaver von Vieh, manche schon halb im Sand 
vergraben, andere unberührt mit der eingeschrumpften 
Haut über den Knochen, und wieder andere, deren 
nackte Rippen nach oben starrten, ein trostloser An- 
blick in dieser sonnenglühenden Öde. 


122 


Das Vieh gehörte den Boran, einem sehr zutrau- 
lichen Nomadenstamm. Wir trafen einige ihrer Hirten, 
als sie die Herden zur Tränke trieben, und da sie auch 
Esel besassen, vereinbarten wir mit ihnen, dass sie 
unsere Vorräte an Posho bis Merty mitnahmen; wir 
ersparten so unsern eigenen Eseln einen doppelten Weg. 
Für dieses Abkommen mussten wir mit ungefähr 
zwanzig Häuptlingen eine Sitzung abhalten. Sie hock- 
ten um ein Feuer und zogen sich drei- oder viermal 
ausser Hörweite zurück, um’den Fall zu beraten, so dass 
es Mitternacht wurde, bis eine Einigung zustande kam. 
Die Poshofrage war damit in befriedigender Weise ge- 
löst. Nun machten uns nur unsere eigenen Vorräte 
Sorgen, von denen eine Sendung schon seit einem 
Monat fällig war. Als letzte Möglichkeit, sie noch zu 
bekommen, schickten wir Bokari den weiten Weg nach 
Meru zurück. 

Noch hatten wir keine Anzeichen von Löwen be- 
merkt, als an einem Nachmittag ein Träger in grosser 
Angst ins Lager zurückgelaufen kam und berichtete, 
er habe, als er zum Fischen an den Fluss gegangen sei, 
einen Löwen schlafend unter einem Baum angetroffen, 
und in seiner Eile hatte er beim Davonlaufen sein 
Messer verloren. Wir begaben uns sogleich zu dem be- 
sagten Baum, fanden aber weder den Löwen noch das 
Messer, so dass uns der Bericht des Trägers etwas zwei- 
felhaft erschien. Trotzdem legten wir einen Köder aus, 
und als wir uns am folgenden Morgen zwischen Lava- 
blöcken hindurch der Stelle vorsichtig näherten, über- 
raschten wir dort eine Rotte Hyänen, aber keinen Löwen. 

Der Rest des Tages verlief unter einer Reihe erfolg- 
loser Pürschen auf Oryx, die längste auf einen kapitalen 


123 


Bullen, der immer wieder hinter dem Rudel durch- 
wechselte. Sie endigte mit einem Fiasko: B. feuerte, 
und als er näherkam, um seine Beute zu. besichtigen, 
lag an Stelle des Bullen eine Kuh. 

Wir waren nun in der Nähe eines Sumpfes, den 
Kongoni als einen der besten Jagdgründe für Löwen 
und Büffel gepriesen hatte, aber obwohl wir die Gegend 
meilenweit absuchten, fanden wir nichts als einige sehr 
alte Spuren. Aber es war unsere eigene Schuld, und wir 
bereuten wieder einmal den verlorenen Monat in Maua. 
Nun waren wir nicht mehr die ersten am Platz, sondern 
wir zogen hinter einer Safari her, die nach Marsabit 
wollte, und die das Wild aus der Gegend vergrämt hatte. 

Der vergebliche Ansitz im Sumpf bot uns eine kleine 
Entschädigung dadurch, dass wir eine Herde der zier- 
lichen Grant-Gazellen auf wenige Schritt Entfernung 
an der Tränke beobachten konnten. Dreissig bis vierzig 
Strausse näherten sich ebenfalls. Wenn ihnen auch die 
Witterung versagt bleibt, so machen sie diesen Mangel 
mit ihrer Sehschärfe wett, sie eräugten uns auf eine 
geradezu unglaubliche Entfernung. Als wir sie noch 
beobachteten, trabte ein Schakal vorbei mit heraus- 
hängender Zunge und mit im Sonnenlicht zu Schlitzen 
zusammengekniffenen Augen. 

Der Rückweg führte uns an einem andern Sumpf 
vorbei, der weisslich und lehmig aussah und wie ein 
Zementsee roch, so dass wir den Plan fassten, das 
Jagen aufzugeben und eines schönen Tages hierher zu- 
rückzukommen, um mit seiner Ausbeutung ein Ver- 
mögen zu machen. 

Wir begannen nun unsere Tagesmärsche immer lange 
vor Sonnenaufgang, um so den grössten Teil schon 


124 


hinter uns zu haben, bevor die Sonnenglut ihren Höhe- 
punkt erreichte-Nach dem Frühstückshalt teilten wir 
uns gewöhnlich: B. hielt landeinwärts, um zu jagen, 
während ich am Fluss entlang marschierte, um den 
nächsten Lagerplatz zu wählen. Aber wenn wir auch 
früh aufbrachen, um die kühlen Morgenstunden voll 
auszunützen, so waren doch die Abende die besten 
Stunden in der Wüste. Das Morgenrot in all seiner 
Schönheit bedeutete den Beginn der sengenden Glut 
eines Tages; der Abend hingegen verhiess Rast und 
Erholung. Die Erde wurde kühler, die sandigen Flä- 
chen verwandelten sich in Gold, und die Hügel, die 
bislang noch in der glühenden Atmosphäre geflimmert, 
ragten in klaren Umrissen in den Abendhimmel. 

Die Anstrengung und der Durst versetzten einen 
den Tag über in eine Art von Betäubung, in eine völlige 
Stumpfheit, und erst am Abend kehrte die Freude an 
den Dingen des Lebens zurück. 

Oberhalb der Chanler’s Fälle stiessen wir auf die 
ersten Büffelspuren, darunter die von zwei Bullen. B. 
folgte ihnen neun Stunden lang, bis er die Tiere zu Ge- 
sicht bekam. Sie hatten an einer Stelle über den Fluss 
gesetzt, wo er sich in drei Arme teilte. Der dritte Arm 
war nur wenige Meter breit, doch so tief, dass B. ihn 
durchschwimmen musste. Die wirbelnde Strömung 
riss ihn aber sogleich unter die Oberfläche, so dass er 
einen Augenblick zweifelte, ob er je wieder hochkäme; 
der schmale Kanal musste vier bis fünf Meter tief ge- 
wesen sein. 

Das Jagen in den heissesten Stunden während vieler 
aufeinanderfolgender Tage und das unfreiwillige Bad 
trugen wohl die Schuld an einem heftigen Fieberanfall. 


125 


Während einem oder zwei Tagen musste B. liegen, 
und da unser Küchenschrank leer war, zog ich mit der 
Schrotflinte aus, in der Hoffnung, auf Perlhühner zu 
stossen und zur Abwechslung einmal zu treffen. Ich 
fand aber keine, dagegen erlegte ich nach langer Pür- 
sche einen Dikdik, einen guten Bock, worauf ich sehr 
stolz war, denn er war meine erste Beute; auch würde 
es nun für B., der keine feste Nahrung zu sich nehmen 
konnte, eine gute Fleischbrühe geben. Ich legte ihn 
um meine Schultern (wie der Gemsjäger im Bilder- 
buch) und machte mich auf den Rückweg. 

Als ich nach einiger Zeit auf Giraffen stiess — genau 
an der Stelle, wo ich das Lager vermutete — verlor ich 
die Orientierung, und wenn ich, einmal am Fluss, mich 
auch nicht ernstlich verirren konnte, wusste ich doch 
nicht mehr, ob ich seinem Lauf stromauf- oder strom- 
abwärts folgen sollte, und eine halbe Stunde lang war 
ich tatsächlich ratlos. 

B. freute sich so sehr über den Dikdik, dass ich ihn 
auf sein Bett legte, und wir betrachteten ihn mit einer 
Freude, als sei er die Haupttrophäe unserer Expedition. 
Dabei bemerkten wir erst, dass er abweichend vom 
Dikdik des Meruwaldes einen Haarkamm zwischen 
dem Gehörn trug und eine seltsam verlängerte pelzige 
Nase besass; er stellte darum eine Bereicherung unserer 
Sammlung dar, wahrscheinlich war es Smith’s Varietät. 

Der schöne Erfolg mit dem Dikdik hatte mir Mut 
gemacht, und wiederum machte ich mich mit derBüchse 
auf, diesmal, um zwei Perlhühner nach Hause zu brin- 
gen, so dass der Fleischtopf stets gefüllt blieb. Dass 
es mit unserer Fleischkost zeitweise schlecht bestellt war, 
daran trug hauptsächlich der Koch die Schuld. Seitdem 


126 


esihm an Büchsen fehlte, hatte er so sehr allen Unter- 
nehmungsgeist verloren, dass er sogar an einem Tag, 
nachdem B. einen Büffel erlegt, behauptete, er könne 
kein Fleisch auftischen. Dies konnte ich ihm noch ver- 
zeihen; nicht aber, dass er nun noch B.’s Geburtstags- 
kuchen zu Kohle verbrannte. Es sollte eine Überra- 
schung werden, und ich hatte so wenig dabei mit Man- 
deln, Rosinen und Zitronat gespart, als ob das Kolo- 
nialwarengeschäft an der nächsten Ecke gewesen wäre. 
Alles in allem war es ein recht bescheidener Geburts- 
tag: die Löwen brüllten die ganze Nacht, was B.’s er- 
zwungene Ruhe doppelt lästig machte, denn natürlich 
wollte er aufstehen und einen Köder auslegen. Früh 
am Morgen zog ich wieder aus, um ihm einen Köder 
zu beschaffen. Ich pürschte erst auf Zebras, dann auf 
Wasserböcke, aber ohne jeden Erfolg, und kam am 
Ende eines langen Tages bedrückt nach Hause. 

Als am Abend alles im Lager still geworden war, 
liess uns ein plötzliches Grunzen, von donnerndem Huf- 
schlag gefolgt, auffahren. Ein Nashorn raste mitten 
durch die Lagerfeuer. Es schwenkte nur einmal herum 
und steuerte geradewegs auf das Zelt los, doch bog es 
im letzten Augenblick ab und verschwand krachend 
in der Dunkelheit. Die Boys behaupteten, die Maultiere 
hätten uns gerettet, indem sie so heftig nach ihm aus- 
schlugen, dass sie ihm den Besuch verleideten. 

Das Fauchen eines Löwen schien auf B. besser zu 
wirken als die beste Medizin; er schwor, er sei wieder 
bei Kräften, und es fehle ihm nichts als wieder einmal 
eine richtige Löwenjagd. 

Wir brachen vor Tagesanbruch auf und sichteten 
auch bald einen Löwen, oder wenigstens einen Teil 


127 


von ihm, als er gerade in einem Dickicht beim Fluss 
verschwand. Erst suchten wir ihn durch Lärm hochzu- 
bekommen, dann nahmen wir die Spur nach allen 
Regeln der Kunst auf. Noch nie hatten wir eine an- 
strengendere Suche gehabt. Kongoni und Brahimo ent- 
wickelten einen unermüdlichen Eifer und wirkliches 
Geschick. Bei bewölktem Himmel wäre es leichter ge- 
wesen, obwohl die Suche in die Hügel führte und oft 
über kiesigen Grund, wo es fast unmöglich war, sie 
auch nur zu erraten. Heute aber herrschte eine drük- 
kende Gewitterschwüle, und die Sonne war selbst für 
den Uaso-Nyiro ausnahmsweise heiss. B. war am Ende 
seiner Kräfte, und auch ich konnte mich gerade noch 
von einem Stückchen spärlichen Schattens bis zum 
nächsten schleppen, um dort halb betäubt nach Luft 
zu schnappen. 

Doch gerade die Hitze gab uns einen Vorteil, denn 
der Löwe schien sie noch mehr zu fühlen als wir, er 
tat sich in immer kürzeren Abständen nieder. Aber da 
er sich sorgfältig unter dem Wind hielt, bekam er stets 
rechtzeitig Witterung von seinen Verfolgern und trollte 
sich. Zweimal bekamen wir ihn zu Gesicht, und das 
gab uns erneute Energie, denn er war ein riesiges 
Exemplar mit goldener Mähne. Gegen drei Uhr nach- 
mittags verwischte sich die Spur völlig. Nachdem wir 
sie so manche Meile hatten halten können, wollten wir 
sie nicht ohne einen letzten Versuch aufgeben, und B. 
schlug vor, in einer Linie nach der Richtung, die der 
Löwe genommen hatte, vorzurücken. Ich versprach 
mir wenig Erfolg von diesem Plan und gab zu beden- 
ken, dass wir später nach eingetretener Dunkelheit un- 
sern neuen Lagerplatz schwerlich finden würden. B. 


128 


aber war entschlossen, und ehe wir hundert Meter ge- 
gangen waren, fanden wir die Fährte wieder, und im 
nächsten Augenblick sahen wir den Löwen vor uns, 
B. rannte vorwärts, um ihn im Auge zu behalten, und 
sobald es die Büsche erlaubten, feuerte er — ein Schuss 
im Laufen, der sofort mit einem Knurren beantwortet 
wurde. Die Spur wies Schweiss auf, und bald gab uns 
ein erneutes Knurren aus tiefer Kehle die Richtung an. 
Er hatte hinter einem gestürzten Baumstamm so ge- 
schickt Deckung genommen, dass seine Brust ge- 
schützt war; wir sahen nur seinen Kopf mit den flach 
angelegten Lauschern. 

B. trat dicht heran, um zu feuern. Ich beobachtete 
jede Bewegung des Löwen und sah, wie er seinen 
Schweif steif über den Rücken erhob, als wollte er zum 
Sprung ansetzen. Zwei Schüsse brachten ihn noch nicht 
zur Strecke, und beim dritten machte er kehrt und 
nahm nach einigen Fluchten unter einem Busch Dek- 
kung. Selbst ein weiterer Schuss brachte sein wüten- 
des Knurren nicht zum Schweigen. «Knurren» ist ein 
unzulängliches Wort für die Laute, die ein in die Enge 
getriebener Löwe ausstossen kann. Sie lassen einem 
das Mark in den Knochen erstarren, und ebenso fehlen 
mir die Worte, um den verzehrenden Hass auszu- 
drücken, der in seinen gelben Augen glühte. Er war 
am Verenden, unfähig, uns anzugreifen, doch die Fel- 
sen, die ganze Luft vibrierten unter seinem Zorn, und 
ihn so liegen zu sehen, wie seine Pranken Furchen in 
den steinharten Boden rissen und das Blut aus seinem 
Rachen schoss, während seine Fänge zolldicke Äste 
und Zweige zersplitterten, konnte einen vor Furcht 
erzittern machen. 


129 


Wir fanden nachher, dass er diese Äste mit halbzer- 
schossenem Unterkiefer durchbissen hatte. Es war ein 
prächtiges Exemplar, und wir stellten fest, dass sein 
Magen keine Nahrung enthielt; es war also nicht eine 
ausgiebige Mahlzeit gewesen, die ihn zum Anhalten 
bewegt hatte, sondern lediglich die grosse Hitze. 


130 


Die Lorian-Sümpfe 


Die übergrosse Hitze war ein Vorbote für heftige 
Gewitter gewesen, die mehrere Tage andauerten. Am 
folgenden Morgen hörten wir ein unheimliches Rau- 
schen, das immer näher kam, bis der Fluss in mächtiger 
Springflut heranrollte. Ein Glück, dass die Ufer hier 
sehr hoch waren, sonst hätte er unser Lager überflutet. 
Aber auch so drohte die Situation ernst zu werden, 
denn die Flut hatte uns am falschen Ufer überrascht. 

Der Regen erweckte wie durch Zauber eine Welt 
von Insekten. Ameisen nisteten sich in unsern Kisten 
ein, und wir mussten für unsere Nachtmahlzeiten auf 
Licht verzichten, denn die Laternen lockten die flie- 
genden Ameisen, die Käfer und Heuschrecken in sol- 
chen Massen an, dass sie unsere Suppe zu einem Brei 
verdickten, ehe wir Zeit fanden, sie zu essen. Wir 
töteten drei Skorpione und zwei Tausendfüssler im 
Zelt. Sancho Pansa erbat sich einen der Skorpione, 
denn er war gebissen worden und behauptete, dass ein 
zerstampfter Skorpion auf den Biss gelegt das einzig 
wirksame Gegenmittel sei. 

Es half nichts, dass wir bereuten, um einen Monat 
zu spät in dieses Wildparadies gekommen zu sein. Die 
lange Regenzeit hatte begonnen, das Wild fand überall 
Wasser und saftige Äsung, so dass es die Ufer des 
Flusses verlassen hatte und sich weit umher zerstreut 
aufhielt. 


131 


Ein Unglück kommt selten allein. Nun begann auch 
die Haut des Löwen zu verderben. Den ganzen Tag 
rackerte ich mich damit ab, sie dünner zu schaben und 
die Konservierungsmasse darauf zu verstreichen; mit 
einer Art Flaschenzug hisste ich die an eine Stange ge- 
bundene Haut an einem Baum hoch, damit sie möglichst 
frei in der Luft hing; aber die Feuchtigkeit der Luft 
war so gross, dass alles tropfnass wurde. 

Mittlerweile nützte B. jede Stunde des Tages mit 
Jagen aus, denn das Wild wurde immer seltener in der 
Gegend, und wir begannen daran zu zweifeln, ob wir 
die noch fehlenden Arten überhaupt noch zusammen- 
bringen würden. 

B. erlegte ein Grevy-Zebra, dessen Haut schon vom 
Regen durchnässt war, als es noch lebte. Ich verbrachte 
den 'Tag über der Arbeit mit der Zebra- und der Lö- 
wenhaut und geriet über beide fast in Verzweiflung. 
Wachend und träumend verfolgte mich die fixe Idee, 
dass sie mir unter den Händen verderben würden. 

Doch, erlebte ich einen aufregenden Tag mit den 
Häuten, so hatte es B. noch schwerer gehabt mit einer 
Jagd auf Elefanten, von der er erst lange nach Einbruch 
der Nacht zurückkehrte. Bei einem Wasserloch hatte 
er eine sehr grosse, noch ganz frische Spur gefunden. 
Sie führte in einen Waldgürtel, und bald stiess er auf 
den mächtigen Dickhäuter, der im Schatten hinter einer 
dichten Wand von Buschwerk stand. Nichts war von 
ihm sichtbar als der obere Teil seines Hauptes und die 
kleinen glänzenden Augen. Der Wind war unbestän- 
dig, und der Elefant hatte schon Verdacht geschöpft. 
B. konnte beobachten, wie er den Kopf nach allen 
Seiten wandte — mit einem gewichtigen Schwung, der 


132 


auf ein Paar stattlicher Stosszähne schliessen liess —, 
die riesigen-Lauscher ausbreitete und mit erhobenem 
Rüssel den Wind sorgfältig prüfte. 

B. meinte nachher, er hätte auf alle Fälle zurück- 
gehen und sich ihm von einer andern Seite nähern 
sollen, wo der Wind günstiger und wahrscheinlich 
auch die Sicht besser war. Er bat mich wiederholt, 
in meinem Tagebuch besonders hervorzuheben (er 
selbst hatte nie eines geführt), dass man in solcher 
Hitze nicht immer ganz zurechnungsfähig sei. Es pas- 
sierte ihm öfters, dass er, wenn er zwischen zwölf und 
drei Uhr mittags jagte und dabei irgendeine Entschei- 
dung traf, er sie später als völlig unzweckmässig er- 
kennen musste. 

Der Elefant stand nun im Schatten, und das wech- 
selnde Spiel der Sonnenflecken auf seiner grauen Haut 
machte es unmöglich, die Ohröffnung zu erkennen. 
Mit der kleinen 318er aber gab es nur zwei Möglich- 
keiten: ein Hirnschuss oder den Elefanten zu verlieren. 
Das Tier quittierte B.’s Kugel, indem es in die Knie 
brach und hinter der grünen Blätterwand verschwand. 
Aber bevor B. zur Stelle war, kam es wieder hoch 
und wurde flüchtig. Es entfernte sich krachend durch. 
das Unterholz, das hier so dicht und undurchdringlich 
war, dass B. und seine Leute sich ihren Weg mit den 
Buschmessern bahnen mussten. Sie folgten ihm den 
ganzen Tag, überschritten dabei den Uaso, und erst die 
untergehende Sonne setzte der Jagd ein Ende. 

B. hatte die Stosszähne nie zu Gesicht bekommen, 
aber er war gewiss, dass sie mindestens achtzig Pfund 
wogen, und dass ihm damit wohl die letzte Gelegenheit 
zur Erbeutung eines kapitalen Elefantenbullens ent- 


133 


gangen war. Doch wenn er auch die Spur am nächsten 
Tag aufgenommen hätte, war die Wahrscheinlichkeit 
gering, ihn einzuholen, denn bis dahin war der Elefant 
wohl schon in der Gegend von Kom, ungefähr dreissig 
bis vierzig Meilen von hier. 

In der Nacht erwachte ich an einem malmenden 
Geräusch dicht beim Zelt, ab und zu von einem kurzen 
Knacken unterbrochen, das beinahe wie Pistolen- 
schüsse tönte. Augenblicklich wurde mir klar, dass 
Hyänen sich an unsern 'Trophäen gütlich taten, und 
ich stürzte hinaus, um sie zu verjagen. Ich befürchtete 
Schlimmes und sah schon die Gehörne des Gerenuks*) 
und der Oryx-Antilopen ruiniert, doch die Hyänen 
hatten sich mit den Zebraknochen begnügt und die 
wertvolleren Trophäen unberührt gelassen. 

Das Wetter besserte sich etwas, und es schien, als ob 
die gefährdeten Häute doch noch zu retten wären. 
B. freute sich sehr darüber, besonders da er wieder 
einen Tag voller Fehlschläge hinter sich hatte: ein 
Gerenuk war in der Dickung verschwunden im Augen- 
blick, als er auf ihn abdrücken wollte, eine Büffelherde 
wurde keine zwölf Meter vor ihm im dichten Busch 
flüchtig, und ein Kleines Kudu stand in einer Lichtung, 
als gerade Kongoni die Büchse trug. 

Wir waren nun im Gebiet des Kleinen Kudu, und 
da das Hochwasser sich wieder verlaufen hatte, schick- 
ten wir die Safari über den Fluss voraus, indessen wir 
landeinwärts hielten, um zu jagen. Der Koch sollte 
uns mit dem Frühstück folgen, verstand aber seine 
Instruktion falsch, und die Folge war, dass wir ihn, 
die Maulesel und die Safari verloren und das Lager 


» Giraffengazelle 


134 


erst spät am Nachmittag fanden. Der nächste Tag ent- 
schädigte uns aber dafür und für manchen andern er- 
folglosen Pürschgang, indem B. einen starken Kudu- 
bock erlegte. Hier trennten wir uns. Ich sollte sofort 
mit der Haut das Lager aufsuchen, während B. noch 
ein weibliches Kudu erlegen wollte. Wiederholt traf 
ich auf schmale Streifen von Palmenbestand, die ich 
für das Flussbett hielt, das ich aber erst spät am Nach- 
mittag erreichte. Der Koch, der die Gegend kannte, 
hatte behauptet, Merty sei nur eine halbe Stunde von 
unserm letzten Lager entfernt, und unsere Leute hatten 
darum die Anweisung, dort das heutige Lager aufzu- 
schlagen. Er hatte sich aber wiederum geirrt und ver- 
sicherte jetzt, es seien noch drei Stunden bis Merty. 
Ein Gewitter hatte jede Spur verwischt, und nun wusste 
ich nicht, befand sich die Safari vor oder hinter uns. 

Unterwegs erschlug der Koch mit seinem Stock 
eine Puffotter; niemand wollte sie anrühren, und so 
übernahm ich es, sie abzuhäuten. 

Ich entschied mich dafür, dass die Safari hier noch 
nicht vorübergekommen sei und ging stromaufwärts 
durch das dichte Gestrüpp zurück, als uns unvermittelt 
ein Nashorn annahm. 

Sehr verzagt und vorsichtig gingen wir weiter fluss- 
aufwärts. Ohne mir Rechenschaft abzulegen warum, 
wählte ich unter den vielen Wildwechseln, die nach 
allen Seiten liefen, einen, der von der ursprünglichen 
Richtung völlig abwich. Es war eine glückliche Ein- 
gebung, denn alsbald stand ich B. gegenüber. Hätten 
wir uns in diesem dichten Dschungel nur um wenige 
Meter verfehlt, dann wären wir unweigerlich aneinan- 
der vorbeigelaufen. Auch B. hatte sich verirrt, erriet 


135 


aber, als er die abgehäutete Schlange fand, dass ich dort 
vorbeigekommen war. 

Inzwischen war es Abend geworden, und wir sandten 
zwei Boys voraus, um die Safari zu suchen. 

B. hatte, kurz nachdem ich ihn am Morgen verlassen, 
sein weibliches Kudu erlegt, so dass nun auch Brahimo, 
mit der frischen Haut beladen, auf der Suche nach 
dem Lager im Busch umherlief. 

Die Nacht brach herein, ohne dass wir von der Safari 
oder von den beiden Boys, die sie suchen gegangen, 
etwas hörten. Wir machten daher ein Feuer, und der 
Koch briet etwas Kudufleisch. Die Leute rührten es 
aber nicht an, da das Kudu nicht nach ihrem Brauch 
geschächtet war. (Durchschneiden der Gurgel.) 

Fast die ganze Nacht hindurch regnete es in Strömen, 
dennoch unterhielten wir ein loderndes Feuer, und 
nachdem ein Schutzdach für die Kuduhaut hergestellt 
war, wickelten wir uns in die Decken der Maultiere, 
und mit den Sätteln als Kopfkissen schliefen wir, so 
gut es eben ging. Die Safari fand uns bald nach Tages- 
anbruch. Das Lager war kaum eine Meile von uns ent- 
fernt gewesen, doch die Dunkelheit und das umher- 
streifende Nashorn hatten genügt, uns für die Nacht 
zu trennen. Der arme Brahimo hatte auf einem Baum 
übernachtet. Seine Kuduhaut war ganz durchweicht, 
und da der Regen am folgenden Tag nicht aufhörte, 
konnten wir sie nur trocknen, indem wir sie aufspann- 
ten, ein Schutzdach darüber bauten und auf jeder Seite 
ein Feuer unterhielten. Die ständige Überwachung des 
Trocknens beschäftigte mich bis zum Abend, als B. 
mit einem erlegten Grevy-Zebra zurückkam, als Ersatz 
für die von den Hyänen ruinierte Haut. 


136 


Am folgenden Tag erreichten wir Merty. Unterwegs 
hätten wir um ein Haar unsern kleinen Hund verloren; 
sein ständiger Durst und die damit verbundene An- 
ziehungskraft, die der Fluss auf ihn ausübte, wären ihm 
fast zum Verhängnis geworden. Er hatte eine Rotte 
von Meerkatzen umhergejagt und legte sich nun in 
das seichte Wasser, von dem er gierig lappte. Plötzlich 
tauchten nicht weit von ihm die Schnauze und die vor- 
stehenden Augen eines Krokodils auf, das wie ein 
Torpedo auf ihn zuschoss. Unser Geschrei verscheuchte 
es, aber es war schon so nahe gewesen, dass es beim 
Umwenden eine Welle hoch ans Ufer warf. Der Zwi- 
schenfall war nicht dazu angetan, uns zum Durchwaten 
des Flusses zu ermuntern, der zudem hier ziemlich 
reissend war. 

B. stand mit schussbereiter Büchse Wache, bis alle 
drüben ankamen; die Ziegen wurden getragen, die 
abgesattelten Esel schwammen hinüber, und alles 
wickelte sich ohne Störung ab. Nur die Last, die unsere 
Trophäen enthielt, wurde nass, und wir mussten den 
Rest des Tages damit zubringen, sie wieder zu trocknen. 

Mit einem Seufzer der Erleichterung deponierten wir 
unsere Sammlung in den K.A.R.*-Stores in Merty, 
wo sie nun endgültig vor allen Unbilden der Regen- 
zeit geborgen war. 

In Merty fanden wir Bokari, der von Meru zurück- 
gekommen war, ohne aber eine einzige unserer Vor- 
ratskisten mitzubringen. Wir hatten Moti stark im 
Verdacht, dass er sie nicht herausgab, um uns dadurch 
zu zwingen, neue Vorräte von ihm zu kaufen. Aber 
das konnten wir uns jetzt nicht mehr leisten, selbst 


* Kings African Rifles 


137 


wenn wir es gewollt hätten, und es bestand somit 
keine Aussicht mehr, in den einförmigen Speisezettel 
von Fleisch und Reis viel Abwechslung zu bringen. 
Wäre das Fleisch nur frisch gewesen! Meistens aber 
erinnerte sein Geruch so sehr an verdorbene Felle, 
dass wir unwillkürlich an Alaun und Salpeter denken 
mussten; es war zähe und zugleich fast in Verwesung 
übergegangen, so dass wir uns versucht fühlten, aus- 
schliesslich von Tee zu leben. 

Ein heftiges Gewitter verzögerte unsern Abmarsch 
von Merty. Wir beobachteten die rasch heraufziehende 
schwarze Wand und fanden gerade, als es losbrach, 
einen Unterstand. Es wurde beinahe dunkel, nur der 
herabstürzende Regen leuchtete weiss. Er fiel mit sol- 
chem Tosen hernieder, dass man sich kaum verständi- 
gen konnte. Noch nie hatten wir solch sintflutartigen 
Wolkenbruch erlebt, und während wir aneinanderge- 
drängt im Eingang der Hütte hockten und hinausblick- 
ten, sagten wir uns, dass der Ausdruck: «Regen wie in 
Merty» bei uns von nun an sprichwörtlich sein würde. 

Mit dem Grabenrand von Merty im Rücken schritten 
wir jetzt durch eine steinlose Ebene, dienachdem schwe- 
ren Gewitter mehr den Anblick einer Reihe von Lagu- 
nen bot. Stunde um Stunde wateten wir durch Schlamm 
und Wasser, und als wir in der Abenddämmerung 
unser Lager aufschlugen, trennten uns doch erst wenige 
Meilen von der breiten Silhouette des Grabenrandes. 

Wir alle waren todmüde und machten uns nicht 
einmal die Mühe, Feuer anzuzünden. Es war sehr still 
im Lager diese Nacht. Denn das war kein gewöhn- 
licher Schlamm; es gibt kaum ein heimtückischeres 
Element als diese schwarze Baumwollerde. Nach jedem 


138 


halben Dutzend Schritten hat man ein solches Gewicht 
von Erde an den Füssen, dass man sie kaum mehr 
heben kann. Der klebrige Schlamm ist nur eine obere 
wasserdichte Schicht, geht man darüber hinweg, so 
bleibt der trockene Boden an den Schuhen hängen, der 
nächste Schritt fügt eine weitere Schicht hinzu und so 
fort, ad infinitum, bis man, am Weitergehen verhindert, 
stehen bleibt, ihn abkratzt und von neuem beginnt. 

Es goss die ganze Nacht hindurch, so dass wir am 
Morgen warten mussten, bis sich das Wasser etwas ver- 
laufen hatte, statt wie gewöhnlich vor dem Frühstück 
ein gutes Stück des Tagesmarsches hinter uns zu brin- 
gen. Und selbst dann war das Gehen so beschwerlich, 
dass wir schon nach zwei Stunden haltmachten, um 
zu warten, bis die Sonne den Schlamm auszutrocknen 
begann. 

Während wir uns ausruhten, ging B. allein auf die 
Jagd und erlegte ein Zebra in der Absicht, den Leuten 
Fleisch zu verschaffen. Und da sie die beiden Kudus 
verschmäht hatten, weil sie nicht geschächtet gewesen, 
schnitt er ihm diesmal selbst stilgerecht die Gurgel 
durch. Aber auch das sollte vergebens sein, denn die 
Leute weigerten sich wiederum, wenn auch etwas weh- 
mütig, davon zu essen, weil der Ritus von einem An- 
hänger des Islam ausgeführt werden muss. 

Am nächsten Tag bekamen wir vierzig Elefanten zu 
Gesicht und fanden die frische Spur von acht Löwen, 
was uns bestimmte, unser Lager hier aufzuschlagen. 
B. machte sich auf, einen Köder zu erlegen. Die Ele- 
fanten hielten sich am gegenüberliegenden Flussufer 
auf, B. beobachtete sie mit Kongoni von einem Baum 
aus. Da kam Maithia, der auf eigene Faust nach Ele- 


139 


fanten gespürt hatte, in grosser Aufregung zu mir. 
Er hatte weiter unten am Wasser mehrere Stück ge- 
sehen, und ich folgte ihm nun dorthin, denn ich hatte 
mir schon lange gewünscht, photographische Auf- 
nahmen von Elefanten zu bekommen. 

Sie suhlten sich gerade, und ich konnte zuerst nichts 
weiter erkennen als eine Flanke, die wie eine Insel aus 
dem Wasser ragte; dann erschienen Haupt und Ohren 
eines der Tiere, als es sich umdrehte. Wir kamen, von 
Bäumen gedeckt, bis auf eine sandige Landzunge und 
hatten von da aus eine unbehinderte Sicht quer über 
die halbe Breite des Flusses, in dem sich fünf Elefanten 
völlig vertraut suhlten. Sie griffen mit ihren Rüsseln 
in die herabhängenden Zweige und liessen sich dann 
geniesserisch in das Wasser zurücksinken, das über 
ihren Köpfen zusammenschlug, so dass nur noch die 
Enden ihrer Stosszähne sichtbar waren. 

Wie wünschte ich mir da, dass ich nun einen Film- 
apparat zur Hand hätte! Aber ich hatte nur noch drei 
Negative übrig, und während ich noch auf einen 
günstigen Augenblick wartete, um wenigstens diese 
so gut wie möglich anzubringen, bekamen die Ele- 
fanten unsere Witterung. Die Rüssel erhoben und die 
grossen nassen Lauscher ausgebreitet, kamen sie auf 
uns zu. Dann machten sie kehrt und flüchteten sprit- 
zend und stampfend gegen das jenseitige Ufer. Wäh- 
rend sie auf uns zugekommen waren, hatte Maithia 
mir eindringlich Zeichen gegeben, ich solle zurück- 
weichen und mich zuletzt sogar am Ärmel weggezogen; 
aber ich war entschlossen, mir diese einzigartige Ge- 
legenheit nicht entgehen zu lassen, und watete noch 
weiter hinaus, um so nahe wie möglich zu kommen. 


140 


Dass die Tiere Wind von uns bekommen hatten, 
war sehr ärgerlich, und ich war beschämt, als B. mir 
sagte, ich habe damit die ganze Herde gründlich ver- 
grämt. B. hatte sie so lange beobachten wollen, bis er 
einen starken Bullen vor die Büchse bekam, und nun 
hatte ich alles verdorben. Dazu hielt B. mir vor, dass 
es idiotisch war von mir, in einem Fluss herumzuwaten, 
der voller Krokodile war. Meine gehobene Stimmung 
über die Aufnahmen, die ich einzigartig glaubte, war 
dahin. Wäre B. mir wirklich böse gewesen, so hätte 
ich es noch besser ertragen, aber er tröstete sich bald 
damit, dass die Aufnahmen vielleicht eher einen dauern- 
den Gewinn darstellten als ein erlegter Elefant, und 
jetzt verfolgte mich die ganze Zeit der Gedanke, dass 
sie am Ende schlecht oder gar nicht herauskommen 
würden. 

B. liess den Köder an den Fluss hinunterschaffen, 
an dessen gegenüberliegendem Ufer er Löwen beob- 
achtet hatte. Es mochten wohl die gleichen acht Löwen 
gewesen sein, deren Spuren wir schon gesehen, und 
da die Geier durch ihre Kreisflige um den Köder 
seine Lage prächtig bezeichneten, durften wir mit 
ziemlicher Sicherheit mit ihrer Rückkehr rechnen. 

Als wir aber am nächsten Morgen vorsichtig die 
Stelle aufsuchten, war der Köder verschwunden. Die 
Spur erwies, dass die Räuber zwei Leoparden gewesen 
waren; wir suchten die Umgebung umsonst nach ihnen 
ab. Doch wurden wir am gleichen Tag durch einen 
Buschbock entschädigt, dessen prachtvolles Fell ge- 
fleckt und auch gestreift war, eine Abart, die Selous 
als ein Bindeglied zwischen Sylvaticus und Seriptus an- 
sieht. Wie dem auch sei, das Exemplar besass noch ein 


141 


weiteres Interesse, indem es die allgemeine Ansicht 
widerlegte, dass der Buschbock in der Nähe des Lorian 
nicht vorkomme. Ein überzeugender Beweis dafür, 
dass er diese völlig steinlose Ebene wirklich bewohnte, 
war der Zustand seiner Hufe, die mangels genügender 
Abnutzung in dem weichen Boden um einige Zoll 
länger waren als gewöhnlich, so dass ihre Spitzen 
zurückgebogen waren. 

Der aus seinen Ufern getretene Fluss brachte uns 
viele Meilen von unserer Richtung ab. Wir hielten uns 
aber an einen Zebra-Wechsel, der uns viel zielloses 
Suchen im Sumpf ersparte. Unterwegs kreuzten wir 
eine frische Löwenfährte, worauf B. sich sogleich daran 
machte, einen Köder zu beschaffen, aber ohne Erfolg. 

Wir schlugen das Lager erst nach Einbruch der 
Dunkelheit auf, und da wir kein Feuer machten, ban- 
den wir die Esel dicht bei den Zelten der Leute fest 
und die beiden Maultiere bei unserm eigenen auf bei- 
den Seiten aufgerollten Zelt. Während der Nacht gab 
es einen grossen Lärm, die Maultiere schlugen aus und 
wieherten, und am Morgen fanden wir die deutliche 
Spur einer Löwin, die um das Zelt gestrichen war. 
Allem Anschein nach war es dasselbe Tier, dessen 
Fährte wir am vorhergehenden Tag gekreuzt hatten, 
und aus der Art und Weise, wie die Spur zwischen 
und um alle Büsche herumführte, schloss B., dass sie 
sehr hungrig sein musste. Sie selbst erbrachte den 
schlagenden Beweis dafür, indem sie, wie sich nachher 
herausstellte, eine Segeltuch-Badewanne verzehrt hatte. 
Zuerst schien uns dies etwas unglaublich. Wir dachten, 
Jim habe vergessen, sie einzupacken und lasse nun 
seiner Phantasie diesmal etwas zu sehr die Zügel 


142 


schiessen. Aber er zeigte uns zwei Enden zerkauter 
Schnur und ein Stück Segeltuch, woran noch der Spei- 
chel glänzte, so dass wir ihm doch Glauben schenken 
mussten. Tatsächlich hatten wir erst einige Tage vor- 
her in alter Löwenlosung zwei kräftige Nägel und ein 
Stück Sacktuch gefunden. 

Dass ein Löwe eine ganze Segeltuch-Badewanne ver- 
zehrte, war ein deutlicher Beweis für die Spärlichkeit 
des Wildes. Sie wurde immer offensichtlicher, und der 
Loriansumpf, dem wir in so mühsamen Märschen zu- 
strebten, würde sicherlich eine grosse Enttäuschung 
werden. Wir sollten dort unsern grossen Elefanten 
schiessen, doch hatten wir ja schon festgestellt, dass 
auch die Elefanten zu wandern begonnen hatten, und 
unser Marsch nach dem Lorian hatte nur noch den 
Zweck, die Brücke, die dahinterlag, zu erreichen, um 
dort den Uaso zu überschreiten. Die Lockung des 
Wildreichtums war somit verschwunden. - 

Noch immer hatten wir Grund zur Eile: erstens ging 
das Posho bedenklich zur Neige, zweitens mussten wir 
in Merty zurück sein, wenn Capt. D. durch das Wüsten- 
gebiet nach Garba-Tula zog, damit wir von den Was- 
serkamelen profitieren konnten, die er mitführte. 

Auf diese Weise wurde aus unserm Marsch nach 
dem Lorian eine Art von Rennen, und wenn auch 
wenig dabei zu gewinnen war, so glaube ich, dass wir 
eher vor Erschöpfung umgefallen wären, als kehrt zu 
machen. 

Die scheuen Gerenuks waren fast das einzige Wild, 
das wir antrafen. Sie hielten sich zumeist in Paaren, zu 
dritt oder höchstens zu vieren. Gelingt es, sich ihnen 
unbemerkt zu nähern, so bieten sie das anmutigste 


143 


Bild, das man sich denken kann. Sie äsen am liebsten 
von den jungen Schösslingen der Dornbäume, und um 
sie zu erlangen, richten sie sich frei auf den Hinterläufen 
auf, ohne nach Art der Ziegen einen Vorderlauf gegen 
den Stamm zu stützen. Zierlich halten sie das Gleich- 
gewicht, während sie sich schlank emporstrecken, und 
ihre Anmut ist wirklich bezaubernd. Ihre Bewegungen 
erinnern in mancher Hinsicht an die der Giraffen. Im 
Lauf strecken sie ihre langen, geraden Hälse nach vorn, 
mit einem leicht gebogenen Schwung, der ihnen von 
der Seite eine fast schwanenhafte Silhouette gibt. Es 
tat uns leid, sie erlegen zu müssen, nur um unsere Vor- 
räte an Wildbret zu ergänzen, und da unser Jagdpass 
nur vier Stück erlaubte, würden wir gehörig Abbitte 
tun müssen, wenn wir das nächste Mal den «Game 
Warden» besuchten. Aber es war nicht zu ändern; die 
Leute konnten mit Posho allein nicht das leisten, was 
von ihnen gefordert wurde, und wir selbst hatten bei 
unsern knappen Vorräten keine andere Wahl. Der Koch 
fand nun zwar eine Pflanze, die ein gutes spinatartiges 
Gemüse lieferte; eine weniger glückliche Hand hatte 
er mit Pilzen, die uns, obwohl sie wie eine essbare 
Sorte aussahen und unbeschreiblich gut schmeckten, 
bedenkliche Magenkrämpfe verursachten. 

Der folgende Tag verlief sehr unbefriedigend. Wir 
mussten uns durch ein Wirrsal von Wasserläufen hin- 
durcharbeiten und ununterbrochen sumpfige Stellen 
umgehen, so dass wir nur wenig vorwärts kamen, ob- 
gleich wir von Sonnenaufgang bis -untergang mar- 
schierten. 

Es gab nirgends festen Boden in der Nähe des Flus- 
ses. Es blieb uns nichts übrig, als das Lager im Schlamm 


144 


Bernhard von Wattenwyl mit einem Kudu 


J« ımbeni-( sebirge 


B.v.W. mit der Haut eines Waldschweins 


berdare-Gebirge 


inmitten melancholisch quakender Frösche aufzuschla- 
gen. Wir alle waren erschöpft und niedergeschlagen, 
weil die Esel nicht nachkamen und B. zwei Grant- 
Gazellen, die er unterwegs für die Leute geschossen, 
verloren hatte; die eine kam hoch und flüchtete im 
Augenblick, als Kongoni sich daran machte, sie zu 
«chingern» (schächten) und die andere liess Maithia, 
den wir zurückgelassen, bis die Träger das Tier holten, 
schmählich im Stich. Er holte uns mit entsetzten Augen 
ein und berichtete von einem Dutzend Löwen, die in 
geschlossener Linie gegen ihn vorgerückt seien. Seine 
Löwen entpuppten sich dann als die Esel, so dass die 
Leute wenigstens ihr Posho erhielten. 

Wir befürchteten, dass sich das Gelände gegen den 
Lorian zu stets verschlimmern würde, doch dies war 
der schlimmste Marsch gewesen, den wir erleben soll- 
ten. Am folgender Tag wurde der Boden zu unserer 
Überraschung trockener, und wir kamen um gute 
zwanzig Meilen weiter, was uns auf die Höhe des 
Lorian brachte. Wir befanden uns auf einer monotonen 
Ebene, die kaum durch einen Busch unterbrochen 
wurde. Nichts war zu sehen als eine grenzenlose Weite 
von Gras- und Schlammflächen. Der Lorian selbst 
unterschied sich nur durch das höhere Gras, Flecken 
von satterem Grün und durch grosse Flüge weisser 
Sumpfvögel. Sonst wies nichts darauf hin, dass wir 
ihn endlich erreicht hatten. 

Seitdem wir Merty verlassen, beobachteten wir täg- 
lich Luftspiegelungen: Bäume, die sich in türkisblauen 
Flächen spiegelten, wo wir wussten, dass es weder 
Bäume noch Wasser gab. Heute aber erlebten wir noch 
eine andere Erscheinung: alle Gegenstände zeigten sich 


145 


in so starker Vergrösserung, dass wir ein Zebra für 
einen Elefanten hielten. B. gab Feuer auf eine Oryx- 
Antilope, die so gross schien wie eine Giraffe, und 
stellte das Visier auf 300 Meter, während sie tatsächlich 
gegen 1000 Meter entfernt war. 

Von Elefanten sahen wir nichts als alte Spuren, die, 
halb mit Wasser gefüllt, wie Granattrichter aussahen. 

Nun wir glücklich den Lorian erreicht hatten, sollte 
es unmöglich sein, an das andere Ufer zu gelangen; 
einige Hirten vom Stamm der Boran, denen wir be- 
gegneten, brachten uns diese niederschmetternde Nach- 
richt. Das ganze Land auf der andern Seite sei unter 
Wasser gesetzt, berichteten sie. 

Das überstieg unsere schlimmsten Befürchtungen so 
sehr, dass wir beschlossen, uns durch den Augenschein 
selbst davon zu überzeugen. Wir folgten der Strasse 
jenseits der Brücke während einiger Meilen und schlu- 
gen dann wieder die Richtung nach dem Fluss ein, 
wobei wir aber den Sumpf in weitem Bogen umgingen. 
Das kostete uns viel Zeit und manche Wegstunde und 
erwies sich überdies als ganz überflüssig, denn das 
Terrain war hier überall viel besser. Wenn auch die 
Erde so mit Rissen und Spalten durchzogen war, dass 
wir die Reittiere nicht gebrauchen konnten, so hatten 
wir doch wieder festen Boden unter den Füssen, und 
wieder einmal war unsere Tagesleistung zwanzig Meilen. 

Der Morgen war herrlich klar, beinahe frisch, und 
das Gras wogte im Wind unter dem hellblauen Him- 
melszelt. Wir befanden uns auf dem Rückmarsch, der 
bangen Sorge ledig, wann wir den Lorian erreichen 
würden, und ob uns die Flut den Weg nicht versperrte. 
Die Zeit war wieder unser. Stolz auf das, was wir in 


146 


diesen Tagen geleistet hatten, schritten wir durch den 
goldenen Morgen mit der siegesgewissen Zuversicht 
von Welteroberern dahin. ; 

Eine Baumgruppe in der Ferne schien uns der geeig- 
nete Ort für unsern Frühstückshalt. Aber so kräftig wir 
ausschritten, es wurde Mittag, und die Baumgruppe 
flimmerte und schwankte noch immer in weiter Ferne; 
sie schien förmlich vor uns zurückzuweichen. 

Wir fanden eine Erklärung dafür, dass das Wild 
hier so ausserordentlich scheu war, denn wenn wir 
hinter uns blickten, schienen unsere Träger mit ihren 
Lasten wie zwölf Fuss hohe Riesen und die Maultiere 
wahre Ungeheuer. Als wir endlich bei der Baumgruppe 
anlangten, waren wir aufs äusserste erschöpft, und 
wenn auch ihr Schatten willkommen war, so fanden wir 
hier kein Wasser, wie wir gehofft hatten, und konnten 
von Glück sagen, dass ein Boran uns mit einem 
Viertelliter Milch vor wirklichen Durstesqualen be- 
wahrte. 

Nach zwei weitern Marschstunden gelangten wir 
wieder an den Fluss. Noch nie hatten wir dankbarer 
dem Plätschern fliessenden Wassers gelauscht. 


147 


Am nördlic hen Lauf des Uaso-Nyiro 


Mit der Umgehung des Lorian hatten wir das Sumpf- 
gebiet noch nicht gänzlich hinter uns gelassen; während 
der folgenden Tage mussten wir beständig weiteSumpf- 
strecken umwandern. Jedesmal, wenn wir den Weg 
endgültig frei glaubten, zeigten uns das saftiggrüne 
Gras und das Quaken der Frösche an, dass wieder 
Sumpfland vor uns lag. 

Diesmal errichteten wir das Lager auf dem nackten 
Schlammboden, in einiger Entfernung von Gras und 
Büschen, in der Hoffnung, dadurch die Mückenplage 
zu vermeiden, aber sie fanden uns bald genug und 
kamen pünktlich bei Sonnenuntergang in dichten Wol- 
ken angerückt. Ja, sie trieben es so toll, dass die Boys 
ihnen den Tod unseres Hahns zuschrieben, der in der 
Nacht einging und der bisher unser zuverlässiger 
Wecker gewesen war. 

B. legte einen Köder aus, der aber ausser zahlreichen 
Geiern und einer Hyäne nichts anzulocken vermochte. 
Die Hyäne war so ausgehungert, dass wir sie am hell- 
lichten Tag beobachten konnten, wie sie versuchte, 
sich dem Aas zu nähern. Wäre es die gestreifte Varietät 
gewesen, von denen wir zwei noch am Lorian gesehen, 
so hätte B. sie trotz dem Aberglauben unserer Leute 
erlegt. 

Im Grunde waren wir unserm Schicksal dankbar, 
dass uns nichts mehr in dieser Gegend zurückhielt; 


148 


nach einem weitern Tag hatten wir das Sumpfland end- 
gültig hinter uns gelassen. Über unserm nächsten 
Lagerplatz wogten wieder die Häupter der Dompal- 
men, der Lieblingsbäume des Elefanten. Es war eine 
wirkliche Erlösung, denn man kann sich schwerlich 
eine melancholischere Gegend denken als diese sump- 
fige Öde, die sich monoton flach bis zum Horizont 
unter den trüben Wolken dehnt, unbelebt ausser von 
Reihern und den unsichtbaren, aber mit unerbittlicher 
Eintönigkeit quakenden Fröschen. 

Heute und am nächstfolgenden Tag wurden meine 
medizinischen Kenntnisse auf die Probe gestellt. Un- 
sere Leute zeigten Symptome, deren Behandlung mir 
einiges Kopfzerbrechen verursachte. Fieber ist mit 
einer Messerspitze Chinin schnell beseitigt, und Epsom- 
salz war mein harmloses Mittel gegen alle Leiden; 
doch hier versagte beides. Die Leute beklagten sich 
über Magen- und Kopfschmerzen, ohne aber Dysen- 
terie- oder Fiebererscheinungen zu zeigen. 

Die Tiere litten bedenklich unter der Fliegenplage 
— parasitische Fliegen, gelb und grün gesprenkelt, be- 
deckten sie in Scharen. Besonders die Maultiere waren 
so mitgenommen, dass sie sich im Lager zu Boden 
warfen, bevor man sie abpacken konnte. 

In der Nacht weckte uns das Geschrei der Leute. 
Ein Körper streifte dicht an unserm Zelt vorbei, und 
wir hörten das unverkennbare Fauchen eines Löwen. 
Bokari kam mit dem Bericht, dass der Löwe eines der 
Maultiere angegriffen habe. Beim Schein einer rasch 
angezündeten Laterne fanden wir auch richtig den 
armen Grayface, dem das Blut von Hals und Kehle 
strömte. 


149 


Am Morgen konnten wir erkennen, wie nahe der 
Löwe unser Zelt gestreift hatte: eine Zeltleine war ihm 
im Weg gewesen, er hatte sie über das Zeltdach ge- 
schleudert. Er war glatt über das Feuer gesetzt, doch 
der Lärm im Lager hatte ihn nicht endgültig vergrämt, 
denn die Spur zeigte, dass er kurz darauf versucht 
hatte, in die Zariba der Esel einzudringen. 

Diese kaltblütige Frechheit war doch etwas stark, 
und wir beschlossen, ihn zu suchen, bis es Abend würde, 
wenn es sein müsste. Wir machten uns alsbald auf den 
Weg in Erwartung eines anstrengenden Tages. Doch 
noch keine halbe Stunde hatten wir seine Spur aufge- 
nommen, als wir ihn schon zu Gesicht bekamen, 
nicht weit hinter einem Stück offenen Geländes, auf 
dem unsere Esel weideten. Der erste Schuss fällte ihn; 
B. gab ein zweites Mal Feuer, worauf der Löwe mit 
unfasslicher Geschwindigkeit hochkam, herumschnellte 
und uns annahm. Ein dritter Schuss legte ihn im letzten 
Augenblick um. 

Es war ein noch junges Exemplar mit prachtvollem 
Gebiss, so dass wir uns seine Unfähigkeit, Grayface 
zu überwältigen, zuerst nicht erklären konnten. Wir 
fanden aber eine Verletzung an seinem Rückgrat, eine 
alte Speerwunde, die wohl die Ursache für seinen ge- 
schwächten Zustand war. 

Er hatte sich nur wenige Meter von den Eseln ent- 
fernt aufgehalten, keine hundert Meter vom Lager, 
und wollte wohl den Augenblick abwarten, da einer 
der Esel ausser Sicht kam. 

Er war ein so abstossender Geselle, ohne jede Spur 
von Adel, dass wir diesmal nicht das leiseste Mitleid 
mit unserm Opfer verspürten. Da er ausserdem so 


150 


wenig Respekt vor Lagerfeuern und Menschen an 
den Tag gelegt.hatte, waren wir sehr beruhigt, ihn aus 
dem Weg geräumt zu wissen. Das nächste Mal hätte 
seine Wahl leicht auf einen von uns fallen können. 

Die grausame Wildheit seines Ausdrucks, als er 
herumschnellte und uns annahm, war entsetzlich. Es 
dauerte nur eine Sekunde — die Welt um mich ver- 
sank —, als dieser fauchende Löwe mit geöffnetem 
Rachen auf uns zustürzte, eine Kraft, für die es kein 
Zurückhalten mehr gab, und ich hatte nur eben Zeit, 
darüber zu staunen, dass nicht auch B. von diesem 
Anblick gelähmt war, sondern kaltblütig die Büchse 
hob und Feuer gab. 

Der Magen des Löwen enthielt nichts als Gras, ein 
überzeugender Beweis für den Mangel an Wild und 
eine Erklärung für seine Furchtlosigkeit, denn er 
musste buchstäblich am Verhungern gewesen sein. Be- 
vor wir seine Haut abstreiften, führte ich Grayface an 
ihn heran, um ihm zu zeigen, dass er gerächt war. Und 
merkwürdigerweise scheute das Maultier nicht, wie die 
Tiere sonst tun, wenn sie einen Löwen wittern, sondern 
blickte ruhig wie in Betrachtung versunken auf ihn 
hernieder, bevor er sich abkehrte. 

Wenn der leere Magen des Löwen auch das Gegen- 
teil zu beweisen schien, so kehrte das Wild doch all- 
mählich wieder zum Fluss zurück, und B. erlegte am 
nächsten Tag einen Wasserbock, eine weibliche Impala 
und zuletzt noch eine kapitale Grant-Gazelle. 

Unsere Abhäuter hatten wieder alle Hände voll zu tun, 
und ich dachte an die schönen Tage am Maji-Chumbe. 

Mac hatte ganz recht: der Eingeborene beurteilt 
einen Weissen danach, wieviel Arbeit er andere für sich 


151 


verrichten lässt. Dennoch waren mir die Häute wich- 
tiger, und man kann sich auch dadurch Achtung ver- 
schaffen, dass man seine Arbeit gründlich versteht. Ge- 
schick beim Abbalgen ist nur eine Frage der Übung, 
und ich hatte inzwischen gelernt, das Messer mit Sicher- 
heit zu handhaben. Das Gefühl für die Arbeit sass mir 
nun sozusagen in den Fingerspitzen. Daneben gab es 
immer Unterhaltung. Die Leute schwatzten ununter- 
brochen, so dass ihr Suaheli mir im Verlauf der Zeit 
verständlicher wurde. Zuerst hatte mir ihre Sprache 
nur wie ein verworrenes Geschnatter geklungen, aber 
allmählich konnte ich fast ihre ganze Unterhaltung ver- 
stehen, besser vielleicht, als sie mir zutrauten. Ja, sie 
vergassen bald ganz, dass ich mitten unter ihnen war, 
und sie schnupften, räusperten sich und spuckten in 
die Weite (ein besonders beliebter Sport), als ob sie 
ganz unter sich wären. 

Ihnen zuzuhören bei ihren Diskussionen über irgend- 
einen Vorfall, über einen andern Träger oder über frü- 
here Herren, ihrer primitiven unbewussten Poesie zu 
lauschen, die ihre Bilder stets der greifbaren Umwelt 
entnahm, ihre Geduld und ihren Fatalismus und beson- 
ders ihren Sinn für Humor kennenzulernen, alles dies 
trug viel dazu bei, ihr Wesen zu verstehen. Sie spreizen 
sich gerne in den Kleidungsstücken des Weissen und 
ahmen seine Gewohnheiten nach, so dass man leicht 
in Versuchung gerät, sie vom eigenen und viel zu kom- 
plizierten Standpunkt aus zu beurteilen. Dabei sind sie 
aber so unkompliziert, so ganz natürlich, so unglaub- 
lich einfach und ungekünstelt, dass sie niemals wirklich 
altern, niemals gänzlich erwachsen sind, sondern immer 
die gleichen, unverantwortlichen Kinder bleiben. 


152 


Wir hatten eine Anzahl Häute zu präparieren, so 
dass wir heute nicht marschieren konnten, und B. 
machte sich allein auf, um einen Köder zu erlegen. 

Die Haut des Löwen hatte zu faulen begonnen. Es 
war mir noch ein Rätsel, wie man in der Regenzeit eine 
Löwenhaut konserviert. Denn diesmal hatte ich von 
Anfang an Stunden darauf verwendet und, um der 
Fäulnis vorzubeugen, alle Stellen im voraus bestrichen, 
die zuerst angegriffen werden. 

Während ich noch beim Auftragen der Paste war, 
kam Grayface keuchend und schnaubend auf mich zu 


und stiess seine heissen Nüstern an meinen Arm. Ich 


wusch nochmals seine Wunden aus, gab im Wasser und 
Salz und etwas Posho, worauf er zu grasen versuchte. 
Da trat Schaum aus seinem Maul, er strauchelte und 
legte sich nieder. Aber noch wollte er nicht nachgeben, 
er stand noch einmal auf, doch nur, um wieder zu 
stürzen, und nach wenigen Sekunden wurde er steif, 
und seine Augen verglasten. 

Während ich noch auf den so armselig kleinen Kör- 
per zu meinen Füssen blickte, kam Brownie heran, 
um nach seinem Gefährten zu schauen. Als er sah, was 
geschehen, blickte er nachdenklich zu ihm hinab. Ich 
sprach mit ihm, doch er schien mich weder zu sehen 
noch zu hören; er senkte den Kopf, beschnupperte 
den toten Kameraden, machte dann langsam und be- 
dächtig kehrt und entfernte sich wieder. Nie mehr 
rief er von da ab nach Grayface, wie es sonst seine 
Gewohnheit gewesen. 

Gegen Abend hatte B. einen Köder erlegt, und wir 
wanderten miteinander zurück. Die Palmen zu unserer 
Linken zeichneten sich kohlschwarz vom roten Abend- 


153 


himmel ab, während rechts von uns der Vollmond, noch 
blassgrün wie ein Stück Eis, über der Steppe hing. Kein 
Laut war hörbar, ausser dem Gurren der Tauben. 

So gewiss ein bestimmter Duft oder ein Laut in uns 
die Erinnerung an irgendeinen Ort mit plötzlicher 
Wehmut auslöst, so gewiss würde uns von nun an das 
Gurren von Tauben immer wieder an die Ufer des Uaso 
versetzen. Durch das Tagesgrauen und durch das 
silberblaue Morgenlicht, durch die glutheisse Stille 
des Mittags bis hinein in die erlösende Kühle der 
violetten Nacht ertönte ihr immerwährendes Gurren. 
Manchmal schien uns ein leiser Spott darin zu klingen, 
denn ihr immer und immer wiederholtes «Muguu, 
Muguu guu» klingt fast genau wie «Mguu», das Sua- 
heliwort für «Spur». Und was taten wir anderes, als 
Spuren entziffern, Spuren folgen und gar oft wieder 
verlieren ? 

Beständig sahen wir neue Arten von Vögeln, deren 
Namen wir leider nicht kannten, und dann und wann 
lag eine hell- und dunkelblau gezeichnete Feder, schim- 
mernd wie ein Edelstein, auf unserm Pfad. 

Die Vogelwelt war hier so reich, dass wir uns an ihre 
farbige Pracht gewöhnten. Die bunten Weber, die sich 
in ihren geflochtenen Nestkolonien tummelten, die 
Buschkuckucke, die bei ihren chromatischen Duetten 
immer wieder aus dem Takt fielen wie zwei mutwillig 
trabende Pferdchen, die Würger, die eine Note pfiffen, 
dann ihre Oktav (nur um ein weniges zu hoch) und 
dann die erste Note wiederholten, die Lerchen, die sich 
mit schwirrendem Flügelschlag in die Höhe schwangen, 
die Stare mit ihrem Metallglanz wie grüne Käfer, und 
andere Vögel mit flammenden Brustfedern, die Eisvögel 


154 


und Schwalben. Am vertrautesten aber war uns der 
Ruf des Perl- und Rebwildes in der Dämmerung. 

Die acht Löwen und die vierzig Elefanten hatten an- 
scheinend nicht auf uns gewartet; so gingen wir wieder 
über den Fluss zurück. Wir fanden eine Furt, an der uns 
das Wasser nur bis zum Gürtel reichte. Der Fluss war 
in fünf Tagen um ebenso viele Fuss gefallen. Wir 
marschierten eine knappe Stunde, als wir auf Elefanten 
stiessen. Es befand sich keiner darunter, den zu erlegen 
es sich verlohnt hätte, der Leitbulle hatte einen ab- 
gebrochenen Stosszahn. 

Die langersehnte Gelegenheit für meine Kamera 
war da! Beim Anpürschen gelangten wir unmittelbar 
hinter eine Kuh, doch im dichten Unterholz war es 
unmöglich, sich ihr von der Seite zu nähern. Wir 
warteten eine Weile, aber als sie sich nicht rührte, 
krochen wir zurück, um ihr von einer andern Seite 
beizukommen. Dies brachte uns zu einer kleinen Lich- 
tung, auf der eine zweite Kuh stand. Imgleichen Augen- 
blick trat ein Kalb ins Freie; es war noch so klein, dass 
man es beinahe hätte auf den Arm nehmen können. 
Es war überaus reizend, zuzusehen, wie es bedächtig 
auf uns zukam, mit den Ohren klappte und mit dem 
kleinen Rüssel sorgfältig den Boden untersuchte, mit 
komisch selbständigem Gebaren, wie die Miniatur- 
Ausgabe eines erwachsenen Elefanten. Einen gestürz- 
ten Baumstamm, der in seinem Weg lag, betrachtete 
es eine Weile, dann hob es einen nach dem andern 
seiner Läufe, die voll Lehm waren, und putzte sie fein 
säuberlich ab. 

So sehr nahm uns der Anblick gefangen, dass es 
uns gar nicht in den Sinn kam, die Kamera zu gebrau- 


155 


chen, bis der Kleine wieder ausser Sicht zwischen 
den Bäumen verschwunden war. Aber wir kamen 
nicht dazu, uns über diese Unterlassung zu grämen, 
denn im gleichen Augenblick teilten sich die Büsche, 
und der Bulle erschien. B. hatte die Büchse schussge- 
recht und sagte mir ins Ohr: «Reiss aus, wenn ich rufe». 
Der Elefant verhoffte; er witterte Gefahr, aber er schien 
über die Richtung unschlüssig. Plötzlich besann er sich 
und kam den Pfad entlang, geradewegs auf uns zu, 
die Ohren weit ausgebreitet. Ich hatte nur noch ein 
Negativ übrig, und kurz entschlossen stellte ich die 
Entfernung auf zehn Meter ein und nahm mir vor, 
auszuharren, bis das majestätische Tier, das wie ein 
Schiff unter vollen Segeln auf uns zusteuerte, das Blick- 
feld ausfüllte. 

Als B. mir das verabredete Zeichen gab, machte ich 
kehrt, lief so schnell ich konnte zwischen Baumstäm- 
men und Büschen hindurch und schloss die Kamera 
im Laufen, Brahimo folgte dicht hinter mir im gleichen 
Tempo, und so sah ich keinen Grund, anzuhalten, bis 
ein weiterer Zuruf B.’s mich stoppte. 

Für B. hatte sich der Vorgang nicht ohne Komik 
abgespielt: Als der Elefant die Stelle erreicht hatte, an 
der wir vorher gestanden, bekam er plötzlich unsere 
Witterung in seinen schwingenden Rüssel. Augen- 
blicklich wurde er flüchtig, und während ich nach 
links ausriss, schlug er sich nach rechts in die Büsche; 
eine halbe Minute später suchte die ganze Herde pras- 
selnd und trompetend das Weite. 

In der Annahme, dass die flüchtige Herde nun alles 
übrige Wild vergrämt habe, beschlossen wir, unsere 
Tätigkeit wieder dem andern Flussufer zuzuwenden. 


156 


Als wir am Rand des Wassers standen, bemerkten wir 
in einiger Entfernung ein Krokodil; wir warteten in 
der Hoffnung, dass es sich auf Schussweite nähern 
würde. Wohl hatten wir schon viele Krokodile gesehen, 
aber bis jetzt waren sie noch immer zu schlau gewesen. 

Bald erschien es wieder an der Oberfläche, und zwar 
so nahe, dass seine Absicht, uns näher in Augenschein 
zu nehmen, offenbar war. Einen Augenblick später 
tauchte aus einem Wirbel gerade zu unsern Füssen 
seine schleimig-grüne Schnauze auf. B. feuerte aus 
nächster Nähe, und das Untier schnellte senkrecht in 
die Luft, wie von einer Mine hochgeschleudert, fiel 
aufklatschend ins Wasser zurück und sank dann wie 
ein Stein. Einer seiner kurzen Läufe ragte noch über 
die Oberfläche, daran banden wir einen Strick. In 
diesem Augenblick kamen unsere Leute heran, und 
bald hatten wir den Burschen auf dem Trockenen. 
Doch obgleich die Kugel tief in seinen Schädel ein- 
gedrungen war, wand es sich noch und warf sich mit 
nicht zu bändigender Gewalt hin und her; ein Schlag 
seines mächtigen, hornbewehrten Schweifes hätte leicht 
einem Unvorsichtigen das Schienbein zu brechen ver- 
mocht. 

Wir wollten es so schnell wie möglich abhäuten, 
um alsdann unsern Marsch fortzusetzen. Aber als es 
nach Ablauf einer Stunde noch nicht möglich war, 
ihm nahezukommen, warfen wir eine Schlinge über 
seinen Kopf und zogen es an einem Ast in die Höhe. 
Kaum hing das Untier mit seinem ganzen Gewicht in 
der Luft, als der Strick riss. Dreissig Neger fielen auf 
den Rücken, während am andern Ende das Krokodil 
auf die Erde krachte. 


157 


Alle betrachteten die Sache als einen Riesenspass, 
stürzten sich in corpore auf das Krokodil und hielten 
es durch ihr Gewicht nieder, während B. die nötigen 
Schnitte anbrachte. 

Das Loslösen der Kopfhaut nahm den ganzen Tag 
in Anspruch. Die Haut ist mit der Schädeldecke fest 
verwachsen; es war eine wahre Steinmetzarbeit, sie 
von ihr zu trennen. Um jeden einzelnen Zahn des 
rechenartigen Gebisses musste ebenfalls ein Schnitt 
gelegt werden. 

Wir brauchten Arsenikseife in grossen Mengen, 
denn es ging ein Gestank von dem zwölf Fuss langen 
Kadaver aus, der alle unsere bisherigen Erfahrungen 
übertraf. Für den Uaso besass das Krokodil eine ganz 
respektable Grösse. 

Wir bezweifelten nicht, dass das Krokodil es auf 
einen von uns abgesehen hatte. Es stimmte nachdenk- 
lich, sich vorzustellen, wie gering die Aussicht war, 
einem so blitzschnellen und zielbewussten Angriff zu 
entgehen. Ebenso klar war es, dass es nur der grim- 
mige Hunger so kühn gemacht hatte, denn in seinem 
Magen fanden wir keine Spur von Nahrungsresten, 
dafür aber siebzehn blanke Kieselsteine. Es war eine 
so unheimliche Begegnung gewesen, dass es uns beide 
noch lange kalt überlief, und wir beschlossen, von einer 
Überquerung des Uaso abzusehen, solange wir darin 
noch solche ausgehungerte Saurier antreffen konnten, 
denen die weissen Kiesel im Magen klapperten. 

Als wir das Ende des nächsten Marsches erreicht 
hatten, erhob sich der Grabenrand gerade wieder über 
dem Horizont, und wir lagerten an diesem Abend nur 
wenige Stunden von Merty entfernt. 


158 


Die fortgeschrittene Jahreszeit hatte inzwischen eine 
fast unglaubliche Veränderung der Bodenbeschaffen- 
heit mit sich gebracht, wir konnten in wenigen Stunden 
eine Strecke zurücklegen, für die wir noch vor eini- 
gen Wochen mehrere Tage gebraucht hatten. 

Wir brannten darauf, den Grabenabsturz aus der 
Nähe kennenzulernen, eine eigentümliche Felsenmauer 
von ungefähr hundert Metern Höhe, mit einer Reihe 
von Vorsprüngen wie Bastionen und oben flach wie 
das Dach eines Forts. Er besteht aus schwarzen, glatten 
Blöcken, so steil aufgetürmt, dass man aus einiger Ent- 
fernung kaum begreift, dass sie nicht alle herabrollen. 

Das Plateau selbst ist kahl und erstreckt sich viele 
Meilen ins Innere. Man sagt, es werde gelegentlich 
von Elefanten und Büffeln durchzogen. Wir bekamen 
aber kein Wild zu Gesicht, denn die Sonne war schon 
im Sinken; doch unser Auge schweifte von dieser 
Felsbastion über einen Horizont, unendlich wie das 
Meer, und durch das Land, das wie eine Landkarte 
zu unsern Füssen ausgebreitet lag, schlängelte sich der 
Uaso in die Ferne. Über alles senkten sich langsam 
die weichen Flügel der Nacht. 


159 


Am Unterlauf des Tana 


Der Wegnach Garba-Tula sollte eine richtige Wüsten- 
route sein und die einzige Wasserstelle der dortige 
Brunnen. 

Wir stellten uns demgemäss eine sandige Öde unter 
einem ehernen Himmel vor; statt dessen mussten wir 
den grössten Teil dieser sechzig Meilen knöcheltief 
durch Wasser waten, die Wüste war grün und blumen- 
übersät wie ein Garten, und Garba-Tula mit seinen 
Strohdächern, die sich um eine Wiese gruppierten, so 
ländlich wie ein Bauernhof im Herzen Englands. 

Die Wasser-Kamele nahmen sich in dieser Umgebung 
höchst grotesk aus; es gibt kein Geschöpf, das durch 
Regen so ganz aus der Fassung gebracht wird wie das 
Kamel. Ihre kläglichen Versuche, auf dem schlüpfrigen 
Boden vorwärts zu kommen, boten einen jämmerlichen 
Anblick ; die langen Beine glitten hilflos nach allen Rich- 
tungen, jedes für sich, wie ebensoviele schlecht be- 
festigte Stelzen. Wir hatten gehofft, sie als Reittiere zu 
benutzen, doch die Boran-Kamele sind nicht zugeritten 
und sollen überhaupt so unzähmbar sein, dass sie jeden, 
der es doch versucht, sie zu reiten, mit den Zähnen 
von ihrem Höcker herunterreissen oder mit ihm auf 
Nimmerwiedersehen durchbrennen. Ich hätte gerne 
die Wahrheit dieser wilden Gerüchte auf die Probe 
gestellt, nicht nur, weil ein Kamelritt mir schon lange 
als Hauptreiz dieses Treks vorgeschwebt hatte, sondern 


160 


gleichen Augenblick teilten sich die Büsche, 


und der Bulle erschien (S. 156) 


B.v.W. mit Bongoköpfen 


Te 
a 


ee 
A: 


weil jetzt auch eine Frage akut wurde, die ich schon 
lange erwartet hatte: B. bestand darauf, dass ich Brow- 
nie, jetzt unser einziges Reittier, benützen sollte. Glück- 
licherweise konnten wir aber ein zweites Maultier auf- 
treiben, gerade als wir im Begriff waren, Merty zu ver- 
lassen. 

Wir marschierten meist bei Nacht, so dass wir wenig 
Wild zu Gesicht bekamen. Dennoch bereicherten wir 
unsere Sammlung um ein wertvolles Stück. B. rettete 
es gerade noch davor, in unser Feuer zu laufen und 
fand bei näherem Zusehen, dass es eine der seltenen 
Nacktratten war. Sie hatte ungefähr die Grösse einer 
Maus, war vollständig unbehaart und besass nur rudi- 
mentär entwickelte Augen und Ohren, dafür aber 
vier sehr lange Zähne, die ihr das Aussehen eines klei- 
nen Walrosses gaben. Ein paar Tage später fanden wir 
drei weitere Nacktratten. Weil sie sich mit Posho füttern 
liessen und überhaupt gut mit uns auskamen, aber auch, 
weil wir nur noch eine Spiritusflasche übrig hatten, 
liessen wir sie am Leben. 

In Garba-Tula gab es einen indischenKramladen, zur 
grossen Freude unserer Leute, die allsogleich Vorschuss 
verlangten; aber auch wir stöberten eifrig darin nach 
Konserven. Die Büchsen waren für uns ihr Gewicht 
in Gold wert, und augenscheinlich auch für den Babu, 
der sie uns verkaufte. Wir feilschten um ein Dutzend 
Büchsen und etwas Mehl und Zucker wie etwa Anti- 
quitätenhändler um kostbares altes Zinngeschirr. Die 
Aufschriften dieser Büchsen, «Pfirsiche», «Petits 
pois», «Bohnen mit Speck», Wörter, die wir fast an- 
dächtig lasen, erschienen uns wie ein Märchen. Wir 
bezahlten für alles nicht weniger als 200 sh. Aber dass 


161 


wir sie überhaupt bekamen, war schon mehr als wir ge- 
hofft, und wir wussten, dass uns diese Extravaganz 
auch später nicht reuen würde. Ausserdem kauften 
wir noch einige Hühner und über ein Dutzend wirklich 
frischer Eier. 

Die teuer erworbenen Vorräte hatten uns ingehobene 
Stimmung versetzt; mit neuem Mut machten wir uns 
wieder auf den Weg, zwischen den seit dem Regen 
blütenduftenden Dornbüschen hindurch, gefolgt von 
unsern vier Kamelen, die wie vier dünkelhafte Philo- 
sophen im Rhythmus ihrer hölzernen Glocken auf 
weichen Sohlen hinter uns her stolzierten. 

Wir hatten einen Führer gefunden, der uns zum 
Kinna- (oder Mackenzie)-Fluss führen sollte. Er sah 
wie ein Halbsomali und geborener Führer aus. Am 
Handgelenk trug er einen kleinen geschnitzten Schemel, 
und zu seiner weitern Ausrüstung gehörte eingänzlicher 
Mangel an Ortssinn, wie wir alsbald entdecken sollten, 
denn schon am ersten Morgen führte er uns falsch. 

Den ganzen Tag wand sich der Pfad zwischen Dorn- 
büschen hindurch, eine sehr ungemütliche Gegend, 
um sich darin zu verirren. Bei Sonnenuntergang liessen 
wir den Führer kommen und fragten ihn, wie weit 
es noch bis Bisanadi am Kinna-Fluss sei. Er hob die 
Schultern und nahm Allah zum Zeugen dafür, dass er 
nicht wisse, ob es bis zum Kinna zwei oder fünf Tage- 
reisen seien. Da niemand von uns in dieser Gegend ge- 
wesen, waren wir völlig in seiner Hand und trösteten 
uns damit, dass wir die Wasser-Kamele bei uns hatten 
und häufig auf Regenpfützen stiessen. In der Trocken- 
zeit wäre es allerdings bedenklich gewesen, hier vom 
rechten Weg abzukommen. Aber schon am folgenden 


162 


Tag — wir waren kaum sechs Stunden unterwegs — 
senkte sich der Boden, und in der Ferne zeichnete sich 
ein schmaler, baumbestandener Streifen ab. Diesmal 
war es keine Luftspiegelung, und bald wateten wir 
durch die Wasser des Kinna. Wo Bisanadi lag, wusste 
niemand, aber das bekümmerte uns nicht mehr, hatten 
wir doch jetzt den Fluss als sichern Führer. 

Der Kinna erschien uns reizvoller als der Uaso und 
viel einsamer. Der Uaso ist das anerkannte Jagdrevier 
aller Sportsleute, hier in dieser weltverlorenen Gegend 
kamen wir uns wie Forschungsreisende vor. An einem 
einzigen Tag bekamen wir hier mehr Wild zu Gesicht 
als während einer Woche am Uaso, und B. erbeutete 
einen kapitalen Oryx-Bullen, eine Trophäe, die schon 
seit Maji-Chumbe das Ziel unserer Wünsche gewesen 
war. Die Verfolgung des Bullen führte ihn auf einen 
Hügelzug, von dem aus der Blick bis zurück nach 
Maua und auf die Jombeni-Kette reichte. 

Als wir in eines der vielen ausgetrockneten Fluss- 
betten hinabstiegen, hielt der Führer plötzlich an und 
wies auf die gegenüberliegende Böschung. Wir hatten 
Mühe, gegen das schräge Sonnenlicht und durch das 
Gewirr der Blätter ein Kleines Kudu zu unterscheiden, 
das mit erhobenem Haupt nach uns äugte. Eine Kugel 
machte den Sand unter ihm aufstieben, es schnellte 
sich hoch in die Luft und setzte in das Dickicht. Sein 
schöngewundenes Gehörn, das einen Augenblick lang 
verführerisch in der Sonne geglänzt hatte, liess uns 
seine Spur mit besonderem Eifer aufnehmen. Doch 
wir erreichten es nicht mehr, dagegen bekamen wir 
im Verlauf unserer Pürsche drei weitere Böcke zu 
Gesicht. 


163 


Kurz daruaf traten wir aus einem Waldsaum und 
fanden uns unvermittelt am Ufer eines breiten Flusses 
— wir waren am Tana. 

Wir trauten unsern Augen kaum, denn der Führer 
hatte uns versichert, dass wir noch weit von Bisanadi 
entfernt seien, und von dort bis an den Tana sollten 
es noch immer zwei Tagereisen sein. Waren wir 5o oder 
150 Meilen von Hamaye entfernt? Auch die Karte gab 
keinen Aufschluss, denn wir wussten nicht genau, an 
welcher Stelle wir den Kinna verlassen hatten. Erst in 
Hamaye aber konnten wir unsere Vorräte an Posho 
ergänzen, von dem wir gerade noch genug für drei 
Tage hatten. Wir waren daher über den Anblick des 
Tana höchst erfreut und schlugen hier unser Lager auf, 
in der bestimmten Voraussicht, in spätestens zwei 
Tagen in Hamaye zu sein. 

Wir hatten gehört, es sei nicht gewiss, dass der Kinna 
tatsächlich in den Tana münde, und um weitere Zweifel 
zu zerstreuen, machte ich von der Mitte des Kinna aus 
eine Aufnahme, die zeigt, wie er sich im rechten Winkel 
in den Tana ergiesst. 

Von Hamaye aus sollte die Safari über Maua und 
Meru nach Nairobi zurückkehren — eine Strecke, um 
die wir sie nicht beneideten —, während wir uns den 
Tana hinab in Einbäumen an die Küste tragen lassen 
wollten. 

Der Abschied von den Leuten ging uns beiden sehr 
nahe, besonders die Trennung von unserm treuen 
Maithia, der in seine Heimat, Maua, dem Aufenthalts- 
ort des sagenhaften Riesen-Elefanten, zurückkehrte. 

Es war noch Zeit für eine Gruppen-Aufnahme, und 
da sie vor allem «typisch» werden sollte, schwangen 


164 


die Träger ihre Messer und Pangas, Kasaya spielte auf 
seiner kleinen Geige, Mvanguno wetzte sein Schab- 
messer, der Koch rührte in seinem Kochtopf, Jim 
bereitete einen Siphon, Kisima reichte Platten, der 
Ziegenboy brachte seine Ziegen, der Syce die Maul- 
tiere, und sogar die Kamele konnten nach vielem Wie- 
derholen des Zauberwortes «Tuuh» dazu bewogen 
werden, sich dem Gesamtbild einzufügen. Die Leute 
waren trotz dem bevorstehenden Marsch in Fest- 
stimmung. Als Überraschung bekamen sie noch alle 
«King-Stork »-Zigaretten, dann machten sie sich unter 
Singen, Lachen und Rufen an die erste Etappe ihres 
langen Rückwegs, wie Kinder auf einem Schulausflug. 

Nach vierundzwanzigstündigem Regenguss war der 
Abend wolkenlos klar und erfüllt von den murmeln- 
den Stimmen des Wassers. Die Erde schien zu jubi- 
lieren über die Wasseradern und Giessbäche, die in eili- 
gem Lauf dem Fluss zustrebten. Der neue Mond hing 
wie ein silberner Bogen am Himmel, daneben funkelte 
der Abendstern. Im bleichen Glanz schimmerte der 
Fluss, der in reissendem Lauf die Zweige der Büsche 
erfasste und wieder zurückschnellen liess. 

Der Anblick der hoch ans Ufer gezogenen Barken 
erinnerte uns plötzlich wieder daran, dass wir uns im 
Morgengrauen des folgenden Tages dieser wirbelnden, 
tanzenden Flut anvertrauen würden. 

Als wir am nächsten Tag die Boote genau besahen, 
kamen uns leise Bedenken, wie es wohl um ihre See- 
tüchtigkeit stehe. Die Wellen warfen sie rauh gegen- 
einander und zerrten an den Bootsleinen, und der Berg 
an Ladung, der neben ihnen aufgetürmt lag, schien 
nimmer darin Platz zu finden. 


165 


Es waren im ganzen sechs Einbäume, je zwei mit 
Stricken vereinigt, die uns, unsere Lasten, das Zelt, 
sieben Träger, vier Ziegen, den Hund und zwölf Rude- 
rer aufnehmen sollten. Die Lasten konnten wir unmög- 
lich noch weiter einschränken, und noch weniger konn- 
ten wir einen der sieben Leute missen. Es waren nur 
noch die Gewehrträger, die persönlichen Boys, Mvan- 
guno, Bokari und der Koch übrig. Allein um das Zelt 
aufzuschlagen, konnten wir keinen von ihnen entbeh- 
ren. Endlich war alles verstaut, bis auf ein aufgeregtes 
Huhn, für das kein Plätzchen mehr übrig schien. Der 
Koch war sogleich Herr der Situation: ohne ein Wort 
zu verlieren, ergriff er es, verschwand mit ihm hinter 
einem Busch und schnitt ihm dort seelenruhig die 
Kehle durch. Wenn wir diese Tat auch als gefühlsroh 
empfanden, mussten wir doch abends zugeben, dass uns 
der Braten ausgezeichnet schmeckte. Endlich waren wir 
eingeschifft und stiessen vom Ufer ab. Die Strömung 
erfasste uns, drehte uns bei und trug uns flussabwärts; 
die Ufer glitten vorüber, der sonnenbeschienene Lan- 
dungsplatz verschwand hinter einer Biegung. 

Die Boote bestanden ganz einfach aus ausgehöhlten 
Baumstämmen, aber sie waren weit genug, um unsere 
Matratzen aufzunehmen. Über das Gitterwerk, das sich 
über unsere beiden Einbäume wölbte, breiteten wir rote 
Wolldecken und eine Zeltbahn und hatten auf diese 
Weise ein schönes Sonnendach. Aber es war zu niedrig, 
um aufrecht sitzen zu können, so blieb uns nichts 
übrig, als lang ausgestreckt, den Oberkörper durch 
Kissen gestützt, dazuliegen. 

Das waren paradiesische Tage! Träumend zurück- 
gelehnt, schauten wir durch halbgeschlossene Augen 


166 


den Ruderern zu, deren in rhythmischem Schwung 
bewegte Schultern sich bronzefarbenvondem wechseln- 
den Hintergrund, Himmel, Grün und Wasser, abhoben. 
Es war köstlich, im Halbschlummer dem Plätschern 
des Wassers zu lauschen, das an der Bordwand dahin- 
gurgelte, während der Fluss uns mit einer Geschwin- 
digkeit unserem Ziel entgegentrug, die unsere ge- 
wöhnlichen Marschzeiten um das Doppelte und Drei- 
fache übertraf. Nach den Anstrengungen all dieser end- 
losen Märsche nun wirklich auszuruhen und zu genies- 
sen, erfüllte uns mit tiefster Genugtuung. 

Die Ufer waren mit der üppigsten tropischen Vege- 
tation überwuchert; die Urwaldriesen griffen oft weit 
über die Wasserfläche hinaus, so dass die Boote manch- 
mal unter belaubten Bogengängen dahinfuhren. Dann 
und wann strichen Blätter mit leisem Zischen über das 
Dach, oder ein Ast streifte kratzend die Bordwand. 

Nach zwei Tagen gleichmässiger Fahrt erreichten 
wir die Stromschnellen. Wir schickten die Leute ans 
Land, während wir selbst uns diese Sensation nicht 
entgehen lassen mochten. Nachher mussten: wir uns 
allerdings eingestehen, dass wir recht unvorsichtig ge- 
wesen, denn unter unserm Sonnendach wären wir wie 
die Mäuse in der Falle ertränkt worden, wenn das 
Kanoe gekentert wäre. Zwei alte Schiffer von einem 
benachbarten Kraal dienten als Piloten, sie dirigierten 
unsere schwerfälligen Fahrzeuge mit bewundernswerter 
Geschicklichkeit durch die Schnellen, von denen sie 
jeden Zollbreit zu kennen schienen. 

Wir schossen aus der bernsteinfarben schimmernden 
Wasserfläche unmittelbar in den kochenden Strudel 
hinein; es donnerte in unsern Ohren, Schaum spritzte 


167 


hoch über uns, die Ufer sanken zurück, und es sah aus, 
als wäre Rettung aus diesem Hexenkessel unmöglich. 
Es waren aufregende Augenblicke, und doch, als wir 
uns wieder im flachen Wasser befanden, Atem holten 
und wieder Herr über unsere Boote geworden, bedauer- 
ten wir nur, dass es nicht länger gedauert hatte. Im 
eigenen Kanoe, ohne Büchse, die nicht nass werden 
durfte, und vor allem ohne Sonnendach, müsste diese 
Stromschnellenfahrt ein aufregender Sport sein. Doch 
das konnten wir uns nicht leisten, wir mussten unsere 
Fahrt stromab ohne weitern Zeitverlust fortsetzen. 
Um zu warten, bis die an Land geschickten Leute 
uns einholten, landeten wir beim Kraal. Die beiden 
Piloten, die ein kleines Bakschisch ganz überglücklich 
gemacht hatte, brachten uns einen jungen Schafbock 
als Gegengeschenk. Dann breiteten sie feingeflochtene 
Matten aus, und die ganze Bevölkerung kam herbei, 
um uns in Augenschein zu nehmen. Da sie kein Suaheli 
verstanden, kam keine Unterhaltung zustande; doch 
waren sie sehr freundlich und gutgeartet. Sie gehören 
zu den primitivsten der überlebenden Stämme, und 
doch benahmen sie sich mit solch gelassener Würde, 
dass für sie der Ausdruck «Wilde » kaum angebracht war. 
Hier, an den weltvergessenen Ufern des Tana, war 
der Begriff der «kostbaren» Zeit noch unbekannt. Kei- 
nen Augenblick kam in uns das Gefühl auf, dass wir 
hier Zeit verloren, die wir vielleicht anderswo besser 
ausnützen konnten. Wir waren in lebendiger Berüh- 
rung mit der Poesie, die sich noch in alten Reisebe- 
schreibungen verbirgt und die wir heute auf unserm 
Erdteil vergeblich suchen; denn so selten haben wir 
Zeit, stillzustehen und den Augenblick zu erleben. 


168 


Leider konnten wir nicht länger verweilen, und wir 
bedauerten sehr, von diesem unberührten Land nicht 
mehr zu schen als nur zwei undurchdringliche Wälle 
von Urwald zu beiden Seiten unserer Wasserstrasse. 

Jeden Morgen aber benützten wir die Zeit, wenn das 
Lager abgebrochen wurde, um kleine Streifzüge land- 
einwärts zu unternehmen. Eines Tages hatte B. einen 
ausgedehnteren Pürschgang beabsichtigt. Wir ver- 
abredeten, dass ich eine halbe Stunde unterhalb des 
Lagerplatzes wieder landen und einen Signalschuss ab- 
geben solle. Im Augenblick aber, als ich vom Ufer 
abstossen wollte, hörte ich in einiger Entfernung 
stromaufwärts einen Pfiff, zum grossen Glück für B., 
der in dem fast unentwirrbaren Ufer-Dschungel so 
gründlich die Richtung verloren hatte, dass er sich 
einige Meilen stromabwärts glaubte, während er tat- 
sächlich stromaufwärts gegangen war — bei den viel- 
fachen komplizierten Windungen des Flusslaufs kein 
Wunder. 

Als wir wieder in offeneres Gelände kamen, führte 
uns die Jagd nach dem Kleinen Kudu oft weit landein- 
wärts, und wir kehrten erst gegen Mittag zu den Booten 
zurück. ‘ 

Sankuri, eine Regierungsstation am Ufer des Flusses, 
lag hinter uns. Wir hatten dort unsere Reise für zwei 
Tage unterbrochen. Den einen benützten wir zur 
Löwenjagd, den andern verbrachten wir auf der kühlen 
Veranda des Regierungsgebäudes. Man trifft so selten 
Weisse, und es gab deshalb so viel zu erzählen und zu- 
zuhören, dass die Stunden unmerklich verstrichen und 
wir unsere ungeduldig an den Stricken zerrenden Boote 


ganz vergassen. 


169 


Einen Löwen hatten wir zwar nicht bekommen, 
aber B. brachte einen Leoparden zur Strecke, und da 
in den andern Booten kein Schatten zum Aufspannen 
seiner Haut war, hing sie nun unter unserm eigenen 
Sonnendach und machte im Verein mit dem Hund, 
den Nacktratten, einem Chamäleon, einem Ichneumon 
und noch viel anderem den Aufenthalt darunter fast 
unerträglich. Dazu wurde es täglich heisser, denn mit 
jedem Tag gelangten wir in um einige Fuss tiefer ge- 
legene Zonen. 

Während der Mittagsrasten am Ufer hatten wir 
wenigstens zeitweise Ruhe vor unsern Mitpassagieren. 
Eines Tages, als wir ganz zufällig irgendwo am Ufer 
anlegten, öffnete sich vor uns ein Zauberwald, den 
sicherlich noch nie der Fuss eines Weissen betreten. 
Ein jeder Wald hat seine eigene Seele, dieser hier aber, 
mit seinen dämmerigen hohen Stämmen, zwischen 
denen die Sonnenflecken wie verstreute Goldstücke 
am Boden lagen, liess uns den Atem anhalten. Gegen 
Abend kletterten wir gewöhnlich aus unserer Mause- 
falle hervor und setzten uns vorn auf die Spitze des 
Bootes. Lautlos wie Vögel im Flug glitten wir dann 
über die@Wasserfläche dahin, so dass wir oft Trupps 
von Affen überraschten, die dann unter Kreischen und 
Schütteln von Ästen das Weite suchten. 

Nach neun Tagen Ruderfahrt vertauten wir unsere 
Boote am Landungssteg von Masa-Bubu. 


170 


Am Unterlauf des Tana, Lamu 


Von Masa-Bubu aus unternahmen wir eine kleine 
Expedition landeinwärts zur Erbeutung von Hunter’s 
Hartebeest (Damaliscus Hunteri‘). 

Diese Art, die hier Hirola genannt wird, war für 
unsere Sammlung von grossem Wert, da sie eine Zwi- 
schenform von Hartebeest und Impala sein soll. Ihr 
Vorkommen ist sehr beschränkt; ausser im Jubaland 
ist sie nur in dem kleinen Gebiet nördlich des Tana 
anzutreffen, das wir nun aufsuchten. Der ganzen Tana- 
fahrt hatte die Absicht zugrunde gelegen, eben diese 
seltene Antilope zu erbeuten. 

Da das Gebiet der Hirola erst 40 Meilen landeinwärts 
beginnt, nahmen wir Wasser-Kamele mit. Zuden Kame- 
len erhielten wir eine Eskorte von sechs Askaris als 
Schutz gegen umherziehende Somali-Räuber. 

Alles schien sich im Anfang dem Aufbruch entgegen- 
zusetzen: eines der Kamele verendete, ein zweites war 
ebenfalls nicht weit davon, ein Askari bekam Fieber, 
und wir konnten zuerst keine Träger bekommen. Als 
diese Schwierigkeiten glücklich beseitigt waren, wur- 
den die Askaris widerspenstig und brachten allerlei 
Gründe vor, warum wir nicht aufbrechen könnten: 
das Gras sei schon zu hoch, die Wasserstellen ausge- 
trocknet und so fort, und wenn wir nicht sehr ener- 
gisch aufgetreten wären, hätten wir an Ort und Stelle 
unser Lager aufschlagen können. Wir erreichten es 
aber, die noch viel widerspenstigeren, brüllenden 


171 


Kamele zu beladen und einen langen Nachtmarsch 
hinter uns zu bringen. 

Wir waren übereingekommen, bis zu einer ungefähr 
20 Meilen entfernten Wasserstelle zu marschieren. Als 
nach Ablauf einer Stunde der Führer der Askaris 
feierlich erklärte: «Hier ist das Lager», nahm ihn B. 
sich einmal ganz gehörig vor. Das war das einzig wirk- 
same Mittel, sich Geltung zu verschaffen, und von 
nun an ging alles nach Wunsch. 

Die nächtliche Wanderung im bleichen Vollmond- 
schein neben der Kette geräuschlos einherschwanken- 
der Kamele, die schweigende Steppe: nie hatten wir die 
Poesie der afrikanischen Landschaft packender emp- 
funden. Wir befanden uns auf der Strasse nach Lamu, 
und die verschiedensten Fährten waren so deutlich er- 
kennbar wie im Tageslicht. Plötzlich erschien zwischen 
Giraffe, Oryx und Kudu eine neue Spur, scharfumrissen 
wie ein Pique-Ass — die Spur des Hirola. 

Bis das Lager fertig aufgeschlagen war, wurde es 
beinahe Morgen, und B. machte sich sogleich auf zu 
einer kurzen Orientierung, wie er meinte. Es wurde 
indessen beinahe Sonnenuntergang, bis er endlich zu- 
rückkam, und selbst das hatte er nur einer gütigen Vor- 
sehung zu verdanken. 

In diesem Flachland — Sand- und Dornbusch, so- 
weit das Auge reicht — war die Strasse das einzige 
Hilfsmittel, wonach man sich orientieren konnte. B. war 
südlich der Strasse in den Busch abgewichen und hatte 
dort eine Giraffengazelle mit einzigartig schönem Ge- 
hörn angeschossen. Er nahm sogleich die Nachsuche 
auf, und das waidwunde Tier hatte ihn kreuz und quer 
durch das Gestrüpp geführt, bis endlich die Schweiss- 


172 


spur aufhörte. B. wartete dann auf den Koch und die 
Träger, in der Absicht, mit ihnen zur Strasse und darauf 
zum Lager zurückzugelangen ehe die schlimmste Tages- 
hitze begann. 

Aber nun wusste niemand mehr, wo die Strasse lag. 
Ali, der Koch, deutete nach Norden; keiner der andern 
wollte eine eigene Meinung haben. 

Ali hatte uns zwar schon früher wiederholt irre- 
geführt, aber seine Abstammung als halber Somali ver- 
leitete uns immer wieder dazu, uns seinem Ortssinn an- 
zuvertrauen. Nachdem B. den Kompass konsultiert, 
schlug er darum eine nördliche Richtung ein. 

Die Sonne stieg höher und höher, und noch immer 
marschierten sie nordwärts. 

Allmählich war es allen klar geworden, dass sie sich 
verirrt und in der Aufregung der Jagd irgendwo die 
Strasse überschritten haben mussten, ohne darauf acht- 
zugeben. | 

Man muss es selbst erlebt haben, um sich den Schrek- 
ken zu vergegenwärtigen, den die Gewissheit, sich ver- 
irrt zu haben, auslöst: 

Du bist in einer bestimmten Richtung geradeaus ge- 
gangen in der festen Überzeugung, du brauchst sie 
nur lange genug einzuhalten, um nach Hause zu ge- 
langen; aber Stunden vergehen, und das silbergraue 
Gezweig bildet ein flimmerndes Gewirr vor deinen 
schmerzenden Augen. Verdacht steigt plötzlich in dir 
auf, und kurz entschlossen machst du kehrt, um jetzt 
mit gleicher Überzeugung die entgegengesetzte Rich- 
tung einzuschlagen. 

Du tröstest dich, wenn du nur den Kopf nicht ver- 
lierest, werde es schon gut herauskommen, aber mehr 


173 


und mehr erfüllt dich das ganze Entsetzen des Verirrt- 
seins, und ein quälendes Verlangen nach Wasser 
— Schlamm, wenn es sein muss, nur irgend etwas 
Flüssiges — lähmt alle Entschlussfähigkeit. 

Sinnlose Angst, Panik erfasst dich..., du beginnst 
zu rennen, hierhin, dahin, planlos, kopflos, bis du eine 
Stunde später plötzlich die erschreckendste aller Ent- 
deckungen machst: du stehst wieder vor deinen eigenen 
Fußspuren. 

B. hatte auf seiner Irrfahrt kein Hirola zu Gesicht 
bekommen, aber der Führer der Askaris machte sein 
unbotmässiges Betragen vom vorigen Tage wieder gut 
durch eine lange Suche und kam mit dem Bericht zu- 
rück, er habe ein Hirola-Rudel festgestellt und ausser- 
dem — in einer Entfernung von zwölf Meilen — eine 
Wasserstelle. 

Es erübrigt sich, auf eine nähere Beschreibung der 
fünf Jagdtage einzugehen, in deren Verlauf B. eine 
schöne Gruppe für das Museum erbeutete. So auf- 
regend, spannend und immer wechselnd das Erlebnis 
der Jagd ist, so eintönig wirkt die wiederholte Beschrei- 
bung. 

Im offenen Dornbusch war es nicht schwer, einen 
guten Bock auszumachen; das gab uns den Ehrgeiz, 
einen Rekordbock zu erbeuten, was uns während dieser 
fünf Tage manche vergebliche Anstrengung kostete. 
Wie oft sprang der Wind um und machte den Erfolg 
unserer Pürsche zunichte: die Hirolas verhofften, schüt- 
telten ihr Gehörn, und im Handumdrehen sahen wir 
ihre weissen Spiegel in der Ferne verschwinden. 

Die Jagd im Dornbusch besass einen ganz besondern 
Reiz, der teilweise darin lag, dass er den Jäger so voll- 


174 


ständig in der Gewalt hatte. Verlor man sich einmal 
darin, so konnte man sich nur durch ein Wunder wieder 
zurechtfinden. Die Strasse war wie ein treuer Freund, 
nur durfte man nicht vergessen, auf welcher Seite man 
sie gelassen. Dass man dies vergessen konnte, klingt 
zwar unwahrscheinlich, aber die «Strasse » war ja nichts 
weiter als eine sandige und zum Teil wieder über- 
wucherte Spur, die man nur gar zu leicht übersah. Ich 
erfuhr dies einmal an mir selbst, als B. mich auf einer 
Pürsche im Scherz fragte, wo die Strasse wohl liege. 
Ich deutete nach vorn, und doch hatten wir sie ganz 
kurz vorher gekreuzt, ohne dass ich es bemerkt. 

Ohne die Strasse hätte selbst eine vieljährige Steppen- 
erfahrung nicht geholfen, denn die Eingeborenen ver- 
loren die Orientierung ebenso leicht wie wir. Hielt 
man von einem Termitenhügel Ausschau, so traf das 
Auge nach allen Richtungen nichts als Busch in un- 
unterbrochener Fläche bis zum Horizont. Anfangs ver- 
fehlten wir auf dem Rückweg regelmässig das Lager, 
bis wir endlich einen Mast errichteten, an dessen Spitze 
ein weithin sichtbares Badetuch flatterte. Dieses Signal 
ersparte uns viel zielloses Umherwandern. 

Die Wüstenhitze war für uns ein neues Erlebnis. 
Sie erschien uns nicht nur als eine blosse negative Un- 
bequemlichkeit, die man ertragen musste — nein, sie 
war eine lebendige Kraft, überwältigend wie ein Orkan 
und doch schweigend und erbarmungslos. Der Boden 
war wie heisses Eisen und machte jeden Schritt zur 
Qual; die Schultern schmerzten, die zu dünnen Augen- 
lider vermochten nicht, den glühenden Sand und den 
Metallglanz der Dornbüsche, die in dem blendenden 
Sonnenglast wogten und schimmerten, abzuhalten. 


175 


Wie angenehm entspannend war es dann, nach diesen 
sonnendurchglühten Jagdtagen im kühlen Mondlicht 
zum Fluss zurück zu marschieren und wie unsagbar 
schön, nach dem nackten Glast der Wüste wieder das 
Grün der Bäume zu erblicken. 

Masa-Bubu war überaus lieblich. Das Zelt lag halb 
verborgen unter schattigen Bäumen, der Fluss, der in 
kühnem Bogen vorüberzog, war in dem friedlichen 
Landschaftsbild das einzige bewegte Element. Bäume 
und Sträucher standen reglos in der Mittagshitze, die 
Eingeborenen ruhten in ihrem Schatten, aber der Tana 
eilte unentwegt dem Meere zu, zurück zur Aussenwelt, 
und bald trug er auch unsere Boote hinweg aus diesem 
Paradies des Friedens, das wohl ewig unverändert und 
ungestört hier weiterträumen würde. 

Einmal hatte es allerdings den Anschein, als ob wir 
nicht fortkommen sollten, da unsere Bootsleute er- 
klärten, sie seien des Ruderns müde, und alle unsere 
Bemühungen, sie umzustimmen, versagten. Dabei wa- 
ren wir noch über 200 Meilen von der Küste entfernt. 
Es war ein Glück, dass die Boote dem «Sultani» ge- 
hörten, der versprach, uns sogleich eine andere Be- 
mannung zu senden. Von da ab wechselten die Ruderer 
bei jedem Kraal; bei unserer Ankunft stand immer 
eine neue Rudermannschaft bereit, und die Ablösung 
vollzog sich ohne Zeitverlust, meist wateten die Leute 
den Booten in den Fluss hinaus entgegen. Sie sangen 
beständig, um ihrer Arbeit Rhythmus zu geben, und 
unsere Hoffnung, dass sie des Singens müde würden, 
gaben wir bald auf, denn die Ablösungen erfolgten un- 
gefähr alle zwanzig Minuten. So melodisch ihre Lieder 
waren, so wirkten sie doch am Ende eines Tages, nach 


176 


neun bis zehn Stunden, ermüdend; dennoch konnte 
man sich vorstellen; mit welcher Wehmut man sich 
dieser Melodien später wieder erinnern würde. Meist 
war es nur ein einzelner Satz, vorgesungen vom ersten 
Boot und dann wiederholt von den andern, zuweilen 
nur ein Fragment, das im Gedächtnis haften blieb; 
und immer war es in Moll. Nichts wäre so wie diese 
einfachen Lieder und wie der Gesang der Vögel ge- 
eignet, das Bild Afrikas hervorzuzaubern, wenn wir sie 
nur alle festhalten könnten. Doch hier ist eine Wieder- 
gabe zweier dieser Strophen: 


Vögel sahen wir in Mengen am folgenden Tag, als 
wir die Waldzone verliessen und wieder durch Sumpf- 
gebiet fuhren.,Der Sumpf machte einen öden Eindruck. 
Gleich dem Lorian prangte er in fast unnatürlichem 
Grün und tönte ringsum wider vom Quaken unzäh- 
liger Frösche, dass es klang wie dasKochen und Zischen 
von tausend Wasserkesseln. Und dieser Sumpf war 
nicht leblos. Störche stelzten gleich Schildwachen längs 
seiner Ufer, Flamingos in zartrosa Farben wie Abend- 
wölkchen standen im Wasser, während die schlammige 
Uferlinie von Ibissen mit ihren weissen, schwarzgerän- 
derten Schwingen — Ägyptens geheiligte Vögel — 


177 


bevölkert war. Pelikane schwammen eine halbe Meile 
weit vor uns her, bevor sie sich mit schwerem Flügel- 
schlag erhoben und über unsere Köpfe hinweg zurück- 
flogen. Selbst die Eisvögel (es waren wohl ein Dutzend 
Arten, einer davon nicht grösser als ein Schmetterling, 
mit purpurschimmerndem Gefieder), die Fischadler und 
anderes Federwild, das man überall am Lauf des Tana 
trifft, traten hier zahlreicher auf als anderswo. 

Trotz diesem Vogelreichtum bedauerten wir nicht, 
das Sumpfland in Booten zu passieren, und wir atme- 
ten auf, als es endlich hinter uns lag. Wiederum kamen 
wir durch Waldgegenden, und in Kosi, wo wir anleg- 
ten, fanden wir Mango- und Bananenhaine und sahen 
die ersten Kokospalmen. Im Schatten der Mangobäume 
zu liegen, ihre herrlichen Früchte zu essen und den 
immerwährenden Durst mit frischer Kokosmilch zu 
löschen, schien mir ein würdiger Abschluss dieser 
Schlaraffentage. B. aber hatte nie viel für die geruh- 
samen Reize eines Südseedaseins übrig gehabt, und sein 
Interesse erwachte erst wieder, als wir Mwina erreich- 
ten und er im Schilf eine Bewegung wahrnahm. Es war 
schon fast dunkel, so dass wir nicht mehr zu erkennen 
vermochten, was sie verursacht hatte. Aber als wir 
am nächsten Morgen zum Aufbruch bereit waren und 
unser Hund nirgends zu finden war, wussten wir, 
was die Glocke geschlagen. Es war geschehen, was wir 
schon lange befürchtet und was unabwendbar einmal 
kommen musste: ein Leopard hatte ihn geraubt. 

B. war entschlossen, einen Tag zu opfern, um dem 
Räuber aufzulauern. Eine Ziege wurde bei einer Dek- 
kung angebunden, und es vergingen keine zehn Minu- 
ten, als sie schon von einem Leoparden gerissen wurde, 


178 


der nun knurrend über ihr stand. Mit einer Kugel in 
der Kehle konnte er trotzdem noch in den Schilf- 
bestand hinein flüchtig werden. B. folgte und sah bald 
sein schwarzgoldgeflecktes Fell zwischen den Halmen 
hindurchschimmern. 

Die Eingeborenen berichteten, dass der gleiche Leo- 
pard erst am Vortage vier Ziegen nacheinander ge- 
würgt habe, um sich an ihrem Blut zu sättigen; dies 
war die fünfte gewesen, und in seinem Magen fanden 
wir die Überreste eines Huhns, einige Rippen und 
Klumpen gelblichen Haarpelzes, die unzweifelhaft von 
einem Airdale-Terrier stammten. 

Einen Leoparden bei hellichtem Tage am Köder zu 
erlegen, war etwas ganz Ungewöhnliches. Wir hatten 
es bei jeder Lagerstelle versucht, mit Ziegen oder 
Affen als Köder, doch stets vergeblich. Allnächtlich 
hörten wir das Knurren von Leoparden, die hier über- 
all häufig vorkommen, aber sie liessen sich nie zu der 
Unvorsichtigkeit verleiten, den Köder anzunehmen. 

Später hörten wir von einer List, die einer der ge- 
übtesten Jäger des Tanalandes mit Erfolg angewendet 
hatte: eine Ziegenherde wird des Wegs getrieben, ge- 
folgt von zwei Männern, die eine weisse Ziege führen, 
an deren einem Hinterbein ein Stein mit einem Strick 
befestigt ist. Ist die vorher vereinbarte Stelle erreicht, 
dann gräbt der eine schnell ein Loch, der andere senkt 
den Stein hinein und scharrt das Loch zu. Dann gehen 
beide weiter ihres Weges, die Ziege bleibt wie zufällig 
zurück und meckert trübselig, nur wenige Schritt vom 
Ansitz des Jägers entfernt. 

Während B. dem Leoparden nachstellte, beschäftigte 
ichmich damit, den Inhalt der Arzneikiste zu trocknen, 


179 


die über Bord gefallen war. Der Träger, dem sie ins 
Wasser fiel, hatte nicht die Geistesgegenwart, sie sofort 
herauszufischen, sondern schaute ihr erst mit offenem 
Mund zu, wie sie davontrieb, und nun war ihr ganzer 
Inhalt mit einer von Permanganat gefärbten Brühe 
durchtränkt. Sogar einige meiner Filme hatten gelitten, 
glücklicherweise aber nicht die Elefantenaufnahmen. 

Am Abend, als wir in Kulesa anlegten, stand die 
Arzneikiste hoch im Kurs: wir hatten einige Frauen 
photographiert, die Korn stampften; sie benutzten dazu 
enge, drei Fuss hohe Mörser und über fünf Fuss lange 
Stössel, die sie mit beiden Händen schwangen und mit 
grosser Wucht herabstiessen. Dies bahnte freund- 
schaftliche Beziehungen an, die darin endeten, dass wir 
bald von ihren Kranken und Siechen belagert wurden. 
B. drückte sich und ging Enten schiessen. Der schlimm- 
ste Fall, den man mir zur Behandlung brachte, war ein 
winziges Bürschchen mit einer Bronchitis. Seine EI- 
tern, die Grossmutter und eine Tante, die ihn gebracht, 
schauten mit grossem Ernst zu, wie ich ihm eine un- 
schädliche Dosis Chlorodyne verabreichte und seinen 
Brustkorb in Watte packte, alles mit einer Selbstver- 
ständlichkeit, als hätte ich jahrelange Erfahrung. 

B. war entsetzt, als ich ihm von der Dosis Chloro- 
dyne erzählte, und behauptete, wir müssten von Glück 
reden, wenn es gelänge, von hier fortzukommen, ohne 
den ganzen Stamm auf dem Hals zu haben. Aber er 
hatte Unrecht; die Eltern waren entzückt über die 
Wirkung, und wir kamen am folgenden Tag ohne 
Zwischenfall bis Garsen. 

Garsen war uns überall am Fluss als ein Wildparadies 
beschrieben worden. Riesige Herden von Topis sollten 


180 


regelmässig an die Ufer zur Tränke kommen, ebenso 
Oribis und Wasserböcke in ganzen Scharen. 

Der Sultani in Garsen machte unsere Hoffnungen 
unzweideutig zunichte. Er behielt recht; die beiden 
Topis, die B. erbeutete kosteten ihn manche Anstren- 
gung, und ihre Häute mussten wir inmitten eines dich- 
ten Qualms zurichten, um uns die Moskitos vom Leib 
zu halten. 

Hier und in Golbante hofften wir auf eine letzte 
Gelegenheit für einen guten Wasserbock, doch Gol- 
bante erwies sich noch ärmer an Wild, da sich gerade 
die Gallas mit ihren Viehherden dort aufhielten. Die 
Gegend galt für besonders schlangenverseucht, und 
auf unsern Pürschgängen stiessen wir auf mehrere 
giftige grüne Mambas. Als B. auf der Jagd nach Perl- 
hühnern eine Lichtung überschritt, hörte er ein Zischen, 
und als er aufblickte, sah er sich einer schwarzen 
Mamba gegenüber, deren Haupt ihm drei Fuss hoch 
über dem Erdboden entgegendrohte. Ein Schrotschuss 
tötete sie augenblicklich; es war ein grosses, acht Fuss 
langes Stück. 

Im Lager legten wir den Körper der Schlange in 
Ringen zusammen, so, als ob sie noch lebte, und brach- 
ten den Ichneumon in seine Nähe. Das Tierchen näherte 
sich in weitem Bogen, neugierig, aber mit gesträubtem 
Nacken. Wir hatten ihn als ganz junges Tier eingefan- 
gen, und dies war jedenfalls seine erste Begegnung 
mit einer Schlange. 

Als wir ihm zum erstenmal ein Hühnerei angeboten, 
hatte er sein Interesse auf ganz ähnliche Art bekundet, 
und es war unterhaltend, zu beobachten, wie sein 
Instinkt langsam erwachte. Als er eingesehen, dass er 


181 


die Schale nicht zerbrechen konnte, trabte er zum 
nächsten Baumstamm, betrachtete ihn kritisch, rollte 
dann das Ei zu ihm hin und stellte sich mit dem Rücken 
gegen den Stamm auf. Dann schleuderte er das Ei 
kunstgerecht zwischen den Hinterläufen hindurch ge- 
gen den Stamm und zerbrach es auf diese Weise. 

Ehe wir nach Golbante kamen, hatten wir eine Nacht 
in Ngao zugebracht, wo Mr. R., ein Pionier des Tana, 
uns einen herzlichen Empfang bereitete. Die aus weissem 
Korallenkalk erbaute Missionsstation besass einen mau- 
risch anmutenden, palmenbeschatteten Hof und war 
auf einem freistehenden Hügel gelegen. Als das 
Schönste aber erschien uns nach unserer langen, zwi- 
schen zwei monotonen Uferlinien verbrachten Strom- 
fahrt der unbegrenzte Ausblick von ihrer höchsten 
Zinne. Nach allen Seiten, scheinbar bis zum Ende 
der Welt, tauchte der Blick in einen Farbenschmelz 
aller Schattierungen von Grün und Blau. 

Man hatte uns gesagt, dass Kone-Dirtu jagdlich sehr 
interessant sei, doch der Häuptling dieses Ortes, ein 
alter Araber mit edlen Zügen unter einem weissen 
Turban und mit der Würde eines Königs, den wir in 
Anasa trafen, erklärte uns, das Gras stehe in dieser 
Jahreszeit schon über mannshoch, und die Elefanten 
hätten die Gegend verlassen. 

Wir fuhren daher weiter stromab bis Kao. Von hier 
an ist der Fluss den Gezeiten unterworfen, und zu 
unserm Leidwesen mussten wir von ihm Abschied 
nehmen; fürs erste war der Landweg kürzer und schnel- 
ler, und zum andern führte er uns durch die Heimat 
von Haggard’s Oribi, einer lokalen Abart, die wir noch 
unserer Sammlung einzuverleiben gedachten. 


182 


Unterwegs sichteten wir einen anscheinend kapitalen 
Straussenhahn, der uns gleichfalls für die Sammlung 
willkommen war. Der scheue Vogel wurde flüchtig, 
bevor wir noch auf 200 Meter herangekommen waren. 
Eine Kugel, die seine Achillessehne streifte, behinderte 
ihn aber in seiner Flucht, so dass wir ihn ohne Schwie- 
rigkeit einholten. Erst dann sahen wir, dass wir ihn 
im schlimmsten Stadium der Mauser erwischt hatten — 
er war stellenweise geradezu schamlos nackt. Der 
Jagdpass erlaubte nur den Abschuss eines einzigen 
Stücks — zu fünf Pfund Sterling. Für uns war er 
vollkommen wertlos, und das Präparieren seiner Haut 
nahm einen ganzen Tag aufreibender Arbeit in An- 
spruch. Die noch haftenden Federn staken nur lose 
in der Fettschicht unter der Oberhaut; wir durften 
diese daher nicht entfernen, und so kostete er uns noch 
den Rest unseres wertvollen Konservierungsmittels. 

Das Gras stand auch hier schon hoch, und die Oribis 
benahmen sich nicht weniger scheu als ihre Artgenos- 
sen vom obern Tana. Nach zwei oder drei fruchtlosen 
Jagdtagen in der Gegend von Witu marschierten wir 
nach Mkonumbe, am obern Ende eines Creeks (schmale 
Meeresbucht). Als wir den freundlichen Regierungs- 
posten von Witu spät am Nachmittag verliessen und 
durch die umliegenden Kokosplantagen wanderten, 
liessen wir uns nicht träumen, dass wir eine Etappe 
von 25 langen Meilen vor uns hatten. Die Schuld daran 
trug ein eingeborener Polizist, der ebenfalls nach 
Mkonumbe wollte und sich uns angeschlossen hatte. 
Da er es eilig hatte, verriet er uns die Stelle, wo das 
Rasthaus der ersten Etappe war, erst lange nachdem 
wir es passiert hatten. Doch es schadete nichts, es war 


183 


ohnehin sehr heiss für Tagesmärsche, und wir waren 
froh, die Strecke bei Nacht zurückgelegt zu haben. 
Wir verkürzten uns den Weg mit Reminiszenzen an 
vergangene Abenteuer. Der Mond ging unter, das 
südliche Kreuz und der grosse Bär tauchten über dem 
schwarzen Rand der Erde auf; endlich hatten wir die 
baumbestandene Steppe hinter uns. Der Pfad führte 
über eine sanft abfallende Heide, und in der einsetzen- 
den Morgenbrise lag schon der Geruch des Meeres. 

Nach ein paar Stunden Rast ging B. Oribi jagen, 
während ich den kleinen Mungo zum Fischen mit- 
nahm. Der Strand war übersät mit den Löchern der 
kleinen, mit einer einzigen weissen oder lachsfarbenen 
Schere bewaffneten Krabben, und sowie ich mich 
näherte, flitzte jede Krabbe in ihr Loch zurück, wo nur 
ihre Schere noch einen Augenblick sichtbar blieb, ehe 
sie gänzlich verschwand. Es war sehr unterhaltend, dem 
Mungo bei seinen Versuchen, sie zu fangen, zuzusehen, 
denn es waren viele Tausende, so dass der Strand wie 
ein Feld von Schneeglöckchen aussah, die zurück- 
wichen, wenn man sich ihnen näherte und plötzlich 
wieder erschienen, sobald man ihnen den Rücken zu- 
kehrte. 

Die wenigen Oribis, die B. zu Gesicht bekam, ver- 
hielten sich so scheu, dass er nie auf Schussweite heran- 
kam. Diese kleinen Antilopen leisten Unglaubliches im 
Springen. B. mass einige Sprünge von über neun 
Metern Länge, und er schätzte, dass ihre Hufe sich 
am höchsten Punkt ihres Sprunges bis zwei Meter 
hoch über dem Boden befinden. Er erlegte ein weib- 
liches Tier inmitten eines solchen Riesensatzes, so dass 
es wie ein geschossener Vogel zur Erde fiel. 


184 


Da B. grossen Wert darauf legte, einen Bock zu er- 
beuten, nützte er jede Stunde bis zur Abfahrt des 
Schiffes; es blieb uns daher wenig Zeit, Lamu anzu- 
sehen, das geschichtlich von einigem Interesse ist. Aben- 
teuerliche Legenden von arabischen Sklavenjägern um- 
geben noch heute seine altertümlichen Gassen und Tor- 
bogen mit einer düstern Romantik. Die Insel besteht 
aus Sand, vom Wind zu kegekörmigen Hügeln ge- 
staltet. Der Sand ist in immerwährender Bewegung, 
der grösste Teil der alten Stadt liegt mehrere Faden tief 
unter den Dünen begraben. Ein Neuling hatte einmal 
sein Haus auf dem höchsten Hügel erbaut, wohl um 
der prächtigen Aussicht willen, aber nach kurzer Zeit 
gab es Risse in den Wänden, und schon wenige Jahre 
darauf versank das Erdgeschoss in den Keller. 

Der Oribibock blieb aber unerreichbar, und nach der 
letzten erfolglosen Pürsche waren wir versucht,eine ge- 
worfene Münze entscheiden zu lassen, ob wir die Dhow* 
nicht doch ohne uns abgehen lassen sollten. Das hätte 
aber den Verlust eines ganzen Monats bedeutet. Schon 
jetzt war unsere Zeit bis zur Regenperiode knapp. 

Wir beabsichtigten, die Bahnfahrt von Mombasa 
nach Nairobi in der Gegend von Voi zu unterbrechen, 
um dort auf die fransenohrige Oryx-Antilope und in 
der Athi-Ebene auf das Kilimandjaro-Gnu und die 
Thomson-Gazelle Jagd zu machen. In Nairobi mussten 
wir eine Woche rechnen, um die gesammelten Trophäen 
in Ordnung zu bringen und um eine neue Expedition 
nach den Aberdare-Bergen vorzubereiten, denn B. 
hatte es vor allem darauf abgesehen, einen Bongo für 
seine Sammlung zu erbeuten. 


* Arabisches Segelschiff 


185 


Der Kapitän der Dhow, die uns den Creek hinunter 
in den Hafen von Lamu brachte, war gewiss der roman- 
tischste Spitzbube, der je in See gestochen, und wer 
. weiss, ob sich wieder einmal die Gelegenheit bot, in 
einer Dhow zu segeln. Trotzdem waren wir froh, dass 
wir nicht für die ganze Fahrt nach Mombasa hinunter 
auf sie angewiesen waren. Wir hatten kaum genügend 
Platz zum Sitzen, die Eingeborenen drängten sich um 
uns herum, und Gerüche von faulenden Fischen, Ab- 
fall und Negern hätten bei etwas rauherem Seegang 
auch den seetüchtigsten Magen umdrehen können. 

Bei Einbruch der Nacht schifften wir uns ein. Der 
Wind blies unserm Kurs entgegen, so dass wir ständig 
kreuzen mussten und der schwerfällige Kasten sich 
bedenklich neigte, wenn ihm der Wind die Segel blähte 
und die Wellen an seine Längsseiten klatschten. Beim 
Kreuzen konnte die Segelstellung nicht vom Heck aus 
geändert werden; ein Schiffer musste jedesmal mit dem 
flatternden Segelende vorn um den Mast gehen, um 
es dann an der andern Bordseite zu vertauen. 

Der Mond, der uns den grössten Teil der Fahrt ge- 
leuchtet hatte, tauchte endlich in honigfarbenem Dunst 
unter, und wir dösten und froren in den Morgen hinein. 
Wir segelten schon der Küste von Lamu entlang, als 
das Segel wie ein schneeiger Gipfel in den Strahlen 
der Morgensonne erglühte. Ein Wald von Palmen 
spiegelte sich im opalschimmernden Meer, und die 
Sonne begann gerade die alten Mauern und Befesti- 
gungen der Stadt mit ihren ersten Strahlen zu röten, 
als wir in den Hafen einliefen. 


186 


Bongo-Jagd in den Aberdare-Bergen 


Dass er sich in der Einsamkeit der Bambuswälder 
aufhielt, dass er sehr selten war, sehr scheu und eine 
der schönsten Antilopen, die es gibt, das war alles, was 
wir über den Bongo in Erfahrung bringen konnten. 
Auch wie er aussah: eine Antilope, beinahe so gross wie 
das Grosse Kudu, auffallend gezeichnet mit weissen 
Streifen auf leuchtend kastanienbraunem Grund. Wir 
hofften, dass ein Wild, das als so buntfarbig geschildert 
wurde, selbst im undurchdringlichsten Urwald nicht 
lange verborgen bleiben könne. 

Aber über seine Lebensgewohnheiten war fast nichts 
in Erfahrung zu bringen. Wanderte er über weite 
Gebiete wie das Kudu, oder hielt er sich, gleich dem 
Buschbock, an einen besonderen Standort? Lebte er 
einzeln oder rudelweise? Was war seine bevorzugte 
Äsung? Niemand wusste etwas über solche Einzel- 
heiten. Aber gerade das bildete einen Hauptreiz unserer 
Aufgabe, dass wir ihre Besonderheiten erst heraus- 
finden mussten, bevor wir die Jagd mit einiger Aussicht 
auf Erfolg aufnehmen konnten. 

Der erste Schritt hiezu war, dass wir unser Lager 
im Gebiet des Bongo aufschlugen und uns mit den Ein- 
geborenen befreundeten. 

Wir erstiegen die Anhöhen von Kijabe und wandten 
uns dann landeinwärts. Auf sumpfigem Plateau, das 
sich wie eine Bucht zwischen Inseln von Bambus-Dick- 
icht und den Berghang hineindrängte, schlugen wir 


187 


unser nach Möglichkeit getarntes Lager auf. Die ein- 
zigen Bewohner dieses Landstrichs sind die Dorobos, 
kleingewachsene, misstrauische Leute und geborene 
Jäger. Sie waren mit allen Gewohnheiten des Bongo 
vertraut und zeigten sich viel zutraulicher, als wir an- 
fänglich erwarteten. Zwei Spurenleser erklärten sich 
bereit, uns beizustehen. 

Eine Schwierigkeit erwuchs uns einzig in der Be- 
dingung, die sie an ihre Mithilfe knüpften: sie brachten 
einen gelben Hund von undefinierbarer Abstammung 
mit; er war alt, voller Narben, ein Auge hatte er im 
Kampf mit einem Leoparden verloren, und sie bestan- 
den darauf, dass ohne seine Hilfe der Bongo auch dem 
besten Jäger unerreichbar sei. Dies stellte uns vor das 
folgende Dilemma: die Dorobos weigerten sich, ohne 
den Hund zu jagen, und das Gesetz untersagte die Jagd 
mit Hunden. Die Jagdbehörde hatte aber für diesmal 
ein Einsehen, weil unsere Expedition einen rein wissen- 
schaftlichen Charakter trug. 

Mit dem Hund und mit der Bereitwilligkeit der Ein- 
geborenen konnte es nun nicht fehlen, und B. war voller 
Zuversicht. Doch mit jedem Tag gelangten wir mehr 
zur Überzeugung, dass die Jagd auf den Bongo in 
dieser Bambuswildnis ungefähr soviel Aussicht hatte 
wie das Suchen einer Nadel in einem Heuschober. 
Der Wald und selbst die Dorobos schienen sich ver- 
schworten zu haben, ihren Bongo nicht herauszugeben. 
Sie konnten eine Spur manche Stunde lang unermüdlich 
halten, doch, wenn sie dann zu tief in den Wald führte, 
gaben sie vor, sie verloren zu haben oder stellten sich 
dumm. Wir waren überzeugt, dass sie genau wussten, 
wohin sich der Bongo gewandt hatte, und wie konnten 


188 


sie sich hier verirren, wo wir überall auf ihre eigenen 
Fallen und Gruben stiessen? Ein jeder Baum in ihrem 
Wald musste ihnen- doch bekannt sein, ein Glied in 
einer langen Kette vergangener Geschehnisse bilden. 

Die Jagd führte zu keinem Ziel, und am Ende des 
zehnten Tages wusste B. genau soviel, als er schon 
am Ende des ersten gewusst hatte. Und doch hatten 
wir inzwischen manches gelernt, was nur die Übung 
zu lehren vermochte. In erster Linie musste man es ver- 
stehen, sich lautlos im dichten Wald zu bewegen, den 
umherliegenden Stämmen ansehen, ob sie unser Ge- 
wicht aushielten oder aber mit einem Knacken nach- 
geben würden, das unsere gespannten Sinne wie ein 
Pistolenschuss traf; wir mussten ohne das leiseste 
Geräusch über Stämme klettern, die in Hüfthöhe den 
Weg versperrten, oder aber unter ihnen durchschlüpfen. 
Zur Wahrung des Gleichgewichts konnte man sich 
leicht versehentlich an einem abgestorbenen Bambus- 
stamm halten, der unter dieser Berührung knickte und 
in seiner ganzen Länge — oft 40 bis 5;o Fuss —krachend 
zusammenstürzte, ein Lärm, der die Bongos im Um- 
kreis einer Meile vergrämen musste. 

Die nun folgenden Tage glichen insofern einer dem 
andern, als alle damit begannen, zu suchen, bis wir eine 
frische Spur fanden und sie zu halten versuchten, bis 
sie sich im Nichts verlor oder bis die Nacht herein- 
brach. Eintönig aber waren diese Tage darum nicht; 
im Gegenteil, je länger wir den Bambuswald kennen- 
lernten, desto stärker zog er uns an. Er hielt uns in 
seinem Bann wie früher der Wald von Meru, und wie 
dieser erfüllte er uns mit dem gleichen Gefühl der Er- 
wartung. Und doch, wie wenig glich er dem Meru-Wald 


189 


oder irgendeinem andern Wald, den wir bisher gesehen. 
Sein Zauber nahm uns gefangen, sobald wir ihn be- 
traten; er war wie eine Welt für sich von Bäumen, 
Lianen und dichten Reihen schlanker Bambusstämme, 
soweit das Auge reichte. Generationen von Bäumen 
bezeugten den Wandel der Zeiten mit der Deutlichkeit 
geschriebener Geschichte: lebensstarke Armeen reck- 
ten sich stolz, wo ihre gefallenen Kameraden lagen, 
und aus den in Humus zerfallenden Leibern drängten 
sich zarte Schösslinge ans Licht. In der Stille seines 
geheimnisvollen Dämmers, in dem man wie in einer 
Kirche unwillkürlich die Stimme dämpfte, spielte sich 
ein gewaltiger Kampf ab zwischen den Hunderten und 
Tausenden von Bäumen um ihren Platz am Licht, 
während die würgenden Lianen Lebende und Tote in 
einem unentwirrbaren Netz ineinander verstrickten. 

Aber noch immer waren wir unserm Ziel,demBongo, 
nicht näher gekommen. Schon waren zwei Wochen 
verstrichen, und die Dorobos hatten genug. Das war 
eine unerwartete Schwierigkeit, aber im Grunde waren 
sie auch keine bessern Spurenleser als Muthoka, einer 
der Kamba-Träger, der sich am Uaso so gut bewährt 
hatte, dass ihn B. nun zum Gewehrträger ausbildete. 
Die Dorobos konnten wir demnach verschmerzen, 
wenn sie uns nur «Rusapi», ihren Hund, zurückliessen. 
Nur mit Mühe brachten wir sie dazu, ihn uns für kurze 
Zeit zu überlassen. Bald sollten wir uns selbst von den 
Eigenschaften überzeugen, die ihn seinen Besitzern 
so wertvoll machten, dass sie ihn gegen keine Reich- 
tümer der Welt tauschen mochten. 

Und das kam so: B. war den ganzen Tag einer Spur 
gefolgt, als er zwischen den Stämmen einen rotbraunen 


190 


Schatten gewahrte. Bevor er Zeit fand, die Büchse 
hochzureissen, entpuppte sich der Schatten als die 
Flanke eines Bongo, der im gleichen Augenblick ver- 
schwand. Wie von einer Sehne geschnellt, war Rusapi 
hinter ihm her, wobei er Laut gab wie ein Hatzhund. 
B. folgte, und im nächsten Augenblick hatte sich der 
Bongo gewendet, kam hochflüchtig gerade auf ihn 
zu, fegte an ihm vorbei und verschwand im Gehölz. 
Ohne eine Möglichkeit zum Zielen drückte B. auf ihn 
ab und fehlte. Doch Rusapi war wieder hinterher, und 
bald tönte in der Ferne sein Standlaut. Es hielt schwer, 
ihm zu folgen; der Hang war so steil, dass B. ihn nur 
mit Hilfe der daraufwurzelnden Bäume erklimmen 
konnte. Ebenso steil war der Abstieg auf der gegen- 
überliegenden Seite. Doch da unten, nicht weit unter 
ihm, hatte sich der Bongo gestellt, das Haupt gesenkt, 
mit bebenden Flanken, das Auge flammend und blut- 
unterlaufen. Vor ihm, gerade ausser Reichweite, stand 
Rusapi und verbellte ihn, was seine Lunge hergab. 
B.’s Kugel brachte den Bongo in die Knie, aber er kam 
sofort wieder hoch und nahm mit gesenktem Gehörn 
an. Ein zweiter Schuss brachte ihn zur Strecke; er fiel 
seitwärts und glitt den Abhang hinab. 

Erst jetzt erkannte B., dass er gar nicht den Bullen 
vor sich hatte, dessen Spur er gefolgt war, sondern ein 
ausnahmsweise kräftiges weibliches Tier. 

Alles hatte sich so schnell und einfach abgespielt, 
dass wir gar nicht begreifen konnten, warum man soviel 
Aufhebens von den Schwierigkeiten der Bongojagd 
machte. Nachdem aber die erste Aufregung vorüber, 
das Gehörn sorgfältig eingeölt, die Haut zugerichtet 
und verpackt war, erschien uns das Ganze wie ein 


191 


Traum; wiederum war der Wald so ausgestorben und 
der Bongo so unerreichbar wie je zuvor. 

Tage und Wochen vergingen, ohne dass etwas ge- 
schah. Mit der Zeit aber sammelte B. seine Beobach- 
tungen. So fand er am Waldrand drei oder vier Wasser- 
stellen mit Salzlecken, die fast jede Nacht von Bongos 
aufgesucht wurden. Wenn es das Mondlicht irgendwie 
erlaubte, postierte er sich in einem als Ansitz ausge- 
worfenen Graben, nachdem er die bevorzugte Lecke 
zuvor mit Salz bestreut hatte. Aber seine Mühe wurde 
nie belohnt, und noch war das Rätsel ungelöst, wohin 
die Bongos sich verzogen, wenn sie den Tränkplatz 
verliessen. Die Spur führte zurück in den Wald, stets 
auf dem gleichen, gut angelegten Wechsel. Sie hielt 
sich meist auf den Kämmen, um ab und zu in ein 
Tälchen hinabzutauchen, Bäche zu überqueren und 
sich dann auf einem andern Kamm fortzusetzen. Aber 
nachher? Das Tageslicht währte nie lange genug, 
dass wir dies herausfinden konnten. Sicher war es, 
dass die Bongos jeden Tag grosse Strecken zurück- 
legten. B. hielt oft Spuren von neun bis zehn Meilen, 
ohne eine einzige Stelle zu finden, wo sie sich nieder- 
getan oder zur Äsung aufgehalten hätten. 

Mit jedem Tag rückte die Regenzeit näher, und wie 
um uns ihr Nahen zu verkünden, begann ein böiger 
Wind durch die Wälder zu pfeifen. Während wir eifrig 
die Spuren entzifferten, seufzte es in den Baumkronen 
über uns, und die Zweige schlugen mit hohlem, 
melancholischem ’Ton gegeneinander. Dem wider- 
strebenden Holz schienen sie Schreie zu entlocken, die 
wie Violintöne einen kleinen Satz in Moll oder gar ein 
ganzes, endlos wiederholtes Arpeggio wiedergaben. 


192 


In den gefiederten Kronen der Bambusstauden rauschte 
es wie eine Brandung, während ein Regen ihrer lan- 
zettförmigen Blätter den Boden wie mit einem Teppich 
belegte. Gerade dies erschwerte das Erkennen der Spur 
ausserordentlich; die Schalen des Bongo hinterliessen 
auf diesem weichen, elastischen Teppich nur den lei- 
sesten Eindruck, der zwar noch sichtbar blieb, solange 
Regen oder Tau ihn feucht erhielt, aber völlig ausge- 
löscht wurde, sobald die höhergestiegene Sonne die 
zerdrückten Blätter trocknete und glättete. 

Da die Erlegung des weiblichen Stücks eine Sache 
des Zufalls gewesen, konnte dasselbe auch mit einem 
Bullen geschehen, obwohl B. der Ansicht war, dass, wie 
beim Kudu, die alten Bongobullen sich an einsameren 
Örtlichkeiten aufhalten als die weiblichen Tiere und 
dementsprechend schwerer zu jagen seien. Darum war 
die Aussicht wohl am grössten, wenn man jeden Tag 
und von früh bis spät im Wald war, ob man nun einer. 
Spur folgte oder nicht. Dies brachte B. auf den Gedan- 
ken, wechselnde kleinere Lager zu beziehen. Es kam 
vor allem darauf an, dass er beim ersten Morgenlicht 
schon einer Fährte folgte. Das Lager in die Nähe einer 
Salzlecke zu verlegen, wäre unzweckmässig gewesen; 
ein Dutzend Menschen konnten unmöglich lange un- 
bemerkt bleiben, und die Feuer allein hätten unsere 
Anwesenheit verraten. Wir richteten uns daher so ein, 
dass ich die Aufsicht über das Hauptlager übernahm, 
während B. mit zwei Leuten und einem Trägerzelt oft 
zwei bis drei Tage unterwegs blieb. 

Wenn auch der Bongo für uns allmählich fast zu 
einem sagenhaften Bild verblasst war, und wenn er B. 
auch so manche harte Anstrengung kostete, so trübte 


193 


doch nichts den Frieden dieser Tage. Wir betrachteten 
das Lager stets als unser Heim; aber noch niemals hatten 
wir eine schönere Heimstatt als hier im Revier des 
Bongo, und wir waren ihm im Grunde genommen 
dankbar dafür, dass er uns so lange hier zurückhielt. 
Es kamen einige schöne Herbsttage, und wir fühlten 
uns auf unserm kleinen Plateau aller Sorgen der Welt 
enthoben. Schon lag des Morgens Reif in den Schatten 
der Täler, aber die sonnenwarme Luft duftete nach 
Heidekraut, und die Aberdare-Berge flimmerten im 
blauen Himmel. 

Dann kam die Sintflut über uns. Wir hatten schon 
empfindliche Nachtfröste gehabt, denn das Lager lag 
3000 Meter über Meereshöhe, aber es war eine klare, 
trockene Kälte gewesen, während jetzt nasskalte Nebel- 
schwaden über uns hingen. Bald glich der Lagerplatz 
einem Sumpf, und der unaufhörliche, alles durchdrin- 
gende Regen liess uns daran zweifeln, ob wir je wieder 
trocken würden. Die Leute begannen über die Kälte 
zu klagen. Überhaupt kam mit der Zeit eine so ge- 
drückte Stimmung auf, dass die Sehnsucht nach Wärme 
und Sonnenschein beinahe stärker wurde als der 
Wunsch, den ewig unerreichbaren Bongo zu erbeuten. 

In dem nassen Laubboden waren die Spuren zwar 
deutlich genug zu sehen, aber es war mehr denn je 
eine Jagd mit der Zeit, denn immer wieder verwischte 
ein erneuter Regenguss die Fährte. An solchen Tagen 
herrschte ein fast nächtliches Dunkel im Wald. Nebel- 
“ fetzen wanden sich zwischen den Stämmen, und überall 
tropfte es mit dumpfem, eintönigem Aufklatschen. 

Unsere Aussichten konnten kaum trostloser sein. 
Nach sieben Wochen waren wir dem Bongo nicht 


194 


näher gekommen; die Leute waren nahe daran zu 
meutern, und B. fühlte, dass ihm ein Fieberanfall be- 
vorstand. 

Ich hatte mich schon resigniert mit dem einen er- 
legten Tier zufriedengegeben und machte Pläne, wie 
wir am schnellsten wieder nach Nairobi kamen. Halb- 
heiten aber waren nie B.’s Art gewesen, und als er sich 
zu mir setzte und bedachtsam eine Zigarette rollte, 
wusste ich, dass er entschlossen. war, um jeden Preis 
durchzuhalten. Und er hatte recht: jetzt die Flinte ins 
Korn zu werfen, war undenkbar. Der Bongo war eine 
Sache der Ausdauer und des Glücks. Wir durften nicht 
nachgeben, und wenn wir die ganze Regenzeit hier 
überstehen mussten. B. teilte den Leuten seinen Be- 
schluss mit, und wenn sie sich bis dahin aufsässig ge- 
zeigt hatten, in der Hoffnung, er werde sich erweichen 
lassen, so mussten wir anerkennen, dass sie sich der 
vollendeten Tatsache ohne weiteres, ja fast freudig 
unterwarfen. 

Schon dass wir uns zu einem Entschluss aufgerafft 
hatten, belebte unsere Zuversicht aufs neue. Nun 
konnten wir uns auch besser einrichten, neue Vorräte 
und vor allen Dingen mehr Wolldecken beschaffen, 
kurz, uns gegen die Unbilden der einbrechenden 
Regenzeit zweckmässig schützen. Die Leute mussten 
für sich ein grosses Schutzdach errichten, unter dem 
ihre Zelte Platz fanden, für den Koch eine Küche, und . 
für unsere Kuh (die wir von einem Kikuyuhäuptling 
gemietet hatten) einen Stall. Bald erfasste sie ein solcher 
Baueifer, dass im Nu ein kleines Dorf entstand. Jeder- 
mann wollte seine eigene Hütte haben und seinen Nach- 
barn mit einer noch längern Fahnenstange überbieten. 


195 


Die sehr bescheidene Fahne war nichts weiter als ein 
an eine vierzig Fuss hohe Bambusstange geknüpfter 
Fetzen von einem ausgedienten Hemd. 

Da schnellte die Aussage eines Eingeborenen aus 
einem nahen Kikuyukraal unsere Hoffnungen wieder 
in die Höhe: er berichtete, dass seine Maisernte von 
Bongos verwüstet und der Boden von Bongospuren 
zerpflügt sei. 

Bei Einbruch der Nacht war B. zur Stelle, das Nacht- 
visier an der Büchse, und den Mond im Rücken. Bald 
hörte er das Rascheln von Blättern und dann das gleich- 
mässig rupfende Geräusch des Äsens. Obwohl er so 
nahe war, dass er das Abreissen der saftigen Stengel, 
das leise Mahlen der Kiefer und das Schnauben der 
Tiere deutlich hörte, sah er nicht einmal einen Schatten, 
der sich bewegte. Und als der Tag anbrach, fand er die 
Spuren von Wasserböcken. 

So herb die Enttäuschung war, so befriedigte es uns 
andrerseits beinahe, dass der Bongo dadurch nichts von 
seinem sagenhaften Nimbus der Unerreichbarkeit ein- 
gebüsst hatte. 

Nicht lange danach bekam B., während er einem 
kleinen Rudel nachspürte, den Bullen zu Gesicht und 
hatte gerade noch Zeit, einen Schuss anzubringen; 
eines der Tiere blieb im Feuer, die übrigen wurden 
flüchtig. Beim Nähertreten fand B., dass er ein junges 
weibliches Tier erlegt hatte, es musste sich im letzten 
Augenblick vor den Bullen geschoben haben, dessen 
Blatt er aufs Korn genommen hatte; die Kugel war 
der Kuh in die Flanke gedrungen. 

Die Erlaubnis für den Abschuss eines weiblichen 
Bongo war eine ganz besondere Vergünstigung seitens 


196 


der Jagdbehörden gewesen, da sie sonst bedingungslos 
geschont werden. Dass wir nun zwei auf dem Gewissen 
hatten, war sehr schlimm; es blieb uns nichts übrig, 
als unser Missgeschick umgehend zu beichten und 
dem Wildhüter alle weitern Entscheidungen zu über- 
lassen. Wir fürchteten, dass wir nun auf den Bullen 
verzichten mussten. 

Aber die Götter zeigten sich gnädiger, als wir ver- 
dienten: wieder schien uns die Sonne, und wieder war 
der Bongo das ersehnte Ziel unserer täglichen Jagd- 
züge. Wenn wir ihn bis dahin mit allem Eifer gejagt 
hatten, so wiesen wir jetzt die Möglichkeit, ohne ihn 
die Berge zu verlassen, kurzerhand von uns. 

Wir malten uns den endlichen Triumph aus, wie 
wir nach Jahren mit wallendem weissem Haar und 
einem vom vielen Bücken unter den Bambusstauden 
gekrümmten Rückgrat von dannen ziehen würden. 
Aber so lange sollte es doch nicht dauern, denn nur 
wenige Tage verflossen, als das Unmögliche Tatsache 
wurde. 

Wie gewöhnlich hatte die einbrechende Nacht der 
Jagd ein Ende gesetzt. B. war den ganzen Tag der 
frischen Spur eines starken Bullen gefolgt, hatte den 
Ort bezeichnet und sie bei Tagesanbruch sofort wieder 
aufgenommen. Plötzlich bemerkte er, dass er der Spur 
entgegenging, statt ihr zu folgen; der Bongo musste 
demnach auf seiner Spur kehrt gemacht haben. Rusapi 
begann eifrig am Boden zu wittern. Noch nie waren die 
Aussichten besser gewesen, als sich die Spur mit der 
eines Waldschweins vermischte. Bis sie sich über ihre 
Richtung wieder klar waren, verrannen kostbare Minu- 
ten, und dann hörte die Spur des Bongo plötzlich auf; 


197 


kein verschobenes Blatt und kein geknicktes Zweig- 
lein, das irgendeinen Anhaltspunkt gegeben hätte. 

Immer war es dasselbe: die Spur liess sich stunden- 
lang halten, um dann entweder von einem Gewitter 
verwischt zu werden oder unvermittelt aufzuhören, 
als habe der Bongo Flügel bekommen. 

Weiterzugehen hatte kaum einen Zweck; dennoch 
untersuchte B. den Boden in einer Richtung, die ihm 
die wahrscheinlichste schien, und er war kaum fünfzig 
Meter weit gegangen, als er einen einzelnen Schalen- 
abdruck fand. Von hier ab war die Spur deutlich er- 
kennbar. Während B. und die Führer ihr alle Aufmerk- 
samkeit schenkten, war Rusapi unbemerkt verschwun- 
den, und plötzlich hallte sein Standlaut durch den Wald. 
B. bahnte sich so schnell er konnte einen Weg durch das 
dichte Unterholz, in der Richtung der willkommenen 
Laute. Unterwegs kamen ihm Bedenken, ob Rusapi 
nicht wieder Affen verbellte, wodurch er schon bei 
anderer Gelegenheit die Jagd verdorben hatte, und 
ob der Lärm den Bongo nicht schon veranlasst hätte, 
ein paar Meilen zwischen sich und seinen Verfolger zu 
legen. 

Kurz darauf bekam B. über eine Lichtung hinweg 
den Bongo für einen Augenblick zu Gesicht, gerade 
lange genug, um auf ihn abzudrücken. Der Bongo 
quittierte den Schuss und wurde prasselnd in das Ge- 
büsch flüchtig, das sich wie ein Vorhang hinter ihm 
schloss. 

B. fürchtete schon, dass er gefehlt, als Muthoka, der 
ihm vorangeeilt war, triumphierend ein gerötetes Blatt 
emporhob. Rusapi war dem Bongo mit hellem Geläute 
gefolgt, aber jetzt wurde es wieder verdächtig still. 


198 


B. blieb stehen, um zu lauschen. Kein Laut war zu 
hören als ein leiser Wind in den Zweigen und dann 
und wann das Fallen eines Blattes. 

B. eilte weiter, der Schweißspur nach und stiess so 
unvermittelt, dass er beinahe über ihn gestolpert wäre, 
auf den verendeten Bongo. 

Es war fast unfasslich: vor ihm lag endlich das uner- 
reichbare Wild, greifbar, noch lebenswarm; seine starke 
Witterung hing in der Luft, und:rot rann der Schweiss 
von seiner Flanke. 

Es war ein prachtvoller alter Bulle. Der Rumpf 
leuchtete zwischen den weissen Streifen rostrot, um 
über ein tiefes Kastanienbraun gegen die Hälsung hin 
glänzend schwarz zu werden, und sein Gehörn, zwei 
wuchtig geschwungene Spiralen, war mit bernstein- 
farbenen Enden gekrönt. 

Aber er war durchaus nicht die grazile und leicht- 
füssige Antilope — wie etwa das Kleine Kudu —, die 
wir uns vorgestellt hatten. Übrigens hätten wir dies 
schon aus mancherlei Zeichen seiner Spur schliessen 
können. Er war über die Baumstämme, die seinen Pfad 
versperrten, nicht im Sprung gesetzt, sondern hatte 
sie mit mächtigem Ruck seines gewaltigen Nackens 
emporgehoben, um unter ihnen hindurch zu passieren. 
Er war stämmig und gedrungen wie ein Büffel, seinen 
Vorderarm konnte man mit beiden Händen nicht um- 
spannen, die Sprunggelenke waren ungemein kräftig 
entwickelt, die Hälsung massiv wie eine Säule. Und 
doch, wieviel Anmut war in seinem kleinen, zierlich 
gesetzten Haupt, dem sanften Auge, den schön ge- 
schwungenen Nüstern, in den beweglichen Lauschern, 
die hundert feinste Tonschattierungen wahrzunehmen 


199 


vermochten, die dem menschlichen Ohr längst ent- 
gehen. 

Es wurde Mitternacht, bis B. sein Notlager am Tränk- 
platz erreichte, so dass ich die Nachricht erst am folgen- 
den Morgen erhielt. Mit möglichster Eile machte ich 
mich mit Mvanguno auf den Weg. Wir hatten lange 
genug Zeit gehabt, unsere Messer zu schärfen, und 
nun konnte Mvanguno es kaum erwarten, bis er sie an 
der begehrtesten Trophäe unseres Jagdunternehmens 
ansetzen konnte. Er legte unterwegs unter unablässi- 
gem Schwatzen eine solche Begeisterung an den Tag, 
dass ich den gewiegten Jäger, den selten etwas aus der 
Fassung bringt, in ihm kaum wiedererkannte. Bisher 
hatte er sich jedesmal, wenn wir ein Wild erlegten, 
einer noch bessern Trophäe zu erinnern gewusst, die 
gelegentlich eines frühern Jagdausfluges erbeutet 
wurde. 

Seine Beredsamkeit hätte B. wohl einigermassen 
erstaunt, hätte er zugehört: dass wenn der Bwana sich 
ein Ding in den Kopf gesetzt, er dann ausharre, bis er 
es bekomme und dass er, Mvanguno, bereit sei, ihn 
nach Uganda und bis an den Kongo zu begleiten, 
oder an jeden andern Ort im weiten Afrika! 

Mit der Erlegung des Bongo war unsere Aufgabe in 
den Wäldern der Aberdare-Berge noch nicht zu Ende, 
denn noch galt es, das Waldschwein zu erbeuten, an 
dem uns beinahe soviel lag wie am Bongo selbst. Es 
war die gleiche Jagdweise: tagelanges erfolgloses Spü- 
ren, und erst nach zahllosen Misserfolgen gelang es B., 
den ersten Keiler zu erlegen. 

Als Spürhund verwendeten wir diesmal «Major», 
denn Rusapi war von seinen Besitzern zurückgefor- 


200 


dert worden. Auch Major, ein schwarzer «Jock of 
the Bushveldt» (den wir von einem Ansiedler gekauft), 
war alt und schon grau um die Schnauze, aber mutig 
und ergeben. Major gab Standlaut, und als B. hinzu- 
eilte, konnte er im Schatten eines gestürzten Baumrie- 
sen die dunklen Umrisse des Keilers und seine weiss- 
schimmernden Gewehre erkennen. Die erste Kugel 
sass zu hoch und verletzte die Lunge, so dass er schau- 
migen Schweiss spie. Major fasste zu, aber im nächsten 
Augenblick hatte ihn der grosse Keiler im Bogen in die 
Luft geschleudert. B. sprang näher, um eine zweite 
Kugel anzubringen, doch der Keiler nahm ihn an. 
B. trat einige Schritte zurück, um zu laden, dabei ver- 
fing sich sein Fuss in einer Schlingpflanze, und im 
nächsten Augenblick lag er am Boden, der Keiler bei- 
nahe über ihm. Major allein rettete die Situation. Sein 
erneutes Zufassen lenkte den Keiler ab, der sich einen 
Augenblick besann, auf welchen seiner beiden Gegner 
er sich zuerst stürzen sollte. B. sprang auf und gab eine 
dritte Kugel auf ihn ab, die ihn niederstreckte. 

Das war nur die erste von vielen Gelegenheiten, 
da Major seinen unerschütterlichen Mut bewies. Er 
hatte sich uns nur ganz allmählich angeschlossen; den 
grauen Kopf griesgrämig abgewendet, hatte er alle un- 
sere Annäherungsversuche über sich ergehen lassen. 
Aber nachdem er sich endlich entschlossen hatte, stand 
er mit einer Anhänglichkeit und Treue zu uns, auf die 
es sich wohl lohnte, etwas gewartet zu haben. Als wir 
ihn erwarben, ahnten wir noch nichts von dem tapferen 
und liebenswerten Herzen, das in seiner Brust schlug. 

Ich will den Leser nicht mit einer ausführlichen 
Schilderung der Erbeutung von fünf Waldschweinen 


201 


ermüden, noch darauf eingehen, wie wir zwei Frisch- 
linge einfingen und zähmten und wie sie uns schliess- 
lich wieder wegliefen. Dagegen möchte ich erzählen, 
wie wir am letzten Tag unseres Bleibens im Wald wie- 
derum Bongos zu Gesicht bekamen. 

Um möglichst viel Zeit zu gewinnen, legten wir die 
erste Etappe, die durch wohlbekannte Waldgebiete 
führte, vor Tagesanbruch zurück. Wir machten uns 
um drei Uhr morgens bei Laternenschein auf den Weg 
und drangen tiefer ins Innere des Waldes als je zuvor. 

Hier konnten wir endlich feststellen, worin die 
eigentliche Äsung des Bongos besteht: unter den Bäu- 
men wuchert ein Busch*, der zehn bis zwölf Fuss hoch 
wird, mit nesselartigen Blättern und rötlichen Blatt- 
stielen. Hier fanden wir frische Spur und zahlreiche 
Wechsel. An einigen Stellen, an denen die Bongos sich 
niedergetan hatten, waren die Büsche zur Erde gedrückt. 

Wir waren noch ganz von diesen interessanten Fest- 
stellungen in Anspruch genommen, als Major Laut gab. 
Wir eilten zu ihm hin und fanden, dass er einen jungen 
Bongobullen gestellt hatte. Dieser richtete seine ganze 
Aufmerksamkeit auf den Hund und beachtete uns nicht 
im geringsten, so dass wir uns bis auf wenige Schritte 
nähern konnten. Wir waren nahe genug, um sein zor- 
niges Schnauben zu hören, und zu sehen, dass die Iris 
seines Auges nicht dunkelbraun ist, wie man sie ge- 
wöhnlich darstellt, sondern gelb wie die des Löwen. 
Er bot ein Bild höchster Verlegenheit, wie er steif- 
beinig zurückwich, mit gekrümmtem Rückgrat und 
eingeklemmter Rute. Er benahm sich fast wie ein Hund, 
der von einem andern angefallen wird. Mit gesenktem 


* Mimulopsis Thomsonii 


202 


Haupt und funkelnden Lichtern lauerte er auf einen 
unbewachten Augenblick, in dem er Major aufspiessen 
und so das verhasste Geläute beenden konnte. Dann 
ein Schnauben und ein Ausfall gegen Major oder eine 
Kehrtwendung zur Flucht, Major wie ein Pfeil hinter- 
her, dabei ständig nach seinen Schenkeln beissend, bis 
der Bongo sich wieder stelite. So ging die Flucht 
sprungweise bergab, manchmal so steil, dass wir nur 
folgen konnten, indem wir flach auf dem Rücken 
hinabrutschten. 

Die sechs Filme unserer Kamera hatten wir alle be- 
lichtet und wünschten, wir hätten deren sechzig gehabt. 
Wir ahnten damals nicht, dass infolge des gedämpften 
Lichtes und des dichten Unterholzes auf den Bildern 
vom Bongo nichts zu sehen war. 

Endlich brachten wir Major dazu, von seinem Opfer 
abzulassen, und wir hielten eine kurze Rast. 

Wir befanden uns auf einer jener Lichtungen, wo 
der Bambuswald in respektvollem Umkreis vor einem 
Urwaldriesen zurückgewichen war; Farne bedeckten 
den Boden, und hoch über uns ragten die knorrigen 
Arme seines Geästes, zwischen denen der Himmel hin- 
durchblickte. Mochte der Wald melancholisch und still 
sein, diese Lichtungen strömten eine sorglose Fröh- 
lichkeit aus; hier sandte die Sonne ihre goldenen Pfeile 
herab, hier nickten Blumen, hier spielte eine Quelle 
plätschernd ihre Feenmusik über die moosigen Steine. 

Die Sonnenpfeile fielen nun schräg, und wir muss- 
ten zum Lager zurückkehren. Aber der Gedanke daran, 
dass wir all dies unverändert, unberührt zurückliessen, 
dass alles ewig bleiben würde, wie wir es geschaut, 
tröstete uns über die Wehmut des Abschieds hinweg. 


203 


Uganda, Victoria-See, Kivu-Vulkane 
(Mufumbiro-Kette) 


Über ein Jahr war verstrichen, seitdem wir nach 
dem Oberlauf des 'Tana aufgebrochen waren; die Tro- 
phäen hatten wir nach Hause geschickt, und da jetzt 
auch unsere stark mitgenommene Ausrüstung wieder 
instand gesetzt war, konnten wir uns wiederum auf 
die Reise begeben. 

Unsere Pläne hatten inzwischen Gestalt angenom- 
men, denn die Nachricht war eingetroffen, dass man 
uns den Abschuss eines weissen Nashorns gestattete. 
Das war mehr, als wir je zu hoffen gewagt; die wenigen 
in Afrika noch lebenden weissen Nashörner werden 
liebevoll behütet und geschont. Die Museumsleitung 
würde über eine so unverhoffte Zugabe entzückt sein. 

Seine Jagd würde uns an die Ufer des Weissen Nils 
bringen, und da wir im Semliki-Tal auch den Sing- 
Sing-Wasserbock jagen wollten, kamen wir dem Kongo 
nahe; damit bot sich eine vielleicht nie wiederkehrende 
Gelegenheit zur Jagd auf Gorilla und Okapi. 

Das Okapi hatte uns schon lange gelockt, einmal, 
weil der zum Teil noch unerforschte Wald von Ituri 
eine mächtige Anziehungskraft auf uns ausübte, dann 
auch, weil das Okapi eines der seltensten Tiere der 
Welt ist, hauptsächlich aber, weil man uns versicherte, 
dass nicht die geringste Aussicht bestehe, dass wir die 
Erlaubnis für den Abschuss erhielten. Ja, wir hatten 
schon jede Hoffnung aufgegeben, als wir nach Entebbe 


204 


kamen. Dort versprach uns aber Seine Exzellenz, Sir 
Geoffrey Archer (der uns schon die Abschusserlaubnis 
für das weisse Nashorn verschafft hatte), er wolle sich 
für uns-beidder belgischen Regierung verwenden. 

“ Wirklich, das Glück schien uns nicht zu verlassen. 
Bis die Antwort eintraf, machten wir einen Ausflug 
auf die Inseln des Victoria-Sees, um dort auf Situ- 
tunga-Antilopen zu jagen. Auch dabei hatten wir 
Glück, denn wir erhielten die Erlaubnis zu einem zwei- 
tägigen Aufenthalt auf der Insel Damba, die wegen 
Schlafkrankheit unbewohnt und infolgedessen absolu- 
tes Schongebiet ist. Auf den Sesseinseln, die sonst 
allein den Jägern zugänglich sind, wird der Situtunga 
auch von den Eingeborenen viel gejagt, er ist dement- 
sprechend selten. 

Die Jagd bot wenig Interessantes, besonders nicht 
für B., der den Situtunga schon in den Sümpfen des 
Bangweolo-Sees in Nord-Rhodesien gejagthatte. Dr. D. 
hatte ihm eine Situationskarte gezeichnet und ihm ge- 
sagt, er werde an einer bestimmten Stelle zu bestimm- 
ter Stunde auf Situtungas treffen, und genau so war es 
gekommen; ein Uhrwerk konnte nicht pünktlicher 
ablaufen. Aber es war doch nicht so einfach, in den 
zwei Tagen, die uns zur Verfügung standen, unsere 
Museumsgruppe zu bergen: wir waren in drei Booten 
ausgezogen, die gleich anfangs durch einen Sturm 
getrennt wurden; das Kanoe mit den zum Ausbalgen 
bestimmten Leuten fand uns erst wieder, als die Zeit 
um war. Wir selbst aber hatten nicht einmal einen 
Wetzstein bei uns, und während B. nach einem Bock 
spürte, arbeitete ich mit einem hoffnungslos stumpfen 
Messer an der Decke der erlegten Geiss. 


205 


Es war eine abenteuerliche Bootsfahrt gewesen. Wir 
hatten wegen andauernder Gewitter erst in den frühen 
Morgenstunden abfahren können, waren jedoch gleich 
so durchnässt, und die Wellen gingen so hoch, dass wir 
wieder anlegen mussten. Wir blieben bei den Booten, 
gegen die die Wellen brandeten. Der Wind pfiff durch 
unsere durchnässten Kleider, und während wir warte- 
ten, erhellte das erste Tagesgrauen den Horizont über 
dem Sumpf und dem sturmgepeitschten See. Abzu- 
warten, bis sich der hohe Seegang gelegt, wäre aus- 
sichtslos gewesen, denn als die Sonne aufging, erhob 
sich der Wind mit erneuter Heftigkeit. Bis wir über 
die heftige Brandung hinaus waren, gab es einige kri- 
tische Augenblicke, aber einmal draussen, schaukelten 
die Boote verhältnismässig sicher auf den grossen 
Wogen auf und ab. Im gleichen Mass wie wir durch- 
nässt wurden, trocknete uns die Sonne wieder, und 
obwohl wir kaum genügend Platz fanden, um kauernd 
am Boden zu sitzen, übermannte uns unwiderstehlich 
der Schlaf. Der monotone Singsang der Ruderer und 
der rhythmische Schlag ihrer Trommel begleiteten 
uns bis in unsere Träume hinein. 

Als wir erwachten, hing der Himmel wie ein dunkler 
Saphir über uns, und die Sterne warfen ihr funkelndes 
Licht über den See. Noch immer sangen die Ruderer; 
es schien uns in unsern Booten, als hätten wir schon 
seit Tagen auf diesem riesigen See getrieben. Dabei 
kam uns Odysseus in den Sinn, und wir wurden von 
aufrichtiger Bewunderung für diesen Seehelden erfüllt. 

Noch lange nachdem wir die Mühseligkeiten dieser 
Fahrt vergessen hatten, klangen uns die Gesänge der 
Ruderer in den Ohren. 


206 


Erst sang ein Mann einige Worte in hohem Fal- 
sett, dann kam der tiefe, volltönende Refrain im Takt 
mit jedem ausholenden Schlag der Ruder, die uns un- 
serer Bestimmung näher brachten. 


— > 


zes: E: 
% 


Um Mitternacht erreichten wir die Insel Kome, und 
am Mittag des folgenden Tages legten wir auf Dumba 
an, an einem Platz, den die Eingeborenen Calliam- 
busi nennen. Vor uns dehnte sich das Grün des Waldes, 
und hinter uns lag der glitzernde See. Die Insel besteht 
fast nur aus Wald und Sumpf. Man hätte Tage darauf 
verwenden können, den Wald zu durchforschen, aber 
wir sahen nur wenig von ihm, denn unser Wild hielt 
sich in den Sumpfgebieten auf, und unsere Zeit war 
kurz bemessen. 

Als wir die Rückfahrt antraten, hatte sich der Sturm 
gelegt, die Boote blieben beisammen. Rhythmisch wie 
ein Pulsschlag tönte die Trommel durch die Finsternis. 
So mögen in längst vergessenen Tagen, als der Victo- 
riasee noch Legende war, die Kriegs-Kanoes in den 
Kampf gezogen sein. 

Als wir im Morgengrauen erwachten, leuchteten die 
grünen Ufer von Entebbe in den ersten Strahlen der 
Sonne auf, während die schlafende Wasserfläche noch 
in Nebel gehüllt lag. Entebbe blieb uns darum immer 


—z 
. 


207 


als ein lieblich grünes, im Morgentau schimmerndes 
Fleckchen Erde in Erinnerung. Lange Schlagschatten 
lagen über den Rasenflächen; das Sonnenlicht liess die 
Blumen in flammenden Farben aufleuchten, und zwi- 
schen den Bäumen hindurch blickte man weit auf den 
See hinaus. Der Hügel hinter «Government House», 
mit seiner Aussicht auf Lagunen und Bananenhaine 
hebt sich von der übrigen Insel ab. Von dort aus sieht 
man des Abends, wenn das Festland schwarz aus dem 
wellengekräuselten Silber steigt, wie Entebbe zuäusserst 
auf schmaler Landzunge erbaut ist, allseitig umschlos- 
sen von der Fläche des Sees. 

So bezaubert waren wir von Entebbe, dass es schon 
eines Okapi bedurfte, um uns fortzulocken. 

Gerade als wir Entebbe verliessen, türmten sich wie- 
der Gewitterwolken auf allen Seiten. Wir hofften, dass 
mit unserm Erfolg auf der Insel Damba — B. hatte eine 
schöne Gruppe von Situtunga-Antilopen erbeutet — 
unser Pech der letzten Woche aufgehört habe. Zwi- 
schen Nairobi und Kisumu war nämlich alles fehlge- 
schlagen: eine Woche der Jagd unterhalb Kijabe hatte 
uns nur einen Serval eingetragen, während wir in erster 
Linie einen guten Büffel brauchten; und eine weitere 
Woche verloren wir in Gilgil, wo B. vergeblich dem 
Nakuru-Hartebeest nachgestellt hatte. Aber unser Pech 
hielt an: entweder fanden wir gerade diejenige Wildart 
nicht, die wir suchten, oder B. schoss schlecht, oder es 
ging sonst etwas schief. So wurde eine Jagd auf Fluss- 
pferde an der Mündung des Katonga ein Fiasko, und 
da die Dampfbarkasse sogleich nach Entebbe zurück- 
kehren musste, und keines der Eingeborenenboote 
geräumig genug war, um eine Flusspferdhaut nach 


208 


Männlicher Leopard, Thiba-Fluss 


Bukukata zu schaffen, war es zwecklos, noch länger 
hierzubleiben. Es folgten zehn erfolglose Tage in 
Sanga, einem Sumpf an der Strasse von Masaka nach 
Mbarara, in welchem sich besonders kapitale Impalas 
aufhalten sollten. Aber es war nichts zu machen: wir 
hätten gerade so gut zehn Monate hierbleiben können, 
die Impalas schienen vor uns gefeit. 

B. erbeutete nach mancher anstrengenden Pürsche 
ein Stück des schwarzschwänzigen' Oribi, eine örtlich 
beschränkte Abart, die für das Museum von grossem 
Wert war. Am Tag, an dem er den Bock erlegte, kam 
der sehnlichst erwartete Drahtbericht, der uns die 
Jagdbewilligung für das Okapi erteilte. 

In Mbarara verloren wir endlose Zeit mit der An- 
werbung von Trägern für unsere Lasten — bis hierher 
hatten Regierungslastwagen die Transportfrage auf 
einfache Weise gelöst —, und als wir endlich einen 
Inder gewinnen konnten, uns nach Kabale zu fahren, 
schien wieder eine Wendung zum Bessern eintreten 
zu wollen. 

Zuerst galt es, die Steigung des Lotobo-Hügels zu 
überwinden, die so lang und steil ist, dass der Wagen 
abgeladen werden musste, um sie zu erklimmen. Von 
da ab stieg der Weg ständig an, Felsklippen auf der 
einen Seite, ein Gebirgsflüsschen zur andern, um 
schliesslich in das weite, grüne Tal von Kabale zu 
münden. Wieder war ein längerer Aufenthalt zur An- 
werbung von Trägern unvermeidlich, aber in Kabale 
vergassen wir beinahe unsere Ungeduld, weiterzu- 
kommen. Man hatte uns ein leerstehendes Haus über- 
lassen mit weissgetünchten Mauern unter breit aus- 
ladendem Dach. Schwalben flogen darin ein und aus, 


209 


über ein Beet von Rosen und Löwenmäulchen hinweg 
blickten wir auf die friedliche Hügellandschaft. 

Wir mussten bald einsehen, dass es keine so einfache 
Sache ist, nach Belgisch-Kongo hineinzukommen. Es 
gab da eine Menge anzuordnen und zu disponieren. 
Wir hatten nur vierzehn unserer eigenen Leute von 
Nairobi mitgebracht; Simba, B.’s Gewehrträger war 
neu dazugekommen, ebenso der Koch, und an die 
Stelle von Bokari war Abde getreten; nicht, weil 
unsere bisherigen Leute unzulänglich waren — wir 
liessen sie im Gegenteil nur ungern zurück —, aber 
wir mussten unsere Unkosten herabsetzen, wo es nur 
irgend anging. Die Boys hatten sich plötzlich in den 
Kopf gesetzt, der Kongo sei ein böser Ort, und B. 
konnte ihre Angst nur dadurch zerstreuen, dass er 
ihnen durch den District Commissioner offiziell er- 
klären liess, sie würden nicht aufgefressen, wenn sie 
sich da hinein wagten. Es war noch eine ärztliche 
Untersuchung der Leute erforderlich, die Dr. S. in 
liebenswürdiger Weise übernahm. Er führte uns nach- 
her durch die Schule und das Spital. Mit besonderem 
Stolz zeigte er uns den Operationssaal, der mit den 
modernsten Einrichtungen versehen war. All dies 
war auf der abgelegenen Station um so anerkennens- 
werter, als hier drei Jahre zuvor noch kein Stein auf 
dem andern gestanden hatte. 

Jetzt konnten wir unsere Pläne endgültig festlegen: 
zuerst sollte es an den Vulkanen vorbei nach Rutchuru 
gehen, und unterwegs wollten wir es auf dem Muha- 
vura mit der Gorilla- Jagd versuchen. Erhielten wir 
die Erlaubnis für Gorillas auch für Belgisch-Kongo, 
so würden wir noch den Distrikt von Kiwu aufsuchen, 


210 


von dort nach Kabari am Edward-See marschieren, 
uns nach Kasindi einschiffen und dann über Beni zum 
Urwald von Ituri-vordringen. Dann zurück nach 
Fort Portal und zum Semliki, und zu Schiff den Albert- 
see hinunter zum Nil, um das weisse Nashorn zu jagen. 

Dass die Gorillas von den belgischen Behörden streng 
behütet werden, war uns bekannt; in zehn Tagen soll- 
ten sich aber die Regierungsvertreter von Uganda und 
Belgisch-Kongo an der Grenze‘ treffen. Es war ver- 
einbart, dass wir uns dies Zusammentreffen zunutze 
machen durften, und wir hofften, dadurch, dass wir per- 
sönlich vorstellig wurden, die Erlaubnis zu erwirken. 

Der hinter Kabale stetig ansteigende Weg brachte 
uns auf einen Grat, von dem aus wir den Bunjonisee 
zu unsern Füssen liegen sahen. Die vielen Inselchen 
und Halbinseln seiner Ufer waren von düstern Bergen 
umschlossen, und unter dem wolkenverhängten Him- 
mel erinnerten sie uns so sehr an unsern eigenen See 
in Norwegen, dass wir beide den Eindruck hatten, wir 
hätten dies Bild schon manches Mal gesehen. Der 
Lagerplatz war auf dem gegenüberliegenden Ufer. Die 
Boote waren so klein, dass manche gerade nur einen 
Träger und seine Last fassen konnten und wir zusam- 
men eine kleine Flotte bildeten. Es ist bis heute noch 
nicht gelungen, die Tiefe. des Bunjonisees zu messen. 
Wohl wurden Lotversuche angestellt, aber stets er- 
reichte die Leine ihr Ende, bevor sie auf Grund kam. 
Daran mussten wir denken, als wir uns schon in der 
Mitte befanden, und da der Bootsrand des Kanoes, in 
dem unsere Gewehre verstaut waren, kaum einen Zoll 
über den Wasserspiegel ragte, hielten wir an, um seine 
Last besser zu verteilen. 


211 


Der Abend senkte einen so zauberischen Schleier 
über den See, dass wir wie im Traum über seine sche- 
menhafte Fläche glitten. Die fernen Berge verschwam- 
men im Dämmer, die nahen wurden zu körperlosen 
Schatten, und unsere Kanoes schossen wie schwarze 
Fische auf sie zu; dann tauchte eine Uferlinie mit dem 
Lager von Bufundi vor uns auf. 

B. war schon vor Sonnenaufgang in einem Einbaum 
auf dem See, er hoffte, einen krallenlosen Otter zu er- 
beuten. Er erlegte zwei Stück, aber sie sanken augen- 
blicklich, und vergeblich wartete er, dass sie wieder an 
die Oberfläche kämen. Enten gab es in grosser Zahl, 
aber sie hielten sich stets ausser Schussweite. Ge- 
trieben hätten sie zweifellos reiche Beute ergeben, 
doch auch durch vorsichtiges Anpürschen gelang es B., 
zwei Enten zu erlegen. Sie waren grösser als eine 
Krickente, grau und bronzefarbig, mit einem weissen 
Streifen über den Flügeln und Augen so rot wieRubine. 

Um uns ein paar Meilen Marsch zu ersparen, liessen 
wir uns quer über die Bucht rudern. Jetzt leuchtete die 
Sonne über diesem See, dessen Abgründe einst flammen- 
speiende Krater gewesen, die nun erloschen unter der 
unbewegten blauen Fläche ruhten. Die Berge spiegel- 
ten sich darin, und Seerosen öffneten der Morgensonne 
ihre goldenen Kelche. 

Bis Behungi waren es nur vier Stunden Marsch, aber 
es ging steil bergan und war recht anstrengend. 

Das Rasthaus ist wie ein Wachtturm auf einem Grat 
errichtet, von dem aus man mitten hinein in die Berg- 
welt blickt. Schwarze Streifen niedergebrannten Grases, 
die sich an der grünen Bergflanke hinaufzogen, erweck- 
ten den Eindruck von kaum erkalteten Lavaströmen. 


212 


Plötzlich enthüllte ein Riss in den Wolken weit hinter 
den Ketten der Vorberge die ragenden Häupter der 
drei Vulkane. Muhavüra, der erste, ist ein vollkommen 
regelmässiger Kegel, ein Sattel (den wir auf der Jagd 
nach den Gorillas würden erklimmen müssen), ver- 
bindet ihn mit dem zweiten, Mgahinga; der dritte, ein 
kühngezackter Gipfel, ist der Sabinio. Hinter diesen 
drei liegen noch vier oder fünf andere, darunter der 
Karissimbi, der so hoch ist, dass ewiger Schnee seinen 
Gipfel bedeckt. 

Schon hier hatten wir ein Gefühl, als liege Schnee in 
der Luft. Fröstelnd nach dem heissen Aufstieg kauer- 
ten wir auf dem Grat beieinander und blickten auf 
diesen ungeheuren Schauplatz vorzeitlicher Gewalten. 
Drohende Bergzacken wuchsen durch rauchgrauen 
Dunst; Seen funkelten in den Strahlen einer uns ver- 
borgenen Sonne wie poliertes Kupfer und als wären sie 
von innen erleuchtet. Es war ein so gewaltiger und ur- 
weltlicher Anblick, dass es uns kaum überrascht hätte, 
wenn plötzlich ein Dinosaurus vor uns aufgetaucht 
wäre. 

Es verstrich noch geraume Zeit, bis unsere Leute an- 
kamen. Unsere eigenen Träger waren vom Anstieg 
erschöpft, die Eingeborenen der Gegend aber schienen 
abgehärteter und zäher zu sein als Tiere, denn ganz 
unbekümmert um den schneidend kalten Wind streck- 
ten sie ihre schweissbedeckten und beinahe nackten 
Körper auf der Erde aus. 

Schon in Kenya hatten wir gehört, dass in den Bergen 
von Behungi Harvey’s Ducker vorkommen, und da- 
neben eine unbekannte schwarze Art. Wir beschlossen, 
ihnen hier zwei Tage zu opfern und waren schon beim 


213 


ersten Morgengrauen unterwegs. Durch Sümpfe und 
Hügel, Bambusdickicht und Busch pürschten wir nach 
ihnen, völlig umsonst; ausser einem einzigen und 
scheinbar allgegenwärtigen Buschbock fanden wir nicht 
das geringste Anzeichen von Wild. Es gab hier keine 
Wildwechsel, und man musste entweder den Viehpfaden 
folgen, die auch von den Eingeborenen viel benutzt 
werden, oder aber sich durch den undurchdringlichen 
Busch hindurcharbeiten. Als eine Folge der Kälte 
traten bei den Leuten schon die berüchtigten Veldt- 
Schwären auf, andere bekamen Fieber. B. machten 
die verlorene Zeit und die Nutzlosigkeit der Jagd in 
einer wildlosen Gegend ungeduldig, und wenn wir 
uns auch mit dem Gedanken trösteten, dass wir hier 
einen der wenigstbereisten Teile Afrikas sehen durften, 
so wirkte doch der Aufenthalt in dieser dunstigen 
Berglandschaft seltsam bedrückend. 

Wir streiften den Schmutz von Behungi endgültig 
von unseren Füssen und folgten — niedergeschlagen 
durch unsere Misserfolge — weiter dem unsinnigen 
Auf und Ab der Strasse. 

Die nächste Etappe brachte uns an den Fuss der Vul- 
kane und ein dreistündiger Aufstieg bis zum Lager- 
platz unterhalb des Bergsattels. Die Wolken waren vom 
Gipfel des Muhavura gewichen. Sie bildeten nun ein 
Nebelmeer zu unseren Füssen, das die Welt vor unseren 
Blicken verhüllte und uns allein liess mit dem düsteren 
Berg. 

Nun konnte endlich die Gorillajagd beginnen. Das 
Spüren nach dem Bongo im Bambuswald, die mühsame 
Jagd auf das Waldschwein, dem wir in seine eigenen 
Höhlen nachgekrochen, waren ein Kinderspiel gewesen 


214 


im Vergleich zur Jagd auf die Gorillas, an den Hängen 
eines Vulkans hinauf, der höher ist als die Jungfrau. 

Zugegeben, dies war die schwierigste Gegend, in 
der män sie jagen konnte, aber es war zu ungewiss, 
ob wir die Erlaubnis für den Kiwu-Distrikt bekommen 
würden, als dass wir uns jede andere Möglichkeit ent- 
gehen lassen wollten. 

Mit welch naiver Zuversicht folgten wir doch unse- 
ren drei Pygmäenführern an jenem ersten Tag! Berg- 
auf und bergab hackten wir unsern Weg den glitschigen 
Wildwechseln entlang durch verfilzten Bambus, klet- 
terten über verrottete Äste oder krochen auf allen Vie- 
ren in sumpfigem Schlamm. So dicht war der Urwald, 
dass sich auf eine Speereslänge eine ganze Armee hätte 
versteckt halten können, ohne sich uns zu verraten. 

Wir fanden Gorilla-«Hütten», bei welchen die Bam- 
busspitzen mit fast menschlichem Geschick zu Platt- 
formen oder Stockwerken verflochten waren — Schlaf- 
stellen für Mutter und Kind, fünf bis zehn Fuss über 
dem Boden. 

Man sagt, das Männchen schlafe darunter am Boden, 
den Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt, und halte 
Wache. Doch diese «Häuser» waren jetzt zerfallen und 
verlassen. 

Wir machten einen Frühstückshalt, und unsere klei- 
nen, freundlichen Pygmäen nahmen ihre Feuerstöck- 
chen aus den fettigen Bastbeuteln, die sie um den Hals 
trugen, und machten ein Feuer an. Es sieht so einfach 
aus, wie sie ihr Stöckchen zwischen den Handflächen 
quirlen, die Spitze gegen einen zweiten Stock am 
Boden gedrückt, und schon nach einer halben Minute 
steigt ein Räuchlein aus dem Holz auf. Aber wenn sie 


215 


uns auch zeigten, wie man es macht, und wir das Stöck- 
chen voller Eifer wirbelten: wir brachten es nie zur 
leisesten Rauchentwicklung. 

Diese Pygmäen (es waren nicht die echten Pyg- 
mäen des Ituri-Waldes, die noch etwas kleiner sind) 
waren faszinierende kleine Gesellen, mehr gnomenhaft 
als menschlich, und es war ein Jammer, dass uns keine 
Elfensprache zur Verfügung stand, um uns ihren ern- 
sten Mienen verständlich zu machen, die sie stirnrun- 
zelnd in noch ernstere Falten legten in ihrem Bemühen, 
uns zu verstehen. 

Auf dem Rückweg begegneten wir einem Trupp 
Pygmäenjäger, alle mit winzigen Pfeilen und Bogen 
bewaffnet, und ein jeder trug seine schwarze Tonpfeife 
mit gebogenem Pfeifenrohr. Unsere Führer stellten 
uns vor, und sie begannen eine lange Unterhaltung, die 
erst richtig im Schwung war, als wir uns schon eine 
Viertelmeile von ihnen entfernt hatten. Sie versprachen, 
für uns nach Gorillas Ausschau zu halten. 

Die folgenden Tage verliefen ergebnislos, wir waren 
von Pech verfolgt. Die Aussicht auf ein Zusammentref- 
fen zwischen uns und den Gorillas wurde immer un- 
wahrscheinlicher. Wenn wir auch von Jagdfieber ver- 
zehrt wurden, so konnten wir es körperlich nicht länger 
durchhalten. B. litt an Gelbsucht, ich war behindert 
durch Veldt-Schwären und begann die nassen Zweige 
zu hassen, die wie Reitpeitschen gegen meine blossen, 
wunden Knie schnellten. 

Einer nach dem andern der Schwarzen bekam Ma- 
laria, der Koch nicht ausgenommen. 

Nirgends gab es eine Stelle, die genügend eben war, 
um das Zelt aufzuschlagen, und es verging eine Woche, 


216 


bis wir Träger aus dem Tiefland rekrutieren konnten, 
um das Lager auf die windgeschützte Flanke des Bergs 
zu verlegen. _ 

Inzwischen mussten wir unter einem elenden Schutz- 
dach aus Gras kampieren, das wir unterhalb des Sattels 
errichtet hatten; ein eisiger Luftzug pfiff durch seine 
Bambuswände, die in dem nebligen Dämmerlicht 
ächzten und stöhnten. 

Die Wolldecken und die Blahe, mit denen wir die 
den Winden ausgesetzte Seite zu schützen versuchten, 
nützten nur wenig. 

Manchmal befürchteten wir, unser Refugium könnte 
unter der Wucht eines Hagelschauers ganz in sich zu- 
sammenfallen. Es war, als hätte ein böser Traum uns 
verbannt in ein nebliges Nichts zwischen ziehenden 
Wolken und der schwarzen Felswand des Muhavura. 
Muhavura! Schon der Name war prachtvoll und 
schrecklich wie das Grollen des Donners. Er hatte 
einen Klang wie ein Ruf zu den Waffen. Und doch, 
wie elend fühlten wir uns hier, wie innig sehnten wir 
uns nach dem warmen Sonnenschein des Tieflands. 
Fast hatten wir vergessen, wie es war, wenn man sich 
warm und trocken fühlte. In diesem bleichen Dämmer- 
licht und dem unheimlich heulenden Wind wurden 
wir von einer unbeschreiblichen Traurigkeit erfüllt, 
wie von kommendem Missgeschick. 

Die Zeit verging, bis eines Tages die Pygmäenjäger 
von sich hören liessen. Die Gorillas befanden sich an 
der anderen Seite des Berges. 

Nach all unserem Spüren auf längst verlassenen 
Fährten entflammte diese Nachricht unsere Hoffnung 
wie berauschender Wein. All unsere Not war ver- 


217 


gessen, als wir der Laterne und unserem Führer in den 
frühen Stunden vor Beginn der Morgendämmerung 
folgten. Er führte uns auf dem kürzesten Weg zu den 
Gorilla- «Häusern», und als der Himmel sich erhellte, 
löschten wir die Laterne und begannen unsern Weg 
knietief durch ihre «Gärten » zu bahnen — mit saftigem 
Kräuterwuchs bedeckte abschüssige Waldlichtungen, 
durch Pfade in rechteckige Stücke aufgeteilt, die fast 
so regelmässig sind wie Schrebergärten. 

Diese «Häuser» und «Gärten », so interessant sie vom 
wissenschaftlichen Standpunkt aus sind, trugen nur dazu 
bei, meine Abneigung gegen die Gorillas zu erhöhen. 

Wer leugnet, dass Liebe und Jagd verwandte Pas- 
sionen sind, der hat selbst nie gejagt, hat nie selbst 
Stunden oder gar Tage auf die Verfolgung eines Stückes 
Wild aufgewendet. Er wird niemals verstehen, wie man 
eins wird mit eben diesem Wild, fast bis zu dem Punkt, 
wo man aus dem Jagenden selbst zum Gejagten wird. 

Aber auch wenn man fast alle Vögel und Tiere 
lieben und sich mit ihnen identifizieren kann, so wehrt 
man sich doch irgendwie dagegen, den Stamm der 
Affen in ihr unschuldiges Reich einzulassen. 

Ihre so menschlichen Augenlider und Fingernägel 
lassen auf menschenartige Gedankengänge schliessen, 
aber doch bestialischer und noch unerlöster Art. 

Die Gorillahäuser schienen den Keim menschlichen 
Denkens zu bergen, ihre Gärten zu betreten erfüllte 
mich mit Scham, als ob ich Privatrechte verletzte. 
Es wurde mir leicht, den haarsträubenden Erzählungen 
der Pygmäen Glauben zu schenken, nach denen die 
Gorillas ihre Verfolger beschleichen und in ihren 
mächtigen Armen erdrücken. 


218 


Bald kamen wir in einen ihrer Gärten, der schändlich 
geplündert war; die Pygmäen steckten ihre Zehen in 
den gelblichen Gorilla-Kot und erklärten grinsend, er 
sei noch warm. 

Wir folgten unserem Führer in eine so dichte Dschun- 
gel, dass wir nicht auf Armlänge vor uns sehen konnten 
und auf allen Vieren unter der Blättermasse hindurch 
wie durch einen grünen Tunnel steil bergan krochen. 
Angestrengt horchend klommen-wir durch das feuchte 
Dämmer empor. Dann und wann blickte der Führer 
auf uns zurück und wies auf einen gebrochenen Zweig 
oder ein abgerissenes Blatt. Es war kein Zweifel, dies- 
mal waren sie nicht weit. 

Der Tunnel stieg und stieg, beschrieb hier eine 
Schleife, ging dann wieder steil bergan wie eine Seil- 
bahn, und die Wände üppiger Vegetation auf beiden 
Seiten umschlossen einen durchdringenden Pilz- und 
Modergeruch wie in einem unterirdischen Laufgang. 
Ich hisste mich mit Händen und Fingernägeln zwischen 
den schlüpfrigen Wurzeln nach oben, so stumpf vor 
Erschöpfung, dass ich nur noch an B.’s Stiefel denken 
konnte, die sich vor mir in die Höhe arbeiteten, als 
plötzlich ein markerschütternder Schrei die Stille zer- 
riss. Er machte mir fast das Blut gerinnen. Der Führer 
kollerte kopfüber auf uns herab, und über ihm sahen 
wir gerade noch eine dunkle Gestalt im Laubgewirr 
verschwinden. 

«Ngajis», flüsterte der erschrockene Pygmäe und 
zählte an seinen Fingern die Zahl sechs ab. 

Das Blut hämmerte in unsern Schläfen, als wir wieder 
vorwärts krochen, jeden Augenblick einen weiteren der 
schrecklichen Schreie erwartend. 


219 


Verwundete Büffel, die uns im Sumpf aufgelauert, 
hatten mich nie mit annähernd gleichem, atembeneh- 
mendem Gefühl der Unsicherheit erfüllt wie diese be- 
haarten, halbmenschlichen Wesen, die auf Armeslänge 
hinter dem Blättervorhang lauerten. Wäre es ihnen ein- 
gefallen, uns anzugreifen, wir wären in unserm Tunnel 
wie Kaninchen im Bau gefangen gewesen. 

Auf diese kurze Distanz war es B. hier unmöglich, 
einen Schuss abzugeben; wenn wir nicht die Gorillas 
in sichtigerem Gelände trafen, war nicht die geringste 
Aussicht auf Erfolg. In diesem Augenblick barst ein 
zweiter gellender Schrei unmittelbar neben uns. Wäh- 
rend wir geduckt warteten, erscholl rings um uns ein 
wildes Trommeln, das klang, als ob Riesenhunde ihre 
Behänge schüttelten; die Gorillas trommelten in ihrer 
Wut mit den Fäusten auf ihrer Brust. 

Wiederum brachen sie aus. Nichts war zu hören 
ausser dem eintönigen Tropfen des Regens und dem 
Klopfen unserer Herzen. Das Gelände wurde immer 
schwieriger. Wir mussten uns acht und neun Fuss an 
Ästen emporziehen, die über senkrechte Felsen hingen. 
Darnach führten die Spuren einen Fall von 30 Fuss 
hinab, so dass wir glaubten, die Gorillas hätten ihre 
Taktik geändert und seien talwärts gegangen. Wir 
folgten ihrer mutmasslichen Richtung auf einem Um- 
weg, verloren dadurch einen Teil unseres schwer er- 
kämpften Aufstiegs und mussten entdecken, dass sie 
sich dem Gipfel zugewandt hatten. 

Nach zwei Stunden geduldigen Spurenlesens und 
mühseliger Kletterei gelangten wir über den Bambus- 
gürtel hinaus in samtene Bestände von Riesen-Sene- 
cionen. Endlich waren wir wieder im Freien, konnten 


220 


frische Luft atmen, aufrecht stehen und um uns blicken. 
Beim Absuchen dieses grünen, von Nebelschwaden 
teilweise verschleierten Meers verriet uns ein plötz- 
liches silbernes Aufleuchten von Blattunterseiten, dass 
die Gorillas uns wieder zuerst entdeckt und sich ver- 
zogen hatten. Wir schlichen gebückt zwischen scharfen 
Felsen und wollblättrigen Stauden vor. Aber sie ver- 
liessen das Dickicht und wandten sich mit einem Wut- 
geschrei nach dem Rand der Schlucht. Wir rannten 
ihnen nach, so schnell wir konnten, die Augen ständig 
auf ihre auf- und niedertauchenden Köpfe und mächti- 
gen Arme geheftet. Sie liefen aufrecht und schwangen 
sich mit den Armen über die Felsen. Wenn wir sie jetzt 
auch sahen, so waren sie doch weit ausser Schussweite. 

Als wir den Felskamm erreichten, über den hinweg 
sie verschwunden waren, konnten wir es nicht glauben, 
dass irgendein Wesen, es wäre denn mit Flügeln be- 
gabt, einen solchen Weg für seine Flucht wählenkonnte. 

Wir schauten in einen Abgrund, Hunderte von Fuss 
tief, an dessen Steilwand nur hier und da ein verkrüp- 
pelter Busch wuchs. Und da sahen wir sie auch schon 
wieder, diese stahlharten Menschenaffen, wie sie sich 
an der gegenüberliegenden Wand hochschwangen. 
Ihre Akrobatik und Kraft verschlug uns fast den Atem 
und erfüllte uns mit Neid und Bewunderung. 

Ihnen hier zu folgen kam gar nicht in Frage. Das 
Tageslicht hielt noch zwei Stunden an. Soviel Zeit 
und mehr brauchten wir, um zu den « Gärten» zurück- 
zugelangen. Dort zündeten wir wieder die Laterne an 
und stolperten todmüde zum Lager zurück. 

Die Gorillas waren viel zu klug, einen weiteren sol- 
chen Tag zu riskieren und verliessen den Berg. Am 


221 


Ende einer Reihe erfolgloser Jagdtage gelangten wir 
zur Überzeugung, dass sie auf den Sabinio hinüberge- 
wechselt waren, in belgisches Gebiet, wohin wir ihnen 
nicht folgen konnten. 

Unsere Niederlage war um so bitterer, als wir schon 
so nahe am Ziel gewesen. Und doch, wenn ich daran 
dachte, dass ich kalten Blutes einem dieser menschen- 
ähnlichen Giganten hätte die Haut abziehen müssen, 
dann war meine Bitterkeit mit ein wenig Dankbarkeit 
versüsst, und ich packte Messer und Stahl nicht ohne 
Erleichterung wieder fort. 

Wir machten dann noch auf Harvey’s Schopfanti- 
lope und den kleinen Bergelefanten Jagd, aber ohne 
jeden Erfolg. Was wir hier auch unternahmen, schlug 
fehl. 

Eine Ersteigung des Muhavura selbst bot eine letzte 
Möglichkeit für einen, wenn auch anders gearteten 
Erfolg. 

Seitdem wir Behungi verlassen, hatte B. ihn durch 
sein Fernglas studiert, und es lockte uns beide, die Be- 
steigung zu versuchen. Vom Sattel aus war es aussichts- 
los. Mitglieder einer schwedischen Expedition hatten 
von dort einen vergeblichen Vorstoss unternommen; 
ein überhängender Fels nahe dem Gipfel konnte nicht 
erstiegen werden, und sie waren der Ansicht, dass er die 
Ersteigung ringsum verunmögliche. In Kabale hatten 
wir ausserdem gehört, dass der Berg noch nie erstiegen 
worden sei. War auch wenig mit einer Besteigung ge- 
wonnen, so wollten wir uns doch die Genugtuung ver- 
schaffen, wenigstens einen Erfolg verzeichnen zu kön- 
nen. Wir versahen uns mit einem Trägerzelt, einem Seil 
und Proviant für zwei Tage und marschierten los. 


222 


B. beabsichtigte, den Berg von der dem Sattel gegen- 
überliegenden Seite zu nehmen. Es ist dies die von 
Behungi aus sichtbare Ostflanke. Der Führer wusste, 
dass ein Teil des Aufstieges keine Schwierigkeiten bot, 
und wir hatten uns schon durch das Fernglas über- 
zeugt, dass ihn dort kein Bambuswald erschwerte. 

Wir brauchten viele Stunden, um den Berg zu um- 
gehen, wobei wir einem irritierenden Negerpfad folg- 
ten, der bergauf und bergab und dabei ständig vom 
Muhavura weg gegen die Ebene zu unserer Rechten 
führte. Zu unserem Schaden mussten wir aber bald 
erfahren, dass es kein Vorteil war, wenn wir uns dicht 
am Berg hielten, denn seine Flanke ist von tiefen 
Schluchten zerrissen, die wir umgehen mussten. 

Wir kamen durch weite Pflanzungen von Bohnen 
und Erbsen, die in voller Blüte standen und die Luft 
mit ihrem süssen Duft erfüllten. Unterwegs fand ich, 
halb in der Erde vergraben, einen Schädel, den ich 
zuerst für einen Gorillaschädel hielt. Wir fanden aber, 
dass er vor vielleicht fünfzig Jahren einer Pygmäen- 
frau angehört haben musste. Er war seltsam geformt, 
die fliehende Stirne schmal und platt, und der Raum, 
den das Gesicht einnahm, verhältnismässig sehr klein. 

Der Aufstieg war steil; der hartgebrannte Boden und 
das Lavageröll gaben dem Fuss wenig Halt, so dass wir 
es zu keinem gleichmässigen Tempo brachten. Aber 
nach zwei Stunden harter Arbeit hatten wir doch eine 
ziemliche Höhe über der Ebene erreicht. Bäume, die 
uns als unerreichbare Merkpunkte erschienen waren, 
lagen unter uns, und bevor der Abend hereinbrach, 
waren wir auf der düstern Schulter angelangt, zu wel- 
cher wir den ganzen Tag über aufgeblickt hatten. 


223 


Dort fanden wir eine kleine, geschützte Senkung. 
Wacholderstauden, die sich zypressengleich von den 
ziehenden Nebelfetzen abhoben, lieferten das Feuer- 
holz, und so schlugen wir hier unser Lager auf. Wir 
häuften die abgeschnittenen Büschel rings um das 
Trägerzelt und machten es auf diese Weise gemütlich 
und unsichtbar wie ein Wachtelnest. Dann hefteten wir 
Decken über das Zelt, die es warm hielten und vor dem 
bitterkalten Wind schützten. 

Als wir am frühen Morgen aufbrachen, hüllte uns 
der Wind in dichte Nebelschwaden, so dass wir weder 
nach oben noch nach unten Sicht hatten. Wir waren 
beständig ausser Atem und litten unter der Kälte. Nach 
dreistündigem Klettern machten wir halt auf der 
windgeschützten Seite eines Grates. 

Riesen-Senecionen und Lobelien gediehen hier in 
üppiger Fülle, und die abgestorbenen Stengel mit ihren 
geschwärzten Blütendolden erinnerten so sehr an grosse 
Raketen, dass sie gleich die Annehmlichkeiten eines 
lodernden Feuers in uns wachriefen. Aber der schwere 
Nebel hatte alles mit einem grauen Schleier kleiner 
Tröpfchen überzogen, so dass wir kein trockenes Zweig- 
lein fanden. Allmählich begann uns die Kälte zu schüt- 
teln, wir gaben fast die Hoffnung auf, je wieder aus 
diesem traurigen Nebel herauszukommen. Unsere Boys 
hatten vor Kälte so steife Finger, dass sie es nicht fertig- 
brachten, ein Streichholz anzuzünden. Auf einmal fiel 
uns das Paraffin in unserer Sturmlaterne ein, und in 
wenigen Augenblicken hatten wir zwei Feuer im Gang 
und eine Rauchentwicklung, die nichts zu wünschen 
übrig liess. Das Brennmaterial roch eigentümlich nach 
verbrannten Filmen oder Leim. Das Feuer erweckte 


224 


Rhino-Camp 


Weisses Nashorn, 


Be 


unsere erstarrten Lebensgeister wundersam, noch mehr 
aber das heisse Essen, das der Koch im Handumdrehen 
bereit hatte. Wir mussten alle Gegenstände mit den 
Händen festhalten und uns selbst mit den Füssen 
sichern, um nicht abzurutschen, denn wenn etwas 
hinunterfiel, so fiel es unwiederbringlich in den gäh- 
nenden Abgrund. 

Endlich teilten sich die Nebel, und die Sonne be- 
schien uns mit wärmender Strahlenflut. Einen Augen- 
blick sahen wir den Grat vor uns, darüber eine Fels- 
wand, die uns eine Kletterpartie in Aussicht stellte. 
Wir mussten die vorübergehende Aufhellung so gut 
wie möglich ausnutzen und machten uns unverzüglich 
auf den Weg, denn noch hatten wir keine Ahnung von 
der Art der Hindernisse, die zwischen uns und dem 
Gipfel lagen. Die vorbeiziehenden Nebelschwaden 
schlossen sich zuweilen so dicht, dass sie unsern Weg 
in Dämmer hüllten. 

Wir schätzten die Entfernung bis zum Gipfel noch 
auf zwei bis drei Stunden, aber nach kaum einer halben 
Stunde gelangten wir auf ebenen Grund, und vor uns 
lag ein kleiner Kratersee: der Gipfel war erreicht, und 
so unvermittelt war es gelungen, dass wir fast vergas- 
sen, uns darüber zu freuen. Die ganze Ersteigung war 
lediglich eine Sache der Ausdauer, keinesfalls aber der 
besonderen Berggewandtheit gewesen. Im Grunde 
waren wir es zufrieden, dass wir das Ende schon er- 
reicht hatten, während wir uns noch fragten, ob wir 
wohl das Schlimmste hinter uns hatten; für eine Erst- 
besteigung schien es aber lächerlich einfach. 

Aus dem umherliegenden Geröll bauten wir ein vier 
Fuss hohes Steinmännchen. Um den Bau zu vollenden, 


225 


umging ich auf der Suche nach kleineren Steinen den 
Kratersee, dabei stiess ich auf drei oder vier Felsstücke, 
die wie von Menschenhand aufeinandergeschichtet 
lagen. Ich rief zu B. hinüber, dass wir scheinbar doch 
nicht die ersten hier oben seien. Als ich die Steine be- 
rührte, fielen sie in sich zusammen, dabei gab es einen 
hohlen, metallischen Klang, und ich fand darunter eine 
alte rostige Blechbüchse, die eine mit Grünspan über- 
zogene, zerfressene Schrotpatrone — belgischen Ur- 
sprungs! — enthielt. Die Sache wurde spannend: neben 
unserer Enttäuschung stellte sich die Hoffnung ein, 
einem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Hatte der 
Eigentümer dieser von der Zeit zernagten Patrone den 
Muhavura schon vor einem halben Jahrhundert er- 
stiegen? Doch als wir das Stück Papier darin entfaltet, 
stand darauf zu lesen: 


«Mission Ge&ologique* 
de la Banque de Bruxelles, 
le 17 novembre 1922.» 
Gezeichnet: «HELURE. 

BOLIE. » 


B. schrieb nun unsere Namen auf ein zweites Blatt und 
fügte hinzu: «Mit unserm alten Hund Major, 5. Aug. 
1924», und wir steckten die beiden Dokumente zu- 
sammen in eine verschraubbare Flasche und brachten 
sie in dem Steinmännchen unter. 

Wir schritten rings um den Gipfel, strengten unsere 
Augen an und hofften vergeblich, dass sich der Nebel 
nur einen Augenblick hebe, um uns eine der schönsten 


*) Erst später erfuhren wir, dass der Muhavura einige Jahre 
zuvor von Dr. D. aus Entebbe erstmalig bestiegen wurde. 


226 


Aussichten zu enthüllen, welche die Erde bietet. Denn 
unter uns dehnten sich mächtige Seen und Ebenen, 
und über die benachbarten Vulkane hinweg, die schein- 
bar in Kniehöhe um uns ragten, musste man in den 
Kongo bis nach Kiwu oder bis zurück nach Kabale 
blicken können. Dahinter der Edwardsee mit dem 
Ruwenzori auf der einen und dem Victoriasee auf der 
andern Seite. Wie klein und fern musste von hier oben 
die Welt erscheinen, der wir entstiegen waren... Aber 
wir sahen nichts von alledem. Erst gegen Abend verzog 
sich das Gewölk, aber da waren wir schon wieder in 
die Ebene hinabgestiegen. 


227 


Kongo — Edwardsee 


Zwei 'Tagesmärsche brachten uns an die Grenze von 
Belgisch-Kongo, und am dritten Tag trafen wir in 
Ruchuru ein. 

Unser Weg hatte sich zuerst zwischen kleinen Vul- 
kanen hindurchgewunden, die grösstenteils schach- 
brettartig vom Fuss bis zum Gipfel bebaut waren. Die 
viereckigen Felder waren zum Teil so steil, dass sie 
sich wie Fenster in einem Schloss ausnahmen. Dann 
führte uns der Weg bergauf zwischen blühenden Ger- 
berakazien, an Papyrussümpfen und Waldrändern vor- 
bei, über Anhöhen, von denen man in Täler blickte, die 
sich mit ihren ins Blaugrüne spielenden Schattierungen 
wie kühle Seen ausnahmen. 

Eine Meile vor Ruchuru gerieten wir in ein so hef- 
tiges Gewitter, dass wir von Kopf bis zu Fuss durchnässt 
dort ankamen. Alle unsere Vorräte waren so durch- 
tränkt, als seien sie in den Fluss gefallen. Fünfzig 
Pfund Zucker waren in Sirup verwandelt, das Mehl 
in Teig, die Streichhölzer aufgelöst, und Salz, Seife, 
Rosinen und Zwiebeln schwammen in einer Brühe. 
Aber was das Schlimmste war: die Patronen und Filme 
hatten gelitten. 

Um unsern Gorilla-Freipass war es schlecht bestellt. 
Man gab uns indessen den Rat, ihn von der Heimat 
aus zu erwirken, die Absage hier sei nur eine Formalität 
gewesen. B. kabelte also an das Museum. Es würden 
mindestens zehn Tage vergehen, bis die Antwort ein- 


228 


traf, wir konnten uns aber eine solche Verspätung 
kaum mehr leisten, denn die Regenzeit stand unmittel- 
bar bevor, und der Wald von Ituri ist selbst in der 
besten Jahreszeit kein bekömmlicher Aufenthalt. Es 
heisst, dass man zwei Wochen lang darin marschieren 
könne, ohne je einen Sonnenstrahl zu sehen. Und nun 
sassen wir hier fest, kaum zwei Tagereisen von Kiwu 
entfernt, das selbst für afrikanische Begriffe abgelegen 
ist, denn man kann es nur in wochenlangen Märschen 
erreichen, gleichgültig, woher man kommt. Wieviel 
abgelegener würde es sein, wenn wir erst wieder in 
Europa waren. 

Die Gorillas waren dort häufig, und das Gelände 
lange nicht so schwierig wie am Muhavura. Sobald wir 
den Jagdpass besassen, waren sie uns so gut wie sicher. 
Ein Gorillapaar wäre von grossem wissenschaftlichem 
Wert für unsere Sammlung, und die Schwierigkeiten, 
die man uns machte, bestärkten nur unsern Vorsatz. 

Noch einmal wurden unsere Leute, und diesmal 
auch wir, auf Tuberkulose untersucht. Dass man uns 
nach den Leistungen, die wir hinter uns hatten, noch 
verdächtigen konnte, von einer so verzehrenden Krank- 
heit befallen zu sein, schien uns einigermassen lächer- 
lich. Aber auch das war eine Formalität. Ebenso die 
Liste, die wir von unsern bescheidenen Habseligkeiten 
anfertigen mussten und der erstaunlich hohe Zoll, der 
darauf gesetzt war, sowie die Ausweiskarten, die man 
uns ausstellte — unsere Pässe wurden für ungenügend 
befunden — und das Einbrennen einer hässlichen «47» 
auf alle unsere Gewehrkolben*). 


*) Wenn wir auch damals sehr aufgebracht waren über das 
bürokratische Schneckentempo und über die Verspätung der 


229 


Aber alle diese Formalitäten konnten die zehn Tage 
Wartezeit nicht ausfüllen, und so beschlossen wir einen 
Marsch an die Ufer des Edwardsees, wo die Löwen 
besonders zahlreich sein sollten. Man warnte uns zwar 
vor dieser als gefährlich und unheilbringend verschrie- 
nen Gegend, einer Wüste und einer Brutstätte für 
Spirillenfieber. Noch keine Safari hatte sich hinein- 
gewagt, ohne dort einen Mann zu verlieren. Auf all 
dies war unsere Antwort nur: «Absit omen», und bald 
zogen wir wieder in die sonnige Steppe hinein. 

Unsere Kongo-Träger teilten augenscheinlich die 
schlechte Meinung über das Land, denn in Maiahivi, 
unserm zweiten Lagerplatz, desertierten sie bis auf den 
letzten Mann, noch ehe sie die erste Löhnung erhalten 
hatten. Es war eine trübselige Gesellschaft gewesen, 
ohne den mindesten Respekt vor dem Weissen, gleich- 
zeitig aber in steter Furcht. Dass letzteres der Fall 
war, fanden wir erst heraus, als wir eine andere Mann- 
schaft anwarben, die versicherte, sie werde bei uns 
bleiben, «wenn sie nicht geprügelt würden». Um sie 
noch sicherer in der Hand zu haben, nahm ihnen Mvan- 
guno heimlich ihre Taschen weg. Jeder Träger trug 
nämlich eine Tasche aus der Haut einer Moor-Antilope 


Kabelnachricht, die uns in arge Verlegenheit gebracht, so trug 
doch niemand Schuld daran, und die Regierungsbeamten in 
Ruchuru bezeigten uns die herzlichste Gastfreundschaft und 
Zuvorkommenheit. 

Erst viele Jahre später — und ganz zufällig — erfuhr ich von 
der grossen Mühe, die sich Monsieur Dubuisson gemacht hatte, 
um mir weitere Formalitäten zu ersparen, die mich gezwungen 
hätten, noch einmal nach Ruchuru zurückzukehren, und ich 
benütze diese Gelegenheit, ihm meinen besonderen Dank aus- 
zusprechen. 


230 


um den Hals — die Vorderbeine wurden als Trag- 
riemen daran gelassen —, in der sich seine gesamte Habe 
befand, die aus etwas Tabak, einer zerkauten Pfeife 
und einem Stück gedörrten Fleisches bestand. 

Wir begegneten zahlreichen Rudeln von Moor-Anti- 
lopen. B. musste aber sechs Böcke erlegen, bevor er 
ein unversehrtes Stück erbeutete. Alle andern hatten 
wundgescheuerte Stellen unter den Lauschern, die sie 
als Museumsstücke wertlos machten. Beim Riedbock 
sind diese kahlen Stellen normal, nicht aber bei der 
Moor-Antilope. Im Verhältnis zu ihrer Grösse ist die 
Moor-Antilope das zählebigste Wild, das wir ange- 
troffen. Selbst ihre Haut besitzt die Zähigkeit von Kaut- 
schuk. Sie erreicht die Schulterhöhe der Impala, wird 
aber zehn Zoll längerund gegen fünfzig Pfund schwerer. 

Bald nachdem wir dem zwischen Palmen glitzernden 
Ruchuru den Rücken gekehrt, stiessen wir auf eine 
Löwenspur. Wir lagerten an dieser Stelle, und B. 
machte sich sogleich daran, einen Köder zu beschaffen. 
Nachdem ich die Haut der Moor-Antilope gereinigt 
und die Schnitte zusammengenäht hatte, unternahm 
ich auf eigene Faust eine Pürsche in der Umgegend. Ich 
versuchte, ein Rudel Moor-Antilopen zu beschleichen, 
kehrte aber nach ein paar Meilen vergeblicher Jagd um. 
Um ja nicht irre zu gehen, hatte ich mir vorher einen 
Baum in der Nähe des Lagers gemerkt, der aussah, wie 
aus der Arche-Noah-Spielzeugschachtel meiner Kind- 
heit entnommen. 

B. hatte zuerst eine weibliche Moor-Antilope krank- 
geschossen. Sie wurde auf ein Schilfgebüsch zu flüch- 
tig, Major dicht hinterher. Sie hatte die Deckung schon 
beinahe erreicht, als ein zweites Tier, das B. zuerst als 


231 


Wildschwein ansprach, sich durch das Schilfgras auf 
einen davorliegenden Busch zu bewegte. Als die 
flüchtige Antilope den Busch passierte, wurde sie von 
dem Tier mit mächtigem Sprung niedergerissen. B. 
konnte gerade noch erkennen, dass es sich um einen 
Löwen handelte. Major, der nun ebenfalls bei dem 
Busch angelangt war, stutzte und kehrte zu B. zurück. 
Als B. an die Stelle gelangte, war weder von dem 
Löwen, noch von der Antilope etwas zu sehen. Major 
setzte nur noch zögernd und mit gesträubtem Nacken 
einen Fuss vor den andern, und plötzlich sah sich B., 
als er um einen Busch bog, drei Löwen gegenüber, die 
im Begriff waren, die Beute zu verzehren. Im gleichen 
Augenblick hatten sie Major eräugt und setzten in das 
Dickicht. B. hatte gerade noch Zeit für eine Kugel auf 
den zunächststehenden Löwen. Es war ein schöner 
Blattschuss, und die Träger brachten die Beute im Tri- 
umph ins Lager zurück. 

Der Löwe war das beste Mittel, um die Misserfolge 
der letzten zehn Wochen vergessen zu machen, alle 
freuten sich darüber. Sicherlich bedeutete seine Erle- 
gung den Auftakt zu einer glücklicheren Periode. 

Wir setzten unsern Marsch fort bis nach Mukunda, 
einem Fischerdorf am Ufer des Sees, das uns seit Ru- 
churu als das ideale Löwenrevier geschildert wurde. 
Der «Mwami» des Dorfes jedoch, den wir ausfragten, 
schien davon keine Ahnung zu haben. Er wiederholte 
das Wort «Simba», als höre er es zum ersten Mal in 
seinem Leben und schüttelte den Kopf; Löwen gab es 
anscheinend nicht in diesem Teil von Afrika. 

Wir zogen weiter in der Richtung eines Waldrandes, 
der in der Ferne sichtbar war. Ringsum pfadlose Wild- 


232 


nis, wir mussten unsern Weg mühsam durch schilf- 
überwucherte, ausgetrocknete Bachbette bahnen. Die 
Sonne brannte auf uns herab; keiner unserer Leute 
kannte sich hier aus, aber alle waren darin einig, dass 
es kein Wasser gebe. Wir schickten den Führer mit 
unserer Feldflasche zurück, und während wir geduldig 
warteten, löschten die Träger ihren Durst aus ihren 
mitgeführten Calebassen. 

Endlich näherten wir uns dem Punkt, an dem der 
Wald in Schilf überging, als ein willkommenes Rauschen 
an unsere Ohren drang. War es nur das Rauschen des 
Windes im Schilf, oder war es der Wellenschlag des 
Seeufers ? Unsere Müdigkeit war vergessen, und wir be- 
schleunigten unsern Schritt, um zu sehen, was hinter 
der Schilfwand lag, als im Gras dicht neben uns ein 
Löwe flüchtig wurde. Ein gelber Schatten, und schon 
war er im Schilf verschwunden. Wir postierten uns am 
Rand des Schilfs, während Simba die Stelle umging, 
um ihn uns zuzutreiben. 

Plötzlich setzte eine Löwin ins Freie. B. ib Feuer, 
und sie schlug ein Rad wie ein Hase. Unglaublich, die 
augenblickliche Wirkung dieser einzigen Kugel! Eine 
Sekunde später richtete sie sich jedoch auf, und im 
selben Augenblick nahm sie uns blitzschnell an. Mit 
offenem Rachen und fauchend hätte sie uns beinahe er- 
reicht, als ein zweiter Schuss sie dicht vor unsern Füs- 
sen zur Strecke brachte. 

Muthoka, der Wasser holen gegangen war, hatte 
meine Büchse bei sich, und mir blieb nichts übrig, als 
stillzustehen. So hatte sich jede Bewegung der Löwin 
in mein Gehirn wie mit Flammen eingegraben: wie sie 
den Bruchteil einer Sekunde gezögert hatte, bevor sie 


233 


uns annahm, wie sie, die Lauscher flach am Kopf, die 
Augen sprühend, uns entgegenstürzte. Kein glattes 
Katzenfell, überhaupt nichts Katzenartiges war an 
diesem Angriff. Mir schien, als ob sie über und über von 
Fängen und Krallen starrte. 

Während sie noch verendend am Boden rollte, 
brach eine zweite Löwin aus dem Schilf, doch sie 
flüchtete zurück, bevor B. feuern konnte. Die erlegte 
Löwin war ein altes Tier, dessen Fangzähne nur noch 
abgenützte Höcker waren. B. meinte, sie mochte wohl 
einer der Menschenfresser gewesen sein, von denen 
wir gehört hatten; dies hätte auch ihre Furchtlosigkeit 
erklärt. Andererseits mochte sie uns auch angegriffen 
haben, weil wir schon so nahe waren, als sie die erste 
Kugel empfing. 

Kein Wunder, dass wir — wie wohl auch der Leser — 
während dieses Intermezzos all unser Interesse am 
See vergessen hatten, denn es war wirklich der See, 
und noch nie war uns Wasser so verlockend erschienen. 

B. erlegte ein Flusspferd als Fleisch für dieLeute, aber 
wenn wir erwarteten, dass sie über den Anblick von so 
viel «Nyama» (Fleisch) entzückt seien, so sahen wir 
uns enttäuscht. Das Flusspferd war auf einer Sandbank 
gestrandet, kaum hundert Meter vom Ufer, aber keiner 
der Träger getraute sich ins Wasser, und als wir unsere 
eigenen Leute — dieselben, die den angeschwollenen 
Uaso durchschwommen hatten — dazu aufforderten, 
weigerten auch sie sich, in diesen spiegelglatten See 
zu waten, der völlig frei von Krokodilen ist. Endlich 
konnten wir Saidi an seinem Ehrgefühl packen, so dass 
er sich ein Herz nahm und zögernd hineinwatete. Um 
den andern Mut zu machen, wateten auch wir hinaus 


234 


und entdeckten, dass das Wasser nicht abgründig tief 
war, sondern uns nur bis an die Hüften reichte. Da be- 
gannen auch die Leute, Geschmack an dem Unterneh- 
men zu finden, und mit einem «Heave-ho!»-Gesang 
zogen sie den Kadaver aufs Ufer. 

B. liess einen Teilals Köder festpflöcken und da- 
neben einen Ansitz errichten. Um Mitternacht. sollte 
ich ihn mit einigen Boys und einer Laterne dort ab- 
holen. Die Nacht war pechschwatz, und überall hörte 
ich Löwen knurren; plötzlich stürmte etwas, das tiefe 
Kehllaute von sich gab wie ein Löwe, auf uns zu. Es 
war zwar nur ein Flusspferd, immerhin schlotterten mir 
die Knie, und es verschlug mir den Atem. Ehrliche, 
regelrechte physische Angst ist doch ein wundervolles 
Gefühl! 

Jeden Tag zogen wir ein paar Meilen am Seeufer ent- 
lang und jagten im angrenzenden Waldgürtel. Im 
Wald, der zum grossen Teil aus Euphorbien besteht, 
erbeutete B. eine Geschirr- Antilope. Sie ist kleiner 
und zierlicher als der gemeine Buschbock, mit vielen 
Streifen und Flecken gezeichnet und von gelblicherer 
Farbe. Es war ein grosser Tag für Major, der sie nach 
langer, hartnäckiger Hatz in einer Dickung verbellte. 
Als B. zur Stelle kam, nahm die Antilope den Hund 
mit gesenktem Haupt an, verfehlte ihn und stürmte 
weiter, auf B. zu. 

Es ist erstaunlich, wie hartnäckig sich selbst ein so 
schwaches Wild wie der Buschbock zur Wehr setzt, 
wenn es in die Enge getrieben wird. Ein angeschossener 
Uganda-Kob (Moor-Antilope) hatte sich ganz ähnlich 
verhalten. B. hatte keine Patronen übrig, und der nur 
leicht krankgeschossene Kob wurde von Major im 


235 


offenen Gelände verbellt. Es war eine groteske Situa- 
tion. Die Antilope hatte jeden Gedanken an Flucht auf- 
gegeben. Vor ihr, fast zwischen ihren Vorderläufen, 
sass Major, von der Hatz erschöpft, mit lang heraus- 
hängender Zunge, und wir standen ringsum, fürch- 
teten uns, sie anzupacken, und hatten keine Waffe, 
um ihr den Rest zu geben. Endlich versuchte Simba, 
eines der Hörner zu fassen, worauf der Kob mit ge- 
senktem Haupt auf den verblüfften Simba losfuhr, 
der bei dem plötzlichen Stoss in seine Leibesmitte wie 
ein wohlerzogener Kegel der Länge nach auf den 
Rücken fiel. Im nächsten Augenblick hatte der Kob 
seine Aufmerksamkeit meiner Wenigkeit zugewandt, 
und es fehlte nicht viel, dass ich Simbas Schicksal teilte. 
Diesen hatte übrigens das Attentat auf seine Person 
nicht aus der Ruhe gebracht; er erhob sich mit be- 
leidigter Miene und untersuchte sich gleichmütig auf 
etwaige Schäden. Unterdessen war über den Kob eine 
blinde Wut gekommen, die seltsam mit dem sonst so 
sanften Tier kontrastierte. Er machte verschiedene 
Ausfälle gegen Major, den er auch einmal erwischte; 
ein Haarbüschel Majors blieb an einem Horn hängen. 
Der ungleiche Kampf endete damit, dass B. einen 
Hinterlauf zu fassen bekam, während Muthoka und 
ich gleichzeitig die Hörner ergriffen; im Nu war er am 
Boden und «gechingert » (geschächtet). 

In diesen Tagen brachten die Boys eine junge Gin- 
sterkatze ein. Sie war so klein, dass ihre Augen noch ge- 
schlossen waren, aber sie nahm die Flasche ohne Um- 
stände und gedieh prächtig. Kasaia flocht ein Trag- 
körbchen für sie, und da sie stündlich, Tag und Nacht, 
genährt werden musste, trug ich das Körbchen be- 


236 


ständig mit mir, ob wir nun nach Büffeln spürten oder 
auf Löwen ansassen; und ein dankbareres Schosstier 
kann man sich nicht vorstellen. 

Als wir am frühen Morgen unsern Köder inspizier- 
ten, sahen wir gerade noch einen sich entfernenden 
Löwen. Auf einer kleinen Anhöhe verhoffte er und 
sicherte nach uns zurück. B. gab Feuer, und die Kugel 
fand ihren Weg durch das Hirn und zum Auge heraus, 
so dass der Löwe, wo er stand, in sich zusammen- 
klappte. Es war der schönste schwarzmähnige Löwe, 
den wir angetroffen, und die kohlschwarzen Lauscher 
und besonders seine schwarzen Sprunggelenke gaben 
ihm ein majestätisches Aussehen. Wir wendeten fast 
den ganzen Tag an das Präparieren der Haut, und als 
wir damit fertig waren, schlug B. einen Spaziergang ans 
Seeufer vor, um mir gleichzeitig Gelegenheit zu geben, 
mit der 416er-Büchse ein Flusspferd zu schiessen. 

Wir sassen in unserm Schilfversteck mit Flusspferden 
rings um uns her; einzelne ragten wie Felsblöcke halb 
über das flache Wasser hinaus. Einmal gab es Stampfen 
und Geplantsch im Wasser, begleitet von einem Trom- 
peten wie von Elefanten, als zwei Flusspferde miteinan- 
der kämpften. Dann versank wieder alles in der lässigen 
Stille des Nachmittags. Die Flusspferde gähnten und 
gaben schlaftrunkene Töne von sich — eine Art von 
dröhnendem, innerlichem Wiehern. Scharen von Vögeln 
sammelten sich am Ufer, und in den seichten Stellen 
spielten Fische, deren Rückenflossen über den Wasser- 
spiegel ragten. Träumend lappten kleine goldgrau- 
schimmernde Wellchen an das Ufer, die Umrisse der 
Berge im Westen verschwammen in Duft, ein Eis- 
vogel schwebte gegen das Sonnenlicht. 


237 


Diesen Frieden durch Gewehrschüsse zu stören, war 
eine Entweihung, aber merkwürdigerweise nahm kei- 
nes der Tiere davon Notiz. Und warum sollten sie 
auch? Jahrtausende hindurch war es hier so gewesen: 
die vorsintflutlichen Flusspferde, die vertrauten Was- 
servögel und dieser in der Sonne glitzernde See. Hier 
in dieser friedfertigen Einsamkeit lernte man begreifen, 
dass Ewigkeit nicht notwendig die Folge ungezählter 
Zeitalter bedeuten muss, sondern ebensogut, ja noch 
hundertmal sinnfälliger, im Farbenspiel eines Sonnen- 
unterganges oder einer Dämmerung oder in dem ruhi- 
gen Umriss der unwandelbaren Berge zum Ausdruck 
kommen kann. Und zu verstehen, dass wir nicht ein 
unendlich kleiner, von Raum und Zeit begrenzter 
Funke sind, sondern ein Teil von Himmel und Erde 
und allen Elementen, dass unsere Seele so weit ist wie 
die grossen Fernen, in alles hineingegeben, das hiesse, 
die wahre Freiheit zu erfassen. 

Als wir uns am nächsten Morgen dem Köder näher- 
ten, bemerkten wir eine Löwin, die im Gras aufgerichtet 
nach uns äugte. 

Sie verschwand, aber als wir ihr nacheilten, bekamen 
wir sie und noch zwei andere Löwinnen wieder zu 
Gesicht. Bald schlossen sich ihnen noch mehrere an, 
sie schienen von allen Seiten aus der Erde zu wachsen. 
Wir zählten insgesamt acht Stück. Sie trollten sich ge- 
mächlich, indem sie bald ausschritten, bald in Trab 
verfielen, und wir rannten ihnen nach, so schnell wir 
konnten. Doch obgleich sie sich nicht zu beeilen schie- 
nen, wurde die Entfernung zwischen ihnen und uns 
immer grösser. Als eine alte Löwin, die den Rückzug 
zu decken schien, etwas zurückblieb, legte B. auf sie an. 


238 


Sie mochte, als sie uns innehalten sah, geglaubt 
haben, dass wir erst jetzt gewahr geworden, wen wir 
verfolgten, und dass es an der Zeit sei, uns einzuschüch- 
tern. Jedenfalls machte sie halt und wandte sich osten- 
tativ gegen uns. Im gleichen Augenblick erhielt sie die 
Kugel. Sie strauchelte und fiel dumpf knurrend auf die 
Seite. Obwohl ein stattliches Exemplar, war ihr Fell 
von Narben bedeckt, und an der Rute fehlte die 
schwarze Quaste. Sie war vollständig vollgefressen; 
in ihrem Magen fanden wir beinahe einen ganzen Topi. 

Es wäre zwecklos gewesen, in dieser Gegend wieder- 
um einen Köder auszulegen; er hätte bestimmt wieder 
die sieben Löwinnen angelockt, von denen keine den 
Abschuss verlohnte. Wir zogen daher weiter land- 
einwärts und schlugen unser Lager auf einer Terrasse 
auf, die den Isashafluss beherrscht. 

Die Köder hatten in der Nacht keine Beachtung ge- 
funden; als wir im Morgendämmer ins Lager zurück- 
kehrten, bekamen wir einige Topis zu Gesicht. Da 
wir wieder Wildbret brauchten, pürschte sich B. an, 
während ich weiterging, als sei nichts geschehen, um 
ihre Wachsamkeit zu täuschen. Am Rand der Terrasse 
rastete ich, um zu warten. Die Sonne erhob sich gerade 
über dem Horizont, eine blutrote Scheibe. Einen Au- 
genblick schien sie reglos frei zu schweben, gleichsam, 
um sich für ihr bevorstehendes Tagewerk zu sammeln. 
Dann schoss sie, aufwärtssteigend, ihre leuchtenden 
Strahlenbündel über die erwachende Erde hinweg. 
Ganz versunken in die Herrlichkeit dieses Schauspiels 
erträumte ich mir, dass ich ihr heute als erste gegen- 
übertrete und von ihr heischen dürfe, sie möge für 
diesen einzigen Tag die Welt glücklich machen.‘ Ich 


239 


dachte dabei mehr an das Getümmel der Städte als an 
die Welt, die sich vor meinen Füssen breitete. Dies war 
ohnehin ein gelobtes Land, diese reizvolle Wüste, die 
gerade zum Leben erwachte, deren Schattenberge 
plötzlich Gestalt annahmen, während die Baumkronen 
sich noch wie Inseln über perlfarbige Nebel erhoben. 

In der nächsten Nacht erwachten wir an einem un- 
heimlichen Stöhnen, das hin und wieder in einem 
schrecklichen Aufschrei gipfelte. B. stand auf, um nach- 
zusehen, was die Ursache sei, und fand Hamesi bei 
seinem Zelteingang sitzen, fassungslos jammernd, dass 
er entsetzliche Schmerzen leide und sterben müsse. 
Die Boys berichteten, er habe eine riesige Fleischmahl- 
zeit verschlungen, und so erregte er mit seinem fürch- 
terlichen Lärm eher unsern Widerwillen als unser Mit- 
leid. Wir wussten nicht, wie ihm helfen, denn er konnte 
keine Medizin bei sich behalten. Beständiges Auflegen 
von heissen Kompressen verschaffte ihm etwas Er- 
leichterung, am nächsten Abend schien sein Zustand 
viel besser, und er schlief ein, so dass wir schon 
glaubten, er werde sich schnell erholen. Aber schon 
während der Nacht kam Abde mit dem Bericht, Ha- 
mesi sei tot. 

Am frühen Morgen schaufelten die Boys sein Grab, 
und als es bereit war, riefen sie uns. Ich weiss nicht, 
ob schon viele Weisse bei mohammedanischen Beerdi- 
gungs-Zeremonien zugegen gewesen und sie beschrie- 
ben haben; wir fassten es jedenfalls als ein Zeichen 
grossen Vertrauens auf, dass wir aufgefordert wurden, 
dem Begräbnis beizuwohnen. 

Die Riten waren von einer rührend ernsthaften Ein- 
fachheit. Nachdem der Leichnam Hamesis in die Grube 


240 


gesenkt worden, überdachten die Boys ihn und die 
beiden noch im Grab arbeitenden Leute mit einer 
Decke. Dann reichten sie ihnen ungefähr fünfzig fuss- 
lange Stücke Holz, Grasbüschel, ein paar Steine und 
Erdklumpen, die Muthoka mit Wasser geknetet hatte. 
Darnach wurde die Decke entfernt und das Grab mit 
Erde gefüllt. Die ganze Zeremonie wurde von einem 
Chorgesang in Moll begleitet, geführt von einem Vor- 
sänger, der zwei Worte, die wie: «Byam Mohamed» 
klangen, vorsang. Als ein lockerer Hügel sich über 
dem Grab wölbte, kniete Jim an seiner Seite nieder 
und legte seinen Arm darüber; der Koch ergriff ihn 
auf der andern Seite bei der Hand und zog ihn auf 
dem Grab hin und her. Dann schüttete er Wasser auf 
die so eingeebnete Fläche und wiederholte einige Worte. 
Zum Schluss wurde ein Zweig als Grabmal in das 
gegen Osten gerichtete Kopfende gesteckt. 

Die unerwartete Plötzlichkeit dieses Geschehnisses 
bestürzte uns. B. war den ganzen Tag gedrückt, und 
er machte sich Vorwürfe, dass er sich des Kranken 
nicht gründlicher angenommen hatte. Gerne hätte er 
eine Sektion veranlasst, aber im Umkreis von fünf 
Tagesmärschen gab es keinen Arzt. Hamesi hatte 
Flusspferdfleisch gegessen, auf das es geregnet hatte, 
doch alle seine Kameraden hatten dasselbe getan. So 
war die einzig plausible Erklärung, dass er ein beson- 
ders verdorbenes Stück erwischt hatte und die Todes- 
ursache also eine Ptomain-Vergiftung war. 

Dieser Todesfall in unserer Mitte warf einen Schat- 
ten auf das Lager, und wir beschlossen, die gedrückte 
Stimmung durch einen langen Marsch in eine andere 
Gegend zu mildern. 


241 


B. war am nächsten Morgen schon früh unterwegs, 
um einen Köder für Löwen zu erbeuten. Auf dem 
Rückweg zum Lager wurde er einer Büffelherde an- 
sichtig, die friedlich auf der ungedeckten Ebene äste. 
Er hatte sich bis auf Schussweite herangepürscht und 
war gerade daran, sich in eine bequemere Stellung zu 
bringen, als er zu seiner Seite eine Bewegung mehr 
fühlte als sah, die ihn umschauen liess. Er sah gerade 
noch die gelbe Schulter eines Löwen verschwinden. 
Im nächsten Augenblick flüsterte Muthoka: «Simba». 
Und da, mitten in der offenen Steppe, lauerten drei 
Löwinnen den Büffeln auf. Noch hatten sie B. nicht be- 
merkt, der gemächlich eine von ihnen aufs Korn nahm 
und feuerte. Die einzige Deckung in dem offenen Ge- 
lände war der Busch, den B. sich selbst ausersehen 
hatte, und die Löwin kam geradewegs in langen Fluch- 
ten auf ihn zu. Sie gewahrte B. erst, als sie nur wenige 
Meter von ihm entfernt war, worauf sie zur Seite 
schnellte und in dem Gestrüpp verschwand. 

Der Schuss hatte die Büffel misstrauisch gemacht; 
sie standen dicht zusammengedrängt und sicherten 
nach allen Richtungen. B. gab eine Kugel auf einen 
Bullen ab, der nun ebenfalls in gestrecktem Galopp 
auf ihn zujagte. Es sah aus wie ein Angriff, in Wirk- 
lichkeit war es ihm — wie vorher der Löwin, nur darum 
zu tun, die nächste Deckung zu erreichen. B. folgte 
und stiess im Dickicht unvermittelt auf den Bullen, 
der ihm den Spiegel zukehrte. B. hatte nur noch ein 
Vollmantelgeschoss übrig, und als sich der Büffel im 
gleichen Augenblick herumwarf und ihn annahm, 
gab er Feuer. Wieder wendete sich das Tier und suchte 
krachend durch das Dickicht das Weite. 


242 \ 


Unterdessen war die Löwin verendet. Nachdem B. 
sie abgestreift hatte (merkwürdigerweise fehlte auch 
ihr die Schweifquaste), kehrte B. zum Lager zurück, 
um die schwere Büchse zu holen. Es gab voraussicht- 
lich eine interessante Nachsuche wie damals im Tinga- 
Tinga, bei der auch ich mitgeholfen. Ich wäre gerne 
wieder mitgekommen, B. sagte aber, es sei ein gefähr- 
liches Gelände, und je weniger Verfolger, desto besser. 
Ich machte mich daher an die Beatbeitung der Löwen- 
decke und war noch lange nach Sonnenuntergang beim 
Schein des Lagerfeuers damit beschäftigt. 

Endlich kam B. zurück. Er war der Spur einige Stun- 
den gefolgt, als Major aus seinem Halsband schlüpfte 
und mit hellern Geläute davonschoss. Fast gleichzeitig 
stürmte der Büffel durch das Unterholz heran. Es war 
unmöglich festzustellen, woher er sich näherte, und 
ebenso unmöglich, seinem Ansturm auszuweichen, 
denn der Busch war ausser dem Wechsel der Büffel un- 
durchdringlich. Schon erbost über seine Wunde, stei- 
gerte der Hund die Wut des Büffels aufs äusserste. 
Er schnaubte durch das Dickicht auf der Suche nach 
seinen Verfolgern, um seinen Zorn an ihnen auszu- 
lassen. Nur wenige Meter fegte er an B. vorüber, aber 
das Schilf stand so dicht, dass er nur einen Augenblick 
sichtbar wurde, als er schon vorüber war. B. riss die 
schwere Büchse herum und brannte ihm eine 416er 
aufs Blatt. Es war ein Schuss zur rechten Zeit, denn 
der Büffel hatte Kasaia schon beinahe erreicht, ja, er 
war ihm so nahe, dass B. ihn schon zwischen den aus- 
ladenden Hörnern sah. 

Es war eine für alle Beteiligten gleich gefährliche 
Situation gewesen, und B. gelobte sich, nie mehr im 


243 


Dickicht die Suche nach einem krankgeschossenen 
Büffel zu riskieren. Ich wünschte, er möchte Wort 
halten, denn unter solchen Umständen war jeder 
Schritt mit Lebensgefahr verbunden. Aber man gerät 
in solche Situationen, ehe man es sich versieht, und 
dann bleibt nichts übrig, als durchzuhalten. 

Der erlegte Büffel lag ein gutes Stück vom Lager ent- 
fernt. B. schlug darum vor, dass ich, während er ihn 
am nächsten Morgen aufsuchte, mit Kasaia zusammen 
den Topi-Köder übernehmen solle, um auch einmal 
Gelegenheit zu haben, einen Löwen zu erlegen. 

Vor Aufregung über diese Aussicht konnte ich kaum 
schlafen. Wir gingen miteinander, bis sich unsere Wege 
trennten. Ich war noch nicht weit gekommen, als ich 
ein halbes Dutzend Eingeborener sah, die über dieEbene 
daherspazierten, ausgerechnet in der Nähe des Köders. 
Sie drückten sich, bevor ich mit ihnen sprechen konnte, 
aber augenscheinlich patrouillierten sie hier mit der 
Absicht, die Raubtiere fernzuhalten, um nachher von 
B. den Köder für sich zu erbetteln. Mit meiner Löwen- 
jagd war es damit aus. Die Eingeborenen dieser Gegend 
waren durchwegs eine primitive Gesellschaft. Auch 
unsere hier angeworbenen Träger machten uns zu schaf- 
fen, sie schienen sich nur unter Zwang wohl zu fühlen. 
Die belgischen Safaris scheinen ihre Trophäen zu ver- 
schachern, denn einer der hiesigen Träger fragte mich, 
während ich an der Löwenhaut arbeitete, ob ich sie ihm 
für drei Francs (siebzig Cents) verkaufen wolle. Ich 
sagte, der Bwana verlange gewiss nicht mehr als 1.50 
Francs, aber er lachte nicht einmal über meinen Scherz. 

Wenn wir es bis hierher als unnötigen Luxus be- 
trachtet hatten, vierzehn Boys aus dem fernen Nairobi 


244 


mitzubringen, so sahen wir bald ein, dass wir ohne sie 
im Kongo nicht weit gekommen wären. 

Unsere Leute freuten sich königlich über die Er- 
legung der Löwin und des Büffels, und Kasaia spielte 
wieder einmal fröhlich auf seiner Geige. B. sagte ganz 
richtig, dass mit möglichst viel Abwechslung die Leute 
keine Gelegenheit hätten, sich über Hamesis Tod 
schwarze Gedanken zu machen. Er gab ihnen einen 
freien Nachmittag und verteilte Angelhaken, denn es 
ging ihnen nichts über den Fischfang. Die Tragödie 
des armen Hamesi hatte viel dazu beigetragen, uns 
enger aneinander zu schliessen. Sie waren uns nur un- 
gern in den Kongo gefolgt und hätten allen Grund ge- 
habt, uns dies jetzt fühlen zu lassen; aber nie hatten sie 
rücksichtsvollere Fügsamkeit gezeigt als gerade jetzt. 
Der Verlust eines Mannes ist für jede Safari ein harter 
Schlag, besonders wenn die Leute, wie die unseren, 
schon seit eineinhalb Jahren zusammenarbeiteten und 
sich beinahe als eine grosse Familie betrachten. 


Bei Anbruch des nächsten Tages inspizierten wir 
wieder unsere Köder, und diesmal fand ich bei meinem 
Köder einen Löwen. Aber schon entfernte er sich in 
einem fördernden Galopp, und als er einmal ausser 
Sicht war, verriet der hartgedörrte Boden nicht die 
Richtung, welche er genommen. Ich drückte durch 
den Busch, aber nur Federwild kam hoch und — ein 
plötzliches Knacken — ein Riedbock. Allein auf mich 
angewiesen, fand ich die Löwenjagd entschieden an- 
regender, und ich brannte darauf, in Erfahrung zu 
bringen, ob ich mich wirklich so kaltblütig dabei be- 
nehmen würde, wie ich es mir vorstellte. 


245 


Da B.’s Köder keinen Besuch erhalten hatte, wollten 
wir es am nächsten Tag nochmals mit meinem Löwen 
versuchen. Das war aber nicht so einfach, denn er hatte 
den Topi schlau in einen Busch geschleppt, der isoliert 
auf einer Anhöhe das Lager überragte. Von keiner 
Seite war es möglich, gedeckt heranzukommen; Mond- 
licht gab es zur Zeit auch nicht, und so planten wir, in 
einer Boma in der Nähe des Köders zu schlafen, um 
beim ersten Büchsenlicht bereit zu sein. Am Tage war 
der Ansitz zwanzig Minuten vom Lager entfernt, da 
wir ihn aber erst bei völliger Dunkelheit aufsuchen 
wollten, peilte ihn B. so genau wie möglich mit seinem 
Kompass an. Als wir uns auf den Weg machten, 
lastete die Dunkelheit wie eine erstickende Decke über 
uns. Wir stolperten beständig über Termitenhügel und 
konsultierten alle paar Schritte den mit Leuchtziffer- 
blatt versehenen Kompass. Viele Stunden schienen 
darüber zu vergehen. Vögel gingen mit flatternden 
Schwingen unter unsern Füssen hoch, aufgestörte 
Riedböcke klagten schrill, Laute, die uns jedesmal zu- 
sammenfahren liessen. Endlich stiessen wir auf die 
Boma und mussten entdecken, dass unser Feldzugsplan 
gänzlich missraten war. Unsere Absicht war gewesen, 
den Köder unberührt daliegen zu lassen, wo ihn der 
Löwe gefunden, so dass er ihn, ohne Verdacht zu 
schöpfen, wieder aufsuchen und eine ausgiebige Mahl- 
zeit halten würde. Dann war die Wahrscheinlichkeit 
gross, dass er sich bis zum Morgen in der Nähe aufhielt. 

Unsere Leute hatten aber stets den Köder in nächster 
Nähe der Boma festgepflöckt, und so hatten sie es auch 
diesmal gehalten. Daran war jetzt nichts mehr zu än- 
dern, und wir zündeten die Laterne an. 


246 


Vom Köder war wenig mehr als die Rippen und der 
Hals übrig, und der Sand wies frische Spuren auf. 

Kaum hatten uns die Boys mit Dornenzweigen ein- 
gehegt, als sie uns schon zuraunten, sie hörten Löwen 
bei der Mahlzeit. Wir krochen wieder heraus, B. zu- 
vorderst, dann Kasaia mit der Sturmlaterne auf dem 
Kopf, dahinter Muthoka und ich, und bald sahen wir 
uns drei glühenden Augenpaaren gegenüber. Es schien 
ein tollkühnes Unterfangen, drei gereizte Löwen bei 
ihrer Mahlzeit zu stören und einen Schuss beim flak- 
kernden Licht einer Sturmlaterne zu riskieren, aber es 
kam nicht dazu, denn im gleichen Augenblick ver- 
schwanden die Augen. Wir fanden die Reste des Kö- 
ders und schleppten ihn bis dicht an die Boma. 

Wieder in unserem Versteck, die Büchsenläufe durch 
die Zweige gerichtet, hatten wir noch nicht so lange 
gewartet, bis die flackernde Laterne der Boys im Dun- 
kel verschwunden war, als wir einen Löwen knurrend 
den Köder anspringen hörten. Seine Umrisse zeichne- 
ten sich gegen den von einem Grasfeuer erhellten Him- 
mel ab, aber er schnellte ins Dunkel zurück, bevor wir 
zum Schiessen kamen. 

Nach unsern Erfahrungen am obern Tana war es 
fast unverständlich, dass Löwen sich so unbekümmert 
benehmen konnten. Sie umgaben uns auf allen Seiten, 
und stundenlang konnten wir ihnen zuhören, wie sie 
Knochen zermalmten und zersplitterten, oft so nahe, 
dass sie die Zweige buchstäblich gegen uns drückten. 
Wir befanden uns zwar in völliger Sicherheit, waren 
aber unfähig, etwas zu unternehmen, denn, wenn uns 
auch nur eine dünne Scheidewand von Dornenzweigen 
trennte, sehen konnten wir nichts. 


247 


Nach einiger Zeit bewegte sich ein Schatten an uns 
vorüber, und wir gaben Feuer. Er sank mit einem 
merkwürdig hundeähnlichen Gewinsel zu Boden — 
eine Hyäne. 

Die Moskitos summten und sangen in hungrigen 
Scharen um uns, dass die Luft wie vom Klang vieler 
Violinsaiten vibrierte. Unerträglicher noch war ihr 
Blutdurst, und da wir zur Unbeweglichkeit verurteilt 
waren, freuten wir uns beinahe, als sich die Löwen end- 
lich entfernten. 

Am nächsten Morgen kam Bericht, dass eine Ele- 
fantenherde in der Nähe sei. B. brach sogleich auf, um 
Jagd auf sie zu machen, während ich die Safari über den 
Isasha-Fluss führte. Er bildet die Grenze zwischen 
Belgisch-Kongo und Uganda, und wir fanden auf der 
andern Seite einen grossen Kraal mit vielen Hütten, 
Schafen, Ziegen, jungen Hunden, Kindern, getrock- 
neten Fischen und den unvermeidlichen Bananen- 
bäumen. Die Eingeborenen waren sehr freundlich; es 
war überraschend, wie das Überschreiten eines kleinen 
schmutzigen Wasserlaufs einen solchen Unterschied im 
Benehmen der Eingeborenen hervorrufen konnte. 

Die Elefanten enttäuschten uns. B. stiess in einem 
Wald auf sie, eine Herde von sieben Stück, der Leit- 
bulle ein mächtiger Geselle, aber mit schwach ent- 
wickelten Stosszähnen. Sie bewegten sich äsend unter 
dem Wind vorwärts. Dabei vollführten sie einen ziem- 
lichen Lärm, und B. erriet ihre Nähe zuerst an den weit- 
hin hörbaren kollernden Verdauungsgeräuschen. Er 
beobachtete sie eine Weile, wie sie sich mit Sand be- 
stäubten, dann und wann ein übermütiges Kalb mit 
klatschendem Rüsselschlag zurechtwiesen und in ge- 


248 


mütlichem Tempo über den sonnengesprenkelten Wald- 
boden wanderten. 

Später erlegte er einen Büffel, mit dem er ein ähn- 
liches Erlebnis hatte wie mit dem letzten: weidwund- 
geschossen, wurde er in so dichten Busch hinein 
flüchtig, dass B. ihn dreimal hochbrachte, bevor er ihn 
zu Gesicht bekam. 

Nun gab es wieder Fleisch für die Träger. Als es aber 
am folgenden Tag eingebracht wurde, erklärte Abde, 
es sei schon verdorben und dürfe nicht mehr genossen 
werden. Es war noch keine zwölf Stunden alt und hatte 
während der ganzen Zeit im Schatten gelegen, so dass 
Abdes Einspruch ungerechtfertigt schien. Aber keiner 
von uns war damals darauf aus, Experimente in dieser 
Richtung zu wagen; die geringste Magenverstimmung 
jagte uns einen Schreck in die Glieder, und mein Boy 
Kisima weinte heisse Tränen über einen ganz unbedeu- 
tenden Fieberanfall, überzeugt, dass er das Br 
nicht mehr erleben werde. 

Da die Träger damit beschäftigt waren, das Wildbret 
einzubringen, hatten wir einen Tag für uns, den wirdazu 
benützten, unsere ’Trophäen zu etikettieren und zu- 
sammenzupacken. Wir waren gerade dabei, die Schädel 
der Löwen in Arsenik zu waschen, als ein uniformierter 
Askari mit einem Militärgewehr, Fez und riesigem, 
aufgedrehtem Schnurrbart auf der Bildfläche erschien, 
mit der augenscheinlichen Absicht, uns als belgische 
Wilddiebe in flagranti zu verhaften. B. kam ihm aber 
zuvor, indem er sogleich bemerkte, wie sehr er sich 
freue, das Land unter so vorzüglicher Polizeiaufsicht 
zu sehen. Als sich der Hüter des Gesetzes überzeugt, 
dass wir keineswegs «Birigeegees» (Belgier) waren, 


249 


und uns einige nützliche Winke über die Gegend und 
den Wildbestand gegeben hatte, überreichte B. ihm ein 
Bakschisch, worauf er die Hacken zusammenschlug und 
höchst befriedigt seines Weges zog. Bei dieser Gelegen- 
heit konnten wir Simba verabschieden, der nun in 
Gesellschaft des Askaris in seine Heimat zurückkehrte. 
Wie jemand auf den sonderbaren Gedanken gekommen, 
ihn ausgerechnet «Simba» zu taufen, war uns stets 
unerfindlich geblieben, denn etwas weniger Löwen- 
mässiges als ihn konnte man sich schwerlich vor- 
stellen. Seit zehn Tagen hatte er sich jeder Dienstlei- 
stung entzogen und führte nun alle seine Leiden auf die 
Begegnung mit dem unhöflichen Kob vor drei Wochen 
zurück. 

Am folgenden Tag schlugen wir uns eine Weile mit 
undurchdringlichem Elefantengras herum und hielten 
dann wieder auf den Fluss zu. Wir gelangten dabei 
zu einer Art natürlichem Baumgarten aus immergrünen 
Bäumen, aus blendender Sonne schritten wir unver- 
mittelt in seinen kühlen Schatten. Behaglich streckten 
wir uns unter dem dichten Blätterdach, in dem der 
Wind rauschte, und hatten schon Visionen von einem 
erfrischenden Tee, als Muthoka meldete, er habe so- 
eben einen Büffel gesehen. 

B. griff unverzüglich zur Büchse und kam bald nach 
kurzer, erfolgreicher Jagd zurück. Diesmal war das 
Wildbret unleugbar frisch. Der erste Schuss war fehl- 
gegangen und der Büffel in eine Dickung flüchtig ge- 
worden, die in einer Biegung des Flusses lag. Der 
Büffel hatte von hier aus wahrscheinlich das gegen- 
überliegende Ufer gewinnen wollen, woran ihn aber 
die steile Uferböschung hinderte. Infolgedessen wurde 


250 


er in dem Flussknie wie in einer Falle gefangen, an 
deren Ende B. sich postierte, während er seine Beglei- 
ter nach dem andern Ende schickte, damit der Büffel 
Wind von ihnen bekommen sollte. Er kam in voller 
Flucht heran, so dass seine tiefgestreckte Rückenlinie 
kaum über demnicht vielmehr als kniehohen Gras sicht- 
bar wurde. Wie ein grauer Streifen sauste er an B. 
vorüber, den Wedel steif aufgerichtet. Eine Kugel legte 
ihn in vollem Lauf um, als er gerade ins Dickicht zu 
tauchen drohte. 

Die Hälfte des Kadavers verwendeten wir als Köder 
und blieben die ganze Nacht im Ansitz, doch hörten 
wir die Löwen nur in weiter Ferne, während Hyänen 
sich an dem Aase gütlich taten. Erst hatte sich nur eine 
einzelne vorsichtig, unter beständigem Sichern nach 
allen Seiten, genähert. Während sie über dem Kadaver 
stand, mit erhobenem Haupt, die Lauscher aufmerksam 
vorgestreckt, hatte sie ihr übliches schleichend-feiges 
Aussehen abgelegt. Es gesellten sich ihr drei weitere 
Hyänen zu, und als sie einmal mit ihrer Mahlzeit begon- 
nen hatten und die Haut herunterrissen, dass es sich 
anhörte wie das Zerreissen von Segeltuch, liessen sie 
sich durch keinen Lärm, den wir verführten, stören. 
Wohl verhofften sie ständig, aber ihre Ängstlichkeit galt 
nicht uns, sondern den Löwen, und wir konnten sie nur 
vertreiben, wenn wir Löwenknurren nachahmten. 

In der folgenden Nacht erlegte B. einen kapitalen 
Leoparden. Seine Kühnheit war erstaunlich: B.’s Büchse 
versagte beim ersten Schuss, und beim Wiederladen ist 
ein metallisches Knacken nicht zu vermeiden. Der 
zweite Schuss ging fehl, aber wieder kehrte der Leo- 
pard zum Köder zurück. 


251 


B. hatte schon lange vergebens nach einer gutge- 
hörnten Moor-Antilope gesucht, doch in dieser Gegend 
schienen sie es nur zu einer schwachen Kopfzier zu 
bringen. Er folgte gerade einem krankgeschossenen 
Bock, als er sich unvermutet vier Büffeln gegenüber 
sah. Zeit zum Überlegen oder gar zum Wechseln der 
Büchse gab es nicht mehr; er feuerte auf das zunächst- 
stehende Tier, worauf alle zusammen kehrt machten 
und die Flucht ergriffen. 

Hierauf nahm er die Suche nach der Antilope wieder 
auf, bis er an die Böschung des Flusses kam. Von ihrer 
Höhe aus konnte er die Antilope erkennen, wie sie ge- 
duckt unmittelbar am Ufer verhoffte. Eine Kugel ins 
Rückgrat tötete sie augenblicklich, doch mit einer 
letzten gewaltigen Flucht verschwand sie im Wasser. 
Wäre der Fluss nicht frei von Krokodilen gewesen, 
so hätte man darauf schwören mögen, dass ein Kroko- 
dil die Antilope unter die Oberfläche gezogen. Das 
Wasser wallte blutrot auf, zog weite Ringe, und schon 
hatte die öligglatte Strömung alles verwischt. Die Boys 
suchten mit langen Bambusstangen nach ihr, wobei sie 
bis zur Brust im Wasser standen, aber obwohl sie 
Löcher von sieben bis acht Fuss Tiefe sondierten, blieb 
die Antilope verschwunden. 

Am nächsten Tag suchten wir die Ufer ab und fanden 
das Tier in einer Bucht etwa eine Meile flussabwärts. 

Kurz vorher hatte B. noch mit dem angeschossenen 
Büffel die gefährlichste Begegnung seines Jägerlebens 
gehabt. Kaum hatte er ihn in seinem Wundbett fest- 
gestellt, als ihn der Büffel wie ein wahrer Wirbelsturm 
annahm. B. sah schon die drohenden Hörner unter sich 
und hatte gerade noch Zeit, sich zur Seite zu werfen. 


252 


Der Büffel donnerte vorüber, und kaum war die Spitze 
seines Horns um weniger als einen Zoll an B. vorbei- 
gesaust, als er schon gewahr wurde, dass er seinen 
Feind verfehlt. Die Gewalt seines Ansturms verhinderte 
ihn aber anzuhalten oder abzubiegen. Als er sich endlich 
zum Stehen gebracht, witterte er zögernd, um B. aus- 
findig zu machen, der diesen Augenblick wahrnahm 
und ihm eine Kugel in den Spiegel jagte, die ihn kra- 
chend zu Fall brachte. Augenblicklich war er wieder 
auf den Läufen, warf sich schnaubend vor Wut herum 
und hätte noch einmal B. um ein Haar erwischt, wenn 
sich nicht der tapfere kleine Major eingesetzt und die 
Aufmerksamkeit des Büffels auf sich gelenkt hätte, wo- 
durch B. Zeit zum Feuern bekam. Zugleich krachte 
auch die 318er, die Muthoka trug, glücklicherweise 
weit vom Ziel, denn hätte er nur einigermassen gezielt, 
dann hätte er von seinem Standort aus B., der vor dem 
Büffel stand, zuerst treffen müssen. 

Eine weitere Kugel gab dem Büffel den. Rest. Er 
fiel schwer auf die Seite, und die beiden Boys, die bei 
seinem ersten Angriff Reissaus genommen hatten, fan- 
den sich wieder ein. Er war ein mächtiger Kämpe, mit 
Narben übersät, darunter eine, die von einer Gewehr- 
kugel zu stammen schien. 

Es war ein rühmlicher Kampf gewesen, und als B. 
zurückkam, zog ihm das ganze Lager entgegen und 
salutierte. Als er mir aber den Hergang erzählte, brachte 
ich kaum ein Wort hervor, der nachträgliche Schreck 
hatte mich fast krank gemacht. 

Wir zogen nun nach Kinyonza, einem kleinen Platz 
am Uganda-Ufer des Flusses. Dort hofften wir, von 
unserer erwarteten Kabel-Nachricht zu hören, denn 


253 


aus den zehn Tagen waren inzwischen drei Wochen 
geworden. Die kongolesischen Träger waren anschei- 
nend noch ungeduldiger als wir, denn als Ndezi in 
unser Lager kam, wurden sie bei ihm vorstellig, sie 
wollten sogleich in ihre Heimat zurückkehren, wobei 
sie mit keinem Wort erwähnten, dass sie sich für einen 
ganzen Monat bei uns verpflichtet hatten. Ndezi war 
der Häuptling aller Häuptlinge und augenscheinlich 
ein kleiner König in seinem Land, und es sah bedenk- 
lich danach aus, als sollten wir unsere Träger endgültig 
verlieren, besonders als B. zur Eröffnung der Zusam- 
menkunft seine Königliche Hoheit gehörig zur Rede 
stellte, weil er nicht «Guten Morgen» gesagt hatte. 
Tiefgekränkt stolzierte Ndezi mit seinem Tropenhelm 
und Malakkarohr vom Platz. Als wir ihn endlich zur 
Rückkehr bewogen hatten, schmollte er wie ein unge- 
zogenes Kind und weigerte sich, auch nur ein Wort zu 
sprechen. Aber niemand konnte sich lange B.’s gewin- 
nendem Wesen entziehen, und bevor das Palaver aus 
war, schüttelten sie sich die Hände, und das Ende war, 
dass Ndezi sich für unsere Sache mit Begeisterung ins 
Zeug legte. Der Anführer der Träger gab schliesslich 
zu, dass sie sich für die Dauer eines Monats verpflichtet 
hatten, und er rechtfertigte seine Widersetzlichkeit, 
indem er angab, er habe geglaubt, wir seien schon zwei 
Monate unterwegs, so dass er dafür unsere Sympathie 
zugleich mit unserer Absolution verdiene. 

Kinyonza war eine typische Löwengegend, in einer 
welligen Ebene, in der es von Kob- und Topi-Rudeln 
wimmelte. 

Ein nächtlicher Ansitz am Köder verlief ergebnislos. 
Der Vollmond warf scharfe Schlagschatten, die Löwen 


254 


brüllten, wie wir es noch nie zuvor gehört, aber sie 
fanden unsern Köder nicht. 

Es mussten gegen zehn Löwen gewesen sein, die 
gleichzeitig ihre Stimmen erhoben, ein dröhnendes und 
eindrucksvolles Konzert wie das Schlagen von 'Trom- 
meln und Pauken. 

Am nächsten Tag ging B. daran, eine Plattform in 
einem Baum zu errichten, der ungefähr in der Gegend 
stand, wo wir die Löwen hatten brüllen hören, wäh- 
rend ich auf der andern Seite des Flusses einen Köder 
zu erbeuten suchte. 

Ich hatte es auf ein Rudel von Wasserböcken abge- 
sehen, aber immer, wenn ich mich ihnen näherte, ver- 
riet ein Rudel von Kobs meinen Standort, und das 
Ende war, dass die Wasserböcke in einem Dickicht ver- 
schwanden. In der Luft hing ein schwerer, durchdrin- 
gender Büffelgestank, und etwas weiter entfernt war sie 
von dem Kadaver eines Elefanten verpestet. Die Stoss- 
zähne des Tieres fehlten, und wir konnten feststellen, 
dass es mit einem Wurfspeer getötet worden war. Die 
Zahl der um das Aas versammelten Geier und Marabus 
ging in viele Hunderte. Als wir sie aufstörten, verdun- 
kelten sie den Himmel. 

Ich schlug eine neue Richtung ein und stiess wie- 
der auf ein Rudel Wasserböcke. Diesmal liess ich 
beim Anpürschen keine Vorsichtsmassregel ausser acht 
und kroch mit der List einer Schlange über die Stop- 
peln, immer aber in voller Sicht einer Antilope. End- 
lich fand ich in einem Busch Deckung und pürschte 
mich darin auf Schussweite an einen kapitalen Bock 
heran (er schien wirklich ein Rekordbulle, denn seine 
Hauptzier ragte so hoch, dass er sich darunter ganz 


255 


klein ausnahm), als zwei Schüsse fielen. Die Wasser- 
böcke warfen die Häupter hoch und machten sich wie 
auf Kommando aus dem Staub. Ich fand keine Gelegen- 
heit, auf den Bock abzukommen, fehlte ein weibliches 
Tier, traf-aber ein zweites. 

Kasaia kam mit Major herbeigerannt, und eine wilde 
Hetzjagd setzte ein. Ich folgte Majors hellem Geläute 
so rasch ich konnte, jeden Augenblick gewärtig, die 
gestellte Antilope zu finden; ich wusste nicht, dass sich 
der Wasserbock nicht verbellen lässt. Die Jagd führte 
in so dichten Busch, dass wir stellenweise auf allen 
Vieren kriechen mussten, aber die Schweißspur wurde 
immer reichlicher. Wir kamen in Eifer, ich achtete gar 
nicht darauf, wie die Stunden verrannen, und als wir 
aus dem Dickicht traten, sah ich mit Schrecken, dass 
die Sonne schon am Untergehen war. Und ich hatte 
doch B. versprochen, zwischen drei und vier Uhr zurück 
zu sein, um zeitig mit ihm zum Ansitz zu gehen. Wir 
bezeichneten die Stelle, an der wir die Suche abgebro- 
chen, und eilten durch die einbrechende Dämmerung 
zurück. Im Laufen sagte ich mir beständig: wenn ich 
doch nur für meine Verspätung eine bessere Entschul- 
digung hätte als vier Weichmantelgeschosse, um nichts 
als einen Wasserbock weidwund zu schiessen. B. er- 
legte seine Köder stets mit einem einzigen Vollmantel- 
geschoss. Im Grunde war ich aber über meinen Wasser- 
bock mindestens so stolz wie die meisten Jäger auf 
einen Bongo. 

Ich kam lange nach B. ins Lager zurück. Er war es 
gewesen, der bei seiner Rückkehr die beiden Schüsse, 
die meine Wasserböcke vergrämt, als Signalschüsse 
für mich abgegeben hatte. 


256 


Während ich unsere kostbare Munition verschwen- 
dete, hatte er zwei Löwen erlegt. Er hatte sich gerade 
einen Baum auf seine Eignung für eine Plattform be- 
sehen, als Löwen aus dem darunter wachsenden Ge- 
büsch hervorsprangen. Den ersten streckte er nieder 
und wollte eben auf den zweiten abkommen, der unter- 
dessen im hohen Gras flüchtig geworden war, als ein 
dritter Löwe keine drei Meter vor ihm ausdemGestrüpp 
setzte. B. feuerte auf ihn aus Notwehr, während der 
zweite dadurch entkam. Der erste war ein mächtiges 
Tier mit goldener Mähne, auch war er ganz ungewöhn- 
lich fett. 

Es wuchsen nur wenige Bäume verstreut in der 
Ebene, und das Dickicht unter ihrem breiten Blätter- 
dach bot in weitem Umkreis das einzige gute Versteck 
für Löwen. Am folgenden Tag trieben wir sie syste- 
matisch durch, B. auf der einen und ich auf derandern 
Seite postiert, während die Leute mit Speeren bewaffnet 
durch das Gebüsch drückten. Es war eine nerven- 
kitzelnde Treibjagd, auch wenn uns dabei kein Löwe 
vor die Büchse kam. Bei einer systematischen Löwen- 
jagd glänzt der Löwe meist durch Abwesenheit, und 
man trifft ihn gewöhnlich dann, wenn man ihn am 
wenigsten erwartet. 

Hinter dem Plateau dehnt sich eine ähnliche Ebene 
bis zum Lutungwe-Fluss, aber sie ist bewohnt, und 
Eingeborene, die wir befragten, schilderten sie als 
gänzlich wildarm. Hier aber waren wir unzweifelhaft 
am richtigen Ort, die Eingeborenen beider angrenzen- 
der Landstriche waren darüber einer Meinung. Es war 
das erste Mal, dass wir eine solche Einstimmigkeit er- 
lebten, denn wenn man sich sonst auf die Aussagen 


257 


von Schwarzen verlässt, liegt das wildreichste Gebiet 
stets etwas weiter voraus, oder man hat es soeben hinter 
sich gelassen. 

Die Erlegung der beiden Löwen vergrämte indessen 
die übrigen, und da wir wieder Löwengebrüll von der 
Kongoseite her vernahmen, verlegten wir das Lager 
auf das gegenüberliegende Ufer zurück. 

Ich brannte darauf, B. zu meinem Rekord-Wasser- 
bock zu führen. Wir suchten ihn vergeblich. B. fehlte 
eine weibliche Geschirr-Antilope, die er zur Vervoll- 
ständigung des Paares für das Museum haben wollte, 
aber dicht beim Lager erlegte er noch einen Büffel, der 
als Köder herhalten musste. 

Als B. sich in der Frühe dem Köder näherte, sah 
er einen Löwen, der sich in einiger Entfernung davon 
niedergetan hatte. Im unsichern Büchsenlicht der 
Morgendämmerung ging B.’s Kugel zu tief in den 
Brustkorb, der Löwe setzte mit mächtiger Flucht über 
die Böschung hinab. Angeschossen und vollgeschla- 
gen wie er war, sprang er den 82 Fuss hohen Steil- 
hang hinunter und berührte ihn nur einmal. 

B. bekam ihn nach langer Suche durch dorniges 
Gestrüpp zu Gesicht und zerschmetterte ihm mit einer 
Kugel den Hinterlauf. Die Verletzung behinderte den 
Löwen so, dass er in eine Felsspalte fiel, die er passieren 
wollte. Der Spalt war ı5 Fuss tief, eng und steil wie ein 
Kamin, eine wahre Fallgrube. Der Löwe war ausser- 
stande, sich herauszuarbeiten, und der Anblick der 
über ihm stehenden Gestalt brachte ihn in einen Paro- 
xysmus der Wut. Er warf sich mit Wucht an die Wände 
des Felsspalts, von dem seine Pranken die Erde 
herabrissen und brüllte, dass der Boden zitterte. B. 


258 


warf einen Klumpen Erde hinab. Der Löwe warf sich 
rasch wie der Blitz darauf und zerfetzte ihn mit Pran- 
kenschlägen zu Atomen. 

Es war so dunkel und eng am Boden der Grube, dass 
es schwerhielt, einen Fangschuss anzubringen, und 
noch schwieriger wurde es, als der Löwe B.’s Blicken 
ganz entschwand, indem er sich in eine Unterhöhlung 
der Felswand zurückzog. Sein anhaltendes dröhnen- 
des Knurren tönte wie ein Echo aus der Unterwelt. 
Um ihn aus seinem Versteck auszuräuchern, liessen 
die Boys ein brennendes Grasbündel an einer langen 
Stange bis an die Höhlenöffnung hinab. Mit einem 
wütenden Schlag seiner Pranke riss er es sogleich in 
Fetzen. Bei einem zweiten Hieb kamen sein Kopf und 
seine Schulter zum Vorschein, und B., der mit der 
Büchse bereit stand, sandte ihm eine Kugel in den 
Nacken. 

Es hielt schon schwer, in die Höhle hinabzusteigen, 
ganz unmöglich aber war es, den Löwen herauszu- 
ziehen, so dass B. ihn in dem engen Loch, das nicht 
einmal genügte, den Kadaver auszustrecken, mit 
Muthoka zusammen ausbalgen musste. Der Boden 
der Höhle war infolge eines Regengusses mit Schlamm 
angefüllt, und als das Fell, verkrustet von Blut und 
Schlamm, im Lager ankam, schien es kaum mehr zu 
retten zu sein. Doch alle Leute griffen an, und zuletzt 
bürstete ich den getrockneten Schlamm ab und kämm- 
te die Mähne, bis sie trocken war. Als ich die letzte 
Hand angelegt hatte, meinte B., sie sei «so schön wie 
ein von Ward präpariertes Fell». 

Der Unterschied zwischen den Löwen aus Uganda 
und denen des Kongo fiel uns auf. Es ist merkwürdig, 


259 


dass der kleine Isasha-Fluss eine so scharfe Trennungs- 
linie bildet. Vielleicht ist es nur ein Zufall unserer 
Jagderfahrungen, aber wir fanden die Löwen auf dem 
Uganda-Ufer durchwegs gross, mit enorm entwickelter 
Schwarte und goldener Mähne, während uns die 
Löwen auf der Kongoseite als kleiner, feingliedriger 
und schwarzgemähnt auffielen*. 

Wir konnten uns nicht erklären, warum das Wild in 
dieser Gegend, die selbst von den Eingeborenen ge- 
mieden wird, so ausserordentlich scheu war. Die Ur- 
sache dafür fanden wir, als wir einmal einem weissen 
Kob nachspürten — einem Albino —, den wir in einem 
Rudel von über hundert Muttertieren gesehen hatten, 
und der für das Museum Interesse haben mochte — 
und ein Pack jagender Wildhunde antrafen. Sie hetzten 
einige Topis und holten langsam aber stetig auf. Der 
Leithund gab dabei ein tiefes, tönendes Geläute von 
sich; dann verschwand die wilde Jagd hinter einem 
Höhenzug. 

Die Wildhunde verursachen grossen Schaden unter 
dem Wildbestand. Sie sollen ihr einmal erwähltes Opfer 
gelegentlich zwei Tage lang ununterbrochen verfolgen 
und so furchtlos sein, dass sie mitunter gar einen Büffel 
oder Löwen stellen und reissen. Sie sehen den Hunden 
der Eingeborenen ähnlich und sind wie sie meist räudig. 


*) In einer der Besprechungen des englischen Originals 
dieses Buches wurde kritisiert, B. habe eine unnötige Zahl von 
Löwen erlegt. Es sei darum hier erwähnt, dass die Trophäen, 
gerade wegen ihrer grossen Zahl, welche die individuellen Ab- 
weichungen erkennen lässt, einen wissenschaftlichen Wert be- 
sitzen und inzwischen einer Reihe anderer europäischen Museen 
zu Studienzwecken geliehen wurden. 


260 


Einst überraschten wir ein Pack auf einem Stein- 
Kopje in der Athi-Steppe, zwei der Hunde liefen gegen 
uns zu und bellten auf uns herab wie Wachthunde. 

Als wir von unserer Begegnung mit den wilden 
Hunden zurückkehrten, erblickten wir in der Ferne 
zum ersten Mal den Ruwenzori. Er erhob sich über die 
Wolken weit hinter dem See, die zackigen Flanken von 
einem schneeigen Zwillingsgipfel gekrönt. Die Däm- 
merung hatte die Vulkangruppe und die Berge des 
Kongos schon verschlungen, als nur noch sein Gipfel, 
den Tag überdauernd, in blendender Weisse vor den 
glutroten Abendwolken ragte. 

Wir hatten dem Isasha den Rücken gekehrt und zogen 
wiederum auf den See zu. B. erlegte zwei Kobs. Nach- 
dem er den zweiten geschossen hatte, sah er Geier auf 
den ersten herniedersausen und kehrte nochmals zu- 
rück, um ihn mit Zweigen zuzudecken. Beim Näher- 
kommen fiel ihm auf, dass sich die Aasvögel nicht auf 
die Beute selbst niedergelassen hatten, sondern in der 
Nähe beisammenhockten und ängstlich die Hälse reck- 
ten. B. pürschte sich näher, konnte aber nichts Ver- 
dächtiges erkennen als drei braune Streifen, die er an- 
fänglich für Grasbüschel hielt. Plötzlich begannen sie 
sich zu bewegen, und B. sah drei Löwen vor sich. 

Die Löwin hob den Kopf, als wollte sie ihren Gefähr- 
ten ein Zeichen geben, ihr zu folgen. Das Junge ge- 
horchte, während ihr Gemahl nur aufblickte und dann 
ruhig mit seiner Mahlzeit fortfuhr. B. feuerte erst auf 
ihn, dann auf die inzwischen flüchtig gewordene Löwin. 
Die Kugel musste getroffen haben, denn sie änderte 
ihre Richtung und lahmte stark. B. gab dem Löwen 
den Fangschuss und nahm dann die Spur der Löwin 


261 


auf, die in einem Halbkreis zwei Meilen weit führte. 
Die Spur war schwer zu halten, denn sie wies fast 
keinen Schweiss auf. Endlich gewahrte B. die Löwin 
in einem ausgetrockneten Bachbett inmitten eines 
Wäldchens. Vorerst sah er nur die dunklen Spitzen 
ihrer Lauscher; er näherte sich geräuschlos, bis ein 
knackender Zweig ihr seine Anwesenheit verriet. Als 
sie das Haupt nach ihm hob, zielte er nach der Gurgel 
und zerschmetterte ihr den Kiefer. Sie schleppte sich 
tiefer in die Büsche, wo sie sich ruhig verhielt, und 
die Boys erklärten sie für verendet. Als B. aber näher 
trat, erhob sie ihre fauchende Stimme mit erneuter 
Wut, und erst ein weiterer Schuss brachte sie zum 
Schweigen. 

Am Abend erbat sich Saidi die Erlaubnis für ein 
besonders feierliches Camubi (Löwentanz), um den 
siebzehnten Löwen gebührend zu würdigen. Bald 
tanzten alle unsere Boys um die lodernden Feuer. Die 
Gesichter mit Asche geweisst und mit Laubwerk ge- 
schmückt, schwangen sie Eimer und Kochtöpfe, wobei 
sie den alten Löwengesang anstimmten, der uns im 
Lauf der Zeit so vertraut geworden, dem zu lauschen 
wir aber nie müde wurden. Saidi, der den sterbenden 
Löwen darstellte, sang den Text unter mächtigem 
Knurren, Brüllen und Stampfen, während die übrigen, 
mit Feuerbränden bewaffnet, einen Angriff auf ihn 
mimten und am Ende jeder Strophe im Chor «Camiso » 
sangen. Wir konnten nie herausbringen, was das Wort 
Camiso zu bedeuten hatte, aber immer endete das Fest 
mit drei Hochrufen und damit, dass B. von Jim die 
«Debi-a-Rupees» (Kasse) holen liess und ein Bak- 
schisch verteilte. 


262 


Der Löwentanz brachte uns die schönen vergangenen 
Tage am obern Tana in Erinnerung und damit so viel 
von unserer frühern Unternehmungslust, dass wir noch 
pläneschmiedend an der glimmenden Asche sassen, 
als schon der Orion am westlichen Himmel leuchtete. 

Wir hatten in Ruchuru Vorräte und Munition für 
nur drei Wochen mitgenommen — wir hofften ja auf 
dem Weg zur Gorilla- Jagd in Kiwu dort wieder vor- 
beizukommen — und hatten es fertiggebracht, sechs 
Wochen damit auszukommen, so dass wir den Boten, 
der endlich mit dem erwarteten Kabelbericht eintraf, 
nun doppelt willkommen hiessen. Wir wagten kaum 
zu atmen, als wir das Schriftstück umdrehten, um seine 
Botschaft zu lesen. Sie lautete aber: 

«Autorisation enfin refusee.» 


Da wir jetzt über unser Schicksal in bezug auf die 
Gorillajagd Bescheid wussten, konnten wir endlich 
einen neuen Plan festlegen. Am liebsten hätten wir uns 
ohne Säumen nach Kasindi und von da in den Wald 
von Ituri begeben. Wäre der Kabelbericht nur wenige 
Tage früher eingetroffen, dann wäre dies noch mög- 
lich gewesen. Nun hatten wir aber keine andere Wahl, 
als wiederum zwei Wochen zu warten, bis das nächste 
Boot nach Kasindi fällig war. 

Was sollten wir aber mit diesen zwei Wochen an- 
fangen? Weder hier noch in der nähern Umgebung 
gab es eine Wildart, die für die Sammlung noch in 
Frage kam. B. wollte mir Gelegenheit geben, meinen 
ersten Löwen zu erlegen, und günstigere Bedingungen 
als in dem nahen Wild-Reservat, in dem es von Löwen 
nur so wimmelte, konnte man für diesen Zweck kaum 


263 


antreffen. Der einzige Haken daran war, dass man keine 
Köder auslegen konnte. Aber da das Reservat so nahe 
war, entschieden wir uns doch dafür, die Zeit, bis das 
Boot und der erwartete Proviant eintrafen, dort zu 
verbringen. 

Ein langer, heisser Marsch brachte uns nach Kabari. 
Schon damals war es ein wichtiger Platz und wird an 
Bedeutung noch gewinnen. Wenn einmal eine Strasse 
nach Kasindi und dem anderen Ende des Edward-Sees 
gebaut ist, wird es zu einem der Handelstore in den 
Kongo werden. 

Jetzt bestand Kaban nur aus einer Handvoll elender 
Hütten, die inmitten einer baumlosen Ebene in der 
Sonne brieten. Wir hatten gehofft, dort Posho zu fin- 
den, aber es war nicht ein Krümchen zu haben. Und, 
schlimmer noch, ich las von meinem blossen Bein eine 
der gefürchteten Spirillumzecken. 

Wir hatten gehört, dass Spirillumfieber dauernde 
Blindheit und sogar den Tod zur Folge haben kann, 
und tatsächlich erfuhr ich später, dass die Gattin eines 
belgischen Beamten, der in der Nähe kampierte, 
wenige Tage nach unserer Durchreise daran gestorben 
war. 

Wir hielten uns daher nicht länger in Kabari auf 
und zogen augenblicklich weiter an den Ruchuru- 
Fluss. Der Mvami hatte nach Kanoes geschickt, um 
uns über den Fluss zu bringen, aber es waren keine er- 
schienen; irgendwie hatte sich das Gerücht verbreitet, 
Kasindi sei unser Ziel, was einer Odyssee von mehreren 
Wochen gleichgekommen wäre. Wir gingen darum 
stromaufwärts bis zu unserm alten Lagerplatz (dem 
Ort mit dem Baum aus Noahs Arche, bei dem B. seinen 


264 


ersten Kongo-Löwen geschossen hatte) und wateten 
dort zum anderen Ufer hinüber. Das Wasser reichte 
uns bis zur Brust, und die Strömung war ziemlich 
reissend. Ich leerte darum meine Taschen und schwamm 
hinüber. In der Nähe, kaum weiter entfernt, als die 
Länge eines Schwimmbassins beträgt, hielten sich ein 
halbes Dutzend Flusspferde auf. Die Versuchung, zu 
ihnen hinzuschwimmen, war gross. B. verbot es mir 
aber sehr energisch, denn sie waren imstande, auch 
wenn es nur aus purer Ängst geschah, einen Menschen 
in Stücke zu reissen. Viel nützlicher sei es, wenn ich sie 
im Bilde festhalten würde. Zusammen mit der den 
Fluss überschreitenden Safari photographiert, konnte 
man den Gegensatz zu andern, vielbesuchten Jagd- 
gründen nicht besser veranschaulichen. 

Unterwegs nach dem Ruindi, einem Fluss, der parallel 
mit dem Ruchuru und fast unmittelbar am Fuss der 
Kongokette entlangfliesst, sahen wir kreisende Raub- 
vögel. Wir wichen vom Weg ab, um nachzusehen, 
was sie anzog, als aus einem Busch in der Nähe eine 
Löwin flüchtig wurde. B. streckte sie in voller Flucht 
nieder; ein eindrucksvoller Schuss, denn das mächtige 
Raubtier hatte unaufhaltbargeschienen in seiner Flucht. 
Die Löwin war von solcher Grösse, dass B. sie zuerst 
für einen mähnenlosen Löwen gehalten hatte. Wir 
untersuchten ihr Versteck und fanden darin einen 
weiblichen Kob, den sie aber nicht angeschnitten hatte. 
Dicht daneben aber lag ein noch ungeborenes Kitz, 
sauber aus der Eihaut gelöst und mit abgebissenem 
Kopf. Die kaltblütige Sicherheit, mit der die Löwin 
diese Operation bewerkstelligte, machte mich um so 
mehr betroffen, als sie selbst trächtig war. 


265 


Die Antilope lieferte indessen den erwünschten 
Köder, und nicht weit davon fanden wir einen noch 
lebenden Kob in einer Fallgrube. Die Träger entdeck- 
ten ausserdem noch vier Topis und einen weitern Kob, 
alle in Fallen gleicher Bauart; nun hatten wir Köder im 
Überfluss, ohne das Gesetz übertreten zu haben. 

Der Mvami von Katana, einem kleinen Kraal, 
stattete uns einen Besuch ab —, der Hut schien auf 
seinem Kopf festgewachsen — um uns mit dem Selbst- 
bewusstsein eines untadeligen Hüters des Gesetzes zu 
bedeuten, dass wir uns in einem Wild-Reservat befän- 
den, in dem die Jagd verboten sei. Er wurde sehr klein 
und bescheiden, als er entdeckte, wieviel wir von seinen 
Fangmethoden wussten. 

Die Fallgruben sind lange, schmale, ungefähr acht 
Fuss tiefe Gruben, die sich nach unten verjüngen. Die 
Opfer werden darin durch die Wucht ihres Falles 
solchermassen festgekeilt, dass es schwerhält, sie 
heraus zu bekommen. Diese Fangart ist um so grau- 
samer, als die Eingeborenen die Gruben nicht regel- 
mässig untersuchen. Einer der Topis war fast nur noch 
ein von Haut überzogenes Skelett, aber noch am Leben, 
ein anderer schon verludert. Die Fallgruben sind mit 
grossem Geschick angelegt, oft zwanzig nebeneinan- 
der und die meisten unverdeckt, so dass das Wild die 
verblendeten Gruben für Durchgänge zwischen den 
offenen Gruben hält. 

Löwen brüllten, als kaum der Abend dämmerte, 
und wir hatten für den folgenden Tag eine grosse 
Löwenjagd geplant. Falls die ausgelegten Köder sie 
nicht locken sollten, wollten wir die Schilfbestände 
durchdrücken; da bekam ich einen Fieberanfall. Ein 


266 


Trost blieb mir dafür, dass ich zurückbleiben musste: 
ich konnte das Fell der Löwin im Auge behalten. 

Eine Krähe sass über mir im Baum, und ihr rauhes, 
unheimliches Krächzen verfolgte mich den ganzen 
Tag bis in meine Fieberträume wie eine Stimme des 
Unheils. Als B. zurückkam und ich hörte, wie er Jim 
Wasser holen hiess, sprang ich mit plötzlich wachem 
Angstgefühl auf und rief: «Ist etwas geschehen?» 
B. antwortete: «Diesmal hat der Löwe mich erwischt», 
und mit diesen Worten trat er ins Zelt. 

Die Kleider hingen in Fetzen an ihm herunter, Blut 
rann überall von ihm, ausser von seinem leichenblassen 
Gesicht. Er war über zwei Stunden gelaufen und war 
fast unfähig zu sprechen. 

So geschwächt war er, dass ich ihn nach jedem 
frischen Verband ausruhen lassen musste; aber er war 
fest entschlossen, jetzt nicht ohnmächtig zu werden, 
er sagte, er habe doch den ganzen Weg dagegen an- 
kämpfen können. Auch mir wurde so schwach, dass 
ich hinausgehen und, die Hände an den Stamm des 
Dornbaums gestützt, um Kraft ringen musste. 

Ich brauchte beinahe drei Stunden zum Verbinden, 
denn tiefe Risse liefen von den Hüften abwärts an bei- 
den Beinen hinunter, an denen das Muskelfleisch in 
Streifen herausgerissen war, und ich war ausserstande, 
das Blut zu stillen. Doch er trug es, ohne ein Wort 
darüber zu verlieren. Er sprach mir dann und wann 
Mut zu und versicherte mir, er fühle keinen Schmerz. 
Aber als er mich die scharfen Permanganatkristalle 
in seine Wunden streuen und die zerfetzten Gewebe- 
teile wegschneiden liess, musste er unbedingt Qualen 
erleiden. 


267 


Während ich B. so quälte, konnte ich mich nicht 
enthalten zu rufen: «Dieses Scheusal von einem 
Löwen!» B. wollte dies nicht wahrhaben und bestand 
darauf, dass er einem Gegner, der seinen Kampf ritter- 
lich bis zum bittern Ende gekämpft, nur Achtung 
zollen könne. Dann fragte er, ob die Leute ihn schon 
eingebracht, und ich musste gehen, ihn mir anzusehen. 
Als ich zurückkam, sagte ich, es sei der königlichste 
aller Löwen, die er je erlegt. B. freute sich darüber und 
legte mir ans Herz, dass wir seine Haut unbedingt 
retten müssten. 

Wir befanden uns acht bis neun Tagereisen von 
Kabale entfernt. Ich schickte daher augenblicklich 
einen Eilboten nach Ruchuru, um den dortigen Arzt 
zu bitten, so schnell wie möglich zu kommen. Wenn'’es 
mir gelang, die Wunden vier bis fünf Tage lang sauber 
zu halten, konnte der Arzt inzwischen eingetroffen 
sein. Als ich am nächsten Tag Bs. rechten Arm ver- 
band, besah er ihn kritisch und sagte: «Kannst du ihn 
mir wohl retten ?» Er war vom Ellbogen bis hinab zur 
Hand aufgerissen, so tief, dass der Knochen freilag, 
und die Hand selbst war innen und aussen zerfetzt. Und 
doch, ich war überzeugt, wir würden sie retten, und 
wir durften keinen Augenblick daran zweifeln! 

Mit unsäglicher Anstrengung beherrschte er sich; 
einmal schaute er mich voller Mitleid an, dass es mir 
einen Stich ins Herz gab, und sagte: «Eigentlich bist 
du es, die wir pflegen sollten ». 

Doch schon, als die Sonne sank, starrten seine ge- 
brochenen Augen an mir vorüber... 

Abde wollte wissen, was ich zu tun gedenke. Er und 
Muthoka begannen die Büchsen wegzuräumen. Ich 


268 


fragte, warum. Abde antwortete, damit ich mich nicht 
erschiesse, Ich befahl ihm, sie an ihrem Ort zu belassen 
und sagte, es gebe vieles zu tun. Aber es traf mich wie 
ein Schlag ins Gesicht. Zorn riss mich aus meiner 
stumpfen Betäubung. So stand es also: sie oder ich! 
Es durfte kein Zweifel aufkommen, wer hier der Herr 
war. Ich musste an B.’s Stelle getreten sein und die Füh- 
rung übernehmen, ehe sie zur Besinnung kamen. 

Ich bedeutete Abde, dass wir B. am folgenden Tag 
begraben und tags darauf nach Kabale aufbrechen 
würden. Darauf schrieb ich dem Arzt ab und dann nach 
Kasindi, um die Post zurückzurufen, die nach Kasindi 
abgegangen war. Kasindi? Das Wort klang vertraut, 
und ich fragte Abde, ob es der Name des Flusses sei, 
bei dem wir kampiert. Mein Verstand war aus der 
Bahn geworfen, und ich rang und rang und konnte 
ihn nicht ins alte Gleichgewicht bringen. 

Die ganze Nacht hindurch hielt ich Wache, die 
Hyänen schlichen sich so nahe, dass ich, neben B.’s 
Bett am Boden sitzend, ihre Lauscher sich gegen den 
Sternenhimmel abheben sah; Major bellte in einem fort 
bis zum Morgen. Morgengrauen! Die leichte, fröstelnde 
Brise, welche die Lichter der Sterne ausbläst, die all- 
mähliche Aufhellung des Firmaments, das Erwachen 
der Vögel — ein Morgengrauen wie hundert andere, 
die wir zusammen erlebt hatten — das war das Un- 
fassliche. 

Einen ganzen Tag dauerte das Schaufeln des Grabes 
in dieser metallharten Erde, der nur mit einer Axt 
beizukommen war. Ich arbeitete an der Haut des Lö- 
wen, ohne aufzusehen, denn schon hatte Fäulnis ein- 
gesetzt, und er unter allen Löwen musste gerettet wer- 


269 


den. Aber es half mir: es hielt mich vom Zelt zurück, 
in dem der Hauch des Todes herrschte, in dem mein 
Blick unwiderstehlich die Gestalt suchen musste, die 
sich unter dem Tuch abzeichnete, die gefalteten Hände 
wie ein kleiner Hügel über der Brust. 

Die Leute kamen zurück, bereit, die Bahre fortzu- 
tragen. Die Berge flimmerten im violetten Dunst. 
Kleine Wölkchen schwebten vor ihnen wie einSchwarm 
weisser Vögel. Ein paar Topis hoben ihre Köpfe und 
äugten zu uns herüber; es war gerade die Stunde, da 
B. zur Büchse griff und wir noch miteinander einen 
kurzen Pürschgang machten. Während ich hinter der 
kleinen Prozession herging, hatte ich nur den einen 
Gedanken: «Wie schön, wie wunderschön ». 

Der Schlaf mied mich auch in der folgenden Nacht. 
Erinnerung war erstarrt, gleichzeitig aber wirbelten 
und jagten sich meine Gedanken, dass ich meinte, 
wahnsinnig zu werden. Darin lag Gefahr, wenn ich 
mich nicht fest in die Hand bekam, und zwar sogleich. 
Zwei Nächte war ich ohne Schlaf geblieben und drei 
Tage beinahe ohne Nahrung; ich musste entschluss- 
fähig werden, oder es wurde mir zur physischen Un- 
möglichkeit, die Safari zurückzubringen. Darauf kam 
es jetzt an, und mit allem andern konnte ich nachher 
fertig werden. Ich versuchte jetzt, mein fieberndes 
Gehirn zu beruhigen, indem ich mir vorstellte, ich 
wandere durch endlose, friedliche Waldpfade und durch 
blumige Wiesen, bis ich in tiefen, traumlosen Schlaf 
versank. Freudig wie sonst war mein erstes Erwachen, 
und erst, als ich die verpackten Gewehrfutterale und 
B.’s Tropenhelm erblickte, schlug es wieder wie eine 
schwarze Woge über mir zusammen. 


270 


Steine gab es nicht in dieser Gegend; Kasaia fällte 
darum einen Dornbaum, und während die Safari sich 
zum Aufbruch rüstete, zimmerten wir ein Kreuz. 
Ich weiss nicht, wie lange wir uns abmühten, rostige 
Nägel in das grüne Holz zu treiben. Ich konnte keine 
Inschrift hinterlassen, die den Unbilden der Zeit lange 
widerstehen würde, und es fielen mir nur die Shake- 
speare’schen Zeilen ein: 

«Fear no more the heat o” the sun, 
Nor the furious winter’s rages, 

Thou thy worldly task hast done, 
Home art gone, and ta’en thy wages. » 

Nun blieb mir nichts übrig, als den Ort der Einsam- 
keit preiszugeben. Ich blickte um mich, war er wirklich 
preisgegeben? Die Sonne schien, der Baum spendete 
kühlen Schatten, und die kleinen Lerchen stiegen mit 
surrenden Schwingen in den Morgen. Nichts hatte 
sich im Grunde geändert; alles nahm seinen Lauf wie 
gewöhnlich. Dieser Gedanke hob mich und gab mir 
Trost auf den Weg: der Geist der blauen Ferne würde 
diese Stätte treulich behüten und sie in seinen lächeln- 
den Frieden schliessen. 

Ich kam vom Pfad, der zum Fluss führte, ab, und 
hätte wohl schwerlich die Furt gefunden, wäre nicht 
der Baum aus Noahs Arche dabeigestanden, dessen ich 
mich noch erinnerte. 

Heller Sonnenschein lag über der schweigenden 
Wildnis, aber für mich war es finstere Nacht. Wenn 
ich strauchelte, beschämte und ermutigte mich die 
Erinnerung, wie B. sich jene zwei Stunden hatte zum 
Lager schleppen müssen. Ich litt ja an nichts Schlim- 
merem als an Fieber, und ich zwang mich dazu, Auf- 


271 


nahmen von den Topis zu machen, um mir zu bewei- 
sen, dass meine Umgebung völlig normal und wirklich 
sei. Im Fieberwahn sah ich die Dinge wie durch einen 
Schleier, und noch immer hatte ich das Gefühl, nichts 
sei greifbar, und ich werde erwachen, um mich zu über- 
zeugen, dass ich nur geträumt. 

Wieder schwamm ich über den Fluss, und nachdem 
ich Abde erklärt, wir würden am Nachmittag zu un- 
serm alten Lagerplatz zurückkehren (wo wir wenige 
Tage zuvor dem Löwen-Tanz zugesehen hatten), über- 
holte ich die Trophäen und legte mich schlafen. 

Es waren sieben oder acht Meilen Marsch. Ich jagte 
während der ganzen Strecke und noch ein Stück dar- 
über hinaus, mit dem Versuch, Fleisch für die Leute 
zu beschaffen. Eine Sendung Posho, die wir von Ru- 
churu her erwarteten, war nicht eingetroffen. Die Trä- 
ger hatten zwar noch einen kleinen Vorrat, meine eige- 
nen Leute aber besassen keinen Happen mehr. Nie in 
meinem Leben hatte ich wirklich Wild erlegt, so be- 
schäftigte mich unterwegs beständig die Sorge, ob ich 
wohl imstande sei, für das nötige Fleisch aufzukommen. 
Wieder begegneten wir jagenden Hyänenhunden, und 
das Wild war sehr scheu. 

Endlich bekamen wir ein Rudel Topis zu Gesicht, 
gerade an einer Stelle, an der B. ein Topi als Löwen- 
Köder für mich erlegt hatte. Sie ästen im offenen Ge- 
lände, es war unmöglich, näherzukommen. Ich lehnte 
mich gegen einen Termitenhügel und stellte das Visier 
auf 2oo Meter ein. Zu meinem Erstaunen sass die 
Kugel. Eine Kuh sonderte sich von dem Rudel ab, 
Major war sogleich hinter ihr her, doch bald gab er 
die Jagd auf und kehrte zurück. 


272 


Kobherde am Ruindi-Fluss 


Wasserloch im Semliki-Tal 


Ich setzte mich verzweifelt auf den Boden, denn 
schon brach die Nacht herein, und die Nahrungsfrage 
war noch nicht gelöst. Da bemerkte ich einen einzelnen 
Kob, dessen Fell sich hell gegen die Dämmerung ab- 
zeichnete. Ich zielte mit der grössten Sorgfalt, starrte 
ihm krampfhaft auf das Blatt und drückte ab. Deutlich 
hörte ich den Einschlag der Kugel, und er jagte heftig 
zeichnend davon. Die Boys liessen Major von der 
Leine, aber er nahm zuerst eine falsche Spur auf, und 
wieder glaubte ich alles verloren. Doch plötzlich hörten 
wir ihn Laut geben. So schnell wir konnten, folgten wir 
den willkommenen Tönen. Der Kob hatte sich gestellt. 
Wir ergriffen ihn beim Gehörn und fingen ihn ab. 
Ich konnte mein Glück kaum fassen und weinte vor 
Dankbarkeit. 

Die Boys weideten das Tier flink aus und zerlegten 
es; Major erhielt seinen Anteil auf der Stelle, denn 
ohne ihn hätten wir den Kob nie bekommen. Dann 
beluden wir uns mit dem Rest, ohne das kleinste 
Stückchen zurückzulassen. 

Unterdessen war es stockfinster geworden, ein Ge- 
witter prasselte auf uns hernieder, und wir wanderten 
endlos lange auf der Suche nach dem Lager umher. 

Endlich Rufe und vom Feuer beleuchtete Baum- 
kronen. Ich verlor kein Wort über den Kob, aber als 
ich durch das Lager schritt, konnte ich es deutlich 
fühlen: ich hatte einen guten Eindruck gemacht. Noch 
nie hatte ich für die Leute gejagt, aber das musste 
jetzt gerade so selbstverständlich sein, als ob B. es für 
sie getan. Für sie musste alles in gewohnter Weise 
weitergehen, so dass ihnen gar nicht zum Bewusstsein 
kam, was eigentlich geschehen war. 


273 


Wenn der erbeutete Kob wohl nur einen Glücksfall 
bedeutete, so bewirkte er doch, dass ich meine bis- 
herige Unsicherheit verlor. War meine Schiessfertigkeit 
erwiesen, so konnte ich ja B.’s Werk zu Ende führen. 
Ihn hätte nichts daran hindern können, zu vollenden, 
was er begonnen; musste mit dem Tod unbedingt alles 
aufhören ? 

Nein, das musste es nicht und durfte es nicht! Wenn 
es dennoch weitergehen konnte, dann war ja diese 
niederdrückende Machtlosigkeit vor dem Tod über- 
wunden. Und wenn es mir gelang, ohne die Hilfe Aus- 
senstehender auszukommen, dann war es noch immer 
sein eigenes Werk. 

Von diesem Entschluss erfüllt, schlief ich ein, er- 
wachte aber plötzlich wieder an dem Glanz eines 
schimmernden Lichtstreifens über mir. Zwei kleine, 
schlanke Flügelchen, ungefähr 4 Zoll breit, flatterten 
hin und her, während der Lichtstreifen ruhig leuchtete. 
Es erschien mir als ein segnender Gruss von B.’s auf- 
steigender Seele, und ich betete inbrünstig, seine Jagd- 
erfahrung und seine Treffsicherheit möchten auf mich 
übergehen. Nachdem ich gelobt, sein Werk zu vollen- 
den und die Karawane heil zurückzubringen, als ich 
um Vergebung allen Unrechts, das ich je getan, und 
um Segen gebeten hatte, senkte sich das Licht näher 
auf mich herab, breitete sich weiter aus und ver- 
schwand. 

Es war das letzte Lebewohl. Aber es war auch die 
Gewähr, dass wir das gleiche Ziel erstrebten. Ich 
konnte wieder in die Zukunft schauen. 

Am nächsten Tag kamen wir an dem Lagerplatz vor- 
über, da der schwarzmähnige Löwe über den Felsrand 


274 


gesprungen und in die Spalte gefallen war. Die Asche 
unserer Feuer und alles übrige fanden wir noch un- 
berührt vor. Wir hielten uns aber nicht auf, sondern 
setzten unsern Marsch ohne Unterbruch bis Kinyonza 
am jenseitigen Ufer des Isasha fort. 

Wild kam uns nicht zu Gesicht, und so hatte ich Zeit, 
im Gehen über meine Lage nachzudenken. Das Nahe- 
liegendste war wohl, dass ich so schnell wie möglich 
in zivilisiertere Gegenden zurückkehite; wenn ich in 
der Wildnis blieb und mit der Jagd fortfuhr, setzte ich 
mich unweigerlich der schärfsten Kritik aus. Aber 
durfte mich das kümmern ? Vor allen Dingen lag mir 
die Vollendung der Sammlung — B.’s Vermächtnis — 
am Herzen. Hatte ich das Land einmal hinter mir, 
dann gab es kein Zurück mehr; ich musste also meinen 
Entschluss jetzt fassen: die Sache weiterführen und fest 
an den endlichen Erfolg glauben, bis ich tatsächlich 
geschlagen war. 

Mein erster Schritt war ein Brief an Mr. E. in Kabale 
mit der Bitte, die Nachricht von dem Geschehnis zu 
unterdrücken. Ich wollte selbst brieflich davon Mittei- 
lung machen und fürchtete, dass es durch Kabel weiter- 
berichtet würde, wenn die Nachricht vor mir in Kam- 
pala eintraf. 

Gegen Abend unternahm ich einen Pürschgang, um 
Fleisch für die Leute zu beschaffen und mich gleich- 
zeitig für die morgige Jagd auf Wasserböcke einzu- 
schiessen. Ich nahm Muthoka mit mir. Als wir das 
Lager hinter uns gelassen, musste er mir berichten, 
was er von der Begegnung mit dem Löwen wusste. 

Die ausgelegten Köder waren scheinbar nur von 
Hyänen besucht worden, und B. war schon unterwegs 


275 


nach dem Schilfdickicht, als er — es war acht Uhr 
morgens — einen Löwen brüllen hörte. B. war nur 
von Muthoka und dem Koch begleitet. Die beiden zün- 
deten das Schilf an, und B. postierte sich am Rand. Als 
ein Schuss fiel, kamen sie herbei und erfuhren von B., 
dass ein Löwe, zwei Löwinnen und zwei Löwenjunge 
ausgebrochen seien, dass er den Löwen angeschossen, 
worauf er sich wieder in das Schilf zurück verzogen 
habe. Sie nahmen sogleich die Schweißspur auf und 
brachten ihn zweimal hoch, ohne ihn aber zu Gesicht 
zu bekommen. Beim dritten Mal sprang der Löwe un- 
vermittelt aus dem Dickicht, erhob sich auf die Hinter- 
läufe und warf sich auf B.; dann wurde er wieder 
flüchtig. B. hatte noch nicht eine Schramme abbekom- 
men, wie er mir noch selbst erzählt hatte. Erst als er 
sich aufrichtete und nochmals feuerte, wirbelte der 
Löwe herum, warf sich voller Wut auf ihn und zer- 
riss ihn mit seinen Pranken. B. lag wehrlos unter dem 
Löwen, brachte es aber noch fertig, die Mündung der 
Büchse unter seinen Kiefer zu schieben und abzufeuern. 
Die Krallen hatten sich im Todeskampf geschlossen, 
so dass B. sie sich einzeln aus dem Fleisch reissen 
musste, bevor er sich erheben konnte. Muthoka wollte 
zum Lager laufen, um Leute zu holen, die B. zurück- 
tragen konnten, aber B. verschmähte es. Er wusste, 
dass ich es dann erfahren würde, und das wollte er ver- 
meiden. Das war mir noch gar nicht in den Sinn ge- 
kommen; mir hatte B. gesagt, er sei zu Fuss gegangen, 
um zu verhüten, dass seine Wunden steif würden. 
Und nun erfuhr ich, dass er sich meinetwegen gezwun- 
gen hatte, dem Sterben nahe, unter der glühenden 
Sonne zwei ganze Stunden zum Lager zurückzugehen. 


276 


Indem mir Muthoka alle diese Einzelheiten berich- 
tete, waren wir bis zur Ebene gelangt, wo wir einen 
Büffel äsen sahen. Muthoka rannte zurück, um die 
schwere Büchse zu holen, und unterdessen tat sich der 
Büffel nieder, wodurch er fast unsichtbar wurde. Ich 
umging ihn im Bogen in der Hoffnung, dass er wieder 
hochkomme, aber er schien keine Notiz von mir zu 
nehmen, obwohl er mich bemerkt haben musste. Ich 
nahm ihn aufs Korn, so genau die schlechte Sicht es 
gestattete. Auf den Schuss sprang er auf, fiel nach 
vorne und schlug ein vollständiges Rad, so dass seine 
Hinterläufe im Halbkreis durch die Luft fuhren. Es 
glich so sehr einem Zirkustrick, dass ich nur staunte 
und zusah, statt ihm eine zweite Kugel zu geben. 
Er kam wieder hoch und wurde nun in donnerndem 
Galopp auf die Dickung zu flüchtig. Es war schon zu 
dunkel geworden, um die Verfolgung aufzunehmen. 
Jetzt verstand ich, voll Mitteilungsbedürfnis über die 
Begegnung, wie es B. zumute gewesen, als er seine 
zwei Löwen erlegt hatte und mich nicht im Lager vor- 
fand, weil ich mich auf den Wasserbock eingelassen 
hatte. 

Wie angebracht es gewesen, die Nachsuche auf den 
folgenden Morgen zu verschieben, sahen wir, als eine 
starke Schweißspur hinter einem Busch verriet, dass 
uns der Büffel dort aufgelauert und uns unbedingt 
überrascht hätte. Darnach führte die Spur durch so 
dichten Busch, dass wir stellenweise auf allen Vieren 
kriechen mussten. Regen hatte sie verwaschen, und 
andere Büffelspuren kreuzten sie; doch konnten wir sie 
halten, solange sie Schweiss aufwies. Als aber auch 
dies aufhörte, mussten wir sie aufgeben. 


277 


Wir wateten darauf durch den Fluss, um nach Sing- 
Sing-Wasserböcken zu spüren. Nach einiger Zeit be- 
merkten wir die Enden eines Gehörns und pürschten 
uns näher. Es war ein Rudel von Wasserböcken, das 
sich hier niedergetan hatte. Zwischen den Halmen hin- 
durch war es unmöglich, die Gehörne auf ihre Stärke 
anzusprechen, und ich zögerte so lange, bis sie von 
uns Wind bekamen und flüchtig wurden. 

Wir holten sie wieder ein, und ich legte auf ein 
weibliches Tier an. Es stürzte im Feuer, erwies sich 
aber bei näherem Zusehen als ein junger Bock, dessen 
Gehörn eine Länge von kaum vier Zoll hatte. Dennoch 
streifte ich ihn ab in der Annahme, dass ein so wenig 
entwickeltes Exemplar die Gruppe anschaulich ergän- 
zen würde, um den Unterschied in der Färbung auf- 
zuzeigen; die Härung war braungelb gefärbt. 

Es war mir unverständlich, dass sich am entgegenge- 
setzten Blatt ein Ausschuss befand, bis ich entdeckte, dass 
Muthoka das Magazin für den Büffel mit Vollmantel- 
geschossen geladen und vergessen hatte, sie auszu- 
wechseln. Ich konnte deshalb von Glück reden, dass 
mir ein so schön gezirkelter Blattschuss gelungen war, 
der das Herz durchbohtrte; sonst hätte ich wahrschein- 
lich wieder das Nachsehen gehabt. 

Als ich am nächsten Morgen zur Jagd aufbrach, 
kam uns ein Eingeborener entgegen, der schwärzeste 
Neger, den ich je gesehen. Schon von weitem sah die 
von Kopf bis zu Fuss schwarze Gestalt wie ein Un- 
glücksrabe aus. Als er näher kam, sah ich, dass er in 
schwarze Tücher gehüllt war und schwarzen Trauerflor 
um den Kopf gewunden hatte. Er brachte Briefe für 
mich aus Ruchuru, die mich aufforderten, unverzüglich 


278 


dorthin zurückzukehren; doch stellte sich heraus, dass 
sich dies vermeiden liess. 

Die Wasserböcke hatten die Dickungen aufgesucht, 
und jedesmal, wenn wir uns näherten, hörten wir sie 
flüchtig werden, ohne sie je zu Gesicht zu bekommen; 
überdies sprang der Wind ganz unberechenbar um. 
Als wir auf die Böschung stiegen, um Ausschau zu 
halten, sahen wir einen Büffel ungedeckt auf einer 
Lichtung stehen. Sein Gehörn war schwach, und Fleisch 
brauchten wir auch nicht, so wünschte ich inbrünstig, 
er möchte wieder im Dickicht verschwinden. Aber er 
rührte sich nicht, und die Boys waren überzeugt, dass 
ich Angst habe. Das war eine gefährliche Meinung, die 
ich nicht in ihren Köpfen aufkommen lassen durfte. 
Ich sagte deshalb, ich wolle es mit ihm versuchen. 

Unten zwischen den Büschen kamen wir etwas aus 
der Richtung und waren früher, als wir geschätzt, in 
seiner Nähe, so dass er uns zuerst eräugte. Es war ein 
ziemlich unheimlicher Augenblick, als das schwarze 
Untier regungslos mit ausgebreiteten Lauschern da- 
stand, und ich hätte allerlei dafür gegeben, wenn ich 
hätte weitergehen dürfen. 

Ich lehnte mich kniend an einen Termitenhügel, der 
sich über das Gras erhob, und legte an. Im gleichen 
Augenblick duckte der Büffel den Kopf, der Schweif 
flog in die Höhe, und prasselnd und splitternd schob 
er durch das Dickicht ab. Ich war gleichzeitig sehr er- 
leichtert und schwer enttäuscht. 

Wir waren aber noch nicht weit gekommen, als Mu- 
thoka mir wiederum die schwere Büchse reichte und 
«Mboko» flüsterte. Wieder eräugte der Büffel uns, 
warf sichernd das Haupt empor. Das hohe Gras liess 


279 


nur einen Schuss im Stehen zu, und es vergingen einige 
Sekunden, bis ich die schwere 416er ruhig im Anschlag 
hatte. Der Büffel strauchelte, dann kam er wieder hoch 
und wurde im Galopp flüchtig. 

Wir fanden wenig Schweiss, wenn auch genug, um 
die Spur aufzunehmen. Bis sie in dichten Busch führte, 
hielten wir sie, dann lehnte ich es ab, ihr zu folgen. Die 
Boys waren natürlich verblüfft, dass ich solchermassen 
versagte, und ich sank an jenem Tag in ihrer Achtung, 
auch wenn ich ihnen erklärte, es gebe erst wichtigere 
Dinge zu erledigen, und wenn die Trophäen alle nach- 
gesehen seien, bliebe noch genügend Zeit, dem Büffel 
nach Herzenslust nachzuspüren. 

Das war keine glänzende Leistung, den zweiten Büf- 
fel weidwund im Busch zurückzulassen, ohne auch nur 
den Versuch zu machen, ihn von seinen Schmerzen zu 
erlösen. Es war gerade das, was B., der nie ein ange- 
schossenes Wild seinem Schicksal überliess, stets un- 
nachsichtlich verurteilt hatte. 

Am gleichen Abend bot sich mir noch eine Gelegen- 
heit, die Waagschale zu meinen Gunsten zu heben, als 
einer der Boys die Nachricht brachte, er habe einen 
Wasserbock am jenseitigen Ufer gesehen. Ich pürschte 
mich durch das hohe Gras heran und konnte einen 
Bock und zwei weibliche Tiere unterscheiden. Sie be- 
gannen sich zu trollen, und als sie verhofften, um nach 
mir zu sichern, gab ich Feuer. Dabei beging ich den 
Fehler, durch die Grasspitzen zu schiessen. B. hatte mir 
schon oft gesagt, dass die Kugel durch Grashalme 
in der Nähe der Mündung leicht abgelenkt werde; wie 
dem auch sei, ich fehlte. Nun kroch ich durch das Gras 
auf den einzigen Busch zu, um ihn als Deckung zu 


280 


benützen, als ein Rudel von Kobs — wohl dasselbe, 
das mich schon an dem bewussten Nachmittag gestört 
hatte — pfeifende Warnsignale ausstiess und damit 
die Wasserböcke endgültig vergrämte. Den Kobs aber 
konnte ich mich auf die Entfernung eines Steinwurfes 
nähern, bevor sie sich dazu bequemten, ihrerseits das 
Weite zu suchen. 

Noch immer hoffte ich, die Ehre des Tages retten 
zu können, aber obwohl ich die Wasserböcke noch 
zweimal zu Gesicht bekam, stets waren sie die Schlaue- 
ren, und als es dunkelte, kehrte ich unverrichteter 
Dinge wieder über die Furt zurück. Nach einem Miss- 
erfolg wird Ermüdung plötzlich doppelt fühlbar; 
immerhin bewirkte er, dass ich jetzt felsenfest ent- 
schlossen war, so lange hier zu bleiben, bis ich meine 
Wasserböcke hatte. 

In der Nacht schwoll der Fluss gewaltig an, riss die 
Brücke fort und machte die Furt unpassierbar. Auf 
unserer Seite war mir ein Standort von Wasserböcken 
nur in der Nähe eines früheren Lagerplatzes, etliche 
Meilen von hier, bekannt. Ich versah mich also mit 
Proviant für einen Tag, denn ich beabsichtigte, erst in 
der Nacht bei Mondlicht zurückzukehren. 

Während ich durch die Morgendämmerung über die 
schweigende, tauschimmernde Steppe dahinschritt, 
sarın ich darüber nach, ob es wohl möglich sei, diesen 
grossen, alles umfassenden Frieden in Worte zu klei- 
den. Eine Harmonie von Form und Farbe umgab mich 
wie Musik, und ich fühlte mich eingeschlossen in eine 
unendliche Liebe, die von den Bäumen, dem Himmel, 
ja, von dem Erdboden, den ich beschritt, ausströmte. 
Es war ein beseligendes Gefühl, über sich hinaus zu 


281 


wachsen auf den Schwingen der Erkenntnis, so dass 
man unbewegt wie ein Baum oder ein Berg über den 
Ereignissen der Welt stand, innig verbunden mit der 
Natur und nicht mehr ihr Gegenspiel. 

So träumte ich vor mich hin, als der vor mir gehende 
Muthoka einen plötzlichen Sprung zur Seite machte 
und ich im Weiterschreiten um ein Haar auf eine 
Python getreten wäre, die lang über den Pfad gestreckt 
lag. Die Leute schnalzten vor Schreck mit der Zunge, 
behaupteten, sie sei sehr giftig und verlangten, dass ich 
sie erlege. Doch ich hatte eine Vorahnung, dass mir 
dies kein Glück bringen werde und behauptete, wir 
würden niemals unseres grossen Bullen habhaft wer- 
den, wenn wir sie töteten. Muthoka nahm diesen Aus- 
spruch so wörtlich, dass er bei der Schlange Wache 
stand und jeden aufforderte, sie in weitem Bogen zu 
umgehen. 

Unterwegs stiessen wir auf frische Elefantenspur. 
Wir waren noch nicht weit gekommen, als uns ein 
Krachen und Knacken aufschreckte und ein Büffel uns 
unvermittelt annahm. Es kam so plötzlich, dass mein 
Gehirn wie gelähmt war. Instinktiv tastete meine Hand 
nach hinten, doch sie fasste ins Leere, und als ich einen 
Blick zurückwarf, sah ich, dass die Leute Reissaus ge- 
nommen hatten. Zu meinem Glück bog der Büffel 
gute sieben Gänge vor mir zur Seite. In diesem Augen- 
blick liessen die Boys Major von der Leine, der nun 
kläffend an mir vorbeifuhr. Das jagte mir einen neuen 
Schrecken ein, denn ich fürchtete, es könne den Büffel 
zu einem erneuten Angriff reizen. Aber Major kam bald 
zurück, und der Büffel blieb verschwunden. So war 
die Sache noch glimpflich abgelaufen, und die Boys 


282 


kamen beschämt zurück. Sie hatten geglaubt, es sei ein 
Elefant gewesen. 

Wahrscheinlich hatten wir dem Büffel einen grösse- 
ren Schrecken eingejagt als er uns, aber im Weiter- 
gehen fragte ich mich unwillkürlich, was wohl die 
dritte Überraschung sein werde. 

Wir fanden schliesslich die Wasserböcke, aber das 
Anpürschen wurde durch zwei Umstände erschwert: 
den ständig umspringenden Wind und ein Rudel miss- 
trauischer Kobs. Am Ende blieb nur noch ein Wasser- 
bock übrig. Muthoka behauptete, es sei ein weibliches 
Tier, und da meine Ansprüche bescheiden geworden 
waren, gab ich Feuer. Sie machte nur einige Fluchten 
mit gespreizten Hinterläufen, dann brach sie zusam- 
men. Ich rannte hinter ihr her, voller Angst, sie möchte 
doch noch entkommen. Aber sie war bereits verendet, 
nur entpuppte sie sich bei näherer Betrachtung wieder 
als ein junger Bock. 

Während die Leute den Bock zerteilten, setzte ich 
mich in den Schatten eines Baumes und versuchte, 
mich philosophisch über mein Pech zu trösten. B. war 
es oft genug ebenso ergangen, wenn er es auf ein be- 
stimmtes Stück Wild abgesehen hatte. 

Noch waren wir nicht weit gekommen, als ich wieder 
zwei Wasserböcke, die unter einer Baumgruppe stan- 
den, gewahrte. Ich gab den Leuten ein Zeichen, gerade- 
aus weiterzugehen und kehrte selbst um. Die Wasser- 
böcke äugten misstrauisch zu mir herüber. Der eine 
trug ein langes, stolzgeschweiftes Gehörn. Noch war 
die Schussdistanz sehr gross, aber ich wollte nicht 
mehr riskieren, ihn wieder aus den Augen zu verlieren. 
Ich nahm ihn also aufs Korn, zielte so sorgfältig wie 


283 


möglich und gab Feuer. Zu meiner Freude hörte ich 
den Einschlag der Kugel, die Leute kamen zurück, 
und wir nahmen die Spur auf. Wir fanden reichlich 
Schweiss am Anschuss und bekamen ihn auch bald zu 
Gesicht, aber er wurde wieder flüchtig, bevor ich einen 
zweiten Schuss anbringen konnte. Als wir ihn wieder 
einholten, zerschmetterte ihm meine Kugel einen 
Hinterlauf. Dann aber verzog er sich in immer dichteres 
Gebüsch — dasselbe verwachsene Gestrüpp, das den 
Büffeln so zusagt —, und meine Hoffnung schwand. 

Er bewegte sich unter dem Wind und wurde jedes- 
mal flüchtig, bevor wir auf Schussweite heran waren. 
Dreimal brach er aus, ohne dass wir ihn zu Gesicht 
bekamen. Nur die starke Schweißspur gab uns immer 
wieder Hoffnung, versiegte sie, dann mussten wir uns 
als geschlagen bekennen. Doch plötzlich blieb Muthoka 
stehen und deutete unter die Zweige; dort lag der Bock 
— verendet. 

Wie in einem Traum legte ich das Bandmass an sein 
Gehörn. Seine Dimensionen waren nicht ausserordent- 
lich, aber recht gut; es war ein alter Bursche, dessen 
Decke schon stark ins Blaue spielte. Er war im Unter- 
holz in eine Art Mulde gestürzt, mit den zwei Leuten, 
die ich bei mir hatte, konnte ich ihn nicht herausziehen. 
Wir massen ihn und balgten ihn ab, so wie er lag, und 
kamen erst nach Einbruch der Nacht ins Lager zurück. 

Die Leute erklärten einmütig, es sei ein ungewöhn- 
lich grosser Bock, und legten eine Begeisterung an den 
Tag, als sei es wirklich eine seltene Trophäe. Mvan- 
guno zählte die Ringe an seinem Gehörn und behaup- 
tete, er müsse mindestens achtundzwanzig Jahre alt 
sein. 


284 


Überhaupt verhielten sich die Leute bewunderungs- 
würdig, immer waren sie willig und guter Dinge, nie 
war ein Wort der Ermunterung nötig, denn sie waren 
mit dem gleichen Feuereifer bei der Arbeit wie ich 
selbst. Der Koch setzte mir als Überraschung Fische 
vor, die er am Nachmittag gefangen hatte, und eine 
noch grössere Überraschung wartete meiner: sie hatten 
den zweiten Büffel verendet aufgefunden. Die Leute 
hatten Raubvögel über ihm kreisen gesehen, und nun 
bargen sie das Wildbret und brachten den Kopf ein. 
Inzwischen hatten sie auch eine neue Brücke gebaut, 
und am nächsten Morgen gingen wir über den Fluss, 
um nochmals Jagd auf Wasserböcke zu machen. 

Wir pürschten den ganzen Tag vergeblich, schon 
liess uns die Dämmerung umkehren, als Kasaia plötz- 
lich stehenblieb: ein einzelner weiblicher Wasserbock 
kam vor dem Wind gerade auf uns zu. Auf meinen 
Schuss preschte das Tier auf einen Gebüschstreifen zu. 
Ich rannte hinterher, und von einer Anhöhe herab sah 
ich, wie es sich am Boden wälzte. Als ich hinzutrat, war 
es schon verendet. Auch diesmal ein altes, kapitales 
Stück mit einer Decke, die ebenso blau schimmerte 
wie die des Bockes. 

B. pflegte zu sagen, das wahre Vergnügen liege in 
der Jagd selbst, mit der Erlegung des Wildes sei die 
Freude vorbei. Dennoch war ich es zufrieden, die müh- 
selige Jagd auf dieses Wasserbockpaar hinter mir zu 
haben. Zusammen mit dem jungen Bock würden sie 
eine prächtige Gruppe bilden, an der auch B. seine 
Freude gehabt hätte. Ihre Erbeutung war mir schon 
darum eine besondere Befriedigung, weil B. sie schon 
lange erlegt hätte, wenn ich ihm nicht immer wieder 


285 


vorgehalten, wir müssten in Rücksicht auf das Okapi 
mit dem Konservierungsmittel haushalten. 

Am folgenden Tag schickte ich meine Leute aus, um 
nach Büffeln zu spüren. Als es aber Nachmittag wurde, 
ohne dass sie zurückkehrten, unternahm ich einen 
Pürschgang nach einem Platz, wo B. vor einiger 
Zeit einen weiblichen Buschbock gefehlt hatte. Nun 
ist gerade der Buschbock eine Wildart von so unbe- 
rechenbaren Gewohnheiten, dass es ein ziemlich un- 
logisches Beginnen war, die gleiche Örtlichkeit wieder 
aufzusuchen mit der Absicht, das gleiche Stück Wild 
zu erlegen. Mein eigentlicher Beweggrund war auch 
die Tatsache, dass ich es nicht länger im Lager aushielt. 

Es war drückend heiss, und die Leute glaubten so 
wenig an einen Erfolg wie ich, als Kasaia der Treiber- 
linie entlanggelaufen kam, um mir zu melden, er habe 
den Buschbock gesehen. 

Ich pürschte mich zurück und konnte gerade die rost- 
rote Decke durch das Gezweige schimmern sehen. 
Eine Bewegung gab mir Aufschluss über die Stellung 
des Tieres, und ich gab auf gut Glück Feuer. Statt 
des erhofften Einschlags hörte ich aber die Kugel durch 
die Luft singen und machte mir Vorwürfe, dass ich 
nicht bessere Sicht abgewartet hatte; es lohnte sich 
wohl kaum, nachzusehen. Major zerrte jedoch so un- 
geduldig an der Leine, dass wir uns seiner Führung 
überliessen, und bald fanden wir zu unserm Erstaunen 
eine Schweißspur. Ein Dutzend Schritte weiter lag der 
Buschbock, verendet! Das Vollmantelgeschoss (ein 
Halbmantelgeschoss hätte die Decke zu stark beschä- 
digt) hatte das Blatt beidseitig glatt durchschlagen und 
nach dem Ausschuss gesungen. 


286 


Ich traute meinen Augen kaum, dass diese zarte, 
goldbraune Kreatur nun vor mir im Sande lag, die 
Läufe mit den zierlichen Schalen wie in Ruhestellung 
halb unter sich gezogen; selbst die Boys schauten eini- 
germassen verwundert drein. 

B. würde es nie für möglich gehalten haben, dass ich 
allein den Buschbock so meisterlich zur Strecke brin- 
gen könnte, und auch ich war überzeugt, dass hier 
mehr als meine Geschicklichkeit im Spiel war. 

Allnächtlich wanderte ich zu einem Baum ausser 
Sicht- und Hörweite des Lagers, und dort, in der weiten 
Stille der mondbeglänzten Ebene kniete ich und betete 
zu Gott um seinen Beistand. Indem ich mich ganz in 
seine Hand begab, verlor ich alle Furcht. Immer deut- 
licher fühlte ich die Gegenwart einer Macht, die mich 
beschützte, mir Kraft einflösste und die mir eines nach 
dem anderen der Tiere in die Hände gab, um die ich 
betete. 

Ohne diese geheimnisvolle Macht hätte ich nichts 
erreicht, und ich musste ständig daran denken, dass 
meine Erfolge mit meinem Ich nichts zu tun hatten. 

Diese drei Wochen, allein draussen, waren mir ein 
so tiefes seelisches Erlebnis, dass ich über der Materie 
zu schweben schien, gleichsam gebadet in schimmern- 
dem Licht. 

Die überirdische Schönheit und Weltentrücktheit 
erweckten mich zum wahren Bewusstsein der Wirk- 
lichkeit, neben der dieses Leben nur ein Schatten ist 
und ein Traum. Es war etwas, das sich über den Glau- 
ben erhob, denn eine Liebe, die über alle Vorstellungs- 
kraft ging, schloss mich ein in die Einheit des Alls. 
Es war, als sei ich meinem Schutzengel von Angesicht 


287 


zu Angesicht begegnet, und er habe mich unter seine 
Fittiche genommen. 

Die Büffeljagd war über Nacht besprochen worden: 
Abde sollte die schwere Büchse tragen, denn wenn er 
auch für gewöhnlich nur die Aufsicht über die Leute 
führte, so war er doch ein erprobter Gewehrträger. 
Wir waren noch nicht eine Stunde unterwegs, als wir 
die Büffelherde zu Gesicht bekamen. Das Gelände er- 
leichterte das Anpürschen. Abdes Stiefel aber knarrten 
so fürchterlich, dass ich überzeugt war, sie würden 
alles verderben. Nichts dergleichen geschah jedoch, 
die Büffel ästen völlig vertraut, die Köpfe ständig an 
der Erde. Kein Laut, als das regelmässige Abzerren des 
Grases oder ab und zu das Husten eines der Tiere war 
zu hören, genau die gleichen Laute wie die einer Vieh- 
herde im Morgennebel auf einer Weide in der Heimat. 

Ich richtete mich vorsichtig auf und liess mir von 
Abde eine starke Kuh zeigen. Er deutete auf ein vom 
Schlamm ganz hellgefärbtes Tier. Ich kroch noch wei- 
ter vorwärts in der Hoffnung, einen Termitenhügel zu 
erreichen, gegen den ich mich sitzend lehnen konnte, 
doch das Gras war zu hoch; ich musste wohl oder übel 
im Stehen feuern. Die Kuh bot mir gerade ihre Flanke, 
und auf meinen Schuss versank sie im Gras, während 
die übrigen die Häupter aufwarfen, einen Augenblick 
verhofften und dann davongaloppierten. 

Im Gras blieb alles still, wir wussten, die Kuh war 
verendet; aber ich fürchtete noch immer, einen jungen 
Bullen oder nur eine schwache Kuh auf der Strecke zu 
finden. 

Die Boys jedoch versicherten, sie sei enorm, und sie 
schüttelten mir die Hände und riefen: «Good luck». 


288 


wort 


wi 


Nachtbild in der ostafrikanischen Steppe, Hyänenhunde links, 
Tüptelhyäne nhyäne am gefallenen Zebra 
Berr r nd Vivienr n Wattenwyl 


Das Gehörn war nicht viel wert, aber die Haut war 
alles, was wir zu der kapitalen Kopftrophäe brauchten, 
die B. am Tinga-Tinga bei Embu erbeutet hatte. 

Ich hatte das Blatt anvisiert, aber die Kugel hatte ihr 
Ziel um mehrere Zoll verfehlt und war mitten durch 
den Hals gegangen, so dass ich ihre sofort tödliche 
Wirkung nur meinem Glück zuschreiben konnte. Das 
Tier war mit einem geburtsreifen Kalb trächtig, und 
auch das war ein besonderer Glücksfall, denn es war uns 
auf der ganzen Reise nicht gelungen, unsere Büffel- 
gruppe durch ein Kalb zu vervollständigen, da wir 
nie eines zu Gesicht bekommen hatten. 

Am Abend versammelte ich die Leute um mich. Ich 
rief ihnen ins Gedächtnis, wie lange wir schon mitein- 
ander an der Sammlung gearbeitet hatten, erinnerte 
sie an die Mühen, die uns der Elefant, die Giraffe, das 
Hunter’s Hartebeest und der Bongo gekostet, und an 
die neunzehn Löwen. Sie wussten, noch fehlten das 
Okapi und das weisse Nashorn, und nun legte ich 
ihnen eine Frage vor — für mich hing alles von ihrer 
Antwort ab —: wollten sie mit mir gehen, oder wollten 
sie nach Nairobi zurückkehren ? 

Während meiner ganzen Rede hatten sie mir beifällig 
zugestimmt; als ich aber zu dieser verhängnisvollen 
Frage kam, wappnete ich mich gegen die Möglichkeit 
einer stillschweigenden Absage. Aber nicht Schweigen, 
sondern einmütiges Freudengeschrei antwortete mir. 
Nichts kann die gehobene Stimmung beschreiben, in 
die mich dieses Vertrauensvotum brachte, das mir 
Gefolgschaft versprach, wohin ich sie auch führen 
würde, «durch Feuer und Wasser, bis ans Ende der 
Welt». 


289 


Da wir nun alle Lücken in unserer Sammlung aus- 
gefüllt hatten, war mir jetzt sehr daran gelegen, so 
rasch als möglich nach Kabale zu kommen. 

Dieser Besuch war nun einmal nicht zu umgehen, 
und je früher ich ihn hinter mir hatte, desto besser. 
Vor allem galt es keine Zeit mehr zu verlieren, denn 
bald begann über dem Wald von Ituri die Regenzeit. 

Auf der Karte sah ich, dass wir noch fünf bis sechs 
Tagesmärsche von Kabale entfernt waren; aber meine 
Ungeduld für den Aufbruch erlitt einen Dämpfer durch 
das Einsetzen von Regenwetter. Die Feuchtigkeit ge- 
fährdete die Haut der Büffelkuh, die stündlich un- 
brauchbar zu werden drohte. Das Büffelkalb und sogar 
die Wasserböcke begannen gleichfalls zu verderben. 
Noch schlimmer wurde es, als das letzte Restchen des 
Konservierungsmittels aufgebraucht war. 

Da brachte Mvanguno den Regenmann. 

Er schien uralt und war nicht viel grösser als die 
Pygmäen von Muhavura. Er trug einen Stab, an dessen 
Ende ein Büschel von Kräutern festgebunden war und 
mit dem er den Himmel bedrohte. Er begleitete uns 
dann den halben Weg bis Kabale, bis die Häute ge- 
trocknet und verpackt waren, sang unterwegs in regel- 
mässigen Zwischenräumen seine Beschwörungen und 
pfiff seltsam durch die Zähne. Die Leute glaubten be- 
dingungslos an seine Unfehlbarkeit, und wenn die 
sich auch nicht gerade erwies, so schien er doch be- 
merkenswerte Kräfte zu besitzen. Ich erinnere mich, 
wie an einem Nachmittag ein Sturm über uns herauf- 
zog und ich aus dem Zelt stürzte, um die Häute unter 
Dach zu bringen. Mvanguno erklärte meine Sorge für 
überflüssig, denn der Regenmann sei an der Arbeit. 


290 


Vielleicht war es ein Zufall, tatsächlich sah ich aber mit 
eigenen Augen, wie der Sturm sich teilte und zu beiden 
Seiten vorüberzog. Das ganze Land umher sprühte 
unter dem Wolkenbruch, nur der schmale Streifen, 
auf dem das Lager stand, blieb trocken. Wie wünschte 
ich, wir hätten den Regenmann früher getroffen; B. 
wäre über seine Person wie über seine Gabe entzückt 
gewesen. 

Der erste Marsch brachte uns bis Ruanga, wo es 
besonders starke Wasserböcke geben sollte, und da ich 
hoffte, den erlegten Bock durch einen noch bessern 
zu ersetzen, unternahm ich eine letzte Pürsche. Sie 
verlief indessen ergebnislos. Als ich zurückkam, hatten 
Mvanguno und Saidi Fieber, und was noch unerfreu- 
licher war, Franzisko war ohne Erlaubnis fortgeblie- 
ben und nicht zur Stelle um seine Last aufzunehmen, 
als die Safari aufbrach. Das war ein ernster Verstoss. 
Ich liess ihm die Wahl zwischen zehn Hieben oder einer 
Meldung beim D.C. in Kabale. Die Wahl zwischen 
den beiden Möglichkeiten musste ich ihm offen lassen, 
denn der «Kiboko » ist ungesetzlich, jeder Eingeborene 
hat das Recht, gegen seine Anwendung Klage zu füh- 
ren. 
Der arme Franzisko liess meine Rede geduldig wie 
ein Lamm über sich ergehen und sagte, er wolle jede 
Strafe auf sich nehmen, die ich über ihn verhänge. 
Ich rief also die Leute zusammen, erklärte ihnen, wes- 
halb Franzisko die Peitsche verdient habe, und Abde 
holte mit Widerstreben den Kiboko. Mein Entscheid 
rief eine nur schlecht verhehlte Mißstimmung hervor. 
Franzisko selbst schien sich am wenigsten dagegen 
aufzulehnen, denn er entkleidete sich, ohne ein Wort 


291 


zu verlieren, und ertrug seine zehn Streiche wie ein 
Mann. Ich hatte einen solchen Strafvollzug noch nie 
gesehen, denn bei den ganz seltenen Anlässen, die sie 
notwendig machten, hatte ich mich ausser Hörweite 
entfernt. B. aber hatte ihnen stets beiwohnen müssen, 
und so beaufsichtigte auch ich ihn mit so strenger 
Miene wie möglich. 

Man darf solche Strafverfügungen nicht auf die 
leichte Schulter nehmen. Eingeborene haben einen aus- 
geprägten Sinn für Gerechtigkeit, und so sehr sie 
ungerechte Bestrafung nachtragen können, so sehr ver- 
achten sie den, der zu strafen unterlässt, wo Strafe am 
Platz ist. Den ganzen Abend hindurch sann ich über 
die Sache nach, ob ich sie wohl richtig angepackt. 
Der nächste Morgen zerstreute aber alle meine Zweifel, 
denn im Lager herrschte ein beinahe militärischer Geist. 

Wir waren zuletzt schnell vorwärtsgekommen, dann 
verloren wir einen Tag, weil ich wieder heftiges Fie- 
ber bekam. Auch am folgenden Tag konnte ich mich 
nur bis Nakisheni schleppen. Kisima hatte unter- 
wegs unser Ginsterkätzchen verloren, und ich musste 
die halbe Wegstrecke zurückgehen, um es zu suchen. 
Nakisheni erreichte ich nur dank dem dortigen Mvami, 
der mir eine «Machiela»* entgegenschickte. Ich nahm 
sie dankbar an, viel zu erschöpft, um darnach zu fragen, 
ob sie vielleicht verlaust sein könnte, und versank 
in Fieberdelirien. 

Aber nie fühlt man sich besser in Form als nach 
einem Fieberanfall, und wir holten die verlorene Zeit 
schnell wieder ein. Der Mvami hatte für frische Träger 
an jedem Lagerplatz vorgesorgt, und wir machten acht- 


*) Tragstuhl 


292 


und neunstündige Tagesmärsche, bis wir nach Kabale 
kamen. 

Dort hielten wir uns nur einen Tag auf und hatten 
alle Hände voll zu tun. Die Vorräte mussten ergänzt 
und verpackt, das Zelt und die Ausrüstung über Land 
nach Fort Portal geschickt werden, um dort für den 
Vorstoss nach Semliki und dem Wald von Ituri zu 
unserer Verfügung zu sein. 

Ein schwerer Stein fiel mir vom Herzen, als ich end- 
lich von Dr.S. ein fachmännisches Urteil zu hören 
bekam und nun die Gewissheit hatte, dass ich für B. 
alles getan, was Menschenkräfte tun konnten. Denn in 
der Einsamkeit der letzten drei Wochen hatte mich 
stets der Gedanke verfolgt, ob die Dinge nicht eine 
andere Wendung genommen, wenn ich mehr Erfah- 
rung besessen hätte. 

Aber seine Verwundung war so schwer gewesen, 
dass der Körper von Beginn an nicht die Kraft besass, 
gegen das Gift anzukämpfen, und als ich die Wunden 
nach seiner ersten schmerzensreichen Nacht neu ver- 
band, hatten sie schon alles Gefühl verloren. Schon 
damals schien mir, die ich selbst an Fieberdelirien litt, 
dass dies ein schlechtes Zeichen sei. Dr. S. war davon 
überzeugt, dass B., selbst wenn er zehn Minuten nach 
seiner Verwundung ins Spital gebracht worden wäre, 
statt diese quälenden zwei Stunden in der glühenden 
Sonne zu gehen, gleichwohl nicht mehr zu retten ge- 
wesen wäre. 

Was mein Fieber betraf, das in regelmässigen Ab- 
ständen wiederkam und mit heftigen Augenschmerzen 
verbunden war, so handelte es sich nach Dr. S.’s Dia- 
gnose richtig um Spirillenfieber. Mit seiner Kenntnis 


293 


über das Wesen dieser Krankheit, die grosse Schonung 
und sorgfältige Pflege erfordert, konnte er kaum ver- 
stehen, dass ich all die Wochen anstrengender Jagd und 
langer Märsche hatte aushalten und überleben können. 

Wenn ich daran zurückdenke, so ist es mir ein Be- 
weis dafür, dass, wenn die Not es verlangt, Geist und 
Wille die Materie so beherrschen können, dass der 
Körper nur noch ihr Werkzeug ist. In viel stärkerem 
Mass hatte doch B. dies bewiesen, als er — mit kaum 
einem Muskel oder einer Sehne heil in seinen Beinen — 
noch zwei volle Stunden ging; dabei hatte er später, als 
keine Anstrengung mehr nötig war, nicht einmal mehr 
die Kraft besessen, seine Beine zu bewegen, um die 
Schmerzen zu lindern. 

Während der zwei trübseligen Tage der Rückfahrt 
im Kraftwagen und während der noch trübseligeren 
Tage in Kampala brachte mir die Erinnerung an diesen 
letzten Marsch nach Kabale Trost wie ein Leitstern in 
schwarzer Nacht. 

Die Morgensonne hatte sich über den Hügeln er- 
hoben, die sanften Linien verschwammen im Licht- 
meer und senkten sich gegen das Tal, dessen wogende 
Nebel von Regenbogen schimmerten. Der Frühwind 
trug den Hahnenschrei und die Stimmen der Hirten an 
mein Ohr und schüttelte den Tau von den Zweigen. 

Selbst der Staub und das grelle Sonnenlicht, die 
Gleichgültigkeit fremder Gesichter in Kampala, konn- 
ten diesen zarten Visionen nichts anhaben. Sie waren 
wie ein unsichtbares Band, eine Verheissung, dass sie 
den, der sich zu diesen Dingen wahrhaft bekennt, 
nimmer im Stich lassen, dass die Blaue Ferne durch 
alles hindurch auf mich warte. 


294 


Alle Nachrichten waren so gründlich unterdrückt 
worden, dass ich sie als erste der Bank und der African 
Mercantile überbringen musste. 

Ich hatte noch nicht daran gedacht, dass mir daraus 
Schwierigkeiten erwachsen könnten, wenn ich Geld 
abheben wollte. Jetzt bedeutete man mir, dass ich 
weder Geld abheben noch mein Anrecht auf das Geld 
beweisen könne. Das war zwar nur eine Frage der For- 
malität, ihre Lösung war einfach. Ich brauchte nur 
nach Hause zu kabeln; aber gerade das wollte ich ver- 
meiden. In Kabale war meine Absicht, die Expedition 
allein zu Ende zu führen, durchwegs auf Mitgefühl 
gestossen; hier hielt man mich offensichtlich für ver- 
rückt. Ziemlich sicher würde man daheim den gleichen 
Standpunkt einnehmen, und ein Kabel könnte leicht 
den Erfolg haben, dass man mich an der Weiterfüh- 
rung hinderte. Ausserdem wollte ich mein Vorhaben 
aus eigener Kraft zu Ende führen, und das Schlimmste 
wäre mir gewesen, um Hilfe zu bitten. 

Nachdem aber die Rückfahrt für die Leute auf dem 
Regierungs-Transportwagen bezahlt war, blieben mir 
kaum noch ein bis zwei Silberschillinge übrig; noch 
waren aber dreissig Pfund für Wagenmiete zu bezahlen, 
und dazu kam die Hotelrechnung. Das Kabel schien 
doch der einzige Ausweg, als die Bank plötzlich ein 
Einsehen hatte und sich erbot, mir 100 £ zu leihen. 

Es ist fast nicht zu glauben, welch wunderbare 
Macht in 100 £ verborgen liegt! Alles schien mir wie 
durch Zauberkraft verwandelt. Sogar der Staub zu 
meinen Füssen war Gold, und ich fühlte mich jetzt so 
geborgen und gesichert, dass ich es sofort mit fünfzig 
Kampalas und Imperial-Hotels aufgenommen hätte. 


295 


Was das Wichtigste war: die Trophäen befanden sich 
in sicherer Verwahrung bei der African Mercantile Co., 
der Leiter der Firma nahm sich persönlich ihrer an. 
Schon wurden nach ihren Massen mit Zinkblech aus- 
geschlagene Kisten angefertigt, noch im Lauf dieser 
Woche sollten sie verladen werden. 

Als ich darüber Gewissheit besass, hielt es mich 
keinen Tag länger in Kampala. Ich konnte nun an Lady 
Archer telephonieren. Sie lud mich sofort ein, nach 
Entebbe zu kommen. Etwas schüchtern erklärte ich ihr, 
dass ich fünfundzwanzig Trägerlasten mit mir habe, 
einen Hund und eine gefleckte Ginsterkatze; auch 
schien es mir nicht gerade angezeigt, meine dreizehn 
Leute unbeaufsichtigt in Kampala zurückzulassen. 
Lady Archer liess meine Einwände nicht gelten, ich 
solle nur kommen und alles mitbringen. Sie hatte noch 
keine Ahnung von dem, was geschehen war, bis ich 
in einem schwarzen Kleid bei ihr erschien. 

Wie.schnell war dann alles vergessen, dieses Ge- 
dränge von Schwarzen, diese Ansammlung von Men- 
schen, das endlose Gewirr von Strassen und Well- 
blechdächern, die Kaufläden, in denen ich meine Ein- 
käufe gemacht, getreulich gefolgt von Major, der jeden 
eingeborenen Hund befehdete und jedermann zwischen 
die Beine geriet. Unter dem Blätterdach der schönen 
Bäume yon Entebbe versank die Erinnerung an all 
den Staub und an meine Mutlosigkeit, als seien sie nie 
gewesen. Vielleicht war es nur der plötzliche Gegen- 
satz, aber dieser erste Nachmittag im «Government 
House» steht noch heute wie eine glückliche Vision 
vor meinen Augen. War es das Gefühl wohliger Ge- 
borgenheit oder der Gegensatz zwischen der dürren 


296 


Öde ringsum, die nur von dem melancholischen Schrei 
der Fischadler widerhallte, und diesem Garten mit sei- 
nem kühlen, stillen Schatten, dem grünen Rasen und 
den freundlichen Menschen unter seinen Bäumen ? 
Ich war hierher gekommen mit der festen Absicht, 
meine Pläne gegen alle und jede Opposition durchzu- 
setzen und fand nichts als freundliches Entgegenkom- 
men und Verständnis; das war vielleicht der grösste 


Gegensatz. 


297 


Das Semliki-Tal und der Weisse Nil 


Erst an einem Nachmittag gegen Ende November, 
als die Abendsonne die Vorberge des Ruwenzori ver- 
goldete und die ungeheure Tiefebene von Semliki 
sich zu meinen Füssen weitete, konnte ich ganz daran 
glauben, dass dieser letzte Jagdzug greifbare Wirk- 
lichkeit geworden war. Ich stieg die Böschung hinab 
in das weite Tal, in dem die Bäume, die Erde, ja selbst 
die Steine Leben zu atmen schienen. Das Gurren der 
Turteltauben verschmolz mit der Stille rings um mich 
her, und jetzt erst erfasste ich, dass ich wieder zurück 
durfte in die geliebte Wildnis. Aber erst, als die Nacht 
hereingebrochen war, als der altgewohnte Gesang der 
Grillen zu ertönen begann, und als sich mein Zelt 
wiederum unter dem sternenbesäten Himmel spannte, 
wurde mir ganz bewusst, wieviel Dank ich der gütigen 
Hilfe und wohlwollenden Unterstützung schuldig war, 
ohne die ich es nimmermehr hätte durchsetzen können, 
meine selbstgesteckte Aufgabe zu Ende zu führen. 

Auf den Ituri-Wald hatte ich allerdings verzichten 
müssen; das schwerwiegendste Argument dagegen 
war, dass er nicht auf britischem Gebiet lag. 

Die Erbeutung des weissen Nashorns war allein 
schon eine gewaltige Aufgabe. Ich hatte unbeirrt daran 
festgehalten, dass ich sie bewältigen könne, aber jetzt, 
da die formalen Schwierigkeiten beseitigt waren und 
nur diejenigen übrigblieben, die in der Natur des 
Unternehmens lagen, schien das Unternehmen plötzlich 


298 


gewaltig zu wachsen. Denn jetzt handelte es sich nicht 
mehr um die Sammlung allein, bei der es niemanden 
als mich kümmerte, ob es gelang oder nicht. Diesmal 
ging es um mehr: von allen Seiten war ich unterstützt 
worden, bis zu einem gewissen Grade glaubte man an 
mich, und so war ich doppelt und dreifach zum Erfolg 
verpflichtet. 

Es war keinerlei Gefahr dabei, denn es gibt kaum ein 
harmloseres Wesen als das weisse Nashorn und kaum 
ein Wild, das leichter über den Haufen zu schiessen ist. 
Die Schwierigkeit lag darin, ein kapitales Stück aus- 
findig zu machen und noch mehr, die ganze Haut zu 
bergen, die dicker ist als die des Elefanten. Schon vor 
Monaten hatte man uns auf die grossen Schwierigkeiten 
aufmerksam gemacht, das Lostrennen des Horns allein 
sollte einen ganzen Tag erfordern. Ähnlich wie beim 
Elefanten war die Bergung der Haut eine Frage rascher 
Arbeit. Das Klima war hier denkbar ungünstig, denn 
im Niltal herrschte eine feuchte Hitze, wie in den Lo- 
riansümpfen zur Regenzeit. 

Meine Leute aber waren mit Leib und Seele bei der 
Sache, und so war schon vieles gewonnen. Bis dahin 
aber hatte ich noch beinahe zwei Wochen Zeit, um im 
Semliki-Tal einen guten Wasserbock zu erbeuten. 

Captain S., der jeden Fussbreit in diesem Distrikt 
kannte, hatte mir den Standort der besten Böcke am 
Ufer eines kleinen Flusslaufs, dem Dura, genau be- 
schrieben und mir sogar einen ungefähren Situations- 
plan aufgezeichnet; wenn es mir also nicht gelang, ihn 
zu erbeuten, so war mangelnde Kenntnis der Örtlich- 
keit sicherlich nicht die Ursache. Andererseits konnte 
ich kaum eine ungünstigere Jahreszeit gewählt haben. 


299 


Das Gras war noch zu grün, um zu brennen, und doch 
schon so hoch, dass es uns stellenweise über den Kopf 
reichte. In einer solchen Dschungel, konnte es passie- 
ren, dass man auf fünf Meter an einem Rekordbock 
vorbeispazierte, ohne eine Ahnung von seiner Nähe 
zu haben. 

Man konnte geradesogut im Dunkeln jagen wie 
zwischen diesen undurchdringlichen Graswänden, über 
die man nur hin und wieder Ausblick hatte, wenn man 
auf einen Baum kletterte. Mindestens zweimal wären 
wir buchstäblich über Büffel gestolpert, wenn Kuh- 
reiher (die fast stets die Büffel begleiten) nicht Alarm 
geschlagen hätten. 

Mein Spezialjagdschein gab mir das Anrecht auf 
zwei Wasserböcke, aber schon am dritten Tag hatte ich 
mir die eine Möglichkeit für einen davon verdorben. 
Das war so gekommen: Nach einem langen Marsch 
schlugen wir das Lager an einer Wasserstelle auf. Die 
Boys hatten einen Bock gesichtet, dessen Spur wir so- 
gleich aufnahmen, ohne ihn aber einzuholen. Kurz 
vor Sonnenuntergang sahen wir ihn gegen die Wasser- 
stelle zurückwechseln. Ich postierte mich an seinem 
Wechsel und hatte ihn bald auf Schussweite vor mir. 
Sein Gehörn liess mich vor Aufregung zittern, aber 
— leider — traf die Kugel nur zu gut, denn das Gehörn, 
das 32 Zoll zu überbieten schien, mass keine Finger- 
breite mehr als 28 Zoll. 

Um mir die letzte Chance nicht nochmals zu ver- 
derben, war ich jetzt entschlossen, die Ufer des Dura 
systematisch abzusuchen, bis mein Aufenthalt dem 
Ende zuging, und dann erst auf den stärksten Bock 
Jagd zu machen, den ich unterdessen beobachtet. Aber 


300 


es war eine ermüdende Beschäftigung und besonders 
für meine Leute entmutigend, denn, hatten wir nach 
stundenlanger Pürsche ein Rudel gefunden, und ich sah 
kein wirklich befriedigendes Gehörn darunter, dann 
half nichts, ich wendete mich konsequent ab, um weiter 
zu suchen. 

Nicht genug damit, ehe 24 Stunden um waren, 
zeigten sich bei mir dysenterieartige Erscheinungen, die 
wohl auf das stark salzhaltige Wasser des Dura zurück- 
zuführen waren. Es war mir bald klar, dass ich unter 
diesen Umständen über kurz oder lang auf den zweiten 
Wasserbock verzichten musste. Als ich darum eines 
Morgens, drei Tage ehe das Schiff fällig war, schon 
mindestens acht recht gute Böcke ausgeschieden hatte 
und einen einzelnen Bock antraf, von dem die Boys ver- 
sicherten, er sei stärker als alle bisher gesehenen, be- 
schloss ich, meine Karte auf ihn zu setzen. 

Seine Verfolgung hielt uns so sehr in Atem, dass auch 
ich mich allmählich dafür begeisterte. Endlich, als er 
zwischen zwei Büschen ungedeckt verhoffte und die 
Sonne sein kühngeschweiftes Gehörn beleuchtete, ver- 
liessen mich die letzten Zweifel, und ich gab Feuer. 
Aber — das angelegte Bandmass ergab nicht mehr 
und nicht weniger als 30!/, Zoll. 

Selbstvorwürfe nützten nun nichts mehr; ich ver- 
schob sie auf später. Vorläufig stellte ich mich, als sei 
ich ganz zufrieden, um das Entzücken der Leute nicht 
allzusehr zu dämpfen, sie hatten sich ja mit nie ver- 
sagender Geduld für ihn ins Zeug gelegt, während vieler 
Tage, die uns wie ebenso viele Wochen vorkamen. 

Als ich die Gehörnmasse der beiden Böcke mit dem 
am Kinyonza erbeuteten Bock verglich, fielen mir 


301 


charakteristische Unterschiede auf: Der Bock vom Kin- 
yonza hatte eine um beinahe sechs Zoll grössere Schul- 
terhöhe. Die Kobs (Moorantilopen) hingegen scheinen 
im Semliki-Tal grösser zu sein als am Kongo. Da sie 
überdies um Seher und Lauscher eine deutliche weisse 
Zeichnung aufwiesen, erlegte ich ein Paar. Die Schul- 
terhöhe des Bocks übertraf die der grössten Stücke vom 
Kongo um drei Zoll. 

Die Stunde vor Sonnenuntergang war mir immer die 
liebste Tageszeit; dann griff ich zur Schrotflinte und 
wanderte ohne Begleitung in den Busch, um etwa noch 
ein Perlhuhn zu erlegen. Einmal begegnete ich dabei 
einem Wasserbock ; nur wenige Meter voneinander ent- 
fernt hielten wir an und beäugten uns gegenseitig. 
In der Abendsonne glänzte er kupferrot. Dann senkte 
er wieder beruhigt den Kopf und fuhr fort, zu äsen, als 
wüsste er, dass er nichts von mir zu befürchten habe. 

In meiner Einsamkeit waren solche Manifestationen 
des Zutrauens ein süsser Trost; es war, als ob die Natur 
mich als zugehörig betrachtete, ja mehr noch, als zuge- 
hörig anerkannte. Und mit diesem Wissen um meine 
Zugehörigkeit fühlte ich mich geborgen. 

Zwischen dem Semliki und Rhino-Camp unterbrach 
die «Baker» ihre Fahrt in Butiaba, einem kleinen Hafen- 
ort am Ufer des Albertsees, am äussersten Ende einer 
öden, sandigen Landzunge. Eine ganze lange Woche 
musste ich dort warten. Weder Träger noch Proviant 
waren hier aufzutreiben, und damit gab es keine Mög- 
lichkeit, der eigenen Trübsal zu entrinnen. 

Übrigens konnte ich von Glück sagen, dass ich über- 
haupt bis hierher gekommen war: in meinem Tagebuch 
hatte ich dem November gedankenlos 31 Tage gege- 


302 


ben und entdeckte erst in letzter Stunde, dass ich nun 
mit meiner Zeitrechnung um einen Tag zurück war. 
Es war drei Uhr nachmittags, als ich ganz zufällig 
meinen Irrtum an einem Kalender auf der Rückseite 
eines Schreibblocks bemerkte. Vom Lager bis zum 
Ufer des Sees war es noch ein guter Tagesmarsch. 
Sofort brachen wir auf und kamen kurz nach Sonnen- 
untergang nach Ntoroko, und bei Tagesanbruch lief 
die «Baker» ein. Hätten wir sie verfehlt, dann wäre 
aus dem weissen Nashorn nichts geworden, denn wir 
hätten nochmals zwei Wochen verloren, und der Jagd- 
pass erlosch Ende des Jahres — ein etwas teures Lehr- 
geld, um sich zu merken, dass der November nur dreis- 
sig Tage zählt. 

In diesem halbzivilisierten Nest war es mir nicht 
möglich, mein Zelt aufzuschlagen, ich musste in einem 
Rasthaus Quartier nehmen. Hier fand ich nichts ande- 
res zu tun als die Wasservögel am Seeufer zu beob- 
achten und mich darin zu versuchen, die unbeschreib- 
lich schönen Sonnenuntergänge zu malen, bis der 
Regierungsbeamte sich meiner erbarmte und mir ein 
Kanoe mit Ruderern zur Verfügung stellte. Nun ver- 
brachte ich Tag und Nacht mit erfolgloser Jagd auf 
Flusspferde. Vernünftigerweise hätte ich diese Woche zu 
gründlichem Ausruhen benutzen sollen, aber ich konnte 
keine innere Ruhe finden, und ausserdem hoffte ichhier 
unsern Misserfolg vom Viktoriasee wettzumachen. 

Des Nachts, wenn der Mond auf den See herab- 
schaute und die Kongoberge in unendlicher Ferne wie 
ein silberner Schleier über dem Horizont ruhten, erhob 
sich das rhythmische Schlagen der Negertrommeln. 
Immerfort dröhnte ihr pulsierender Schlag, und ferne 


303 


Stimmen hoben und senkten sich in steter Wieder- 
holung einer so wilden, unheimlichen und seltsam 
traurigen Melodie, dass ich fast wahnsinnig wurde vor 
Trübsinn. 

Nicht nur meine kleine Ginsterkatze hatte ich zurück- 
lassen müssen, auch Major, mein treuer Gefährte, war 
nicht mehr bei mir, ein Verlust, der meine Einsamkeit 
hundertfach fühlbar machte. 

Ich hatte mich im letzten Augenblick überreden 
lassen, ihn nach Entebbe zurückzuschicken, wegen der 
Ansteckungsgefahr durch die Tsetse-Fliege im Sem- 
liki-Tal. Noch heute bereue ich bitter, dass ich dieses 
Risiko nicht auf mich genommen hatte. Denn während 
ich ihn jeden Tag in der Wildnis mehr vermisste, lag 
er — wie ich später erfuhr — von früh bis spät in 
Government House vor der Tür und wartete auf mein 
Kommen. Er schien taub für alles, was um ihn vorging 
und sprang nur auf, wenn er glaubte, meine Schritte 
zu hören, um dann, enttäuscht, kläglich aufzuheulen. 
Einen Monat später sollte Lady Archer ihn auf ihrer 
Reise nach dem Sudan selbst zu mir nach Rhino-Camp 
bringen. Im Durcheinander der Abreise aber ver- 
schwand Major. Vielleicht wollte er mich suchen 
gehen? Er wurde bald darauf gefunden, zerrissen und 
blutig, nach einer Beisserei mit sechs Eingeborenen- 
hunden, die zusammen über ihn hergefallen waren; 
vielleicht hatte er geglaubt, er verteidige mich gegen 
sie? Er hatte nicht nachgegeben, sein tapferes altes 
Herz hatte einfach aufgehört zu schlagen. 

Auch die Woche in Butiaba ging schliesslich vor- 
über, und nach achtzehnstündiger Fahrt legte die «Ba- 
ker» unter den Bäumen von Rhino-Camp an. 


304 


Mehr als je sehnte ich mich nach der freien Wildnis, 
und ich hätte mich am liebsten sogleich zur nächsten 
Wasserstelle aufgemacht. Aber im Innern gab es kein 
Wasser, und so blieb mir keine Wahl, als das Zelt bei 
dem Rasthaus unmittelbar am Fluss aufzuschlagen. 
Captain W., der zu meinem Schutz hierher beordert 
wurde, eröffnete mir dies gleich bei meiner Ankunft. 
Er war beauftragt, in Rhino-Camp zu bleiben, hin das 
weisse Nashorn glücklich erlegt war. 

Wäre ich allein gewesen, dann hätte ich, dem Bei- 
spiel B.’s folgend, meine Zeit wenn nötig bis zur Syl- 
vesternacht ausgenützt, um mir ein möglichst starkes 
Exemplar zu sichern. Aber ich war ja nicht allein, und 
es war undenkbar, dass ich mit einem Begleiter, der 
nicht das geringste Interesse an meinen Plänen haben 
konnte, Tag für Tag auszog, unbekümmert um die 
verrinnende Zeit. Hätte ich es so gehalten, dann würde 
mein Nashorn zweifellos noch heute durch die Dschun- 
gel streifen. 

So aber hatte die Jagd nach drei Tagen schon ihr 
Ende erreicht, und ich war überaus dankbar für alle 
Hilfe, die mir zuteil wurde, denn ich machte mir jetzt 
ständig Sorge darüber, ob ich weiteren Anstrengungen 
noch gewachsen sei. Ich hätte die Schmach kaum über- 
lebt, mich in letzter Stunde für geschlagen erklären zu 
müssen, nur weil ich mich körperlich nicht auf derHöhe 
fühlte, jetzt, nachdem ich so viele und so grosse Schwie- 
rigkeiten überwunden hatte. 

Das Gras stand hier ebenso hoch wie im Semliki- 
Tal, und da wir nach zwei Pürschgängen einsahen, dass 
wir unter diesen Umständen kaum je ein Nashorn zu 
Gesicht bekommen würden, setzten wir es in Brand. 


305 


Glücklicherweise war es schon trocken genug, und 
bald verbreitete sich der Widerschein des Steppen- 
feuers über den nächtlichen Himmel. Darnach war die 
Gegend in eine verkohlte Steppe verwandelt, jeder 
Tritt wirbelte Wolken von Asche auf. Aber man konnte 
wenigstens sehen. 

Bei klarem Sternenlicht brachen wir auf — unver- 
gesslich ist mir der herbe Geruch der taufeuchten 
Asche —, und als der Osten sich zu röten begann, waren 
wir an der Stelle angelangt, an der wir zuletzt eine 
Nashornspur gesehen. Die Leute verteilten sich, um 
die Umgegend abzusuchen, aber die Sonne stand schon 
hoch am Himmel, und Tau und Morgenfrische waren 
lange dahin, bis eine Meldung eintraf. «Wieder ein Tag 
verloren», dachte ich, doch schliesslich konnte ich 
nicht erwarten, dass ein weisses Nashorn ohne harte 
Anstrengungen zu erbeuten sei. Wir hatten übrigens 
schon zwei oder drei Bullen zu Gesicht bekommen, 
aber als zu schwache Stücke ausgeschieden. Doch nun 
kamen die Askaris zurück und meldeten, dass sie ganz 
in der Nähe ein äsendes Nashorn gesehen hätten. 

Der Wind war unbeständig, denn es war zu jener 
Tageszeit, da er unentschlossen abwechselnd aus allen 
Himmelsrichtungen bläst. Dreimal zwang er uns um- 
zukehren, und als wir die bezeichnete Stelle endlich 
erreichten, war von dem Nashorn nichts mehr zu sehen 
als seine sich entfernende Spur in der Asche. 

Mittag war schon vorüber, als wir drei Nashörner 
im Schatten einiger Bäume erblickten, eine Kuh mit 
Kalb und einen Bullen nicht weit dahinter. Wieder galt 
es zu entscheiden, ob das Horn die erhoffte Länge habe. 
Als er das Haupt hob, ein schwarzes Profil gegen das 


306 


grelle Licht der Steppe, sah es riesig aus, unter einem 
andern Winkel unbedeutend, dann wieder liess seine 
kühngebogene Linie mein Herz schneller schlagen. 
Ich hob das 30-Zoll-Mass in die Höhe, das S. E. der 
Gouverneur mir für eine annähernde Schätzung emp- 
fohlen hatte, aber noch immer konnte ich mich nicht 
entschliessen. Captain W. bezweifelte, dass es das er- 
forderliche Mass erreichte, während die Leute es für 
riesig erklärten. Das taten sie aber steis, und sie hatten 
ja noch nie vorher ein weisses Nashorn gesehen. 
Schliesslich vertauschte ich die Büchse mit der Kamera 
und pürschte mich näher heran. Doch das Nashorn 
eräugte mich und wurde flüchtig, ich hinterher, um 
noch eine Aufnahme zu erhaschen, bis ich bei einem 
Busch beinahe in die Kuh mit dem Kalb rannte, und 
alle drei verschwanden in einer Wolke von Asche 
und Staub. 

Wir waren noch nicht weit gekommen, als wir 
wieder auf einen Bullen stiessen, dessen Horn diesmal 
einstimmig für kapital befunden wurde. 

Das hier noch hohe Gras erforderte einen Schuss im 
Stehen. Während wir uns vorsichtig anpürschten, wo- 
bei das Nashorn unruhig zu werden begann, kamen 
mir hundert Bedenken, ob ich nicht noch zuwarten 
sollte. Ich zögerte noch, als Muthoka flüsterte, das Nas- 
horn sei im Begriff, sich zur Flucht zu wenden. Jetzt 
oder nie! Liess ich auch diesen Bullen gehen, so waren 
mir wieder endlose Strapazen gewiss, und würden wir 
wohl wieder einem annähernd so starken Bullen be- 
gegnen? Es war wohl, weil ich meines Entschlusses 
nicht ganz sicher war, denn als ich abdrückte, fehlte 
ich dieses riesige, nicht zu verfehlende Ziel. 


307 


Er warf sich herum und polterte davon, in wenigen 
Augenblicken würde er mir endgültig verloren sein. 
Ich nahm mich also zusammen und schickte ihm eine 
Kugel nach. Er hielt in seiner Flucht inne und gab mir 
Zeit, mich zu nähern. Ich kauerte auf die Erde, zielte 
lange und sorgfältig auf die Mitte der Brust und gab 
Feuer. In einem letzten wilden Anlauf donnerte er 
vorüber, und dabei schien mir sein Horn kaum noch 
einen Fuss lang. Das benahm mir alle Lust, auch nur 
hinzugehen, um ihn aus der Nähe zu besehen. 

Da er indessen jetzt verendet vor mir lag, war das 
Nächstliegende, mit dem Abhäuten zu beginnen. Im 
übrigen war es interessant, ein weisses Nashorn aus 
der Nähe zu betrachten, denn sein merkwürdig breites 
Maul, dem die Greiflippe fehlt, die grossen, mit 
schwarzen Borsten befransten Lauscher gaben ihm 
ein dem gewöhnlichen schwarzen Nashorn recht un- 
ähnliches Aussehen, von dem es auch eine etwas 
hellere Färbung unterschied. Nach den Aufregungen 
der Jagd war mir das Hantieren mit dem Bandmass 
stets besonders langweilig erschienen; in diesem Fall 
mussten wir den Kadaver unterhöhlen, um seinen Lei- 
besumfang zu messen. 

Es brauchte zehn Askaris, um den ungefügen Kör- 
per auf den Rücken zu wälzen und ihn so im Gleich- 
gewicht zu halten, während ich darauf kletterte und die 
nötigen Schnitte zog. Muthoka hatte die Klinge ge- 
schärft wie ein Rasiermesser, und das war auch not- 
wendig, denn sogar am Bauch war die Haut fast einen 
Zoll dick. 

Als die Leute zum Abhäuten eintrafen, waren wir 
schon ein gutes Stück vorwärtsgekommen, aber das 


308 


Loslösen des Horns war eine schwere Aufgabe, und 
die Sonne ging unter, während wir noch immer daran 
schnitten und hackten. Ein Trupp von Wegarbeitern, 
die sich für das Wildbret interessierten, kam uns sehr 
gelegen. Sie zimmerten eine Art Rost, dreissig Mann 
luden die Last auf ihre Schultern und brachten sie so 
ins Lager ein. 

Als wir den Rückweg antraten, war es wiederum im 
Sternenlicht, aber selbst nach einem bescheidenen Er- 
folg ist auch eine späte Heimkehr ein kleines Fest und 
lässt keinen Gedanken an Müdigkeit aufkommen. Ein 
um ein paar Zoll längeres oder kürzeres Horn ändert 
nichts an der mühseligen Arbeit des Abbalgens, und 
ich hatte schon lange Bedenken gehabt, ob nur vier 
erfahrene Leute sie bewältigen konnten. 

Nun musste noch die ganze Haut dünngeschabt 
werden. Ein Dutzend ansässiger Eingeborener wurden 
zugezogen, so dass zwanzig Mann damit beschäftigt 
waren; wir arbeiteten den ganzen Tag von sechs Uhr 
früh bis sechs Uhr abends. Es war eine harte, anstren- 
gende Arbeit, aber was machte das? Der Augenblick, 
an dem wir an der Trophäe des weissen Nashorns 
arbeiten konnten, war während vieler Wochen der 
Gipfel all meiner Wünsche gewesen. 

Am folgenden Tag sollten S. E. der Gouverneur 
und Lady Archer auf der Fahrt nach dem Sudan an 
Rhino-Camp vorbeikommen. Captain W. liess durch 
seine Askaris Berge von Papyrus-Stauden holen, und 
wir unterhielten uns den ganzen Morgen damit, das 
Lager auszuschmücken. Über den Ehrensitzen brachten 
wir ein Wappenschild an, mit einem schreitenden 
weissen Nashorn, darunter das Motto: «White is 


309 


might». Über den Landungssteg hängte ich ein Tuch, 
worauf ein aus weissem Kattun ausgeschnittenes Nas- 
horn prangte und darunter das Wort: CAMP. Dieses 
Nashorn war mit blossem Auge auf weite Entfernung 
sichtbar und schloss jede Möglichkeit aus, dass die 
«Baker» versehentlich an Rhino-Camp vorüberfuhr. 

Das andere Nashorn lag auf einer Plattform unter 
den Bäumen ausgebreitet, und schnell gab ich dem 
Horn noch eine letzte Politur. Erde und Schmutz 
hatte ich mit Wasser und Seife abgeschrubbt und es 
dann mit Vaseline eingerieben. Dies brachte einen so 
schönen Bernsteinglanz hervor, dass man wirklich 
versucht war, es zu bewundern — wäre es nur um drei 
Zoll länger gewesen. Mir bangte etwas vor dem Augen- 
blick, da ich diese 28 Zoll eingestehen musste, denn der 
Gouverneur hatte ausdrücklich betont, dass eine Tro- 
phäe unter 30 Zoll nicht in Frage kommen dürfe; ich 
fürchtete, er möchte bedauern, sich meinetwegen solche 
Mühe gegeben zu haben, wenn ich nichts Besseres zu- 
wege brachte. 

Als Seine Excellenz nun doch nicht so enttäuscht 
dreinschaute, wie ich befürchtete, das Horn sogar sehr 
schön fand und seine breite Basis bewunderte, war 
mein erstes, in «Ward’s Records» nachzuschlagen, 
denn an diesen Trost hatte ich nicht gedacht. 

Die «Baker» setzte ihre Reise fort, Captain W. kehrte 
nach Arua zurück, und mir blieben noch zehn Tage in 
Rhino-Camp. 

Während der ganzen Jagdreise, bereits in den ersten 
Tagen, hatte mir oft geträumt, sie sei schon zu Ende, 
aber ich war immer wieder erwacht mit dem Blick auf 
den umgekehrten V-förmigen Ausschnitt von blauem 


310 


Himmel unter dem grünen Zeltdach. So freudig 
stimmte mich dann solches Erwachen, dass ich jedes- 
mal hätte hinauslaufen mögen, um der aufgehenden 
Sonne meinen Gruss zuzujubeln. Nun aber wurde aus 
dem Traum bald Wirklichkeit, und mein Erwachen 
würde umschlossen sein von vier Wänden, fern der 
freien Natur. 

Jede Stunde brachte mich dem Tag näher, an dem 
ich mich von ihrer heilenden und szgnenden Gegen- 
wart losreissen und allein mit meinem tiefen Schmerz 
wieder zurückkehren musste in die Einöde der Zivi- 
lisation. 

Jetzt kam mir erst zum Bewusstsein, wieviel ich 
dem weissen Nashorn verdankte, denn bis dahin hatte 
es sich wie ein mächtiger Berg vor das Ende geschoben. 
Meine Erschöpfung äusserte sich in einem so ungeheu- 
ren Schlafbedürfnis, dass mir nur übrig blieb, entweder 
dauernd zu arbeiten oder auf immer in Schlaf zu sin- 
ken. Doch noch hier half mir das Nashorn, Gedanken 
an die Zukunft, vor der mir graute, zu verdrängen, 
denn seine Haut drohte zu verderben, und ich hatte 
soviel Sorge und Arbeit damit, sie zu schaben, mit 
Chemikalien zu behandeln und zu überwachen, dass 
mir keine Zeit blieb, meinen Gedanken nachzuhängen. 

In diesen letzten Tagen unterlag ich mehr und mehr 
dem Zauber des Nil. Stundenlang konnte ich in seine 
langsam und ruhig ziehenden Fluten schauen, bis 
mein ganzes Wesen mit dem tiefen und doch zielbe- 
wussten Frieden seiner Strömung eins zu sein schien. 
Ausgestreckt lag ich neben dem Fluss, wie man an 
Lethes Ufern liegen mag, im Schauen die Gedanken 
befreit, in erlöstes Vergessen getaucht. 


311 


Er glitt so friedlich vorüber, ohne Hast und Rast, 
auf seinen Wogen trieben schaukelnd die kleinen Nil- 
pflanzen* vorbei und verschwanden in der Ferne. Man 
mochte sitzen und seinem Lauf nachträumen, stunden- 
lang oder durch tausend Jahre hindurch, der Strom 
war an sich schon ein Symbol der Zeit. Spiegelte sein 
Lauf nicht die ganze Entwicklung wieder? Hier, nahe 
seinem Ursprung, sind seine Ufer wild und unberührt, 
seine Anwohner so primitiv wie der erste Mensch, und 
an seinem Ende, nachdem er Wüsten durchmessen, 
spiegeln sich Brücken und mächtige Kulturen vieler 
Epochen in seinen Wassern. Wie die Eingeborenen, 
die am Ufer sitzend über ihn hinblickten, schien die- 
ser Strom Sinnbild einer unerschütterlichen Geduld, 
einer Geduld, die schliesslich alles zu überwinden ver- 
mag. Es ist dieselbe Geduld, die dem Neuling über- 
all entgegentritt, eine aufreizende Apathie und fühl- 
lose Gleichgültigkeit, ein Fatalismus, der einen in Wut 
zu versetzen vermag. Und doch liegt hier vielleicht 
das Geheimnis: Afrika ist zu mächtig für etwas so 
Brüchiges wie die Ungeduld, und unsere Stärke liegt 
nicht darin, unsern eigenen Willen dagegen zu stem- 
men, sondern uns einzufügen. 

Was mich in all den Monaten des Jagens immer 
wieder beeindruckte, das war der stoische Mut des 
Wildes; stets kämpfte es bis zum letzten, keine 
Schmerzempfindung dämpfte je seinen Lebensmut, 
nichts brach ihn als der Tod selbst. Auch die Leute 
waren Stoiker. Zugegeben, sie hatten hundert Fehler, 
mangelnde Geduld durfte man ihnen jedoch nicht vor- 
werfen. 


*) Nile cabbages (Pistia stratiotes). 


312 


Der Tag war gekommen, an dem sie die Rückreise 
nach Nairobi antreten mussten. Da kam jeder einzelne 
zu mir und bat mich, ihn bei der nächsten Safari wieder 
mitzunehmen. Das war Musik in meinen Ohren, und 
ich machte mich daran, die Fleischmesser einzufetten 
und sorglich in die Werkzeugkiste zu packen, nicht 
damit die «African Mercantile» nach Belieben darüber 
verfüge, sondern sie mir aufbewahre. 

Es war fast Mitternacht, als die «Baker» wiederum 
anlegte. Ich war der Finsternis dankbar, denn vor dem 
Abschiednehmen war mir gar nicht recht geheuer. 
Noch dankbarer war ich dem alten Mvanguno, der 
einen hartnäckigen Streit um einen Kochtopf vom 
Zaun brach, auf den er alleiniges Recht beanspruchte 
trotz allen Argumenten, die Abde gegen ihn ins Feld 
führte. Das gemahnte so sehr an alte Zeiten, dass der 
Abschiedsschmerz für den Augenblick vergessen war. 

Und schliesslich endete der Zauber der «Blauen 
Ferne» ja nicht mit dem Verlassen von Rhino-Camp. 
Die Strecke von Nimule nach Rejaf, die ohnehin nie von 
Touristen heimgesucht wird, war zu dieser Jahreszeit 
so verlassen, wie ich es mir nur wünschen konnte, 
nie begegnete ich einem Weissen. Nur einmal, am Neu- 
jahrstag, überholte mich ein Missionar auf seinem Fahr- 
rad und bedauerte mich, weil ich zu Fuss gehen musste. 
Ich konnte es ihm nicht erklären, aber nicht um alle 
Fahrräder der Welt hätte ich auf einen Schritt dieser 
letzten Wanderung verzichten mögen. Es war ein 
herrlicher, anstrengender Marsch, denn die «Baker» 
hatte sich verspätet, das Schiff in Rejaf aber nicht, so 
dass mir nur noch sechs Tage blieben, um diese 96 Mei- 
len zurückzulegen. 


313 


Ich befand mich jetzt im Sudan, in glühender Wüsten- 
hitze, und marschierte nur in der Nacht. Wild gab es 
wenig, aber ich liebte diese einsame, steinige Strasse, 
über der jeden Morgen die Sonne in feuriger Pracht 
aufging, während der Wind in Orgeltönen zwischen 
den Felsblöcken brauste. 

Die letzte Etappe war die schönste von allen, denn 
während die Sterne noch funkelten, rollte eine alte, 
wohlbekannte Musik, die machtvolle Stimme eines 
brüllenden Löwen über die Ebene. Wieder und wieder 
erschütterte ihr Donner das Schweigen und verlor sich 
dann ausklingend unter dem Himmel. Dann stieg leise 
aus grauen Nebeln die Dämmerung herauf, ein leichter 
Wind erhob sich und wirbelte die dürren Blätter am 
Boden auf, während die erste Morgenröte ihre hauch- 
zarten Farben über die Wüste legte. 

In Rejaf gab es alle Hände voll zu tun: Einfuhr- 
scheine für die Gewehre waren auszufertigen, Geld 
musste gewechselt, Zoll bezahlt werden. Aber ich war 
glücklich über diese Ablenkung, die mir weniger Zeit 
liess, über das andere nachzudenken — über den Ver- 
kauf des Zeltes und der Ausrüstung und all der Dinge, 
die mir so vertraut geworden waren. Ich muss es dem 
Leser gestehen, dass ich im letzten Augenblick die 
Säge wieder auspackte und die Zeltstange unter der 
Fassung entzweisägte. Es war das Stämmchen, das wir 
im Wald von Meru geschnitten hatten. 

Jetzt musste ich auch Jim und den Koch entlassen, 
die mich bis zum letzten Tag der Safari begleitet hatten, 
und schliesslich kam der Dampfer in Sicht. Es war 
zwischen ihm und mir ein Wettrennen gewesen, das 
ich gewonnen hatte. Bis zuletzt hatte ich noch gehofft, 


314 


seine Ankunft würde irgendwie verhindert, aber jede 
Drehung seiner Schaufelräder, ja selbst die Strömung 
schienen sich gegen diese Hoffnung zu verschwören. 
Und es war gut so, denn so gerne ich die ganze Jagdreise 
noch einmal unternommen, meine Kräfte hätten kaum 
noch für einen Tagesmarsch gereicht. 

Wir lichteten die Anker erst in der Nacht, so blieb 
mir noch Zeit, den Berg von Rejaf zu besteigen. Um 
seinen Gipfel kreisten die Weihe, und die granitenen 
Zacken glimmten im Abenddämmer. Unter mir dehnte 
sich der Nil von Horizont zu Horizont, und die Erde 
wölbte sich unter dem Himmel, soweit das Auge 
reichte. Hier und da verstreut ein Hügel, eine Gruppe 
von Büschen und eine gewundene Strasse. Wohin 
mochte sie führen? Irgendwohin in die untergehende 
Sonne hinein oder dem Morgen entgegen, wie alle 
Strassen in Afrika. Glücklich, wer auf ihnen wandern 
darf. 


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