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Marine Biological Laboratory
WOODS HOLE. MASSACHUSETTS
IN MEMORY OF
Edward Gardiner Gardiner
1854-1907
Intracellular Pangenesis.
Von
Hugo de Yries,
ord. Prof, der Botanik an der Universitat von Amsterdam.
An organic being is a microcosm, a
little universe, formed of a host of self-
propagating organisms, inconceivably
minute and numerous as the stars in
heaven.
Darwin, Pangenesis.
Jena.
Verlag von Grustav Fischer.
1889.
3x5 3
Inhaltsubersicht.
Seite
Einleitung 1
Erster Theil.
Pangenesis.
Abschnitt I. Die gegenseitige Unabhangigkeit tier erblichen
Eigenschaften.
§ 1. Die Zusammensetzung der Artcharaktere aus den erblichen
Eigenschaften 7
§ 2. Die Uebereinstimmung in den Unterschieden zwischen Arten
und Organen 11
§ 3. Die Uebereinstimmung zwischen den sekundaren Sexual-
charakteren und den Artmerkmalen 15
§ 4. Das Variiren der einzelnen erblichen Eigenschaften, unab-
hangig von einander 16
§ 5. Die Mischung der erblichen Eigenschaften 22
§ 6. Kreuz- und Selbstbefruchtung 27
§ 7. Schlussfolgerungen 31
Abschnitt II. Herrschende Ansichten iiber die Trager
der erblichen Eigenschaften.
Erstes Kapitel. Die chemischen Molekiile des
Protoplasma in ihrer Bedeutung fur die
Theorie der Erblichkeit.
§ 1. Einleitung 33
§ 2. Protoplasma und Eiweiss 38
§ 3. Elsberg's Plastidule 41
IV
Seite
Zweites Kapitel. Die hypo the tisehen Triiger
der Artcharaktere.
§ 4. Einleitung 47
§ 5. Spencer's physiologische Einheiten 48
§ 6. Weismann's Ahnenplasmen 51
§ 7. Nageli's Idioplasma 55
§ 8. Allgemeine Betrachtungen 58
Drittes Kapitel. Die hypothetis chen Trager
der einzelnen erblichen Eigenschaften.
§ 9. Einleitung 60
§ 10. Darwin's Pangenesis 61
§ 11. Kritische Betrachtungen 65
§ 12. Schluss 68
Zweiter Theil.
Intracellulare Pangenesis.
Abschnitt I. Zellularstanimbauine.
Erstes Kapitel. Das Auflosen der Individuen in
die Stammbaunie ihrer Zellen.
§ 1. Zweck und Methode 75
§ 2. Die Zellularstammbaume der Homoplastiden 78
§ 3. Der Zellularstammbaum von Equisetum 80
§ 4. Die Hauptziige in den Zellularstammbaumen 86
Zweites Kapitel. Spezielle Betrachtung der
einzelnen Bahnen.
§ 5. Die Hauptkeimbahnen 90
§ 6. Die Nebenkeimbabnen 92
§ 7. Die somatischen Bahnen 98
§ 8. Ueber den Unterschied zwischen somatischen Bahnen und
Keimbahnen 101
§ 9. Phyletische, somatarche und somatische Zclltheilung . . . 105
Drittes Kapitel. Weismann's Theorie des
Keimplasmas.
§ 10. Die Bedeutung der Zellenstammbaume fiir die Lehre vom
Keimplasma 107
§ 11. Die Ansichten der Botaniker Ill
§ 12. Entscheidung durch das Studiuin der Grallen 116
V
Seite
Abschnitt II. Panmeristische Zelltheilung.
Erstes Kapitel. Die Organisation der
Protoplast e.
§ 1. Die sichtbare Organisation 120
Zweites Kapitel. Historische und kritische
B e t r a c h t u n g e n.
§ 2. Die neogenetische und die panmeristische Auffassung der
Zelltheilung 123
§ 3. Die Zelltheilung nach dem Typus Mohl's 130
§ 4. Regeneration der Protoplaste nach Verwundung .... 136
Drittes Kapitel. Die. iutonomie der einzelnen
Organe der Protoplaste.
§ 5. Zellkern und Trophoplaste 141
§ 6. Die Vacuolen 148
§ 7. Die Beziehung zwischen Hautschicht und Kornerplasnia . 155
§ 8. Die fragliche Autononiie der Hautschicht 159
Abschnitt III. Die Funktionen der Zellkerne.
Erstes Kapitel. Historische Einleitung.
§ 1. Historische Einleitung 166
Zweites Kapitel. Die Befruchtung.
§ 2. Die Kopulation der Zygosporeen 168
§ 3. Die Befruchtung der Kryptogamen 171
§ 4. Die Befruchtung der Phanerogamen 174
Drittes Kapitel. Die Uebertragung der erblichen
Eigenschaften aus den Kernen auf die iibrigen
Organe der Protoplaste.
§ 5. Die Hypothese der Uebertragung 176
§ 6. Beobachtungen iiber den Einfluss des Kernes in der Zelle 180
Abschnitt IV. Die Hypothese der intracellularen
Pangenesis.
Erstes Kapitel. Pangene in Kern und
Cytoplasm a.
§ 1. Einleitung 187
§ 2. Aufbau des ganzen Protoplasma aus Pangenen 190
VI
Seite
§ 3. Aktive und inaktive Pangene 194
§ 4. Ueber den Transport der Pangene 196
§ 5. Vergleichung mit Darwin's Transporthypothese .... 202
§ 6. Ueber die Vermehrimg der Pangene 208
Zweites Kapitel. Zusammenfassung.
§ 7. Zusammenfassung der Hypothese der intracellularen Pan-
genesis 211
Einleitung.
Im Jahre 1868 hat Darwin, im zweiten Bande seines
"beruhmten Werkes The variation of animals and
plants under domestication, die provisorische Hypo-
these der Pangenesis aufgestellt. Der Erorterung dieser
Hypothese geht eine meisterhafte Uebersicht iiber die zu
erklarenden Erscheinungen voran. Durch diese, so wie
durch die klare Auffassung des ganzen Problems, hat dieser
Abschnitt seines Buches die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich gezogen. In fast alien Werken, welche allgemeine
biologische Fragen beriihren , finden wir ihn besprochen.
Wahrend aber der allgemeine Theil des Abschnittes bis
jetzt die Grundlage fiir alle wissenschaftlichen Betrach-
tungen iiber die Natur der Erblichkeit geblieben ist, hat
sich die Hypothese selbst einer so allgemeinen Anerkennung
nicht erfreut.
Darwin geht davon aus (Variation II S. 369), dass
allgemein angenommen werde. dass die Zellen sich durch
Theilung vermehren und dass sie dabei im Wesentlichen
dieselbe Natur behalten. Dieser Satz bildet fiir ihn die
Grundlage der Erblichkeit. Aus ihm lassen sich aber
nicht sammtliche. von Darwin zusammengestellte Gruppen
<\e Vries, Intracellulare Pangenesis. 1
— 2 —
von Erscheinungen erklaren. Namentlich nicht die Wir-
kungen von Gebrauch und Nichtgebrauch, die direkte Ein-
wirkung des mannlichen Elementes auf das weibliche und
die Eigenschaften derPropf hybride. "Dm diesen Erscheinungen
Redlining zu tragen, ninimt Darwin an, dass neben der
Zelltlieilung noch eine andere Art der Uebertragung erb-
licber Eigenschaften bestehe. Jede Einheit des Korpers
gebe kleinste Theilchen ab, welche sich in den Keimzellen
und Knospen ansammeln. Diese Theilchen seien die Trager
der Eigenschaften derjenigen Zellen, von denen sie stammen,
und bringen diese somit auf die Keimzellen und Knospen
liber.
In den Eizellen , Pollenkornern , Sperrnazellen und
Knospen seien somit die sammtlichen erblichen Eigenschaften
des Organismus durch kleinste Theilchen vertreten. Diese
haben sie theils durch ihre Abstammung aus friiheren
Keimzellen, also auf direktem Wege, theils aber durch
spatere Zufuhr aus den Zellen und Organen des Korpers
erhalten. Diese kleinsten Theilchen sincl nicht die che-
mischen Molekiile, sie sind viel grosser wie diese und eher
mit den kleinsten bekannten Organismen zu vergleichen.
Darwin giebt ihnen den Namen g e m m u 1 e s , K e i m clie m
Die Annahme dieser Keimchen warf auf eine Reihe
von bis dahin vollstandig dunklen Thatsachen ein uner-
wartetes Licht. Und wenn man Darwin's Auseinander-
setzungen aufmerksam liest, so sieht man immer deutlicher
ein, dass fur ganze grosse Gruppen von Erscheinungen die
Uebertragung der Keimchen bei der Zelltlieilung, von der
Mutterzelle auf ihre Tochterzellen, vollig ausreicht. Nur
einzelne Gruppen von Thatsachen fordern daneben die
Transport-Hypothese. Namentlich die Lehre von den la-
tenten Eigenschaften und vom Atavism us wird durch Dar-
— 3 —
will's Hypothese aus ihrem friiheren Dunkel hervorgerufen,
und seine Besprechung dieses Gegenstandes (S. 368) zeigt
klar, welche grosse Bedeutung er diesem Umstande bei-
legte. Sie fordert aber offenbar nur die Uebertragung der
Keimchen bei der Zelltheilung, nicht den Transport aus
den wachsenden und erwachsenen Organen nach den Keini-
zellen.
Mir hat es immer gesclrienen, dass die meisten Schrift-
steller diese beiden Seiten der Hypothese nicht hinreichend
auseinander gehalten haben, und dass ihre Einwiirfe gegen
die Annahme eines Transportes sie dazu verfiihrt haben.
die prinzipielle Bedeutung der Keimchenlehre zu iibersehen.
Fur mich besteht Darwin's provisorische Hypothese
der Pangenesis aus den beiden folgenden Siitzen:
1. In jeder Keimzelle (Eizelle, Pollenkorn, Knospe u. s. w.)
sind die einzelnen erblichen Eigenschaften des ganzen Or-
ganismus durch bestimmte stoffliche Theilchen vertreten.
Diese vermehren sich durch Theilung und gehen bei der
Zelltheilung von der Mutterzelle auf ihre Tochter iiber.
2. Ausserdem werfen die sammtlichen Zellen des Korpers
zu verschiedenen Zeiten ihrer Entwickelung solche Theilchen
ab; diese liiessen den Keimzellen zu und iibertragen auf
diese die ihnen etwa fehlenden Eigenschaften des Organismus
(Transporthypothese).
Die zweite Annahme hatte audi fur Darwin bei
Pflanzen und Korallen nur eine beschrankte Tragweite.
indent er einen Transport von Keimchen aus dem einen
Aste in den andern nicht fiir moglich hielt. Auf die Ar-
beiterinnen der Ameisen und Bienen hatte sie keine An-
Avendung. Ebensowenig auf die von Darwin mehrfach be-
sprochenen gefiillten Levkojen, welche ja selbst keine Staub-
iaden und Fruchtanlagen besitzen und deren Eigenschaften
1*
— 4 —
somit clurcli die ungeflillten, fertilen Exemplare der Race
von der einen Generation auf die andere iibertragen werden
miissen. Und die Thatsachen, fur deren Erklarung die
fragliche Annahme aufgestellt wurde, haben in den zwanzig
Jaliren seit dem Erscheinen des Darwiirschen Buches
weder an Zahl nocli an Sicherheit gewonnen.
Zweifel an ihrer Nothwendigkeit sind somit wohl er-
laubt. Es ist ein Hauptverdienst Weisinann's, diese Zweifel
wiederholt betont und die ziemlich allgemein angenommene
Lehre von der Erblichkeit erworbener Eigenschaften er-
schiittert zu haben 1).
Liisst man aber mit diesem Forsclier die zweite An-
nahme fallen, so ist damit noch kein Grund gegeben, auch
den andern Theil der Hypothese der Pangenesis anzu-
zweifeln. Im Gegentheil, es scheint mir, dass dadurch
seine prinzipielle Bedeutung nur klarer zu Tage tritt.
Auch sind uberzeugende Einwiinde gegen diesen ersteren
Satz bis jetzt nicht vorgebracht worden, und keine andere
Hypothese iiber das Wesen der Erblichkeit tragt den
Thatsachen in so einfacher und klarer AVeise Rechnung
als diese.
Dennoch haben die meisten Schriftsteller mit der
Transporthypothese auch jene von den stofQichen Tragern
der einzelnen erblichen Eigenschaften als von selbst wider-
legt betrachtet und ihr kaum eine besondere Besprechung
gewidmet. Leider hat dadurch Darwin's Ansicht nicht
diejenigen Friichte ftir die Entwickelung unseres Wissens
J) Die Bezeichnung „erworben" ist nicht grade gliicklich ge-
wahlt. Es handelt sich um die Frage: ob Eigenschaften, welche in
somatischen Zellen entstanden sind, den Keimzellen mitgetheilt werden
konnen. Diese Moglichkeit wird von Weismann abgewiesen. Man
vergleiche den letzten Abschnitt des zweiten Theiles § 5.
getragen, welche ihr Urheber mit vollem Recht davon er-
wartet hatte.
Es soil nun im vorliegenden Aufsatz meine Aufgalje
sein, den Grundgedanken der Pangenesis, abgeschieden von
der Transporthypothese, auszuarbeiten unci mit den neuen
Thatsachen, welche die Lehre von der Befruchtung und
die Anatomie der Zelle zu Tage gefordert haben , zu ver-
binden.
Als Richtschnur betrachte ich dabei den Gedanken,
dass die Physiologie der Erblichkeit . und namentlicli die
Lehre von der Variability und dem Atavismus die zu er-
klarenden Erscheinungen anweisen, wahrend die niikrosko-
pische Erforschung der Zelltheilung und der Befruchtung
uns das morphologische Substrat jener Vorgange kennen
lehren. Nicht die morphologischen Einzelheiten jener Vor-
gange soil man zu erklaren suchen. dazu ist unsere Kennt-
niss noch viel zu beschrankt. Aber im Einzelnen das
stoffliche Substrat der physiologischen Prozesse aufzufmden.
<las sei, nach Darwin's Vorgang, unsere Aufgabe !
Als wichtigstes Ergebniss der Zellenforschung der letzten
Jahrzehnte betrachte ich den Satz. dass im Zellkern alle
erblichen Anlagen des Organismus vertreten sein mussen.
Ich werde zu zeigen versuchen, dass dieser Satz uns dazu
fiihrt, einen Transport von stoff lichen Theilchen anzu-
nehmen, welche Trager der einzelnen erblichen Eigen-
schaften sind. Jedoch nicht einen Transport durch den
ganzen Organismus , oder auch nur von einer Zelle zur
andern, sondern beschrankt in den Grenzen der einzelnen
Zellen. Vom Kerne aus werden die stofflichen Trager
der erblichen Eigenschaften den Organen des Protoplasten
zugefiihrt. In den Kernen sind sie zumeist inaktiv, in den
iibrigen Organen der Protoplaste konnen sie aktiv werden.
— 6 —
Im Kerne sind alle Eigenschaften vertreten , im Proto-
plasma jeder Zelle nur eine bescbrankte Zahl.
Die Hypotbese wird somit zur intracellular en
Pangenesis. Und die kleinsten Theilchen, welcbe je
Eine erbliche Eigenscbaft vertreten, werde icb, weil mit der
Bezeiclmnng „Keimchen" die Vorstellung eines Transportes
durcb den ganzen Organismus verbunden ist, mit einem
neuen Namen belegen und Pan gene nennen.
Erster Tlieil.
Pangenesis.
Abschnitt I.
Die gegenseitige Unabhangigkeit der erblichen Eigen-
schaften.
§ 1. Die Zusammensetzung der Artcharaktere aus
den erblichen Eigenschaften.
Unter den vielen Vorziigen. welche der Descendenz-
lehre fur die Erforschung der lebenden Natur eine so
hervorragende Bedentung verliehen haben, nimmt die Er-
schiitterung des alten Artbegriffes einen wichtigen Platz
ein. Friiher betrachtete man jede Art als eine Einheit
und die Gesammtheit ihrer Artmerkmale als ein einheit-
licbes Bild. Und sogar die neuesten Theorien der Ver-
erbung nehmen dieses Bild als eine der weiteren Zerlegung
nicht bediirftige Grosse an.
Betrachtet man aber die Artcharaktere im Lichte der
Abstammungslehre , so zeigt es sich bald , dass sie aus
einzelnen. von einander mehr oder weniger unabhiingigen
Faktoren zusammengesetzt sind. Fast jeden dieser letzteren
findet man bei zahlreichen Arten. und ihre wechselnde
Gruppirung und Verbindung mit den seltneren Faktoren
— 8 —
bedingt die ausserordentliche Mannigfaltigkeit der Or-
ganismenwelt.
Sogar die einfachste Vergleichung der verschiedenen
Organismen fiihrt, unter diesem Lichte, zu der Ueber-
zeugung von der zusammengesetzten Natur der Artmerk-
male. Das Vermogen, Chlorophyll zu erzeugen und mittelst
dieses am Lichte die Kohlensaure zu zersetzen , ist offen-
bar als eine Einheit zu betrachten, welche zu eineni grossen
Theile dem Pflanzenreich das eigenthiimliche Geprage ver-
leiht, welche aber manchen iui Systeme zerstreuten Gruppen
fehlt, und somit keineswegs uuzertrennlich mit den iibrigen
Faktoren der Pflanzennatur verbunden ist.
Andere Faktoren sind die Anlagen, welche manchen
Arten das Vermogen verleihen, bestimmte chemische Ver-
bindungen zu erzeugen. In erster Linie den rothen und
blauen Blumenfarbstoff, dann die verschiedenen Gerbsauren,.
die Alkaloide. atherische Oele und zahlreiche andere Pro-
dukte. Nur wenige unter diesen sind auf eine einzelne
Art beschriinkt, viele kehren bei zwei oder mehreren , oft
systematisch weit entfernten Arten zuruck. Es liegt kein
Grund vor, in jedem einzelnen Falle eine andere Ent-
stehungsweise fur dieselbe Verbindung zu vermuthen. viel-
mehr liegt es auf der Hand anzunehmen, dass demselben
Prozesse iiberall, wo wir ihn finden, der Hauptsache nach,
derselbe chemische Mechanismus zu Grunde liegen wird.
In ahnlicher Weise miissen wir auch eine Zerlegung
der morphologischen Merkmale der Arten als moglich an-
nehmen. Freilich ist die Morphologie bis jetzt noch bei
weitem nicht so weit vorangeschritten, dass sie eine solche
Analyse in jedem einzelnen Falle durchfiihren kann. Aber
dieselbe Blattform, dieselben groberen und feineren Ein-
schneidungen des Blattrandes kehren bei zahlreichen Arten
— 9 —
zuriick, unci schon die gewohnliche Terminologie lehrt.
class die Bilder sammtliclier Blattformen aus einer ver-
haltnissmassig geringen Zahl von einfacheren Eigenscbaften
zusammengesetzt sind.
Es ware iiberfliissig. die Beispiele zu haufen, sie sind
einem Jeden leicht zuganglich, unci es kommt nur darauf
an, sich in diese Gedanken so yollstandig einzuleben, class
man iiberall die Zusammensetzung des Bibles aus seinen
einzelnen Tbeilen klar durcbscbaut. Es zeigt sich claim,
dass der Cbarakter jeder einzelnen Art aus zahlreichen
erblicben Eigenscbaften zusammengesetzt ist. von denen
weitaus die meisten bei fast unzahligen anderen Arten
wiederkebren. Unci wenn audi zum Aui'bau einer einzelnen
Art eine so grosse Zahl derartiger Faktoren erforderlich
ist, dass wir fast vor den Konsequenzen unserer Analyse
zuriickscbrecken, so ist es doch andererseits klar, dass zum
Aufbau sammtliclier Organismen eine im Verbaltniss zur
Artenzahl geringe Anzabl von einheitlichen erblicben Eigen-
scbaften ausreicbt. Jede Art erscbeint uns bei dieser Be-
trachtungsweise als ein iiusserst komplizirtes Bild. die
ganze Organismenwelt aber als das Ergebniss unzabliger
verscbiedener Kombinationen unci Permutationen von relativ
wenigen Faktoren.
Diese Faktoren sind die Einbeiten, welcbe die Wissen-
schaft von der Vererbung zu erforschen hat. "Wie die
Pbysik und die Cbemie auf die Molekiile und die Atome
zuriickgeben, so haben die biologiscben Wissenschaften zu
diesen Einbeiten durcbzudringen. um aus ibren Verbindungen
die Erscbeinungen der lebenden AVelt zu erklaren.
Pbylogenetiscbe Betracbtungen fiibren zu denselben
Schliissen. Die Arten sind allmablig aus einfacheren Formen
bervorgegangen, und zwar dadurcb, dass zu den vorhandenen
— 10 —
Merkmalen nach einander neue und immer weitere hinzu-
gekommen sind. Die Faktoren, welche den Charakter einer
einzelnen Art zusammensetzen, sind also in diesem Sinne
von ungleichem Alter ; die Merkmale der grosseren Gruppen
im Allgemeinen alter als die der kleineren systematisclien
Abtheilungen. Aber grade die Ueberlegung , dass die
Merkmale einzeln oder in kleinen Gruppen erlangt worden
sind, zeigt uns wiederum von einer andern Seite ihre gegen-
seitige Unabhangigkeit.
Es ist eine auffallende , aber bei weitem nicbt bin-
reicbend gewiirdigte Thatsache, dass oft in entfernten
Tbeilen des Stammbaumes dieselbe Eigenscbaft von ganz
verscbiedenen Arten entwickelt worden ist. Solcbe „parallele
Anpassungen" sind ausserst zablreicb, und fast jede ver-
gleicbende Behandlung einer biologiscben Eigentbumlicb-
keit weist uns davon Beispiele auf. Die insektenfressenden
Pflanzen gehoren den verscbiedensten natiirlicben Familien
an, dennocb besitzen sie alle das Vermogen, aus ihren
Blattern das zur Auflosung von Eiweisskorpern erforder-
licbe Gemenge eines Enzymes und einer Saure bervorzu-
bringen. Die von Darwin bervorgebobene Uebereinstimmung
dieses Gemenges mit dem Magensaft der hoheren Thiere
berecbtigt sogar zu der Annabme von erblicben Eigen-
scbaften, welche jenen Pflanzen und dem Thierreich gemein-
schaftlicb sind.
Die einbeimiscben rankenden und scblingenden Ge-
wiichse. die tropischen Lianen. die Knollen- und Zwiebel-
pflanzen. die fleischigen, blatterlosen Stamme der Cacteen
und Eupborbiaceen, die Pollinien der Orchideen und As-
clepiadeen und zahllose andere Beispiele weisen uns solcbe
parallele Anpassungen auf. Sehr schone Bilder liefern
einerseits die Wiistenpflanzen , welche sich alle in irgend
— 11 —
einer Weise gegen die Nachtheile der Verdunstung zu
schiitzen suchen, und deren anatomische Verhaltnisse von
Volkens so eingehend geschildert worden sind a). Anderer-
seits die Ameisenpflanzen, in deren Anpassungen an schad-
liche und niitzliche Ameisenarten uns Schimper einen Ein-
blick eroffnet hat -).
Ueberall sehen wir, wie eine und dieselbe erbliche
Eigenschaft, oder wie eine bestimmte kleine Gruppe von
solchen mit den verschiedensten anderen erblichen Eigen-
schaften verbunden werden kann . und wie durch diese
ausserst variirten Verbindungen die einzelnen Artcharaktere
zu Stande kommen.
§ 2. Die Uebereinstimmung in den Unterschieden zwischen
Arten und Organen.
Zu ganz ahnlichen Polgerungen, wie die Vergleichung
der Arten unter sich. fiilirt uns auch die Vergleichung der
Arten mit den Organen eines einzelnen Individuums. Denn
die Verschiedenheiten zwischen diesen letzteren konnen wir
in derselben Weise auf die verschiedenartigenKombinationen
der einzelnen erblichen Eigenschaften zuruckfiibren.
Schon die einfachste Betrachtung lehrt uns dieses.
Wie das Chlorophyll manchen Arten fehlt, so fehlt es auch
in den hoheren Gewachsen einzelnen Organen und Geweben.
Der rothe Blumenfarbstoff ist auf bestimmte Pfianzenspezies.
und in diesen auf bestimmte Organe beschrankt. Gerb-
saure, atherische Oele und dergleichen pflegen, wo sie vor-
handen sind, eine lokale Verbreitung aufzuweisen. Der
J) G. Volkens, Die Flora der Aegyptisch-Arabischen Wiiste.
2) A. F. W. Schimper, Die Wechselbeziehungen zwischen Pflanzen
and Ameisen im tropischen Amerika, in dessen Botan. Mittheilungen
aus den Tropen, Band I, Heft 1. 1888.
— 12 —
oxalsaure Kalk fehlt den meisten Farnen unci Grasern, unci
andererseits den Wurzeln vieler kalkreiclier Arten. Das-
selbe gilt, wie der Augenschein lehrt, von den morpho-
logischen Merkmalen ; davon brauche ich keine Beispiele
anzufiihren. Denn man wird mir wohl zugeben, dass eine
sehr grosse Uebereinstimmung obwaltet zwischen der Weise.
in der sich die Organe einer einzelnen Pflanze von ein-
ander unterscheiden. und den Unterschieden zwischen zweien
differenten Arten. Beide beruhen offenbar auf wechseln-
den Verbindungen und wechselnder Auswahl aus einer
grossen Reihe gegebener Faktoren.
Eine Reihe von Erscheinungen. welche wir unter dem
Namen der Dichogenie zusammenfassen konnen , fiihrt
zu ahnlichen Schlussfolgerungen. Ich meine alle jene Falle.
wo die Natur eines Organes wahrend seiner ersten Anlage
nocli nicht entschieden ist, sondern noch durch aussere
Einfliisse bestimmt werden kann. So bilden die Auslaufer
der KartofFelpflanze unter normalen Verhaltnissen an ihrer
Spitze die Knollen, am Lichte aber, oder wenn der Haupt-
stengel abgeschnitten worden ist, wachsen sie zu griinen
Trieben aus. Durch Abschneiden des Stengels kann man
die Rhizome von Mentha, Circaea und vielen anderen
Pflanzen zu aufgehenden Stengeln werden lassen, und merk-
wiirdig sind die Umbildungen, welche die dicken, fast ruhen-
den Rhizome von Yucca nach solcher Behandlung auf-
weisen. Auf ahnliche Weise gelang es GriJbel die Anlagen
von Bracteen zu griinen Blattern werden zu lassen !), und
Beyerinck beobachtete sogar dieUmbildung jungerKnospen
von Rum ex Acetosella in Wurzeln'2).
x) K. Gobel, Beitrage zur Morphologie und Physiologie des
Blattes. Botan. Zeitung 1882 S. 353.
2) M. W. Beyerinck , Beobachtungen und Betrachtungen iiber
— 13 —
Es ist klar, class in solchen Fallen in den jungen An-
lagen das Vermogen ruht, sicli in zwei verschiedenen Rich-
tungen zu entwickeln. Grade deshalb mochte icli auf diese
Erscheinung den Namen Dicliogenie anwenden. Und es
bangt offenbar von ausseren Einfliissen ab , welcbe Rich-
tung eingescblagen wird. Es muss somit unter den vor-
bandenen erblicben Eigenscbaften der Art eine Wahl ge-
troffen werden, und auf diese Wabl konnen wir durcb
kiinstliche Eingriffe einen Einfiufs ausiiben. Fiir die Lebre
von den erblichen Eigenscbaften sind solcbe Versuche also
vom hocbsten Interesse.
Hier scbliessen sicb in einfacber AVeise die Erscbei-
nungen der Knospenvariation an. Zablreicbe unter ihnen
sind Falle von Atavismus. Wahlen wir ein Beispiel. An
buntblattrigen Pflanzen beobacbtet man baufig einzelne
griine Zweige. Da die bunte Pfianze von griinen Vorfabren
abstammt. so l)etracbtet man diesen Fall als Riickschlag.
Das bunte Individnum besass offenbar die Eigenscbaften
der griinen Vorfabren noch im latenten Zustande; dureb
Knospenbildnng spaltete sie ibren ganzen Cbarakter aber
derart, dass in dem einen Zweige die bunte Miscbung, im
andern die griine Farbe zur Oberberrscbaft gelangte.
Als ein weiteres Beispiel von Knospenvariation mocbte
icb noch die Nectarinen anfubren. Diese sind unbehaarte
Pnrsiche? welcbe auf mebreren Sorten, und auf einzelnen
dieser zu wiederbolten Malen durcb Knospenvariation ent-
standen sind. Es liisst sicb diese Tbatsache nur so auf-
fassen, dass man sagt, es konne das Vermogen bebaarte
Friicbte zu bilden, leicht und unabbiingig von alien anderen
Wurzelknospen und Nebenwurzeln. Veroffentl. d. d. k. Akad. d. Wiss.
Amsterdam 1886 S. 41—43. Vergl. audi Tafel I Fig. 9.
— 14 —
Eigenschaften in einzelnen Zweigen verloren gehen, oder
doch latent werden.
Die durcli Knospenvariation entstandenen Merkmale
pflegen bei der Vermehrimg durch Propfen, Stecklinge u. s. w.
erhalten zu bleiben, und sind sogar in einzelnen Fallen
samenbestandig. ISTeue Varietaten konnen soniit auf diese
Weise geziichtet werden. Und da wir die Varietaten als
beginnende Arten betrachten , spriclit aucli diese Ueber-
legung fur dieUebereinstimmung zwischen denUnterschieden
von Arten und Organen.
An die Knospenvariationen schliesst sich nun weiter
ungezwungen die Betraclitung monoecischer Gewachse an.
Denn sie stimmen mit jenen darin iiberein, dass verschiedene
Zweige verschiedene Eigenschaften zur Entfaltung gelangen
lassen. In der jungen Pflanze sind die Geschlechter noch
nicht getrennt; sie behalt, oft durch lange Zeit? das Ver-
mogen, beide hervorzubringen. Schreitet sie aber dazu, so
thut sie dieses durch eine Art von Entmischung: die eine
Knospe wird zu einer mannlichen, die andere zu einer weib-
lichen Bliithe. Oder es werden mannliche und weibliche
Innorescenzen hervorgebracht, oder ganze Aeste sind vor-
wiegend weiblich und andere mannlich. Der Artcharakter
war in der jungen Pflanze also als Ganzes, aber im latenten
Zustande vorhanden, urn sich zu anssern, musste er sich
erst in seine beiden Haupttheile siialten.
Organbildung , Knospenvariation und die Produktion
mannlicher und weiblicher Zweige an monoecischen Ge-
wachsen beruhen also auf einer Art Entmischung. Die in
der jungen Pflanze vereinigten Anlagen trennen sich von
einander, um zur Entfaltung gelangen zu konnen. Und die
Gruppirung der erblichen Eigenschaften in den einzelnen
Zweigen und Organen zeigt eine sehr grosse Ueberein-
— 15 —
stimmung mit der Zusammenfugung solcher Eigenschaften
zu den verschiedenen Artmerkmalen verwandter Organismen.
§ 3. Die Uebereinstinimung zwischen den sekundaren
Sexualcharakteren nnd den Artmerkmalen.
In ahnlicher Weise wie im vorigen Paragraphen
weiter gehend. wollen wir jetzt die sekundaren Sexual-
charaktere in den Kreis unserer Betrachtungen herein-
ziehen. Denn sie fiihren zu genau derselben Auffassung
des Artcharakters.
Man siebt dies am klarsten in jenen Fallen, wo die
beiden Sexen derselben Art bei ihrer ersten Entdeckung als
verscliiedene Arten beschrieben worden sind. Doch audi
sonst sind die sekundaren Unterscbiede zwischen den In-
dividuen der beiden Sexen von derselben Ordnung wie die
Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten in der-
selben und in verwandten Gattungen.
Aehnlich verhalt es sich mit jenen Pflanzen , welche
auf verschiedenen Individuen Bliithen tragen, deren Ge-
schlechtsorgane konstante Differenzen auiweisen, den so-
genannten Fallen der Heterostylie. Bei den Primeln unter-
scheidet man die langgrifflige und die kurzgrifflige Form,
bei Flachsarten kommen drei verscliiedene Bliithenformen
auf verschiedenen Individuen vor.
Obgleich hier die zwei oder drei verschiedenen Gruppen
von derselben Art angehorigen Individuen weder im Ge-
schlechte , noch der Generation nach verschieden sind,
unterscheiden sie sich doch durch Merkmale, welche eben-
so konstant und von derselben Ordnung sind wie die den-
selben Organen entnommenen Artmerkmale in verwandten
Gattungen.
— 16 —
Anliangsweise soil liier audi der Generationswecbsel
betrachtet werden. Denn audi liier sind die Unterschiede
zwischen den physiologisch ungleichwerthigen Individuen.
welche hier den verschiedenen Generationen angeh<3ren.
von derselben Ordnung wie Artmerkmale. Dieses lebren
uns die Uredineen und die Cynipiden nnd alle jene Fiille.
wo das Vorhandensein eines Generationswechsels erst ent-
deckt wurde, nachdem die einzelnen Formen als Arten be-
schrieben und verscliiedenen Gattungen und Familien im
Systeme eingereilit worden waren. Und noch heute ist es
unmoglich, die Zusammengehorigkeit zweier Formen auf
morphologischer Grundlage zu beweisen : nur der Kultur-
versucb bringt die Entscheidung. Die aufeinander folgen-
den Wechselgenerationen sind nicht auf dieselbe Grund-
form zuriickzufiihren. jede setzt ihre Merkmale durcb eine
andere Auswabl aus den vorbandenen erblicben Anlagen
der Art zusammen.
Fassen wir nun das Ergebniss dieses und der beiden
vorigen Paragrapben zusammen, so zeigt sicb , class jede
eingebende Betracbtung des Artcbarakters und jede Ver-
gleicbung mit anderen Merkmalen dazu fiihrt, ersteren als
ein zusammengesetztes Bild aufzufassen. dessen Komponenten
in den verscbiedensten Weisen miscbbar sind.
§ 4. Das Variiren der einzelnen erblichen Eigenschaften
unabhangig von einander.
Die vergleicbende Betracbtung der Organismenwelt
fiibrte uns zu der Ueberzeugung, dass die erblicben Eigen-
scbaften einer Art,, wenn audi auf verschiedenen Weisen
mit einander zusammenhangend, doch prinzipiell selbstilndige
Einbeiten sind, aus deren Vereinigung der Artcbarakter
— 17 —
liervorgeht. Wir wollen jetzt untersuchen, ob dieseFolgerung
durch das Experiment bestatigt wird, oder nicht.
Dazu wenden wir uns zu den Versuchen liber Varietiiteii-
bildung, namentlicli zu denjenigen , welche von Pflanzen-
ziiclitern im Grossen angestellt worden sind. Diese leliren
uns nun, class fast jede Eigenscbaft unabhangig von den
anderen variiren kann. Zablreiche Varietiiten unterscbeiden
sicb nur in einem Merkmal von ibren Stammformen. wie
/.. B. die weissen Spielarten rothbliithiger Spezies. Die
rothe Farbe gebt in der Krone in alien Abstufungen in
Weiss iiber, sie kann nicht, nur in den Bliithen. sondern
audi in den Stengeln unci Blattern feblen oder vorkonimen.
iiberbaupt in jedem denkbaren Grade entwickelt sein, obne
dass irgend eine anclere erblicbe Eigenschaft notwendiger-
weise mit in Variation gebracht wtirde. In derselben AVeise
konnen die Bebaarung. die Bewaffnung niit Dornen unci
Stacbeln, die grime Farbe der Blatter, jede fiir sicb allein
variiren unci sogar ganz verscbwinden, wahrend alle iibrigen
erblicben Eigenscbaften vollig unverandert bleiben. Oft
variiren zusammengeborige Merkmale gruppenweise, obne
auf die iibrigen Gruppen einen Eintluss auszuiiben. So
gebt eine Vermebrung der Zabl der Blumenblatter nicht
selten mit blumenblattalmlicher Entwickelung des Kelcbes
oder der Hocbblatter zusammen, wabrend sonst die Pflanze
normal bleibt. Icb kultivire einen Dipsacus sylvestris.
welcber in der Blattstellung alle denkbaren Abwecbslungen
aufweist, sonst aber in Tausenden von Exemplaren konstant
ist. Das Papav er s omnif eruni p olyc ephal um weicht
nur in cler Umbildung zablreicher Staubgefasse in Frucbt-
blatter ab, ebenso das kultivirte Sempervirum t e c t o r u m.
SolcberBeispiele giebt es, sowobl im Pflanzenreich als wie im
Tbierreicb, so zahlreicbe , class das unabbangige Variiren
de Vries, Intracellular Pangenesis. 2
— 18 —
einzelner Merkmale Regel. das Zusammenvariiren melirerer
aber Ausnahme ist. Allerdings liisst sich meist nicht ent-
scheiden, ob das betreffende Merkmal durch eine einzelne,
oder durch eine kleine Gruppe von erblichen Eigenschaften
bestimmt wird.
Andererseits liisst sich eine Haufung melirerer Varia-
tionen in einor Race leicht bewirken , und kommt solche
sowohl in den Kulturen als in der freien Natur ganz ge-
wohnlich vor. Aber in den hinreicliend genau kontrolirten
und beschriebenen Fallen pflegt sich dann zu zeigen, dass
die einzelnen Variationen nicht gleichzeitig, sonclern nach
und nach aufgetreten sind, und dieses reicht hin, um ihre
Selbstiindigkeit zu beweisen.
Eine derart von den ubrigen isolirte erbliche Eigen-
schaft kann nun Gegenstand experimenteller Behandlung
werden. Durch geeignete Zuchtwahl lasst sie sich all-
mahlig starken oder schwachen , und je nach der Willkur
des Zlichters in ein bestimmtes Verhaltniss zu den ubrigen
unveranderten Merkmalen bringen. Die rothe Farbe der
Blutbuche ist so weit verstarkt worden, dass sogar der Zell-
saft in den lebendigen Zellen des Holzes lebhaft roth
wurde, die Fiillung der Bluthen geht mehrfach bis zmn
volligen Schwinden der Geschlechtsorgane. Und in zahl-
reichen Fallen werden nur die der AVahl unterworfenen
Organe veriindert, die ubrigen bleiben davon unbetroffen.
Die Anpassung der landwirthschaftlichen Kulturpflanzen
an die Bediirfnisse des Menschen und der Gartengewachse
an sein Schonheitsgefiihl zeigt uns dies in klarster Weise.
Die experimentelle Behandlung 1'tihrt weiter zu dem
Studium des Einflusses ausserer Umstande auf die Ent-
faltung der erblichen Eigenschaften. Auch dabei erweisen
sich diese als Faktoren , deren jede unabhangig von den
— 19 —
anderen variiren kann. Gegenstancl des Studiums sind
namentlich junge Varietaten und alle solche. welche nooh
nicht hinreichend fixirt worden sind. wo also aussere Ein-
tiiisse noch eine bedeutende Rolle spielen bei der Beant-
wortung der Frage, ob aus einem gegebenen Keime ein
echtes oder ein atavistisches Tndividnnm hervofgehen wird.
Ilimpau und Andere liaben gelehrt, dass Storungen und
Unterbreclmngen des Wachsthums einen hervorragenden
Einfiuss iiben auf die Anzahl der einjahrigen , durch-
scbiessenden Exemplare auf einem Riibenacker, bei gegebenem
Samen1). Und in der gartnerischen und teratologischen
Literatur finden sicb zahlreiche Angaben zertreut. aus denen
die Bedeutung ausserer Eintliisse im Ganzen und Grossen
klar bervorgelit. Der experimentellen Forschung aber er-
offnet sicb bier ein weites, last unbetretenes Feld. In
tbeoretiscber Hinsicht wird es auf diesem die Hauptauf-
gabe sein, die Variationen in den erblicben Eigenschaften
soviel wie moglich zu isoliren, uni auf diesem Wege zur
Erkenntniss der einzelnen Paktoren des betreffenden Art-
charakters zu gelangen.
Die Variationen, welche wir in der freien Natur be-
obacbten, erscheinen uns haufig wie plotzlich entstanden.
und dasselbe gilt von Kulturen im Kleinen oder bei un-
vollstandiger Kontrole der einzelnen Individuen. Die Er-
fahrung an Kulturpfianzen in den ersten Jabren nacb dem
Anfange der Kultur lebren aber. dass die Abweichungen
nur langsam und allmahlig sicb entwickeln. und dass die
abgeanderten Einflusse in der Kegel mebrere Generationen
hindurch wirken miissen . bevor sie ihren Effekt derartig
J) A. W. Rimpau, Das Aufschiessen der Runkelriiben , Land-
wirtschaftl. Jahrbucher 1880 S. 191.
2*
— 20 —
haufen konnen, dass er siclitbar zu Tage tritt T). Die dies-
beziiglicben von Darwin zusammengestellten Tbatsachen
macben ganz den Eindruck, als ob die neuen Cliaraktere
erst nur ini latenten Zustande entsteben , und in diesem
allmahlig an Starke gewinnen, bis sie endlich denjenigen
Grad erreichen, der zum Siclitbarwerden erforderlich ist.
Aucb bier muss man also annehmen, dass jede erblicbe
Eigenscbaft in jedem Grade mit den iibrigen mischbar ist.
Die Selbstandigkeit der erblicben Eigenscbaften zeigt
sicb am schonsten beim Atavismus. Durcb zablreicbe
Generationen kann eine Eigenscbaft latent bleiben, wabrend
sicb alle iibrigen in normaler . Weise entfalten. Von Zeit
zn Zeit zeigt sie sicb dann wieder, meist obne dabei irgend
einen Einfinss auf die sonstigen Merkmale auzuiiben. Welche
aussere Umstande dieses Wiederauftauchen bedingen, wissen
wir nicbt ; aller Wahrscbeinlicbkeit nach wirken diese nicht
einfacb auf die atavistiscben Individuen, sondern muss man
sicb vorstellen, dass die betreffende Anlage in den iibrigen
zwar stets latent, aber in ibrer Starke docb sebr nuk-
tuirend ist. Aber nur die Gipfel der bocbsten Wellen
werden uns siclitbar.
Allem Anscbeine nach konnen solche Cliaraktere durcb
iiusserst lange Reiben von Generationen vom einen Ge-
scblecbt auf das andere iibertragen werden. Nacb Jahr-
tausenden recbnet ibre Existenz in jenen Fallen, wo sie
offenbar mindestens so alt sind, wie die Art selbst. Icb
meine die Falle von Rtickscblagen auf die Vorfabren der
Spezies, von denen die Zebra-iibnlicben Streifen des Pferdes
ein so bekanntes Beispiel abgeben 2). Ein ahnlicbes Bei-
J) Vergl. hieriiber Darwin, The Variations of animals and plants
under Domestication 2. Aurt. 1875 II S. 39.
2) Darwin 1. c. I S. 59.
— 21 —
spiel ist die Primula acaulis var. caulescens, welche
im Freien unter Tausenden von schirmlosen Primeln von
Zeit zu Zeit in ganz vereinzelten Exemplaren auftritt, dann
aber eine ahnliche Inflorescenz bildet, wie die nachst-
verwandten, schirmtragenden Arten. Die Kultur hat sich
dieser reicher bliihenden Varietal bemachtigt und sie in
zahlreiclien Farbenniiancen in den Handel gebraclit.
Ich mochte diesen Paragraphen nicht abschliessen,
olme auf eine Erscheinung hingewiesen zu haben , welcbe
das Studium der erblicben Eigenschaften in bobem Grade
komplizirt. Es ist dies der bereits mehrfach erwiihnte
Umstand, dass sie ganz gewohnlich zu kleineren und grosseren
Gruppen vereinigt sind, welcbe sicb wie Einheiten be-
nehmen, indem die einzelnen Glieder der Gruppe gewolm-
lich zusammen in die Erscheinung treten. Wir seben
dieses in den mannlichen und weiblicben Bliithen und In-
florescenzen einhausiger Gewachse, in den erwahnten Fallen
von Knospenvariation und von Dichogenie. Die Sexual-
rharaktere verscbiedener Individuen und die Unterschiede
zwiscben den Wechselgenerationen derselben Spezies lehren
u ns das Namlicbe.
Diese Verbindung der einzelnen Eigenschaften zu
Gruppen ist somit ganz allgemein, wenn sie audi in fast
alien Abstufungen vorkommt. und wenn aucb einige erb-
licbe Eigenschaften, wie z. _B. das Vermogen, rothe Farbe
anzunehmen, sich in der Regel nicht mit bestimmten anderen
zu Gruppen vereinigen. Man erkennt sie in klarster Weise
in jenen durch Aphiden, Phytopten und andere Parasiten
verursachten Vergriinungen. wo der Reiz eine ganze Reihe
von sonst in anderen Theilen der Pfianze zur Entwickelung
gelangenden Eigenschaften hervorruft.
Mit dieser Verbindung der erblicben Eigenschaften zu
— 22 —
grosseren unci kleineren Gruppen hat jede Theorie der
Vererbung Rechnung zu halten, und verschiedene Schrift-
steller, wie Darwin und NSgeli, haben diesen Punkt klar
hervorgehoben. Docb durfte grade hierin eine grosse
Schwierigkeit gelegen sein, welcbe sich einer in's Einzelne
gehenden Ausarbeitung der Theorie entgegenstellt. Demi
offenbar wird es in vielen Fallen ausserst sclrwierig sein.
zu entscheiden, obman esmit einer einzelnen erblichen Eigen-
schal't. oder mit einer klcinen Gruppe von solchen zu thun
hat. Es liegt hier, 1'iir die morphologische Analyse, noch
ein weites Feld, das der Bearbeitung harrt.
§ 5. Die Mischung der erblichen Eigenschaften.
Die erblichen Eigenschaften sincl in jedem Grade und
Verhaltniss mischbar. Dieses sehen wir an bunten Blattern
und gestreiften Bluraen, wo das Ergebniss dieser Mischung.
nach entsprechender Entmischung. uns fast direkt vor-
gefiihrt wird. East unendlich ist die Abwechslung in der
Zeichnung der bunten Blatter, oft auf derselben Pflanze.
oder doch auf den verschiedenen Individuen einer selben
Aussaat. Gestreifte Blumen entstehen nach Vilmorin
durch partiellen Atavismus aus alten weissbluthigen Varie-
taten rother oder blauer Arten ') ; die jungen Varietaten
pfiegen sprungweise zur Stammform zuriickzukehren , die
iilteren aber stufenweise, durch das Auftreten einzelner
Streifen der urspriinglichen Farbe auf dem weissen Grunde.
Es ist. als ob die Farbenanlage bereits zu sehr abgeschwacht
ware, um noch mit einem Male die gauze Krone zu farben.
Die Nachkominen der ersten gestreiften Blumen bilden aber
y) L. Leveque de Vilmorin, Notices sur 1' amelioration des
plautes par le semis. 1886. p. 39—41.
— 23 —
bald breitere Streifen uud gelien dann nach wenigen Ge-
nerationen wieder in die gleichmassige Farbe der Stamm-
form iiber.
Aeusserst merkwiirdig sind jene Falle, wo erbliche
Anlagen im latenten Zustande mit einander zusammen vor-
kommen. welche im aktiven Zustande einander nothwendig
ausscliliessen. Statt einer langen Aufzahlung vieler Falle
mochte icli dafiir hier ein bekanntes Beispiel aus der Lehre
von der Variabilitat anfuhren, und wiihle dazu die Blatt-
stellung in Wirteln.
Zweigliedrige Wirtel . deren Blatter an den auf-
einander folgenden Knoten kreuzweise iiber einander stehen.
gehoren zu den besten und konstantesten Merkmalen
ganzer natiirlicher Familien. Seltner sind Falle von drei-
und mehrgliedrigen Wirteln. Nicht selten schlagt aber
eine Art aus ihrem normalen Typus in eine andere
Wirtelform iiber. und bei zahlreiclien Pfianzen mit dekus-
sirten Blattern sind einzelne Zweige mit drei oder mehr-
gliedrigen Wirteln beobachtet worden. Die Fuclisien und
Weigelien unserer Garten bilden gewohnliche Beispiele.
Die Uebergange von der einen Wirtelzabl auf die andere
finden meist sprungweise statt, derart, dass der ganze aus
einer Knospe hervorgebende Spross sicb selbst in dieser
Bezielmng gleicbbleibt; aus seiner Endknospe oder semen
Seitenknospen gehen dann aber baufig Zweige mit anderer
Wirtelzahl bervor. Seltener gebt ein Spross wiihrend
seiner Entwickelung von der einen Zahl in die andere
iiber. wie solcbes z. B. bei Lysimacbia vulgaris Begel
ist. Zwiscbenformen zwiscben zwei- und drei- oder drei-
und viergliedrigen Wirteln sind iiusserst selten, obgleicb
sie nach unserer jetzigen Kenntniss ganz leicht entstehen
— 24 —
konnten , unci thatsachlich bei den meisten Pflanzen mit
wirtligen Blattern von Zeit zu Zeit beobachtet worclen
sind J). Ich meine jene Wirteln, in denen Ein Blatt an
seinem Gipfel mehr oder weniger tief gespalten ist, wabrend
der Hauptnerv sich gabelig verzweigt. Es kommt diese
Spaltung in alien denkbaren Graden vor und fiihrt durch
jene Blatter, welche auf gespaltenem Stiel zwei Spreiten
tragen, zur vollen Verdoppelung des Blattes hmiiber. Die
Betrachtung zablreicher Beispiele macbt den Eindruck, als
ob die einzelnen Wirtelformen sicb abstossen , und als ob
jede danach strebt die andere auszuscbliessen. Nur selten
gelingt dies nicbt. und dann entsteben die erwahnten Blatter
mit gabelig getbeilten Hauptnerven, deren vollstandige
Uebergangsreibe von Einem Blatte zu zweien von Delpino
abgebildet und bescbrieben worden ist -).
Aucb solcbe Eigenscbaften, welcbe in der entfalteten
Pflanze einander ausscbliessen, sind also ira latenten Zu-
stande, anscbeinend obne Scbwierigkeit . miscbbar. Im
Grunde verbalt es sich wie in unserem Beispiel so audi
in den Erscheinungen der Monoecie und Dioecie, ferner
des Di- und Trimorpbismus der Bliithen und eigentlich in
der ganzen Organbildung. Ueberall findet man Merkmaler
welcbe gleichzeitig in demselben Organe nicbt existiren
konnen, und dennoch wabrend der Jugend im latenten Zu-
stande gemiscbt vorkommen miissen.
Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so seben wir„
dass Versucbe und Beobachtungen iiber das Entsteben und
das Fixiren von Variationen uns die erblichen Eigenscbaften
als Einbeiten kennen lebren, mit denen man experimen-
2) Vergl. F. Delpino, Teoria generale della Fillotassi in Atti
della R. Universita di Genova. Vol. IV Part. II 1883 p. 197.
2) 1. c. S. 206, Taf. IX Fig. 60.
— 25 —
tiren kann. Sie lehren uns ferner, class diese Einheiten fast
in jedem Verbaltniss mit einander mischbar sind, indem
weitaus die meisten Experimente im Grunde nur auf eine
Veranderung dieses Verhaltnisses hinauslaufen.
In schlagender Weise werden die bisher angestellten
Betracbtungen bestatigt durch die Versuche iiber Bastar-
dirung und Kreuzung. Nirgendwo tritt so klar wie bier
das Bild der Art gegeniiber seiner Zusammensetzung aus
selbstandigen Faktoren in den Hintergrund. Dass im
Bastarde die erblichen Eigenscbaften vom Vater und von
der Mutter durcbeinander gemischt sind, weiss ein Jeder.
Und die ausgezeicbneten Versucbe zablreicher Forscber
haben uns gelebrt, wie in den Nacbkommen der Bastarde
eine fast unendliche Abwechslung zu beobacbten zu sein
pflegt, welche wesentlicb auf einer in mannigfacb ver-
scbiedener Weise stattfindenden Vermiscbung der vater-
licben und der miitterlicben Merkmale berubt.
Die Bastarde der ersten Generation haben fur jedes
Paar von Arten ganz bestimmte Merkmale. Erzeugt man
einen Bastard von zwei Arten . deren Kreuzung bereits
friibern Forschern gelungen ist, so kann man sicb darauf
verlassen, dass die von ibnen gegebene Bescbreibung in der
Regel genau auf die neu erworbene Mittelform passen wird.
Ist der Bastard obne Mitbiilfe seiner Eltern frucbtbar,
und ziebt man seine Nacbkommenschaft in einigen Genera-
tionen in Tausenden von Exemplaren, so beobacbtet man
fast stets, dass kaum zwei einander gleicb sind. Einige
kebren zu der Form des Vaters , andere zu jener der
Mutter zuriick; eine dritte Gruppe steht in der Mitte.
Zwiscben diesen stellen sich die iibrigen in buntester Ab-
wecbslung vaterlicber und miitterlicber Merkmale, und fast
in jedem Grade gegenseitiger Miscbung.
— 26 —
Von zahlreichen und hervorragenden Schriftstellern ist
auf die Bedeutung der Bastarde fiir die Ergriindung des
TVesens der Befruchtung hingewiesen. Mit demselben Rechte
diirfen wir sie anwenden, um in das Geheimniss des Art-
charakters einzudringen zu versuchen. Und dann beweisen
sie uns klar, dass dieser Charakter im Grande kein ein-
heitliches Gebilde ist. Denn die Merkmale eines Bastardes
(erster Generation) sind ebenso scharf und ebenso kon-
stant. und iiberhaupt von derselben Ordnung wie jene der
reinen Arten, und der haufige Speziesname hybridus1)
diirfte beweisen, dass aucli die besten Systeniatiker diese
Uebereinstimniung gefiililt ltaben.
Zwei, drei und mehr Arten sind von Kolreuter.
Gartner und Anderen in einem Bastard vereinigt worden.
Und es ist nicht einzuseken, dass dieser Zahl eine andere
als eine rein praktische Grenze gesteckt ware, und dass im
Grande nicht Merkmale in einem Bastarde gemischt werden
konnten, welche einer unbegrenzten Reihe von verwandten
Arten entlehnt waren. Dock darauf kommt ja wenig an.
Hauptsache ist der Satz, dass der Charakter reiner Arten.
genau so wie der der Bastarde . zusammengesetzter Na-
tur ist.
Kreuzungen von Varietaten einer selben Art gekoren.
namentlich in der gartnerischen Praxis, zu den gewohn-
lichsten Operationen. Haufig ist dabei der Zweck einfach
der, Mittelformen zu erzeugen. Nicht selten aber wunscht
man einer gegebenen Varietat einzelne bestimmte Eigen-
schaften mitzutheilen, und entlehnt diese dann einer
anderen Varietat, bisweilen sogar einer anderen Art.
Harte gegen Winterfroste wurde mehrfach in dieser Weise
y) Z. B. Papaver hybridum L., Trifolium hybridum L.
— 27 —
von der einen auf die andere Form iibergefiihrt. Carriere
citirt Beispiele von Begonien. welche durch Kreuzung
rait einer buntblattrigen Varietat einer anderen Art bunt
gemacht worden sind , ohne dabei sonst in ihren Eigen-
schaften geiindert zu werden ]). TJeberhaupt ist in der
gartnerischen Praxis die Ueberzeugung allgemein, dass man
die Eigenschaften der Varietaten bei Kreuzungen nach
voller Willlriir mit einander mischen, und seine Ra<;en so-
wohl in vielen, als audi in einzelnen ausgewahlten Punkten
nach Bediirfniss verbessern kann.
§ 6. Kreuz- und Selbst befruchtung.
In Anschluss an die im vorigen Paragraphen behan-
delten Argumente, welche uns die Ergebnisse der Kreuzungs-
und Bastardirungsversuche bieten, wollen wir jetzt die nor-
male Befruchtung behandeln, und zusehen. inwiefern audi
auf diesem Gebiete die Thatsachen unsere Vorstellung von
der gegenseitigen Unabhangigkeit und Mischbarkeit der
erblich.en Eigenschaften stiitzen.
Die Bedeutung der Befruchtung zu ergriinden, gehort
zu den schwersten Aufgaben der Biologie. Die zahllosen
Anpassungen dieses Prozesses an die verschiedensten Lebens-
bedingungen, und der machtige Einfiuss, den er auf die
Differenzirung der Arten . namentlich durch Ausbildung
der sekundaren Sexualitatscharaktere geiibt hat. drohen
immer uns irre zu leiten, und uns durch die spater erlangte
Bedeutung das eigentliche Wesen verkennen zu lassen.
Hier, wie in so vielen Fallen, liegen die Verhaltnisse im
x) E. A. Carriere, Production et Fixation des Varietes, 1865
S. 22. Andere Beispiele bei Verlot, Sur la production et la fixa-
tion des varietes, 1865 S. 46 und 65. Vergl. auch Darwin, 1. c. II
S. 73.
— 28 —
Pflanzenreich klarer unci einfacher als im Thierreich, in
welchem namentlich die ausscliliefsliche Beschrankung der
Fortpflanzung der hoheren Thiere auf den sexuellen Weg
nur zu leicht die Bedeutung dieses Vorganges iiberschatzen
lasst. Dazu kommt, dass fur das Pflanzenreich durch das
eingehende vergleichende Studium uber die Bedeutung von
Kreuz- und Selbstbefruchtung, welches wir Darwin ver-
danken, ein ganz unerwartetes Licht auf das Wesen dieses
Vorganges geworfen worden ist.
Darwin's Versuche haben gelehrt, dass das Wesen
der Befruchtung in der Vermischung der erblichen Eigen-
schaften zweier verschiedener Individuen besteht1). Selbst-
befruchtung, welche im Pflanzenreich so leicht stattfindet,
und experimentell so bequem auszufiihren ist, hat bei Weitem
nicht dieselbe Bedeutung. Aus den auf letzterem Wege
erhaltenen Samen gingen in Darwin's Versuchen stets
schwachere Individuen hervor als aus der Ernte gekreuzter
Bliithen. Die ersteren waren kleiner. weniger reich ver-
zweigt, weniger iippig und anhaltend bliihend, und trugen
dementsprechend audi weniger Samen. Kreuzung von zwei
Bliithen derselben Pflanze war eher nachtheiliger als Be-
fruchtung der Bliithen mit ihrem eigenen Pollen.
Sogar die Kreuzung von verschiedenen Individuen
reichte nicht aus, die Art normal zu erhalten, wenn diese
alljahrlich auf demselben Beete gezogen und vor der Be-
fruchtung durch Exemplare anderer Herkunft geschiitzt
wurden. Die ganze Kolonie kam im Laufe einiger Jahre
stetig und deutlich herunter; die Pflanzen wurden dabei
nicht nur kleiner und schwiicher, sondern ihre individuellen
2) Darwin, Origin of species, 6. Aufl. S. 76—79 und Cross- and
Selffertilisation of plants, 1876.
— 29 —
Unterscliiecle nalnnen derart ab , dass sie einander fast
vollig gleich wurden.
Eine einzige Kreuzung einer solclien Kolonie mit In-
dividuen anderen Ursprunges stellte aber die urspriingliche
Kraft wieder her.
Der Befruchtungsprozess bestelit somit in seinem Wesen
niclit in der Vereinigung der beiden Geschlechter, sondern
in der Vermisclmng der erbliclien Eigenschaften zweier
Individuen von verschiedener Herkunft, oder doch von
solclien, welche verschiedenen ausseren Bedingungen aus-
gesetzt gewesen sind. Eine Verscliiedenheit in den erb-
liclien Eigenschaften ist somit offenbar Bedingung fur die
Erreichung des vollen Nutzens der Befruchtung ; diese Ver-
scliiedenheit muss aber in letzter Instanz durch das Leben
unter abweichenden Einfliissen erlangt worden sein.
Denken wir uns die einzelnen erbliclien Anlagen als
selbstandige Einheiten, welche in verschiedenen Verhiilt-
nissen mit einander zu dem individuellen Charakter einer
Pflanze verbunden werden konnen. Nehmen wir weiter an,
dass ihre relative Zu- oder Abnahnie von ausseren Ein-
fliissen abhiingt. Offenbar bestelit dann eine grosse Aus-
sicht, dass unter gleichen ausseren Bedingungen in ver-
schiedenen Individuen dieselben Anlagen zuruckgehen werden,
wahrend unter verschiedenen Bedingungen dieses Loos in
jedein Individuum andere Anlagen treffen wird. Kreuzen
wir also nur die Pflanzen desselben Beetes, so werden die
gleichsinnigen individuellen Abweichungen verstarkt, die
geschwachten Anlagen also noch schwacher gemacht werden.
Kreuzen wir aber Individuen aus moglichst verschiedenen
Kulturen, so werden die Unterschiede in den einzelnen An-
lagen offenbar, wenigstens zum Theil, ausgeglichen werden.
— 30-
Und zwar urn so mehr, je zablreicher die von einander
abweicbenden und zur Kreuzung benutzten Exemplare sind.
Ueberbaupt ist es den Pflanzenziiclitern wohl bekannt,
dass iippige und moglichst abgewecbselte Bedingungen zur
Haufung und Vermelirung der individuellen Unterschiede
fiibren, wahrend einfache und einformige Umstande diese
nach und nach verschwinden lassen und also die Gleicli-
tormigkeit aller Exemplare befordern. Erstere Methode
wird beim Verbessern der Racen, letztere beim Fixiren der
neu gewonnenen Varietaten angewandt.
Fiir die Erhaltung der Art mit alien ibren erblichen
Anlagen in dem erforderlicben Verbiiltnisse ist nur ge-
legentlicli eine Kreuzung erforderlicb. Nicbt jeder Gene-
ration brauclit solche voranzugehen. Wo gescblechtliche
Generationen mit ungescblecbtlicben abwechseln, wie unter
<len Gallwespen, und avo letztere sogar in der Mehrzabl
vorkommen, wie bei vielen Apbiden. ist dieses olme weiteres
deutlicb.
Bei den Bienen werden die befruchteten Eier zu
Weibcben, die unbefruchteten zu Manncben. Da aber
jedes Miinnchen notlnvendig von einem durcb Befruchtung
'■ntstandenen Weibcben abstammt , wird es der Vortbeile
gelegentlicber Kreuzung offenbar in binreicbender Weise
habbaft. Dass wir es bier nicbt mit prinzipiellen Verbalt-
nissen, sondern nur mit besoncleren Anpassungen zu thun
baben, lehren uns die Apbiden, bei denen sowobl Mannchen
wie Weibcben auf partbenogenetiscbem Wege entsteben.
Die sicb nie offnenden , sogenannten cleistogamen
Bliitben, die zahlreicben Einricbtungen zur Sicberung der
Selbstbefrucbtung in Blumen, fiir den Fall, dass Insekten-
besuch ausgeblieben ist, und die fast unbescbrankte An-
wendung der Vermebrung auf vegetativem Wege im Pilanzen-
— 31 —
reich lehren uns alle, class nur gelegentlich eine Befruch-
tung zur normalen Erhaltung der Arten erforclerlich ist.
Dass bei den hoheren Thieren jedes Individuum auf ge-
schlechtlichem Wege entsteht , ist also offenbar nur eine
besondere Anpassung.
Fassen wir das Ergebniss dieser Betrachtungen zu-
sammen, so diirfen wir sagen, dass das eigentliche AVesen
der Befruchtung in der Vermischung der erblichen Eigen-
scliaften der verschiedenen Individuen einer Art besteht.
Wie man sich diese Vermischung vorstellen muss, das lehrten
uns die Bastarde. Denn es kan'n keinem Zweifel unterliegen,
dass der Vorgang der Vermischung im Prinzip in beiden
Fallen derselbe sein wird. Und wie es Wichura gelang,
Bastarde aus sechs verschiedenen Weidenarten zu erzeugen ]).
so miissen auch durch Kreuzung die erblichen Eigenschaften
mehrerer Individuen in Einem gemischt werden konnen.
Im vorigen Paragraphen haben wir gesehen, wie die
einzelnen erblichen Eigenschaften als selbstandige Ein-
heiten in den Bastardirungs- und Kreuzungsversuchen auf-
treten, und wie sie fast in alien Graden erreichbar sind.
Auf dieselbe Weise miissen wir uns offenbar auch beim
gewohnlichen Befruchtungsprozesse jene Einheiten als selb-
standig denken.
§ 7. Schlussfolgerungen.
Anscheinend einheitlich ist der Artcharakter in Wirk-
lichkeit ein ausserst zusammengesetztes Ganzes. Er ist aus
zahlreichen einzelnen Faktoren, den erblichen Eigenschaften
oder Anlagen, aufgebaut. Je hoher die Art differenzirt
ist, um so grosser ist die Zahl der zusammensetzenden Ein-
y) Max AVichura, Bastardbefruchtung der "Weiden. 1865. 4°.
— 32 —
heiten. Weitaus die meisten dieser Einheiten kehren bei
zahlreichen , viele bei zahllosen Organismen zuriick, und
bei verwandten Arten ist der gemeinschaftliche Tbeil des
Charakters offenbar aus denselben Einheiten aufgebaut.
Versucben wir es, die Arten in diese einzelnen Faktoren
zu zerlegen , so werden wir von deren Zahl , welche bei
hoheren Pflanzen und Tliieren wohl in die Tausende gebt.
verwirrt. Betrachten wir dagegen die ganze Organismen-
welt als den Vorwurf uiiserer Analyse, so wird die Ge-
sanimtzahl erblicher Eigenschaften , welche zum Aufban
aller Lebewesen erforderlich ist, eine zwar an sich grosse,
im Verhaltniss zur Artenzahl aber kleine. Auf jenem be-
schrankten Gebiete fiihrt unsere Betrachtungsweise an-
scheinend nur zu Komplikationen, im Grossen aber bahnt
sie offenbar den Weg zu einer ganz bedeutenden Verein-
fachung der Probleme der Erblichkeit.
Die erblichen Anlagen, von denen die erblichen Eigen-
schaften die fur unser Auge sichtbaren Merkmale sind.
sind selbstandige Einheiten, welche zeitlich getrennt von
einander entstanden sein , und unabhangig von einander
audi wieder verlofen gehen konnen. Sie sind fast in jedem
Verhaltnisse mit einander niischbar, indem jede einzelne
Eigenschaft von volliger Abwesenheit an durch alle Stufen
zur hochsten Entwickelung gelangen kann. Haufig sind sie
nur in so ungiinstigem Verhaltnisse da, dass sie iiberhaupt
nicht in die Erscheinung treten, sondern latent bleiben.
Und in diesem Zustande konnen sie entweder Tausende
von Generationen verharren, oder daraus in jeder Generation,
wiihrend der Entwickelung des Individuums aus der be-
fruchteten Eizelle, in welcher sie fast samnitlich latent sind,
hervorgehen.
Die erblichen Anlagen stellen den ganzen Artcharakter
do
zusammen . es bleibt nacb ihrer Abscheidung nicht etwa
eine anderweitige Grundlage iil>er. der sie eingefligt waren.
Obgleich in dem Grade selbstandig, dass sie jede fur
sicb scbwiicber werden und sogar vollig versclwinden konnen,
sind sie doeh fiir gewohnlich zu kleineren und grosseren
Gruppen vereinigt. Und zwar derart, dass, wenn aussere
Eingriffe . wie ein Gallenreiz . eine bestimmte Eigenscbaft
zuin Vorherrscben bringen, in der Regel die gauze Gruppe.
zu der diese gehort. mit in erbobte Thatigkeit gesetzt wird.
Selbstandigkeit und Miscbbarkeit , das sind also die
wesentlichsten Eigenscbaften der erblicben Anlagen aller
Organismen.
Eine Hypotbese zu finden, welche diese Eigenscbaften
unserem Verstandniss naher fiibrt. das ist nacb meiner An-
^icbt die Hauptaufgabe einer jeden Vererbnngstheorie.
Abschnitt II.
Herrschende Ansichten iiber die Trager der erblichen
Eigenschaften.
Erst e s Kapitel.
Die cheinisclien Moleki'ilc des Protoplasnia in ihrer
Bedeiitung fur die Tlieorie der £rbliohkeit.
§ 1. Einleituug.
Die wunderlicben Erscbeinungen der Erblicbkeit miissen
nacb unserer jetzigen Auffassung der ganzen Natur eine
stofflicbe Grundlage haben, und diese Grundlage kann
keine andere sein. als das lebendige Protoplasma. Jede
Zelle entstebt durcb Tbeilung aus einer bereits vorbandenen,
de Vries, Intracellulare Pangenesis. «
— 34 —
die lebendige Substanz der Mutterzelle vertheilt sich auf
die einzelnen Tochter, und geht auf diese mit alien ihren
erblichen Eigenschaften iiber. Die mikroskopische Er-
forschung des Zellenleibes und die Kunst der Ziichter, bis
vor kurzem so weit von einander entfernt, reichen sich
immer mehr die Hand. Denn nur durch das Zusammen-
wirken dieser beiden grossen Richtungen des menschlichen
Denkens kann es gelingen, die Grundziige fiir eine Theorie
der Vererbung zu schaffen.
Die Chemie lehrt uns, class das lebendige Protoplasma.
wie jede Substanz, aus chemischen Molekiilen aufgebaut
sein muss, und dass eine endgliltige Erklarung der Lebens-
erscheinungen nur dann erreicht werden wird , wenn es
gelingt, die Vorgange im Protoplasma aus der Gruppirung
seiner Molekule und aus der Zusammensetzung dieser
letzteren aus ihren Atomen abzuleiten.
Aber von diesem Ziele sind wir noch weit entfernt.
Die Chemiker studiren vorwiegend reine, d. h. aus gleich-
artigen Molekiilen aufgebaute Korper; das Protoplasma
aber ist offenbar eine Mischung zahlreicher, wenn nicht
gar nahezu zahlloser verschiedener chemischer Yerbindungen.
Und weitaus die meisten dieser letzteren sind, auch in
chemischer Hinsicht, nur ausserst liickenhaft erforscht
worden.
Allerdings darf uns diese Riicksicht nicht davon ab-
halten, die grossen Satze der Chemie auf die Erklarung
der Lebensvorgange anzuwenden. Haeckel und viele an-
dere Forscher nach ihm haben darauf hingewiesen, welche
grosse Bedeutung fiir eine solche Erklarung das Vermogen
des Kohlenstoffes besitzt, sich in den verschiedensten Ver-
haltnissen mit anderen Elementen zu verbinden. „Diese in
ihrer Art einzige Eigenschaft des Kohlenstoffes miissen
— 35 —
wir als die Grundlage aller Eigenthlimlicbkeiten der so-
genannten organischen Verbindungen bezeichnen" ]). .,Die
Verscbiedenbeiten , welche sicb im Wachsthum der orga-
nischen und der anorganiscben Individuen finden , sind in
der verwickelteren cbemiscben Zusammensetzung und der
Imbibitionsfahigkeit vieler Koblenstoffverbindungen be-
griindet" 2) u. s. w.
Aucb von cbemischer Seite ist diese Bedeutung cles
Kohlenstoffes bervorgeboben worden. In seinen Ansichten
ii b e r die organise he C h e m i e sagt van't Hoff 3) : ..Aus
den chemischen Eigenscbaften des Kohlenstoffes erbellt,
dass dieses Element, mit Hiilfe zweier oder dreier anderer,
im Stande ist, die zabllosen Korper zu geben, die fur die
so verschiedenen Bediirfnisse eines lebenden AVesens noth-
wendig sind ; aus der fast gleicben Neigung, sich Wasser-
stoff und Sauerstoff anzulegen , folgt die Fiibigkeit der
Kohlenstoffverbindungen, sicb abwecbselnd fur Reduktions-
und Oxydationsvorgange zu eignen, wie sie die gleiebzeitige
Existenz einer Pflanzen- und Thierwelt erfordert". Und nach
der Besprecbung des Eintlusses der Temperatur auf die
Veranderung der cbemiscben Beschaffenheit des Koblen-
stoffes fabrt er fort: ..Alan geht also nicbt zu weit mit der
Behauptung. dass die Existenz der Pflanzen- und Thierwelt
die enorme Aeusserung der cbemiscben Eigenscbaften sei,
welche das Koblenstoffatom bei unserer Erdtemperatur bat"'.
Ziebt man nocb die zabllosen Isomerien in Betracht.
welche namentlicb die komplizirteren Verbindungen des
KohlenstoffeSy wie die Eiweisskorper, nach den jetzigen
a) E. Haeckel, Generelle Morphologie 1866, I S. 121.
2) 1. c. S. 166 und E. Haeckel, Die Perigenesis der Plastidule
1876 S. 34.
3) van't Hoff, Ansichten iiber die organische Chemie 1878
Bd. I S. 26.
3*
— 36 —
chemischen Theorien aufzuweisen im Stande sein miissen.
so kann es wohl keinem Zweifel unterworfen sein, class es
einmal gelingen wird, die erblichen Eigenschaften aller
Organismen auf chemische Verschiedenheiteh ihrer proto-
plasmatischen Grundlage zuruckzufiihren J).
Aber so sehr audi solche allgemeine Betracbtungen
im Stande sind, unserem Bedlirfniss nach einer einbeitlicben
Auffassung der ganzen Natnr entgegen zu kommen, so sind
sie doch nocb weit davon entfernt, uns bereits jetzt als
Grundlage fur eine Tbeorie der Vererbung dienen zu konnen.
Der experimentellen Pbysiologie der Pflanzen und der
Tbiere ist es gelungen, mancbe Prozesse des Lebens auf
die chemischen "Wirkungen der betbeiligten Verbindungen
zuriickzufiihren, sie theilweise ausserhalb des Organismus
zu wiederholen, tbeils aber auch ihren Verlauf im lebenden
Korper, als durcb die allgemeinen Gesetze der Cliemie be-
herrscbt, nachzuweisen. In die Erkenntniss der Vorgange
der Athmung, der Ernahrung und des Stoffwecbsels sind
wir von zabllosen Forscbern in geradezu erstaunlicber
"Weise eingefiibrt worden, und audi die rein mechaniscben
Kraftausserungen, welcbe Wachsthum und Bewegungen be-
gleiten, sind zu einem wesentlicben Tbeile zergliedert und
auf allgemeine Gesetze zuruckgefiibrt worden. Aber das
Hauptergebniss aller dieser Studien ist, dass im lebendigen
Korper Vorgange zweierlei Art stattfinden. Einmal solche.
welcbe von der lebendigen Substanz trennbar sind , und
also audi kunstlich nachgeabmt, ocler sogar genau wieder-
holt werden konnen. Dann aber solche. welche von jenem
Substrate untrennbar sind, welche in den Lebensprozessen
dieses Substrates selbst ihr Wesen finden. Jene Vorgange
2) Vergl. z. B. Haeckel , Generelle Morphologie I S. 277 und
Shigetake Sagiura, Nature 1882. Vol. 27 Nr. 683 S. 103.
— 37 —
sind rein physikalische oder chemische , mit einem Worte
aplasmatische Prozesse; diese aber miissen wir als plas-
matische , d. h. in den Molekiilen des lebendigen Proto-
plasma selbst stattfindend bezeichnen. Jene gehoren der
pbysiologischen Cbemie und Pbysik an, diese aber bilden
den eigentlichen Gegenstand der Pliysiologie. Aber grade
zti ihrer Brkenntniss baben wir noch erst die ersten
Scbritte gethan.
Weder durcb allgemeine Betrachtungen , nocb auf
experimenteller Grnndlage konnen wir also schon jetzt in
die Bezielmngen zwischen den Eigenschaften der cbemiscben
Molekiile des Protoplasma und den Erscbeinungen der Erb-
licbkeit eindringen. Es kann sich also nur darum handeln,
durch Hypothesen zu versucben, uns eine Einsicbt in diese
Bezielmngen zu eroffnen.
Die Berecbtigung eines solcben Versucbes liegt auf der
Hand. Aucb wird sie wohl allgemein anerkannt. denn
mebrere hervorragende Forscber haben ibre Ansicbten
bierliber veroffentlicht, einige baben sogar ibre Hypothesen,
durcb logiscbe Ausarbeitnng der sicb daraus ergebenden
Konsequenzen. der kritischen Wurdigung Anderer zugang-
lich gemacbt. Und dass diese Hypothesen, so sehr sie aucb
jetzt nocb auseinandergehen, in bohem Grade das wissen-
scbaftlicbe Interesse an diesen Fragen wachgerufen haben,
daran kann augenblicklicb wohl Niemand zweifeln.
Die Ricbtungen, in welchen sich diese Hypothesen be-
Avegen, lassen sich meiner Ansicht nach in drei Gruppen
zusammenfassen. Einige Schriftsteller geben direkt auf die
chemische Zusammensetzung des Protoplasma znriick, und
versucben es , aus dieser die Lebensvorgiinge abzuleiten.
Andere aber nehmen an, dass die cbemiscben Molekiile
zunachst zu grosseren, aber nocb unsichtbar kleinen or-
— 38 —
ganisclien Einheiten verbunden sind, und betrachten diese
Einheiten als die eigentlichen Trager der Erblichkeit. Da-
bei stellen Einige sich vor, dass diese Einheiten je den
ganzen Artcliarakter vergegenwartigen, und dass somit die
einzelnen Trager der Erblichkeit in derselben Zelle ein-
ander, wenigstens bis auf geringfiigige Unterschiede, gleich
sind. Grade entgegengesetzt endlich ist die Meinung der-
jenigen Forscher, welche fur jede einzelne erbliche Eigen-
schaft eine besondere Art von stofflichen Tragern annehmen ;
fur welche also das Protoplasnia aus unzahligen einander
ungleichen hypothetischen Einheiten aufgebaut ist.
Diese drei verschiedenen Prinzipien sind es nun, welche
wir in diesem und den beiden folgenden Kapiteln eiuer
eingehenden vergleichenden Priifung unterziehen wollen.
Vorher mussen wir aber noch die Beziehung zwischen Ei-
weiss und Protoplasma einer kurzen Kritik unterwerfen.
§ 2. Protoplasma und Eiweiss.
In der letzten Zeit hat sich bei manchen Schriftstellern
eine Verwechslung der Begriffe Protoplasma und Eiweiss
eingeburgert r). Diese hat sogar zu der hypothetischen und
durch nichts berechtigten Annahme von lebendigem Ei-
weiss gefiihrt. Audi auf die Theorie der Erblichkeit hat
diese Gewohnheit ihren Einnuss ausgeiibt, und deshalb darf
sie hier nicht unerwahnt bleiben. Denn ohne diese Ver-
wechslung hatte die Ansicht, welche die chemischen Mole-
kiile des Protoplasma als Trager der erblichen Eigen-
schaften betrachtet, wohl nie Eingang gefunden.
Eiweiss ist ein chemischer, Protoplasma ein morpho-
J) Bereits Haeckel spriclit das Protoplasma als einen Eiweiss-
korper an: Generelle Morphologie I S. 278.
— 39 —
logischer Begriff. Die Chemie ist im Stande mancbe Ei-
weisskorper rein darzustellen, das "Wesen des Protoplasma
ist aber durch seine sehr heterogene Zusammensetzung be-
dingt. Viele Eiweisskorper konnen in Losung iibergehen,
eine Protoplasmalosung in einem Reagenzrobrcben zu haben,
wird aber Niemand fiir moglicb balten. Eiweisskorper sind
/.war Produkte des Lebens, aber nicbt dessen Trager, sie
bieten uns im cheniischen Laboratorium keine wesentlich
anderen Eigenscbaften wie die iibrigen komplizirteren Ver-
bindungen. Das Protoplasma aber ist der Trager des
Lebens. es imterscbeidet sicb von alien chemiscben Sub-
stanzen durch das Vermogen der Assimilation und der Ver-
mebrung. Diese beiden Vorgange werden obne Zweifel
einmal in ilirem TVesen erkannt werden, bis jetzt aberliegen
sie nocli im vollsten Dunkel. und selbst den kiibnstenDenkern
ist es nicht gelungen, audi nur eine Ecke des Scbleiers zu
lieben, welcber sie verhullt.
Fiir die Bezeichnung des Protoplasma als einen Ei-
weisskoqDer oder als ein Gemenge von solcben stiitzt man
sicb auf cbemiscbe Analysen und mikrocbemiscbe Reak-
tionen. Die letzteren weisen obne Zweifel die ganz ge-
wobnlicbe Anwesenheit von Eiweiss im Protoplasma nacb.
Aber die Erklarung dieser Thatsaclie liegt auf der Hand:
das Eiweiss kann im Imbibitionswasser des Protoplasma
ebenso gut gelost sein, als es im Zellsaft nachweislich baufig
im gelosten Zustande vorbanden ist. Aucb ist es nicbt un-
wabrscheinlicb, dass beim Todten der Protoplaste oft Ei-
weisskorper gebildet werden. Urn eine Tdentitat von Pro-
toplasma und Eiweiss behaupten zu konnen, sollte aber
docb wenigstens nacbgewiesen sein, dass Eiweissreaktionen
keinem Protoplasten, und audi keinem einzelnen ilirer Or-
— 40 —
gane fehlen. Unci solches scheint doch keineswegs der
Fall zu sein *). Zellkern, Trophoplaste und Kornerplasma
sind wohl, in gut ernahrten Zellen. me ohne Eiweiss be-
obachtet worden. Aber ob die Wand der Vacuolen und
die Hautschicht eiweisshaltige Gebilde sind, diirfte noch
sehr fraglich sein 2).
Die cliemischen Analysen haben olme Zweifel wichtige
Schliisse auf mehrere , aus deni Protoplasma dargestellte
Verbindungen an's Licht gefordert. Aber ob diese Ver-
bindungen im lebendigen Protoplasma als solche vorhanden,
oder erst beimSterben oder durcb denEinflussderReagentien
als Zersetzungsprodukte entstanden sind, das ist eine andere
Frage.
Hauptsache fur die Theorie der Vererbung ist aber.
dass das Protoplasma uns stets, ausser physikalischen und
cliemischen Merkmalen , noch gewisse historische Eigen-
schaften bietet. Diesen verdankt es grade seine Eigen-
thumlichkeit. Eine synthetische Darstellung der Eiweiss-
korper betrachtet wohl Niemand mehr als ein Ding der
Unmoglichkeit. Aber ob es je gelingen wird lebendiges
Protoplasma auf anderem als auf phylogenetischem "Wege
entstehen zu lassen, dieses wird begriindeten Zweifeln noch
wohl lange ausgesetzt bleiben.
Die^ historischen Eigenschaften verlangen einen mole-
kularen Bau von so komplizirter Natur, dass die jetzige
Chemie uns bei unseren Erklarungsversuchen ganz im
Stiche lasst. Die Theorie muss somit einstweilen sich da-
mit begniigen, eine Zusammensetzung des Protoplasma aus
morphologischen Einheiten anzunehmen. Diese miissen selbst-
verstandlich selbst wieder aus cliemischen Molekiilen auf-
x) Vergl. Zacharias, Botan. Zeitung 1883 S. 209.
2) Vergl. Pringsheim's Jahrb. Bd. XVI S. 512.
— 41 —
gebaut sein, und unter den letzteren inogen Eiweisskorper eine
hervorragende Bolle einnehmen. Daraus aber ableiten zu
wollen, das Protoplasma sei selbst ein Eiweisskorper, scheint
mir durcliaus unberechtigt.
Jene imsichtbaren morphologischen Einheiten sind aber
hypothetischer Natur, und wir wollen diesen Gegenstand
an dieser Stelle somit nicht weiter verfolgen. Ich wollte
nur zeigen, wie uns audi diese Betrachtung zu jener An-
nahme von Pangenen leitet, welche wir in den beiden
letzten Kapiteln dieses Abschnittes zu behandeln liaben
werden.
§ 3. Els berg's Plastidule.
Der Versuch, die Erscheinungen der Erblichkeit aus
den Eigenschaften der Molekiile der lebendigen Materie zu
erklaren, wurde am grundlichsten von Louis Elsberg und
Ernst Haeckel durchgefiihrt. Elsberg, welcher die Zellen
Plastide nannte, wahlte fur die konstituirenden Theilchen
den Namen Plastidmolekiile oder durch Abkiirzung Plasti-
dule 1). Haeckel hielt diesen Ausdruck statt des viel-
silbigen Protoplasmamolekiil fiir eine kurze und passende
Bezeichnung -), und wusste dem Begriffe in seiner Peri-
genesis der Plastidule allgemeine Beriicksichtigung
zu verscbaffen 3).
Nach Elsberg bestebt die lebendige Materie also ganz
') Louis Elsberg, Regeneration, or the preservation of organic
molecules; a contribution to the doctrine of evolution. Proceed.
Assoc, f. the Advancement of Science, Hartford Meeting, August 1874
und Louis Elsberg, On the plastidule -hypothesis. Ibid. Buffalo-
meeting, August 1876.
2) E. Haeckel, Jenaische Zeitschrift f. Med. u. Naturw. VII,
Heft 4, 1873 S. 536.
8) E. Haeckel, Die Perigenesis der Plastidule, Berlin 1876 p. 35.
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aus Plastidulen, welche sich clurch Ernahrung, Assimilation
unci Wachsthum derart vermehren, class immer neue Mole-
klile mit clenselben Eigenschaften wie die bereits vor-
handenen entstehen. Bei jeder Zelltheilung gehen diese
auf die Tochterzellen iiber. Die Aelinliclikeit der Kinder
mit ihren Eltern, Grosseltern unci Vorfahren wird in ein-
facher Weise dadurch erklart, class sie im Wesentlichen
aus gleicbartigen Plastidulen aufgebaut sind. welclie sie
ja von ihren Vorfahren her geerbt haben. Alle Individuen
einer Art bestehen im Grossen und Ganzen, unci abgesehen
von etwaigen Varietaten, aus denselben Plastidulen; jede
Art aber enthalt die Plastidule seiner ganzen Ahnenreihe.
besteht also aus mindestens so vielen verschiedenen Plasti-
dulen, als in clieser Ahnenreihe verschiedene Arten ver-
treten waren. Die Unterschiede zwischen den einaelnen
Arten sind durch ihre Abstammung gegeben und somit
stofflich in der Verschiedenheit der Plastidule begriindet.
Systematische Verwandtschaft beruht auf dem Besitze
derselben Plastidule, systematische Differenzen auf dem
Vorhandensein verschiedener Molekiile neben der Haupt-
masse gleichartiger.
Haeckel, der in seiner Generellen Morphologic
noch nicht auf die Bedeutung der Molekiile fur die Erb-
lichkeitslehre eingegangen war 1) , hat in seiner oben ge-
nannten Schrift den Gedankengang Elsberg's weiter aus-
gefiihrt. „Die Summe von physikalisehen und chemischen
Prozessen, welche wir mit einem Worte „Leben" nennen,
ist offenbar in letzter Instanz durch die Molekularstruktur
x) Nur ganz fm Allgemeinen weist Haeckel hier auf die Be-
deutung „der zalilreichen und feinen Vei'sckiedenheiten in der ato-
mistischen Konstitution der Eiweissverbindangen, welche das Plasma
der Plastiden zusammenstellen", hin. Gen. Morphol. I S. 277.
— 43 —
des Plasson bedingt" 1). Im kernlosen Plasson (oder Pro-
toplasten) sind die Plastidule iiberall gleichartig ; in den
kernhaltigen sind sie derart differenzirt, dass man zwischen
Plasmodulen und Coccodulen (Kernmolekiilen) unterscheiden
muss. Die Differenzirung des Organismus in Organe und
die dadurch erreichte Arbeitstheilung fiihrt Haeckel auf
eine Arbeitstheilung der Plastidule zuriick. Denn diese
sondern sich dabei mehr oder weniger, und bringen so
die verschiedenen Protoplasmaarten hervor. Die Befruch-
tung besteht in der Mischung zweier Protoplaste, welche
sich durch weitgehende Differenzirung ihrer Plastidule in
verschiedenen Richtungen entwickelt haben 2).
Wir wollen uns auf diesen Theil der Plastidulenlehre
beschranken und namentlich nicht auf dieSpekulationen iiber
die Wellenbewegung dieserTheilchen eingehen. Unterwerfen
wir aber jenen Theil einer Kritik, so konnen wir in den Vorder-
grund stellen, dass die Theorie aus zwei Hypothesen besteht:
1. Das Protoplasma besteht aus zahllosen kleinen
Einheiten, welche die Trager der erblichen Eigen-
schaften sind.
2. Diese Einheiten sind den Molekiilen gleich zu stellen.
Die erste dieser beiden Hypothesen hat offenbar sehr
grosse Vorziige. Sie erkliirt die Haupterscheinungen der
Erblichkeit in einfacher Weise, und giebt namentlich von
der Selbstandigkeit und Mischbarkeit der einzelnen erb-
lichen Eigenschaften in geniigendem Grade Rechenschaft.
Sie ist identisch mit dem ersten Satze der Darwin'schen
Pangenesis, wie wir im dritten Kapitel noch des weiteren
sehen werden. Hire ausfuhrliche Besprechung wollen wir
ulso bis dahin verschieben, namentlich auch weil Elsberg
x) Perigenesis, S. 34.
s) 1. c. S. 52.
— 44 —
sie urn mehrere Jahre spater, unci audi bei weitem nicht
in so scharfer Weise ausgesprochen hat, wie Darwin.
Wir wenden uns also jetzt zur Kritik der zweiten
These. Elsberg spricht sich nirgendwo klar iiber die
Identitat seiner Plastidule mit den chemischen Molekiilen
aus. Er definirt sie als die kleinsten Theilchen, in denen
die erblichen Eigenschaften einer Zelle verborgen liegen J).
Diese Theilchen miissen grosser sein als die Molekule der
gewohnlichen Eiweisskorper, das gehe aus ihren so viel kom-
plizirteren Eigenschaften hervor. Ilaeckel widmet dieser
Identitat aber eine ausfiihrliche Besprechung 2). „Die Plasti-
dule besitzen zunachst alle die Eigenschaften, welche die
Physik den hypothetischen Molekiilen oder den zusammen-
gesetzten Atomen iiberhaupt zuschreibt. Mithin ist jedes
Plastidul nicht weiter in kleinere Plastidule zerlegbar, son-
dern kann nur noch in seine konstituirenden Atome zerlegt
werden" u. s. w.
So lange es sich nur urn die Erklarung der chemischen
Prozesse im Zellenleben handelt, reicht diese Hypothese
allerdings in hohem Grade aus. Die Produktion von ver-
schiedenen Verbindungen, wie z. B. von dem rothen Blumen-
farbstoff, kann man sich als eine Eunktion bestimmter
Molekule des Protoplasma vorstellen. Etwa in derselben
Weise, wie die Wirkung der Enzyme oder chemischen
Fermente. Sogar die Abscheidung der Cellulose kann man
nach deren Analogie zu erklaren suchen. Sobald es sich
aber um morphologische Vorgange handelt, lasst uns die
Hypothese vollig im Stich, denn die oft versuchte Ver-
gleichung mit der Kristallljildung giebt ja nur eine ent-
fernte Aehnlichkeit.
J) Elsberg, 1. c. S. 9.
2) Perigenesis, 1. c. S. 35, 36.
— 45 -
Vollig unbrauchbar ist aber die Hypothese gegeniiber
deni eigentlichen Attril)ute des Lebens , dem Wachsthum
durch Assimilation. Es leuchtet ein, dass jeder Versucb,
die Lebensvorgiinge aus den Eigenschaften der chemischen
Molekiile zu erklaren , diese Erscheinung in erster Linie
zu beriicksichtigen hat. Aber im grossen Peiche des Leb-
losen giebt es dafiir keine Analogic. Die chemischen Mole-
kiile wachsen nicht derart, dass sie nachher in zwei. dem
urspriinglichen gleiche Molekiile zerfallen konnen. Sie assi-
miliren nicht, und sind einer selbstandigen Vermehrung in
diesem Sinne nicht fahig. Sie besitzen iiberhaupt keine
Eigenschaften, aus denen man schon jetzt das Wachsthum
durch Assimilation audi nur hypothetisch erklaren konnte.
Hier liegt die grosse Schwierigkeit der Plastidulen-
hypothese. Allerdings sagt Haeckel: „Ausser den all-
gemeinen physikalischen Eigenschaften. welche die heutige
Physik und Chemie den Molekiilen der Materie im All-
gemeinen zuschreibt, besitzen nun die Plastidule noch be-
sondere Attribute, welche ihnen ausschliesslich eigenthiimlich
sind, und das sind, ganz allgemein gesagt, die Lebens-
eigenschaften, durch welche sich iiberhaupt das Lebendige
vom Todten, das Organische vom Anorganischen in der
hergebrachten Anschauung unterscheiclet." Es leuchtet
aber sofort ein, dass durch eine solche Hiilfshypothese die
Bedeutung der ganzen Hypothese umgeandert wird. Denn
mit demselben Rechte konnte man sagen, die Plastidule
seien keine Molekiile im Sinne der Physik, sondern sie
unterscheiden sich von ihnen grade durch die Lebens-
eigenschaften.
Es ware leicht, die Plastidulenhypothese in dieser
Pichtung weiter zu kritisiren. Sie fiihrt zu reinen Speku-
lationen. Den Atomen miissen wir nach Haeckel Empfin-
— 46 —
dung unci Willen beilegen !). Die Plastidule besitzen nach
seiner Theorie Geclachtniss ; cliese Fabigkeit fehle alien
anderen Molekiilen 2). Auch auf die Wellenbewegung der
Plastidule wollen wir nicht eingelien.
Uns kommt es nur darauf an, zu zeigen, dass der
Versucb, schon jetzt die Lebenserscbeinungen auf die Eigen-
schaften der Molekiile der lebendigen Materie zuriickzu-
fiihren, mindestens verfriibt ist. Man muss sich entweder
rait Elsberg auf solcbe Folgerungen bescbranken , welcbe
sicb aucb aus der Keimcbenbypotbese Darwin's ableiten
lassen, oder man ist gezwungen, an Stelle von Erklarungen
iiberall Hiilfsbypotbesen aufzustellen. Wahlen wir aber den
ersteren Weg, so gelangen wir von selbst zu der Annabme
unsicbtbarer Einbeiten von boberer Ordnung als die Mole-
kiile der Cbemie unci von so komplizirter Zusammensetzung,
dass jede aus einer grossen Anzabl von chemiscben Mole-
kiilen zusammengesetzt sein muss. Diesen Einbeiten miissen
wir Wacbstbum und Vermebrung als bis jetzt unerklarlicbe
Eigenscbaften zuscbreiben. In gleicb unerklarter Weise
miissen wir weiter annebmen, class sie das stoffliche Sub-
strat der erblicben Eigenscbaften sind. Lassen wir das
unerkliirt, so konnen wir vieles Andere uns klar macben.
Auf die Molekiile der Protoplasma zuriickgeben konnen wir
dann aber nicbt.
Somit konnen fiir uns die stofflichen Triiger der erl)-
licben Eigenscbaften nicbt mit den Molekiilen der Cbemie
identiscb sein, sie miissen als aus diesen aufgebaute, viel
grossere, wenn aucb unsicbtbar kleine Einbeiten aufgefasst
werden.
Auf diese Einbeiten den Namen Molekiile oder lebendige
J) Haeckel. 1. c. S. 38.
2) 1. c. S. 40.
— 47 —
Molekiile anzuwenden, scheint mir nicht erlaubt. Solches
kann nur zu Verwirrungen unci Missverstandnissen fiihren,
und geschieht thatsachlich auch wohl nur aus Mangel an
einer einfachen Bezeichnung. Als solche diirfte sich aber
der in der Einleitung vorgeschlagene Name „Pangene"
empfehlen.
Zweites Kapitel.
Die hypotketisclien Trager der Artcliaraktere.
§ 4. Einleitung.
Weitaus die meisten Forscher nehmen an, dass die
stofflichen Trager der erblichen Eigenschaften Einheiten
sind, deren jede, aus zahlreichen cliemischen Molekiilen auf-
gebaut, iiberhaupt ein Gebilde anderer Ot'dnung ist als diese.
Wachsthum durch Assimilation und Vermehrung durch
Theilung nimmt man fur sie stets an. Aus diesem Grunde
sind sie, wie bereits Darwin bemerkte, elier den kleinsten
bekannten Organismen, als den wirklichen Molekiilen an
die Seite zu stellen. Auf die Erklarung clieser Eigenscliaften
wird niclit eingegangen; sie werden einfach als Tbatsache
hingenommen. Die Theorie der Vererbung bedarf dieser
Erklarung aucli nicbt; sie kann einstweilen als Aufgabe
fur eine spatere Theorie des Lebens hingestellt werden.
Eine zweite Annahme liber die Natur jener bypotlie-
tischen Einheiten ist noch erforderlich. Sie bezieht sich
auf ihre Beziehung zu den erblichen Eigenscliaften. In
welcher Weise diese durch den Aufbau der Trager bestimmt
werden, dariiber werden bis jetzt keine Annahmen gemacht,
denn auch dieser Ausarbeitung bedarf die Theorie der
— 48 —
Vererbung vorlaufig nicht. Es liandelt sich nur um die
Frage, ob die Einheiten Trager der ganzen Artcharaktere
oder der einzelnen erblichen Eigenschaften sind. Spencer
und Weismann sind die Hauptvertreter der ersteren An-
sicht, Darwin's Pangenesis nimmt die letztere an.
Wir haben jetzt diese verschiedenen Meinungen einer
vergleichenden , Kritik zu unterwerfen. Es handelt sicb
dabei vorwiegend um die Frage. inwiefern die Hypothesen
selbst, wie sie soeben gescliildert wurden, und ohne weitere
Hiilfshypothesen zu einer Erklarung der Erscbeinungen
der Erblichkeit fiihren konnen.
§ 5. Spencer's physiologische Einheiten.
In seinem beriihmten Systeme der synthetischen Philo-
sophic hat Herbert Spencer wohl zum ersten Male den
Versuch gemacht, eine stoffliche Vorstellung der Erblich-
keit zu schaffen. Seine Prinzipien der B i o 1 o g i e .
welche den zweiten und dritten Band jenes Systemes bilden,
erschienen 1864 und 1867, also noch vor der Veroffent-
lichung von Darwiii's Pangenesis (1868). Sein Gedanken-
gang ist im AVesentlichen der folgende.
Die Knospenbildung aus Blattern u. s. w. lehrt uns.
dass die lebendigen Theilchen dieser Organe das Vermogen
der Reproduktion besitzen, und dasselbe zeigt bei Thieren
der Ersatz verlorener Glieder. Diese Theilchen konnen
nun nicht die Zellen selber sein, denn auch manche Zellen
konnen verlorene Theile ersetzen. Ebenso wenig konnen
es die chemischen Molekiile sein, da diese viel zu einfach
gebaut sind fur die Erklarung aller morphologischen Diffe-
renzen. Es miissen also Einheiten sein, welche zwischen
jenen beiden Grossen stehen, unsichtbar kleine, aber aus
— 49 —
zahllosen Molekulen zusammengesetzte Einheiten. Spencer
nennt diese physiological units1).
Jede solche Einheit vergegenwartigt den ganzen Art-
charakter; kleine Verschiedenheiten in ihrem Baue be-
dingen die Differenzen zwischen verwandten Arten (S. 183).
Eine Schwierigkeit empfindet Spencer bei der Er-
klarung der Befruchtung. Diese hat ja keinen Sinn, wenn
zwischen den beiden sich mischenden Gruppen von phy-
siologischen Einheiten nicht irgend eine Differenz obwaltet.
Somit ninnnt er an. dass auch die Einheiten verschiedener
Individuen in geringern Grade- ungleich sind. Es folgt dann
aber, dass in dera Kinde die beiden Arten von Einheiten
der beiden Eltern gemischt sind , im Kleinkinde die vier
verschiedenen Einheiten seiner Grosseltern u. s. w. Auf
diesem Wege wiirde man grade zu dem Gegentheile ge-
langen von dem. was man anfangs angenommen hat, nam-
lich die Gleichartigkeit aller Einheiten in demselben In-
dividuum (S. 253. 254 und 267).
Urn sich aus dieser Schwierigkeit zu retten, weist
Spencer auf die Bastarde. In diesen sind die physio-
logischen Einheiten zweier Arten gemischt. Aber die Ba-
starde pflegen in folgenden Generationen nicht konstant
zu bleiben, sondern in die elterlichen Formen zuruckzu-
kehren. Die ungleichartigen physiologischen Einheiten setzen
sich der Mischung also entgegen, sie stossen einander ab.
und suclien jede mit Ausschluss der andersartigen das
ganze Individuum zu bilden (S. 268). In derselben Weise
schliessen nun auch bei der normalen Befruchtung die un-
gleichen physiologischen Einheiten einander aus . und in
dieser Weise wird die Gleichformigkeit innerhalb jeden
Individuums in hinreichender Weise gesichert.
') H. Spencer, Principles of Biology. Vol I, 2. Aufl. S. 180—183.
de Vries, Intracellular Pangenesis. 4
— 50 —
Die physiological units vermehren sich auf Kosten
der Nahrstoffe (S. 254), und erzeugen dabei in der Regel
vollig gleiche neue Einlieiten. Unter dera Einflusse ausserer
Umstande erleiden sie aber bisweilen geringe Aenderungen
bei dem Vorgange der Vermehrung, und dieses ist die Ur-
sache der Variability (S. 287). Durch die Befruchtung
wird das in dieser Weise gestorte Gleiehgewiclit aber wieder
hergestellt (S. 289).
Auf dieser Grundlage lasst sich die Erblichkeit leicht
erklaren , sie beruht darauf , dass dem Kinde vom Vater
und von der Mutter die, seine Eigenschaften bedingenden
stofflichen Einlieiten mitgegeben werden. Vorherrschende
Aehnlichkeit des Kindes mit einem seiner beiden Eltern
beruht auf dem Vorwalten der betreffenden physiologischen
Einlieiten ; Atavismus auf dem Vorhandensein der von dem
betreffenden Vorfahren ererbten Einlieiten. Viele andere
Erscheinungen werden von Spencer in ahnlicher einfacher
Weise erklart.
Spencer's Theorie hat ohne Zweifel die Vorziige eines
klaren, in sich abgeschlossenen Systemes. Aber dem in
unserem ersten Abschnitte entwickelten Gedankengange tragt
sie keine Rechnung. Geht man von jenen allgemeinen Be-
trachtungen aus , so kann sie somit nicht befriedigen.
Namentlich die Organdifferenzirung kann sie nicht in ge-
niigender Weise erklaren, und der Versuch, sie mit dieser
in Uebereinstimmung zu bringen. wiirde ihre Grundlage als
unberechtigt erkennen lassen. Da solches aber audi von
Weismann's Theorie der Ahnenplasmen gilt, so verweise
ich den Leser in Bezug hierauf auf den Schluss des nachsten
Paragraphen.
— 51 —
§ 6. We is ni a iin's Ahiienplasmen.
In einer Reihe von gedankenreichen Schriften hat
August Weismann in dem letzten Jahrzehnte die allgemeine
Theilnahme des wissenschaftlichen Publikums fur die prin-
zipiellen Fragen der Erblichkeit rege zu machen gewusst.
Er basirt sich dabei auf die neuesten Errungenschaften
auf dem Gebiete der Zellenlehre und des Befruchtunsts-
prozesses.
Ausgehend von der Ueberzeugung, dass die Entstehung
der Kinder aus stofflichen Theilchen ihrer Eltern die Ur-
sache der Erblichkeit ist und dass im molekularen Ban
des Protoplasma im Grunde die Losung des grossen
Kiithsels zu suchen sei . sucht er sich von diesem Baue
eine bestimmte Vorstelltmg zu machen. Er geht davon
aus, dass bei niederen Organismen. welche nocli keine ge-
schlechtliche Differenzirung besitzen, das Keimplasma eines
jeden Individuums nocli vollig gleichartig sein muss. Bei
der Befruchtung muss aber eine Mischung der beiden elter-
lichen Keimplasmen stattfinden . und so finden sich im
Kinde zwei , im Kleinkinde vier Arten von Keimplasma
gemengt ]). In den Kindern der ersten geschlechtlich er-
zeugten Generation werden die beiden Arten von Keim-
plasma jedes nur in halber Menge enthalten sein. in den
Kleinkindern nur in einem Yiertel der urspriinglichen
Menge. In jeder folgenden Generation wird das Keim-
plasma also aus einer grosseren Zahl von .unter sich un-
gleichenEinheiten, den sogenannten Ahiienplasmen. bestehen.
Dieses kann aber nur so lange zunehmen, bis die Zahl der
Ahnenplasmen die der kleinsten Einheiten der ganzen Ver-
x) A. Weismann. Deber die Zahl der Riclitungskorpercben. 1887
S. 30.
4*
— 52 —
erbungssubstanz erreicht. Diese Einheiten, anfanglich unter
sick ganz gleich, sind es jetzt niclit mehr, sie tragen aber
jede in sich die Tendenz, unter gewissen Verhaltnissen die
gesammten Eigenschaften der betreffenden Ahnen auf den
neuen Organismus zu iibertragen.
"Wenn nun bei Arten mit derart zusammengesetztem
Keimplasma geschlechtliche Fortpflanzung stattfindet, — und
alle lebenden sexuell differenzirten Arten miissen offenbar
dieses Stadium langst erreicht haben, - - so kann eine weitere
Yermehrung der Almenplasmen im Keimplasma nicht mehr
stattfinden. Es muss somit von Zeit zu Zeit die Zahl der
Almenplasmen reduzirt werden. In der Abtrennung der
Richtungskbrperchen von dem Eie vor der Befruchtung
erblickt er einen Prozess, dessen Aufgabe grade diese Re-
duktion ist ]).
Diese Verminderung der Erbstiicke im Ei, wie sie
Weismaim nennt, ist offenbar eine nothwendige Folge von
der urspriinglichen Annahme der Gleichformigkeit des
Keimplasmas. Es ist sehr lehrreich. dass zwei so hervor-
ragende Denker wie Spencer und Weismann, von der-
selben Hypothese ausgehend, zu einer im Prinzipe gleichen
Hiilfshypothese gelangt sind. Man darf daraus wohl
schliessen, dass, wer die letztere nicht annehmen will, audi
das Prinzip der Gleichformigkeit des Keimplasmas auf-
geben muss.
Weismann hat s'eine Theorie in klarer Weise mit den
Resultaten der Zellenforschung in Verbindung gebracht.
Er nimmt an, dass der Kern das Wesen seiner Zelle
beherrsche und bestimme, und dass also fiir sammtliche
Funktionen der Zelle die stoff lichen Trager der erblichen
J) 1. c. S. 32 ff.
— 53 —
Eigenschaften im Kerne liegen miissen. Er nimmt weiter
an , class diese letzteren in clem chromatischen Faden des
Kernes reihenweise angeordnet sind, unci weist darauf hin,
wie bei dieser Annahme durch die Langsspaltung der Kern-
schleifen die erblichen Anlagen alle getheilt, unci jede den
beiden Tochterzellen zugewiesen werden miissen.
Auf diesen unci ahnlichen Vorstellungen fussend, be-
handelt er auch die Frage nach der Ursache der Ver-
schiedenheiten zwischen don einzelnen Organen eines In-
dividuums. Es ist klar, dass diese Frage eine grosse
Schwierigkeit der Theorie bildet. Denn die Annabme von
den Almenplasmen, deren jedes die gesammten Eigen-
schaften eines Individuums vergegenwiirtigt , kann an sicb
eine Antwort nicbt geben . namentlieh in Verbindung mit
der soeben erwahnten Tbese. dass die Natur des Kernes
die Eigenscbaften seiner Zelle bestimmt.
Sehen wir zu, welcbe Hiilfshypotbese Weisinann wahlt.
Die Theorie der Vererbung fordert, dass auf den Keini-
bahnen a) die Vollstandigkeit des Keimplasmas gewahrt
bleibe. Denn jede Eizelle und jede Knospe erhalt im
Grunde dieselben erblichen Anlagen, wie die Keimzellen
der vorherigen Generation. Auf alien Generationsfolgen
von Zellen, welcbe von einer Eizelle zu den nachstfolgenden
Keimzellen fiihren, unci das sind ja die Keimbahnen, muss
also das Keimplasma dasselbe bleiben. In alien iilnigen
Zellen aber, welcbe nicht zu reproduktionsfahigen Organen
gehoren. braucht solches nach Weisuiaim nicht der Fall
zu sein. Im Gegentheil. aus der einseitigen Differenzirung
dieser Zellen glaubt er auf eine entsprechende Reduktion
ihres Keimplasmas schliessen zu miissen. Jede somatische
a) Vergl. den ersten Abschnitt des zweiten Theils.
— 54 —
Zelle erhalte bei ihrer Entstehung nur diejenigen erblichen
Anlagen, deren sie selbst und ihre Nachkommen bediirfen
werden.
Gegen diese Annalime sincl von verschiedenen Seiten
Bedenken erhuben worden , und einige davon werden wh-
in unserem Absehnitte iiber die Zellularstammbaume aus-
fiihrlicher schildern. Hier aber miissen wir auf die prin-
zipielle Seite der Frage eingehen, namlich auf die Beziehung
der Hiilfshypotliesen zuin Prinzipe unseres Autors selbst.
Das Prinzip ist die Annalime von Einheiten, deren
jede die sammtlichen oder doch naliezu sammtlichen erb-
lichen Eigenschaften der Art zu reproduziren vermag. Es
gebe fiir jedes Individuum nur eine Vererbungssubstanz.
nur einen materiellen Trager der Vererbungstendenzen J).
Allerdings ist dieser aus unter sicli in geringem Grade
verschiedenen Ahnenplasmen zusammengesetzt. Einer iiber-
massigen Anhaufung verscbiedenartiger Vererbungsten-
denzen miisse nothwendig durch irgend welche Einrichtungen
vorgebeugt werden. Die Differenzirung der Organe fordert
aber. wie wir in unserem ersten Absehnitte gesehen haben.
die Theilbarkeit jener kleinsten Einheiten des Keim-
plasmas, und zwar in genau demselben hohen Grade, welchen
die Verschiedenheiten der einzelnen Glieder und Zellen
eines Organismus selbst erreichen. In den somatischen
Zellen muss das Keimplasma somit allmahlig in jene Kom-
ponenten zerlegt werden, und diese sind somit die Trager
der einzelnen erblichen Eigenschaften.
Erlauben wir uns fur einige Augenblicke auf dieser
Folgerung weiter zu bauen, ohne die Hauptannahme zu
berucksichtigen. Dann muss offenbar das Keimplasma
') Ueber die Zahl der Riehtungskorper, S. 29.
— 55 —
iiberall aus diesen selben Komponenten bestehen. und so
wohl bei den niedersten, der Befruchtung niclit theilhaften
Organismen, wie in den Keimzellen der hoheren Pflanzen
und Thiere miissen wir als stoffliche Grundlage der Erb-
lichkeit zahlreiche, den einzelnen erblichen Eigenschaften
entsprechende, mit einander nicht untrennbar verbundene
stoffliche Trager annebmen. Diese Annahme macht aber
die der Ahnenplasmen vollig iiberfliissig. Ebenso liegt
kein Grund mehr vor anzunehmen, dass die Ahnenplasmen
nach der Befruchtung getrennt neben einander im Kerne
liegen wiirden, viel wahrscheinlicher ist es, dass ihre einzelnen
Komponenten sich hier mischen werden. Es ist leicht ein-
zusehen, dass dabei die ganze Hiilfsbypothese einer gelegent-
lichen Reduktion der Zahl der Ahnenplasmen hinfallig
werden kann.
Mit einem Worte : Unter Beriicksichtigung der Organ-
differenzirung leitet Weisilianil's Theorie von selbst zu der
ganz entgegengesetzten Annahme von einzelnen stofflichen
Tragern fiir die einzelnen erblichen Eigenschaften.
§ 7. Nageli's Idioplasma.
In seiner mechanisch -phy siol ogis chen Theorie
der Abstammung hat X3g:eli vor einigen Jahren den
Begriff des Idioplasmas aufgestellt l). Im Gegensatze zum
iibrigen Protoplasma ist es der Trager der erblichen Eigen-
schaften. Jede wahrnehmbare Eigenschaft ist als Anlage
in ihm vorhanden; in jedem Individuum derselben Art. ja
in jedem Organe einer Pflanze ist es etwas anders zusammen-
gesetzt. Es ist niclit auf den Kern beschrankt, sondern
J) C. v. Niigeli. Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam-
mungslehre 1884, S. 21—31.
— 56 —
clurchzieht den ganzen Protoplasten als vielfach gewundener
Strang. Alle Querscheiben in diesem Strange sincl sich
gleich, jede enthalt alle erblichen Anlagen. Dalier bei
der Zelltheilung die Tocbterzellen . mit ihrem Theile des
Stranges, aucb alle erblichen Anlagen mit bekommen.
Die Beschaffenheit des Idioplasmas wird dnrch seine
moleknlare Ziisammensetzung bestimmt. nnd namentlich
durch die Anordnung seiner kleinsten Theilchen. Diese
sind zu Schaaren vereinigt, welch e wiederum zn Bin-
heiten hoherer Ordnnng verbunden sind. Diese letzeren
stellen die Anlagen fur die Zellen , Gewebssysteme und
Organe dar. Das Idioplasma ist eine ziemlich teste Sub-
stanz, in welcher die kleinsten Theilchen durch die in dem
lebenden Organismus wirksamen Krafte keine Verschiebung
erfahren, denn grade die gegenseitige Anordnung der
Molekiile bedingt die Natur der erblichen Anlagen.
Im Idioplasma sind die Merkmale, Organe, Einrich-
tungen und Funktionen, die alle uns nur in sehr zusammen-
gesetzter Form wahrnehmbar sind, in ihre wirklichen Ele-
mente zerlegt. Diese Elemente sind offenbar die einzelnen
erblichen Anlagen, durch deren mannigfach wechselnde
Zusammenftigung die sichtbaren Eigenschaften entstehen.
Diese Elemente selbst werden von Niig'di aber nicht scharf
in den Vordergruncl gestellt, es kommt ihm mehr darauf
an, zu betonen , dass auch ihre Eigenschaften durch ihren
molekularen Bau bedingt sind, und dass sie selbst wieder
durch ihre gegenseitige Aneinanderlagerung das ganze Idio-
plasma aufbauen.
Riicksichtlich der Anordnung der Elemente im Idio-
plasma, sowie bezuglich der Frage, wie das Idioplasma
seine Anlagen zur Entfaltung bringe, lassen sich aus der
Theorie keine bestimmte Folgerungen ableiten; hier ist den
Hypothesen noch ein weites Feld geoffnet 1). Ueberhaupt
ist aber die feste gegenseitige Anordnung der Elemente
der wichtigste Punkt, in welchem Xiigeli von seinen Vor-
gangem abweicht. TVeder Spencer noch Weismann gehen
auf diese Frage ein, und Darwin's Pangenesis nimmt grade
eine verhaltnissmassig lose Verbindung jener Elemente an.
eine derartige wenigstens, welche einer gegenseitigen Durch-
dringung und Mischung kein Hinderniss entgegenstellt.
Die Frage, wie sich die Idioplasmastrange der beiden Eltern
bei der Befruchtung vereinigen, wird von Xageli audi nur
kurz beriihrt -), und die ganze Darlegung dieses Gegen-
standes zeigt die grossen Schwierigkeiten, welche die Hypo-
these von dem festen Zusammenhange des Idioplasmas bietet.
Xiigeli's Theorie erklart uns das Wachsthum durch
Assimilation und die Vermehrnng der stofflichen Trager
der Erblichkeit ebenso wenig wie jede andere Theorie.
Dass die Eigenschaften jener Elemente durch ihren mole-
kularen Auf bail gegeben sind, ist ebenso wenig ein Vorzug
seiner Theorie, es ist eine aus unseren allgemeinsten Be-
griffen abgeleitete Folgerung, welche sich auf die hypo-
thetischen Einheiten einer jeden Vererbungstheorie mit
gleichem Rechte anwenden liisst. Wie aber jener mole-
kulare Bau die erblichen Anlagen erklart, dariiber erfahren
wir hier selbstverstandlich ebenso wenig wie bei den anderen
Theorien. Es ist eine schwache Seite des Xiigeli'schen
Werkes, dass diese bis jetzt unerklarlichen Thatsachen nicht
klar als solche bezeichnet werden , und dass die gemein-
schaftliche Basis der verschiedenen Theorien nicht einfach
als solche hingestellt wird.
J) 1. c. S. 68.
8) 1. c. S. 215-220.
58
§ 8. Allgemeine Betrachtungen.
Meiner Ansicht nach beweisen die oben kurz geschil-
derten Theorien klar, dass der Grundgedanke der Pan-
genesis, differente stoffliche Trager fur die einzelnen erb-
licben Eigenschaften , nicbt zu umgehen ist. Spencer.
welcher vor Darwin schrieb, hatte diesen Gedanken nicht.
ihra war es unmoglich, eine befriedigende Erklarung der
Organdifferenzirung zu geben. Weisinann's Theorie leitete,
wie wir bereits geseben baben , ihren Urheber selbst in
dieser Richtung , und zwang ilm , eine Theilbarkeit seines
Keimplasma in diesem Sinne melir oder weniger klar zu zu-
geben. Und aueh NRgeli's Idioplasma ist im Grunde aus
jenen Elementen aufgebaut.
Je genauer wir diese Theorien betrachten, um so melir
werden wir finden, dass ihre Leistungsfahigkeit in jener
implicite gemacbten Annahme liegt, wabrend ihre Schwierig-
keiten zum grossten Theil durch die iibrigen Hypothesen
entsteben. Nennen wir die stofflicben Trager der einzelnen
erblichen Eigenschaften, aus denen man sicb die physio-
logischen Einheiten, die Ahnenplasmen und das Idioplasma
zusammengesetzt denken muss, einstweilen ihre Elemente.
so reicht offenbar die Annahme soldier Elemente an sicb
bin, um die Thatsache der Erblichkeit zu erklaren. Die
vorberrschende Aebnlichkeit der Kinder mit einem der
beiden Eltern, und die Erscheinungen des Atavismus werden
uns dadurcb ohne weitere Annahmen verstandlich.
Die von Spencer und Weismann als notbwendig be-
tonte Folgerung ihrer Theorie, die Reduktion der Zabl
der Einheiten, welche der erstere durch gegenseitige Ab-
stossung, der letztere durch die Richtungskorper zu Stande
komnien lasst, ist eine Schwierigkeit, welche aus dem von
— 59 —
beiden Denkern angenommenen Verbande der „Elemente".
niclit aus der Annahme dieser selbst hervorgeht. Lasst
man die Gruppirung der Elemente zu Einheiten oder Ahnen-
plasmen fallen , so ist eine solche Reduktion vollig iiber-
tiiissig geworden, da die einzelnen Elemente sich nach der
Befruchtung im Ei in ahnlicher Weise anordnen konnen,
als vorher im Ei und in der Spermazelle. Und die Er-
scheinungen des sogenannten Art-atavismus, in denen die
Arten latente Eigenschaften behalten, welche sie von ihren
Vorfaliren geerl)t haben, wie z. B. die Primula a caul is
caulescens, zeigen, dass latente Eigenschaften niclit ab-
geworfen zu werden brauchen. sondern durch Tausende von
Generationen belialten werden konnen. Im Idioplasma ist die
feste Verbindung der ,.Elemente" am weitesten ausgearbeitet.
Aber grade daran scheitert dann auch jeder Versuch, die Hypo-
these mit den Vorgangen der Befruchtung und der Bastar-
dirung in Einklang zu bringen. Denn diese Prozesse lehren
uns. dass die erblichen Anlagen mischbar sind, die Idio-
plasmastrange sind dieses aber niclit.
Die Variabilitat lehrt uns. dass die einzelnen Anlagen
unabhangig von anderen sich bedeutend vermehren, und
andererseits fast verschwinden konnen. Und bei der Arten-
bildung ist dieses Vermogen im grossartigsten Maassstabe
ausgeniitzt worden. Im festen Verbande des Idioplasmas
diirfte ein solches Benehmen der einzelnen „Elemente" aber
im hochsten Grade erschwert. wenn nicht gar unmoglich sein.
Den festen Verband der ,,Elemente" zu physiolo-
^ischen Einheiten, Ahnenplasmen oder Idioplasma konnen
wir also nicht aufrecht halten. Er leitet nicht nur in den
hervorgehobenen Fallen, sondern fast uberall zu Wider-
spriichen mit den Thatsachen. oder doch zu iiberfiussigen
Annahmen. Grade auf diesen Verband haben aber die
— 60 —
Urheber dieser Theorien das grosste Gewicht gelegt. die
Annahme der „Elemente" haben sie nirgendwo als selb-
standige Annahme liervorgehoben urid von ihren iibrigen
Hypothesen getrennt betrachtet.
Lassen wir diesen Verband fallen , so ist der Kern
aller Theorien derselbe, wie der der Pangenesis, wie im
Anfange dieses Paragraphen bereits liervorgehoben wurde.
Drittes Kapitel.
Die hypotlietisclieii Tr&ger der einzelnen erbliclien
Eigenschaften.
§ 9. Einleitung;.
Die im ersten Abschnitt niedergelegten Ansichten iiber
das Wesen der Erblichkeit fiihrten uns zu der Ueber-
zeugung, duss die erbliclien Eigenschaften Einheiten sein
miissen, welche in hohem Grade selbstiindig. und in den
verschiedensten Gruppirungen in der Natur zusammen-
gestellt sind.
Andererseits leitete uns eine kritische Betrachtung
der bisher besprochenen Theorien dazu, in alien einen
mehr oder weniger scharf ausgebildeten Kern zu erkennen.
welcher fur die einzelnen erbliclien Eigenschaften stoffliche
Trager annimmt. Diesen Kern herauszuschalen war unsere
Aufgabe. ihre Berechtigung war durch jene Ansichten ge-
geben. Wahrend die Losung dieser Aufgabe uns aber
bisher nur mit Miihe gelang, liegt in Darwin's Pange-
nesis grade dieser Kern offen zu Tage.
Die Annahme der differenten stofflichen Trager der
einzelnen erbliclien Eigenschaften wurde von Darwin zum
— 61 —
ersten Male ausgearbeitet. Die grossen Erscheinungen der
Natur. Avelche diese Annahme fordern, und von denen ich
im ersten Absclmitt nur ein schwaches Bilcl entwerfen
konnte. wurden von ilim klar erfasst und in meisterhafter
Weise zusammengestellt. Das ganze Werk iiber das Variiren
der Pflanzen und Thiere lauft gleichsain auf die Begriin-
dung dieses Grundgedankens aus. den er dann in der Pan-
genesis weiter ausgearbeitet und mit den widerstrebenden
Erfahrungen in Einklang zu bringen gesuclit hat.
Merkwiirdig ist . dass Darwin mit beschamender Be-
scheidenlieit diesen Grundgedanken als eine berrscbende
Ansicht. niclit als eigene Entdeckung hinstellt. Er lioffte
sogar seine Meinung mit Spencer's Tlieorie identifiziren zu
konnen1). Aber so wenig war diese Ansicht herrschend,
dass seine Kritiker sic nur in einzelnen Fallen von den
Hulfshypothesen getrennt haben, und dass die meisten mit
diesen JSTebenannahmen audi den Grundgedanken verworten
haben. Doch gehen wir zu der Analyse der Darwin'schen
Tlieorie iiber.
§ 10. Darwin's Pangenesis2).
Die sogenannte provisorische Hypothese der Pangenesis
besteht. wie bereits in der Einleitung erwahnt. nach meiner
Auffassung aus den beiden folgenden Theilen:
I. In den Zellen giebt es zahllose, unter sich ver-
schiedene Theilchen, welche die einzelnen Zellen. Organe.
Punktionen und Eigenschaften des ganzen Individuums ver-
gegenwartigen.
J) Darwin, Variations II S. 371 Note.
2) Die wichtigsten Satze aus diesem Paragraplien babe icb be-
reits in der Einleitung zusammengestellt (S. 1 — 6) ; eine Wiederbolung
lasst sich aber nicbt gut vermeiden.
— 62 —
Diese Theilchen sind viel grosser als die chemischen
Molekiile imd kleiner als die kleinsten bekannten Orga-
nismen *) ; jedoch am meisten mit den letzteren vergleich-
bar, da sie sich, wie diese, durcli Ernahrung und Wachs-
thum theilen und vermehren konnen.
Sie konnen durcli zalillose Generationen unthatig bleiben,
und sich dann dementsprechend nur schwach vermehren, um
spater einmal wieder aktiv zu werden, und anscheinend
verlorene Eigenschaften zur Ausbildung gelangen zu lassen
(Atavismus).
Sie gehen bei der Zelltheilung auf die Tochterzellen
iiber ; dieses ist der gewohnliche Vorgang der Vererbung.
II. Ausserdem sondern aber die Zellen des Organismus
in jedem Entwickelungsstadium solche Theilchen ab, welche
den Keimzellen zugefiibrt werden und diesen jene Eigen-
schaften mittheilen, welche die betreffenden Zellen wahrend
ihrer Entwickelung etwa erworben haben.
Diese beiden Theile miissen getrennt von einander be-
trachtet werden. Sie verdienen dieses um so mehr, als
ihre Bedeutung bis jetzt allgemein verkannt wurde.
Die hypothetischen „Theilchen" hat Darwin, wegen
der im ersten Hauptsatze erwahnten Analogie, „gemmides"
oder „Keimchen" genannt. Ein ungliicklich gewahlter Aus-
druck; der viel dazu beigetragen hat, seiner Theorie un-
iiberwindliche Schwierigkeiten zu bereiten. Sie hat bei
vielen Lesern die Vorstellung von „vorgebildeten Keimchen"
wachgerufen, welche docli der Darwin'schen Auffassung
nicht im entferntesten entspricht. Im Gegentheil miisste
man nach dem zweiten Hauptsatze sagen, dass sie erst nach
der Erwerbung bestimmter Eigenschaften, oder hochstens
x) Darwin, Variations II S. 372.
— 63 —
gleichzeitig mit diesen entstiinden. Doch wollen wir darauf
nicht weiter eingehen.
Weitaus die meisten Eorscher haben in ihrer Kritik
nur den zweiten Hauptsatz beriicksiclitigt. Wo von Pan-
genesis die Rede ist. wird fur gewohnlich nur diese Hypo-
these gemeint. Die ganze Theorie wird mit dieser Hiilfs-
annahme identifizirt, der Transport der Keimchen als die
Hauptsaclie betrachtet.
Ich gestehe, dass, wenn man jenes Kapitel oberflachlich
liest, es leiclit diesen Eindruck macht. Aber wenn man es
zu wiederliolten Malen aufmerksam liest, tritt immer mehr
die Transportliypothese in den Hintergrund, der in dem
ersten Hauptsatze wiedergegebene Grundgedanke aber in
den Vordergrund.
Es liegt dieses zum Theil in der Schwierigkeit, sicli
sogleich in die grossen Gedanken des genialen Forschers
einzuleben, zum Theil aber auch in dem bereits hervor-
gehobenen Umstande, dass Darwin selbst die ersten Siitze
als selbstverstandlieh und allgemein bekannt hinstellt, und
nur den letzten als seine eigene Hypotliese vorfiihrt1).
Die Annahme des Keimchentransportes, welcbe schon
von Darwin selbst. namentlich fur Pflanzen, in hohem
Grade beschrankt war, ist so oft und mit so vielem Scharf-
sinn bestritten worden, dass es uberniissig ware, sie bier
weiter zu kritisiren. Namentlich hat Weisuiann sich das
grosse Verdienst erworben zu zeigen, wie wenig sie von gut
bekannten Thatsachen und gesicberten Erfahrungen ge-
fordert wird. Die von Darwin zusammengestellten Falle,
welcbe sie zu fordern schienen 2), waren ja Ausnahmen, und
:) Auch iu seinen Briefen legt er den meisten Nachdruck auf diesen
Theil. Vergl. Life and Letters of Charles Darwin, Vol. Ill S. 72—120.
2) Die bekannten Versuche von Brown-Sequard , welche so oft
— 64 —
ihre Glaubwiirdigkeit ist von Weismann tief erschiittert
worden J). Icli glaube somit hier nur auf die Schriften
dieses Forschers binzuweisen zu baben -).
Befreit von der Hypotbese des Keimclientransportes
erscheint uns nun die Pangenesis in reinster Form. Sie
ist die Annabme besonderer stofflicber Trager fur die ver-
scliiedenen erblicben Eigenschaften. Zwar spriclit sicb
Darwin liber das, was er Eine erblicbe Eigenscbaft nennt.
niclit iiberall deutlicb aus, und gelegentlicb werden kleine
Gruppen von Merkmalen, oder gewisse morpbologiscbe Ein-
beiten Avobl als solcbe betracbtet. Aber das liegt in der
Unvollstandigkeit unserer dermaligen Kenntnisse, welche
jetzt nocb in vielen Fallen niclit gestatten das Prinzip
durcbzufiibren. denn iiber dieses selbst ist unser Autor sicb
vollig klar. Jede Eigenscbaft, welcbe unabhangig von
anderen variiren kann, muss nacb ibm an einen besonderen
stofflicben Trager gebunden sein s).
Ueber die Art und Weise , wie diese bypotbetiscben
Trager in den Zellen vereinigt sind, bat Darwin sicb niclit
ausgesprochen, er bebt nur bervor, dass jede sicb unab-
bangig von den anderen vermebren kann, wenn aucb haufig.
wie die Erscbeinungen der Variabilitat lebren, diese Ver-
als Stiitzen fiir die Lehre von der Erblichkeit erworbener Eigen-
schaften angefiihrt werden, wurden von Darwin selbst als seiner Hy-
potliese des Keimclientransportes entgegenstebend betracbtet. Vergl.
Darwin, Variations II S. 392.
x) A. AVeismann. Ueber die Vererbung 1883; Derselbe, Die
Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung fiir die Selektionstheorie, 1886
S. 93 u. s. w.
2) Aucb die sogenannten Propfbybride und die Angaben iiber
einen Einfluss des mannlichen Elementes auf die den Keim umgeben-
den Theile beweisen nacb meiner Ansicbt die Notbwendigkeit der
Annabme eines Transportes nicht. Vergl. den zweiten Theil , Ab-
scbnitt IV § 5.
3) Darwin, Variations 2. Ed. 1875 II S. 378.
— 65 —
mehrung in kleinen Gruppen von Tragern gleichzeitig
stattfindet.
In der Einleitung habe ich die Griinde genannt, welche
mich bestimmen, den Namen „Keimchen" aufzugeben. Er
ist, in Aller Vorstellung, zu sehr mit der Transport-
hypothese verbunden. Es sei mir gestattet, die hypo-
thetischen Trager der einzelnen erblichen Anlagen mit
einem neuen Namen zu belegen und Pangene zu nennen1).
§11. Kritische Betrachtungen.
Unter Darwin's Kritikern verdient in erster Linie
Han stein genannt zu werden. Denn Keiner hat von der
Pangenesis eine so klare und richtige Wiirdigung gegeben
wie er, Keiner in so deutlicher Weise die Schliisse, zu
denen sieleitet, auseinandergesetzt. Leidermusste Hanstein,
durch seine besondere Geistesrichtung, diese Folgerungen.
und somit auch die gauze Theorie, verwerfen -).
Hanstein verwirft zunachst mit gutem Grunde den
Namen Keimchen und nennt die Darwin'schen Einheiten
Mikroplaste oder Archiplaste. Und inclem er die Transport -
hypothese leugnet, schliesst er aus der Pangenesis 3) : „Man
miisste sogar die Hypothese raachen, dass jede Zelle des
ganzen Pflanzenleibes bei ihrer Entstehung sofort von ihrer
Mutterzelle mit jeder Art von Archiplasten beschenkt
werde'"'4). Die Richtigkeit dieser Polgerung wird wohl jetzt
von alien Lesern als nothwendige Konsequenz der Annahme
der Archiplaste zugegeben werden. wie denn auch diese in
') Vergl. die Einleitung S. 6.
2) J. Hanstein , Beitrage zur allgemeinen Morphologie der
Pflanzen in Botan. Abhandl. Bd. IV Heft 3 1882.
3) 1. c. S. 219.
4) 1. c. S. 223.
d e Vrie s, Intracellular Pangenesis. 5
— 66 —
den Ei- unci Spermazellen von der einen Generation auf die
andere iibergefiihrt werden ]).
Die Einwande Hanstein's mochte ich hier iibergehen.
Sie beruhen vorwiegend auf seiner Ueberzeugung, dass es
unerlasslich sei, fur die Organismen eine eigene Naturkraft
anzunelimen -).
Weismann hat sich gegen die Annahme differenter
Trager der einzelnen erblichen Eigenschaften in seinem
Vortrage iiber die Vererbung (1883. S. 16) ausgesprochen.
Es lasst sich bei dieser Auffassung, nach ihm, nicht ab-
sehen, wie diese „Molekiile" genau in derjenigen Kombi-
nation beisammen bleiben sollten, Avie sie eben das Keim-
plasma der betreffenden Art ausmacht. Ohne Zweifel ist
das die Hauptschwierigkeit, und wie schwer diese wiegt,
zeigt uns der Umstand, dass sie die wichtigste Veranlassung
zu der Aufstellung der im vorigen Kapitel besprochenen
Theorien gewesen ist.
Diese Schwierigkeit ist aber kein Einwand. Allerdings
lasst sich nicht angeben, wie die einzelnen Pangene etwa
zusammengehalten werden konnten. Aber die neueren
Untersuchungen iiber die Kerntheilung haben uns eine Ein-
sicht in iiusserst komplizirte Vorgange eroffnet, welche
offenbar eine gesetzmassige Vertheilung der erblichen Eigen-
schaften auf die beiclen Tochterzellen zum Zweck haben.
Es ist nicht anzunelimen, class wir bereits heute am Ende
der Kernforschung stehen sollten , im Gegentheil diirfen
die bis jetzt gemachten grossen Entdeckungen in uns die
Hoffnung wachrufen, dass noch manche andere verwickelte
Yorgange, von denen wir jetzt keine Ahnung haben, in
den Kernen einmal aufgefunden werden konnen. Die
J) 1. c. S. 219.
«) 1. c. S. 225.
— 67 —
Thatsache, dass wir nicht wissen. wie die hypothetischen
Pangene zusammengehalten werden, ist also kein Einwand
gegen diese Annahme. Sie braucht nicht durch Hiilfs-
liypothesen beseitigt zu werden, sondern ist einfach dem
weiteren Studium der Vorgange in den Protoplasten und
ihren Kernen anlieim zu stellen.
Ein vielfach gemachter Einwand ist die Nothwendig-
keit, so zahllose differente Pangene anzunehmen r). An-
scheinend ist allerdings die Annahme von Tragern des
ganzen Artcbarakters viel einfacher. Es bedarf dann fur
jede Art nur Einer hypothetischen Einheit. Aber be-
schranken wir uns nicht auf die Betrachtung Einer Spezies,
sondern dehnen wir unsern Blick auf die ganze Organismen-
welt aus, so fiillt dieser Einwurf, wie bereits im ersten
Abscbnitte bemerkt, in sich zusammen.
Denn dann miissen wir so viele Einheiten annehmen,
als es Arten giebt und gegeben hat, und die Zahl wird
unendlich viel grosser. Denn die Darwin'schen Einheiten
kehren fast jede bei zahlreichen . viele bei nahezu alien
Pfianzen oder Thieren zuriick, und es reicht eine relativ
geringe Anzahl soldier hypothetischen Pangene aus . urn
durch die verschiedenen moglichen Gruppirungen die ge-
sammten Artunterschiede zu erklaren. Ira Grunde ist so-
mit die Annahme von Pangenen die einfachste, welche wir
machen konnen, und dieses ist offenbar ein grosser Vorzug.
Eine weitere Vergleichung der Pangenenlehre rait den
von anderen Forschern aufgestellten Theorien glaube ich an
dieser Stelle unterlassen zu konnen. Denn sie ist im Grunde
in meiner Kritik jener Ansichten enthalten und wild sich
J) Vergl. Weismann. Die Bedeutung- der sexuellen Fortpflanzung-
1886 S. 102 £f.
5*
— 68 —
ferner von selbst a.us der im folgenden Paragraphen zu
gebenden Ausarbeitung des Grundgedankens ergeben.
§ 12. Schluss.
Die Betrachtungen des ersten und die kritischen Er-
orterungen des zweiten Abschnittes haben uns dazu ge-
fiihrt , Eine Hypothese iiber die stoffliche Grundlage der
erblichen Eigenschaften als unumganglich anzuerkennen.
Sie ist gewissermassen ein Postulat, zu welchem ein Jeder,
der iiber diese Fragen nachdenkt, mehr oder weniger
sicber gelangen muss . und welcbes wir denn auch in den
besten Tbeorien der Vererbung stets als Kern haben zuriick-
finden konnen.
Versuchen wir zum Sclilusse diese Hypothese moglichst
einfach vorzufiihren und die wichtigsten Erklarungen an-
zudeuten, welche sie uns olme Hiilfshypothesen zu geben
im Stande ist.
Im ersten Abschnitt haben wir die Ueberzeugung ge-
wonnen. dass die erblichen Anlagen selbstandige Einheiten
sind. aus deren zahllosen verschiedenen Gruppirungen die
Artcharaktere hervorgehen. Jede solche Einheit kann un-
abhangig von den andern variiren, jede kann. in unseren
Kulturversuchen, fiir sich Gegenstand experimenteller Be-
handlung sein.
Die erblichen Eigenschaften sind gebunden an die
lebendige Materie; die Erblichkeit beruht darauf, dass die
Kinder aus einem stofflichen Theile ihrer Eltern entstehen.
Die sichtbaren Merkmale der Organismen werden durch
die unsichtbaren Eigenschaften der lebendigen Materie be-
stimmt.
In dieser lebendigen Substanz nehmen wir fiir die
— 69 —
einzelnen erblichen Eigenschaften besondere stoffliche Trager
an. Dieses ist der Grundgedanke von Darwin's Pange-
nesis, zu ihm gelangten. mehr oder weniger klar, fast alle
spateren Forscher. Oder es fiihrt dock die kritische Er-
orterung ihrer Ansichten schliesslich zu diesem Postulate
zuriick. Man moge von den Molekiilen des Protoplasmn,
oder vom Keim- und Idioplasma als Trager des gesammten
Artcharakters ausgehen; man moge die Erscheinungen der
Erblichkeit in den Vordergrund stellen, oder mit Sachs
und Godlewski sich auf Wachsthums- und Regenerations-
prozesse basiren 5) , stets gelangt man schliesslich zu der
Annahme differenter Trager der ererbten Anlagen. Am
sichersten und klarsten aber gelangt man dazu, weim man
nach Darwin's Beispiel die ganze Organismenwelt von
einem moglichst allgemeinen Gesichtspunkte betrachtet.
Je nach den weiteren Hypothesen tiber die Natur
dieser Einheiten sind sie mit verschiedenen Namen be-
legt worden. Fiir die von mir angenommenen babe ich
den Namen Pangene gewiihlt.
Diese Pangene vergegemvartigen nicht jede ein mor-
phologisches Glied des Organismus, eine Zelle oder einen
Theil einer Zelle, sondern jede eine besondere erbliche
Eigenschaft. Diese sind daran zu erkennen, dass sie jede,
unabhangig von den ubrigen. variiren konnen. Ihr Studium
(iffnet der experimentellen Forschung ein weites, viel ver-
sprechendes Feld.
Die Pangene sind keine chemischen Molekiile, sondern
morphologische, jede aus zahlreichen Molekiilen aufgebaute
a) J. v. Sachs , Ueber Stoff und Form der Pflanzenorgane . in
Arbeiten des Bot. Instit. Wiirzburg Bd. II, und E. Godlewski im
Botan. Centralblatt Bd. 34 Nr. 2/7 Jahrg. IX Nr. 1520 1888 S. 1.
— 70 —
Gebilde. Sie sind die Lebenseinheiten, deren Eigenschaften
nur aaf historischem Wege zu erklaren sind.
Die Hauptattribute des Lebens mlissen wir einfach in
sie verlegen, ohne sie erklaren zu konnen. Wir miissen
also annehmen, class sie assimiliren und sicli ernahren, da-
durcli wachsen und sicli dann durch Theilung vermehren.
wobei in der Regel bei jeder Spaltung zwei; clem urspriing-
licben Pangene gleiche neue entstehen. Abweichungen von
dieser Regel bilden einen Ausgangspunkt fiir die Ent-
stehung von Varietiiten und Arten.
Bei jeder Zelltheilung gehen, in der Regel. alle vor-
handenen Arten von Pangenen auf die beiden Tochterzellen
Tiber. Welcher Verband dieses bedingt, und welche Be-
ziehung die im Grossen und Ganzen gleichmassige Ver-
mehrung der verschiedenartigen Pangene eines Individuums
bewirkt, wissen wir niclit.
Die Pangene miissen in kleineren und grosseren Gruppen
derart zu einander in Bezielmng steben . dass die Glieder
Einer Gruppe in der Regel zusammen in Thatigkeit treten5).
Alle diese Satze ergeben sich von selbst, wenn man
den Grundgedanken mit den bekannten Erscheinungen der
Erblichkeit unci der Variabilitlit in Verbindung zu bringen
sucbt.
Die ganze Tragweite dieses Grundgedankens wircl.
glaube icb, am besten klar werden, wenn icb jetzt die
wicbtigsten Vorziige der Hypotbese bei der Beantwortung
einiger grossen biologischen Fragen kurz zusammenstelle.
Denn ganze grosse Gruppen von Erscbeinungen werden
uns durch sie in einfacher Weise verstandlich . und zvvar
ohne jede Hiilfshypothese, unter einfacher Beriicksichtigung
J) Darwin nannte diese Gruppen „compound gemmules", Varia-
tions II S. 378.
— 71 —
der stets wechselnden relativen Mengen, in denen sich die
Pangene je nach der Natur und clem Alter der Zellen be-
finden miissen.
Im Wesentlichen sind diese Vorziige bereits von Dar-
win zusammengestellt worden.
Die Erscheinungen der Erl)lichkeit beruhen offenbar.
in der Darwin'schen Vorstellung, darauf , dass die leben-
dige Materie des Kindes aus denselben Pangenen anfgebaut
ist, als die seiner Eltern. Herrschen im Keime die Pan-
gene ties Vaters vor, so wird das Kind diesem ahnlicher als
der Mutter, herrschen nur bestimmte Pangene des Vaters
vor, so beschrankt sich diese Aehnlichkeit auf einzelne
Eigenschaften. Treten gewisse Pangene in Zahl hinter
den iibrigen zuriick, so ist die von ilmen bedingte sicht-
bare Eigenschaft nur schwach entwickelt; treten sie sehr
stark zuriick, so wird die Eigenschaft latent. Bedingen
aussere Ursachen spater eine relativ starke Vermehrung
soldier Pangene, so tritt die bis dahin latente Eigenschaft
wieder in die Erscheinung, und man beobachtet einen Fall
des Atavismus. Horen gewisse Pangene ganz und gar auf
sich zu vermehren, so geht die betreffende Eigenschaft de-
finitiv verloren; doch scheint dieses sehr selten vorzu-
kommen.
Im Protoplasma, oder doch wenigstens in den Kernen,
der Ei- und Spermazellen. sowie aller Knospen sind alle
Pangene der betreffenden Spezies vertreten; jede Art von
Pangenen in gewisser Anzahl. Vorwiegenden Eigenschaften
entsprechen zahlreiche, schwach entwickelten Merkmalen
wenig zahlreiche Pangene.
Die Differenzirung der Organe muss darauf beruhen,
dass einzelne Pangene oder Gruppen von solchen sich starker
entwickeln als andere. Je mehr eine bestimmte Gruppe
— 72 —
vorherrscht , um so ausgepragter wird der Charakter der
betreffenden Zelle. Damit hangt zusammen , dass aussere
Einfliisse oft den Charakter eines Organes in friihester
Jugend umandern konnen, dass dieses aber um so schwie-
riger wird, je weiter es in seiner Ausbildung vorgeschritten
ist, d. h. je starker bereits bestimmte Pangene vorherrschen.
Die Reproduktion abgetrennter Gliedmassen, der Ersatz
kleinerer verloren gegangener Gewebeparthien und das
Schliessen von Wunden beruhen offenbar darauf, dass die
Pangene der verloren gegangenen Theile niclit anf diese
beschrankt waren, sondern dass alle reproduktionsfahigen
Zellen alle dazu erforderlichen Pangene in sicb enthalten.
Einige Pangene vertreten Eigenscbaften . welche sich
nur in ganz bestimmten Organen zu entfalten pflegen. Ge-
langen diese an falsclien Stellen zum Vorherrschen , so
haben wir die Erscheinungen der Metamorphose 1). Ge-
langen z. B. die Gruppen von Pangenen, welche die Eigen-
thiimlichkeiten der Blumenblatter bestimmen , zur Ent-
wickelung in den Hochblattern , so entsteht die Petalodie
der Bracteen u. s. w.
Andere Pangene vergegenwartigen Eigenscbaften. welche
sich in vielen oder alien Gliedern der Pflanze aussern konnen.
Und damit hangt es offenbar zusammen, dass solche Eigen-
schaften so gar haufig in alien jenen Gliedern gleichmassig
stark oder schwach entwickelt sind. So fehlt den weiss-
bliithigen Varietaten rother Arten der rothe Farbstoff meist
audi in Stengel und Laub, und fiihren buntbliittrige Ge-
wachse nicht selten auch bunte Eriichte u. s. w.
Die Erscheinungen der korrelativen Variabilitat finden.
soweit sie nicht rein historischer Natur sind, d. h. durch
]) Darwin, Variations II S. 387.
— 73 —
gleichzeitiges Akkumuliren zweier unabhangiger Eigen-
scbaften entstanden sind, in der Vereinigung der Pangene
zu Gruppen ihre Erklarung.
Die systematisclie Verwandtschaft beruht auf dem Be-
sitz von Pangenen derselben Art. Die Anzahl der gleich-
artigen Pangene in zwei Species ist das wirkliche Maass
ihrer Verwandtschaft. Die Systematik sollte auf experi-
mentellem Wege, durch die Abgrenzung der einzelnen erb-
lichen Eigenscbaften , die Anwendung dieses Maasses er-
moglichen. Systematisclie Differenz beruht auf dem Besitze
verschiedener Arten von Pangenen.
Nacli der Pangenesis kann es zwei Arten von Varia-
bility geben. Diese werden von Darwin in folgender
Weise unterschieden ]). Erstens konnen die vorhandenen
Pangene in ihrer relativen Zahl abwechseln, einige konnen
zunehmen, andere konnen abnehmen oder gar fast ver-
schwinden . lange Zeit unthatig gebliebene konnen wieder
aktiv werden , und schliesslich kann die Verbindung der
einzelnen Pangene zu Gruppen moglicherweise eine andere
werden. Alle diese Vorgiinge werden eine stark fluktuirende
Variabilitat reichlich erklaren. Zweitens aber konnen einige
oder mehrere Pangene, bei ihren successiven Theilungen,
ihre Natur mehr oder weniger andern, oder. mit anderen
Worten , es konnen neue Arten von Pangenen aus den
bereits vorhandenen entstehen. Und wenn die neuen Pan-
gene sich, vielleicht im Laufe mehrerer Generationen, all-
mahlig so stark vermehren, dass sie aktiv werden konnen,
miissen neue Eigenscbaften an dem Organismus zur Aus-
bildung gelangen.
Mit einem Worte : Veriindertes numerisches Verhaltniss
J) 1. c. S. 390.
— 74 —
der bereits vorhandenen , und Bildung neuer Arten von
Pangenen miissen die beiden Hauptfaktoren der Variabilitat
sein. Leider ist es noch nicht gelungen, die beobachteten
Variationen so weit zu analysiren, dass man fur jeden dieser
beiden Faktoren den Antheil an ihnen bestimmen konnte.
Aber es ist klar, dass die erstere Art mehr die individuellen
Unterschiede und die zahllosen kleinen . fast alltaglichen
Variationen und Monstrositaten bedingen muss , wahrend
die zweite hauptsachlich jene Variationen bervorzubringen
hat, auf welclie die allmahlig steigende Differenzirung des
ganzen Tbier- und Pflanzenreichs beruht.
Diese Auffassung der pbylogenetischen Variabilitat
weist uns darauf, dass auch die Pangene ibre Stammbaume
baben miissen. welcbe den Stammbaumen der betreffenden
Merkmale entsprecben. Bei jedem Schritte auf dem Stamm-
baume der Spezies miissen eine oder mehrere neue Arten
von Pangenen aus den vorhandenen entstanden sein. Die
Pangene selbst werden somit in den niedrigsten Organismen
relativ einfach, und unter sich nur wenig verschieden ge-
wesen sein. Mit zunehmender Differenzirung miissen sie
auch selbst komplizirter und unter sich immer mehr ver-
schieden geworden sein.
Doch je weiter wir uns von den Thatsachen entfernen,
urn so sicherer werden wir uns in falsche Spekulationen
verlieren. Meine Aufgabe war auch nur. den Grundgedanken
der Darwin'schen Pangenesis in ein klares Licht zu stellen.
Moge mir dieses gelungen sein !
Zweiter Tlieil.
Intracellulare Pangenesis.
Abschnitt I.
Zellularstammbaume.
Erstes Kapitel.
Das Aiifldsen der Individiieii in die Stainmbauine
ilirer Zellen.
§ 1. Zweck und Methode.
Seit der Begriindung der Zellenlehre durch ScMeiden
und Schwann sind die Zellen immer mehr in den Vordergrund
anatomischer und physiologischer Betrachtungen getreten.
Audi die Lehre von der Erblichkeit. welche noch vor etwa
zwei Jahrzehnten fast keine Beriihrungspunkte mit der
Zellenlehre hatte, hat diese isolirte Stellung aufgegeben
und erblickt in den neueren Untersuchungen liber die Zell-
theilung und den Befruchtungsvorgang eine wesentliche
Forderung ihrer Aufgaben.
Omnis cellula e cellula. Dieser Satz beherrscht niclit
nur die mikroskopische Wissenschaft . er schwingt sich
immer mehr zur Herrschaft iiber die ganze Biologie empor.
Dass jede Zelle aus einem kbrperlichen Theile ihrer Mutter-
zelle entstanden ist, und dass sie diesem Ursprunge ihre
spezifischen Eigenschaften verdankt, giltjetzt in der Erblich-
B trach-
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bob, inn dii T ii loglichsl einfacher Zusammen-
und zuzusehen, welche Folgerungen
■ i [3 . ableiten lassen. Die
I • eugung nach . eine vie] reichere
". ale • : 3ten Blick vermuth* u liess.
Sa< ba ib( r ] 1882
— 78 —
Dass die Hauptergebnisse cler Betracbtung der Zellu-
larstammbaume im Pflanzenreicb und im Thierreich zu
denselbenallgemeinenScblUssen leiten werden, daran zweifelt
augenblicklich wohl Niemand. Aber die Verhaltnisse liegen
im Pflanzenreicb ganz anders wie irn Tbierreicb. Die ver-
scbiedenen Arten der Reproduktion kommen im letzteren
bei weitem nicbt in so ausgiebiger Weise zur Geltung als
im ersteren. Das Studium der Tbiere ist also in viel
boberem Grade der Gei'abr einseitiger Bebandlung aus-
gesetzt, als das der Pflanzen. Aucb bat sicb, unter dem
Einflusse Molil's und Nageli's, seit fast einem balben Jahr-
hundert bei den Botanikern die Ueberzeugung viel tiefer
gewurzelt, dass die anatomiscben und ontogenetiscben Unter-
sucbungen stets mindestens bis auf die einzelnen Zellen
durcbzudringen baben. Demzufolge ist in zabllosen Fallen
die Vorfabrenreibe weitaus der meisten Zellen, wenn aucb
nicbt liickenlos, so docli in ibren Hauptziigen mit geniigender
Sicberbeit nacbzuweisen.
Icb werde mich daber in diesem Abscbnitte obne
Gefabr auf die Zellularstammbaume der Pflanzen be-
schranken konnen. Und dieses um so mebr, als die wich-
tigsten Ziige aus jenen Stammbaumen fur das Tbierreicb
von Weismann und Anderen in der letzten Zeit vielfacb
bervorgehoben worden sind, und eine Vergleichung beider
rleicbe in diesem Punkte daber keine wesentlicben Scbwie-
rigkeiten macben kann.
§ 2. Die Zellularstammbaume der Homoplastiden.
Bei den einzelligen Arten fallen die Stammbaume der
Individuen mit den Zellularstammbaumen zusammen. Solcbes
ist aber aucb mit jenen wenigzelligen Organismen der Fall,
— 79 —
deren Zellen noch einander vollig gleich unci nicht zu ver-
schiedenen Funktionen eingerichtet sind. Die Oscillarien
sind vielzellige Faden, aber jede Zelle gleicht der andern,
jede ist zur Fortpfianzung der Art in gleicher Weise be-
iahigt. (xotte hat solche Wesen mit dem Namen der
Homoplastiden belegt, gegeniiber den Heteroplastiden,
deren Zellen verschiedenen Funktionen angepasst sind.
Es ist klar, dass die Zellularstammbaume der Homo-
plastiden nur aus unter sioh gleichartigen Aesten bestehen.
Es hangt nur von iiusseren Umstanden und vom Kampf
urn's Dasein ab, welclie Zellen zu neuen Individuen werden,
welche Aeste des Stammbaumes also die Deszendenz durch
die Reihe der Generationen fortf'iihren werden.
Bei den hoheren Pflanzen und Thieren leiten dagegen
im normalen Laufe der Entwickelung nur bestimmte Aeste
des Zellularstammbaumes zu den Anfangszellen der folgenden
Generation, die ubrigen Aeste sind bereits durch ihre An-
lage von der Theilnahme an der normalen Fortpfianzung
der Art ausgeschlossen. Die Aeste des Zellenstammbaumes
sind hier also nicht nur morphologisch verschieden, sondern
auch in ihrer Beziehung zu dem Stammbaume der ganzen
Sippe wesentlich ungleich.
Mit der Entstehung der Heteroplastiden aus den
Homoplastiden hat die Differenzirung der Zellenstamm-
baume angefangen. Die unclifferenzirten Zellularstamm-
baume der letzteren bieten uns keine Anhaltspunkte zur
Beurtheilung der Erscheinungen der Erblichkeit. Wir ver-
lassen sie somit und wenden uns im Folgenden ausschliess-
lich den Heteroplastiden zu.
— 80 —
§ 3. Der Zellularstanimbaum voin Equisetum.
Bevor wir dazu schreiten, die ausserst verwickelten
Zellularstammbilume der hoheren Pflanzen wenigstens in
ihren Hauptziigen zu schildern, wollen wir die ganze Methode
an einem ziemlicli einfaclien Beispiele erlautern. Icli wahle
dazu die Gattung der Schachtelhalme (Equisetum). Ihr
Zellularstammbaum gehort, trotz des Generationswechsels.
zu den einfachsten, welch e unter den blattbildenden Pflanzen
oder Cormophyten gefunden werden. Zwei Wege giebt es,
um sich von den grossen Ziigen des Bildes eine Vor-
stellung zu machen. Der eine ist der progressive, der
andere der retrogressive. Der erste folgt der Ontogenie
auf der Spur, der zweite steigt in entgegengesetzter Richtung
auf. Handelt es sich darum, das Bild fiir die sammtlichen
Zellen einer Pflanze zu entziffern, so ist offenbar der erste
Weg der einfachste und sicherste. Aber auf ihm kann
man nur dann bei jedem Schritt den relativen Werth der
beiden neuen Zweige, in denen sich der Ast spaltet, be-
urtheilen, wenn man stets die Endpunkte der Zweige
gleichzeitig im Auge behalt. Gilt es aber nur die Haupt-
ziige des Bildes zu skizziren , so ist es in den meisten
Fallen viel bequemer, den umgekehrten "Weg zu betreten.
Denn in riicklaufiger Folge leiten alle Wege offenbar zu
der Eizelle zuriick, nirgendwo ist in dieser Richtung eine
Verirrung zu befiirchten.
Ich nehme an, dass durch die Vereinigung beider
Methoden das Bild des Zellenstammbaumes einer Equi-
setumart, z. B. von E. p alu str e, entwickelt worden ist
und vor uns liegt 1).
J) Abbildungen der erforderlichen Entwickelungsstadien fiudet
man in K. Goebel, Urundziige der Systematik und speziellen Pflanzen-
morphologie 1882 S. 286-304.
— 81 —
Die befruchtete Eizelle im Archegoniuin fangt ihr
Wachsthum durch Theilungen an, deren erste nahezu senk-
recht zur Axe des Archegoniums steht; darauf folgen zwei,
auf dieser und auf einander senkrechte Wande. Aus den
unteren Oktanten entstehen die Wurzel und der Fuss der
Keimpflanze ; letzterer, indem durch fortgesetzte Theilungen
ein kleinzelliger Gewebekorper gebildet wird. Diese Aeste
des Stammbaumes erreichen damit ihren Abschluss. Aus
einem der oberen Oktanten des Embryo entsteht die
Scheitelzelle des ersten Sprosses, die anderen betheiligen
sich an der Bildung des den ersten Blattwirtel vertretenden
Ringwalles und scliliessen ihr Wachsthum also bald, unter
fortgesetzten Theilungen, ab.
Das Wachsthum des ersten. sowie aller folgenden
Sprosse steht unter der Herrschaft der Scheitelzelle. Diese
nimmt den Gipfel des Sprosses ein . ihre obere Wandung
ist kugelig gewolbt. wahrend sie nach unten von drei fast
planen Wanden begrenzt wird. Sie hat somit die Form
einer umgekehrten. dreiseitigen Pyramide. Sie theilt sich
nur durch Wande, welche den drei Pyramidenseiten parallel
sind; jedes abgesclmittene Stiick heisst ein Segment. Je
drei, auf einander folgende, und den drei Seiten der Pyra-
mide parallele Segmente bilden . unter zahllosen Theilun-
gen. zusammen ein Internodium mit clem seinem oberen
Ende aufgesetzten Blattquirl. Der ganze Spross besteht
somit aus Abschnitten, welche je einem Segmentquirl der
Scheitelzelle ihren Ursprung verdanken.
Die Scheitelzelle stellt also offenbar den Hauptstainm
unseres Stanimbaumes vor; jedes Segment entspricht einem
Aste. Der Hauptstainm bleibt wahrend der Entwickelung
des Sprosses , also wahrend des ersten Vegetationsjahres
des Individuums einfach, er schliesst, da der erste Spross
ue Vries, Intracellularo Paugeuesis. 6
— 82 —
nie eine Sporenahre tragt, ohne Aenderung seiner Thatig-
keit, mit dem Tode des Sprosses am Ende des ersten
Sommers ab.
Jedes von der Scheitelzelle abgeschiedene Segment
theilt sich zunachst in eine obere und untere Halfte ; diese
durch weitere Wande zu einem Gewebekorper , aus dem
nun die sammtlichen Zellen des betreffenden Theiles des
Internodiums und des Blattquirls bervorgehen. Die Thei-
lungsfolge ist von Cramer und Reess klargelegt worden
und im Lebrbuch der Botanik von Sachs und Goebel
nachzulesen. Aus ihr ist bier zunachst nur bervorznbeben,
dass in der ausseren Zellscbicbt des Gewebekorpers, und
mit den Zahnen der Blattscbeide alternirend, bevorzugte
Zellen gebildet werden, deren jede zu einem Seitensprosse
auswacbsen kann. Die griinen Sprosse alterer Pflanzen
pflegen thatsacblicb in jedem Blattquirl einen Kreis von
ebenso vielen Zweigen zu tragen , als der Quirl Glieder
aufzuweisen hat. Im ersten Sprosse gelangen diese aber
gewohnlich nicht zur Ausbildung. Jede Seitenknospe be-
sitzt, wenn sie sich zum Sprosse ausbildet, eine Scheitel-
zelle, welche die Entwickelung des Zweiges in derselben
AYeise leitet wie die Gipfelzelle des Hauptsprosses.
In jedem Zweige bildet also wieder die Scheitelzelle
die Hauptlinie des Stammbaumes. Diese Linie ist dem
Hauptstamme zwar nicht in einfacher Weise angesetzt;
sie lasst sich jedoch durch die ersten Theilun'gen des Seg-
mentes offenbar bis zu dem Stamme zuriickverfolgen. Wir
betrachten nun jedes Segment, und in diesem wahrend der
ersten Theilungen jedesmal diejenigen Zellen, aus deren
Theilungen spater die Scheitelzellen der Seitenzweige her-
vorgehen, als Hauptaste unseres Stammbaumes. Alle anderen
— 83 —
Zellenfolgen sind fur uns Nebenzweige. Denn nur in dieser
Weise ist ein klares Bild zu entwerfen.
Kehren wir jetzt zum Sprosse des ersten Vegetations-
jahres zuriick. Dieser gelit am Ende des Sommers -zu
Grunde. Eine Seitenknospe in einem der basalen Blatt-
quirle bleibt aber am Leben und entwickelt sich im folgen-
den Jahre zu einem neuen Sprosse, der starker und grosser
wird als der erste, aber noch keine Fruktifikationsorgane
tragt. Dieses Spiel wiederholt sich einige Jahre, bis die
Pfianze hinreichend kraftig geworden ist. Zuweilen schon
der dritte oder einer der foigenden Sprosse wachst dann
abwarts in den Boden. um das Rhizom zu bilden, welches
von nun an den Hauptspross der Pfianze darstellt, sich
unterirdisch verzweigt und die oberirdischen blattbildenden
und sporentragenden Sprosse erzeugt. Diese letzteren
sind bei E q u i s e t u m arvense und einigen anderen Arten
getrennt; im Fruhjahr entstehen die blassen, fertilen. un-
verzweigten Sprosse. im Soramer die reichverzweigten griinen,
aber sterilen Aeste.
Der Zellenstammbaum der ganzen grossen Pfianze
wiirde leicht bald ein unentwirrbares Bild darstellen.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, miissen wir die Haupt-
linien besonders markiren, sie etwa durch dickere Striche
andeuten. Audi wollen wir sie zu moglichst graden Linien
ausziehen. Denken wir uns dieses ausgefiihrt, so bekommen
wir einen Stammbaum der Scheitelzellen, welcher im Bilde
als zusammenhangendes System klar hervortritt, und dem
alles librige seitlicli eingef'iigt ist. Die Linien des Scheitel-
zellenstammbaumes wollen wir die Aeste, die iibrigen Ver-
astelungen die Zweige nennen. Es soil hier noch, um
Missverstandnissen vorzubeugen , daran erinnert werden,
dass der Scheitelzellenstammbaum nicht ausschliesslich aus
6*
— 84 -
Scheitelzellen besteht, da ja diese nicht direkt auseinander
hervorzugehen pflegen.
Dieser Definition gemass ist die Entwickelung der
Zweige des Stammbaumes stets eine begrenzte, nur den
Aesten wohnt die Fahigkeit neuer Astbildung. und somit
der Fortsetzung der Hauptlinien des Stammbaumes bei.
Aber nicht alien Aesten in gleichem Maasse, wie wir bald
seben werden.
Unserem Bilde feblen nocb zwei wicbtige Tlieile.
Einerseits die Wurzeln . andererseits die Reproduktions-
organe.
Die Wurzeln bediirfen nur einer kurzen Erwahnung.
Sie wacbsen mittelst Scheitelzellen wie die Sprosse und
werden in den Seitenknospen angelegt, bevor diese nocb
aus den Blattquirlen hervorbrechen. Jede Knospe pflegt zu-
nachst nur eine Wurzel zu bilden, welche sich aus einer inneren.
auf ihrer Unterseite befindlichen Zelle entwickelt. Diese
Zelle wird zur Scheitelzelle der jnngen Wurzel. Im Stamm-
baum ist jede Wurzel also, genau wie ein Spross, durch
einen Ast mit seinen zahlreichen Zweigen vertreten. Die
Wurzeln konnen sich verzweigen. Da sie aber nie Blatt-
knospen tragen. wie bei vielen Farnen und Phanerogamen.
und es also auch nie zur Bildung von Reproduktionsorganen
bringen , so sind sie stets nur sterile Aeste des Stamm-
baumes.
Sie theilen dieses Loos bei Equisetum arvense
mit weitaus den meisten tibrigen Aesten des Zellenstamm-
baumes. Denn unter diesen sind hier nur diejenigen der
blassgelben cbloropbylllosen Sprosse der spateren Jahre
zur Reproduktion der Art uuserlesen. Wir unterscheiden
also auch hier sterile und fertile Aeste.
Am Gipfel der fertilen Sprosse stehen die Sporangien
— 85 —
in gedriingten Aehren von vier- bis sechseckigen, in ilirer
Mitte gestielten Schildchen. Jedes Schildchen tragt urn
den Stiel herum zahlreiche Sporensacke. Jedes entspricht
seiner Entstehung nach einem Zahne eines Blattquirles.
Die Zellenstammbaume der einzelnen Schildchen lassen
sich also in ahnlicher Weise von der Scheitelzelle des
Sprosses ableiten, wie im vegetativen Theile, nnd in der-
selben Weise lasst sich fur jede einzelne Spore ihre Ab-
stammung bis zu jener zuriickfuhren. Diese Linien nennen
wir wiederum Aeste, alle zu den anderen Zellen des Spo-
raugiumstandes luhrenden Folgelinirn aber Zweige. Denn
auch hier besitzen diese Aeste das Yermogen der Fort-
set/.ung des Stammbaumes. die Zweige aber nicht.
Die Sporen liefern bei der Keimung die mannlichen
und die weiblichen Prothallien , die ersteren tragen nur
die mannlichen Geschlechtsorgane oder Antheridien.
die letzteren nur die weiblichen oder Archegonien. Tn
ihren Zellularstammbaumen denken wir uns wieder die-
jenigen Zellenfolgen . welche zu den Eizellen resp. zu den
Sperniatozoiden leiten, durch dickere, grade gezogene Linien
bezeichnet. Diese sind fur uns die Aeste. alles iibrige
sind Zweige.
Wir sind am Ende unserer Skizze augelangt''). indem
wir den reichverzweigten Weg von der befruchteten Eizelle
zu den neuen Keimzellen durchgemacht und seine zahllosen
Seitenstrassen betrachtet haben. Ueberblicken wir das
Gauze noch einmal, so sehen wir. dass durch das Hervor-
treten der Aeste gegeniiber den Zweigen das Bild. trotz
der grossen Komplikation. doch einfach und klar wird.
') Die Vermehrung auf vegetativem Wege habe ich bier nicbt
besprocben, um das Beispiel nicbt zu kompliziren; ich komrne bieraul'
im niichsten Paragrapheu zuriick.
— 86 —
Unter den Aesten aber haben wir wieder zu unterscheiden
gehabt zwischen den fertilen und den sterilen. Nur die
ersteren fiihren schliesslicb wieder zu Eizellen resp. zu
Spermatozoiden, d. li. also zu neuen Individuen; die sterilen
Aeste thun dies nicht. Sie verhalten sich also den fertilen
gegeniiber im Grande wie dieZweige; an dem Stammbaum
der Sippe nelimen sie keinen Antheil.
§ 4. Die Hauptziige in den Zelliilarstammbaiimen.
Fur diejenigen Zellenfolgen, welche im Zellularstamm-
baume von der befruchteten Eizelle durch das Individuum
liindurch auf die folgende Generation hinuberleiten, mochte
ich im Anschluss an Weismann's klare Darlegungen den
Namen der Keimbahnen wahlen. Dieser Begriff ent-
spricht also genau den „fertilen Aesten" des Zellen-
stammbaumes im oben gewahlten Beispiel. Wir wollen
fiir sie im Folgenden diese kiirzere Bezeiclmung beibehalten
und alle iibrigen Generationsfolgen von Zellen, sowohl die
„sterilen Aeste", wie die „Zweige" unseres Beispiels ihnen
gegeniiber somatische Balm en nennen.
Eine Keimbulm fiihrt also in unserem Zellenstamm-
baum stets von der befruchteten Eizelle zur neuen Ei- resp.
Spermazelle ; wir denken sie in unserem Bilde moglichst
grade ausgezogen und klar hervortretend. Somatische
Bahnen fangen an alien Punkten der Keimbahnen an, und
fiihren, reich verzweigt, zu sammtlichen vegetativen Zellen
des Korpers. Die Zellen , welche auf den Keimbahnen
liegen, kann man Keimbahnzellen, oder mit Jager phylo-
genetische , oder vielleicht noch bezeichnender phyletische
nennen. Sie sind dadurch hinreichend von den onto-
genetischen oder somatischen Zellen unterschieden.
— 87 —
Es leuchtet ein. class die eingefiihrten Unterscheidungen.
und somit auch die Namen und ihre Definitionen rein be-
schreibender Natur sind. Ob sie richtig sind, kann keiner
Frage unterworfen sein , denn sie sind vollig willkiirlich.
Es fragt sicb nur. ob sie praktisch sind. d. h. ob sie uns
zu einer klaren Einsicht fiihren konnen.
Dem Begriffe der Keimbalmen diirfen wir keine tkeo-
retische Bedeutung unterschieben wollen. Denn sonst wiirde
die Definition keine vollig scharfe sein. Weisniamr s Keim-
zellen fallen somit auch niit nnseren Keimbahnzellen nur
in der Hauptsache, und nicht liberal] zusammen. Es zeigt
sich dieses zumal in dem Umstande, dass nach ihm haufig
die Geschlechtszellen von den Korperzellen abgespalten
werden, und dass er der Thatsache, dass die Abspaltung
in einigen Gruppen des Thierreiches friiher, in anderen
spater eintritt. ausfiihrliche Besprechung widmet1).
In meinem Bilde aber werden nie Geschlechtszellen
von den somatischen abgespalten, sondern die Hauptlinien
stets durch die Vorfahrenreihen der Keimzellen gezogen.
Deinzufolge spalten diese die sammtlichen somatischen
Zellenreihen ab. Man sieht, es handelt sich nur um die
Wahl der Hauptlinien fiir das Bild. nicht um die Auf-
fassung der Thatsachen. Aber bei ineiner Wahl wird das
Bild einfach und klar, und der Hauptsache nach dasselbe
fur Pfianzen, wie fiir Thiere. Die Keimzellen der Hydroiden
und Phanerogamen werden meiner Ansicht nach nicht, wie
WeisHiann annimmt, vom Metazoon selbst abgeschieden -').
sie werden, wie bei alien iibrigen geschlechtlich differenzirten
Heteroplastiden, auf den Keimbalmen gebildet. Nur dass
J) Weismann . Zur Frage nach der Unsterblichkeit der Ein-
zelligen. Biolog. Centralbl. IV. Bd. Nr. 21, 22 S. 683 ff.
2) 1. c. S. 685.
— 88 —
die Zalil der Zelltheilungen, welche auf dieser Balm ihrer
Entstehung vorangehen, hier eine sehr grosse ist.
Nie entsteht, nach meiner Definition, eine Keimbahn
aus einer somatischen Balm. Eine Kontinuitat der Keim-
zellen findet fur micb niclit etwa in den allerseltensten Fallen
statt J) , sondern ist ii Derail und ausnahmslos , wenn auch
oft auf langera AVege, durch die Keimbahnen gegeben.
Die ganze Frage, ob somatiscbes Plasma sicb in Keim-
plasma verwandeln kann -), entbebrt daber bei meiner Auf-
fassung der thatsachlichen Grundlage. Allerdings ist es
nicbt immer leicbt, zu entscheiden , ob eine Balm als
somatiscbe oder als Keimbahn anzusehen ist, wie im nachsten
Kapitel gezeigt werden wird.
Fiir eine klare Auffassung der Erscheinungen der
Erblichkeit scheint mir der Begriff der Keimbahnen, wie
er oben umscbrieben wurde , von prinzipieller Bedeutung
zu sein. Denn die Naturziichtung operirt nur scheinbar
mit den Qualitaten des fertigen Organismus, in Wahrheit
aber mit den in den Keimzellen verborgenen Anlagen
dieser Eigenschaften 3). Dieser wichtige Satz ist durch
die Erfahrungen der Thier- und Pflanzenziicbter iiber alien
Zweifel erhoben worden. Vilmorin unterscbied bei seinen
Ziiclitungsversuchen die Individuen, welche in hoherem, von
denjenigen, welche in geringerem Maasse die Fahigkeit
batten, ihre sichtbaren Eigenschaften auf ihre Nachkommen
zu iibertragen 4). Die ersteren nannte er bons e talons,
nur sie wahlte er zur Zucht aus. Aber ob eine Pflanze
zu dieser bevorzugten Gruppe gehorte, konnte an ihr selbst
v) Weismann, Die Kontinuitat des Keimplasmas S. 11.
2) 1. c. S. 52.
2) Weismann, Ueber die Vererbung S. 56.
4) L. Leveque de Vilmorin, Notices sur l'amelioration des
plantes par le semis. Nouvelle Edition 1886 p. 44.
— 89 —
nicht gesehen werden. Dariiber entschied erst ihre Nach-
kommenschaft, und nach dieser richtete denn auch der
grosse Ziichter die Walil seiner Stammpflanzen.
Der Korper des Individuums ist somit nur eine ein-
seitige und hochst unvollstandige Abspiegelung der in semen
Keimbahnen vertretenen Anlagen. Aber wenn man aus
seinen Samen Hunderte und Tausende von Exemplaren
erzieht , so liefern diese ein so vielseitiges Bild . dass das
Mittel als Kriterium jener latenten Merkmale betrachtet
werden darf.
"Weitaus die meisten erblichen Anlagen gelangen nur
in den somatischen Balmen zur Entfaltung. nur hier werden
uns die entsprechenden Eigenschaften des Organismus siclit-
bar. Aber die Ueberlieferung eines Charakters und seine
Entwickelung sind. wie Darwin sagt, distincte Vermogen *),
welche nicht nothwendig mit einander parallel laufen. Die
Ueberlieferung geschiebt in unsicbtbarer Weise auf den
Keimbabnen, die Entwickelung zumeist auf den somatiscben
Balmen. Nur mit Vorsicbt diirfen wir die letzteren zur
Beurtbeilung der ersteren verwenden.
Im folgenden Kapitel werde icb die Keimbabnen und
die somatiscben Balmen in den Zellularstammbaumen der
hoheren Pfianzen eingebender betracbten. Icb werde die
ersteren dabei eintbeilen in Haupt- und Nebenkeimbahnen.
Beide leiten von der befrucbteten Eizelle zur neuen Ei-
resp. Sperm azelle. Die ersteren aber auf dem kiirzesten
Wege, das beisst in gewolmlicben Fallen innerhalb Eines
Individuums, und beim Generationswecbsel durcb die von
dieser vorgeschriebenen , Avobl meist geringen Anzabl
von Individuen. Die letzteren aber fiibren auf Umwegen
') Darwin, Variations II S. 368.
— 90 —
zum Ziel. mittelst vegetativer Vermehrung,, z. B. durch
Adventivknospen. Sie konnen oft anscheinend unbegrenzte
Reihen von Individuen durchlaufen, ehe sie wieder zur Ei-
zelle zuriickkehren.
Zweites Kapitel.
Spezielle Betraclitung der eiiizelnen Bahnen.
§ 5. Die Hauptkeiiubalmeii.
Hauptkeimbabnen nenne icb die Generationsfolgen von
Zellen , welche von der befruchteten Eizelle, in dem nor-
malen Entwickelungsgang des Organismns , zu den neuen
Keimzellen (Eizellen. Spermatozoen. Pollenkornern) fiihren.
Sie sollen den Gegenstand dieses Paragrapben darstellen.
Die durcb adventive Knospen leitenden Nebenkeimbahnen
aber sollen im nachsten Paragrapben Hire Besprecbung
finden.
Die Hauptkeimbabnen bilden also die iibliclien, oder
docb die kiirzesten von den iibliclien, Wege von der einen
zu der naclistfolgenden Generation von Eizellen. Sie sincl
nie vollig unverzweigt, denn auf ibrer Verzweigung berubt
die normale Vermehrung der Art. Sie geben wobl stets
auf ihrer ganzen Lange somatiscbe Zweige ab. Aber die
Art und Weise ibrer Verzweigung, die Anzabl. Lage und
relative Bedeutung der einzelnen somatiscben Babnen ist
vielfacber Abvvecbslung unterworfen.
Als extreme Falle gelten einerseits das bekannte Bei-
spiel von den Dipteren, andererseits die Wirbeltbiere, und
beiden gegenuberstehend die boberen Pflanzen und die
Korallen. Bei den Dipteren entwickeln sicb einzelne unter
— 91 —
den ersten Zellen , welche sich iiberhaupt im Ei bilden.
zu den Sexualdriisen des Korpers. Die Anfangszellen fur
nahezu den ganzen Korper werden also bereits bei den
ersten Theilungen von der Keimbahn abgespalten ; diese
bildet nachlier nnr nocb die in den Sexualdriisen liegenden
somatischen Bahnen. Den Dipteren scbliessen sich die
Daphnoiden und Sagitta an, fur deren ganzen Korper,
mit Ausnabme der Fortpflanzungsorgane, die Anfangszellen
gleichfalls sebr friihe und mittelst einer relativ geringen
Anzabl von Zelltheilungen von der Keimbahn abgespalten
werden. Bei den Wirbelthieren durchlauft die Keimbahn.
behufs der Bildung des Korpers, wohl Hunderte von auf-
einanderfolgenden Zelltheilungen . bevor sie zu der Ent-
wickelung der Sexualorgane schreitet.
Die den Korper zusammensetzenden somatischen Bahnen
entspringen also, wenn wir die Sexualorgane ausser Betracht
lassen, bei den Dipteren als einziger Zweig, bei den Daph-
noiden und bei Sagitta als einige wenige, bei den Wirbel-
thieren aber als sehr zahlreiche Zweige aus der Keimbahn.
Aber stets sind die sammtlichen Bahnen fur den Korper
gebildet. bevor. im Gebiete der Sexualorgane. die Keim-
bahn sich in gleichwerthige Aeste zu spalten anfangt.
Hierin liegt nun der Unterschied zwischen den hoheren
Thieren und den Pflanzen. Denn bei diesen letzteren
spaltet sich die Keimbahn schon sehr friihe, und die Haupt-
masse der somatischen Bahnen entspringt nicht clem un-
verastelten Hauptstamme der Keimbahn , sondern zum
wesentlichsten Theile den Keimbahnasten. Das Bild des
Stammbaumes fiillt hier mit dem Bilde des reichverastelten
Organismus selbst zusammen , es bedarf nicht einer ein-
gehenden Schilderung. Aehnlich verhalt es sich bei den
Kolonien bildenden Polypen.
— 92 —
Am klarsten wird der Unterschied, wenn wir in das
Bilcl nur die Keimbahnen eintragen, die somatischen Bahnen
aber weglassen. Der Zellularstammbaum eines hoheren
Thieres steht danh als ein grader, nur an seinem Gipfel
ein wenig verastelter Baum da, wahrend der der hoheren
Pflanzen von seinem Ursprunge ab so reich und wiederholt
verzweigt ist, dass der Hauptstamm von seinen Aesten oft
weit iiberragt wird, und im Bilde nicht selten in den Hinter-
grund tritt. Oder richtiger gesagt, dass ein eigentlicher
Hauptstamm nicht, oder kaum vorhanden ist.
§ 6. Die Nebeukeinibahnen.
Den hoheren Thieren fehlen die Nebenkeimbahnen, im
Pflanzenreich sind sie weit verbreitet. Es ist zumal dieses
Verhaltniss, welches das Studium der Zellularstammbaume
im Pflanzenreich so viel fruchtbarer macht als im Thier-
reich, und die Einwiirfe, welche von Sachs, Strasblirger
und anderen Botanikern gegen Weismann's Auffassung
gemaclit worden sind, betreffen im Wesentlichen den Urn-
stand, dass Letzterer den Nebenkeimbahnen nicht in ge-
biihrender Weise Rechnung getragen hat.
Denn die Nebenkeimbahnen lassen sich keineswegs als
Ausnahmen betrachten. Keinem Baume, keinem Strauche
tehlen sie. Unter den perennirenden Gewiichsen sind sie,
wenn nicht allgemein, so doch wenigstens ausserst verbreitet,
und nur die ein- und zweijahrigen Arten pflegen dieser
Art der Fortpflanzung zu entbehren. Andererseits weisen
die adventiven Bildungen so viele Formen, so hohe Differen-
zirungen und so schone Anpassungen auf, dass sie audi
in dieser Hinsicht kaum den Hauptkeimbahnen gegeniiber
in den Hintergrund treten.
— 93 —
Drei Fiille sind fur unseren Zweck auseinander zu
halten :
1 . Es konnen sicli nahezu samtliche Zellen des Korpers
zu neuen Individuen entwickeln.
2. Adventivknospen entstehen nur aus bestimmten, dazu
vorgebildeten Zellengruppen oder Zellenziigen. und zwar :
a. aus meristematischen Geweben,
b. aus erwachsenen Zellen.
Die Regenerationserseheinungen der Thallophyten und
Muscineen sind in den letzten Jahren wiederholt Gegen-
stand der Untersuchung gewesen, and es hat sicli fur sie
die Ueberzeugung gewurzelt, dass wenigstens in manchen
Fallen nach einer Verstiimmelung jede oder doch fast jede
unverletzt gebliebene Zelle zu eineni neuen Individuum aus-
wachsen kann. Pringsheim untersuchte die Laubmoose.
VOchting die Lebermoose, Brefeld die Pilze *). Kultivirt
man abgeschnittene Stiicke dieser Gewachse unter giinstigen
Bedingungen weiter, so kann man aus jedem, nicht zu kleinen
Theile eine Pnanze erziehen. Die Stiele und Htite der
Pilze treiben aus den Schnittflachen neue Hiite liervor. die
Laubmoose bilden Knospen aus jeder beliebigen Zelle der
Wurzeln, Blatter und Sprosse, ja sogar aus der Sporen-
fruclitund aus deren Stiel. Zunachst wachsen die Zellen dabei
zu dem fadigen Protonema aus, auf welchem dann die Laub-
knospen in Iiblicher Weise entstehen konnen. Die Marchan-
tiaceen kann man nach Vocliting" zu einem feinen Hacksel
zerschneiden, jedes Stiickchen . welches nur so viele un-
verwundete Zellen hat, dass es sich am Leben erhalten
J) N. Pringsheim, Ueber Sprossung der Moosfriichte in Jahrb.
f. wissenschaftl. Bot. Bd. XI S. 1.
O. Brefeld, Botanische Untersuchimgen iiber Schimmelpilze Bd. I.
H. Yrochting, Ueber die Regeneration der Marchantiaceen in
Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XVI S. 367.
— 94 —
kann, bildet erne neue Pflanze. Fiir die Marchantia
polymorph a kann ich diese Beobachtung aus eigener Er-
fahrung bestiitigen.
In diesen Fallen bilden also sammtliche, oder nabezu
sammtliche Verzweigungen des Zellularstammbaumes ent-
weder Haupt- oder doch Nebenkeimbalmen. Somatische,
d. h. nothwendig sterile Zweige sind fiir sie nicht nach-
gewiesen, wenn auch moglicherweise vorhanden. Dieser
Fall, der fiir Wcismaim erne Ausnalime bildet, und eine
besondere Annahme zu ihrer Erklarung verlangt 1), ist fiir
uns nur ein Extrem in der reicben Fiille der Bilder.
Die zweite Gruppe der Nebenkeimbahnen, die Ad-
ventivknospen ans meristematischen Geweben, ist im Pfian-
zenreich weitaus am meisten verbreitet. Adventivknospen
entstehen theils direkt aus den normalen meristematischen
Geweben, theils durch Vermittelung des zur Verschliessung
von Wunden fiihrenden Callusgewebes. Diejenigen, welche
aus Stammen oder Aesten entstehen, werden gewohnlich
zu neuen Zweigen des sie tragenden Individuums, die blatt-
biirtigen und die Wurzelknospen aber meist zu neuen
Pflanzchen.
Knospenbildung aus Callus findet man vorwiegend bei
holzigen Gewachsen, und fast jeder Theil eines Astes oder
einer Wurzel kann, zum Steckling abgeschnitten oder sonst
verletzt, aus den jugendlichen Zellen der zwischen Holz
und Rinde liegenden cambialen Zone jenes undifferenzirte,
wie Tropfen einer dickfliissigen Substanz bervorquellende
Gewebe entwickeln, in welchem sich nachtraglich Kork,
Rinde und Holz, sowie auch die Anlagen zalilreicher Knos-
pen ausbilden. Je nach Umstanden "werden die Knospen
l) Weismann, Die Kontinuitat des Keimplasmas S. 68.
— 95 —
zu Wurzeln oder zu beblatterten Zweigen, gewohnlich er-
ganzen sie dabei dem Individuum die fehlenden Glieder.
Da, soviel wir wissen , jede Zelle des Cambiums zum
Callus beitragen and in diesem die Mutterzelle einer Knospe
liefern kann. so miissen wir das ganze Cambium als Neben-
keimbalm bezeiclmen, eine Keimbahn, welche so reich ver-
iistelt ist. wie der Zellenstammbaum des betreffenden Cam-
biums selbst, und welcher die normalen Produkte seiner
Thatigkeit, Holz und Rinde, als zahllose somatische Zweige
tragi Jedoch ist zu beachten, dass manchen Zellen des
Holzes und der Rinde noch wahrend langerer oder klirzerer
Zeit das Vermogen verbleibt, zur Bildung des Callus bei-
zutragen , und wohl audi Muttefzellen von Callusknospen
zu liefern a). Die Grenze zwischen Nebenkeimbabnen und
somatischen Balmen ist hier somit in hohem Grade ver-
wischt, vielleicht gar nieht nacbweisbar.
Callusknospen findet man aucb bei vielen krautigen
Pflanzen. Audi auf Blattern sind sie niclit selten, bilden
dann aber gewohnlich neue bewurzelte Pflanzchen.
Adventive Knospen auf Blattern sind bei den Farnen
sehr haufige Erscheinungen. Bei den Phanerogamen ent-
stehen sie, am Grunde abgetrennter Blatter, namentlich bei
den Zwiebelgewachsen und den Crassulaceen. Sehr bekannte
Beispiele liefern ferner B r y o p h y 1 1 u m c a 1 y c i n u m ,
Cardamine pratensis und Nasturtium officinale2).
x) Dieser Punkt ist allerdiogs noch eingehender Untersuchung
bediirftig.
2) Aus der reichhaltigen Literatur dieses Gegenstandes citire ich:
Kegel, Vermehrung der Begonien aus ihren Blattern, Jenaische Zeit-
schrift f. Naturw. 1876 S. 478. Beyerinck. Over hetontstaan
van knoppen en wortels uit bladeren, Xed. Kruidk'. Arcbief.
Ill S. 1 1882 en J. H. Wakker, Onderzoekingen over adventieve
knoppen, Amsterdam 1885.
— 96 —
Dass in alien diesen Fallen in jedem Blatte eine, meist
reich verzweigte Keimbahn vorhanden ist, kann keinem
Zweifel unterworfen sein.
Wurzelknospen sind wohl die gewohnlichsten, undjeden-
falls die am ausfiihrlichsten und griindliclisten untersuchten
adventiven Knospen1). Und da viele Blatter, genau wie die
Stecklinge aus Stammen und aus Wurzeln. sich, nachdem
sie von der Pflanze abgetrennt worden sind. bewurzeln und
durch diese Wurzeln wieder neuen Pfianzchen das Leben
schenken konnen, so ist die Bedeutung der Wurzelknospen
kaum zu uberschatzen. Manche Pflanzen, wie die Mono-
tropa, vermeliren sich ausser durch Samen nur durch
sie, andere, wie Bum ex Acetosella und die Disteln.
werden durch sie zu den zahesten Unkrautern. Fiir
sammtliche Arten, welche dieses Vermogen besitzen. diirfen
wir also sagen , dass audi ihr Wurzelsystem im Zellular-
stammbaum eine vielverzweigte Keimbahn mit ihren soma-
tischen Zweigen vorstellt.
Gern wiirde ich dieses reichhaltige und verlockende
Gebiet noch weiter betreten. Der in der Literatur be-
wanderte Leser wird aher meiner Fiihrung nicht bediirfen,
um sich das Bild der Nebenkeimbahnen im Zellularstamm-
baum auszumalen und zu der Einsicht zu gelangen , dass
fast jeder grossere Ast dieses Baumes als eine Keimbahn
zu betrachten ist.
Uns eriibrigt noch der dritte Fall, der der adventiven
Knospen aus erwachsenen Zellen. Die Nebenkeimbahnen
laufen hier also durch ausgebildete Zellen, welche oft erst
') Dieser Gegenstand ist in erschopfender Weise behandelt von
Dr. M. W. Beyerinck in seinen Beobachtungen und Betrach-
tungen iiber Wurzelknospen und Neben wurzeln. Ver-
handl. d. kon. Akad. v. Wetenschappen te Amsterdam 1886.
— 97 —
im yorgeschrittenen Alter dazu iibergehen, sicli zu verjiingen
unci zu Knospen auszuwachsen. Es ist das Beispiel der
Begonien. das schon Darwin in seiner Pangenesis zur
Erlauterung der fast allgemeinen Verbreitung der erblichen
Eigenschaften iiber alle Theile des Pflanzenkorpers an-
fiihrte *), und das von Sachs und Strasburger der Weis-
lnann'schen Theorie des Keimplasmas entgegengelialten
wurde. Von Kegel, Bcyerinck und IVakker wurde diese
Erscheinung eingehend studirt -). und sie scheint mir wichtig
genug, sie hier in iliren Hauptziigen zu skizziren.
Die Epidermiszellen der- Blatter und Blattstiele. und
bei manchen Formen (z. B. Begonia phyllomani aca)
auch die des Stammes und seiner Zweige. besitzen das
Vermogen zu Knospen zu werden. Es sind nicht einzelne
bevorzugte Zellen. wenigstens niclit auf den Blattern. sondern
alle Zellen der Oberhaut in gleicliem Maasse, namentlicb
diejenigen der Nerven. Legt man ein Stuck eines Blattes
in feuchter Luft auf Erde. nachdem man die Nerven an
verschiedenen Stellen durchschnitten hat, so kann man
nacli einiger Zeit in der Nahe von jeder Wunde eine oder
mehrere neue Pflanzchen finden. Die erste Anlage dieser
ist eine wahre Verjiingung. Die inbaltsarme Oberhautzelle
tlieilt sich, olme zunaclist an Grosse zuzunelnnen, zu einem
kleinzelligen Gewebekorper . in welchem man jetzt einen
reiclien protoplasmatischen Inhalt beobaclitet. Allmahlig
wachst diese Neubildung nun hervor und differenzirt sich
unter zahllosen weiteren Zelltheilungen zu einer Knospe.
Diese Keimbahnen, welche durch '-ine erwachsene und
sich verjiingende Zelle zu einer neuen Generation hiniiber-
fiihren. werde ich. da sie wegen ihrer liohen theoretischen
') Darwin, Variations 2. Ed. II S. 374.
-) 11. cc.
de Vries, Intracellulare Pangenesis.
— 98 —
Bedeutung im Folgenden noch mehrfach Erwahnung finden
werden, mit einem besonderen Nam en belegen und pseudo-
somatische nennen.
§ 7. Die soniatischen Bahnen.
Die Keimbahnen sind, wie Nussbaum es trefflicb aus-
driickt, „der kontinuirlicbe Grundstock der Art, von dem
die einzelnen Individuen nach kurzem Besteben , wie die
Blatter eines Baurnes, welkend abfallen". Nur dass jedes
Blatt dem Baume an einem Punkte angebeftet ist, wahrend
die meisten Individuen aus den Produkten zahlreicher, nach-
einander der Keimbabn entsprungener, somatiscber Babnen
besteben, und somit nicht ohne ein Stiick des Grundstockes
abfallen konnen.
Die das Individuum zusammensetzenden somatiscben
Bahnen pflegen unter sicb ausserst verscbieden zu sein.
Nicht nur morphologisch , in Hinsicht auf die Art der
Zellen, Gewebe und Organe, zu denen sie leiten, sondern
auch in ibrer Grosse und dem Grade ibrer Verzweigung.
Die ganze oberirdiscbe Pflanze von Equisetum in den
ersten Lebensjabren stellt ein somatiscbes Zweigsystem vor.
Die im Herbste abfallenden beblatterten Zweige von Taxo-
dium, die Blatter aller jener Pflanzen, welcbe ihre Art
durch cliese Organe nicht zu reproduziren im Stande sind,
sind weitere Beispiele. Von diesen zu den einzelligen, sich
nicht weiter verzweigenden somatiscben Bahnen, wie z. B.
den vom Cambium abgeschieclenen Holzfasern mancher
Baume, giebt es eine ununterbrochene Reihe von Zwischen-
stufen.
Die somatiscben Bahnen sind im Allgemeinen die
Zellularstammbaume der einzelnen Zellen des erwachsenen
Individuums, mit Ausnahme der Keimzellen. Man kann
— 99 —
sie fur jede Zelle und jede Zellengruppe bis auf die Keim-
bahn zuriickverfolgen , aus der sie entsprungen sind. Bei
den Pflanzen sind wohl die sammtlichen reichverzweigten
Haupt- und Nebenkeimbahnen auf ihrer ganzen Lange diclit
mit solchen biischeligen Seitenzweigen besetzt. Diese geben
unserem Bilde das charakteristische Aussehen. Bei den
Dipteren entstammen sie,. der Hauptsache nach, aus einem
Punkte der Keimbahn. und das Bild wird dadurch ein ganz
anderes. Bei den hoheren Thieren aber zweigen sie sich
vom unverastelten Theile der Keimbahn nach und nach ab.
und ubertreffen diese bei weitem in dem Reichthum der
weiteren Verzweigungen.
Die Zellen auf den somatischen Bahnen pfiegen aus
denselben protoplasmatischen Organen aufgebaut zu sein,
wie die der Keimbahnen. Nur dass diese Organe hier
haufig anderen Funktionen angepasst sind, und somit auch
andere Namen tragen. So gehen die Amyloplaste der
Keimbahnzellen in manchen somatischen Elementen in
Chlorophyllkorner fiber. Die Veranderung ist aber ge-
wohnlich nicht nur eine speziellere Anpassung, sondern so-
gleich eine weitere Differenzirung. Namentlich finden wir
die einzelnen Theile der Keimbahnzellen, Kern, Tropho-
plaste, Vacuolen, Kornerplasma und Hautschicht, fast
ausnahmslos in alien somatischen Zellen zuriick.
Dieser allgemeinen Regel gegeniiber sind nun einzelne
Ausnahmen zu erwahnen. Ich sehe davon ab, dass zahl-
reiche Zellen, wie viele Holzfasern und die Stein- und
Korkzellen, bald nach ihrer Ausbildung absterben und ihren
ganzen Protoplasten verlieren. Sie leisten dem Organismus
ihre Dienste im todten Zustande und sind das extreme
Beispiel einer Reduktion auf den somatischen Bahnen.
Aber es kommen auch Falle geringerer Reduktion vor.
7*
— 100 —
Oefters schwinden bei den Algen, wie Selimitz beschreibt.
„im Innern von Zellen, die im Hausbalt der ganzen Pflanze
ausscbliesslicb fiir eine bestimmte Einzelfunktion ausge-
riistet und angepasst werden, die Chromatophoren, deren
es nicbt niebr bedarf" '). Nainentlich in den grosseren.
reicb gegliederten und bocb differenzirten Algen ist dieses
nicbt selten. Bisweilen, wie es scheint, in den innersten
Gewebezellen, zumeist aber in den Haaren und Bhizoiden.
Ein weiteres , lebrreicbes Beispiel bilden die Sporen-
schlauche der Ascomyceten. In diesen keulenformigen
Zellen entsteben durcb die Tbeilung des Kernes die Kerne
fiir die einzelnen Sporen. die Mutterzelle aber b eh alt dabei
nacb den vorhandenen Angaben, keinen Kern. Nacbdem
die Sporen ausgebildet sind, ist die Mutterzelle somit zu
einem kernlosen Protoplasten geworden , obgleicb sie ihre
Lebensaufgabe nocb keineswegs vollendet bat, denn am
Ausscbleudern der Sporen hat sie sicb nocb kraftig zu be-
tbeiligen und dazu im Innern ibrer zablreichen Vacuolen
den erforderlicben osmotiscben Druck zu erbalten.
In unserem Zellularstammbaume bildet der reife Sporen-
scblauch den letzten somatischen Zweig der in seinen Sporen
gipfelnden Keimbabn. Dieser Zweig ist einzellig, d. h. er
braucbt sicb nicbt weiter zu verzweigen. Was aber diesem
Beispiele seinen Wertb verleibt, ist die jetzige Auffassung
Yon der Bedeutung des Kernes. Denn ist dieser der Sitz
der latenten erblicben Eigenschaften, so diirfen wir an-
nehmen, dass solche dem reifen Ascus feblen. Und offenbar
bedarf er ibrer zur Ausiibung der ibm nocb obliegenden
Funktionen nicbt.
Wir baben bier also ein Beispiel einer somatischen
Balm ohne latente erbliche Eigenschaften. So sicher
x) Schmitz, Die Chromatophoren der Algen 1882 S. 137.
— 101 —
wenigstens. als die Beobachtung solches beim gegenwartigen
Zustande der "Wissenschaft uberhaupt nachzuweisen ver-
mag. Und es leuchtet em . dass dieses Beispiel uns die
Vermuthung aufdrangt . dass auch auf manchen anderen
somatischen Bahnen eine. wenn auch weniger weitgehende,
Reduktion der erbliclien Eigenscbaften stattfinden konne.
Da aber unsere Aufgabe war. Thatsachen zu gruppiren
und keine Verniuthungen aufzustellen, so diirfen wir hier
diesen Punkt nicht weiter beriihren.
§ 8. Ueber den Uuterschied zwischen somatischen Bahnen
und Keimbahnen.
In grossen Ziigen liegt das Bild der Zellularstamm-
baume fiir die hoheren Ptlan/.en jetzt vor uns. Und wer
raeiner Schilderung aufmerksam gefolgt ist. wird gesehen
haben, dass das Bild em rein empirisches ist, in welchem
die hervortretenden Linien zwar willkiirlich gewablt, aber
ohne jegliche Hypotbese gezogen worden sind. Namentlich
der Unterschied zwischen den somatischen und den Keim-
bahnen ist ein rein thatsachlicher. unserer jetzigen Kenntniss
llechnung tragender. Er beansprucht weiter nichts, als
die Andeutung, ob irgend eine Zelle durch ihre Nach-
kommen zur Fortpflanzung der Art beizutragen vermag
oder nicht.
Als Gruncllage fiir theoretische Betrachtungen erhalten
die Zellenstammbaume aber erst dann ihren vollen Wertli.
wenn man sich iiber die Bedeutung des Unterschiedes
zwischen somatischen und Keimbahnen klar geworden ist.
Dieser Unterschied ist nicht etwa ein prinzipieller1), sondern
x) Weismann, Zur Annahme einer Kontinuitat des Keimjilasmas
Ber. d. Naturf. Ges. zu Freiburg Bd. I 1886 S. 7.
— 102 —
nur em gradueller. Solches wird uns am klarsten, wenn
wir die Grenze genau zu bestimmen suchen. Wir werden
dann linden, dass eine anscheinend ununterbrochene Reihe
von Zwischenformen von den Keimbahnen zu den somatisclien
Bahnen hiniiberfiihrt.
Ira Zelhilarstammbaum der Einzelligen und der Homo-
plastiden sind sammtliche Zweige Hauptkeimbahnen. Bei
den nachsthoheren Gewachsen ist zwischen Haupt- und
Nebenkeimbalmen zu unterscheiden , und je holier der
Organismus differenzirt ist, urn so mehr treten die letzteren
in den Hintergrund. Den hoheren Thieren feblen sie.
Aber noch bei so bocb entwickelten Thallophyten, wie die
Pilze. und sogar bei den Laub- und Leberraoosen scheint
es, dass noch alle Zweige in unserem Bilde den Werth
von Keimbahnen haben. Wenigstens sind sterile Seiten-
zweige, d. h. somatische Bahnen dort noch nicht nach-
gewiesen. Bei den Gefasspfianzen aber konnen olme Zweifel
die meisten Gewebezellen , wenigstens im ausgewachsenen
Zustand, die Art nicht mehr reproduziren. Die somatischen
Bahnen nehmen hier also an dem Bilde einen wichtigen
Antheil.
Vergleichen wir nun aber die somatischen Bahnen der
Gefasspfianzen mit den Nebenkeimbahnen der Muscineen.
Ware uns die Bedeutung der letzteren nicht durch die
Untersuchungen von Prill gslieim und V editing bekannt,
so wiirden wir wenigstens manche unter ihnen als somatische
Bahnen bezeichnen. Denn nur die Frage, ob Reproduktions-
vermogen vorhanden ist, oder nicht, entscheidet. Umge-
kehrt aber wird sich von manchen somatischen Zellen der
Gefasspfianzen vielleicht spater noch zeigen, dass ihnen
dieses Vermogen doch zukommt, und was wir jetzt somatische
— 103 —
Bahnen nennen, werden wir dann als Nebenkeimbahnen
betrachten miissen.
Die sornatischen Bahnen sind offenbar phylogenetisch
aus den Nebenkeimbahnen entstanden. Aber nicht plotzlich
und mit einem Sprunge, sondern ganz allmahlig. Der Ver-
lust des Reproduktionsvermogens machte sie zu solchen.
Damit ist aber nur eine Anpassung, keine prinzipielle
Differenz gegeben. Allerdings konnen durch weitere An-
passung immer grossere Unterschiede entstanden sein : die
Anwendung des Reproduktionsvermogens, anfangs anfseltene
und immer seltenere Falle beschrankt, kann scliliesslich
vollstandig unmoglich geworden sein. indem nicht nur
die adaptiven , sondern auch die inneren Bedingungen
dazu verloren gingen. Zu den kernlosen Sporenschlauchen
werden ja ohne Zweifel alle Uebergange durchgemacht
worden sein.
x^ber weitaus die meisten somatischen Bahnen sind im
Pflanzenreiche den Nebenkeimbahnen offenbar noch so
ahnlich , dass ein prinzipieller Unterschied zwischen ihnen
nicht angenommen werden darf. Dieses zeigt sich am
klarsten in jenen Fallen, wo morphologisch gleiche Organe
unter verwandten Arten bei der einen nur aus somatischen
Bahnen bestehen, bei der anderen aber neben diesen auch
Nebenkeimbahnen enthalten.
Das lehrreichste Beispiel sind die pseudosomatischen
Keimbahnen der Begonien1). Phylogenetisch sind diese
offenbar aus solchen Bahnen entstanden, welche wir soma-
tische nennen wiirden. Aber grade der Umstand, dass auf
dem Wege der Artbildung dieses Reproduktionsvermbgen in
Zellen auftreten kann, denen es bei fast sammtlichen anderen
Phanerogamen fehlt, lehrt uns, dass dieses Fehlen nur ein
]) Vergl. S. 98.
— 104 —
adaptives, ich mochte fast sagen, nur ein scheinbares ist.
Wir werden also dazu gezwungen, den Oberhautzellen der
Blatter der Phanerogam en allgemein ein latentes Repro-
duktionsvermogen zuzuschreiben. Doch bleiben sie in
unserem empirischen Bilde als somatische Bahnen ver-
zeichnet. Aber dass der Unterschied kein prinzipieller ist.
scheint mir dabei vollig klar zu sein.
Die Richtigkeit dieser Auffassung wird iibrigens durch
die gar nicht seltenen Beispiele gewahrt, wo Pflanzentheile..
welche normal keine Knospen bilden konnen, solche in zu-
falligen Variationen oder in Varietiiten hervorbringen.
Bliithentragende Zweiglein hat man auf einem Blumenblatte
einer Clarkia und einer Begonia, am Spindel des
zusammengesetzten Lanbblattes von Ly cop ersicum , auf
den Blattern von L e v i s t i c u m , S i e g e s b e c k i a , R h e u m .
Urtica und Chelidonium beobachtet, und Caspary sab
deren mehr als hundert auf einem Blattstiele von Cucumis.
Die Bliithen auf den Spelzen der als Hordeum trifur-
c atum kultivirten Gerstenvarietiit sincl wohl Jedem bekannt.
Manche Blatter konnen sich bewurzeln. wenn sie ab-
geschnitten und in feuchte Erde gesteckt werden. Die-
jenigen der Aucuba und von Hoy a carnosa sah ich
in dieser Weise iiber zwei Jahre am Leben bleiben , ohne
Knospen zu bilden ; einige sollen selbst an sieben Jahre in
diesem Zustande gelebt haben. Ob aus den AVurzeln solcher
Blatter je, sei es normal oder nach Verletzung, wieder
Knospen entstehen ;. scheint nicht bekannt. Doch ist es
gar nicht unmoglich, und verdient der ganze Fall uberhaupt
eingehender untersucht zu werden. Andere Blatter bewurzeln
sich unter gleichen Umstanden nicht und gehen einfach
zu Grunde. Die der Crassulaceen und der Zwiebelgevvachse
treiben aber aus ihrer Basis Knospen hervor. Audi hier
— 105 —
ist offenbar die Grenze zwischen somatischen Bahnen unci
Nebenkeimbahnen keine scharfe, jedenfalls keine prinzipielle.
Schliesslich ist noch hervorzuheben. dass gar haufig das
Reproduktionsvermogen auf die Jugend beschrankt ist.
Dieses zeigt sich am klarsten bei der Callusbildung der
holzigen Gewachse. an der die alteren noch lebendigen
Zellen der Rinde und des Holzes keinen Antheil zu nehmen
pflegen. In den Blattstielen saftreicher Gewachse, wie
Peperomyia, nehmen audi ausgewachsene Zellen an der
Callusbildung Antheil, jedoch. wie es scheint, nur in unter-
geordneter Weise. Vielleicht kommt weitaus den meisten
somatischen Zellen der Pflanzen in ihrer Jugend dieses
Vermogen zu. und die Grenze zwischen Nebenkeimbahnen
und somatischen Bahnen wiirde dadurch noch mehr an
Scluirfe verlieren.
§ 9. Phyletische, soinatarche und somatische Zelltlieilung-.
AVir wollen jetzt die auf den einzelnen Bahnen liegenden
Zellen selbst etwas eingehender betrachten. Bei den Honio-
])lastiden haben alle Zellen und alle Zelltheilungen die
gleiche Bedeutung. Die beiden aus einer Mutter entstehen-
den Tochterzellen haben denselben Werth.
Bei den hoheren Pflanzen sind aber solche Vorgange
relativ selten. Sie kommen wesentlich nur dort vor, wo
eine Keimbahn sich in zwei gleichwerthige Aeste theilt,
oder wo auf einer somatischen Balm ein gleichformiges
Gewebe angelegt wird. Weitaus die meisten Theilungen
liefern aber ungleiche Produkte ; hierauf beruht ja die gauze
Differenzirung.
Wichtiger scheint mir die Unterscheidung zwischen
phyletischen, somatarchen und somatischen Zelltheilungen.
— 106 —
Phyletische sind offenbar solche , wo eine Keimbahnzelle
sicb in zwei Tochterzellen theilt, welche beicle die Keim-
bahn, wenn audi auf verscbiedenen TVegen , fortsetzen.
Somatische Zelltbeilungcn sind sammtliche Tbeilungen auf
den somatischen Babnen. Somatarcbe aber jene, durcb
welcbe eine solcbe Balm angelegt wird, wo also aus der
Tbeilung einer Keimbahnzelle einerseits eine die Keimbahn
fortsetzende, und andererseits eine somatische Zelle entstebt.
Dass bei den pbyletiscben Theilungen die erblichen
Anlagen auf die beiden Tochterzellen iibergehen, kann
keinem Zweifel unterworfen sein. Ebenso wenig, dass solches
bei den somatarchen Theilungen fiir die die Keimbahn
fortsetzende Tochterzelle der Fall ist, Ob es aber auch
fiir die andere Schwester gilt, welche den An fang einer
somatischen Balm bildet, dariiber gehen die Meinungen
noch auseinander. Und ob bei den somatischen Zellthei-
lungen neben der immer weitergehenden Anpassung und
Spezialisirung der Zellen auch stets eine entsprechende
Reduktion der latenten Anlagen einhergeht, soil im nachsten
Kapitel besprochen werden.
Hier ist noch hervorzuheben, dass die aus somatarchen
Zelltheilungen hervorgehenden, aufeinanderfolgenden Gene-
rationen von Keimbahnzellen keineswegs unter sicb gleich
sind. Man hat sie bisweilen alle als Keimzellen, oder auch
als embryonale Zellen bezeichnet. Dazu liegt aber im
Pflanzenreich kein zwingender Grund vor. Allerdings sind
sie alle darin gleich, dass sie Triiger der sammtlichen erb-
lichen Eigenschaften der Art sind. Aber nur im latenten
Zustande. In Bezus auf Hire aktiven erblichen Eigenschaften
*.-i
konnen sie wesentlich verschieden sein. Und durcblauft
die ganze Keimbahn auch nicht eine so reiche Fiille von
Eormen und Anpassungen, wie sie uns die somatischen
— 107 —
Zellen bieten, verglichen mit einer einzelnen. audi noch so
reich verzweigten somatischen Balm diirfte sie dieser an
Abwechslung meist gar niclit nachstelien. Im Gegentheil.
grade das Vermogen, nach einander die verschiedensten
soniatischen Bahnen aus sich hervorzubringen , deutet auf
eine fortwiihrende Veranderung in ihrer Thatigkeit.
Die Keimbalmzellen sind gar niclit immer solche, welche
zeitlebens im jugendlichen Zustande verweilen, oder welche
zwischen rasch aufeinanderfolgenden Zelltheilungen nur ein
kurzes individuelles Leben haben. Die Prothallien der
Fame und Equiseten besteheri aus griinen, kraftig assimi-
lirenden Zellen. durch deren Theilung zunachst nur ihre
Anzahl vergrossert wird, bis schliesslich aus einigen unter
ihnen die Geschlechtsorgane hervorgehen. Die Zellen auf
den Hauptkeimbahnen sind bier also (lurch kein sichtbares
Merkmal von den rein vegetativen Zellen unterschieden.
Dasselbe gilt von den bereits mehrfach erwatmten pseuclo-
somatischen Keimbahnen der Begonien.
Ueberall tritt uns klar der oben citirte Ausspruch
Darwin's entgegen, dass die Ueberlieferung unci die Ent-
wickelung erblicher Eigenschaften differente Vermogen sind.
Sie gehen im Zellularstammbaume fast nirgendwo parallel.
Drittes Kapitel.
W<'JN»m:uiii°s Theorie des Keiuiplasmas.
§ 10. Die Bedeutung der Zellenstammbaunie fur die Lehre
vom Keimplasma.
In den beiden ersten Kapiteln dieses Abschnittes habe
ich die Zellenstammbaume fur das Pfianzenreich eingehend
— 108 —
geschildert, unci um ein klares Bild zu entwerfen, bin ich
gezwungen gewesen, eine Reihe neuer Namen anzuwenden.
Die Tliatsache, dass alle Zellen des ganzen Pflanzenkorpers
durcli Tbeilung entstehen, wird jetzt allgemein anerkannt,
unci damit wird die Moglichkeit der Aufstellung der Zellen-
stammbaume selbstverstandlich zugegeben. Audi baben
verschiedene Forscher, sowobl von botaniscber als von
zoologiscber Seite, auf den wissenschaftlicben Wertb solcber
Betracbtungen bingewiesen.
Die Ausarbeitung des Bibles scbien mir aber, wie be-
reits im Anfange dieses Abscbnittes bemerkt wurde, des-
halb unerlasslicb , weil bis jetzt die hoheren Tbiere bei
Betracbtungen dieser Art in den Vordergrund gestellt
worden sind, unci weil dieses nur zu leicbt zu einer ein-
seitigen Auffassung fiibrt. Denn bier ist der Unterscbied
zwiscben den Keimzellen und den Korperelementen ein so
grosser, dass er nur zu leicbt den Eindruck eines prin-
zipiellen Gegensatzes macht.
Dieser Gegensatz ist von Weisiunnn in seinen an-
ziebenden Spekulationen iiber die „sterblicben"4 Korper-
zellen unci die „unsterblicben" Keimzellen scbarf betont
worden 1), und bildet zu einem grossen Theile die Grund-
lage fur seine Tbeorie cles Keimplasnias.
Diese Lebre und die darauf gegriindete Hypotbese der
Abnenplasnien baben wir bereits im ersten Tbeile einer Kritik
unterworfen. Bei jener Gelegenbeit (S. 54) babe ich darauf
bingewiesen, dass sie audi einer eingehenden Betrachtung
der Zellenstammbaume gegenuber nicht aufrecht erhalten
werden kann. Jetzt, nachdem wir diese eingehender baben
x) AVeismann, Ueber die Dauer des Lebens 1882; Ueber Leben
und Tod 1884.
— 109 —
kennen gelernt, ist es soinit unsere Aufgabe, cliesen An-
spruch zu begriinden zu suclien.
Die wahre Bedeutung des Unterscliiedes zwischen
Keimbahnen und somatischen Zellen kann man nur dann
richtig beurtheilen, wenn man den ganzen Reichtlium
der Verastelungen eines hoch differ enzirten Zellenstamm-
baumes uberblickt. Und nur bei den Pflanzen erreicht
diese Differenzirung den hochsten Grad. Zabllose Zwischen-
formen fiihren hier mit fast unmerklichen Uebergangen
von der Hauptkeimbahn auf die somatischen Bahnen
liiniiber.
Grade aus diesem Grunde babe ich auf die Behand-
lung der Nebenkeinili;ilinen besonderes Gewicbt gelegt. Sie
feblen den hoheren Tbieren. Im Pflanzenreich sincl sie
in alien Abstufungen vorhanden. Eine scharfe Grenze
zwischen ilinen und den Hauptkeimbahnen nacbzuweisen,
babe ich nicht versucht; ein soldier Versuch wiirde an
denselben Schwierigkeiten scheitern . welche die genaue
Umgrenzung des Begriffes Individuum unrnoglick machen.
Man muss sich bier mit einer willkiirlichen Grenze be-
helfen und wiihlt dazu diejenige. welche die bequemste zu
sein scheint.
Ganz anderer Art sincl die Schwierigkeiten, welche
uns auf der Grenze zwischen Nebenkeimbahnen und soma-
tischen Bahnen begegnen. Hier sind sie in der Unvoll-
stancligkeit unserer Kenntnisse begriindet. Somatische
Bahnen nenne ich solche, welche zur Fortptlanzung der
Art nicht fiihren. Aber manche Zelle, mancher Gewebe-
komplex, welchen wir aus diesem Grunde jetzt somatisch
nennen, wird sich bei spateren Versuchen als mit dem Ver-
mogen der lieproduktion ausgestattet zu erkennen geben.
Die Gruppe der pseudosomatischen Bahnen moge als Bei-
— 110 —
spiel erwalmt werden J), und auf weitere Beispiele komme
ich im letzten Paragraphen dieses Abschnittes zuriick.
Keimzellen und somatische Zellen stehen im Pflanzen-
reich somit nicht in prinzipiellem Gegensatz. Sie sind die
Extreme einer langen Reihe von graduellen Unterschieden.
Diesen Satz betrachte ich als eins der wichtigsten Er-
gebnisse der Betracbtung pnanzlicber Zellenstammbaum*.
Sachs, Straslmrger und Andere baben die Bedeutung
dieses Satzes hervorgehoben, und es scbeint mir, dass die
vorangebenden ausfiibrlichen Scbilderungen dazu werden
beitragen konnen, der Ueberzeugung von seiner Richtigkeit
allgemeinen Eingang zu verschaffen.
xAuf den Gegensatz zwischen Keimzellen und soma-
tiscben Zellen bat Weismann seine Tbeorie des Keim-
plasmas gegrtindet. Dieses ist der stofflicbe Trager der
erblicben Anlagen , und muss somit in alien Keimzellen
vorbanden sein. Aber nach Weisinaiiii braucbt es nur in
diesen erbalten zu werden. den somatiscben Zellen darf es
feblen. Denn diese konnen die Art docb nicht reprodu-
ziren ; sie sind auf die Entfaltung einer beschrankten Zahl
erblicber Anlagen bescbrankt. Sie brauchen somit nur den
dazu erforderlichen Tbeil des Keimplasmas zu entbalten.
Diese Erwiigungen fiibren Weismaim dazu, das Keim-
plasma als eine besondere Substanz zu betracbten, welcbe,
im Gegensatz zum iibrigen oder somatiscben Plasma, der
Trager der Erblicbkeit ist.
Im ersten Theile baben wir gesehen, wie uns die Tbeorie
des Keimplasmas bei der Erklarung der Organdifferenzirung
im Sticb lasst. Dort reicbt die Annabme Einer Substanz
nicht bin; besondere stoffliche Trager der einzelnen erb-
:) Vergl. dieses Kapitel § 6 S. 97.
— Ill —
lichen Anlagen, die sogenannten Pangene, waren zur Er-
klarung erforderlich. Ihre Annahnie machte aber die An-
nahme des Keimplasmas mit deren Konsequenzen tiber-
iiussig.
Jetzt haben wir nachgewiesen , dass die empirische
Grundlage fiir die Annahme des Keimplasmas, welche ja
im prinzipiellen Gegensatz von Keim- und somatischen
Zellen liegen sollte, nur eine scheinbare ist und bei einer
moglichst eingehenden und allseitigen Behandlung der
Zellularstammbaume verschwindet.
Die Annahme des Keimplasmas konnen wir also auch
von dieser Seite nicht als berechtigt anerkennen. Denn
wollten wir alien Zellen des ganzen Organismus Keiiu-
plasma zuschreiben , so wiirde die Hypothese dadurch
iiberfliissig und die Bezeichnung nahezu gleichbedeutend
mit Kernplasma werden.
Diese allgemein gehaltenen Auseinandersetzungen mochte
ich in den beiden folgenden Paragraphen dieses Kapitels
mehr in's Einzelne verfolgen.
§11. Die Ansichten der Botaniker.
Dass sammtliche Keimbahnzellen die erblichen Eigen-
schaften ihrer Art, aktiv oder latent, in sich enthalten
miissen , dariiber kann ein Zweifel wohl nicht obwalten.
Wie sich aber in dieser Beziehung die somatischen Zellen
verhalten, lasst sich im Grossen und Ganzen durch das
Experiment nicht entscheiden. Namentlich nicht im ver-
neinenden Sinne, denn das Fehlen latenter erblicher Eigen-
schaften ist wohl nie experimentell zu beweisen. Hochstens
machen die ganz vereinzelten kernlosen Zellen kernhaltiger
Organismen eine Ausnahme. Positive Yersuchsergebnisse
— 112 —
aber fiihren meistens dazu, die untersucbten, bis dahin
somatisch genannten Zellen als Elemente einer Neben-
keimbabn erkennen zu lassen. Sie verschieben also die
Grenze, entsclieiden die Frage aber niclit.
Dennoch ist die Frage, wie wir im vorigen Paragrapben
geseben baben, von boher tbeoretiscber Bedeutung. Und
so lange iiberhaupt liber diesen Punkt nachgedacht worden
ist, sind die Botaniker der Meinung gewesen, class siimmt-
licbe . oder dock wenigstens weitaus die meisten Zellen
des Pfianzenkorpers in Bezug auf die latenten Eigenscbaften
gleicb begabt sind. Turpin und Schwann, spater Mttller
und Hanstein , in den letzten Jabren vor Allen aber
Yochting baben zur Vertheidigung und Entwickelung
dieser Ansicht die Feder ergriffen.
Dieser herrschenden und so vielfach begriindeten Lebre
trat im Jahre 1885 lVeisniann entgegen. Er stellte seine
bekannte Theorie iiber die Kontinuitat des Keimplasmas
auf und sucbte dadurcb eine Grundlage fur eine Tbeorie
der Vererbung zu scbaffen.
Keimplasma nennt Weisinann den stofflicben Trager
der erblicben Eigenscbaften in ibrer Gesannntbeit, also mit
Einscbluss der latenten. Somatiscbes Plasma dagegen die
Trager der in der betreffenden Zelle aktiven Eigenscbaften.
Keiner Zelle feblt somit somatiscbes Plasma, denn alle
sind in gewissem Grade, sei es audi nur zur weiteren
Theilung, aktiv. Das Keimplasma aber soil nacb ibm auf
diejenigen Zellen bescbrankt sein, welche damit beauftragt
sind, die erblicben Eigenscbaften auf die spateren Gene-
rationen zu iibertragen. Den eigentlicben somatiscben Zellen
soil es feblen.
Innig mit dieser Auffassung verbunclen ist fur Weis-
inann der Satz, dass der Cbarakter einer jeden Zelle durch
— 113 —
ihren Kern bestimmt wird ])- Das spezifische Wesen einer
Zelle berulit nacli ihm in der Molekiilarstruktur ihres
Kernes . jede histologisch differenzirte Zellart besitzt somit
ihr spezifisches Kernplasma -). Identisches Nucleoplasma
bedingt ceteris paribus auch identische Zellkorper; bei
jeder somatarchen Zelltheilung und ebenso bei den meisten
somatischen Theilungen muss sicb somit das Kernplasma
in zwei ungleiche Halften spalten, indem jeder Tochterzelle
nur derjenige Theil der erblichen Eigenscbaften beigegeben
Avird; dessen sie zur Erzeugung ihrer Nachkommenschaft
bedarf3). 1st letztere unbegrenzt, wie auf den Keim-
bahnen , so erhalt der Kern das voile Keimplasma; da
aber die Nachkommenschaft einer somatarchen Zelle be-
grenzt und in ihrem morphologischen und physiologischen
Entwickelungskreis beschrankt ist , so bekommt sie auch
nur den entsprechenden Theil der erblichen Eigenscbaften.
Somit kein wahres Keim-, sonclern nur somatisches Plasma.
Auf die Hypothese des Keimplasmas baut Weismann
die des Ahnenplasmas, welche der Pangenesis direkt ent-
gegengesetzt ist und im letzten Abschnitt des ersten Theiles
einer Kritik unterworfen wurde. Hier gilt es aber, die
empirische Berechtigung der Grundlage jener Annahme
moglichst allseitig zu beleuchten.
Dass es Weismann nicht gelungen ist, die Botaniker
zu iiberzeugen , zeigen die verschiedenen , namentlich von
Sachs und Strasburger ihm gemachten Einwiirfe. Diese
laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass Weismann
die Nebenkeimbahnen nicht hinreichend beriicksichtigt hat.
und sich dadurch hat verleiten lassen, einen schroffen
J) Z. B. Kontinuitat des Keimplasmas S. 30.
■) 1. c. S. 70.
3) Vergl. auch den ersten Theil, Abschnitt II Kap. II § 6.
<le Vries, Intracellulare Pangenesis. o
— 114 —
Gegensatz zwischen Keimplasma unci somatischem Plasma
anzunehmen. Nun lehrt nicht nur das so wiederhoit be-
tonte Beispiel der Begonien, sondern die ganze so iiberaus
reiche Lehre von den Adventivknospen . dass es zwischen
Nebenkeimbalmen und somatischen Bahnen in der Pflanze
nirgendwo eine scharfe Grenze giebt. Die letzteren sincl
nur ganz allmablig aus den ersteren entstanden. Und wenn
sie audi oft das Vermogen der Reproduction tkatsachlich
verloren haben, so spricht doch Alles dafiir, dass sie es
gar haufig potentiell noch besitzen. Mit anderen Worten.
mit dem Verluste der Anpassung an die Reproduktion
braucht der Verlust des Keimplasmas keineswegs noth-
wendig zusammen zu gelien.
Vochting hat in seinem Buche liber Organ bil dung
im Pflan z enr ei ch vor etwa zehn Jabren die damals
bekannten Tbatsachen mit den Ergebnissen seiner eigenen
reichen Erfahrung zusammengestellt. Am Schlusse des
ersten Bandes diskutirt er die schwebende Frage eingehend.
Die Experimente lehren direkt (S. 251), class „in jedem aueh
nur kleinen Brucbstiick der Glieder eines Pflanzenkorpers
die Elemente ruhen , aus denen sich bei Isolirung der
ersteren unter geeigneten ausseren Bedingungen der ganze
komplexe Korper aufbauen kann". Allerdings gilt dieses
nur unter der Bedingung, dass das Bruchstuck eine An-
zahl von Cambialzellen enthalt. Auf dieser Grundlage wircl
nun die Frage diskutirt. „ob sich ein genugender Anhalt
bietet, unseren Satz auf jeden beliebigen Komplex
lebendiger vegetativer Zellen auszudelmen". Diese Dis-
kussion fiihrt nun zu der Annahme, class jede morpbo-
logische Gewebeform potentiell im Stande ist, Cambial-
zellen zu erzeugen, und somit den ganzen Organismus zu
reproduziren. Da aber die Versuche bei Isolirung sehr
— 115 —
kleiner Gewebeparthien auf uniiberwindliche Schwierig-
keiten stossen, und da andererseits das Vermogen der Re-
produktion als Anpassung in vielen Geweben sehr wohl
verloren gegangen sein mag, so wird selbstverstandlich kein
„strenger Beweis zu liefern versucht, sondern nur darge-
than, class eine selir nahe liegende Annalime wahrschein-
lich ricbtig ist" ').
Diese Annahme aber ist. in der jetzt iiblicb ge-
wordenen Sprache, keine andere als die, dass alle, oder
d o c h w e i t a u s die m e i s t en Z e 1 1 e n d e s P f 1 a n z e n -
korpers die s a ra m 1 1 i c h e ii erblichen Eigenschaf-
ten der Art i in la ten ten Zustande e nth alt en.
Und diese selbe Annalime babe icb durcb die eingehende
Schilderung der Zellularstammbaume an der Hand der
neuesten Untersucbungen iiber die Regenerationserschei-
nungen soweit wie moglich empiriscb zu begriinden ge-
sucht.
Allerdings ist nicbt zu leugnen, dass die Ansicbt
Weismann's in der iiblichen Oekonomie der Natur eine
wicbtige tbeoretiscbe Stiitze bat. Wozu zahllosen Zellen
und langen Zellgenerationen Eigenschaften mitzugeben,
deren sie docb nie bediirfen werden ? Docb ist nicbt zu
vergessen, dass eine solcbe Sparsamkeit vielleicbt beson-
dere Anpassungen erforderlicb machen wiirde, und dass es
somit im Grunde wohl einfacher sein konnte; in Bezug auf
die latenten Eigenschaften uberhaupt keine DifFerenzen
zwiscben den einzelnen Zellen einzurichten.
Ich mochte aber nicht so weit gehen , sammtlicben
somatiscben Zellen alle latenten Eigenschaften zuzuerkennen.
Erstens ware eine solcbe Ansicbt, wie im Anfang dieses
]) 1. c. S. 251—253.
— 116 —
Paragraphen betont wurde, einer experimentellen Beweis-
fiihrung doch unfahig, und somit dauernd steril. Dann
aber babe ich auf die kernlosen Ascusschlauche hinge-
wiesen, welche wobl obne Zweifel somatiscbe Balm en obne
latente erblicbe Anlagen darstellen, und somit die An-
nabme einer Reduktion dieser Eigenscbaften auf anderen
Babnen gestatten. Ueberbaupt ist eine in geringen Stufen
fortschreitende Differenzirung und Spezialisirung aucb bier,
unserer ganzen jetzigen Auffassung der lebendigen Natur
nach, weitaus wahrscheinlicher, als der scbroffe von Weis-
mann angenommene Gegensatz zwiscben den auserkorenen
Tragern der Erblichkeit, und den nur mit den iiberbaupt
fiir ibre Funktioiien erforderlicben Erbstiicken ausgestatte-
ten somatiscben Zellen.
Aucb spricht sicb Weismailil, auf Grund der bota-
nischen Tbatsacben, dabin aus, ,.dass er kein tbeoretisches
Hinderniss sehe, warum Keimplasma nicbt unter Umstan-
den aucb Zellen von ausgepragtem bistologiscben Charakter,
ja sogar alien Zellen der ganzen Pflanze beigemengt sein
konnte". Fiir die Lebermoose giebt er diesen Scbluss. wobl
beispielsweise , als ricbtig zu 1). Unci je mebr man die
Zellenstammbaume im Pflanzenreich studirt, um so mebr
dringt sicb uns die Ueberzeugung auf, dass ein prinzipieller
Gegensatz zwiscben Keimbabnzellen und somatiscben Zellen
in der Natur nicbt vorbanden ist.
§ 12. Entscheidung: durch das Studium der Gallen.
Mebrfacb wurde im vorigen Paragraphen die Unmog-
licbkeit einer experimentellen Entscheidung, im Grossen
!) Zur Annahme einer Kontinuitat des Keimplasmas , Berichte
der Naturforsch. Ges. in Freiburg Bd. I Heft, 1 1886 S. 10.
— 117 —
unci Ganzen, der schwebenden Frage betont. Die Repro-
duktionserscheinungen an abgeschnittenen Pflanzentheilen
weisen bis dabin unbekannte Nebenkeimbahnen auf, iiber
die Natur der iibrig bleibenden somatiscben Bahnen lehren
sie uns nichts.
Das Experiment, welches wir nicht durcbfiiliren konnen,
macben aber die gallenbildenden Parasiten in so grosser
Abwechslung, dass ein Blick auf ibre Produkte an dieser
Steile wobl gestattet sein mag. Die ausfiihrlichen und ein-
gebenden Untersuchungen Bcyerinck's baben unsere Kennt-
niss auf diesem Gebiete derart erweitert, dass die ganze
Entwickelungsgeschichte , sowie der anatomische Ban im
ausgewachsenen Zustand fur alle wicbtigeren Formen von
Gallen klar vor uns liegt ]). Es baben sicb dabei haupt-
sacblich zwei fur unsern Zweck wichtige Satze ergeben.
Erstens sind die Gallen, audi bei hochster Differenzirung,
nur aus solchen anatomiscben Elementen aufgebaut, welcbe
auch sonst in der sie tragenden Pfianze gefunden werden.
Nur die eigenthiimliche , sicb spater in ein diinnwandiges
Nabrungsgewebe verandernde Steinzellenscbicbt mancber
Cynipidengallen macht eine bis jetzt nicht vollig erklarte,
jedoch wobl nur scheinbare Ausnahme von dieser Regel.
Zweitens aber baben die Pflanzen keine speziellen An-
passungen zum Zwecke der Gallenbildung; die Adaption
liegt vollig auf der Seite des Parasiten, und dieser arbeitet
nur mit den seinem Wirthe iiberbaupt zukommenden Eigen-
schaften.
J) M. W. Beyerinck , Beobachtuugen iiber die ersten Ent-
wickelungsphasen einiger Cynipidengallen. Veroffentlicht d. d. k. Akad.
d. Wiss. zu Amsterdam 1882. — Derselbe, Die Galle von Cecidomyia
Poae, in Bot. Zeitung 1885 Nr. 2, und Ueber das Cecidium von Ne-
matus Capreae, Bot. Zeitung 1888 Nr. 1.
— 118 —
Aber die Gallen sind keineswegs beschrankt auf die
anatomischen Elemente der Organe, auf denen sie entstehen.
Zellen, welche die Pflanze sonst nur in der Rinde ihres
Stammes bildet, kann man haufig in den Gallen blatt-
bewohnender Cynipiden und Dipteren linden. Dasselbe gilt
fur die Gallen des Stammes und der Wurzel. Wir diirfen
daraus ableiten, class das Vermogen zur Hervorbringung
dieser Elemente niclit nur jenen Organen eigen ist, welche
sie im normalen Laufe entwickeln, sonclern wohl auch alien
iibrigen Theilen der Pflanze.
Ganz besondere Beachtung verdienen bier die Wurzeln,
welche zur Bedeckung der Gallen von Cecidomyia
Poae an einem Orte entstehen. wo im Laufe der normalen
Entwickelung weder die sie tragende Pflanze, Poa nemo-
ralis, noch wohl irgend eine andere Grasart im Stande ist.
Wurzeln zu erzeugen 1). Die Larven benutzen hier also ein
Vermogen, dessen Existenz wir ohne sie wohl nie hatten
vermuthen, viel weniger nachweisen konnen. In Beyerinck's
Versuchen wuchsen diese Gallwurzeln zu normalen, reich-
verzweigten Wurzeln aus; die durch den Gallenreiz zur
Thatigkeit gebrachten Zellen des Internodiums mussten
also die dazu erforderlichen Eigenschaften im latenten
Zustande besitzen.
Sogar eine direkte Umwandlung von anscheinend sonia-
tischen Bahnen in Keimbahnen ist durch die Untersuchungen
des genannten Eorschers wenn auch niclit vollig gelungen,
so doch ihrem Abschlusse ziemlich nahe gebracht -')• -Die
Gallen, welche die Blattwespe Nematus viminalis auf
den Blattern von Salix purpurea erzeugt, besitzen eine
ausserordentliche Vitalitiit. Im Anfange des Herbstes von
x) Bot. Zeitung 1885 1. c.
2) Bot. Zeitung 1888 Nr. 1 u. 2.
— 119 —
ihren Bewolmern verlassen, sind sie noch vollig turgescent.
Werden sie jetzt in feuchten Humus vergraben, so iiber-
wintern sie und konnen selbst im nachstfolgenden Sommer
ein neues Leben antreten. Sie bilden dabei neues Chloro-
phyll und ernahren sich mittelst dieses, und die besten
unter ihnen gehen nun allmahlig dazu liber, adventive
Wurzeln hervorzutreiben. Diese entstehen entweder an der
ausseren oder auch an der inneren Flache der die Hohlung
umgebenden Wand , und setzen sich stets den Gefiiss-
biindelchen der Galle an. Hirer mikroskopischen Struktur
nach sind diese zu einer Lange von einigen Centimetern
heranwachsenden Wiirzelchen mit den normalen jungen
Wurzeln der betreffenden Weidenart identisch. Die dazu
erforderlichen erblichen Eigenschaften miissen also in der
Galle, in der wohl Niemand sonst eine Keimbahn vermuthet
hatte, im latenten Zustand vorhanden sein.
Diese wichtigen Versuche werden fur unseren Zweck
noch lehrreicher werden. wenn es gelingt, die Gallwurzeln
sich so weit entwickeln zu lassen, dass sie zur Bildung von
Adventivknospen befahigt werden. Da aber die Wurzeln
aller holzigen Gewiichse dieses Vermogen besitzen, diirfen
wir schon jetzt voraussagen, dass dieses Experiment ge-
lingen wird. Vielleicht wird es dazu besonderer Maass-
regeln, wie z. B. eines Pfropfens auf die Wurzeln emer
Weidenpflanze, bedurfen. Aber ohne Zweifel diirfen wir
aus der von Beyerinck nachgewiesenen volligen Ueberein-
stimmung im anatomischen Bau ableiten, dass auch die
physiologischen Eigenschaften der normalen und der Gallen-
wurzeln dieselben sein werden.
Und gelingt es einmal, auf diesem Wege aus der Galle
eine ganze Weidenpflanze zu erziehen. so ist es klar, dass
— 120 —
in ersterer die sammtlichen erblichen Eigenschaften der
Weide latent vorhanden sind.
Dieses wiircle nun offenbar viel nutzloser sein, als ihre
Anwesenheit auf irgend welchen beliebigen normalen soma-
tischen Bahnen. Die Folgerung aber. d a s s Keiraplasma
keineswegs auf diejenigen Z ell en beschrankt
i s t , w e 1 c h e dessen z u i h r e r e i g e n e n Entwicke-
1 u n g o d e r i n i h r e r N a c h k o m m e n s c h a f t b e d ii r f e n ,
konnen wir aber schon jetzt als vollig gesicliert betrachtem
Und dieses ist wolil die wichtigste Folgerung, welche
wir aus diesem ganzen Abscbnitte ableiten dUrfen. Mit ihr
liaben wir Einen der Satze gewonnen, welche als Grundlage
fiir unsere Hypothese Verwendung finden werden. Wir
kommen aber hierauf im letzten Absclmitt zuriick.
Abschnitt II.
Panmeristische Zelltheilung.
Erstes Kapitel.
Die Organisation der Protoplaste.
§ 1. Die sichtbare Organisation.
Das Protoplasma ist der Trager der Lebenserscheinungen
und somit auch der erblichen Eigenschaften. Jede Theorie
der Vererbung muss also von einer bestimmten Ansicht
iiber den Bau dieses wichtigen Korpers ausgehen. Aber
die anatomische Forschung hat, trotz der erstaunenden
Fortschritte des letzten Jahrzehntes grade auf diesem Ge-
— 121 —
biete. zu einer klaren unci allgeraein anerkannten Auf-
fassung seiner Struktur noch nicht gefiihrt.
Wesentlicb liat dazu der Umstand beigetragen, dass
die neueren Methoden im Studium des Zellkernes und seiner
Theilung ein so wichtiges und an iiberraschenden Ergeb-
nissen reiches Grebiet baben erkennen lassen, dass die Auf-
merksamkeit sicb diesem Organe vorwiegend und oft aus-
scbliesslicb zugewandt bat. Hauiig begegnet man sogar
Ansicbten , welcbe das Protoplasma dem Kern gegeniiber
in den Hintergrund treten lassen.
Die Kernforscbung ist aber jetzt so weit vorgeschritten,
dass von dieser einseitigen Bebandlung Abstand genommen
werden kann. Die Untersucbungen von Flemiiiing', Stras-
burger und so vielen anderen Forschern haben den Bau
des Kernes und die Veranderungen dieses Baues wabrend
der Theilung entbiillt und unsere Kenntnisse, der Haupt-
sache nacb, zu einem gewissen Abscblusse gebracht. Jetzt
tritt, namentlicb auf botaniscbem Gebiete, die Zelltheilung
selbst wiederum in den Vordergrund der Forschung. Und
dabei gilt es nicht nur, das Verhalten des Kernes dem
Cytoplasma gegeniiber festzustellen, sondern eine el)enso
wesentlicbe Aufgabe ist es. zu ergriinden, wie sicb die ein-
zelnen Organe des letzteren, und namentlicb die Vacuolen.
das Kornerplasma und die Hautscbicbt dabei benehmen.
Denn vollstiindig wird unsere Kenntniss von der Zell-
theilung erst dann, wenn dabei die sammtlichen Organe
der Protoplaste gleichmassig beriicksichtigt werden.
Der geschilderte Gang der Forschung erklart es, dass
sogar eine praktische und einfache Bezeichnung fiir den
lebendigen Inhaltskorper in der Zelle sich noch nicht zur
allgemeinen Anerkennung hat aufschwingen konnen. Eine
solche wurde von Hnnstein in seinen bekannten Vortragen
— 122 —
in dem Worte „Protoplast" vorgeschlagen 1). Das Wort
,.Protoplasma" wurde ja von Mohl gebildet fur die halb-
fiiissige, stickstoffhaltige Substanz, „welche das Material
fur die Bildung des Nucleus und des Primordialschlauches
liefert". und aus der die ersten festen Bildungen der kiinf-
tigen Zelle hervorgehen 2). Den geformten. aus dieser
Substanz aufgebauten Korper nannte man vielfacli Proto-
plasmakorper, Plasmakorper. bisweilen sogar Protoplasma-
kliimpclien ocler Plasmatropfen, Ausclriicke, welclie offenbar
ungeeignet sind, eine klare Vorstellung bei Lesern und
Horern wachzurufen.
Diesen Bezeicbnungen gegeniiber hebt das Han-
stein'sche Wort die Individualitat des lebendigen Zellen-
inbaltes scharf und deutlich hervor. Diese Individualitat
ist scbon seit langer Zeit von den besten Forschern an-
erkannt worden. Sagte doch scbon Briicke im Jabre
1862, das Protoplasma sei ein organisclier Korper, kein
Fliissigkeitstropfen , sondern ein Elementarorganismus -).
Docb der Mangel eines geeigneten Namens scbadete der
Klarung der Begriffe, und diesem Mangel wurde erst durcb
Han stein abgeholfen. Klcbs und Andere haben seine Be-
zeicbnung acceptirt. und durcb ihren Einfluss wird sie ohne
Zweifel in immer weiteren Kreisen Eingang finden.
Die Protoplaste sind im wabren Sinne des AVortes
Elementarorganismen. Sie besteben deutlich aus einzelnen,
mebr oder weniger scharf von einander getrennten Organen,
welche einander gegeniiber einen hohen Grad von Selbstiin-
digkeit besitzen. Bei weitaus den meisten Pflanzen liegt
!) J. von Hanstein, I)as Protoplasma als Trager der pflanz-
lichen und thierischen Lebensverrichtungen 1880, 1. Theil.
2) Mohl, Bot. Zeitung 1846 S. 75.
3) E. Briicke, Sitzungsber. d. k. k. Akad. Wien, 1861.
— 123 —
dieser Bau klar vor uns, bei den niedersten Organismen
aber fehlt diese Differenzirung vollig oder ist sie doch nur
in beschranktem Maasse vorhanden. Bisweilen begegnet
man, aucb fiir keineswegs jeder Gliederung entbehrende
Organismen, dem Ausdrucke „nicht-organisirtes Plasma".
Aber obne Zweifel hat man diese Bezeichnung nur so auf-
zufassen, dass die bis dahin angewandten Mittel eine Ein-
sicht in die Organisation noch nicht eroffnet liaben , nicbt
aber so; als ob das Fehlen jeglicber Gliederung eingehend
studirt und endgiiltig nacbgewiesen ware.
Z w ei t es Kap i t el.
Historische mid kritisclie Betraclitungen.
§ 2. Die neogenetische und die panmeristiscue Auffassung
der Zelltheilung.
Koch vor wenigen Jahrzehnten nahm man allgemein
an . dass die einzelnen Organe, wie der Kern und die
Chlorophyllkorner, jedesmal, oder doch wenigstens sehr
hiiung durch Differenzirung aus dem undifferenzirten Proto-
plasma entstehen konnten. Diese Neubildung ist aber
durch die Untersuchungen der letzten Zeit in keinem ein-
zigen Falle bestatigt worden. Ueberall. wo man die Ent-
stehung eines Organes genau und eingehend mit den
jetzigen Hiilfsmitteln erforscht hat, hat sich gezeigt, class
sie auf einer Theilung bereits vorhandener differenzirter
Glieder beruht.
Die Organisation der Protoplaste ist keine periodische
oder nur in den erwachsenen Zellen zu Tage tretende.
Sie ist eine permanente, alien Zellen in alien Entwickelungs-
— 124 —
zustanden zukommende. Die Annalime der Neubildung
maclit iiberall der Erkenntnis der Theilung Platz : die neo-
genetische Auffassung weicht der panmeristischen 2).
Von Interesse ist es, den Gang der Entwickelung
unserer Kenntnisse zu iiberblicken. In seiner Lebre von
der Pfanzenzelle bescbreibt Hofiueister die Ent-
stelmng der Zellkerne nach den damaligen Kenntnissen.
Sie taucben im Protoplasma als Tropfen oder Massen durcb-
sichtiger bomogener Substanz auf, entweder in wenigkernigen
Zellen gleicb anfangs von der definitiven Grcisse, in viel-
kernigen Zellen aber zuniicbst als kleinere, sicb durch
Wachstbnni vergrossernde Gebilde. Bisweilen entbalten
sie bei ibreni ersten Sicbtbarwerden scbon Kernkorpercben.
oft sind sie dann aber obne alle feste Bildung im Innern
und bekommen solcbe erst spaterbin. Jeder Zelltbeilung
pflegt ein Verscbwinden des Kernes voranzugehen, dem
dann das Auftauchen zweier, resp. mebrerer neuer Kerne
folgt *).
Die umfassenden Untersucbungen von Strasbnrger und
Schmitz baben zunachst fur einzelne , dann aber fur
immer mebr Falle diese Ansicbt als irrtbiimlicb dargetban.
und iiberall, wo man bis dabin ein Verscbwinden und
nacbberiges Auftaucben von Kernen annabm, die Ent-
stebung der neuen Kerne durcb Tbeilung des urspriing-
licben nacbgewiesen. Ausnabmen von dieser Regel sind
jetzt nicbt mebr bekannt.
Genau in derselben Weise ist es mit den Cbloropbyll-
2) Panmeristisch nenne ich die Ansicht, dass sammtliche
Organe der Protoplaste sich, in der Regel , nur durch Theilung ver-
mehren. Diese Ansicht wurde fur die Pflanzenzellen zuerst in meinen
Plasmolytischen Studien aufgestellt. Vergl. Pringsh. Jahrb. Bd. XVI
S. 489 ff.
") Hofraeister, Die Lehre von der Pflanzenzelle 1867 S. 79.
— 125 —
kornern gegangen. Noch in der letzten Auflage seines
Lehrbuchs1) sagte Sachs: „Die Chlorophyllkorper entstelien
in den jungen Zellen durch Sonderung des Protoplasrnas
in farblose und in ergriinende, sich scharf abgrenzende
Portionen. Der Vorgang kann so aufgefasst werden, dass
in dera anfangs homogenen Protoplasma kleinste Theilchen
von etwas verschiedener Natur verbreitet sind oder erst
entstelien , die sich dann an bestimmten Stellen sammeln
und als gesonderte Massen auftreten." Dass die so ent-
standenen griinen Korner sich durch Theilung weiter ver-
raehren konnten, und dass die Chlorophyllkorper vieler
Algen gewohnlich bei jeder Zelltheilung von der sich bil-
denden Wand durchschnitten werden, ist der Beobachtung
leicht zuganglich, und war auch damals nicht unbekannt.
Aber erst Sclimitz zeigte. dass Theilung bei den
Algen der einzige Weg ist, auf dem die Chromatophoren
neugebildet werden 2). Diesen Gedanken bei den Phanero-
gamen verfolgend, entdeckte dann Sckiinpcr die farblosen
Orgaue der jugendlichen Zellen, welche in diesen ausschliess-
lich mit der Stitrkebildung beauftragt sind, und durch deren
Brgriinung die eigentlichen Chloropbyllkorner gebildet wer-
den. Jene Amyloplaste vermehren sich in alien beobachteten
Fallen nur durch Theilung, und ScMmper sowie Arthur
Meyer haben die Beobachtungen iiber diese Entstehungs-
weise derart gehiiuft, dass die fruhere Ansicht jetzt wohl
von alien Botanikern verlassen worden ist. Manche spe-
zielle Fiille barren allerdings noch der Klarung, so lange
sie aber nicht genau untersucht sind, liegt kein Grund
vor, die alte Auffassung fur sie als wahrscheinlicher zu be-
trachten als die neue.
J) Lehrbuch der Botanik, 4. Aufl. 1874 S. 46.
-) F. Schmitz, Die Chromatophoreu der Algen, 1882.
— 126 —
Aehnlich verhalt es sich mit den Vacuolen. Noch
vor etwa vier Jahren betrachtete man diese allgemein als
durch Neubildung im Protoplasma, in Folge der Aus-
scheidung iiberfliissigen Imbibitionswassers, entstanden. In
meinen „Plasmolytischen Studien iiber die Wand der
Vacuolen" habe ich aber die Meinung begriindet, dass auch
fiir sie die fiir Kern und Trophoplaste ') giiltige Ent-
stehungsweise die einzige wirkliche sein diirfte 2). Ich
stiitzte micli dabei auf den Nachweis, dass sammtliche
Vacuolen von einer lebendigen Wand umgeben sind, welche
nach der von mir vorgeschlagenen Methode stets leicht
und sicker naclizuweisen ist, und welche ich mit demselben
Rechte wie die Kerne und Chromatophoren als ein Organ
des Protoplasten betrachten zu diirfen glaubte.
Diese, aus meiner panmeristischen Auffassung der
Zelltheilung abgeleitete Folgerung ist durch die Unter-
suchungen Went's vollig bestatigt worden 3). Damit ist
aber, meiner Ansicht nach. die Berechtigung dieser Auf-
fassung gegeniiber der neogenetischen bewiesen worden.
Die Sachlage hat sich jetzt umgekehrt.* Wahrend bis da-
hin noch das Verhalten des Kerns und der Chromatophoren
als ein eigenthtimliches betrachtet werden konnte, spricht
jetzt die Wahrscheinlichkeit viel mehr dafiir, dass die ver-
schiedenen Glieder eines Protoplasten dieselbe Entstehungs-
weise besitzen werden, und dass sie somit nur insofern auf
x) Mit diesem Namen bezeichnet Arthur Meyer die Amyloplaste
und ihre Derivate (Chlorophyllkorner, Farbstoffkorper u. s. w.).
2) Pringsheim's Jahrbiicher fiir wissenschaftl. Bot. Bd. XVI 1885
S. 489—505.
3) F. A. F. C. Went, De jongste toestanden der vacuolen, Amster-
dam 1886. Les premiers etats des vacuoles, in Archiv. Neerl. 1887
und: Die Vermehrung der normalen Vacuolen durch Theilung, in
Pringsheim's Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XIX 1888 S. 295.
V
— 127 —
den Rang selbstandiger Organe Anspruch haben , als sie
dieser Regel folgen.
Nachdem nun fur Kern. Trophoplaste und Vacuolen
die Entstehnngsweise in der Hauptsacbe feststeht, und
nachdem die Arbeiten Wakker's die Kristalle. die meisten
Kristalloide und die Aleuronkorner als Inhaltsgebilde der
Yacuolen haben kennen gelehrt J) , dreht sich die Frage
orwiegend urn die Hautschicht und das Kornerplasma -)•
Ueber ihr Verhalten bei der Zellbildung sind unsere
Kenntnisse noch wesentlich dieselben . wie zu den Zeiten
Mollis und Hofineister's. Allerdings ist unsere Vor-
stellung iiber den Zelltheilungsprozess nainentlich durch
Strasburger's Arbeiten eine viel eingehendere geworden,
aber grade die Frage nach der ersten Anlage der Scheide-
wand. welche langere Zeit in neogenetischer Richtung ent-
scbieden schien, ist durch die spater zu besprechende Ent-
deckung des Zellringes von Went3), so wie durch die Ein-
wiirfe anderer Forscher wieder iiusserst unsicher geworden.
Aus diesen Griinden glaube ich, dass eine kritische
Revision unserer Kenntnisse auf dieseni Gebiete jetzt
wesentlichen Nutzen haben kann. Es wird sich dabei
zeigen, wie fast in alien Fallen das Verhalten von Haut-
schicht und Kornerplasma bei der Zellbildung thatsachlich
unbekannt ist. Wenigstens in alien Fallen, welche der
panmeristischen Auffassung zu widersprechen scheinen.
Es handelt sich dabei nicht um die Frage , ob diese
!) J. H. Wakker, Studien iiber die Inhaltskorper der Pflanzen-
zellen. Pringsheim's Jahrb. f. wissenschaftl. Bot. Bd. XIX 1888
S. 423. Vorlaufige Mittheilungen finden sich im Maandblad v. Xatuur-
wetensch. 1886 Xr. 7. 1887 Xr. 5 u. 6 und Botan. Centralblatt Bd.
XXXIII Xr. 12.
2) Vergl. diesen Abschnitt § 6.
3) Vergl. diesen Abschnitt § 7 u. 8.
— 128 —
letztere Auffassung richtig ist, oder nicht. Dieses scheint
mir durch die Untersucliungen der namhaft gemachten
Forscher iiber alien Zweifel erhoben. Sondern nur darum,
ob bei dieser Auffassung Kornerplasma und Hautschicht
als zwei prinzipiell differente Organe zu betrachten sind.
welche ebenso wenig in einander iibergehen wie der Kern
und die Chromatophoren, oder ob sie zu einander in einer
ahnlichen Beziehung stehen wie die Amyloplaste und die
Chlorophyllkorner. So lange man meinte, dass das Korner-
plasma durch innere Differenzirung die ubrigen Glieder
hervorzubringen im Stande war, lag es auf der Hand, eine
ahnliche Entstehungsweise fur die Hautschicht anzunehmen.
Es kann uns also nicht Wunder nehmen, dass diese audi
jetzt noch allgemein als die thatsachlich vorhandene be-
trachtet w-ird.
Allbekannt ist das Beispiel, welches schon von Moiil
als Typus der Zelltheilung hingestellt wurde, und an
welches sich die historisch merkwiirdigen Diskussionen
kniipften iiber die Frage, ob der Protoplasmakorper bei
diesem Vorgange eine passive oder eine aktive Rolle spielte.
Wie 3Iohl's Typus der Fadenalgen, CI ad op h or a, ver-
halt sich die in neuerer Zeit fiir dieses Studium beliebtere
Spirogyra. Hautschicht und Kornerplasma falten sich
auf der kiinftigen Grenzlinie zu einem Ringe, welcher von
aussen nach innen fortwachsend den ubrigen Theil des Zell-
inhaltes anscheinend einfach durchschniirt. Die beiden
neuen Theile der Hautschicht fiir die Tochterzellen ent-
stehen als Fortsetzung der alten Hautschicht,
Ein schones Beispiel panmeristischer Zelltheilung bieten
auch, nach Klobs' klaren Darstellungen, die Eugleniden ]).
J) G. Klebs in Arbeit en d. Bot. Instit, in Tubingen I S. 282.
129 —
Es ware ausserst unwahrsclieinlich , class bei einem
solchen prinzipiellen Vorgang die hoheren Pflanzen sich
anders verhalten wiirden wie die niederen. Dass in Neben-
saciien Verschiedenheiten obwalten, ist selbstverstandlich,
and Jedermaim weiss, dass namentlich in der relativen
Dauer der einzelnen Abscbnitte des Prozesses wichtige
Unterschiede vorhanden sind. Und dasselbe gilt von der
Art und Weise, wie dafiir gesorgt wird, dass jede Tochter-
zelle ibren eigenen Kern bekommt. Dass aber die Er-
ganzung der Hantscbicbt durch Einscbaltung eines vollig
neugebildeten Stiickes stattfinden wiirde, istunserensonstigen
Kenntnissen gegeniiber so abweichend. dass man es keines-
wegs, auf die alteren Untersnelmngen stiitzend, annebmen
darf. Jedenfalls muss es so lange angezweifelt werden, bis
direkte Beobacbtnngen angefiihrt werden konneu.
Solcbes ist aber augenblicklich niclit der Fall, wie ich
in dem letzten Kapitel dieses Abschnittes zu zeigen ver-
sucben >verde. Im Gegentbeil sprecben mancbe That-
sacben bereits jetzt fiir die vollige Autonomie der Hant-
scbicbt. wenu audi noc-b nicbt rnit binreicbender Sicher-
lieit. urn einen endgiiltigen Beweis zu liefern.
Wie dem aber sein mag, ob die Hautschicht ans dem
Kornerplasma bervorgeben kann, oder ob beide einander
gegeniiber autonom sind, jedenfalls stebt es test, dass einer-
seits diese beiden. und andererseits der Kern, die Tropbo-
plaste and die Yacnolen selbstandige Organe sind, welcbe
sicb, im normalen Lanfe der Dinge . nnr durch Tbeilnng
vermebren.
Die Organisation der Protoplaste ist somit erblicb, und
zwar nicbt in dem Sinne, wie die Organisation der hoheren
Organismen in jedem Individnum durch die Entwickelung
unsichtl>arer erblicber Anlagen reproduzirt wird . sondern
el e Vries, Intracellulare I'angenesis. 9
— 130 —
(lurch direkten Uebergang aller, den Organismus zusammen-
stellenden Organe aus der Mutterzelle auf ihre Tochter.
Die Bedeutung dieses Satzes fur unsere Hypothese der
intracellularen Pangenesis wird im letzten Abschnitte be-
sprochen werden. Hier uber wollen wir die thatsachliche
Grundlage eingehender kennen lernen, auf welche er sicb
stiitzt.
§ 3. Die Zelltheilung nach dem Typus Mo Ill's.
Die „Grundziige der Anatomie und Pliysiologie der
vegetabilischen Zelle" von Hugo von Mohl *) sincl durch
lange Zeiten die wesentlichste Quelle gewesen. aus der die
angehenden Botaniker ihre Kenntnisse iiber diesen Gegen-
stand schopften. Erst FTofmeister's Pflanzenzelle (1867)
und das Lehrbuch von Sachs (1868) haben ihrer Herrschaft
ein Ende gemacht, doeb sincl wohl noch zablreiche Ab-
bildungen und Satze aus jenen Grundziigen bei den alteren
Botanikern in lebhafter Erinnerung.
Die Vermebrung der Zellen durch Theilung wird in
diesem Buche'2) von Mohl in folgender Weiso beschrieben.
Sie „wird durch Veranderungen eingeleitet, welche der
Primordialschlauch der sich theilenden Zelle erleidet, in
deren Folge sich Scheidewande entwickeln, welche von der
Peripherie der Zelle allmahlig nach innen zu wachsen und
die Zellhohlung in zwei oder mehrere getrennte Hohlungen
abtheilen". Zu unterscheiden sind dabei die Falle, wo der
Zelltheilung eine Verdoppelung des Kernes vorangeht, von
denen. wo solches nicht der Fall ist (unseren jetzigen viel-
kernigen Zellen). Dieser letztere seltnere, aber einfachere
a) In Waguer's Handworterbuch der Pliysiologie, 1851, ersehienen.
-) 1. c. S. 211.
— 131 —
Fall tritt bei Conferva glomerata auf. und deshalb
fangt Mohl seine Schilderung mit dieser Alge an. Aber
auch dort . wo die Bildung zweier nexier Kerne der Ent-
stelmng der Scheidewand vorangeht, geschieht dieser letztere
Prozess auf dieselbe Weise wie bei der genanriten Con-
ferva. Und zwar sowohl unter den Algen . wie bei den
hoheren Gewachsen.
Stets erganzt sich also nach Mohl die Hautschicht in
der Art. dass die neuen Theile aus den alten hervorwacbsen.
In historischer Hinsiebt ist nun hervorzuheben . dass
dieser Satz fur die von Mohl in den Vordergrund gestellten
Algen von sammtlicben spateren Untersuchern bestatigt
worden ist1). Hier ist seine Richtigkeit iiber alien Zweifel
erhoben, und kann von Jedem leicht kontrolirt werden.
Wer also aus theoretischen Griinden anzunehmen geneigt
ist, dass bei der Zelltheilung iiberall im Pflanzenreich die-
selben Prinzipien gelten; wird den in Rede stehenden Fall
nocli stets mit Mohl als Typus betrachten miissen.
Bei den einkernigen Zellen pflegen ausserst merkwiirdige
Einricbtungen vorhanden zu sein. deren Aufgabe es ist, die
neue Scheidewand genau zwischen den beiden neuen Kernen
hmdurchzufiihren. Nach unserer jetzigen Auffassung von
der Bedeutung des Kernes kann dieses kein Wunder nehmen,
denn was ware eine Zelle ohne ibre crblicben Eigenscbaften !
Bei den hoheren Ptlanzen sind diese Einricbtungen noch
nicht in jeder Beziebung klargelegt, solches ist aber fiir
die Spirogyren, namentlich durch die wiederbolten Ver-
offentlichungen Strasburger's in hohera Maasse der Fall.
Wir wollen also den Vorgang bei dieser Pflanze an der
a) Zelltheilung durch Einschniirung ist bei den niederen Algen
weit verbreitet. Vergl. z. B. Klebs, Arbeiten d. Bot. Inst, in Tubingen
Bd. I S. 336—343.
9*
— 132 —
Hand der letzten Beschreibung dieses Forschers so weit
schildern, als fiir unsere Zwecke erforderlicli ist.
In der Zeit ]). wo der Kern sieli dem Ende der Pro-
phase nahert, sammelt sicb das Protoplasma urn ilm an
und nimmt in der Gegend der Pole des Kernes parallel-
streifige Struktur an. Es wird bald klar, dass es sicli urn
die Anlage der Spindelfasern bandelt. Diese bilden sich
rascli aus und setzen sich dnrch das Innere der Kernhohle
bindurch fort, um von den beiden Endflachen her mit
einander in Beriihrung zu treten. Fiir die etwaige Annalime,
dass die im Innern dieser Hohle auftretenden Spindelfasern
anderen Ursprungs als die ausserhalb behndlichen sein
sollten. liegt kein sticlihaltiger Grand vor. Im Aequator
der Spindel hauft sich die chromatische Substanz , die
einzelnen Fasern an ihrem Umkreise beriihrend.
Nun vollzieht sich die Ausbildung und Langsspaltung
der Kernschleifen, von der Trennung und dem Auseinander-
riicken der beiden Halften der Segmente gefolgt. In dieser
Periode sieht man klar, dass es nicht alien Spindelfasern
gelungen ist, sich mit den gegeniiberliegenden zu verbinden.
Nur diejenigen, denen dieses gelang, werden als Verbindungs-
fasern zwischen den beiden auseinander riickenden jungen
Kernen erhalten. Der zwischen diesen entstehende Raum
ist nach aussen von einem Protoplasmamantel umgrenzt.
und augenscheinlich sammelt sich in ihm ein osmotisch
wirksamer Stoff an, der die Vergrosserung dieses Raumes
besorgt und die jungen Kerne auseinander drangt. In-
zwischen wird die Zahl der Verbindungsfaden auf dem
Mantel dieses Raumes immer geringer, der Mantel selbst
in transversaler Richtung immer mehr hervorgetrieben und
') Das Folgende nach Strasburger, Ueber Kern- und Zell-
theilung im Pflanzenreich, 1888 S. 9—23.
— 133 —
dementsprechend diinner. Doch bleibt er scharf und deut-
licli sichtbar. Der Raum hat jetzt die bekannte Tonnengestalt
angenommen, seine Wand wird als Verbindungsschlauch
bezeichnet und bleibt dauernd als eine allseitig gescblossene
gespannte Blase sichtbar. Schliesslich erreicht dieser
Schlauch, indem er in aquatorialer Richtung stark gedehnt
wird, die protoplasmatiscbe Ansammlung am Rande der
vordringenden Scheidewainf. Er verbindet sich init dieser
und wird jetzt allmahlig von ilir eingedriickt und schliess-
lich durchgeschnurt.
Nach den von Went und'mir aufgefundenen Prinzipien
der Vacuolenlehre 1st es wahrscheinlich. dass der osmotische
Stoffe enthaltende, vomVerbinduugsschlauch umgrenzte Raum
eine Vacuole ist, welche dann, Strasfourgers Auffassung
entgegen *), von aussen her zwischen die beiden jungen
Kerne eingedrungen sein muss. Ebenso deutlich ist es,
dass diese Vacuole von einer eigenen Wand umgeben sein
muss, und dass diese also die innere Schicht des Verbin-
dungsschiauches bildet. Letzterer ist gegen die iibrigen
Vacuolen des Zellraumes gleichfalls durch eine Wand ab-
gegrenzt, und zwischen beiden Wanden liegt. wenigstens
anfangs, Kornerplasma Die Veranderungen jener, das
Innere der Tonne bildenden Vacuole wahrend des ganzen
Prozesses bediirfen aber selbstverstandlich noch einer spe-
zielleh, an lebendem Material anzustellenden Untersuchung -).
Keinem Zweifel kann aber die Richtigkeit von Stras-
burger's Auffassung unterworfen sein, wo er den ganzen
Vorgang der Zelltheilung , mit alleiniger Ausnahme der
») 1. c. S. 17.
2) Zacharias betont in seiner Besjjrechung der Strasburger'schen
Arbeit in der Bot. Zeitung 1888 S. 449 gleichfalls, „dass am lebenden
Objekt Dinge vorbanden sein konnen , die man dort besser erkennen
und beurtheilen kann, als am fixirten und tingirten".
— 134 —
Theilung des Kernes, in clas Protoplasma selbst veiiegt.
Die Tochterkerne sincl dabci passiv , das Cytoplasma ist
allein das treibende Element.
Die Chlorophyllbander, die Vacuole und das Korner-
plasina werden von der in das Innere hineinwachsenden
Hautschicht einfach durcligeschniirt ; die Hautscbicht selbst
trennt sicb am Ende in derselben Weise, nacbdem sie das
in der Mitte des Ringes iibrig gebliebene Locb vollig ver-
scblossen bat.
Bei denjenigen vielkernigen Algen, deren Kerne regel-
massig iiber das ganze wandstandige Protoplasma vertbeilt
sind, bat man keine besondern Einrichtungen beobachtet.
um bei den Zelltheilungen jeder Tocbterzelle den Besitz
einer oder mebrerer Kerne zu sicbern. Aucb scbeinen
diese bei der grossen Anzahl und der gleicbmassigen Ver-
breitung der Kerne gar nicbt erforderlicb zu sein. Kern-
spindel und Kerntonne haben also bier ibre Bedeutung
verloren, und sind dementsprecbend , wenigstens in der
Regel, wobl aucb nicht vorbanden. Die Zelltbeilung wird
wesentlicb nur von der Hautschicht und dem Korner-
plasma besorgt.
Fiir das ricbtige Verstandniss der Vorgange der nor-
malen Zelltbeilung ist ein Satz von bervorragender Be-
deutung, welcber durcb kiinstlicbe Theilungsversucbe
lebendiger Protoplaste in alterer und neuerer Zeit ge-
wonnen worden ist. Ich meine nicht die adaptiven Regene-
rationsvorgange nach Verwundungen. Diese sollen im
nacbsten Paragrapben besprocben werden. Sondern das
Durcbscbniiren des iibrigens unverletzten Zellinbaltes in
ganzen Zellen und die Theilung der Protoplaste in zwei
oder mehrere Stiicke bei der Plasm olyse. Die betreffen-
den Falle habe ich in meinen Plasmolytiscben Studien iiber
135 —
die Wand der Vacuolen zusammengestellt ' ) ; sie lehren,
<lass bei kiinstliclier Durchschnttrung eines Protoplasten
die Hautschicht, die Wand der Vacuole mid das Korner-
plasma anscheinend olme irgend welche Schwierigkeit ihre
Rander schliessen mid sich zu einer neuen Einheit ab-
runden. Bei plasmolytisclien Versuchen ist solclies leicht
zu konstatiren; hier sieht man aucb, wie bei der Auf-
liebung der Plasmolyse ofters die Theilstucke wieder zu-
sammenfiiessen, indem ihre Glieder sich mit den gleich-
namigen Organen der iibrigen Theilstucke desselben Proto-
plasten verbinden.
Dieses Vermogen, sich mit gleichnamigen Theilen zu
verbinden, scheint den drei namhaft gemachten Organen
der pflanzlichen Protoplaste allgemein zuzukommen. Die
Wande der Vacuolen zeigen es uberall dort, wo die zahl-
reichen Saftblasen junger Gewebezellen sich wahrend des
raschen Wachsthumes beini Uebergang in den fertigen Zu-
stand zu einer einzigen grossen Vacuole vereinigen. Bei
der Vereinigung zweier oder mehrerer gleichartiger Proto-
plaste zu einem sogenannten Syniplasten findet, wenigstens
in nianchen Fallen, ahnliches sowohl mit diesen Wanden,
wie mit der Hautschicht unci dem Kornerplasma statt, wie
die Ontogenie der Milchsaftgefiisse wohl am deutlichsten
lehrt. Ein Verschmelzen gleichnamiger Theile ist auch
bei den Fiisschen mancher Rhizopoden wiederholt beobachtet
mid beschrieben worden.
Zu dieser Verbindung bedarf es, ausser dem erforder-
lichen Grade der Homogenitat, soviel wir wissen, nur der
cinfachen Beriihrung. Wir diirfen sie also als einen mecha-
nischen Vorgang betrachten und als Element bei der Er-
]) Pringsh. Jahrb. Bd. XVI S. 501—505.
136
klarung cler normalen Zelltheilung beniitzen. Sie besorgt.
bei den Spirogyren offenbar den Anschluss des Verbindungs-
schlauclies an den nach innen hervorwachsenden Ring
und beherrscht spater den endgiiltigen Schluss der im
Ringe verbleibenden Oeffnung.
§ 4. Regeneration der Protoplaste nach Verwundung.
Wenn audi im normalen Laufe der Entwickelung die
einzelnen Organe sicli nur durch Theilung vermehren, so
folgt darans noch niclit mit Nothwendigkeit, dass diese
Regel eine ausnahmslose sein muss, und dass es niclit Falle
geben kann , wo die Natur in anderer Weise ihre Zwecke
zu erreichen sucht. Namentlich dort, wo durch aussere
Bingriffe, wie Verwundungen oder Zerstiickelungen, ein-
zelne Glieder eines Protoplasten vollstandig verloren ge-
gangen sind , liesse sicli erwarten, class eine Regeneration
auf anderem Wege moglich sein konnte.
Augenblicklich sprechen die vorhandenen Beobach-
tungen allerdings nicht dafur, dass solche Fiille thatsach-
lich vorkommen. Das schliesst aber deren Moglichkeit
noch keineswegs aus. Und auf diese Moglichkeit mochte
ich hier mit grosser Bestimmtheit hinweisen , weil die
Hypothese der intracellulars! Pangenesis eine gelegent-
liche Neubildung von solchen Organen aus den vom Kern
ausgegangenen Pangenen gar nicht als unnioglich betrachten
lasst.
Nach den bis jetzt veroffentlichten Thatsachen zu ur-
theilen, scheinen sicli aber die Erscheinungen der Regene-
ration nach Verwundung den normalen Vorgangen eng
anzuschliessen. Eine Neubildung von Kern und Chroma-
tophoren ist dabei , wenigstens in der letzten Zeit, wohl
— 137 —
von Niemand behauptet worden. Ueber ein etwaiges Anf-
tauchen von neuen Vacuolen liegen nur wenige Beobach-
tungen vor. Diese wurden von Went grade zur Priifnng
der einschlagigen Frage angestellt und lebren wenigstens
das Eine mit Bestimmtheit, dass iiberall dort, wo man
bis daliin eine Neubildung normaler Vacuolen glaubte an-
nelimen zu miissen . eine solclie nicht stattfindet. Denn
die beobachteten Vacuolen entstelien theils durch Ab-
schnlirung aus der grossen Saftblase der Zelle. theils durch
Anschwellen der kleineren im Kornerplasma suspendirten.
Namentlich fiir die zuerst von Hsuistein und nachher von
so vielen Forschern studirte Vaucheria kann hierliber
ein begriindeter Zweifel wohl niclit mehr obwalten ]).
Seitdera ich in meinen Plasmolytischen Studien die
Meinung ausgesprochen und zu begrunden gesucht babe,
dass die Hautschicht ein besonderes Organ des Protoplasten
ist2), sind entsclieidende Tbatsachen iiber diese Frage nicbt
aufgefunden worden. Wohl ist Klebs meiner Auffassung
auf Grund seiner an Vaucheria angestellten Beobach-
tungen entgegengetreten :5). Dieser Forscher hat in das
Studium dieser Vorgange eine neue Methode eingei'iihrt.
welcbe es gestattet . die ersten Anfiinge einer Zellhaut-
bildungumausgetreteneProtoplasmamassen leicbt und sicher
nachzuweisen. Er farbt das Wasser oder die verdiinnte
Losung, in der die Faden durchschnitten werden , mit
Congoroth , welches grade von den jungen Zellhauten mit
grosser Begier gespeichert wird.
Zu einer Entscheidung iil)er die von mir aufgeworfene
J) F. Went in Pringsheim's Jahrb. f. wiss. Bot, Bd. XIX
8. 330-341.
2) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XVI S. 493.
3) Arbeiten des Bot. Instituts in Tubingen, Bd. II S. 510.
— 138 —
Frage fiihrt diese Methode aber noch nicht, da es, wie
audi Klebs hervorhebt. an einem Mittel fehlt, urn fiber die
An- oder Abwesenbeit einer Hautscbicbt an einer Zellhaut
bildenden Portion des zerstiickelten Protoplasten zu ent-
scheiden. „Unter den freischwimmenden Plasmaballen giebt
es dann immer eine Anzahl selbst ganz grosser und inhalts-
reicber, welcbe mebrere Tage leben, aber obne Zellbaut
' zu bilden." Bei den meisten zeigen sich aber sehr bald
Anfange der Zellhautbildung 1). Worin aber der Unter-
schied in dem Verhalten dieser beiden Arten von abge-
trennten Tbeilen begrfindet ist, wurde von Klebs nicbt
naher untersuchL Meine Vermuthung, dass den ersteren
die Hautscbicbt mangelt, die letzteren aber dieses Organes
bei ibrer Abtrennung tbeilbaft geworden sind, ist dadurcb
soniit nocb keineswegs widerlegt.
Aucb scbeint mir die grosse Debnbarkeit der Haut-
scbicbt bei dem enormen Anscbwellen der spater Zellbaut
bildenden Blasen keineswegs unwabrscbeinlich oder aucb
nur auffallend. Dass die Debnbarkeit nicbt nur der Haut-
schicht, sondern aucb der Vacuolenwand unci vielleicbt aucb
des Kornerplasma eine sebr bedeutende ist. lebren uns die
plasmolystiscben Versucbe fast bei jedem Scbritt. Unci
dass die angescbwollenen Ballen der Vaucheria nur
solche Vacuolen enthalten, welcbe durch Vergrosserung unci
raeist aucb durch Theilung aus in der unverletzten Pflanze
vorhandenen Saftblasen entstanden sind, hat Went grfind-
lich dargethan. Die Annahme einer Dehnbarkeit der Haut-
scbicbt, welcbe nicbt wesentlich grosser zu sein braucbt
als die nachgewiesene Debnbarkeit der Vacuolenwand, kann
also nicht besonders befremden.
Die Regenationserscheinungen der Vaucheria be-
') 1. c. S. 507.
— 139 —
diirfen also in diesem Punkte noch erneuter Untersuchung.
Solange aber ein thatsachlicher Beweis fur eine Zellhaut-
bildung oline Hautschicht, oder fiir eine von der alten un-
abhangige Neubildung dieses Organes nicht erbraclit worden
ist, kann diesem Beispiele nicht jene grosse Bedeutung
zuerkannt werden, welche manche Schriftsteller ihm zu-
schreiben.
Wiclitig sind hier auch die BeobacLtungen von Haber-
landt iiber dieselbe Erscheinung '). Dieser Forscher richtete
seine Aufmerksamkeit vonviegend auf die Zellkerne und
lehrte deren Yerhalten bei der Regeneration kennen. Die
Kerne haufen sicli ini von Chlorophyllkorpern entblossten
Plasma in der Nahe der Wunde, und sind fiir das "Wachs-
tliuni der neuen Zellhaut offenbar wichtiger als diese. In
den ausgetretenen Plasmaballen, welche am Leben bleiben,
gelang es Haberlandt last stets einen oder mehrere Kerne
nachzuweisen, niemals alter das Felilen eines solclien fest-
zustellen. Trotzdem gelangten diese nicht alle zur Bildung
einer neuen Zellwand. ..Zuweilen treten membranlose Zell-
formen mit reichlichem Plasma auf. Bei fehlendem Saft-
raurn liegen die Chlorophyllkorner zusammengeballt in der
Mitte, die Kerne im peripheren farblosen Plasma. Ist ein
Zellsaftraum vorhanden, so liegen die Chorophyllkorner
in der innersten Schicht des Plasmakorpers, die Zellkerne
weiter aussen" 2). Der Besitz von Zellkernen reicht somit
allein nicht zur Bildung einer Zellhaut aus. Wichtig ware
es zu untersuchen, ob die betreffenden Plasmaportionen
vielleicht grade jene sind, deuen kein Theil der alten Haut-
schicht mitgegeben wurde.
') G. Haberlandt, Ueber die Beziehungen zwischen Funktion und
Lage des Zellkernes, 1887 S. 83—97.
2) 1. c. S. 92.
— 140 —
Von besonderem Interesse scheint es mir, die ganze
schwebende Frage von einem anderen, audi schon von
Habcrlandt beriihrten Standpunkte nus zu betrachten. Die
Regeneration ist offenbar eine Anpassung zur Wahrung
gegen die Nachtheile von in der Natur haufig vorkommen-
den Verletzungen. Die hoheren Pflanzen pflegen in solclien
Fallen die getroffenen Zellen aufzugeben, die grosszelligen
unci namentlich die von Sachs als niclitcellular bezeichneten
Algen und Pilze konnen dieses offenbar niclit thun. All-
gemein findet man denn auch bei ihnen das Vermogen.
Wunden zu schliessen. Dass es aber von besonderer Be-
deutung sein wtirde, ausgetretene Plasmaballen am Leben
zu erhalten, ist um so unwahrscheinlicher, als solches meist
nur in merklicli konzentrirteren Losnngen gelingt. als die-
jenigen sind, in welchen die betreffenden Pflanzen in der
Natur leben. Das Schliessen der "Wnnde ist also primar,
die Vorgange am ausgetretenen Plasma sind sekundar.
Aus den fur das erstere vorhandenen adaptiven Eigen-
schaften miissen sich die letzteren erklaren lassen. Und
so lange das erstere olme die H}rpothese einer unabhangigen
Neubildung von Hautschicht erklart werden kann. muss
diese Annahme fiir die letzteren mindestens fur unwahr-
sclieinlich gehalten werden.
Diese Betrachtung fiihrt dazn. audi das Schliessen von
Wunden in Milchsaftrohren in das Bereich dieser Studien
hineinzuziehen. Die Untersuchungen von Schmidt iiber
die Milchsaftgefasse und von Schwendener iiber die Milch-
zellen konnen dabei als wichtige Anhaltspunkte dienen ]).
Denn sie lehren, dass in Milchrohrentheilen. welclie an die
') E. Schmidt, Der Plasmakorper der Milchrohren, Bot. Zeitung
1882 S. 462. — S. Schwendener, Einige Beobachtungen an Milchsaft-
gefassen. Sitzungsber. der k. Akad. d. Wiss. Berlin XX, 1885 S. 323
— 141 —
Schnittwunde grenzen , ein Verschluss der Kohre in der-
selben Weise hergestellt werden kann, wie bei manchen
vielkernigen Siphoneen (z. B. B r y o p s i s , Codium, Der-
b e s i a) und bei vielen Pollenschlauchen der verletzte Ab-
schnitt des Zellraumes von clem unverletzten Theile ge-
trennt wird 1).
Dritt es Kapi tel.
Die Aulononiie der eiiizclnen Organe der Protoplaste.
§ 5. Zellkern und Trophoplaste.
Eine Zusammenstellung unserer Kenntnisse liber die
Autonomic des Zellkernes kann an dieser Stelle als iiber-
fllissig betrachtet werden. Sie ist jetzt als eine feste Er-
run gen sch aft der Wissenschaft anzusehen, deren Bedeutung
fur die Theorie der Vererbung wohl nicht mehr angezweifelt
wird. Flemmingaufzoologischem, Strasbiirgerund Schmitz
auf botaniscliem Gebiete haben die Balm gebrochen, und
ilire Beobachtungen sind von zahlreichen anderen Forscbern
in der Hauptsache bestatigt and erweitert worden.
Ob die araitotisclie:). durcb Ein- und Durchschniirung
entstandenen Kerne t'iir die Vererbungsfrage eine Bedeutung
baben, oder ob sie nur in somatischen Zellen und nielit
auf den Keimbahnen vorkommen, scbeint noch nicbt vollig
entschieden zu sein. Bei Chara theilen sicb naoh Johow -
Untersuchungen die Zellkerne in den Scbeitelzellen nacb
dem iiblicben Schema der indirekten Kerntheilung; die
kleineren Zellen der erwachsenen Pflanze. z. B. in den
Knoten, bleiben zeitlebens einkernig. die grosseren Zellen
J) E. Schmidt, 1. c. S. 462.
— 142 —
aber werden durch Einschniirung vielkernig. Auf diese
Art der Kernbildung folgt claim aber nie eine Zelltheilung1).
NachZimirermrnn ist die direkte Kerntheilung imPflanzen-
reicb „nur auf diejenigen Fiille beschrankt, in dcnen mit
der Kerntheilung kerne Zelltheikmg Hand in Hand gebt" -).
In den vielkernigen Zellen der Valonia hat Schmitz die
Kerntbeilung vielfach beobachtet, und zwar stets durch Ein-
schniirung. Wie bier und bei anderen Sipbonocladiaceen
die Kerne fur die Schwarmsporen entstehen . ob durch
direkte oder indirekte Theilung, scheint noch nicht fur alle
Falle sicher gestellt zu sein.
Dem gegeniiber ist zu erwahnen , dass nach Vail T»c-
n e den und Jul in in der Spermatogenese von As car is
megalocephala direkte und karyokinetische Kern-
theilung mit einander abwecbseln 4). Dieser Gegenstand
ist somit fiir eine theoretische Verwerthung noch nicht reif.
Trophoplaste nennt Arthur Meyer die Amyloplaste
mit ihren sammtlichen Derivaten, unter denen die Chloro-
phyllkorper die wiclitigsten sind. Bei den niedersten Ge-
wachsen sind sie noch nicht differenzirt, und soweit diese
den Phycochromaceen angehoren, ist nach Scliinitz das
ganze kernlose Protoplasma der Zellen gefarbt 5). Doch
hat spater Hansgirg bei einigen Algen aus dieser Gruppe
Zellkerne und Chromatophoren nachgewiesen 6). Von den
2) Johow, Bot. Zeitung 1881 S. 729.
*) A. Zimmermann, Morphologie und Physiologie der Pflanzen-
zelle S. 34.
3) Schmitz, Die vielkernigen Zellen der Sipbonocladiaceen. 1879
S. 27.
4) Van Beneden et Julin, „La spermatogenese chez l'Ascaride
niegalocephale". Bruxelles 1884.
6) Schmitz, Die Chromatophoren der Algen, S. 9.
6) A. Hansgirg, Ber. der deutsch. Bot. Gesellsch. 1885 Bd". Ill
S. 14.
— 143 —
Chlorophyceen aufwiirts sind sie bei den griinen Pflanzen
allgemein. Bei den hoheren Gewachsen pflegen sie in den
jugendlichen Zellen, wo sie von Schimper entdeckt wurden,
farblos zu sein. Solches bleiben sie gewohnlich auch in
den unterirdischen, im normalen Leben dem Licht nicht
ausgesetzten Theilen.
Phylogenetiseh sind also die Gewachse mit undifferen-
zirtem farbigen Protoplasma wohl alter als diejenigen.
welche besondere Chromatophoren besitzen. Diese miissen
wir uns somit als durcli Differenzirung aus jenen entstanden
denken. Eine weitere Stufe der Differenzirung ist dann
die Ausbildung farbloser Zustande dieser Chromatophoren.
Solche fehlen den niederen Algen noch . kommen erst in
den hochsten Gruppen aus dieser Klasse zum Vorschein.
und erreichen ihre voile Bedeutung erst bei den hoheren
Gewachsen. Mit anderen Worten. wir miissen die Amylo-
plaste . obgleich sie jetzt allgemein die jugendlichen Zu-
stande sind. aus denen sich die Chlorophyllkorper ent-
wickeln , dennocli als Folgen hoherer Differenzirung be-
trachten und annehmen, dass sie phylogenetiseh aus diesen
entstanden sind. Diese Erorterung ist deshalb wiehtig.
weil sie die nicht seltenen Formanderungen der Tropho-
plaste auf den Keimbahnen unserem Verstandniss naher
luhrt. Im Grossen und Ganzen sind die Keimbahnzellen
der hoheren Pflanzen, wie manche Schriftsteller betonen,
embryonaler Natur. und solche Zellen besitzen wohl stets
farblose Trophoplaste. Aber diese Kegel besitzt, nach
unserer Definition der Keimbahnen . vielfache Ausnahmen.
So bestehen. urn nur Ein Beispiel zu nennen. die Prothallien
der Fame im jugendlichen Zustande aus griinen , sich
*) Schimper, Ueber die Entwickelung der Chlorophyllkoraer
und Farbkorper. Bot. Zeitung 1883 Xr. 7.
— 144 —
tlieilenden Zellen , mit wohl ausgebildeten Chlorophyll-
kornern, aus denen nachher die Amyloplaste der Eizellen
entstehen werden. Audi bei der Callusbildung in abge-
schnitteneii Blattstielen von Begonia, Peperomyia
und anderen Arten diirfte eine Riickbildung von griinen
Trophoplasten in farblose, namentlicb behufs der Anlage
der Adventivknospen, stattfinden. Und da nun im All-
gemeinen die Amyloplaste in jungen Zellen und ihre Deri-
vate in ausgewaclisenen Protoplasten vorkommen, so wiirden
in diesen und ahnlichen Fallen Beispiele einer ausge-
sprochenen Verjiingung vorliegen.
Auf den Keimbalinen pfiegen die Amyloplaste eine
einfache rundliclie Form zu besitzen , auf den somatisclien
Balinen andern sie ihre Gestalt . und damit die Struktur
und Grosse der von ilmen liervorgebracliten Starkekorner
vielfach ab.
Zu den merkwiirdigsten Eigenschaften der Chromato-
phoren in Bezug auf die Organisation der Protoplaste ge-
koren ihre autonomen Bewegungen. Seit den Unter-
suchungen von Sachs liber diesen Gegenstand weiss man.
dass die Chlorophyllkorper mancher Pflanzeii von den
Stromen des Kornerplasmas derart verschoben werden, dass
sie unter dem Einflusse des Lichtes bestimmte , fiir die
Assimilation der Kohlensaure gtinstige Lagen eiiinehmen.
Dabei sind sie aber passiv. Die schonen Untersuchungen
Stahl's haben aber eigene Bewegungen dieser Gebilde
unter dem Eintiusse desselben Beizes kennen gelehrt. Sie
bestehen der Hauptsache nach in Gestaltanderungen, durch
welche die betreffenden Organe sich entweder der Kugel-
s) Sachs, Ber. d. math.-phys. Klasse der k. Sachs. Ges. d. Wiss.
1859.
-) Stahl, Bot. Zeitung 1880 S. 21.
— 145 —
form, oder der Gestalt einer flachen, runden Scheibe mehr
oder weniger nahern. Sie erreicben dadurch, dass sie dem
Sonnenlichte eine kleinere, dem diffusen Tageslichte aber
eine grossere Flache zur Aufnahme der Strahlen bieten.
Uns aber geben sie dadurch einen Einblick in den hohen
Grad ibrer inneren Differenzirung. wie wir ihn durch das
einfachere Studium ihrer chemischen Thiitigkeit bei weitem
nicbt hiitten gewinnen konnen.
Auch die iibrigen, gelben und orangenen Farbstoff-
korper machen bisweilen, nach Weiss, autonome Be-
wegungen, welche nach den Beschreibungen dieses Autors
an die Formanderungen der Amoben und der farblosen
Blutkorperchen erinnern x). Auch diese Gebilde diirften
somit hoher organisirt sein , und eine wichtigere Rolle
spielen, als der einfachen Aufgabe, den betreffenden Pfianzen-
theilen ihre Farbe zu verleihen, entsprechen wiirde.
Ich mochte auf diese Erscheinungen bier besonderen
Nachdruck legen, weil sie fiir die Theorie der Vererbung
bis jetzt wolil noch nicbt verwerthet worden sind. Je
deutlicher uns aber die Selbstiindigkeit der einzelnen Or-
gane der Protoplaste vor Augen steht, und je klarer unsere
Ueberzeugung wird, dass sie, zur Ausiibung ihrer Funk-
tionen, einer hohen inneren Differenzirung bedurfen, desto
mehr werden wir geneigt sein, ihnen den gebiihrenden Platz
in unserer Theorie einzuraumen, und namentlich ihre Be-
ziehung zu den im Kerne angehauften erblichen Anlagen
urn so eingehender aufzuklaren suchen.
Ueberall, wo es bis jetzt gelang, die Entstehung von
Trophoplasten mit voller Sicherheit nachzuweisen, geschieht
x) A. Weiss, Ueber spontane Bewegungen und Formanderungen
von Farbstoffkorpern, in Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss., Wien
Bd. XC 1884.
de Vries, Intracellulars Pangenesis. 10
— 146 -
diese durch Theilung der bereits vorhandenen. Dass die
Chlorophyllkorper , sowolil bei den hoheren Pflanzen als
auch bei den Algen, sich durch Ein- und Durchschniirung
vermehren konnen, war seit langer Zeit bekannt. Doch
erst Schmitz zeigte, dass dieser Prozess fiir die Algen die
einzige Form der Vermehrung ist 1). Bei den Characeen
entdeckte er in den Scheitelzellen die farblosen Korper,
aus denen die griinen Organe dieser Pflanzen in derselben
Weise hervorgehen. Diese Untersuchungen sind jetzt so
allgemein bekannt, dass es iiberfliissig ware, sie hier im
Einzelnen zu reproduziren. Hervorgehoben sei nur. als
besonders wichtig, dass auch die Schwarmsporen nur solche
Chroraatophoren besitzen, welche sie aus ihrer Mutterzelle
mitbekommen haben , was namentlich bei Cladophora
und Halosphaera konstatirt wurde 2).
Die Untersuchungen von Scliimper und Anderen,
welche dieselbe Kegel fiir die Phanerogamen kennen lehrten,
wurden bereits in einem der vorigen Paragraphen be-
sprochen.
Besondere Erwahnung verdienen noch die von den
allgemeineren Chromatophoren abgeleiteten selteneren For-
men. In ersterer Linie ist der bei vielen Schwarmsporen
beobachtete Augenfleck zu nennen 3) , welcher nach der
Meinung derjenigen Forscher, welche ihn genauer unter-
sucht haben , vermuthlich ein metamorphosirtes Chroma-
tophor ist, wie die von Arthur Meyer studirten Farbstoff-
korper der hoheren Pflanzen 4). Nur bei Euglenen ist seine
Entstehung von Klebs genauer studirt worden, sie geschieht
J) Schmitz, Die Chromatophoren der Algen 1882.
2) 1. c. S. 135, 136.
3) Vergl. Zimmermann, Die Morphologie und Physiologie der
Pnanzenzelle 1887 S. 71.
4) Arthur Meyer, Das Chlorophyllkorn 1883.
— 147 —
hier stets (lurch Theilung, indem das Organ in den Dauer-
zellen erhalten bleibt 1). Ob die Pyrenoide in den Chloro-
phyllkorpern von Spirogyra und anderen Algen als be-
sonders differenzirte Theile dieser Organe zu betrachten
sind. ist wohl noch nicht definitiv entschieden. Wohl aber
scbeint es sicher, dass sie sich, wenigstens in einzelnen
Fallen, durch Theilung vermehren 2).
Ueber die Entstehung des Oeles in Pflanzenzellen ist
noch wenig Sieheres bekannt. Schon Pfeffer hat nach-
gewiesen, dass das Oel nicht in den Vacuolen entsteht,
sondern ini Kornerplasma eingebettet liegt. Besondere Or-
gane , welche es in sich anhaufen , sind neuerdings von
Wakker in Vanilla planifolia beschrieben und Elaio-
plaste genannt worden. Obwohl es nicht gelang , ihre
Entstehungsweise zu ermitteln. so liegt doch die Vermuthung
am nachsten, dass es metamorphosirte Chromatophoren
sind 3). Die Oeltropfen der Algen liegen in manchen Fallen,
wie z. B. bei den Diatomeen, offenbar nicht in den Chro-
matophoren. und dies ist nach Sclimitz eine allgemeine
Regel 4). Bei den hoheren Pflanzen scheint solches aber
bisweilen der Fall zu sein 5).
In letzter Linie sind hier die Mikrosomen zu nennen.
Was sie sind, scheint in den ineisten Fallen unbekannt zu
sein. Kleine Oeltropfchen und Starkekornchen, inaktive
Vacuolen und Amyloplaste, Eiweisskornchen , welche beim
') Klebs, Ueber die Organisation einiger Flagellatengruppen.
Unters. Tubingen, Bd. I S. 233.
2) Schmitz. Die Chromatophoren S. 42 u. 65 ; Schmitz in Pringsh.
Jahrb. Bd. XV S. 142. Strasburger, Ueber Kern- und Zelltheilung
1888 S. 26.
3) J. H. Wakker, De Elaioplast, Maandbl. v. Natuurwetensch.
1887 Nr. 8.
4) Schmitz, 1. c. S. 164.
5) Vergl. Arthur Meyer, Das Chlorophyllkorn S. 14 u. 31.
10*
— 148 — .
Fixiren durch die Coagulation des im Protoplasma gelosten
Eiweisses entstehen, und vielleicht noch mancherlei andere
Gebilde werden haufig unter diesem Namen zusammen-
geworfen. Mit grossem Recht hat Strasfourger betont,
„dass nicht die Mikrosomen, sondern das Hyaloplasma als
die aktive Substanz" aufzufassen seien ]). Ueberbaupt sollte
man nie vergessen , dass das Wort Mikrosomen nur ein
Fragezeichen bedeutet, und dass von einer Einsicbt in die
Bedeutung dieser Gebilde erst dann die Rede sein kann,
wenn die dadurch gestellte Frage nacb ibrer Natur in den
betreffenden Fallen beantwortet sein wird.
§ 6. Die Vacuolen.
Die Vacuolen wurden frtiher als leere Raume im
Innern des Protoplasma betrachtet. Dalier riilirt ibr Name,
und dadurch erklart sicb das geringe Interesse . welches
ihnen beim Studium der Zellenanatomie bis vor kurzem
entgegengebracht wurde. Erst durch die Entdeckung von
Sachs, dass die Steifbeit wachsender Zellen nicht, wie man
bis daliin meinte , durch eine Imbibition von Wasser in
ihren Wanden zu Stande kommt, sondern durch osmotische
Spannung zwischen der Wand und dem Zellsaft, wurde
die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Vacuolen ge-
lenkt 2).
Noch mehr war letzteres der Fall durch den von dem-
selben Forscher gelieferten Nachweis. dass die Dehnung,
welche wachsende Zellluiute durch den Zellsaft erleiden.
eine der wesentlichsten mechanischen Ursachen des Flachen-
x) Strasburger, Neue Untersuchungen 1884 S. 107.
2) Sachs, Lehrbuch der Botanik 3. Aufl. 1872; 4. Aufl. 1874
S. 757.
— 149 —
wachsthums dieser Haute ist. Derm mit diesem Nachweise
hat Sachs die audi jetzt noch giiltige Grundlage fur die
ganze mechanische Theorie des Langenwachsthums gelegt.
Auf dieser Grundlage fussend haben zahlreiche Forscher
unsere Kenntniss der mechanischen Ursachen des "Wachs-
thums in verschiedenen Richtungen erweitert. Einige haben
vorwiegend den Grad der Dehnbarkeit der Zellhaute und
die Grosse der vom Zellsaft gelieferten Krafte gemessen
und analysirt. Andere haben die Ursachen studirt, welche
die an verschiedenen Stellen und in verschiedenen Rich-
tungen obwaltenden Ungleichheiten in der Dehnbarkeit der
Wand einer und derselben Zelle beherrschen . und diese
rait grosser Wahrscheinlichkeit zuriickgefiihrt auf lokale
Differenzirungen im Protoplasten selbst, welcher diese Dehn-
barkeit durch Ausscheidung gewisser Enzyme wiirde regeln
konnen. Wieder Andere haben die Intussusceptionslehre,
welche zur Zeit der namhaft gemachten Entdeckungen
die herrschende war, angegriffen und als unrichtig nach-
gewiesen, und versucht, an deren Stelle die alte Appo-
sitionstheorie in neuer Form wieder zu beleben.
Wenn audi von manchen Seiten Missverstandnissen
ausgesetzt x) , hat die Sachs'sche Theorie sich in der
Pflanzenphysiologie eine hervorragende Stellung erworben
und ist in den beiden seit ihrer Aufstellung verflossenen
Dezennien in immer grosserem Umfange zum Ausgangs-
j)unkte neuer Untersuchungen geworden. Sie ist ohne
') In meinen Untersuchungen iiber die mechanischen Ursachen
der Zellstreckung (1877 S. 3) habe ich ausdriicklich betont, dass es
auch vom Turgor unabhangige Wachsthumserscheinungen gebe, und
dass der Turgor somit nicht die einzige oder auch nur die erste Ur-
sache des Wachsthums sei. Zu dieser Ansicht gelangten spater auch
Krabbe und Klebs. Vergl. Arbeiten Tubingen, Bd. II 1888 S. 530.
— 150 —
Zweifel einer der fruchtbarsten Gedanken fur die Aus-
bildung unserer Wissenschaft gewesen.
Das weitere durch diese Theorie angeregte Studium des
Zellsaftes und der Vacuolen hat in morphologischer, uns
hier ausschliesslich interessirender Hinsicht zum Nachweise
der Vacuolenwand als ernes wesentlichen , nie fehlenden
Tlieiles pflanzlicher Protoplaste gefiihrt ]). Die Methode,
welche diese "Wand iiberall nachweisen liess, war die Be-
handlung der lebenden Zellen mit einer zehnprozentigen
Salpeterlosung , welche mittelst Eosin roth gefarbt ist.
Entweder sofort, oder nach kiirzerer oder langerer Zeit
stirbt in diesem Reagens das aussere Protoplasina, wahrend
die Wand der Vacuolen zunachst am Leben bleibt. Sie
ist dann als eine gespannte, von den todten Theilen mehr
oder weniger vollstandig getrennte Blase sichtbar, welche
dem Eosin den Eintritt vollig verwehrt. In farblosen
Zellen ftihrt die Blase somit einen wasserhellen Inhalt.
wahrend sich das iibrige Protoplasma mit dem Eosin roth
oder braun farbt. Haufig hat sich dabei die ursprtingliche
Vacuole in mehrere kleinere getheilt; nicht selten kann
man diesen Prozess unter dem Mikroskope audi direkt
verfolgen.
Die Wand der Vacuolen ist als ein besonderes, die
Ausscheidung und Anhaufung der im Zellsaft vorhandenen
gelosten Stoffe regelndes Organ der Protoplaste zu be-
trachten und hat, dieser Eunktion entsprechend, den Namen
Ton op las ten erhalten. Haufig werden aber jetzt die
Saftraume mit ihrer Wand zusammen als Vacuolen be-
zeichnet.
In den lebenden Zellen sind die Tonoplaste in der
l) Plasmolytische Studien iiber die Wand der Vacuolen. Pringsh.
Jahrb. Bd. XVI 1885 S. 465 Taf. XXI— XXIV.
— 151 —
Regel nicht sichtbar, da sie vollig durchscheinende Blasen
von ausserster Diinnheit darstellen. Klar und deutlich
treten sie uns aber in den Tentakelzellen mancher Insekten-
fressenden Pflanzen, und namentlich der Drosera rotun-
difolia und D. intermedia vor Augen. Der hier,
wahrend der Verdauung der Beute vor sich gehende. von
Darwin entdeckte Aggregationsprozess gehort zu den merk-
wiirdigsten Erscheinungen , welche uns das Leben einer
Zelle bewundern lasst1). In den ruhenden Tentakelzellen
liegt meist eine grosse Vacuole, mit rotliem Zellsaft. Unter
der Einwirkung des Reizes theilt sich diese in mehrere,
bald in sehr zahlreiche kleinere. Diese ziehen sich, unter
Ausstossung eines Theiles ihres Inhaltes, zusammen , und
werden nun von den Stromchen des Kornerplasma mit
grosser Schnelligkeit in den verschiedensten Richtungen
durch die Zellen herumgefiihrt. Dabei liegen sie als rothe
Blasen in ungefarbter Umgebung. und sind somit leicht
und scharf zu sehen. Wahrend dieser Bewegungen erleiden
sie auffallende Formanderungen; bisweilen werden sie zu
langen Rohren ausgezogen und darauf in zahlreiche kleine
Kiigelchen gespalten, bisweilen vereinigen sie sich zu zwei
oder mehreren, um grossere Blasen zu bilden. Gegen das
Ende der Erscheinung bekommt dieser letztere Prozess
den Vorrang, und schliesslich haben sich alle Saftblasen
wiederum zu einer einzigen, vom anfanglichen Volum, ver-
einigt -).
Die skizzirten Erscheinungen bei der Aggregation und
die Theilung der Vacuolen, wie sie bei der Plasmolyse so
haufig beobachtet wird, stellten die Fahigkeit dieser Or-
J) Darwin, Insectivorous plants 1875 Chapt. III.
2) Ueber die Aggregation im Protoplasma von Drosera rotun
difolia. Bot. Zeitung 1886 S. 1.
— 152 —
gane, sich durch diesen Prozess zu vermehren, ausser
Zweifel. Aus der Analogie dieser Gebilde rait den Chroma-
tophoren leitete ich dann die Vermuthung ab, dass „sie
ebenso wenig wie die Amyloplaste auf anderem Wege als
durch Theilung hervorgebracht werden konnen" :).
Diese Vermuthung ist seitdem von Went vollig be-
statigt worden 2). Er zeigte zunachst, dass, der herrschen-
den Meinung entgegen , audi in den jiingsten Zellen des
Meristems Vacuolen vorbanden sind. Diese vermehren sich
bier fortwahrend durch Theilung, und die Beobachtung
lehrt, dass bei den Zelltheilungen die Halfte der vor-
handenen Vacuolen auf die eine und die andere Halfte
auf die andere Tochterzelle iibergeht. Bisweilen gelang es
fur dieselbe Vacuole die Durchschniirung und nachher den
Uebergang der beiden so entstandenen Saftblasen auf die
Tochterzellen zu verfolgen. Aus den Vacuolen des Meri-
stems lassen sich also die sammtlichen Vacuolen der ganzen
Pflanze ableiten. Theilungen dieser Gebilde findet man
iiberall; Neubildungen nirgendwo. Ebenso entstehen bei
den mit einer Scheitelzelle wachsenden Kryptogamen die
samtlichen Vacuolen aus den ursprunglichen in diesen Zellen
vorhandenen Blasen.
Diesen Untersuchungen zufolge verhalten sich die Va-
cuolen also genau wie die Chromatophoren, sie sind ebenso
selbstandige Bildungen in den Zellen wie diese. Und durch
den Nachweis dieser Selbstiindigkeit ist die panmeristische
Auffassung der Zell theilung, der friiheren neogenetischen
gegeniiber, definitiv als richtig erwiesen.
Nach spateren Mittheilungen desselben Autors gelang
es ihm auch die Entstehung der Vacuolen in manchen
*) Pringsheim's Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XVI S. 505.
2) Went, Jahrb. f. wiss. Bot. Bd. XIX S. 295.
— 153 -
speziellen Fallen, welche friiher noch nicht studirt worden
waren, zu beobachten. Hervorzuheben ist hier die Bildung
dieser Organe bei den Schwarmsporen. welche nach brief-
lichen Mittheilungen Went's durch Theilung der in der
Mutterzelle vorhandenen Saftblase derart zu Stande kommt,
dass jeder Schwarmer einen von dieser Blase abgeschniirten
Theil in seinen Korper aufnimmt.
In der Literatur ist haufig eine Entstehung von Saft-
raumen in Kernen, Chromatophoren, oder auch im Korner-
plasma ausserhalb der vorhandenen Vacuolen beschrieben
worden. Die Priifung dieser Fiille ergab aber, dass es
sich hier nicht am normale Vacuolen handelt, sondern um
pathologische Bildungen . welche beirn Altern oder beim
Absterben der Zelle auftreten. Haufig entstehen sie auch
durch den Einfluss des Wassers , in welchem die Pr;i-
parate zur Beobachtung gelangen ]).
Aus dem Satze, dass die Vacuolen nur durch Theilung
entstehen, lasst sich ableiten, dass die Saftblasen keimen-
der Samen von den in den reifenden Saraenknospen vor-
handenen abstammen, und dass im reifen Zustande also
die Vacuolen zwar ausgetrocknet sein miissen, aber nicht
vollig fehlen konnen. Diesen Gedanken verfolgend ge-
langte Wakker zu der merkwiirdigen Entdeekung, dass die
Aleuronkorner die trockenen Zustande der Vacuolen im
Samen sind -). Wahrend des Reifens nimmt der Gehalt
des Zellsaftes an gelosten Eiweissstoffen allmahlig zu, bis
die Fliissigkeit dicht schleimig wird. Beim Austrocknen
kristallisiren einige Eiweisssubstanzen und bilden die be-
') F. Went, De jongste toestanden der vacuolen S. 45—65.
"2) J. II. Wakker, Aleuronkorrels zyn vacuolen. Maandbl. v.
Natuurw. 1887 Nr. 5; Bot. Centralbl. Bd. XXXIII Nr. 12 und Jahrb.
f. wiss. Bot. Bd. XIX S. 423. Seitdem wurde dieses Ergebniss be-
statigt durch Werminski, Ber. d. Bot, Gesellsch. Bd. VI 1888 S. 199.
— 154
kannten Kristalloide. wahrend das iibrige Eiweiss um diese
herum zu einer amorphen Masse erstarrt. Beim Einweichen
des Samens losen sich diese Massen allmahlig, um spater
als Nahrstoffe Verwendung zu finden. Durch Anwendung
einer Losung von einem Theil Salpetersaure in vier Theilen
Wasser kann man in dem nocli fliissigen Zellsaft die Er-
starrung willkiirlich hervorrufen, und so die Entstehung
von Aleuronkornern unter seinen Augen kiinstlich herbei-
fiihren.
Wichtig ist, dass in einigen Samen mehr, in anderen
weniger, die Vacuolen sich beim Reifen in mehrere kleinere.
oft in sehr zahlreiche ausserst kleine Blasen theilen, welche
dann im Anfange des Keimungsprozesses allmahlig wieder
zu Einer grossen Vacuole zusammenschmelzen.
Die Vorgange in den Samen schliessen sich somit in
schonster Weise an die Vorstellung von der alleinigen
Entstehung der Vacuolen durch Theilung an1).
Wie die Chromatophoren sich zu den verschiedensten
Organen differenziren konnen . so auch , obgleich in be-
scheidenerem Umfange, die Vacuolen. Went beobachtete.
wie in verschiedenen Zellen Vacuolen liegen, welche zeit-
lebens getrennt bleiben. und sich durch verschiedenen In-
halt unterscheiden 2). Haufig sind die einen gefarbt, die
anderen farblos oder die einen enthalten Gerbstoff, welcher
J) In den Miiller'schen Korperchen der Ameisenpflanze Cecro-
pia a den opus bildet Schimper im Zelleninhalte Gebilde ab, welche
auf den ersten Blick ausseben wie Vacuolen, und welche er, wegen ihres
dickfliissigen Inhaltes, mit den Aleuronkornern vergleicht. Hire Ent-
stehung aus Vacuolen ist wohl nicht zweifelhaft. A. P. W. Schimper.
DieWechselbeziehungenzwischenPflanzenundAmeisen
1888. Vergl. namentlich Taf. II Fig. 11. Vergl. auch Wakker in
Pringsh. Jahrb. Bd. XIX S. 467.
2) AVent, 1. c. S. 65—91.
— 155 —
den iibrigen fehlt. Meist lasst sicli dann Eine Saftblase
als Hauptvacuole von den iibrigen unterscheiden. Diese
letzteren werden dann von unserera Autor adventive Va-
cuolen genannt.
Die kontraktilen oder palsirenden Vacuolen bilden ein
besonderes System. In den Schwarmsporen der Algen
entstehen sie wohl aus den iibrigen Vacuolen 1) durcli
weitere Differenzirung , bei den Euglenen vermehren sie
sich aber nacli Klebs' Untersuchungen durch Theilung2).
Sie besitzen bier eine eigene Wand, welche mit den Wanden
gewohnlicher Vacuolen in ihrer grossen Resistenzfahigkeit
iibereinstimmt. Klel)S beobachtete, wie das Pulsiren nocb
langere Zeit vor sich geben kann, nachdem man den iibrigen
Protoplasten durch irgend welchen mechanischen Eingriff ge-
todtet hat. Die Ansicht, dass bei der Systole der Inhalt dieser
Vacuolen in die Umgebung hinausgestossen wircl, wahrencl
bei der Anastole Fliissigkeit aus dem Protoplasten ent-
nommen wird, ist jetzt fiir Rhizopoden unci Flagellaten wohl
allgemein angenommen. Durcli eigene Beobachtung iiber-
zeugte ich mich von ihrer Richtigkeit bei Actinophrys
Sol. Dieselbe Meinung diirfte audi auf die pulsirenden
Vacuolen im Pflauzenreich Anwendung finden 3).
§ 7. Die Beziehung zwischen Hautschicht mid
Kornerplasraa.
Wahrend iiber die bis jetzt besprochenen Organe der
Protoplaste die Untersuchungen der beiden letzten Jahr-
J) Oder sollten vielleicht, phylogenetisch, die Turgorvacuolen aus
den pulsirenden entstanden sein?
2) G. Klebs, Arbeiten Tubingen, Bd. I S. 250 ff.
3) Pfeffer, Pflanzenphysiologie S. 399—401.
— 156 —
zelmte ein helles Licht verbreitet haben, liegt die Beziehung
zwischen Hautschicht und Kornerplasma noch vollig im
Dunklen. In unserer Kenntniss von der Entstehungsweise
der Kerne, Trophoplaste und Vacuolen findet, wie ich in
diesem Abschnitt zu schildern suchte, die Theorie der Ver-
erbung ihre unerlassliche Grundlage ; iiber die gegenseitige
Beziehung der beiden anderen genannten Theile der Proto-
plaste sind noch keine Thatsachen aufgefunden worden,
welche fur die Theorie verwerthet werden konnten.
Es ist nun allerdings , wie bereits erwahnt, fiir die
Hypothese der intracellularen Pangenesis nicht von prin-
zipieller Bedeutung, welcher Art jene Beziehung ist. Doch
bleibt es eine wichtige Frage, ob Kornerplasma und Haut-
scbicht einander gegenuber ebenso unabhangig sind wie
Kornerplasma und Vacuolenwand, oder ob sie zu einander
in ahnlichem genetischen Verhaltniss stehen, wie Amylo-
plaste und Chlorophyllkorner. So lange diese Frage nicht
entschieden ist. ist die Anwendung meiner Hypothese auf
die Hautschicht, und damit auf das Machenwachsthum der
Zellhaut und die ganzen Gestaltungsvorgange der Zellen,
in hohem Grade erschwert. Aus diesem Grunde sei es
mir gestattet, die einschlagigen Erscheinungen einer kri-
tischen Revision zu unterwerfen. um dadurch zu einem ge-
naueren Studium davon anzuregen. Es wird sich dabei,
wie mir scheint, zeigen, dass die herrschende Meinung von
der jedesmaligen Entstehung der Hautschicht aus dem
Kornerplasma durch sicher und eingehend beobachtete
Thatsachen augenblicklich nicht gestiitzt, sondern nur aus
langer Gewohnheit angenommen wird. Letzteres scheint
mir aber, den neueren Erfahrungen iiber die Entstehung
der Vacuolenwand gegeniiber? keineswegs gestattet zu sein.
Denn so lange man keine besondere Wand der Vacuolen
— 157 —
annahm. lag es auf der Hand, auch die Hautschicht nicht
als besonderes Organ zu betrachten. Seitdem die Selb-
standigkeit der ersteren nachgewiesen wurde, ist solche
offenbar auch fur die letztere die wahrscheinlichere An-
nahme :).
Gegen die herrscliende Meinung sprechen, ausser der
im nachsten Paragraphen naehzuweisenden Unvollstandig-
keit der Beobachtungen, einerseits der ganze Entwickelungs-
gang unserer Kenntnisse auf dem Gebiete der Zellen-
anatomie, andererseits die bereits mehrfach beschriebenen
Differenzirungen der Hautschicht und des Kornerplasma.
Letzteres bildet keineswegs, der alten Vorstellung ent-
sprechend, eine durch ihre Bewegungen sich stetig mischende.
und also nicht im gewohnlichen Sinne organisirte Grund-
masse des Protoplasma. Am deutlichsten sieht man dies
bei den Characeen. Hier besteht es zunachst aus einem
stromenden und einem ruhenden, die Chlorophyllkorner
enthaltenden Theil. Wenn bisweilen die griinen Korner
ans ihrer Lage losgerissen und vom Strome fortgefiihrt
werden, sieht man. dass sie nicht einzeln der Hautschicht
anlagen. Denn sie werden nicht einzeln, sondern in Bandern
und Gruppen mitgeschleppt, wahrend innerhalb dieser die
Korner ihre gegenseitige Lage und Entfernung behalten.
Aber auch der stromende Theil bildet nicht ein Ganzes,
die Stromesgeschwindigkeit ist keineswegs iiberall auf dem
Querschnitt dieselbe. Sie ist in der Nahe der Chlorophyll-
korner grosser als an der Vacuolenwand, und nimmt ferner
') Ganz besonders erwiinscht ware eine Methode, um, in ahn-
licher Weise wie durch starke plasmolytische Reagentien die Vacuolen-
wand, auch die Hautschicht iiberall kiinstlich vom Kornerplasma
trennen zu konnen. Auch zur Beurtheilung der auf S. 159 Note 2
zu erwahnenden Hypothese iiber das Dickenwachsthum der Zellhaute
wiirde eine solche Methode grosse Dienste leisten konnen.
— 158 —
von den beiden Indifferenzstreifen nach der Mitte der durch
diese getrennten griinen Felder zu. Bei sinkender Lebens-
energie kommen zuerst die trageren Strome zur Ruhe,
wahrend die rascheren noch sich fortbewegen , und mit
weiter abnehmender Geschwindigkeit nimmt aucb die
Breite des Stromes ab.
Ganz allgemein scbeint das Kornerplasma im Pflanzen-
reich aus stromenden und ruhenden Theilen zu bestehen,
deren Grenze durcli mehr oder weniger giinstige Lebens-
bedingungen verschoben werden kann, oder auch im Laufe
der Entwickelung, den sich and era den Bediirfnissen ent-
sprechend, sich selbstthatig verschiebt.
Letzteres lebren die schonen Untersucbungen von
Dippel, Criiger und Strastourger iiber die Beziehungen
zwischen den Plasmastromen und der inneren Skulptur der
Zellwand a). Denn allgemein laufen denjenigen Stellen ent-
lang, wo in's Innere hervorspringende Leisten in der Ent-
stehung begriffen sind, kraftige Stromcben , welclie offen-
bar die erforderlicben Nahrstoffe herbeischaffen und ver-
theilen. Diese Differenzirung im Kornerplasma wird aber
allem Anscbeine nach von einer entsprecbenden Differen-
zirung in der Hautschicht beherrscht. Denn nach Dippel
bestehen die Bander, welche die Celluloseleisten bilden,
aus einem ausseren hyalinen Bande. welches dicker ist
wie die sonstige Hautschicht , sich aber ebenso wenig
wie diese mit Jod gelb farbt, und einer inneren stromen-
den Schicht des Korner fiihrenden Plasmns, welche
letztere durch Behandlung mit Jod einen hochgelben Ton
x) L. Dippel, Abhandl. d. naturf. Ges. zu Halle Bd. X 1864
S. 55. Criiger, Bot. Zeitung 1855 S. 623. Strasburger in Jenaisclie
Zeitschr. f. Naturwiss. 1876 Bd. X Heft IV S. 417.
— 159 —
annimmt1). Offenbar ist das hyaline Band ein differenzirter
Theil der Hautschicht, welcber, auf seiner Innenseite vom
Strome bedeckt und ernabrt, auf seiner Aussenseite den
Zellhautleisten bildet 2).
In nackten Protoplasten sprecben aucb dieCilien fur eine
innere Organisation der Hautscbicht. Fiir die Schwarmer
von Vaucheria wurde diese von Strasburger beschrieben 3).
Hier sitzt jede Cilie einem dicbteren Theile dieser Scbicbt
auf; es sieht aus, als ob sie ibr mit einer dicken Wurzel
eingepflanzt ware.
§ 8. Die fragliche Autonomic der Hautschicht.
Wahrend bei der Zelltbeilung nacb clem von Mohl
beschriebenen Typus die Vermehrung der Hautscbicht
durch Tbeilung und Wachsthum allgemein anerkannt wird,
nimmt man gewohnlich fiir die Zellbildung der boheren
Pflanzen die Einschaltung einer neuen Platte und deren
Verbindung mit der alten Hautscbicht an. Ausserdem
giebt es einige Fiille von Zellbildung, welcbe ganz direkt
fiir eine Neubildung der Hautschicht aus dem Korner-
plasma zu sprechen scheinen.
Alle diese Falle scheinen mir erneuter Untersuchung
dringend zu bediirfen. Nur mit der Absicht, dazu anzu-
regen, sollen sie hier kurz besprochen werden.
In Bezug auf die gewohnliche Art der Zelltbeilung
1) 1. c. S. 57, 58.
2) Strasburger's Hypothese des Zellhautwachsthums durch
schichtweise Umanderuug der aussersten Lagen der Hautschicht in
Zellhaut lasst sich ohue Schwierigkeit mit der Annahme der Auto-
nomic dieses Organes gegeniiber dem Kornerplasma verbinden , und
bedarf daher an dieser Stelle keiner eingehenderen Besprechung.
3) Strasburger, Studien tiber das Protoplasma 1876 S. 400.
— 160 —
hat sich die Sachlage im vergangenen Jahre wesentlich
geandert durch eine Entdeckung von Went1), welche von
Strasburger bestatigt wurde -). Diese Entdeckung gilt der
Natur der sogenannten Zellplatte, welche sich, nachdem
die Kerntheilung abgeschlossen ist, in der Mitte der jetzt
tonnenformigen Figur bilden sollte. Wie der Name es
ausdriickt, betrachtete man die Zellplatte als eine die
Figur quer durchsetzende Schicht, welche sich nachher
in zwei Schichten theilt und zwischen diesen die neue Cel-
luloselamelle ausscheidet. Diese beiden Schichthalften
waren die Ergiinzungsstiicke der Hautschicht; sie wuchsen,
wahrend die Tonne sich abplattete und sich seitlich aus-
dehnte, nach alien Seiten hinaus. bis sie die alte Haut-
schicht der Mutterzelle erreichten und mit dieser ver-
schmolzen.
Es gelang nun Went, die ganze Zelltheilungsfigur
im fixirten und tingirten Zustande aus den Zellen heraus-
zulosen und frei in der Fliissigkeit des Praparates herum-
schwimmen zu lassen. Dadurch war es moglich, die bis
dahin nur von der Seite studirte und abgebildete Zellplatte
sich drehen zu lassen und in polarer Ansicht zu studiren.
So lange die Zellplatte kleiner ist als die Tochterkerne.
lehrt diese Ansicht selbstverstandlich nichts, da es nicht
moglich war, die Kerne zu entfernen. Sobald die Zellplatte
aber seitlich zwischen den Kernen lierrvorragte, zeigte sich.
dass sie keineswegs eine kontinuirliche Platte, sondern nur
ein ziemlich dunner Ping ist. Dieser Ring liegt in dem
Verbindungsschlauche , der das Innere der Figur von der
Umgebung trennt, und wohl dieselbe Bedeutung hat wie
5) F. A. F. C. Went, Beobachtungen iiber Kern- und Zell-
theilung. Ber. d. d. bot. Gesellsch. 1887 V S. 247, Taf. XI.
2) Strasburger, Ueber Kern- und Zelltbeilung 1888.
— 161 —
bei Spirogyra1). Dieser „Zellring", wie wir die Zell-
platte jetzt nennen miissen, ist es nun, der sich vergrossert,
bis er erst an einer, dann allmahlig auf alien Seiten mit
dem wandstandigen Protoplasma der Mutterzelle in Ver-
bindung tritt.
Dass die Ebene des Zellringes der Ort ist, wo sich die
Scheidewand ausbildet, stehtfest und stimmt mit der friiheren
Vorstellung von der Zellplatte im Wesentlichen iiberein.
Aber ob im Zellringe die Ausscheidung von Cellulose be-
reits anfangt, bevor er sich wenigstens an einer Seite der
Wand der Mutterzelle angeschlossen bat, konnte bis jetzt
nicht festgestellt werden. Sobalcl sie sich durch Reagentien
nachweisen lasst, schliesst die neue Haut wenigstens auf
einer Seite der Mutterzellwand an 2). Ebenso wenig ist es
entschieden, wenn auch nicht unwahrscheinlich, ob in der
Ebene des Ringes eine Membran ausgespannt ist, welche
die dort befindliche Vacuole quer durchsetzt und in zwei
getrennte Saftblasen spaltet.
Es ist klar, dass durch die Entdeckung des Zellringes
die alte, der Autonomic der Hautschicht widersprechende
Auffassung von der Zelltheilung hinfallig geworden ist. Zu
ihrer definitiven "Widerlegung bedarf es aber weiter fort-
gesetzter Untersuchungen , welche namentlich auch die
Vacuolenwande in der Theilungsfigur zu berlicksichtigen
haben werden.
Ich befinde mich bier in Uebereinstimmung mit
Zacharias, welcher nach Beobachtungen an Char a ver-
muthet, dass die Zellplattenelemente aus dem die Kern-
1) Vergl. S. 132—134.
2) Strasburger, Bot. Praktikum, 1884 S. 597 und Ueber Kern-
und Zelltheilung 1888 S. 171 ff.
de Vries, Intracellulare Pangenesis. 11
— 162 —
figur umgebenden Zellplasma stammen1). Auch mochte
ich hier an einen Ausspruch Flemming's erinnern, nach
welchem die Zelltheilung bei Pflanzen und Thieren all-
gemein mit einer Einschniirung des Protoplasten aniangt.
Diese Einschniirung sei nur deshalb in manchen Praparaten
nicht beobachtet, weil sie oft einseitig ist, und also einen
bestimmten Stand der Zelle unter dem Mikroskope ver-
langt, um gesehen werden zu konnen 2).
DieAnsichtPlatner's, dass die Spindelfasern Stromchen
des Kornerplasnia sind. mochte ich hier noch zur Nach-
untersuchung empfehlen. Dazu kann aber nur die direkte
Beobachtung am lebenden Objekte dienen. Offenbar sind
die Plasmastrome beim Studium der Zelltheilung bis jetzt
in unverdienter Weise vernachliissigt worden.
Es eriibrigt uns jetzt noch einen Blick zu werfen auf
die Beispiele der sogenannten freien Zellbildung, welche
wohl die auffalligsten Ausnahmen von der Regel der auto-
nomen Entstehung der Hautschicht darstellen. Als freie
Zellbildung bezeichnete man die Falle, in denen nicht der
gesammte Protoplast der Mutterzelle bei der Bildung der
Tochterzellen Verwendung findet 3). Die neuen Zellen
dachte man sich im Innern der Mutterzelle, also ohne je-
den Kontakt mit der Hautschicht entstanden, und es lag
also auf der Hand, dass ihre Hautschicht aus dem Korner-
plasma hervorgegangen sein musste.
') Bot. Zeitung 1888 S. 456.
2) Flemming, Zellsubstanz, Kern- und Zelltheilung 1882 S. 243.
s) In der neuesten Zusammenfassung der diesbeziiglichen Literatur
schlagt Zimmermann vor, den Namen freie Zellbildung nicht fur
diese Erscheinungen, sondern fur die Bildung freier, d. h. mit der
Mutterzelle nicht im Gewebeverbande stehender Zellen zu benutzen.
Sollte sich herausstellen , dass eine freie Zellbildung im alten Sinne
im Pflanzenreich nicht vorkommt, so ware dieser Vorschlag gewiss an-
— 163 —
Als erstes Beispiel galten friiher die Vorgange iin
Embryosack 1). Namentlich die Eizellen der Angiospermen
wurden oft als kugelrunde, frei im Protoplasma des
Embryosackes liegende Zellen betraclitet. Em genaues
Studium der neuesten Literatur lehrt aber, class die ge-
nannten Gebilde stets der Membran der Mutterzelle an-
liegen -), unci also offenbar durcli gewohnliche Tbeilung aus
dein Embryosacke hervorgehen. Von der Richtigkeit dieser
Folgerung iiberzeugt man sich sowohl fur die Eizellen wie
fiir Synergiden und Antipoden am leichtesten , wenn das
Protoplasma des Embryosackes durch kontrahirende Rea-
gentien allseitig von seiner Zellhaut losgelost worden ist.
Icli fiihre als Beispiel die Abbildungen des Embryosackes
von Daphne an, welche Prohaska gegeben hat3). Hier
sieht man deutlich , wie dieser Protoplast bei seiner Zu-
sammenziehung sich von den Eizellen, Synergiden und Anti-
poden zuriickgezogen hat, diese liegen mit breiter Flache
der Membran der Mutterzelle, des urspriinglichen Embryo-
sackes, an. Dass sie durch den gewohnlichen Vorgang der
Zelltheilung4)aus diesem entstanden sind, kann wohl keinem
Zweifel unterliegen; sie sind somit nicht, wie friiher, als
Tochter, sondern als Schwestern des jetzt noch vorhandenen
Theiles des Embryosackes zu betrachten. Auch liegen sie in
dem erwahnten Beispiel neben diesem, und nicht in seinem
Innern. Dass die Eizellen und Synergiden sich vor der
Befruchtung nicht, wie die Antipoden, durch eine Zellhaut
zunehmen. Vergl. Die Morphologie und Physiologie der Pflanzen-
zelle 1887 S. 160.
') Vergl. z. B. Sachs, Lehrbuch 4. Aufl. S. 559.
2) van Tieghem, Traite de Botanique 1884 S. 857, 868 u. s. w.
und Zimmermann, 1. c. S. 161.
3) Prohaska, Bot. Zeitung 1883 S. 865 Taf. VIII Fig. 2-4.
4) Speziell durch sogenannte Vielzelltheilung.
11*
— 164 —
vom Embryosack trennen, beeintrachtigt diese Auffassung
offenbar nicht.
Ich finde in der mir zuganglichen Literatur nicht, dass
Jemand die alte Auffassung bestimmt angegriffen und als
unrichtig bezeichnet hat. Sie scheint von den besten
Forschern nur unmerklich verlassen worden zu sein. Je-
doch diirfte die oben gegebene Darstellung des Vorganges
jetzt von ihnen wohl als die einzig richtige angesehen werden.
In den Zeichnungen der letzten Jahre, und namentlich in
den Arbeiten Strasburger's, findet sie vielfache Stiitzen1).
Auch bei der Bildung des Endospermes scheint neue
Hautschicht nur in Beriihrung mit derjenigen der Mutter -
zelle zu entstehen. In schmalen Embryosacken, wo jeder
Kerntheilung eine Zelltheilung folgt, liegen die Verhaltnisse
offenbar nicht wesentlich anders als bei der vegetativen
Zellbildung. Und fiir die weiteren, nach der Befruchtung
noch wachsenden Embryosacke gelingt es mir nicht in der
vorliegenden Literatur irgend einen Beweis gegen die Rich-
tigkeit dieser Annahme zu finden 2).
Bei manchen Algen (Acetabularia, Hydrodictyon,
Ulothrix u. A.) entstehen die Schwarmsporen nur aus
einem Theile des Protoplasma der Mutterzelle. Dieser
Theil ist dann stets die wandstandige Schicht, und jede
Schwarmspore erhalt, soweit die vorliegende Literatur dies
zu beurtheilen gestattet, nicht nur einen Kern, Chromatophoren
und Vacuolen 3), sondern auch einen Theil der Hautschicht
der Mutterzelle. Aehnliches scheint auch unter den Pilzen.
*) Vergl. z. B. Strasburger, Befruchtung und Zelltheilung 1878
Taf. Ill Fig. 110-119, Taf. IV Fig. 120—122 u. s. w. und Guignard,
Ann. d. Sc. nat, 6. Serie Taf. XIII S. 176, Taf. VII Fig. 160-165.
2) Vergl. namentlich Hegelmaier, Zur Entwickelungsgeschichte
endospermatischer Gewebekorper. Bot. Zeitung 1886 S. 529.
3) Nach der S. 153 erwahnten Mittheilung Went's.
— 165 —
z. B. bei Protomyces macrosporus vorzukommen 1). Fiir
Hydrodictyon giebt Pringsheim an, class das farblose,
Cilien tragende Vorderende der Schwarmer der miitter-
lichen Hautscbicht entspricbt -).
Auch bei den Saprolegnieen werden die Oosporen
derart gebildet, dass jede einen Theil der miitterlichen
Hautschicbt in sich aufnimmt3).
Eine grossere Schwierigkeit bilden die Ascosporen. Aber
Hire Entstelmng ist in den letzten Jaliren nicbt eingebend
studirt worden. Namentlicb seitdem man weiss, class ihrer
Bildung stets Tbeilungen des Mutterkernes vorangeben. hat
man sich die Frage, wie sie in den Besitz ihrer iibrigen Organe
gelangen, noch nicbt vorgelegt. Dass jede Spore eine oder
mebrere Vacuolen durcb Tbeilung der miitterlichen Saft-
blasen erhalten muss, ist klar, aber wie dieses geschieht,
bat noch Niemand untersucht. Audi die Frage, woher sie
ibre Hautscbicht bekommen, muss also neuen Unter-
sucbungen aufs dringlichste empfohlen werden.
Ebenso harrt die Entstelmng der Eizelle im Oogonium
der Peronosporeen des Studiums nacb den jetzigen Methoden.
Ueber die Entstebung der Hautschicbt lasst sich auch in
diesem Falle vorlaufig noch nichts Sicheres aussagen.
Ueber die Hautscbicht der Spermatozoiden vergleiche
man den folgenden Abschnitt (S. 172—174).
Als Schlussergebniss dieses Ueberblickes dtirfen wir
also sagen, dass in alien Fallen, in denen die Entstebung
neuer Hautscbicht ausser Beriihrung mit der alten ange-
nommen wird, diese Annahme wesentlich auf alteren und
x) Vergl. de Bary, Vergleichende Morphologie und Biologie der
Pilze, Mycetozoen und Bacterien 1884 S. 86.
*) Monatsber. der k. Akademie, Berlin 1871, S. 246.
3) de Bary, Abh. d. Senckenb. naturf. Gesellsch. 1881 Bd. XII
S. 261.
— 166 —
nach unvollkommenen Methoden angestellten Beobachtungen
berubt. Ausnabmen von der Regel sincl also keineswegs
mit Sicherheit bekannt, wenn sie audi nach nnserer Hypo-
these von der intracellularen Pangenesis, nicht a priori als
unmoglich angeseben werden diirfen.
Abschnitt III.
Die Funktionen der Zellkerne.
Erst es Kapitel.
Historische Einleitiing.
§ 1.
Der erste Schriftsteller , welcber den Kern als das
Organ der Vererbung bezeicbnet bat, ist Ernst Haeckel.
Im zweiten Bande seiner Grenerellen Morpbologie
der Organism en1) begriindet er diese Auffassung, in-
dem er sicb namentlicb auf das Verbalten des Kernes bei
der Zelltheilung stiitzt. Fiir ibn hat „der innere Kern die
.Vererbung der erblichen Cliaraktere, das aussere Plasma
dagegen die Anpassung, die Akkomodation oder Adaption
an die Verhaltnisse der Aussenwelt zu besorgen". Und
wie der Kern seine Hauptrolle bei der Fortpflanzung spielt,
so sei die Ernahrung die Hauptaufgabe des Plasmas. In
den niedrigsten, kernlosen Organismen seien beide Funk-
tionen noch nicht getrennt.
Durch fast zehn Jahre ist dieser prophetische Aus-
spruch ohne merkliche Wirkung auf die Fortschritte der
Zellenanatomie und der Befruchtungslehre geblieben. Erst
die Entdeckung Oscar Hertwig's, dass bei der Befruchtung
die Spermatozoiden mit dem Kerne der Eizellen kopuliren,
_1) 1866 S. 287—289.
— 167 —
hat Haeekel's Gedanken zum Ausgangspunkte fiir eine
neue Forschungsrichtung erhoben 1). Hertwig beobachtete
diese Thatsache zuerst bei den Eiern der Echiniden. und
stellte fest. dass die Befruchtimg niclit etwa auf einem ein-
fachen Aneinanderliegen, sondern auf einer gegenseitigen
Durchdringung der beiden Kerne beruhe.
R, Hertwig, Fol, Selenka, Flemming und Andere
haben diese Meinung durch weitere Beobachtungen gestiitzt.
und demzufolge ist sie in der zoologischen Wissenschaft
jetzt wohl zur allgemeinen Anerkennung gelangt.
Auf botaniscliem Gebiete hat sich Strasburger das
grosse Verdienst erworben, den Satz. dass die Befruchtung
wesentlich auf der Vereinigung der Zellkerne beruht, durch
langjahrige Untersuchungen festgestellt und definitiv be-
wiesen zu haben. Seine ersten Studien iiber die Befruchtung
der Coniferen, und die spateren liber denselben Vorgang
bei den Angiosperraen -) bilden jetzt die Grundlage fiir
diesen Theil unserer Wissenschaft.
Die iibrigen Organe der Protoplaste nehmen bei der
Befruchtung an der Kopulation keinen Antheil. Und da
die Glieder der befruchteten Eizelle dennoch spater die
Eigenschaften der beiden Eltern besitzen, so ist es klar. dass
eine Uebertragung cler erblichen Eigenschaften aus dem be-
fruchteten Kerne auf sie stattfinden muss. Diese Ueber-
tragung ist aber der Beobachtung, wenigstens jetzt, noch
nicht zuganglich. Doch sprechen bereits manche Thatsachen
auch ausserhalb der Befruchtungslehre fiir ihre Existenz.
Es ist meine Absicht, in diesem Abschnitte alle That-
1) O. Hertwig, Beitrage zur Kenntnis der Eildung, Befruchtung
und Theilung des thierischen Eies, Morpholog. Jahrbuch I 1875 S. 347.
2) Strasburger, Ueber Befruchtung und Zelltheilung 1878.
Derselbe, Neue Untersuchungen iiber den Befruchtungsvorgang bei
den Phanerogamen 1884.
— 168 —
sachen, welche auf das "Wesen dieser Uebertragung ein
Licht werfen konnen, moglichst vollstandig zusammen zu
stellen. Die herrschende Auffassung betrachtet diesen Vor-
gang als einen dynamischen, wahrend meine Hypothese der
intracellularen Pangenesis einen Transport stofflicher Theil-
chen als Trager der erblichen Eigenschaften annimmt. Es
handelt sich also darum , zu untersuchen , welche dieser
beiden Auffassungen in dem vorhandenen Beobachtungs-
material die besten Stiitzen findet.
Z weites Kapitel.
Die Befruclituiig.
§ 2. Die Kopulation der Zygosporeen.
Sehr lehrreich ist das Verhalten des Chlorophyllbandes
der Spirogyren wahrend der Kopulation. Schon de Bary
hatte beobachtet, dass bei manchen einspirigen Arten die
beiden Chlorophyllbander der kopulirenden Zellen sich
derart mit den Enden aneinanderlegen, dass sie ein kon-
tinuirliches Band darstellen. Fur die einspirige Art S.We-
beri hingegen hat in neuester Zeit Overton beschrieben
und abgebildet, wie das Band der miitterlichen Zelle sich
bei der Kopulution in der Mitte spaltet, und wie darauf
das vaterliche Band sich zwischen diese beiden Halften
einschiebt und sich mit seinen Enden an sie anlegt 2).
Spater werden , durch die bedeutende Anschwellung der
Amylumherde, sowie durch andere Vorgange, die Win-
dungen des Bandes allmahlig undeutlicher, um in der
3) De Bary, Die Conjugaten S. 3.
2) C. E. Overton, Ber. d. d. bot. Gesellsch. Bd. VI 1888 S. 70
Taf. IV.
— 169 —
Zygospore ganz unkenntlich zu werden, unci erst bei deren
Keimung wieder zum Vorschein zu kommen 1).
Diese Angaben geniigen vollstandig, um uns iiber die
Herkunft der Chlorophyllbander der jungen Keimpflanze
eine Vorstellung zu machen. Wir nehmen dabei als Er-
gebniss der erwahnten Untersuchungen an, dass das Chloro-
phyllband der keinienden Zygospore aus den in der einen
oder der anderen AVeise mit den Enden aneinandergelegten
Bandera der beiden Sexualzellen bestebt. AVas wird jetzt,
bei den ersten Theilungen der jungen Pflanze mit diesen
beiden Theilen des Bandes geschehen? Offenbar wird die
erste Zelltheilung, indem sie das Band in der Mitte durch-
schneidet, in dem von de Bary bescbriebenen Falle die
mutterlicbe Halfte der einen. die vaterliche Halfte der
anderen Tocbterzelle zuweisen. Bei S. AVeberi werden
dieses aber erst die beiden folgenden Tlieilungen tbun ; die
mittleren Zellen des vierzelligen Fadens fiibren dann das
vaterliche, die beiden Endzellen das miitterlicbe Band.
Aus dieser Betracbtung ergiebt sich, dass es fur die
einzelnen Zellen eines einspirigen Sp irogyra-fadens vollig
gleichgultig ist, ob sie ibr Cbloropbyllband vom Vater
oder von der Mutter bekommen. Aber olme Zweifel be-
sitzen nachber die sammtlichen Bander der jungen Pflanze
die gleichen erblichen Eigenschaften, audi wenn zwischen
Vater und Mutter individuelle Unterscbiede vorbanden
waren. AVir miissen also annebmen, dass sie diese, soweit
erforderlicb , vom Kerne nach der Befrucbtung bezogen
baben. Wenn wir iiberbaupt dem Kopulationsvorgange
eine Bedeutung fiir die aktiven erblichen Charaktere zu-
schreiben und seine AVirkung nicht durch alle Generationen
J) Vergl. hieriiber auch Klebahn, Ber. d. d. bot. Ges. VI 1888
S. 163.
— 170 —
auf die Kerne beschranken wollen, sincl wir offenbar zu
dieser Annahme gezwungen.
Maclien wir sie aber, so liegt bier die Notbwendigkeit
einer Uebertragung der erblicben Eigenscbaften vom be-
frucbteten Kerne auf die ubrigen Organe der Protoplaste
in einem einfacben Beispiele vor uns.
Wir wollen diesen Satz verallgemeinern und sagen,
dass es im ganzen Pflanzenreicb fur das neue Individuum
gleicbgiiltig ist, ob es die Organe seiner Protoplaste, mit
Ausnabme des Kernes, vom Vater oder von der Mutter
beziebt. Nur der Kern muss von beiden berriibren. Die
in den beiden folgenden Paragraphen zu besprecbenden
Tbatsacben lebren, dass bei der eigentlicben Befrucbtung
die ubrigen Organe nur von der Mutter stammen. Das ist
aber nur als eine besondere Anpassung zu betracbten.
Die Cbromatophoren der ubrigen darauf untersucbten
Zygosporeen verbalten sicb im Wesentlicben abnlicb wie
diejenigen von Spirogyra. Sie legen sicb an einander
(Epithemia) oder vereinigen sicb nicbt (Zygnema und
viele andere) , kopuliren aber niemals im eigentlicben
Sinne des Wortes 1). Stets miissen also, bei den ersten
Tbeilungen des Keimlings, die vaterlicben und mutterlicben
Cbloropbyllkorper auf die einzelnen Zellen des Fadens
vertbeilt werden.
Sclimitz, der wobl zuerst die Kopulation der Kerne
bei den Zygosporeen beobacbtete und das eigentbiimlicbe,
oben gescbilderte Verbalten der Cbromatopboren eingebend
studirte, bebt dabei in klarer Weise hervor, dass es aucb
in diesen Fallen ,,bei der Befrucbtung wesentlicb nur auf
die Vereinigung des Zellkernes der mannlicben Zelle mit
]) Sclimitz, Die Chromatophoi-en S. 128. Vergl. auch Overton
und Klebalm 11. cc.
— 171 —
clem Zellkern der weiblicben Zelle ankomnie" 1). Unci die
spater aufgefundenen Thatsachen haben diesen Ausspruch
vollig bestatigt.
§ 3. Die Befruclitung der Kryptogainen.
Scliniitz hat in seiner inhaltreichen Scbrift iiber die
Chromatophoren der Algen ausfiihrlicli dargethan, dass diese
Gebilde, welche bei jeder vegetativen Zelltheilung von der
Mutterzelle auf ihre Tochter iibergehen, den Spermatozoiden
in der Kegel vollig fehlen -). Die Eizelle besitzt diese
Organe aber stets. Nach der Befruclitung vermehren sie
sich durch Theilung unci bilden so die Chromatophoren des
neuen Individuums. In Bezug auf diesen Punkt wird so-
mit die Organisation der Protoplaste direkt von der Mutter,
unci nicht vom Vater geerbt.
Pragen wir nun, wie sich dabei die ubrigen Glieder
der Protoplaste , mit Ausnahme des Kernes, verhalten.
Allem Anscheine nach besitzen die Spermatozoiden ebenso-
wenig Vacuolen wie Farbstoffkorper, und gilt fur erstere
also dasselbe wie fur letztere.
Nach den besten neueren Untersuchungen entstehen
die Spermatozoiden nicht, wie manche Schriftsteller friiher
annahmen, nur aus dem Kerne der Mutterzelle, sondern es
betheiligt sich an ihrer Bildung audi das iibrige Plasma.
Allerdings bildet der Kern die Hauptmasse des Korpers
der mannlichen Fortpflanzungszelle. Bereits Seliacht hatte
auf Grund eigener und Anclerer Beobachtungen den Satz
aufgestellt: ., class sich der Zellkern in sehr wesentlicher
Weise bei der Bildung des Spermatozoids betheiligt, und
gewissermaassen in dasselbe aufgeht"3). Er hebt ferner
^\. c. S. 128 Note 2.
2) Schmitz, 1. c. S. 120 ff.
s) Schacht, Die Spermatozoiden 1864 S. 35.
— 172 —
hervor, class dabei der kornige Inhalt der Mutterzelle ver-
schwindet. Dieser Uebergang des Kernes , obgleich im
Anfange der neueren Untersuchungen von hervorragenden
Forschern geleugnet x), wird jetzt allgemein als der wich-
tigste Theil des ganzen Prozesses anerkannt.
Ausserhalb des Kernes liegt in den Spermatozoiden
die Hautschicht , welche dieses Organ gegen aussere Ein-
fliisse schiitzt, und gewissermaassen das Schiffchen bildet,
welches ihn nach seinem Bestimmungsorte befordert. Die
Unterscheidung dieser beiden Theile verdanken wir nament-
lich Zacharias, der die mikrochemischen Reaktionen der
mannlichen Fortpflanzungszellen ausfiihrlich studirte, und
wiederholt auf das verschiedene Verhalten ihrer ausseren
und inneren Partien hinwies 2). Namentlich gilt das Nu-
clein als chemisches Merkmal fur die Substanz der Zell-
kerne. Fliissigkeiten, welche diese Substanz leicht losen
und ausziehen, entfernen nur die inneren Theile der Sper-
matozoiden, lassen aber die aussere Schicht und die Cilien
im Allgemeinen ungelost. Dagegen losen sich die Cilien
in Pepsin, und bestehen somit nicht aus Nuclein 3). Auch
nach Campbell entstehen die Cilien der Spermatozoiden
nicht aus dem Kern, sondern aus dem Cytoplasma der
Mutterzelle 4).
Bei der Befruchtung spielt aber offenbar der Kern
allein eine Rolle. Das tiefe Eindringen des ganzen Sper-
matozoids in die Eizellen lehrt, dass von einer Kopulation
seiner Hautschicht mit derjenigen der Eizelle nicht die
J) Vergl. z. B. Sachs, Lehrbuch 4. Aufl. S. 303 und Strasburger,
Zellbilduug und Zellthedung III. Aufl. S. 94; ferner Bot. Zeitung
1881 S. 847 u. 848.
2) Zacharias in Bot. Zeitung 1881—1888.
3) Zacharias, Bot. Zeitung 1881 S. 828, 836 u. 850.
4) Campbell, Ber. d. d. bot. Ges. 1887 S. 120.
— 173 —
Rede sein kann. Vielmehr verschwinden dieses Organ und
die Cilien innerhalb der Eizelle, olme dort irgend welche
merkbare Rolle zu spielen.
Ausnahmsweise besitzen die Spermatozoiden kleine
Chromatophoren, deren sie dann wohl auf der Reise nach
der Eizelle, sei es zum Einscblagen des richtigen AVeges,
sei es zu anderem Zwecke, bediirfen. So z. B. bei Fucus,
wo Schmitz den Nachweis lieferte, dass sie durch Thei-
lung aus den Chromatopboren der Mutterzelle entsteben 1).
Dass sie aber bei der Befrucbtung eine Rolle spielen
wiirden, dafiir spricbt keine Beobacbtung.
Pbylogenetiscb sind die Spermatozoiden der Algen
wobl obne Zweifel aus kopulirenden Schwarmsporen ent-
standen. Dabei baben sie allmahlig ibre Farbstoffkorper
und wohl aucb ibre Vacuolen eingebiisst. Fiir das Ver-
schwinden der ersteren beschreibt Schmitz eine Anzabl
von Zwischenstufen. Aus seiner wichtigen Behandlung
dieses Punktes sei es gestattet bier die folgenden Satze zu
citiren 2) : „Bisweilen, namentlich da, wo die Differenz der
beiderlei Sexualzellen noch keine sebr bedeutende ist,
schliessen sie (die Spermatozoiden) sich durchaus den Iso-
gameten an, und bebalten wie diese die Chromatophoren
unverandert (z. B. bei Scy to siphon lomentarium).
Wird dagegen jene Differenz grosser, so zeigen die Chroma-
tophoren der mannlichen Zellen eine deutliche Tendenz
zum Schwinden, namentlich wird ibre Farbung eine weniger
intensive (Bryopsis)."
Dieses vergleicbende Studium iiberbriickt also die Kluft,
welche zwischen der Kopulation und der Befrucbtung liegt,
und welche wohl hauptsacblich dadurch bedingt wird, dass
J) Schmitz, 1. c. S. 122.
9) 1. c. S. 121.
— 174 —
bei letzterer die Organisation cler Protoplaste , morpho-
logisch nur von der Mutter, bei ersterer aber in einigen
Zellen von dieser, in anderen vom Vater geerbt wird.
Andererseits aber fiihrt die erwahnte phylogenetische Be-
trachtung zu der Ueberzeugung, dass die Hautschicht der
Spermatozoiden dieselbe Bedeutung imd dieselbe Entstelmng
hat wie die der Schwarmsporen, unci ebenso unentbehrlich
ist, wie diese.
§ 4. Die Befruchtung der Phanerogamen.
Aucli bei den Bliithenprlanzen wird die Organisation
der Protoplaste direkt nur von der Eizelle geerbt. Aus
dem Pollenschlauche dringt nur der Kern in diese hinein ;
sonstige Theile, auch wenn sie zum Uebertragen des Kerns
erforderlich sein unci diesen begleiten sollten, spielen aber
beim eigentlichen Befruchtungsprozesse keine Rolle.
Jedermann kennt die hervorragenden Untersuchungen
Straslmrger's auf diesem Gebiete, welche seit 1878 zu
wiederbolten Malen diesen Punkt behanclelten und den
vollstandigen Nachweis fiir die obigen Satze erbracht haben.
Es ware iiberfliissig, sie hier zu wiederholen, oder die Be-
statigungen, welche sie durch andere Forscher erhalten
haben, aufzuzahlen.
Wie die Kerne sich bei der Befruchtung vereinigen,
ist eine bei weitem noch nicht vollstiindig beantwortete
Frage. Auch herrschen hier Differenzen, welche wenigstens
sehr auffallend sind. Nach Strasburger kopuliren nicht
nur die Kernschleifen , sondern auch die Kernhohlen und
somit gleichfalls der Kernsaft 1). Nach van Beueden lagern
sich bei Ascaris megalocephala die Kernschleifen
der mannlichen und der weiblichen Zelle einander gegen-
x) Strasburger, Ueber Kern- und Zelltbeilung 1888 S. 230.
— 175 —
liber, um den Furchungskern zu bilclen 1). Sie sclieinen sich
dann an den Enden zu verbinden, um zusammen einen ein-
zigen Kernfaden zu bilden, in welchem soniit nur eine An-
einanderlagerung, nicbt eine gegenseitige Durchdringung der
beiderseitigen Elemente stattfinden wiirde. Wiibrend aber,
nacb den vorhandenen Angaben, bei den Thieren die Kopu-
lation ira Stadium der sternformig angeordneten Kern-
schleifen vor sich gebt, soil sie bei den Pflanzen im Sta-
dium der Rube geschehen. Ob dieser Unterschied wirklich
vorbanden ist, und wie sicb allgemein die Kernfaden ver-
einigen, sind Fragen, welche nocb weiterer Untersuchung
bediirfen 2).
Wicbtig ist, dass die Anzabl der Kernscbleifen nacb
Straslmrger's neuesten Untersuchungen auch bei Pflanzen
in den generativen Zellen fur jede Pflanzenart konstant,
und zwar fiir die mannlichen Zellen dieselbe ist wie fur die
weiblicben. Bisweilen ist sie fiir grosse Gruppen dieselbe,
so bei den Orcbideen 16 ; bei den Liliaceen wechselt sie
aber zwiscben 8, 12, 16 und 24 3). Fiir As car is me-
galocepbala ist sie 2, fiir A. lumbricoides 24. Eine
systematische Bedeutung, oder eine einfacbe Beziebung zu den
erblicben Eigenscbaften bat diese Zahl also offenbar nicht.
Von der Fortsetzung der Untersucbungen auf diesem
Gebiete diirfen wir aber wichtige Aufscbliisse iiber die
Frage erwarten, welcbe Tbeile des Kernes die eigentlichen
Trager der latenten erblicben Eigenscbaften sind. Augen-
blicklich spricht vieles dafiir, dass sie in dem Kernfaden
zu sucben seien4). Fiir die weitere Ausarbeitung der Ver-
') E. van Beneden , Recherches sur la maturation de
l'oeuf 1883.
2) Strasburger, Ueber Kern- und Zelltheilung 1888' S. 240.
3) Strasburger, 1. c. S. 239, 242.
4) Roux, Ueber die Bedeutung der Kernfiguren 1883.
— 176 —
erbungstheorie ist dieses olme Zweifel vom hochsten In-
teresse; fiir unsere Hypothese ist eine Entscbeidung aber
nicbt unbedingt notbwendig.
Drittes Kapitel.
Die Uebertragung der erblichen Eigeiisehaften aus
den Bio ru on anf die iibrigen Organe der Protoplaste.
§ 5. Die Hypothese der Uebertragung.
Schon mebrfach war von einer Uebertragung der erb-
lichen Eigenschaften aus den Kernen auf die iibrigen Or-
gane der Protoplaste die Rede. Ueberblicken wir aber die
sammtlichen im vorigen und in diesem Abschnitt zusammen-
gestellten Thatsachen, so tritt uns die Notbwendigkeit der
Annalime einer solchen Uebertragung mit voller Kraft vor
Augen.
Die pflanzlichen Protoplaste besitzen eine sicbtbare
Organisation, welche bei jeder Zelltheilung durch Theilung
der einzelnen Organe direkt von der Mutterzelle auf ibre
Tochter iibergeht. Die Erblichkeit ist bier eine sicbtbare.
keine latente. Die einzelnen Organe aber sind von ein-
ander in ontogenetischer Beziehung unabhangig; sie ent-
stehen nur durch Theilung bereits vorhandener. Und wenn
sie auch im Laufe der Entwickelung verschiedenen Funk-
tionen angepasst werden und dabei andere Namen erhalten
haben, und ihre Entstehung in einzelnen Fallen noch nicbt
aufgeklart ist, so steht doch im Ganzen und Grossen so
viel fest, dass der Kern, die Chromatophoren, die Vacuolen
und das Kornerplasma, und vielleicbt auch die Hautschicht,
Hauptorgane sind, welche nie aus einander bervorgeben,
sondern nur neben einander sich vermehren.
— 177 —
Jedes dieser Hauptorgane besitzt eine Fiille von Eigen-
schaften mid Anlagen . welche zusammen den Charakter
der Spezics ausmachen. Diese Eigenschaften sind entweder
direkt unter dem Mikroskope sichtbar, oder verrathen ihre
Anwesenheit durcli bestimmte Funktionen. Dass die erb-
lichen Eigenschaften in den entsprechenden Organen der
Protoplaste liegen. dariiber besteht kein Zweifel. Ob sie
aber in Zellen . wo sie nur als Anlagen vorhanden sind,
ebenfalls in diesen liegen. dariiber geben uns die Vorgange
der vegetativen Fortpflanzung keine Entscheidung.
Diese bietet uns der Befrucbtungsvorgang. Die
Bastarde lehren. und die alltaglichen Beobachtungen am
Menscben bestatigen es, dass die Kinder im Mittel im
gleicben Maasse ihre Eigenschaften von beiden Eltern er-
halten. Die befruchtete Eizelle aber erhalt ihre Organe
nur aus der Mutter, vom Yater gelangt nur der Sperma-
kern zur Kopulation mit dem Kerne der Eizelle. Die
sammtlichen erblicben Eigenschaften des Vaters miissen
also im Kerne, als Anlagen. im latenten Zustande, iiber-
gehen. Und bevor sie in den iibrigen Organen der Pro-
toplaste aktiv werden konnen. miissen sie also offenbar aus
dem Kern auf diese ubertragen werden.
Diese Uebertragung ist somit eine Hypothese, deren
Annahme beim jetzigen Zustande unserer Kenntnisse wohl
als nothwendig betracbtet werden darf.
Es sei mir gestattet, diese Uebertragung durcli einige
Beispiele zu beleuchten. Icb entlehne sie den Bastarden,
weil bier die Verhaltnisse am klarsten und am beweis-
kraftigsten vor uns liegen. und wahle die Farben der Blumen,
da diese der Betraclitung leicht zuganglich sind.
Zunachst die rothe Bliithenfarbe. Pbaseolus mul-
ti f 1 o r u s hat rothe, P h a s e o 1 u s vulgaris nanus weisse
de Vries. Iutracellulare Pangenesis. l.s
— 178 —
Blumen. Durch Bestaubung des letzteren mit dem Pollen
des ersteren entstand mehrere Male, und so auch in 1886
in meinen Kulturen, ein Bastardsame. Dieser weicht
ausserlich von den normalen Samen seiner Mutterpflanze
nicht ab, entwickelt sich aber zu einer Pfianze, welche im
Habitus dem schlingenden Ph. multiflorus ahnlich ist,
jedoch kleiner bleibt als dieser. Die Blumen des Bastardes
sind blassroth; ihre Farbe halt, wie ich mich selbst iiber-
zeugen konnte, nahezu die Mitte zwischen beiden Eltern.
Der rothe Farbstoff aber findet sich, gelost, in den Va-
cuolen der Zellen der Blumenblatter.
Die Eigenschaft der Vacuolen, das rothe Erythrophyll
zu bilden, riihrt also in diesem Bastard vom Vater her.
Die Vacuolen des Bastardes stammen aber morphologisch
von denen der Mutter ab. Das Erythrophyllbildende Ver-
mogen muss also, im latenten Zustande, in dem Pollenkern
des Vaters auf den Kern der Eizelle iibergegangen und aus
diesem, friiher oder spater, den Vacuolen des Bastardes mit-
getheilt worden sein.
Dasselbe lehren viele andere Bastarde, wie z. B. Digi-
talis lu tea $- purpurea cT, Linaria vulgaris §X
purpurea S , Linaria genistae folia $ X pur-
purea S u. s. w.1).
Die gelbe Farbe der Bluthen verhalt sich in derselben
Weise. Digitalis luteo — purpurea giebt das beste
Beispiel. Die beiden Formen D. purpurea? XluteacJ
und D. lutea $ X purpurea $ sind einander bis auf
einige Abiinderungen in der Bliithenfarbe vollig gleich 2).
Eine Abbildung des Bastardes giebt Nau (I in ; die Bliithe
besitzt in der einen Traube eine rein gelbe Farbe, in der
x) Vergl. Focke, DiePflanzenmischlinge S. 311, 315 u. a. a. Stellen.
2) Focke, 1. c. S. 315.
— 179 —
ancleren sincl gelb und blassroth mit einander vermischt 1).
Yon den beiden genannten Bastarden der Linaria finde
ich die reciproken Formen nicht erwahnt.
"Wie die Eigenschaften der Yacuolen, so mlissen auch
die der Chromatophoren bei der Bastardirung im Pollen-
kerne des Vaters im latenten Zustande dem Bastarcle mit-
getheilt werden. Als Beispiel nenne ich Raphanus sa-
tivus $ X Bras sic a oleracea $ , Medicago sa-
tiva $ X falcata $, Geura album $ X urban um <$,
Yerbascum phoeniceum § X blattaria <52).
Aehnliche Beispiele lassen sich in grosser Zahl der
reichhaltigen Literatur iiber Bastardirungsversuche ent-
nehmen. Aber ein ausfiihrliches mikroskopisches Studium
der Bastarde in Beziehung zum anatomischen Bau ihrer Eltern
bleibt stets in hohem Grade Bediirfniss fur die Wissenschaft.
Nocli schlagender und allgemeiner tritt uns die Noth-
wendigkeit der Annahme einer Uebertragung entgegen,
wenn wir die Bastarde in der zweiten und folgenden
Generationen betracbten. Fast stets, wenn diese in hin-
reicbend grosser Zahl kultivirt werden, schlagen einige auf
die Grossmutter. andere auf den Grossvater zuriick. Die
letzteren konnen dem Grossvater bis zum Yerwechseln ahn-
lich sein. Es lehrt uns dieses, dass beim Bastardiren sammt-
liche Eigenschaften des Yaters auf den Bastard iiber-
gehen, um, soweit sie in ihm nur als Anlagen vorhanden
sincl , in einigen seiner Kinder wieder aktiv zu werden.
Alle Organe der Protoplaste mtissen also ihre aktiven
Eigenschaften aus dem Kerne beziehen konnen.
*) Nautlin, Nouvelles recherches sur l'hybridite , in Nouvelles
Archives du Museum d'histoire naturelle de Paris 1869 p. 95 PI. 2.
2) Diese Beispiele nach Focke, wo leicht mehrere zu finden sind.
Ich hatte leider nicht die Gelegenheit, die Natur des gelben Farb-
stoffes zu kontroliren.
12*
— 180 —
Im Bastard sind aber die Eigenscliaften des Vaters
und der Mutter in gleicher Weise vertreten. Namentlich
sind die beiden Bastarde. welche zwei Arten bervorbringen
konnen, indem die eine Art das eine Mai als Vater, das
andere Mai als Mutter fun girt, unter sicb mit wenigen Aus-
nabmen im Wesentlicben gleicb. Es liegt also kein Grand
vor, anzunehmen, class die in der Eizelle und im Sperma-
tozoid latenten erblicben Eigenscliaften in prinzipiell anderer
Weise vom Vater als von der Mutter geerbt werden. Und
somit kommen wir zu der Folgerung, dass audi die letzteren
im Kerne, und nicbt iiber die einzelnen Organe der Eizelle
vertbeilt, liegen miissen.
Die Kerne sind somit die Trager der latenten erb-
licben Eigenscliaften. Diese miissen, um aktiv zu werden,
wenigstens zum weitaus grossten Tbeil r), aus ihnen in die
iibrigen Organe der Protoplaste iibergeben.
§ 6. Beobachtungen iiber den Einfluss des Kernes in
der Zelle.
Dass dem Zellkerne irgend eine bervorragende Rolle
im Leben der Zellen zukommt, dariiber waren schon die
ersten Beobacbter dieses Organes sich vollig klar. Sie
baben dieser Ueberzeugung in dem Namen selbst Ausdruck
gegeben. Und wenn audi spater das vermeintliclie Fehlendes
Kernes bei grossen Gruppen unter den Tballopbyten Zweifel
an der Bichtigkeit dieser Meinung aufkommen liess 2) , so
sind diese durcb die neueren Untersucbungen vollig beseitigt.
Welcber Art aber jene Rolle war, dariiber gelang es
anfanglicb gar nicht, sich eine Vorstellung zu macben.
1) Die Eigenscliaften, welche die Kerntkeilung regeln, werden
wohl in den Kernen selbst aktiv.
2) Vergl. Briicke, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wiss. Wien 1861.
— 181 —
Erst die im ersten Kapitel dieses Abschnittes genannten
Forscher, Hacckel, Hertwig, Fleiimiing, StrasTburgeru. A.,
haben uns gelehrt, den Kern als das eigentliche Organ der
Vererbung anzusehen. Und noch in den letzten Jahren
linden sich Schriftsteller, welche den Kern. HaeekePs be-
stimmter Aeusserung entgegen, als ein Organ der Ernahrung
betrachten , indem sie ihm einen Einfluss auf die Bildung
von Eiweiss, Starke oder anderen Assimilationsprodukten
zuschreiben.
Durch den Einfluss der namhaft gemachten Forscher
ist die Aufmerksamkeit in den letzten Jahren immer mehr
auf den Kern geriehtet worden. Und demzufolge sind eine
Reihe vonBeobachtungen geraacht und veroffentlicht worden,
welche dafiir sprechen, dass grade auf die wichtigsten Prozesse
im Zellenleben der Kern, obgleich nicht selbstthatig, doch
einen bedeutenden Einfluss ausiibt. Im Grossen und Ganzen
sind die beobachteten Verhaltnisse ohne Zweifel darauf
zuriickzufuhren, dass die erblichen Eigenschaften. so lange
sie latent sind, im Kern aufbewahrt werden . wahrend
sie erst in den iibrigen Organen der Protoplaste in Thatig-
keit zu gerathen pflegen. Doch ist nicht zu vergessen, dass
im Einzelnen spezielle Korrelationen zwischen Kern und
Protoplasma obwalten konnen. welche auf spezifische An-
passungen, und nicht auf allgemeine Gesetze zuriickzufiihren
sind. Im Einzelfalle diirfte es meistens schwierig sein,
zwischen diesen beiden Moglichkeiten zu entscheiden.
Zunachst fiihre ich einige bereits von alteren Forschern
hervorgehobene Verhaltnisse an. In jungen Zellen liegt
der Kern in der Mitte der Zelle. Bei zunehmender Ver-
grosserung der Vacuolen. wenn das Protoplasma in den so-
genannten schaumigen Zustand gelangt, bleibt er an jener
Stelle liegen und ist durch von ihm ausstrahlende Bander
— 182 —
und Leisten mit alien Theilen des wandstandigen Plasma
auf dem kiirzesten Wege verbunden. Dieses bekannte Bild
und die bervorragende Grosse des Kernes in jungen Zellen
mogen wobl die ersten Griinde gewesen sein, aus denen
man die besondere Wichtigkeit dieses Organes abgeleitet
hat. Bei zunelmiendem Waclisthum der Zellen wachst der
Kern nicht in entsprecliender Weise, er wird relativ kleiner,
und durch das Versclimelzen der Vacuolen wird er ge-
zwungen seine centrale Lage aufzugeben. Fiir gewolmlich
nimmt er nun aber keine andere Stellung als fest an, son-
dern wird von den Stromen des Kornerplasma durch die
Zelle herumgefiihrt. Hiiufig legt er dabei, wie Hansteiii
liervorhebt, innerhalb weniger Stunden einen vielver-
schlungenen Weg zuriick und durchsegelt sein Gebiet in alien
Richtungen, „als ob er es iiberall zu inspiziren hatte" 1).
Alles spricht dafiir, dass die Thatigkeit des ganzen Proto-
plasten unter dem regulirenden Einfluss der Zellkerne steht 2).
Neben diesem allgemeinen Verhalten der Zellkerne
haben uns nun in den letzten Jahren die Untersuchungen
von Tangl, Haberlamlt, Korsclielt und Anderen eine be-
sondere Beziehung der Kerne zu einzelnen Prozessen im
Zellenleben kennen gelehrt.
Tangl beobachtete Zwiebelschuppen von Allium Ce-
p a, welche vor kurzer Zeit, z. B. am vorigen Tage, verwundet
waren 3). Er sah? dass in der Nahe der Wundflache die
Zellkerne nicht wie sonst regellos iiber die Zellen zerstreut
liegen, sondern dass sie sich sammtlich nach derjenigen
Seite ihrer Zelle begeben batten, welche der Wunde am
:) Hansteiii, Das Protoplasma, 1880, I S. 165.
2) Vergl. Strasburger, Neue Untersuchungen, 1884 S. 125.
3) Tangl , Zur Lehre von der Kontinuitat des Protoplasma.
Sitzber. d. k. k. Akad. d. Wiss. Bd. XO. 1884.
— 183 —
nachsten lag. Mit ihnen war auch das Kornerplasma an
jenen Wanden angehiiuft. Je geringer die Entfernung von
der Wunde, um so scharfer war die Erscheinung ausge-
pragt, doch bis in einer Entfernung von etwa 0,5 mm war
sie noch deutlich zu erkennen. Diese Verhaltnisse deuten
wohl darauf hin, dass die Regenerationsvorgange, welcbe
die Wunden hervorzurufen pflegen, hier miter dem Ein-
flusse der Kerne vor sich gehen.
Haborlandt hat in einer langen Reilie von Fallen, in
denen die Zellen der hoheren Pflanzen an bestimmten
Stellen ihres Umfanges ein lokal starkeres Wachsthum
zeigen, die Lage des Kernes wahrend dieses Prozesses auf-
gesucht1). Theils dort, wo durch lokalisirtes Flachen-
wachstlium sich die Form der Zellen andert . theils wo
einseitige Verdickungen der Membran, oder eine bestimmte
Wandskulptur angelegt werden. Und obgleich bei der
Fiille der Einzelerscheinungen eine ausnahmslose Kegel
nicht zu erwarten war, so fand er doch im Grossen und
Ganzen, dass der Zellkern sich zumeist dorthin begiebt,
wo das Wachsthum am ausgiebigsten ist, und am langsten
dort verweilt, wo letzteres am langsten andauert.
Fiir thierische Zellen gilt nach Korschelt im All-
gemeinen dieselbe Regel 2). Es gelang diesem Forscher in
einer Reihe von Fallen, bei vorwiegend einseitiger oder lokal er
Thatigkeit in den Zellen, eine bestimmte, dem Orte dieses
Prozesses moglichst genaherte Lage fiir den Kern zu be-
obachten. Haufig auch ist der Kern mit solchen bevor-
zugten Stellen bei entfernterer Lage durch Bander und
Anhaufungen von Protoplasma verbunden.
x) G. Haberlandt, Ueber die Beziehungen zwischen Funktion
und Lage des Zellkemes 1887.
») E. Korschelt, Biolog. Centralblatt Bd. VIII Nr. 4 S. HOff.
— 184 —
Wo cler Kern nicht durch Ortsanderungen seinen Ein-
fluss auf die Vorgange im Protoplasma zu erkennen giebt,
geschieht solches oft durch eine bestimmte Anordnung dieses
letzteren um den Kern hernm. Die Anhaufung der Amy-
loplaste in der nachsten Umgebung des Nucleus, wie sie
in jungen Zellen so oft beobachtet wird, ist von ver-
schiedenen Forschern auf einen Einfluss des Kernes auf
ihre Thatigkeit zuriickgefuhrt worden 1). Pringsheim hat
nachgewiesen, class in den Zellen cler Spirogyren die Fiiden,
welche von cler Kerntasche ausstrahlen . sich speziell den
Amylumkernen cler Chlorophyllbander anheften unci durch
Verzweigung oft mehrere derselben direkt mit clem Kerne
in Verbindung setzen 2). Bei cler Zellbildung in jenen
Embryosacken, wo die neuen Zellen nach der Bildung zahl-
reicher Kerne in einer wandstandigen Schicht entstehen, hat
Strasburger mehrfach Strahlenfiguren beschrieben, welche
die Kerne mit einander verbinden, unci welche nicht nur
zwischen den beiden Tochterzellen einer Mutterzelle vorhanden
sind, sondern auch zwischen den nicht in diesem Verwandt-
schaftsgrade stehenden Kernen angelegt werden. Diese
Strahlenfiguren beherrschen augenscheinlich die Entstehung
der neuen Zellwande unci bedingen es. class sie in cler erforder-
lichen Richtung mit Bezug auf die Kerne angelegt werden.
Dass den Strahlen entlang irgend ein Einfluss von den
Kernen ausgeht. unci bei der Zelltheilung sich geltend macht,
kann nach den wiederholten Ausfiihrungen dieses Forschers
wohl nicht mehr angezweifelt werden 3).
Fiir eine hervorragende Bedeutung cles Zellkernes
2) Vergl. z. B. Strasburger, Ueber Kern- unci Zelltheilung 1888
S. 195, Schimper, Pringsh. Jahrb. Bd. XVI S. 1 unci Haberlandt,
Flora 1888.
2) Pringsh. Jahrb. Bd. XII S. 304.
3) Vergl. z. B. Botan. Praktikum, 1. Aufl. S. 610.
— 185 —
spriclit audi die, namentlich von Schmitz entdeckte mid
eingehend studirte Vielkernigkeit der Coeloblaste 1). Die
Kerne liegen hier gewohnlich nicht im stromenden Theile
des Kornerplasma, sondern sind dessen ruhenden Schichten
eingebettet. Sie liegen dabei regelmassig in nahezu gleichen
Entfernungen von einander, und sind meistens klein und so
zahlreich, dass jedes abgetrennte Stuck, wenn es nicht Iiberhaupt
zu klein ist, um amLeben zu bleiben, wohl stets einen oder meh-
rere Kerne enthalt. Alle Theile des Protoplasten konnen hier
offenbar unter dem unmittelbaren Einfluss der Kerne stehen.
Neben den Beobachtungen an unverletzten Zellen sind in
letzter Linie die Untersuchungen an verwundeten Protoplasten
zu besprechen. Bereits Schmitz hat darauf aufmerksam
gemacht, class ausgetretene Protoplasmaballen von V au-
di eria und anderen Siphonocladiaceen nur claim im
Stande sincl eine nene Zellhaut zu bilclen und sich zu
neuen lebensfahigen Individucn zu regeneriren , wenn sie
einen oder mehrere Kerne besitzen 2). Nicht, class der Kern
die einzige Bedingung ware; die Cliromatophoren unci die
iibrigen Organe der Protoplaste cliirfen ebenso wenig fehlen,
aber von diesen ist die Bedeutung fiir Wachsthum unci
Ernahrung derart, dass ihre Unentbehrlichkeit als selbst-
verstandlich betrachtet werden kann. Nussbaiim und
Grruber haben dann durch ausgedehnte Theilungsversuche
an Protozoen bewiesen . class auch hier Theilstiicke der
Protoplaste sich nur dann vollig regeneriren konnen, wenn
ihnen mindestens der Kern nicht fehlt3).
') Schmitz, Die vielkernigen Zellen der Siphonocladiaceen,
Festschr. d. naturf. Gres. zu Halle 1879.
-i 1. c. S. 34.
') Nussbaum, Ueber die Theilbarkeit der lebenden Materie, Ar-
chiv fiir mikr. Anatomie 1886. — Gruber, Biol. Centralbl. Bd. IV,
und Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg i/B. 1886.
— 186 —
Wichtig sincl auch die Versuche von Klel)S iiber die
Kultur plasmolysirter Zellen 1). Ich entnehme diesen das
Folgende: Wenn man Zellen von Zygnema unci Oedo-
gonium in einer zehnprozentigen Losung von Glucose
plasmolysirt, trennt sicli in den langeren Zellen der In-
halt nicht selten in zwei oder melirere Stiicke, welche, an-
fangs durcli diinne Faden verbunden, sicb spiiter vollig von
einander isoliren. Kultivirt man nun die Fiiden in dieser
Losung am Lichte, so umgeben sicli die kontrahirten Pro-
toplaste mit einer neuen Zellwand, welclie allmahlig an
Dicke zunimmt. Friiher oder spiiter fangen sie an zu
wachsen und sich zu theilen , wobei sie die alte Zellhaut
durchbrechen konnen. In jenen Zellen aber, wo der In-
balt in zwei oder mehrere Tbeile gespalten worden ist, von
denen selbstverstandlich nur der eine den Kern entlialten
kann, macbt stets audi nur dieser Theil eine neue Zellhaut;
die kernlosen Stiicke konnen zwar Starke bilden und sicli
erriahren, zum Wachsthum sind sie aber nicht befahigt.
Um iiber die Rolle des Zellkernes weitere Aufschliisse
zu erhalten, ware offenbar eine Methode erwiinscht, welche
es gestattete, den Zellkern zu todten, ohne den Zellkorper
sonst zu schadigen. Vielleicht lasst sich diese gewinnen
durch Anwendung des von Pringslieiili angegebenen Prin-
zipes der partiellen Todtung von Zellen im Brennpunkte
einer Linse 2). AVahlt man die Linse so, dass sie einen
einzigen Punkt der Zelle zu treffen gestattet, und bringt
man bei schwacher Beleuchtung den Kern dorthin, so
diirfte sich, durch kurze Besonnuug, das gewiinschte Resul-
tat wohl in manchen Zellen erreichen lassen. Ich mochte
!) G. Klebs, Bot. Centralbl. Bd. 28 S. 156 und Arbeiten d. Bot.
Institute in Tubingen Bd. II 1888 S. 565.
3) Pringsh., Jabrb. Bd. XII S. 331 ff.
— 187 —
desbalb diese Methode zur weiteren Ausbildung in dieser
Ricbtung auf s dringlichste empfehlen.
Fassen wir die Resultate der besprochenen Beobach-
tungen zusammen, so sehen wir, dass die Kerne einen Ein-
fluss auf die Thatigkeit der iibrigen Glieder des Plasma-
leibes besitzen. Sie iiben diesen Einnuss nur so lange aus,
als die betreffenden Glieder noch im protoplasmatiscben
Zusammenhang mit ilmen steben , und am liebsten auf
kiirzestem, oder docb durcb direkte Plasmabander dar-
gestelltem Wege.
Abschnitt IV,
Die Hypothese der intracellularen Pangenesis.
Erstes Kapitel.
Pangene in Kern und Cytoplasnia.
§ 1. Einleitiing.
Die Scblussfolgerungen, zu denen uns im ersten Tbeile
die kritiscbe Betracbtung der bisberigen Tbeorien iiber die
Erblicbkeit, und im zweiten die Uebersicbt iiber den jetzigen
Stand der Zellenlehre gefuhrt haben, wollen wir jetzt mit
einander in Verbindung zu bringen sucben.
Das Ergebniss des ersten Tbeiles war, dass die ver-
gleicbende Betracbtung der Organismenwelt von einem
mbglicbst breiten Standpunkte uns zwingt, die Artcbaraktere
aufzufassen als zusammengesetzt aus zahllosen, mebr oder
weniger selbstandigen Faktoren, von denen weitaus die
meisten bei verscbiedenen, und viele bei ausserst zabl-
reicben Arten wiederkebren. Die fast unubersehbare
— 188 —
Mannigfaltigkeit der lebenden und der ausgestorbenen Or-
ganismen wird dadurch zurlickgefiihrt auf die zahllosen
verschiedenen Kombinationen, welche eine verhaltnissmassig
geringe Anzahl von Faktoren zulasst. Diese Faktoren sind
die einzelnen erblichen Eigenschaften, welche allerdings
zumeist nur ausserst schwierig in dem verwickelten Ganzen
der Erscheinungen als solche zu erkennen sind, welche
aber doch, da jede unabhangig von den iibrigen variiren
kann, in vielen Fallen getrennt der experimentellen Be-
handlung imterworfen werden konnen.
Diese erblichen Eigenschaften mlissen in der lebendigen
Materie begriindet sein , jede vegetative Keimzelle , jede
befruchtete Eizelle muss die sammtlichen , den Charakter
der betreffenden Art zusammensetzenden Faktoren potentiell
in sich enthalten. Die sichtbaren Erscheinungen der Erb-
lichkeit sind somit die Aeusserungen der Eigenschaften
kleinster unsichtbarer , in jener lebendigen Materie ver-
borgener Theilchen. Und zwar muss man, um sammtlichen
Erscheinungen Rechenschaft tragen zu konnen, fur jede
erbliche Eigenschaft besondere Theilchen annehmen. Ich
bezeichne diese Einheiten als Pangene.
Diese Pangene, unsichtbar klein, aber doch von ganz
anderer Ordnung wie die chemischen Molekiile und jedes
aus zahllosen von diesen zusammengesetzt, mlissen wachsen
und sich vermehren und sich bei den Zelltheilungen auf
alle oder doch nahezu alle Zellen des Organismus ver-
theilen konnen. Sie sind entweder inaktiv (latent) oder
aktiv, konnen sich aber in beiden Zustanden vermehren.
Vorwiegend inaktiv in den Zellen der Keimbahnen, entwickeln
sie fiir gewohnlich ihre hochste Aktivitat in den somatischen
Zellen. Und zwar derart, dass in himeren Organismen
wohl nie sammtliche Pangene in derselben Zelle zur Ak-
— 189 —
tivitat gelangen, sondern so. dass in jeder eine oder einige
wenige Gruppen von Pangenen zur Herrschaft gelangen
und der Zelle ihren Charakter aufpragen.
Die Befruchtung besteht in einer Kopulation der Zell-
kerne. Das Kind erhalt vom Vater nur das, was im Kerne
des Spermatozoids oder des Pollenkornes enthalten war.
Sammtliche erblichen Eigenschaften miissen also in den
Kernen durch die betreffenden Pangene reprasentirt sein.
Die Kerne gelten deshall) als die Bewahrstatten der erb-
lichen Eigenschaften.
In den Kernen bleiben aber weitaus die meisten Eigen-
schaften zeitlebens latent. In die Erscheinnng treten sie
erst in den ubrigen Organen der Protoplaste. Schon
Haeckel sprach es aus, „dass der innere Kern die Ver-
erbung der erblichen Charaktere , das aussere Plasma da-
gegen die Anpassung, die Akkomodation oder Adaptation
an die Verhaltnisse der Aussenwelt zu besorgen hat"
(Vergl. S. 166). Es muss also in irgend einer Weise eine
Uebertragung der erblichen Eigenschaften vom Kerne auf
das Cytoplasma a) stattfinden , und die im vorigen Ab-
schnitt mitgetheilten Beobachtungen liefern wichtige Argu-
mente fiir die Richtigkeit dieser Folgerung.
Das sind die Schliisse, zu clenen die vorhandenen That-
sachen meiner Ansicht nach in vollem Maasse berechtigen.
Die Annahme von Pangenen ist fiir mich eine Hypothese.
welche mir beim jetzigen Stande unseres Wissens uner-
lasslich scheint. Sie ist zur Erklarung der verwandtschaft-
lichen Beziehungen der Organismen, vorausgesetzt dass
man diese Erklarung auf materieller Grundlage versuchen
will, meiner Meinung nach durchaus nothwendig.
J) Unter Cytoislasma verstehe ich hier das ganze Protoplasma
mit Ausnahme des Kernes.
— 190 —
Ich verlasse nun diese allgemeinen Betrachtungen unci
werde versuchen zu schildern , wie ich mir die Beziehung
der Pangene zu den Erscheinungen des Zellenlebens denke.
Ich bin mir wohl bewusst, dass das Ausarbeiten einer
Hypothese in ihre aussersten Konsequenzen nur zu leicht
zu Irrschliissen fiihrt, und nur dann fur die Wissenschaft
niitzlich ist, wenn es zu bestimmten, experimentell zu be-
antwortenden Fragen leitet. Ich werde mich daher mog-
lichst beschriinken und nur Eine Hypothese aufstellen,
welche mir sich durch ihre Einfachheit zu empfehlen
scheint. Diese Hypothese mit den sich direkt daraus er-
gebenden Folgerungen soil der Gegenstand des vorliegenden,
letzten Abschnittes bilden.
Diese Hypothese lautet: Das gauze lebendige
Proto plasma besteht aus Pangenen; nur diese
bilden darin die lebenden Elemente.
§ 2. Aufbau des ganzen Protoplasnia aus Pangenen.
Aus Hertwig's beruhmter Entdeckung haben einige
Forscher abgeleitet, dass nur der Kern Trager der erb-
lichen Eigenschaften sei, dass diese vollig auf ihn beschrankt
seien. Es ist dieses nach meiner Meinung eine viel zu
weitgehende und durch nichts berechtigte Folgerung. Die
Kopulation der Kerne bei der Befruchtung beweist nur,
dass sammtliche erblichen Eigenschaften im Kerne ver-
gegenwartigt sein miissen ; dass sie nicht daneben auch im
Cytoplasma vorhanden sein konnen, dariiber entscheidet
diese Thatsache nichts.
Die Organe der befruchteten Eizelle sincl noch die-
selben wie die der unbefruchteten ; die junge Pflanze hat
ihre Chromatophoren und Vacuolen als solche von ihrer
— 191 —
Mutter geerbt. In cler langen fteihe von Zelltheilungen,
welche von cler befruchteten Eizelle ausgehen, gehen jene
Organe jedesmal, unter stetiger Vermelirung durch Theilung,
auf die Tochterzellen tiber. Sie haben sozusagen ihren
unabhangigen Stammbaum neb en dem der Zellkerne. Es
giebt also offenbar aucb eine Erblichkeit ausserhalb der
Zellkerne.
Die kleinsten morphologischen Tbeilcben, aus denen
die Cbromatophoren aufgebaut sind, miissen sich offenbar
selbstandig vermebren konnen, sonst ware weder das Wachs-
tbum noch die wiederholten Tbeilungen dieser Gebilde zn
erklaren. In dieser Hinsicbt stimmen die Theilcben offenbar
mit den Pangenen des Kernes uberein. Das Vermogen,
den Cbloropbyllstoff zu erzeugen, muss in den entsprechen-
den Pangenen des Kernes im latenten Zustande vorbanden
sein, in den kleinsten Tbeilcben der Cbromatophoren ist es
bei den hoheren Pfianzen, so lange die betreffenden Glieder
im Dunklen verweilen, gleicbfalls inaktiv, um erst am
Licbte aktiv zu werden.
Wir werden somit entweder Chloropbyll-pangene im
Kerne und besondere Chloropbyll-bildende Tbeilcben in
den Cbromatophoren annebmen mtissen , oder aber diese
beide identifiziren und uns vorstellen. dass jene hypothe-
tischen Einheiten, im Kerne inaktiv, selber zu den Chroma-
tophoren gehen, um in diesen aktiv zu werden. Die zweite
Annabme ist offenbar die einfachste ; denn die erste fordert
fiir jede Punktion zweierlei, sich durch "Wachsthum und
Theilung vermehrende Einheiten, welche dazu noch stets
derart in Wechselwirkung stehen miissen, dass die Einheiten
im Chromatophor nur so arbeiten konnen, wie es die ent-
sprechenden Pangene im Kerne vorschreiben.
Genau dieselbe Erorterung lasst sich auf die ubrigen
— 192 —
Eigenschaften der Chromatophoren unci auf die anderen
Organe der Protoplaste, mit einem Worte auf alle erblichen
Eigenschaften anwenden.
Betracbten wir unsere Frage vom Standpunkte der
Deszendenzlehre. In den ersten nocli kernlosen Organismen
miissen wir uns selbstverstandlich aucb die einzelnen erb-
lichen Eigenschaften an Pangene gebunden denken. Diese
miissen hier aber offenbar im Protoplasma liegen. Und
sobald die Differenzirung so weit vorgeschritten war. dass
nicht alle Eigenschaften zu gle'icher Zeit in Thatigkeit zu
sein brauchten. miissen in diesen einfachsten Protoplasten
aktive und inaktive Pangene neben und zwiscben einander
gelegen haben. Je nach Alter und ausseren Umstiinden
wiirden das eine Mai diese, das andere Mai jene Pangene
in Thatigkeit gerathen. Hier ware es ganz iiberfliissig, fur
jede Funktion zweierlci Art von Einheiten anzunehmen,
einmal inaktive, nur die Vererbung besorgende Pangene
und ein anderes Mai Theilchen. welche die latenten Eigen-
schaften jener aussern konnten. Viel einfacher ist fur diese
niederen Lebewesen offenbar die Annahme, dass dieselben
Pangene je nach Umstanden aktiv oder inaktiv sein konnen.
Dass das Protoplasma aus kleinsten Theilchen besteht.
welche sich selbstandig vermehren konnen, kann wohl nicht
bezweifelt werden. Es ist ja dieses das eigentliche Attribut
des Lebens. Und class wir nur diese Theilchen als Lebens-
einheiten zu betracbten haben, neben denen alles iibrige,
Eiweiss, Glucose, Salze u. s. w., nur gelost im Imbibitions-
wasser vorhanden ist, scheint mir ebenfalls klar. Wie diese
Theilchen konstituirt sind, ob sie selbst Imbibitionswasser
enthalten oder nicht, und wie durch ihren Bau die sicht-
baren Merkmale der Organismen bedingt sind, wissen wir
nicht, viel weniger wie sie sich theilen und vermehren konnen.
— 193 —
Abgeseben von diesen, jecler Theorie anklebenden Scbwierig-
keiten, ist aber die Annabme, dass diese Theilchen iden-
tisch sind mit den Tragern der erblichen Anlagen, offenbar
die einfacbste. welcbe man liber den Bau der lebendigen
Materie machen kann.
Die Entstehung des Zellkernes in der phylogenetischen
Differenzirung der niedersten Organismen erscheint uns,
von diesem Gesicbtspunkte aus, wie eine ausserst praktiscbe
Arbeitstheilung. Bis dahin lagen die aktiven und die in-
aktiven Pan gene iin Protoplasma iiberall zwischen und
neben einander. Und einen je boheren Grad die Differen-
zirung erlangt batte, urn so grosser musste die Zahl der
unter sicb verscbiedenen Pangene in demselben Protoplasten
sein. Um so grosser rniisste aber aucb jedesmal die Menge
der inaktiven zwiscben den aktiven werden. Die letzteren
wiirden dadurch auf einen verbiiltnissraassig grossen Raum
vertheilt werden , und die Leistungsfiiliigkeit des Ganzen
musste dementsprechend abnehmen. Durcli die Ausbildung
des Kernes konnte diese Sacblage geandert werden. Die
inaktiven Pangene wiirden in diesem angehauft und auf-
bewabrt werden ; die aktiven konnten sicli naber aneinander
anscbliessen.
Malen wir dieses Bild weiter aus. Sobald der Augen-
blick fiir bestimmte bis dabin inaktive Pangene gekommen
war, sicb in Tbiitigkeit zu versetzen, miissten sie jetzt
offenbar aus dem Kerne in das Cytoplasma iibergeben.
Dabei wiirden sie aber ibre Eigenscbaften, und namentlich
ihr Vermogen zu wacbsen und sicb zu vermebren bebalten.
Nur wenige gleicbartige Pangene brauchten also jedesmal
aus dem Kerne auszutreten, um durcb ibre weitere Ver-
mehrung die von ibnen getragene Eigenscbaft dem betreffen-
den Tbeile des Cytoplasma aufzupriigen. Dieser Vorgang
de Vries, Intracellulare Pangenesis. lo
— 194 —
wiirde sich bei jeder Aenderung der Funktion ernes Proto-
plasten wiederholen, jedesmal wiirden neue Pangene aus
dem Kerne austreten, urn aktiv werden zu konnen. In
dieser Weise wiirde bald das ganze Cytoplasma aus den
vom Kern bezogenen Pangenen und ihren Nachkommen
bestehen.
§ 3. Aktive und inaktive Pangene.
Schon Darwin bat betont, dass die Ueberlieferung
eines Charakters und seine Entwickelung, wenn sie audi
haufig zusammengehen, dennoch distinkte Vermogen sind1).
Dieser aus den Erscbeinungen des Atavisnius abgeleitete
Satz bat durch die Entdeckung der Funktion der Zellkerne
eine hervorragende Bedeutung in der Zellenlebre erhalten.
Die Ueberlieferung ist die Funktion der Kerne , die Ent-
wickelung ist Aufgabe des Cytoplasma.
Die bisherigen Tbeorien nebmen dabei einen vollstan-
digen Gegensatz zwiscben Kern und Cytoplasma an, indem
sie sich die erblicben Eigenscbaften auf den ersteren be-
schrankt denken, und im iibrigen Protoplasma nur ein
passives Substrat erblicken, mittelst dessen jene arbeiten.
So wurde der Kern das Wesentliche in der Zelle ; er be-
herrscbte nicht nur, sondern bestimmte aucb vollstandig die
Funktionen. Aber die Versucbe von Nussoaum, Gruber,
Klebs und Anderen baben gelehrt, dass auch kernlose
Tbeilstiicke niederer Organismen gewisse Funktionen aus-
zuiiben im Stande sind. Namentlich solche, mit denen sie
vor ihrer Abtrennung bereits beschaftigt waren, scbeinen
sie nacbber fortsetzen zu konnen. Der Einfluss des Kernes
braucbt also jedenfalls fur solche Funktionen kein konti-
J) Darwin, Variations II S. 368.
— 195 —
nuirlicher zu sein; hat er einmal stattgefunden, so kann die
Arbeit nachher auch ohne seine Mitwirkung fortdauern.
Offenbar ist die einfachste Erklarung unsere Annahme,
dass Kern und Cytoplasma beide aus denselben Pangenen
aufgebaut sind. Nur dass im Kerne alle Arten von Pan-
genen der betreffenden Spezies liegen , im iibrigen Proto-
plasma in jeder Zelle aber wesentlich nur diejenigen, welche
in ihr in Thatigkeit gelangen sollen. Im Kerne sind die
meisten inaktiv , d. b. sie haben sich nur zu vermehren.
Selbstverstandlich muss es daneben im Kerne auch aktive
Pangene geben, z. B. jene. welche den verwickelten Prozess
der Kerntheilung besorgen ; dieses andert an der Haupt-
sache aber nichts. In den Organen des Protoplasten konnen
die Pangene ihre Yermehrung fortsetzen , und allem An-
scheine nach fangen sie hier wohl stets mit einer verhalt-
nissmassig starken Vermehrung an. Dabei konnen sie hier
kiirzere oder langere Zeit inaktiv bleiben . oder auch ab-
wechselnd aktiv und inaktiv sein. Manche werden gleich
nach ihrer Ankunft. andere spater, einige unabhangig von
ausseren Umstanden , wieder andere erst in Reaktion auf
bestimmte Reize die ihr eigene Thatigkeit anfangen.
Die ausserst merkwiirdigen Vorgange, welche sich bei
der Kerntheilung im Innern der Kerne abspielen, sind mit
der Annahme der Pangene in vollem Einklang. Die meisten
Forscher betrachten den chromatischen Faden als den
morphologischen Ort, wo die erblichen Anlagen aufbewahrt
werden. Dieser Faden wiirde somit aus den zu kleineren
und grosseren Gruppen vereinten Pangenen bestehen, und
er zeigt. bei grosster Dicke , deutlich einen Bau aus be-
sonderen. aneinander gereihten Theilen. Wir konnen uns
ganz an die Meinung von Roux anschliessen, wo er in der
Langsspaltung der Kernschleifen den sichtbaren Theil der
13*
— 196 —
Tremmng cler miitterlichen Anlagen in zwei fur die beiclen
Tochterzellen bestimmte Halften erblickt 1). Diese Auf-
fassung ist in vollster Uebereinstimmung mit der Pangenesis.
§ 4. Ueber den Transport der Pangene.
Unsere Hypothese , class das ganze Protoplasrna aus
Pangenen bestehe, leitete uns zu der Folgerung, class alle
Arten von Pangenen im Kern vertreten sind. Hier sind
die meisten unter ihnen inaktiv, wahrend sie spater im
iibrigen Protoplasrna aktiv werden konnen. Daraus folgte,
class von Zeit zu Zeit aus dem Kerne Pangene nach den
iibrigen Organen des Protoplasten transportirt werden
miissen.
Es ist mir vollig klar, class diese Folgerung bei den
meisten Lesern die Hauptscbwierigkeit gegen meine Ansicht
bilden wird. Die Pangene sind unsichtbar, ihr Transport
entzieht sich also cler Beobachtung. Die im vorigen Ab-
schnitt besprocbenen Versucbe von Nusslmum , Grruber
unci TClebs beweisen zwar, dass, wenn die Gelegenbeit zum
Transporte abgesclmitten ist, die Funktionen cles Proto-
plasten in liobeni Maasse beschrankt werden, aber es sind
bier ja vielleicbt nocb so viele andere Wirkungen im Spiele.
Icb mochte desbalb hier hervorheben, class man bei Ver-
werfung meiner Hypothese nicht zu einer befriedigenden
Ansicht iiber die Beziehung zwischen Zellkern und Cyto-
plasma gelangt.
Vervvirft man meine Hypothese, und folgt man also
der berrschenden Vorstellung iiber den Gegensatz zwischen
Kern und Cytoplasma , so kann man sich die Wir-
J) Roux, Ueber die Bedeutung- der Kerntheilungsfiguren. Leip-
zig 1888.
— 197 —
kung des Kernes entweder dynamisch oder enzymatisch
denken.
Strasburger vertritt die erstere Ansicht. Die Wechsel-
wirkung zwisclien dem Zellkern und dem Cytoplasma ist,
nach ihm, eine dynamische , d. h. sie findet ohne Stoff-
wanderung statt x). Denn eine Abgabe siclitbarer Theilclien
hat dieser Eorscher bei seinen ausgedelmten Studien nie
beobachten konnen. „Vom Zellkern aus pflanzen sick auf
das umgebende Cytoplasma moleknlare Erregungen fort,
welche einerseits die Vorgange des Stoffwechsels in der
Zelle beherrschen, andererseits dem durch die Ernahrung
bedingten Wachsthum des Cytoplasma einen bestimmten
der Spezies eigenen Cbarakter geben." So lange es sich
nur um eine allgemeine Einsicht bandelt, reicht diese An-
nahme wohl aus, sobald man aber seine Aufmerksamkeit
auf einzelne Prozesse lenkt, stosst man auf uniiberwindliche
Schwierigkeiten. Die morpliologischen Vorgange sind aller-
dings noch bei weitem niclit hinreicliend analysirt, um ein
tiefes Eindringen zu gestatten, dafiir kann man sich aber
an die viel einfacheren chemischen Prozesse wenden.
Wahlen wir ein Beispiel. Es ist eine erbliche Eigen-
schaft von weitaus den meisten Pflanzen, Aepfelsaure be-
hufs der Erhaltung ihres Turgors zu bilden und in ihrem
Zellsaft, meist in Verbindung mit anorganischen Basen,
anzuhaufen. Die Abscheidung dieser Saure im Innern der
Zelle konnen wir uns nicht anders als an bestimmte Theil-
clien gebunden denken, denen dieses Vermogen kraft ihrer
molekularen Konstitution zukommt, und welche wohl am
nachsten mit Enzymen verglichen werden konnen.
x) E. Strasburger, Neue Untersuchungen uber den Befruchtungs-
vorgang bei den Phanerogamen 1884 S. 111. Vergl. auch A. Weis-
mann, Die Kontinuitat des Keimplasmas als Grrundlage einer Theorie
der Vererbung 1885 S. 28.
— 198 —
Es hat nun keine Schwierigkeit anzunehmen, dass diese
Theilchen nur dann in Thatigkeit gerathen, wenn sie da-
zu durch molekulare Erregungen vom Zellkern aus ver-
anlasst werden, und icli zweifle nicht, dass solche Korre-
lationen haufig vorkommen. Aber die Scbwierigkeit liegt
in der Frage, wober bekommt das Cytoplasma diese Theil-
cben. Denn offenbar kann die Fahigkeit, Aepfelsaure zu
bilden, nicht jedem beliebigen Substrate durch jene Er-
regungen mitgetbeilt werden. Solche Erregungen konnen
nur auslosen, und ausgelost kann nur das werden, was
potentiell bereits vorhanden war. AVoher stammen also
die Aepfelsaurebildner des Cytoplasma?
Diese Frage wird von der dynamischen Theorie nicht
beantwortet. Aber die Bastarde lehren uns, wie bereits
friiher betont wurde , dass ahnliche Eigenschaften vom
Vater geerbt, und also im latenten Zustand im Sperma-
kerne iibergefiihrt werden konnen. Die Aepfelsaurebildner
miissen also auch selbst aus den Kernen stammen. Sie
sincl nur die aktiven Zustande der im Kerne inaktiven
Aepfelsaurepangene. Und dasselbe muss offenbar in gleicher
Weise von den ubrigen erblichen Anlagen gelten.
Wir gelangen also auch auf diesem Wege zu der be-
reits friiher gemachten Annahme, dass die Pangene des
Cytoplasma aus den Kernen stammen.
Auf die Moglichkeit einer enzymatischen Wirkung des
Zellkernes auf das Cytoplasma hat Haberlandt hingewiesen.
Die Bedeutung der eigenthlimlichen, von diesem Forscher
beobachteten Lagen des Zellkernes in der Nahe des Ortes
kraftigster Thatigkeit in der Zelle bleibt nach ihrn die-
selbe, „wenn jene Wirkung keine dynamische, sondern eine
stoffliche sein sollte, wenn also eine Diffusion bestimmter
chemischer Verbindungen, die der Zellkern ausschiede, durch
— 199 —
das Plasma zur Wachsthumsstatte hin stattfinden wiirde:
die Wirksamkeit dieser Stoffe ware zweifellos vom Kon-
zentrationsgrade ihrer Losung abhangig, so zwar, dass
erst bei einer bestimmten Konzentration das Cytoplasma
darauf reagiren wiirde" 1).
Aber um auf die vom Kerne ausgeschiedenen Stoffe
in bestimmter Weise reagiren zu konnen , muss das Cyto-
plasma bereits die entsprechenden Eigenschaften besitzen.
Auf eine Ausscheidung von Diastase reagirt die Starke,
aber nicht jedes beliebige Substrat. Aucb die Annalime
enzymatiscber Wirkungen fordert das Vorbandensein erb-
licher, vom Kerne bezogener Eigenscbaften im Cytoplasma.
Mag also die Annahme einer Abgabe von Pangenen
seitens des Kernes an das Cytoplasma auf den ersten Blick
aucb nocb so fremdartig scbeinen, dennocb gelangt man
auf den verscbiedensten Wegen zu der Erkennung ihrer
Berecbtigung.
Eine wicbtige Frage ist die nach dem Zeitpunkte. in
welcbem dieser Transport hauptsachlich stattfindet. Eine
vergleichende Betracbtung der verschiedenen Formen der
Variability wird hoffentlich einmal das erforderlicbe Ma-
terial zur Beantwortung geben, einstweilen aber diirfen wir
es als wahrscbeinlich betracbten, dass sowobl kurze Zeit
nacb der Befruchtung, als aucb wiihrend oder nach
jeder Zelltheilung ein soldier Transport stattfindet. Fur
das erstere sprecben die Bastarde und jene Variationen,
welche die sammtlicben Glieder einer Pflanze in gleicher
"Weise affiziren. Fiir das andere die friiher besprochenen
Erscbeinungen der Dichogenie, wo wabrend der friibesten
Jugend eines Organes dessen spatere Natur durch iiussere
J) G. Haberlandt, Ueber die Beziehungen zwischen Funktion
und Lage des Zellkernes 1887 S. 14 Note.
— 200 —
Einfiiisse bestimmt werden kann. Wenn zum Beispiel die
Endknospe eines Rhizoms vorzeitig zum aufrechtwachsenden
Spross, oder die Anlage eines Niederblattes zum normalen
Blatte wirdj so diirfen wir annehmen , dass andere Pan-
gene vom Kerne abgegeben werden, als ohne den kiinst-
lichen Eingriff der Fall gewesen ware. Somit muss in
jenem Jugendstadium die normale Abgabe noch nicht ab-
gescblossen sein. "Wenn erwaclisene Zellen zur Bildung
von Callus oder Wundkork, oder wie bei Begonia zur
Neubildung von ganzen Pflanzchen gereizt werden, werden
audi wohl die dabei in Thatigkeit gerathenden Pangene
erst aus ihrer Ruhestiitte hervorgeholt werden miissen.
Der Transport der Pangene und ihre Beforderung an
die richtigen Stellen fordert ganz besondere Einriclitungen,
deren Existenz wohl mancher Leser es nicht wagen mag
zu vermuthen. Aber wer hatte es vor einem Jahrzelmt
gewagt, den merkwiirdig komplizirten Bau des Zellkernes
zu vermuthen? Wir miissen in unseren Hypothesen mog-
lichst sparsam sein , diirfen uns andererseits aber nicht
vor der Wahrnehmung verschliessen , dass die Forschung
im Bau der Protoplaste, seit Mohl's Zeiten, stets weitere
Differenzirungen hat erkennen lassen , und dass wir wohl
bei weitem niclit am Ende angelangt sein konnen.
Eine Einrichtung zum Zwecke dieses Transportes bilden
meiner Ansicht nach die Stromungen im Protoplasma.
Jedermann weiss, wie diese in jugendlichen Zellen haupt-
sachlich in vom Kerne ausstrahlenden Bahnen stattfinden,
und neuere Forschungen haben gelehrt, wie sie die Stellen
vorwiegender Thatigkeit gar oft direkt mit dem Kerne ver-
binden.
Vor wenigen Jahren war die Ueberzeugung, dass diese
Stromchen eine ganz allgemeine Eigenthumlichkeit pfianz-
— 201 —
licher Zellen bilden, noch bei weitem nicht die lierrschende.
Man dachte sich die Erscheinung auf eine Reihe von Bei-
spielen beschrankt. Ilanstein hatte bereits darauf hin-
gewiesen , wie wenig diese Ansicbt berecbtigt war 2), und
Telten liatte die Existenz vom Stromcben in alien von ihm
darauf gepriiften Pfianzen nacbgewiesen 2). In der Botan.
Zeitung 1885 babe icb den Nachweis geliefert, dass mecha-
niscbe Einricbtungen zum Transport der assimilirten Niihr-
stoffe in den Pfianzen nicht ausreicben , und dass dieser
unter den bis jetzt bekannten Prozessen nur von den
Stromungen des Protoplasma besorgt werden kann :3). Bei
dieser Gelegenbeit habe icb die Angabe von Telten aus-
fiibrlicb gepriift und das ganz allgemeine Vorkommen von
Stromcben in kraftig lebenden Zellen bestatigt gefunden4).
Die mecbanische Moglicbkeit eines Transportes von
Pangenen ist also fiir alle pflanzlicben Zellen hinreicbend
sichergestellt. jSTur Eine Scbwierigkeit war nocb zu be-
seitigen. Nacb dem Vorgange Hofmeisters wurde allge-
mein angenommen, dass die Stromungen in den Zellen erst
am Ende der meristematiscben Periode anfangen, und dass
das Kornerplasma bis dabin sich in Rube befindet. Und
nun ist gerade die meristematische Periode jene, in welcber
die Zellen nicht nur entstehen, sondern in der audi ibr
sptiterer Cbarakter zum grossten Theile bestimmt wird.
Gerade in diese Zeit miissen wir also den wicbtigsten Theil
des Transportes der Pangene verlegen.
Aber Hofmeister's Aussprucb berubte auf ungeniigen-
') Hanstein, Das Protoplasma 1880 S. 155.
2) Velten, Botan. Zeitung 1872 S. 645.
3) Bot. Zeitung 1885 S. 1.
4) Over het algemeen voorkomen van circulatie en rotatie in de
weepelcellen der planten, Maandbl. v. Natuurw. 1884 Nr. 6. Vergl.
ibid. 1886 Nr. 4 und Bot. Zeitung 1885 S. 17.
— 202 —
den Beobachtungen. Eine von Went nach den neueren
Methoden vorgenommene Nachpriifung flihrte zu ganz
anderem Resultat 1). Allerdings sind die Bewegungen lang-
sam, und bei einmaliger Besichtigung des Objekts nicht
zu sehen. Setzt man aber die Wahrnehmung an demselben
Objekt unter giinstigen Lebensbedingungen stundenlang
fort, so beobachtet man iiberall Yerscbiebungen , welcbe
das Vorhandensein langsamer Stromungen ausser Zweifel
setzen.
Der Annabme , dass der Transport der Pangene in
Pflanzenzellen durcb die Stromungen des Kornerplasma
stattfindet, stebt somit von dieser Seite keine Schwierigkeit
im "Wege. Auf tbierpbysiologiscbem Gebiete allerdings
reiclit unsere Kenntniss von den Stromungen des Proto-
plasma in dieser Hinsicbt bei weitem noch nicht aus.
Doch sind die Schwierigkeiten der Untersuchung hier wohl
bedeutend grosser als im Pnanzenreich.
§ 5. Vergleichung mit Darwin's Transporthypothese.
Mancber Leser wird vielleicht eine grosse Ueberein-
stimmung erblicken zwiscben der im vorigen Paragrapben
gemacbten Annabme eines Transportes von Pangenen aus
dem Kerne nach den iibrigen Organen der Protoplaste
einerseits und Darwin's Hypothese des Keimchentrans-
portes andererseits. Diese Uebereinstimmung ist aber nur
eine scheinbare, keine wesentliche. Im Grunde sind beide
Hypothesen durchaus verschieden.
Darwin nahm einen Transport seiner Keimchen durch
den ganzen Korper an; meine Ansicht fordert nur eine
Bewegung im engen Bezirke einer einzelnen Zelle. Aber
x) F. Went, Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XIX S. 329.
— 203 —
nicht dieses ist der Hauptimterschied. In der Keimchen-
lehre konnen die von einer Zelle oder eineni Gliede ab-
getrennten Theilchen sich wieder in neue Zellen. namentlich
in die Keimzellen begeben. und diese somit mit neuen erb-
lichen Anlagen bescbenken. Letztere konnen dann nicht
etwa nur in der betreffenden Keimzelle znr Entfaltung ge-
langen, sondern audi auf alle ihre Nachkommen iibertragen
werden. Dazu miissen sie aber, nach der jetzigen Lage
der Zellenanatomie und der Befruchtungslehre. in die Kerne
aufcenommen werden. Eine solche Annabme macht nun
die Hypotbese der intracellularen Pangenesis offenbar nicbt.
die einmal vom Kerne ausgegangenen Pangene brauchen
nicbt wieder in diesen aufgenommen werden zu konnen.
weder in den Kern der selben, noch in denjenigen irgend
einer anderen Zelle.
Allerdings kann man auf Grund unserer jetzigen ana-
tomiscben Kenntnisse die Moglicbkeit eines Ueberganges
von Pangenen von einer Zelle zur anderen nicht leugnen.
Die Untersucbungen von Tailgl, Kussow und vielen anderen
Forschern iiber die direkten Verbindungen der Protoplaste
benachbarter Zellen durch die feinen Porenkanale der
Tlipfel weisen sogar den AVeg, auf welcbem ein soldier
Uebergang eventuell stattfinden konnte. In den Milchsaft-
gefassen sind die Stromungen desProtoplasnia ohne Zweifel
nicbt auf die einzelnen konstituirenden Zellen bescbrankt,
sondern der Strom geht ohne Rucksicht auf die fruheren
Zellengrenzen weiter. So, namentlich die Massenbewegung
nach Verletzungen, aber wohl audi die eigenen Bewegungen
des Kornerplasma im normalen Zustande. Nehmen wir an,
dass das ganze lebendige Protoplasma aus Pangenen besteht,
so ist bier deren Uebergang von einer Zelle zur anderen
nicht zu leugnen. Aber fiir die Erblichkeitslehre hat diese
— 204 —
Erscheinung offenbar keine Bedeutung. Aelmliclie Betrach-
timgen liessen sich fiir anclere Falle von Zellfusionen oder
Symplasten anstellen.
Aeusserst merkwiirdig ist auch die von Kolderup-
Roseimnge entdeckte Entstehungsweise der sekundaren
Tlipfel der Florideen 1). Die Bindenzellen , z. B. von
Polysiphonia, theilen sich dabei mit vorangehender Kern-
theilung in tiblicher Weise. Aber der eine Theil umfasst
nahezu den ganzen Protoplasten, der andere nur eine kleine
Ecke an dessen Grande. Die zwischen beiden Hiilften
entsteliende Wand bildet einen primaren Tiipfel. Darauf
wird die "Wand zwischen der abgetrennten Ecke und der
unterliegenden Zelle aufgelost , und die beiden jetzt in
Beruhrung gelangenden Protoplaste verschmelzen. Die
alte tiipfellose Querwand wird sornit durch eine neue tiipfel-
haltige ersetzt. Aber was fiir unsere Zwecke so merk-
wiirdig ist, ist der Umstand, dass die unterliegende Zelle
jetzt einen Kern aus ihrer oberen Nachbarin erhalten hat.
Sie ist zweikernig, und wird spater durch Kerntheilungen
vielkernig. Fiir alle Diejenigen, welche den Kern als
Trager der erblichen Anlagen betrachten, findet hier eine
Uebertragung der letzeren von einer Zelle zur anderen
statt. Aber offenbar wieder ohne Bedeutung fiir die Erb-
lichkeitslehre.
Die Moglichkeit eines Ueberganges von stofflichen
Tragern erblicher Anlagen von einer Zelle zur anderen
lasst sich also nicht leugnen. Weitere Untersuchungen werden
ohne Zweifel noch andere, in derselben Richtung verwert-
bare Thatsachen zu Tage fordern. Und dass sich in den
J) L. Kolderup-Rosenvinge, Sur la formation des pores secon-
dares chez les Polysiphonia. Botanisk Tidsskrift 17. Bind, 1. Haefte
1888.
— 205 —
Pflanzen auf ahnlichen Wegen hier unci dort Vorgange ab-
spielen , welche mit der Erblichkeit in direkter Beziehung
stehen, lasst sicli natiirlich a priori nicht verneinen.
Eine ganz andere Frage ist aber die, ob ein soldier
Uebergang allgemein vorkommt und bei der Uebertragung
erblicher Anlagen uberall im Pflanzen- und Thierreich eine
wichtige Rolle spielt.
Diese Frage zu beantworten, dazu reichen anato-
mische Thatsachen nicht bin. Aus ihnen lasst sicli nur
die Moglichkeit der Uebertragung ableiten, oder richtiger
der Schluss, dass unsere jetzigen Kenntnisse uns noch keine
Griinde aufweisen, welche jenen Transport unnioglich
machen sollten. Doch konnen solche ja vielleicht spater
noch entdeckt werden. Aus der Moglichkeit auf das that-
sachliche Stattfinden eines allgemeinen intercellularenTrans-
portes von Tragern erblicher Anlagen zu schliessen, wird
aber wohl Niemand fiir erlaubt achten.
Die Beantwortung der aufgeworfenen Frage muss also
auf ganz anderem Gebiete versucht werden. Die Lehre von
der Erblichkeit muss uns sagen, ob es Thatsachen giebt,
zu deren Erklarung die Annahme eines intercellularen
Transportes unerlasslich ist.
Meiner Ansicht nach ist nun solches nicht der Fall,
wie ich bereits in der Einleitung hervorgehoben babe. Ich
babe dort auf Weisiuaiin's Schriften verwiesen, welche den
ausfuhrlichen Nachweis entbalten, dass alle Beobachtungen,
welche eine solche Annahme bis jetzt zu fordern schienen,
in Wirklichkeit ebenso gut und meist besser ohne sie er-
klart werden konnen.
Es ist namentlich die angebliche Erblichkeit der so-
genannten erworbenen Eigenschaften, welche hier zu er-
wahnen ist. Bereits an anderer Stelle habe ich darauf
— 206 —
aufmerksam gemacht, class es sicli hier in vielen Fallen nur
urn Missverstandnisse handelt 1). Beschrankt man die Be-
deutung jenes Ausdruckes auf die Variationen, welche auf
somatischen Bahnen entstanden sind , und fragt man, ob
diese auf die Keimbahnen des Organismus iibertragen werden
konnen, so hat die Frage einen klaren Sinn. Dann aber
kann man sie mit Weismaiiii ruhig mit nein beantworten.
Neimt man aber aucli solclie Eigenschaften erworben, welche
auf den Keimbahnen entstanden sein konnen, so hat die
Frage fur das uns hier beschaftigende Problem keine Be-
deutung mehr 2).
Auf botanischem Gebiete werden die Propfhybride
und die Xenien als Argumente fur erne intercellulare
Uebertragung erblicher Anlagen angefiihrt. Beide Gruppen
von Erscheinungen bediirfen aber sehr einer kritischen
Priifungj bevor man sie zuverliissig in dieser Richtung ver-
wenden kann. Die Uebertragung der erblichen Eigenschaften
des Edelreisses auf seine Unterlage 3) ist, nach meiner An-
sicht, in keinem Falle wissenschaftlich bewiesen worden,
und wird dieses auch nicht werden, bis nicht neue Versuche
angestellt sind, in denen die eigenen Variationen der Unter-
lage griindlich studirt und genau bekannt sind. Denn so
lange ist die Vermuthung nicht ausgeschlossen, dass diese
J) Over steriele Mais-planten. Jaarboek v. h. Vlaamsch kruidk.
Genootschap, Bd. I. Gent, 1889.
2) Der Begrifi der Keimbahnen und somatischen Bahnen in dem
im ersten Abschnitt dieses zweiten Theiles entwickelten Sinne diirfte
grade hier zur Klarung des gegenseitigen Verstandnisses sehr zu em-
pfehlen sein. So z. B. in Bezug auf Eimer's Erorterungen in dessen
Werk : Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben erworbener
Eigenschaften, Theil I, 1888.
3) Vergl. die kritische Zusammenstellung des einschlagigen Be-
obachtungsmateriales von H. Lindemuth, Vegetative Bastarderzeugung
durch Impfung. Landw. Jahrb. 1878 Heft 6.
— 207 —
eigene Variability der Unterlage den wichtigsten Faktor in
den beobachteten Ersclieinungen abgiebt.
Die Falle, wo der Bliithenstaub ausserlialb der be-
frucliteten Eizelle und des aus ihr hervorgehenden Embryos
auf die Gewebe der miitterlicben Frucbt erbliche Eigen-
scbaften iibertragen haben soil, sind von Foeke unter dem
Namen von Xenien ausfiihrlich zusammengestellt worden 1).
Seine Uebersicbt zeigt aber klar , class man es bier mit
Ausnahmefiillen zu tbun hat, welcbe wobl nie grlindlich
untersucht und hinreichend kontrolirt worden sind. Ohne
eine auf kritiscber Nachprufung beruhende Kontrole darf
man aber diesen Angaben meiner Ansicbt nacb nicht jene
weittragende Bedeutung beilegen, welche sie zu Stiitzen
far eine Annahme einer thatslichlichen intercellularen
Uebertragung von erblicben Eigenschaften macben wiirde.
Die bis jetzt bekannten Thatsachen der Erblichkeit
erfordern somit, meiner Auffassung nacb, die Annahme
eines intercellularen Transportes von Pangenen nicht. Die
einmal vom Kerne ausgegangenen Pangene brauchen nicht
wieder in diesen, nocli audi in irgend einen anderen Kern
eindringen zu koimen. Der Stammbaum der Pangene liegt
in den Kernen, seine protoplasmatischen Seitenzweige endigen
alle, wenn audi oft nach zahlreichen Zelltheilungen, blind.
Das Austreten der Pangene aus den Kernen ergiebt
sich aus meiner Ansicbt, in Verbindung mit unseren jetzigen
Kenntnissen liber die physiologische Bedeutung der Kerne,
als eine nothwendige Folgerung. Ein Eindringen der aus-
gewanderten Pangene oder ihrer Nachkommen in andere
Kerne brauche ich nicht anzunehmen. Und diese Hypo-
these ware unerlasslich , wenn man Darwin's Keimchen-
') Focke, Die Pflanzenmischlinge 1881, S. 510-518.
— 208 —
transport mit den Ergebnissen der neueren Zellenforschung
in Verbindnng bringen wollte. Man wiirde in diesem Falle
somit zu einer neuen Hiilfsbypotbese greifen miissen, um
Tbatsachen zu erklaren , welcbe nach den obigen Erorte-
rungen eine solcbe Erklarung gar nicht fordern.
Fassen wir den Unterscbied der beiden Transportbypo-
tbesen zusammen. Die Pangene der intracellularen Pange-
nesis braucben, einmal aus den Kernen ausgetreten, nie
wieder in Kerne zuriickkebren zu konnen. Fiir die Keimcben
der Darwin'scben Transportbypotbese ist dieses Verrnogen
aber die wesentlicbste Bedingung, denn obne dieses konnen
die erblicben Anlagen, deren Trager sie sind, sicb in den
Nacbkonimen der betreffenden Keimzellen nie zu sicbtbaren
Eigenscbaften entwickeln.
§ 6. TJeber die Vermehrung der Pangene.
Aus der Hypotbese, dass die ganze lebendige Substanz
einer Zelle aus Pangenen aufgebaut sei, ergiebt sicb von
selbst, dass in jedeni Protoplasten von jeder Art Pangene
deren zablreicbe vorbanden sein miissen. Aucb bat die
relative Anzabl, in der sicb die Trager der einzelnen erb-
licben Anlagen befinden, eine sebr grosse Bedeutung. Im
Cytoplasma entscbeidet diese iiber die Funktion der ein-
zelnen Organe, im Kerne iiber die Kraft der Vererbung.
Wenn eine neue Eigenscbaft im Kerne erst durcb wenige
(unter sicb gleicbartige) Pangene vertreten ist , so ist die
Aussicbt auf das Sicbtbarwerden dieser Eigenscbaft offenbar
gering. Je grosser aber die Anzabl jener Pangene im Ver-
baltniss zu den iibrigen wird, desto mebr wird die Eigen-
scbaft bervortreten. Icb babe aus Samen eines tordirten
Exemplares von Dipsacus sylvestris iiber 1600 Pflanzen
2(19
gezogen, von denen nur zwei wiederum die Zwangsdrehung
des Stammes zeigten. Die diese Drehung bedingenden
Pangene mussten somit relativ so wenig zahlreich sein,
dass ihre Aussicht aktiv zu werden hochstens etwa Ein pro
mille betrug. In anderen jungen Varietaten verhalt sich
dieses giinstiger, und bei richtiger Auswahl nimnit jene
Anssicht bekanntlich im Laufe von einigen Generationen
ganz bedeutend zu. Die einfachste Erklarung ist offenbar
die. dass durcli Ziichtung derjenigen Exemplare in denen
die Eigenschaft durch die meist'en (unter sicli gleichartigen)
Pangene vertreten ist, die relative Anzahl dieser all-
mahlig grosser werden wird.
Schon wiederholt habe ich betont. dass nach meiner Hypo-
these die Pangene sich sowohl im Kerne als auch im Cyto-
plasma vermehren miissen. Diese Vermehrung ist gleicher
Ordnung, wie die Vermehrung der Zellen und der Orga-
nismen selbst. Wenn ein grosser Baum alljahrlich Tau-
sende von Samen triigt. so miissen sich die Pangene der
Eizelle. aus weleher der Baum entstanden ist, in unglaub-
licher Menge vennehrt liaben. Und dasselbe lehrt uns die
enorme Zahl der Eier, welche ein einzelner Bandwurm
hervorbringen kann. Solchen Erscheinungen gegeniiber ist
die Vermehrung der Pangene im Cytoplasma einer einzelnen
Zelle nur geringt'iigig.
Die Abgabe der Pangene seitens des Kernes muss
selbstverstandlich stets derart geschehen. dass alle Arten
von Pangenen im Kerne vertreten bleiben. Stets darf
nur eine verhaltnissmassig kleine Zahl von gleichartigen
Pangenen den Kern verlassen. Die Theilung der Zell-
kerne muss dagegen so stattfinden, dass alle Arten von
Pangenen gleichmassig iiber die beiden Tochterzellen ver-
d e Vries, Intracellulare Pangenesis. 14
— 210 —
theilt werclen. Nur bei gewissen somatarclien Zellthei-
lungen J) wird von dieser Gleichmassigkeit abgewichen.
Die beiden Arten der Variabilitat, welche Darwin
auf Grund der Pangenesis unterscheidet, sind selbstverstand-
lich audi aus der hier gegebenen Vorstellung abzuleiten 2).
Die fiuktuirende Variabilitat beruht einfach auf dem wech-
selnden numerischen Verhaltniss der einzelnen Arten von
Pangenen, welches Verhaltniss ja durch deren Vermehrung
und unter dem Einflusse der ausseren Umstande, am
rascbesten aber durch Zuchtwahl, verandert werden kann.
Die „artenbildende" Variabilitat, dieser Prozess, durch
welchen die Differenzirung der Lebewesen in ihren grossen
Ziigen zustande gekommen ist, muss aber im Wesentlichen
darauf zuriickgefuhrt werden , dass die Pangene bei ihrer
Theilung zwar in der Regel zwei dem ursprunglichen
gleiche neue Pangene hervorbringen, dass aber ausnahms-
weise diese neuen Pangene ungleich ausfallen konnen. Beide
Formen werden sich dann vermehren, und die neue wird
danach streben , einen Einfluss auf die sichtbaren Eigen-
schaften des Organismus auszuiiben.
Hiermit ist im Einklang, dass wir uns die hoheren
Organismen als aus einer grosseren Zahl von unter sich
ungleichartigen Pangenen zusammengesetzt denken miissen
als die niederen.
>) Vergl. S. 100 und 105.
2) Vergl. S. 73.
— 211 —
Zweites Kapitel.
Z ii Na in in e 11 fassimg.
§ 7. Zusammenfassung der Hypothese der intracellulareii
Paugenesis.
Pangenesis nenne ich, abgetrennt von der Hypothese
des Keimchentransportes durch den ganzen Korper, die
Ansicht Darwin's, dass die einzelnen erblichen Anlagen
in der lebenden Substanz der Zellen an einzelne stoffliche
Trager gebunden sind. Diese Trager nenne ich Pangene;
jede erbliche Eigenschaft, sie mag bei noch so zahlreichen
Spezies zuriickgefunden werden, hat ilire besondere Art von
Pangenen. In jedem Organismus sind viele solche Arten
von Pangenen zusammengelngert . und zwar um so zahl-
reichere, je holier die Differenzirung gestiegen ist.
Intracellulare Pangenesis nenne ich die Hypothese, dass
das ganze lebendige Protoplasma aus Pangenen aufgebaut
ist. Im Kerne sind alle Arten von Pangenen des betref-
fenden Individuums vertreten ; das iibrige Protoplasma
enthalt in jeder Zelle im Wesentlichen nur die, welche in
ihr zur Thatigkeit gelangen sollen. Diese Hypothese fiihrt
zu den nachstehenden Folgerungen. Mit Ausnahme derjenigen
Sorten von Pangenen, welche bereits im Kerne thatig
werden , wie z. B. die die Kerntheilung beherrschenden,
miissen alle andere aus dem Kerne austreten, um aktiv
werden zu konnen. Die meisten Pangene einer jeden
Sorte bleiben aber in den Kernen, sie vermehren sich bier
theils zum Zwecke der Kerntheilung, theils behufs jener
Abgabe an das Protoplasma. Diese Abgabe betrifft jedes-
mal nur die Arten von Pangenen, welche in Funktion
treten miissen. Diese konnen dabei von den Stromchen
des Protoplasma transportirt und in die betreffenden Or-
— 212 —
gane des Protoplasten gefiilirt werden. Hier vereinigen
sie sich mit den bereits vorhandenen Pangenen, vermehren
sicb und fangen ihre Thatigkeit an. Das ganze Proto-
plasma besteht aus solchen zu verschiedenen Zeiten aus
dem Kerne bezogenen Pangenen und deren Nachkommen.
Eine andere lebendige Grundlage giebt es in ihm nicht.
Die im vorigen Kapitel gegebene Ausfiihrung dieser
Hypothese ist nur eine Schilderung, deren Zweck es war,
den Hauptgedanken verstandlich zu machen. Diesen
letzteren halte ich fur vollig berechtigt, er ist derzeit die
einfachste Form, in welcher die Pangenesis unseren jetzigen
Kenntnissen vom Bau der Zelle Rechnung tragen kann.
In der Ausfiihrung aber bin ich mir wohl bewusst. niclit
iinmer das Richtige getroffen haben zu konnen. Es kam
mir auch nur darauf an zu zeigen , wie leicht die so sehr
verkannte Pangenesis alien diesen nach ihrer Aufstellung
entdeckten Thatsachen Rechnung triigt!
G. Patz'sche Buchdr. (Lippert & Co.), Naumburg a/S.
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