Skip to main content

Full text of "Indische Gletscherfahrten. : Reisen und Erlebnisse im Himalaja"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 














Sie, Google 











Dig 


50, Google 


Sie, Google 





Sie, Google 


Sie, Google 


Sie, Google 


Indische 
Gletscherfahrten 


Reisen und Erlebnisse im Bimalaja 


von 


Dr. Kurt Bocck 


Mit 3 Karten und 6 Situationsskizzen 
und mit 4 Panoramen, 50 Separat- und ca. 150 Cextbildern 
nach photographischen Aufnahmen des Verfassers 


Stuttgart und Leipzig 
Deutsche Verlags-Anstalt 
1900 


THENEW YORK 
PUBLIC LIBRARY 


147771 


ASTOR, LENOX AND 
TILDEN FOUNDATIONG. 
' 





Ale Reh, 


indbejonbere dab Hedt der Weberfegung in andere Spradien, vorbehalten, 


Raddrud wird gerictlid, verfolgt. 





Papier und Drud der Deuticen Berlagt-Anftalt in Gtuttgart. 


Meinem lieben geduldigen Srauchen 


widme ich diese Reiseschilderungen 


als Ersatz für ausgebliebene Briefe 


Der Verfasser 


Elb-Florenz, im Frühling 1900 


1.Rapitel. 
2. Rapitel. 
3. Kapitel. 
4.Rapitel. 
5. Kapitel. 
6. Kapitel. 
7.Rapitel. 
8.Rapitel. 
9. Rapitel. 
10. Rapitel. 
11. Rapitel. 
12. Kapitel. 
13. Rapitel. 
14. Kapitel. 
15. Kapitel. 
16. Rapitel. 
17. Kapitel. 
18. Kapitel. 
19. Rapitel. 
2. Rapitel. 
21.Rapitel. 


22. Rapitel. 
3. Kapitel. 
4.Rapitel. 
25. Rapitel. 





Inhalt. 


Eeite 
Zum Himalaja . . . 1 
Aus der „Stadt der Bleichgefichter“ in 1 daß Woltenmeer 19 
Leiden in dem Luftort —W 37 
Flucht nah Weften . . . Pa 72 
Aufbruch ind Hochgebirge...» 2.2... . 1 
Marfch-Abenteuer . . . vn. 12 
Der Pindargleticher aus der Boneiigan ven. 165 
Eine gräßliche Entdedung . . . . - vn. 186 
Durch die Berg dfhungeln . . 2 2.2.2.2... 19 
Böfe Prüfungsftunden . » 2 2 2 20m. 218 
Eine Ueberrafhung . . . nn. 297 
Der höchfte Weideplatz im Kumaon⸗ dinaleja nn. 40 
Befteigung des Panfhaluri . . . re 1} 
Eine fabelhafte Erfcheinung . . nn. 276 
Eisfletterei am „Bötterthron” Nanda Dei. .. 283 
Gletfherfahrten und Zeltleben an der Grenze von Tibet 3083 


Durch die Lawinen der Girthi-Shluht . . . . - 317 
Mein Marterweg nad) Dichofi-Math . ... 
Eine Bergwallfahrt nach Badrinath 





Marſch auf der Kammhöhe des Singalefa. . . . 376 
Ueber Schnee und Eis zu den „Fünf Göastemmern des . 

großen Gletfchers“ . . . . 390 
Durch die Sumpffchluchten Sithims en. all 
Ein aufregendes Schaufpiel . . . 425 
Fefteffen und Konzert bei den Lamas“ a Bemiongisi 441 
Heimmeg nach Dardihiling . . - . 456 


— — 


Abbildungen. 


Rundbild des Kumaon-Himalaja . . . . . . . (Titel-Banorama) 
Lage ber Berggruppen de3 Nanda Devi in Rumaon und des Ranfchen- 
dſchunga in Siffim . . . . . (Separatbild) 


Bild des Verfaſſers. 

Mein Begleiter, der tiroler ðletſcherfuhrer Hans Kerer "(Separatbilb) 

Einnahme von Kohlen in Port Sad . . . . . .  (Separatbild) 

Ausleger-Boote im Hafen von Colombo Pau EEE Er 

Sinhalefenjunge . B 

Sinhalefin . B . 

Muffula-Boot an der Rüfte bei Madras 

Kuli, auf feinem Korb au Bambus fchlafend . 

Raſtende Träger im Außen-Himalaja .. 

Kurfeong, Ausweich-Station der Himalaja-Eifenbahn. (Cora) 

„Slom, Sob, Bokſchühſch!“. . 

„Dandi“, von vier Kulis auf Stangen getragner Stuhl 

Mein Briefträger in Dardſchiling 

Händlerin mit Betel, die unter einem Begefans © aus ® Beinieäcen 
kauert 

Taſche aus Bronze für Veteiblatter 

Kapſel mit gelöfchtem Kalk und einer Betelnuß. PP 

Ziwiebelverfäufer auf dem Bazar in Dardfchiling . . (Separatbild) 

Nepaler, der Dütchen aus Betelblättern verfauft, und eine Bhotije⸗ Dean 
mit dem Traglorb am Stirnband 

Verkäuferin von Hirfe.. . B 

Händlerin mit Gewürzen . 

Repalifches Kukrimeſſer 

Mihändler . 

Barbiere, die den Kunden den Kopf safleren 

Blinder Bettler mit führendem Knaben 

Muſilant mit Guitarre 

Bettlerin or. 

Zunge Bhotija⸗ Mutter . B 

Neugierige Gaffer vor meinem Denen . 

Frau aus Nepal . . B 

Vornehme Bhotij⸗ Madchen. 

Schmuck der Bhotija⸗Frauen 


Eeite 


- RK — 


Um da3 Handgelenk getragne Mufchel . 75 
Hirfebiertrinfende Bhotija-Rinder . 222 Pa ’ 
Der Gyal-Po von ein | in der ae . (Separatbild) 78 
Feueranbläfer . B B wenn 82 
Tibetifche Sirdare 3 
Laftträger 85 
Promenade in Dardfſchiling . 87 
Dorfſtraße in Guhm 97 
Kartenſtizze. 627 
Hütte eines Sindubauern . 108 
Arms, Fußgelent- und Zehen: Ringe einer Hindufan 107 
Promenade am See in Naini Tal . . . 115 
Am Ufer des Naini-Sees . 116 
Wald-Einfiedler 5 0. 131 
Raſt meiner Träger bei ben Tempelruinen in Am-Bagedwar . en. 188 
Bageswar . 141° 
Der Affenkönig Hanıman bringt ben Boni Meru aus bem m Sinalja 

nad Salon W 143 
Kali, die Todesgöttin . 143 
Die Göttin Kali . 144 
Schiwa und Rali 144 
Wildm. . . . 145 
Ballfahrende Nonne aus Nepal mit "Dann und Rind B 148 
Ag... 149 
Mein Schupraffi, der einem ettler in Anfen wit. 151 
Hirtenfteg über den Gori. . . 155 
Waldheren in Kati . . . 163 
Der Furfia-Bungalo von vorm weten. 167 
Eingang ins Pindarthal . ven. 168 
Wafferfall am FurkiaBungalo . (Separatbild) 168 
KRumaon-Hirten .. .. rn. 1 
Hirtenhütte Mein-Martoli . (Separatbild) 170 
Schafſchur bei Rlein-Martoli vo... 1 
Ber Pindargletjcher. .. B vr... 18 
Edelweiß-Biefe am Pindargletfcher . B Separatbild) 174 
Nieberblid vom Schonfchal in dag Pindarthat . ve... 18 
Gletſcher auf dem Zaka Parhar . »  (Separatbild) 184 
Mein Kulitroß beim u des GSirie wingalo ven. 1 
Das Furli-Schughaus B 195 
Paßhöhe bei Kati 199 


Mein Obdach in Mikila 
Raſt zwifchen Kati und Mikila. 

Mein Shilar. . . 

Notbrüde über die Fälle des Kam Ganga 








GSeparatbild) 202 


(Separatsitb) 212 





(Separatbild) 208 
209 


Hirten und junge Frauen in Namil. . . .  (Separatbild) 
Raſt meiner Kuli3 auf der Paßhöhe vhertan Namit. —— 
Steg über die Gori-Schlucht. . 

Raſt am Gori-Gletfcherbah . . . Par 
Notiteg längs der abgeftürzten Sangtari Beiänanı .  (Separatbild) 


Nilkot . . a 
Mein Empfang in 1 Groß-Martoli Enns (Separatbild) 
Der Hirtenplag Milam . . . 22.2.2202... (Separatbild) 
Mein Obdad in Milam . . . .  (Separatbild) 


Tibeter mit rumzocqhe u und mit eat beladenem Padtaf „Sepratsiib) 
Mein Tiroler . nen 
Frauen-Schmud . ee, — —— 
Webende Hirtenfrau in Milam a ER Ewaratid⸗ 
Der Szurdfe-Rund . Pau EEF EEE 
Der böfe Gott Schima mit feiner Gemahlin Parbati. 

Nanda Devi, der „Götterthron” . Pe 
Mein Zeltlager beim Bergfee neben dem œHam · iecheꝛ Geparatbild 
Szurdſe-Kund, aus Süden . . . 

Kadſchi Wadfchi, der Gebirgß-Cinfiebfer i in nfet einem Dbdach Eeparatbild) 
Nördlicher Seitengletſcher des Mongſchapu-Gletſchers (Separatbild) 
Der untre Eisfall des Monglchapn Sienchere . .. Eeoeparatbild) 
Zwei Kartenſlizzen 


Spalte im Mongfchapu-Bletfeher . . a 
Der obre Eisfall des Mongfhapu-fetfchers” 2. (Separatbild) 
Ausſicht vom Panfchugrat nah Sübmelten . . . . (Separatbild) 


Raſt im Dung-Thal an der Einmündung des Samgong-Baches . 
Landſchaft auf dem Marfch zum THaburha-Bietiärr B 
Aufftieg zum Utaburha-Gletjcherpaß . Br . 

Biwak bei den Bamlas-Spigen, im Unwetter 

Raſt bei den Ruinen bes Hirtenplages Oirthi 

Raſt auf der Höhe von Schiruans 


Die wegloſe Girthi-Cchluht.. . . . . . . . . .  (Separatbilb) 

Ausgang der Pa . + (Separatbild) 

Malari . .. 

Das Bergdorf Malari . 

Malari . . . . 

Bettlerfchale (&ota) aus Bronze und Kette aus Fruchtiernen zum Gebet: 
zählen 


Krifchna bezaubert mit feinem Flötenfpiel ein ı Hirtenmäbchen . 
Kriſchna ergößt fich mit ben Hirtenmäbchen auf einer Sant. B 
Bronzefigur Kriſchnas als Butterdieb Be B 
Ein Lepra-Ausfägiger . L 

Dfchofi-Math . .. 
Büßer vor der Tempelthin in n Dſchoſi⸗Vaih. >... (Separatbild) 








Schreiben Iernende Hirtennaben . . . . . . .  (Separatbild) 
zer Wallfahrtstempel Badrinath . . B PER BP ER PERF ERBE 
Der Nalifanta . . .... 
Die Türme bes Tempelß » von 1 Babrinath aratbild) — 
Der DOber-Brahmine (Rauhil) ER 3 
Der Wallfahrtsort Badrinath . . . B " ‚Separatbild) 3 
Der Ruli, den ich mit Gold zum Wechfeln aus Milam nach Almora ſchickte 3 


Reisſtampferin mit einem kleinen Nafenring . . . . EsSeparatbild) 3 


BHotija-Prinzeffin . . - 

Neugierige Bhotija-Rinder 

Bhotija-Rinder auf der Infektenjagd. 
Brettſpiel der Vhotija-Rinder . oo. 
Sie Mall-Promenade in 6 
Boliften . . 5 

Tibetifcher Bergihub . 


Weg-Hebungen und Sentungen zwiſchen Vardſchiling und Sandut Zu 3 


Dat Bungalo Sandulgu . . 

Der Berfaifer auf dem Marfche zum Kanfgenbfungg (Separatbilb) 
Landſchaft zwiichen Sandul-Fu und Falut . . . —— 
Eine meiner Kulifrauen 

Der Verfaſſer mit einigen Reis eſſenden auiis und Rutie 


frun .... 22... (Separatbild) 
Felsplatten und Blöde Fa re EEE ER 
Meine Kulis beim Aufbruch . -» . . 2.2.2... (Separatbild) 
Meine Kulis im Mari . 88 
Mein Zeltlager am Singaleta . . . . 2...  (Separatbilb) 


Mein Sirdar am Tihumbab-La . B 

Tie Gruppe des Mount Evereit und die Nepal: Alpen 

Tie Gruppe des Dſchannu, Kabru und Kanfchendichunga . o. 
Mount Everejt, der höchite Berg der Erde . . . . . (Yanorama) 


Der Kanfchendfchunga und feine Nachbargipfel. . . . (Panorama) 3 


Bid von der Paßhöhe oberhalb des Tiehumbab:ta . 
Tie Gruppe des Mount Evereft . B B 
Die höchiten Gipfel des Himalaja auf der Grenze zwiſchen 


Sithim und Nepal. . . . . . . (Panorama) 
Tie jüdliche Umgebung des genſchendſchunga wen "(Separatbild) 
Mein Zeltlager bei Dfchongri . B Pau 
Mein Alpen-gelt. . . . 
Mein Sirdar mit erfrornen Süßen B Pau EEE PER 
Der Ranfchendfhunga. . » 2 2 2.2.2.2... (Separatbild) 
Verfchneite Blodhütte . a 
zer Pandim . . . 220. .  (Separatbild) 


Gebirgsſtock des Pandim und Narfeng . 2. (Separatbild) 
Brüde beim Hirtenplag Thangem EEE 











— XI — 
Eeite 
Hirtenhütte Dichongri . . . .  (Separatbild) 412 
Pandim und Narfeng mit ie füdtichen Fortſehung Eeraratim 414 
Mon Lepticha . B . 415 
Meine Kulis überfhreiten. eine Feitgenmue ä Bambusbrüce B “ 419 
Yal:Sın. . . . B ek Serra) 422 
Ban, Meffer der Leptſchas .. 428 
Gebetsmũhlen (Manis) nebſt Ania: PR ER . 429 
Leptfcha-Öruppe . . . - er nne (Separatbilb) 430 
Bambusgruppe FE ©: 3 
Bogen der Lepticha . . 434 
Einer meiner Kulis nebft Frau —— 438 
Lamagrab bei Bemiongtfhi . . . oo... " (Separatbitb) 440 
Hörner aus Menfchenknochen; lopper aus mei mit Haut befpannten 
Hirnfchalen einftiger Lamas .. 42 
Kloftertempel Pemiongtfhi . . - ur (Sera) 444 
Inneres des Bubdhilten-Tempels Pemiongtfäi . er B 446 
Furbus, Dolche aus Bronze und Holz zum Geifter-Außtreiben .. 7 
Die Ober-Lamas des Tempels Pemiongtfhi . . . . rat) 448 
Gebetzfchelle (Dril:bu), Donnerkeil wu . 449 
Bambus-Schoppen . . 451 
Tempel-Flöte . . 452 
Lama, eine fupferne Tempelpofaune blafend . B . 452 
Maslentänzer in der Thür des Tempels Beniongeihi . 453 
Nepalifche Tempel-Räucherlampe . B . 455 
Lama bei der Anfertigung von Dämonen-Masten . . 458 
Alter Lama . . . 459 
Bambus:Brüde bei Ss Senn. 460 
Bhotija-Mädchen . .. (Separatbild) 466 
Buddhiſtiſche Vettel: ilanten ... 2468 
Vollsmenge. . . Venen nenn. (Separatbild) 468 
Tibetiſche Schamanen⸗Maske .. 6 469 
Altarlöme; Nepal ! 470 





Rarten. 


Ueberſichtskarte zu Dr. Boed3 Reife im Sikhim-Himalaja. 
Maäflob 1: 357,00. 


Ueberfichtsfarte zu Dr. Boed8 Reife im weltlichen Central-Himalaja. 


Maßflab 1:370,000. 


= — 





Erſtes Kapitel. 
Zum Himalaja. 






imalaja! Was für ein Glanz, was für eine ſtrahlende Fülle 
F von Wohlklang ſtrömt doch aus dieſem markigen Alkorde! 
—8 Klingt er nicht wie ein feuriger Heroldsruf, der uns hinweg- 
reißen möchte aus unfrem, ach, fo engen Dafein, weit, weit fort, 
über Land und Meer, zu Schönheit und Freiheit, zu Gefahren und 
Wundern? 

Schon während meiner Studienzeit im göttlichen Zürich, auf 
lehrreichen und ftählenden Ausflügen in die Alpen war die Sehnfucht, 
mir einft auch die geheimnisvolleren Reize der indifchen Hochgebirgs- 
welt entjchleiern zu dürfen, in mein ſchönheitsdurſtiges Herz gezogen. 
Der Sirenengefang wuchs zur lockenden Fanare. Ob ich bereue, 
ihrer Herausforderung fchließlich gefolgt zu fein? Am beiten ant- 
worte ich da wohl mic dem Geftändnis, das William der Unfterb: 
liche feinem Romeo in den Mund legt: Ich wäre wenig glücklich, 
wenn ich fagen könnte, wie ſehr ich es bin! 

Das Schweigen ift der Gott der Glücklichen. Darin liegt wirk- 
ih ein Grund, warum ich nicht unmittelbar bei meiner Rückkehr 
das, wa3 mir im Himalaja Seele und Sinne erfüllt hatte, in Buch- 
form herausgab, fondern mich auf mündliche, faft möchte ich fagen 
vertrauliche Mitteilungen vor gleichfühlenden Kreifen beſchränkte. Oder, 
Hand aufs Herz, lieber Lefer! würden Sie e3 fiber fich gewinnen, 


glühend im Glüct endlich errungener Gegenliebe Ihren Triumph 
Bord. Indie Gletjherfahrten. 1 


— 2 — 


ſofort ſchwarz auf weiß in alle Winde zu ſtreun und Reize, die 
Sie in ſtiller Mondnacht entzückten, jedem Spötter mit dürren Worten 
zu zergliedern? Und wen widerſtrebt es nicht, alle die Heinlichen 
Widermärtigfeiten anzugeben, alle die herben Geduldsproben und 
Entfagungen und vieleicht auch nicht unbeträchtlichen Gefahren auf- 
zuzählen, die das köſtliche Ziel auf allen Seiten umgaben? 

Doch durch Ausfchweigen entftehen feine Bücher. Die Auf: 
forberung der Deutſchen Verlags-Anſtalt, dem Lefepublitum zu ver- 
taten, wie e3 auf einer jo außergewöhnlichen Bergfahrt zugeht, be 
wegt mich, mit dieſer Schilderung nicht zurückzuhalten. 

In den adjt Jahren, die feit meiner erften Rückkehr aus dem 
höchſten, merkwürdigſten aller irdifchen Gebirge verraufchten, trieb 
es mic) noch dreimal (1893, 95 und 98) in das heiße Wunderland 
Indien, dem jene Eisgipfel entragen. Was mir auf meiner erſten 
Reife, von der in den folgenden Blättern ausſchließlich die Rede ift, 
unklar und übertafchend geblieben war, wurde mir durch dies wieder: 
holte Eindringen in Indiens wunderbares Volkstum immer ver- 
ftändlicher, ohne daß ich jemals über Indiens üppiger Natur die 
beglüctenderen Vorzüge unfrer beutfchen Heimat verkannt hätte. 

Inzwiſchen ift meine Schwärmerei zu ruhigem Erinnern gereift, 
meine Begeifterung durch gerechtere8 Urteilen geläutert; völlig 
unverändert aber find die Erfcheinungsformen des Himalaja ge- 
blieben, die die Strahlen der indifchen Sonne in die Silberſchichten 
meiner photographifchen Platten gezeichnet haben. Mögen dieje un- 
geſchminkten Bilder meine Worte Fraftvoll ergänzen, mögen fie denen 
nüßen, die, wie einft mich, der Wunfch befeelt, den ewigen Schnee 
der imdifchen Alpen unter dem Fuße knirſchen zu hören! Deutjche 
Wanderluft, der Drang, meinen Gefichtsfreis durch lebhafte eigne 
Anſchauung ferner Länder und Menfchen zu erweitern und das Er- 
ſchaute oder Erlebte im zuverläffigen Spiegel der Photographie nach 
Haufe zu tragen, andren als Quelle ergögender Belehrung, mir zum 
Jungbrunnen fteter Freude, ift die Triebfeder meiner Reifen. Wer, 





— 3 — 


gleich mir auf dieſer Himalajafahrt, jede Beobachtung ganz allein 
zu verzeichnen, alle Ausgaben aus eigner Taſche zu beſtreiten hat, 
darf ſich nicht unerfüllbare Aufgaben ſtellen. Das ſo wichtige, ja 
heutzutage unerläßliche Belegen der Tagebuchnotizen durch ſorgfältig 
aufgenommne Photographieen erfordert grade im Himalaja-Hoch- 
gebirge einen derartigen Aufwand von Geduld und Kraft, daß für 
andre Arbeiten nicht allzuviel übrig bleibt; doch zum Glück weiß die 
alles mit gleicher Mutterliebe beachtende Wiffenfchaft auch Honig 
aus Blüten zu faugen, die nicht von Gelehrfamfeit überzufließen 
ſcheinen. — 

„Heimat de3 Schnee” würde der bei den Eingebornen nicht 
mehr üblihe Name Himalaja in deutſcher Zunge lauten, denn der 
Sansfritfundige belehrt uns, daß Hema Schnee und Alaya Wohn- 
ftätte bedeutet und daß wohl auch unfer Wort Himmel derfelben Wort- 
wurzel entjprofjen ift. Zu dem erhabnen Träger dieſes volltönenden 
Namens, auf den reinen Firn, der den Himmethohen Scheidewall der 
ungeheuren Ländermaffen Tibets und Indiens frönt, fol ich nun- 
mehr meine geneigten Leſer geleiten und, will es das Glück, auch 
wißbegierige h¶ Leſerinnen. 

Wenn ich auch in dieſer Reiſebeſchreibung möglichſt wenig trockne 
Zahlen angeben möchte, muß ich doch bitten, nicht zu vergeſſen, daß 
es ſich um ein Hochgebirge von ungefähr 2700 Kilometer Länge 
handelt, alſo um ein Gebiet, das etwa der Strecke zwiſchen Memel 
und den Küſten Algiers gleichkäme. 

Von den ſtolzen Höhen der Hauptzüge dieſes eigentlichen Hima- 
laja, auf denen felbft die Glutfonne Indiens den Schnee niemals 
wegfengt, und zwiſchen denen zerflüftete Gletfcherftröme thalab ziehen, 
zweigen ſich nach Süden zu niedrigere, mit üppiger Vegetation be- 
deckte Rücken ab, die fchließlich zu einem fumpfigen Urmaldgürtel 
abfallen, dem Terai, dad eine Grenze zwiſchen dem Gebirge und 
dem indijchen Flachlande bildet. Nach Norden aber geht das Hoch- 
gebirge ohne waldbeſtandne Zwifchenberge in das mehr oder weniger 





- 4 — 


öde, durchfchnittlich 14750 englifche Fuß (4550 Meter) über dem 
Meere liegende Hochland von Tibet über. 

Mit Scharfblid wählten die jetzigen Beherrſcher Indiens die 
Ichönftgelegnen Dörfer in den ſüdlichen Himalaja-Vorbergen zu 
tühlen Zufluchtsſtätten während des indifchen Sommers ; ihre ftärkende 
Höhenluft wurde zum Balfam für die Leiden der durch das Tropen- 
klima erjchöpften Europäer, und in den legten Jahrzehnten erblühte 
ein ftattlicher Kranz derartiger Hügelftationen an dem fühlichen 
Himalaja-Abhang. Mit überrafchender Schnelligkeit wuchſen dieje 
„hill stations“ zu üppigen, eleganten Villenorten, und bald gehörte 
es zum guten Ton für die englifch:indifche Zebewelt, den Sommer 
hier oben, angeficht® der fernen Schneegebirgäfetten, der „snowy 
range“, zu verbringen. Wie fi aber in Indien alles in den 
ſtärkſten Gegenfägen bewegt, jo auch hier: bis zu diefen Sommer: 
feifchen führen bereit8 entweder, wie zu dem weltbefannten Dardfchiling, 
die Eifenbahn oder, wie nah Simla, Naini Tal, Miffuri, Dalhaufie 
und fo weiter, gut gepflegte Fahrftraßen, auf denen e8 eine Luft ift, 
dahin zu rafſeln, und fein Vergnügungsreifender verabjäumt, eine 
derartige bequeme Fahrt, zum mindeften nach Dardfchiling, als „Slanz« 
punkt“ feines Fluges durch Indien zu unternehmen. Von der Um— 
gebung diefer hill stations an gilt jedoch die fernere Gebirgswelt 
als mit Brettern vernagelt, und ein Vordringen darin bis hinauf 
zu den fehimmernden Schneehöhen wird als ein hoffnungslofes 
Unterfangen verfpottet. j 

In den europäifchen Alpen kann freilich jedes Flitterwochen: 
pärchen, da3 heute feinen Sekt im Rigi-Kulmhotel ſchlürft, darauf 
rechnen, ſich ſchon am nächſten Tage, als Vorſchmack künftiger Che 
freuden, mit Bällen aus reinem Alpenfchnee bombardieren zu können 
oder in Eisgrotten herummalzen zu dürfen, die von der Fremden— 
induftrie tief in das Mark der Gletjcher gefägt wurden. Wer aber im 
Himalaja von derartigen Hügelausfihtspunften aus zu dem von ferne 
herleuchtenden Alpenfchnee hinaufiteigen will, muß fich nicht auf Tage 




















» > 
* 
— y 
EI 



































MADRAS| 


Pondischerry 




















X 


&.4-5. 
Kage der Berggruppen des Nanda Devi in Kumaon und des Kanschen- 
dschunga in Sikbim. 





Sie, Google 


— 5 — 


und Wochen, ſondern auf Monate mühevolliter Wanderung gefaßt 
machen ; vom Neufchnee, der zur Winterszeit bis zu diefen hill stations 
hinunterfchneit, fpreche ich natürlich nicht, fondern von den Bergen, 
die oberhalb der Grenze des ewigen Schnee liegen. Diefe fteigt 


im Himalaja bekanntlich 
weit höher als bei allen 
andern Gebirgen; an 
feinen füdlichen Abhän- 
gen liegt fie bei 15 bis 
18000 Fuß (4500 bis 
5400 Meter), an den 
nördlichen gar bei 20 bis 
21000 Fuß (6000 bis 
6300 Meter) über dem 
Meere. Weld) ein Unter: 
ſchied gegen die Polar- 
länder, in denen dieſe 
Schneegrenze bis in die 
Meeresoberflädhe finkt! 

Meine Reife verlief 
fchlieglih, um es kurz 
voraufzufhiden, in fol- 
gender Weife: Ueber 
Zeylon fuhr ich Anfang 
1890 nad) Kalkutta und 


Bild des Verfassers 
nad) einer im Frühjahr 1900 von I. Aurich in Blaſewitz 
aufgenominnen Photographie. 


der Hügeljtation Dardſchiling. Alle Verſuche, von hier aus in 
das Alpenland Sikhim einzudringen, ftießen zunächſt wegen des faum 
beendigten Sikhim-Krieges der Engländer „gegen Tibet auf unüber- 
windliche Schwierigkeiten; ebenfo wurde mir die Erlaubnis zum Be— 
treten de3 für Europäer ftreng verſchloſſnen Himalaja-Stönigreiches 
Nepal verweigert, und erft gelegentlich meiner foeben beendeten vierten 
Indienreiſe gelang es mir, auch diefen zentralen Nepal-Gimalaja zu 


— 6 — 


beſuchen. Ich brach deshalb das endloſe Warten in Dardſchiling ab 
und zog es vor, nach dem weit weſtlicher liegenden Almora, der 
letzten engliſchen Garniſon in Kumaon, zu reiſen. Von dort aus 
durchwanderte ich im Sommer 1800 die hart an der tibetiſchen 
Grenze liegenden merfwilrdigen Alpenländer Kumaon und das 
angrenzende Garhwal, wobei ich Höhen bis zu 20000 Fuß er- 
ftieg. Durch kaum befannte Schluchten und auf hohen Gletjcher- 
päffen gelangte ich hier an die verſchiednen Seiten des Hauptitods 
dieſes Gebirgsteiles, der im Nanda Devi 25000 Fuß (7826 Meter) 
hoch gipfelt, fomie in das Gangesquellgebiet; auf tibetifchem Gebiet 
weiter zu reifen, war wegen des erwähnten Krieges zwifchen England 
und Tibet um den Befis von Sikhim unmöglih. Im Herbft 1890 
fehrte ich nach Dardichiling zurüd; diesmal ſetzte ich die Bereifung 
der Sithim-Alpen durch, in denen ich glücklich bis auf die Gletſcher des 
Kanſchendſchunga vordrang. Noch weiter nach Norden zu gehen, war 
wegen der Winterfchneeftürme ganz unausführbar. Ueber Dardſchiling 
und Bombay fehrte ich wohlbehalten nach Europa zurüd. 

Ich habe alfo das Himalajagebirge an zwei weit auseinander- 
liegenden Stellen von durchaus verfchiednen Eigenfchaften durch- 
wandert. Während in Sikhim, im Oſten, Eingeborne von mongo= 
liſchen Raffeneigentümlichkeiten und bubbhiftifchen oder, genauer ger 
jagt, Tamaiftifchen Religionsanfhauungen leben, find die Bewohner 
des weſtlichen Zentralhimalaja in Kumaon arijchen Stammes und 
Vertreter de3 brahminifchen Hindutums, umd grade durch diefe 
gewaltigen Gegenfäge wurden dieſe beiden Alpenreifen fo Iehrreich 
und feffelnd, wie feine andren je fein können. 

Doc; wenden wir uns nun zu den Begebenheiten meiner Reife, 
für die es von Vorteil wurde, daß ich den befannten Gletjcherführer 
Hans Kerer aus Kals am Großglockner als feheluftigen, getreuen 
Begleiter in die indischen Alpen mitnahm, nachdem er ſich ſchon auf 
einer Reife, die ich mit meinem Jugendfreunde Dr. Windelmann 
aus Straßburg im Jahre 1887 durch den Kaukaſus machte, in jehr 


“uauojyp uaneued Sunßnjag ant andjapjg uoa malang won ayın mau 
1-99 “aa surf UyNKpFIg Ajoy ap “dag UI 















— 17 — 


gefahrvollen Lagen als zuverläſſiger Berater bewährt hatte. War 
bei dieſem beſtändigen Zuſammenleben mit beſagtem Hans, das ei 
Verheiratetjein nahefam, ein erfrifchendes Gewitter manchmal ur 
meidlich, fo hatten glüclichermeife die Naivitäten des Landbewohr 
deren Durchbruch diefe Donnermetter entfefjelten, auch ihre erheite 
Seite; fol einem Naturkinde haftet doch fo manches von 
heimifchen Scholle an, was wir fehlimmen Kulturmenfcen : 
immer gleich mit vollem Exnfte zu würdigen vermögen. 

Zum Glück war der Tiroler diesmal fein völliger Neuling ı 
in der großen Welt; er mußte fogar fehon ganz nett „mit Dan 
umzugehen“, wie Reuter fagen würde, und die Anfängerftreiche ji 
Lehrjahre auf der Kaufafusreife, von der ich ſprach, waren lö 
vergeben und vergefjen. Freilich waren dieſe nicht grade alltä, 
geweſen. Bei der eriten Gafthaustafel zum Beiſpiel, an der 
fpeiften, nahm mein guter Hans dem Kellner ganz gemütlich die ri 
Gemüfefchüffel aus der Hand, ftellte fie vor fich nieder und fu 
mit zufriednem Gottvertraun darin umher, unbefümmert um 
langen Gefichter der übrigen Tijhgäfte; mir blieb wirklich 
jähem Schrecken ein Bilfen Brot, an dem ich eben ke— 
im Halfe ſtecken, und faum vermochte ich ihm eine Belehr 
wegen feines Verſtoßes zuzuraunen. Zum Glüd fand ſich 
bald für ihn Gelegenheit, fein Verſehen mieder gut zu mac 
denn al3 der Pudding kam, legte er fich beſcheiden nur einige & 
dieſer feiner Zeibfpeife auf den Teller, leckte dann den Löffel grün 
ab und ſteckte ihn fein fäuberlich in den Pudding zurück. Wie 
fogt, derartige naturwüchfige Eulenfpiegeleien gehörten einer ü 
wundnen Entwicklungszeit an, haben aber jedenfalls eine fehr w 
thuende Wirkung auf mein Zwerchfell geäußert. 

Dankbar dafür, jchalte ich hier ein Bild des Tirolers ein, 
er auf einem in feinem Heimatdorf wohl nicht grade üblichen F 
tier fein Fortkommen findet, und ebenjo habe ich dem braven Ma 
auf dem Umfchlage diefes Werf3 ein Denkmal zu ſetzen verfu 








— 8 — 


ich werde auch nicht verſäumen, urige Ausdrücke meines treuen 
Kameraden gelegentlich zu überliefern. — 

Die einundzwanzig Eildampfertage dauernde Fahrt vom Mittel- 
meer durch den Suezfanal über den Indifchen Ozean bis nach Zeylon 
brauche ich wohl nicht erft zu jchildern. Man wird e3 glauben, daß 
uns beiden Thatendurftigen das „Leben wie ein Graf" — fo nannte 
Hans refpeftvoll unſre Unthätigleit an Bord bei reichlicher Leibes- 
pflege — nicht fonderlich zufagte. Zum Glüd fand jeder von uns 
irgend etwas auf dem Schiff, was fein Denken und Trachten von 
unfrem fernen, hohen Ziel zeitweilig abzulenfen vermochte. So 
ftaunte Hans zum Beifpiel beim Einnehmen der Kohlen in Port 
Said und Aden über die Schwindelfreiheit, die die Rohlenträger an 
den Tag legten, wenn fie wie ſchwarze Teufel auf ſchmalen Bretter 
fteigen ihre Laften ins Schiff fchleppten, noch weit mehr aber beim 
Anblick der Taucherkunftftüce der Somali-Bübchen im Hafen von 
Aden, die den Paffagieren vorreden, daß fie wohl Silberftüce, nicht 
aber Kupfer im Waffen zu fehen vermöchten; eifrigft entleeren natür- 
lich die über die Schiffswand guckenden Paſſagiere ihre Geldbörfen 
nach diefer Vorfehrift und behalten ihr Kupfer für fih. ‚OD, ihr 
klugen, Üugen Weißen!‘ mögen die fchlauen ſchwarzen Kerichen mit 
den fteohblond gebeizten Kraushaaren denken, wenn fie den Silber 
regen einheimfen, der ihnen von allen Seiten in den Schoß des 
Meere geworfen wird. 

Ein englifcher Miſſionar war jedenfalls der Iehrreichite Mit- 
teifende, denn er befreite mid) gründlichft von dem Vorurteile, daß 
englifche Miſſionare ſtets wahre Mufter felbftlofer Genügjamteit 
feien. Erſt durch meinen Aufenthalt in Indien wurde ich gewahr, 
daß die dortigen englifchen Miffionare durchaus nicht immer mit den 
ſich kümmerlich durchichlagenden Sendboten der Miſſionsgeſellſchaften 
andrer Nationen, die unter Entbehrungen und Gefahren ihrer ein- 
famen Pionieraufgabe obliegen, gleichzuftellen find; als wohlbezahlte 
Gentlemen leben fie mit Frau und Kind, Ponymwagen und Velociped 


aoatojoqa „app 212 win“ qaogalıpa wog 


pies uod ur uayoy uoa auqruuiq 








— 9 — 


nicht zu vergeſſen, in behaglichen Bungalos herrlich und in Freuden, 
an Orten, die bereits hinlänglich engliſche Bewohner haben, um einen 
Kricketplatz einrichten zu können. Sie leſen ihre Predigten, über— 
wachen den Unterricht und ſpielen im übrigen den fröhlichen mattre 
de plaisir auf dem Lawn Tennis-Platz und im Ballfaal. 

Nie habe ich einen, um einen milden Ausdrud zu gebrauchen, 
eßfähigeren Menſchen gefehn als diefen mitreifenden Mann Gottes! 
Er war einer von denen, die im ftande find, ohne Gnade und Er— 
barmen allen Spargeln auf der Schüffel die Köpfe abzufäbeln und 
fie fi) mir nicht? dir nichts zu Gemüte zu führen, jo daß meine 
Ernährung in der Nachbarfchaft dieſes Talentes bald ernftlich zu 
leiden begann. Als er mir ;aber eines Morgens die geleerte 
Marmeladenbüchfe reichte, nachdem er ihren Inhalt als einen füßen 
Schimboraffo auf feinen Teller geftürzt hatte, konnte ich, wenig erbaut 
von dieſer Heldenthat, doch nicht umhin, ihm zu fragen, ob ihm 
zufällig während feiner letzten Seetrankheit die chriftliche Nächitenliebe 
über Bord gefallen jei. Mit ftrengem Stirnrunzeln antwortete er 
durch die Gegenfrage: 

„Sie jcheinen nicht an Gott zu glauben, dear Sir?" 

„Wenigftens glaube ich nicht,“ erwiderte ich, „daß Gott e3 gerne 
fieht, wenn meine Erbbeermarmelade in die unrechte Kehle kommt.“ 

Ein arger Spaßmacher konnte e3 fich fchließlich nicht ver- 
fagen, dem mohlbeleibten Seeljorger ein Meines Totengerippe aus 
weißladiertem Draht auf den Rücken feines ſchwarzen Gehrodes zu 
beften, in dem er ftet3 fo ungemein gravitätifch einherfchritt. Ueber: 
Haupt fchien der gefährliche Tiſchnachbar eine auffallende Anlage zum 
Pechvogel zu haben: wenn jemandem der Deckſtuhl beim Draufſetzen 
einknickte oder ein Tauende von den in der Taklung arbeitenden 
Matroſen auf den Rüden oder beim Deckwaſchen ein verirrter 
Wafferftrahl ins Geficht gelenkt wurde, fo war es zufällig fiets 
Seine Ehrwürden. Wohl möglih, daß ihm derlei befondre Auf- 
merfjamfeiten feine Gewohnheit eintrug, nach Tifch einzelne Paſſagiere, 

1 


— 01 — 


mit Vorliebe ein paar fchöne junge Mädchen, in ein höchft falbungs- 
volles Gefpräch zu ziehen, während er fich mit Seelenruhe in feinem 
Deckſtuhl wiegte. Mild und mürdevoll ftreichelte er dabei den 
hübfchen Lämmern Händchen und Wangen und Arme —, al er 
aber eines Tages das eine Badfifchlein ganz gemütlich auch auf 
feinem Knie ſchaukeln wollte, ereilte ihn das Strafgericht in Form 
einer Standrede von feiten der Mutter, deren Beredfamkeit überall 
ein beifälliges Echo fand. 

Ich erwähne diefe Bekanntſchaft grade auch deshalb, weil der 
hochwürdige Herr zu einer Gattung von Amateurphotographen ge: 
hörte, die fo find, wie fie eigentlich nicht fein follen. Mir wurde 
der Vorzug, in fein ganz befondres Vertrauen gezogen zu werden. 
Mit Pathos zeigte er mir feinen funfelnagelneuen Momentapparat, 
deſſen Einrichtung er mir erflärte: „Hier an diefem Knopf ziehe ich, 
um die Aufnahme zu machen, mit jener Schraube dort ändre ich die 
Geſchwindigkeit des Verfchluffes, mit diefer hier die Schärfe der 
Einftellung, jenen Hebel lege ich nieder, um die Platten zu wechieln, 
und auf biefe Feder drücke ich in der Duntelfammer, um bie Platten 
aus diefem Behälter hier zu nehmen“ — dabei tippte der Unglücks- 
mann im Eifer der Rede auf diefe Feder, das Magazin jprang auf, 
und ein Dutzend milchmweißer Lichtempfindlicher Glasplatten purzelte 
ihm wie ein Spiel Kartenblätter in die Hand. Der blendende 
Sonnenfchein funfelte wie ſchadenfroh auf diefen Täfelchen, al3 der 
fromme Mann, in einen recht unfrommen Zorn geratend, dem nichts⸗ 
nutzigen Fabrikanten alle Schuld an diefem Mißgeſchick beimaß. Er 
ſchien aber auch wirklich grundjäßlich gegen alle Regeln der edlen 
Lichtbildnerei verfahren zu wollen. Raum zeigte ſich irgend ein Pünft- 
hen am Horizonte, fo ftolperte er eilend3 herbei, um diefes Pünktchen, 
das vielleicht ein Schiff war, in feinen Zauberfaften zu bannen, ohne 
zu bedenken, daß ein fo ferner Gegenftand auf dem Bilde kaum ficht- 
bar werden könne. Bot fi) aber eine geeignetere Gelegenheit, dann 
hatte er gewiß nicht rechtzeitig den Momentverjchluß gejpannt oder 


— 1 — 


eine ſchon benutzte Platte nochmals mit einer Aufnahme belichtet 
oder bereits ſein ganzes Pulver verſchoſſen; alle Augenblicke ſah 
man ihn in einer andren Ecke ſtehn und krampfhaft an ſeinem Kaſten 
ſchũtteln ober mit verdrehten Augen an dem Hebel herumzerren, 
wenn ihm die Wechjelvorrichtung nicht gehorchte. Allmählich wichen 
Pafjagiere und Matrofen feinem „Bitte, recht freundlich!" aus, denn 
nachdem es ihm geglüctt war, aus einem jchelmiichen, blonden 


Ausleger-Boote Im Hafen von Colombo. 


Mäbchenköpfchen mit allerliebiten Grübchen in den Wangen eine ftier 
blidende Negerhere zu machen und einer graziöfen Dame wahre Un: 
geheuer von Plattfüßen zuzulegen, war die Beliebtheit diefes Mit- 
bürger3 auf einen Gipfel geftiegen, der um feine gefunden Glieder 
bejorgt machen konnte. — . 

Nach der langen Seefahrt war der Aufenthalt auf Zeylon eine 
wahre Erquidung. Doch weder eine ausführliche Schilderung der 
Neize diefes Eilands noch der Vefteigung feiner Bergfpigen, des 
Pedro Talegalla und des Adam-Peaf, foll mich lange aufhalten, den 


— 12 — 


Leſer in unfer eigentliches Wandergebiet zu geleiten. Bon den Aus- 
legerbooten der finhaleftichen Fifcher, die den Dampfer bei der An- 
kunft im Hafen umſchwärmen, bis zu den mehr oder weniger echten 
Perlen, den Körbchen aus Stachelfchweinsborften und Ebenholz, fo 
wie den ausgehöhlten gedörrten Elefantenfüßen, mit denen uns die 
Händler bei der Abreife bis auf das Schiffsded verfolgten, war mir 
ja alles fo neu, jo feſſelnd, daß ich ganz glücklich war, diefen weiten 
Ummeg über Zeylon gemacht zu haben, zu dem ich mir auf der 
Heimreife, ſalls das Glück mir eine ſolche vergönnte, vorausſichtlich 
feine Beit gelafjen haben würde. Ein drolliges Bufammentreffen 
an den Geſtaden Zeylons darf ich aber doch mohl nicht unerwähnt laſſen 
Ich ſah mit Hans den Künften eines Schlangengauffers zu; 
ziſchend wiegten die efefhaften 
Vipern ihre aufgeblajnen 
Hälfe, auf denen die warnende 
Brille gezeichnet ift. Plötzlich 
mifchte fich ein keck blickendes 
Bürſchchen in unfre Unter 

haltung. 

„Ick ooch deitſch ſprechen!“ 
ſagte ex ftolz. 

„Wiefo ?" fragte ich er- 
ftaunt, 

„Oho, id Berlin jeweſen!“ 
erwiderte jener und patjchte 
fi dabei auf den ſchokolade— 
farbigen Magen. 

Die klaſſiſche Sprache der 
Spree-Athener Klang jo echt 
von feinen Lippen, daß ich 
mich gar nicht gerundert hätte, 

Singalefenjunge. wenn er meinen verrunderten 





- 13 — 


Mienen fofort ein „Wat jachfte 
nanu?” oder gar ein „Kieken Se 
mir man nic) jleich an wie die Kuh 
s neue Thor!” entgegengeftellt hätte. 
Das erlöfende Wort „Hagenbed" 
Härte das Wunder; der Junge hatte 
zu ber Sinhalefen-Raramane gehört, 
die damals gleich wilden Tieren 
durch Europa gefchleppt wurde, hatte 
aber die Berliner Luft nicht ver- 
tragen, fondern war frank in die 
Heimat zurüdtbefördert worden. Enaju 
Dabla nannte ſich der Knirps, der 
mir geſtand, auf feiner Reife durch 
Europa zu ber Ueberzeugung ge: 
kommen zu fein, daß „weiße Mann 
ſchlechte Mann, ſchwarze Mann 
gute Mann“ jei. Er mußte anfcheinend gar nicht, wie grob er 
war, als er mir diefe Entdeckung anvertraute, oder dachte er gar 
wie Goethe Baccalaureus im Fauft: „Im Deutfchen lügt man, 
wenn man höflich ift"? Sein Deutfch genügte jedoch, um mir 
auszuplaudern, in welchen Plantagen die hübfcheften Mädchen zu 
arbeiten pflegten. 

€3 wäre nicht recht von mir, wenn ich jo Nebenjächliches be— 
richtete, ohne zu erwähnen, wie fehr meinem wackren Begleiter Hans 
ftet3 mein Wohl am Herzen lag; daß jeine Erziehungsverfuche mir 
gelegentlich einen blauen Fleck eintrugen,. ändert an feiner guten Ab- 
ficht durchaus nichts. Mir ift es, als fchmerze mich noch heute die 
Stelle, an der er mich im Höchften Schreden knuffte, als er. ge- 
wahr wurde, wie id) mir an der Hoteltafel zum erjienmal das 
orangefarbne, weiche Fleifch einer faftftrogenden Mangofrucht als 
Nachtiſch einverleiben wollte. 


Einpaleiin. 


— 14 


„Um Gottes willen, friß doch das Zeig nicht; da ſitzt doch die 
Peſcht drin, man ſchmeckt's ja!“ rief er eifrig, indem er den durch: 
dringenden Terpentingeruch der grünen Fruchtfchale durch das tiro- 
leriſche „Schmedfen“ bezeichnete. 

In der That mwiderftand ich der Berfuchung und fing bald 
an, den üppigen Fruchtreichtum Indiens und Beylons, all die ver- 
Iodenden Ananas und Mangos und Pommolos, ebenfo wie das 
weichliche, wenn auch angeblich filtrierte und geeifte Waſſer zu 
meiden und den Durft auf diefer ganzen Reife nur mit gefochtem 
Waffer, will jagen Thee, zu befämpfen. In andern Punkten 
mar mein Hans aber doch etwas leichtfinnig, denn in den Hotels 
fand ich ihn gewöhnlich neben feiner prächtigen, von mallenden 
Muffelinvorhängen oben und an den Seiten gegen die Moskitos ge- 
ſchützten Bettſtelle platt auf die Steinfließen hingeftredt den Schlaf 
des Gerechten fchlummern. „Da drinnen ifht die Luft jo viel 
ängftlich!" entfehuldigte er fich, unbefümmert um die zahllofen 
Beulen, von denen Geficht und andre Körperteile durch Infektenftiche 
bedeckt waren; wenn die Moskitos die wahren Ueberträger der 
Malariafieberkeime in Indien find, fo fiel ihre emfige Thätigfeit bei 
Hans jedenfalls nirgends auf dankbaren Boden. 

Bei der Erwähnung der freundfchaftlichen Rippenftöße zu meinem 
Beſten darf ich auch einen beſonders herzhaften nicht vergefien, den 
mir mein getreuer Begleiter verabreichte, als ich mit ihm einen 
Eifenbahnwagen erſter Klaſſe zur Fahrt nach Kandy befteigen wollte. 
Zufällig beabfichtigte ein Häuptling der Berg-Sinhalefen, der in dem 
vollen nationalen Prunfanzug feiner mächtigen Vorfahren einen Be 
ſuch in Colombo abgeftattet hatte, in demfelben Wagenabteil Platz 
zu nehmen. Ihn und feine nicht minder koftbar und feltfam ge 
ſchmückten ſchwarzhaarigen Damen in buntjeidnen Kleidern ge— 
wahrend, riß mich Hans in höchfter Beſorgnis zurück, deutete auf 
die Wagenaufjchrift „First Class“ und flüfterte mir ängjtlich ins Ohr: 

„Sell iſch ja der Wagen des Firfchten do; du ſirt's ja!" und 


— 15 — 


nur mit Mühe konnte ich ihm Mar machen, daß auch wir voll- 
gültige „fürftliche" Fahrkarten befäßen. 

Diefe Fahrt nach Kandy trug mir übrigens ein Anrecht auf die 
Seligkeit ein, denn ich fand in ben dortigen Wäldern den von 
Beftien zerriffnen Leichnam eines Affen, und nad) ſinhaleſiſchem 
Sprichwort darf ja derjenige der Seligfeit gewiß fein, der in feinem 


Mufula-Boot an der Rüfte bel Madras. 


Leben eine weiße Krähe, das Nejtchen eines Reisvogels, oder einen 
toten Affen erblict hat. 

Doch nun fein Wort mehr über das überſchwänglich geprieine 
und von Neberfättigten ebenfo arg verfegerte Zeylon! — 

Unter franzöſiſcher Flagge dampften wir über Pondifcherri, die 
wichtigfte franzöfifche Kolonie an den Küften Vorderindiens, nad) 
Madras und Ralkutta. In Madras verblieben und nur zwölf 
Stunden Aufenthalt, und ich muß geftehn, daß das Aus- und Ein- 
laden der Paffagiere das Unterhaltendite an dieſem Aufenthalt war. 
Mir wäre wohl jet noch nicht ganz klar, wie wir vom Ded des 


— 1 — 

Dampfers auf die Muffulaboote gefommen find, falls man ein paar 
jufammengebundne Mangoftämme ein Boot nennen kann, und aus 
den Booten auf das feite Land, wenn nicht eine franzöfiiche 
Gouvernante duch ihr Mägliches Gefchrei, das fie bei diefem Trans- 
port anftimmte, meine Aufmerkſamkeit auf die Einzelheiten diejes 
„Ueberpadens" hingelenkt hätte. Sch habe von feiner großen 
dramatifchen Künftlerin, weder von Fräulein Poppe noch von der 
Dufe, je einen fo erfehütternden Weheruf auf den mweltbebeutenden 
Brettern gehört wie von diefer Jungfrau, als fie von den fchmwarz- 
häutigen Gondolieren im Adamskoſtüm inmitten der Brandung ohne 
viel Federlefens von den Floßftämmen heruntergeriffen und auf dem 
geölten Rüden eines folchen Burfchen ans Land getragen wurbe. Sie 
glich zu guter Lebt ganz einem Lämmlein, das zur Schlachtbank ge- 
ſchleppt wurde; ab und zu ſtreckte fie dabei ihre zappelnden Füß- 
hen gen Himmel, wohl um die Götter zu Zeugen ihres Elends 
zu maden. 

Zum Ausflug nad) den großartigen,. aber ſchwer zu erreichenden 
Merkwürdigkeiten der Umgegend von Madras, die mich bei jpätren 
Beſuchen in höchſtes Staunen verfeßten, fehlte damals bie Zeit, 
und ich wußte wirklich nicht, ob das Cholerahofpital oder das Lepra- 
Afyl oder eine Gerichtsfigung in dem prachtvollen High Court die 
genußreichfte Verwendung für unfre karg zugemefinen Rajtitunden 
abgeben würde; jchließlich überwog aber Hanfens Verlangen, einmal 
einen lebendigen Tiger zu fehen, dem er bis dahin nur auf Bilder» 
bogen begegnet war. Einen ſchäbigeren Vertreter diefer Katzenart 
mochte e3 allerdings in Indien faum geben al3 den, der im zoologifchen 
Garten von Madras fein räudiges Dafein vergähnte, 

„Den fchlage ich ja mit meinem Alpſtock derfammen!" rief Hana 
der fcheußlichen Rate verächtlich ins Geficht, die die Augen zufniff und 
wehmütig an bie ſchönen Tage zu denken ſchien, als fie noch jehnig und 
jugendfrifch der Antilope an die Gurgel zu fpringen vermochte. Der 
Wächter des Tiger3 bemühte fich eiligft, ein Heines Trinkgeld zu ver 


— 17 — 


dienen, indem er den Tiger in Ermanglung eines Regenſchirms mit 
höchſteignen Fingern zu necken und zu kitzeln verſuchte; die ruppige 
Kreatur fand es jedoch unter ihrer Würde, auf dieſe Handgreiflichkeit 
zu antworten, worauf diefer mufterhafte Wärter jein Glück bei einem 
Nashorn verjuchte, das unweit in einer Pfütze fchnaufte. Der Dic- 
häuter fchien nicht fo dickfellig wie der greife Rönigstiger zu fein, 
ſondern quetjchte den Auffeher fo energifch an die Barriere, daß dem 
Frevler ein paar Rippen zerfnadten und er ſchleunigſt zum Arzt ge 
ſchleppt werden mußte. Nach diefem aufregenden Schaufpiel ver- 
mochte ſelbſt der Glanzpunft dieſes dürftigiten aller zoologiſchen 
Gärten, nämlich ein Hahn mit drei Beinen, keinen jonderlichen Ein- 
druc mehr auf mic) zu machen. — 

Die fünf Tage, die der Dampfer von Madras bis Kalkutta 
brauchte, famen mir wie eine Emigfeit vor; e3 kann auch fein nieber- 
drücenderes Gefühl geben, al3 wochenlang wie in einem Dampfbade 
zu ſchmoren, während man beabfichtigt, ſich auf Firnfchnee und auf 
Gletfchereis zu tummeln. 

Die franzöfiichen Paffagiere und Schiffsbeamten liefen es fich 
keineswegs merfen, daß wir ihnen als deutjchredende Fahrgäfte un- 
willtommen feien. Nur der Schiffszimmermann, eine Figur wie der 
weltbekannte Bonjour Meifter Haaſes, wies einen Verſuch kollegialer 
Annäherung von feiten des Tirolers in feiner Werkſtatt ingrimmig 
zurück, indem er prophezeite: 

„Das nächte Mal werden unjre Söhne beffer ſchießen!“ Damit 
hatte aber auch fein Chauvinismus ausgetobt, der freilich bei 
dem Tiroler an die unrechte Adreſſe gekommen war. 

Ein Rätfel ſchienen wir den Leuten aber doch allmählich zu werben. 
Bejonders die fnorrige Enaksgeftalt des Tiroler3 in Lodenjoppe und 
Filzhütchen ſtach jo gegen die übrigen Gentlemen in jchneeweißen, 
zarten Tropenanzügen und Sonnenhelmen ab, daß de3 Kopfſchüttelns 
gar fein Ende war; auch daß ich that, als fei mir die Zunge ab- 
geſchnitten, während ſonſt überall eine ungemein flotte Unterhaltung 

Boed, Indilge Gletiherfahrten. 2 


— 18 — 


geführt wurde, veranlaßt durch die Mitfahrt einer Operettengejell- 
haft, ſchien angeſichts fo viel pifanter Weiblichkeit den Franzmännern 
ein blaue3 Wunder. 

Als endlich das langſame Vorwärtsloten durch die Untiefen und 
Riffe der Huglimündung vorüber war und die Anferfetten in das 
gelbe, ſchlammige Hugliwaſſer raffelten, atmete ich glücklich auf; denn 
in furzem follte ja nun die Reife in die Berge beginnen! Doch der 
Menſch denkt, und Gott lenkt — befonders im fernen Often. 


Zweites Kapitel. 
Ans der „Stadt der Bleihgefichter” in das Wolkeumeer 


‘ 


Dr Zollbeamte fam an Bord. Er fragte: 

© „Haben Sie Steuerpflichtiges?" 

2 „Ich glaube kaum; ich habe feinen Tabak, keine Spiri- 
tuoſen,“ entgegnete ich. 

„Darauf kommt es gar nicht an. Haben Sie Waffen bei fi?” 

Schnell flüfterte mir ein Schiffsbeamter zu: 

„Sagen Sie nein, dann ift die Gefchichte vorüber!" 

Ich gab jedoch der Wahrheit die Ehre und erllärte, daß ich 
einen bereit3 gebrauchten Revolver zu eignem Gebrauch mit mir 
brädhte. 

„Heraus damit!" hieß es. 

„Aber bejter Herr, ich weiß wirklich nicht, in welchem Gepäds 
itüct das Ding grade ſteckt. Ich zahle ja gern, was Sie ver: 
langen, nur erlaffen Sie mir bei diefer entjeglihen Hitze das 
Suden!" 

Der Zöllner, ein junger, pockennarbiger englifcher Rüpel, be- 
ftand grob auf feinem Verlangen. Nun mag eine Zollrevifion im 
gemütlichen Sachſen vielleicht ein ungeheure Vergnügen bereiten, 
in Kallutta ſicherlich nicht. 

Ich Hatte mich für einen Beſuch auf dem bdeutjchen Konjulat 
bereit3 feierlichft in einen ſchwarzen Bratenrock geworfen, das 
„Angſtkleid in der Unluftfarbe”, wie es der „Seelenriecher" nennt, 








— 0% — 


oder das „firfchtliche Gewandel”, wie es mein Tiroler bewundrungs- 
voll taufte. Das mar freilich nicht ganz das geeignete Arbeits: 
foftüm, um in überhister Wafchküchenluft alle Kiften und Koffer zu 
öffnen, deren ſinnreiche Vexier- und Sicherheitsfchlöffer mein eignes 
"Handanlegen erforderten. Ich ſah bald aus, als hätte ich erfolg- 
reich zu der Allmacht gebetet: „O ſchmölze doch dies allzu fefte 
Hemd!" denn alles, was Plättwäfche hieß, zerfloß in wenigen 
Minuten zu windelmeichen Lappen, die ich außringen fonnte. Doch 
die Hauptfreude ftand mir noch bevor! 

Man kann fid) ja denken, mit welchem Behagen diejenigen an 
Bord, deren Neugier durch unſre problematifche Exiſtenz aufs höchſte 
gereizt war, jetzt diefem Auspacken unfrer Habfeligkeiten beimohnten. 
Selbft Damen, die, von ihren ſchmachtenden Gatten abgeholt, es 
gewiß eilig hatten, da3 Schiff zu verlaffen, blieben wie angezaubert 
ftehen, als unfre Wunderdinge zum Vorfchein kamen, Matrofen 
ftiegen in die Stridfleitern, Schiffoffiziere auf die Kommandobrüde, 
und der Schiffszimmermann ftand mit der Art über der Schulter 
in Pofitur, wie bereit zum Dreinfchlagen, falls etwas Gefährliches 
vorfiele. 

Während ich in dem zufammengeroliten Zeltbündel herummühlte, 
börte ich allerlei Meinungen austaufchen. Ein nichtsnutziger Schiffs- 
kellner verficherte allen Umftehenden aufgebracht, daß mwir weiter gar 
nicht3 feien als ruffiiche Spione; er habe ganz genau gehört, daß 
Hans mit mir nicht deutſch fpräche, wie ich fäljchlich behauptete, 
jondern eine ihm ganz unbefannte Sprache, die doch nur Ruſſiſch fein 
könne. Pielleicht hatte er Hanſens Stoßfeufzer gehört, mit dem 
diefer mich einmal beneidete, als ich auf dem Schiff gelegentlich bald 
feanzöfifche, bald englifche Worte wechfelte: „Du bafcht’3 gut, du 
kannſt ruſſiſch reden mit den Leit!“ 

Wir wurden vecht unliebfam ſcharf aufs Korn genommen. ch 
habe ja ſchon manches fchlaue Geficht gefehen, aber die Mienen, mit 
denen unfre Pelz: und Wollfachen, unfre dicken Kappen und Fauft- 


— 21 — 


handſchuhe gemuftert wurden, während das Quedjilber in Kalkutta 
über 50°C. hinaufichlich, waren mir doch neu. Jetzt brachte Hans 
gar das Gletſcherſeil und die mwuchtigen Bergſtöcke zum Vorfchein. 
Mäuscenitille; das Erftaunen war auf der Höhe. 

„Seiltänzer!“ fchrie plößlich ein vom Geift Exleuchteter, und: 
„Seiltänzer!" brüllte, lachte und Frächzte der infame Chorus hinterdrein. 
Ich blicte Hans mit Dulderaugen an, denn man hatte uns fchon 
einmal im Kaufafus, wo wir eigne Sättel mit uns herumfchleppen 
mußten, für Kunfteeiter gehalten, dann jchritt ich auf den Weifen aus 
dem Morgenlande los und fagte höflich: 

„Mein Herr, wenn ich ein Seiltänzer bin, dann ift dieſer 
dort“ — dabei deutete ich auf den Tiroler — „mein ‚starker Mann‘, 
und Sie darf ich wohl als unfren Clown engagieren ?“ 

Damit hatte ich die Lacher auf meine Seite gebracht. Zum Glück 
fand fich der Revolver bald in einem benagelten Bergſchuh, fonft 
hätte unfer Küchengefhirr mich vielleicht noch zum Garkoch und 
Hans zum Zahlkellner geftempelt. Die Gaffer zerjtreuten fich, 
als ich die Unglückswaffe ausgeliefert hatte. „Mögeft du ihn nie 
gebrauchen,” hatte mir der Spender des Revolvers einft gewünſcht 
— o hätte fein Wunſch Erfüllung gefunden! 

„In einigen Tagen können Sie die Waffe gegen Erlegung der 
Gebühren auf dem Zollamt abholen,“ war mein Beſcheid. 

Ich fah aus, als ob ich hätte Kielholen müfjen, und es war 
unmöglih, in diefem triefenden Zuftande auf dem Konfulat zu 
erfcheinen, um dort noch meine Briefe zu erheben und den Nach: 
mittagszug nach Dardſchiling zu erreichen, wie ich beabfichtigt hatte. 

Alſo zum Umfleiden in ein Hotel! Ich bat einen in crömefarbige 
Seide gefleideten Engländer, der dem Verladen meines Gepäds in 
eine Droſchke zuſchaute, dem Kutfcher die Adreſſe eines Gafthofs 
anzugeben; im Hinblif auf Hans fügte ich hinzu, ich ginge am 
Tiebften in ein deutſches Haus, denn man hatte mir erzählt, daß es 
in Ralfutta ein von einem beutfchen Gaſtwirt geleitetes Hotel gäbe. 





— 12 — 


„Deutfches Haus, German house?” fragte der Gentleman mit 
einem auffallend ſtechenden Blick. „Mit all Ihrem Gepäd, fo naß, 
wie man Sie wohl eben aus dem Waffer gefifcht hat?" 

„Natürlich, grade deshalb, nur ſchnell!“ antwortete ich barſch 
und mußte nicht recht, ob eine Cholera-Anwandlung oder ein Gallen: 
fieber über mich fäme, 

„Well, Sir!“ Hierauf nannte der Englifhman den Hindu- 
futfcher eine Adrefje, der braune Kerl grinfte ſataniſch, der Janhagel 
freifchte, Hans Hletterte in die Gepäckdroſchke, ich in einen zmeiten 
Klapperkaften, und vorwärt3 ging die Fahrt. 

An ausgedehnten Gartenanlagen mit heil leuchtenden, Iuftigen 
Villen, an großartigen, eleganten Hotels fuhren wir fpornftreich® 
vorüber, über viefige Plätze, breite, prächtige Straßen. Ich ſah, daß 
die Bezeichnung Kalfuttas als city of palaces, als Stadt der 
Paläfte, ihre volle Berechtigung hatte, aber von dem Zutreffen 
des Wortſpiels, es ſei eine city of pale faces, das heißt eine 
Stadt, in der man nur ungefund bleiche Europäergefichter erblide, 
fonnte ich mich weniger überzeugen, denn die Straßen und Plätze 
waren fajt menfchenleer; auch waren in der Mittagshige alle Fenjter- 
läden gegen den beißend hellen Sonnenfchein luftdicht verſchloſſen. 
Vergebens hoffte ih, daß der Kutfcher endlich vor einem dieſer 
Paläjte halten würde. 

Nach und nach wurden die Gafjen unfaubrer, vorftädtifcher. 
Es befremdete mich, daß unfre Kutfcher fich alle Augenblide um- 
drehten, um uns dreift und frech zuzunicen und zu grinfen. Endlich 
hielten die Klepper vor einem durchaus nicht fonderlich einladend 
ausfehenden, blaßblau getünchten Haufe mit gefchlofinen Fenſter— 
läden. 

Ich ftieg aus, konnte jedoch vor dem blendenden Wiederjchein 
des Sonnenglanzes die Augen Taum öffnen; das Straßenpflajter 
ſchien zu glühen. Seine Seele ließ fich blicken. Die Kutfcher fehrieen: 
„O Kuli! Au! Au!“, fagten auf alle Fragen mechaniſch: „Yes, 


— 28 — 


Sir!“, hatten aber ebenſowenig Ahnung vom Engliſchen wie ich von 
ihrem Bengali. 

Ich flüchtete aus der Ueherfülle von Licht in das Haus. In 
dem halbdunklen Billardzimmer ftieß ich mit dem Kopf gegen eine 
Panka, wie man die viefigen Holzrahmen nennt, die mit Zeug be— 
fpannt find und von außen an Stricken hin und her gezogen werden; 
die Panka ſchwingt über dem Haupte des Europäer in Indien, 
wo immer er ſich auch befindet: über dem Schreibtifch wie über 
der Mittagstafel, in der Kirche wie über dem Bette pendelt ſolch 
ein Niefenfächer über dem fehwigenden Weißen. 

Hinter dem Schenktifch ſchnarchte ein riefiger Kerl, ein afrika— 
nifcher Neger. Schlaftrunfen grunzte er: „Master gone out!“, 
als ich nach dem Wirt fragte. Erſt meine Erkundigung, ob ich 
bier logieren könne, fchien Leben und Erftaunen in den Kerl zu 
bringen; er trat an die noch halb geöffnete Thür, und ic) glaubte 
nicht anders, als daß der wüſte Menſch plöglich wahnwitzig würde. 
Er hatte den Tiroler erblickt, der, wie ein Titan auf den Trümmern 
einer Welt, auf unfrem Haufen von Gepädftücen thronte, die ein 
paar jchlotternde braune Geftalten vor die Thüre gelegt hatten; 
zitternd ftanden die armen, nadten Kerle da umd ftredten ihre 
magren Hände nad dem Trägerlohn aus. Der Schwarze quiekte, 
ftöhnte, grunzte und jauchzte in allen Tonarten und ſchien eine 
ganze Menge neuer Gattungen des Lachens zu erfinden, die vielleicht 
auf dem Saturn Mode find; fo mag der Teufel jubeln, wenn die 
Seele eines Ertrabratens in feine Hölle geflogen kommt! 

Ich zahlte die Kutſcher und Kulis aus, nachdem fie das Ge- 
päck in den Billardraum getragen hatten; auch fie machten fich mit 
niederträchtigem Grinfen auf die Soden oder richtiger auf die Ferſen, 
Die jedoch bei den Hindus ebenfo wie die Handflächen feine braune 
ſondern weiße Fleifchfarbe zeigen. 

Mein Hans kam nun gelaffen hineingeftiefelt. Die Hände in 
den Joppentaſchen, mujterte er, ohne eine Miene zu verziehn, die 


— 4 — 


Deldrudbilder an den Wänden des Zimmers; diefe jtellten Frauen- 
zimmer dar, die, wohl der herrfchenden Temperatur entiprechend, 
etwas dürftig beffeidet waren. 

Eine widerliche, ſchwüle Luft Herrfchte in dem Raum und 
den angrenzenden, mit zufammengemürfelten Möbeln ausgeitatteten 
Zimmern, durch die mich der Hausknecht aus Nubierland auf 
einen Hofraum führte. Er deutete auf bie fteile Treppe, bie 
auf einen ringsum laufenden Balkon führte; auf diefen mündete 
ein Dutzend Zimmerthüren. Dann verſchwand der Kerl, immerfort 
grinſend. 

Ich ſtieg hinauf und öffnete eine der Thüren. Noch geblendet 
von dem Sonnenlicht im Hofe, konnte ich in dem dunklen Gemach, 
durch deſſen geſchloſſne Jalouſien nur ſpärliche Sonnenftrahlen 
fielen, nicht das mindeſte erkennen. Ich zündete ein Streichholz an 
und hörte in demſelben Augenblick ein Geräuſch von der Bettſtelle 
her. Das Moskitonetz wurde haſtig in die Höhe gerafft, und 
zwijchen den Mufjelinvorhängen gudte ein Weiberfopf mit un- 
georbneten Haaren heraus, neugierig, bleih, aber gar nicht 
fonderlich entrüftet. 

Ich ftotterte erfchrodten ein „Beg your pardon!* und rannte 
ichleunigft aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Alsbald 
erichien das Frauenzimmer auf der Galerie und erhob ein Zeter- 
geſchrei, das ähnliche Geftalten aus den andern Thüren Iodte; alle 
ſchnatterten gleichzeitig in ſämtlichen europäifchen Sprachen auf mich 
ein, lachend und lärmend. Zum Glück war ich nicht wie weiland 
Joſeph in einen Mantel gehüllt, fonft wäre dieſer unfehlbar bei 
meiner Flucht in den Händen der Horde geblieben. 

Hans ſchien ingrimmig etwas zu knurren, als ich, von diefen 
leicht gefehürzten Furien gejagt, in das Billardzimmer ftürzte und 
die Thüre verfperrte. Ich wußte wahrhaftig nicht, ob ich lachen 
oder wüten jollte; ein Hein wenig würdiger hatte ich mir unjern 
Einzug in das Wunderland Indien denn doch vorgeftellt! 


— 25 — 


Es war gut für meinen Seelenzuſtand, daß ich nur ein Miß- 
verftändnis annahm und gar nicht ahnte, daß eine gewiſſe Sorte 
niedrig gejinnter Engländer in Indien ihre Sympathie für alles 
Deutfche durch die perfide Bezeichnung der liederlichen Dirnen als 
„german girls“, „deutfche Mädchen“, ausdrücken, obgleich fie vecht 
mohl wiſſen, daß dieſe bedauernswerte lebendige Ware zumeift aus 
Irland und noch häufiger über Konftantinopel aus Ungarn und den 
Balkanländern nad; Indien verfchachert wird. Hoffentlich ift dem 
wirklich gebildeten Engländer eine derartige nationale Gehäffigkeit 
fremd, und mit aufrichtiger Dankbarkeit gedenfe ich der vielen Freund- 
lichkeiten, die mir Gentlemen wie Colonel Durand, der Sekretär des 
indifchen Vizekönigs, der in Indien höchſt populäre Mr. Nivett- 
Carnac und viele andre erwiefen haben. 

Hanfens vernehmliches Knurren fonnte recht wohl eine Mahnung 
de3 Mittag3appetit3 an feine Rechte bedeuten. Aber hier ejjen? 
Ein Schauer überlief mic) bei diefem Gedanken. Zum Glüd lag 


Ruli, auf feinem Korb aus Vambus fhlafend. 
2* 


— 26 — 


einer von den Kulis noch wie eine matte Fliege in der Nähe des 
Hauſes an einem Gartenzaun. Mein pantomimiſches Talent reichte 
hin, ihm klar zu machen, daß ich dieſes Lokal ſchleunigſt zu verlaſſen 
und ein paar Wagen zu haben wünſchte; in kurzem wurde unſer 
ſonderbares Gepäck wieder auf und in die Holzkaſten gepackt, denen 
man durch die Bezeichnung „Wagen“ zu viel Ehre erweiſen würde. 

Ich kleidete mich im Billardzimmer um, denn ich wollte mich 
doch wenigſtens endlich wieder menſchlich fühlen. Dann rief ich dem 
Kutſcher „German Consulate!“ zu. 

„Yes, Sir!“ lallte der Roſſelenker. Erleichtert ſank ich in bie 
Wagenecke. 

Wieder fuhr der Wagen Straße auf, Straße ab, der andre 
mit dem Tiroler immer hinterdrein; vor einem prachtvollen, blaßgelb 
getünchten Haufe hielt das elende Fuhrwerk. Siegesgewiß ſprang ich 
heraus und las an verſchiednen Stellen: „Newman & Comp., 
Bookstore.“ Von einem Konfulat war nichts zu erbliden! 

Ich klagte einem der englifchen Gehilfen in der Buchhandlung 
mein Leid. Er fam mit mir vor die Thür, und ich fonnte nur 
annehmen, daß er ſich alle Mühe gab, dem Kutfcher in bengalifcher 
Sprache genauen Beſcheid zu erteilen. 

Wie rafend fuhren num die Wagen davon, doc fchienen wir 
ung von der Stadt zu entfernen. Häufer famen nur noch in großen 
Abftänden zum Vorjchein. Schließlich rollten die Drojchken in einen 
prachtvollen Park. „Welche herrliche, ganz angemefine Lage hat 
doc) unfer deutfches Konſulat!“ fagte ich ftolz zu mir felbft. „a, . 
aber wo iſt e8 nur?“ fragte ich mich, alS der Wagen hielt. Wir 
befanden und am Ufer eines Heinen Weiher; leiſe zitterte auf jener 
Fläche das Spiegelbild eines hölzernen Gebäudes im burmefifchen 
Pagodenftil, das auf dem jenfeitigen Ufer ftand; Palmen faßten 
das prächtige Landfchaftsbild ein. So jehr ich auch Freund aller 
Naturfchönheiten bin, durchlief meine Gefichtöfarbe bei diefem Anblick 
wahrfcheinlich alle Abjtufungen vom kreidigſten Weiß bis zum tiefiten 


- 7 — 


Ponceaurot, Gelb und Grün gewiß nicht ausgenommen. Mit ficht- 
lichem Intereſſe fehienen der Kutjcher und fein Genoſſe diefe Wand: 
Tung in meinen Gefichtszügen zu ftudieren; gleichzeitig ftecte Hans 
da3 bufchige Haupt zu feinem Wagenfenjter heraus und fragte fehr 
ernjt, ob hier num endlich gegefien werden ſolle. Nun fing auch 
ich an zu lachen, o, eine gräßliche Lache! Heute morgen als Geil- 
tänzer, jest als zweibeiniges Chamäleon angegloßt zu werben, ftatt 
die von langer Seefahrt erfchlafften Glieder in kühler Gebirgsluft 
zu regen — das war ja auch zu nett! 

Entſetzt fuhren die beiden Hindus bei meinem fürchterlichen Lachen 
in die Höhe und erbleichten, ſoweit ihre Schofoladenfarbe dies zuließ. 
Zum Glüd fam ein engliicher Sergeant mit weißem Helm, weißen 
Hofen und krebsroter Jacke anfpaziert, ohne Seitengewehr, nur eine 
Reitgerte in der Hand. Ich bat ihn, den Kutſchern klar zu machen, 
daß ich jchleunigft in das befte Hotel von Kalkutta wolle, da ich es 
aufgäbe, noch länger nad) dem Konfulate zu ſuchen. Er warf den 
zitternden armen Teufeln ein paar indifche Schmeichelmorte an den 
Kopf, zog ihnen dann ein paar pfeifende Jagdhiebe über die dünnen 
Zädcyen, daß fie laut aufquieften, hatte aber doch den Erfolg, daß 
ich in einer halben Stunde unter dem Moslitonetz eines faubren 
Bettes in einem Zimmer des Great Eajtern Hotel liegen und die 
Ereignifje dieſes Tages überdenken konnte. 

Bor allen Dingen beſchloß ich, nicht fo thöricht zu fein, die 
Gelbſucht oder gar die Tollwut zu befommen, fondern lieber meinen 
Verdruß an ein paar Biskuits auszulafien, während ſich Hans in 
die Schüffeln vertiefte, die uns auf das Zimmer gebracht wurden. 
Einige andre hatte er bereit8 mit Verachtung beijeite gejchoben, denn 
fie enthielten Fifche, Hummern und ähnliche Schaltiere, die er kaum 
anjehn mochte; naiv fragte er mich, wer wohl jo tapfer geweſen 
jei, Die erfte Aufter, den erften Krebs zu verzehren. Außerdem hatte 
ihm der Kellner Südfrüchte gebracht, die er für ungefund hielt, und 
ein Huhn, das er al3 eine ganz wertloje Tiergattung mißachtete. 


— 28 — 


„Do is keine Kraft dabei!“ belehrte er mich ſtets, ſo oft ich ſpäter 
einem Huhn das Lebenslicht ausblaſen laſſen wollte, wenn ſich ſonſt 
grade nichts Genießbares vorfand; volle Gegenliebe und Hochachtung 
ſchenkte er dagegen dev Mehlſpeiſe, von der ihm der weißbeturbante 
Kellner leider viel zu wenig für ſeinen, wie er ſagte, unartigen · “ 
Appetit aufs Zimmer gebracht hatte. 

Am nächften Morgen weckte mic, das Gekrächz der Geier, das 
durch die offnen Fenfter hereinſchallte. Ich rieb mir die Augen und 
erſchrak ein wenig, einen Hindu mit einem bligenden Mefjer in der Hand 
dicht neben meinem Bette herumhantieren zu jehen; das Mostito- 
neß ließ die Züge des Mannes nicht deutlich erkennen, doc, bemerkte 
ich feine lauernden Blicke und ſah, daß er fein Mefjer eifrig auf 
dem linken Handballen wetzte. Ich erinnerte mich, daß an der Thür 
fein Schloß geweſen war, und daß ich es verfäumt hatte, irgend 
ein Gerät gegen diefelbe zu Iehnen — jo war der Barbier, denn 
als folcher entpuppte ſich der Mefjerfchwinger, lautlos herein 
gefommen, um mir feine Künfte anzubieten. Dies lautlofe Herum— 
fchleichen der Indier, auch der Dienerfchaft, auf nackten Füßen dürfte 
wohl nur reifende Kneippianer fongenial berühren, ein Sterblicher 
gewöhnlichen Schlages fieht es nicht allgugern, wenn fol ein 
brünetter Menfch unerwartet wie Banquos Geift ftet3 grade da 
auftaucht, wo man ihn am allerwenigften erwartet oder wünſcht. 

Nachdem der braune Burfche Hanſen und mir die Mähne geftußt 
hatte, wofür er zuerjt fünf Aupien, etwa acht Mark verlangte, fich 
dann aber mit dem fünften Teil davon begnügte, obgleich ihm ein 
Eingeborner höchftens den vierzigften bezahlt haben würde, entwarf 
ic) den Tagesplan. Vor allen Dingen wollte ich auf das Konfulat, 
dann zu der Firma Schröder, Smidt & Co., an die ich empfohlen 
war, dann in das Geological Survey, wo id) mir von einem dort 
angeftellten deutfchen Gelehrten beträchtliche Unterftügung mit Nat 
und That verſprach, und fchließlich wollte ich fehn, ob ich im indifchen 
Generalftab zuverläffigere Karten de3 Hocgebirges erhalten könnte, 


— 29 — 


als fie mir zu Gebote ſtanden. Dann — endlich — ſollte die Ab- 
reife nad) der Gebirgsftation Dardfchiling mit dem täglich nad) 
mittags dorthin abfahrenden Zuge erfolgen. 

Auf dem Konfulat war noch niemand zu fprechen. Der Bureau: 
diener oder Schuprajjie drückte mir vertrauensvoll ein Bündel Briefe 
in die Hand, die an Heren Geheimen Regierungsrat Profefjor 
Dr. Baftian adrejjiert waren; zum Glück bemerkte ich diefen Irrtum 
de3 Beamten fofort. Dann hinterlegte ich auf dem Konfulat eine 
Geldfumme, um dem Tiroler die Heimkehr zu fihern, falls er von 
mir getrennt werden oder mir etwas Menfchliches zuftoßen follte. 

Im Geologijchen Inftitut wurde ich von dem Herrn Profeſſor, 
auf dejjen Beihilfe ic) fo fehr gerechnet hatte, nicht grade mit allzu 
freundlichen Mienen empfangen. Vielleicht mwitterte er allerlei Kon- 
kurrenzabfichten, die mir vollftändig fernlagen; jedenfalls that er fein 
möglichfte3, um mir mein Vorhaben in ein recht wenig verlockendes 
Licht zu ftellen. Nun ift es ja wahr, daß die Gefahren und 
Schwierigkeiten im Himalajagebirge unberechenbar und gar nicht 

/ aufzuzählen find und keinesfalls unterſchätzt werden dürfen, aber Gott, 

4 verläßt doch keinen Deutſchen! Ich gebe übrigens gern zu, daß der⸗ 
artige Heimſuchungen durch Reiſende einem Gelehrten, der in 
Kalkutta gewiß keine beneidenswerte Arbeitsſtätte hat, nicht jonder- 
lich willkommen ſein mögen! 

Jedeuſalls vergeſſe kein in Indien Reiſender, daß unſre Lands- 
leute es dort nicht immer gern ſehn, öffentlich an ihre Herkunft 
erinnert zu werden! 

Major Gore im General Survey zeigte ſich dagegen als ein 
entzückend liebenswürdiger, jovialer Herr, der ohne jede hochmütige 
oder argwöhniſche Voreingenommenheit meine Abſichten an der Hand 
des ihm erreichbaren Kartenmaterials eingehend mit mir durchſprach. 
Ich fühlte lebhaft, wie gern er ſeinem heißen Kalkutta entflohen wäre, 
um die männlichen Freuden dieſer Wanderung mit mir zu teilen; 
id) würde in Sikhim fo Großartiges fehen, meinte er, daß ich 


— 80 — 


meine Reiſe keinesfalls bereuen würde. Das klang doch recht 
ermunternd, und frohen Mutes fuhr ich mit Hans zum Bahnhof, 
das Studium der Kalkuttaer Sehenswürdigkeiten auf ſpätre Gelegen- 
heit verſchiebend. — 

Im Bahnhofsgebäude hatte ſich Hans von meiner Seite entfernt, 
und als die Abfahrtszeit nahte, ohne daß er ſich wieder einfand, 
ergriff mich lebhafte Beſorgnis. Der Zug dampfte mit meinem 
gefamten Gepäd pünktlich davon, und ich wußte nicht, an welchem 
Ende der mächtigen Halle ich nun meine Nachforfchungen beginnen 
follte. Plötzlich ſtürzte ein Herr, ein englifcher Bahnhofsbeamter, 
mit zorngerötetem Geficht auf mich los: 

„Gehört diefer Mann zu Ihnen?" fragte er ziemlich barjch 
und wies dabei auf den Tiroler, der gemächlich herbeifam; einige 
niedre indiſche Bahnangeftellte folgten ihm lachend und geftifu- 
lierend. Froh, daß ich meinen Adjutanten wieder ſah, der hilflos 
gewefen wäre, wenn er je meine Spuren verloren hätte, erfundigte 
ich mich nach dem Vorgefallnen. 

„Iſt diefer Mann verdreht?" 

„Durchaus nicht!" 

„Do, er iſt's!“ fchrie der Engländer. 

„Aber warum denn?" 

„Wiffen Sie, was er gemacht hat? Er hatte fich in den 
Damenmartefaal erfter Klafje und das daneben befindliche Bade: 
zimmer eingefchlichen und fich dort fo häuslich wie möglich eingerichtet, 
als Miß N. dort eintrat. Die Lady liegt noch immer. in Ohnmacht. 
Wozu find denn die Aufichriften ‚For ladies only! angebracht? 
Diefer Frevel Eoftet dem Mann dort Hundert Rupien Buße! Was 
für eine Art von Menſch ift das überhaupt?“ 

„Verehrter Herr, beruhigen Sie fich doch, das ift ein redlicher 
Tiroler, der aber der englijchen Sprache nicht mächtig. ift.” 

„Ein Tirofer?" rief höhniſch der aufgeregte Beamte, „haha, 
ein Ruſſe ift er! Es fteht ja Heute ſchon in der Zeitung, daß 





— 31 — 


geitern ein paar ruffifhe Spione eingetroffen find, um die Gebirge 
unfrer Nordgrenze zu bereiſen.“ 

„Das it ja eine nette Beſcherung,“ dachte ich bei mir und ver- 
ſuchte nicht ohne Erfolg, dem Beamten das Lächerliche dieſes Ver— 
dachtes zu beweiſen. Ein paar Zeilen von der Hand des Major 
Gore, die ich ihm vor Augen halten konnte, jchlugen feine legten 
Zweifel nieder. Beinahe hätte ich die Sache aber doch durch den 
übel angebrachten Scherz: ich hoffte, die Dame würde durch den 
Anblick des Tirolerd feine nachhaltigen Folgen zu erleiden haben, 
wieder vollftändig verfahren. Der Beamte ſah plöglich im Geifte 
allerlei Beſchwerden, Unterfuhungen und Verfügungen auftauchen, 
fo daß es ihm leid zu thun fchien, mir bereits verraten zu haben, 
daß in einer Viertelftunde ein Eilzug abginge, durch den wir den 
Dardichifingzug einzuholen im ftande wären. Glücklich erreichte ich 
aber doch diefen Anſchluß und zugleich unfer Gepäd. — 

Allen Ernftes durfte ich nun hoffen, in den nächiten Tagen 
auf dem Marfch in die Berge zu fein. Aber wie wenig mußte ich 
noch, was e8 heißt, in das Himalajahochgebirge eindringen zu wollen! 

Eine erquicffiche Unterbrechung der einförmigen Fahrt durch die 
indifche Ebene bis an den Fuß des Gebirges bildete die Weber- 
ichreitung de3 breiten Ganges bei Damugdea. Vier englifche Meilen 
weit liegen dort die beiberjeitigen Stationen auseinander; ein 
Dampfer vollzieht das Hinüberbringen der Paffagiere und Ladung 
um die Zeit des Sonnenaufgangs. O wie föftlich mundete mir der 
Thee auf dem Verde diefes Schiffes, das mich meinem Ziele 
jo munter entgegentrug! 

Von Kalkutta ab hatten wir die mächtigen Wagen der Eajtern 
Bengal Railway benußt, gegen die nun die Wagen der jchmalfpurigen 
North Bengal-Eifenbahn auf der andern Gangesfeite klein erfchienen. 
Aber als in Siliguri um neun Uhr morgens die fiebzehnftündige Eil- 
zugfahrt durch die Ebne ihr Ende erreicht hatte und das Umfteigen 
in den Zug der hier beginnenden Himalaja-Eifenbahn nötig war, hätte 


— 2° — 


ich beinah laut aufgelacht. Ich hätte es wirklich nicht für möglich 
gehalten, daß es außer als Kinderfpielzeug fo winzige Lokomotiven 
und Wägelchen auf der Welt gäbe! Zwei Fuß nur beträgt bie 
Spurweite dieſer drolligen Bergbahn, die uns binnen 7 Stunden 
7000 Fuß in die Höhe fchaffen ſollte. 

Zuerft führt die Bahn, die nur eingeleifig ift, durch wüſt ver- 
wachſnen Wald. Doch fo herrlich diejes phantaſtiſche Schaufpiel 
auch wirkt, jo üppig dieſes Wirrfal von Schlinggewächſen und 
Orchideen auch grünt und blüht, verjchleiert e8 doch todhauchenden 
Boden, die fumpfigen Vrutftätten des Malariafiebers! Diefer 
modrige Vegetationsgürtel des Himalaja, das Terai, faugt alle die 
übelduftenden Säfte ein, die aus den Unmaſſen verfaulender pflanz⸗ 
licher und tierifcher Leichen in den Urmäldern diefer Vorberge zu 
Thal ſickern. Spute dih Zug, rafchle hurtig hindurch durch diefe 
Bone, ſchnell hinauf in reinere Luft! 

Sieben Meilen etwa geht die Fahrt faft eben durch dieſe 
Wälder, deren Bäume man vor verfchlungnen Schmarogergefpinjten 
nicht fieht; der betäubte Blick giebt e8 auf, dem Durcheinander bes 
Reigens zu folgen, den hier eine toll gewordne Pflanzenwelt gaufelt. 

- Dann fteigt die Bahnlinie. 

Je höher wir fommen, um fo mehr lichtet ſich das bisher für 
das Auge undurhdringlihe Chaos von Blättern, Zweigen und 
Ranken; die grünen Mauern löfen fich auf in einzelne Bäume, deren 
Rinde von Kriechpflanzen umfponnen und mit Orchideen geſchmückt 
ift, während fich zierliche Guirlanden von einem Zweige zum andren 
fchlängeln. Elefanten und fonftige wilde Bewohner des Dickichts 
find natürlich in diefem von der Eifenbahn berührten Zeile des 
Terai nicht mehr zu erbliden, 

Die allmächtige Natur fpielt ihre Trümpfe hier keineswegs auf 
einmal aus. Die Palmen der Ebene find zwar verſchwunden, aber 
ihre Formen finden wir troßdem wieder. Die Farnen, diefer zarte 
Schmud unfrer Wälder, gewinnen auf dem fruchtbaren indifchen 





— 3 — 


Boden die Größe und Geftalt ſchlankſtämmiger Bäume und entzüden 
unfer Auge durch ihre zierlich gefiederten Kronen. Mit dem Klarer⸗ 
werden des Iandfchaftlichen Eindruds wird aud die bisherige 
drüdende und ſchlecht riechende Luft kräftiger, reiner. Wir nähern 
una der Grenze der fubteopifchen Pflanzenwelt, Bäume der Heimat 
begrüßen uns wieder; Eiche, Ahorn, Kaftanie zeigen ſich um fo 
häufiger, je höher die Bahn fteigt. 

Unfer Zug hat inzmwifchen die unglaublichften Kunſtſtücke fertig 
gebracht. Ohne Zahnräder hat er Steigungen von 1 zu 19 in 
immer gleich bleibender Eile bewältigt, wobei die Bahnlinie nicht 
nur Kurven und enggezogne Schleifen, fondern fogar eine richtige 
Spirale, das Double Loop, bejchreibt, deren obrer Halbmefjer nicht 
mehr als 60 Fuß (circa 18 m) beträgt! Dann war der Bug fed 
und gewandt mie eine Eidechje an fteilen Felſen hingerannt, den 
Abgrund jo dicht zur Seite, daß ſchwachnervigen Fahrgäften himmel- 
angit werden mußte, fo oft die Dampfpfeife ertönte, um die Inſaſſen 
der offnen Wägelchen zum Feithalten an ihren Sitzen zu ermahnen, 
wenn eine beſonders ſcharfe Biegung bevorjtand, ganz ähnlich wie 
in Amerika die Kondufteure an folhen Eden ihr „hold fast“ in die 
Wagen der Straßenbahn rufen. An der „Agony Point“, zu deutjch 
Todesfampfede, fährt der Zug fo dicht an einem ſchier unergründ- 
lichen Abgrunde hin, daß dort ſchon manchem fröhlichen Welt- 
reifenden das Lachen vergangen fein mag! An andern Stellen wird 
der fteile Berghang nicht durch gefrümmte Umgehung, fondern durch 
ſpitzwinklige Zickzacks bewältigt, wobei der Reifende bald vorwärts, 
bald rückwärts fährt, indem der Gipfel der erreichten Steigung durch 
eine horizontale Strecke mit der Baſis des nächiten Anftiegs ver: 
bunden ift; dieſe Zickzackſtaffeln werden natürlich nicht duch Um: 
wenden, ſondern durch ein Hin und Herfchieben de3 Zuges und 
entiprechendes Weichenwechſeln erklettert. 

Gegen Mittag läuft der Zug in die Station Kurſeong ein, 


wo er dem von Dardſchiling herunterkommenden ausweicht. Auf 
voea, Indifde Gletſcherfahrien. 3 


— 34 — 


der neben dev Eiſenbahn hinziehenden Landſtraße bemerkt mar 
häufig Scharen von Lajtträgern, Paharis, die zu noch niedrigeren 
Frachtſätzen als die Bahn Stücgüter befördern. 

Viel wichtiger als 
der Mittagsimbiß 
ſchien aber an diefer 
Halteftelle den mei- 
ften dur) das in⸗ 
difhe Klima gegen 
die Kälte empfindlich 
gewordnen Mitrei- 
fenden das Wechfeln 
ihrer Kleidungsftüce 
zu fein. Diever- 
mummt und mit 
Winterüberziehern 
angethan, Tiefen die 
Paſſagiere hände- 
reibend auf und ab; 
fie waren nicht fehr 
zahlreich, denn nur 
ausländifhe Ber: 
gnügungsreijende 
fahren vor der eigent- 
lichen, erſt mit dem 
Sommer beginnen» 
den „Saifon" nad 
Dardſchiling. Dann freilich, in der Hochſaiſon, während in Kal- 
futta maßlofe Regengüffe mit ftechender Hitze wechſeln, vermögen 
die winzigen Züge die Zahl der Reifenden kaum zu bewältigen. 
Für Hans und mic waren aber die fühlen Windftöße, die uns 
von Norden her ins Geficht bliefen, ein köſtliches Labſal, wußten 


Kaftende Träger im Auen-Gimalaja. 


"Bing? 2qnaadu} avhaaq 229 gıfpaa ↄquoutuoinvaoqg 2 N 
"ugequastg-efepeuug ap uoueis · cpoasni 





— 36 — 


offt auf der Höhe des Latparipaſſes den 
ber befand. 

jeit, mich ftaunend an dieſer Ausſicht zu 
nblict zeigte fich diefer marferfrifchende 
wieder eine ungefüge Bergnaſe, um bie 
‚ dem Bahnendpunkt Dardſchiling, hinab- 
Ihr in den Bahnhof einrollte, entzogen 
majeftätifche Panorama meinen Blicken. 
n wir und um volle 580 Kilometer von 


in — 





Drittes Kapitel. 
Leiden in dem Luftert Dardidiling. 


B“ in Guhm und den vorhergehenden Stationen hatten die 
Ka Bewohner der elenden Hütten und bettelnde Kinder durch 

ihre ſchlitzäugig ausfehenden, unfaubren, flachgedrüctten Ge- 
fihter verraten, daß fie hier nicht mehr den Hindus ähnlich, ſondern 
vorwiegend mongolifcher Abjtammung feien. Farne, Mooje, Orchideen, 
bunte Käfer und Schmetterlinge wurden uns von den Heinen, 
neben dem Zuge hintrabenden Schmußfinten mit aufdringlichem 
Anruf in die offnen Wägelchen gereicht. . 

„Kaufen Sie den Burfchen um Gottes willen eine Kleinig- 
keit ab, fonft rächen fich diefe Naturaliften bitter, indem fie Ihnen 
eine übelriechende Wanze in die Kleidung ſtecken!“ riet mir ein 
gegenüberfigender erfahrner Arzt, der bereit3 eine ungemein fichre 
Hand bezeigt hatte, indem er mir während der holprigen Fahrt 
einen der mafjenhaften jcharfen Kohlenfplitter, mit denen unfre 
2ofomotive die Inſaſſen der offnen Liliputanerwagen überfchüttete, 
mit einem Streichholz aus dem Auge gegabelt hatte. 

„Slom, Sob, Bokſchühſch!“ lallten diefe ſchmierigen Kinder in 
allen Tonarten, den Gruß „Salam, Sahib!" mit dem Bettlerver- 
langen nad) einem „Bakſchiſch“ vereinigend. Es war ſchwer, diefe 
Ketten abzuſchütteln und zur ruhigen Befinnung zu kommen, als ich 
aus meinem Miniaturwägelchen ftieg und nun, endlich, in Dardſchiling 
ftand, dem eigentlichen Anfangspunkt meiner Reife. 


— 38 — 


Eine wirklich drollige Beförderungsart fiel mir auf dieſem Bahn- 
hof in die Augen, denn während mein Gepäd zujammengehäuft 
wurde, bemerkte ich, wie unſre Lokomotive einen ganz Heinen, vier- 
rädrigen Wagen davonfchleppte; ein Herr und ein Mafchinijt hatten 
darin auf den zwei jchmalen Bänken Pla genommen. Man belehrte 


„Slom, Eob, Botihühih!* 


mid), daß dieje „trolly“ fo bis nad) Guhm gefchafft würde, um 
dann von diefem höchften Punkt der Bahn aus jetzt, wo die ganze 
Strede frei war, ohne jede Majchine und ohne Aufenthalt die 
81 Kilometer fange Strede bis nad) Siliguri Hinunterzurajen, und 
daß ſolch eine koſtſpielige Rutjchpartie von eiligen Reifenden mit Bor- 
liebe angewendet würde: natürlich erfordert fie einen. völlig fchrwindel- 
freien Kopf, da die Bahn ohne Geländer auf ſchmalen Balfenbrüden 





— 89 — 


über tiefe Schluchten und an grauenhaften Abgründen entlang führt. 
Noch niemals habe ich fo ſehr das Gefühl gehabt, in einer Flug: 
majchine zu figen, wie in diefen Wägelchen der Himalajabahn. In 
wieviel Jahren werden mohl die englifchen Damen in lenkbaren 
Luftſchiffen aus Kalkutta über diefe Bergrücken hinwegſegeln, um auf 
den Eisfeeen des Himalaja Schlittſchuh-Quadrillen zu tanzen? — 

Mir wirbelte doch der Kopf nad) den mannigfaltigen, aufregen- 
den Eindrücken diefer Fahrt. Ich hieß meine Kulis das Gepäd in 
das dicht bei dem Bahnhofe liegende Hotel Woodland fchleppen, 
fonnte allerdings vor Kichern diefem Wunfche kaum Ausdrud geben, 
denn was für ein Gefindel Hatte fich inzwiſchen meiner Kiften und 
Kaſten bemächtigt! Gab e3 wirklich folche runzlige, verfchrumpfte, 
triefängige Weiber, folche großföpfige, ſchmutznaſige Kinder mit 
ſchauderhaft verfilzten Haaren und frech vorfpringenden Baden: 
knochen wie die, die dort meine Habe auf Kopf und Rüden einher 
ichleppten ? 

„Nanu, wo wollen Sie denn hin?" fragte mich in deutfcher 
Sprache ein aus pfiffigen Aeuglein guefender Herr, der am Bahn 
hofausgang die neuen Ankömmlinge mufterte. Wohlmeinend riet er 
mir von jedem Verſuch ab, in das Woodland Hotel zu gehn, dort 
jet es ühgrfüllt und unfinnig teuer; aus Gefälligfeit wolle er mir 
jedoch eine preiswerte Privatmohnung vermitteln, da wir ja doch 
wohl Landsleute feien. Als er berausbefommen hatte, daß Hans 
aus Tirol und ich aus Schlefien ſtamme, fiel er plöglich in einen 
Miloſchdialekt und verficherte: 

„Bin ich auch Stickhen Efterreih, Hob’ ich Blut ungorifches 
in Odern meiniges." 

Als ich ihm bemerkte, daß Schlefien doch nicht durchweg öfter: 
reichiſches Gebiet fei, vertraute er mir fehnell, daß er von Geburt 
eigentlich Berliner fei, und gab ſich Mühe, diefe Behauptung ſogleich 
durch einen fleißigen Gebrauch von „ick“ und „det“ und „fiel emal“, 
„Lojen”, „Fleeſch“ und „Beene“ zu erhärten. Nun habe ic) durchaus 


— 40 — 


nichts gegen den ſchlagfertigen Witz eines Berliner Droſchkenkutſchers 
einzuwenden, wenn ich in Berlin bin, aber bei der Ankunft an einem der 
wundervollſten Punkte nicht nur Indiens ſondern der ganzen Welt, als 
Willkomm das ſchnoddrige Gewäſch eines Mannes anhören zu müſſen, 
vor dem mich eine innre Stimme fofort eindringlich warnte, ver: 
droß mich doch ein wenig. Ich fagte mir aber, daß diefer Mann mir 
als Ortskundiger nüglich werden könne, da er ſich als Händler in 
Naturalien und „Curiosities“ vorftellte, und verbat mir nur feine 
Scerze in Bezug auf Hans, der fich ftillfchweigend das Gewitzel 
über feine Erſcheinung gefallen ließ. 

„So wat kraucht ja bei mir uf'm Boden nic) rum!" rief der 
Naturalienhändler aus und ließ fich deutlich anmerken, daß ihn 
mein Neifeplan aus irgend einem Grunde jehr lebhaft beunruhige. 

Ich hatte das Gefühl, durch meine Vertrauenzfeligfeit eine große 
Dummheit begangen zu haben, glaubte aber doch, mein Mißtrauen, 
für das ich ja noch gar feinen triftigen Grund hatte, unterbrüden 
zu follen, beſonders jemandem gegenüber, der alle Augenblide jo 
nachdrücklich den Landsmann betonte. 

Unfer ungerufner Helfer Iotfte uns und die zwölf Kulis eine 
halbe Stunde lang wegauf, wegab. Wagen oder Drojchten jtanden 
nicht am Bahnhof, wären auch auf den fteilen Straßen des Ortes 
gar nicht zu benugen geweſen. Wer nicht zu Fuß ging, der ritt 

oder ließ fi im 
Dandi,einemTrag: 
ftuhl, von drei 
rüftigen Dienern 
auf den Schultern 
tragen. Anftattaber 
die munderbaren 
neuen Eindrüde, 
die fih auf allen 


„Dandi*, von vier autis auf Etangen geiragner Stubl. Seiten boten, ges 





— 41 — 


mũtsruhig wahrnehmen zu können, mußte ich meine Aufmerkſamkeit 
auf die jchlechten Wie des Landsmann richten, vor dem ich 
um jo mehr Abneigung empfand, je mehr er mir feine Biederkeit 
und die Hilfe pries, die er ſchon manchen andren deutfchen Reifenden 
zugewendet haben mollte. 

In der DVorhalle eines Landhaufes, hier Bungalo genannt, 
das nicht grade zu den eleganteiten zählte, ließ unfer Begleiter end⸗ 
lid, die ächzenden Kulis ihre fehweren Bürden aus den geflochtnen 
Stirnbändern heben, an denen fie felbft jo ungeheure Laften wie ein 
Klavier auf dem Rücken zu ſchleppen pflegen; dann legte er bereit- 
miligft den Trägerlohn aus. Gleich darauf hörte ich ihn leiſe im 
Nebenzimmer mit einer Frauenftimme lebhafte Zwieſprache pflegen; 
ſchließlich kam er mit einer Dame, der Hausbefigerin, zurüc und 
erklärte, daß dieje die außerordentliche Gefälligkeit haben wolle, uns 
gegen tägliche Zahlung von nur einem Pfund Sterling Koft und 
Wohnung zu geben. 

„Da brauchen Sie Ihr englifches Gold nicht erft in Rupien zu 
wechſeln!“ bemerkte ſcherzend der Wackre, der aus mir herausgeholt 
hatte, daß ich mich für die Gebirgsreife hauptfächlich mit englifchen 
Pfundſtücken verfehen hatte. 

Ich fpürte feine Neigung, für die wenigen Tage meines Aufent- 
haltes in Dardichiling erjt noch weitre Umſchau nach andren Quar- 
tieren zu halten, jondern ging nad) einem wenig zufriedenftellenden 
Imbiß frühzeitig zur Ruhe; die letzte Zeit hatte grade genug Un- 
tube mit fich gebracht, um die Wohlthat eines langen, ſüßen Schlafes 
ausgiebig würdigen zu können. 

In den nächften Tagen hatte ich mit Hans vollauf zu thun, 
unjre Gepäckſtücke naczufehen und meine Ausrüftung für die 
Bandrung ins Gebirge zu vervollftändigen; auf die Einzelheiten 
derfelben komme ich fpäter zurüd. 

Da ich ſtets fo viel Rühmendes von der großen perfönlichen 
Freiheit gehört hatte, deren ſich das Thun und Lafjen der Europäer 

g* 





— 2 — 


in Indien erfreue, hatte ich gar nicht daran gedacht, irgend welche 
weitre Erlaubnis zu meiner Reife durch die unmirtlichen Alpen 
Silhims einzuholen. Ich ſetzte voraus, daß man im indischen Generalftab 
doch wohl nicht verjäumt haben würde, mich darauf hinzumeifen, falls 
die3 bejondrer Genehmigung beburft hätte, und glaubte, daß mein 
dortiger Beſuch und ebenſo die Mitteilung und Beſprechung meines 
Reiſeplanes mich hinreichend ermächtigten, fo fchnell es mir möglich 
wäre, in das Gebirge abzumarſchieren. 

Ganz harmlos fragte mich der Landsmann, der fich täglich ein- 
fand, um in meinen Habfeligfeiten herumzufhnäffeln und mich mit 
zubringlichen Fragen auszuforichen, ob ich denn jchon die Erlaubnis 
des Bürgermeifteramt3 habe, die Dak Bungalows, das heißt die 
Unterkunftshütten, von denen ſich einige in der Umgegend Dardfchilings 
befinden, zu benußen. ch bemerkte, daß eine folche zu erhalten doch 
wohl faum Schwierigkeiten machen würde, daß dagegen das Befchaffen 
eines tüchtigen Trägertrupps mir weit mehr Sorge bereite und mie 
ich mich wundre, daß er nicht verfprochnermaßen die erjten Schritte 
zu ihrer Anwerbung thäte. 

„Das ift ja eine Kleinigkeit; bejorgen Sie fih nur erſt Die 
Erlaubnisfcheine für das Webernadhten in den Schushütten!" war 
die beinah höhnijch gegebne Antwort. 

Ich wurde etwas ftußig. Wie fonnten die wenigen Schuähäufer 
in der nächiten Umgebung in Betracht kommen, wenn ich wäh: 
rend meiner weitren Reiſe doch beftändig auf mein Zelt ange 
wiejen war? 

Ich ging fchleunigft in die „Rutfcherri" zum „Magiſtrate“, wie 
man den Bürgermeifter in Britifch- Indien kurzweg nennt, und ver- 
nahm, daß meine Vermutung ganz richtig geweſen fei und daß mir das 
Benugen der Rafthäufer mit Vergnügen geftattet würde. Als ich 
mid) empfehlen wollte, fragte mich der Beamte ruhig, bis zu welchem 
Bungalo ich meinen Ausflug auszudehnen gedächte. Ich feste ihm 
meine weitgehenden Abfichten auseinander, worauf er mit der freund: 


8 — 


lichſten Miene von der Welt fragte, ob ich mich und meine Pläne 
auch ſchon dem Lieutenant-Governor vorgeftellt hätte. Auf meine 
Verneinung wurde mir der Nat, dies doch ja nicht zu unterlafien; 
an der Genehmigung wäre dann wohl nicht zu zweifeln, aber ohne 
fie dürfe ich nicht in das Grenzgebirge, 

Nun war aber der genannte Herr Lieutenant:Governor gar nicht 
in feiner wundervoll gelegnen Billa in Dardſchiling zugegen, fo daß 
eine zeittaubende Korrefpondenz nötig wurde, ehe nur fein augen- 
blicklicher Aufenthalt ermittelt wurde. 

Gemwohnt, widerwärtige Vorfälle auf die leichte Achſel zu nehmen, 
benugte ich diefen Aufſchub der Abreife zum gründlichen Umfchaun 
in Dardſchiling. Vor allen Dingen zog ich einige Erkundigungen über 
meinen Hilfsbereiten „Landsmann“ ein und fand meinen Argmohn 
nur zu ſehr beftätigt. Ex galt für einen ganz charakterlojen Schaum: 
fchläger in des Worts verwegenfter Bedeutung, denn er war als Bart- 
kratzer und Haarfchneider nach Dardjchiling gefommen, hatte aber bald 
die höchſt einträgliche Idee erfaßt, einen Handel mit allerlei Natur- 
feltenheiten und fonftigen Merkwürdigkeiten anzufangen, die in Sikhim 
vorfommen und die ihm von den bergbemohnenden Bazarbefuchern 
gegen einen Hundelohn zufammengefucht wurden. Das wäre ja auch 
techt achtungswert gewefen, wenn der unleugbar ganz talentvolle Mann 
nicht zugleich verfucht hätte, fich einen unverdienten Heiligenfchein 
jelbitlofer Biederfeit zuzulegen. Die zahlreichen „Weltläufer" — 
denn fo überjegt man das englifche globetrotter wohl am höflich- 
ften —, die Dardfchiling befuchen, find ja zumeift jehr wohlhabende 
Herren, bei denen niemand einen andren Reiſezweck al3 den einer an- 
genehmen Unterhaltung vorausfegt. Das waren natürlich willkommne 
Kunden in diefes Händler? Haus, ftaunende, danfbare Bewundrer 
feiner Zungenfertigfeit. „Ich bin ein Mann, der in die Welt paßt!" 
verficherte er ftet3 fchmunzelnd, wenn er eben jemandem einen rieſigen 
Bären aufgebunden hatte. Trotdem glaubte ich, fünf grade fein 
laſſen und den Verkehr mit diefem Manne nicht völlig abbrechen zu 








— 4 — 


ſollen, da ich annahm, daß er mir doch ſchließlich fur Geld und 
gute Worte das Anmwerben von eingebornen Trägern wirklich ver- 
mitteln würde, wie er es mir tagtäglich verſprach. Man wird ja 
bald jehn, in welcher Weife er Wort hielt. 

Zum Glüd fand ich in Dardſchiling einen zuverläffigeren Lands- 
mann in der Perſon eines wackren Uhrmacher, der wenigitens im Orte 
gut Bescheid wußte, bei den Maßnahmen für eine Hochgebirgsreife 
freilich wenig helfen fonnte. Zu meinem Bedauern hatte er fich auch 
niemal3 mit dem Bau photographifcher Verfchlüffe zur Erzielung 
von Augenblid3bildern vertraut gemacht, jo daß er mir nicht helfen 
fonnte, meinen Momentverfchluß wieder in Ordnung zu bringen. 
Durd die Einwirkung der heißfeuchten Seeluft waren die blauen 
Metallblätter oder „Lamellen“, wie die Techniker die Durch den Drud 
auf einen Gummiball auf und zu gehenden Stahlſcheibchen eines 
ſolchen Verſchluſſes nennen, fo feſt zufammengeroftet, daß der Leber: 
tragungsmechanismus das blitzſchnelle Oeffnen und Schließen nicht 
mehr zu bewirken vermochte. Da ich auch fonft feinen geeigneten 
Erſatz finden konnte, ſah ich mich genötigt, in Zukunft folche Auf- 
nahmen durch das mehr oder weniger raſche Abheben des Objektiv: 
deckels mit der Hand zu machen. Weil ich aber die Geſchwindigkeit 
auf diefe Weife nicht immer genügend zu fteigern vermochte, verfiel 
ich fpäter auf einen Ausweg — und dies ermähne ich zum Nutzen 
andrer, die etwa einmal in eine ähnliche Notlage geraten —, indem 
ich in die Mitte eines Streifend Pappe ein viereciges Loch fchnitt, 
etwas größer als die Linfenöffnung. Wenn ich num einen Gegen- 
ſtand photographieren wollte, während er fich bewegte, ſchob ich, 
nachdem ich bei gefchlojfnem Objektivdedel die Kaffette, in der die 
photographifche Platte enthalten war, aufgezogen hatte, diefe Papp⸗ 
ſcheibe dicht zwifchen das Objektiv und ben leiſe geloderten Dedel, 
den id) dann in die Tajche fteckte; das Objektiv war hierbei durch das 
dicht davor gehaltne Pappftüct vor dem Lichteinfall geſchützt, und 
das Loch in der Scheibe befand fich jeßt oberhalb des Objektivs. 








— 5 — 


Kam dann der geeignete Augenblid zur Aufnahme, jo zog ich mit 
einem kurzen, vorjichtigen aber ſchnellen Ruck den durchlöcherten 
Bappftreifen vor dem Objektiv vorbei; dadurd) wurde die photo: 
graphifche Platte belichtet. Nun verfchloß der obre Teil des Streifens 
das Objektiv; ich legte dann den Objeltivdedel von außen gegen die 
Pappe, zog diefe behutjam zwiſchen Dedel und Objektiv fort und 
ſchob den Deckel wieder leiſe über den Objektivrand. — 

Der Tiroler hatte mir, fo oft der Naturalienhändler von feinen 
Vergfahrten prahlte, jedesmal einen jchmerzhaften Stoß in die Seite 
verabreicht, ohne eine Silbe zu äußern. Waren wir aber allein, jo 
brach fein rechtichaffner Unmut durch, und ein tief entrüftetes: 
„Sell iſch ja ein Flauſenmacher!“ zeigte die Hochachtung, die er vor 
dem Schwäßer beſaß. „Sell iſch ja ein Plauderer, ein ganz ein 
echter!" war das vernichtende Urteil meines Hans. 

Da mir weder unfre öde Wohnung noch unfre geringmwertige, 
fabe Beköſtigung die tägliche Einbuße eines Goldfuchſes wert ſchien 
und der Aufenthalt fich in Erwartung der Antwort des Governors 
von Tag zu Tag verlängerte, fpazierte ich an einem ſchönen Abend, 
an dem ich durch einen verdächtig freundlichen Blick unfrer Wirtin 
beglüdtt worden war, nach Woodlands Hotel, um mid) dort endlich ein- 
mal von der angeblichen Ueberfüllung und Teurung zu überzeugen. Das 
ganze Gebaren der Dame ſchien mir nämlich, gar nicht recht damit 
im Emflang ftehen zu. wollen, daß fie, wie der Naturalift mir ver: 
traut hatte, eine Generalswitwe war. 

In Woodlands Hotel fand ich Platz in Hülle und Fülle, be— 
hagliche Zimmer, gewählte, gute Gejellichaft, vortreffliche Küche und 
einen köſtlich Fühlen, verftändnisinnig gefüllten Keller, in Indien 
begreiflicherweife eine jeltne Wohlthat. Zu meiner Ueberraſchung 
verlangte man bier nur zwei Drittel von der an die Generals: 
witwe gezahlten Summe für vollen „board“; fo-nenmt der Ci 

nur der der Deutſche mit „Benfion” ber 





— 46 — 


Ich belegte ſchleunigſt für die nächſten Tage ein paar gemütliche 
Zimmer. Auf dem Wege nach Haufe traf ich den Uhrmacher, der 
laut aufjubelte, als er hörte, welchen Umzug ich vorhätte; den Grund 
wollte er mir nicht recht eingeftehn, um feine Klaticherei anzuzetteln, 
doch erfuhr ich von andrer Seite, Daß meine Wirtin eine Sergeanten- 
frau fei, deren „Männer“ verfchollen oder verftorben feien. In 
Indien ſichern fich nämlich die Soldatenfrauen von vornherein einen 
ober mehrere Kameraden ihres Gatten als feſt verpflichtete „Erſatz- 
männer" für den nicht feltnen Fall, daß dem eigentlichen Che 
geſpons etwas zuftößt; anders als „two or three deep“, das heißt 
„zwei oder drei tief" verheiratet, beiteigt eine ſolche vorforgliche 
Soldatenfrau nicht das Kafernenfchiff, das Albions rotrödige Mus- 
fetiere nach dem männermordenden Indien befördert. Diefe wackre 
Frau war nun unſrem ungarifchberlinifchen Landsmanne Geld 
ſchuldig; konnte es da wohl für diefen eine rettendere Gelegenheit 
al3 mein Erfcheinen geben, um fein Guthaben „ohne alle Apparate“ 
durch die Hand feiner Schuldnerin aus meinem Beutel in den feinigen 
zaubern zu lajjen? 

Man muß freilich der Vorſehung dankbar fein, wenn man 
Welt und Menjchen recht gründlich fennen lernt und von feinen 
Illuſionen und Idealen fuccefive kuriert wird — id) weiß wirklich nicht, 
ob ich dasfelbe ſage, wenn ich hierfür fehriebe: wenn man von feinen 
Einbildungen und edlen Anfchauungen nach und nach geheilt wird 
— aber angenehm ijt es wahrhaftig nicht, auf dem ganzen Erdenballe 
gewöhnlich zumächft diejenigen Europäer kennen zu lernen, die eine 
geradezu unheimliche Fertigkeit bejigen, uns die Haut in Geftalt unfrer 
Banknotentaſche über die Ohren zu ziehn. 

Ich bemerfte bald, daß der Tiroler mit feinem gefunden Blick 
durchaus recht gehabt hatte, wenn er mir täglih warnend 
zurief: 

„Schau nur, daß du von ‚ihm‘ geſchwind loskommſt; das ift 
ein Gefährlicher, ein ganz ein Echter!" 


— 4 — 


Daß Feindfeligkeiten eines jo geriebnen Menfchen feine Kleinig- 
feit fein würden, zumal unter den obmwaltenden Verhältniffen, mußte 
ich mir aber doch auch jagen; deshalb bemühte ich mich, e8 wenig. 
ſtens nicht zu einem Streit oder Bruch kommen zu laffen. Meine 
Ueberfiedlung in das Hotel Woodland war jedoch ein zu offenkundiger 
Beweis, daß ich den Gut- 
edel — den wir Herrn 
Seife nennen wollen — 
bereits durchfchaut hatte; 
bald ſollte ich die Folgen 
davon fpüren! 

Erſt viele Monate fpäter 
erfuhr ih, daß grade 
Freund Seife fi) bemüht 
Hatte, der thatſächlich aus 
der Kalkuttaer Zeitung bis 
nach Dardſchiling geflatter- 
ten Ente von den beiden 
„eufjiichen Grenzſpionen“ 
neue Nahrung zu geben; 
daher trat und an allen 
Eden die tieffinnige Frage 
entgegen, wie ich über Ruß- 
land dächte. Jedes Geſpräch, Mein Briefträger in Dardfiiling. 
das ich mit irgend einem 
Engländer anfing, und wenn es auc, die Fabrikation von roter 
Tinte betroffen hätte, wurde von diefem unfehlbar fofort auf Ruß: 
fand gelenkt. Ich bildete mich deshalb allmählich zu einem taub- 
ſtummen Mitglied der Tafelrunde aus und ließ die Gäfte zifcheln, 
foviel fie wollten. 

Endlich brachte mir der Briefträger den erjehnten Beſcheid des 

Sieutenant-Governor. Ich hättedem Postboten vor freudigem Ungeſtüm, 








— 8 — 


den Brief an mich zu nehmen, beinah auf den Fuß getreten. 
Dies wäre dem martialifch dreinjchauenden Beamten ficherlich etwas 
ſchmerzlich geweſen, denn er zog beim Eintreten in mein Zimmer 
jedesmal höflichft die Schuhe aus, ftellte fie ganz behutſam vor die 
Thüre und fam dann barfuß drei Schritt in die Stube; zugleich 
fuhr feine Hand als Salamgruß über Stirn, Augen und Magen, 
ehe er die Briefichaften austramte. Den zu bedeutender Höhe empor: 
gewidelten Turban behielt er aber dabei auf dem Kopfe, denn es gilt 
bei den Indiern als eine arge Beleidigung, diefe Kopfbedeckung vor 
einem Mitbürger abzunehmen. Ich ſtutzte beinah, als der erite 
Geldbriefträger, der mir nad) der Heimkehr das Vergnügen machte, 
mein Zimmer zu betreten, nicht feine unfaubren Stiefel auszog, 
dafür aber die Müße in die Hand nahm. 

Der Beicheid des Lieutenant-Governor war ſehr freundlich, 
betonte aber, daß wegen der gegenwärtigen politifchen Verhältnifie 
mein Reifeplan zunächſt von Mifter White, dem Political Agent in 
Sikhim, begutachtet werden müſſe, der zurzeit „wahrſcheinlich“ in 
Tumlong fei; von dort aber konnte ich faum eher als in zehn Tagen 
Antwort erhalten. „Auch dieſes!“ feufzte ich umd verfuchte, die 
Zwifchenzeit zu einigen Studien in der Bhotijafprache zu benußen. 

Der liebe Seife hatte mir aber noch einen andren Liebesdienjt 
erwiefen. Er hatte auf dem Bazar ausgejtreut, ich fei ein ganz 
fabelhaft reicher Sahib, der gar nicht wüßte, wo er mit all jeinem 
Gelde hinfolle. Wollte ich nun irgend etwas kaufen oder einen 
befonder8 bemerkenswerten Eingebornen photographieren, jo wurden 
mir fo lächerlich hohe Forderungen geftellt, daß ich darauf verzichten 
mußte. Dies war wirklich fehmerzlich für mich, denn der Bazar 
von Dardſchiling ift für den Freund der Völkerkunde eine ganz un- 
vergleichliche Fundgrube merfwürdiger Geitalten. 

In andren Teilen Ajiens, zum Beifpiel in Perfien, haben die 
Bazarhändler ihre Verkaufspläge meiſtens in jchönen, geräumigen 
Hallen oder an endloſen übermwölbten Gängen, jo daß der Europäer 


— 9 — 


von dem Getümmel der Menfchen, von dem Reichtum der Waren 
und von der Pracht der Gebäude ganz geblendet ift. Bon alledem ift 
nichts in Dardichiling zu fehn, denn man darf nicht vergefien, daß erſt 
im Jahr 1850 angefangen wurde, dies Dardſchiling aus einem wüſten 
Dorfe zu einer wundervollen Sommerfrifche zu machen; ganz genau 
tibetifch geſchrieben 
lautet der Name übri- 
gend nad Profefjor 
Grünwedel: r Dor- 
jehi gling, was eine 
genaue Ueberſetzung 
vom altindifchen Va- 
jradvipa ift. 

Raub und roh wie 
die Eingebornen dieſer 
wilden Berge und 
Wälder ift auch ihr 
Markt, der alljonn- 
täglich in Dardſchi⸗ 
ling abgehalten wird, 
doch Habe ich dort 
nur ſehr felten eine 
englifche Dame bei 

den Marktfeuten Die unter incn Regerfäub aus Weichen Te. 
ihre Einkäufe machen 
fehn; es fchien mir zu den ehelichen Pflichten ihres Gatten zu 
gehören, mit den Bergbewohnern, die man ganz im allgemeinen 
dort Bhotijas nennt, um die Küchenkräuter, um Butter und Eier 
herumgufeilfchen. Wenn fich eine Lady überhaupt auf dem Markte 
jehen läßt, jo fißt fie auf einem Pony oder in ihrem hohen Trag- 
ftuhl und bezeichnet von dort aus ihrem Gemahl, was er ein- 


taufen fol. 
Bed, Indiſche Bletfgerfahrten, 4 


— 50 — 


ktplatz ftrömen von nah und fern die abenteuer- 
ammen; mehrere Tagereifen weit fommen fie 
agtorb am Stirnband auf bejchwerlichen Berg- 
md ſogar aus Nepal und Butan hierher, um 
ıen Erzeugniffe zu verkaufen, wäre es aud nur 
fer oder ein magres Huhn. Ja, einmal jah 
der nicht? als mohlgezählte fünf Heine Zwiebel- 
Allerding3 fümmerten fie fih, wie man auf 
dem Bilde fieht, Herzlich wenig um ihr 
Geſchäft, fondern zogen e8 vor, plaubernd 
auf dem Bäuchlein zu liegen, mit den 
Füßen in der Luft herumzufahren oder 
fich in ähnlicher Weife zu vergnügen. 
Selbitverjtändlich bildeten auch auf dem 
Markt von Dardſchiling die in Indien 
allgemein beliebten grünen, aus dem ſcharf 
und beißend fchmedenden Blatt des Betel- 
pfeffers gemictelten Dütchen einen wichtigen 
» Handelsgegenftand. Gar nicht weit von 
Woodlands Hotel hockte tagtäglich eine 
Frau, deren wenig ſchönes Geficht glück— 
felig lächelte, wenn fie abends ihr 
a3 heißt ihren Vorrat, der nie mehr als 
tchen betrug, an den Mann oder auch an 
hatte, denn beide Gejchlechter jaugen und 
ter mit gleicher Vorliebe. Um diefe unent- 
e ſtets ungerdrüct mit fich führen zu können, 
ier in eine Kapſel aus dünnem Meffing- 
eine geräumige Zigarrentajche ausfieht. Doch 
fein thut's nicht. Vor dem Genuß wird die 
mit gelöfchtem Kalk getaucht, die der Indier 
ſtets bei ſich trägt. Warum aud nicht? 


Iter. 


10-00 9 -BunNpspuwg] ur aeteg wap jne aayneyaapgaaz 


Sie, Google 


— 





— 51 — 


Tauchen wir doch auch eine gepfefferte warme Wurſt, die ja nach 
einem berühmten geflügelten Wort am beſten „aus freier Fauft“ 
ſchmeckt, zur Erhöhung diefes Wohlgefhmads noch in eine Büchje 
mit Senf! Die Händler machen ihre Vetelblätter aber noch durch 
andre Zuthaten als durch diefe Kalkbeize verlockend. Einige, wie 
die vorhin erwähnte Bhotijafrau, ftopfen die Blattdüten mit anfehn- 
lien Stücken des öligen Kerns einer Kokosnuß voll, andre haden 


Nevater, der Düthen aus Betelblättern verfauft, 
und eine Bholifa-frau mit dem Zragforb am Etirnband. 


lieber feine Scheiben der Arefapalmnuß hinein und preifen ihren 
Kunden diefe Füllung als Duintefjenz des Wohlgeihmads an. Die 
Feinſchmecker unter den Betelfauern fuchten jedoch auf dem Markt 
in Dardichiling mit befondrer Vorliebe einen langhaarigen Händler 
aus Nepal auf, defjen Blätter ungefähr den Ruf hatten, der einer 
gewiffen Weinforte meiner fchlefifhen Heimat nachgefagt wird: 
die Bhotijas behaupteten nämlich, fie wären fo ſcharf, daß beim Ge- 
muß derfelben jogar das unfcheinbare, namenloje Geziefer in bie 
Weite flöhe, das dieſe unfaubren Leute doch ſonſt jo anhänglich begleitet. 


Es machte mir ftet3 
viel Vergnügen, dem Ab- 
wiegen ber Waren zuzu⸗ 
fchauen, und befonders 
eine Hänbdlerin mit Hirfe 
war ein rührendes Mufter 
von Gutmütigfeit, denn 
ih ſah ſtets, daß fie 
noch eine ftattliche Zugabe 
drein gab, fobald der 

Bertäuferin von Hirfe, Käufer die geringſte 
Ipre Wage Hegt unter ihr, Die Galdlette beficht aus Nüngen. Miene ber Unzufrieden⸗ 
heit aufſetzte. 

Die appetitlichſte Ware ſchienen mir die Gewürzhändlerinnen 
feil zu halten. Die ſcharlachroten Pfefferſchötchen, die gelben 
Altheewürzelchen, die zierlichen Schilizwiebelchen und Nußchen, das 
Kurkuma und alle die andren Zuthaten, die der Körribrühe ihren 
wechſelnden Geſchmack geben müſſen, um das ewige Einerlei der 
täglichen Reisſchüſſel erträglich zu machen, ſahen ganz allerliebſt 
aus, wenn ſie auf einem bunten Tuche neben den Füßen der auf 
der Erde kauernden Verkäuferin lagen. An einigen dieſer Händ- 
Ierinnen ſah ich zugleich wahre Wunder von Schmucjachen prangen. 
In den Ohren der einen hingen zum Beifpiel tellergroße, dünne Gold— 
ſcheiben. Auf dem linken Nafenflügel ſteckte eine Roſette, in deren 
Mitte eine Perle fehimmerte, und an diefem Nafenflügel hing außerdem 
noch ein dünner Goldreif von mehr al3 10 cm Durchmeffer, während 
in einem Heinen Ringe an der Nafenfpige ein breites Golbplättchen 
mit zitternden Troddeln aus gerolltem Golddraht und Perlen fchaufelte. 
Um den Hal trug fie außer mehreren Ketten aus Xernftein- 
fugeln und Korallen einen filbernen Faßreifen von dem doppelten 
Durchmeffer des Kopfes und ein ebenfo ſchwerfälliges Schmudftüd in 
Form einer Halskrauſe aus gerippten, dick vergoldeten Silberfcheiben 


— 58 — 


und Korallenplatten. Als ich aber dieſen goldklirrenden Rothſchild 
unter den Marktfrauen photographieren wollte, ſchob ſich ein Mann 


Händlerin mit Gewürzen. Ihr Raſenting IR aus Gold; 
Ter Hinter ihr fiehende Mann aus Repal trägt ein Kutri-Meffer im Gürtel, 


durch die Jungen und fonftigen läftigen Zufchauer, die ſich mie gemöhn- 
lich al3 ungebetne Gäfte vor meinen Apparat drängten; er gab mir zu 
verftehn, daß er der Gatte diefer lebenden Schagfammer und feines- 
wegs geneigt fei, mir zu erlauben, daß ich das Konterfei feiner 





— 54 — 


teuren Gemahlin fo ohne weitres davontrüge. ch ließ dem Manne 
durch einen de3 Englifchen fundigen Goldfchmied, der nicht weit 
davon feinen Stand hatte, fagen, daß id) nicht abgeneigt fei, auch 
feine ehrwürdige Geftalt auf das Bild zu bringen, aber, wie er 
wohl gemerkt haben würde, fei dies ein Vorzug, den ich nur ganz 
beſonders bedeutenden Leuten angebeihen ließe, und er möge fich bei 
feiner unfchäßbaren Gemahlin für diefen Vorzug bedanken. 





Nepaliſches KAufrir-Mejjer. Die Holjiceide if mit Rerbholifänigerei verziert. 
Durch dad untre Mefier wird eine Rupie-Münge gerfeiniuten, 


Halb gejchmeichelt, Halb mißtrauifch, folgte der handfefte Mann, 
der zum Stamme der Limbus gehörte, feinem Ehrgeiz und ftellte ſich, 
auf feinen Stecken geftüst, hinter feiner Ehehälfte auf; recht trogig 
ſchaute ihm dabei fein gekrümmtes Meffer, das Kufri, aus dem Gürtel. 
Dies Kukri ift nämlich ein gradezu unentbehrliches Gerät für die 
Bergbewohner. Wird ein Bhotija im Walde von der Nacht über- 
raſcht, fo fchlägt er ſich damit hurtig ein paar Aeſte ab, um fein 
Lagerfeuer zu fpeifen ober daraus einen Regenſchutz zu bauen; merft er, 
daß feine Fingernägel Krallen geworden find, fo ift dieſes Mefjer 





— 5 — 


aus faltgejchmiedetem Stahl ſtets ſcharf genug, um fie zu kürzen, 
doch iſt e8 durch feine gefrümmte Form aud) hinreichend wuchtig, um 
im Handgemenge gegen einen anftürmenden Feind oder beim Begegnen 
eines reißenden Tieres zur furchtbaren Waffe zu werden. Steigt 
er im Gebirge über Glatteis und Schnee, fo kratzt er ſich Stufen 
mit feinem geliebten Kukri, um mit den glatten Sohlen feiner Berg- 
ſchuhe vorwärts kommen zu können, und fteht er mit feiner Aus— 
. erwählten vor dem Teufelsbanner, der zum Beifpiel bei den Limbus 
die Trauung vollzieht, fo reißt diefer zum Schluß der Feier dem 
Heiratsfandibdaten das Kukri aus der Scheide, die aus Leder und 
ebeljteinbejegtem Silber oder auch aus Holz mit Kerbſchnitzereien 
befteht, und fehlägt damit einem Hahn, den der Bräutigam, und 
einer Henne, die die Braut während feiner Beſchwörungen in den 
Armen hält, die Köpfe ab, wodurch das Kukri zum Glüdsbringer 
geweiht it. Das aus den Hälfen der geköpften Vögel quellende 
Blut fängt der Seelforger in etwas gefochtem Reis auf, der in 
einem grünen Bananenbfatt liegt, und aus den fich im Reis zeigenden 
Figuren prophezeit er dem abergläubifchen Pärchen fein zufünftiges 
Familienglück, wie er auch ſchon vorher auß dem Studium der 
Sterne vorhergefagt hatte, ob fie einander überhaupt heiraten dürfen 
ober nicht. Der unfehlbare Mann tüftelt e8 nämlich ganz genau 
heraus, in was für Tierförpern die Seelen der beiden Heiratsluſtigen 
in ihrem früheren Dafein geftectt haben, denn mehr oder weniger 
verworrene Vorftellungen von dem Wandern der Seele herrfchen ja 
bei den meiften indifchen Stämmen. Nun ift es doc ganz Hlar, daß 
die Ausfichten recht wenig erbaulich find, wenn der Wahrjager 
behauptet, daß der „Er“ einſtmals ein Tiger oder fonjtiger blut» 
dirjtiger Wüterich und die „Sie" ein Lämmlein oder Täubchen 
geweſen fei; dagegen wird der Fuge Mann wohl nicht die Hoffnung 
auf einen fröhlichen Eheftand aufgeben, wenn fich beide Teile ſchon 
einmal al3 verträglichere Tierchen, etwa „Sie" als Kaninchen und 
„Er“ als Ziegenbod, auf der Erde herumgetummelt haben. 





Eine ganz ungewöhnlich jchneidige Anwendung des Kukrimeſſers 
fah ich aber eines Tages auf dem Markte, al ein Bhotija eine 
halbe Rupie zu bezahlen hatte und nur eine ganze beſaß: ohne viel 
Umftände fchnitt er die Münze mit dem Kufri mitten entzwei und 


Milgpändler. 
Die Milögefäße beRchn aus Bambusrofr. 


bezahlte mit einer Hälfte. Ich möchte wohl das Geficht eines Wiener 
Zahlkellners fehn, dem von einem Silbergulden, der an Wert einer 
indischen Aupie entfpricht, auf diefe Weife das Trinkgeld zugeſchnitzelt 
würde! 

Im allgemeinen haufen auf den indiſchen Bazaren die Händler 
mit gleichen Waren, die Handmwerker und Gemerbetreibenden nad) 
ihren Zünften gejondert, dicht bei einander: in diefer Gaffe fauern 





— 57 — 


alle Schneider, in jener hämmern alle Schmiede. Kommt ein Ein- 
kauf in einem Laden nicht zu ftande und geht der Kunde in das Nachbar⸗ 
geihäft, fo folgt gewöhnlich der Verkäufer aus feiner Bude 
in die feines Nachbars, um neidlos zuzuhören, ob und unter welchen 
Bedingungen hier der Verkauf abgefchloffen wird, ohne daß er 
zu befürchten braucht, Hinausfomplimentiert zu werden. 

In Dardſchiling aber fand ich auf dem Bazar ziemlich bunte 
Neihe. Hier ſaß der Milhhändler vor feinen Bambusrohren voll 
Milh und dort, dicht daneben, ein Geldwechsler, der die kaum 
erfennbaren Präs 
gungen der ver: 
ſchiedenſten indi⸗ 
ſchen, tibetiſchen, 
butaniſchen, nepa⸗ 
liſchen Münzen 
nicht erſt lange 
unterſuchte, ſon⸗ 
dern einfach das 
gleiche Gewicht von Barbiere, die den Kunden den Ropf tafieren, 

Münzen der Ru— 

pienwãhrung in derfelben Metallforte unter Abzug eines Kleinen Nutzens 
abmog. Ebenfo jah ich ihn beim Verkaufe feiner Schmuckwaren ver⸗ 
fahren: auf die linke Schale feiner Wage legte er ein dickes filbernes 
Armband, auf die rechte Rupie nach) Rupie, bis das Bünglein in 
der Mitte ftand; dann berechnete er für jede Rupie den achten 
Teil, das heißt zwei Anna, als Arbeitslohn. Ob er bei feinen 
zierlichen, aber äußert leichten Filigranarbeiten ebenfo genügſam 
berechnete, hatte ich leider nicht Gelegenheit zu beobachten. 

In einer recht ungeeigneten Nachbarfchaft fand ich bei einem 
meiner Bazarbefuche einen Kuchenhändler. Der gute Mann hatte 
ſich mit feinem Bambuskorb voll Mebriger Schätze dicht neben den 
Platz gefauert, auf dem die eingebornen Barbiere und Haarfchneider 

4* 


— 58 — 


hockten. Wenn er auch darauf rechnete, daß mancher, ehe er ſein 

Haupt unter das Meſſer des Haarkuünſtlers neigte, ſich fein gebeugtes 

Daſein während dieſer beſchwerlichen Sitzung duch den Genuß 

einigen Zuckergebäcks verfüßen würde, jo hatte er doch nicht daran 

gedacht, daß, wo gehobelt wird, auch Späne fliegen. Jeder Wind- 

ftoßtriebeinen Sprüh- 

regen abgejchnittner 

Haare auf feine mit 

Honig glafierten Ku— 

hen und zierlichen 

Stengelchen und knu⸗ 

fprigen Bregeln, ſo daß 

fie ſchließlich alle wie 

mit jchäbig gemord- 

nem Pelzwerk über- 

zogen ausfahen. Zum 

Glück entjeßten ſich 

ſeine Kunden nicht 

im mindeſten vor 

dieſen haarigen Ver- 

zierungen, wahrſchein⸗ 

lich in der gerechten 

Erwãgung, daß das 

Blinder Bettler mit führendem Knaben. Haar doch der ſchönſte 

Schmuck des Menfchen 

iſt, ſolange er keinen andren beſitzt. Auch dem Tiroler ſchien 

manches, was mir hier und ſpäter als unſaubre oder abſtoßende 

Eigentümlichkeit der Bergbewohner unangenehm auffiel, fo jelbftver- 

ſtändlich und entſchuldbar, daß er ſeiner Verwundrung, wie ich 

mich vor ſo natürlichen Dingen ekeln könne, den klaſſiſchen Aus— 
druck gab: 

„Du biſcht noch viel zu ekelhaft für dieſes Gebirge!“ 





— 59 — 


Diefen Vorwurf mußte ich zum Beifpiel einmal hören, al3 ic) den 
guten Hans mit meiner Zahnbürfte in der Hand antraf; er konnte 
gar nicht begreifen, wie ich dies mißbilligen könne, da er ja nur 
feine Zähne und nicht meine Stiefel damit gepußt habe. 

Daß ich auf dem Markte ftetS von einem jo außerordentlich 
großen Schwarm von Menfchen umgeben war, die gern auf andrer 
Leute Koften leben, war mir im Anfang ganz unbegreiflich; ich 
mußte ja noch nicht, daß der holde Seife mich zum Nabob geftempelt 
hatte. Sobald ich mich blicken ließ, kamen alle Krüppel, die auf 
dem Markte herumkrochen, eiligft zu mir herangehumpelt und hefteten 
fih an meine Sohlen; ein Knabe leitete den von ihm geführten 
blinden Mann vor meine Augen, Volksſänger ftimmten ihre gellendften 
Töne an, und der Guckkaſtenmann, der ſchmierige Bapierphotographien 
augftellte, die wohl irgend ein Europäer, 
wie ich hoffe, in aufmwallendem Anſtands⸗ 
gefühl fortgeworfen haben mochte, glaubte 
mid) ganz beſonders durch die Verfihrung 
anloden zu können, daß er die ſchönſten 
„Ruffinnen“ in feinem Zauberfaften babe. 

Noch viel jchlimmer wurde es aber für 
mein Trommelfell, al3 eine® Tages ein 
noch dazu aus Europa, aus Stalien, 
ftammender Mufifant auf dem Marktplatz 
hinter mir herlief, der mit den Ell- 
bogen Paufe und Beden und mit den 
Händen den Triangel ſchlug, auf dem 
Kopf einen Schellenbaum und an ben 
Fußknöcheln Tamburin und Gaftagnetten 
trug, die Melodie dieſes Höllenſpektakels 
aber auf einer Trompete blies, die er 
vor den Mund gebunden hatte. Wenn es 
ja auch ganz nützlich fein mag, den BBB 


— 60 — 


ſtaunenden Indiern zu zeigen, welche Vervollkommnung ihre Muſik 
noch in Zukunft durch den Genius des weißen Mannes erfahren 
kann, ſo mag ſich doch das Herz manches noch aus der guten alten 
Zeit ſtammenden Anglo-Indiers vor Wut zuſammenkrümmen, wenn 
er ſieht, in wie unwürdiger Weiſe hier ein Vertreter der weißen 
Raſſe in zerfetzten Lumpen vor den unſaubren Bhotijas oder auf 
den ſonnigen Straßen Kalkuttas vor den feiſten Bengalen um 
Gnadenpfennige bettelt. Vielleicht erinnerte ſich dieſer italieniſche 
Künftler an das klaſſiſche „non olet“ feines kaiſerlichen Landsmannes 
Veſpaſian, wenn er ohne Gewiſſensbiſſe eine Scheidemünze nach der 
andren in die Tafche unter 
feinem neapolitanifchen Du- 
delſack ſteckte, in den er von 
Zeit zu Zeit mit der Nafe 
Luft einblies. Während mir 
diefer Virtuofe von rechts 
in die Ohren quiefte und 
paulte, liefan meiner andren 
Seite ein indifcher Kollege 
dieſes Künftlers, der auf der 
einen Saite, die feine elende 
Fiedel nur hatte, ein widermärtiges Geklimper vollführte, Als feine 
Töne ben erhofften Goldregen aus mir nicht herauslocken konnten, bes 
nußte er fein Inftrument als Spazierftod und ftapfte erboft davon. 

Diefe Nabobftemplung war wirklich der infamfte Streich, den 
mir der füße Seife fpielen fonnte; o, er fannte die Schliche, durch 
die man jemand wegärgern kann! Denn daß ich heimliche Kon— 
furrenzabfichten haben mußte, daß ic) nur desmegen in das hohe 
Gebirge wolle, um von dort Käfer und mertvollere Naturalien 
oder jeltnere Dinge zu holen, als er fie befäße, das war für ihn 
wohl feine Frage. 

Kam ic) von irgend einem Ausgang nad Haufe zurüd, fo 


Bettlerin, 





- 61 — 


umlagerte gewöhnlich eine unabjehbare Bettlerſchar die Hotelthür; 
auf ihrer einen Seite fauerte ftet3 ein ausfäßiges altes Weib, in 
eine wahrjcheinlich aus dem Kehricht hervorgegabelte, einft wunder: 
ihöne Tiſchdecke gehült, an der andren jaß gewöhnlich ein ftrammes, 
aber jedenfalls ſehr faules, junges Weib3bild mit ihrem dickköpfigen 
Kinde, das fie quer über ihre 
Kniee zu legen pflegte. 
Inzwiſchen meldeten ſich 
allerlei unheimliche Geſtalten, 
die angaben, von Herrn Seife 
geſchickt zu ſein, um mir als 
Träger zu dienen. So wenig 
diefe ſchwächlichen, ausgemer- 
gelten Gejtalten auch meinen 
Wunſchen entfprachen, fchrieb 
ich mir doch ihre Adreſſen auf, 
um fie beim Eintreffen der 
Reife-Erlaubnis des Political 
Agent fogleich bei der Hand 
zu haben, dann aber auch, um 
Erfundigungen über dieſe Leute 
einzuziehen. Und fiehe! Cs 
waren Leute, die der Schlau: Zunge BHotija-Mutter. 
berger Seife beauftragt hatte, Srenhpep gete 
auf meiner Reiſe allerlei Natu⸗ 
talien, die nur in dem hohen Gebirge vorkamen, heimlich für ihn 
einzuſammeln, da fie für ihn bislang unerreichbar geblieben waren. 
Es war wirklich wie verhert; alles ſchmeckte fozufagen nad) 
diefem fatalen Seife, und unglüclicherweie hatte niemand am Orte jo 
viel Verkehr mit den Eingebornen mie grade er. Einige engliſche 
Beamte bezeichneten mir ihn fpäter, als ich mich von dem Auffen- 
verdacht gereinigt hatte, al3 den „böfen Geiſt“ von Dardichiling. 


— 82 — 


Im Hotel Woodland war es auch bald nicht mehr auszuhalten, 
denn feit man uns für Ruſſen hielt, wurden Behandlung und Ver— 
pflegung immer fehlechter. Mit wahrer Sehnfucht wartete ich auf 
die Antwort von Mr. White, erhielt aber den nieberjchmetternden 
Beſcheid, daß diefer auf einer Reife durch fein Gebiet fei, aber in 
etwa brei bis vier Wochen in Dardichiling einzutreffen gedächte und 
dann meine Angelegenheit mit mir befprechen wolle. Das Hatte 
grade noch gefehlt! Hätte ich nicht ſchon größere Widerwärtigfeiten 
bezwungen gehabt, würde ich ficherlich meine fieben Sachen gepackt 
und auf den ganzen Himalaja verzichtet haben. 

Je mehr der Mai verrann, um fo Iebhafter wurde die Saifon 
in Dardſchiling. Das Hotel war jet wirkfich täglich überfüllt, und 
der Aufenthalt wurde für uns nachgrade jhauderhaft. Der Tiroler 
war ja allerdings inmitten biefer vornehmen Gefellihaft eine fo 
ungewöhnliche Erſcheinung, daß nicht einmal die ruffiiche Legende 
nötig geweſen wäre, um ihn in für mic) unliebfamer Weije zum 
Mittelpunkt des Intereſſes der Ladies und Gentlemen zu machen. 

Da erinnerte ich mi, an der Hauptftraße, die zum Bazar 
hinunterführte, einen leerftehenden Laden gejehen zu haben. Einzelne 
möblierte Zimmer waren in dem Ort nicht zu haben, und für das 
Aufftelen unſres Zeltes wollte niemand im Orte ein Fleckchen Garten- 
Iand hergeben. Ich entjchloß mich kurz, dies einſtöckige, mit Wellblech ge- 
deckte Häuschen zu mieten, bis Mr. White eintreffen würde. Der Be- 
fier dieſes Haufes verlangte natürlich die volle Vierteljahrsmiete und, 
um nur von den Bafilisfenaugen der ruffenfpürerifchen Hoteltafelrunde 
loszukommen, zahlte ich die zweihundert Rupien Miete, in der Hoff: 
nung, das Gewölbe beim Ausziehn anderweitig vermieten zu können. 

Die zwölf Kulis, die meine Sachen von der Soldatenwitwe 
ins Hotel gebracht hatten, mußten wohl diefen Wendepunkt geahnt 
haben, denn Tag für Tag hatten fie mit dem Bettlergefindel an 
der Hotelthür gelauert, um unermüdlich ihre Dienfte anzubieten. Nun 
war endlich der große Augenblic erfchienen, wo fie mein rätfelhaftes Ge⸗ 


Ei DEE u 


68 — 


päc wieder aufladen und in nicht grade ſehr glanzvollem aber fröhlichen 
Zug aus dem feinen Hotel in den leeren Laden fchleppen konnten, in 
dem früher Blechwaren verkauft wurden. Blech! Mir wird noch jegt kalt 
und warm, wenn ich dieſes Wort höre; man wird bald merken, weshalb. 

Die Kuliweiber und -kinder legten meine wohl gezählten zwölf 
Gepäckſtücke — mit meinem Regenſchirm waren es dreizehn — auf 
den Boden des riefigen Gemachs, denn einen andren Raum gab es 
nicht in dem Häuschen; dann entfernten fich die unfaubren Geifter. 
Dod nein, fie gingen nur die drei Stufen vor meiner Glasthür 
hinunter, die ich hinter ihnen verfchloß; dann ftiegen fie wieder auf 
die Stufen und gloßten mit offnen Mäulern in den öden Raum, 
in dem ich) nun mit dem Tiroler auf unfrem Gepäd ſaß. 

Nach der Straße beitand die Hauswand aus der Glasthür und 
zahlreichen Heinen Glasfenftern, die von dem Wellblechdach bis auf 
den Boden reichten; die andren Seiten waren Holzwände. In der 
nördlichen war eine Thür, die auf einen hölzernen Balkon führte, 
über den da3 Dach wegragte, und von diefem Ballon hatte man eine 
herrliche, freie Ausficht über den zu Füßen liegenden Marktplatz 
auf das Hofpital; auch die fernen Schneefelder der Sikhimalpen 
hätte ich von hier in Muße bewundern können, wenn fie nicht feit dem 
Tag unfrer Ankunft von dicken Wolken verhüllt geweſen wären, An dem 
Balkonende befand fich ein Heines Nebengelaß, das einen befondren Zu- 
gang von der Straße her für den Auskehrer, den „sweeper“, bejaß. 

Man denke fih nun gütigft, daß in irgend einem deutfchen 
Krähwinkel zwei Zulufaffern angereift kämen und ſich in einem leeren 
Laden mit großen Schaufenftern niederließen! Wie würde e8 bald 
vor diefen Fenftern ausjehen? Ungefähr fo wie vor meiner Billa! 

Ich vergeffe in meinem Leben nicht den Anblick, der mir wurde, 
al3 ih, nad) unfrem Einzuge mit dem Oeffnen unfrer Kiften und 
Koffer bejchäftigt, aufblieten mußte, weil ich eine zunehmende Ver— 
finfterung bemerkte: eine wahre Mauer von mongolifch zugefchnittnen 
Gefichtern ftand Kopf an Kopf draußen vor der Glaswand, und mit 


— 64 — 


höchſtgeſpannter Neugier ſtarrten und ſtierten nun all dieſe geſchlitzten 
Augen auf uns und unſer weitres Thun in dieſen unſren neuen 
vier Wänden! Ich verhing den Wißbegierigen zunächſt den Einblick 
in unſre Verhältnifje mit ein paar Laken, dann braute ich einen 
duftenden Thee und weihte unfre Feldküche durch ein großartig aus⸗ 
fallende Gericht Glogaugen, auch Spiegeleier genannt, ein. Bei 
einem englischen Kaufmann, der eine Buchhandlung und zugleich 
einen Verlauf von 
alferlei Eßwaren be= 
trieb, hatte ich etwas 
„Schinken aus York- 
ſhire“ eingehandelt ; 
aus der Not eine Tu- 
gend machend, be- 
nußten wir unfre 
Kiften und Kaſten als 
Tiſch und Stühle und 
ließen’3 ung ſchmecken. 
Das Gemach maß 
etwa zehn mal zehn 
Meter, war alfo ein 
hoffnungslos unge⸗ 
mätliher Raum, Wir 
tollten unfre Kamel- 
haardecken auseinander und ſtreckten uns, darin eingemwidelt, auf 
dem Fußboden aus, um zu fchlafen. 

In den legten Wochen war es ganz unerträglich gewitterſchwül 
geweſen; irgend ein furchtbares Naturereignis fchien in der Luft zu 
liegen, und mein Einfchlafen wurde durch die beklemmende, drückende 
Hitze nicht fonderlich gefördert. Die ganze Tageshitze ſteckte noch in 
dem Wellblehdach und ftrahlte auf uns herunter. 

Während ich noch meine Betrachtungen über die auserlefnen 


Reugierige Gaffer vor meinem Penfer, 


— 65 — 


Genüffe meiner Reiſe anſtellte, ſchien es mir, als ob Sand oder etwas 
Aehnliches ganz leiſe auf daS Dach rieſſe; dann wurde es wieder ganz 
ſtill. Nach einiger Zeit brach dafür ein fchauderhafter Wirbelfturm 
108; man hörte aufs und zujchlagende Fenfter, das Klirren von 
Scherben, das Pfeifen und Heulen des Sturmes. Einige Stunden 
währte diefe angenehme Nachtmufit, dann legte fich auch das Getöfe 
des Windes. Aber ein andre Geräufch blieb beftehn und betäubte faft 
mein Ohr. Es lang grade, als ob einige Taufend Tamboure vor der 
Thüre jtänden und ohne Unterbrechung mit aller Gewalt auf ihren 
Kalbfellen herummirbelten. Nun machen ja Trommeln und Bauten 
eine ganz herrliche Mufit, aber es mollte mir doch nicht recht 
gelingen, die Augen dabei zuzudrüden. Ganz jo wie man in einem 
Gartenkonzert einen Apfel faum anders als nach dem Takte des 
grade gefpielten Walzers zerfauen kann, fehienen auch meine Augen- 
lider daS Trommelgeraffel durch entfprechendes Zwinkern begleiten zu 
mollen. Selbft Hans war durch dies fürchterliche Gedonnre aus feinem 
Schlaf, der beneidenswert feſt zu fein pflegte, aufgefchrectt worden; 
verdutzt fragte er mich, ob und wo e3 brenne. ch jtand auf, ſchlug 
den gegen die Neugier unfrer lieben Mitbürger vor den Fenftern an- 
gebrachten Vorhang zurüc und öffnete eine diefer winzigen Scheiben. 

„Herrgott!“ fehrie ich auf, „das ift ja Regen!" 

„Unglaubmwirdig!" tönte das Echo aus Hanjens Munde. 

Aber es war wirkfich Regen, gar nichts andres als unermeßlicher, 
mütender Regen, der mit wahrhaft höltifcher Gewalt auf unjer Well 
blechdach prafjelte. Es war mir jofort Mar, daß die von allen 
andren Menfchen in Indien inbrünftig herbeigejehnte Regenzeit an- 
gebrochen fei. Ich hatte urfprünglid) darauf gerechnet, beim Eintreten 
diefer Negenzeit bereits hoch im Gebirge, wohl gar ſchon jenſeits 
der Wetterfcheide des Hochgebirgsfammes zu jein, wo mir der Regen 
nicht mehr allzu hinderlich fein konnte, und nun erwifchte mic) die 
Regenzeit noch hier in Dardichiling! 

Die Regenzeit ift befanntlich für ganz Indien von der aller- 

Bord, Indiſche Gletjſcherfahrten. 5 


— 6 — 


n Wichtigkeit, denn ihr Ausbleiben verſchuldet ſchlechte Ernten 
ungerönot. Mit welcher Sorge mujtert der adlerbauende Hindu 
simmel und harrt auf die aus Südweſten erwarteten Haufen- 
1, die Borboten des regenbringenden Sommermonfuns und was für 
ure Summen werden durch Wetten auf das Fallen der erften Regen: 
n im englifchen Klubs in Indien gewonnen und verloren! 
die Gewalt und Maffe der Monjun-Regenmengen fpottet jeder Be— 
ung, aber es befommt wohl nur der Meteorologe eine deutliche 
‚lung von diefer unerhörten Wafferfülle, wenn er lieft, daß 
im öftlichen Himalaja, nicht weniger als 508 cm durchſchnitt⸗ 
ihrliche Regenhöhe aufweiſt, Scherra Pundſchi in den Kafiabergen 
jam fogar 1270 cm, mährend Deutjchlands durchſchnittliche 
he Regenmenge an den regenreichſten Orten höchſtens 60 cm 
t! Die vernichtende, fündflutartige, von Erdbeben begleitete 
überſchwemmung im Jahre 1899 wird in Dardfchiling wohl 
ange in fürchterlihem Andenken bleiben. 
Beder Hans noch ich fonnten ung erinnern, jemals jo entfegliche 
erlebt zu haben, wie fie von num an mit ganz unbebeutenden 
n tagtäglich vom Himmel ftürzten. Vor unfrer Thüre ſchoß das 
x auf der Straße vorüber und verwandelte fie in entjeßlichen 
Hans jah mich mit Blicken an, die mehr ſprachen als Worte. 
53 war flar, daß Freund Seife, den die Neugier ab und zu in 
Obdach führte, diesmal nicht log, wenn er fchadenfroh erklärte, 
n Durchfommen durch die Waldgebirge Sikhims jetzt in der Regen- 
:ausführbar ſei, namentlich, wenn ich dabei Bilder aufnehmen wollte. 
‚Sie müſſen halt da8 Ende der Regenzeit abwarten!" war fein 
Ich fragte ihn, wie lange diefer Südweſtmonſun in Sikhim 
mich anzuhalten pflege. 
‚Das ift hier fehr verfchieden," mar die leider nur zu wahre 
ort, „manchmal is e3 hier wirklich, als ob der Deibel det 
von 'n Rejen wechjefchnitten hätte!" 
Ich erfundigte mich nun bei zuverläfjigen Leuten, konnte jedoch 


te 8...... ——— 


— 67 — 


feinen tröftlicheren Beſcheid bekommen, als daß der Regen nicht vor Mitte 
des Dftobers, manchmal aber erſt im November, völlig nachzulaffen 
pflege. Und jest hatten wir Mai! Es war wirklich zum Verzweifeln. 

Wenn ich bei meinem Plane bleiben wollte, dem ich geduldig 
ſchon fo beträchtliche Opfer an Zeit und Geld gebracht hatte, konnte 
ich gar nichts Beſſres thun, als ganz ruhig in meinem trodnen 
Laden figen zu bleiben, meinen Thee zu trinken und abzuwarten. 
Der Tiroler erbleichte, als ich ihm diefen Entſchluß mitteilte. 

Das einzige Mittel, glücklich über die bevorftehende Wartezeit 
wegzukommen, war Thätigfeit, und diefe hoffte ich in Sprachitudien 
und photographifchen Arbeiten zu finden, für die das aus allen 
Himalajaländern in Dardſchiling zufammenftrömende Völkergemiſch 
reiche Vorbilder zu liefern verſprach. 

Vor allen Dingen richtete ich unfre Wohnung ein wenig gemüt- 
licher ein. Hans war froh, jeine Zimmermannskünſte verwerten zu 
kõnnen; er zerteilte den Rieſenraum durch einige Lattenkreuze, die ich 
mit billigen indifchen Zeugtapeten überzog und dadurch mehrere ftilvolle 
Zimmer herftellte, die ich dann mit einigen zierlichen aber feften 
Bambusmöbeln wohnlich ausjtattete. Die große Glaswand gab 
meinem photographijchen Atelier das nötige Licht. Durch die Thür trat 
man zuerft in einen Heinen Vorraum und von dort grabeaus in die 
Bohnftube und in die beiden Schlafzimmer, rechts in das Atelier, an das 
meine Dunkelkammer ftieß. Statt der Thüren zwifchen den einzelnen 
Räumen blieben die Ecken der Zeugtapeten wie Vorhänge beweglich. 

Sobald das erfte kurze Ausfegen des Tag und Nacht niederpeitfchen- 
den Regens e3 gejtattete, ging ich auf den Marktplatz. Dort zu photo: 
graphieren hatte ich freilich aufgeben müfjen, denn ich habe ja wohl 
ichon berichtet, wie ſchlau mir Monfieur Seife die Bereitmilligfeit 
zum „Sigen“ bei den Eingebornen untergraben hatte. Aber mir 
war in einem pfiffigen Heinen Bhotijajungen ein deus ex machina 
geworden, wie ic) ihn mir gar nicht bejjer wünſchen konnte. Mit 
unmwiberfiehlich ſchlauem Lächeln winfte er mir, jobald er meiner auf 








— 68 — 


Bazar anfichtig wurde, mit den Augen, denn er hatte flink 
zt, worauf e3 mir ankam, und ich fonnte gewiß fein, jedesmal in 
id einem entlegnen Marktwinfel eine feltiame Figur anzutreffen, 
n ich feinem Augenzwintern folgte. Nickte ich ihm dann zu- 
nend mit dem Kopf, jo war darauf zu rechnen, daß der Heine 
elskerl durch Schmeichelei oder Bakſchiſch diefe Perfon in mein 
zhaus lockte, deſſen zahlloſe Fenfterjcheiben ich mit geöltem Seiden- 
er belegt hatte, jo daß ich zwar Licht in Hülle und Fülle behielt, 
Reugierigen aber mit langen Gefichtern abziehen mußten. Diefen 
igen Gehilfen ftellte ich nun ſeſt als Diener, al „boy“ an, und follte 
merken, daß er, fo Elein er war, bedeutende Anlagen zum Gedanken⸗ 
hatte. Ich bin überzeugt, daß ich ohne feine Hilfe unter den ob- 
enden Umftänden niemals in die Lage gelommen wäre, nachzuweiſen, 
ibertrieben bie ungalante Märijt, Die oberflächliche Reiſende über die 
Igängige Häßlichkeit der Bhotijafrauen zu verfünden beliebt haben. 
Wie bei allen Völkern befinden fich natürlich auch unter den 
tijafrauen und Mädchen der niedren, ſchwer arbeitenden Klafjen 
yöne Erfcheinungen, von denen man einzelne ganz gut, ohne 
ı zu fehmeicheln, Drachen und Hexen nennen könnte; ſchon die 
golifche Gefichtsbildung macht eine unfaubre Bhotijafrau mit 
inem Gedankenkreis zu einem Scheufal. 
Aber in den wohlhabenderen Bhotijafamilien, die fich freilich 
von dem erſten beften europäifchen Bergnügungsreifenden hinter 
Gardinen gucken laſſen, giebt es ganz allerliebite, ſchelmiſche 
ıenzimmerchen voll gejunder Kraft und Grazie, mit prächtig 
n, ehrlichen Gefichtern, einzelne fogar von hervorragender Schön- 
und hoheit8vollem Benehmen. 
Mein Heiner boy hatte mir wohl an der Nafenfpige angefehn, 
jern ich einige diefer zurückgezogen Iebenden Schönheiten abgebildet 
und führte wirklich eines Tages eine junge nepalifche Frau der 
ten Klafje in mein Studio. Sie hatte zur Feier des Tages ihr 
9 mitgebracht und wollte nur dieſes „ſitzen“ lafjen, woran mir 





— 69 — 


freilich gar nichts lag. Ich ließ das Kind vielmehr links liegen 
und machte mich daran, die Frau Mama aufzunehmen, die bei jedem 
Schritte wie eine Galeerenſtlavin klirrte. Sie hatte nämlich nicht 


Frau aus Nepal. Die Halstraufe befteht aus Rupie-Müngen, 


nur die allgemein üblichen riefigen Zierate und Ketten und Nafen- 
klunker, um nicht zu jagen Berloques, angelegt, fondern fchien auch 
zeigen zu wollen, daß ihr Barvermögen nicht zu verachten fei. Eine 
die, ſchwere Kette aus Silberrupien — ich zählte hundert folcher 


— 70 — 


— hatte fie ſich um die linke Schulter und rechte Hüfte 
gen, wie fi) unfre meißgeffeideten Jungfrauen wohl eine 
de von Eichenlaub umhängen. Um den Hals hatte fie fich 
flen Halstragen gelegt, den fich der Menſch ausdenfen kann, 
eine Halskrauſe aus an- und übereinandergelegten ebenfolchen 
aunzen. Nur unter der Bedingung, daß ich auch das Heine Würm- 
auf das Bild brächte, erlaubte mir jchließlich dieſes Prachtſtück 
x Schmuckliebe die Aufnahme, die dieje Schilderung erläutert. 
leicht hatte meine freundliche und fcherzende aber durchaus 
wolle Behandlung diefem Weibchen gefallen und ihre Er— 
die Neugier ihrer Freundinnen erregt, ſelbſt zu fehn, wie 
neinem geheimnisvollen Glashäuschen wohl zuginge, denn 
n nächften Tage bemerkte ich zwei auffallend reich geſchmückte 
näbchen in feftlichen Gemändern vor meiner Glasthür wie 
ig auf und ab gehen. Meinem unmiderftehlichen boy gelang 
auch dieſe ſchönen Kinder in mein Atelier zu bitten, und ich 
icht recht, ob ich meinen boy oder mic) für eine neue Auflage 
tenfänger8 von Hameln betrachten follte. Jedenfalls hatte 
des ftrömenden Regens von nun an offenbar Glüc bei dem 
Geſchlecht von Dardſchiling. Mein Photographenherz jubelte, 
diefe augerlefnen Mufter von Bhotijafshönheit fo vertrauens- 
mir figen fah, ohne daß der abfcheuliche Janhagel, der auf 
irkt und den Gaffen jede Aufnahme zu einer Qual machte, 
» dazwifchentreten Tonnten. 

3 Bild diefer Schweitern fpricht eigentlich für fich felbit. 
hre Gefichter auch ein wenig flachgedrüdt und die Aeuglein 
yentümliche Hautfalten gefchligt ausfahen, fo gaben doch die ge- 
aut, das ſchön geordnete Haar, die faubere Kleidung, der reiche 
‚ihr Anftand und ihre Heiterkeit den beiden Mädchen etwas 
minnendes. Und dazu denke man ſich die gefälligen, nicht 
ıen Farben diefer Gemwänder! Indigoblauer Ueberwurf, 
vrote Leibchen, cremefarbiges Untergewand mit langen, 


— 1 — 


jaltigen, mehrfach umgeſchlagnen Aermeln, deren gelbſeidnes Futter 
und die darin ſteckenden Aermel eines Hemdchens aus weißer Seide 
zu ſehen waren und dazu eine Schürze in den tibetiſchen Lieblings- 
jarben Blau, Rot und Grün, in horizontaler Richtung geftreift. 


Bornehime Bhotija-Mädgen. 


Gradezu geblendet aber war ich, als ich die wertvollen Schmud- 
jachen meiner Modelle genauer betrachtete, die ein ganzes Vermögen 
darftellten. Die Armbänder aus Gold mit einem eingelegten eifernen 
Ring konnten als Juwelierarbeit befter Art gelten, denn die 
blauen Steine, mit denen alle diefe koſtbaren Stücke bejegt waren, 
Hatten feine ſchwarzen Riſſe oder fonftigen Fehler wie die Türkifen, 











— 72 — 


die man gewöhnlich im Bhotijaſchmuck ſieht. Und auf was für ge— 


ſchmackvoll geformten und verzierten Käſtchen ſaßen dieſe Steinchen! 
Die obre der beiden anſehnlichen Kapſeln, die die links ſitzende der zwei 
Schweſtern an einer Schnur aus Korallen und Bernſteinketten um 
den Hals trug, beſtand aus reinem Gold, die andre aus Silber. 
Und was enthielten dieſe wundervoll ziſelierten Behälter? Ich ſetzte 
meine zärtlichjte Bettelmiene auf, um einen Blick in das verſchloſſne 
Innre dieſer allerliebften beiden Schachteln thun zu dürfen, denn 
meine mündlichen Bittgefuche fanden fein rechtes Verftändnis; die 
Mädchen Hatten nämlich) vom Englischen nicht die leijefte und mein 
boy nur eine recht ſchwache Ahnung. Es ift ein zwar verbreiteter, 
aber ganz irriger Glaube, daß jeder Indier die Sprache des ihn 
beherrſchenden englifchen Volkes verflünde; wer es darin bereits fo 
weit gebracht hat, irgend eine Beamtenanftellung übernehmen zu 
können, wirft fich ftolz in die Bruft und wird von feinen weniger ge- 
lehrten Landsleuten mit Bewundrung „Babu“ tituliert. “ 
Schließlich ergab fi, daß in dem goldnen Amulett ein fehier 
enblofer, zufammengerollter Streifen aus vergilbtem Baftpapier ſteckte, 
auf dem tibetifche Schriftzeichen aufgemalt waren. Ein Theepflanzer 
aus Irland, der grade von feinen Pflanzungen in der Nähe Dar: 
dſchilings herauffam, um mich zu befuchen, erklärte mir, daß dieſe 
regelmäßig wiederholten Sätze die allgemeine geheimnisvolle Gebets- 
formel de3 Lamaismus feien, die „Um ma-nyi pe-me hum“ lautet, 
zu deutfch etwa: „DO du Juwel in dem Lotos!" Man thut jeden- 
falls beffer, die Religion der Bhotijas und der Tibeter Lamaismus 
und nicht Buddhismus zu nennen, denn von den edlen Lehren des 
Stifters diefer Religion, die darin gipfeln, daß jeder Menſch, ohne 
Unterfchied feiner Kafte, jogar ſchon auf Erden das Glück volliter 
Seligfeit genießen könne, wenn er, unter Geringſchätzung der welt- 
lichen Genüffe, ſtets nur Gutes dächte, fprädhe und thäte — von 
diefem Wort, durch das der fpäter Buddha genannte Fürjt Gautama 
Kapilavaftu volle 500 Jahre vor Chriftus feine Mithindus aus dem 


— —72 





— 78 — 


Zwange der Kaſten und von der Bevormundung der Brahminen 
erlöſen wollte, iſt dieſen Aſiaten wohl kaum noch etwas bekannt: 
dagegen werden ſie vollſtändig durch das Formelweſen und eine 
Unzahl von Kultusverrichtungen ihrer Prieſter, der Lamas, in 
ſtumpfſinniger Unterwürfigkeit erhalten. Für den Wißbegierigen füge 
ich hier gleich Hinzu, daß der Name „Vhotijas" eigentlich nur den aus 
Bhot, das heißt Tibet, eingewanderten Rumpas zulommt, daß aber 
geröhnlich alle mongolifch-tatarifchen Stämme in Silkhim, die Lept- 
ſchas, Limbus, Murmis, ſowie deren Mifchlinge mit den Tibetern 
furzweg mit dem Namen Bhotijas bezeichnet werden. 

Die filberne, noch geräumigere Hülfe wollte mein ſchöner Gaft 
aber durchaus nicht öffnen. Ich kramte vor ihr alles aus, was von 
meinen Habjeligkeiten vielleicht merkwürdig für fie fein konnte, um fie 
mitleidig zu ftimmen. Doch weder die Bilder'meiner Lieben daheim, noch 
die Zauberkraft des Hufeifenmagneten, mit dem ich die Stahlftäbchen 
in meinem Maximum⸗ und Minimumthermometer zu leiten pflegte, noch 
eine Heine Mufikuhr, die ich ihr zum Gefchen? anbot, machten irgend 
einen Eindrud auf den Troßfopf. Da griff plößlich ihre Schweiter 
nad) dem gemwichtigen Schmuckſtück, riß die Schachtel ohne meitres 
auseinander und ftürzte den Inhalt auf den Tiſch. Ich glaubte 
zuerſt, es fämen ein paar Rattenſchwänze herausgepurzelt! Haftig 
wickelte bie hocherrötende Bhotijapringeffin diefe beiden Haarzöpfchen 
wieder zufammen und packte fie nebſt den ebenfalls herausgefallnen 
vier Hornfpänen, die wie beſonders lange Fingernägel ausjahen, 
wieder in ben Eoftbaren Behälter. Ich wußte damals noch nicht, daß 
dieſe Leutchen ihre höheren Lamas fo ſehr verehren, daß fie jelbft deren 
Fingernägelabſchnitte fammeln und als Reliquien bei fich tragen; mas 
für Einfluß folc ein Talisman auf die Inhaberin äußert, hat man mir 
allerdings nie ganz deutlich verraten. Die Bedeutung der Rattenſchwänz⸗ 
hen werde ich ſpäter enthüllen; auch fie war mir damals noch unklar. 

Wa3 aber bejonder8 der auf dem Bilde links Sitenden ein 
vornehmes Ausfehen verlieh, war ein feltfamer Kopfkranz, der das 


ein umgab. Patuk nennen die 
geflochten ift, genauer gefprochen 
oder Dſchubbuh, eines Baftards 
kranz wird mit rotem Tuch über- 
n ſchließlich dicke Knollen von 
BVernftein und Korallen, 
ſtellenweis auch vielfträhnige 
Silberfäden genäht. 

Die Ohrringe der älte- 
ten Schweſter beſtanden eben⸗ 
falls aus Gold, reich mit 
tadelloſen Türkiſen beſetzt; 
das Bild erſpart mir die 
langatmige Beſchreibung. 
Der Leſer ſieht auch auf 
der Tafel mit Schmuck die 
Formen dieſer Ohrringe und 
ebenſo die der Amulette, wie 
ſie ſämtliche Bhotijas tragen; 
ganz beſonders muß ich aber 
wohl auf das Kettchen hin⸗ 
weiſen, an dem allerlei für 
die Körperpflege nötige Ge- 
räte hängen: ba fehlt weder . 
eine Heine Zange, um uner⸗ 

in winziges Löffelchen, noch eine 
it bei diefen Hilfsmitteln. Unfre 
ı ber Weite angehaft und zum 
ijamädchen haken fie ins Haar. 
1g ihr vom Gürtel herunter und 
5eidenbändern, mit denen Die 
Regenzeit jo entjeblich kotigen 





— 75 — 


Straßen weit höher emporgerafft werden, als dies bei uns 
üblich iſt. 

Wenn ich meinen Beſuch vorhin als Bhotijaprinzeſſin bezeichnete, 
ſo habe ich dazu inſofern ein Recht, als die Mädchen aus der Familie 
des Gyal-Po, des einſtigen Herrſchers von Sikhim, ftammten. 
Da ich in dieſem Buche nicht die Aufgabe habe, die Geſchichte des 
Landes Sifhim zu erzählen, erwähne ich nur, daß fie eine unaufhör: 
liche Folge von Kriegen mit Tibet und den andren Nachbarländern 
Nepal und Butan ift, von Reibereien mit den Engländern, von 
allerlei gebrochnen Verfprechungen und Verträgen, die im Jahre 1889 
das Ergebnis hatten, daß dies fruchtbare, ſchöne Land und das herr- 
liche Dardſchiling für immer in die Hände der Engländer geriet. 
Diefer Ort, der diefelbe Jahrestemperatur wie 
das gefegnete Meran hat, nämlich nur 12,50 C., £ \ 
ift in der That eine wahre Wohlthat für folche 
Europäer geworden, deren Gefundheit dem indie “> 
ſchen Klima ihren Tribut zahlen mußte, und der mas Gandgelent ge 
vege Beſuch Darbichilings hat bereits ein An- wurkmunang ner 
wachſen der bis 1835 ganz unbedeutenden Ein- 
wohnerſchaft diejes Bezirls auf mehr als zweimalhundertfünfzigtauſend 
Seelen bewirkt. Der Fürft von Sikhim erhielt nach dem Friedens: 
ſchluß einen englifchen Refidenten als „Ratgeber", ließ fich aber auf 
allerlei Ränte ein, die ihn veranlaßten, im Jahre 1892 durch Nepal 
nad) Tibet zu fliehn. Auf der Flucht wurde er von den Nepalern ge- 
fangen und den Engländern ausgeliefert, die ihn in ein Dorf bei Dar: 
dſchiling verbannten; meinen Befuch bei ihm werde ich fpäter erzählen. 

Nachdem ich mich ſchließlich überzeugt hatte, daß die junge Dame 
trotz meines Beiftandes nicht die ſchneeweiße Mufchel, die ihr rechtes 
Handgelent umfpinte, herunterzuziehen vermochte, daß diejer an- 
ſehnliche Zierat vielmehr feft in den fleifchigen Unterarm eingewachſen 
war, verließen die Holden fröhlich und zufrieden, daß das Photo- 
graphieren gar nicht wehgethan hatte, meine Sommerwohnung. Das 


— 76 — 


Rind mußte wohl feſt überzeugt ſein, daß ihr Verlobungs- 
— denn das mar zugleich das Schmuchſtück — nicht abzuftreifen 
hätte fonft ficherlich nicht meine bezüglichen Verfuche geftattet, weil 
intfernung diefer Zierde als gemwaltiges Unglück betrachtet wird. 
3 Kleinod wird aus der auch von den Brahminen als Blas- 
nent verwendeten Opferhornmufchel (turbinella rapa) ange 
aber das in meiner Sammlung befindliche Stück fann ich freilich 
mit andren Gedanken betrachten, al3 fie Hamlet beim Anblic 
oricks Schädel empfindet, denn es ift nicht eher möglich, diefen 
ick von dem Körper zu trennen, als nachdem er fich bereits 
der Mutter Erde vermählt hat und zu Staub zerfallen ift. 
m muntven Bhotijafraudhen mag wohl die hier abgebildete 
el einft den rundlichen Arm geſchmückt haben? Munter find 
nlich alle ohne Ausnahme. 
Schon nach zwei Tagen famen meine guten Freundinnen wieder, 
achten fie diesmal noch ein paar andre Verwandte mit, einen 
Buben von etwa acht Jahren und ein luſtiges Ding in 
fähigem Alter. Dieje beiden jchleppten Bambusrohrjtüde mit 
vie ich fie bei den Milhhändlern auf dem Markt und auch 
exeit3 fo vieljach in den Händen der Eingebornen gejehen hatte, 
h ganz erftaunt war, daß die Bhotijas jo viel Milch zu trinken 
n. Das übermütige Mädchen fauerte fi) ohne alle Ziererei 
den Jungen, ließ aber ebenfowenig wie der Bube das Bambus- 
aus der Hand; ab und zu faugten die beiden dann mit ficht- 
Behagen an einem langen dünnen Röhrchen, das in den 
annen ſteckte. Mich trieb die Neugierde, mich niederzubeugen 
nmal den Dedel eines diefer mit Bronze bejchlagnen dicken 
üde zu lüften. Kaum bemerkte die wilde Hummel meine Ab- 
ils fie auffprang, mir in herzlicher Schalfhaftigfeit einen Klaps 
: Schulter verfeßte, das Gefäß in die Höhe hob und mir unter 
einer Heiterkeit das lange Saugröhrchen in den Mund nötige. 
Niene zum Eindlichen Spiel machend, jog ich und faugte, doch: 


— 1 — 


„Hilf, Himmel!“ rief id) plötzlich, „die Milch iſt ja Vier!“ 

Die Götter im Olymp fönnen beim Anblick des bekannten, 
jeltfamen Nebinhaltes nicht jo herzlich gelacht haben, wie meine 
fröhliche Gefelljchaft bei der Veränderung in meinen Zügen, deren 


Hirjebier teinfende Bhotija-Rinder. 


Urfache -ich bereit3 in der Bhotijaſprache zu äußern vermochte. 
Draußen ſchoß der Regen wie aus Millionen Feuerfprigen vom 
Himmel, jo daß mein Blechdach rafjelte und dröhnte, und drinnen 
wackelte meine ganze Holzbube vor unfrem unbändigen Lachen, daß die 
hundert Fenſterſcheibchen Elirrten. Ich habe ja mit lieben, treuen 


— 78 — 


Freunden gar manchen guten Trunk gethan, ſelten aber hat mir ein 
Frühſchoppen ſo unvergleichlich gemundet wie das harmloſe Gelage 
mit dieſer unſchuldsvollen Jugend! Mochten draußen auch Dummheit 
und Bosheit allerlei Knüppel zuſammenſuchen, um fie mir zwiſchen 
die Füße zu werfen — folange mein guter Humor ſolche Nahrung 
fand, war mir wirklich nicht bange! 

Es war gar nicht fo leicht, von den beiden jugendlichen Zechern 
ein brauchbares Bild zu machen, denn unter dem Einfluß des 

GHirſebiers wuchs ihre Heiterkeit fo gewaltig, daß ich mir das „Witte, 
recht freundlich!" erfparen konnte. Das junge Mädchen fchien wirklich 
die redlichjte Abficht zu haben, ftill zu fien; fobald fie mich aber 
anfah, erinnerte fie ſich gewiß der Milch meiner thörichten Denkungs- 
art und platte 108, daß ihr die Thränen über die Wangen liefen. 
Und doch war mein Irrtum ſehr verzeihlich, da mir jeden Morgen 
unfre Milchfrau ein ganz gleiches Bambusrohr voll Milch zuftellte. 
Hans gab mir übrigens den Rat, ftatt diefer „greifigen Gefellin“, 
bei deren Anbli die Milch fauer würde, ein „feiches, ſaubres 
Milchmadel“ mit der Milchlieferung zu betrauen, und ich habe auch 
den Rat des in der Milchwirtſchaft jo erfahrenen Tiroler nicht zu 
meinem Schaden befolgt. Der' Kleine ſchien übrigens zu denken: 
‚Schwefterchen, du lachft zu viel und trinkt zu wenig,‘ denn er 
hatte feinen Schoppen leergejaugt, bevor noch eine Aufnahme ge- 
lungen war. 

Wie eine gute That gewöhnlich andre im Gefolge hat, jo follte 
diefer erfte Schluck Hirſefreibiers nicht der legte bleiben. Gegen mein 
Verfprechen, das Bild zum Abdruck zu bringen, fall ich je ein 
Buch über meine Reifen ſchriebe, hatte ich fpäter fogar den Vorzug, 
die fürjtlihe Familie aufnehmen zu dürfen. Dem würdigen Papa 
Syal-PBo fchien der Verluft jeines Reiches wenig Kummer zu machen; 
vielleicht behagte ihm auch ihr Erfah, die fette Rente, die er von 
den Engländern bezog, beffer als die früheren Regierungsforgen 
und die dürftigen Abgaben feiner einftigen Unterthanen, nämlich ein 


“aangafaıdy wortogus arıguag end Foo · g 
"L-8L'9 


weg aauras ji Sunuuegaay 2p ur unqurs usa od-Iedg 1 





Sie, Google 


_ 79 — 


Tuch und zwei Pfund Salz für jedes Haus, zwei Pfund Butter für 
jeden Yak. Ich erfuhr jedoch kürzlich, daß ihn die Engländer im Jahre 
1896 wieder in die Regierung feines Landes eingejegt haben, natür- 
ich unter ihrer Obhut. Mit Wohlmollen gab er mir zu verftehen, daß 
ich das Recht hätte, aus jedem Bambusrohr zu faugen, das ich in feinem 
Familienkreife erblickte. Da er nun nicht nur ſelbſt einen ungeheuren 
Humpen neben fich ftehen hatte, fondern auch jede der drei Damen 
feines Haufe, die er wohl in der Vorausſetzung meiner Vorliebe für 
holde Weiblichkeit um ſich verſammelt hatte, und ſelbſt die kleinen 
Töchterchen ihre Stammſchoppen zur Stelle gebracht hatten, ſo kann 
man ſich ja wohl denken, in was für einen feuchtfröhlichen Zuſtand zu 
kommen ich damals Gelegenheit hatte. Alle dieſe weiblichen Weſen 
trugen majeſtätiſche Kopfkränze und gingen in ihrer Huld fo weit, 
mir zu erlauben, genau zu erforfchen, wie fie diejen „Patuf” auf dem 
Kopfe fefthielten. Den glatten Mittelfcheitel hatten fie am Wirbel 
treisförmig um einen Strahn Haare herumgezogen, und in der Mitte 
dieſes Kreifes das Ende des Kettchens eingehakt, da3 den Kopfkranz 
in die Höhe hielt. Ich überzeugte mich auch bei dieſer Gelegenheit, 
daß die Rapfeln, die den Damen an den Koſchia genannten Ketten aus 
bunten Steinen vor Bruft und Magen hingen, meift Buddhafigürchen 
einſchloſſen. 

Recht lehrreich war es auch für mich, zu ſehen, wie der Bierſtoff 
für dieſe Familienkneiperei erſt kurze Zeit vor dem Bedarf zubereitet 
wurde. Die gegorene Murmahirje (Eleusine coracana) befand ſich 
in einem Vorratskorbe, aus dem in jeden Bierfchoppen Eine Handvoll 
abgefüllt wurde; aus einem Kefjel wurde dann ſiedendes Waſſer ein- 
gefüllt, und nad) einiger Zeit ftand ein Trunf zur Verfügung, der 
ungefähr wie laue3 Berliner Weißbier ſchmeckte und jo harmlos wie 
Leipziger Gofe auf mich mwirlte, 

Durch die Einrichtung meiner Künſtlerwerkſtatt, meines „studio“, 
wie die Engländer dafür jagen, hatte ich mir ahnungslos den giftigen 
Haß des vortrefflichen Seife zugezogen. Ich ahnte ja nicht, daß 


— 890 — 


früher auch einmal in der edlen Lichtbildnerei verfucht, diefe 
Kunft aber wieder an den Nagel gehangen hatte, al er ſah, 
: doch erft eine ganze Menge fleißiger Arbeit aufwenden müffe, 
me Erzeugniffe jo gut ausfielen, ein Gejchäftchen damit machen 
men; da3 war nicht nad) Monfieur Seifes Geſchmack, der 
andre für fich arbeiten ließ. Daß es mir glücte, regelmäßig 
ſilder herzuftellen, war ein Verbrechen, das mir ein jo hämifcher 
ye nicht verzeihen konnte, und daß ich eine jo ehrliche Haut 
m Tiroler al3 getreuen Gefährten an der Seite hatte, ließ auch 
zu einem Dorn in feinen Augen werden. 
mdlich erfuhr ich, daß Mifter White, der „political agent“ für 
1, angefommen fei. Ich legte meinen ſchwarzen Anzug bereit, 
ım fehleunigft einen Beſuch zu machen, ging aber erſt noch 
in die Dunfelfammer, um bie legte Platte einer großen 
I von ausgemählt ſchönen und feltnen Aufnahmen zu ent 
1, die ich am Tage vorher gemacht hatte; die andren bereits hervor- 
en und gemafchnen Glasnegative ftanden in Reih und Glied auf 
Geftell zum Trocknen im Atelier, und mir [achte das Herz, fo oft 
fe Föftlichen Aufnahmen erblickte. Während ich in der Dunkel 
x arbeitete, hörte ich, daß jemand, ohne anzuffopfen, ganz 
uch die Glasthür in das Atelier trat. Der Tiroler war an 
runnen gegangen, um eine Kanne Wafjer zu holen, und da 
? Dunfelfammer während des Entwickelns der Platte nicht 
en konnte, fragte ich durch" die Thür, wer gelommen fei. Zu 
a Mißvergnügen hörte ich die Stimme des lieben Seife, der 
ı Atelier etwas zu fehaffen machte und vorgab, mir die An- 
Mifter Whites melden zu wollen, die doch bereits jedes Kind 
Ich erfuchte ihn, mein Haus wieder zu verlaffen, hörte ihn 
noch fortwährend in dem Atelier herumhantieren, fo daß ich 
cch meine Platte im Stich ließ, um aus der Dunfellammer 
3 Atelier zu treten. „DO Pardon!“ fagte überrafcht Freund 
und ftellte eine Negativplatte, die er grade in der Hand hielt, 





— 81 — 


wieder auf den Plattenbod; dann verließ er, eine gewaltige Rauch- 
wolle aus feiner Zigarre durch Die Stube paffend, ohne auch nur den 
Hut zu lüften, das Haus, 

Mein Heiner Diener kam jetzt ganz aufgeregt aus dem anftoßen- 
den Zimmer gejtürzt, von dem aus er den braven Seife beobachtet 
hatte, wozu er nur den Vorhang ein wenig beifeite zu fchieben 
brauchte; er fief auf meinen Rod zu, den er erſt vor einer Stunde 
ausgebürſtet hatte und zeigte mir entrüftet ein ganz riefiges Loch, 
da3 Seife mit Hilfe eines krummen Nagels, der noch auf dem Tifche 
lag, in den Oberarm des fchönen ſchwarzen Rockes geriffen hatte; 
dann wies der fleine Kerl auf das Plattengeftell hin. Ich glaubte 
vor Wut und Scham über fo viel menfchliche Bosheit in die Erde 
finten zu follen, denn der edle Seife hatte fich das kindliche Ver- 
gnügen gemacht, feine brennende Zigarre in die Nähe jedes auf den 
Negativen abgebildeten Gefichtes zu halten, bis die moch weiche, 
feuchte Gelatine an den betreffenden Stellen breiartig auseinander: 
geflofjen war. 

Ich war nahe daran, mit dem heimfommenden Hans zu dem 
nieberträchtigen, neidifchen Buben Hinzugehen und ihm endlich einmal 
die gebührende Tracht Prügel zufommen zu lafien; jedenfalls war 
ich feft entfchloffen, bei der nächften Gelegenheit die Sache ins Reine 
zu bringen. 

‚Den Rod brachte ich zu einem mufelmännifchen Schneider, der 
neben mir wohnte; ich mochte den Mann ganz gut leiden, denn er 
ſchien ein Verehrer der ſchönen Künfte zu fein, und für die habe ich 
ftetS einige Zuneigung übrig. Häufig fanden ſich jpät abends feine 
Freunde bei ihm ein, deren gemeinfchaftliches Mufizieren mich dann 
in den Schlaf wiegte, weil jeder Ton aus feiner Wohnung durch 
die dünne Holzwand an mein Ohr drang. Einmal, es war grade 
in der Nacht meines Geburtstages, Tonnte ich der Verfuchung doch 
nicht widerftehn, die Künftler perfönlich kennen zu lernen; ich ſteckte 
mir eine Flaſche Cognac unter den Arm und ging hinüber. Ich 

Doed, Indiſqe Bieticerfaßrten. 6 


— 82 — 


freundlich willkommen geheißen, von meinem Cognac 
nicht3 angenommen; dafür ging ihre Wafferpfeife von 
ınde, an dem meinigen jedoch vorüber. In dem Orchefter 
Ber einer altindifchen Winada-Guitarre drei Trommeln, 
ind Caftagnetten aus Stahljtäbchen, und höchſt ergötzlich 
wie der Vorfänger bei gefühlvollen Stellen die Augen 
tierter Schaufpieler ſchloß oder verdrehte; merkwürdig 
rzen, unvermittelten Schlüffe, mit denen alle Muſikſtücke 
abrijjen. 

Ein Schlafmittel wurde aber auch nach) und nach 
wirklich nötig, denn das Nacht für Nacht auf unfrem 
viefigen Dach aus verzinktem Eiſenwellblech rafjelnde 
Negengetrommel hatte mir bereits bedenkliche Schlaf- 
Iofigfeit zugefügt. Es Elang nicht anders, al3 wenn 
ohne Aufhören Flintenkugeln aus ungeheuren Höhen 
über dieſes Blechdach gefchüttet würden, und ich fing 
an, auf alles, was Blech hieß, einen heimlichen Groll 
zu befommen. Als nun gar noch hie und da Kauf: 
Iuftige in Erinnerung an den früheren Bewohner 
des Ladens bei mir eintraten, um anzuftagen, ob 

yäft wieder eröffnet fei, und ob wieder die fo beliebten 
3 Blech zu haben feien, da ſchien mir das Wort „Blech“ 
de3 Entjeglichen zu fein. Diefe landesüblichen Blafe- 
erkwürdig genug, denn fie bejtehn aus einer Rupfer« 
tr ein Kleines Loch an der Spige ihres umgebognen 
diefe Flajche wird erwärmt und der Hals in Wafler 
uch) fich die Flafche beim Abkühlen vol Waſſer faugt. 
: Flafche wird ſchließlich in die Rohlenglut geftellt, die der 
uchende Dampf dann zu helllodernder Flamme anfacht. 
yähnten Nachbar Schneider vertraute ich den Bratenrock 
in gleichartiges ſchwarzes Kammgarnzeug auftreiben ließ, 
nen Aermel einzufegen, bat ich ihn himmelhoch, das 





— 83 — 


große Loch möglichjt gut zuzuftopfen; das verſprach auch der Nadel- 
held, nur meinte er e3 etwas zu gut, denn er flickte noch einen 
ſchönen bfauen Fleck auf den geſtopften Riß. An dem fchönen Blau 
an ſich war gar nicht auszufegen, aber auf dem ſchwarzen Aermel 
ſah es wie irgend ein geheimnisvolles Abzeichen aus. Als ich diefe 
Glanzleiftung erblidte, befam ich eine Lachanwandlung, die den 
Schneider mit einem entjeßten Bockſprung in die Höhe ſchnellen ließ; 
ex fchien ernftlih an meinem Schönheitsfinn zu zweifeln, als id) ihm 
erklärte, mit einem fo buntfchedigen Gewande nicht einhergehn zu 
wollen. Ich wußte damals noch nicht, daß fein Europäer bei einem 
Indier neue Kleider anfertigen läßt, daß aber die indifchen Schneider 
nad einem vorhandenen Mufter ganz außerordentlich genau ein 
gleiches Kleidungsftüct anfertigen könnten, fonft hätte ich meinem 
lieben Nachbar einfach den Invaliden dagelafjen und mir danach einen 
neuen Tuchrock machen lafjen; ber hätte dann gefeffen wie angegoffen. 
Der beturbante Meifter Fips verſprach aber, den Rod in vierund- 
zwanzig Stunden fertig zu machen, und da feine Tuchprobe mir 
zuſagte, ließ ich mir zu einem neuen Rode Maß nehmen. Das 
Kerlchen maß und fchrieb, ftrich dann aus und maß wieder, um 
nochmals auszuftreichen, was er gefchrieben hatte. Wie freute ich 
mid über diefe Gemwifjenhaftigleit — das mußte ja ein mahres 
Meifterftüct werden ! 

Am nächften Morgen probierte ich da3 Staatsgewand an. Ich 
glaubte zuerft, der Schneider hätte fich verfehen und mir den Rod 
eine3 ausgewachſnen Jungen in die Hand gegeben. Als ich mit 
vieler Mühe in die Aermel geſchlüpft war, rutſchten diefe fogleich 
bis an die Ellbogen hinauf, die rechte Schulter war viel zu breit, 
die linke ein wenig zu ſchmal, und von Zufnöpfen war keine Rede. 
Man bekommt ja in Dardichiling manchmal recht ſeltſame Koftüme zu 
jehen, ich glaube aber doch nicht, daß ſchon jemals ein ähnlich figender 
Roc auf der Promenade, auf der „Mall“ zu fehen gemejen ift. Mit 
welchem Bli und mit wie heißem Dank ich dem großen Manne 


— 84 — 


ſein Erzeugnis in die Arme legte, brauche ich wohl nicht erſt zu 
ſagen. Kenner tröſteten mich durch die Bemerkung, ich könne froh 
ſein, dem Schneider nicht den urſprünglichen Rock als Muſter 
gegeben zu haben, da er ſonſt gewiß in der üblichen, bis ins kleinſte 
gehenden genauen Nachbildung der Vorlage auch bei dem neuen Rock 
einen ebenſo herrlichen blauen Fleck auf den Aermel geſetzt haben 
würde. 

Nachdem ich die Gewalt des Monſunregens in Sikhim durch 
tägliche Erfahrung gründlich Tennen gelernt hatte, mußte ich mir doch 
jagen, daß es ein beinah unfinniges Unterfangen wäre, felbft wenn 
ich die Erlaubnis dazu exhielte, bei fo niederfchmetternden Waſſer— 
maffen meine Reife nach dem Kanſchendſchunga anzutreten. Wenn es 
auch richtig fein mochte, daß oberhalb der Grenze des ewigen Schnees 
die Niederſchläge an Regen oder Schnee geringer fein würden, fo 
lag doc) die Gefahr nahe, vorher in Sümpfen oder Wildwafjern zu 
ertrinken; einen Verfuch wollte ich jedoch unter allen Umftänden 
wagen, um zu erfahren, wie weit ich fäme. Auf Herrn Seifes Hilfe 
hatte ich verzichtet, dagegen verjuchte ich jeßt, durch meinen boy einen 
„Sirdar“ zu erhalten, der mir geeignete Träger beforgen konnte, 
denn die fchlotternden, kümmerlichen Bazarkulis, die am Bahnhof 

herumlungerten, 
konnten natürlich 
nicht in Betracht 

kommen. Nun 
führte mir der kleine 
Kerl zwar ein paar 
ſolcher Sirdare zu, 
doch zeigte ſich bald, 
daß dieſe nur einen 
der üblichen Heinen 
Ausflüge nach dem 
Tibenſche Eirdare. Schutzhauſe Sun- 


— 5 — 


dugfu oder nad) dem Tempel Pemiontichi im Sinne hatten. Sowie 
die Leute hörten, um was e3 fich handle, erbebten fie und erklärten, 
es fei überhaupt ganz unmöglich, für eine folche Reife ins Ungemiffe 
außerhalb der üblichen Wege Träger zu befommen; mit diefer Vor- 
herfage entfernten fie fi). 

Der eine Sirdar, ein wirklich recht unternehmend ausjehender 
Mann, kam nad) einer halben Stunde zurück, um mir zuzuraunen, 
daß er trogdem die Sache 
unternehmen wolle, ich 
möchte ihm nur immer 
ein Handgel von hun- 
dert Rupien geben, um 
Träger anwerben zu kön⸗ 
nen. ‚Aha! dachte ich 
und erjuchte den Dann, 
mir doch erſt einmal am 
nächſten Tage einige der 
Leute, die er ins Auge 
gefaßt hätte, „marfch- 
fertig" vorzuftellen. 

Und er fam! Du 
lieber Gott, was brachte 
er mit ih? Ein paar 
Bahari-Rulis, Kerle, die Rräar DI Zum am an End asen 
zwar ſehr feſte Muskeln zu 
haben ſchienen, die aber jedenfalls noch nie über ein Schneefeld ge— 
gangen waren. Schuhwerk ſchienen ſie ſämtlich für einen verwerflichen 
Luxus zu halten; einer von ihnen hatte ſeine Unausſprechlichen für 
dieſe Reiſe, wohl der Erſparnis halber, durch einen herunterhängenden 
Zipfel ſeines Hüftentuches erſetzt, und ein andrer zitterte ſchon jetzt in 
ſeinen leinenen Kniehöschen, die ihm der Regen an die Schenkel 
gepeitſcht hatte. Aufgepackt hatten die Burſchen allerdings, als ſolle 


— 86 — 


ang marſchiert werden, aber als ich in die rieſigen Tragkörbe 
die ſie am Stirnband ſchleppten und darin wärmende Decken 
leider und Reisvorräte vorzufinden erwartete, fiel ich denn doch 
auf den Rücken. Was hatten die Helden für die Reife ein- 
t? Rettiche, Salatblätter, Grünkohl und — ich traute meinen 
ı kaum — Brenneffeln, ftrogend grüne Brennefjeln! Dazu 
euerliche, ſchwere Bronzekeſſel, ein paar ſchmale Bambustaſchen, 
ien rohe Eier ſteckten, und obenauf ihren Regenſchirm, keinen 
üfchen, ſondern einen landesüblichen, das heißt zwei dünne, aus 
en geflochtne Matten, die an einer Seite zufammenhängen 
ls Regenſchutz über Kopf und Schultern geftülpt werden. 
der Tiroler würdigte diefe Leute feines Blickes. Er war offen- 
ı feiner guten Verfafjung, und das lange Stillliegen konnte 
an ftarfe Körperbewegung gewöhnten Manne feiner Art auch 
h nicht zuträglich fein. Bon Tag zu Tag war er mißmutiger 
infilbiger geworden; ich merkte, daß er fich mit einem großen 
ten trug. Er that mir in der Seele leid, und ic) zerbrach mir 
opf, um herauszubefommen, wie ihm wohl zu helfen jei. Da 
: Hans ganz plöglich den Vorſchlag, ich folle ihn auf dem 
iten Wege nad) Bombay hinunterfchaffen, von wo er dann 
nad; Europa fahren fönne; die Regenzeit könne er hier un- 
h mit aushalten! Das wäre nun freilich für ihn ganz praftiich 
n, da er dann grade noch zur Sommerreifezeit nach Tirol ge- 
m wäre — aber ich hatte ihn doch nicht mitgenommen, damit 
einen Augenblick das Schneegebirge von Dardſchiling aus an- 
n fonnte, 
i8 mar fein Zweifel, daß der Tiroler noch mehr als ich durch 
endlofen Regen, der nur auf ganz kurze Stunden durch ab: 
ch ftechenden Sonnenfchein unterbrochen wurde, feinen Mut 
ine Kräfte verlor; „man wird armfelig ſchwach dabei!" klagte 
zlich. Als Hilfsmittel hatte ihm zum Unglück einft Freund 
den Genuß von recht viel Cognac empfohlen, und in der That 





bemerkte ich, daß Hans ſich angewöhnte, fein Trinkwaſſer dur 
Cognac zu veredeln. Ich ftellte ihm vor, daß es beffer fei, den 
Durſt Hier überhaupt nicht mit Waffer, fondern mit Thee zu Löfchen, 
doch Hans erklärte, daß er durchaus Waffer brauche, da ihm das 
Efienfonft „das 
Herzabbrenne”, 

„Bier in 
Indien aber 
muß ein ftarfes 
Getränk in das 
Waſſer Tom: 
men, "belehrteer 
mic, „denn hier 
hat das Waſſer 
viel zu viel 
Feuchtigeit!" 
Nun wußte ich's 
wenigſtens. 

Tag für 
Tag jaß Hans, 
wenn er mir 
nicht bei photo- Promenade in Darbfhiling. Dahinter Bazar und Hofpitat, 
graphifchen Ar- . 
beiten zur Hand ging, auf dem Holzbalfon und jtarrte wie ein 
Ritter Toggenburg in Lodenjoppe” nad) der Richtung des Hofpitals, 
hinter dem, wie er mußte, die Schneegipfel lagen; doch entweder 
verfchleierte ein dicker Wolkenvorhang ober ftrömender Regen den 
Anblick dieſes Gebietes, daS uns fo beharrlich verichloffen zu bleiben 
ſchien. Alles andre, was ſich da unten auf dem Bazar abipielte, 
tonnte den Tiroler nicht feffeln, und als ich ihm einmal einen Vortrag 
über bie dort verivetnen merkwürdigen Raffen hielt, meinte er achjel- 
zudend: „Sehr gleichgiltig, was fir Razen es hier giebt!" 


— 8 — 


Nah und nad) hatte ich einen ganz netten Kreis englifcher 
Herren fennen gelernt, die ſich an dem allmählich doch als alberne 
Fabel erfannten Aufjenverdacht nicht länger ftießen, fondern mich zu 
Heinen Ausflügen in die Umgegend einluden. Beſonders in dem 
Vürgermeifter von Kurfeong, Mr. Earle, Iernte ich einen ganz außer- 
ordentlich gut unterrichteten Herrn Tennen. Sein Haushalt zeigte 
mir, wie behaglich der Europäer in Indien zu leben vermag, fobald 
ex über das nötige Kleingeld verfügt, für jede Verrichtung einen 
eignen Diener anjtellen zu fönnen. Ein „anfpruchslofer Heiner“ 
Haushalt, wie der Herr Bürgermeifter den feinigen nannte, erfordert 
in Indien gewöhnlich die Kleinigkeit von folgenden 32 Dienftboten, 
deren Monat3lohn ich in Rupien eingeflammert beifüge: Kammerfrau, 
„Eia“ gerufen, (10), Amme (10), Rindermädchen (4), Hausmeijter (10), 
Koch (10), Rammerdiener (10), Hausdiener (8), Ausläufer (6), 
Küchenjunge (5), Ausfeger (5), Wäſcher (13), Wafferträger (5), 
Schneider (10), Geflügelwärter (5), Viehhüter (6), Nachtwächter (5), 
Kutſcher (8), 3 Pferdeburfchen (15), 3 Futterfchneider (12), 6 Fächer: 
ſchwinger (24), Gärtner (6), 2 Gärtnergehilfen (83). So gering jede 
Bezahlung auch ift, verlangen diefe Löhne zufammen jährlich doch 
das Sümmchen von 2328 Rupien! Troß diefer riefigen Dienerzahl 
giebt es aber häufig Streit, wer ſchnell eine dringliche Beſorgung 
machen oder einen Rock abbürjten fol, wer ein Stück Papier von 
der Erde aufzuheben und wer dem geftrengen Weißen, dem Sahib, 
den „Peg“ einzufchenten hat. Dieſes finnreiche Getränt braut fich 
"u der nach Indien kommende Engländer, eingedent feiner guten Grund- 
B fäge, anfänglich jelbft und tröpfelt fehr brav ein winzige Gläschen 
Whisky zu einer vollen Flafche geeiften Sodawaſſers. Iſt er aber erft 
einige Jahre im Lande, fo bemeift er, daß er ſich an das Klima gewöhnt 
hat und duldet, daß fein verſchmitzter Kammerdiener dieſes Miſchungs⸗ 
verhältnis allmählich umkehrt, wahrſcheinlich um auf diefe Weife die 
fo ungefunde Feuchtigkeit völlig aus dem Waſſer zu verdrängen. 

Am 17. Juni war ich wieder nach Kurfeong gegangen; der 











— 89 — 


„magistrate“ wollte mir einige ungeheure Motten zeigen, die er ges 
fangen Hatte, denn er war ftolz auf jeden feiner köſtlichen Schmetter- 
linge, den er eigner Anftrengung verdanfte. Während ich, auf einem 
Fußpfad über die Wiefe dahinfchreitend, zu den unten auf der indifchen 
Ebene liegenden Wollen hinunterfchaute und auf das Geräufch hörte, 
das die Inſelten in den Theegärten machten und das ich zuerft für 
das Hämmern von hunderttaufend Steinfiopfern hielt, ſchien es plöß- 
lich merkwürdig dunfel zu werden; ich blickte auf und fiehe da: die 
Sonne war vom Himmel verfchmwunden! Es war grade 5 Uhr 
15 Minuten. Gleichzeitig erhob fich ein jämmerliches Gefchrei aus 
der Gegend von Kurjeong her, alle Bhotijas rannten wie unfinnig 
nad) ihrem Buddhatempel, aus dem ein furchtbares Trommeln, Tuten 
und Tamtamgepaufe hervorjchallte. Die Hindus dagegen Tiefen Hals 
über Kopf nad) einem heiligen Tümpel, um dem vermeintlichen Welt- 
untergang in dem unfaubren aber heiligen Waffer entgegenzufehn. Nie 
zuvor hatte ich eine totale Sonnenfinfternis beobachtet und fand das 
unerwartete Schaufpiel — den Uebergang der Sonnenfichel in einen 
Haardünnen Goldreif — jo unheimlich ſchön, daß ich gar nicht auf 
den Weg achtete, bis mich ein ftechender Schmerz am Fußgelenk 
erſchreckte, denn der erſte Gedanke bei folchen Empfindungen ijt in 
Smdien natürlich ftet3 ‚Brillenfchlange‘. Doch Feine Schlange, ſondern 
ein riefiger Blutegel, ein fogenannter Pferdeblutegel, hatte fih am 
Rande des niedrigen Schuh durch den Strumpf an mein Fußgelent 
feftgefaugt und war nur mit großer Anjtrengung zu entfernen; die 
Blutung währte noch eine gute halbe Stunde, hatte aber das Gute, 
mir da3 Blut wegen all der mir entgegenftehenden Schwierigkeiten 
nicht allzufehr zu Kopfe fteigen zu laſſen. 

„Es fpreizt ſich alles unartig,“ ſchimpfte der Tiroler, „bald 
muß e3 befjer werben!" 

Aber e3 wurde nicht beſſer, fondern e3 vegnete Tag und Nacht, 
und wenn’3 genug geregnet hatte, dann — fing es wieder von vorne 
an; man konnte wirklich denken, die Welt folle erfäuft werben! Das 


— 90 — 


Getrommel auf den Blechdächern war nicht mehr zum Aushalten; 
wohin ich auch flüchtete, überall dröhnte das gewellte Blech in der- 
ſelben Tonart. Schließlich fing ſogar der Tiroler an, ſich krank zu 
fühlen; war die Feuchtigkeit des Waſſers ſchuld oder fein unab— 
läffiges Hoden auf dem naſſen Balkon, um nach den verſchleierten 
Gletſchern des Kanſchendſchunga zu lugen, jedenfalls befam Hans eine 
die Bade und Hagte über Zahnjchmerzen. Das erhöhte begreiflicher- 
weiſe unſre Gemütlichfeit noch ganz bedeutend. 

Mein guter Engel ſchien mir einen Netter zu ſchicken. Ein Sprach⸗ 
lehrer aus Allahabad, der in Dardfchiling die Sommerzeit verbrachte, 
fragte mi, warum ich denn nicht nach Weiten, nad) Kafchmir, reife; 
dort fei doch die Regenzeit bei weitem nicht jo böfe wie in Sifhim. 

Ich wendete ein, daß dies meinem Plan völlig zumider Taufe und 
daß grade die noch fo wenig betretnen Sikhimalpen und der Kanſchen⸗ 
dſchunga mich mehr anzögen als das häufig bereifte Gebiet von Kafchmir, 
und daß überdies eine fo ungeheure Fahrt nach Weiten durch ganz 
Indien während des Sommers ein gefährliches und koſtſpieliges Ding fei. 

„So fahren Sie doch wenigſtens nad) der „Hill Station" Naini Tal 
oder nach Almora; ich weiß aus Erfahrung, daß ſchon in der Nordweſt⸗ 
provinz Kumaon die Regenmenge geringer iſt als hier. Sie werben dort, 
wenn auch unter Schwierigfeiten, wenigſtens vorwärts fommen können!" 

Diefer Vorfchlag gefiel mir; mein Plan war gefaßt. Sikhim 
war mir vorläufig ziemlich gleichgültig geworden; das berühmte 
Alpenreich Kumaon mit feinem fagenhaften Hauptgipfel, dem Götter- 
thron Nanda Devi, hatte jegt meine Wanderluft entflammt. 

Der Tiroler war glüdjelig über den Entſchluß, das fehöne, aber 
für und unerträglich gewordne Dardſchiling verlafjen zu dürfen; 
zugleich vertraute er mir, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht habe. 

Wenn Hans ftill und einfam auf feinem Balkon faß, dann 
fümmerte ex fich herzlich wenig um das interefjante, ſchmierige 
Bhotijagefindel, daS fich unter feinem Pla auf dem Bazar herum- 
balgte und ſich zum Schluß gewöhnlich die Beſen aus gefpaltnem 


— 


— 91 — 


Bambusrohr um die Ohren ſchlug, dieſelben Beſen, mit denen es ſich 
vorher durch die Haare gekämmt hatte. Aber mit Kennermiene 
mufterte er von dort die zierliche, Iuftige Bauart des Hoſpitals und 
den Zufammenhang der Berggüge und Hügel, auf und an benen 
Dardſchiling fo geſchickt angelegt wurde, denn Dardfchiling liegt keines⸗ 
wegs in einem Thal; man fieht dort von den Ausfichtpuntten tief unter 
ſich die Waffer des Rangit nur wenige hundert Fuß über dem Meeres: 
ſpiegel zwifchen tropifchen Palmen dahinraufchen, blickt darüber hin: 
weg auf eine Unzahl bewaldeter oder kahler Bergrüden in Sikhim 
und kann gleichzeitig da8 Glück haben, zu fehen, wie hoch oben im 
flaren Himmelsblau die finfende Sonne dem Kanſchendſchunga einen 
glühenden Kuß auf den filbernen Firngipfel Haucht, während ein 
Wolfenmeer feine felfigen Füße ummogt. 

Hinter dem Hügel, auf dem das Hofpital jteht, liegt noch ein andrer 
mit fehönen Parkanlagen, der „Bich Hill“. Aus den Büſchen auf 
diefem Hügel hatte nun Hanfens aufmerkfames Ohr allabendlich das 
Teife, aber klare und helle Läuten eines Glöcleins vernommen, wenn 
die verjchiednen Gotteshäufer den Tag durch mehr oder weniger 
harmonische Töne bejchloffen, wenn das Schmettern der Mufchel- 
börner und das tolle Geflingel aus dem Brahminentempel der Hindus 
fi in das Tuten und Pauken der Lamas oder in das Gebets— 
rufen eines Muſelmanns mifchte. Dann war es bei diefem Kapellen⸗ 
geläute gewiß wie Heimmeh über den guten Kerl gefommen, wenn er 
an fein friedliches Kalfer Kirchlein und feinen würdigen Herrn Pfarrer 
dachte, der ihn für die Zeit feiner Reife fo freundlich von feiner 
BVeichtpflicht enibunden hatte. Dieſen Glodentönen war Hans nad)- 
gegangen und Hatte in den Büuſchen des Hügel? nicht nur das 
St. Joſephs College mit einer fatholifchen Kirche, fondern dort 
ſogar einen deutfchen, in Kalkutta erkrankten Miffionar gefunden. 

Ich eilte, diefem Pater Schäfer meinen Beſuch zu machen, und 
fand in ihm den Mann, den ich brauchte! Obwohl er bald merkte, 
daß ich ein Andersgläubiger war, half er mir doch mit Rat und 


— 82 — 


That wie ein redlicher Freund. Er kannte die Verhältniſſe in 
Dardſchiling von Grund aus und war auch erſtaunlich gut über das 
Treiben des famoſen Seife unterrichtet. Auch er billigte durchaus 
meinen Plan und war außerdem überzeugt, daß augenblidlich der 
Verſuch meiner Reife durch Sikhim zwecklos und gefährlich ſei, da 
eben die Nachricht eingetroffen war, daß ein Amban, ein Gefandter 
aus Tibet, in Sikhim ermordet worden fei. Er verſprach mir aber 
für den Fall, daß ich nad) der Reife durch Rumaon nach Dardſchiling 
und Silhim zurückkommen follte, feinen kräftigften Beiftand ; beſonders 
mollte er fich inzwiſchen nach geeigneten Trägern umſehen. 

Nun hatte ſich ja endlich alles zum Guten gewendet! Doch 
nein, eins war noch nicht gut, ganz abgefehn von dem Regen, 
nämlich) Hanfens Zahnfchmerzen. Ich wollte den Tiroler zu einem 
Zahnarzt führen, er behauptete aber, feine Schmerzen jelbit dämpfen 
zu können, wenn ich ihm nur „Roffer” bejorgen wolle. Ich ftellte ihm 
gern alle meine Koffer zur Verfügung, doch ärgerlich verlangte er den 
richtigen Koffer, den mit dem ftrengen „Gefchmad" ; unter Schmeden 
verſtand er al3 Tiroler natürlich Riechen. Ich wurde nicht Hug aus 
diefem magifchen Koffer, fondern brachte Hanfen in das Hofpital. 

Die Aerzte kamen der Reihe nad), um Hanjens Gebiß zu 
ftudieren, und erklärten, daß der Zahn heraus müffe. Die Unter- 
ſuchung fand auf einer mächtigen Veranda ftatt; der arme Hans lag 
in einem Armfefjel, und rings herum jammelte ſich allmählich eine 
andachtsvolle Menge von Hofpitalinfafjen und beturbanten Dienern. 
Diefen allen fehien nun das Herummühlen der Aerzte in Hanſens 
Zähnen eine ganz unausfprechliche Freude zu machen. Es war aber 
auch feine leichte Sache, den Zahn herauszubefommen. Dr. Murphy 
löſte fich mit den andren Xerzten ab, und jedesmal, wenn einer ſchweiß⸗ 
triefend von weitren DVerfuchen abjtand, und ein andrer mit einer 
noch gefährlicher ausfehenden Zange an die Reihe kam, und Hanfens 
Züge zu immer neuen Grimafjen verzerrt wurden, dann ging ein heim- 
licher Jubel durch die Zufchauer; das war doch) einmal ein Schau- 


— 93 — 


ſpiel, das man in Dardſchiling nicht alle Tage hatte! Halb ärgerlich, 
halb lachend gaben ſchließlich die Doktoren ihre Verſuche auf, er- 
Härten: „Solche Zähne kommen in Indien nicht vor!“, verzichteten 
auf jede Bezahlung ihrer Kraftleiftungen und gaben Hanjen den Troft, 
daß der Zahn in ein paar Jahren gewiß Leichter herausgehen würde. 
Mit einem vorwurfsvollen Blick fchmollte Hans: 

„Wenn du mir nur den Koffer angefchafft Hätteft!" 

Einige Monate fpäter, als ich ein paar ausgeftopfte Vögel mit 
Kampfer behandelte, befam ich von Hans grollend einen Rippenftoß: 

„Sixt, da hafcht ja den Koffer!" 

Da erſt wurde mir Klar, was er gewollt hatte. — 

Während unſres Zufammenpadens verflüchtigten ſich Hanfens 
Zahnſchmerzen. Die zwölf Kulis, die bereit3 dreimal unfre Herrlich 
keiten hin und ber gefchleppt hatten, waren Tag für Tag um mein 
Glashaus gefhlichen, in der Hoffnung, daß ihre Dienfte wieder einmal 
nötig werden würden. Nun wurden ihre Fühnen Wünfche erfüllt! 

Jedermann glaubte, daß mir ein für allemal aus Dardſchiling 
abzögen, als die Kulis unter Neden und Scherzen unfre Bündel 
und Kaſten und Koffer zum Bahnhof fchleiften. Wie zum Hohn oder 
auch al Lockung hörte grade am Morgen unfrer Abfahrt der Regen 
für kurze Zeit auf, und große Teile des blauen Himmels wurden 
Durch die zerreißenden Wolfenmaffen fichtbar; mit unfren längften 
Schritten ftiefelten wir beide auf den Ausfichtspuntt „Obfervatory 
Hi". Ohne ein Wort äußern zu können, blicten wir uns nur 
blitzſchnell an, dann ftareten wir wieder auf das Schaufpiel, das 
fi) vor unfren Augen entrollte. 

Obwohl e3 auf unfrem Plage nicht windig war, zeigte das Heer- 
lager von Wolken, das fi) vor uns zwiſchen den Höhenzügen 
Sithims bis an die ferne Mauer des Kanjchendfchunga Hin aus: 
dehnte, lebhafte Bewegung. Als ob Taufende und Abertaufende von 
Titanen diefe ungeheuren Woltenballen hin und her wälzten, zogen 
fie umher, in vielen Staffeln binter- und übereinander. So mag 


— 4 — 


vor dem Entſtehen einer Welt der Urbrei durcheinanderquirlen, unauf⸗ 
hörlich, unmiderftehlich! Und jetzt zerrten die unfichtbaren Wolken: 
ſchieber auch an den plumpen Vorhängen, die ſchon wochenlang ben 
Himalaja verfchleiert hatten, mit gemaltigem Schwunge murben fie 
zur Seite gefegt, und in überirdifcher Klarheit, mit friſchem Neufchnee 
getüncht, lachte das ungeheure Alpengebiet Sikhims vom Horizont! 

Stechender Sonnenfchein ftrahlte durch die Luft, und fein 
Wöllchen ſchwebte über und an dem tiefblauen Himmelsgemölbe, 
doch zu unfren Füßen zwifchen den fernen, aber unnatürlich nah 
ausfehenden Bergmafien und unfrem Standpunkte brodelten noch die 
unabfehbaren Wolkenklumpen auf und nieder, wallten hin und her, bis 
ein einziger mächtiger Nebelſchwall die erhabne Erſcheinung weg— 
fpülte. Wie aus einem wundervollen Traume erwacht, fehüttelte ich 
den Kopf und fuhr mir mit der Hand über die Stirn — dann konnte 
ich meine Augen anftrengen, foviel ich wollte, dad Traumbild kam 
nicht wieder! 

Dicht neben mir hatte während dieſes beraufchend ſchönen und 
überwältigenden Naturfpiels ein Indier eine Ziege gefchlachtet; ernft- 
haft ſpritzte er ihr Blut aus einer eingefchnittnen Halsarterie gegen 
den Lingamftein auf der niedrigen Opferftätte, die er bereitS vorher 
mit Reiskörnern beftreut hatte. Dann lief er dreimal um dieſen 
Platz, warf fich bei jedem Umgang nieder und berührte den Erdboden 
mit der Stirne; mit einem ehrfurchtSvollen Bid auf den erhabnen 
Kanſchendſchunga, diefen „Garten“ feiner Götter, entfernte er ſich. 
Kaum eine Stunde fpäter ſetzte ein Sturm ein, der fich vorgenommen 
zu haben ſchien, mir fämtliche Blechdächer von Dardſchiling zum 
Abſchied vor die Füße zu legen. 

Hans aber fchien wie verwandelt, feit ich ihm gefagt hatte, daß 
unter allen Umftänden marfchiert würde, und fein Auge bliste vor 
tühner Unternehmungstuft. Auch ich hoffte, daß fich nun endlich das 
Blättchen zu unfren Gunften wenden würde, 


u — 


Biertex Kapitel. 
Flucht nad Weſten. 


— 
7 usreißen ift wahrhaftig nicht ſchön, aber Stillliegen und 
> Faulenzen, um nicht zu jagen Verfaulen, ift es noch weniger. 
7 Wir fteahlten vor Wanderluft, als unfer Kufigefindel beim 
Abraſſeln des minzigen Zuges die unfaubren Mäuler aufriß, um 
uns „Fare-well!* und ein Hoffnungsfreudiges „Come back, Sir!* 
zuzukrächzen. 

Es ſchien mir eine recht günſtige Vorbedeutung, daß in meinem 
Wägelchen mir gegenüber eine unverſchleierte indiſche Dame mit 
ihrem Gatten Play nahm. Eine liebenswürdige Frau, ein fchönes 
Mädchen erfüllen ja überall mein Herz mit ehrfurchtsvoll ftaunender 
Wonne, aber grade in diefer wunderbaren Natur war diefe zarte 
weibliche Erſcheinung in ſchönfarbigen, köſtlichen Gewändern, mit dem 
tieffhwarzen Haar und dem herrlichen Zierat ein willlommneres 
Gegenüber als die gelangweilten Engländer in dem folgenden Wagen, 
die ihrer erkrankten Leber wegen nach Dardſchiling geſchickt worden 
waren. Die englifchen Beamten in Indien pflegen befanntlich meift 
ihren Aufenthalt al3 eine Verbannung zu betrachten, die ihnen in der 
Hoffnung auf den einftigen Genuß ihres veichlichen Ruhegehalts in 
„old merry England“ unerträglich lang vorkommt, und das drüdt 
fich Häufig genug in den öden Mienen aus, mit denen fie durch ihr 
Wunderland ftiefeln. 


— ne 





— 96 — 


Zu meiner Ueberraſchung kannte der Indier, ein Profeſſor Boſe 
aus Kalkutta, unfer ſchönes Deutfchland aus eigner Anfchauung, und 
während der Zug durch die üppige indiſche Waldherrlichkeit bergab 
rollte, wurde ich durch unſre Unterhaltung an den romantiſchen 
Glorienſchein erinnert, der die epheuumrankten Schloßtrümmer von 
Heidelberg umſtrahlt, an unſre mächtig aufblühende Reichshauptſtadt, 
an die Schönheit von Dresden, Stuttgart und München und noch 
an fo manches andre, was den Fremden in Deutſchland entzückt. 

Der Herr Profefjor ging europäifch gekleidet. Seine Gattin 
trug ein lachsfarbiges Sammetbarett, von dem ein Seidenfchleier in 
ebenfolcher aber noch lichtrer Färbung herunterwallte. Ueber dem 
dunfelvoten, reich mit ſchwarzen Figuren gefticten Tuchkleide lag ein 
fchneeweißer Seidenmantel, der auf der Schulter durch eine bligende 
Agraffe zufammengehalten wurde; eine gefticte Kante mit aller- 
liebften winzigen bunten Blüten und Blättchen ſäumte diefen präch- 
tigen Mantel. Eine lachsfarbige Schürze, fternförmige Perlenohr- 
ringe und ein paar ſchwere Goldfpangen, mit Löwenköpfen befekt, 
vervollftändigten ihre Bekleidung, die für eine fo mit Ruß über: 
ſchüttete Fahrt allerdings etwas zu zartfarbig war. Spötter bes 
haupten, daß die Lokomotiven erſt fo fürchterlichen Kohlenqualm 
vergeuben, feitdem die Tonne Kohlen nicht mehr 35 Rupien, jondern 
jet, nach der Auffindung von Steinkohlen in Indien, nur nod 
8 Rupien koſtet. 

Nur bis Guhm vermochten die ſchmierigen Bhotijabettelfinder 
neben den Wagen herzulaufen und ihr „Slom, Sob, Bokſchühſch“ 
zu ftammeln und ihre Körbchen voll Orchideen, ihre Rindentäften mit 
zerzauften Schmetterlingen oder bunten Wanzen in die kleinen, offnen 
Wagen hineinzureichen, denn bis Guhm fährt der Wagen bei der Thalfahrt 
zunächſt bergauf. Um im Nebenherlaufen aber nicht zu ermatten, hatten 
ſich die ſchlauen Kerichen zu zweien oder dreien mit ihren Zöpfchen 
aneinander gebunden, fo daß feiner aus dem Gefchäft treten und zurüd- 
bleiben konnte. Von Guhm an aber faufte der Zug wie im Fluge 


- 97 — 


bergab, und man mochte mandjmal. böje werden, wenn die herrlichen 
Landichaftsbilder jo ſchnell verſchwanden, wie fie auftauchten. Was 
bieten die engen Dorfgaffen von Guhm für drollige Einblicke in das 
Leben der niederen Bhotijas! Doch ehe wir noch alles entwirren 
tönnen, ift der Zug fehon weiter geeilt, neuen Eindrüden entgegen ; 
man lernt hier den Dampfwagen verwünſchen und fehnt fich in die 
gute alte Zeit vor dem Jahre 1880 zurüd, wo die Reife von Kal- 


Torfftraße in Guhm. 


tutta nach Dardſchiling nicht 24 Stunden, fondern volle 20 Tage er: 
forderte, für die Kranken allerdings eine Ewigkeit. 

Zwei Meilen hinter Guhm hielt der Zug plöglich mit erfchreden: 
dem Rud. Geplauder und Lachen verftummten; in wilder Hajt 
Hetterte alles aus den Wagen. Wenige Minuten zuvor war die 
ganze, durch den unabläffigen Regen aufgeweichte Bergfeite, an ber 
wir entlang fahren follten, in den Abgrund zur Rechten gejtürzt, 
und mit entjeßten Blicken ftarrte jeder auf die Enden dev Schienen, die 
aus der unabfehbaren Schlammmaffe heroorragten, die bei einem Haar 

Boed, Indijche Gleticerfaßrten. 7 


— 08 — 


ib unſres Zuges geworden wäre. Zwölf Stunden dauerte 
die Fahrgäſte dieſes wüſte, lehmige Trümmerfeld voll Wurzeln, 
ken und Bäumen auf rieſigen Umwegen umgehn und 
n Zuge untergebracht werden konnten, der uns auf ber 
Seite der Unglüdsftätte entgegenfam. Merkwürdigermweife 
) bei der Hinfahrt mit Hans die Möglichkeit eines ſolchen 
ſches juſt an diejer Stelle erörtert. 
jließlich faßen die Reijenden, mehr oder weniger befudelt und 
wieder in dem Zuge, der nun mit verboppelter Schnelligkeit 
ihoß. Es hatte etwas VBetäubendes, durch die erdrückend 
Waldespracht in die übelriechende, immer wärmer wer: 
sumpfluft mit fo toller Fahrt hinunterzurafen; diefer wilde, 
tige Genuß ließ reine Freude nicht auffommen. Selbſt die 
tigende Ausficht von der „sensation corner“ auf da in der 
gende, endlos ausgedehnte indifche Flachland wurde in diefer 
ich gefteigerten Eile und in der Nachwirkung des Entſetzens 
Gefahr, der wir alle entronnen waren, ohne Xeußerung des 
ft ftet3 üblichen „very nice, indeed!“ gewürdigt. 
) mußte einen ganz verzwicten Weg nehmen, um nad) Naini 
fommen. Der weitefte wäre der nächte geweſen, das heißt, 
je Ummeg von Dardſchiling über Ralkutta hätte uns fchneller 
: Station Katgodam gebracht al3 die kürzere Strede, die der 
möglichſt nahefommt, eine Abmefjung, die von den Eng— 
durch die bezeichnenden Worte „as the crow flies“ (mie 
je fliegt) umfchrieben zu werden pflegt. Vor Kalkutta hatten 
de aber eine gewaltige Abneigung, die diejenigen kaum be— 
verden, die nie einen Sommer in Jndien durchgemacht, jondern 
föftfichen Wintermonate für ihre Vergnügungsreife gemählt 
vie dies für eine ſolche ausfchließlich üblich ift. So ſchön der 
alt in den indifchen Städten vom November bi März iſt, 
:slich ift er im den andren Monaten, und häufig genug 
ch dann plöglich in den Schatten eines Hausthores treten, 


— 99 — 


weil mich das Vorgefühl eines Sonnenſtiches überkam, ein unhei 
liches Schwarzwerden vor den Augen. 
Die genannten Orte liegen ungefähr fo zu einander: 


QNaini Tal 
ofaigodam 







. Dardschiling 
Süigeri 


Kalkutta 


Man fieht, daß bei Parbatipur eine andre Linie ziemlich dir 
nad) Benares abzweigt; e3 gab aber bei meiner Neije noch fein 
durchgehenden Wagen auf diefer Strecke. Der einzige Trojt für t 
zahlreichen Aufenthalte und Wagenwechſel beitand darin, daß i 
echt gründlich erfuhr, wie verfchieden man auf den verſchiedn 
indifchen Bahnſtrecken reift, luxuriös auf den Hauptlinien, Hägli 
auf den andren. Aber jelbjt ein Blitzzug wäre noch zu träge fi 
jemanden, der eine Wandrung in da3 Hochgebirge des Himala 
antreten will! 

Aber noch find wir nicht jo weit; wir haben ja erſt in Pa 
batipur den nad) Kalkutta fahrenden Zug verlafjen, ein „vegetab 
eurry“, daS heißt Reis mit allen möglichen gepfefferten Gemüfe 
al3 Nachtmahl verzehrt, unfre Deden und Kopffiffen auf den niedrige 
geflochtnen Bettftellen, den Tſcharpois, ausgebreitet und vergebli 
verjucht einzufchlafen. Vergeblich, weil gleichzeitig mit uns, in dei 


147771 


— 100. — 


felben Wartejaal, ein Engländer übernachtet, der ſich ein Ver— 
gnügen daraus machte, die ganze Nacht hindurch Thee zu brauen; 
bauptfächlic wollte er aber wohl herausbelommen, warn feine große 
Spiritusflafche explodieren würde, aus der er zeitweilig in die 
brennende Lampe nachgoß. ch bat, ich jchimpfte — e3 half nichts, 
er plätfcherte weiter mit dem Spiritus, und id) ſah uns mit unfrer 
ganzen Habe ſchon von Flammen eingehült. Da faßte mich der 
Zorn. Ich fprang von meinem Bett, nahm ein Stüc Blankokreide, 
mit der ich mir meinen Sonnenhelm friſch gemweißt hatte, und malte 
in der Nähe feines, des Engländer3, Kopfes einen großen weißen 
Fleck an die braune Thürfüllung. Dann packte ic) ein ſchönes Jagd: 
gewehr, das ich für alle Fälle in Dardichiling gefauft hatte, aus dem 
Futteral und fing an, es zu laden. 

„What do you do?“ fragte der Theekocher bejorgt. 

„Ich werde nur ein wenig nach diefer Scheibe ſchießen, wenn 
Sie noch einmal Spiritus in Ihre brennende Lampe gießen; eins 
ift jo rückſichtsvoll wie das andre." 

Es kam jedoch nicht zum Knallen; der feuergefährlihe Mit- 
bewohner hielt mich gewiß für fpleenig genug, meine Ankündigung 
auszuführen, und Töfchte das nächfte Mal feine Lampe hübſch aus, 

“bevor er nachgoß. Die Hite fteigt in Indien thatſächlich vielen 
Reuten oft fo jchnell zu Kopfe, daß man auf die fonderbarften Tropen- 
toller gefaßt fein muß; fo bat mich zum Beifpiel einmal in der 
Nähe von Madras eine mit mir allein in der Eifenbahn fahrende, 
plöglich närrifch werdende Dame: 

„Bitte, ftecen Sie doch einmal den Kopf zum Fenſter hinaus.” 

„Aber warum denn?" 

„Weil ich ihn abfchneiden möchte,” jagte fie und holte dabei ein 
geeignetes Brotmeſſer aus ihrem Gepäck! Wie ich ihr entronnen 
bin, gehört wohl nicht hierher. 

Kurz vor Sonnenaufgang ſpazierte ich in das nahe Dorf; die 
drei Stunden bis zur Abfahrt des Zuges konnte ich gar nicht beſſer 


— WI — 


verbringen. Ueberall waren die Leutchen vor ihren zierlich aus 
Bambus geflochtnen Häufern fo fehr mit der Morgentoilette be» 
ſchäftigt, daß fie meine Annäherung gar nicht bemerkten. Wie herr: 
lich fahen doch diefe Frauen und Mädchen in dem offnen ſchwarzen 
Haar aus, ehe fie e3 nad) vielem Striegeln und Einfetten mit 
Kokosöl zu einem Zopfe verflochten! Waren fehließlich auch noch die 
Stirnhaare glatt angeffeiftert, jo konnte ich die lockigen Schelme wirk— 
lich nicht wieder erkennen; verkörperte Poefie und Profa folgten uns 
mittelbar aufeinander. Solange das Haar noch in ‘weichen Wellen 
da3 braune Gefichtchen umflutete, waren die Frauenzimmerchen alle 
wie von hunderttaufend Kobolden beſeſſen; fie tollten und kicherten 
nad) Herzenzluft. Sobald aber der Zopf zufammengemidelt war, 
ichien alle Grazie auszubleiben, und nur noch Haushaltungsangelegen- 
heiten oder ähnlicher nüchterner Unterhaltungsftoff fchienen dann ein 
Recht zum Dafein zu haben. Ich glaubte zu fehen, wie daS feite 
BZufammenziehen der Zopffträhnchen alle ungebundne, angeborne 
Lebenzluft und Eigenart aus den guten Leutchen hinausdrüdte, bis 
Lauter eingezwängte, uniformierte Köpfe übrig blieben, die nur für den 
einzigen Gedanken Raum haben durften: Eine Frifur genau fo wie 
die andre, ja feine eigne Meinung, feine felbjtändige Entwicklung! 

Nah und nad) wurden die Dörfler auf mich aufmerkfam; 
wahrſcheinlich fonnten fie e3 nicht faffen, mit welchem Verdruß ich 
die ungebändigten ſchwarzen Mähnen an den Kopf bügeln fah, denn 
bei den Hindus gilt ja das Begegnen eines weiblichen Weſens mit 
aufgelöftem Haar als ein Unglück, und ic) fchien diefes holde Un— 
glüd förmlich aufzufuchen! In diefem Landesteil, in Vengalen, 
find zwar die Anfichten über das Abſchließen der Frauen nicht jo 
ftreng wie etwa weiter im Weften, in der Radfchputana. Immerhin 
fchien mein böfer Europäerblid fo gefürchtet, daß die Mädchen 
ichleunigft von den voten Waſſerkrügen megliefen, mit denen fie ſich 
unter den Vananenjträuchern an ihren Häufern gegenfeitig über: 
goffen hatten, aber mahrfcheinlich hätten es europäifche Damen in 





— 102 — 





ſolcher Evaverfaffung auch nicht viel anders gemacht. Andre ge— 
tieten in ihrer Derlegenheit auf den fchlauen Ausweg, den der 
Vogel Strauß bei feiner Verfolgung einfchlagen foll, und den ich 
bereit3 in Perfien wiederholt beobachtet hatte: wenn da die Perfer- 
mädchen an der Dorfftraße ftanden, auf der ich mit meiner Karamane 
vorbeitrabte, verhülften fie fich gewöhnlich fehleunigft mit ihrem einzigen 
kurzen Röckchen das Geficht, um diefes oder wenigftens den Mund 
ja recht dicht vor dem Männerauge zu verfchleiern. 

Unerfchöpflich war für mich auch in diefem Dorfe, wie überall, das 
Vergnügen, den Heinen, fplitternacften Kindern zuzufchauen. Die an- 
geborne, unendliche Grazie der Hindus kommt ſchon bei den find- 
lichen Spielen zur Geltung und gewinnt durch die ſparſame Aus- 
ſchmückung der braunen Knirpſe einen eignen Reiz. Ein Schnürchen 
mit einem voinzigen Amulettkapſelchen um die Hüfte oder um den 
Hals, ein filbernes Armband um das zarte Handgelent — das ift 
außer der gründlich mit Kokosöl eingeriebnen Haut die ganze Veklei- 
dung der indijchen Heinen Eva und ihres Brüderchens. Wie haſtig 
rannte aber hier jedesmal die Mutter herbei, wenn fie merkte, daß 
mein Auge mit Wohlgefallen auf diefen unjchuldsvollen Geftalten 
ruhte, und wie entjeßt ſchlug fie dann ihr Kopftuch über die Heinen 
Würmden! Eilig 309 fie dann eine Nußfchale voll ſchwarzer Tufche 
aus den Falten der Tücher, aus denen fi die Hindufrau ihre Be— 
kleidung zurechtwickelt, und malte einen dien Strich auf jedes untre 
Augenlid der Kinder, ganz jo, mie es die Helden der Bühne und 
andre Schminkfünftler thun; dadurch waren fie vor der Nachwirkung 
meines böfen Blickes geſchützt. 

Die Höfe waren fehr fauber durch Aloehecken abgegrenzt; gewöhn⸗ 
lid) Tagen Kühe mit Gemshörnern darin, und zroifchen ihnen ſpazierten 
ſchöne Pfauen umher. An der Seite fauerten Weiber, die orange- 
gelbes Mangomus auf dünne Brote ftrichen und diefe Pflaumen- 
fuchen dann in der Sonne trockneten, während die älteften Frauen 
diefem wichtigen Vorgang zuſchauten und dabei an einer Waffer- 


— 138 — 


pfeife faugten. Dei feinem Haufe fehlte der Bananenjtrauch, den 
der Hindu bei feiner Vermählung anpflanzt, um einen beftändigen 
Emährer zur Seite zu haben. Indien ohne Bananen iſt jo undent- 
bar wie Jtalien ohne Orangen und Zitronen; ob jedoch der Apfel 
des Paradiejes 
wirklich eine Ba⸗ 
nane geweſen ift, 
wie man munelt, 
wage ich nicht zu 
behaupten. 
Ungemein drol- 
fig war ber Kinder⸗ 
transport, al3 die 
Bauern auf ihre 
Felder hinaus- 
zogen. Die Mutter 
padte die Kleinen 
zu dreien ober 
vieren in einen 
Tragkorb und 
nahm den ſchweren 
Pflug über die 
Schulter; der Va— 
ter trug ein Kind 


auf dem Rüden, Hütte eines Qindubauern. Die fauernde Frau faugt an einer 
ein andres Eam- Waflerpfeife; neben ihr ein nur mit einem filbernen Armband befleideter 


merte fid) an Bruft m 

und Schultern, ein drittes hodte in der Hüfte; jo belaftet trieb 
er feine Zugtiere hinaus auf die überſchwemmten Aecker. Das 
Kinderhäuflein wurde am Feldrande niedergefeßt, dann murde 
des Regens wegen eine zeltförmige Bambusmatte über fie geftülpt, 
während die Väter, oft bis an die Hüften im Waffer, hinter 


— 14 — 


dem Pfluge hergingen, der noch, wie vor Tauſenden von Jahren, 
ein roher Holzhaken iſt, vor den gewöhnlich ein Büffel mit einem 
Zebu zuſammen eingeſpannt iſt. Luſtig ſah es aus, wie während 
des Pflügens nicht nur kleine Buben, ſondern auch Vögel aller 
Art den Rücken der Wiederfäuer als das trockenſte Plätzchen be— 
trachteten, und auch die Stare benutzten dieſe Gelegenheit, um ſich 
allerlei Leckerbiſſen aus dem Zell der Zugtiere zum Frühſtück 
herauszugabeln. Es wunderte mich übrigens, daß die Ausſaat 
ganz ſorglos auf die überſchwemmten Felder geworfen wurde, wo doch 
Störche und andre hochbeinige Vögel dicht hinter den Pflügern 
einherſtelzten. 

Am Bahnhof kauerte ein kleiner Hindubube; ſechs Betelblätter 
waren ſein ganzer Vorrat an Waren, den er bei der Liebhaberei der 
Hindus für dieſen Genuß wohl bald abgeſetzt haben wird, wobei es 
gut für ihn war, daß die Indier Geldmünzen im Werte von einem Drittel» 
pfennig haben, denn fo viel kojtet das halbe Dutzend diefer Blätter. 

Auferordentlich zweckmäßig fehienen mir hier auch die Laftträger 
zu verfahren. Die elaſtiſche Tragftange binden fie mit einer untren, 
fürzren zufammen, fo daß eine jtarf federnde Tragvorrichtung ent— 
fteht, an deren beiden Enden fie ganz riefige Laſten aufhängen und 
auf der Schulter davonjchleppen können. 

Bei der Station Biral begann eine neue Verbindungsbahnlinie, 
die aber in einem nicht jehr erbaulichen Zuftande war. Unſer Nacht 
zug mußte ganz ausfallen, denn: 

„Es hat feinen rechten Zweck, in die Nacht hineinzufahren, wenn 
man weiß, daß man dabei verunglücten muß!" bemerkte lakoniſch 
der Stationsmeijter, aber erjt am nächften Tag zeigte fich, wie ſchauder— 
haft Erdbeben und Ueberſchwemmung der Bahn mitgefpielt hatten. 
Es ift ja immer ein jeltfames Gefühl, auf wackligen, verbognen Schienen 
zu fahren; liegen dieje aber auf einer geländerlofen, zerborftnen Brücke, 
jo wird die Sache doch etwas unappetitlich, wenn, wie hier, Dutzende 
von Krofodilen ihre fchläfrigen Augen und anfehnlichen Kauwerkzeuge 


— 15 — 


aus dem gelben Sumpfwaſſer ftreden. Wie die Bewohner eine in 
dem Sumpf ftedtenden Dorfes fich mit diejer efelhaften Nachbarſchaft 
vertrugen, konnte ich nicht erfahren; man wird den heiligen Tierchen 
wohl ab und zu einen abgefchiednen Mitbürger oder ein neugebornes 
Mädchen oder fonft etwas für den Hindu Wertlofes aufgetifcht haben, 
um die Freundfchaft zu erhalten. 

Großen Spaß machten mir aufdiefen Heinen Stationen im Mofußil 
gewöhnlich die Vorfteher, die im Hochgefühl ihrer Würde ihr blaues 
Zurbantud bis in die Wolfen emporgemidelt hatten; dazu trugen 
fie ein blaues Jäckchen und ein weißes, zum Beinkleid zufammen- 
geichlungnes Hüftentuch, in dem die nadten Bronzemaden ſteckten. 
Weld ein Unterfchied zum Beifpiel gegen die feſchen Stations: . 
vorfteherinnen in Norwegen, die dort mit buntbebänderten grauen 
Filzhütchen auf dem blonden Kraustopf das Zeichen zur Abfahrt 
geben, das ihr barfüßiger Hindufollege durch einen Hammerſchlag 
an einem aufgehangenen Stüd Eifenbahnfchiene erzeugt! Auf größren 
Stationen find in Indien die Vorfteher aber ftet3 Europäer. 

Je weiter wir nun nach Weften fuhren, defto heller braun fchien 
die Hautfarbe an den Stationen der verfammelten Eingeborenen zu 
fein; erſchreckend viel Ausfägige und Hautfranfe waren darunter. Die 
Fliegenſchwärme ließen fi) bald auf diefe armen Teufel, bald auf 
die Herrlichfeiten de3 Zuckerbäckers nieder, der auf feiner Station 
fehlte. Seine Süßigkeiten trug er gewöhnlich auf einem geflochtnen 
Tiſchchen, deſſen zierlicher Fuß in einer flachen Meſſingſchüſſel 
Stand, auf der er dann das Eingefaufte in ein Bananenblatt 
packte. 

Als wir glücklich über die wackligen Brücken fort waren, 
ging die Fahrt ununterbrochen in dem ſeichten Waſſer weiter, das die 
Schienen bedeckte, und eine feuchtre Eiſenbahnfahrt konnte man ſich 
wirklich nicht denken. Kleine, grüne Papageien und andre bunt: 
Ichillernde Vögel faßen auf den Telegraphendrähten, Raben und 
Krähen auf den Stangen, und hie und da plätfcherte ein plumpe3 


— 16 — 


Ruderboot mit gemwaltigem Holzkreuz als Steuer dicht an dem Zuge 
vorüber; fonft war oft jtundenlang nicht3 als überſchwemmtes Ge— 
lände zu fehen. 

Dann, al3 wir der Station Katihar näher kamen, zeigten ſich 
ftattliche aber zertrümmerte Häufer. Sie hatten Rädelsführern in der 
großen indifhen Empörung, in der „mutiny“, gehört, und ihre 
Ruinen mußten feit diefem Jahre 1857 zum warnenden Merkzeichen 
dienen. 

In Katihar hatten wir den Zug zu wechſeln, wobei ich das 
Mißgeſchick hatte, mein Notizbuch Tiegen zu laffen. Ich befchrieb 
einem englifchen Bahnbeamten fogleich den Platz, an dem er e3 finden 
möüffe und bat, e8 mir nad) Naini Tal nachzufenden. Statt des Buchs 
erhielt ich die Mitteilung, ex habe es gefunden, würde e3 aber nur 
gegen vorherige Einfendung von 100 Rupien an mic) einjchiden. 
Leider brauchte ich die darin enthaltnen Notizen zu dringend, fonft 
hätte der Herr wohl einen andren Finderlohn fennen gelernt als 
diefe unbefcheidne Summe. 

Bei Sahibgundich Fam wieder Leben in die öde, überſchwemmte 
Landſchaft. Kanonen und Wagen, mit Kamelen beipannt, Karren 
mit zwei wuchtigen Holzfcheibenrädern und zierlich ausgeputzte Wagen, 
mit votem Tuch verhangen, fuhren auf der gutgepflegten Landſtraße 
vorüber. Die zulegt erwähnten zweirädrigen verfchlofinen Wagen 
beförderten Frauen, die von einer Hochzeit famen, denn das weiße 
Fell der Bugtiere, der Zebus, war mit glückbringenden bunten 
Zeichen bemalt, und die Hörner waren prächtig vergoldet; von den 
zarten Infafjen war jedoch) nichts zu fehen als hie und da ein 
Füßchen, deſſen Gelent und Zehen reich mit Ringen geſchmückt 
waren. Der erfte Anblick eines folchen Fußes, defjen Zehen von 
dem liebevollen Gatten mit devartigem Schmud überladen worden 
waren, wirkte verblüffend auf mich. " 

Die Temperaturen während dieſer Sommerfahrt durch Nord- 
indien waren mittags durchichnittlih 409 C. im Schatten; in der 





— 107 — 


Nacht janken fie gewöhnlich bis auf 34%, einmal fogar bis auf 30%, 
Wir gaben es auf, uns durch das übliche Wedeln mit einem Heinen 
Palmfächer Kühlung zu verfchaffen; obwohl dies allgemein auch von 
den Eingebomen geübt wird, folgt auf die Abkühlung dur die 
mit dem Fächeln verbundne förperliche Anftrengung ein um fo 
bemerkbareres Wärmegefühl. 

Man hat vielfach behauptet, daß derfelbe Hohe Wärmegrad an 
verſchiednen Orten verſchieden auf denfelben Menſchen einwirke. 
Es wird damit wohl fein, wie mit den römifchen und ruffischen 
Bädern. Während 
dem einen 50° in 
trodner Luft er- 
träglicher dünfen 
als diefelbe Tempe: 
ratur in heißem 

Wafjerdampf, 
giebt es viele, bei 
denen ſich die Em- 
pfindunggradeum- 
gefehrt äußert. Mir perfönlich ift die mit Wafjerdünften gefättigte 
Hite noch widerwärtiger als eine gleich hohe trodne Wärme, weil 
bei diejer. der auftretende Schweiß ſchnell verflüchtigt wird, während 
er in feuchter Hitze nicht verdunten kann, jondern ſich unangenehm 
bemerkbar macht. 

Die wichtigfte Umfteigeftation nächjt Benares, wo wir erft auf 
der Rückreiſe kurzen Aufenthalt nahmen, war für uns fchließlic 
Bareilly an der Oudh- und Rohilfandlinie. Man merkte aus dem 
Getümmel der Soldaten auf dem Bahnhof, von denen die euro- 
päifchen mehrfach ein Gläschen über den Durft getrunken hatten, 
daß hier eine verfehrsreiche Garnifon fein müffe Das reifende 
eingeborne Zivilpublifum war infofern auch uniformiert, als die 
Fahrgäfte ganz gleiche Regenjchirme und Laternen, ſcheinbar aus der- 


Arme, Fußgelent: und Zehen / Ringe einer Hindufrau. 


a \ 


— 18 — 


jelben Bezugsquelle, als Handgepäck mitgenommen hatten, genau fo 
wie man in einem Mecklenburger Dorfe fämtliche Bauern mit der- 
jenigen Mützenſorte einherftolzieren fieht, deren Mujter vor dem 
Angeficht des maßgebenden Stimmführers in Müsenfachen zufällig 
Gnade gefunden hat. . 

Auf dem Bahnhof ging e3 toll genug zu. Wartefäle für die 
Eingebornen, die in der dritten Klaffe fahren, giebt es natür- 
lich nicht; in großen Hallen fauern oder liegen fie familien» und 
faftenweife in Haufen beifammen, bis die Abfahrtszeit heranfommt. 
Gewöhnlich benugen fie diefe Gelegenheit, um die langen, dünnen 
Turbantücher, in die fie fich nacht3 einzumiceln pflegen, frijh um 
den Kopf oder zur Abwechslung auch einmal als Beinkleid um 
die Hüften oder als Mantel um die Schultern zu jchlingen, wobei 
man wahrnehmen Tann, wie die meiften den Kopf bis auf einen 
Haarbüfchel am Wirbel fpiegelglatt gefchabt tragen, während andre 
nur einen handbreiten Scheitelftreifen ausrafieren laſſen. In Bareilly 
ſchienen fich die Leutchen dabei die Zeit vortrefflih zu vertreiben. 
Ein Tierftimmenimitator brülfte mitten unter den Wartenden bald 
wie ein Tiger und gadferte bald wie eine Eier legende Henne; dann 
tat ein fpindeldürrer Kerl in fehauerlichen Lumpen auf, der mit 
anerfennenswerter Gemütsruhe ein Dutzend blecherner Schwerter in 
den Mund und bis ans Heft in die Speiferöhre ſteckte. Wäre ich 
zufällig Agent eines europäifchen Tingeltangel® geweſen, hätte ich 
durch das Engagement diefer Leute jedenfalls ein ganz gutes Ge— 
ſchäft einleiten können. | 

Draußen vor dem Bahnhof warteten Packeſel und Ochfen auf 
ihre Lajten; in den nahen Gehöften ſah man gefefjelte Elefanten, 
die zum Ziehen ſchwerer Geſchütze beftimmt waren. Eins diefer 
Untiere war mit feinem Jungen zufammen angebunden, jo daß 
beide durch ihre feltfamen Stellungen den aus der offnen Bahn- 
hofshalle Zufchauenden unerfchöpflichen Stoff zu jcherzhaften Be— 
trachtungen und Vergleichen gaben, bejonder3 weil gleichzeitig ein 





— 19 — 


Kamel mit feinem ebenfo drolligen Sprößling auf der Straße ging. 
Auf dem Höcker des Kamels kauerte ein Hindu mit einem Stuhle, 
der aber ſchwerlich fein Eigentum war, da der Hindu fich ſtets 
niederhockt und nie auf einen Seffel fegt, weil auf diefem ja ſchon 
einmal jemand von niedrigerer Kafte geruht haben kann. 

Der geneigte Lefer wird ermeflen Fönnen, mit welcher Freude 
wir in Ratgodam den Eifenbahnwagen nad) viertägigem Schmoren 
verließen. Wir hatten fat ftets Sonnenfchen gehabt, und ber 
Regen fchien wirklich) im Abnehmen zu fein, fo daß Hans fich 
bereit3 in den ſchönſten Hoffnungen wiegte. Wir packten unfre 
Sachen auf vier Packpferde und marjchierten nebenher, um endlich 
einmal die Glieder wieder rühren zu können, da die Sommerfrijche 
Naini Tal nur vier Wegftunden entfernt fein follte. 

Die bald fteil amfteigende und jehr fotige Straße war von 
prädtigen Bäumen übermölbt; wären nicht zahllofe große, graue 
Affen in den Wipfeln herumgefprungen, hätte man fic) nad) den 
Harz verfeßt denfen können. Allerdings waren die 38% Hige in 
diefen Baumhallen jo drücdend, daß man doch fortwährend daran 
erinnert wurde, in Indien zu wandern. Diefer Marfch griff uns 
ganz auffallend an; die vier heißen Reifetage in der Eifenbahn 
hatten und fo matt wie Fliegen, die aus der Milch gezogen find, 
gemacht, jo daß Hans wiederholt den Stoßfeufzer äußerte: „Wenn 
i nur an Wein hätt’!", während er bei dem guten Wein an der 
Hoteltafel in Dardſchiling beftändig gewünſcht hatte: „Wenn i mur 
ein brauchbares Waffer hätt!" Als nun gar eine riefige Büffel- 
herde und entgegenfam, und jedes diefer plumpen Tiere unfrem 
Weitergehen boshaften Widerjtand entgegenzufegen verfuchte, bereute 
ich es doch, nicht mittels einer Ertvapoft, einer „Tonga“, ſchnell 
nad Naini Tal gefahren zu fein. 

Die Bergzüge waren vielfach) gewunden und verzweigt, fo daß 
das graue und entgegenfchäumende Bergwaſſer zahlreiche Zuflüſſe 
erhielt. Nach einigen beſonders fteilen Stellen famen wir zu einem 


— 110 — 


»as nichts Geringre3 als eine Brauerei war; an der 
: duch einen prächtigen Brunnen, einen Stierfopf aus 
ut einer gemaltigen Kobrafchlange als Abfluß, auch für 
sirjtigen gejorgt, aber mit gradezu frampfhafter Ueber- 
iſres brennenden Durftes verfagten wir uns den Genuß 
md Waffer, da uns fchon in Katgodam ein erfahrner 
e wegen der in Kumaon grade beſonders bösartig herrichen- 
ı vor diefer verführerifchen Stelle ernftlich gewarnt hatte. 
ste Anſtieg auf der breiten Chauffee nach Naini Tal 
fo viel Mühe, al3 ob wir von einer jchweren, eben über- 
Trankheit erfchöpft wären. Diefe entnervende Wirkung 
n Klimas fo deutlich an uns zu jpüren, war förmlich 
ternd. Wir fahn uns gegenfeitig mit Vefremden an 
wohl gleiche Sorge wegen unfrer fernern Reife. 








Fünffee Kapitel. 
Aufbrud ins Hochgebirge. 






wurde dunfel, ehe wir die erjten Häufer von Naini Tal 
erreichten. Der Mond war aufgegangen und beleuchtete 
F magiſch das phantaftifche Bild des Ortes, das fich bei einer 
plöslihen Straßenwindung unter uns zeigte. In dem Spiegel des 
Sees funfelten die Lichter aus den Villen und Klubhäufern, die an 
jeinem Ufer zwifchen Bäumen verſteckt Tagen. Dahinter ftiegen be: 
waldete Bergrücken empor und erinnerten an den verheerenden Berg: 
rutſch, der am 18. September 1880 den Ort mit zahlreichen Ein- 
wohnern verjchüttet hatte. Diefe Sommerfrifche wird nämlich aud) 
im Winter von den Familien englifcher Beamten, die nur ihren kurzen 
Sommerurlaub hier zubringen können, bewohnt. 

Ganz ungewöhnlich erfchienen mir die Häufer des Bazard an 
der Straße, die fih zum Seeufer hinunterzog. Dieſe braunen, mit 
Schnißereien reich verzierten Holzhäufer hatten nämlich vorn und 
hinten eine Thür zu der im Zickzack, alſo zweimal, an jedem Ge- 
bäude vorbeiführenden Straße; die vordre, nad) dem See gefehrte 
Seite hatte viele Etagen mit Galerien, während die rückwärtige 
außerordentlich niedrig und glatt war. 

Wir fanden im übervollen Albion-Hotel nur mit Not und 
Mühe Unterfunft; der Wirt fah uns gleich an, daß wir nicht zu 
den üblichen Sommerfrifchlern gehörten, lächelte aber recht fpöttifch, 
als ich ihm fagte, daß ich auf die „snows“ des Himalaja gehen 
wollte. 


— 12 — 


„Sie können allerhöchftens bis zum Furkia-Bungalo und an 
den Fuß des Pindargletfchers kommen; dann müſſen Sie unbedingt 
wieder umkehren!" erklärte ev mit Beftimmtheit. Hans gab mir einen 
feiten Rippenftoß und raunte mir zu: 

„Laß uns nur erjt hint’ fein, nachher wollen wir ſchon weiter- 
kommen.“ 

Am nächſten Morgen ging ich zuerſt in die Bibliothek des 
Konverſationshauſes und fand glücklicherweiſe im Theaterſaal auch 
eine Karte von Kumaon angeſchlagen, die wegen fehlender Nachfrage 
ſonſt nirgends erhältlich war. Man darf nicht vergeſſen, daß ich 
mich ganz plötzlich zu dieſer Reiſe nach Naini Tal entſchloſſen hatte 
und deshalb gar nicht auf ſie vorbereitet war. Dieſe Karte kopierte 
ich vor allen Dingen unter dem ſtaunenden Geflüſter der klatſch— 
füchtigen Herrn Sommerfrifchler; das ſchien ein gefundnes Thema 
zu fein! Daß jemand zum Vergnügen in die durchweichten Urwälder 
und in allerlei unbelannte Gefahren fpazieren und die Billards, 
Lawn Tennis-Pläge und Tanzredouten von Naini Tal entbehrlich 
finden wollte, das war doch ein ganz unmahrfcheinlicher Gedanke; 
da mußte etwas andres dahinter ſtecken, befonders weil der einzige 
glaubwürdige Grund zu folchen Ausflügen, die Jagd, von mir nicht 
vorgeſchützt wurde, 

Mit Beforgnis fah ich das Angſtgeſpenſt der ruffifchen Grenz- 
fpionage wieder fein Unmefen treiben. Der Hotelier hatte mir am 
Ankunftsabend verfprochen, für Reit- und Pacpferde bis zum nächſten 
Bungalo forgen zu wollen, und hatte mich zugleich belehrt, daß es 
in Kumaon Landesfitte oder „dasturi“ fei, täglich und von Ort zu 
Ort die Pferde und Träger zu wechſeln, daß aljo hier nicht wie in 
Sikhim ein „Sirdar" mit feinem Trägertrupp die ganze Reife mit- 
mache. Als ic) aber von meiner Rartenabzeichnung zum Tiffin, das 
heißt zum Mittageffen, in das Hotel zurücktehrte, machte ev allerlei 
Ausflüchte geltend. Ex berief fich auf die in der That in Kumaon 
herrſchende Cholera und die Mißernte, zeigte mir aud) einen Erlaß 





— 13 — 


des Deputy Commissioner, der vor Reifen in das durchfeuchte Gebiet 
warnte und erklärte ſchließlich, er könne unter feinen Umftänden Pferde 
bejorgen. Die Sache fing aljo auch hier wieder recht erfreulich an. 
Die Schidjalstüden in Dardfchiling hatten mich jedoch ſchon fo weit 
abgebrüht, daß ich ganz ruhig eine größre Anzahl Pfundnoten in 
Rupienſcheine wechjelte und ein paar Kiften Ronjerven einkaufte. Dann 
miachte ich mich mit Hans daran, unfre Ausrüftung durchzumuftern. 

Ich fiel beinah in Ohnmacht, als Hans die Koffer auspadte 
und ich fah, was die indifche Regenzeit verübt hatte. 

„Solch einen armfeligen Schimpel giebt e3 ja gar nicht; das ift 
ja ein unglaubmwirdiger Schimpel!" fo Hang es unausgeſetzt von des 
Tirolers Lippen, als er die mit zolldicken Schimmelfruften überzognen 
Lederfachen, die Bergftiefel, Gamaſchen, Riemen und Taſchen auskramte. 
Wahre Klumpen von Infekten und Würmern famen aus den Koffern 
zu Tage. Daß jedes Eifenftückhen in einen Haufen Roft verwandelt 
war, Tufche, Briefmarken und Couvert3 fich zu einem unauflöslichen 
Baden zufammengeffebt hatten, während alle geleimten Holzſachen 
verquollen oder au3einandergefallen waren, bedarf wohl kaum der 
Erwähnung. Drei von meinen foliden Transportfäften mußte ic) 
al unbraudbar fortwerfen und erfegte fie durch Tandesübliche würfel- 
förmige Fellkoffer; zwei davon waren mit Hirfch- und einer mit 
Leopardenhaut überzogen. Das ärgerlichite war, daß mein großer 
Anerordbarometer unter der gemeinfamen Einwirkung von Feuchtigkeit 
und Hiße feine Verrichtungen eingeftellt hatte und ich mich auf ein 
fleine3 und wenig zuverläffiges Inftrument befchränten mußte, das 
noch dazu jpäter entwendet wurde. Genaue Mefjungen lagen zwar 
außerhalb meines Programms, aber grade diefe Inſtrumente find 
für jeden Reifenden faft unentbehrlich, obgleich fie, wie Whymper 
jagt, „dem Reifenden das Bergfteigen verleiden können“. Gern hätte 
ich einen Erſatz aus Kalkutta kommen lafjen, aber Hanfens Befinden 
fing an, ernjtliche Beſorgnis zu erregen; ex drängte auf fehleuniges 
Fortlommen, und auch ich fürchtete, einer neuen Wartezeit nicht 

Bed, Indiſqe Getiherfaßtten. 8 


— 14 — 


mehr gewachſen zu ſein, wußte auch bereits aus Erfahrung, wie 
gewagt derartige Beſtellungen in Indien ſind, denn irgend einen 
Mangel weiſen ſolche Sachen, die einige Zeit in Indien gelagert 
haben, ſtets auf. 

Ich ſetzte die Abreiſe, kurz entſchloſſen, auf den nächſten Morgen 
feſt, wußte aber ſelbſt noch nicht, wie ich ſie ermöglichen ſollte. 

In aller Gemutsruhe nahm ich, ohne mein Vorhaben zu äußern, mit 
Hans an der Abendtafel teil; ein Salat von Tomaten und Waſſer⸗ 
kreſſe war eine wahre Erfrifchung für unfren ausgeglühten Zuftand, - 
doch glaube ich, daß der Tiroler diefe fteifen Table d’Hote-Abfütterungen 
vermwünfchte, weil ihm die Beachtung der englifchen Tifchfitten ohne 
Zweifel recht läſtig fiel, wenigftens fagte er naiv, als fich beim jedes⸗ 
maligen Weggang einer Dame alle zurüctbleibenden Herren der Tafel- 
runde erhoben: 

„Warum foll ih denn aufftehen? Ich kenne fie ja gar nicht! 
Wenn ich aber aufftehe, dann muß ich fie doch wohl auch nachher 
auf der Straße rupfen?“ Unter „Rupfen“ verjtand er natürlich 
das grüßende Hutabnehmen und nicht etwa irgend etwas andres. 

Das Tiihgefpräch wurde auch hier bald auf Rußland gelenkt und 
dabei das Gerücht der Ermordung des Zaren durch einen beutfchen 
Sozialiften beſprochen. Es ftellte fich aber heraus, daß diefe Nach- 
richt von einer indischen Beitung erfunden war, um andren Blättern, 
die ihre Telegramme unbefugt nachzudruden pflegten, eine Blamage 
zu bereiten. 

Nach Tiſch machte ich mich auf die Suche nach Pferden und 
Kulis; wenn ein Hotelmirt jagt, es giebt Feine folchen, thut man 
freilich für gewöhnlich am beiten, von allen perfönfichen Bemühungen 
abzufehen. 

Als ich das Hotel verließ, hörte ich ein ganz jämmerliches Ge- 
minfel und fah, wie der Hotelbäder zwei Hindumädchen mit einem 
derben Beſen erbarmungslos durchprügelte. Die jungen Damen 
waren feine Schweftern, die mit ein paar englifchen Soldaten durch 


— 15 — 


gegangen, aber veumütig wieder zurüctgefehrt waren. Warum tragen 
aber auch die britifchen Soldaten Uniformen aus fo unwiderſtehlich 
ſcharlachrotem Tuch! 

Auf dem Bazar fand ich einen Pferdehändler, der mir zwar 
verficherte, daß alle verfügbaren Pferde für einen Jagdausflug des 


Bromenade am Ger in Raini Tal. 
Gine Dame im Xragfuhl. Im Hintergrund ein Dindu - Temdel. 


„Gouverneurs der Nordiweftprovinzen“ in Anſpruch genommen feien, 
daß er mir aber gegen Erlegung der dreifachen Tare ein paar Reit- 
pferde und acht Kulis zum nächften Morgen beforgen wolle, die mich 
bis nad) Almora begleiten würden, Mir fiel ein Stein vom Herzen, 
und mit einem fröhlichen: „Hans, es geht los!“ kehrte ich zu dem 
Tiroler zurück. Bor Freude ſchien diefer feine Unpäßlichfeit plötzlich 


— 16 — 


abzufhütteln, und glücjtrahlend bat er mich), mit ihm noch einen 
Abendfpaziergang um den See zu machen. 

Der etwa zwei englifche Meilen (3,2 km) lange und 98 Fuß 
oder 28 m tiefe See liegt 6350 Fuß (1986 m) über dem Meer, und 
hat diefem Orte den Namen gegeben, denn das hindoſtaniſche „Tal" 
heißt „See“; er ift eine Inndfchaftliche Perle edelſter Art! Es fehlt 
ja außer einigen Keinen Waſſerbecken in der Nähe Naini Tals jo 
fehr an Seen und Waſſerfällen im Himalaja, daß man diefen Mangel 
ſtets betonen muß, wenn 
man die müßige Frage 
beantworten foll, ob der 
Himalaja fehöner fei als 
die europäifchen Alpen, 
eine Frage, die ebenjo 
unmöglich zu entfcheiden 
iſt wie die, welche von 
zwei blendend ſchönen 
Frauen von verſchiede⸗ 
ner Raſſe die reizvollere 
ſei. Wer die landſchaft⸗ 
liche Schönheit nur im 
Zuſammenklang aller 
gewohnten Beſtandteile 
finden kann, wird freilich im Himalaja manches vermiſſen; wer da» 
gegen auch unter dem Beiſpielloſen und Ungeheuren die oft faſt 
erdrückte Schönheit herausfinden kann, wird ſeine kühnſten Träume 
überflügelt ſehn! 

Der See iſt von ſtattlichen Bergen umſäumt, deren höchſter der 
8500 Fuß (2590 m) hohe Chiner iſt. Auf ſeinen Fluten ſchaukelten 
ih) im Mondichein flotte Jachten, aus dem weißgetündten Hindu- 
tempel ſchallte mächtiger Tamtamfchlag und heftiges Klingeln, vom 
Bazar her tönte das Gefchrei der Feiljchenden wie leiſes Murmeln, 


Am Ufer des Naini Sees. 





und aus bem Ballſaal des Konverfationshaufes drangen die lockenden 
Töne eines Walzer3 an mein Ohr. 

Auf der Promenade hufchten Holdfelig blidende Ladies an mir 
vorüber, um die Würde der Ballkönigin zu ertangen. In Dandi- 
teagjtühlen, deren Laſt mittels Stangen auf den Schultern dreier 
Kulis verteilt wird, faßen die englifchen Schönen in mollig zarten 
Bolten von Spiten, Seide und Muffelin; der Pelz für die nächtliche 
Heimkehr hing über der Lehne. Fadelträger warfen ihr unſtetes 
Licht auf diefe bunten, wechielnden Bilder, deren Glanzpunkt das 
Erfcheinen der Gemahlin de3 Gouverneurs bildete, kenntlich an der 
fteahlend feharlachroten Farbe, die nur für die Tracht feiner Diener 
in Anwendung kommen darf. Alle andren leiden ihre Dienftboten 
nad) Geſchmack und Mitteln, und es giebt faum eine Farbe, die 
nit für Turban oder Hüftentuch oder Jacke verwendet würde; am 
fiebften fcheinen diefe Hindus ihre braunen Beine mit einem fchnee- 
weißen Schurz zu umfchlingen, während für Sopftücher Hellrot, 
Lachsfarbe und Schwefelgelb bejonder3 beliebt find. 

Die Dandis waren mir ſchon von Dardichiling her bekannt; 
aber bier in Naini Tal waren fie viel mehr in Gebrauch. Man 
Huldigte bier viel auffälliger der Anficht, daß es der Würde der 
Weißen nicht gezieme, ſich zu Fuß gehend den Eingebornen zu zeigen. 
Bill ein Engländer „Luft eſſen“, wie der Indier das Spazierengehen 
nennt, fo wird er dies in einem Park thun, aber nicht auf der 
offnen Landſtraße. 

Wir fehrten zeitig nach Haufe zurüd, um alles für den nächften 
Morgen marjchbereit zu machen. Natürlich hatten wir während des 
Berpadens eine Unzahl von Hotelbedienten als Zufchauer, wobei 
ich für Wißbegierige gleich anmerfe, daß es in Indien ſowohl in 
Hotel3 wie in Privatwohnungen nur noch männliche Dienftmädchen 
giebt; in früheren Jahrzehnten war dies anders, aber die unerwünſcht 
zunehmende Zahl von verachteten „half cast“-Kindern machte die 
Einführung von männlichem Dienftperfonal nötig. 


— 18 — 


Das Zuſchaun machte den Leuten weiter feine Schwierigfeiten, 
da unfre Zimmerthilr nur aus Spalten beftand, das heißt aus 
einem Vorhang von Schnüren, auf die Bambusftäbchen und bunte 
Glasperlen fo aufgereiht find, daß in der Geſamtwirkung ein 
gefäliges Mufter entfteht. Diefe Thüren geftatten der Luft be 
ftändig freien Zutritt und zeigen doch durch ihr Klappern jeden 
Eintretenden an. 

Die allgemeine Neugier wurde durch ein herrliches Schaufpiel 
belohnt. Als der Tiroler nämlich fnieend den Riemen meines Apparaten- 
koffers ftark anzog, riß der Riemen ab, und Hans prallte zurück⸗ 
taumelnd mit dem Kopfe gegen das Marmorgefims des Kamins. Der 
Krach war jo fürchterlich, daß die Zufchauer danonrannten und ich 
glaubte, der Aermſte hätte fich ein ungeheures Loch in den Schädel 
geſchlagen; doch gleichmütig fuchte Hans die Ramintrümmer zufammen 
und brummte verächtlich etwas von jchlechter Steinarbeit in den Bart, 
ohne auch nur an den Kopf zu fafjen. 

Der nächſte Morgen brachte eine jähe Enttäufchung. Mit einem 
wahren Märtgrergeficht weckte mich Hans unter der trübjeligen Ver- 
fiherung: 

„Es vegnet auch) hier ganz armfelig!" Zur Beftätigung praffelte 
der Regen auf dem Dach, al3 ob er durch das Wellblech hindurch- 
ſchlagen wolle. 

„Sa, Hans, was follen wir da machen? Sollen wir gehen? 
Entſcheiden Sie!" Der Tiroler jah mich prüfend an, ging dann 
zum Fenfter, ſchaute lange in die herunterfchießenden Wafjerftröme, 
dann Fam er zurüd und ſprach achjelzudend und gelafjen das große 
Wort: 

„Wegen meiner mögen Sie machen, was Sie wöllen!" — 

Ich hatte den Kulis eine Extrarupie verjprochen, wenn fie Punkt 
fünf Uhr vor meiner Thür wären. Das waren fie freilich, aber die 
Pferde ließen auf ſich warten. Ich fehicte einen Kuli nach den 
Pferdefnechten, den „Sais“; die andren fieben dürftigen Kerlchen 


Ent su 


— 19 — 


padten auf und marfchierten jeelenvergnügt über den Extrabakjchifch 
in den Regen hinaus. Als Negenfchüter hatten fie ſpitzige Dächer 
aus Blättermatten über Kopf und Lajt gebunden. Auch für Hans 
hatte ich am Abend vorher auf feinen Wunſch einen „Dembröller“ 
getauft, wie er fortan feinen Regenſchirm nannte; er hatte wohl 
gemerft, daß die Engländer nie ohne ihren umbrella das Haus 
verließen. Zwei Stunden fpäter famen die Pferde, ein paar präch— 
tige Renner, mit denen wir die Kulis noch vor unfrem heutigen Biele, 
dem Dak-Bungalo Ramgar, einholten. \ 

Der heftige Regen hatte die Luft abgekühlt; allmählich hörte 
feine Wucht auf, und es war nun eine Luft, durch den Rhododendron⸗ 
wald dahinzutraben. Die fußlangen, dicken, auf der untren Seite roft- 
roten, elaftifchen Blätter, die ungeheuren und mafjenhaften, blutroten 
Rhododendronblüten, die üppig mit Moos, zierlichen Farnen und 
Orchideen bewachſnen Baumftämme, an’ denen Affen auf und 
ab turnten, fehienen mir zuzurufen: ‚Jet mach die Augen und die 
Seele weit auf, es geht ja nun bald ernftlich hinein in die wider 
ſpenſtige, phantaftifche Bergwelt des Himalaja! 

Nach etwa dreiftündigem Ritt hatten wir die Kulis eingeholt, 
die troß ihrer ſchwächlichen Erſcheinung jo hurtig wie Wiefel mit 
ihren Bürden dahinrannten. Der Rhododendronmwald. nahm übrigens 
bald ein Ende, und Mandelbäume traten an feine Stelle, unter denen 
die Luft jogleich viel fräftiger und erfrifchender zu fein fehien. 

Nach einiger Zeit lichtete fich die Waldung, und auf den Wiejen 
zeigten ſich einige wilde Birn-, Aepfel- und Pflaumenbäume; Rinder 
mit hochftehenden Hörnern graften um ein einfaches Häuschen, den 
Bungalo Ramgar. Um den Hals der Tiere hingen Gloden an 
Bändern, die mit Kaurimuſcheln beſetzt waren, und fo hielt ich unter 
dem Klange de3 Kuhreihens zum erftenmal Einzug in einen indifchen 
Dak-Bungalo im Gebirge. Der Zuſatz: Dak, das heißt „Regie 
rung“, befagt, daß das Schutzhaus von der Regierung erbaut wurde 
und unter allgemein befannt gemachten Bedingungen von Europäern 





— 120 — 


benußt werben kann; eins der mwichtigften diefer Geſetze lautet, daß 
man den Bungalo fpäter eintreffenden Reifenden überlafjen muß, 
wenn man felbft bereit8 24 Stunden darin Obdach gefunden hat. 

Ich fand den Bungalo ſchon von einem aus Irland gebürtigen 
Polizeihauptmann und feiner Schmwefter bejeßt. Da ich die Räumung 
des Bungalo nicht beanfpruchte, fondern erklärte, mic) zum Nachtlager 
mit der geräumigen Veranda begnügen zu wollen, ftellte ſich bald 
ein behagliches Einvernehmen her, da3 mir eine Einladung zu einem 
vortrefflichen Abendeffen und einigen Flaſchen ebenbürtigen Ahein- 
wein eintrug. Mehr als diefe Gaftfreundfchaft erquickte mich aber 
die Bewundrung, mit der meine liebenswürdigen Wirte von den 
Deutſchen fprachen; es fiel mir dies um fo angenehmer auf, als die 
Dame, Mr3. Montrefor, einen franzöfifchen Gatten befaß. Zum 
Nachtiſch befam ich fogar das Verfprechen des Hauptmanng, er wolle 
mir, wenn ich einmal in feinen Polizeibezirt käme, einen gezähmten 
Tiger fchenten, dem ich getroft den Kopf in den Rachen fteden 
könne. Mein verfchwenderifcher Gönner ſchien unfer Sprüchlein nicht 
zu kennen, demzufolge wir gejchenkten Tieren nicht einmal in den 
Schnabel zu gucen, geſchweige denn ganz hineinzukriechen pflegen. 

Die Herrſchaften waren auf der Rückreiſe von Almora, wohin 
ich am nächſten Tage um fünf Uhr aufbrechen wollte. Ich wurde jedoch 
durch einen fehr wichtig thuenden Beamten aufgehalten, der in der 
Nacht von Naini Tal angetrabt war, um mir noch eine Menge ver- 
fänglicher Fragen über den Zweck meiner Reife vorzulegen. Er ſchloß 
damit, daß ich nicht ohne Zuftimmung des höchiten Bezirksbeamten 
in Almora über diefen letzten von Engländern dauernd bewohnten 
Platz hinausgehen dürfe. 

Unfer Weg führte uns in vielen Windungen auf und nieder; 
Pinien ſtreckten ihre Aefte wie Kronleuchterarme in die Luft, dann 
titten wir durch ein Wäldchen mit wilden Birnbäumen. Die Büffel, 
denen wir darin begegneten, fehienen uns aber für Stierfämpfer zu 
halten und verzögerten unfer Forttommen ganz außerordentlich. 





| 
| 


Bei Deodwar überfchritten wir einen Nebenfluß des Kofi und er: 
reichten nach vier Stunden den auf der Paßhöhe liegenden Bungalo 
Peora. Hier gelang es mir, für Hans etwas Büffelmilch zu befommen, 
da ich es nicht länger mitanfehen Eonnte, wie er jede Wafjerader durch⸗ 
probierte, um zu fehen, ob da3 Wafjer noch immer nicht den „rechten 
Wurm" habe; jedesmal aber fprudelte er es wieder mißmutig aus, 
indem ex fagte: 

„Eh wir nicht hint' hineinkommen, eher wird's nicht befjer.“ 

Da ich wußte, wie fiebergefährlich dieſe Wafjerkofterei für ihn 
war, verftectte ich ihm fehließlich feinen Lederbecher, worauf er 
einfad) wie weiland Diogenes aus der hohlen Hand trank, verdrießlich, 
Daß er feinen Becher „ausgekeut“, das heißt aus der Tafche ver- 
loren habe. . 

Beim Zufammenftoß zweier Zuflüffe des Kofi führte eine Draht: 
ſeilbrücke über das hochgefchwollne Waſſer; das Flußbett mar weit 
hinauf mit unermeßlichem Steingeröll bedeckt und zeigte, was für 
entjegliche Wildwafjerbrüche hier gehauft hatten. Die dürren, ſtach— 
ligen Raktuspflanzen in dem Steingeröll gaben der Landſchaft einen 
ganz unheimlichen Ausdrud. Exit beim Erreichen der Höhe des 
nãchſten öftlichen Hügelzugs änderte fich diefer fremdländifche Ein- 
druck der felfigen Schlucht und wurde dem de3 Bodethales im Harz 
merkwürdig ähnlich). 





Sechſtes Kapitel. 
Marfh-Abentener. 


@ Pr drei Uhr nachmittags trafen wir in Almora ein. Der 
A Regen hatte aufgehört; um jo ſchwüler drückte jetzt die Luft 
Ro) Ei in dem Keffel, in dem Almora erbaut ift. 

Hier galt es nun, unfre legten Vorbereitungen zu treffen. Bor 
allen Dingen fuchte ich den Senior Affiftant Commiffioner F. Giles 
auf, was bei den weit außeinanderliegenden Häufern und den unaus- 
bleiblihen Mißverftändniffen eine zeitraubende Aufgabe war. 

In Mr. Giles fand ich einen Fraftftrogenden Herrn, der mir 
mit Stolz einige Dutzend Felle felbfterlegter Tiger zeigte, aber auch aus 
jedem feiner Worte merkte ich, daß ich einem furchtlofen Sportsman 
gegenüberftand. Um fo mehr Gewicht hatte feine Verficherung für 
mid), daß der Weg in das Hochgebirge, felbft wenn ich nur bis 
zum Furfia-Schushaufe gehen wolle, jest während der Regenzeit 
in lebensgefährlihem Zuftande fei; noch weiter vorzudringen fei 
aber wegen ber täglich |ftattfindenden Bergrutiche und Lamwinen, 
ſowie megen der meggerifinen Brücken gradezu unmöglih, und 
jeloft ihm fei es troß wiederholter Verſuche während feiner mehr- 
jährigen Amtsführung noch nicht gelungen, bis nach dem zu feiner 
Verwaltung gehörenden !höchitgelegnen Hirtendorf Milam, das zu— 
nächſt mein Standquartier werden follte, zu gelangen. Außerdem 
herrſche, wie ich wohl wifje, in Kumaon die Cholera außergewöhnlich 
heftig, und wegen der legten Mißernte und dadurch hernorgerufnen 





— 128 — 


Hungersnot könne ich nicht hoffen, Lebensmittel zu bekommen. Dann 
30g er mich ins Vertrauen und verficherte mir ernfthaft, daß die 
Verhältniffe an der tibetifchen Grenze wirklich äußerſt kritiſch lägen. 
Die Tibeter feien über ihre Gebirgspäfle in Kumaon und Garhwal 
eingedrungen und hätten allerlei Zwangsmaßregeln ergriffen, um 
fteeitige Hirtenpläge an der Grenze in ihre Gewalt zu bringen; fie 
brandſchatzten die Bergbewohner und hätten denfelben unbedingt ver⸗ 
boten, Europäer über die Grenze zu begleiten. Es fei das alles um 
fo bedenklicher für mich, als bei dieſen Scharmügeln einigen Tibetern 
die Zöpfe abgefchnitten worden feien, wodurch fich alle Tibeter in 
einem vache- und mutjchnaubenden Zuftande befänden. 

Ich ftellte dem Negierungsbeamten vor, daß e3 für mich ein 
weniger erträgliches Ding fei, unverrichteter Sache wieder nach Haufe 
zu fahren, al3 den genannten Gefahren entgegenzugehen. Mit auf- 
richtiger Beforgnis beſchwor mich Mr. Giles nochmals, von meinen 
Hochgebirgsplänen abzuftehen. 

„Machen Sie fih doch die Sache bequemer,“ fagte er; „dort 
oben im Hochgebirge finden Sie wirklich nichts als Gefahren. Hier 
am Himalajarande aber wohnen mehrere Radſchahs; befuchen Sie 
doch diefe vereinfamten Fürften! Da haben Sie ftet3 gebahnte Wege, 
risfieren Ihre Haut nicht, werden, ohne Ihr jchönes Geld auszu- 
geben, gut gepflegt, erhalten Reittiere zum Weiterfommen geborgt 
und können fogar ſchließlich noch ganz annehmbare Gaftgefchenfe mit 
gehen lafjen, wenn Sie Ihre Gaftgeber gut zu unterhalten verftehn!" 

Ich verficherte meinem Gönner, daß ich zum Spaßmacher 
indifcher Duodezfürften nur wenig Neigung verjpürte, und fichtlich 
befümmert ließ er mir die „General-Purwana“ ausfertigen. Er 
nahm mir nur das DVerjprechen ab, mwenigftens feine unliebjamen 
folgenfchweren Zwiſchenfälle gemaltfam heraufzubeſchwören. 

Ich jubelte innerlich. Die Reife war nun doch wenigftens 
behördlich erlaubt, und die begleitenden Umjtände waren fo romantifch 
und indiſch mie möglich. Allerdings verfannte ich nicht das 





— 1214 — 


Gefährliche meiner Lage. War e3 richtiger, hier umzufehren oder 
vormwärt3 zu gehen? „Durch!“ mußte ich antworten, und „Durch!“ 
fagte auch Hans. 

In der General-Burwana wurde jedermann aufgefordert, meine 
Reife nad Kräften zu unterftügen. Mit wahrer Rührung betrachtete 
ich daS wichtige Dokument und legte es voll Zärtlichkeit unter mein 
Kopfkiſſen. 

Für den nächſten Morgen hatte ich) mir durch den Ausrufer 
alle Leute beftellt, die Luft hatten, meine Reife als Dolmetjcher mit: 
zumachen; dem Anmwerben dieſes wichtigften Neifegefährten jah ich 
nach prächtig verfchlafner Nacht im Dak-Bungalo mit begreiflicher 
Spannung entgegen. 

Das einfache Austrommeln meines Wunfches hätte wohl wenig 
geholfen, wenn nicht der Miffionar von Almora, Reverend Oakley, 
den maßgebendften Eingebornen mein Begehren and Herz gelegt 
hätte, Wie ein Lauffeuer breitete fich die Nachricht meines beab- 
fihtigten Zuges auf dem Bazar aus, und bald mwimmelte und 
fummte e3 vor dem Daf-Bungalo wie ein Bienenjchwarm. Ich 
faß an einem Tifch und hatte einen Bogen Schreibpapier zur Hand 
genommen, um die Leute der Reihe nach anzuhören und gelegentlic) 
dem neben mir ftehenden Tiroler die Aeußerungen der Bewerber zu 
verdeutfchen, während mir wieder ein Hilfslehrer des Miſſionars als 
Dolmetfcher beiftand. Diefer vertraute mir, daß der Schwarm nicht 
nur aus Dolmetfchern beftände, jondern daß auch noch andre hoch: 
wichtige und hier zu Lande unerläßliche Neifebegleiter dabei feien. 

Ich ließ alfo zuerſt alle Leute vortreten, die als Dolmetjcher 
mitgehen wollten. Es waren nicht weniger als fieben, von denen 
aber ſechs in ihren Kenntniffen de3 Englifchen nicht viel weiter als 
zum „Yes“ vorgedrungen waren; aber felbjt die Bedeutung diejes 
Wortes war thatfählih nur fünfen völlig Mar geworden, der fechite 
ſchien das Yes für einen Naturlaut ohne fonderliche Bedeutung zu 
halten, den man nur fo häufig mie möglich von fich zu geben brauche, 





um ſich damit vor Gott und Menfchen angenehm zu machen. Dieje 
ſechs mußten das Lofal unter allgemeinem Hallo fofort unrühmlich 
verlaffen. Der jiebente, ein leiblich Englifch fprechendes, vermidertes 
Männchen, das fich ftolz Babu Dſchai Kifchan Fofchen titufierte, wäre 
auf dem Marjche in den erjten zehn Minuten zufammengebrocen. 
Glüdlicherweife fam noch zum Schluß ein achter „Dubhafia” an- 
ipaziert, ein langaufgefchofiner, vielverjprechender Jüngling, der fich 
Narain Dalla Khawas nannte. Er plapperte das Englische mit dem 
Tonfall eines Mühlrades und behauptete, außer feinem Hindoftanifch 
nicht nur Tibetiſch, jondern auch alle Dialekte der Bergbewohner, 
der Barharis und Bhotijas zu beherrfchen. Für einen fo gelehrten 
Herrn ſchien mir der verlangte Lohn von einer Rupie für den Tag 
nicht zu viel; der Babu trat fogleich feinen Dienft an und half mir 
die übrige Geſellſchaft fortieren. 

Demnädjft war ein Schupraffi nötig, um fpäter mit der Wünfchel- 
rute der Purmana in der Hand von Ort zu Ort voraugzueilen und 
Kulis und Lebensmittel aufzutreiben — ein begehrtes Amt, das 
mancherlei Nebeneinkünfte mit fi bringt. Was für verſchmitzte 
Galgenvögel und abgefeimte Diebsgefichter brachten fich dafür mit 
den herrlichiten Zeugniffen in Vorſchlag! Ich mißtraute aber diefen 
Belobigungen, da ich mußte, daß ftellungfuchende Indier auf den 
Bozaren glänzende Zeugnifje zu kaufen oder zu leihen pflegen, und 
ſchrieb Lieber ein paar Zeilen an den Diſtriktsvorſteher, in denen ich 
bat, mir einen zuverläffigen Schupraffi zu ſchicken; ein ſolcher traf 
auch bald in der Perfon des Gulab Singh ein, der feine unberech— 
tigten Konkurrenten fofort zum Bungalo hinauswarf. 

Nun kam eine Rotte von etwa zwanzig ebenfo fragmürdigen 
Gefellen an die Reihe. 

„Was bift du?" fragte ich den erjten. 

„Kanſahma, Koch!" 

„Und du?" 

Koch!“ 





— 16 — 


„Und du?“ 

„Auch Koch!“ 

Ich zeigte Hanfen diefe Löffelgarbe; der aber jagte mit ruhiger 
Würde: 

„Kochen thun mir uns ſelber!“ und ſchob die Kaſſerolleburſchen 
zur Thüre hinaus. Nun rief mein Dolmetfcher die Kitmatgard oder 
bearers, da3 heißt die Diener, auf; etwa acht unfaubre Geifter 
fprangen mit tiefen Salamverbeugungen und heuchlerifchem Grinfen vor. 

„Der Diener bin ich!“ rief aber Hans und fegte mit einem 
einzigen Armdrud die ſchmierige Sklavenbande zum Thore hinaus. 

„Was willft du denn bei mir, mein Söhnchen?“ fragte ich 
hierauf einen winzigen, nadten Knirps mit hübfchen filbernen Arm- 
bändern. 

„Die Hunde verforgen!" 

„Ich nehme ja aber gar feine Hunde mit!" 

„Dann will ich Ihre Raten beforgen!" erflärte der Kleine mit 
Zuverficht. 

Da ich mir aber für diefe Reife weder Kater noch Kate anzu: 
ſchaffen gedachte, mußte auch der Tierbändiger mit langem Geficht 
davonziehen. Nach einigen Sekunden war er aber ſchon wieder im 
Zimmer und fragte flehend: 

„Darf ich denn nicht wenigftens die Hühner rupfen, o Herr?" 

Ich bedauerte, feine Männer unter acht Jahren mitnehmen zu 
önnen, und mit Thränen in den Augen ſchlich der Heine, rupfluftige 
Junge davon. . 

Nun trat ein riefenhafter, poctennarbiger Lümmel mit frechem 
Gefiht an den Tiſch. 

„Was willſt du thun?“ 

„Ihre Lampen puben und anzünden, Herr!" 

Wenn er gefagt hätte: „Ich will Felſen niedertreten und Bäume 
ausreißen,“ hätte ich ihn höchft wahrjcheinfich mitgehn laſſen, aber 
ich fürchtete doch Hanfens Eiferſucht, wenn ich zum Anſtecken unfrer 





— 17 — 


einzigen kleinen Taſchenlaterne einen ſo bedeutenden Lampenputzer 
mitnähme; mit höflichem Dank mußte auch er ſeiner Wege ziehn. 
Der übrige Schwarm von Stiefelpugern, Wäfchern, Schneidern, 
Grasmãhern und ähnlichen fich für unentbehrlich haltenden Würden- 
trägern war bald abgethan. Nur einen muntren Burfchen behielt 
ih aus der ganzen Maffe zurüd; er geftand ein, er könne nichts 
als ſchön pfeifen und die Kulis antreiben, und das fchienen mir doch 
äußerft wertvolle Künfte zu fein. Dann überlegte ich mit Hans, wie 
mir unfte Ausrüftung vervollitändigen müßten. 

Das Gewehr und die Patronen follte der Dolmetfcher ver: 
walten, der ſich für einen gewaltigen Nimrod und Scharfichügen 
außgegeben hatte. 

„Wollen jehen, ob's wahr ift!" murmelte Hans mit feitifchen 
Biden. 

Unfer wichtigftes Gepädjtücd war mein Meines Zelt, ein nur 
zwanzig Pfund ſchweres, prismaförmiges Whymper-Alpenzelt von 
7 mal 7 Fuß Bodenfläche, deffen Spannſchnur an jedem Ende an 
einem in die Erde gerammten Bergſtock oder Eispidel feitgebunden 
wird. Obwohl die Leinwand waſſerdicht fein follte, hatte ich nach 
meinen Erfahrungen im Kaukaſus für nötig befunden, eine dünne 
Gummidecke von der Größe bes Zeltdachs mit Bändern benähen 
zu laffen, um fie bei beſonders ſchweren Regengüffen jeft über das 
Zelt binden zu fönnen. Ebenfo konnte auf dem Leinwandboden 
de3 Zelte eine ftarfe, mit anheimelnd fauber Farierter Leinwand 
bezogne Gummidecke feitgebunden werden, auf die dann erft die 
Schlafjäcke gelegt wurden. Auf Feldbetten, ebenfo auf Klapptiſch und 
Stuhl hatte ich verzichtet, weil fie das Gepäck fehr beträchtlich ver- 
mehrt hätten und im Notfall, zum Beijpiel beim Uebernachten in 
Sümpfen, durch meine Packkiſten erjeßt werden konnten. Meine 
Kamelhaardecken nebſt den Ropfliffen füllten den einen Fellfoffer, die 
Erſatzkleidungsſtücke, Strümpfe und Wäfche den zweiten. 

In dem dritten Fellkoffer brachte ich Erſatzſchuhe und fonftige 


— 18 — 


Lederwaren, Schuhfchmiere, Medilamente, Handwerkszeug, Bücher, 
das Wajjerfilter, Steigeifen, Schneebrillen, Inftrumente und Heine 
Geſchenke unter. 

Die Kochgefchirre mit den Spiritusfannen bildeten die fünfte 
Trägerlaft. Someit irgend möglich, wollten wir natürlich mit Holz- 
feuer kochen, um den koſtbaren Spiritus zu ſchonen; man wird aber 
bald fehen, warum ich in Zukunft Petroleum vorziehen würde. 

Die ſechſte Kuliladung beftand aus der photographifchen Aus- 
rüftung, einer außgezeichneten Talbotfchen Reifefamera für 13><18 cm 
Platten mit Objektiven, Stativ, 6 Doppeltaffetten, Panorama-Ein- 
richtung und den Dunfelfammergeräten. Ferner waren da: Zwei 
Kaften mit Sicherheitsfchlöffern voll photographifcher Trockenplatten, 
die von Schippang & Co. in Berlin mit befondrer Sorgfalt ab- 
fichtlich als „jehr wenig empfindlich“, dafür aber in den Tropen haltbar 
bergeftelft worden waren. Drei Kiſten Fleifch- und Gemüſekonſerven, 
jede eine Trägerlaft, daS heißt 40—50 Pfund ſchwer. Ein Kaſten 
voll Erbswürſte, Zucker, Speck, Thee, Kaffee, Schokolade, Gewürze, 
Fleifchertraft und Sturmſtreichhölzer. Eine Blechkiſte voll Brot und 
Biskuits. Ein Kaften voll Mehl. Ein paar Säde Reis. Damit 
hoffte ich, drei Monate auszulommen. Außerdem trug Hans gleich 
mir einen Ruckſack mit Regenmantel, Gamafchen, Seil, Kompaß, 
Schnellfocher, „eifernem" Proviantbeftand an Biskuits und Schofo- 
lade, Laterne, Toilettengeräten und fonftigen Kleinigfeiten. 

Unfre ganze Ausrüftung war auf ein für anglo-indiiche Ver: 
hältnifje gradezu dürftiges Maß beſchränkt und erforderte trotzdem 
tagtäglich fünfzehn Träger, zu denen außer Hans und mir noch der 
Dolmetiher, der Schupraffi und der Eleine Kulitreiber oder Kunft- 
pfeifer famen, den ich wegen feines ehrlichen Geficht3 zum Träger 
eines Sades voll Kleingeld auserkoren hatte; im ganzen waren wir 
alfo zwanzig Perfonen. Um diefen Sad voll Kleingeld aufzutreiben, 
mußte ich einen ganzen Nachmittag in firömendem Regen bei den 
Geldwechslern auf dem Bazar herumlaufen, der wegen der Cholera 





— 19 — 


unheimlich menfchenleer war; ich behielt nur ein Säckchen mit 
400 Sovereigns zurüd und mechjelte meine ſämtlichen Rupien- 
ſcheine in Silber und Scheidemüngen um, die ich in einem großen 
Sad jammeln und ſchließlich in einen Bottih mit Waffer ausfchütten 
ließ, das ich reichlich mit Karbolfäure verſetzt Hatte. Auf diefe Weiſe 
hoffte ich, die unfaubren Geldftüde, duch die in Indien haupt 
ſãchlich efelhafte Krankgeiten übertragen werden, weniger gefährlich 
und unappetitlich zu machen. Dann mußte mein Kunftpfeifer die 
Münzen abtrodnen und in einen Doppelſack füllen, wie ihn dort 
die Landleute in Form einer Gelbbörfe, mit Kartoffeln oder Mehl 
angefüllt, über Kopf ober Schulter tragen und zwar jo, daß ber 
eine Beutel auf dem Naden, der andre var der Bruft hängt. Dies 
Kapitälden von etwa 2000 Mark in Kleinen Münzen nahm fich ganz 
ftattlich in der Niefenbörfe aus; doch enthob ich den Kulitreiber 
bald der Verpflichtung, das Geld jo offenkundig einherzutragen, denn 
ich bemerkte, daß die armen Kulis fich das Schielen angewöhnten, 
Tobald fie herausbefommen hatten, wo „Mofes und die Propheten“ 
fi) befanden. ebenfalls erwies ſich meine Vorficht fpäter als 
außerordentlich berechtigt; ift e8 in Indien häufig ſchwer genug, 
eine Rupiennote der Stadtbank von Madras in einer andren Stadt, 
zum Beifpiel in Lucknow, loszuwerden, jo nimmt natürlich im Ge— 
birge abjeit3 der „hill stations‘ fein Menſch ein Stück bedrucktes 
Papier an Zahlungsftatt entgegen. 

Der Yuli fing mit einem herrlichen, wolkenloſen Morgen an, 
und mit aufrichtigem Entzüden fah ich meine Kolonne aus Almora 
abmarfchieren. Bis zum Furkia-Bungalo follten es nur ſechs oder 
fieben Tagesſtationen fein, in acht Tagen konnten wir alfo hoffen, 
einen Trunt aus dem Eife de3 Pindargletfcher3 herausfchlürfen zu 
Binnen. Hanfens Geficht ftrahlte bei diefer Hoffnung vor Entzüden! 

Der beinahe nackte Pfeifer hatte fich meinen Ruckſack aufgebudelt, 
Hans aber wollte den feinigen durchaus feinem fremden Rüden 
anvertraun, denn es ſteckte ja fein umerfegliches Führerbüchel darin! 

Dort, Indie Gletfderfaßrten. . 9 





— 130 — 


Fröhlich trabte mein brauner Ruckſackträger im Gefühl feiner Würde 
neben meinem Gaul her und blies bald auf einer eifernen Maul- 
trommel, bald mit den Lippen allerlei Melodieen, die mir einen 
befiren Begriff von indiſcher Muſik beibrachten als die nächtlichen 
Fideleien meines Nachbars Schneider in Dardſchiling. Dadurch befam 
unfer Zug ein ganz heitres Ausfehn, wenn auch unfre Kulis recht 
ausgemergelte, jämmerliche Geftalten waren, die alle Laſten ohne 
Kiffen oder Zwiſchenlagen mit gejchicter Unterftägung des Schwer- 
punkts auf dem Kopfe trugen, ohne ein Stirnband anzuwenden. 

Meiftens führte der Weg in nördlicher Richtung durch Pinien- 
wald fort, dann an Felſen und Steinbrüchen vorüber, in denen 
Mädchen mit bunten, auf dem Rüden zugefnöpften Jäckchen arbeiteten. 
Zwiſchen Jaden und Rod war der Körper etwa zwei Hand breit 
unbebedt, was für derartige ſchwere Arbeiten jehr bequem und 
zweckmäßig fein mag. 

Bei einer überdachten Quelle, die der Stadt Almora Wafjer 
zuführt, hörte ich plöglich Hinter mir ein Dröhnen und fah grade 
noch die Füße des Tiroler3 in der Luft herumrühren; der mut: 
willige Bony, der ihn jo unfanft auf die Exde geſetzt hatte, rafte wie 
befefien nach Almora zurüd, und erft in Bafoli fand ich für ihn Er- 
ſatz. Der Weg wurde übrigens bald fo fteil, daß ich vom Pferde 
abftieg und ebenfalls zu Fuß ging. 

Bei Bafoli ftanden einige‘ verwitterte Steinhäufer inmitten zart- 
grünender Reisfelder, und nach einer Viertelftunde zeigte fich in dem 
mit mächtigen Rhododendronbäumen durchwachſnen Fichtenwald 
abfeit3 von der Straße ein winziges Blockhaus, aus Ueberreften 
früherer Hindutempel zufammengefügt. Bor der Thür diefes Tempel- 
chens hockte ein Einfiedler mit untergefchlagnen Beinen und gab 
ſich mit Inbrunft dem weltlichen Genuß einer Pfeife Tabak hin, 
hielt dabei aber den Pfeifenkopf in der Iinten hohlen Hand und 
faugte durch die ſpitzwinklig daran gehaltne hohle rechte Hand den 
Rauch ohne Rohr aus dem Pfeifenkopfe. 





— 131 — 


Das Rauchen oder Tabak trinken", wie der Hindoftane fagt, 
it in Kumaon feine Gewohnheit mehr, fondern ein Vebürfnis. Mit 


Balb-Einfledler. 


Staunen jah ich, mie die Kulis auf ihren hinreichend ſchweren 
Bürden nicht nur ihre Decken, Reisfäde und Kochgefchirre aus 
Bronze, fondern ſtets noch obendrauf eine ſchwere Wafjerpfeife, die 
Hufa, gepackt hatten. In der Weife de3 genannten Einfiedlers 


— 12 — 


hen aber nur ganz bedürfnislofe Menfchen, ja häufig fieht man 
ye fogar ohne Pfeifenkopf rauchen; fie Höhlen dazu ein Loch in 
Iehmige Erde, in das fpäter der Tabak und die glimmende 
zkohle geftopft wird, ftechen dann mit einem Stäbchen einen 
ig anfchließenden Kanal dahinein und bohren jchließlich von oben 
einen andren Kanal in die Erde, der den früher gemachten in 
m rechten Winkel trifft. Auf diefe Weife entfteht das winklige 
ıgeohr einer Pfeife, die den großen Vorzug der Billigkeit hat 
zugleich eine fehr nüßliche Leibesübung bedingt, indem man fich 
hrem Gebrauch der Länge nad) platt auf den Erdboden legen muß. 
Nach einer halben Stunde famen wir an den Ort, wo ber 
iedler im Walde feine Bruchſtüche tanzender Göttinnen und 
nder Stiere zufammengefucht haben mochte; Am-Bageswar nannten 
e Leute diefen Raſtplatz unmittelbar neben den Trümmern 
: geoßen und zweier Kleinen Säulen, wie folche neben den meiften 
sutempeln als riefige Lingams errichtet zu werden pflegen. Ob 
Berftörungen aus dem Kriege herrührten, der im Jahre 1817 
England mit Nepal um den Beſitz Kumaons geführt wurde, 
aus früheren Zeiten, als mohammebanifche Eroberer hier alle 
Hlichen und tierifchen Figuren aus der indijchen Götterfage ver- 
sten, konnte mein Dolmetfcher von feiner Seite erfahren. 

Es war faum elf Uhr. Die Sonne hatte aber jhon fo unbarm- 
9 geſtochen, daß die Kulis bei ihren Laften niederfanfen und fich 
in den langen Schuppen zu fehleppen vermochten, der als Obdach 
derartige Wandrer aufgebaut war. Auf dem Bilde ift diefer 
ppen an der linfen Seite vor der Tempelruine zu jehen; vechts 
ein Kuli vor dem langen Zeltbündel, im Hintergrunde fteht der 
ıetfcher bei meinem Schimmel. Allmählich erholten jich jedoch 
tulis und machten ſich daran, im Schatten eines Nußbaums 
demüfe zu kochen; es war Grüntohl, den fie mit Waffer, Salz 
Del dämpften. Vor der Mahlzeit legten fie ihre Kleider ab, 
t fie überhaupt ſolche anhatten, wufchen fie in dem nahen 


. — 13 — 


Vach und legten fie wieder an, nachdem fie von der Sonne ges 
trodnet waren. 
Eine andre Gruppe, wohl von etwas höhrer Kajte, kochte einen 


Naft meiner Träger bei den Tempelruinen in Am-Bagerwar. 
Bor meinem Pferde ſieht der Dolmetjcer mit dem Gewehr. 
delifaten, mit Tamarinde gelblich gefärbten Milchreis, von dem mir 
der Babu einen gehäuften Teller „zum Koften“ verabreichte, jo daß 
ih meine eigne Mittagskocherei für diesmal fparen konnte; zum 
Echlemmen mar ich ja nicht in diefe Berge gezogen. . 


— 134 — 


Die in dem Bad liegenden Büffel lockten eine Unzahl von 
Mostitos und Stechfliegen an, die den Aufenthalt nicht fehr gemütlich 
werden ließen; auch erhob fih ab und zu ein jchlammtriefender 
Büffel, um fich an irgend einem von unfrer Geſellſchaft fauber zu 
feuern. Hans kleidete fein Erftaunen über diefe plumpen Sumpf- 
bewohner in die Worte: 

„Solch Püffel ift doch ein ftolzes, greifige Tier; in jedes Tafel 
legen fie fich hinein!“ 

Eigentlih war es gar nicht fo thöricht von dieſen Tieren, 
während der Tagesihmüle ein fühlendes Schlammbad zu nehmen. 

Während unfrer Raft war hin und wieder ein Brahmine oder 
fonftiger Hindupriefter aus einer Höhlung in der Tempelruine hervor» 
getreten, hatte mit einer Klingel und durch Blafen auf einer weißen 
Mufchel einiges Getöfe verurfacht und dann einigen Kulis mit roter 
Farbe einen Punkt auf die Stirn gemalt; hierauf war er wieder 
verſchwunden. AL er zufällig unfre Anjtalten zum Aufbruch ſah, 
tam er eilends herbei, um fich durch die verjtändliche Bemerkung: 
„Rupie! Rupie!” eine klingende Anerkennung feiner mufifalifchen 
Talente auszubitten. Ich war thöricht genug, aus Hochachtung 
vor feinem geiftlichen Beruf, diefem Verlangen zu entſprechen, anjtatt 
ihn nur mit einigen Rupfermünzen abzufpeifen. 

Wäre das feljige Thal, in das wir nachmittags beim Bungalo 
Tafula eintraten, nicht von fo entjeglich ſchwülen Dünften angefüllt 
gewefen, fo hätte e8 wunderſchön genannt werden müfjen; die Natur 
fchien dort ihre zierlichften Farne auf die Felsblöde, der Aberglaube 
der Bergbewohner die bunteften Opferflaggen an den Weg gepflanzt 
zu haben. Später traf ic Akazien, die ihren Schatten auf ftaffel- 
förmige, in winzige Vierecke eingeteilte Reisfelder warfen; Iuftig 
gekfeidete Weiber verpflanzten die faftiggrünen, zarten Halme aus 
den obren Etagen in ben untren, überſchwemmten, friihen Nähr- 
boden, warfen aber fofort das rote oder gelbe Umſchlagetuch über 
bie Gefichter, wenn fie unfre Annäherung bemerkten. 


— 15 — 


Erſt um fieben Uhr abends famen wir an die Drahtfeilbrüde, 
die bei Bageswar den Zufammenfluß des Gomali und Sarju über- 
ſpannt, mußten aber noch durch die lange, enge Hauptgaffe des Ortes 
und fchließlich über eine neue Drahtfeilbrüde auf die andre Seite 
des Sarju reiten, um in dem Schußhaufe, dem Dak-Bungalo, Obdach 
zu fuchen. 

Längs der Straße drängten fich buntbeturbante, braune Gefichter 
mit farbigen Stirnzeihen Kopf an Kopf in den engen, gejchnißten 
Fenſterchen, zwifchen denen hölzerne, buntbemalte Gößenbilder auf- 
geftellt waren; die Hite und die Dünfte des Tages hatten mir den 
Kopf aber fo benommen, daß ich die ſtarrblickenden, zähnefletichenden 
Indier häufig für Holzpuppen und die Gößenfragen für übermütige 
Hindububen hielt. Mit Sorge fpürte ich die erften Anmandlungen 
eines Fiebers und machte mir Vorwürfe, Hanfens Beifpiel gefolgt 
zu fen und von dem warmen Sarjuwaſſer genafcht zu haben, deſſen 
graue Farbe uns zu dem irrigen Glauben verführt hatte, bereits 
Gletſcherwaſſer vor uns zu haben; wir hatten vergeffen, daß in der 
Regenzeit alle Bergwäfjer aufgerührtes Erdreich mit fortſchwemmen! 
Der Appetit auf weitre Koftproben wurde und bei diefer Gelegenheit 
aber gründlichft abgemöhnt, denn mit wahrem Entfegen ſahen wir 
hin und wieder im Wafjer angebratne Teile von Leichen treiben, 
die an oberhalb gelegnen Stellen in den Fluß gemorfen waren, und 
erinnerten uns hierbei, wie ſchonungslos die Cholera grade in diefem 
Bezirk unter den Eingebornen wütete. — 

Ich faß nun mit meinem Tiroler in der öden Halle bes 
Bungalo. Der Kulitroß Hatte mit unfren Pferden nicht Schritt 
zu halten vermocht, und nur der ebenfalls berittne Dolmetſcher war 
gleichzeitig mit uns eingetroffen, verſchwand aber fofort, um einen 
Korb Eier und einen Aft mit einer Riefentraube von fünfzig Bananen 
für mic, einzuhandeln. 

ch lachte recht teufliih, als ich mit meinem Hans vor dem 
viefigen leeren Tiſch ſaß und als wir uns gegenfeitig das Geftändnis 


— 16 — 


egier zuflüfterten. In andren, häufiger befuchten Dat: 
findet man wohl gelegentlich auch eine ganz brauchbare 
3, aber in diefen nur fehr felten von Sportsleuten oder 
sbeamten aufgefuchten Rafthäufern ftarren dem hungrigen 
Wandrer nur Tifche, Stühle und ein paar leere, niedrige 
entgegen; alle8 übrige muß er felbft mitbringen. 

onnten nicht einmal Hanfens eifernen Proviant in Geftalt 
Biskuits und einer Tafel Schokolade verzehren, denn er 
hließlich doch bequemt, feinen Ruckſack auf eine Kifte, die 
it anfcheinender Leichtigkeit auf dem Kopf trug, zu paden, 
in fein ftörrifcher Gaul fo plöglich zu einem „Fuß: 
degradiert hatte. 

ulis und mit ihnen der Träger des Kochapparat3 ließen 
ve auf Stunde warten. Wir hatten von den fünfzig 
yereit3 die Hälfte verfnabbert, aber der durchfichtige, ge- 
mbuskorb mit frifchen Hühnereiern auf dem Tiſch reizte 
ıger gewaltig. Die unfaubren Eier roh auszufaugen, war 
er Cholerafeuche allerdings nicht rätlich; auch war ich ein 
auf meine in Dardſchiling bis zur Virtuofität gefteigerte 
an der Erzeugung tadellofer Ochjenaugen und unmiber: 
‘ühreier, doch im ganzen Bungalo fand fich Fein Blech— 
yen ich die Eier hineinfchlagen konnte, deshalb ließ ich 
en Pferdejungen, den Sais, nochmals mein Pferd fatteln 
te nad) Bageswar zurüd. Wie in jeder indifchen Stadt 
ud, dort jenes malerifch bunte und rege Nachtleben auf 
:, das für mich durch die wechſelnden Beleuchtungs- 
ſtets einen ganz außerordentlichen fünftlerifchen Reiz befist. 
ite ich eine bronzene Pfanne, etwas fchneeweiße Büffel- 
: Handvoll Ealz, eine Kerze, ein paar Schupattibrote und 
chen Ingwerlimonade eingehandelt, und zwanzig Minuten 
d ich fehon wieder im Bungalo, um über einem praffeln- 
ıer ein Niejenrührei zu braten. 





— BT — 


Nah dem Genuß unfrer Delifateffen Ia3 ich das Thermometer 
ab, fand volle 30° C., und zufrieden mit diefer genügfamen Kletter- 
fertigfeit de Quedfilber3 Iegte ich mich auf das Netzwerk meiner 
Tſcharpoi⸗ Bettſtelle und verfuchte einzufchlafen; Bienen und Moskitos 
jummten mir ein Schlaflied, und draußen knatterte das Zirpen von 
unbefannten Riefeninfetten wie Pelotonfeuer. 

Mir ging natürlich daS Ausbleiben der Kulis im Kopf herum; 
& war ja Mar, daß fie fich entweder verlaufen oder bösmwillig ent⸗ 
fernt hatten. Ich geftand mir widerwillig, daß fol eine Himalaja- 
teife denn doch weit mehr Schwierigkeiten und Widerwärtigteiten 
böte, als ich in meiner Schulweisheit bisher für erdenklich gehalten 
hatte. Da erſchien plößlich das ohnehin ſtets blaßgelbe Geficht des 
lang aufgefchofinen Dolmetjchers in der offnen Thür, geifterhaft 
und erſchreckend von dem fladernden Licht einer Kerze beleuchtet, die 
ich in ihrem eignen Paraffin auf die Tifchplatte geklebt hatte. In 
der Hand hielt er die Flinte. 

Mir ftand das Herz ftill. Der Anblick war noch unheimlicher 
als das Spufbild Cäfars im Zelte des Brutus bei den „Meiningern“. 
Wollte der Kerl morden, oder war er verdreht geworden? Sch 
ſprang von dem Tſcharpoi herunter und riß dem Babu mit einem 
Kraftwort das Mordgewehr aus der Hand; e8 war geladen! 

Mühfam, faft bebend, brachte der Burſche die Mitteilung heraus, 
daß er foeben von dem Bungalowächter erfahren hätte, daß es in 
diefem Bungalo nicht geheuer fei, fondern daß böfe Geifter darin 
hauſten; ex bäte mich dringend, es zu machen wie die Friegerifchen 
Gorkas, die beim Schlafen an derartigen Orten einen blanken Säbel 
oder ein geladnes Gewehr unter den Kopf zu legen pflegten. 

Ich verzieh dem Jüngling eine gutgemeinte Warnung, Iehnte 
die Flinte zu feiner Beruhigung forgfältig gegen den Stuhl an dem 
Tiſch, auf dem der Korb mit den übriggebliebnen zehn Eiern ftand, 
und verfuchte abermals einzufchlafen. Der Babu ging wieder in 
das Häuschen des Wächters. 


— 138 — 


Mein Blut war aber doch in Wallung gelommen; auch ſteckte 
troß der offnen Fenfter und Thüren noch die ganze Tageshite in 
dem Haufe, und zum Unglüd wirkte die Kerze bald wie ein Magnet 
auf alles, was in unfrem Zimmer und draußen in Feld und Wald 
herumfummte. In wahren Wolken brummten und ſchwirrten Käfer, 
rieſige Motten und Nachtfalter in das Gemach, und der Südſeeforſcher 
Ribbe, der befannte Naturalienhändler in Radebeul, wäre bei diefem 
Anblic gewiß vor Vergnügen an die Dede gefprungen. Schon nad 
wenigen Minuten hatte der Flügeljchlag eines gewaltigen Schmetter- 
lings das Licht ausgelöfcht, und es wurde ftille; die Moskitos und 
Stechfliegen fummten natürlich auch ohne Beleuchtung unverdroffen 
weiter und fchienen mich für ein Nadelkiſſen zu halten. 

Die Ermüdung fiegte; nach kurzer Zeit fühlte ich, daß mir die 
Augen zufallen wollten. 

„Um Gottes willen, mas ift das?“ fchrie ich aber Los, weil 
ein harter Krach durch das Gemach ſchallte; gleichzeitig hörte man 
vom Tiſch ber ein leifes Rollen, das mit einem ftumpfen Fall oder 
Schlag endigte. Hans Mnurrte: 

„Da, was war denn dös?“ 

„Haben Sie denn feine Streichhölzer bei der Hand, Hans?" 
fragte ich haſtig. 

„Ei freilich!" kam gemächlich die Antwort. 

Die Streichhölzer waren aber in der Regenzeit feucht geworden, 
und erſt nach acht vergeblichen Verfuchen befam der Tiroler Licht. Nun 
wollte ich die Kerze anzünden — die Kerze war verſchwunden! Dabei 
ftieß mein Fuß an einen harten Gegenftand, den ich al3 das Gewehr 
erkannte, da8 am Boden lag; dicht daneben fand ich das Licht, das 
vom Tifche heruntergerollt und in der Mitte zerknickt war. 

Wie war das zugegangen? Sch konnte drauf ſchwören, daß 
niemand duch die Thür, die ich im Auge gehabt hatte, eingetreten 
mar; das Gewehr und das Licht hatten ſich aber unzweifelhaft in 
feiten Stellungen befunden. 


— 19 — 


Die Sache fing an, ungemütlih zu werben. Mic an einem 
Choleraherd in einem fieberberüchtigten Ort zur ungefundeften Jahres» 
zeit und ohne ein einziges Stüd Gepäd mit böfen Nachtgefpenftern 
herumbalgen zu follen, erſchien mir durchaus nicht erquicklich. Sollte 
der Babu ſich einen dreiften Scherz mit mir gemacht haben? Das 
war doch ganz unmwahrfcheinlich. 

„Böfe Geifter giebt’3 ja nicht,“ fagte ich tröftend zu dem Tiroler. 
Der zog die Mundwinkel herunter, zuckte mit den Achjeln und gudte 
mich an wie einen Menden, der eine ungeheure Dummheit gejagt 
hat; dann ſtreckte er fich wieder nieder, daß fein Bettgeftell in allen 
Fugen knackte. 

Ich behielt die Streichhölger und die Kerze bei der Hand und 
verfuchte nochmals, in Schlaf zu kommen. Von Hanfens Bettftatt 
ber ſchallte ein Terniges Raſſelgeräuſch, das mir die tröftliche Ver- 
fihrung gab, daß der Tiroler wohl noch nicht vom Fieber erfaßt fei; 
bald ſchlief auch ich, fanft, traumlos, glückſelig. 

Ich weiß nicht, wie lange ich gefchlummert haben mochte. Ein 
noch viel merkwürdigeres Geräufh als das erſte ſchreckte mich auf. 
Ih muß mit einem gradezu furchtbaren Schrei aus dem Schlafe 
aufgefahren fein, denn aus dem Wächterhäuschen, das ich durch das 
Fenſter erblicken Konnte, kamen der Wächter und der Babu mit 
lodernden Fadeln in die Halle geftürzt, um mit angftverzerrten Zügen 
zu fragen, was es gäbe. Ich hatte das Gefühl, daß mir noch immer 
die Haare zu Berge ftünden; ich war über und über in Schweiß 
gebadet, mein Puls flog. Mit Zittern und Beben zeigte der Wächter 
auf den Korb, der unter dem Tiſch in einer Pfüte von zerfchlagnen 
Giern auf der Erde Ing. 

Ich kochte vor Hitze und Aufregung. Hans gab die Bemerkung 
zum beiten: „Sell ifch wirklich merkwirdig!“ und der Babu lifpelte 
mit bleichen Lippen wieder etwas von böfen Geiſtern; ich hätte ihm 
einen Katzenkopf geben mögen. 

Ich nahm das geladne Gewehr mit in mein Bett und nahm 


— 140 — 


mir vor, wach zu bleiben. Der Fadelzug der beiden Männer entfernte 
fi wieder, aber noch lange hörte ich fie in dem Wächterhäuschen 
laut und angelegentlich ihre Meinungen über die Geheimniffe diefes 
verwünfchten Ortes austaufchen. 

Die Zeit kroch mir langfam dahin; ich wollte und mußte diefen 
rätfelhaften Spuk ergründen. Endlich ſchlug die Stunde der Er- 
löfung von meinen Zweifeln. 

Ohne daß ich das mindefte Geräufch vernahm, erblicte ich 
plöglich etwa einen Fuß über der Thürfchwelle ein paar große grün- 
liche Punkte aufleuchten; unbeweglich ftanden fie glühend dort und 
ſchienen auf mich hinzuftieren. ‚Das ift ja ein wildes Tier!“ fagte 
ih zu mir und fühlte, wie mir eine neue Erfchütterung durch Nero 
und Adern riefelte. Ich hatte bisher nur wenig Gelegenheit gehabt, Tiere 
auf der Jagd zu erlegen, und wenn ich mic) auch al8 leidlicher Schüge 
fühlte, fo hatte diefe Sache doch einen fcheußlich unbehaglichen An- 
ſtrich. Ich konnte von der Beſtie nichts als die funkelnden Augen 
erkennen; ficherlich Tonnte das Tier meinen Körper im Dunkeln viel 
beffer wahrnehmen. Blitzſchnell zuckte mir die Befürchtung durch den 
Kopf, daß das Tier mir an die Gurgel fpringen wolle; im Nu 
turnte ich deshalb vom Bett, gab Feuer und fah im Aufbligen des 
Schuſſes eine riefige Wildfage mit gewaltigen Sätzen davonfpringen. 

Durd den Schuß Tamen die andren an die Reihe, zu erſchrecken. 
Wiederum fanden ſich die beiden Fackelträger mit ſchlotternden Gliebern 
bei mir ein, und auch Hans erklärte, daß er bei derartigen Geräuſchen 
nicht gut fchlafen könne. 

Der Wächter war über unfre unheimliche Nachbarfchaft ganz 
beftürzt; er bezmeifelte nicht, daß die Beſtie beim Kerzenfchein die 
Eier wahrgenommen und dann verfucht hätte, den Korb davonzu- 
ſchleppen, wobei fie Gewehr und Licht umgeriffen hätte. Eine ſchwere 
Verwundung des Tieres war fraglich, feine Wiederkehr für diefe 
Nacht alfo immerhin zu befürchten; es fam aber nicht wieder. 

Am nächften Morgen ritt ich zu dem Patwari oder Ort3vor- 


— 41 — 


ſteher, um Maßregeln zur Auffindung der Kulis zu treffen. Der 
Herr war grade mit einer heiligen Handlung, nämlich mit dem 
Morgenbade, beſchäftigt und konnte mich nicht gleich ſprechen. 


Bageswar, von der Brüde gejehn. Hinter dem Tempel erheben ſich Reizfelder. 


In der Zwiſchenzeit fpazierte ich mit dem Dolmetſcher nad} dem 
Tempel, deffen weiße Kuppel auf dem Bilde über den niedrigen 
Häufern des Ortes zmwifchen üppigen Bananenjtauden hervorragt ; hinter 
dem Tempel lagen treppenförmig angelegte Reisfelder. Um zum 


— 142 — 


Tempel zu kommen, mußten wir an der niedrigen Häufermauer längs 
des Fluffes entlanggehn, doch ſchien der ganze Ort diefe Promenade 
As Rloake zu benugen, und es wurde mir Mar, warum bier Peft 
und Cholera fich fofort von einem zum andren übertragen müſſen. 

Es war ber erfte Hindutempel, den ich betreten durfte, und ih 
erfchrat über die entſetzliche Unfauberfeit darin, denn durch blut- 
vote Speichelrefte betelfauender Hindus war das Innre einem 
Schlachthauſe ähnlicher geworden als einem Tempel. Ein gemäfteter 
Brahmine empfing mich mit mürriſchem Geficht; er hatte fich die 
beilige Schnur aus fünf weißen Baumwollfäden, die der Brahmine 
ftet8 auf dem Körper tragen joll, zur Abwechslung um die Ohren 
gewidelt, große, orangefarbige Blumen über diefe Ohren geſteckt und 
war grade damit befchäftigt, ähnliche Blumen auf das Steinbild 
eine8 ruhenden Stieres in der Mitte des Hofes zu ftreun. 

Nach einem Valjchifch von zwei Anna, die ich ihm kaum an- 
zubieten wagte, wurde der feifte Herr auf einmal ſehr freundlich und 
riß den gelben Vorhang zur Seite, der die niedrige Halle verhüllte. 
IH fah in einem Napf Wafjer einen mächtigen, blutrot angemalten 
Stein in der allgemein üblichen Kegelform des „Lingam", das be 
kanntlich als Begriff der Schöpfungsfraft des Gottes Schiwa das 
Idol dieſes furchtbaren, mit Wiedererzeugungskraft ausgeftatteten 
Weltzerftörers bildet. Das Lingam ift das heiligfte Kultusgerät für 
die Hindupriefter, während die große Mafje des Volks die Be- 
deutung desſelben faum noch kennt; für dieſe ift e8 ein mirklicher 
Götze geworden, der ftumpffinnige Anbetung findet. 

Mein Babu war genügend in der indifchen Götterlehre unter- 
richtet, um mir aus den zahllofen, im Hofe aufgeftellten, ver- 
ftümmelten Gößenbildern die wichtigſten herauszufuchen. Befonders 
ſchön erhalten war eine Darftellung des Affenkönigs Hanuman, der 
grade den heiligen Himalajaberg Meru nad} der Infel Zeylon trägt; 
und zwar aus folgendem Grunde: As Rama, eine Menſchwerdung 
de3 gütigen Gottes Wifchnu, mit einem götterfeindlichen Riefen, der” 


In *757 


— 148 — 


Ramas Gemahlin Sita geraubt und nach 
Zeylon geführt hatte, im Streite lag, 
hatte der Affenkönig dem Rama ſeinen 
Beiſtand angeboten und auch gleich durch 
Herſtellung der zyklopiſchen Adamsbrucke 
bethätigt. Er hatte von Rama den Auf: 
trag erhalten, zur Heilung einer Wunde 
ein Kräutlein herbeizuholen, das nur auf 
dem Götterfige Meru im Himalaja wuchs. 
Sr Mfrnldnig Ganıman ing Der Affenkönig fuchte das Kraut, konnte 
dm J— Fr Slmataje es jedoch nicht finden und riß deshalb 
kurz entfchlofjen den ganzen Berg aus, 
den er nach Zeylon fchleppte, damit ſich dort Rama jelber die 
Wunderblume fuchen könne. 

Ferner fanden ſich dort mehrere Reliefs, die die Gemahlin des 
böfen Gottes Schiwa in verſchiednen Verkörperungen darftellten, als 
vielarmige Kriegsgöttin (Durga), als ftolze Göttin der Berge (Par: 
bati) und als blutgierige Todesgöttin (Kali), die, trunfen von dem 
Blut des von ihr Erfchlagnen, 
auf dem Leichnam ihres Gatten 
Schiwa herumtanzt, bis derfelbe 
wieder, kraft feiner Gottheit, zum 
Leben erwacht. Der Babu machte 
mich darauf aufmerfjam, daß fich 
diefer Kali einft die Mörderfelte 
der Thugs ausschließlich gewidmet 
babe, um ihr zu Ehren möglichft 
viel Menfchenblut fließenzulafien, 
und daß in einigen nahen Berg- 
dörfern noch derartige Thugs hau⸗ 
ften, die fich bisher dem Arm der 
Voligeizuentziehengewußsthätten. all, bie Zobesgättin, mit Blutriefender Zunge. 


14 


Ein viefiges Steinbild des ele- 
fantenköpfigen Gottes Ganefch ver: 
anlafte den Babu, mir auch die 
feltfame, faft Eindifche Entftehungs- 
legende diefer phantaftifchen Erſchei⸗ 
nung zu erzählen. Dieſer Sohn 
Schiwas und der Kali fei urfprüng- 
lich ein wohlgeftalteter Knabe Na- 
men3 Ganeſcha gemwefen, dem einft 
bie Mutter befohlen Habe, niemand 
zu ihr eintreten zu lafjen, folange 
fie im Bade weile. Da fei Schiwa 
gefommen und habe in den Bade- 
raum eintreten, dev Sohn aber 
dies nicht zugeben wollen; Schiwa, 
der nad) Anficht der Hindu als 


Die Göttin Rali; 
fe weint, weil ihr Saiwa ifren Eopn Ganeih 
mit einem Glefantentopf Bringt. 


fürchterlicher Wüterich im Vollbeſitz aller menjchlichen Lafter ift, 


babe in feiner Wut dem Knaben 


den Kopf abgefchlagen, dann 


aber, um die Mutter Kali zu tröften, einem Diener befohlen, dem 


Säiwa und Kali; daymifgen ihr Sohn Ganefh. 


erſten Wefen, das 
ihm begegnen 
“ würde, den Kopf 
abzufchneiden und 
auf den Rumpf des 
Sohnes zu ſetzen. 
Zufällig fei dem 
Diener zuerſt ein 
Elefant begegnet, 
und dadurch fei das 
elefantentöpfige 
Ungetüm entjtan- 
den. Zur Verföh- 


— 146 — 


nung der abermals tiefbetrübten Mutter habe Schiwa dieſen Ganeſch 
ſchließlich mit fo glänzenden Geiſtesgaben ausgeftattet, daß er ber 
Gott der Klugheit geworden fei, der nun von Gelehrten und Kauf- 
leuten ganz beſonders verehrt werde. Die hier abgebildeten figür- 
lichen Darftellungen diefer Familie Schimas habe ich jedoch nicht 
in Bageswar, jondern in Lucknow erworben und fpäter dem Mufeum 
für Völkerkunde in Leipzig zulommen lafjen, wo fie ihren dauernden 
Platz gefunden haben, 

Das Gegenftüd Schiwas, der welterhaltende Wiſchnu, befand 
fih in einem trau- 
rigen Zuftand; fein 
Relief jah aus, als 
habe der zerſtörungs⸗ 
luſtige Schiwa ſein 

Spiel damit ges 
trieben. Nur wenn 
man die fonftigen 
Darſtellungsweiſen 
dieſes „guten“ Got⸗ 
tes bereits kannte, Wilanu, der auf einem Lager von godralchlangen ruht; feine 
Gemahlin Latjchmi ſalbt ihm die Füße, 
vermochte man zu 
erkennen, daß er mit feiner Gemahlin Lakſchmi, der Göttin der Liebe, 
die ihm die Füße ſalbt, auf einem Haufen heiliger Schlangen ruhend 
abgebildet war, 

Diefe mythologifchen Betrachtungen hatten mich fo gefeffelt, daß 
ich überrafcht war, plötzlich den Schupraffi vor mir auftauchen zu 
jehn, der mir meldete, daß die Kulis foeben im Bungalo ein- 
getroffen feien. Sie wären von der Dunkelheit im Wald überrafcht 
worden und hätten aus Furcht vor dem zahlreichen Tigern und 
andren wilden Tieren nicht gewagt meiterzugehn, fondern hätten 
die Nacht bei einem mächtigen Feuer abgemwartet. 

Ich war froh, daß ich mein Gepäc wieder hatte, und ließ mir 

Does, Indiſche Gletſcherſahrien. 10 


— 16 — 


kaum noch Zeit, einen Blick auf die Nonnen zu werfen, die neben 
dem Tempel in einem ftallähnlichen Gebäude hauften. Sie hatten 
ſich das Geficht und die wilden, wirren Haare dit mit Ajche bejtäubt, 
wozu in Indien mit befondrer Vorliebe die Aſche von verbranntem, 
beiligem Kuhdünger benugt wird, und wollten hier noch fieben 
Monate auf Koften ihrer Landsleute leben, um das im Januar ftatt- 
findende Feſt Utrain Sankranti mitzumahen. Ich war überrafcht, 
daß ſich diefe heiligen Frauenzimmer nicht, wie manche weniger heilige, 
vor meiner fündigen Erſcheinung entfeßten und verfchleierten. Da— 
durch bin ich in der angenehmen Lage, berichten zu können, daß ein 
paar pausbädige Damen darunter waren, die in ihrem Aſchenbewurf 
beinah fo reizend ausfahn wie unfre jungen Mädchen, die fi für 
einen Mastenjcherz in Rokokotracht das Haar gepudert haben; andre 
fahn aber aus, al3 wenn fie eben erft vom Walpurgisnaht-Ritt 
heimgefommen wären. Ehe wir gingen, flüfterte der Babu einer 
Nonne etwas ins Ohr, die darauf in der Iandesüblichen Weife durch 
einen furzen Emporrud des Kopfes bejahte. 

Als ich im Bungalo eingetroffen war und mid) überzeugte, 
daß zwar alle Sachen zur Stelle waren, vier von den Kulis aber 
heftig vom Fieber gejchüttelt wurden, fagte ich den Leuten, id) würde 
fie auszahlen, fobald mein Schupraffi andre Kulis für den Weiter- 
marjch aufgetrieben hätte. Diefe Maßregel riet mir der Dolmetfcher 
an, weil ſich nun die Kulis beeilen würden, den Schupraffi in feinem 
Werben zu unterftügen und überall auszupofaunen, was ic) für ein 
umgänglicher, fröhlicher Herr ei, daß meine Gepädjtüde jo gut wie 
gar nichts wögen, und ähnliche Notlügen mehr. 

Troß aller Mühe konnte aber der Schupraffi feine Kulis be— 
tommen, und die alten wollten nad Haufe zurüd; als Grund 
wurde mir die Cholera angegeben, die überall grade unter dem 
armfeligen Kulivolk entfeßlich wütete. Ich verſprach den bisherigen 
Kulis, erft am nächften Tage weitergehn zu wollen, wenn fie dann 
gegen dreifachen Trägerlohn noch eine weitre Tagereife mit mir 


— 47 — 


machen wollten. Sie ftimmten zwar zu, aber gleichgültig, ohne Freude. 
Fre Hauptforge ſchien zu fein, einen unendlichen Vorrat von dünnen 
Vroten, Schupattis, zu baden; fie verproviantierten fi für ben 
nädjften Wandertag, als ob e3 in einen Feldzug ginge, denn ich hatte 
ihnen ja das Zugeftändnis gemacht, das Mehl für die „nötigen“ 
Schupattis zu bezahlen, und nun fah ich), was bei folchen gummi- 
elaſtiſchen Verfprechungen herauskommen fann. Mit ſcheuen Mienen 
braten einige Kulis auch ein paar nad) Branntwein duftende Flafchen 
berbei und verftecten fie in ihren Deden. Als ich mich von dem 
Kunftpfeifer zu der Quelle dieſes Stoffs führen ließ, fand ich eine 
Anftalt, wo in thönernen Blajen der gegorne Saft de3 Zuder- 
rohrs zu einem „Pfuhl“ genannten Getränk abdeftilliert wurde. Die 
Veteuerungen der Kulis, daß fie diefes Löftliche Labſal nicht etwa 
felber tränfen, fondern nur für die Bhotijas brauten, waren viel zu 
ũberſchwänglich, um glaublich zu fein. 

Im Bungalo fand ich intereffanten Beſuch. Ein fehöner, Ieb- 
hafter Hinduburfche ftand mit einem Speer in der Hand wie eine 
Schildwacht vor meiner Thür und beugte bei meinem Nahen fein 
Haupt bis zur Erde, zugleich Stirn und Bruft mit der Hand be— 
tührend. Der Babu erflärte mir hierbei die verfchiednen Arten des 
indifchen Grüßens, bei denen es als Zeichen äußerfter Unterwürfigkeit 
gilt, wenn der Höherftehende den Nackenwirbel des fich Verneigenden 
erhlien Tann, der zugleich pantomimifch fein Denken und Fühlen 
feinem Oberen zu Füßen zu legen vorgiebt. Mich fefjelte befonders 
der Speer, den mir der junge Hindu aber um feinen Preis verkaufen 
wollte, weil er das Zeichen feines Amts als Sonderbriefbote war. 
Dan hatte den Mann mit nachgeſandten Briefen aus Almora meinem 
Zuge nacheilen laſſen, und ich betrachtete e8 als ein günftiges Vor— 
zeichen, mit Glüctwünfchen aus der Heimat meinen nun doch endlich 
in Fluß gefommnen Marſch in die indifchen Alpen antreten zu 
Tonnen. Diefer Briefträgerfpeer. ſah ganz wie eine Ianggeftielte Streit- 
art mit langer Spie aus und war mit einem Dutzend Schellen und 





a 
ww 
a 


gel beim Dahineilen des 
ıgen haufenden, reißenden 


Thür, nämlic die fromme 
ı Tempel etwas ins Ohr 
geraunt hatte. Ich 
machte ihr meine re 
ſpeltvolle Verbeugung 
und bedauerte unend⸗ 
lich, daß ſie für dieſe 
Viſite ihre maleriſchen, 
wildverfilzten, bepu⸗ 
derten Haarſtrãnge auf 
dem Hinterkopf zu 
einem Beutel zufam- 
mengefnotet und dort 
in einem Kopftuch ver⸗ 
borgen hatte; das 
Stirnhaar war glatt 
fortrafiert, und auch 
den Ajchepuder hatte 
fich die Frau aus dem 
Geſicht gewiſcht. Tiefe 
Nonne lebte übrigens 
praltifcherweife in 
> ein Pilgerfnabe folgten 
Ehrfurcht vor der Heilig- 
n nicht herauszulommen, 
erbei von Pantoffelfurcht 
i diefen barfuß gehenden 
inen eifernen Stab, an 
Diefes Werkzeug dient 


— 149 — 


dazu, die Ankunft frommer Bittgänger vor den Thüren der Hindus 
auszuffingeln, denn das Bitten mit Worten ift ja unter der Würde 
ſolcher Leute. Jedes Mitglied diefer von einem Wallfahrtätempel 


Agori, mit EhimeStirngeien, der einen Menſchenſchädel benagt. 


zum andren fich durchbettelnden Familie war mit einer Kette aus 
Fruhtternen behangen, die einem frommen Hindu fo unentbehrlich 
iſt wie der Roſenkranz dem Katholiken. Als id) mid) mit dem photo- 
aphiihen Apparat diefer Gruppe näherte, hing mir die Nonne 
einen dünnen Kranz von Jasminblüten um den Hals, wovon ihr 


— 10 — 


Söhnen reichlichen Vorrat in einem Körbchen zu Opferzweden 
mit ſich führte, und eine andre Blumenkette legte fie über meinen 
geheimnisvollen photographifchen Kaften. 

Es war mir aufgefallen, daß der ſchlaue Heine Kunftpfeifer fich 
weggeſchlichen hatte, jobald er bemerfte, wie große Freude mir Diefe 
photographifche Gelegenheitsmacherei des Babus bereitet hatte; nach 
einem Stündchen fam er wieder zurüd, als ich grade durch ein 
kleines Nachmittagsichläfchen die furchtbaren Aufregungen der Testen 
Nacht wieder gut zu machen verfuchen wollte. Er hob leiſe die Binfen- 
matte hoch, die auf der Abbildung Seite 149 über der Bungalothür 
zuſammengerollt ift, weckte mich aber dabei durch die einfallenden 
Lichtſtrahlen; dann machte er ein wie von Grauen erfülltes, geheimnis- 
volles Gefiht und zifchelte mir furchtfam das Wort „Agori“ ent 
gegen. Ich folgte ihm in die Vorhalle des Bungalo und fah dort 
einen fat nadten, ſchwarzbraunen Kerl fteif wie einen Laternenpfahl 
und mit ftierblictenden Augen ftehn; er hatte drei dicke, weiße Querſtriche 
auf der Stirn, aus denen jeder Indier erkennen fonnte, daß er ein 
Schiwait, alfo ein befondrer Verehrer des böfen Gottes Schiwa, fei. 
Gleichzeitig flüfterte mir der Dolmetfcher mit Abſcheu ausdrüdenden 
Blicken auf den fparfam beffeideten Herrn zu, daß diefer eine ganz 
außergewöhnlich feltne Erſcheinung vorftelle. 

„Willen Sie, was der Mann in den Händen hält?" 

Ich konnte den Klumpen nicht gleich deutlich erkennen. 

„Es ift der obre Teil eines angebratnen Menfchenfchädels, 
den dieſer Paria, diefer „outcast“, fich heimlich von irgend einem 
Hindufcheiterhaufen geftohlen hat und nun bemagt,“ belehrte mic) 
der Babu; „foldy ein Agori verzehrt nämlich alles, was er findet. 
Ordentliche Nahrung wird ihm nicht gereicht, denn jeder flieht vor 
feiner verunreinigenden Nähe, und fo bleibt ihm nichts übrig, als 
nachts derartige Leichenteile und meggemworfne Küchenabfälle zur 
Stillung feines Hunger3 zu fuchen. Der beim Verbrennen der 
Leiche berftende Schädel entgeht gewöhnlich der Einäfcherung und 


— Bl — 


wird von dieſen Leuten als ein wahrer Leckerbiſſen betrachtet; d 
ſchale dient ihnen fpäter als Becher, Die täuberifche Berühru 
Bananenpflanzung, eines Obſtbaums ober gar eines Kornfeldei 
diefem verfemten Menfchen mit fofortigem Totfchlag gelohnt n 
Der Babu er: 

wähnte auch 

noch den 
furchtbaren 

Brauch dieſer 

Agoris, den zu 

ihrer fluchbe⸗ 

ladnen Sipp⸗ 

ſchaſt gehöri⸗ 

gen Toten ſo 

lange mit einer 

Kolosnuß auf 

den Schädel zu 

hämmern, bis 

die Nuß in die 

Bruche geht 

und den Kopf 

mitihrem Saft 

überſchwemmt. 

Mit unendli⸗ 

Gem Mitleid Men Eupraffi, der einem Bettelmufifanten ein Almoſen x 
mußte ich die- 

ſes unſelige Geſchöpf betrachten, das Kaſtenſatzung zu einem 
tieriſchen Daſein verurteilt hatte! 

Dieſer Agori war wirklich ein ſonderbarer Menſch; w 
ließ er alles über ſich ergehen, Gutes und Schlimmes. J 
ihönen, warmen Teppich und das faubre Laken, das ic) 
elenden Reiſedecke Hinzufügte, hatte er fein Wort des Danke 


— 12 — 


h fonft den Hindus fo unheimlichen photographiichen Apparat 
ex keinerlei Angft, und der Babu verficherte mir, daß er fich 
läge gefallen, ja, ſich töten lafjen würde, ohne auch nur 
ene zu verziehn. 
en anfpruchslofern Reifenden konnte man ſich allerdings 
t denken: Auf dem Kopf das Bündel Deden tragend, an dem 
Photographie feine Wafferpfeife ohne Saugrohr Iehnt, zieht 
a Unglücksmenſch feine gefürchteten Wege von einem Ende 
bis zum andren, als Schreden der Dörfer und Quäl- 
gelegner Hütten, vor deren Thür er fich niederfauert, bis 
tanenblatt voll Speifereften herausgefchleudert wird, oder 
n die Hunde auf ihn hetzt. Ahasver in der ſchwärzeſten 
a nächjften Morgen fühlte ein leichter Regen die Luft und die 
? Erde, aus der bald übelriechende Dünfte emporftiegen ; ich 
förmlich die Cholerabazillen darin. Meine Kulis hatten fich 
yen Bäuche durch Schupattikuchen geſchwellt, auch wohl einen 
Pfuhlſchnaps drauf gefeßt und mweigerten fich jest zu gehn. 
yupraffi ſchimpfte, erflärte fich aber als machtlos und die Ber 
g der Kulis, fie würden bei diefem Wetter das Fieber be 
‚ für durchaus begründet. Hans knirſchte vor Wut, daß die 
auf Gletſcherwaſſer immer wieder verzögert wurde, 

kam der Retter in der Not. Der Kleine Knirps, der ſich 
eifen und Kuli-Antreiben angeboten hatte, ſchleppte das Ge: 
die Stube und gab mir pantomimifch zu verftehn, ich folle 
em die Kulis bedrohn. Zur Vorficht nahm ich die Patrone 
? Lauf und trat dann ohne das Gewehr unter die Kulis. 
lte ein wenig Komödie mit den Burfchen, that, als ob ich 
[ ärgerlicher wäre, als ich wirklich war, rannte dann ergrimmt 
immer, holte die ungeladne Mordmwaffe und legte auf den 
jreier an. 

gleich brachten die Kerlchen ihre Kiften und Käften auf die 





— 13 — 


Köpfe und verließen zitternd mit ihren gewohnten, hajtig trippelnden 
Schritten unfer vor dem Regen ſchiltzendes Haus. 

Bis Kapkot führte unfer Weg durch ein enges Thal mit fteilen 
Velswänden; die nafjen Kakteen und Stechpalmen glänzten wie geölt, 
und Farnbäume fpreizten ihr zierliches Gefieder wie ſchützende Regen- 
ſchirme über wildes Himbeergebüfch. Faſanen und andre bunte 
Vögel flüchteten fih vor dem immer gewaltiger niederjtürzenden 
Regen unter die überhängenden Kalkjteinblöde, in die der Weg 
hineingehauen war, und vecht wie zum Hohn hörte der Regenguß erft 
auf, als wir das Schughaus Kapkot erreicht hatten. Neben dem Bungalo 
hatte ſich ein Bettelmufifant, der die Hirtenpläge abgefammelt hatte, 
in der modrigen, von Käfern und Moskitos wimmelnden Höhlung 
eines riefigen Eichbaumes vor dem Regen verfrochen; ich füge auf 
Seite 151 ein Bild bei, mo der neben dem Baum feine Hufa-Wafferpfeife 
ſchmauchende Schupraffi dem fahrenden Künftler eine Gabe verabreicht. 

Von Kapfot an meitete fi) das Thal, ruhiger raufchte der 
Fluß. Ein Fiſcher kam uns entgegen, begleitet von einem prächtig 
gewachſnen Burfchen, der wahrfcheinlic glaubte, daß fein zierlich 
aus Schilfhalmen geflochtnes und feet auf die rabenſchwarzen Loden 
gedrüctes Müschen eine volllommen ausreichende Bekleidun 
Der Jüngling fehleppte ein paar faft meterlanger Fif 
Ankauf ich mir der herrfchenden Cholera wegen verfagt 
fo bildſchön, daß ich mich eiligft daran machte, das Di 
meined Apparate aufzuftellen, denn nie habe ich einen 
getroffen, der mit Matkowsky in feinen Jugendjahren mehr $ 
gehabt hätte als diefer bronzefarbige Hindu. Auf die Mitn 
photographiſchen Hand-Apparates hatte ich, nebenbei gejag 
Reife verzichtet, weil die Objektivgläfer der fogenannter 
apparate gewöhnlich „Weitwinkel“ find, mir aber zweds ft 
größerung an der mathematifchen Genauigkeit meiner Aufn« 
jümtliche Wilder in diefem Werk find mit einer „Stati 
Photographiert. 


— 14 — 


Der Fifcherfnabe blickte mich mit feinen ſchwärmeriſchen, vollen 
Augen fo treuherzig an, daß id) eine Perle für meine Bilderfamm- 
Tung gefunden zu haben glaubte. Aber ein efelhafter Kuli, der von 
mir bereit3 einen Denkzettel erhalten hatte, weil er mir den unerſetz⸗ 
baren Magneten meines Marimum- und Minimumthermometers zu 
fehlen verfucht hatte, raunte ihm ein paar Worte ins Ohr, die wie 
ein Zauberbann auf den braunen Adonis zu wirken fchienen; furcht- 
bebend rannte er fpornftreich® davon, und felbft mein verlockendes An- 
gebot einer Handvoll Rupien blieb vergeblich. Der Babu verriet 
mir, der ſchuftige Kuli hätte meinen Apollo durch die Mitteilung ver- 
jagt, daß in meinem Kaften bereits das Bild des Agori ſtecke, und 
der Fifcherburfche habe fein Konterfei nicht durch ſolche Nahbarfchaft 
in Gefahr bringen wollen. Alfo ſelbſt noch in die Ferne wirkte der 
Fluch diefes Unholds! Am liebſten hätte ich dem nichtswürdigen 
Warner abermald ein paar Hiebe verabreicht, aber ich fühlte feine 
fonderliche Begabung zum Profoßen und begnügte mich, ihm bie viel 
niederfchmetterndere Strafe der Bakſchiſchentziehung anzufünden. 

Der Weg wurde nunmehr beftändig fteiler, modriger, ſchlüpf⸗ 
tiger. Unſre Pferde blieben in fortwährendem Autjchen, fo daß ich 
Hans den Vorfchlag machte, das Reiten lieber ganz aufzugeben und 
die Pferde zurückzuſchicken. Der fußhohe Kot ließ dem Tiroler, der 
niedrige Bergſchuhe trug, das Marfchieren nicht fonderlich verlodend 
erfcheinen, fo daß er in das Abſitzen erft mwilligte, als die Pferde 
mit feiner Gewalt mehr vorwärts gegerrt werben konnten. 

Ein Mädchen begegnete uns, die eine Eleine Sichel in das zu 
einem Mozartzopf zufammengefaßte Haar geſteckt und den Rod hinten 
in Form eines drolligen Zipfels in die Höhe gebunden hatte; an 
einem aus Bambus geflochtnen Stirnband fchleppte fie einen Korb 
voll Rhabarberftauden. Beſorgt gab fie und zu veritehen, daß die 
nächte Brücke weggeſchwemmt fei, doch mären bereit3 ein paar 
Hirten befchäftigt, eine Anzahl neuer Balken über den angefehwollnen 
Waldftrom zu legen. 





— 15 — 


Sie war das erſte weibliche Weſen in diefem Landesteile, das 
aus freiem Antrieb mit und plauderte; die Auskunft, die fie über 
uns erhielt, fchien bedeutenden Eindruck auf fie zu machen, denn als 


Qirtenfeg über den Gori, 


fie hörte, daß wir das Schneegebirge zu befuchen ftrebten, kniete 
fie, jo aufgeweicht der Weg auch war, vor Hans nieder und ftriegelte 
mit fromm bewundernden Blicken feine Kniee, als ob fie ihn maffieren 
wollte; der wackre Tiroler wurde nämlich faft überall wegen feines ſtolz⸗ 


— 16 — 


ſchweigſamen Verhaltens von den Eingebornen für meinen geftrengen 
Herrn und ich nur für den eifrigen Vollzieher feiner Wünfche ge 
halten. Eine Huldigung durch Anieftreicheln war ihm aber wohl 
noch nicht vorgefommen; ganz abgefehn davon, daß er etwas kitzlich 
fein mochte, kam ihm diefe Huldigung wohl noch nicht ganz verdient 
vor, und deshalb entzog er fich dieſer erftaunlichen Annäherung, die 
das Mädchen wohl nur in einem Zujtande von Vegriffsverwirrung 
beging, denn offenbar hielt fie uns für ein paar ganz beſonders buß- 
fertige Hindupilger, die ſich durch eine fo mühenolle Wallfahrt bei 
den Göttern der Berge einen ganz befondren Stein im Brett fichern 
wollten. 

Die erwähnte Hochachtung, die Hans in Indien wiederholt fo- 
wohl in den Gafthöfen wie von meinen Kulis gezollt wurde, weil id) 
mich ja ftet8 nach feinen Wünfchen erkundigen mußte, um diefe 
dann den Leuten nad) meinen Kräften verftändlich zu machen, hatte 
fpäter die angenehme Folge, daß ich meinen Reis und meine Hammel 
recht billig einkaufen konnte. Die Leute fahn es als ganz felbit- 
verftändlih an, mir billig zu liefern, damit ic) noch Gelegenheit 
hätte, den Iandesüblichen Kommiffionsverdienft auf die Rechnung zu 
fchlagen, die ich nach ihrer Meinung fpäter meinem ſtarken ſchweig- 
famen „Here“ im Tirolerhütchen abverlangen würde. Vorderhand 
ging aber jede Vermittlung durch den Dolmetſcher oder den Schuprafji, 
die ziemlich lange Gefichter machten, al3 ic von unfrem leidlich 
breiten Steige bei einer Wegteilung links, das heißt nördlich ab» 
ſchwenkte, während der direfte und befire Weg nach Milam rechts, 
alfo in öftlicher Richtung weiterführte. Man fah unfrem jegigen, 
verfumpften Weg an, daß feit geraumer Zeit fein Menſch mehr 
auf dieſem verwahrloften Pfade gegangen war. 

Das fteile Auf- und Niederfteigen war zwar ungemein an= 
greifend, aber die Landichaft wurde jo überwältigend großartig, daß 
diefe Beſchwerden gar nicht beachtet wurden. Bald zog ein Faſan 
mit filberweißen, bald ein folcher mit golden glänzenden Federn meine 


— 17 — 


Aufmerfjamfeit auf fi), bald ein dicker Klumpen ſchwarz⸗weiß 
farierter Schmetterlinge und bald das Treiben einer Affenherde in 
den Baummipfeln. Dazu der wilde, an den Felſen Hinkletternde Steg 
und der in der Tiefe donnernde Bergitrom — fürwahr, es konnte 
feine romantifchere Wandrung geben! Erſt mit einbrechender Dunkel: 
heit erreichten wir den Bungalo Loharket. 

Wo der Schupraffi am nächiten Morgen andre Kulis herbelommen 
wollte, entzog fich meiner Beurteilung. Unfre bisherigen Träger 
lagen noch in ihren dünnen Tüchern in dem Vorfaal des Bungalo 
herum, als ich ſchon um halb vier Uhr marjchfertig war; der 
Schupraffi hatte mir verfprochen, bald mit neuen Kulis zu folgen. 

Ich hatte gehört, daß auf der nächſten Paßhöhe eine Quelle 
aus dem Felfen entfpringen follte, und dies war für Hans und mich 
ein Grund, fo fehnell wie möglich den mit wahren Schmerzen ent⸗ 
behrten Genuß zuträglichen frifchen Quellwaſſers aufzufuchen. Das 
Waſſer de3 Wildbachs beſaß jelbft nach dem Kochen und Filtrieren 
einen jo widrigen Modergefhmad, daß es zum Genuß untauglich 
war. So ftiegen wir denn in der Morgendämmerung durch eine 
Urmwaldlandfchaft, wie ich fie in fo erſchreckender Wildheit bisher nicht 
einmal in den furchtbaren Schluchten des Retjegat in den fieben- 
bürgifhen Karpathen gefehn hatte, denn hier kam noch die fremd» 
axtige Pflanzen- und Tierwelt zu dem unerhört wüften Durcheinander 
von zertrümmerten Felſen und verwachinem Walde. 

Ein Mann mit einer Felltafche fam mit mächtigen Schritten 
hinter uns bergeftiegen; er holte ung ein und verkaufte mir etwa 
ein Pfund Butter und ein Bambusrohr voll dicker Milch, doch ſchmeckte 
die Butter fo ranzig, daß ich fie wegwerfen mußte. Der pfeif- 
luſtige Burfche, der e3 ſich nicht Hatte nehmen lafjen, mir mit dem 
Apparatenkoffer zu folgen, griff gierig nach der weggeworfnen 
Butter und verfchlang den Klumpen, ohne einen Biffen Schupatti 
dazu zu effen. Ich fragte den Tiroler, was er von einer fo her- 
vorragenden Leiſtung halte, doch mit Geringihägung meinte er: 


— 18 — 


‚ bei uns daheim grauſt's halt auch den Stadtherren, wenn 
Rnöbdel Hinunterlafj’!" — 

Steig zog fih in fchier unendlichen Windungen auf den 
hinauf, der unfer Thal von dem des Pindarflufjes trennte. 
3 Stunden brauchten wir, um diefe Paßhöhe, die vom 
18 faum eine Stunde entfernt zu fein fchien, zu erreichen; 
einflußten bereit3 die ungeheuren Bergmaſſen meine Urteils- 
mein Augenmaß! 

Nann mit der vanzigen Butter gab auf Befragen an, daß 
inbodjäger, ein Schikar aus Loharfet fei, wo ich feine 
Hütte in der Nähe des Bungalo bemerkt hatte. Er 
‘eine Dienfte an, die ich mit Freuden annahm, 

ſcheint ein echter Gamsjager zu fein, ein echter!" bemerkte 
r bewundernd oder ironisch; ich wurde nicht recht Har, 
Bezeichnung Gamsjager meinte, 

Auelle auf der Paßhöhe hatte auch noch nicht die richtige 
“, den rechten „Wurm“, um mit dem Tiroler zu reden, 
e bei einer Höhe von etwa 10000 Fuß (8078 m) ent: 
ar das Wafjer auch zuträglicher als alles, was ich bisher in 
trunken hatte, fo fehlte doch auch hier der vollendet reine, 
: Gefchmad einer wahren Felfenquelle, das Waſſer enthielt 
h zu viel „Feuchtigfeit". . 

fh blickte ih mit Hans auf den Wollenvorhang vor 
n auf der andren Seite unſres Höhenzuges. Zu unfren 
; auf der einen Seite der Bungalo Loharlet, von dem 
i, auf der andren, weitlihen, im Pindarthal die Schuß: 
kuri, zu der wir nunmehr abjteigen wollten. Ein Stoß 
13 in meine Hüfte verriet mir durch feine Herzhaftigeit, 
ich irgend etwas Bedeutendes geſchehen fei, und richtig! 
Woltenballen lugten einige Schneegipfel der Trijulgruppe 
yeren Einzelheiten man bereit8 mit unbewaffnetem Auge 
onnte. 


En 


— 19 — 


„Wenn's nur aufreißen möcht'!“ jeufzte Hans — doch e8 riß 
nicht auf, fondern regnete ruhig weiter. 

Der Bungalo war in einem gräßlichen, verlotterten Zuftand, 
und eine handgroße Spinne hatte ihr derbes Netz quer vor die 
Thüre gefpannt. 

„Die will ich bald wegputzen!“ triumphierte mein Hans, zückte 
fein „im Griff feititehendes Mefjer“ und ſchnitt mit fichrer Hand 
den pflaumendicten Körper des efelhaften Tieres mitten durch. Doc) 
man fol nie zu früh frohloden! Die beiden Hälften fetten ſich als- 
bad einzeln in Bewegung und krochen auf zwei verfchiednen 
Wegen in mein Schlafgemad). 

Gewitzigt durch unfre Hungerleiderei in Bageswar hatte ich 
diesmal vorfichtig eine Erbswurſt und den Schnelffocher mitgenommen, 
fo daß ich uns gleich eine delifate Suppe brauen konnte. Unfer 
neues Mitglied, der Schifar, verſprach, mir Föftliche Schupattis zu 
baden, doch hatte er wohl nicht feinen guten Tag oder es war ihm 
eine Wange oder fonft irgend etwas Entfegliches in fein Mehl 
geraten, was die fchliffigen Kuchen nicht vecht genießbar machte. 

Rechtſchaffen hungrig ftellte ich mich in der Nähe des Bungalos 
auf, um das Herabfteigen des Kulitrupps zu beobachten; ich ftand 
mit etwas auögefpreizten Beinen und hielt den Krimftecher in den 
Händen. Plöglich fühlte ich etwas Dickes, Plumpes von hinten her 
zwiſchen meine Beine rennen, mich in die Luft heben, und zu meinem 
maßlofen Erftaunen faß ich für einen kurzen Augenblick auf dem 
borftigen Rüden eines Wildfehweins, lag aber in der nächften 
Sehunde bereit im Graſe; das war alles fo flink und unerwartet 
gelommen, daß mir zum Erfchreden gar feine Zeit blieb. 

Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mir diefer jchier un 
glaubliche Hinterrücsüberfall feine Verftauchung zugefügt hatte, ſah 
ih nad) dem Eber und bemerkte ihn dicht am Waldesrand mit 
einem Rudel andrer fi) in dem Gebüſch herummälzen, defjen Aefte 
von irgend welchen Tieren ganz kurzgenagt waren. Wie wenig 


— 160 — 


mußten diefe einfamen Rafthäufer befucht werden, wenn das Wild 


Beſucher fo ohne weitres umlief! Ich bedauerte, daß der 
& nicht mit dem Gewehre zur Stelle war, um einmal unfre 
an einem Wildſchweinskopf verfuchen zu können, doc) 
klärte lakoniſch: „Ein Schaf ift beſſer al3 ein Schwein!" 
it wurde befchloffen, bei der Ankunft im Furfia-Bungalo 
melfchlachtfejt zu veranftalten. 
nãchſten Tage erffeiterte ich mit Hans die höchite Spibe 
kurirückens in der Hoffnung, während einer Regenpaufe 
yama de3 Trifulgebirges zu erhalten. Der Regen näfte 
* gründlich durch, ohne uns länger al3 einen einzigen Augen- 
er Ausficht zu gewähren. 
: regnet ja ala wie —“ brummte der Tiroler, ohne jedoch 
veffenden Vergleich zu finden; hätte er fortgefahren: als ob 
ut hereinbrechen wollte, jo würde er feine Uebertreibung 
et haben. 
nds faß ich bei der Lampe fchreibend auf der mit Wellblech 
Veranda des Bungalos, al3 ich urplöglich abermals ein 
Bildfchmwein dicht vor den Eingangsftufen ſtehn und mic 
anblinzeln ſah; ich wollte die Lampe nach dem frechen 
fen, doch weniger die Beforgnis, dadurch Petroleumflede 
fetten Schmeinsbudel zu verurfachen, als vielmehr die Er- 
die Lampe als Inventarſtück des Bungalos nachher be 
ı müffen, hielt mich von einer jo verlocdenden Wurfübung 
ch einen Schlag mit dem Bergſtock verfcheuchte ich den 
Beſuch. 
her hatte ich außer der Wildkatze in der Schreckensnacht 
war noch fein reißendes Tier geſehn, doch am nächſten Tage 
) Gelegenheit dazu finden. 
3 Wetter hatte fich endlich ein ganz klein wenig aufgeheitert; 
n Hintergrunde des von Weiten kommenden Thals zeigten 
yarze Gipfel mit fehimmernden Eisfronen und ließen mic 





— 11 — 


ahnen, in was für eine erhabne Gebirgämelt wir nun famen. Der 
Weg führte in unaufhörlicher Abwechslung durch Bambusdidicht 
und Wald aller Art, dann aber längs fteiler Felswände fort. Unten 
ftäubte und donnerte der Pindarfluß in beftändigen, von der Sonne 
durchblitzten Kaskaden, jo daß in dem feinen Sprühftaub ein Regen- 
bogen über dem andren entjtand, und daneben führte der Steig durch 
mannshohe Difteln dahin. Der Schikar hatte bereits feit einiger 
Zeit forgfältig alle Spuren auf dem Wege geprüft, und auf einmal, als 
die Diſteln fich Lichteten, zeigte er haftig gegen den fernen Rand bes 
Waldes und fchrie und zu, daß dort foeben ein junger Tiger mit 
mächtigen Sätzen verſchwände. Dann erzählte er mir, daß er diefem 
Tiere ſchon feit mehreren Wochen auflaure, weil es ſich nachts 
regelmäßig ein Schaf aus Kati, dem nächjften und letzten Heinen 
Dorf im Pindarthal, hole, und daß dort Hinten in den Dſchungeln 
eine Tigerfamilie haufe, der er den Untergang gejchworen habe. 
Dabei brachte er aus einem Sad von Hirfchfell die tollite Waffe 
zum Vorſchein, die ich je in meinem Leben gefehen habe, nämlich 
ein eifernes Rohr, kaum zwei Fuß lang, das auf einer alten zer- 
brochnen Wagenradfpeiche mit Draht feit aufgebunden und am Ende 
mit einer angelöteten Kupfermünze verfchloffen war; von obenher 
war an diefem Ende ein Zündlodh in das Rohr gebohrt. Der 
Jäger behauptete, da3 Rohr bereit3 mit Pulver, Kugeln und Nägeln 
vollgeftopft zu haben, und Iud mic) ein, der Erlegung des Tigers 
beigzumohnen. Ich dankte behutfamjt für diejes Vergnügen und 
ftellte ihm in Ausfiht, daß er felbft dabei durch das Zerfpringen 
des Gewehrs in hundert Kochitüce zerfetzt werden würde. 

Bei einigen Heinen Gerjtenfeldern ftand neben ein paar Lehmhütten 
der Bungalo Kati, nur drei Stunden von dem Bungalo Dankuri 
entfernt. Hier rafteten wir und wurden von dem Schaufidar, dem 
Wächter des Häuschens, mit faurer Milch bemwirtet. Ich lobte die 
goldnen Ohrringe des Mannes, die einen ſeltſam geflammten Heinen 


Kranz aus Stahl einfchloffen, und fragte ihn, ob noch mehr fo ſchöne 
Boed, Indiſche Bletiherfahrten. 11 





ER... 








— 162 — 


Ohrringe im Orte vorfämen. Zögernd warf er den Kopf zum Zeichen 
der Bejahung in die Höhe, verſchwand dann und kehrte mit ein 
paar Frauenzimmern zurüd, die er entjchieden duch einen Vorreiter 
mit der Warnungstafel: Vorficht! hätte einführen müſſen. Ich 
befam vor dieſer unerhörten Häßlichfeit einen folchen Schreck, daß 
ich wahrſcheinlich vor Entfegen gezittert habe, als ich den Apparat 
aufbaute, um die Damen auf der Mattglasjcheibe einzuftellen. Ich 
fage „wahrfcheinlich", denn ich war wirklich wie betäubt. Ein weib- 
liches Wefen braucht ja durchaus nicht immer ſchön zu fein, aber 
ein ganz Mein wenig liebensmwärdig muß fie doch mwenigftens jcheinen 
können — bier aber hatte ich einen leibhaftigen Satan, einen alten 
Drachen vor mir, wie er fürchterlicher von feinem Karifaturenzeichner 
der Welt erdacht werden konnte! Mir wurde ganz ſchwach und 
elend bei diefem fcheußlichen Anblick, und ic) war nahe daran, ein 
Heines Fläſchchen Cognac zu entfiegeln, das ich für ſehr ernjtliche 
Notfälle, Choleraanmandlungen oder dergleichen, zu mir geſteckt hatte. 
Zum Glück befänftigte die muntre Enkelin der Furie meine innre 
Empörung, obgleich, fie beim Photographiertwerden des Guten etwas 
zu viel that. Während nämlich die Alte dreinfhaute, ala wolle fie 
alle Brunnen der Welt vergiften, fletfchte die Kleine die Zähne, als 
ob ich ausschließlich das Bild ihrer Kaumerkzeuge haben wollte, und 
dabei hatte ich nicht einmal: „Bitte, vecht freundlich!" gejagt. Der 
Schmuckbehang der beiden beitand durchweg aus Eifen, die Hals- 
fetten, die Toilettengeräte, die Heinen Gloden, um beim Opfern damit 
zu bimmeln, und ſelbſt die Fafjung der Eberzähne, mit denen fie die Mehl⸗ 
ſäcke ausfragen. Um den Hals trugen fie Bänder mit Kaurimufcheln 
und an einer Schnur ein unfaubres, unheimliches Leberbeutelchen, 
defien Beſtimmung mir erſt fpäter klar werden follte. In der 
Nafenfpige der Alten baumelte ein viefiger Ning aus dünnem Gold- 
draht, der nur noch durch ein ganz dünnes Fleifchrändchen gehalten 
wurde und der bei der nächften ftarfen Bewegung auszureißen drohte. 

Durch fturmbewegte Gruppen von Bambus, Difteln und Farnen 





— 18 — 


in nicht für möglich zu haltender ungeheuerlicher Größe, dann wieder 
duch Wälder mit durcheinandergeftürzten, wild mit Schmarogern 
überwucherten Bäumen marjchierten wir nach einftündiger Raſt dem 
Pindarſtrome entgegen. Auf einer Brücke, bei deren Anblid ein 
mit dem Schwindel Behafteter unfehlbar am Herzichlag geftorben 


Waldheren in Kati. 


wäre, mußten wir auf die andre Flußſeite hinüber. Hans fagte 
ganz gelaffen, voll tiefer Entrüftung: 

„Nah, auf folcher etelhaftigen Bricke do mach’ i nicht mehr mit!" 

Als ich aber mit rafhem Lauf über die wackligen, ſchlüpfrigen 
Sparren hinüberlief, aus denen die geländerlofe, durch den be 
ftändigen Wafferftaub der darunter brülfenden Waſſer krumm und 
ſchief gezogne Brüde zufammengefügt war, da faßte er fich eben- 
falls ein Herz, zog Schuhe und Strümpfe aus und fehritt mit merklich 


! 





— 164 — 


blafjem Geſicht über die nichtsnutzigſte Brüde, die es vielleicht auf 
der ganzen Welt gab, vorfichtig hinüber. 

Auf dem andren Ufer angelangt, fah ich vier riefige Affen 
mit ſchneeweißen Badenbärten auf einem Felsblode kauern, und man 
hätte denken können, daß fie einen Stat miteinander fpielten; fie 
ſchälten jedoch nur abwechjelnd von einigen Bananen große weißliche 
Streifen ab, die fie auf den Stein fehleuderten, Auf einer ungeheuren, 
fteilen Felsklippe fonnte ſich eine mehr als meterlange, graugelbe 
Schlange, deren Hinauflommen auf diefen wie abgehadt ausfehenden 
Stein mir ein Rätſel war; ſchöne gelbe Schmetterlinge umgaufelten 
die efelhafte Viper.” 

Das wilde Thal verengte fich ſchließlich zu einer fchauerlichen 
Schlucht, in die von allen Seiten Gießbäche hineinſchoſſen und in 
der eine Hängebrücte aus Bambusftäben und Stricken beim Einfluß 
des grauen, von Nordoft kommenden Kofini in den gelben Pindar 
zu dem Bungalo Dali führte. Die Umgebung dieſes Rafthaufes 
ſchien nicht allzu gemütlich zu fein, denn an den fteilen Felswãnden 
der Schlucht, von denen jene Gießbäche herunterftürzten, hingen 
zahllofe ſchwarze, mühlfteingroße Waben, die dicke Schmärme von 
milden Bienen umfchwirrten, und die Stiche diefer indiſchen Gebirgs- 
bienen gelten für tödlich! 

Am nächften Tag, dem 7. Juli, hatte ſich das Wetter wieder 
gebeffert, und hoffnungsfreudig machten wir und auf den Weg zu 
dem legten Schughaus in diefem Gebirgsthale, zu dem Furlia- 
Bungalo. Eine Stunde hinter Dwali erreichten wir in einer Höhe 
von 9000 Fuß (2700 m) die Grenze des Baummuchfes; frifchere 
Luft blies mic) an, und ſchon nad) einer mweitren Stunde waren 
wir abermal3 taufend Fuß höher geftiegen. Zwiſchen Gebüfch und 
Felsblöcken erblicte ich ein winziges Hüttlein und wiegte mich in 
die tröftliche Hoffnung, daß hier oberhalb der Waldgrenze die 
Niederfchläge nicht mehr jo mafjenhaft fein würden wie bisher. 

——> u — 





Siebenfes Kapitel. 
Der Pindargleticher ans der Vogelſchau. 







ir hatten, von Almora ausgehend, folgende Rajthäufer bes 
N rührt: Takula, Bageswar, Kapkot, Loharket, Dankuri, 
<> Dali und Kati. Nun hatten wir das lebte Obdach 
diefer Art, den 10500 Fuß (3202 m) hoc) liegenden Zurkia-Bungalo 
und damit da8 eigentliche Alpengebiet erreicht. 

Die Ausstattung dieſes drolligen, weißgetünchten, nur ein einziges 
einfenftriges Zimmerchen nebft einem Wafchraum enthaltenden Häus- 
chens war fo einfach wie möglich: das übliche leere Bettgeftell, ein Tifch, 
zwei Stühle. Für die Dienerfchaft mar dicht daneben, zwiſchen den 
Trümmern eine3 vor wenigen Jahren hier durch eine GSteinlamine 
zerftörten Schughaufes, ein Heiner Schuppen erbaut worden; ich 
konnte aljo mein Haupt mit der angenehmen Hoffnung zur Ruhe 
legen, die Wiederholung eines ſolchen Felsfturzes zu erleben. 

In Kati hatte ſich der Hirt, unter deſſen Aufficht diefer 
Bungalo geftellt war, unfrem Zuge angefchloffen; in diefer Eigen- 
ihaft nannte er ſich Schaufidar, das heißt Wächter. Vor allen 
Dingen machte er ſich daran, den Raum durch eine beſonders dazu 
mitgebrachte Jammergeftalt ausfegen zu laſſen, denn für ihn oder 
die Kulis wäre dies natürlich eine entwürdigende Beſchäftigung 
gewejen, die ihre Kaftenreinheit in Gefahr gebracht hätte. Was 
für eine efle Mafje verweſter Ratten und verdorrter Inſekten kam 
dabei zum Vorſchein! Mir graut noch jebt, wenn ich daran denke. 





— 16 — 


ı hatten bier wahrfcheinlich ungeftört und monatelang von 
aſſnen Speifereften des legten Bewohner geſchmauſt und 
m für ihre Schlupflöcher zu fett geworden ober in ber 
e erfroren; vielleicht auch hatten fie fich an diefem fried- 
fchließlich gegenfeitig den Garaus gemacht, denn wo 
eſen bei einem fetten Biffen zufammentreffen, „da herrſcht 
: und nur die Stärke fiegt.“ 
Trupp hatte fih um den Schikar, den Schaufidar und 
‚ wie der sweeper oder Ausfeger bindoftanifch heißt, ver 
frierende, barfüßige Rulirotte hatte der Schupraffi mit 
yeißt durch Vorenthaltung des Trägerlohnes bewogen, ihre 
hierher zu fchleppen. Daß aber weiter hinauf in das 
m dieſen jchlotternden Geftalten nicht das mindeſte erwartet 
vfte, ging aus der Eile hervor, mit der fie ſich ihr Geld 
um nad) ihrem heißen, dunftigen Bageswar zurüdzufehren ; 
bei unfrem Eintreffen im Schatten volle 17 Grad Celſius 
„ behaupteten die armen Teufel, vor Kälte umkommen zu 
enn fie nicht fofort nach Haufe gehn dürften. 
5chaukidar berichtete, daß einige Stunden weiter aufwärts 
thal der Sommerweideplag Klein-Martoli läge, wo wir 
ızeit Kulis bekommen würden; der Schupraffi wollte aller- 
yeren Bereitwilligkeit nicht jo ohne weites glauben. Ohne 
te und wollte ich aber- hier nicht figen bleiben, fondern ſchickte 
taffi mit dem Schaufidar nad Kati zurüd, um Erfah. 
en zu holen. Am nächiten Tage kamen fie mit fünf 
zurück, "den einzigen, die fie in Kati angetroffen hatten. 
m ihres guten Willens brachte jeder eine verfümmerte 
: Banane mit, die er mir mit tiefem Salam vor die Füße 
was ift befjer al3 nix!“ war Hanſens weiſe Erklärung, 
ie Bageswar Kulis durch einen tumultuarifchen Auftritt 
nung durchgejegt hatten und diefe fünf neuen Kulis die 
rägerlaften mit erftaunten Mienen durchmufterten. 





— 167 — 


Am nãchſten Tage juchte ich den Hirtenplag Martoli auf. Es 
tegnete nur ganz fein, fo daß ich mich mit Hans verftändnisinnig 
anblicte, der ausrief: 

„Bei folhem Regen können wir ja gehn wie die Deirel!“ 


Der Zurtia-Bungalo, von vorn geſehn; reis Acht mein Schautidar. 


Diefer Vergleich ſchien infofern ganz pafjend, al3 der Hirten- 
fteig durch ein wirklich verteufeltes Gewirr von ſcharfkantigen Blöden 
führte, die das obre Pindarthal wie ein Meer ausfüllten; die 
Berg und Felsſtürze mußten hier in unheimlicher Häufigkeit nieder- 
fallen. Unmittelbar beim Bungalo war von diefem fußbrechenden 


— 18 — 


Zuftande de3 weitren Weges allerdings noch nichts zu bemerken, denn 
da führte er noch leidlich gangbar an Rhododendronbüſchen dahin, 
zwiſchen denen ungeheure Mafjen von mannshohem Sauerampfer und 
von Jungfrauenhaar wuchfen, einer Schlingpflanze, deren zart aus- 
gefägte, win- 
zige Blätter an 
fo überaus dũn⸗ 
nen, ſchwarzen 
Stielhen figen, 
daß fie bei der 
leiſeſten Luftbe⸗ 
wegung in lang⸗ 
dauerndes Zit⸗ 
tern geraten. 
„Die beben 
ja, wenn man 
ſie nur an⸗ 
ſchaut!“ ſagte 
mein weiſer Be⸗ 
gleiter aus dem 
Tiroler Lande, 
Die Lage des 
Bungalo war 
jeltfam und 
ſchön zugleich. 
Zwifchen den 
Felsblöcken und Ruinen des früheren Schughaufes blühten unabjeh- 
bare Mengen von Vergißmeinnicht, und gleichzeitig verlockten mafjen- 
hafte vote Exbbeeren und blaßgelbe Himbeeren zum Schmaufen. Bon 
der Felswand auf dem andren, dem weftlichen Ufer des Pindarfluffes 
ftürzte ein anfehnlicher Gießbach herunter, während nach Norden 
bin die felfigen Thalfeiten auseinander traten und die Ausficht auf 


Eingang ins Pindarthal. Lints Rept mein Guitar im Anfhlag. 


Sie, Google 





— 169 — 


einen prachtooll gemwölbten Gipfel eröffneten, der von Firm und 
Gletſchern bedeckt war; mit prachtvollem Glanz leuchteten die über- 
hängenden Eisbrüche biejer Gletſcherbedachung von den fteilen Fels: 
hängen herunter. 
Unfer Schi- 
tar hatte fich beim 
Eintreffen des 
Dolmetjchers fo- 
glei des Ge- 
wehrsbemächtigt, 
mit dem er auf 
dem Marſche nach 
Martoli allerlei 
Verſuche machte, 
den Monals bei» 
iulommen, die 
mit ſchwerfälli⸗ 
gem Fluge von 
Kippe zu Klippe 
flatterten. Der 
Mann hatte fich 
au Hanfens voller 
Zufriedenheit 
„ganzbrauchbar" 
mit ein Paar von 


. Rumaon-girten 
mie abgelegten dor dem Furtia-Ehukhaufe; Saftträger des Verſahſen. 


Veinkleidern und 

einem langen Nittel ausgerüftet, während die Hirten ihre Bein- 
beffeidung nur durch ein langes, um die Hüften gefchlungnes und 
dann zwijchen den Schenkeln durchgezognes Tuch hergeftellt hatten ; eine 
Heine Kappe, ein leichtes, ärmelloſes Jäckchen und eine wollne Dede 
vervolfftändigten ihren Anzug. Die Deden ſchlugen fie in einer 


— 10 — 


ungemein finnreichen, aus der Photographie erfichtlichen Weife um 
den Körper und ftedten deren Eden mit eifernen Nägeln zufammen. 
Auf diefem Bild erkennt man auch, welche Breite der nie von einem 
Schuh eingezwängte Fuß folcher Naturkinder erlangt. 

Der Tiroler mujterte dieſe für Hochgebirgsmandrungen allerdings 
nicht ganz geeigneten nackten Beine der Hirten mit äußerfter Gering- 
ſchätzung. Tief und beforgt feufzte er: 

„Se hent jo nir an! Im Kaukafus haben die Träger doch 
wenigſtens was angehent!" — 

Eine halbe Stunde oberhalb des Bungalo verfperrte ein von 
Oſten fommender Zufluß des Pindar das Fortlommen. Ein Wollen: 
bruch hatte den Bach weit über feine Ufer. getrieben, und die mit 
geriffnen Steine machten das Durchſchreiten des Iehmigen Wild— 
waſſers zu einer Unmöglichkeit. Unter Anführung des Schifars, der 
mit feinen abgehärteten nadten Füßen ein unübertrefflicher Klettrer auf 
den glatten, fteilen Felshängen war, ftiegen wir dem Wildbad) entgegen, 
bis es uns gelang, an einer ſchmalren Stelle auf die andre Seite 
zu kommen. Die enge Felsjchlucht, durch die diefes wüſte Gewäſſer 
tobte, zeigte deutlich die Anweſenheit von Bären, und mit Zuverficht 
ſteckte dev Schikar feine Naſe und fein bereit gehaltnes Gewehr in 
jede Höhlung des Gefteins, ohne jedoch das erhoffte Bärenfell erringen 
zu können. 

In Martoli war die Aufregung und Weberrafchung über unfre 
Ankunft groß. Seit den kartographiſchen Studien, die hier vor einigen 
Jahren unternommen waren, hatte fih in Martoli nur ein einziger 
englifcher Sportsman gezeigt, der fchließlich von einem Bären am 
Pindargletiher zerriffen worden war, und der Schilar wies mir 
voll Stolz die Belobigung vor, die er von ber indifchen Regierung 
für die Bergung feiner Leichenrefte erhalten hatte. 

Die Hirten trafen wir grade bei der Schafſchur oder richtiger 
beim Abfchaben der Wolle; jeder Hirt hatte ein ausgeſtrecktes Schaf 
auf einer Decke vor fich liegen, das mit den Füßen an vier Pflöcken 


&. 190-7. 


Birtenhütte Klein-Martoli; 
in der Ferne Fints der PindarsOlerfcher, vedits der vom Berfafler erftiegene Schouſchal. 


Sie, Google 





fefigebunden war. Auf diefem Opferlamm wurde nun mit einer 
ſchartigen Sichel jo lange herumgekratzt, bis der Hirt mitten in der 
Volle ſaß, die dem abgefchabten Tierchen gehört hatte, und die roten 
Heibekrautblüten, mit denen die Wiefe überfät war, gaben für biefe 
weißen Wollhaufen 
einen prächtigen 
Teppich ab. 
Ich ſah jo- 
jort, daß dieſer 
Weideplatz Mar⸗ 
toli für ein‘ Belt- 
lager ſehr geeignet, 
ja fogar unüber- 
trefflich gelegen 
war, denn die nieb- 
tige ſtrohgedeckte 
Steinhütteder Hir- 
ten wäre mit ihren 
derben Mauern für 
den Fall ſchwerer 
Orlane ein befirer 
Zufluhtsort als 
mein leichtes Zelt⸗ 


den geweſen. 
& ft Shajigur bei Rlein-Martoli; 

‘yon wollte ich rechts raucht mein Schltat aus dem Pfeifentopf durch die Hohle Hand. 
den Tiroler zurück⸗ 


fenden, um das Zelt und die nötigften Geräte herauftragen zu laſſen, 
als die Hirten mir zu verftehn gaben, daß ihre riefigen Hunde uns 
unfehlbar zerfleifchen würden, wenn wir uns auf ihrem Gebiete nieder: 
liegen. Gaftfreundlich räumten fie uns jedoch einen Winkel in ihrer 
Hütte ein, in die man freilich nur auf allen Vieren hineinkriechen 
fonnte, 





- 172 — 


Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß beſonders ein von den 
Hirten Schonjchal genannter Felsgipfel gegenüber der Südſeite des 
am Thalſchluß fichtbaren Pindargletſchers einen guten Ueberblid aus 
der Vogelſchau über diejes Bergland gewähren müffe, nahm ich mir 
vor, dieſe Beſteigung ſobald wie möglich auszuführen. Zunächit aber 
fehnte ich mich, dem Pindargletfcher aus dem fehr profaifchen Grunde 
einen Beſuch abzuftatten, vecht bald von feinem Waſſer an der Quelle 
trinken zu können. Mit grimmigem Heulen und Kläffen gaben ung 
die Hirtenhunde ein Stückchen Wegs das Geleite. 

Der faum erkennbare Steg zum Pindargleticher führte zunächft 
durch hohe Gräfer, und der Anblick der Felſen, die den Thalleſſel 
bildeten, war durch die Gletſcher, die ſcheinbar aus den auf allen 
Höhen liegenden Wolken hervorzuquellen ſchienen, ein furchtbar drohen⸗ 
der, aber zugleich phantaftifch fchöner. 

Vor mehreren Jahrzehnten waren die Eisverhältniffe des Gletſchers 
in dem Thale, das fich öſtlich vom Schonfchal zum Gorithal zieht, 
für die Begehung fo günftig geweſen, daß der Commiffioner Traylls 
und die Gebrüder Schlagintweit mit einigen Jägern und Hirten über 
diefen Trayllispaß von hier aus nad Milam im Gorithal gelangen 
konnten, doc) wie mir der Schifar auseinanderſetzte, war dieſer Gletſcher 
in den Ießten Jahren fo zurückgegangen und zerborften, daß ein 
derartiger Verſuch zurzeit ausſichtslos wäre. Grade diefer Webergang 
war aber mein Plan geweſen, denn das Pindarthal bildet im übrigen 
eine vollftändige Sadgafje, aus der nur jemand den Uebergang in 
andre Stromgebiete erzwingen könnte, der mit einer ausreichenden 
Zahl europäifcher, gleticherfefter Laſtträger ausgerüftet hierher käme. 

Als der Schikar im Bunde mit den verfammelten Hirten von 
Martoli mir die Eröffnung machte, daß der Uebergang in das Gori- 
thal ganz unmöglich wäre, brummte Hans nur fein gewöhnliches: 
„Wollen fehen, ob's wahr iſt!“ und riet mir zur Beſteigung des 
Schonſchal. Die Erjteigung dieſes Gipfels follte uns, fo hoffte ich, 
über den gegenwärtigen Zujtand de3 Gletſcherpaſſes Aufichluß geben. 


— 173 — 


Der Pindargletſcher entſprach in Wirklichkeit nicht dem un- 
bedeutenden Bilde, das ich mir von ihm nach der Karte gemacht hatte, 
und wahrfcheinlich hatte der Kartenzeichner gar nicht den Eisfall 


Der Bindargletfger; vorn fieht der Exıtar. 


erfliegen, um die gewaltige Ausdehnung dieſes zerklüfteten Gleticher- 
ſtroms wahrzunehmen. Die Regierungslarten des Himalajagebirges 
find. ganz vortrefflich aufgenommen, folange e3 ſich um Pläge handelt, 
die noch durch Wege miteinander verbunden find, obgleich ja auch 


— 114 — 


bier die nie ausbleibenden furchtbaren Zerftörungen durch Natur« 
ereigniffe manche Abweichung der Karte und des wirklichen Weges 
mit ſich bringen. Bon den jo ungeheuer ausgedehnten Hochgebirgs- 
regionen wird aber fein billig Denfender unbedingte Genauigkeit ver- 
langen, fo fehmerzliche Folgen die Irrtümer auch manchmal haben; 
die Rartographen müfjen ſich nur zu häufig auf ungenaue Ausfünfte 
von Zägern und Hirten ftügen, die in den jeltenften Fällen beträcht- 
liche Höhen befteigen. 

Es ift nicht möglich, den Empfindungen Ausdrud zu geben, mit 
denen ich und gewiß auch Hans unfren Fuß zum erftenmal auf das 
Eis dieſes Himalajagletjchers festen. Wie unendlich ſchwierig war 
uns dieſer erfte Schritt durch allerlei Hindernifje geworden, die 
grade dadurch, daß fie nicht unbedingt mit den Gefahren des Ge- 
birge3 verfnüpft waren, jo widerwärtig und niederdrüdend gemirkt 
hatten! . 
Der an jeinem untren Ende ungemein fehmußige, fteinige 
Gletſcher hatte zwei Abflüfje, deren Waſſer aber keineswegs unfren 
Erwartungen entſprach; obwohl wir beide gewohnt waren, in den euro- 
päifchen Alpen eiskaltes Gletſcherwaſſer troß der darin aufgerührten 
Felsſtäubchen zu trinken, hatte der Regen die Gletjcherquelle des 
Pindar fo garftig und Iehmig gemacht, daß erſt durch umftänbliches 
Filtrieren ein annehmbares Getränk daraus zu erhalten war. 

Der Gfletfcher ftrich von Nord-Nordweft nad) Süd-Sädoft und 
war in feinem obren Teile jharf nah Norden umgebogen. Wir 
exkletterten den fteilen, etwa 400 Fuß (130 m) hohen Moränenwall 
und den obren Gletjcherboden und fanden ein von Dften ber ein- 
mündendes, zahlloſe Schliffe und Kritze zeigendes Yelfenbett eines 
Gletiher3, von dem nur noch ein am Nanda Kat in bedrohlicher 
Abfturzbereitfchaft hängender Reſt erhalten war. Jeden Augenbligt 
konnten diefe hundert Meter diefen, blau fchimmernden Eisbrüche auf 
uns herunterfchlagen, denn daß rings um uns her taufend unficht- 
bare Gemwalten an dem ernten Antlig des Hochgebirgs nagten, 








Edelweiss-Wiese am Pindar-Gletscher. 
Born fiehen Hirten mit ihren Hunden. 


Sie, Google 





— 15 — 


hörte ich aus dem Krachen der Lawinen, die bald hier, bald dort 
in den großartigen Pindarthalfeffel ftürzten. 

Immer ſtärker werdender Regen trieb uns von dem Gletfcher 
hinunter, deſſen zahlreiche Serats in auffällig mürbem Zuftande 
waren. In der Nähe de3 Gletjcherfußes klaffte eine feitliche Spalte, 
in die von der Moräne her ein unfaubrer Pfad zu führen ſchien; 
zahlreiche Spuren bewieſen deutlich, daß hier Bären vor Regen 
oder Sonne Unterfchlupf zu fuchen pflegten. Es war im höchften 
Grade ärgerlich, daß der Schifar mit dem Jagdgewehr feiner uns 
beihuhten Füße wegen auf der Moräne zurückgeblieben und durch 
fein Schrein und Rufen zu erreichen war, weil er, des Wartens 
müde, ſich hereit3 auf den Heimweg nad) Martoli gemacht hatte; 
ohne Waffen in die Eisgrotte einzubringen, wäre aber eine ganz 
überflüffige und in der Erinnerung an den hier zerriffnen Engländer 
fogar recht bedenkliche Neugier geweſen. Ich ging deshalb ohne fonder- 
liche Ueberftürzung nach Martoli, denn ich hatte mir bereit8 in den 
Rarpathen durch wiederholte Begegnungen mit Bären die Aengftlichkeit 
vor derartigen Beſtien ein wenig abgewöhnt, und es wird mir un: 
vergeßlich bleiben, wie dort bei meinem erften Zufammentreffen Meifter 
Petz das Hafenpanier ergriff, als ihm mein Begleiter Taltblütig eine 
Erdſcholle ins Geficht fehleuderte. Jedenfalls ift diefer Teil des 
Himalaja ein weit ergiebigeres Jagdfeld für Raubwild als das öjt- 
lichere Sifhim, von deſſen Bereifung ich fpäter zu fprechen habe, doch 
war ich ja nicht zum Einheimjen von Jagdtrophäen ausgezogen 
und ließ deshalb den Bären in Ruhe. 

Mit prächtigen, auf den Kalkfelſen beim Pindargletjcher gepflüctem 
Edelweiß am Hut fehrte ih am nächften Tag in den Furkia 
Bungalo zurüd, nachdem wir in der Hirtenhütte Martoli genächtigt 
und den Schifar durch unfre Erzählung von dem Bärenſchlupfwinkel 
vor Jagdneid ganz Frank gemacht hatten. 

In unfrer Begleitung befand fich ein vielverfprechender Hammel, 
den ich von den Hirten gekauft hatte, um ihn am nächſten Tage 





— 16 — 


zu verfpeifen. Beim Scheine eines übelviechenden Feuers aus 
Rhododendronholz brachte Hans das unjchuldige Tierchen um und 
hing es troß meines Abratens während der Nacht in die überdachte 
Veranda vor der Thür. 

Während mir fehliefen, krachte ein Schuß, der uns auf die 
Beine brachte. Der Schilar hatte fich in der richtigen Erwartung, 
daß der geichlachtete Hammel das Gelüfte irgend eines Raubtiers 
erweden würde, auf die Lauer gelegt und behauptete, einen Leoparden 
mit feiner Gewehrkugel getroffen zu haben, bevor er noch unfren 
zutünftigen Braten berührt hätte. In der That fanden fich Blutſpuren, 
denen der Schifar am nächften Morgen nachging; bei Sonnenuntergang 
legte er mir triumphierend das herrliche Fell des Tieres zu Füßen. 

Die Hammelbraterei war ein recht ſchwieriges Problem ber 
Kochkunſt für mich. Somohl Hans wie ich waren in dieſem naht- 
haften Zweige menfchlicher Wiſſenſchaft nody nicht fo weit gefommen, 
wir hatten das „noch nicht gehabt”, wie die Schüler in Bezug auf 
ſchwierige Rechenaufgaben fagen, die fie nicht löfen können. Jeden⸗ 
falls war mir Har, daß zum Braten Zuder und Mehl nicht unbe 
dingt nötig fei, dagegen hatte ich allerlei dunfle Erinnerungen, daß 
Eſſig oder Schampignons dabei erforderlich fein möchten. Ich mußte 
nur nicht gleich, ob das Fleifch vor den Pilzen gebraten und dann 
Eſſig drauf gegoſſen werden müfje oder umgekehrt; vor allen Dingen 
wußte ich aber nicht, woher ic) Eſſig und Pilze nehmen ſollte. 
Schließlich einigten wir uns dahin, die eine Keule in Heine dünne 
Scheibchen zu fchneiden, diefe tüchtig mit Salz und Pfeffer zu beftreun, 
mit zwifchengelegten Scheiben Sped auf einen ftarfen Eifendraht auf: 
zureihn, den der Schilar als Ladeſtock für feine vorweltliche Flinte 
zu benugen pflegte, und fo über offnem Feuer zu röjten. 

„Sell iſch ein Reibereſſen, ein ganz ein echtes, do is eine arm- 
felige Kraft dabei!" jubelte Hans, als ich das wirklich delikate und 
faftige Gericht auftifchte und er räubermäßig drüber herfiel. 

Durch diefen Erfolg kühner gemacht, ſchmolzen wir eine gewaltige 





- 17 — 


Menge Butter in einem Blechkeſſel, fenkten die andre Hammelkeule 
hinein und ftellten fie ein paar Stunden übers Feuer; aus allen 
andren Fleifchteilen kochten wir mit Salzwafjer und Reis ein fürjt- 
fies Abendeſſen. 

Am Abend mufterten wir den Himmel bejonderd aufmerkſam, 
denn am nächften Tage wollten wir den Schonfchal befteigen; doch 
funtelten die Sterne mit fo unheimlich ſtarkem Glanz, daß wir una 
feine ſonderlichen Hoffnungen auf gutes Wetter machten. Der Dols 
metfcher, der ebenfo wie der Schupraffi durch die für ihr Empfinden 
kalte allzu feuchte Luft in einen kläglichen Zuftand von Dysenterie 
gelommen war, bat mic) himmelhoch, von diejer Befteigung abzufehn, 
weil an diefem Berg eine Unmafje giftiger Kräuter wüchſe, deren 
Ausdünftungen, wie er von den Hirten beftimmt gehört habe, Krant- 
keit und Tod verurfache; jedenfalls könne er nicht einmal den ent- 
jeglichen Weg bis nad Martoli nochmals zurüclegen. Ich merkte, 
daß er ebenſo wie der Schupraffi am liebften nad) Almora zurüd- 
marfchiert wäre, wenn nicht der reiche tägliche Lohn eine zu mächtige 
Anziehungskraft befefjen hätte. 

Ich brach mit Hand und dem Schikar fehon vor Morgengrauen 
auf; doch fehon dicht Hinter Martoli brach ein Platzregen nieder, 
der uns Hals über Kopf in die Hirtenhütte trieb, jo daß mir erft 
ſpät am Nachmittag heimkehrten. Mit unmäßigem Appetit wollte 
ih mich mit Hans über die in der Badeftube wohl vermahrte kalte 
Hammelfeule hermachen, auf die wir un bereits feit Mittag gefreut 
hatten. Der Hammelbraten war aber verfchmunden! 

Es wäre freilich nicht nötig, bier alle diefe Nebenfachen zu 
berichten, aber ich bin gewiß, daß der eine oder andre Lefer dadurch 
am beften erfennt, wie es auf fold einer Reife wirklich zugeht, und 
was für ernfthafte Folgen aus geringfügigen Urſachen entjtehen können. 
Nichts zum Veifpiel Tann fo verhängnisvoll werden wie das Fehlen 
von geeignetem Proviant. 

Wo war die Hammelleule geblieben? Der Schaufidar behauptete, 

Boed, Indiige Gletſcherfahrten. 12 


— 18 — 


daß weder er noch die Kulis ihr Mauerloch verlafjen hätten, und 


der Dolmetſcher ebenfo wie der Ausfeger, die einzigen Perfonen, 


denen der Austritt zu dem Bungalo ſtets frei ftand, hatten oft mit 
Entrüftung verfichert, daß fie als ftrenggläubige Hindus fein Fleiſch 
äßen, da man ja nie wiſſen fönne, weſſen Seele in dem betreffenden 
Tiere das Erdenleben zur Strafe begangner Sünden noch einmal 
durchmachen müffe. 

Mißmutig rührte Hans beim Schein unfrer Tafchenlaterne in 
der Erbſenſuppe herum, die als Erſatz für unfren Braten dienen 
follte, denn unfre Konferven wollten wir für künftige Notfälle auf 
fparen; währenbbefien blinzelte mir der Heine Pfeifer geheimnisvoll 
zu, nahm dann die Laterne und lockte mich in den Baberaum, mo 
unter einem umgeftülpten Gimer bie fchon liebevoll befnabberte Hammel: 
feule auf einem Steinfcherben lag. Der Heine Kerl war grade groß 
genug geweſen, um durch das Fenfter diefen Diebftahl des Ausfegers 
beobachten zu können. 

Trogdem die Kulis ſchon zur Ruhe gegangen waren, ließ ich 
doch meine ganze Begleitung aus dem Heinen Schuppen in den 
Bungalo herüber rufen, um als Warnung für Fünftige Beiten ein 
fürchterliche8 Strafgericht abzuhalten. Der arme sweeper wurde 
mehr tot als Iebendig hereingefchleppt und gab ganz zerfnirfcht zu, 
die Keule gemauft zu haben. Auf meine Frage, wie er denn ben 
Fleifchgenuß vor feinem brahminifchen Gewiſſen rechtfertigen könne, 
erbarmte ſich der Babu feines Landsmannes und verficherte mir, 
daß erftlich ein Ausfeger kein ehrbarer Hindu fei, und daß überdies 
felbft ein Hindu befirer Kafte zwar niemals Fleifch vom heiligen 
Nindvieh efjen würde, in ganz beftimmten Fällen aber, zum Beifpiel 
wenn er argen Hunger leiden müffe, Fleiſch von folchen Ziegen oder 
Schafen genießen dürfe, deren Hörner nach oben gedreht wären. 
Zufällig fand fich der abgenagte Schafsfchäbel dicht beim Haufe, doch 
zeigten feine Hörner unzweifelhaft nach unten; ein mildernder Um- 
ftand lag alfo nicht vor, und der Feger erhielt feine Standpaufe, 





— 19 — 


Eine mir gradezu endlos dünkende Reihe von vierzehn Regen⸗ 
tagen fefjelte uns unausgefeßt an ben Bungalo; jeder Schritt aus 
dem Haufe während diefer Beit wäre eine offenbare Thorheit gemejen. 
Der Regen drofch alles zufammen und verbot vor allen Dingen jedes 
Aufftellen des photographifchen Apparats. Ich fing an, ein wenig 
melandolifch zu werden, denn Unthätigfeit und Unmut find unzu- 
trägliche Gäfte! 

Zum Glück fand ich einige Zerftreuung in dem Studium 
indiſcher Dichter, die ja fo häufig auf den Himalaja Bezug nehmen, 
wie zum Beifpiel in Kalidafas „Wolfenbote”, wo der liebende Hima- 
lajapilger (nah M. Müllers Ueberſetzung) fehnfüchtig ruft: 

Wenn mich des Waldes Götter ſehn, wie ich nach dir die Arme breite, 
Um dich an meine Bruſt zu ziehn, wähn ich im Traum mic) dir zur Seite, 


Dann glaub’ ich, werden oftmals auch aus ihren Augen Thränen finken, 
Die, groß wie Perlen, in dem Wald rings an den frifchen Anofpen blinfen. 


Die Winde vom Himalaja, die manchen Blütenfelc, zerteilen, 
Und füß vom Blumennektarfaft hin nach dem Süden weiter eilen, 
Sie fühlen meine heiße Bruft — ich fühle Wonne im Gedanken, 
Daß fie vielleicht in frührer Zeit auf beine Glieder niederfanfen! — 
Wenn du aus diefer Botſchaft nun gehört von meinem Wohlbefinden, 
So laß, Schmarzäugige, darauf auch böfe Zweifel ſchwinden; 
Die Trennung ift der Liebe Tod, fo jagt man wohl, doch die Entbehrung 
Macht größer nur der Liebe Glüd, wenn unfrem Sehnen wird Gewährung! 

Die wenigen lichten Momente, in denen ſich die Gewalt des 

Regens zu legen fchien, benußte ic, um meine Glieder zu Fräftigen 
und zu üben. Die Felfen der nahen Schluchten waren eine vorzügliche 
Kletterfchule, und der unmäßig angeſchwollne Wildbach bot beifpiellos 
gute Gelegenheit zu Springübungen mit dem Vergftod. In immer 
weitem Abjtande lernte ich in Hanfens Gefellfchaft den Ueberfprung 
von einem glatten Bloc zum andren machen, bis dabei der voraus- 
zuſehende Fall eintrat, daß mein ticoler Haſelſtock zwischen ein paar 
Steinen ſtecken blieb, abbrach, und ich dadurch mitten in die dahin— 
ſchießenden Waffer und Geröllmafjen gefchleudert wurde. Ich trieb 
mit zunehmender Geſchwindigkeit dem Wafferfturz zu, doch mit Riefen- 


— 180 -- 


ſätzen ſprang Hans neben dem Wildwaſſer her, reichte mir im geeig- 
neten Augenblid feinen ſchier endlos langen Bergſtock Hin, deſſen 
eifernen Umfafjungsring ich grade noch mit äußerſter Anftrengung 
umfrallen konnte, dann 30g ber Tiroler kräftig an, und ich fam 
wieder auf die Beine. 

„Sell war arg!" ſagte Hans hierauf ganz ruhig. 

Der Verluſt meines Bergſtocks war nicht zu unterfchägen. 
Wegen de3 häufig nötigen Ueberfchreitens von brückenloſen Bächen 
find lange Bergftöde im Himalaja noch notwendiger und nüßlicher 
als Eispickel, für die allenfalls Steigeifen einigen Erfah geben. 
Ich ahnte aber doch nicht, daß in der jetzigen Regenzeit im ganzen 
Himalaja fein geeignetes Stüd Holz aufzutreiben fein würde. Hans 
ſchnitt mir zwar fpäter einen Stod aus einem Bambusftamme, doch 
hielt dieſer gar feinen Vergleich mit meinem feiten Hafel-Berg- 
ſtock aus. 

Nach einem entfeglichen Nachtorfan, der das Haus wie einen 
Iofen Felsblock hin und her fchüttelte, fahen wir am frühen Morgen 
des erſten Auguft alle Höhen bis tief herunter mit Neufchnee bedeckt. 

„Wenn's fo tief herunterfchneibt, wird’3 Wetter immer beſſer!“ 
frohlodte Hans. 

Sofort padten wir Proviant in unfre Rudjäde, der Schikar 
nahm das Gewehr, ein Kuli den Apparat, und mit dem feften Ent- 
ſchluſſe: „Heute müffen wir auf den Schonfchal!" brachen wir auf. 

Ich wollte mir einreden, daß die Luft recht fühl und erfrifchend 
wäre, aber Hans ftöhnte ingrimmig: 

„Es bat doch noch immer nicht die rechte Adligfeit !" 

Mit fcharfen, fengenden Stichen brach die Sonne durch die 
diefen Wolkenklumpen im Pindartdal und taute binnen wenigen 
Stunden die Neuſchneedecke von den Bergen. Ohne uns in Martoli 
oder am Pindargletfcher ange aufzuhalten, ftiegen wir an den Felfen, 
die die ſüdöſtlichſte Wand des Thalkeſſels bilden, in die Höhe. 

Nach zmweiftündigem Steigen machten wir Raſt. Sch ſah den 


| 
| 





— 11 — 


Tiroler an, und er prüfte mich ebenfall® mit den Augen. Es waren 
wwar allerlei fteile fchlüpfrige Grashalden und einige „Ichieche Platten” 


Niederblid vom Sqhonſchal in das Pindarthal. 


zu überwinden geweſen, aber die hätten uns in feinen Tiroler Alpen 
nicht die mindeften Schwierigkeiten gemacht. Und hier? Keuchend 
und ſchweißtriefend ftanden wir beide mit fliegenden Puljen da, als 
ob wir eine Leiftung unerhörtefter Art vollbracht hätten. 








— 12 — 





„Der erſte Auguft gilt in Hals für einen Unglüdstag!" murmelte 
der Tiroler in den Bart und bif ſich auf die Lippen, wohl weil er 
bemerkte, wie ſchwer ihm jeder weite Schritt Steigens wurde. Ich kam 
mir vor, als wäre alle Kraft von mir genommen, oder als litt ich an 
einer grenzenlojen Migräne; ich glaubte vor Kopfſchmerzen toll werden 
zu follen, al3 wir um zehneinhalb Uhr mit beinah taumelnden Füßen 
die Gipfelfteine de Schonfchal betraten. Um halb vier Uhr früh 
waren wir vom Bungalo abmarfchiert und bis auf eine Heine Raft 
von zehn Minuten in ununterbrochnem Steigen geblieben; ich war 
aber fejt überzeugt, daß wir in den europäifchen Alpen in dieſer 
Zeit das Doppelte geleiftet haben würden. 

Ich verfuchte, den prachtvollen, ſchwindelerregenden Niederblick 
in das Pindarthal aus der Vogelſchau mit einem ermutigenden Fodler 
zu begrüßen, doch meine fonjt ziemlich klangvolle Stimme verfagte 
und war matt und heifer. Ich war erfchöpft wie noch nie in meinem 
Leben, und auch Hans zifchte: 

„Weiß der Teufi, was dös is!" 

IH möchte hier gleich erwähnen, daß wir fpäter weſentlich 
guößre Höhen beftiegen als den Schonfchal, der nur etwa 16000 Fuß 
(4800 m) hoch.ift, ohne auch nur annähernd ähnliche Anzeichen der: 
artiger wirklicher Erkrankung zu erleiden. \ 

Welche Umftände wirkten hierbei mit? Faſt glaube ich, daß die 
Gräfer und Kräuter, deren Ausdünftung der Babu al3 fo giftig 
geſchildert hatte, eine gewiſſe Rolle bei der Entjtehung der fogenannten 
Bergkrankheit fpielen, wenn auch in einem ganz andren Sinne, als 
der Babu es meinte. Ich neige der Anficht zu, daß der Mangel 
an Kohlenfäure, die nachgewieſnermaßen neben dem Sauerftoff 
und Sticjtoff zum Atmen nötig ift, auf hohen Gipfeln dem menfch- 
lichen Organismus empfindlicher wird als der ſchwächer werdende 
Luftdruck; durch dichten Vegetationsbeftand wird aber der Beitand 
an Kohfenfäure naturgemäß mehr erſchöpft al3 durch unorganifchen 
Gipfelboden wie 3. B. Feljen oder Schnee. Jedenfalls Tann ich nad) 





— 183 — 


meinen Erfahrungen nicht behaupten, daß zunehmende Höhe ftet3 
entiprechenb wachſendes Uebelbefinden im Gefolge hat; andrerſeits 
glaube ich, daß es ſich mit der Vergkrankheit fo unberechenbar wie 
mit der Seekranlheit verhält. 

Der Blick von dem Gipfel war wirklich groß, da ſich der 
ganze Pindargletfcher nach Norden voll überblicken ließ; darüber ragte 
die furchtbar prächtige, von diefer Seite dem Wetterhorn ähnliche 
Spitze des Nanda Kat empor. Dann aber enthüllten fich hier oben 
zwei andre Gletſcher, von denen meine Karte nichts zeigte. Der 
ine ſtürzte unerhört fteil und wüſt zerklüftet ſüdlich von unfrem 
Gipfel zwifchen diefem und dem uns gegenüberliegenden, drohend 
und jãh aufiteigenden Dulia Parhar herunter, der andre war hoch 
oben in die Mulde gebettet, die von den Felsmaſſen des norb- 
weftlichen Pindarthalfchluffes, des Zaka Parhar, gebildet wird. Die ' 
winzig erfcheinende Figur meines Schikars im Vorbergrunde links 
an der untren Ede des Bildes giebt eine Vorſtellung von dem 
Größenverhältnis des im Hintergrund fichtbaren Gletſcherſturzes. 

Mein Uebelbefinden legte fich hier oben, das kochende Blut kam 
zur Ruhe. Wolfen zogen vor den mich umringenden idealſchönen 
Hochgebirgäbildern Hin und her, fie bier enthüllend und dort ver: 
ſchleiernd; dazwiſchen bligten Sonnenftrahlen und gligerten bald 
auf dem Wafferfall, der in der Mitte des Pindargletſchers hervorbricht, 
bald auf den Schneefeldern in den Spalten unter meinem Zelsgipfel 
und bald auf den Wolfenmaffen, die wie ſchwere Klumpen und Säde 
in der Tiefe über den Hirtenplatz Martoli thalab rollten. Schließlich 
lagen Gletſcher und Thal in unverhüllter Schönheit unter meinen 
Blicken. 

Der Tiroler hatte ſich auf einer Felsklippe lang ausgeſtreckt 
und fpähte geſpannt in die Tiefe; plötzlich gab er mir ein Zeichen, 
vorfichtig näher zu kommen. Ich kroch neben ihn, folgte feinem 
Fingerzeig und zuckte vor Freude, al3 ic) zwei ſchneeweiße Steinböde, 
Hier Thar genannt, erblickte, die in der Tiefe äften. Durch ein 


— 184 — 


unvorſichtig von mir abgebröckeltes und herunterſpringendes Steinchen 
erſchreckt, entflohen die herrlichen Tiere, während gleichzeitig ein paar 
tiefige, buntfchillernde Monals, die wir beide vorher nicht bemerkt 
hatten, aus ihrem Verftet in unfrer nächſten Nähe aufflatterten 
und über den Gletſcher nad) dem Dulia Parhar hinüberflogen. 

Hanſens Ausfehen hatte fich verändert. Sein abgeipanntes, 
müdes und etwas mürrifch gewordnes Wefen war feiner angebornen 
guten Natur gemwichen, der fehnige Sohn der Berge fühlte fich wieder 
in feinem Element. 

Diefe Beſteigung follte etwas jehr Wichtiges bezwecken. Ich 
wollte ermitteln, ob eine Ueberfchreitung der von fchroffen, übereiften 
Rüden durchfchnittnen Firnfelder möglich wäre, die fich hier in 
öftlicher Richtung von dem Nanda Kat nad) dem Stromgebiet des 
Gori hinunterziehn. 

Hans kam mit mir zu der Üeberzeugung, daß wir für unfre 
Perſonen den Uebergang gewiß ausführen könnten. Es lam jest nur 
darauf an, einige tüchtige Träger für den allerdings keineswegs Teichten 
Uebergang zu gewinnen, aber der Schilar gab uns zu verftehn, 
daß ich niemand al Träger mitbelommen würde. 

Wir ftiegen mit thunlichfter Schnelligkeit ab, um noch im Hellen 
nad) Haus zu kommen. Die Hirten von Martoli kannte ich bereits 
fo genau, daß ich fofort die zwölf brauchbarften ausmählte und jedem 
den zehnfachen Trägerlohn, das heißt vier Rupien für den Tag, 
zuſagte, der mit mir über den Gletjcherpaß gehen wolle. Sie erklärten 
aber auf das bejtimmtefte, daß dies wohl noch vor zehn Jahren möglich 
gewejen, gegenwärtig aber auf den gletfcherlofen, glatten Felsabſtürzen 
ganz unausführbar fei; kein Gelb der Welt könne auch nur einen 
einzigen Mann zum Mitgehn bewegen. Hans fnirfchte: „Wann 
fen nich gehn, nacher kannſt nir machen!" und, die Nußlofigfeit mir 
überhaupt nie zufagender Gemwaltmaßregeln einfehend, gab ich den 
ſchönen Plan auf. 

Inzwifchen war die Dämmerung hereingebrochen, und wir 


"fa jopluopo wog Arqard eyez wap jne apsplg 


Sie, Google 


— 15 — 


mußten verfuchen, uns den Weg mit Hilfe der Taſch 
die ſchauderhaften und gefährlichen Felstrümmer zu fu 
auch gar nicht lange, bis der Schikar auf die Nafe 
ein paar Zähne ausbrad), dann ftolperte ih in 
ſchlug mir das Schienbein auf, und ſchließlich ftürgtı 
Sprung über den Wildbad von einem nachgebendei 
eine ziemlich mitgenommne Gefellichaft in den | 
gehumpelt fam. Der Heine Pfeifer, der nicht mil 
gefommen war, hatte aus Martoli eine Kupferfla 
milch in die Küche gefchleppt und für ung alle einen 
reis gejotten. 





Achtes Kapitel. 
Eine gräßliche Eutdecung. 






‘3 war mir aufgefallen, daß Hans jeit dem Tage, an dem 
> wir mit den Hirten zufammengepfercht in Martoli übernachtet 

® Gatten, nicht mehr fo ruhig ſchlief, ſondern auch mich im 
Einfchlafen ftörte, indem er ſich unaufhörlich und ziemlich geräufch- 
voll die Haut kratzte. Auch ich fühlte ein ganz fatales und zunehmend 
läftiger, auftretendes Hautkribbeln und Tonnte mich nur durch faſt 
übermenfchliche Anftrengung überwinden, Hanfens ſchabendem Bei: 
fpiel nicht zu folgen. Mit Graufen dachte ich an bie zahlreichen 
Ausfäsigen, denen wir bisher begegnet waren, denn daß uns nichts 
Harmlofes im Blut lag, was fo entſetzlich juckte und zwickte und 
zwackte, war klar. 

Kaum graute der nächſte Morgen, jo ſtanden wir auch ſchon 
in der Badeſtube, goſſen uns ein paar Kübel heißes Waſſer über 
den Körper, der bei Hans bereit8 ganz blutrünftig ausſah, legten 
friſche Wäfche an und fühlten uns fogleich wie genefen. 

Doc) die Freude dauerte nicht lange. 

Schon nad einer halben Stunde jprang der Tiroler wütend 
vom Frühftücktifch auf und rannte wie ein Wolf in unjrem Käfig 
herum; draußen goß der Regen wieder in Strömen, und ich meinte, 
dies fei die Urfache feiner Tobſucht. Plöglich glaubte ich, wieber 
das nichtänußige Hautprideln zu jpüren. Das Geficht des Tirolers 


— 187° — 


verzerrte fich immer mehr; fein Benehmen machte mir ernftlich Sorge, 
und teilnehmend fragte ich: 

„Hans, was haben Sie denn?" 

Zuerſt jtöhnte er nur, dann aber brüllte er das Wort: „Läufe!" 
Er brüllte es mit einem fo gräßlichen Tone, wie ich noch nie einen 
ähnlichen aus menjchlihem Munde vernommen habe, und das mill 
wirklich bei mir etwas fagen. 

„Läuſe?“ wiederholte ich ftammelnd, „Hans fein Sie gnädig, 
vielleicht find es nur Flöhe.” 

Mit einem gellenden Hohngelächter ſchaute mich Hans jo gering- 
ihäßig an, al ob ich noch ein ganz grüner Anfänger in den 
Myfterien diefes irdifchen Jammerthals wäre. Dann rief er mit 
einem Anflug von entrüfteter Würde: 

„Flöhe? Ein Floh ift doch etwas Heiliges gegen eine Laus!“ 

So entſetzlich es Tlingen mag, darf ich doch nicht beitreiten, 
daß Hans volltommen vecht hatte. Ich fragte ihn, unkundig in der 
Kunft, derartige Tierchen zu fangen und zu bändigen, was dagegen wohl 
das beite jei. 

„Das beſte?“ höhnte Hans, „nix is das beite! Do hilft nig, 
vein gar nie! Aufgefreffen wer'n wir! Aufgefrefien!" 

Das hatte wirklich noch gefehlt! Zuverfichtlich hatte ich bisher 
geglaubt, daß ein reinlicher Menſch vor folchen eklen Gäften gefeit 
bleibe. Ich erinnerte mich jest allerdings, in der Martolihütte 
gefehn zu haben, wie ſich die Schafhirten zwar derartige Schmaroßer 
abgefucht, aber als echte Hindus, aus fcheuer Verehrung des Lebens 
in allen Formen, nicht getötet, fondern mit zärtlicher Behutſamkeit 
auf die Erde gefegt hatten; es hatte ihnen gewiß al3 indijches 
Seitenftüct zu der befannten bäurifchen Hausinfchrift in den Ohren 
gellungen: 


Ich bitt dich, heilger Florian, 
Bring dieſe Laus einem andren an! 


Auch darin behielt Hans leider recht, daß kein uns erreichbares 


— 18 — 


Mittel verfangen wollte, diefe widerwärtigen Mitbürger los zu 
werden. Wir bejtäubten und mit Snfektenpulver “von oben bis 
unten, badeten jede Stunde des Tages, kochten unfre Wäſche und 
klopften fie mit Steinen — es half alles nichts. Ich 30g den Babu 
ins Vertrauen; der aber fagte ganz gelafien: 

„Bier hat jeder Läufe, davan gewöhnt man ſich. In ein paar 
Wochen jpüren Sie nicht? mehr davon!" 

Wir gemöhnten uns aber nicht daran. Draußen jtrömte ber 
Negen Tag für Tag mit genau derfelben Heftigkeit, mie vorher in 
Dardichiling, jo dag man nicht zum Haufe heraustreten konnte, ohne 
daß Schirm und Hut zufammengefchlagen wurde, und drinnen wurden 
wir von ben Läufen aufgefrejfen, mie weiland Biſchof Hatto in 
feinem Turm von den Mäufen. Da kam Hans auf eine glorreiche Idee: 

„Wenn nir hilft,“ fagte er, „nacher bringen wir fie einzelt um; 
aber weiſcht, feine einige darf und entwifchen, feine einige!" 

Und während draußen der Regen auf das Schieferdach klatſchte, 
itanden wir beide, wie uns Gott gejchaffen hatte, in unfrer Babe: 
ftube und durchforſchten unfre Kleidungsſtücke mit dem Scharfblic 
afrikanischer Diamantenfucher. In der rechten Hand hielt jeder eine 
Nadel und neben jedem brannte eine Kerze Mit wildem Jubel 
wurde jeder Treffer ausgerufen, die Fagdbeute mit fatanifcher Luft 
an die Nadel geipießt und in die Flamme gehalten, mo die faftige 
exotifche Beſtie bald mit hörbarem Krach erplodierte. 

Keine Eiche fällt auf einen Hieb! Das erjte Schlachtfeit ge 
nügte nicht, ein zweites, ein drittes folgte, fchließlich fogar ein 
ſechſtes. Dann erft konnten wir ausrufen: 

„Gott ſei ewig Dant, fie find weg!" 

Bei diefer Gelegenheit möchte ich erwähnen, daß ich fehon aus 
dem Grunde, ſtets eine wirkſame Einreibung gegen folche unvermeid- 
lichen Zugaben zu einer Himalajareife bei der Hand zu haben, in 
Zukunft ſtets Petroleum als Heizmaterial für den Ofen dem Spiritus 
vorziehen würde; auch Benzin wäre gut, ift aber doch zu feuergefährlich. 


m nn nn 





— 19 — 


Durch diefe widermärtige, erniebrigende Jagd, durch den be 
ftändigen Aufenthalt in dem engen, dumpfigen Schughaus und den 
Mangel an Bewegung und appetitlichen Speifen famen wir merk 
lich herunter. Viermal hatten wir das Zeltlager nach Martoli 
hineingefehafft, ohne von dort aus auch nur eine einzige Hochtour 
erfolgreich ausführen zu können, meil das Nachlafjen des Negens 
ſich jedesmal als trügerifch erwies; bis auf die Haut durchnäßt, 
fonnten wir von Glück jagen, unfer Zelt in Nebel und Regen immer 
mieder gefunden zu haben. Doc das genügte noch nicht. Der 
Dolmetfcher wie der Schupraffi erkrankten und mußten von mir 
nad Haufe geſchickt werden, damit fie nicht in dem für fie unerträg- 
lichen Klima umlamen. 

Um uns die trübe Regenzeit zu verkürzen, war ich fchließlich 
auf den Gedanken gefommen, aus einem Kiſtendeckel Schachfiguren zu 
ſchnitzeln und Hans in die Züge des Löniglichen Spieles einzumeihn. 
Das half wenigſtens über den Stumpffinn hinweg, denn von Lejen 
war feine Rebe: erſtens hatten wir feine Bücher und zweitens hätte 
da3 monotone Regengepraſſel jede Lektüre verhindert; ein Backfiſch⸗ 
penfionat, das tagaus tagein die C-dur-Tonleiter über unfrem Haupte 
übt, wäre eine Nervenkuranftalt im Vergleich zu dem unerträglichen 
Waffergetrommle geweſen. 

Doch noch hatten die Niederfchläge nicht ihre größte Macht 
entwidelt. Als beim Niedergang eines Wolkenbruches ſelbſt der helle 
Tag buchftäblich zu dunkler Nacht wurde, rief der Tiroler mit Auf⸗ 
wand ungewöhnlicher Heftigkeit aus: 

„Jetzt iſt's gar, fell Halt’ ich nicht mehr aus!" und nad) feinem 
verzweifelten Gebaren halte ich es für durchaus begreiflich, daß zum 
Beijpiel unter der Garnifon von Dardfchiling häufige Selbjtmorde 
wegen de3 hirndurchhohrenden Regengeplätſchers vorkommen folen. 

Ohne felbft vecht daran zu glauben, ftellte ich Hanfen vor, daß doc) 
jest das Aergſte hinter uns läge und daß nach einem ſolchen Höhen: 
punkt der Entladung endlich erträglicheres Wetter eintreten müffe. 


— 190 — 


Nach dieſer hoffnungsreichen Rede trat ich aus der Thür unter die 
Veranda, taumelte aber förmlich zurück, denn der weiße Tangel- 
Gießbach, dem ich fonft zu meiner Linken zu fehen gewohnt war, 
donnerte heute wie ein pechfchwarzer ungeheurer Tintenfall von ber 
Felswand herunter, Taufende von Felsblöden und Steinen im Stürzen 
mit fich reißend; das war ein marferfchütternd müfter Anblid. 
Das Klatjchen des Wolkenbruchs auf unfrem Schieferdache und das 
Toben de3 Orkans hatte felbt diefes unaufhörliche Krachen und 
Brüllen des raſend gewordnen Waſſers übertäubt. Wir ftanden 
beide fprachlos vor dieſer unglaublichen Machtentfaltung des ent⸗ 
feffelten Elements. 

„Sell ift graufig!" war des Tirolers einzige Kritik. 

Es gab nur zwei Möglichkeiten, falls wir nicht nach Almora 
zurückgehn und dort daB Ende der Regenzeit erwarten wollten: ent: 
weder den Weg nad) Almora ſüdwärts bis zu der Wegteilung bei 
Kaplot zuräcdzumarfchieren und von dort längs des Gori dem Hirten- 
fteige nah Milam zu folgen ober unterhalb der Schneegrenze, aber 
in möglichft direkter öftlicher Richtung die Höhenzüge zwifchen den 
Steomgebieten de3 Pindar und des Gori zu überqueren; der Schikar 
hatte mir vertraut, daß leßteres in der guten Jahreszeit hie und da 
von Fühnen Jägern verfucht würde, aber jelbft dann als ein ver- 
zweifeltes Unternehmen betrachtet würde. 

Der Reiz eines folchen Uebergangs war für mich nicht gering; 
ich fühlte, daß eine derartige außergewöhnliche Anfpannung meinen 
verfumpfenden, erjchlafften Kräften wieder die gewohnte Federkraft 
geben würde. 

„Hans, wir paden auf und gehen quer über die Berge nad 
Milam !" 

„Sell wird eine unartige Arbeit!" entgegnete troden der 
Tiroler. 

Zur Feier diejes Entfchluffes verdoppelte ich den üblichen Fleiſch⸗ 
extraftzufag zu unfrer Linfenfuppe, dazu brieten wir ein paar 





— 19 — 


Schneehũhner, die der Schikar erlegt hatte, mit reichlichem Sped, 
und um dieſe unerhörte Schlemmerei vollſtändig zu machen, hackte ich 
einen leider etwas verfalznen Reispudding, der mir aud) ein wenig 
anbrannte. 

„3a, wenn du nicht genug Schmuß hineintuft! Da muß doc 
eine unartige Maſſe Schmuß hinein, damit nir anbrennt!" belehrte 
mi eifrig mein Tiroler, indem er feine heimifche Bezeichnung 
„Schmus“ für „Schmalz“ gebrauchte; tief zerknirſcht gab ich zu, in 
den Pudding überhaupt gar feinen „Schmutz“ gethan zu haben. 

Wir padten unfre verjchimmelten und beinah vermoderten 
Sachen zuſammen; hätten wir diefe nicht bei jeder Gelegenheit ges 
füftet und gefonnt, wären ſicherlich unſre Bergſchuhe und Kleider 
und Deden nur ein einziger Schimmelhaufen geweſen. Die wenigen 
photographifchen Platten, die ich nicht bis zum lebten Augenblick 
in ihren feftverlöteten Blechſchachteln gelafjen und nach der Auf- 
nahme wieder mit gleicher Vorſicht verpadt hatte, zeigten bereit3 
nad einigen Tagen die merfwürdigften Wucherungen auf ihrer 
Gelatinefchicht, dem denkbar günftigften Nährboden für Bazillen und 
Schimmelkulturen. Diefe unſäglich mühvollen, allnächtlichen Arbeiten 
des Plattenwechſelns, Verpackens und Verlötens erwähne ich niemals 
ausdrücklich, um nicht damit zu ermüden; der geneigte Lejer möge 
mir aber glauben, daß folde aufregenden und heillen Arbeiten 
jedesmal die allergrößte Selbftüberwindung für einen fchlafbedürf- 
tigen Himalajareifenden bedeuten. 

Nach dem Unwetter kamen friedlihere Tage. Sobald wir den 
Wildbach wieder überfpringen konnten, eilte ich mit dem Pfeifer, 
der, ohne Englifch zu können, fich eine ftaunenswerte Gefchiclichkeit 
im Enträtfeln meiner Wünfche angeeignet hatte, nach Martoli, um 
Träger nad) Kati zu werben. Eingedenf meines früheren Angebots 
zehnfachen Trägerlohns für die Begleitung über die Gletſcher ver- 
langten die ſchlauen Kerls jet das Gleiche für den Weg nad; Kati, 
doch fehrte ich ihmen, ohne ein Wort zu fprechen, den Rüden. Ich 


| 

| 

\ 

- 192 — | 
ließ ihnen geringichägig jagen, daß ich ihre Hilfe gar nicht brauche, 
obgleich ich noch feine Ahnung hatte, wie ich ohne dieſe Martolileute mit 
unfren fünf ſchwächlichen Kulis aus Kati die fünfzehn Traglaften 


Mein Rulitroß beim Derlafien deb Furtia-Bungalo, 


bewältigen follte. Ohne mid) umzufehn, ging ich zu unfrem Bungalo 
zurück, doch ſchon nad) zwei Stunden wimmelten etwa zwanzig hand- 
feſte Burſchen aus Martoli vor der Thüre herum, von denen ich 
ein halbes Dusend unfreundlich ausfehende abjonderte und Die 
übrigen als ausgewählte Leibgarde ſoweit wie möglich mit mir zu 


I 


— 19 — 


nehmen beichloß. Den Pfeifer, der mir die Hirten zugeführt hatte, 
ftellte ich in ihre Mitte, um das hier beigefügte Gruppenbild von 
meiner Bande aufzunehmen, ehe fich unſer Bug in Bewegung febte. 

Die fünf Kulis aus Kati fchienen herzlich froh zu fein, daß 
ich den ftämmigeren Leuten aus Martoli den Vorzug gegeben hatte, 
| denn fie erflärten mir ebenfo wie der Schilar, daß ich unmöglich 
| in der Regenzeit Iebendig ducch die Dfchungeln nad) Milam kommen 
j fönnte. 

„Wollen erft jehen, ob's wahr ift!" meinte auch hier feptiich 
der Tiroler. 





re 


Boed, Indijche Gletfherfahrten. 13 





Beuntes Kapifel. 
Durh die Berg-Dſchungeln. 





18 war eine feltfame Empfindung, den Käfig zu verlafien, in 
P dem ich fo abfcheuliche Geduldsproben hatte durchmachen 
9 müſſen, um nun einer offenbar auch nicht ſehr roſigen Zukunft 
entgegenzuwandern. Ich hatte bei unſrem Marſche nach dem Furkia- 
Bungalo ſchon grade genug von der fürchterlichen Wildheit der 
Kumaon · Urwälder und ihres Dſchungeldickichts geſehn, um bie 
Schwierigkeiten und Gefahren ihres Durchdringens in dieſer Jahres 
zeit ahnen zu können. 

Schwere Nebelmafjen zogen uns thalaufwärts entgegen und 
verhülften die Umfchau, als wir die mir bereits befannte Weg- 
ftredte bis Kati hinunterftiegen. Die Verwüſtungen, die der jüngfte 
Wolkenbruch und das Wildwafjer in der Pindarfchlucht verübt 
hatten, waren fo grauenhaft, daß wir zu dem Bergabmarfche bis 
Kati, der unter gewöhnlichen Verhältniffen in wenigen Stunden zu 
machen ift, einen vollen Tag brauchten. Ich fand es durchaus er- 
Härlih, daß allein in der Himalajaprovinz Kumaon während jeder 
Regenzeit mehrere taufend Eingeborne bei dem Begehen der Berg- 
pfade das Leben verlieren follen. 

Auch unjrem Trupp ftand ein fchmerzlicher Verluſt bevor. 
Vorforglich ließ ich an den gefährlichten Wegftellen das Gletjcherfeil 
des Tirolers durch ein paar Kulis feithalten, damit die Leute einen 
Halt finden konnten, wenn das Erdreich unter ihnen abrutfchte, und 





— 15 — 


auf diefe Weife wurde mancher Unfall abgemwendet. Der Pfeifer: 
burfche, der ſich als Träger meines Apparates dicht bei mir zu 
halten pflegte, bemerkte an einer folchen Stelle, daß mir mein Blei- 
ftift entfiel und zwifchen den Geröllblöden des fteilen Ufers ver- 
ſchwand. Ohne ſich zu befinnen, feste er Hurtig den auf dem 
Kopf getragnen 
Apparaten: 
tofferniederund 
Hetterte dem 
Bleiſtift nad. 
Ich ſchalt und 
beichwor ihn, 
zurüchzubleiben, 
aber er lachte 
nur übermũtig 
und bückte ſich, 
um den Schreib⸗ 
fift zu erfaſſen. 
Im diefem Au- 
genblid Tamen 
die Steine, auf 


denen er ftand, 

ins Schieben, 

die Bewegung 

ern auf Das Burtiarsgunpuus, u w Seite; davar meine Träger. 
loſe zufam- 


mengehäufte Nachbargeröll, und mit gefteigerter Schnelligkeit ſchoß und 
tollte die ganze Uferfeite in Taufenden von Steinen aller Größe in 
den Pindar hinunter, der dort in gewaltig jhäumenden Sprüngen 
von Stufe zu Stufe fiel. Wir jahen, wie der arme kleine Knirps ver- 
weifelt mit Händen und Füßen um fich griff, um dem unaufhaltfamen 
Steinrutſch und dem jchlieflichen tödlichen Sturz zu enttommen — 





— 16 — 


vergebens! Kopfüber fchoß er in den Fluß! So fchnell es der 
lehmige, abgeſchwemmte Steig erlaubte, eilte ich an den Wafferjturz 
hinunter und vermwünfchte das Fehlen meines zuverläffigen Hafelnuß- 
bergſtocks. Bei diefer Gelegenheit möchte ich jedem künftigen Hima- 
lajareifenden nochmals die Mitnahme möglicht langer, ftarfer Alpen- 
ftöde aus Europa recht dringlich ans Herz legen; fein Eispidel Tann 
die Hebelfraft eines Iangen, feften Bergftodes beim Bewältigen der 
Wildwaſſer oder folher Berg und Steinrutfche erjegen. 

Der Schikar kannte den Flußlauf ausgezeichnet. Er winkte 
mir, den Weg zu verlafien, und führte mich durch Difteln und 
Dornengefträpp hart an die faufenden Waflermafjen, die in eine 
teffelartige Ausbuchtung ftürzten, um nad) kurzem Lauf einen neuen 
Wafferfall zu bilden. In dem feichten Gifcht dieſes Keſſels war 
die rollende Stein- und Lehmmaffe zur Ruhe gelommen, und oben 
auf diefem wüften Haufen lag der Burfche, aus vielen Wunden 
blutend, aber doch noch lebend und atmend; Pulsadern waren nicht 
verlegt, und innerlich fhien er mit ein paar gebrochnen Rippen 
davongelommen zu fein. Ich ließ ein großes Tuch mit beiden 
Enden wie eine Hängematte an einen diden Baumſtamm binden 
und auf diefe Art den bedauernswerten Burfchen durch einige 
unbeladne Kulis aus Kati unter Aufficht des Schaufidars thal- 
abwärts in das Hofpital von Almora ſchaffen. In Almora kann 
nämlich jeder Menſch ſowohl von europäifchen wie indifchen Aerzten 
ganz vortreffliche Pflege bekommen, denn Almora ift engliſcher 
Garnifonsort und liegt keineswegs innerhalb bes Bereichs der 
Schneegebirge, wie mancher Indienreifender, der nicht weiter als bis 
nad) Almora vorzudringen vermochte, gern glauben machen möchte. 

Bei den Hirten in Kati herrfchte die ganze Nacht hindurch eine 
Aufregung obnegleichen über unfren Vorſatz, oſtwärts vom Wege 
abſchwenken und über die Berge nach Milam gehn zu wollen. Es 
war rührend und abfchredend, uralte Krüppel aus ihren Hütten 
herauskriechen zu jehen, die mir im Bungalo zu Füßen fielen, 


— 17 — 


den Saum meiner Joppe küßten und mich beſchworen, 
meinem Verlangen abzuftehn. Ich wurde wirklich etwas unfd 
als diefe doch unftreitig fehr erfahrnen Greife mir mit unzweidı 
Pantomimen zu verftehen gaben, daß wir allefamt Kinder des 
fein würden, wenn wir in diefer Jahreszeit durch die fieberdu 
Bergwälder wollten. Auch Hans wurde durch diefe eindrin 
Warnungen ftußig und betonte: „Sell ift fein leeres Gerede! 
diefe Leute mit aller Kraft unfre Kniee umklammerten un 
mimmernd zurückzuhalten verfuchten, als ich beim anbrec 
Morgen den entfcheidenden Schritt nach Often that. 

„Umtehren kann ich ja immer noch!" fagte ich zu dem T 
Zum Glück fam uns nicht die entſetzliche alte Here in den W: 
ich hier früher photographiert hatte, fonft hätte ich doch nod 
beigegeben und Unglüct geahnt. 

Zunädft gingen unfre fünfzehn Kulis zu ihrem erbärr 
Hindutempelchen, fehlachteten dort eine junge Ziege, für die ic 
Rupien bezahlen mußte, und fpristen ihr Blut auf das 
Steinbildnis der Todesgöttin Kali, der Gemahlin des furd 
Schima. Nach diefer Beſchwichtigung des göttlichen Blutdurft« 
ein alter Kuli an mich heran und bat demütig, mir ein paar 
abfchneiden zu dürfen; im Gefühl meines Ueberfluſſes gab ich 
Seitenftüct Delilas jogar mein fcharfes Federmeffer, um 
Operation zu erleichtern. Hans verweigerte dagegen jede 
traͤchtigung feiner Frifur, und fomit konnte der Mann nur fi 
ftatt achtzehn Haarbüfchelchen auf den Opferftein niederlegen 
fügte ex lächelnd ein Flöckchen Schafwolle hinzu; was der 2 
mit diefer Zulage jagen wollte, konnte ich nicht ermitteln, dei 
Dolmetſcher fehlte ja jegt in meiner Truppe, ebenjo mein Schu 
der Schaufidar, der Ausfeger und der Pfeifer. Schließlich 
jeder Kuli einige Reiskörner auf den unfaubren Altar; aı 
glaubte, die Opferjpende durch einige Edelmeißblüten vermeh 
follen, die ih vom Hut nahm und zur fichtlichen Befrie 


— 18 — 


meiner Kulis auf die Reisförner legte, und diefe tolerante Handlungs- 
weife fchien mir die Herzen der Kulis mit einem Schlag zu geroinnen. 
Etwa ein Dutzend wacklige Männer und Frauen hinten mit Weh— 
Hagen und Heulen hinter uns her, bis wir in den Bergwald ein- 
bogen; um einen guten Eindrud zu hinterlafjen, teilte ich eine Handvoll 
Kupfermünzen unter die ärmlichften Weiber aus, doch mit Entrüftung 
warfen fie da8 Geld zu Boden und fchrieen: 

„Rupie, Rupie!“; als ich mich aber am Waldrande umtehrte, 
fiſchten fie im Straßenſchmutz emfig nad) dem Kupfer herum. 

Der Waldweg war zunächft in leiblich gangbarem Zuſtand und 
erſt kürzlich von einigen Leuten benugt worden. Ich frohlodte ſchon 
in der Voraußfegung, daß dies wohl durchgehends der Fall fein 
würde, denn mir lag daran, möglichjt bald nad) dem hochgelegnen 
Sommerhirtenplag Milam zu kommen, das ein geeignetes Stand: 
quartier zu fein fehien, um das Hochgebirge im Quellgebiete des 
Gori kennen zu lernen. 

Zahllofe Bienen von nie gefehner Größe umſchwärmten uns 
und fielen wie verabredet über einen hagern Kuli her, der unter 
ihren Stichen bald zu einer ganz unförmlichen Figur anſchwoll. Der 
Scilar nahm fchleunigft eine geheimnisvolle braune Maſſe aus feiner 
mit weißem Fell bezognen Jagdtafche und ftopfte fie in feine kurze 
Tabakspfeife, dann ftectte er diefen Tabak in Brand. O, welch einen 
— der Lefer entfchuldige gütigft das allein zutreffende Wort — welch 
einen nieberträchtigen Geftanf verbreitete das Kraut dieſes Mannes! 
Es war wirklich ein Tabal, der nur auf den allerhöchiten Bergen 
geraucht werden konnte, ein echter Stinkadores Himalajae. Ich 
glaube, es giebt in den Apotheken eine Subftanz mit dem an— 
fprechenden Namen Teufelsdrect, doch wohl nur das Kräutlein dieſes 
Mannes durfte ein volles Recht auf diefen ausgewählten Namen 
beanfpruchen. Aber es half gegen die entjeglichen Bienen, und das 
war die Hauptfache! Wir alle atmeten erleichtert auf trob des 
hölliſchen Duftes. 


— 19 — 


Der Schikar Hopfte ſchmunzelnd feine Zauberpfeife aus und 
blinzelte wie ein Luchs in den Büfchen herum; vol grimmiger Wut 
wies er mir dort die Spuren und Speiferefte riefiger Raubtiere, die 


Pahhöhe bei Kati. 


den Bewohnern von Kati ſchon jo manches Schäflein entriffen hatten. 
Für fo vollgeftopft mit Beſtien fchienen die Kulis die Umgebung 
Katis zu halten, daß der eine oder andre beftändig auf einem 
kupfernen Keffel herumpaufte, um die Tiere zu verjcheuchen, obgleich 


— 20 — 


der Schilar verficherte, daß der Schritt zweier fo ſchwer beſchuhter 
Männer hierzu volllommen ausreiche. 

Das Wetter war zwar ungemein ſchwul, wie vor einem Gemitter, 
aber doch Har genug, um beim Erreichen der Höhe des erften Berg- 
rũckens einen Weberblid zu gewinnen. Im Norden fahen wir wieder 
die prachtvollen Alpen, denen wir auf dem Schonjchal fo nahe ins 
Geficht gefehn hatten, nach Oſten aber ftand drohend ein waldiger 
Nücden dicht Hinter dem andren; es bedurfte nur eines flüchtigen 
Blicks duch das Fernrohr, um zu wiſſen, daß dort Wälder von 
unerhörter Wildheit auf uns harrten. Der Tiroler biß fih in die 
Lippen, daß fie bluteten. 

Es ſchienen ſich im ganzen vier Hauptrüden von dem Gebirgs- 
Inoten, zu bem der Echonjchalgipfel gehört, nach Süden abzufpalten; 
auf dem erften diefer Höhenzüge ſtanden wir jet nach neunftündigem 
heißem Klettern. 

„Wie mag e8 wohl in den Schluchten zwifchen diefen Rüden 
ausfehn, Hans?" fragte ich. Statt aller Antwort zog ber Tiroler 
die Mundwinfel nieder und zog die Achjel bis zur Höhe der Augen- 
brauen hinauf; Promenadenpfade ſchien er dort nicht zu erwarten. 

Wir ftiegen zu ein paar armfeligen Hirtenhäufern herunter, die 
auf halber Höhe des Berges lagen und von dem Schifar Kondjchuli 
genannt wurden. Weder Menjch noch Vieh fchien in diefen Hütten 
zu haufen, doc) ftürgten bei unfrer Annäherung ein paar riefige Köter 
mit fürchterlihem Gelläff auf uns los; mit vielem Scharfblick 
wählten fie ji Hans und meine Wenigkeit zum Ziel ihrer Angriffe. 
Der Schikar hatte aber auch hier ein wohlriechendes Hausmittelchen 
an der Hand; er ftreute eine Handvoll Schieppulver auf einen alten 
Tuchfesen, den er dann den Hunden in den Weg legte. Durch ein 
geſchickt darauf geworfnes, glimmendes Stückhen Feuerſchwamm 
entzündete er da3 Pulver, fo daß die geblendeten Kläffer heulend 
den Rüdzug antraten. 

Auf der andren Seite de3 Thales fahen wir einen ähnlichen 








— 201 — 


Hirtenplatz, Mikila nannten ihn die Leute, nach dem wir nun hinüber- 
zulommen verfuchen mußten. 

Nach kurzer Mittagsraft, bei der ich zum erftenmal ir 
Ronferventiften griff und daraus ein Paar Frankfurter Würftd 
Sauerkraut fpendierte, ftiegen wir auf einem ganz leidlich 
baren Pfade zur Thaljohle hinunter. Hier war für das 
ſchreiten des Bergftromes durch eine Ihola geforgt, das heif 
eine jener Seilbrüden, deren fehmwindelerregende Ungemütlid 
nur noch von den im Sifhim-Himalaja üblichen Jalangbrüde 
troffen gefunden habe. Im mejentlichen befteht eine ſolche 
aus einem dien, aus Yalhaaren und Schlingpflanzen oi 
Ranken der Rattangpalme zufammengedrehten Tau, das ho 
dem böchitmöglichen Wafferftande aus einem Baummipfel o 
einen Ufer in einen folhen auf dem andren gefpannt ift. Ar 
Tau baumelt mittel® Striden und einer Schlinge aus äl 
Flechtmaterial ein ftarker Bambuskorb, den der Infaffe dur 
halten des Taus und kräftiges Ziehen von einer Seite zur 
befördern muß, während Laften in diefem Korbe durch da 
feftigte dünnere Seile hinüber- und herübergegogen werden. 

Hans erklärte jofort diefe „efelhaftige Bricke“ für zı 
ſchimpelt“, um ung beide, die wir viel gemichtiger al3 die f 
tigen Hirten waren, zu tragen. Allerdings fehienen die pfla 
Teile de3 Seilwerks fchon bedenklich morfch zu fein, da < 
Kulis guten Muts ihre Luftichiffahrt begannen, blieb uns 
übrig, als uns ebenfall® dem entjeglichen Korbe anzuvertra 
kann mich nicht erinnern, jemals eine unangenehmre Art vo 
begier empfunden zu haben, als beim Hinübergleiten meinei 
ftuhls, während das Tragtau fich unheimlich quietfchend ftrec 
dehnte. Wird es reißen oder nicht? Das war die inte 
Frage, die mich während diejer Haarfträubenden Gondelei befd 
Glüdlih auf der andren Seite angelangt, bildete ich mir 
ein, auf fchlaffem Seil über den Niagarafall getänzelt zu je 


— 202 — 


Nerven mögen bei beiden VBergnügungen in gleich angenehme 
Schwingungen geraten. 

Die Bewohner Mikilas hatten unfren Webergang bereit aus 
der Höhe bemerkt. Etwa fünfzig Hirten, die ſich Regendächer aus 
Bambusmatten über Kopf und Schultern geftülpt hatten, famen uns 
entgegen, um mich mit Erſtaunen und der erfreulichen Berficherung 
zu begrüßen, daß der bisherige, überhaupt kaum gangbare Steig in 
ihrem Dorfe fein Ende gefunden habe. 

Der Regen hatte das Erdreich fo aufgeweicht, daß dad Auf: 
ftellen meines Zelts eine Thorheit gemwejen wäre. Der Ortsältefte 
machte kurzen Prozeß und nötigte drei Mädchen, die von ihnen 
bewohnte niedrige Hütte mir und dem Tiroler einzuräumen. Ich 
ließ die vordre gänzlich offne Seite, die Thür und Fenſter zur 
gleich vorftellte, mit unfren Kiften zubaun und verfuchte dann in 
aller Gemütlichkeit, eine Erbsſuppe in unfrer Höhle zu kochen; deutſche 
Erbswurſt hatte ich auf Hanſens Wunſch in beträchtlichen Mengen 
mit auf die Reife genommen. 

Der Regen ließ gegen Abend etwas nad, und nun follten wir 
zum erjtenmal die Gaftfreundfchaft unverfälfchter Himalajabemohner 
genießen. Bon allen Seiten famen Männer, Knaben und mäßig 
oder gar nicht verfchleierte Mädchen herbei, um uns auf grünen 
Blättern Butterflümpchen und Honig, fomie ein Bambuskörbchen 
voll kartoffelähnlichen Wurzelfnollen und Bronzegefäße mit etwas 
Milch anzubieten, wofür aber niemand Bezahlung annehmen wollte; 
jeder geizte nur nach dem Vorzug, feine Leckerbiſſen anzubringen. 
Ich träufelte den Honig aus den Blatidütchen in eine Flaſche und 
erzielte fo mindeftens zwei Pfund diefes edlen Nahrungsmittels, 
ebenfo ftrich Hans gleihmütig die verfchiednen Butterſtücke in die 
leere Ronfervebüchfe; die lange emtbehrten Kartoffeln erhielten heute 
von und nur ein paar fehnfuchtsvolle Blicke, und dann rollten wir 
unfre Schlafdeden in dem Palaft der drei Grazien von Mikila aus- 
einander und verfuchten einzufchlafen. 


©. 202-203. 
Mein Obdah in Mikila; 
davor ehn Getreide worfelnde Mäden. 


Sie, Google 


— 204 — 


ein großer Keffel mit Kartoffeln über dem Feuer in unfrem jung- 
fräulichen Gemach. Hans verfchlang bereit3 die Kartoffeln während 
des Kochens mit den Augen, doch als ich vorfchlug: wir haben ja 
fo viel Butter, wir wollen die Kartoffeln ſchälen, in Stücke ſchneiden 
und al Bratkartoffeln röften, da beftand er darauf, feine Kartoffeln 
gleich aus der Schale zu eſſen, da ihm Bratkartoffeln das „Herz 
abzubrennen” pflegten. Ein folches Herzleiden wollte ich doch nicht 
verfchulden, denn das Herz ift immerhin eine Sache, die mit einiger 
Schonung behandelt jein will, felbft bei einem Tiroler Gletihermann. 

Es hatten fich noch einige Leute zum Gepäcktragen bereit finden 
laſſen, fo daß Hans und ich unbeladen mitgehn konnten. Che wir 
aber aufbrachen, nahm ich, weil daS Wetter befjer geworden war, 
das Bild der drei Mädchen auf, im deren Behaufung wir zwar 
gelegen, aber recht erbärmlich gefchlafen Hatten. Sie waren grade 
beichäftigt, vor ihrem Schuppen Buchweizen zu reinigen und ftanden auf 
einer großen Bambusmatte, auf der fie das Getreide mit Schaufeln 
aus Bambusgeflecht in die Luft worfelten, jo daß die reinen Körner 
zu Boden fielen und der Wind Spreu und Staub davonblies. 

Als wir eben abmarjchieren wollten, tauchte plöglich ein Kult 
auf, der uns ſchon vom Furkia-Bungalo 'aus nachgeftiegen war. Wir 
hatten dort einige abgelegte Stück Wäfche und ein paar leere Streich 
bolzbüchfen weggeworfen, und die hatte der glückliche Finder uns 
pflichtſchuldigſt bis hierher nachbringen zu mäffen geglaubt! 

Die Leute in Mifila hatten nicht zu viel Hinfichtlich der hier 
beginnenden Weglofigkeit gejagt. Die Steigfpur, die einft über die 
Bergwand oftwärt3 beftanden zu haben fchien, mar inzwiſchen weg- 
geſchwemmt worden oder verwachfen, und jo mußten wir ohne jeden Pfab 
in dem wüſt zerträmmerten Bett eines Fluffes bergauf fteigen. Um 
darin vorwärts zu kommen, bedurfte e8 wiederholt gewaltiger Sprünge, 
und bei einer folchen Gelegenheit fragte ich Hans, ob die Felsnaſe, 
von der ich abzufpringen im Begriff ſtand, meine Laft wohl aus: 
halten könne. 


— 206 — 


„Die hebt Ihnen!“ fchrie Hans. 

Ich wollte abfpringen, doc) in demfelben Augenblide brach 
Felsblock unter mir ab, und ich ftürzte in das bergabfchießende Wa 

„Jeſſes!“ fchrie der Tiroler, riß blißfchnell fein zufammengero 
Seil von der Schulter und warf mir das Ende nach. Das wäre 
lich alles umfonft und viel zu fpät geweſen, wenn ich nicht glückli— 
weiſe auf die außgebreiteten Aeſte eines Rhobodendronbaumes gefc 
wäre und mich dort frampfhaft feitgehalten hätte, während ber Zi 
mit meiner Belaftung tief in den Wafferfturz niedertauchte; als ich 
dem jedernden Gezweige wieder langſam emportauchte, hatte ſich 
ftattlicher Wafjerkäfer in meinem Vollbart verfangen. Eine ! 
letzung am Handgelenk machte es mir zugleich außerordentlich fchron 
in meiner nicht grabe gemütlichen Lage das Ende des Seils fo 
um meinen Körper zu binden, daß mich Hans daran in die £ 
ziehen konnte, doch fand ich während diejer zeitraubenden Vorgi 
Muße, die brennend roten und grell gelben Orchideen zu bewund 
die mafjenhaft in diefer Felsſchlucht wuchſen. Wie es fchien, h 
früher einmal neben dem Wafjerlauf ein Steig beitanden, der ı 
zurzeit durch Wolkenbrüche und Erdrutſche völlig davongefchwe: 
war, jo daß das Weiterkrareln neben dieſen brüllenden Waſſerfe 
über jede Vorftellung gefährlich blieb. Bis zur Paßhöhe mußten 
ſchließlich Tänger als eine Stunde Schritt für Schritt in dem ftein 
Wildbachwaſſer hinauffteigen, eine der härteften Arbeiten, die ic 
auf touriftifchem Gebiet geleiftet habe. Erſt gegen zwei Uhr ha 
wir die Paßhöhe erreicht, die mein Schilar Madhari Binneg nar 

Es war feine beherrfchende Höhe, die wir erflommen hai 
auf allen Seiten ftiegen noch höhere Bergzüge auf, fo daß man 
vergeffen konnte, bereits auf einem hohen Firfte zu ftehen. Grade 
Weften ftand der Danfuriberg vor und, auf dem wir vor f 
Wochen in fürchterlichem Regen herumgeflettert waren. Heute 
ex wolkenlos da und mußte einen herrlichen Einblid in die Gri 
de3 Triful gewähren. . J 


— 206 — 


Beim Niederftieg nach Often blies uns feuchtkalter Wind ſtoß— 
weiſe entgegen. Wir benußten abermals eine fteinige, fteile und 
weglofe Schlucht, in der wir wiederholt an jo glatten Felswänden 
hinunter Eletterten, daß ohne Hanſens Gletjcherfeil gar kein Fort- 
tommen möglich und folgenſchwere Unfälle nicht zu vermeiden geweſen 
wären, 

„Ein wildes Ort!" meinte Hans kopfſchüttelnd einmal über 
das andre, als eine unheimliche Wegitelle auf die andre folgte. Das 
ärgerlichfte Ereignis während diefer mühfeligen Kletterei war der 
Abſturz eines Kulis, der ſich nicht nur dabei die Aniefcheibe zer— 
ſchlug, fondern zugleich feine Laft, eine Kifte mit Konferven, verlor. 
Ich hätte blutige Thränen weinen können, denn ich mußte, wie 
unerſetzlich und unentbehrlich grade diefe eßbaren Schäße für unfre 
Zukunft waren, und ein einziger Blick in die Difteln, die in doppelter 
Mannshöhe zwiſchen dem Bambusdidicht wuchſen, in das die 
Kifte hinuntergerollt war, verriet, daß fie für mich unauffindbar und 
endgültig verloren fei. 

Doch auf ſolch einer Reife wechſelt Glück und Mißgeſchick mit 
erftaunlicher Schnelligkeit, und grade in diefen unerwarteten Zu— 
fälligkeiten liegt einer ihrer Hauptreige; man empfindet vollauf die 
Kraft und Wahrheit des Dichtermortes: 

„Bann erft genieß ich meines Lebens recht, 
Wenn ich mir jeden Tag aufs neu’ erbeute! “ 

Doch id) muß nochmals. auf die „Futterkiſte“ zurückkommen, 
Bald nachdem fie in dem Wirrſal von Nefjeln, Bambus, Difteln und 
Steinblöden verſchwunden war, drang aus diefer Gegend ein menfch- 
licher Ruf an unfer Ohr. Der Schifar antwortete, und bald darauf 
ftiegen aus jener Gegend ein paar Hindus herauf, mit mächtigen 
Kränzen aus Bambusblättern um den Haarfchopf auf der Mitte 
ihres im übrigen glattrafierten Kopfes. Der eine mit feltiamem rotem 
Haar hielt einen Fellfaften in der Größe eines Kinderfarges unter 
dem Arm, und in der That trug der Mann die Leiche feines an 





— 2077 — 


der Eholera verftorbnen Kindes auf den Bergrüden, um fie dı 
der bei Kinderleichen von den Kumaonbewohnern ausgeübt: 
nicht zu verbrennen, fondern unter einem Baume auszuſetze 
Leute hatten glüclicherweife unfre Kiſte fallen und zur Ruhe 
fehen, und mit einem urfräftigen Jodler begrüßte Hans die 
auffindung diefer Proviantſchätze. Dann Hetterten wir über un 
Niefenbäume und verwidelte Wurzeln wieder langſam 
mobei das üppige Bambusgebüfh Schritt für Schritt niede 
werden mußte. Schließlich erreichten wir eine Lichtung a 
Waldbach, neben dem wir lagerten und uns von den un 
Strapazen erholten. 

&3 war ein zwar jehr feuchtes, aber ungemein mı 
Pläschen. Grüne Papageien flogen zwitſchernd und fchnat 
den Zweigen der wilden Birn- und Aprifofenbäume uml 
es erforderte einen energifchen Entfchluß, die beſchwerliche Wi 
wieder aufzunehmen. 

Unfren Kulis mußte ich meine vollfte Bewunderung 30 
gefährlichen Stellen legten fie ihre langen Manteltücher 
gingen mit vollftändig entblößten Beinen ohne Zögern 
glatteften Steine, durch das wildeſte Dickicht. Dabei beh 
aber beftändig die geliebte Wafferpfeife in den vor der Bruft g 
Armen und thaten vor dem gefährlichften und entfcheidendei 
jedesmal ein paar kurze, heftige Züge. Mit wahrer Verw 
bemerkte ich zugleich, daß bei diefen Kufis in Kumaon 
Streit wegen der Verteilung ihrer doch oft recht verſchieden 
Laften entftand; wer für den ftärkten Mann galt, wählte | 
da3 gemichtigfte Stüc aus, und bei diefer Selbſteinſchätzu 
wirklich jeder die feinen Kräften gebührende Laft zu erhalte 

Das Mark der ungeheuren Difteln mundete den Ku 
ausgezeichnet. Schade nur, daß das meitre Abfteigen d 
furchtbare Ueberwuchrung des Bodens mit folchen Difteln 
ganz unentwirrbaren Büſchen, Kräutern und Dornen « 


— 208 — 


befchreiblih mühvoNle Tantalusarbeit wurde, die gar fein Ende 
nehmen wollte. Numdara-Dfehungel nannten die Kulis dieſe ent 
jegliche Wildnis, und jeder Schritt erforderte hier ein zeitraubendes 
Wegfchneiden von hemmenden Ranken. Den Numdarabah, einen 
Zufluß des Ram Ganga, zu überfchreiten, blieb ſchließlich fein andres 
Mittel übrig, als ein paar Bäume zu fällen und aus diefen eine 
angfterregende Brüde zu baun, für die Hanjens Seil al frag: 
mwürdiges Geländer dienen mußte. 

Das Bambusdidicht wurde immer dichter, aber da keiner von 
uns groß genug war, um darüber hinwegzufehn, richteten fich Die 
Kulis nur nach dem Sonnenftande, um aus dem erftidend fchwülen 
Bambusdidicht, einem wahren Brutherde von Kobrafchlangen, einen 
Richtweg nach Often herauszuhaun. 

Bier Stunden mwährte diejes buchjtäbliche Durchichneiden des 
Dſchungeldickichts, und ich bin überzeugt, daß feiner von uns den 
entfeßlichen Aufenthalt in diefem Gebiet noch einige weitre Stunden 
auszuhalten vermocht hätte. Von unten her war nämlich der Boden 
durch den kurzlich gefallnen Regen aufgeweicht und mit den fabel- 
bafteften Pflanzenwuchrungen durchſetzt, und von oben ftach die 
Sonne zum Unfinnigwerbden. Dide Wolfen von Bienen, Horniffen, 
Moskitos und giftigen Fliegen brummten und jummten und um die 
Ohren, während der Schilar ununterbrochen mit feinem langen 
Steden in die Bambusbüſche und Difteln und Brennefjeln, die 
weggeſchnitten werben follten, hineinſtocherte, um vorher die Schlangen 
und ähnliche Bewohner des unentwirrbaren, übelriechenden Moraft- 
bodens zu verjagen. Der Tiroler hielt die Lippen feft aufeinander- 
gepreßt und ſchloß gleich mir faft beftändig die Augen vor dem 
Widerfchein der Sonne und dem wiberlichen Inſeltengeſchwärme, 
das uns jo betäubend wie das Saufen und Zifchen von hundert 
geöffneten Dampffeffelventilen umſprühte. 

Endlich kamen wir auf fahlere Stellen, von denen wir einen 
NRücblid auf die grauenhaft ſchöne Wildnis werfen konnten. Wie 


2. 208-0, 
Rast zwischen Kati und Mikila. 
Im der Mitte fieht der Zeltträger, der eine Waſſerpfeiſe raucht. 


„Google 





209: — 


leicht und flott ging es jet über fteile Grashalden und mit ſpär— 
lichen Obftbäumen bewachſne Bergwieſen zu den Gartenhäufern 
von Chiemu hinunter! Hinter unfrem Rüden im Weften brauften 
die Wafferjtürze des Dſchilum Sirah, während zur Linken, alfo im 
Norden, fteile Felsklippen und die fehneeweißen Wände der Alpen- 
gipfel heruntergrüßten. Drüben aber, auf der öftlichen Thalmand 
lebten als winzige 
Buntte die Häufer 
von Namik unter 
dem fahlen Berg- 
rücken, der nun zu= 
nãchſt überftiegen 
werden mußte. 

Der Schikar gab 
mirzuverjtehn, daß 
der Verſuch, über 
die ungeheuerliche 
Schlucht de3 aus 
der Tiefe herauf- 
donnernden Ram 
Ganga hinüber: 
zufommen wohl 
den Höhepunft der Mein Shitar. 
Gefahr für uns 
bilden würde. Ich ftelle diefen Jägersmann meinen lieben Lefern auf 
dem beigegebnen Bildchen vor, denn in der That leiſtete er Bewunderns⸗ 
wertes. Unabläffig hatte er fein kurzes Holgpfeifchen im Munde, 
das aus der Hinterlafjenfhaft des von ben Bären zerriſſnen Sport3- 
manne3 ftammte; fo anſpruchslos mar diefer unerſchrockne Mann, 
der ſchweigend und unermüdlich wahre Wunder an Mut und Ge 
ſchicklichkeit vollbrachte, daß er durd das Auffinden eines von mir 


weggemworfnen, durchgeſchwitzten Lodenhutes und eines gleichwertigen 
Bet. Indiſce Gleiiterfahrten. 14 


——— —— — — 


— 210 — 


Paares von Filgpantoffeln in einen förmlichen Glücksrauſch verſetzt 
wurde! Al er ſah, daß die braune Farbe des Hütleins auf 
feiner inneren Seite noch nicht von der indifchen Sonne gebleicht 
war, krempelte ex den Hut liebevoll um; fo oft ich dann fpäter 
meine „umgedrehte Behauptung" auf feinem befchopften Schädel 
erblidte, mußte ich felbft in den allerwidermärtigiten und gefähr- 
lichften Lagen unfrer Reife ein helles Gelächter anftimmen. 

Drei Heine, ſchmutzige Hirtenhäufer und ein entſprechendes 
Tempelchen bildeten den Hirtenplatz Chiemu, doc) troß dieſer Dürftig- 
keit lag ein unbefchreiblicher Zauber über dem Landfchaftsbilde. Zu 
den Rhododendronbäumen hatten fich Birken gefellt, und die Schnee- 
felber des Ram Ganga-Göll, das heißt des Gletfchergebietes, aus dem 
der zu unfren Füßen tobende Ram Ganga feinen Urfprung erhielt, 
thronten in majejtätifcher Ruhe über den raufchenden Wipfeln. 

Meine Kulis waren von diejes Tages Laft wie zerfchmettert 
und vermochten faum noch das Gepäd hin und her zu tragen, als 
ich den Zeltplag wegen des fußhohen Kotes bei den Hütten wieder- 
holt verlegen mußte. In den übelriechenden, niedrigen Häufern 
hauften nur vier oder fünf vertierte alte Hirten, die heilig beteuerten, 
daß jeder Steig über den Ram Ganga meggeriffen jei. Außerdem 
ſah ich noch einen Knaben und zwei vermwitterte Seren, gegen die 
meine früher abgebildeten aus Kati faum noch den Schönheitsrekord zu 
halten vermochten. Ich fträubte mich, ein jo gräßliches Durcheinander 
von Triefaugen, Runzeln, Warzen und Schmuß zu photographieren, 
aber als ich mich im Hinblid auf meinen Reiſezweck endlich dazu 
aufraffte, fträubte ſich ſogar mein Apparat. Unter dem Einfluß des 
unerhört rafchen Wechfels von Regen, feuchten Dünften und glühen- 
dem Sonnenfchein fchien felbjt meine treue Kamera das Photo: 
graphieren für unerträglich zu halten und die Arbeit einftellen zu 
wollen; die ineinandergefehobnen und jest verquollnen Stativbeine 
ließen ſich mit aller Kraft nicht mehr auseinanderziehn, und ebenjo- 
wenig vermochte ich die Deckel der in die Kamera eingejebten 








— 21l — 


Kafjetten aufzuziehn, weil die in die Außenjeite diefer Dedel ein» 
gelafinen Notiztäfelchen aus Elfenbein ſich frummgezogen hatten. 
Diefe verwünfchten Plättchen, die vielleicht aus dem Zahn eines 
Elefanten ftammten, der einft die Himalajamälder durchtobt hatte, 
mußte ich erft forgfältig mit einem Glasſcherben glatt und eben fchaben, 
ehe ich wieder an photographifche Aufnahmen denken konnte. 

Das einzige, was ic) von den Gaftgaben diefer faſt im Schmuß 
vergrabnen Hirten, diefen „unglaubwirdig greifigen Leiten“, annehmen 
wollte, waren winzige Kartoffeln, die mir auch heute als lang- 
entbehrte lukulliſche Leckerbiſſen erfchienen; ich benußte den in der 
Ronfervenbüchje aufbewahrten Reft Butter zum Braten diefer Erbäpfel 
und warf dann die leere Blechdofe zum Zelte hinaus. O, hätte ich 
das Tieber nicht gethan! Die ganze Nacht währte das ſich um diefe 
Büchfe entfpinnende Hitige Wortgefecht der „Waldmenfchen“, wie 
ein Senfationslüfterner diefe abgelegnen Bergbemwohner Kumaons 
gewiß taufen würde, bis die eine Here, deren fehlagfertige Finger- 
nägel wahren Adlerklauen glichen, fiegreich aus dem Kampfe her- 
vorging. 

Die gute Dame fchien fich erfenntlich bezeigen zu wollen. Ur- 
plöglih riß fie am frühen Morgen den Zeltvorhang auf, grinfte 
mid an und warf mir, ehe ich mich noch von ihrem furchtbaren 
Anblid erholt hatte, einen einen, fehmierigen und betäubend nad) 
Moſchus riechenden Lederbeutel auf die Bettdecke. Dann fehte fie 
ſich auf das einzige leidlich trockne Fleckchen diefer furchtbaren Alpe, 
das ich mittels einiger Steine und Bretter vor meiner Zeltthüre 
hatte herrichten laſſen, lüftete dort mit beifpiellofer Unverfrorenheit 
ihr zerlumptes Jäckchen und fing an, fich gewiſſenhaft nach Inſekten 
umzufhaun, die ich bereitS den Vorzug gehabt hatte, im Zurfia- 
Bungalo fo gründlich Tennen zu lernen. 

Der Tiroler hatte ſich währenddeſſen erhoben. Er ſteckte den 
Kopf aus dem Zelt, um fi) das Wetter anzufehn und erblickte 
das Teufelsweib, als fie grade ein Prachteremplar ihrer Mit- 


— 212 — 


bewohner erhaſcht hatte und neben fich niederfegen wollte. Mit 
einem rieſigen Sage fprang Hans ergrimmt neben fie hin, padte fie 
am Kragen und fchleuderte den unholden Drachen zehn Schritt weit 
zurüd. Das war das Signal für die Hunde, die unfer Zelt während 
der Nacht unabläffig Inurrend umkreiſt hatten und fih nun auf den 
Tiroler ftürzten, der mit feinem mächtigen Alpenftod wacker auf 
die Beftien eindrofch; erſchreckt ftürzten die Kulis aus den Hütten, 
in denen fie vor dem Nachtregen Zuflucht gefunden hatten, und 
ſcheuchten die wütenden Köter zurüd. 

Der Schikar nahm den Mofchusbeutel mit wichtiger Miene an 
fi und ſteckte ihn in feine Felltafche; feine ſechs englifchen Brocken 
und mein Bindoftanifcher Wörterfchag genügten nicht, den Zwed 
diefer duftigen Gabe zu enträtfeln; vierundzmanzig Stunden fpäter 
ſollte ich ihn fennen lernen! 


rn 


6. 2182-18, 
Notbrücke über die fälle des Ram Ganga. Lints oben hodt mein Ediitar. 


Sie, Google 


— 24 — 


konnte, oder war e3 der entfebliche Gedanke, nun über diefe rafend 
gewordnen Sturzbäche ohne Brücke hinmwegfteigen zu follen? 

Die Kulis legten vorfichtig ihre Laften zwiſchen den ungeheuren 
Felsblöcken nieder und fchlichen zwifchen den Büſchen davon. Der 
Schikar beruhigte mich pantomimifch über ihren Weggang, und ratlos 
blickte ich zuerft ihn, dann den Tiroler und fchließlich die donnernden 
Wafferftrudel an, die natürlich jede mündliche Verftändigung über: 
brüllten. Der Tiroler ftarrte mit feſt aufeinander gepreßten Lippen, 
die Hände in den Joppentafchen, auf das Tohumabohu und fchien 
vollftändig verfteinert zu fein. Der Schikar legte die Hand an den 
feitlich geſenkten Kopf und ſchloß dann, indem er auf un hindeutete, 
die Augen, um mir diefen fürchterlichen Ort als Nachtlager vor- 
zuftellen. In kurzem waren wir von dem fprühenden Waſſerſtaub 
durchnäßt, hatten aljo gar keinen Vorteil davon, daß der Regen 
nachgelaſſen hatte; auch die Sonnenftrahlen drangen nicht bis in 
diefe düftre, fteilmandige Schlucht, durch die feuchtfalte Windſtöße 
hin und ber jagten und mich bis aufs Mark erfälteten. 

Nach dreiftündigem Warten kamen die Kulis endlich wieder 
zurüd. Sie brachten ſechs Bambusftämme mit, jeden etwa dreißig 
Meter lang, und banden dann Stride aus Schlinggewächſen an die 
Spige jedes Stamms. Mit Hilfe diefer Stricleitung ftellten fie 
einen Stamm am Ufer aufrecht hin, neigten ihn über, bis feine Spitze 
auf einem klotzigen Felsblod in der Mitte des Wafferfalls auflag 
und fo den uns zunächitliegenden Wafjerarm überbrüdte; neben den 
erſten Baum legten fie auf diefelbe Weife einen zweiten. 

In dem wüſten Durcheinander des Uferhanges lagen Hunderte 
vom Sturm gefnicter oder angefaulter Baumftämme von ungeheurer 
Größe. Einen folchen fchleppten nun die hagren Gefellen mit Auf- 
bietung unglaublicher Gejchielichfeit aus dem Didicht und drüdten 
durch das ſchwere klobige Ende der Wurzel dieſes Baums die Bambus» 
ftämme feft gegen den darunter befindlichen Felsvorſprung. Dann 
trat der Heine Burfche in Thätigfeit, der bisher nichts weiter gethan 


— 25 — 


hatte, als von Zeit zu Zeit an den aus der Hand gefeßten 
pfeifen der arbeitenden Kulis zu ſchmauchen; ob er den Tabat in 
halten jollte oder ob er nur heimlich nafchte, fonnte ich ik 
anfehn, weil er aber vor dem Abmarſch zerfleinertes Zu 
an die Kulis ausgeteilt hatte, das von ihnen jchleunigjt 
Tabakspfeifen geftopft worden war, durfte er doch wohl die 
al Entgelt zu ſich nehmen. ö 

Der Hirtenbube hatte jet die nichts weniger als E 
Aufgabe, an ein Baftfeil feftgebunden, zu wiederholten Mal 
die Bambusftämme nach dem Felsblock hinüberzufriechen unt 
dorthin zu fchaffen; fehließlich baute er dort einen Pfeiler dara 
Auflegen eines dritten, dünneren Stammes, der als Geländer 
follte, und deſſen andre Ende mit einem Baftfeil an den 
Eichenknubben feitgebunden wurde. 

An das Aufftellen des Zeltes war auf fo zerflüftetem 
natürlich nicht zu denken, und meine Kulis zogen es vor, 
Nacht wieder den entfeßlichen Weg nach Chiemu zurückzumache 
Schikar aber blieb bei mir zurüd, um durch ein fürchterlic 
mende3 Feuer wilde Tiere von unfrem Lager abzuhalten, r 
Hans und ich unter einem vorfpringenden Felsblock zu fchla| 
ſuchten. Das Krachen und Tofen der Wafjermaffen, jo grc 
& auch rafaunte, ftörte mich viel weniger als die Unzahl gı 
Kröten und Würmer und Käfer und Taufendfüße, die ihre 
Rechte an den Plat unter meinem Felſen geltend zu machen ver 
Die Nacht fchien dadurch endlos zu werden. Zu meinem Le 
beuteten die Kulis das Fehlen eines Kuliantreibers am ! 
Morgen gründlichjt aus und kamen erſt gegen Mittag zurüd 

Nun mußte noch der andre Arm des Wafjerfalles in d 
geſchilderten mühvolfen Weife überbrückt werden. Als aud 
Notfteg endlich fertig war, erflärte Hans, daß eine folche , 
Brücke“ uns beide nicht zu tragen vermöcte, und er als £ 
mann mußte das wohl auch beurteilen können. Während i 





— 216 — 


noch unfchlüffig zauderte, mein foftbares Leben dieſer jchwindel- 
erregenden Notbrücke anzuvertraun, drückte mir der Schikar den 
Moſchusbeutel, mit dem mich die Here am vorhergehenden Morgen 
bombardiert hatte, in die Hand und bedeutete mir, das fchmierige 
Sädchen in den Mund zu fteden und im Genuß diejer Nerven 
ftärfung den fehauderhaften Salto mortale zu wagen. Dann ftreute 
er etwas Tabak ins Wafjer und ein paar Reiskörner als Opfer 
für die Todesgöttin auf den Baumftumpf, die Kulis ſteuerten nad 
Kräften bei und Iuden mich durch Gejten ein, mich in gleicher 
Weife der Huld der Kali, oder wie fie hier als Göttin der Berge 
genannt wurde, der Parbati, zu empfehlen. 

Da man es mit Damen niemals verderben darf, über- 
legte ich, ob ich nicht mein Glück bei der indijchen Göttin der 
Abwechslung halber einmal mit einem anſehnlichen Stüd Erbswurſt 
verfuchen folle. Hans aber, der unfren Erb3mwurftuorrat wie feinen 
Augapfel behütete, erhob gegen diefe frivole Galanterie Einſprache, 
und deshalb legte ich nur den Mofchusbeutel auf den Opferplag; 
dann taftete ich über die aalglatten feuchten Stämme. Die Bäume 
bogen fich unter meiner Laſt weit tiefer al3 bei den kleineren Kulis, 
die mit gräßlich verdrehten Augen förmlich darauf zu warten ſchienen, 
daß ich von den öligen Stämmen abrutfchen und in dem um mich 
herumfprigenden Waſſergiſcht für immer verſchwinden würde. Hans 
beobachtete das fefjelnde Schaufpiel mit finfter gerungelter Stirne, 
auf der ich deutlich las: Fällſt du hier rein, fo bift du verloren, und 
fein Gott könnte dir helfen! Ex felbft war Hug genug, inzwifchen 
feine ſchweren Schuhe auszuziehen, während ich mit meinen nägel- 
befchlagnen Bergſchuhen fortwährend den Halt auf dem fchlüpfrigen, 
runden Stamme verlor und die feite Ueberzeugung hatte, ich könne 
unmöglich glücklich über diefen Todesfteg kommen. Doch ſchließlich 
waren mir alle wohlbehalten auf der andren Seite bis auf ben 
Hirten, der mit feinem Buben in fein Schmußneft zurückkehrte, aber 
nicht vergaß, den Beutel mit ungereinigtem Moſchus von dem Opfer: 





— 217 — 


platz wieder fort und mit ſich zu nehmen. Der Schikar ve 
mir, daß grade hier in der Umgegend zahlreiche Moſchusböc 
tkämen und daß das Pfund ihres ſtrengriechenden Drüſe 
je nach der Reinheit, mit drei- bis ſechshundert Rupien bezahlt 

Auf der andren Seite kletterten wir in treppenförmi 
ffüfteten Felsſpalten aus der Schlucht und fanden nad) dreiftü 
Steigen einige Wegfpuren; meiterhin mar der obre Thalhang 
weiſe mit Mais, Bohnen, Tabak und Kartoffeln bepflanzt. 

In dem Hirtenplag Namik, zu dem wir nach drei ı 
Stunden famen, verurfachte unſer Erfcheinen eine ungeheu: 
ftürzung; ich fah die Frauen, Mädchen und Kinder in fo 
Flucht aus den Häufern und in den nahen Wald rennen, ı 
ih der Teibhaftige Satan und der Tiroler mein Schwieg 
gervefen wäre oder umgefehrt. 

Der Schikar verficherte mir, daß die meiften diefer Leu 
niemal3 einen weißen Mann gefehn hätten, fondern nur vom: 
fagen fennten; ich thäte am beften, ihn das Gerücht ausftre 
laſſen, daß ich ein Negierungsbeamter fei, wie folhe in: 
ſelbſt in die entlegenften Dörfer gefchiett werden, um zu befti 
wie viel Reis im Falle einer Hungersnot dorthin geſchickt ı 
müßte. 

Es dauerte auch gar nicht lange, bis diefe Kriegsliſt 
Zunächſt führte mich der Padwari vor eine Scheune, in d 
paar Dußend verfiegelte Riefentörbe voll Getreide ftanden, die 
wegen der Mifernte aufgefpart wurden. Um mir aber einer 
drücklichen Eindruck recht dichter Bevölkerung zu ermeden, 
nun alles, was Beine hatte, zu dem Ortsvorſteher entboten, 
der Eingang zu meinem niedrigen Holzfchuppen bald von Mı 
verjperrt war. Man hatte uns dieſes Obdach bereitwillig einge 
denn auch hier wäre es ganz unmöglich geweſen, ein nicht verfu 
Blögchen für mein Zelt zu finden. 

Die Leute breiteten Bambusmatten auf den Boden des Sch 


— 218 — 


und überboten fich in Gefälligkeiten, um mir den Aufenthalt erträglich 
zu machen. Ich hätte ein großartiges Feltmahl aus all diefen ver- 
fchiednen Spenden von Mais, Hirfe, Reis und Mehlfpeifen zufammen- 
ftellen können, doch trieb mich ein menfchliches Rühren, die fupfernen 
Rieſenſchüſſeln, in die zunächſt die grünen Blattteller entleert wurden, 
meinen ausgehungerten fpindeldürren Kulis zulommen zu laſſen. 
Mit großer Wichtigthuerei wurde mir zu guter Lest noch etwas 
ganz beſonders Gutes, eine Schale voll Mehlbrei, gebracht, der mit 
Honig zufammengefotten war und der auch ganz gut geſchmeckt 
hätte, wenn man nur vorher die abgeftorbnen Bienenmaden aus den 
Honigwaben entfernt hätte. Die ausgehöhlten dicken Baumftamm- 
ſtücke, die mit zwei Löchern verfehn als Bienenkörbe dienten, ftanden 
in unmittelbarer Nähe unſres Schuppens, fo daß nicht nur Menfchen, 
fondern auch ebenfo aufgeregte Bienen vor meinem Wigwam herum: 
fummten. 

Die Kulis aus Mikila kehrten von Namik nah Haufe zurüd, 
und aud der Schitar mußte fich zu feinem ungeheuchelten Bedauern 
ihnen anfchließen. Ex hatte fich einen Fuß gebrochen, überredete 
aber einen jüngeren Kollegen, mich bis in das Gorithal zu leiten 
und für Kulis zu forgen. 

Es war erftaunlich, welche Wirfung e8 auf die Bewohner von 
Namik machte, als der Schikar ihnen meine Opfer an Edelweiß 
und Moſchus für die Göttin Parbati berichtete. Hatten mir bisher 
nur zitternde Jägerveteranen mit bewundernden Blicken Speifen im 
den Schuppen gebracht, jo gewann jetzt fogar das ſchöne Gefchlecht 
Zutraun zu einem fo brahminifch gefinnten Sahib, und die fauber 
geffeideten Mädchen, unter denen, wie man aus dem Bilde fieht, 
ſehr gefällige Erſcheinungen vorfamen, näherten fi) mit unbezwing- 
licher Neugier meinem Schuppen. 

So müde ich mic) von den fürchterlihen Strapazen dieſes 
Tages, eines der aufregenditen meiner Himalajareife, auch fühlte, 
machte mir die Wißbegier diefer Hinduweibchen doch unfäglichen 


©, 218-190, 
Birten und junge frauen in Damik; 
die Rafenringe find Ehezeichen, in der Eiſenſchale befindet ſich Honigkuchen. 





Sie, Google 








— 29 — 


Spaß. Jeder Gegenjtand meiner Habe war für fie eine Quelle un- 
endlichen Staunens, und beſonders der Schnellkocher ſchien für die 
Heinen Hausfraun den Höhepunkt menfchlichen Erfindungsgeiftes 
zu bedeuten. Bon dem Schilar erfuhr ich, daß der große Nafenring 
diefer ländlichen Schönen nicht nur Schmuckſtück, fondern zugleich 
ein Zeichen fei, daß fie bereit3 vermählt feien; er entgegnete auf 
meine Frage, ob diefer Zierat denn nicht bei verfchiednen Hand- 
lungen recht hinderlich fei, daß fol ein Ring dem Gatten doch eine 
ganz unübertrefflihe Handhabe böte, feine Gemahlin bei etwaigen 
Meinungsverjchiedenheiten zu feiner Auffafjung hinüberzufeiten, und 
daß die Hindus ihren Frauen grade ſolche Ringe mit Vorliebe fchentten. 
Da der Burfche aber bei diefer mit vollendetem Geſchick durch Worte 
und Gebärden abgegebnen Erklärung verſchmitzt lachte, will ich zur 
Ehre indifcher Ehemänner: hoffen, daß er fih nur einen etwas feden 
Scherz erlaubt hat. Meines Wiſſens giebt es bei den Hindus über- 
haupt nur einen einzigen Willen im Haufe; die Frau kennt feine 
andre Lebensaufgabe, als die Stirn ihres Gatten zu glätten und für 
fein und feiner Kinder Gedeihen zu forgen, um nicht durch früh- 
zeitiges Verwitwen für die Verfäumnis diefer Pflichten geftraft zu 
werden. Die Hindufrau ſcheint mir ein wahrer Inbegriff holdfeliger 
Hingebung und zärtlicher Weiblichkeit demjenigen gegenüber zu fein, 
der fie zur Frau umd Mutter madte, und e3 fällt ihr nicht im 
Traume ein, je etwas andres fein zu wollen als das, wozu die 
Natur fie erfchuf; andrerjeits hält e8 aber auch jeder gefunde Hindu 
für feine Pflicht, bemeibt zu fein. Jemand, der es befjer haben 
wollte al3 andre Männer, würde als ein Scheufal gelten; man würde 
mit ihm die Rinder ſchrecken, wie bei una mit dem ‚chwarzen Mannt, 
und rufen: „Hu! hu! da kommt ein Yunggefelle!" Dei diefer Be— 
leuchtung der ehelichen Machtfrage fei noch angemerkt, daß in einem 
Hinduhaufe ſchon aus dem einfachen Grunde Pantoffeln nicht gut 
geſchwungen werden können, weil ſolche hübſch außerhalb des Haufes 
niebergeftellt bleiben müffen und die ſtreng brahminifche Hindufrau 


— 220 


überhaupt gar feine Pantoffeln aus tierifchem Leder benußt, fondern, 
wo fie nicht barfuß gehn kann, Fußplatten aus Holz, die durch 
einen zwiſchen den beiden größten Zehen befeitigten Pflock mit- 
gefchleift werben. 

Ich hatte bemerkt, daß die meiten Hindus eine unbefiegbare 
Angft vor dem Photographiertiwerden bezeigten. Mein Babu hatte 
mir diefe Furcht aus der weit verbreiteten Annahme erklärt, daß der, 
der das Bild eines andern Menfchen anfertige und mit fi) davon- 
träge, etwas von ber Seele des Abgebilbeten mitnähme; bei mohamme- 
danifchen Hindus fommt hierbei überdies noch ein Wort des Pro- 
pheten in Frage, das folche Abbildung verbietet. 

Ich fuchte nach einer Lift, um den Leutchen diefe ftörende Angft 
zu benehmen. Als wirkfamftes Mittel bewährte es ſich, der ton- 
angebenden Perfon de3 Ortes das Bild auf der Einftellfcheibe zu 
zeigen und zu erflären, daß der Apparat weiter nichts als ein 
Spiegel fei, um die Größe der Leute zu meſſen. Das fchmeichelte 
ihrer Eitelfeit und verhinderte fie, jene fatale Armfündermiene auf- 
zufegen, die von dem Bewußtſein des Vhotographiertwerdens unzer⸗ 
trennlich zu ſein ſcheint. 

Mit einbrechender Dunkelheit wurde auf dem Platze vor unſrem 
Schuppen ein mãchtiges Feuer aus dürrem Bambusrohr angezündet; 
trotz des beginnenden Regens war es bald von einer bunten Reihe 
von Hirten und jungen Frauen oder Mädchen umringt. Ich hockte 
mit dem Tiroler in dem niedrigen Schuppen, der nach dem Feuer zu 
völlig offen war und hörte dem Singſang zu, den uns die guten 
Leute unter Anführung eines Vorſängers und unter Begleitung einer 
fußlangen, wie einer Sanduhr geſtalteten Trommel darbrachten. 

Anfänglich ſtanden hierbei alle Beteiligten ſtill, und die Mädchen 
ſahen ſittſam zur Erde. Dann faßten fie ſich gegenſeitig mit ver- 
ſchränkten Armen an und machten einen Heinen Schritt feitwärts, 
neigten dann ihren Körper zurück, fchritten darauf mit dem nun 
vorgefeßten Fuße weiter aus und zogen den andren Fuß nad; fo 





— 21 — 


bewegten fie ſich unter beftändigem Singen und Trommeln mit i 
lebhaftrer Schnelligkeit um das Feuer. Nach Beendigung 
Tanzes traten zwei Heine Hirtenbübchen in den Kreis, um mit hölz 
Schwertern einen drolligen Scheinfampf auszuführen, während: 
ih die ganze Einwohnerfchaft von etwa hundert Perfonen un 
immer höher gejchürte Feuer gefellte, dem ſelbſt der ſtrömende ? 
nicht? anzuhaben vermochte. 

Ein neuer Reigen begann, oder richtiger ein allgemeines 
wãrtsſchreiten und Schwingen des vorbren, hochgehobnen Fußes, 
der Tonfall de3 dazu gejungnen Liedes ſchien die Tänzer bald 
zu beraufchen. Das pechſchwarze Haar der Mädchen flatterte 
dunklen Augen glühten, und ihre riefigen Nafenringe bliten im W 
fcheine de3 Feuers, als der Reigen fich zu Beugungen und 
tenkungen des Körpers fteigerte; durch ihre vafende, hingebung: 
Tanzleidenjchaft endete das aufregende Schaufpiel für die Teiln: 
mit volltommner Erſchöpfung. Die Zufchauer ließen während 
die Wafjerpfeife kreiſen, und ihre harmloſe Fröhlichteit ftieg au 
Gipfel, als ein Kerl mit einer plumpen, ſchwarzen Holzmasi 
ſchien, der durch gräßliches Zähnegefletfch die Weiber erſchreckt 
mit noch fliegenden Pulfen und wogenden Bufen ganz aufgelöf 
Tanzaufregung um das Feuer ftanden oder hodten. 

Indem fich der Mastenträger mit gutgefpielter Wut die 30 
Kopf: und Barthaare ausriß, patjchte er in alle Regenpfützer 
trieb durch den umherfprigenden Schlamm die Verfammlung 
einander; feine Abficht war offenbar, mir zur Ruhe zu verh 
und deshalb belohnte ich diefen Künftler mit einem Haufen b 
ausgefochter Theeblätter und einigen ebenfalls weggeworfnen 
Streichholzſchachteln, die er ſich ausbat; hierdurch ſchien er 
ganz außerordentlich hoch bezahlt vorzukommen. Stundenlang 
ich noch das Tuten und Klingeln aus dem kleinen Tempel 
Namik, das die Götter der Berge ehren und zugleich die V 
des Waldes verfcheuchen follte; dann fchlief ich ein. 





— 22 — 


Auf der Höhe des Bergrüdens, an dem Namik liegt, ftanden 
3e fturmgerfeßte Bappeln, und bis zu diefen gab mir am nädjten 
rgen die gefamte Einwohnerſchaft Namiks vier Stunden lang das 
eite. Die guten Leutchen verfuchten, mir durch das Opfer einer 
ye und unzähliger Wollflocken, die fie in die Zweige de3 Baums 
der Paßhöhe hingen, eine glücliche Weiterreife zu fichern, und 
dem Gefühl, ganz unvergleichliche, nie erſchöpfend zu fchildernde 
drüdte in dem Ram Gangathale durchlebt zu haben, trennte ich mid) 
diefen prächtigen, genügfamen Menfchen, bei denen die Patriarchen: 
noch nicht zum Schäfermärchen geworben war; durch die Ver- 
ıng eines Dutzend Kerzen fchrieb ich meinen Namen gemifier: 
‚en mit Stearingriffeln in ihre Herzen ein. Wie tief, ja fait 
voll, haben ſchon die an Kaftenzwang gebundnen altindijchen 
‚ter die Poeſie empfunden, die die gemütvolle Zufriedenheit 
x weltabgejchiednen Bergbewohner umgiebt! Zum Beifpiel im 
taſchatakam: 

Glückſelig, die auf Bergen wohnen, 
Wo noch im waldverwachſnen Neſt 
Der ungeſtörten Lieb ſich fronen, 
Hingebung ſich noch üben läßt! 

Da ſprießen dichtverſchlungne Hecken, 
Dort ſchmiegt ſich blattreich Aſt an Aſt, 
Und wilde Rohrdickichte decken, 

Vom Wind geſchaukelt, ſüße Raſt. 

Die Schwierigkeiten, durch die erdrückend üppigen Urwälder 
über die nächftfolgenden, wüſten Schluchten hinwegzukommen 
darin einen Raſtplatz für die Nacht zu finden, fteigerten ſich 
nheimlicher Weife. Die Bergrücden wurden noch weſentlich höher, 
Felsthäler noch breiter und wilder, die Wälder noch dichter und 
ımpfter al3 zuvor, und die fpärlichen Hirtenpläge Talla Gwar 
Rulu waren nur ein paar längft verlafine und verfaulte, von 
yerndem Unkraut vollftändig überwachſne Schuppentrümmer, 
enen nicht ein einziges trocknes Plätschen zu finden war. 


— 223 — 


Der geneigte Leſer wird es mir aber wohl Dank wiſſen, wenn 
ich die num folgenden acht Marſchtage, die wir bis zum Erreichen 
des Gorithales noch aufmwenden mußten, nicht mit gleicher Aus- 
führlichfeit behandle wie die bisherigen, denn es würde wirklich 
ermüden, diefes mir fehier endlos dünfende Auf und Nieder von 
Tag zu Tag ganz genau mit allen Einzelheiten zu fehildern. Jede 
Wegipur hörte ö 
ſchließlich in dem 
verſumpften wü⸗ 
ſten Wirrwarr die⸗ 
ſer Urwälder auf, 
in denen ſtrömen⸗ 
der, mit ſtechendem 
Sonnenſchein ab⸗ 
wechſelnder Regen 
eine unerträgliche 


Sumpfluft, eine 


faulige Waſch⸗ 

tüchenatmoſphäre 
erzeugte, und es 
blieb ein Wunder, 
daß in dieſer Fieber⸗ 


atmoſphäre weder 


“ — Raß meiner aulis auf der Bahhöhe oberhalb Ramit; 
‚Hans nod) ich der einige taugen. 


Malaria erlagen. 

Eine Plage, die bisher nur ganz vereinzelt aufgetreten war, 
ſchien aber hier wirklich das Maß unver thatjächlic nicht aufzu- 
zählenden Strapazen zum Ueberlaufen bringen zu follen. Die Blut- 
egel nämlich fuchten uns und natürlich ganz befonder3 die nadt- 
beinigen Kulis in diefen Sumpfgegenden in jo unerhörten Mafjen 
heim, daß die armen Kerle durch den Blutverluft und das beftändige 
ſchmerzhafte Abreißen der läjtigen Blutfauger aufs äußerfte erfchöpft 


— 24 — 


wurden. Als fie nicht mehr fähig fehienen, die Kasfaden eins 
Bergwaſſers kurz vor Kuiri, wo ich neue Kulis zu erhalten hoffte, 
zu durchfchreiten, erinnerte ich mich zum Glüde meines Cognac 
fläſchchens und verfuchte, ihnen durch Aufopferung einiger Tropfen 
diefes Labſals für die zum Uebergang erforderlichen Augenblide 
auf die Beine zu helfen; zum Dank für meine Hilfsbereitſchaft mußte 
ich es aber erleben, daß dieje armfeligen Hindufchemen fich meigerten, 
aus meiner Flafche zu trinken, weil fie bereits von meinen 
unheiligen Europäerlippen berührt worden war! So matt fie waren, 
nahmen fie fi die Mühe, aus grünen Blättern Eleine Tütchen zu 
drehen, durch die ich ihnen das edle Getränk in den Mund hinein- 
trichtern mußte. In Kuiri brachen diefe Leute aber volljtändig zu- 
fammen. Der Padwari erklärte rundmweg, daß in feinem elenden 
Neft überhaupt Feine fünfzehn gefunden Leute mehr vorhanden jeien; 
wa3 von der Cholera verjchont geblieben fei, wäre vom Sumpf⸗ 
fieber ergriffen, und ich müffe zufehn, wie ich mit meinen bisherigen 
Leuten meiterfäme, 

Als Reifender, der fih zu helfen weiß, zog ich ganz gelafien 
irgend einen Brief mit dem Siegel der indifchen Regierung aus meiner 
Brieftafche. Unfeligerweife hatte mir der Schupraffi beim Abſchied 
die allmächtige Purwana nicht zurückgegeben, doch unter kraftvoller 
Ausrufung des Worte Daf Purwana, das heißt Regierungspaß, hielt 
ich dem Padwari das Siegel unter die Augen. Der Schred über 
diefen englifch gefchriebnen Brief fuhr dem Manne fo in die Glieder, daß 
ex fortlief und ein paar Stunden fpäter mit einer Horde von kropf⸗ 
hälfigen alten Krüppeln antrat, wie ich fie in gleicher Scheußlichfeit 
noch nirgends in der Welt gefehen hatte, felbft nicht als Karikaturen 
in den „liegenden Blättern“. Er legte felber mit Hand an, unjre 
Laſten bis nach dem nächften in der Semgatfchlucht liegenden Dörfchen 
Polu zu fehleppen, von wo fie dann ähnliche Helden über Sai völlig 
thalaufwärt3 bis in das Gorithal weiterbeförderten. 

Um einen Begriff von den ganz außergewöhnlichen Annehmlic- 








feiten de3 Weges zwiſchen diejen Orten zu geben, ermähne ich nur, 
daß er faft durchweg aus einer holprigen, müften Treppe aus 
natürlichen, unbehauenen Felsftufen beftand, die aber unter manns- 
hohen Brennefjeln und wilden, übelriechendem Hanf volljtändig be— 
graben lagen. Auch darf ich nicht vergeffen, den fürchterlichen Auf- 
fchrei zu erwähnen, den ein Kleiner Kulibengel ausſtieß, al3 ich beim 
Ausgleiten von einer diefer bemooften, unfichtbaren Steinftufen mit 
der Hand bei einem Haar eine mehr als mannslange, grünliche 
Schlange ergriff, die ich für einen auf einem feitlichen hohen Fels— 
block liegenden Baumaſt gehalten hatte. 

In Polu und Sai fand ich zu meiner Freude weſentlich beffre 
zweiſtöckige Häufer, deren untres Stockwerk gewöhnlich offen und auf 
der einen Seite als Webraum, auf der andren al3 Mühle ein- 
gerichtet war. An dem feftliegenden untren Mühlfteine ſaßen dort 
gewöhnlich zwei Weiber, die den obren Stein an fußlangen Hand» 
haben herumdrehten und das Getreide von Zeit zu Zeit durch ein 
in dem obren Mühlſteine befindliches Loch nachſchütteten. Ganz 
beſonders übertafchend waren aber die forgfältig ausgeführten alten 
Schniereien aus rotbraunem Holz an Fenftern und Thüren, bei 
denen niemals der Elefant als Gefimsträgermotiv fehlte. Ich habe 
Arbeiten von ähnlicher Ausführung wie in diefem weltfernen Dörfchen 
nur bei meiner letztjährigen Reife im Nepal-Himalaja gefunden. 

Diefe ganze, in des Wortes buchftäblicher Bedeutung fehauder: 
haft ſchöne Wandrung von Kati im Pindarthale durch die Dſchungeln 
über die Zmifchengebirge bis in das Gorithal hatte mir thatfächlich 
alle jene fabelhaften und ungeheuerlichen Urmaldbilder entrollt, die 
ich im ftillen von diefer Himalajareife mit einem feltfamen Gemiſch 
von Sehnfucht und Bangen erwartet hatte und die mir auf begange- 
neren Hirtenfteigen ganz verſagt geblieben waren. Daß jeder Tag 
diefes Marfches an ernten Gefahren überreich war, wird wohl jeder 
Leſer ohne meine feierliche Verjicherung empfinden, und ich weiß 
nicht, ob mir der Tiroler ein befondres Kompliment machen wollte, 

Boed, Indifhe Gleiſcherfahrten. 15 





— 226 — 


als er beim Erreichen des Hirtenpfades im Gorithal wie erleichtert 
und mit Nahdrud ausrief: 

„Was Sie derlitten haben, derleidet fo leicht fein andrer Stadt: 
berr, fein einiger! Wenn Sie nicht eine fo unendliche Natur hätten, 
tönnten Sie es gar nicht derleiden!“ 

Der gute Mann ahnte wohl nicht, was das Leben der „Stadt: 
heren" auch fonjt noch für Aufgaben mit fich bringen kann. 


Elftes Kapitel. 
Eine Ueberraſchuug. 


B: Lilam hatte ich endlich den lange erjehnten : 
5 getroffen, der von Milam an längs de3 Gori bit 
So . N . 

T unter nad) Almora zieht; glich er auch keinesw 
wohl unterhaltnen Saumpfade, jo war es doch für mich e 
Erlöfung und Wohlthat, endlich einmal wieder ordentlich a 
zu können, ohne, wie in der vorhergehenden Zeit, jeden € 
Vorwärtstommens widerftrebendem Boden abringen zu m 

Lilam gehört zu einer ausgedehnten Ortsgemeinſchaf 
Munfchari, deren Häufergruppen unter verjchiednen Ei 
in Höhe von 6 bis 7000 Fuß (1900 bis 2300 m) an bei 
des Gori verftreut liegen. Von Almora bis hierher nad) ' 
tann der Weg längs des Gori allenfalls ſogar für Reitti— 
werben, wenngleich hierauf der Bergrutſche wegen niemalß 1. 
heit gezählt werden Tann. 

Nur armfeliges und krankes Gefindel ließ fih an di 
der folid gebauten, einftöctigen Häufer fehen, denn wie 
erfannten, hielten ſich alle mohlhabenderen Einwohner 
11250 Fuß (3424 m) hoch liegenden Sommerdorf Milan 
ich zu erreichen ftrebte. 

In Munſchari herrſchte die Cholera noch in entjeglic 
während ich alle folgenden, höher liegenden Orte von ihr 
Die Beulenpeft dagegen, die in Kumaon nicht nur endemifi 


— 128 — 


fondern hier fogar ihre eigentlichite Heimat zu haben fcheint, ift an 
feine Höhengrenze gebunden. 

Während Hand im Bungalo zu Lilam, dem letzten Rafthaufe, 
das in diefer Richtung im Gebirge zur Verfügung fteht, die Exbs- 
fuppe Eochte, benutzte ich die entjeßliche Sonnenglut, um endlich einmal 
das Zelt, unfre Decken und Kleider gründlich zu trodnen, meil 
fie von der beftändigen Feuchtigkeit ſchon beinah verfault und auf: 
gelöft waren. Dann ſetzten wir uns bin und fuppten den Erböbrei, 
nachdem wir ein paar Scheiben „Zulami", Hanfens Leibfpeife, hinein- 
gefhnitten hatten. Unglüdlicherweije war diefe Salamimurft bie letzte 
ihres Stammes, denn einer der Hirtenhunde hatte unfren Salami- 
würften einen verzehrenden Beſuch abgeftattet, al ich die Würfte 
wegen ihres Schimmelüberzugs einen Augenblid unbeauffichtigt vor 
dem Bungalo in der Sonne liegen gelafjen hatte. Niemals kann 
einem Menfchen etwas weniger „Wurſt“ geweſen fein, al uns dies 
unrühmliche Ende der unfrigen; dem guten Hans ftanden beinah die 
Thränen in den Augen. Gewiß argmöhnte er, daß ohne Zulami 
nicht allzu viel aus den Bergbefteigungen werben könne, die ich zur 
Erlangung zuverläffiger Hochgebirgspanoramen zu machen beab- 
fichtigte. 

Diejenigen Bewohner Lilams, die nicht an der Cholera darnieder- 
lagen, kamen zu unfrem Bungalo und verfuchten, mir den Berluft 
der Salamimürfte durch Geſchenke von ftattlichen grünen Gurken zu 
erfeßen, zu denen fie noch eine Zwiebel und eine Holzfchale voll 
faurer Milch Hinzufügten. Hans warf diefe nach feiner Meinung 
„kraftloſen“ Speifen zum Bungalo hinaus, während draußen ein 
fürchterfiches Gemitter feiner Erregung über die auf den Hund 
gefommnen Würfte einen ganz entprechenden Ausdrud gab. Das 
Donnergepolter wurde in der Nacht dur) das kaum meniger 
unheimlich) drohende und durchdringende Knattern, Zirpen und 
Qualen von Inſekten, Käfern, Eidechfen, Fröſchen und andren 
indiſchen Nachtmuſikanten erfolgreich abgelöft. 


— — 


— 229 — 


Der Goribach hatte fich ein merkwürdig gefrümmtes Bett aus: 
gefrejien; mit Erftaunen ſah ich feine oft rechtwinkligen oder halbs 
kreisförmigen Windungen, als wir am nächſten, mwunderfchönen 
Morgen an fei- 
nem Ufer berg- 
aufftiegen. Eine 

nichtsnutzige 
glatte und ge 

länderloſe 
Schindelbrücke, 
wie ich deren 
nun ſchon ſo 
manche über⸗ 
ſchritten hatte, 
führte auf die 
andre Flußſeite; 

Bürubuthia 
Pul nannten fie 
die Kulis. 

Der Weg 
führte an einem 
prãchtigen, Tilti 
Gare genannten 
Wafferfall vor- 
über, deffen von Steg über die Gori.Ehluht. 
der Felswand 
ftürzendes Wafjer in Milliarden von fonnenvergoldeten Stäubchen 
zeriprühte. Auch hier waren die Felfen mit mühlfteingroßen ſchwarzen 
Bienenneftern überpflaftert, vor denen fogar ein maghalfiger Kerl an 
einem auf der Höhe von feinen Genofjen gehaltnen Baftfeil hin und 
her pendelte, um in einem Fellbeutel den Honig einzuheimfen. 

Dann engten ungeheure Wände die Schlucht ein, in der fich 


— 230 


der Gori unter beftändigen Windungen fürchterliche Felsthore gefrefien 
hatte. Sobald e8 dort das Geröll erlaubte, eilte ich mit dem Tiroler 
an den Goribach hinunter, weil mich deſſen hellgraues Waſſer höchſt 
vertrauenerwedend anmutete. Kein Weinkenner kann ein neues Fäplein 
für feinen Keller mit jo kritiſchem Amtsgeficht prüfen, wie wir ben 
erften Schluck dieſes Waſſers. 

„Sell iſch gut!” jauchzte Hans, und „Est! Est!“ rief auch ich. 
Mit Mühe zwangen wir ung zur Enthaltfamfeit und gingen zunädjit 
noch ein Stündchen weiter thalauf, um am Ufer ein geeigneteres 
Pläschen zur Mittagsraft zu fuchen. 

Während die Hirten in der wilden Schlucht an dem raufchenden 
Goriwaſſer zwifchen den Felsblöcken Schupattis buken, machte ich mic 
mit dem Tiroler daran, den Gorifluß auszutrinfen, denn für etwas 
andre hätte ein Beobachter unfer Thun unmöglich halten Tönnen. 
Den ganzen, mit unerhörter Ueberwindung fo viele Monate zurüd- 
geftauten Durft nach wirklich reinem frifchen Bergwaſſer ließen wir frei 
gewähren und füllten unfre Becher Mal um Mal. Die Kulis überfiel 
allmählich ein Grauen, al3 fie die Fluten ihres Gori jo unaufhaltſam 
in unfren Gurgeln verfehwinden fahn, und fie fürchteten gewiß, daß 
eine ſolche Wafferanfüllung nur mit unfrem Zerplagen endigen könne. 
Hans aber fchüttelte nur fein biedres Haupt, als ich endlich ſchüchtern 
fragte: „Hans, ich glaube, es ift wohl jet genug?" nachdem jeder 
ein paar Dutzend Lederbecher voll Gletſcherwaſſer nebjt etlichen 
Schupattibroten feinem ausgedörrten Innern einverleibt hatte. Unter 
Schupattis ftelle man ſich gütigft dünne Eierkuchen vor, bei deren 
Herftellung Eier, Milch und Butter vergefen wurden. 

Der Weg zog fi) von diefem, wie es ſchien mit Vorliebe zum 
Lagern benugten und Zirkai Döl genannten Pla am rechten, aljo 
weftlichen Goriufer auf einer wilden natürlichen Felſentreppe in die 
Höhe und führte dann hoc) oben an der Felswand dahin. So 
fürchterlich waren die Verwüftungen, die diefer Weg hier in feiner 
ganzen Fortfegung bis zum Uebergang in die ebne Thaljohle des 





— 31 — 


obren Gorilaufs durch Regen und Wilbwafferbrühe erlitten hatte, 
daß er jchließlich völlig aufgegeben und durch einen neuen Weg an 


Ra am Gori-Gletſcherbaqch; vorn bädt ein Auli flache Ehupattisrote. 


der linken Thaljeite erjegt werden mußte. Nur mer bereit die 
Folgen ähnlicher Wafjerkataftrophen in den Alpenländern aus eigner 
Anfhauung fennt, wird fi) eine zutreffende Vorftellung davon 
machen fönnen, mit was für Vorficht und Vejchwerden wir über 





— 232 — 


diefe frifch abgeftürzten Erd- und Gejteinsmafjen hinwegturnen 
mußten, ehe wir die Fortfegung de3 Weges am andren Ende des 
Trümmerfelde3 erreichten. 

Ich übergehe die ausführliche Schilderung der wechfelnden Fern: 
blide auf die allmählich deutlicher fichtbar werdenden Schneegipfel, 
die ſich bei den vielfältigen Windungen des Gori für Augenblide 
aufthaten. Der Lejer wird meine Sehnſucht nachempfinden können, 
aus diefem ungeheuren Thal endlich zu dem Urfprunge feines Er- 
zeugerd, das heißt dem bei Milam endigenden Milamgletfcher zu 
gelangen. Aber einige Stellen dieſes viertägigen Marfches muß id 
doch herausheben, der um fo erfrijchender wurde, je mehr wir uns 
der Grenze des Baumwuchſes näherten. 

Bon Weften her ftrömte ein tobender Seitenbach in den Gori 
und hatte fürzlich den dort über das Wafjer führenden Steg mit 
fortgeriffen; Bogdiar nannten die Kulis diefe von den Karamanen 
fihtlic gern zum Lagern benußte Stelle. Ich wußte nun nicht, ob 
ich befjer thäte, durch das mehr als metertiefe wilde Waffer zu 
waten, oder der höflichen Einladung eines Kuli zu folgen, der mich 
auf feinen Schultern hindurchtragen wollte. Um trockne Kleider zu 
behalten, Hetterte ich auf den Rücken de3 ftrammen Burfchen, den 
aber in der Mitte des wie toll dahinſchießenden Waffers plötzlich 
der Bock zu ftoßen fehien, wenigſtens flog ich mit einem Male von 
feinen Schultern und wurde troß meines Widerjtandes einige Dugend 
Schritte von den Strudeln thalabwärts gemirbelt; ich fühlte, daß die 
Steine, an die ich fieß, eine reichhaltige Mufterfarte von allerlei 
blauen und gelben Flecken, auch wohl grünen, auf meinen Gliedern 
vorbereiteten, behielt aber doch Gemütsruhe genug, das Ende des 
Bergſtocks zu ermwifchen, mit dem Hans nach mir angelte. 

Trogdem ich nur ein winziges Fläſchchen Cognac für Krankheit: 
fälle mitgenommen hatte, konnte id) e8 mir nach diefem eisfalten Bade 
doch nicht verfagen, den Tiroler einen Fräftigen Grog brauen zu 
lafjen, während ich in meine marmen Deden gemidelt in dem Zelt 





— 233 — 


lag, da3 wir in der Thalmeitung bei Bogdiar aufichluge 
Schmunzeln, mit dem mein Petrus Hans den Grog gemiffend: 
foftete und mit Kennermiene bald mehr Zuder, dann etw 
Feuchtigkeit und fchließlich wieder einen gehörigen Schuß 
hineinfchüttete, ſchien fo tiefgefühlt ducch den Magen au 
Herzen aufzufteigen, daß ich mich förmlich drauf freute, bal 
einmal ins Wafjer zu fallen, um ihm Gelegenheit zur I 
fiicherei mit nachfolgender Kneipkur zu geben. 

Schon am nächſten Tage wäre, wie man gleich fel 
wieder eine auserleſne Gelegenheit geweſen, mit dem Gletſ 
de3 Gori Belanntichaft zu machen. 

Vor dem Lagerplatz Tibu verengten fich die Felswände 
Schlucht, der man von befannteren Alpenklüften etwa die I 
vergleichend zur Seite ftellen könnte, doch tobte das Waſ 
in viel gewaltigeren Mafjen unter hölliihem Echogebrüll vı 
zu Sturz. Weiter oberhalb jtrömte der Gori etwas ruhig 
immer noch reißend durch die dort etwas breiter auseinander 
Felswände. 

Der junge Schilar, der zur Auffindung eines Zeltla, 
Zuge vorausgeeilt war, kam plöglich zurüdgefprungen unt 
mit entfeßten Gebärden, daß die ganze Fels wand mit dem | 
Stromes daran entlang führenden Wege glatt abgeftürzt n 
ein Weiterfommen gar nicht denkbar fei. 

In der That war der aufgemauerte Weg urplöglic) 
und die frifchen Bruchflächen der abgefpaltnen Felswant 
die Ausdehnung dieſes furchtbaren Ereignifjes. 

An dem andren etwa dreihundert Meter fernen Ende t 
bruches waren bereit ein Dutzend Männer an der Arbeit, 
wieder herzurichten. Bei gemauerer Prüfung ergab fich, 
bereit3 früher Baumftämme in die Fugen und Spalten der 
recht abfallenden Felswand geſteckt oder in hineingemeißel 
getrieben worden waren, fo daß man dieſe furchtbare Fels 





— 234 — 


darüber gelegten Brettern hatte umgehen können. Der neue Fels 
fturz war vermutlich eine Folge des Gefrierens von Waſſer, das 
fi in vermitternden Riſſen in dem Felſen angefammelt hatte, denn 
das Thermometer war in ben legten Nächten bis unter den Null- 
punkt gefunfen. Jedenfalls zeigten ſich noch hinreichende Refte der 
früheren Vefeftigung, um hoffen zu können, diefen unfreiwilligen 
Aufenthalt nicht vier Wochen lag ausdehnen zu müflen, wie der 
erſchrockne Kuli zuerjt behauptet hatte. Daß ich mich fehließlich aber 
an diefen Felfen auf den wackligen Brettern bis zum andren Wegende 
entlang zu taften vermochte, ohne von dem Donnern des neben und 
unter mir gurgelnden Waſſerſchaums ſchwindlig zu werden, betrachte 
ich beinah al3 ein Wunder. Einen „armfelig wilden Ort” fchimpfte 
Hans diefe von den Kulis Sangtari genannte Felswand, die im 
Bilde freilich nur wenig von der thatfächlichen Furchtbarkeit des dort 
tofenden Gletſcherwaſſers erkennen läßt. 

Diefer Aufenthalt gab mir endlich einmal einigermaßen genügende 
Muße, meine feit dem Marſch durch die Dſchungeln noch nicht ge- 
mechfelten photographifchen Platten zu verpaden. Mit Zornbeben 
murde ich dabei gewahr, daß mein Argwohn nur allzu berechtigt 
geweſen war, als ich da8 auffällige Zurückbleiben des Kulis, der 
mir mit dem Apparat jtet3 zur Seite fein follte, mit einem neu- 
gierigen Verfuch der Leute in Zufammenhang gebracht hatte, ihre 
braunen Näschen auch einmal in dieſe fo forgfältig und geheimnisvoll 
behandelten Kafjetten zu ſtecken. 

„Die Leit werden doch nicht fo Eindrifch fein, e8 find ja doch 
alte Zeit!” hatte der vertrauenzfelige Tiroler auf alle meine Befürd- 
tungen entgegnet, und nun ſah ich, wie berechtigt meine Sorge 
gewejen war. 

Ich merkte fofort an den nicht wieder genau gefchlofinen 
Schiebern, daß die Mehrzahl der photographifhen Erinnerungen 
an jenen wahrhaften Todesmarſch durch die Dſchungeln für immer 
verloren fei; gerettet waren nur die Platten in den zugequollnen 


Notsteg längs der abgestürzten Sangtari-elswand, 
an der ſich zwei Aulis entlang taften, 


Sie, Google 





— 236 — 


Sauerampfer und Rhabarber oder mit Arbeiten in den Buchweizen⸗ 
feldern beſchäftigt und Hufchten bei unfrer Annäherung fehweigend, 
aber fo rafch fie nur laufen konnten, in ein feitlich fich öffnendes 


Riltot; in der Ditte ein pflügender Hirt, 


Thal, wo fie fi) Hinter ein paar Wacholderbüfchen verjtedtten, bis 
wir das legte Haus von Rilkot im Rücken hatten. Der Dorfältefte 
kam aber mit entjeßlich finftrem Geficht, eine Spindel in der Hand, 
hinter uns her geftiefelt, um nach meinem Begehren zu forſchen. 


— 2337 — 


Schmweigend hörte er die Auseinanderfegung des Schikars an und 
erwiderte auf die Bitte, mich mit neuen Kulis nad) Milam auszu- 
rüften, ftolz und rauh: 

„Von bier an giebt e3 überhaupt feine Kulis mehr; Hier und 
in den nächſten Hirtenplägen wohnen nur wohlhabende Hirten und 
freie Männer, die feine Kuliarbeiten für andre verrichten !" 

Das Hang wahrlich nicht erbaulich, doch gelang es mir, unfre 
Kulis aus Munfhari zu bewegen, mich wenigftens noch bis zu dem 
nächſten Dorfe Groß-Martoli zu begleiten, das natürlich nicht mit 
dem früher von mir befuchten Hirtenplatz Klein-Martoli am Pindar- 
gletſcher zu verwechſeln ijt. Ein Eleines flintes Mädchen mit wilden 
Locken und einem augerlefnen Schelmengefichtchen war während diefer 
Berhandlungen in der Richtung nad) Martoli zu vorausgelaufen, 
ohne daß ich das fonderlich beachtet hätte; bald follte fich zeigen, 
was die Kleine dort angeftiftet hatte. 

Die grauen und mit winzigen Fenftern verfehenen Steinhäufer 
auf dem Hirtenplage Tola am linken Goriufer ließ ich vecht3 liegen 
und beeilte mich, nad) Martoli zu kommen, mo ich mein Zeltlager 
aufzufchlagen dachte. Nach dem ungefälligen, ja feindfeligen Be— 
nehmen des Padhans in Rilkot und der dortigen fcheuen Weiber 
machte ich mir um fo weniger Hoffnung auf einen gnädigen Empfang 
in Martoli, als ich mich der im Geologifchen Reichsamt in Kalkutta 
gehörten, überaus ungünftigen Schilderung von dem gefährlichen, 
Händelfüchtigen Charakter der hiefigen Eingebornen erinnerte, 

Der Senior Affiftant Commiffioner in Almora hatte mich bereits 
über die verwicelten Grenzitreitigfeiten in dem hier beginnenden 
Bezirk genügend aufgeklärt, fo daß ich auf ſehr unliebfame Zufammen- 
ftöße gefaßt fein mußte. Daß die Bergbewohner feine fonderliche 
Angft vor mir, der ich nicht einmal ein Engländer war, zu haben 
brauchten, war mir ebenfo klar wie die Wahrjcheinlichkeit, daß Hier 
niemals ein Hahn nad mir frähen würde, falls mir irgend etwas 
zuftieße. Die Schluchten und Felfennefter können hier leicht unzu- 


— 2138 — 


gänglich gemacht werben, und außerdem hat diejes Gebiet für Indien 
feine fo große Bedeutung, um fich hier oben in den wilden Bergen 
um jede Kleinigkeit viel zu fümmern. 

Die weißen, quarzhaltigen Kalkſteine, aus denen die Häufer von 
Groß-Martoli zufammengefügt find, flimmerten und blendeten im 
Sonnenglanz, als wir uns dem 11070 Fuß (3374 m) hoch liegenden 
Ort näherten. Bei den erjten Schuppen und ummauerten Höfen 
am Dorfeingang bemerkte ich ein gefchäftiges Hin- und Herrennen 
von allerlei Leuten und fagte zu Hans: 

„Baffen Sie auf, das wird böfe; doch zuerſt will ich verfuchen, 
mit den Leuten in Güte fertig zu werden!" 

ALS wir näher kamen, glaubte ich wirklich, Trommelgerafjel zu 
vernehmen und war wirklich außerordentlich auf den Eriegerifchen 
Anblick gefpannt, der mir bei der nächiten Wegbiegung bevorzuftehen 
ſchien; allerdings war es mir verbrieflich genug, beim Eintritt in 
das Herz der Himalajaberge fogleich mit Streit und Gemaltmaß- 
regeln zu thun zu befommen. 

Wir bogen jest um die Drehung des Weges, und ein höchſt 
feltfames Bild, das allein die ſchwierige Reife hierher wert geweſen 
wäre, lag vor meinem Blick! Ich mußte nicht, wohin ich meine 
Augen zuerſt wenden follte. 

Ein faft wolkenlos blauer Himmel wölbte ſich über einem herr- 
lichen Hochgebirgähintergrund, über edel geformten ſchneeweißen 
Gipfeln und teilen, feitlich davon auffteigenden Felsrüden. Die 
nahen niedrigen und ſchiefergedeckten Steinblodhütten des Dorfes 
aber wurden von einem buntjarbigen Volksgewimmel verbedt, das 
ganz andre Dinge als Mord und Gemwaltthätigkeiten im Sinne zu 
haben fchien. 

Den Mittelpunkt der Gruppe bildeten drei auffallend ſchöne, 
träftig gewachine Mädchen in grellfarbigen, flitterbefeßten Kleidern 
mit riefigen Nafenringen und andren in der Sonne funfelnden 
Schmudjtüden. Zwei beturbante Männer in zarten gefärbten Ge- 











2. 20-30, 
Mein Empfang in Gross-Martoli durd Musikanten und Tänzerinnen; letztere knieen. 
Im Hintergrunde der Szurdſe· Aund. 








— 2339 — 


wãndern begleiteten den lebhaften Willlommg 
auf großen Trommeln, während zu beiben 
fröhliche Männer und Knaben, teils Halb ı 
Mädchen den Eindruck ftudierten, ben biefer 
der Schwelle de3 innerften Himalaja auf miı 
bekennen, daß dieſes unfagbar überrajchende S 
der Befürchtungen, die ich in Bezug auf dieſ 
hatte, wie ein Freudenrauſch auf mic wirkte, 

Die Sängerinnen tanzten eine jehr gefäll 
ſchritten vor und zurüd, näherten und entfern 
verlangenden, bald befcheiden und zaghaft 3 
Blicken; dabei wurde der zuerjt recht zimperl 
liche Ton ihrer Lieder immer Iebhafter, wohlklin 
voller. Immer heftiger raffelten die Schellen 
Füßen der Mädchen, immer lauter und muntrer t 
dazu, während aus den Mienen aller Zufchar 
thuung leuchtete, daß mir diefe unerwartete Hı 
liche und von mir durchaus nicht verhohlne Fr 
ohnegleichen Tag in diefem ſorglos heitren un 
leben, das ſich mir hier unter Gottes Himmel 
Eintritt in das Alpenland Indiens durch Sarg 
As fehließlich die drei Frauenzimmerchen in 
geftellten Anwandlung jehnfüchtiger Liebesleiden 
breitend zu Boden knieten, und die Kleine wild 
die unfre Annäherung gemeldet hatte, beim 
ftrahlenden Mienen aus ihrem Verſteck hervors 
Saum meiner Joppe aus geripptem Sammet 
Kippen zu drüden, da wußte ich, daß ich fei 
hatte, hierher zu kommen, daß ich wirklich da 
weile: im Reiche der Schönheit und Freiheit, 
und noch dazu kunſtliebenden Menfchen. 

Die Einwohner von Martoli wie aud) di 


— 210 — 


liegenden Sommerbörfer Burfu, Bildſchu, Mapa und Milam find wohl⸗ 
habend genug, fich eigne Gelegenheitsdichter halten zu können, die 
die Aufgabe haben, jedes feftliche und fröhliche oder betrübende 
Ereignis durch den Mund der Ortsfängerinnen zu feiern. Sch habe 
auf meinen fpätren Indienreifen Gelegenheit gehabt, die berühmteften 
Bajaderen Indiens in Delhi und Gmwalior zu hören, fann aber 
nicht fagen, daß fie hinfichtlich des angebornen Ausdrudsvermögens 
diefe Gebirgsfünftlerinnen erreicht hätten. 

Doch diefer Willlomm war nur das Vorfpiel! Umringt von 
gleichfalls in weiße Wollkfeider und fchneeweiße Turbane gehüllten 
ftattlihen Männern kam jest der Ortsvorfteher, der Padhan, die 
Dorfitraße entlang; Hirtenbuben mit eifernen und kupfernen Schalen 
voll Mehl, Salz, roten Pfefferſchoten, dickſchaligen Knadmandeln und 
Würfelhen aus Kokosnußkernfleiſch folgten dem würdigen Manne, 
der mir in einer feierlichen Anfprache, von ber ich leider auch nicht 
eine einzige Silbe veritand, all diefe ſchönen Sachen zu Füßen legen 
ließ. Ich weiß nicht, ob der Mann Gedanken Iefen konnte, jeden- 
falls raunte er nad) einem langen Bfi auf den Tiroler, der dieſe 
Herrlichleiten etwas auffällig über die Achfel anfah, einem kleinen 
Burſchen ein paar Worte ins Ohr, der darauf ins Dorf rannte 
und nad) wenigen Minuten mit einem hoch in der Hand geſchwungnen 
Ziegenſchenkel zurückkam. 

Das kleine Mädel aus Rilkot ſchien begriffen und weitergemeldet 
zu haben, daß ich mit keinerlei gefährlichen Abſichten, ſondern nur 
mit dem Wunſche käme, Land und Leute kennen lernen zu wollen; 
den wahren Grund dieſer bezaubernd gaſtfreundlichen Aufnahme 
erfuhr ich jedoch erſt ein paar Tage ſpäter, und er beſtand darin, daß 
die Kleine erlauſcht und ausgeplaudert hatte, wie ich in Kati den 
Göttern der Berge mein Opfer an Edelweißblüten dargebracht hatte! 

Jedenfalls glaubte ich, keine Holzpuppe ſein zu dürfen, ſondern 
ſchwang mich auf die wohlgeſetzte Anſprache des Padhans zu einer 
Erwidrung auf. Ich hatte zwar, unvorbereitet wie ich in dieſe 





Sie, Google 


2m — 


Landesenge können fich der Griechen Völker nicht dichter zufammen- 
gedrängt haben al3 diefe Männer, die von Neugier zu brennen 
ſchienen, zu erfahren, was fich weiter vor meinem Zelte begeben 
würde. Einen Augenblid kam es mir vor, als fpielten wir beide, 
der Tiroler und ich, in unfrem ummauerten Hofraum die Senfationg- 
nummer in einem Zirfus, das borende Ränguruh oder ein ähnliches 
Schauftüd. Doc dann übermog wieder das Heroijche in diefem 
Nachtbilde, und ich bedauerte, bei Nacht nicht photographieren zu 
können; ganz nebenbei bemerkt, habe ich die Kunſt nächtlichen Blitz- 
lichtbildens bei meinen künftigen indifchen Reifen ebenfalls erfolgreich 
ausgeübt. 

Angefichts diefer durchweg ftolzen, männlichen Gefichter und der 
würdevollen Art, die weißwollne Toga um Hüften, Schultern und 
Geficht zu ſchlagen, kam mir auf einmal der Gedanfe: Gradeſo müffen 
alte Römer ausgefehn Haben! Der Senat der Siebenhügeljtadt ſchien 
in Hlaffifcher Ruhe um mich gelagert, magijch beleuchtet von dem 
filbernen Monde und den roten Spiglichtern meines Lagerfeuers. 

Ich fühlte mich noch in der Schuld des Padhans, der fich 
wieder, beforgt um mein Wohlergehn, in unfrer Arena eingefunden 
hatte. Ich war in meiner beften, übermütigften Laune und bot ihm 
mit tiefem Salam-Gruß eine unfrer Sonferventiften, die dev Tiroler 
nebft einer andren für mich in die Mitte des Hofes neben das Feuer 
geftellt hatte, zum Sigen an. Der Padhan kletterte auch fogleich 
mit großem Geſchick oben auf den Kiftendedel und fauerte jich, feine 
Wafferpfeife ſchmauchend, darauf nieder. Dann ergriff ih das 
Biegenbein und rief, zu der mäuschenftill ringsum figenden Korona 
gewendet, unter dem Eindruck Haffifcher Erinnerungen: 

„Mitbürger, Freunde, Römer! Glaubt ihr, diefes Ziegenbein 
ijt mir gefchenft, ohne daß ich diefe ſchätzbare Gabe erwidern werde?“ 

Ein beifälliges Murmeln verfündete mir, daß die Leute von 
dem Gefühl durchdrungen waren, höchſt erfolgreich mit ihrem Ziegen- 
bein nad) irgend einer noch nicht recht kenntlichen Spedkeite geworfen 


— 248 — 


zu haben. Ich durchwühlte alle in meine 
Beitandteile meines auf das allernötigite befd 
aber dort wirklich nicht gleich eine geeign 
machen. 

Da erinnerte ich mich eines hübfchen zuf 
fpiegel3, den ich nicht mehr jonderlich brc 
Rafieren im Gebirge längit abgemwöhnt hatte 
dem Padhan, indem ich die hindoſtaniſcher 
Tochter hinzufügte, um ihm eine Kleine Al 
gradigen Galanterie beizubringen. 

Wahrfcheinlich verftand der gute Padha 
nicht richtig, denn er blieb fühl bis ans Her 
frampfhaft an feiner Wafjerpfeife, jah m 
den Galerieen erhob fich ein bedrohliches W 
gewiß ift es hier nicht üblich, fich den wer 
haber zu Gnaden empfehlen zu laffen. M 
urfauftifchen Wandrung durch die indifcher 
auch jet ein ungemein pafjendes Citat ein 
mid hin: 

„Na warte, du folljt mich hören ftärfer 

Schon war ich im Begriff, ein ſchi 
Perlmutterſchalen, an dem nicht nur zahlreid 
ſonſt noch allerlei nüßliche Werkzeuge angebra 
folgen zu laſſen, als mir einfiel, daß ich, 
Verſchenken meiner Habfeligfeiten fortführe, 
viel auf dem Leibe behalten würde. ch war 
womit ich ſchließlich herausrüden follte, un 
Tafelrebner, der ums Wort gebeten hat, oh 
zu haben, wen er eigentlich hoch leben laſſen 

Der Padhan ſchien inzwifchen feine liel 
pfeife zu haben. Der Schikar reichte ihm e 
den er in eine Echarte de3 mit einem rı 


_ 24H — 


Pfeifenkopfs einzuführen verfuchte, aber der ſtärker werdende Nacht: 
wind vereitelte immer wieder feine Bemühungen und blies den Span 
aus. Ohne mir etwas Beſondres dabei zu denken, zündete ich hilfs- 
bereit ein fogenanntes Sturmftreichholz an, von denen ich bei jeber 
Gebirgsreife einen anfehnlichen Vorrat mitzuführen pflege, und zeigte 
des Scherzes halber dem einflußreichen Herrn, nachdem ich feinen 
Tabak in Brand geſetzt hatte, daß fein Wind und feine Lunge bie 
Flamme eines folchen Streichholges auszublafen vermöchte, ja daß 
fie fogar um fo Iebhafter brenne, je ftärker geblafen würde. 

Als ob ich durch dieſes Experiment das Ei des Kolumbus gelegt 
hätte, bemächtigte ſich der ehrenmwerten Verfammlung eine ungeheure 
Aufregung. Meine Römer hüpften von Dach zu Dach bis in 
meinen Hof ‚herunter, um fich diefe wunderbare Erfindung noch 
einmal in nächfter Nähe zeigen zu lafjen, und obgleich mir gar feine 
hervorragenden Anlagen zum Gejchäftsmann in die Wiege gelegt 
wurden, merkte ich doch fofort, daß ich mit diefen Streichhölzern 
in der Hand durch den ganzen Himalaja kommen könnte. Von 
diefem Augenblit an hatte für mich jedes meiner Sturmftreichhölger 
grade fo gut eine Art Heiligenfchein um das Köpfchen, wie jede” 
Erbs- oder Salamimurft für den Tiroler. Durch das Geſchenk 
eines Dutzends diefer Hölzer machte ich den Padhan, wie e8 jchien, 
zu dem beftbeneideten Manne des Dorfes Martoli, doch gebe ich 
mich der Befürchtung hin, daß er die Streichhölger noch in derjelben 
Nacht durchprobiert hat, wie e3 jener befannte Offiziersburfche that. 

Der Ruf meiner fturmfichren Künſte ſchien mir vorauszueilen. 
An den hübſch aus rotem Holz gefchnigten Thürpfoften der rauhen, 
finftren Steinhütten in den nächſten Dörfern, in Burfu, Mapa und 
Bildſchu ftanden am nächſten Tage die Einwohner mit gefpannter 
Neugier auf der Lauer und fchienen anzunehmen, daß ih nur in 
den Himalaja gepilgert fei, um ihnen am hellen Tage einen Streich- 
hölzer⸗Fackelzug darzubringen. Ich hielt mich im dieſen Neftern 
jedoch weder mit dem Abbrennen ſolchen Salonfeuerwerks auf, noch 


Sie, Google 


Anölffes Kapitel. 
Der höchſte Weideplag im Rumaon-Himalaja. 







it Abzug der je vier Stunden erforbernden Heinen Abjtecher 
in die Seitenthäler des Lival Gadh und Panſchu dauerte 
unfer Marfch von Martoli nach Milam volle acht Stunden, 
fo daß ich erft in ſinkender Nacht dicht unterhalb Milams auf einer 
Rani Koti genannten Stelle an einem mächtigen Sandhügel mein 
Zelt auffchlagen konnte. Die vor den Schafhürben und Häuferftaffeln 
von Milam lodernden Feuerreihen erhellten jelbft unfren Lagerplaß ein 
wenig, gleichzeitig aber verurfachte das Gekläff der dort oben über 
unfre Anmwefenheit jchier rafend werdenden Hunde einen jo gräß- 
lichen und unaufhörlihen Nachtlärm, daß ich trotz der fechzehn 
ſchweren Marjchftunden fein Auge zuthun konnte. 

Erſt am nächjten Morgen bemerkte ich, daß wir unvorfichtiger- 
weiſe in nächfter Nähe des BZufammenfluffes des vom Utadurha- 
gletjcher kommenden gelblichweißen Dung Pam und des aus dem 
Milamgletfcher firdmenden hellgrauen Gori genächtigt hatten; wäre 
ein ſchwerer Regen oder zufällig gar ein Wolfenbruch niedergegangen, 
fo hätten wir die denkbar günftigfte Stelle zum Weggefchwemmt- 
werden gehabt. 

Bei Erwähnung des Namens Dung Pani möchte ich der außer- 
ordentlichen Schwierigkeit gedenfen, die meiner Berftändigung mit den 
Eingebornen hinfichtlich der Berg: und Flußbezeichnungen entgegen= 
ftand. Jeder Hirt oder Jäger im Himalaja fennt gewöhnlich nur Die 


©. 246-47. 
Der Birtenplat; Milam. 
Mein Zeit Rept in der Mitte, was recht 





— 2417 — 


allernächfte Umgebung feines Platzes und auch diefe nur, fo 
für feine Bedürfniſſe in Frage kommt. Für alle andren Gip 
Bergwäſſer, wenn fie ihm auch noch fo fehr ins Auge fallen 
zeigt er nicht ‘daS mindefte Intereſſe und kümmert fih n 
geringften um deren etwa vorhandne Namen. Aus den 2 
Parhar Berg, Göll Gletfcher, Pani Wafjer und den Ausdrü 
die Farben wie für groß und Klein oder andre Eigenfchaften 
er zur Verftändigung mit feinen Dorfgenofjen ſchön vol 
Hingende und auch an und für fich recht bezeichnende Namı 
aber gewöhnlich feinerlei allgemeingültigen Wert für den Rı 
haben. So find mir wenigſtens zehn anjehnliche Bergwäſ 
dem gleichen Namen Dub Pani vorgeftellt worden, weil fi 
Gletſchern entfprungen, milchtrübe Farbe zeigten, denn Dud 

nichts andre als Milch und Pani Waſſer. Ich erwähne 

in diefen Schilderungen gar nicht erft die zahlreichen mir frag 
ericheinenden Namen folcher Art, um nicht etwa fünftigen R 
die ohnehin reichlich genug bemefinen Schwierigkeiten einer Hi 
reife noch zu vermehren. 

Man hatte in Milam natürlich unfer Zeltlager bereits | 
fo daß ich bei unfrem Eintreffen auch dort mit allen Eh 
pfangen wurde. An der foliden Holgbrüde, die über den ( 
dem auf feiner Linken Seite liegenden Orte führte, jtanden di 
Dorfälteften und leiteten mich, wohl um mir einen guten ( 
von der bei ihnen erftrebten Bildung zu geben, durch eir 
mauerten Hof, in dem etwa ein Dußend Knaben im S 
unterrichtet wurden, Leider verftand der Herr Schulmeiftı 
Silbe Engliſch, aber ic) konnte doch herausbefommen, daß r 
geftatten wolle, mein Zelt in der Mitte des Ortes aufzuftell: 
ich fortging, um einen geeigneten Pla& dafür zu ermitteln, ber 
ich noch die Schreibübungen der Jungen. Sie tauchten mit 
Bambusrohrfedern in gelöfchten Kalt, den fie in einem bc 
Kokosnußfern neben ſich ſtehn Hatten, und jchrieben mil 


— 248 — 


weißen Tinte auf dunkle Holzbrettchen. Ich legte mir bei dieſem 
Anblick die Frage vor, wann und wo die Bergvölker zuerſt darauf 
verfallen fein mögen, die wunderbaren Eigenfchaften des Kalls fo zu 
benugen. Daß die Einwohner von Milam ihre Kalkſteine aber auch 
vorzüglich zu Mörtel zu verarbeiten verjtanden, jah ich aus ihren 
forgfältig gemanerten und meiß abgepußten Häuschen. Lachenden 
Herzens ftellte ich mein Zelt auf einem leidlich ebnen Plässchen auf 
und fühlte mit unendlichem Behagen, nunmehr endlich an die richtige 
Schmiede gelommen zu fein. 

Doc der blaue Himmel wurde bald wieder bewölkt, und noch 
immer trieb der Wind das Regengewölk aus ſüdweſtlicher Richtung 
thalaufwärts. Ich Hatte mich bereit3 in die tröftliche Hoffnung 
gewiegt, daß jebt, am 23. Auguft, die unfelige Regenzeit wenigſtens 
bier oben bereit3 zu Ende fein würde, und daß ich mich nun endlich 
nach Herzensluft auf den umliegenden fteilen Felshöhen bewegen 
könnte. Doch gleich in der erjten Nacht brach ein derartiger Platz- 
regen nieder, daß ich ſchon am nächiten Morgen den Padhan, wie 
man in der Bhotijafprache jenes Grenzbezirks den Ortsvorſteher 
ftatt Padwari nennt, um ein gefchüßteres Obdach erſuchen mußte, 
als es unfer Zelt.war, befonder8 auch, weil wir die ganze Nacht 
hindurch das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatten, den unter dem 
Zeltvorhang hineinbellenden Kötern mit unfren Bergſtöcken auf die 
Nafen zu ſchlagen. Nach einer ſchier endlofen Beratung der an- 
gefehenften Einwohner wurden meine Sachen von übermütigen 
Hirtenbuben in einen an einer Geite teilmeije offnen Schuppen 
gefehleppt, der außer diefer Deffnung weder Fenfter noch Thür befaß, 
fo daß ich fortan buchftäblich von meinen vier oder genauer drei⸗ 
zweifünftel Wänden fprechen konnte. Der Bau mar mit Schiefer 
gedeckt, aber fo niedrig, daß ich darin nicht einmal ganz aufrecht 
figen, gejchweige denn aufftehn konnte. Wenn ich oder ber eben- 
falls jehr groß gewachſne Tiroler den Eingang benutzen mollte, 
mußten wir uns jedesmal fo tief büden, als ob wir wie Feine 








Mein Obdah in Milam; 
davor die Dorfmufifanten und ein jpinnender Hirt, 











„Google 





Sie, Google 


— 30 — 


Bergſchuhe bereit anfingen, in die Brüche zu gehn; die unerhörten 
Anftürme der letzten Zeit waren denn doc zu heftig für fie gemefen. 
Hans fand den Fall um fo kritiſcher, als die Schuhe ein wahres 
Meifterwert eines Lienzer Schuhmachers geweſen waren. Meine 
Reſervebergſchuhe hatte ich aber bei unfrer Lumpenparade in Mun- 
fhari von Schimmel und Fäulnis angefreffen gefunden und als 
unbrauchbar weggeworfen; ich hatte von ihnen feinen andren Nuten 
als das Vergnügen, ein Rudel Hunde fi) eine Stunde lang um 
diefe Leckerbiſſen herumbalgen zu fehn, wobei ich diefen riefigen 
Beſtien, die mir überall den Schlaf wegbellten, von ganzem Herzen 
das Leibfchneiden gönnte, das fie vorausfichtlich durch die fcharf- 
Tantigen Schuhnägel erlitten haben werben. 

Nun befand fi) zwar in Milam, mo manche Einwohner in 
Lederſandalen herumgingen, ein Schufter, der, wie alle Handwerker 
in Milam, zum allgemeinen Gebrauch angeftellt war, jedoch nicht 
mit Geld, fondern, ganz wie in einem fozialiftifchen Utopien, mit 
Lebensmitteln oder jonftigen Gegenleiftungen andrer Handmerfer 
bezahlt wurde. Der bievre Mann erflärte ganz offen, daß das 
Flicken eines derartigen Schuh über feine Kräfte ginge, und fo 
verfuchte ich mich denn mit Hilfe des Tiroler? und unter Anwendung 
eines Lochbohrers, gemachten Bindfadens und dünnen Drahtes in der 
Rolle eines Hans Sachs; wenn meine Flickſchuſterei auch nicht grade 
ſehr ſchön ausfah, jo war der Schuh doch wenigftens wieder zu. 

Zum Glüd war mein Schifar anftellig genug, durch gute Worte 
und Hangvolle Verſprechungen ein Dugend ftrammer Burfchen dazu 
au bewegen, mich auf meinen Touren als Träger begleiten zu wollen ; 
fie ſchworen hoc) und teuer, daß fie dies nur aus Liebe zur Sache 
thun wollten, und wenn fie das Vierfache des fonft üblichen Träger- 
lohns annähmen, fo thäten fie das nur, um fich die verjäumte Zeit 
bezahlen zu lafjen. Mit gejpanntejter Sehnſucht wartete ich auf den 
erſten Haren Tag, an dem ich mit diefer Leibgarde einen Ausflug 
in die ringsum aufragende Hochgebirgswildnis wagen konnte. 


— 31 — 


Eben hatte ih mit Hans unfer Mittagsmahl in Geftalt der 
geröfteten Ziegenkeule verfpeift, als ein ungeheurer Tumult im Dorf 
ein bedeutendes Ereignis verkündete. Alles lief haftig auf den Weg, 
der im nordöftlicher Richtung durch das Dung-Thal aus dem an- 
grenzenden Tibet herkommt; dort verſchwanden die Leute in einer 
Schlucht, deren Hintergrund, von Milam aus gefehn, durch den 
prachtvollen Schneegipfel gebildet wird, den das Bild von Milam 
zeigt. Auch ich ſchloß mich dem allgemeinen Auszuge an. 

Von einem Hügel an der Thalbiegung follte ich jeßt ein Schau- 
fpiel erblicken, wie man es fich nicht leicht merfwürdiger denken Tann. 
Die Bewohner Milams, Männer, Greife und Kinder, rannten wie 
bejeffen einer nach Taufenden zählenden Schafherde entgegen, die als 
dichter, Eribbelnder Haufen aus der Dung-Schlucht heruntergeffettert 
am; gleichzeitig trommelten die Dorfmufifanten aus Leibeskräften, 
und die Sängerinnen jauchzten und plärrten. Das Zeltgerät hatten 
die Antömmlinge auf ungeheuren Yals oder Grunzochſen aufgepadt, 
die mit ihrem bis auf die Erde hängenden zottigen Haar, hoch- 
gewölbtem Rüden und tiefgejenktem Kopf die auffallendfte Tiergeftalt 
des tibetifchen Grenzgebirges abgeben. 

Jedem diefer taufend Schafe, ja felbft den fie bewachenden 
Hunden hing ein ſtrotzender Doppelfad aus indigoblauer Wolle über 
den Rüden, der, wie ich mich fpäter überzeugte, mit rohem Rod) 
jalz gefüllt war; einige rot gefärbte Beutel enthielten Borar. Auf 
diefe Art ſchaffen nämlich die Tibeter nicht nur die Schäe, die fie an 
den Ufern der Salzjeen ihrer wenig fruchtbaren Heimat zufammen- 
fragen, über die Gletſcherpäſſe nach hochgelegnen Stapelplägen auf 
indiſchem Gebiet, wie zum Beifpiel Milam ein folcher ift, und 
bringen dann das für ihr Salz eingetaufchte Getreide auf gleiche 
Weiſe nach Haufe zurück, fondern ebenjo gehn aud) die Einwohner 
Milams mit Getreidefaramanen nad; Tibet und bringen dafür Salz 
zurüd; eine folche Heimkehr vollzog fi nun foeben. Wie ich jpäter 
erfuhr, werden für zwei Gemichtsteile Salz drei Gewichtsteile Gerfte 


— 232 — 


gegeben nnd für jede Schaflaft dreizehn Seer gerechnet; demnach ent⸗ 
hält, da ein Seer foviel wie achtzig Aupienmünzen oder eiwa ein 
Kilogramm miegt, jeder Doppelſack fünfundzwanzig bis ſechsund⸗ 
zwanzig Pfund Salz. 

Die Milambewohner, alt und jung, fuchten nun freudeftrahlend 
die ihnen gehörigen Schafe zu erhafchen, knüpften dem ftattlichjten 
Widder ihres Stalles jubelnd den Doppelſack ab, luden ihn über 
die eigne Schulter und nahmen dann rittlings auf dem fich gegen 
diefe Weberlaftung fteäubenden Hammel Platz, die Ohren als Zügel 
benugend; oftmals zuſammenknickend torfelten die poffierlichen Tierchen 
dann mit ihren ſacktragenden Reitern nach Milam hinein. 

Unter den mit der Herde Antommenden befand ſich aud ein 
Hindu mit fpärlihem Schnurr- und Kinnbart in halb europäifcher 
Kleidung. Er trug eine gelbe Sammtjade, gerippte Beinkleider, 
die an den Knöcheln zugebunden waren, eine rote, fesähnliche Kappe 
und einen roten Shawl um bie Hüften. Auf dem nächiten Bilde fitt 
diefer Inder in andrer Tracht in der Mitte der Gruppe, eine Landkarte 
auf dem Knie haltend. Zu meiner unfagbaren Freude fand ich in 
ihm zwar nicht den erwarteten Babu, wohl aber deffen Onkel, der 
vortrefflich englifh fprah und ſich bald als ein Herr von un- 
gewöhnlicher Bildung offenbarte. Wie fich herausftellte, hatte ich 
es fogar mit einem fehr berühmten Manne zu thun, ber in den 
Jahren 1879 bis 1882 ganz auferordentlich erfolgreiche Forſchungs⸗ 
reifen quer durch Tibet bis zum Hoangho und nach Lhafa gemacht 
hatte. 

Es ift nicht allgemein befannt, daß die englifchindifche Regierung 
ſchon im Jahr 1863 begonnen hat, zur Erforſchung der für Europäer 
verjchlofinen Himalajaländer Nepal und Butan und der an Indien 
grenzenden Teile von Tibet im geheimen wifjenfchaftlich ausgebildete 
Inder, fogenannte Pandits, auszufenden, die bei ihren Beobachtungen 
naturgemäß weniger gefährdet find als Europäer, die aber auch die 
Vorſicht gebrauchen mitffen, ihren wahren Namen auf den von ihnen 


©. 252-583. 
Tibeter mit Grunjobs und mit Salz beladnem Padıschaf. 
Auf der Mauer im Hintergrunde fauert der Pandit Kriſchen Singh. 








— 253 — 


herrührenden Karten und Berichten durch Buchſtaben zu verbergen; 
ſie entgehn dadurch leichter etwa gegen ſie geſchmiedeten Racheplänen 
und verſchließen ſich nicht eine Wiederaufnahme ihrer Forſchungsreiſen. 
Ich hätte es mir nicht träumen laſſen, grade hier als wahren 
Helfer in der Not, 
den Bandit A—E 
oder wie er wirk⸗ 
lich heißt, Krifchen 
Singh Milmmwal, 
anzutreffen, ber 
fogar den Ehren- 
titel Radſch Ba⸗ 
hadur führen 
darf. Unſre 
Freundſchaft be⸗ 
gann natürlich 
von ſeiner Seite 
ſehr zurückhal⸗ 
tend, bald aber 
hatte er Vertraun 
zu mir und In⸗ 
tereſſe für meine 
Abſichten gewon⸗ 
nen und bot mit 
gar nicht genug 
zu dankender Lie⸗ 
benswürdigkeit alles auf, um mir den Aufenthalt in Milam fo an: 
genehm zu machen, wie es in einem den üblichen Formen der 
Bivilifation fo fernliegenden Orte möglich war. Aber auch als 
Friedensſtifter trat er auf, um ernftliches Unheil von meinem Haupte 
abzuwenden, das des Tirolers Naivität eines ſchönen Morgens un- 
beabfihtigterweife heraufbeſchworen hatte; nämlich fo: 


Mein Ziroler, vor ibm Ktiſchen Singh mit einer Sandlarte und 
der Padhan im Eafpelj, an einer Wafferpfelfe rauchend. 


— 254 — 


Der Weg von unſrem Inn, wie man kurz unſer Abſteigequartier 
nannte, bis hinunter zum Gletſcherwaſſer des Gori war ſteil und 
zeitraubend. Hans aber, der auch die Aufgabe hatte, jeden Morgen 
von dort das für unſren Haushalt erforderliche Waſſer heraufzu—⸗ 
holen, hatte bereits am dritten Tage unſrer Anweſenheit ausfindig 
gemacht, daß die Frauen des Ortes bei Morgengraun mit rieſigen 
weithalſigen Kupferflaſchen ebenfalls regelmäßig zum Waſſerholen 
hinunterſtiegen, und glaubte, ſich den Gang abkürzen zu können. 
Ganz gemütlich trat er auf ein dralles Hirtenmädchen zu, das ihm 
mit einem gefüllten Krug auf dem Kopfe, ſchwer keuchend, entgegen- 
kam, und verfuchte dem über feinen unvermuteten und damals in 
der That etwas räubermäßigen Anbli gewiß nicht wenig erſchrocknen 
Mädchen verftändlich zu machen, ihm von ihrem Wafjerüberfluß ein 
wenig in fein Kochgeſchirr abzugießen. Diefe Abficht mißlang wohl 
ein wenig, denn Hanſens hindoftanifcher Sprachſchatz belief fich nur 
auf den Anruf: O Kuli! und die Vokabel für Waſſer Pani, die er 
ſich angeeignet hatte, um die Kulis ftatt feiner das nötige Waſſer 
in das Zeltlager fchaffen zu lafjen. Im übrigen befaß er aber eine 
erftaunliche Meifterjchaft, fich mittelft hehe! haha! und hm! hm! 
mit den Eingebornen zu verjtändigen; hihi und Huhu erinnre ich 
mich jedoch nicht, von ihm gehört zu haben. 

Das weibliche Weſen ahnte wohl nicht, was Hans mit den 
flangvollen Silben he! he! meinte, oder verſtand feine ehrbaren Ab- 
fichten ganz falſch. Hans dagegen dachte mohl,. daß man zumeilen 
bei Damen am fchnellften zum Ziel kommt, wenn man keck und 
unverfroren auf fein Ziel losfteuert, und griff, ohne viel nußlofe 
Worte zu verfchwenden, nach dem Rieſenkruge, um ihr fein harm⸗ 
loſes Begehren klar zu machen. 

Vielleiht kam er dabei ganz zufällig ihren meichen braunen 
Armen ein ganz klein wenig zu nahe, denn fie ließ entjeßt den Krug 
fallen, jo daß das Waſſer dem armen Hans um die Ohren fprigte, 
und lief, ſich verhülfend, fpornftreichs in ihre Hütte. Ich beobachtete 





— BB — 


den Vorgang von der Höhe aus und jah plöglic alle Weiber, die 
grade vom ober zum Wafjer unterwegs waren, nach den verſchie⸗ 
denften Seiten Hals über Kopf dem Beifpiel ihrer fcheuen Genoffin 
folgen und eiligft außeinanderftieben, wobei manche auf dem fteilen 
Abhang ins Stolpern und Fallen kamen und fi) im Hinabrollen 
ebenjo wie ihre Krüge unaufhörlich überfchlugen. 

Unter andren Verhältniffen hätte ich mich bei einem fo überaus 
komifchen Anblick vor Lachen wahrfcheinlich jelber überjchlagen, aber 
in diefem Falle ſchwante mir doch Unheil, als Hans wie ein be— 
gofjner Pudel in unfrem Hüttlein auftauchte und fich verdrießlich 
beflagte, daß das Weibsbild gar jo „heikel“ geweſen fei. 

Es dauerte auch nicht lange, fo verfammelten fich die männlichen 
Einwohner Milams in fihtbarer Aufregung vor unfrer Behaufung; 
Hans ließ fich ſchlauerweiſe nicht blicken. Die Männer grolften und 
ſchimpften und tobten immer lauter. Der Aufruhr wurde wirklich 
jo geräufchvoll, daß ich einen ernftlichen Zufammenftoß für ganz 
unvermeidlich hielt. Zum Glüc erſchien der Pandit noch rechtzeitig 
genug, um zu Worte kommen und von der Mauer unfres Hofes aus 
der Berfammlung auseinanderfeßen zu können, daß wir beide ja nicht 
aus England, fondern aus einem ganz andren Lande jtammten, wo 
man gar feinen Begriff hätte, wie behutfam man mit indifchen Damen 
umgehen müßte. Die Hauptfchreier gaben fich freilich durch dieſe 
Erklärung noch nicht zufrieden, fondern brüllten weiter nach Rache. 

Da fiel mir ein, daß das Gerücht von meiner windfejten Feuer: 
werferei ſchon aus Martoli bis nach Milam gedrungen war; ich 
erklärte mich bereit, zur Sühnung von Hanfens Vergehen fofort die 
ungeheure Anzahl von drei unauslöfchlichen Streihhölzern zum 
beiten zu geben. Einige von den Schreihälfen hielten diefen Vor— 
ſchlag allerdings für Hohn und verlangten erſt recht, daß wir ſofort 
aus Milam verfchmänden, aber die Neugier der Mehrzahl überwog 
ſchließlich. Ich ftieg alfo auf die Mauer und verſuchte aus Leibes- 
kräften, folch ein brennendes Streichholz auszublafen. Der negative 








— 256 — 


Erfolg meiner Blasübung wirkte gradezu durchſchlagend. Die Mauer 
wurde förmlich geftürmt, und Dutzende von Pausbaden mühten fi 
bis zum Verften, das zweite Holz zu verlöfchen. Als dies felbft den 
ftrebfamften Jünglingen nicht glückte, war mein Triumph befiegelt; 
der frevelhafte Hand war vergeffen und meine glorreiche Hererei das 
Tagesgeſpräch. Ich ſchmiedete das Eifen, folange es heiß war, und 
exitand von einem begeifterten Zufchauer für ein winziges Schächtelchen 
meiner Zauberhölger eine feifte Ziege, deren Braten uns, wie ich hoffte, 
auf der nächſten Bergtour bei Kräften erhalten follte. — 

Es war mir bereit8 in Martoli aufgefallen, daß fich in manchen 
der ummauerten Höfe Perfonen aufhielten, die bei unfrer Annäherung 
fofort in das Dunkel ihrer Hütte rannten, ehe ich fie noch deutlich 
erkennen konnte. Nur hörte ich manchmal außer dem lebhaften 
Flüſtern allerlei Töne mie leifes Kettenklirren aus den Käufern 
fallen; in den Höfen ſchienen die Entfliehenden meiftenteils eine 
lange, ſchmale Decke und ein paar meterlange Stäbe zurüdzulafien, 
über die ich in folgender Weife Aufklärung erlangte. 

Im Lauf unſres Aufenthalts fteigerte ſich durch unfer wirklich 
mufterhaft ſittſames Betragen und Hanſens zur Schau getragne 
Neue das Vertraun der Weiblichkeit von Milam ſchließlich fo ſehr, 
daß das anfangs allgemein übliche Flüchten nach und nad) unter: 
blieb und ich allmählich die ſchöne Welt in den Gehöften bei ihren 
Hantierungen beobachten Tonnte. 

Die Frauen der vornehmften und mwohlhabendften Bewohner 
Milams, die nicht gleich den geringeren Weibern das Haus verließen, 
um Waffer zu holen, oder in einer der zehn Heinen Wafjermühlen 
am Goriſtrom ihren Buchmweizen zu mahlen, oder dort in Steintrögen 
durch Herumtreten mit den Füßen die Wäfche zu waschen, legten 
zu Haufe nicht etwa die Hände in den Schoß, o nein, in den Schoß 
legten fie etwas ganz andres, nämlich ihren Webftuhl, deſſen ein- 
fache Bauart durch einen Bli auf das Bild fofort Har wird. Das 
darauf erzeugte bumtgeftreifte Wolltuch fpannten fie während des 


me 


— 37 — 


Webens nad) jedesmaligem Durchſtechen eines Stabes, der dem bei 
uns üblichen Weberjchiffchen entjpricht, mittels eines um den Leib 
gebundnen Ledergürtels feit an. " 

Aber in was für einem Aufpuß ſaßen fie bei der Arbeit! Grade 
als ob fie zeigen wollten, daß die Koftbarkeiten diefer Welt nicht 
nur im Grünen Gewölbe in Dresden zufammengetragen feien, fondern 
daß ein ganz hübſches Teilchen davon an ihren Nafen, Füßen, 
Zehen, Fingern, Armen und Ohren hängen geblieben jei, von dem 
Halfe gar nicht zu fprechen, um den, 
abgejehn von einem Dutzend zier- 
licher Goldfettchen, noch ein ſchwerer, 
maſſiv goldner oder filberner Ring 
in der Größe eines Tonnenreifens 
zu hängen pflegte. 

Doch was diejen zierlichen und 
gediegnen Schmuck erft zu blenden⸗ 
der Wirkung kommen ließ, das waren 
die Heidfamen, ſchönfarbigen Gewän- 
der der Damen. Die Milam-Schön- 
heit zum Beifpiel, die der Pandit 
nad) langem, geduldigem Werben Frauen-Ehmud 
dazu überredete, mie zu figen, und für Obr, Haar, Etirn, Naſe und Hals, 
deren ausdrucksvolle Züge ich meinen freundlichen Leſerinnen auf der 
nächſten Seite im Bilde vorftellen kann, trug eine purpurrote Sammt- 
jade und ein blaßgelbe3 Seibentuch mit eingewirkten grünen und roten 
Blümchen, das in äußerft kleidſamer Weife als Sonnenjchuß über Kopf, 
Naden und Schultern gelegt war. Während die Frau webte, ließ fie ſich 
von den Kindern der Dorfmufifanten mit Tanz, Gefang und Trommel: 
ſchlag ergögen; ihr eignes Söhnlein guckte mit aufgewickeltem Kopftuch 
der Arbeit feiner Frau Mama zu, die unvermeidliche Hula vauchend, 
indem er das befonders in Indien geltende Sprüchlein befolgte: „Für 
den Spaß iſt das Pläfter, für die Spägin find die Pflichten!" 

Boed, Indijche Oletiherfabrten. 17 





A 


Der feierliche Staatsbeſuch, den mir der Pandit nach der An- 
kunft feines Neffen Bala Singh, mit diefem von mir fehon fo lange 
erwarteten „Babu“, abjtattete, brachte mir eine bittre Enttäuſchung; 
nicht etwa, weil ſich die Herren ihre eignen Gläfer aus ihren 
Häufern holen ließen, um daraus meinen ihnen zum Willkomm 
angebotnen Cognac entgegenzunehmen, den fie ſelbſt al3 aufgeflärte 
Hindus nicht aus meinen Gefäßen trinken zu dürfen glaubten, aber 
der Babu war entweder zu verlegen oder, nun, ih will jagen, zu 
ungeübt, mir feine angeblichen Kenntniffe des Engliſchen irgendwie 
bemeifen zu fönnen. Bon einer Mitnahme diefes Gelehrten auf 
meine weitre Reife konnte fonach eine Rede fein; ferner verficherte 
mir der kürzlich aus Tibet zurückgekehrte Pandit, daß die Tibeter 
gedroht hätten, denjenigen Bhotijas die Köpfe abzufchlagen, die als 
Laftträger oder Begleiter irgend eines Europäers auf tibetijchem 
Gebiet betroffen würden, und ebenfo beftätigte er mir das Gerücht 
der räuberifchen Einfälle der Tibetaner nad) Garhwal. Es wäre 
alfo augenblictich volllommen unmöglich, durch Tibet in daS weſtlich 
gelegne Quellgebiet des Ganges hinüberzulommen, und ich müſſe 
deshalb von Milam wieder längs des Gori zurück nad Almora 
gehn und von dort über Naini Tal nad) Badrinath zu kommen 
ſuchen, das ich al3 den berühmteften Wallfahrtsort der Hindus im 
Himalaja befuchen wollte, 

Denfelben Weg zurüct machen, den ich gefommen war? Nein, 
da3 wäre ganz gegen meine Gewohnheit geweſen. Ich war feit 
entjchlofien, das Aeußerſte zu verfuchen, damit mir ein fo wenig 
ehrenvoller Rückweg erjpart bliebe; allerdings Hatte ich noch feine 
ganz Mare Vorftellung davon, wie das möglich) gemacht werden 
könnte. 


— 258 — 


NPADaCG Hand) aun gung 20 3 ug uagau grpang WEIL UN nvazuanug apuUagayp 


ae · e 0 


dupnva jnlaialſvgg aus “udoz acu may 





Preizehnfes Kapitel. 
Befteigung des Pauſchakuri. 





rdlich von Milam erhebt fi ein gewaltiger Felsrü 
Steilabjtürze nad Süden, alfo nad) Milam hir 
- erfteiglich ausfehn. Der Wejtabhang diefes Berge 
Milamgletfcher ſchien dagegen feine allzu großen Schwier 
bieten, und da mir, nad) forgfältiger Brifung der Umge 
andre Höhe eine jo umfaffende Ueberfchau der um d 
gletſcher gruppierten Gebirge verſprach, beſchloß ich die 
diefes vom Panditen Panſchakuri genannten Rückens, un 
aus ein Panorama der Rumaonalpen aufzunehmen. 

Die Witterung hatte fi zwar in den Ießten Tagen 
gebefjert, aber „e3 hat halt immer noch nicht die rechte ' 
brummte der Tiroler tagtäglich, weil der Wind noch in 
aus dem allein jeligmachenden norböftlichen Himmelswinfe 
geruhte. Trotzdem wollten wir den Aufftieg verfuchen. 

Zunächſt ging unfer Marſch von Milam in nor 
Richtung bis zu dem etwa zwei Kilometer fernen Eisthore d 
gletjchers, aus dem bei 11340 Fuß (3456 m) die £ 
Gori herausjtürzt. Dann ftiegen wir auf ber gewaltige 
des Gletſchers und auf feiner mit Geröll beſchütteten Ob: 
gleicher nordweitlicher Richtung weiter, als Thalſchluß 
wundervolle Schneepytamide des 23220 Fuß (7077 


— 260 — 


Szurdſe Kund vor Augen, wie man aus der Abbildung ſieht, eine 
Hochgebirgserſcheinung allervornehmſter Art. Aus den Becken dieſes 
Berges ſchieben ſich die Eismaſſen zuſammen, die den etwa zwanzig 


Der Ejurdfe Rund, vom Milam-Gleiſcher geſehn. 


Kilometer langen Milamgletfcher bilden, den größten Gletſcher im 
zentralen Himalaja. 

Wie die Karte zeigt, erhebt fi der Panſchakuri inmitten eines 
wahren Labyrinthes von Gletſchern und Hocgebirgsrüden. Eine 
anfchaulichere Vorftellung von dem Bau dieſes Gebirges wird ſich 
der Leer aber mit Hilfe des zufammenhängenden Panorama vor 





1 
) 











— 261 — 


dem Titelblatte dieſes Werkes verſchaffen können, deſſen Aufnahme 
der eigentliche Zweck meiner Beſteigung des Panſchakuri war; wie 
ich bei dieſer Gelegenheit nochmals betonen möchte, war ich durchaus 
nicht mit der Abſicht, einen bergſteigeriſchen „Rekord“ zu ſchaffen, 
in das Himalajagebirge gegangen, wie es zum Beiſpiel der vor 
wenigen Jahren im weſtlichen Himalaja durch eine Lawine ver— 
unglücte Engländer Mummery beabſichtigt hatte; ich weiß ſehr wohl, 
daß ein folches Unternehmen ganz anders und nur unter Mitnahme 
einer Schar von Trägern aus den europäifchen Alpen ins Wert 
gefegt werden müßte! 

Um dies Panorama richtig zu würdigen, muß der Beſchauer die 
Freundlichkeit haben, fich zu vergegenwärtigen, daß ich danach trachten 
mußte, für meinen Aufnahmeapparat einen Standpunft ausfindig 
zu machen, der außer den von dort aus fichtbaren umliegenden 
Gipfelzügen auch diefen Standort ſelbſt, das heißt den Panfchakuri- 
tüden und feine Lage als Wafjerfcheide zwifchen Gori und Dung 
Boni zur Anſchauung brachte; durch feine unmittelbare Nähe im 
Vordergrunde beeinträchtigt diefer gewaltig hervortretende Rücken aller- 
dings den Eindrucd der ungeheuren, jedoch ferner liegenden Höhen. 
Durch diefe Aufftellung vermochte ich aber gleichzeitig einerfeit3 den 
Niederblick aus der Vogelſchau in die Tiefe auf den zur Linken, faft 
ſũdöſtlich abfließenden primären Milamgletfcher mit feinen mejtlichen 
fefundären Seitengletfehern darzuftellen und andrerjeit3 den Einblick 
in die Thäler und Gletſcher, die im Often und Südoften zur Schlucht 
de3 Dung Pani und Utadurhagletjchers hinabziehn. Ich nahm wahr, 
daß, je höher hinauf ich den Standpunkt des Apparates auf diefem 
aus entjeßlich ſchroffem Kalkſchiefer beftehenden Rücken verlegte, 
Bauart und Zufammenhang des Gebirgsſtocks immer weniger zum 
Ausdruck gebracht werden fonnte, aber grade den Anblid des 
Milamgletſchers mit feinen von Weiten her einmündenden Zuflüffen 
betrachte ich für diejenigen als ungemein Iehrreich, die fich noch nicht 
aus eigner Anfchauung eines Gletſchers und durch eigne Erfahrung in 


— 262 — 


den Alpen aus meinen Worten ein zutreffendes Bild dieſer nur 
umftändlich zu beſchreibenden Gebirgsverhältniſſe zuſammenzubaun 
vermögen. Ueberhaupt hoffe ich die Zuſtimmung meiner verehrten 
Leſer zu finden, wenn ich die Schilderung der Bergformen durch 
Worte möglichft knapp faſſe und dafür lieber meinen bildlichen Dar- 
ftellungen mehr Platz einräume. Ich brauche dann auch nicht fort- 
während den ſonſt üblichen aber mißlichen Weg einzufchlagen, 
Vergleiche mit befannteren Bergformen heranzuziehen, die naturgemäß 
immer binfen und doch nur den wenigen, die wirklich die angezognen 
Beifpiele ganz genau fennen und vor Augen haben, einigen Nuben 
zu bieten vermögen. Aus diefem Grunde habe ich fämtliche Photo: 
graphieen in diefem Werk auf die allein zuverläffige, wenn auch 
überaus beſchwerliche Weife, das heißt mit ſorgſam nivellierter Stativ- 
Kamera und mit Objefiven, die genau den menfchlichen Geſichts- 
winfel umfafjen, aufgenommen und nicht mittels eines der meit 
bequemeren, aber optijch oft verzeichnenden Handapparate. 

Doc ich bin der Schilderung diefer Beſteigung durch den Hin- 
weiß auf ihr Ergebnis vorausgeeilt, und doch war dasfelbe nicht fo 
einfach und leicht zu erringen, wie es nach dem nun in aller Ge 
mãchlichkeit vor dem Lefer ausgebreiteten Bilde den Anſchein haben 
könnte; es darf nämlich nicht vergefjen werden, daß der Punkt, an 
dem meine Kamera ftand, die mittel Quedfilberbarometer gemefine 
Höhe von 17090 Fuß (5509 m) über dem Meere, aljo 5650 Fuß 
(1823 m) über dem Endpunkt de3 Milamgletfchers hat, der auf 
dem Bilde ſcheinbar jo nah iſt. Hierbei will ich anmerken, daß 
ich allen Höhenangaben durch Anerordbarometerablefungen, wenn fie 
nicht, nad) Freiheren von Richthofens Nat, auf drei Inſtrumenten 
gleichzeitig gemacht werden konnten, jo wenig Wert beilege, daB ich 
nicht fonderlich böfe war, al3 mein Aneroid, auf einem Zelsblod 
liegend, beim Zuſammenpacken eines Biwaks überfehn und vergefien 
wurde. Direkte Höhenmefjungen follten nur durch Queckjilberbarometer 
oder Siedepunktbeftimmungen de3 Waſſers bewirkt werben, obgleich 





— 263 — 


letzteres die Krone aller Geduldsproben vorftellt und bei meinen 
Berfuchen, wohl wegen des mwärmeableitenden Wafjerbehälters aus 
Nickelmetall, faft niemals befriedigende Refultate ergab. Kenner 
werden wohl wiſſen, daß neuerdings ein von Oberft Watfins er- 
fundnes Mountain-Anerordbarometer in London (bei J. 3. Hicks) 
bergeftellt wird, das die ſchädliche plaftifche Nachwirkung des Ueber- 
tragungsmechanismus weſentlich aufheben „joll". 

Die Schieferwände des Panſchakuri find jo überaus glatt und 
fteil, daß Schnee nur an einigen ebneren Stellen an diefem Rüden 
haften bleibt; dennoch habe ich zufällig auch diefen ganzen Fels- 
rücten als eine einzige eisgligernde Mafje gefehn, wie ich bald bei 
der Bejchreibung feiner Beſteigung erwähnen werde. 

Als wir, den Milamgleticher verlaffend, über grasarme, fteile 
Wiefen am Panjchakuri aufftiegen, fand ich in etwa 15000 Fuß Höhe 
Dicht bei einer anfehnlicden Schneemulbe eine Löftlich mundende Quelle, 
von einem der Burſchen aus Milam Döldhar Pani genannt, wobei 
mir diefer Jungling zu verftehn gab, daß die Hirten in den vorher: 
gegangnen wärmren Wochen mit ihren Yaks und Kleinen Berg- 
pferden bis hier hinauf gemeibet hätten. 

An diefem günftigen Plate flug ich mein Zelt auf, während 
Die Kulis fih in aller Eile aus Schieferplatten einen Windſchutz 
aufſchichteten; dann zerftreuten fie fich über die Halden, um dürren 
Pferdedünger als Brennmäterial zu fammeln. Da ich nach der Ueber- 
ſchau von Panſchakuri wieder nad) Milam zurüctehren wollte, hatte 
ich mein Gepäd in unfrem dortigen offnen Hüttchen ganz un: 
verwahrt zurückgelafjen, ohne auch nur einen Wächter dafür zu be 
Ttellen; fo fehr vertraute ich der Verficherung des Pandit Kifchen 
Singh, daß in Milam noch niemal® Raub oder Diebjtahl vor: 
gefommen jeien! Mit Verwunderung hatte ich bereits an den 
Häufern in Milam das Fehlen von Thürfchlöffern, ja häufig jogar 
felbft von Thüren an den Häufern bemerkt. Wie ich gleich hinzu— 
fügen will, brauchte ich mein Vertrauen nicht zu bereun. 


— 264 — 


Ich hatte nicht mehr als ſieben Kulis und den Schikar und 
nur wenig Proviant für diefe Beiteigung mitgenommen, weil ic) 
glaubte, bereit3 nach wenigen Tagen wieder im Standquartier Milam 
zurüd fein zu Können. Ich hatte allerdings meine kürzlich ein- 
gehandelte Ziege mittreiben laſſen, um für alle Fälle vor dem Ber- 
hungern geſchützt zu fein, aber das Tier erwies fid) al3 ganz unglaub- 
lich bocbeinig und hinterliſtig. Willig folgte e8 dem Führer, bis 
das Leitfeil ganz fchlaff Hing, um dann urplöglich einen Verſuch zu 
machen, durch einen Bockſprung zu entwifchen und thalabwärts zu 
hüpfen; dann wieder ftemmte es ſich mit gefenkten Hörnern fo feit 
auf die Vorderbeine, daß alle freien Hände daran herumfchieben 
und zerren mußten, um den Rader im Schnedenfchritt vorwärts 
zu lotſen. Da ich nun aber nicht zum Ziehlampf mit eigenfinnigen 
Biegen nad) Indien gekommen war, überließ ich diefen langgehörnten 
Hemmſchuh ſchließlich feinem Schickſal. Künftigen Himalajareijenden 
Tann ich überhaupt das Mitnehmen von Schlachtvieh nur menig 
empfehlen: es hält auf, loct in der Nacht reißende Tiere in das 
Lager, und auch da3 Schlachten und Kochen wird auf dem Marid) 
im Hochgebirge zur Plage, und fchließlich wird dem Reifenden ganz 
friſch gefchlachtetes Fleifch bald ebenjo zumider wie Büchſenfleiſch; 
Hans mit feiner ftilen Liebe zu feiner Zulamiwurſt ſcheint ſich auf 
einem ganz gejchmadvollen Wege dem Ernährungsproblem auf 
folchen Reifen zu nähern, aber am beften ift der daran, der zeitweilig 
von Hirtenfoft zu Ieben vermag. Medernd blieb die erwähnte dumme 
Biege wohl eine Stunde lang ftehn, um unſrem Emporfteigen nad): 
zufhaun, dann verlor ich fie aus den Augen; nad) Milam ift fie, 
wie ich fpäter hörte, nicht zurückgekehrt, wird alfo wohl einem der 
Schneeleoparden, die hier oben den Mofchustieren, Thars oder 
fonjtigen Wildziegen nachitellen, zum Opfer gefallen jein. Auch 
wieder ein fetter Biſſen, der in eine faljche Kehle gefommen ift! 

Den zufammengetragnen Dünger benußten die Kulis, die Fugen 
ihrer Windmauer zu verftopfen und das Feuer zu unterhalten, über 





— 2365 — 


den fie ihre Schupattifuchen baden mußten, denn der Strauchwuchs 
hatte bereit3 an der Moräne des Milamgletfchers fein Ende gefunden. 
Bor Kälte zitternd hodten fie händereibend um das Feuer herum, 
trogdem die Temperatur kaum den Gefrierpunft erreichte. Dann 
legten fie fich Dicht zufammen, in ihren dünnen wollnen Deden ge- 
widelt, hinter den Windfang, um die Nacht zu verfchlafen. 

Der nächſte Tag brachte fo ungünftige Witterung, daß an den 
Weiterftieg nicht zu denken war; die Kulis verlangten ſtürmiſch nad 
Umkehr. Ich fagte mir aber, daß doch jet jeden Tag der end- 
gültige Windwechfel eintreten könne und mollte ben gewonnenen 
Vorſprung nicht wieder aufgeben. Ich behielt deshalb nur den 
Schikar und einen einzigen Kuli bei mir und ließ die andren mit 
dem Auftrag nad) Haufe gehn, bei einer Befjerung des Wetters 
Tofort hierher zurückzukehren. 

An den beiden folgenden Tagen verfuchte ih, mir in den 
wüſten Schiefertrümmern etwas Bewegung zu machen und eine 
Strecke höher hinaufzufteigen, aber ſchauderhafte Gewitter mit Regen 
und Hagelfchlag jagten mich bald zurücd. Ich grämte mich nicht fehr 
Darüber, fondern beobachtete das Thermometer mit lachendem Herzen, 
und als ic) das Quedffilber unter den Gefrierpunft rutfchen fah, war 
mir ganz Mar, daß der Wetterwendepunft, das heißt der vegen- 
verjcheuchende, kalte Nordoftwind, im Anzuge fei. 

Und richtig! Im der Nacht vom erſten zum zweiten September 
bemerkte ich, daß das Plätſchern des Regens auf der über mein Zelt 
gefnüpften Gummidecke nachließ und dafür ein ganz ſeltſames Kniſtern 
und Prafjeln vernehmlich war. Um zwei Uhr nachts fchaute ich aus 
dem Zelt, und mit einem wahren Jubelſchrei weckte ich den Tiroler. 
Flugs kam auch Hans herausgekrochen und fah fi, mit den Händen 
in den Tafchen, gelaffen im Kreife um; dann famen die inhalt 
jchweren Worte von feinen Lippen: „Jetzt fannfcht du gehen! Was 
wünſchen Sie, Kaffee oder Thee?“ Letzteres war nämlich feine 
regelmäßige Morgenfrage; den Kaffee durfte mir mein Mundkoch 


— 266 — 


Hans machen, den Thee brühte ich aber lieber ſelbſt auf, weil andre 
es in dieſem Punkte gewöhnlich zu gut mit mir meinen und den 
Thee fo lange „ziehen laſſen“, bis alles aromatiſche Thein verduftet 
iſt und nur eine widerliche, ungeſunde Tanninbrühe übrig bleibt. 
Der Mond und die ungewohnten fühlichen Sternbilder leuchteten 

auf ein ganz märchenhaftes Schaufpiel. Mir kam die ſchone Schilde⸗ 
rung der Mondnacht)] in) des altindiſchen Dichters "Hala Sapta- 
ſchatakam in den Sinn, die nad) Brunnhofers Ueberfegung lautet: 

Stolz wie ein weißer Flamingo 

Wandelt in filberner Pracht 


Der Mond am fledenlofen 
Himmelsteiche der Nacht. 


Kein Wölkchen trübt die Klarheit, 
Die Luft iſt göttlich rein, 

Es ftrahlen die Sternenblumen 
Leuchtend ins All hinein! 


Die Hochgebirgsriefen lagen noch in tiefem Schlaf und hatten 
dicke mollige Wolkenkappen über die Ohren ihrer ehrwürdigen, ſchnee⸗ 
weißen Häupter gezogen. Darüber aber war der Himmel ganz 
prächtig rein, doch ſchien er mir durch den Gegenſatz des blendenden 
Sternenlichts, das aber auffallend wenig flimmerte, die Farbe von 
tieffhmarzem Sammt zu haben, auf dem diefe Heerjcharen von Ge 
ftienen wie funfelnde Diamantgarben prangten. 

Den befremblichften, übernatürlichiten Anbli aber boten bie 
Schieferfcherben und Felsblöde neben, über und unter unfrem Zelt: 
lager; wohin das Auge jah, da glänzte und gleißte der Rauhreif, der 
den am Abend vorher noch unheimlich ſchwärzlichgrauen Panfchakuri- 
rücken in einen Haufen von gligerndem, weißem Kryftallitaub ver- 
wandelt zu haben ſchien. Eine folche ganz unerwartete und volllommne 
Farbenveränderung einer Landſchaft gehört zu den nachhaltigſten 
Eindrüden, die de3 Alpenfteiger3 harren. 

In Eife kochten wir eine Fräftige Erbswurſtſuppe, ich ſteckte 





— 267 — 


ein Büchschen Sardinen, ein andres mit Rindszunge, etwas Schoko— 
lade und Biskuits in die Joppentaſchen, Hans hüllte den Zipfel 
unſrer letzten Salamiwurſt mit wehmütig zärtlichen Blicken in ſein 
Taſchentuch und ſchien dabei zu ſeufzen: Mein Freund, kannſt du 
nicht länger fein? Dann fügte er unſrem Proviant etwas Erbs- 
wurft und ein Dutzend 
Schupattis hinzu, die un- 
fer Schifar während der 
Aufbruch3vorbereitungen 
an dem Lagerfeuer aus 
Yaldünger geröftet hatte. 
So ausgerüftet, machte 
ich mic, auf den Weg 
und befahl dem Kuli, den 
Koffer mit der photo 
graphiſchen Kamera und 
den Raffetten aufzupacken 
und mir damit zu folgen. 
Der gute Jüngling 
fah mich mit Augen an, 
die aus dem Kopfe zu 
quellen drohten. Jetzt, Der boſe Gott Edima mit feiner Gemaslin Parbati; feine 


. Qaut iR mit Ace befläubt, durd) feine Loden winden Rh 
um drei Uhr nachts, fange _Aobra-Scilangen. Im Gintergrunde ber fagenhafte Götteriöron 


bevor noch die verehrte Nanda Devi. (Nat einem indifgen Gemälde.) 

Sonne am Horizont emporgeftiegen war? Bebend Iallte er, er molle 
lieber auf jeden Verdienft verzichten, als fo freventlich den Nacht- 
gefpenftern in die Arme laufen. Wergerlich wollte ich die Laft des 
fonft gar nicht üblen Burſchen dem Schikar aufbürden, der aber 
wies eine fo unerhörte Zumutung mit Entrüftung von fich, erklärte 
ſtolz und zornig, er fei fein Kuli, fondern ein Jäger, und 
Außerdem wäre es ganz unmöglih, daß wir lebendig auf den 
eisſtarrenden Panſchakuri herauf oder von ihm herunterkämen. 





— 268 — 


Beruhigend zeigte ich ihm die Steigeifen, das Seil, die Schneebrillen, 
die Hans in feinem Ruckſack zur Sicherheit der Kulis mitnähme; 
aber mit entfeßtem und geheimnisvollem Geſicht verfuchte er mir ber 
greiffich zu machen, daß die Göttin Parbati ſelbſt nächtlichermeile 
diefen ſchneeweißen Teppich über die Berge ausgebreitet habe, um 
darauf mit ihrem göttlichen Gatten Schiwa reinen Fußes luſtwandeln 
zu können, nad) dem beide von ihrem Frühbad in den heiligen Fluten 
des Ganges aus Benares nad) ihrem Throne Nanda Devi zurüd: 
gefehrt feien. Ich könne ihm mehrere taufend Rupien bieten, und 
felbft dann würde er nicht vor Eonnenaufgang mitgehn; wenn 
ich aber überhaupt auf fein Mitgehn rechnete, möchte ich gefälligit 
zuvor die Konſervenbüchſe wieder auspaden, auf der er einen Rinde 
topf bemerkt hätte, denn durch Gemeinſchaft mit fo gottlojen Leuten, 
die fih auf diefen gottgeweihten Bergen mit Fleifch vom heiligen 
Rindvieh zu ftärken beabfichtigten, wolle er nicht feinen Untergang 
unvermeidlich heraufbeſchwören. 

Das ging mir denn doc) über den Spaß. Genau drei Jahre 
früher wurde mir mit demjelben Hans im Kaulafus eine Beiteigung 
des Kasbek vereitelt, indem uns die Träger, gruſiniſche Cteinbod- 
jäger, auf dem Marſch im Stiche Tiefen, weil fie in ihrem ſchauder⸗ 
haft verwirrten religiöfen Fanatismus wähnten, Jeſus Chriftus, der 
auf der Eisfuppe de3 Kasbek wohne, würde uns mit Steinwürfen 
töten, weil Hans unreine, das heißt vom Schweine ftammende 
Nahrung in Geftalt von Salamiwurft zu fi) genommen habe und 
noch große Mengen davon im Ruckſack bei fi trüge. Vergebens 
hatte ich damals diefen Leuten das thörichte ihrer Anficht Har zu 
machen verfucht, und nachdrücklich betont, daß eine echte, rechte 
Salamiwurft nicht von fetten Schweinen, fondern von viel edleren 
Tieren, nämlid) von hagren Ejeln, abzuftammen pflege — aber 
nicht3 hatte geholfen. Und nun follte ich hier, taufend Meilen von 
jenem Schauplat entfernt, durch einen ähnlichen religiös angehauchten 
Unfinn den mit jo unendlicher Sehnfucht ſchon fünf Monate lang 





— 269 — 


erharrten erſten wirklich ſchönen Tag im Himalaja beeinträchtigen 
Iafjen? Nimmermehr! 

Mit einem Blick unfäglicher Hochachtung vor fo weit getriebner 
Frömmigkeit nahm ich diefem Mufterweidmann ſtillſchweigend den 
Apparatenkoffer fort und packte ihn zu der wollnen Jade, der aus Seide 
geftrietten Kappe, den Fauſthandſchuhen, den dicken Schneeftrümpfen 
und dem Schnelllocher in meinen Rudjad. Um drei ein Viertel Uhr 
verließ id) mit Hans das Zeltchen und verftärkte den Schein des 
Mondes dur das Licht unfrer Laterne; mit blöden Augen gafften 
Die beiden fonft wirklich recht braven Bergfteiger ung nad, von 
Denen Hans beim Aufftieg an ſchroffen Stellen oft genug bewundernd 
gejagt hatte: „Die Teufelskerle gehen ja wie die Gemjen!" Ich 
rief den Burfchen zu, fie möchten beim Eintreffen der andren Kulis 
unfer zurücgelafines Zeltlager nicht etwa nad) Milam fchaffen, ſteckte 
mit einem recht überflüffigen herausfordernden Seitenblick die Büchſe 
mit Rindszunge aus der rechten Tafche in die linke, und dann ftieg 
ich unverdrofjen hinein in die glatten, übereiften und im Mondlicht 
gligernden Schieferblöde. 

Der Aufftieg ging unausgefeßt über Schieferfcherben und glatte 
Platten, die die größte Vorficht erheifchten, jo daß wir mit einigen 
ſehr kurzen Raſten erft gegen neun Uhr die Felsnaſe erreichten, die 
mir für meine Aufnahme des Panorama geeignet erſchien. Ein 
paar Stunden fpäter tauchten dort auch die beiden treulofen Männer 
auf mit der DVerficherung, daß inzwifchen die andren Kulis aus 
Milam zum Zeltlager gefommen fein würden. 

Erſt gegen fieben Uhr ging in dieſer vorgerücten Jahreszeit 
die Sonne auf — aber was für einen Anblick enthüllte fie dann! 
Jedem der auf dem Panorama fichtbaren zahllofen Hochgipfel küßte 
die rofenfingrige Morgenröte mit warmem Hauche die nächtlichen 
Schleier von der Stirn, und wie mit allgewaltiger, magnetifcher Kraft 
wurden gleichzeitig überall zarte Wölkchen von den Gipfeln gehoben; 
aus all den zahllofen Schluchten und von allen Spigen ſchwebten diefe 


— 20 — 


Wölkchen mit majeftätifcher Ruhe wie Opferrauch in den Aether und 
zerfloffen dort fpurlos ins Nichts. Mit übermältigender, durch alle 
Nerven bebender Gewalt drang mir das Göttliche diefes Anblicks 
ins Herz. Ich ftand, wohin ich mich feit meiner Fünglingszeit ge- 
fehnt hatte, ich ftand im Mittelpunfte des Himalaja, angefichts der 
erhabnen „Heimat des Schnees“! Da lagen fie in greifbariter 
Nähe rund um mich her, diefe ftolzen Neden des Kumaon-Himalaja, 
eine Riefengarde eisjtarrender Häupter mit ftolzen, energiſch aus: 
geiprochnen Zügen, und aus ihrer Schar türmten ſich die wahrhaft 
majeftätifchen Geftalten des Nanda Devi und feines ebenſo hoheits- 
voll dreinblidenden Zwillingsgipfels Nanda Kot mit der ruhigen 
Zuverſicht empor, als unbeftrittne Sieger in diefem Schönheitswett- 
fampfe jungfräulicher, lilienreiner Hochgipfel dazuftehn. 

Staunend und ſchweigſam hatte auch der Tiroler, der doch fo 
manchen Morgen feines Lebens auf hoher Alpenzinne begrüßt hatte, 
der bejeligenden Enthüllung diefes unvergleichlichen Denkmals voll: 
endetfter Naturfchöne beigemohnt; exit als die letzten Wolfenfafern 
fi in den azurblauen, kryſtallklaren Himmelsdom verflüchtigt hatten 
und der magiſche Goldhauch von den Firnfpigen ſchwand, ſprach er 
gemefjen: 

„Bei Gott, fell i8 wirklich großartig!" 

Dann reckte er fich, daß ich feine Gelenke knacken hörte, und fchien 
plöglich wie verwandelt; er mar wieder ganz ber ftahlharte, fröhliche 
Sohn der Berge. Alles Ungemach ſchien vergejien, und behutjam 
holte er vor allen Dingen feine geliebte Zulami aus der Brufttafche 
und frühjtücte mit dem heiter glücklichen Geficht eines Menfchen, der 
die Feuerprobe vedlicher Pflichterfüllung beftanden hat. 

Aber ich war nicht nur von dem heiligen Schauer eines über 
jeden Ausdruck erhabnen Genuſſes durchbebt, fondern mich fror 
gleichzeitig ganz unmenfchlich. Ich packte deshalb, fobald ich nad) viel» 
fahem Hin- und Herkfettern den geeignetften Pla zum Photo: 
graphieren ermittelt hatte, den Schnelljieder aus dem Rudjad, um 


na 


— 271 


mir während der vollkommnen Windſtille eine Schokolade zu kochen; 
im Hinblick auf das wolkenloſe Firmament glaubte ich, die nicht 
ganz leichte Aufnahme dieſes wichtigen Panoramas ungeſtraft noch 
ein Viertelſtündchen aufſchieben und erſt meine Kräfte ein wenig 
ſtärken zu dürfen. 

Die wirklich grenzenloſe Freude über das mir vergönnte uns 
bezahlbare Schaufpiel hatte mich gegen die Empfindungen des Körpers 
mohl etwas gleichgültig gemacht, aber jo mühfam das vorfichtige 
Emporklettern über die nicht ganz ungefährlichen ſcharfen Scherben 
auch geweſen war, geftand ich mir doch ein, auch nicht eine Spur 
von jenen entfeßlichen Beſchwerden zu verfpüren, die mich bei der 
Erjteigung des Schonfchal geplagt hatten, der doch meit niedriger 
gewejen war, und der Tiroler äußerte die gleiche Empfindung. Ich 
Hetterte fjogar mit dem Tiroler noch etwa vierhundert Meter höher, bis 
zu der nächſthöchſten Stelle de8 Maffivs, zu dem mein Standpunft 
gehörte, ohne daß wir auch nur das mindefte Ungemach gefpürt 
hätten; im Gegenteil konnte Hans dort oben nicht oft genug aus- 
rufen: 

„Nein, dieſe Luft, der herrliche!“ 

Selbſt bei den ſpäter von uns erreichten, noch beträchtlicheren 
Höhen von etwa 20000 Fuß habe ich feine Wahrnehmungen ge— 
macht, die wefentlich von den Erjchöpfungszuftänden unterjchieden 
geweſen wären, die man bei anftrengenden Vergbefteigungen in unfren 
Apen durchzumachen hat. Erwähnenswert dürfte hierbei auch die 
Beobachtung fein, daß die Lamas, die auf dem Rücken von Yaks 
über ihre durchfchnittlih 18—20000 Fuß hohen Gletfcherpäffe aus 
Tibet zu fommen pflegen, die Bergkrankheit nicht zu kennen ſcheinen, 
und daß fie aud) Kapitän Turner in dem Bericht über feine Himalaja- 
teife nicht erwähnt. 

Es mag jein, daß der lange Aufenthalt, den wir nun doch 
ſchon monatelang in beftändig dünner werdender Luft gehabt hatten, 
uns für die Wirkungen des noch weiter verminderten Luftdruck 





— 22 — 


weniger empfindlich gemacht hatte. Freilich würde es ju viel inter- 
effanter klingen, wenn ic) von allerlei entfeglichen phyfiologifchen Er⸗ 
fcheinungen berichten Fönnte, aber außer einem gradezu unergränd- 
lichen und „unartigen" Appetit, um mit dem Tiroler zu fprechen, 
ftörte dort oben nicht? mein Behagen und das unendliche Glüds- 
gefühl, ein fchönes Etwas durch unfagbare Geduld errungen zu 
baben und es nun ungeftört ganz für mich genießen zu dürfen. Ich 
tam mir vor wie ein Kunftfreund, der feine paar Batzen an ein 
ihm köſtlich dunkendes Meijterftüc eines Malers, in das er fich ver- 
narrte, gewendet hat und e3 nun in feiner einfamen Rlaufe freude 
äitternd immer wieder mit andachtsvollen Blicken von allen Seiten 
vergöttert. 

Plötzlich ſprang ich auf; nicht etwa weil mich irgend etwas 
gebiffen hätte, aber doch, weil mir etwas Umerfreuliches in bie 
Augen ftah. Man wird gleich hören, mas ich meine. 

Der Mittelpunkt des Intereſſes für mid) war natürlich der 
wirklich fabelhaft fehöne Doppelberg Nanda Devi, die höchſte Er- 
hebung dieſer gewaltigen Menge ungeheurer-Gipfel, geweſen. Einen 
ftolgeren Lieblingsthron hätten fich die Hindus für ihren Gott Schiwa 
und jeine Gemahlin wirklich faum auswählen können, denn der 
Nanda Devi mißt nicht weniger als 25660 Fuß (7826 mı) und 
hat als zweiten Götterftuhl eine Zwillingsipige, den Nanda Kot 
24379 Fuß (7435,6 m) hoch; der auf dem Bilde faum bemerfbare 
Höhenunterfchieb beträgt alſo nicht weniger als 1281 Fuß (390,7 m). 
Aus diefem Beifpiel kann fih der gütige Lefer die ungeheuren 
Höhen und Maffen vorftellen, die jeder Blick auf dieſes Panorama 
umfpannt! 

Ich hatte meine Aufmerkſamkeit auf die Schluchten gerichtet, 
die fi, mit Gletfchern angefüllt, aus dem weftlichen Einfafjungs 
gebirge des Milamgletfchers zu diefem Herunterziehn; fie waren be: 
ftändig bis in die legten Fernen erfennbar geweſen. Da, während 
ich grade den legten Schluck Kakao an die Lippen brachte, um neu 





J — 23 — 


) geſtärkt meine Aufnahmen zu machen, bemerkte ich einen leifen 
Schleier unmittelbar an ber eisftarrenden, tief eingefpaltnen Wand, 
die die beiden Gipfel des Nanda Devi verbindet. Wohl wiſſend, 





Nanda Devi, der Götterthron, 
vom Panfgaturi über die Sqchlucht des Milamgletichers hiuweg geiehn. 


daß fich derartige Trübungen mit reißender Geſchwindigkeit zu ſchnell 
wachſenden Nebeln und Wolken zu verdichten pflegen, riß ich mit 
fieberhafter Gejchwindigfeit meine Apparate aus dem Ruchſack, ftellte 


haftig die Kamera auf und richtete fie blitfchnell für die Aufnahme 
Boed, Indlice Bleherfahrten. 18 


— 274 — 


des Rundbildes her. Aber ſo ſehr ich mich auch dabei beeilte, hatte 
ſich der zarte Schleier an der genannten Stelle doch ſchon zu einer 
undurchdringlichen Wolke verdickt. Auch an andren Stellen ſchleppten 
bereits die „formlos grauen Töchter der Luft“ ihre „Nebeleimer“ 
in die Klüfte oder ſtürzten ſie über die Gipfel, ſo daß ich von 
wahrem Glück ſagen konnte, das Panorama doch noch in der vor- 
liegenden Schärfe auf meine Platten gebracht zu haben; ſchon nad) 
einer Vierteltunde hingen an fämtlichen Gipfeln jo trübfelige dicke 
Wolkenfahnen, daß diefe meine Photographieen wertlos gemacht haben 
würden. Aus dieſem Grunde wird eine Hochgebirgäreife im Hima— 
laja während der Regenzeit in photographifcher Beziehung ziemlich 
ergebnislos verlaufen, in gipfelftürmerifcher natürlich noch mehr. 
Waren aud; die Gipfel im Weften jetzt verhält, jo blieben doc 
wenigſtens die im Often liegenden Grenzgebirge von Tibet noch Har, 
und ganz unwiderſtehlich fefjelnd mar der Blick nach Sübdoften, über 
die riefige luft des Dung Pani hinweg auf einen aus Südoften 
herunterziehenden Gletfcher, deſſen obres Firnbeden in wundervoller 
Reinheit zu mir herüberleuchtete; auf dem Panorama kann man dieſen 
Lauf des Gletſchers und das Hervorbrechen des Waſſers aus feinem 
Fuße vorzüglich erkennen. Diefes jenfeitige Ufer des Dungbaches 
erhebt ſich zu ganz wundervollen, fanft gerundeten Bergen, und id) 
erwähne vorgreifend fchon hier, daß ich fpäter durch diefes Thal 
de3 Dung meinen Weg nahm, um auf den Utadurhagletfcherpaß 
und damit an die tibetifche Grenze zu kommen. Auch den Goriftrom 
fieht man auf dem Titelbilde fehr deutlich aus dem Milamgletjcher 
herausbrechen; von hier oben gejehn, gleicht er nur einem dünnen 
Silberfädchen, das zur Zeit meiner Aufnahme durch Hleinre Bäche 
einen fat Fveisförmig gebognen Lauf zu nehmen ſchien. Ber 
junge Strom rauſcht dann nach Südoften, um unterhalb Milams 
den von Nordoften fommenden Dung aufzunehmen. Die links auf 
dem genannten Bilde fichtbaren Gipfel gehören zum Syſtem des 
Bambadurha, während im Rücken dieſes Gletſchers der Kalaba- 





— 175 — 


landgletſcher jich nach Oſten um einen 20150 Fuß (6142 m) hohen 
Gipfel herumzieht, der auf dem Bilde hinter dem Gletfcherkeffel 
hervorragt. 

Ich hatte volllommen vergeffen, die Zeit zu beachten, und war höch- 
lich überrafcht, als die Uhr fehon auf die vierte Stunde wies; deshalb 
ftiefelten mir mit unſren längften Schritten ſchleunigſt bergab, dem Zelt- 
Tager entgegen. War das Hinauffteigen jehr anftrengend gemefen, 
fo mar diefer Abftieg außerordentlich gefährlich, denn die glatten 
Platten, das loſe Geröll und die feharfen Schiefertrümmer boten 
ein beiſpiellos heimtücifches Gefchiebe. Mehrmals kamen einzelne 
Blöcke unter unfren Füßen ins Gleiten und Rollen, fo daß bald die 
ganze Scherbenbefleivung der Bergwand mit uns in unaufhaltfam 
raſende Abwärtsbewegung geriet und wir fo unheimlich fchnell bergab 
fauften, daß uns das Lachen verging. Ich hatte jedoch mit dem 
Tiroler. bereit3 in den fiebenbürgifchen Karpathen ähnliche nicht 
zu unterfchägende Gefahren zu kreuzen gelernt, und fo famen wir 
wohlbehalten nach kaum vier Stunden zum Zeltlager zurüd. Die 
Dort verfammelten Kulis behaupteten mit bemundernden Blicken, 
wir feien heruntergeflogen „wie die Adler“; ob freilich Adlern die 
Klauen fo entjeßlich gejchmerzt haben würden, wie mir meine Füße, 
erfcheint mir doch fraglich. 

Natürlich hatten jet die verfammelten Kulis den großen Mund 
und ſchwadronierten die ganze Nacht um ihr Feuer aus Pferdemift, 
während die Huka von einem Munde zum andren ging. Ich 
fümmerte mich nicht darum, fondern fchlief nach Genuß meiner 
Rindszunge und nad) einem langen Zug aus der köſtlichen Döldhar- 
quelle den Schlaf eines Menſchen, der ſich jagen Fonnte, nicht ganz 
nußlos eine ſchier unglaubliche Menge von Schwierigkeiten über- 

wunden zu haben. 


en 


Vierzehntes Kapitel. 
Eine fabelhafte Erfheiunng. 






r nächſte Tag begann in gleicher Schönheit, und es fiel mir 
deshalb nicht ein, fofort wieder nach Milam zurückzukehren. 

* Wäre ich ausſchließlich des Bergkraxelns wegen in den 
Himalaja gegangen, hätte ich allerdings kaum etwas Geſcheitres thun 
tönnen, als auch noch die Hintre, mehrere taufend Fuß höhere Spite 
der nördlichen Fortfegung des Panfchafurigebirgsftocts bis zum letzten 
Gipfelfirſt zu erflimmen. Nachdem ich mich aber durch unfer ſchon 
erwähntes Höherhinaufflettern um weitre vier- bis fünfhundert Meter 
überzeugt hatte, was für „fchieche Platten” hierbei zu überwinden 
waren, ſchienen uns doch die mir jest befchiebnen Haren Tage zu 
foftbar für ein folches Vergnügen, da meine Bilderausbeute dadurch 
feine fonberliche Bereichrung erfahren konnte; jeder Kenner wird 
wiſſen, daß der Bildeindrud einer Hochgebirgsphotographie keines⸗ 
wegs immer mit ber Höhe des Standpunftes zunimmt. 

Dagegen reiste e3 mich, den obren Teil des Milamgletjhers 
etwas näher kennen zu lernen. Ich nahm deshalb außer dem Tiroler 
den beften Klettrer unter den Kulis mit mir, ſchickte Die übrige 
Gefellichaft mit dem Gepäd nad) Milam und ftieg in nordweſtlicher 
Richtung zum Milamgletfcher ab. Beim Abbrechen meines Zeltes 
ftellte fich zu meiner freudigen Neberrafchung heraus, daß e3 auf 
einem wahren Teppich von winzig Meinem, faft moosartigem Ebdel- 
weiß geftanden hatte. 





©. 216-277. 
Mein Zeltlager beim Schamgas-Kund-See neben dem Milam-Gletscher, 
deſen Moräne von rechts nach lints (Mord nah Süd) zieht und in den von Welten Her ein ſetundärer 
Gletſcher mündet; lintz die Gruppe des Malla Mangrong, 





TIm' 


Google 


Dig 


— 27 — 


Der Abftieg war zunächit ftellenweis jo bösartig, daß ich auf 
den glatteften Felſen die benagelten Bergſchuhe aus- und dafür ein 
Paar rauhe Wollſocken anzog; der Kuli mit feinen abgehärteten, 
nadten, breiten Rletterfüßen war auf diefen fürchterlichen Platten 
Telbft dem Tiroler an Gewandtheit und Mut zum mindeften ebenbürtig. 

Nachdem wir den fteilen und entjeßlich zerflüfteten obren ‚Eis- 
fall des Milamgletfchers bejucht hatten, jah ich auf dem Rückmarſch 
unter dem Öftlichen Moränenfuße einen Wafferfpiegel glänzen. Es 
Hatte fi) hier wohl unter dem Einfluß des ungeheuren Druckes eines 
von der entgegengejeßten, vechtäliegenden, das heißt weſtlichen Seite 
in den Milamgletfher hineinfchiebenden ſekundären Gletſchers ein 
idylliſcher Staufee gebildet, in defjen regungslofem Wafjer fih nun 
Die gegenüberliegende Hochgebirgsherrlichkeit mit märchenhafter Klar- 
heit abfpiegelte. Die fteilen Zinnenndes Malle Mangrong und 
feiner Nachbarn ftanden wie Kuliffen um die ungeheure Bühne jenes 
Gletſcherzufluſſes herum, und ber riefige Schuttwall der Moräne 
des Milamgletſchers zog ſich quer über die Mitte dieſes mwunder- 
vollen Spiegelbildes. Der Bejchauer der von mir dort aufgenommnen 
und hier beigefügten Photographie möge fich vergegenwärtigen, daß 
in der Verlängrung nad) rechts, das heißt Nordweſten, der Szurbfe- 
Kund-Berg zu denken ift, von dem, wie erinnerlich fein dürfte, 
der Milamgletjcher entfpringt, der nach dem in der linfen Fort: 
ſetzung der Moräne zu denkenden Orte Milam abfließt. Diefer 
See wurde von dem Hirten Schamgas Kund genannt; die baro= 
metriſch bejtimmte Höhe feines Wafferfpiegels liegt bei 12820 Fuß 
oder 3910 m. 

Beim Umfchreiten des jüdlichen Seeufers fpiegelte ſich nach und 
nad die ganze Reihe diefer wunderſchönen Bergwände in dem See 
mit jener feltfamen Wirkung wieder, die ein Landſchaftsmaler genießt, 
der fein Motiv in einem ſchwarzen Glasfpiegel ftudiert, und als fich 
beim Weiterwandern ſchließlich die entjchleierte Gejtalt des ebel- 
geformten Szurdfe-Rund in diefem Bauberfpiegel zeigte, konnte ich 





— 278 — 


mich ebenſo ſchwer von dieſer hinreißenden Entfaltung ſinnbethörender 

Hochgebirgsſchönheit trennen, wie ſich Fauſt in der Hexenküche von dem 

verzücten Staunen über die bezaubernde Macht unverhüllter Frauen: 
reize loszureißen 
vermag. 

Doch gleich 
wie Fauſt ſich vor 
dem Hexenſpiegel 
im Uebermaß nie 
zuvor gefühlter 
Eindrücke an die 
faft zerjpringende 
Stirn greift, jo 
mußte aud ic 
mich einen Augen: 
blick befinnen, ob 
ich machte oder 
träumte, als id 

urplötzlich auf 

einem gewaltigen 

Felsblock eine 

überirdiſche Ge 

ftalt auftauchen 

ſah, die für dieſe 

fühle Gegend 

bar die Mori va Sham On u vr Ebenen.  NTDE ganz Are 
mäßig angezogen 

zu fein ſchien. Der Menſch, der dort eben vom legten "Schein der 
verfinfenden Sonne geftreift wurde, war nämlich vollftändig nadt, 
doc) erſchien feine braune Haut durd) draufgeftäubte Aſche beinah 
weiß. Mit dem weſenloſen Gebaren eines Geiſtes blickte er ftieren 
Auges nad) Weften, jenfte dann mehrmals feierlich das Haupt, auf 


— 279 — 


dem das Haar in dicken Zöpfen zu einem wilden Knoten empor— 
gewidelt war, nach der Richtung des Nanda Devi; er beugte fich 
dabei jedesmal jo tief, daß feine Stirn den Felsboden berührte, 

Dann wickelte die Geiftererfcheinung eine große weiße Opfer: 
hornmufchel aus einem feuerroten Säckchen, ſetzte fie an die Lippen 
und brachte darauf einen fehauderhaften, heulenden Trompetenton nach 
dem andren hervor, den das Echo jedesmal wiederholte. Nach diefer 
herrlichen mufifalifchen Leiftung hob der unbefleidete Sonderling ein 
Tamtam empor, das er mit unheimlichem Mute zu bearbeiten an- 
fing; e3 fah grade jo aus, als habe er gemweitet, das Bronzebeden 
durch die Schläge mit feinen Anöcheln zu zertrümmern. Nachdem 
ihm dieſes Kunſtſtück trotz mindeftens zehn Minuten währender An— 
ſtrengung nicht gelingen wollte, ftellte ex auch diefen ohrbetäubenden 
Spektakel ein, der ebenfalls durch das aufmerkſame Echo verviel- 
facht wurde, und verſchwand fo ſchemengleich von und hinter feinem 
Felsklotz, wie er gelommen war. 

Mit einer Miene unendlicher Hochachtung machte mich mein 
Begleiter am Seeufer auf eine Zufammenfchichtung von Schiefer- 
platten in Form einer großen Hundehütte aufmerffam, und ein 
gewaltige, weißgetünchtes Lingamidol vor diefer verlafinen Bude 
machte mir Har, daß fie vermutlich das Obdach diefes frommen 
oder, wenn man will, närriſchen Einfiedlers in der märmeren 
Jahreszeit geweſen fein mochte. ch ärgerte mich ein wenig, die 
interefjante Geftalt diefes Sanyafjis aus den Augen verloren zu 
haben und gab e3 gleichzeitig auf, Milam noch an diefem Abend zu 
erreichen. 

AS ich aber am nächſten Tage das Ende der Moräne erreichte 
und mir" dort grade eine umermeßliche Menge Gletſcherwaſſer ein- 
verleibte, deutete der Kuli auf ein paar Wacholderbüfche in der Nähe 
des rauſchenden Gori. Ich bemerkte dort eine halbfreisförmige, roh 
aus Steinen zufammengefchichtete und von einer geflochtnen Bambus- 
matte überdachte Mauer und fah mit freudigem Schreden in dem 


— 280 — 


tiefen Schatten diefer Grotte wieder die merkwürdige Geftalt ſitzen, 
den entfeglichen Virtuofen. Klugerweiſe hatte er aber jet feine 
Glieder in eine mollige bordeaurrote Wolldecke eingewickelt und ſaß 
auf einem weichen Leoparbenfell; feinen Rüden Iehnte er ganz 
gemütlich an ein weißfeidnes Kiffen. Tamtam und Mufchelhörner 
lagen neben ihm auf einer Bank aus Steinen, im übrigen aber 
fchien der fonderbare Schwärmer auf Mobiliar verzichtet zu haben. 

Eben fehwebte mir die Frage auf den Lippen, wie fich dieſer 
Klausner wohl ernähre, al3 mit ebelftolzem Schritt und mie ein 
tichtiger deus ex machina ein Hirſch aus dem Wacholderbufc) trat. 
Der Kuli wies, ehrerbietig flüfternd, auf eine Glocke, die der Hirſch 
um den Hals trug, und raunte mir dabei zu, daß dieſes Tier 
beinah täglich in Begleitung eines viefigen, wachſamen Schäfer: 
Hundes, der neben dem Heiligen lag, nad) Milam fpaziert käme; 
dort kennten die Einwohner bereit3 die Legende von dem Klauöner 
im Gebirge feit Jahren und padten dem Hirich jedesmal einen 
Querfad mit allerlei Lebensmitteln auf, mit denen beladen das Tier 
dann zu feinem Eigentümer zurückfehre; das Gebell des Hundes 
und das Geläute der Glocke genügten zum Verfcheuchen von Schnee 
leoparden und andren Raubtieren. 

Der verehrungsmürdige Herr Kadſchi Wadfchi, fo nannte der 
Burſche den Büßer, ſchien aber in meinem dreiften Anblicken wohl 
die geziemende Ehrfurcht vor feinem frommen Müßiggange zu ver 
miffen; mit dünner Fiftelftimme feifte er beftändig vor fich hin und 
ſchien ale Verwünſchungen diefer Welt auf meinem armen Haupte 
zu verfammeln. Er verbat fich entjehieden meine weitre Annäherung, 
aber ohne mich dabei eines Blicks zu würdigen und ohne feine bequeme 
Lage auf dem Leopardenfell zu verändern; fein zottiger Hund begann 
bereit3 bedenklich zu knurren. Da fehnitt id) ein möglichft fcheinheiliges 
Geſicht und ließ ihm durch den Kuli keck vorlügen, ich fei ganz aus 
drücklich über den indischen Ozean gefommen, weil der Ruf feiner 
‚Heiligfeit bereit3 bis in meine Heimat gedrungen fei; deshalb mödte 


6. 
Kadshi Vadschi, der Hocgebirgs-Einsiedler in seinem Obdach, 


vor dem der zahıne dirſch deb fagenhaften Heiligen febt, 


2890-81. 


Sie, Google 





— 231 — 


er mir zur Belohnung doch auch gnädigft erlauben, jein ehrwürdiges 
Gefiht in meinem „Spiegel“ anfehn zu dürfen, um mir feine 
heiligen Züge vecht deutlich einprägen zu können; hierzu fei e8 aber 
unbebingt nötig, ihm noch ein wenig näher auf den Leib zu rücken. 

Während diefer Bettelei hatte ich meinen Apparat ſchußfertig 
gemacht und aufgeftellt; als der weltentſagende Heilige eitel genug 
war, auf meine dreifte Notlüge anzubeißen und feinen feifenden 
Mund einen Augenblick zu fehließen, nahm ich die hier beigefügte 
Photographie diefer märchenhafteften Begegnung auf, die mir je in 
Indien vor Augen gekommen iſt. Nur dem regungslofen Vorſich- 
hinſtarren des merkwürdigen Heiligen verbanke ich das Gelingen der 
Aufnahme, zu der ich wegen der eben untergehenden Sonne und 
des dunklen Schattens in der, Behaufung des Wundermanns eine 
Erpofitionszeit von etwa dreißig Sekunden verwenden mußte; auch 
der Hirfch ftand fo lange ftil. Ganz außer mir vor Erftaunen 
über dies beinah unglaubliche, aber meinen vom „Wunderland” Indien- 
gehegten Hoffnungen durchaus entjprechende Vorlommnis kam ich 
erſt in der Duntelheit in Milam an. 

Die fonft vor den Häufern brennenden Feuer fladlerten heute, 
der wilden Tiere wegen, in den Höfen zum Schuße der aus Tibet 
zurückgekommnen Packſchafe; die Tiere mederten und blöften um die 
Wette, und gleichzeitig vollführten die Wachhunde das übliche ohren: 
zerreißende Gekläff. Um zu verhindern, daß ein Schaf durch die 
Thorlüde in der niedrigen Hofmauer entlaufen oder von einem 
Raubtiere davongefchleppt werden konnte, waren lange Seile durch 
den Hofraum gezogen, an denen die Tiere in regelmäßigen Abftänden 
umſchichtig angebunden waren, alſo in der Art, daß fich die beiden 
Reihen der an einem Seil befeftigten Schafe die Köpfe zumendeten, 
wobei jedesmal ein Schaf in der Lücke zwifchen feinen beiden auf 
der andren Seite angebundnen Kollegen ftand. 

In Milam herrſchte bei unfrer Ankunft noch äußerft veges 
Leben. In den niedrigen Häufern hockten dichte Schwärme um die 


— 22 — 


lodernden Feuer und erörterten bei lebhaftem Gelutfche an ihren 
kreifenden Wafferpfeifen die wichtigen Tagesneuigkeiten, unter denen 
natürlich meine Panfchakuribefteigung obenan ftand; aber auch die 
Berichte der aus Tibet eingetroffnen Karamane und die Vorberei- 
tungen zum Verlaffen des Sommerdorfs Milam, das ja des Schnees 
wegen nur von Ende Juni bis Ende Auguft oder Anfang September 
bewohnt werden Tann, gaben endlofen Unterhaltungsftoff ab. Ich 
babe wohl ſchon bemerkt, daß fi) die Sommerbemohner von Milam 
während des Winterd nad) ihren heimatlichen Wohnſitzen in Mun⸗ 
ſchari und Bageswar zurückziehen. 

Sobald unſre Rückkehr bemerkt wurde, ſchickte der Padhan 
nach den Sängerinnen und Muſikanten, die mich bei Fackelſchein und 
während des Zuſammenlaufens aller Dorfinſaſſen unter Abſingung 
ihrer klangvollſten Hymnen bis zu meinem Schuppen begleiteten. 

ALS dann dort in meinem Hofraum die phantaftijchen Geftalten 
der Kulis und Hirten in ihren meißwollnen, faltigen Gewändern, 
die buntgeffeideten Tänzerinnen und beturbanten Mufifanten um 
das lodernde Feuer wogten, und als zu guter Let die Sängerinnen 
mit klirrendem Goldſchmuck und im Fackelſchein bligenden Nafen- 
ringen von heißer Liebesleidenfchaft überfließende Lieder unter ent: 
fprechendem Augenauffchlag zum beften gaben, während die um- 
liegenden Alpenzinnen vom Mondlicht verklärt fchienen, da mußte 
ich Doch angeſichts des fich über diefem Schaufpiel wölbenden indiſchen 
Sternenhimmels und eingedent der bei der Befteigung des Panſcha⸗ 
furi gefofteten Genüffe entzüct vor mich binflüftern: „Kühn war 
das Mühen, herrlich der Lohn!" — 


En nn 2 


Fünfzgehntes Kapitel. 
Eisfletterei am Götterthron Nauda Devi. 


U: nicht wieder durch das Gorithal thalabwärt3 wandern zu 
uU müffen, verjuchte ich, eine Uebergangsmöglichkeit über die 
y gewaltige Bergkette ausfindig zu machen, die die weftliche 
Seite des Milamgletjher3 begrenzt und die im Nanda Devi gipfelt. 

Ich merkte bald, daß ich für meine Fünftigen Bergbefteigungen 
in Milam noch weniger Geneigtheit für Trägerbienfte finden würde 
als vorher. Die Kulis, die mit mir auf dem Panſchakuri gemwefen 
waren und die ji) damit brüfteten, eigentlich feine Kulis zu fein, 
hatten, ebenfo wie der Schifar, fo abenteuerliche Dinge über die Zu— 
mutungen verbreitet, die ich an fie geftellt hätte, und der Schikar 
hatte jo ängftlich auf die möglichen Folgen meines Verzehrens von 
heifiger Rindszunge hingewiefen, daß der Bandit nur acht Hirten 
gewinnen konnte, als Lajtträger für meine nächfte Gebirgswandrung 
zu dienen, über deren Zweck und Biel ich zunächſt nur ganz 
unbeftimmte und harmloſe Andeutungen machte. 

Ich war überzeugt, daß es niemand wagen wirde, mit mir 
zu fommen, wenn ich offen verkündete, daß ich beabjichtigte, über 
eine der vergletjcherten Felsfcharten am gefürchteten Götterfig Nanda 
Devi zu klettern, um auf diefe Weiſe nach Weſten und in das Quell- 
gebiet des heiligen Gangesfluſſes zu gelangen. Ich ließ deshalb die 
Kulis Proviant für mindeftens vierzehn Tage, reichlich warme Deden 
und ihr beftes Schuhwerk einpaden, und dann nahm ich Abfchied von 





— 284 — 


meinen Freunden in Milam. Pandit Kriſchen Singh, den ich ins 
Vertrauen gezogen hatte, erklärte mein Vorhaben rundweg für un 
ausführbar, ſchon deshalb, weil die Kulis nach feiner Erfahrung 
nie dahin zu bringen fein würden, über die unbekannten Gletſcher 
zu gehn. - Ich vechnete jedoch auf den bereit erwachenden Ehrgeiz 
einiger diefer Leute und marfchierte nach dem Milamgletfcher ab; 
fünf Gepädlaften, für die fich feine Träger finden ließen, bat ih 
den Pandit, nad) Naini Tal fhaffen zu laſſen. 

Meine Begleiter, die wohl nur auf eine nochmalige Befteigung 
des Panſchakuri rechneten, waren fröhlich und ſchwatzhaft, bis ich in 
ein am Fuße des Milamgletfcherd von Weften ber einmündendes 
Felſenthal abſchwenkte; es war die nördlich vom Panſchuthal Liegende, 
von den Eingebornen Mongfchaputhal genannte Schlucht. Mit einem 
Schlage änderten fich die Mienen meiner Leute, und verdrießlich 
ftiegen fie mit mir eine faum Fenntliche Wegfpur empor, die an dem 
jäh herunterfhäumenden Mongſchapubach auf einem abjchüffigen 
Hirtenplaß endete. Ein widerwärtiger, blödfinniger Greis mit glatt- 
geihornem Schädel und ein um fo hübfchrer Hirtenbube, ein ent- 
züdend fehelmifcher Lodenkopf, hauften hier in einer kaum fichtbaren 
Steinhütte mit drei Dußend Ziegen; fie gerieten bei meiner Annähe- 
rung wie von Sinnen, besten fofort ihre fürchterlihen Hunde auf 
mid) und wurden nur mit großer Mühe von den mir nachleuchenden 
Kulis beſchwichtigt. 

Viel ſchlimmer aber war e3, daß die beiden Hirten meinen 
Begleitern von den Gefahren des obren Thalbodens eine jo entjegliche 
Schilderung entwarfen, daß diefe auf das beftimmitefte erklärten, nicht 
einen Schritt weiter mit mir gehn zu wollen; erſt durd) Verbopplung 
ihrer Löhne, die ohnehin ſchon das Vierfache der üblichen betrugen, 
vermochte ich fie zum Mitlommen zu bewegen. Der Rückblick auf 
die tief unten fihtbaren, von bunten Buchweizenfeldern umrahmten 
Steinhüttchen von Milam und den aus dem gejpaltnen Eisthore 
des Milamgletfchers ſchießenden Goribach war von diefem Hirtenplatz 


©. 284-285. 
Nördlicher Seitengletscher des Mongschapu-letschers, 
der in der Tiefe von lintz nad) rechts (Wert nad CN) zieht. 


Sie, Google 





— 285 — 


aus nicht weniger fefjelnd als der Anblick des Panſchakuri, von deſſen 
Höhe ich wenige Tage zuvor in diefe Schlucht hinuntergeblictt hatte. 

Mit unfäglicher Mühe trieb ich nun die Kulis Schritt für Schritt 
weftwärts in das Thal hinauf. Plöglich warfen fie mit ungeheurer 
Haft ihre Laften und fich felbft auf den Boden, denn in einer von 
Norden her zum Mongfchapugletfcher ftoßenden, ebenfalls mit einem 
ungeheuer zerflüfteten Gletſcher ausgefüllten Schlucht hatte fich eine 
Lawine abgelöft, die num al3 erfchredend anwachſende Mafje von 
Schnee, Eis und Steinen heruntergedonnert kam; ihr gar nicht enden- 
wollendes Getöfe Hang in diefem unheimlich ftillen und engen Alpenthal 
wahrhaft gräßlich. Bei diefen Leuten wurde aber der überwältigende 
Eindrud diefer für fie ja nicht aus wiſſenſchaftlichen Gründen erklär- 
baren Naturerfcheinung noch durch die Ueberzeugung gefteigert, daß 
die Gottheit felber diefes -Warnungszeichen gefendet hätte, damit 
wir nicht noch weiter über die geheimnisvolle vergletfcherte Schwelle 
dieſes Götterthronfaales fchritten, nicht noch länger auf die Eryftall- 
Haren Eisbrüche blicten, in denen. nach Anficht der Hindus nur 
die „Mädchen des Himmels“ ihre grenzenlofe Schönheit wie in einem 
Spiegel befchauen dürfen. 

Um meinen grimmigen Unmut über die verzagten und jedes 
Weitergehn vermeigernden Kulis loszuwerden, Hetterte ich allein an 
der Moräne vorwärts und entdedte nad) einer Stunde zu meiner 
Freude am Fuße des Gletfcherfalls einen winzigen Quell ausgezeichneten 
Trinkwaſſers, den ich durch Losbrechen einiger Steine zu einem 
Heinen Becken erweiterte. Nun hatte ich wenigſtens einen triftigen 
Grund, die Kulis das Zelt noch bis hierher fehleppen zu laſſen, 
wo fie mir mit gradezu unheimlich drohenden Mienen halfen, die 
beiden Haltpflöcte des Zeltſeils in den Boden zu treiben; e8 war 
das wegen des dichten Steingerölls feine leichte Sache. Dieſe nichts 
Gutes verkündenden Mienen machten mich noch beforgter als das 
unaufhörliche, aus dem Innen der Eismaffen des Gletjcher3 hervor: 
tönende Krachen, untermifcht mit fabelhaften, nie gehörten, Tang- 





— 286 — 


gezognen, heulenden, knarrenden Tönen, die ich in dieſer Art noch 
auf keinem Gletſcher gehört hatte. Das Zeltchen ſtand wirklich an 
einem recht gefährdeten Platz, denn häufig genug kam ein mehr oder 
weniger großer Stein den Eisfall herunter, und auch da3 Nieder: 
gehn von Lawinen war an diefer Stelle zu befürchten. Mir blieb 
aber feine Wahl, denn die Kulis rührten feine Hand mehr, rüd- 
wärts wollte ich nicht, und nad) Weiten fehien die ungeheure Wand 
des Gletjcherfall3 jedem Vorbringen Halt zu gebieten. Trotzdem 
war ich entichloffen, das Aeußerſte zu verfuchen, um das Erfteigen 
diefer Eiswand durchzufegen. 

Um über das geeignetfte Mittel, die Kulis weiter zu treiben, 
nachzugrübeln, fuchte ic) mir auf der Seitenmoräne des fich zur 
Rechten abzmweigenden Hauptgletfchers ein von dem geräufchnollen 
Schwaßen der Kulis entferntes Plätzchen, wo ich mich in die Be 
trachtung des großartigen Gletſcherzirkus verſenkte. Allerdings ver- 
mißte ich den Anblict des Nanda Devi, den ich in der Richtung des 
Thalſchluſſes erwartet hatte. Statt deſſen fah ich dort oberhalb des 
Gletſcherbruchs die rechte Seite eines prachtvollen, weißgetigerten 
Felsdomes zum Vorſchein fommen, der mir zunächft nicht geringes 
Kopfzerbrechen machte. 

Ich hatte diefen herrlichen Gipfel vom Panſchakuri aus nicht 
bemerken können, weil er dort durch eine gewaltige Felsnafe des 
Rückens verdect geweſen war, der die Mongſchapuſchlucht von ihrem 
nördlihen Nachbarthal trennt; außerdem hatte grade an dieſem 
Gipfel jene Woltenanfammlung ftattgefunden, deren Ueberhandnehmen 
mid), wie ſich der geduldige Leſer vielleicht noch erinnern wird, zur 
ſchleunigen Aufnahme de3 Panoramas angefpornt hatte. Der Nanda 
Devi erhebt fi aber nicht wie der Nanda Kot unmittelbar aus dem 
fortlaufenden. Kamm, von dem fi) alle die Seitenäjte abjpalten, 
zwifchen denen die fieben ſekundären Gletfcher des Milamgletjchers 
liegen, fondern ſteht als aus diefer Flucht nach Weften vorgefchobner 
Pfeiler etwas hinter dem Längskamme. Trotz der viel beträcht- 


©. 286-87. 
Der untre Eisfall des Mongschapu-Gletschers. 


Google 








licheren Höhe des Nanda Devi fing diefer mich überrajchende Zmwifchen- 
gipfel, den die Kulis Mongſchapu nannten, den Blick auf den Nanda 
Devi auf, weil ich diefem ſchon zu nahe ftand. In dem untren 
Teil des Mongichaputhales hatte aber der Nanda Devi nicht in der 
Geſichtslinie gelegen, weil diefer untre Teil ein wenig nad) Süden 


Panschuthal 











494951979 WON 











Nanda Deri 


f 
N 
| 


Mengschapu 
— gebogen iſt; bei dem be= 
trächtlichen Abjtand, den 
ich auf dem Panſchakuri 
gehabt hatte, war natür- 
—e nie lich der Nanda Devi hin- 
ter und über dem Längs- 
grate in al feiner Majeftät fichtbar geweſen. Die beifolgenden 
Skizzen im Querfchnitt und Aufriß werden das Gefagte vielleicht ein 
wenig deutlicher machen. 
Ich halte mich hierbei fo lange auf, weil dies Beifpiel recht 
Mar zeigt, wie man im Hochgebirge durch Gipfelverwechslungen 
irregeführt werden kann und wie man felbft ganz nahe, hohe Gipfel 
zeitweiſe gar nicht zu Gefichte befommt. Freilich hatte ich nicht wohl 





‚A 


— 28 — 


annehmen können, daß der Längsgrat oder Hauptlamm ſich grade 
an biefer bei,der Relognoscierung vom Panſchakuri aus verdedt 
geweinen Stelle zu einem fo ftattlichen Gipfel erheben würde. 

Die Moräne war an ihrem untren Ende mit allmählich immer 
winziger werdendem Wacholder und Rhododendrongebüfch bewachien 
gewefen. Hier oben aber fugten ftatt Strauchwerks nur noch zierliche 
Edelweißpflänzchen zwifchen dem Moränenfchutt hervor, und zugleid 
gewahrte ich Spuren von Steinböden, fo daß ich mich behutſam 
binter einen großen Stein verftedtte, um vielleicht eins dieſer eblen 
Tiere zu Geficht zu befommen. An das Erlegen eines ſolchen konnte 
ich nicht denfen, denn das Gewehr hatte ich als überaus Läftigen 
Ballaft dem Schikar überlafjen, der es in der That nur fehr felten 
erfolgreich zu Jagdzwecken verwendete, und. andrerfeit8 war ih 
nicht ganz frei von der Befürchtung, doch vielleicht einmal in ber 
Aufregung über unfolgfame Kulis, unter dem Einfluß der oft 
gradezu finnverwirrend ftechenden indifchen Sonne, aus der üblichen 
Drohung bittren Ernft zu machen und den Rädelsführern durch ein 
paar Schrote auf die Beine zu helfen. Zur Jagd war ich auch 
gar nicht ausgezogen, denn diefer Tann man fi) im Himalaja nicht 
gut gleichzeitig mit andren Zweden hingeben. 

Während des Herumfpähens hörte ich, etwa zwanzig Meter hinter 
mir, ein Geräuſch und fah auch dort etwas Geröllfhutt Iangfam an 
der Moräne herunterriefeln. Als Urſache erblickte ich grade noch einen 
zufammengebuctten weißen Schneeleoparden, der eben davonfchleichen 
wollte und alsbald zwifchen den Felsblöden verfchwand. Ich war 
fo erfreut über den wunderbaren, feltnen Anblid, daß ich zunächſt 
gar nicht an die Möglichkeit dachte, das Raubtier könne einen hinter: 
liftigen Angriff auf mich unbewaffneten Einfamen beabfichtigt haben. 

Da e3 bereit3 dunfelte, und die Dämmerung in Indien nur 
von ſehr furzer Dauer zu fein pflegt, machte ich mich fchleunigft auf 
den Rückweg nad) dem Zelte; die Nachbarfchaft ungegähmter Leos 
parben war mir noch etwas neu, und ich hatte viel mehr Appetit 


— 280 — 


auf eine Büchſe Irish Stew als auf einen Ringkampf mit einer 
ſchönen Beftie. 

Am nähften Morgen griff ich zu einer Kriegslift. Sch hatte 
bemerkt, daß fi) von meinen acht Kulis befonder3 drei als auf- 
fäffige Rädelsführer auszeichneten und die andren aufheßten, Zelt 
und Gepäd nicht mehr weiter, das heißt über den Gletfcher zu dem 
Thalſchluß hinaufzubefördern. Ich ließ deshalb das Zelt vorläufig 
ruhig ftehn und ſchickte diefe drei böartigften Kulis zum Holzholen 
thalab. Die andren fünf aber nahm ich mit ganz leichten Laſten 
mit mir, um fie auf einem Aufklärungsmarſche von der übertriebnen 
Angſt vor dem Gletſcher zu erlöfen, und dann fpäter mit der ganzen 
Karawane den dabei für gut befundnen, auch wohl durch Stufen- 
ſchlagen bereits etwas vorbereiteten Weg nochmals zu machen und 
bis ans Ziel zu verfolgen. 

Herrlich glühte der prachtvolle Kegel des Nanda Kot im Früh: 
licht, als ic) meine Kulis durch die Verfihrung, daß wir abends 
wieder zum Lagerplatz zurüdfehren würden, zum Betreten des 
Gletſchers bewog. Die Zerflüftung des Gletichereifes ftellte aller- 
dings an die Gewandtheit der Leute hohe Anfordrungen, denen fie 
aber unter Hanfens Beiftand zu meiner Freude entfpracdhen. Dann 
ging es fteil und mühevoll in der Schutthalde hinauf, die den djt- 
lichen Rand des obren, überaus wilden Gletfherurfprungs begrenzt. 
Je höher ich fieg, um fo föftlicher wurden die Rückblicke in 
der Richtung nad) Milam, wo die edle Firnfpige Kolkang, rechts 
davon die zerfeßten Felsmafjen des Otſchkuri und links der maffige 
Biltat ſich vorfchoben. Ganz nahe aber drohten mir hier die finjtren 
Felswände des fteilen Thalfchlufjes entgegen, die durch weiße Schnee: 
flesten doppelt furchtbar erjchienen. 

War es au in dem lojen Geröll nicht leicht geweſen, die 
Kulis der von ihnen jo jehr gefürchteten Paßhöhe zuzutreiben, fo 
vermehrte fich ihr Widerftand noch, als wir nad; Erreichen der 


Scharte, aus der dieſes Trümmerfeld hinunterführte, uns fogar 
Boed, Indiſche Gletjäerfahrten. 19 


— 290 — 


gezwungen ſahn, die Steigeiſen und das Seil anzulegen, um den 
ſich hier oben zeigenden ungeheuren und ebenfalls erſchreckend zer- 
klüfteten und mit Neuſchnee bedeckten Gletſcher zu überſchreiten; 
meine Abſicht war, auf ſeinem jenſeitigen Rande bis zur Höhe dieſes 
Sporns des Nanda Devi-Maſſivs vorzudringen und meine Aufgabe 
für die kommenden Tage feſtzuſtellen. Dieſe von mir auf dem 
Titel-Banorama mit K bezeichnete Stelle des Gletſchers leuchtet Hell 
über die Nord- 
flanke des 
Mongſchapu⸗ 
thales herüber. 

Von den 
höheren Teilen 
dieſes wilden 
Gletſcherzirkus 
ſtürzten aufjäl- 
lig viel Schnee⸗ 
lawinen herun⸗ 
ter, und da die 
Mittagsſtunde 
ſchon vorüber 
war, erhoben 
ſich bereits hier 
und da kleine 
Wölkchen, die in raſchem Wachstum zuerſt als unſtet flatternde 
Fetzen hin und her zogen, dann aber als wogende, jagende Ballen 
umhertoſten und der großartigen Scenerie den Anſtrich grauſigſter 
Wildheit verliehen. 

Die Kulis hatten ſich inzwifchen recht fonderbar gegen den Schnee- 
glanz zu fehügen gefucht; fie hatten ihren Schopf langer Haare auf 
gelöft, die fie jonft unter dem Turban verſteckt als einen zufammen: 
gedrehten Knoten trugen und breiteten fie nun als einen ſchwarzen 


Evalte im Mongibapu-Oletiwer. 


©. 2909-91. 
Der obre Eisfall des Mongschapu-Gletschers. 


Sie, Google 








— 291 — 


Schleier vor dem Geſicht auseinander. Alles Anſpornen, Bitten 
und Drohen erwies ſich aber vergeblich; die in der That ganz er« 
bärmlich angegriffnen Kulis warfen ſich mit jämmerlichem Wehllagen 
in dem Schnee oder am Öletjcherrande nieder und waren durch fein 
Mittel, felbft nicht durch verſchwenderiſche Belohnungszuſichrung, 
zum Weitergehn zu bewegen, befonder3 nachdem der eine das Un- 
glück gehabt hatte, von einem Steinfchlage getroffen und dadurch be— 
täubt zu werden. 

So ftieg ich denn mit dem Tiroler zufammengefeilt noch etwa 

drei Stunden Höher und Höher; ich fühlte, daß ich meine Abficht auf 
diefem Wege ſchwerlich erreichen könne, wollte mir aber doch ben Genuß 
nicht verfagen, diefe wahrhaft erhabne, weltferne Gletſchereinſamkeit 
in ihrer ganzen ftummen und doch fo unendlich beredten Sprache 
auf mich wirken zu laſſen, wollte das wonnige Kraftgefühl auskoſten, 
das jedem Alpenfteiger als ſchönſter Lohn für freiwillig erbuldete 
Plagen und vergofine Schweißtropfen befchert zu werden pflegt. 

Doch dichter und dichter wurden die trägen Nebelmafjen, immer 
dicker, ſchwerer und ſchwärzer klebten fie fih an die wilden Fels— 
mauern ringsum. Es war Klar, daß ich, zumal bei der vorgerüdten 
Nachmittagaftunde, ohne Zelt, Schlaffäce und Proviant nicht auch 
noch an eine weitre Fortfegung unfres Aletterns jenfeit3 der höchiten 
Schneide diefes etwa 20000 Fuß (6100 m) hohen Grates denken 
durfte, fondern die3 auf einen fpätren Tag verfchieben mußte; diefe 
von mir erreichte höchfte Gratftelle liegt auf dem Panorama bei U. 
Beim Abftieg ſchnob mir der Sturm eißfalt entgegen, und ich war 
froh, ein mäßig geneigtes Schneefeld anzutreffen, auf dem wir Halt 
genug fanden, um mit Hilfe des Schnellfieders in aller Eile eine 
ftärfende Erbsſuppe kochen zu können. 

Hier ftießen Tau die treulofen Kulis wieder zu uns, die in- 
zwiſchen tiefer unten einen beträchtlichen Vorrat eines weißen, von 
ihnen Negesdaro genannten Mooſes zum Stopfen ihrer Pfeifen ge- 
jammelt hatten, ein Kraut, daS ber Tiroler mit feinen heimifchen 


292 — 


„Geißftrauben" verglich, und ich konnte ihnen die Verwundrung 
an den Augen ablefen, daß uns Parbati, die fchlimme Göttin der 
Berge, mit Heiler Haut aus ihrem Hochrevier entlafjen hatte; 
mit tüdifchen, unheildrohenden Blicken ftiegen fie mit mir zum 
Biwak ab. 

AL nun am nächjften Tage die Wandrung gemeinfchaftlich mit 
allen Leuten und Sachen wiederholt und fortgefegt werden jollte, 
fpielte fich eine jener fatalen, unvermeiblichen Scenen ab, über die 
jeder Neifende im Himalaja ſtets die begründetfte Urfache haben 
wird zu Magen. Zunächit fehügten die geftern kaum belaftet mit- 
gegangnen Kulis Leiden und Verlegungen aller Art vor und 
weigerten wiederum auf das entjchiedenfte jeden Fortgang, dann aber 
warfen fich die andren drei handfeften Kerle mit den jämmerlichiten 
Bittgebärden zur Erde und beſchworen mich, nicht auch ihr Leben 
aufs Spiel zu ſetzen. Was halfen da Drohungen, Bitten und Ver— 
mittlungsvorfchläge! Selbft mit Anmendung brutaliter Gewalt 
hätte fich höchftens ein ganz vorübergehender Erfolg erzielen laſſen, 
denn wenn bei diefen Leuten die allmächtige Rupie wirkungslos bleibt, 
dann kann man auc) getroft Revolver oder Peitſche als nußlos im 
Gürtel ſtecken laſſen, die doc) fonft recht bewährte Drohungsmittel 
beim Rulitreiben zu fein pflegen. 

Es war Mar, daß ich mit folchen Begleitern, noch dazu 
bei fo ungünftigen Schneeverhältniffen, niemal® den erwünſchten 
Uebergang erzwingen würde; vielleicht war diefe Unmöglichkeit aber 
mein Glüd, denn der Nachmittag brachte wirklich ganz furchtbares 
Wetter in der Höhe, und die Träger hatten dies doc) vielleicht vichtig 
im voraus gefpürt. Unter diefen Umftänden hielt ich es für das 
Lohnendfte, die fünf geftern benußten aber dadurch bereits vollftändig 
erſchöpften Leute mit dem Gepäd nah Milam zurückzuſchicken und 
mit den drei frifcheren Kulis den auf der andren, das heißt füd- 
lichen Seite zwifchen unfrem Mongfchaputhale und dem Panſchuthale 
liegenden Bergrücen zu überklettern und fo nad) Milam zurüczufehren. 





— 293 — 


Es wurde dies eine zuerjt auf weichem Moosboden leidlich bequeme, 
ichfießlich aber wegen der ſcharfen Schieferfplitter der in unzählige 
Scharten zerfägten Schneide ganz unglaublich beſchwerliche Wan- 
derung. Dieſen Rüden verfolgte ich einige Stunden bergauf, um 
einen möglichft nahen Anblid des im Thalſchluß des Panſchuthales 
aufragenden circa 7320 m hohen Nanda Kot zu gewinnen. Aller- 
dings wurde diefer erhoffte Anblic durch bald auffteigende Wolfen- 
maſſen faft beftändig verhüllt, doch um fo eindrudsvoller war das 
ganz unvermutete Erſcheinen einzelner feiner jähen Abftürze und 
furdtbaren, überhängenden Ranzen, wenn bie feit in feine Schlünde 

- und auf feinen Scheitel gepappten Nebeltlumpen in neckiſch aufregendem 
Wogen fich für einige kurze Gefunden zerteilten, um ſich dann wieder 
für geraume Zeit dicht zu verfchließen. Dabei deuteten alle Anzeichen 
abermals auf heranziehendes Unwetter, und die Sonne ſtach in faum 
noch) erträglicher Weife. 

Auch die anfänglid) völlig reine, umfaffende Umfchau, die fich 
auf diefem hohen Panſchugrat nad Dften Hin bot, das heißt bis nad) 
den Schneegebirgen Tibet3 und nad) den wenige Wochen zuvor von 
der andren Seite, nämlich aus dem Pindargleticherthale und vom 
Schonſchal aus gefehnen abgefchrägten Gipfeln des Nanda Kat und 
feiner Nachbarn, fowie auf ben Fürzlich beftiegnen Banfchakuri und 
feine Umgebung fing nun ebenfall3 an, fich mit düfteen, ſchwarzen oder 
bfeigrauen Wolkenmaſſen zu füllen. Ich nahm deshalb den Abftieg 
zu dem in der Tiefe faft fenkrecht zu meinen Füßen erfcheinenden 
langgeſtreckten Panſchugletſcherboden in Angriff, zu dem von dem 
füdlichen Hange zahlreiche ſchmutzige Schnee- und Eismaffen hinab: 
zogen. Meine felbftgefliten Bergſchuhe konnten aber hierbei nicht 
auf die Dauer den maffenhaften meſſerſcharfen Schieferfcherben 
widerftehen, und fo wurde das an und für fich höchfte Vorficht und 
Ruhe erheifchende Abfteigen nicht nur von Schmerzen, fondern auch 
von einigen zum Glück nicht ſehr folgenfchweren Stürzen begleitet. 
Am fatalften war mir hierbei der Mangel meines brauchbaren Alpen- 





m — 


ſtocks, und ich kann etwaigen Nachfolgern wirklich nicht dringend genug 
taten, außer dem Eispidel die zum Fortlommen über die Bäche 
ganz unerläßlichen Vergftöde in mehrfacher Auflage aus den euro- 
päifhen Alpen mitzubringen; was in den Hügelftationen an Berg- 
ſtöcken feilgeboten wird, find zwar fehr hübfch verzierte Kofettier- 
ftöcihen aus Bambus, die aber gar feinen praftifchen Wert haben. 

Auf diefem in der Gewitterſchwüle doppelt bejchwerlichen Nieder- 
ftieg zu dem gerölfbedecten Panſchugletſcherboden fand fich nirgends 
ein Waffer, „das an’ Wurm hatte“, wie ber Tiroler Elagte, und 
auch die fteilen, glatten, mit verdorrten Gräfern bewachſnen Abhänge, 
die unterhalb der Schieferflippenregion durchkreuzt werden mußten, 
konnten wahrlich Teine Erleichterung des Marfches genannt werden, 
obgleich die dort in ganz erftaunlicher Menge wuchernden Edelweiß- 
pflanzen einen merkwürdig anregenden Eindrud hervorbrachten. 
Neben dem ranfenartigen Leontopodium Himalajanum fand fi 
bier auch unfer L. alpinum. Sehr betrübend ift es für mich, von 
den in den Hochregionen gelegentlich gefammelten Pflanzen, Inſekten 
und Schmetterlingen nur wenige wohlerhaltne Stüde aus den zer- 
ftörenden Einflüffen der heißen Regenzeit gerettet zu haben; dieſe 
verfchiednen Edelweißarten, darunter ſolche mit meterlangem Stengel, 
haben fich jedoch ganz vortrefflich erhalten. 

Schließlich gelangten wir zu einem, verlafinen Weideplag und 
auf den Gletfcherboden, der einen in feiner Furchtbarkeit faft be 
drüdenden Rückblick auf die nahe Niefenkuppel des Nanda Kot 
gewährte. Ihr ganz frifches Schneelleid zeigte mir, was für Ent- 
ladungen dort oben in den geftrigen Nachmittagsftunden gemitet 
haben mußten, fo daß ich ohne allzu Iebhaftes Bedauern über den 
veränderten Verlauf meines Vorhabens auf dem unzählbar oft durch 
Schlamm und Steinrutfhe unterbrochnen und dadurch kaum gang- 
baren Hirtenpfad durch die Panſchuſchlucht munter thalabwärts 
fletterte und über diefem anregenden Abftieg fogar meinen Groll auf 
die Kulis vergaß. Wer jedoch nicht fo hurtig „umzufatteln“ ver- 








— 295 — 


mag, ſondern der Gewohnheit fröhnt, ſich nachträglich i 
Dinge zu ärgern, der bleibe behutſamſt aus dem Himo 
müßte an der Gelbfucht fterben! \ 

Ehe der Panſchubach in den Gori fällt, treibt fein 
zu den Heinen Sommerdörfern Ganagarh und Panſ 
Mahfmühlen, Heine Blodhäufer, in denen durch eine 
Kurbelüberjegung eine horizontale Schieferjcheibe über 
gedreht wird. Die dabei hodenden Weiber, mit mäı 
tüchern und maffenhaftem Schmucbehang und natürl 
dem nie fehlenden ungeheuren Nafenring verziert, ent! 
wie die am Ufer befchäftigten jungen und hübſchen 
mit allen Anzeichen äußerfter Angit, als wir zu ihne 
wie der Tiroler fagte, „derfeßten und derpirſchten“ Ge: 
mit unſren neben den zierlichen Bhotijas beinah rie| 
ſcheinungen aus einer Gegend niedergeftiegen kamen, die 
furhtbaren Gottheiten betreten gilt. 

In Milam felbft wurde ich auf den Bericht dei 
unfre, mir gar nicht jonderlich hervorragend vorfommeı 
einer an Ehrfurcht grenzenden Bewunderung begrüßt. 

Der Schuppen, in dem ich bereit früher in Milam 
gefunden hatte, mar inzwifchen von einigen mit Ajche bi 
in orangefarbene Umfchlagetücher gehüllten Büßern 
genommen worden. Diefe waren aus dem fernen S 
nah Milam gepilgert, um Kadſchi Wadſchi, dem 
Helden einer meitverbreiteten Legende gemordnen 
einjiedfer am Götterthron Nanda Devi und feinem 
berühmten zahmen Hirſch ihre Huldigung darzubringen 
ich denn mein Zelt wieder inmitten des Dorfes auf. 

Meine wichtigfte Aufgabe war, den zerrifinen Vers 
herzurichten. Meinen eignen Schuhflicerfünften traute i 
fo vecht, und deshalb mußte der Dorfichufter fein H 
Unter des Tirolers und meiner Obhut nähte er mi 


— 296 — 


einem langen Lederjtreifen gefchnittnen Faden einen handgroßen Flicken 
weißes Schafleber feft über das Lee, den er dann auf der Schub: 
ſohle mit Nägeln, die Hans vorforglich mitgebracht hatte, befeftigte. 
Es ſah allerdings nicht grade fehr elegant aus, aber ich wollte 
damit ja auch nicht zu einem the dansant gehen. 

Die männlichen Bewohner Milams machten einen großen Bogen, 
ſobald fie mich kommen fahn; es hatte niemand mehr Luft, von 
mir zu Kulidienften überredet zu werden, weil die bisher mit mir 
gegangnen Träger in fo übertriebner Weife von den fürchterlichen 
und ungeheuren Gejahren renommiert hatten, die jie mit uns hätten 
durchmachen müffen, daß es ein Wunder geweſen wäre, wenn fie 
ſich geneigter gezeigt hätten. 

Durch folgenden, fcheinbar fehr merkwürdigen, wenngleich recht 
geringfügigen Zufall verloren zum Glück meine Beftrebungen, zu 
dem geheiligten Bezirk des ewigen Schnees vorzudringen, in den 
Augen der Leute den Anfchein des Frevelhaften, fonft hätte ich wohl 
fpäter auch nicht einen einzigen neuen Begleiter gewonnen. 

Der Sanyafji Kadſchi Wadfchi, der nackte Klauſsner, war nämlich 
an einem Sindufefttage mit feinem Hirſch ins Dorf Milam herunter: 
gekommen, um den Hirten einen Beſuch abzuftatten. Er mußte dabei 
unmitlelbar an meinem Zelte vorbei, und ich unterließ nicht, ein 
paar Zmwergebelweiße vom Hut zu nehmen, die ich auf dem Panfcha: 
furigipfel gepflückt hatte, und fie dem Klausner vefpektvoll zu über: 
reihen. Schon diefe harmloje Huldigung machte einen vorzüglichen 
Eindrud auf die Einwohner. Inzwiſchen aber hatte der Hirſch ber 
ftändig vor der Thür meines Zeltes herumgeleckt und jehien fich zum 
alfgemeinften Erftaunen dort jo wohl zu fühlen, daß er nur durch Teife 
Gemwaltanwendung von feiten des Heren Kadſchi Wadſchi zum Weiter: 
gehn zu bewegen war. Konnte e8 für die abergläubijchen Hirten 
einen bejjren Beweis geben, daß ich ein den Hindugöttern wohl- 
gefälliger, bußfertiger Pilgrim war? Daß Hans unfre Salzdofe vor 
dem Zelt umgeftoßen hatte und der Hirfch ſich an den Salzkrümchen 


€. 290-91. 
Aussicht vom Panscugrat nach Südwesten. 
Waft meiner Rule, 


Sie, Google 





— 297° — 


gütfich that, konnten fie ja nicht ahnen. Mit faſt andächtiger Be 
mundrung blidten von diefem Augenblicke an manche Milamer zu 
mie empor und mußten fichtlich nicht mehr recht, was fie auß mir 
machen follten; jedenfalls jchien ihnen allmählich ar zu werden, 
da ich mit ihren Berggöttern und deren Werkzeugen, zu denen 
ſchließlich doch auch der fahelhafte Hirſch gehörte, in alferbeitem Ein- 
vernehmen ftünde. Selbſt das weibliche Gefchlecht ließ fich von nun an 
ohne Scheu vor mir fehn, und aus manchem freundlichen Blick glaube 
ich fogar fchließen zu dürfen, daß ich in diefem Bergdorf gar nicht 
ſchlecht gebettet gewefen fein würde, wenn ic) eines ſchönen Tages 
erklärt hätte, mein Leben unter diefen einfachen, ehrlichen Leuten 
als ftillvergnügter, brahminifcher Mitbürger befchließen zu mollen. 

AB ich zu Pandit Krifchen Singh, einem der aufgeflärteften 
Hindus, die ich je kennen gelernt habe, gelegentlich äußerte, daß 
fold ein Klausner wie Herr Kadſchi Wadſchi doch eigentlich ein 
ganz angenehmes und forgenlofes Leben führe, erzählte er mir lächelnd, 
daß er bereits einen Europäer kenne, der ganz nad) Art eines folchen 
Büßers in der Nähe‘ von Simla auf einem Hügel inmitten einer 
Affenherde haufe, die von den dortigen Hindus in einer Tempel- 
tuine gefüttert werde. Diefer habe es fchließlich dahin gebracht, daß 
ihn die Affen als ein befonders begabtes Mitglied ihrer eignen Sipp- 
ſchaſt, fozufagen als ihren König betrachteten und ihm alle Ehren 
eines folchen erwieſen, daS heißt die beften Lederbiffen zufommen 
ließen. Der Pandit wollte ſich mit diefer Bemerkung nicht etwa 
über den Darwinismus Iuftig machen, wie ich zuetft argwöhnte, fondern 
& wurde mir fpäter amtlich bejtätigt, daß dort thatjächlich ein der- 
artiger fpleeniger Sonderling Namens William de Rouffette exiftiert 
babe, defjen fteuerfreie Sommermwohnung aber auf die Dauer nicht 
die Gegenliebe der hohen Polizei in Simla zu erwecken vermochte, 
fondern ihrem Bewohner eine Strafe wegen Vagabundage eintrug. 

Ueberhaupt bot mir jede Unterhaltung mit dem Pandit viel 
Neues. Am Tiebiten hörte ich ihn über feine Reifen in Tibet und 





— 298 — 


von feinen Bejuchen in Lhafa beim Dalai Lama — oder genauer 
gefchrieben Teleh Lama — erzählen. Er konnte dann recht ärgerlich 
über die Ammenmärchen werden, die über die angebliche Graufam- 
feit diefer Perfonifilation Buddhas von Senfationzlüfternen aus: 
geiprengt würden. Der übliche Vergleich dieſes Dalai Lamas mit dem 
„Papſte der Buddhiſten“ ift, mebenbei gejagt, ſchon deshalb nicht 
zutreffend, weil ja jeder Dalai Lama beim Heranwachſen durch 
ein andres Knäblein erſetzt und dadurch in fcheinbar ewigem Kindes: 
alter erhalten wird. 

Ich war überrafcht zu hören, daß die Vegetation bei Lhſaa, 
da3 an 100000 Einwohner haben foll, von denen jedoch mehr als 
die Hälfte aus Lamaprieftern bejteht, troß der hohen Lage von 
11910 Fuß (3630 m) noch ſchöne Gemüfe- und Vlumengärten und 
Alleen von Aprilofenbäumen bietet, wie-folche zum Beifpiel zu dem 
vergoldeten, eine Meile vor der Stadt liegenden Tempelpalaft des 
Dalai Lamas führen follen und zwar vorbei an Häufern, deren 
Wände völlig aus ſchwarzen und meißen Hörnern von geopferten 
Schafen, Biegen und Yaks zufammengefchichtet find. 

Ich erwähne hier nur das Wenige, was ich damals in meinen 
Tagebüchern in Bezug auf die Tibetaner und Lhafa niederzufchreiben 
Gelegenheit hatte. Alles, was ich erft neuerdings, befonder3 auf meiner 
Reife in Nepal im Winter 1898 zu 99 fiber Tibet beobachtete ober in 
Erfahrung brachte, werde ich in der Schilderung diefer nepalifchen Reife 
vorbringen. Als Rekord-Kurioſum will ich noch hinzufügen, daß 
es im Jahre 1898 einer Fühnen Dame, die ich auch in Dardſchiling 
zu ſehn den Vorzug Hatte, geglückt ift, durch den Sikhim-Himalaja 
und durch Tibet bis an die Thore Lhaſas vorzudringen, wie 8 — 
abgefehn von ältren Zeiten, in denen Lhaſa auch verhäftnismäßig 
oft von europäifchen Reifenden und Miffionaren befucht werben 
konnte — im Jahre 1890 dem machen franzöfifchen Pamier- 
teifenden Vonvalet gelang, dem Führer der großartigen Tibet-Durch⸗ 
querungs-Erpedition de3 Prinzen Heinrich von Orleans. Auch 





— 299 


der heroiſchen, erfolgreichen Durchquerung Tibets von Nord nad 
Süd durch Dr. Thorold und Kapitän Bower im Jahre 1892 möchte 
ich bier gedenken, denn alle diefe heldenmütigen Reifen find dem 
größten Publitum nicht nach Verdienft befannt geworden; deshalb 
will ich aud) den Namen der vorhin erwähnten Dame, einer englifchen 
Miffionarin, nicht verfchweigen, fie Heißt Mit Annie R. Taylor. 
Meine Befuche in der Wohnung de3 Pandit8 waren ungemein 
lehrreich für mich. Er zeigte mir nicht nur die Auszeichnungen, die 
ihm für feine Reifeleiftungen von vielen gelehrten Gefellichaften ver- 
ehrt worden waren, darunter eine Medaille der Pariſer Akademie 
und einen goldnen, ihm von der Royal Geographical Society ge: 
ftifteten Chronometer, fondern auch höchſt wertvolle, von Tibetern 
gezeichnete Karten und faſt künſtleriſch gemalte Bilder aus Tibet. 
An der Wand feines Zimmers lebte eine Ueberſichtskarte aller 
geheimen, von ihm und andren indifchen Pandits für die englifch- 
indifche Vermefjungsbehörde ausgeführten Reifen. Beſonders inter- 
effierten mich auf diefer die Forſchungsreiſen des Pandit Nain 
Singh, der 1862 den Brahmaputra von den Quellen bis 
Lhaſa ftudierte, aber bald darauf von einem noch erfolgreicheren 
indiſchen Pandit übertrumpft wurde, der in den Jahren 1865 und 
1866 unter thatfächlichen Gefahren und verkleidet Südtibet von den 
Manfaraurfeen und den Quellen des Brahmaputra bis bin nad) 
Lhaſa durch Kompaßpeilungen und afteonomifche Beftimmungen ver- 
meffen und fartographifch dargeftellt hat. Der Pandit löſte fogar 
diefe Karte von der Wand und verehrte fie mir; ich bewahre fie 
noch heute als wertvolles Andenken, zufammen mit einem genauen 
Plane von Lhaſa und feiner Umgebung. " 
Bei diefer Gelegenheit machte mich der Pandit auf die Schil- 
derung der Reife dieſes bewundernswerten Indiers Nain Singh auf für 
ihn „verbotnen Wegen“ aufmerkfam, die wohl nur jehr wenig befannt 
iſt. Sie führt den Titel: Report on the Trans-Himalajan Explora- 
tions during 1865—67, drawn up by Captain T. G. Montgomerie, 





— 30 — 


R. E. 4°, 96 pp. Dehra Dovn 1867. Seine verhältnismäßig vor: 
zügliche Karte, die die früheren Annahmen betreffs de3 Brahma- 
putralaufes und feiner Quellen richtig ftellte, liegt ebenfalls gedrudt 
vor, fie heißt: Route Survey from British India into Great Tibet 
through the Lhasa Territories, and along the upper course of 
tbe Brabmaputra River or Nari-chu-sangpo, made by Pandit 
N. N. and compiled from the original materials by Captain T. G. 
Montgomerie, R. E. Dehra Dovn 1867. Diefer gewiſſenhafte Forfcher 
läßt dort auch den auf die Trennung des Manfaraurfee vom Rakus 
Tal bezüglichen Beobachtungen des englifchen Tibetreifenden E. €. 
Ryall ſowie den Beobachtungen von Gapt. H. Strachey Ge 
rechtigkeit widerfahren, ebenfo denen von Mooreroft, der fchon im 
Jahre 1812 Tibet und die beiden Manfaraurfeen befucht hat. 

Doc dies fei genug Über Tibet, das ja Verfaffer von Räuber: 
gefchichten für Kinder gern als ein Land Hinftellen, das noch „nie von 
Europäern“ betreten wurde, und deffen Landkarten nur mit Hilfe von 
eignem Blut und eignen Knochenfplittern gezeichnet werben können. 

In Milam ſtand mir zu guter Lebt noch) eine böfe Ueberraſchung 
bevor. Schon aus Dardichiling hatte ich einem Vertrauensmann in 
Kalkutta Geld angewieſen und gebeten, mir eine Kiſte voll Fleiſch- 
konſerven und ein Fläſchchen Saucenefjenz, oder deutſch: „Tunken— 
auszug” und die erforderlichen Karten von Garhmwal, koſte es was es 
wolle, durch befondre Kulis nach Milam zu ſchicken. Die Kiſte fam 
auch an, doch was enthielt fie? Nichts als ſcharfe „Worcefterfauce” 
und eine einzige Büchſe voll Corned beef! Die Karten aber jeien 
nad) der Verficherung des Geological Survey ganz out of print, 
das heißt vergriffen. 

Auch meine indifchen Geldforten im Betrage von etwa taufend 
Mark, die ic) aus Almora mitgenommen hatte, waren allmählich bis 
auf einen ziemlich unbebdeutenden Reſt verausgabt worden. Sch bat 
deshalb den Pandit, mir einen Beutel mit hundert Pfund Sterling gegen 
indifche Rupien umwechſeln zu laſſen, aber mit der ruhigften Miene 


— 301 — 


von der Welt erklärte er mir, daß dies hier oben in Milam, wo 
nur Tauſchhandel mit Tibet getrieben würde, ein Ding der Unmög- 
lichkeit fei. Zum Beweiſe ließ er die angefehenften Bervohner Milams 
zu mir ins Zelt kommen, wo fie jämtlich erflärten, daß fie jolche 
Goldſtücke und fo rotgefärbtes Gold noch niemals geſehn hätten; 
meine merkwürdigen Münzen feien wohl gar fein Gold, denn echtes 
Gold müfje doch jo gelb wie Schwefel ausfehn, und nur folches 
würde von den Tibetern aus ihren Goldfeldern über die Grenze gebracht 
oder von den Goldfehmieden in Indien zu Schmudgegenftänden ver- 
arbeitet. Sie bedauerten deshalb und fo meiter und fo weiter. 

Trotz meiner Säcke voll Gold kam ich mir plöglih fo arm vor 
mie eine Kirchenmaus. Glücklicherweiſe fiel mir ein, daß ich bei 
der Abreife aus Deutfchland als Talisman drei Zwanzigmarkſtücke 
aus dem denfwürdigen Jahre 1888 mitgenommen hatte, die die 
Bilder der in diefem Jahre regierenden drei erften deutſchen Kaiſer 
trugen; ich glaubte mich zu erinnern, daß diefe von auffallend rein 
gelber Farbe geweſen waren. Raſch holte ich fie aus meinem Iedernen 
Bruftgeldtäfchhen und zeigte fie mit einigen erflärenden Worten dem 
Bandit. Zu meiner freudigften Weberrafchung erwies ſich dieſer 
wohl vertraut mit der neuften Gefchichte Deutfchlands und ſprach 
mit Bewundrung von dem jungen Kaifer und den mit ihm ver- 
einigten deutſchen Herrſchern. Dann fragte er mich, ob ich denn 
nicht auch ein Goldſtück mit dem Bildnis Bismarcks bei mir hätte, 
und diefe überrafchende Frage hier im Herzen de3 Himalaja zeigte 
mir doch recht deutlich, mie weittragende Schwingen der Ruhm 
unfres Nationalhelden befaß. 

Während die Münzen mit den Kaiferbildern unter Ausrufen 
des Staunen: von Hand zu Hand gingen, näherte ſich mir ein 
alter Einwohner Milams und händigte mir für die drei Zwanzig- 
markſtücke das gleiche Gewicht reiner gelber Goldkörner ein, die ich 
dann ohne Schwierigkeit gegen Rupien umtaufchen konnte. Gern 
möchte ich wohl noch einmal in meinem Leben nad) Milam, um zu 


W 


— 302 — 


sehn, an welchem ſchönen Buſen diefe drei Kaiferbildnijfe dort jetzt 
als Schmudkette prangen! Ich ſah es aber deutlich kommen, daß 
ich troß all meines englifchen roten Goldes und meiner Kreditbriefe 
in dieſen entlegenften Gebieten des Himalaja verhungern Eonnte, 
wenn es mir nicht gelang, indijches Geld zu erhalten; auf die 
Rückkehr eines zum Geldwechſeln nad Almora geſchickten Eilboten 
hätte ich aber ficherlich vier unerſetzlich wertvolle Wochen warten 
müffen, und fomit war wirklich guter Rat teuer. 

Nach Anficht des Pandits blieb mir nichts übrig, da ich feinem 
Rate durchaus nicht folgen und nicht auf demfelben Wege, auf dem 
ich gelommen war, nad; Naini Tal zurückkehren wollte, um dann 
von dort aus die weftlich liegende Gebirgsprovinz Garhwal zu be 
fuchen, als über den Utaburhapaß zu gehen und längs der tibetijchen 
Grenze zum Nitipaß und von dort duch das Thal des Dhauli 
Ganga nad) Badrinath und Dſchoſimath und erft zum Schluffe der 
Gebirgsreife wieder nach Naini Tal zu marfchieren. Bis nad 
Dſchoſimath würde ich, fo ſchätzte der Pandit, mit dem noch in meinem 
Beſitz befindlichen Gelde allerdings nur dann gelangen können, wenn 
während diefer Zeit ein Eilbote, der leicht belaftet drei Kulitagesmärfche 
an einem einzigen Tage zurüclegen kann, mit einem Säckchen meiner 
Goldſtücke nad) Almora eilte und dann von dort aus mir mit dem 
gewechfelten Betrage bis Dichofimath entgegenkäme, um mich auszus 
löfen. So vorfündflutlich mic diefer Geldwechfel, für den mir nicht 
die allermindefte Sicherheit gewährt werden konnte, auch erfcien, 
mußte ich doch darauf eingehn; ich bat in einem beweglichen Brief 
den Miffionar Oaklay in Almora, fich diefer Geldwechfelei freund- 
lichſt anzunehmen und fah dann mit fehr gemifchten Gefühlen den Kuli 
mit meinem Beutel voll Gold thalabwärts fpringen. Der Tiroler 
konnte nicht umhin, feine Welterfahrung in die Worte zu Heiden: 
„Der englifche Miffionar hat doch für Frau und Kinder zu forgen! Du 
hätteft das Geld befjer an den Zefuitenpater in Almora gejchidt." 


3 55 








Sechzehntes Kapitel. 
Gletſcherfahrten und Zeltleben an der Grenze von Tibet. 


E: widerftrebte mir, auf dem weiten Ummege über der 

den Grenzuölfern verhältnismäßig viel begangnen Ni 
das im Weften gelegne Gebiet der Gangesquelle zu erre 
Ih mwünfchte vielmehr, in einem nördlih um den Nanda 
führenden Bogen dorthin zu gelangen und den eisgeharni 
Reden des Hochgebirges möglichft nahe zu bleiben. Eine 
Möglichkeit, zum Thale des Dhauli Ganga zu kommen, ſchien 
durch die Gletfcherfchlucht des Girthi gegeben zu fein. Abe 
welchen Mienen wurde diefer Plan vernommen! 

„Durch das Girthithal wollen Sie? Durch diefe von 
Hirten und Jägern feit vielen Jahren gemiebne, durch zahllofe ‘ 
rutſche und nie aufhörende Steinfälle ungangbar gemachte, 
übelberüchtigte Schlucht? Es wird niemand mitgehen!" fagte Kr 
Singh, „es ift zu ſchwierig, ja es ift jogar unbedingt lebensgefähr 

Es war ehrlich gemeinte Beſorgnis diefes prächtigen Hi 
der nur widermillig daran ging, durch die von mir gebotne, a 
gewöhnliche Befoldung von vier Rupien pro Tag und Mann 
nete Burſchen anzumerben. Es reiste mich aber unmiderjts 
wenigſtens einen Verfuch zu machen, auch dieſe furchtbarften, 
borgenften Schreckniſſe de3 inneren Himalaja aus eigner Anfche 
fennen zu lernen. Umkehren kann ich ja immer nod), wenn mi 
Tanz zu toll werden follte! fpiegelte ic) mir vor. 





— 304 — 


Trotz aller Ueberredungskünſte und aller Rupienverheißungen 
konnten ſchließlich nicht mehr als fünf allerdings ganz wunderbar 
muskelſtramme und frohmutige Hirten bewogen werden, mic al 
Träger zu begleiten. Die Verhandlungen mit diefen gar nicht hoch 
genug zu rühmenden fünf Kulis wurden von Kriſchen Singh mit 
diplomatifchem Geſchick geleitet, während die gefamte männliche Dorf- 
bemohnerfchaft im Kreife herum und auf den nahen niedrigen Schiefer: 
dächern hodte, um ja feine Silbe diefer für fie fenfationellen, 
umjftändlichen Unterredungen zu verlieren und um das forgfältige Ab- 
mefjen meine® Mehl: und Getreideproviants beobachten zu Können. 

Endlih war alles geordnet. Mein nicht unbedingt nötiges 
Gepäd übernahm der Bandit, um es bei Gelegenheit tyalabwärtd 
nad Almora und Naini Tal zu fenden, was fpäter.eine Fülle der 
ärgerlichften Mißverftändniffe und Verfehlungen zur Folge hatte, wie 
das in Indien in folchen Fällen nun einmal üblich und unvermeidlich 
iſt. Ein Reifender im Himalaja braucht nämlich durchaus nicht immer 
in Sorge vor Raub und Diebftahl zu leben, wohl aber muß er darauf 
gefaßt fein, durch Einfalt und falſch oder zu hajtig bethätigten guten 
Willen der Eingeborenen unnennbaren Schaden zu erleiden. Um 
nur eins zu erwähnen, jchreiben zum Beifpiel die Poftbabus in 
Bombay oder Kalkutta auf den für entlegne Gebiete Indiens be 
ftimmten Briefen die englifchen, beziehungsmeife europäischen Adrefien 
nochmals in dem betreffenden Schriftzeichen der dortigen Ein 
gebornen auf. In meinem Namen lafen aber natürlich die engliſchen 
Poſtbeamten das oe für u und fhrieben ihn demnach auch in diejer 
U-Lautierung hindojtanifch nieder; bei der ins Kleinliche gehenden 
Genauigkeit der Hindus in Neußerlichkeiten fiel es aber dann fpäter 
feinem eingebornen Poſtbeamten ein, mir meine Briefe zu verabfolgen, 
wenn ich unter meinem eigentlichen, aber anders Elingenden Namen 
danach fragte. Auch an Derartiges möge jeder denken, der Indien 
außerhalb der von den Vergnügungsreifenden befahrnen Orte zu 
beveifen denkt! 


| 





Ich machte mich in der kühlen Frühe des 8. September auf 
den Weg, der zuerſt durch die bizarr zerriſſne Eroſionsſchlucht des 
Dung Pani führte. Seltſame, durch Fortſpülung und atmoſphäriſchen 
Einfluß aus dem mürben Konglomerat herausgeknabberte Geſteins- 
bildungen ſchmück⸗ 
ten hier die Thal- 
hänge. Diefe zahl- 
loſen, Tanggeftiel- 
ten Riefenpilge und 
ähnlihen Säulen 
waren entitanden, 
indem ein flacher, 
mãchtiger Stein das 
darunter befind⸗ 
liche, mit kleinrem 
Geröll durchſetzte 
Erdreich davor ge⸗ 
ſchutzt hatte, gleich 
dem nicht in folcher 
Art bedeckten durch⸗ 
feuchtet, aufgelöſt 
und fortgewaſchen 
zu werden. Je 
weiter ich auf dieſem 
goteslen Schluch⸗ 
tenwege fortſchritt, 
um ſo umfaſſender wurden die Ausblicke ſowohl rückwärts nach dem 
ungeheuren Nanda Kot, wie vorwärts im Norden nach den wilden 
ſteilen Schneegebirgen am Utadurhapaß. 

Bei der Einmündungsftelle eines von Oſten kommenden Gletfcher- 
bachs hielten wir Raſt; diefer 12030 Fuß (3666 m) hochliegende 


Platz, Samgong genannt, diente fihtlih den Salzkarawanen als 
Bert, Indifhe Gletfcrrfahrten. 20 


Raft im Dung · Thal an der Ginmündung des Gamgong- Bades 


- 306 — 


Raſtplatz und lag grade am Ausgang jener Schlucht, in die ich vom 
Panſchakuri von oben her bineingeblidt Hatte. Auf dem Titel: 
panorama ijt diefes mit S bezeichnete Seitenthal des Dung Pani 
fofort an ber herrlich gemölbten Schneefuppe des Samgongberges 
wieberzuerfennen. 

Die kahlen, gelblihen Konglomeratwände biendeten unerträglich, 
als wir in empfindlich ftechendem Sonnenfchein unfren Weg meiter 
fortfegten, der fich wiederholt mittel fehmindelerregender Stege, 
das heißt langer ſchwanker Anüppel von einem Ufer des Gletſcher⸗ 
bachs zum andern zog. Der fpärlihe Strauchwuchs hörte ba 
vollends auf, und die Kulis beeilten ſich, die letzten erreichbaren 
Krummpolzftauden abzufäbeln und fie als Feuerholz für Die folgenden 
Tage mitzufchleppen, denn hoch oben, unter der Paphöhe des 
17590 Fuß (5365 m) hohen Utadurhapaffes, follte das fühle Nacht 
lager bezogen werben. 

An den frifch abgeftürgten Wänden der öden, vielfach gemundnen 
Felſenkluſt konnte man deutlich bemerken, unter wie unermeßlichem 
Druck bier einft die Gejteinslagen gebogen und durcheinander: 
geihoben worden find. Schließlich bildete die Schlucht einen Kefiel, 
der eine prächtige Ausfiht auf die fteilen grandiofen Klippen und 
Gletſcher des nahen, im Norden vorgelagerten Schikeldani, auf den 
furchtbaren Schutpani Parhar im Often und den noch zerftörtere 
Umriſſe aufmeifenden Oldur im Weften gewährte. 

Der Steig wand fich hierbei beftändig zwiſchen Sandfteinen und 
Quarzblöden von enormer Größe hindurd) und führte dann über einen 
in kunſtvoll⸗roher Weife aus Steinklögen gemölbten Brückenſteg zum 
Lagerplage Dung in 13720 Fuß (4185 m) Höhe. Zahlreiche, als 
Opfer auf den großen Steinblöden von den Tibetern nieder- 
gelegte Verfteinerungen und Kryftalle erinnerten hier an den felt- 
ſamen Verkehr, der ſich zeitweis durch diefe Gebirgswüſtenei zieht. 

Wie bedauerte ich, daß ich meinen Leuten nicht ein einziges Pfund 
Gepäc weiter aufbürden durfte und die ſchöne Gelegenheit, das hier 








aufgeitapelte, wiſſenſchaftlich ſo wertvolle Material mitzunehmen, 
unbenugt laſſen mußte! Allerdings bin ich nicht Juriſt genug, 
um mir über die Berechtigung zum Einheimfen folcher den Göttern 
geopferter Kryftallfunde ganz klar fein zu fönnen, doch möchte ich 
denjenigen Sammeleifrigen jehn, der an folchen vollgehäuften 
Bräfentiertellern 
vorbeiginge, ohne 
den einen ober an- 
dren Leckerbiſſen da- 
von zu ftibigen! 
Von Dung ab 
fliegen wir dem von 
Weſten herkommen⸗ 
den Ablauf des über⸗ 
aus ſchmutzigen unt⸗ 
ten Utadurhaglet⸗ 
ſchers entgegen, zu⸗ 
erſt auf ſeiner ſüd⸗ 
lichen, dann, den 
Gletſcher überque⸗ 
rend, auf ſeiner nörd⸗ 
lichen ungeheuren 
Schuttmoräne. Aber 
auch von Nordoften 
kommt bei Dung ein Sandisaft auf dem Marfhe um Utadurfa-Gleifher. 
Vach aus dem Lha- 
fargletfcherpaß, alfo von der tibetifchen Grenze herunter, und der 
Fluß trägt erft von diefer Vereinigungsftelle an den Namen „Dung“. 
Auf dem Gletfcher, von defjen vordrer Eiswand bejtändig 
Geröll und Eisſtücke herunterriefelten, begegneten wir einer der mir 
nun ſchon hinlänglich bekannten, aus Tibet tommenden, mit Borar 
und Salz beladnen Ziegenherden; die Treiber trugen nach tibetifcher 


— 308 — 


Weife den rechten Arm nebjt Schutter vollitändig entblößt, obmohl 
die bereit3 unter den Gefrierpunkt gefunfne Kälte recht empfindlich 
war. Gie hatten ein reich mit Glasperlichnüren gefchmüctes Weib 
bei ſich, deren offner, naiv-dreifter Geſichtsausdruck, mit dem fie mich 
anftaunte, ganz unmiderftehlich komiſch wirkte, weil fie es ſich dabei 
nicht verfagenfonnte, 
mir in ber landes⸗ 
üblichen Weife un- 
ausgefeßt die Zunge 
entgegenzuftredten. 
Diefes naturwũch⸗ 
fige Zeichen der 
Freude und Hoch 
achtung machte mir 
jedes fernere Zu- 
fammentreffen mit 
ZTibetern zu. einem 
Hauptipaß. 

Das Begeguen 
folcher tibetifchen 
Salztransporte hat 
aber aud) feine we- 
niger heitre Seite, 
denn die Hunderte 
von garftigen, hals⸗ 
ftarrigen Ziegen 
fuchten uns ſtets förmlich von dem Gletfcher herunterzudrängen ; 
hierbei verlor eine ihre ſchwere Doppeltafche voll Salz, rutjchte aus 
und ftürzte ab. Das erwähnte, auf dem Eis ſehr unficher tappelnde 
Weib verfuchte zwar das Tier zu fafjen, fam aber dabei felber ins 
Stürzen und kollerte, fich fortwährend überfchlagend, ein Schneefeld 
hinunter. Noch geraume Zeit tönte das aufgeregte Gefchrei ihrer 


Aufitien zum Utadurha-Glerferpaß. 





— 309 — 


Begleiter von unten herauf, und ich bedauerte lebhaft, ihr nicht als 
Wundarzt beijpringen zu können; ich tröftete mich fchließlich mit der 
Verficherung, die mir gelegentlid der Pandit gegeben hatte: dieje 
Tibetaner find wie Leder, fie verlegen ſich nie, fie waſchen fich nie! 

Der Weg auf der nördlichen Moräne war übrigens recht be— 
ſchwerlich, da 
von den dor 
anftehenden zer⸗ 
tüfteten Kalk⸗ 
felfenungäblige, 

ganz friſche 
Broden abge 
ftürgt waren 
und Wletfcher 
und Moräne 
überfchütteten. 
So waren wir 
denn froh, als 
wir den Malla 
Bamlas ge 
nannten Platz 
erreichten, wo 
fih der über- 
ſchrittne Glet⸗ Biwat bei den Bamlas-Spitzen, im Unwetter. 
ſcher aus zibei 
von Weit und Oft kommenden Eisftrömen bildet; die Höhe ift hier 
15320 Fuß (4670 m). 

Bon. den unfer Zeltlager einfchließenden Bergen konnte ich nur 
ein unvollfommne3 Bild aufnehmen, da jie von raſenden Wolfenmafjen 
und ſchließlich durch einen heftigen, mit Eisnadeln gemifchten Platz- 
regen verfchleiert wurden. Allmählich machte mic aud) meine ſtetig 
böfer werdende Fußverlegung viel zu fchaffen, die ich mir in meinem 





— 310 — 


durchgefcheuerten Bergſchuh zugezogen hatte; der Flickkünſtler in 
Milam hatte ihn grade nur für einen dreiftündigen Gebrauch aus« 
haltend mwiederherzuftellen vermocht. 

Als aber die nächſte Frühſonne ihre erſten Strahlen auf den 
mwöften, ſchroffen und deshalb faſt ſchneeloſen Schileldani und die 
klotzigen füblihen Bamlasſpitzen warf, wirkte da8 nun kryſtallklare 
Bild diefer nahen Eispracht und der dahinter liegenden Gipfel herr⸗ 
lich und erſchütternd. Die von dort entipringenden kleinren Gletſcher 
vermählten fi) mit dem Utadurha, während aus Weiten ſich drei 
ähnliche Eisjtröme ergoffen. 

Durch endlofes Kalkjteingeröll und über wahre Scherbenberge ging 
es nun nordiweitlich, fpäter nördlich weiter, biß ſchließlich der aus dreien 
zufammenfließende obre Utadurhagletfcher überfchritten wurde. Wegen 
jeder Spalte machten die Kulis ängftliche, weite Ummege, fo daß id 
mit dem Tiroler durch ihr direktes Meberqueren einen Vorfprung von 
mehreren Stunden gewann und mit Muße von der bei 17590 Fuß 
(5360 m) liegenden Utadurhapaßhöhe die herrliche Scenerie dieſes 
Gletſcherkeſſels bewundern Eonnte; einige Adler Freiften darüber. 

„Schau, wie ftolz er daherreitet," äußerte der Tiroler, als ein 
derartiger mächtiger Vogel fo nahe an uns vorbeiraufchte, daß id 
feine Schwungfedern fat mit dem Stock erreichen konnte. 

Auf einem die Paßhöhe bezeichnenden Steinhaufen hatten fromme 
Seelen befonders zahlreiche und anfehnlihe Drüfen von Kalkipat- 
kryſtallen aufgehäuft, ebenfo Berfteinerungen, Wollfloden, bunte 
Zeuglumpen und andre Opfer. 

Da ich mich ebenfo wie der Tiroler hier auf der Paßhöhe noch 
überrafchend rüftig fühlte und die lange Wartezeit bis zum Herauf- 
fommen der Kulis nicht unthätig frierend verftreichen laſſen wollte, 
ftiegen wir noch zu einem zmwei- bis dreihundert Meter höheren 
Schneegipfel norböftlich von der Paßhöhe empor, der eine noch um: 
faffendere Ausficht auf die Hochgipfel der Nanda Devi- und der 
Bamlasgruppe und auf die fteilen und vegetationslofen, öden Gipfel 


— 311 -- 


der tibetifchen Hochebene verſprach und aud) gemährte. Rechts und 
links von der mit frifchem Neufchnee bedeckten Paßhöhe erhoben fich 
mächtige Schneefpigen, zmwifchen denen wir nun zu den feinen, an 
ihrem Fuße liegenden Seeen abftiegen, um dort unfre Leute zu er- 
warten und unſer Frühmahl zu halten. Weftlich von der Paßhöhe 
308 ſich in fanfter Mölbung ein Gletfcher herunter und endete in 
einem diejer Seeen. 

Als mein Trägertrupp anlangte, klagten die Leute, obwohl fie 
Eingeborne des hochgelegnen Bergdorfes Milam waren, über allerlei 
doch wohl nur durch die Dünne der Luft hervorgerufne Uebel, 
während mir und dem Tiroler thatfächlich nicht die geringfte merk⸗ 
liche Beeinträchtigung unfres Wohlbefindens auffiel; allerdings hatten 
wir durch gehöriges Zeitlafjen beim Aufftieg für Ruhe unfres Bluts 
gejorgt, während die Kulis fih in ganz unnötiger Weife an Haft 
überboten und ihre Atemnot durch Schmauden aus ihrer jogar 
während des bejchmwerlichen Steigens von einem zum andern man- 
dernden Hufamafferpeife gewiß nicht verminderten. 

Unmittelbar unter der Paßhöhe des Utadurha, die durd den 
ſchon genannten Opferfteinmann gefrönt ift, zmweigte von dem Saum- 
pfade nad) dem Nitipaß ein andrer in nordöftlicher Richtung nad) 
dem fhon zu Tibet gehörenden Kungribingripaß ab. Diefem Wege 
folgte ich einige Kilometer weit zur Paßhöhe des Jandi, die leider 
nur einen ſtark verfchleierten Rücblict auf das Alpengebiet des Nanda 
Devi gewährte, daS ich nunmehr auf feiner Nordfeite zu umgehen 
beabfichtigte. Meinem Verſprechen gemäß, in diefen kritifchen Zeiten 
ungefchlichteter Grenzftreitigfeiten feine Verwicklungen herauszu— 
fordern, widerſtand id; dem lodenden Verſuch, einen mweitren Aus: 
flug nad) Tibet zu unternehmen, und ftieg zu dem vom Utadurha 
nieberziehenden Schneefelde hinab, um zunächſt dem nach dem Niti- 
paß gerichteten Pfade zu folgen. 

Das Gehen in dem tiefen Neufchnee wurde uns hier fehr er- 
leichtert, weil erſt Fürzlich eine Herde von Schubuhs, das find 





— 32 — 


Baſtarde von Rind und Yak, bier herübergefommen war und dieje 
Tiere mit ihren tief geſenkten mächtigen Köpfen, jtämmigen Beinen 
und zottigem Haarbehang wie Schneepflüge gewirkt hatten. 

Nach zweiftündiger Schneemandrung trafen wir auch diefe ganze 
‚Herde von Schubuhs nebft Ziegen und Schafen auf dem Raftplage 
Laufa um fünf tibetifche ſchwarze Zelte gelagert, wobei jedes Tier 
mit feinen Hörnern durch einen Strid aus Yalhaaren an die 
Hörner eines andren gebunden war; um jedes Zelt war eine niedrige 
Steinmauer als Wind- und Schneejchuß. errichtet. 

Die im Innern des größten, zmweiteiligen Zelte8 um das qual- 
mende Feuer kauernden Tibeter gloßten mich bei meinem Eintritt 
mit offnen Mäulern an, während die beiden an dem großen Keſſel 
waltenden Weiber ohne jede Scheu auf mich losfteuerten, um mit 
gleichfalls weit aufgerifinen Augen und heraushängender Zunge die 
Aermel meiner aus geripptem Sammt gefertigten Joppe zu betaften. 
Das Gefühl, das dieſes neugierige Streicheln in ihren Fingerſpitzen 
erregte, jchien ihnen aber weit intereffanter zu fein als meine fonitige 
europäifche Erfcheinung. Ich erinnerte mich allerdings, diefe Horde 
bereit8 in Milam gejehn zu haben, mo die Tibeter einen ihnen 
von Rechts wegen gar nicht zufommenden Abgabentribut für das 
Geftatten des Taufchhandel3 von den Grenzbewohnern ertroßt hatten. 
Ich Hatte mich aber in Milam von diefen tibetifhen Schön 
beiten etwas zurückgehalten, erftlich weil in ſolchen Ländern die 
Mißhelligkeiten zroifchen Eingebornen und Europäern nur zu häufig 
aus übel aufgenommnen Galanterien gegen Damen entjtehn und 
zweitens, weil diefe auch fonft nicht grade peinlich faubren tibetifchen 
Evastöchter fich die Wangen fo greulich mit blutbrauner Farbe voll- 
zumalen und fo vanziges Fett in ihre bebänderten und mit Zieraten 
behangnen Zöpfe zu fehmieren pflegen, daß ich, troß aller Ver- 
ehrung für das weibliche Gefchlecht, dem Dunftkreife diefer Frauen 
in Milam etwas aus dem Wege gegangen war; nun ereilte mic 
hier das Geſchick, und ich mußte ftillhalten. 








— 313 — 


Das eine Weib war ſehr robuft, fie ftroßte von Gefundheit 
und Kraft; für die andre wäre es aber befier geweſen, fie wäre 
nie geboren worden. Erinnern Sie fic, geehrter Leſer, des Scheu- 
ſals, das mir in Kati begegnet war? Denſelben Brechreiz mußte 
ich hier nochmals erleiden, denn grade fie, diefe weniger Holde, war 
jo unausfprechlich liebenswürdig gegen mich, daß ich vor Entſetzen 
faft in die Erde ſank. Ich bitte, mich aber ja nicht faljch zu verftehen, 
mein Wettermantel blieb ganz und gar aus dem Spiele, aber die 
Unfelige fchien ausnahmsweife eine Freundin der Sauberkeit zu fein 
und ledte ihre fettige, altersfchwarze Holsfchale erft blitzblank, ehe 
fie mir den Thee darin Tredenzte. Eine Ablehnung wäre einer 
Kriegserflärung gleihgelommen. Und wie fah ihre Theebrühe aus? 
Einfach entjeglih! Ich hätte eine Heine Baggermafchine anwenden 
müffen, um darin Klarheit zu fchaffen. Der ſchon wiederholt von 
mir zitierte, weil mir ungemein ſympathiſche Chemiker Dr. Heinrich 
Fauft kann in der Herenküche keinen. größren Efel vor der „breiten 
Bettelſuppe“ und ihrer auf dem Befenftiel duch den Schornftein 
einreitenden Erzeugerin befommen haben, als er in mir bei der 
Herftellung dieſes Theegebräus aufftieg. 

Man vergegenmärtige fich gefälligft nur dieſes verräucherte und 
verſchmutzte Zelt, durch deſſen morſche Lumpen ich beim Gradeftehn 
mit dem Kopfe hinducchfuhr. Dann denke man gütigft an den in die 
Augen beißenden Dualm und das Dämmerlicht darin, die gemifchten 
Düfte von. verdorbnem Fleiſch, fauer gewordner Milch, vanziger 
Yutter, altem Käfe und nie gereinigten Menjchen und Kleidern, und 
fchließlich ftelle man ſich die in diefem Geſtank hockenden, mich 
anglogenden und dazu ſchnaufenden, grunzenden, ſich bald hier bald 
dort fehabenden, ungebärdigen Theetrinker vor, und man wird mic 
um dieſen five o’clock tea wohl nicht ſehr beneiden! 

Die braunrot gefchminkte, unruhige Megäre trottelte hierhin 
und dorthin. Bald griff fie in einen an einem Ziegenhorn am Zelt 
pfahle hängenden Sad und holte daraus eine Handvoll geröftetes 


— 314 — 


Gerſtenmehl hervor, dann kratzte ſie aus einem ähnlichen Beutel ein 
Häuflein erdiges Kochſalz und bröckelte ſchließlich einen Haufen dürrer, 
großer Theeblätter aus einem in Ziegelform gepreßten und in weißes 
Hafenfell eingenähten Paket und rührte alles zufammen in ben Keſſel. 
Man wird begreifen, daß ich einer Ohnmacht nahe fam, als bie 
ſchöne Dame daranging, den Haupttrumpf ihrer Freundlichkeiten 
auszufpielen. Nämlich folgenden. 

Ich erinnerte mich, bei den mir begegnenben tibetijchen Herden 
Meine Hirtenbuben beobachtet zu haben, die einen mulftigen Lederjad 
auf dem Rüden trugen, und wußte aud), daß in folche Zellbeutel 
allmorgendlich die fette Milch der Yafkühe eingemolfen wird, damit 
fie darin durch das lebhafte Herumfpringen des Jungen ausgebuttert 
wird, wobei die Butter zwifchen den Fellhaaren hängen bleibt und bei 
der Ankunft im Lager herausgefragt wird. Aber als nun die er: 
wãhnte Here aus einem unheimlichen Beutel eine jo hergejtellte Butter- 
kugel herausholte und mit ihrem unfaubren Zeigefinger ein Klümpchen 
Butter davon abfraste und verfuchte, dieſe haarige Gabe Gottes unter 
fortwährendem Zungenherausſtrecken, mit triefenden Augen und 
teopfender Nafe in meine ſchon vorher von ihr fo gründlich aus- 
gefchledte und mit verfalzner Theefuppe gefüllte Taſſe abzu- 
ftreifen — da, ich gefteh e8 ganz offen, da habe ich das Grufeln 
gelernt, und zwar gründlich! Da ftieg felbft in mir etwas wie 
Weiberhaß auf. 

Und nun vergeffe man nicht, daß die Landesfitte oder der durch 
den efelhaften Thee beftändig verborbne Magen der Tibeter es 
mit ſich bringt, daß bei jeder tibetifchen Mahlzeit nicht nur befriedigt 
mit der Zunge gefchnalzt, fondern auch allerfeit3 unaufhörlih ein 
gräßliches Rülpfen hervorgebracht wird, das wie eine Mifhandlung 
des Wortes „Worpswede“ Elingt. Da prahle doch niemand, daß 
er Anwandlungen von Seekrankheit nicht zugänglich ſei, bevor er 
nnter folchen Umftänden tibetifchen Thee jchlürfen mußte! 

Die Tibeter fchienen an mir irgend etwas auszufegen zu haben. 





— 35 — 


War e3 die fichtliche Bevorzugung ſeitens de3 gefchilderten Weibes, 
war e3 meine Anfängerfhaft im Vortragen jener angedeuteten, aus 
tiefftem Magen kommenden Bufriebenheitslaute, was fie veranlaßte, 
. immer geräufchvoller zu brummen und zu knurren und finſtre Blicke 
in meine Ede zu fenden? Plötzlich fprang ein vierfchrötiger, durch 
feinen dickgefütterten, langen Aermelrock hünenhaft ausſehender Rüpel 
wie von der Tarantel geſtochen auf, packte haſtig meinen Bergſtock, 
mit dem ich draußen die kläffenden Hunde zurückgeſcheucht und den 
ich dann ahnungslos mit in das Zelt gebracht hatte, und ſchleuderte 
ihn vor die Zeltthür. Ich hatte völlig überſehn, daß das Herein- 
beingen eines Stodes bei dieſen fehr auf die üblichen Formen haltenden 
Leutchen ein weit ärgres Vergehen bedeutet, al3 wenn bei ung zu Lande 
jemand feinen Hut im Zimmer bejtändig auf dem Kopfe behalten 
wollte. Exft nachdem ber unhöfliche Stod an die frifche Luft geſetzt 
war, herrfchte Ruhe und Frieden, und mehr als einmal wurde mir 
eine lange Tabafspfeife angeboten, in deren winziges Köpfchen ein 
verdächtige Pulver gepfropft war, das aber gar nicht nach Tabak 
duftete; woraus dieſer Stoff beftand, weiß ich ſelbſt heute noch nicht. 
Die Gemütlichleit wurde fchließlich ganz allgemein; die Weiber 
ftiegelten meine Sammtjoppe, und ich zog ihnen die mit herrlichen 
Türkifen bejegten Haarnadeln aus dem Kopfputz oder mufterte die 
Anhängfel, die die Männer an einem ledernen Gürtelriemen mit ſich 
berumfchleppten. Da baumelte mandjerlei: ein Hornring als Finger: 
hut, ein Nadelbuch in Geftalt eines wappenförmigen Ledertäfchcheng, 
ein Sädchen mit Stahl, Feuerftein und trocknem Baummoos, dann 
eine Heine Zange zum Auszupfen vereinzelter Barthaare, ein Biegen- 
born zum Austragen der Salzſäcke, ja ſelbſt roh gefchnittne Stempel 
zum Abgeben der Unterjchrift und allerlei Meffer. 
Alles, was ich von Tibetern hier und fpäter in Sikhim und 
im vergangnen Jahre in Nepal zu Geficht bekommen habe, wiber- 
fpricht der mweitverbreiteten Anficht, daß das ganze tibetifche Volt 
aus feigem Gefindel beftehe. Selbjtverftändlich fühlen und fürchten 





— 316 — 





fie die Ueberlegenheit der raffinierten Mordwaffen der Engländer, 
durch die fie im Sikhimfeldzuge hilflos zuſammenkartätſcht wurden. 
Aber Leute, die fo oft mit den vielfachen Bejchwerden und Gefahren 
des Hochgebirges zu kämpfen haben, und noch dazu mit völlig uns 
zureichender Ausräftung, die wird man doc wohl eher beherzt als 
feige zu nennen haben. Ebenſowenig ift das gutmätige, tollpatſchig 
rohe Volk zu Grauſamkeit und Blutvergießen geneigt; wohl giebt es 
in dem ungeheuren Tibet Räuber und Gefindel wie anderswo auch, 
aber im übrigen lieben die Bewohner des füdlichen Tibet Frohſinn 
und derben, forglojen Lebensgenuß. Es wird ihnen niemand ver- 
denken, daß fie ſich das Schickſal Indiens zu Herzen genommen 
haben und es den Herren Engländern nicht erleichtern, über den 
Himalaja zu ihnen bineinzuftolzieren, um die ungeheuren Goldlager 
zu anneftieren, die in Tibet noch der Ausbeutung harren und die 
von den Eingebornen mit ſcheuer Ehrfurcht als nur den Erdgeiftern 
gehörig betrachtet werben. Sie magen es höchftend nad einem 
ängftlichen Opfer, fich haftig ein weniges von dem auf der Steppe 
liegenden Goldſegen in die Tajchen zu füllen, denn die allgemeine An- 
ſicht ift die, daß das Land verarmen und das Volt entarten würde, 
wenn eifriger nad; dem fegens- und fluchmwerteften aller Metalle 
gefchürft werden dürfte. Große Goldflumpen werden fogar ſtets 
wieber in den Boden verſcharrt, um dort kleinre zu erzeugen. 


BE — 


Siebjehntes Kapitel. 
Durch die Lawinen der Girthiſchlucht. 


5 


B- nächſten, faum ſechs Kilometer weiter nördlich liegenden 
\ und Topi Dunga genannten Raftplag der Salzkarawanen 
7 © trennte fih mein nun weſtlich abzweigender Weg von dem 
weiter nordwärts dem Nitipaß entgegenführenden. An dem Aus- 
bleiben der Schaf und Ziegengerippe längs des Pfabes konnte ich 
bemerken, daß ich fortan meinen eignen, einfamen Weg ging. 

Hier auf der Nordfeite des Gebirges, deſſen fteilen Gipfeln 
der Schnee beinahe völlig fehlte, zeigte ſich das Landſchaftsbild 
unter dem Einfluß mejentlich geringrer Luftfeuchtigkeit vollftändig 
verändert. Statt ungeheurer, von allen Seiten daherflutender 
Gletſcherſtröme nichts als öde Trümmerhalden oder mit mwinzigem 
Edelweiß und gelblichen Moofen überfäter Boden, der, von mehr: 
fachen heißen Quellen ermeicht, das Fortchreiten erfchwerte. Und 
wie ſchritten die Kulis mit ihren Laften aus! Juſt als hätten fie 
den Böfen im Naden. Und richtig! ALS follte daS ganze Himalaja- 
gebirge von der Erdrinde fortgeblafen werden, feste ein Sturm, 
der bald zum Orkan anfchwoll, feine mächtigen Backen in ganz 
unbefchreiblich wirkungsvolle Bewegung. Wahrfcheinlich hatten die 
Kulis als erfahrne Gebirgsjäger diejes Ummetter geahnt, das man 
ganz gut für den Beginn des Weltunterganges halten konnte. Wehe 
demjenigen, den ein Orkan von ſolchem Kaliber auf irgend einer 
Hochzinne de3 Himalaja ereilt! Er muß in die Tiefe! 








— 318 — 


Wir fanden zum Glück einigen Schutz, als uns die rieſigen 
feſtungsmauergleichen Felſen zum Windbrecher wurden, die auf 
dem nördlichen Ufer des weiter unten Girthi genannten Waſſerlaufes 
emporftarrten, während wir unfren Kampf gegen das tobende Element 
an dem jüblichen ausfochten. 

Nach einigen Stunden bot uns ein Gletſcherwaſſer Halt, das 
von dem jest jüblich von uns liegenden Schneegebirge abfloß, alſo 
von demfelben Gebirgsſtock, der auf feiner Südfeite den Oberteil des 
Milamgletfchers einſchloß und hier auf der Nordfeite in einer von 
den Kulis Turger genannten Spitze gipfelte und die Firnbecten zweier 
Gletſcher umfaßte. Das Waſſer war fo hoch geſchwollen, daß die 
meiften der von dem tobenden Naß überfpülten gewaltigen, im Flußbett 
liegenden Steine nicht einmal gejehn, geſchweige denn duch Sprünge 
mit Hilfe des Alpenſtocks erreicht werden konnten. Selbjt der Tiroler 
ftand bier ratlos. Nur mit Widerftreben willigten wir darein, auf 
dem Rüden der an folche eisfalten Bäder gemöhnten Kulis den 
furchtbar jäh dahinwirbelnden, mächtige Steine mit fich reißenden 
Bad rittlings zu überfchreiten, wobei den Leuten das Waſſer oft 
bis über die Hüften ging. Bei dem wütenden Orkane war das 
fein ganz harmloſes Thun: ein einziger Fehltritt eines dieſer 
abgehärteten, unter unfrer ſchweren Körperlaft mächtig hin und ber 
ſchwankenden Bhotijas und — — nun, da8 weitre wird fich wohl 
jeber ausmalen können, der die elementare Macht folder Wild 
waſſer kennt! 

Von nun an begann ein Weiterwandern ohne jeden Pfad über 
ſteile Berghänge und dazwiſchen eingeſattelte ſumpfige Wieſen. Ein 
andrer ungeſtümer Bach, von dem grotesken, ſichtlich aus verwittertem 
Kalkſtein beſtehenden Kanadar herſtrömend, wurde durch Sprünge 
von einem Stein zum andren ohne Unfall überſchritten. Als ſich 
dann das zunächſt von mir verſuchte Fortkommen längs des Girthi⸗ 
fluſſes nicht weiter durchführen ließ, wurde in einiger Höhe von 
Felsblock zu Felsblock fortgeklettert und ſchließlich ein leidlich ebnes 


— 319 — 


und zum Zeltlager geeignetes Fleckchen gefunden. Hier bot ſich auch 
zum erjtenmal weiter nach Weften hin ein voller Einblick in die dort 
wirklich ganz ſchauderhaft fteilmandige und öde, fo ſehr gefürchtete 
und al3 Hirtenverkehr vollftändig aufgegebne Girthiſchlucht. ‚Kommt 
Zeit, fommt Rat!‘ dachte ich, ließ mir den Abendthee munden und 
ichlief, troß des fteinigen Bodens unter dem Zelt, fo traumlos Löftlich, 
mie ich immer fchlafen möchte. 

Die Morgenfälte erfchien mir aber doch außerordentlich bitter, 
nachdem ich mich aus meiner Schlafſackdecke aus Kamelhaar heraus: 
geihält Hatte und nun zähneklappernd Umfchau hielt. Es hatte 
in der Nacht geregnet, und dide volle Wolfen hingen recht wenig 
ermutigend zwiſchen den düftren Felswänden der Schlucht, an 
deren Riſſen und Vorfprüngen wir und nun fortarbeiten mußten; 
beſſer wurbe e3, als wir einiges Strauchwerk, dürftige Weiden und 
verfrüppelte Birken mit faſt zur Kugel verfchrumpftem Stamm 
erreichten, wo fich auch ein neues Seitenthal aufthat, aus dem vom 
Girthike Parhar her ein anfehnlicher Zufluß für unfren, von hier an 
exit Girthi genannten Bad) herunterfam. 

Nahe bei der Einmündungsitelle diefes Baches Tagen die Ruinen 
und verwilderten, aber doch noch) erkennbaren Buchweizenfelder bes 
hier einft vorhandnen, aber wegen der unaufhörlichen Thalverwüftung 
durch Lawinen vor geraumer Zeit verlafjnen Sommerdorfs Girthi. 
As ich zu diefen verwitterten Ruinen kam, die in Büſchen von 
Hagebutten, Birken und Ianggeftieltem Edelweiß zerftreut lagen und 
nun das wildſchöne Hochgebirgsbild des Hoch in ben jeßt wolkenlos 
blauen Himmel hinaufragenden ſchneeweißen Girthiberges, feines 
Gletſchers und de3 daraus hervorſchäumenden Baches von einer diefer 
zerfallnen Hütten aus betrachtete, überkam mich doch ein vecht weh— 
mütiges Gefühl der Bedeutungslofigkeit des fich fo ungemein wichtig 
dünfenden Menjchen gegenüber einer jo unausfprechlich erhabnen, 
von fo unermeßlichen, erbarmungslos waltenden Kräften geftalteten 
Natur. Die Fragen über den ſchließlichen Zweck unfres Dafeins und 





— 320 — 


Wirkens, unfre3 Entjtehns und Vergehns und andre unergründlice 
Nätfel zogen durch meine wahrhaft andächtig bewegte Seele, doch 
der Schredensruf aus Hanſens Munde: „Deirel, i hob ja die Erbs 
wurſcht ausgefeut!" führte mich von meiner unfruchtbaren Grübelei 
in die Wirklichkeit 

zurüd. Ich tr 

ftete Hans über 

das Ausfeuen, 

das heißt das un- 

achtſame Aus · der⸗ 

Taſche⸗Fallenlaſ⸗ 

ſen ſeines Schatzes 

durch den Hin⸗ 

weis auf den Vor⸗ 

rat ſeiner Leib⸗ 

ſpeiſe in meinem 

Ruckſack. Zu weit⸗ 

rem Troſte ließ 

ich einen fetten 

Hammel ſchlach⸗ 

ten und braten, 

den ich in Laufa 

von meinen tibeti- 

ſchen Gaſtfreun⸗ 

den erſtanden hatte 

Raft bei den Ruinen des Hirtenplages Girthl und bisher hatte 
mittreiben laffen. 

Der weitre Weg, den ich mir von hier aus durch dichtes, ver: 
filgtes, dorniges Gejtrüpp und loſem Geröll am ober ftellenmeis 
thatſächlich im Girthibachbett zu fuchen hatte, wobei fortwährend 
ſenkrechte, weit in die Wafferfälle norfpringende, ſchlüpfrige Wände 
überkfettert werden mußten, fpottet jeder Beſchreibung! Es würde 


— 321 — 


eine folche auch ziemlich zwecklos fein, da nicht einmal ein Leſer, der 
glaubt, bereit3 ähnliche Schwierigkeiten felbft durchgemacht zu haben, 
ſich die richtige Vorftellung von der unwegfamen Verwüftung zu 
bilden vermöchte, die fi nun auf weite, ſchier endlofe Streden 
hin zeigte; bie ſich Hierbei aufthuenden übernatürlichen, ja hölliſchen 
Bilder zu ſchildern, verfagt mir die Sprache, weil dort das Un- 
mögliche Geftalt befommen zu haben fchien. 

Die ganze linke, alfo füdliche Thalmand war fortan wiederholt 
Kilometer weit friich heruntergebrochen und an ben noch überall in 
die Tiefe polternden oder ziſchend herunterriefelnden Steinmafjen, die 
auf die Trümmer von älteren Bergrutfchen ftürzten, konnte ich 
ermefjen, über was für ein unfagbar gefährliches Gebiet wir 
ſchweigend, in weiten Abftänden und mit äußerjter Vorſicht mie 
Wilddiebe vorwärts tafteten. Ab und zu erdröhnte, Ranonen- 
ſchlägen gleich, daS Losbrechen und Niederprafjeln andrer Felswände, 
bald nah, bald fern. Im tiefften erjchüttert, in mein Schickſal 
ergeben, jah ich hier mit beinah freudigem Grauen das ergreifend 
fremdartige und nie von mir in diefer Art für möglich gehaltne 
Schaufpiel einer im beftändiger Selbſtzerſtörung begriffnen Fels— 
wildnis. Die Folgen anhaltender Regenzeit und der jetzigen Nacht- 
feöfte unter Mitwirkung mittäglicher Glut konnten wahrlich nicht 
draftifcher anfchaulicd) gemacht werden. Hierher möge der Herr 
Direktor des naturwiſſenſchaftlichen Theaters „Urania“ in Berlin 
feine Schritte lenken, wenn er dem Publitum ein Schauftüd von 
noch nie erhörter Wucht auf feine Bretter, die die Welt bedeuten, 
zu bringen wünſcht. 

Am ſchwierigſten war das Fortkommen in dem reißenden Waſſer, 
wenn die ſenkrecht abfallenden harten Lehmwände keine Möglichkeit 
mehr boten, daran fortzukommen. Wie oft ſprangen die braven 
Burſchen ins Waſſer, um mir Aeſte oder Knüppel zum Darüber 
ſchreiten zu halten, damit ich nicht wie fie unausgefeßt bis an die 
Bruft durch das brüllende, eijige Waſſer fchreiten mußte; dann 

Boed, Indiſche Gletferfahrten. 21 





— 323 — 


wieder famen Uferjtellen, ausgewafchen und unterhöhlt, die nur 
„auf allen Vieren“ durchkrochen werden konnten. Doc tro alledem 
ftrahlten wir, auch meine Indier, vor Luft, wen eine feheinbar 
unüberrindliche Stelle nad) der andren durch Vorficht, Geduld, 
Ruhe und Gemandtheit befiegt worden war. Nirgends habe ich 
mehr den Mangel einer ſchnell gebrauchsfertigen Handkamera bedauert 
als bier, wo das Aufſtellen meines Stativs naturgemäß eine 
vollftändige Unmöglichkeit war. 

Die Ufer wurden fteiler und fteiler; die zerfeßten Kalkfelſen 
nahmen gefpenfterhafte, phantaftifche Formen fabelhafter Wälle mit 
Türmen und Erlern an. Aus gewaltiger Höhe ſchoß -über eine 
diefer Mauern ein herrlicher Schleierfall herab, zerjplitterte aber 
im Fallen, durch den braufenden Wind auseinandergeblafen, in Tau 
und Dampf, jo daß nichts von feinem breiten Wafjerguß unten 
anlangte. Auf die Höhe eben dieſer Wand mußten wir nun hinauf, 
da unten im Waffer fein Fortlommen mehr war. In unglaublichen 
Zickzacklinien, dicht und knapp an die Felſen gequeticht, zogen und 
ſchoben wir uns um dieſe entfeßlichen Mauern herum und durch noch 
viel fürchterlichere Kamine empor; ab und zu bot fich dabei ein Blick 
hinunter in die enge, finftre Schlucht, in der, mindeftens jechs- 
hundert Meter tiefer, die in weißen Gifcht verwandelte Wafjermaffe 
des Girthibachs raſte und kochte. Schließlich vermehrten verfrüppelte 
Weidenbüfche, jcharfbornige Hagebuttenftauden und meift durch 
Schneebelaftung horizontal von ber Felswand fortgebogne Birken- 
büfche die unerhörten Hindernifie diefes Kletterns; ich durfte glauben, 
in dieſer Beziehung ſchon einiges durchgemacht zu haben, aber hätte 
ich ſolche Schwierigkeiten für denkbar gehalten, würde ich diefen Weg 
unter feinen Umftänden unternommen haben! 

Später erfchien in der Felswand ein tiefausgefchälter Kefiel, 
über den ein mächtiger Waſſerfall hinüberftürzte; es blieb feine 
Wahl, wir mußten grade unter diefem faft zermalmenden Sturzbade 
hindurch, fort zu immer neuen, noch ſchwierigeren Stellen. Das 


— 33 — 


Ganze bildete eine touriftijche Arbeit der allerſchrecklichſten Art. 
„Hier geht jeden Tag keiner!" fagte ber Tiroler mit beinah erjtarrten 
Mienen, um dann wieder, gleich uns andren, ſchweigend in die 
Felfen und Buſchwurzeln zu paden und raſtlos fortzuffimmen, 
weiter, immer weiter, denn fehon fiel die Dämmerung ein und noch 
war fein Plägchen eben genug geweſen, um uns darauf zur Ruhe ' 
niederlegen zu können; 
an ein Auffchlagen bes 
Zeltes war erſt recht 
nicht zu denken. 

Im Dunkeln, gegen 
acht Uhr abends, fanden 
wir endlich ein Teidlich 
geeignetes, aber immer- 
hin noch recht heikles 
Fleckchen, von dem aber 
das Zelt mit Inhalt 
gar zu leicht hätte ab 
und in die Tiefe rutfchen 
können, jo daß ich es 
vorzog, in meine Dede 
gewicelt im Freien zu 
ſchlafen. 

Der nächſte Morgen 
brachte das gleiche, viel- 
leicht noch gefährlichere Thun, denn jet galt es, über ſehr glatte, 
ſchräge Schieferplatten hoch über dem und längs des unten bonnernden 
Baches fortzufommen und ein auf der Höhe grünendes Birkenwäldchen 
zu erreichen. In diefem fand ich zu meiner grenzenlofen Ueberraſchung 
endlich wieder die Andeutung eines Steges, der uns ſchließlich um 
viele Gebirgsausläufer herum nad) dem verlaffnen Weideplatz 
Schiruans leitete, mo fich eine weite, entzücende Ausficht auf die 


Raft auf der Höhe von Schiruans. 


— 32141 — 


Schneegebirge, auf den Gletfcher am Uja Trifche im Süden und auf 
die wunderbaren Felsgebilde des Laptalpafjes im Norden erſchloß. 
Eine Raft wie bier ift allerdings eine nicht leicht zu vergeflende 
Wohlthat, nachdem das Leben buchftäblich in unausgefester hand» 
greiflicher Gefahr geweſen ift. 

Bon hier ging e8 auf glatten, fteilen Wiefen und bedrohlich 
überhängenden Felſen hinunter zum mafjerreichen Bad) des Uja 
Triſche, über den hinwegzukommen ich zunächſt gar keine Möglichkeit 
ſah. Schließlich entdeckten die fcharfen Augen meiner unvergleichlichen 
Kulis weit, weit unten eine frühere Hirtenbrüdte — aber was für 
eine! Zwei mit Steinplatten befchwerte lange Baumftämme ftellten 
die Verbindung zweier im Fluß liegenden, oben abgerundeten und 
aalglatten Rieſenblöcke her, auf die hinauf oder herunter zu kommen 
eine Aufgabe war, die nur barfuß und unter Beihilfe aller Teil- 
nehmer zu überwinden war; wäre unfer glüdliches Fortlommen 
nicht eine fo verzweifelt ernfthafte Sache geweſen, hätte ich mich 
hierbei über unſre Anftrengungen halb totlachen können. 

Der Steig führte weiterhin über eine ausgedehnte und wegen 
ihrer fteilen, ſchlüpfrigen Abhänge ebenfalls außerordentlich ſchwer 
paffierbare Schlammlamine hinauf zum Weideplag Schilkuans, mo 
ich endlich wieder Menfchen, und nody dazu ganz reizende, drollige 
Hirtenbübchen mit ſeltſamen, keck auf das Ohr gerückten, zylindrifchen 
Wollmügen antraf. Ich kann mir nicht denken, daß einem Feinſchmecker 
gebratnes Schnepfengedärm befjer munden kann als mir der Honig 
und der weiße fette Schaffäfe, den mir diefe allerliebften Bengel nebjt 
frifchgeröfteten Schupatibroten vorſetzten; allerdings zeigten fih, um 
die Wahrheit zu geftehn, in Honig wie Käſe einige dunkle Punkte, 
doch wo fehlten die wohl gänzlich im Leben? Geld wollten die guten 
Leute aber unter feiner Bedingung von mir annehmen, fo daß ich 
wieder zu meinen bewährten Sturmftreihhölzern griff und fie damit 
unendlich glücklich machte; Gelb beſaßen und fannten fie nämlich 
überhaupt nicht, wie es fchien. 


— 325 — 


Auf leidlich gutem Pfad ging der March von hier durch ein 
Rhododendrondickicht, doch bald war durch einen mächtigen, ganz 
feifchen Erdſturz abermals jede weitre Spur dieſes Weges verwiſcht. 
Nur mit unendliche Mühe famen wir fiber das aufgemeichte Trümmer 
feld und erreichten endlich den ebenfalls nicht mehr benugten Weideplatz 
Talla Schilandy, von wo aus ich tief unter mir in wahrhaft graufen- 
erregender ſchwarzer Kluft den Uja Trifche brodeln und braufen ſah. 

Der Verſuch, von diefem hochgelegnen Punkte über abjcheulich 
ſchlüpfrige Grashalden zum Girthithal abzufteigen, ftellte an unfre 
ſchon aufs äußerfte erfchöpften Kräfte faft nicht mehr zu bemwältigende 
Zumutungen. Auch hier war jede Wegſpur verwifcht; dann zeigte 
fih ein frifcher Bergrutich nach dem andren, und e8 begann wiederum 
ein höchſt angreifendes Klettern um unzählige verwitterte Felsnafen 
und über teile Schutthalden, aus denen dort die Girthithalmände 
bejtehn. 

Wir kamen nur in einem wahren Schnedenjchritt vorwärts, 
doch plöglich gab es in der Thatgar Fein Vorwärts mehr, und auch 
das Zurück ſchien unmöglich, denn eine als Griff unentbehrliche 
Felskante brödelte unter dem zuerft gehenden Kuli ab, der dadurch 
bei einem Haar ſelbſt in die Tiefe ſtürzte, von Hans aber noch mit 
Hilfe des Alpftod3 zurücgehalten wurde. 

„Da find wir ja an einem raren Ort!" war des Tirolers lakoniſche 
Bemerkung; dann fragte er fich in der Aniefehle, als ob ihn dort 
etwas biſſe. Sichtlich beſorgt rollte er fein langes Seil auseinander, 
mit deffen Hilfe wir zunächft uns und dann ſchließlich das Gepäd zu 
der unmittelbar über ung vorftehenden Klippenjtufe emporjeilten, mas 
ungefähr zwei Stunden mühevoller Arbeit Eojtete; zum Weberfluß 
fteömte währenddefjen ein heftiger Platzregen nieder, 

AL wir ſchließlich alle fieben glücklich oberhalb der nichtsnußigen 
Abbruchftelle verfammelt waren und wieder anfingen, durch das 
Geröllmeer weiterzutaften, an das fich nach unten fteile, glatte Fels- 
wände anfchlofien, erlangten wir die jehmerzliche Gewißheit, auch an 


— 326 


dieſem Abend, der bereits einbrach, keinen Platz für ein Zeltlager 
finden zu können, doch zum Glück trafen wir ſchließlich wenigſtens 
unter einem überhängenden Felſen eine Art Höhle an. Nachdem 
die Kulis die darin bemerkbaren Spuren und Speiſereſte wilder 
Tiere entfernt hatten, fachten fie ein Feuerchen an, und trotz deſſen 
Qualm und Raud) jchlief ich, in meine Dedfe gehüllt, wie ein Dachs. 
Draußen aber ging während der Nacht ein Unmetter nieder, wie 
das vor kurzem erft überjtandne, das uns zwar gründlich anblies 
aber auch die Luft für den nächſten Tag rein und alle Wolten 
thalausmwärts fegte. Den Ausgud aus dieſem Felfenhorft durch die 
Girthiſchlucht thalabwärts zeigt das beiftehende Bild, aber nur der 
Kenner fann ahnen, was e8 heißt, unausgefegt an ſolchen Wänden 
ohne jede Wegipur, ohne jeden Gemsſteig vorwärts Hettern zu müfjen. 
Auch der nächite Tag brachte ähnliche und infofern noch ärgre 
Schwierigkeiten, al3 ſich mein Bergſchuh vollftändig in Faſern auf 
zulöfen begann und mir jede Sicherheit de3 Tritt? in den abſcheu— 
lichen, uns in dem Bachbett beftändig entgegenfchiebenden, meffer- 
ſcharfen Scherben benahm. Ich konnte wirklich von fabelhaftem 
Glück fagen, als ich fhließlih den breiten Ausgang der Girthi- 
ſchlucht erreichte und mit meinen Getreuen in allerdings entſetzlich 
heruntergefommnem Zuftande, aber doc mohlbehalten und in guter 
Laune meinen Einzug in das Sommerdorf Malari im Thale des 
obren Dhauli Ganga halten konnte, wo man uns mit jtarrem Ent: 
ſetzen begrüßte. Seit langen Jahren war es ſelbſt den eingebornen 
Mofchustierjägern nicht mehr gelungen, auf diefem hoffnungslos ge: 
fährlichen einftigen Hirtenfteige von Milam nad) Malari zu kommen! 
Wenn ich aud) viel gewagt hatte, jo glühte ich doch vor 
Zufriedenheit, eine derartige, in ihrer Art ganz einzig daſtehende 
Tour durch den allerwildeften Teil des Himalaja erfolgreich zurüd: 
gelegt zu haben; das gab mir Kraft und Luft und Mut, den 
fernren Schwierigkeiten meiner Reife getroft die Stirne zu bieten. 
a — — 


©. 326-27. I. 
Die weglose Girthi-Schlucht, aus meinem Lager im Felſenloch photographiert. 


Sie, Google 


©. 8286-27. II. 
Ausgang der Girthi-Schlucht; tm Vordergrund meine fünf Rutis, 


Arhtzehntes Kapitel. 
Mein Marterweg nah Dſchoſi-Math. 





Fn Malari wurde ich der Mittelpunft einer Aufmerkſamke 
vielleicht‘ ehrenvoll fein follte, aber jedenfall recht Läftig 

7” Die über meine Ankunft durch die Girthiſchlucht völlig 
geregten Dorfinfaffen folgten mir auf Schritt und Tritt bei dem! 
gang, den ich zur Ermittlung des beften :Beltlagerplages durch de 
unternahm. Ein ſolches Plägchen an der grenzenlos kotigen $ 
ftraße zu finden, war eine fehr mißliche Aufgabe, denn mc 
Umgebung eine3 der Holzhäufer von feinen Bewohnerinnen I 
vein gefegt, jo erfuchte mich gewiß der betreffende Hausherr hö 
eine Nummer weiter zu wandern, vielleicht grade aus Sorge 
diefe weiblichen Hausgenofjen; jedenfalls wurde mir das Ein 
in die Häufer überall mit wahren Gebärden de3 Entſetzens ver: 
In Ermanglung meiner abhanden gelommnen Purwana hatte ir 
fein andres Recht, irgend etwas zu verlangen, als das A 
da3 der weiße Mann in Indien überhaupt beanfprucht, dod 
Glück fragte der Ortsältefte gar nicht nad) dem landesüblichen 
weispapier, fondern flug mir vor, mein Zelt in dem dör 
Verfammlungs- und Beratungsjchuppen aufzuftellen. Das wäre 
gar fein fo übler Platz geweſen, aber es hatte dort ganz fi 
eine Yalkarawane genächtigt und den großen Hof in eine 
Düngergrube verwandelt; aber aud) in dem Schuppen felbft | 
nicht viel faubrer aus, und von Regenſchutz war darin nid, 


— 338 — 


zu fpüren, weil die leßten Inſaſſen die Mehrzahl der hölzernen Dach: 
fparren herausgeriffen hatten, um ihr Feuer damit zu unterhalten. 
Der Negen goß zur Abwechslung wieder einmal in Strömen, 


Malari; Gruppe von Dorfbewoßnern, dahinter eine webende Frau. 


und mein Befinden war durch die Nachwirkung der ftrapaziöfen un- 
geheuerlichen Eindrücke der letzten Tage ſowie durch die Qualen infolge 
meine3 vermundeten Fußes das denkbar erbärmlichite. Deshalb ließ 
id), um wenigſtens fo troden und jauber mie möglich zu wohnen, 
mein Belt in den Schuppen hinein und unter das durchlöcherte Dach 


— 329 — 


ftellen. Der Schuppen war aber jo niedrig, daß die Zeltftangen 
nicht zu ihrer ganzen Länge von zwei Metern aneinandergeftedt, 
fondern nur als Hälften benust werden Tonnten; ich mußte alfo 
in einem Zeltchen haufen, deſſen Eingang ein Dreieck mit zwei 
gleichen, je faum einen Meter langen Schenfeln vorftellte, jo daß wir 
nur friechend aus dem efelhaften Kotbrei in das Belt hineinfommen 
konnten. 

Raum hatte ich mich in das Zelt zurückgezogen, um mich end- 
lich einmal wieder auf leidlich ebnem, wenn auch entfeglich übel- 
viechendem Boden der Länge nad) auszuftreden, fo fingen auch 
ſchon wieder die üblichen, verwünſchten Höflichkeitsbezeigungen an; der 
gutmütige Padwari ſchickte einen Buben nach dem andren mit gräß- 
lich unreinem Honig, ungewafchnen Eiern, haariger Butter, ſchlick- 
tiger Milch und feifigen Kartoffeln. Der Hofraum wimmelte bald 
von Menfchen, die fehnatternd den entfeßlichen Kot durcheinander 
trampelten, während die Sonne durch die Regenwolken ftach und 
die widerlichſten Dünfte aus dieſem Moraft brütete. Was ift 
doch zu viel Liebe für eine Qual! mußte ich denken, denn id) lag 
während dieſes Getümmels mit zerfchundnem Fuß in dem unbe 
quemen Zeltchen und wurde von Hunderten von biffigen Pferdefliegen 
gepeinigt ; der Tiroler fehnarchte, und die Kifte mit Küchengeſchirr 
Tag noch ungeöffnet in einer Ecke des verjauchten Schuppens, fo daß 
ich den fchmierigen Heinen Händen, die mir die genannten Delikateffen 
auf Blättern in das Zelt bineinjchoben, nicht einmal Gefäße zum 
Einfammeln ihrer köſtlichen Gaben entgegenreichen konnte. 

Den ganzen nächſten Tag hielt mich mein Fuß unbeweglich an 
dieſes entjeßliche Biwak gefeffelt, doch am folgenden konnte ich die 
betäubenbe Luft, neben der die eines Kuhſtalls ein himmliſcher Wohl- 
geruch geweſen wäre, einfach nicht mehr aushalten. Ich humpelte auf 
die Gaffe, um mir den Verkehr auf dem Saumpfade, der über den 
Nitipaß aus Tibet hier vorbeiführt, ein wenig anzufchaun; er war 
dürftig genug. Eine Schar widerjpenftiger, von ein paar betrunfnen 


— 330 


Tibetern getriebne Efel war alles, mas von Norden herüberkam; 
die Ejel waren mit ungeheuren Bündeln HYakſchweifen beladen, die 
in Indien gern al3 Fliegenwedel für vornehme Hindu-Haushaltungen 
getauft werben. 

Hans wollte inzwifchen endlich einmal unfre waſchbaren Hab- 
feligfeiten reinigen und begab fich deshalb zu dem Wäfcherinnenplag 
an einen feichten Arm des Dhauli Ganga, doch faum bemerkten die 
halb entkleideten Gejchöpfe feine Abficht, al3 fie mit erfchresften 
Mienen davonftoben. Hans ließ fich aber in feinem Betriebe durch 
die abſchreckende Wirkung feiner verwetterten Hünengeftalt auf das 
zarte Gefchlecht in Malari nicht im mindeften irremachen, fondern 
rieb und fnetete unfre Wäfche nuch Herzensluft. Das reizte doch 
mohl die Neugier der Fleinen Weiber, denn fie famen nad und 
nach wieder herangefchlichen, um mit Staunen wahrzunehmen, dab 
ihr Konkurrent die Wäjche weder, wie fie, mit den Füßen hin und 
ber ftampfte, noch durch Schlagen mit Holztnüppeln oder Eteinen 
bearbeitete; vermutlich hielten fie ihn noch für einen Anfänger in 
derartigen Künften, doch war ich nicht indißfret genug, zu beobachten, 
ob und wie fie ihn eines Beſſren belehrten. 

Die Einwohner Malaris trugen in ihrer Kleidung viel Wohl: 
habenheit, die fie ihrer eignen regen Webthätigkeit verdanften, zur 
Schau. Faft an jedem Haufe ſah ich eine Frau auf einer diden 
Wolldede ſitzen und an einem langen Zeugftreifen weben, der an der 
Hausmauer befeftigt war und deſſen andres Ende mit der Web- 
vorrichtung von der Weberin im Schoß gehalten wurde. In hübſchen 
Wolljaden und auf der rechten Schulter feſtgeſteckten Umſchlage⸗ 
tüchern jahen dieje Weiber ſehr gefällig aus, wozu aber wohl aud) 
die Sitte beitrug, nicht allein den linken Nafenflügel mit einem 
Ninge von mindeftens zehn Gentimeter Durchmeſſer, fondern auch 
noch das Nafenfpischen durch ein allerliebftes kleines, mit einem 
bligenden Stein bejetstes Ringelchen zu verzieren. Ich erſchrak aber 
förmlich, als ich bei meinem wißbegierigen Herumhinken in einem 


— 331 — 


abgelegnen, offnen Schuppen vor dem Orte ganz unerwartet ein 
halbes Dusend derartig geſchmückter Köpfchen nebſt den dazu ges 
hörigen, in dicke Wolldeden eingehüllten Dämchen erblickte, die auf 
der Erde nebeneinander lagen wie Pöfelheringe. Ich glaubte zuerft, 


Das Bergdorf Malari. von Eüden geſehn. 


in ein Lazaret gelommen zu fein, doc der Padwari flärte mic) 
fpäter durch die Mitteilung auf, daß dieſes Haus von denjenigen weib- 
fichen Dorfinfafjen bewohnt werden müßte, die grade vom „böfen Geiſt“ 
bejeffen wären, was von Zeit zu Zeit bei einer jeden der Fall zu 
fein pflege. Ich fand diefen Gebrauch ungemein finnreich und hielt 
ihn für ein würdiges Seitenftüd zu dem nachahmenswerten Zorn: 


— 32 — 


gemach, das viele Hindus in ihren Häufern einrichten, um darin die 
von ſchlechter Laune befallnen Familienmitglieder vor dem Bildnis 
der Göttin des Zorns fo lange einzufchließen, bis fie reumütig be 
kennen, daß die ſchlimme Göttin von ihnen gewichen fei und bis fie 
böflichft bitten, daß man fie doch wieder herauslaſſen möchte. 

Während die Frauen webten, hodten die Männer um fie ber, 
um bie Fäden herzuftellen; fie wirbelten dabei den Wollknäul im 
Kreife um und über den Kopf, bis der Faden eng genug gezwirnt 
war. Zur Erzeugung dickrer Schnüre fpreizte der Mann vier 
Faden durch zwei kreuzweis hindurchgeſteckte Hölzchen auseinander, 
und ein andrer Mann drehte dann diefe Fäden wie ein Seiler zu: 
fammen. Auch fah ich in der Nähe einige Weiber Hanf ernten, 
mobei fie jedes einzelne Pflänzchen ſamt der Wurzel mit einem 
Heinen Pickel aus der Erde fragten. 

Die Holzhäufer von Malari mit ihren bemooften und mit Steinen 
beſchwerten Schindelbächern waren wie Schwalbennefter an die fteile, 
wilde Felsſchlucht geklebt, durch die der Dhauli Ganga braufte; fait 
fahn fie wie Schweizerhäufer aus. Dice, verwetterte Tannen und 
Inorrige Cyprefjen mit wagerechten Aeften fäumten das ſchöne Land: 
ſchaftsbild, daS bie mit blendendweißem Neuſchnee bedeckten Gipfel 
de3 Bunga und Kati Banar frönten; im Vordergrunde weideten 
Zebukühe, Eſel und Ziegen an einem jähen, frifchen Felöfturze, und 
ein Adler ſchwebte einfam über der mit zerftäubten Waſſer gefüllten 
und von einem dreifachen Regenbogen überwölbten Schlucht. 

So fchön die Lage von Malari auch war, und fo fehr auch 
mein Fuß der Schonung bedurfte, drängte e8 mich doch weiter nad 
Dſchoſi⸗Math zu kommen, wohin ic) mir das eingemechfelte indiſche 
Geld und meine Briefjchaften durch den aus Milam nach Almora 
geſchickten Eilboten bejtellt hatte, wie ſich der Leſer wohl noch 
erinnern wird. Der Weg thalabwärts Tängs des Dhauli Ganga 
war allerdings durchaus nicht verlodend, denn er beftand eigentlich 
nur aus ſechs Viehſteigen, auf denen feit alten Zeiten Yats, Schafe 


— 333 — 


und fonftige Saumtiere, eins hinter dem andren getrieben wurden, 
auf denen aber auch die Wallfahrer aus diefem Grenzbezirt nach 
Badrinath zu pilgern pflegten. Auf Befragen gab ich beharrlich an, daß 
ich nur deshalb aus dem fernen Deutfchland hierher gekommen fei, um 


Malari. 


das Heiligtum in Badrinath zu beſuchen; ich konnte mir ſchon denken, 
daß ich dort als Europäer nur ſehr ungern geduldet werden würde. 

Die Vilgerfahrt führte zumächft durch eine tief eingefchnittne 
Schlucht, in der da8 Donnern der Wafferftürze gewaltig wieber- 
halte. Ich hatte unfreiwillig viel Muße, diefem Dröhnen zu laufchen, 


— 334 — 


denn wir kamen nur ſehr langſam vorwärts; bei jeder Kuli- ober 
Hirtengruppe, die wir antrafen, hielten meine Träger an und reichten 
ſich die Wafjerpfeife, die dann von Mund zu Munde ging, wobei 
auch den Begegnenden allerlei wichtige Neuigkeiten über mich be- 
richtet wurden. Die und Begegnenden traten dann zum Abjchied 
regelmäßig vor mich Hin und führten mit tief zur Erde gebeugtem 
Haupt die Hand an die Stirn, aber durch die ruckweiſe Ausführung 
dieſes Grußes ſah das grade fo aus, als bückten fich die Leute 
urplößlich, um einen großen Stein von der Erde aufzulöffeln und in 
gebüdter Haltung gegen mich zu fehleudern, und ich geftehe, daß ich 
bei der erften, unvermuteten Anwendung dieſes Grußed ein wenig 
ftußte. Weil aber der Grüßende dabei Salam Sahib! Heil dir, 
Herr! ausrief, ſchien zugleich mein armer Tiroler in fchmerzlicher Er: 
innrung an feinen legten Salamizipfel zufammenzuzuden, fo daß ih 
ihn mit der Hoffnung bejänftigte, in Naini Tal gewiß gute englifche 
Wurſte für unfre fernere Reife zu erhalten; er fchien jedoch nur zu 
unfven heimatlichen Produkten Vertrauen zu hegen. Nach eignen 
üblen Erfahrungen kann ich fpätren Himalajareifenden nicht dringend 
genug ‚raten, ihre gefamte Ausrüftung und vor allen Dingen ihren 
Konfervenbedarf in ganz friiher Ware entweder vollftändig mit fih 
zu bringen ober beizeiten mitteljt Frachtdampfern, zum Beijpiel des 
Deftreichichen Lloyd oder der direften Hanja-Linie von Hamburg 
nad Kalkutta ſchicken zu laffen. Diefe Spefen find gering gegenüber 
dem ungeheuren Vorteil, genau zu wiffen, daß man friichen Proviant 
hat. Freilich iſt in den riefigen Magazinen in Kalkutta und Bombay fait 
alles zu haben, was das Herz begehrt und noch dazu fo, daß man 
in demjelben Kaufhaus Schmweizerfäfe und photographijche Apparate, 
Sättel und Damenfleider erhalten kann, aber es iſt feine Annehm: 
lichkeit, auf hohem Bergesgipfel ſich an einer Fifchlonferve laben zu 
müffen, die zufällig bereit3 ein paar indifche Sommer hindurh in 
Kalkutta den Laden gehütet hat. Außerdem entjprechen die deutjchen 
Konferven unſrem Geſchmack doch mehr als die englijchen. Für 


— 335 — 


Hochtouriſten find natürlich ſelbſtkochende Konſerven, das heißt Büchien 
in Verbindung mit einer Wärmevorrichtung, wie ſie neuerdings 
zum Beiſpiel die Firma Reeſe in Wülfel bei Hannover in den Handel 
bringt, eine nicht zu unterjchägende Neuerung. Auch alles alpine 
Gerät, wie Bergfchuhe, Alpenzelte, Bergſtöcke, Schlafiäde, Laternen, 
Schneebrillen, Eispickel, Steigeifen und dergleichen, bringe man ums 
Himmels willen aus Europa mit, fonft läuft man Gefahr, daß man 
bei Beftellung auf ein „Gebirgszelt“ ftatt eines winzigen, federleichten 
Alpenzeltes einen wahren Wald von Leinwand und Stangen 
zugeſchickt befommt, der zum Fortfchaffen allein eine Kompagnie von 
Kulis erfordert, allerdings dafür auch die Möglichkeit bietet, eine 
Heine Tanzfejtlichkeit darin zu veranftalten. Man darf bei Reifen 
im Himalaja nie vergeffen, daß in Indien unter der Vezeichnung 
Himalaja gewöhnlich nur die ſchon fo oft erwähnten hill-stations 
verjtanden werden, in deren Umgebung man allerdings vollfommen 
mit den auch in der Ebne üblichen Tuftigen und eleganten Lurus- 
zelten auskommen Tann. 

Die Blide auf die zahlreichen Wafjerfälle der Seitenfchluchten 
mit ihren gletfchergefüllten Thatjchlüffen entfchädigten für den holprigen 
Weg über die endlofen Steinblockmaſſen, zwifchen denen Hagebutten 
und Wacholderbüfche nebit üppigen Brennefjeln wuchſen. Hin und 
wieber zeigten fich in den Felswänden feheinbar ganz unzugängliche 
Höhlungen; in einer folchen ſaß pagodengleich ein nadter und durch 
Afche weiß getünchter Büßer mit untergefchlagnen Beinen und mit 
dem üblichen hohen Neft aus verfilzten Zöpfen auf dem Haupte. 
Die Vorübergehenden Iegten dem Sonderling, der feinen Schlupf: 
winkel nur mit Hilfe eines von oben heruntergelafinen Taus er- 
reicht haben konnte, ihre Almofen oder Spenden an Lebensmitteln 
in feine aus einem Kürbis gejchnittne Schale, die er an einem 
Strid aus feiner Sommerwohnung bis zut Straße herunterhangen 
ließ; fpäter jah ich auch derartige Bettlerfchalen oder Lotas in gleicher 
Form in Bronze gearbeitet als Geſchenke frommer Verehrer folcher 








— 336 — 


wunderlichen Heiligen, die man heutzutage in Indien nur noch ganz 
abſeits der großen Heerſtraßen in voller Urſprünglichkeit findet. 

In dem ausgehöhlten Stamm einer ungeheuren Pinie hatte ſich 
ein ähnlicher Sanyaſſi an der Straße niedergelaſſen, doch, trotzdem 
das Innre des Baumftamms duch das von dem Büßer darin 

unterhaltne Feuer vollftändig verfohlt war, grünte 
der Wipfel des Baums noch in üppigiter Friſche 
und Kraft. 

Von Malari, daS 10048 Fuß (3062 m) 
hoch Tiegt, zog fich der Weg fehr hoch über dem 
in der Tiefe zwifchen prächtigen Tannen bergab 
ſchäumenden Dhauli Ganga hin, fo daß ich am 
Schluffe des Tagesmarjches beim Hirtenplag 
Dſchelam nicht tiefer heruntergefommen, fondern 
geftiegen war, denn Dichelam liegt in 10109 Fuß 
(3081 m) Höhe. ‘Der Bli auf die gelben und 

Betilerihale (Lota) aus toten Buchweizenfelder an den Berglehnen war 
BBB aus dieſer kahlen, mit Edelraute überwucherten 
Höhe ungemein maleriſch, nicht minder das bunte 
Treiben um mein Zeltlager, das ich notgedrungen inmitten einer 
Herde von mehr als tauſend Laſtſchafen aufſchlagen mußte, die Gerſte 
nach Tibet ſchafften. Die Treiber hatten ſchon vor meinem Eintreffen 
jedes freie Plätzchen in Dſchelam mit Beſchlag belegt, und wo ein- 
mal fo ein tibetijches Schaf fein ſtattlich behörntes Haupt zur Ruhe 
niedergelegt hat, da helfen weder Prügel noch Lift, um es vor voll: 
zogner Raſt zum Aufftehn zu bemegen. 

Die Abend: und Morgentemperatur ſank auch hier täglich unter 
den Nullpunkt, aber nie habe ich wohl ein fröhlicheres Gelächter 
aufgefchlagen, al3 beim Anblick ber vor Froft zitternden Hirten von 
Dſchelam. In dien Jaden aus Schafzfell und mit bafchlikartig 
um Kopf und Mund und Hals und Ohren gewidelten Kopftüchern 
und fabelhaften Leibbinden, durch die fie fettwanftig wie Falſtaffe 


— 37 — 


ausfahn, aber mit volljtändig nadtten, ſpindeldürren Beinchen trippelten 
fie fröftelnd hin und her, um die Tiere loszubinden. Für einige 
leere Konfervenbüchfen taufchte ich zwar von ihnen einen großen 
Beutel mit Bohnen ein, aber zum Lafttragen war bier für den 
nädften Tag fein einziger Mann zu bekommen, denn jeder war zu 
ſehr mit der Abfertigung der riefigen Schaflaramane beſchäftigt. 

Nach einem beträchtlichen Opfer von Sturmftreichhölgern wurden 
mir jchließlich zwei zitternde, kopfwackelnde Greife, ein ebenfo ur 
altes Weib mit einem Rieſenkropf, das feinen richtigen Schritt 
machen fonnte, weil ihre Füße nach einwärts gekehrt waren, ferner 
zwei ganz hübfche, junge Mädchen und ein etwa fünf Jahr alter 
Bube mit einer ftattlichen, wie ein Seemannsſüdweſter geformten 
Müse aus Schaffell zur Verfügung gejtellt. Nie hat in mir 
Erbarmen und Lachluft mit jo wechjelndem Erfolge gelämpft, wie 
beim Anblick diefer Mäglichen Trägerkolonne, die Hans nicht einmal 
eines einzigen Vlies zu würdigen ſchien. Die Hauptſache war 
jedoh, daß die Reife wieder vorwärts ging, wenn auch mit einer 
Geſchwindigkeit, die an Stillftehn ftreifte. 

Die beiden Mädchen hatten vollauf zu thun, der taprigen, alten 
Here über glatte Felsplatten hinwegzuhelfen, oder den kopfwackelnden 
Greifen beizuftehn, die natürlich ihre geliebte Wafjerpfeife während 
des Bergabkletterns nicht ausgehn laſſen wollten. Manchmal, aber 
nicht allzuhäufig, reichten fie diefes Labfal auch der garftigen, gierig 
danach greifenden, alten Vettel und noch feltner den beiden Mädeln, 
die nicht umhin konnten, beim Saugen heimliche Blicke nad) mir zu 
richten; fie mochten wohl in meinen lächelnden Mienen lefen, daß 
ich noch füßre Genüffe für zarte, ſchwellende Mäbchenlippchen kannte, 
als fo eine unfaubre Allerweltspfeife. Um gleich einen praftifchen 
Beweis davon zu geben, gab ich dem einen Fräulein etwas in Staniol 
gewickelte Schokolade von Hartwich und Vogel zu koſten, die fie aber 
nur eigenhändig aus der Blechbüchſe nehmen wollte, während die 


andre lieber an dem Hlebrigen  Pfeifenrohr weiterſchmauchte. Die 
Boed, Indiſche Gletſcherfahrten. 22 


= 








— 338 — 


Schokolade fehien ihr auch fo gut zu ſchmecken, daß fie, für dieſen 
Tag wenigftens, die Tabalspfeife mit Verachtung ftrafte und beſtändig 
bettefnd das Mäulchen ſpitzte oder mit den Lippen ſchmatzte, fo oft 
fie in meine Nähe kam; ich beforge freilich, daß fie an ihrem häus- 
lichen Herde doch bald wieder dem üblichen Rauchen von gedörrten 
Hanfblättern, Zuckerrohrſtückchen und dergleichen ſchönen Dingen 
gefrönt haben wird. 

Der Weg führte fortwährend fteil hinunter und an den zahl: 
reichen Feuerftellen der Lagerpläge Kola und Thuma Gwar vorüber, 
bis er dicht an den Fluß trat, in deſſen Stromfchnellen wunderfam 
ausgehöhlte und fpiegelglatte, rundgeſchliffne Rieſenblöcke Lagen. 
Deutlich konnte man hier an den himmelanftrebenden und am obren 
Rande phantaftiich zerfplitterten Uferwänden die ausgewafchnen 
Spuren de3 einft viel höher hinaufreichenden Flußbettes ſehen. 
Wiederholt waren auf diefer Strede die Brucken weggeſchwemmt 
und durch abfcheuliche Notbrüdten erfegt, und noch viel häufiger war 
der Steig durch Bergrutjche zerftört und dann verlegt worden. 

ei dem mächtig unterfpülten Gari-⸗Felſen änderte fi das Land- 
ſchaftsbild ganz überrafchend. Ich war wie geblendet, als ich aus 
der bisherigen düſtren, fteilmandigen Felsſchlucht hinaustretend ein 
weites liebliches, lachendes Gefilde vor mir fah, deffen grüne Wiefen 
und ausgedehnte Felder zu ben verfallenden Hütten des nahen 
Pungerafu Gwar gehörten. 

Nach einiger Zeit traten bie Ufer abermals fteil zufammen, bis 
bei Nagbotta der an die Felſen gepreßte, im Zickzack geführte Weg 
wieder fo bösartige Stellen aufwies, daß mich mein noch immer 
kranker Fuß ganz gewaltig hinderte und fehmerzte; aus diefem Grunde 
durfte ich über die unglaublich langſam fortichleichenden Kulis gar 
nicht einmal ernftlich zürnen. Ich zog unter wahren Tantalusqualen 
meinem Wallfahrtsziele entgegen. 

Das hoch oben an einem von Often einmündenden Seitenthal 
liegende Dorf Tolma jah fo abſchreckend dürftig und die von dort zu 


— — — 


— 339 — 


uns herabeilenden Kinder jahen jo ausfägig und fchmierig aus, ! 
ich meinen jämmerlichen Kulitrupp durch reichliches Spenden ı 
Schokolade und Verſprechung leerer Konfervenbüchjen noch ein p 
Kilometer weiter tyalabwärts bis Lata lockte. Die hier für Want 
bergerichteten Hütten glihen aber jo auffällig großen Schmweineftäl 
daß ich es vorzog, die Nacht unter einem überhängenden Felsb 
zuzubringen; Ramwolta nannten die Kulis den Plab. 

Kaum hatte ich meine Schlafdecken ausgebreitet, al3 neue | 
fömmlinge eintrafen, die ebenfalls beabfichtigten, die Nacht unter i 
Schuß besjelben Felſens zuzubringen. Zuerſt erfchien ein in ſchi 
weiße Leinentücher gehüllter, fetter Hindu auf einem ſchellenraſſelnt 
geſcheckten Bergpony mit einem bunten Troß von mehr als brei 
Dienern; es war ein Beamter der indischen Regierung, der Nı 
forfchungen wegen der von den Tibetern in dieſem Grenzgebiet wil 
rechtlich erhobnen Abgaben angeftellt hatte. Dann folgte ein Dub 
Hirten mit ihrer Ziegenherde, und zum Schluß Hetterten zwei a 
gehungerte, klapperdürre Männchen den Felsſteg, der zu mei 
Unterfchlupf führte, hinunter; fie hatten um ihre braunen Kör 
nichts weiter al3 fadenfcheinige Lalen gewickelt, die in guten Ta 
wohl einmal orangefarbig geweſen fein mochten. All diefe Geftal 
gruppierten ſich ſchwatzend um das lobernde Feuer vor meiner Fel 
luft, und wenn fie aud ein überaus malerifches Stüd indife 
Zigeunerlebens darftellten, wünfchte ich doch lieber in Ruhe a 
ſchlafen zu können. Ich freute mich deshalb herzlich, als ein Pl 
vegen dazwiſchenfuhr und das ganze Gewimmel nach Tolma fprenı 
freilich flüchteten fih aber vor biefem Regen auch dide, borft 
braune Raupen in Legionen unter mein Felſendach, ſo daß ich 
ganze Nacht mit dem Ableſen dieſer garſtigen Tiere zu thun ha 
glücklicherweife hatte ich ſchon durch das früher erwähnte Abklau 
von Blutegeln in derartigen Griffen einige Fingerfertigfeit erlaı 
doch war ich überraſcht, immer noch neue Uebungen diefer Art ten 
Iernen zu müſſen, die die früher vollgognen an Eigenart übertra 





— 30 — 


Dieſe unangenehme Nacht wurde übrigens noch dadurch ver- 
ſchlimmert, daß der Qualm unſres Lagerfeuers vom Winde in mein 
Felſenneſt getrieben wurde, fo daß mein Kopf bis zur Meerſchaum⸗ 
ſchwaͤrze angeräuchert wurde. Kurz vor Sonnenaufgang aber erhoben 
indische Nachtigallen und zahllofe andre buntgefiederte Singoögel, 
die ihre Nefter in den Zeljenfpalten hatten, einen hundertftimmigen 
Morgengefang von fo hinreißender Schönheit und Kraft, daß ich 
einigermaßen verjöhnt den Greigniffen des kommenden Tages ent- 
gegenfah. 

Mein Fuß war fo bebenklich angeſchwollen und ſchmerzte fo 
unfinnig, daß ich gar nicht ans Aufitehn denken konnte, gleichzeitig 
war aber das durch die nahe Schlucht tofende Waffer von dem in 
der Nacht zum Wolkenbruch ausgenrteten Regen dunkelbraun gefärbt 
und faft zum Ueberfchwellen gebracht worden; entwurzelte Bäume 
und rollende Steine trieben bereit3 ganz dicht an meiner Lagerftätte 
vorbei. Der Tiroler fehien auf den Tob erfchroden und machte 
fi) eben bereit, mich auf feinem Nüden an einen geficherteren 
Ort zu fchleppen, als unfrem Schlupfwinkel unmittelbar gegenüber 
eine Steinlawine von erjchredender Mächtigfeit niederbrach und 
Millionen von Steinen jeder Art und Größe in die Schlucht vor 
unfren Augen und fogar gegen die Felswand fchleuberte, unter der 
wir Zuflucht gefucht hatten; hätte fich Hans nicht jchleunigft platt 
neben mich unter den Felshang geworfen, wäre er unfehlbar von 
dem Steinhagel getroffen worden. Kein Sprengftoff Tann eine 
Granate in Trümmer von verheerenderer Wirkung zerfplittern, al 
fie hier offenbar wurde. Stundenlang dauerte noch das Raſcheln 
nachrollender Steine, aber der Höhepunkt der Gefahr war vorüber, 
fo daß ich ruhig liegen bleiben und meinen Fuß fehonen Tonnte. 

Meine Kulis hatten inzwifchen für würdige Nachfolger geforgt. 
Ich Hatte mir für den nächften Tag ausdrüdlich weibliche Kulis 
verbeten, da e3 mir wirklich ins Herz ſchnitt, die armen Mädel jo 
überlajtet zu fehen; mit fatanifcher Freude ftellte mir num die alte 





— 341 — 


Here den Erfolg ihrer Bemühungen vor. Sie brachte fünf Männer, 
die ausfahn, als ob fie ſchon mindeftens Hundert Jahre in der 
Erde gelegen hätten oder als ob jeder einzelne bei einer Ausftellung 
von Vogelſcheuchen den Meifterpreis davontragen wollte; es waren 
grabezu ideale Bogelfcheuchen, denn einer war immer doppelt jo 
ſcheußlich wie der andre. Für die fechite Laft war aber um fein 
Geld ein weitrer Träger aufzutreiben, und fo zog ich denn in der 
Frühe des 18. September mit diefen jchlotternden Lemuren ab, 
indem ſich Hans die fechite Kulilaft neben feinem eignen Ruckſack 
aufpadte; er ſprach jetzt gar nichts mehr, wahrſcheinlich hatte ihm 
die alte Furie bie Sinne ein wenig verwirrt. Auch verging mir bald 
das Spotten über meine trübfeligen Helfer, als fie mir winfelnd aus- 
einanderfegten, wie erbarmung3los Peſt, Cholera und Hungersnot 
zurzeit bier in den Bergen von Garhwal und Kumaon hauften und 
die Einwohner bezimierten. 

Es war ein Glüd für mich und meinen leidenden Fuß, daß 
der Saumpfab von hier ab endlich etwas beffer wurde; ich hätte 
ſonſt doch ſchließlich wohl elend am Wege liegen bleiben müffen. 
Hans fchnigte mir aus einem geeigneten Aft eines wilden Aprikofen- 
baums eine geeignete Krüde, jo daß ich, ohne den gefchwollnen und 
jest ganz ſchuhloſen Fuß auf die Erde ſetzen zu müflen, thalabwärts 
bopfen Eonnte. 

Bei Tapoban machte der Fluß eine ftarke Biegung um einen 
weit vorfpringenden glatten Felsberg, und dort zeigte fich ein ganz 
überrafchendesg Schaufpiel. Das Braufen des Fluffes übertönte 
wohl meine Ankunft, fo daß ich das ſich bietende Bild einige 
Augenblice in Muße würdigen konnte, obgleich es viel ziemlicher 
für mic, geweſen wäre, fchleunigit wieder hinter die Felfenkuliffe 
zurüczuhumpeln. Un diefer Stelle war nämlic eine heiße Quelle 
in zwei Becken geleitet; in dem einen ftampften ein paar hoch— 
geſchürzte junge Weiber ihre Wäfche taftmäßig mit den Füßen, im 
andren aber tummelten fich fröhlich ein Dutzend fehofoladenfarbige 





— 342 -- 


Püppchen herum. Sie gofien ſich das ſchwachdampfende Naß aus 

Holzſchalen über die jungen Glieber und trieben allerlei jonftigen 

Hokuspokus badender Nymphen; auf dem Dach eines niebrigen 

Steinhüttchens faßen bereits ein paar andre, in weiße Deren gehüllte 

ſchwatzende, ſchälernde Mädchen, die das heilkräftige Waſſer auf ihrer 
braunen Haut auftrocnen zu laſſen fchienen. 

ebenfalls hatten die Damen hier feinen Europäer vermutet, 

manche von ihnen einen folchen wohl 

überhaupt noch nicht gefehn; man 

kann fic) alfo denken, mit welcher 

Haft die zierlichen Gefchöpfe zu ihren 

Tüchern hufchten, und wie beſchämt 

fie dann den Schleier über das Ge 

ficht ſchlugen, als fie mich hinfenden 

Krüppel nebjt dem ebenfalls furdt- 

bar vermildert ausjehenden Tiroler 

und der Trägerhorbe daftehn und 

mid) im Begriffe fahn, den ihnen noch 

unbelfannten aber jedenfalls nicht viel 

Gutes verfprechenden photographi- 

a en Kaſten auf den Dreifuß zu 

ſchrauben und dann aufihre Figürchen 

zu richten. Ich mußte lebhaft an Krifchna denken, den Lieblingsgott 

der Hindus, genauer gefprochen eine Menſchwerdung oder Inkarnation 

des Gottes Wiſchnu in Geftalt de3 Helden Krifchna, der nicht nur dad 

Verdienſt hat, allerlei götterfeindliche Dämonen umgebracht zu haben, 

fondern aud die den finnlichen Hindus fehr verftändfiche und 

dankbare Rolle eines angenehmen Schwerenöter8 bei der mytho— 

logiſchen Damenwelt Indiens fpielt. Won ihm geht nun die Gage, 

daß er fich beſonders bei den Kuhhirtinnen beliebt zu machen mußte, 

indem er fie zunächſt durch feelenvolles Flötenfpiel bezauberte, dann 

fi) mit ihnen auf der Schaufel ergößte und fonftige kindliche Scherze 


— 343 — 


mit ihnen trieb, bis er ſie in ſeinem 
Garn hatte. Mit Vorliebe wird 
deshalb Kriſchna als Hausgott aus 
Bronze mit einer den Hirtinnen zum 
Scherz weggemauſten Butterkugel in 
der Hand dargeſtellt, aber noch viel 
lieber wird er in den Zweigen eines 
Baumes ſihtzend abgebildet, zwiſchen 
denen er die Tücher verſteckt hat, die 
er heimlich den neben dem Baum 
badenden Hirtinnen weggemauſt hat. 
Und dieſer göttliche Unfug kam mir 
a dieicanädcen recht lebhaft in den Sinn, als bie 
Tafaofarbigen Najaden fo unfäglid) 
erſchreckt vor mir durcheinander quirkten und nad) ihren Schleiern 
herumfuchten. Es ſchien ihnen aber hierbei eine Hauptjache zu fein, 
daß vor allen Dingen ihr Gefichtchen durch irgend einen Tuchzipfel 
bedeckt wurde; alles übrige war gleichgültig. 

Weiterhin am Wege ftand ein feltfames, aus Bafaltjteinen 
zufammengefügtes und mit alten Tempeltrümmern ausgefchmücktes 
Gebäude. Ueber der Thür befand fich ein eingemauertes Relief, eine 
grinfende Gottheit mit riefig langen Ohrläppchen vorftellend, und davor 
ſaß ein verwilderter Mann, wohl der Bewohner dieſes abgelegnen 
Obdachs. Als ich ihn grade berühren wollte, 
um eine Photographie feines von Leiden 
durchfurchten Gefichts zu machen, rifjen 
mid) die Kulis mit flehenden Gebärden 
zurüd und freifchten mir entjegt in die 
Ohren, daß diefer Unglüdliche ein Aus— 
fäßiger, ein mit der anſteckendſten Art der 
Lepra Behafteter fei, der deshalb hier s 
abfeit3 aller Lebenden haufen müſſe. Bronjefigur ariſchnas als Butterbieb. 


— 34H — 


Während ich mich ſchaudernd in den Anblick biefes "Unfeligen 
und der ihm umgebenden, fo reich gefegneten Natur verfenkte, wurde 
ich von einer Unzahl von Fliegen beläftigt, gegen die weder Salmiak- 
geift noch Fliegenwedel halfen; für jede vernichtete jummten fogleich 
zehn andre herbei. Um die Reize diefer Fliegenjagb zu vermehren, 
brachte der ältefte 
meiner Kuli-Greife 
zitternd die Bemer- 
fung vor, daß bie 
Kulis keinen Schritt 
mehr zu gehen ver: 
möchten. Ich mußte 
dies den fiechen ar: 
men Teufeln mohl 

glauben, wendete 

aber doch meine be- 
wãhrte Vorſichts⸗ 
maßregel an, ihnen 
nicht eher den Trä- 
gerlohn auszuzahlen, 
als biß fie mir neue 
Kulis zur Stelle ge 
ſchafft hatten. Ein- 
geben meines Ver⸗ 
bote3, mir nie wieder 
weibliche Träger vor 
Augen zu bringen, kamen die alten Sünder jest mit einem Dutzend 
Heiner Kinderchen anfpaziert, und verficherten, daß in ganz Tapoban 
fein einziger erwachiner Kuli aufzufinden fei. 

Die Kleinen fteetten die Köpfchen zu zweien oder breien unter 
je eine Kulilaft und trabten damit im Sturmſchritt davon, jo daß 
fie mir mit dem Gepäc bald aus den Augen kamen. Ich jah an 


Gin Lepra-Ausfägiger. 


— 3465 — 


den Fußſpuren, daß fie den früheren, verlafinen aber näheren Steig 
eingefchlagen hatten, und war thöricht genug, zu verfuchen, ebenfalls 
über diefen Fürzeren aber jehr müften Steig nach Dſchoſi-Math hinunter 
zu hüpfen; mit größter Ueberwindung brachte ich e3 fertig, den 
invaliden Fuß ftet3 in der Schwebe zu halten und niemals auf die 
Erde zu ftellen. Entfeßlich kritifch wurde aber diefer Marſch, als 
eine Schlammlamwine, die wir grade im Begriff waren zu über- 
fteigen, aufs neue in Bewegung geriet, ehe wir fie noch zur Hälfte 
überfchritten hatten. Der breiige Lehmftrom floß mit uns unaufe 
haltfam einem fenkrechten Abfturze zu, von dem er fich als ekelhafter 
Moorfall in den reißenden Fluß hinunterwälzte. Die einzig mögliche 
Rettung beftand darin, daß wir fo eilig wie möglich in einem Winkel 
von 45 Grad gegen die Abfturzrichtung bergauf fteuerten, eine Leibes- 
übung, die meinem leidenden Fuße grade noch gefehlt hatte. Der 
Schlammftrom trug uns hierbei wieder fo weit bergab, daß wir an 
feinem andren Ufer richtig die Wegfortfegung erreichten. Da ich nur 
eines Fußes mächtig war, bildete diefer Schlammftromübergang eine 
der aufregendften und gefährlichiten Stellen meiner ganzen Reife. 

Als ich am Dat Bungalo in Dſchoſi-⸗Math eintraf, Tauerten die 
Kuliknaben bereits in Reih und Gfied vor der Thür, und alsbald fand 
ſich auch der Poftmeifter des Ortes ein, der als einziger von fämt- 
lichen Hindus im Orte ein paar Brocken Engliſch verftand. Er 
hatte weder von Briefen noch Geldern für mich jemals irgend etwas 
gehört oder gefehn, wie dies ja auch noch gar nicht ander3 möglich 
mar; ich malte mir aber bereit3 aus, was mir hier bevorftände, 
wenn das Wechfelgeld überhaupt niemals anfäme. 

Ich hatte jest faum noch drei Aupien im Eleiner indiſcher 
Münze in meinem Befis und machte deshalb auch hier den Ver— 
ſuch, einige andre deutfche Zwanzigmarkſtücke anzubringen, die ich 
noch in meinem Gepäck vorgefunden hatte. Aber weder der Poft- 
meifter noch) einer der reichten Bauern wollte fie für Gold gelten 
laffen. Mit grimmigem Galgenhumor fah ich bereits den Augenblict 








— 346 — 


nahn, mo ich feierlich Konkurs anmelden würde, denn e3 war feines: 
wegs ausgefchloffen, daß mein nah Almora gejandtes Geld auf 
Nimmerwieberfehn verloren war. Das Warten auf das Eintreffen 
des Wechfelgeldes, das in etwa vier Tagen zu gemwärtigen mar, 
wäre mir natürlich ſehr langweilig und ungemütlich geworden, 
beshalb wollte ich, jobald ich mich ein wenig erholt hatte, in dieſer 
Zwiſchenzeit einen Ausflug nad) Badrinath unternehmen. 

In dem dumpfigen Bungalo trieben ungeheure Spinnen, fait fo 
dit wie Tafchenkfrebje, ihr Wefen. Hans hatte mit feinem „Weg: 
putzen“ folcher Spinnen bereits früher jo üble Erfahrungen gemacht, 
daß er fich hütete, nochmals eine folhe Spinne zu zerfchneiden; 
diesmal warf er fie lieber ins Feuer. Er ficherte uns auf dieſe 
Weife einen ungeftörten Schlaf, troßbem draußen von allen Seiten 
durchdringendes Inſektengezirpe wie Kaftagnettengeflapper ertönte. 

Vom Dat Bungalo aus bot fich ein recht hübſcher Blick auf 
das Dorf Dichofi-Math und die Schlucht des Dhauli Ganga, dur 
die ich gefommen war, eine Ausficht, die ich durch die beigefügte 
Photographie wiedergegeben habe. Das Dorf erfreut fich großer 
Wohlhabenheit, aber auch des Aufes, ein Kapua für diejenigen 
frommen Hindus zu fein, die von ihrer Wallfahrt nach Badrinath 
zurückkehren, denn alle weltlichen Freuden, die in dem heiligen 
Tempelort Badrinath verpönt find, können fie hier in Dſchoſi-Math 
ungeftraft in Hülle und Fülle genießen. Es fiel mir hier auch fofort 
auf, daß faft alle Frauenzimmer ein weit freiere, übermitigeres 
Wefen zeigten, als es ehrbaren weiblichen Perfonen in Indien 
geziemt. Der Gedanke lag nahe, daß diefe dreift und unbeforgt in 
die Welt trillernden Wefen zu jener Sorte von Lilien auf dem Felde 
gehörten, die Goethe in feiner formfchönen Dichtung „Der Gott und 
die Bajadere“ in zwar höchft poefievoller aber recht wenig indiſcher 
Weife zu fehildern verfucht hat. Merkwürdig und abweichend war 
auch die in Dicofi-Math übliche Form der Ohrringe; diefe beftanden 
aus einem viefigen Ning aus dünnem Golbdraht, der unten einen 


I 





— 347 — 


ſichelartigen Anſatz hatte. Auch die kurzen Jäckchen, die auf dem 
Rücken zugeknöpft werden und die Magengegend unbedeckt laſſen, 
hatten hier brennendere und gefälligere Farben als anderswo und 


Diqoſi · Math, vom Dat Bungalo geſehn. 


ſtimmten vortrefflich zu dem temperamentvollen Benehmen ihrer 
leichtfertigen Trägerinnen. 

An dem Tempel fand ich mehrere Pilgerhäuſer, die mit Wall- 
fahrern und Büßern aller Art vollgeftopft waren. Ich machte 
grade eine Aufnahme von dem in Holz geſchnitzten Tempelthor, als 
ein recht merkwürdiger, nämlich völlig unbefleideter Herr langſam 
aus dem Tempel heraustrat. Wie mir der Poftmeifter erläuterte, 
war dieſer Mann erſt kürzlich von Badrinath zurücgefehrt, wohin er 


— 38 — 


fich wegen Ungehorfams gegen feinen heimifchen Guru, feinen Haus- 
brahminen, auf den Bußweg hatte machen müffen. Der Schwere 
feiner Schuld entfprechend, war ihm aufgetragen worden, diefe Wall- 
fahrt in ziemlich unbequemer Weife auszuführen, nämlich nadt, ohne 
jede Kleidung, und ganz mit Ajche von verbranntem Dünger heiliger 
Kühe betreut. So hatte er von feiner weit entlegnen Heimat in 
Sädindien bis hoch hinauf zu dem Bergtempel in Badrinath. auf 
dem fteinigen, ſchmutzigen Erdboden hinfriechen müffen, aber dabei 
ftet3 feine Leibeslänge zweimal vorwärts mefjend, dann wieder einmal 
zurück, und immer fo fort, wobei er die Leibeslänge jedesmal mit 
einem Kuhhorn in den Weg fragen mußte. Diefe ganze Pilgerreife 
von feinem fernen Wohnfit bis zu dem Wallfahrtsort Badrinath 
hatte ihm bisher bereit8 vier Jahre feine Lebens gefoftet! Nun 
hatte er dort oben in einer der heiligen Quellen de3 Gangeszufluffes 
Alaknanda feine Sünden abgewafchen, auch dem Oberbrahminen von 
Badrinath die vorgefchriebne Sühnung geopfert, und war jetzt auf 
dem Heimmege begriffen. Aber auch diefen durfte er nicht etwa mie 
ein gewöhnlicher Sterblicher zurüdgehn, fondern nun hatte er die 
nicht minder peinliche Aufgabe, ſich während diefer ganzen Heimreiſe 
niemals binzufegen ober hinzulegen, und um ſich an diefe bejtändig 
ftehende Lebensweiſe zu gewöhnen, ließ er fi im Anfang feines 
Heimmeges während der Nacht mittel® einer um den Ellbogen 
gefnüpften Schnur an einem Baume oder an einem QTempelpfoften 
anbinden, um im Schlafen nicht nieberzufinfen. Gleichzeitig hielt aber 
diefer Büßer hierbei ftet3 feine herunterhängende Hand, feinem Gelübde 
entfprechend, feft zufammengepreßt, bis er feinen Wohnfiß erreicht hatte. 
Der Poftmeifter, der mich auf alle diefe Eigentümlichkeiten aufmerkſam 
machte, hegte feinen Zweifel, daß ihm bei der Ankunft daheim die 
nie befchnittnen Nägel der gefrümmten Finger tief in die Handflächen 
eingebrückt fein würden. Ein überzeugenderes Beifpiel der furchtbaren 
Macht der Brahminenhierarchie konnte ich mir beim Antritt meiner 
Reife nad) ihrem größten Heiligtum allerdings faum noch wünfchen. 


Büsser vor der Tempeltbür in Dschosi-Math. 


©. 3418-49. 


Sie, Google 





— 349 — 


Auch der andre Büßer, der auf demfelben Bild auf der Tempel- 
ſchwelle fit, ift ein bezeichnendes Muſter diefer eigentümlichften 
Erfeheinungen des Hindutums. Diefer Mann, der, wie alle Bayragis, 
ftet3 in das Tuch eingehült war, in dem er einft verbrannt zu 
werden wünfchte, und der mit einer der ſchon früher gejchilderten 
Lota-Bettlerfchalen in der Hand von Dorf zu Dorf zu pilgern 
pflegte, hatte eine grabezu ſtaunenswerte Geſchicklichkeit erlangt, feinen 
im Lagerfeuer glühend gemachten Bettlerffirrftab mit der Zunge 
abzuleden, während er feine Gebete ober richtiger feine Rezitationen 
aus den heiligen Schriften des Brahmanentums, aus den Puranas 
und Vedas, hermurmelte, 

Nicht weit von diefem Tempel befand ſich ein Eleinerer, der 
dem böfen Gotte Schiwa geweiht war. Ich erfah dies aus dem 
Lingam-Jdol in dem dunklen Innern des Tempels; die rot bemalte 
Lingam-Lehmfäule ftand in üblicher Weife in dem Dſchoni genannten 
Ergänzungsidol und war mit Jasminblüten befränzt. Durch beide 
Sole follen befanntlich die pofitiven und negativen, die männlichen 
und weiblichen Eigenfchaften der zerftörenden und zugleich wieder 
erſchaffenden Mahadeo-Form Schimas zum Ausdrud gebracht werben, 
Die Abkühlung diefes Götterſymbols in der Tageshige wurde hier 
ehr naiv durch eine darüber aufgehangne poröfe und mit heiligem 
Gangeswaffer gefüllte Thonflafche bewirkt, die aber während der 
tühlen Nacht fortgenommen und dur ein rotwollnes Mäntelchen 
erſetzt wurde, damit ſich das Götzenbild feine Erkältung zuzog. 

Vor der engen Thür dieſes Tempelchens fand ich den Herrn 
Dorfichullehrer nebft ein paar Schülern zum Schreibunterricht 
um ein uraltes, vor feinem Schimatempel fehlendes Bildnis eines 
heiligen Rindes verfammelt, das, plump in Stein gearbeitet, mit 
einem Bebubucel verjehn und mit Blumenketten behangen war. 
Die zwanglofe Art, wie die mit filbernen Hals- und Armbändern 
geſchmückten Buben dort mit ihren Holztafeln Pla genommen 
hatten, mar für mein an ſtrenge deutſche Schulgebräuche gemöhntes 


— 350 — 


Auge unmiberftehlich drollig; zumeift faßen fie in dicken Wolljaden 
und ſchön geſtrickten Stubentenmügchen mit untergefchlagnen, voll 
ftändig nadten Beinen auf den Steinfliefen und frigelten ihre 
tiefigen Hierogigphen mit dünnen Bambusftäbchen in den trodnen 
Sand, womit fie ihre Holzplatten beftreut hatten. Der Lehrer 
beobachtete dieſe Studien aus der Vogeljhau und ftieß, fobald er 
einen Fehler bemerkte, ohne viel Worte zu machen, mit der Fußſpitze 
an die Tafel, fo daß der Sand durcheinanderfuhr und der Meine 
Sünder feine Studien von vorn anfangen mußte. 

In ganz Indien war in diefem Jahre durch öffentliche Bekannl- 
madhungen vor der Wallfahrt nad; Badrinath wegen der in Kumaon 
und Garhwal herefchenden Cholera und wegen des durch Mißernten 
entftandnen Getreidemangels eindringlich gemarnt worden. Die 
Fanatifer unter den Hindus ließen ſich durch diefe Warnung aber 
nicht abhalten, auch in diefem Jahr nad) Badrinath zu pilgern, und 
deshalb fand ich die für folhe Wallfahrer am Wege errichteten 
Rafthäufer, die nicht mit den für reifende Europäer beftimmten 
Bungalos zu verwechjeln find, dicht beſetzt. Wie entjeglich mag es 
aber erft unter verkehrsreichen Verhältniſſen in ſolchen Schlupflöchern 
an Negentagen ausfehn! 

Es wurde dem Poftmeifter nicht ſchwer, mir. vier ungemein 
ſehnige Kulis als Begleitung nach Badrinath zu beforgen. Natürlich 
verriet ich mit feiner Silbe, wie knapp ich mit Iandesüblicher Münze 
verfehn war; ich wäre thatfächlich nicht fähig geweſen, die Träger 
löhne auszuzahlen, wenn bei meiner Rückkehr von Dſchoſi-Math das 
gewechfelte Geld noch nicht in Dſchoſi-Math eingetroffen war. Mir 
murde ganz ſchwach und unmohl bei dem Gedanken, daß das Gelb 
verloren gegangen fein könne, 





©. 8350-51. 
Schreiben lernende Birtenknaben ; 
im Zempel fieht ein Singam = Idol, über dem eine voröje Thonflaſche aufgehangen iſt. 


| 
| 
| 
| 
| 








Sie, Google 





Beunzehntes Kapitel. 
Eine Bergwallfahrt nad Badr 


Tr fteile Kletterweg nach Badrinath ift fi 
I gange für feifte Hindufünder geeignet. 

x Zunãchſt führen von Dſchofi⸗ Math eit 
glaublih holprige Steinftufen in die fchauerlich 
Dhauli Ganga hinunter, und in diefer leitete eine ne: 
feilbrücte über die gurgelnde und mwallende Waſ 
durch einen engen Spalt zwifchen den ganz nah ; 
Felswãnden hervordrängt, üm dann eitten fchmale 
mild jhäumenden Sturz zu bilden. An der gleid 
der in einer Reihe ſchäumender Kasfaden von W 
Alaknanda, und an eben diefen Wafjerftürzen ſch 
Felsfteig in ſtets weftlicher Richtung in Geftalt 
treppauf treppab bis hin nach Badrinath. Gleid 
rauhe Pfad dem Verkehr aus Tibet vom Manapc 

Jeder Zufammenfluß von zwei Gewäſſern gil 
heilig, beſonders natürlich alle derartigen Steller 
Ganges, deffen Quellſtrom Dhauli Ganga ich die 
zur Seite gehabt hatte. Aus diefem Grunde fteh 
in Wiſchnu Prayaga einige beftändig vom Waf 
Tempelchen, in denen verfrüppelte und hier vollto 
gewordne fanatifche Büßer die Götteridole durch h 
vor meinen Blicken zu ſchützen verfuchten, als ich 





— 32 — 


Auf allen Steinklögen ringsum lagen Blumen, Steine, Reiskörner 
oder Wollflocken als Opfergaben von Pilgern, und auf den rund 
gewafchnen Felsblöden im Waſſer ftanden nackte Pilgergeftalten, um 
ſich das zerftäubende Waſſer der Kaskaden auf den Körper ftürzen 
zu laffen. Häufig genug foll es vorlommen, daß fie dabei betäubt 
von dem Lärm des Waſſers in die Fluten taumeln und dann 
unrettbar verſchwinden. 

Bei Pon Dugefchar ſchlug ich in der Nähe einer niedrigen, 
durch ein flatterndes Fähnlein ausgezeichneten Holzbude mein Zelt: 
lager auf. Der bei dem Schuppen mit einem bufchigen Yakſchweif 
in der Hand ftehende ausgedörrte Brahmine hörte bei meinem Nahen 
fogleih auf, die Fliegen und Mücden von dem darin aufgeftellten 
Götzenbilde zu wedeln, und warf mir mit unfreundlichen und giftigen 
Blicken den Thürflügel des Götterfchuppens vor der Nafe zu. Erft 
die Erzählung meiner Kulis, daß ich ausbrüdlich über das Meer 
gefommen fei, um nad; Badrinath zu pilgern, fowie das Opfern 
einer meiner beiden legten Halbrupien veranlaßte den heiligen Mann, 
fein hölzernes Budchen wieder aufzuthun. Ich durfte nun ruhig 
das Idol betrachten, das aus einem mit zinnoberroter Farbe be 
fchmierten, meterhohen Felskegel beftand, den ich für das Abliche Lingam 
zu Ehren Schiwas gehalten hätte, wenn nicht das riefige Nama Wiſchnus 
in Geftalt eines großen römifchen, unten abgejtumpften V im weißer 
Farbe darauf angebracht geweſen wäre. Nach diefer Vermiſchung 
von Schiwa: und Wifhnuhuldigung hätte ich mich gar nicht ſehr 
gemwunbert, ſtatt de3 Zeichens \ der Wifchnuiten oder des Tilal 
A ber Schiwaiten, da8 manchmal diefe in Erinnrung an das Lingem 
ftatt der drei Horigontalfinien auf die Stirn zu malen pflegen, 
auch einmal beide Zeichen gleichzeitig und zufammen, etwa fo: 
auf der Stirn irgend eines beſonders jchlauen Heiligen, der & 
weder mit dem böfen noch mit dem guten Gott verderben mil, 
zu erbliden. 

Während noch mein Zelt aufgerichtet wurde, begegneten fih 


— 353 — 


grade an diejer Stelle zwei Schafherden, von denen die eine mit 
Salzbeuteln beladen aus Tibet fam, die andre mit Reisſäcken be 
packt von Dihofi-Math dorthin unterwegs war. Natürlich entjtand 
eine babylonifche Verwirrung unter den zahllofen Hammeln, fo daß 
die Hirten die 
ganze Nacht ges 
räuſchvoll zu 
thun hatten, 
dieſe endlofe 
Ronfufion,oder, 
wie Hang fagte, 
„Schafskonfeſ⸗ 
ſion“ zu ent⸗ 
wirren. 

Erſt gegen 
vier Uhr des 
nächften Tages 

tauchte nad 
zehnſtündigem, 
mir aber unend⸗ 

lich ſchwerfal⸗ 
lendem Marſche 
die weiße Tem⸗ 
pelkuppel von 
Badrinath vor 
mir auf. Ich 
wollte ohne weitres in den Ort hineinmarſchieren, aber als ich grade 
den hellgrauen Gletſcherbach des Alaknanda auf einer Schindelbrücke 
überfchreiten wollte, kam mir bereits ein Hindu mit einer weißen 
Baumwollenſchnur als Zeichen ſeiner Brahminenwürde über der 
Schulter entgegengeeilt, um mich in höflicher, aber ſehr beſtimmter 
Weiſe darauf aufmerkſam zu machen, daß ich als Europäer die andre 

Boed, Indiſche Gletiherfahrten. 23 


Der Ballfaprıstempel Badrinath am Alatnanda; von Dit gelehn. 


— 34 — 


Seite des Fluſſes, auf der der Tempel jtünde, nicht betreten dürfe; 
er betonte, daß jeder Europäer Rindfleifch zu verfpeifen und Waffen 
bei ſich zu haben pflege, und durch beides würde der geheiligte Boden 
von Badrinath verunreinigt. Ich fiel wie aus den Wolfen, weil id 
mic) ehrlich darauf gefreut hatte, diefen berühmteften jener vier Tempel 
tennen zu lernen, zu denen jeder Hindu in feinem Leben mindeftens 
einmal wallfahren muß, nämlich außer nad) Badrinath im Norden 
Indiens nah Dſchaganath im Often, Dwarkanath im Weften und 
Rhamnath im Süden. 

Mir blieb vorläufig nichts übrig, als zu gehorchen und bie 
Ankunft meiner Kulis mit dem Gepäd abzuwarten. Ich war hungrig 
und mein wieder übel zugerichteter Fuß fchrie nach Pflege; die Kulis 
waren jedoch mit den warmen Deden, dem Zelt und Proviant noch 
weit zurüc, und ein eifiger Wind pfiff ganz unbarmherzig von’ den 
im Weiten fichtbaren Schneegebirgen durch die kahle, fteinige Schlucht 
herunter. Badrinath liegt nämlich bei 10124 Fuß oder 3087,8 m, 
alſo 3000 Fuß oder 915 m höher als Dichofi-Math. Das Herumfiten 
auf den Falten Steinen war demnach fein fonderliches Vergnügen, 
und ich fing an, meinen Eifer zu verwünfchen. 

In einer ſüdlichen Felsſchlucht zeigte ſich der ſchroffe Schneegipfel 
des Nalikanta, in deſſen Gletſcherzirkus ich, um den Nachmittag 
nicht durch ödes Warten völlig zu vergeuden, ſogleich einen Ausflug 
unternahm, den ich aber eigentlich ein Hinſchleichen nennen muß. 
Ein eingeborner Jäger, ein Schikar, in faltigem, weißem Wollrock 
mit hoher, mwollner Müge fam mir aus Badrinath nachgelaufen, 
um mic einige große, verfteinerte Mufcheln zum Kauf anzubieten. 
Lachend gab ic) ihm meine legte Halbrupie, die ihm eine ganz fürft- 
liche Belohnung zu dünfen ſchien. Voller Dankbarkeit machte er 
mich auf zwei wilde Schafe mit ganz unglaublich diem, Turzem, 
gewundnem Gehörn aufmerkſam, die grade ein nahes, vergletjchertes 
Schneefeld überkfetterten und mir dann zwifchen den Felfen aus den 
Augen kamen. 





— 355 — 


Zum Glück hatte der Tiroler feine Tafchenlaterne mit, fo daß 
wir uns glücklich bis zur Alaknandabrücke zurüdfinden konnten. 
Hier warteten ſchon die fäumigen Kulis mit, Zittern und Zagen 
ihres. Schickſals. Sie hatten alles mögliche gethan, um mich fanft 


Der Ralitanta; vorn der Berfaffer und ein Schitar. 


zu ftimmen, hatten ein himmelhohes Feuer angemacht und das Belt 
bereit3 aufgeftellt, aber dabei echt indiſch das Oberfte zu unterft 
gelehrt und meine Wolldecken achtlos in eine unfaubre Pfüße ge- 
worfen, die Zeltftangen weder richtig noch feft in die Erde gerammt 
und deren Bajonettanfchlüffe falſch ineinander gefügt, jo daß ich mit 


— 356 — 


dem Tiroler die ganze Arbeit wieder von vorn anjangen mußte. 
Natürlich ließ ich es nicht an einer gehörigen Strafpredigt fehlen, 
und ba ich bemerkte, daß an der andren Seite des Fluſſes verfchiedne 
Späher auftauchten, donnerte ich, fo gewaltig ich nur konnte, auf 
die Leute 108; bei folchen Gelegenheiten fchalt ich natürlich immer 
gut deutih. Wie ich zu meiner Beruhigung bemerkte, hatten die 
Kulis an dem mächtigen Feuer ſchon einen duftenden Berg von 
Schupatis gebaden. Ohne erſt eine Konfervenbüchje auszupaden, 
nahm ich ein Dutzend Schupatis und Hetterte damit zum Gleiſcher⸗ 
waſſer hinunter, wo ich beim Schein einer Fadel meinen heißeften 
Appetit durch Waſſer und Brot ftillte und mich erft dann im bie 
Geheimniffe einer Büchſe mit corned beef verfentte. 

Ich hatte die leere Blechbüchſe bereit3 achtlos aus dem Zelt 
geworfen, al3 mir bie verhängnisvolle Rolle einfiel, die das Bild 
des Ochſenkopfs auf der Büchfe mit Rindszunge bei meiner Panſcha—⸗ 
kuri-Erfteigung gefpielt hatte. Ich bat deshalb Hans, die weg: 
gefchleuderte Büchfe bei Laternenlicht zu fuchen, wozu er freilich den 
Grund nicht recht einfah. 

Dann löfte ich mit heißem Thee die Etikette, auf der ein Mufter- 
ind abgebildet war, von der Büchſe und vernichtete fie; dafür klebte 
ich das Bild eines großen Fiſches, das ich von meiner einzigen 
Büchſe mit Lachs abgemeicht hatte, an ihre Stelle. Ebenſo jchabte 
ich alle andren Rindsbilder von den für diefen Ausflug aus Dichofi- 
Math mit heraufgenommnen Dojen herunter. Dann lachte ich wie 
ein ganz burchtriebner Erzgauner ftill in mich hinein, zog mir bie 
Kamelhaardecke über die Ohren und fchlief ein. 

Am nächiten Morgen ging ich mit der leeren Konfervenbüchje 
in der Hand noch vor Sonnenaufgang über die Brücke nach Badri- 
nath. Die Pilger waren jedoch ſchon vor mir aufgeftanden, um der 
tofenfingrigen Göttin der Morgenröte, deren zarter Schleier eben die 
Schneegipfel jtreifte, ihre Huldigung darzubringen. Ich ſtieß auf 
lauter unfreundliche Gefichter und verjtand den Bhotijadialett der 


— 37 — 


Einwohner nicht genügend; deshalb hielt ich es für geratner, wieder 
umgufehren, um mir einen meiner Kulis, mit dem ich mich auf 
hindoſtaniſch leidlich verjtändigen konnte, als Dolmetſch zu holen. 
Auch befand ich es für gut, die Doſe voll Lachs einzuſtecken, ebenſo 
ließ ich den Kuli den photographiſchen Apparat mitnehmen. Der 
Burſche ſang nun den Brahminen das alte Sirenenlied von meiner 
Herkunft aus dem fernen Deutſchland, um den berühmten Tempel in 
Badrinath zu beſuchen. Sobald ich die entſchieden günſtige Wirkung 
dieſer Rede bemerlte, zeigte ich der verſammelten Menge das Fiſch— 
bild auf der leeren Rindskonſervenbüchſe, um fie von der Gefahr— 
loſigkeit meiner Lebensweiſe zu überzeugen. in mit einem beſonders 
feinen Näschen begabter, aufgeſchwemmter Brahmine befchnüffelte aber 
die leere Büchſe mit äußerft mißtrauifchen Blicken, und ich fürchtete, 
er möchte am Ende den darin gemeinen Braten riechen. Ich wendete 
deshalb fofort die Kriegsliſt an, auf die ich mich fehon die ganze 
Nacht fo diebifch gefreut und die ich beſtens vorbereitet hatte. Ich zog 
nämlich kaltlächelnd den Konfervenöffner heraus, fehnitt unter ges 
ſpannter Aufmerkjamkeit der verfammelten Wallfahrer und Büßer 
meine Lachsbüchſe auf und hielt fie dem Herrn mit der feinen Nafe 
höflich, aber dicht vor die Augen. Ah, Fiſch! rief der Bonze be 
friebigt, und Fish! Fish! jauchzte die Menge. Ich ftand nun als 
Fiſchfreund und mutmaßlicher Fleifchverächter groß da und ſchmiedete 
das Eifen, folange es warm war, indem ich fogleich bat, das Zelt 
im Orte aufjtellen zu dürfen. Damit war ich aber fichtlich zu weit 
gegangen, denn der angefehenfte Brahmine, der Rauhil, wie er voll 
Ehrfurcht genannt wurde, erflärte mir, daß dies ein ganz unerfüll- 
bares Verlangen fei, daß ich mich aber nach Belieben in Badrinath 
umſehen möchte, natürlich mit Ausnahme des Tempels, deffen Innrem 
ich nicht zu nahe kommen möchte, wenn mir mein Leben lieb fei; es 
jeien kürzlich einige Fanatifer ftrenger Obfervanz eingetroffen, die bereits 
geſchworen hätten, mich zu fteinigen, wenn der Tempel durch das 
Betreten ſeitens eines Europäer für ewige Zeiten gejchändet würde, 


— 858 — 


Die ganze Verhandlung hatte ſich auf der Dorfſtraße neben 
einem niedrigen Haufe abgefpielt, auf deſſen Schindeldach ein Haufen 
Büßer und Pilger hodte und dem Vorgange zuſah. Dieſe wilde 
Gruppe ſchien mir eine jo würdige Staffage für eine Aufnahme der 
Tempeltürme, über denen im Norden die Schneeipigen am Manapaß 
fihtbar waren, daß ich fogleich das Bild diefer Gruppe anfertigte, 
das nun hier beigefügt ift. 

Auf der Stirn der meiften Büßer prangte das Wijchnu-Nama 
in ftattlicher Größe. Als ich hierbei den Leuten bewies, daß ich 
nicht nur die Bedeutung biefer Zeichen, fondern auch manches Ge 
heimnis ihres Kultus genau kannte, ftieg ich abermals eine Stufe 
in ber allgemeinen Achtung. Während ich eben im Begriff ftand, 
einen der nadten, bußfertigen Herren zu fragen, ob er denn bei 
der Temperatur von kaum zwei Grad über Null nicht in feinen 
fehlenden Kleidungsjtücten entſetzlich fröre, kam ein als Amtsdiener 
oder Schupraffi fenntlicher Jüngling eiligft die Straße vom Tempel 
ber auf mich Losgefchritten, Metterte auf das Schindeldach, über- 
reichte mir mit tiefem Salamgruß ein paar frifche, grüne Betel- 
blätter und lud mich pantomimifch ein, ihn zu folgen. 

Troßdem die Straße hart am Tempelthor vorbeiführte, wagte 
doch niemand, mir in den Weg zu treten, als ich dem Schuprafji 
folgte. Ich vermied es abfichtlih, in den offnen Tempel hineinzu- 
fehen, und bemerkte, daß diefe Vorficht von den mir nachfolgenden 
Brahminen mit großer Genugthuung aufgenommen wurde; dieſer 
Tempel wird nämlich) als das Werk höhrer Wefen noch weit mehr 
vor aller Schändung behütet als jeder andre. 

Der Bote führte mich in ein riefiges Zelt, dad an der Rüd- 
feite de3 Tempels aufgefchlagen war. Ein Hindu in halb euro 
päifchem Gewand, da3 heißt in ſchwarzem Gehrod aber mit einem 
roſa Turban auf dem Kopf, auf deffen Stirn ein zinnoberroter Punkt 
aufgetragen war, begrüßte mich, ftellte fi) mir als Pandit Dharma 
Naud, Deputy Collector von Garhwal, vor, und bemerkte, daß er 





©. 358-359. 
Die Türme des Tempels von Badrinath; 
davor eine Gruppe von Pilgern und Büßern mit dem Wiſchnu-geichen auf der Stirn. 


Sie, Google 











— 359 — 


zur Regulierung der Grenzftreitigfeiten mit Tibet hierhergefchickt fei. 
Zugleich bot er mir feinen ganzen Einfluß an, falls ich das Auf- 
richten meines Zeltes im Ort etwa durchſetzen wollte, und machte 
zwiſchen mir und dem Rauhil, der inzwifchen hinzugefommen war, 
in liebenswürdigfter Weife den Dolmetſcher. Schließlich veranlaßte 
er jogar diefen Ober⸗ 
brahminen, mir zu 
der hier eingefchalte- 
ten Photographie zu 
ſitzen. 

Ganz wie eine 
junge Dame, die ſich 
photographieren laſ⸗ 
ſen will, legte der 
Oberprieſter zuvor 
ſeine ſchönſten gold⸗ 

nen Armbänder, 

Ringeund Halsketten 
an und ließ fich feine 
zarteften blafroten 
und gelblichen Sei- 
dengewãnder holen, 
ehe er fih in ein 
niedrige8, nad) ber 
Straße zu volle. a cum 
dig offnes Gewölbe 
nieberfete, da3 mir für die Aufnahme tauglich erfchien. Erſt fpäter 
bemerkte ich, daß ich das Poftamt des Ortes zum photographiichen 
Atelier herabmwürdigte, denn eine große feuerrote Blechbüchſe hing als 
Brieffaften auf der linken, ein Blechſchild mit der Auſſchrift Post office 
nebft der hindoftanifchen und tamulifchen Ueberfegung auf der andren 
Seite de3 Gemachs, in dem während des Sommers jeden achten Tag 


— 360 — 


ein Beamter die Briefichaften an die für die Wallfahrt nach Badrinath 
beurlaubten, im anglo:indifchen Dienft ftehenden Hindus verteilt. Dieſe 
Briefe werden durch fich ablöfende Poftjchnellläufer hierher gebracht. 

Der Rauhil hatte inzwiſchen einen Buben nah Haufe geichidt 
und mir einen flachen Korb voll Zuder, Rofinen, Mandeln und 
Zuderbädereien in das Zelt tragen lafjen. Er duldete nicht, dab 
noch) irgend ein andrer außer ihm auf das Bild fäme, ftand aber 
während der Einjtellung feines Bildes plötzlich auf, um fein eignes 
Bild ebenfo auf der Mattjcheibe zu fuchen, wie ich ihm vorher die 
Büßergruppe bei der Einftellung auf diefer Scheibe gezeigt hatte. 

Ih erfuhr ganz merkwürdige Dinge über den brahminifchen 
Betrieb in Badrinath. Am erbaulichften Hang mir die Mitteilung, 
daß die Würde des Rauhils dem Meiftbietenden aus dem Brahminen- 
Stamme der Schaulis oder Namburis zugeichlagen würde, was fi 
für diejen ganz gut bezahlt mache, da alle Pilger in Badrinath umab- 
läffig zu Geldopfern herangezogen würden, von denen der Löwenanteil 
in die Tafche des Rauhils flöfje. Die Wallfahrer müffen nämlich nicht 
nur für die Brahminen reiche Geldgefchente hinterlafjen, ſondern auch 
zur Erhaltung des Tempels und zur Pflege und Speifung des Idols 
nad ihren Mitteln beitragen. Die mächtigen Schüfleln voll Reis, die 
dem Idol täglich vorgeſetzt werden, entleeren natürlich die Brahminen 
mährend der Mittagszeit, in der der Tempel geſchloſſen ift, in große 
Kefjel, aus denen dann die armen Pilger gefpeift werden. 

Schr interefjant war mir fchlieglich der Befucd der warmen 
Schwefelquelle, in der die Pilger nad) Maßgabe ihrer Vergehungen 
ſchmoren müfjen, bevor fie den Tempel in der vorgefchriebnen 
Anzahl von Malen ummwandern dürfen; mande müſſen dieſe heiße 
Reinigung fieben-, andre ſogar neunundvierzigmal wiederholen. 

Ich konnte e8 mir nicht verfagen, den nad) dem Wafler, aljo 
nah Oſten hin offnen Tempel vom gegenüberliegenden Ufer aus 
zu photographieren. Es blitzte und blinkte darin aber derartig von 
hin und her bewegten Metalfflittern, daß ein deutliches Erfennen von 


©. 30-61. 
Der Wallfahrtsort Badrinath, 
redis der Alataanda · Gleiſcherbach vorn Hirten und Mufitanten. 





Sie, Google 


— 361 — 


Einzelheiten mir nicht möglich war, es machte mir aber den 
al3 ob in dem dunklen Raume Menfchen herumliefen, bie ni 
werden konnten, weil fie ſchwarze Tücher übergeworfen h 
daß diefe die mit zahllojen Metallplättchen beſtickten Fähı 
fonjtigen gleißenden Kultusgeräte in unruhiger Bewegung 

Wie ich hörte, werden die beträchtlichen, angeblich 
ermeßlichen Schäße dieſes Tempels an Jumelen und edlen 
niemals verfchlofjen, ja jelbit im Winter follen die Tempe 
öffnet bleiben. Es habe zwar einft ein aus Tibet herüberg 
Räuber eine Laft Gold und Edelfteine davontragen wollen 
ein Adler aus der Luft auf den Dieb heruntergefchofien, 
mit fi) in die Wolfen hinaufgeriffen und von dort auf di 
fpige hinunterfallen lafjen, mo dann andre Raubvögel den 
Frevler in Stücke zerfetzt hätten. 

Ein paar Muſikanten mit mächtigen Keffelpaufen a 
bis zur Alaknandabrücke das Geleite. Hier verabfchiedete 
von dem Bandit und dem Rauhil, nahm ein ganz kurzei 
den heiligen, aber eißfalten Fluten des Gangeszuflufjes | 
und ſah mich dann nach meinen Kulis um, die ich für den I 
zum Abmarſch beftellt hatte. Die Burfchen ließen fich jedod 
nachdem die Sonne bereit untergegangen war, weil fie 
überzeugt waren, daß ich num den Abmarjch erft am näd, 
antreten könne. Zu ihrem namenlofen Entſetzen hieß ic, 
wutentbrannt fofort aufpaden, und mit der Drohung, ihı 
Pfennig Trägerlohn zahlen zu wollen, den Heimmeg ant 
war fo ungehalten über die Unpünftlichkeit der Leute, da 
nicht an mein Fußleiden dachte und ebenfo völlig vergaß, 
eine unheimliche Ebbe in meiner Kaffe war. Ich bei 
meinen hier ganz wertlofen Krebitbriefen und einem Sä 
den angezweifelten deutſchen Goldſtücken grade noch ein 
filberne Zmweiannamünze und etwas landesübliches Kup| 
Geſtalt unregelmäßiger, gejtempelter Kupferklümpchen. 


— 362 — 


Hätte ich freilich geahnt, wie halsbrecheriſch ber Felſenweg wurde, 
als pechichwarze Wollen vor der Mondfichel und den hellen Sternen 
vorbeizogen und nachdem meine Laterne in Unordnung geraten war, 
fo hätte ich den Kulis diefe Strafe gewiß erlaffen, denn fie traf 
mich und meinen jchmerzenden Fuß wohl am allerempfindlichiten; 
ich fam mir beim Vergabfrebjen ungefähr jo vor wie jener Bube mit 
feinem befannten Troft: „Es gejchieht meinem Vater ganz recht, wenn 
ich mir die Hände erfriere; warum fauft er mir feine Handſchuhe!“ 

Einige Male trafen wir im dichteften Schatten der Felſen Hirten 
um ihr Feuer gelagert, aus deren Wafjerpfeifen unfre Kulis fchleunigit 
ein paar Züge Rau „tranken“, fo daß ich erft mehrere Stunden 
nad; Mitternacht meinen früheren Lagerplatz Pon Dugefchar erreichte. 

Eine innre Stimme verhieß mir, daß inzwifchen Geld und 
Briefe gefommen feien, und das trieb mich am nädjten Morgen 
jo früh wie möglich nad Dſchoſi-Math. ALS hierbei unfer Trupp 
duch Wiſchnu Prayaga kam, wollten es die dortigen Brahminen gar 
nicht für möglich halten, daß mir in biefer kurzen Beit in Badrinath 
geweſen jeien; fie verglichen unfre Schnelligkeit, die doch aus Rüd- 
ficht auf meinen Zuftand durchaus nicht hervorragend war, mit der 
von Hirfchen und Adlern, hängten mir dicke, gelbe Blumentetten 
um den Hals, drückten mir ein Betelblatt in die rechte, ein Blatt: 
tütchen voll Honig in die linke Hand und fehienen zu guter Legt 
nicht abgeneigt zu fein, mir auch eine Handvoll Aſche von heiligem 
Kuhdünger auf mein ſündiges Locenhaupt zu ftreun. Um mid) für 
jo viel Aufmerffamteit erfenntlich zu zeigen, reichte ich dem Prieſter 
da3 winzige Zweiannaſtück, mein letztes Geld, hin. Ohne jede Ent: 
rüftung nahm er die Münze an fi, doch konnte ich trotz geſpann⸗ 
tefter Aufmerkſamkeit nicht erfennen, wohin fie ber fromme, aber 
unbeffeidete Herr ſteckte, denn gleich allen brahminifchen Hindus hatte er 
feine Beinfleider und demnach auch Feine Hofentafchen. Nur ein mufel- 
männifcher Hindu kann ſich daS Vergnügen machen, die Fauft in einer 
genähten Hofentajche zu ballen, falls man ihn ärgert, wie das ja oft 


— 363 — 


genug feitens der brahminiſchen Indier gefchieht, die gar zu gern 
Schweine an eine Mofcheethür anbinden, um Die Moslems zu verhöhnen. 

In glühender Hige famen wir am Nachmittag in Dichofi-Math 
an. Ich that ganz gleichgültig, als ich den Poftmeifter erblickte, 
obgleich mir das Herz vor Aufregung bis in den Hals hinauf ſchlug; 
erſtlich fehnte ich mich nach Briefen aus der Heimat und dann fühlte 
ich, daß, wenn das Geld noch nicht da war, ich einen ziemlich bla- 
mierten Reifenden vorftellen müßte. 

Sich mit unterthänigftem Salamgruß verbeugenb, bedauerte der 
Voftvorfteher unendlich, daß für mich weder Briefe noch Geld ange 
kommen feien. Wären nur Briefe eingetroffen geweſen, das Geld aber 
ausgeblieben, fo wäre ich wahrjcheinlich vor Schreck aus der Haut 
gefahren, jo aber nahm ich die Sache auf die leichte Achjel, padte 
im Bungalo eine Konferve von getrüffeltem Faſan aus meinem Schab- 
kaſten und lachte die Kulis fürchterlich laut aus, als fie zitternd 
und mit geöffneten Händen um ihren Lohn bettelten. Daß ein 
weißer Mann kein Geld haben könnte, hätten fie mir doch auf 
feinen Fall geglaubt, denn jeder Hindu glaubt fteif und feit, daß 
ein Europäer nur in die Tafche zu greifen brauche, um fie jeberzeit 
mit Geld gefüllt wieder herausziehn zu können. 

Mir blieb zu meinem Leidwefen nichts übrig, als abermals 
meine Zuflucht zu einer Kriegsliſt zu nehmen; ich fpielte deshalb den 
rafenden Roland und fragte fie recht höhniſch, ob fie zur Strafe für 
ihr Ausbleiben in Badrinath lieber einen vollen Monat oder einund- 
dreißig Tage auf ihr Geld warten wollten. Mit einem barfchen: 
„Ich bin nicht in der Gebelaune heut!“ jagte ich dann meine doc 
fo vollberechtigten Gläubiger zum Bungalo hinaus und fügte lachend 
noch ein Büchschen Sardinen zu meinem Iufullifchert Faſanenſchmaus; 
Hans hatte inzwifchen fehon den Reis zum Kochen angefeßt, den 
mir der Poftmeifter nebft einigen Gurken, die einen belifaten Salat 
abgaben, verehrt hatte. 

Den weitren Marjch auf dem Pilger- und Saumpfad längs 





— 364 — 


des Dhauli Ganga bis Raniket und Naini Tal legte ih, nachdem 
am folgenden Tage das Geld und die heißerjehnten Briefe der 
Meinigen glücklich in meine Hände gelommen waren, in acht Tagen 
zurüd. Von Rechts wegen wären es vierzehn Tagesmärſche ge 
weſen, doch gelang e3 mir, durch Verdopplung ber Trägerlöhne, an 
den meiften der jonft üblichen Rajtftationen fofort wieder neue Kulis 
zu finden, die mir gleich weiter- 
halfen, aber gewöhnlih wird 
diefe Reife in folgende Tages: 
märjche abgeteilt: 
Dſchoſi⸗Math — Gulab Koti, 
Pipal Koti (Pilgerhaus), 
Schamauli, 
Nandaprayag (Pilgerhaus), 
Karanprayag, 
Ad Badri, 
Lobba (Dat Bungalo), 
Mail Schongri, 
Genai (Dat Bungalo), 


Dwarahat, 
Der Ruli, Kaltura (Dat Bungalo), 
den ich mit Gold zum Wechſeln aus Milam 
nad) Mlmora fiidte. Kyrma (Dat Yungalo), 
Naini Tal. 


Es war weniger die Sehnfucht, endlich einmal wieder in einem 
ordentlichen Gafthofsbett zu fchlafen, die mich in folchen Gewalt: 
märjchen nad) Naini Tal trieb, als der Wunfch, noch möglichft 
meit in Sikhim durch den Oſthimalaja wandern und wenn irgend 
möglich) dort fogär den Kanſchen-Dſchunga erreichen zu können, 
bevor in Sikhim unergründlicher Winterjchnee das Marjchieren 
verbot. — 

Ich beabfichtige durchaus nicht, hier erichöpfende Schilderungen 
de3 Himalaja zu geben, und übergehe deshalb die Erzählung meiner 


365 — 


Erlebniffe auf der fehon von andren Reijenden bejchriebnen eben- 
genannten Strede von Babrinath bis nad) Naini Tal. Der 
Niederftieg aus der einfachen, Fräftigen Vegetation des höheren 
Gebirges zu der üppig tropifchen in den tiefgelegnen Sohlen der 
Thäler, die ich überqueren mußte, gehört zu den mechfelvoflften 
Eindrüden, die de3 Reifenden im Himalaja harren. Man hat 
aber auf diefem von fo zahlreichen Wallfahrern begangnen Wege 
doch nicht mehr das Gefühl, in entlegner Gebivgseinfamkeit zu 
wandern; fondern findet alle Zugaben eines gejteigerten Verkehrs. 
Büßer und Bettler, Händler und Kulis warten auf die aus allen 
Teilen Indiens den Pilgerpfad nach Badrinath hinauf oder herab 
fteigenden Wallfahrer, um eine indifche Abart der „Frembenindujtrie” 
zu betreiben. J 

Wie ich wiederholen muß, lernte ich dieſe Gegend allerdings in 
einem durch die Cholera ſchwer geſchädigten Zuſtande kennen. Es 
überlief mich wirklich ein heftiges Gruſeln, als ih, im Begriff, 
in Schamauli das Pilgerhaus zu betreten, um darin Schuß vor der 
ftechenden Sonne zu finden, von dem Poftmeifter beim Arme zurüc- 
gezerrt wurde, indem er mir. freundlich zulifpelte, daß Dies zurzeit 
ein Cholera-Lazaret.und noch dazu ein jehr überfülltes fei. Nach diefer 
teöftlichen Mitteilung rannte der wackre Beamte wieder zu feiner 
Herde von Zebutühen, die er grade weidete, Fam aber noch einmal 
zurüd, um zu fragen, ob feine Poſtuhr wohl ganz richtig ginge; 
e3 war nämlich) grade Mittgg, und feine Normaluhr zeigte auf 
halb ſechs! Durch meine geiftreiche Bemerkung, daß er mir vor 
allen Dingen erſt gefälligft erflären möchte, ob dies halb ſechs Vor: 
oder Nachmittag fein folle, ſetzte ich ihn dermaßen in Verlegenheit, 
daß er noch mit offnem Munde daftand, während ich mit meinem 
Trupp ſchon um die Wegecke verſchwand. 

Sehr lehrreich waren für mich auf dieſem Heimwege die ver: 
ſchiednen Tandwirtfhaftlihen Gebräuche, in die ich dabei Einblick 
erhielt. Bor allen Dingen befremdete es mich, den Kuhdung hier 


— 366 — 


endlich einmal richtig zum Düngen benußt zu fehn, während er im 
übrigen Indien nur in runden Scheiben behutfamft an die Haus— 
mauern geffebt wird, um durch die Sonne zu einem wertvollen, ja 
fogar heilig gehaltnen Brennmaterial gebörrt zu werden, das gleich 
feiner ebenfalls für heilig gehaltnen Aſche zu guten Preifen verhandelt 
wird. Köftlicher Tann zum Beifpiel der Scheiterhaufen für einen 
Abgeſchiednen gar nicht hergeftellt werden, als aus ſolchen trocknen 
Kuhdüngerfcheiben, und foll eine Hochzeit im Hinduhaufe recht feit- 
lich gefeiert werben, fo muß vor allen Dingen der Boden friſch mit 
einem Gemifh von Lehm und Kuhdung beftrichen werben; beehrt 
aber gar ein Brahmine den feitlichen Schmaus bei der Geburt eines 
Sohnes mit feiner Gegenwart, fo beftreut ganz gewiß bie Hindu- 
mutter zu Ehren eines fo hohen Gaftes ihren niedrigen Kochherd mit 
einer gehörigen Lage von Kuhdüngerafche, und fo geht es fort. 

In Garhwal wurde das Gold des Landmannes, der Kuhdünger, 
in zierlich geflochtnen Körbchen von Mädchen auf die abgeernteten 
Felder getragen; auf andren Aeckern war zur felben Zeit die Aus- 
faat bereit3 bewirkt. Statt mittels einer Egge wurde dort der Samen 
durch ein geripptes, vieredige8 und von Büffeln gezognes, rauhes 
Brett, auf dem drei oder vier Weiber ftanden, in die aufgehackte 
Erde gedrüdt; manchmal jah ich auch nur einen einzelnen Mann, 
der dann gewöhnlich einen großen, runden Korb als Sonnenſchirm 
auf den Kopf geftülpt trug, auf fol einem Brett von Heinen Buben 
über das Feld gezerrt werben. 

Auch das abgemähte Getreide wurde auf den Tennen in einer 
für mich neuen Weife ausgekörnt; drei nackte Männer liefen hierbei 
beftändig auf den Halmen herum, indem fie die Aehren mit den 
Sohlen rieben und rollten und fich fo die Halme einander unter die 
Füße arbeiteten, wobei fie. ihre Köpfe durch die Löcher eines leichten 
Gitter8 aus Bambusftäben gefteckt hatten, um beifammen zu bleiben. 
Aber auch Ochien, die mit verbundnem Maule im Kreife um einen 
Pflock getrieben wurden, ſah ich Getreide austreten. 


©. 300-01, 
Reisstampferin mit einem kleinen Masenring. 


Sie, Google 





— 367 — 


Den hübfcheften und bdrolligften Eindruck machten aber doch 
jedesmal die Heinen Hausfrauen, die mit einem ungeheuren „Dellöl"- 
Knüppel den Reis oder fonftiges Getreide für das Mittagsmahl vor ihrer 
Hausthär zu ftampfen pflegten. In diefer Gegend fand ich fie gar nicht 
ſonderlich ſcheu, und oft fahen fie mit fchelmifchen Blicken meinem 
Gebaren mit dem Apparate zu, nachdem ich fie durch die Ver— 
ſichrung beruhigt hatte, daß darin nur ihre Größe abgefpiegelt und 
gemefjen würden. 

Auch einem Heuſchreckenſchwarm begegnete ich unterwegs und 
mußte lachen, als ich ſah, wie die Bauern durch Webeln mit langen 
Tüchern diefe gefräßigen Tiere von ihren Feldern weg und freund» 
nachbarlich auf die eines Mitbürgers hinüber zu fcheuchen fuchten; 
das Lachen verging mir aber, als ich das pelotonfenerartige Knattern 
hörte, daS das Auffpringen eines Rieſenſchwarmes folcher ungeladnen 
heißhungrigen Gäfte in meiner Nähe verurfachte. \ 

In Ranifet fielen mir zahlreiche englifche Damen in ſchwarzen 
Trauerkleidern auf. Raniket ift nämlich hier die vorgefchobenfte 
Garnifon, in der noch britifche Soldaten liegen, und unter dieſen hatte 
die Cholera ganz fürchterlich aufgeräumt, befonders im Offiziercorps. 
Ich konnte nicht daran denken, im Bungalo Plab zu finden, denn 
mindeftens zwölf plöglich zu Witwen gemworbne Damen waren aus 
der Sommerfrifche Naini Tal eingetroffen, um der Beerdigung ihrer 
Gatten hier beizumohnen. Dies langdauernde Getrenntlebenmüffen 
der in Indien ftationierten Beamten und Offiziere von ihren Frauen 
ift, nebenbei gefagt, ein arger Feind des indifchen Eheglücks, und 
einem zahmen beutjchen Ehemanne können dort bei dem allgemeinen 
Flirt allmählich wohl die Augen zum Kopf heraustreten. 

Das Gerücht von meiner Wanderung durch da3 Hochgebirge 
war mir fchon vorausgeeilt, erweckte aber auch hier wieder den 
Ruſſen⸗ und Spionen-Argmwohn, an den ich nun fchon gewöhnt war. 

Durch die Anweſenheit jo vieler Fremden waren die Laftpferde 
und Kulis des Ortes jo ſehr in Anfpruch genommen, daß ih nur 


— 368 — 


nach endloſer Mühe zwei erbärmliche Packpferde aufzutreiben ver- 
mochte, auf denen die Pferdejungen meine Kiſten aber ſo unordentlich 
feſtbanden, daß alle zwei Schritte das eine oder andre Gepäditüd 
mit furchtbarem Krach zur Erde ftürzte, wobei mir jeder Sturz durchs 
Herz fchnitt, wenn ich an das mögliche Schickſal der photographiſchen 
Glasplatten mit meinen, unter jo unbejchreibfichen Mühen errungnen 
Aufnahmen dachte, die nun meine Berichte in dem vorliegenden Bud) 
illuftrieren. 

Die beiden Gäule waren eigenfinnige Beitien. ch überließ es 
deshalb dem Tiroler, das Weitertreiben der bocbeinigen Tiere zu 
behüten, und ging mit ftarfen Schritten die nun herrlich breit: 
gewordne, glattgepflafterte Straße fürbaß. Ich fchlug einen ab- 
fürgenden Reitweg ein, weil mir das Chaufjeetreten nicht viel Ver- 
gnügen gewährte, bemerfte aber nad) zwei Stunden, daß der Reitweg 
ſtracks in den Fluß hineinführte, neben dem er bisher dahingeführt 
hatte; er war alfo nur für völlig nackte Eingeborne oder Berittne 
zu benugen. An dem Wafjer weiter entlang zu gehn, war wegen 
der Felswände ganz unmöglich, und zwei Stunden in ftechendem 
Sonnenfchein wieder zurüczulaufen, ſchien mir auch wenig verlodend: 
deshalb Meidete ich mich lieber aus, bis ich wie ein Cingeborner 
ausjah, trug mein Kleiderbundel auf dem Kopfe und fchritt eine 
halbe englifche Meile weit durch den mir biß weit über die Hüften 
veichenden, reißend thalabwärts ftrömenden, fteinigen Bad. Bon 
oben fengte die Sonne, und unten fehmerzten die Füße, die entweder 
von feharfen Steinen verlegt wurden oder von den rundgeſcheuerten 
Steinen abrutjchten. 

Ich war infolgedefjen wirklich herzlich froh, den Bungalo in 
Kyrna leer zu finden. Als ich darin trockne leider angelegt hatte 
und grade dabei war, ein faftiges Huhn zu verfpeifen, kamen zwei 
nadtbeinige, braune Kerle in zerfeßten, grauen Leinwandjäckchen mit 
einem ſchweren Blecheimer voll Teer hereingewankt, und fingen an, 
mit einem riefigen Schwammpinfel den Teer aus bem Eimer auf 








— 369 — 


zu faugen und ohne ein Wort zu fprechen auf die ſchneeweißen Wände 
zu fteeichen. Ich glaubte e8 mit ein paar Verdrehten zu thun zu 
haben, doch fie raunten mir nur heifer den im Deutfchen fo fröhlich 
klingenden Ausruf: Heißa! entgegen, und da mußte ich genug. Dies 
Wort bedeutet dort Cholera, und innerhalb diefer jelben vier Wände 
waren ganz fürzlich mehrere Reifende der Seuche zum Opfer gefallen; 
man wollte nun verfuchen, mich durch das Teeren vor dem gleichen 
Schickſal zu bewahren. Zum Ueberfluß befam ich nach meinem 
etwas unvernünftigen Flußbade einen hitigen Fieberanfall, und ic) 
dankte wirklich Gott, als mir am nächſten Tage der Schaufidar ein 
Neitpferd und ein paar befire Packpferde beforgte, jo daß ich 
wenigftend nicht auch noch mit hinfenden Füßen neben meinem faſt 
zu nichts zufammengefchrumpften Gepäck in Naini Tal einzuziehn 
brauchte, von wo ich vor drei Monaten jo frohen Mutes mit fünf- 
zehn vollen Trägerlaften in das Hochgebirge aufgebrochen war. 
Waren meine Hoffnungen in Erfüllung gegangen? Ueber alle 


Maßen! Ich hatte das Gefühl, trot alles unvermeidlichen Ungemachs. 


vom guten Glück im denkbar höchften Grade begünftigt geweſen zu 
fein; alles, was diejer Teil de3 Himalaja an verborgnen Reizen, 
an erhabner und furchtbarer Schönheit befist, hatte fich mir in aller 
Stille enthüllt! 

Doc als ich von der Paßhöhe des Schinerhügels zum letzten⸗ 
mal einen Blit auf das nun fo ferne Hochgebirge werfen wollte, 
war dort der Wolfenvorhang gefallen. Das wahrhaft göttliche 
Schaufpiel, die Alpen des Rumaonhimalaja in menfchenferner Ruhe 
als ein von der Allmacht aus Urnachttiefe hervorgerufnes Kunft- 
werk auftreten und wirken zu fehn, war für mich beendet. Aber 
unmwiderftehlich trieb es mich nochmals zurück nach Often, um auch 
den dortigen Prunkhallen des ungeheuren Tempels der Himalaja- 
natur einen ftaunenden Beſuch zu machen. Bon meinen Erlebniſſen 
dafelbft ſollen die folgenden Kapitel dieſes Buches berichten. 

——. 


Boed, Indifge Gletſcherfahrten. 24 


Zwanzigfies Kapitel. 
Marſch auf der Kammhöhe des Singafe-La. 






mar ergötzlich, die verwunderten Gefichter der Hotelgäjte in 
% Naini Tal zu fehn, die Gelegenheit hatten, meine nun voll 
+7 ftändig zerfaferten Bergſchuhe in Augenschein zu nehmen, die 
ich nad) der Verfiherung des Hotelbefigers bei meinem Abmarſch vor 
drei Monaten neu und unverjehrt und wie für die Ewigkeit benagelt 
mit fortgetragen hatte. Sie jprachen ganze Bände von den tollen Zu 
mutungen, die inzwifchen an ihre Unvermüftlichkeit geftelft worden 
waren. Natürlich kamen die Fragefteller jofort in dien Haufen in 
mein Zimmer, um fi) zu vergemifjern, wie hoc) ic) geftiegen jei, 
mieviel Bären ich gefchoffen hätte und movon ich im Hochgebirge 
gelebt hätte. 

Da ich Neugierigen nicht gern folche Vorträge halte, riß id 
ſchon am nächften Tage wieder aus, obgleich meine aus Milam 
heruntergeſchickten Gepäditücte noch keineswegs vollzählig eingetroffen 
waren. 

Ich wäre am liebſten auf dem fchnelfften Wege und ohne 
Aufenthalt nad; Dardfchiling gefahren, aber ich fand in Naini Tal 
die Nachricht, daß für mich in Kalkutta eine Kifte auf dem Zollamte 
läge. Da ich dort außerdem neue Konferven und Kleider, ein 
andre Barometer, photographifche Platten und dergleichen kaufen 
wollte, machte ich den Ummeg über Kalkutta, unterbrach aber bie 
Reife, um der heiligen Tempeljtadt Benares einen Beſuch abzuftatten 








— 371 — 


und die Fluten de3 heiligen Gangesſtroms mieberzufehn, in deſſen 
Gletſcherquelle ich in Badrinath ein eisfaltes Bad genommen hatte. 
Doch von diefem Beſuch in VBenare zu berichten, ijt hier nicht 
der Platz. 

Auf dem Zollamt in Kalkutta dauerte es viele Stunden, bis 
meine Kifte gefunden und geöffnet werden konnte. Es war eine 
Sendung meines Mütterchens aus Deutfchland, mit der fie mir eine 
bejondre Geburtstagsfreude zu machen gedachte; der Tiroler half 
den Beamten beim Oeffnen der Kifte und der darin enthalten 
Büchſen. Als nun zufällig aus der erſten diefer Blechhülſen beim 
Auffchneiden eine ſtramme Salamimurft herauspurzelte und dem Zoll- 
beamten vor die Füße rollte, konnte der Tiroler nicht umhin, dieſe 
meine Geburtstagsmurft mit Freudenthränen zärtlich an feinen Magen 
zu drücken und gerührt auszurufen: 

„Das vergejl’ ich der Frau nie, daß fie mir das gethan hat!" 

Durch diefe foziafiftiiche Auffaffung von Mein und Dein be 
fundete mein guter Hans eine ganz nette Anlage zu einem jener 
Ehemänner, die ihrer Gattin zu Weihnachten eine ertragute Kifte 
Bigarren befcheren, um fie ihr an befonders hohen Sonntagen vorzus 
tauchen. Unter diefem Zeichen werden wir fiegen! fchien er jeben- 
falls zu denfen, ald wir mit unſrer Kifte voll Hefterfcher Gervelat- 
und Salamiwürften wieder nach Dardichiling hinauffuhren. 

Wie alte Bekannte begrüßte ich die Waldriefen im Teraimalde, 
die Farnbäume bei Kurfeong und, endlich, die erften ſchmutzigen 
Bhotijahäufer von Dardſchiling. 

Unfer Wiebderauftauchen in Dardſchiling verurfachte fein geringes 
Auffehen, denn niemand außer dem Pater Schäfer hatte gewußt, 
wo wir in der Zmoifchenzeit geftecft hatten; man hatte dort einfach 
angenommen, daß ich, des fruchtlofen Wartens müde, über Hals 
und Kopf nad Haufe zurückgekehrt fei. 

Ich wurde bei der Ankunft am Bahnhof von meinen früheren 
ſchmierigen Kulis mit ungeheucheltem Entzücken begrüßt. Sofort 


— 312 — 


wollten fie da8 Gepäck wieder nach dem Glashaufe jchleppen, doch 
hieß ich fie damit Fieber nach Woodlands Hotel gehen; jet, in den 
erften Tagen des Oftober, war dort die Saifon vorüber und auf 
behaglichere Unterkunft zu rechnen. 

Das Wetter war bei meiner Ankunft ganz prachtvoll und 
wolfenlos, und jeder prophezeite, daß es nun bis zum Jahresende 
anhalten würde, weil die böfe Regenzeit jetzt völlig vorüber fei. Das 
Herz lachte mir im Leibe. Aber man foll ſich niemals eher freuen, 
als bis das Feſt ganz vorüber ift! Das follte auch ich erfahren. 

Als ob wirklich böfe Bergdämone ihr neckiſches Spiel mit uns 
trieben, brach von neuem ein wochenlanges Regenwetter los, wie & 
zu dieſer Zeit felbft die in Dardſchiling nicht fehlenden „älteften 
Leute" in Erftaunen verfeßte. Diesmal war ich freilich feit ent: 
ſchloſſen, aujzubrechen, fobald die Vorbereitungen beendet waren und 
durch dick und dünn vormärtszugehn. 

Das einzige, was mid) abermals aufzuhalten vermochte, war 
da3 Ausbleiben der Erlaubnispapiere, die man mir al3 ganz uner: 
läßlich bezeichnete und zwar ſowohl zur Bereifung Sifhims wie für 
die Benugung der im Anfang der Reife zu Gebote ftehenden Rait- 
häufer. Ich nahm mir im ftillen vor, mich dadurch nicht länger 
als drei Tage hinziehen zu laſſen, fondern im Bewußtſein, von 
mehreren hochjtehenden Beamten die mündliche Verficherung erhalten 
zu haben, daß meiner Reife nichts im Wege ftehe, einfach abzumar- 
fhieren und e3 fpäter auf die Folgen ankommen zu laffen. 

In Dardſchiling ſah es ſchon recht öde aus. Was noch an 
englifchen Damen und Herren in der Sommerfrifche weilte, klagte 
über die „unerträgliche" Kälte, während die Temperatur doch nod) 
immer etwa fünfzehn Grad betrug, und man fehien mich ganz all- 
gemein für närrifch zu halten, daß ich in diefer Winterszeit in die 
Schneeregion binauffteigen wollte, während man früher meinen 
Verſuch, dies während der fommerlichen Regenzeit zu thun, ebenfalls 
als ein unfinniges Vorhaben verjpotiet hatte. 


— 33 — 


Außer Herrn Seife fehienen aber die ftändigen Einwohner und 
eingebornen Bazarhändler über meine Wiederfunft nicht böfe zu 
fein; einmal weil in Dardſchiling in Ermanglung fonftigen Unter: 
baltungsftoffs jedes auffallende Unternehmen als ein Anlaß zum 
Disputieren und Klatfchen mit Freuden begrüßt wird, dann aber, 
weil ich für das froh⸗ 
finnige Weſen der 
Bhotijas den entſpre⸗ 
chenden ſcherzhaften 
Ton gefunden hatte, 

FaftmitGewaltwurde 

ich jest zu Familien 

gelockt, in denen ſich 

allerlei mehr oder we⸗ 

niger Hübfche Bhotija- 

mädchen zum Photo⸗ 

graphieren zurecht ge- 

macht hatten. Diejes 

feierlihe Zurechtge⸗ 

machtſein war aber 

gar nicht nach meinen 

Wünfchen, auch wollte 

ih meine früheren 

Gönnerinnen nicht 

durh das Eingehn _Bbotila-Peingeflin, 

auf folhen MWettber mit Mufel-Armband und Kopflrany. . 
werb betrüben. Deshalb befchränfte ich mich darauf, einige von 
den nicht befonder8 vorbereiteten Kindern aufzunehmen, die mir 
überall in Erwartung irgend welchen unterhaltenden Schaufpiels 
auf den Ferjen folgten. Kleine Mädchen, die wohl noch nie gelernt 
hatten, ihr plattes Näschen zu fehneugen, und die gemöhnlich fehr 
ausgewachſne Babys auf dem Rüden oder einen zappelnden Hund 


— 374 — 


in den Armen mit ſich herumſchleppten, bildeten die Mehrzahl dieſer 
Neugierigen. 

Grade dieſe Bhotijakinder machten auf mid) ſtets einen erhei- 
ternden Eindrud. Ihre diden Köpfe und ihr reicher, verwilderter 
Haarwuchs, und befonders die langen, dictgefütterten Röckchen gaben 
ihnen das Ausfehen von zwerghaften Erwachſnen, deren kindiſches 
Gebaren unmiderftehlich komiſch wirkte. Ganz wie weiland Diogenes 


Reugierige Byotija-Rinder. 


in feiner Tonne fuchten diefe Kleinen in irgend einer leeren, weg⸗ 
geworfnen Kijte Schuß vor Sonne und Regen, wo fie dann jogleid 
die landesübliche, unfagbar ergiebige Infektenjagd eröffneten. Ein 
behaglicheres Dafein kann es für ein Bhotijawürmchen ja aud) gar 
nicht geben, als in fol einer fehattigen Kiſte zu liegen, ben im 
Sonnenſchein fpielenden Altersgenofjen zuzufchaun und fi von 
den lieben Gefchwijtern das judende Köpfchen abklauben zu laſſen. 
Neben einer folchen Gruppe jah ich einmal auch den zugehörigen 


— 35 — 


Familienvater die Kopfhaut einer feiner ftruppigen Rangen eingehend 
unterfuchen, während ihm felbft zwei ebenfo unfaubre Sprößlinge 
auf dem Rüden herumturnten, die jedesmal in hellen Jubel aus- 
brachen, fobald ihre Jagd auf dem Schädel de Familienoberhauptes 
irgend einen hervorragend greifbaren Erfolg gehabt hatte. 
Beſonders beliebt fchienen bei den Bhotijafindern Spiele mit 
Kreifeln zu jein, die fie aus Bambusftähchen in Form eines Doppel- 
fegel3 zufammenfügten, ebenfo Uebungen mit Kleinen Steinkugeln 


BHotija-Rinder auf der Infettenjagd. 


nah Art des Murmelfpiel3 unfrer Straßenkinder. Auch einem 
Brettfpiel, ähnlich unfrer „Mühle“, wird von den Kindern häufig 
auf offner Straße gehuldigt; eine geometrifche Figur wie die um- 
ftehende wird dabei in den Sand gefragt und der Verſuch gemacht, 
zwei Reihen, das heißt zehn Stückchen von Eierjchalen, die fich nur 
gradlinig fortbemegen oder fchlagen dürfen, mit vier Stückchen Kohle, 
deren Bewegungen unbejchränkt find, durch Ueberfpringen wegzu— 
ſchlagen. 

Die Landſtraße bei Dardſchiling bietet fortwährend irgend etwas 
Intereſſantes, denn der Ort wächſt noch ſtetig und es herrſcht eine 


— 376 — 


rege Bautätigkeit. Sonderbar genug 
fieht e8 aus, wenn dabei die Bhotijas 
ungeheuer lange Bambusftämme nach 
dem Bimmerplat fchleppen, wo fie 
dann von chinefifchen Zimmerleuten 
zerfägt werden; Bruder Chinamann 
bämmert und fchafft in Afien bereits 
überall, wo er mehr verdienen kann 
Srenlviel der Bhotija-Rinder. als zu Haufe, in Kalkutta oder Singa- 
pore fo gut wie im Herzen Eibiriens. 

Eine ergößliche Rolle fpielen auch die plumpen braunen Bhotija- 
burſchen als Kindermädchen, wenn fie fchreiende englifche Kinder im 
Arme wiegen. Gelegentlich kommt auch wohl ein Fopfwadelnder 
alter Lama aus dem buddhiftifchen Tempel nach Dardfchiling Hin- 
auf, vor dem fich die Bhotijas ſtets lang in den Straßenſchmutz 
werfen, um durch Auflegen feiner Hand gejegnet zu werden. Häufig 
genug fieht man auch die hohe Polizei mit irgend einem frifchen 
Fang einherfpazieren, zum Beifpiel auf unfrem Bildchen mit einem 





Die MallPromenade in Dardfgiling; Bpotijas mit Bambut-Stämmen. 





— 37 — 


Leptſcha, der ein Hühnchen geſtohlen hat und nun ſeiner Tracht 
Prügel entgegen geht. Die Wiedereinführung der Prügelſtrafe erwies 
fih Hier doch als unbedingt nötig, nachdem die Sträflinge den 
forgenlofen Aufenthalt im Gefängnis als das Gegenteil einer Strafe 
zu betrachten anfingen, und zum Beifpiel in Benares fleißig mit 
Hand anlegten, ihre dort 
durch ein Erdbeben nieder: 
geftürzten lieben Gefäng- 
nismauern wieder aufzu- 
richten, ftatt diefe günftine 
Gelegenheit zum Entwi- 
ſchen wahrzunehmen. 

ALS der dritte Tag 
zu Ende ging, ohne daß 
die zugefagte Erlaubnis 
zur Reife durch Sikhim in 
meiner Hand war, gab ich 
es auf, noch länger zu 
warten; ich ging zu Pater 
Schäfer und bat ihn, mir 
die Kulis für den nächiten 
Morgen zu beftellen. Dann 
ſchrieb ic) nach dem Diktate des Miffionars einige Dutzend der nötigften 
Redewendungen jomohl in der Bhotija- und Leptfchajprache mie 
auf Tibetifh in mein Taſchenbuch, fhüttelte fchlieglich meinem 
liebenswürdigen Helfer herzlich die Hand und ging in ftrömendem 
Negen in das Hotel zurück, um mit dem Tiroler das Gepäd in 
Neih und Glied bereit zu ftellen. Hans ging noch einmal ans 
Fenſter, ſah in die vom Himmel ftrömenden Wafjergüffe, brummte 
wie vor ſechs Monaten dann vor fih hin: „Wenn’s jest nicht bald 
aufhört zu regnen, dann hört fich ja alles auf!” und legte fich 
gleich mir aufs Ohr. Das Laminengedonnre in der Girthifchlucht 


Boligiften mit einem gefelelten Septice. 


: 
R 

* 
€ 





— 378 — 


hatte die Nerven meiner Gehörwerkjeuge jo gekräftigt, daß ich von 
dem mir früher fo entjeßlichen Regengetrommel auf dem Blechdach 
kaum noch etwas bemerfte. 

Am Tage vor meiner Abreiſe hatte ich in Woodlands Hotel 
einen einflußreichen Engländer, Sir Robert Hart, kennen gelernt, der 
als Generalinfpeftor des chinejischen Zollweſens feinen Urlaub in 
Dardfchiling verbrachte und mir half, meinen tibetischen Wörtervor- 
tat zu vermehren. Nach feiner Meinung bedeutet der Name des 
Berges, Kanſchendſchunga, zu dem mich die nun beginnende Reife 
führen follte, foviel wie „Garten der fünf Götter“. Bei der außer- 
ordentlichen Schwierigkeit, die wirklich richtige Lautierung derartiger 
Namen feftzuftellen, find aber abmeichende Anfichten durchaus bes 
greiflich. Der bedeutendite Kenner auf diefem Gebiete, Projefjor 
Grünmwebel in Berlin, hatte die Güte, mir noch zwei neuere tibetijche 
Lesarten diejes Namens mitzuteilen, nämlich Gangschhen rje lega 
und Gangsphen mzod lega, erſtre würde dann „die fünf Könige 
des großen Gletſchers“, letztre bie „fünf Schaghäufer des großen 
Gletſchers“ heißen. Die tibetifche Orthographie iſt für jeden Laien jo 
ſchwierig, weil fie eine hijtorifche ift, daS heißt eine Menge von Konſo— 
nanten fehreibt, die heute gar nicht mehr gefprochen werden; Grün- 
wedel vergleicht dies Verhältnis von Ausfprache und Schrift annähernd 
demjenigen, in dem gefprochne3 modernes Franzöfiich und gejchriebnes 
elegantes Franzöſiſch des vorigen Jahrhunderts zu einander ftehn. 

Vom Kanfchendichunga war nicht das mindefte zu fehn, als 
ih am nächſten Morgen in aller Frühe vor meine Thür trat und 
dort eine Schar von zehm nicht grade faubren, dafür aber hand- 
feiten Bhotijas auf mich warten jah; ich hatte bisher noch nie fo 
kraftſtrotzende Gefellen in Dardſchiling gefehn. Mit ſolchen Kulis 
Tieß ſich jchon etwas anfangen. Ich jandte einen innigen Dankes— 
blit nad) dem St. Joſeph-Kollegium zu Pater Schäfer und zog mit 
meiner dafeinsfroh und verwegen dreinfchauenden Bande in ftrömen- 
dem Regen mit franzöftichem Abſchied aus Dardſchiling ab. 


— 39 — 


Auf den vorftehenden Backenknochen meiner fehligäugigen, flach 
nafigen Leute jhien die Wangenhaut faft zu plagen, jo lebhaft grinften 
fie; auch die wilden Haare fehienen vor Wanderluft aus der gewohnten 
Bopfform gegangen zu fein. In das Verteilen der Trägerlaften 
durfte ich dem Sirdar, dem Häuptling der Kulis, aber nicht hinein 
reden, obgleich ich mich mit Hilfe meiner praftifchen Lifte von Bhotija- 
wörtern ganz leidlich mit ihnen verftändigen Tonnte, denn auch Hin- 
doftani verftand der Sirdar ein wenig, 
freilich nicht viel mehr als ich felbit., 

Der Vertrag mit den Kulis war durch 
den vorfichtigen Miffionar dahin geregelt 
worden, daß der Sirdar, abgefehn von 
einem Vorſchuß für Proviant, die Entloh- 

. nung für feine Kulis erjt bei der Rückkehr 
erhalten follte. Als ich mich über das 
Ausbleiben dieſes Proviant3 wunderte, bat 
mich der Sirdar lächelnd, deswegen ganz 
unbeforgt zu fein, mas mir in der That 
etwas ſchwer fiel. 

Noch hatte kein einziger der bar- 
füßigen Burschen von den warmen tibeti- 
ſchen Bergſchuhen Gebrauch) gemacht; nur  TIPrtilser Derataun. 
der verhältnismäßig zarte Sirdar, der ftet3 ein wenig zu ſtutzern 
liebte, hatte bereitS die blau-rotzgrün geftreiften Filzftrümpfe mit 
Fellbeſohlung angelegt und ftolzierte, ohne auch nur ein Pfund Laft 
zu tragen, in feinem weiten, indigoblauen Rod mit überlangen und 
deshalb oft umgefchlagnen, gelb gefütterten Aermeln hinter den Kulis 
her. Mit feinem dreifpigähnlichen Bortenhut, dem zierlichen Zöpfchen 
und dem langen dünnen Bambusſtecken, den er mit abgezirfelter 
Gravitãt handhabte, machte er ganz den Eindruck eines aſiatiſchen 
Rokoko⸗Püppchens, dem man die Beherrſchung jo ungeſchlachter, 
vierfchrötiger Kulis faum zutrauen konnte. 


— 3890 — 


Die erften drei Tage folgten wir, noch immer in ſtrömendem 
Negen, einem gemächlichen, wenn auch arg durchweichten Reitweg, 
der zunächft einen füblich und dann weftlich gefrümmten Hafen befchrieb, 
bis er fchließlich in nördlicher Richtung weiterführte. Diefer Weg 
liegt auf dem Singale-La-Ramm, einem mächtigen, über 60 engliſche 
Meilen (96 Kilometer) langen Südſporn des Kanſchendſchunga, 
der bis zum Terai hinunter reiht, alfo bis zu jener fumpfigen, 
fieberdunftigen Urwaldszone, die zwifchen der indifchen Ebene und 
dem Gebirge liegt. Die Gründe, die der Sprachforfcher 2. A. Wab- 
dell gegen den Gebrauch der Bezeichnung Singale-La-Kamm anführt, 
find mir zwar befannt, aber da diefer Name durch Hooker auf den 
Karten eingeführt wurde, möchte auch ich daran fefthalten; andre 
neue Schreibarten Waddells halte ich dagegen für nachahmenswert. 
Ich habe mich aber bemüht, in diefem Werk alle Ortsnamen, auch 
die englifchen, möglichit fo zu fchreiben, wie fie deutich ausgefprochen 
werden. Ich fchreibe alſo zum Beifpiel nicht Goom, ſondern Guhm. 

An diefem Reitwege find mehrere Bungalos angelegt, um ben 
Sommerfrifchlern von Dardichiling Gelegenheit zu bieten, fich das 
erhabne Hochgebirge in aller Bequemlichkeit ein wenig näher und 
aus einer andren Richtung als gemöhnlich betrachten zu können; 
fol ein mit zahlreihem Troß vollzogner Beſuch diefes Bungalos 
von Sanduk-Fu oder de3 folgenden Namens Falut gilt dann 
ftet3 als ein großes touriftifches Ereignis in Dardſchiling. Diefer 
Weg bis Falut ift aber ſchon wiederholt bejchrieben worden, am 
ausführlichiten von E. von Schlagintweit, der im Jahr 1856 bis 
Falut vordrang und von dort aus die Höhe des Mount Evereit 
mittels Teleſkops trigonometrifh auf 29106 Fuß (8871,5 m) 
bejtimmte, während eine faft gleichzeitige englifche Mefjung aus ber 
Ebene die Höhenziffer von 29002 Fuß oder 8839,8 m ergab. 

Ich legte die fehier unzählbaren Zickzacks diefes unabläffig auf 
und abfteigenden Weges unter ganz abfcheulichen Verhältniffen zurüd, 
denn die fünfmonatliche Regenzeit hatte den Boden des fubtropiih 


381 


ng-ynpues pun Sunupspiegg upsımt uaßunyuag- pun uabungagg-Sap 


qungBagg aꝛun (rad ij wropmag poit af u⸗dhzoit quonlgm 2x 















































2 








—— 

































































— 382 — 


wuchernden Waldes erfolgreich verſumpft und den Ozongehalt der 
Waldluft durch miasmatiſche Dünſte vertrieben. 

Bei Sanduk Fu zeigte ſich gegen Abend jenes tröſtliche Gerinnen 
und Zuſammenballen des öden, bleigrauen Wolkenmeeres, das den 
erfahrnen Bergſteiger auf ein Nachlaſſen des Regens und Zerreißen 
der Nebelmaſſen hoffen ließ. Und richtig! Der nächſte, faſt wolfen- 
108 anbrechende Morgen zeigte mir das über jeden Ausdruck er- 


Dat Bungalo Sandut-Fu, 
dahinter die snowy range bei Kanſchendſchunga. 


habne prächtige Maffiv des Kanſchendſchunga mit einer Schärfe 
und Deutlichteit feiner Einzelheiten, wie fie eben nur nad) fo lang- 
dauernden atmofphärifchen Niederſchlägen und in fo reiner, hoher 
Luft troß der anfehnlichen Entfernung von circa 34 englifchen Meilen 
(54,7 Rifometer) möglich war. Auch verlor die Landſchaft hier nicht, 
wie die3 in den europäifchen Alpen von fo hohen, topographifch 
wertvollen Ausfichtspunften gewöhnlich gefchieht, an ihrer äfthetifchen 
Wirkung; im Gegenteil, hier wie von Falut, wo die Ausficht eine 
ganz ähnliche ift, gewährte das wundervolle Gleichgewicht in den 


ruatennauva 12 Jana mag jnu anna 290 Jod] gie ’erag uendamng Hal qum Ing un» wall Ui) 


Sie, Google 





— 383 — 


Erſcheinungen der ferneren und näheren Schneegebirge und der zu 
gleicher Zeit überſehbaren nahen, waldigen Thalſchluchten ſowie der 
graſigen Windungen des Singale-La-Kammes und feiner Abſpaltungen 
einen wahrhaft harmoniſchen Eindruck, der das Gemüt in unend- 
liche Befriedigung 
und Weihe ver: 
jentte. 

‚Hier Löfte fich 
auch das Rätſel 
wegen der Verpro- 
viantierung der 
Kulis, Meine Ruli- 
truppe wurde näm- 
lich beim Eintreffen 
in Sanduk⸗Fu von 
breifräftigen, mun- 
tren Bhotijawei⸗ 
bern erwartet, die 
fich dort Hinter dem 
Bungalo verſteckt 
hatten und nun 
fichernd und fchnat- 
ternd mit ihren 
Bambuskörbenvoll 
Keisjäden, Wal Fortis han semarge su tat 
deden und kupfer⸗ 
nen Kochgefchirren zum Vorfchein kamen. Sie trugen fämtlich 
ihre unförmlich hochbepadten Lajtförbe an einem aus Bambus- 
vinde geflochtnen und über die Stirn gelegten Band und waren 
ſchon einen Tag früher vorausmarfchiert, da fie ſchwerer aufgepadt 
hatten als ihre Gatten. Mit fchlauem Lächeln vertraute mir der 
Sirdar, daß die Herren Bhotijakulis derartige Reifen ins Ungemiffe 


— 334 — 


nicht ohne ihre Frauen anträten, denn das fei nach jeder Richtung 
nüßlicher und angenehmer. Hierzulande habe nämlich faft jede Frau 
mehrere Männer, infofern fämtliche jüngre Brüder ihres Eheherrn 
ebenfall3 Gattenrechte an fie hätten, nicht aber die ältren; die Kinder 
betrachteten jedoch nur den älteften Gatten als ihren Vater. ALS ich ihn 
nun fragte, weshalb diefe Maßregel eingeführt fei, fagte er nicht etwa 
vernünftigerweife, daß 

die große Armut und 

der geringe Landbeſitz ſo⸗ 

wie die Notwendigkeit, 

daß bei dem herum- 

ſchweifenden Lebenswan⸗ 

del der Bhotijas ſtets ein 

Herr im Haufe fein müffe, 

wenn die andren Männer 

auswärts thätig feien, zu 

diefer national-öfonomi= 

ſchen, entfchuldbaren Un- 

fitte gezwungen babe; 

nein, er feufzte nur tief, 

fo unergründlich tief als 

ob er damit jagen wollte: 

Gine meiner Rulifrauen. Die Ehe ift doch eine fo 
ſchwierige Sache, daß 

einer allein ſie gar nicht tragen kann! Auch wird behauptet, daß 
Bhotijas und Tibeter das Feſt ihrer Vermählung, an dem ſich doch 
ein deutſcher Jüngling für den glückſeligſten aller Sterblichen hält, 
mit einem inneren Grauſen, mit Heulen und Zähneklappen heran— 
kommen ſehn. Dort muß ſich eben jeder Jüngling verheiraten, er 
mag wollen oder nicht; thut er's nicht, ſo thut's gewiß ſein ältrer 
Bruder, und dann muß auch er deſſen Eheglück teilen, oder er muß 
auswandern. Will er's aber beſſer haben und ein eignes Frauchen 


©. 3841-85. 

Der Verfasser mit einigen Reis efienden Kulis und Kulifrauen; reits der Sirdar mit einer Gebeisfahne. 

Im Hintergrund bie Gruppe des Mount Evereit. Dieſes Bild ift die linfe fFortiejung der vorigen Tafel, 
bei deren Aufnahme der Apparat um 45° weiter mach MWeften gedreht wurde. 





— 385 — 


für ſich nehmen, ſo ſteht ihm das zwar frei, doch wird das arme 
Wurm dann die Dienerin der Frau des ältren Bruders, und 
nur dieſe darf von dem Fleiß und Verdienſt ihres Schwagers 
in Geſtalt von Schmuckſachen profitieren. 
Ich folgte fort- 

an dem SHirten- 

pfade, der über den 

Singalelafporn in 

mancherlei Win⸗ 

dungen zu einer 

Einſattlung in dem 

Sporn hinunter⸗ 
leitet; dieſe wird 

Tſchau Bandſchan 

genannt und bildet 

einen Paß für den 

Hirtenverkehr zwi⸗ 

ſchen den Ländern 

Nepal und Sikhim, 

deren Grenze auf 

der Kammbhöhe des 

genannten Spornd 

hinzieht. Zu mei- 

ner Ueberraſchung 

fand ich hier einen Selsplatten und Blöde auf dem Eingalela-Grat; 

darauf mein Girdar. 

nagelneuenundmit 

elegantem Komfort ausgeftatteten Bungalo, von deſſen Dajein 
man in Dardſchiling volftändig gefchwiegen hatte. Sikhim befist 
allerdings, als ein von Britifch-Indien aus zwifchen den unabhängigen 
Himalaja-Stanten Bhutan und dem verfchloffnen Lande Nepal bis 
nach Tibet hindurchgetriebner Keil ein ganz hervorragendes Intereſſe 


für die Engländer, doch wird naturgemäß die genauere Kenntnis 
Boed, Indiſche Gletjherfaßrten. 25 


— 36 — 


der Verhältniſſe des Landes Sikhim wohl mehr den Beamten und 
Offizieren, für deren Dienftreifen jener Bungalo hergerichtet wurde, 
gegönnt, als Touriften, und zumal fremdländiichen, die ja jtet3 im 
Verdachte der Spionage ftehn. 

Wir hatten bereit den zwanzigſten Oftober, al3 ich von dieſem 
legten Schutzhaus Tſchau Bandſchan mit dem Sirdar, das heikt 
dem Anführer meiner Kulis, zum Gipfel des 11780 Fuß (3591 m) 
hohen Tihong Mabing emporftieg, und dem Tiroler da3 Nach- 
treiben der Kulis überließ. Mein Sirdar, der einer befiren Bhotija- 
flafje angehörte und mir für die Kulis verantwortlich war, wie er 
auch am Schluffe der Reife für fie die gefamte Bezahlung erhielt, 
fchien den Antritt de3 jetzt ernftlich beginnenden Marfches ins Obdach⸗ 
lofe gern fo Tange wie irgend möglich Hinauszuziehn; an einem Vor⸗ 
wande hierzu fehlte es nie. Nachdem zum Veifpiel die Kulis gemerlt 
hatten, daß ich eins der Kulimeiber zurüdjandte, weil fie von einem 
wirklich furchtbaren Keuchhuften gequält wurde, brach die ganze Ge 
ſellſchaft alsbald in ein umerträgliches, andauerndes Krächzen und 
Bellen aus, das nur den Zweck haben follte, mich noch einige Zeit 
mitleidsvoll in dem Schlaraffen-Bungalo aufzuhalten. Statt defien 
griff ich den Hauptkrächzer heraus, zahlte auch ihm feinen fälligen 
Lohn und erfuchte ihn, fich gleichfalls Heimzufcheren. Das half. Die 
Katarchheuchler befürchteten die Einbuße ihrer Gage und gemafen 
plöglich vom Huften, verfuchten aber dafür ihren Leiden durch den 
bittren Froſt einen möglichſt erbarmenswerten Ausdruck zu geben 
und erſchienen in den abenteuerlichiten Vermummungen vor mir; 
erſt als fie jahen, daß da3 viel weniger mein Mitleid ald meine 
Heiterkeit erregte, nahmen ihre Luftballon-Ropftücher und fonftigen 
Verpackungen wieder die üblichen Formen an. 

Auf dem Tſchong Mabing feflelte mic) vor allem die ſchon bei 
Sanduf-Fu und Falut fihtbar gemorbne und die lange Schneekette 
feiner nepalifchen Nachbaralpen weit überragende Gebirgägruppe des 
Mount Evereft, der auch ohne die Annahme, daß diefer Berg die 


Meine Kulis 
beim Aufbruch aus dem Biwat. 


6. 3836-87. 


Sie, Google 


— 3897 — 


höchſte bekannte Erhebung unfrer Exdrinde ift, ein übermältigendes 
Hochgebirgsbild abgegeben hätte, obwohl feine Entfernung in der Luft- 
linie noch etwa 60 englifche Meilen (96,5 Kilometer) Betrug. Doch nur 
von einer beftimmten Stelle zwiſchen Falut und diefem Tſchong Mabing 
fieht man feinen 
höchften Gipfel, 
der etwa3 hinter 
den beiden andren, 
öftlich davor 
liegenden Spitzen 
dieſer Gruppe 
liegt, hinter denen 
er dann bei mei⸗ 
nem Weiterfort⸗ 
ſchreiten auf dem 
Singalelakamme 
mehr und mehr 
verſchwand. 

Es iſt hier 
nicht der Ort, auf 
all das einzugehn, 
was ich während 
meiner vierten in⸗ 
diſchen Reiſe in 
Nepal im Win- 
ter 1898/99 in 
Bezug auf den Mount Evereft in Erfahrung gebracht habe, der 
befanntlich auf der Grenze von Nepal und Tibet liegt, und ich werde 
mid erft bei der Schilderung meiner nepalifchen Reife ausführlicher 
mit dieſem Berge, dem Problem jeiner Erfteigbarfeit und dergleichen 
zu befchäftigen haben, ebenfo mit ben Streitfragen, ob der Mount 
Evereſt in der That der höchite Berg unfres Erdballes ift, und ob 


Meine Rulis im Mari auf den Singalela-Grat; 
im Sintergrund die Gruppe des Mount Evereſt. 


— 388 — 


der deutſche Himalaja-Forfcher Schlagintweit irrigerweiſe einen andren 
Gipfel al3 die unter dem Nachfolger von Sir Evereft arbeitenden 
englifchen Geometer ind Auge gefaßt und mit Gauriſankar bezeichnet 
bat. Ich werde aber trogdem im nächſten Kapitel Gelegenheit Haben, 
nachzuweiſen, durch welche Umftände grade bei der Mount Evereit: 
gruppe eine Verwechslung der einzelnen Spigen leicht vorkommen 
fonnte, 

Zu meinem Verdruß bemerkte ich bald die große Gleichgültigkeit 
de8 Sirdars und der KAulis für geographifche Namen, ja, fie ver- 
ftanden nicht einmal Har und deutlich auf irgend einen Berg oder 
Punkt hinzuzeigen, ſondern fuchtelten nur ganz unbeftimmt in der Luft 
herum. Es fam ihnen gar nicht darauf an, den Mount Evereit 
auch als Dewala oder Dewalagiri zu bezeichnen, und ähn— 
liches mehr; ‚über die meiften Bergnamen ‚konnten fich diefe Leute 
gewöhnlich nicht einigen, und felbft für das. äußerft charakteriftiiche, 
man fönnte faft jagen zeltförmige und von jedermann in Dardſchi⸗ 
ling Kabru genannte Schneehorn, wendeten die Kulis den Namen 
des weſtlich hinter dem Kabru ftehenden Dſchannu an und bezeichneten 
mit Kabru einen weiter füblih vom Kanſchendſchunga Tiegenden, 
niedrigeren Gipfel. So mag es fi wohl auch erklären, daß über 
die angebliche Erſteigung dieſes Kabru durch einen Mr. Graham 
feine Gewißheit zu erhalten ift. Waddell neigt der Anficht des 
Oberft Tanner zu, daß Graham den mehr ald 2000 Fuß niedrigeren 
Kangtſen für den Kabru gehalten und beftiegen hat. Der Höhen- 
beftimmung Grahams fcheint das indiſche Vermeffungsamt nicht viel 
Wert beizumejjen, da fie nur mit Aneroidbarometer abgelejen wurden 
und die kleinren Inftrumente diefer Art doch nicht viel mehr als 
Spielzeuge für lady pioneers find. 

Doc nicht nur nach Weiten über die Thäler und Höhenzüge 
Nepals bis zum Mount Evereit und nad) Norden zum Kanſchen- 
dſchunga und feinen Nachbarn war die Umſchau von unvergleid- 
lichem Interefje; auch nach Often, mo Sikhims üppige Walbthäler 


. ©. 2388-89. 
Mein Zeltlager am Singale-La; 
techta bringt ein Auli Schnee zum Schmelzen. Der Verfaffer füllt grade den Theekocher mit Spiritus, 


— 389 — 


ſich zum Rangit hinunterjenkten und nach Süden und Südoften, 
wo die faum noch kenntlichen Zinkdächer von Dardichiling in weiter 
Ferne im Sonnenfchein funfelten, bot fich eine jo überaus feſſelnde 
Ausficht, daß ich mich gar nicht davon loszureißen vermochte. 

Ich konnte mehrere Stunden lang einer ſchwach angebeuteten 
Viehfpur längs der arg zerfeßten Kammhöhe folgen, die mich nach 
einer zum Lagerplab geeigneten Stelle und zu lange vergeblich 
gefuchtem Trinkwaſſer leitete, der Duelle des Sidibungbadhes. Hier, 
bei 13000 Fuß (3962 m) Höhe, waren die bisherigen ftattlichen 
Rhododendronſträucher bereit3 in Alpenrofenbüfche übergegangen, und 
die Umgebung gewann mehr und mehr den Charakter einer ver- 
laſſnen Hochgebirgslandfchaft; die hier im Hochſommer herumziehen- 
den Yale und Schafherden fehlten bereits, weil fie ihre Weideplätze 
ſchon im Oktober verlaffen hatten. ji 

In der That wajen hier die Nächte ganz entſetzlich kalt; 
mein Maximum⸗ und Minimumthermometer hatte mir ein Sturm- 
wind vom Beobachtungsplatz heruntergefcjmettert, jo daß ich die 
genauen Zahlen nicht- angeben kann,! ich glaube aber beftimmt, daß 
die Temperatur in der Nacht weit unter — 15° C ſank. Die Zelt 
mänbe fnifterten beftändig vor Froft, und das fonft jo windelmeiche 
Zelt ftand auch nach dem Löfen der Halteftrice ganz fteif und frei 
da, fo daß es viel Mühe machte, dies gefrorne Zelt zufammenzurollen. 
Der eifige Reif, der bis tief in Die wohlverwahrteſten Gepäckſtücke 
gebrungen war, machte mir befonder3 das Anlegen ber fteinhart 
gefrornen Bergſtiefel bejchwerlih, und auch die endlojen Eiszapfen 
im Schnurrbart wurden recht läftig. Aber doch erfchien mir das 
Aufftehen und Theefchlürfen — von Wafchen will ich nicht viel 
reden — troß der duch Mark und Bein riefelnden Kälte als eine 
wahre Wolluft, denn am Himmel fpielte dabei ein ganz wundervoller 
Frühlichtfarbenwechfel, der von den Schneebergen in taufend feinen 
Schattierungen zurüdtgeftrahlt wurde. 

— — 





Einundzwanzigfies Kapitel. 
Ueber Schnee und Eis zu den fünf Schagfammern des großen Gletſchers. 






om nun an wurde die fich wiederholt auf nepalifches Gebiet 
siehende und häufig kaum noch fenntliche, vielgewundne Weg- 
„> ſpur fteiler und ungangbarer, während fich die Bilder des 
jest ſchon viel näher erfcheinenden Schneegebirges in immer wechſeln⸗ 
der Verſchiebung ihrer ‘fcheinbaren Stellungen bald zur rechten und 
dann wieder zur linfen Hand zeigten. Solche ſcheinbare und erftaun- 
fiche Verfehiebung kann ſchon jeder beobachten, der zum Beifpiel die 
Elbe von Blaſewitz an ftromauf fährt und dabei den fteilen Felſen- 
klotz des Lilienfteins auch bald links bald rechts von der Bergfeſte 
Königftein auftauchen fieht, je nach der Flußbiegung, die das Dampf 
ſchiff grade befährt. 

Der Marſch begann hier jehr unbequem zu werden, denn ic 
mußte dabei unerträglich oft unter hafenförmig übergebognen, ver- 
mitterten Felſen fortkriechen, von denen mächtige Eisftalaftiten wie 
Orgelpfeifen aus glafigem Tropfftein herunterhingen, oder längs 
fteiler und überdies glatt überfrorner Felswände forttappen; ſelbſt 
der wundervolle Anblick der gligernden Eis- und Reifüberzüge auf 
allen Blättern und Pflanzen machte diefe Duälerei nicht viel erträg: 
licher. Ih fehlug deshalb vor, in das zur Linken liegende nepaliſche 
Gebiet hinunterzufteigen, mo ich auch bald einen an der Grenze eines 
wilden Pinienwaldes hinfaufenden Hirtenfteig und ſchließlich einen 
günftigen Lagerplag fand. Wir waren dabei aber tiefer hinunter 





— 39 — 


gejtiegen, al3 mir im Hinblick auf den morgenden Fortftieg lieb fein 
tonnte; ich trieb deshalb die. Kulis an, das Zeltlager wieder etwa 
taufend Fuß höher an unjren Kamm hinauf zu verlegen. Mein 
Anfinnen rief einen wahren Aufruhr, unter den Kulis hervor, da es 
dort nicht nur viel fälter war, jondern auch fein Waffer gab, diejes 
vielmehr erſt Durch Schmelzen von Schnee erzeugt werden mußte. Auf 
dem Bilde meines Zeltlagers fieht man grade einen meiner Kulis einen 
Schneeklumpen in einem Keffel herbeibringen, während andre Leute 
Krummholz für das Lagerfeuer abjchneiden. Ich darf nicht vergefien 
zu erwähnen, daß diefe Aufnahme von dem Tiroler nach meiner 
Anleitung gemacht wurde, wobei er aber länger als dreißig Sekunden 
erponieren mußte, weil die Sonne bereit8 untergegangen war; dadurch 
konnte ich mit auf diefem Lagerbild dargeftellt werden. Der Eng- 
länder 2. U. Waddell, der im September 1896 dieſes Gebiet eben- 
falls bereifte, verfchmeigt übrigens völlig, daß es mir bereits im 
Jahre 1890 geglüct ift, den Singalela-Hochlamm über Tſchau— 
Bandſchan und den Tihumbab-La hinaus zu begehen und von feinem 
Grat aus auch die weiterhin folgenden, meines Wiſſens ganz einzig 
dajtehenden Photographieen aufzunehmen. 

In den nahen zwerghaften Legföhren und Rhododendronfträuchen 
trieben große Herden, ich zählte einmal vierzig Stück, rötlichgrauer 
wilder Hühner ihr Wefen, ohne fich durch ung ftören zu lafjen, und 
ein Murmeltier‘ pfiff fi in einer Kluft, in der ich nach Waffer 
Umſchau hielt, fein Abendlied. Ich wollte den Verſuch machen, mit 
Hilfe eines Kulis das drollige Tierchen einzufangen, doch fürchtete 
ſich dieſer, das Murmeltier auch nur zu beunruhigen; die Bhotijas 
wollen verhüten, daß diefe Tiere durch Nachitellungen in die Spalten 
des Erdinnren gefcheucht werden, um nicht die darin haufenden 
Drachen und Dämonen zu ſtören, weil diefe fonft ihren Unmut durch 
Erdbeben und Stürme an den Tag legen. 

Die Lage des Zeltplaes war jo großartig wie möglich, denn 
in feinem Rüden ftieg die nahe Pyramide des Singla, auf der 


— 392 — 


andren Eeite, das heißt drüben in Nepal die ftolge Spitze des 
Tadula auf; zu unfren Füßen aber gähnte die dunkle Tiefe jenes 
nepalifchen Thales herauf, das mir zum Hierherfommen gedient hatte. 
Am nächſten Morgen, an dem wir fofort über Schneefelder zu 
fteigen hatten, ftellte fich alsbald die ängſtliche Unbeholfenheit der 
Kulis auf dem 

Schnee heraus, 
und e8 war halb 
ärgerlich, halb be 
luſtigend, zu ſehn, 
wie der Sirdar mit 
ſeinem krummen 
Kukridolche meine 
und Hanſens Na⸗ 
gelſchuhſpuren in 

dem gefrornen 
Schnee zu rieſigen 
Stufen auch dort 
erweiterte, wo es 
wirklich nicht nötig 
war; ebenfo thö- 
richt hatten ſich 

einige Burfchen 
Mein Girdar am Iihumbab-Ra; nicht, wie bie an- 
der Zovf hängt ihm über die Eculter; in den Rodfalten trägt er Provlant. dren, die Augen= 
höhlen und angren= 
zenden Gejichtöteile als Schuß gegen den Schneebrand mit Holzkohle 
eingerieben, fondern nur die Naſenſpitzen, mas natürlich den mon- 
golifchen „zerlumpten, dermilderten und derpirfchten Gefellen“, um 
die von dem Tiroler beliebte Ausdrucksweiſe zu wiederholen, fein ver⸗ 

trauenerwedfenderes Ausſehen verlieh. 

Sobald ich ſah, daß der Kulitroß nicht viel fchneller als 


— 39 — 


Krebfe unfren Spuren nachkroch, nahm ich einem Kuli den photo- 

geaphifchen Apparat und Hans einem andern den Proviantruckſack 

ab, und damit beladen ftiegen wir beide allein den fteilen, fehneeigen 

Gipfel hinauf, der fich auf der linfen Seite der Kammhöhe heraushob, 

während die Kulis nad) und nach den tief verjchneiten Steinblöden 
längs berjelben 

folgten. Der er- 

ftiegne Gipfel liegt 

in der Nähe des 

Tſchumbab⸗ La und 

wurde von den 

Kulis nur Tſchum⸗ 

bab⸗ La⸗Berg be⸗ 

nannt. Von ſeinem 

Gipfel wurde die 

hier beigefügte An⸗ 

ſicht der Alpenkette 

aufgenommen, aus 

der ſich die Mount 

Evereſt⸗Gruppe er⸗ 

hebt, ſowie eine 

ſolche des Kan⸗ 

ſchendſchunga, der 

freilich von hier 

—— 

Kabru verdeckt ift. 

In meiner nächſten Nähe ſtieg im Norden hinter einem Eis— 
tümpel ber ſchroffe, ſchwarze, 18300 Fuß (5578 m) hohe Kang-La auf, 
deſſen finftre Narben und Runzeln durch den blendend weißen Schnee 
in feinen Fugen in ungemein wirkſamem Gegenfat hervortraten. Die 
bebeutendere der zwiſchen dieſem Kang-⸗La und dem Gipfel de3 Ranfchen- 
dſchunga liegenden beiden Spigen, die ich al3 den berechtigten Träger 


— 34 — 


des Namens Kabru anſehe, zeigte ſich hier in der Stellung fo mert- 
würdig verändert, daß einige Aufmerkjamteit dazu gehörte, fie zu idemtifi- 
jieren. Die Karte giebt dem Kabru 24015 Fuß (7319,7 m) Höhe. 








Die Gruppe des Didannu, Kabru und Ranfhendfhunge 
vom Eingalela-Örat aus Suden gejehn. 


Gegen Mittag ftieen wir wieder zu den Kulis. Der Sirdar 
ließ uns feine ſtets ruhebegehrenden Leute nur fehr ungern noch 
weiter nachjolgen und jegte jogar eine feindfelig drohende Miene 
auf, al3 ic) ihm flar machte, daß ich heute noch den allerdings vor- 
ausjichtlich etwas langen Marſch über den tief verfchneiten Paßweg 


—. 


H 

oo. \ . ! 

' . 
Yäufer der Goeref«Brupe } 
i 

I i 

} 

j i 








vereft in von hier 


pen der Rankhenbjchu 
i 
1 


— 


— 395 — 


zurücklegen wolle, der ſich von dem aus der Tihumbab-La-Einfattlung 
entfpringenden Bach in parallel mit dem Singalela-Kamm laufender 
Nichtung nad) Norden Hinzieht, und daß ich heute erft in möglichft 
vorgerücter Stunde mein Zeltlager zu beziehen gebächte. In der 
Ueberzeugung, daß der Sirdar mit den Kulis unfren, das heißt des 
Tirolerd und meinen Spuren im Schnee doch fehließlich, wenn auch 
fangfam, nachſtapfen würde, fehritten wir über den von der Sonne 
aufgeweichten Schnee in zuerft öftlich gebognem Hafen und dann in 
nördlicher Richtung der Einfattlung zu, die mir der Sirdar als zum 
Gjucha⸗La führend bezeichnet hatte. 

Beim Erreichen der erften Paßhöhe fand ich, nachdem wir ein 
fteil binaufführendes Schneefeld überquert hatten, einen der in Tibet 
und Sithim bei Wegkreuzungen und auf Päffen häufigen, Tjchor-ten 
genannten und ben Göttern der Berge als Opferplab errichteten 
Gebetsfteinhaufen. Er war" von abergläubifchen oder, wenn man 
fo jagen will, ftommen Hirten mit Wollfloden, Kleiderfegen und 
bunten Zeugftreifen geſchmückt, auf die das ſchon früher von mir an⸗ 
geführte bubdhiftifche Gebet Um ma-nyi peme hum, zu deutſch 
etwa: O du Juwel in dem Lotos! aufgefchrieben war; gemöhnlich 
find diefe Gebete mit hölzernen, von den Lamas in den Tempeln 
geſchnitzten Druckſtöcken auf ſolche Wimpel gejtempelt und werden von 
den Lamas als Gegengabe für Opfer verteilt. 

Neben dem Gebetsfteinhaufen ftand eine diefverfchneite Träger: 
laſt; ein Schneehaufen dicht dabei barg jedenfalls die Ueberrefte des 
dazugehörigen und durch den vor etwa zwei Wochen hier oben nieder: 
gegangnen Schneefturm umgefommnen Träger. Da meine Zeit 
äußerft knapp und hier feine Hilfe mehr möglich war, ließ ich 
die Sache auf fich beruhen und fchritt nun am Oftabhang des Berg- 
rückens, der öftlih vom Singalela-Ramm diefem faft parallel Läuft, 
durch den tiefen weichen Schnee, auf dem eine Fuchsſpur erfennbar 
war; auch die breite Tatzenſpur eines der hier vorkommenden ifabell- 
farbigen Bären hatten wir bei der Paßhöhe bemerkt, die die Kulis 


. 


k 


— 396 — 


mit Grauen betrachteten, weil fich die Bhotijas nicht von der 
ellung frei machen können, daß dieſe zottigen Tiere wilde Berg- 
nen feien. Etwa drei Stunden lang behielt ich dieſe nörbliche 
ıng bei, bis der Bergrüden ſich plößlich ſenkte und nach einer 
ung gegen Nordweiten fich eine wahrhaft verblüffende Aund- 
eröffnete, wie fie ſich gar nicht überrafchender aufthun konnte ; 
seigefügte Panorama foll davon eine Andeutung geben. 

dier zeigte fich bereits die Ruckenkante des nicht mehr fernen 
hendſchunga, jedoch nicht der volle Gipfel. Befonders fchön 
agegen der herrliche Kabru und der Kang-La hervor, ebenfo wie 
Jipfel des hinter der Hauptlette ftehenden Dſchannu bis in die 
e Schluchtfalte erfennbar vor meinen Augen lagen. Ueber einer 
n Ausbuchtung im Singalela-Ramm fehaute gleichzeitig wieder 
oßige Gruppe des Mount Evereft auf, und die Gliederung der 
her und der beſonders nach Norden hin mächtig gedehnten Schnee- 
dieſes ungeheuren Gebirgsftods war, wie ich gleich voraus- 
n will, in der Nachmittagsbeleuchtung viel deutlicher zu erfennen 
m nächften Morgen. Mein Auge war aber durch den unauf: 
jen Schneeglanz fo geblendet, daß ich es häufig ſchließen mußte, 
nd ich die Geftalt der jo merkwürdigen CEvereft-Berggruppe 
ihrer Erfcheinung im Fernrohr in mein Tagebuch einzeichnete. 
ei fiel mie nun auf, daß ſich Hinter dem Bergkoloß, den ich 
inglich, ebenfo wie e8 jeder andre gethan haben würde, für den 
ıt Evereſt gehalten hatte, eine fcheinbar niedrigere, dahinter 
de Bergſpitze deutlich hervorgehoben hatte, die ich bereit3 bei 
t früher, weiter füdlih, vom Singalela-Kamm aus gemachten 
ıhme als ſchmales Streifchen hinter dem am meiften ins Auge 
yen Riefengipfel hatte auftauchen fehen. Nachdem ich auf meiner 
ı Indienreife diefe Gruppe aber auch aus Weiten, aus Nepal, 
htet habe, hege ich gar feinen Zmeifel, daß diefe verſteckte 
der eigentliche Mount Evereſt ift, der fo weit weftlich hinter 
od) namenlofen vorgefhobnen und vorläufig als Berg XIII 





Sie, Google 





— 397° — 


benannten Gipfel zurückſteht, daß er niedriger al diefer Berg XIII 
ausfieht, defjen Höhe nur 27799 engl. Fuß (8454,4 m) beträgt. 
Auf dem beigegebnen Bilde führe ich auch die Sikhim-Alpen 
nochmals bei Abendbeleuchtung vor, bei der man ihre Gliederung 
noch befjer erkennt al3 in dem am nächjften Tage zur Mittagszeit 
aufgenommnen und vorite- 
Hend eingehefteten Rund⸗ 
bilde. Deftlih vom Kan- 
ſchendſchunga fiel als be⸗ 
ſonders ſchön die von 
hier faſt gleichſeitig aus⸗ 
ſehende Schneepyramide 
des 22017 Fuß (6711 m) 
hohen Pandim auf und 
weiterhin neben dem Pan⸗ 
dim die zerbrödelte und 
ausgefrefſne Kontur des 
Narſengh. Weiter nad 
Dften ſchloſſen fi daran 
die um vieles Kleiner erfchei- 
nenden,und doch jo mächti- 
gen Gebirge des Kanfchen- 
Dſchau, des Donkia, 
Dſchumo⸗Lhari und fo weiter. Doc ich foll ja hier feine Topo- 
graphie Sikhims geben, jondern meine Reifeerlebniffe jchildern. 
Mein fuchender Blick ſchweifte aber nicht nur in die ferne 
Weite, jondern auch in die Nähe, um eine Gelegenheit zum Biwakieren 
zu entdeden. Es war klar, daß am eheften die ſich von hier in 
norbweftliher Richtung Hinunterziehende dunkle, nicht abjehbare 
Schlucht ein pafjendes Lagerplägchen aufmeifen konnte, aber Stunde 
um Stunde verrann im Warten auf die trägen Kulis; ich härmte 
mich nicht allzufeht darüber, fondern prägte mährenddefjen dies über- 


Blig von ber Baphöheoberhalbdes Tſchumbab · La. 


398 


mwältigende Aundbild, von heißem Dank gegen mein Geſchick erfüllt, 
recht feft in meine glücitrahlenden Augen und für Lebenszeit in die 
Erinnrung. Doch ſchließlich, als bereits tiefe Abenddämmerung auf 


—— e ⸗ mn 





— 





Die Gruppe des Mount Evereſt, über einer Einſatlung 
im Gingalela-&rat geſehn ; vorn mein Sirdar. 


den blajjen Schneemänteln des Gebirges lag, kehrte ich mit ‚dem 
Tiroler um, weil mid) doch das Ausbleiben der Leute beforgt machte. 
Wiederholtes Donnern und Krachen hatte mir da Niederbrechen von 
nahen Lawinen gemeldet, und ich war auf eine Kataftrophe gefaßt. 
Wir gingen in immer dunkler werdender Nacht in unfren Spuren 





Rang-ta (Berg) 18300 = 3577,84 m. Diannn 
Rang-2a ;Bah) Rang-La-Rang- Ra 25300 = 171 
15 950° = 4861,50 m. B (Eattelr. _ (Diefer Bipfelliegtjenfeits der. R 





—A— 





Die hõchsten Gipfel des Bimalaja auf 
aus Dfter 


Großer Rabru Gipfel des Ranfhenbfäun 
Meiner Rabru. im a FE „ 
B j 


a un 3. 308-8. 
t Grenze zwischen Sikbim und Nepal, 
sieh. 


Sie, Google 


— 39 — 


im Schnee zurüd, doch nirgends bemerkte ich ein Zeichen, daß unfte 
Begleiter hier gegangen feien. Um Gemwißheit über ihr Schickſal zu 
befommen, blieb- mir nichts übrig, als bis zu dem Punkt, wo ich 
den Aufftieg zur Paßhöhe begonnen hatte, zurückzutaſten, was in 
der tiefen Dunkelheit und bei den fchlechten Schneeverhältniffen eine 
fürchterlich angreifende Arbeit wurde. Und fiehe, am Rande des 
unteren Schneefeldes blinkte ganz gemütlich ein Feuerchen herauf, zu 
dem hinunterzugelangen eine, wie mir fofort klar wurde, wahrhaft 
halabrechende Arbeit fein mußte. 

Doch mit jenem merkwürdigen, jedem Bergfteigluftigen gewiffer- 
maßen angebornen und fich verblüffend fchnell fteigernden Inſtinkt 
und Glück wurden felbft die lockren, übereiften Steine und morfchen 
Schneefchründe bei dem Licht der auffallend Iebhaft, aber ruhig 
leuchtenden Sterne nad) und nad überwunden. Schlotternd vor 
Kälte, aber noch viel mehr vor Angft, was für eine entjegliche 
Strafe der geftrenge Sahib wohl über fie verhängen würde, kamen 
mir die treulofen, jet aber unendlich reumütigen Kulis ein Stüd 
entgegen; ich ereiferte mich aber nicht nutzlos, fondern ließ die 
Burſchen in der für fie quälenden Beforgnis vor einer bei Abſchluß 
der Reife ihnen bevorftehenden ftrengen Ahndung ihres wirklich 
nichtsnutzigen Zurückbleibens, das mir bei etwa einbrechendem Un: 
wetter oder bei einem Unfall hätte verhängnisvoll werden müſſen. 

Diefem Verfahren hatte ich es wohl zu danken, daß mir am 
nächſten Morgen der nochmalige, diesmal aber von uns allen gleich- 
zeitig gemachte Uebergang über den erwähnten, tief verfchneiten Sattel 
des Paſſes ohne bejondren Widerftand feitens der Kulis gelang. 
Auch an diefem Tag lag mieder das Panorama des Kanfchen- 
dſchunga, des Kabru, Kangla und Dſchannu mit der dazmwifchen in 
weiter Ferne auftauchenden Mount Evereft-Gruppe in entzückender Rein- 
heit vor mir und ermöglichte vorftehende photographifche Aufnahme, 
die beredter als jede Beſchreibung die topographifchen Einzelheiten 
diefes impofanten Hochgebirgsbildes, eines wahrhaften Glanzpunttes 


— 400 -- 


meiner Himalajareifen, erzählt. Freilich gehört für den Lejer. ein 
wenig eigne Erfahrung in den Alpen dazu, diefe Herrlichkeit in ihrer 
ganzen Pracht nachfühlen zu können. 

In nördlicher Richtung zog fich eine Schlucht in das nächite, 
vom Rang-La herunterkommende Thal; wegen de3 erweichten Schnee 
und der glattgefrornen Steine und Felswände wurde der Abjtieg 
durch dieſe bei der faft allgemeinen Schneeblindheit der Kulis aber 
fo unendlich befhmwerlih, daß wir das Zeltlager ſchon früh am 
Nachmittag bezogen, jobald wir das erfte dazu geeignete Fleckchen 
antrafen. Bei der fihon beffagten, für mich gradezu nieberbrüdenden 
Unmifjenheit der Leute hinfichtlich der richtigen Verggipfelnamen war 
die Orientierung in diefem fo verwidelten Syftem von vielfach ver- 
zweigten, ſekundären Rücken außerordentlich ſchwierig. Das Land 
führt feinen Namen wirklich. mit vollftem Recht, denn das Wort 
Sifhim bedeutet nichts andres als „Land der Gebirgsrücken“. Ueber: 
dies machte der maffenhaft neue und deshalb ſtark blendende Schnee 
in der dünnen Höhenluft das fcharfe Erkennen der Umriſſe bei 
höherem Sonnenftande fajt. ganz unmöglih. Darum gelang den 
Kulis auch anfänglich die Kriegslift, mit der fie mich vom Ranjchen- 
dſchunga zu entfernen trachteten. 

Am nächiten Tage lockte mich nämlich der Sirdar auf dem un- 
glaublich holprigen Felsrücken eines Ausläufer des Kabru in fteilem, 
durch Wildwafjerzerftörungen befonders mühevollem Anftieg und in 
norböftlicher Richtung über zahllofe Schluchten und Wafjerläufe, die 
zu kontrollieren meine ungenaue Karte feine Möglichkeit mehr bot, 
an die Ufer eines Heinen, von einer warmen Quelle gefpeiften Sees, 
den der Sirdar Szot-Tſchag nannte. Von diefem führte ein Pfad 
zu einer aus Gteinen plump zufammengebauten, nad) Art der 
Schweizer Sennhütten mit ſteinbeſchwerten Schindeln gedeckten Hütte, 
neben der die Auine einer ähnlichen lag, die der Blitz zerftört zu 
haben ſchien. Selbft diefer charakteriftifche hochgelegne Ort, der von 
den Kulis Dichongri genannt wurde, war auf meiner Karte weber 











— #1 — 


angedeutet noch benannt! Nur um ſich in dieſer Hütte von Dſchongri 
etwas pflegen zu können, hatten ſich die Kulis wieder ſüdöſtlich vom 


Mein Zeltlager bei Dichongti, 
dem hödften Weidepiat der Grunzodfen im weſllichen Sithim. 


Kanſchendſchunga fortgemendet und; mir ein paar wertvolle Tage 

geraubt. Ueber dieſes eigenmächtige Aendern der Marſchrichtung 

war ich fo entrüftet, daß ich, ohne auch nur einen Augenblic bei 

dem Hirtenhaus Halt machen zu laffen, die ganze Gefellichaft über 
Boed, Indiſche Gletſcherfahrten. 26 


— 402 — 


den Bergrücken weg und in die aus Nordweſten vom Kanjchen- 
dſchunga herfommende Schlucht hinunterjagte. 

Fajt mit Gewalt widerſetzten ſich die Kulis dem Vorwärtsgehn. 
Zum Glück ſchien einer von ihnen, der zugleich auch der anjtelligfte 
war, ſchon einmal in diefer Hochgebirgswildnis gemeidet oder fonit- 
wie gelebt zu haben, denn er verfpradh, mic) von hier bis zu dem 
vom Kanſchendſchunga kommenden Gletſcher begleiten zu mollen, 
obgleich feine Genofjen ſtürmiſch Umkehr verlangten. 

Das Thal war dit mit Neufchnee bededt, in ben wir bei jedem 


Mein Alpen-Zelt; lints figt der Tiroler, rechta vom Zelt Reht der Eirdar. 


Schritt bis zu den Anieen einfanten, jo daß das Fortfommen 
unendlich mühjam wurde. Am Abend des nächften Tages hatte ich 
aber doch die Freude, mein Zelt neben dem Praithbach aufjtellen 
zu können, der, wie e3 zunächſt den Anfchein hatte, unmittelbar aus 
den Schneefeldern des Kanjchendfchunga zufammenfloß. Nebenbei 
gefagt, fann man auf dem Bilde diefes Zeltlager recht wohl 
erkennen, wie die eben mit dem Auspacken des Fellkoffers bejchäftigte 
Kulifrau vecht neugierig, um nicht zu fagen ſchmachtend, nach dem 
ſich ftet3 abfeits von ihr haltenden Tiroler zu blicken fcheint; ich 
weiß wirklich nicht, ob fie Damals mit dem Plane umging, ihn ihrer 
Ehefompagnie einzuverleiben, denn die unerfchütterliche Gleichgültigkeit, 
die Hans ihrem Entgegenfommen gegenüberftellte, hatte fichtlich ihr 


108 — 


Intereſſe an diefem unzugänglichen Felſenherzen von Tag zu Tage 
gefteigert. Schließlich kam ja wohl nicht allzuviel drauf an, ob ihre 
Eheviertel von Gatten auf diefe Weile noch zu Chefünfteln verfürzt 
wurden. Ich hoffe aber doch, daß ber wackre Hans das Recht 
erlangt hat, fich auch Jofeph zu nennen. — 

Am folgenden Morgen unternahm ich vom Zeltlager aus mit 
dem Tiroler und den beiden gefchiefteften und auch marjchfähigiten 
Kulis einen Rekognoszierungsausflug nach Norden in den Thal 
ſchluß am Kanſchendſchunga. Ueber mein meitres Thun war ich 
mir aber recht im Unflaren, denn die drohenden Wolfen, die in den 
legten Tagen gewöhnlich furz nach Mittag emporgeftiegen waren, 
baltten nun foger ſchon am Vormittag ihre unheimlichen Mafjen 
zufammen, die der heulende Nordweſtſturm hin und. her .peitfchte 
und dadurch ſehr vernehmlih, wenn auch ohne Worte, den nahen 
und völligen Einbruch des Winters verkündigte. Unfre glückliche 
Heimkehr wäre bei dem entfeglich mitgenommnen Zuftande der Kulis 
ein Ding der Unmöglichkeit geworden, fobald Schneeftürme und 
Nebel diefe furchtbaren Hochgebirgswirrniſſe vollends in eine undurch⸗ 
dringlihe Schneewüfte verwandelt haben würden. Mit leiſem 
Gruſeln dachte ich) daran, daß hier im Jahre 1881 ein englifcher 
Hauptmann Harman auf feinem Marſche zum Kanſchendſchunga ein- 
geſchneit und elend erfroren war. 

Auch der Tiroler erkannte die hohe Gefahr, die ein fo ver- 
hängnisvoller Witterungswechjel hier für uns haben würde, und 
drängte zu möglichjt baldiger Rückkehr nach Dardſchiling. Sein 
eigner Zuftand war durd) anhaltende Schneeblindheit ebenfalls fo be= 
denklich heruntergefommen, daß ich erfchraf, fo oft ich ihn anblickte, 
trogdem er zugleich höchſt komiſch ausſah; das eine Auge hatte er mit 
der weit vortretenden ſchwarzen Schneebrille bedeckt und um das 
andre, fowie um feine erfrornen Ohren hatte er einen diefen voten 
Shawl gemwidelt, auf dem hoch oben fein Hütchen faß. 

Mein zum Skelett abgemagerter Sirdar vermochte nicht mehr ficher 


— 404 — 


auf feinen von Froſtbeulen zerſtörten Füßen über die ſteilen Schnee— 
hänge zu gehn; er 30g e8 darum vor, auf feinen Snieen, unter die 
er die dicken Rodzipfel legte, einherzurutfchen, bergauf und bergab. 
Auch das Halten de3 Bergſtocks machte ihm mit feinen erfrornen 
Fingern, die er in die Enden der lang überhängenden Aermel ein- 
zumideln fuchte, beträchtliche Schwierigkeiten. Dieſen Bergſtock hatte 
ihm Sans aus einer feften jungen Tanne zurechtgeichnitten, da fein 
bisheriges ſchwankes Bambusftöcthen ihm nicht den mindeften Nuten 
geboten hatte. Die Kulis aber waren nicht zu bewegen gewejen, 
ihre nur meterlangen, fauftdicten, hohlen Bambusrohre durch zwed- 
mäßigere lange Bergſtöcke zu erſetzen; fie behaupteten, mit diejen 
kurzen Stöden, in die fie von oben hineingreifen und auf die fie 
ihre Tragkörbe oder jonftigen Laften beim Ausruhn aufftellen 
konnten, befjer fortzulommen. Der triftigfte Grund, dieſe Stügen 
beizubehalten, Tag aber doc wohl darin, daß fie hohl und unten 
gefhloffen waren. Cie dienten auf diefe Weife nicht nur zum 
Wafferholen, fondern waren auch ganz vorzüglich zum Mitnehmen 
von Hirfebier geeignet, das fie fich jeden Tag durch Aufbrühen von 
gegorner Hirfe mit heißem Waſſer erzeugten; freilich gaben fie ſich 
nicht viel mit Bierreften ab, fondern faugten gewöhnlich alle Bejtände 
bis zur Nagelprobe aus und verpußten die Speifen bis zum letzten 
Biſſen. Wie eine ordnungsliebende Hausfrau mußte ich den Kulis 
für jede Mahlzeit ihre Reisportion aus dem Vorratsſack heraus: 
löffeln und diefen wieder jorgfältig verfiegeln, fonft hätten die 
Leute alle Lebensmittel ſchon beim erften Biwak fpurlos ver: 
ſchlungen. Spätren Reifenden, die etwa nur zu bergfteigerifchem 
Vergnügen den Himalaja befuchen wollen, Tann ich gar nicht dringend 
genug raten, nicht den ganzen Proviant mit fich zu nehmen, ſondern 
vor Antritt des Marſches in einzelnen Teilen als eiferne Vorräte 
an geeignete Haltepunkte 3. B. Dſchongri jchaffen zu laſſen. Die 
Bhotijas wären im ftande, einen Himalaja aus Hirfebrei in einem 
einzigen Niederſitz zu vertilgen. 


— 405 — 


Und zu was für einer Jahreszeit ich empfehlen würde, folche 
Neife anzutreten? Zur fchlechteften! Grade in der Negenzeit 
müßte ein Alpenfteiger nach Indien fahren, am beften mit mehreren 
Genoſſen, die ebenfalls führerlos zu gehn vermögen oder mit einem 
erprobten erftklaffigen Führer, aber auf jeden Fall mit mindeftens je 
drei Trägern aus den europäifchen Alpen für jeden Reifenden, die 


Mein Sirdar mit erfrornen Füßen, 


jedoch Wein und Spirituofen, möglichft auch Tabak entbehren können 
und eine eiferne Gejundheit haben müßten. Mit folcher Begleitung 
wäre das Haupthinderniß befeitigt! Gegen Ende, aber ja nicht nach 
Ablauf der Regenzeit müßte der Abmarſch von der dem gewählten 
Alpengebiet zunächjitliegenden Hügelftation erfolgen und troß aller 
Beſchwerden bis an die eigentlichen Anſtiegspunkte durchgeſetzt werden, 
damit am erſten Tage der herrlich klaren, aber leider nur fehr 
kurzen, trocknen Zeitſpanne zwiſchen Regenzeit und Winterfchnee 


er 


— 406 — 


die eigentlichen Hochtouren in Angriff genommen werden könnten. Wer 
es anders machen will, läuft in fein Verderben! Animam salvavi. 
Ich bin wirklich gefpannt, ob zum Beifpiel die von der Royal 
Geographical Society geplante Expedition zur Erfteigung und weiten 
Erforſchung des Kanſchendſchunga defien Gipfel völlig erreichen wird. 
Als ich dem Sekretär der Gefellfchaft, dem bekannten Bezwinger des 
Tetnuld, Uſchba und andrer Kaufafusgipfel in London meine Kanjchen- 
dſchunga⸗Negative vorlegte, ſchien ihn feine Liebensmürdigfeit, die er 
mir bei früherem Zufammentreffen im Kaufafus bezeigt hatte, etmas 
im Stich zu laffen, denn er ließ recht verdrießlich durchblicken, daß 
ich al8 Deutfcher im „engliſchen“ Himalaja eigentlich gar feine Eriftenz- 
berechtigung gehabt hätte. Ich riet ihm, nicht fo viel, wie er e3 that, 
von den indiichen Gorka-Bergjoldaten zu erwarten, fondern Gepäd- 
träger aus den europäifchen Alpen mitzunehmen, da er fonft den 
Gipfel de3 Kanſchendſchunga auf feinen Fall erreichen würde. 

Ich hatte urfprünglich die Abficht gehabt, die vom Kanfchen- 
dſchunga nach Oft und Süd auslaufenden Sporne und den dazmwifchen- 
liegenden Gletfcher zu überqueren und fo in das Thal des oftwärts 
zum Lachen abfließenden Zemu zu kommen. Beim Klofter Lachen 
hätte ich dann die Handelsſtraße erreicht, die aus Tibet durch Sikhim 
und weiterhin längs des Tifta nach Dardſchiling führt. Meine Karte 
von Sifhim, die für ben Krieg Englands mit Tibet im Jahre 1888 
entworfen worden war, gab diefes Gebiet aber nur ganz ungenau 
wieder und bot gar feinen Verlaß. Erwog ich dazu die drohende 
Gefahr, Hier durch den Winterjchnee vom Rückweg abgefchnitten 
zu werden, den bereit3 eingetretnen Proviantmangel und die Er— 
ſchöpfung meiner Kulis, fo gebot mir Vorſicht und Mitleid gleich 
gebieterifch, nicht mehr zu meit vorzudringen, fondern nach dem 
Erreichen de3 Kanſchendſchunga Kehrt zu machen und zu verfuchen, 
von Dſchongri ab auf einem für die Kulis weniger ungewohnten 
Wege durch Sikhim nach Dardſchiling zurädzutehren. 

Trotz meiner entzündeten Augen, erfrornen Zehen und meines 


"nundquuigrmugoujng wg 229 ‚00007 810 agauı jdon qun og iu ed' ises = INS Bus gerez al yldıo 2 
"eÖungpspuspsurg al 
100-907 3 


— 407 — 


erfrornen linken Ohres befand ich mich bei leidlicher Laune und 
Kraft, und ftieg deshalb das tief verfchneite, dem Kanſchendſchunga 
in nördlicher Richtung ſtracks entgegenjteigende Thal noch meiter 
empor. Nach drei Stunden Steigens kam ich an eine niedrige, 
aus Gneiß- und Granitblöden plump zufammengefügte, ſchneebedeckte 
Hütte. Aluk-Thang hieß diefer Platz, bis zu dem in der Regenzeit 
die Yakherden auf die Weide getrieben werden. Jetzt war das Heine 
Blockhaus natürlich völlig verlaffen, aber die an Schnüren darüber 
flatternden Gemwandfegen und Gebetswimpel erinnerten daran, daß 


Das Blodhaus Wlut-Thang; über dem Gingang wehen Gebetkwimpel, 


Lamas und fromme Tibeter in der Regenzeit manchmal hierher ge- 
wallfahrtet kommen, um in diefer Hochgebirgsmwilbnis dem „Geift 
des Kanfchendfchunga" ein Huldigungsopfer darzubringen. 

In der That habe ich wenig Stellen im Himalaja gefunden, 
die fich an Majeftät der Alpennatur mit der Umgebung des Kanjchen- 
dſchunga mefjen können, der mir nun im Norden mit feinen greifbar 
nah ausfehenden Firnfeldern gegenüber ftand; ich mußte mich vor 
feinen gräßlich fteilen Selsplatten entfeßen, die ein Erklettern von 
diefer Südfeite her ausſichtslos machen, doch werden, wie e8 fcheint, 
die bereit8 von einem indiſchen Pandit umgangenen nördlichen Ab— 
hänge des Kanſchendſchunga für die Erfteigung geeignetere Formen 


— 408 — 


aufweiſen. Die Luft war hier in einer Höhe von etwa 16000 Fuß 
ober 4877 m, befonder3 aber nad) den langdauernden Niederfchlägen 
von Regen und Schnee fo ungemein Mar, daß ich glaubte, jede 
Steinader an der von hier aus fchier unbezwinglich ausjehenden 
Gipfelmand des Kanſchendſchunga, jede Schneefurhe in feinem 
din erkennen zu können, wenn es mir gelang, für ein paar Augen- 
blidte meine zugeſchwollnen Augen ein Hein wenig aufjuzerren. Das 
Bemußtjein, daß diefer Bergkoloß fo hoch iſt, wie der Ortler wäre, 
wenn er auf den höchiten Gipfel des Montblanc geftellt würde, drückte 
mid) förmlich zu Boden. 

Aber auch nad) den andren Seiten war das Hochgebirgsbild 
ganz unvergleichlich. Rechts, aljo im Often, ftand in meiner nächiten 
Nähe der herrlihe, 22020 Fuß (6712,3 m) hohe Pandim. 
Ich glaube fiher, daß diefer Berg die jchroffiten Felswände und 
grauenhafteften Abftürze zeigt, die ein Berg überhaupt haben kann; 
hier teifft der fo gern angemendete Ausdruck „Lotrechte Felsmauern” 
einmal buchftäblich zu. Als ich den Tiroler feherzweife fragte, ob 
wir nicht einmal einen Kletterverfuch an der jähen Weftwand diefes 
Pandim machen wollten, fertigte er mich mit einem entjeßten: „Sell 
wäre ja findrifch!" ab. 

Wir Eletterten nun an einer ungeheuren Moräne empor, die fich 
quer über das ganze Thal zu ziehen fchien. Sie liegt einerfeits 
vor dem Gletjcher, der vom Pandim als eine wüfte Mafje von Eis 
und Schnee herunterfommt, aber andrerſeits kommt auch von der 
grade entgegengefeßten Seite, auß den zum Kabru gehörigen Yels- 
kuliſſen ein Gleticher hervor, und beide Eisſtröme liefern dann das 
Quellwaffer für den Oberlauf des Rhatong, während jeder Antümm= 
ling zunächft denfen muß, und fo erging es auch mir zuerft, daß diefer 
Fluß unmittelbar aus dem am Sidoftfuße des Kanfchendfehunga 
liegenden Gletſcher hervorbricht, defjen Abflußwaſſer aber thatſächlich 
in ſüdöſtlicher Richtung, jenſeits des Pandim, in den Tolung und 
durch dieſen in den Lachen fällt. Der Kanſchendſchunga hat 


©. 408-409. 
Der Pandim, 22 020° — 6712,3 m hob; 
vorn die Eteinblodhütte Aiutihang. 
Diefes DIR it die rechitſeitige (Nüdöjtliche) Fortſehung des vorhergehenden. 


Sie, Google 


— 409 — 


alſo feinen Abfluß zum Stromgebiet des Tifta, der Rabru zu dem 
des Rangit! 

Es fiel mir nicht leicht, mir über diefe Gruppierung an Ort 
und Stelle gleich ganz klar zu werden. Wie ich mohl ſchon erwähnte, 
waren meine Augen fo bösartig entzündet, daß das Oeffnen der- 
jelden nur mit Hilfe der Fingerfpigen, die aber auch durch den 
Froft gefühllos und ftarr waren, gelang. Das biendende Sonnen- 
licht und der fabelhafte, ich möchte faft jagen, weißer als weiße 
Glanz des Neufchnees, der den ganzen Thalfefjel mit Ausnahme 
einiger völlig fenkrechter Wandſtellen übertünchte, ftachen mir mit fo 
entfeglihen Schmerzen in das Auge, daß ich die hier beigefügten 
Vhotographien des Pandim ſowohl wie des Kanfchendfehunga nur 
unter wahren Qualen fcharf einftellen konnte; dieſe Ueberreizung des 
Sehneros fette hier weitren Aufnahmen ein Ziel. 

Ich hielt es für meine Pflicht, bald nach meiner Rückkehr neben 
andren hervorragenden Bilder-Ergebniffen meiner Himalajareife auch) 
die bier abgebildete Nahanficht des Kanſchendſchunga der Photo: 
graphiſchen Geſellſchaft in London. in, anfehnliher Vergrößerung 
zuzuſchicken. Diefe ftellte das Bild auch in der Royal Geographical 
Society in London aus, wobei es auch in der Zeitung „Times“ voll- 
auf gewürdigt wurde, aber zufälligerweife wurde dabei ganz ver- 
gefien zu erwähnen, daß e3 von einem Deutfchen gemacht fei und 
wie derjelbe hieß! Ebenſo ignorierte Sir Conway in feinem erft 
danach erfchienenen „Climbing in the Himalayas“ das VBorhandenfein 
meine3 Bildes, indem er auf Seite 479 ſchrieb, daß es noch feine 
photographifche Anficht des Kanfchendfchunga gäbe! Ohne grade 
überftol; auf meine Leiftungen zu fein, möchte ich neben diefer 
Seftftellung hier auch noch bemerken, daß der politifche Vertreter 
von Sithim, Mr. White, im Jahre nad) mir, nämlich 1891, eine 
Expedition unternahm, um durch feinen Photographen Bilder des 
Kanſchendſchunga aufnehmen zu laſſen. Er war aber dorthin nicht 
über den Singale-La-Ramm gelangt, fondern fam aus dem nordöftlichen 


— 40 — 


Sikhim, und auch Dr. Simpſon und Major James Sherwill waren 
bei ihrer Bereiſung dieſes Gebiets nicht gleich mir über dieſen ſchnee— 
tragenden Sporn des Singale-La nach Dſchongri marſchiert, ſondern 
direkt durch das Thal des Rhatong genannten Oberlaufes des Rangit, 
das ich nur zum Rückwege wählte. 

Bei meinem legten Beſuch in Dardſchiling wurde dort ziemlich 
laut über den mißglüdten Verfuch einer wohl etwas erzentrifchen Dame 
gefichert, ebenfalls auf dem früher von mir gemachten Wege an den 
Kanſchendſchunga zu gelangen; fie mußte aber unverrichteter Sache 
wieder umfehren, weil ihr geftrenger Ehemann nicht im ftande war, 
die Kulis über den Schnee fortzutreiben; er mußte ſogar felbjt, wie 
zuverläffige Zeugen behaupteten, von feiner teuren Gebieterin mit 
dem Koſeruf „Lazy beggar!“ („Fauler Bettler!") energiih aus 
Morpheus Armen gerüttelt und auf die Füße gebracht werden! Die 
fchneidige Dame fheint wirklich „emanzipiert“ gemwefen zu fein. 

Bei ſolchen weiblichen Kraftleiftungen muß ich immer an den 
indifchen Dichter denken, der nach Wilbrandts Uebertragung zarte 
Weiblichkeit alfo befingt: 

Edler Frauen Zornesregung 

Spricht vor feinem Ohr in Worten, 
Bleibt geheim auch nach dem Weinen 
Und vergeht in ihrem Herzen! 

Ja, ja, die alten indifchen Dichter haben die Menfchen gut genug 
gefannt — aber wie wenig lieft man fie im Volke der Dichter! 
Wer von Jhnen, liebe Lefer, kennt zum Beifpiel den ergößlichen 
Hala? Und doch fehrieb diefer reigendere Schnurren, als manche 
unfrer „Neuften” ; zum Beifpiel die folgende: 

Mußten doch die Leute lachen, 

ALS die junge MWöchnerin rief: 

Nein, wahrhaftig, folche Sachen 

Darf mein Mann mir nicht mehr machen — 
Sonft geht’3 mit der Liebe fchief! 





©. 410-1. 
Gebirgsstock des Pandim und Narseng; 
vorn mein Sirdar mit einer aus Palhaar geflogtnen tbetilden Ehnecbrille und mit volgeflopftem Gewande. 
Diefed Bild jeigt den auf dem vorhergehenden dargeftellten Berg nedft defien füdligem Nachbar, 
auß ber Höhe gefehn. 


Zweiundzwanzigſtes Kapitel. 
Durd die Sumpfihludten Sifhims. 


FI hatte nun glücklich da8 mir vorgenommne Biel erreicht und 
ES ſtand dem eißftarrenden Kanſchendſchunga gegenüber, deſſen 

= Erreichen man mir in Dardſchiling als ein kaum ausführbares 
Unternehmen gefchildert hatte. Aus allen Weltteilen ftrömen Reifende 
nach Dardſchiling, um von dort aus dies noch fünfzig Meilen fern 
am Horizont ftehende Wunderbild des Kanfchen zu bemundern; fie 
wünſchen fi) Flügel, um über die Waldgebirgsmildnis Sikhims 
hinweg auf die Schneefelder zu feinen Füßen fliegen zu fönnen, und 
nun genoß ich das Glüd, den Schnee diefer fernen Wundermelt mit 
Füßen treten zu dürfen! 

Unter den ſchon von mir gefchilderten kritiſchen Umftänden 
wäre es aber gradezu unverantwortlich von mir gemefen, den ver- 
lockenden Verfuh zu wagen, aucd noch die ungeheure Scharte in 
dem Oftgrat des Kanſchendſchunga erreichen oder gar durchklettern 
zu wollen, fo nah fie auch in der trügerifchen Luft hier bereits 
vor mir zu liegen fchien; diefe Einfattlung dürfte an 20000 Fuß 
hoch fein. 

Um nicht gar ſchuld an einem zu frühen Tode meiner Kumpane 
zu werden, ließ ich e8 mit dem Erreichen der von mir erjtiegnen 
Paßhöhe genügen, machte gleichmütig Kehrt und folgte dem jüdlich 
gerichteten Bett des Abfluffes der jchon früher genannten Gletſcher 
am Pandim und Kabru; das Wafjer darin war aber jest gefroren. 


— 42 — 


Bei dem tief verichneiten und nur im höchiten Sommer von den 
Hirten bejuchten Weideplatz Thangem fand ich den bereit in tobenden 
Waſſerfällen einherftürzende Gletſcherbach roh überbrüdt; ein rotes 
Fähnchen jtectte an der Brüde, worauf die Karikatur eines Flügel: 
pferdes und tie 
betiiche Gebets- 
zeichen jtanden. 

Von bier 
führte ein von 

Brombeerran- 
Ten überwucher⸗ 
ter, fteiler und 

ſchlüpfriger 
Pfad an einen 
Kreuzungspunft 
von Viehſpuren, 
läng8 deren im 
Sommer die 
Yalhirten zie⸗ 
ben. Auf einem 
dieferSteigefam 
ich am folgenden 
Tage wohlbe⸗ 
halten wieder 
Yrüde beim Hirtenplah Thangem; zum Weideplatz 
im Sintergrunde der Pandim, Dſchongri Hin- 

auf. 

Zwei ganz jchauderhafte Unholde traten mir aus dem zwijchen 
erratifchen Blöcken fat ganz verftedten Hirtenhüttchen entgegen; 
beſonders der größre der beiden Kerle ftarrte förmlich) von Schmutz. 
Seine wüftverfilten, mehrere Meter langen Haare waren mit einer 
plumpen Meffingichnalle zu einem Beutel zufammengerafft, der ihm 


e. 12-18. 
Kinks der Yakhirt von Dschongri, rechts ein fibetischer Busspilger und eine meiner 
Kulifrauen ; hinten mein Zelt zwiſchen weidenden Grunjochſen. 





— 413 — 


über die Schultern auf die Bruſt herunterhing; durch ein Ohrloch 
hatte er ein rundes Stück Holz in der Größe eines Champagnerkorks 
geſteckt, und durch das andre einen ledernen Ring geknüpft. Wie 
ein Blödfinniger trottelte er zwiſchen den Steinen herum, um dort 
geinfend und polternd die darauf ausgebreiteten Rhododendronblätter 
aufammenzufegen; er wollte fie von der Sonne trodfnen lafjen, um 
ſich Thee oder Tabak daraus zu bereiten, und hatte wohl Angit, 
daß ich mich an diefen Delikatefjen vergreifen würde. Brummend und 
feifend erlaubte der andre, der Yalhirt, das Aufftellen meines Zeltes 
in der Nähe feiner Hütte. Allerdings hatte ich einige Sorge wegen 
der Yaks, die dort zwifchen Heidefraut und Alpenrofenbüfchen herum- 
ſpazierten oder troß ihrer Flobigen Mafje mit eng zufammengeftellten 
Füßen auf Felsblöcden ftanden und gefchict wie Gemjen von einem 
Steine zum andren jprangen. 

Und richtig! Mjttan in der Nacht wachte ich auf, denn das ganze 
Zelt ſchwankte on he wie. ein Schifflein auf hoher See, und ich 
hatte das Gefühl, al ob mir fämtliche Rippen im Leibe zerftampft 
feien. Einer der Grumechſenn halte ſich das ochjenmäßige Ver: 
gnügen gemacht, mit feinem Hoth durch die Zeltwand zu bohren 
und in dem Zelte herumzuftochern. Ich ſtreckte, jobald ich mich 
von meinem Schreden erholt und die Urfache erkannt hatte, meine 
Hand duch das in die Zeltleinwand geriſſne Loch, um den dort 
fühlbaren zottigen Kopf des Untiers zu ftreicheln und e3 zum Rückzug 
zu bewegen. Doch plöglich jchien mir jemand mit einem Reibeifen 
derb über die Hand zu fahren, und ich fühlte Blut danach riefeln, 
aber es war nicht ſchlimm gemeint, der Yak hatte nur meine Hand 
zärtlich mit der Zunge beledt und konnte doch nichts dafür, daß fie 
blutränftig davon wurde. " 

Bisher hatten fich die Kulis und ihre Frauen die Gefichter mit 
Holzkohle eingerieben, um fich gegen den Schneebrand zu ſchützen. 
Hier aber erhielten fie von den Hirten Yalfett und getrocnetes 
Yakblut, woraus fie fich eine braunrote Schminke zufammenfchmolgen, 














— 44 — 


mit der ſie die noch geſchwärzten Geſichter übermalten; ſie ſahen nun 
wirklich wie aus der Hölle entwiſchte Feuerrüpel aus. 

Vor allen Dingen wurden hier die Lebensmittelvorräte vermehrt, 
und zum Glüd gab es gute Dinge genug. Ich kaufte mehrere Schnüre, 
die um den Hals getragen werden follten und an denen vieredige 
Stüde fteinharten Yalfäjes aufgereiht waren, dann einen Sadvoll 
Schat-Tchen, das ift Pulver aus gedörrtem, zerftampftem Yakfleiſch, 
und vergaß auch nicht, einen tüchtigen Klumpen Butter einzuhandeln, 
die mir freilich noch willlommner gewejen wäre, wenn man mir die 
darin enthaltnen Haare ertca eingepadt hätte. Auch Reis und Hirje 
fonnte ich befommen, fo viel ich) wollte. Herz, was begehrjt du 
mehr? mußte ich mid) fragen, al3 die Körbe der Kulis wieder voll- 
geftopft daftanden. 

Der Dſchongri-⸗Rücken ſcheint durch Einwirkung einer nicht allzu 
fernen geologiſchen Verändrung entjtanden zu fein, und eine Anzahl 
mehr ober weniger warmer Teiche und Salzquellen liegen auf feiner 
fteinigen Höhe, um die in der Tiefe der Ratongfluß herumftrömt, der 
dann in einem großen Bogen nad) Süden läuft. Bei meiner Anmwejen- 
heit bot diefer ganze Hügel einen überrafchenden, beinahe feftlichen 
Anblid. Ueberall, zwijchen den Steinen, an den Teihufern, an 
den Büfchen und Wegen ftanden zahllofe Bambusftangen, meijt 
durch Schnüre miteinander verbunden, von denen bunte Wimpel aller 
Arten und Größen, mit und ohne Gebet3aufdrud, herunterflatterten, 
um die frommen Wünfche der Lamas zu verkünden, die hier kürzlich 
die Feier des Kanſchendſchunga-Gottes begangen hatten. 

Der allgemeinen Schneeblindheit und Erjchöpfung der Kulis 
wegen 30g ich e3 vor, meinen Heimmeg nach Dardfchiling durch die 
Schluchten zu nehmen, die fic die Wafferläufe von diefem Bergrüden 
zum Ratong hinuntergefreifen haben. 

Aud) hier warnten uns wieder die beiden unfaubren Einfiedler 
vor den Gefahren des Weges und wollten mid) unter feinen Um: 
ftänden fort lafjen; fie wollten mir fogar erlauben, bei ihnen 





ugapd ophdaz nogg iuoa “Sundasp1of uspypns aoaqꝛ nui Sussuegy pun wipued 


m 
AR 
N. 


— 45 — 


zu überwintern, aber e3 überlief mich förmlich bei diefer Zumutung, 
denn ich dachte an unfre Infektenjagden im Furkia-Bungalo! Ich 
ließ deshalb meine fieben Sachen fo fchnell wie möglich zufammen- 
paden und marjchierte fehleunigft von dannen. 
Während der 

Tiroler die Tang- 

ſam fortkletternde 
Kulihorde, die gar 
zu gern hier noch 
länger gejchlemmt 
hätte, thalabwärts 
trieb, machte ich 
noch einen Abſte⸗ 
cher auf ein merk⸗ 

würdiges ſteiles 
Felshorn auf dem 
Dſchongri⸗Rücken, 

das Mon Leptſcha 

genannt wurde. 
Die Kletterei koſtete 
mir zwar ſtatt einer 

halben Stunde 
mehr als drei, da⸗ 
für aber ſchwelgte 
ich zum Abſchied Mon Leptfäa bei Dſchongri. 
noch einmal in dem 
ganz unvergleichlich ſchönen Rückblick ſowohl auf die Kanfchen- 
dſchunga⸗Gruppe wie auch auf deren füdöftliche Nachbarn, den Pandim 
oder, wie die Leptſchas fagen, Panden, mas Minifter des Könige — 
nämlich des Kanſchendſchunga — heißen foll, den Kaptſchan, den 
Narjeng, zu deutſch „Regennafe", und unzählige namenlofe Gipfel. 
Durch die ſich vor und auf diefen Bergen hin und her wälzenden 


— 416 — 


Wolfen wurde der furchtbar fchöne Eindrudt diejes Abſchiedsſchauſpiels, 
das mir der Himalaja bot, noch bedeutend gejteigert. 

Ueber den Molab:Tje:La ging es bis zum Eleinen Szotchong- 
See über oder richtiger durch völlig verfumpfte Wiefen. Um dieſen 
und dem unabläffig nötigen Springen von Stein zu Stein zu ent: 
gehn, verfuchte ich durch das feitliche Ahododendrongebüfch vorwärts 
zu fommen, doch erwies fich dies noch viel widerſpenſtiger als das 
undurchdringlichite Knieholz unfrer Legföhren. Thatfächlih war dies 
aber noch ein Kinderfpiel gegen die Beſchwerden des dann folgenden 
Abftiegs in einer Wafferrinne, die zuerft nur mit Gebüfch, weiter 
unten aber auch noch mit verfilten Bäumen vollitändig zu 
gewachſen war. 

Ich möchte hier einfchalten, daß in den legten Jahren ein ganz 
Teidlicher Viehfteig zwifchen diefem Hirtenplatz Dſchongri und dem 
Klofter Pemiongtſchi, zu dem auch ich fchließlich fam, hergerichtet fein 
fol. Gelingt es, diefen beftändig in brauchbarem Zuftand zu 
erhalten, fo hätten fünftige Touriften eine vortreffliche Gelegenheit, 
ziemlich fchnell, das heißt in etwa zehn Tagen und ohne die gräß- 
lichen Strapazen, die ich auf diefem Wege durchmachen mußte, von 
Dardſchiling nad) Tihongri und dadurd) in die Nähe des Ktanfchen: 
dſchunga zu gelangen. Diejer Weg wird wohl zu Gunften der 
ſchon genannten Erpedition angelegt fein, die von dem Sekretär der 
Royal Geographical Society zur Erjteigung des Kanſchendſchunga 
unternommen werden fol. Diefer Herr genoß das Glüd, einen nahen 
Verwandten in einflußreicher Stellung in Dardfchiling zur Verfügung 
zu haben und wird wohl durch feinen von den Steinen beläftigt 
worden fein, die dort meiner Reife in aller Freundfchaft von den 
engliichen Beamten in den Weg gelegt wurden. ch habe wohl 
vergeffen zu erwähnen, daß bald nach meinem Abmarfch „ohne Er- 
laubnisſchein“ aus Dardſchiling mir nicht nur ein berittner, frecher 
Bhotija-Sirdar nachgeſchickt wurde, der ſich mir vor Sanduf-Fu quer 
über den Weg zu ftellen und mid) im Weitermarjch aufzuhalten ver: 


— 47 — 


fuchte, was ihm aber wegen der deutlichen Sprache, die Hanfens 
und mein Bergftod redete, nicht gelang, fondern daß mir auch ein 
englifcher Beamter in das Schughaus Sanduk-Fu nachgetrabt kam, 
um unfren Aufbruch am nächiten Morgen zu hindern. Ich lud ihn 
zum Abendbrot ein, trank ihn in rotem Unger unter den Tiſch und 
marfchierte in aller Frühe unter feinen Schnarchtönen ab. 

Doch ich muß in der Schilderung meines entfeglichen Weges 
fortfahren, an den ich nur mit Schaudern zurücdenten kann. 

Schwarze Mooslappen hingen wie Millionen viefiger Fleder- 
mäufe in den Rhododendron- und Tannen-Aeften und verhinderten 
jeden Ausblid auf die Wafferftürze, deren ungeheuerliches Brüllen 
ganz dicht zur Linken zu hören war; zur Rechten brohten über- 
hängende, dunfelbemoofte Felfen. Immer Heißer werdende Nebel- 
ſchwaden, immer fauliger riechende, erftidende Dämpfe hüllten ung ein. 
War hier je eine Wegſpur geweſen, jo war fie längft in dieſem 
fcheußlich duftenden Brei von Lehm und Knüppeln und Dünger und 
Steinen und faulenden Blättermaſſen verloren gegangen, aus dem 
ich die Füße nur mit aller Anftrengung herausziehen konnte, 

Das dichte üppige Dach, zu dem ſich Zweige und Blätter über 
meinem Kopfe verfilzten, wurde für Licht und Luft gleich undurc)- 
dringlih. Unter Farnen und fchleimigen Laubklumpen tückiſch ver- 
steckte Wurzeln von Bäumen brachten mich wiederholt zum Fallen, und 
geftürzte Riefenbäume hemmten fortwährend mein Vorwärtskommen 
— wenn ich mein beftändiges Tieferfchieben jo nennen darf. 

In Schweiß gebadet, mit grauenhaft zerfeßter und befubelter 
Kleidung langte ſchließlich unſre Schar bei einem Schuppen aus 
Baumftämmen, der Sennhütte Guiffa, an; zwiſchen den Tarus- und 
Walnußbäumen vorlommende Farnbäume (Alsophila gigantea) 
bewiefen, daß ich bereit3 in die Zone von 6500 Fuß (1977 m), 
alfo in vier Stunden um 7000 Fuß (2133 m) heruntergelommen 
oder genauer gefprochen, im Schlamme heruntergerutfcht war! 

Hier in Guiffa haufte eine ganz fürchterliche Gefellichaft von 

Boed, Indiſche Gletjgerfahrten. 27 








— 48 — 


Bhotijas, wie gewöhnlich mit ſtattlichen Kröpfen verunziert, die doch 
wohl eine Folge des Laſttragens mittels der üblichen aus Bambus 
geflochtnen Stirnbänber find; Fieber und ſonſtige Krankheiten, Mangel 
und unfagbarer Schmuß gaben den Leuten faft vertierte Gefichter. 
Der Boden ringsum beftand aus nichts als fehlammigem Humus, 
verwejenden Baumftümpfen und Kot von ftruppigen Yaks, die mich 
recht mitleidig angloßten. 

Es gelang mir zwar, das Zelt auf einigen über dem Kot 
liegenden Stämmen und Zmeigen aufzurichten, doch war an Schlaf 
nicht zu denken. Mit rauher Zunge leckten die Yaks während der 
ganzen Nacht grunzend an der Leinwand meines noch von dem 
legten Nal:Angriff zerfetzten Zeltes herum, und aus dem ftinfenden 
Waldinnren fchollen nie gehörte, unheimliche Töne bald gurgelnd, 
bald ächzend, balb heulend, bald brüllend; dazwiſchen ftürzte hier 
und da ein verfaulter Baum unter dumpfem, faſt jeufzendem Krach, 
oder es erfchallte der wüſte Schrei eines Hirten, den das Kläffen 
der Hunde zum Schwingen eines Feuerbrandes veranlaft hatte, um 
dadurch irgend ein wildes Tier zu verfcheuchen. Kurz, e8 war eine 
hölliſche Nacht! 

Der nächſte Morgen brachte mir zunächſt die Ueberraſchung, 
daß die fünf Hirten, die merfwürdigerweife ihre Müben aus Zibet- 
katzenfell umgemwendet, da3 heißt mit dem Haar nach inwendig trugen, 
von mir weder Geld noch fonft eine Gabe annehmen wollten, obgleich 
fie mir mächtige Yakhörner voll Yakmilch zur Verfügung geftellt 
hatten. Diefe Milch) iſt aber fo ungeheuer fett, fetter al3 unfre fettefte 
Sahne, daß es mir nicht möglich war, fie als Getränk zu ge 
nießen ; ich rührte fie deshalb in den Buchweizenbrei, den Hans mir 
zum Frühſtück gefocht hatte. Auch diefe Leute warfen fich flehend 
vor mir nieder und beſchworen mich auf das eindringlichfte, in diefer 
Fieberzeit vom Weitermarfch abzuftehn. Doc, ich hatte das Wort 
Durch! auf meine Fahne gefchrieben und mußte weiter. Ein Zurüd 
wäre auch zwecklos gewejen. 








— 44 — 


Zehn volle, böfe Stunden mußte ich an diefem Tage unausgejeßt 
bergauf und bergab längs feuchter Felswände durch ein Walddickicht 


Meine Aulis überfhreiten eine jelbfgebaute Bambusbrüde. 


immen, das auf dieſer Erde nicht feinesgleichen haben dürfte, 
Hierbei mußte ich zahlloſe Gießbäche auf glatten, kaum befeftigten 
Bambusftämmen überfchreiten, bedroht von niederdonnernden Steinen 
und von Bäumen, die der Sturmwind wiederholt von den Berglehnen 


— 420 — 


brad. Dann folgte ein jtundenlanges Kriechen und Durchringen 
durch dorniges Yrombeergebüfch, das fünfmonatlicher Regen ſchwer 
zur Erde gedrückt hatte. Halsgefährliche Sprünge inmitten donnernder 
Wafferfälle von einem feuchtglatten Blod zum andren mwechjelten mit 
dem Erklettern fteiler Hänge an fchleimigen, morjchen Leitern aus 
Schlinggewächjen oder mühvollem Waten durch weiche, fortſchiebende 
Schlammmaffen. Bor Angft zappelten meine Kulis unaufhörlich 
mit Händen und Füßen und ftredten dabei vor Erregung unter ent 
ſetzlichen Grimaſſen die Zungen heraus, fo lang fie konnten. Es 
waren unfagbar gefährliche und befehwerliche Stunden! 

Schwarzes Gewölk fegte über den Himmel und machte den tiefen 
Schatten in diefen dunftigen Schluchten faft zur Nacht, durch deren 
Dunkel das ununterbrochne Braufen rajender Waldftröme um jo 
furchtbarer Hang, je weniger von ihnen und dem tief unten donnernden 
Hauptittom, dem Ratong, zu erfpähn war. In dem kurzen Lauf 
von acht engliichen Meilen durchläuft hier diefer Strom die Vege— 
tationen aller Zonen, von der winzigen Flechte des Nordpols bis zu 
den üppigften Palmen der Tropen, und all dieſe unerhörten Ein- 
drücke zu bewältigen, ging faft über mein Vermögen. 

Wiederholt trat mein Fuß auf geftürzte, jcheinbar noch ganz fern- 
fefte Stämme und brach ein, worauf ftet3 ganze Heere von mißgejtalteten 
Riefenkäfern und entfeßlichen Würmern aus dem modrigen Innern 
hervorkrochen. Geſpenſtiſche Luftwurzeln hingen in wilden Mafjen, 
zu fabelhaften Schnörfeln verfchlungen, aus wüſt belaubten Wipfel- 
kronen herunter, oder ragten als abenteuerliche, Fronleuchterartige 
Gabeln aus Xeften empor, deren zugehöriger Baumftamm nur noch 
duch einen unentwirrbaren Panzer von Schmarogerpflanzen er- 
halten wurde, nachdem das morfche Innere längſt als übelriechender 
Brei herausgeficdert war. 

Doch zu den fchreehaften Erfchütterungen durch diefe wahr- 
haft beängjtigend verzerrten, märchenhaften Auswüchſe der Pflanzen- 
natur kamen bald noch förperliche Qualen und Schmerzen, denn 





— 21 — 


auch bier war ich wieder in ein Gebiet efelhafter Blutegel geraten, 
die im Himalaja recht ungleich verteilt zu fein fcheinen; es muß das 
mit dem Vorkommen beftimmter Pflanzengattungen zufammenhängen, 
von deren Saft fie fich nähren, ebenfo wie das die Moskitos thun. 
"Die Gelegenheit, Blut zu faugen, bietet fich hier diefen ſcheußlichen 
Tieren nicht allzuoft, denn, von den fpärlichen wandernden Herden 
abgeſehn, ift größres Wild, vielleicht grade wegen diefer Blutegelplage, 
in Sikhim ziemlich felten, und deshalb find auch Naubtiere nicht 
Häufig, obgleich e3 nicht völlig an roten Katenbären, ſchwarzen Bären 
und Leoparden fehlt; auch Schnee- und Hafelhühner ſowie Schnepfen 
und Fafanen, Wildfchafe, Steinböcde, Hirſche und Mofchustiere 
finden ſich ftellenweife, 

Weit ſchrecklicher als mir je ſelbſt die furchtbarſten Raubtiere 
vorkommen Tönnten, erfchien mir die fortdauernde Veläftigung durch 
die genannten zahlloſen eklen Plagegeifter. Nicht nur durch die 
Mafchen der wollnen Strümpfe drangen die oft nur ftopfnadel- 
großen Blutegel in Scharen und nifteten darin als die Klumpen, 
fondern fie verfuchten auch mit Vorliebe, ſich an meinem Halſe feſtzu— 
augen, und manchem der hilflos diefen Tieren preisgegebnen, ſchwer— 
befadnen Kulis habe ich fie aus Ohren und Nafe, ja jelbft von 
den Augenlidern ablöfen müffen. 

Gleichzeitig war aber dieſer gradezu verwunfchne Wald eine 
wahre Vrutftätte von Schlangen, und die Miffionare in Dardichiling 
hatten mir warnend verraten, daß hier nicht nur die ſchreckliche Kobra, 
Sondern die faft ebenfo gefährliche Calliophis Maclehandii und eine 
blaue, Krait genannte, Schlange (Bugarus caerulus), ſowie mehrere, 
noch jehr wenig befannte ſchwarze Bergvipern vorfämen. Am aller- 
widerlichften aber waren mir die Beitfchenfchlangen, die fich mit dem 
Schwanzende ihrer fchillernden Leiber um dünne Zweige winden und 
dann blitzſchnell nad) den hier überall herumfumfenden Pipfisfliegen 
züngeln, deren Stiche jo giftig find. Es war mir noch unbefannt, 
dafs diefe Peitſchenſchlangen nicht gefährlich find, fo daß ich bei den 





— 42 — 


wiederholten, ungeahnten Berührungen mit diefen von den Aeſten 
baumelnden Schlangen jedesmal ganz entfeßt zufammenzudte. 

Doch der Gipfel aller Leiden, mit denen jeder Himalajareijende 
feine unfagbaren Freuden, der eine mehr, der andre weniger, be 
zahlen muß, ftand mir noch bevor. Es war das, adj, nur zu ſchmerz⸗ 
liche Bekanntwerden mit einer Tiergattung, die mir bisher noch immer- 
vom Leibe geblieben war, die aber in diefen Waldwuchrungen und 
von Wermutranfen überfponnenen Büfchen in Zegionen vorzulommen 
ſchien und die von der Wiſſenſchaft den mohlflingenden Namen 
Ixodes erhalten hat; blutgierige Bufchlaus oder lausartige Bufch- 
wanze wäre mohl der befte deutfche Rufname für diefes Scheujal, 
wodurch aber noch immer nicht feine fchauderhafte Gemohnheit an- 
gedeutet wäre, fich fofort in und unter die Haut des befallnen 
Individuums einzugraben und dort fo feſt einzufrallen, daß der 
Verſuch, es wieder herauszuzichn, volljtändig vergeblich bleibt. 

Doc, ich möchte meine verehrten Lefer nicht vom Lefen dieſes 
Buches wegfchreden und will darum an diefen wirklich efelhaften 
Schattenfeiten meiner herrlichen Reife fo fchnell mie möglid) vor— 
übereilen. 

Ich fputete mid) auch in Wirklichkeit, jo ſehr ich nur konnte, 
aus der Urmildnis heraus und in lichtren Wald zu fommen, und 
ftieß zu meiner Freude auch am Spätnachmittag auf weniger dicht 
überwucherte, deutlichere Wegfpuren, die zu ebenfalls ſchon ver- 
laſſnen Weideplägen führten. 

Hier hatten fichtlich noch vor furzem Menfchen gehauſt. Mächtige, 
im Innern noch glühende und fehwelende Bambusitämme, von denen 
grade einer durch die darin angefammelten Dämpfe nıit lautem Krach, 
erplodierte, zeigten an, daß die Waldblöße in der landesüblichen 
Weiſe urbar gemacht wurde. Eine folhe wird dann jedoh nur 
zwei Jahre bebaut, um der bei längrem Gebraude zu zahlenden 
Grundfteuer zu entgehn; dann zieht die Horde weiter und fehrt erſt 
nad) etwa zwölf Jahren zurück, verbrennt das auf der jrüher aus— 


Yar-sı ©. 42-23. 
'ak-Sun; 


vorn eine Gruppe Teptidas in weißen, blaugeftreiten Tüchern mit Banıhusgefägen und Fajanenbälgen. 


Sie, Google 





Gil wog “yluuml svg avan gog gun “pygua qun “fagg walpı 
Byapaaun 29g ur Pangug IPoIg »tund ↄiq 399% uaprugkpouag aaui Inv 
aqunag uapyapjgaa iſpꝛu ſpou anu uiaui snv so ↄjjauiuioaj qun ayaad 
do} aoauaol uinaoq alopg pw Puusßarg aiq uiavq ↄaouina ‘ung 
rogg ne uoßoyg 229 Pnv ping !ayyoaı uobuoadſao? ru so go 
sv ‘Enp| ad wow qun ‘usgug ne ushoRön? aagag u anu (pr 
uaıpl gusjlaa uuag “uaguag ne zu waggor Piywal ana lvjſpo ug 
ago jaiſvjob anu Inv dyyg ur aa Box ustuvß usg ag Bo] anu 
ang njaaqox; ayyanplasmand oiq sv ‘Ino Jaoppıspaa (pi opumo 
(poq a2gv ’3g27g auıa] Anz aafphıal aouia uoa avar ag pn 
wlogpintun cpnuuoborg 
mu oqnabuoatiaiſpu; sva uoa Inug wabylog ou aypnlara 
gun aoaquvuiosnv ↄpoqlvjtpo au amoa “ugogpg ug Inv ddr 
umung) uag ayldnuz Uvail playing: svq aylyayg usage] aauiui quvai 
ing ayın gung; u Bıgupgusdr, auund| dev nog upui augen 
5 uayllmgaan 29 Gmadjaggg augo ang anal “Ilohap oquabon 
aalnpd uaaquv ↄaiq sjv aohoh svaio “rangadgu af sog ur ddnaz 
uiaupui pw (pr ↄlaoiſplavui Hopkaugoanug).Aaquaaylag svlpldog 
snv Bampıng “usqusporagag aaq wllug waguaungg| aaun 
\ ."w 9297 2290 Ing 0099 on ahead 
au ur „Bar Gupduspud alas baj gung ug ur „aonupnag" 
wauro| Glwguaaggojg 299 aıl rar “uagay almapuadg, au svlnoht 
ag pa “wolpog Gıaal 32% uaguagajlag uaaſnpg uanoqao uojqplq; 
Inv uaboai g22g218 saq ‘ga vaijo snv uag uoauuvu sung ag Sun) 
2j0@ urapag uaqupumv 224 gun ug Bunuuvdigg aoa uanau 
mu Aldoſplao agoz ne ro una phpyjb apieno qun aagpalalad 
aunpfun wwwpjlundg iu hoa ilai Ino Gi jory ngaapagg 
‚ol uoagnine 
prant jnvaag uaylayg vloppung un aphmadaag ualoyjgot 129 aaa 
qun ‘wog ug alpuom usaglastggugg >loyuupd “ayupaplagun 
lag og Pyamoyg "uv uekraaupng aago alu wanzu uoa Jaoq 
qtuvjld gun PingdpBungIg oↄullotploblnv uaphatın ay9S ualoqoaab 


8 — 


wwuidꝰ uargayg 29a] bmolnv wann 
no 12998 waguo] “uaßgadnipang Gmudapd alıngagg pump 
uU ag ng anu pr golyogg ug tpijuupu uouaiq uallarg 
ag !wzavar raquvand pallapluung ↄiq ui upallauusag qun ualjoad} 
asnquivſ; uoa uabuauun an) svai qun usang) qun uagmg ↄbilan 
ayl gvan ’ugalaB wunvgg u asgaoa uopl auvq PL pnadi 
“ug un papwolaaming ↄuvb 219 qjvq wgou qun uaqaoaiab Bıyaal 
anaz 229 uallaguag7g svq usfphatın ava pyg uauiaui ng 
-uga} ne ualopl aapdornapapiyg uoſpjoal (puu um 
ron) Gopag wg ou ygologr aagoa au Ipea 1a zhhol quol 
EHanroYG iNaquaaBun agnaag aalpog praganyg uaſpnꝗnsaquvj uag 
ↄliaaiaajipvqoqun of Pi ayyog “uopnaplasa ne gaualuzagyg) ug nviluv 
— Hpulgyg aauiui ajuabaſ svq >quaß ung aagu Gr ayfpıarıa alıaa 
:2apypnjdun ‘sypaylsnvxag »Bung oↄiq Hogsog Ipar altagg uojuvjvb 
un uotpijuumuabio Ip tpjjaiai zjuo) anu zur u ug waup 
wgwgod ag sur unphpug 129 aauia Kuda Gr dog ‘ol ru 
uolloaqaaa >pnjasasdunpnapg uabiaio ala uoqaoai ne uaqohob 
Gag aq ui anu “uraguny qun uanvıg ‘urauupyg Svſphdog uabiaaib 
mnou ug uoa uaiſpnvaq qun unaoq ↄloj aauiun (pou uojaanvjl uoqa 
uoquoaquaaoq vſq saq gojlaauagg weg uoa ag uuag a⸗aitpꝭ Im 
gug ana s9 "uapna) ne I(pilo; sw joasbunaqunaiaq uuvq anu 
um lpuaoqꝭ uaquaaqoj wann nu yvilobvſpladog ↄaaquv au aↄpyq 
wen ↄv uoitplao suolbuoai uo oquoqjog uam uoa tpnv “wall 
za ‘gun uoaq uoa ſpyaojſpanl jaoq unu uanhvad qun uollvjobaoqou 
202g uw um JPG uiaupur uoqou Jong uaauqoaiaqs.aũ uoq uu ng aiq 


— fe — 


Preiundmwanzigfies Hapifel. 
Ein aufregendes Shanjfpiel. 


Ei zu biefer Jahreszeit ganz unerwarteter Regen hatte nächt- 
3 As Ticherweile meinen fumpfigen Biwakplatz in eflen Brei ver- 
9 wandelt. Mephitiſche Ausdünſtungen entſtiegen den ſchmutzigen 
Pfützen, in denen ſich mehrere Säue mit ihrer ſtruppigen, magren 
Nachkommenſchaft ganz „kannibaliſch wohl" zu fühlen ſchienen; wie 
eine Inſel ftand mein Zelt inmitten dieſes Moorbades zwiſchen den 
Schweinen. Der ſchwüle, bleigraue Nebel verjtimmte mich, und miß- 
mutig verfuchte ich, durch den Moraft zu ftapfen und meine Träger 
zufammenzutrommeln; zugleich war ich aber doch froh, daß der nächt- 
liche Wolkenbruch nicht fhon einen Tag früher niedergegangen war, 
denn er hätte fonft meinen an und für fich jo furchtbaren Abftieg 
von Dſchongri ganz unmöglich gemacht. 

Doch mwehe! Das Tſchangbai, das geliebte Hirfenbier, hatte 
feine Wirkung bei den Kulis gethan, und noch vergeblicher als 
gegen die Dummheit Tämpft ſelbſt ein Gott gegen Bezechtheit und 
Katenjammer. „Se hent die Nacht gelumpet, drum wollen fie heute 
bligen,” war die weltweife Analyfe des Tirolers, als er die muffigen 
Mienen wahrnahm, mit denen fi) Sirdar und Kulis die heute noch 
Heiner al3 fonjt ausfehenden geſchlitzten Aeuglein rieben; trübfelig 
blinzelten fie in die trübe, feuchte Außenwelt hinein und vertrödelten 
beim Ablochen und Aufpaden die Zeit nach Möglichkeit. Zu guter 
Legt brachte der Sirdar, der heute zum erftenmal in einem bisher 





— 426 — 


geſchonten, zitronengelben Rock mit rotem Futter einherſtolzierte, 
noch einen Ziegenkopf und einige Maiskolben zum Abröſten an das 
Lagerſeuer, und nachdem auch dies erledigt war, verſchwanden einige 
Kulis in dem nahen Bambusdickicht, um ſich dann möglichſt lange 
ſuchen und rufen zu laſſen. So ging die ſchöne Zeit hin. 

Inzwiſchen brach die Sonne ſtechend durch die dicken Dünſte. 
Jauchzend tollten Kinder in blau- und weißgeſtreiften Hemdchen, 
dicke Kränze aus Cypreſſenzweigen, orangefarbne Blüten und Flocken 
von Schafwolle im Haar, mit den Ziegen und Schweinen um die 
Wette durch die dampfenden Schmutzlachen, ältre Mädchen lugten 
über den Bambuszaun und ſchienen ſich am Abbruch des Zelts 
und an meinem NReifegerät, vor allem den ineinanderlegbaren Koch: 
geſchirren, gar nicht fattfehn zu können. 

Endlich) nahm ich von den Leptichas Abfchied, die über meine 
fürftliche Spende von einigen Kerzen und Schachteln mit ſchwedi— 
chen Streichhölzern ganz entzückt waren. Als Gegengabe wurden mir 
Bälge von buntſchillernden Monals angeboten, und jedes Kind brachte 
ein paar folche, leider ſehr ruppige, ungeſchickt ausgeftopfte Fajane 
herbeigefchleppt;; die Klüfte Sikhims wimmeln von diefen Vögeln, 
deren Bälge von hier zu Taufenden nah Kalkutta und dann in 
den Erporthandel gelangen. 

Einige Burfhen, die zum Wafferholen gerüftet waren, fehienen 
mich begleiten zu wollen. Statt Krügen trugen fie Tſchungis über 
der Schulter oder am Stirnband, das heißt ungeheure Bambus- 
tohrjtüde, deren Boden aus einem durchgewachſnen Rohrknoten 
bejteht. 

Tiefe Gruppe von heitren, musfulöfen, zumeift bartlofen 
Leptſchamännern mit ihren auffallend zierlichen Händen und Füßen, 
durchweg in blau: und meißgeftreifte Umfchlagetücher gehüllt, gab 
mir, befonder3 mit ihrem feltfamen Hintergrund von mwetterzerzauften 
Eichen, Ahorn- und Lorbeerbäumen, Ejchen und Birken, die von 
wilden Weinteben, Epheu und Pfeffer überranft und von Orchideen 





— 47 — 


und Mooſen beſchwert waren, ein unvergeßlich eindrucksvolles Bild 
dieſes im Ausſterben begriffnen Stammes, der von den Bhotijas 
ſelbſt in der Sprache vollſtändig verſchieden iſt und mit ihnen weder 
Tracht noch Vielmännerei gemein hat. 

Als ich meinen Troß endlich hieß, auf dem kürzeſten Wege, 
das heißt über das im Süden ſchon ſichtbare aber auf einem andren 
Höhenzug liegende Kloſter Pemiong-Tſchi nad; Dardſchiling zu mar— 
ſchieren, widerſprachen die Kulis in lärmender Weiſe. „Ganz 
unmöglich! Kein Weg! Keine Brücke!“ fo ſcholl es in dem baby» 
loniſchen Stimmgewirr von Leptſchas und Bhotijas durcheinander. 
„Dschau, dschöldi!“, das heißt „Vorwärts, geſchwind!“, war meine 
einzige Entgegnung, die ein allfeitiges Wutgeheul zur Folge hatte. 
Höchſt aufgeregt kam ein alter Bauer auf mich zu, um mit 
draftifchen Gebärden auszumalen, daß ich mit allen Begleitern in 
den reißenden Wafferjtürzen des Tſchu-Tſcha elend umfommen müffe, 
wenn ich diefen Weg nehmen wolle; ich jolle einige Wochen warten, 
bis die neue Rohrbrücke über den Ratong fertig wäre. 

Ohne mic) auf eine Erwidrung einzulaffen, trieb ich die Horde 
in die nahe tiefe Thalfchlucht hinunter; ein Schwarm von Dörflern 
folgte jchreiend und mich beſchwörend. „Wenn keine Brücke dort 
ift, werdet ihr eine machen!“ war meine einzige Antwort, denn ich 
argwöhnte, daß der vorgefchlagne meite und weniger gefährliche 
Ummeg duch; das Rangitthal nur eine Vermehrung der Tagelöhne 
bezwecken follte, 

Wir gingen an rotblühenden Hirfefeldern und einigen auf 
Pfählen gebauten Häufern vorüber. Neben diefen ftand auf einer 
Blöße ein Mani, das heißt ein meterhoher und mehrere Meter langer 
mit Steinfcheiben bepflafterter Wal. Auf den Scheiben war das 
mir nun ſchon jo oft vorgelommne Tamaiftifche Gebet eingemeißelt. 
Auf einem Abſatz dieſer Gebetsmauer, die — der Schreibrichtung 
ihrer Infchrift folgend — immer nad) rechts umfchritten wird, waren 
zahlreiche Ku's niedergelegt, das heißt Heine, koniſche, aus roter 


— 428 — 


Erde geknetete Säulen. Andre fromme Wanderer hatten Büſchel 
orangefarbner Blüten als Opfer in die Fugen zwiſchen die Steine 
geſteckt. 

Aus einer dieſer Pfahlbauten wurde jetzt unter gewaltigem 
Wichtiggethue ein kopfwackelnder, uralter Mann geholt, der mit menfch- 
lichen Wirbelfnochen und Amuletten behangen war. Der Happerbürre 
Greis Hetterte hüftelnd, meckernd und tonlos ſchwatzend allen voran 
zum Flußbett herunter, wobei fich die zahllofen Zöpfchen feines Bartes 
und Haupthaars fortwährend in den üppigen Brombeerbüfchen am 
Wege verfingen und von ihm mit Gewalt losgeriſſen werden mußten. 
Und fiehe da! Am Uferrand lag ein Haufen riefiger Blöde, um 
deren oberften die Seilenden einer Hängebrüde, einer Sampa, 
gefhlungen waren, die .über das in wilden Fällen und mit ohren« 
zerfprengendem Donnern darunter hinwegfcjießende Waſſer jtrads 
in den Wipfel eine8 am jenfeitigen Ufer ftehenden Ahornbaumes 
führte. Mit einem Blick der Verachtung auf meine verlognen 
Begleiter wollte ich fogleich zu der Seilbrücke hinaufklettern 
und hinüberftürmen — doch in demſelben Augenblide rifſen 
mich zwanzig Fräftige Fäufte zurüch, denn die Brüde war 
gänzlich verfault! Unter furchtbarem Tumult wurde mir 
Mar gemacht, daß diefe Sampa bereit3 drei volle Jahre alt 
fei, und daß e3 für lebensgefährlich gelte, eine ſolche Brücke 
noch im zweiten Jahre zu benugen. Ich hieß deshalb 
meine Begleiter, koſte es was es wolle, eine neue Brücke 
herjtelfen. Nach lebhafter Beratung gingen fie ans Werk. 

Zunächft verfuchte ein winzig Kleiner aber kühn blicten- 
der Leptſcha-Junge, der ein langes, flaches Ban-Meffer, 
deſſen Klinge nur auf der einen Seite mit einer Holzſcheide 
bedeckt ift, zwifchen die Zähne genommen hatte, über diejes 
vermitterte Seilhängewerk ans andre Ufer zu flettern. 
Ban, Bevor aber der Kleine feinen Seiltanz begann, wurde auf 


Meſſer be 
Serien einem Felsblock ein Sitz aus Zweigen und Fellen für den 





— 49 — 


ausdrüdlich für diefen Fall mitgenommnen alten Teufelsbanner oder 
Bidſchowa bereitet. Won dort aus Tonnte er die wilde Schlucht 
und alles, was darin vorging, bequem überſchauen. Blödſinnig 
Tichernd und frächzend ließ er fich eine Tajche aus Bambusgeflecht 
reihen und Framte daraus ein oben forglich mit grünen Blättern 
zugebundnes Bambusrohrftüc hervor, das mit dem unvermeidlichen 
Tiehangbai-Bier angefüllt war; außerdem padtte er eine Gebetsmafchine 
aus, Eine folche befteht aus einer zylindrifchen Broncefapfel, die 
um einen Stiel drehbar ift, und mit langen Bajtjtreifen gefüllt ift, 
auf denen das buddhiſtiſche 
Univerfalgebet in endlojen 
Wiederholungen aufgefchrie- 
ben ift. Die Leptſchas find 
zwar durchaus Teine ftreng- 
gläubigen Buddhiſten, ver- 
ehren aber doch die Lamas, 
und ihre Dämonenbeſchwörer 
verſchmähen den Gebrauch 3 
dieſer, doch nur dem tibeti- 8° 
ſchen Buddhismus eigen . 
tümlichen Maſchinen oder _ urarmeehunemider gar zchlmiin Em. 
Mani-Rollos keineswegs. 
Der zittrige Greis nahm die Gebetsmühle in feine Rechte, in 
die Linfe das Saugröhrchen, das in dem von einem Leptſcha gehaltnen 
- Bambusfchoppen ftecfte, und gab dann das Zeichen zum Beginn 
des feltfamften, aufregendften Schaufpiels, das ich je gejehen habe. 
Die erften drei Schritte des kecken Burſchen verurfachten nur ein 
Raufchen und Quietſchen in den morjchen Baftjeilen der Brüde; 
dann aber, als der Kleine vorfichtig weiterkroch und fich der hin- 
und herſchwankenden Mitte näherte, riß bald hier bald dort einer 
von den mürben Striden, bie die beiden Tragtaue mit den Bambus: 
ftangen verknüpften, aus denen der eigentliche Steg beftand. Der Quer— 





— 130 — 


ſchnitt einer folhen Brücke hat ganz die Geftalt eines römifchen V, 
in deffen innerftem Winfel der Wandrer einherfteigt. Immer 
größre Lücken rifjen jest in das Flechtwerk. Gefpannt ftarrte alles 
dorthin, wo der Heine Held vergeblich nad) einem Halt hafchte, um 
weiterzugreifen. Plößlich wagte er einen befonders weit aushofenden 
Griff nad vorn und — ein allfeitiger haftiger Auffchrei — in 
wirrem Durcheinander ftürzten fämtliche Bambusftangen des Stegs 
nebjt unzähligen verwidelten, zerreißenden Taufetzen prafjelnd in die 
unten fehäumenden Waffer! Der Bube hatte fich mit bemunderns- 
werter Geiftesgegenmart krampfhaft an ein Seilende geklammert und 
pendelte in meiten Bogen daran Hin und her. Mit fagenartiger 
Gewandtheit erhafchte er nach und nad) einige andre Tauftüde und 
gewann jchließlich glücklich das andre Ufer. Ruhig und befonnen hieb 
ex dort mit feinem Banmeſſer den Reft der Brüde hinter ſich ab. 

Gewandt wie eine Bande von Affen und Bibern machten fi 
inzwifchen die andren Leptſchas daran, aus den heruntergeftürgten 
und zwifchen den Felsblöcken feitgefahrnen Bambusftämmen und 
Stangen einen Steg mitten durch die Strudel und Fälle des wild⸗ 
ftürzenden Waffer3 zu bauen. Der Alte feuerte fie dabei unabläffig 
durch allerlei Zurufe an, drehte aber während defjen unaufhörlich 
feine Gebetsmühle und nippte ab und zu von feinem Hirfebier. 

Die Geröllblöde waren durch das Waſſer fo kugelrund ab- 
geſchliffen, daß das Draufbefeftigen der glatten Bambusjtämme in 
dem eißfalten tofenden Waffer jedenfalls eine ganz ungeheure Aufs 
gabe für die Leptſchas war; einer der kühnften zog fich dabei auch 
einen böjen Rippenbruch zu. 

ALS die Bambusftangen glücklich über den Blöcken Tagen, wollte 
fich feiner meiner Kulis mit feiner ſchweren Laft den fchlüpfrigen 
Stangen anvertrauen und, wie gewöhnlich bei ſchlimmen Paſſagen, 
mußte ih — und noch dazu in meinen ſchweren Bergſchuhen, die 
das Schreiten auf dem runden glatten Bambusrohr Teinesmegs 
erleichterten — mit gutem Beifpiel vorangehn. Ich mußte Die Leit 


€. 40-81. 
Keptscha-ruppe 
mad) dem Brüdenſchlag über den Tſchu- Tſcha. Links faugt der Dämonen-Beihwörer Hirlebier, 
in der Mitte rechts fieht ein (Fafanenjäger. 


— 3 — 


ſtange ſehr kräftig umklammern, denn der Steg bog ſich und tauchte 
unter meiner Laſt tief in die donnernde, mich rings umſpritzende Flut. 
Die Stangen rutſchten auf ihren Endlagern unruhig hin und her; 
wäre ich abgeglitten oder hätte ich losgelaſſen, ſo wäre ich natürlich 
auf Nimmerwiederſehn verſchwunden. 

Lauter, vielſtimmiger Jubel erſcholl, als ich wohlbehalten, wenn 
auch völlig durchnäßt, das andre Ufer erreichte. 

Nun folgte auch der Tiroler, der ſich aber vorher weislich die 
benagelten Schuhe auszog, und jchließlich kletterte einer nad) dem 
andren über den graufigen Steg, Wie mancher inbrünftige Blick 
wurde zu dem Teufelsbanner hinaufgefendet, der ihn zu recht nad- 
drüdlihem Schwingen feiner GebetSmafchine anfpornen follte! 

Als wir alle glücklich auf dem andren Ufer waren, nahm ich 
das hier eingeflochtne Gruppenbild ab, worauf dem Teufelsbanner 
von einem Leptſcha ehrfurchtsvoll ein Hirfebierfchoppen kredenzt 
wird, während ein Jäger grade feinen Bogen fpannt, um einen 
Faſan zu hießen; im Hintergrund fieht man den Anfang der Brücke. 

Diefer ehauderhafte Flußübergang hatte volle vier Stunden 
gedauert. Ich wollte nun weiter und zahlte den Leptichas ihre 
Hilfe mit reichlichem Balſchiſch. Doch was für ein Stich ins 
Wefpenneft war das! Jeder einzelne, felbft der Burſche, der dem 
Greife die Bierhumpen-Tafche nachgetragen hatte, verlor feine Ber 
ſcheidenheit beim Anblick des gleißenden Mammons; felbjt ein Roth- 
ſchild hätte diefe Danaidenhände nicht zu füllen vermocht. 

Es that mir weh, diefe jonft jo harmlojen Naturkinder, die 
noch vor wenigen Jahrzehnten feine Münzen kannten, durch Geldgier 
fo häßlich verwandelt zu ſehn. Ich ließ fie nach Herzensluſt fchreien, 
heulen, toben und drohen. So folgten fie meinem Zuge, bis der fedite 
es wagte, mic) bettelnd mit der Fingerfpige anzutupfen. Im Nu 
jaufte mein Bergftoct auf feinen Eurzgefchornen Schädel; wutknirſchend 
blieb ex jtehn und mar unfchlüffig, mas er thun jollte, jah aber 
dadurch jo wenig geifteich aus, daß ich nicht umhin konnte, ein 


— 12 — 


lautes Gelächter aufzufchlagen. Darüber ftugte die tobende Bande, 
ſchwadronierte, blieb zögernd zurüd und verſchwand dann im Dicicht. 

Der wildverwachſne Steig endete bei dem Dorje Ting-Läh, und 
dicht bei biefem Dorfe fand ich am Rand eines Wildbachs eine ver- 
witterte Vorrichtung, die ein Seitenſtück zu den Gebet3mühlen vor- 
ftellte. Durch die Kraft des Bergwaſſers wurde dort eine zwei Fuß 
hohe bemoofte Steinfäule in Umdrehung verfegt, auf der an ver: 
fchiednen Stellen das ſchon wiederholt angeführte Buddhiſtengebet 
eingemeißelt war. 

Am Eingang bes Dorfes Ting-Läh empfingen mich einige 
Vhotijamweiber mit einem ſehr auffallenden Hals- und Schulter- 
ſchmuck in Form eines Netzes aus ledernen Schnüren, die mit vielen 
ovalen Kapfeln und hohlen Knöpfen aus Silber beſetzt waren, die 
Reliquien von Lamas enthielten. In den Hüften hatte jede ein 
ober zwei brülfende Kinder mit Bambusftriden rittlings feftgebunden, 
um bie Hände frei zu haben. Die Erwähnung des von uns zurüd- 
gelegten Weges ftieß bei ihnen auf völligen Unglauben. 

Bon dem Bergrüden, auf dem das Dorf liegt, bot ſich ein 
freier Rückblick nach Norden in die Fürzlih von uns befuchten 
Schneeberge und zugleich eine weite. Ausficht nach Süden über die 
diefbewaldeten Höhenzüge, die noch zwiſchen unfrem Raſtort und 
den fernher bligenden Zinfdächern von Dardſchiling lagen. Hier 
und da blinften vereinzelt einige nähere Dächergruppen aus bem 
üppigen Grün. „Taſchiding“ und „Pemiong-Tſchi“ erläuterte der 
Sirdar. 

„Sehr gut. Wann werden wir dort fein?“ 

„Morgen abend!" 

Wie üppig malte fid) der Tiroler die Freuden aus, die feiner 
in dem „Klofter” Pemiong⸗Tſchi harrten! Sein Gedankengang mochte 
etwa folgender fein: In einem Klofter find Priefter, und SPriefter 
find gelehrte Leute, mit denen man „ordentlich reden“ kann. Außerdem 
werden dieſe vorausfichtlich gut Ieben, aljo wird uns dort nichts 


— 433 — 


mehr mangeln! — Nun’ bezweifelte ich allerdings, daß die Lamas 
fo geläufig „ruſſiſch“ (momit Hans natürlich „englijch“ meinte) ver- 
ftehen würden, und war auch durchaus nicht ficher, ob im „Kloſter“ 
jener Zuftand aufhören würde, wo man, um mit dem Tiroler zu 
teben, „nig weiß und 

nix veden fann mit 

den Leuten“, Aber 

trotz alledem Tieß 

ic) mein Zelt mit 

frohen Hoffnungen 

aufeinen Erholungs- 

tag in Pemiongtſchi 

im Schatten einer 

Gruppe von Bam- 

busftauden aufſchla⸗ 

gen, unter einem wah⸗ 

ren Walde von grü⸗ 

nen Raketen, der aus 

einem Bündel fuß- 

dider Stämme em- 

porſchoß. Das Sau: 

fen und Flüftern des 

Abendwindes in den 

zarten, nachgiebigen 

Bambuswipfeln ver- 

einigte fich mit dem Bambusgruppe; darunter mein Zelt. 

aus der Tiefe herauf- 

donnernden Raufchen und Braufen des Tſchu⸗Tſcha, und aus allen Rich- 
tungen begleitete fernes Abendklappern der Lamatrommeln das Sinten 
der Sonne; e3 verriet die zahlreichen Klöfter, die in den niedrigeren 
Teilen von Sikhim verftedt Tagen, und machte mir begreiflich, daß 
bier von etwa acht Einwohnern immer einer ein Lama ift. 

Boed, Indiſche Gleiſcherfahrten. 28 


Be 5 24 





— 134 — 


Ein letzter Goldhauch flog über die Schneefelder, von denen 
wir uns täglich mehr entfernten, — dann brach ſchnell die Nacht 
herein, die aber für mich durch zahlloſe Glühwürmchen und das 
lodernde Feuer meines Troſſes erhellt wurde. Leichtlebig und 
ſorglos hatten die Kulis von mir wieder einmal Vorſchuß von 
ihrem Lohn erbeten und ſofort in ſtattlichen Röhren vol Hirſebier 
angelegt. Merkwürdigerweife vernahm ich bei diefen Gelagen aber 
niemal3 Gefang, mit dem doch meine Träger im Kumaon-Himalaja 
jede3 Lager zu erheitern gepflegt hatten. 

Während ich noch nach Schlaf fuchte, öffnete ein pfiffig blicken⸗ 
der Greis vorfichtig meine zugefnüpfte Zeltthür; dann ent- 
hüllte er im fahlen Schein des Mondes, ſcheu um fich 
fpähend, einen in grüne Blätter gemidelten Gegenftand, 
einen roinzigen Krug, den er mir binreichte. Ich fand 
darin eine fpirituöfe Flüſſigkeit. „Arra, ’adscha hai!“ 
flüfterte die Schnapzfirene in mein Ohr, doch ich hieb nach 
dem Verführer mit dem Vergftod, und betrübt über das 
Verſchmähen feines Labfals, verſchwand der Fufelträger fo 
geheimnisvoll wie er gefommen war. 

Am Lagerfeuer der Kulis herrſchte die halbe Nacht 
hindurch ein wahres Schlaraffenleben; unermüdlich ſchmor⸗ 
ten meine Aulimeiber in mächtigen Kupferkeſſeln allerlei 
Gemüfe, diesmal recht verdächtig ausjehende Schwämme 
und Farnkrautfpigen. Sie ſchnatterten glüdtjelig, denn ich 
hatte ihnen nicht nur einen Hammel, fondern auch einige 
fette Steinhühner gejchentt, die ein während des Brüden- 
ſchlages am Tſchu⸗Tſcha herumftreifender Leptichajäger er 
legt hatte, um mir zu bemeifen, daß er fein Ziel nicht nur 
mit dem Pfeil, fondern auch ebenſo ſicher mit Thonkugeln 

an träfe. Er legte die Kugel auf den in der Mitte auseinander 
il zu gebrehten, aus Notang geflochtnen Strang, vor deſſen 
lan  Prall er die Hand durch einen breiten Holzring beſchühte. 





— 45 — 


Diefer Mann hatte in jeinem Bambusköcher, dem Tulda, nod) zwei 
Pfeile, die er als vergiftet bezeichnete. Gewöhnlich gefchieht dies Ver- 
giften mit Auszug von Nachtfchattenwurzeln, die vielfach aus dem 
Himalaja nach Indien verhandelt werden. 

Ich ſchien auch hier feinen Schlaf finden zu follen, denn in 
dem Bambusgebüfch verfuchten unzählige Inſekten mit Schnarren 
und Zirpen die f hmagenden Kulis zu übertönen. Fröſche quaften 
und Eulen fehrieen in gräßlichen Tönen. Dabei unterwühlten grun- 
zende Schweine den Boden unter meinem Zelt, und ein Taufendfuß 
ſowie verfchiebne ftattliche Käfer und mohlgenährte handbreite 
Spinnen fpazierten über meine Schlafdede. Selbftverjtändlich heulten 
dazwiſchen auch wieder alle Dorfhunde, hier eine abgemagerte Sorte 
von Windhunden mit äußerft buſchigem Schweif, und machten ein 
Nachtgetöfe zum Tollwerden. Doch ſchließlich hatten die Kulis alles 
aufgegeffen; fie betteten fich ftrahlenförmig dicht um das Feuer, 
dem fie die Schädel zumendeten, und dann bedeckten fie die Körper 
mit Zweigen und Gepädjtüden gegen den Nachttau. Ein fcherz 
haſter Zuruf von mir, der ſich auf diefes bedenkliche Durcheinander 
von Männlein und Weiblein bezog, entfeffelte bei den Kulis eine 
unftillbare, jubelnde Heiterkeit und bewog fogar eine Kulifrau, noch; 
mals aufzufpringen und mir dankbar für meinen Scherz einen fchnell 
von ihr bereiteten Humpen Tfchangbai-Bier in mein Zelt zu tragen. 

Angeſichts einer Mondlandfchaft ohnegleichen fchlürfte ich bei 
diefer Gelegenheit zum exftenmal mit viel Behagen diejen fäuerlid- 
lauen Trunf, der wie warm gewordnes Berliner Weißbier ſchmeckte, 
aber wie Leipziger Gofe auf mich wirkte. Ich wußte damals freilich 
noch nit, daß die Gährung der Hirfe gewöhnlich durch Kauen 
eingeleitet und da3 Bier dann einfach durch Aufbrühen des gekauten 
Breis mit heißem Waſſer erzeugt wird; die gekaute Hirfe wird in 
Körben eingemaifcht, die in den Rauch gehängt werden. 

Nach und nach wurde e8 ruhiger, und bald tönten nur noch 
die markigen Akkorde der Waldftrommufit durch die windftill wer- 


— 436 — 


dende Naht; auch. daS Bambusgeſträuch raufchte nicht mehr, und 
ſelbſt die Infekten ſchwiegen. 

Die abendliche Schlemmerei der Kulis hatte diesmal feine hem- 
mende Nachwirkung auf die Wandrung des nächſten Tages; ernſi— 
liche Weg-Gefahren waren nun kaum noch zu befürchten, wenn auch 
die ftechende Novemberfonne genug Fieberkeime in den moraftigen 
Thälern ausbrüten mochte. Der Weg war freilich auch jet noch 
recht fraglich troß des zunehmenden Verkehrs, der durch zahlreiche 
Häuflein am Wege fortgefchütteter Hirfebierhülfen angedeutet wurde. 
Zuerft führte er eine halbe Stunde lang in einem plätjchernden 
Bäãchlein dahin, dann über kahle Felder, auf denen wir über ftruppige 
Stoppeln und Stümpfe abgehadter Maisjtauden mühſam fortftolpern 
mußten, und endlich durch wogende Scilfmälder von mehr als 
doppelter Mannshöhe, deren rötliche Blütenbüfchel mit hellem Silber« 
glanz wehten. Ich ſah Hier ſchwarz und weiß geftreifte Schmetterlinge 
und fchneeweiße Raupen mit gelber Rüdenzeichnung in auffallenden 
Mengen, doc brachten mir meine Kulis aud) ein paar Wunder von 
Naturfpielen, nämlich Schmetterlinge und Käfer, die in bemunderns- 
werter Mimikry die Form abgeftorbner Blätter und verborrter Zweig: 
ſtücke angenommen hatten. 

In der wilddüftren und eifigfalten Felsſchlucht des Rimid-Tſchu 
fauerte eine Leptſchafamilie wehllagend um den ftarren Körper eines 
eben in das Waſſer geftürzten und herausgefifchten Mädchens. Eine 
alberne Greifin, die nicht recht zu wiſſen ſchien, ob die in Ver— 
wirrung geratne Spindel in ihrer Hand, ober der fchreiende Säug- 
ling in dem vieredfigen Bambuskorb auf ihrem Rücken oder die Ver— 
unglückte das meifte Intereffe verdiente, führte mich an das Lager der 
wie tot Daliegenden. Ich riet, den ftocfenden Atem und Blutumlauf 
durch fünftliches Heben und Senken des Bruſtkorbes und regelmäßiges 
Bewegen der Arme zu unterftügen, und hatte fehließlich die Genug- 
thuung, das kräftige, blühende Mädchen zu ſich kommen zu fehn; 
mit ihrem ſchmucken Kranz aus zwei ftarken, vorn zu einem Knoten 


— 487 — 


zuſammengebundnen Zöpfen, dem weißen, faltigen, weitärmligen 
Gewand, um das fie eine rote Schürze gebunden hatte, konnte fie 
jogar ſchön genannt werden. Die unruhig hin und her trippelnde 
Alte riß dem Mädchen eine ihrer Korallenfchnüre ab, um fie mir 
zu verehren, doch verzichtete ich gern auf das Andenken, als ic) ſah, 
wie ungern fi die Schöne davon trennte; ſolche Ketten bedeuten 
für die Bhotijas oft ein Vermögen und haben einen Wert von 
mehreren hundert Mark. Nachdem ich mich bereit3 entfernt hatte, 
kam plöglic, ein Kind jener Familie, das ein noch Heineres auf dem 
Rücken fchleppte, hinter mir her gerannt, um mir einen riefigen Ohr— 
ring in die Hand zu drüden, der aus drei Rofetten von Türkifen 
beftand, die in filberner Fafjung aneinander hingen. 

Bei den Höfen von Dſchong-Bo wollte mir ein nur mit einem 
Schurz beffeideter Hirt mit einer Müte aus geflochtnen Bambus: 
blättern auf dem Ohr das Ueberfteigen der Knüppelleiter feines Vieh- 
zaunes nicht geftatten; nachdrücklich deutete er allerlei Rebensgefahren 
an, indem er den Hals rechtwinklig umbog, die Zunge herausſtreckte 
und geſchloſſnen Auges den Kopf in die flache Hand ftügte. Ich 
fonnte aber weder feine warnenden Worte noch des Sirdars zweifel- 
hafte Verdolmetſchung verftehn, doc; bewies das Entfeßen meiner 
Kulis, daß hier wirklich etwas ganz Bedenkliches vorliegen müfje. 
Das undurddringliche Unkraut und die ungeheuren Brennefjeln von 
der grauenhaften Art der „tödlichen Neffel" rings um den Dorfzaun 
machten e3 aber ganz unmöglich, ihn anderswo zu umgehn, und fo ftieg 
ich ohne weites auf dem eingeferbten Aft über den Zaun. Meine Kulis 
wollten durchaus nicht folgen, rannten aber fchließlich doch mit 
Zeichen höchfter Angft und in größter Eile über den Pla, bis fie 
den jemfeitigen Zaun glücklich hinter fich hatten; dann aber fehienen 
fie durch Blicke und lebhaften Wortwechjel das Urteil über mic) zu 
fällen: diefer Menſch fcheint mit dem Satan im Bunde zu fein! Erſt 
bei der Rückkehr nad) Dardſchiling bekam ich heraus, daß dort ein 
toller Hund fein Unmefen getrieben hatte. 


48 — 


An der Berglehne Lingbufchi arbeiteten Frauen in den Feldern, 
die dabei den rechten Arm nebjt Schulter entblößt trugen; in ihren 
feuerroten Ropftüchern und ebenfolchen Schärpen und Jäckchen gaben 
fie ein prächtiges Bild. Nach und nad} folgten uns fajt alle diejer 
üppigen, zumeiſt reich mit Gold: und Silberſchmuck behangnen 
Geftalten nebft einigen Leptſchas in blau-weiß gejtreiften Kitteln zur 


Giner meiner Rulis nebfl Frau. 


Höhe, um unfre Raft unter den wilden Nuß-, Aprikoſen- und 
Plaumenbäumen mit offnen Mäulern anzuftaunen. Die Kulis ver: 
fuchten die Früchte mit Steinen und Nnütteln von den Bäumen 
herunterzumerfen, doch wenn fie herunterfielen, entſpann fich 
darum eine allgemeine und zuerft nur fcherzhafte Balgerei, die aber 
ſchließlich in einen ganz ernithaften Maſſenringkampf überging. Nicht 
nur mit den musfulöfen Armen und den auffallend Heinen Händen 





— 49 — 


wurde hier von Mann und Weib mit Leidenfchaft gerungen, jondern 
ganz nach) Art gehörnter Wefen fuchten die Männer auch die Mädchen 
durch feftes Anprefien der Stirnen vom Rampfplab zu drängen; 
ich erfchraf vor dem furchtbar lauten Krachen, mit dem dabei die 
dien Schädel gegeneinanderprallten. Faſt durchweg blieben aber 
fchließlich bei diefem übermütigen, viel Kraft, Gewandtheit und gute 
Raune erfordernden Spiele die Weiber über das „stärkere Gefchlecht" 
im Vorteil; die brummigen Mienen der Männer verrieten, daß fie 
nicht etwa zu jenen galanten Leuten gehörten, die glauben, bei Damen 
geroinne man durch Verlieren. Die dicken Beulen und derben Kratz- 
wunden wurden aber von niemand fonderlich beachtet, doch als beim 
Weitermarfch auf dem Iehmigen, fteilen Waldweg eins der fieghaften 
Kuliweiber einige Handvoll de3 gemeinfamen Reisvorrats aus einem 
plagenden Sade verftreute, fielen ihre drei Gatten plößlich gemeinfam 
über fie her und zerfnufften fie nicht nur um die Wette, fondern fchlugen 
ihr auch unbarmberzig die Brenneffeln ins Geficht, die der eine unterwegs 
mit einer Zange aus Bambusftäbchen für das Nachteffen abgezwickt 
hatte; feiner der Ehefompagnie verfuchte fich bei der gemeinfchaft- 
lichen Ehehälfte durch Einlegen eines barmherzigen Fürworts eine Extra⸗ 
gunft zu fichern. Am meiften ſchien es aber das handfefte Weib zu 
ſchmerzen, daß einer von ihren Gatten aus ihrem Tragkorb einen 
Handbefen herausriß und ihr dies Gerät, mit dem fie bei jeder Raft 
ihre dichtes ſtarkes Haar aus guten Gründen durchzuhecheln pflegte, 
fo lange um die Ohren ſchlug, bis auch nicht ein Bambusfäferchen 
mehr dran war. Unerträglich ſcholl ihr herzzerreißendes Gejammre 
durch den herrlichen Eichenwald, der mic) an die ferne deutjche 
Heimat gemahnte. 

Gegen Mittag erreichten wir das Gebetsdenfmal oder den 
Mendong, der nahe bei dem einfamen Klofter Pemiongtichi auf 
der Höhe des Vergfpornes liegt, der das Kulhaitthal vom Natong- 
und Rungbifluß trennt. 

Der Sirdar eilte vorauf, um den Lamas meinen Wunfch zu 


— 40 — 


melden, den Tempel anfehn zu dürfen; der Beſcheid lautete, nach 
afiatifcher Sitte, daß dies vorläufig, das heißt für heute und die nächiten 
drei Tage gany unmöglich fei. Meine Entgegnung, daß ich dann morgen 
obne Spende für den Tempel weiterziehen würde, brachte plötzlich 
die Möglichkeit für „übermorgen“, ſchließlich ſogar für „morgen“ 
zu ftande, und mit großer Ungeduld jah ich diefem kommenden 
Morgen entgegen. 

Den Reit des Tages verwendeten die Kulis zum Jnitandjegen 
ihrer arg zerrifjnen Gewänder, und aud wir hatten angeftrengt 
mit lien und Entfernen menigftens der ärgften Spuren umjrer 
furchtbaren Schlammmwege und Schluchtenklettereien zu tun. Ganz 
unmürdig außjtaffiert wollte ich doch nicht das größte Heiligtum 
Sithims betreten, das in der Geſchichte des Landes als Sig der 
höchſten Gewalt lange Zeit bindurd eine jo wichtige Rolle ge 
fpielt hatte. 


. ©. 4, 
Kamagrab bei Pemiongtshi; a 


Hints hinten mein Zelt, vorn ein trommelnder Sama und ein Amabe mit einem Gejäß aus Bambusrofr. 


Sie, Google 


Bierundzwangigites Kapitel. 
Beftefjen und Konzert bei den Lamas in Pemiongtſchi. 


J ch hatte das altehrwürdige Pemiongtſchi wohlbehalten erreicht, 
und ohne Pietiſt zu fein, fühlte ich mich von einem heißen 
> Dankgefühl durchdrungen, wenn ich an all die gefährlichen 
Beſchwerden meines Weges nad) und aus der nun hinter mir liegen- 
den Schnegebirgswelt zurückdachte. Hier in Pemiongtſchi waren 
mir ja ſchon fo gut wie daheim in Dardichiling, das nur noch drei 
Tagemärfche ſüdlich Liegt. 

Wie überall machte ich, mich auch, hier vor allen Dingen auf 
die Suche nach einem trocknen Plässchen für mein Zelt; ein folches 
zu finden ift in Sikhim nad) der Regenzeit gar nicht leicht, da dann 
der Boden überall wie ein überfatter Schwamm beim leiſeſten Drud 
von unfaubrem Waſſer trieft. 

An dem Zaun des aus rohen Ziegeln erbauten Gebetdenfmals, 
des Tiehorten oder Mendong, hatten die Kulis bereits ihre Wäfche 
zum Trocknen aufgehangen und ihr Lager bereitet. Ich umfchritt 
den eima acht Meter im Quadrat mefjenden Kaftenbau mit kegel⸗ 
förmiger Spitze, aber um das Gefühl der Kulis nicht zu verlegen 
in der vorgefchriebnen Weife, das heißt jo, daß mir die Gebete 
auf den die Spitze des Denkmals bildenden Steinen zur Rechten 
lagen. Hierbei fragte ich mich, von was fir einer Art wohl die 
Lamaüberreſte geweſen fein mochten, die er umfchloß. War hier nur 
die Afche eines ſolchen beigefet oder war der Leichnam darin, wie 

28* 








42 — 


dies häufig geichieht, ftehend eingemauert? Oder war er nad) tibe- 
tiſcher Sitte den wilden Vögeln preisgegeben worden, damit die 
herumirrende Seele ohne Verunreinigung von Waſſer, Feuer oder 
Erde in einen andren Körper gelangt? 

In diefem Falle waren in dem Denkmal jedoch nur die gebleichten 
Gebeine verſcharrt. Und, fo fragte ich mich weiter, waren dieje 
Knochen noch vollzählig beifammen, oder hatte der verblichne Lama 
feine Arm- und Beinknochen zu Trom⸗ 
peten und feine Schädeldede zu einer 
Trommelhälfte hergeben müfjen, mit 
deren Getöje nun jeine Herren Amts: 
brüder die Dämonen der Krankheiten, 
der Naturgewalten und ber milden 
Tiere beſchworen? 

Gläubige Wandrer hatten rings 
um da3 Monument Steine und jar- 
bige Läppchen gelegt, und meine Kulis 
beeilten fi, Blumen und Farnzweige 
dazu zu legen, die fie ſchon unter 
= wegs für diefen Zweck eingefammelt 

Körner aus Drenftentunden; Rapper hatten; dann riffen fie Tuchfegen von 
aut ei min Dane eeponaien diricaln jhren arg zerlumpten Reiſekleidern 
und fügten auch diefe hinzu. 

Auf einigen nahen, von Brombeer⸗ und Himbeergefträuch um: 
gebnen Steinplatten, in die ebenfalls die hier vielfach angebrachten 
Gebetszeichen eingehauen waren, fchlug ich troß des Zetergeſchreis 
meiner Kulis mein Zelt auf. Der Pla war wohl die Verbrennungs⸗ 
ftätte eine Lamas geweſen und fchien mir das einzige zum Lagern 
geeignete Fleckchen zu fein. 

Die Dämmerung brad am nächſten Morgen recht trüb und 
träge durch die Nebelmaffen, viel zu träge für meine Ungeduld. Ich 
hatte aber nicht etwa aus Neugier auf den Klojterbejuch das Tages 





— 43 — 


grauen ſo ſehnſüchtig erwartet, ſondern wegen der Legionen gieriger 
Blutegel, deren ich mich im Zelt ſchließlich nicht mehr zu erwehren 
vermochte. Durch jede Fuge kam das ſcheußliche Gewürm zu Dutzenden 
in das Zelt, bald ſchwarz, bald braun, in jeder Größe, von Finger— 
länge bis zur Stärke einer Stecknadel. Ich konnte es wirklich 
ſchließlich gar nicht mehr mit anſehen, wie dieſe Beſtien ſich mir von 
allen Seiten näherten. Mit wahrhaft teuflifcher Bedächtigleit pflanzten 
fie dabei das Ende des hochgefrümmten Körpers dicht neben den 
Kopf, ftredten dann diefen weit vor, faugten ſich an und ftellten, 
den Körper abermals zum Bogen krümmend, das Schwanzende wieder 
dicht Hinter den Kopf, und fo wälzten fie ſich heran, viel fehneller 
als ſich eine Schlange fortzuringeln vermag. 

Was half es, daß ich mir Hals und Gelenke mit Mufjelin 
bemwidelte, das ich in ſtarke Salzlöfung getaucht hatte? Was half 
es, daß eine gutmütige Kulifrau den unheimlichen Inhalt ihrer 
Schnupftabatsbüchfe — denn gefhnupft wird von den Weibern in 
Sikhim genau fo leidenfchaftlich wie von denen im Bayrifchen Walde — 
in eine vor das Zelt gekratzte Rinne geftäubt hatte? Was half jchließ- 
lich gegen all diefen Efel und Unmut der befänftigende Gefang einer 
indifchen Nachtigall im nahen Gebüfh? Wahrhaft triumphierend 
ſchienen die abfcheulichen Quälgeifter ihre Körper zu heben und zu 
jenten, zumal nachdem ich ihr Fangen und Vernichten ganz auf- 
gegeben hatte und mich ganz mit dem Stillen des Blutes aus vielen 
Bißwunden befehäftigen mußte. 

Sobald der Tag graute, ftand ich von diefem garjtigen Lager— 
plaß auf, doch auch draußen fchnellten fich die Unholde überall aus 
dem fumpfigen Moosboden in die Höhe, um mir an Schuhen und 
Gemwändern emporzuturnen, und erſt an dem Lagerfeuer der Kulis 
konnte ich unbeläftigt meinen Morgenthee kochen. Ich hatte mir 
thatfächlich einen viel ungünftigeren Platz für mein Nachtlager aus- 
gewählt als die Kulis, die mich vergeblich vor dem meinigen ge- 
warnt hatten. Dabei jah ich das geftern fo arg zerprügelte Weib Hinter 


— 41 — 


dem Mendong liegen, das heulend und wimmernd durch die Um— 
kreiſung ihres Halſes mit dem Zeigefinger ihre nicht ſehr lebens: 
frohe Stimmung anzubeuten verfuchte. 

Dumpfes Bauten und Trommeln begleitete den Aufgang der 
Sonne. Die Töne jhallten offenbar aus dem Tempel herunter, der 
auf dem 6920 Fuß (2100 m) hohen Gipfel unfres Hügels zwiſchen 
Eichen und Ahornbäumen verſteckt lag. Bald darauf kam ein Tabl: 
geſchorner junger Lama würdigen Schrittes in roftroter Toga von dort 
beruntergefchritten, um mich abzuholen und unter beftändigem Klappern 
einer Schäbeltrommel, die er in der Hand hielt, nach dem Kfofter 
zu begleiten. Zuerſt hielt auch er den Tiroler, der fich zur Ver- 
ftändigung ja ftet3 meiner Vermittlung bedienen mußte, für den 
teifenden fremden Herrn aus dem Lande „Diharmani“ und mic, für 
deſſen unterthänigites Faktotum. Drei hübfche Knaben in roten 
Umfchlagtüchern, jedenfalls Mönchslehrlinge, gaben mir das Geleite, 
und ein junger Hirt, der ein rieſiges Bambusrohr voll Milch als 
Dpfergabe zum Tempel hinaufſchleppen wollte, ſchloß ſich dem Zuge 
an; die Kulis und der Sirdar machten den Schluß. 

Der Sirdar befleißigte ſich einer hochgradigen Wichtigthuerei 
und machte mich unausgefegt mit hochgezognen Augenbrauen und 
feierlicher Handbewegung auf die unerhörte Bedeutung der fich nun 
abfpielenden Ereigniffe aufmerffam. 

Durch ein Spalier von Bambusftangen, die von oben bis unten 
mit bunten Gebetswimpeln beflaggt waren, ftiegen wir auf einem 
zuerft recht Iehmigen, dann aus Steinftufen beftehenden Wege zu 
dem bis zuletzt von Bäumen verftecten Tempel hinauf. Als id 
aber fchließlich auf den glatten Chloritjchieferplatten des Tempelhofes 
ftand, machte ich ficherlich ein ziemlich enttäufchtes Geficht. Den 
berühmten vierhundertjährigen Lama- und Radſchahſitz, aus dem als 
Sikhim Durbar bis 1815 die Gefchide des Landes gelenkt wurden, 
hatte ich mic doch etwas bedeutender vorgeftellt! Cr beftand, wie 
man auf dem Bild fieht, nur aus einem etwa 25 Meter im Quadrat 


©... 
Klostertempel Pemiongtsci; 
die Saas flepn;vor dem aut Holz geſchnihten Thore. 


Sie, Google 


— 45 — 


meſſenden roten Backſteinbau mit ſchräg aufſteigenden Mauern, die 
aber nicht, wie es wohl ſonſt üblich iſt, mit einem mehrſtufigen Dach 
in chineſiſchem Stil, ſondern von einem ziemlich flachen, höchſt profanen 
Dach aus gewelltem Zinkblech bedeckt waren. Die Lamas hatten 
ſeit kurzem ihr nach der Regenzeit faulendes Stroh- und Holzdach 
dem Zeitgeiſt geopfert und ſich an der fortgeſchrittnen Bedachungs- 
kunſt in Dardichiling ein Beifpiel genommen, deren afuftiiche Schatten- 
feite mir noch immer im Trommelfell ſpukte. 

Die Mitte der Nordfront war mit riefigen Wolldecken zum 
Schuß gegen Regen verhüllt; diefe raffte der Lama empor. Darunter 
zeigte fich eine bi3 zum Dach reichende, reich geſchnitzte Holzarchitektur, 
deren Gebälf und feltfam gefchnörkelte Außenlinien in den tibetifchen 
Kieblingsfarben, blau, rot, grün, durch dick aufgetragnes Weiß getrennt, 
geſchmackvoll hervorgehoben wurden. 

Das Thor der Vprhalle wurde durch zwei derbe, mit vecht- 
winkligen Rillen ausfünnelierte Holzfäulen gebildet, die auf meit- 
ausladenden Kapitälen ein Gefims und. Durch diefes die buntbemujterten 
Köpfe der Balken ſtützten, auf denen die obre Etage ruhte. Dort 
oben befanden fich die Schlafftellen der Lamas und eine umfängliche 
Sammlung von Holzftöden zum Drud buddhiſtiſcher Schriften, die 
mir fpäter mit Stolz gezeigt wurde. Nach außen war dies Stod- 
werk dur ein geſchnitztes Gitter abgefchlofien, und feine fteben 
ſchmalen hohen Fenfter waren durch allerlei ſymboliſche tierische und 
menfchliche Figuren aus dem Buddha-Mythus verziert, unter andrem 
mit dem fabelhaften Elefanten, in defien Geftalt Buddha mittels einer 
Hüftwunde von feiner Mutter empfangen fein fol. 

Inzwiſchen waren einige Lamas mit dem fehwerfälligen Schlüffel 
erſchienen und ſchloſſen mit umftändlichem Gebaren die wohlver- 
tammelten niedrigen Thorflügel auf. 

Eine duch Lampenqualm und Räucherungen mit Tſchenden, 
der rötlichen Wurzel einer Zypreſſenart, verdicte Luft fehlug mir 
entgegen, als ich in die tiefe Dämmerung des faum drei Meter hohen 


— 46 — 


Saaled trat, an defjen Ende ich bei dem dürftigen, durch Spalten 
in der meterdiden Mauer einfallenden Lichte den Altar mit jeinen 
Einzelheiten nur mähjam zu erfennen vermochte; einige faum leuchtende, 
durch Butter genährte, qualmende Lampen mit Dochten aus Pflanzen- 
marf fladerien in der Zugluft auf dem Altar, Drollig genug ent: 
ſprach diefe Beleuchtung der mißverjtändlichen Benennung des Buddha⸗ 
Tempels mit „Buttertempel“ feiten® des Tirolers, der jich auch deſſen 
häufig Pomiang⸗ 
tſchi ausgeſprochnen 
Namen als „PBom: 
meranzi" mundge 
recht gemacht hatte. 
In der Altar: 
mitte thronte die 

überlebensgroße 

Statue Buddhas 
oder wie ihn mir 
derSirdar mit Nach⸗ 
drud in der Bhotija- 
fprahe vorſtellte: 
Sakya Thuba. Der 

. . Reformator und 
an sie ei fe be tumeh 05 Gotteprophet ſaß 
mit untergejchlagnen 
Beinen und gleihmütigem Gefichtsausdrud da und hielt in der 
linfen Hand eine blaue eiförmige Schale, wohl das geheimnisvolle 
Lotosjumel. Auch feine in drei Reihen aufgefchichteten Löckchen 
waren blau bemalt, das Geficht und die tief ausgefchnittne Bruft 
dagegen waren reich übergoldet. Die langen eingefchligten Chr- 
läppchen fielen bis auf die Schulter herunter, doch fehlten darin — 
und das ift ftet3 ein Wahrzeichen des alle nichtigen Freuden dieſer Welt 
belächelnden Buddha — die Tandesüblichen Ohrringe. Auf der Mitte 


— M — 


ſeiner Stirn befand ſich eine knopfartige Erhöhung; ob dieſe einen 

Anklang an die Dreiäugigkeit der Hindugottheiten vorſtellen oder an 

die Abkunft Buddhas aus dem fürſtlichen Hindugeſchlecht der Sakyas 

und an deren Stirnzeichen erinnern ſollte, war mir nicht klar. 
Neben dieſer Figur ſtand ein ſcheußliches Abbild der Hindu— 

göttin Kali, die eine Goldkrone auf dem Haupt trug und in mehr 

als gewagter Tänzerinnenſtellung auf einem Bein balancierte; um 

den Hals trug ſie die übliche Kette von Menſchenſchädeln und in 

der Hand das Lotosjuwel. Die Wände waren 

mit fratzenhaften Bildern phantaſtiſcher, von grünen 

Heiligenfcheinen umfpielten Gottheiten dieſes Kultus 

überladen, zwifchen denen die buddhiſtiſchen Sinn- 

bilder der Lamamacht, des Donnerkeils Dordſch 

und des Lotosjumels, ebenfowenig fehlten wie die 

bizarren Figuren der brahminifchen Legenden, 3. B. 

der Affenkönig Hanuman, der dem erkrankten Gotte 

Wiſchnu⸗Kriſchna den mit ‚Heilfräftigen Kräutern be- 

wachſnen Berg Meru aus dem Himalaja herbeiträgt, 

der elefantenköpfige Weisheitsgott Ganeſch oder der 

in einen Schlangenſchwanz endigende Gott Rafotat. Gussun, 1 Beite Er 
Ueber den Altar war ein tibetifcher Teppich Geifer-Ausireiden. 

gebreitet, in den ein ehr zierlicher Kranz aus Farn⸗ 

Träutern eingewebt war. Der Altar war mit allerlei Geräten aus blißen- 

der Bronze überladen: Klingeln, Lämpchen, Löwenfiguren, Schalen mit 

geweihter Milch und andre, in denen Blumen, Mais, Butter und 

andre Opfergaben lagen. In einer Vaſe ſteckten mehrere glimmende, 

ſtricknadeldünne Räucherftengel, die aus Pulvern von wohlriechenden 

Hölzern und Harzen unter Zuſatz von etwas Kuhdünger hergeftellt waren. 

Zwiſchen all diefe Herrlichfeiten waren blutige, mit Reis beftreute 

Fleiſchſtücke als nicht fehr appetitliche Opfergaben gelegt. Nichts konnte 

beffer die hier eingerifine Entartung der Lehre Buddhas predigen, der 

ja alles vorſätzliche Vernichten des Lebens verworfen hatte. 


— HS — 


Auffallend waren fünf Gebilde aus Heinen runden Scheiben, 
von denen drei, die auf der Mitte des Altars ftanden, wie Tragant- 
bauten eines Zuderbäders ausjahen. Die beiden andren bejtanden 
nur aus zwei runden weißen Scheiben mit blau-rotgrünen Kreifen 
um den Mittelpunft, die übereinander auf einem Holzfuß ftanden; 
obenauf beiand ſich eine langettliche, weiße Spige mit Flecken im 
diejen drei Farben. Dieſe Symbole hatten ganz die Formen, die 
für die dreiteiligen tibetaniihen Chrringe beliebt find und bezogen 
ſich wohl auf die verjciednen Himmel, die der Buddhismus als 
Gebiete der Seelenwanderung annimmt. Auf der linken Seite des 
Altars bemerkte ich noch einen jaft meterhohen Schrein aus Gold: 
und Silberbleh, deſſen fußhoher Sodelfaften ein goldnes, unter 
einem Banyanbaum jigendes Buddha-Figürchen umfchloß; darüber 
erhob ſich ein jargäbnlicher Auffag, ganz in der Form eines Men- 
donas, mit einer fonijchen, durch einen bligenden Halbmond verzier: 
ten Spitze. 

Zollhohe Kegel aus fleifchfarbigem Mehl mit einem Klümpchen 
Bunter auf der Spite, die der Sirdar Sa-Tſchu nannte, ftanden 
teils auf dem Altar herum, teil® vor dem Altar in Reih und 
Glied auf einem dicken Brett; dem bier kultivierten Buddhismus ſchien 
aljv auch das brahminiiche Lingam-Idol zu dienen. Auf niedri- 
geren Nebenaltären fand ich zahlreihe Mufitinftrumente, Becken, 
Lamamüsen, Gebet3mühlen und Dordſch-Dolche in allen möglichen 
Ausjtattungen, Schädeltrommeln, Hörner aus weißen Muſcheln 
Tung) und ſolche aus Menfchentnochen (Kaning), nebit dicken höl- 
zernen Druckſtöcken, mit denen die Lamas den Gläubigen das Um— 
ma⸗ayi peme bung! auf die Papierjtreifen ihrer GebetSmühlen und 
auf die Gebetsfahnen ſtempeln. 

Acht geichnigte Holzpfeiler jtüßten durch breite Kapitäle die 
Zaaldede; fie waren in den Negenbogenfarben bemalt und mit 
langen Bannern, Kathas oder „Schleiern des Segens“, aus brauner, 
blauer und grüner Seide behangen. 











M ©. 18-40. 
Die Ober-Camas des Tempels Pemiongtshi; 
der ältefte dreht eine Gebetsmüßle, 


Sie, Google 


— 440 — 


Rechts wie links vor dem Altare ſtand ein winziges Tiſchchen; 
auf dem einen befand ſich eine Klingel und ein Tuſchgefäß mit 
Rabenfedern, auf dem andren lag eine Gebetsmühle. Die breiten, 
niedrigen Seſſel waren mit Leopardenfell belegt, und an dieſe ſchloſſen 
ſich niedrige, in der Längsrichtung des Saales geſtellte Bänke. Die 
genannte Glocke war ich fo glücklich, ſpäter von den Lamas er- 
werben zu können; ich babe fie meinem Freunde Mar Grube in 
Berlin verehrt, weil fein Glockenzeichen für mic) 
jedesmal das Signal zu einem wahren Kunftgenuffe 
bedeutet. 

Lebhafte Bewegung unter den vor dem Tem- 
pel verfammelten Kulis und Hirten verkündete 
das Nahen der oberen Lamas, und mit unendlicher 
Feierlichkeit ftellte mich nun der Sirdar dem ; 
Sama Gangba Lama Bora vor, einem fehr ro- Mm 
buften Heren in ſcharlachrotem Lamamantel, über 
den er noch ein bordorotes Tuch gefchlagen hatte, ma 
Seine rotwollne, einer Biſchofsmüũtze ähnliche Kopf: PER 
bedeckung war vorn durch eine gelbgeftichte Platte wird von den Lamas mit 

» der rechten Hand geläutel, 
verziert, Ich ftand einem bedeutenden Herrn gegen- während die Sinte den bar 
über, denn die Macht dieſes Lamas war bis zur Donnertelt (Dordsch) 
Annektierung Silhims durch die Engländer jehr vn 
gewaltig; alle VBergehungen in Sikhim wurden durch feinen Richter: 
ſpruch an Eigentum oder Leben gefühnt. Verſtöße gegen die Religion 
Tonnten und fönnen jedoch nur von dem Konfiftorium feines Oberen, 
des Gott-Menfchen oder Dalai-Lama in Lhaffa, abgeurteilt werden. 

Der zweite im Rang war ein musfulöfer, riefenhafter Lama 
mit fpärlihem Bartwuchs; diefer trug nur eine gelbe Borte um 
einen Zaden feiner Mütze, zeichnete fich aber, ebenfo wie der oberfte 
Lama, durch bunte tibetifche Strumpfichuhe vor dem dritten Ober: 
priefter und der übrigen barfüßigen Priefterfchaft aus. Diefer dritte, 
ein fteinaltes Männchen in ſchmuckloſer Mütze, fchien der frömmite 

Boed, Indiſche Gletigerfahrten. 29 





— 150 — 


zu ſein; er drehte während der ganzen Zeit, in der ich ihn ſah, 
und das waren mehrere Stunden, unabläffig feine Gebetsmühle! 
Dabei ließ er murmelnd die Kugeln eines Rofenkranzes durch die 
Finger feiner andren Hand gleiten. 

Die beiden oberen Lamas nahmen feierlich mit untergefchlagnen 
Beinen auf den Leopardenfellen, die andren ebenfo befchaulich auf 
den Bänten des Mittelganges Platz. Der bemüste Alte hatte fein 
Tiſchchen dicht bei der Thür und verfuchte, das Glimmen einiger vor 
ihm in filberner Bafe ftehender Räucherftangen durch Anblafen zu unter- 
halten. Ich ſetzte mich aufein Polfter, durch das man die niedrige Bank 
an der Seite ein wenig erhöht hatte, befand mich dort aber faft völlig 
im Dunkeln. Alsdann brachten eine Reihe von Tempelfnaben glatt- 
gedrehte Schalen aus Ahornholz herein, die die Lamas ähnlich den 
Lotosknoſpen der Buddhabilder vor der Leibesmitte auf die Finger: 
fpigen der linken Hand ftellten; andre Knaben füllten die Tafien 
aus einer Kupferfanne mit einer dunklen Theebrühe. Der Thee 
ſchien die mir bereit bekannte, nad) tibetifchem Rezept, das Heißt 
unter Zufag von Mehl, Butter, Salz und Borar gebraute Suppe 
zu fein. Dies Getränk wurde ganz gleichzeitig und außerordentlich 
hörbar in regelmäßigen Abfägen gefchlürft. Die Paufen dazwiſchen 
wurden durch kurze monotone Sprachgefänge ausgefüllt. 

Als zweiter Gang diefes rituellen Mahles erfchien Reisbrei mit 
Fleiſchwürfeln, die unter noch lautrem Schnalgen, Gurgeln und 
Puſten vertilgt wurden; auch diefe Mahlzeit wurde durch das Her: 
ſprechen liturgifcher Strophen unterbrochen. Jedenfalls war dieſes 
pathetifche Feſteſſen das letzte Grenzgebiet de Erhabnen, bevor e3 ins 
Lächerliche umfchlägt. 

Während die geräufchlos und geſchickt aufwartenden Knaben die 
Speifegeräte hinausſchafften, ſchien eine Hauptnummer der Yeierlich- 
feit vorbereitet zu werden. Ein paar rührige Tempeldiener jchleppten 
gravitätifch ein Bambusrohr voll Milch und drei flache Bambuskörbe 
herbei und ftellten fie zu meiner größten Ueberraſchung als freund» 


— 41 — 


Ichaftliche Spende der Lamas vor mir nieder: in dem einen Korbe 
lag ein halbes Schwein, in dem andren ein ftattlicher Hügel von 
Reis und in dem dritten ein ebenfo großer Haufen von gährender 
Murmwahirfe, dem Bierftoff der Sikhim-Leute. Während der Ober- 
lama diefe Sachen meiner geneigten Würdigung empfahl, wurden 
die ſchon vorher von mir bemerkten Mufitinftrumente an die andren 
Lamas ausgeteilt, und zum Schluß ftellten die Anaben 
zwei fehr umfangreiche Bambushumpen voll Tſchang⸗ 
bai-Bier vor mic) und den Tiroler, an deren Saug- 
röhren eine Schnur mit vieredfigen Stücken von 
Inufprigem Yalkäfe hing. 
Nachdem noch ein Tempeldiener eins jener 
fegelförmigen winzigen Idole in die Mitte des 
Ganges geſtellt und diejes hernach tänzelnd mittels 
eines Fafanenflügels aus einer filbernen Schale mit 
geweihter Milch befprengt hatte, begann ein all- 
feitiges urfräftiges Näufpern, das etwa wie das 
Stimmen eines Orchefter8 wirkte. Dann ſetzte plöß- 
lich, ohne irgend welchen bemerfbaren Dirigenten, 
ein Konzert von ganz unbejchreiblicher Wirkung ein, 
denn ähnlich einer fich gegenfeitig enthufiagmierenden 
Bigeunerfapelle ſchienen diefe Mönche unter dem  Bambus-Esop- 


pen zum Eaugen von 
Bann irgend eines Genius nad) und nad) in eine — an 
raſende mufifalifche Verzückung zu verfallen; die a — 
Aeußerung der Nervenenergie fo vieler vor Auf- 
regung fchier außer ſich geratender Leute wirkte mit unmiderftehlicher 
Gewalt auf mich ein und hypnotifierte mich förmlich. 

Silberne Hörner mit langgezognen Tönen und rein gefpielte 
Flöten gaben die Leitmufit ab, in die jedoch Becken und Pauken 
und Trompeten aus Menfchenknochen oder weißen Mufcheln fchauder- 
haft und einfchneidend hineinflangen, während das furchtbare, über: 
irdifhe Dröhnen zweier fern im Dunkeln geblafner Kupfertubas 


IempelsFlöte 
aus Kupfer mut Türe 
tifen bejeht; daß 
Wunpftüd befichtauß 
Reisitroh. 


— 42 — 


von zwei Meter Länge diefe afiatijch rohe Mufit 
fo verftärkte, daß fie den niedrigen Saal zu zeripren- 
gen drohte, 

Es fiel mir auf, daß das niederfchlagende Beden 
auf dem andren, dem liegenden Gong, durch mehr 
oder weniger feſtes Andrüden der Schoßunterlage 
gegen dies Becken eine überrafchend reiche Abftufung 
von Tönen und Rlangjchattierungen zu erzeugen und 
fo eine Hauptrolle zu fpielen vermochte, ähnlich wie 
die S-förmig gebognen filbernen Schlegel der großen, 
geftielten Unga-Paufe, die gleichzeitig als vieltöniges 
Glockenſpiel mitwirkten. 

Lange konnte aber mein Trommeljell diejen 
Anfturm voher, fürchterlicher Tonmaffen doch nicht 
ertragen, und auch die dicke Rauchluft in dem wohl 
noch nie gelüfteten Tempel wurde immer beffemmen- 
der; das tobende Gebaren der Lamas übertraf mäh- 
rend eines von Zeit zu Zeit mit gradezu elementarer 
Kraft gebrüllten Kanons fogar die eraltierteften Aeuße⸗ 
rungen der „heulenden Derwiſche“, fo daß ich mitten 
zwifchen den freifchenden Fanfaren der Knochenhörner 


und de3 wütenden Klingelns und Klapperns und Paufentrillerns aufs 
fprang, und mic) durch die Draußen in der Vorhalle Laufchenden Kuli- 
frauen und andren Weibsleuten drängte, die nicht gleich den herbeige- 
kommnen Hirten und Land- 
leuten in den Tempel hin: 
ein durften;tief aufatmend 
trat ich ins Freie, 
Wie geblendet prallte 
ich beim Heraustreten aus 
dem nad) Oſten liegenden 
Thore zurüc, denn im Oft Yama, eine tupferne Tempelpofaune blaſend. 


— 43 — 


nie im Norden ftrahlte die am Morgen dicht von Nebel verhüllte Hima- 
fajafette in wahrhaft überirdiſcher Furchtbarkeit, von frifchgefallnem 
Neufchnee überfchüttet, zu mir herunter; noch einmal fchaute ich dieſen 
trußigen Hochgebirgsriefen, denen ich noch vor kurzem fo nahe ge: 
weſen war, in die bleichen zerfurchten Gefichter — dann verhüllten fie 
fi in den aufjteigenden Wolfen, und ich fah fie nicht wieder. 


Mastentänger in der Thür ded Tempels Pemiongtieii. 


Durch mein vorzeitige Aufbrechen hatte ich der mufifalifchen 
Aufführung die Spige geraubt; bei dem Höhepunkte des Spektakels 
follte nämlich ein greulich vermummter Lama erfcheinen, um mir 
durch eine jener Dämonenfragen, mit denen fi) die Lamas bei 
veligiöfen Schaufpielen mastieren, einen heilfamen Schreck einzujagen. 
Nachdem id) mic nun aber unter Gottes freien Himmel geflüchtet 
hatte, war da3 auf feine Stichworte lauernde, kopfwackelnde Unge- 
tüm aus den Kuliffen heraus und mir bis vor das Tempelthor nad): 


— 44 — 


gelaufen; als ich es dort im hellen Sonnenfchein, beladen von Flitter- 
tram und zähnefletjhend mit Händen und Füßen krampfhaft zappeln 
fah, plaßte ich mit einer recht unheiligen Zache heraus. AL ich nun 
gar meinen photographifchen Apparat auf diefen priefterlichen Gaufler 
richtete, brachte ich den ſchon lange keimenden Groll einiger giftig 
dreinblidender Lamas zum lauten Ausbruch. Selbſt das fonft in 
Indien nie verfagende Befänftigungsmittel einiger Rupien machte 
das Geſchrei und den Aufruhr nur noch ärger, und die höheren 
Lamas ſchienen fich vergeblich zu bemühn, den Aufruhr zu beſchwören. 
Ohne daran zu denken, daß ein gewaltiger Aufwand von Stimm- 
kraft den indifchen Völkern ſtets ein fichres Zeichen von bejondrer 
Macht und Bedeutung zu fein pflegt, donnerte ich dem unverjchäm- 
teften Schreihals jo klangvoll wie möglich einige der deutlichſten 
Kraftworte, über die die deutfche Sprache verfügt, in die Ohren, 
und fiehe da, die Schreier verfrochen fich beſchämt vor diefer Leiftung 
meine3 Organs, verlacht und verfpottet von den weniger zelotifchen 
Prieftern. Mit den freundichaftlichften Verfiherungen fehied ich von 
den Lamas mit Hinterlafjung eines anfehnlichen Zuſchuſſes für ihre 
Tempellaſſe. 

Als ich mich entfernt hatte, kam mir ein jüngerer Prieſter nach: 
geſchlichen, um mir mit ſchrecklichen Grimaſſen anzudeuten, daß er 
der talentvolle Träger der Dämonfrage geweſen fei und demnach 
wohl ein kleines Extra-Spielhonorar verdient habe. 

Beim Weiterjchreiten bemerkte ich in der Nähe des Tempels 
etwas abjeits des Weges einen Schuppen. Ich fand darin einige 
Weiber befchäftigt, zwei ungeheure, faßgroße Gebetszylinder durch 
Riemen und Rollen herumzudrehn; fie fehienen jedoch mit einer folchen 
Mafchine noch nicht ordentlich beten zu Fönnen, denn die Walzen 
drehten fich bald vor- bald rückwärts, während doch nur ihre vegel- 
mäßige, dem Lauf der Sonne entjprechende Umdrehung von erlöjender 
Wirkung fein fol. Da den Lamas im Zölibat zu leben verordnet 
ift, fiel mir die Anmefenheit diefer gar nicht häßlichen Frauen ein 


wenig auf, und das Rätjel 
ihre3 Dafeind wurde durch ein 
allerdings nur ganz Kleines 
Kind, das draußen in einem 
vieredligen Bambuskorb an dem 
Afte eines Nußbaumes aufge 
hangen war und dort hin und 
her fchaufelte, keineswegs gelöft. Repalifge Zempel-Räugerlompe. 

Aus den mir gefpendeten 
Tafelſchätzen bereiteten ſich die Kulis ein höchſt lukulliſches Mahl. 
Als der Tiroler ſah, was für Reisberge und Schweinefleiſchmaſſen 
ſie verſchlangen, bemerkte er ganz verblüfft: „Wenn ich geſund bin, 
iſt mein Appetit auch unergründlich, aber der Appetit dieſer Raze 
Leit iſt unglaubwirdig unartig!“ 

Da ich nichts dawider hatte, daß die Kulis ſich meinen 
Tſchangbai⸗Stoff in Ströme von Hirſebier verwandelten, hatte ich 
ein etwas angezechtes Gefolge hinter mir, als ich nad) dem Mittag: 
effen aufbrad), doch war den armen, braven Leuten wohl diefe Heiter- 
keit zu gönnen, nachdem fie fo unfagbar harte Zeiten mit mir 
durchgemacht hatten. 





— 





Fünfundgwanzigfies Kapitel. 
Heimweg nach Dardſchiling. 


DÜ: einzige Perfon in meinem Troß, die die allgemeine Fröh- 
AL: Lichteit des Heimmarfches nicht teilte, war das mit den Brenn- 
2 neffeln fo jämmerlich durchgepeitjchte Weib. Ihre zärtlichen 
Gatten hatten ihr fogar eine von den andren weggeworfne fteinharte, 
verbrannte Schweinebratenſchwarte weggeriffen, die fie fich heimlich 
aufgefucht Hatte, und auch das Saugröhrchen des kreiſenden Tſchang⸗ 
baiſchoppens war nicht ein einziges Mal an ihre Lippen gelommen; 
mit was für Neid mochte die arme Heine Frau die gurgelnden, auf- 
ftoßenden Laute mit anhören, durch die ihre Genoſſen nach Landes 
fitte ihre tiefgefühlte Zufriedenheit mit den üppigen Tafelfreuden an 
den Tag legten! Gie führte, nebenbei gefagt, den ſchönen Namen 
Gidda, wurde aber von Hans recht wenig galant „die Fette" genannt, 
zum Unterſchied von ihrer Kollegin Koſcho, die er ſehr treffend als die 
„Harbe“ bezeichnete; in der That hatte fie nichts von dem molligen, 
vielleicht fogar etwas gar zu zuthunlichen Weſen der rundlichen 
Gidda. 

Daß die unfreiwillige Vermehrung der Gattenzahl für die 
Bhotijafrauen keinen ſonderlichen Gewinn an ehelichen Freuden mit 
ſich zu bringen ſcheint, hatte ich auf dem Marſche wiederholt Ge 
Tegenheit gehabt zu beobachten; ftatt eines Haustyrannen hatten fie 
deren drei oder mehr. Sobald zum Beifpiel einem von der Ehe“ 
gemeinfchaft feine Traglaft zu ſchwer wurde, padte er etwas davon 








— 57 — 


der allgemeinen Geliebten in den Korb, und ſah das zufällig ein andrer 
Ehegenoſſe, fo ſchien der zu denken: mas dir recht ift, ift mir billig! 
und bürdete der Gemahlin auch einiges von feinen fieben Sachen 
auf, wäre es auch nur eine Dede oder ein Kochkeffel oder ein 
Büfchel Rhabarber geweſen. Es erjcheint mir danach das Hiftörchen 
ganz glaubwürdig, das bei meiner Rückkehr nach Dardſchiling 
dort grade die Runde machte, und demzufolge ein englifcher Sports- 
man, der von Dardſchiling aus einen Jagdausflug nach Sikhim unter: 
nommen hatte, im Walde einige Bhotijas angetroffen haben follte, 
denen eben die Ehegenoffin bei einem Flußübergang ins Waffer 
gefallen war; anftatt ihr beizufpringen, heulten fie am Ufer herum. 
As nun der Engländer ſchnell zugriff, dem Weib heraushalf und 
fie den Ihrigen zuführte, fahen ihn die Herren ganz erftaunt an, 
ſchüttelten den Kopf und ſagten: 

„Nein, Sahib, du haft fie gerettet, nun gehört fie natürlich 
auch dir!“ - 

Und damit follen ſich die wackren Bhotija-Männer feitwärts in 
- die Büfche gefchlagen haben. Relata refero. 

Doch ich fehe ſchon das Hochgezogne Stirnrunzeln eines lieben 
Freundes, der das Hereinziehen von „Genrehaftem“ in einen ernft- 
haften Reifebericht für ein Verbrechen wider den afademifchen Geift 
betrachtet, und fahre deshalb in ber Erzählung meines Heim— 
marſches fort. 

Unfer endlich wieder gangbarer Weg führte zunächſt in füd- 
weſtlicher Richtung an dem Kulhaitiporn bin, auf dem noch eine 
andre Lamajerie, das Klofter Sanga-Tichelling, liegt. Dicht bei 
diefem jaß ein Lama, den unvermeidlichen Hirfebierfchoppen neben 
fh, und fertigte grade eine Hirfchlare für den Maskentanz an, 
der zum Neujahrzfeft, das bei den Buddhiſten mit dem Frühlings: 
anfang zufammenfällt, in allen Tempeln ftattfindet. In den wunder: 
voll gefiederten Kronen der um den Tempel ftehenden Farnbäume 
hockten zahlreiche Affen, die dem Künftler zugefehn hatten und nun 

29° 


— 48 — 


ebenfo neugierig auf meine angeheiterten Kulis herunterglogten und fie 
mit den zarten Blattwebeln diefer merkwürdigen Farnbäume bewarfen, 
die an Grazie des Eindrud3 die zierlichften Palmen übertreffen. 
Nach kurzer Raſt zogen mir weiter und trafen nad) einftündigem 
Marſch abermals einen Tempel, der Dſchandang hieß. Hier ver: 
traten mir ein paar ftörrige und bald wütend werdende Büffel den 
Weg. Ein fchlauer Kuli half mir, indem er vor den Tieren hin 
und her tanzte und dann auf eine Deffnung des niedrigen, mweit vor: 


Lama bei der Anfertigung von Dämonen-Masten; 
fein Hirfebierfgoppen fept zwilden den Farbnäpfen. 


fpeingenden Tempeldachs zurannte, in die er hineinkletterte, al3 der 
ganze Büffeltrupp hinter ihm herrafte und dadurch den Weg freigab. 
Während ich auf den geſchickten Burfchen wartete, der mich wirklich 
aus einer großen Gefahr erlöft hatte, jah ich mich etwas näher bei 
dem Tempel um und bemerkte einen entblößten, uralten Lama an der 
Mauer figen, der ſich mit zitternden Fingern das Ungeziefer wegfing. 
Dergleichen fiel mir aber gar nicht mehr als etwas Beſondres auf, 
denn fowie meine Kulihorde irgendwo Halt machte, festen ſich Männer 
wie Frauen in die Sonne, entkleideten ſich und gaben ſich aufmerkſam 
dem Jagdvergnügen hin. 


— 49 — 


Es wäre ein gar fröhliches Wandern durch daS weite prächtige 
Thal gemwefen, in dem fchönfarbige Schmetterlinge im Sonnenlicht 
um die Wette flatterten und buntjchillernde Vögel ſchwirrten, wenn ſich 
nicht läftige Spinngemwebe von ganz ungeheurer Ausdehnung auf Schritt 
und Tritt wie dicke 
Spißenvorhänge über 
den Weg gezogen hät- 
ten, der durch üppig 
wuchernde Gruppen 
von Bambus und Ba- 
nanen führte. Die 
ftarfen Fäden diefer 
Spinnmwebnege ſchil⸗ 

Terten wie Metall, und . 
die maffenhaft darin 
verfangnen grünen 
Heuſchrecken und herr: 
lichen Libellen glißer- 
ten in allen Regenbo- 
genfarben. Einer der 
Kulis Töfte eine folche 
vertrocknete Riefen- 
heuſchrecke aus dem 
Netz, knackte fie aus- 
einander und ſchluckte Alter Lama. 
den Inhalt hinunter. 

Vielfach gewunden führte der Weg aus diefer arfadifchen Land- 
{haft um und über einen Bergrücken in eine fühle Waldſchlucht; 
hier vereinigte fich ein Gießbach mit einem breiten Wafferfturz zu 
einem großartigen Wafferfall, über deſſen Schaummafjen fih ein 
doppelter Regenbogen mwölbte. Dann ſenkte ſich der Pfad durch 
Neisfelder, in denen die grünen Halme jchon vor dem Abficheln in 


— 40° — 


Büchel zufammengebunden ſtanden, zum Waſſerlauf des Peret-Tſchu, 

deffen fteiniges Bett auf einer Baffam, einem ſchwanken Brückenfteg 
aus langen Bambusftangen, überfchritten wurde. 

Am rechten Ufer fchoffen zwifchen Schilf und Farnkräutern 

zwei gewaltige Bäche von der Vergrippe hinunter, die nun zunächſt 

überfchritten wer: 

den mußte und ſich, 

gleich den früheren, 

vondemSingalela: 

famm al3 gemein: 

famem Rückgrat 

nad Oſten ab- 

zeigte. Die Blöde 

in diefen fchmalen, 

abertobenden Waſ⸗ 

fern waren faft fo 

rund wie Kugeln 

und erlaubten fei- 

nen feften Sprung, 

für dag Durchwa⸗ 

ten aber war ber 

Bach viel zu tief 

und zu reißend. 

Die Kulis mußten 

Vamdus-Brüde bei HL. aud) hier Rat. Sie 

baftelten aus aller- 

lei Knüppeln und Bambusrohr mittels Rottang Steige zufammen, fo 

daß wir bei einbrechender Nacht hinüber gelangten. Natürlich wollten 

die Kulis dort fofort in den fumpfigen Reisfeldern das Lager auf- 

ſchlagen, und fie fchienen auch wirklich ſehr übermüdet zu fein, aller» 

dings weniger von den jeßt weit geringeren Marfchbeichwerden als 

vielmehr durch die Schlemmereien der letzten Tage. Meine Borftellungen, 


— 41 — 


wie fiebergefährlich das Nächtigen auf diefen verfumpften Feldern wäre, 
blieben vergeblich. Ein richtiger Streit brach aus, und ich ſah mich 
zu einer Kriegslift genötigt. Ich ſfteckte den beiden willigſten Kulis 
einen Bakſchiſch zu, hieß fie den Proviant der Tärmend zurüd- 
bleibenden andren Kulis aufpaden und ftieg mit ihnen die ſehr 
lehmigen, fteilen Feldwege empor, die und nad einer Stunde in die 
Nähe der Pfahlbauten des Dorfes Hi führten. Vielfach vannten 
uns auch bier nächtfich mweidende und im fahlen Mondlicht als 
fürchterlich verzerrte Ungeheuer erfcheinende Büffel entgegen, die man 
in die hohen Reisftoppeln getrieben hatte, nachdem von den Halmen 
nur die Aehren abgepflüct waren. Ueber alle Befchreibung entſetzlich 
war aber das Geheul der uns wütend umfpringenden Hunde, das die 
beftürzten Dorfbewohner vor ihre Thüren lockte. Der Ortsvorfteher 
ließ die Hunde fefthalten und hielt es für ratfam, fi) bei mir auf alle 
Fälle dur ein Gefchen? von einigen Fafaneneiern, Orangen und 
Bananen in Gunft zu feßen; auch der unvermeibliche Tiehangbai- 
Bierfchoppen wurde alsbald vor mich hingeftellt, Diesmal zur Abwechs- 
hung aber nicht mit Hirfe-, fondern mit Maisfchrotaufguß gefüllt. 

Meine Vermutung traf zu; der von mir entführte Proviant 
30g die ftreifenden Kulis aus den fumpfigen Feldern magnetifch 
hinter mir her. Der Deckenträger verlief ſich freilich dabei in feiner 
Trunkenheit und der Zeltkuli ftolperte mit feiner Bürde in einen über- 
bufchten Graben, jo daß ich ohne Zelt unter offnem Himmel liegen und 
mich mehrere Stunden unfreiwillig mit den füdlichen Sternbilbern, 
der phantaftifchen, von Glühmürmern ducchftreiften Nathtlandfchaft 
und dem beftändigen Trommeln und Pauken aus den Lamaklöftern 
auf den umliegenden Bergen unterhalten konnte, bis ich auf dem 
Bündel Reisſtroh, das mir der mitleidige Bürgermeiſter gebracht 
hatte, in Schlaf ſank. 

Eine holprige Büffelſpur brachte una am nächſten Morgen in 
drei Stunden auf die Paßhöhe des Hi-La, die in der üblichen Weife 
durch einen mit Gemwandfegen ausgepußten Steinhaufen bezeichnet 


— 412 — 


mar. Daneben lagerten einige mit Pfeil und Bogen bemwehrte 
Leptichajäger und verzehrten ihr Frühmahl in Gejtalt einiger Rettiche 
und andrer roher Wurzeln. Selbft ein kaum zehnjähriges Bürſchchen 
mit großen, nicht in Metall gefaßten Türkisjteinen im Ohrläppchen, der 
ein blutrotes Kopftuch um die pechichwarzen Locken gewidelt trug, 
mar mit einem Miniaturbogen und einem winzigen Köcher ausgerüftet, 
mas zufammen mit feinem weiß und blau geftreiften Hemdchen einen 
ganz reizenden Eindruck machte. 

Troß des Novemberd war es drüdend heiß, al3 wir durd) das 
Heine Dorf „Sorräh" kamen. Auch hier begrüßte man uns mit 
ungeheucheltem Erftaunen wegen des glüdlichen Gelingens unſrer 
Neife. Ich verfuchte in einigen der meiftenteil8 gemauerten und weiß 
getünchten Häufer etwas Zucker aufzutreiben, wonach ich ein merf- 
würdig lebhaftes Verlangen trug, doch war das ein vergebliches Be- 
ginnen, weil hier der Thee ja nicht gezudert, fondern gejalzt wurde. 
Inzwiſchen lief ein Junge aufgeregt von Haus zu Haus und verbreitete 
die Nachricht von unfrem Erfcheinen, jo daß, als ich das Dorj 
verließ, etwa zwanzig bralle Bhotijadirnen 'auf einem überdachten 
Brettergeräft an der einen Straßenfeite und ungefähr ebenſoviel 
auf einer treppenförmigen Terraffe auf der andren hodten, um mich 
vecht gründlich aus nächiter Nähe zu muftern; derartige Tribünen 
dienen bei den hier beliebten Büffellämpfen zum Zuſchauen. 

Die übermütigen Mädchen waren nad) europäiſchen Begriffen 
wohl etwas unverftoren, als fie bei meinem muntren Gruße von 
ihren Tribünen herunterturnten, um meine Kleidung, das heißt den 
gerippten Manchefterfammt meiner Joppe zu betippen und fi an 
diefem Streicheln maßlos zu ergößen; ihre mächtigen um die Schultern 
geichlungnen Münzenketten Eimperten den Takt dazu. Sie erdrüdten 
mich förmlich durch) das Aufdrängen von Singdolas, das heißt grün- 
ſchaligen Apfelfinen und roten Parakris, die freilich feinen hohen Wert 
hatten, denn ich faufte am nächften Tage etwa vierzig diefer orangen= 
ähnlichen Früchte für zwei Anna, aljo für fünfunddreißig Pfennige. 


— 468 — 


Den ganzen Nachmittag mußten wir wieder durch dumpfige, laue 
Sumpfluft neben Reisfeldern entlangmarſchieren; nur mit Widerwillen 
und Beſorgnis atmete ich dieſen Fieberduft, und als die Kulis, um 
baldmöglichſt ihre Heimat Dardſchiling zu erreichen, einen cut short, 
wie der Engländer fagt, alfo einen Richtfteig einfchlugen, der ent- 
feglich verwildert war, genoß ich nochmals ſummariſch alle die 
Freuden, die das Klettern, Kriechen, Rutſchen und Fallen auf bald 
verwachſnem, bald unterfpültem oder verfumpftem Bergweg in Sikhim 
mir ſchon fo häufig befchert Hatte. Zu meiner Genugthuung konnte 
ich aber doch ſchon gegen jech Uhr das Belt in dem leidlich trocknen 
Sande de Rangban-Flufbettes aufftellen, halb froh, halb bedauernd, 
daß dies vorausfihtlih das letzte Biwak meiner mwechjelvollen 
Reife war. 

Diefe lebte Nacht wurde nun freilich eine der unangenehmiten, 
die ich jemal3 im Zelte verwacht habe. So zweckmäßig das leichte, 
Heine, luftdichte Zelt im Falten Hochgebirge war, fo wenig eignete 
e3 fi für fo ſchwüle, fumpfige Thäler, denn e8 befaß weder Venti- 
lation noch Raum genug, um ein elbbett der dergleichen darin 
aufzuftellen. Ohne erhöhte Bettftellen ift aber das Schlafen auf dem 
verderblihen Boden Indiens und der niedren Teile des Gebirges 
außerordentlich gefährlich. 

Die Täftigen und giftigen Pipfis-Stechfliegen, die Käfer, 
Storpione, Taufendfüße, Blutegel und Spinnen Sikhims fchienen 
e3 förmlich zu ahnen, daß ich ihr merkwürdiges Gebiet zu verlaffen 
im Begriff ftand, und gaben mir mit tragitomifcher Einmütigkeit auf 
meiner Haut, meiner Schlafdecke und an den Zeltwänden ein ge- 
ſchäftiges Abfchieds-Stelldichein ; jo rührend Anhänglichkeit ſonſt fein 
mag, auf dieje hätte ich wahrhaftig gerne verzichtet! 

Während ich fchlafloes dem Krabben und Schleichen und 
Rnabbern laufchte, das ſich in dem Zelt und unter feinem Boden 
bemerkbar machte, dachte ich über den fchnellen Wechjel der Glücks— 
empfindung in den indifchen Alpen nach, deren hinreißende Schönheit 


— 4 — 


mein zu aufflammenden Sympathieen nur zu fehr geneigte Naturell 
ebenjo lebhaft empfunden hatte, wie es jeßt von diejen unvermeidlichen 
Schattenfeiten angewidert wurde. Der Tiroler hatte wirklich ganz 
recht: ich war für diefes Land viel zu „elelhaft"! Nah und nad 
fühlte ich ein Hitiges Fieber über mich fommen, und dann überfiel 
mic) ein ganz feltjamer Zuſtand. Mit Blitzesſchnelle jagten alle 
bebeutfamen Momente nicht nur meiner Reife, fondern meines ganzen 
reich bewegten Lebens durch mein glühendes Gehirn; dann überfam 
mid) eine” ftumpfe Mattigfeit, und eisfalter Schweiß perlte mir ſtrom⸗ 
weife von der Stirn. Ich fpürte, daß mein Verbleiben an dieſem 
Ort eine ſchwere Erkrankung heraufbeſchwor, vermochte mich aber 
nicht mehr zu erheben. Doch als der breiige Boden unter dem Zelt 
durch das darunter wühlende Gewürm in immer Iebhaftere Be- 
wegung kam, raffte ich mich doch mit der letzten Kraft zufammen, 
erhob mic und trat aus dem dunftigen Zelt in die laue, neblige Nacht. 

Es war no nicht einmal drei Uhr, und die Kuliß zeigten mir 
ſehr unwirfche Gefichter, als ich fie von unfrem Tang-Bang genannten 
Raſtplatz und aus ihrem Verſteck unter allerlei Zweigen und Matten 
hervorſcheuchte und aufpaden ließ. Doch der unmiberftehliche Klang 
de3 ftet3 nüßlichen Wortes Bakſchiſch unterftüßte mich auch diesmal 
erfolgreich. 

Meine Zufihrung, daß bei der Heimkehr alle meine Decken 
und andren Reiſegeräte den Kulis zufallen follten, wirkte Wunder, 
und unter feherzhafter pantomimifcher Andeutung, wie behaglich fie 
fi) in den warmen Steppbedfen des gejtrengen Sahib herummälgen 
würden, ftritten ſich die Rulifrauen fehon um mein Erbe, noch ehe, 
ich tot, das heißt glücklich wieder in Dardſchiling angelangt war. 
Beſonders hart geriet die Kulifrau Gidda, „die Fette", mit Koſcho, 
der „Harben“, wegen meines Kopfpolfters aneinander; mein falo- 
monifcher Schiedsſpruch, daß die Fette den fchönen Weberzug, die 
Harbe das innre Kiffen befommen folle, ſchien fie mit ftaunendem 
Reſpelt vor meiner Weisheit und Gerechtigfeit zu erfüllen. 


— 45 — 


Mir war aber gar nicht jcherzhaft zu Mut, als wir bei Fadel- 
ſchein fo frühzeitig aufbrachen. Begreiflicherweile ſchien der ver- 
ſchlafne Sirdar, der feinen Troß längs des überbufchten Ufers im 
Waſſer Hintrieb, den Weg verfehlt zu haben, doch wirkte dies kalte 
Fußbad im Bach ſo mohlthätig auf mich, daß ich ihm nicht grolite. Ich 
hatte ihm aber wohl unrecht gethan, denn in der Ferne des dampfenden 
Thales tauchten Lichtpunkte auf, und beim Näherkommen zeigte fich, 
daß fie von Fadeln herrührten, die aus Dardſchiling heimkehrende 
Marktleute in den Händen trugen; auch fie mateten fnietief im 
Waffer. Die Leute erzählten dem Sirdar, daß man auf dem Bazar 
in Dardfchiling ſchon feſt überzeugt fei, daß wir insgefamt bei dem 
letzten Schneefturm im Gebiete der Bergbämonen umgefommen feien. 

Mit Beſorgnis fühlte ich, wie die Fieberluft in meinem Körper 
nachwirkte, der durch die unerhörten Reifeftrapazen, durch die unaus- 
gejeßten Nervenerregungen und Stimmungswechjel bald durch 
himmelhoch jauchzende Freude, bald durch Verdruß, Schmerz und 
Ekel mehr als erträgliche Anfpannungen ausgehalten hatte. „Was 
Sie derleiden, berleidet fein andrer Stadtherr, fein einiger!“ hatte ja 
oft genug der Tiroler ftaunend ausgerufen, wenn jelbit ihm die 
beifpiellofen Zumutungen, die auf Indiens Alpen an feine Energie 
geftellt wurden, zu „unartig” wurden. 

Nun am lesten Marichtage glaubte ich aber doch zufammen- 
knicken zu follen. Ein unheimliches Etwas ſchien mir durch das 
Mark zu rinnen, und nur mit Aufwand aller Kräfte konnte ich mich 
noch vorwärts ſchleppen; es war mir faft unmöglich, die ungeheuren 
Granitblöde im Flußbett und die darüber gelegten ſchwankenden 
Bambusftege zu überflettern. 

Im Morgengrauen kamen wir an einem Knäuel dicht beieinander 
fagernder Menjchen vorüber, der ſich bei unfrer Annäherung haftig 
auseinanderrollte; ein Häuflein muntrer Sikhim-Frauen widelte ſich 
draus hervor. Ohne männlichen Schuß hatten fie hier auf ihrer Heim- 
wandrung vom Markt zu Dardfchiling übernachtet, unbejorgt um 

Boed, Indifhe Gletſcherfahrten. 30 





— 466 — 


Beraubung, trotzdem jede durch ihren Schmuckbehang klirrender 
Rupienketten ein wanderndes Barkapital vorftellte. 

Obwohl uns nur noch wenige Meilen von Dardſchiling 
trennten, waren die Wege und Brüden, die dem Marktverfehr dorthin 
dienten, in ziemlich vermwahrloftem Zuftand. Stellenweis bequeme 
gangbare Stredten bewiefen allerdings, daß die Steige zwar nad» 
gebeflert würden, daß aber menfchliche Bemühungen den Verheerungen 
duch die Fluten der Regenzeit feinen nennenswerten Widerftand 
entgegenzufegen vermochten. 

Nach einigen Stunden erreichten wir den Rangitfluß, den wir 
auf einer neuen Drahtjeilbrüde überfchritten. 

Ein bunt mit Gebeten bemalter Steinblod bot dort den Kulis 
hochwillkommne Gelegenheit, durch reichliches Aufhängen von Gebets 
wimpeln in den Zweigen eines daneben ftehenden Baumes, fomie 
durch Tarbringen von Blumen, Zweigen und Früchten ihrer Freude 
über unfre glüctliche Heimkehr fihtbaren Ausdrud zu geben, denn der 
Rangitfluß umfpült bereits die Bergzunge, auf der Dardfchiling liegt. 

Während diefer Raſt verfuchte der Tiroler, gleich mir, fein ver- 
verwildertes Aeußere ein Mein wenig zivilifierter zu geftalten, doch 
das mar ganz vergeblich! Vier Wochen waren wir in fein orbent- 
liches Bett, ja nicht einmal aus unfren Kleidern herausgekommen, 
und der Zujtand unfrer Kleidung verriet deutlich, daß unfre Wanderung 
durch Sifhim fein Spaziergang durch eine Pappelallee geweſen war. 

„Wir find gar zu armfelig derlumpet, derfegt und derpirjct,“ 
lamentierte der Tiroler unausgefegt, als er kopfſchüttelnd feine ſchwie 
ligen Hände jinfen ließ und es aufgab, alle offnen Schäden und fehler 
den Knöpfe an feiner eifenfeiten Joppe zu ergänzen. Als er ſich aber 
mit dem Mute der Verzweiflung daran machte, auf einem ganz unaus- 
fprechlichen Kleidungsſtück ein ganz anders gefärbtes Pflafter aufzufliden, 
mußte ich doch in ein helles Gelächter ausbrechen, da8 mir aber 
einen ftrafenden Blid und die unbeftreitbare Belehrung eintrug: 

„Etwas ift etwas, und nicht3 ift nichts!” 





©. 4686-87. 
Bhotija-Mädchen, 
Gebetawimpel aufhängend; ihre Oprringe bejtehn au: 





ber und Türtifen. 





sis Google 





— 47 — 


Von diefer Hängebrüde. führte ein breiter guter Reitweg durch 
viefige Theegärten in fehr bequemen Zickzackwindungen nad dem 
5000 Fuß höher gelegnen Dardichiling empor. Das plögliche Er: 
kranken in der letzten Nacht hatte mich aber dermaßen angegriffen, 
daß ich unterwegs an dem Bungalo der Theepflanzung Tugvar Halt 
machte und bei dem Beſitzer um die Erlaubnis bitten ließ, darin aus= 
ruhen zu dürfen. Die Dienerfchaft mar über unfer räuberhaftes Ausfehn 
fo entjegt, daß fie mich faum anzumelden wagte. Hätte ich damals 
ſchon gewußt, wie erfreut inbifche Theepflanzer auf ihren einfamen 
Plantagen über jeden europäifchen Beſuch zu fein pflegen und mie 
unbegrenzt ihre Gaftlichfeit ift, würde mich die rührend forgfältige 
Pflege vielleicht etiwaS weniger überrafcht haben, die mir der Haus- 
herr, ein dänifcher Gentleman von echtem Schrot und Korn, an: 
gedeihen ließ, nachdem er gehört hatte, was für eine Alpenfahrt 
hinter mir lag. Nie kann ich ohne die innigfte Dankbarkeit an diefe 
erquickende Erholung im Kreife der Familie Chriftenfen zurücdenfen! 

Wunderbar geftärkt ſetzte ih am Nachmittag meinen Weg nach) 
Dardſchiling hinauf fort, wo ich eintraf, als eben die Schneefelder 
des nun wieder fo fernen Hochgebirges in den letzten Sonnenjtrahlen 
verglühten. Still und gerührt meidete ich mich noch einmal an 
diefem unvergleichlichen, unvergeßlichen Bilde. 

Während diefer Betrachtung überhörte ich ganz das Nahen 
einer Dame, die dort am birch hill promenierte. Es war die mir 
bereit3 befannte Gattin des deutfchen Uhrmachers in Dardfchiling, 
deren faft erſchreckter Ausruf: „Herrgott, wie fehen Sie denn aus?" 
mid) aus meinem Sinnen herausriß und mir zum Bewußtſein brachte, 
daß meine Außenfeite mit den in einer fo eleganten hill station 
üblichen Formen wohl nicht ganz übereinftimmte. Ich fehien in 
meinem Näuberzivil nach dem beſonders bei den Engländern in 
Indien geltenden Sprüchlein, daß „Kleider Leute machen“, auf der 
legten Stufe der Dafeinsmöglichkeit angelangt zu fein. Als ich mich 
nachher in einem Spiegel befah, wollte ich zuerſt gar nicht glauben, 


— 468 — 


daß ich mit der mir aus dem Spiegel entgegenſtaunenden Vogel- 
ſcheuchen⸗Spottgeburt befannt fei. 

Zu meiner Beruhigung begegnete ich ein paar gräßlich zerlumpten 
Bettelmönchen, die unftreitig noch ſchrecklicher ausjahen als ich mit 
meinen Getreuen. Bor Freude über dieje Gemißheit warf ich dem 
bieten blödfinnigen Trottel, der ohne Aufhören eine ſchmierige lederne 
Gebetsmühle drehte, eine Rupie in feinen Bettelſack, worauf fein 

Kumpan auf einer 

Trompete, die aus 

einem Menſchenkno⸗ 

Ken gemacht war, 

fo danfbarlich tutete, 

daß ich Hals über 

Kopf davonrannte. 

Beim St. Jo: 

ſeph Colleg erwar- 

tete mich der Pater 

Schäfer; in feinem 

herrlichen Bollbart 

ſah er aus wie der 

unvergeßliche Nie- 

Yuddpifiiige Bettel-Mufifanten. mann als Tannhäu⸗ 

ſer. Die Kulis hat⸗ 

ten ihm bereits meine glückliche Rückkehr gemeldet, und obwohl er 

ſich bei einer Miſſionsreiſe den Fuß gebrochen hatte, wollte er es ſich 

doch nicht nehmen laſſen, mich ſelbſt zu bewillklommnen. Bald ſaßen 

wir in feinem freundlichen Studierzimmer bei einem Glafe herrlichen 

portugiefifchen Rebenſaftes, und ich konnte ihm von der fernen herz= 

bewegenden Wundermelt des Kanſchendſchunga vorſchwärmen, deren 

ſchneeweiße Felder noch von dem zauberhaften Reiz des Wenig- 
gefannten umſchwebt find. 

Draußen auf dem Marktplag, ja felbft in der Umgebung, 


©. 108-0, 
Volksmenge, die den Berfaffer bei der Rüdtehe von Kanſchendſchunga begrüßt; vorn tibetilhe 
Mufitanten und Mastentänger, daneben einige europäilde Xheepflanzer mit Eonnengelmen, 


Sie, Google 





— 469 — 


hatte ſich inzwiſchen ſchon das Gerücht meiner ſo glücklich abgelaufnen 
Reife als Bazargeſpräch mit Windeseile verbreitet, und wohin ich 
nun fam, ftanden wahre Volksmauern, um mich anzuftaunen, denn daß 
mir die Buths, die böfen Bergdämonen, nicht Doch noch ſchließlich meinen 
weißen Hal3 umgedreht hatten, ſchien den braunen Leutchen ein uns 
begreifliches Wunder. Durch eine tibetifche Schamanenhorde, die grade 
nach Dardſchiling gelommen war, ließ mir ein befreundeter Theepflanzer 
ſogar einen großartigen Bewilltommnungstanz darbringen, der mir 
durch ihre ſeltſamen blauen, mit weißen, glüd- 
bringenden Kaurimufcheln beſetzten Tuchmas⸗ 
fen, ihre unerhörten Zuftiprünge und noch 
mehr durch die furchtbare Muſik der Bande 
zeitlebens unvergeßlich bleiben wird. 

Nach meinen Nachtlagern auf Geröll und 
Schnee und Ei und Sumpf und nad) den 
einfachen, faſt dürftigen Geniffen meiner 
Biwakküche erfchien mir das Hotel Woodland 
wie ein Land, wo Milh und Honig floß. 
Weit erquidender war aber für mein nur IN 
noch an die robuften Geftalten dreifter Kuli- 
weiber gewöhntes Auge die liebreizende Tafel- 





runde, die zu jener Zeit Dardſchiling mit Zibetifhe Shamanen- 
ihrer Anmut verflärte. Auch eine deutjche m. Aeurimahen sek 


Dame war darunter, doch wage ich nicht, hier 


ihren Namen zu verraten. Manch freundlicher Blick bewies mir dort, 


daß felbft diefe zarten Frauenherzen nachfühlten, mas für herrliche 
Weiheftunden meine Seele in der wunderbaren Alpenmwelt gefeiert 
haben mochte, die am Horizont von Dardichiling emporragt. 

Mit mwachjender Freude rief ich dann in ftiller Nacht beim 
rötlichen Schimmer der photographifchen Lampe die Formen des 
Hochgebirge3 hervor, in dem mir zu wandern vergönnt gewefen war. 
Doch ad, nur ihre Umriffe konnte ich feithalten und dem Lefer 





bier vorlegen; der Odem des Weltſchöpfers, der mich in jenen 
Tempeln der Natur ummeht, der heilige Schauer, der mich angeſichts 
diefer unermeßlichen Naturſchönheit durchriefelt Hatte, vermag nicht 
aus diefen Bildern zu fprechen. — 

Iſt es mir gelungen, die Eigentümlichkeiten der indifchen Alpen 
welt in anfchaulicher Weife zu jchildern und vielleicht auch ein 
weniges von dem, was mich bei Leid und Luft in ihren Tiefen und 
auf ihren Höhen bewegt hat, im Gemüt des freundlichen Leſers mit- 
Mingen zu lafjen, jo betrachte ich meine Aufgabe als erfüllt. Alen 
Eindrüden völlig gerecht zu werben, konnte mir fehwerlich gelingen, 
denn ſchon der uralte indifche Sang der Manas-Khanda Purana 
rühmt den unfagbaren Zauber des Himalaja mit den Worten: 

„Hunderte von Menjchenaltern reichen nicht hin, die Herrlichkeit 
des Himachal auszuerzählen. Wie der Tau vor der Morgenfonne 
zerfließt, fo vergeht alles Gemeine beim Anblick dieſer ewig reinen 
‚Heimat de3 Schnees‘!" 


Altarlöwe; Repal, 





Übersichtskarte 















zu | 
— DBOECKS REISE 
II — im westlichen 
Kg,  CENTRAL- HIMALAYA.|| 
N ” Maßstab 1:376.000 
we * ⁊ fi — a 2 —E 
ge — — — Kilometer 
TTS DT Boccks Reiseroute “ | 
i Me a beseichnet: trigenometrisch bestimmiz,- 
| I % barometrisch gemessene Höhen, die in engl. Fuss | 
! 


o bedeutet 


Hirtenplatz oder Dorf, xLagerplata, 
Pass, Gletscher 























Sie, Google 








Deutsche Verlags- -Anstalt.in Stuttgart. 


Alpine Prachtwerke ersten Ranges, 


Wanderbilder dus den Dolomiten 
von Theodor Wundt. 
Herausgegeben von der Sektion Berlin des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. 
In Farben gesetst von Maler Professor G.lerätle. 


16 Lahtäreehtaeln (davon 8 mehrlarbig) In Imparlalfermat nach pheisgraphischen Origlal-Iefuahmen mit Ilneeiertem Pet. 
In hocheleganter Mappe „4 30.— 


Ein Prachtwerk allerersten Ranges. welch 








Ein Werk, das nicht nur die Bergsteigerwelt 
das Entzücken aller Kunstfreunde, insbeson- | 'sseln wird, sondern das auch als eine Fost- 
dere aber der alpinen Kreise, erregen wird. gabe Seelgmot erscheint, wie sie in Inhalt und 
Nitkeitungen vornehmer Ausstattung nicht achöner gedacht 

Ipenvereins, Berlin. | werden kann.  Illustrirte Zeitung, Leiprig. 





des Deutschen 








- i 
Probe einer der kleineren Illustrationen aus „Wanderungen in den Ampezaaner Dulomiten“, 


Wanderungen in den Ampezzaner Dolomiten 
von Theodor Wundt. 


Herausgegeben von der Sektion’ Berlin des Deutschen und Oestorreichischen Alpenvereins. 
Mit 71 Text-Ilastrationen, 38-Einschaltbildern und einer farbigen Karte, 
Zweite Auflage. In farbigem Original-Einband ‚4 20. 








Wundt ist nicht nur ein kühner Bergsteiger, sondern auch oin origineller Schilderer, 
der durch die lebendige Darstellung scinor Rriebnisse packend und spannend auf den Leser 
einwirkt und last not least seinen Darstellungen durch die inmitten der schwierigsten 
„Arbeit gemachten photographischen Aufnahmen eine geradezu dramatisch, zu nennende 
Wirkung verleiht. st für Alle, Mönchen. 








Grandioses Prachtwerk 


2 Blatt mitScenen aus | Wir behalten vom ganzen Prachtwerk den 
Carlsbad. dem Badeleben, lund- Eindruck, dass Carlshad in W. Gause den be- 
sehaftlichen und architektonischen Ansicht rufensten Maler gefunden hat, der im klaren 
in Kupferdrucken nach Oelgemälden von W. | Spiegeliseiner Kunst das Bild des internatio- 
Gauso. In feinster Prachtmappe mit Titelbild | nalen Weltkurorts treu, heiter und wahr fest- 
in farbigem Lichtdruck, 4 10.— hielt. Allgemeine Kunstchronik, Leipzig. 















Zu besiehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, 














Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart. 


Illustriertes Prachtwerk ersten Rang: 





und Pracht de 
Ausstuttung 
eine der 
vrossartigeien 
Leistungen 
des deutschen 
Bücher- 
marktes. 
Deutsche 
Kundschm, 
Bern 


pten 


3 Wort. 


ı ersten Künstlern. 
ben 


Sbers, 
t-llustrationen 
arten. 


erte Auflage. 
le. 
nd mit Goldschnitt 


h mach und nach in 
nreh jede Buckbaad- 
worden, 


nten Ranges. ein 
Richtung. sowob! 
n Inhalt als die 
ng der beigegebe- 
ifft, kaum zu über- 
ne Zeitung, Berlin. 
ırch das 

f 

ı Aegypten. 
buch 

le des Nillandes. 


und geb. „4 13.— 


KANDRIA. Ein treffliches Buch für Jung und 
«dem Prachtwerk Alt, glanzvoll ausgestattet, 
Bene freie Presse, Wien. 


Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Anslandes. 





PHARUS IM ALTE 
Peote einer der kleineren Iluntratio 
ARGYPIEN 








Sie, Google 










m — 


THB NEW YORK PUBLIC LIBRARY 
REFERENCE DEPARTMENT 


This book is under no 
taken from the 





umstances to be 















































TFA FIT V 


— ana 


Sie, Google