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Full text of "Indianerleben, E. Gran Chaco (Südamerika)"

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NORDENSKSÖ! 

^D 

Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/indianerlebenegrOOnord 


INDIANERLEBEN 


INDIANERLEBEN 


EL  GRAN  CHACO 
(SÜDAMERIKA) 


VON 


ERLAND  NORDENSKIÖLD 


LEIPZIG  1912  /  ALBERT  BOMN1ER 


EINZIGE  AUTORISIERTE  ÜBERSETZUNG 
AUS  DEM  SCHWEDISCHEN 

VON 

CARL  AUERBACH 


Rollbcrg'schc  Buchdruckern,  Leipzig. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Einleitung i 

Erstes    Kapitel: 

Reise  nach  dem  Arbeitsfeld       3 

Der  Calilegua 11 

Zweites    Kapitel: 

Unter  den   Indianern  am   Rio  Pilcomayo 15 

Drittes    Kapitel: 

Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung)  .  32 

Gemeinwesen 32 

Das  Indianerhaus 39 

V  i  e  r  t  c  s    Kapitel: 

Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo  (Fortsetzung)  .  44 

Der  Kampf  ums  Dasein 44 

Wie  man  bei  den  Ashluslays  und  Chorotis  ißt  ...  58 

E  ü  n  f  t  e  s    Kapitel: 

Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung)  .  63 

Indianerkinder 63 

Männer  und  Frauen       ~\ 

Axbeitsverteilung  /wischen   .Männern   und   Frauen  .    .  <i| 
Sechstes   Kapitel:' 

Unter  den   Indianern  am   Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung)  .  <»•> 

Trinkgelage 96 

Das  Tabak raucherr k>i 

Medizinmänner,   religiöse  Vorstellungen [03 

Vom  Matacoindianer  Xa-yäs  erzählte  Sagen : 

Der  Raub  des  Feuers      uo 

Die  Frau,  die  sich  mit  den  Hunden  verheiratet  hat  1  1  1 

I  >  1 «    ijroüe  Feuersbrunst 111 

Der  Maisraub 11  - 

Der  Sohn  des  Chuna 112 

Als  die  Matacos  und  die  Christen  die  Well  teilten  113 

Der    Fuchs   und   der   Stier 113 


VI  [nhaltsvcrzeichnis. 

Seile 

Siebentes    Kapitel: 

Unter  den   [ndianern  am   Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung)  .  im> 

Kunst   und   Industrie im 

Die   Indianer  als   Zeichner 127 

Achtes    Kapitel: 

Unter  den   Indianern  am   Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung)  .  [29 

Krieg  und    Frieden [29 

I  l.indel        1  •- 

Besuch   in  fremden  Dörfern 1  I  1 

Das  Verhältnis  zu  den  Weißen i.|_> 

Neuntes    Kapitel: 

Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer 148 

Zehntes    Kapitel: 

Vom   Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer      .    .    .  [63 

Indianer  als  (Geographen       [63 

Der    Indianer  als   Historiker [67 

Elftes    Kapitel: 

Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer      ...  173 

Alltagsleben  in  den  Chane-   und  Chiriguanohütten     .  173 

Arbeitsteilung  zwischen  den  Geschlechtern      ....  180 
Tabelle,   welche  die  Arbeitsteilung  zwischen  Män- 
nern und  Lianen  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos 

ausweist [80 

.     Nahrungszweige 1  s  1 

Zubereitung  der  Speisen [88 

Spiele [90 

Das    Leben   der    [ndianerkinder i<»S 

Alltagskleidung 200 

Reinlichkeit 203 

/  \\  öl  1 1  es    Kapitel: 

Aus    dem    Leben    der    ("haue-     und    Chiriguanoindianer 

(Fortsetzung) jo(> 

Vom  Mutterleib  bis  zum  Grabe 206 

Dreizehntes    Kapitel: 

Aus    dem    Lande    der    Chane-    und    Chiriguanoindianer 

(Fortsetzung) 221 

Häßliche  Worte.  Homosexualität.  Selbstmord,  Scham- 
gefühl u.  a 221 

Vierzehntes    Kapitel: 

Aus    dem     Leben    der    Chane-    und    Chiriguanoindianer 

(  Fortsetzung) 228 

Häuptlinge   und   Gesetze 228 


Inhaltsverzeichnis.  VII 

Seite 
Fünfzehntes    Kapitel: 

Trinkgelage  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos 234 

Sechzehntes    Kapitel: 

Aus    dem    Leben    der    Chane-    und    Chiriguanoindianer 

(Fortsetzung) 242 

Kunst   und   Industrie 242 

Siebzehntes    Kapitel: 

Aus    dem    Leben    der    Chane-     und    Chiriguanoindianer 

(Fortsetzung) 250 

Sage  und  Religion 250 

1.  Der  Weltuntergang   und   der   Raub   des   Feuers  251 

2.  Der  Weltuntergang  und  der  Raub  des  Feuers  253 
Besuche  in  Aguararenta  (dem  Dorfe  der  Füchse)  255 
Das  Mädchen,  das  seinem  Mann  nach  Aguararenta 

folgte 255 

Geister-  und  Tiersagen 257 

Die    Erschaffung    der    Welt,    wie    der    Fuchsgott, 
Agaratunpa,  den  Algarrobobaum  fand,  und  wie 

er  den  weißen   Kondor,    Ururuti,   fing    ....  260 

Tatutunpas  und  Aguaratunpas  Verheiratung     .    .  264 

Die  Entstehung  der  Arbeit 269 

Wie  Aguaratunpa  seinen  Bruder  nach  dem    Him- 
melsgewölbe schickte      270 

Über  den  Sohn  von  Tatutunpa,   und   wie  er  seine 

Mutter  gerettet  hat 271 

Der  Mann,  der  sich  mit  der  Tochter  des  Donner- 
gottes, Chiqueritunpa,   verheiratete 277 

„Choihuihuis"   Frauenraub 283 

Wie    Aguaratunpa    Tatutunpa    tötete     und     dann 

selbst  getötet  wurde >H-j 

Der  Mann,  der  Afiatunpa  verbrannte 286 

Der  Mann,  der  Afiatunpa  tötete 287 

Wie  Bisose  Reichtümer  aus  dem  Berge  holte    .    .  288 

Der   Fuchs  und  der  Jaguar 289 

Als  die  Schildkröte  ,,Carumbe"  den  Jaguar  lotete  29] 

Die  Liebessage  des   Kolibris n>2 

Als  die  Zecke,  Yateu,  mit  dem  Strauß,  Yändu,  um 

die  Wette  lief       z^z 

Die  Indianer  und  die  Naturerscheinungen 29^ 

Achtzehntes   Kapitel: 

Aus    dem    Leben    der    Chane-    und    Chiriguanoindianer 

(Fortsetzung) 297 

Die  katholischen   Missionen   unter  den  Chiriguanos    .  207 


VI  II  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Die   Furcht   vor  den  Gummigegenden 298 

Frondienste  für  die  Weißen 300 

Neunzehntes    Kapitel: 

Die  Tapieteindianer 304 

Zu   diesen   Indianern       -1 

Kultur  und  Sprache  der  Tapieteindianer 310 

Tapietesagen : 

Wie  die  Papageien  den  Tapietes  Mais  verschaffen  312 

Wie  die  Tapietes  das  Schaf  bekamen 313 

Der  Raub  des  Feuers      513 

Das  Entstehen  der  Zahnschmerzen       314 

Die  Taubstummen  der  Tapietes 515 

/.  wanzigsf  es    Kapitel: 

Die  Tsirakuaindianer 322 

Schlußwort 329 


Einleitung. 

In  diesem  Buche  beabsichtige  ich,  einige  Indianerstämme, 
die  ich  während  meiner  Reise  1908— 1909  näher  kennen  ge- 
lernt habe,  zu  schildern. 

Ich  habe  das  intime  Leben  dieser  Menschen,  ihre  Gesell- 
schaft, ihre  Häuslichkeit,  ihren  Kampf  ums  Dasein,  ihre 
Streitigkeiten,  ihre  Erziehung,  ihre  Moralbegriffe,  ihre  Re- 
ligion und  ihre  Sagen  hier  zu  schildern  versucht. 

In  erster  Reihe  habe  ich  somit  einen  Beitrag  zur  Kenntnis 
der  sozialen  Verhältnisse  im  Gemeinwesen  der  Indianer  liefern 
wollen. 

Ich  habe  versucht,  die  Indianer  kennen  zu  lernen  und  habe 
auch  Sympathie  für  sie  empfunden.  Ich  habe,  so  gut  es  ging, 
das  Leben  der  Indianer  zu  leben,  sie  zu  verstehen  gesucht. 
Ich  habe  mit  ihnen  gefischt,  getanzt,  gesungen  und  getrunken. 
Ich  habe  zu  vergessen  gesucht,  daß  ich  ausgezogen  bin,  um 
diese  Menschen  zu  studieren,  und  nicht,  um  nur  mit  ihnen  zu 
leben  und  mich  zu  amüsieren. 

Ich  habe  diese  Indianer  als  Mitmenschen  betrachtet. 

Unter  vielen  trockenen  Tatsachen  habe  ich  hier  Menschen 
zeigen  wollen,  die  der  Sympathie  des  Lesers  würdig  sein 
dürften. 

Meine  Reise  ist  durch  die  Freigebigkeit  meines  Freundes 
Arvid  Hernmarck  zustande  gekommen.  Ich  bin  ihm  deshalb 
zu  großem  Danke  verpflichtet. 

Mit  seinem  bekannten  Interesse  für  die  Schweden,  die 
Südamerika  kennen  lernen  wollen,  hat  mir  Herr  General- 
konsul Axel  Johnson  auf  den  bequemen  Dampfern,  die  den 
immer  blühenderen  schwedischen  Handel  nach  Argentinien 
vermitteln,  freie  Reise  und  freie  Frachten  gewährt. 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  I 


_'  Einleitung. 

Großen  Dank  schulde  ich  Frau  Rosa  Hernmarck,  dem 
früheren  Ministerresident  O.  Gylden ,  dem  Legationsrat 
H.  von  Bildt  und  dem  Apotheker  H.  Enell,  welche  teils  zu 
meiner  Ausrüstung  beigetragen,  teils  meine  Sammlungen 
verwaltet  haben. 

Bei  meinen  umfassenden  Streifzügen  in  Bolivia  bin  ich 
sowohl  in  der  Hütte  des  Armen  wie  von  dem  reichen  Estan- 
ciero  mit  außerordentlicher  Gastfreiheit  aufgenommen  wor- 
den. Bei  den  Indianern  wie  bei  den  Weißen  habe  ich  mich 
als  Hausfreund  betrachtet. 

Am  wohlsten  habe  ich  mich  bei  den  Indianern  gefühlt! 


Erstes   Kapitel. 
Reise  nach  dem  Arbeitsfeld. 

Am  21.  Februar  1908  verließ  ich  zusammen  mit  einem 
Schweden,  W.  Andersson,  Schweden,  um  mit  dem  Dampf- 
schiffe „Drottning  Sofia"  nach  Buenos  Aires  zu  fahren.  Auf 
der.  herrlichen  Seereise  konnten  wir  Kräfte  für  künftige  Stra- 
pazen sammeln.  Mit  Salz-  und  Sonnenbädern  härteten  wir 
unsere  Körper  in  dem  Gedanken:  Auf  einer  solchen  Reise,  wie 
dieser,  ist  die  allerwichtigste  Ausrüstung  eine  gute  Gesund- 
heit. Ist  man  munter  und  gesund,  so  arbeitet  man  gut,  ist 
man  infolge  Krankheit  niedergedrückt,  dann  geht  alles 
schlecht.  Während  meiner  ganzen  Reise  war  ich  auch  nicht 
einen  einzigen  Tag  ordentlich  krank. 

Auf  dem  Dampfer  schloß  ich  mit  einem  jungen  Landsmann, 
Carl  Moberg,  Bekanntschaft.  Es  war  ein  wilder  Junge.  Eines 
Tages  kletterte  er  auf  den  Großmast  der  „Sofia",  setzte  sich 
auf  den  runden  Knopf  der  Spitze  und  genoß  bei  einer  Zigarette 
die  Aussicht.  Da  er  den  Eindruck  eines  kühnen  und  furcht- 
losen Menschen  machte,  stellte  ich  ihn  bei  der  Expedition  an. 
Und  das  habe  ich  nicht  zu  bereuen  brauchen.  Moberg  erwies 
sich  während  der  ganzen  Reise  als  ein  tüchtiger  und  zuver- 
lässiger Kamerad.  Ich  habe  ihn  hier  so  schildern  wollen,  wie 
ich  ihn  zum  ersten  Male  kennen  gelernt  habe,  damit  der 
Leser  verstehe,  daß  er  ein  Mann  war,  der  für  die  Indianer 
paßt. 

Ich  will  hier  nicht  schildern,  was  so  viele  andere  vorher 
beschrieben  haben,  sondern  übergehe  Buenos  Aires  und  be- 
gebe mich  von  dort  direkt  nach  der  Zuckerfabrik  Esperanza 
in  Nordargentinien.    Wo   die    Indianer   anfangen,    dort 


4  Erstes  Kapitel. 

will  ich  auch  meinen  Reisebericht  beginnen.  Ich 
bitte  nun  den  geneigten  Leser,  der  besseren  Orientierung 
wegen,  diesen  Platz  auf  der  Karte  aufzusuchen. 

Nach  den  Zuckerfabriken  in  Nordargentinien  kommen  die 
Indianer  von  weit  umher.  Hier  in  den  Fabriken  treffen  wir 
nicht  dir  Wilden  der  Urwälder,  sondern  solche,  die,  von  den 
Reichtümern  des  weißen  Mannes  angelockt,  aus  ihren  Dörfern 
gekommen  sind,  um  Arbeit  und  Verdienst  zu  suchen.  In 
diesem  Buche  werden  wir  diese  Menschen  auch  nicht  hier, 
sondern  weit  hinten  in  den  Urwäldern  und  Gebüschen  ihrer 
Heimat  kennen  lernen. 

Mit  dem  größten  Wohlwollen  wurde  ich  von  den  Brüdern 
Leach,  den  Besitzern  der  Fabrik  Esperanza,  aufgenommen. 
Sie  haben  ein  echt  englisches  Heim  mit  bequemen  Stühlen, 
Polo,  Freundschaft  ohne  Ziererei  und  Zeremonien  und  Dienst- 
bereitschaft ohne  viele  WTorte. 

In  Esperanza  hielt  ich  mich  einen  Monat  auf,  um  meine 
Expedition  auszurüsten.  Während  dieser  Zeit  hatte  ich  Ge- 
legenheit zum  Studium  der  Indianer,  die,  wie  schon  erwähnt, 
von  weit  her  nach  den  Fabriken  kommen,  um  Arbeit  zu 
suchen.  Außerdem  machte  ich  eine  Expedition  nach  dem 
nahebelegenen  Berge  Calilegua.1) 

Unter  den  Indianern  in  Esperanza  hatte  ich  das  Glück, 
einen  alten  Freund  von  meiner  Reise  1901  zu  treffen,  den 
Matacoindianer  ,,Chetsin".  Dieser,  der  Dolmetscher  seines 
Stammes,  sprach  ausgezeichnet  spanisch.  Beinahe  jeden  Tag 
pflegte  ich  ein  Stündchen  in  seiner  Hütte  zu  verweilen  und 
mit  ihm  von  allem  möglichen  zu  sprechen.  Zuweilen  erzählte 
er  mir  einige  Sagen  seines  Stammes. 

Es  war  ein  eigentümliches  Gefühl,  auf  einem  Holzblock 
in  der  Grashütte  bei  einem  spärlichen  Feuer  zu  sitzen  und 
erzählen  zu  hören,  wie  die  wilden  Schweine  dem  Gürteltier 
den  Mais  stahlen  und  wie  das  Meerschweinchen  dem  Jaguar 


a)   Ortsnamen,    Eigennamen,    spanische    und   indianische   Wörter 
sind    in   der   Regel  der   spanischen  Aussprache   gemäß    geschrieben. 


Reise  nach  dem  Arbeitsfeld.  ^ 

das  Feuer  stahl  und  es  den  Matacoindianern  gab,  und  einige 
Augenblicke  später  in  einem  bequemen  Stuhle  in  dem  eng- 
lisch komfortablen  Leachschen  Hause  zu  sitzen  und  über 
Politik,  Flugschiffe  und  Sport  zu  sprechen.  Die  Gegensätze 
im  Leben  bereiten  immer  Vergnügen. 

Über  die  Wanderung  der  Indianer  nach  den  Zucker- 
fabriken möchte  ich  hier  einige  Worte  sagen. 

„Bapurenda"  nennen  die  in  Bolivia  lebenden  Indianer 
das  Land  Argentinien.  Das  bedeutet:  dort  gibt  es  Arbeit. 
Nach  den  Zuckerfabriken  kommen  jährlich  tausende  Indianer 
aus  dem  argentinischen  Chaco  und  aus  Bolivia,  um  Arbeit 
zu  suchen.  Man  verwendet  sie  teils  zum  Roden  und  Graben, 
teils  für  die  Ernte.  Diese  Wanderung  nach  Argentinien  ist 
für  die  friedliche  Eröffnung  der  in  Südbolivia  von  Indianern 
bewohnten  Wildnisse  von  der  größten  Bedeutung  für  die 
Weißen  gewesen,  und  ist  es  auch  heute  noch.  Nach  „Bapu- 
renda" kommen  die  Indianer  aus  weiter  Ferne.  Man  sieht 
dort  die  sauberen  und  aufgeweckten  Chiriguano  und  Chane, 
die  heimtückischen  und  zudringlichen  Toba,  die  schmutzigen 
und  unzuverlässigen  Mataco,  die  stets  heiteren  und  faulen 
Choroti.  Einige  Tapiete  und  Ashluslay1)  sind  auch  dort  ge- 
wesen, obschon  die  ersteren  als  Toba,  die  letzteren  als  Choroti 
und  Mataco  aufgetreten  sind.  Eigentümlicherweise  sollen 
auch  von  solchen  Teilen  des  südbolivianischen  Chaco,  wo 
noch  nie  ein  Weißer  gewesen  ist,  Indianer  nach  Argentinien 
gekommen  sein.  Unter  ihnen  ist  der  Chiriguanohäuptling 
Cayuhuari  bemerkenswert.  Dieser  Häuptling  wohnt  seit  1890, 
wo  er  sich  gegen  die  Weißen  empört  hatte,  im  Chaco. 

Ein  sehr  großer  Teil  der  Indianer  nimmt  die  lange  Reise 
nach  Argentinien  zu  Fuß  vor,  da  nur  wenige  Pferde  haben. 
Einzelne  haben  bis  zu  ihrer  Ankunft  über  500  km  zu  wandern, 
und  das  ist  ein  ganz  hübscher  Spaziergang. 

Der  Grund  der  Wanderung  dieser  Indianer  ist  die  große 
Schwierigkeit,  alle  die  Herrlichkeiten  des  Weißen,  wie  Messer, 


x)  Ashluslay:   englisches  sh. 


6  Erstes  Kapitel. 

Äxte  und  Kleider,  in  ihrem  eigenen  Lande  zu  erwerben. 
Wenn  sie  bei  sich  zu  Hause  Arbeit  haben,  ist  sie  in  der  Regel 
schlecht  bezahlt,  und  innerhalb  großer  Gebiete  ist  überhaupt 
keine  Arbeit  zu  bekommen. 

Mehrere  Indianer  haben  mir  gesagt,  sie  würden,  wenn  sie 
zu  Hause  Arbeit  fänden,  diese  Wanderung  nicht  vornehmen. 
Eins  ist  jedoch  sicher,  daß  diese  Reisen  in  ein  fremdes  Wunder- 
land im  höchsten  Grade  verlockend  für  sie  sind.  Ich  war 
gerade  in  einem  Ashluslaydorf,  als  die  ersten  dieses  Stammes, 
die  in  den  Fabriken  gewesen  sind,  wieder  nach  Hause  kamen. 
Sie  wurden  mit  Ovationen  empfangen.  Das  ganze  Dorf  war 
ihnen  entgegengegangen,  und  unter  dem  Gesang  der  alten 
Frauen  wurden  sie  zu  ihren  Hütten  gebracht ,  wo  sie  von  ihren 
Kindern  und  Frauen  bewillkommnet  wurden.  Sie  hatten  so 
viel  Merkwürdiges  mitgebracht,  alte  Gewehre,  alte  Uniformen, 
Zucker,  Streichhölzer,  Pulver,  Knallerbsen,  betresste  Käppis, 
Anelin  u.  a.  Wrie  viel  ist  nicht  zu  erzählen,  wenn  man  nach 
Hause  kommt.  Es  muß  mindestens  ebenso  merkwürdig  ge- 
wesen sein,  als  wenn  ein  Erdbewohner  von  einer  Reise  nach 
dem  Monde  nach  Hause  gekommen  wäre.  Wie  wunderbar 
muß  es  den  zu  Hause  Gebliebenen  vorgekommen  sein,  von 
den  Eisenbahnen,  den  Fabrikmaschinen,  den  elektrischen 
Bogenlampen,  den  großen  Hütten  und  allem  anderen  Neuen 
zu  hören.  Auch  sie  werden  zu  der  mühseligen,  langen  Wande- 
rung verlockt,  und  immer  weitere  Gebiete  eröffnen  sich  dem 
weißen  Manne  ohne  Kampf,  ohne  Schwierigkeiten. 

Infolge  dieser  Wanderungen  nach  Argentinien  verbreiten 
sich  eine  große  Masse  Werkzeuge,  Messer,  Waffen  u.  a.  über 
den  ganzen  Chaco,  und  die  ursprüngliche  Kultur  der  Indianer 
verändert  sich  vollständig.  Viele  von  ihnen  lernen  auf  diesen 
Reisen  etwas  Spanisch,  denn  den  Indianern  fällt  diese  Sprache 
leicht.  Sie  lernen  sogar  sehr  bald,  es  grammatikalisch  zu 
sprechen. 

Nach  den  Zuckerfabriken  kommen  die  Mataco  und  Choroti 
sowie  teilweise  auch  die  Toba  mit  Frauen,  Kind  und  Kegel, 
Hunden  und  Hausgerät,  Schmutz  und  Ungeziefer  und  bauen 


Reise  nach  dem  Arbeitsfeld.  -j 

dort  ihre  Dörfer,  ganz  wie  im  Chaco.  Die  höherstehenden 
Chiriguano  und  Chane  bringen  nur  wenig  Frauen  und  niemals 
ihre  kleinen  Kinder  mit,  falls  sie  nicht  für  immer  dort  bleiben 
wollen.  Die  Chiriguano  und  Chane  wohnen  in  Zelten  oder  in 
den  den  Fabrikbesitzern  gehörigen  Baracken. 

In  den  Fabriken  habe  ich  die  Indianer,  besonders  die 
Mataco  und  Chiriguano,  arbeiten  sehen.  Die  ersteren  werden 
als  die  Tüchtigsten  beim  Ernten  des  Zuckerrohres,  die  letz- 
teren als  die  besten  Gräber  betrachtet.  Die  Mataco  und  ver- 
schiedene Chiriguano  werden  auf  Akkord  bezahlt.  Die  besten 
Chiriguano  sind  Tagelöhner  und  werden  den  weißen  Arbeitern 
gleichgestellt.  In  der  Regel  verdienen  die  Chiriguano  täglich 
i — ii/2  Peso,  die  Matacomänner  40  Centavos  und  die  Mataco- 
frauen  20  Centavos  außer  der  Kost.  Die  Arbeitszeit  ist  für 
die  letzteren  ungefähr  acht,  für  die  ersteren  zehn  Stunden. 

Über  den  Fleiß  der  Indianer  habe  ich  einige  Notizen  machen 
können.  Die  Chiriguano  arbeiten  in  der  Regel  alle  Tage  außer 
den  Montagen,  wo  sie  den  Sonntagsrausch  ausschlafen.  In 
San  Lorenzo,  unweit  Esperanza,  wo  ich  Gelegenheit  hatte, 
etwas  statistisches  Material  zu  sammeln,  arbeiteten  die 
Matacomänner  im  Durchschnitt  12  V2  und  die  Matacofrauen 
ii1^  Tage  im  Monat.  Das  beste  Resultat  hatte  eine  Mataco- 
frau,  die  von  127  möglichen  Tagen  125,  und  ein  Matacomann, 
der  110  gearbeitet  hatte.  Die  Häuptlinge  und  Dolmetscher 
arbeiten  am  wenigsten. 

Bei  der  Bezahlung  der  Indianer  hat  man  darauf  zu  sehen, 
daß  sie  nicht  die  ganze  Löhnung  während  der  Arbeitszeit 
ausbezahlt  erhalten,  sondern  noch  etwas  zugute  haben,  wenn 
sie  heimkehren,  sonst  halten  sie  sich  für  betrogen. 

Stirbt  ein  Indianer,  dem  die  Fabrik  etwas  schuldig  ist,  so 
verlangen  die  Mataco,  Choroti  und  Toba  nichts.  Trifft  dies 
bei  den  Chiriguano  ein,  so  fordert  der  Häuptling  die  Bezahlung 
der  Schuld  durch  ihn  an  die  Hinterlassenen.  Der  Grund  hier- 
für ist  möglicherweise  der,  daß  die  Chiriguano  infolge  ihrer 
langen  Beziehung  mit  den  Weißen  die  Erbschaftsverhältnisse 
derselben  besser  kennen. 


8 


Erstes  Kapitel. 


Leider  wird  für  die  Zivilisierung  der  nach  den  Zucker- 
fabriken kommenden  Indianer  nichts  getan.  Sie  werden  hier 
im  allerhöchsten  Grade  demoralisiert.    Die  Männer  verfallen 


Abb.   i.     Matacomädchen,    Esperanca. 


der  Trunksucht,  d.  h.  sie  lernen  Branntwein  trinken,  im  Ver- 
hältnis zu  welchem  alle  einheimischen  Getränke  bedeutend 
unschuldiger  sind.  Infolge  des  Branntweins  und  der  schlech- 
ten Beispiele  seitens  der  weißen  Arbeiter  kommt  eine  große 


Reise  nach  dem  Arbeitsfeld.  g 

Anzahl  Indianer  durch  Schlägereien  in  den  Fabriken  um.  Die 
Indianerfrauen  verkaufen  sich  den  Weißen.  Geschlechts- 
krankheiten herrschen  unter  den  indianischen  Arbeitern,  die 
teilweise  geradezu  Bordelle  besuchen,  wo  sie  mit  den  weißen 
Frauen    Bekanntschaft    machen.     Der    Chiriguanohäuptling 


Abb.  2.     Hütte  der  Mataco-Ciuisnav.     Rio  Pilcomavc. 


Maringay,  der  niemals  in  Argentinien  war,  und  von  dem  ich 
später  noch  recht  viel  zu  erzählen  haben  werde,  fragte  mich 
einmal:  ,,Sage  mir,  ist  es  wahr,  daß  es  in  Argentinien  Läden 
gibt,  wo  man  weiße  Frauen,  je  nach  Beschaffenheit,  für  2,  3, 
5  Pesos  bekommt?"  Maringay  fand  sicher,  daß  die  Weißen 
merkwürdige  Läden  hatten. 

Viele  Chiriguanoindianer  kommen  mit  ihren  Familien  nach 


10  Erstes    Kapitel. 

den  Zuckerfabriken  und  kehren  niemals  in  ihre  Heimat  zu- 
rück. Das  Leben  dieser  Indianer  verläuft  ebenso  wie  das  der 
weißen  Arbeiter.  Sie  leben  in  einer  Art  Konservenbüchsen- 
kultur  und  stellen  so  gut  wie  gar  keine  ihrer  alten  charakte- 
ristischen Sachen  her.  Ein  wie  trauriges  Leben  führen  sie 
doch,  viel  schlechter  als  in  ihren  Dörfern  in  ihrem  eigenen 
Lande.  Anstatt  der  feinen,  bemalten  Tongefäße  bilden  leere 
Konservenbüchsen,  Blechteller  usw.  ihr  Hausgerät.  Manch- 
mal sieht  man  auch  unter  ihren  Habseligkeiten  ein  europäisches 
Nachtgeschirr  —  in  dem  sie  das  Essen  verwahren. 

Eine  in  den  Fabriken  in  großer  Ausdehnung  betriebene 
Unsitte  ist  die,  daß  die  Indianer  Schießwaffen  erhalten.  In- 
folge dieser  führen  die  Indianer,  die  dort  gewesen  sind,  sieg- 
reiche Kämpfe  mit  denen,  die  nur  Pfeile  und  Bogen  besitzen. 
Diese  Schießwaffen  werden  eines  Tages  manchem  weißen 
Manne  das  Leben  kosten,  denn  sicher  werden  die  Indianer  im 
Chaco  noch  manchen  Aufruhr  anstiften.  Auf  argentinischem 
Gebiete  sorgt  besonders  der  Tobahäuptling  Taycolique  syste- 
matisch für  eine  Bewaffnung  seiner  Leute  mit  Feuerwaffen. 
Er  ist  schon  so  weit  gekommen,  daß  er  die  unmodernen  Re- 
mingtongewehre  kassiert  und  statt  dessen  Repetiergewehre 
eingeführt  hat.  Taycolique  hat  seinen  Leuten  das  Schießen 
beigebracht.  Eines  Tages  zog  er  mit  einigen  seiner  Männer 
an  einem  Platze  vorbei,  wo  einige  Weiße  Schießübungen  ab- 
hielten. Taycolique  forderte  sie  zu  einem  Wettschießen  auf, 
und  seine  Tobaindianer  gewannen  den  Preis. 

Im  großen  ganzen  wird  meiner  Ansicht  nach  das  Indianer- 
erziehungsproblem am  besten  gelöst  auf  die  Weise,  daß  man 
dem  Indianer  gutbezahlte  Arbeit,  wie  sie  sie  in  den  Fabriken 
haben,  gibt.  Viel  wäre  außerdem  zur  Hebung  der  Indianer 
zu  tun,  sie  müßten  schreiben,  lesen  und  rechnen  lernen,  und 
man  müßte  sie  vor  dem  Branntwein  und  der  Prostitution 
bewahren.  In  diesen  Fabriken  müßten  industrielle  Schulen 
errichtet  werden,  in  welchen  die  Indianer  ein  Handwerk  er- 
lernten. Eine  Arbeit,  wie  sie  sie  in  gewissen  Gegenden  haben, 
mit  durchaus  unbefriedigender  Bezahlung,  erzieht  sie  nicht 


Reise  nach  dem  Arbeitsfeld.  II 

zu  fleißigen  und  arbeitstüchtigen  Menschen,  sondern  bewirkt 
eher  das  Gegenteil.  Erhalten  sie  eine  ordentliche  Entschädi- 
gung und  sehen  sie,  daß  es  ihnen  durch  Arbeit  gut  ergeht, 
daß  sie  leichter  ihren  Magen  füllen,  Pferde,  Werkzeug  und 
Kleider  anschaffen  können,  dann  arbeiten  sie  gern,  und  die 
Arbeit  tut  ihnen  gut  und  erzieht  sie. 

Der  Calilegua. 

Während  meines  Aufenthaltes  in  der  Zuckerfabrik  Espe- 
ranza  unternahm  ich  mehrere  kleine  Ausflüge,  darunter  einen 
etwas  längeren  nach  dem  wunderschönen  Calilegua,  dessen 
nicht  selten  schneebedeckter  Gipfel  stolz  über  die  Urwälder 
blickt,  in  denen  Zuckerfabriken  und  Sägemühlen  und  kleine 
Menschlein  sich  abarbeiten  und  abäschern. 

Auf  mehr  als  schlechten  kleinen  Pfaden  klettert  der  Weg 
diesen  Berg  hinauf.  Er  geht  durch  Bäche,  über  Gebirgskämme, 
durch  den  Urwald  mit  dessen  schweigender,  feucht  warmer 
Pracht,  über  die  Baumgrenze,  nach  dem  einsamen,  groß- 
artigen Reiche  der  Erdgöttin  Pachamama,  wo  man  einen' 
weiten  Blick  über  Täler,  Hochebenen  und  Berge  hat  und  sich 
nicht,  wie  unten  im  Tale  und  im  Urwalde,  durch  Lianen  und 
Baumstämme  und  zwischen  dornigen  Büschen  hindurch- 
zudrängen braucht. 

Die  Calileguaindianer  sprechen  alle  Spanisch.  Dieses  ist 
stark  mit  Quichuaworten  vermengt,  die  Namen  der  Heil- 
mittel sind  z.  B.  in  der  Regel  auf  Quichua.  Man  kann  also 
annehmen,  daß  die  ursprüngliche  Sprache  dieser  Indianer 
Quichua  war.  Die  Calileguaindianer  wohnen  oben  auf  den 
Bergen  in  kleinen  viereckigen  Hütten  aus  Stein  oder  getrock- 
neten Ziegelsteinen  mit  Grasdächern.  Auf  dem  First  steht 
gewöhnlich  ein  Kreuz.  Dasselbe  schützt  gegen  Blitzschlag, 
d.  h.  wenn  es  von  einem  christlichen  Geistlichen  gesegnet  ist, 
denn  diese  Gebirgsindianer  sind  schon  seit  langer  Zeit  Christen. 
Dies  hindert  indessen  nicht,  daß  sie  gleichzeitig  an  vieles  an- 
dere glauben,  was  gar  nichts  mit  der  christlichen  Religion 
zu  tun  hat.    So  opfern  sie  noch  der  Pachamama  Branntwein 


12  Erstes  Kapitel. 

und  Coca.  Gehen  sie  über  einen  Paß,  so  legen  sie  einen  Stein 
auf  den  Boden,  damit  sie  nicht  auf  dem  Wege  müde  werden. 

Auf  dem  Calilegua  machte  ich  eine  interessante  Bekannt- 
schaft, und  zwar  die  eines  sehr  anständigen  Medizinmannes 
in  mittleren  Jahren,  der  mir  ganz  offenherzig  verschiedenes 
anvertraute.  Gegen  Knochenschmerzen  soll  man  Fett  vom 
Uturunco,  Tapir  oder  Bären  anwenden.  Der  Uturunco  ist 
ein  mystisches  Tier;  es  soll  ein  Jaguar  sein,  der  ehemals  ein 
Mensch  gewesen  ist.  Das  Fett  des  Uturunco  ist  gelb.  Von 
Peru  bis  nach  Argentinien  kennt  man  die  wunderbaren  hei- 
lenden Eigenschaften  des  Fettes  dieses  Tieres.  Hat  man  an 
einem  gewissen  Platze  die  Erde  berührt,  so  können  Hand-, 
Fuß-  oder  Kniegelenke  anschwellen.  Man  tut  am  besten, 
wenn  man  auf  die  geschwollene  Stelle  Erde  von  dem  Platze, 
wo  man  krank  geworden  ist,  legt.  Auch  Bärenzunge  ist  gut. 
Bei  einem  Erdbeben,  wie  sie  auf  dem  Calilegua  oft  vorkommen, 
geht  man  am  besten  nach  dem  Begräbnisplatz,  um  zu  beten. 
Hagelt  es,,  so  verbrenne  man  kreuzförmig  gelegte  Palmblätter, 
dann  bleibt  die  Ernte  unbeschädigt. 

Da  einer  meiner  Begleiter,  ein  argentinischer  Gaucho,  auf 
dem  Calilegua  erkrankte,  bekam  unser  Freund  Gelegenheit, 
seine  Kunst  zu  versuchen.  Er  gab  ihm  ein  aus  Mais  bereitetes 
Bier,  in  welches  er  glühende  Kohlen  legte.  Der  Gaucho  ge- 
sundete und  mußte  dem  großen  Arzt  ein  erkleckliches  Honorar 
zahlen. 

Zwischen  dem,  was  man  hier  auf  dem  Calilegua  zu  sehen 
bekommt,  und  dem,  was  man  bei  den  Quichuas  weit  hinten  in 
Peru,  zwölf  Breitengrade  von  dort,  findet,  herrscht  eine  große 
Ähnlichkeit.  Ungeheuer  gleichförmig  verbreitet  sich  die 
Ouichuakultur  längs  der  Anden.  Sie  haben  dieselbe  Kleider- 
tracht, dieselben  eigentümlichen  Nadeln  zur  Befestigung  der 
Frauenschale,  beinahe  dieselbe  Keramik,  dasselbe  Kokakauen, 
dieselben  Arzneien,  dieselben  Opfer  in  den  Gebirgspässen, 
dieselben  Schleudern  u.  a.  Diese  große  Gleichförmigkeit  fällt 
um  so  mehr  auf,  wenn  man  an  den  Gegensatz  zwischen  den 
Bewohnern   des   Gebirges   und   des   Urwaldes   denkt.     Nach 


Tafel  2.     Der  Calileguaberi 


Reise  nach  dem  Arbeitsfeld.  13 

einem  Ritte  von  einigen  Tagen  von  Cuzco,  der  Hauptstadt 
des  alten  Inkareiches,  nach  den  Urwäldern  ist  man  im  Ge- 
biete der  wilden  Indianer,  die  mit  den  Bewohnern  des  Ge- 
birges beinahe  nichts  Gemeinsames  haben.  Hier  im  nördlich- 
sten Argentinien  sowie  im  südlichen  Bolivia,  ist  der  Gegen- 
satz nicht  ganz  so  scharf,  aber  dennoch  groß  genug.  Die 
Stämme,  von  denen  ich  hier  sprechen  will,  die  auf  den  letzten 
Ausläufern  der  Anden  nach  der  Ebene  zu  oder  in  derselben 
wohnen,  haben  mit  den  Quichua  und  deren  Nachkommen 
wenig  Gemeinsames.  Reiten  wir  vom  Calilegua  in  Argentinien 
über  das  Gebirge  direkt  nach  Cuzco,  so  treffen  wir  nur  zwei 
Indianersprachen  an,  das  Quichua  und  das  Aymara.  Folgen 
wir  den  Urwaldwegen  und  den  Flüssen,  so  lernen  wir  wenig- 
stens einige  zwanzig  Sprachen  kennen,  bis  wir  über  Santa 
Cruz  de  la  Sierra,  über  den  Rio  Mamore  und  den  Rio  Madre 
de  Dios  nach  der  alten  Hauptstadt  der  Inka  kommen. 

Vom  Calilegua  nach  den  Fabriken  zurückgekehrt,  beendigte 
ich  meine  Ausrüstungsarbeiten,  und  am  5.  Mai  saßen  wir  im 
Sattel,  um  nordwärts,  nach  dem  Rio  Pilcomayo,  zu  ziehen. 
Einige  Tage  darauf  gingen  wir  über  den  Rio  Bermejo  und 
setzten  unseren  Weg  längs  der  letzten  Ausläufer  der  Anden 
fort.  Das  jetzt  von  uns  durchzogene  Gebiet  war  teils  von 
Weißen,  teils  von  den  in  vollständigem  Abhängigkeitsverhält- 
nis von  jenen  stehenden  Mataco-Vejos  bewohnt.  Alles,  was 
ich  von  ihnen  sammeln  konnte,  kaufte  ich  an;  des  Abends 
saß  ich  bei  den  Alten,  die  mir  dies  und  jenes  erzählten.  Diese 
Mataco  haben  eine  Sage  von  einem  großen,  die  ganze  Welt 
verheerenden  Feuer.  Ein  Vogel  „Miya"  hatte  ihnen  von  einer 
wilden  Katze  „Note"  die  Maissamen  geraubt,  ein  kleiner 
schwarzer  und  roter  Vogel  „Sipüp"  hat  die  Kürbissamen  ge- 
raubt. Das  Meerschweinchen  ,,No-tek"  hat  das  Feuer  von 
einem  bösen  Geist,  „Tacuash",  der  es  verborgen  hatte  und 
den  Matacos  nichts  davon  abgeben  wollte,  geraubt. 

Die  Mataco-Vejos  sind  von  der  mächtigen  Chiriguano- 
kultur,  über  die  ich  weiterhin  ausführlicher  sprechen  werde, 
stark  beeinflußt.    Sie  sind  außer  den  Chiriguanos  und  Chanes 


14  Erstes  Kapitel. 

die  einzigen  Indianer  im  Chaco,  die  ihre  Toten  zuweilen  in 
Tongefäßen  begraben. 

Dem  Toten  bauen  sie  in  der  Tiefe  des  Waldes  ein  beson- 
deres Haus  mit  Feuerstätte  und  Bett.  Er  wird  auf  das  Bett 
gelegt  oder  manchmal  in  ein  Tongefäß  hineingestopft.  Ich 
selbst  habe  niemals  ein  derartiges  Grabhaus  gesehen,  die  In- 
dianer haben  es  mir  aber  so  beschrieben.  Als  ich  danach 
fragte,  erklärten  sie  mir,  augenblicklich  gäbe  es  keins,  das 
nicht  vollständig  zerstört  sei.  Sie  wollten  mir  ihre  Gräber 
vielleicht  nicht  zeigen.  Auf  meiner  Reise  1902  zog  ich  auch 
durch  das  Gebiet  der  Yejos  und  grub  damals  ein  Vejograb  aus. 
Vielleicht  war  dieses  nicht  typisch.  Unter  einer  Wildschwein- 
haut  lag  der  Tote  in  die  Erde  eingegraben  mit  seiner  Wasser- 
kalebasse. Von  Hütte  und  Bett  war  keine  Spur  vorhanden. 
Die  Kalebasse  war  leer.  Das  Wasser  habe  der  Tote  ausge- 
trunken, sagten  die  Indianer. 

Nicht  selten  arbeiteten  die  Mataco-Yejos  als  Diener  der 
am  Rio  Ifiyuro  wohnenden  Chanes.  Daß  ein  Chane  dagegen 
bei  einem  Mataco  dienen  sollte,  wäre  undenkbar.  Einen  sol- 
chen Klassenunterschied  zwischen  den  Stämmen  werden  wir 
hier  wiederholt  zu  erwähnen  Gelegenheit  haben. 

Am  18.  Mai  waren  wir  in  Yacuiba,  einem  großen  Dorfe 
an  der  Grenze  zwischen  Bolivia  und  Argentinien.  Jetzt  ist 
es  ein  ganz  anständiger  Platz,  während  es  früher  ein  gefähr- 
licher Zufluchtsort  für  Verbrecher  war,  die  aus  Furcht  vor 
der  argentinischen  Polizei  hierher  geflohen  waren. 

Yacuiba  war  während  eines  großen  Teües  der  Reise  ein 
wichtiger  Stützpunkt  für  mich.  Ein  liebenswürdiger  Fran- 
zose, C.  Holzer,  hat  mir  dort  große  Dienste  geleistet,  indem 
er  mir  bei  vielen  schweren  Transporten  von  Ausrüstungen 
und  Sammlungen  behilflich  war. 

Mein  erster  Ausflug  von  Yacuiba  galt  den  Chaneindianern  am 
Rio  Itiyuro.  Diesen  werde  ich  in  einem  anderen  Zusammen- 
hange schildern.  Mein  zweiter  war  nach  dem  Rio  Pilcomayo  und 
den  an  diesem  eigentümlichen  Flusse  wohnenden  Indianern. 

Hier  begann  der  ernste  Teil  meiner  Reise. 


Zweites   Kapitel. 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 

Als  ich  frühzeitig  im  Jahre  1902  vom  Rio  Pilcomayo  heim- 
kehrte, glaubte  ich  kaum,  daß  ich  jemals  wieder  dorthin 
kommen  würde.  Die  widrigen  täglichen  Staubstürme  mach- 
ten den  Aufenthalt  unerträglich.  Anfang  Juni  1908  ritt  ich 
gleichwohl  wieder  durch  den  großen  Wald  zwischen  Yacuiba 
und  Crevaux  nach  dem  Rio  Pilcomayo.  Man  vergißt  so  leicht 
die  Schwierigkeiten  einer  Reise.  Nach  einiger  Zeit  gedenkt 
man  ausschließlich  der  angenehmen  Stunden.  Nach  einer 
Höflichkeitsvisite  bei  den  Matacoindianern  ging  ich  bei 
Crevaux  über  den  Rio  Pilcomayo  und  reiste  durch  ein  von 
den  Toba  bewohntes  Gebiet  zu  den  Chorotiindianern,  die 
etwa  50  km  unterhalb  Crevaux  viele  Dörfer  besitzen.  Hier 
verweilte  ich  vor  allem  in  dem  Dörfchen  des  Chorotihäupt- 
lings  „Waldhuhn".  Dort  amüsierte  ich  mich  prächtig;  bei- 
nahe nackt,  nur  in  Federschmuck  und  Brille  gekleidet, 
tanzte  ich  des  Nachts  mit  den  Indianern  und  Indianerinnen 
an  den  weißschimmernden  Sandufern  des  Rio  Pilcomayo. 
Fühlten  wir  uns  vom  Tanze  erhitzt,  so  tummelten  wir  uns 
in  dem  brausenden  \Vasser  des  Flusses.  Wir  jagten,  sangen, 
spielten,  fischten,  wir  rauchten  abwechselnd  aus  derselben 
Pfeife  und  langweilten  uns  niemals.  Einige  Besuche  machte 
ich  60 — 70  km  weiter  unterhalb  des  Flusses  bei  den  Aslüuslay- 
indianern,  die,  durch  meine  Vorräte  von  Messern,  Nadeln, 
Tabak  und  prächtigen  Tüchern  angelockt,  mich  einluden,  sie 
im  Herzen  ihres  Landes  zu  besuchen. 

Erst  ein  Jahr  später,  im  Oktober  1909,  als  meine  Wege 
mich  wieder  von  Yacuiba  nach  dem  Rio  Pilcomayo  führten, 


l6  Zweites  Kapitel. 

konnte  ich  ihre  Einladung  annehmen.  Es  erscheint  mir  als 
das  Geeignetste,  diese  beiden  Reisen  nach  dem  Rio  Pilcomayo 
im  Zusammenhang  zu  schildern. 

Mit  fünf  Mann  verließ  ich  am  27.  Oktober  1909  den  bolivia- 
nischen Militärposten  bei  Guachalla,  100  Kilometer  von  Cre- 
vaux,  und  folgte  dem  nordöstlichen  Ufer  des  Rio  Pilcomayo. 
Ein  Mestize,  Flores,  begleitete  mich  als  Dolmetscher.  Er  sprach 
ausgezeichnet  Choroti  und  verstand  auch  etwas  Ashlusluy. 
Jahrelang  hatte  er  unter  den  Indianern  gelebt  und  hatte  dort 
auch  eine  größere  Anzahl  Frauen.  Von  den  Weißen  am  Rio 
Pilcomayo  ist  wohl  keiner  so  imstande  gewesen,  das  indianer- 
leben kennen  zu  lernen,  wie  dieser  Mann.  Er  kennt  ihre  Sitten 
und  Gebräuche,  er  weiß,  wie  man  sich  bei  einem  Indianerfest 
zu  benehmen  hat,  er  kann  ihre  Lieder  singen,  er  tanzt  wie  ein 
Indianer.  Viele  Chorotifrauen  haben  sich  dem  Weißen  hin- 
gegeben. Flores  ist  der  einzige  Weiße,  der  mit  einer  solchen 
Frau  ein  Kind  hat,  und  die  Chorotiindianer  betrachten  ihn 
auch  vollständig  als  zur  Familie  gehörig.  Er  ist  ihr  Freund 
und  Ratgeber  und  hat  manches  Mal  die  Unterhandlungen 
zwischen  Indianern  und  Kolonisten  geleitet.  Einen  vortreff- 
licheren Dolmetscher  konnte  ich  kaum  erhalten. 

Unser  erstes  Nachtlager  nach  Guachalla  hatten  wir  in 
einem  Ashluslaydorf.  Als  ich  in  das  Dorf  ritt,  waren  alle 
Indianer  betrunken.  Unter  Jubelrufen  führten  sie  meinen 
Maulesel  zum  Festplatz.  „Elle  is."  ,,Der  kleine  Papagei  ist 
gut",  riefen  die  Indianer.  „Ashluslay  is!  is!  is!  Toba  häes! 
häes!"  „Ashluslay  sind  gut,  Toba  schlecht!"  johlte  „der 
kleine  Papagei",  indem  er  Tabakblätter  um  sich  streute. 
Man  hob  mich  vom  Maulesel,  umarmte  mich  und  berauschte 
mich  mit  Algarrobobier.  Es  war  wild,  aber  interessant.  In 
dieser  Nacht  schlief  ich  vor  meinem  Bett,  während  drei 
Indianer,  in  meine  Decken  eingehüllt,  schnarchten.  Wir 
kamen  gut  überein,   aber  der  Kommunismus  ist  anstrengend. 

Trotz  Freude,  Freundschaft,  Rausch  und  Geschenken 
konnte  der  Dolmetscher  die  Indianer  nicht  dazu  bringen,  uns 
auf  ihren    Wegen,    die   direkt   nach   dem   nördlichen   Chaco 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  1J 

gehen,  in  das  Herz  ihres  Landes  zu  führen.  Alle  Ver- 
sprechungen waren  vergessen.  Dort  gibt  es  keine  Menschen, 
dort  gibt  es  kein  Wasser  auf  drei  Tagemärschen,  sagte  einer, 
auf  zwei,  sagte  ein  anderer,  gar  keins,  sagte  ein  dritter.  Daß 
Wassermangel  herrschte,  war  möglicherweise  wahr,  denn  wir 
befanden  uns  am  Ende  der  Trockenzeit.  Ich  beschloß  deshalb, 
zu  warten,  und  erst  nach  den  ersten  Regentagen,  die  bald 
kommen  mußten,  einen  Versuch  zu  machen,  in  das  unbe- 
kannte Land  nördlich  vom  Pilcomayo  einzudringen. 

Wir  gingen  deshalb  längs  des  Rio  Pilcomayo  weiter  und 
folgten  immer  dem  nördlichen,  d.  h.  dem  bolivianischen  Ufer, 
wo  ich  mich  leicht  orientieren  konnte.  Zuerst  kamen  wir 
durch  das  Land  der  Mataco-Guisnays.  Man  hatte  mir  er- 
zählt, daß  einer  dieser  auf  der  argentinischen  Seite  des  Flusses 
wohnenden  Indianer  den  Skalp  eines  Ashluslayindianers 
besitze.  Der  Dolmetscher  und  Moberg  wurden,  mit  allerlei 
Tauschwaren  beladen,  vorausgesandt.  Ich  ging  nicht  selbst 
mit,  weil  ich  wußte,  daß  ich,  wo  es  sich  um  einen  so  inter- 
essanten ethnographischen  Gegenstand  handelte,  nicht 
gleichgültig  und  uninteressiert  genug  auftreten  könne.  Als 
sie  in  das  Dorf  kamen,  war  dort  ein  großes  Fest,  und  die 
Matacos  waren  betrunken  und  johlten.  Mitten  im  Dorfe 
hing  auf  einer  spiralförmig  abgerindeten  Stange  der  mit 
roten  Taschentüchern  und  anderen  Schmuckgegenständen 
behängte  Skalp.  Moberg  und  der  Dolmetscher  taten,  als  sähen 
sie  nichts.  Dem  ersteren  wurde  Algarrobobier  angeboten, 
dem  letzteren  zuerst  nichts,  weil  er  für  einen  Chorotifreund, 
also  Matacofeind,  gehalten  wurde.  Nachdem  sie  eine  Weile 
gesessen  und  geplaudert  hatten,  tat  der  Dolmetscher,  als 
wenn  er  erst  jetzt  zufällig  den  Skalp  gesehen  hätte  und 
fragte:  „Was  ist  das  dort  für  ein  Waschlappen?"  Der  Be- 
sitzer begann  nun  seine  Taten  zu  rühmen,  und  der  Skalp 
wurde  heruntergenommen  und  besichtigt.  Sie  erzählten 
ihm,  daß  seine  Heldentaten  nun  weit  und  breit  unter  den 
weißen  Männern  bekannt  werden  würden,  was  ihm  natürlich 
schmeichelte.    Nach  vielem  Hin  und  Her  tauschten  sie  den- 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  2 


l8  Zweites  Kapitel. 

selben  ein.  Erst  sollten  jedoch  die  alten  Frauen  singen  und 
mit  ihnen  tanzen. 

Wie  Friederici1)  nachgewiesen  hat,  ist  das  Gebiet  in  Süd- 
amerika, aus  dem  Skalpe  bekannt  sind,  kein  sehr  bedeutendes. 
Außer  dem  Chaco  ist  es  nur  ein  kleines  Gebiet  in  Guyana. 
Kopfjäger  sind  dagegen  ein  großer  Teil  der  Indianer  Süd- 
amerikas. Dies  war  der  erste  Skalp  aus  Südamerika,  der  in 
eine  Sammlung  gekommen  ist. 

Nachdem  wir  mehrere  große  Matacodörfer,  ein  Ashluslav- 
dorf  und  einen  bolivianischen  Militärposten  passiert  hatten, 
kamen  wir  nach  einem  großen,  unbebauten,  infolge  Streit- 
züge der  Toba -  Pilagaindianer  unsicheren  Gebiet.  Diese 
Tobas  zeichnen  sich  unter  anderem  dadurch  aus,  daß  sie  gleich 
den  Chorotis  und  Ashlulays  große  Holzklötze  in  den  durch- 
bohrten Ohrläppchen  tragen.  Was  man  auf  einem  Marsche 
durch  ein  von  feindlich  gesinnten  Indianern  bewohntes  Ge- 
biet am  meisten  zu  fürchten  hat,  ist,  daß  einem  während 
der  Nacht  die  Reittiere  gestohlen  werden.  Ungefähr  250  km 
unterhalb  Guachalla  kamen  wir  nach  dem  äußersten,  erst 
einige  Monate  vor  Antritt  meines  Ausflugs  angelegten  Militär- 
posten der  bolivianischen  Regierung. 

Dicht  bei  und  einige  Meilen  von  dem  Militärposten  lagen 
große,  von  Ashlulayindianern  bewohnte  Dörfer.  Wir  be- 
suchten den  Häuptling  Tone  in  seinem  Dorfe.  Dieses  hat. 
wenn  alle  Indianer  versammelt  sind,  etwa  1000  Einwohner. 
Mitten  auf  dem  großen,  offenen  Platze  des  Dorfes  schlugen 
wir  unser  Lager  auf  und  machten  es  uns  richtig  gemütlich. 
Wir  waren  zu  einer  Zeit  gekommen,  wo  die  Algarrobofrucht 
reif  war,  und  Algarrobobier  wurde  auf  dem  Festplatz  in  großen 
Quantitäten  getrunken.  Interessant  war  es,  das  indianische 
Leben  zu  sehen,  das  zu  studieren  ich  hier  reichlich  Gelegen- 
heit hatte  und  späterhin  schildern  werde.  Mehrmals  bin  ich 
bei   von    den    Weißen    unabhängig   lebenden    Indianern    ge- 


1)   G.   Friederici:     Skalpieren    und     ähnliehe    Kriegsgebräuche    in 
Südamerika.      Braunschweig   1906. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


*9 


wesen,    aber   niemals   bei   einem   so   großen   und   mächtigen 
Stamme. 

Die  Ashluslayindianer  lagen  im  Krieg  mit  den  Tobas,  und 
der  Krieg  verlief  sehr  ungünstig  für  sie.  Auf  alle  Weise 
suchten  sie  mich  zu  verlocken,  für  sie  Partei  zu  ergreifen  und 
mit  meinen  Feuerwaffen  eine  gute  Hilfstruppe  zu  bilden. 
Sie  spiegelten  mir  in  beredten  Worten  vor,  wie  wir  die  Männer 
skalpieren,  Frauen  und  Kinder  zu  Gefangenen  machen  und 


Abb.  3.     Ashluslayfischer.     Rio  Pilcomayo. 


eine  Menge  Pferde  stehlen  wollten.  Das  letzte  war  ihrer  An- 
sicht nach  die  beste  Lockspeise  für  den  weißen  Mann.  Ich 
versprach  ihnen,  falls  sie  während  unseres  Aufenthaltes  über- 
fallen würden,  bei  der  Verteidigung  ihrer  Dörfer  behilflich 
zu  sein,  auf  einen  Angriff  wollte  ich  mich  aber  nicht  ein- 
lassen. Immer  eifriger  pochten  sie  auf  eine  Allianz,  wozu  sie 
von  dem  Dolmetscher  hinter  meinem  Rücken  ermuntert 
wurden.  Zuletzt  blieb  mir  nichts  anderes  übrig,  als  entweder 
den  Indianern  auf  ihrem  Anfallskriege  zu  folgen  oder  mich 
davonzumachen.  Einen  Augenblick  war  ich  zweifelhaft.  Ich 
wußte,  daß  ich,   falls  ich  die  Ashluslays  zum  Siege  führte, 


20  Zweites  Kapitel. 

Herr  dieses  Landes  sei,  fürchtete  aber  doch  die  Konsequenzen. 
Es  handelte  sich  hier  darum,  sich  an  die  Spitze  eines  Einfalls 
in  argentinisches  Gebiet  zu  stellen,  und  es  wäre  schön  ge- 
wesen, wenn  das  bekannt  geworden  wäre.  Aus  weiter  Ferne 
kamen  mehrere  Häuptlinge,  unter  anderem  der  alte  Mayen- 
ten,  ein  stattlicher  Mann,  von  einigen  seiner  besten  Krieger 
umgeben,  um  mich  zu  überreden. 

Ich  begab  mich  zu  dem  bolivianischen  Müitärposten  und 
suchte  den  Kommandanten  zu  einem  Eingreifen  zu  be- 
wegen. Vergebens  versuchte  ich  ihm  zu  erklären,  daß  er, 
wenn  er  nicht  den  Ashluslays  gegen  die  Tobas  helfe,  eines 
schönen  Tages,  oder  richtiger  Nachts,  mit  allen  seinen  Sol- 
daten niedergemetzelt  werden  würde,  daß  er  aber,  wenn  er 
ihnen  beistehe,  sich  und  seinem  Lande  den  inneren,  noch  un- 
erforschten Teil  des  nördlichen  Chaco  eröffne.  Er  dürfe  nicht 
vergessen,  daß  es  bis  zum  nächsten  Orte,  wo  Weiße  seien, 
150  km  sei,  und  daß  die  Anzahl  derer,  die  ihm  helfen  könn- 
ten, nur  gering  sei.  Er  trug  jedoch  Bedenken,  einen  in  einem 
fremden  Lande  wohnenden  Stamm  anzugreifen,  obschon  die- 
ser Stamm  unaufhörlich  Raubzüge  auf  bolivianischem  Gebiet 
vornahm.    Ich  beschloß  deshalb  zurückzukehren. 

Nach  langen  Unterhandlungen  und  sicherlich  vielen  Lügen 
gelang  es  meinem  Dolmetscher,  die  Indianer  zu  bewegen, 
uns  einen  Wegweiser  zu  geben,  der  uns  auf  unbekannten 
Pfaden  durch  das  Innere  des  nördlichen  Chaco  führen  sollte. 

Die  Gegend  um  das  Dorf  Tones  besteht  aus  offenen 
Ebenen,  Sümpfen  und  parkähnlichen  Wäldern  aus  Algarrobo. 
Dieselbe  wird  stark  von  Jaguaren  heimgesucht,  die  sogar  die 
Reittiere  verfolgen.  Mehrere  Pferde  und  Maulesel  der  Sol- 
daten waren  zerrissen,  trotzdem  der  Militärposten,  wie  er- 
wähnt, nur  einige  Monate  alt  war. 

Wenige  Meilen  oberhalb  des  Dorfes  Tones  bildet  der  Pilco- 
mayo  einen  Wasserfall.  Das  ist  der  merkwürdigste  Fall,  den 
ich  je  in  meinem  Leben  gesehen  habe.  Nicht  ein  Felsblock, 
nicht  der  geringste  Stein  hindert  das  Wasser,  sondern  es 
braust  zwischen  harten  Tonbänken  dahin.    Nicht  weit  unter- 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  21 

halb  dieses  Falles  löst  sich  der  Rio  Pilcomayo  in  gewaltige 
Sümpfe,  die  sog.  „Esteros  del  Padre  Patino"  auf,  wo  un- 
erhörte Schilfmassen  das  Weiterkommen  jedes  Fahrzeugs 
verhindern.  Infolge  dieser  Sümpfe  ist  der  Fluß,  der  sonst 
für  den  Verkehr  so  wichtig  sein  könnte,  unfahrbar.  Im  Rio 
Pilcomayo  gibt  es  unerhörte  Massen  Fische,  und  Tausende 
Indianer  entnehmen  dem  Flusse  einen  großen  Teil  des  Jahres 
ihre  wichtigste  Nahrung.  In  den  Sümpfen  finden  sich  eigen- 
tümliche Lungenfische  ,,Lepidosiren". 

Der  Rio  Pilcomayo  ist  ein  merkwürdiger  Fluß.  Wenn  er 
die  Berge  verläßt,  führt  er  Steine  und  Kies  mit  sich,  nach 
dem  Inneren  des  Chaco  bringt  er  aber  nur  Schlamm.  Wäh- 
rend der  Trockenzeit  trägt  der  WTind  diesen  Schlamm  weit 
umher,  und  die  Tage,  wo  die  Staubmassen  über  den  Chaco 
wehen,  sind  höchst  unangenehme.  Der  Rio  Pilcomayo  hat, 
nachdem  er  die  Berge  verlassen  hat,  bis  ins  Herz  des  Chaco 
hinein  keinen  einzigen  Nebenfluß.  Er  hat  oft  seinen  Lauf  ver- 
ändert und  sich  neue  Wege  gebrochen.  Entfernt  man  sich 
etwas  vom  Flusse,  so  trifft  man  mit  Wasser  angefüllte  Reste 
alter  Flußbetten,  Muschelbänke  und  große,  verräterische 
Erdhöhlen  an.  Am  oberen  Pilcomayo  verlieren  die  Kolonisten 
in  diesen  Höhlen,  die  bis  zu  10  m  tief  und  zuweilen  mit  einer 
dünnen,  zerbrechlichen  Decke  bekleidet  sind,  jährlich  viele 
Tiere.  Diese  Höhlen  dürften  in  der  Weise  gebildet  sein,  daß 
die  gewaltigen  Massen  Hölzer,  die  der  Fluß  mit  sich  geführt 
und  aufgehäuft  hat,  von  den  Schlammassen  bedeckt  werden 
und  dann,  wenn  der  Fluß  sich  einen  neuen  Lauf  gesucht  hat, 
vermodern.  In  den  Trockenzeiten  wüten  in  den  Wäldern 
und  Gebüschen  des  Chaco  gewaltige  Feuersbrünste.  In  der 
Regel  zünden  die  Indianer  das  Gras  und  die  Büsche  an,  um 
die  leckeren  Erdratten,  die  zu  den  Delikatessen  ihrer  Speise- 
karte gehören,  besser  finden  zu  können.  In  einer  Choroti- 
sage  ist  von  diesen  Erdhöhlen  und  Waldbränden  die  Rede. 

Vor  langer  Zeit  wurde  alles  von  einem  großen  Feuer  ver- 
heert, das  alle  Chorotis,  außer  zwei,  einem  Mann  und  einer 
Frau,  die  sich  in  eine  Erdhöhle  retteten,  tötete.    Als  alles 


22  Zweites   Kapitel. 

vorüber  und  das  Feuer  gelöscht  war,  gruben  sie  sich  heraus. 
Sie  hatten  kein  Feuer.  Der  schwarze  Geier  hatte  einen  Feuer- 
brand nach  seinem  Nest  gebracht,  dieses  war  in  Brand  ge- 
raten, das  Feuer  hatte  sich  längs  des  Baumes  verbreitet  und 
kohlte  noch  unter  dem  Stumpfe.  Der  Geier  schenkte  nun  dem 
Choroti  von  diesem  Feuer,  und  seitdem  haben  diese  Feuer. 
Von  diesem  Manne  und  dieser  Frau  stammen  alle  Chorotis 
her.1) 

Die  Wälder  des  Chaco  sind  reich  an  wilden,  eßbaren 
Früchten.  Es  gibt  ganze  Wälder  von  Algarrobo  2)  und  Tusca, 3) 
ganze  Sträucher  von  Chanar.4)  Die  Schlingpflanze,  welche 
die  Tuscafrucht  trägt,  ist  sehr  gemein.  In  wasserarmen 
Gegenden  erhalten  die  Indianer  Wasser  aus  einer  Wurzel,  die 
von  Weißen  und  Chiriguanos  Sipoy  genannt  wird. 

Das  Tierleben  ist  nicht  sehr  reich.  Von  größerem  Wild 
sieht  man  meistens  Rehböcke  und  Strauße.  Der  Jaguar  ist, 
wie  erwähnt,  häufiger.  Den  Spuren  nach  zu  urteilen,  sind 
Tapire  und  Wildschweine  nicht  ungewöhnlich.  Füchse  sieht 
man  ebenfalls  zahlreich.  Die  Gürteltiere  sind  gemein.  Der 
aus  dem  Chaco  bekannte  windhundähnliche  Hund5)  ist 
selten.  Das  Vogelleben  ist  besonders  im  Walde  arm.  Die 
Flußufer  und  Sümpfe  sind  von  einigen  Storch-  und  Enten- 
arten belebt.  Eidechsen,  auch  die  großen  Iguanoeidechsen, 
huschen  an  warmen  Sonnentagen  überall  umher.  Meilenweise 
sind  die  Ebenen  mit  den  für  die  Reiter  so  lästigen  Löchern 
der  Erdratten  übersät. 

Die  wilden  Tiere  im  Chaco  sind  für  den  mit  Feuerwaffen 
Bewaffneten  nicht  sehr  gefährlich.  Der  Jaguar  ist  der  Schrek- 
ken  der  Indianer.    Kurz  bevor  ich  einmal  nach  einem  Mataco- 


x)  Ehrenreich  (30 — 31)  nimmt  ebenfalls  an,  daß  große  Pampas- 
brände zur  Entstehung  solcher  „Sintbrandmythen"  beigetragen 
haben.  „Die  Mythen  und  Legenden  der  südamerikanischen  Urvölker". 
Berlin  1905.  Suppl.  Zeitschr.  für  Ethn.  Eine  dieser  ähnliche  Sage 
ist  von  den  Arowaken  in  Guyana  und  von  Yuracäre  bekannt. 

2)  Prosopis  alba.  —  3)  Acacia  aroma.  —  4)  Gourliea  decortitans. 
—  ~J)  Canis  jubatus. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  23 

lager  kam,  hatte  ein  Jaguar  einen  Indianer  von  einem  Feuer, 
an  dem  er  mit  einigen  zwanzig  Kameraden  lag  und  schlief, 
fortgeschleppt  und  getötet.  Giftige  Schlangen,  auch  Klapper- 
schlangen, kommen  vor,  man  sieht  sie  aber  selten.  In  den 
Seen  darf  man  nicht  baden,  und  auch  in  den  Flüssen  kann 
dies  gefährlich  sein.  Am  Rio  Pilcomayo  gibt  es  kaum  einen 
Indianer,  der  nicht  zahlreiche  Narben  von  Palometafischen1) 
hat.2)  Mit  ihren  messerscharfen  Zähnen  schneiden  sie  aus 
dem  Körper  desjenigen,  der  so  unvorsichtig  ist,  da  zu 
baden,  wo  sie  sind,  große  Fleischstücke  heraus.  Einmal 
wollte  Moberg  über  den  Pilcomayo  schwimmen.  Es  war 
gegen  Ende  der  Trockenzeit,  und  das  Wasser  strömte  in  einer 
schmalen,  tiefen  Rinne  dahin.  Ganz  mit  Blut  bedeckt  stieg 
er  aus  dem  Flusse.  Kleine  Siluroidfische  hatten  ihn  in  Massen 
überfallen  und  ihm  mit  ihren  scharfen,  lanzettförmigen 
Flossen  zahlreiche  tiefe  Wunden  zugefügt.  Um  sich  vor 
dem  Biß  der  Palometafische  zu  schützen,  wenden  die  Ashlus- 
lay,  wenn  sie  in  Sümpfen  waten,  aus  Caraguatäschnüren3) 
dicht  geknüpfte  Strümpfe  an. 

Schön  ist  es  im  Chaco  nicht.  Der  Wald  entzückt  nicht  das 
Auge  durch  üppiges  Grün,  die  Palmenwälder  und  Schilf- 
büsche ermüden  durch  ihre  Einförmigkeit,  die  Seen  sind 
klein  und  gering  an  Zahl.  Der  Rio  Pilcomayo  hat  hier  keine 
Nebenflüsse.  Keine  Anhöhe,  kein  Berg,  von  wo  man  eine 
Aussicht  über  das  Land  hat.  Im  Innern  des  Chaco  gibt  es 
keinen  Stein,  ja  kaum  ein  Kieselkörnchen.  Überall  besteht 
der  Boden  aus  Staub  und  Schlamm. 

Die  Regenzeit  beginnt  im  November  oder  Dezember  und 
endet  im  April  oder  Mai.  Macht  man  eine  Reise  in  diese 
Gegenden  und  will  nur  dem  Pilcomayo  folgen,  so  ist  die 
Trockenzeit   die   beste  Reisezeit.      Zur  Vornahme  von  Aus- 

*)  Eric  v.  Rosen  hat  eine  ausgezeichnete  Photographie  eines 
Chorotis  mit  einer  Narbe  von  einem  solchen  Fisch  veröffentlicht. 
The  Chorotes  Indians  in  the  Bolivian  Chaco.  Stockholm  1904. 
Bild  VI. 

*)   Serrosalmo  sp.  —  3)  Caraguatä   =  Bromelia  Serra. 


24  Zweites  Kapitel. 

flügen  in  den  wasserarmen  nördlichen  Chaco  soll  man  den 
Anfang  der  Regenzeit  wählen. 

Der  Chaco  ist  gesund.  Während  meines  Aufenthaltes  am 
Rio  Pilcomayo  waren  weder  ich  noch  meine  Begleiter  krank, 
und  die  weißen  Kolonisten  scheinen  sich  alle  einer  guten  Ge- 
sundheit zu  erfreuen.  Möglicherweise  sind  die  schrecklichen 
Staubstürme   für  Schwachbrüstige  auf  die  Dauer  ungesund. 

Wir  nahmen  nun  von  unseren  Freunden  im  Dorfe  Tones 
Abschied  und  versprachen  ihnen,  wiederzukommen.  Wer 
weiß,  wann  dies  geschehen  wird?  Vielleicht  tanze  ich  noch 
einmal  mit  im  Reigen  auf  dem  großen  Platz,  vielleicht  er- 
heitert mich  noch  einmal  das  Algarrobobier,  vielleicht  johle 
ich  noch  einmal  auf  den  Festen  dieser  meiner  Ashluslay- 
freunde.  Am  besten  wäre  es  vielleicht,  wenn  ich  nicht  zu- 
rückkehre. Warte  ich  noch  einige  Zeit,  so  hat  sich  wahr- 
scheinlich auch  hier  viel  verändert  und  verschlechtert  und 
der  Besuch  bereitet  nur  eine  große  Enttäuschung. 

Wir  verließen  mit  unserm  Wegweiser  den  Pilcomayo  und 
begaben  uns  nach  dem  nördlichen  Chaco.  Ich  hatte  er- 
wartet, wenig  bebaute  Gegenden  zu  finden,  sah  aber  bald 
meinen  Irrtum  ein.  Gebahnte  Wege  führten  nach  allen  Rich- 
tungen. Der  Wegweiser  übergab  uns  schon  nach  zwei  Tagen, 
wir  hatten  aber  das  Glück,  andere  Reisegesellschaft  zu  finden. 
Zwei  Ashluslayindianer,  denen  die  Tobas  ihre  Frauen  geraubt 
und  die  Kinder  gefangen  fortgeführt  hatten,  waren  auf  dem 
Wege  zu  den  Mataco-Guisnay,  um  mit  ihnen  als  Zwischen- 
händlern betreffs  der  Auslösung  ihrer  Kinder  aus  der  Ge- 
fangenschaft zu  verhandeln.     Wir  reisten  gemeinsam. 

Als  wir  nach  den  Dörfern  kamen,  wurden  wir  mit  Tränen 
und  Wehgeschrei  empfangen.  Auf  diese  Weise  zeigten  die 
Weiber  unsern  neuen  Freunden  ihre  Teünahme  an  deren 
Kummer.1)       Überall    wurden    wir   gut    aufgenommen    und 


x)  Dieser  Brauch  scheint  mir  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  den 
von  älteren  Verfassern  beschriebenen  Begrüßungszeremonien  zu  haben. 
Vgl.  Friederici:  Der  Tränengruß  der  Indianer.    Globus  Bd.  LXXXIX. 

Nr.  2. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  25 

durften  in  den  stürmischen,  regnerischen  Nächten  den  spär- 
lichen Raum  in  den  Hütten  teilen  und  uns  an  den  Lager- 
feuern erwärmen.  Zuweilen  wurden  wir  auch  zu  den  ein- 
fachen und  unappetitlichen  Mahlzeiten  eingeladen.  Alles 
ging  gut  und  wir  waren  auf  diesen  unbekannten,  niedrigen 
Indianerpfaden ,  wo  man  sich  in  der  Regel  dicht  an  den 
Hals  des  Reittieres  drücken  muß,  um  nicht  von  den  Zweigen 
gestreift  zu  werden,  einen  Grad  nach  dem  Chaco  zu  ge- 
ritten. Man  hatte  mir  gesagt,  die  Gegenden  seien  aus  Mangel 
an  Wasser  unbebaut.  Dies  war  keineswegs  richtig,  obschon 
es  zuweilen  weit  zwischen  den  Tränken  war.  In  der  Regel 
ist  das  gefundene  Wasser  braun  und  stinkend. 

Alles  ging,  wie  gesagt,  gut,  bis  wir  zu  einem  Häuptling 
namens  Chilän  kamen.  Als  wir  durch  den  dichten  Wald, 
der  nach  einem  Dorfe  führte,  ritten,  raschelte  es  überall  in 
den  Büschen.  Chilän  hatte  seine  Krieger  auspostiert,  um  uns, 
falls  wir  schlechte  Absichten  hätten,  einen  warmen  Emp- 
fang zu  bereiten.  Ruhig  ritten  wir  durch  den  gefährlichen 
Wald  gerade  in  das  Dorf  Chiläns.  Mit  bösen  Blicken  und 
unter  einigen  weniger  freundlichen  W'orten  an  unsere  Reise- 
kameraden empfing  uns  der  Alte.  Als  Freundschaftsgabe 
überreichte  ich  ihm  ein  Messer,  worauf  er  halb  zögernd 
den  Streitkolben,  den  er  in  der  Hand  hatte,  weglegte. 

Chilän  muß  unseren  Wegweisern  bestimmte  Weisungen 
gegeben  haben,  denn  nach  dem  Besuch  bei  ihm  begannen 
diese  uns  in  der  Richtung  nach  dem  Rio  Pilcomayo  zu  führen 
und  nicht,  wie  wir  gewünscht  und  sie  uns  infolge  unseres 
Versprechens  von  Geschenken  gelobt  hatten,  nach  Norden. 
Da  wir  die  Tränken  nicht  kannten,  fanden  wir  uns  nicht 
ohne  ihre  Hilfe  zurecht.  Wir  waren  schon  nahe  an  dem 
Flusse,  als  wir  eines  Abends  in  ein  Ashluslaylager  kamen. 
Müde,  wie  ich  war,  legte  ich  mich  gleich  schlafen.  Moberg 
fand  es  eigentümlich,  daß  beinahe  nur  Männer  im  Lager 
waren,  ließ  aber  seinen  Verdacht  nicht  verlauten  und  kroch 
ruhig  unter  das  Moskitonetz.  Ungefähr  gegen  zwei  Uhr 
erwachte  der  Dolmetscher  durch  ein  Signal,  das  jemand  im 


20  Zweites  Kapitel. 

Walde  gab.  Einer  der  Männer  im  Lager  erhob  sich  leise, 
ging  fort  und  kam  nach  einiger  Zeit  mit  einer  Schar  bewaff- 
neter Leute  wieder.  Der  Dolmetscher  lauschte  und  hörte, 
wie  die  Neuangekommenen  fragten,  warum  die  Ashluslav 
uns  nicht  töteten.  In  diesem  Falle  bekämen  sie  die  Kara- 
biner und  könnten  die  Tobas  mit  Erfolg  bekämpfen.  Wären 
wir  getötet,  würden  die  Weißen  niemals  erfahren,  was  im 
Innern  ihres  Landes  sei.  Sie  sagten  auch,  sie  wünschten  den 
Skalp  des  blonden  Mannes,  d.  h.  Mobergs,  für  ihre  Feste. 
Meine  Wegweiser  wollten  sich  indessen  an  dem  Überfall 
nicht  beteiligen.  Diese  Weißen  sind  unsere  Freunde,  sagten  sie. 

Der  Dolmetscher,  der  meine  beiden  anderen  Begleiter, 
zwei  bolivianische  Soldaten,  geweckt  hatte,  redete  nun  die 
Neuangekommenen  an.  Diese  machten  sich  nun  eilig  davon. 
Vergebens  bat  er  sie,  bis  zum  Morgen  zu  bleiben.  An  der 
Sprache  hatte  er  jedoch  gehört ,  daß  es  Matacoindianer 
waren.  Diese  von  der  Zivilisation  halbverdorbenen  Indianer 
wollten  also  einen  Mord  begehen,  an  dem  „die  Wilden"  sich 
nicht  beteiligen  wollten. 

Vielleicht  haben  wir  es  Onäsh,  so  heißt  der  Mann,  der 
gegen  den  Überfall  sprach,  zu  verdanken,  daß  wir  nicht  das 
Schicksal  Crevaux',  Ibaretas  und  Boggianis  teilten. 

Am  folgenden  Tage  waren  wir  wieder  im  Lande  der 
Mataco-Guisnay.  Wir  hatten  keinen  Bissen  zu  essen  und 
der  Regen  goß  in  Strömen.  Wir  waren  also  hungrig  und  froren. 
Zelte  hatten  wir  schon  lange  nicht  mehr  mit,  da  wir  sie  zum 
Schutz  unserer  Sammlungen  hatten  zurücklassen  müssen.  Wir 
ritten  in  ein  Dorf  und  wurden  höchst  unfreundlich  emp- 
fangen. Wir  bekamen  nicht  das  geringste,  und  man  weigerte 
sich  bestimmt,  uns  während  der  Nacht  in  den  Hütten  Schutz 
gegen  den  Regen  zu  gewähren.  Obschon  sich  in  der  Gegend, 
in  der  wir  jetzt  waren,  keine  Weißen  befanden,  suchen  alle 
diese  Matacoindianer  bei  den  Weißen  Arbeit  und  kennen 
den  ,, Segen"  der  Zivilisation. 

Als  wir  dann  des  Nachts  hungrig  und  frierend  an  einem 
Feuer  saßen,  das  infolge  des  Gußregens  nicht  kräftig  brennen 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  27 

konnte,  dachten  und  sagten  wir  böse  Sachen  über  den  Ein- 
fluß der  Weißen  auf  die  Wilden  des  Urwaldes  und  verglichen 
die  Ungastlichkeit  der  Matacos  mit  der  Freundlichkeit,  die 
wir  tief  in  den  Wäldern  bei  den  Indianern  genossen  hatten, 
die  nie  vorher  von  Weißen  besucht  worden  sind. 

Nach  zwei  Tagen  waren  wir  wieder  bei  einem  boliviani- 
schen Militärposten.  Ich  war  der  einzige,  der  beritten  ankam. 
Die  Pferde  der  anderen  waren  ermüdet  oder  unterwegs 
gestürzt. 

Die  Indianer,  besonders  die  Ashluslays  und  Chorotis,  die 
ich  auf  diesen  Streifzügen  im  Chaco  kennen  gelernt  habe,  will 
ich  hier  in  den  folgenden  Kapiteln  zu  schildern  suchen. 
Da  ihre  Kultur  ziemlich  gleichartig  ist,  glaube  ich,  sie  zu- 
sammen behandeln  zu  können. 

Nicht  viele  Verfasser  haben  bisher  die  Sitten  und  Ge- 
bräuche der  Chorotis  und  Ashluslays  geschildert.  Beiträge 
zur  Kenntnis  der  letzteren  sind  von  Herrmann x)  geliefert 
worden,  der  sie,  gleich  den  Tobas,  Sotegaraik  nennt.  Eric 
von  Rosen2)  hat  ausgezeichnete  Photographien  von  den  letz- 
teren veröffentlicht. 

Der  vortreffliche  deutsch  -  argentinische  Anthropologe 
R.  Lehmann-Nitsche 3)  hat  auf  den  Zuckerfabriken  von 
Esperanza  wichtige  Studien  über  die  physische  Anthropologie 
der  Chorotis  und  anderer  Chacostämme  gemacht.  Er  hat  den 
richtigen  Platz  für  derartige  Forschungen  gewählt.  Die 
Fabrik  liegt,  wie  erwähnt,  an  der  Eisenbahn,  man  kann  also 
allerlei  Instrumente  mit  der  größten  Leichtigkeit  dorthin 
schaffen.  An  Ort  und  Stelle  befinden  sich  ausgezeichnete 
Dunkelkammern   zur   Entwicklung   der   Platten   usw.      Die 

1)  Herrmann:  Die  ethnographischen  Ergebnisse  der  deutschen 
Pilcomayo-Expedition.     Zeitschr.  für  Ethn.     1908. 

2)  Eric  von  Rosen:  The  Chorotes  Indians  in  the  Bolivian  Chaco. 
Stockholm    1904. 

3)  R.  Lehmann-Nitsche:  Estudios  Antropolögicos  sobre  los  Chiri- 
guanos,  Chorotes,  Matacos  y  Tobas.  Anales  del  Musco  de  la  Plata. 
Tomo  I.     Buenos  Aires  1908. 


28  Zweites  Kapitel. 

sich  für  die  physische  Anthropologie  der  Chacostämme 
Interessierenden  verweise  ich  auf  die  Arbeit  dieses  Ver- 
fassers. 

Da  die  den  Chacostämmen  angehörenden  Guaycuru-, 
Mataco-  und  Maskoi-Gruppen  in  vielen  Beziehungen  eine  den 
Choroti  und  Ashluslay  ähnliche  Kultur  haben,  so  ist  die 
Literatur,  die  hier  des  Vergleichs  wegen  von  Interesse  ist, 
eine  sehr  große. 

In  dieser  Arbeit  ist  indessen  nicht  der  richtige  Platz  zu 
solchen  vergleichenden  Forschungen.  Hier  will  ich  vor  allem 
ein  Bild  des  Lebens  unter  den  Indianern  geben,  wie  ich  es 
aufgefaßt  habe,  und  überlasse  solche  Forschungen  Sonder- 
aufsätzen in  Fachzeitschriften. 

Der  einzige  ältere  Verfasser,  der  die  Chorotis  erwähnt, 
ist  Pedro  Lozano.  Er  nennt  jedoch  nur  den  Namen.  Sehr 
möglich  ist  es  ja,  daß  sowohl  die  Chorotis  wie  die  Ashluslays 
den  älteren  Verfassern  bekannt  waren,  aber  unter  anderen 
Namen  als  die,  die  wir  kennen. 

Die  Ashluslays  nennen  sich  selbst  so.  Die  Chorotis  nennen 
sie  Ashli,  die  Matacos  Söwua  oder  Söwuash,  die  Tapietes 
sagen  Etehua,  die  Tobas  Sotegaraik.  Die  Weißen  sagen  in 
der  Regel  Tapiete  und  verwechseln  sie  mit  einem  hier  unten 
näher  geschilderten  Stamm.  Die  Chorotis  nennen  sich  selbst 
Yoshuahä,  welcher  Name  natürlich  angewendet  werden 
sollte.  Sie  kennen  jedoch  jetzt  alle  ihren  Chiriguana-Namen 
Choroti,  den  die  Weißen  in  Chorote  verspanischt  haben. 
Die  Matacos  nennen  die  Chorotis  Mänuk  oder  Mä-niuk. 

Sprachlich  gehören  die  Ashluslays  und  Chorotis  mehr  zu- 
sammen mit  den  Matacos.  Ich  bringe  hier  einen  kurzen  Aus- 
zug aus  dem  bei  ihnen  gesammelten  Wörterverzeichnis,  da- 
mit der  Leser  etwas  von  ihrer  Sprache  sieht. 


Choroti 

Ashluslay 

täte 

tosse  (ss  mit  Zisch 

laut) 

(n)kiente 

seute 

Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


29 


Choroti 

Ashluslay 

Bart 

(n)potsi 

pose 

Ohr 

(n)kiote 

(dein)  akfei,  (mein) 
ikfei 

Zunge 

palnat 

chaclitj 

Nase 

natove 

anäs,  inäs 

Sonne 

kile 

fincoclay 

Mond 

huela 

huela 

Stern 

cates 

catls 

Feuer 

hüat  (eti) 

itösh 

Wasser 

inyat 

inät 

Erde 

äshnate 

cotjät 

Gut 

es 

is 

Schlecht 

häes 

Weit 

töshhue 

töjke 

Nahe 

hätöshhue 

chäshle 

Fisch 

siüsh 

sajetj 

Hund 

alena 

nüu 

Hündin 

alenaseshni 

nüuasesna 

Salz 

chuhöne 

sifoni. 

Tabak 

shushü 

finöc 

Mais 

peäta 

lautsitj 

Mutter 

tete,  mäma 

mime 

Tochter 

yöse 

yösi 

Haus 

huete 

huete 

Er,  du 

näca,  tela 

Ich 

ya  (m) 

Nein 

hä 

am 

Gibt's  nicht 

nähipa 

ämpa 

Ja  (Antwort) 

häe,  tey 

letj,  he 

Weib 

aseshnia 

asesna 

Gattin 

tsembla 

chacfä 

Morgen 

käshlomata 

slümasi 

Weg 

näyi 

näiss 

Tabakpfeife 

kiti 

finkoshi 

Rio  Pilcomayo 

teuk,  tehuöc 

tehuoc 

;o  Zweites  Kapitel. 

Für  Gegenstände,  die  diese  Indianer  von  den  Weißen  er- 
halten  oder  die  Weißen  haben    anwenden  sehen,   bilden  sie 
eigene   Worte   und   lernen   gewöhnlich   nicht   die  spanischen 
Namen,  z.  B. : 
Choroti 

Bleistift   ==  besnike. 

Brille    =   ukine. 

Revolver   =   seta. 

Notizbuch    =    esenik. 

Stiefel   =  säti. 

Uhr  (für  die  Sonne)    =   kilekie. 

Die  Aussprache  der  Chorotisprache  schien  mir  nicht  be- 
sonders schwer,  die  Ashluslay  sprechen  aber  verschiedene 
Worte  so,  daß  man,  um  sie  nachzuahmen,  eine  gewisse 
Zungenakrobatik  anwenden  muß.  Besonders  schwer  wieder- 
zugeben sind  einige  Kehl-  und  Zischlaute. 
Zahlwörter.  Ashluslav. 
i    =  hueshla. 

2  =  näpü. 

3  =   pü-shana. 

4  =  it-chat-cüch  (schwieriger  Halslaut). 

5  =  hue-shla-no-etj. 

6  =  hue-shla-yäma. 

7  =  näpu- 

8  =  püshana-  ,, 

9  =  it-chat-cüch-yäma. 
io   =  yäma  kepäa. 

Ich  teile  auch  hier  einige  gewöhnliche  Ausdrücke  aus  der 
Chorotisprache  mit. 

Ich  will  nicht   =  hähua. 

Dieses  ist  mein  Vater   =  näca  sinia. 

Ich  will   =  sikeyi. 

Willst  du?    =  makeyi. 

Er  will   =  näca  keyi.     Auch  näca  simehe. 

Ich  bin  hier   =  yampo. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  31 

Er  ist  hier   =   näcapo. 

Wir  sind  hier   =  pöyata. 

Er  will  nicht    =  näca  hä .  simehe. 

Ich  habe  gesehen   =  iwuin. 

Ich  habe  nicht  gesehen   =  häwuin. 

Hast  du  gesehen   =  mähuenea. 

Warten   ==   hatema. 

Viele  Frauen   =  aseshnialo. 

Weicher  Mais   =  peäta-hä-töc. 

Harter  Mais   =  peäta-töc. 

Mit  Bart   =  potsipu. 

Gehen  wir   =  nä. 

Ich  gehe   =  yäpe. 

Gehst  du   =  malape. 

Wirst  du  gehen   =  maäki. 

Ich  bin  gegangen   =  hihöyi. 

Ich  bin  nicht  gegangen   =--  hähöyi. 

Ich  gehe  nicht   =  häeyic. 

Er  ist  gegangen   =  nacaya. 


Drittes  Kapitel. 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung). 

Gemeinwesen. 

Wir  sind  alle  Brüder,  sagte  einmal  ein  Chorotiindianer 
zu  mir.  Im  großen  gesehen  bilden  auch  die  Chorotis  und 
Ashluslays  zwei  Familien.  Sie  wohnen  in  einer  bedeutenden 
Anzahl  Dörfer  von  wechselnder  Größe  verteilt.  Es  gibt  dort 
Dörfer  mit  ganz  wenig  Familien  und  Dörfer,  wie  das  des 
Ashluslayhäuptlings  Mayenten,  das  etwa  iooo  Bewohner  hatte. 
Die  Dörfer,  oder  richtiger  die  Stellen,  wo  die  Dörfer  angelegt 
sind,  haben  Namen.  So  hieß  ein  Chorotidorf  vuätsina  = 
Erdratte,  ein  anderes  höpla  =  Grasblume,  ein  drittes  tönoclel 
=  alte  Pfütze,  ein  viertes  asnatelemi  =  weiße  Erde  usw. 

Die  Chorotis  und  Ashluslays  sind  nicht  vollständig  seß- 
haft. Sie  ziehen  beständig,  wenn  auch  nicht  weit.  Als  ich 
z.  B.  1909  dieses  Land  besuchte,  fand  ich  sehr  wenige  Dörfer 
an  demselben  Platze  wie  1908.  Sie  ziehen  des  Fischfangs, 
der  Algarrobo,  ihrer  Äcker  wegen  usw.  Während  der  Trocken- 
zeit ziehen  viele  Indianer  nach  dem  Rio  Pilcomayo,  um  dort 
zu  fischen.  In  der  Regenzeit  ziehen  sie  sich  in  das  Innere 
des  Landes  zurück,  wo  sie  in  der  Regel  ihre  Äcker  haben. 
Das  ganze  Menschenmaterial  im  Gemeinwesen  der  Chorotis 
und  Ashluslays  ist  sehr  beweglich.  Zuweilen  teilen  sich  die 
Familien,  zuweilen  vereinigen  sie  sich  zu  großen  Gruppen. 
Die  Individuen,  besonders  die  Jugend,  ziehen  beständig 
von  einem  Dorf  zum  andern.  Die  Choroti-  und  Ashluslay- 
dörfer,  die  ich  gesehen  habe,  lagen  teüs  im  Walde,  teils  auf 
der  Ebene.    Einige  Chorotidörfer  lagen  während  der  Trocken- 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  33 

zeit  unten  am  Pilcomayofluß  an  dem  niedrigen,  jährlich  über- 
schwemmten Ufer.  In  keinem  Chorotidorf  waren  die  Hütten 
nach  einem  bestimmten  Plane  geordnet.  In  mehreren  Ashlus- 
laydörfern  waren  sie  dagegen  um  eine  Art  Marktplatz  grup- 
piert, auf  welchem  die  Männer  unter  Ausschluß  der  Frauen 
einen  gemeinsamen  Sammlungsplatz  hatten,  der  entweder 
ganz  einfach  im  Schatten  eines  großen  Baumes  lag  oder 
durch  ein  zu  diesem  Zweck  gebautes  Sonnendach  ge- 
schützt war. 

Es  ist  höchst  interessant  zu  sehen,  daß  wir  hier  eine 
sehr  primitive  Form  des  von  vielen  Indianerstämmen  be- 
kannten ,, Männerhauses"  finden,  in  welchem  die  Männer 
sich  versammeln,  zu  welchem  die  Frauen  aber  keinen  Zu- 
tritt haben. 

Der  Platz  für  die  Dörfer  war  offenbar  überall  so  gewählt, 
daß  man  Fische,  wilde  Früchte,  oder,  zur  Erntezeit,  seine 
Äcker  in  der  Nähe  hatte.  Im  Innern  des  nördlichen  Chaco 
ist  man  bei  den  Dorfanlagen  an  die  wenigen  Tränken  ge- 
bunden, deshalb  sind  auch  die  dortigen  Indianer  viel  seß- 
hafter, als  die  am  Rio  Pilcomayo.  Dort  sind  auch  die  Hütten 
viel  besser  gebaut,  als  an  diesem  Flusse. 

Zwischen  den  Dörfern  führen  eine  Masse  Wege,  die  sich 
in  der  Nähe  des  Dorfes  netzförmig  auflösen.  Aus  diesem 
Grunde  ist  es  oft  schwer,  den  Pfaden  der  Indianer  zu 
folgen. 

Weder  die  Chorotis  noch  die  Ashluslays  haben  einen  für 
den  ganzen  Stamm  gemeinsamen  Häuptling.  Die  meisten 
Dörfer  haben  ihre  Häuptlinge,  aber  diese  sind  unabhängig 
voneinander.  Bei  den  Ashluslays  habe  ich  Häuptlinge  ge- 
sehen, die  über  mehrere  Dörfer  herrschen.  Die  Häuptlinge 
haben  je  nach  ihren  persönlichen  Eigenschaften  Einfluß. 
Sie  sowie  ihre  Frauen  arbeiten  genau  ebenso  wie  die  anderen 
Indianer.  Sie  haben  keine  Diener;  solche  sind  bei  diesen  In- 
dianern unbekannt.  Der  Häuptling  hat  keinen  Ehrenplatz 
bei  den  Trinkgelagen,  seine  Hütte  nimmt  keinen  besonders 
auserwählten  Platz  im  Dorfe  ein. 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  3 


34  Drittes  Kapitel. 

Er  ist  ein  Familienvater,  den  man  respektiert,  der  aber 
nicht  regiert. 

Im  Krieg  nimmt  er  vielleicht  eine  leitende  Stellung  ein,- 
die  anderen  gehorchen  ihm  aber  nur  soweit,  wie  es  ihnen  paßt. 
Kommt  ein  weißer  Mann  nach  einem  Indianerdorf,  so  wird 
er  von  dem  Häuptling  empfangen,  und  die  Sitte  erfordert 
es,  daß  er  ein  Geschenk  erhält.  Dies  scheint  mir  indessen 
eine  spätere  Erfindung  der  Weißen  selbst  zu  sein.  Der  Weiße 
hat  zur  Unterhandlung  im  Dorfe  eine  bestimmte  Person 
nötig  gehabt  und  hat  sich  darum  der  Häuptlingsinstitution 
bedient  und  sie  weiter  entwickelt. 

Die  Häuptlingswürde  scheint  in  der  Regel  vom  Vater 
auf  den  Sohn  zu  gehen.  Ist  der  Sohn  beim  Tode  seines  Va- 
ters minderjährig,  d.  h.  nach  indianischen  Begriffen  kein 
älterer,  verheirateter  Mann,  wird  sie  interimistisch  von  einem 
älteren  Verwandten  ausgeübt.  Sehr  oft,  besonders  nach 
Kriegen,  wo  die  Männer  ihre  Tüchtigkeit  zeigen  können, 
entstehen  neue  Häuptlinge. 

Unter  den  Ashluslayhäuptlingen,  die  ich  kennen  gelernt 
habe,  sind  bemerkenswert  Tone,  Mayenten,  Mocpuke,  Aslü, 
Mentisa  und  Chilän;  unter  den  Chorotis  Attamo  aus  einer 
Ashluslayfamilie,  Kara-Kara,  Estehua  und  Tula.  Die  meisten 
von  ihnen  waren  Greise,  die  offenbar  in  der  Hauptsache  über 
Kinder,  Enkel,  Geschwister  und  deren  Kinder  regierten. 

Eine  große  Macht  im  Dorfe  besitzt,  wo  ein  solcher 
vorhanden  ist,  der  Dolmetscher.  Er  spricht  Spanisch  und 
unterhandelt  mit  den  Weißen.  Bei  den  Chorotis  befanden 
sich  mehrere  Spanisch  sprechende  Individuen,  bei  den  Ash- 
luslays  keiner. 

Einen  bedeutenden  Einfluß  hat  auch  der  Medizinmann. 
Man  bietet  ihm  viel  Essen  an,  behandelt  ihn  somit  gut. 
Niemals  habe  ich  gehört,  daß  ein  Medizinmann  gleichzeitig 
Häuptling  war. 

In  den  Choroti-  und  Ashlusla3^dörfern  herrscht  kein 
Klassenunterschied,  noch  gibt  es  Reiche  oder  Arme.  Ist  der 
Magen  voll,  so  ist  man  reich,  ist  der  Magen  leer,  so  ist  man 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  35 

arm.  Wir  sind  alle  Brüder,  dies  ist  der  Grundgedanke  im 
Gesellschaftsbau  dieser  Menschen.  Sie  leben  in  einem  beinahe 
vollständigen  Kommunismus.  Schenkt  man  einem  Choroti- 
oder  Ashluslayindianer  zwei  Hemden,  so  verschenkt  er 
sicher  das  eine,  und  vielleicht  alle  beide.  Bekommt  ein 
Indianer  Brot,  so  teilt  er  es  in  kleine  Stücke,  damit  es  für  alle 
reicht.  Ich  vergesse  niemals  einen  kleinen  Ashluslayknaben, 
dem  ich  Zucker  gab.  Er  biß  ein  Stückchen  ab  und  aß  es  an- 
scheinend mit  Wohlgefallen  auf,  dann  sog  er  ein  bißchen  an 
dem  Rest  und  nahm  ihn  aus  dem  Munde,  damit  die  Mutter  und 
die  Geschwister  auch  kosten  sollten.  Bekommt  ein  Choroti- 
oder  Ashluslayindianer  einen  Rock,  so  trägt  er  ihn  vielleicht 
einen  Tag,  am  folgenden  Tage  hat  ihn  ein  anderer  usw. 
Niemals  raucht  einer  dieser  Indianer  seine  Pfeife  allein. 
Sie  soll  von  Mund  zu  Mund  gehen.  Oftmals  hat  mir  ein 
Indianer  die  Pfeife  aus  dem  Mund  genommen,  einige  Züge 
getan  und  sie  mir  dann  wieder  zurückgegeben,  denn  so  will 
es  die  Sitte  dort.  Ein  Mann,  der  viele  Fische  gefangen  hat, 
teilt  mit  dem,  der  weniger  Glück  gehabt  hat. 

Es  wäre  indessen  ein  großer  Irrtum,  wenn  man  glaubte, 
daß  in  dem  Indianerstaat  nicht  jedes  Individuum  das  besitzt, 
was  es  arbeitet  und  anwendet.  Niemals  würde  es  einem 
Indianer  einfallen,  den  Besitz  eines  anderen  auszutauschen. 
Ein  Mann  würde  niemals  etwas,  was  seiner  Frau  oder  seinem 
kleinen  Kinde  gehört,  weggeben,  ohne  sie  zu  fragen.  Jede 
Sache  hat  ihren  Besitzer,  da  der  Besitzer  aber  mildtätig  ist 
und  alle  aus  seinem  Stamme  als  Brüder  betrachtet,  so  teilt 
er  freigebig  mit  den  anderen.  Die  Tiere  haben  Besitzmarken. 
So  sind  die  Schafe,  um  den  Besitzer  zu  kennzeichenen,  an 
den  Ohren  auf  verschiedene  Weise  geschoren.  Wird  jedoch  ein 
Schaf  geschlachtet,  so  wird  das  Fleisch  an  alle  verteilt. 
Bei  den  Ashluslays  haben  die  gewebten  Mäntel  Zeichen,  die 
den  Besitzer  angeben.  Einige  solche  Besitzmarken  sind  hier 
abgebildet  (Abb.  4).  Da  sie  eine  Art  Namenszeichnung  sind, 
sind  sie  höchst  interessant.  Möglicherweise  haben  indessen 
die  Indianer  die  Idee  hierzu  von  den  Zeichen,  mit  welchen 

3* 


36  Drittes  Kapitel. 

die  Weißen  ihr  Vieh  stempeln,  erhalten.    Zahlreiche,  von  den 

Weißen    gestohlene    Pferde    mit    solchen   Zeichen    habe    ich 

nämlich  bei  den  Ashluslays  gesehen. 

Die  Mäntel  sind,  wie  erwähnt,  gezeichnet,  trotzdem  will 

derjenige,  der  einen  großen  guten  Mantel  besitzt,  nicht  allein 

unter  demselben  schlafen.    In  den  Ashluslaydörfern  pflegten 

ein  paar  Indianer  oft  des  Nachts  in  meinem  Bett  zu  schlafen, 

offenbar    in    dem    Gedanken:    ,,Du    Weißer    hast    so    große 

Decken,  daß  sie  für  mehrere  als  dich  reichen." 

Diese    meine    Indianerfreunde    hätten    sehen    sollen,    wie 

— PI —  es    bei    uns    zu    Hause    zu- 

— ttt—  — 1—  geht,  wie  der  eine  in  einem 

— U —  prachtvollen     Bett     schläft 

und  der  andere  friert.     Die 

(jjjjj  Weißen  sind  ja  auch  nicht 

Brüder.     —     Gütergemein- 

.   .  ..      schaff    herrscht   bei    diesen 

V V  Indianern   nicht,    aber    zu- 

~~j]~  folge  der  großen  Mildtätig- 

.,,  _.  ,  ,      keit    versucht    keiner,    sich 

Abb.    4.      Eigentumsmarken   auf 

Mänteln,  Ashluslay.  auf     Kosten     des     anderen 

einen  Vorteil  zu  verschaffen, 
sondern  teilt  freigebig  mit  allen,  was  er  hat.  An  dem 
einen  Tage  schenkt  er,  an  dem  anderen  nimmt  er  Geschenke 
entgegen. 

Das  Land  hat  keinen  Besitzer,  die  Äcker  gehören  dem, 
der  sie  bebaut.  Land  ist  genug  vorhanden,  und  es  ist  Raum 
da  für  alle.  Sollte  die  Bevölkerung  so  groß  werden,  daß 
Mangel  an  anbaubarem  Land  eintritt,  so  würde  es  wohl 
auch  mit  dem  gemeinsamen  Besitzrecht  aus  sein. 

Man  sollte  meinen,  daß  in  einem  Gemeinwesen,  wie  dem 
dieser  Indianer,  eine  gewisse  Gesetzlosigkeit  herrscht.  Dieb- 
stahl ist  unbekannt,  d.  h.  Diebstahl  von  den  eigenen  Mit- 
gliedern des  Stammes,  denn  es  herrscht  dort  ein  so  großes 
Gemeingefühl,  daß  niemand  zu  stehlen  braucht.  Ich  glaube 
auch  nicht,  daß  die  Indianer  sich  gegenseitig  belügen.    Dem 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


37 


Weißen  lügt  man  etwas  vor,  man  sagt  ihm  ganz  einfach, 
was  man  für  nützlich  für  den  Stamm  hält.      Man  betrügt 


Abb.  5.   Ashluslaypapa  mit  seinem  kleinen  Jungen.  Rio  Pilcomayo. 


ihn,  wenn  es  paßt,  man  sagt  ihm  die  Wahrheit,  wenn  es 
nicht  schaden  kann.  Ertappt  man  einen  Indianer  auf  einer 
Unwahrheit,  so  betrachtet  er  es  ungefähr  so,  wie  ein  Weißer 
die  Entdeckung  eines  Aprilscherzes.     Er  lacht  und  findet  es 


%S  Drittes  Kapitel. 

amüsant.  Wird  man  ärgerlich,  so  hält  er  den  Betreffenden 
offenbar  für  dumm. 

Der  Mord  beschränkt  sich  auf  den  Kinder-  und  Eltern- 
mord, dies  ist  aber  vom  indianischen  Standpunkt  kein  Ver- 
brechen. Das  klingt  ja  schrecklich.  Die  Indianerin  betrachtet 
es  als  ihr  Recht,  die  Leibesfrucht  abzutreiben  und  ihr  Neu- 
geborenes zu  töten,  wenn  sie  will.  Sie  glaubt  offenbar  ein  Recht 
an  dem  Leben  zu  haben,  das  sie  gegeben.  Die  Abtreibung  der 
Leibesfrucht  geschieht  durch  mechanische  Behandlung  in  weit 
vorgeschrittenem  Stadium  x)  und  kommt  somit,  wenigstens 
bei  den  Chorotis,  immer  in  den  Fällen  vor,  wo  unverheiratete 
Frauen  schwanger  werden.  Die  neugeborenen  Kinder  werden 
getötet,  wenn  die  Mutter  von  dem  Vater  verlassen  wird, 
und  immer,  wenn  sie  mißgestaltet  sind.  Ich  kenne  mehrere 
solche  Kindesmörderinnen,  die  liebe  und  gutherzige  Mädchen 
sind.  Ein  solches  ist  z.  B.  Ashlisi,  ein  Mädchen,  das  einige 
lustige  Zeichnungen,  von  denen  zwei  weiterhin  wieder- 
gegeben sind,  für  mich  gemacht  hat.  Unserer  Ansicht  nach 
sollte  ein  solches  Verbrechen  eine  Frau  verrohen.  Das  ist  ein 
vollständiger  Irrtum,  denn  das  Verbrechen  verroht  erst,  wenn 
es  Verachtung  seitens  der  Umgebung  verursacht. 

Wenn  ein  Indianer  seine  alte  blinde  Mutter  oder  seinen 
verkrüppelten  Vater  tötet,  so  befreit  er  sie  selbst  von  einem 
Leben,  das  ihnen  eine  Last  ist,  und  sich  selbst  von  einer  Extra- 
mühe im  Kampfe  ums  Dasein.  Daß  sie  dieselben  zuweilen 
lebend  verbrennen,  wie  mein  Dolmetscher  Flores  es  einmal 
bei  einer  alten  Frau  seitens  der  Chorotis  gesehen  hat,  er- 
scheint uns  natürlich  grausam.  Möglicherweise  haben  sie 
indessen  die  Alten  im  Verdacht  der  Hexerei  gehabt.  Die 
sittliche  Freiheit  ist,  wie  ich  hier  unten  schildern  werde, 
sehr  groß.  Untreue  und  Eifersucht  werden  durch  Schläge- 
reien zwischen  den  Frauen  geordnet.    Ein  grobes  Verbrechen 


*)  Nach  Corrado,  S.  539,  treiben  auch  die  den  Chorotis  nahe- 
stehenden Matacos  die  Leibesfrucht  durch  mechanische  Behandlung, 
Schläge  auf  den  Bauch,  ab.  El  Colegio  Francifcano  de  Tarija. 
Quarrachi  1884. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  39 

ist  auch  das  Verhexen.    Leider  weiß  ich  nicht,  wie  es  bestraft 
wird. 

Im  Verhältnis  zu  anderen  besser  organisierten  Stämmen 
sind  solche  Gemeinwesen,  wie  es  die  Choroti-  und  Ashluslay- 
indianer  bilden,  äußerst  schwach.  Die  beste  Gelegenheit, 
dies  zu  beobachten,  hatte  ich  während  meines  Aufenthaltes 
bei  den  letzteren.  Diese  waren,  wie  erwähnt,  in  einen  Krieg 
mit  den  Tobas  verwickelt,  welche  unter  Leitung  des  energi- 
schen Häuptlings  Taycolique  mehrere  Überfälle  in  deren 
Gebiet  machten.  Infolge  der  Machtlosigkeit  der  Häuptlinge 
und  der  geringen  Eintracht  vermochten  sie  nicht,  sich  zu 
einer  gemeinsamen  Verteidigung  gegen  den  Feind  zu  or- 
ganisieren. Die  verschiedenen  Dörfer  vereinigten  sich  nicht, 
sondern  jedes  tat,  was  es  für  gut  hielt.  Das  anarchistische 
Gemeinwesen  hat  keine  Ab  Wehrkraft.  Erwartete  man  einen 
Tobaanfall,  so  eilten  viele  Männer  von  verschiedenen  Seiten 
herbei,  um  den  Kampf  aufzunehmen,  da  es  aber  an  jeder 
Organisation  fehlte,  fanden  sich  immer  nur  ein  Teil  der 
Krieger  ein.  Die  meisten  blieben,  um  ihre  eigene  Person  be-- 
sorgt,  aus. 

Es  fehlte  ein  Mann,  der  zu  befehlen  und  sich  Gehorsam 
zu  schaffen  verstand. 

Das  Indianerhaus. 

Sowohl  bei  den  Chorotis  wie  bei  den  Ashluslays  finden  wir 
die  von  Photographien  und  Reiseschilderungen  bekannte  runde 
oder  ovale  Chacohütte.  Sie  ist,  je  nach  der  Jahreszeit,  mehr 
oder  weniger  sorgfältig  gebaut  und  etwa  zwei  bis  vier  Meter  im 
Durchschnitt.  Zum  Schutz  gegen  die  kalten,  südlichen  Winter- 
winde sind  die  in  der  Ebene  liegenden  Hütten  besser  gebaut 
als  die  im  Walde.  Oft  sind  mehrere  Hütten  so  zusammenge- 
baut, daß  sie  aus  mehreren  Räumen  mit  mindestens  einem 
für  jede  Familie  bestehen.  Die  Hütten  sind  aus  Zweigen  ver- 
fertigt, die  in  die  Erde  gesteckt,  in  der  Mitte  zusammenge- 
bogen und  mit  Gras  bedeckt  sind.  Ein  Bindematerial  fehlt 
vollständig.     Keine  Hütte  ist  mit  Erde  oder  Lehm  bedeckt. 


40 


Drittes  Kapitel. 


Der  Eingang,  der,  falls  die  Hütte  in  der  Ebene  liegt,  aus 
einem  kleinen  schiefen  Gang  besteht  (Abb.  2),  ist  nicht  nach 
einer  gewissen  Himmelsrichtung,  sondern  meistens  nach  dem 
Dorfe  zu  gerichtet.  Viele  Hütten  haben  mehrere  Eingänge. 
Einige  sind  so  schlecht  gebaut,  daß  man  ungefähr  überall 
hineinkommen  kann.  Bei  den  Ashluslays  habe  ich  über 
drei  Meter  hohe  wohlgebaute  Hütten  gesehen.  Gewöhnlich 
ist  die  Hütte  jedoch  inwendig  nicht  ganz  zwei  Meter  und 
der  Eingang  ungefähr  ein  Meter  hoch. 

Bei  diesen  Indianern  fin- 
det sich  auch  ein  viereckiger 
Hüttentypus,  und  zwar  die 
Kochhütten  (Abb.  6).  Diese 
haben  platte,  mit  Gras  be- 
deckte Dächer  und  dienen 
zum  Kochen  und  Wohnen 
am  Tage  und  in  warmen 
Nächten.  Auf  ihren  Dächern 
pflegt  man  Fische  zu  trock- 
nen. In  einigen  Ashluslay- 
dörfern  sah  ich  mehrere 
solche  unregelmäßig  zusam- 
mengebaute Kochhütten 
mitten  auf  dem  offenen  Platze  des  Dorfes.  Diese  Gebäude, 
die  hier  eine  ungewöhnliche  Größe  haben,  werden  während 
der  Trinkfeste  als  Sonnenzelte  angewendet. 

Die  Frauen  suchen  das  Material  zum  Hausbau  zusammen 
und  bauen  auch  die  Hütten. 

Es  ist  wirklich  merkwürdig,  daß  Volksstämme,  die  z.  B. 
in  der  Webetechnik  so  weit  wie  diese  Indianer  gekommen 
sind,  die  Ackerbau  und  Viehzucht  haben,  sich  mit  so  elenden 
Hütten  begnügen.  In  regnerischen  Nächten  habe  ich  in  ihnen 
Schutz  gesucht  und  genau  gesehen,  wie  die  Indianer  dort 
leben.  Gießt  es  ordentlich,  so  regnet  es  überall  hinein  und 
Menschen  und  Sachen  werden  naß.  In  diesen  kleinen  Hütten, 
wo  oft  mehrere  Familien  zusammen  wohnen,  ist  der  Raum 


Abb.  6. 


Kochhütte  der  Chorotis. 
Rio  Pilcomavo. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  41 

sehr  beschränkt,  und  wenn  in  einer  solchen  Regennacht  alle 
zu  Hause  sind,  kann  nicht  jeder  ausgestreckt  liegen.  Ich 
selbst  habe  geringe  Bequemlichkeitsbedürfnisse,  ich  bin  aber 
doch  kein  Freund  davon,  daß  eine  Person  quer  über  meine 
Beine  liegt  oder  daß  ein  mit  Läusen  behafteter  Kopf  auf 
meinem  Kopfkissen  Platz  zu  bekommen  sucht. 

Das  Bett  dieser  Indianer  ist  während  ihres  ganzen  Lebens 
ein  Fell,  oder  bei  den  Ashluslays  zuweilen  eine  Schilfmatte 
als  Matratze,  ein  Holzklotz  als  Kopfkissen  und,  wenn  es  kalt 
ist,  ein  Fell-  oder  Schaf wollmantel  als  Decke. 

Ist  es  warm,  so  liegen  sowohl  Männer  als  Frauen  voll- 
ständig nackt,  und  man  sieht  manches,  was  wir  zivilisierten 
Menschen  für  unanständig  halten.  In  der  Regel  liegen  meh- 
rere unter  derselben  Decke,  und  zwar  nicht  allein  Männer, 
Frauen  und  Kinder,  sondern  auch  mehrere  Männer.  Diese 
Sitte  ist  bei  den  Indianern  so  eingewurzelt,  daß  nur  solche 
Decken  unter  meinen  Tauschwaren  gebilligt  wurden,  die  zu 
einem  zweischläfrigen  Bett  reichten. 

Außer  für  die  Menschen  soll  in  jeder  Hütte  auch  für  eine 
Menge  Hunde,  Katzen,  junge  Strauße  usw.  Platz  sein.  Sie 
gehören  zur  Familie. 

Ist  es  kalt  und  regnerisch,  so  ist  die  Feuerstätte  in  der 
Hütte,  sonst  kocht  man  in  der  Regel  am  liebsten  außerhalb 
des  Hauses.  Das  Feuer  wird  stets  in  Brand  erhalten.  Macht 
man  eine  kleine  Reise,  so  nimmt  man  Feuer  (einen  Feuer- 
brand) mit.  Nur  auf  längeren  Wanderungen  benutzt  man 
das  bekannte  Feuerzeug,  hölzerne  Reibstäbchen.1)  Man  bohrt 
in  einem  Stab  von  etwas  weicherem  Holz  mit  einer  stärkeren 
Holzart  so  lange,  bis  durch  die  Reibung  glühender  Holzstaub 
entsteht.  Dieses  Feuerzeug  ist  jetzt  im  Verschwinden  und 
wird  durch  Feuerstein,  Stahl  und  Zunder  (hier  Caraguatäbast) 
sowie  durch  Streichhölzer,  leider  nicht  schwedischen,  sondern 
italienischen  Fabrikats,  ersetzt. 

Jeder  Indianer  besitzt  nicht  mehr,  als  die  ganze  Familie 

1)  Vergl.  v.  Rosen  1.  c.  Taf.  XIII. 


42  Drittes  Kapitel. 

forttragen  kann.  Das  meiste  davon  hängt  in  den  Hütten 
unter  dem  Dache  oder  ist  in  die  Wände  hineingestochen. 
Hängebretter  oder  Klammern  sieht  man  hier  nicht.  Jedes 
Individuum  bewahrt  seine  Habseligkeiten  allein,  meistens 
in  großen  Taschen  aus  Caraguatä  oder  Fell,  auf.  Meine 
Lieblingsbeschäftigung  war,  in  diesen  Beuteln  herum- 
zuwühlen. In  ihnen  befinden  sich  wild  durcheinander  Geräte, 
Schmucksachen,  Heilmittel,  Samen,  Schmutz  und  Insekten. 
Jedes  Individuum  hat,  wie  gesagt,  seine  eigenen  Beutel. 
Eine  Frau  verwahrt  ihre  Sachen  getrennt  von  denen  ihres 
Mannes.    Ein  Kind  hat  ebenfalls  sein  kleines  Beutelchen. 

Die  für  die  Saat  aufgehobenen  Samen  werden  in  mit  Wachs 
verklebten  Töpfen  aufbewahrt.  Am  Dache  hängen  oft  Tabak 
und  getrocknete  Früchte.  In  besonderen  Schuppen  werden 
größere  Mengen  dieser  Konserven  verwahrt. 

Die  Dörfer  werden  durch  bissige,  aber  feige  Hunde  be- 
wacht, die  anschlagen,  wenn  ein  Fremder  sich  dem  Dorfe 
nähert.  Sie  teilen  die  Abneigung  des  Indianers  gegen  den 
weißen  Mann. 

Besucht  man  eine  Chorotihütte,  so  wird  einem  in  der  Regel 
ein  Holzklotz  zum  Sitzen  angeboten.  Bei  den  Ashluslays  er- 
hält man  dagegen  ein  Fell  oder  eine  Schilfmatte. 

Die  Arbeit  beginnt  in  diesen  Indianerdörfern  in  den  aller- 
frühesten  Morgenstunden.  Die  Frauen  beginnen  mit  ihrer 
Wirtschaft,  gehen  aus,  um  Früchte  zu  sammeln  oder  nehmen 
sich  eine  andere  Arbeit  vor,  die  Männer  schneiden  ihre  Werk- 
zeuge, gehen  auf  die  Jagd  oder  schlafen  ganz  einfach.  Erst 
wenn  es  warm  ist,  begeben  sie  sich  zum  Fischfang.  Ist  es  sehr 
kalt,  so  bleibt  man  am  liebsten  in  der  warmen  Hütte,  bis  die 
Sonne  richtig  aufgegangen  ist.  Am  Vormittag  sind  die  mei- 
sten Indianer  und  Indianerinnen  aus,  um  Nahrungsmittel 
für  die  Küche  zu  sammeln.  Gegen  Mittag  kommt  man  mit 
dem  Gesammelten  oder  Gefischten  nach  Hause.  Hat  man 
Glück  gehabt,  kommen  z.  B.  die  Fischer  mit  reicher  Beute 
nach  Hause,  so  herrscht  in  den  Dörfern  Freude.  Die  Kinder 
versammeln  sich   am  Tage   auf  den  Spielplätzen   und   ver- 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  43 

gnügen  sich  nach  Herzenslust  oder  begleiten  die  Eltern  zu 
ihrer  Arbeit.  Gegen  Abend  versammelt  man  sich  wieder  um 
das  schöne,  wärmende  Lagerfeuer,  die  Tagesereignisse  werden 
erzählt,  die  Pläne  für  den  nächsten  Tag  entworfen.  Am 
meisten  spricht  man  vom  Essen.  Am  Abend  begibt  sich  die 
Jugend  nach  den  Tanzplätzen.  Während  der  Nacht  ist  es  in 
diesen  Choroti-  und  Ashluslaydörfern  beinahe  niemals  richtig 
still.  Dort  wird  gesungen,  in  Freude  und  Leid,  dort  wird  ge- 
kocht, dort  wird  geschwatzt,  dort  hat  die  Jugend  Rendezvous 
und  dort  wird  gekichert  und  gelacht. 

Diese  Indianer  schlafen  des  Nachts  keine  sieben  bis  acht 
Stunden  ununterbrochen.  Sie  schlafen  ein  paar  Stunden, 
essen  und  plaudern  ein  Weilchen,  schlafen  wieder,  essen  noch 
einmal  usw.  In  der  Regel  schlafen  sie  viel  mehr  am  Tage 
als  wir.  Der  weiße  Mann,  der  in  einem  solchen  Indianerdorf 
lebt,  lernt  bald  das  System,  zu  schlafen,  wenn  es  ihm  am 
besten  paßt. 

Im  Indianerhause  ist  der  Raum  beschränkt,  aber  es  herrscht 
dort  große  Eintracht.  Niemals  hört  man  jemand  schimpfen, 
niemals  versucht  der  eine,  sich  auf  Kosten  des  anderen 
Vorteile  zu  verschaffen.  Schlagen  zwei  Weiße  ein  Lager  auf, 
und  es  ist  nur  ein  guter  Liegeplatz  da,  so  zanken  sie  sich,  wer 
den  Platz  haben  soll.  Liegt  ein  Haufe  Indianer  in  einer  engen 
Hütte,  so  teilen  sie  mit  Gleichmut  den  knappen  Raum.  Sie 
sind  ja  alle  Brüder  und  Schwestern.  Diese  ,, Wilden"  ver- 
stehen, daß  man  sich  selbst  in  Kleinigkeiten  nicht  auf  Kosten 
des  anderen  bereichern  darf. 


Viertes   K  a  p  i  t  e 1 . 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung). 

Der  Kampf  ums  Dasein. 

Die  Lebensbedingungen,  unter  denen  die  Indianer  am  Rio 
Pilcomayo  leben,  sind,  wenn  wir  von  den  Chiriguanos  ab- 
sehen, im  großen  ganzen  für  alle  dortwohnenden  Stämme 
dieselben.    Einige  Unterschiede  sind  indessen  vorhanden. 

Die  Chorotis  und  Ashluslavs  leben  vom  Fischfang',  Sam- 


Abb.   7.     Algarrobofrüchtc  kauende   Ashluslayfnuien. 


Unter  den  Indianern  am   Rio  Pilcomavo. 


45 


Abb.  8.     Ashluslayindianer  mit  Sperrnetzen,   Rio  Pilcomayo. 


mein  wilder  Früchte  und   Honig,   Ackerbau  sowie  von  der 
Jagd  und  der  Viehzucht. 

Aus  der  folgenden  Tabelle  sehen  wir,  welches  die  Haupt- 
nahrung der  ersteren  in  den  verschiedenen  Monaten  des 
Jahres  ist. 

Januar 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August,  September:-  getrocknete,  konservierte  Früchte, 
Ratten. 

Oktober:   Früchte  des  Chanar  |  Gelegenheits. 

Novembi-r  |  J      fischerei. 

U'iüchte  der  Algarrobo  )  Früchte  der   ) -c-  ,,,..  ,, 
Dezember  |  Mistol1)     J  j  Feldfruchte- 

')   Zizyphus  Mistol,  Griseb. 


Landwirtschaftliche  Erzeugnisse. 

Fische. 

Früchte  der  Tusca  und  Tasi. 


46  Viertes  Kapitel. 

Im  Mai,  Juni  und  November  leben  die  Chorotis  im  Über- 
fluß. Da  schwellen  die  Magen  an.  Im  August  und  September 
ist  die  Zeit  der  Not. 

Die  Ashluslays  beginnen  schon  im  November  zu  ernten. 
Sie  leiden  wahrscheinlich  seltener  Mangel  als  die  Chorotis. 

Alle  Pilcomayoindianer  sind  eifrige  Jäger,  und  nur  die  weit- 
ab vom  Flusse  wohnenden  Indianer  beteiligen  sich  nicht  am 
Fischfang.  Die  Fischgeräte  bestehen  bei  den  Chorotis  aus- 
schließlich aus  Netzen.  Die  Ashluslays  wenden  auch  eine 
Art  Körbe  an.  Von  Netzen  haben  sie  zwei  verschiedene 
Typen,  die  wir  hier  beide  angewendet  sehen. 

Das  bei  den  meisten  südamerikanischen  Indianern  so  ge- 
wöhnliche Schießen  der  Fische  mit  Pfeil  und  Bogen  habe  ich 
bei  den  Chorotis  und  Ashluslays  niemals  gesehen.1)    Angel- 


Abb.  9.     Nadeln  zum  Aufreihen  der  Fische,  Ashluslay. 

fischerei  ist,  wo  sie  nicht  von  den  Weißen  eingeführt  ist, 
unbekannt. 

Die  Ausrüstung  der  Fischer  besteht  außer  den  Netzen 
aus  einer  Keule,  mit  welcher  die  Fische  getötet  werden,  und 
einer  Holznadel  (Abb.  9)  mit  einer  Schnur,  auf  welche  die 
Fische  aufgezogen  werden.  Die  Nadel  wird  durch  die  Augen 
der  Fische  gezogen  und  die  Schnur  mit  den  gefangenen  Fischen 
so  um  den  Leib  gebunden,  daß  sie  hinten  wie  ein  Schwanz 
herabhängen. 

Eine  Fischfahrt  mit  den  Indianern  gehört  zu  den  größten 
Vergnügungen,  die  man  am  Rio  Pilcomayo  zu  bieten  hat. 
Sobald  die  Sonne  zu  wärmen  beginnt,  wandern  die  Indianer, 
Männer  und  Knaben,  mit  ihren  Netzen  nach  dem  Flusse.    Die 

x)  Bei  den  Chorotis  ist  es  später  allgemein  von  Moberg  wahr- 
genommen worden. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


47 


Frauen  bleiben  zu  Hause  oder  suchen  wilde 
Früchte.  Die  alten  Männer  tragen  in  der  Kegel 
die  Sperrnetze,  die  jungen  die  Tauchnetze.  Ist 
man  zu  dem  Flusse,  wo  man  fischen  will,  ge- 
kommen, so  werden  Mäntel,  Schmucksachen 
und  Caraguatätaschen  abgelegt.  Man  fischt 
nackt  oder  nur  mit  einem  Ledergürtel  be- 
kleidet. 

Eine  Anzahl  Indianer  bildet  mit  ihren  Sperr- 
netzen eine  Kette  über  den  Fluß  (Abb.  8).  Die 
übrigen  Indianer  treiben  die  Fische  dann  nach 
dieser  Kette,  während  sie  selbst  mit  ihren 
Tauchnetzen  fischen  (Abb.  3). 

Bei  der  Fischerei  geht  es  lebhaft  zu,  denn 
das  ist  keine  Arbeit,  sondern  ein  Vergnügen. 
Dort  taucht  einer  mit  dem  Netz,  um  nach 
einem  Augenblick  mit  einem  großen  Fisch  an 
die  Oberfläche  zu  kommen;  er  schlägt  ihn  mit 
der  Keule  tot  und  bindet  ihn  dann  mit  der 
Holznadel  um  den  Leib  fest.  Hier  sieht  man 
ein  paar  Füße  verschwinden,  dort  sieht  man 
mehrere,  die  unter  Schreien  und  Lachen  in 
einer  Bucht  des  Flusses  mit  stillstehendem 
Wasser,  in  welchem  die  Fische  sich  sammeln, 
umeinander  tauchen. 

Auf  diesen  Fischfahrten  hat  man  so  recht 
Gelegenheit,  zu  sehen,  wie  schön  diese  Indianer 
gewachsen  sind.  Man  sieht  keinen,  der  korpu- 
lent ist,  keinen,  der  einen  übertrieben  großen 
Magen  hat.    Alle  sind  wohlgebaut. 

Hat  der  Fischfang  müde  gemacht,  so  läßt 
man  sich  am  Ufer  nieder,  ruht  aus  und  ißt 
einen  Teü  des  Fanges  auf.  Den  Rest  trägt  man 
zu  Frau  und  Kindern  ins  Dorf.  Fängt  man 
nur  wenig  Fische,  so  besitzt  man  soviel  Ehr- 
gefühl, daß  man  nicht  selbst  alles  aufißt. 


Abb.  10. 

Spaten. 

Ashlnslay.u.'/io- 


48  Viertes  Kapitel. 

Die  Chorotis  und  Ashluslays  fischen  ohne  Kanoes.  Sie 
haben  keine  Fahrzeuge.  Schwimmend  und  tauchend  wie  die 
Ottern  verfolgen  sie  ihre  Beute. 

Nach  dem  italienischen  Forschungsreisenden  Boggiani1) 
haben  dagegen  die  den  Ashluslays  und  Chorotis  kulturell 
nahestehenden  Lenguas  im  paraguayischen  Chaco  viele 
Kanoes.  Gleich  den  Chorotis  und  Ashluslays  haben  weder  die 
Tobas  noch  die  Matacos  oder  Chiriguanos  am  oberen  Pilco- 
mayo  Boote.  Mutmaßlich  haben  aber  die  Chorotis  und  Ash- 
luslays früher  Kanoes  gehabt.  Dafür  spricht  die  stark  paddel- 
ähnliche Form  ihrer  Spaten  (Abb.  10).  Diese  sind  vielleicht 
früher  als  Paddelblätter  wie  als  Spaten  angewendet  worden. 

Herrscht  Mangel  an  Fischen,  so  sperren  die  Indianer  den 
Fluß.  Eine  solche  Sperre  ist  hier  abgebildet  (Abb.  11).  Auf 
dem  Gestell,  auf  welchem  ein  alter  Choroti  mit  seinem  Netz 
sitzt,  pflegen  die  Indianer  Feuer  zu  haben,  um  sich  zu  wär- 
men und  um  Fische  zu  braten.  Damit  das  Holzgestell  nicht 
brennt,  wird  es  durch  Schlamm  vom  Feuer  isoliert. 

Eine  andere  unter  diesen  Indianer  unbekannte,  sonst  aber 
von  vielen  Indianerstämmen  bekannte  Fischereimethode  ist 
die  Vergiftung  des  Wassers  durch  gewisse  Pflanzen.  Dagegen 
pflegt  man  große  Quaste  einer  feinblätterigen  Schlingpflanze, 
von  den  Chorotis  „Necac"  genannt,  ins  Wasser  zu  werfen, 
die  von  den  Fischen  gefressen  werden  und  um  die  sie  sich 
sammeln.  Gewöhnlich  setzt  man  in  der  trockenen  Zeit  Laub- 
büschel im  Flusse  auf,  unter  denen  die  Fische  Schatten  suchen 
und  leicht  mit  dem  Netz  gefangen  werden  können.  Aller 
eben  von  mir  erwähnter  Fischfang  wird  ausschließlich  von 
den  Männern  betrieben. 

Bei  den  Ashluslays  fischen  die  Frauen  mit  Körben.  Mit 
diesen  in  der  Hand  schleichen  sie  den  im  Schlamme  der 
Sümpfe  lebenden  langsamen  Panzersiluroiden  nach  und 
stülpen  sie  schnell  über  die  Fische.    Haben  sie  einen  Fisch 


x)  Boggiani:  Compendio  de  Etnografia  Paiaguaya,  S.  172.   Asun- 
ciön  1900. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


49 


gefangen,  so  holen  sie  ihn  mit  der  Hand  durch  die  obere 
Öffnimg  des  Korbes  heraus. 

Von  der  größten  Bedeutung  für  die  Chacoindianer  ist  das 
Einsammeln  von  wilden  Früchten.    Der  Chaco  ist,  wie  schon 


Abb.   na.     Sperrung  des  Rio  Pilcomayo  mit  fischenden  Chorotis. 
Das  angewendete  Netz  ist  ein  Tauchnetz. 


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Abb.   nb.   Grundriß  von  na. 


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Abb.   ii  c  =  A  nb. 


erwähnt,  außerordentlich  reich  an  solchen,  und  einige,  wie 
der  Tusca,  Chanar  und  Algarrobo,  kommen  in  so  großer  Menge 
vor,  daß  sie  tausende  Menschen  ernähren  können. 

Jeden  Morgen  sieht  man  die  Frauen  in  den  Dörfern  aufs 
Feld  und  in  den  Wald  gehen,  um  alles  Eßbare  zu  sammeln. 
Sie  haben  gewaltige  Caraguatätaschen,  in  denen  sie  Früchte 
und  Wurzeln  sammeln,    sowie  Stöcke   zum  Ausgraben  von 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  4 


50  Viertes  Kapitel. 

Wurzeln  und  lange  Haken  zum  Herunterholen  von  hoch  in 
den  Bäumen  sitzenden  Früchten  mit.  Den  Mann  sieht  man 
höchst  selten  Früchte  sammeln.  Er  tut  dies  nur,  um  der  Frau 
ein  wenig  zu  helfen.  Außer  Früchten  werden  verschiedene 
Blätter,  Wurzeln,  Wurzelstöcke  der  Caraguatä  usw.  gegessen. 
Zum  Herausgraben  dieser  letzteren  bedient  man  sich  eigen- 
tümlicher  Stöcke   und   Holzsägen. 


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Abb.   12.    Chorotikinder  spielen,  daß  sie  den  Fluß  sperren. 

Die  wilden  Früchte  gehören  keinem.  Ein  Indianer  unter- 
nimmt jedoch  keine  Streif züge  in  das  Gebiet  eines  fremden 
Stammes,  um  Früchte  zu  sammeln. 

Staunenerregend  ist  es,  wie  genau  diese  Indianer  alle 
Pflanzen  der  Wälder  und  Felder  kennen.  Ein  weißer  Mann, 
der  längere  Zeit  bei  den  Tobas  als  Gefangener  lebte,  hat  mir 
erzählt,  daß  einmal  schreckliche  Not  herrschte.  Man  ver- 
suchte da,  alle  möglichen  und  unmöglichen  Zweige,  Wurzeln 
und  Blätter  zu  kochen,  um  darunter  etwas  zum  Essen  Taug- 
liches zu  finden. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  51 

Sicherlich  ist  der  Mensch  in  solchen  Zeiten  der  Not  auf 
den  Gedanken  gekommen,  sich  durch  Kochen  und  Auspressen 
des  Saftes  eine  so  giftige  Pflanze  wie  die  Mandioca  nutzbar 
zu  machen.  Herrmann x)  berichtet,  wie  die  Ashluslays  es  ver- 
stehen, eine  von  den  Chiriguanos  „Ihuahuasu"  genannte 
giftige  Frucht  durch  Kochen  eßbar  zu  machen. 

Wir  dürfen  auch  nicht  vergessen,  daß  die  Botaniker  keine 
der  wichtigsten  Kulturpflanzen  dem  Menschen  gegeben  haben. 
Alle  waren  schon  von  den  Naturvölkern  gekannt. 

Die  Ashluslays  wie  die  Chorotis  haben  viele,  wenn  auch 
nicht  große  Pflanzungen  und  leben  mehrere  Monate  jährlich 
von  den  Erzeugnissen  dieser.  Man  kann  gleichwohl  mehrere 
Choroti-  und  Ashluslaydörfer  besuchen,  ohne  eine  einzige 
Pflanzung  zu  sehen,  da  diese  weder  in  der  Nähe  der  Dörfer 
noch  der  Flüsse  liegen.2) 

Die  Pflanzungen  sind  mangelhaft  oder  gar  nicht  umzäunt. 
Sie  sind  oft,  aber  nicht  immer,  schlecht  gejätet.  Bei  den 
Ashluslays  habe  ich  gut  gejätete  Pflanzungen  mit  Mandioca 
gesehen. 

Besonders  charakteristisch  für  den  Feldbau  dieser  Völker 
ist,  daß  sie  niemals  zusammenhängende  Strecken  bebauen, 
sondern  einen  Fleck  hier,  einen  Fleck  da,  je  nachdem  sie  ein 
passendes,  leicht  zu  rodendes  Stück  finden. 

Folgende  Pflanzen  werden  von  den  Ashluslays  und 
Chorotis  angebaut: 

Mais  (in  zahlreichen  Varietäten). 

Mandioca. 

Zapallo  (Cucurbita  Pepo,  Linn). 

Wassermelonen. 

Tabak. 

Baumwolle  (nur  Ashluslays). 


x)  Herrmann,  1.  c.  S.  128. 

2)  Nach  Boggiani  haben  auch  die  Lenguas  ihre  Äcker  weit  vom 
Flusse.     Compendio,  S.  165. 

.  * 


^2  Viertes  Kapitel. 

Bohnen  (in  verschiedenen  Varietäten). 

Kalebaßf  nicht. 

Süße  Kartoffeln  (nur  Chorotis). 

Die  Chorotis  und  Ashluslays  wenden  zum  Jäten  ihrer 
Pflanzungen  Spaten  (Abb.  10)  aus  hartem  Holze  an.  Diese 
Spaten  haben,  wie  erwähnt,  eine  eigentümlich  paddelähnliche 
Form.  Sie  bestehen  in  der  Regel  aus  einem  Stück.  Bisweilen 
ist  das  Blatt  an  den  Stiel  gebunden.  Die  Männer  reinigen  die 
Pflanzungen,  beide  Geschlechter  säen  und  ernten  gemeinsam. 
Die  Feldfrüchte  werden  aber  stets  von  den  Frauen  und 
Kindern  nach  Hause  gebracht,  falls  sie  nicht  auf  dem  Pferde 
oder  Eselsrücken  dorthin  getragen  werden.  Die  Saatzeit 
nimmt  nach  dem  Erscheinen  der  Plejaden  ihren  Anfang. 
Die  Jahreszeit  wird  auch  nach  der  Reife  der  Algarrobo- 
frucht  und  anderer  wilder  Früchte  berechnet.  Kleinere  Pe- 
rioden werden  nach  dem  Mond  bestimmt. 

Die  wichtigste  der  hier  angebauten  Pflanzen  ist  der  Mais. 
Von  den  bemerkenswertesten  hier  anbaubaren  Kulturpflanzen 
sind  die  Bananen  unbekannt. 

Das  umsichtigere  schwächere  Geschlecht  bewahrt  die 
Samen  bis  zur  Neusaat  auf.  In  Zeiten  der  Not  kann  es  mit 
ganz  großen  Schwierigkeiten  verbunden  sein,  die  Aussaat 
vor  den  hungrigen  Magen  zu  verbergen. 

Die  Jagd  spielt  bei  den  am  Flusse  wohnenden  Indianern 
eine  unbedeutende  Rolle.  Die  vom  Rio  Pilcomayo  entfernt 
wohnenden  Ashluslays  sind  dagegen  eifrige  Jäger,  was  man 
aus  dem  Reichtum  an  Fellen  und  Knochen  wilder  Tiere  in 
den  Hütten  erkennen  kann. 

Die  zur  Jagd  angewendeten  Waffen  sind  vor  allem  Pfeil 
und  Bogen.  Was  würde  wohl  ein  Indianer  aus  dem  nordöst- 
lichen Bolivia,  z.  B.  ein  Yuracäre  oder  Güarayü  sagen,  wenn 
er  die  Pfeile  und  Bogen  der  Chacoindianer  sähe,  wenn  er 
sehen  würde,  wie  schlecht  sie  gearbeitet  sind,  und  daß  in  der 
Regel  die  Steuerfedern  fehlen.  Er  würde  sie  sicher  auslachen. 
Falls  er  sie  zu  einem  Preisschießen  aufforderte,  würde  er 
natürlich  sofort  über  die  Chorotis  siegen.    Er  würde  sich  aber 


Tafel  s-     Mit  Mais  vom  Acker  kommende  Ashluslaykinder 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  53 

wundern,  mit  welcher  Fertigkeit  und  Sicherheit  die  Ashlus- 
lays  mit  diesen  häßlichen  Pfeilen  schießen.  Auch  im  Chaco 
gibt  es  Pfeile  mit  stumpfer  Spitze  zum  Vogelschießen.  Diese 
Spitzen  sind  nicht,  wie  einige  Verfasser  behaupten,  rund, 
damit  die  Vögel  getötet  werden,  ohne  die  Federn  blutig  zu 
machen,  da  sie  hier  niemals  für  Vögel,  deren  Federn  man 
anwenden  will,  benutzt  werden.  Die  Pfeile  haben  nur  deshalb 
klumpige,  stumpfe  Spitzen,  damit  sie  nicht  in  den  Zweigen 
der  Bäume  sitzen  bleiben  und  somit  verloren  gehen.  Schießt 
man  einen  Vogel  mit  einem  spitzen  Pfeil,  so  geht  er  leicht  in 
einen  Zweig  und  bleibt  hängen,  und  es  kann  schwer  und 
mühselig  sein,  ihn  herunterzubekommen.  Der  Indianer 
sucht  nämlich  immer,  wenn  er  kann,  die  Pfeile  wiederzu- 
finden, die  ihr  Ziel  verfehlt  haben. 

Bei  der  Wildschweinjagd  werden  die  Schweine  durch  die 
Hunde  gestellt  und  dann  durch  Keulen  getötet.  Die  Ashlus- 
lays  wenden  zur  Vogel jagd  gewöhnlich  Tonkugelbogen  an. 
Bei  den  Chorotis  habe  ich  sie  nur  als  Kinderspielzeug  gesehen. 
Auch  Schleudern  haben  diese  Indianer.  Ich  habe  jedoch 
niemals  ihre  Anwendung  auf  der  Jagd  gesehen. 

Die  Chacoindianer  sind  nicht  so  eifrige  Jäger,  wie  die 
meisten  mir  von  Nordost-Bolivia  bekannten  Indianer.  Moberg 
hat  sich  wenigstens  oftmals  über  das  mangelnde  Interesse 
der  Chorotis  für  die  Jagd  geärgert,  da  es  ihm  sehr  schwer  fiel, 
Gesellschaft  zu  finden,  wenn  er  jagen  wollte. 

Ein  richtiger  Jäger  schmückt  sich  niemals  mit  fremden 
Federn.  Trägt  ein  Indianer,  der  ein  wirklicher  Jäger  ist, 
Zähne  oder  leuchtende  Federn,  so  stolziert  er  mit  seinen  eige- 
nen Jagdtrophäen.  Ein  Choroti  schmückt  sich  ebensogern 
mit  einer  gefundenen  Feder  oder  mit  den  Federn  eines 
Vogels,  den  ein  anderer  erlegt  hat.  Hatten  wir  beispielsweise 
einen  Storch  geschossen,  so  teilten  die  Indianer  die  Federn 
unter  sich,  so  daß  jeder  ein  paar  bekam. 

Verschiedene  Amulette  werden  von  den  Ashluslays  auf  der 
Jagd  angewendet.  Hat  man  in  der  stets  unentbehrlichen 
Caraguatätasche  den  Kopf  einer  Schildkröte,  so  kann  man  die 


54  Viertes  Kapitel. 

Rehböcke   anschleichen,    ohne   daß   sie   davonspringen.     Bei 

der  Straußen  jagd  ist  es  gut,  Hautstücke  von  der  Brust  von 
Straußen,  die  man  getötet  hat,  mitzunehmen.  Sehr  gewöhn- 
lich ist  es.  an  geeigneten  Stellen,  wie  Tränken,  Plätze  wo  dk' 
Strauße  weiden  usw.,  Jagdhütten  zu  bauen.  Man  versteht 
auch  die  Anwendung  von  Schlingen. 

Die  Männer  sammeln  Honig  und  Wachs.  Den  letzteren 
wenden  die  Indianer  für  ihre  Pfeile,  zu  Pfropfen,  in  Ton- 
gefäßen, zu  allerlei  Reparaturen  usw.  an. 

Um  beim  Finden  der  Bienennester  besseres  Glück  zu  haben, 
stechen  sich  die  Ashluslays  mit  einem  hölzernen  Pfriemen 
über  die  Augen,  bis  das  Blut  fließt.  Das  Aderlassen  ist  übri- 
gens sehr  gewöhnlich.  In  der  Tasche  eines  jeden  Choroti-  und 
Ashluslayindianers  befinden  sich  eine  ganze  Menge  knöcher- 
ner Pfrieme,  mit  denen  er  sich  sticht,  wenn  er  müde  ist. 
Viele  Indianer  und  auch  Indianerinnen  sind  an  Armen  und 
Beinen  ganz  mit  Krusten  bedeckt,  so  viel  haben  sie  sich  ge- 
stochen. Nach  einer  anstrengenden  Fisch-  oder  Jagdtour 
u.  dgl.  sieht  man  nicht  selten  Indianer,  die  sich  wütend 
in  Arme  und  Beine  stechen,  so  daß  das  Blut  strömt. 

Die  Leiden  eines  angeschossenen  Tieres  versteht  ein 
Indianer  nicht  zu  würdigen.  Niemand  gibt  ihm  den  Gnaden- 
stoß, soweit  dies  nicht  nötig  ist,  damit  es  nicht  entspringt. 

Wir  Weißen  brauchen  uns  darum  nicht  über  die  grau- 
samen Indianer  zu  überheben,  wir  lassen  mißgebildete  Kinder 
leben  und  sich  quälen,  wir  essen  ruhig  im  Überfluß,  während 
die  Mitmenschen  in  unserem  eigenen  Staat  hungern.  Das  tun 
dagegen  diese  Indianer  niemals. 

Von  Insekten  wenden  die  Chorotis  und  Ashluslays  nur 
eine  große  Käferlarve,  die  sie  rösten,  als  Nahrung  an.  Erst 
wenn  Not  am  Mann  ist,  ißt  man  wohl  alle  möglichen  Würmer. 
Sie  kennen  lalle  die  kleinen  Tiere  ausgezeichnet  und  haben 
für  alle  Namen.  Als  ich  1902  den  Chaco  als  Zoologe  besuchte, 
pflegten  die  Chorotis  für  mich  zu  sammeln.  Zeigte  ich  ihnen 
an  dem  einen  Tage  ein  Insekt,  von  dem  ich  mehrere  Exem- 
plare wünschte,  so  kamen  sie  sicher  am  folgenden  Tage  mit 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


DD 


einer  großen  Menge  von  diesen  wieder.  Sie  kannten  jedes 
kleine  Tierchen  sowie  jede  Pflanze  und  wußten,  wo  sie  die- 
selben zu  suchen  hatten. 

Die  Viehzucht  ist  ebenfalls  ein  für  diese  Indianer  wichtiger 
Nahrungszweig.  Die  Chorotis  haben  recht  viele  Schafe  und 
Ziegen  sowie  eine  geringe  Anzahl  Pferde.   Viel  reicher  an  Vieh 


1 . 1 

- 

■»► 

Abb.  13.  Eine  Chorotifran  trägt  Wasser  nach  Hause.   Rio  Pilcomayo. 


als  jene  sind  die  Ashluslays.  In  einem  ihrer  Dörfer,  dem 
Dorfe  des  Häuptlings  Tone,  das  damals  ca.  400  Einwohner 
hatte,  zählte  ich  etwa  200  Kühe,  etwa  200  Pferde,  Maulesel 
und  Esel,  davon  viele  Stuten  und  Füllen,  sowie  über  500 
Schafe  und  Ziegen.  Außer  diesen  Haustieren  gibt  es  Hühner 
und  Katzen  und  eine  unzählige  Menge  Hunde.  Im  Dorfe 
Tones  befanden  sich  sicher  ein  paar  hundert  Hunde.  Diese 
Indianer  töten  die  jungen  Hunde  nicht,  sondern  lassen  sie 
sich  frei  vermehren.    Alle  diese  oft  ausgehungerten  Hunde 


56  Viertes  Kapitel. 

sind  deshalb  eine  wirkliche  Plage  im  Dorfe.  Sie  werden  jedoch 
gut  behandelt  und  nicht  geschlagen,  obschon  die  Nahrung 
nicht  für  so  viele  Münder  reicht.  Ich  sah  einmal  eine  Choroti- 
frau,  die  an  der  einen  Brust  ihr  Kind,  an  der  anderen  einen 
Hund  säugte.  Stirbt  ein  Hund,  so  wird  er  gleich  den  Pferden 
der  Indianer  ordentlich  begraben,  und  ein  Pferd  mit  dem 
Holzspaten  vergraben,  ist  sicher  ein  tüchtiges  Stück  Arbeit. 
Die  Weißen  in  Bolivia  werfen  dagegen  ihre  toten  Hunde  und 
Pferde  auf  den  Müllhaufen  und  lassen,  als  Dank  für  die  er- 
wiesene Pflichttreue,  die  Geier  ihnen  den  letzten  Dienst  er- 
weisen. 

Zum  Tierbestand  in  einem  Choroti-  oder  Ashluslaydorl 
gehört  beinahe  mit  Sicherheit  eine  Anzahl  wilder  Tiere. 
Diese  sind  aller  Lieblinge.  Man  sieht  Störche,  Nutrias,  Wild- 
schweine, Strauße,  Füchse  usw.  In  der  Regel  sind  sie  Spiel- 
kameraden der  Kinder.  Diesen  bereitet,  wie  unseren  Kindern, 
das  Binden  der  Strauße,  Tränken  der  Pferde,  Füttern  der 
Kühe  usw.  eine  große  Freude. 

Einmal  bot  ich  in  einem  Ashluslaydorf  ein  prächtiges  Tuch 
für  eine  Henne.  Ein  kleines,  süßes,  etwa  10 jähriges  Mädchen 
tauschte  sich  mit  Freuden  das  Tuch  ein.  Als  sie  sah,  daß  die 
Henne  geschlachtet  wurde,  was  sie  sicher  nicht  erwartet 
hatte,  begannen  die  Tränen  über  ihre  Wangen  zu  rollen,  und 
plötzlich  sprang  sie  davon,  um  ihren  Freund  zu  beweinen. 
Das  Tier  war  ihre  Gesellschaft  und  sicher  nicht  zum  Essen 
bestimmt. 

Die  Indianer  im  Chaco  haben  seit  langer  Zeit  dieselben 
Haustiere  wie  der  weiße  Mann.  Verschiedene  Stämme  stehen 
von  alters  her  mit  den  Weißen  in  Berührung.  Andere,  tiefer 
im  Chaco  wohnende  haben  dann  durch  den  Handel  zwischen 
den  Stämmen  diese  Tiere  erhalten.  Von  besonderer  Bedeutung 
sind  hier  natürlich  die  Schafe,  aus  deren  Wolle  die  Indiane- 
rinnen Mäntel  weben. 

Im  Innern  des  Chaco,  vom  Rio  Pilcomayo  gerechnet,  ist 
das  Land  sehr  wasserarm,  und  während  der  Trockenzeit 
haben  die  Indianer  häufig  kaum  Wasser.    Sie  graben  deshalb 


Unter  den   Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


57 


Brunnen.  Solche  habe  ich  bei  den  Ashluslays  bis  zu  einer 
Tiefe  von  4  m  gesehen.1)  Die  Forderungen  eines  Indianers 
an  die  Beschaffenheit  des  Wassers  sind  sehr  gering.  So  habe 
ich  die  Ashluslays  aus  Sümpfen  mit  braungrünem,  stinkendem 
Wasser  trinken  sehen,  ohne  daß  es  ihnen  irgendwie  schlecht 
zu  bekommen  schien.    Wahrscheinlich  gibt  es  in  den  abge- 


Abb.   14.     Algarrobomehl  seihende  Ashluslayfrau. 


legenen  Gegenden,  wo  die  Ashluslays  wohnen,  weder  Typhoid- 
noch  Dysenteriebakterien. 

x)  Die  den  Ashluslays  und  Chorotis  nahestehenden  Lenguas  graben 
nach  Hawtrey  sehr  tiefe  Brunnen.  „The  wells  were  on  rising  ground 
in  a  sandy  soil,  about  15  or  20  feet  deep,  with  a  hole  at  the  top 
only  2  feet  by  2  feet  6  inches  in  diameter,  and  so  made  that  a 
man  could  go  down  by  foot  holes  on  either  side  (as  I  myself  went 
down  to  see  how  it  was  made),  and  a  bücket  and  rope  were  used." 
Seymour  H.  C.  Hawtrey.  The  Lengua  Indians  of  the  Para- 
guayan  Chaco.     J.  A.   Inst.     Vol.  XXXI.     London  1901.     Seite  289. 


58  Viertes  Kapitel. 

Ich  selbst  bin  lost  überzeugt,  daß  ich,  falls  ich  z.  B.  in 
Schweden  all  den  Schmutz  getrunken  hätte,  den  ich  im 
Chaco  genossen  habe,  jetzt  nicht  mehr  unter  den  Lebenden 
wäre. 

Wie  man  bei  den  Ashluslays  und  Chorotis  ißt. 

Wäre  ich  zu  einem  Ashluslay-  oder  Chorotimittag  ein- 
geladen und  könnte  selbst  die  Speisekarte  wählen,  so  würde 
ich  sicher  über  Kohlen  gebratene  und  auf  grünen  Blättern 
servierte  Fische  begehren.  Hätte  ich  sie  selbst  etwas  salzen 
dürfen,  denn  Salz  wenden  die  Ashluslays  und  Chorotis  selten 
an,  so  wären  sie  ganz  einfach  lecker.  Niemand  kann  so  wie  ein 
Indianer  Fische  rösten.  Von  den  Fischen  würde  ich  dann  so 
viel  essen,  daß  ich  nichts  anderes  zu  berühren  brauchte,  denn 
schreckliche  Sachen  können  serviert  werden.  Es  gibt  Dinge, 
die  selbst  der  fanatischste  Ethnograph  nicht  zu  verzehren 
vermag.  Die  Ingredienzien  selbst  brauchen  nicht  so  schlecht 
zu  sein,  der  Schmutz  bei  der  Zubereitung  ist  aber  unerhört. 
Därme  werden  z.  B.  niemals  vor  dem  Kochen  gewaschen, 
sondern  ganz  einfach  entleert.  Bisweilen  muß  jedoch  der 
Darminhalt  als  Gemüse  zum  Fleisch  dienen.  So  werden  die 
Erdratten  mit  Eingeweide  und  Exkrementen  verzehrt.  Sie 
werden  ganz  ins  Feuer  gelegt,  wo  sie  durch  die  Hitze  an- 
schwellen. Dann  werden  Löcher  in  den  Magen  gestochen, 
damit  die-  Luft,  nur  die  Luft  herauskommt.  Auch  Eidechsen 
werden  mit  Eingeweide  und  allem  gegessen.  Frösche,  Füchse 
und  in  der  Regel,  aber  nicht  immer,  Geier  werden  als  nicht 
eßbar  betrachtet.  Verschiedene  Früchte,  z.  B.  Algarrobo, 
werden  gewöhnlich  in  folgender  Weise  gegessen:  die  Frucht 
wird  zerklopft  und  in  einer  großen  Kalebasse  mit  Wasser 
gemengt.  Um  diese  setzen  sich  mehrere  Personen,  immer 
vom  gleichen  Geschlecht,  denn  Männer  und  Frauen  essen 
nicht  zusammen.  Jeder  nimmt  sich  mit  den  Fingern  ein 
ordentliches  Stück,  saugt  daran  und  spuckt  es  dann  wieder 
in  das  gemeinschaftliche  Gefäß.  Daß  es  unangenehm  sein 
könnte,  den  Speichel  eines  anderen  in  den  Mund  zu  bekom- 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


59 


men,  ist  den  Indianern  vollständig  unbegreiflich.  Will  man 
eine  längere  Zeit  bei  den  Ashluslays  und  Chorotis  hausen 
und  ihr  Leben  zu  leben  versuchen,  muß  man  sich  über  „Vor- 
urteile", die  man  in  dieser  Beziehung  haben  kann,  hinweg- 
setzen, und  man  wird  wirklich  bald  unbegreiflich  ver- 
härtet. 

Die  Ashluslayindianer  essen  Honig  mit  Bürsten  aus  Cara- 
guatästämmen,  die  sie  in  den  Honig  tauchen,  ablecken,  wieder 
eintauchen,  dem  Nachbar  reichen  usw.  Wie  wenn  wir  mit 
Rasierpinseln  äßen  —  denn  so  sehen  diese 
Werkzeuge  aus  (Abb.  15). 

Bestimmte  Mahlzeiten  habe  ich  bei 
den  Chorotis  und  Ashluslays  nicht  be- 
obachten können.  Ist  genügend  Nahrung 
vorhanden,  so  essen  diese  Indianer  auch 
des  Nachts. 

Als  Reisezehrung  auf  den  Wanderungen 
werden  getrocknete  Fische,  Maiskuchen, 
Klöße  aus  gekochter  Chanarfrucht  und 
solche  von  Algarrobomehl  angewendet. 
Die  letzteren  sind  wirklich  gut.  Wie  sie 
zubereitet    werden,    ist    mir    unbekannt, 


m  s 


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Abb.  15.   Eßbürste, 
Ashluslays.     ya. 


denn   da   ich   sie  auf  meinen  Streifzügen 
mit  den  Ashluslayindianern  stets  zu  essen  pflegte,  beschloß 
ich,  dieses  Geheimnis,  aus  Furcht,  daß  ich,  nachdem  ich  es 
kennen  gelernt  habe,  auf  die  guten  Klöße  verzichten  würde, 
niemals  zu  erforschen. 

Die  umsichtigen  Frauen  bereiten,  wenn  Überfluß  an 
Speisen  vorhanden  ist,  Konserven.  Früchte  werden  in  großen 
Massen  getrocknet.  Zuweilen  ziehen  sie  in  Begleitung  der 
Männer  nach  abgelegenen  fruchtreichen  Gegenden,  und  lassen 
sich  dort  eine  Zeitlang  unter  eifriger  Arbeit  nieder.  Wenn  man 
eine  solche  „Konservenfabrik"  sieht,  muß  man  unwillkürlich 
an  die  Ähnlichkeit  mit  dem  Einmachen  unserer  nordischen 
Frauen  zur  Herbstzeit  denken.  Überall  liegen  Haufen  von 
rohen,  gekochten,  gebratenen  und  getrockneten  Früchten. 


6o 


Viertes  Kapiti  I 


Von  großem  Interesse  sind  die  von  den  Ashluslays  zum 
Rösten  angewendeten  Öfen.  Ein  solcher  Ofen  ist  hierneben 
beschrieben  und  abgebildet  (Abb.  16).  Er  ist  von  demselben 
Typ,  wie  der  von  den  Tsiräkuaindianern  im  Xordchaco  an- 


Erdobtrfläche. ^5^jy*r*r 


Abb.   16.     In  die  Erde  gegrabener  Ofen.     Ashluslays. 

a  =  Erdoberfläche;   b  =  Rinde,   Gras  u.   a. ;    c  =  Gang,    durch   welchen  man  die 
Glut  anbläst;   d  =  Glut. 


gewendete.  Nachdem  die  Früchte  geröstet  sind,  werden  sie 
getrocknet  und  können  dann  monatelang  aufbewahrt  werden. 
Die  Indianerfrau  ist  ein  umsichtiges  Hausmütterchen. 

Dies  verwundert  vielleicht  den 
Leser,  der  möglicherweise  die  Na- 
turvölker hat  beschreiben  hören, 
als  lebten  sie  nur  für  den  Tag  und 
dächten  niemals  an  die  Zeiten 
der  Not. 

Das  Essen  kochen  die  Indiane- 
rinnen in  einfachen  irdenen  Töp- 
fen. Man  ißt  in  der  Regel  aus 
Schalen  von  Kalebassen  und  mit 
den  Fingern  oder  mit  einem  Löffel 
aus  einer  Muschel  oder  Kalebasse.  Da  die  Frauen  sich  nicht 
immer  eiserne  Messer  verschaffen  können,  benutzen  sie  noch 
hölzerne  Messer  (Abb.  17),  mit  denen  sie  die  Fische  ab- 
schuppen und  ausnehmen. 

Mörtel  aus  hartem  Holz  mit  Keulen  aus  demselben  Mate- 
rial  sind    allgemein.     Die   Ashluslays   wenden   auch    Mörtel 


Abb.    17.      Hölzernes  Messer 
Ashluslays. 

Wird    zum  Abschuppen    und  Aus 
nehmen  der  Fische  angewendet. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


61 


einer  ganz  anderen,  höchst  merkwürdigen  Art  an.  Sie  be- 
stehen aus  inwendig  mit  in  der  Sonne  getrocknetem  Lehm  be- 
kleideten Erdgruben.  Natürlich  werden  die  in  diesen  Mörteln 
zerquetschten  Früchte  etwas  erdig,  aber  etwas  mehr  oder 
weniger  Schmutz  macht  in  der  indianischen  Küche  nicht  viel. 


Abb.   18.     Hölzerne  Messer  zum  Essen  von  Wassermelonen. 
Ashluslays.     1j2. 

Körbe  sind  bei  diesen  Indianern  unbekannt,  ebenso  wirk- 
liche'Seiher.  Will  die  Indianerin  z.  B.  Algarrobomasse  durch- 
seihen (Abb.  14),  so  wendet  sie  ganz  einfach  ein  Stück  einer 
Caraguatätasche  an.    Der  Grund,  warum  die  Chacoindianer 


Abb.   19.     „Reibeisen"  aus  Holz.     Ashluslays.     1/6. 

keine  Körbe  anwenden,  kann  kaum  darin  liegen,  daß  solche 
ihnen  vollständig  unbekannt  sind,  denn  sie  kennen  direkt 
oder  indirekt  die  Chiriguanos,  die  solche  haben.  Das  geeignete 
Material  dazu,  d.  h.  Palmblätter,  ist  auch  reichlich  vor- 
handen. Im  großen  ganzen  ersetzen  jedoch  die  Caraguatä- 
taschen  vollständig  alle  Körbe,  außerdem  sind  sie  haltbarer 
und  lassen  sich  bequemer  auf  den  Wanderungen  mitnehmen 
und  in  den  Hütten  aufbewahren.  Die  Körbe  sind  also  für 
diese  Indianer  vollständig  unnötig  und  sogar  ungeeignet. 


02  Viertes  Kapitel. 

Ist  Überfluß  an  Trinkwaren,  d.  h.  Bier  aus  Algarrobo, 
Chanar  oder  Mais,  vorhanden,  so  essen  die  Männer  nicht 
sehr  viel,  denn  das  Bier,  das  sie  trinken,  ist  stark  sättigend 
und  nährend.  Das  Bier  ist  in  solchen  Zeiten  für  sie  Speise 
und  Trank.  Oft  läßt  das  Trinken  ihnen  auch  keine  Zeit  zum 
Fischen  und  Jagen. 

Die  Indianer  kämpfen  sicher  zuweilen  einen  harten  Kampf, 
um  die  Forderungen  des  Magens  befriedigen  zu  können. 
Ist  der  Magen  voll,  so  ist  der  Indianer  froh  und  übermütig, 
da  tummeln  sich  die  Kinder  in  ausgelassener  Freude,  da  tanzt 
die  Jugend  jeden  Abend  und  hat  Rendezvous  in  den  Büschen, 
da  sitzen  die  Alten  und  trinken  Bier  in  gewaltigen  Kale- 
bassen und  rauchen  und  spucken  und  prahlen  mit  ihren 
Taten  und  amüsieren  sich  königlich.  Ist  der  Magen  leer, 
dann  ist  es  still  auf  den  Spielplätzen,  dann  ist  kein  Tanz,  kein 
Rendezvous,  kein  Bier  und  keine  Prahlerei. 

Als  ich  1908  die  Chorotidörfer  besuchte,  waren  die  Magen 
von  fetten  Fischen  ausgespannt.  Herrliche  Fische!  Da  war 
Tanz  und  Fest. 

Ein  Jahr  später  kam  ich  wieder.  Ach,  wie  mager  doch  alles 
war,  bis  die  Chanar- und  Algarrobofrüchte  reif  wurden.  Dann 
war  wieder  Freude  in  den  Dörfern. 

Gibt  es  gebratene  Fische  und  Fischfett  oder  große  Kale- 
bassen mit  Algarrobobier,  dann  lebt  sich's  gut  für  einen 
Indianer  am  Rio  Pilcomayo. 


CO 


H 


Fünftes   Kapitel. 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung). 

Indianerkinder. 

Hat  das  Choroti-  oder  Ashluslaykind  das  Glück,  von  einer 
verheirateten  Frau  geboren  zu  werden  und  nicht  allzu  schnell 
hinter  einem  Brüderchen  oder  Schwesterchen  zu  kommen, 
so  darf  es  am  Leben  bleiben.  Lange  bekommen  die  Kinder 
die  Brust.  Oft  habe  ich  vom  Springen  durstige  Choroti- 
und  Ashluslaykinder  gesehen,  die  stehend  von  ihrer  sitzen- 
den Mutter  gestillt  wurden. 

Die  kleinen  Kinder  sind  die  Freude  aller,  besonders  die 
Alten  haben  sie  lieb.  Sie  werden  niemals  gezüchtigt,  hören 
niemals  harte  Worte.  Während  sie  klein  sind,  tyrannisieren 
sie  Eltern  und  Großeltern.  Werden  sie  älter  und  verständiger, 
so  sind  sie  infolge  dieser  Erziehung  freundlich  und  aufmerk- 
sam. 

Wenn  es  nötig  ist,  können  auch  die  Indianermütter  be- 
stimmt sein.  Einmal  sah  ich  einen  Charotiknaben,  der  einen 
Sandfloh  im  Fuße  hatte.  Unbekümmert  um  das  Geschrei  des 
Knaben  zog  die  Mutter  das  gefährliche  Insekt  mit  einer 
knöchernen  Nadel  heraus,  während  zwei  Frauen  den  Knaben 
festhielten. 

Ein  ausgezeichnetes  Verhältnis  herrscht  zwischen  Eltern 
und  Kindern  sowie  zwischen  den  Geschwistern.  Wie  oftmals 
ist  es  mir  nicht  passiert,  daß  einer  meiner  Freunde  unter  den 
jungen  Indianern  mich  zu  einer  alten  Frau  geführt  und  mit 
dem  einfachen  Worte  Mama  um  ein  Geschenk  für  sie  er- 
sucht hat. 


64 


Fünftes  Kapitel. 


Oft  sieht  man  blinde  und  krüppelige  Alte  in  den  Dörfern, 
die  von  ihren  Kindern  unterhalten  werden.  Wird  das  Dorf 
durch  einen  Feind  bedroht,  so  werden  zuerst  von  allen  diese 
Alten  in  Sicherheit  gebracht,  damit  sie  nicht,  wenn  die  ande- 
ren zu  fliehen  gezwungen  sind,  in  die  Hände  der  Feinde  fallen. 


Abb.  20.     C'horotiknabe  mit  Boleadora. 


Werden  diese  Alten  eine  allzu  große  Last,  so  geschieht  es 
gleichwohl  zuweilen,  wie  ich  schon  erzählt  habe,  daß  man  sie 
tötet. 

Das  Indianerkind  lernt  das  Leben  im  Spiel.  Wenn  die 
Mutter  mit  ihrem  Töchterchen  im  Arme  Wasser  holt,  so  trägt 
das  Mädchen  einen  winzig  kleinen,  dem  der  Mama  ganz 
gleichen  Krug.    Füllt  die  Mutter  ihren  großen  Wasserkrug, 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  65 

so  füllt  sie  auch  den  ihres  kleinen  Töchterchens.  Das  Mäd- 
chen wächst  und  der  Krug  wächst.  Sie  begleitet  ihre  Mutter 
bald  zu  Fuß  und  trägt  gleich  ihr  einen  eigenen  Krug  auf  dem 
Kopfe.  Spinnt  die  Mutter,  so  spinnt  auch  ihr  Kind  auf  einer 
Spielzeugspindel.    Der  kleine  Junge  spielt  mit  seinem  Netz 


Abb.  21.     Das  Kleine  führt  seinen  blinden  Großvater  „abseits' 

Ashluslays. 


im  Dorfe.  Er  fängt  Laub,  er  fängt  Tonscherben.  Oft  sind  die 
Großväter  die  Lehrer.  Ist  er  größer,  so  erhält  er  von  dem 
Großvater  ein  größeres  Netz  und  begleitet  ihn  auf  den  Fisch- 
fang. Anfänglich  fängt  er  nicht  viel.  Er  und  das  Netz 
wachsen,  und  der  Knabe,  der  Laub  und  Tonscherben  gefischt 
hat,  fängt  große  Siluroiden,  Palometas  und  vieles  andere. 
Auf  dieselbe  Weise  lernen  die  Kinder  alles,  was  sie  zu  wissen 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  5 


66  Fünftes  Kapitel. 

nötig  haben.    Spielend  lernt  das  Indianerkind  den  Ernst  des 
Lebens. 

Besonders  die  Indianerknaben  verleben  dann  ihre  Tage 
unter  heiteren  Spielen.  Vielmals  habe  ich  mit  ihnen  gespielt, 
und  wir,  und  nicht  zum  wenigsten  ich,  haben  uns  dabei  sehr 
gut  amüsiert. 

Wir  versuchten,  den  Indianerknaben  unsere  Spiele  beizu- 
bringen. Die  Mädchen  spielten  beinahe  niemals  mit  uns. 
Moberg  war  Zirkusdirektor,  und  sie  lernten  von  ihm  Purzel- 
bäume schießen ,  Bockspringen ,  mit  Stangen  balancieren 
und  anderes  Nützliche.  Eine  Kunst  konnte  Moberg,  die  stür- 
mischen Jubel  erweckte.  Er  konnte  Rad  schlagen.  Diese 
Nummer  des  Programms  wurde  von  allen,  jung  und  alt, 
gern  gesehen,  obschon  niemand  es  nachmachen  konnte.  Mit 
roten  Taschentüchern  als  Preise  veranstalteten  wir  Wett- 
rennen. Hieran  beteiligten  sich  auch  die  Mädchen,  sie  liefen 
aber  immer  allein  und  mischten  sich  nicht  unter  die  Knaben. 

Unser  gutes  Verhältnis  zu  den  Indianern  hatte  sicher  zu 
einem  großen  Teile  seinen  Grund  darin,  daß  wir  immer  mit 
den  Kindern  spielten.  Das  gefiel  den  Indianerpapas  und 
Indianermamas,  und  auf  diese  Weise  bekamen  sie  Vertrauen 
zu  uns. 

Schlägereien  und  harte  Worte  kommen  unter  den  spielen- 
den Kindern  fast  niemals  vor.  Ein  einziges  Mal  habe  ich  einen 
Indianerknaben  einen  anderen  schlagen  sehen.  Das  war  in 
einem  Ashluslaydorf.  Daß  dies  etwas  Ungewöhnliches  war, 
wurde  mir  aus  der  Aufregung,  die  darüber  im  Dorfe  entstand, 
klar.  Ein  paar  Stunden  lang  ergingen  sich  die  respektiven 
Eltern  und  Verwandten  der  Kinder  in  Schmähungen.  Be- 
sonders die  älteren  Damen  spien  Feuer  und  Galle.  Beim 
Spiel  kommen  niemals  Streitigkeiten  vor,  z.  B.  ob  der  Ball 
wirklich  ins  Tor  gekommen  ist,  ob  einer  gemogelt  hat  oder 
dgl.  Hier  haben  unsere  weißen  Kinder  viel  von  ihren  dunkel- 
braunen Freunden  zu  lernen. 

Die  großen  Kinder  behandeln  die  kleinen  niemals  schlecht. 
Sie  laufen  wohl  hinter  ihnen  her  und  werfen  sie  hin,  aber  sie 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  67 

schlagen  sie  niemals.    Kleinlichkeit,  Eigendünkel  und  Bosheit 
findet  man  niemals  unter  den  Indianerkindern. 

Knaben  und  Mädchen  spielen  schon  als  ganz  kleine  Kinder 
getrennt.  Für  Knaben  und  Mädchen  gemeinsame  Spiele  habe 
ich  nie  gesehen.  Sie  haben  auch  verschiedenes  Spielzeug. 
Nur  der  Tanz  führt  sie  zusammen.    Auf  der  Tanzbahn  er- 


Abb.   11.     Die  Mama  geht  mit  den  Kindern  zum  Fluß. 
Chorotis.     Rio  Pilcomavo. 


scheinen  Knaben  und  Mädchen  viel  früher  als  bei  uns,  da  der 
Tanz  innig  mit  dem  Geschlechtsleben  zusammenhängt. 

Nicht  alle  Kinder  gleichen  Geschlechts  spielen  zusammen, 
sondern  sie  teilen  sich,  wie  unsere  Kinder,  in  Altersklassen. 
Bei  den  Knaben  kann  man  drei  solche  beobachten.  Zwei-  bis 
vierjährige  Knaben  beteiligen  sich  nicht  an  den  großen  gemein- 
schaftlichen Spielen.  Die  Vier-  bis  ungefähr  Siebenjährigen 
bilden  eine  zweite,   die  Sieben-  bis  Zwölfjährigen  eine  dritte 


68  Fünftes  Kapitel. 

Gruppe.  Die  über  zwölf  Jahre  alten  Knaben  halten  sich 
gewöhnlich  zu  den  Herren,  nehmen  an  den  großen  Ball- 
spielen teil  und  interessieren  sich  schon  lebhaft  für  Tanz 
und  Mädchen. 

Dicht  bei  oder  in  einem  Ashluslay-  und  Ghorotidorf  ist 
immer  ein  offener,  gebahnter  Platz,  wo  man  spielt  und  tanzt. 
Herrlich  eignen  sich  zum  Spielen  besonders  die  großen  Sand- 
ufer des  Pilcomayoflusses.  Dort  tummeln  die  Kinder  im 
Sande. 

Das  erste  Spielzeug  des  Indianerkindes  ist,  wie  bei  unseren 
Kindern,  die  Klapper.  Von  Früchten,  Knochen,  Blech- 
stücken u.  a.  machen  die  Indianermütter  ihnen  kleine  Klap- 


Abb.  23.     Spielzeugflinte  von  den  Chiriguanos.     Caipipendi.     Die 
Chorotis  und  Ashluslays  wenden  ähnliche  an.     1/6. 

pern.  In  dieser  Zeit  spielen  sie  mit  ihren  Müttern,  die  mit 
ihnen  plaudern  und  scherzen. 

Die  Indianerkinder  lernen,  wie  ich  schon  gesagt  habe, 
spielend  den  Ernst  des  Lebens  kennen.  Sie  werden  durch  das 
Spiel  erzogen.  Wie  unsere  Kinder  die  Großen  nachäffen,  so 
machen  die  Indianerkinder  ihnen  ebenfalls  alles  nach. 

Als  die  Ashluslayindianer  mit  den  Tobas  kriegten,  spielten 
auch  die  Knaben  in  den  Ashluslaydörfern  Krieg.  Die  Knaben 
teilten  sich  in  zwei  Abteilungen.  Die  eine  stellte  die  Ashluslays. 
die  andere  die  Tobas  vor.  Die  Waffen  bestanden  aus  Rohr,  mit 
denen  man  Fruchtkerne  aufeinander  knackte.  Die  Kämpfe 
wurden  unter  Geschrei  und  Geheul  geführt.  Wurde  einer  ge- 
fangen genommen,  so  wurde  er  skalpiert.  Während  einer  den 
Gefangenen  hielt,  tat  ein  anderer,  als  skalpiere  er  ihn. 

Sicher  haben  die  Indianerkinder  am  Pilcomayo  manchmal 
auch  Indianer  und  Weiße  gespielt.   Bei  den  Kampf  spielen  der 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


69 


wilden  Indianer  geht  es  aber  keineswegs 
wild  zu.  Roheit  und  Bosheit,  die  bei  den 
Kindern  des  weißen  Mannes  so  gewöhnlich 
sind,  sind  unter  diesen  Kindern,  deren  Väter 
wirkliche  Skalpjäger  sind,  vollständig  aus- 
geschlossen. 

Eines  Tages  hatte  ich  in  einem  Ashluslay- 
dorf  ein  Wettschießen  mit  Pfeil  und  Bogen 
angeordnet.  Am  folgenden  Tage  veranstalte- 
ten die  Knaben  desselben  Dorfes  ebenfalls 
ein  Scheibenschießen  mit  ihren  Spielzeug- 
flinten. Diese  Flinten,  von  denen  eine  hier 
abgebildet  ist  (Abb.  23),  sind  unter  den 
Chacokindern  sowohl  am  Rio  Pilcomayo  wie 
am  Rio  Parapiti  gewöhnlich. 

Wenigstens  den  kleinen  Knaben  und 
Mädchen  machen  die  Eltern  und  andere  ältere 
Verwandte  ihr  Spielzeug.  Der  Großvater 
strickt  das  Spielzeugnetz  des  Knaben,  lehrt 
ihn  aber  auch  selbst  stricken.  Eine  der  weib- 
lichen ältesten  Verwandten  formt  die  Pup- 
pen, mit  denen  die  Mädchen  spielen.  Mutter 
spielen  ist  hier  ebenso  gewöhnlich,  wie  bei 
unseren  Mädchen.  Die  von  den  Indianer- 
kindern im  Chaco  angewendeten  Puppen  sind 
außerordentlich  lustig.  Weiterhin  werden  wir 
sie  abgebildet  und  beschrieben  finden. 

Das  Lieblingsspielzeug  der  Knaben  ist  die 
von  den  Pampasindianern  bekannte  Bole- 
adora.  Mit  der  Boleadora  spielen  mehrere 
Knaben  zusammen.  Sie  stellen  sich  in  einer 
Reihe  auf.  Wenn  einer  seine  Boleadora  wirft, 
versuchen  die  anderen,  sie  mit  ihren  zu 
fangen.  Dieses  Spielzeug  ist  sicher  ein  Über- 
bleibsel aus  einer  Zeit,  wo  die  Boleadora  von  den  Ashluslays 
und  Chorotis  als  Waffe  angewendet  wurde;  vielleicht  ist  es 


Abb.  24. 

Boleadora. 

Ashluslays.    x/6 


yo  Fünftes  Kapitel. 

eine  Erinnerung  von  einer  Zeit,  wo  sie  auf  den  Pampas  lebten, 
denn  die  Boleadora  ist  eine  Waffe,  die  nur  für  die  Ebene  paßt. 
In  einer  weiter  unten  wiedergegebenen  Matacosage  handelt 
es  sich  um  einen  Kampf  zwischen  verschiedenen  Vögeln,  wo 
die  Chuhas x)  mit  Boleadoras  gekämpft  hatten.  Die  Matacos 
selbst  wenden  die  Boleadora  jetzt  nicht  als  Spielzeug  an. 
Ein  anderes  Spielzeug,  vielleicht  auch  eine  Erinnerung  aus 
früheren  Zeiten,  sind  die  Stelzen,  die  ich  die  Ashluslays  habe 
anwenden  sehen. 

Die  kleinen  Kinder  rollen  oft  Reifen  ans  Weide.  Zuweilen 
habe  ich  sie  mit  Stäbchen  spielen  sehen,  die  sie  auf  folgende 
Weise  werfen.  Sie  stellen  sich,  jeder  mit  einem  Stäbchen  in 
der  Hand,  in  einer  Reihe  auf.  Einer  wirft  plötzlich  eins  seiner 
Stäbchen.  Die  anderen  suchen  dasselbe  in  demselben  Augen- 
blick zu  treffen,  wo  es  zur  Erde  fällt.  Selten  sieht  man  das 
Schwirrholz  als  Spielzeug.  Wie  bekannt,  verursacht  es,  wenn 
es  schnell  durch  die  Luft  geschwungen  wird,  einen  brum- 
menden Laut.2) 

Ein  gewöhnlicher  Zeitvertreib  für  Knaben,  Mädchen  und 
Erwachsene  ist  das  Knüpfen  von  Fadenfiguren,  ähnlich 
denen,  wie  sie  auch  die  europäischen  Kinder  zu  machen 
pflegen  (Abb.  25). 

Die  Mädchen  spielen  oft  Tanz-  und  Laufspiele.  Ich  habe 
z.  B.  bei  den  Ashluslaymädchen  gesehen,  wie  sie  sich  breit- 
beinig dicht  hintereinander  in  einer  Reihe  aufstellen.  Die 
letzte  kriecht  auf  allen  Vieren  zwischen  den  Beinen  der 
anderen  hindurch.  Nach  ihr  kommt  das  nächste  Mädchen 
usw.  Ein  anderes  Spiel,  das  ich  ebenfalls  bei  den  Ashluslay- 
mädchen gesehen  habe,  ist,  mit  gebogenen  Knien  hüpfen. 
Die  Mädchen  hocken  in  einem  Ring  auf  der  Erde  und  hüpfen, 
den  Takt  eines  eintönigen  Liedes  auf  den  nackten  Schenkeln 
schlagend,  umher. 


x)  Dicholophus  Burmeisteri. 

-)  Das  Schwirrholz  besteht  aus  einer  ovalen  Holzscjieibe,   an  di< 
man  eine  Schnur  gebunden  hat. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


71 


Gewöhnlich  ist  das  Ballspielen  der  Knaben.  Noch  mehr 
sind  die  Ballspiele  aber  ein  Vergnügen  der  Jünglinge  und 
Männer.  Ja,  es  kommt  sogar  zuweilen  vor,  daß  ein  alter 
Mann,  der  sich  seinen  Jugendsinn  bewahrt  hat,  am  Spiele 
teilnimmt.  Meistens  spielt  man  mit  seinen  eigenen  Dorf- 
kameraden, bisweilen  aber  auch  mit  dem  Nachbardorfe,  und 
hier  gilt  es  sowohl  Wertsachen  als  die  Ehre. 


Abb. 


Fadenfiguren  knüpfende  Chorotiknaben. 


Die  Chorotis  wie  die  Ashluslays  kennen  nur  eine  Art  Ball- 
spiel. Es  wird  mit  Hakenstöcken,  ähnlich  unseren  Hockey- 
stöcken, und  gewöhnlich  mit  Bällen  aus  Holz  gespielt.  Man 
teilt  sich  in  zwei  Parteien,  die  ihr  Tor  verteidigen.  Diese 
liegen  bei  größeren  Spielen  hundert  bis  zweihundert  Meter 
voneinander.  Wer  zuerst  seinen  Ball  in  das  Tor  des  Gegners 
hereinbringt,  hat  gewonnen.  Die  Alten  und  die  Kinder  sind 
zuweilen  Torwächter. 

In  gewöhnlichen  Fällen  spielt  man  Ball  um  nichts,  nur 
um  Vergnügen  zu  haben.    Die  jungen  Herren,  die  die  eifrigsten 


/2  Fünftes  Kapitel. 

Spieler  sind,  vertreiben  auf  diese  Weise  die  langen  Tage, 
während  sie  auf  den  Tanz  und  die  Liebe  am  Abend 
warten. 

Preise  kommen  nur  bei  den  Wettkämpfen  zwischen  mehre- 
ren Dörfern  vor.  Als  ich  ein  Ballspiel  veranstaltete,  be- 
standen die  Preise  aus  Tabak. 

Streitereien  während  der  Spiele  kommen  niemals  vor,  und 
gleichwohl  schlägt  man  einander  mit  den   Keulen  zuweilen 


Abb.  26.     Ball  spielende  Matacoindianer.     Rio  Pilcomayo. 

ordentlich  auf  die  Unterschenkel.  Niemand  wird  deshalb 
böse.  Bei  den  Matacos  habe  ich  gesehen,  daß  man,  um  die 
Schenkel  gegen  Stockschläge  zu  schützen,  Schienen  aus 
Schilfrohr  anwendet. 

Die  Chacoindianer  spielen  auch  Hasard. 

Die  Spielmarken  sind  vier  Holzstäbchen  (Abb.  27)  oder 
Stücke  Schilfrohr,  von  denen  die  eine  Seite  stets  konvex 
und  die  andere  eben  oder  konkav  ist.  Am  Spiele  nehmen 
vier,  sechs  oder  acht  Personen  teil.  Markör  ist  ein  Un- 
beteiligter. 

Das   Hasardspiel   ist   ein   im   Chaco   stark   ausgebreiteter 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


73 


Brauch.  Wie  unsere  Sportsleute  und  Spieler  viel  englische 
Ausdrücke  anwenden,  so  wenden  auch  die  Indianer  zuweilen 
internationale,  von  anderen  Stämmen  geliehene  Worte  an. 

Was  kann  man  gewinnen,  wenn  man  mit  den  Indianern 
spielt?  Wenn  man  Glück  hat,  ein  Paar  alte  Hosen,  ein  altes 
Hemd  oder  irgend  etwas,  was  die  Indianer  von  den  Weißen 
erhalten  haben.  Wo  der  Einfluß  der  Weißen  unbedeutend 
ist,  spielt  man  um  Halsketten  aus  Schneckenschalen. 

Ich  habe  mit  den  Indianern  häufig  gespielt  und  stets  ver- 
loren, weil  die  Gegner  so  schrecklich  mogeln.  Sagt  man  etwas 
über  die  Mogelei,  so  lachen  sie. 
Würde  man  zornig  werden, 
würden  sie  einen  wahrschein- 
lich für  dumm  halten.  Hier 
heißt  es  nur  verlieren  und 
lernen. 

Nicht  selten  spielen  die  Cho- 
rotis  und  Ashluslays  so,  daß 
sie  mit  einem  Haufen  Stäbchen 
markieren.  Schlägt  man  vier, 
darf  man  vier  Stäbchen  neh- 


n 


Abb.  27.     Spielbretter. 
Chorotis.     72- 


men  usw. 

Spaß    macht    es,    zu    sehen 
wie  die  Indianer  nachrechnen, 

wer  die  meisten  Stäbchen  erhalten  hat.  Jeder  teilt  seine 
Stäbchen  in  Haufen  von  je  zwei.  Der  eine  nimmt  nun  einen 
Haufen  fort,  der  andere  einen  entsprechenden  usw.,  bis  nur 
noch  einer  Stäbchen  hat.  Diese  Subtraktionsmethode  ist 
natürlich  sehr  primitiv. 

Fragt  man  einen  Choroti  oder  Ashluslay  nach  einem  Zahl- 
wort, so  kann  er  es  nur  bis  drei  mit  Sicherheit  sagen.  Es  gibt 
zwar  Worte  für  die  höheren  Zahlen,  wenigstens  bis  zehn,  er 
kennt  sie  aber  nicht  alle.  Der  Indianer  zeigt  mit  den  Fingern 
die  Zahl,  die  er  angeben  will.  Die  Zehen  werden  nur  zu  Hilfe 
genommen,  wenn  er  viele  sagen  will. 

Ist  die  Kinderzeit  des  Indianers  zu  Ende,  dann  beginnt 


74  Fünftes  Kapitel. 

das  zweite  Kapitel  in  seinem  Leben.   Dies  ist  dem  Geschlechts- 
leben gewidmet. 

Nach  dem  Spiel  kommt  die  freie  Liebe. 

Männer  und  Frauen. 

Das  Geschlechtsleben  hat  schon  für  das  Indianerkind  von 
sechs,  sieben  Jahren  keine  Geheimnisse  mehr.  Es  hat  dann 
schon  alles  gesehen.  Ein  geschlechtlicher  Verkehr  nicht 
mannbarer  Kinder  soll  gleichwohl  nicht  vorkommen,  auch 
werden  die  Mädchen  vor  ihrer  ersten  Menstruation  von  den 
Müttern  gehütet. 

Bei  den  Ashluslays  wird  diese  mit  Tanz  gefeiert.  Um  das 
Mädchen,  das  mit  bedecktem  Gesicht  dasteht,  tanzen  die 
älteren  Frauen  mit  Stöcken  in  der  Hand,  an  die  Klappern 
aus  Tierklauen  gebunden  sind,  während  die  Männer  mit 
Kalebassen  voll  harter  Körner  den  Takt  dazu  schlagen.  Bei 
den  Chorotis  kenne  ich  einen  solchen  Brauch  nicht. 

Während  der  folgenden  Menstruationen  nehmen  die 
Frauen  ungeniert  am  Tanze  teil  und  werden  in  keiner  Weise 
als  unrein  betrachtet. 

Die  von  allen  Choroti-  und  Ashluslaymännern,  manchen 
Chorotifrauen,  aber  keinen  Ashluslayfrauen  getragenen  Ohren- 
klötze haben  mit  dem  Eintritt  der  Mannbarkeit  nichts  zu 
tun.  Die  Ashluslays  durchbohren  die  Ohren  der  Kinder, 
wenn  diese  drei  bis  vier  Jahre,  die  Chorotis  wenn  sie  sieben 
bis  zehn  Jahre  alt  sind.  In  demselben  Alter  werden  auch  die 
Ohren  der  Mädchen  durchbohrt. 

Der  Vater  sticht  mit  einem  Kaktusdorn  seinen  Kindern 
Ohrlöcher  ein. 

Wenn  die  Kinder  fünf  bis  sieben  Jahre  alt  sind,  werden  sie 
tätowiert.  Bei  den  Chorotis  sind  die  Männer  in  der  Regel,  die 
Frauen  stets  tätowiert,  bei  den  Ashluslays  nur  die  Frauen. 
Ich  habe  einige  Tätowierungen  wiedergegeben  und  gezeigt, 
wie  man  nach  und  nach  tätowiert,  indem  man  bei  den  Chorotis 
mit  dem  Stirnzeichen,  bei  den  Ashluslays  mit  den  Strichen 
auf  dem  Kinn  beginnt.     In  der  Chorotitätowierung  kommt 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


7d 


\t)l).  28.     Tätowierung  und  Gesichtsbemalung.     Chorotis. 
Rio  Pilcomayo. 

a  =  etwa  fünfjähriges  Mädchen;  b  =  ungefähr  siebenjähriges  Mädchen;  c  =  ca. 
achtzehnjähriges  Mädchen;  d  =  Frau;  e  =  Frau;  f  =  etwa  achtzehnjähriges 
Mädchen;  g  =  Mann;  h  =  Mädchen,  dessen  Mutter  Choroti  und  Vater  Ashluslay 
ist;  i  =  Mann,  a — e  nur  tätowierte;  f — i  tätowierte  und  bemalte.  Zeichnung  = 
Tätowierung.     I.avierung  =  Gesichtsbemalung.     Diese  letztere  ist  rot. 


76 


Fünftes  Kapitel. 


Abb.  29.  Tätowierung  und 

Gesichtsbemalung.     Cho- 

rotis,      Ashluslays      und 

Matacos. 

a  =  ca.  fünfjähriges  Mädchen; 
b  =  für  die  Ashluslayfrauen 
typische  Stammestätowierung: 
c — g  =  Männer;  a — g  =  Ash- 
luslays; a  u.  b  Tätowierung; 
c — g  =Gesichtsbemalung(Ruß 
oder  vom  Verf.  erhaltene  grüne  ^ 

Farbe);  h  =  auf  der  Stirn  und 
unter  den  Augen  tätowiertes,  auf  den  Wangen  mit  roter  Farbe  und  Ruß 
Chorotimädchon;  i  =  Matacomann,  Crevaux,  tätowiert ;  j — k  =  Chorotis;  j 
k  =  Frau.     Zeichnung  =  Tätowierung;   Lavier ung  =  Gesichtsbemal 


J 


bemaltes 
=  Mann ; 
ung. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo 


77 


Abb.   30.     Alte  Chorotifrau,  die  den  Verf.  tätowiert  hat. 


in  der  Ornamentik  eine  gewisse  Variation  vor,  bei  den  Ash- 
luslays  ist  die  Tätowierung  ein  typisches,  konstantes  Stamm- 
zeichen, in  dem  nur  die  Anzahl  der  Striche  auf  dem  Kinn 
schwanken  kann. 

Beinahe  immer  nimmt  eine  ältere  Frau  die  Tätowierung 
vor. 


78  Fünftes  Kapitel. 

Von  der  hierneben  vorgestellten  Alten  habe  ich  ein  Stirn- 
zeichen auf  meinen  Arm  tätowieren  lassen.  Dies  geschah  in 
folgender  Weise.  In  der  flachen  Hand  bereitete  die  x\lte  aus 
Kohle  und  Speichel  schwarze  Farbe.  Mit  dieser  malte  sie 
dann  mit  einem  Stäbchen  eine  Figur  auf  meinen  Arm  und 
stach  dann  mit  einigen  Kaktusstacheln  kräftig  in  diesen. 
Nachdem  es  fertig  war,  spuckte  sie  auf  die  Wunde  und  rieb 
den  Speichel  mit  der  Faust  in  mein  Blut. 

Moberg  ist  auch  auf  Chorotiart  tätowiert.  Ich  glaube, 
er  hat  eine  Musterkarte  aller  möglichen  Tätowierungsfiguren, 
mit  denen  die  jüngsten  und  schönsten  Indianermädchen  ihn 
geschmückt  haben,  auf  seinem  Körper. 

Nach  der  ersten  Menstruation  haben  die  Mädchen  ihre  voll- 
ständige Freiheit,  die  sie  auch  eiligst  benutzen. 

Die  Jugend  trifft  sich  auf  der  Tanzbahn. 

In  den  größeren  Dörfern  ist  sowohl  bei  den  Chorotis  wie 
bei  den  Ashluslays  jeden  regenfreien  Abend  Ball,  d.  h.  wenn 
der  Magen  nicht  leer  ist.  Dieser  Tanz  bildet  das  ganze  Leben 
der  Jugend,  um  ihn  dreht  sich  all  ihr  Interesse.  Für  ihn 
malen  und  schmücken  sie  sich. 

Mehrere  Stunden  vor  dem  Ball  beginnen  die  jungen 
Herren  mit  ihrer  Toilette.  Mit  äußerster  Sorgfalt  kämmen  sie 
sich  zuerst  das  Haar  und  ordnen  dann  die  Stirn-  und  Ohren- 
locken. Die  Augenbrauen  und  Augenhaare  werden  aus- 
gerissen ,  ebenso  jedes  Härchen ,  das  sich  auf  Kinn  oder 
Oberlippe  herauswagen  sollte.  Ebenso  wird  das  Haar  unter 
den  Armen  und  um  die  Geschlechtsteile  entfernt. 

Hierauf  wird  das  Gesicht  bemalt.  Früher  mußte  man  bei 
dieser  wichtigen  Arbeit  die  Hilfe  anderer  in  Anspruch  neh- 
men. Nachdem  der  weiße  Mann  den  Spiegel  eingeführt 
hat,  kann  man  sich  selbst  malen  und  sich  über  die  Wirkung 
jedes  roten,  gelben  oder  schwarzen  Striches  freuen.  Diese, 
ausgezeichnete  Erfindung  ermöglicht  es  den  jungen  Indianern, 
stundenlang  in  andächtiger  Bewunderung  ihrer  eigenen 
Schönheit  dasitzen  zu  können.  Die  rote  Farbe  erhält  man 
aus  den  durch  Tausch  von  den  Chiriguanos  erhaltenen  Samen 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


79 


eines  Busches,  Bixa  orellana.  Die  gelbe  Farbe,  die  selten  zur 
Anwendung  kommt,  wird  durch  Kauen  einer  Wurzel  bereitet. 
Die  schwarze  besteht  ganz  einfach  aus  Ruß  und  Speichel. 


Abb.  31.     Ashluslaymann. 

Es  ist  nichts  Ungewöhnliches,  daß  man  die  Ornamente 
mit  Stempeln  ins  Gesicht  drückt  (Abb.  32).  Diese  sind  als 
eine  primitive  Form  der  bei  den  Yuracäreindianern  und  be- 
sonders bei  den  Stämmen  in  Xord-Südamerika  gewöhnlichen 
Stempel  zur  Vervielfältigung  der  oft  sehr  schönen  Ornamente 


80  Fünftes  Kapitel. 

zu  betrachten.  Den  allereinfachsten  Stempel,  den  ich  gesehen 
habe,  beobachtete  ich  bei  einer  Tsirakuafrau,  über  welche  ich 
weiter  unten  zu  berichten  Gelegenheit  haben  werde.  Sie  be- 
rußte zuerst  die  ganze  Innenfläche  der  Hand  und  zeichnete 
dann  ein  Ornament  in  den  Ruß.  Durch  Drücken  der  Hand 
gegen  die  Backen  bemalte  sie  sich  mit  dem 
Negativ  des  aufgezeichneten  Ornaments. 
Nachdem  man  sich  fertig  gemalt  hat,  ordnet 
man  die  Halsketten  aus  Schneckenschalen 
und  den  Federschmuck.  Man  prüft  die  Wir- 
kung der  auf  verschiedene  Weise  gedrehten 
Halsketten,  man  freut  sich  über  den  flattern- 
den Federschmuck,  man  putzt  die  Ohren- 
klötze. 

Falls  es  nicht  kalt  ist,  hat  der  junge  Cho- 
roti  oder  Ashluslay  so  viel  Verstand,  daß  er 
sich  auf  dem  Balle  nicht  mit  den  von  den 
Weißen  direkt  oder  indirekt  erhaltenen  alten 
Hemden  oder  Hosen,  welche  den  Chaco  zu 
überschwemmen  drohen,  bekleidet.     Haupt- 
sächlich die  älteren  Männer  fangen  an,   die 
europäische    Kleidung    oder   richtiger   Teile 
derselben    zu    tragen,    denn   selten  ist  ein 
Choroti  und  noch  weniger  ein  Ashluslay  so 
reich,  daß  er  einen  vollständigen  Anzug  be- 
Stempel zur  Ge-   srtzt.     Hat  er  einen  Rock,  so  hat  er  wahr- 
sichtsbemalung.     scheinlich  keine  Hosen,  oder  umgekehrt. 
Ashluslay.    ya,  Die  von  den  Männern  angewendete  Tracht 

ist  ein  Ledergürtel  und  ein  auf  alle  mögliche 
Weise  drapierter  Mantel  aus  Schafwolle  (s.  die  Bilder).  An 
den  Füßen  tragen  sie  zuweilen  Ledersandalen.  Bisweilen 
haben  sie  einen  Riemen  über  die  Brust  gespannt.  Um  die 
Stirn  haben  die  Männer  allerlei  Bänder,  und  manchmal,  wenn 
sie  richtig  fein  sein  wollen,  eine  mit  Schneckenmuscheln  be- 
setzte Haube.  Andere  Schmuckgegenstände  bestehen  aus 
Zähnen,  Stroh,  Haaren,  Glasperlen,  Fischschuppen  usw. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pücomayo. 


81 


Der  junge  Indianer  versucht  auf  den  Bällen  so  elegant, 
so  originell  gemalt  und  geschmückt  wie  möglich  aufzutreten. 
Jeden  Tag  malt  er  sich  auf  andere  Weise  und  ordnet  seine 
Schmucksachen  verschieden.  Er  hält  sich  jedoch  immer 
innerhalb  der  von  der  Mode  gesteckten  Grenzen,  und  eine 
neue  Mode  unter  diese  Menschen 
zu  lancieren,  ist  keineswegs  ein 
leichtes.  Eine  von  mir  erfundene 
Gesichtsbemalung  wurde  z.  B. 
niemals  anerkannt.  Ein  Glas- 
perlentvpus,  der  ihnen  fremd  war, 
erregte  ihr  Mißfallen.  Sobald  man 
einen  der  leitenden  Elegants  be- 
wogen hatte,  eine  Sache  modern 
zu  machen,  wollten  bald  alle  sie 
haben.  Ein  paarmal  ist  es  sowohl 
mir  als  Moberg  gelungen,  auf  den 
Bällen  neue  Moden  zu  lancieren. 
Besonders  Moberg  trat  auf  diesen 
gewöhnlich  wie  ein  Indianer  ge- 
malt, gekleidet  und  geschmückt 
auf  und  wetteiferte  um  die  Gunst 
der  braunhäutigen  Indianerinnen. 
Ein  Haupt  höher  als  die  anderen 
tanzte  er  mit  den  Chorotis  an  den 
Sandufern  des  Pilcomayo  und  mit 
den  Ashluslays  auf  den  offenen 
Plätzen  in  ihren  Dörfern.  Nicht 
so  selten  sah  man  eine  geschmei- 
dige Indianerin  hinter  dem  stattlichen,  blonden  Schweden 
tanzen,  ihre  Hände  auf  seinen  nackten  Rücken  legend. 

Im  Gegensatz  zu  den  Negern  staffieren  sich  diese  Indianer 
niemals  in  allen  möglichen,  oder  richtiger  unmöglichen  bunten 
Farbenzusammensetzungen  aus.  Sie  haben  ja  gute  Gelegen- 
heit hierzu,  wenn  die  Weißen  mit  bunten  Tüchern  als  Tausch- 
waren  zu  ihnen  kommen.    Die  Indianer  und  Indianerinnen 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  6 


Abb.  33.     Chorotielegant. 


82  Fünftes  Kapitel. 

haben  in  der  Regel  Geschmack.  Infolge  der  zu  vielen  Be- 
rührung mit  der  Zivilisation  verschwindet  dieser  aber.  Nie- 
mand putzt  sich  auch  in  so  schreienden  Farben,  wie  zivilisierte 
Indianerinnen  und  Mestizenfrauen.  Die  Choroti-  und  Ashlus- 
layindianer  lieben  gleichwohl  bunte  Farben;  am  beliebtesten 
ist  Rot.  Legt  man  bei  einem  Tauschhandel  Bänder  in  ver- 
schiedenen Farben  vor,  so  finden  zuerst  die  roten  Absatz. 
Rote  Taschentücher  sind  gesucht.  Schwarz  lieben  sie  in  der 
Regel  auch.  Gewisse  Sachen,  wie  z.  B.  die  Knöpfe  für  Hals- 
ketten, werden  weiß  gewünscht,  und  zwar  aus  dem  einfachen 
Grunde,  weil  die  Schneckenhalsperlen,  die  sie  anwenden,  die- 
selbe Farbe  haben. 

In  meinem  Notizbuch  hatte  ich  die  verschiedenen  Grund- 
farben und  mehrere  Schattierungen  aufgezeichnet,  um  zu 
sehen,  wie  viele  Farben  sie  unterscheiden  könnten. 

Die  Chorotis  nannten  Rot,  Rosa,  Braun  und  Hellviolett 
,,Chate",  Gelb  und  Gelbbraun  „mah'ahi",  Blau  und  Grün 
,,La-sä-se",  Schwarz,  Dunkel  violett  und  Dunkelgrau  ,,Cho- 
hua-hi-ni",   Weiß  und  Hellgrau   ,,La-ma-hi-ni". 

Die  Ashluslays  nannten  Rosa  und  Rot  ,,Yük",  Gelb  und 
Weiß  „Köshiash",  Schwarz  ,,Ya-cüt",  Blau  =  Schwarz,  Grün 
zuweilen  =  Schwarz  und  zuweilen  =  Gelb,  Violett 
Schwarz,  Braun  bald  =  Schwarz,  bald  =  Rot.  Die  Chorotis 
haben  also  für  fünf  Farben  Namen,  die  Ashluslays  nur  für  drei. 
Dasselbe  Individuum  ist  oft  betreffs  des  Namens  einer  Farbe 
zweifelhaft.  Er  nennt  einen  Namen,  sieht  noch  einmal  hin. 
bereut  es  und  sagt  einen  anderen.  Aus  den  beigefügten  Pho- 
tographien sehen  wir  einige  der  zahlreichen  verschiedenen 
Schmucksachen,  welche  die  Choroti-  und  Ashluslaymänner 
t ragen.  Zuweilen  sieht  man  sie  sich  auch  mit  Blumen  schmük- 
ken.  Die  Ashluslays  binden  das  Haar  oft  vorn  zu  einer 
Quaste  mitten  auf  der  Stirn  zusammen  (Abb.  34).  Die  Chorotis 
drehen  manchmal  das  recht  lange  Haar  mit  einem  Band  zu 
einem  Zopf  im  Nacken  zusammen.  Die  Federn,  welche  die 
Chorotis  und  Ashluslays  im  Stirnband  tragen,  pflegen  mit 
einer  oder  mehreren  Kerben  als  Ornament  versehen  zu  sein. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  83 

Wenn  die  Herren  älter,  solide,  verheiratete  Männer  wer- 
den, so  schmücken  sie  sich  nicht  mehr  für  die  Bälle,  sondern 
nur  zum  Kriege.  Diese  älteren  Herren  vernachlässigen  ihre 
Toilette  oft  sehr  stark  und  sind  sehr  unsauber. 


Abb.  34.    Ashluslay  mit  einer  mit  Schneckenschalen  besetzten  Mütze. 

Die  Tracht  der  Frauen  besteht  aus  einem  Schurzfell  um 
die  Hüften.  Dasselbe  wird  schon  im  Alter  von  drei  bis  vier 
Jahren  angelegt.  Die  jüngeren  unverheirateten  Choroti- 
mädchen  tragen  jetzt  viel  den  von  den  Weißen  eingeführten 
Tipoy,  ein  Kleidungsstück,  das  ursprünglich  von  den  Chiri- 

6* 


84  Fünftes  Kapitel. 

guanos  kommt.  Derselbe  verdeckt  den  Oberkörper  vor  den 
lüsternen  Blicken  der  Christen.  Ein  Indianermädchen,  das 
nur  ein  Schurzfell  um  die  Hüften  trägt,  gibt  sich  in  der  Regel 
den  Weißen  nicht  hin.  Diejenigen  dagegen,  welche  die  „an- 
ständige Kleidung"  tragen,  sind  alle  Prostituierte.  Mit  Aus- 
nahme der  Chorotimädchen,  die  Weiße  zu  Freunden  haben, 
tragen  die  Mädchen  hier  sehr  wenig  Schmucksachen.  Irgend 
eine  einfache  Halskette,  ein  aus  Blättern  geflochtenes  Stirn- 
band, ein  Armband  aus  Rehbockfell,  einige  Ringe  aus  Ei- 
dechsenhaut, das  ist  alles.  Die  Frauen  tragen  niemals  Federn. 
Dagegen  sind  sie,  wie  schon  bemerkt,  mehr  tätowiert  als  die 
Männer  und  nicht  selten  bemalt. 

Das  Schurzfell,  das  die  Chorotifrauen  um  die  Hüften 
tragen,  ist  aus  hausgewebtem  Wollstoff.  Die  Ashluslay- 
frauen  tragen  ein  ähnliches  Schurzfell  aus  Rehbockleder. 
Diese  letzteren  haben  nicht  selten  aus  Nutria  oder  Schaf- 
fellen zusammengenähte  warme  Mäntel  von  dem  Typ,  wie 
wir  ihn  nur  von  den  Indianern  Patagoniens  und  des  Feuer- 
landes her  kennen. 

Sowohl  die  Choroti-  wie  die  Ashluslayfrauen  entfernen  die 
Haare  unter  den  Armen  und  an  den  Geschlechtsteilen. 

Man  muß  zugeben,  daß  die  Indianer  mit  ihren  Schmuck- 
sachen sehr  vorsichtig  umgehen.  Die  Federn  werden  in 
Futteralen  aus  Rohr  bewahrt,  die  Schmucksachen  werden 
oft  auf  neue  Schnüre  gezogen.  Sie  stopfen  die  Löcher  ihrer 
Kleider.  Es  gibt  ältere  Frauen,  deren  Schurzfell  beinahe  nur 
aus  gestopften  Löchern  besteht.  Lohnt  es  sich  nicht  mehr. 
die  Löcher  zu  stopfen,  so  begnügt  man  sich  damit,  sie  zu  be- 
setzen. Sie  sind  auch  um  ihre  Kleider  besorgt  und  wenden, 
wenn  sie,  was  selten  der  Fall  ist,  Kleider  zum  Wechseln  haben, 
bei  der  Arbeit  die  schlechtesten  Lumpen  an.  Die  Ashlusla\> 
habe  ich  niemals  ihre  Kleider  waschen  sehen,  die  Chorotis 
nur,  wenn  sie  es  von  den  Weißen  gelernt  haben. 

Baden  des  Badens  wegen  geschieht  nur,  wenn  es  sehr  heiß 
ist.  Der  Fischfang  zwingt  indessen  die  Männer,  viel  im 
Wasser  zu  sein.    Die  Kinder  spielen  ebenfalls  oft  im  Wasser 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


85 


und  bleiben  auf  diese  Weise  rein.  Die  jüngsten  Kinder  wer- 
den von  den  Müttern  gewaschen,  wenn  sie  zum  Flusse 
gehen. 

Juckt  es,  so  reicht  man  das  Tier  einem  Verwandten  oder 
Bekannten,  der  es  aufißt.  Moberg  und  ich  hatten,  wenn 
wir  in  den  Indianerhütten  verkehrten,  auch  zuweilen  Läuse. 
Unsere  Indianerfreunde  waren  doch  stets,  wenn  es  nötig  war, 
so  liebenswürdig,  sie  zu 
essen. 

Die  Chorotimädchen 
schmieren  ihren  Körper 
oft  mit  Fischfett  ein, 
was  ihnen  einen  unange- 
nehmen Geruch  verleiht. 
Sie  selbst  sind  sicher  an- 
derer Ansicht.  Sie  finden, 
daß  wir  Weißen  einen 
Kuhgeruch  an  uns  haben. 

Die  Eleganz  der  Män- 
ner erreichen  die  Indianer- 
mädchen niemals.  Sie 
können  sich  jedenfalls 
freuen,  daß  die  „Herren 
der  Schöpfung",  wohl  in 

erster  Reihe  ihretwegen,  mehrere  Stunden  täglich  auf  ihre 
Toilette  anwenden. 

Um  den  Tanz  dreht  sich,  wie  erwähnt,  das  ganze  Interesse 
der  jungen  Männer  und  der  jungen  Mädchen.  Geht  die  Sonne 
unter,  so  fängt  er  an. 

Die  Männer  tanzen  im  Kreise  oder  in  einer  Reihe  und 
singen  den  Takt,  z.  B.  Tae-a-sa-le,  Täe-a-sa-le. 

Je  nach  dem  Takt  wird  langsam  oder  schnell  getanzt. 
Musik  ist  auf  diesen  Bällen  unbekannt.  Die  hierbei  gesunge- 
nen Lieder  sind  unübersetzliche  Kehrreime,  die  oft  inter- 
national sind,  d.  h.  von  mehreren  Stämmen  angewendet 
werden. 


Abb.  35 . 
Junger  Chorotimann  am  Alltag. 


86  Fünftes   Kapitel 

Hinter  den  Männern  tanzen  die  Mädchen. 

Bei  den  Chorotiindianern  ergreift  das  Mädchen  die  Initia- 
tive zu  den  Liebesabenteuern.  Sie  führt  den  jungen  Herrn, 
den  sie  zum  Liebhaber  für  die  Nacht  wünscht,  ganz  einfach 
fort  vom  Balle. 

Stattlich  nehmen  sich  die  Tänze  aus,  wenn  der  Mond  oder 
ein  Feuer  aus  Pampasgras  die  Körper  beleuchtet.  Bis  zu 
hundert  Männer  habe  ich  in  demselben  Ringe  tanzen  sehen. 
Zuweilen  tanzten  sie  ganz  langsam,  zuweilen  in  schwindelnder 
Fahrt,  so  daß  der  Staub  hochwirbelte,  und  alles,  was  man 
sah,  ein  Wirrwarr  von  Körpern  und  flatternden  Straußen- 
federn war. 

Gesang  und  Gelächter  ertönte  auf  der  Tanzbahn. 

Die  älteren  Mädchen  tanzten  hinter  ihren  Liebhabern, 
die  jüngsten  schlichen  hier  und  da  heran,  um  einen  Augen- 
blick hinter  einem  wohlgebildeten  männlichen  Körper  zu 
tanzen  und  gleich  darauf,  lüstern  aber  ängstlich,  hinter 
Büschen  und  Sträuchern  zu  verschwinden.  Beinahe  stets 
war  die  Anzahl  der  Männer  größer  als  die  der  Frauen,  und 
glücklich  der  Mann,  der  geraubt  und  verführt  wurde. 

Musik  ist,  wie  gesagt,  bei  diesen  Bällen  unbekannt.  Bei- 
nahe jeder  tanzende  Indianer  trägt  zwar  eine  Pfeife  (Abb.  36), 
man  pfeift  aber  nicht  den  Takt  zum  Tanz.  Bei  diesen  In- 
dianern findet  man  auch  nur  wenige  Musikinstrumente.  Aon 
Saiteninstrumenten  kommt  nur  der  Musikbogen  von  dem 
von  den  Araukaniern  her  bekannten  Typ  vor.1)  Die  Flöten 
sind  sehr  schlecht  und  vielleicht  geradezu  Imitationen  von 
den  Chiriguanos.  Die  besonders  von  den  Chiriguanos  bekannte 
Pfeife,  auf  welcher  man  wie  auf  einen  Schlüssel  pfeift,  habe  ich 
bei  den  Ashluslays  nur  als  eine  Seltenheit  gesehen.  Von  Trom- 
meln kennt  man  nur  die  primitive  Tongefäßtrommel  (Abb.  ^j). 
Diese  besteht  aus  einem  gewöhnlichen  irdenen,  halb  mit 
Wasser  gefüllten  Topf,  über  den  ein  Fell  gespannt  ist.    Als 

1)  Lehmann-Nitzsche.  Patagonische  Gesänge  und  Musikbogen. 
Amhrop.     Bd.  III.      190S.     Sielte    auch  weiterhin    in    diesem   Buche. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  87 

Trommelstock  wird  ein  Holzstab,  und  zwar  immer  nur  einer 
angewendet. 

Auch  mitten  am  Tage  kann  es  einem  warmblütigen  Cho- 
rotimädchen  einfallen,  als  Verführerin  aufzutreten.  Aus 
meinem  Lager  zog  einmal  ein  solches  Mädchen,  unbekümmert 
um  allen  Scherz  und  alle  Anzüglichkeiten,  mit  einem  glück- 
strahlenden Ashluslay  in  den  Wald.  Es  ist  nichts  Ungewöhn- 
liches, daß  die  Mädchen  in  den  Chorotidörfern  sich  etwas  ab- 


a  Pfeife.     Choroti.     ljv       ai  h      fi  ''  Durchschnitt  derselben. 

seits  vom  Dorfe  eine  besondere  Hütte  bauen,  wo  sie  Herren- 
besuche entgegennehmen. 

Die  Männer  scheinen  sich  wenig  um  das  Aussehen  der  Mäd- 
chen zu  kümmern.  Um  ihren  Geschmack  zu  erfahren,  habe 
ich  sie  oft  gefragt,  welches  Mädchen  sie  für  die  hübscheste 
hielten.  Mit  dem  gewöhnlichen  Takt  der  Indianer  antworteten 
sie  immer  ausweichend. .  Die  Männer  kommen  niemals  um 
Frauen  in  Schlägerei.  Dagegen  herrscht  bei  den  Frauen  die 
Eifersucht.  Mit  Boxhandschuhen  aus  Tapirhaut  (Abb.  37) 
oder  einem  anderen  harten  Material  und  schlimmstenfalls  mit 
Pfriemen  aus  Knochen  kämpfen  sie  um  den  begehrten  Mann. 
Es  scheint  mir,  als  ob  die  Indianerfrauen  sich  mehr  durch  die 
Schönheit  des  Gesichts  als  des  Körpers  angezogen  fühlten. 


88  Fünftes  Kapitel. 

Unter  den  Chorotimännern  beobachtete  ich  besonders  zwei, 
welche  die  Günstlinge  der  Frauen  zu  sein  schienen.  Nach 
meinen  Begriffen  sahen  sie  sehr  gut  aus.  Diese  Herren  hat-' 
ten  stets  an  den  Händen  und  im  Gesicht  Kratzwunden.  Das 
sind  Erinnerungen  an  zärtliche  Neckereien.  Ein  Choroti- 
oder  Ashluslaymädchen  küßt  niemals  den  Geliebten,  sie  kratzt 
ihn  und  speit  ihm  ins  Gesicht.  Die  Chorotifrau  sucht  sich 
nach  ihrer  ersten  Menstruation  einen  Mann  aus,  der  einige 
Monate  lang  ihr  Liebhaber  ist,  dann  wechselt  sie  und  lebt 
einige  Jahre  in  Freuden.  Schließlich  wählt  sie  ihren  Be- 
gleiter fürs  ganze  Leben  und  wird  eine  treue  und  sehr  arbeit- 
same Frau. 

Bei  den  Ashluslays  sind  die  Verhältnisse  ebenso  frei  wie 
bei  den  Chorotis,  nur,  wie  mir  scheint,  etwas  primitiver. 
Nach  dem  Tanze  gehen  Mädchen  und  junge  Männer  getrennt 
nach  Hause.  Die  ersteren  legen  sich  vor  die  Hütten,  wo  sie 
der  Reihe  nach  von  den  letzteren  besucht  werden.  Das  sog. 
Schamgefühl  scheint  wenig  entwickelt  zu  sein,  mehrere  Paare 
liegen  zusammen,  und  Zuschauer  sind  nicht  ungewöhnlich. 
Auch  diese  Mädchen  werden,  nachdem  die  Periode  der  freien 
Liebe  zu  Ende  ist,  gute  und  tüchtige  Hausfrauen. 

Die  Choroti-  wie  auch  wahrscheinlich  die  Ashluslaymäd- 
chen haben  keine  Kinder  vor  der  Ehe.  Dies  wird,  wie  schon 
erwähnt,  durch  Abtreibung  der  Leibesfrucht  und  Kindes- 
mord geordnet. 

Der  Leser  des  Obenstehenden  meint  wahrscheinlich,  daß 
die  „Moral"  unter  meinen  Pilcomayofreunden  nicht  hoch 
stehe.  Ich  will  jedoch  darauf  hinweisen,  daß  die  Chorotis  und 
Ashluslays,  trotz  der  vollständig  freien  Liebe  in  der  Jugend, 
gesunde  und  kräftige  Menschen  sind,  und  daß  diese  Mädchen. 
die  alle  von  Blume  zu  Blume  geflogen  sind,  wenn  sie  einen 
eigenen  Hausstand  gründen,  gesunde,  wohlgestaltete  Kinder 
bekommen.  Durch  die  von  den  Weißen  eingeführten  Ge- 
schlechtskrankheiten degenerieren  diese  Stämme  indessen 
und  gehen  unter.  Die  freie  Liebe  ist  für  diese  Menschen 
etwas  ganz  Natürliches;  daß  in  diesem  sog.  unmoralischen 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  89 

Leben  etwas  Unrechtes  liegt,  ist  den  Indianern  und  Indiane- 
rinnen vollständig  unbekannt.  Wir  dürfen  nicht  glauben, 
daß  diese  Mädchen,  die  jede  oder  jede  zweite  Nacht  ihren 
Liebhaber  wechseln,  irgendwie  schlechter  sind,  als  wenn  sie 
unberührt  wären.  Sie  sind  gut  und  arbeitsam  und  werden, 
wie  gesagt,  tüchtige  Hausfrauen  und  gute  Mütter.  Das  Leben, 
das  sie  führen,  ist  für  sie  wie  für  ihre  Eltern  und  anderen  Ver- 
wandten etwas  ganz  Natürliches. 

Die  Chorotifrau  wählt  sich  ihren  Begleiter  fürs  Leben  aus. 
Wie  sie  bei  den  Liebesabenteuern  die  Verführerin  ist,  so  er- 


Abb.  37.     Boxhandschuh.     Ashluslay.    1/2. 

greift  sie  auch  zu  der  festen  Verbindung,  in  welcher  sie 
Kinder  zu  bekommen  gedenkt,  die  Initiative.  Wie  es  in  dieser 
Beziehung  bei  den  Ashluslays  ist,  ist  mir  unbekannt. 

In  der  Regel  nimmt  die  Chorotifrau  ihren  Mann  aus  einem 
anderen  Dorfe,  doch  kommen  auch  Ehen  zwischen  Individuen 
desselben  Dorfes  vor.  Ehen  zwischen  Chorotis  und  Ashluslays 
sind  in  dem  Grenzgebiet  zwischen  den  beiden  Stämmen, 
gleichwie  auch  zwischen  Mataco-Noten  und  Chorotis  und 
Mataco-Guisnays  und  Ashluslays  nicht  ungewöhnlich.  In 
der  Ehe  zwischen  Ashluslays  und  Chorotis  folgen  die  Mädchen 
der  Tätowierung  der  Frauen,  die  Knaben  der  der  Männer. 

Der  Chorotimann  zieht,  wenn  er  sich  verheiratet  hat,  nach 
dem  Dorfe  seiner  Frau  und  wohnt  dort  wenigstens  einige  Zeit. 


90  Fünftes  Kapitel. 

Vielweiberei  scheint  sowohl  bei  den  Chorotis  wie  bei  den 
Ashluslays  unbekannt  zu  sein.  Geschwister-  und  Cousinehe 
ist  verboten.  Die  Frau  ist  in  der  Regel  einige  Jahre  jünger 
als  der  Mann.  Nur  einmal  hörte  ich  von  einer  aufgelösten 
Ehe.  Es  war  die  meines  Chorotifreundes  Nyato,  dessen  Frau 
sich  kurz  vorher  mit  einem  anderen  Manne  nach  den  Zucker- 
fabriken in  Argentinien  begeben  hatte.  Nyato  war  sehr 
melancholisch,   aber  doch  schon  wieder  verheiratet. 

Verschiedene  Reiseschilderer1)  malen  die  Stellung  der  ver- 
heirateten Frau  bei  den  Indianern  als  sehr  beklagenswert  aus. 
Dies  rührt  sicher  in  den  meisten  Fällen  von  einer  oberfläch- 
lichen Beobachtung  her.  Man  hat  den  nur  seine  Waffen 
tragenden  Mann  in  Begleitung  seiner  mit  dem  ganzen  Mobiliar 
beladenen  Frau  lange  Wanderungen  machen  sehen  und  ist 
über  die  ungerechte  Behandlung  der  Frau  empört.  Dies  ist 
jedoch  ganz  natürlich  und  gerecht.  Der  Mann  trägt  die 
Waffen  und  keine  andere  Last,  um  bereit  zu  sein,  die  Seinigen 
zu  verteidigen  und  zu  jagen,  wenn  sich  Gelegenheit  bietet. 
Richtig  ist,  daß  die  Choroti-  und  Ashluslayfrauen  hart  ar- 
beiten müssen,  sie  werden  aber  nicht  schlecht  behandelt. 
Die  Männer  helfen  ihnen  in  vielem.  Viele  der  von  den  Frauen 
angewendeten  Werkzeuge  werden  von  den  Männern  ver- 
fertigt. Ihnen  gehören  alle  Geräte,  Kleider  usw.,  die  sie  an- 
wenden, und  die  Männer  respektieren  ihr  Besitzrecht.  Macht 
der  Mann  ein  Tauschgeschäft,  wird  die  Frau  oft  um  Rat 
gefragt. 

Ich  war  einmal  mit  einem  Chorotiindianer  übereingekom- 
men, mir  gegen  ein  Waldmesser  einen  Matacoskalp,  den  er 
besaß,  einzutauschen.  Das  Geschäft  war  schon  geregelt,  da 
kam  seine  Frau  hinzu.  Sie  verbot  den  Tausch  ganz  einfach. 
Schließlich  bot  ich  für  den  Skalp  ein  Pferd,  aber  es  half  nichts. 
Die  Alte  war  eigensinnig,  und  der  Mann  stand  unter  „der  San- 

*)  Eine  richtige  Auffassung  der  Stellung  der  Frau  im  indianischen 
Gemeinwesen  hat  Koch-Grünberg  in  seiner  ausgezeichneten  Schilde- 
rung des  Indianerlebens  am  Rio  Xegro  gegeben.  Zwei  Jahre  unter 
den  Indianern.     Berlin   1909. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  91 

dale".  Man  sollte  wirklich  meinen,  daß  der  Mann  über  eine 
Kriegstrophäe,  die  er  selbst  erworben,  auch  zu  verfügen  habe. 

Die  Frau  repräsentiert  das  arbeitende  Element  im  Stamme, 
sie  ist  aber  keine  Sklavin.  Vollkommen  freiwillig  arbeitet  sie 
fleißig  für  den  Unterhalt  ihrer  Familie. 

An  den  großen  Trinkgelagen,  die  ich  späterhin  besprechen 
werde,  nehmen  sowohl  Chiriguanofrauen  als  -männer  teil. 
Die  letzteren  nehmen  jedoch  den  Ehrenplatz  ein.  Die  Cho- 
roti-  und  Ashluslaymänner  vertrinken  alles  allein.  Bei  allen 
diesen  Indianern  essen  Frauen  und  Männer  nicht  gemeinsam. 
Man  hat  auch  an  das  zu  denken,  was  wir  betreffend  des  Ge- 
schlechtslebens der  verschiedenen  Stämme  kennen  gelernt 
haben.  Die  Chorotifrau  wählt  sich  ihren  Begleiter  durchs 
Leben,  bei  den  Chiriguanos  ergreift  der  Mann  die  Initiative. 
Die  Chorotifrau  wählt  sich  einen  Mann,  um  für  und  mit  ihm 
zu  arbeiten,  während  die  Chiriguanofrau  gemeinsam  mit  dem 
Manne  für  das  Haus  arbeitet.  Verheiratet  sich  ein  Choroti- 
mädchen,  so  ist  sie  schon  etwas  verblüht.  Der  Chiriguano- 
indianer  nimmt  ein  unberührtes  Mädchen  zur  Frau.  Für  die 
Chorotifrau  beginnt  mit  der  Heirat  die  dritte  Periode  ihres 
Lebens,  die  Arbeitsperiode,  die  Chiriguanofrau  hat,  wenn 
sie  sich  verheiratet,  noch  ihre  Jugend  und  kann  ihrem  Mann 
noch  gefallen.  Wir  sehen  somit,  daß  die  Stellung  der  Frau 
eine  bessere  ist,  wenn  die  Männer  werben,  als  wenn  sie  es 
selbst  tut. 

Die  verheirateten  Frauen  nehmen  niemals  am  Tanz  teil, 
die  verheirateten  Männer  höchst  selten.  Wenn  die  letzteren 
tanzen,  tun  sie  es  in  fremden  Dörfern  und  vielleicht,  ohne  daß 
die  Frau  etwas  davon  weiß.  Die  verheiratete  Frau  betrügt 
ihren  Mann  in  der  Regel  nicht,  auf  die  Treue  des  Mannes 
kann  sie  sich  jedoch  nicht  allzusehr  verlassen.  Hat  er  eine 
Geliebte,  und  bekommt  die  Frau  sie  in  ihre  Hände,  dann 
entsteht  eine  Schlägerei,  und  oft  eine  blutige. 

Die  Indianerfrau  gebiert  leicht  und  geht  schnell,  oft  schon 
nach  einem  Tage,  wieder  an  ihre  Arbeit.  Eine  ältere  Frau 
übernimmt  die  Rolle  der  Hebamme.   Bei  den  Chorotis  kommt. 


0,2  Fünftes  Kapitel. 

wie  bei  vielen  anderen  Indianerstämmen,  der  Brauch  vor,  daß 
der  Vater  des  Kindes  im  Wochenbett  liegt  und  Diät  hält. 

Die  Chorotis  haben  in  der  Regel  nur  zwei  bis  vier  Kinder, 
die  Ashluslays  scheinen  etwas  mehr  zu  haben.  Zwillinge  habe 
ich  niemals  bei  den  Indianern  gesehen.  Keine  dieser  Indianer- 
frauen schafft  sich  ein  neues  Kind,  bevor  das  vorhergehende 
herumlaufen  kann  und  ihr  nicht  allzusehr  zur  Last  fällt. 
Für  diese  Indianer,  die  umfassende  Wanderungen  vornehmen, 
ist  es  nicht  ratsam,  daß  jede  Frau  mehr  als  ein  Kind  hat,  das 
beständig  getragen  werden  muß.  Das  Zwei-  bis  Dreikinder- 
system ist  deshalb  hier  ein  gesunder  und  natürlicher  Brauch. 

Die  Kinder  bekommen  in  der  Regel  erst  Namen,  wenn  sie 
alt  genug  sind,  um  darauf  zu  hören.  Einige  Chorotinamt'n 
habe  ich  aufgezeichnet,  z.  B.  für  Männer  Ycselianec  (Fuchs- 
töter),  Hötenic  (Mataco),  Estiähua  (Charata,  ein  Hühner- 
vogel), und  für  Frauen  Häku  (nicht  süß),  Kosoki  (mit  Aus- 
schlag), Aseshnialo  (viele  Frauen). 

Die  Frau  repräsentiert  hier,  wie  ich  gesagt  habe,  das 
fleißigste  Element  des  Gemeinwesens.  Auf  ihr  Los  kommt 
vor  allem  das  meiste  der  Arbeit  innerhalb  des  Dorfes.  Die 
Frau  führt  bei  diesen  Indianern  beinahe  alle  die  Arbeit  aus, 
die  Kunstfertigkeit  und  Geduld  erfordert.  Sie  bindet  die  stil- 
vollen Taschen  aus  Caraguatäfasern  (Abb.  48),  webt  (Abb.  52) 
und  macht  Tongefäße  (Abb.  54),  alles  das,  was  Handfertig- 
keit erheischt.  Nur  in  der  Holzarbeit  zeigt  der  Mann  Proben 
seiner  Arbeitstauglichkeit.  Der  Mann  hat  hier  die  Industrie 
übernommen,  zu  welcher  die  schneidenden  Werkzeuge, 
welche  er  früher  von  den  auf  der  Jagd  und  beim  Fischfang 
von  ihm  getöteten  Tieren  erhielt,  erforderlich  sind,  und  er  ist 
auch  im  Besitze  der  oft  wenigen  eisernen  Messer,  die  im 
Stamme  vorhanden  sind  und  die  er  von  den  Weißen  erhalten 
hat.  In  abgelegenen  Dörfern  im  Chaco  leben  die  Frauen  noch 
oft  im  ,, Holzalter"  und  wenden  Werkzeuge  aus  hartem 
Holze  an,  während  die  Männer  Messer  aus  Eisen  haben. 

Die  Wetzsteine,  die  man  im  inneren  Chaco  im  Besitze 
der  Indianer  findet,  sind  alle  von  weit  her  und  sind  sicher 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  93 

durch  Handel  zwischen  den  Stämmen  nach  dem  Chaco  ge- 
kommen. In  früheren  Zeiten  waren  die  Steine  sicher  kostbar 
und  die  Steingeräte  selten.  Vielleicht  haben  sie  niemals 
Steinwerkzeuge  gehabt.  Ich  habe  in  keinem  Dorfe  eine  Stein- 
axt gesehen  und  niemals  gehört,  daß  bei  den  Chorotis  oder 
Ashluslays  solche  gefunden  worden  sind.  Harte  Hölzer  und 
Knochen,  aus  denen  Werkzeuge  gemacht  werden  können, 
gibt  es  dagegen  in  reicher  Fülle.  Noch  sieht  man  auch,  wie 
schon  erwähnt,  besonders  bei  den  Ashluslays  viele  solche 
primitive  Werkzeuge  und  Geräte  im  Gebrauch  (Abb.  17).  Die 
Holzgeräte  sind  beinahe  alle  aus  Palosanto1)2),  einem  sehr 
harten,  schweren  und  wohlriechenden  Holze.  Um  diese 
Geräte  herzustellen,  sucht  man  an  den  Stellen,  wo  der  Wald 
niedergebrannt  ist  und  viel  getrocknetes  Holz  auf  der  Erde 
liegt,  Stücke  von  geeigneter  Form  und  Größe  aus.  Nach  der 
Angabe  eines  alten  Ashluslayhäuptlings,  Mentisa,  wurden 
die  Holzgeräte  früher  mit  Holz,  Muschelschalen  und  Feuer 
bearbeitet.  Steingeräte  kannte  er  nicht.  Die  Mörtel  brennen 
die  Ashluslays  noch  aus.  Außer  primitiven  Gerätschaften  aus 
Holz  sieht  man  auch  solche  aus  Zähnen,  Knochen  und  Muschel- 
schalen. 

Der  Mangel  an  Steinen  ist  bei  den  Ashluslays  so  groß,  daß 
man  sie  ihre  von  den  W'eißen  erhaltenen  Messer  sehr  oft  an 
den  Blättern  der  Holzspaten  schleifen  sieht.  Deshalb  ist  auch 
die  eine  Seite  der  Spaten  gewöhnlich  vollständig  glattpoliert. 

In  diesem  primitiven  Gemeinwesen  ist  die  Arbeitsverteilung 
zwischen  den  Geschlechtern  äußerst  streng  durchgeführt.    Es 

x)  Bulnesia  Sarmicnti. 

2)  Infolge  der  Armut  an  Steingeräten  wäre  das  archäologische 
Studium  eines  Volkes,  das  auf  seinen  Begräbnisplätzen  nicht  mehr 
hinterlassen  hat,  als  die  Chacovölker,  eine  sehr  undankbare  Aufgabe. 
Wenige  Tonscherben,  Schncckenschalen  und  knöcherne  Pfriemen  sind 
alles,  was  man  finden  könnte.  Sie  legen  sehr  wenig  Beigaben  in  die 
Gräber.  Die  Völker,  die  auf  demselben  Standpunkt  wie  die  Chaco- 
völker gestanden  und  unter  ähnlichen  Verhältnissen  gelebt  haben, 
können  wir  niemals  durch  archäologische  Forschungen  näher  kennen 
zu  lernen  hoffen. 


94 


Fünftes   Kapitel. 


kann  niemals  die  Rede  davon  sein,  daß  ein  Mann  z.  B.  ein 
Tongefäß  formt  oder  eine  Frau  einen  Spaten  schnitzt.  Das 
wäre  ganz  einfach  unerhört.  Jedes  Geschlecht  stellt  indessen 
nicht  alles  her,  was  es  anwendet.  So  sind  die  Mäntel  und  Ta- 
schen der  Männer  von  den  Frauen  gearbeitet,  während  die 
Holzwerkzeuge,  die  die  Frauen  benutzen,  von  den  Männern 
geschnitzt  werden. 


Arbeitsverteilung  zwischen   Männern   und   Frauen. 

Männer 

"rauen 

Männer 

Frauen 

Fischfang    

+ 

+  1) 

Holzarbeiten     - 

Jagd    

+ 

Herstellung  von  Ta- 

Einsammeln       von 

schen    aus    Cara- 

Honig    

+ 

? 

guatä  

"T" 

Xetzstricken     

+ 

Lederarbeiten     .... 

— 

Mattenbinden     .... 

+  2) 

Waffenanfertigung     + 

Federarbeit     

+ 

Schneiden  von 

Landbau  (Jäten  des 

Kalebassen + 

Ackers) 

+ 
+ 

+ 

Hausbau 

+ 

Säen     

Weben,     Bänder- 

Ernten      

+ 

+ 

flechten  

I 

Kochen   

+  3) 

4- 

Einsammeln    wilder 

Holztragen   

+ 

Früchte  

+ 

Bereitung    berau- 

Viehzucht    

+ 

schender  Getränke 

+4) 

-f 

Nähen   - 

— 

Keramik 

+ 

Die  Ashluslay-  und  Chorotistämme  sind  sozial  insofern 
gleichgestellt,  als  ein  Chorotimädchen  ein  Liebesverhältnis 
mit  einem  Ashluslaymann,  und  eine  Ashluslayfrau  ein  solches 
mit  einem  Chorotimann  haben  kann.  Anders  verhält  es  sich 
z.  B.  zwischen  Chorotis  und  Chiriguanos.  Chiriguanoindianer 
haben  sehr  häufig  zufällige  Verbindungen  mit  Choroti- 
mädchen, wenn  sie  sich  auf  einem  gemeinsamen  Arbeitsplatz 


r)  Mit  Körben  bei  den  Ashluslays.         2)  Nur  bei  den  Ashluslavs. 
-  3)   Rösten  der  Nahrung.  —  *)  Nur  Gären. 


Tafel  9.     Chorotifrau  mit  eingesammelten  wilden  Früchten  und  Holz 
auf  dem  Heimweg. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


95 


treffen;  daß  eine  Chiriguanoindianerin  sich  einem  Choroti- 
indianer  hingäbe,  ist  dagegen  undenkbar.  Die  Chiriguanos 
sehen  auf  die  anderen  Chacostämme  herab,  und  diese  be- 
wundern ihrerseits  die  Chiriguanos. 

Wie  bei  mehreren  anderen  Volksstämmen,  wo  die  freie 
Liebe  blüht,  hat  sich  diese  Institution  bei  den  Chorotis  und 
anderen  Chacostämmen  zur  Prostitution  entwickelt,  wenn 
der  Stamm  mit  den  Weißen  in  Berührung  kam.  So  schicken 
die  in  dieser  Beziehung  den  Chorotis  moralisch  gleichstehenden 
Tobas  Gruppen  junger  Mädchen  unter  Leitung  einer  älteren 
Frau  nach  Argentinien.  Die  Matacos  sagten  offen,  am  besten 
verdienten  in  den  Fabriken  die  jungen  Mädchen.  Die  Cho- 
rotimädchen  verkauften  sich  an  die  Weißen  für  ca.  50  Cen- 
tavos oder  vier  Ellen  Zeug.  Die  bolivianischen  Soldaten  be- 
kamen sie  für  ein  Stück  Brot.  Die  jüngsten  Mädchen  hielten 
sich  in  der  Regel  ausschließlich  an  die  jungen  Indianer  und 
mischten  sich  wenig  mit  den  Weißen.  Die  verheirateten 
Frauen  hatten  niemals  Verbindungen  mit  den  Weißen.  Bei 
den  Ashluslays  hat  das  Verderben  1909  noch  wenig  Eingang 
gefunden. 

Von  älteren  unverheirateten  Mädchen  habe  ich  bei  den 
Chacoindianern  nie  reden  hören.  Dagegen  wurde  mir  bei  den 
Chorotis  als  große  Merkwürdigkeit  ein  Mann  gezeigt,  der 
niemals  eine  Frau  gehabt  hatte. 


Abb.  3S.     Tongefäß.     Ashluslay.    Vs 


Sechstes    Kapitel. 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung). 

Trinkgelage. 

Man  könnte  beinahe  sagen,  daß  das  Leben  für  den  Choroti- 
und  Ashluslayindianer  aus  drei  Perioden  besteht.  Die  erste 
ist  dem  Spiele,  die  zweite  der  Liebe  und  die  dritte  dem 
Trinken  geweiht.  Der  Mann  hat  ja  auch  einige  Zeit  der 
Versorgung  seiner  Familie  zu  widmen,  aber  am  meisten  inter- 
essieren ihn,  wenn  er  älter  ist,  die  Trinkgelage.  Die  Frauen 
bereiten  die  berauschenden  Getränke  zu  und  verwenden 
darauf  einen  außerordentlichen  Fleiß.  Den  ganzen  Tag 
streifen  sie  umher,  um  die  Früchte,  aus  denen  jene  bereitet 
werden,  zu  sammeln,  zu  mahlen,  zu  kochen  usw.,  und  gleich- 
wohl sind  sie  von  den  Festen  vollständig  ausgeschlossen.  Das 
einzige,  womit  der  Mann  sich  befaßt,  ist  die  Gärung.  Diese 
ist  der  Gegenstand  einer  geradezu  religiösen  Sorgfalt. 

Die  geistigen  Getränke  werden  aus  Tusca,  Algarrobo, 
Chanar,  Wassermelone  und  Mais  bereitet.  Alle  diese,  mit 
Ausnahme  solcher  aus  Wassermelonen,  habe  ich  gekostet. 
Sie  sind,  außer  dem  aus  der  Algarrobo  bereiteten,  der  infolge 
des  großen  Zuckergehalts  der  Frucht  außerordentlich  alkohol- 
reich ist,  ziemlich  unschuldig.  Im  November  und  Dezember, 
wo  die  Algarrobof nicht  reif  ist,  finden  auch  in  den  Choroti- 
und  Ashluslaydörfern  wilde  Zechgelage,  tägliche  Orgien  statt, 
an  denen  der  arme  Ethnograph,  falls  er  mit  den  Indianern 
auf  gutem  Fuß  zu  stehen  wünscht,  teilzunehmen  gezwungen  ist. 

Das  Tuscabier  wird  so  zubereitet,  daß  man  die  Frucht 
mahlt,    Wasser    hinzusetzt    und    das    Ganze    dann    in    einer 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


97 


schmutzigen  Haut  oder  in  großen  Kalebassen  gären  läßt. 
Eines  Nachts  war  ich  mit  dabei,  als  in  einem  Chorotidorf  das 
Tuscabier  gegoren  wurde.  Dies  begann  damit,  daß  zwei 
Männer  im  Männerhaus,  den  Rücken  einander  zugewen- 
det ,     um     das    Feuer    herumsaßen    und    sangen    und    den 


Abb.  39.     Ashluslay  mit  einer  Kalebasse  Algarrobobier. 


Takt  mit  den  Kalebaßklappern  angaben.  Etwas  später 
setzte  man  sich  um  die  Haut,  in  welcher  man  das  Bier  zu 
gären  begann.  Ein  Mann  und  ein  Jüngling  sangen,  von  einer 
Klapper  akkompagniert,  das  Gesicht  dem  Monde  zugekehrt. 
Hier  und  da  johlten  und  klapperten  andere  Männer.  Hierauf 
wurde  die  Tongefäßtrommel  herbeigeholt  und  auf  einen  Stroh- 

Nordenskiöld,    Indianerleben.  7 


q8  Sechstes  Kapitel. 

ring  gestellt.  Mit  eintönigen  Schlägen  begleitete  man  den 
Gesang.  Mitten  in  der  Nacht  wurde  er  unterbrochen  und 
man  lief  nach  dem  Fluß  und  fischte  mit  ganz  gutem  Erfolg. 
Die  Fische  wurden  geröstet  und  verzehrt.  Nachdem  das 
Nachtmahl  gehalten  war,  begann  wieder  der  Gesang  und 
wurde  mit  einer  Trommel  und  vier  Klappern  fortgesetzt. 
Die  Gesänge  kamen  mir  wie  bloße  Refrains  vor:  Höö,  höö, 
höö,  höö,  la  e  la,  höö,  la  e  la  ...  höö,  höö,  la  e  la.  Man  sang 
erst  leise,  dann  plötzlich  ansteigend  und  wieder  abfallend. 
Mehrere  johlten  unisono.  Ruhte  die  eine  Gruppe,  so  begann 
eine  andere.  Des  Morgens  wurde  wieder  gefischt  und  zum 
Frühstück  das  mit  so  großer  Sorgfalt  zubereitete  Tuscabier 
getrunken,  das,  nachdem  es  durch  eine  schmutzige  Tasche 
geseiht  worden  war,  in  KalebaCschalen  gereicht  wurde.  Die 
Choroti  glauben  durch  Singen  die  Gärung  zu  beschleunigen. 

Das  Tuscabier  hat  einen  säuerlichen,  erfrischenden  Ge- 
schmack, aber  einen  ekelhaften  Geruch. 

Die  Chanarfrüchte  kocht  man  und  läßt  sodann  die  ganze 
Suppe  gären. 

Die  Algarrobofrüchte  werden  gemahlen  und  in  Wasser 
gewärmt,  worauf  man  sie,  wie  die  vorhergehenden,  in  großen 
schmutzigen  Kalebassen  oder  in  gewaltigen  Holzmulden  aus 
Flaschenbaumholz1)  gären  läßt.  Die  Ashluslays  habe  ich  die 
Hefe  in  der  Weise  bereiten  sehen,  daß  sie  einen  Teil  des 
gemahlenen  Algarrobo  kauen  und  dann  zu  dem  übrigen  hin- 
speien. Das  Chanarbier  hat  einen  süßsäuerlichen,  etwas 
ekligen  Geschmack,  das  Algarrobobier  ist  gut.  Es  hat  einen 
süßen,  etwas  zusammenziehenden  Geschmack.  Hat  es  zu 
lange  gegoren,  so  ist  es  stark  berauschend.  Wie  das  Maisbier 
zubereitet  wird,  habe  ich  nicht  gesehen.  Es  ist  bei  einer 
Menge  Indianerstämme  in  Südamerika  gut  bekannt.  Es  hat 
einen  erfrischenden,  angenehmen  Geschmack. 

Bei  den  Ashluslays  habe  ich  an  verschiedenen  großen,  bei 
den  Chorotis  an  einigen  kleineren  Trinkgelagen  teilgenommen. 

J)  Chorisia. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


99 


Es  war  interessant,  hat  aber  einige  Selbstüberwindung  ge- 
kostet. In  den  Dörfern  befindet  sich  gewöhnlich  ein  den 
Trinkgelagen  geweihter  Platz.  Um  die  Mittagszeit  versam- 
meln sich  dort  die  Männer,  jeder  kommt  mit  seiner  Sitzmatte 
und  seiner  zwei  bis  drei  Liter  haltenden  Kalebaßschale.  Die 
Frauen  schaffen  gewaltige  Kalebassen  mit  Bier  herbei.  Dies 
wird  zuweilen  in  ein  großes  Tongefäß  (Abb.  40)  gefüllt,  aus 
dem  es  dann  dargereicht  wird.  Bei  einem  Fest  bei  dem  alten 
Aslü  wurde  das  Algarrobobier  in  einem  echt  europäischen 
Nachtgeschirr  von  wohlbekannter  Form  herumgereicht.  Die 
Alten  fischen  mit  den  Hän- 
den den  Staub  aus  dem  Bier, 
das  sie  dann  zwischen  den 
schmutzigen  Fingern  durch- 
seihen. 

Der  Gast  wird,  besonders 
wenn  er  das  Unglück  hat, 
beliebt  zu  sein,  sehr  gut 
behandelt.  Er  erhält  eine 
Sitzmatte  und  eine  zwei  bis 
drei  Liter  enthaltende  Kale- 
basse. Setzt  er  sich,  winken 
ihm  alle  mit  der  Hand  zu 
Das  ist  ein  Gruß 


Abb.  40.     „Bowle", 
Ashluslavdorf. 


aus  einem 
Vir 


und  er  muß  das  gleiche  tun. 
Dann  heißt  es  trinken,  denn  hier  gilt 
es  auszutrinken,  sonst  ist  man  unhöflich.  Ist  es  einem  ge- 
lungen ,  seinen  Liter  herunterzubekommen ,  ohne  sich  zu 
übergeben,  dann  beginnt  wieder  das  Winken.  Die  in  der 
Nähe  sitzenden  Alten  wischen  einem  nun,  der  eine  nach  dem 
anderen,  immer  mit  ihren  schmutzigen  Fingern  den  Mund. 
Das  ist  der  Gipfel  der  Freundlichkeit.  Muß  man  nach  allem 
diesem  einmal  austreten,  dann  darf  man  keinesfalls  vergessen, 
seinen  Nachbarn  mit  der  Hand  zuzuwinken  und  ,,paa"  zu 
sagen,  denn  sonst  ist  man  ungezogen.  Das  schlimmste  ist, 
daß  man  zurückkommen  und  aushalten  muß,  bis  das  Fest 
aus  ist,  bis  die  Wirte  betrunken  sind  und  heulen,  Reden 
halten,  in  die  Bowle  spucken  und  sonst  ihr  Vergnügen  haben. 


100  Sechstes  Kapitel. 

Ohne   die    Pfeifenspitze   abzuwischen,    muß   man   ruhig   mit 
alten,  schmutzigen,  geifernden  Greisen  abwechselnd  rauchen. 

Als  die  Alten  richtig  in  Stimmung  gekommen  waren,  haben 
sie  mir  das  Gesicht  mit  Ruß  und  Speichel  schwarz  bemalt. 
Meine  Augenbrauen  und  Augenhaare  wollten  sie  ausreißen, 
sie  verspotteten  mich  wegen  meines  langen,  häßlichen  Bartes, 
in  meine  Ohren  wollten  sie  Löcher  bohren. 

Bei  diesen  Trinkgelagen,  wo  alle  betrunken  sind,  habe  ich 
niemals  ein  hartes  Wort  sagen  hören,  niemals  bemerkt,  daß 
die  geringste  Zänkerei  entstanden  ist.  Ist  der  Indianer  von 
seinem  selbstgebrauten  Bier  betrunken,  so  ist  er  nicht  ange- 
nehm, er  wird  aber  niemals  unverschämt,  er  gehört  zu  dem 
Typ  Betrunkener,  die  alle  umarmen  wollen,  deren  Freund- 
lichkeit unangenehm  übertrieben  ist.  Er  wird  mutig  und 
prahlt  mit  seinen  Kriegertaten.  Feldzugspläne  werden  be- 
sprochen, die  vergessen  sind,  wenn  der  Rausch  vorüber  i>t. 
Er  singt  und  ist  heiter. 

Will  man  das  Herz  dieser  Indianer  gewinnen,  so  muß  man 
versuchen,  ihr  Leben  zu  leben,  alles  zu  essen  und  zu  trinken, 
was  einem  angeboten  wird,  mit  ihnen  zu  tanzen  und  zu  singen, 
sich  ins  Gesicht  speien  zu  lassen  und  so  wie  sie  gekleidet 
zu  gehen. 

Man  muß  auch,  ebenso  wie  wenn  man  unter  weißen 
Menschen  ist,  taktvoll  und  rücksichtsvoll  auftreten,  wie  die 
Indianer  selbst.  So  manches  Mal  habe  ich  Beispiele  von  dem 
taktvollen  Auftreten  der  Indianer  gesehen.  Nach  einem 
großen  Fischzug,  den  einige  Ashluslays  und  Chorotis  gemein- 
schaftlich vorgenommen  hatten,  kam  ich  mit  einigen  Chorotis 
vorbei.  Ich  tauschte  mir  bei  den  Indianern  zwei  Arten  Fische 
ein,  eine  dritte  bekamen  meine  Begleiter  als  Geschenk.  Ich 
ließ  meine  Freunde  durch  den  Dolmetscher  fragen,  welche 
Art  Fische  die  beste  sei,  dieser  wollte  aber,  offenbar  um 
den  Geber  nicht  zu  verletzen,  der  einen  weniger  guten  Fisch 
geschenkt  hatte,  meine  Frage  nicht  beantworten. 

Der  Branntwein  ist  bei  den  Ashlulays  noch  unbekannt, 
und  auch  die  Chorotis  haben  selten  Gelegenheit,  solchen  zu 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


IOI 


trinken.  Das  kommt  aber  wohl  noch,  dafür  sorgen  schon 
allmählich  die  Weißen.  Auf  der  argentinischen  Seite  des 
Rio  Pilcomayo  gibt  es  schon  genug  Feuerwasser  und  ein 
auserlesenes  Gesindel  Weiße.  Die  Bolivianer,  die  den  Rio 
Pilcomayo  hinuntergedrungen  sind,  sind  dagegen  in  der  Regel 
anständige  Menschen. 

Das  Tabakrauchen. 

Man  sagt  ja,  keine  Mauer  sei  so  hoch,  daß  nicht  ein  gold- 
beladener  Esel  hinüberkomme.  Mit  einem  mit  Tabak  be- 
ladenen  Esel  kommt  man  im  Chaco  beinahe  überall  durch. 


Abb.  4i. 

Pfeifenkopf. 

Ashluslav. 


Abb.  42. 

Pfeifenkopf. 

Ashluslav.  V2 


Abb.  43. 

Pfeifenkopf. 

Ashluslav.  1fi. 


auch  in  Gegenden,  wo  das  Gold  als  wertlos  betrachtet  wird. 
Teilt  man  in  den  Dörfern  etwas  Tabak  aus,  wird  man  gut 
aufgenommen  und  kann  Essen  und  alles,  was  man  braucht, 
eintauschen.  Ein  großer  Tabakvorrat  ist  das  Akkreditiv,  das 
jeder,  der  unter  den  Indianern  des  Chacos  reisen  will,  mit- 
haben muß.  Die  Indianer  sind  in  so  hohem  Grade  passionierte 
Raucher,  daß  ein  alter,  verdorbener  weißer  Tabakraucher 
darüber  in  Staunen  geraten  muß.  So  boten  mir  die  Mataco- 
Guisnay  am  Rio  Pilcomayo  für  ein  bißchen  Tabak  ihre 
Messer,  ihre  unentbehrlichen  Messer  an.  In  jedem  Indianer- 
dorf im  Chaco,   in  das   ich  gekommen   bin,   habe   ich   auch 


102  Sechstes  Kapitel. 

reichlich  Tabak  ausgeteilt  und  damit  einen  sicheren  Grund 
zur  Freundschaft  gelegt. 

Es  ist  merkwürdig,  daß  die  Indianer  so  eifrig  hinter  dem 
Tabak  her  sind,  da  sie  doch  selbst  solchen  bauen.  Man 
braucht  indessen  ihren  Tabak  nur  zu  versuchen,  um  zu 
verstehen,  daß  sie  lieber  den  des  weißen  Mannes  rauchen, 
denn  ihr  eigener  ist  geschmacklos  und  schlecht.  Sie  ver- 
stehen offenbar  nicht,  ihn  aufzubewahren,  sondern  lassen  ihn 
vermodern,  so  daß  er  wie  Kompost  aussieht.  Die  Chaco- 
indianer  wollen  starken  Tabak.  Sie  sind  alle  Pfeifenraucher, 
und  man  sieht  im  Chaco  einen  großen  Reichtum  an  Pfeifen- 
typen. 

Die  Frauen  rauchen  in  der  Regel  nicht.  Eine  Ausnahme 
bilden  jedoch  die  Chorotimädchen,  die  viel  mit  Weißen  gelebt 
haben.  Schenkt  man  einer  Frau  Tabak,  so  gibt  sie  das 
Erhaltene  ihrem  Manne.  Die  Knaben  sind,  wenn  sie  über 
Tabak  kommen,  große  Raucher.  Oft  sieht  man  Knaben  von 
vier  bis.  fünf  Jahren  mit  Wohlbehagen  qualmen. 

Die  Indianer  rauchen,  wie  schon  erwähnt,  immer  abwech- 
selnd, d.  h.  die  Pfeife  geht  von  Mund  zu  Mund.  Jeder  tut 
ein  paar  kräftige  Züge  und  dann  geht  die  Pfeife  weiter  zum 
nächsten  Mann.  Manchmal  ist  es  mir  passiert,  daß  ein 
Indianer  mir  die  Pfeife  oder  Zigarette  aus  dem  Mund  ge- 
nommen, einige  Züge  getan  und  sie  mir  dann  wieder  in  den 
Mund  gesteckt  hat.  Man  gewöhnt  sich  so  sehr  an  diese  Sitte, 
daß  man  sich  förmlich  geniert,  so  geizig  zu  sein,  allein  zu 
rauchen.  In  der  Regel  reichte  ich  meine  Pfeife  nach  ein  paar 
Zügen  einem  Indianer,  um  sie  dann,  wenn  sie  die  Reihe 
entlang  gegangen  war,  ausgeraucht  zurückzubekommen.  Die 
Chorotis  im  Chaco  mischen  den  Tabak  oft  mit  Spänen  einer 
außerordentlich  wohlriechenden  Rinde,  was  dem  Rauch  einen 
sehr  pikanten  Geschmack  gibt.  Diese  Rinde  erhalten  sie  von 
den  bei  Caiza,  nahe  den  letzten  Ausläufern  der  Anden  gegen 
den  Chaco,  wohnenden  Chorotis. 

Besonders  liegt  es  den  Indianern  am  Herzen,  daß  bei  den 
Trinkgelagen    genügend    Tabak    vorhanden    ist.     Dieser    ist 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  103 

ebenso  notwendig,  wie  Zigarren  zum  Punsch  und  Kaffee  für 
viele  Schweden.  Wandert  man  mit  diesen  Indianern,  so  muß 
man  sich  auch  darein  finden,  daß  jede  zweite  Stunde  Halt 
gemacht  und  eine  Pfeife  geraucht  wird.  Dies  ist  so  wichtig, 
daß  man  es  nicht  im  Gehen  tun  kann,  sondern  sitzend,  in 
allerschönster  Ruhe,  soll  man  den  herrlichen  Rauch  genießen. 
Jedem,  der  im  Chaco  reist,  will  ich  deshalb  den  Rat  geben, 
so  viel  Tabak  mitzunehmen,  wie  man  es  für  Geschenke  und 
Tauschwaren  erforderlich  hält  —  und  dann  noch  einmal  so- 
viel —  dann  reist  man  je  nach  den  Verhältnissen  ebensogut 
wie  derjenige,  der  in  der  zivilisierten  Welt  mit  einer  mit  Gold 
gespickten  Börse  reist. 

Medizinmänner,  religiöse  Vorstellungen. 

Nach  den  großen  Trinkgelagen  werden  die  Indianer  nicht 
selten  krank.  Irgendeiner  hat  eins  seiner  eigenen  Haare  oder 
Exkremente  in  das  gelegt,  was  er  getrunken  hat.  Er  ist 
verhext  worden.  Die  Medizinmänner  werden  herbeigerufen, 
um  die  Verhexung  zu  lösen.  Will  man  nicht  verhext  werden, 
dann  hat  man,  wenn  man  in  einem  fremden  Dorfe  ist,  vor  allem 
darauf  zu  achten,  daß  niemand  sieht,  wo  man  seine  Bedürf- 
nisse verrichtet.  Man  setzt  sich  sonst  dem  aus,  daß  man 
etwas  davon  zu  essen  bekommt,  und  das  soll  nicht  gut  sein. 

Mehrmals  habe  ich  die  Medizinmänner  in  den  Dörfern  bei 
der  Ausübung  ihres  Berufs  gesehen.  Eines  Tages,  als  ich 
bei  den  Chorotis  war,  fühlte  ich  mich  etwas  unwohl  und 
ließ  einen  dieser  Herren  nach  meinem  Lager  rufen.  Ich  gab 
vor,  im  unteren  Teil  der  Brust  einen  heftigen  Schmerz  zu 
verspüren,  und  fragte  ihn,  ob  er  mich  heilen  wolle.  Er  ver- 
sprach mir  am  Abend  zu  kommen.  In  der  Dunkelstunde 
fand  er  sich  zusammen  mit  einem  Kollegen  ein.  Sie  ver- 
langten allein  mit  mir  gelassen  zu  werden.  Moberg  und  An- 
dersson  wurden  hinausgewiesen  und  Posten  wurden  auf- 
gestellt, damit  kein  Unbefugter  in  die  Hütte  komme. 

Zuerst  mußte  ich  mich  nackend  ausziehen  und  hinlegen. 
Dann  strichen  sie  mir  über  Brust,  Seiten  und  Magen  und 


104  Sechstes  Kapitel. 

hierauf  bespuckten  sie  mich.  Danach  begannen  sie  mich 
anzupusten  und  später  legten  sie  sich  nieder  und  saugten 
kräftig  an  meiner  Brust,  besonders  an  der  Stelle,  wo  ich 
mich  über  Schmerzen  beklagt  hatte.  Nachdem  sie  ein  Weil- 
chen gesaugt  hatten,  wandten  sie  sich  ab  und  taten,  als  über- 
gäben sie  sich.  Das  Erbrochene  zeigten  sie  mir  nicht,  als 
sie  es  aber  zwischen  den  Fingern  zermahlten,  sah  es  aus, 
als  ob  sie  Würmer  zerdrückten.  Das  Ganze  dauerte  wohl 
eine  Stunde,  und  als  ich  mich  wieder  ankleiden  durfte,  hatte 
ich  überall  Saugflecken.  Die  werten  Herren  unterhielten 
wahrend  der  ganzen  Heilung  ein  lebhaftes  Gespräch,  das 
ich  nicht  verstand.  Aus  der  Mimik  konnte  ich  jedoch  ver- 
stehen, daß  es  sich  um  eine  Konsultation  (Beschwörung) 
handelte.  Als  Honorar  erhielt  der  eine  Arzt  ein  Hemd  und 
der  andere  ein  Paar  enganschließende  Unterhosen. 

Früh  am  folgenden  Tage  versammelte  sich  um  mein 
Lager  eine  Menge  schmutziger  alter  Männer,  die  sich  nach 
meinem  Wohlbefinden  erkundigten.  Es  war  offenbar  die 
ganze  medizinische  Fakultät  der  Chorotis.  Ich  erklärte  mich 
vollständig  geheilt,  und  meine  Chorotiärzte  lächelten  selbst- 
gefällig und  zufrieden,  ganz  so,  wie  es  manche  ihrer  zivili- 
sierten Kollegen  in  ähnlicher  Lage  ebenfalls  getan  hätten. 

Einmal  erkrankte  der  Sohn  eines  alten,  einflußreichen 
Chorotihäuptlings  vom  Ashluslaystamm,  und  es  wurden  nicht 
weniger  als  sieben  Medizinmänner  gerufen.  Es  waren  offenbar 
bedeutende  Männer  aus  beiden  Stämmen,  von  denen  einige 
von  weither  gekommen  waren.  Der  Fall  wurde  als  schwierig 
betrachtet.  Wahrscheinlich  war  es  Kolik.  Ein  Schaf  wurde 
geschlachtet,  und  den  werten  Herren  wurden  große  Haufen 
Essen  vorgesetzt.  Die  Höflichkeit  erfordert  augenscheinlich, 
daß  die  Medizinmänner  während  der  ganzen  Zeit,  wo  sie  ihren 
Beruf  nicht  ausüben,  essen  sollen.  Mehreremal  ging  ich  hinein 
und  setzte  mich  zu  ihnen,  teilte  Tabak  aus  und  konnte 
somit  sehen,  wie  sie  den  Mann  heilten.  Wenn  sie  nicht  aßen, 
so  saugten  sie  und  spuckten  und  bliesen  ihn  an.  Zuweilen 
saugten  sie  alle  auf  einmal,  zeigten  etwas  mit  einer  wichtigen 


Unter  den  Indianern  am  Rio'  Pilcomavo. 


105 


Miene,  gingen  dann  abseits  und  vergruben  es.  Ich  benutzte 
die  Gelegenheit  und  bat  sie  mir  zu  zeigen,  was  es  sei,  und 
der  Arzt  -  -  der  Zauberer  -     reichte  mir  einige  Haare. 

Als  dieser  Indianer  geheilt  wurde,  saßen  sowohl  Kinder 
wie  Frauen  um  die  Medizinmänner,  und  diesem  bewundern- 
den Publikum  zeigten  die  werten  Herren,  was  sie  aus  dem 
Körper  des  Kranken  herauszusaugen  vermocht  hatten. 

Für  den  Kranken  hatte  man  einen  Krankenstuhl  gemacht, 
den  wir  hier  auf  der  Zeich- 
nung sehen  (Abb.  44).  Er 
bestand  aus  drei  in  den 
Boden  gestoßenen  und  mit 
Querriegeln  verbundenen 
Stangen.  Man  kann  ruhig 
sagen,  daß  er  einfach  war. 
In  diesem  Stuhl  oder  rich- 
tiger gegen  diese  Stütze  saß 
der  Kranke,  um  sich  aus- 
zuruhen. 

Auch  Neugeborene  habe 
ich  durch  Aussaugen  heilen 
sehen.  Auch  Weiße  lassen 
Medizinmänner  kommen, 
und  diese  erzählten,  wie  sie 
jene  geheilt  hätten,  nachdem 

alle  möglichen  Arzneien,  die  sie  für  teures  Geld  gekauft 
hatten,  nichts  geholfen  hätten.  Ich  meine  auch,  die  ärztliche 
Kunst  der  indianischen  Medizinmänner  kann  ebenso  gut  sein, 
wie  elektrisches  Öl,  Williams  Pillen,  das  wundertätige  Salz 
und  andere  von  den  Weißen  hier  massenweise  verkaufte 
amerikanische  Humbugarzneien . 

In  diesem  Zusammenhang  will  ich  auch  erzählen,  wie  ich 
bei  den  den  Chorotis  und  Ashluslays  kulturell  nahestehenden 
Matacoindianern  eine  kranke  Frau  habe  heilen  sehen. 

Eines  Nachts  besuchte  ich  einige  Matacoindianer,  die  ihr 
Lager  vor  der  Zuckerfabrik  Esperanza  in  Argentinien  auf- 


Abb.  44.     Krankenstuh.1. 
Ashluslay. 


IOÖ  Sechstes  Kapitel. 

geschlagen  hatten,  wohin  sie  gekommen  waren,  um  Arbeit 
zu  suchen.  Sie  hatten  mir  versprochen,  bei  einem  ihrer 
Tänze  zugegen  sein  zu  dürfen.  Das  Tanzlokal  war  der  offene 
Platz  zwischen  den  Hütten.  Die  Beleuchtung  war  eine  von 
mir  mitgebrachte  kleine  Laterne.  Die  Trachten  waren  von 
den  Weißen  gekaufte  Kleider  sowie  Glocken  und  Klappern. 
In  den  Händen  hatten  die  sechs  Tänzer  Stöcke.  Eigen- 
tümlicherweise hatten  einige  von  ihnen  ein  Tuch  über  das 
Gesicht  (entsprechend  Tanzmasken?).  Erst  standen  alle 
außer  einem  still.  Dieser  tanzte  umher,  indem  er  Laute 
wie  ä,  ä,  ä,  ja,  ja,  ja,  lä,  lä  .  .  .  ausstieß.  Dann  liefen  drei 
von  ihnen  im  Gänsemarsch  im  Kreise  herum  und  dann  unter 
Geheul  in  mehreren  Schlangenwindungen.  Hierauf  kam  eine 
kranke  Frau  hinzu,  und  sie  umtanzten  dieselbe  heulend  und 
mit  gebogenen  Knien,  indem  sie  mit  den  Füßen  auf-  und 
niederstampften.  Von  der  Frau  entnahm  einer  von  ihnen 
sechs  angekohlte  schwarze  Stäbchen,  von  denen  er  eins 
aus  dem  Rücken  und  eins  aus  dem  Unterrock  hervorholte. 
Diese  warf  er  dann  ein  Stückchen  von  sich  auf  den  Boden, 
wo  ich  sie  mir  holte.  Der  Dolmetscher  sagte  mir,  diese,  die 
die .  Ursache  ihrer  Krankheit  seien ,  hätten  sie  aus  ihrem 
Körper  herausgeholt.  Hierauf  wurde  der  Tanz  eine  längere 
Zeit  in  derselben  Weise  fortgesetzt. 

Die  Matacos  verhexen,  wie  der  bolivianische  Gouverneur, 
Dr.  L.  Trigo,  mir  erzählt  hat,  auf  folgende  Weise :  Sie  sammeln 
von  dem  Feinde,  den  sie  verhexen  wollen,  Exkremente,  Urin, 
Speichel,  Haare,  Nägel.  Alles  dies  stopfen  sie  einem  Frosch 
ins  Maul  und  nähen  dann  Maul,  Nasenlöcher,  Ohren  und 
andere  Öffnungen  des  Frosches  sorgfältig  zusammen.  Darauf 
hängen  sie  ihn  in  der  Nähe  einer  Feuerstätte  auf,  wo  er 
anschwillt  und  stirbt.  Dasselbe  widrige  Schicksal  trifft  den, 
der  verhext  werden  soll,  unter  ähnlichen  Qualen  stirbt  er. 
Die  Verhexung  kann  nur  von  einem  Medizinmann  gelöst 
werden,  der  größere  Kraft  hat,  als  derjenige,  der  verhext  hat. 

Auch  wenn  ein  Hund  stirbt,  so  glauben  die  Indianer, 
daß  er  verhext  worden  ist.     Ein  weißer  Mann  hatte  einige 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  107 

Matacohunde  mit  Strychnin  vergiftet,  und  als  nun  die  Matacos 
den  einen  Hund  nach  dem  anderen  plötzlich  krank  werden 
und  sterben  sahen,  fürchteten  sie  diesen  Weißen,  der,  wie 
sie  glaubten,  ihre  Hunde  verhext  hatte,  sehr. 

Die  Chorotis  und  Ashluslays  sowie  auch  die  hier  oben 
genannten  Matacos  wenden  auch  eine  große  Anzahl  Pflanzen 
als  Heilmittel  an.  Diese  werden  nicht  von  den  Medizin- 
männern verordnet,  sondern  sind  allen  Mitgliedern  des 
Stammes  bekannt. 

Den  lateinischen  Namen  dieser  Pflanzen  kenne  ich  nicht. 
Ich  gebe  hier  einige  mit  ihrem  Namen  auf  Choroti  wieder: 

toshsala  —  wird  gekocht  und  der  Kopf  damit  gebadet, 
wenn  man  krank  ist; 

läkiole  —  wird  gekocht;  es  werden  bösartige  Geschwüre 
damit  gewaschen; 

läcosoki  —  wird  wie  das  vorige  angewandt; 

lashhi^ätis  wird    gekocht    und    bei    Magenschmerzen 

getrunken ; 

lahuöle  —  wird  getrocknet  und  in  einen  hohlen,  schmerzen- 
den Zahn  gelegt; 

lesini  cosoki  —  wird  gemahlen  und  geweicht  und  dann  in 
ein  schmerzendes  Ohr  gestopft. 

Wird  jemand  von  einer  Schlange  gebissen,  lassen  die 
Matacos  die  Menstruation  in  die  Wunde  träufeln.  Das  Mittel 
soll  auch  von  den  Weißen  in  Argentinien  angewendet  werden. 
Die  Chorotis  wenden  die  Asche  gewisser  Pflanzen  für  bös- 
artige Geschwüre,  Schanker  u.  dgl.  an.  Merkwürdigerweise 
scheinen  sie  den  Schanker  heilen  zu  können,  denn  sie  be- 
kommen selten  Bubonen. 

Von  dem  englischen  Arzt  Dr.  Paterson,  an  der  im  Anfang 
dieses  Buches  erwähnten  Zuckerfabrik,  bekamen  die  Indianer 
das  Zeugnis,  daß  sie,  im  Gegensatz  zu  den  argentinischen 
Mestizen,  sehr  geduldig  sind,  wenn  es  gilt  Schmerzen  zu 
ertragen. 

Ich  selbst  habe  auch  einige  Male  während  meines  Auf- 
enthaltes  unter   den   Indianern    im    ärztlichen    Gewerbe  ge- 


Io8  Sechstes  Kapitel. 

pfuscht,  hörte  aber  bald  wieder  damit  auf.  Es  ist  unmöglich 
einen  Indianer  zu  bewegen,  sich  eine  längere  Zeit  zu  pflegen. 
Es  soll  gleich  wieder  gut  sein,  sonst  taugt  das  Heilmittel 
nichts.  Morphium,  Kokain  und  Opium  sind  die  einzigen  Mittel, 
die  ihren  Beifall  haben.  Diejenigen,  die  in  den  Zucker- 
fabriken die  Vakzinierung  gegen  Pocken  kennen  gelernt 
haben,  wollen  auf  dem  Arm  gern  die  drei  wundertätigen 
Male  haben. 

Ich  habe  niemals  einen  Choroti  oder  Ashluslav  sterben 
sehen,  habe  aber  (1902)  einige  der  ersteren  ausgegraben. 
Dies  ist  mit  Genehmigung  der  Verwandten  geschehen.  Durch 
ein  kleines  Geschenk  an  jeden  Verwandten  läßt  sich  dies 
leicht  ordnen.  Eigentümlicherweise  kam  es  bei  den  den 
Chorotis  nahestehenden  Matacos  ein  paarmal  vor,  daß  die 
Verwandten  beim  Ausgraben  zugegen  waren.  Sie  fanden 
die  Sache  ganz  natürlich  und  zeigten  gar  keine  Furcht. 

Beigaben  traf  ich  nur  sehr  wenige.  Das  einzige,  was  der 
Tote  mitbekommen  hatte,  war  eine  Tasche  mit  einem  Pfrie- 
men, einem  Löffel  oder  sonst  einer  Kleinigkeit  sowie  ver- 
einzelt eine  Schale,  die  Wasser  enthalten  hatte. 

Von  dem,  was  diese  Indianer  über  das  Schicksal  der 
Menschen  nach  dem  Tode  glauben,  weiß  ich  nicht  viel.  Die 
Geister  gehen  eine  Zeitlang  in  den  Häusern  und  "Wäldern 
umher.  Die  Matacos  meinten,  ihre  Toten  seien  nicht  gefähr- 
lich. Dagegen  wollen  die  Toten  der  Christen  die  Nacht- 
wandrer gern  erschrecken.  Sie  wandern  somit  auch  in  Feld 
und  Wald  umher.  Die  Matacos  nennen  die  Geister  ,,aut". 
Sie  sagen,  sie  verschwänden  allmählich.  Die  Chorotis  nennen 
sie  „amoxi".  Ein  Mataco  hat  auf  meinen  Wunsch  einen 
solchen  Geist  gezeichnet,  welches  Porträt  ich  hier  wieder- 
gebe. Die  Punkte  um  seinen  Körper  bedeuten  die  Kleider 
(Abb.  45). 

Stirbt  der  Mann  oder  ein  anderer  naher  Verwandter,  so 
schneiden  sich  die  Ashluslay-  und  Chorotiweiber  mit  den 
scharfen  Zähnen  des  Palometafisches  die  Haare  ab  und  ver- 
brennen sie.    Für  seine  eigene  oder  eine  andere  Frau  begeht 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  109 

der  Mann  nicht  die  gleiche  Aufopferung."  Wenn  man  in 
einem  Choroti-  oder  Ashluslaydorf  wohnt,  so  hört  man  be- 
sonders des  Morgens  beinahe  immer  lautes  Klagen  und 
Singen.  Auf  diese  Weise  werden  die  Toten  beweint.  Wir 
sind  alle  Brüder  und  Schwestern,  sagen  die  Indianer.  Wir 
trauern  gemeinsam.  Eine  richtige  Mutter  trauert  tief  über 
ihr  totes  Kind,  ob  sie  nun  in  einem  feinen  Hause  in  Europa 
oder  in  einer  kleinen  grasbedeckten  Hütte  am  Ufer  des 
Pilcomayo  sitzt,  und  ebenso  betrauern  die  Kinder  eine 
Mutter,  die  für  sie  gearbeitet  und  gestrebt  hat.  Bei  den 
Ashluslays  und  Chorotis  wird  mit  der  Trauer  viel  Spektakel 
gemacht,  ich  bin  aber  fest  überzeugt  davon,  daß  bei  ihnen 
auch  viel  wirkliches  Gefühl  vorhanden  ist.  Be- 
rufstrauerweiber kommen  bei  diesen  Indianern 
nicht  vor. 

Über  die  religiösen  Vorstellungen  der  Chorotis 
und  Ashluslays  habe  ich  nur  sehr  wenig  er- 
fahrenkönnen. Sie  glauben,  wie  schon  erwähnt,  ^hb  4-.  7 
an  ein  Leben  im  Jenseits.  Ein  großer,  all- 
mächtiger Gott  ist  ihnen  etwas  Fremdes,  gleichwohl  scheint 
aber  dieser  Begriff  sich  Eingang  zu  verschaffen.  Diese  In- 
dianer hören  auf  den  Arbeitsfeldern  von  der  Religion,  von 
der  die  katholischen  Missionare  reden,  und  teilen  dann  das 
Gehörte  anderen  mit.  Auf  diese  Weise  verbreiten  sich  auch 
außerhalb  des  direkten  Wirksamkeitsfeldes  der  Missionare 
dunkle  Vorstellungen  über  das  Christentum.  Die  Menge 
übernatürlicher,  mächtiger  Wesen  in  den  Sagen  der  Chanes 
und  Chiriguanos,  mit  denen  wir  späterhin  Bekanntschaft 
machen  werden,  finden  wir  in  den  Erzählungen  dieser  In- 
dianer nicht.  Alles  was  erwähnt  wird,  sind  einige  mystische 
Tiere.  So  wohnt  in  einem  See  unweit  Guachalla  am  Rio 
Pilcomayo  ein  kleines,  von  den  Chorotis  ,,kiäliki"  genanntes 
Wesen,  das  wie  ein  Mensch  aussieht,  aber  vollständig  schwarz 
ist.  Nähern  sich  ältere  Personen  dem  See,  so  tut  es  ihnen 
nichts.  Kinder  raubt  es  dagegen.  Vielleicht  ist  es  der 
„schwarze  Mann"  der  Indianer. 


HO  Sechstes  Kapitel. 

Eine  andere  *  Chorotierzählung  lautet  folgendermaßen : 
„In  einem  See  lebte  eine  Schlange,  die  war  dick  wie  zwischen 
zwei  ausgestreckten  Armen.  Diese  verschluckte  einen 
Choroti,  dieser  tötete  aber  die  Schlange,  indem  er  ihr  das 
Herz  durchbohrte,  und  grub  sich  heraus.  Von  der  Hitze  im 
Magen  der  Schlange  war  er  ganz  rot  und  haarlos  geworden. 
Als  er  nach  Hause  kam,  kannte  ihn  seine  Frau  nicht  wieder. 
Er  erzählte  ihr  da,  wie  er  von  der  Schlange  verschluckt  wor- 
den sei. 

Ein  mystisches  Tier  frißt  am  Mond,  wenn  Mondfinsternis 
ist.  Diese  nennen  die  Chorotis  ,,söoli",  die  Ashluslays  ,,sut- 
läsh".     Ein  Meteor  bedeutet  einen  Todesfall. 

Im  vorhergehenden  habe  ich  eine  Chorotisage  von  dem 
Weltbrand  und  dem  Raub  des  Feuers  wiedergegeben.  Dies 
ist  die  einzige  Kulturmythe,  die  ich  von  diesen  Indianern 
habe. 

Wie  schon  erwähnt,  habe  ich  dagegen  von  den  den  Chorotis 
kulturell  nahestehenden  Matacos  einige  Sagen  oder  Kultur- 
mythen gesammelt,  die  ich  hier  wiedergeben  will.  Sie  sind 
von  dem  Matacoindianer  Na-yäs  vom  Rio  Bermejo  erzählt 
und  von  Chetsin,  von  demselben  Stamme,  übersetzt. 

Vom  Matacoindianer  Na-yäs  erzählte  Sagen. 
Der  Raub  des  Feuers.1) 

Wie  erzählt  wird,  hat  der  Jaguar  das  Feuer  bewacht,  be- 
vor die  Matacos  es  erhielten.  Es  wird  erzählt,  daß  man 
fischen  ging.  Alle  Matacos  waren  fischen  gegangen  und  ein 
Meerschweinchen  besuchte,  wie  erzählt  wird,  die  Jaguare 
und  brachte  ihnen  einen  Fisch  mit.  Es  wird  erzählt,  daß  es 
zum  Feuer  hingehen  wollte.  Es  wird  erzählt,  daß  der  Jaguar 
das  Feuer  bewachte  und  ihm  keinen  Feuerbrand  abgeben 
wollte.      Es  wird  erzählt,  daß  das  Meerschweinchen  heim- 


*)   Alle  Überschriften  der  Sagen  sind  von  mir  erfunden,    um  den 
Inhalt  ungefähr  wiederzugeben. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcornayo.  m 

lieh  etwas  von  dem  Feuer  mitgenommen  hatte.  Der  Jaguar 
fragte  es,  was  es  mitnehme.  Es  sagte,  es  habe  nichts.  Es 
wird  erzählt,  daß  es  sich  fortbegab.  Als  die  Fischer  kamen, 
hatte  das  Meerschweinchen  ein  großes  Feuer  angemacht  und 
die  Fische  in  einem  Augenblick  gebraten.  Als  die  Fischer 
weggingen,  hatte  das  Gras  angefangen  zu  brennen.  Es  wird 
erzählt,  daß  die  Jaguare  angesprungen  kamen,  als  sie  das 
Feuer  sahen,  und  daß  sie  Wasser  zum  Löschen  desselben 
mitgebracht  hatten.  Als  die  Fischer  wiederkamen,  machten 
sie  von  den  Feuerbränden,  die  sie  mitgenommen  hatten, 
Feuer  an.  Nachher  waren  sie  wieder  gegangen,  und  seitdem 
ist  das  Feuer  nicht  erloschen.  Jetzt  fehlt  keinem  Mataco 
das  Feuer. 

Die  Frau,  die  sich  mit  den  Hunden  verheiratet  hat. 

Eine  Frau  hatte  einen  Sohn  und  eine  Tochter.  Der  Sohn 
verheiratete  sich  mit  der  Tochter1)  und  die  Frau  verhei- 
ratete sich  mit  den  Hunden  und  verschwand.  Mit  den 
Hunden  hatte  sie  fünf  Kinder.  Diese  rodeten  den  Wald  und 
säeten  Kürbis.  Als  die  Tochter  im  Walde  war,  kam  sie  zu 
der  Rodung  und  wollte  Kürbisse  gegen  Schmucksachen  ein- 
tauschen. Sie  antworteten,  sie  wären  von  demselben  Stamme 
und  wollten  nicht  Kürbisse  gegen  Schmucksachen  tauschen, 
sondern  sie  schenkten  ihr  Kürbisse  (Zapallo). 

Die  große  Feuersbrunst. 

Vor  langer  Zeit  brannte  alles,  der  ganze  Chaco  brannte. 
Die  Mataco  retteten  sich  unter  dem  hohen  Schilf  am  Fluß- 
ufer. Dort  blieben  sie  sehr  lange.  Als  sie  herauskamen,  war 
alles  verbrannt.    Dort  war  kein  Quebracho,  kein  Algarrobo, 


l)  Eigentümlicherweise  werden  in  den  Indianersagen,  wie  wir 
finden  werden,  nicht  selten  Geschwisterehen  erwähnt,  obschon  solche 
nie  bei  den  Indianern  vorkommen.  Wir  werden  weiterhin  mit  einigen 
ähnlichen  Fällen  Bekanntschaft  machen.  Es  ist  kaum  denkbar, 
daß  diese  Sagen  so  weit  zurückgehen,  daß  sie  aus  einer  Zeit  stam- 
men, wo  die  Geschwisterehe  erlaubt  war. 


112  Sechstes  Kapitel. 

kein  einziger  Baumstamm.  Sie  glaubten  zuerst  nicht,  daß 
es  dasselbe  Land  sei,  als  aber  dieselben  Pflanzen  zu  wachsen 
begonnen,  wie  an  den  Plätzen,  wo  es  gebrannt  hatte,  ver- 
standen sie,  daß  es  dasselbe  Land  war. 

Der  Maisraub. 

Das  Kugelgürteltier1)  bewachte  die  Maissamen.  Ein 
Wildschwein  war  in  die  Äcker  der  Kugelgürteltiere  ge- 
drungen und  stahl,  da  diese  dem  Wildschwein  keinen  Mais 
geben  wollten,  den  Mais  und  die  Kugelgürteltiere  töteten 
das  Wildschwein. 

Der  Sohn  des  Chuna.2) 

Die  Kara-kara3)  und  die  Chuna  hatten  mit  den  schwarzen 
Geiern  und  den  Flamingos  gekämpft.  Die  Kara-kara- Vögel 
hatten  mit  Pfeilen,  die  Chuna  mit  Boleadoras,  die  schwar- 
zen Geier  und  Flamingos  mit  Pfeilen  gekämpft.  Die  schwar- 
zen Geier  und  die  Flamingos  waren  besiegt  worden.  Die 
schwarzen  Geier  waren  ohne  Haut  am  Kopf  und  die  Flamin- 
gos ohne  Haut  an  den  Beinen  entkommen.  Kein  Kara-kara 
oder  Chuna  war  verwundet  worden. 

Ein  Chuna  hatte  sich  verheiraten  wollen,  die  Frauen 
wollten  ihn  aber  nicht,  weil  er  so  schmale,  schwarze  Beine 
hatte.  Es  wird  erzählt,  daß  er  einen  Haufen  Sperma  auf 
dem  Boden  zurückgelassen  hat. 

Die  Frauen  der  Chuna  waren  Früchte  suchen  gegangen 
und  hatten  das  Sperma  gefunden.  Eine  hatte  es  aufge- 
gessen und  wollte  den  anderen  nichts  davon  abgeben.  Es 
wird  erzählt,  daß  sie  nach  drei  Tagen  schwanger  war  und 
nach  weiteren  drei  Tagen  ein  Kind  geboren  hatte,  aber 
noch  wußte  niemand,  wer  die  Frau  schwanger  gemacht  hatte. 
Nach  zwei  Tagen  war  der  Knabe  groß  und  niemand  wußte, 

x)  Tolypeutes  conurus. 

2)  Dicholophus   Burmeistcri. 

3)  Polyporus  vulgaris. 


Tafel   10.     Matacoindianer  rösten  „Palometas"  und  andere  Fische. 
Crevaux.     Rio  Pilcomavo. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  113 

wer  sein  Vater  war.  Es  wird  erzählt,  daß  viele  herbeikamen, 
um  den  Knaben  zu  sehen.  Es  wird  erzählt,  daß  er  weder 
von  den  Kara-kara- Vögeln  noch  von  einem  anderen  Spiel- 
zeugbogen und  Pfeile  annehmen  wollte.  Sie  versuchten, 
ihm  Pfeile  und  Spielzeugbogen  zu  geben,  er  nahm  sie  aber 
nicht..  Der  Chuna  war  gekommen,  um  ihm  Pfeile  und  Spiel- 
zeugbogen zu  geben,  und  er  nahm  sie.  Sie  wußten  nun,  wer 
sein  Vater  war. 

Als  die  Matacos  und  die  Christen  die  Welt  teilten. 

Vor  langer,  langer  Zeit  gab  es  keine  Christen,  sondern 
alle,  die  Vorväter  der  Matacoindianer  wie  der  Christen, 
lebten  in  einem  Hause.  In  diesem  war  alles.  Dort  gab  es 
Äxte  und  Werkzeug  und  Pferde  und  Vieh  und  schöne  Klei- 
der für  die  Frauen.  Die  Vorväter  der  Christen  nahmen  die 
Äxte,  das  Werkzeug,  die  Pferde,  das  Vieh  und  die  schönen 
Kleider  für  die  Frauen  und  gingen  weg  und  ließen  für  die 
Matacos  nur  Tonkrüge,  Hunde  und  andere  schlechte  Sachen 
zurück.  Deshalb  haben  die  Christen  jetzt  Äxte,  Werkzeug, 
Pferde,  Vieh,  schöne  Kleider  für  die  Frauen  und  die  Matacos 
sind  arm  und  haben  nur  Tonkrüge,  Caraguatätaschen  und 
Hunde. 

Diese  moderne  Sage  hat  hier  eine  große  Verbreitung.  Ich 
kenne  sie  z.  B.  auch  vom  Rio  Parapiti,  wo  sie  mir  in  etwas 
verschiedener  Form  von  den  Chanes  erzählt  wurde. 

Der  Fuchs  und  der  Stier. 

Es  wird  erzählt,  der  Fuchs  habe  den  Stier  eingeholt.  Es 
wird  erzählt,  daß  er  Feuer  vor  den  Stier  getragen  hat.  Es 
wird  erzählt,  daß  er  gesagt  hat,  er  wolle  dem  Stier  die  Steine 
abschneiden.  Wiederum  hatte  er  Feuer  angemacht  und  den 
Stier  verfolgt,  indem  er  sagte,  daß  er  dem  Stier  die  Steine 
abschneiden  wolle.  Der  Stier  war  zuletzt  ermüdet,  aber  er 
hat  ihm  nichts  abgeschnitten.  Es  wird  gesagt,  daß  er  gesagt 
hat:  Warum  soll  ich  ihn  verfolgen,  ich  will  ihm  nichts  ab- 
schneiden, und  ließ  die  Füchse  ärgerlich  zurück.    Die  Füchse 

Nor  denskiöl  d,   Indianerleben.  S 


114  Sechstes  Kapitel. 

haben  geweint,  da  sie  hungrig  waren.  Sie  gingen  dann  und 
suchten  Tusca  und  Algarrobo. 

Diese  Sage  ist  beinahe  unbegreiflich.  Mit  Steine  ab- 
schneiden meint  man  wohl  töten.  Die  Sage  dürfte  ganz 
modern  sein. 

Ehrenreich  hat  nachgewiesen,  wie  Sagen  mit  fremden 
Elementen  aus  Nordamerika  nach  Südamerika  eingewandert 
sind.  Boas  und  Bogoras  haben  früher  den  Zusammenhang 
zwischen  den  nordamerikanischen  und  den  nordasiatischen 
Sagen  dargetan. 

Von  den  hier  von  den  Matacos  angeführten  Sagen  ist  be- 
sonders eine,  die  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  von  Inter- 
esse ist.  Es  ist  die  von  dem  Sohn  des  Chuna.  Die  eigen- 
tümliche Zeugung  sowie  die  Art  der  Erforschung  der  Vater- 
schaft stimmt  besonders  mit  der  Osttupi- Variation1)  dieser 
Sage  überein.  Auch  dort  wurde  der  als  Vater  betrachtet, 
von     dem     der     Knabe     Pfeil     und     Bogen     annahm. 

Ehrenreich2)  hat  gezeigt,  wie  diese  Sage,  besonders  die 
peruanische  Variation,  auf  ganz  merkwürdige  Weise  mit 
einer  von  Bastian  aus  Siam  aufgezeichneten  Sage  überein- 
stimmt. 

Möglicherweise  zeigt  uns  das  Vorkommen  der  Sage  bei  den 
Matacos  den  Weg,  den  sie  von  Peru  zu  den  Osttupis  in  Bra- 
silien gewandert  ist.  Wie  sie  von  Siam  nach  Peru  gekommen 
ist,  ist  eine  Frage,  die  Ehrenreich  offen  läßt.  Es  ist  wohl 
eine  für  künftige  Ethnologen  hart  zu  knackende  Nuß. 

Sollte  mich  etwas  Besonderes  nach  dem  Rio  Pilcomayo 
zurücklocken,  so  wäre  es  das  Studium  der  religiösen  Vor- 
stellungen dieser  Indianer.  Es  gibt  viel,  was  sie  mir  nicht 
haben  mitteilen  wollen.  Was  ist  beispielsweise  der  oben  von 
mir  beschriebene  mystische  Gesang  bei  der  Zubereitung  des 
Tuscabieres  anders  als  eine  religiöse  Zeremonie.  Des  Nachts 
hörte  ich  zuweilen  in  den  Hütten  Gesang  zum  Takte  der 


x)  Ehrenreich,  Die  Mythen  usw.  S.  62. 
2)  Ehrenreich,  Die  Mythen  usw.  S.  94. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  1 1  ^ 

Klappern.  Als  ich  hineinging,  wurde  alles  still.  In  aller  Freund- 
schaft hatte  man  mir  die  Tür  gewiesen.  Warum  setzten  sie 
auf  die  elende  Tontrommel,  ein  mit  Wasser  zur  Hälfte  an- 
gefülltes Tongefäß,  über  welches  ein  Fell  gespannt  ist,  einen 
so  großen  Wert,  wenn  sie  nicht  heilig  wäre?  Die  Matacos 
wollten  die  Trommel  nicht  hergeben,  denn  dann  stirbt  einer. 
Wie  von  Rosen,  ist  es  auch  mir  gelungen,  von  den  Chorotis 
eine  solche  Trommel  zu  erhalten,  von  den  Matacos  ist  es 
unmöglich.  Es  scheint  mir,  als  ob  bei  den  verschlossenen 
Matacoindianern1)  das  Religiöse  eine  größere  Rolle  spielt, 
als  bei  den  heiteren,  sorglosen  Chorotiindianern.  Will  man 
die  Religion  dieser  Indianer  studieren,  so  muß  man  sehr 
lange  bei  ihnen  verweilen  und  alle  Gedanken  an  eine  Ex- 
pedition zur  Heimführung  großer  Sammlungen  aufgeben. 
Weiterhin  in  diesem  Buche  werde  ich  die  religiösen  Begriffe 
eines  anderen  höherstehenden  Indianerstammes,  die  ich  zu 
verstehen  glaube,  schildern.  Wie  interessant  wäre  es  ge- 
wesen, Vergleiche  mit  den  niedrigerstehenden  anstellen  zu 
können. 

x)  Pelleschi  gibt  uns  einen  ganz  guten  Einblick  in  die  religiösen 
Vorstellungen  einiger  Matacoindianer.  Eight  months  in  the  gran 
Chaco.     London  1886. 


8* 


Siebentes  Kapitel. 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung). 

Kunst  und  Industrie. 

Es  gibt  ein  kleines  Wort,  das  die  Chorotiindianer  stets 
anwenden,  nämlich  es.  Die  Ashluslays  sagen  is.  Es  bedeutet 
gut,  gesund,  wohl  und  hübsch.  Wenn  wir  die  Industrie  und 
primitive  Kunst  dieser  Menschen  beurteilen,  so  dürfen  wir 
auch  die  Bedeutung  dieses  Wortes  nicht  unterschätzen.  Er, 
oder  richtiger  sie,  denn  in  der  Regel  ist  es  die  Frau,  die  etwas 
Kunstfertigkeit  besitzt,  will,  daß  das  von  ihr  Hergestellte  es 
ist.  Sie  ist  stolz,  wenn  es  richtig  es  ist.  Sie  lacht  vor  Ver- 
gnügen, wenn  sogar  ein  weißer  Mann  eins  ihrer  Erzeugnisse 
für  es  findet.  Die  Ideen  zu  einem  Ornament  erhält  sie  auf 
verschiedene  Weise.  Die  Technik  der  Tongefäßerzeugung 
hat  ihr  die  Idee  gegeben,  die  Rollen,  aus  denen  sie  das  Ton- 
gefäß aufgebaut  hat,  auf  einem  Teil  desselben  als  Ornament 
stehen  zu  lassen  (Abb.  46).  Sie  schmückt  das  Gefäß,  indem 
sie  die  Fingereindrücke,  die  sie  in  dem  weichen  Ton  ge- 
sehen hat,  zu  regelmäßigen  macht.  Durch  Variation  der 
Anzahl  Fäden  gelingt  es  ihr,  an  den  von  ihr  aus  Caraguatä- 
rinde  hergestellten  Taschen  —  eine  Industrie,  in  der  sie  es 
sehr  weit  gebracht  hat  -  -  immer  verwickeitere  Ornamente 
anzubringen.  Sie  macht  die  Taschen  immer  mehr  es.  Fremde 
Ornamente  an  Gegenständen,  die  durch  den  Handel  mit 
anderen  Stämmen  zu  ihrem  Stamm  gekommen  sind,  geben 
ihr  neue  Ideen.  Was  ich  hiermit  sagen  will,  ist  das,  daß 
wir  die  Freude,   die  auch  Naturvölker  an  der  Herstellung 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


117 


oder  dem  Besitz  schöner,  ornamentierter  Sachen  haben,  nicht 
unterschätzen  dürfen. 

Wenn  die  kleinen  Kinder  spielen,  muß  die  Phantasie  oft 
die  Einzelheiten  einer  Spielsache  ausfüllen.  Ein  Holzklotz 
kann  eine  Lokomotive,  ein  anderer  ein  Lastwagen  sein. 
Was  nicht  in  der  Wirklichkeit  vorhanden  ist,  findet  sich 
in  der  Erinnerung  der  mehr  detaillierten  Lokomotiven  und 
\ Vagen,  die  das  Kind  ge- 
sehen hat.  Auf  dieselbe 
Weise  kann  ein  solcher  Hut- 
pilz, wie  er  Abb.  47,  Fig.  3 
abgebildet  ist,  einen  Maul- 
esel darstellen.  Die  Phan- 
tasie des  Naturkindes  füllt 
das  Fehlende  aus.  Betrach- 
ten wir  die  nebenanstehen- 
den Figuren,  so  sehen  wir, 
wie  das  eine  Detail  nach 
dem  anderen  fortgefallen 
ist,  bis  das  vierfüßige  Tier 
einbeinig  und  für  den  Un- 
eingeweihten unerkennbar 
dasteht.  Diese  eigentüm- 
lichen Tiere  habe  ich  von 
Che  >r  otimamas  bekommen , 
die  sie  für  ihre  Kleinen 
modelliert  hatten. 

Hier  sind  auch  einige  Puppen  von  den  Chorotis  ab- 
gebildet, zu  deren  Verständnis  ebenfalls  eine  Erklärung 
notwendig  ist.  Die  Form  ist  bis  zur  Äußerlichkeit  verein- 
facht worden,  während  man  sie  gleichzeitig  mit  einem  er- 
klärenden Detail  versehen  hat.  Sie  haben  weder  Arme  und 
Beine,  noch  rudimentäre  Köpfe,  aber  eine  genau  ausgeführte 
Tätowierung,  welche  allerdings  im  Gesicht  und  nicht,  wie 
hier  bei  den  Puppen,  auf  dem  ganzen  Körper  sitzen  soll. 
Dies  bedeutet  jedoch  nicht  viel.      Das  Wichtigste  ist,  daß 


Abb.  46.  Tongefäß,  an  welchem 
die  Rollen,  von  denen  es  aufgebaut 
ist,  als  Ornament  stehen  geblieben 
sind.  1/i.  Von  den  Mataco-Vejos. 
Ähnliche  sieht  man  auch  bei.  den 
Chorotis. 


Fift  I 


Abb.  47.   Puppen,  von  denen  alle,  außer  4,  die  von  den  Tapiete  stammen, 
von  den  Chorotis  sind.     1/z. 

1  =    Maulesel.  10    =   Mann.   A  =  Stirntätowierung;  B  = 

2  =  ,,  Nasentätowierung;   C  =    Kopf. 

11  =  Frau  mit  einem  kleinen  Kind. 
A  =  Rudimente  der  Tätowierung. 

12  =  Frau,  die  ein  kleines  Mädchen 
auf  Chorotiweise   trägt. 

13  =  Frau.  A  =  Tätowierung  der 
Wange;  B  =  Stirntätowierung;  C  = 
Haar. 

14  =  Dieselbe  Figur  wie  13,  von  der 
Seite  gesehen.  A  =  Tätowierung  der 
Wangen;   C  =  Haar. 

15  =  Frau.  A  =  Kopf;  B  =  Tätowie- 
rung der  Wangen;  C  =  Nasentäto- 
wierung;  D  =  Augen. 

16  =  Frau.  A  =  Nasentätowierung; 
B  =  Rudimente  der  Tätowierung  der 
Wangen 

17  =  Frau.  A  =  Rudimente  der  Täto- 
wierung. 

18  =  Frau.  A  =  Rudimente  der  Täto- 
wierung;  B  =  Augen. 


3  = 

4  =    Frau. 

5  =  „  A  =  Kopf;  B  =  Stirntäto- 
wierung; C  =  Nasentätowierung;  D  = 
Tätowierung  der  Wangen;  E  =  Auge; 
F  =  Kinntätowierung  ;G     Frauenbrust. 

6  =  Gesichtstätowierung.  Chorotifrau. 
Rio  Pilcomayo. 

7  =  Frau.  A  =  Haare;  B  =  Tätowie- 
rung der  Wangen;  C  =  Frauenbrust; 
D  =  Auge;  G  =  Haare;  E  =  Kinn- 
tätowierung;  F  =  Stirntätowierung. 

8  a    =    Mann.       A   =    Stirntätowierung; 

B    =    Tätowierung   unter  den  Augen; 
C    =    Kopf  mit   Haaren. 
8b    =    Tätowierung    der   vorigen   Figur. 
A  =  Stirntätowierung;  B  und  C  Täto- 
wierungen unter  den  Augen. 

9  =  Gesichtstätowierung.    Chorotimann. 

Rio  Pilcomayo. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


II9 


sie  überhaupt  mitgekommen  ist.  Es  ist  ganz  dasselbe,  als 
wenn  die  Bororöindianer  K.  v.  d.  Steinens1)  den  Schnurrbart 
auf  die  Stirn  zeichneten.  Er  sollte  in  der  Beschreibung,  die 
der  Naturmensch  mit  seiner  Zeichnung  von  diesem  weißen 
Mann  gab,  mit  dabei  sein.    Nicht  an  allen  Puppen  hat  man 


Abb.  48.     A  Strumpf  aus  Caraguatä, 

angewendet    zum    Schutz    gegen    den    Biß    der 

Palometafische.     Ashluslays.    B,  C,  D  Taschen 

aus  Caraguatä.     Chorotis. 


die  Tätowierung  ordentlich  ausgeführt,   auch  sie  wird    all- 
mählich bis  zu  einem  bloßen  Ornament  vereinfacht. 

Die  Chorotiindianer  haben  eine  Industrie,  in  der  sie  sehr 
bedeutend  sind.  Dies  ist  die  Herstellung  von  Taschen  und 
Hemden  aus  Blattfasern  der  Caraguatä.  (Taf.  16.)  Wer  in  den 
Trocken wäldern  des  Chaco  gewandert  ist,  erinnert  sich  sicher 


J)   K.  v.  d.  Steinen,    Unter  den   Naturvölkern  Zentral-Brasiliens. 
Berlin  1894. 


120 


Siebentes  Kapitel. 


sein  Leben  lang  der  Caraguatäpflanze,  mit  ihren  krummen 
Stacheln,  erinnert  sich,  wie  schwer  es  gewesen  ist,  auf  Boden 
vorwärts  zu  kommen,  der  mit  dieser  so  nützlichen  und  so 
unangenehmen  Pflanze  dicht  bewachsen  war,  erinnert  sich, 
wie  er  sich  die  Kleider  und  die  eigene  Haut  zerrissen  hat. 
Die  Frauen  sammeln  die  Caraguatäfasern.  Wie  diese 
Arbeit  bei  den  Ashluslays  ausgeführt  wird,  will  ich  hier 
schildern.  Die  besten  Fasern  erhält  man  von  einer  kleinen 
Varietät.      Zuerst   wird  die   Pflanze  mit  einem  Grabestock 


Abb.  49.     Grabestock.     l/15.     Ashluslay 


Abb.  50.    Säge  aus  hartem  Holz. 


Ashluslay. 


Abb.  51.     Scharre 

aus   Muschelschalen. 

73.     Ashluslav. 


(Abb.  49)  ausgegraben.  Dann  werden  Stamm  und  Blätter 
mit  einer  Holzsäge  (Abb.  50)  in  der  Weise  abgesägt,  daß 
die  Säge  zwischen  die  große  Zehe  und  die  nächste  Zehe 
gestellt  und  der  Stamm  der  Pflanze  gegen  die  Säge  gerieben 
wird.  Diese  Arbeit  wird  im  Walde  vorgenommen.  Die  Blätter 
werden  dann  nach  Hause  getragen  und  die  Fasern  mit  einer 
Muschelschale  (Abb.  51)  oder  einem  hölzernen  Messer 
(Abb.  17)  abgeschabt.  Nachdem  diese  Fasern  gebündelt 
und  getrocknet  sind,  werden  Fäden  gesponnen.  Hierbei 
wird  kein  anderes  Werkzeug  als  die  Hände  angewendet. 
Man  dreht  die  Fäden  an  den  mit  Asche  eingeriebenen  Schen- 
keln. Die  gezwirnten  Fäden  werden  in  großen  Bündeln 
gesammelt  und  dann  zu  verschiedenen  Zwecken  angewendet. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


121 


Ein  Teil  der  Fäden  wird  mit  Tusca  heller  braun  und  mit 
Algarrobillo1)  dunkler  braun  gefärbt. 

Außer  aus  Caraguatä  flechten  die  Chorotis  und  Ashluslays 
Seile  aus  Menschenhaaren.  Das  Material  liefern  ausschließ- 
lich die  Frauen. 


Abb.  52.     Webstuhl.     Ashluslay, 


Die  Ashluslay-  und  auch  die  Chorotifrauen  sind  ge- 
schickte Weberinnen.  Gleichwohl  verstehen  es  nur  die 
ersteren,  hübsche  Ornamente  zu  weben  (Abb.  53). 

Das  Material,  aus  welchem  die  Frauen  weben,  ist  stets 
Schafwolle.  Früher  haben  sie  wahrscheinlich  Caraguatä  oder 
Baumwolle  benutzt.   Die  letztere  Pflanze  wird  noch  jetzt  von 

x)  Acacia  moniliformis 


122 


Siebentes  Kapitel. 


den  Ashluslays  gebaut.  Anderenfalls  müßte  die  Webkunst 
hier  erst  eingeführt  worden  sein,  nachdem  diese  Indianer 
die  Schafe  von  den  Weißen  erhalten  haben. 

Die  Frauen  sind  recht  geschickte  Töpfer.  Die  Tongefäße 
werden  nach  der  bei  den  Indianern  gewöhnlichen  Methode 
durch  Aufbauen  von  Tonrollen  (Abb.  54)  hergestellt. 

Der  Ton  wird  zuerst  mit  zerstoßenen,  gebrannten  Ton- 
scherben vermischt,  damit  die  Gefäße  beim  Brennen  nicht 
bersten.     Zum  Glätten  der  Gefäße  wird  eine  Muschelschale, 


Abb.  55.     Von  Ashluslays  gewebter  kleiner  Mantel. 


eine  Frucht  oder  ein  Holzgerät  angewendet  (Abb.  56).  Die 
Chorotis  haben  keine  bemalten  Tongefäße.  Solche  sieht  man 
dagegen  bei  den  Ashluslays  (Abb.  59).  Die  , .Farbe"  besteht 
aus  einem  grünlichschwarzen  Harz  von  einem  ,,palo  santo" 
genannten  Baum,  das  gewärmt  und  auf  das  Gefäß  gestrichen 
wird,  nachdem  dasselbe  ganz  fertig  ist.  Bekommt  ein  Ton- 
gefäß einen  Riß,  so  verklebt  man  ihn  mit  Harz.  Es  wird 
dann  wieder  wasserdicht,  kann  aber  nicht  mehr  als  Koch- 
gefäß dienen.  Sehr  wahrscheinlich  ist  die  Ausbesserung  das 
Primitiv  gewesen,  und  man  ist  erst  davon  auf  die  Idee  ge- 
kommen, die  Gefäße  zu  bemalen.    Von  den  Tongefäßen  sind 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


123 


die  Wasserkrüge  (Abb.  13  u.  58)  außerordentlich  charak- 
teristisch für  die  Chacoindianer.  Bei  den  Ashluslays  findet 
man  die  eigentümlichste  Keramik  (Abb.  59). 

Arbeiten  in  Fell  werden  sowohl  von  Männern  als  Frauen 
ausgeführt,  die  Zubereitung  des  Fells  liegt  aber  ausschließ- 


'"tfik 


Abb.  54.     Chorotifrau,  ein  Tongefäß  bauend. 


lieh  in  den  Händen  der  Männer.  Das  Gerben  ist  hier  un- 
bekannt. Dagegen  versteht  man  es,  das  Fell  durch  Kreuz- 
und  Querschnitte  auf  der  Unterseite  zu  erweichen.  Man 
macht  auch  das  Fell  durch  Ziehen  über  einen  gespaltenen 
Stock  biegsam. 

Die  Ashluslays  wenden  viel  mehr  Felle  an  als  dieChoroti-. 


124 


Siebentes  Kapitel 


Im  Herzen  des  Chaco  sehen  wir,  wie  seh»  in  erwähnt,  bei  den 
Ashluslays,  den  Toba-Pilagas  und  Mataco-Gnisnays  zahlreich 
die  von  Patagonien  und  dem  Feuerland,  aber  nicht  von  dem 
übrigen  Südamerika  bekannten  Pelzmäntel.  Im  Chaco  wer- 
den sie  nur  von  den  Frauen  angewendet,  während  die  Männer 


Abb.  55.     Töpferiu.     Choroti. 


die  leichteren  gewebten  Mäntel  tragen.  Wir  können  uns 
leicht  denken,  daß  die  Chacoindianer,  sowohl  Männer  wie 
Frauen,  alle  früher,  gleich  den  ihnen  in  kultureller  Beziehung 
nahestehenden  Patagoniern,  Pelzmäntel  angewendet  haben. 
Als  sie  von  den  Weißen  das  Schaf  erhielten,  begannen  sie 
Mäntel  und  Schurzfelle  aus  Wolle  zu  weben.     Diese  wurden 


1\ 


ii  :*ät 


^vi. 


^ 


S 


1 


Tafel    ii.     Chorotifrauen  tragen  wilde  Früchte  in  ihren  Caraguatä 

taschen  nach  Hause. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pikomavo. 


125 


W 


zuerst  nur  von  den  Männern  getragen,  bis  sie  bei  den  Chorotis 
und  anderen  die  Pelzmäntel  vollständig  verdrängten,  während 
sie  von  den  Ashluslays  noch  von  den  Frauen  angewendet 
werden. 

Wie  gewöhnlich  bei  diesen  Indianern,  begnügen  sich  die 
Frauen  mit  dem  Älteren  und  Schlechteren.  Sie  repräsen- 
tieren das  konservative  Element  im  Gemeinwesen.  Wie  wir 
weißen  Männer  nicht  ungern  sehen,  daß  unsere  Frauen 
schick  gekleidet  sind,  so  lieben 
es  die  Indianer,  ihre  Männer 
mit  schön  ornamentierten  Män- 
teln auszustaffieren,  obschon 
ihnen   dies   viele  Arbeit  kostet. 

Kostbarkeiten  sind,  wie  er- 
wähnt, vollständig  unbekannt. 
Die  Ashluslayfrauen  knüpfen 
Sitzmatten  aus  einem  auf  Spa- 
nisch totora  genannten  Schilf. 

Die  hauptsächlichste  Indu- 
strie der  Männer  ist  die  Holz- 
schnitzerei. Sie  fertigen  Pfeifen 
zum  Rauchen,  Pfeifen,  Stempel, 
die  im  vorhergehenden  erwähn- 
ten Werkzeuge  usw.  an.  Sie 
schnitzen  auch  die  Kalebassen 
zu  und  ornamentieren  sie.   Diese 

werden  zur  Aufbewahrung  von  Bier,  als  Eßschalen,  als 
Schachteln  zur  Verwahrung  von  kleineren  Gegenständen  usw. 
angewendet.  Recht  oft  sind  sie  mit  liniierten,  eingeritzten 
oder  eingebrannten,  schlecht  gearbeiteten  Ornamenten  ver- 
sehen, obschon  die  Indianer  behaupteten,  sie  seien  es  (schön), 
hätten  aber  keine  Bedeutung. 

Bei  den  Mataco-Vejos  habe  ich  indessen  Erklärungen  über 
ähnliche  Figuren  bekommen,  die  beweisen,  daß  sie  keines- 
wegs so  bedeutungslos  sind  (Abb.  62).  Vielleicht  sind  sie 
dies  niemals.     Die  Indianer  bessern  eine  Kalebasse,  die  ge- 


Abb.  56.  Für  die  Tongefäß- 
herstellung angewendetes  höl- 
zernes Gerät.  1/3.  Ashluslay. 
Ähnliche  wenden  die  Chorotis 
an. 


126 


Siebentes  Kapitel. 


Sprüngen  ist,  stets  mit  sehr  großer  Sorgfalt  wieder  aus.  Sie 
nähen  sie  mit  Caraguatäfasern  zu  und  dichten  sie  dann  mit 
Wachs.  Auf  wenig  Dinge  legten  die  Chorotis  und  Ashlulays 
so  viel  Wert,  wie  auf  richtig  große  Kalebassen  (Abb.  39). 
Niemals  waren  die  Indianer  und  ich  so  verschiedener  An- 
sicht über  den  Wert  von  Gegenständen,  mit  denen  wir  ein 
Tauschgeschäft  machen  wollten,  als  wenn  es  diese  galt.    Eine 


Abb.  57.    Trommel  aus  einem 

Tongefäß.    1/3.     (Kochtopf.) 

Choroti. 


Abb.  59  a.     Bierkrus 

Ashluslav. 


Abb.  58.    Wasserkrug. 
Ye-     Ashluslav. 


große  Kalebasse  wurde  als  von  viel  größerem  Wert  betrachtet 
als  ein  Tongefäß  von  entsprechender  Größe.  Ganz  allgemein 
sind  die  Kalebaßschachteln  von  dem  auf  Abb.  61  abgebil- 
deten Typ.  Die  Deckel  dazu  sollen  ausgeschnitten  werden, 
wenn  die  Früchte  noch  an  den  Pflanzen  hängen  und  nicht 
ganz  vollreif  sind. 

Die  Federarbeiten  bieten  bei  diesen  Indianern  keine 
Proben  einer  entwickelten  Kunstfertigkeit.  Die  Federn, 
welche  die  Chorotis  und  Ashluslays  im  Stirnband  tragen,  sind 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


127 


oft  hakenförmig  ausgeschnitten  (Abb.  68).  Diese  Haken 
scheinen  nur  als  Ornament  zu  dienen.  Sie  selbst  erklären 
nur,  sie  seien  schön. 

Die  Indianer  als  Zeichner 

Von  den  Chorotis,  Ashluslays  und  Matacos  habe  ich  ver- 
schiedene   Zeichnungen    gesammelt,    die    diese    in    meinem 


Abb.  61.     Kalebasse. 
Ashluslay.     1/i. 


Abb.  60.     Kalebasse.     Choroti.    1/i. 


Notizbuch  ausgeführt  haben.  Es  sind  dieselben  beschrei- 
benden Zeichnungen,  die  wir  durch  Karl  v.  d.  Steinen, 
Koch-Grünberg  u.  a.  von  den  Indianern  Südamerikas  kennen 
gelernt  haben. 

Ganz  gewöhnlich  war  es,  unter  den  Chorotis  und  Ashluslays 
solche  zu  finden,  die  gar  nicht  zeichnen  konnten,  sondern 
auf  dem  Stadium  des  ,, Kritzeins"  standen,  d.  h.  auf  dem- 
selben Standpunkt,  wie  unsere  zwei-  bis  dreijährigen  Kinder 


128  Siebentes  Kapitel. 

(Abb.  63).  Sahen  sie  dann  andere  zeichnen,  so  imitierten 
sie  und  zeichneten  dann  besser. 

Die  Kinder  zeichneten  zuweilen  besser  als  die  Älteren. 
So  habe  ich  mehrere  verhältnismäßig  gute  Zeichnungen  von 
einem  zirka  siebenjährigen  Ashluslayknaben  (Abb.  65). 

Da  die  Indianer  sich  außerordentlich  leicht  von  den 
Zeichnungen,  die  man  selbst  gemacht  hat,  beeinflussen  lassen, 
darf  man  in  einem  Dorfe,  wo  man  solche  zu  sammeln  be- 
absichtigt, nicht  selbst  zeichnen.  Ich  pflegte  beispielsweise 
in  meinem  Notizbuch  schnell  Gesichter  zu  zeichnen,  in  welche 
ich  Tätowierungen  und  Gesichtsbemalungen  einführte.  Ver- 
gleichen wir  die  beiden'  Zeichnungen  Abb.  64 A  u.  B,  so 
ist  die  erste  1908  ausgeführt,  ohne  daß  die  Zeichnerin,  ein 
Chorotimädchen,  Ashlisi,  von  diesen  meinen  Zeichnungen 
beeinflußt  worden  ist,  während  sie  bei  64 B,  gezeichnet  1909, 
mich  schon  imitiert. 

Zu  den  allerprimitivsten  Zeichnungen  pflegten  die  In- 
dianer höchst  eigentümliche  Erklärungen  zu  geben.  Keiner 
meiner  Leser  wird,  nehme  ich  an,  verstehen,  daß  die  Abb.  63 
wiedergegebene  Zeichnung  eine  Mais  erntende  Frau  darstellen 
soll.  Unsere  kleinen  Kinder  sehen  auch  oft  in  ihren  Zeich- 
nungen vieles,  was  wir  Älteren  nicht  Phantasie  genug  haben, 
zu  begreifen. 

Die  Abb.  65  abgebildete  Frau  zeigt  uns  die  kindliche 
Unschuld  der  Indianer. 


Achtes  Kapitel. 
Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo  (Fortsetzung). 

Krieg  und  Frieden. 

Als  ich  die  Chorotis  und  Ashluslays  im  Jahre  1908  be- 
suchte, herrschte  zwischen  diesen  beiden  und  den  Matacos 
ein  sehr  gespanntes  Ver- 
hältnis. Die  Chorotis  und 
Tobas  waren  ebenfalls 
keine  Freunde.  In  wel- 
chem Verhältnis  die  Ash- 
luslays zu  den  Tobas  stan- 
den, weiß  ich  nicht,  da 
ich  die  Gegenden,  wo 
diese  Stämme  aneinander- 
grenzen,  in  diesem  Jahre 
nicht  besuchte. 

190g  war  die  äußere 
politische  Lage  verändert. 
Die  Chorotis  und  Ashlus- 
lays hatten  mit  den  Ma- 
tacos Frieden  geschlos>tn . 
Dagegen  lebten  die  Ash- 
luslays mit  den  Tobas  in 
erbitterter  Fehde. 

Die  Ursache  der  Kriege  zwischen  diesen  Stämmen  ist 
gewöhnlich  der  Fischfang  und  die  Plünderungssucht.  Ein 
Stamm  sperrt  den  Fluß  ab,  so  daß  die  Fische  nicht  zu  den 
Fischplätzen   des    anderen    hinaufkommen    können.      Dieser 

Nordenski öld,    Indianerleben.  9 


Abb.   62. 


Mataco- 


Kalebaßschale. 
Yejos.     74. 
a  =  Strauß.  c  =  Ebene  (Pampas), 

b  =  Weg.  d  =  Wald. 


130 


Achtes    Kapitel. 


versucht  die  Sperre  zu  zerstören,  einer  der  Stämme  ver- 
wundet oder  tötet  einen  von  der  Gegenpartei,  und  der  Krieg 
ist  in  vollem  Gange. 

Beide  Stämme  ziehen  sich  so  weit  zurück,  daß  zwischen 

ihnen  eine  unbewohnte 
Zone  entsteht.  Geord- 
nete Schlachten  schei- 
nen selten  geschlagen 
zu  werden  und  in  der 
Regel  ist  die  Zahl  der 
Getöteten  eine  sehr  ge- 


Cx 


Ol/h 


Abb.  63.     Mais  sammelnde  Frau. 

Gezeichnet  von  einer  Matäcofrau. 

Esperanza.     l/1. 


Abb.  64.     Zeichnungen  des  Choroti- 
mädchens  Ashlisi.     1/2. 

A  =  Frau;  e  =  Stirntätowierung,  c  =  Nasen- 
tätowierung, d  =  Tätowierung  unter  den 
Augen,  a  =  Backenknochentätowierung, 
b  =  Kinntätowierung. 

B  ==  Frau,      a  =  Haare. 

C  =  Erland  Nordenskiöld,  d.  h.  seine  Brille. 


ringe. 

Ein  weißer  Mann 
hat  mir  über  eine 
Schlacht  zwischen  den 
Chorotis  und  Matacos 
folgende  Schilderung 
gemacht,  die  sehr  cha- 
rakteristisch, wenn 
auch  etwas  übertrie- 
ben  ist. 

In  der  Nähe  seiner 
Ansiedelung  hatten 
zwei  bedeutende  Grup- 
pen sich  einen  ganzen 
Tag  bekämpft.  Eine 
Menge  Schüsse  waren 


abgefeuert        worden, 
denn    einige    der    In- 
dianer   hatten    Feuer- 
waffen.    Des  Abends   kam  ein  Choroti   fliehend   an    seinem 
Hause  vorbei: 

..Wie  ist  es  gegangen?"   wurde  er  gefragt. 
,, Schlecht",  war  die  Antwort. 
,,Wie  viele  sind  denn  getötet  worden?" 
,,  Keiner." 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo. 


131 


„Dann  habt  ihr  wohl  viele  Verwundete  gehabt?" 

„Keine",  war  die  Antwort. 

Man  hatte  sich  offenbar  zuerst  außerhalb  der  Schußweite 
bekämpft.  Als  die  Matacos  dann  mit  großer  Tapferkeit 
etwas  näher  gingen,  waren  die  Chorotis  davongelaufen. 

Alle  Kämpfe  ver- 
laufen indessen  keines- 
wegs so  unblutig. 

In  dem  Kampf  zwi- 
schen den  Ashluslays 
und  den  Tobas,  die 
ich  am  Anfang  des 
Buches  erwähnt  habe, 
wurden  zehn  Ashlus- 
lays und  ein  Toba  ge- 
tötet. Dieser  letztere 
war  ein  zur  Rekognos- 
zierung vorausgesand- 
ter Späher.  Zur  Er- 
forschung der  feind- 
lichen Stellung  wurden 
nämlich  zahlreiche 
Späher  angewendet. 

Die  besten  Krieger 
sollen  die  älteren  Män- 
ner und  die  Greise  sein. 
Die  Jugend  hält  sich 
gern  zurück.  In  ge- 
eigneter      Entfernung 

von  den  Dörfern  sind  Aussichtsposten  gebaut.  Auf  den 
Kreuzwegen  geben  auf  gewisse  Art  gelegte  Zweige  u.  dgl. 
dem  Freunde  an,  welchen  Weg  er  einschlagen  soll. 

Eine  wichtige  Neuigkeit  wird  durch  Eilboten  von  Dorf 
zu  Dorf  verbreitet.  Mehrere  Tage,  bevor  ich  zu  dem  äußersten 
bolivianischen  Militärposten  am  Rio  Pilcomayo  kam,  gingen 
die    Indianer   zu   dem   Chef  desselben    und   sagten   zu   ihm: 


Abb.  65.     Zeichnungen  eines  Ashluslay- 
knaben.     1/2. 

A  =  Frau;  a  —  Kleidung,  b  =  Vulva,  c  = 
Clitoris.  Gezeichnet  von  einem  etwa  7  jährigen 
Knaben. 

B  =  Ashluslay  zu  Pferde;  a  =  Mann  (der 
schwarze  Punkt  mitten  auf  dem  Körper  ist 
der  Nabel,  d  =  Pferd,  b  =  Schwanz,  c  = 
Zähne.  Gezeichnet  von  demselben  Knaben, 
wie   das   Vorhergehende. 


132 


Achtes  Kapitel. 


„Elle  (der  kleine  Papagei)  kommt."   Sie  berichteten  ihm  auch, 
wie  viel  Mann  der  kleine  Papagei  mithatte,  und  sonst  noch 

alles  mögliche,  was  er 
nicht  verstand,  da  er 
keinen  Dolmetscher  hatte 
und  nicht  wußte,  daß 
ich,  d.  h.  der  Papagei, 
kommen  würde. 

Sowohl  die  Chorotis 
und  Ashluslays  wie  auch 
die  Tobas  und  Matacos 
skalpieren  ihre  getöteten 
Feinde.  Der  Skalp  eines 
Tobapilage,  den  ich  nach 
vielen  Unterhandlungen 
von  einem  Ashluslay  ein- 
habe, ist  hier 
(Abb.  70). 
Diese  Skalpe  hängen  bei 
schönem  Wetter,  an  Lan- 
zen angebunden,  zu  Ehren 
des  Siegers  vor  den  Hüt- 
ten. Bei  Trinkgelagen 
spielen  sie  eine  große 
Rolle.  Dorfschaften,  die 
nicht  so  glücklich  sind, 
daß  einer  der  Ihren  einen 
Skalp  genommen  hat, 
leihen  einen  solchen  von 
einem  Nachbardorf  für 
ihre  Feste. 

Wenn  die  Indianer  zum 
Kampfe  ausziehen,  -.teilen 
sie  zuerst  ein  ordentliches  Trinkgelage  an,  bemalen  sich  kohl- 
schwarz und  schmücken  sich  mit  Federschmuck,  Magenpanzer 
aus  dickem  Fell,  Jacken  und  Mützen   aus  Jaguarhaut  usw. 


getauscht 
abgebildet 


B 

Abb.  66.    Zeichnungen  eines  29 jähri- 
gen Ashluslavmannes. 

A    =    Kuh;    a   =    Zähne,  b    =    Hörn,   c    = 
Jaguar. 


Schwanz. 


B 


I   nter  den   Indianern  am   Rio  Pilcomavo. 


133 


Die  Ashluslays  führen  richtige  Kriegsspiele,  richtige  Feld- 
manöver  auf,  wo  man  sich  übt  oder  richtiger  amüsiert.  Die- 
jenigen, die  den  Feind  vorstellen,  bekommen  immer  Prügel. 


Abi).  67.     A.shluslaykrieger. 

Die  Häuptlinge  sind,  wie  schon  gesagt,  im   Kriege  Befehls- 
haber.    Eine  Disziplin  ist  nicht   vorhanden. 

Die  Waffen  im  Kampfe  sind  Pfeil  und  Bogen  sowie  Streit- 
kolben.   Durch  Umwicklung  des  linken  Handgelenks  schützt 


134 


Achtes  Kapitel. 


man  sich  gegen  die  Bogensehnen  (Taf.  4).  Einige  der  Ash- 
luslays,  die  beritten  sind,  wenden  Lanzen  an.  Die  Matacos 
benutzen  bisweilen  Brandpfeile,  mit  denen  sie  die  Dörfer 
der  Feinde  in  Brand  setzen. 

Der  bitterste  Feind  der  Ashluslays  ist  der  Tobahäuptling 
Taycolique,  der,  wie  ich  vorher  erzählt  habe,  seine  Leute 
systematisch  mit  Feuerwaffen  bewaffnet.     Ich  fragte  einmal 


Abb.  68.     Federschmuck.     1/i.     Wird  im  Stirnband  getragen. 
Ashluslav. 


Dr.  L.  Trigo,  der  fünf  Jahre  lang  Gouverneur  im  bolivia- 
nischen Chaco  war  und  als  solcher  viel  mit  den  Indianern 
zu  tun  gehabt  hat,  ob  er  unter  ihnen  eine  bedeutende,  lei- 
tende Persönlichkeit,  einen  , .großen  Mann",  angetroffen 
habe.     Er  antwortete,   der  einzige  sei  Taycolique. 

Unter  den  Indianern  geht  das  Gerücht,  daß  dieser  Häupt- 
ling eine  allgemeine  indianische  Empörung  gegen  die  Weißen 
anzustiften  versucht  habe.  Er  hat  mit  dem  Chiriguano- 
häuptling  Mandepora  und  dem  Chanehäuptling  Yocapoy  ge- 
heime Konferenzen  gehabt.     Dies  geschah  1909  unter  dem 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  135 

Einfluß    des    Gerüchts,    daß    zwischen    Bolivia    und    Argen- 
tinien ein  Krieg  im  Anzug  sei. 

Ein  Friede  zwischen  den  Stämmen  wird  in  der  Weise 
geschlossen,  daß  an  die  Angehörigen  der  im  Kampfe  Ge- 
fallenen Schafe,  Pferde  und  andere  Gaben  ausgeteilt  werden. 
Beide  Stämme,  auch  die  Sieger,  bezahlen  einander  Blut- 
schuld. Der  Friede  wird  somit  eigentlich  zwischen  den 
Individuen    und  nicht  zwischen  den  Stämmen  geschlossen. 


Abb.  69.     Federschmuck.     1f6.     Wird  auf  dem  Kopfe  getragen. 

Ashluslav. 


Haben  alle  Individuen  der  Stämme  ihre  gegenseitigen  Streitig- 
keiten beglichen,  so  hört  der  Krieg  auf.  Mein  Dolmetscher 
Manuel  Flores,  von  dem  ich  vorher  gesprochen  habe,  hat 
auf  diese  Weise  1908  die  Blutschuldauszahlungen  zwischen 
den  Matacos  und  den  Chörotis  geordnet,  worauf  sie  in  Frieden, 
wenn  auch  in  einem  bewaffneten  Frieden,  lebten.  Ihre  ge- 
fangenen Kinder  versuchten  die  Ashluslays  mitten  im  Kriege 
von  den  Tobas  gegen  Pferde  zurückzukaufen.  Einige  Mataco- 
Guisnays,  die  unter  den  Tobas  lebten  und  eine  eigentümliche 
neutrale  Stellung  zu  beobachten  schienen,  dienten  als  Zwi- 
schenhändler. 


136 


Achtes  Kapitel. 


Abb.  70.     Skalp  eines  Tobapilaga.     1/i.  Abb.  71.     Streitkolben. 

^.shluslay.  lL.     Ashluslav. 


Verschiedene  der  Kriege  im  Chaco  sind  sicher  auch  Aus- 
rottungskriege,    die   nicht   eher   aufhören,    als    bis    der   eine 


' 


m  fei 


fät* 


y* 


Tafel   12.     Ashluslaykrieger. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  137 

Stamm  unterjocht  wird  oder  auswandert.  Ein  solcher  Krieg 
ist  sicher  der  zwischen  den  Tapiete-  (Yanaygua)  und  den 
Tsirakuaindianern,  über  den  ich  am  Schlüsse  dieses  Buches 
zu  sprechen  Gelegenheit  haben  werde. 

Infolge  der  Kriege  verändern  sich  die  Verbreitungsgebiete 
der  Stämme.  Auf  diese  Weise  läßt  es  sich  erklären,  daß 
Campos1)  die  Stämme  1883  an  ganz  anderen  Stellen  fand, 
als  wo  sie  1908  und  1909  wohnten.  Wird  der  Krieg  zwischen 
den  Tobas  und  den  Ashluslays  fortgesetzt,  so  drängen  die 
ersteren  die  letzteren  wahrscheinlich  ganz  vom  Flusse  fort. 
Die  Eroberung  der  bolivianischen  Seite  des  Rio  Pilcomayo 
ist  auch  für  die  Tobas  außerordentlich  wichtig,  da  die  Argen- 
tinier sie  immer  mehr  zur  Unterwerfung  zu  zwingen  suchen. 

Kämpfe  um  den  Fluß  und  den  Fischfang  haben  hier  wohl 
zu  allen  Zeiten  geherrscht.  Die  stärkeren  Stämme  haben 
sich  der  Nahrungsquelle  Rio  Pilcomayo  bemächtigt  und  die 
schwächeren  nach  noch  unerforschten  Gegenden  des  nörd- 
lichen Chaco  gedrängt,  wo  wir  wahrscheinlich  Reste  von 
Stämmen  finden  können,  deren  Namen  uns  nicht  einmal 
bekannt  ist. 

Handel. 

Auch  eine  friedliche  Verbindung  herrscht  zwischen  den 
Stämmen.  So  habe  ich  am  Rio  Parapiti  von  den  dort  Yanay- 
gua genannten  Tapieteindianern  runde,  durchbohrte,  kleine 
Scheiben  Muschelschalen  eingetauscht.  Diese  erhalten  sie 
von  den  Ashluslays,  die  sie  wieder  von  einem  mir  unbekannten 
Stamm,  von  den  Ashluslays  Mansle  (möglicherweise  = 
Lengua)  genannt,  bekommen,  der  unweit  des  Rio  Paraguay 
wohnt  und  reiche  Vorräte  von  Eisen,  besonders  Töpfe 
und  Wagenachsen,  zu  besitzen  scheint.  Die  Mansle  sollen 
durch  den  nördlichen  Chaco  bis  zum  Chorotigebiet  auf  Wegen 
gehen,  die  nicht  dem  Rio  Pilcomayo  folgen.  Sie  haben  Eisen 
und  Schneckenschalen  mit,  die  sie  gegen  Tiere  und  Mäntel 

*)  Campos,  Expedition  Boliviana  de  1883.  Buenos  Aircs-La  Plata 
1888. 


138  Achtes  Kapitel. 

aus  Pelz  und  Welle  eintauschen.  Man  sieht  Chorotis,  die 
bis  zu  zehn  bis  zwanzig  Meter  lange  Halsketten  aus  diesen 
kleinen  Muschelschalen  haben   (s.  Abb.  33). 

Nimmt  man  übrigens  eine  Sammlung  von  Gegenständen 
z.  B.  bei  den  Chorotis  vor,  so  darf  man  keineswegs  glauben, 
daß  alles,  was  man  erhält,  an  Ort  und  Stelle  angefertigt  ist. 
Mit  Geräten,  Geweben,  Taschen  aus  Caraguatä  usw.  wird  ein 
bedeutender  Tauschhandel  zwischen  den  Stämmen  betrieben. 
Von  den  Chiriguanos  erhalten  die  Chorotis  die  rote  Farbe, 
Uruku.  Für  ein  kleines  Stück  davon  bezahlen  die  Chorotis 
einen  warmen  und  großen  Mantel  aus  Wolle.  Von  den  Cho- 
rotis erwerben  dann  die  Ashluslays  diese  beliebte  Farbe. 

Auch  im  Paraguayer  Chaco  ist  Uruku  eine  Handelsware. 
Nach  Boggiani1)  erhalten  die  Chamacocoindianer  die  kostbare 
Farbe  von  den  Caduveis.  Domenico  del  Campana2)  erwähnt, 
daß  die  Chiriguanos  Uruku  zum  Verkauf  nach  Gegenden, 
wo  dieser  Busch  nicht  wächst,  herstellen. 

In  Eric  von  Rosens  schöner  Sammlung  von  den  Chorotis, 
die  in  der  Nähe  von  Caiza,  nicht  weit  von  dem  letzten  Ge- 
birgskamm  der  Anden  nach  dem  Chaco,  wohnten,  befindet 
sich  ein  ornamentiertes  Gewebe,  das  durch  Handel  von  den 
weit  davon  wohnenden  Ashluslavs  erhalten  sein  muß. 

Das  Eisen  ist  im  Chaco  seit  lange  eine  wichtige  Handels- 
ware. Sowohl  die  Ashluslavs  wie  die  Chorotis  haben  das- 
selbe ihrer  eigenen  Angabe  nach  erst  von  Osten,  d.  h.  von 
Paraguay,  erhalten.  Der  Stamm,  der  wohl  am  längsten  am 
Rio  Pilcomayo  gewohnt  hat,  ohne  das  Eisen  zu  kennen,  war 
der  der  Chorotis,  obschon  sie  jetzt  viel  mehr  Werkzeug 
aus  diesem  Material  besitzen,  als  die  Ashluslays. 

Ich  habe  einmal  einen  Handelsreisenden  in  Eisen  gesehen. 
Es  war  ein  Choroti,  der  mit  allerlei  Schrot,  Nägeln  u.  dgl.  auf 
dem  Wege  nach  dem  Innern  des  Ashluslaygebietes  begriffe] 


x)  Boggiani,  Compendiö  de  Etnografia  Paraguaya  moderna.  Re- 
vista  del  Inst.  Paraguavo.      1900. 

2)  Domenico  del  Campana:  Xotizie  intorno  ai  Cixiguani.  Arch. 
per  L'Anthr.  e  la  Etn.  Firenze   1902.     S.  61. 


Tafel   [3.     Ashluslaymann  im  Magenpanzei 


Unter  den   Indianern  am   Rio  Pilcomavo. 


139 


war.     Seinem  wenig  wertvollen  Lager  nach  zu  urteilen,  muß 
die  Nachfrage  nach  der  Ware  eine  sehr  große  sein. 

Von  sehr  großer  Bedeutung  ist  der  Handel  mit  getrock- 
neten Fischen.  Die  Chorotis  wie  auch  die  Matacos,  Tobas 
und  Tapietes  bringen  solche  Fische  zu  den  Chaneindianern 
am  Rio  Itiyuro  und  zu  den  Chiriguanos,  und  die  Chiriguanos 
bringen  wieder  Mais  zu  den  Stämmen  am  Rio  Pilcomavo, 
wo  sie  ihre  Fischeinkäufe  machen.     Man  mißt  den  Mais  in 


Abb.  72.     Ashluslavtänzer  zum  Besuch  bei  den  Chorotis.     Die 
Mädchen,  die  rechts  sichtbar  sind,   sind  Chorotis. 


großen  Tongefäßen,    „Yambuv",    und   in   Kalebassen.      Die 
Maße  sind  natürlich  ungefähre. 

Meine  Tauschwaren  wurden  durch  den  Handel  der  In- 
dianer untereinander  weit  umher  verbreitet.  In  einem 
Chorotidorf  hatte  ich  mehrere  bunte  Hemden  in  den  Tausch 
gegeben.  Als  ich  einige  Tage  später  den  Fluß  weiter  herunter 
kam,  waren  meine  grelleuchtenden  Hemden  das  erste,  was  ich 
in  den  Dörfern  sah.  Sie  hatten  schon  den  Eigentümer  ge- 
wechselt. In  den  Ashluslaydörfern  war  es  nichts  Ungewöhn- 
liches,  daß  ein   Indianer  hunderte  große   Nähnadeln   durch 


140  Achtes  Kapitel. 

Tausch  an  sich  brachte,  und  höchstwahrscheinlich  werden 
sie  von  diesen  Grossisten  in  Nähnadeln  als  Tauschwaren  für 
im   Inneren   des  Chaco  wohnende   Indianer  angewendet. 

Ein  anderer  Handel  ist  der  mit  Pferden,  Schafen  usw. 
Zuweilen  sind  diese  Pferde  gestohlen,  und  hat  ein  solches 
gestohlenes  Pferd  mehrere  Male  den  Besitzer  gewechselt,  so 
haben  die  Weißen  große  Schwierigkeit,  es  zurückzubekom- 
men. Die  Indianer  verstehen  das  Unrechte,  zu  stehlen,  aber 
nicht  das,  gestohlene  Waren  zu  kaufen. 

Dieser  Handel  zwischen  den  Stämmen  ist  natürlich  für 
die  Vermittlung  von  allerlei  Kultureinflüssen  von  großer 
Bedeutung.  Für  den  Etnographen  ist  er  sehr  zum  Ärger,  da 
er  den  umbildenden  Einfluß  der  Weißen  auf  Indianer,  die 
in  keiner  direkten  Verbindung  mit  irgend  welchen  Fremden 
gestanden  haben,  vermittelt. 

Von  Interesse  ist  es  zu  beobachten,  wie  die  Indianer  beim 
Tauschhandel  ihre  Habseligkeiten  taxieren.  Am  teuersten 
sind  z.  B.  bei  den  Chorotis  die  Halsketten,  die  Mäntel,  die 
sehr  großen  Caraguatätaschen,  die  Netze,  Kalebassen  und 
die  Urukufarbe.  Die  Chorotis  und  die  Ashluslays  haben  die 
ganz  natürliche  Auffassung,  daß  das,  was  ihnen  die  meiste 
Arbeit  macht,  durch  die  gesuchtesten  Tauschwaren,  wie 
Zeuge,  Messer  u.  dgl.,  ersetzt  werden  muß.  Für  die  Hals- 
ketten bezahlen  sie  selbst  Schafe,  und  diese  schätzen  sie 
sehr  hoch.  Daß  sie  den  wirklichen  Wert  der  ihnen  angebo- 
tenen Tauschwaren  nicht  kennen,  ist  natürlich.  Hatte  ich 
irgend  welche  Gegenstände  nach  Ansicht  der  Indianer  zu 
hoch  bezahlt,  so  verbreitete  sich  sofort  das  Gerücht  davon 
und  mir  wurden  überall  solche  angeboten.  Eine  Herab- 
setzung des  Preises  für  einen  Gegenstand,  weil  der  Vorrat 
groß  war,  war  für  die  Indianer  unbegreiflich  und  deshalb 
schwer.  Beinahe  unmöglich  war  es,  gewisse  Gegenstände 
einzutauschen,  die  sie  für  unentbehrlich  hielten.  Sehr  große 
Caraguatätaschen  gaben  sie  deshalb,  falls  sie  nicht  mehrere 
Exemplare  davon  hatten,  nicht  her,  weil  sie  dieselben  not- 
wendig zum  Einsammeln  wilder  Früchte  gebrauchten. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  141 

Außer  im  El  gran  Chaco,  hat  man  in  Bolivia  nicht  häufig 
Gelegenheit,  den  Handel  zwischen  den  Stämmen  zu  stu- 
dieren. In  den  übrigen  Teilen  von  Ostbolivia  gibt  es  zwar 
noch  äußerst  primitive  Indianer,  diese  sind  aber  beinahe 
überall  nach  den  unzugänglichsten  Wäldern  hingedrängt  und 
die  verschiedenen  Stämme  wohnen  isoliert  voneinander. 

Besuch  in  fremden  Dörfern. 

Leben  zwei  Stämme  auf  freundschaftlichem  Fuße  mit- 
einander, so  besucht  sich  die  Jugend  oft  und  tanzt  auf  den 
Tanzbahnen  der  anderen.  Manche  Nacht  bin  ich  auf  einem 
Tanzplatz  gewesen,  wo  sich  sowohl  die  Choroti-  als  die 
Ashluslay Jugend  zu  versammeln  pflegte.  Niemals  hörte  ich 
einen  Zank  zwischen  der  Jugend  der  verschiedenen  Stämme, 
noch  weniger  war  ich  Zeuge  irgend  einer  Schlägerei.  Die 
Mädchen  der  verschiedenen  Stämme  sollen  sich  jedoch  zu- 
weilen gründlich  prügeln. 

Kommt  ein  Indianer  nach  einem  fremden  Dorf,  so  er- 
fordert es  die  Höflichkeit,  daß  er  die  ganze  Nacht  über  zum 
Takt  einer  Kalebaßklapper  singt.  Bei  solcher  Gelegenheit 
wurde  folgendes  Chorotilied  gesungen: 

anäm,  anäm,  ta  ayen  skiales,  ätashle  ayen  sikiäles,  läm 
sis,  hähuin  neo  hüäsis,  ta  läm  sis  yäm,  po  hayene  sityusis, 
sis,  hälea  hüäsis,  nä  lämes. 

Das  bedeutet  ungefähr:  Ich  bin  gekommen,  ich  bin  ge- 
kommen, um  meine  Brüder  zu  sehen.  Ich  bin  von  weither 
gekommen,  um  meine  Kinder  zu  sehen.  Nun  geht  es  ihnen 
gut.  Sie  werden  nicht  die  Feinde  sehen.  Jetzt  geht  es  ihnen 
gut,  zusammen  mit  mir.  Ich  bin  gekommen,  um  meine 
Brüder  zu  sehen.  Die  Feinde  werden  sie  nicht  töten.  Jetzt 
geht  es  ihnen  gut. 

Mein  Dolmetscher,  der  die  Sitten  und  Gebräuche  der  In- 
dianer kannte,  sang  auch  die  ganze  erste  Nacht,  die  wir  im 
Dorf  des  Ashluslayhäuptlings  Tone  waren,  diesen  Gesang. 
Auf  solche  Aufmerksamkeit  von  den  Weißen  legen  die  In- 
dianer Wert.     Das  halten  sie  für  gute  Lebensart. 


142  Achtes  Kapitel. 

Das  Verhältnis  zu  den  Weißen. 

Alle  längs  des  Rio  Pilcomayo  lebenden  Chorotis  stehen 
seit  einigen  Jahren  mit  den  ihr  ganzes  Gebiet  bewohnenden 
Weißen  in  lebhafter  Berührung.  Einige  Meilen  vom  Fluß 
entfernt  leben  sie  jedoch  vollständig  unabhängig,  und  die 
Gegenden,  die  sie  dort  bewohnen,  sind  unerforscht.  Die 
Ashluslays  wurden  erst  1883  von  Campos  entdeckt  und 
dann  von  Trigo  1906  sowie  später  von  Herrmann  besucht. 
Innerhalb  ihres  eigentlichen  Gebietes  am  Flusse  liegt  jetzt 
ein  bolivianischer  Militärposten.  Als  der  erste  Weiße  habe 
ich  einen  Teil  ihres  Hinterlandes  besucht,  das  nach  allen 
Wegen,  die  ich  auf  meinem  Ausfluge  sah  (s.  die  Karte),  und 
aus  den  Auskünften,  die  ich  von  den  Indianern  erhalten 
habe,  sehr  umfangreich  sein  muß. 

In  Bolivia  habe  ich  die  Indianer  niemals  von  den  Weißen 
so  gut  behandelt  gesehen,  als  am  Rio  Pilcomayo.  Das  ist 
das  Verdienst  einer  Person,  und  zwar  des  Dr.  L.  Trigo,  eines 
Mannes,  der  es  verstanden  hat,  sich  die  Sympathien  der  In- 
dianer wie  der  Indianerinnen  zu  erwerben,  der  sie  immer 
als  Freunde  und  Kameraden  behandelt  hat,  der  nicht  als 
hoher  Gouverneur,  sondern  als  ein  warmherziger  und  fein- 
gebildeter,  verstehender  Mensch  aufgetreten  ist. 

Dr.  Trigo  hat  sie  manchmal  bestraft,  denn  wenn  der 
weiße  Mann  in  das  Gebiet  der  Indianer  eindringt,  muß  es 
zu  Konflikten  kommen,  noch  öfter  hat  er  sie  aber,  trotz  der 
energischen  Aufforderungen  der  weißen  Kolonisten  zu  einer 
exemplarischen  Bestrafung,  unbestraft  gelassen. 

Trigo  hat  mit  Tabak,  Decken,  bunten  Zeugen  u.  dgl.  ein 
großes  Gebiet  im  Chaco  erobert.  Pulver  und  Blei  hat  er 
nur  im  äußersten  Notfall  angewendet. 

Kommt  ein  Fremder  in  ein  Indianerdorf,  so  dauert  es 
einige  Zeit,  bis  die  Indianer  ihren  wirklichen  Charakter 
zeigen.  Im  Anfang  erscheinen  sie  verschlossener,  als  sie  es 
in  Wirklichkeit  sind.  Sind  Neugier  und  Argwohn  vorüber, 
st)    sind    die   Indianer   wieder    sie    selbst.      Im   Dorfe  ertönt 


Tafel    i  |.     A.shluslayfischer  gehen   über  den  Rio  Pilcomayo. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  143 

den  ganzen  Tag  über  heiterer  Scherz,  man  spielt,  tanzt  und 
vergnügt  sich. 

Manchmal  können  die  Indianer  in  ihren  Freudenausbrüchen 
ganz  ausgelassen  und  wild  sein.  So  erinnere  ich  mich  einer 
Nacht  im  Dorfe  des  Chorotihäuptlings  Waldhuhn.  Bemalt 
und  nackt,  mit  Federn  und  Halsketten  geschmückt,  tanzte 
ich  mit  meinen  Freunden,  während  der  Zweitälteste  Sohn 
des  Häuptlings  die  Rolle  des  „Elle"  in  Stanleyhelm,  Brille 
und  Mantel  spielte  und  überall  Tabak  verteilte.  Die  In- 
dianer krümmten  sich  vor  Lachen.  Wir  amüsierten  uns  diese 
Nacht   und   viele   andere   ebenfalls. 

Die  Indianer  sind  sehr  leicht  beleidigt,  handelt  es  sich 
aber  um  Kleinigkeiten,  so  verschwindet  der  Unwille  schnell. 
Schwer  zu  beurteilen  ist,  ob  sie  in  Ernstfällen  nachtragend 
sind,  aber  ich  glaube  es  beinahe.  Sie  sind  sehr  eingebildet. 
Eine  kleine  Schmeichelei  nehmen  sie  in  der  Regel  gut,  eine 
Bemerkung  sehr  übel  auf.  Als  ich  z.  B.  zu  einem  Choroti- 
mädchen  einmal  sagte,  das  Ausreißen  der  Augenhaare  habe 
sie  sehr  häßlich  gemacht,  war  sie  mir  sehr  böse.  Eine  Höf- 
lichkeit über  einen  kleidsamen  Federschmuck  oder  derartiges 
nehmen  die  Chorotis  sehr  wohl  auf.  Eine  gute  Art,  die 
Chorotimädchen  zu  ärgern,  ist,  wenn  man  ihnen  erzählt, 
wie  viele  hübsche  Mädchen  man  bei  den  Ashluslays  sieht. 

Den  Versprechungen  der  Indianer  kann  man  wenig  trauen. 
Den  einen  Tag  versprechen  sie  z.  B.  auf  einer  Exkursion 
mitzufolgen,  am  anderen  brechen  sie  das  Übereinkommen  un- 
geniert. 

In  der  Regel  schienen  mir  besonders  die  Chorotis  sehr 
undankbar.  So  hatte  ich  z.  B.  einmal  einen  Choroti  mehrere 
Tage  zu  Gaste  in  meinem  Lager  und  bewirtete  ihn  reichlich. 
Kurz  darauf  kam  ich  zu  Besuch  in  sein  Dorf.  Der  Indianer 
war  auf  dem  Fischfang.  Als  er  mit  Fischen  beladen  nach 
Hause  kam,  glaubte  ich,  er  würde  mir  einen  Fisch  schenken, 
ich  täuschte  mich  aber  gewaltig.  Ich  bekam  nichts.  Statt 
dessen  forderte  er  Tabak  und  einen  Hut  von  mir. 

Ähnliches  habe  ich  mehrmals  erlebt   und  ich  wurde  zu- 


144  Achtes   Kapitel. 

weilen  dadurch  verstimmt.  Dies  war  dumm  von  mir.  Ich 
hätte  verstehen  müssen,  daß  ein  Mann,  der  ein  paar  mit 
Zeugen,  Messern,  Nadeln,  Glasperlen  usw.  beladene  Maul- 
esel besitzt,  vom  Gesichtspunkt  der  Indianer  aus  so  kolossal 
reich  ist,  daß  er  von  den  armen  Indianern  keine  Gaben 
fordern  darf. 

Unter  sich  sind  sie  ja  so  freigebig,  daß  sie  verschenken, 
was  sie  selbst  gebrauchen  könnten.  Wie  oft  kam  es  vor,  daß 
ein  hungriger  Indianer,  dem  ich  einen  Teller  Essen  an- 
geboten hatte,  diesen  mit  allen  teilte  und  selbst  nichts  be- 
kam. Die  von  den  Weißen  unberührten  Ashluslavs  waren 
viel  gastfreier  als  die  Chorotis  und  schenkten  mir  beständig 
Fische,  Mais.  Algarrobo  u.  a. 

Wenn  wir  in  ein  niemals  von  Weißen  besuchte>  Ashluslav- 
dorf  kamen,  forderten  die  Indianer  keine  Geschenke.  Anders 
ist  es  leider  in  den  Dörfern,  in  denen  die  Indianer  in  die 
Fabriken  in  Argentinien  zu  gehen  pflegen.  Sie  halten  es 
ganz  einfach  für  selbstverständlich,  daß  man  ihnen  wenig- 
stens Tabak  gibt.  Es  scheint  mir  beinahe,  als  betrachten 
die  Indianer  in  gewissen  Gegenden  die  Tabakverteilung  als 
eine  Steuer,  die  der  durchziehende  Weiße  zu  entrichten 
verpflichtet  i-t. 

Von  den  Weißen  werden  die  Indianer  der  Unehrlichkeit 
beschuldigt.  Es  läßt  sich  auch  nicht  leugnen,  daß  sie  Vieh 
stehlen  und  daß  die  Ashluslavs  sich  vor  einigen  Jahren 
durch  Diebstahl  achtzig  Pferde  zugelegt  haben,  daß  sie 
einen  Teil  des  Maises,  den  die  Kolonien  säen,  ernten  usw. 
Meine  Erfahrung  ist  jedoch  die,  daß  die  Indianer  recht 
ehrlich  sind.  Von  seinen  Freunden  stiehlt  man  nämlich 
nicht.  Es  geschah  wohl  zuweilen,  daß  jemand  z.  B.  meine 
Hosen,  meinen  Stanleyhelm  oder  meine  Stiefel  ohne  Erlaub- 
nis lieh,  dies  geschah  aber  nur,  um  ein  Weilchen  damit  herum- 
zustolzieren,  nicht  um  zu  stehlen. 

>icher  beschuldigen  die  Weißen  die  Indianer  auch  solcher 
Diebstähle,  die  sie  unter  -ich  begehen.  So  war  ich  einmal 
in    einem    kleinen    Kolonistenhof   am    Rio    Pilcömavo.     Der 


Unter  den   Indianern  am  Rio  Pilcomavo. 


145 


Besitzer  war  krank  geworden  und  verreist.  Zufällig  sah  ich, 
wie  die  weißen  Diener  in  seine  Vorratskammer  gingen  und 
Zucker,  Konserven  und  Zeug  stahlen.  Ein  junger  Choroti- 
indianer  wurde  aufgefordert,  den  Raub  zu  teilen.  Mit  einem 
verächtlichen  Lächeln  verließ  er  sie. 


Abb.  j$.    Ashluslayfischer.    Rio  Pilcomavo. 


Als  der  Diebstahl  entdeckt  wurde,  hatte  natürlich  das 
verdammte  indianische  Pack  oder  richtiger  ,,esos  indios  c — s" 
seine  Hand  dabei  gehabt. 

Daß  die  Indianer  zuweilen  eine  Kuh  stehlen  und  schlach- 
ten, wenn  der  Magen  leer  ist,  ist  nicht  zu  verwundern.  Das 
würde  unter  ähnlichen  Umständen  ein  Weißer  auch  tun. 

Die  Weißen  nehmen  den  Indianern  das  Land  stückweise 

Nordenskiöld,    Indianerleben.  IO 


146  Achtes  Kapitel. 

ab,  zwingen  sie  weil  ab  vom  Flusse,  wo  kein  Vieh  in  der 
Nähe  ist,  zu  bauen,  ohne  den  Indianern  Arbeit  zu  geben. 
Wenn  die  Indianer  ihr  Land  an  die  Weißen  verlieren,  so  ist 
es  recht  und  billig,  daß  diese  ihnen  so  viel  Arbeit  geben, 
daß  sie  genügend  für  Essen,  Werkzeuge,  Kleider  usw.  ver- 
dienen können,  denn  einmal  in  Berührung  mit  der  Zivilisation 
der  Weißen,  bekommen  die  Indianer  neue  Ansprüche  an  das 
Leben. 

Zu  meiner  Ehrlichkeit  hatten  die  Indianer  ein  sehr  großes 
Vertrauen.  So  pflegten,  als  ich  einige  Tage  mich  bei  dem 
Militärposten  in  Guachalla  aufhielt,  die  Ashluslays,  und  dar- 
unter viele,  die  ich  kaum  kannte,  ihre  Habe  mir  in  Verwah- 
rung zu  geben.  Dieses  Vertrauen  teilte  ich  nur  mit  dem 
Dolmetscher  Manuel  Flores  und  mit  Dr.  Trigo. 

Trotz  ihrer  Fehler  sind  mir  die  Choroti-  und  Ashluslay- 
indianer  sehr  sympathisch.  Ihre  Unzuverlässigkeit,  Undank- 
barkeit und  Lügenhaftigkeit  schreibe  ich  zum  großen  Teil 
den  Weißen  zu,  denn  diese  häßlichen  Seiten  scheinen  nur 
meistens  bei  der  Berührung  mit  den  Eindringlingen  hervor- 
zutreten. 

Solche  generelle  Urteile,  wie  ich  sie  hier  über  den  Cha- 
rakter einer  großen  Menge  Menschen  fälle,  sind  natürlich 
immer  etwas  schwebend.  Es  gilt  hier,  wie  bei  den  zivili- 
sierten Menschen,  daß  die  Individuen  so  verschieden  sind. 
Der  eine  ist  still  und  verschlossen,  der  andere  geht  lachend 
durchs  Leben.  Der  eine  ist  äußerst  eitel,  dem  anderen  liegt 
nichts  daran,  sich  geltend  zu  machen.  Am  liebsten  möchte 
ich  jedes  Individuum,  das  ich  näher  kennen  gelernt  habe. 
besonders  schildern,  in  der  Regel  war  ich  aber  allzu  kurze 
Zeit  mit  ihnen  zusammen,  um  mich  auf  die  Individual- 
psychologie  einzulassen. 

Außerordentlich  glücklich  wäre  es,  wenn  Dr.  Trigos  kluge 
Indianerpolitik  im  Chaco  fortgesetzt  würde.  Die  Indianer 
brauchen  keine  Schutzgesetze,  sondern  warmherzige  und 
energische  Männer,  die  die  Gerechtigkeit  mit  Klugheit  und 
Geduld,   vor  allem  Geduld,  handhaben. 


Tafel  15.    AshluslaviYau  auf  der  Wanderung.    Das  Pferd  ist  von  den 
Weißen  gestohlen. 


Unter  den  Indianern  am  Rio  Pilcomayo.  147 

Zuletzt  ein  paar  Mutmaßungen.  Dr.  Trigo  schätzt  die  Zahl 
der  Chorotis  auf  etwa  4000.  Ich  glaube  nicht,  daß  diese  Zahl 
stark  übertrieben  ist,  wenn  man  berechnet,  daß  zahlreiche 
Chorotis  im  Innern  des  nördlichen  Chaco  leben. 

Wie  viel  Ashluslays  gibt  es?  Moberg  und  der  Verfasser 
sind  in  einundzwanzig  Dörfern  gewesen,  von  denen  mehrere 
sehr  volkreich  waren.  Berechnen  wir,  daß  jedes  Dorf  durch- 
schnittlich 200  Einwohner  hat,  so  erhalten  wir  4200  Indianer. 
Wahrscheinlich  gibt  es  mindestens  ebenso  viele  Dörfer,  die 
wir  nicht  besucht  haben.  Ein  ganzer  Teil  soll  sich  im  Innern 
des  Chaco  befinden.  Es  würde  mich  deshalb  nicht  wundern, 
wenn  der  Ashluslaystamm  nahezu  10 000  Individuen  zählte. 
Das  ist  natürlich  nur  eine  Annahme.  Aus  der  Karte  sieht 
man  jedoch,  daß  dieser  Stamm  eine  große  Verbreitung  hat. 

Ich  verlasse  nun  die  Chorotis  und  Ashluslays.  In  den 
Fachzeitschriften  werde  ich  auf  ihre  Kunst  und  Industrie, 
die  ich  hier  nur  flüchtig  berührt  habe,  zurückkommen. 
.  In  meinen  Schilderungen  ist  nicht  viel  von  der  Poesie 
des  letzten  Mohikaners,  ich  beschreibe  hier  nicht  die  Helden 
der  Indianerbücher,  sondern  ganz  einfach  gewöhnliche  Men- 
schen. Die  Jüngsten  lieben  das  Spiel,  die  Jungen  die  Liebe, 
die  Alten  Essen,  Trinken  und  Tabak.  Sie  kämpfen,  wie 
andere,  ihren  Kampf  ums  Dasein,  und  dieser  Kampf  ist  sicher 
oft  hart.  Besser  als  wir  verstehen  sie  es,  zusammenzuhalten, 
einander  zu  helfen.  Deshalb  liebe  ich  sie  -  -  und  ich  wäre 
froh,  wenn  auch  der  Leser  etwas  Sympathie  für  sie  be- 
kommen hätte. 


Neuntes    Kapitel. 
Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 

Wie  ich  ein  Bild  des  Lebens  der  Choroti-  und  Ashluslay- 
indianer  zu  geben  versucht  habe,  will  ich  auch  die  Chane- 
und  Chiriguanoindianer  und  meine  verschiedenen  Besuche 
bei  ihnen  zu  schildern  versuchen.  Diese  Indianer  stehen 
bedeutend  höher  als  die  ,, Wilden"  des  Chaco.  Sie  leben 
zum  allergrößten  Teil  in  Abhängigkeit  von  den  Weißen, 
und  ihre  alte  eigenartige  Kultur  verschwindet  immer  mehr. 

Die  Chiriguanos  sind  auch  jetzt  zu  einem  ganz  bedeutenden 
Teil  Christen.  Seit  über  300  Jahren  haben  zuerst  die  Jesuiten 
und  dann  die  Franziskaner  sie  mit  wechselndem  Erfolg  zu 
dem  alleinseligmachenden  christlichen  Glauben  zu  bekehren 
versucht.  Bei  den  Chiriguanos  befinden  sich  auch  jetzt  noch 
mehrere  Missionsstationen,  bei  den  Chanes  dagegen  keine. 

In  den  Chanes  und  Chiriguanos  lernen  wir  Menschen  mit 
einer  höheren  Kultur  kennen,  Menschen,  die  von  den  In- 
dianern, von  denen  wir  in  den  vorigen  Kapiteln  gelesen 
haben,  vollständig  verschieden  sind.  Vergleiche  zwischen 
den  beiden  Kulturtypen,  die  wir  im  Chaco  antreffen,  sind 
natürlich  von  Interesse. 

Was  den  Leser  vielleicht  am  meisten  wundert,  ist  der 
Umstand,  daß  beide  primitive  Kulturen  nebeneinander  be- 
stehen können  und  sicher  jahrhundertelang  bestanden  haben, 
ohne  ineinander  zu  verschmelzen,  ja  ohne  voneinander  zu 
lernen,  und  dies,  obschon  hier  keim'  natürlichen  Grenzen 
vorhanden  sind. 

Im  Mai  1908  besuchte  ich,  wie  gesagt,  den  Chanehäupt- 
ling Vocapoy  am  Rio  Itiyuro  in  Argentinien  nahe  der  boli- 


Das  Land  der  Chane-  und  Chirisruanoindianer. 


149 


vianischen  Grenze.  Dies  ist  einer  der  Flüsse,  der  vergebens 
den  Wildnissen  des  Chaco  zu  entrinnen  sucht.  Er  entspringt 
den  äußersten,  urwaldbestandenen  Quellen  der  Anden  und 
verschwindet  in  den  Trockenwäldern  des  Chaco. 

Vocapov  lag  im  Streit  mit  den  Weißen,  die  sein  Land 
usurpiert  hatten  und  seine  Auffassung,  daß  sie  nur  seine 
Pächter  seien,  nicht  gelten  lassen  wollten.     Er  bat  mich  um 


Abb.  74.     Vocapoys  Dorf  am  Rio  Itiyuro. 


Rat,  wie  er  die  Weißen  dazu  bewegen  könne,  das  Recht  der 
Indianer  an  das  Land  anzuerkennen.  Ich  riet  ihm,  sich  an 
den  großen  Häuptling  der  Weißen,  den  Präsident  der  Repu- 
blik, zu  wenden,  und  nahm  Stellung  als  Feldmesser  der  In- 
dianer an.  Ich  streifte  mit  den  Indianern  durch  ihr  ( iebiet 
und  zeichnete  eine  kleine  Skizze,  die  Vocapov  mit  zum 
Präsidenten  nehmen  sollte.  Die  Indianer  hießen  meine 
Skizze  nicht  gut,  sondern  zeichneten  selbst  eine  Karte  von 
dem  Lande. 


150 


Neuntes   Kapitel. 


Leider  weiß  ich  nicht,  ob  Vocapoy  die  lange  Reise  nach 
dem   Dorfe   des   großen   Häuptlings   vorgenommen   hat.    ich 


Abb. 


Chaneindianer.     Rio  Itiyuro. 


erwarb  mir  aber  durch  die  Feldmessung  das  Vertrauen  der 
Indianer. 

Als  ich  Ende  Juli  190S  die  Chorotis  und  Ashluslays  ver- 
ließ, begab  ich  mich  über  Yacuiba  nach  San  Francisco  am 


Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


151 


Rio  Pilcomayo.     San  Francisco  war  eine  Missionsstation,  die 
die  Franziskaner  unter  den  Chiriguanos  gehabt  hatten,  die 


Abb.  y(>.    Chaneindianer.     Rio  Papapiti. 


aber  jetzt  eingezogen  ist.  Nicht  weit  davon  wohnen  die 
Tapieteindianer,  bei  denen  ich  im  August  1908  eine  Woche 
zubrachte. 

In  Tihuipa  eröffnete   ich  einige  Tage  lang  ein   richtiges 


152  Neuntes  Kapitei. 

kleines  Material  Warengeschäft.  Indianer  und  Indianerinnen, 
besonders  die  letzteren,  drängten  sich  um  den  Ladentisch. 
Es  war  ein  eigentümlicher  Laden.  Kam  eine  Indianerin 
mit  Geld  dorthin,  um  zu  kaufen,  wurde  sie  vom  Laden- 
diener höflich  abgewiesen,  kam  sie  dagegen  mit  einem  hüb- 
schen alten  Tongefäß,  so  wurde  sie  die  glückliche  Besitzerin 
von  Korallen,  feuerroten  Bändern,  Ohrringen  mit  wirklichen 
,, Diamanten",  Ringen  mit  „Saphiren"  oder  von  anderem 
Wackeren,  womit  sie  dann  beim  nächsten  Trinkgelage  prahlen 
konnte. 

In  diesen  Missionsstationen  befinden  sich  immer  zwei 
Dörfer,  eins  für  die  Heiden,  eins  für  die  Christen.  Ich  für 
meine  Person  fühlte  mich  immer  in  dem  ersteren  am  wohlsten, 
und  dies  nicht  allein  deswegen,  weil  dort  mehr  hübsche,  alte 
Gegenstände  zu  sammeln  waren,  sondern  auch,  weil  man 
dort  in  seinem  Benehmen  freundlicher,  taktvoller  und  feint  r 
war.     Die  Missionskinder  waren  zudringlich  und  frech. 

Bei  Machareti  ist  eine  große  Talmulde,  in  welcher  ein 
kleiner  Bach  fließt,  der  nach  einem  heftigen  tropischen 
Regen  wahrscheinlich  zu  einem  brausenden  Fluß  anschwillt 
und  sich  in  den  Wildnissen  des  Chaco  verliert.  Ganz  nahe 
der  Mission  verläßt  er  die  hübsch  zerschnittenen  Berge, 
wo  überall  in  den  Rissen  der  Klippen  kleine  Petroleum- 
quellen hervorsickern.  Er  fließt  dann  durch  eine  Hügel- 
landschaft, die  allmählich  in  das  gewaltige  Flachgebiet  des 
Chaco  übergeht.  Die  Vegetation  in  diesen  Gegenden  ist 
keine  sehr  üppige.  Der  Wald,  wenn  solcher  vorhanden  ist, 
ist  dünn,  niedrig,  strauchig  und  einförmig.  Die  Felder  scheinen 
reiche  Ernten  zu  geben,  die  Dürre  selten  zu  groß  zu  sein. 
Oft  werden  diese  Gegenden  von  gewaltigen  Heuschrecken- 
sch wärmen  verheert.  Wie  große,  rotbraune  Wolken  habe 
ich  diese  schädlichen  Tiere  die  Wälder  bedecken  gesehen. 

Von  Machareti  gingen  wir  über  Itatiqui,  einem  ganz 
interessanten  Chiriguanodorf  in  einer  wasserarmen  Gegend. 
nach  dem  Rio  Parapiti. 

Dieser    kommt    von    Pomabamba    und    Sau/es,    von    den 


Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  153 

Gebirgen  der  Quichuaindianer.  Wenn  er  diese  verläßt,  ist 
er  in  der  Regenzeit  ein  brausender,  seine  Ufer  überschwem- 
mender Strom.  In  der  Trockenzeit  führt  er  wenig  Wasser. 
Auch  der  Rio  Parapiti  endet  im  Chaco.  Während  der  Regen- 
zeit verliert  er  sich  in  den  Morästen,  in  der  Trockenzeit  ver- 
schwindet er  in  dem  feinen  Sand.  Wrenn  der  Rio  Parapiti 
auf  den  Karten  als  südlichster  Nebenfluß  des  Amazonen- 
stromes stolziert,  so  ist  dies  also  nur  eine  leere  Prahlerei  von 
ihm.  Die  Wälder  längs  des  Rio  Parapiti  bestehen  meistens 
aus  Büschen  und  niedrigen,  feinblättrigen  Bäumen,  Cara- 
guatä  und  Kakteen. 

In  der  Trockenzeit  häuft  der  Wind  große  Dünen  längs 
der  Ufer  des  Flusses  auf.  Nachdem  er  die  Berge  verlassen 
hat,  erhält  er  keinen  Nebenarm.  Der  Rio  Parapiti  ist  sehr 
breit,  aber  niemals  tief.  Während  der  trockensten  Zeit  ist 
sein  Bett  in  eine  Sandwüste  verwandelt,  wo  der  Wind  mit 
dem  feinen  Flußsand  spielt.  Stürmt  es,  so  wird  der  Sand 
über  den  Flußboden  gepeitscht.  Will  man  an  einem  solchen 
Tag  herüber,  so  macht  man  sich  vielleicht  die  Füße  nicht 
naß,  muß  aber  seine  Augen  hüten. 

Der  Rio  Parapiti  ist  fischreich,  die  Fische  sind  aber  winzig 
klein.  Die  Ufer  sind  recht  fruchtbar,  da  sie  aber  während 
der  Regenzeit  überschwemmt  werden,  gehen  die  Ernten 
leicht  verloren.  In  der  Trockenzeit  wird  oft  alles  durch  die 
brennende  Dürre  verzehrt.  Auch  die  Heuschrecken  hausieren 
in  diesen  Gegenden  und  hinterlassen  in  ihren  eigenen  un- 
appetitlichen Körpern  einen  schlechten  Ersatz  für  das,  was 
sie  zerstört  haben. 

Am  Rio  Parapiti  wohnen  ganz  hoch  oben  am  Gebirge 
die  Quichuaindianer,  dann  kommen  die  Chiriguanos,  hierauf 
nahe  dem  Flusse  die  Tapietes,  auch  Yanayguas  genannt, 
danach  die  Chanes  und  zuletzt  in  den  unbekannten  Wild- 
nissen die  Tsirakuaindianer. 

Mein  erster  Besuch  am  Rio  Parapiti  galt  dem  Padre 
Carmelo,  der  dort  eine  kleine  Missionsstation  unter  den 
Chiriguanos  hatte.      Diesen   Mönch   habe   ich   sehr  lieb  ge- 


154  Neuntes  Kapitel. 

wonnen,  er  hatte  eine  so  vertraueneinflößende  Freundlich- 
keit. Er  gehört  zu  den  Missionaren,  die  hier  erforderlich 
sind,  Menschen,  die  sich  für  andere  aufopfern  wollen  und 
können,  die  allen  eine  gleich  große  Freundschaft  erweisen. 

Ich  setzte  nun  längs  des  Rio  Parapiti  nach  Isiporenda, 
am  Nordufer  des  Flusses,  fort.  Gegenüber  Isiporenda  wohnen 
die  Tapietes.  Einen  Besuch,  den  ich  bei  ihnen  machte,  will 
ich  später  schildern. 

Bei  Isiporenda  traf  ich  den  ersten  Chane  oder,  wie  sie 
hier  genannt  werden,  Tapuy.  Ich  besuchte  dann  den  größten 
Teil  ihrer  Dörfer.  Besonders  machte  ich  mit  einigen  ihrer 
Sagenerzähler  Bekanntschaft,  von  denen  Batirayu,  der  Neffe 
des  letzten  großen  Häuptlings  Aringuis,  mein  guter  Freund 
wurde. 

Vom  unteren  Rio  Parapiti  begab  ich  mich  über  Charagua, 
einem  beinahe  ausschließlich  von  Weißen  bewohnten  Dorf, 
nach  dem  Caipipendital,  wo  ich  mich  bei  dem  Chiriguano- 
häuptling  Taruiri  aufhielt. 

Man  kann  sich  wundern,  daß  ein  Mensch  in  diesem  wälder- 
losen Tale,  wo  man  nur  ein  salziges,  schmutziges  Wasser 
findet,  wohnen  will,  im  Caipipendital  braucht  man  aber  kein 
Wasser  zu  trinken,  denn  dort  gibt  der  Mais  herrliche  Ernten 
und  dort  herrscht  niemals  Mangel  an  Maisbier.  Die  Be- 
wohner des  Caipipenditals  sind  reich,  und  herrscht  in  anderen 
Gegenden  Not ,  so  kommen  die  Indianer  von  weither  zu 
diesen  Stammverwandten,  um  ihre  Kostbarkeiten  gegen 
Mais  einzutauschen. 

Es  ist  auch  für  Sammler  ein  herrliches  Tal.  Silberne 
Schmucksachen,  silberne  Schalen,  fein  geschnitzte  Musik- 
instrumente und  viele  andere  Seltenheiten  fanden  wir  in 
diesem  Paradies  des  Ethnographen.  Steinäxte,  Ruinen, 
Grabfelder  von  verschiedenen  Völkern  beweisen,  daß  das 
Caipipendital  lange  von  den  Indianern  hoch  geschätzt  war. 

Tief  hat  das  Wasser  sich  in  dieses  Tal  eingeschnitten. 
In  der  Regenzeit  regnet  es  wohl  auch  dort. 

Von  Caipipendi  kehrte  ich  über  die  Berge  durch  ein  seiner 


Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer 


OD 


heißen  Quellen  und  seiner  Schönheit  wegen  berühmtes  Tal 
nach  Charagua  zurück,  um  dann  längs  der  Anden  in  der 
Richtung  nach  Santa  Cruz  de  la  Sierra  fortzusetzen. 

Es  war  im  Oktober  1908.  Nicht  ganz  ein  Jahr  später, 
im  Juli  1909,  besuchte  ich,  nach  umfassenden  Flußfahrten 
weit  hinten  an  der  Grenze  Brasiliens,  den  Chaco  wieder.  In 
einem  anderen  Buche  werde  ich  diese  Fahrten  auf  großen, 
schiffbaren  Flüssen  und  durch  Urwälder,  deren  üppiges 
Grün  überwältigt,  schildern. 

Von  Santa  Cruz  de  la  Sierra  kam  ich,  wie  gesagt,  im  Juli 
1909  nach  dem  Chaco  zurück.  Ich  reiste  nun  zuerst  über 
den  Rio  Grande  nach  dem  Rio  Parapiti,  um  vor  allem  meinen 
Freund  Batirayu  zu  besuchen. 

Der  Rio  Grande  ist  der  südlichste  Nebenfluß  des  Ama- 
zonenstromes. Er  kommt  von  den  höchsten  Bergen  der 
Anden  und  fließt  bei  Sucre  vorüber,  welche  Stadt  lange 
der  Stadt  La  Paz  den  Rang  als  Hauptstadt  Bolivias  streitig 
gemacht  hat.  Wenn  er  aus  dem  Gebirge  tritt,  ist  er  ein 
brausender,  mächtiger  Fluß.  Weiter  unten  hat  er  einen 
höchst  unbeständigen,  sehr  wenig  bekannten  Lauf.  Nördlich 
von  Santa  Cruz  de  la  Sierra  nimmt  der  Rio  Grande  den  Rio 
Piray  auf  und  vereinigt  sich  schließlich  mit  dem  Rio  Mamore. 
Einige  Chiriguanos  wohnen  an  diesem  Fluß,  auch  wilde 
Tsirakuas  und  Sirionos  streifen  in  den  Urwäldern  an  dem- 
selben  umher. 

Zwischen  dem  Rio  Grande  und  dem  Rio  Parapiti  ist  ein 
höchst  wasserarmes,  zum  großen  Teil  mit  vollständig  undurch- 
dringlichem Gestrüpp  und  niedrigem  Buschwald  voller 
Caraguatä  und  Kakteen  bedecktes  Gebiet.  Diese  einförmige, 
düstere  Vegetation  wird  hier  und  da  durch  Hügel  und  Gras- 
ebenen unterbrochen. 

Außer  den  wilden  Tsirakuaindianern,  die  diese  Dickichte 
unsicher  machen,  findet  man  hier  eine  andere  Merkwürdig- 
keit, nämlich  den  Guanako  (auchenia).  Es  ist  ganz  sonderbar, 
ein  Tier  wie  den  Guanako,  den  man  sich  nur  im  Zusammen- 
hang  mit   den   kalten    Hochebenen   der  Anden   oder  den   oft 


156  Neuntes  Kapitel. 

unter  Frost  leidenden  Pampas  von  Patagonien  denken  kann, 
in  diesen  oft  von  der  Dürre  verbrannten  Gebüschen  zu  finden. 
Es  wäre  interessant,  bestimmen  zu  können,  ob  dieser  Guanako 
des  tropischen  Urwaldes  wirklich  derselbe  ist,  den  man  von 
kälteren  Gegenden  her  kennt.  Intelligente  Weiße,  mit  denen 
ich  hierüber  gesprochen  habe  und  die  beide  gesehen  haben, 
halten  sie  gleichwohl  für  dieselbe  Art. 

Nach  dem  Rio  Parapiti  zurückgekommen,  suchte  ich  Bati- 
rayu  auf,  mit  dem  ich  schon  1908  intim  bekannt  wurde  und 
der  auch  ein  ausgezeichnetes  Spanisch  spricht. 

Keinem  Indianer,  den  ich  kennen  gelernt  habe,  bin  ich 
so  nahe  gekommen,  wie  Batirayu.  Er  verstand,  daß  ich  die 
alten  Erinnerungszeichen  aus  Interesse  für  seinen  Stamm 
sammele.  Batirayu  tat  sein  bestes,  mir  die  religiösen  Begriffe 
seines  Stammes  zu  erklären.  Des  Abends  saßen  wir  bei  einer 
Zigarette  in  seiner  Stube,  und  er  erzählte  von  alten  Zeiten, 
Zauberern,  Häuptlingen  und  Geistern.  Zuweilen  kam  ein  alter 
Häuptling  Böyra  dazu,  und  von  ihm  hörte  ich  viele  hübsche 
Chanesagen.  Bis  spät  in  die  Nacht  hinein  saßen  wir  und 
plauderten  bei  einem  flackernden  Licht,  das  ich  mithatte, 
um  Aufzeichnungen  zu  machen. 

Man  irrt  sich  sehr,  wenn  man  glaubt,  daß  die  Gespräche 
mit  diesen  Männern  nur  ein  interessantes  Studium  waren. 
Ich  fühlte  mich  wohl  bei  diesen  feinen,  taktvollen,  ja,  warum 
nicht,  gebildeten  Menschen.  Es  war  eine  reine  Erquickung. 
wenn  man  von  den  oft  platten,  inhaltlosen  Weißen  kam. 
Batirayu  ist  aber  auch  ein  ungewöhnlicher  Mann,  der  Stoff 
zu  einem  großen  Mann,  der  zur  Untätigkeit  verurteilt   ist. 

Batirayu  ist  ein  Chane.  Diese  Indianer  sprechen  jetzt 
dieselbe  Sprache  wie  die  Chiriguanos,  und  zwar  Guarani. 
Die  meisten  ihrer  Sitten  und  Gebräuche  stimmen  auch  mit 
denen  der  Chiriguanos  überein,  von  denen  sie  wahrschein- 
lich unterworfen  worden  sind.  Ihrem  Ursprung  nach  sind 
sie  indessen  Arowaken  und  somit  die  am  südlichsten  Wohnen- 
den dieser  Gruppe,  die  in  Südamerika  und  auf  den  Antillen 
eine  große  Verbreitung  hatte  und  noch  hat. 


Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  15- 

Wenn  ich  die  Chanes  und  die  Chiriguanos  hier  zusammen 
schildere,  so  geschieht  dies,  weil  ihre  materielle  Kultur  so 
gleichartig  ist.  Gleichwohl  habe  ich  angegeben,  bei  welchem 
Stamm  ich  diese  oder  jene  Beobachtung  gemacht  habe ; 
dies  gilt  besonders  für  das  religiöse  Gebiet,  auf  welchem 
die  Chanes,  wenigstens  am  Rio  Parapiti,  viele  alte  Vorstel- 
lungen beibehalten  haben,  die  den  Chiriguanos  unbekannt 
sind. 

Batirayu  erzählte  mir,  einige  von  den  Chanes  wüßten  noch 
einige  Worte  der  alten  Sprache  des  Stammes.  Besonders  bei 
den  Trinkgelagen,  wenn  sie  betrunken  sind,  pflegten  sie  sich 
damit  wichtig  zu  machen,  daß  sie  unter  sich  die  alte  Chane- 
sprache, die  sonst  den  Charakter  einer  Geheimsprache  hat, 
sprechen. 

In  Begleitung  Batirayus  begab  ich  mich  nach  dem  Dorfe 
„Huirapembe",  wo  die  Indianer  zu  finden  sein  sollten,  die 
am  besten  Chane  konnten.  Es  war  nicht  leicht,  ihnen  ihre 
Geheimnisse  zu  entlocken.  Eigentlich  waren  es  nur  die 
Jüngsten,  die  am  allerwenigsten  wußten,  die  mir  etwas  mit- 
teilen wollten.1)  Eine  alte  Frau,  die  ausgezeichnet  Chane 
können  sollte,  sagte,  erst  im  Totenreiche  wolle  sie  mich 
unterrichten.  Da  die  Indianer  an  diesem  glücklichen  Platze 
nicht  von  den  Weißen,  auch  nicht  von  den  Ethnographen 
belästigt  werden,  war  das  Versprechen  der  Alten  nicht  sehr 
freundlich. 

Bei  einer  Menge  Ausdrücke,  die  Schimpfwörter  sind,  wen- 
den die  Chanes  ihre  alte  Sprache  an,  z.  B.  karitimisöyti,  das 
sie  mit  Sohn  einer  H — e  übersetzen.  Eine  Einladung  zum 
Koitus  nennen  sie  pocöne.    Auch  Lieder  finden  sich  in  ihrer 


Chane. 

Chiriguano. 

Mojo. 

Wasser 

üne 

y 

une 

Mais 

sopöro 

ahuäti 

seponi 

Feuer 

yucu 

täta 

\  u<  u 

Hund 

tamüco 

yaümba 

tamiuu 

Chicha 

(gutes) 

liqui 

cängui 

itico 

Ratte 

covo 

anguya 

cozo. 

I.S8 


Neuntes  Kapitel. 


alten  Sprache,  z.  B.  siparakinänoye,  siparakinänoye,  sipara- 
kinänoye, toneya,  toneya,  toneya,  wofür  sie  keine  Über- 
setzung wußten. 

Vom  Rio  Parapiti  aus  besuchte  ich  wieder  den  Chiri- 
guanohäuptling  Taruiri  im  Caipipendital,  wo  ich  so  viel  alte 
Schmucksachen  und  andere  Kostbarkeiten  wie  möglich  zu 
kaufen  suchte.  Außer  Taruiri  besuchte  ich  auch  einen  anderen 
Häuptling,  Yumbay,  einen  alten  Ehrenmann,  der  mich  immer 
zu  umarmen  und  dabei  zu  sagen  pflegte:  „Ich  bin  Yumbay." 

,,Ja,  der  große,  mächtige 
Yumbay",  fiel  ich  ein,  wor- 
über der  heruntergekom- 
mene arme  Kerl  sich  sehr 
geschmeichelt  fühlte. 

Vom  Caipipendital  ging 
ich  über  Pipi  zur  Mission 
bei  Ivu.  Diese  liegt  in 
einer  trockenen,  einsamen, 
wasserarmen  Gegend,  nahe 
einigen  mächtigen  Bergen, 
und  das  Leben  muß  da 
fürchterlich  sein.  Als  die 
Blattern  in  der  Gegend 
stark  grassierten,  wußte 
Vater  Bernardino  den  Ein- 
zug der  Krankheit  in  die 
Mission  mit  Erfolg  durch  Vakzinierung  aller  am  Plätze 
wohnenden  Indianer  zu  verhindern.  Vater  Bernardino  ist 
ein  wirklich  uneigennütziger  Mensch,  ein  wirklicher  Mis- 
sionar, Infolge  der  Vakzinierung  starb  in  Ivu  niemand 
an  den  Blattern,  während  die  unheimliche  Krankheit  unter 
den  Weißen,  einige  Meilen  von  der  Station,  fürchterlich 
wütete.  Es  geschah  ihnen  beinahe  recht.  War  einer  an  den 
Blattern  gestorben,  so  wurde  der  Leichnam  auf  einen  mit 
Papierblumen  und  einem  Kruzifix  geschmückten  Tisch  gelegt. 
LTm  diesen  herum  betranken  sich  die  anderen  Schweine  und 


Abb.   77.     Von   der  Frau   des  Chiri- 
guanohäuptlings     Maringay     herge- 
stelltes Tongefäß.     x/6. 


Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


159 


tranken  so  lange  Obligos,1)  bis  sie  auf  den  Tisch  zu  liegen 
kamen.  Allein  im  Dorfe  Cuevo  starben  in  kurzer  Zeit  von 
zweihundert  Personen  sechzig.  Ich  habe  die  140  besucht. 
Sie  waren  so  lustig  wie  immer.  Branntwein  und  Bier  wurde 
in   Massen  verzehrt. 

Dem  Vater  Bernardino  wurde  niemals  die  Ehre  an  diesem 
Werke  zuteil,  sondern  den  Medizinmännern,  welche  die  Krank- 
heit verhext  hatten,  so  daß  sie  nicht  nach  Ivu  kommen  sollte. 
Auch  die  weißen  Kolonisten  ließen  zuweilen  die  Medizin- 
männer kommen,  um  die 
Krankheit  zu  vertreiben. 
Auch  sie  glaubten  nicht 
an  die  Vakzin. 

Mit  Ivu  als  Ausgangs- 
punkt machte  ich  eine 
Exkursion  nach  dem  Igü- 
embetal,  um  den  Chiri- 
guanohäuptling  Maringay 
zu  besuchen.  Es  war  ein 
hübscher  Ritt  auf  hohe 
Bergkämme  hinauf  und  in 
tiefe  Täler  hinab,  durch 
eine  oft  großartige,  farben- 
reiche Landschaft.  Diese 
Täler  sind  waldarm.  Nur 
in    einer    gut    geschützten 

Schlucht,  in  welcher  ein  Bach  hervorsickert,  ist  die  Vege- 
tation üppig. 

Mit  dem  alten  Maringay  wurde  ich  bald  sehr  gut  be- 
freundet. Der  Alte  war  konservativ,  hielt  fest  an  alten  Sitten 
und  meinte,  die  Indianer  sollten  mit  den  Weißen  auf  gutem 
Fuße  leben,  ihre  alten  Sitten  und  Gebräuche  aber  unver- 
ändert bewahren.  Sein  Dorf  war  außerordentlich  interessant 
und  sehr  reich  an  alten,  hübschen  Sachen.    Die  Keramik, 


Abb.   78.     Von   der  Frau    des  Chiri- 
guanohäuptlings     Maringay     herge- 
stelltes Tongefäß.    1JT 


x)  Trinkt  jemand  Obligo  mit  einem,  so  muß  dieser  austrinken. 


IÖO  Neuntes   Kapitel. 

die  ich  dort  antraf,  gehört  zu  dem  Allerbesten,  was  ich  bei 
diesen  Indianern  gesehen  habe.   (Abb.  yy  und  78.) 

Von  Maringay  kehrte  ich  über  die  Missionsstation  Santa 
Rosa  nach  Ivu  zurück.  Die  erstere  hat  eine  wunderbare  Lage. 
<  rleich  einer  alten  Burg  ist  sie  auf  einem  engen  Hügel  gebaut. 
Unterhalb  liegen  in  langen  Reihen  die  von  niedrigem  Wald 
mit  Mimosazeen,  Kakteen,  kleinen  Algorrobos  und  anderen 
feinblättrigen  Bäumen  umgebenen  graubraunen  Chiriguano- 
hütten.  Dieser  Wald  ist  selten  so  dicht,  daß  man  nicht  leicht 
ohne  Waldmesser  herauskommen  kann.  Als  ich  in  Santa  Rosa 
war,  herrschte  Trockenzeit  und  alles  war  verbrannt.  Der  Regen 
zaubert  aber  wohl  auch  hier  das  Grün  aus  dem  trockenen 
Boden.  Manchmal  bleibt  aber  der  Regen  so  lange  aus,  daß 
die  Indianer  keinen  Mais  bekommen,  und  das  bedeutet  - 
Hunger. 

Von  Santa  Rosa  sieht  man  weit  hinaus  über  die  Berge  und 
über  die  große  Ebene  Boyuovis,  über  das  Land,  welches  das 
Vaterland  der  Chiriguanos  war,  wo  sie  bei  Curuvuqui  ihren 
letzten  Kampf  mit  den  Christen  gekämpft  haben,  die  sich 
das  Recht  anmaßen,  alle  schwächeren  Völker  zu  bestehk-n. 

Nach  dem  Ausflug  bei  Maringay  verließ  ich  das  Land  der 
Chiriguanos  und  Chanes  und  machte  meinen,  in  diesem  Buche 
schon  geschilderten  zweiten  Besuch  bei  den  Chorotis  und 
Ashluslays. 

Das  von  den  Chiriguano-  und  Chaneindianern  bebaute 
Gebiet  ist  wirklich  sehr  ausgedehnt.  Es  hat  eine  wechselnde 
Natur,  von  üppigen  Urwäldern  bis  zu  äußerst  wasserarmen, 
vegetationsarmen  Tälern  und  Ebenen.  Es  ist  teilweise  sehr 
bergig,  aber  die  Chiriguanos  und  die  Chanes  sind  keine  Ge- 
birgsvölker.  Sie  halten  sich  unten  in  den  Tälern  auf  und 
klettern  nicht,  wie  die  Ouichuaindianer,  auf  Gipfel  und  Hoch- 
ebenen hinauf. 

Das  Tierleben  in  diesen  Gegenden  ist  arm,  ja  sehr  arm. 
Ein  Jägervolk  könnte  dort  niemals  wohnen.  Hier  und  da 
ein  Rehbock,  ein  Wildschwein,  einige  Strauße,  das  ist  alles, 
was  man  an  Großwild  sieht.    Auch  das  Vogelleben  ist  arm. 


Das  Land  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  161 

Die  Zahl  der  Seen  ist  sehr  gering,  und  ihre  Größe  nicht 
bedeutender,  als  daß  wir  sie  in  Europa  Pfützen  nennen 
würden.  Am  Rio  Parapiti  sieht  man  die  ihrer  kostbaren 
Federn  wegen  berühmten  weißen  Reiher1)  ziemlich  zahlreich. 
Von  den  Waldvögeln  liefert  nur  das  Huhn  „pavas"2)  einen 
Beitrag  zum  Essen.  Zuweilen  sieht  man  einen  großschnabe- 
ligen  „Tucan".3)  Fette,  mit  Mais  gemästete  Tauben  leben 
oft  in  Massen  in  den  Feldern  der  Indianer.  Im  Rio  Pilcomayo 
herrscht  ein  großer  Fischreichtum,  in  den  kleinen  Flüssen 
sind  die  Fische  klein  und  schlecht.  Die  Indianer,  die  diese 
Gegenden  bewohnen,  müssen  Ackerbauer  sein,  und  Maisbauer 
sind  sie  im  allerhöchsten  Grad.  Mais  ist  für  sie  Essen,  Trinken, 
Freude,  alles! 

Abenteuer  habe  ich  von  diesen  Indianern  nicht  zu  be- 
richten. Jedermann  kann  unbehelligt  unter  ihnen  reisen. 
Der  größte  Kummer  des  Ethnographen  ist,  daß  er  nicht  alles 
Interessante  und  Alte,  was  er  dort  sieht,  sammeln  kann. 
Man  kann  nicht  alles  nach  Hause  mitnehmen. 

Noch  lebt  in  den  Wildnissen  des  Chaco  ein  Chiriguano- 
häuptling  Cayuhuari,  in  dessen  Dorf  kein  weißer  Mann  ge- 
wesen ist.  Es  soll  an  einem  großen  See  liegen.  Dort  weiden 
große  Herden  von  Pferden  und  Kühen,  und  die  Maisscheunen 
sind  immer  voll.  Dort  sind  die  Indianer  reich,  denn  dort 
gibt  es  keine  Weißen.    So  erzählt  man  wenigstens. 

Cayuhuari,  der  seit  der  Empörung  1890  im  Chaco  lebt, 
hat  eine  weiße  geraubte  Frau  als  Schwiegertochter.  Man 
sagt,  er  habe  zusammen  mit  den  Tobas  die  Zuckerfabriken 
in  Nordargentinien  besucht.  Er  hatte  seine  Schwiegertochter 
mit.  Die  Besitzer  der  Fabrik  erboten  sich,  sie  von  den 
Indianern  zu  retten.  „Ich  will  sie  nicht  verlassen,"  sagte  sie. 
,,Bei  ihnen  habe  ich  meine  Kinder."    Diese  Antwort  ehrt  sie. 

Die  Sitten  und  Gebräuche  der  Chiriguanoindianer  sind 
von  mehreren  Verfassern,4)  meistens  Missionaren,  geschildert 

i)  Ardea.  —  2)  Penelope.  —  3)  Rhamphastus. 
4)  Die   allermeiste  Literatur  finden  wir  von  Domenico  del  Cam- 
pana angeführt:    Notizie  etc.  1.  c. 

Nordenskiöld,    Indianerleben.  II 


IÖ2  Neuntes  Kapitel. 

worden,  so  daß  wir  mehr  von  ihnen  wissen,  als  von  den 
Chorotis  und  den  Ashluslays. 

Ein  Teil  von  dem,  was  ich  über  diese  Indianer  berichtet 
habe,  ist  nicht  neu,  wenn  auch  in  neuer  Beleuchtung  gesehen. 
Verschiedenes,  besonders  was  das  Religiöse  betrifft,  unter- 
scheidet sich  gleichwohl  von  den  Schilderungen  der  ver- 
schiedenen Missionare.  Was  ich  hierin  gesammelt  habe,  ist 
von  den  Chanes,  und  die  Missionare  kennen  die  Chiriguanos 
am  besten. 

Was  mich  in  verschiedenen  Schilderungen  der  Missionare 
von  den  Indianern  unsympathisch  berührt,  das  ist,  daß  sie 
danach  zu  streben  scheinen,  ihre  Fehler  in  allzu  dunklen 
Farben  auszumalen,  damit  ihre  eigene  „zivilisatorische  Ar- 
beit" so  bedeutend  wie  möglich  wirken  soll.  Die  Missionare 
scheinen  mir  die  Religion  der  Indianer  nicht  objektiv  schil- 
dern zu  können. 

Wenn  ich  gelesen  habe,  wie  die  Missionare  ihre  eigene 
Eroberung  des  Landes  der  Chiriguanoindianer  beschreiben,  so 
hat  es  mir  nicht  gefallen,  nur  von  dem  Mut  der  ersteren  und 
der  Grausamkeit  der  letzteren  zu  hören.  Ich  leugne  es  nicht, 
die  Missionare  waren  tapfer,  mehr  bewundere  ich  aber  die 
Freiheitsliebe  und  den  Mut  der  Chiriguanoindianer.  Ist  es 
den  Mönchen  zu  schwer  geworden,  so  sind  ihnen  beinahe 
immer  Soldaten  zu  Hilfe  gekommen.  Die  Indianer  haben 
sich  den  Missionaren  nicht  nur  infolge  der  „Religion  der 
Liebe",  sondern  infolge  Kugel  und  Blei  unterworfen.  Der 
Weg  zur  alleinseligmachenden  Kirche  ist  nicht  selten  mit 
Blut  getränkt  worden. 


Zehntes  Kapitel. 
Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 

Indianer  als  Geographen. 

Gibt  es  auf  dem  südamerikanischen  Kontinent  einen  ein- 
zigen bewohnbaren  Platz,  der  nicht  von  den  Indianern  ent- 
deckt ist? 

Diese  Frage  wage  ich  mit  „Nein"  zu  beantworten.  Auf 
den  höchsten  Gipfeln  der  Anden  finden  wir  Indianer,  in  den 
trockenen  Buschwäldern  des  nördlichen  Chaco  gibt  es  In- 
dianer ,  in  den  tiefen  Urwäldern  von  Ost-Bolivia  streifen 
Indianer  umher,  die  ungastfreundlichen  Inseln  um  das  Feuer- 
land werden  von  Indianern  bewohnt,  in  den  Pampas  in  Argen- 
tinien haben  früher  viele  Indianer  gelebt. 

Welch  kolossale  Zeit  haben  diese  Menschen  nicht  ge- 
braucht, um  jeden  Bach,  jede  Pfütze,  jede  Klippe,  jedes 
Wäldchen  auf  dem  südamerikanischen  Kontinent  zu  ent- 
decken. Vierhundert  Jahre  lang  hat  der  weiße  Mann  mit 
allen  seinen  Hilfsmitteln  Südamerika  zu  erforschen  gesucht, 
und  doch  ist  noch  viel  mehr  unerforscht,  als  man  gewöhnlich 
glaubt.  Er  kennt  im  inneren  Südamerika  alle  die  größeren 
Flüsse  und  Verkehrsstraßen,  ungeheuer  sind  aber  noch  die 
Gebiete,  die  niemals  der  Fuß  eines  Weißen  betreten  hat. 
Die  Indianer  kennen  jeden  Winkel,  oder  haben  ihn  wenigstens 
gekannt. 

Die  Zeit,  die  zur  Entdeckung  dieses  Kontinents  und  zur 
Anpassung  an  das  wechselnde  Klima,  die  wechselnde  Pflanzen- 
und    Tierwelt    vergangen    ist,    ist    sicher    eine    sehr,    sehr 


164  Zehntes  Kapitel. 

lange  gewesen.  Das  beweisen  auch  die  hunderte  Indianer- 
sprachen, die  von  Südamerika  her  bekannt  sind. 

Das  Gebiet,  das  jeder  Indianer  in  der  Regel  kennt,  ist 
kein  großes,  er  kennt  es  aber  genau.  Ich  habe,  wie  ich  hier 
schon  erwähnt  habe,  mit  den  Ashluslayindianern  eine  "Wande- 
rung von  etwa  250  km  in  den  Wäldern  vorgenommen.  Dies 
geschah  in  ihrem  eigenen  Land,  und  das  kannten  sie  voll- 
ständig. Einzelne  Individuen  kennen  infolge  des  Handels- 
verkehrs etwas  von  dem  Lande  der  befreundeten  Xachbar- 
stämme. 

Ich  habe  stets  die  Indianer  gefragt,  von  welchen  Stämmen 
sie  gehört  haben,  und  habe  sie  gebeten,  diese  aufzuzählen. 
Dies  taten  sie  gern,  solche  Stämme  aber,  von  denen  sie 
glaubten,  daß  ich  sie  nicht  kenne,  erwähnten  sie  ganz  einfach 
nicht.  Sie  wollen  die  Kenntnis  des  weißen  Mannes  vom  Lande 
nicht  unnötig  erweitern.  Dies  ist  der  Grund,  warum  es  oft 
so  schwer  ist,  unter  den  Indianern  einen  Wegweiser  zu  finden. 
Wer  den  weißen  Mann  in  ein  diesem  unbekanntes  Dorf  führt, 
ist  ein  elender,  des  Todes  werter  Verräter.  Die  Chorotis  sagen 
immer,  im  Innern  ihres  Landes,  vom  Rio  Pilcomayo  an  ge- 
rechnet, wo  noch  niemals  ein  Weißer  gewesen  ist,  gebe  es 
keine  Menschen.  Die  Ashluslayindianer  waren  sehr  erstaunt, 
als  ich  ihnen  das  charakteristische  Besitztum  der  Tsirakua- 
indianer  beschrieb  und  ihnen  von  den  Yanayguas  erzählte. 
Daß  der  weiße  Mann  diese  Stämme  kennt,  war  ihnen  voll- 
ständig unverständlich. 

Sehr  umfassend  sind  die  Kenntnisse  der  Indianer  von  dem 
Kontinent,  den  sie  bewohnen,  nicht.  Kein  Indianer  südlich 
von  Santa  Cruz  de  la  Sierra  kennt  z.  B.  die  nördlich  von  dieser 
Stadt  wohnenden.  Der  Rio  Paraguay  ist  den  Chaneindianern 
eigentümlicherweise  bekannt.  Die  dortigen  Stämme  kannten 
sie  nicht.  Dort  wohnt,  sagten  sie,  ein  großer  Häuptling.  Sie 
fragten  mich,  ob  ich  von  diesem  Häuptling  ausgesandt  sei, 
um  alle  Gegenstände  aus  alten  Zeiten  zu  sammeln,  damit  sie 
nicht  verloren  gingen.  Diesen  großen  Häuptling  in  Paraguay 
meinte  ein  alter  Sagenerzähler,  als  er  eine  Abschiedsrede  für 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


16s 


mich  hielt,  die  folgendermaßen  begann:  „Nun  kannst  du 
deinem  großen  Häuptling  sagen,  daß  du  uns  und  unsere 
Armut  gesehen  hast  ..." 

Das  Orientierungsvermögen  der  Indianer  ist  viel'v be- 
sprochen. Der  Indianer  besitzt  sicher  eine  sehr  ausgebildete 
Beobachtungsgabe,  sein  Orientierungsvermögen  ist  aber  nicht 
so  bedeutend.     Ich  bin  mit  den  Guaravüindianern  im  öst- 


Abb.  79.    Alter  Chiriguano  mit  großem  Lippenknopf.    Tihuipa. 


liehen  Bolivia  etwa  250  km  in  tiefen,  großen  Wäldern,  die 
sie  nicht  kannten,  und  in  denen  wir  uns  oft  mit  dem  Wald- 
messer Schritt  für  Schritt  einen  Weg  bahnen  mußten,  ge- 
wandert. Sie  führten  mich,  wenn  die  Sonne  von  Wolken 
bedeckt  war,  oft  irre,  was  ich  an  meinem  Kompaß  sah.  Für 
einen  weißen  Mann,  der  aus  dem  Stadtleben  direkt  in  die 
Wildnis  versetzt  wird,  ist  die  Vertrautheit  des  Indianers  mit 
der  Natur  merkwürdig.  Ist  man  erst  selbst  an  dieses  Leben 
gewöhnt,  so  sieht  man  die  Sache  mit  anderen  Augen  an. 


l66  Zehntes  Kapitel. 

Die  Entfernung  von  einem  Platz  zu  einem  anderen  wird 
von  allen  Indianern  dadurch  angegeben,  daß  sie  zeigen,  wie 
weit  die  Sonne  gehen  muß,  ehe  man  ankommt.  Ist  es  weit, 
so  sagt  der  Indianer,  wie  viele  Nachtlager  man  bis  dahin 
aufschlagen  muß.  Lange  und  kurze  Wege  sind  ja  auch  bei 
uns  in  verschiedenen  Gegenden  verschiedene  Begriffe.  Was 
wir  in  der  Stadt  weit  nennen,  wird  auf  dem  Lande  oft  kurz 
genannt.  Für  den  Indianer  sind  Wege,  die  dem  weißen  Mann 
kurz  erscheinen,  in  der  Regel  lang.  Es  fehlt  den  Indianern 
des  Urwaldes  die  Marschfertigkeit,  die  wir  bei  den  Gebirgs- 
indianern  finden. 

Jedem  Hügel,  jeder  Ebene,  jeder  Talschlucht  hat  der 
Indianer  einen  Namen  gegeben.  Die  Chanes  sagen,  vor  langer 
Zeit,  als  alle  Völker  an  den  Ufern  des  Parapitiflusses  fischten, 
kam  ein  großer  Geist  (Anatunpa)  zu  Pferde  und  gab  den 
verschiedenen  Stellen  Namen.  Dieser  Fluß  soll  Parapiti  (wo 
getötet  wird)  heißen,  diese  Stelle  Amborö  usw.,  sagte  Ana- 
tunpa. Von  den  Namen  von  Chanedörfern  seien  erwähnt : 
Hüirayüasa  (Vögel  treffen  sich),  Aguaräti  (weißer  Fuchs), 
Aguaratimi  (weißes  Füchslein),  Yövi  (grünes  Wasser),  Ouiva- 
renda  (wo  es  Chuchio  gibt),1)  usw.  Die  letztgenannte  Pflanze, 
deren  Blütenstengel  von  vielen  Indianerstämmen  in  Süd- 
amerika als  Pfeilschaft  angewendet  wird,  ist  jetzt  durch  die 
Rinderherden  am  Rio  Parapiti  ausgerottet.  Die  Chane,  die 
ihre  Pfeile  früher  aus  Chuchio  machten,  bauen  jetzt  eine  Art 
Schuf  an,  das  sie,  gleich  den  anderen  Chacoindianern,  als 
Pfeilschaft  anwenden.  Andere  Orte  sind  nach  Häuptlingen 
benannt,  wie  Tamachindi,  Tamane  und  Coröpa.  Ein  Dorf 
nennen  sie  Yahuanau.  Früher  war  dort  ein  Sumpf,  an  dessen 
Ufern  sich  kleine  schwarze  Geschöpfe  (Yahuanau)  zu  sonnen 
pflegten.  Viele  Chaneortsnamen  sind  unübersetzbar,  von 
einem  weiß  ich,  daß  er  unanständig  ist.  Einige  indianische 
Ortsnamen  sind  sicher  sehr  alt,  denn  sie  beziehen  sich  auf 
Pflanzen,  Seen  oder  Sümpfe,  die  nicht  mehr  existieren.    Im 


*)  Arundo  saccharoides. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  167 

Caipipendital  am  Parapiti  ist  ein  Dorf  namens  Tapiirenda. 
Das  Tal  ist  jetzt  ausschließlich  von  Chiriguanos  bewohnt 
und  keiner  von  ihnen  erinnert  sich,  daß  dort,  wie  der  Orts- 
name angibt,  Tapii  (Chanes)  gewohnt  haben. 

Die  Ortsnamen  der  höherstehenden  Indianer  werden  von 
den  Weißen,  auch  wenn  sie  die  Herren  im  Lande  geworden 
sind,  beibehalten.  So  haben  beinahe  alle  von  ihnen  im  Chiri- 
guanogebiet  bewohnten  Plätze  Guaraninamen,  wie  Charagua 
(Name  der  vom  Wasser  eigentümlich  ausgeschnittenen 
Klippen),  Carandaiti  (wo  Palmen  wachsen).  Die  Ortsnamen 
der  niedrigeren  Stämme  werden  dagegen  von  den  Weißen 
nicht  bewahrt.  So  kennt  kein  Weißer  die  Mataco-  oder 
Chorotinamen  der  verschiedenen  Plätze  am  Rio  Pilcomayo. 
Die  Ansiedlungen  der  Weißen  werden  nach  Heiligen,  boli- 
vianischen Staatsmännern  und  Forschungsreisenden  benannt. 
Wird  ein  Stamm,  wie  z.  B.  die  Chorotis,  ausgerottet,  so  bleibt 
von  dessen  Sprache  nichts  in  den  Ortsnamen  zurück.  Dies 
dürfen  Ortsnamenforscher  nicht  übersehen. 

Durch  die  Verbindung  mit  den  Weißen  erweitern  sich  die 
geographischen  Kenntnisse  der  Indianer  bedeutend.  Sie  gehen 
immer  weitere  Wege,  um  Arbeit  zu  suchen,  und  sehen  Länder, 
von  denen  sie  früher  keine  Ahnung  gehabt  haben. 

Der  Indianer  als  Historiker. 

Falls  wir  die  Geschichte  der  Chorotis  und  Ashluslays 
schreiben  wollten,  könnten  wir  in  der  Zeit  nicht  weit  zurück- 
greifen. Erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  sehen  wir  sie  in 
der  Literatur  näher  erwähnt.  Die  Chiriguanos  kennen  wir 
dagegen  schon  von  ihren  Kämpfen  mit  dem  großen  Herrscher 
Inca  Yupanqui,  aus  der  Zeit  vor  der  Entdeckung  Amerikas 
her.  Über  seine  Versuche,  das  Land  zu  erobern,  berichtet 
Garcilasso  de  la  Vega.1)  Seine  Beschreibung  der  Chiriguanos 
als  einer  äußerst  niedrig  stehenden,  menschenfressenden  Rasse 


1)  Garcilasso  de  la  Vega:  The  Royal  Commentaries  of  the  Yncas. 
Vol.  I— II.     Hakluyt  Society.     London   1869  u.  1S71. 


l68  Zehntes  Kapitel. 

ist  sicher  seiner  eigenen  Phantasie  entsprungen.  In  den 
Gebirgstälern  hat  sich  die  Tradition  von  diesen  Kämpfen 
noch  bewahrt. 

In  der  spanischen  Zeit  ist  das  Gebiet  der  Chiriguanos 
trotz  der  jahrhundertelangen  tapferen  Verteidigung  Schritt 
für  Schritt  erobert  worden.  Erst  noch  1890  unternahm  ein 
Teil  von  ihnen  einen  letzten  Empörungsversuch,  wurde  aber, 
wie  erwähnt,  in  der  Schlacht  bei  Curuyuqui,  auf  der  Ebene 
von  Boyuovis,  besiegt.  Etwa  fünftausend  Indianer  hatten 
sich  dort  gesammelt  und  kämpften  einen  ganzen  Tag  mit 
den  Weißen  den  ungleichen  Kampf  gegen  die  Feuerwaffen. 
Der  Kampf  hatte  des  Morgens  begonnen,  und  des  Abends, 
als  es  dunkel  wurde,  war  er  noch  nicht  beendigt.  Die  Lage 
begann  für  die  Weißen  höchst  unangenehm  zu  werden,  da 
ihre  Munition  beinahe  zu  Ende  war.  Der  moralische  Mut 
der  Indianer  wrar  jedoch  leider  gebrochen.  Sie  verließen  in 
der  Stille  der  Nacht  ihre  Verschanzungen. 

Ein  sehr  wichtiges  Kapitel  in  der  Geschichte  dieser  In- 
dianer ist  auch  die  lange  und  beharrliche  Arbeit  der  Missio- 
nare, das  Land  der  Indianer  auf  verhältnismäßig  friedliche 
Weise  zu  erobern.  Diese  wird  in  der  Literatur  ausführlich 
behandelt. 

Hier  will  ich  jedoch  nicht  von  der  Geschichte  dieser 
Indianer,  wie  wir  sie  durch  die  Literatur  kennen,  sprechen, 
sondern  von  dem  Indianer  als  Historiker. 

Spricht  man  mit  den  Indianern,  so  wissen  sie  von  ihrer 
eigenen  Geschichte  nicht  viel,  ihre  Tradition  geht  nicht  weit 
zurück.  Die  Chanes  am  Rio  Parapiti  erzählten  mir,  sie  hätten 
erst  am  oberen  Rio  Parapiti  gewohnt,1)  seien  aber  von  einem 
großen  Häuptling  von  dort  vertrieben  worden.  Einige  blieben, 
wo  sie  jetzt  wohnen,  andere  begaben  sich  durch  den  Chaco 
nach   dem    Rio    Paraguay,    welcher   Fluß,    wie   gesagt,    den 


x)  Dies  wird  durch  Yiedma  bestätigt:  Descripcion  geografica  y 
estadistica  de  la  Provincia  de  Santa  Cruz  de  la  Sierra.  Coleccion 
Pedro  de  Angelis.     Buenos  Aires   1836.     Tom.  III.     S.  180 — 181. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


169 


Indianern  nicht  unbekannt  ist.    Am   Rio  Paraguay  finden 
sich  auch  Arowaken. 

Die  Chiriguanos  wohnten  zuerst  am  unteren  Rio  Parapiti 
und  wurden  von  den  Chanes  von  dort  vertrieben.    Dies  ist 


Abb.  80  a.  Pfeife.  „Huiramimbi".    b    Zeigt  a  hn  Durchschnitt.    % 
Tihui'pa. 


-  % 


Abb.  Si.     Festtraeht  für  Männer.     „Tirucumbai".    Chane. 

Rio  Parapiti.    1/22. 

b  =  Öffnung  für  den  Kopf,   a  =  Armlöcher. 


möglicherweise  „offizielle  Geschichte",  denn  wahrscheinlicher 
haben  wohl  die  Chiriguanos  die  Chanes  aus  den  fruchtbaren 
Tälern  des  oberen  Rio  Parapiti  gejagt. 

Batirayu  hat  mir  alles  erzählt,  was  er  über  die  Geschichte 
der  Chaneindianer  am  Rio  Parapiti  wußte.    Der  letzte  große 


170  Zehntes  Kapitel. 

Häuptling  war  Batirayus  Onkel,  Aringui.  Dieser  führte  viele 
Indianer  seines  Stammes  zur  Arbeit  nach  Argentinien.  Sein 
Vorgänger  war  Yämbäe.  Vor  ihm  hatte  Ochoäpi  die  Häupt- 
lingswürde bekleidet.  Zu  seiner  Zeit  begannen  die  Weißen 
ins  Land  zu  dringen.  Dieser  Häuptling  wird  als  ein  bedeuten- 
der Mann  geschildert,  der  die  Sitten  und  Gebräuche  der 
Weißen  unter  seinen  Indianern  einzuführen  suchte.  Bekannt 
ist  Ochoäpi  wegen  seiner  umfassenden  Reisen  und  seiner  Ver- 
folgung der  Zauberer.  Er  soll  in  Buenos  Aires  gewesen  sein. 
Vor  ihm  hatte  Chötchori  die  Häuptlingswürde.  Zu  seiner 
Zeit  waren  die  Weißen  noch  nicht  bis  zum  unteren  Rio 
Parapiti  gekommen.  Hier  ist  die  Tradition  zu  Ende.  Die 
hier  erwähnten  Häuptlinge  waren  aus  demselben  Geschlecht, 
die  Regierung  geht  aber  nicht  vom  Vater  auf  den  Sohn 
über. 

Von  den  Chanes  am  Rio  Itiyuro  könnte  ich  ein  wenig 
Geschichte  erzählen,  will  aber  nicht  durch  zu  viele  Namen 
ermüden.  Auch  dort  geht  die  Tradition  nicht  weit  zurück, 
drei  Generationen,  das  ist  alles. 

In  den  Sagen  dieser  Indianer,  von  denen  ich  weiterhin 
mehrere  wiedergegeben  habe,  erfahren  wir  nichts  über  die 
Geschichte  dieser  Völker.  Keine  geschichtlichen  Ereignisse 
scheinen  dort  zu  Sagen  umgebildet  zu  sein.  Sie  haben  ganz 
andere  Motive. 

Es  ist  wirklich  ganz  eigentümlich,  daß  bei  diesen  Indianer- 
stämmen ihre  Geschichte,  der  Name  ihrer  Häuptlinge  in  Ver- 
gessenheit geraten  ist,  während  die  Sagen  sicher,  wenn  auch 
in  veränderter  Form,  jahrhundertelang  von  Generation  zu 
Generation  bewahrt  worden  sind.  Für  das  hohe  Alter  der 
Sagen  spricht  vor  allem  ihre  große  geographische  Verbrei- 
tung. 

Die  Gestalten  der  Sagen  und  deren  Erlebnisse  regen  die 
Phantasie  an,  werden  behalten  und  weitererzählt.  Die  ge- 
schichtlichen Persönlichkeiten  und  Ereignisse  vergißt  man. 

Sucht  man  in  den  Chane-  und  Chiriguanohäusern,  so  findet 
man  viele  Sachen  bewahrt,  die  jetzt  außer  Gebrauch  sind, 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  171 

die  sie  aber  als  Erinnerung  an  frühere  Zeiten  ehren  und  oft 
nicht  hergeben  wollen.  So  sieht  man  hübsche,  runde  Pfeifen, 
,,huiramimbi"  (Abb.  80),  die  sicher  von  Generation  zu  Gene- 
ration gegangen  sind.  Sie  wurden  früher  bei  Kriegszügen 
angewendet.  Der  alte  Maringay  hatte  alles  mögliche  aus  alter 
Zeit  aufgehoben.  Es  bereitete  mir  ein  großes  Vergnügen,  in 
den  Verwahrungsstellen  des  Alten  herumzuwühlen.  Ich  wollte 
gern  etwas  von  ihm  kaufen,  es  genierte  mich  aber,  ihm  Geld 
für  seine  Erinnerungen  zu  bieten. 

In  die  Wände  gestochen  fand  ich  einst  Bündel  hübscher, 
ganz  verräucherter  alter  Pfeilspitzen.  ,, Würdest  du  mir  sie 
nicht  verkaufen  wollen?"  fragte  ich  meinen  alten  Freund 
zögernd.  „Du  sollst  drei  geschenkt  bekommen",  sagte 
Maringay.  Nach  dieser  Abweisung  ließ  ich  ihn  seine  lieben 
Sachen  behalten. 

Einmal  ritt  ich  von  Vocapoys  Dorf,  um  einen  alten  Chane 
aufzusuchen,  der  eine  hübsche  alte  Tracht  hatte.  Nach 
einigem  Zögern  zeigte  er  sie  mir.  Er  hatte  sie  sorgfältig  in 
anderes  Zeug  eingewickelt.  Wie  ein  enthusiastischer  Museums- 
beamter ein  altes  Kleinod  hervorholt,  so  wickelte  er  sie  sorg- 
fältig auf.  Man  sah  förmlich,  wie  lieb  sie  ihm  war.  Obgleich 
ich  ihm  einen  sehr  hohen  Preis  bot,  wollte  er  sie  nicht  ver- 
kaufen. 

Daß  diese  Indianer  die  alten  Erinnerungszeichen  lieben, 
beweist,  daß  sie  eine  gewisse  Kultur  haben.  Dies  gilt  jedoch 
nur  für  die  Alten,  die  Jungen  sind  nicht  mehr  so,  die  ver- 
kaufen alles,  ohne  zu  zögern.  Was  kümmern  sie  sich  um 
eine  abgenutzte,  alte  Festtracht,  wenn  sie  ein  rotes,  flattern- 
des Halstuch  und  Hosen  mit  Rock  dagegen  bekommen 
können!  Der  Siegeszug  der  Hosen  über  die  Welt  hat  auch 
diese  Täler  und  Ebenen  erreicht. 

Die  Chiriguanos  und  Chanes  führen  jetzt  nicht  mehr 
richtigen  Krieg  mit  anderen  Indianerstämmen.  Bisweilen 
machen  die  Chanes  am  Rio  Parapiti  jedoch  gelegentlich 
Streifzüge  gegen  die  Tsirakuaindianer.  Die  Ashluslays  be- 
haupteten auch,  wie  mir  mein  Dolmetscher  erzählt  hat,  daß 


172  Zehntes   Kapitel. 

der    Tobahäuptling    Taycolique    bei    seinem    Einfall    in    ihr 
Gebiet  1909  verschiedene  Chiriguanos  bei  sich  hatte. 

Batirayu  erzählte,  die  Chanes  hätten  früher  die  Köpfe 
der  getöteten  Feinde  heimgebracht  und  sie  bei  Festen  auf 
den  Plätzen  der  Dörfer  aufgestellt. 


Abb.  82.    Tongefäß  von  den  Chanes.    J/4. 
Rio  Parapiti. 


Elftes    Kapitel. 
Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 

Alltagsleben  in  den  Chane-  und  Chiriguanohütten. 

In  der  Regel  habe  ich  mich  in  den  Hütten  der  Chanes 
und  Chiriguanos  sehr  wohl  gefühlt.  Das  Leben  in  diesen 
Dörfern  ist  ganz  gleichartig.  Schildert  man  ein  Dorf,  so  hat 
man  sie  beinahe  alle  geschildert. 

Wie  alle  übrigen  Indianer,  die  ich  südlich  von  Santa  Cruz 
de  la  Sierra  in  Bolivia  besucht  habe,  leben  diese  Indianer 
in  Dörfern.  Einige  dieser  Dörfer  sind  recht  groß  und  werden 
von  einigen  hundert  Personen  bewohnt.  Oft  liegen  viele 
Dörfer  nahe  aneinander.  Die  Hütten  liegen  in  der  Regel 
um  einen  Markt,  auf  dem  zuweilen  Flaschenbäume  gepflanzt 
sind,  die  in  der  Regenzeit  Schutz  verleihen.  Die -f  Märkte 
dienen  als  Spiel-  und  Versammlungsplätze.  Die  Hütten 
sind,  im  Gegensatz  zu  den  runden  Choroti-  und  Ashluslay- 
hütten,  viereckig,  und  ihre  nach  dem  Dorf  zu  gerichtete 
Tür  ist  am  Giebel  angebracht.  Sie  sind  aus  Rohr  oder  Holz- 
latten und  mit  Dächern  aus  Gras.  Nicht  selten  sind  sie  mit 
Erde  verputzt. 

Unter  dem  Einfluß  der  Weißen  verändern  aber  die  Chanes 
und  Chiriguanos  allmählich  ihre  Hütten,  und  viele  Indianer 
bauen  schon  mit  ihnen  identische  Hütten. 

Keine  Hütte  hat  hier  ihre  ursprüngliche  indianische 
Form.  Die  echten  Chiriguanohütten  (die  ursprünglichen 
Chanehütten  kennt  man  nicht)  waren  sehr  groß;  in  dem- 
selben Hause  wohnten  bis  zu  ioo  Personen  und  das  ganze 


iJ4 


Elftes  Kapitel. 


Dorf  bestand  nur  aus  einigen  großen  Hütten.1)     Diese  ent- 
sprechen   offenbar    den    aus    Brasilien    bekannten    großen 
Familienhäusern,  die  ich  in   Bolivia  nur  bei  den  Chacobos, 
einem  Panostamm  aus  Lago  Rojo-Aguado,  gesehen  habe. 
Schon    zu    Viedmas2)    Zeit,    Ende    des    18.    Jahrhunderts, 


Abb.  83.    Feuerstätte  zum  Maisbierkochen.    Chanedorf.    Rio  Itiyuro. 

Rechts   auf  dem    Bilde   große   Gefäße,    in  denen   das  Maisbier   gärt. 

Das  Haus  ist  mit  Erde  verputzt. 

scheinen  sie  jedoch  den  ursprünglichen  Haustyp  aufgegeben 
und  kleinere  Hütten  gebaut  zu  haben. 

In  vielen  Dörfern  gehören  zu  jeder  Hütte  eine  oder  mehrere 
Maisscheunen  (Abb.  84a),  in  denen  Mais,  Kürbisse  usw.  auf- 

1)  Annua  de  la  Compania  de  Jesus.  —  Tucuman  y  Peru  —  1596. 
Relaciones  geogräficas  de  Indias.     Madrid   1885.     Tomo  II.     S.  CIV. 

2)  Viedma:  1.  c. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


•/D 


bewahrt  werden.  Diese  Scheunen  sind  auf  Pfählen  gebaut 
und  vielleicht  eine  Erinnerung  aus  der  Zeit,  wo  die  Chiriguanos 
und  Chanes  in  sumpfigen  Gegenden  wohnten.  Zu  jeder 
Scheune  gehört  in  der  Regel  eine  Leiter  (Abb.  84b).  Manch- 
mal sind  die  Scheunen  mit  den  Wohnhäusern  zu  einem  Hause 


Abb.  84  a.     Maisscheune.     Chane.     Rio  Itiyuro. 


zusammengebaut.  Solche  Hütten  habe  ich  in  der  Nähe  von 
Machareti  und  bei  Yataveri  unweit  Ivu  gesehen.  Nicht 
so  selten  stehen  die  Scheunen  auf  den  Feldern  weit  ab  von 
den  Wohnhäusern. 

Es  ist  in  diesen  Dörfern  fein  und  rein.  Hütten  und  Markt 
werden  täglich  gefegt  und  der  Müll  verbrannt. 

Der  Raum  in  den  Hütten  ist  nicht  zu  gering  bemessen. 


176 


Elftes  Kapitel. 


In  der  Regel  wohnt  in  jedem  Hanse  nur  eine  Familie,  die 
manchmal,  außer  den  übrigen  Familiengliedern,  aus  den 
Männern  der  Töchter  besteht,  welche  während  der  Ver- 
lobung und  im  Anfang  der  Ehe  bei  der  Schwiegermutter 
wohnen.  Vor  der  Hütte  ist  die  große  Feuerstätte  (Abb.  83), 
wo   das   Maisbier,    und   zuweilen   auch   das   Essen,    gekocht 


Abb.  84  b.     Bild,  das  die  Konstruktion  der  Scheune  zeigt. 

wird.  In  der  Hütte  ist  ebenfalls  eine  Feuerstätte,  wo  man 
kocht  und  die  man  aufsucht,  um  sich  bei  kalten  Nächten 
und  Tagen  zu  wärmen. 

Manche  Nacht  habe  ich  in  diesen  Hütten  geschlafen.  Sie 
sind  in  der  Regel  frei  von  Ungeziefer,  was  man  nicht  von 
den  Wohnstätten  aller  anderen  Indianer  und  von  den  Häusern 
der  Weißen  sagen  kann.  Die  Lagerstätte  besteht  entweder 
aus  einem  Bett  aus  einer  Art  Bambusrohr,  oder  man  liegt 


Tafel   i6.     Caraguatä.     Von  den  Indianern   im  Chaco  vielseitig 
angewandte  Pflanze. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


*77 


auf  dem  Fußboden  auf  einer  Schilfmatte  oder  einem  Fell. 
Hängematten  sieht  man  ebenfalls  in  den  Hütten,  sie  sind 
aber  nicht  allgemein.  Im  tropischen  Südamerika  hat  die 
Hängematte  ihr  Heimatland,  sie  verschwindet  aber  nach 
Süden  zu  und  auf  den  Bergen,  denn  dort  ist  es  zu  kalt,  um 
sie  anzuwenden. 


Abb.  85.     Sitzbank.     Chiriguano.     Tarairi.     1/5. 


Abb.  86.     Haken  zum  Aufhängen  der  Sachen.    Chiriguano.     1/6. 


Am  Dache  der  Hütte  hängen  auf  Haken  und  Gestellen 
Kleider  und  Eßwaren,  Medizin  und  anderes.  Hier  verwahren 
auch  die  Männer  ihre  Pfeile  und  Bogen,  ihre  Trommeln  u.  dgl. 
In  Lianenschlingen  pflegen  Maiskolben  zu  hängen. 

In  einer  Chane-  oder  Chiriguanohütte  ist  es,  besonders 
des  Abends,  wenn  alle  an  das  schöne,  wärmende  Feuer 
kriechen,  wenn  der  Mund  geht,  die  Alten  Sagen  erzählen, 
die  Mütter  ihre  Kleinen  zu  Bett  bringen,  die  jungen  Paare 
abseits  sitzen  und  kosen,  sehr  gemütlich. 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  12 


1/8  Elftes  Kapitel. 

Hier  und  da  sieht  man  eine  in  Holz  geschnitzte  Sitzbank 
(Abb.  85)  von  einer  besonders  von  den  brasilianischen  In- 
dianern her  bekannten  Form. 


Abb.  87.    Chanefrau.    Rio  Parapiti.     In  dem  Tragnetz  hat  sie  einen 

\\\isserkru£. 


An  den  Wänden  der  Hütte  entlang  stehen  immer  eine 
Menge  Tongefäße  von  allen  Dimensionen.  Manche  davon 
sind  so  groß,   daß  ein   .Mann   hineinkriechen  könnte.      Dort 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


179 


sind  Töpfe,  dort  sind  Röstschalen,  dort  sind  feingemalte 
Gefäße,  die  bei  den  Festen  hervorgeholt  werden,  und  dort 
ist  der  Schatztopf,  in  welchem  die  Hausfrau  alle  Kostbar- 
keiten und  Andenken  der  Familie  verwahrt.  In  ihm  liegen, 
falls  das  Haus  „vermögend"  ist,  Kleider,  Schmucksachen, 
Schalen  aus  Silber  und  Halsketten  aus  Türkis  und  Crysocol 
und  vieles  andere. 

Sehr  früh  ist  es  still  in  den  Dörfern.     Es  wird  nicht,  wie 
in  einem  Choroti-  oder  Ashluslaydorf,  die  ganze  Nacht  ge- 


Abb.  88.     Tabakspfeife.     Chiriguano.     Caipipendi.     1/2. 


Abb.  89.     Spatenstiel.     Chiriguano.     ca.  */.,,.. 

schwatzt.  Die  jungen  Herren  und  die  unverheirateten  jungen 
Mädchen  laufen  nicht  herum,  um  beieinander  zu  liegen.  Die 
sittlichen  Chane-  und  Chiriguanomädchen  werden  von  ihren 
Müttern  bewacht,  gehen  nicht  auf  Abenteuer  aus  und  nehmen 
keine  Herrenbesuche  an.  Es  kommen  keine  Nachtmahl- 
zeiten, wie  bei  den  Chorotis  und  Ashluslays,  vor.  Man  schläft 
nämlich  in  diesen  Dörfern  des  Nachts,  d.  h.  wenn  man  nicht 
mit  dem  Maisbrauen  für  ein  Fest  beschäftigt  ist. 

Sehr  früh  des  Morgens  wird  man  in  beinahe  allen  Dörfern 
durch  Klagelieder  geweckt.  Immer  ist  dort  einer,  der  einen 
Angehörigen  verloren  hat  und  ihn  laut  beweint.  Ist  jemand 
im  Dorfe  gestorben,  so  ist  es  für  einen,  der  gern  lange  schläft, 
unheimlich  im  Dorfe. 


i8o 


Elftes  Kapitel. 


In  der  allerfrühesten  Morgenstunde  stehen  die  Frauen 
auf,  etwas  später  die  Männer,  und  die  Tagesarbeit  beginnt. 
Das  erste,  was  die  Frauen  tun,  ist,  daß  sie  Wasser  holen  und 
ein  Bad,  ein  richtig  erfrischendes  Bad  nehmen. 

Die  Wasserkrüge  tragen  sie  auf  verschiedene  Weise. 
Am  Rio  Itiyuro  tragen  die  Chanefrauen  sie  auf  der  Schulter, 
am  Rio  Parapiti  in  einem  Tragnetz  (Abb.  87).  Der  letztere 
Brauch  ist  auch  bei  den  Chiriguanos  am  gewöhnlichsten. 
Auf  dem  Kopfe  tragen  nur  diejenigen  Frauen  Krüge,  die  mit 
den  Weißen  leben  und  ihre  Sitten  und  Gebräuche  ange- 
nommen haben. 


Arbeitsteilung  zwischen  den  Geschlechtern. 

Wie  bei  den  Choroti-  und  Ashluslayindianern-  hat  in  der 
Regel  auch  hier,  wie  wir  aus  der  untenstehenden  Tabelle 
ersehen,  jedes  Geschlecht  seine  bestimmte  Arbeit. 

Tabelle,   welche  die  Arbeitsteilung  zwischen  Män- 
nern und  Frauen  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos 

ausweist. 


M 

anner  Frauen 

Männer 

Frauen 

Fischfang    

+  1) 

Sammeln        w 

ilder 

Tagd 

+ 

Früchte 

und 

Pflanzen,  Roden   . 

+ 

Wurzeln    .  . 

+ 

Säen  .  . 

+        + 

Keramik 

+ 

Ernten 

+        + 

Holzarbeiten  . 

+ 

Kochen 

2)    + 

Netzstricken  . 

+ 

Holztragen 

+        +3) 

Seilflechten   .  . 

+ 

Wassert  ragen   .... 

+ 

Mattenflechten 

.  .  . 

+ 

Zubereitung        be- 

Hängemattenbinden 

+ 

rauschender   Ge- 

Lederarbeiten 

+ 

tränke  

+ 

Waffenherstellung 

+ 

x)  Die  Frauen   fischen  in   der  Regel   in  seichtem,    die  Männer   in 
tiefem  Wasser. 

2)  Nehmen  manchmal  an  der  Zubereitung  der  Jagdbeute  teil. 

3)  Bei  den  Chanes  am  Rio  Parapiti. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


181 


Männer  Frauen 

Verzierung 

von 

Kalebassen 

...     + 

Hausbau    .... 

...    +1) 

Weben 

•••     +2)    + 

Fädenspinnen 

+ 

Bandflechten  . 

+ 

Männer   Frauen 

Viehzucht    + 

Nähen    +      -f 

Korbarbeiten    .  .  .  .   + 
Tagewerke    für   die 

Weißen     +      +3) 


Vergleicht  man  diese  Tabelle  mit  der  auf  Seite  94,  so 
findet  man,  daß  das  schwere  Holztragen  und  der  Hausbau 
bei  den  höher  stehenden  Chanes  und  Chiriguanos  beinahe 
von  den  Frauen  auf  die  Männer  übergegangen  ist.  Eigen- 
tümlicherweise sind  gewisse  Industrien,  z.  B.  die  Tongefäß- 
herstellung, bei  beinahe  jedem  primitiven  Indianerstamm 
Frauenarbeit.  Auf  dieselbe  Weise  werden  die  Kalebassen 
überall  von  den  Männern  geschmückt,  wie  sie  auch  alle 
Holzarbeiten  ausführen.  Daß  hier  auch  die  Frauen  fischen, 
kommt  daher,  weil  verschiedene  dieser  Indianer  an  wasser- 
armen Flüssen  leben,  in  denen  nur  kleine  Fische  leben,  bei 
deren  Fang  der  Mut  und  die  Kraft  der  Fischer  auf  keine 
Probe  gestellt  wird. 

Nahrungszweige. 

Der  Fischfang  und  die  Jagd  spielen  für  den  Chane  und 
Chiriguano  keine  bedeutende  Rolle.  Sie  sind,  wie  ich  schon 
vorher  erwähnt  habe,  Ackerbauer,  vor  allem  Maisbauer. 
Diese  Indianer  leben  so  ausschließlich  von  Mais,  daß  alle 
andere  Nahrung  für  sie  eine  untergeordnete  Rolle  spielt. 
Eine  Ausnahme  machen  die  am  Rio  Parapiti  wohnenden 
Indianer ,  die  mehr  süße  Kartoffeln  als  Mais  bauen ,  die 
in  ihrem  Land  eine  ausgezeichnete  Ernte  geben. 


1)  Am  Rio  Parapiti  sammelten  die  Chanefrauen  das  Material  zu 
dem  Dache,  d.  h.  langes  Gras. 

2)  Nur  bei  Maringay. 

3)  Unbedeutend,  eigentlich  nur  am  Rio  Parapiti. 


182  Elftes  Kapitel. 

Folgende  Pflanzen  werden  von  den  Chanes  und  Chiriguanos 
angebaut : 

Süße  Kartoffeln. 

Mais. 

Zapallo  (Cucurbita  pepo  Lin). 

Kalebaßfrüchte. 

Bohnen  in  verschiedenen  Variationen. 

Baumwolle. 

Uruku. 

Tabak. 

Tuna  (z.  B.  bei  Yataveri).     üpuntia. 

Hirse. 

Mandioca  (selten). 

Schilfrohr  zu  Pfeilschäften  (am  Rio  Parapiti). 
In  den  Pflanzungen  dieser  Indianer  habe  ich  weder  ge- 
wöhnliche Kartoffeln  noch  Bananen  gesehen.  Die  süßen  Kar- 
toffeln sind,  nach  Batirayus  Angaben,  in  später  Zeit  von 
den  Weißen  eingeführt.  Der  Tabakbau  ist  unbedeutend. 
Die  Chanes  und  Chiriguanos  sind  keine  großen  Raucher. 
Sie  rauchen  meist  Zigaretten  in  Maisblättern,  selten  Pfeife 
(Abb.  88).  Bei  ihnen  braucht  man  seine  Pfeife  nicht  seinem 
Nachbar  zum  Weiterrauchen  zu  geben. 

Es  ist  eigentümlich,  wie  verschieden  bei  den  Indianer- 
stämmen der  Tabakverbrauch  ist.  Die  Aymaras  und  Oui- 
chuas,  die  Koka  kauen,  rauchen  sehr  selten.  Sie  finden 
keinen  Geschmack  daran.  Ebensowenig  rauchten  die  Chacobos 
und  Atsahuacas,  zwei  Stämme,  die  ich  auf  meinen  Reisen 
kennen  lernte.  Als  ich  einem  Chacobo  eine  Zigarette  anbot, 
machte  er  nur  ein  paar  Züge,  behielt  den  Rauch  einige  Augen- 
blicke im  Munde  und  warf  dann  die  Zigarette  fort.  Die  Cha- 
cobos bauen  indessen  Tabak,  wenden  ihn  aber  ausschließlich 
als  Heilmittel  an.  Ist  einem  Chacobo  ein  ,,boro",  eine  Fliegen- 
larve, „Dermatomya",  unter  die  Haut  gekommen,  so  bedeckt 
er  die  Eintrittsstelle  der  Fliegenlarve  mit  Tabakpulver  und 
kann  nach  einigen  Stunden  die  tote  Larve  herausquetschen. 
Die  Chorotis  und  Ashluslavs  sind  leidenschaftliche  Raucher. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  183 

Bei  ihnen  ist  das  Rauchen  einer  der  höchsten  Lebensgenüsse . 
Diese  Gegensätze  sind  ganz  sonderbar. 

Die  Chiriguanos  und  die  Chanes  haben  ausgedehnte  An- 
pflanzungen, die,  im  Gegensatz  zu  den  Rodungen  der  Chorotis 
und  Ashluslays  in  der  Wildnis,  gut  gepflegt  sind.  Ehemals 
hat  man  Spaten  aus  hartem  Holz  mit  schönen  Stielen  an- 
gewendet (Abb.  89),  diese  sind  aber  jetzt  außer  Gebrauch 
gekommen  und  vollständig  durch  eiserne  Spaten  verdrängt 
worden.  Die  Felder  liegen  nicht  selten  weit  von  den  Dörfern, 
wie  z.  B.  im  Caipipendital.  Dies  hängt  damit  zusammen, 
daß  nicht  überall  das  ganze  Jahr  Wasser  in  der  Nähe  der 
Pflanzungen  vorhanden  ist. 

Die  gewonnenen  Früchte  werden,  wie  schon  erwähnt,  in 
auf  Pfählen  gebauten  Scheunen  (Abb.  84)  verwahrt,  um  sie 
wenigstens  etwas  vor  Ratten,  Feuchtigkeit  usw.  zu  schützen. 
Diese  Scheunen  sieht  man,  außer  bei  den  Chanes  am  Rio 
Pilcomayo,  überall. 

Die  Felder  sind  mit  gestrüppförmig  gebauten  Zäunen 
eingezäunt,  deren  Übersteigung  oft  Schwierigkeiten  macht. 
Eine  Düngung  der  Felder  kommt  nicht  vor.  Dagegen  läßt 
man  einen  ausgenutzten  Acker  brach  liegen. 

Die  Zeit  des  Säens  wird  nach  der  Stellung  des  Sieben- 
gestirns, ,,ychu",  bestimmt.  Geht  dieses  sehr  früh  am  Morgen 
über  den  Horizont,  so  ist  Saatzeit.  Wenn  die  Regenzeit  be- 
ginnt, muß  alles  gesät  sein. 

Die  Männer  roden  und  säen.  Bei  der  Ernte  helfen  alle 
mit,  Männer,  Frauen  und  Kinder.  Bei  den  Chanes  im  Itiyuro- 
tal  säeten  die  Männer  den  Mais,  d.  h.  sie  besorgten  die  größeren 
Pflanzungen,  während  die  Frauen  Gärtner  waren  und  Kür- 
bisse, Bohnen  usw.  pflanzten. 

Die  Chanes  und  die  Chiriguanos  sind  keine  großen  Jäger. 
Vielleicht  hat  man  früher  mehr  gejagt.  Ihre  Jagdwaffen 
bestehen  aus  Pfeil  und  Bogen.  Zur  Wildschweinjagd  werden 
Keulen  angewendet,  zur  Straußenjagd  wurden  früher  die 
Boleadora,  „churima"  benutzt.  Schlingen  und  Yogelnetze 
kommen   auch   vor.     Früher   trugen   die   Jäger  eine   offen- 


1S4  Elftes  Kapitel. 

bar  den  Spaniern  nachgeahmte,  nach  europäischem  Schnitt 
zugeschnittene  Tracht  aus  Leder.1)  Diese  durfte  nicht  im 
Hause  hängen.  Früher  durfte  auch  bei  den  Chanes  am  Rio 
Parapiti  kein  Fleisch  im  Hause  gekocht  werden,  sondern 
dies  mußte  ein  Stückchen  davon  geschehen.  Die  Knaben 
sind  natürlich  eifrige  Jäger  kleiner  Vögel.  Sie  benutzen 
manchmal,  wie  auch  die  Männer,  Tonkugelbogen. 

Man  hat  eigens  für  die  Wildschwein]  agd  abgerichtete 
Jagdhunde.  In  einem  Chanedorf  am  Rio  Itiyuro  sah  ich, 
wie  man  allen  Hunden  ein  rotes  Kreuz  auf  den  Kopf  malte, 
damit  sie  nicht  von  einem  in  der  Nähe  grassierenden  tollen 
Hunde  gebissen  würden.  Es  war  wirklich  spaßhaft  zu  sehen, 
wie  diese  heidnischen  Chanes  ihre  Hunde  mit  dem  Kreuz- 
zeichen gegen  die  Tollwut  schützten. 

Batirayu  erzählte  mir,  die  Chanemänner  dürften,  wenn 
sie  auf  die  Jagd  gingen,  in  der  Nacht  vorher  nicht  bei  ihren 
Frauen  schlafen. 

Der  Fischfang  wird  in  den  verschiedenen  Flüssen  ungleich 
betrieben. 

Im  Rio  Itiyuro  fischen  beinahe  ausschließlich  Frauen  und 
Kinder.  Dort  gibt  es  auch  nur  kleine  Fische.  Ich  sah  dort 
drei  Fischereimethoden.  Angelfischerei,  Fischfang  mit  Kale- 
basse und  Fischerei  durch  Auf  dämmen  von  Teichen.  Die 
Angelhaken  bestehen  aus  gebogenen  Nadeln,  die  man  von 
den  Weißen  bekommen  hat.  Flöße  und  Senkblei  kommen 
nicht  vor. 

Der  Fischfang  mit  Kalebasse  geschieht  folgendermaßen. 
In  den  Boden  des  Flusses  werden  mehrere  Laubbüschel 
gesteckt,  die  Schatten  geben,  und  vor  jeden  von  diesen  wird 
eine  Kalebasse  (Abb.  90)  mit  saurem,  gemahlenem  Mais 
(Abfälle  vom  Bierbrauen)  gestellt.  Die  Fische  sammeln  sich 
in  den  Kalebassen,  die  von  den  Frauen  von  Zeit  zu  Zeit 
herausgenommen  werden.  Diese  schleichen  sich  an  die  Kale- 
basse heran,  legen  schnell  die  Hand  auf  die  Mündung,  heben 


1   Schon  Viedma  erwähnt  diese  Tracht,   S.    181. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


185 


Stromrichtung 


sie  hoch  und  entleeren  dann  den  Inhalt  in  Gruben  am  Fluß- 
ufer. 

Eine  andere,  in  dem  erwähnten  Flusse  oft  angewendete 
Art  des  Fischens  ist  das  Aufdämmen  länglicher  Teiche  im 
Sande,  in  denen  die  Fische  sich  sammeln.  Die  Fische  werden 
nach  Entleerung  des  Wassers  aus  den  Teichen  gefangen. 
Zuweilen  läßt  man  den  Teich  in  einer  mit  einem  Ketscher 
verschlossenen  Rinne  enden,  aus  der  die  Fische  nicht  heraus 
können. 

Aller  Fischfang,  den 
ich  am  Rio  Itiyuro  ge- 
sehen habe,  geschah 
während  der  Trocken- 
zeit an  sonnenheißen 
Tagen. 

Im  oberen  Rio  Pil- 
comayo  fischen  die 
Chiriguanos  mit  von 
den  Weißen  erhaltenen 
Angelhaken,  mit  den 
Tauchnetzen  der  Cho- 
rotis  ähnlichen,  ob- 
schon  kleineren  Net- 
zen und  durch  Schie- 
ßen der  Fische  mit  Pfeil  und  Bogen.  Die  zum  Fischfang 
angewendeten  Pfeile  haben  zwei  oder  mehrere  Spitzen. 

Im  Rio  Parapiti  sah  ich  Chanes  und  Chiriguanos  mit 
einem  Netz  von  dem  hier  abgebildeten  Typ  (Abb.  91)  fischen. 
Beim  Fischschießen  wenden  die  dortigen  Chiriguanos  Pfeile 
mit  vielen  feinen  Spitzen  an. 

In  diesen  zuletzt  genannten  Flüssen  fischen  die  Männer 
immer  im  tieferen  Wasser  mit  Netz  und  mit  Pfeil  und  Bogen, 
während  die  Frauen  sich  damit  begnügen,  kleine  Fische  in 
den  Verdammungen  zu  fangen,  wenn  der  Fluß  halbtrocken  ist. 

Nicht  so  selten  nehmen  die  Indianer  lange  Reisen  vor, 
um  zu  fischen.    So  pflegen  die  Chanes  zuweilen  während  der 


Abb.  90. 


Fischfang  mit  Kalebasse. 
Rio  Itiyuro. 


l86  Elftes  Kapitel. 

Trockenzeit   die    Sümpfe,   „Madrejones",    in   denen   der  Rio 
Parapiti  sich  verliert,  zu  besuchen. 

Es  ist  merkwürdig,  daß  Völker,  die  so  viel  fischen,  so 
wenige  Fischereigeräte  kennen.  In  meiner  Schilderung  der 
Chorotis  und  Ashluslays  haben  wir  mit  dieser  Armut  schon 
Bekanntschaft  gemacht. 

Moberg  und  der  Verfasser  wollten  einmal  am  Rio  Pilco- 
mayo  den  Indianern  etwas  von  unseren  Erfahrungen  im 
Fischfang  zum  besten  geben  und  fabrizierten  nun  eine  Reuse, 
über  die  wir  nicht  wenig  stolz  waren.  Wir  setzten  sie  in  der 
vollen  Überzeugung  aus,  daß  sie  am  Morgen  voller  Fische  sei. 
Holz  und  Abfälle  aller  Art  war  alles,  was  wir  fingen,  und 
ich  kann  nicht  leugnen,  daß  die  Indianer  uns  ein  wenig 
auslachten. 

Der  Grund  der  Armut  dieser  Indianer  an  Fischereigeräten 
ist  nicht  der  Mangel  an  Ideen,  sondern  ein  anderer.  Es  passen 
ganz  einfach  wenige  Fischereimethoden  für  diese  Gewässer. 
Ein  Netz  des  Nachts  aussetzen,  geht  nicht  an,  denn  wenn  ein 
Palometafisch  in  das  Netz  gerät,  schneidet  er  dasselbe  mit 
seinen  messerscharfen  Zähnen  sofort  entzwei.  Angelfischerei 
treiben,  wo  es  solche  Fische  gibt,  ist  auch  nicht  verlockend, 
denn  sie  beißen  die  Angeln  ebenso  leicht,  wie  die  Angel- 
schnüre, ab,  wenn  sie  nicht  aus  sehr  gutem  Material  sind. 
In  diesen  tropischen  Gewässern  modern  auch  die  Fisch- 
geräte schneller,  als  bei  uns,  man  darf  sie  also  nicht  eine  ganze 
Nacht  über  im  Wasser  lassen. 

Die  Chiriguanos  und  Chan  es  haben  keine  Fahrzeuge.  Sie 
sind  dagegen  außerordentliche  YVater,  und  hier  während 
der  Regenzeit  in  den  Flüssen  waten,  ist  gerade  keine  Kleinig- 
keit. Hat  man  jedoch  einen  dieser  Indianer  als  Beistand, 
so  kommt  man,  wenn  es  überhaupt  möglich  ist,  doch 
hinüber. 

Als  eine  Eigentümlichkeit  kann  ich  erwähnen,  daß  ich 
während  meiner  ganzen  Reise  niemals  einen  eingeborenen 
Weißen  oder  Mestizen  habe  fischen  sehen.  In  Bolivia  ist 
es  nicht  fein,  frische  Fische  zu  essen.     Am  Rio  Pilcomayo 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  187 

aßen  die  Offiziere  der  Militärposten  beinahe  niemals  die 
leckeren,  frischen,  lachsähnlichen  Fische  aus  dem  Flusse, 
sondern  zogen  Büchsenlachs  aus  Alaska  vor.  Da  dieser, 
wenn  er  nach  Bolivia  kommt,  sehr  alt  ist,  schmeckt  er  schreck- 
lich. Die  Angelfischerei  ist  auch  die  einzige  Fischereimethode, 
welche  die  Indianer  von  den  Weißen  gelernt  haben. 

Von  Haustieren  haben  die  Chiriguanos  und  Chanes  nur 
die  Hunde  nicht  von  den  Weißen  bekommen.  Diese  Hunde 
scheinen  mir  jetzt  stark  mit  fremdem  Blut  vermischt  zu  sein. 
Sie    haben    immer    Namen,    z.    B.    tirupotchi    (altes    Kleid), 


Abb.  91.     Netz.     Chiriguano.     Rio  Parapiti.     ca.  ljl2. 

chapikäyu  (gelbe  Augenbrauen).  In  der  Regel  haben  die 
Chiriguanos  und  Chanes  weniger  Pferde,  Kühe,  Esel,  Schafe 
und  Ziegen,  als  die  Chorotis  und  Ashluslays.  Hühner  und 
Schweine  haben  sie  dagegen  mehr.  Zuweilen  sieht  man 
Enten,  Perlhühner  und  Truthähne.  In  gewissen  Gegenden, 
wie  z.  B.  im  Caipipendital,  wo  die  Indianer  reich  sind,  haben 
sie  gleichwohl  viel  Vieh.  Was  sie  besitzen,  suchen  ihnen  die 
Weißen  leider  auf  alle  WTeise  abzuschwindeln.  So  ist  es  nichts 
Ungewöhnliches,  daß  ein  weißer  Mann  oder  eine  weiße  Frau 
mit  einigen  Fäßchen  Branntwein  in  ein  Dorf  kommt  und 
dasselbe  mit  einem  Paar  der  besten  Kühe  der  Indianer  ver- 
läßt.    Die  Weißen  werden  reicher,  die  Indianer  ärmer. 

Die    Menagerie    gezähmter    Waldticre,    die    man    in    den 
Dörfern    der    primitiveren    Indianer    sieht,    findet    man    bei 


i88 


Elftes  Kapitel. 


diesen   Indianern   nicht.      Ein   Papagei,   der  etwas  Guarani 
spricht,  ist  jedoch  in  den  Hütten  nichts  Ungewöhnliches. 

Zubereitung  der   Speisen. 

Den  Schmutz,   den  wir  bei  der  Zubereitung  der  Speisen 
und  im  Essen  bei  den  Chorotis  und  Ashluslays  treffen,  findet 


Abb.  92  a.     Dämpfapparat.     Chane.     Rio  Itiyuro. 

man  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos  nicht.  Die  Speisen 
sind  dagegen  schrecklich  einförmig.  Sie  bestehen  aus  Mais 
in  allen  möglichen  Formen,  gekochtem  Mais,  geröstetem 
Mais,    in    Asche    gebackenem    Maisbrot,    Maismehlbrei    und 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


189 


gedämpftem  Maismehl.  Das  letztere  wird  in  einem  hier 
abgebildeten  Apparat  (Abb.  92)  zubereitet. 

Fleisch  wird  mit  Mais  als  Suppe  gekocht  oder  geröstet. 
Bevor  es  in  den  Topf  gelegt  wird,  wird  es  sauber  gewaschen. 
Die  Fische  werden  in  Klammern  oder  in  Maisblättern  über 
dem  Feuer  geröstet.  Die  kleinen  Fische,  die  ich  auf  diese 
Weise  zubereiten  gesehen  habe,  werden  erst  beim  Essen 
ausgenommen.  Hat  man  viele  Fische,  so  werden  sie  für  den 
künftigen  Bedarf  getrocknet. 

Besonders  in  Zeiten  der  Not  werden  auch  verschiedene 


Abb.  92  b.     Oberes  Tongefäß. 
Das  hier  abgebildete  Exemplar  ist  von  den  Mataco-Vejos, 
die   seine  Anwendung  von  den  Chanes  gelernt  haben.     1/i. 


wilde  Gewächse  gegessen.  Zum  Essen  wird  Salz  angewendet, 
das  jetzt  von  den  Weißen  gekauft  wird.  Früher  holte  man 
es  aus  den  Bergsalzgruben  am  San  Luis  auf  dem  Wege  von 
der  Stadt  Tarija  nach  dem  Chaco,  oder  bereitete  Salz  aus 
salzhaltiger  Erde,  ,,yukiu".  Die  mit  Salz  gemengte  Erde 
wurde  in  eine  Schale  mit  Wasser  gelegt,  sank  zu  Boden, 
und  das  Salzwasser  wurde  angewendet. 

Frauen  und  Männer  essen  getrennt.  Zu  Hause  geht  es 
gewöhnlich  so  zu,  daß  die  Männer  zuerst  essen  und  dann 
die  Frauen  und  Kinder.  Die  Indianer  wollen  beim  Essen 
Ruhe  haben.  Es  ist  deshalb  höchst  ungezogen,  sie  während 
dieser  wichtigen  Beschäftigung  anzusprechen. 


190  Elftes  Kapitel. 

Sie  essen,  soweit  ich  es  gesehen  habe,  nicht  aus  einer  ge- 
meinschaftlichen Schüssel,  sondern  jeder  ißt  aus  seiner  Schale. 
Nach  den  Mahlzeiten  spülen  sie  den  Mund  und  waschen  sich 
die  Hände,  indem  sie  das  Spülwasser  über  die  Finger  spucken. 

Es  schien  mir,  als  würden  hier  wirkliche  Mahlzeiten  ab- 
gehalten, von  denen  die  erste  des  Morgens,  die  zweite  mitten 
am  Tage  und  die  dritte  bei  Sonnenuntergang  eingenommen 
wurde. 

Hat  man  in  einem  Hause  Überfluß  an  Speisen,  so  ladet 
man  auch  die  Nachbarhäuser  ein.  Ein  besuchender  Indianer 
wird  sehr  gastfrei  aufgenommen.  Er  braucht  nicht  fort- 
zugehen, ohne  Maisbier  oder  Essen  erhalten  zu  haben.  In 
den  Chanedörfern  am  Rio  Parapiti  setzten  mir  die  Indianer, 
wenn  ich  zu  ihnen  zu  Besuch  kam,  immer  eine  Schüssel  mit 
süßen  Kartoffeln  vor. 

Die  Chanes  essen  keine  Esel,  Maulesel,  Pferde,  Hunde, 
Füchse,  Geier  oder  Affen.  Dagegen  werden  Puma  und  Jaguar 
für  eßbar  gehalten. 

Wenn  die  Frauen  in  den  Dörfern  nicht  zu  kochen,  zu 
brauen  oder  ihre  Kleinen  zu  warten  haben,  sind  sie  doch 
immer  fleißig.  Wenigstens  die  älteren  unter  ihnen  sieht  man 
beinahe  niemals  ohne  Beschäftigung.  Sie  spinnen,  machen 
Tongefäße,  weben.  Ich  habe  diese  Frauen  schätzen  gelernt, 
ich  habe  ihre  liebevolle  Fürsorge  für  die  Kinder,  ihren  Fleiß, 
ihre  Pflege  des  Heims,  ihre  Geschicklichkeit  und  ihren  Ge- 
schmack bewundert. 

Spiele. 

Manchmal  sieht  man  die  Männer  spielen.  Das  gewöhn- 
lichste Spiel  ist  jetzt  taba,  das  mit  dem  Sprungbein  einer 
Kuh  gespielt  wird  und  das  diese  Indianer  in  den  Zucker- 
fabriken gelernt  haben.  Auch  Würfelspiele  sind  dort  nicht 
ungewöhnlich.  Die  Regeln  für  diese  scheinen  ihre  eigenen, 
oder  vielmehr  den  Weißen  nachgeahmte  zu  sein. 

,,Daro",  wie  die  Chiriguanos  das  Würfelspiel  nach  dem 
Spanischen  nennen,  wird  von  zwei  Personen  mit  von  ihnen 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  191 

selbst  verfertigten  Würfeln  gespielt.      In  Tihui'pa  habe  ich 
folgende  Regeln  für  dieses  Spiel  (Abb.  93)  aufgezeichnet. 

Alle  übrigen  Kombinationen  sind  =  o.  Wer  zuerst  zehn 
Striche  hat,  gewinnt.  Die  Striche  werden  auf  dem  Fußboden 
markiert. 

Von  eigenen  Hazardspielen  haben  sie  zwei.  Das  eine  ist 
dasselbe,  wie  wir  es  S.  73  von  den  Chorotis  und  Ashluslays 
kennen  gelernt  haben.  Die  Chiriguanos  nennen  dieses  Spiel 
,,chücaräy",  die  Chanes  „chunquänti".1) 

Das  andere  den  Chiriguanos  und  Chanes  bekannte  Spiel 
habe  ich  bei  keinen  anderen  Indianern  ge- 
sehen. Sie  nennen  es  tsücareta  und  spielen 
es  mit  einem  Haufen  Stäbchen,  die  auf  der 
einen  Seite  konvex,  auf  der  anderen  eben 
oder  konkav  sind  (Abb.  95). 

Zuerst  wird  ein  Stäbchen  (Mama)  so  aus- 
gelegt, daß  es  auf  den  hinzeigt,  der  werfen 
soll  (Abb.  96).  Nehmen  wir  an,  daß  es  so 
gelegt  ist,  daß  die  konvexe  Seite  nach  oben 
gerichtet  ist.     Fallen  zwei  oder  mehr  Stab-  ;  f}' 

chen  kreuzweise  übereinander,  und  zwar  mit 
der  konvexen  Seite  nach  oben  und  ohne  oben 
von  einem  Stäbchen  mit  der  ebenen  Seite 
nach  oben  berührt  zu  werden,  so  fallen  sie  dem  Werfenden 
zu.  Wäre  das  Mama  so  gelegt  worden,  daß  die  ebene  Seite 
nach  oben  gelegt  worden  wäre,  so  hätten  nur  die  gezählt, 
die  mit  der  ebenen  Seite  nach  oben  ein  Kreuz  gebildet 
haben. 

Man  schlägt  abwechselnd  und  jeder  legt  das  Mama  be- 
liebig aus.  Wer  die  meisten  Stäbchen  bekommen  hat,  hat 
gewonnen. 

Hat  man  nur  noch  vier  Stäbchen,  so  wird  kein  Mama 
mehr  ausgelegt,  sondern  man  kommt  überein,  ob  die  kon- 
vexen oder  ebenen  (konkaven)  gelten  sollen. 

x)  Vgl.  Erland  Nordenskiöld:  Zeitschr.  f.  Ethn.,   1910,  H.  3  u.  4. 


CD 

m  = 

-2 

El 

ei  = 

5 

□ 

□  = 

-2 

ü 

ED  = 

6 

s 

H  = 

3 

s 

O  = 

-k 

Kl 

ED  = 

1 

□ 

CD  = 

-3 

Abb. 

93- 

Spiel- 

regel  1 

für  „Daro" 

Chirig 

uano. 

tiuipa. 

Ti- 

192 


Elftes  Kapitel. 


Bisweilen  sieht  man  die  Frauen  ein  Kegelspiel,  von  den 
Chiriguanos  in  Tihu'ipa  „itarapöa",  von  den  Chanes  am  Rio 
Parapiti  „tocoröre"  genannt,  spielen. 

In  Tihu'ipa  spielte  man  auf  folgende  Weise.  Man  stellte 
zwei  Reihen  Maiskörner,  je  zwei  aufeinander,  als  Kegel  in 
einem  Abstand  von  vier  bis  fünf  Fuß  auf.    Zwei  spielten 


Abb.  94.     Chunquanti  spielende  Chaneknaben  am  Rio  Itiyuro. 

abwechselnd,  indem  sie  die  Maiskegel  des  anderen  mit  einer 
steinernen  Kugel  abzuschlagen  versuchten.  Wer  zuerst  alle 
Maiskegel  des  anderen  abgeschlagen  hatte,  hatte  gewonnen. 
Am  Rio  Pilcomayo  spielte  man  mit  drei  Kegeln  auf  jeder 
Seite.  Der  Abstand  zwischen  den  Kegeln  des  Gegners  war 
drei  Ellen.  Jeder  Kegel  bestand  aus  einem  entsamten  Mais- 
kolben und  der  Abstand  zwischen  ihnen  sollte  eine  Hand- 
spanne1) sein.  Die  angewandten  Bälle  sind  aus  gebranntem 
Ton  und  hohl,  mit  kleinen,  rasselnden  Kugeln  im  Innern 
(Abb.  99). 

*)    Längster  Abstand  zwischen  Daumen  und  kleinem  Finger. 


Tafel   17.     Palmenwald,  unweit  des  Rio  Pilcomayo. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  193 

Das  Leben  der  Indianerkinder. 

Wenn  man  vom  Leben  in  den  Dörfern  spricht,  darf  man 
auch  die  Kinder  nicht  vergessen.  Die  Kinder  spielen,  helfen 
aber  auch  den  Großen.  Sie  werden  wie  die  Choroti-  und 
Ashluslaykinder  erzogen.  In  heiterer  Freiheit  verbringen  sie 
ihr  Leben,  ohne  Prügel  und  harte  Worte. 

Die  Chiriguano-  und  Chanekinder  haben  mehrere  Spiele 
und  Spielsachen,  welche  man  die  Kinder  der  Weißen  in  Bolivia 
niemals  anwenden  sieht  und  die  mir  alle  echt  indianisch  zu 
sein  scheinen. 

Die  Indianerkinder  spielen  vor  allem  die  Spiele,  die  ich 
schon  von  den  Alteren  erwähnt  habe.    Von  den  Spielen  der 
Chorotis  und  Ashluslays  ken- 
nen   sie    das    hockeyähnliche 
Ballspiel,  das  die  Chiriguanos 
,,täca"     nennen.       Bei     den 
Chanes    habe     ich    es    nicht 
spielen  sehen.    Als  Tore  pfle- 
gen sie  Gruben  anzuwenden,  Abb.  95. 
und  zuweilen  schlagen  sie  die    Stäbchen  zum  Tshücaretaspiel.  2/9. 
Bälle  mit  Raketts.     Das   ist 

hier  ein  Knabenspiel.  Ein  außerordentlich  hübsches  und 
schweres  Spiel  ist  ,,töki",  das  ich  von  den  Knaben  der 
Chanes  am  Rio  Parapiti  habe  spielen  sehen.  Es  wird 
von  zwei,  vier,  sechs  oder  mehr  Personen  in  zwei  Abtei- 
lungen gespielt.  Die  Bälle  aus  massivem  Gummi  werden 
von  einem  der  Spielenden  erst  in  die  Luft  geworfen  und 
dann  mit  dem  Kopf  nach  der  gegnerischen  Seite  geworfen, 
wo  er  mit  dem  Kopf  wieder  zurückgestoßen  werden  soll. 
Das  Berühren  des  Balles  mit  der  Hand  ist  verboten.  Die 
Partei,  die,  je  nach  Übereinkommen,  fünf-  oder  zehnmal  den 
Ball  verfehlt,  hat  verloren. 

Das  Tökispiel  wird  in  einer  der  Sagen  de  Chaneindianer 
erwähnt.  In  dieser  Sage  sehen  wir,  wie  schwer  es  den 
Chanes   früher  gefallen   ist,    den    Gummi   für   die   Bälle    zu 

Nordenskiöld,   Indianerleben  1 3 


194 


Elftes  Kapitel. 


erhalten,  der,  da  es  im  Chaco  keinen  Gummi  gibt,  von  weit 
her  geholt  werden  mußte. 

Jetzt  erhalten  sie  die  Gummibälle  von  Santa  Cruz  de  la 
Sierra.  Ich  habe  das  ,,T6ki"  nur  von  Knaben  spielen  sehen. 
Früher  wurde  es  nicht  allein  von  den  Männern,  sondern  auch 


Abb.  96.     Mama  wird  ausgelegt.     Tshücaretaspiel.     Tihuipa. 
Chiriguano. 


von  den  Göttern  gespielt.  Es  ist  besonders  von  den  Chiquitos- 
indianern  bekannt.1) 

Auch  d'Orbigny2)  erwähnt  dieses  hübsche  Spiel  von  den 
Chiquitos.    Am  Rio  Guapore  habe  ich  Chiquitano  sprechende 


*)   Erbauliche   und    angenehme  Geschichten.     Wien    1729.     S.  55. 
2)   d'Orbigny:    Voyage.    Partie  historique.    Tome  2,    S.  594 — 595. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  195 

Gummiarbeiter  das  Spiel  spielen  sehen,  die  es  außerordentlich 
gut  verstanden,  den  Ball  mit  dem  Kopf  weiterzustoßen. 
Auch  niedrige,  den  Boden  beinahe  erreichende  Bälle  fingen 
sie,  auf  dem  Magen  liegend,  in  gleicher  Weise  auf. 

Spiele  mit  Gummibällen  scheinen  den  Spaniern  erst  sehr 
spät  bekannt  geworden  zu  sein.   Dies  geht  aus  dem  Erstaunen 


Abb.  97.     Die   Stäbchen  werden  geworfen.     Tshücaretaspiel. 

hervor,  mit  dem  Gumilla1)  sie  erwähnt.  Merkwürdig,  sagt  er, 
sind  die  Bälle  und  die  Art,  wie  mit  ihnen  gespielt  wird.  Der 
Ball  ist  groß  und  aus  einem  Holzsaft,  Caucho  genannt,  ge- 
arbeitet, der  bei  einem  leichten  Stoß  so  hoch  springt,  wie  ein 
Mann  lang  ist. 

Gumilla  erzählt,   daß  die   Indianer  am  Orinoco  mit  der 


1)    Gumilla:   El  Orinoco  Ilustrado.    Madrid   1745.     S.  190. 

13* 


196 


Elftes  Kapitel. 


rechten  Schulter  spielten.  Traf  der  Ball  einen  anderen  Körper- 
teil, so  verlor  der  Spielende  einen  Point.  Er  bewunderte  ihr 
Spiel,  da  sie  den  Ball  zehn-,  zwölfmal  und  noch  öfter  warfen, 
ohne  den  Boden  zu  berühren. 

Ein  anderes  nettes  Spiel  ist  ,,söuki",  das  die  Chaneknaben 
am   Rio   Parapiti   spielten    (Abb.    102).      Es   wird   von   zwei 


A.bb.  98.    Die  Spielenden  sehen  nach,  wie  die  Stäbchen  gefallen  sind. 


Knaben  mit  Maiskolbenpfeilen  gespielt.  Er>t  wirft  der  eine 
Knabe  seinen  Pfeil  auf  den  Boden,  dann  der  andere,  der  ihm 
so  nahe  wie  möglich  zu  kommen  sucht.  Kommt  er  eine  Hand- 
spanne oder  noch  näher  an  den  Pfeil  des  Gegners,  so  gewinnt 
er  einen  Point,  d.  h.  bekommt  einen  Strich.  Wer  zuerst 
sechs  Points  hat,  wenn  der  andere  keinen  hat,  hat  gewonnen. 
Jeder  spielt  mit  bis  zu  drei  Pfeilen.  Die  Points  zählen  so, 
daß  nur  das  gilt,  was  der  eine  mehr  als  der  andere  hat. 


Vom  Lande  der  Chane^  und  Chiriguanoindianer. 


197 


„Huirahuahua"  ist  ein  Spiel  (Abb.  103),  das  nur  von  den 
jüngeren  Chaneknaben  am  Rio  Parapiti  gespielt  wird.     Es 
wird  von  zwei  Knaben  mit  je  einem  Stäbchen  gespielt.    Der 
eine  wirft  sein  Stäbchen  so,  daß  die  Spitze 
auf   den   Boden   schlägt   und   so  weit   wie 
möglich    aufspringt.       Nachher    wirft    der 
zweite.     Wer  am  weitesten  geworfen  hat, 
bekommt  einen  Strich  auf  dem  Boden.    Wer 
zuerst  acht  Striche  hat,    wenn  der  andere 
auf  Null  steht,  hat  gewonnen. 

Das  ,,Parama"-Spiel  habe  ich  von  den 
Chiriguanos  im  Caipipendital  spielen  sehen. 
Es  wird  von  zweien  gespielt.  Ein  Knopf  oder 
dergleichen  wird  als  Tor  auf  einen  Stein 
gelegt,  worauf  man  mit  runden  Steinchen  aus  Tonscherben 
wirft.    Der  Knopf  soll  heruntergeschlagen  werden,  und  wer 


Abb.  99. 
Geteilter  Ball  zum 
Tocorörespiel.      1/2. 
Chane.     Rio  Para- 
piti. 


Abb.  100.     Spielstock.     1/u.     Tihuipa.     Chiriguano. 


Abb.  101.     Rakett.     yi6.     Tihuipa.     Chiriguano. 


demselben  am  nächsten  kommt,  hat  einen  Strich  gewonnen. 
Das  Spiel  wird  so  lange  fortgesetzt,  bis  der  eine,  je  nach 
Übereinkommen,  fünf  oder  mehr  Striche  hat. 

Die  Chane-  und  Chiriguanokinder  haben  auch  mehrere 
Spielsachen,  die  hier  abgebildet  sind  (Abb.  104 — 105).  Von 
diesen  ist  „mou-mou"  (Abb.  104)  eigentümlich.    Mit  ihm  wird, 


198 


Elftes  Kapitel. 


wenn  die  Fäden  erst  gezwirnt  und  dann  gespannt  werden, 
ein  summender  Ton  hervorgebracht. 

Nun  habe  ich  meine  Leser  wohl  ordentlich  mit  indianischen 
Spielen  und  Spielsachen  gelangweilt.  Vielleicht  habe  ich 
mich  bei  diesem  in  Südamerika  so  wenig  studierten  Gegen- 
stande, der  mich  auf  meiner  Reise  lebhaft  interessiert  hat, 
zu  lange  aufgehalten.  Wie  bei  den  Chorotis  und  Ashluslays, 
habe  ich  gern  mit  den  Knaben  gespielt.  Dies  ist  auch  eine 
Art  und  Weise,  den  Indianern  näher  zu  kommen,  ihr  Ver- 
trauen zu  gewinnen. 

Wie   die   Choroti-   und   Ashluslaykinder,   langweilen   sich 


Abb.  102.    Maiskolbenpfeil.    1/z.     ,,Söuki".    Chane.     Rio  Parapiti. 


.  v,  ,,>  ,v,-x,-v  ,  ~.~^~»s^*i 


Abb.  103.    Stäbchen  zum  Huirahuahuaspiel.  1/3.  Chane.  Rio  Parapiti. 


die  Kinder  der  Chanes  und  Chiriguanos  selten,  wie  diese 
sind  es  artige  und  gute  Kinder.  Auf  den  Spielplätzen  in  den 
Dörfern  geht  es  in  der  Regel  sehr  munter  zu.  Dies  gilt  für 
die  Heiden.  Die  Kinder,  die  in  die  Hände  der  Mönche  geraten 
sind,  sehen  düster  und  verschlossen  aus,  sie  haben  schon 
etwas  von  dem  zu  kosten  bekommen,  was  die  Kinder  des 
weißen  Mannes  lernen,  Erziehung  und  beginnende  Zivili- 
sation.    ,,Du  sollst  .  .  ."     ,,Du  sollst  nicht  .  .  ." 

Die  Spiele  und  Spielzeuge  sind  vom  anthropo-geographi- 
schen  Gesichtspunkte  aus  von  großem  Interesse.  Eine  Mehr- 
zahl von  ihnen  finden  wir  nicht  außerhalb  des  Chaco  und 
der  angrenzenden  Gegenden  in  Südamerika.  Dagegen  finden 
wir  sie  in  Nordamerika.     Infolgedessen  habe  ich  den  Schluß 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  iqq 


D 


Abb.  104.     Spielzeug.     Chane  und  Chiriguano. 

A  =  „mou-mou".     V».    Chane.     Rio  Parapiti. 
B  =  brummender  Kreisel.    */,.    Chiriguano.    Caipipendi. 
C  t    =   Reifen  mit  Peitsche.    Chane.     Rio  Itiyuro. 
D  =  Musikbogen.    l/4.    Chane.     Rio  Parapiti. 


200 


Elftes  Kapitel. 


gezogen,1)  daß  die  Spiele  und  Spielsachen  Überbleibsel  aus 
einer  Zeit  sind,  in  der  der  kulturelle  Austausch  zwischen 
Nord-  und  Südamerika  größer  als  jetzt  war,  oder  richtiger, 
daß  Spuren  eines  von  Norden  ausgehenden  Kulturstromes 
bis  nach  Argentinien  hinunter  gegangen  sind.  Eine  merk- 
würdige Ähnlichkeit  herrscht  auch  zwischen  den  Typen  von 
Tabakspfeifen,    die    man    im    südlichen  Südamerika    und  in 


Abb.  105.     Puppen  aus  Wacht>.     l/r     Chane.     Rio  Parapiti. 

Nordamerika  trifft.  Die  Dreifußkeramik,  die  ich  bei  meinen 
Ausgrabungen  im  östlichen  Bolivia,  in  Mojos,  gefunden  habe, 
deutet  auch  auf  Einflüsse  von  Norden. 

Alltagskleidung. 

In  den  Dörfern,  wo  der  Einfluß  der  Weißen  nicht  die  alten 
Trachten  verdrängt  hat,  tragen  die  Chane-  und  Chiriguano- 
frauen  ein  sackförmiges  Kleidungsstück,  ,,tiru"  (Abb.  106). 
Dieses  kann,  wie  aus  den  Photographien  ersichtlich,  auf  ver- 
schiedene Weise  getragen  werden.  Früher  scheint  der  Tiru 
nicht  die  jetzige  Form  gehabt  zu  haben.    Viedma2)  sagt,  die 

1)  S.  auch  Erland  Nordenskiöld :  Zeitschr.  f.  Ethnologie,  1910. 
H.  3  u.  4. 

2)  Viedma,  1.  c.   S.   181. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  201 

Chiriguanofrauen  hatten  nur  ein  Stück  Zeug  um  die  Hüften. 
Sicher  hat  sich  die  Tracht  unter  dem  Einfluß  der ,  .moralischen" 
Christen  so  entwickelt,  daß  sie  ,, anständiger"  geworden  ist. 


Abb.   106.     Chanefrau  von  Rio  Parapiti,  in  ,,Tiru"  gekleidet. 

Von  einheimischen  Schmucksachen  sieht  man  Halsketten 
aus  Türkis-  und  Chrysocolperlen  und  aus  schwarzen  Körnern. 

Nach  eigenen  Angaben  finden  die  Indianer  die  Stein- 
perlen in  der  Erde,  wo  alte  Wohnplätze  und  Gräber  sind. 
Die  Mestizen  im  Tarijatal,  die  in  ihren  Feldern  eine  große 
Menge  dieser  Perlen   finden,  verkaufen  sie  den  Chiriguanos 


202 


Elftes  Kapitel. 


und  Chanes  zu  hohen  Preisen.  Früher  wurde  eine  Halskette 
aus  diesen  Perlen  mit  einem  Pferd  bezahlt. 

Das  Haar  tragen  die  Chane-  und  Chiriguanofrauen  halb- 
lang, mitten  auf  der  Stirn  gescheitelt  und  manchmal  im 
Nacken  oder  auf  dem  Kopf  mit  einem  Band  zusammen- 
gebunden. 

Die  Männer  tragen  jetzt  alle  die  europäische  Tracht.    Bei 


Abb.  107.     Gesichtsbemalung.    Chiriguano.     Itapenbia.     Rote  Farbe. 
A  u.  B  =  Männer.    C  u.  D  =  Frauen. 


der  Arbeit  sieht  man  sie  jedoch  nicht  selten  nur  in  einem 
die  Geschlechtsteile  schützenden  Stück  Zeug.  Bei  den  Chanes 
am  Rio  Parapiti  waren  Mäntel  gleich  denen,  die  wir  von  den 
Chorotis  und  Ashluslays  kennen  gelernt  haben,  sehr  gewöhn- 
lich. Die  älteren  Männer,  sowie  auch  die  jüngeren  in  den 
Chiriguanodörfern  am  oberen  Rio  Pilcomayo,  tragen  das 
Haar  lang,  um  den  Kopf  gewunden  und  von  einem  in  der 
Regel  roten  oder  blauen  Band  zusammengehalten.  Nach 
vorn  ist  das  Haar  abgeschnitten,  sie  haben  also  Stirnlocken 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


203 


und  eine  Locke  vor  jedem  Ohr.  Es  greift  jedoch  immer  mehr 
die  Sitte  um  sich,  das  Haar  kurz  zu  schneiden,  um  ebenso 
fein  zu  sein,  wie  die  Weißen.  An  den  Füßen  tragen  sie,  wenn 
sie  auf  steinigem  oder  dornigem  Boden  wandern,  wie  die 
Frauen,  Sandalen. 

Diese  Indianer  malen  sich  alltags  nicht  oft.  Zuweilen 
sieht  man  eine  Frau,  die  sich  das  Gesicht  rot  gemalt  hat. 
Die  Weißen  behaupten,  es  bedeute,  sie  sei  heiratslustig,  oder, 
wenn  sie  verheiratet  ist,  lüstern.  Ich  wage  jedoch  nicht  zu 
sagen ,  daß  dies  wahr  ist. 
Einen  roten  Strich  hier  und 
da  ins  Gesicht  malen  sich  die 
Frauen  auch  alltags,  oder  sie 
kleben  ganz  einfach  eine  Blume 
an  jede  Wange.  Die  Männer 
bemalen  auch  manchmal  das 
Gesicht  und  den  Körper  rot. 
Als  große  Seltenheit  habe  ich 
ein  paar  Chiriguanofrauen  ge- 
sehen, die  auf  dem  Arm  täto- 
wiert waren  (Abb.  108).  Im 
Caipipendital  haben  die  Chiri- 
guanofrauen die  abscheuliche 
Sitte,  ihre  sonst  weißen  und  gesunden  Zähne  zu  schwärzen. 
Viedma  erzählt,  daß  die  Chiriguanomänner  ihre  Zähne  blau 
zu  malen  pflegten. 


Abb.  108. 
Tätowierter  Frauenarm. 
Chiriguano.      Itapenbia. 


Reinlichkeit. 

Die  Chanes  und  Chiriguanos  sind  sehr  reinlich.  Sie  be- 
ginnen, wie  schon  erwähnt,  den  Morgen  mit  einem  Bad, 
und  baden  dann  oft  mehrmals  im  Laufe  des  Tages.  Diese 
Reinlichkeit  ist  bei  Stämmen,  die  oft  in  Gegenden  wohnen, 
wo,  wie  z.  B.  im  Chipipendital,  großer  Wassermangel  herrscht, 
merkwürdig.  In  der  Trockenzeit  können  sie  dort  niemals 
ein  Bad  nehmen,  wenigstens  die  Frauen  waschen  aber  ihren 
Körper  jeden  Morgen  gründlich  ab. 


204 


Elftes  Kapitel. 


Der  Gegensatz,  der  sich  hier  in  dem  Reinlichkeitseifer  der 
verschiedenen  Stämme  zeigt,  läßt  sich,  meiner  Ansicht  nach, 
durch  ihre  Wanderungen  erklären.  Die  Chorotis,  Ashluslays 
und  Matacos,  welche  sich  noch  teilweise  in  Pelzmäntel 
kleiden,  scheinen  mir,  wie  die  Feuerländer  und  Patagonier, 
aus  den  kalten  Pampas  im  Süden,  wo  ein  Waschen  höchst 
unangenehm  war,  nach  dem  Chaco  eingewandert  zu  sein, 
während  die  Chiriguanos  und  Chanes  vom  Norden,  aus  den 
feucht  warmen  Urwäldern,  von  den  großen  Flüssen  kommen, 
wo  das  Baden  immer  schön  und  erfrischend  war.     Nun,  wo 


Abb.  109.     Kämme  zum  Kämmen  des  Haares,  nicht  zur  Befestigung 

in  dasselbe. 
A.  von  den  Chanes.     B,  C,  D  von  den  Chiriguanos. 


sie  unter  denselben  klimatischen  Verhältnissen  leben,  haben 
die  ersteren  ihren  Schmutz,  die  letzteren  ihre  Reinlichkeit 
bewahrt. 

Im  Thurn1)  berichtet,  daß  die  Indianer  in  Guayana  sofort 
nach  dem  Essen  baden,  ohne  daß  ihnen  dies  schlecht  be- 
kommt.    Dasselbe  habe  ich  hier  oft  beobachtet. 

Den  Kopf  schampunieren  die  Chiriguanos  und  verschiedene 
Chanes  mit  den  Samen  von  „nyantera",  die  sie  mahlen. 
Zu  demselben  Zweck  benutzen  die  Chanes  am  Rio  Parapiti 
die  Rinde  des  Mistol,  ,,yüag".     Auch  die  Nägel,  und  nicht 


*)   Im  Thurn:  Among  the  indians  of  Guiana.     London  1883. 


Vom  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.  205 

zum  wenigsten  die  Zehennägel,  werden  sauber  gepflegt. 
Zum  Kämmen  wenden  sie  in  Holz  geschnittene  oder  aus 
Rohrstäbchen  zusammengebundene  Kämme  an. 

Ihre  Bedürfnisse  verrichten  die  Chanes  und  Chiriguanos 
niemals  ganz  nahe  den  Hütten.  Besondere  Abtritte  habe  ich 
aber  niemals  bei  irgend  welchen  Indianern,  und  auch  nicht 
bei  vielen  Weißen  in  Bolivia,  gesehen. 

Die  Chanes  und  Chiriguanos  gehen  mit  ihren  Kleidern 
sehr  sorgfältig  um.  Sie  halten  sie  rein  und  flicken  sie,  wenn 
es  nötig  ist.  Jedes  Geschlecht  wäscht  und  flickt  seine  Sachen 
selbst.  Der  Mann  näht  hier  vollkommen  ebenso  gut  wie 
die  Frau. 

Ich  habe  hier  von  dem  Alltagsleben  bei  diesen  Indianern 
gesprochen.  Nun  will  ich  die  wichtigsten  Ereignisse  in  ihrem 
Leben,  in  ihrem  Gemeinwesen,  ihre  Feste,  ihre  Industrie  usw. 
schildern,  um  zuletzt  zu  ihren  Sagen  und  ihrer  Religion 
überzugehen. 


Zwölftes    Kapitel. 
Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  (Forts). 

Vom  Mutterleib  bis  zum  Grabe. 

Streng  arbeiten  die  Chane-  und  Chiriguanofrauen  auch 
während  der  Schwangerschaft,  bis  sie  gebären  sollen.  Im 
Dorfe  Vocapoys  war  eine  schwangere  Frau,  der  ich  eine  von 
mir  geschossene  Taube  schenkte.  Vocapoy  erklärte  mir  da 
ganz  erregt,  eine  schwangere  Frau  dürfe  keine  Tauben  essen. 
Kommt  ein  Chane-  oder  Chiriguanokind  zur  Welt,  verursacht 
es  seiner  Mutter  sicherlich  nicht  viel  Schmerzen.  Diese 
Frauen  sind  gesund  und  gebären  leicht,  wie  alle  Indianer- 
frauen, die  eine  gesunde  Lebensweise  führen  und  niemals 
eng  anliegende  Kleider  getragen  haben.  Sie  liegen  auch  nicht 
im  Wochenbett,  das  muß  statt  dessen  der  Papa  des  Kleinen. 
Auch  hier  treffen  wir  diesen  eigentümlichen  Brauch,  die 
„Couvade",  die  von  so  vielen  Indianerstämmen  her  bekannt 
ist.  Mehrere  Tage  soll  der  Mann  liegen  und  Diät  halten. 
Bei  den  Chanes  am  Rio  Parapiti  darf  er  die  ersten  Tage 
nur  gekochten  Mais  und  Maissuppe,  später  auch  süße  Kar- 
toffeln essen.  Mehrere  Tage  lang  darf  er  kein  Fleisch  essen. 
Ißt  er  z.  B.  das  Fleisch  einer  Ziege,  so  stirbt  er,  meckernd 
wie  diese.  Der  Chiriguanoindianer  Taco  erzählte  mir,  er 
habe  seinen  dicken  Magen  deswegen  bekommen,  weil  er 
diesen  wichtigen  Brauch  nicht  innegehalten  habe.  ,,Fünf 
Tage  hätte  ich  liegen  und  Diät  halten  sollen",  sagte  er. 

Die  Sitte  der  Couvade  hat,  wie  bekannt,  in  Südamerika 
eine  sehr  große  Ausdehnung.  Bei  den  Stämmen,  die  ich 
kennen  gelernt  habe,  kommt  sie  sicher,  außer  bei  den  Chili- 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         207 

guanos  und  Chanes,  bei  den  Chorotis,  Güarayüs  und  Chacobos 
vor.  K.  v.  d.  Steinen,1)  der  diesen  Brauch  ausführlich  vom 
Rio  Xingu  schildert,  sagt,  er  sei  wahrscheinlich  für  alle 
brasilianischen  Stämme  bekannt.  Dagegen  scheint  der  Brauch 
der  Couvade  von  den  Quichuas  und  Aymaras,  d.  h.  von  der 
Gebirgskultur  in  Bolivia  und  Peru,  unbekannt  zu  sein.  Dies 
ist  einer  der  vielen  Gegensätze,  die  zwischen  den  Indianern 
des  Gebirges  und  des  Urwaldes  bestehen. 

Die  Güarayüindianer  in  Nordost-Bolivia  sagten  mir,  wenn 
ein  Mann  gleich  nach  der  Entbindung  seiner  Frau  auf  die 
Jagd  geht  und  z.  B.  einen  Papagei  schießt,  so  kann  er  sein 
Kind  töten.  In  den  ersten  Tagen  des  Lebens  folgt  nämlich 
die  Seele  des  Kindes  dem  Vater. 

Sehr  selten  werden  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos  außer- 
eheliche Kinder  geboren.  Ich  glaube,  vielleicht  irre  ich  mich, 
daß  die  Frauen  dieser  Indianer  keusch  sind,  bevor  sie 
heiraten.  Am  Rio  Itiyuro  befand  sich  unter  etwa  500  Chanes 
nur  ein  von  einer  unverheirateten  Frau  geborenes  Kind. 
Mißgestaltete  Kinder  werden  sehr  selten  geboren.  So  gibt 
es,  nach  dem,  was  ich  gesehen  und  Batirayu  angegeben,  im 
ganzen  Parapitital  unter  1500  —  2000  Chanes  keinen  Blind- 
geborenen, keinen  Schielenden,  keinen  Idioten  und  nur  einen 
mit  mißgestalteten  Extremitäten  und  vier  Taubstumme. 
Stark  stammelnde  Indianer  habe  ich  nicht  beobachtet. 

Ich  weiß  nicht,  ob  die  mißgestalteten  Kinder  auch  bei 
diesen  Indianern  gleich  getötet  werden,  aber  wahrscheinlich 
ist  dies  der  Fall.  Ich  weiß  auch  nicht,  ob  Abtreibung  der 
Leibesfrucht  vorkommt.  Sicher  ist  aber,  daß  diese  gesunden 
Frauen  selten  Kinder  gebären,  die  nicht  wohlgestaltet  sind. 
Im  Parapitital  fand  sich  gleichwohl,  wie  erwähnt,  ein  Knabe 
mit  mißgestalteten  Extremitäten.  Das  eine  Hüftbein  war 
zu  kurz  und  der  eine  Arm  auch  verkrüppelt.  Dieser  Knabe 
wurde    von    allen    mit    außerordentlichem    Wohlwollen    be- 


J)  Karl  v.  d.  Steinen:  Unter  den  Naturvölkern  Zentralbrasiliens. 
Berlin  1894. 


208  Zwölftes  Kapitel. 

handelt,  und  man  drückte  laut  seinen  Beifall  aus,  als  ich 
ihm  einige  kleine  Geschenke  gab. 

Wenn  das  Kind  zu  gehen  anfängt,  erhält  es  einen  Namen. 
Diesen  gibt  nicht  der  Vater  oder  die  Mutter,  sondern  seine 
Großeltern.  Bei  den  Chanes  am  Rio  Parapiti  habe  ich  einige 
Namen  aufgezeichnet.  Ist  es  ein  Knabe,  so  wird  er  z.  B. 
yateurembi  (Lippe  der  Zecke),  huäsucaca  (Guanaco),  tätu- 
nambi  (Gürteltierohr),  yänducüpe  (Straußrücken),  vacainyäca 
(Kuhkopf),  aguärachivi  (Fuchsharn),  deresa  paravete  (deine 
armen  Augen)  genannt;  ist  es  ein  Mädchen,  z.  B.  ärasaypoti 
(Guayavablüte).1)  Ein  großer  Teil  der  Namen  ist  unübersetz- 
bar. Zu  diesem  Namen  kommt  nicht  selten  ein  Spottname. 
So  wurde  z.  B.  der  Chanehäuptling  Boyra  (Boy-Schlange) 
yüruhuasu  genannt,  was  Großmaul  bedeutet.  Der  alte  Boyra 
war  auch  ein  Schwätzer,  der  für  alles,  was  ein  wenig  unan- 
ständig war,  eine  große  Schwäche  hatte. 

Ungewöhnlich  lange  stillen  die  Mütter,  und  es  dauert  in 
der  Regel  mehrere  Jahre,  bis  sie  wieder  ein  Kind  bekommen. 
Vielleicht  vertreibt  sie  auch  ein  wenig,  wie  die  Chorotifrau, 
die  Leibesfrucht,  damit  die  Familie  nicht  allzu  sehr  belästigt 
wird. 

In  der  Missionsstation  in  Ivu  suchte  ich  über  die  Anzahl 
überlebender  Kinder  in  127  Chiriguanoehen  eine  Statistik 
aufzustellen  und  fand  da,  daß  in  10  Ehen  kein,  in  27  ein,  in 
35  zwei,  in  29  drei,  in  13  vier,  in  9  fünf  und  in  4  sechs  Kinder 
waren.  Diese  Zahlen  sind  jedoch  ganz  unsicher.  Sie  zeigen 
jedoch,  daß  man  hier,  wie  bei  vielen  anderen  Indianerstämmen, 
eine  Art  Zweikindersystem  hat. 

Corrado2)  behauptet  mit  Bestimmtheit,  daß  unter  den 
Chiriguanos  Kindermord  vorkommt.  Das  tut  man  in  ver- 
zweifelten Fällen  auch  bei  uns,  das  von  Corrado  angeführte 
Beispiel  hat  daher  nichts  zu  bedeuten.    Die  Frage  ist :  kommt 


1)  Psidium  guayava. 

2)  Corrado:    El   Colegio  Fransciscano  De  Tarija   y   sus    misiones. 
Quaracci  1884.     S.  526— 527. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


209 


Kindermord  und  Abtreibung  der  Leibesfrucht  als  eine  vom 
Stamme  angenommene  Institution,  wie  bei  den  Chorotis,  vor? 


Abb.  110.     Chaneknabc.     Rio  Parapiti. 
Er  hat  Pfeile  mit  stumpfen  Spitzen  in  der  Hand. 

Die  Chane-  und  Chiriguanokinder  werden  auch,  wie  er- 
wähnt, in  Freiheit  erzogen.  Unter  Spielen  verleben  sie  die 
Kinder  jähre.  Allmählich  beginnt  das  Kind  den  Eltern  bei 
Kleinigkeiten,  z.  B.  beim  Wasser-  und  Holztragen,  Fesseln 


N  orclen  skiöl  d,   Indiancrleben. 


M 


210  Zwölftes  Kapitel. 

der  Haustiere,  Fischen  usw.  zu  helfen.  Die  Mädchen  lernen 
von  den  Müttern  das  Spinnen,  Weben,  Anfertigen  von  Ton- 
gefäßen, Brauen  des  Maisbiers  usw.  Sie  lernen  alles  durch 
Imitation.  Die  Knaben  verfolgen  die  kleinen  Vögel  um  das 
Dorf  und  lernen  auf  diese  Weise  den  Waffengebrauch.  Die 
Kinder  begleiten  die  Eltern  zum  Fischen  und  Ackern.  Der 
Knabe  begleitet  den  Vater  auf  die  Jagd  und  fühlt  sich  ordent- 
lich stolz  und  tüchtig,  wenn  er  mit  der  ,, gemeinsamen"  Jagd- 
beute nach  Hause  gehen  darf.  Die  Kinder  sehen  und  lernen. 
Es  macht  ihnen  Spaß,  Vater  und  Mutter  zu  helfen. 

Wie  verschieden  ist  nicht  die  Kindererziehung  in  den 
Missionen,  die  auf  Spionage  und  Angeberei  basiert  ist. 

Mutterlose  Kinder  werden  von  den  Verwandten  aufge- 
nommen. Nicht  selten  sieht  man  auch  hier  ältere  Tanten  die 
Kinder  anderer  liebkosen. 

Wenn  das  Mädchen  ihre  erste  Menstruation  bekommt, 
wird  sie  in  einen  Verschlag  in  der  Hütte,  eine  Art  Schrank, 
gesetzt.  Ihr  Haar  wird  kurz  geschnitten,  und  sie  darf  erst 
wieder  heraus,  wenn  es  halblang  gewachsen  ist.  In  Begleitung 
der  Mutter  darf  sie  ausgehen  und  das  Notwendigste  tun, 
z.  B.  baden  usw.  Zwischen  der  ersten  und  zweiten  Men- 
struation muß  sie  Diät  halten.  Sie  darf  gekochten  Mais  und 
Mehl  essen.     Diese  Sitte  nennen  die  Chanes  ,,yimundia". 

In  einem  Chanedorf,  Aguaräti,  sah  ich  ein  Mädchen,  das 
in  einem  solchen  Schrank  saß.  Sie  spann.  Ich  guckte  in  den 
Schrank,  was  wohl  unrecht  von  mir  war,  denn  am  nächsten 
Tage  waren  Mädchen  und  Schrank  verschwunden. 

P.  Chome1)  erwähnt  schon  diesen  Brauch  von  den  Chiri- 
guanos.  Er  sagt,  die  Indianer  glauben,  eine  Schlange  habe 
das  Mädchen  gestochen. 

Wenn  das  Mädchen  aus  dieser  Gefangenschaft  kommt, 
ist  sie  heiratsfähig. 


*)  P.  Chome,  S.  320.  Derselbe  Pater  spricht  auch  von  dem 
Brauche  der  Couvade  bei  diesen  Indianern,  S.  321.  Lettres  edi- 
fiantes.    T.  XXIV. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.        211 

Wenn  der  Chaneknabe  etwa  10 — 12  Jahr  alt  ist,  wird 
seine  Unterlippe  von  einem  hierin  besonders  erfahrenen 
Mann  durchbohrt.  In  das  Loch  wird  ein  Stückchen  Holz 
gesteckt.  Der  Knabe  muß  einen  Tag  liegen.  Sein  Großvater 
kommt  und  reißt  tiefe  Wunden  in  seinen  Körper,  damit  er 
mutig  im  Kampf  und  ein  tüchtigei  Jäger  werde.  Des  Morgens, 
wenn  es  noch  richtig  kalt  ist,  führt  er  ihn  baden,  damit  er 
ein  richtiger  Mann  werde. 

Einen  Tag  lang  darf  der  Vater  nichts  verzehren,  damit 
der  Knabe  nicht  geschwätzig  wird.  Dies  zeigt,  daß  die 
Indianer  keine  Schwätzer  lieben. 

Wenn  der  Knabe  älter  wird,  erhält  er  statt  des  kleinen 
Hölzchens  ein  größeres,  und  ist  er  ein  Mann  geworden,  so 
kann  er  mit  einem  großen  Knopf,  ,,Tembeta",  in  der  Unter- 
lippe herumstolzieren  (Abb.  79).  Diese  soll  aus  Holz  sein, 
in  welches  Türkisen-  und  Chrysocolstücke  eingesetzt  sind. 
Bei  den  Chanes  und  den  meisten  Chiriguanos  haben  jetzt 
nur  die  Alten  die  Tembeta.  Beim  Chiriguanohäuptling 
Maringay,  der  noch  alte  Sitten  ehrt,  wird  allen  Knaben  die 
Unterlippe  durchbohrt.  Maringay  gehört  zu  den  Alten,  die 
verächtlich  sagen:  Der  ,,ava",  der  Mann,  der  keine  Tembeta 
trägt,  sieht  wie  eine  ,,cuna"  (Frau)  aus.  Männern  das  Schimpf- 
wort Frau  zurufen,  heißt  auf  Chiriguanoweise  beschimpfen. 
Diese,  die  ,,ava"  sind,  sagen  von  den  Chanes,  die  kleine 
Tembetas  haben,  „cunareta"   (Weiber). 

Jetzt  werden  die  meisten  Tembetas  von  den  Weißen  in 
den  Gebirgsgegenden  aus  Zinn  und  Glasstücken  angefertigt. 
Unter  denen,  die  solche  gemacht  haben,  ist  der  Italiener 
Pablo  Piotti.  Seine  Werke  sind  sogar  in  europäische  Museen 
gekommen,  ohne  jemals  in  einem  Indianerkinn  gesessen  zu 
haben.  Früher  hatten  die  Chiriguanos  auch  Tembetas  aus 
durchsichtigem  Harz.1) 

Will  der  Chane-  oder  Chiriguanoknabe  heiraten,  so  schickt 
er  den  Eltern  des  Mädchens  allerlei  Jagdbeute.      Vocapoy 


*)    P.  Chome:  Lettres  edifiantes.     T.  XXIV,   S.  317. 

I4< 


212  Zwölftes   Kapitel. 

erzählte  mir,  daß  er  vor  ihre  Häuser  Holz  legt.  Wird  das 
Holz  angewendet,  so  bedeutet  es  Einwilligung,  findet  er  das 
Holz  unberührt,  so  ist  er  abgewiesen.  Hat  er  mit  dem  Holz 
Glück  gehabt,  so  hält  er  bei  der  Mutter  des  Mädchens  um 
sie  an.  Diese  antwortet  dann,  sie  könne  nicht  wissen,  ob 
er  ein  guter  Mann  wird,  der  seiner  Frau  Essen  schaffen  kann. 
Um  dies  zu  zeigen,  muß  er  bei  der  künftigen  Schwiegermutter 
ungefähr  ein  Jahr  lang  dienen.  Die  Ehe  ist  somit  hier  eine 
Art  Kauf. 

Auf  dieselbe  Weise,  wie  die  Chane-  und  Chiriguanomänner 
heutigentags  werben,  taten  sie  es  vor  zweihundert  Jahren.1) 

In  der  Nacht  vor  der  Hochzeit  schläft  der  junge  Mann 
bei  seinem  Mädchen.  Die  Hochzeit  wird  mit  einem  Trink- 
gelage ohne  andere  Zeremonien  als  vieles  Maisbiertrinken 
gefeiert.  Die  Jungverheirateten  erhalten  Glückwünsche.  In 
der  Regel  wohnen  die  Jungen  noch  einige  Zeit  in  dem  Hause 
der  Schwiegermutter. 

Die  Ehen  scheinen  mir  in  der  Regel  glücklich  zu  sein.  In 
dem  Dorfe  des  Chanehäuptlings  Vocapoy  hatte  ich  Gelegen- 
heit, mehrere  Jungverheiratete  Paare  zu  sehen.  Das  Glück 
des  Honigmonats  erschien  mir  ungeheuchelt,  und  die  jungen 
Frauen  arbeiteten  strebsam  für  ihre  Männer.  Bei  den  In- 
dianern, wie  bei  anderen  Völkern,  gibt  es  indessen  Frauen 
ungleichen  Charakters.  Es  gab  solche,  die  den  ganzen  Tag 
für  ihr  Heim  arbeiteten,  und  solche,  die  nur  dazu  da  zu  sein 
schienen,  um  sich  zu  amüsieren. 

Geschwisterehen  sind  verboten,  Cousins  und  Cousinen 
dürfen   sich  dagegen  heiraten  (wenigstens  bei  den  Chanes). 

Dies  ist  dagegen,  wie  erwähnt,  weder  bei  den  Chorotis 
noch  bei  den  Matacos  gestattet. 

Unter  den  Chanes  und  Chiriguanos  gibt  es  solche,  die 
mehrere  Frauen  haben.  Dies  gilt  jedoch  nicht  für  die  Jungen, 
sondern  für  die  Älteren,  besonders  für  die  Häuptlinge.  Voca- 
poy hatte  vier  Frauen,  die  in  verschiedenen  Dörfern  wohnten. 


1)   P.  Chome,  1.  c.  S.  319. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         213 


Taco  soll  sieben  haben,  Maringay  hat  zwei,  die  zusammen 
wohnen.    Der  alte  Mandepora  (Abb.  1 1 1 )  soll  auch  eine  größere 


Abb.  in.     Der  Chiriguanohäuptling  Mandepora. 

Anzahl  haben.  Diese  älteren  hohen  Herrn  lassen  oft  ihre 
Frauen  sitzen  und  schaffen  sich  neue,  junge  und  hübsche  an. 
Außer  in  diesen  Fällen  scheint  der  Altersunterschied 
zwischen  den  Gatten  in  der  Regel  nicht  mehr,  als  ein  paar 
Jahre  zu  betragen. 


214  Zwölftes  Kapitel. 

Spricht  man  mit  den  Missionaren  über  die  sittlichen  Ver- 
hältnisse unter  den  Indianern,  besonders  unter  den  Chiri- 
guanos,  so  malen  sie  dieselben  in  schwarzen  Farben.  Der 
sittliche  Wandel  der  christlichen  Indianer  ist,  fürchte  ich, 
auch  recht  schlecht,  aber  in  den  Tälern,  wo  der  weiße  Mann 
die  Indianer  nicht  verdorben  hat,  habe  ich  niemals  eine 
allgemeine  Liebe,  wie  bei  den  Chorotis,  vorkommen  sehen. 
Typisch  für  alte  Sitten  ist  Maringays  Dorf,  und  dort  herrscht 
eine  so  strenge  Sittlichkeit,  wie  ich  sie  nirgends  sonst  gesehen 
habe.  In  diesen  rein  heidnischen  Dörfern  kam  es  niemals  vor, 
daß  den  Mitgliedern  der  Expedition  ein  Mädchen  angeboten 
wurde,  was  dagegen  in  den  Missionsstationen  vorkam. 

Folgendes  Urteil  gibt  der  Jesuit  Pater  Ignace  Chome  in 
einem  Briefe  von  1735, 1)  von  einer  Zeit,  da  sie  von  der  Zivili- 
sation der  Weißen  noch  vollständig  unberührt  waren,  ab,  ein 
Urteil,  das  ich  hier  wortgetreu  wiedergeben  will: 

,,Ce  qui  m'a  fort  surpris,  c'est  que  dans  la  licence  oü 
ils  viverit,  je  n'ai  jamais  remarque  qu'il  echappät  ä  aucun 
homme  la  moindre  action  indecente  ä  l'egard  des  femmes, 
et  jamais  je  n'ai  oui  sortir  de  leur  bouche  aucune  parole  tant 
soit  peu  deshonnete." 

Die  Ehen  der  Chiriguanos  schildert  dieser  Jesuitenpater 
indessen  als  sehr  locker. 

Mit  der  Ehe  beginnt  für  diese  Indianer  das  Leben  im 
Ernst.  Es  besteht  aus  Arbeit  und  Maisbier  trinken.  Die 
Arbeit  habe  ich  schon  ein  wenig  beschrieben,  ihre  Trink- 
gelage werde  ich  weiterhin  schildern. 

Das  Leben  der  Indianer  und  der  Indianerin  schwindet 
schneller  als  das  der  Weißen.  Das  Alter  eines  Indianers  ist, 
wenn  man  keine  bestimmte  Zahl  hat,  an  die  man  sich  halten 
kann,  sehr  schwer  bestimmbar.  Maringay  erzählte  mir,  er 
sei  der  Älteste  seines  Stammes,  es  lebe  kein  Altersgenosse 
von  ihm  mehr.  Die  Weißen  sagten,  Maringay  sei  über  100  Jahr 
alt.      Dies   ist   jedoch  übertrieben.      Als    Jungverheirateter, 


x)   Chome,  1.  c.   S.  318. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.        215 

16— 20 jähriger  Jüngling,  besuchte  Maringay  den  Präsidenten 
Belzu  in  Sucre.  Dieser  regierte  zwischen  1848 — 1855,  der 
hundertjährige  Maringay  ist  also  offenbar  nicht  älter,  als 
ungefähr  80  Jahre.  Ein  80 jähriger  Indianer  ist  also  der 
Älteste  seines  Stammes.     Bei  den  Indianern  sieht  man  bei- 


Abb.  112.     Alte  Frau.     Rio  Itiyuro. 
Ihre  Enkel  waren  ungefähr  18  Jahre  und  jünger. 


nahe  immer,  daß  derjenige,  der  erwachsene  Enkelkinder  hat, 
sehr  gebrechlich  und  greisenhaft  ist  und  am  Rande  des 
Grabes  steht.  Die  Indianer  und  Indianerinnen  entwickeln 
sich  schnell,  altern  aber  auch  schnell.  Mit  50  Jahren  ist  der 
Indianer  ein  Greis,  mit  70  ein  sog.  Hundertjähriger.  Im 
Thurn1)  meint  ebenfalls,  daß  die  Indianer  nicht  alt  werden. 


l)   Im  Thurn  1.  c.   S.  190. 


2l6  Zwölftes  Kapitel. 

Er  glaubt,  daß  sie  selten  ein  höheres  Alter  als  40 — 50  Jahre 
erreichen. 

Maringays  Haare  waren  leicht  ergraut.  Es  gibt  beinahe 
weißgelbhaarige  Indianer  und  Indianerinnen,  aber  sie  sind 
selten  (Abb.  112).  Einen  kahlköpfigen  Indianer  habe  ich 
niemals  gesehen.  Wenn  sie  älter  sind,  ist  das  Gesicht  stark 
gefurcht.  Nicht  selten  werden  sie  im  Alter  blind,  aber  weniger 
oft  taub. 

Bei  den  Chorotis  und  Ashluslays  ist  der  Anblick  der  Alten 
oft  abschreckend,  sie  sind  schmutzig,  abgemergelt  und  trief- 
äugig. Dies  ist  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos  nicht  der 
Fall.  Diese  Indianer  verstehen  es,  in  Schönheit  zu  altern, 
und  auch  die  Alten  halten  sich  rein  und  fein. 

Erkrankt  der  Chane-  oder  Chiriguanoindianer  schwer,  so 
läßt  man,  wie  bei  anderen  Indianern,  den  Medizinmann 
kommen. 

Die  Chiriguanos  und  Chanes  unterscheiden  zwischen  zwei 
Arten  von  Medizinmännern,  die  sie  ,,ipäye"  oder  „ipäyepötchi" 
nennen.  Die  ersteren  sind  gut  und  heben  die  Verhexungen, 
die  letzteren  können  die  Verhexung    heben  und  verhexen. 

Im  Scherz  fragte  ich  einmal  einen  Chiriguano,  ob  Vater 
Bernardino  in  Ivu  ein  ,,ipäye"  oder  ein  „ipäyepötchi"  sei. 
Artig  antwortete  der  Indianer,  ein  ,,ipäye".  Die  Stellung 
des  Missionars  unter  den  Indianern  ist  die  des  Medizinmannes, 
er  übernimmt  ihre  Macht  und  ihren  Einfluß. 

Im  vorhergehenden  habe  ich  erzählt,  daß  die  Weißen  in 
der  Gegend  von  Ivu  einen  indianischen  Medizinmann  zum 
Vertreiben  der  Pocken  kommen  ließen.  Es  kommt  auch  vor, 
daß  sie  glauben,  von  den  Indianern  verhext  zu  sein.  Ein 
Kolonist,  Gutierrez,  hatte  einen  Indianer  durchgepeitscht. 
Dieser  verhexte  ihn  so,  daß  er  krank  wurde.  Es  klang  in 
seinem  Magen  wie  das   Quaken  eines  Frosches. 

Durch  Räuchern  suchen  die  Medizinmänner  den  Verhexer 
ausfindig  zu  machen.  Wie  es  dabei  zugeht,  habe  ich  nicht 
gesehen.  Der  Verhexer  wird,  wenn  er  oder  sie  entdeckt  wird, 
getötet. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         217 

Hier  unten  werde  ich  über  die  Verbindung  der  Medizin- 
männer mit  den  großen  Geistern  sprechen. 

Im  Auftreten  und  in  der  Methode  der  Medizinmänner 
scheint  bei  den  Chorotis  und  Ashluslays  und  bei  den  Chanes 
und  Chiriguanos  kein  Unterschied  zu  herrschen.  Es  ist  das- 
selbe Aussaugen  fremder,  durch  Verhexen  in  den  Körper 
gelangter  Gegenstände.  Bei  den  letzteren  sind  die  Medizin- 
männer geheimnisvoller,  als  bei  den  ersteren.  Vielleicht  hat 
die  Berührung  mit  den  Weißen  bewirkt,  daß  sie  selbst  an 
ihrer  Kunst  zu  zweifeln  beginnen. 

Ein  Unterschied  herrscht  indessen  in  den  gewöhnlichen 
Heilmitteln.  Die  erstgenannten  Indianerstämme  entnehmen 
ihre  Heilmittel  in  der  Regel  dem  Pflanzenreich.  Man  kocht 
Dekokte  von  gewissen  Gewächsen.  Die  Chanes  und  Chiri- 
guanos wenden  dagegen,  außer  gewissen  Pflanzen,  animale 
Heilmittel  an.  So  benutzen  die  Chanes  am  Rio  Itiyuro  das 
Fett  vom  Reiher  für  Geschwülste,  das  Wildschweinfett  für 
das  Fieber,  das  Jaguarfett  für  Knochenschmerzen  und  Tukan- 
schnäbel für  Frauenblutungen.  Die  Chanes  am  Rio  Parapiti 
wendeten  das  Fett  des  Straußes  gegen  Brustschmerzen,  der 
Iguanaeidechse  gegen  Conjunctivitis,  des  Huhnes  gegen  alles, 
das  Maisbier  gegen  Erkältung  an.  Das  Fett  habe  ich  aus- 
schließlich für  den  äußeren  Gebrauch  anwenden  sehen. 

Merkwürdig  ist  der  Chaneindianer  als  Aseptiker.  Ich  habe 
mehrmals  gesehen,  wie  sie  Wunden  nach  einer  höchst  modernen 
Methode  behandeln,  nämlich  mit  gekochtem  Wasser.  Das  ist 
etwas  anderes,  als  wenn  die  Weißen  Schweineexkremente  und 
frischen  Urin  vom  Menschen  mit  Salz  zu  demselben  Zwecke 
anwenden.  Die  Ursache,  daß  diese  Indianer  eine  so  mo- 
derne Methode  kennen,  ist  sicher  ihre  große  Reinlichkeit. 
Sie  sind  daran  gewöhnt,  sich  beständig  zu  waschen.  Daß  sie 
auf  die  Idee  gekommen  sind,  das  Wasser  zu  kochen,  kommt 
wahrscheinlich  daher,  daß  sie  makroskopische  Tiere  in  dem- 
selben haben  töten  wollen.  Zum  Verbinden  von  Wunden 
wenden  die  Chanes  zuweilen  frische  Blätter  an. 

Sollte    trotz   der  Anstrengungen    des  Medizinmannes   die 


2l8  Zwölftes  Kapitel. 

Verhexung  nicht  gehoben  werden  können  und  der  Chane- 
oder Chiriguanoindianer  sterben,  so  wird  er  oder  sie  in  einem 
großen  Tongefäß  unter  der  Hütte  begraben.  Bevor  der 
Sterbende  richtig  tot  ist  oder  gleich  nach  dem  Tode,  wird  er 
so  zusammengefaltet,  daß  die  Knie  unter  das  Kinn  kommen, 
und  die  Arme  werden  kreuzweise  über  die  Brust  gelegt.  Am 
Rio  Parapiti  hat  jahrelang  ein  Chaneindianer  gelebt,  der  auf 
diese  Weise  zusammengefaltet  worden  war,  der  aber,  bevor 
er  in  die  Graburne  gestopft  worden  war,  von  einem  weißen 
Manne  gerettet  wurde.  Der  Tote  wird  angekleidet,  mit  einer 
Wasserkalebasse  im  Knie,  in  das  Gefäß  gesetzt.  Das  Wasser 
soll  der  Tote  mithaben,  wenn  er  auf  den  Bergen  umhergeht, 
sagte  mir  der  Chanehäuptling  Vocapoy.  Das  Gefäß  wird  in 
der  Hütte  vergraben  und  als  Deckel  ein  anderes  Gefäß 
darübergestülpt. 

Bei  Tatarenda  in  der  Nähe  von  Yacuiba  verbrennt  man, 
wie  ich  gehört  habe,  nach  dem  Begräbnis  die  Hütte.  Dies  ist 
jedoch  nicht  das  Gewöhnliche.  Dagegen  pflegt  man  die  Hütte 
einige  Zeit  nach  dem  Begräbnis  zu  verlassen ,  um  später 
wieder  hinzuziehen.  So  geschah  es  z.  B.  in  einem  Chane- 
dorf am  Rio  Itiyuro,  in  welcher  ich  kurz  nach  dem  Begräb- 
nisse war. 

Die  großen  Maisbiergefäße  (Abb.  113)  werden  als  Sarg 
angewendet.  Herrscht  Mangel  an  Gefäßen,  so  begräbt  man 
oft  auf  andere  Weise.  In  einem  Chanedorf,  Coperi,  am  Rio 
Parapiti,  begrub  man  kurz  vor  meiner  Ankunft  ein  Kind  in 
einer  Haut  unter  der  Hütte. 

Auf  den  Gräbern  ihrer  toten  Verwandten  verleben  diese 
Indianer  ihr  Leben,  und  oft  ist  es  so  voll  in  der  Hütte,  daß 
ein  Nachbegräbnis  in  alten  Töpfen  notwendig  wird. 

,,Der  Christ  schleppt  seine  Toten  weit  von  seinem  Hause 
fort.  Wir  Indianer,  die  eine  größere  Liebe  für  sie  hegen, 
bewahren  sie  in  unseren  Häusern."  So  ungefähr  sprach 
Vocapoy  einmal  zu  mir,  als  das  Gespräch  auf  diese  eigentüm- 
liche Begräbnisart  kam. 

Wird  ein  Chiriguano  von  einem  Jaguar  getötet,  so  wird 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         219 

er  mit  dem  Kopf  nach  unten  begraben,  damit  er  nicht  als 
ein  solches  Tier  umgeht.  Diese  Vorstellung  vom  Jaguar,  der 
ein  Mensch  war,  ist  besonders  unter  den  Ouichuas  verbreitet, 


.j. 


Abb.  113.     Chiriguanograb.     Caipipendi. 


wo  dieses  merkwürdige  Tier,  wie  schon  erwähnt,  Uturunco 
genannt  wird  (vgl.  S.  12).  Heult  der  Fuchs  des  Nachts  nahe 
dem  Dorfe,  so  stirbt  jemand. 

Stirbt  der  Mann,  so  soll  die  Frau  das  Haar  kurz  schneiden. 


220  Zwölftes   Kapitel. 

Hat  sie  ihn  sehr  geliebt,  tut  sie  es  zweimal.  Erst  wenn  das 
Haar  wieder  lang  gewachsen  ist,  darf  sie  eine  neue  Ehe  ein- 
gehen. Stirbt  ihr  Vater  oder  ihre  Mutter,  so  schneidet  sie 
das  Haar  kurz,  stirbt  ihr  Kind,  ihr  Bruder  oder  Schwager, 
so  schneidet  sie  es  halblang.  Unter  langen  Haaren  versteht 
man,  daß  sie  bis  zur  Schulter  reichen.  Meine  Frage,  ob  auch 
die  Männer  bei  Trauer  ihr  Haar  schneiden,  wurde  mit  einem 
Gelächter  beantwortet.  Sie  begnügen  sich  damit,  eins  der 
allerlängsten  zu  verkürzen.  Die  Männer  dürfen  sich  erst  un- 
gefähr ein  Jahr  nach  dem  Tode  der  Frau  wiederverheiraten. 

Hat  die  Frau  Trauer,  so  trägt  sie  keinen  Schmuck.  Als 
ich  bei  Maringay  war,  hatte  seine  Schwiegertochter  ihr  kleines 
Kind  verloren.  Während  alle  anderen  Frauen  im  Dorfe  zahl- 
reiche Halsketten  trugen,  hatte  sie  keinen  einzigen  Schmuck- 
gegenstand.   Sie  nahm  auch  an  keinem  Feste  teil. 

Die  Indianer,  welche  die  Missionare  taufen,  sehen  es  nicht 
immer  gern,  daß  sie  ihre  Toten  auf  dem  Kirchhof  begraben 
müssen.  Sie  wollen  wenigstens,  daß  die  Toten  Wasser  mit 
ins  Grab  bekommen. 

Man  befreit  sich  nicht  so  leicht  von  alten,  ererbten  Vor- 
stellungen, um  sie  gegen  neue  einzutauschen. 


Tafel   [8.     Chanefrau  mit    Kind.     Rio  ltivun 


Dreizehntes  Kapitel. 
Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  (Forts). 

Häßliche  Worte,   Homosexualität,  Selbstmord, 
Schamgefühl  u.  a. 

In  der  Sprache  der  Weißen  gibt  es,  wie  bekannt,  eine 
Anzahl  Worte,  die  man  in  anständiger  Gesellschaft  nicht 
anwenden  darf.  Gewisse  Körperteile  dürfen  Personen  des- 
selben Geschlechts  nur  mit  lateinischen  Namen  nennen, 
während  Personen  verschiedenen  Geschlechts  in  der  Regel 
gar  nicht  miteinander  darüber  sprechen.  Ein  Wort  kann  für 
häßlich  gelten,  während  ein  anderes  Wort  für  denselben 
Gegenstand  beliebig  angewendet  werden  kann.  Der  Grund, 
warum  ein  Wort  verboten  ist,  ist  sicher  oft  schwer  zu  er- 
mitteln. 

K.  v.  d.  Steinen1)  und  Koch-Grünberg2)  haben  daraufhin- 
gewiesen, daß  auch  die  Weiber  unter  den  Indianern  am  Xingu 
und  Rio  Negro  von  den  Geschlechtsteilen  ganz  offen,  als  von 
etwas  Natürlichem  reden.  Ebenso  ist  es  bei  den  Indianern, 
die  ich  kennen  gelernt  habe.  Als  ich  nach  Worten  fragte, 
welche  die  allerintimsten  Dinge  berührten,  gaben  auch  die 
Weiber,  ja  die  jungen  Mädchen,  auf  die  allernatürlichste 
Weise  Auskunft  darüber. 

Es  gibt  indessen  Worte,  die  verboten  sind.  Solche  Worte 
sind  bei  den  Chorotis  „ametche",  das  ein  Schimpfwort  ist, 
,,ictivähi",  das  homosexuellen  Geschlechtsverkehr  bezeichnet, 
,,huele",  das  Onanie  bedeutet,   und   ,,tevi"   bei  den  Chanes 


1)  K.  v.  d.   Steinen:  1.  c.   S.  25. 

2)  Koch-Grünberg:  1.  c.  Bd.  I  S.  133. 


222  Dreizehntes  Kapitel. 

und  Chiriguanos,  das  dieselbe  Bedeutung  wie  ictivähi  hat. 
Das  Unnatürliche  im  Geschlechtsleben  ist  auch  hier  so  schänd- 
lich, daß  es  sich  nicht  paßt,  darüber  zu  sprechen. 

Es  gibt  auch  Indianer,  die  niemals  über  solche  Gegenstände 
sprechen  wollen.  So  beschaffen  war  z.  B.  ein  Chiriguano, 
den  ich  auf  meinem  ersten  Ausflug  den  Rio  Parapiti  herunter 
mithatte.  Er  stellte  sich  sogar  so,  als  hätte  er  niemals  von 
etwas  Derartigem  reden  hören.  Als  ich  ihn  über  die  Homo- 
sexualität bei  seinen  Landsleuten  befragte,  stellte  er  sich 
dumm  und  sagte  ungefähr:  „Pflegen  das  die  Weißen  zu 
tun?" 

Unter  den  Indianern  gibt  es  gleichwohl,  wie  auch  bei  uns, 
solche,  denen  es  Spaß  macht,  obszöne  Geschichten  zu  er- 
zählen. Ein  solcher  war  der  alte  Chane  Böyra,  er,  der  den 
Schimpfnamen  yüruhuasu,  Großmaul,  hatte.  Je  schlimmere 
Sachen  er  erzählte,  um  so  mehr  amüsierte  sich  der  alte  Böyra. 
Zuweilen  erzählte  er  so,  daß  sogar  mein  Freund  Batirayu, 
der  zu  dolmetschen  pflegte,  sich  richtig  genierte.  Der  alte 
Chiriguano  Yambäsi  war  auch  einer,  der  alle  möglichen  Un- 
anständigkeiten zu  erzählen  wußte. 

Böyra  erzählte,  wie  der  Fuchsgott,  Aguaratunpa,  und  die 
Iguanaeidechse,  Teyuhuasu,  in  einem  homosexuellen  Ver- 
hältnis zueinander  standen.  Boyras  Erzählung  war  so  außer- 
ordentlich realistisch,  daß  ich  sie  hier  unmöglich  wiedergeben 
kann.  Er  erzählte  auch,  wie  der  Fuchs  sich  mit  einem  Wald- 
huhn1) „Kese-Kese"  verheiratete,  das  auch  ein  Mann  war. 

Aguara  (der  Fuchs)  kam  einmal  zur  Hütte  des  Waldhuhns. 

,,Wie  geht  es  dir,  Bruder?"  sagte  der  Fuchs. 

,,Gut,  komm,  setz'  dich,  Bruder",  sagte  das  Waldhuhn. 

Der  Fuchs  setzte  sich.  Das  Waldhuhn  hatte  viele  Erd- 
ratten „angüyatüto"  aufgehängt,  die  es  getötet  hatte. 

„Willst  du  Erdratten  essen?"  sagte  das  Waldhuhn. 

„Ja",  sagt  der  Fuchs  und  aß  eine.  Er  verlangte  dann 
noch  eine  und  noch  eine  usw. 

*)   Penelope. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         223 

Schließlich  bat  er  darum,  zwei  für  seine  Kinder  mitnehmen 
zu  dürfen.  Das  Waldhuhn  gab  sie  ihm.  Der  Fuchs,  der 
keine  Kinder  hatte,  fraß  auch  diese  auf. 

,,Hast  du  eine  Frau?"  sagte  der  Fuchs. 

„Nein,  ich  wohne  hier  mit  meiner  Schwester,"  sagte  das 
Waldhuhn. 

Der  Fuchs  ging  hierauf  fort.  Als  er  zu  einer  Pflanze 
,,supua"  gekommen  war,  hing  er  seinen  Penis  auf,  nahm  eine 
Frucht  herunter  und  setzte  sie  an  die  Stelle,  wo  der  Penis 
gesessen  hatte.  Die  Supua  sieht  nämlich  wie  eine  Vulva  aus. 
Der  Fuchs  nahm  dann  die  Tembeta  heraus  und  verstopfte 
das  Loch.  Er  kam  dann  an  ein  Haus,  wo  einige  Frauen 
wohnten. 

„Wollt  Ihr  Tiru  (Frauentracht),  Halskette  und  Haarband 
mit  mir  gegen  ein  Pferd  tauschen?"  sagte  der  Fuchs. 

„W7o  hast  du  dein  Pferd?"  sagten  die  Frauen. 

„Mit  dem  komme  ich  morgen",  sagte  der  Fuchs.  Er  bekam 
nun  Tiru,  Halskette  und  Haarband,  legte  alles  dies  an  und 
begab  sich  auf  einem  anderen  Wege  nach  dem  Hause  des 
Waldhuhns.  Als  er  dorthin  kam,  war  niemand  zu  Hause. 
Er  legte  sich  da  in  die  Hängematte.  Nach  einer  Weile  kam 
das  Waldhuhn  nach  Hause. 

„Woher  kommst  du?"  sagte  das  WTaldhuhn. 

„Von  meinem  Vater",  antwortete  der  Fuchs.  Der  Fuchs 
kochte  nun  zwei  Erdratten  und  aß  sie  auf.  Dann  kochte  er 
noch  zwei  und  aß  auch  diese  auf.  Hierauf  kochte  er  noch 
zwei  und  aß  sie  auf. 

Am  Abend  fragte  der  Fuchs  die  Schwester  des  Waldhuhns : 
„Wo  willst  du  liegen?"    „Hier",  sagte  sie. 

„Dann  lege  ich  mich  neben  dich",  sagte  der  Fuchs.  Ein 
bißchen  davon  legte  sich  das  Waldhuhn.  Als  die  Schwester 
eingeschlafen  war,  streckte  der  Fuchs  die  Hand  aus  und 
faßte  das  Waldhuhn  an.  Dieses  kam  und  legte  sich  neben 
den  Fuchs. 

„Bist  du  verheiratet?"  sagte  das  Waldhuhn. 


224  Dreizehntes  Kapitel. 

„Nein,  meine  Mama  hat  mich  nicht  verheiraten  wollen", 
antwortete  der  Fuchs  .  .  -1) 

Der  Fuchs  schlief  nun  zwei  Nächte  bei  dem  Waldhuhn 
und  wurde  schwanger.    Nach  einiger  Zeit  gebar  der  Fuchs. 

Eines  Tages  kamen  einige  Vögel  dort  vorbei.  „Gib  mir 
Bogen  und  Pfeil,  ich  will  schießen",  sagte  der  Fuchs.  „Du 
kannst  wohl  nicht  schießen,  du  bist  ja  kein  Mann",  sagte 
das  Waldhuhn. 

„Ich  bin  ein  Mann",  sagte  der  Fuchs,  nahm  Pfeil  und 
Bogen  und  ging  fort.  Als  er  zur  „Supua"  kam,  nahm  er 
seinen  Penis  herunter  und  setzte  ihn  sich  wieder  an. 

Man  erzählte  mir  von  einem  Chaneindianer  von  Yacundai  am 
Rio  Parapiti,  der  sich  in  fremden  Dörfern  als  Schmarotzer  herum- 
zutreiben pflegte.  Die  Indianer  wurden  zuletzt  seiner  über, 
und  als  er  einmal  vollständig  betrunken  war,  schändeten  ihn 
einige  Chiriguanoindianer  im  Caipipendital.  Er  begab  sich  nach 
diesem  Schimpf  nach  dem  unteren  Rio  Parapiti.  Als  die  Kennt- 
nis von  dem,  was  ihm  in  Caipipendi  passiert  war,  dorthin  ge- 
drungen war,  hängte  er  sich  in  Verzweiflung  über  diese  Schande. 

Eigentümlicherweise  wird  es  unter  diesen  Indianern  nicht 
als  eine  Schande  betrachtet,  in  einem  homosexuellen  Ver- 
hältnis der  Aktive  zu  sein,  der  Passive  wird  aber  tief  ver- 
achtet. Er  wird  als  ein  Weib  betrachtet.  Dies  ist  der  Grund, 
warum  ein  Teil  rücksichtslose  W'eiße  unverbesserliche  Indianer 
mit  —  einem  Klistier  bestrafen.  Ein  so  gekränkter  Indianer 
verschwindet  für  immer.  Man  nimmt  an,  daß  er  Selbstmord 
begeht.  Mittels  „tevi"  bestraft  ein  Indianer  seine  ungetreue 
Frau  und  verläßt  sie  dann.  Chaneknaben  habe  ich  „tevi" 
spielen  sehen. 

Nach  Westermarck2)  ist  die  Homosexualität  sehr  verbreitet 
unter  den  Indianern  Amerikas.  Die  Auffassung,  daß  dies 
eine  Schändlichkeit  ist,  ist  keineswegs  überall  so  ausgeprägt, 
wie  bei  den  hier  erwähnten  Indianern. 


*)   Als  allzu  realistisch  ausgelassen. 

2)   Westermarck:   Ursprung  und  Entwickelung  der  Moralbegriffe. 
Bd.  II.     Leipzig  1909. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         225 

Über  Onanie  habe  ich  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos 
nichts  gehört.  Sie  soll  dagegen  bei  den  Chorotis  von  den 
Männern,  die  beim  Tanz  von  den  Frauen  übergangen  werden, 
betrieben  werden. 

Perversitäten  im  Verhältnis  zwischen  Männern  und  Frauen, 
die  im  alten  Peru  gewöhnlich  waren,  scheinen  hier  nicht 
vorzukommen.  Primitive  Säugetierstellung  beim  Koitus  soll 
bei  den  Chacostämmen  gewöhnlich  sein. 

Mataco  gab  mir  eine  Wurzel,  die  sie  als  Aphrodisiakum 
anwendeten. 

Das  Verhältnis  zwischen  Menschen  und  Tieren  ist  in  den 
Sagen  der  Indianer  so  intim  verflochten,  daß  man  nicht 
immer  bestimmen  kann ,  ob  sie  das  eine  oder  das  andere 
meinen.  Die  Sagen,  welche  die  Liebesverhältnisse  zwischen 
Menschen  und  Tieren  schildern,  sind  keine  Schilderungen  von 
Bestialität,  die  bei  diesen  Indianern  unbekannt  zu  sein 
scheint. 

Das  Schamgefühl  ist  bei  diesen  Völkern  sehr  verschieden 
entwickelt.  Es  scheint  mir  sehr  stark  von  der  Kleidertracht 
abzuhängen.  Keiner  dieser  Indianer  oder  Indianerinnen,  von 
denen  ich  hier  erzähle,  betrachtet  es,  soweit  sie  nicht  voll- 
ständig verdorben  oder  zivilisiert  sind,  als  unpassend,  den 
Oberkörper  zu  zeigen.  Die  Chiriguano-  und  Chanefrauen  sind 
viel  verschämter  als  die  Chorotis  und  Ashluslays,  wenn  sie 
die  Geschlechtsteile  zeigen.  Die  letzteren  wollten  sich  höchst 
ungern  vollständig  entkleiden,  um  photographiert  zu  werden. 
Den  ersteren  wagte  ich  so  etwas  nicht  einmal  vorzuschlagen. 

Saß  man  des  Abends  am  Feuer  in  der  Hütte  und  war  mit 
der  Familie  bekannt,  so  schienen  sie  gleichwohl  ganz  unge- 
niert zu  sein.  Die  Choroti-  und  Ashluslaymänner  sind  sehr 
schamlos.  Die  Männer  unter  den  Chanes  und  Chiriguanos 
dagegen  weniger.  Es  ist  sehr  gewöhnlich,  daß  die  Chiriguano- 
und  Chanefrauen,  in  einer  Gesellschaft  konversierend,  stehend 
Wasser  lassen  und  den  Urin  das  Bein  herunterlaufen  lassen, 
was  ja  als  weniger  sauber  gelten  darf.  Die  Männer  gehen 
dagegen  immer  abseits,  um  dieses  Bedürfnis  zu  verrichten. 

Nordenskiöld,   Indianerleben.  15 


226 


Dreizehntes  Kapitel. 


Der  Geschlechtsakt  geht,  wie  erwähnt,  bei  den  Ashluslays 
oft  in  Gegenwart  von  Zuschauern  vor  sich.    Bei  den  Choroti- 


Abb.  114.     Junge  Chanefrau  entblößt  den  Oberkörper,  um  sich 
photographieren  zu  lassen.     Rio  Parapiti. 


tanzen  mußte  man  sich  in  der  Dunkelheit  vorsehen,  nicht 
über  die  liebenden  Paare  zu  stolpern.  Dergleichen  sieht  man 
niemals  bei  den  Chiriguanos  oder  Chanes.    Da  viele  in  der- 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.        227 

selben  Hütte  liegen,  sieht  man  gleichwohl  auch  bei  ihnen 
vieles,  was  man  immer  sieht,  wenn  man  Schlafgäste  hat. 
Dies  nicht  zum  wenigsten  ist  der  Grund,  daß  das  Geschlechts- 
leben selbst  für  die  kleinen  Kinder  keine  Geheimnisse  hat. 

Offenbar  steigert  das  Zusammenleben  mit  den  Weißen  das 
Schamgefühl.  Die  Indianerinnen  genieren  sich  sogar,  die  Brust 
zu  zeigen.  Die  Moral  sinkt  in  dem  Maße,  wie  das  Scham- 
gefühl steigt. 

Dies  sollten  alle  diejenigen  bedenken,  die  für  nackte 
Heidenkinder  Kleider  nähen. 

Viele  meiner  Leser  finden  vielleicht,  daß  dieses  Kapitel 
nicht  in  meinem  Buche  hätte  enthalten  sein  sollen.  Es  scheint 
mir  gleichwohl  richtig,  etwas  über  die  Abweichungen  auf  dem 
geschlechtlichen  Gebiete  zu  sprechen.  Es  trägt  zum  Ver- 
ständnis der  Menschen,  die  ich  hier  schildere,  bei.  Natürlich 
habe  ich  hier  nicht  über  all  den  Realismus,  der  bei  den  Ge- 
sprächen am  Lagerfeuer  manchmal  zutage  trat,  sprechen 
können.1) 

Die  natürliche  Seite  des  Geschlechtslebens  fassen  die  In- 
dianer so  ganz  verschieden  von  dem,  wie  wir  es  in  der  Regel 
sehen,  auf.  All  die  Verderbnis,  die  in  der  zivilisierten  Gesell- 
schaft ist,  treffen  wir  bei  diesen  Menschen  nicht,  verschiedenes 
findet  sich  aber  schon  hier.  Was  besonders  die  Homo- 
sexualität betrifft,  so  zeigen,  wie  bekannt,  die  Verhältnisse 
bei  den  Naturvölkern,  daß  die  Ursache  des  Übels  viel  tiefer, 
als  in  unserer  Hyperzivilisation  liegt. 


x)  Wenn  unsere  täglichen  Zeitungen,  die  wohl  für  die  Öffentlich- 
keit bestimmt  sind,  über  alles  mögliche  schreiben,  so  braucht  man 
ja  in  einer  Reiseschilderung  nicht  allzu  prüde  zu  sein. 


I5< 


Vierzehntes  Kapitel. 
Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  (Forts). 

Häuptlinge  und  Gesetze. 

Die  Häuptlinge  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos  haben 
eine  ganz  andere  Stellung  als  bei  den  Ashluslays  und  Chorotis. 
Sie  haben  eine  bedeutende  Macht.  Unter  den  Häuptlingen 
finden  sich  die  großen  Häuptlinge,  die  über  mehrere  Dörfer 
herrschen,  und  die  Dorfhäuptlinge,  die  nur  über  ein  Dorf 
oder  einen  Teil  eines  solchen  gebieten.  Von  großen  Häupt- 
lingen, die  ich  kennen  gelernt  habe,  sind  bemerkenswert  die 
alte  Vuäyruyi,  die  Häuptling  über  die  Chanedörfer  am  Rio 
Itiyuro  ist,  Taruiri,  der  über  den  größeren  Teil  des  Caipipendi- 
tales  herrscht,  Mandepora  (Abb.  in),  der  früher  eine  be- 
deutende Macht  in  und  um  Machareti  hatte,  und  Maringay 
im  Iguembetal. 

Jetzt  haben  die  Häuptlinge  keine  anderen  Zeichen  ihrer 
Würde,  als  silberbeschlagene  Stöcke.  Nach  Corrado  trugen 
sie  früher  einen  großen  Haarbüschel  auf  dem  Kopfe,  „yattira", 
sowie  grüne  Steine,  die  an  den  Ohren  hingen.  Bei  den  Festen 
und  Tänzen  hatten  sie  das  Recht,  die  ,,yandugua",  eine  mit 
einem  Bündel  Straußenfedern  geschmückte  Stange,  und  ,,igui- 
rape",  einen  mit  eigentümlichen  Figuren  geschnitzten  Stab, 
anzuwenden .  Von  diesen  habe  ich  nur  eine  Yandugua  erwerben 
können.    Die  übrigen  habe  ich  nicht  einmal  gesehen. 

Die  Häuptlingswürde  scheint  in  der  Regel  erblich  zu  sein. 
Doch  sind  Tüchtigkeit  und  die  Kunst,  seine  Worte  wohl 
zu  setzen,  erforderlich. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         229 

Vocapoy  hat  mir  seinen  Stammbaum  mitgeteilt,  den  ich 
hier  wiedergebe,  da  er  sehr  lehrreich  ist,  und  ich  zu  glauben 
wage,  daß  es  den  Leser  interessieren  kann,  einen  indianischen 
Stammbaum  zu  studieren. 

Vocapoys  Stammbaum, 
x. 


Hinu   Parava  Basavi 

Oberhäuptling 

Chucüri  Tupäre 

Dorfhäuptling   Dorfhäuptling 

Chori         Chäpacu  Hüracay  Huäyupa  Kötchoy       Vuäyruyi  (Frau) 

t   jung  t   jung  t  t  Oberhäuptling  t  Ober-  Oberhäuptling 

kinderlos  häuptling 
ein  Sohn,  starb  Copoy,  wird  nach 

vor  dem  Vater  Vocapoy  Häuptling 

Vocapoy         Huacäpi         Mätya         Yaumainti 
Regent  infolge  des  hohen 
Alters  Vuäyruyis 

Vuräve 

Wir  finden  somit,  daß  der  eigentliche  Häuptling  am  Rio 
Itiyuro  eine  Frau  ist.  Ich  habe  die  alte  Vuäyruyi  besucht. 
Sie  empfing  mich,  in  ihrer  Hängematte  liegend,  mit  großer 
Würde.  Da  die  Frau  alt  und  schwach  ist,  regiert  Vocapoy 
und  sucht,  so  gut  wie  er  kann,  die  Seinen  gegen  die  Weißen 
zu  schützen,  die  ihr  Land  vollständig  in  Beschlag  genommen 
haben.  Ich  fragte  Vocapoy,  warum  Vuäyruyi,  als  Frau 
Häuptling  geworden  ist.  ,,Ihr  Vater  Hinu  Parawa  hat  sie 
sprechen  gelehrt",  sagte  Vocapoy.  Es  wird  somit  von  diesen 
Indianern,  um  regieren  zu  können,  als  höchst  wichtig  be- 
trachtet, die  Sprache  in  seiner  Gewalt  zu  haben.  Diese  Men- 
schen können  die  Klugheit  höher  schätzen,  als  die  Stärke. 
Niemand  wird  Häuptling,  wenn  er  nicht  ein  älterer  Mann  ist. 
Der  Mann  der  Vuäyruyi  war  nicht  Häuptling,  sondern  nur 
„Prinzgemahl".  Die  Dorfhäuptlinge  gehören  ebenfalls  dem 
Geschlechte  Hinu  Paravas  an. 

Taruiri  ist  auch  nicht  der  richtige  Häuptling,  sondern 
vertritt  einen  jüngeren  Verwandten,  der  infolge  seiner  be- 


230  Vierzehntes   Kapitel. 

ständigen  Betrunkenheit  als  untauglich  betrachtet  wird. 
Taruiri  herrscht  im  Caipipendital,  wo  sein  Gebiet  noch  frei 
ist,  von  den  Weißen  aber  wohl  bald  usurpiert  werden  wird. 
In  Ivu  ist  ein  Chiriguanohäuptling,  der  auch  Medizinmann 
ist.  Dies  ist  das  einzige  Beispiel  von  Theokratie,  das  ich 
kennen  gelernt  habe. 

Die  Häuptlingsfamilien  bilden  unter  den  Chiriguanos  und 
Chanes  eine  Art  Aristokratie.  Mehrmals  habe  ich  Indianer 
sich  mit  ihren  feinen  Familien  Verbindungen  großtun  hören. 
Ein  Chiriguano,  der  mich  eine  längere  Zeit  als  Dolmetscher 
begleitete,  war  eifrigst  bemüht,  mir  einzuprägen,  daß  er  mit 
den  bekanntesten  Oberhäuptlingen  verwandt  war. 

Wie  der  Verfasser  dieses  Buches  als  Sohn  von  Adolf 
Nordenskiöld  vorgestellt  zu  werden  pflegt,  so  pflegten  die 
Indianer  in  ähnlicher  Weise  die  Söhne  ihrer  „großen  Männer" 
vorzustellen. 

Ich  bin  sogar  hinter  ein  bißchen  Betrügerei  mit  dem 
Stammbaum  gekommen.  Ein  Chane  behauptete,  direkt  von 
dem  großen  Hinu  Parava  herzustammen,  was  aber  nicht 
wahr  sein  soll. 

Will  man  bei  diesen  Indianern  hübsche  Sachen  aus  alten 
Zeiten  finden,  so  hat  man  sie  zuerst  bei  den  Häuptlings- 
familien zu  suchen.    Sie  bewahren  die  alten  Kleinodien. 

Immer  mehr  beginnen  die  weißen  Behörden  die  Häupt- 
linge zu  ernennen.  Man  kann  also  in  einer  Gegend  einen 
von  den  Weißen  gestützten  Häuptling  und  einen  legitimen 
finden. 

Die  Häuptlinge  haben  eine  große  Macht,  und  man  ge- 
horcht ihnen,  im  Gegensatz  zu  dem,  was  bei  den  Chorotis 
und  Ashluslays  der  Fall  war,  soweit  ich  gesehen  habe,  immer. 
Sie  besitzen  den  Boden  (wenigstens  in  gewissen  Gegenden), 
aber  nicht  für  eigene  Rechnung,  sondern  für  den  Stamm. 
Braucht  man  in  einem  Chane-  oder  Chiriguanodorf  Träger, 
so  erhält  man  sie  von  dem  Häuptling,  und  kein  Indianer 
weigert  sich,  die  Befehle  des  Häuptlings  auszuführen. 

Obschon    der    Häuptling    einen    so    großen    Einfluß    hat, 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         23 1 

arbeitet  er  doch  in  derselben  Weise,  wie  die  übrigen  Indianer. 
Vocapoy  z.  B.  trug  selbst  das  schwere  Holz  zum  Maisbier- 
kochen nach  Hause,  und  seine  Frau  mußte  kochen  und  fegen, 
wie  die  anderen  Frauen.  Dem  Beispiele  der  Weißen  folgend, 
haben  jedoch  jetzt  einige  der  zivilisiertesten  und  reichsten 
Indianer,  wie  Taco,  Diener  aus  ihrem  eigenen  Stamme, 
aber  dies  ist  nicht  das  Ursprüngliche.  Dagegen  ist  es,  wie 
ich  an  anderer  Stelle  schon  erwähnt  habe,  nichts  Ungewöhn- 
liches, daß  die  Mataco-Vejos  und  die  Tapiete  für  die  Chiri- 
guanos  und  Chanes  arbeiten. 

Als  wir  im  Dorfe  Vocapoys  von  der  Jagd  heimkehrten 
und  mit  dem  Häuptling  unsere  ^^^^^ 

Beute  teilten,  nahm  seine  Frau 
alles  an,  ging  aber  dann  in  den 
Häusern  herum  und  gab  den 
Nachbarn  alles,  was  sie  erhal- 
ten hatte. 

Man  kann  hier  nicht  von 
reich  und  arm  in  demselben 
Dorfe  sprechen,  obschon  auch  Abb  K  ,  , 

der   Anfang   zu   einem   Adels-        chiriguano.     Itapenbia.     76. 
stand  vorhanden  ist.    Dagegen 

gibt  es  arme  und  reiche  Dörfer.  Einzelne  verhältnismäßig 
reiche  Indianer  gibt  es,  diese  leben  aber,  wie  Taco,  wie  die 
Weißen. 

Der  Häuptling  ist  Richter  und  war  früher  Heerführer. 

Vocapoy  sagte  mir,  Totschlag  werde  in  der  Weise  bestraft, 
daß  der  Totschläger  dazu  verurteilt  wird,  bis  zu  einem  halben 
Jahre  für  die  Familie  des  Getöteten  zu  arbeiten.  Ein  Dieb 
bekommt  bis  zu  fünfzig  Rutenschläge  und  wird,  um  nicht 
getötet  zu  werden,  nach  einem  anderen  Dorf  geschickt.  Nach 
Vocapoy  ist  es  die  Hauptaufgabe  des  Häuptlings,  Blutrache 
zu  verhindern,  indem  man  die  Verbrecher  fortschickt,  damit 
sie  nicht  gemordet  werden.  Vater-,  Mutter-  und  Kindesmord 
sind,  seiner  Behauptung  nach,  in  seiner  Gegend  unbekannt. 

Nach  Batiravu,  dessen  Angaben  zuverlässiger  als  die  Voca- 


232  Vierzehntes  Kapitel. 

poys  sind,  beschäftigt  sich  der  Oberhäuptling  der  Chanes 
am  Rio  Parapiti  mit  keinen  anderen  Verbrechen,  als  mit 
Mord,  Verführung  einer  anderen  Frau  und  Verhexung.  Mord 
mit  vergiftetem  Chicha,  ,,bäd-dyäsi",  kam  früher  bei  den 
Chanes  vor.  Mörder  und  Verhexer  wurden  verbrannt.  Der 
Verführer  einer  Frau  wurde  aller  seiner  Habe  beraubt.  Im 
übrigen  wurden  Diebstahl  und  andere  Verbrechen  durch  Duell 
geschlichtet.  Hatte  jemand  gestohlen,  so  riefen  der  Gekränkte 
und  der  Dieb  ihre  Verwandten  herbei,  und  man  kämpfte  auf 
dem  offenen  Platz  im  Dorfe. 

Die  Behörden  der  Weißen  greifen  jetzt  immer  mehr  in 
die  Rechtsverhältnisse  der  Indianer  ein. 

Im  Krieg  mit  anderen  Stämmen  führte  der  Häuptling 
den  Befehl,  wie  sie  es  auch  bei  den  Empörungen  der  Indianer 
gegen  die  Weißen  getan  haben. 

Nach  Vocapoy  besitzt  der  Häuptling  den  Boden  für  den 
Stamm.  Batirayu  sagte,  das  Recht  an  dem  Grundbesitz  werde 
so  geordnet,  daß  jeder  anbaut,  was  er  will.  Schon  bebauter 
Boden  hat  seinen  Besitzer,  wenn  er  auch  jahrelang  brach- 
gelegen hat.    So  wird  auch  Brachland  vererbt. 

Die  Erbschaften  werden  im  übrigen  dadurch  bedeutend 
eingeschränkt,  daß  der  Tote  einen  Teil  seiner  Kostbarkeiten 
mit  in  das  Grab  nimmt. 

Wie  bei  den  Ashluslays  und  Chorotis,  ist  auch  hier  das 
Besitzrecht  gut  ausgebildet,  und  die  Frauen  besitzen  auch 
das,  was  sie  anwenden  und  herstellen.  Wie  bei  den  genannten 
Stämmen,  ist  auch  hier  die  Mildtätigkeit  sehr  groß,  wenn 
sie  auch  dank  unserer  „Zivilisation"  und  der  Mission  weniger 
ausgeprägt  ist. 

Das  Chiriguanogemeimve>en  -  das  ursprüngliche  Chane- 
gemeinwesen kennen  wir  nicht  —  hat  eine  viel  festere  Organi- 
sation gehabt  als  das  Gemeinwesen  bei  den  Chorotis  und 
Ashluslays.  Die  Chiriguanos  waren  ein  Eroberungsvolk,  das 
wahrscheinlich  die  Chanes  unterjocht  und  mutig  und  erfolg- 
reich gegen  die  Inkas  gekämpft  sowie  lange  der  Invasion 
der  Weißen   Widerstand  geleistet   hat.     Hätte  es  statt  der 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         233 

vielen  Häuptlinge  nur  einen  einzigen  gegeben,  so  hätte  die  Er- 
oberung des  Chiriguanolandes  ganz  sicher  das  Leben  doppelt 
so  vieler  Weißen  gekostet,  als  jetzt.  Leider  haben  in  den 
Kämpfen  der  Weißen  gegen  die  Indianer  beinahe  stets  einige 
Häuptlinge  auf  der  Seite  der  Feinde  gegen  ihren  eigenen 
Stamm  gekämpft.  Bei  dem  letzten,  durch  den  Kampf  bei 
Curuyuqui  entschiedenen  Aufruhr  hatten  die  Weißen  eine 
Hilfstruppe  von  ein  paar  tausend  Indianern,  mit  denen  sie 
zusammen  deren  Stammfreunde  bekämpften. 

Wie  sich  alles  im  Leben  der  Indianer  verändert,  wenn  die 
Weißen  ihr  Land  erobert  haben,  so  verwandeln  sich  auch  die 
sozialen  Verhältnisse.  Wenn  Vocapoy,  Maringay,  Mandepora 
und  einige  andere  in  den  Tongefäßen  unter  den  Hütten  liegen, 
dann  ist  das  Ende  herbeigekommen,  dann  haben  die  Indianer 
keine  anderen  Gesetze  als  die  der  Weißen,  keine  anderen 
Behörden,  als  deren  Vögte.  Die  Chanes  am  Rio  Parapiti 
haben,  wie  erwähnt,  keinen  Oberhäuptling  mehr.  Batirayu 
ist  diese  Würde  angeboten  worden,  er  will  aber  nicht  der 
Knecht  der  Weißen  sein,  dazu  ist  er  zu  stolz.  „Es  ist  nicht 
wie  in  alten  Zeiten",  sagte  Batirayu  zu  dem  wunderlichen 
Weißen,  der  das  Vertrauen  und  das  Verständnis  der  Indianer 
suchte. 


Fünfzehntes  Kapitel. 
Trinkgelage  bei  den  Chanel  und  Chiriguanos. 

Erzählt  ein  Chane  oder  Chiriguano  eine  Sage,  so  beginnt 
er  sie  oft  so:  „Vor  langer  Zeit  war  einmal  ein  großes  Trink- 
gelage." Berichtet  er  von  etwas,  was  passiert  ist,  von  der 
Krankheit  eines  Verwandten  oder  dergleichen,  so  sagt  er:  ,,Es 
war  vor  oder  nach  dem  Fest."  Bei  diesen  Festen  hört  und 
sieht  man  auch  das  meiste,  was  von  der  alten  Kultur  dieser 
Indianer  übriggeblieben  ist.  Da  kommen  die  schönsten  Ton- 
gefäße zum  Vorschein,  da  sieht  man  Trachten  aus  früheren 
Zeiten,  da  werden  die  Steinschmucksachen  aus  den  Schatz- 
töpfen hervorgeholt. 

Eine  Hausmutter  bei  uns  ist  stolz,  wenn  sie  ihren  Gästen 
schöne  Tischtücher  und  schönes  Porzellan  zeigen  kann.  So 
denken  auch  die  Chane-  und  Chiriguanofrauen.  Beim  Feste 
will  jede  Frau,  daß  das  Maisbier  in  ihrem  Hause  in  schöneren 
Tongefäßen  als  denen  der  Nachbarinnen  aufgetragen  und  in 
Kalebassen  serviert  wird,  die  eleganter  geschmückt  sind,  als 
bei  einem  anderen. 

Deshalb  beschäftigen  die  Frauen  sich  vor  jedem  Feste  mit 
der  Herstellung  von  Tongefäßen  und  die  Männer  mit  der 
Verzierung  der  Kalebassen.  In  den  Chane-  und  Chiriguano- 
dörfern  sieht  man  auch  prächtige  Sammlungen  von  Ton- 
gefäßen. Besonders  einige  Frauen  verstehen  es,  diese  mit 
ausgezeichneter  Geschicklichkeit  und  Eleganz  zu  malen.  Man 
sieht  beinahe  niemals  drei  Krüge,  die  sich  vollständig  gleichen. 
Jede  sucht  bei  dem  Feste  mit  etwas  Originellem  aufzutreten, 
etwas  Neues  und  Hübsches  zu  malen.    Was  die  lineare  Orna- 


Trinkgelage  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos. 


235 


mentik  betrifft,  so  versteht  man  es,  die  alten  Ornamente  zu 
variieren,  man  versteht  es  aber  nicht,  oder  will  sich  nicht 
von    ihnen    frei    machen    und    neue    Bahnen    brechen.     Die 


Abb.  116.    Chanemädchen  stoßen  Mais  in  einem  Mörser.    Rio  Parapiti. 


Indianerin  ist  in  ihrer  Kunst  konservativ  und  vermag  sich 
nur,  wenn  sie  ihre  Motive  direkt  aus  der  Natur  nimmt  und 
Tiere  malt,  von  den  Vorbildern  aus  der  Zeit  der  Mutter  oder 


236  Fünfzehntes  Kapitel. 

Großmutter  freizumachen.  Keineswegs  alle  Frauen  in  den 
Dörfern  sind  Künstlerinnen.  Es  gibt  solche,  denen  die  Natur 
die  Gabe  der  Kunst  verliehen  hat,  und  richtige  Pfuscher. 
Wer  kann  Tongefäße  so  malen,  wie  die  eine  Frau  des  Chiri- 
guanohäuptlings  Maringay?  Sie  sind  weitberühmt  in  den 
Tälern,  und  jeder  versucht,  ihre  Werke  durch  Tausch  zu 
erwerben.  Nicht  zum  wenigsten  ich  habe  ihre  sichere  und 
geschmackvolle  Kunst  bewundert.  Die  Frau  des  Chanehäupt- 
lings Vocapoy  (Taf.  19)  ist  auch  kein  Stümper. 

Wo  die  Indianer  reich  sind,  d.  h.  große  Maisernten  haben, 
da  ist  die  Keramik  schön.  Wo  man  arm  und  der  Kampf  ums 
Dasein  hart  ist,  da  hat  man  nicht  viel  Zeit  zu  künstlerischer 
Arbeit.  Wenn  die  Kunst  im  Indianerheim  gedeihen  soll,  muß 
Freude  und  Munterkeit  herrschen. 

Die  jüngere  Generation  wird,  fürchte  ich,  deutsches  Por- 
zellan und  Emailgefäße  vorziehen,  und  damit  wird  auch  die 
Chiriguano-  und  Chanekunst  zu  dem  vielen  Schönen  und 
Feinen  gehören,  das  vor  der  brutalen  Zivilisation  des  weißen 
Mannes  verschwindet.  In  vielen  Dörfern  muß  man  schon  in 
den  Winkeln  der  Hütten  herumkramen,  wenn  man  mit 
sicherer  Hand  und  natürlichem  Geschmack  gemalte  Gefäße 
finden  will.  Das  Schlimmste  ist  jedoch,  daß  die  Weißen 
Gefallen  an  den  Tongefäßen  der  Indianer  zu  finden  beginnen. 
Dadurch  entsteht  Massenherstellung.  Für  die  Weißen  ist  alles 
gut  genug,  da  braucht  es  weder  schön  noch  gut  gearbeitet  zu 
sein.  Sie  wünschen  nicht  das  Geschmackvolle  und  Einfache, 
sondern  das  Grelle  und  Merkwürdige,  ,,curiosidades",  wie  der 
Kreole  sagt.  Vor  diesem  Merkwürdigen  müssen  sich  unsere 
Museen  hüten,  denn  das  gibt  eine  unrichtige  Vorstellung  von 
dem  rein  Indianischen. 

Die  Frauen  brauen  das  Bier  zum  Feste.  Dieses  soll  aus 
Mais  (am  liebsten  gelbem  oder  weißem)  sein,  und  nur  die 
armen  Chanes  am  Rio  Parapiti  müssen  sich  oft  mit  Bier  aus 
süßen  Kartoffeln  begnügen.  Ist  Algarrobo  vorhanden,  so 
wird  auch  aus  dieser  Frucht  Bier  gebraut.  „Es  ist  gut  und 
berauscht  so  schön",  sagen  die  Indianer. 


Trinkgelage  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos. 


237 


Ist  die  Maisernte  reich,  so  herrscht  Freude  in  den  Dörfern, 
dann  ist  Speise  und  Trank  in  jeder  Hütte.  Mißrät  die  Mais- 
ernte, dann  ist  keine  Freude,  die  Magen  sind  leer  und  auf 
dem  Festplatz  ist  es  still.  Sind  die  Scheunen  voll  Mais,  dann 
ist  der  Indianer  stolz  und  kümmert  sich  nicht  um  Weiße, 
Unterdrückung  und  Sorgen.  Ist  die  Scheune  leer,  dann  ist 
er  untergeben  und  düster. 

Nachdem  die  Frauen  den  Mais  aus  den  Scheunen  geholt 
und  die  Männer  Holz  und  die  Frauen  Wasser  herbeigeschleppt 


Abb.  117.     Kochen  des  Maisbieres.     Chane.     Rio  Itivuro. 

haben,  beginnt  das  Brauen.  Erst  wird  der  Mais  in  großen 
Mörsern  gestoßen.  Nacht  und  Tag  hört  man,  wie  die  fleißigen 
Frauen  stoßen.  Der  gestoßene  Mais  wird  gesiebt  und  dann 
in  gewaltigen  Tongefäßen  mit  Wasser  gemischt  und  gekocht. 
Hierauf  wird  ein  Teil  herausgenommen,  gekaut  und  ordent- 
lich mit  Speichel  vermengt.  Dies  wird  dann  zu  dem  übrigen 
geschüttet  und  muß,  nachdem  es  geseiht  ist,  in  großen  offenen 
Gefäßen  bei  schwacher  Wärme  gären.  Mit  großen  Holzspaten 
(Abb.  118a)  oder  mit  geschafteten  Schulterblättern  (Abb.  118-b) 
rührt  man  in  den  Töpfen  um.  Es  ist  der  Stolz  jeder  Frau, 
gutes  Bier,  ,,cangui",  und  viel  Bier  zu  brauen.    Sie  sind  auch 


238  Fünfzehntes  Kapitel. 

rastlos  fleißig.  Den  ganzen  Tag  sieht  man  sie  arbeiten,  und 
auch  des  Nachts  beschäftigen  sie  sich  mit  Kochen  und  Mahlen. 
Keine  Familie  darf  sich  der  Zubereitung  von  Cangui  entziehen. 

Daß  Speichel  angewendet  wird,  erscheint  vielleicht  un- 
sauber. Anfangs  dachte  ich  dies  auch,  bald  war  ich  aber  so 
verhärtet,  daß  mir  auf  Indianerweise  mit  Speichelhefe  zu- 
bereitetes Cangui  besser  schmeckte,  als  das  von  den  Weißen 
auf  zivilisiertere  Weise  gebraute. 

Kenner,  nicht  allein  Indianer,  sollen  derselben  Ansicht 
sein  wie  ich.  Wichtig  ist  jedoch,  daß  das  Cangui  kalt  ge- 
trunken wird,  lauwarm  ist  es  ekelhaft.  Wrenn  es  lange  ge- 
standen hat,  ist  es  etwas  berauschend,  jedoch  nicht  so  stark 
wie  das  Algarrobobier. 

Beim  Canguitrinken  geht  es  sehr  zeremoniell  zu.  Vorn 
sitzen  auf  Bänken  und  Schemeln  (Abb.  85)  die  Männer,  und 
hinter  ihnen,  auf  dem  Boden,  die  Frauen.  Die  älteren  Damen 
bekommen  die  besten  Plätze.  Die  Wut  in  bringt  das  Cangui 
in  ihren  feinsten  Tongefäßen,  ,,yambuy",  herein  und  stellt 
diese  vor  ihre  Gäste  (Abb.  77  u.  78).  Wem  ein  Gefäß  mit  Cangui 
hingestellt  wird,  der  muß  servieren.  Das  gilt  auch  für  die 
Häuptlinge.  Sogar  ich  habe  auf  Indianergesellschaften  ser- 
viert. Es  ist  nichts  Ungewöhnliches,  daß  die  Männer  die 
Frauen  bedienen  und  umgekehrt.  Man  füllt  das  Cangui  in 
verzierte  Kalebassen,  die  man  der  Reihe  nach  umherreicht. 
Jeder  muß  austrinken.  Wer  sich  weigert,  ist  unhöflich  und 
ungebildet.  Sich  selbst  einzuschenken,  ist  nicht  passend. 
Will  man  gegen  den  Servierenden  höflich  sein,  so  trinkt 
man  erst  seine  Schale  aus,  füllt  sie  dann  selbst  und  bietet 
sie  jenem  an.  Trinkt  man  alles,  wozu  man  eingeladen  wird, 
dann  ist  man  der  Freund  der  Indianer.  Weigert  man  sich, 
dann  fassen  die  Indianer  Mißtrauen  zu  einem.  Ein  alter 
Chane  sagte  auch  einmal  zu  mir:  „Du  bist  ein  netter  Christ, 
schon  am  Morgen  trinkst  du  Maisbier  mit  uns."  Wenn  Moberg 
mit  Beute  beladen  von  der  Jagd  heimkehrte,  drängten  sich 
die  jungen  und  hübschen  Frauen  um  den  glücklichen  Jäger 
und    bewillkommneten    ihn    mit    einer    Kalebasse    Maisbier. 


Trinkgelage  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos. 


239 


Was  waren  die  Mühseligkeiten  der  Jagd 
gegen  die  des  Trinkens,  denn  die  Frau, 
deren  Schale  er  unberührt  ließ,  ver- 
gaß niemals  den  Schimpf.  Wenn  man 
Feinde  hat,  kann  das  Canguitrinken 
gefährlich  sein,  denn  wer  weiß,  ob 
nicht  jemand  etwas  von  den  eigenen 
Exkrementen  oder  Haaren  in  das  Bier 
gelegt  hat,  so  daß  man  verhext  wird 
und  stirbt.  Dergleichen  geschieht  in 
diesen  Dörfern. 

Bei  den  Festen  kommen  oft  Züge 
von  Indianerhumor  zum  Vorschein.  Ein 
Scherz  ist  z.  B.  zu  tun,  als  ob  man 
Cangui  in  einer  umgestülpten  Kale- 
basse herumreicht,  ein  anderer,  einen 
zu  bitten,  auf  einem  unförmlichen 
Rohr  Flöte  zu  blasen. 

Tanzmasken  werden  von  den  Chiri- 
guanos und  Chanes  jetzt  nur  während 
des  Karnevals,  dem  großen  Zechfest 
der  Christen,  getragen.  Diejenigen,  die 
ich  gesehen  habe,  hatten  die  Form  von 
menschlichen  Gesichtern  (Abb.  119). 

Sehr  verschiedene  Ansichten  herr- 
schen unter  den  Indianern,  ob  die 
Masken  hier  ursprünglich  indianisch 
sind  oder  nicht.  Vocapoy  sagte,  die 
Idee  zu  ihnen  sei  ursprünglich  von  den 
Weißen  gekommen.  Batirayu  behaup- 
tete dagegen,  als  Knabe  am  Rio  Para- 
piti  bei  den  Chanes  von  den  jetzigen 
verschiedene  Masken  gesehen  zu  haben, 
die  bei  ihren  großen  Festen  benutzt 
wurden.     Seiner  Ansicht   nach   haben 


A 


B 


Abb.  1 18.  Suppenspatel. 

Chiriguano. 

A  =  Tihuipa.    '/s. 

B  =  Caipipendi.     Ve. 

die    Chanes    Masken 


angewendet,    bevor   die  Weißen   ins  Land   gekommen  sind. 


240  Fünfzehntes  Kapitel. 

Man  hatte  damals  auch  Klappern  aus  Früchten  um  die  Beine 
und  Federschmuck  aus  Papageifedern  auf  dem  Kopfe. 

Die  Chiriguanos  und  Chanes  zerstören  immer  die  Masken 
nach  dem  Karneval.  Sie  werden  entweder  verbrannt  oder 
in  den  Fluß  geworfen.  Die  Chanes  nennen  die  Masken 
„ananya". 

Eigentümlich  ist  es,  eine  wie  große  Rolle  der  Karneval 
jetzt  als  Fest  bei  den  Indianern  spielt.  Dies  kommt  sicher 
daher,  daß  die  Weißen  da  Massen  von  Branntwein  verteilten 
und  daß  die  Indianer,  die  bei  diesen  arbeiten,  dann  einige 
Tage  frei  bekamen. 

Zu  den  Festen  kommen  die  Gäste  oft  aus  weiter  Ferne. 
Sie  treten  dort  in  ihren  feinsten  Kleidern  und  Schmucksachen, 
neu  bemalt  und  fein  gekämmt,  auf.  Die  meisten  alten  Trach- 
ten und  Schmucksachen  sind  jedoch  schon  verschwunden. 
Frauen  in  hausgewebten  Kleidern  mit  Halsketten  aus  Chryso- 
col  und  Türkis  sieht  man  jedoch  noch.  Das  silberne  Diadem 
und  die  silbernen  Nadeln,  die  zur  Festtracht  gehören,  habe 
ich  indessen  niemals  im  Gebrauch  gesehen.  Die  blauen 
Trachten  der  Männer  (Abb.  81)  mit  silbernem  Brustschmuck 
sieht  man  oftmals  in  den  Hütten  bei  den  Alten  verwahrt, 
zu  den  Festen  werden  sie  aber  nicht  angewendet.  Bei  den 
Chanes  im  Itiyurotal  habe  ich  die  Indianer  bei  einem  Cangui- 
fest  tanzen  sehen.  Um  einen  ,,Yambuy"  mit  Cangui  standen 
einige  der  alten  Männer  zu  zweien,  ein  eintöniges  Lied  singend 
und  den  Takt  mit  den  Füßen  schlagend.  Die  Frauen  gingen 
langsam  im  Takt  des  Liedes  außerhalb  des  Kreises  der 
Männer  auf  und  nieder. 

Bei  den  Chanes  und  Chiriguanos  verdrängt  die  Tracht 
des  weißen  Mannes  alles  Alte  und  Hübsche,  und  von  meinen 
vielen  alten  Häuptlingsfreunden  unter  diesen  Indianern  ver- 
achtet nur  allein  Maringay  die  Lumpen  der  Weißen. 

Der  Branntwein  dringt  immer  mehr  bei  diesen  Indianern 
ein,  und  die  zeremoniellen,  gutmütigen  Maisbierfeste  ver- 
wandeln sich  in  rohe  Trinkgelage. 

Ich   vergesse   nie   eine   Nacht   im   Dorfe   Vocapoys.      Die 


Trinkgelage  bei  den  Chanes  und  Chiriguanos. 


241 


Männer  waren  zu  den  Christen  gegangen,  um  Branntwein 
zu  trinken.  Als  sie  zurück  kamen,  fielen  harte  Worte  und 
die  Messer  kamen  hervor.  Der  Branntwein  hätte  blutige 
Opfer  gefordert,  wenn  die  mutigen  Frauen  sich  nicht  mit 
Feuerbränden  vom  Maisbierkochen  zwischen  die  streitenden 
Männer  geworfen  und  sie,  nachdem  sie  sie  getrennt  hatten, 
unter  beruhigenden  Schmeichelworten  nach  Hause  gebracht 
hätten. 


Abb.  119.     Tanzmaske.     Chiriguano.     Yacuiba.     1/6. 


Nordenskiöld,   lndianerleben. 


16 


Sechzehntes    Kapitel. 
Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  (Forts.). 

Kunst  und  Industrie. 

Die  Chiriguanos  und  Chanes  sind  Stämme,  deren  Kunst- 
industrie  sehr  hoch  steht.  Besucht  man  eine  der  Hütten  der 
weißen  Ansiedler  in  diesen  Gegenden,  so  wird  man  nicht  viele 
Erzeugnisse  einheimischer  Industrie,  nicht  viel  von  eigener 
Kultur  sehen.  Ich  weiß  rein  gar  nichts,  was  diese  Menschen 
können,  was  mit  der  Keramik  und  Webetechnik  der  Indianer 
konkurrieren  kann.  Sicher  ist,  je  mehr  die  Indianer  „zivili- 
siert" werden,  um  so  weniger  leisten  sie  kunstindustriell. 
Von  den  Weißen  lernen  sie  nicht  viel  mehr,  als  Branntwein 
bereiten  und  trinken.  Die  indianische  Kunstindustrie  ver- 
schwindet hier  allmählich,  je  mehr  die  Indianer  mit  den 
Weißen  in  Berührung  kommen,  sie  wird  aber  nicht  um- 
gebildet. Sie  verbleibt  zum  großen  Teil  rein  indianisch  bis 
zu  ihrem  schließlichen  Untergang.  Eine  Industrie  ist  in- 
dessen jetzt  in  den  Händen  der  Weißen,  und  zwar  die  Metall- 
industrie. Die  silbernen  Schmucksachen,  welche  z.  B.  die 
Chiriguanos  und  Chanes  anwenden,  werden  von  den  Schmie- 
den in  den  Dörfern  der  Gebirgsgegenden  gearbeitet.  Die 
halbweiße  oder  quichuaindianische  Bevölkerung,  die  wir  in 
den  Gebirgen  westlich  vom  Lande  der  Chiriguano-  und  Chane- 
indianer antreffen,  ist  recht  kunstfertig.  Besonders  die  WTebe- 
technik  steht  dort  hoch.  Vom  Westen  haben  die  Chiriguanos 
und  Chanes  sicher  viel  gelernt. 

So  finden  wir  die  für  die  Chiriguanos  charakteristische 
Sererepfeife  (Abb.  120)  in  Sammlungen  von  der  Küste  Perus J) ; 

J)  Serere  kommen  noch  bei  den  Lenguas,  Ashluslays,  Chiriguanos, 
Chanes,  Churäpas  und  Yuracäres  vor. 


Tafel   ig.     Die   Frau   des  Chanehäuptlings  Vocapoy   malt   ein    Ton- 
gefäß.    Rio  Itiyuro. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer, 


243 


die  Nadel  zur  Befestigung  der  Frauenkleider  (Abb.  130)  ist 
in  ihrer  Form  typisch  peruanisch,  ebenso  der  silberne  Haar- 
auszieher,  von  dem  ich  indessen  kein  Exemplar  habe.  Die 
Festtracht  des  Mannes  (Abb.  81)  scheint  mir  ebenfalls  peruani- 
schen Schnitt  zu  haben.  Möglicherweise  hat  sich  jedoch  der 
Einfluß  von  Peru  unter  den  Chiriguanos  erst  nach  der  Er- 


/cz^>\ 


Hirä 


oberung   der  Hochebene  durch  die 
Spanier  geltend  gemacht. 

Boman1)  hat  nachgewiesen,  daß 
die  Chiriguanos,  oder  richtiger  der 
Güaranistamm,  zu  welchem  diese 
Indianer  gehören,  sich  früher  viel 
weiter  südwärts  ausgedehnt  haben 
als  jetzt.  Er  hat  dort  die  für  sie 
so  eigentümlichen  Graburnen  ange- 
troffen. 

Die  materielle  Kultur  der  Chane- 
indianer unterscheidet  sich  nicht  sehr 
von  der  Kultur  der  Chiriguanos  im 
allgemeinen.  Die  Chanes,  die  mehr 
abgesondert  am  Rio  Parapiti  wohnen, 
haben  dagegen  eine  vollkommen 
selbständige  Keramik,  die  wir  bei 
den  Chiriguanos  nicht  wiederfinden. 
Vergleichen  wir  im  übrigen  die  In- 
dustrieerzeugnisse  der   Chanes   und 

der  Chiriguanos,  so  finden  wir  keine  größeren  Unterschiede, 
als  wir  sie  in  den  verschiedenen  Chiriguanodörfern  auch 
finden. 

Sammelt  man  z.  B.  Tongefäße  im  Iguembetal  und  im 
Caipipendital,  welche  beide  Täler  von  Chiriguanos  bewohnt 
werden,  so  wird  man  unwillkürlich  finden,  daß  die  Keramik, 
obschon   in   Ornamentik   und   Form   stark   verwandt,    doch 


Abb.   120.     Sererepfeife. 
Chiriguano.     1/r 


*)    Boman:   Antiquites  de  la   Region  Andine.     Tome   1—2.     Paris 
1908. 

16* 


244 


Sechzehntes  Kapitel. 


auch  lokal  variiert.    Über  die  individuellen  Variationen  habe 
ich  schon  gesprochen  (S.  235). 

Von  den  verschiedenen  Industrien  steht  bei  den  Chiri- 
guanos  und  Chanes  besonders  die  Keramik  hoch  (s.  die  Abb.). 
Sie  sind  auch  geschickte  Weber  und  Verzierer  von  Kale- 
bassen. Korbflechten  kommt  vor,  jedoch  meist  im  nördlichen 
Teil  ihres  Gebietes.  Federarbeiten  werden  jetzt  nicht  mehr 
angefertigt.  Von  Caraguatäbast  werden  nur  Seile  und  Fisch- 
netze, und  am  Rio  Parapiti  Hängematten  und  Tragnetze 
gemacht.      Die   für   die  Chacostämme   so  charakteristischen 

Taschen  aus  diesem  Mate- 
rial werden  niemals  von  den 
Chiriguanos  und  Chanes 
angefertigt,  aber  zuweilen 
durch  Handel  zwischen  den 
Stämmen  erworben. 

Bei  den  Chanes  am  Rio 
Itiyuro  habe  ich  die  Topf- 
herstellung  verfolgt.  Der 
Ton  wird  gemahlen  und  mit 
zerstoßenen ,  gebrannten 
Krugscherben  gemischt, 
damit  das  Gefäß  nicht  beim 
Brennen  entzwei  geht.  Die 
Tongefäße  werden  auf  gewöhnliche  Indianerweise  aus  Rollen 
aufgebaut.  Zum  Glätten  werden  eine  Muschelschale  oder  ein 
Maiskolben  ohne  Samen  sowie  ein  schmales  Bambusstäbchen 
angewendet.  Der  Maiskolben  macht  parallele,  feine  Ritzen.1) 
Das  Bambusstäbchen  wird  auch  bei  der  Herstellung  zum 
Abmessen  benutzt,  um  richtige  Verhältnisse  zu  bekommen. 


Abb.    121.     Tongefäß. 
Caipipendital. 


Chiriguano. 
Vr 


x)  Aus  ähnlichen  Ritzen  an  Tongefäßen,  die  man  bei  archäo- 
logischen Ausgrabungen  findet,  kann  man  sehen,  daß  die  Hersteller 
der  Tongefäße  Mais  gehabt  haben.  Dies  habe  ich  z.  B.  an  Ton- 
gefäßen von  Ojo  de  Agua  in  Quebrada  del  Toro  in  Nordargentinien 
gesehen. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         245 

Hiernach  wird  das  Gefäß  einen  Tag  im  Schatten  getrocknet, 
bevor  es  gebrannt  wird.  In  der  Regel  hat  man  nur  ein  oder 
ein  paar  Gefäße  gleichzeitig  in  Arbeit. 


Abb.    122.      Brennen  von  Tonirefäßen.     Chane.     Rio  Itivuro. 


Die  gröberen  Gefäße  sowie  alle  Kochgefäße  werden  nur 
mit  Fingereindrücken  und  aufgelegten  Tonschleifen  orna- 
mentiert. Die  feineren  Gefäße  werden  später  bemalt  (s.  Taf.  19). 


246  Sechzehntes  Kapitel. 

Mit  einem  Pinsel  aus  Agutihaaren1)  werden  die  Ornamente 
in  Weiß,  Dunkelbraun  und  Schwarz  bemalt.  Die  weiße  Farbe 
ist  eine  Erdart  (Kaolin),  die  anderen  werden  aus  Schiefer  und 
Sandstein  zubereitet.  Man  malt  freihändig  und  komponiert 
die  Ornamente  aus  dem  Gedächtnis  und  nicht  nach  Modellen. 
Holz,  Maiskolben  und  Kuhexkremente  werden  um  das  Gefäß 
gehäuft.  Das  Brennmaterial  wird  angezündet  und  muß  eine 
Viertelstunde  oder,  wenn  das  Gefäß  groß  ist,  noch  länger 
mit  kräftigem  Feuer  brennen  (Abb.   122). 

Falls  das  Gefäß  gemalt  ist,  wird  es  mit  Harz,  „taravi- 
ruti",  das  von  einer  Mimosoidee  gesammelt  ist,  und  mit 
Harz  von  palo  santo  (s.  S.  93)  gefirnißt.  Das  erstere  gibt 
einen  gelblichen  Glanz,  das  letztere  sieht  wie  grünschwarze 
Glasur  aus. 

Fertigt  man  einen  Topf  an,  so  tauft  man  ihn,  bevor  er 
erkaltet  ist,  damit  das  Wasser  in  demselben  schnell  kocht. 

In  Maringays  Dorf  malte  man  einzelne  Gefäße  mit  einer 
Mischung  von  Uruku  oder  einer  anderen  Farbe  und  einem 
Pflanzenfett.  Wie  dies  letztere  bereitet  wird,  habe  ich  nicht 
sehen  können. 

Die  Chiriguano-  und  Chanefrauen  sind  geschickte  Webe- 
rinnen. Das  Material  für  die  indianischen  Gewebe  ist  in  der 
Regel  Baumwolle  und  manchmal  auch  Schafwolle. 

Da  durch  die  Weißen  große  Massen  Zeug  eingeführt  werden, 
verschwinden  die  einheimischen  Gewebe  immer  mehr.  So 
sah  ich  bei  den  Chanes  im  Itiyurotal  keine  Webstühle  und 
einheimische  Gewebe  waren  sehr  selten. 

In  der  Regel  sind  alle  Gewebe  dieser  Indianer  ohne  Orna- 
mente oder  diese  sind  sehr  einfach.  Die  Mädchen  in  den 
Missionen  lernen  von  den  Mönchen  allerlei  Blumen,  wie 
Rosen,  Veilchen  usw..  sticken.  Dies  machen  sie  ausgezeichnet. 
Merkwürdigerweise  hören  die  Indianerinnen  nach  dem  Ver- 
lassen der  Nähschule  auf,  diese  Ornamente  anzuwenden. 
Es  wäre  richtiger,  wenn  die  Missionare  die  Indianerkinder 

M   Dasyprocta. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer. 


247 


Ornamente  lehrten,  die  sich  deren  Phantasieleben  anschließen. 
Die  Resultate  ihrer  Arbeit  würden  dann  ganz  andere  sein. 
Einige  Chanefrauen  haben  vor  ein  paar  Generationen  von 
einer  Ouichuafrau  Ornamente  weben  gelernt,  die  man  noch 
jetzt  auf  verschiedenen  Chanegeweben  sieht.  Es  waren 
stilisierte    Tiere    und    Menschen.       Die    Pflanzenornamentik 


Abb.    123.     Webstuhl.     Chiriguano.     Tihuipa. 


macht  wenig  Eindruck  auf  die  Indianerinnen.  Tier-  und 
Menschenfiguren  regen  ihre  Phantasie  an  und  sie  lehren  sie 
ihren  Kindern. 

Die  Chiriguano-  und  Chanemänner  sind  tüchtig  im  Ver- 
zieren von  Kalebassen  (Abb.  126),  schnitzen  hübsche  Pfeifen 
(Abb.  120)  und  verstehen  das  Ledergerben,  was  sie  wohl  von 
der  Weißen  gelernt  haben. 

Von  plastischen  Darstellungen  von  Tieren  und  MensChen- 
figuren  sieht  man  bei  diesen  Indianern  nicht  viel.    Die  Ton- 


_>_j>  Sechzehntes  Kapitel. 

gefäße  haben  manchmal  Tierformen.  Die  Chanefrauen  am 
Rio  Parapiti  formten  klumpige  kleine  Puppen  aus  Wachs 
für  die  Kinder  (Abb.  105).  Einige  der  Tongefäße  sind  mit 
Tierfiguren  bemalt.  Ein  Gefäß  vom  Rio  Itiyuro,  das  ich 
durch  Tausch  erworben  habe,  ist  mit  Baumfiguren  geschmückt. 
Vereinzelt  sieht  man  Tongefäße  in  Form  von  Früchten. 

Menschen  und  Tiere  darstellende  Zeichnungen  habe  ich 
an  den  Wänden  in  einigen  Chanehütten  und  an  einigen 
Chiriguanokalebassen  aus  dem  Caipipendital  gesehen. 


Abb.    124.  Abb.  125.   Korb.  Chiriguano. 

Sieb.      Rio  Parapiti.     1/8.  Caipipendi.     1/s. 

Von  Korbarbeiten  sind  die  Siebe  bei  den  Weißen  so  be- 
liebt, daß  sie  durch  den  Handel  weit  über  das  Chiriguano- 
und  Chanegebiet  hinaus  verbreitet  werden.  Im  übrigen 
arbeiten  die  Chanes  und  Chiriguanos  wenig  Körbe.  Massen 
von  Korbarbeiten  finden  wir  bei  den  Indianern  erst,  wo  die 
paarblättrigen  Palmen  beginnen,  und  das  ist  bei  Santa  Cruz 
de  la  Sierra. 

Wenn  wir  eine  Sammlung  von  den  Chiriguanos  und  Chanes 
anlegen,  dürfen  wir  nicht  vergessen,  daß  sie  durch  den  Handel 
zwischen  den  Stämmen  viele  Sachen  von  den  Matacos,  Tobas, 
Chorotis  und  Tapietes  erhalten  haben,  sonst  bekommen  wir 
eine    unrichtige    Vorstellung    von    dem   großen    Unterschied 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         249 

zwischen  der  materiellen  Kultur  der  hier  genannten  Chaco- 
stämme  und  der  Chiriguanos  und  Chanes. 

Wenn  wir  die  materielle  Kultur  der  Chorotis  und  Chanes 
mit  der  hier  ebenfalls  beschriebenen  der  Chorotis  und  Ashlus- 
lays  vergleichen,  müssen  wir  u.  a.  an  folgendes  denken.  Die 
Chiriguanos  und  Chanes  machen  Korbarbeiten  —  die  Chorotis 
und  Ashluslays  niemals.  Die  ersteren  verstehen  es,  die  Ton- 
gefäße vor  dem  Brennen  zu  bemalen,  was  den  letzteren  un- 
bekannt ist.  Die  Chiriguanos  und 
Chanes  arbeiten  niemals  Taschen 
aus  Caraguatä  usw.  Vergleichen 
wir  im  übrigen  sämtliche  Arbeits- 
erzeugnisse der  Chanes  und  Chiri- 
guanos mit  denen  der  Chorotis  und 
Ashluslays,  so  finden  wir,  daß  die 
allermeisten    vollständig    verschie-  . ,  ,        fi 

den  sind.  Die  Herstellung  gewisser  Verzierte  Kalebaßschale. 
Sachen,  wie  der  Serere-  (Abb.  120)  Chiriguano.  Yacuiba.  1/5. 
und   Huiramimbipfeifen    (Abb.    36 

und  80)  haben  die  Chacoindianer  wahrscheinlich  von  den 
Chiriguanos  gelernt,  dies  ist  aber  verhältnismäßig  unbe- 
deutend. 

Wir  sehen  hier,  wie  zwei  Kulturen  hunderte  Jahre  lang 
nebeneinander  existieren  können,  ohne  zu  verschmelzen. 

Folgen  wir  dem  Rio  Pilcomayo  nach  den  Gebirgen  herunter, 
so  treffen  wir  zuerst  die  Quichuakultur,  dann  kommen  die 
Chiriguanos  und  Chanes  und  hierauf  die  chaquensische 
Kultur,  die  ganz  gleichartig  die  Matacos,  Tobas,  Chorotis, 
Ashluslays  sowie  die  Lenguas  und  andere  Stämme  im  Chaco 
Paraguay  umfaßt.  Diese  drei  Kulturen  sind  vollständig 
verschieden. 


Siebzehntes    Kapitel. 
Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  (Forts.). 

Sage  und  Religion. 

Es  war  einmal  ein  alter  Indianer,  der  des  Abends  am 
Feuer  in  der  Hütte  zu  sitzen  und  von  alten  Tagen,  von 
Tieren,  Menschen  und  Geistern  zu  erzählen  pflegte.  Lauschend 
sammelte  sich  die  Jugend  um  ihn.  Der  Alte  erzählte  und 
erzählte.    Mit  Mund,  Augen,  Händen  und  Füßen  erzählte  er. 

Einer  der  Jungen  nach  dem  anderen  verließ  gleichwohl 
bald  den  Kreis  der  Lauschenden  und  legte  sich  schlafen.  Zu- 
letzt saß  der  Alte  allein  am  erlöschenden  Feuer  und  erzählte 
sich  selbst  von  den  Abenteuern  des  Fuchsgottes  und  des 
Gürteltiergottes. 

Dieser  Alte  steht  vor  mir  als  der  Vertreter  alter  Tra- 
ditionen, einer  Kultur,  die  verschwindet.  Die  Jungen  hören 
ein  Weilchen  zu,  bald  wird  es  ihnen  aber  zu  viel.  Sie  haben 
neue  Interessen.  Sie  haben  angefangen,  mit  in  dem  großen 
Tanz  zu  tanzen,  den  die  Christen  Zivilisation  nennen,  wo 
meistens  um  das  goldene  Kalb  getanzt  wird. 

Ich  habe  auch  als  Lauscher  dort  gesessen  und  mir  die 
Sagen  erklären  lassen.  Ich  glaube,  die  Alten  hatten  mich 
gern,  weil  ich  ein  so  großes  Interesse  für  ihre  alten  Erinne- 
rungen gezeigt  habe.  Wenn  ich  sie  nun  wiedergebe,  hoffe 
ich,  daß  der  Leser  mit  mir  und  meinen  alten  Freunden  Nach- 
sicht haben  wird,  mit  mir,  weil  ich  nicht  so  gut  zu  erzählen 
vermag  wie  die  Alten,  und  mit  den  Alten,  weil  sie  alles  lieben, 
was  ein  wenig  frivol  ist. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         25 1 

Die  Sagen  geben  uns  einen  Einblick  in  die  Vorstellungen 
des  Indianers  vom  Leben  im  Jenseits  und  von  den  Geistern. 
Teils  durch  sie  und  teils  durch  die  Erklärungen,  welche  mir 
die  Indianer  gegeben  haben,  können  wir  ihre  Religion  ver- 
stehen. Wir  werden  hier  von  dem  Weltuntergang  und  dem 
Raub  des  Feuers,  vom  Besuch  im  Totenreich  und  vor  allem 
von  den  Abenteuern  der  Geister  hören,  wir  werden  davon 
hören,  wie  sie  einander  und  die  Menschen  betrogen,  hören 
von  ihren  Kämpfen  und  Lastern. 

Morallehre  ist  in  diesen  Sagen  sehr  wenig  enthalten.  Die 
in  demselben  Handelnden  sind  oft  „tunpa",  d.  h.  sie  besitzen 
übermenschliche  Kräfte,  das  ist  alles. 

Infolge  der  Berührung  mit  den  Weißen  sind  die  Sagen 
nicht  frei  von  fremden  Elementen.  Die  meisten  sind  jedoch 
rein  indianisch. 

1.    Der  Weltuntergang  und  der  Raub  des  Feuers. 
Erzählt  von  dem  Chaneindianer  Batirayu  vom  Rio  Parapiti. 

Es  war  einmal  in  alten  Tagen  ein  sehr  armer  Mann,  der 
in  den  Wäldern  umherirrte  und  keinen  festen  Wohnsitz  hatte. 
Wenn  er  in  die  Dörfer  kam,  jagte  man  ihn  fort  und  hetzte 
die  Hunde  auf  ihn.  Als  der  Mann  sah,  daß  man  ihn  in  keinem 
Dorfe  wohnen  lassen  wollte,  machte  er  sich  eine  Hütte, 
„tocay"-1)  Dort  kamen  allerlei  schöne  Vögel  zur  Hütte, 
und  die  meisten  wurden  bald  so  zahm,  daß  er  sie  fangen 
konnte.  Der  Mann  dachte:  ,, Gehe  ich  mit  diesen  prächtigen 
Vögeln  in  ein  Dorf,  so  nimmt  man  mich  vielleicht  auf."  Er 
nahm  nun  die  Vögel  und  ging  in  die  Dörfer.  Alle  fanden 
die  Vögel  schön,  nirgends  wollte  man  ihn  aber  wohnen  lassen. 
Der  Mann  ging  nach  seiner  Hütte  zurück.  Eines  Tages  kam 
Anatunpa2)  in  Gestalt  eines  schönen  Vogels  zu  ihm.  Was 
ist  das  für  ein  merkwürdiger  Vogel,  dachte  der  Mann.    Ana- 


x)   Tocay   ist   eine   Hütte,    in   welcher   der  Jäger  verborgen   liegt, 
um  von  dort  Vögel  mit  Schlinge  oder  Pfeil  zu  fangen. 
2)   Der  Große  Geist  (s.   S.  257). 


252  Siebzehntes  Kapitel. 

tunpa  sagte,  er  sei  gekommen,  um  ihm  zu  helfen,  und  gab 
ihm  ein  Paar  Flügel. 

,,Wenn  du  in  ein  Dorf  kommst,  sollst  du  die  Flügel  be- 
wegen und  dann  donnert  es,"  sagte  Anatunpa.  „Wollen  sie 
dich  trotzdem  nicht  wohnen  lassen,  so  erhebe  die  Flügel." 

Der  Mann  ging  in  ein  Dorf,  wo  ein  großes  Trinkgelage 
stattfand.  Man  wollte  ihn  nicht  aufnehmen.  Er  bewegte  die 
Flügel  und  es  donnerte.  Man  glaubte,  die  Medizinmänner 
seien  es,  die  donnerten,  und  kümmerte  sich  nicht  um  ihn. 
Wieder  bewegte  er  die  Flügel  und  es  donnerte.  Man  glaubte 
immer  noch,  es  seien  die  Medizinmänner,  die  donnerten,  und 
kümmerte  sich  nicht  um  ihn.  Als  er  endlich  sah,  daß  man 
ihn  nicht  wohnen  lassen  wollte,  sondern  ihn  fortjagte,  erhob 
er  die  Flügel,  die  er  verborgen  hatte.  Da  kam  ein  Sturm, 
der  riß  alle  fort,  außer  zwei  Knaben  und  einem  Mädchen. 

Diese,  die  nun  allein  waren,  wollten  kochen,  aber  sie 
hatten  kein  Feuer.  Sie  hatten  Kürbis  und  Mais,  konnten 
sie  aber  nicht  rösten.  Da  kam  ein  alter  Mann,  die  Sonne, 
mit  einem  Feuerbrand  zu  ihnen.  Er  röstete  einen  Kürbis 
und  aß  ihn,  als  er  aber  fort  ging,  nahm  er  das  Feuer  wieder 
mit.  Er  wollte  ihnen  nichts  davon  abgeben.  Als  der  Alte 
das  nächste  Mal  kam,  beschlossen  sie,  ihm  das  Feuer  zu 
stehlen.  Als  er  an  dem  mitgebrachten  Feuerbrand  einen 
Kürbis  röstete,  schlug  einer  der  Knaben  mit  einem  Knüttel 
darauf,  so  daß  die  Glut  umhersprühte.  Der  Alte  sammelte 
sie  schnell  auf.  Einen  ganz  kleinen  Funken  fanden  sie  gleich- 
wohl unter  einem  halben  Kürbis,  der  auf  der  Erde  gelegen 
hatte.  Sie  machten  nun  Feuer  an.  Huapi  (der  Webervogel?) 
sagte  zu  ihnen,  sie  sollten  das  Feuer  gut  aufbewahren,  so 
daß  es  niemals  ausgehe.  Er  sagte  ihnen  auch,  sie  sollten, 
wenn  das  Feuer  erlösche,  mit  dem  „Tatay"1)  Feuer  reiben. 

Der  jüngere  Bruder  nahm  nun  seine  Schwester  zur  Frau. 
Der  ältere  hatte  keine  Frau.  Sie  legten  einen  Kürbis  in  eine 
kleine  Hängematte  und  wiegten  sie.     Der  Kürbis  wuchs  zu 


x)    Feuerzeug  aus  Holzstäbchen. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         253 

einem  Mädchen,  das  bald  zu  einer  Frau  emporwuchs.  Diese 
nahm  der  ältere  Bruder  zur  Frau.  Von  diesen  beiden  Paaren 
stammen  alle  Chanes. 

2.    Der  Weltuntergang  und  der  Raub  des  Feuers. 
Erzählt  von  dem  Chanehäuptling  Vocapoya. 

Ein  Jüngling  hatte  sich  in  den  Wald  begeben  und  in  einer 
Lache  das  Bild  eines  schönen  Mädchens  gesehen ,  dem  er 
folgte.  Er  blieb  eine  lange  Zeit  bei  ihr,  einen  Monat,  und  seine 
Mutter  glaubte  schon,  er  sei  tot,  und  schnitt  sich  die  Haare 
ab.  Sie  glaubte,  er  wäre  von  einer  Schlange  gebissen  worden 
oder  dergleichen.  Eines  Tages  kam  der  Sohn  jedoch  nach 
Hause  und  erzählte,  daß  er  ein  hübsches  Mädchen  gefunden, 
mit  dem  er  sich  verheiratet  habe.  Die  Mutter  sagte  ihm  da, 
er  solle  sie  holen,  und  braute  eine  Masse  Maisbier,  um  ihre 
Ankunft  zu  feiern. 

Der  Jüngling  kam  mit  seiner  Frau,  und  sie  war  hübsch 
und  wohlgekleidet.  Während  des  Festes  verwandelte  sie 
sich  und  wurde  sehr  häßlich.  Hierüber  machte  die  Schwägerin 
eine  Bemerkung,  und  sie  wurde  böse  und  verließ  sie  und  ging 
dahin  zurück,  woher  sie  gekommen  war,  indem  sie  erklärte, 
sie  werde  sich  rächen.  Sie  sagte  jedoch,  man  solle  erst  einen 
Knaben  und  ein  Mädchen  in  ein  großes  Tongefäß  setzen. 
Ein  Bruder  und  eine  Schwester  wurden  zusammen  mit  den 
Samen  von  Mais,  Kürbis  und  Bohnen  in  ein  Tongefäß  gesetzt 
und  der  Krug  gut  zugedeckt.  Als  dies  geschehen  war,  begann 
es  fürchterlich  zu  regnen,  und  Häuser  und  alles  wurde  mit 
Wasser  bedeckt.  Der  Krug  floß  jedoch  oben.  Alle  Menschen 
und  Tiere  ertranken  in  dem  steigenden  Wasser.  Lange  floß 
das  Tongefäß  umher  und  der  Knabe  und  das  Mädchen  be- 
gannen schon  groß  zu  werden.  Das  Wasser  sank  dann,  als 
sie  aber  aussteigen  wollten,  war  der  Boden  noch  sumpfig, 
und  sie  mußten  warten,  bis  er  getrocknet  war. 

Als  sie  aus  dem  Tongefäß  kamen,  säeten  sie  von  den  mit- 
gehabten Samen  Mais,  Kürbis  und  Bohnen.  Diese  reiften 
in  einem  halben  Monat.     Sie  hatten  kein  Feuer.     In  einiger 


254  Siebzehntes  Kapitel. 

Entfernung  sahen  sie  Feuer.  Es  war  ,, Toste",1)  ein  Watvogel, 
der  an  den  Flußufern  schreit,  der  Feuer  hatte.  Als  sie  sich 
dem  Feuer  näherten,  verschwand  es  jedoch  weiterhin. 

Der  Frosch  versprach,  ihnen  Feuer  zu  rauben.  Er  hüpfte 
zu  Tostes  Lagerfeuer  und  setzte  sich,  vor  Kälte  bebend, 
daran,  um  sich  zu  wärmen.  Von  Zeit  zu  Zeit  scharrte  er  die 
Glut  näher  zu  sich  hin,  gleichsam  um  sich  besser  zu  wärmen, 
und  als  niemand  es  sah,  stopfte  er  einen  kleinen  Feuerbrand 
in  den  Mund  und  hüpfte  davon. 

Zu  dem  Knaben  und  dem  Mädchen  hingekommen,  machte 
er  Feuer  an,  und  seitdem  haben  die  Chaneindianer  Feuer. 
Die  Schwester  und  der  Bruder,  die  nun  groß  geworden  waren, 
verheirateten  sich,  und  sie  wurde  schwanger.  Sie  bauten  sich 
eine  Hütte.  Das  Mädchen  bekam  Kinder.  Als  diese  Kinder 
groß  waren,  verheirateten  sie  sich  miteinander.  Von  ihren 
Kindern  stammen  alle  Chanes.  Von  den  Kindern  des  ältesten 
Knaben  stammen  die  Häuptlinge  her. 

Es.  kann  ja  eigentümlich  erscheinen,  daß  ich  zwei  ganz 
verschiedene  Sagen  gefunden  habe,  die  denselben  Stoff  bei 
demselben  Volk  behandeln.  Dies  ist  dadurch  zu  erklären, 
daß  die  Chanes  ein  zersprengter  Stamm  sind,  der  keine  eigene, 
selbständige  Kultur  mehr  hat. 

Die  erstgenannte  Version  ist  wahrscheinlich  ihre  eigene, 
während  sie  die  andere  von  den  Chiriguanos  geliehen  haben. 
Domenico  del  Campana2)  erwähnt,  daß  diese  letzteren  eine 
Flußsage  haben,  in  welcher  zwei  Kinder  auf  ähnliche  Weise 
in  einem  Tongefäß  gerettet  werden. 

Die  Chorotis  und  die  Matacos  berichten,  daß  die  Welt 
durch  Feuer,  die  Chanes  am  Rio  Parapiti,  daß  sie  durch 
Sturm  und  die  Chiriguanos  und  Chanes  am  Rio  Itiyuro,  daß 
sie  durch  Wasser  untergegangen  sei. 

Die    erstgenannten   leben    auch    in    Gegenden,    wo   große 


1)  Ein   anderer  Chane  erzählte   mir,    daß   der   Frosch  das  Feuer 
vom  schwarzen  Geier  gestohlen  habe. 

2)  Domenico  del  Campana:  1.  c.   S.  22. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         255 

Pampasbrände  gewesen  sind,  am  Rio  Parapiti  herrschen  oft 
schwere  Stürme  und  die  Chiriguanos  sind  wahrscheinlich  aus 
Gegenden  gekommen,  wo  große  Überschwemmungen  ge- 
wöhnlich sind. 

Daß  diese  Weltuntergangsagen  innig  mit  der  Natur  des 
Landes,  in  dem  sie  entstanden  sind,  zusammenhängen,  ist, 
wie  Ehrenreich1),  Im  Thurn2)  u.  a.  gezeigt  haben,  sicher. 
Ehrenreich  sagt,  eine  solche  anthromorphe  Auffassung  der 
Sonne,  wie  hier  in  der  ersten  Sage,  sei  in  Südamerika  selten. 

Besuche  in  Aguararenta  (dem  Dorfe  der  Füchse). 

Batirayu  erzählte  mir  folgendes  über  den  Glauben  der 
Chaneindianer  vom  Leben  im  Jenseits  und  dem  Totenreiche. 
Aguararenta  (aguara  =  Fuchs,  tenta  =  Dorf)  ist  ein  Dorf, 
wo  die  Toten,  ana,  wohnen.  Es  liegt  im  Osten.  Des  Nachts 
sind  die  Toten  dort  in  Menschengestalt,  am  Tage  gehen  sie 
als  Füchse,  Ratten  und  andere  Tiere  umher  oder  gehen  in 
einen  Baumstamm.  Jede  Nacht  sind  in  Agurararenta  große 
Trinkgelage.  Alle  Chanes,  Kinder,  Frauen  und  Männer, 
kommen  dorthin.  Auch  Verhexer  (ipäyepötchi)  und  Mörder 
kommen  nach  dem  genannten  Dorf.  Niemand  wird  im  Toten- 
reich der  Chanes  bestraft. 

Auch  Lebende  haben  Aguararenta  besucht  und  erzählt, 
was  sie  dort  gesehen  haben.  Ein  paar  solche  Erzählungen 
will  ich  hier  wiedergeben.  Sie  geben  uns  einen  guten  Ein- 
blick in  die  Vorstellungen  der  Indianer  vom  Jenseits. 

Das    Mädchen,    das    seinem    Mann    nach    Aguara- 
renta folgte. 

Erzählt  von  einem  Chaneindianer  in  Aguarati  (weißer  Fuchs) 
am  Rio  Parapiti. 

Ein  Mädchen  wollte  sich  mit  einem  Mann  verheiraten, 
aber  er  starb.    Sie  hatte  ihn  sehr  gern  gehabt.    Am  Morgen, 

*)  Ehrenreich:  1.  c.   S.  30 — 31. 

2)  Im  Thurn:  Among  the  Indians  of  Guyana.  London  1883,  1.  c. 
S-  375- 


256  Siebzehntes  Kapitel. 

am  Tage  nach  seinem  Tode,  während  es  noch  finster  war, 
stand  sie  vor  dem  Hause  ihrer  Eltern  und  stieß  in  den 
Mörser.     Da  kam  jemand  und  erfaßte  den  Mörserstab. 

„Wer  bist  du?"  fragte  sie. 

„Ich  bin  es,"  sagte  er.  Es  war  ihr  toter  Mann.  „Willst 
du  mitkommen?" 

„Ja",  sagte  sie,  da  sie  ihn  sehr  liebte. 

Er  begab  sich  nun  fort  in  der  Richtung,  wo  die  Sonne  auf- 
geht. Sein  Gesicht  war  verhüllt,  damit  niemand  es  sähe. 
Sie  ging  hinter  ihm  her.  Sie  gingen  durch  den  Wald,  sie 
gingen  über  die  Pampas  und  wieder  durch  den  Wald.  Am 
Tage  schlief  er  und  des  Nachts  war  er  wach. 

Als  der  Vater  seine  Tochter  vermißte,  ging  er,  um  sie 
zu  suchen.  Er  folgte  ihren  Spuren.  Vor  diesen  ging  eine 
Fuchsspur.  „Ana  hat  meine  Tochter  genommen",  sagte  der 
Vater.  Zuletzt  fand  er  sie  tot  am  Wege.  Er  machte  sie  jedoch 
wieder  lebendig  und  brachte  sie  nach  Hause.  Als  sie  über 
die  Pampas  gingen,  sahen  sie  einen  Fuchs  umherstreifen. 
Am  folgenden  Tage  starb  sie.  Der  Vater  weinte.  Da  kam 
der  weiße  Kondor  „Ururuti"  und  sagte,  er  solle  nicht  klagen. 
Ururuti  nahm  ihn  auf  den  Rücken  und  flog  mit  ihm  nach 
Aguararenta. 

In  Aguararenta  schlief  man  am  Tage  und  war  wach  des 
Nachts.  Als  der  Vater  dorthin  kam,  trank  man  Maisbier. 
Ururuti  brachte  ihn  nach  dem  Hause  seines  Schwieger- 
sohnes. Er  redete  seine  Tochter  an,  sie  antwortete  ihm  aber 
nicht.  Sie  sah  nicht  wie  ein  Mensch  aus.  Wieder  redete 
er  sie  an,  er  bekam  aber  keine  Antwort.  Er  ging  nun  zu 
Ururuti,  der  ihn  nach  Hause  brachte.  Weder  er  noch  seine 
Frau  beweinten  die  tote  Tochter. 

Am  folgenden  Tage  starb  der  Vater. 

Version  2.  Erzählt  von  Batirayu.  Es  war  eine  Frau, 
deren  Mann  gestorben  war.  In  der  Nacht  kam  er  zu  ihr  in 
der  Gestalt  eines  Mannes  und  schlief  bei  ihr.  Er  bat  sie,  mit 
ihm  nach  seinem  Dorfe  Aguararenta  zu  kommen.  Sie  folgte 
ihm.     Als  sie  unweit  des  Dorfes  kamen,  hörten  sie  Gesang 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         257 

und  Tanz.  Sie  ging  mit  ihrem  Mann  nach  dem  Marktplatz, 
wo  ein  großes  Trinkgelage  stattfand.  Sie  sah  dort  viele  Tote, 
die  sie  kannte.  Die  Toten  hatten  jedoch  Angst  vor  ihr  und 
hielten  sich  fern  von  ihr.  Sie  blieb  dort,  bis  es  Morgen  wurde. 
Da  verschwanden  alle  Hütten,  und  sie  befand  sich  auf  einer 
Ebene  voller  Fuchsspuren.  Ihr  Mann  verwandelte  sich  in 
eine  Ratte  (angüya).  Sie  blieb  dort  den  ganzen  Tag,  auf  dem 
Stamm  einer  Algarrobo  sitzend.  Als  es  finster  wurde,  kamen 
die  Menschen  wieder  und  es  fand  dort  ein  großes  Trink- 
gelage statt.  Am  Morgen  sagten  die  Toten:  „cheahata 
hüirasecuera  (ich  gehe  als  Baumstamm),  cheahata  augüyara 
(ich  gehe  als  Ratte),  cheahata  kärakärara  (ich  gehe  als  Geier), 
cheahata  äguarära  (ich  gehe  als  Fuchs),  cheahata  ändirära 
(ich  gehe  als  Fledermaus)"  usw.  Sie  kehrte  nach  Hause 
zurück.  Ihr  Mann  sagte,  er  werde  kommen,  um  sie  zu  holen. 
Nach  drei  Tagen  war  sie  tot.  Sie  war  ihrem  Mann  nach 
Aguararenta  gefolgt. 

Der  Chiriguanohäuptling  Maringay  erzählte  mir  von  einem 
Mann,  der  am  Wege  eingeschlafen  war.  In  der  Nacht  kam 
seine  tote  Frau  zu  ihm,  und  er  schlief  bei  ihr.  Als  er  erwachte, 
war  sie  verschwunden.  Er  nahm  das  im  Schlaf  Erlebte  als 
Wirklichkeit  an.  Bei  den  Chanes  und  Chiriguanos  ist  der 
Glaube  an  ein  jenseitiges  Leben,  wie  bei  anderen  Indianern, 
auf  Träume  gegründet.  Sie  treffen  im  Traume  einen  Toten, 
sie  besuchen  im  Traume  das  Totenreich.  Es  ist  indessen 
unrichtig  zu  sagen,  daß  die  Indianer  an  ein  Leben  im  Jenseits 
glauben.  Er  weiß,  daß  es  ein  solches  gibt,  denn  Lebende 
haben  die  Toten  gesehen,  haben  mit  ihnen  der  Liebe  gepflogen, 
haben  Maisbier  mit  ihnen  getrunken,  haben  sie  sich  in  Füchse, 
Ratten,  Baumstämme  usw.  verwandeln  sehen. 

Geister-  und  Tiersagen. 

,,Die  Toten  sind  ana",  sagte  Batirayu.  Unter  diesen  gibt 
es  mehrere,  die  Tunpa  (am  besten  mit  groß  zu  übersetzen) 
sind  und  übermensichliche  Kräfte  besitzen. 

Der    Größte    unter    den   Anatunpas    ist    Yamändutunpa. 

N  ordens  kiöld,    Indianerleben.  17 


258  Siebzehntes  Kapitel. 

Andere  der  Großen  sind  Mariutunpa  und  Tipaytunpa.  Chi- 
queritunpa,  der  in  einigen  der  hier  wiedergegebenen  Sagen 
auftritt,  ist  der,  der  den  Donner  hervorbringt.  Chiqueritunpa 
heult  des  Nachts,  wenn  es  Krieg  gibt.  Diese  Anatunpa  greifen 
in  das  Leben  der  Menschen  ein,  besonders  die  Zauberer  stehen 
mit  ihnen  in  Verbindung.  So  erzählte  Batirayu,  daß  die  Ana- 
tunpa des  Nachts  zu  Tsuhuandico,  einem  großen,  jetzt  ver- 
storbenen Zauberer,  kamen  und  mit  ihm  Maisbier  tranken. 
Sie  sagten  ihm,  wenn  es  regnet,  wenn  jemand  krank  wird,  ob 
eine  Mißernte  eintritt  usw.  Batirayu  berichtete  auch,  daß 
Angüya,  ein  Verwandter  des  Aringui,  der  letzte  große  Häupt- 
ling, den  Anatunpa  Tabak  anzubieten  pflegte,  wenn  sie  bei 
Tsuhuandico  waren.  Die  Anatunpas  tranken  nur  ganz  wenig 
Maisbier.  Wenn  sie  kamen,  sah  man  sie  nicht,  man  hörte 
aber  gleichsam  das  Klingen  von  Sporen. 

Diese  Zauberer  haben  eine  ungeheuere  Macht,  sie  können 
verhexen,  denn  Krankheit  und  Tod  haben  ihren  Grund  in 
Verhexung.  Unter  den  Chanes  ist  Tambäpui  der  größte 
Zauberer.  Er  ist  der  Enkel  des  Tsuhuandico  und  Sohn  des 
Yapandäy,  der  ebenfalls  ein  großer  „ipäye"  war. 

In  den  Sagen  treten  Yamändutunpa,  Mariutunpa  und 
Tipaytunpa  niemals  auf.  Dort  spielen  Aguaratunpa  (der 
Fuchsgott)  und  Tatutunpa  (der  Gürteltiergott)  die  größte 
Rolle.  Aguaratunpa  hat  Tembeta  (s.  S.  211).  Sie  haben 
menschliche  Leidenschaften,  und  besonders  die  Geschichte 
des  Fuchsgottes  ist  eine  Schilderung  von  allerlei  Kniffen  und 
Verbrechen.  Der  Gürteltiergott  ist  etwas  besser  und  steht 
auch  höher. 

Vocapoy  erzählte  mir,  er  habe  einen  alten  Mann  gekannt, 
der  in  den  Bergen  einen  Tunpa  gesehen  habe.  Er  war  eine 
Handbreit  groß  und  wohlgekleidet.  Das  Wasser  rann  von 
seinem  Körper. 

Batirayu  glaubte  steif  und  fest  an  die  Existenz  der  Anas 
und  Anatunpas,  an  ihre  Verbindung  mit  den  Zauberern  und 
an  deren  Macht.  Daß  Aguararenta  existiert,  davon  war  ei- 
lest überzeugt.   Der  Wahrheitstreue  der  Sagen  von  den  Aben- 


Tafel  20.     Sagenerzähler.     Chane.     Rio  Parapiti. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         259 

teuern  und  Erlebnissen  der  Aguaratunpas  und  Tatutunpas, 
die  ich  hier  unten  wiedergeben  will,  stand  er  skeptisch  gegen- 
über. 

In  der  Religion  dieser  Indianer  existiert  somit  zuerst  ein 
Kern  von  Wahrheit,  an  den  sie  glauben.  Hierzu  kommen  die 
Abenteuer  und  Taten,  die  sie  am  Lagerfeuer  von  den  Geistern 
erzählen  und  die  wenigstens  die  Intelligenteren,  die  Denken- 
den unter  ihnen,  selbst  als  Sagen  auffassen. 

Diese  Sagen  will  ich  hier  unten  wiedergeben. 

Der  Begriff  eines  großen,  allmächtigen  Gottes  ist  den 
Chanes  fremd.  Jetzt  wissen  sie  indessen  alle  direkt  oder 
indirekt  etwas  vom  Christentum,  wodurch  die  Vorstellung 
an  einen  großen  Gott  einzudringen  beginnt.  Vocapoy,  der 
kein  Christ  war,  erzählte  mir  einmal,  die  Chanes  glaubten 
an  einen  großen  Gott,  Tunpa. 

Batirayu  sagte,  er  glaube  nicht  an  einen  Gott,  wie  ihn 
die  Christen  beschreiben.  Er  wunderte  sich,  daß  die  Christen 
die  Armen  bedrückten  und  so  viele  Schlechtigkeiten  begingen, 
da  sie  doch  lehrten,  daß  die  Sünder  mit  der  Hölle  bestraft 
werden.  „Wie  kann  man  wissen,  wie  es  im  Himmel  aussieht, 
da  niemand,  der  dort  gewesen,  zur  Erde  zurückgekommen 
ist",  sagte  Batirayu. 

„Und  so  sagen  sie,  daß  wir  Flügel  bekommen  sollen", 
sagte  er  und  lachte  höhnisch. 

Den  Missionaren  nach  glauben  die  Chanes  an  ein  höchstes 
Wesen,1)  Tunpahette-vae,  den  wirklichen  Gott.  Der  Name 
klingt  schon  verdächtig.  Ich  stehe  der  Annahme,  daß  dieser 
ursprünglich  ist,  sehr  skeptisch  gegenüber.  Als  ich  mit  den 
Missionaren  über  die  Religion  der  Indianer  sprach,  erstaunte 
ich  über  ihre  Unwissenheit.  Sie  verachten  die  Vorstellungen 
der  Indianer  und  halten  es  nicht  der  Mühe  wert,  sie  näher 
kennen  zu  lernen.  Es  gelingt  ihnen  niemals,  sich  von  der 
katholischen  Vorstellung  zu  befreien,  daß  die  Indianer,  die, 
wie  wir,  von  Adam  und  Eva  herstammen  und  zu  denen  San 


1)  Vgl.  Domenico  del  Campana:  1.  c.  S.  39. 

r7« 


2Ö0  Siebzehntes  Kapitel. 

Thomas  gepredigt  hat,  nichts  von  ihrem  „ursprünglichen 
Glauben"  wissen. 

Zwei  der  Tunpas,  die  hier  in  den  Sagen  auftreten,  haben 
Tiernamen,  Aguaratunpa  (Fuchsgott)  und  Tatutunpa  (Gürtel- 
tiergott). In  den  Sagen  finden  wir  einen  intimen  Zusammen- 
hang zwischen  Menschen  und  Tieren. 

Batirayu  sagte:   ,,Alle  Tiere  sind  Menschen  gewesen." 

Die    Erschaffung    der    Welt,    wie    der    Fuchsgott, 

Aguaratunpa,  den  Algarrobobaum  fand  und  wie  er 

den  weißen  Kondor,  Ururuti,  fing. 

Erzählt  von  zwei  Chaneindianern  am  Rio  Parapiti. 

Es  wird  erzählt,  daß  im  Anfang  ein  Tunpa  war.  Er  machte 
die  Erde  mit  dem  Himmel  und  alle  Sterne,  die  Sonne  und 
den  Mond.  Es  wird  erzählt,  daß  diese  Erde  nichts  trug,  daß 
sie  ganz  kahl  war.  Tunpa  setzte  da  allerlei  Früchte  hinein, 
um  die  Armen  zu  speisen,  wie  die  Caraguatä  und  die  Mangära. 
Es  wird  erzählt,  daß  dort  eine  Algarrobo  war,  die  Mutter 
aller  Bäume.  An  diesem  Baum  waren  allerlei  Früchte.  Dieser 
Baum  hat  sich  in  der  ganzen  Welt  vermehrt.  Hierauf  kam 
Tunpa,  nahm  den  Mutterbaum  mit  und  ließ  die  Sprößlinge 
hier.  Es  wird  erzählt,  daß  Tunpa  die  Voreltern  von  uns  und 
auch  die  Voreltern  der  Weißen  geschaffen  hat.  Den  Avas1) 
und  Chanes  gab  Tunpa  einen  Holzspaten  und  einen  langen 
geschnitzten  Stock,  ,,carümpa"  genannt,  Pfeil  und  Bogen, 
ein  Schaf,  eine  Ziege,  ein  Huhn  und  einen  Hund,  damit  sie 
alle  diese  Tiere  vermehren  und  damit  sie  sich  mit  diesen 
Werkzeugen  ernähren.  Den  Weißen  gab  er  Gewehre,  ein 
Pferd,  eine  Stute  und  eine  Kuh  und  alle  möglichen  Werk- 
zeuge aus  Eisen,  damit  sie  mit  diesen  arbeiten.2) 

Es  wird  erzählt,    daß  die  kleine  Viscacha,3)  „Tacumbo- 


x)   Ava  =  Chiriguano. 

2)  Dies  ist  sicher  tin  moderner  Zusatz  zur  Sage.    Dasselbe  finden 
wir  in  einer  hier  wiedergegebenen  Matacosage. 

3)  Lagostomus. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         261 

cumba",  diese  Bäume,  die  vom  Mutterbaum  zurückblieben, 
beaufsichtige.  Sie  hatte  diese  Bäume  sehr  gut  beaufsichtigt, 
keinen  einzigen  Samen  hatte  sie  fortführen  lassen.  Sie  hatte 
die  Blüten  gekostet,  sie  aber  bitter  gefunden,  bis  sie  Frucht 
gaben.  Als  sie  reif  waren,  säete  sie  die  Samen.  Als  diese 
wieder  gereift  waren,  säete  sie  diese  wieder.  Im  folgenden 
Jahre  hatten  sie  alle  reife  Frucht  gegeben. 

Aguaratunpa  war  zum  Hause  der  Tacumbocumba  ge- 
kommen. Diese  war  eine  alte  Frau.  Sie  bot  Aguaratunpa 
von  diesen  Früchten,  die  sie  bewacht  hatte,  und  er  fand  sie 
sehr  gut.  Er  fragte,  wie  sie  heißen.  Sie  erwiderte,  diese 
Früchte  heißen  ,,mä". 

Als  sie  ihm  die  Früchte  anbot,  setzte  sie  sich  neben  Aguara- 
tunpa, damit  er  kein  einziges  Samenkorn  mitnehme.  Aguara- 
tunpa verbarg  in  einem  hohlen  Zahne  eines  der  kleinsten 
Samenkörner.  Als  er  zu  essen  aufgehört  hatte,  reichte  ihm 
die  Alte  Wasser  zum  Mundausspülen,  damit  kein  einziges 
Samenkorn  zurückbleibe.  Mit  dem  Finger  untersuchte  sie 
Aguaratunpas  Mund,  konnte  aber  kein  einziges  Korn  finden. 
Wieder  fragte  Aguaratunpa  die  Frau,  wie  der  Baum  heiße, 
und  nahm  Abschied.  Den  Namen  des  Baumes  nennend,  setzte 
er  seinen  Weg  fort.  Nicht  weit  davon  fiel  Aguaratunpa,  ver- 
gaß den  Namen  des  Baumes  und  kehrte  zu  der  Alten  zurück, 
um  zu  fragen.  Darauf  setzte  er  seinen  Weg  fort.  Wieder 
fiel  er,  wieder  vergaß  er  den  Namen,  und  wieder  kam  er  zu 
der  Alten  zurück,  um  zu  fragen.  Da  sagte  sie:  „Du  hast 
etwas  Samen  mitgenommen,  und  so  untersuchte  sie  noch 
einmal  seinen  Mund,  konnte  aber  nichts  finden.  Hierauf  ging 
Aguaratunpa  weiter,  bis  er  zu  einer  offenen  Ebene  kam. 
Dort  säete  er  den  Algarrobosamen,  den  er  mithatte.  Dann 
zog  er  weit  umher.  Nach  einigen  Jahren  kam  er  zurück  und 
fand  schon  eine  große  Algarrobopflanze  vor.  Wieder  zog  er 
weit  umher.  Als  er  zurückkam,  blühte  die  Algarrobo.  Er 
nahm  eine  Blüte  und  kaute  sie.  Sie  war  bitter.  Wieder  zog 
Aguaratunpa  in  die  Welt  hinaus.  Als  er  zu  seiner  Algarrobo 
zurückkam,  fand  er  sie  voll  reifer  Früchte.    Er  nahm  eine 


262  Siebzehntes  Kapitel. 

auf,  die  auf  die  Erde  gefallen  war,  und  kostete  sie.  Sie  war 
süß  und  gut.  Er  suchte  nun  nach  jemand,  der  den  Baum 
für  ihn  bewachen  wollte.  Er  fragte  zuerst  einen  Käfer, 
„Nyäkira",  dieser  wollte  aber  nicht.  Dann  fragte  er  „Hüiran", 
einen  kleinen  schwarzen  Vogel,  der  wollte  aber  auch  nicht. 
Nun  fragte  er  einen  anderen  Käfer,  „Tikitikiru",1)  und  dieser 
versprach  ihm,  den  Baum  zu  bewachen.  Kommt  jemand, 
der  von  deiner  Algarrobo  Früchte  stehlen  will,  so  will  ich 
singen:  ,,Tikitikiru,  tikitikiru,  ko  mä  seramätata,  tiki,  tiki", 
sagte  er.  Aguaratunpa  war  nicht  weit  gegangen,  da  hörte 
er:  ,, Tikitikiru,  tikitikiru,  ko  mä  seramätata,  tiki,  tiki." 
Aguaratunpa  eilte  zurück.  ,,Hier  sind  (Tuäta)  der  Floh, 
(Yateu)  die  Zecke  und  (Isäu)  die  Blattschneideameise  ge- 
wesen und  die  haben  Früchte  von  deiner  Algarrobo  gestohlen", 
sagte  Tikitikiru.  Die  Zecka  hatte  ein  großes  Tragnetz  mit- 
gehabt, um  die  Früchte  zu  tragen,  und  die  Blattschneide- 
ameise war  auf  den  Baum  geklettert,  um  sie  abzubeißen. 
Aguaratunpa  eilte  ihnen  nach.  Zuerst  erreichte  er  die  Ameise. 
Er  trat  auf  ihre  Mitte.  Darum  sind  alle  Ameisen  so  schmal 
um  den  Leib.  Dann  nahm  er  die  Zecke  auf  und  trat  mitten 
auf  sie,  so  daß  sie  ganz  platt  wurde.  Zuletzt  bekam  er  den 
Floh  und  trat  auf  ihn,  glitt  aber  aus,  so  daß  er  ihn  seitwärts 
drückte.  Darum  sind  alle  Flöhe  klein  und  zusammengedrückt. 
Tikitikiru  überließ  nun  Aguaratunpa  die  Algarrobo,  damit 
er  sie  selbst  bewache.  Er  spannte  seine  Hängematte  auf  und 
legte  sich  zur  Ruhe.  An  einem  Zweig  sah  er  noch  eine  Frucht, 
die  die  Diebe  zurückgelassen  hatten.  Aguaratunpa  rief  nun 
den  Wind  herbei,  und  der  schüttelte  den  Zweig,  an  welchem 
die  Algarrobofrucht  saß,  so  daß  sie  herunterfiel.  Die  Frucht 
fiel  Aguaratunpa  mitten  ins  Auge.  Der  Fuchsgott  war  nun  tot. 
Bald  kamen  alle  Geier,  um  von  Aguaratunpa  zu  essen. 
Sie  schickten  den  Kolibri  „Chinu",  um  ihren  großen  Häupt- 
ling, den  weißen  Kondor,  Ururuti,  zu  holen,  damit  dieser  von 
Aguaratunpa  esse. 


x)   Wahrscheinlich  eine  Carambycide. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         263 

, .Hütet  euch,  er  ist  nicht  tot,  er  stellt  sich  nur  tot,  um 
unsern  großen  Häuptling  zu  fangen,"  sagte  einer  der  Geier, 
,,Kara-kara". 

,, Gewiß  ist  er  tot",  sagte  die  Fliege  „Mberu"  und  kroch 
unter  dem  Schwanz  des  Fuchsgottes  hinein  und  aus  einem 
Nasenloch  heraus,  durch  das  andere  hinein  und  so  unter  dem 
Schwanz  wieder  heraus. 

,,Er  ist  nicht  tot",  sagte  Kara-kara. 

,,Er  ist  tot",  sagte  die  Fliege  und  legte  Eier  in  Aguara- 
tunpas  Augen,  so  daß  sie  voller  Würmer  waren.  Als  der 
weiße  Kondor  kam,  näherte  er  sich  Aguaratunpa,  um  zu 
essen. 

,,Hüte  dich,  er  ist  nicht  tot",  sagte  der  Geier. 

,,Er  ist  tot",  sagte  die  Fliege  und  kroch  wieder  unter 
Aguaratunpas  Schwanz  hinein  und  durch  das  eine  Nasenloch 
heraus,  durch  das  andere  hinein  und  dann  unter  dem  Schwänze 
wieder  heraus. 

Der  weiße  Kondor  begann  nun  von  Aguaratunpa  zu  essen. 
Dieser  fuhr  nun  auf,  nahm  ihn  gefangen  und  band  ihn  mit 
einer  Kette  von  Silber. 

,,Eine  Herde  Pferde  will  ich  dir  geben,  wenn  du  mir  die 
Freiheit  schenkst",  sagte  der  weiße  Kondor. 

,,Ich  habe  so  viele  Pferde,  daß  ich  nicht  mehr  brauche", 
sagte  Aguaratunpa. 

,,Ich  will  dir  große  Felder  geben,  wenn  du  mir  die  Freiheit 
schenkst",  sagte  der  weiße  Kondor. 

„Ich  habe  so  viele  Felder,  daß  ich  nicht  mehr  brauche", 
sagte  Aguaratunpa. 

,,Ich  will  dir  meine  beiden  Töchter  zu  Frauen  geben  und 
ein  Haus,  in  dem  du  wohnen  kannst,  wenn  du  mir  die  Freiheit 
schenkst",  sagte  der  weiße  Kondor. 

„Ich  brauche  deine  Töchter  nicht,  denn  ich  habe  in  allen 
Dörfern  Frauen",  sagte  Aguaratunpa. 

„Ich  will  ein  ganzes  Haus  mit  silbernen  Schalen,  ,cagua\ 
füllen  und  es  dir  geben,  wenn  du  mir  die  Freiheit  schenkst", 
sagte  der  weiße  Kondor. 


264 


Siebzehntes  Kapitel. 


„Ich  habe  so  viel  Silber,  wie  ich  brauche,"  sagte  Aguara- 
tunpa,  „und  ich  habe  dich  gefangen,  um  dich  zu  töten.  Kannst 
du  mir  aber  den  weißen  Gummiball,  ,toki',  schenken,  damit 
ich  damit  spielen  kann,  so  will  ich  dir  die  Freiheit  schenken", 
sagte  Aguaratunpa. 

An  eine  lange  silberne  Kette  gebunden,  flog  Ururuti,  um 
den  weißen  Gummiball  zu  holen.  Als  Aguaratunpa  ihn  be- 
kam, schenkte  er  dem  weißen  Kondor  die  Freiheit.  Der 
Strauß,  „Yändu",  und  die  Fledermaus,  „Andira",  spielten 
Ball.    Der  eine  warf  den  Ball,  fing  ihn  mit  dem  Kopf  auf 

und  stieß  ihn  dem  anderen  zu, 
der  ihn  wieder  mit  dem  Kopfe 
auffing  und  zurückstieß  (vgl. 
S.  193).  Als  der  Ball  durch  die 
Luft  flog,  fing  der  weiße  Kon- 
dor ihn  auf  und  verschwand. 
Aguaratunpa  schickte  nun 
einen  Vogel,  „Tavatan",  um  den 
schwarzen  Gummiball  zu  holen, 
und  das  ganze  Dorf  spielte. 
Mit  dem  Strauß  spielte  Aguaratunpa.  Mitten  im  Spiel  tauschte 
er  den  Ball  gegen  einen  Stein  aus  und  warf  ihn.  Der  Strauß 
fing  ihn  mit  dem  Kopf  und  fiel  tot  nieder.  Als  er  wieder 
lebendig  wurde,  hatte  er  einen  plattgedrückten  Kopf,  wie 
jetzt  alle  Strauße.  Mit  dem  schwarzen  Gummiball  verschwand 
die  Fledermaus. 

Nun  ist  die  Geschichte  aus. 


Abb.  127.    Tongefäß. 
Chiriguano.    Caipipendi.    1/3 


Tatutunpas  und  Aguaratunpas  Verheiratung. 
Sage,  erzählt  von  dem  Chaneindianer  Agilera  am  Rio  Parapiti. 

Es  wird  erzählt,  dort  war  einmal  ein  großer  Häuptling, 
Chiqueri,  und  dort  waren  auch  Tatutunpa  und  Aguaratunpa. 
Sie  lebten  alle  weit,  weit  fort  von  hier.  Am  weitesten  wohnte 
der  große  Häuptling.  Dieser  hatte  Tatutunpa  kommen  lassen, 
um  ihm  seine  Tochter  zur  Frau  zu  geben.  Tatutunpa  kannte 
viele  Künste  und  Aguaratunpa  kannte  auch  viele  Künste. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         265 

Tatutunpa  machte  sich  auf  den  Weg.  Er  ging  ganz  lang- 
sam und  wartete  an  vielen  Stellen.  Wo  er  Feuer  anmachte, 
wuchs  hohes  Gras.  Zwei  bis  drei  Tage,  nachdem  Tatutunpa 
sein  Haus  verlassen  hatte,  kam  Aguaratunpa  und  fragte, 
wohin  Tatutunpa  gegangen  sei.  Man  sagte  ihm,  Tatutunpa 
sei  zu  dem  großen  Häuptling  gegangen.  Aguaratunpa  folgte 
ihm  nun  und  traf  ihn  nicht  weit  davon.  Bevor  sie  ankamen, 
fanden  sie  eine  Pflanze  namens  „ihuahuasu"1)  am  Wege. 
Aguaratunpa  sagte  zu  Tatutunpa,  er  solle  die  Früchte  ab- 
pflücken, damit  sie  sie  essen  könnten.  Er  ging  in  den  Wald 
unter  die  Pflanze.  Bevor  noch  Tatutunpa  eine  der  Früchte 
hatte  berühren  können,  schüttelte  Aguaratunpa  die  Pflanze, 
so  daß  alle  Früchte  auf  Tatutunpa  fielen.  Dieser,  der  jung 
und  hübsch  war,  wurde  nun  einäugig  und  alt.  Nun  war 
Aguaratunpa  der  jüngere  und  schönere  von  beiden.  Sie 
setzten  nun  ihren  Weg  zu  dem  großen  Häuptling  fort.  Tatu- 
tunpa hatte  eine  Halskette,  die  Aguaratunpa  ihm,  bevor  sie 
ankamen,  abgelockt  hatte. 

Der  große  Häuptling  glaubte,  Tatutunpa,  der  alt  und  häß- 
lich war,  sei  Aguaratunpa  und  dieser  Tatutunpa.  Er  gab  dem 
ersteren  seine  schönste  Tochter  zur  Frau  und  dem  letzteren 
gab  er  eine  seiner  allerhäßlichsten,  die  auch  einäugig,  wie 
er,  war. 

Aguaratunpa  begann  zu  arbeiten,  um  den  Acker  zu  roden 
und  zu  säen.  Während  er  arbeitete,  band  er  sein  langes  Haar 
auf.  Als  er  von  der  Arbeit  kam,  war  er  ganz  schmutzig.  Tatu- 
tunpa tat  nichts.  Er  lag  den  ganzen  Tag  neben  seiner  Frau 
und  flötete  auf  einer  runden  Holzpfeife  (Abb.  80).  Als  seine 
Schwiegermutter  sah,  daß  er  nicht  arbeitete,  sagte  sie :  „Dieser 
Mann  denkt  gar  nicht  an  seine  Familie." 

Da  er  dies  hörte  und  wußte,  daß  Aguaratunpa  schon  viel 
gearbeitet  hatte,  fragte  er  seine  Frau,  ob  ihr  Vater  keinen 
alten  Acker  habe,  den  er  bebauen  könne.  Die  Schwieger- 
mutter sagte  da  zu  ihrer  Tochter:  „Warum  fragt  jener  Mann 

i)  Vgl.  S.  51. 


2Ö6  Siebzehntes  Kapitel. 

nach  einem  Acker,  er,  der  so  faul  ist.  Besser  wäre  es,  wenn 
Aguaratunpa,  der  arbeitet,  danach  fragte." 

Tatutunpa  ging  mit  seinem  Stock  und  seiner  Frau  nach 
dem  alten  Acker  des  Häuptlings.  Er  ging  auf  den  großen, 
wüsten  Acker,  grub  ein  wenig  Erde  auf,  hob  einen  Erd- 
klumpen auf  und  warf  ihn  in  die  Luft.  Der  Erdklumpen 
fiel  zur  Erde  und  zerbröckelte  in  viele  Stücke.  „Diese  Erde 
ist  nichts  wert",  sagte  er  und  fragte  seine  Frau,  ob  nicht 
irgendwo  eine  große  Ebene  sei,  die  er  bebauen  könnte.  Sie 
sagte,  es  gäbe  eine  große  Ebene.  Sie  begaben  sich  dorthin 
und  gingen  mitten  auf  die  Ebene.  Tatutunpa  grub  ein  wenig 
Erde  auf,  warf  wieder  einen  Erdklumpen  in  die  Luft,  dieser 
ging  aber  nicht  entzwei,  sondern  fiel  ganz  nieder.  Er  sagte 
zu  seiner  Frau,  diese  Erde  lasse  sich  sehr  gut  bearbeiten. 
Sie  gingen  nach  Hause. 

Am  anderen  Morgen  begab  sich  der  alte  Tatutunpa  mit 
seinem  Spaten  nach  der  Ebene,  wo  er  ein  wenig  gegraben 
hatte,  und  steckte  ihn  in  den  Boden.  In  ganz  kurzer  Zeit 
wurde  die  ganze  große  Ebene  ganz  allein  von  dem  Spaten 
gereinigt.  Tatutunpa  rief  nun  den  Wind  herbei,  der  mit 
großer  Stärke  kam  und  alles  schlechte  Zeug  wegblies.  Nur 
das  Allerfeinste  war  stehen  geblieben.  Hierauf  rief  er  den 
Wirbelwind,  der  den  Acker  ganz  frei  fegte.  Tatutunpa  bat 
die  Papageien  um  Samen,  sie  kamen  aber  mit  untauglichen 
Samenkörnern,  die  alle  entzwei  waren.  Als  er  sah,  daß  diese 
Samen  nichts  taugten,  bat  er  die  Enten  und  Tauben  und  die 
ganz  kleinen  Tauben,  sie  möchten  mit  allerlei  Samen  kommen, 
und  diese  taten  es  auch.  Sie  säeten  sogar  selbst.  Als  die 
Saat  beendet  war,  begab  sich  Tatutunpa  auf  dem  Wege,  der 
nach  seinem  Hause  führte,  heim.  Er  war  noch  nicht  weit 
gekommen,  da  drehte  er  sich  um,  um  nach  seinem  Acker  zu 
sehen.  Er  sah,  daß  die  Pflanzen  schon  zu  keimen  begannen. 
Wieder  ging  er  ein  Stück  und  wendete  sich  wieder  um,  um 
nach  seinem  Acker  zu  sehen.  Die  Pflanzen  waren  schon  groß. 
Wieder  ging  er  weiter  und  drehte  sich  wieder  um.  Da  fand 
er  seinen  Acker  schon  in  Blüte.    In  der  Nähe  seines  Hauses 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         26/ 

wandte  sich  Tatutunpa  wieder  um,  um  nach  seinem  Acker 
zu  sehen,  und  fand,  daß  alles,  was  er  gesäet  hatte,  schon 
reife  Früchte  trug. 

Bei  Aguaratunpa,  der  so  fleißig  gearbeitet  hatte,  war  noch 
nichts  reif  oder  in  Blüte. 

Am  folgenden  Tage  sagte  Tatutunpa  zu  seiner  Frau:  „Wir 
wollen  gehen,  um  nach  unserem  Acker  zu  sehen.  Sie  gingen 
nach  dem  Acker  und  die  Frau  sah,  daß  alle  Früchte  reif 
waren.  Tatutunpa  gebot  ihr,  ein  Feuer  anzumachen,  um 
Mais  und  alle  anderen  Früchte  zu  rösten.  Er  sagte  ihr,  sie 
solle  einen  Maiskolben,  zwei  Bohnen  und  einen  Kürbis  aus- 
graben, aber  nicht  mehr.  Nicht  einmal  dies  vermochten  sie 
aufzuessen. 

Danach  gingen  sie  nach  Hause  und  sagten  zu  der  Alten, 
sie  solle  mit  ihnen  kommen  und  alles  abernten,  was  sie  zu 
essen  wünsche.  Die  Alte  glaubte  ihnen  nicht,  sondern  glaubte, 
sie  hätten  gestohlen.  Sie  konnte  nicht  glauben,  daß  sie  etwas 
zu  ernten  hätten,  da  sie  nicht  gearbeitet  hatten.  „Ich  gehe 
lieber  zu  meiner  anderen  Tochter,  die  fleißig  gearbeitet  hat", 
sagte  die  Alte. 

Aguaratunpa  begab  sich  nun  zu  Tatutunpas  Acker  und 
stahl  Kürbisse,  die  er  nach  seiner  Anpflanzung  brachte.  Mit 
Stäbchen  und  Dornen  befestigte  er  die  Kürbisse  an  den  halb- 
gewachsenen Kürbisstengeln.  In  der  Dämmerung  kehrte  er 
heim  und  sagte  zu  seiner  Frau,  sie  solle  ihre  Mutter  bitten, 
in  seinem  Acker  Kürbisse  zu  ernten.  Die  Tochter  ging  zu 
ihrer  Mutter  und  sagte:  „Wir  wollen  nach  dem  Acker  gehen, 
um  Kürbisse  zu  holen."  Vergnügt  machte  die  Alte  sich  auf 
den  Weg,  denn  sie  hatte  gesehen,  daß  sie  viel  gearbeitet 
hatten,  und  sie  glaubte  ihrer  Tochter.  Sie  gingen,  fanden 
aber  nicht  mehr  Kürbisse,  als  wie  sie  in  einer  Getreide- 
schwinge einernten  konnten. 

Am  folgenden  Tage  bat  wieder  Tatutunpas  Frau  ihre 
Mutter,  mit  aufs  Feld  zu  kommen.  Die  Alte  glaubte  ihr  gar 
nicht,  als  aber  der  Alte,  ihr  Mann,  sah,  daß  sie  so  hartnäckig 
waren,  befahl  er  ihr,  zu  gehen.  Ärgerlich  machte  sich  die  Alte 


2Ö8  Siebzehntes  Kapitel. 

auf  den  Weg.  Tatutunpa  ging  vor  ihr,  auf  seiner  Pfeife 
flötend.  Als  sie  auf  den  Acker  kamen,  sah  die  Alte,  daß  er 
voll  von  allerlei  Früchten,  Mais,  Kürbissen,  Bohnen  und  Kale- 
bassen war.  Die  Alte  wurde  richtig  vergnügt,  sie  konnte 
ihre  Freude  kaum  mäßigen. 

Als  sie  nach  dem  Ackerrain  kam,  sah  sie  eine  gewaltige 
Kalebasse  und  sagte  zu  ihrer  Tochter,  diese  wünsche  sie  für 
sich.  Während  sie  plauderten,  fiel  die  Kalebasse  auf  die  Alte, 
diese  fiel  hin  und  konnte  sich  infolge  der  schweren  Kalebasse, 
die  sie  drückte,  kaum  bewegen.  Die  Tochter  kam  ihr  zu 
Hilfe  und  versuchte  die  Kalebasse  zu  heben,  sie  vermochte 
es  aber  nicht.  Sie  rief  ihrem  Manne  zu,  er  solle  kommen  und 
ihr  helfen.  Dieser  blieb  jedoch  eine  lange  Weile  fort,  und 
erst  als  die  Alte  dem  Tode  nahe  war,  kam  er,  hob  die  Kale- 
basse auf  und  setzte  sie  wieder  an  ihrem  alten  Platze  fest. 
Die  halbtote  Alte  hob  er  auf. 

Als  sie  sich  nach  einem  Weilchen  erholt  hatte,  sahen  sie 
sich  weiter  den  Acker  an.  Die  Alte  wollte  einen  Maiskolben 
abbrechen.  Tatutunpa  sagte  ihr,  sie  solle  seinen  Acker 
schonen  und  nur  den  Kolben  abbrechen.  Sie  erntete  nun 
zwei  Maiskolben  und  zwei  von  allen  anderen  Früchten,  ohne 
etwas  zu  zerstören.  Alles,  was  sie  abgeerntet  hatte,  setzte 
sofort  wieder  reife  Früchte  an.  Mit  den  Früchten  beladen, 
ging  sie  nach  Hause.  Sie  erzählte  ihrem  Manne,  daß  Tatu- 
tunpa schon  einen  großen  Acker  habe.  „Das  ist  somit  der 
Tatutunpa,  den  wir  haben  kommen  lassen",  sagte  der  Alte. 
Aguaratunpa  hat  uns  betrogen." 

Am  folgenden  Tag  sagte  Tatutunpa  zu  seiner  Frau:  ,,Wir 
wollen  nach  unserem  Acker  gehen."  Sie  gingen  dorthin.  Er 
grub  nun  ein  Loch,  in  welchem  er  ein  Feuer  machte.  Als 
das  Loch  richtig  warm,  richtig  rot  war,  nahm  er  eine  sehr 
große  Kalebasse  und  kroch  in  dieselbe  hinein.  Er  bat  seine 
Frau,  die  Kalebasse  zuzustopfen,  in  die  warme  Grube  zu 
legen  und  die  Kalebasse,  wenn  er  pfeife,  umzudrehen,  damit 
er  hinaus  könne.  Die  Frau  tat  so,  wie  er  gesagt  hatte.  Als 
er  pfiff,  drehte  sie  die  Kalebasse  um  und  Tatutunpa  kam 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         269 

heraus,  schön  und  jung,  mit  allen  seinen  alten  Schmucksachen 
geschmückt. 

Nach  einem  Weilchen  wärmte  Tatutunpa  die  Grube  wieder 
und  seine  Frau  kroch  in  die  Kalebasse.  Er  bedeckte  diese 
und  Warf  sie  in  die  Grube.  Als  sie  pfiff,  drehte  er  die  Kale- 
basse um.    Jung  und  schön  kam  sie  aus  derselben. 

Sie  kehrten  nach  Hause  zurück  und  nahmen  ein  Ouebracho- 
stäbchen  mit,  um  damit  Feuer  anzumachen.  Als  sie  nach 
Hause  kamen,  war  die  Alte  mit  dem  Brauen  von  Maisbier 
beschäftigt. 

,,In  dieser  Nacht  wird  es  sehr  kalt  und  deshalb  habe  ich 
dieses  Stäbchen  mitgenommen,  damit  wir  etwas  haben,  woran 
wir  uns  wärmen  können",  sagte  Tatutunpa.  Aguaratunpa 
hatte  viel  ,,Tartago"-Holz  mit  nach  Hause  genommen,  es 
reichte  aber  nicht  die  ganze  Nacht.  Mitten  in  der  Nacht  war 
das  Holz  zu  Ende.  Er  ging  zur  Feuerstätte  seiner  Schwieger- 
mutter, die  beim  Maisbierkochen  war.  Als  die  Alte  sah,  daß 
ein  Fuchs  sich  zu  ihrem  Feuer  schlich,  steckte  sie  ein  Stück 
Holz  in  Aguaratunpas  Hinteren.  Mit  dem  Holz  im  Hinteren 
sprang  er  davon,  für  immer  in  einen  Fuchs  verwandelt. 

Die  Entstehung  der  Arbeit. 
Erzählt  von  dem  Chaneindianer  Batirayu. 

Tatutunpa  hatte  einen  Zauberspaten.  Stellte  man  ihn  des 
Abends  in  den  Acker,  so  war  der  Acker  am  Morgen  fertig 
gegraben.  Aguaratunpa  kam  eines  Tages  in  Gesellschaft 
seiner  beiden  Brüder  zu  Tatutunpa.  „Wir  wollen  um  deinen 
Spaten  spielen",  sagte  er.  „Wenn  es  blitzt,  wollen  wir  in 
den  Blitz  sehen,  und  derjenige,  der  nicht  blinzelt,  gewinnt 
den  Spaten.    Darauf  ging  Tatutunpa  ein. 

Aguaratunpa  lieh  sich  nun  die  Augen  der  Heuschrecke 
,,Tu-ku",  die  keine  Augenlider  hat,  Tatutunpa  und  Aguara- 
tunpa setzten  sich  und  stierten  nach  dem  Himmel.  Als  es 
blitzte,  blinzelte  Tatutunpa,  aber  nicht  Aguaratunpa,  der  die 
Augen  der  Heuschrecke  hatte.  Er  hatte  den  Spaten  ge- 
wonnen.   Als  er  ging,  nahm  er  gleichwohl  nicht  den  Spaten, 


270  Siebzehntes  Kapitel. 

der  selbst  grub,  mit,  sondern  einen  gewöhnlichen  hölzernen 
Spaten. 

„Nehme  ich  den  Spaten  mit  dem  hohlen  Stiel,  so  können 
auch  die  Faulen  Mais  bauen,  mit  dem  hier  aber  muß  man 
arbeiten,  um  Mais  für  seine  Familie  zu  schaffen",  sagte  Aguara- 
tunpa  zu  seinen  Brüdern. 

Der  Heuschrecke  gab  Aguaratunpa  die  geliehenen  Augen 
zurück. 

Wie    Aguaratunpa    seinen    Bruder   nach    dem    Him- 
melsgewölbe schickte. 
Erzählt  von  dem  Chaneindianer  Batirayu. 

Aguaratunpa  lebte  mit  seinem  Bruder  zusammen.  In 
einem  Korb  hatte  er  zwei  kleine  Papageien.  Eines  Tages  flogen 
sie  nach  einem  Acker,  wo  sie  Mais  aßen.  Als  sie  nach  Hause 
kamen,  hatte  der  eine  Maismehl  um  den  Schnabel:  ,, Woher 
hast  du  das?"  fragte  Aguaratunpa.  „Von  einem  Acker  weit 
hinten,  wo  die  Sonne  untergeht",  sagten  die  Papageien. 

Am  folgenden  Tag  schickte  Aguaratunpa  die  Papageien 
fort.  Wohin  sie  flogen,  dahin  folgte  er  ihnen.  Als  er  hinkam, 
brach  er  Mais  ab.  Da  kam  der  Besitzer  des  Ackers  und  sah, 
daß  jemand  Mais  gestohlen  hatte.  Aguaratunpa  verbarg  sich, 
der  Besitzer  fand  ihn  aber,  da  er  sich,  als  er  den  Mais  ab- 
brechen wollte,  in  Hände  und  Füße  geschnitten  und  überall 
Blutspuren  hinterlassen  hatte. 

Der  Besitzer  sagte  zu  Aguaratunpa:  „Warum  hast  du  mir 
Mais  gestohlen,  hättest  du  mich  darum  gebeten,  hätte  ich 
ihn  dir  gegeben."  Er  brach  viele  Maiskolben  ab  und  belud 
Aguaratunpa  damit,  der  sie  nach  Hause  brachte.  Er  legte 
sie  neben  die  Tür. 

Als  er  am  folgenden  Morgen  erwachte,  hatte  der  kleine 
Haufen  sich  in  einen  großen  verwandelt,  der  bis  an  das  Dach 
reichte. 

Aguaratunpas  Bruder  fragte  ihn,  woher  er  den  Mais  habe. 
„Es  ist  weit  weg,"  sagte  Aguaratunpa.  „Es  gibt  keinen  Weg, 
und  du  kannst  nicht  hinfinden." 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         271 

Der  Bruder  machte  sich  aber  doch  auf  den  Weg  und  kam 
an  den  Acker,  wo  er  „anday"1)  fand,  von  dem  er  aß.  Dieser 
war  vergiftet,  und  er  starb.  Tot  fand  Aguaratunpa  ihn.  Er 
sagte,  er  wolle  ihn  wieder  lebendig  machen.  Aguaratunpa 
nahm  eine  Pflanze,  ,,ihuahuasu".  Mit  dieser  schlug  er  ihn. 
Er  sprang  über  ihn,  erst  gerade  über  den  Körper,  dann  vom 
Kopf  bis  zum  Schwanz. 

Der  Bruder  wurde  wieder  lebendig  und  sagte:  ,,Ich  habe 
lange  geschlafen."  —  „Du  hast  nicht  geschlafen,  du  bist  tot 
gewesen",  sagte  Aguaratunpa.  Dieser  schickte  den  Bruder 
zum  Himmel.2)  Wenn  es  donnert,  dann  geht  der  Bruder 
Aguaratunpas  spazieren. 

Über    den    Sohn    von    Tatutunpa    und    wie    er    seine 

Mutter  gerettet  hat. 

Erzählt  von  dem  Chiriguanoindianer  Yambäsi  am  Rio  Grande. 

In  einem  Hause  war  ein  Mädchen  Inömu,  das  niemals 
einen  Mann  gehabt  hatte.  Vor  dem  Hause  war  ein  großes 
Trinkgelage.  Dort  waren  Aguaratunpa,  Tatutunpa  und  Dyori. 
Die  Eltern  des  Mädchens  nahmen  sie  mit  und  setzten  sie  da 
auf  den  Boden,  wo  man  mit  Maisbiertrinken  beschäftigt  war. 
Aguaratunpa  fand,  daß  Inömu  sehr  hübsch  sei.  Das  fand 
auch  Tatutunpa.  ,,Ich  werde  das  Mädchen  schwanger 
machen",  sagte  er  und  begann  zu  graben.  Aguaratunpa 
stellte  sich  davor.  Tatutunpa  grub  sich  in  die  Erde  und 
unter  dem  Mädchen  hinauf.3)  Als  Tatutunpa  geendet  hatte, 
kroch  er  wieder  heraus  und  erzählte  Aguaratunpa,  was  er 
getan. 

,,Ich  will  auch  versuchen",  sagte  Aguaratunpa  und  kroch 
in  den  Gang  hinein.  Er  war  nicht  weit  gekommen,  da  blieb 
er  stecken.  Tatutunpa  packte  ihn  am  Schwanz  und  zog  ihn 
heraus. 


a)    Kürbis  einer  wohlschmeckenden  Art. 

2)  Ära  =  Himmelsgewölbe,  Weltraum. 

3)  Gemildert. 


272  Siebzehntes  Kapitel. 

Als  das  Mädchen  nach  Hause  kam,  rief  ein  Vogel  „Araqua", 
daß  sie  schwanger  sei.  Am  folgenden  Tage  wurde  sie  groß. 
Sie  war  hochschwanger.  Ihre  Mutter  war  erbittert.  Sie  sagte, 
sie  wolle  weit  fort  zum  Vater  gehen  und  gebären.  Inömu  ging 
zur  Höhle  Tatutunpas  und  warf  das  Kind  hinein,  ohne  ihm 
Milch  zu  geben.  Das  Kind  schrie  täglich,  und  die  Mutter 
sah  nach  ihm,  wenn  sie  aber  kam,  kroch  es  in  die  Höhle. 
Eines  Tages  kam  „Yahuete",  der  Jaguar  mit  zwei  Köpfen, 
von  denen  der  eine  trocken  war,  riß  ihr  die  Augen  aus  und 
führte  sie  lebend  fort. 

Der  Großvater  ging  nun  aus,  um  den  kleinen  Tatutunpa 
zu  fangen,  indem  er  ein  Netz  vor  die  Höhle  legte,  in  welchem 
dieser  sich  fing.  Er  führte  ihn  nach  Hause.  Dort  wuchs  er 
schnell  und  begann  groß  zu  werden.  Er  wurde  mit  Honig 
großgezogen.  Eine  Tages  verlangte  der  kleine  Tatutunpa 
Pfeil  und  Bogen.  Der  Großvater  machte  ihm  einen  Pfeil  mit 
einer  stumpfen  Spitze  aus  Wachs.  Mit  dem  ging  er  aus  und 
jagte.  Wenn  er  den  Stamm  traf,  fielen  alle  Tauben  tot 
herunter.  Es  war  eine  große  Masse.  Als  Tututunpa  nach 
Hause  kam,  fragte  der  Großvater,  wie  er  so  viele  Tauben 
habe  töten  können,  und  da  erzählte  er,  wie  es  zugegangen 
war.  Auf  dieselbe  Weise  tötete  er  viele  Vögel.  Eines  Tages 
sah  er  fünf  Araquavögel  auf  einem  Baum.  Tatutunpa  schoß 
nach  dem  Baum,  aber  nur  vier  fielen  herunter.  Der  fünfte 
sagte:  ,,Du  tätest  besser,  deine  Mutter  zu  suchen,  als  Vögel 
zu  schießen." 

Als  Tatutunpa  nach  Hause  kam,  bat  er  den  Großvater, 
ihm  eine  Keule  aus  „Huirapucu1)  zu  schaffen.  Er  schlug  mit 
ihr  gegen  einen  dicken  Baumstamm,  mußte  aber  zweimal 
schlagen,  um  den  Stamm  abzubekommen.  Tatutunpa  sagte 
da  zu  dem  Großvater,  sie  tauge  nichts,  und  verlangte  eine 
Keule  aus  „Urundey".2)  Er  schlug  mit  ihr  gegen  einen  dicken 
Baumstamm  und  schlug  den  Stamm  mit  einem  Schlage  ab. 
,, Diese  ist  gut",  sagte  Tatutunpa. 

x)    Huirapucu  ist  ein  weiches  Holz  (Salix  Humboldtiana). 
2)    ,, Urundey"  ist  rotes   Quebracho  oder  nahestehend. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         273 

In  Begleitung  Dyoris  machte  sich  Tatutunpa  auf  den  Weg. 
Auf  dem  Wege  tötete  er  einen  Tapir.  Dyori1)  teilte  ihn  in 
vier  Teile  und  fraß  ihn  auf.  Sogar  das  Blut  leckte  er  vom 
Boden  auf. 

Tatutunpa  fand  die  Mutter  blind  im  Walde.  Sie  bat  ihn, 
die  Jaguare  zu  töten,  die  sie  gefangen  hielten.  ,,Sie  kommen 
zur  Tränke,  um  zu  trinken",  sagte  sie. 

Tatutunpa  machte  sich  einen  kleinen  Schuppen,  in  welchem 
er  sich  verborgen  hielt.  Dyori  versteckte  sich  hinter  ihm. 
Zuerst  kam  ,,Embaracaya"2)  mit  ihrer  Beute.  Mit  einem 
Schlage  zertrümmerte  Tatutunpa  ihren  Kopf  und  warf  sie 
und  ihre  Beute  Dyori  hin,  der  alles  auffraß.  Auf  dieselbe 
Weise  tötete  er  ,,Yahuapinta"3)  und  die  anderen  Katzen- 
tiere. Er  warf  sie  Dyori  hin,  der  sie  alle  auffraß.  Zuletzt 
kam  Yahuete,  der  zwei  Köpfe  hatte.  Er  bat  Inömu  um 
Wasser.  Yahuete  trug  einen  Tapir,  den  er  getötet  hatte. 
Inömu  wies  ihn  zur  Tränke. 

„Nein,  gib  mir  hier  Wasser,  es  hält  sich  jemand  an  der 
Quelle  verborgen",  sagte  Yahuete. 

,,Nein,  es  ist  niemand  da,  und  wie  soll  ich,  die  ich  blind 
bin,  Wasser  holen  können,  ich  falle  ja",  sagte  Inömu. 

Yahuete  ging  zur  Tränke.  Als  er  dorthin  kam,  schlug 
Tatutunpa  mit  der  Keule,  um  ihn  zu  töten,  traf  aber  nur 
den  trocknen  Kopf  und  Yahuete  sprang  davon.  Tatutunpa 
folgte  ihm.  Als  Yahuete  sich  verfolgt  sah,  verbarg  er  sich 
unter  dem  ,,tiru"  (S.  200  erwähnte  Frauentracht)  des  Mondes. 

„Wo  ist  Yahuete?"  fragte  Tatupunta. 

,,Das  weiß  ich  nicht",  antwortete  die  Frau  (d.  h.  der 
Mond).     Das  war  die  erste  Lüge. 

,,Er  ist  unter  deiner  ,tiru'  verborgen",  sagte  Tatutunpa 
und  ging  weiter. 

Der  Mond  rief  ihm  da  nach.     ,, Yahuete  frißt  mich  auf." 


x)   Dyori  wird  immer  als  der  Unersättliche   geschildert.      Er  ent- 
spricht dem  Möconomöco  in  den  Sagen  von  Mojos. 

2)  Eine  große  Wildkatze. 

3)  Puma  (Felix  concolor). 

N'ordenskiöld,   Indianerleben.  18 


274  Siebzehntes  Kapitel. 

Tatutunpa  ging  zurück,  um  ihm  zu  helfen.  Er  sagte  da, 
es  sei  nicht  wahr.  Tatutunpa  ging  wieder  weiter.  Er  rief 
nun  wieder :  „Yahuete  frißt  mich  auf."  Als  Tatutunpa  zurück- 
kam, sagte  er,  es  sei  unwahr.  Tatutunpa  ging  wieder  weiter. 
Wieder  rief  der  Mond,  Yahuete  wolle  ihn  auffressen.  Tatu- 
tunpa kehrte  aber  nicht  mehr  zurück.  Nun  war  Yahuete 
wirklich  im  Begriff,  ihn  zu  fressen. 

Als  Tatutunpa  zu  seiner  Mutter  zurückkehrte,  sagte  er, 
er  werde  dafür  sorgen,  daß  sie  wieder  sehen  könne.  Aus 
Taubenschmutz  und  Ton  machte  er  Augen  und  setzte  sie 
in  ihre  leeren  Augenhöhlen.  Inomu  rieb  sich  die  Augen, 
öffnete  sie  und  konnte  wieder  sehen.  Tatutunpa  führte  nun 
seine  Mutter  nach  Hause. 

Batirayu  hat  mir  dieselbe  Sage  mit  einer  langen  Einleitung 
erzählt,  die  in  Yambäsis  Erzählung  fehlt.  Diese  Einleitung 
will  ich  hier  wiedergeben. 

Es  war  einmal  ein  großes  Trinkgelage.  Dort  waren  viele 
Vögel  versammelt.  Der  Häuptling  befahl  Aguaratunpa, 
ein  Mädchen  Inömu,  die  in  einem  Nachbardorfe  war,  zu 
holen,  damit  sie  auch  mit  ihnen  trinke.  Aguaratunpa  ging. 
Als  er  ins  Haus  des  Mädchens  kam,  traf  er  ihren  Vater. 

„Guten  Tag,  Onkel",  sagte  Aguaratunpa. 

„Setze  dich",  sagte  der  Vater. 

,,Nein,  ich  bin  gekommen,  um  meine  Nichte  zu  holen," 
sagte  Aguaratunpa.  Er  fragte  nun,  ob  das  Mädchen  mit 
ihm  gehen  wolle,  was  es  bejahte.  Das  Mädchen  machte  sich 
fein,  nahm  seine  Halskette  um,  zog  seinen  besten  ,,tiru"  an 
und  folgte  Aguaratunpa. 

Als  sie  eine  Strecke  Weges  gegangen  waren,  sagte  das 
Mädchen:  „Warum  soll  ich  mit  dir  gehen,  der  du  so  häßlich 
bist",  und  so  kehrte  sie  um.  Als  Aguaratunpa  ankam,  fragte 
der  Häuptling  ihn,  wie  es  gegangen  sei.  Er  erzählte  nun, 
daß  das  Mädchen  umgekehrt  sei. 

„Urapua"  (der  schwarze  Aasgeier)  erbot  sich,  das  Mädchen 
zu  holen.  Urapua  machte  sich  auf  den  Weg.  Als  er  ins 
Haus  des  Mädchens  kam,  sagte  er: 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         275 

,, Guten  Tag,  Onkel." 

„Nimm  Platz",  sagte  der  Vater. 

,,Nein,  ich  bin  gekommen,  um  meine  Nichte  zu  holen, 
sie  soll  mir  helfen  Maisbier  zu  trinken",  sagte  Urapua.  Er 
fragte  das  Mädchen,  ob  es  mitgehen  wolle.  Sie  erklärte  sich 
einverstanden  und  machte  sich  in  Ordnung.  Als  sie  halbwegs 
gekommen  waren,  sagte  das  Mädchen:  ,, Warum  soll  ich  mit 
dir  gehen,  der  du  so  häßlich  bist."  Sie  kehrte  nach  Hause 
zurück. 

Als  Urapua  ankam,  fragte  der  Häuptling,  wie  es  ihm  er- 
gangen sei.     Er  erzählte,  das  Mädchen  sei  umgekehrt. 

,,Tiu"  erbot  sich  zu  gehen.  Als  er  in  das  Haus  des  Mädchens 
kam,  sagte  er: 

,, Guten  Tag,  Onkel." 

,,Nimm  Platz",  sagte  der  Vater. 

,,Nein,  ich  bin  gekommen,  um  meine  Nichte  zu  holen, 
sie  soll  mir  helfen  Maisbier  zu  trinken",  sagte  Tiu.  Er  fragte 
das  Mädchen,  ob  es  mitgehen  wolle.  Als  sie  ein  gutes  Stück 
Weges  gekommen  waren,  sagte  das  Mädchen:  „Warum  soll 
ich  mit  dir  gehen,  der  du  so  häßlich  bist",  und  so  ging  sie 
wieder  nach  Hause. 

Da  erbot  sich  „Choe"  zu  gehen.  Als  er  ankam,  ging  er 
direkt  zum  Mädchen  und  fragte  sie,  ob  sie  mit  ihm  kommen 
und  ihm  helfen  wolle,  Maisbier  zu  trinken.  Das  Mädchen 
gab  ihm  eine  Kalebaßschale  Maisbier  und  war  bereit,  ihm 
zu  folgen.  Sie  gingen.  Als  sie  ganz  nahe  dem  Dorfe 
waren,  wo  ein  großes  Trinkgelage  war,  sagte  das  Mädchen, 
es  wolle  nicht  mit  ihm  gehen,  er  habe  so  schwarze  Beine, 
und  kehrte  um. 

Als  er  ankam,  fragte  der  Häuptling,  wie  es  ihm  ergangen 
sei.  Er  erzählte,  daß  das  Mädchen  umgekehrt  sei.  Alle  die 
anderen  Vögel  versuchten,  aber  mit  keinem  wollte  das 
Mädchen  gehen.     Zuletzt  ging  „Churincui". 

„Paß  auf,"  sagte  der  Häuptling,  „er  bekommt  bestimmt 
das  Mädchen  mit  sich."  Churincui  ging  direkt  zu  dem  Mäd- 
chen  und  fragte  es,    ob  es  mit  ihm  gehen  und  ihm   helfen 

iS* 


276  Siebzehntes  Kapitel. 

wolle,  Maisbier  zu  trinken.  Das  Mädchen  war  bereit  und 
folgte  ihm  bis  dahin  und  setzte  sich  zu  den  anderen  Frauen. 

Aguaratunpa  ging  erbost  umher. 

Der  Häuptling  fragte,  ob  jemand  singen  könne.  Aguara- 
tunpa kleidete  sich  in  seinen  ,,tirucumbai"  (Abb.  81)  und 
machte  sich  zum  Singen  bereit,  er  konnte  aber  nicht  mehr 
als  „pühuate,  pühuate".  Urapau  kam  nun  hervor  und  wollte 
singen,  er  konnte  aber  nur  ,,hü,  hü"  sagen. 

Da  bat  der  Häuptling  ,,Hüiratucühua"  zu  singen  und 
dieser  sang: 

„Huate  pühuatekos  räräse  mänura  lühuaya  chüshico  ti, 
ti,  ti,  ti  .  .  ." 

Dort  war  ein  Mann,  der  mit  seinem  Bruder  und  allen  den 
anderen  Vögeln  verfeindet  war,  der  nicht  am  Trinkgelage 
teilnahm,  sondern  umherging  und  jagte. 

Auf  einem  Baum  saßen  viele  Papageien.  Unter  diesen 
war  ein  weißer  Papagei.  ,,Den  will  ich  fangen",  sagte  er  und 
versuchte  es,  ihn  mit  einer  Schlinge  an  einer  Rute  zu  fangen, 
aber  es  gelang  ihm  nicht.  Er  zielte  nun  mit  dem  Bogen  nach 
dem  Papagei.  Dieser  fing  zu  sprechen  an  und  sagte :  ,, Warum 
willst  du  mich  töten?" 

Der  Papagei  lehrte  ihn  nun,  wie  er  singen  solle,  und  sagte 
ihm,  wenn  er  mitten  unter  die  käme,  die  trinken,  solle  er  den 
Arm  über  den  Kopf  hochstrecken. 

Er  ging  nun  um  diejenigen,  die  tranken,  herum  und  sang. 
Dann  ging  er  mitten  unter  sie  und  streckte  den  Arm  hoch. 
Als  er  dies  tat,  wurden  diejenigen,  die  standen,  in  Vögel, 
und  die,  die  saßen,  in  Steine  verwandelt,  außer  Inömu,  Tatu- 
tunpa,  Aguaratunpa  und  Teyuhuasu. 

Tatutunpa,  Aguaratunpa  und  Teyuhuasa  saßen  nicht  mit 
den  anderen  zusammen,  sondern  standen  in  der  Nähe.  Tatu- 
tunpa sagte  zu  Aguaratunpa: 

,,Du  sollst  sehen,   ich  mache  das  Mädchen  schwanger.1) 

x)    Gemildert. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         277 

Wenn  sie  den  Körper  dreht,  ist  es  geschehen."    Er  grub  nun 
ein  Loch  in  der  Erde  unter  dem  Mädchen  .  .  . 

Die  Fortsetzung  von  Batirayus  Erzählung  ist  mit  der 
Yambäsis  beinahe  identisch. 

In  ihren  Grundzügen  scheint  mir  diese  Sage  echt  indianisch 
zu  sein.  Es  sind  jedoch  Elemente  darin,  die  von  den  Weißen 
geliehen  zu  sein  scheinen,  nämlich  die  Geschichte  von  den 
Lügen  des  Mondes.  Diese  kommt  in  Batirayus  Version  der 
Sage  nicht  vor.  Sie  erinnert  mich  auch  sehr  an  den  Knaben, 
der  um  Hilfe  zu  rufen  pflegte,  ohne  daß  eine  Gefahr  vor- 
handen war.  Als  schließlich  die  Wölfe  dabei  waren,  ihn  auf- 
zufressen, kümmerte  sich  keiner  um  ihn.  -  eine  Sage,  die 
in  Europa  bekannt  ist  und  die  ich  in  Schweden  als  Kind 
gehört  habe. 

Ein  Teil  dieser  Sage  erinnert  stark  an  eine  von  d'Orbigny1) 
von  den  Yuracäreindianern  wiedergegebene  Sage.  Dem 
Tatutunpa  entspricht  dort  ,,Tiri",  der,  um  seine  Mutter  zu 
rächen,  alle  Katzentiere,  außer  dem  Jaguar  mit  den  vier 
Augen,  der  seine  Zuflucht  zum  Monde  nimmt,  tötet.  Früher 
standen  die  Chirigoanus  und  Chanes  sicher  in  Verbindung 
mit  den  Yuracäreindianern.  Als  die  Weißen  das  Land  um 
Santa  Cruz  de  la  Sierra  eroberten,  zogen  die  Chiriguanos 
nach  Süden  und  die  Yuracäres  nach  Norden.  Auf  meiner 
letzten  Reise  habe  ich  auch  die  Yuracäreindianer  besucht, 
die  ich  später  in  einem  anderen  Buche  schildern  werde. 

Der  Mann,  der  sich  mit  der  Tochter  des  Donner- 
gottes, Chiqueritunpa,  verheiratete. 
Erzählt  vom  Chanehäuptling  Böyra. 

Es  waren  einmal  in  alten  Zeiten  drei  arme  Männer,  die 
keine  Verwandten  hatten.  Sie  waren  sehr  hungrig.  Zwei 
von  ihnen  gingen,  um  etwas  zum  Essen  zu  suchen.  Erst 
kamen  sie  in  einen  großen  Wald,  durch  den  ein  Pfad  ging. 


x)   d'Orbigny.      Voyage   dans    l'Amerique   Meridionale.      T.  3,    1 
Paris  1834,  S.  212. 


278  Siebzehntes  Kapitel. 

Nach  drei  Tagen  kamen  sie  auf  eine  große  Ebene.  Mitten 
in  der  Ebene  war  ein  Haus.  Sie  gingen  um  das  Haus  herum, 
fanden  aber  keinen  Eingang.  Schließlich  kam  aber  eine  Frau 
heraus,  es  war  Chiqueritunpas  Schwester.  Sie  bat  sie,  hinein- 
zukommen. ,,\Yir  sind  schmutzig",  sagten  sie  und  wollten 
nicht  hineingehen.  Sie  brachte  dem  einen  Maisbier.  Er 
trank  vier  Kalebaßschalen  Maisbier  aus.  Sie  brachte  dem 
anderen  Maisbier.  Auch  er  trank  vier  Kalebaßschalen  Mais- 
bier aus.  ,,Geht  nun  und  badet  euch,"  sagte  sie,  ,,und  wascht 
euch   den  Kopf."     Sie  gab  ihnen  die  Wurzel  der  „yüag".1) 

Als  sie  gebadet  und  sich  gewaschen  hatten,  kamen  sie 
wieder.  Sie  gab  ihnen  Uruku,  um  sich  zu  bemalen.  „Geht 
nun  und  ruht  aus.  Nachher  sollt  ihr  Holz  holen,"  sagte  sie 
und  gab  ihnen  eine  Axt.  Sie  suchten  überall  in  der  Ebene, 
fanden  aber  kein  Holz.  „Habt  ihr  kein  Holz  gefunden?" 
fragte  die  Frau. 

„Nein",  sagten  sie. 

„Saht  ihr  dort  keinen  alten  Mann?  Er  hat  Holz.  Gebt 
ihm  einen  Hieb  mit  der  Axt",  sagte  die  Frau. 

Sie  gingen  wieder  auf  die  Ebene,  um  Holz  zu  suchen. 
Dort  fanden  sie  den  Alten,  sie  schämten  sich  aber,  ihm  einen 
Hieb  mit  der  Axt  zu  geben,  und  kehrten  zur  Frau  zurück. 

„Habt  ihr  den  Alten  getroffen?"  sagte  sie. 

„Ja,"  antworteten  sie,  „aber  wir  schämten  uns,  ihn  zu 
töten." 

„Haut  den  Alten,  er  ist  Holz!"  sagte  die  Frau. 

Sie  gingen  wieder  auf  die  Ebene  und  fanden  ihn.  Sie 
gaben  ihm  einen  Axthieb,  und  er  verwandelte  sich  in  Holz, 
das  sie  zur  Stube  trugen.  Die  Frau  kochte.  Dann  spann 
sie  Fäden. 

„Warum  seid  ihr  hierhergekommen?"  sagte  sie. 

„Wir  suchten  uns  eine  Mutter.  Wir  waren  drei,  aber 
einen  haben  wir  zurückgelassen",  sagten  sie. 

„Warum  habt  ihr  ihn  nicht  mitgenommen?"  sagte  ehe  Frau. 

i)   =  Mistol. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         279 


Sie  ließ  die  Männer  baden.  Sie  badeten  und  die  Frau 
badete   auch.     Sie  sahen,   daß  sie  ein  hübsches  Weib  war. 

„Hier  sollt  ihr  eine  Hütte  und  eine  Falle  machen  und 
Tauben  fangen!  Wenn  die  Tauben  kommen,  werden  sie  sich 
in  Frauen  verwandeln.  Wenn  diese  baden,  sollt  ihr  ihre 
Kleider  nehmen  und  laufen!"  sagte  die  Frau.  Eine  Masse 
Tauben  kamen  und  setzten  sich  auf  die  Bäume  um  den 
Sumpf.  Unter  ihnen  war  ihr  großer  Häuptling.  Die  Tauben 
flogen  ans  Ufer  und  verwandelten  sich  in  Frauen  und  nahmen 
ihre  Kleider  (tiru)  ab.  Die  Männer  schlichen  sich  heran, 
jeder  von  ihnen  nahm  drei  Kleider  und  lief  davon.  Die 
Frauen  liefen  ihnen  nach. 
Der  eine  warf  zwei  Kleider 
fort  und  kam  mit  einem 
Kleid  und  einer  der  Frauen 
ins  Haus.  Der  andere  lief 
mit  allen  drei  Kleidern.  Die 
Frauen  holten  ihn  ein  und 
prügelten  ihn  ordentlich. 
Derjenige,  der  mit  einem 
Kleid  gekommen  war,  kam 
mit   seiner  Frau   ins  Haus. 

,,Legt  euch  schlafen!"  sagte  die  Schwester  Chiqueri- 
tunpas. 

Der  Mann  legte  sich  mit  seiner  Frau,  die  die  Tochter 
Chiqueritunpas  war,  schlafen.  Sie  schliefen  den  ganzen  Tag 
zusammen  und  am  Abend  gebar  sie.  Am  folgenden  Tag 
kam  Chiqueritunpa.  Er  wollte  seine  Tochter  schlagen.  Er 
schickte  nach  einem  Pferd,  einem  Esel  und  einer  Stute,  um 
seine  Tochter  und  seinen  Schwiegersohn  nach  Hause  zu 
bringen.     Nachdem  sie  gegessen  hatten,  ritten  sie  fort. 

Der  Mann,  der  von  den  Frauen  geprügelt  worden  war, 
weinte.  ,, Weine  nicht  so  sehr",  sagte  die  Schwester  Chiqueri- 
tunpas. Als  sie  ein  Stückchen  geritten  waren,  trafen  sie  einen 
Christen,  der  arbeitete. 

„Was  für  Arbeit  hast  du  vor?"  fragte  der  Mann.     „Ich 


Abb.   128.      Kalebaßschale.      Chiri- 
guano.     Itatenbia.     1/i. 


280  Siebzehntes  Kapitel. 

will  Mandioka  und  Mais  säen.  Hier  will  ich  wohnen  und  hierhin 
will  ich  ein  Weib  bringen",  sagte  der  Christ. 

Sie  ritten  weiter  und  trafen  einen  anderen  Christen. 
„Was  für  Arbeit  hast  du  vor?"  fragte  der  Mann.  Übel  ge- 
launt antwortete  der  Christ:  ,,Hier  will  ich  Hügel  mit  dor- 
nigen Büschen  säen." 

Sie  setzten  ihre  Reise  fort  und  trafen  einen  anderen 
Christen,  der  mit  dem  Fällen  von  Bäumen  beschäftigt  war. 
„Was  für  Arbeit  hast  du  vor?"  fragte  der  Mann.  „Ich  haue 
Stangen  zur  Einzäunung  für  die  Tiere,  denn  hier  will  ich 
Vieh  haben.  Alles  nehme  ich  hierher,  Kleider  werde  ich  mir 
schaffen",  sagte  der  Christ. 

Sie  ritten  weiter  und  trafen  einen  anderen  Christen. 
„Was  für  Arbeit  hast  du  vor?"  fragte  der  Mann.  Übel  ge- 
launt antwortete  der  Christ:  „Ich  arbeite,  um  Steine  zu 
ernten." 

Sie  ritten  weiter  und  trafen  einen  anderen  Christen,  der 
tischlerte.  „Was  machst  du  hier?"  fragten  sie.  „Ich  will 
mir  ein  Haus  bauen,  wo  ich  Kleider  und  alles  mögliche  andere 
haben  will",  antwortete  der  Christ. 

Sie  ritten  weiter  und  trafen  einen  anderen  Christen. 
„Woran  arbeitest  du?"  fragte  der  Mann.  Übel  gelaunt  er- 
widerte der  Christ:  „Hier  will  ich  Chuchio1)  säen,  damit 
niemand  passieren  kann. 

Als  sie  nahe  dem  Hause  des  Chiqueritunpa  waren,  sagte 
dessen  Tochter  zu  ihrem  Mann:  „Erst  werde  ich  mit  dem 
Knaben  absteigen,  der  schon  gehen  kann.  Hierauf  sollst 
du  absteigen,  und  wenn  du  dich  auf  die  Bank  setzt,  sollst 
du  dich  nicht  wundern,  wenn  sie  sich  bewegt.  Bewegt  sich 
das  Haus,  sollst  du  dich  nicht  wundern.  Du  sollst  nicht 
meine  Mutter  grüßen  und  auch  nicht  meinen  Bruder.  Nur 
den  Vater  sollst  du  grüßen." 

Als  sie  ankamen,  stieg  sie  zuerst  ab  und  trat  ein.  Ihr 
folgte  der  Knabe,  der  schon  gehen  konnte.    Zuletzt  stieg  der 

»)    Siehe  S.  166. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         281 

Mann  vom  Pferde.  Als  er  vom  Pferde  stieg,  verwandelte 
es  sich  in  einen  Haufen  Knochen.  Er  ging  hinein  und  setzte 
sich  auf  einen  Schemel.  Derselbe  bewegte  sich,  denn  er  war 
eine  große  Schlange.  Er  tat,  als  merke  er  nichts.  Auch  das 
Haus  bewegte  sich,  er  tat  aber,  als  kümmere  er  sich  nicht 
darum.  Zuerst  kam  seine  Schwiegermutter  und  grüßte  ihn, 
er  beantwortete  aber  den  Gruß  nicht.  Darauf  kam  sein 
Schwager  und  grüßte,  aber  er  beantwortete  auch  dessen 
Gruß  nicht.  Der  Schwager  schlug  ihm  vor,  sie  sollten  spielen, 
er  antwortete  ihm  aber  nicht. 

„Heute  Nacht  sollst  du  nicht  bei  mir  schlafen.  Ich  schlafe 
in  einer  Hängematte,  mein 
Sohn  in  einer  und  du  in  einer 
dritten,"  sagte  Chiqueritun- 
pas  Schwester  zu  ihrem  Mann. 
„Morgen  sollst  du  mit  meinem 
Bruder  spielen",  sagte  sie.  Sie 
legten  sich  nun  schlafen. 

Am  folgenden  Tage  rief  der 
Hahn  früh:    „Jesus  Christus,  Fig  12g_    Tongefäß. 

Jesus  Christus!"  Als  der  erste        Chiriguano.    Caipipendi.    75. 
Christ,    der    ihnen    begegnet 

war,  nach  seinem  Acker  kam,  fand  er  ihn  voll  von  Mais  und 
Mandioka  und  außerdem  eine  Hütte  und  ein  hübsches  Weib. 
Der  zweite  Christ,  der  geantwortet  hatte,  er  wolle  Hügel 
mit  dornigen  Büschen  säen,  fand  seinen  Acker  in  solche 
verwandelt.  Der  dritte  Christ  fand  seine  Umzäunung  für 
die  Tiere  schon  fertig  und  voll  von  schönem  Vieh.  Derjenige, 
der  geantwortet  hatte,  er  wolle  Steine  säen,  fand  seinen 
Acker  voller  Steine.  Derjenige,  der  getischlert  hatte,  um 
sich  ein  Haus  zu  bauen,  fand  es  schon  fertig  und  voller 
Kleider.  Derjenige,  der  übellaunig  geantwortet  hatte,  er 
wolle  Chuchio  säen,  fand  den  Acker  in  dichtes  Gestrüpp  ver- 
wandelt, durch  das  niemand  konnte. 

Chiqueritunpas  Sohn  schlug  seinem  Schwager  ein  Spiel  vor. 
„Was  für  ein  Spiel?"  sagte  er.     „Wir  wollen  das  Haus 


282  Siebzehntes  Kapitel. 

wegrücken",  sagte  Chiqueritunpas  Sohn  und  versetzte  es 
mit  einem  Arm.  Mit  seiner  ganzen  Stärke  rückte  der  Mann 
das  Haus  weg.  „Nun  wollen  wir  das  Pferd  wieder  lebendig 
machen",  sagte  Chiqueritunpas  Sohn  und  hob  die  Beine  des 
Pferdes,  auf  welchem  der  Mann  gekommen  war,  hoch.  Es 
verwandelte  sich  in  ein  sehr  fettes  Pferd  mit  feuersprühendem 
Mund.     Auch  dies  machte  der  Mann  nach. 

Am  folgenden  Tag  schlug  der  Mann  seinem  Schwager, 
Chiqueritunpas  Sohn,  ein  Spiel  vor.  „Was  wollen  wir  spielen?" 
sagte  er.  „Wir  wollen  die  Sonne  herunternehmen",  sagte 
der  Mann.  Mit  einer  langen  Rute  aus  Chuchio  nahm  er  die 
Sonne  herunter.  Es  wurde  nun  so  warm,  daß  sowohl  Chiqueri- 
tunpa  wie  sein  Sohn  davonliefen.  Am  folgenden  Tag  wurde 
der  Mann  Häuptling. 

Derjenige,  der  von  den  Mädchen  Prügel  bekommen  hatte, 
denen  er  ihre  Kleider  geraubt  hatte,  blieb  bei  der  Schwester 
Chiqueritunpas.  Eines  Tages  sagte  sie  zu  ihm,  er  solle  nach 
einem  großen  See  gehen.  Dort  solle  er  tauchen  und  eine 
Handvoll  Sand  heraufholen.  Diesen  Sand  solle  er  in  das 
Haus  legen.  Er  ging  nun  zum  See,  tauchte  und  holte  eine 
Handvoll  Sand  herauf,  den  er  ins  Haus  legte.  Am  folgenden 
Tage  sagte  die  Schwester  von  Chiqueritunpa :  „Sieh  nun 
nach,  was  aus  dem  Sande  geworden  ist!"  An  Stelle  des 
Sandes  fand  er  ein  hübsches  Weib.  „Dies  soll  deine  Frau 
sein",  sagte  Chiqueritunpas  Schwester. 

Am  Tage  pflegte  er  mit  ihr  am  See  zu  baden.  Dort  spielte 
er  mit  ihr,  liebkoste  sie  und  im  Bade  bespritzten  sie  sich 
mit  Wasser. 

„Bade  nicht  mit  ihr  so  viel  am  See.  Denke  daran,  daß  sie 
nur  aus  Sand  gemacht  ist",  sagte  Chiqueritunpas  Schwester. 

Er  hörte  nicht  auf  sie,  sondern  spielte  und  koste  mit  ihr 
unten  am  Seeufer.  Eines  Tages,  als  er  mit  ihr  spielte,  wurde 
sie  immer  schmaler,  bis  sie  sich  zuletzt  in  einen  Haufen  Sand 
verwandelte.  Weinend  ging  der  Mann  zur  Schwester  Chiqueri- 
tunpas.    Hayma  opama!     (Und  mehr  war  es  nicht). 

Diese  Sage  ist,  wie  wir  sehen,  nicht  frei  von  europäischen 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         283 

Elementen.  In  ihren  Hauptzügen  ist  sie  jedoch  rein  indianisch. 
Keine  der  von  mir  hier  mitgeteilten  Sagen  scheint  mir  so 
phantasiereich,  wie  diese. 

,,Choihuihuis"  Frauenraub. 

Erzählt  von  dem  Chanehäuptling  Böyra. 

Es  war  einmal  in  alten  Zeiten  ein  großes  Trinkgelage. 
Dort  waren  Aguaratunpa,  Tatutunpa,  Teyuhuasu,  Inomu,1) 
Choihuihui2)  und  viele  andere.  Aguaratunpa  war  gegangen, 
um  Inömu  zu  holen.  Sie  blieb  vier  Tage  und  trank  mit  ihnen. 
Zuletzt  kam  ihre  Mutter,  die  sehr  ärgerlich  war,  daß  sie  so 
lange  fortgeblieben  war.  Sie  verwandelte  alle,  die  dort  waren, 
in  Vögel  und  nahm  Inomu  mit  nach  Hause.  Nur  Aguara- 
tunpa, Tatutunpa  und  Choihuihui  waren  dort  geblieben. 
Tatutunpa  ging  nach  Hause.  Aguaratunpa,  der  keine  feste 
Wohnstätte  hatte,  streifte  umher  und  betrog  die  Menschen. 
Choihuihui  machte  sich  auch  auf  den  Weg.  Er  kam  nach 
einem  Hause.  Dort  wohnte  eine  verheiratete  Frau  mit  ihrer 
Tochter.  Er  grüßte  sie.  Sie  bot  ihm  Maisbier  und  er  trank. 
Darauf  nahm  er  Abschied  und  ging.  Er  blieb  jedoch,  in 
einen  Choihuihui  verwandelt,  ganz  in  der  Nähe,  um  zu 
spionieren.  Nach  einem  Weilchen  kam  der  Mann  der  Frau 
nach  Hause.  Dieser  nahm  sie  mit  und  sie  gingen  nach  dem 
Felde,  sie  um  zu  ernten,  er  um  zu  graben.  Als  sie  dorthin 
gekommen  waren,  machten  sie  Feuer  an.  Er  ging,  um  zu 
graben,  sie  blieb  beim  Feuer  mit  der  kleinen  Tochter  und 
röstete  Mais.  Choihuihui  war  ihnen  nachgegangen.  Er  blieb 
in  der  Nähe.  Nach  einem  Weilchen  ging  die  Frau  abseits, 
um  ihre  Notdurft  zu  verrichten.  Als  sie  in  den  WTald  kam, 
umschlang  Choihuihui  sie.  In  einen  Vogel  verwandelt,  flog 
er  mit  ihr  davon. 

Da  die  Mutter  nicht  zurückkam,  begann  das  Mädchen 
zu  weinen.     Als  der  Vater  dies  hörte,  ging  er  dorthin.     Er 


1)  Inömus  Geschichte  ist  im  Vorhergehenden  erzählt. 

2)  Ein  Vogel. 


284  Siebzehntes  Kapitel. 

rief  seine  Frau,  aber  niemand  hörte.  Er  suchte  sie  und  fand 
ihre  und  Choihuihuis  Spur.  Vergebens  versuchte  er  ihnen 
zu  folgen.  Nachdem  er  lange  gesucht  hatte,  suchte  er  die 
Brüder  seiner  Frau  auf,  damit  sie  ihm  suchen  hälfen.  Sie 
suchten,  fanden  aber  niemand.  Die  Brüder  glaubten,  der 
Mann  habe  seine  Frau  aus  Eifersucht  getötet.  Als  sie  an 
einem  großen  Baum  vorüber  kamen,  sahen  sie  im  Gipfel 
das  Nest  eines  „Tuyuyu".1)  Die  Brüder  sagten  zu  dem 
Manne,  er  solle  die  Vögel  fangen,  um  sein  Kind  zu  trösten. 
Da  der  Baum  einen  hohen,  geraden  Stamm  hatte,  machten 
sie  eine  Leiter  und  der  Mann  kletterte  hinauf.  Als  er  bis  zum 
Gipfel  des  Baumes  gekommen  war,  nahmen  die  Brüder  die 
Leiter  weg,  damit  der  Mann  nicht  herunter  könne.  „Dort 
sollst  du  sitzen  bleiben  und  verhungern,  weil  du  deine  Frau 
getötet  hast",  sagten  sie.  Der  Mann  begann  zu  weinen.  Zu- 
letzt schlief  er,  an  den  Stamm  gelehnt,  ein. 

Als  er  erwachte,  saß  er  in  einer  Hütte.  Neben  ihm  saßen 
zwei  hübsche  Frauen.  Sie  fragten  ihn,  wie  er  dorthin  ge- 
kommen sei.  Er  erzählte  nun,  daß  ein  Mann  in  sein  Haus 
gekommen  sei  usw.   (hier  wird  die  ganze  Sage  wiederholt). 

Die  Frauen  begannen  zu  lachen.'  ,,Avayurupiagua  hat 
deine  Frau  fortgeführt",  sagten  sie. 

Er  fragte  sie,  wer  ihr  Vater  sei.  ,,Er  ist  nach  Itica2)  ge- 
gangen, um  Fische3)  zu  holen",  sagten  sie. 

Die  Jüngste  sagte,  er  solle  bei  ihr  schlafen,  was  er  tat. 
Auch  die  Älteste  wollte  bei  ihm  schlafen.  ,,Wird  deine  Mutter 
nicht  ärgerlich,  wenn  ich  es  tue?"  sagte  er.  ,,Nein,  du  sollst 
bei  uns  schlafen,  denn  hierher  kommt  niemals  ein  Mann", 
sagten  sie.     Er  schlief  somit  bei  beiden  Frauen. 

Nach  einigen  Tagen  kam  der  Vater  der  Mädchen  nach 
Hause.     Er  brachte  zwei  große  Bürden  getrockneter  Fische 


*)    Wahrscheinlich  Flamingo. 

2)  Rio  Pilcomayo. 

3)  S.  138  wird  der  bedeutende  Handel  mit  getrockneten  Fischen, 
der  zwischen  den  Stämmen  betrieben  wird,  geschildert. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         285 

mit.  Der  Vater  fragte,  wie  er  hierher  gekommen  sei.  Er 
erzählte  usw.  (hier  wird  die  ganze  Sage  wiederholt). 

Der  Vater  sagte,  er  sei  ihm  nicht  böse  ,weil  er  bei  seinen 
beiden  Töchtern  geschlafen  habe,  und  versprach  ihm  seine 
Hilfe,  um  die  Frau  zurückzubekommen.  Sie  ist  am  Itica 
bei  Avayurupiagua,"  sagte  er.  ,,Dort  ist  ein  großes  Trink- 
gelage und  wir  wollen  hin.  Du  sollst  mit  mir  kommen  und  tun, 
was  ich  sage.  Erst  sollst  du  alle  grüßen,  und  zuletzt  sollst 
du  deine  Frau  grüßen.  Sie  wird  dich  nicht  erkennen.  Wenn 
sie  dich  grüßt  und  dir  Maisbier  anbietet,  so  schlingst  du 
deine  Arme  um  sie  und  ich  schlage  dich  auf  den  Steiß", 
sagte  er.  Sie  begaben  sich  nun  nach  Itica.  Als  sie  dort- 
hin kamen,  grüßte  der  Vater  zuerst  alle.  Zuletzt  grüßte 
der  Mann  seine  Frau.  Sie  bot  ihm  eine  Kalebasse  Maisbier. 
Er  umschlang  sie  und  der  Alte  klopfte  ihn  auf  den  Steiß. 
In  einen  Tuyuyu  verwandelt,  flog  er  mit  seiner  Frau  davon. 
Als  Avayurupiagua  dies  sah,  stürzte  er  ärgerlich  in  sein  Haus, 
um  Bogen  und  Pfeile  zu  holen.  Er  schoß  einen  Pfeil  nach 
dem  anderen  ab,  konnte  sie  aber  nicht  treffen. 

Diese  Sage  scheint  mir  vollständig  rein  von  fremden 
Elementen  zu  sein.  Mit  der  hier  erwähnten  Leiter  meint 
man  einen  langen  Stock,  in  den  man  Trittstufen  gehauen  hat. 
Solche  wenden  besonders  die  Chiriguanos  sowie  die  Chanes 
am  Itiyuro  stets  für  die  Maisscheunen  an,  die  auf  Pfählen 
gebaut  sind  (s.  Abb.  84  b). 

Wie    Aguaratunpa    Tatutunpa    tötete    und    dann 

selbst  getötet  wurde. 

Erzählt  von  dem  Chanehäuptling  Batirayu. 

Es  waren  einmal  in  alter  Zeit  zwei  verrückte  Mädchen. 
Nicht  weit  davon  wohnte  Tatutunpa.  Sie  hörten  ihn  so  schön 
auf  seinem  ,,huiramimbi"  (s.  Abb.  84  b)  pfeifen.  Die  eine 
sagte  zu  der  anderen:  „Wir  wollen  hingehen  und  sehen,  wer 
so  schön  spielt."  Sie  gingen  zu  Tatutunpa,  der  in  seiner 
Hängematte  lag.  Tatutunpa  nahm  das  jüngste  der  Mädchen 
zur  Frau. 


286  Siebzehntes  Kapitel. 

Aguaratunpa  hatte  erfahren,  daß  die  Mädchen  sich  zu 
Tatutunpa  begeben  hatten.  Er  ging  hin,  verbarg  sich  in  dem 
Acker,  wo  Tatutunpa  arbeitete  und  tötete  ihn  mit  einem 
Knüppel.  Hierauf  zog  er  vorsichtig  die  Kopfhaut  ab  und 
bekleidete  sich  damit.  Auf  diese  Weise  dem  Tatutunpa 
gleichend,  ging  er  zu  dessen  Hütte. 

„Sieh,  dort  kommt  dein  Mann",  sagte  die  ältere  Schwester. 
Sie  stellte  Essen  auf  den  Tisch.  Da  Tatutunpa  sehr  wenig 
zu  essen  pflegte,  nur  ein  paar  Bohnen  und  eine  kleine  Schale 
Maisbier,  trug  sie  nicht  mehr  auf.  Als  Aguaratunpa  kam, 
aß  er  alles  auf  und  verlangte  noch  mehr.  Als  er  dies  gegessen 
hatte,  verlangte  er  noch  mehr.  Das  Mädchen  fragte  sich, 
ob  dies  wirklich  ihr  Mann  sein  könne,  der  so  viel  aß,  es  konnte 
ja  aber  kein  anderer  sein. 

Am  Abend  bat  Aguaratunpa  seine  Frau,  sie  möchte  ihn 
lausen.  Sie  setzte  sich  und  suchte  Läuse  auf  dem  Kopfe 
Aguaratunpas.  Während  sie  suchte,  schlief  Aguaratunpa 
ein.  Sie  sah  da,  daß  die  Haut  auf  seinem  Kopf  zusammen- 
genäht war,  und  verstand,  daß  er  ihren  Mann  getötet  und  ab- 
gehäutet hatte.  Sie  erzählte  dies  ihrer  Schwester,  und  sie 
töteten  Aguaratunpa  mit  einen  Knüppel. 

Der  Mann,  der  Anatunpa  verbrannte. 
Erzählt  von  dem  Chiriguanoindianer  Yambäsi  am  Rio  Grande. 

Wenn  die  Menschen  Honig  sammelten,  suchte  Anatunpa1) 
sie  auf  und  fraß  sie  auf. 

Es  war  einmal  ein  Mann,  der  Honig  sammelte.  Da  kam 
Anatunpa  und  fragte  ihn,  was  er  tue.  „Ich  sammle  Honig", 
sagte  der  Mann.  „Fahre  damit  fort",  sagte  Anatunpa.  Als 
der  Mann  genug  gesammelt  hatte,  tötete  er  ihn  und  warf 
ihn  Dyöri  hin,  der  ihn  auffraß  und  sogar  das  Blut  aufleckte. 
Auf  diese  Weise  tötete  Anatunpa  viele  Menschen. 

Ein  Mann  war  ausgegangen,  um  Honig  zu  sammeln.    Der 


x)   Hier  wird  nicht  gesagt,  welcher  Anatunpa  gemeint  ist. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         287 

Tukan1)  sagte  zu  ihm:  „Wenn  Anatunpa  kommt,  so  bitte 
ihn,  dich  nach  seinem  Hause  zu  tragen  und  dich  dort  zu 
töten." 

Während  der  Mann  Honig  sammelte,  kam  Anatunpa. 
,,Was  willst  du?"  fragte  der  Mann. 

,,Ich  will  dich  auffressen",  sagte  Anatunpa. 

„Tue  das  nicht  hier,  sondern  trag  mich  nach  deinem 
Hause  und  friß  mich  dort  auf",  sagte  der  Mann.  Anatunpa 
nahm  nun  den  Mann  auf  den  Nacken  und  trug  ihn  zu  sich. 

„Brich  Zweige  ab  und  mache  auf  dem  Nacken  Anatunpas 
Feuer  an",  sagte  der  Tukan.  Als  Anatunpa  durch  das  dichte 


Abb.   130.      Silberne   Nadel   zur   Befestigung   des   Tiru.      Die   Form 
indianisch,  die  Ornamente  spanisch.    Chiriguano.     Parapiti.    1/3. 

Gestrüpp  ging,  brach  der  Mann  Zweige  und  Äste  ab  und 
machte  auf  dem  Nacken  Anatunpas  vorsichtig  Feuer  an. 

„Wenn  du  an  einen  niedrigen  Zweig  kommst,  so  klammere 
dich  fest!"  sagte  der  Tukan  zum  Manne.  Das  tat  dieser. 
Bald  merkte  Anatunpa,  daß  es  ihm  im  Nacken  brenne  und 
begann  zu  laufen.  Das  Feuer  nahm  zu.  Seine  Haare  fingen 
Feuer  und  bald  verbrannte  Anatunpa  vollständig  und  starb. 

Der  Mann,  der  Anatunpa  tötete. 

Erzählt  von  dem  Chiriguanoindianer  Yambasi  am  Rio  Grande. 

Anatunpa  fraß  alle  Menschen  auf,  die  er  erwischen  konnte. 
Da  kam  ein  Mann,  der  zu  Anatunpas  Höhle  Holz  trug. 
„Komm,  wir  wollen  spielen!"  sagte  Anatunpa. 


*)   Khamphastus. 


288  Siebzehntes  Kapitel. 

,,\Yas  für  ein  Spiel?"  sagte  der  Mann. 

„Du  sollst  mir  mit  einer  Axt  einen  Hieb  vor  die  Stirn 
versetzen,  und  wenn  ich  nicht  sterbe,  schlage  ich  dich", 
sagte  Anatunpa. 

Anatunpa  stellte  sich  gerade  auf,  reichte  dem  Mann  die 
Stirn  und  dieser  schlug  ihn  mitten  auf  dieselbe.  Da  Ana- 
tunpas Stirn  hart  wie  Eisen  war,  tat  ihm  dies  nichts.  Ana- 
tunpa gab  nun  dem  Mann  einen  Schlag  vor  die  Stirn,  tötete 
ihn  und  warf  ihn  Dyöri  zu,  der  ihn  auffraß. 

Ein  anderes  Mal  kam  ein  anderer  Mann  zu  Anatunpas 
Höhle.  Anatunpa  schlug  ihm  dasselbe  Spiel  vor.  Eine  Fliege 
,,  Mberu"  rief  ihm  da  zu,  er  solle  ihn  nicht  auf  die  Stirn, 
sondern  in  den  Nacken  hauen.  Als  Anatunpa  sich  mit  ge- 
schlossenen Augen  aufstellte,  um  den  Hieb  zu  erhalten, 
ging  der  Mann  hinter  ihn,  hieb  ihn  in  den  Nacken  und  Ana- 
tunpa fiel  tot  nieder.  Dyöri  fragte  ihn,  wie  er  habe  Anatunpa 
töten  können.  Der  Mann  erzählte  ihm,  was  Mberu  gesagt 
hatte. 

,,Sehr  gut",  sagte  Dyöri. 

Wie  Bis  ose  Reichtümer  aus  dem  Berge  holte. 
Erzählt  von  dem  Chaneindianer  Eatirayu. 

Ein  Chane,  Bisose,  wollte  in  einem  tiefen  Pfuhl  angeln. 
Erst  angelte  er  viele  kleine  Fische.  Plötzlich  angelte  er 
einen  so  großen  Fisch,  daß  er  ihn  nicht  heraufzuziehen  ver- 
mochte. Er  ging  erst  um  den  Pfuhl  herum,  weil  er  Angst 
hatte,  hineinzugehen.  Schließlich  stieg  er  vorsichtig  ins 
Wasser,  indem  er  der  Angelschnur  mit  der  Hand  folgte. 
Als  er  in  tiefes  Wasser  gekommen  war,  fühlte  er,  daß  ihn 
jemand  ums  Bein  faßte  und  in  die  Tiefe  zog.  Es  war  die 
große  Schlange  ,,Boyhuasu".  Diese  führte  Bisose  im  Ge- 
birge umher  und  nach  los  Campos  del  guanaco.  Schließlich 
führte  sie  ihn  durch  einen  engen  Paß  in  den  Berg  hinein. 
Dort  gab  sie  ihm  blaue  Steine  und  Silber.  Bisose  belud  sich 
damit.    Als  er  aus  dem  Paß  herauswollte,  war  er  so  eng,  daß 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         289 

er  nur  wenig  mitnehmen  konnte.  Deshalb  sind  diese  Steine 
und  Silbersachen  so  selten.  Boyhuasu  führte  ihn  dann  zum 
Pfuhl  zurück.  Er  kam  an  derselben  Stelle  heraus,  wo  er  ins 
Wasser  gestiegen  war. 

In  dieser  Sage  werden  unter  den  Kostbarkeiten,  die  Bisose 
aus  der  Tiefe  holte,  blaue  Steine  erwähnt.  Durchbohrte 
Türkise  und  Chrysocol  schätzen  diese  Indianer  auch  als  Hals- 
kettenperlen hoch. 

Der  Fuchs  und  der  Jaguar. 
Erzählt  von  dem  Chanehäuptling  Böyra. 

Der  Fuchs  traf  den  Jaguar  in  seinem  Acker.  Dieser  war 
mit  Säen  beschäftigt. 

,, Willst  du,  daß  ich  dir  helfen  soll,  Onkel?"  sagte  der 
Fuchs. 

,,Ja,  Neffe.  Ich  will  mir  die  Grabestöcke  holen",  sagte 
der  Jaguar. 

,,Das  will  ich",  sagte  der  Fuchs  und  ging  zur  Hütte  des 
Jaguars. 

Als  er  dorthin  gekommen  war,  sagte  er  zur  Frau  des 
Jaguars:   ,,Ich  schäme  mich,  dir  mein  Anliegen  zu  sagen." 

,, Wieso?"  sagte  sie. 

,,Ja,"  sagte  der  Fuchs,  ,,der  Jaguar  hat  mich  hierher  ge- 
schickt, damit  ich  bei  dir  und  deinen  beiden  Töchtern  schlafe." 
Das  glaubte  die  Frau  des  Jaguars  nicht. 

,,Ja,  es  ist  wahr,"  sagte  der  Fuchs.  ,.Du  sollst  hören,  was 
er  sagt,"  und  nun  rief  er:  „Soll  ich  sie  alle  nehmen?" 

,,Alle",  rief  der  Jaguar  als  Antwort. 

Der  Fuchs  schlief  nun  zuerst  bei  der  Frau  des  Jaguars 
und  dann  bei  der  ältesten  Tochter  und  dann  bei  der  jüngeren. 
Sie  war  noch  Jungfer,  und  er  tat  ihr  weh.1)  Darauf  ging 
der  Fuchs  weg.  Er  lief  im  Grase,  damit  die  Spuren  nicht 
sichtbar  wären.    Er  sprang  auf  einen  langen  Holzstamm.   Zu- 


x)   Gemildert. 

Nnrdenskiöld,    Indianerleben.  [Q 


zgo 


Siebzehntes  Kapitel. 


letzt  kam  er  an  einen  Pfuhl.  Er  tauchte  unter  und  kam 
an  der  anderen  Seite  wieder  herauf.  Er  lief,  was  er  laufen 
konnte,  bis  er  zu  einem  Baum  mit  dornigem  Stamm  kam. 
Er  kroch  an  demselben  hinauf  und  legte  sich  schlafen.  ,,Hier 
will  ich  liegen  und  von  der  Frau  und  den  Töchtern  des 
Jaguars  träumen,  bei  denen  ich  geschlafen  habe",  sagte  der 
Fuchs.    Er  legte  sich  hin  und  schlief  ein. 

Als  der  Jaguar  merkte,  daß 
der  Fuchs  nicht  mit  den  Grabe- 
hölzern kam,  dachte  er:  „Ich  will 
doch  nachsehen,  was  aus  dem 
Fuchs  geworden  ist.  Der  Fuchs 
ist  doch  ein  Schwindler." 

Als  der  Jaguar  nach  seinem 
Hause  kam,  sagte  seine  Frau  zu 
ihm:  „Wie  kannst  du  so  grau- 
sam sein  und  den  Fuchs  her- 
schicken, daß  er  bei  uns  schlafe?" 
Ergrimmt  machte  sich  der  Ja- 
guar auf  den  Weg,  um  den  Fuchs 
zu  suchen.  Er  folgte  seinen  Spu- 
ren und  kam  zu  dem  Pfuhl,  wo 
die  Spuren  des  Fuchses  ein  Ende 
nahmen.  Überall  suchte  er  ihn. 
Schließlich  verstand  er,  daß  der 
Fuchs  in  den  Pfuhl  getaucht  war. 
Der  Jaguar  tauchte  nun  auch  nieder  und  fand  die  Spuren 
des  Fuchses  auf  der  anderen  Seite.  Er  folgte  ihnen  und 
kam  zu  dem  Baume.  Überall  um  den  Baum  suchte  er  die 
Fortsetzung  der  Spuren,  fand  sie  aber  nicht.  Da  sah  er 
auf  und  sah  den  Fuchs,  der  schlief.  Er  kletterte  hinauf, 
brach  vorsichtig  einen  Zweig  ab  und  kitzelte  den  Fuchs  in 
den  Nasenlöchern.  Dieser  nieste,  wischte  sich  die  Nase  und 
sagte:  „Können  die  Moskitos  mich  nicht  in  Ruhe  lassen, 
wo  ich  gerade  von  der  Frau  und  den  Töchtern  des  Jaguars 
träume,  bei  denen  ich  geschlafen  habe!" 


Abb 

Silber. 

pendi. 


131.    Brustschmuck  aus 
Chiriguano.      Caipi- 
Wird    von    Männern 
getragen. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         291 

Nun  kitzelte  ihn  der  Jaguar  etwas  kräftiger,  und  der  Fuchs 
erwachte.    Der  Jaguar  machte  sich  bereit,  ihn  zu  packen. 

Der  Fuchs  kroch  zusammen,  und  da  der  Jaguar  zögerte, 
ihn  zu  fassen,  sprang  er  mit  einem  Satz  zur  Erde  und  begann 
zu  laufen,  alles  was  er  laufen  konnte.  Der  Jaguar  verfolgte 
ihn.  Schließlich  ermattete  der  Fuchs  jedoch,  und  der  Jaguar 
fing  ihn  und  verschluckte  ihn.  Der  Fuchs  wurde  im  Magen 
des  Jaguars  wieder  lebendig.  Dieser  brach  ihn  aus.  Der 
Jaguar  fraß  den  Fuchs  wieder  auf,  dieser  wurde  aber  wieder 
in  seinem  Magen  lebendig  und  wieder  ausgeworfen.  Wiederum 
fraß  der  Jaguar  den  Fuchs  auf,  der  wieder  lebendig  wurde  usw. 

Diese  Sage  hat  eine  weite  Verbreitung.  In  etwas  ver- 
schiedener Form  habe  ich  sie  in  Carmen  in  Mojos  erzählen 
hören. 

Als  die  Schildkröte  „Carumbe"  den  Jaguar  tötete. 
Erzählt  von  dem  Chiriguanoindianer  Yambäsi. 

Es  war  einmal  ein  großes  Trinkgelage.  Dort  waren  Aguara- 
tunpa,  Carumbe  und  ,,Taturapua"  (das  Kugelgürteltier).  Der 
kleine  Sohn  der  Schildkröte  weinte.  Da  man  ihn  fragte, 
warum  er  weine,  sagte  er,  er  wolle  die  Krallen  des  Jaguars 
haben,  um  damit  zu  spielen.  Die  Frau  der  Schildkröte  sagte 
zu  ihrem  Manne,  er  solle  die  Krallen  des  Jaguars  holen,  damit 
der  Kleine  damit  spielen  könne. 

Die  Schildkröte  machte  sich  auf  den  Weg  und  kam  zu 
einem  Stamm  „samuo"  mit  großen,  scharfen  Dornen.  Dort 
blieb  sie  stehen  und  wartete  auf  den  Jaguar.  In  der  Entfer- 
nung hörte  sie  sein  Brüllen.  Der  Jaguar  kam,  immer  brül- 
lend, näher  und  fand  die  Schildkröte  am  Fuße  des  Baumes. 

,,Was  tust  du  hier?"  sagte  der  Jaguar. 

,,Ich  spiele",  sagte  die  Schildkröte. 

,,Wie  geht  das  zu?"  sagte  der  Jaguar. 

,,Ich  klettere  auf  den  Samuo  hinauf  und  dann  rolle  ich 
herunter",  sagte  die  Schildkröte. 

,,Laß  mich  sehen",  sagte  der  Jaguar,  der  Lust  hatte,  die 
Schildkröte  aufzufressen. 

19* 


292  Siebzehntes  Kapitel. 

Diese  kletterte  am  Stamme  bis  zum  Gipfel  hinauf  und 
rollte  herab,  ohne  sich  zu  beschädigen.  Dies  machte  dem 
Jaguar  Spaß,  und  die  Schildkröte  mußte  wieder  hinauf- 
klettern. Wieder  rollte  sie  herunter,  ohne  sich  zu  beschädigen. 
Der  Jaguar  wollte  es  auch  versuchen.  Er  kletterte  hinauf 
und  rollte  herunter,  riß  sich  aber  an  den  Dornen  alle  seine 
Eingeweide  auf  und  starb. 

Die  Schildkröte  nahm  die  Krallen  des  Jaguars  als  Spiel- 
zeug für  ihren  kleinen  Sohn  mit  nach  Hause. 

Die  Liebessage  des  Kolibris. 
Erzählt  von  dem  Chiriguanoindianer  Yambäsi. 

Es  waren  zwei  Mädchen,  die  Chinu  (Kolibri)  die  Flöte 
spielen  hörten.  Er  spielte  so  schön,  daß  eins  der  Mädchen 
sagte:  „Ihn  will  ich  zum  Manne  haben."  Sie  suchte  den 
Kolibri  auf  und  schlief  bei  ihm. 

„Wir  wollen  in  mein  Haus  gehen",  sagte  der  Kolibri.  Als 
sie  dorthin  kamen,  war  es  so  klein,  daß  das  Mädchen  keinen 
Platz  fand.    Sie  ging  deshalb  in  ihr  Dorf  zurück. 

Am  Abend  kam  der  Kolibri  vor  das  Dorf  und  spielte  Flöte, 
um  sie  zu  locken.  Das  Mädchen  lauschte  und  sagte:  „Der 
Kolibri  ist's,  der  spielt."  Sie  ging  aber  nicht  mehr  zu  ihm. 
Jeden  Abend  kam  der  Kolibri  vor  das  Dorf  und  spielte  seine 
schönsten  Weisen,  das  Mädchen  wollte  aber  nicht  mit  ihm 
gehen,  der  eine  so  kleine  Hütte  hatte. 

Als  die  Zecke,  Yateu,   mit  dem  Strauß,  Yändu, 
um  die  Wette  lief. 

Die  Zecke  und  der  Strauß  wollten  einen  Wettlauf  veran- 
stalten, um  zu  sehen,  wer  am  besten  laufen  konnte.  Als  sie 
zu  laufen  begannen,  hüpfte  die  Zecke  auf  den  Strauß  und 
biß  sich  in  den  Augenwinkeln  fest. 

Als  der  Strauß  eine  Strecke  gelaufen  war,  schielte  er  nach 
der  Seite,  um  zu  sehen,  ob  die  Zecke  auch  mit  war.  Da  sie 
in  dem  Augenwinkel  war,  sah  er  sie  an  seiner  Seite. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         293 

Der  Strauß  beeilte  sich.  Als  er  ein  Stückchen  gelaufen 
war,  schielte  er  wieder  zur  Seite  und  sah,  daß  die  Zecke  noch 
an  seiner  Seite  war. 

Der  Strauß  lief  aus  Leibeskräften.  Als  er  dem  Ziele  ganz 
nahe  war,  hüpfte  die  Zecke  von  dem  Augenwinkel  und  kam 
als  erster  an. 

Die  Zecke  hatte  den  Wettlauf  gewonnen. 

Diese  kleinen  -Hersagen  haben  eine  ungeheuere  Verbrei- 
tung. So  finden  wir  die  Sage  von  der  Schildkröte  und  dem 
Jaguar  beinahe  unverändert  in  Santarem  an  dem  Zusammen- 
fluß des  Rio  Tapajo  in  den  Amazonenstrom.1) 

Auch  ähnliche  Wettlaufsagen  sind  von  der  Küste  Brasiliens 
bekannt.1)  Diese  letzteren  finden  sich,  wie  bekannt,  auch 
bei  uns. 

Man  hat,  wie  schon  erwähnt,  nachgewiesen,2)  daß  gewisse 
Sagen  von  Nordamerika  und  Asien  bis  nach '  Südamerika 
heruntergewandert  sind.  Da  hier  indessen  nicht  der  rechte 
Platz  zu  vergleichenden  Studien  über  die  von  mir  gesam- 
melten Sagen  ist,  habe  ich  mich  damit  begnügt,  nur  das 
Material  vorzulegen. 

Wie  wir  gesehen  haben,  lernen  wir  aus  den  Sagen  einen 
Teil  der  religiösen  Vorstellungen  der  Indianer  verstehen.  Sie 
sind  auch  aus  dem  Gesichtspunkt  interessant,  daß  in  ihnen 
eine  ganze  Menge  kleiner  Züge  aus  dem  Leben  der  Indianer 
wiedergegeben  werden.  Sie  geben  uns  einen  Einblick  in  ihre 
Phantasiewelt. 

Nur  der  Inhalt  der  von  mir  gesammelten  Sagen,  nicht 
die  Form,  ist  als  Forschungsmaterial  verwendbar.  Ich  hoffe, 
daß  besonders  die  eingeborenen  südamerikanischen  Ethno- 
graphen die  von  mir  gemachten  Sammlungen  fortsetzen 
und  die  Sagen  auch  in  den  Originalsprachen  aufzeichnen 
werden.      LTm   dies   zu  können,  ist  jedoch  eine  vollständige 


*)  Vgl.  Fredr.  Hartt:  Tortoise  Mythsi     Rio  de  Janeiro  1875. 
2)   Ehrenreich:  1.  c. 


294  Siebzehntes  Kapitel. 

Beherrschung  derselben  notwendig.  Die  beste  Methode  wäre, 
die  Indianer  diese  Sagen  in  einen  Phonographen  sprechen 
zu  lassen. 

Die  Indianer  und  die  Naturerscheinungen. 

In  einer,  der  Chanesagen  wird  erzählt,  wie  Yahuete,  der 
zweiköpfige  Jaguar,  im  Begriffe  war,  den  Mond  aufzufressen. 
Maringay  nannte  Yahuete  „Yahuarohui".  Sonnen-  und  Mond- 
finsternisse erklären  diese  Indianer  so,  daß  Sonne  und  Mond 
von  Yahuete  angegriffen  werden.  Die  Chorotis  sprechen,  wie 
schon  erwähnt,  auch  von  einem  Raubtier,  das  die  Sonne  und 
den  Mond  anfällt. 

Wandert  man  in  einer  sternklaren  Nacht  mit  einem  In- 
dianer durch  Wald  und  Flur,  so  ist  der  Sternhimmel  sein 
Kompaß  und  seine  Uhr.  Er  deutet  auf  den  Orion  oder  auf 
ein  anderes  Sternbild  hin  und  zeigt,  wieviel  es  sich  weiter 
bewegt  hat,  bis  man  ankommt. 

Er  gibt  nicht  vielen  Sternbildern  Namen,  er  kennt  sie 
aber  alle.  Den  dem  südlichsten  Kreuz  am  nächsten  liegenden 
Teil  der  Milchstraße  nennen  die  Chanes  „yändurape",  d.  h. 
Straußweg,  das  südliche  Kreuz  nebst  einigen  nahegelegenen 
Sternen  ist  „yänduinyaka",  der  Kopf  des  Straußes,  die  beiden 
größten  Sterne  im  Zentaur  sind  ,,yänduipoy",  Halskette  des 
Straußes,  die  Venus  heißt  ,,coemilla",  Morgen,  Orion  mit  dem 
Dolche  ,,hüirayüasa  (Vögel  begegnen  sich).  Ein  anderes 
Sternbild  ist  ,,huäzupucu",  Rehbockhorn,  ein  anderes,, borevi" 
Tapir.  Die  Plejaden  nennen  sie  ,,ychu",  die  Bedeutung  des 
Namens  wissen  sie  aber  nicht,  und  dies  ist  das  wichtigste 
Sternbild  von  allen. 

Sitzt  man  mit  den  Indianern  in  der  Hütte,  so  können  sie 
den  Platz  der  wichtigsten  Sternbilder  am  Himmel  bezeichnen, 
ohne  sie  zu  sehen.    Sie  kennen  ihre  Lage  zu  allen  Jahreszeiten. 

Der  Sternhimmel  ist  nicht  nur  die  Uhr  und  der  Kompaß 
der  Indianer.  Er  ist  auch  ihr  Kalender.  Eine  besonders 
wichtige  Rolle  spielen  dabei  hier,  wie  bei  anderen  Indianern, 
die  Plejaden.    Wenn  sie  zuerst  in  der  Morgendämmerung  am 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         295 

Horizonte  sichtbar  werden,  so  ist  die  geeignete  Zeit  für  die 
Maissaat  gekommen.  Daß  gerade  dieses  relativ  unbedeutende 
Sternbild  eine  so  große  Rolle  in  der  Astronomie  der  Indianer 
spielt,  hat  zu  phantastischen  Spekulationen  über  babyloni- 
schen Einfluß  Anlaß  gegeben. 

Fragt  man  einen  Indianer  nach  der  Größe  der  Sterne  und 
ihren  Abstand  von  uns,  so  stehen  sie  unschlüssig  da  und 
antworten  am  liebsten  gar  nicht.  Sie  verstehen  gleichwohl, 
daß  sie  weit  entfernt  sein  müssen. 

In  den  Sagen  spielen  die  Sterne  keine  große  Rolle.  Der 
Chiriguanohäuptling  Maringay  erzählte  jedoch,  es  war  einmal 
ein  Bruder,  der  mit  seinem  Schwesterchen  spielte.  Sie  suchten 
sich  zu  haschen,  sangen  und  sprangen.  Nun  sitzen  sie  als 
zwei  Sterne  am  Himmelsgewölbe. 

Zwei  Sternhaufen  im  Süden  des  südlichen  Himmelsgewölbes 
sind  die  Asche  eines  alten  Mannes  und  einer  alten  Frau,  sagte 
einmal  ein  Chiriguano  zu  mir.  Es  war  eines  Abends  im 
August. 

Die  Sonne  ist  in  der  Sage  ein  Mann  und  der  Mond  eine 
Frau.  Einem  alten  Mann,  der  Sonne,  stahlen  die  Chane- 
kinder das  Feuer,  und  unter  dem  Tiru  der  Mondfrau  verbarg 
sich  der  zweiköpfige  Yahuete,  als  er  von  dem  Sohn  des  Gürtel- 
tiergottes verfolgt  wurde. 

Die  Ab-  und  Zunahme  des  Mondes  hing  nach  Maringays 
Erklärung  davon  ab,  daß  ein  größeres  oder  kleineres  Stück 
desselben  in  das  Himmelsgewölbe  gesteckt  wird. 

Die  Sonne  geht  über  dem  Wasser  auf  und  leuchtet  uns 
dann  am  Tage.  Am  Abend  steigt  sie  wieder  ins  Wasser, 
und  des  Abends  leuchtet  sie  den  anderen  Menschen  jenseits 
der  Erde.  So  dachte  sich  Maringay  den  Lauf  der  Sonne.  Ich 
glaube  jedoch,  daß  er  dies  von  den  Weißen  gelernt  hat. 

Wenn  ein  Meteor,  „baerendi",  niederfällt,  bedeutet  es  den 
Tod  eines  Häuptlings.  Über  eine  Sternschnuppe  sagten  die 
Chanes  am  Rio  Parapiti:  ,,Er  geht,  um  bei  seinem  Mädchen 
zu  schlafen."  Maringay  war  in  seiner  Erklärung  realistischer. 
,,Der  Stern  läßt  etwas  fallen",  sagte  der  Alte. 


296  Siebzehntes  Kapitel. 

Wenn  es  donnert,  geht  Chiqueritunpa  um.  Die  Medizin- 
männer, „ipäye",  können  Regen  machen.  Wenn  die  Schwalbe 
„mächurupimpi",  niedrig  fliegen,  regnet  es,  sagen  die  Indianer. 
Ein  anderer  Vogel,  ,,chöncho",  verkündet  Regen.  Reist  man, 
so  soll  man  nicht  einen  Krug  ins  WTasser  stecken,  sondern 
das  Wasser  mit  einer  Kalebasse  schöpfen,  sonst  regnet  es. 
In  einer  mir  von  den  Chanes  am  Rio  Itiyuro  erzählten  Welt- 
untergangssage geht  die  Welt  durch  Wasser  unter.  Die 
Chanes  am  Rio  Parapiti  erzählten  mir,  wie  die  Welt  durch 
einen  Sturm  untergegangen  sei.  Der  WTind  spielt  sonst  in 
den  Sagen  eine  unbedeutende  Rolle.  Setzt  man  einen  er- 
wärmten Krug  in  rinnendes  Wasser,  so  kommt  Sturm,  sagen 
die  Chanes  am  Rio  Parapiti.  Der  Regenbogen,  ,,yii",  ist  eine 
Schlange. 


Achtzehntes  Kapitel. 
Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  (Forts.). 

Die  katholischen  Missionen  unter  den  Chiriguanos. 

Allmählich  müssen  alle  Indianer  unter  den  Einfluß  der 
Weißen  kommen.  Das  ist  unvermeidlich.  Mit  jedem  Tage 
vermindern  sich  die  Gebiete,  in  denen  sie  noch  unabhängig 
leben.  Sobald  ihre  Gebiete  erobert  sind,  werden  sie  auf  die 
eine  oder  andere  Weise  gezwungen,  für  die  Weißen  zu  arbeiten 
und  kommen  in  vollständige  Abhängigkeit  von  ihnen.  In 
der  Regel  werden  sie  auch  schlecht  behandelt,  ausgesogen 
und  moralisch  verdorben. 

Es  ist  deshalb  ein  Glück  im  Unglück,  daß  es  aufopfernde 
Menschen  gegeben  hat  und  gibt,  die  etwas  getan  haben  und 
tun  wollen,  um  den  Indianern  zu  helfen.  Diese  Menschen 
sind  die  Missionare.  Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  diese 
eine  bedeutende  zivilisatorische  Arbeit  unter  ihnen  versucht 
und  auch  vorgenommen  haben.  Enthusiasmus  und  Wille  zur 
Aufopferung  sind  erforderlich,  um  Missionar  zu  werden.  Seines 
Vergnügens  wegen  kann  kein  Mensch  sein  ganzes  Leben  in 
Gegenden  leben,  wo  die  Einsamkeit  auf  die  Dauer  schrecklich 
sein  muß  und  wo  das  Leben  keine  Zerstreuungen  oder  Ge- 
nüsse gewährt. 

Für  den  Missionar  ist  die  religiöse  Bekehrungsarbeit  die 
Hauptsache.  Er  will  die  Seelen  aus  der  Hölle  „tatahuasu- 
renda"1)  erretten.  Glücklicherweise  sind  die  katholischen 
Missionare  klug  genug,  auch  ein  wenig  an  dieses  Leben  zu 

x)  Tatahuasurenda  =  wo  das  große  Feuer  ist.  Guaraniwort,  von 
den  Missionaren  erfunden. 


298  Achtzehntes  Kapitel. 

denken  und  eine  Verbesserung  der  materiellen  Daseinsbedin- 
gungen der  Indianer  zu  erstreben. 

Der  Indianer,  der  ein  unabhängiges  Leben  liebt,  aber  mit 
in  den  Zivilisationstanz  hineingezwungen  wird,  will  kein 
Missionskind  werden,  wählt  dieses  aber  als  das  geringere  Übel. 
In  der  Mission  steht  er  unter  Vormunden,  aber  nicht  unter 
Unterdrückern. 

Als  mein  Freund,  der  Chaneindianer  Batirayu,  von  dem 
ich  hier  mehrmals  gesprochen  habe,  mich  fragte,  ob  es  nicht 
das  beste  sei,  die  Missionare  zu  bitten,  zu  den  Chanes  am 
Rio  Parapiti  zu  kommen,  dachte  er  sie  sich  als  Retter  von 
der  Bedrückung  der  weißen  Herren. 

Als  ich  den  Chiriguanohäuptling  Maringay  fragte,  ob  er 
nicht  wolle,  daß  die  Missionare  nach  seinem  Dorfe  kämen, 
wurde  der  Alte  ganz  aufgebracht  und  sagte  mürrisch:  „Ich 
habe  wohl  nichts  Böses  getan." 

Die  größte  Bedeutung  der  Missionare  liegt  darin,  daß  sie 
die  Indianer  von  der  Bedrückung  und  den  Lastern  der  Weißen 
zu  schützen  suchen.  Mit  Freude  habe  ich  gesehen,  wie  die 
Missionare  den  Branntwein,  den  verdammten  Branntwein, 
in  den  Missionsstationen  verbieten. 

Ich  glaube  dennoch  nicht  an  die  Zukunft  der  Missionen. 
Sie  scheinen  mir  zum  Verschwinden  verurteilt  zu  sein.  In 
demselben  Maße,  wie  die  Indianer  von  den  übrigen  Weißen 
besser  behandelt  werden  und  für  ihre  Arbeit  eine  ordentliche 
Entschädigung  erhalten,  werden  sie  die  Missionen  verlassen  und 
sich  der  Bevormundung  der  Franziskanermönche  entziehen. 

Immer  aber  werden  die  Missionare  die  Ehre  haben,  daß 
sie  die  Indianer  wenigstens  etwas  vor  den  anderen  Christen 
zu  schützen  versucht  haben.  Ehre  haben  sie  auch  mit  den 
Studien,  die  sie  über  Sprache,  Sitten  und  Gebräuche  der 
Indianer  gemacht  haben,  eingelegt. 

Die  Furcht  vor  den  Gummigegenden. 

In  einem  vorhergehenden  Kapitel  habe  ich  über  die  Wande- 
rung der  Indianer  nach  Argentinien  gesprochen.     Im  nörd- 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         299 

lichsten  Gebiet  der  Chiriguanoindianer  findet  noch  eine  andere 
Auswanderung  statt.  Sie  unterscheidet  sich  von  der  ersteren 
u.  a.  dadurch,  daß  sie  nicht  freiwillig  ist.  Es  handelt  sich 
um   die   Gummigegenden   im   nordöstlichen    Bolivia.     Jeder 


Abb.    132.     Chanekinder.     Rio  Parapiti. 


Indianer,  der  nach  den  argentinischen  Zuckerfabriken  geht, 
weiß,  daß  er,  wenn  kein  Unglück  eintrifft,  wieder  zurück- 
kommt. Keiner  hält  ihn  mit  Gewalt  zurück.  Von  den  Gummi- 
gegenden kommt  dagegen  niemals  einer  wieder. 

Ist  es  wahr,   sagen  sie,  daß  dort  ein  Riese  ist,  der  Men- 
schen frißt?    Ist  es  wahr,  daß  die  Menschen  zu  Gummi  ge- 


300  Achtzehntes  Kapitel. 

mahlen  werden?  Ist  es  wahr,  daß  das  Fleisch,  das  in  Blech- 
büchsen kommt,  von  Menschen  ist?  Dies  sind  Fragen,  welche 
die  Indianer  an  mich  gerichtet  haben. 

Auf  eine  schamlose  Weise  sind  die  Chiriguanoindianer, 
besonders  vom  Caipipendital,  nach  den  Gummigegenden  im 
nördlichen  Bolivia  gelockt  worden,  wo  sie  als  Arbeiter  ver- 
kauft worden  sind.  Unter  Bewachung  bewaffneter  Leute  sind 
sie  über  Ouatro-Ojos  den  Rio  Mamore  heruntergebracht 
worden. 

Über  das  Verhältnis  der  Indianer  zu  der  Gummiindustrie 
habe  ich  jedoch  bessere  Gelegenheit  in  dem  Buche  zu  sprechen, 
in  welchem  ich  über  die  Studien,  welche  ich  in  den  Gummi- 
gegenden selbst  und  unter  den  Indianern,  die  in  der  Nähe 
derselben  liegen,  berichten  werde.1)  Ich  gehe  deshalb  hier 
nicht  näher  auf  diese  Frage  ein. 

Frondienste  für  die  Weißen. 

Die  Chiriguanos  und  Chanes,  die  in  ihrem  eigenen  Land 
bei  der  zugezogenen  weißen  Rasse  als  Diener  arbeiten,  sind 
außerordentlich  schlecht  bezahlt.  Dies  gilt  besonders  für  ab- 
gelegene Gegenden,  wo  die  infolge  der  Konkurrenz  höheren 
Arbeitspreise  in  den  argentinischen  Zuckerfabriken  nicht  auf 
die  Löhne  haben  zurückwirken  können.  Den  Chanes  am  Rio 
Parapiti  wird  z.  B.  selten  mehr  als  20  Centavos  (nicht  ganz 
35  Pf.)  pro  Tag  nebst  Kost  bezahlt.  Die  Frauen  verdienen 
ungefähr  halb  soviel.  Der  Verdienst  wird  den  Indianern  teils 
in  Branntwein  und  Zucker,  teils  in  Zeug  und  Werkzeug  aus- 
bezahlt. Das  Zeug  ist  so  schlecht,  daß  ein  Hemd  aus  einem 
solchen  Stoff  nicht  viel  länger  reicht,  als  die  Zeit,  die  zum 
Verdienen  desselben  gebraucht  wird.  Infolge  dieses  Systems 
fangen  auch  die  Chanes  und  Chiriguanos  an,  wie  ihre  Stamm- 
freunde in  den  Gummigegenden  im  nordöstlichen  Bolivia, 
der  Schuldsklaverei  zu  verfallen. 


*)    Ist  unter  dem  Titel  „Indianer  och  hvita  i  nordöstra  Bolivia", 
Stockholm  iqii,  auf  Schwedisch  erschienen. 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.        30 1 

Zu  hoffen  ist,  daß  die  vom  Ingenieur  Herrmann  in  Gang 
gesetzten  großen  Anlagen  in  San  Franzisko  am  Rio  Pilcomayo 
die  indianischen  Lohnverhältnisse  im  allgemeinen  verbessern 
werden.  Bezahlt  er  besser  als  andere,  so  kommen  alle  Indianer 
zu  ihm,  und  die  übrigen  Arbeitgeber  müssen  die  Löhne 
erhöhen. 

Die  Chiriguanos  und  Chanes  sind  somit  auf  dem  besten 


Abb.   133.     Tongefäß.     1/9.     Chiriguano.     Caipipendi. 


Wege,  in  den  alles  andere  als  glücklichen  Kampf  zwischen 
Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  hineinzugeraten. 

Die  bolivianische  Regierung  sollte  dafür  sorgen,  daß  die 
Felder  der  Indianer  ins  Grundbuch  eingetragen  werden,  damit 
die  Weißen  sich  nicht  ihrer  bemächtigen  können.  Die  Regie- 
rung müßte  auch  die  Bedingung  aufstellen,  daß  kein 
Indianer  sein  Land  verkaufen  darf.  Auf  diese  Weise  würde 
die  Regierung  den  Indianern  das  Besitzrecht  am  Lande,  aber 
nicht  das  Eigentumsrecht  an  demselben  zusichern. 


J02  Achtzehntes  Kapitel. 

Die  Unsicherheit  und  die  gedrückten  Lohnverhältnisse, 
unter  denen  diese  Indianer  leben,  tragen  natürlich  zur  Aus- 
wanderung nach  Argentinien  und  vor  allem  dazu  bei,  daß 
viele  Indianer  das  Land  nicht  nur  als  Saisonarbeiter,  sondern 
für  immer  verlassen. 

Will  die  bolivianische  Regierung  etwas  für  die  Indianer 
tun,  so  muß  sie  in  erster  Reihe  ein  Mittel  gegen  das  schlimmste 
Übel,  und  zwar  den  Alkoholismus,  zu  finden  suchen.  Zwischen 
Maisbier-  und  Branntweintrinken  ist  nämlich  ein  ungeheurer 
Unterschied. 

Ein  Indianer,  der  sich  in  einheimischen  Getränken  be- 
trunken hat,  ist  niemals  so  auf  Streit  und  Schlägerei  erpicht, 
wie  derjenige,  der  von  der  Höllensuppe  der  Weißen  gekostet 
hat.  Außer  daß  der  Branntwein  die  Moral  und  Gesundheit 
der  Indianer  schädigt,  ruiniert  er  sie  vollständig.  Ich  habe 
mit  meinen  eigenen  Augen  gesehen,  wie  ein  Indianer  für  ein 
Fäßchen  Branntwein  seine  beste  Kuh  hergeben  kann. 

Die  Brennerei  für  den  eigenen  Bedarf  ist  in  Bolivia  noch 
gestattet.  Sie  müßte  verboten  werden,  ebenso,  daß  jeder  an 
beliebiger  Stelle  Alkohol  verkaufen  darf. 

Ganz  unvernünftig  ist  das  bolivianische  Militärgesetz,  das 
die  Indianer  zwingt,  Militärdienst  zu  verrichten.  Dasselbe 
kommt  zwar  sehr  selten  zur  Anwendung,  wenn  es  aber  ge- 
schieht, und  wenn  die  Behörde  einen  Jüngling  zum  Militär- 
dienst abholt,  ist  er  selbst  und  alle  anderen  Indianer  in  der 
Gegend  mit  ihm  außer  sich  vor  Schreck.  Man  kann  nicht 
verlangen,  daß  die  Indianer  an  der  Verteidigung  des  Vater- 
landes teilnehmen,  bevor  sie  dieselben  Rechte  wie  andere 
Bürger  haben  und  wissen,  welches  ihr  Vaterland  ist. 

Es  ist  unrecht,  zu  verlangen,  daß  sie  helfen  sollen,  Bolivia 
zu  verteidigen,  die  Weißen  zu  verteidigen,  die  ihnen,  ihren 
Begriffen  nach,  ihr  Land  gestohlen  haben.  Auch  die  Chiri- 
guanos  und  Chanes  lieben  ihr  Land,  aber  dieses  Vaterland 
sind  nur  die  Täler  und  Wälder,  in  denen  ihre  Väter  gerodet 
und  ihre  Mütter  Tongefäße  für  die  Feste  gemalt  haben. 

Während  der  Entwicklungsperiode,  die  Bolivia  jetzt  durch- 


Aus  dem  Leben  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer.         303 

macht,  ist  es  wichtig,  sich  die  indianische  Arbeitskraft  auch 
hier  im  Lande  der  Chane-  und  Chiriguanoindianer  zunutze 
zu  machen. 

Trotz  ihrer  eigenartigen  Kultur  setze  ich  keine  großen 
Hoffnungen  auf  die  Zukunft  der  Chiriguano-  und  Chane- 
indianer. Sie  werden  indessen  als  ein  wichtiges  Element  der 
Mestizenrasse  einverleibt  werden,  die  in  Zukunft  allein  über 
die  Trockenwälder  des  Parapititales  und  die  letzten  Ausläufer 
der  Anden  nach  El  gran  Chaco  herrschen  wird. 

Allmählich  vergessen  sie  wohl  ihre  Sagen  von  Tatutunpa 
und  Aguaratunpa  und  den  anderen  Göttern. 

Die  Nachkommen  Maringays,  Vocapoys  und  der  anderen 
werden  dann  vielleicht  studieren,  was  über  ihre  Vorväter  in 
diesem  Buche  geschrieben  ist,  das  in  einem  Lande  gedruckt 
ist,  wo  der  Mais  nicht  reift  und  die  Palmen  nur  unter  Glas 
wachsen.  Sie  werden  vielleicht  nach  Norden  fliegen,  um  die 
Schmucksachen  zu  sehen,  mit  denen  die  Alten  bekleidet 
waren,  und  die  schöngemalten  Trinkgefäße,  in  welchen  ihre 
Stammütter  das  Maisbier  zu  den  Festen  gereicht  haben. 


Neunzehntes  Kapitel. 
Die  Tapieteindianer. 

Zu  diesen  Indianern. 

Hier  habe  ich  zwei  verschiedene  indianische  Kulturen  ge- 
schildert, teils  eine,  die  wir  bei  den  noch  ursprünglichen 
Chorotis  und  Ashluslays  kennen  gelernt  haben,  teils  eine,  die 
wir  am  Fuße  der  Anden  bei  den  halbzivilisierten  Chanes  und 
Chiriguanos  angetroffen  haben.  Die  Indianer,  über  die  ich 
hier  berichten  will,  sind  dadurch  bemerkenswert,  daß  sie  die 
materielle  Kultur  der  ersteren  und  die  Sprache  der  letzteren 
(Guarani)  haben. 

Ende  Juli  1908  verweilte  ich  über  eine  Woche  bei  dem 
Tapietehäuptling  Yare  am  Rio  Pilcomayo,  und  im  August 
desselben  Jahres  besuchte  ich  ihre  wilden,  unzuverlässigen 
Stammfreunde  am  Rio  Parapiti,  welche  dort  Yanayguas  ge- 
nannt werden. 

Dieser  letztere  Besuch  war  recht  abenteuerlich. 

Mit  Isiporenda  am  Rio  Parapiti  als  Ausgangspunkt,  hatte 
ich  mit  einem  Chiriguanoindianer  als  Dolmetscher  ein  kleines 
Yanayguadorf  besucht,  aus  dem  die  Indianer  zu  kommen 
pflegten,  um  bei  den  Chanes  und  manchmal  auch  bei  den 
Weißen  Arbeit  zu  suchen.  Dort  hörte  ich  von  einem  großen 
Yanayguadorf,  das  verborgen  im  Walde  liegen  sollte.  Ein 
Yanaygua  wurde  zu  diesen  Indianern  mit  einer  Einladung 
geschickt,  mich  zu  besuchen.  Am  folgenden  Tage  kam  er 
mit  der  Antwort.  Sie  lautete:  „Haben  die  weißen  Männer 
uns  etwas  zu  sagen,  so  mögen  sie  zu  uns  kommen."  Sie 
selbst  wollten  nicht  zu  dem  weißen  Mann  kommen,  der  sie 


Die  Tapieteindianer.  305 

möglicherweise  fangen  und  nach  den  Gummigegenden  ver- 
kaufen wollte. 

Ich  entschloß  mich  sofort  für  die  Visite.  Meine  schwedi- 
schen Begleiter  waren  natürlich  sofort  zu  dem  Abenteuer 
bereit,  und  der  Dolmetscher,  der  die  Segnungen  der  Zivili- 
sation durch  die  Mission  kennen  gelernt  hatte,  wurde  durch 
eine  Geldsumme  mutig  gemacht.  Mit  einem  Yanaygua  als 
Wegweiser  machten  wir  uns  auf.  Über  die  blendend  weißen 
Sandfelder  des  ausgetrockneten  Rio  Parapiti  und  auf  Indianer- 
pfaden reitend,  die  uns  über  große  Dünen  und  durch  trockene 
Gebüsche  und  Wälder  führten,  kamen  wir  nach  dem  Dorf. 

Es  lag  auf  einem  Hügel  in  einem  Kesseltal.  Der  Platz 
war  gut  gewählt,  da  das  Dorf  schwerlich  von  den  Feinden 
der  Yanayguaindianer,  den  Tsirakuaindianern,  überfallen 
werden  konnte,  ohne  daß  die  Einwohner  Zeit  hatten,  sich 
auf  die  Verteidigung  vorzubereiten.  Als  wir  uns  dem  Dorfe 
näherten,  tauchten  überall  bewaffnete  Leute,  wie  aus  dem 
Boden  hervorgezaubert,  auf.  Seine  Gäste  mit  Waffen  in  der 
Hand  empfangen,  hielt  ich  für  etwas  unhöflich,  ich  entschul- 
dige aber  das  Mißtrauen  dieser  Indianer  gegen  die  Weißen. 
Vor  einigen  Jahren  waren  andere  Weiße,  wie  ich,  mit  Ge- 
schenken gekommen  und  hatten  mehrere  Männer  in  einen 
Hinterhalt  gelockt.  Diese  wurden  gebunden  nach  Santa  Cruz 
de  la  Sierra  gebracht,  um  nach  den  Gummigegenden  verkauft 
zu  werden,  aber  schließlich  durch  die  Vermittlung  einiger 
humaner  Leute  freigelassen. 

Ohne  auf  die  Waffen  zu  blicken  und  tuend,  als  würden 
wir  auf  die  liebenswürdigste  Weise  empfangen,  ritten  wir 
mitten  in  das  Dorf  hinein  und  fragten  nach  dem  Häuptling. 
Ein  Herr  in  mittleren  Jahren,  mit  einem  Schurkengesicht 
und  einem  Streitkolben  in  der  Hand,  kam  zu  uns  hin  und 
erhielt  sofort  ein  Waldmesser  zum  Geschenk.  Andere  Ge- 
schenke wurden  ausgeteilt,  und  das  Ganze  schien  sich  auf 
die  freundschaftlichste  Weise  zu  entwickeln.  Man  bot  uns 
Holzklötze  zum  Sitzen  an,  und  ich  packte  bunte  Halstücher, 
Messer,  rote  und  grüne  Bänder,  Nähnadeln,  Mundharmonikas 

Norde  nskiöld,    Indianerleben.  20 


306  Neunzehntes  Kapitel. 

und  vieles  andere   aus   den   Satteltaschen   aus  und  begann 
einen  lebhaften  Tauschhandel. 

An  einem  der  Lagerfeuer  saß  eine  einsame,  verschüchterte 
Frau.  Sie  war  eine  Kriegsgefangene  von  dem  letzten  Kriege 
der  Yanaguays  mit  den  Tsirakuas. 

Diese  letzteren  hatten  eine  Yanayguafrau  und  deren  Kind 
getötet,  welchen  Mord  die  Yanayguas  bei  der  ersten  Gelegen- 
heit zu  rächen  beschlossen.  Eines  Tages  befanden  sie  sich 
auf  einer  Wanderung  in  der  Wildnis,  um  wilde  Früchte  zu 
suchen,  als  sie  Spuren  von  Menschen  sahen.  Infolge  der 
eigentümlichen  Abdrücke  der  großen  viereckigen  Sandalen 
(Abb.  138)  verstanden  sie,  daß  die  Spuren  von  den  Tsirakua- 
indianern  herrührten.  Sie  folgten  ihnen  und  kamen  in  deren 
Dörfer.  Die  Tsirakuas  wurden  sie  jedoch  gewahr  und  konnten 
fliehen.  Die  Yanayguas  folgten  den  Spuren  und  spürten  am 
Abend  ihr  Lager  auf.  Sie  zogen  sich  jedoch  zurück  und 
fielen  sie  in  der  aller  frühesten  Morgendämmerung  an.  Der 
Überfall  kam  dem  Feinde  unvermutet,  und  er  suchte  seine 
Rettung  in  wilder  Flucht.  Ein  Tsirakuamann  wurde  getötet 
und  zwei  verwundet.  Zwei  Frauen  und  sechs  Kinder,  sowie 
alles,  was  sie  von  der  Habe  der  Indianer  mitschleppen  konnten, 
wurden  die  Beute  der  Sieger. 

Mit  Ausnahme  der  Gefangenen  übernahm  ich  die  Kriegs- 
beute. Es  war  eine  bemerkenswerte  Sammlung  von  Grab- 
keulen, Wurfkeulen,  primitiven  Werkzeugen,  Mänteln  aus 
Bast  usw.  Eine  der  gefangenen  Frauen  (Abb.  134)  verkauften 
die  Yanayguas  für  vierzehn  (14)  Pesos  in  schlechtem  Brannt- 
wein, ungereinigtem  Zucker  und  Sirup  an  die  Weißen. 

Diese  arme  Frau  hat  mir  in  einer  Sprache,  von  der  ich 
nicht  die  Worte,  aber  doch  beinahe  alles  verstand,  ihre  Leiden 
erzählt.  Sie  erzählte  von  ihren  Kindern,  die  nun  mutterlos 
in  der  Wildnis  waren.  Sie  lehrte  mich  auch  etwas  von  ihrer 
Sprache. 

Mit  der  Sammlung  beladen,  verließen  wir  die  Yanayguas 
mit  dem  gegenseitigen  Versprechen,  uns  wieder  zu  treffen. 
Ich  glaubte,  die  Freundschaft  sei  fest  gegründet.   Am  Abend 


Die  Tapieteindianer 


307 


desselben  Tages,  an  dem  wir  bei  ihnen  waren,  zündeten  die 
Yanayguas  gleichwohl  ihr  Dorf  an  und  zogen  sich  in  die 
Wildnisse    des    Chacos    zurück,    da   sie    von    vielleicht    dem 


Abb.   134.     Tsirakuafrau.     Rio  Parapiti. 


einzigen  Indianerfreund,  den  sie  unter  den  Weißen  kennen 
gelernt  hatten,  Verrat  fürchteten. 

Ein  Jahr  darauf  besuchte  ich,  wie  erwähnt,  wieder  den 
Rio  Parapiti.    Von  dem  ganzen  Yanayguastamm  war  keine 

20* 


308  Neunzehntes  Kapitel. 

Spur  vorhanden.  Sie  waren  nach  Gegenden  verschwunden, 
in  die  der  Weiße  niemals  dringt,  aus  Furcht,  vor  Durst  um- 
zukommen, da  er  die  wenigen  Wasserstellen  nicht  kennt. 

Die  Tsirakuafrau  traf  ich  dagegen  bei  dem  Priester  in 
Charagua,  einem  Dorfe  der  Weißen,  wohin  sie  nebst  einem 
kleinen  beinahe  einjährigen  Knaben,  den  sie  während  der 
Gefangenschaft  geboren  hatte,  verkauft  worden  war.  Wir 
waren  richtig  gute  Freunde,  die  häßliche  Alte  und  ich.  Ich 
kam  zu  ihr  mit  Zucker  und  Kuchen,  und  sie  zeigte  mir  mit 
Stolz  und  Freude  ihren  kleinen  Jungen,  ihren  Trost  in  der 
Einsamkeit  unter  den  Weißen. 

So  zog  ich  weiter. 

Der  letzte,  der  sie  sah,  war  Moberg.  Eines  Tages,  als  er 
auf  der  Dorfstraße  ging,  traf  er  eine  in  Lumpen  gehüllte, 
verzweifelte,  verweinte  Frau,  die  ihn  am  Arm  packte  und 
von  Haus  zu  Haus  zog,  damit  er  ihr  helfe,  ihren  kleinen 
Knaben  zu  finden.  Die  ,, Wildin"  aus  den  Urwäldern  des 
Chacos  verstand  instinktmäßig,  daß  dieser  blonde  Mann  mehr 
Herz  hatte,  als  die  anderen  Weißen. 

Den  Knaben  hatte  der  Priester  verschenkt  oder  verkauft, 
diese  arme  Frau  von  allem,  dem  einzigen,  was  sie  in  der 
Welt  besaß,  trennend. 

Da  sie  ihr  Kind  nicht  fand,  entfloh  sie  in  die  Wälder. 
Ich  hoffe,  wage  es  aber  nicht  zu  glauben,  daß  es  ihr  gelungen 
ist,  die  Ihrigen  zu  finden,  und  nicht  von  den  Todfeinden 
ihres  Stammes,  den  Yanayguaindianern,  wieder  eingefangen 
worden  ist. 

Der  Besuch  beim  Tapietehäuptling  Yare  in  Yuquirenda 
am  Rio  Pilcomayo,  verlief  dagegen  ganz  friedlich.  Wir  wurden 
richtig  gute  Freunde,  ja  so  gute  Freunde,  daß  Yare,  nachdem 
ich  das  Dorf  verlassen  hatte,  über  ioo  km  ging,  um  mich 
zu  treffen  und  mir  die  Übergriffe  der  WTeißen  zu  berichten. 
Yare  bildete  sich  nämlich  ein,  ich  sei  ein  mächtiger  Mann 
unter  den  Weißen. 

Was  konnte  ich  für  ihn  tun?  Ich  schrieb  einen  Brief 
an    den   Gouverneur   im   Chaco,    Dr.  L.  Trigo,    der   den  In- 


Die  Tapieteindianer.  309 

dianern  helfen  wollte  und  auch  konnte.  Der  Brief  kam 
niemals  an. 

Als  ich  in  Yares  Dorf  war,  kam  eines  Tages  ein  alter, 
schwacher  Tapiete  und  seine  blinde  Frau,  beide  gehegt  und 
gepflegt  von  einer  keineswegs  schönen  oder  jungen  Tochter, 
aus  dem  Innern  des  Chacos.  Der  Greis  war  krank  und  die 
Frauen  waren  um  ihn  beschäftigt. 

Man  holte  auch  den  weißen  Mann,  der  auch  den  Ärzten 
ins  Handwerk  zu  pfuschen  pflegte,  aber  schwere  Fälle  nicht 
liebte.  Wenn  ein  gebrechlicher  Greis  am  Rande  des  Grabes 
steht,  ist  für  einen  Arzt  nicht  viel  zu  tun,  und  noch  weniger 
für  einen  Mann,  der  von  der  Heilkunde  nichts  versteht.  Trotz 
meiner  und  der  Frauen  Anstrengung  starb  der  Alte. 

Grenzenlos  war  die  Trauer  der  Frauen,  und  auch  die 
Männer  weinten.  Klageschreie  ertönten  im  ganzen  Dorfe. 
,,Mein  Freund  ist  tot,  mein  Freund  ist  tot",  schrie  und  sang 
die  blinde  Frau.  Ihre  Trauer,  wenn  auch  affektiert  maßlos 
in  ihren  wilden  Ausbrüchen,  machte  auf  mich  den  Eindruck 
der  Echtheit. 

Die  Frauen  kleideten  den  Alten  ein.  Er  wurde  in  seine 
besten  Lumpen  gehüllt  und  erhielt  Sandalen  an  die  Füße. 
Die  Knie  wurden  ihm  bis  ans  Kinn  hinaufgezogen,  die  Arme 
kreuzweise  über  die  Bfust  gelegt  und  der  Kopf  abwärts  ge- 
bogen. So  zusammengebogen,  wurde  er  in  ein  großes  Tragnetz 
gesteckt,  das  fest  um  seinen  Körper  gezogen  wurde. 

Nun  sollte  der  Alte  begraben  werden.  Seine  Frau  und 
Tochter  wollten  ihn  in  der  Hütte  begraben,  Yare  sagte  aber, 
er  solle  in  den  Wald  getragen  werden.  Weinend  versuchte 
die  blinde  Witwe  ihrem  Manne  mit  den  Händen  eine  Grube 
in  der  Hütte  zu  graben,  der  Häuptling  war  aber  unbeweglich. 
Er  und  noch  ein  Mann  hängten  das  Bündel  mit  dem  Mann 
an  eine  lange  Stange,  die  sie  zwischen  sich  trugen,  um  ihn 
in  den  WTald  zu  bringen.  Außer  diesen  beiden  bestand  der 
Leichenzug  nur  aus  der  Tochter,  die  ihre  blinde  Mutter  nach 
dem  Grabe  des  Alten  führte. 

Erst  wollte  ich  mitgehen,  dann  aber  zauderte  ich.    Der 


310  Neunzehntes  Kapitel. 

Mensch  in  mir  gewann  die  Oberhand  über  den  neugierigen 
Forscher.  Ich  fühlte,  daß  ich  diese  Frauen  nicht  in  ihrer 
Trauer  stören  dürfe,  daß  ich  nicht  das  Recht  hatte,  mit  dem 
Photographieapparat  angelaufen  zu  kommen. 

Von  Yare  hörte  ich  später,  daß  der  Alte  mit  einer  Kale- 
basse Wasser  im  Schoß  in  eine  runde  Grube  gelegt  worden 
war.     Kein  Grabzeichen  zeigt,  wo  er  liegt. 

Sobald  der  Alte  gestorben  war,  schnitten  Tochter  und 
Frau  die  Haare  ab  und  verbrannten  sie  zum  Zeichen  ihrer 
Trauer. 

Nach  dem  Tode  des  Alten  herrschte  Trübseligkeit  im 
Tapietedorf.  Beständig,  besonders  des  Morgens,  hörte  man 
die  laute  Klage  der  Frauen,  an  der  auch  die  Männer  teil- 
nahmen. 

Wir  können  sicher  sein,  daß  es  auch  unter  diesen  Menschen 
Männer  und  Frauen  gibt,  die  Hand  in  Hand  durchs  Leben 
gewandert  sind,  die  sich  geliebt  haben. 

Dies  war  das  einzige  Mal,  daß  ich  einen  Indianer  habe 
sterben  sehen. 

Kultur  und  Sprache  der  Tapieteindianer. 

Die  Tapietes  sprechen  dieselbe  Sprache  wie  die  Chiri- 
guanos,  nämlich  Guarani.  Im  vorhergehenden  habe  ich 
berichtet,  wie  auch  die  Chanes,  pbschon  anderen  Ursprungs 
als  die  Chiriguanos,  deren  Sprache  angenommen  haben. 

Ein  Chiriguano,  der  länge  bei  den  Tapietes  gewesen  ist, 
behauptete  mit  Bestimmtheit,  daß  sie  unter  sich  eine  andere 
Sprache  sprechen,  die  er  nicht  verstand.  Diese  Spuren  habe 
ich  auf  mehrfache  Weise  zu  verfolgen  gesucht.  Der  Tapiete- 
häuptling  Yare  beteuerte  jedoch,  daß  dies  nicht  wahr  sei. 

Am  Rio  Parapiti  suchte  ich  in  Batirayus  Gesellschaft 
einen  Chane,  Batcha,  auf,  der  ungefähr  ein  Jahr  mit  den 
Tapietes  gelebt  hat.  Er  sagte  ebenfalls,  er  habe  sie  niemals 
eine  eigene  Sprache  sprechen  hören.  Was  die  Weißen  für 
eine  Geheimsprache  hielten,  sei  Choroti,  das  einige  von  ihnen 
sprechen  könnten.    In  der  Zeit,  die  ich  bei  den  Tapietes  ver- 


Die  Tapieteindianer.  311 

lebt  habe,  habe  ich  sie  nie  etwas  anderes  als  Guarani  sprechen 
hören. 

Wir  kennen  somit  von  ihnen  keine  andere  Sprache,  als 
diese. 

Kulturell  gehören  die  Tapietes  eher  zu  den  Matacos, 
Chorotis  und  Tobas,  als  zu  den  Chiriguanos.  Dies  ist  be- 
sonders für  die  wilden  Tapietes  (Yanayguas)  der  Fall. 

Die  Tapietes  scheinen  mir  deshalb  ein  zur  Mataco-Choroti- 
gruppe  gehöriger  Stamm  zu  sein,  der  die  Chiriguanosprache 
angenommen  hat,  obschon  sie  ihre  eigene  Kultur  bewahrt 
haben. 

Das  Land  der  Tapietes  ist  ein  gewaltiges  Gebiet,  das  sich 
vom  Rio  Pilcomayo  bis  zum  Rio  Parapiti  und  tief  in  den 
großen,  unbekannten  nördlichen  Chaco  hinein  erstreckt. 
Es  ist  ein  Land,  das  zeitweise  so  trocken  ist,  daß  die  dort 
Lebenden  kein  anderes  Wasser  haben,  als  das,  das  sie  aus 
der  Wurzel  des  ,,sipoy"  bekommen  können.  Den  Weißen 
ist  es  deshalb  nicht  gelungen,  das  Land  der  Tapietes  zu  er- 
forschen. Diese  haben  das  Glück,  ein  Gebiet  zu  besitzen, 
das  den  Eroberer  nicht  hat  locken  können.  Die  Schwierig- 
keit, Nahrung  zu  finden,  und  das  Eisen  der  Weißen  hat 
sie  jedoch  aus  ihren  Wildnissen  herausgelockt  und  zur  Ab- 
hängigkeit geführt. 

Zuweilen  sind  sie  auch  gekommen,  um  bei  den  Chiriguanos 
und  Chanes  zu  dienen.  Der  Hunger  hat  sie  getrieben.  Es 
ist  somit  nichts  Ungewöhnliches,  daß  die  Tapietes  mit  Kin- 
dern, Hab  und  Gut,  Hunden  und  Schmutz  angewandert 
kommen  und  sich  in  der  Nähe  eines  Chiriguano-  oder  Chane- 
dorfes niederlassen.  Sie  müssen  dort  alle  mögliche  Arbeit 
verrichten  und  werden  in  Mais  bezahlt.  Diese  Art  des  Wan- 
derns  ist  ganz  verschieden  von  der  der  Chiriguanos  und  Chanes, 
stimmt  aber  mit  den  Sitten  und  Gebräuchen  der  Matacos, 
Chorotis  und  Tobas  überein. 

In  dem  indianischen  Gemeinwesen  gibt  es  keine  Diener, 
habe  ich  gesagt.  Der  Häuptling  arbeitet  ebenso  wie  die 
anderen  des  Stammes.     Wir  sehen  jedoch  hier  wieder,  daß 


312  Neunzehntes  Kapitel. 

Indianer  des  einen  Stammes  bei  Indianern  eines  anderen 
Stammes  dienen  können.  Die  verschiedene  Entwicklungsart 
der  Stämme  ist  hier  der  Grund  eines  sehr' scharfen  Klassen- 
unterschiedes. Daß  ein  Chiriguano  einem  Tapiete  dienen 
könnte,  wäre  unsinnig,  lächerlich,  ebenso  unmöglich,  als 
wenn  ein  Chiriguanomädchen  die  Geliebte  eines  schmutzigen 
Choroti  sein  würde.  Dies  hindert  jedoch  nicht,  daß,  wie  ich 
gesagt  habe,  ein  Chiriguano  sich  mit  einem  hübschen  Choroti- 
mädchen  amüsiert.  Zur  Frau  nimmt  er  sie  nicht,  das  wäre 
allzu  idiotisch. 

Innerhalb  der  Stämme  herrscht  somit  kein  Klassenunter- 
schied, zwischen  den  einzelnen  Stämmen  kann  er  dagegen 
äußerst  scharf  sein. 

Die  Kultur  der  Tapietes  kann  ich  hier  nicht  schildern. 
Das  wäre  ungefähr  eine  Wiederholung  des  über  die  Chorotis 
und  Ashluslays  Gesagten.1)  Von  den  Chiriguanos  haben  ihre 
Männer  den  Gebrauch  des  Lippenknopfes,  der  Tembeta, 
angenommen.  Ihre  Weiber  sind  beinahe  wie  die  Chorotis 
tätowiert. 

Bevor  ich  diese  Indianer  verlasse,  will  ich  jedoch  einige 
ihrer  Sagen  sowie  einige  Zeichen  ihrer  Taubstummensprache 
wiedergeben. 

Tapietesagen. 

Wie  die  Papageien  den  Tapietes  Mais  verschaffen. 

Es  war  einmal  eine  Frau,  die  hatte  ,,huirakuio"  gegessen. 
Es  wird  erzählt,  daß  sie  zwei  kleine  Klöße  aufgespart  hatte. 
Am  nächsten  Tage,  als  sie  essen  wollte  und  hinging,  um  sie 
zu  holen,  hatten  sie  sich  in  kleine  Papageien  verwandelt. 
Nach  zwei  Tagen  hatten  diese  Flügel.  Nach  fünf  Tagen 
konnten  sie  fliegen  und  waren  gegangen,  um  Nahrung  zu 
suchen.  Sie  hatten  Mais  gefunden  und  vier  Körner  geholt, 
die  sie  ihrer  Frau  gaben.  Sie  sagten,  sie  solle  dieselben  säen. 
Am   folgenden  Tage   waren   sie   wieder   gegangen,    um   von 


l)  Vgl.  auch:  Erland  Nordenskiöld.    Globus   19 10.    Bd.  98  S.  181. 


Die  Tapieteindianer.  313 

diesem  Mais  zu  fressen  und  waren  mit  schmutzigem  Schnabel 
zurückgekehrt.  Am  folgenden  Tage  hatten  sie  von  dem  Mais 
gegessen,  den  die  Alte  gesäet  hatte.  Sie  kamen  und  sagten 
zu  ihrer  Frau,  sie  solle  den  Mais  holen.  Sie  waren  mit  vier 
Maiskolben  zurückgekehrt  und  hatten  jedem  von  der  Familie 
einen  gegeben.  Darauf  waren  sie  einen  Augenblick  aus- 
gegangen und  wieder  hineingekommen.  Es  war  dort  viel 
Mais,  ein  ganzer  Haufe. 

Seitdem  haben  die  Tapietes  Mais. 

Wie    die    Tapietes    das    Schaf    bekamen. 

Es  war  einmal  eine  alte  Tapietefrau,  die  hatte  zwei  ganz 
kleine  junge  Hunde.  Alle  hatte  sie  gegessen.  Sie  hatte  nichts. 
Sie  hatte  einen  Poncho  aus  Gras. 

Es  wird  erzählt,  Tunpa  sei  zur  Alten  gekommen  und  habe 
gesagt:  „Ich  will  deine  jungen  Hunde  mitnehmen,  und  ich 
komme  zurück." 

Nach  drei  Tagen  kam  er  mit  den  Hunden,  die  trächtig 
waren,  zurück.  Er  sagte  zur  Frau,  sie  solle  zehn  Stöcke  in 
eine  Reihe  stellen  und  die  Hunde  anbinden.  In  der  Nacht 
verwandelten  sich  diese  in  zehn  Schafe,  die  an  die  Stöcke 
gebunden  waren.  Tunpa  sagte,  sie  solle  Ponchos  machen, 
und  die  Alte  machte  eine  Spindel. 

Es  wird  auch  erzählt,  daß  Tunpa  gegangen  sei,  um  für 
die  Frau  Gesellschaft  zu  suchen.  Er  kam  mit  einem  Mädchen 
und  einem  Knaben.  Als  diese  groß  waren,  verheirateten  sie 
sich.  Die  Frau  gebar  einen  Knaben  und  danach  ein  Mädchen. 
Diese  verheirateten  sich  wieder  und  bekamen  Kinder,  die 
sich  wieder  miteinander  verheirateten. 

Von  diesen  stammen  alle  Tapietes. 

Der    Raub    des    Feuers. 

Der  schwarze  Geier  hatte  Feuer,  das  er  durch  den  Blitz 
vom  Himmel  (ära)  bekommen  hatte.  Die  Tapietes  hatten 
kein  Feuer.  Ein  kleiner  Vogel,  ,,cäca",  stahl  ihnen  Feuer, 
es  erlosch  aber.     Sie  hatten  kein  Feuer,  um  das  Fleisch  des 


314  Neunzehntes  Kapitel. 

Wildschweines,  des  Rehbocks  und  anderer  Tiere  zu  braten. 
Sie  froren  sehr. 

Der  Frosch  empfand  Mitleid  mit  ihnen.  Er  ging  zu  dem 
Feuer  des  schwarzen  Geiers  und  setzte  sich  dorthin.  Als  der 
schwarze  Geier  sich  gerade  wärmte,  nahm  der  Frosch  zwei 
Funken  und  verbarg  sie  im  Munde.  Darauf  hüpfte  er  davon 
und  machte  dann  den  Tapietes  ein  Feuer  an.  Seit  dieser 
Zeit  haben  die  Tapietes  Feuer. 

Das  Feuer  des  schwarzen  Geiers  erlosch.  Der  Frosch  hatte 
alles  gestohlen.  Die  Hände  über  den  Kopf  setzte  sich  der 
schwarze  Geier  hin  und  weinte.  Alle  Vögel  sammelten  sich 
nun,  um  zu  verhindern,  daß  jemand  dem  schwarzen  Geier 
Feuer  gab. 

Das    Entstehen    der    Zahnschmerzen. 

Die  Alten  hatten  Zähne  aus  Silber.  Wenn  sie  aßen,  ver- 
schluckten sie  Knochen,  Fleisch  und  alles.  Sie  gaben  ihren 
Hunden  nichts  zu  fressen.  Dies  machte,  daß  Tunpa  Mitleid 
mit  den  Hunden  empfand.  Er  gab  deshalb  den  Menschen 
Samen  von  Zapallo  (Kürbis).  Sie  aßen  Kürbisse  und  ihre 
Zähne  verwandelten  sich  in  Knochen. 

Von  dieser  Zeit  an  bekamen  die  Hunde  Essen  und  die 
Menschen  Zahnschmerzen. 

Diese  Sagen  von  den  Tapietes  sind  Kulturmythen.  Wir 
erfahren  hier,  wie  diese  Indianer  das  Feuer,  ihre  zwei  wich- 
tigsten Kulturpflanzen,  den  Mais  und  den  Kürbis,  sowie 
ihr  nunmehr  unentbehrliches  Haustier,  das  Schaf,  erhalten 
haben. 

Die  letztere  Sage  ist  natürlich  ganz  modern,  da  die  Tapietes 
die  Schafe  erst  durch  die  Weißen  erhalten  haben.  Es  er- 
scheint mir  nicht  unmöglich,  daß  mehrere  der  Kulturmythen 
viel  moderner  sein  können,  als  man  im  allgemeinen  glaubt. 
Denken  wir  uns  z.  B.,  daß  ein  Stamm  keinen  Mais  gehabt 
hat,  weil  sie  Mißernte  gehabt  hatten  und  vielleicht  aus  Hunger 
gezwungen  gewesen  waren,  aufzuessen,  was  sie  zur  nächsten 
Saat   aufbewahrt  hatten.      Sie   müssen  da  versuchen,   neue 


Die  Tapieteindianer.  315 

Saat  zu  bekommen  und  werden  vielleicht  gezwungen,  sie 
einem  anderen  feindlichen  Stamm  zu  stehlen.  Dieses  wahr- 
scheinlich gefährliche  Abenteuer  gibt  Veranlassung  zu  einer 
Kulturmythe,  in  welcher,  wie  immer  in  der  Phantasie  der 
Indianer,  die  Tiere  eine  große  Rolle  spielen. 

Die  Taubstummen  der  Tapietes. 

Wenn  ein  Indianer  erzählt,  so  verdeutlicht  er  die  Rede 
mit  Händen  und  Füßen.  Maße  und  fast  immer  Zahlen  werden 
durch  Zeichen  ausgedrückt.  Soll  er  z.  B.  acht  sagen,  so  tut 
er  dies,  indem  er  acht  Finger  zeigt.  Er  hat  keine  Worte,  die 
Maße  bezeichnen,  er  mißt  das  Maß  mit  der  Hand  oder  mit 
dem  Arm.  Erzählt  er  von  Tieren,  so  schildert  er  die  Be- 
wegungen des  Tieres  äußerst  lebhaft  durch  Gebärden.  Er 
ahmt  sie  mit  der  scharfen  Beobachtungsgabe  des  Natur- 
menschen nach. 

Oftmals  ist  es  mir,  wenn  ich  keinen  Dolmetscher  hatte, 
mit  wenigen  Worten  und  zahlreichen  Zeichen,  gelungen, 
mit  meinen  Freunden,  den  Indianern,  eine  recht  lebhafte 
Unterhaltung  zu  führen. 

Unter  den  Indianern  gibt  es  jedoch,  wie  bei  uns,  Personen, 
die,  da  sie  taub  geboren  sind,  sich  nur  durch  Zeichen  ver- 
ständigen können.  Vollständig  Taubstumme  habe  ich  bei 
zwei  Stämmen,  den  Tapietes  am  Rio  Pilcomayo  und  den 
Yuracäre  am  Rio  Chimore,  kennen  gelernt.  Unter  den  zivili- 
sierten Indianern  habe  ich  ebenfalls  einige  Taubstumme  ge- 
troffen. 

Bei  den  Tapietes  lernte  ich  einen  taubstummen  Greis 
kennen,  der  intelligent  war  und  gut  behandelt  wurde.  Alle 
verstanden  die  Zeichensprache,  die  er  sprach.  Unter  den 
Yuracäres  sah  ich  drei  taubstumme  Frauen,  eine  Mutter 
mit  ihren  beiden  Töchtern.  Bei  dem  letzteren  Stamme  sollen 
mehrere  Taubstumme  vorkommen. 

Sämtliche  Tapietes  konnten  mit  dem  Tauben  sprechen. 
Die   für   Mitteilungen  an   ihn  angewendete  Zeichensprache, 


3i6 


Neunzehntes  Kapitel. 


benutzen  auch  diejenigen,  die  normales  Sprechvermögen 
haben,  unter  sich,  wenn  sie  sich  in  der  Entfernung  still- 
schweigend etwas  mitteilen  wollen. 


D 


G  H 

Abb.   135.     Taubstummenzeiehen.     Tapiete. 

Im  Vergleich  zu  den  der  ärmeren  Klasse  angehörenden 
taubstummen  Weißen  in  Ostbolivia  scheinen  mir  ihre 
indianischen  Unglücksbrüder  entwickelter  und,   infolge  des 


Die  Tapieteindianer.  317 

Interesses  und  der  Freundlichkeit,  die  ihnen  von  der  Um- 
gebung gezeigt  wurde,  glücklicher. 

Bei  den  Tapietes  (Yanaygua)  am  Rio  Parapiti  war  ein 
Knabe,  der  vom  Rio  Pilcomayo  war.  Ich  fragte  ihn,  ob  er 
Yare  kenne,  er  tat  aber,  als  kenne  er  ihn  nicht.  Da  machte 
ich  ihm  Zeichen,  wie  ich  sie  von  dem  Taubstummen  im 
Dorfe  Yares  gelernt  hatte.  Der  Junge  begann  zu  lachen 
und  wurde  ganz  mitteilsam.  Das  mußte  ein  komischer 
Weißer  sein,  der  die  Zeichensprache  wie  ein  Tapiete  konnte. 

Die  meisten  Zeichen  der  Taubstummen  sind  rein  be- 
schreibend. Einige  sind  gleichwohl  konventionell  und  von 
Außenstehenden  schwer  zu  verstehen.  Die  Lehrer  des  Taub- 
stummen sind  seine  Umgebung,  seine  Mutter,  sein  Vater, 
seine  Spielkameraden. 

Hier  unten  sind  einige  von  mir  bei  den  Tapietes  gesammelte 
Taubstummenzeichen  wiedergegeben . 

Pferd  —  man  streicht  sich  mit  der  rechten  Hand,  dem 
Daumen  und  dem  Zeigefinger  von  der  Oberlippe  über  die 
Mundwinkel  und  macht  den  Mund  auf  (Abb.   135  A). 

Katze  — ■  man  zieht  sich  am  Schnurrbart  (die  Tapietes 
haben  in  der  Regel  einen  kleinen  Schnurrbart),  d.  h.  den 
Schnurrhaaren,  und  macht  eine  krallenförmige  Bewegung 
mit  der  Hand  in  Katzenhöhe  über  dem  Fußboden. 

Jaguar  —  man  streckt  beide  Hände  krallenförmig  nach 
vorn  und  zieht  sie  geschwind  zurück  (Abb.  135  B). 

Puma  —  man  macht  wie  im  Vorhergegangenen  und 
streicht  sich  außerdem  mit  der  rechten  flachen  Hand  hin 
und  her  über  den  Mund. 

Fisch  —  die  rechte  Hand  macht  eine  den  schwimmenden 
Fisch  imitierende  Bewegung  (Abb.  135  C). 

Feuer  —  man  führt  den  Zeigefinger  an  den  Mund  und 
bläst  (Abb.  135  D). 

Sonne  —  man  macht  dieselbe  Bewegung  wie  bei  Feuer 
und  zeigt  nach  oben. 

Mond  —  man  macht  eine  schmatzende  Bewegung  mit  dem 
Mund  und  zeigt  nach  dem  Himmelsgewölbe. 


3i8 


Neunzehntes  Kapitel. 


Stern  •  -  man  macht  mit  Daumen  und  Zeigefinger  ein 
Loch  (Abb.  135  E)  und  zeigt  kreuz  und  quer  am  Himmels- 
gewölbe. 

Wasser  -  -  man  streicht  sich  mit  der  flachen  Hand  über 
das  Gesicht  und  macht  eine  trinkende  Bewegung. 


Abb.    136.     Taubstummenzeichen.     Tapiete. 


Gut,  schön  -  -  man  streicht  die  rechte  flache  Hand  über 
die  linke  flache  Hand  (Abb.  135  F). 

Schlecht  -  -  man  schlägt  mit  der  rechten  Faust  auf  die 
linke  flache  Hand  (Abb.  135  G).  Die  Bewegung  wird  in. 
gleicher  Höhe  mit  dem  Gesicht  gemacht. 

Kalebaßschale  —  man  bildet  mit  den  Händen  eine  Kale- 
baßschale. 

Tragtasche  —  die  Hände  werden  über  den  Kopf  erhoben 
und  über  die  Seiten  des  Kopfes  gestrichen  (Abb.  135  H). 


Die  Tapieteindianer. 


319 


Krug  —  man  bildet  mit  der  Hand  eine  Krugmündung 
über  dem  Boden  (Krughöhe)  und  macht  dann  eine  trinkende 
Bewegung. 

Poncho  —  man  streicht  sich  mit  beiden  Händen  über 
die  Schultern  am  Körper  herunter. 


Abb.   137.     Taubstumoienzeichen.    Tapiete. 


Weg  —  man  streckt  die  Arme  und  Hände  gerade  aus  und 
führt  sie  parallel  aufwärts. 

Weit  —  man  streckt  den  Arm  aus  und  knipst  schnell  mit 
Daumen  und  Zeigefinger  (Abb.  136  I). 

Nahe  —  man  zeigt  mit  dem  Zeigefinger  nach  vorn  und 
unten. 


320  Neunzehntes  Kapitel. 

Er  ist  gegangen  --  man  streckt  den  Zeigefinger  aufwärts 
und  führt  den  Arm  weg  und  nach  oben  (Abb.  136  J). 

Komm  her  --  man  hält  die  Hand  ganz  offen  und  führt 
den  gekrümmten  Arm  zu  sich  hin  (Abb.   136  K). 

Fischnetz  —  man  bildet  mit  beiden  Armen  das  ovale  Netz 
(Abb.   137  L). 

Mais  --  man  macht  dieselbe  Bewegung,  als  ob  man  den 
Mais  abgriest  (Abb.   137  M). 

Auge  -  -  man  zeigt  auf  das  Auge.  Auf  dieselbe  Weise 
werden  alle  anderen  Körperteile  ausgedrückt. 

Freund  -  -  man  klopft  sich  auf  die  Brust  und  zeigt  auf 
den  Freund  hin. 

Mataco  -  man  schlägt  mit  dem  rechten  Zeigefinger  in 
die  linke  flache  Hand  (Abb.  137  N).  Die  Ursache,  warum 
die  Matacos  auf  diese  Weise  bezeichnet  werden,  ist  die,  daß 
die  Tongefäßtrommel  für  sie  so  außerordentlich  charakte- 
ristisch ist.  Der  Zeigefinger  ist  der  Trommelstock  und  die 
Hand  die  Trommel. 

Choroti  —  man  zeigt  auf  die  Ohrläppchen.  In  diesen 
tragen  die  Chorotis,  wie  erwähnt,  Holzklötze. 

Weißer  Mann  —  man  formt  mit  den  Händen  einen  Hut 
und  einen  Bart. 

Tanzen  —  man  führt  die  Arme  kreuzweise  vor  den  unteren 
Teil  des  Magens. 

Tod  —  man  wendet  die  flache  Hand  schnell  nach  oben. 

Frau  —  man  zeigt  auf  die  Brust,  alle  Finger  auf  die  Brust 
stellend  (Abb.   137  O). 

Missionar  -  -  man  macht  mit  der  Hand  eine  Tonsur  auf 
dem  Kopf. 

Mutter  —  man  klopft  sich  auf  die  Brust  und  macht  dabei 
dieselbe  Bewegung,  als  wenn  man  eine  Frau  bezeichnet. 

Caraguatä  -  -  man  dreht  die  eine  Hand  über  die  andere 
(Abb.  137  P). 

Algarrobo  —  man  legt  die  Hand  auf  den  Mund  und  saugt 
(Abb.   137  R). 


Die  Tapieteindianer.  32 1 

Messer  —  man  führt  die  Hände  vorwärts  (Abb.  137  S)  und 
sticht  nach  dem  Gürtel. 

Tunpa  (großer  Geist)  —  man  hält  die  Arme  in  die  Seiten 
und  zittert. 

Hübsches  Mädchen  —  man  macht  das  Zeichen  für  Frau 
und  für  hübsch. 

Seele,  Geist  (ana)  —  man  öffnet  den  Mund  und  macht 
eine  speiende  Bewegung  nach  vorn. 

Wenn  ich  die  Ouichuaindianer  auf  dem  Calileguaberge, 
bei  denen  wir  einen  flüchtigen  Besuch  abgelegt  haben,  aus- 
nehme, haben  wir  in  diesem  Buche  zwei  Indianerkulturen 


Abb.   138.      Sandale  aus  Tapirhaut.     Tsirakua. 

kennen  gelernt,  eine  ursprünglichere  bei  den  Chorotis  und 
Ashluslays,  eine  entwickeltere  bei  den  Chiriguanos  und 
Chanes.  Zu  den  ersteren  gehören  auch  die  Matacos  und 
Tobas,  welche  hier  nur  flüchtig  erwähnt  sind.  Wo  diese 
beiden  Indianerkulturen  sich  treffen,  haben  wir  eine  Mischung 
beider,  ein  Kontaktvolk.  So  müssen  wir,  meiner  Ansicht 
nach,  die  Tapietes  auffassen.  Sie  sind  diejenigen  von  den 
Chacostämmen,  die  den  Chiriguanos  am  nächsten  gewohnt 
und  deshalb  den  meisten  Einfluß  von  ihnen  erfahren  haben. 
Bevor  ich  mein  Buch  abschließe,  will  ich  auch  über  das 
wenige,  das  ich  von  den  Tsirakuaindianern  weiß,  die  wir  als 
Gefangene  der  Tapietes  kennen  gelernt  haben,  berichten. 
Es  ist  ein  Blick  in  das  große  Unbekannte,  in  den  nördlichen 
Chaco,  wo  noch  ein  großer,  weißer  Fleck  auf  der  Karte  Süd- 
amerikas ist. 

Nordenskiöld,   I ndianerleben.  2 r 


Zwanzigstes    Kapitel. 
Die  Tsirakuaindianer. 

Bei  den  wilden  Tapietes  am  Rio  Parapiti  machte  ich,  wie 
schon  erwähnt,  die  Bekanntschaft  von  Gefangenen  eines 
Stammes,  ^er  m  den  unbekannten,  wasserarmen  Busch- 
feldern des  nördlichen  Chaco  umherstreift.  Die  Tapietes 
nennen  diese  Indianer  nach  ihren  eigentümlichen  Streit- 
kolben und  Grabekeulen  (Abb.  139)  Tsirakuas.  Die  Weißen 
nennen  sie  Empelotos,  was  nackt  bedeutet,  die  Chanes  sagen 
Tsiriöno.  Mit  den  in  den  Urwäldern  nördlich  und  östlich 
von  Santa  Cruz  de  la  Sierra  wohnenden  Sirionos  haben  sie 
indessen  nichts  Gemeinsames.  Die  Tsirakuas  gehören  dem 
Trockenwald,  die  Sirionos  dem  finsteren,  üppigen  Hochwald  an. 

Die  Tsirakuas  werden  von  allen  verfolgt.  Die  Weißen 
schießen  sie  nieder,  wo  sie  sie  treffen.  Wenn  möglich,  rauben 
sie  die  Kinder  von  den  Eltern,  um  sie  taufen  zu  lassen  und 
dann  zu  verkaufen.  Die  Chanes  behandeln  sie  ebenso  wie 
die  Weißen.     Die  Tapietes  in  gleicher  Weise. 

Ihnen  selbst  ist  es  zuweilen  gelungen,  sich  zu  rächen.  Am 
Rio  Grande  ermordeten  sie  vor  einigen  Jahren  einige  Kinder. 
Schlafende  Landreisende  sind  des  Nachts  zwischen  dem  Rio 
Parapiti  und  dem  Rio  Grande  überfallen  worden.  Wahr- 
scheinlich sind  es  die  Tsirakuas,  die  manchmal  die  von  der 
Saline  de  San  Jose  Salz  Holenden  überfallen  haben. 

Die  Tsirakuas,  die  ich  gesehen  habe,  waren  vier  Kinder 
und  zwei  Frauen.  Sie  schienen  mir  ein  ungewöhnlich  breites 
Gesicht  mit  hervorstehenden  Backenknochen  zu  haben.  Die 
Kinder  waren  auf  der  Stirn  bis  zu  den  Augenbrauen  stark 


Die  Tsirakuaindianer. 


323 


behaart.  Auch  auf  dem  Körper  hatten  sie  viel 
Haare.  Die  beiden  Frauen  waren  im  Verhältnis 
zu  anderen  Chacoindianern  von  normaler  Größe. 

Nach  dem,  was  ich  gesehen  und  erfahren 
habe,  scheinen  sich  die  Tsirakuas  nicht  zu  täto- 
wieren und  auch  keinen  Körperteil  zu  ver- 
stümmeln oder  zu  durchbohren.  Sie  bemalen 
sich  dagegen  mit  den  Samen  von  Uruku  rot  und 
mit  Ruß.  Sowohl  die  Frauen  als  die  Kinder 
waren  äußerst  schmutzig  und  voller  Läuse. 

Nach  den  Tapietes  haben  die  Tsirakuas  die- 
selben runden  Hütten,  wie  sie  selbst,  die  Cho- 
rotis,  die  Matacos  und  andere  Stämme  hier 
haben.  Sie  haben  keine  Hunde  und  keines  der 
Haustiere  des  weißen  Mannes.  In  der  Nähe  der 
Hütten  haben  sie  zahme  Vögel,  die  schreien, 
wenn  sich  jemand  diesen  nähert. 

Was  für  Feuerstätten  sie  in  den  f  Hütten 
haben,  weiß  ich  nicht.  Eine  der  Tsirakuafrauen, 
der  ich  ein  Stück  Fleisch  schenkte,  grub  in 
meiner  Gegenwart  einen  den  hier  (Abb.  16)  von 
den  Ashluslays  wiedergegebenen  vollständig 
gleichen  Ofen.  Mit  ihrer  Grabekeule  machte 
sie,  auf  dem  Boden  sitzend,  eine  Grube.  Zu 
dieser  grub  sie  einen  schrägen  Gang.  Sie  legte 
dann  Holz  in  die  Grube,  das  mit  einem  von 
einer  anderen  Feuerstätte  geholten  Feuerbrand 
angezündet  wurde.  Auf  dem  Magen  liegend, 
blies  sie  aus  allen  Kräften  durch  ein  Bambusrohr 
in  den  Gang,  damit  das  Holz  brenne.  Hierauf 
hieb  sie  mit  ihrer  (hier  also  als  Axt  angewen- 
deten) Grabekeule  ein  großes  Stück  Rinde  aus 
einem  Flaschenbaum.  Als  sie  in  der  Grube  ge- 
nügend Glut  hatte,  legte  sie  das  Fleisch  in  die 
Grube  und  bedeckte  dann  sowohl  die  Grube  als 
den  Gang   mit  Rinde   und  Sand.     Sie   ließ  das 


Abb.    139. 
Grabekeule. 
1/s.  Tsirakua. 


324  Zwanzigstes  Kapitel. 

Fleisch  dann  mehrere  Stunden  rösten.  Leider  war  ich  nicht 
dabei,  als  es  aufgegessen  wurde,  es  war  aber  sicher  wohl- 
schmeckend. 

Eine  gleiche  Art  des  Fleischröstens  ist  von  den  argen- 
tinischen Gauchos  bekannt.     Es  ist  eine  vortreffliche  Art. 

Als  die  Frau  ihre  Nahrung  zubereitete,  warf  sie  hier  und 
da  Hände  voll  Sand  nach  verschiedenen  Richtungen,  gleich- 
sam um  böse  Geister  oder  dergleichen  zu  verjagen. 

Die  Tsirakuas  leben  hauptsächlich  von  Honig,  wilden 
Früchten,  Wurzeln  und  von  der  Jagd.  Die  oben  erwähnte  Frau 
sammelte  Stämme  von  Caraguatä,  die  sie  röstete  und  aß. 
Die  mit  den  Tsirakuas  verwandten  Zamucos1)  haben  nach 
Cardus2)  einen  äußerst  primitiven  Feldbau.  Die  Tsirakuas 
kennen  Mais,   Tabak,  Uruku  und  Zapallo. 

Die  Waffen  dieser  Indianer  sind  vor  allem  Keulen.  Außer 
den  langen  Grabekeulen  haben  sie  Wurfkeulen  von  verschie- 
denen Typen  (Abb.  140).  Als  ich  der  Tsirakuafrau  meine 
von  den  Yanaygua  und  Chanes  erhaltene  Keulensammlung 
von  ihrem  Stamm  zeigte,  erklärte  sie  mir  ihre  verschiedene 


1)  Daß    die  Tsirakuas    und   die   Zamucos   eine   ähnliche    Sprache 
sprechen,  geht  aus  folgendem  Vergleich  hervor. 

Zamuco  Tsirakua 

Ohr  =  yagorone  (dlyöcon)goroni 

Auge  =  yedoi  (dlyöqui)dodye 

Hand  =  imanaetio  (dlyöco)manä 

Sonne  =  yede  gete 

Wasser  =  yod  mama 

Feuer  =  pioc  piö 

Zum  weiteren  Vergleich  teile  ich   hier   auch   einige   gewöhnliche 
Tsirakuaworte  mit 

Mais  =  geshna  Kalebasse  =  pitäu 

Tabak  =  sidodu  Strauß   =  bäi 

Zapallo  =  ögodieü  Wildschwein  =  pösnoni 

Caraguatä  =  gutä  Asche  =  pütchucuru 

Grabekeule  =  bahäbe  Stein  =  kukäni 

Uruku  =  tasi  Hund  =  tomöco. 

2)  Cardus:  Las  Misiones  Franciscanas  entre  los  infieles  de  Bolivia. 
Barcelona  1886. 


Die  Tsirakuaindianer. 


325 


Verwendung  und  führte,  die  Grabekeule  gegen  den  Mund 
gedrückt,  einen  Kriegstanz  auf,  wobei  sie  mit  blökender 
Stimme:  ,,he  ha  ha,  he  si  sia,  he  ha  ha,  he  si  sia"  sang. 

Als  Signal  für  Aufpassen  wenden  die  Tsirakuas  Pfeifen 
von  eigentümlicher  Form  an  (Abb.  142). 


A   Vr 


B   Va 


C   V»- 


Abb.   140.     Wurfkeulen.     Tsirakua. 


Nackt  nennen  die  Weißen  die  Tsirakuas.  Dies  ist  un- 
richtig, denn  bei  diesen  Indianern  findet  man  dieselben 
Kleidungsstücke  wie  bei  den  wilden  Tapietes.  Die  Frauen 
haben  ein  Stück  Zeug  um  die  Beine,  die  Männer  eines,  das 
die  Geschlechtsteile  bedeckt  und  um  den  Leib  befestigt  ist 
(Abb.  141).  Außerdem  haben  sie  große  Decken,  die  in  der 
Form  den  von  den  Chorotis,  Ashluslays  usw.  angewendeten 


326  Zwanzigstes  Kapitel. 

ähnlich  sind.  Alle  diese  Kleider  sind  aus  Caraguatä,  und 
nicht  aus  Wolle.  Die  Kleider  sind  aus  Schnüren  geknotet. 
Sie  verstehen  auch  breite  Bänder  aus'  Caraguatä  zu  weben. 

An  den  Füßen  tragen  die  Tsirakuas  viereckige  Sandalen 
aus  Tapirhaut  (Abb.  138)  oder  Holz.  Diese  haben  vier  Löcher 
für  die  Schnüre,  während  die  von  anderen  Indianern  ange- 
wendeten Sandalen  nur  drei  haben. 

Wir  finden  bei  den  Tsirakuas  dieselbe  Art  Taschen  aus 
Caraguatä,  wie  bei  den  Chorotis  und  Ashluslays.  Den  Honig 
verwahren  sie  in  Taschen  aus  ganz  abgezogenen  Tieren. 


Abb.   14  t.     Von   den  Männern   über  die  Geschlechtsteile   getragenes 
Stück  Zeug.     Tsirakua.     1/~. 

Ein  einziges  grobes  Tongefäß  habe  ich  von  diesen  In- 
dianern, sowie  eine  mit  einem  eingeritzten  Vogel  verzierte 
Kalebasse. 

Das  Eisen  ist  bei  den  Tsirakuas  sehr  selten.  Jedes  Stück- 
chen wird  aufbewahrt  und  geschattet.  Größere  Stücke,  deren 
sie  habhaft  werden,  werden  zwischen  mehreren  geteilt.  Sie 
sollen  manchmal  die  Weißen  und  die  Chanes  nur  überfallen, 
um  Eisen  zu  bekommen.  Für  einige  Stückchen  dieses  kost- 
baren Metalls  setzen  sie  ihr  Leben  aufs  Spiel. 

Wahrscheinlich  verfolgen  auch  die  Chamacocos1)  oder  ein 
anderer  Stamm  die  Tsirakuas  und  drängen  sie  nach  dem 
Rio  Parapiti,  wo  sie,  wie  Batirayu  mir  gesagt  hat,  erst  in 
neuerer  Zeit  aufzutreten  beginnen. 


x)   Vgl.  Fric.      Globus.      Bd.  96   (19.09)   S.  24.      Die   unbekannten 
Stämme  des  Chaco  boreal. 


Die  Tsirakuaindianer. 


527 


Die  Tsirakuas  gehören  den  unbekannten  Wildnissen  des 
nördlichen  Chaco  an,  von  dem  wir  so  wenig  wissen.  Eine 
Erforschung  des  Inneren  dieses  Landes  würde  sicher  viel 
Interessantes  bieten. 

Was  für  Menschen  leben  dort?  Diese  Frage  habe  ich  an 
viele   Indianer  gerichtet.      Von  diesen  hat  mir  ein  Chane- 


Abb.   142.      Pfeife  aus  Holz.     1/z.     Tsirakua. 


indianer,   Bätcha,   der,   wie  gesagt,  lange  mit  den  Tapiete- 
indianern  gelebt  hatte,  folgendes  berichtet. 

Ungefähr  sechs  Tagemärsche  vom  Rio  Parapiti  westwärts 
wohnt,  wie  die  Tapietes  sagen,  ein  Zwergvolk,  das  in  Erd- 
höhlen lebt.  Diese  Zwerge  sind  freundlich  gesinnt  und 
sprechen  Guarani.  Von  ihren  Höhlen  hörte  ich  schon  1902 
von  einem  Sergeant  Gonzales,  der  diese  auf  einer  Expediton 
nach  dem  Innern  des  Chaco  gesehen  hatte. 


328  Zwanzigstes  Kapitel. 

Einen  solchen  Bericht  hat  man  allen  Anlaß,  wenigstens 
was  die  Zwerge  betrifft,  für  unwahr  zu  halten.  Die  Erd- 
höhlen können  Brunnen  sein,  wie  sie  die  Ashluslays  und 
Lenguas  graben. 

Sehr  eigentümlich  ist  es  gleichwohl,  daß  Hawtrey1)  von 
den  am  Rio  Paraguay  wohnenden  Lenguaindianern  die- 
selbe Angabe  über  Zwerge  erhalten  hat.  Zwei  auf  beiden 
Seiten  des  großen  unbekannten  Gebietes  im  nördlichen 
Chaco  wohnende  Stämme  haben  also  dieselbe  Erzählung. 
Möglicherweise  ist  es  nur  eine  gemeinschaftliche  Sage.  Die 
Zukunft  wird  es  zeigen. 

Im  Innern  des  Chaco  nahe  der  Saline  de  San  Jose  hat  man, 
wie  erzählt  wird,  moderne  Indianergräber  getroffen,  die  alle 
mit  hölzernen  Kreuzen  geschmückt  waren.  Ob  dies  wahr  ist, 
weiß  ich  nicht.  Unmöglich  ist  es  nicht,  denn  viele  der  dort 
wohnenden  Indianer  stammen  sicher  von  Indianern,  die 
Christen  gewesen  sind.  Unter  den  Zamucos,  die,  wie  gesagt, 
den  Tsirakuas  nahe  stehen,  haben  die  Jesuiten  Missionen 
gehabt. 

Vielleicht  ist  es  nicht  ein  reiner  Zufall,  daß  die  hier  ab- 
gebildete Tsirakuafrau  die  Hände  auf  Christenweise  wie  zum 
Gebet  faltet.  Etwas  Ähnliches  habe  ich  bei  den  nicht  von 
den  Missionaren  besuchten  Chorotis  und  Ashluslays  niemals 
gesehen. 

1)   Hawtrey,  1.  c. 


Schlußwort. 

Ich  habe  die  Indianer,  die  ich  im  Chaco  kennen  gelernt 
habe,  hier  zu  schildern  gesucht.  Wir  sind  zum  Schluß  bis  an 
die  Grenze  des  Unbekannten  gekommen,  dessen  Geheimnisse 
noch  niemand  erforscht  hat.  Ein  großes  Gebiet  im  Chaco 
ist  den  Weißen  vollständig  unbekannt,  ein  noch  größeres  ist 
noch  niemals  von  einem  Forscher  besucht  worden. 

Es  ist  ein  gefährliches  Gebiet,  nicht  so  sehr  der  feindlichen 
Indianer  wegen,  die  man  dort  wahrscheinlich  antrifft,  sondern 
infolge  des  Wassermangels.  Mit  Hilfe  der  Indianer  könnte 
man  dort  vorwärts  kommen,  ohne  sie  kann  man  die  Wasser- 
stellen nicht  finden.  Im  vorhergehenden  habe  ich  gesagt, 
daß  man  im  Chaco  Reste  sehr  primitiver  Stämme  finden 
muß,  denn  es  ist  der  natürliche  Zufluchtsort  für  diejenigen, 
die  in  den  Kämpfen  um  die  Flüsse  und  um  die  Gegenden, 
wo  die  Forderungen  des  Magens  leicht  zu  befriedigen  sind, 
besiegt  worden  sind. 

Die  hier  geschilderten  Stämme  hätte  ich  gern  viel  besser 
kennen  gelernt.  Über  die  religiösen  Vorstellungen  der  Chorotis 
und  Ashluslays  wissen  wir  beinahe  nichts.  Nur  einige  der 
hier  mitgeteilten  Sagen  habe  ich  in  der  Originalsprache  auf- 
gezeichnet.    Auch  die  Individualpsychologie  lockt  mich. 

Es  dürfte  dem  Leser  deshalb  nicht  wunderbar  erscheinen, 
wenn  ich  noch  einmal  am  Indianerleben  am  Rio  Pilcomayo 
teilnehmen  möchte,  wenn  ich  noch  einmal  die  alten  Sagen 
am  Lagerfeuer  möchte  erzählen  hören,  wenn  ich  in  die  un- 
bekannten Gegenden  des  nördlichen  Chaco  eindringen  möchte. 

Bevor  dies  geschehen  kann,  muß  ich  jedoch  die  Ergebnisse 
meiner  letzten  Fahrt,  die  einen  viel  größeren  Teil  von  Bolivia 


330  Schlußwort. 

als  den  Chaco  berührt  hat,  vollständig  veröffentlichen.  Nicht 
zum  mindesten  wichtig  ist,  daß  meine  Funde  bei  meinen 
archäologischen  Ausgrabungen  beschrieben  werden. 

Vielleicht  wären  auch  meine  Urwaldwanderungen  und 
Flußfahrten  im  nordöstlichen  Bolivia  weit  bis  zu  der  Grenze 
Brasiliens  es  wert,  einem  größeren  Publikum  als  dem,  das 
ethnographische  Fachzeitschriften  liest,  geschildert  zu  werden. 

Im  Dezember  1909  verließ  ich,  von  meinem  schon  be- 
schriebenen zweiten  Besuch  bei  den  Chorotis  und  Ashluslays 
kommend,  Yacuiba. 

Nach  Hause  ging  die  Fahrt ! 

Ende  Januar  1910  war  ich  wieder  in  Schweden.  Meine 
beiden  Reisebegleiter  waren  in  Südamerika  geblieben.  Sie 
sind  jung  und  wollen  versuchen,  sich  in  dem  neuen  Lande 
durchzuschlagen.  Ich  hoffe,  es  wird  ihnen  gelingen.  Gefällt 
es  Moberg  bei  den  Weißen  nicht,  so  läßt  er  sich  wohl  bei  den 
Indianern  und  Indianerinnen  nieder,  wo  er  sich  so  wohl 
gefühlt  hat. 

Als  ich  von  Batirayu  Abschied  nahm,  sagte  er:  ,,Es  ist 
traurig,  zu  scheiden  und  sich  niemals  wieder  zu  treffen,  wenn 
man  so  befreundet  geworden  ist." 

Wer  weiß,  vielleicht  treffen  wir  uns  noch  einmal.  Möge 
Yamandutunpa  dich  beschützen,  Batiravu.  Möge  es  lange 
dauern,  bis  du  nach  Aguararenta  wanderst,  um  Maisbier  bei 
deinen  Vorvätern  zu  trinken. 

„Hayma  opama!"     (Und  mehr  war  es  nicht.) 


Illustrationsverzeichnis. 

Seite 
Tafeln  auf  besonderen   Blättern: 

i.   Der  Verfasser    mit  Ashluslayfreunden.      Neben   dem  Titel. 

2.  Der  Calileguaberg 13 

3.  Dorf  des  Chorotihäuptlings  „Waldhuhn" 30 

4.  Fische  essender  Ashluslay 48 

5.  Mit  Mais  vom  Acker  kommende  Ashluslaykinder    ....  52 

6.  Chorotimama  mit  ihrem  kleinen  Jungen  und  dessen  Spiel- 
kameraden       62 

7.  Ashluslay-Tänzer 78 

8.  Tanzende  Ashluslaymänner 84 

9.  Chorotifrau  auf  dem  Heimweg  mit  eingesammelten  wilden 
Früchten  und  Holz 94 

10.  Matacoindianer  rösten  „Palometas"  und  andere  Fische      .  112 

1 1 .  Chorotifrauen    tragen    wilde    Früchte   in    ihren    Caraguatä- 
taschen  nach  Hause 124 

12.  Ashluslaykrieger 136 

13.  Ashluslay  mann  im  Magenpanzer       138 

14.  Ashluslayfischer  gehen  über  den  Rio  Pilcomayo 142 

15.  Ashluslayfrau  auf  der  Wanderung 146 

16.  Caraguatä       176 

17.  Palmenwald,   unweit  des  Rio  Pilcomayo 192 

18.  Chanefrau  mit  Kind 220 

19.  Die  Frau  des  Chanehäuptlings  Vocapoy  malt  ein  Tongefäß  242 

20.  Sagenerzähler.     Chane 258 


Abbildungen   im   Texte: 

Matacomädchen 8 

Hütte  der  Mataco-Guisnay 9 

Ashluslayfischer 19 

Eigentumsmarken  auf  Mänteln,  Ashluslay 36 

Ashluslaypapa  mit  seinem  kleinen  Jungen 37 

Kochhütte  der  Chorotis 40 

Algarrobofrüchte  kauende  Ashluslayfrauen 44 


332  Illustrationsverzeichnis. 

Seite 

8.  Ashluslayindianer  mit  Sperrnetzen       45 

9.  Nadeln  zum  Aufreihen  der  Fische 46 

10.  Spaten 47 

11.  Sperrung  des  Rio  Pilcomayo  mit  fischendem  Choroti    .    .  49 

12.  Chorotikinder  spielen,  daß  sie  den  Fluß  sperren      ....  50 

13.  Eine  Chorotifrau  trägt  Wasser  nach  Hause      55 

14.  Ashluslayfrau  seiht  Algarrobomehl 57 

15.  Eßbürste 59 

16.  In  die  Erde  gegrabener  Ofen 60 

17.  Hölzernes  Messer 60 

18.  Hölzerne  Messer  zum  Essen  von  Wassermelonen     ....  61 

19.  „Reibeisen"   aus   Holz 61 

20.  Chorotiknabe  mit  Boleadora 64 

21.  Das   Kleine  führt  seinen  blinden  Großvater  „abseits"    .    .  65 

22.  Die  Mama  geht  mit  den  Kindern  zum  Fluß 67 

23.  Spielzeugflinte  von  den  Chiriguanos 68 

24.  Boleadora 69 

25.  Fadenfiguren  knüpfende  Chorotiknaben 71 

26.  Ballspielende  Matacoindianer 72 

27.  Spielmarken 73 

28.  Tätowierung  und  Gesichtsbemalung 75 

29.  Tätowierung  und  Gesichtsbemalung 76 

30.  Alte  Chorotifrau,  die  den  Verf.   tätowiert  hat 77 

3 1 .  Ashluslaymann 79 

32.  Stempel  zur  Gesichtsbemalung 80 

33.  Chorotielegant 81 

34.  Ashluslay  mit  einer  mit  Schneckenschalenperlen  besetzten 
Mütze S3 

35.  Junger  Chorotimann  am  Alltag 85 

36.  Pfeife      87 

37.  Boxhandschuh       89 

38.  Tongefäß 95 

39.  Ashluslay  mit  einer  Kalebasse  Algarrobobier 97 

40.  „Bowle" 99 

41 — 43.  Pfeifenköpfe       101 

44.  Krankenstuhl 105 

45.  Geist 109 

4<>.   Tongefäß 117 

47.  Puppen 118 

48.  Strumpf,  Taschen 119 

49.  Grabestock 120 

50.  Säge  aus  hartem  Holz 120 

51.  Scharre  aus  Muschelschalen 120 


Illustrations  Verzeichnis.  333 

Seite 

52.  Webstuhl 121 

53.  Von  Ashluslays  gewebter  kleiner  Mantel 122 

54.  Chorotifrau,  ein  Tongefäß  bauend 123 

55.  Töpferin 124 

56.  Hölzernes  Gerät 125 

57.  Trommel  aus  einem  Tongefäß       126 

58.  Bierkrug 126 

59.  Wasserkrug 126 

60.  Kalebasse 127 

61.  Kalebasse 127 

62.  Kalebaßschale 12g 

63.  Mais  sammelnde  Frau  (Zeichnung) 130 

64.  Zeichnungen  des  Chorotimädchens  Ashlisi 130 

65.  Zeichnungen  eines  Ashluslayknaben 131 

66.  Zeichnungen  eines  20jährigen  Ashluslaymannes 132 

67.  Ashluslaykrieger 133 

68.  Federschmuck 134 

69.  Federschmuck 135 

70.  Skalp  eines  Tobapilaga 136 

71.  Streitkolben 136 

72.  Ashluslaytänzer  zum  Besuch  bei  den  Chorotis 139 

73.  Ashluslavfischer 145 

74.  Vocapoys  Dorf  am  Rio  Itiyuro 149 

75.  Chaneindianer 150 

76.  Chaneindianer 151 

77.  Tongefäß 158 

78.  Tongefäß 159 

79.  Alter  Chiriguano  mit  großem  Lippenpflock 165 

80.  Pfeife      169 

81.  Festtracht  für  Männer 169 

82.  Tongefäß 172 

83.  Feuerstätte  zum  Maisbierkochen      174 

84.  Maisscheune 175 

85.  Sitzbank 177 

86.  Haken  zum  Aufhängen  der  Sachen 177 

87.  Chanefrau       178 

88.  Tabakspfeife      179 

89.  Spatenstiel 179 

90.  Fischfang  mit  Kalebasse 185 

91.  Netz 187 

92.  Dämpfapparat 188 

93.  Spielregel  für  ,,Daro" 191 

94.  Chunquanti  spielende  Chaneknaben 192 


334  Illustrations  Verzeichnis. 

Seite 

95.  Stäbchen  zum  Tshücaretaspiel 193 

96.  Mama  wird  ausgelegt 194 

97.  Die  Stäbchen  werden  geworfen 195 

98.  Die  Spielenden  sehen  nach,  wie  die  Stäbchen  gefallen  sind  196 

99.  Geteilter  Ball  zum  Tocorörespiel 197 

100.  Spielstock 197 

101.  Rakett      197 

102.  Maiskolbenpfeil 198 

103.  Stäbchen  zum  Huirahuahuaspiel 198 

104.  Spielzeug      199 

105.  Puppen  aus  Wachs 200 

106.  Chanefrau 201 

107.  Gesichtsbemalung 202 

108.  Tätowierter  Frauenarm 203 

109.  Kämme 204 

110.  Chaneknabe 209 

in.   Der  Chiriguanohäuptling  Mandepora 213 

112.  Alte  Frau 215 

113.  Chiriguanograb 219 

114.  Junge  Chanefrau  entblößt  den  Oberkörper,  um  sich  photo- 
graphieren  zu  lassen 226 

115.  Kalebasse 231 

116.  Chanemädchen  stoßen  Mais  in  einem  Mörser 235 

117.  Kochen  des  Maisbieres 237 

118.  Suppenspatel 239 

119.  Tanzmaske 241 

120.  Sererepfeife      243 

121.  Tongefäß      244 

122.  Brennen  von  Tongefäßen 245 

123.  Webstuhl 247 

124.  Sieb 248 

125.  Korb 248 

126.  Verzierte  Kalebaßschale 249 

127.  Tongefäß      264 

128.  Kalebaßschale 279 

129.  Tongefäß      281 

130.  Silberne  Nadel 287 

131.  Brustschmuck  aus  Silber 290 

132.  Chanekinder 299 

133.  Tongefäß      301 

134.  Tsirakuafrau 307 

135.  Taubstummenzeichen 316 

136.  Taubstummenzeichen 318 


Illustrations  Verzeichnis.  335 

Seite 

137.  Taubstummenzeichen 3X9 

138.  Sandale  aus  Tapirhaut 321 

Grabekeulc 323 

Wurfkeulen 32~> 

141.  Stück  Zeug 32 

142.  Pfeife  aus  Holz       327 


139 
140 


Alphabetisches  Register. 

(Die  Ziffern  bedeuten  die  Seitenzahl;  f  nach  der  Zahl  =  u.   folgende.) 


Abstandsangabe   166. 
Abtritte  205. 
Aderlassen  54. 
Aguararenta,  s.  Totenreich. 
Aguaratunpa  222,  258,  274,  283, 

285,   291. 
Algarobillo   121. 
Algarrobo  (Bier)   16,    17,    18,    22, 

45.    49.    58>    96,    98,    in,    236, 

260,   296. 
Altersklassen    zwischen    Kindern 

67. 
Amulette  53. 
Ana.     Anatunpa  166,  251,  255  f. 

286  f. 
Angeschossene  Tiere,   Leiden  54. 
Aphrodisiacum  225. 
Araukanier  80. 
Arbeit   4  f.,    180  f.,    190;    für   die 

Weißen  4  f.,    180  f.,   300  f. 
Arbeitsteilung  zwischen  den  Ge- 
schlechtern 92  f. 
Aristokratie   230. 
Arowaken  22,   156,    169. 
Aseptik  217. 
Ashluslay   5,    16 — 147,    164,    167, 

248. 
Astronomie  294  f. 
Atsahuaca  182. 
Aussichtsposten   131. 
Ava  =  Chiriguano. 
Aymara   13,    182,    207. 


Bäder  84,   203. 

Ballspiele  71,  193  f.,  264. 

Bastian   114. 

Baumwolle  51,    182. 

Begräbnis  14,  218,  309;  mit  dem 

Kopf  nach  unten  219. 
Beigaben  108,   310. 
Besitzrecht  35,  50,  232. 
Bestialität  225. 
Betten  41,    176. 
Bewertung    von    Gegenständen 

126,   140. 
Blattschneideameise  242. 
Blinde  216. 
Blitz   11,  269. 
Boas   114. 

Bogen  52,    133,    183. 
Boggiani  26,  48,  51,   138. 
Bogoras   114. 
Bohnen  52,    182. 
Boleadora  70,    112,   183. 
Boman  243. 
Bordelle    (Indianer,     welche    die 

Bordelle  der  Weißen  besuchen) 

9- 
Boro  182. 
Boten  (Eil-)   131. 
Boxhandschuhe  87. 
Brandpfeile   134. 
Branntwein  8,  11,  100,  240,  298, 

302. 
Brunnen  57,  328. 


Alphabetisches    Register. 


337 


Caduvei   138. 
Calileguaberg  11  f. 

Campana,      Domenico     (kl      1 3  S , 

n>i.    234.    239. 
Campos    137,    142. 
Cangui  =  Maisbier. 
Caraguatä    2^,    119  i-,    ^44.    -'"». 

320,  324,  326. 
Caraguatätaschen  42,  49,  61,  116, 

140,    326. 
Cardns  324. 
Chacobo   174,   182,  207. 
Chamacoco    138. 
Chanar  (Bier)  20,  43,  49,  39,  62, 

96,  98. 
Chanes  5,  7,  14,  113,  134,  148  bis 

303,  310  f.,  322. 
Chicundapa   258. 
Chiqueri  =  Chiqueritunpa     238, 

264,    277,    296. 
Chiquitos   194. 
Chiriguano  3,    7,    13,   48,   86,   91, 

94,   134,   138,    139,  M's  1)is  303. 

310  f. 
Chome,   P.    210,    211,    212. 
Chorotis  3,  6,   7,  16  bis  147,  164, 

167,    221,   248,   254,   310,   320. 
Chuchio   166,   280. 
Chuna  70,    112. 
Churäpa  224. 
Coca  12,    182. 
Corrado  38,   208,   22S. 
Couvade,  s.  Wochenbett  92,  200. 
Crevaux  26. 
Crysocol  179,  201,  211,  240,  289. 

Dampfkochen   [89. 

Daro  190. 

Diät  s.   Speiseverbot. 

Diebstahl  34,    23  1 . 

Diener,  s.    Klassenunterschied. 

Dolmetscher   34. 

Donner   232,   258,   271,    296. 

N  or  <1  e  n  s  k  i  ö  1  d ,   Indianerleben. 


Donnergott    =    Chiqueritunpa. 
Dörfer  32,   33,    173. 
Duelle  232. 
Dyori  271,   273  f. 

Ehe  89  f.,   211  f. 

Ehrenreich    22,    114,    233,    293. 

Ehrgefühl   43. 

Ehrlichkeit    144  f. 

Eidechsen  22  —  s.  auch  Iguana 

und  Teyuhuasu. 
Eifersucht  38,   87. 
Eigentumsmarken  ^^. 
Eisen,  Handel  mit  138,  311,  326. 
Eitelkeit   78. 
Elternmord  38,    231. 
Empörung  gegen  die   Weißen   3, 

134,    168,   233. 
Erbschaften  7,    2^2. 
Erdbeben   12. 
Erdhöhlen  21,   327. 
Erdratten  22,   58,   222. 
Erinnerungen,     für    die    Indianer 

kostbare  Gegenstände  als   171. 
Erzeugung    (eigentümliche)    112, 

114,   271,  276. 
Erziehung   10,   63,   209. 
Esperanza,  Zuckerfabrik  3,  27. 
Eßbürsten  für  Honig  59. 

Fadenspiel  70. 
Fahrzeuge  48,    186. 
Familienhaus   174. 
Farbensinn  8 1 . 
Federarbeiten   120. 
Feldbau   31,    131,    324. 
Feldmanöver   133. 
Feuerraub  13,  22,  1 10,  2^2  f.,  312. 
Feuerstätte  41,   176. 
Feuerzeug  41,    232. 
bische,    Handel    [39. 
Fischerei,  Fischgerätschatten  46, 
98,    184. 

22 


338 


Alphabetisches    Register. 


Flamingo  (Sagen)   112,   284. 

Fledermaus  (Sage)  264. 

Fliege  (Sagen)   263,   288. 

Floh   (Sage)    262. 

Frau  74 ;  Stellung  im  <  remein- 
wesen  90;  Häuptling  22^;  un- 
verheiratete 95. 

Friede   129  f. 

Friedend    [8,   24. 

Frosch   (Sage)   234,   314. 

Fruchtbestände,  wilde,  Besitzer 
der  50. 

Früchte  (Einsammeln  wilder)  49. 

Fuchs  219;  Sagen  113,  222,  256, 
269,   289  f. 

Fuchsgott  =  Aguaratunpa. 

Garcilasso  de  la  Vega  167. 

Gären  von  berauschenden  Ge- 
tränken 96,   237. 

Gastfreiheit   144,    190. 

Geduld  bei  Schmerzen  107. 

Gefangene,  Auslösung  24.  135, 
306. 

Geier  (Sagen)  22,   112,   263,   314. 

Geister,  s.  auch  Aha,   108,  257. 

Gemeinwesen  29,   2\2. 

Geograph,  der  Indianer  als  163  f. 

Gerben   123,   247. 

Geruch  85. 

Gesang  6,  18,  85,  97,  141,  157  f., 
179,  223,  276,  325. 

Geschlechtskrankheiten  9. 

Geschwisterehe  90,  in,  212,  254. 

Gesichtsbemalung  78,   203. 

Giftige  Pflanzen  als  Nahrung  5 1 . 

Grabekeulen  322. 

Gräber  14,  108,  218,  310. 

Grabestock  49,    120. 

Grabhaus   14. 

Graburnen  14,   218. 

Guanaco  155. 

Güarayus  52,    [65,  207. 


Gumilla    [95. 
Gummibälle  193,  204. 
( rummigegenden    298,    31 15. 
Gürteltiere  22. 
Gürteltiergott  —  Tatutunpa. 

Haare.  Ausreißen  78,  84;  Seil  aus 
i2i  ;  weißes  216;  Abschneiden 
bei  der  ersten  Menstruation 
210;  Kurzschneiden  bei  Trauer 

I08,     _'!(),     233,     3IO. 

Hagel  12. 

Handel   137  f.,    2  (.8. 

Hängematten    177. 

Hartt   2^)!,. 

Hasardspiele,   s.   Spiele. 

Häuptlinge    33,    170,    212,    228  f. 

Hausbau  40. 

Haustiere  55,    187. 

Hawtrey  57,   328. 

Heilmittel    107,    217. 

Heirat  zwischen  Cousin  und  Cou- 
sine 90. 

Herrmann  27,  51,   142,  300. 

Heuschrecke    (Sage)    269. 

Historiker,  der  Indianer  als  [67  f. 

Höchstes    Wesen    259. 

Holzalter  93. 

Hölzerne  Pfrieme  54. 

Hölzerne  Sägen  50,    120. 

Holzschnitzerei   125. 

Holzstäbchen,  Spiel  mit   72.    im. 

Homosexualität   221. 

Honig  54;  Einsammeln  54. 

Humor  239. 

Hunde  53,  in,  184,  187,  314; 
Begräbnis  56;  Verhexung  [06; 
windhundähnliche,  Canis  jüba- 
tus  22. 

Hütten   39,    173. 

Ibareta   20. 

[guana,  s.  auch  Teyuhuasu. 


Alphabetisches   Register. 


339 


Im  Thurn   204,   255. 
Industrie   in  f.,   242. 
Inömu  271,   283. 

Jagd   52,    170  f. 

Jagdhütte  54,   251. 

Jagdtrophäen  53. 

Jaguar  12,  20,  23,  111,  218,  272, 

28g,   291. 
Jahreszeiten,  Bestimmung  der  52, 

183. 

Käferlarve  (Nahrung)  54. 
Kalebassen  52,   125,   247,   268. 
Kämme  205. 
Kara-Kara,    Vogel    (Sagen)    112, 

263. 
Karneval  240. 
Kartenskizze   149. 
Kartoffeln   (süße,    Bier)   52,    236. 
Kegelspiel  192. 
Keramik  60,   122,    159,    178,   234, 

243- 

Keulen  53,    183,   324. 
Kinder  63,  92,    193  f.,   207  f. 
Kindermord  38,  88,  208,   231. 
Kindermörderinnen  38. 
Klassenunterschied    14,    ^^,    231; 
zwischen  den  Stämmen  14,  94, 

3«- 

Kleidertracht  So,  83,   171,  200  f., 

240,   325. 
Klistier  224. 
Knochenschmerzen,  Mittel  gegen 

12. 
Knöcherne  Pfrieme  54,   87. 
Koch-Grünberg  90,    127,   221. 
Kochhütte  40. 
Kolibri   (Sage)   2U2,    2<>2. 
Kommunismus  34. 
Kondor        Ururuti. 
Konservatismus     125,     147,     211, 

220,  235. 


Ronserven  42,  50. 

Kopfkissen  41. 

Kopf  trophäen    172. 

Korbarbeiten  61,    125,   248. 

Krankenstuhl   105. 

Kreuz  auf  dem  First  ir ;  aul  Grä- 
bern 328. 

Krieg  19,  39,  08,   129  f.,   171,  306. 

Kugelgürteltier   (Sage)    112,    291. 

Kultureinflüsse  von  Peru  12,  242. 

Kulturgrenze  249. 

Kulturmythen  s.   Sagen. 

Kulturpflanzen  51,    182,   324. 

Kunst   116,   234,   242. 

Kürbis  51,  252,  267,  271,  314; 
Raub   13,    in. 

Küsse  88. 

Laufspiele  70. 

Läuseessen  85. 

Lausen  (Sage)  286. 

Leben    im    Jenseits     (Glaube  .111) 

108,    255  f. 
Lehmann-Nitsche  27,   86. 
Lenguas    48,    51,    57,     137,     224, 

249,   328. 
Liebe  (freie)  78,  86,   87,  04. 
Lippenpflock  211,   312. 
Lozano  28. 
Lügenhaftigkeit  36  f. 

Mahlzeiten  59,    110. 

Mais  (Bier)  12,  51,  96,  98,  k>i, 
181,  188,  237,  244,  258,  275, 
278. 

Mais,  wie  die  Tapiete  Mais  be- 
kamen 312. 

Maiskolbenpfeile   196. 

Maisraub   12,    112,  270. 

Mandioca  51,   182. 

Männer,   unverheiratete  95. 

Männerhäuser  33,  97. 

Mansle   137. 

22* 


340 


Alphabetis«  laes    Registei 


Mariutunpa   258. 
Marschfähigkeil    c66. 
Maße  139,   102,    196,   315. 
Matacos  4.   5.    7.    15.    [8,    22,    2<>, 

28,    48,    70,    72,     [O5  f.,    IO7.     lC-8, 

110  f.,   127,    i.v»,    [32,    135,   225, 
248,   320. 
Mataco-Guisnays  17.  26,  89,   kh, 

135- 
Mataco-Noten  89. 

Mataco-Vejos   13,    125,    231. 
Medizinmänner     12,     34,      103  f., 

159,   216,   230,   252,   258,   296. 
Meerschweinchen  (Sage)  13,   111. 
Menstruation  74,    107,   210. 
Meteor   110,    295. 
Militärgesetz  302. 
Minderjährig,   der   Indianer  wird 

betrachtet  als  34. 
Missionen.    Missionäre    109,     r.48, 

151  f.,     161  f.,     168,    214,     216, 

220,   246,   259,   297  f. 
Mistol  45,   204,   278. 
Mode  in  Schmucksachen  8  1 . 
Mogeln  beim  Spiel  73. 
Mond  52,    110,   273,   295. 
Mondfinsternis   110,    294. 
Mord    38,     231;    s.     Kindermord. 

Elternmord. 
Mörser  60,   237. 
Musikbogen  86,    199. 
Musikinstrumente  86: 
Mutterbaum  260. 
Mützen  80. 
Mystische    Wesen    [09 

Namen  (Spott-)   208. 
Namengeben  02,    208. 

Öfen  60,    299. 

Ohren,    Durchbohren    der    74. 
Ohrenklötze    18,    74. 
Onanie   112,    221.    22^. 


d'(  >rbigny    [94,   277. 

<  )]  Kiitierungsgabe    [65. 

(  »rinn    294. 

I  »riumentik    78  f.,     1  1  * >  l . .     1  25  f., 

234.    244,    246  I. 
(  >i  tsii.uiH  n    32,    n  ■<>. 

Pachamama   it. 

Paddeln  48. 

Palometa   23,    to8,    [86. 

Papagei  (Sage)  266,  270,  276,  312. 

Parfüm  85. 

Paterson,  Dr.   107. 

Pelleschi    1  15. 

Pelzmäntel   84,    124. 

Pfeife  86,  171,  242  t.,  2411,  265, 
285,   _u5. 

Pfeifen,  Tabak   102,   200. 

Pfeile  52,  133,  183;  mit  Stumpf- 
spitzen ji,   209,   272. 

Pfeilwerfen    196. 

Pferde,  Begräbnis  55;  gestohlene 

1  J.O. 

Phantasie   117. 
Plejaden  52,   183,   294. 
Pocken   108,    158. 
Prostitution   95. 
Puppen  69,    117,    248. 

Quebracho   111,   269,   272. 
Quichuas    11.    12,    13,    153,    182, 

207.      2  IQ.      242.      247,      249,      32  T. 

Raketts    193. 

Regen    2<i<>. 

Regenbogen   296. 

Rehböcke    22. 

Reifen  (schlagen)  70,   199. 

Reinlichkeit   84,   190,  203. 

Reisezehrung  59. 

Religiöse     Vorstellungen      109  f.. 

1  1  I.   250  t. 
Rosen,   Eric  von  23,  27,  41.   1  1^, 

[38. 


Alphabetisches    Register, 


341 


Säen  52,    183. 

Sagen    4,    13,    21,     logi.,    222  f., 

250  f.,   312  f. 

Sägen   aus   Holz   50. 

Sagenwanderung  114,   2113. 

Salz  58,   189. 

Sandalen  80,   203,    306,   32* >. 

Sandfloh  '-3. 

Schafe,  wie  die  Tapiete  sie  be- 
kamen 313. 

Schamgefühl  88,   225. 

Scheibenschießen   (Spiel)    io,    69. 

Scheunen   174  f.,    183. 

Schießwaffen   10. 

Schildkröte  (Sage)  53,   291. 

Schimpf  worte    157. 

Schlaf  43. 

Schlägereien  zwischen  den  Frauen 
38,   87,    141. 

Schlange  (Riesen-)  110,  281,  288. 

Schlangen  23. 

Schlangenbiß  (Heilung  mit  Men- 
struation)  107. 

Schleudern   12,   53. 

Schlingen   54,    183. 

Schmucksachen  80  f.,   82  f.,   240. 

Schneckenschalen,     Handel     137. 

Schöpfungssage   260. 

Schwalben  verkünden  Regen  296. 

Schwangerschaft   20».. 

Schwirrholz   10. 

Seelenwanderung  256. 

Selbstmord   224. 

Siebe  61. 

Silberne  Schmucksachen  240,  263, 
288. 

Siluroid   23. 

,, Sintflut"    2=,$. 

Sipoy   22,   311. 

Sirionos   155,   ^22. 

Sitzbank   177. 

Skalpe,  Skalpieren  17.  24,  68,  90, 
*32- 


Sonne   2^2,    2^2,    295. 
Sonnendach  33. 
Sonnenfinsternis   294. 
Sonnenzelt  33. 
Späher   131. 

Spaten  52,    183,   20b,   2<«i. 
Speiseverbot  190,   206,   210. 
Sperrung  des  Flusses  48,   i  2<». 
Spiele  65,   190  t.,   224,   28]  I. 
Spielsachen  68,    193  f.,  291. 
Sprache  28  t.,   157,  310,  324. 
Stammbaum   229. 
Stammnamen   28. 
Steine,  Armut  an  92: 
Steinen,    K.  v.   d.    119,    127,    207. 

221 
Stelzen  70. 

Stempeln  der  Ornamente   7g  f. 
Sternbilder  294. 
Sternhaufen  295. 
Sternschnuppen  295. 
Stier  (Sage)   104. 
Stillen  63;  junger  Hunde  56. 
Strauße  20,  54;  (Sage)  264,  292  f. 
Strümpfe,      zum     Schutz     gegen 

Fische   2  3 . 
Sturm  (Sage)   252,   296. 

Taba   190. 

Tabakraucher  (Anbau  des  Ta- 
baks) 51,  101,  182. 

Tacumbocumba  =  Viscacha. 

Tänze  17,  78,  85,  106,  141,  240, 
325;  bei  der  Menstruation  174. 

Tanzmasken  239. 

Tanzspiele   71. 

Tapietes5,  28,  137.  139,  151,  153. 
154,    164,   24S,  304  f. 

Tapietes  =  Yanaygua. 

Tapuy  -----  Chane. 

Tasi  22,  45. 

Tatutunpa  258,  2<>}  f.,  269,  271  f., 
285  f. 


542 


Alphabetisches    Register. 


Tätowierung  74  f.,   89,    203,   312, 

323. 

Taubstumme  207,  315. 

Tauschhandel,    s.    I  landel. 

Teyuhuasu   222,   276,   283. 

Theokratic  230. 

Tiere,  wilde,  werden  zahm  ge- 
halten   1 1 ,   56,    1  87. 

Tipaytunpa   258. 

Tiri  277. 

Tobas  5,  6,  7,  10,  15,  i<»,  2),  28, 
39.  48-  5°.    !-"■   r32,   134.    *35. 

139,     l6l,     248. 

Tobas-Pilagas  18,   132. 
Tod  218,  309. 
Tongefäße,  s.    Keramik. 
Tonkugelbogen  53,    184. 
Tonscherben  als  Spielsteine   197. 
Tote  255  f. 

Totenreich  157,   255  f. 
Totora   125. 

Trachten,  ,s.    Kleidertrachten. 
Tränengruß  24. 

Trauer  24,  108,  179,  219,  253,  309. 
Träume  257. 

Trigo,  L.    134,    142,   146,  308. 
Trinkgelage  17,  91,  96,  132,  212, 

234>    252.    257.    274,    2S^,    291. 
Trommeln  86,  97,    115. 
Trophäen,   s.    Kopftrophäen   und 

Skalpe. 
Tsirakuas  60,  80,    137,    153,   135, 

164,     I7I,     305  f.,     ^22  f. 

Tsiriöno  =  Siriöno. 
Tukan  (Sage)  287. 
Tunpa  251,   257,   314. 
Türkisperlen   179,   201,   211,    j)i> 

289. 
Tusca  22,  45,  49,  96,   121. 

Ungeziefer  85,   176. 
Urapua      (der     schwarze     Geier, 
Sage)  274. 


ITuku,    Handel   mit   138. 
ITiuuti,    der    weiße    Kondor 

(Sage)  25<>.   21:2  l. 
I  t urunco    12.   2m. 

Vejos,  s.   Matacos. 
Verbrechen,  s.  auch  Vertreibung 
dir   Leibesfrucht     Kindermord 

USW.     2^,1. 

Verführung  der  Frau  eines  ande- 
ren  232. 

Verhexen  103,  106,  [59,  21*1,  2^2, 
239,  258. 

Verjüngung  268. 

Versprechen   17. 

Vertreibung  der  Leibesfrucht  38, 
88,  208. 

Viedma   168,   174,   200,   203. 

Viehzucht  55,    187. 

Vielweiberei  90,   212. 

Viscacha  (Sage)  260. 

Vogelnetze   183. 

Wachs   5  |. 
Waldfeuer  22. 
Waldhuhn  (Sage)   222. 
Wanderungen  5  t.,   32,    204,    311. 
Wasserfall  im  Rio  Pilcomayo  20. 
Wassermangel    17,    25,    52,    311, 

3^9- 

Wassermelone  51,  96. 

Waten   186. 

Wehen   121,    246,    32(1. 

Wege  24,   33. 

Wegweiser  164. 

Wegzeichen   131. 

Weiße,  Verhältnis  zu,  s.  auch 
Arbeit,    142  f.,   300  f. 

Weltbrand    13,    21,    1 1 1 . 

Weltuntergang,  s.  auch  Welt- 
brand,  251. 

Werbung  (Braut-)   212. 

Westermarck  207. 


Alphabetisches    Register. 


343 


Witt  laufsage  292. 

Wildkatze    (Sagen)    13  =  Em- 

barakaya  273. 
Worte  (häßliche)   137,   221. 
Würfelspiel    190  f. 

Yahuanau,  schwarze  Wesen    [66. 
Yahuapinta   (Puma)  273. 
Yahuete  =  zweiköpfiger     Jaguar 

=  Yahuaröhui. 
Yamandutunpa   257. 
Yanaygua  =  Tapiete. 
Yuracäre  22,  52,  79,  224,  277,  315. 

Zahlwörter  30,   73,   315. 
Zähne,   Schwärzen   203. 


Zahnschmerzen,    Entstehen    314. 
Zamuco  324,   328, 
Zapallo,   s.    Kürbis. 
Zauberer,  s.  Medizinmänner. 
Zauberspaten  266,   269. 
Zecken  (Sage)  262,   292. 
Zeichen  der  Würde  228. 
Zeichnungen,  ausgeführt  von   In- 
dianern  127  f.,   248. 
Zeiten  der  Not  50  f.,   60. 
Zeremoniell  bei  den  Festen  238. 
Zubereitung  der  Speisen  58,   188. 
Zweiköpfiger  Jaguar  272,   294. 
Zwerge  327. 


Berichtigung. 

Seite     22   Zeile   12   v.  o.    „Tasifrucht"   anstatt   „Tuscaf nicht". 

116      ,,        8  v.u.  „Caraguatäbast"  anstatt  „Caraguatarinde". 

125       ,,       14  v.  o.    „Korbarbeiten"  anstatt  „Kostbarkeiten". 
138      ,,        3  v.  o.    „Schneckenschalen"        anstatt       „Muschel- 
schalen". 
211       „       14   v.  o.    „Pflock"   anstatt  „Knopf". 


tu  i-^ 

Ä     »  ~    c  -j 

I—    5  -  = 


F      Nordenskiöld,  Erland,  Friherre 

3319      Indianerleben 

N8315 


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