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Full text of "Island in Vergangenheit und Gegenwart"

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Herrmann 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/islandinvergange02herr 


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ISLAND 


IN  VERGANGENHEIT  UND  GEGENWART 


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REISE-ERINNERUNGEN 


VON 


PAUL  HERRMANN 


ZWEITER  TEIL    —    REISEBERICHT 


MIT  56  ABBILDUNGEN  IM  TEXT,  EINEM  FARBIGEN 
TITELBILD  UND  EINER  ÜBERSICHTSKARTE  DER 
REISEROUTE  DES  VERFASSERS    »    »    »    » 


«    «    « 


LEIPZIG 

VERLAG    VON    WILHELM    ENGELMANN 

1907 


Alle   Rechte    vorbehalten 


Druck  der  kgl.  Universitätsdruckerei  von  H.  Stürtz  in  Würzburg. 


Inhalts- Verzeichnis 


Seite 

Neuntes  Kapitel.     Der  Geysir  und  die  Hekla 1—32 

Autliruch  von  Reykjavik.  Zweiter  Besuch  von  PingvelUr. 
Hallshellir ;  „Der  verlorene  Sohn"  von  Hall  Caine.  Laugar- 
vafnshellir.  Die  Bn'tard.  Allgemeine  Schilderung  des  Geysir- 
gebietes und  der  einzelnen  heissen  Quellen.  Der  Geysir  ein 
Symbol  Islands?  Gedicht  von  Hannes  Hafsteinn.  Geschicht- 
liche Zeugnisse  über  den  Geysir,  ein  neuer  Erklärungsversuch. 
Ein  Abstecher  nach  dem  GtiUfoss.  Vom  Geysir  über  die 
Hvitä  und  den  Pfarrhof  Hrtiiii  nach  Störiniipur  zu  Valdimar 
Briem.  Deutsche  Lieder  auf  Island.  Nach  Galtalcekur  am 
Fusse  der  Hekla.  Meine  Besteigung  der  Hekla.  Die  Hekla 
als  Eingang  der  Hölle  ist  ein  Produkt  des  Auslandes.  Ihr  erster 
Ausbruch  wird  mit  Scemundr  dem  Weisen  in  Zusammenhang 
gebracht. 


Zehntes  Kapitel.     Oddi   und  der   Schauplatz   der   Njäls- 

saga 33-68 

Von  Galtalcekur  über  die  Rängä  nach  Oddi.  Oddi  —  Edda, 
Scemundr  der  Weise.  Islands  Bedeutung  für  Deutschland,  Volks- 
sagen in  Oddi.  Störölfslwoll  —  der  Engländer  in  Sicht !  Aus- 
flug nach  Hlidarendi,  Pörsmörk,  Eyjafjallajökull.  Geschichte 
des  Gunnarr  von  Hlidarendi.  Gunnarr  und  Hallgerdr.  Ein 
faeröisches  und  zwei  isländische  Volkslieder  von  Gunnarr.  Gun- 
narr bei  Jonas  Hallgrinisson  und  Bjarni  Thörarensen.  Die 
Gunnarssaga  und  Ibsens  „Nordische  Heerfahrt".  Mein  Besuch 
von  Hlidarendi,  zurück  nach  Störölfslwoll.  Bergpörshvoll 
und  die  Geschichte  von  Njäll  und  seinen  Söhnen.  Skarphedins 
Heldentat.  Von  Bergpörshvoll  nach  Porvaldseyri.  Bekannt- 
schaft mit  dem  „Deutschen  Bauern".  Skögajöss;  der  gefährliche 
Grenzfluss  Fulila'kiir  wird  glücklich  überschritten,  die  Skapta- 
felis  sfjsla  ist  erreicht. 


IV  Inhalts-Verzeichnis. 

Seite 

Elftes  Kapitel.    Reise  durch  die  Vestur  Skaptafells  sysla     69—124 

Geschichte  der  Erforschung  dieser  Sys/a,  allgemeine  geographische 
und  geologische  Bemerkungen  über  sie^  Eisvulkane,  Gletscher- 
ströme, Gletscherstürze.  Stand  der  Bildung  hier,  geschriebene 
Zeitungen.  Treibholz,  Strandrecht.  —  Der  Sölheiniasa)idur, 
Gedicht  von  Grimur  T/lomsen.  Vik.  Erste  Bekanntschaft 
mit  einem  Offizier  des  dänischen  Generalstabs.  Myrdalssandur. 
Hjörkifshöfdi.  Kloster  Pykkvibivr  als  Sitz  der  Gelehrsamkeit, 
hier  vielleicht  die  Njälssaga  entstanden.  Rache  der  Verwandten 
des  Njdll.  Beschwerde  über  den  Engländer.  Unser  Quartier 
Myrar.  Die  Eldgjd,  Ausbruch  des  Laki  im  Jahre  1783.  Ein 
Rencontre  zwischen  England  und  Deutschland  beim  Überschreiten 
der  Skälin.  Kitdafljöt,  Eldvafn,  Mückenplage.  Der  Engländer 
kommt  in  dieser  „Saga"  nicht  mehr  vor.  Zweite  Begegnung 
mit  einem  Offizier  des  dänischen  Generalstabs.  Kirkjubcer, 
geschichtliche  Erinnerungen ,  das  Kloster.  Sysfrai'atn  und 
Sysfrastapi.  Ein  isländischer  Blumenstrauss.  Jon  Thöroddsens 
Gedicht  „Island".  Ein  musikalischer  Abend :  Indridis  Lied 
„Islands  Freiheit  geht  verloren"  und  dessen  Komposition  von 
Bjarni  Porsteinssoii.  Bericht  des  Herrn  Gitdlaicgitr  über 
die  Schiffbrüchigen  des  „Friedrich  Albert".  Wildenbruchs  „Un- 
sterblicher Felix".  Errichtung  von  Schutzhütten  an  der  Süd- 
küste, Konsul  Thomsens  „Hospiz".  Hverßsfljöf  und  Djlipä. 
Nüpstadur.  Angaben  des  Postillons  über  das  isländische  Post- 
wesen. 


Zwölftes  Kapitel.  Reise  durch  die  Austur  Skaptafells  sysla    125—157 

Der  Skeidarärsandiir.  Übergang  über  die  Skeidard  und 
Svinafellsä.  Svinafell.  Beim  dänischen  Generalstab  zu  Gast, 
Schwierigkeiten  der  Kartographierung  der  Südküste.  Svinafell 
und  die  Njälssaga,  Schluss  dieser  Saga.  Vorliebe  der  Isländer 
für  Schnupftabak.  Der  Bezirk  Örcefi,  Volkskundliches.  Sandfell. 
Orcefajöktill.  Fagurhölsmyri,  Armenpflege,  Altersversorgung. 
Ingölfshöfdi.  Breidamerkitrsandur.  Übergang  über  diesen 
Gletscher,  da  die  Jökiilsä  nicht  zu  passieren  ist.  Reynivellir, 
Augenkrankheiten,  Föstur.  Von  Uppsalir  um  das  Horna- 
fjardarfljöt  zu  Dr.  Pördiir  nach  Borgir,  Brief  der  Schiff- 
brüchigen des  „Friedrich  Albert".  Reste  des  deutschen  Handels. 
Über  das  Almannaskard  nach  Stafafell,  ein  Altargemälde  des 
17.  Jahrh.     Lönlieidi,  Abschied  von  der  Skaptafells  sysla. 

Dreizehntes  Kapitel.    Reise  durch  die  Sü<tur  und  Norctur 

Müla  sysla 158—202 

Starmyrardalitr ,  Sidii-Hallr  und  Dankbrand.  Quartier  in 
Hof,  Pidrandi.  Noch  eine  Geschichte  von  Sidu-Hallr.  Alpta- 
fjördur.  Ritt  durch  den  Hamarsfjördur  nach  Djüpivogur 
am  Berufjördiir.  Papey,  die  Iren.  Jährliche  Regenmenge  auf 
Island.      Hamburger    und    Bremer    auf   Papey.      Beschwerhche 


Inhalts-Verzeichnis.  V 

Seite 

Passage  über  das  Beruf jardarskant.  Höskuldsladir  im 
Breiddahir.  Skriädaliir,  Pini^müli,  Saga  von  Hrafnkell. 
Blick  vom  Hallormstada hals  auf  den  Nord-  und  Nordostrand 
des  Vatnajökull.  Das  Lagarfljöt,  mehrere  Sagen  von  Wasser- 
ungeheuern. Der  Birkenwald  bei  Hallormstadir.  Zur  Wald- 
frage in  Island.  Bei  Dr.  Jonas  in  Brekka.  Hengifoss.  Eine 
seltene  Naturerscheinung,  rosabaitgiir.  Die  Geschichte  des 
Hrafiike/l  Freysgodi  und  ihr  Schauplatz.  Über  die  Fljöi- 
dalsheidi  nach  Eyriksstadir.  Gedicht  von  Päll  Olafsson  „Am 
Tage,  da  die  Asche  fiel"  ;  Rentiere  auf  Island.  Jükldsä  ä  Bru. 
Alte  Brücke  über  diesen  Gletscherfluss,  eine  Luftfähre  {dnUtlir). 
Wohlhabenheit  des  Bauern,  allerlei  Spielzeug.  Ausbruch  der 
Dynginfjöll.  Übergang  der  Pferde  über  die  Jöktllsä.  Öurch 
d\&  Jökiddcdsheidin&ch  Mödriidaliir.  Herdubreid.  Diejükidsd 
ä  FJöllitin  entlang  durch  die  Wüste  bis   Grimstadir. 

Vierzehntes  Kapitel.    Reise  durch  die  Norctur  und  Smtur 

{Dingeyjar  sysla 203—245 

Ödädahraun  als  Schauplatz  der  Ächtersagen.  Durch  die  Mij- 
vafnsöni'fi  an  der  Sveinagjä  vorüber  nach  dem  Dettifoss. 
Rast  im  Svinadaliir.  Alter  Herd  in  Svinadalnr.  Hljöda- 
klettar,  Äsbyrgi.  Ziegen  auf  Island.  Vikingavatn.  Eine  alte 
Volkssage  über  Vikingr.  Ankunft  in  Hüsavik:  eine  Sage  über 
die  Entstehung  der  Lavaströme  am  Myvatn.  Ausfuhr  von 
Schwefel;  Erdbeben.  Laxamyri,  Eiderenten,  Lachsfang.  Die 
Laxd  entlang  am  Uxahver  vorüber  nach  Grenjadarstadiir. 
Am  Mückensee!  Mückenplage.  Sage  vom  „Nachtkobold  in  seinem 
Boote".  Die  Insel  Slütiies:  Üppigkeit  der  Vegetation,  Reichtum 
an  Wasservögeln  und  Forellen.  ReykjahUd,  Hlidarfjall, 
Leirhnükur,    Ausbruch    von    1729.     Abstecher    nach  den  Solfa-  ♦ 

taren  und  Schlammvulkanen  (HlidamälHlir).  Um  das  Mijvain 
nach  Skütustadir:  Geschichte  von  Porgeirr  und  Ski'iia.  Hver- 
fjall,  Godafoss,  Ljösavatn.  Durch  die  schalenförmigen  Ver- 
tiefungen des  Ljösavatnsskard  nach  dem  Hä/sskögiir ,  dem 
stattlichsten  Walde  des  Nordlandes.  Von  der  Vadlaheidi  hinab 
nach  dem  Eyjafjördlir.  Ankunft  in  Akureyri.  Gedicht  von 
Jonas  Hallgrimsson  „An  Paul  Gaimard". 

Fünfzehntes  Kapitel.     Akureyri 246-269 

Lage  von  Akureyri,  die  berühmten  Vogelbeerbäume ,  Theater, 
Oddeyri,  Versuchsstation  für  Waldanpflanzungen,  Versuchsgärt- 
nerei, Kirche,  Kirchhof  Matthias  Jochumsson.  Aus  der 
Geschichte  von  Akureyri.  Mödruvellir ,  Skrida ,  Grund. 
Viga-Glümssaga.  Munkapverä,  Hrafnagil.  Die  letzten 
Tage  in  Akureyri. 

Sechzehntes  Kapitel.     Heimreise.     Rückblick  und  Aus- 
blick       270—290 

Zu  Schiff  nach  Siglufjördur.  Leben  an  Bord  eines  Hering- 
dampfers.    Die   „Notboote"    der  Norweger.     Von  Siglufjördur 


VI  Inhalts-Verzeichnis. 

Seite 

nach  Haugesund  (der  Haraldshaug) ,  Bergen ,  Deutschland.  — 
Island  in  Vergangenheit,  Gegenwart  und  Zukunft.  Schlussgedicht 
von  Hannes  Hafsteinn  „Island". 

Verzeichnis  der  Abbildungen 291—294 

Verzeichnis  der  Proben  aus  der  isländischen  Lite- 
ratur     295—297 

Namenverzeichnis 298—308 

Sachregister 309—316 

Übersichtskarte:   Herrmanns  Reiseroute  in  Island 
am  Schlüsse  des  Buches. 


Bemerkte  störende  Druckfehler: 

Seite  62,  Zeile   13  lies:   glatt  wie  Eis  ist  statt  die  glatt  wie  Eis  ist. 
Seite    12,  Zeile   11   von  unten  lies:  ich  gehe  .   .   .   ein  statt  gebe. 
Seite   79,  Zeile  8  von   oben  lies  vägrek  statt  vrägrek. 
Seite   110,  Zeile   2   von   unten  lies  ersten  statt  zweiten. 
Seite  248,   Zeile  3  von  oben  lies  Insel  statt  Inseln. 


Zweiter  Teil. 
Reisebericht. 


Neuntes   Kapitel. 

Der  Geysir  und  die  Hekla. 

27.  Juni   1904. 

Wehmütig  nahm  ich  von  meinem  bequemen  Hotelbett  Abschied. 
Heute  soll  die  grosse  Durchquerung  Islands  von  Westen  nach  Osten 
die  Südküste  entlang,  dann  nach  Norden  hinauf  bis  Akureyri  ho.- 
ginnen.  Ögmundur  war  pünktlich  zur  Stelle.  Noch  einmal  wurden 
die  Koffer  nachgesehen,  einige  Ergänzungen  eingekauft  und  die 
letzten  Grüsse  nach  Hause  geschrieben.  Altem  Brauche  gemäss 
Hessen  wir  uns  mit  unserer  ganzen  Karawane  von  Sigfüs  Eymunds- 
son  photographieren  (Fig.  61),  verabschiedeten  uns  von  Herrn  und 
Frau  Jörgensen,  unter  deren  liebevollen  Pflege  wir  uns  allzeit 
wohl  gefühlt  hatten,  und  verliessen  V2  1 1  Uhr  das  gastliche  Haus 
und  die  herrlich  gelegene  Hauptstadt.  Ein  letzter  Blick  galt  der 
Lateinschule,  wo  ich  bei  Rektor  Olsen  so  manche  unvergessliche 
Stunde  verplaudert  hatte,  und  wo  jetzt  die  Kollegen  und  Schüler 
im  Examen  schwitzten,  dann  bogen  wir  in  die  Pingvalla-Stvdi?,?<&  ein 
und  begannen  sofort  zu  traben  und  zu  galoppieren,  um  unsere  Pferde 
kennen  zu  lernen. 

Da  wir  dieselbe  Strecke  erst  vor  12  Tagen  zurückgelegt  hatten, 
gab  ich  auf  den  Weg  nicht  sonderlich  acht,  zudem  machte  mir  mein 
Pferd  zu  schaffen.  Kaum  hatte  ich  einen  Blick  für  das  Ping- 
vallavat)!  übrig,  das  zur  Rechten  wie  ein  silberner  Spiegel  aufbUtzte, 
und  für  den  gezackten  Flengül  (,, überhängender  Berg"),  an  dessem 
Fusse    der  Dampf    heisser  Quellen    in    die    stille  Luft    emporwallte. 

Herrraann,   Island  II.  1 


2  Zweiter  Besuch  von  t*!ngveilir. 

Plötzlich  machte  die  Strasse  eine  Wendung,  und  vor  mir  starrten 
die  schwarzen  Lavawände  der  Abiia)iiiagjd  empor,  zwischen  denen 
wir  in  die  wilde  Schlucht  einbogen  (Fig.  62).  Mag  meine  Stimmung 
heute  empfänglicher  gewesen  sein  als  auf  der  ersten  Reise,  wo  wir  nach 
zwölfstündigem,  anstrengendem  Ritt  um  Mitternacht  hier  eintrafen; 
oder    mag   das    gänzlich  Unerwartete    des  Anblicks   doppelt    auf  die 


noch    frische    Einbildungskraft    eingewirkt    haben 


der   Eindruck 


lässt  sich  in  keine  Worte  fassen.  Stumm,  in  ehrfürchtigem  Schweigen 
ritten  wir  ganz  langsam  durch  die  ,, Allmännerkluft"  hindurch;  das 
Auge   vermochte  kaum  zu  der  linken,    wie  aus  riesigen,    verrussten 


Fig.  61.     Aufbruch  zur  Reise. 

Quadersteinen  aufgeführten  W^and  emporzufliegen  und  die  abenteuer- 
lichen Formen  wahrzunehmen,  die  eine  seltsame  Laune  der  Natur 
in  die  Lava  da  oben  hingezaubert  hat :  Zinnen  und  Zacken ,  Pyra- 
miden und  Warttürme ,  Hecken  und  Höhlen ,  Fenster  und  Dächer 
und  fabelhafte  Tierleiber  in  wunderlichen  Verschlingungen.  Der 
Strom  rauschte  zur  Rechten,  und  vor  uns  donnerte  der  Wasserfall. 
Eine  neue  Biegung  des  Weges,  und  mit  unendlichem  Wohlgefallen 
ruht  das  Auge  auf  der  weiten  violett-grauen  Fläche  des  Thingsees 
und  schweift  träumend  über  die  vielen  gelben  Holme  hin.  Wahr- 
lich, es  ist  nicht  übertrieben,  wenn  Lord  Dufferin  behauptet,  es 
sei  der  Mühe  wert,  um  die  Erde  zu  reisen,  nur  um  die  Ali/iaimagjd 
zu  sehen. 


f'ingvellir 


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4  Von   {-"ingvellir  nach  dem  Gej'sir.     Hallshellir. 

28.  Juni. 

Früh  um  9  Uhr  brachen  wir  auf.  da  wir  den  Weg  zu  den 
heissen  Springquellen  von  Haiikadalur  an  einem  Tage  zurücklegen 
und  unterwegs  den  Hallshellir  besuchen  wollten.  Der  Weg  führte 
durch  stattlichen,  frischen  Birkenwald  über  die  etwa  6  km  breite, 
in  vorgeschichtlicher  Zeit  entstandene  vulkanische  Senkung,  die  sich 
zwischen  der  Hrafnagjd  (,, Rabenschlucht")  im  Osten  und  der  ^il- 
mannagjä  im  Westen  ausdehnt.  Diese  gesenkte  Partie  ist  reich  an 
Klüften  und  Spalten;  bei  dem  Erdbeben  im  Jahre  1789  sank  die 
Lava  um  etwa  i  m  tiefer.  Die  Hrafnagjd  ist  ebenfalls  ein  Riss 
in  der  Lava,  aber  nicht  so  hoch  wie  die  Almaunagjd ,  ihre  breite 
Kluft  ist  mit  riesigen  Felsblöcken  ausgefüllt.  Während  man  sie 
früher  auf  halsbrecherischen  Schlangenwegen  passieren  musste,  waren 
jetzt  Arbeiter  damit  beschäftigt,  sie  an  einer  Stelle  auszufüllen  und 
so  einen  bequemen  Übergang  herzustellen. 

Leider  stellte  sich  heraus,  dass  Ögmundur  den  Hallshellir. 
dessen  Besuch  mir  Rektor  Olsen  dringend  empfohlen  hatte,  nicht 
kannte  und  auch  nicht  daran  gedacht  hatte,  sich  im  Hotel  ,,Valhöll" 
danach  zu  erkundigen.  Diese  Höhle  ist  nach  dem  englischen 
Dichter  Hall  Caine  aus  Tynvald  auf  Man  benannt,  der  sie  1903 
mit  Olsen  zusammen  genauer  untersucht  hat').  Die  Haupthöhle, 
die  an  einer  Stelle  prächtige  Stalaktiten  aufweist ,  ist  gegen  56  m 
lang  und  an  der  breitesten  Stelle  17^4  m  breit;  die  Höhe  beträgt 
im  Durchschnitt  i  V2  m;  auf  jeder  Seite  liegt  eine  Nebenhöhle. 
Innerhalb  des  Eingangs ,  der  durch  Gestrüpp  teilweise  verdeckt  ist, 
liegt  ein  mächtiger  Felsblock ,  von  dem  aus  nach  drei  Seiten  ein 
Wall  von  ca.  i  m  Höhe  zur  Wand  hin  aufgeworfen  ist.  Vermutlich 
haben  in  alter  Zeit  Ächter  diese  Verschanzung  angelegt ,  um  Zu- 
flucht dahinter  suchen  zu  können.  Später  habe  ich  erfahren,  dass 
die  Höhle  hart  am  Wege  nach  dem  Geysir  liegt,  und  kein  Reisender, 
der  diese  schöne  Tour  unternimmt,  sollte  versäumen,  sie  aufzu- 
suchen. 

übrigens  ist  der  Name  Hall  seinem  Ursprünge  nach  nordisch.  Hall  Caine  hat 
einen  wirkungsvollen  Unterhaltungsroman  geschrieben  „The  Prodigal  Son",  dessen 
Stoß'  das  isländische  Leben  unserer  Tage  behandelt,  und  dessen  Held,  der  Sohn  des 
Landshöfdingi,  ein  ungewöhnlich  begabter  Musiker  ist").  Die  Verhältnisse  und  Natur- 
schiiderungen, die  Hall  Caine  aus  eigener  Beobachtung  kennt,  sind  gut  wiedergegeben 
und  verleihen  der  aufregenden  Handlung  einen  fesselnden  Hintergrund.  Aber  wie  in 
England  eine  Stelle  des  Buches  mit  Recht  peinliches  Aufsehen  erregt  hat  —  die 
Szene,  in  der  der  Held  aus  Gewinnsucht  die  Leiche  seiner  Frau  nach  Jahren  wieder 
ausgräbt,  um  eine  Komposition  vor  der  Vermoderung  zu  retten,   die  er  ihr  als  teuerstes 


1)  Gebhardt,  Über  eine  neugefundene  Höhle  auf  Island.  Globus,  Bd.  84, 
Nr.   24 ;    24.   XIL   1903. 

^)  Leipzig  1905,  Tauchnitz,  2  vols.  Deutsche  Übersetzung:  Leipzig  1905, 
Degener,   2  Bde. 


Laugarvatnshellir.     Brüarä.  5 

Andenken  mit  in  den  Sarg  gegeben  hat,  ist  der  Wirklichkeit  nachgebildet:  von  dem 
Präraphaeliten  Gabriel  Rossetti  wird  dasselbe  erzählt  —  so  muss  jeden,  der  Reyk- 
javik kennt,  die  taktlose  Verwendung  von  Personen  empören,  die  noch  heute  leben, 
und  die  sogar  mit  vollem  Namen  oder  mit  genauer  Bezeichnung  ihres  Standes  und 
Aussehens  in  dem  Roman  auftreten.  Hall  Caine  hat  jetzt  seinen  Roman  zu  einem 
Sensationsdrama  umgearbeitet,  das  im  Winter  1905  in  London  aufgeführt  ist.  Kein 
geringerer  als  der  isländische  Dramatiker  Indridi  Einarsson  hat  an  den  Proben  teil- 
genommen und  bei  der  Wahl  der  Dekorationen  und  Kostüme  mitberaten.  Die  Musik 
hat  Sveinbjörn  Sveinbjörnsson  geschrieben. 

Als  Entschädigung  für  die  Hallshöhle  führte  uns  Ögmundur 
nach  dem  Laugarvat/ishellir .  Wir  waren  auf  einer  üppigen  Wiese 
angelangt,  die  flach  und  lang  von  einem  Bach  in  vielen  Windungen 
durchzogen  wurde.  An  der  südöstlichen  Seite  der  kahlen,  wilden 
Kdlfstindar  hat  man  in  dem  mürben  Palagonittuff  eine  etwa  20  m 
tiefe  und  über  i  ^1-2  m  hohe  Höhle  aufgefunden ;  einige  alte  Runen- 
inschriften bedecken  die  Wände,  zweifelsohne  hat  die  Höhle  früher 
flüchtigem,  geächtetem  Volk  als  Herberge  gedient,  heute  ist  sie  ein 
Schafstall,  und  das  Waten  in  dem  hohen,  weichen  Mist  war  nicht 
angenehm.  Etwa  fünf  Minuten  von  ihr  entfernt  ist  noch  eine  andere 
Höhle,  aber  tiefer  gelegen ;  der  Tuff  ist  wie  mit  einem  Kranze  von 
Brecciesteinen  umgeben.  Auf  dem  anderen  Teile  des  Tales  war 
eine  prächtige,  aus  Steinen  errichtete  Hürde  zum  Sortieren  der  Schafe 
(rjett) ,  musterhaft  in  ihrer  Anlage ,  vielleicht  die  praktischste ,  die 
ich  gesehen  habe. 

In  flottem  Galopp  ging  es  weiter  bis  zum  Lmigarvatn .  an 
dessen  westlichem  und  südöstlichem  Rande  weisse  Dampfwolken 
aufstiegen.  Die  heissen  Quellen  haben  hier  drei  Austrittsstellen;  in 
einem  Zwischenräume  von  2 — 3  Minuten  wallte  das  Wasser  etwa 
^/2 — I  m  hoch  und  brachte  grosse  Blasen  von  Dampf  und  Schwefel- 
wasserstoff mit  herauf,  die  Wärme  betrug  98°  C.  Eine  Quelle,  die 
nur  langsam  brodelte  und  blubberte,  war  zu  einem  Waschplatz  her- 
gerichtet. Wir  sattelten  ab,  Hessen  die  Pferde  grasen  und  wärmten 
eine  Konservenbüchse  mit  Frankfurter  Würstchen  und  Grünkohl  in 
der  heissen  Quelle.  Während  wir  behaglich  schmausten  und  die 
Vorzüge  der  deutschen  Konserven  vor  den  englischen  erörterten, 
rief  Ögmundur  plötzlich:  ,,Der  Geysir  springt!",  und  weit,  weit 
in  der  Ferne  ward  eine  riesige  Wassersäule  sichtbar,  von  einer 
Ungeheuern  Dampf  wölke  umgeben.  Doch  dauerte  es  noch  vier 
Stunden,  bis  wir  endlich  am  Quellengebiet  des  Geysir  ankamen. 

Um  das  nördliche  Ende  des  Laugarvatn  ritten  wir  durch  duf- 
tendes Birkengestrüpp  und  über  hell  tönende  Lava  bis  zur  Bniard 
(,,Brückenfluss").  Früher  führte  eine  natürliche  Felsenbrücke  über 
den  Fluss  —  daher  sein  Name  — ,  dann  wurde  über  eine  mehrere 
Meter  breite  Spalte  mitten  im  Bett  ein  Brettersteg  gelegt,  über 
den  das  Wasser  von  allen  Seiten  stürzte,  seit  1900  aber  ist  eine 
ordentliche  Holzbrücke  mit  Steinpfeilern  gebaut. 


6  Brüarä.      Das  Geysirgebiet. 

Hier  liat  Sigitrctur  Stefdnsson ,  der  die  erste  chorographische  Beschreibung 
Islands  geliefert,  einen  Abriss  über  die  nordischen  Länder  verfasst,  eine  Karte  von 
Grönland  gezeichnet,  die  älteste  Schrift  über  isländische  Rechtschreibung  geschrieben, 
lateinische  Verse  gedichtet  und  ein  Buch  über  Elfen,  Gespenster,  Erscheinungen, 
Kobolde  und  Vorboten  verfasst  hatte,  im  Jahre  1594  einen  traurigen  Tod  gefunden. 
Er  war  gerade  zum  Rektor  der  Schule  in  SkälhoU  gewählt  und  wollte  die  Brüarä 
überschreiten;  da  der  Fährmann  nicht  zur  Stelle  war,  legte  er  sich  am  Ufer  zum 
Schlafen  nieder,  rollte  aber  in  den  Fluss  und  ertrank  —  das  Volk  behauptete,  die 
Elfen  hätten  das  getan,  aus  Rache  dafür,  dass  er  ihre  Geheimnisse  verraten  ').  Noch 
eine  andere  Geschichte  knüpft  sich  an  diesen  Fluss.  Das  Jahr  1602  war  überaus 
hart,  viele  Leute  verliessen  Haus  und  Heim  und  trieben  sich  bettelnd  umher.  Die 
meisten  suchten  den  reichen  Bischofssitz  Skälholt  auf;  aber  der  Verwalter,  ange- 
trieben von  der  Frau  des  Bischofs,  brach  die  natürliche,  steinerne  Brücke  über  die 
Brüarä  ab,  um  den  Weg  nach  Skälholt  zu  erschweren.  Zur  Strafe  für  seine  Hart- 
herzigkeit ertrank  er  selbst  in  der  Ache,  und  auch  von  der  Familie  des  Bischofs  war 
das   Glück  gewichen   (K  aal  und   I,    159). 

Das  Birkengestrüpp  hörte  hinter  dem  Flusse  bald  auf,  auf  die 
Lava  folgte  das  Hochplateau  südlich  vom  B/an/arfell ,  dann  ging 
es  abwärts  am  Südende  des  kahlen  Lniigafjall  entlang  über  Moor 
und  Wiesen ,  und  um  halb  acht  schwangen  wir  uns  vor  dem 
„Hotel  Geysir"  aus  dem  Sattel.  Da  wir  die  einzigen  Gäste  waren, 
suchten  wir  uns  von  den  fünf  Zimmern  je  eins  aus ,  das  unmittel- 
baren Ausblick  auf  den  wenige  hundert  Schritte  nördlich  gelegenen 
Geysir  gewährte ;  so  hatten  wir  den  alten  unzuverlässigen  Herrn 
immer  vor  Augen  und  konnten  sofort  ans  Fenster  stürzen,  wenn  er 
etwa  in  der  Nacht  zu  rumoren  anfangen  sollte. 

Das  Geysirgebiet  besteht  aus  einer  Reihe  von  Thermen,  etwa 
100  an  der  Zahl,  am  südöstlichen  Abhänge  des  kahlen  Laiigafjall ; 
es  ist  etwa  V2  km  lang  und  ^4  km  breit  (Fig.  63).  Aber  nur  zwei 
von  den  heissen  Quellen,  der  ,, Grosse  Geysir"  und  der  Litli  Geysir 
=  ,, Kleine  Geysir"  (auch  Operrishöla  „Regenwetterloch"  genannt, 
weil  sein  Springen  nasses  Wetter  anzeigen  soll)  sind  das,  was  man 
unter  einem  Geysir  versteht.  Geysir  ist  der  ,, Hervorstürzende,  stark 
Sprudelnde" ,  und  der  Stamm  ist  auch  im  Deutschen  bekannt ;  die 
uralte  Donarseiche  in  Hessen,  die  Bonifatius  fällte,  stand  an  einem 
heiligen  Opferquell,  Geismar  i^gisan  und  u/an,  also :  Sprudelquell). 
Nach  dem  Geysir  auf  Island  sind  auch  die  periodisch  emporspringenden 
heissen  Quellen  in  anderen  Ländern  benannt,  z.  B.  beim  Yellowstone 
River  (Nationalpark)  in  Nordamerika  und  auf  Neu-Seeland.  Zwischen 
dem  grossen  und  kleinen  Geysir  liegen  in  der  Richtung  von  Nord 
nach  Süd  die  Quellen :  Stjarna  im  östlichen  Abfluss  der  ^/(?j-/quelle, 
Blesi  selbst  und  Fata,  westlich  davon  der  Komingshver,  und  noch 
weiter  westlich  Astarauga  (Auge  der  Liebe);  südöstlich  von  Fata 
Strokkiir   und    120   Schritte    davon    entfernt   Operrishöla;   abermals 


')  Jon  Porkelsson,    Om    Digtningen    paa    Island    431  2;    Thoroddsen-Geb- 
hardtl,   186;  Olafur  Davidsson,   Timarit  XIV,    181. 


Das  Geysirgebiet. 


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8  Das  Geysirgebiet. 

südlich  hinter  mehreren  Schlammquellen  der  kleine  Strokkiir,  dann 
eine  Sammlung  von  verschiedenen  Becken  mit  kochendem ,  sie- 
dendem oder  wallendem  Wasser,  PykkiiJiverir ,  darunter  die  süd- 
lichste Quelle  Si-sjödandi  (immer  kochend)  und  die  östlichste  Gunn- 
hildarhver. 

Die  heissen  Quellen  sind  in  fortwährender  Veränderung  be- 
griffen; an  der  einen  Stelle  hört  eine  auf,  an  einer  ganz  anderen 
kommt  plötzlich  eine  neue  zum  Vorscheine.  Der  KonuugsJiver 
z.  B.  (Königsspringquell),  der  2 — 3  Fuss  hoch  springt,  entstand  in 
einem  alten  erloschenen  Krater  neben  dem  Denksteine,  den  man 
zur  Erinnerung  an  den  Besuch  König  Christian  IX.  errichtet  hat. 
Der  grosse  Geysir  hat  jetzt  sehr  unregelmässig  Eruptionen.  Wäh- 
rend er  früher  alle  4 — 5  Tage  sprang,  vergehen  jetzt  oft  20  Tage 
zwischen  zwei  Eruptionen.  Blesi  besteht  aus  zwei  grossen  Becken, 
die  dicht  aneinander  stossen ,  ihre  Temperatur  betrug  92  ° ;  das 
Wasser  wird  zum  Kochen  des  Kaffees  und  der  Suppe  benutzt.  Sie 
hat  ihren  Namen  ,, Blesse",  womit  wir  den  weissen  Streifen  auf  der 
Stirn  eines  Pferdes  bezeichnen,  wohl  von  der  Sinterbrücke,  die  die 
beiden  brillenförmigen  Becken  verbindet.  Ihr  Wasser  ist  wunder- 
bar durchsichtig,  feenhaft  blaugrün  und  reicht  in  den  rotgelben 
Becken  bis  zum  Rande,  nur  ein  leichtes  zartes  Kräuseln  belebt  die 
Oberfläche.  Vor  dem  Erdbeben  1789  hatte  der  Blesi  Ausbrüche, 
bei  denen  das  Wasser  30 — 40  Fuss  hoch  in  die  Luft  geworfen 
w'urde.  Fata  (Eimer)  ist  eine  kleine  Quelle,  zuweilen  fällt  das 
Wasser  so  tief,  dass  man  es  nicht  mehr  sehen  kann.  Der  Strokhir 
(Butter fass,  nach  der  butterfassähnlichen  Gestalt  der  Quellenöffnung 
benannt)  ist  bei  einem  Erdbeben  1784  entstanden  und  war  früher 
so  artig,  auf  Kommando  zu  springen :  man  warf  ihm  eine  gehörige 
Menge  Rasenstücke  in  den  Rachen,  und  sofort  hob  sich  eine  ge- 
rade oder  kegelförmige  Wassersäule  etwa  40  m  hoch  in  die  Luft. 
Seit  dem  Erdbeben  aber  vom  Jahre  1896  hat  der  Strokkiir  seine 
Tätigkeit  völlig  eingestellt.  Sein  Wasser  ist  nur  lauwarm,  schwarz 
und  schmutzig  und  wallt  nur  wenig.  Der  Litli-Geysir  aber  (Oper- 
rishöla)  ist  ein  liebenswürdigerer  Geselle;  füttert  man  ihn  mit 
Rasen,  so  steigt  er  unfehlbar  nach  einigen  Minuten  2 — 3  m  in  die 
Höhe  und  springt  wohl  eine  Stunde  lang.  Er  hat  nur  einen  kleinen 
flachen  Sinterkegel  und  zwei  kleine,  ovale,  tiefe  Höhlen,  die  von 
rotem  Ton  umgeben  sind.  Ich  habe  ihn  um  so  dankbarer  in  meiner 
Erinnerung,  als  er  im  ganzen  viermal  gesprungen  ist,  und  zwar  frei- 
willig, nicht  bloss  der  Not  gehorchend,  indem  wir  seinen  Quell- 
schacht verstopften;  der  grosse  Geysir  aber  trotzte  beharrlich. 

Ich  hatte  die  lebendige  Schilderung  Max  Nordaus  noch  gut  im  Gedächtnis, 
und  während  ich  mit  Ogmundur  und  dem  Bauer  das  ganze  Gebiet  durchstreifte  und 
mir  die  Namen  der  einzelnen  Springquellen  nennen  Hess,  zitierte  ich  sie  ihnen  nach 
der  Erinnerung.     Sie  gefiel  beiden  recht  gut,    obwohl  sie    etwas  überschwenglich  ge- 


Der  Geysir  als  Syrrfbol  Islands.  9 

halten  ist,  und  ich  setze  sie  deswegen  mit  einigen  Kürzungen  hierher').  Ein  Getöse 
erfüllt  die  Luft  wie  in  einer  grossen  Maschincnvverkstätte ;  ein  Stöhnen  und  Sausen 
und  Brausen  wie  von  gewaltigen  Blasebälgen,  dazwischen  ein  schrilles  Pfeifen  und 
ein  unterirdisches  Kollern  und  Kullern,  auch  wohl  ein  Kanonenschuss  vom  grossen 
Geysir  her,  das  sich  zeitweilig  zu  einem  dumpfen,  fernen  Donner  verstärkt.  Die 
Farbe  des  Wassers  und  des  Niederschlages  ist  fast  an  jeder  Quelle  verschieden :  das 
Auge  begegnet  allen  möglichen  Nuancen  von  Weiss  und  .Schwarz,  Grau  und  Gelb, 
Orange  und  Rot;  das  ganze  Qucllengebiet  sieht  wie  eine  ungeheure  Palette  aus,  auf 
der  sich  grosse  Kleckse  verschiedener  greller  Farben  nebeneinander  befinden.  Man 
fühlt  sich  anfangs  recht  ungemütlich  zwischen  diesen  kochenden  und  arbeitenden, 
dampfenden  und  schnaubenden  Höllenschlünden;  mit  jedem  Tritt  fürchtet  man  durch- 
zubrechen ;  denn  wer  in  einen  solchen  Hexenkessel  hineinfällt,  liefert  wohl  eine 
kräftige  Bouillon,  kommt  aber  sicher  nicht  mehr  lebendig  heraus;  bald  aber  findet 
man  die  gangbaren  Stellen  zwischen  den  einzelnen  Becken  und  Kesseln,  wenn  man 
auch  ein  paar  mal  bis  an  die  Knie  in  dem  heissen  Schlamm  stecken  bleibt.  Schliess- 
lich wandelt  man  mit  einer  Gleichgültigkeit  zwischen  ihnen  auf  und  nieder,  wie  wenn 
man  selbst  der  Heizer  wäre,  der  die  unterirdischen  Feuer  für  diese  grauenhafte 
Dampfmaschine  nährt  und  schürt. 

Meine  Ungeduld  und  Aufregung,  den  grossen  Geysir  in  Tätig- 
keit zu  sehen,  war  viel  zu  gross,  als  dass  ich  hätte  einschlafen 
können.  Aus  Büchern  wusste  ich  ja,  wie  ein  solcher  Ausbruch  er- 
folgt :  es  donnert  und  dröhnt ,  das  Wasser  steigt  glockenförmig 
empor,  eine  Fontäne  nach  der  andern  erhebt  sich  unter  ständigem, 
starkem  Sprudeln,  und  endlich  sinkt  das  Ganze  wieder  in  Nichts 
zusammen.  Aber  ich  brannte  darauf,  dieses  eigenartige  Schauspiel 
mit  eigenen  Augen  zu  sehen.  Wie  es  so  kommt,  fiel  mir  mit  einem 
Male  ]3enedikt  Gröndals  ,, Gedenkblatt  an  die  tausendjährige 
Jubelfeier  der  Besiedelung  Islands"  ein.  Auf  ihm,  wie  auf  den 
schönen  Hundert-  und  Fünfzigkronenscheinen,  die  die  neue  Bank 
ausgegeben  hat,  sind  der  Geysir  und  die  Hekla  die  typischen  Ver- 
treter der  isländischen  Natur.  Hatifies  Hafsteinn  aber,  daran  musste 
ich  weiter  denken,  gefällt  der  Geysir  als  Islands  Symbol  nicht : 
wohl  wird  sein  Wasser  durch  plötzliche,  augenblickliche  Kraft  empor- 
geschleudert, und  staunend  betrachtet  man  das  prächtige  Wunder; 
aber  die  Herrlichkeit  nimmt  allzu  rasch  ein  Ende,  in  dieselbe  Stätte, 
die  soeben  noch  alle  Kräfte  angespannt  hatte,  fällt  der  Strahl  wieder 
zurück,  sinkt  machtlos  zusammen,  und  Ruhe  und  Untätigkeit  kehren 
wieder.  War  es  mit  Island  nicht  oft  genug  ebenso?  Wieviel  schöne 
Anstrengungen  waren  gemacht.^  Und  wie  kläglich  waren  sie  wieder 
zu  nichte  geworden!  Nein,  ein  Quell  sei  Islands  Symbol,  der  Quell 
eines  starken  Stromes,  der  ungestüm  vorwärts  durch  die  Felsen  bricht, 
alles  niederreisst,  was  sich  ihm  in  den  Weg  stellt,  und  stolz  seine 
Strasse  zum  Meere  zieht, 

„und  im  rollenden  Triumphe 

Gibt  er  Ländern  Namen,   Städte 

Werden  neben  seinem  Fuss  ....     Sausend 


1)   Nordau,   Vom  Kreml  zur  Alhambra,   3.   Aufl.,    1889,   I,   359—362. 


10  Hannes  Hafsteinn   „Beim   Geysir". 

Wehen  über  seinem   Haupte 
Tausend  Flaggen  durch  die   Lüfte, 
Zeugen  seiner  Herrlichkeit." 

An  dieses  Gedicht  musste  ich  denken,  als  ich  spät  am  Abend 
vom  Fenster  meiner  Schlafstube  aus  über  die  öde  Ebene  des  Hauka- 
dahir  („Tal  der  Habichte")  blickte:  in  der  Ferne  gen  Norden 
tauchten  die  ungeheuren  Eismassen  des  Ldngjökull  und  davor  der 
eisgekrönte  BldfellsjökiiU  auf,  unterhalb  von  diesem  die  weissen 
Spitzen  und  Zacken,  die  Jarlhettiir  heissen,  rötlich  glänzten  die 
nackten  Wände  des  Lmigafjall,  weit  im  Südosten  schimmerte  der 
schneeige  Mantel  der  Hekla,  vor  mir  auf  dem  in  allen  Farben- 
zusammenstellungen prangenden,  nur  hier  und  da  mit  Moos  und 
dürftigem  Gras  bedeckten  Boden  schwebten  weisse,  dünne  Dampf- 
wolken auf  und  wiegten  sich  im  Winde  hin  und  her,  wie  die  sil- 
bernen Büsche  der  Fifa,  des  Wollgrases,  das  der  isländischen  Sumpf- 
landschaft seinen  eigenartigen  Reiz  verleiht.  Da  mir  das  Original 
nicht  zur  Verfügung  ist,  gebe  ich  das  Gedicht  von  Hannes 
Hafsteinn  ,,Beim  Geysir"  in  Pöstions  Übertragung  wieder 
(Eislandblüten,  S.   I95~i97): 

Beim   Geysir  hielt  ich   Wache  zur  Nacht, 

Ging  im   feuchten   Grase  zur  Ruh'. 

Von  den  Quellen  wehte  der  Nachtwind  sacht 

Die  schwülen   Dämpfe  mir  zu. 

Die  weichen   Gräser  schlummerten  tief, 

Von   Dampf  hier  zweifach  betaut,   wie   sie   sind. 

Im  Zelte  die  Reisegesellschaft  schhef. 

Ich  sollte  sie  wecken  geschwind, 

Wenn  jählings  der  Geysir  zu  spielen  beginnt. 

Das  Haupt  auf  dem  Arme  lag  ich  nun  so 

An  des  Rasens  äusserstem   Rand ; 

Am  Busen  der  Heimat  ruhte  ich  froh, 

Ich  war  ja   so  lang  ausser   Land! 

Da  war  mir  im   Geiste  Vergessnes  erwacht; 

Icli  schaute  unsre  Vergangenheit, 

Die  Zukunft  jedoch  verbarg  mir  die  Nacht. 

Ich  sah  mit  zornigem  Leid, 

Wie  hart  man  geknechtet  uns  hatte  so  lange  Zeit. 

Ein  tränendes  Auge  der  Himmel   mir  deucht', 

Zu  Seufzern  ward  das  Gesumm  ; 

Die  sinkenden  Tropfen,  die  Grashalme   feucht, 

Um  Freiheit  flehten  sie  stumm 

Da  war  es,   als  hätt'   unter  meinem  Haupt 

Dumpf  Schuss  auf  Schuss  in  der  Tiefe  gekracht; 

Den  Herzschlag  hab'  ich  zu  hören  geglaubt 

Von  einer  Urkraft  und  Macht, 

Die  nach  langem   Schlummer  wieder  zum  Leben  erwacht. 


Hannes  Hafsteinn    „Beim   Geysir".  11 

Begeistert  durch   meine  Seele  es  sang: 

Er  kommt  nun   doch,   er  zerreisst 

Die  Bande,  worin  er  gelegen  so  lang', 

Der  Zukunft  gefesselter  Geist! 

Er  führt  uns  nun  stolz  zu  den  Höhen  des  Ruhms, 

Nachdem   er  zermalmt  mit  den   Fäusten  der  Kraft 

Das  drückende  Joch  unseres   Sklaventums. 

Zur  gewaltigen  Macht  er  nun  schafft 

Die  Lebenskraft  wieder,  so   lang  schon  erschöpft  und  erschlafft. 

Da  lacht  es  spöttisch  herab  von   der  Höh'n : 

„So  seid  ihr:   sieh  doch  einmal!" 

Ich  sah  nach  dem   Geysir:   er  schoss  mit  Gedröhn 

Empor  in  mächtigem   Strahl, 

Dampfsäulen  prustend  aus  tiefem  Schlund. 

Wie  hoch  hat  die  Schnellkraft  empor  ihn  gerafft ! 

Grell  schied  er  des  Himmels  grauweisslichen  Grund ! 

Zu  oberst  urplötzlich  erschlafft, 

Fiel  jählings  sich  wendend  er  wieder  zum  Urquell  der  Kraft. 

Da   sprang  ich  rasch  auf,   vom  Schlafe  erwacht. 

Ich  hatte  dies  alles   —   geträumt. 

Sehr  still  war  ringsum   die  einsame  Nacht, 

Die  Schale  nur  leicht  überschäumt. 

Kein  Ausbruch  war's,   ob's  auch  wie   ein  Schuss 

Im  Innern   der  Erde  gedröhnt  und  gegrollt. 

In   weiter  Ferne  rauschte  der  Fluss. 

Im   Osten   schimmerte  hold 

Der  junge  Tag;  bald  glühten   die  Berge  in  Gold. 

Wir  kehrten   morgens  wieder  nach  Haus 

Und  dachten   des   Geysirs  nicht  mehr, 

Doch  seh'   ich  und  hör'  ich  wo  Wassergebraus, 

Dann  ist  mein  Wunsch  immer  der: 

Sollt'  wieder  im   Traum  ich  sehen  einmal 

Des  Vaterlandes  Symbol,  so  sei's 

Der  Quell  eines  mächtigen   Stromes,  kein   Strahl, 

Der  zurückfällt  ins  selbe  Geleis; 

Doch  wachend  zu  sehn  solch  ein  Zeichen  war'  schönerer  Preis! 

29.  Juni. 

Aus  dem  Schlafen  ist  in  dieser  Nacht  nicht  viel  geworden.  Vor 
Erwartung,  vielleicht  auch  vor  Ermüdung  schloss  ich  kein  Auge. 
Dazu  foppte  und  narrte  mich  der  grämliche,  launische  Herr  fort- 
während; es  rumorte,  puffte,  knallte,  donnerte  auch  wohl  —  aber 
wenn  ich,  notdürftig  angezogen,  ans  Fenster  stürzte  —  viel  Lärm 
um  nichts !  Dazu  hatte  ich  am  andern  Tage  keine  Lust,  künstlich 
einen  Ausbruch  herbeizuführen ;  man  kann  nämlich  bei  dem  Bauern 
für  10  Kronen  einige  Pfund  Seife  kaufen,  und  der  Geysir  soll  auf 
die  hineingeworfene  Seife  wirklich  reagieren.  So  musste  ich  mich 
damit  trösten,  von  weitem,  vom  Laiigarvtaii  aus,  den  Anblick  einer 
Eruption  genossen   zu  haben.     Denn  wie    sich  bei    meinen  Erkundi- 


12  Der  Geysir. 

gungen  herausstellte,  rührte  die  hohe  Wassersäule,  die  wir  am 
Mittag  des  vergangenen  Tages  gesehen  hatten,  in  der  Tat  vom 
Geysir  her,  nach  den  Erfahrungen  des  Bauern  war  es  gänzlich  aus- 
geschlossen, dass  der  Geysir  in  den  nächsten  Tagen  noch  einmal 
springen  würde.  So  beschloss  ich,  nach  dem  Frühstück  einen  Ausflug 
nach  dem  östlich  gelegenen  GiiUfoss  zu  unternehmen,  einem  Wasser- 
fall, mit  dem  sich  die  Hvi'td  jäh  in  eine  breite  Spalte  stürzt. 

.  Während  die  Pferde  von  der  abgelegenen  Weide  geholt  und 
gesattelt  werden,  benutzen  wir  die  Zeit,  einige  Daten  über  die  Ge- 
schichte des   Geysir  zusammen  zu  stellen : 

In  den  alten  isländischen  Schriften  wird  er  nicht  genannt :  Naturbeschreibung 
lag  ihnen  im  allgemeinen  fern.  Saxo  Grammaticus  aber,  der  Vater  der  dänischen 
Geschichte,  der  mit  heissem  Bemühen  und  doch  so  geringem  Erfolge  sich  in  die  seinem 
innersten  Wesen  so  fremde,  heroische  Vorzeit  seines  Vaterlandes  vertiefte,  muss  von 
einem  isländischem  Gewährsmanne  vom  Geysir  oder  doch  von  einer  Springquelle 
gehört  haben.  Wenn  der  Geysir  damals  bereits  bestanden  hat,  etwa  1168,  so  hat 
ihm  der  IsY&nder  Arno Idr  rorvaldsson  davon  erzählt;  denn  auf  der  Weiterreise  hat 
sich  mir  mit  ziemlicher  Sicherheit  ergeben,  dass  er  im  Südlande  und  an  der  Südküste 
auffallend  gut  Bescheid  weiss').  „Es  gibt  Quellen  auf  Island,"  sagt  Saxo,  „die  durch 
Wasserzufluss  zu  Zeiten  steigen,  ihre  Becken  ausfüllen,  übertreten  und  einen  Tropfen- 
regen nach  oben  werfen;  zu  anderen  Zeiten  schläft  ihr  Sprudel  ein,  sie  sind  kaum 
in  der  Tiefe  noch  sichtbar  und  werden  von  Höhlen  unten  im  Inneren  der  Erde  ver- 
schluckt. So  kommt  es,  dass  sie  zur  Zeit  ihres  Cbertretens  ihre  Umgebung  mit 
weissem  Schaume  bespritzen,  zur  Zeit  ihres  Rückganges  selbst  für  ein  scharfes  Auge 
nicht  sichtbar  sind."  Saxo  spricht  ganz  deutlich  von  den  Quellbassins  und  von 
Wasserstrahlen,  die  nacheinander  hoch  in  die  Luft  geschleudert  werden ;  dann  fliesst 
das  sprudelnde  Wasser  in  das  Bassin  zurück,  und  diese  entleeren  sich.  In  dem  in 
der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  verfassten  Königsspiel  heisst  es:  „Einige  Quellen 
sieden  immer,  im  Sommer  wie  im  Winter,  und  bisweilen  liegt  soviel  Kraft  in  diesem 
Sieden,   dass  sie  Wasser  hoch  in  die  Lüfte  schleudern." 

In  den  Annalen  des  Jahres  1294  heisst  es,  dass  grosse  Sprudel  in  Haukadalr 
beim  Ausbruche  der  Hekla  zum  Vorscheine  kamen,  andere  aber  verschwanden,  die 
vorher  da  waren.  —  Bruun  vermutet  in  der  Nähe  des  Geysir  eine  alte  Thingstätte 
(Arkaeol.  Undersög.  paa  Island.     Kph.    1899,  S.  36,   37). 

Erst  im  18.  Jahrhundert  wird  der  Name  Geysir  genannt.  Nun 
folgen  die  Erwähnungen  und  Beschreibungen  Schlag  auf  Schlag,  und 
ebenso  die  Erklärungsversuche.  Bekannt  ist  die  Erklärung  von 
Bunsen;  ich  gebe  um  so  weniger  auf  sie  ein,  als  ich  selbst  eine 
Eruption  des   Geysir  nicht  erlebt  habe-). 

Wenn  ich  nicht  irre  —  der  Verfasser  selbst  deutet  es  nicht  an  — ,  wird  dem- 
nächst ein  neuer  Erklärungsversuch  hinzukommen.  Im  Sommer  1904  hat  Porkell 
Porkelsson  verschiedene  warme  Quellen  bei  Krisuvik,  Reykjafoss  und  im  Geysir- 
gebiet   auf    das  Vorkommen    von  Radium    in    der    die  Quellen    umgebenden    Erde,    im 


1)  Holder  pag.  6;  m  e  i  n  e  Übersetzung  (Leipzig  1901),  S.  10.  Thoroddsen- 
G  e  b  h  a  r  d  t  I,  62,  63.  Nach  Preyer-Zirkel,  Reise  nach  Island,  S.  256,  ist  die  Röhre 
zu  Saxos  Zeit  26  Fuss  hoch  gewesen. 

2)  Eine  sehr  anschauliche  bildliche  Darstellung  der  verschiedenen  Geysir-Theorien 
in:  Weltall  und  Menschheit  I,   S.  200. 


Vom   Geysir  nach   dem   Gullfoss.  13 

Wasser  selbst  und  in  der  aus  dem  heissen  Quellwasser  aufsteigenden  Luft  untersucht'). 
Soviel  ich  weiss,  stehen  die  isländischen  Sprudel  in  bezug  auf  ihren  Gehalt  an  Radium 
denen  auf  dem  Festlande  mindestens  gleich,  denn  die  Untersuchung  einer  Luftprobe 
des  Blesi  z.  B.   ergab: 


N  +  O 

251 

,5 

cm''' 

= 

98,5  °/o 

H 

j 

,1 

»1 

= 

0,770 

Argon 

+ 

Helium 

I 

,83 

»; 

= 

0,8  »/o, 

es 

Gl 

'innhildarhver: 

N  +  O 

263 

cm'' 

^ 

94,0  °/o 

H 

ri 

,8 

M 

= 

4,2  «/o 

Argon 

+ 

Helium 

5: 

,1 

}f 

1= 

1,8  7o. 

Bei  der  grossen  Bedeutung,  die  das  Radium  voraussichtlich  für  Heilzwecke  er- 
halten wird,  wäre  hier  ein  neues  wesentliches  Mittel  gegeben,  die  wirtschaftliche 
Lage  der  Insel  zu  bessern  und  Fremde  auf  längere  Zeit  hinzuziehen.  Man  würde  nicht 
nur  das  isländische  Mineralwasser  im  übrigen  Europa  einführen,  sondern  auf  der  Insel 
selbst,  in  ihrer  naturschönsten  Gegend,  etwa  am  Hengill,  nur  eine  halbe  Tagereise 
von  der  Hauptstadt  entfernt,  würden  Kurbrunnen  eingerichtet  werden,  der  leidenden 
Menschheit  zum  Segen  und  dem  isländischen   Geldsäckel  zum  Heile.    — 

Um  elf  Uhr  brechen  wir  in  Ölkleidern  zum  Gullfoss  auf,  denn 
es  beginnt  langsam  zu  regnen.  Das  Tnngufljöt,  ein  Nebenfluss  der 
Hvi'fd,  war  der  erste  Gletscherstrom  (Jökiilsd),  den  wir  auf  unserer 
Reise  kennen  lernten;  die  schmutzig  graue  Färbung  des  Wassers 
und  der  reissende  Lauf  kennzeichneten  ihn  deutlich  als  solchen.  Ob- 
wohl er  über  120  m  breit  war,  passierten  wir  ihn  doch  ohne  Be- 
schwerden. Ich  schiebe  eine  Charakteristik  der  berüchtigten  islän- 
dischen Gletscherflüsse  auf,  da  wir  an  der  Südküste  noch  mehr 
dieser  Gletscherflüsse  zu  durchschreiten  haben,  als  uns  lieb  ist,  und 
begnüge  mich  vorläufig,  die  Schilderung  einer  Jökulsd  aus  dem 
Königsspiegel  hierher  zu  setzen.  „Auf  Island  gibt  es  eisige  Ge- 
wässer, die  unter  den  Gletschern  hervorkommen,  und  zwar  so  mächtig, 
dass  die  umliegenden  Berge  und  Ebenen  zittern,  weil  das  Wasser 
so  reissend  und  in  solchen  Fällen  herabstürzt,  dass  die  Berge  wegen 
der  übergrossen  Menge  und  der  Heftigkeit  wanken.  Es  ist  nicht 
möglich,  auf  das  Flussufer  zu  treten,  um  den  Strom  zu  erforschen, 
ohne  dass  man  lange  Seile  bei  sich  hat  und  sie  denjenigen  um- 
bindet, die  die  Erforschung  vornehmen  wollen,  und  die  anderen,  die 
das  Seil  festhalten,  müssen  sich  in  einiger  Entfernung  befinden,  um 
imstande  zu  sein,  jene  wieder  herauszuziehen,  wenn  die  heftige 
Strömung  des  Wassers  sie  in  Gefahr  bringt." 

Über  eine  mächtige  Moräne  (jökidalda)  ging  es  weiter  auf 
weichen    Wiesenwegen     und    durch    pfadlosen    Morast    bergan,    das 

1)  K.  Prytz  og  Th.  Thorkelsson,  Undersögelse  af  nogle  islandske  varme 
Kilders  Radioaktivitet  og  af  Kilde-Luftarternes  Indhold  af  Argon  og  Helium.  Oversigt 
over    det    kongehge     danske    Videnskabernes     Selskabs    Forhandlinger    1905.     Nr.    4, 

S-  317—346. 


14 


Der  Gullfoss. 


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Der  Gullfoss. 


15 


Brausen  und  Donnern    wurde    immer  vernehmlicher,    und    der  Wind 
trieb  uns  schon  den  Wasserstaub   des  Falls  ins  Gesicht,    ohne  dass 
wir  diesen  selbst  sehen  konnten.    Mit  einem  Male,  ganz  unvermutet, 
standen  wir  dem   Gullfoss  (Goldwasserfall)  gegenüber  (Fig.  64).    Die 
weissen  Wasser  der  Hvi'td  fliessen  in  breitem  Bett  einher,  eine  Reihe 
von  Stromschnellen    und   wild  zerklüfteten  Felsterrassen  verwandeln 
sie  schon  vor  dem  Fall  in  wirbelnden  Gischt  und  sprühenden  Schaum, 
dann  stürzt  der  etwa 
250  m  breite  Strom, 
durch     fast      100    m 
hohe  Basaltfelsen  ein- 
geengt ,    in  zwei  Ab- 
sätzen   mit    donnern- 
dem   Getöse    in    die 
Tiefe.  Der  obere  Fall, 
der  wie  der  Rheinfall 
bei    Schaffhausen    in 
der   Mitte    um    einen 
nackten     Felsenturm 
braust,  stürzt  etwa  i  5 
bis  20  m  hinab,    der 
untere  Fall,  der  wohl 
dadurch      entstanden 
ist,  dass  ein  Erdbeben 
mitten    im    Flussbett 
eine  tiefe  Spalte  auf- 
riss,  fällt  ca.  40  m  tief 
hinab.     Der  Wasser- 
staub, der  als  dichter 
Regen     niederrieselt, 
wird    über    100  Fuss 
empor  geworfen   und 
zeigt  auch  dem  Fremd- 
ling die  Richtung  des 
Weges     hierher     an. 
Auf   dem  Boden  des 
alten  Flussbettes  wei- 
deten die  Pferde  und  labten  sich  an  dem  ungemein  üppigen  Grase. 
Wir  selbst  kletterten  überall  umher  und  konnten  es  wagen,   da  wir 
unser  Regenzeug   an    hatten ,    hart    am  Fall  vorüber  bis  zum  Canon 
der   Hvi'td   vorzudringen.     Das    Schauspiel   der    wild  aufbäumenden, 
einander   überkollernden  schneeweissen  Wassermassen  war  überwäl- 
tigend,   mit    unheimlicher  Geschwindigkeit    schössen    sie    durch    die 
schmale  Kluft  der  engen  Basaltfelsen  dahin  (Fig.  65),  und  es  dauert 
fast  zwei  Stunden,  bis  sich  ihr  Ungestüm  einigermassen  gelegt  hat. 


Fig.  65. 


Unterhalb    des  Gullfoss.      (Die  Hvitä  in  Basalt- 
felsen  eingeengt.) 


16  Der  Gullfoss. 

Aber  die  Krone  des  Ganzen  bildete  doch  der  Augenblick,  als  unver- 
sehens die  Sonne  durch  die  finstern  Regenwolken  brach  und  den 
perlenden  Wasserstaub    in    den  wundervollsten  Farben   spielen  Hess. 

Wie  nach  der  deutschen  Sag-e  im  Rhein  der  Hort  der  Nibelungen  ruht,  so  sind 
auch  auf  Island  in  verschiedene  tiefe  Gewässer  und  zumal  in  Wasserfälle  kostbare 
Schätze  versenkt.  Die  Hvitä  bildet  noch  einen  andern  Wasserfall,  kurz  nachdem  sie 
dem  Hvitärvatn  entströmt  ist.  Man  hat  beobachtet,  dass  hier  zuweilen  das  Wasser 
mit  einem  Male  aufhört  und  das  Bett  ganz  trocken  liegt ,  vermutlich  weil  der  Fluss 
sich  durch  verborgene  Kanäle  einen  Abfluss  im  Lavastrom  verschafl't  hat.  Das  Volk 
aber  glaubt,  ein  Drache  oder  ein  anderes  Ungeheuer  hause  hier  m  einer  unterirdischen 
Höhle  und  schlucke  zu  Zeiten  den  ganzen  Strom  in  sich  hinein.  Ogmundur,  der 
mir  diese  interessante  Mitteilung  machte,  fügte  noch  hinzu,  dass  im  Jahre  1888  einige 
Bauern  Prof.  Thoroddsen  einige  Knochen  des  Drachen  zeigten,  die  sie  am  Ufer 
gefunden  hatten  —  es  waren  Überreste  von  fossilen  Walen  aus  dem  Ende  der  Eiszeit, 
als  das  Meer  noch  das  Südland  bedeckte.  Man  sieht  aber  deutlich,  wie  mythische 
Vorstellungen  noch  heute  im  Volke  aufs  neue  entstehen  können. 

Die  Sage,  dass  im  Gullfoss  Goldhorte  verborgen  seien,  hat  Gudmiindur 
Magytüsson  in   einer  hübschen  Parabel  in  Gedichtform  gebracht*). 

Wo  der  Gullfoss  in  der  Bergschlucht  staubt, 

Da  liegen  zwei  Kisten  verborgen, 
Mit  Gold  gefüllt.    —   Und  wer  sie  sich  raubt, 

Hat  künftig  keine  Sorgen. 

Nun  geh  ich  und  hol  mir  das  glänzende   Gut, 

Mag  auch  der  Wasserfall  toben. 
Ich  tauch'  in   die  schäumende,  eiskalte  Flut 

Und  hole  den  Hort  mir  nach  oben. 

Nun   hab  ich  das  Gold    —   doch  ich  weiss,  wie  es  geht, 

Dir  sei's  im  Vertäuen  verraten  — 
Gar  mancher  kommt  jetzt  und  bettelt  und   fleht   — 
,  Und   pumpt  sich  ein  paar  Dukaten. 

Das  Gold  zu  holen  fehlt  ihnen   die  Kraft, 

Das  wollen  sie  nicht  riskieren, 
Doch  hat  es  ein  andrer  mit  Müh  sich  verschafft  — 

Sie  wollen  davon  profitieren. 

In  I  V2  Stunden  waren  wir  zurück  beim  Geysir  und  erfuhren, 
dass  wir  nichts  versäumt  hatten.  Gegen  Abend  und  in  der  Nacht 
erdröhnte  es  noch  ein  paar  j\Ial  wie  von  einer  unterirdischen  Kano- 
nade, einmal  stieg  auch  das  Wasser  in  Form  einer  riesigen  Glocke 
etwa  4  m  in  die  Höhe ,  aber  es  sank  bald  wieder  zurück ,  und  wir 
waren  abermals  genasführt. 


1)  Den  Hinweis  verdanke  ich  Aug.  Gebhardt,  Literaturblatt  für  gerra.  und 
rem.  Philologie  1901,  Nr.  5.  Die  betreffende  Nummer  des  Pjödölfur  (1899,  Nr.  16), 
die  dieses  Gedicht  enthält,  hat  mir  Prof.  Olsen  gütigst  besorgt.  Über  den  Drachen 
vergl.   auch  Maurer,  Isl.  Volkssagen,   S.    176  7,   187. 


Übergang  über  die  Hvitä. 


30.  Juni. 

Schon  vor  10  Uhr  brachen  wir  auf. 
Wiederum  musstcn  wir  durch  das  Jungu- 
fljöl  reiten,  aber  das  Wasser  reichte  heute 
bis  zum  Sattel,  da  es  in  der  Nacht  tüchtig 
geregnet  hatte.  Nach  etwas  mehr  als 
einer  Stunde  erreichten  wir  die  Hvi'td 
(Weissache),  die  Ölfnsd  heisst,  nachdem 
sie  den  Ausfluss  des  Pingvallavatn  auf- 
genommen hat,  an  der  Stelle,  wo  sie  aus 
der  Gullfossspalte  wieder  in  die  Ebene 
tritt.  Sie  war  aber  viel  zu  breit,  tief  und 
reissend,  als  dass  wir  sie  zu  Pferde  durch- 
waten konnten.  Ö  g  m  u  n  d  u  r  hatte  darum 
einen  Bauern  mitgenommen,  der  verpflich- 
tet ist,  ein  Boot  zum  Überfahren  instand 
zu  halten  und  den  Reisenden  zu  helfen. 
Die  Pferde  wurden  abgesattelt ,  ein  Teil 
der  Kisten  und  des  Sattelzeuges  von  dem 
ziemlich  steilen  Ufer  an  den  Rand  des 
Flusses  getragen  und  zuerst  von  Ögm- 
u  n  d  u  r  und  dem  Bauern  hinübergerudert, 
mein  Begleiter  fuhr  mit,  um  eine  Auf- 
nahme zu  machen  (Fig.  66).  Die  Strö- 
mung war  recht  stark,  sie  stemmten  sich 
mit  aller  Kraft  gegen  die  Wellen  und 
liessen  sich  dann  zurücktreiben.  Eine 
Person  bleibt  gewöhnlich  drüben,  um  die 
Pferde  sofort  in  Empfang  zu  nehmen, 
und  um  ihnen  beizustehen,  wenn  sie  etwa 
zu  ermüdet  wären ,  das  steile  Ufer  zu 
erklimmen.  Heute  fiel  diese  Aufgabe 
dem  Studenten  zu.  Ögmundur  und 
ich  jagten  dann,  während  der  Bauer  das 
Boot  wieder  in  Ordnung  brachte,  unsere 
neun  Pferde  zusammen  und  zwangen  sie 
mit  Geschrei,  Peitschenknall  und  leichten 
Steinwürfen  in  das  breite,  eisige,  wirbelnde 
Wasser  hinein.  Sie  stürzten  sich  auch 
ohne  Besinnen  in  die  reissende  Flut  und 
schwammen  mit  hoch  erhobenem  Haupte 
hinüber.  Ich  sah  nach  der  Uhr,  es  dauerte 
gerade  vier  Minuten.  Am  andern  Ufer 
angelangt,  stapften  sie  prustend  und  sich 

Herrmann,  Island  I[. 


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18  Von  der  Hvitä  bis  Hruni. 

schüttelnd  das  Geröll  hinauf,  blickten  verächtlich  auf  das  unter  ihnen 
rauschende  Wasser  und  begannen  wohlgemut  an  dem  frischen  Birken- 
grün zu  nagen.  Der  Student  ergriff  ein  Pferd  nach  dem  andern  an 
dem  lang  herabhängenden  Riemen  und  hielt  sie  fest ,  damit  sie 
nicht  zu  weit  beim  Grasen  fortliefen.  Inzwischen  hatten  Ögmundur 
und  der  Bauer  das  übrige  Zaumzeug  und  zwei  Kisten  im  Boote 
hinten  verstaut,  so  dass  das  Vorderteil  hoch  emporragte ;  ich  selbst 
erfreute  inzwischen  meine  Augen  an  den  schönen  Basaltsäulen  und 
dem  alten  Moränenboden.  Dann  setzte  ich  mich  auf  eine  Kiste 
und  bekam  schweigend  eine  Schöpfkelle  in  die  Hand  gedrückt.  Die 
beiden  Männer  mussten  sich  gehörig  quälen,  aber  auch  ich  hatte 
fortwährend  zu  tun,  um  das  eindringende  Wasser  aus  dem  alten, 
lecken  Boote  wieder  auszuschöpfen.  Der  Bauer  unterstützte  uns 
noch  beim  Satteln,  erhielt  5  Kronen  als  Fergenlohn,  und  wir  setzten 
den  Weiterritt  fort;  der  Übergang  hatte  alles  in  allem  1^/4  Stunde 
beansprucht.  Nach  einer  Stunde  machten  wir  Halt,  um  die  Gurte 
wieder  festzuziehen ;  denn  an  dem  nassen  Pferdeleibe  geben  sie  leicht 
nach  und  lockern  sich. 

Vom  Tiing2ifell  ritten  wir  ein  Seitental  der  Hvi'td  entlang  und 
erreichten  gegen  2  Uhr  den  Pass  Gildruhagi,  eine  wild  romantische 
Gebirgslandschaft.  Im  Westen  kroch  der  weisse  Nebel  von  fünf 
warmen  Quellen  langsam  über  den  Boden  hin:  ein  Zeichen  dafür, 
dass  das  gute  Wetter  nicht  lange  anhalten  würde.  Durch  die  Tuff- 
felsen schlängelte  sich  ein  kleiner,  munterer  Bach,  und  nach  Süden 
schlössen  Basaltzinnen  von  ganz  eigentümlicher  Formation  das  Tal 
ab.  Dann  ritten  wir  an  einem  kleinen  See  vorüber  mit  zw^ei  heissen 
Quellen  und  Hessen  den  Pfarrhof  Hni/ii  und  ein  Bächlein  rechts 
liegen,  in  das  eine  warme  Quelle  geleitet  war,  und  das  zwei  Mägden 
als  Waschtrog  diente. 

Wir  befanden  uns  in  dem  Gebiete,  das  im  Jahre  1896  so  furchtbar  durch  Erd- 
beben verwüstet  worden  war.  In  der  Arnes  sysla,  die  wir  mit  dem  heutigen  Tage 
verliessen,  wurden  an  Gebäuden  '4430  Wohnhäuser  und  5381  Stallungen)  17  Prozent 
zerstört  und  der  grösste  Teil  der  übrigen  beschädigt.  In  der  südlich  und  östlich 
davon  gelegenen  Rdngdri'alla  sfis/a  waren  von  588  Gehöften  86  gänzlich  zerstört, 
75  stark  und  427  weniger  beschädigt  worden.  Menschenleben  waren  nur  4  zu  be- 
klagen, aber  viele  wurden  verwundet.  Da  das  Vieh  sich  auf  der  Weide  befand, 
gingen  nur  9  Kühe  und  20  Schafe  zugrunde.  Der  Strokkltr  hat  seitdem  aufgehört 
zu  sprudeln,  warme  und  kalte  Quellen  und  Brunnen  erlitten  Veränderungen,  alte  ver- 
schwanden, und  neue  bildeten  sich.  In  der  Arnes  sfisla  wurde  das  Wasser  durch  den 
Gletscherlehm  vielfach  milchweiss,  in  der  Rdngärvalla  sysla  wurden  die  Bäche 
wegen  der  hier  allgemein  vulkanischen  Erdarten  blutrot.  Die  Vulkane  in  der  Nähe, 
Hekla,  Katla  und  Eyjafjallajökull,  verhielten  sich  während  und  nach  dem  Beben 
vollständig    ruhig,    diese    Erdbeben    scheinen    also    tektonischen  Ursprungs    zu    sein  ^). 


1)  Thoroddsen,  Das  Erdbeben  in  Island  im  Jahre  1896,  in:  Petermanns  Mit- 
teilungen 1901,  Bd.  47,  Nr.  3,  S.  53ff.  Thoroddsen,  Untersuchungen  in  Island, 
in:   Z.   d.   Gesellschaft    f.  Erdkunde,    Berlin    1898,    Bd.   33,    S.   294  ff.      Thoroddsen, 


Von  Ilruni  bis  Störinüpur.  19 

Keins  von  den  geschichtlich  bekannt  gewordenen  Erdbeben  auf  Island  scheint  so 
furchtbare  Verwüstungen  angerichtet  zu  haben ,  wie  das  vom  August  und  Sep- 
tember 1896. 

Die  Laxd  und  Kdlfü  wurden  leicht  passiert,  und  wir  näherten 
•  uns  der  Pjörsd  (Stierfluss),  dem  längsten  Flusse  Islands  (210  km), 
der  Grenze  zwischen  der  Arnes  sysla  und  der  Rdngdrvalla  sysla. 
Dieses  Gebiet  und  der  Pjdrsdrdalur,  ein  Seitental  zu  dem  breiten 
Tal,  in  dem  die  Pj'drsd  strömt,  ,, Islands  Pompeji",  sind  von  Daniel 
Bruun  genau  durchforscht,  und  er  hat  da,  v^^o  jetzt  alles  mit 
schwarzer  vulkanischer  Asche  und  Bimsstein  angefüllt  ist,  eine  An- 
zahl alter  Ruinen  aufgefunden.  Von  hier  stammen  auch  viele  seiner 
wertvollen  Untersuchungen  über  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
Islands  in  der  Gegenwart  und  die  Bauart  im  Altertum  wie  in  der 
Neuzeit.  Auch  manches  interessante  Bild  aus  dieser  Landschaft  ist 
von  ihm  aufgenommen.  Die  Höhle  mit  ümzäumung  (Bd.  I,  S.  206), 
die  Lämmerhürde  (Bd.  I,  S.  203)  und  die  alte  Schafliürde  (Bd.  I, 
S.  215),  die  nördlich  von  unserem  Quartier  Stdrinilpur  liegt,  sind 
von   ihm    mit  Meisterhand  gezeichnet. 

Es  goss  in  Strömen,  das  Auge  sah  nichts  wie  Zickzackwege 
durch  grasbewachsenes  hügeliges  Land  und  kleine  Täler.  Mit  einem 
Male  hörte  der  Regen  auf,  und  als  der  Reitweg  um  einen  Abhang 
bog,  traten  der  Reihe  nach  die  drei  weissen  Geister  des  Küsten- 
landes hervor  (ich  gebe  hier  die  unnachahmlich  schöne  Schilderung 
Heuslers  wieder,  Deutsche  Rundschau  XXII,  S.  212):  ,,erst  der 
Eyjafjallajökull ,  der  höchste  und  schönste  von  den  dreien,  eine  un- 
gebrochene, kaum  gefaltete,  milchweisse  Fläche,  der  unvergleichlich 
zarte  Kontur  in  einen  weichen  Doppelgiebel  auslaufend.  Nördlich 
von  ihm  der  Tmdfjallajökull:  er  lässt  aus  einer  Gletscherebene 
sechs  zierliche  kleine  Firn-  und  Felspyramiden  aufwachsen.  Zuletzt 
tritt  die  Hekla  heraus.  Ihr  Abstand  von  uns  ist  nur  der  halbe; 
darum  hat  ihr  Schneegewand  nicht  den  gelblichen  Duft  der  andern; 
es  hebt  sich  schärfer,  bläulich-silbern  von  dem  Himmel  ab.  Die 
schwere,  undurchbrochene  Gletscherdecke  fehlt  ihr;  die  Schneehülle 
ist  von  grauen  Aschenflecken  und  Lavazügen  zerrissen.  Ihre  Form 
ist  ausgeprägt:  als  regelmässige  Halbkugel  scheint  sie  sich  aus  der 
Tiefe  empor  und  wieder  zu  Tal  zu  wölben." 

Dann  kämpften  Sonne  und  schwarze  Regenwolken  einen  langen 
Kampf  miteinander.  Die  Berge  lagen  in  bläulichem  Scheine  da, 
scharf  hob  sich  die  weisse  Schneedecke    von    ihm    ab,   und    als    wir 


Die  Bruchlinien  Islands  und  ihre  Beziehungen  zu  den  Vulkanen,  a.  a.  O.,  Bd.  51, 
Nr.  3.  Thoroddsen,  Landskjälftar  ä  Islandi,  Kph.  1899 — 1905.  —  Gebhardt, 
Globus   1896,   Bd.   70,  Nr.   20. 

2* 


20  Störinüpur. 

in  Störim'ipur  um  8  Uhr  ankamen,  stand  gerade  ein  Regenbogen 
über  dem  Hause  des  berühmten,  wahrhaft  grossen  Psalmendichters 
ValdiJ/ia?'  jBriem.  Sira  l^aldwiar  selbst  war  nicht  zu  Hause,  er 
war  in  Reykjavik  zur  Pfarrerversammlung  (synodtis,  prestastefna)^ 
die  dort  anfangs  Juli  jeden  Jahres  unter  dem  Vorsitze  der  Stifts- 
obrigkeit, seit  dem  i.  Oktober  1904  dem  des  Ministers,  zusammen- 
tritt. Sein  Sohn  Olafur,  der  zugleich  Vikar  des  Vaters  ist,  und 
dessen  Gemahlin,  eine  Schwester  des  prächtigen  pröfashir  Gud- 
)nu)idiir  Helgasoii  von  Reykholt,  nahmen  uns  mit  bezaubernder 
Gastfreundschaft  auf,  obwohl  Touristen,  namentlich  Engländer,  keine 
Seltenheit  und  vor  allem  nicht  immer  eine  Annehmlichkeit  für  sie 
sind.  Der  begabte  junge  Maler  Asgri'niur  Jöiisson  war  zum  Be- 
such hier,  und  wir  erneuerten  die  Bekanntschaft,  die  wir  an  Bord 
der  ,, Laura"  geschlossen  hatten.  Auch  er  gestand,  eine  so  geister- 
hafte Beleuchtung  noch  nie  gesehen  zu  haben;  mit  überaus  ge- 
schickter Hand  hatte  er  die  wunderbaren  Farbeneffekte  auf  einer 
Skizze  fest  gehalten,  und  bereitwillig  zeigte  er  uns  eine  stattliche 
Anzahl  flott  entworfener  Studienblätter. 

Das  sehr  stattliche  und  äusserst  gemütlich  eingerichtete  Wohn- 
haus, um  das  mancher  deutsche  Landpastor  seinen  Amtsbruder  auf 
Island  beneiden  könnte,  ist  mit  dem  über  ^h  Stunde  sich  ausdehnen- 
den Tun  nach  dem  Erdbeben  1896  ganz  neu  errichtet  (Fig.  67). 
Es  ist  fast  ausschliesslich  aus  Holz  gebaut  und  mit  Wellblech  be- 
kleidet, da  Holzhäuser  ein  Erdbeben  besser  aushalten ;  aber  es  hält 
nicht  mehr  so  warm  wie  das  zerstörte  Erd-  und  Steinhaus;  der  Ver- 
brauch an  Brennmaterial  ist  weit  grösser,  und  der  Ofen  muss  jetzt 
ganz  anders  in  Tätigkeit  treten  wie  früher;  die  Kohlen,  die  auf 
dem  Rücken  der  Pferde  herangeschleppt  werden,  kosten  ein  Heiden- 
geld. Nach  dem  Erdbeben  hatte  man  lange  Zeit  in  Zelten,  dann 
in  der  Kirche  wohnen  müssen.  Denn  die  Kirche  war,  wie  die  bei 
Reykjahlid  am  Myvatn^  unversehrt  geblieben.  In  ihr  befindet  sich 
ein  Triptychon  vom  Jahre  1728,  in  der  Mitte  die  Einsetzung  des 
Abendmahls,  links  die  Taufe,  rechts  die  Kreuzigung  darstellend. 
Der  Raum  über  dem  Altar  war,  wie  in  Gardar,  als  blauer  Himmel 
mit  Sternen  bemalt.  Der  kleine  Friedhof  vor  der  Kirche  war  in 
gutem  Zustande;  frische  und  künstliche  Blumen  schmückten  die 
Gräber,  auch  das  der  1902  verstorbenen  Ehefrau  des  Dichters,  einige 
schwarz  angestrichene  Holzkreuze  gaben  Namen  und  Daten;  auf 
einigen  flachen  Gräbern  und  auf  der  Einfriedigung  lag  Wäsche  zum 
Trocknen^). 


')  Siörinüpur  ist  geologisch  bestimmt  von  \V  ink  1  er ,  Island.  Der  Bau  seiner 
Gebirge,  München  1863,  S.  106  7.  ^  Einige  Volkssagen,  die  hier  spielen,  bei  Maurer, 
Isl.  Volkssagen  11,  51,  228. 


Valdimar  Briem  in   Störinüpur. 


21 


Sira  Valdimar  (geb.  1848)  gilt  neben  Hallgriumr  Pjetursson 
als  der  bedeutendste  geistliche  Dichter  Islands.  In  seiner  wahr- 
haften, schlichten  Frömmigkeit  erinnert  er  an  G.erok,  und  von  dem 
schwäbischen  Dichter  fand  ich  auch  „Deutsche  Ostern",  ,,Auf  ein- 
samen Gängen",  ,,Der  letzte  Strauss",  „Blumen  und  Sterne"  in 
Valdiinars  ungewöhnlich  reichhaltiger  Bibliothek  vor.  Seine  Bibcl- 
lieder  [Bibliuljod,  zwei  starke  Bände,  1896—97)  traf  ich  in  vielen 
Häusern  an,  und  in  mancher  einsamen,  verzagten  Stunde  haben  sie 


Fig.   67.      Störinüpur. 


mich  aufgerichtet.  Die  Krone  unter  seinen  Gedichten  gebührt  dem 
schönen  Liede:  ,,Gott  sei  mit  dir!"  So  manchen  Isländer  stärkt 
es  auf  seinen  gefahrvollen  Reisen  über  windumtobte,  schneebedeckte 
Felsen,  durch  öste  Wüsten  und  reissende  Ströme,  sowie  auf  seinem 
Lebenswege,  der  dort  oben  nicht  so  leicht  und  glatt  verläuft  wie 
bei  uns.  Auch  der  Reisende,  der  längere  Zeit  dort  verweilt,  wird 
die  stimmungsvolle  Schilderung  nachempfinden,  und  das  heute  so 
selten  gewordene,  kindliche  Gottvertrauen,  das  aus  diesen  Versen 
spricht,  wird  auch  bei  spöttischen  Gemütern  seine  tiefe  Wirkung 
nicht  verfehlen  (Übersetzung  von  Pöstion,  Eislandblüten  S.  172/3). 


22  Valdimar  Briem  in  Störinüpur. 

I.  Juli. 

Sira  Valdimar  hat  eine  der  grössten  Privatbibliotheken  Islands. 
Sie  umfasst  eigentlich  drei  Sammlungen,  eine  theologische,  eine 
belletristische  und  natürlich  eine  fast  vollzählige  Zusammenstellung 
der  alten  Sagas  und  der  sich  auf  Islands  Glanzzeit  beziehenden 
Literatur.  Neben  einer  ,, Bibliothek  der  Kirchenväter",  Shakespeare, 
Runeberg,  Snoilsky,  Tassos  Befreitem  Jerusalem  im  Urtext  oder  in 
dänischer  Übertragung  fand  ich  an  deutschen  Büchern :  Bern,  Deutsche 
Lyrik ;  Horaz  und  Petrarka  (in  Übersetzung) ;  Gerok ;  Schiller  (voll- 
ständig);  Goethes  Faust ;  Ebers,  Palästina  in  Wort  und  Bild ;  ,, Bilder- 
mappe für  Kunstfreunde" ;  und  —  unser  Nibelungenlied  in  Simrocks 
Übersetzung !  OLafur  hatte  natürlich  auf  dem  Gymnasium  in  Reyk- 
javi'k  auch  deutsch  gelernt,  aber  da  ihm  die  Übung  fehlte,  es  fast 
vergessen.  Immerhin  konnte  ich  feststellen,  dass  verschiedene  deutsche 
Lieder  ziemlich  allgemein  bekannt  geworden  sind.  Ögmundur 
pflegt  mit  Vorliebe  ,,Seht  wie  die  Sonne  dort  funkelt",  ,,Ich  weiss 
nicht ,  Vv'as  soll  es  bedeuten" ,  und  ein  isländisches  Lied  nach  der 
Melodie  „Integer  vitae"  von  dem  Berliner  Arzt  F.  F.  Flemming  zu 
singen.  In  Kopenhagen  hatte  ich  von  Isländern  singen  hören:  ,,An 
dem  Bache  sass  der  Knabe",  ,, Kennst  du  das  Land",  ,, Leise  zieht 
durch  mein  Gemüt",  „Du  bist  wie  eine  Blume"  (diese  vier  in  Über- 
setzung);  hier  kamen  hinzu:  ,,Die  gute  Nacht,  die  ich  dir  sage", 
„Die  Schlacht  ist  aus,  die  Hoffnung  schwand", 

„Kommen  und  Scheiden, 
Suchen  und  Meiden, 
Fürchten  und  Sehnen, 
Zweifeln  und  Wähnen, 
Armut  und  Fülle, 
Verödung  und  Pracht 
Wechseln  auf  Erden 
Wie  Dämmrung  und  Nacht"  — 

diese  letzten  drei  Gedichte  in  deutscher  Sprache ;  zu  meiner  Schande 
muss  ich  gestehen,  dass  sie  mir  völlig  unbekannt  waren,  und  dass 
ich  ihre  Verfasser  auch  heute  noch  nicht  kenne. 

Es  wurde  mir  wirklich  schwer,  mich  von  der  anheimelnden 
Studierstube  zu  trennen,  die  ein  grosses  Bild  von  Luther,  eine  Ma- 
donna und  eine  Nachbildung  von  Einar  Jönssons  ,, Strafurteil" 
schmückten,  und  die  freundliche  Einladung  zu  längerem  Bleiben  ab- 
zuschlagen. Aber  unsere  Zeit  war  zu  knapp  bemessen,  und  es  galt, 
das  helle  Wetter,  das  endlich  angebrochen  war,  für  die  Besteigung 
der  Hekla  zu  benutzen.  Nachdem  die  Pferde  zusammengetrieben 
waren,  w-as  über  fünf  Stunden  dauerte,  so  weit  hatten  sie  sich  ver- 
laufen,  gaben  uns  der  junge  Pfarrer   und  Asgrmmr   das  Geleit    bis 


Von  Störinüpur  bis  Galtalsekur.  23 

Hrosshylur   an    der   Pjörsd  {kross  =  Pferd,    hyliir  =  tiefes,    stilles 
Wasser).    Wie  an  der  Hvttd,  ruderten  wir  mit  dem  Gepäck  in  einem 
Boote  hinüber,    die  Pferde  aber    machten  Schwierigkeiten;    sie    wei- 
gerten sich,  in  die  reissende  Strömung  zu  gehen,  kehrten,  wenn  sie 
in  der  Mitte  des  Flusses  waren,    immer  wieder    um  und   versuchten 
am    Ufer    auszureissen.     Um    den    andern    Mut    zu    machen,    fasste 
Ögmundur  zwei  Pferde  an  einem  Stricke  und  zog  sie  hinter  dem 
Boote  her.    Das  half.    Trotz  der  vermehrten  Arbeit  und  der  längeren 
Dauer  des  Überganges  verlangten  die  beiden  Fergen  zusammen  nur 
I   Krone,    also  nur  den    fünften  Teil  dessen,  was    wir  an    der  Ilväd 
bezahlt    hatten.     Als   ich   erstaunt  fragte,    woher    der    grosse    Preis- 
unterschied  stamme,    erfuhr   ich,    dass    dies   eine    vom   Staat    unter- 
stützte Fähre  sei,  die  andere    aber    eine  Privatsache.     Natürlich  be- 
zahlte   ich    in   Anbetracht    der    aufgewendeten  Mühe    mehr,    als  ge- 
fordert war,  und  mit  vergnügtem  Schmunzeln  und  dankbarem  Hände- 
druck steckten  sie  die  2^2  Kronen  ein.     Der  Reitweg  am  südlichen 
Ufer  der  Pjörsd,  der  uns  am  Fusse  des  Skardsfjall  vorüber  führte, 
war  niederträchtig:    er  war  eine  schmale  Rinne,    so  dass  gerade  ein 
Pferd  hinter    dem    andern    sich    darin    fortbewegen    konnte,    in  dem 
etwa  meterhohen  harten  Boden ;  wir  mussten  fortwährend  die  Füsse 
hochziehen,    taten  wir  das  nicht  und  passten  nicht  auf,   so  streiften 
die    Füsse    so    heftig    die    Wände    der    Rinne,    dass    es    ordentlich 
schmerzte;    einmal  war  der  Schmerz    so  heftig,    dass    ich    fürchtete, 
der  Fuss  sei  verrenkt    oder  gar    gebrochen.     Dazu    stach  die  Sonne 
erbarmungslos,    und   Fliegenschwäime    peinigten    Ross    und    Reiter. 
In    Deutschland    wäre     sicher    ein    Gewitter    losgegangen,    aber    ein 
skriigguvediir  ist  auf  Island  sehr  selten;  ich  habe  während  meines 
ganzen  Aufenthaltes  nicht  einen  Donner  gehört  (pruma),  und  nicht 
einen  Blitz  gesehen  (elding).     Dafür  prasselte  ein  Regen  hernieder, 
dass  die  steif  gewordenen  Finger    kaum    die  Zügel    halten    konnten. 
Und    doch    war    der  Regen    bei  dem  Jagen    durch    die    nicht    enden 
wollenden    öden  Landstrecken    sehr   nützlich,    denn    die  Sandstürme 
hier  sind  berüchtigt.    Die  Gegend  war,  seit  Ögmundur  zum  letzten 
Male  hier  gewesen  war,  sehr  verändert.     Er  musste  wiederholt    uns 
begegnende    Bauern   nach    dem   Wege    fragen    und   zweimal    in    Ge- 
höften vorsprechen,  um  Auskunft   zu  holen.     Die  Aufsicht  über  die 
ledigen  Pferde  lag  darum  mir  allein  ob,  und  mein  wackerer  Schimmel 
musste  rechts  und  links,  vorwärts  und  rückwärts  springen.    Erst  ein 
mächtiger    Lavastrom,    der  von   den  Vulkanen    an   den  Fiskivötn   in 
der    Vesfur  Skaptafells  sysla    stammen  soll,    gebot    unserem    Rasen 
Einhalt,    und    die  Pferde    strauchelten  wiederholt    über   lose,    scharfe 
Blöcke,  die  unter  der  trügerischen  Sandschicht  verborgen  lagen,  die 
sich  auf  seine  Oberfläche  festgesetzt  hatte.    Eine  halbe  Stunde  aber 
vor   Galfalcckur,    das  wir   gegen  6  Uhr    erreichten,    Hess    der  Regen 
nach,  die  Sonne  strahlte,    und  langsam  entschleierte  sich  die  Hekla 


24  Galtalaekur  am  Fusse  der  Hekla. 

vor  unseren  trunkenen  Augen  ^).  Ein  so  reiner  Anblick,  wie  wir 
hatten,  gehört  zu  den  grössten  Seltenheiten.  Die  gelbbraune  Farbe 
der  aus  Palagonitbreccie  und  Tuft"  bestehenden  Felswände  stach 
grell  von  dem  glänzenden,  schwarzen  vulkanischen  Sande,  den  dunkeln, 
höckerichten  und  zerrissenen  Lavamassen  und  der  mattgrauen  Asche 
ab.  Rötliche  Krater  und  grauschwarze  Lavamauern  lagen  um  ihren 
Fuss.  Nicht  der  kleinste  Nebelstreifen,  nicht  der  Hauch  einer  Wolke 
lag  über  ihren  Kuppen,  in  keuscher  Weisse  bedeckte  nach  Westen 
ein  riesiges  Schneefeld  den  schwarzblauen  Körper  des  schönen 
Kegels  zur  Hälfte,  wie  ein  Mantel  mit  einer  Kapuze,  der  einer 
menschlichen  Gestalt  übergeworfen  ist.  Nach  diesem  Schneemantel 
oder  auch  nach  dem  wallenden  Nebelmantel,  der  sie  beständig  um- 
gibt, hat  die  Hekla  ihren  Namen :  dieser  ist  gemeingermanisch,  got. 
hakuls,  ahd.  hachul  „IMantel"  lebt  im  ,,Hackelbärend"  fort  CMantel- 
träger),  wie  der  wilde  Jäger  in  Westfalen  heisst.  Die  andere  Deutung 
,, Haube",  weil  der  Berg  eine  haubenförmige  Gestalt  habe,  ist  weder 
sprachlich  noch  sachlich  richtig:  er  gleicht  eher  einem  abgestumpften 
Kegel  (Fig.  68). 

Die  östliche  und  die  westliche  [oder  äussere]  Rdngd  (Exstri  und 
Vestn  [Ytn]  Rdngd  ^Kmmm?iC\\e),  die  sich  in  den  ,, Waldstrom", 
das  MarkartJjöt  ergiessen,  umschliessen  die  nächste  Umgebung  der 
Hekla^).  Steigt  man  nach  Nordosten  vom  Winkel  zwischen  den 
beiden  Flüssen  empor,  so  hebt  sich  das  Land  gleichmässig,  und 
Schritt  für  Schritt  klimmt  man  aufwärts  zu  dem  Vulkan  hin,  da  ein 
Lavastrom  den  andern  deckt,  und  je  näher  man  dem  Vulkan  kommt, 
desto  grösser  wird  die  Zahl  der  Ströme.  Anfangs  ist  der  Graswuchs 
noch  ganz  üppig,  Galtalcpkur  selbst  liegt  inmitten  saftiger  Wiesen, 
eine  erquickende  Oase  inmitten  der  öden  Lavafelder,  Sand-  und 
Aschenwüsten,  aber  bald  weicht  aller  Graswuchs  vor  den  weiten 
Strecken  schwarzen  Flugsandes  und  vor  den  trostlosen  Lavafeldern 
zurück.  Nicht  einen  Tropfen  Wasser  gibt  es  hier,  alles  das  bele- 
bende Nass  sickert  durch  die  losen,  vulkanischen  Massen  nieder. 
Westlich  von  der  Hekla  ist  das  Land  bis  hoch  gen  Norden  bebaut, 
aber  auf  der  Ostseite  ist  eine  so  grosse  Menge  Lava  ausgegossen, 
dass  von  einer  Ansiedlung  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Die  Hekla  erhebt  sich  auf  einem  27  km  langen,  und  2 — 5  km 
breitem  Rücken  aus  Tuff  und  Breccie  mit  dazwischen  befindlichen 
Lavalagen  in  drei  oder  vier  Absätzen  bis  zu  einer  Höhe  von  1557  m 
ü.  M. ;  die  relative  Höhe  des  Vulkans  beträgt  800  — lOOO  m.  Von 
S.W.  aus  sieht    die  Hekla  kegelförmig  aus,  von  der  Seite  aber  sieht 


1)  Alle    geographischen  Namen    auf  -a    sind    im  Isländischen  Feminina:    also  die 
Hekla. 

2)  Nach  Thoroddsen,  Vulkaner  og  Jordskjaelv  paa  Island  S.  52,  wo  auch  eine 
gute  Spezialkarte. 


Die  Hekla. 


25 


CO 


bJ3 


26  Galtalaekur  am  Fusse  der  Hekla. 

man,  dass  es  ein  langgestreckter  Rücken  ist,  der  sich  im  Verhältnis 
zu  seiner  Umgebung  zu  einer  imponierenden  Höhe  erhebt.  Parallel 
mit  der  Hekla  laufen  mehrere  flachere  Bergrücken,  looo — 1500  Fuss 
hoch;  auf  der  mittelsten  dieser  fünf  oder  sechs  Ketten  liegt  der 
gleichfalls  längliche  Vulkan ;  er  ist  der  Länge  nach  von  einer  Spalte 
zerklüftet,  auf  ihr  befinden  sich  die  Krater,  wie  tiefe  Kessel  in  einer 
Reihe.  Auf  diesen  Kraterreihen,  sowie  auf  denen  neben  dem  Rücken, 
auf  den  Lavafeldern  und  den  dortigen  Tuffketten  haben  in  geschicht- 
Hcher  Zeit   18  grosse  Ausbrüche  stattgefunden. 

Galtalcrkur  ist  für  eine  Besteigung  der  Hekla  der  günstigste 
Ausgangspunkt,  da  man  bis  zu  einer  Höhe  von  600  m  an  den  Berg 
heranreiten  kann.  Der  Name  bedeutet  ,, Schweinebach"  (göltur  = 
verschnittenes  Schwein)  und  gehört  zu  der  langen  Reihe  der  Be- 
nennungen, die  von  der  vordem  so  schwunghaft  betriebenen,  heute 
fast  gänzlich  abgekommenen  Schweinezucht  auf  Island  Zeugnis  geben 
(vergl.  Galtahöll,  Svi'nd,  Svi'nadalr,  Svmey,  Svmafell,  Sviiiaskard 
und  Svmavatn). 

Trotz  des  feinen  Regens  streifte  ich  nach  dem  Essen  noch 
draussen  umher.  Wie  ein  unförmiger  Klotz  liegt  das  Bürfell  einsam 
vor  mir  im  Tale.  Ein  paar  hundert  Schritte  hinter  dem  Gehöfte 
fliesst  der  kleine  Galtabach,  eine  INIenge  feine  weisse  Wolle,  die  in 
ihm  gewaschen  war,  liegt  an  seinem  Rande  zum  Trocknen  ausge- 
breitet. 

Die  Hekla  aber  ist  völlig  in  Wolken  und  Nebel  eingehüllt,  die 
Aussichten  für  den  nächsten  Morgen  sind  also  schlecht.  Trotzdem 
wird  alles  zur  Besteigung  vorbereitet.  INIein  Begleiter  muss  leider 
zurückbleiben,  da  er  sich  nicht  wohl  fühlt;  der  älteste  Sohn  des 
Bauern  soll  uns  auf  den  Gipfel  führen,  der  jüngste  die  Pferde  be- 
wachen, sobald  wir  sie  nicht  mehr  gebrauchen  können.  Der  alte 
Bauer  meint,  wenn  wir  früh  genug  aufbrächen,  könnten  wir  gutes 
Wetter  haben ;  ich  traue  ihm,  da  alle  Isländer  gute  Wetterbeob- 
achter sind. 

2.  Juli. 

Früh  um  sechs  weckt  mich  Ögmundur:  das  Wetter  sei  leid- 
lich, ob  ich  noch  Lust  zur  Besteigung  hätte  r  Nach  dem  Frühstück, 
8^/4  Uhr,  brachen  wir  vier  zu  Pferde  auf,  um  als  die  ersten  in  diesem 
Jahre  die  Hekla  zu  nehmen.  Was  ich  an  Berichten  über  eine  Er- 
steigung der  Hekla  kenne,  ist  fast  alles  übertriebene  Flunkerei  oder 
mindestens  aufgeregte  Selbsttäuschung;  auf  Island  muss  eben  alles 
,, schauerlich",    ,, grossartig"    und  ,, lebensgefährlich"    sein!^)     Mir  ist. 


1)  Eine  rühmliche  Ausnahme  macht  der  Aufsatz  von  Prof.  Vetter-Bern  „Eine 
Besteigung  der  Hekla"  in  „Vom  Fels  zum  Meer"  1889,  S.  598  ff.  Nicht  ganz  frei  von 
dem  ausgesprochenen  Vorwurfe  ist  Küchlers  „Besteigung  der  Hekla"  im  Globus 
1906,  Bd.  86,  Nr.  6. 


Besteigung  der  Hekla.  27 

obwohl  ich  durchaus  kein  Bergfex  bin,  die  Besteigung  der  Hekla 
ebenso  harmlos  vorgekommen,  wie  die  der  Galdhöpig  in  Jotunheim, 
und  wie  mir  der  drollige  Anblick  der  zwölf  Norweger  unvergesslich 
ist,  die  mit  dem  Führer  auf  ein  paar  Schritte  durch  ein  Seil  ver- 
bunden waren,  so  ist  es  mir  gänzlich  unverständlich,  dass,  wie 
Ögmundur  mir  lachend  erzählte,  drei  deutsche,  sonst  kräftige  und 
freundliche  Juden,  vor  lauter  Angst  versagten :  der  erste  blieb  schon 
beim  ersten  Schneefeld  liegen,  der  zweite  kehrte  nach  der  Hälfte 
um,  und  der  dritte  verzichtete,  als  die  eigentliche  Schneewanderung 
beginnen  sollte. 

Allerdings  geschieht  eine  Besteigung  der  Hekla  so  ganz 
anders,  wie  die  eines  Berges  in  Tirol  oder  in  der  Schweiz.  Schon 
dass  man  nicht  in  frühester  Morgenstunde,  sondern  nach  einem  guten 
Frühstück  aufbricht,  berührt  eigentümlich;  man  ist  zudem  nicht 
mit  Bergstiefeln,  Bergstock  oder  gar  Eispickel  bewaffnet,  sondern 
die  beiden  Führer  tragen  ihre  leichten  Seehundsschuhe,  ich  die 
schweren  Reitstiefel;  die  Stelle  eines  Stockes  vertrat  die  Reitpeitsche. 
Denn  ohne  die  wackern  Tiere  geht  es  nun  einmal  nicht,  und  die 
ersten  zwei  und  eine  halbe  Stunde  leisten  sie  gute  Dienste.  Wenige 
Minuten  hinter  dem  Gehöft  wird  die  westliche  Rdngd  passiert,  und 
ein  dichtes,  angenehm  duftendes  Birkengehölz  Hraunteigiir  nimmt 
uns  auf;  es  hat  bisher  den  Verwüstungen  des  Lavastromes  getrotzt 
und  verdankt  seinen  üppigen  Wuchs  wohl  der  unterirdischen  Wärme. 
Das  erste  Lavafeld,  das  aus  schwarzen,  zerbrochenen  Stücken  be- 
steht, wird  genommen,  zur  Rechten  bleibt  eine  freundliche  Farm 
liegen.  Dann  kommt  eine  braunrote,  schwarze  Sandfläche,  ohne 
allen  Pflanzenwuchs,  nur  hier  und  da  starren  ein  paar  vertrocknete 
Strünke.  Langsam  geht  es  ein  neues  Lavafeld  von  Süden  her 
bergan,  und  abermals  gähnt  uns  eine  Wüste  entgegen;  rechts  ragen 
einige  Krater  empor,  dunkelschwarz  oder  rotbraun.  Das  erste, 
grössere  Schneefeld  wird  noch  zu  Pferde  genommen,  mühsam  klettern 
die  braven  Tiere  und  schnauben  und  pusten  ganz  gewaltig;  beim 
zweiten  steigen  wir  ab  und  führen  die  Pferde  behutsam  am  Zügel. 
In  einer  Senkung,  wo  der  grosse,  über  15  m  hohe  Lavastrom  von 
der  Hauptmasse  abzweigt,  wird  Halt  gemacht ;  angesichts  der  Kuppe 
der  Hekla  leeren  wir  hastig  eine  kleine  Konservenbüchse  und  stecken 
Schokolade  ein;  die  Pferde  bleiben  unter  der  Aufsicht  des  jungen 
Burschen  zurück,  wir  selbst  machen  uns  11^2  Uhr  fertig  zum  Auf- 
stieg. Zunächst  gilt  es  den  Lavastrom  zu  überklettern;  an  dem 
harten,  scharfen  Gestein  geht  es  böse  über  Hände  und  Stiefel  her, 
von  einem  Block  turnen  war  zum  andern,  bald  lassen  wir  uns  vor- 
sichtig hernieder,  bald  ziehen  wir  uns  empor  und  helfen  uns  dabei 
gegenseitig.  Vor  dem  Schneefeld  verschnaufen  wir  uns  fünf  Mi- 
nuten, das  gute  Essen  an  Bord  der  „Laura"  und  im  „Hotel  Island" 
wirkt  doch  hinderlich.    Dann  geht  es  ein  riesiges  Schneefeld  empor, 


28  Besteigung  der  Hekla. 

das  sich  bis  an  den  oberen  Krater  hinzieht.  Schon  mancher  ist 
hier  wieder  umgekehrt,  und  ich  mache  kein  Hehl  daraus,  dass  mir 
seine  Traversierung  nicht  leicht  fiel.  Die  beiden  Führer  schweben 
nur  so  dahin,  während  ich  mit  den  unförmigen,  bis  übers  Knie 
reichenden  Stiefeln  bei  jedem  unvorsichtigen  Tritt  einsinke;  dazu 
schlägt  der  junge  Bauer  ein  Tempo  an,  dass  ich  kaum  folgen  konnte; 
am  liebsten  hätte  ich  alle  paar  Schritte  Halt  gemacht,  um  Atem 
zu  schöpfen.  Auch  der  letzte  Tropfen  Alkohol,  der  noch  von  den 
vielen  Feiern  in  Reykjavik  im  Leibe  war,  muss  entweichen,  ganze 
Ströme  von  Schweiss  rieseln  hernieder.  Aber  lange  Pausen  dürfen 
nicht  gemacht  werden;  ein  eisiger  Sturm  braust  uns  entgegen  und 
zerrt  an  uns,  dass  wir  uns  mit  ^lühe  aufrecht  halten;  immer  dichter 
und  länger  wird  der  Nebelmantel,  der  sich  um  die  Kuppe  der  Hekla 
lagert.  Endlich  hört  der  Schnee  auf,  und  die  charakteristischen  vul- 
kanischen  Erscheinungen  treten  zutage.  Schwarzer  Lavasand  liegt 
schichtenweise  auf  dem  schmutzig  gefärbten  Schnee,  an  einigen 
Stellen  ist  unter  der  schwärzlichen  Decke  der  geschmolzene  Schnee 
zu  Eis  gefroren,  kleine  dünne  Wässerchen  sickern  zwischen  fuss- 
hohen  Dreckhaufen.  Es  ist  ganz  gehörig  glatt,  dann  wieder  rollt 
bei  jedem  Schritt  der  Boden,  der  mit  losem  Grus,  Sand  und  Lapilli 
bedeckt  ist,  in  grossen  Mengen  zu  Tal.  Zwei  Stunden  zehn  Minuten, 
nachdem  wir  die  Pferde  verlassen  haben,  sind  wir  oben  an  dem 
Krater  von  1845.  Die  einzelnen  Gipfel  sind  durch  schneebedeckte, 
gratartige  Rücken  miteinander  verbunden,  und  auf  allen  Vieren 
kriechend  schleppe  ich  mich  nach  dem  obersten  Krater  bis  zu  der 
Steinpyramide  (kerling  ,, altes  Weib"  oder  vardi).  Einige  schön 
gefärbte  rote,  gelbe  und  schwarze  Lavasteine  stecke  ich  zum  An- 
denken ein,  ziehe  die  Öljacke  an,  die  Ögmundur  vorsichtiger- 
weise mitgenommen  hat,  und  versuche  vergeblich,  mir  eine  Ziga- 
rette anzuzünden :  eisig  fegt  der  Wind  über  den  kahlen  Gipfel, 
Nebel  und  Wolken  ballen  sich  zusammen,  zähneklappernd  kauern 
wir  nieder.  Es  ist  uns  nicht  möglich,  länger  als  zehn  Minuten  hier 
oben  auszuhalten,  und  missmutig  wende  ich  mich  zum  Abstiege. 
Plötzlich  zerreisst  der  Nebel,  als  wir  kaum  hundert  Schritte  gemacht 
haben :  unmittelbar  neben  uns  zur  Linken  steigen  feine  dünne 
Schwefelwolken  auf,  und  als  wir  aufschauen ,  bietet  sich  uns  für 
wenige  Minuten  eine  Aussicht,  so  rein  und  weit,  wie  sie  der  Bauer 
noch  nie  hier  genossen  hat.  Zu  den  Füssen  breitet  sich  eine  weite, 
öde  Gebirgslandschaft  aus,  mit  Lavaströmen  und  Aschenresten,  aus 
denen  nur  vereinzelt  violette  Berge  von  wunderlichen  Formen  auf- 
ragen, und  wo  hier  und  da  blaue  Seespiegel  und  vielfach  gewundene 
Flussläufe  leuchtend  aufschimmern.  Darüber  hinaus  schweift  das 
Auge  bis  an  das  Meer,  das  den  Horizont  einfasst,  und  aus  dem  sich 
schattenhaft  die  zerrissenen  Vestiiiaunaeyjar  wie  riesige  Klötze  er- 
heben.    Nach   Westen,    Norden    und    Osten    nichts    wie    ungeheuere 


Besteigung  der  Hekla.  29 

Gletscher.  Da  glänzt  vor  allem  im  Osten  der  gewaltige  J^afna/ö'kitll 
herüber,  eine  weisse,  fast  senkrechte  Wand,  der  grösste  Gletscher 
Europas,  das  heiss  ersehnte  Ziel  der  nächsten  Wochen.  Im  Südosten 
grüsst  der  „meerumschauende"  1705  m  hohe  Eyjafjallajökull^  vor 
ihm  die  rötlichen  Zacken  des  1 590  m  hohen  Tindjjallajükull^  und 
etwas  westlich  davon  der  leicht  gezackte  Kamm  des  dreihörnigen, 
812  m  hohen  Pn'Jiyrningiir.  Das  wunderbarste  aber  sind  die  ver- 
schiedenen Farbenschattierungen ;  der  gelbe  Himmel ,  der  braune 
Nebel,  die  glitzernden  Gletscher,  die  leuchtenden  Schneefelder,  das 
blaugrüne  Tal  in  hundert  Abstufungen  mit  den  silbernen  Gewässern 
—  ein  Jammer,  dass  noch  kein  Maler  diese  Szenerie  festgehalten 
hat,  ein  Jammer,  dass  das  Problem  der  farbigen  Photographie  noch 
immer  nicht  gelöst  ist! 

Schnell  geht  es  bergab,  graue  Wolken  türmen  sich  zusammen 
und  drohen  mit  Regen  oder  Schnee.  Die  geringe  Neigung  der 
Schneefelder  gestattet  keine  Abkürzung  durch  Rutschen,  und  als  ich 
meinen  Führern  klar  machte,  was  ich  meine,  schütteln  sie  miss- 
trauisch  den  Kopf,  trotzdem  sind  wir  in  kaum  einer  Stunde  wieder 
bei  den  Pferden.  Mit  gesenkten  Köpfen  standen  sie  traurig  da,  sie 
haben  die  ganze  Zeit  über  nicht  ein  Hälmchen,  nicht  einen  Tropfen 
Wasser  gehabt,  freudig  nimmt  mein  Schimmel  Flachbrot  mit  Butter 
und  Schokolade  entgegen;  nicht  einmal  der  Sattel  war  ihnen  abge- 
nommen, damit  sie  nicht  zu  sehr  frieren  sollten.  Wir  teilen  eine 
neue  Konservenbüchse,  und  zum  Dank  gibt  mir  der  jüngere  von 
den  beiden  Burschen  seine  mit  Milch  gefüllte  Flasche.  Ohne  an 
Echinokokken  zu  denken,  stürze  ich  sie  gierig  hinunter,  brenne  mir 
eine  wohlverdiente  Zigarre  an,  und  fort  geht  es,  was  die  Pferde 
laufen  können;  als  wollten  sie  den  Regen  überholen,  der  sintflut- 
artig einsetzt,  galoppieren  sie  über  Sand  und  Steine,  Spalten  und 
Gräben  talab  nach  der  grünen  Ebene  zu,  wo  sie  Futter  und  Tränke 
wissen ;  aber  erbarmungslos  treibt  die  Peitsche  sie  weiter  und  weiter, 
im  Karriere  durch  den  hochaufspritzenden  Fluss,  die  saftige  Ebene 
hindurch,  bis  wir  endlich  um  5  Uhr  vor  unserm  Quartier  uns  aus 
den  Sätteln  schwingen  und  triefend  vor  Regen  die  bereit  gehaltene, 
köstlich  kühle  Milch  in  hastigen  Zügen  leeren.  Dann  gebe  ich  Kakao 
aus  unseren  Vorräten  heraus,  der,  mit  siedend  heisser  Milch  zu- 
bereitet, uns  sofort  die  entflohene  Wärme  wiedergibt,  das  einfache 
Abendmahl  wird  durch  Anchovis  ergänzt,  und  mit  einem  ungemein 
behaglichen  Gefühl  und  mit  stolzer  Genugtuung  dehne  ich  die  müden 
Glieder  auf  dem  harten  Stuhl.  Der  ältere  der  beiden  Burschen  ver- 
langt für  die  Führung  5  Kr.,  der  jüngere  2  Kr.,  ich  gebe  ihnen  ein 
anständiges  Trinkgeld  und  auch  Ögmundur  eine  besondere  Ver- 
gütigung.  Wenn  der  Bauer  mir  nicht  eine  Schmeichelei  sagt,  habe 
ich,  so  lange  er  in  Galtalcckur  wohnt,  bisher  die  kürzeste  Zeit  zur 
Besteigung  der  Hekla  gebraucht. 


30  Die  Hekla  als  Eingang  zur  Hölle. 

Die  Hekla,  „der  rauchende  Schornstein  Nordeuropas",  ist  viel- 
leicht für  weitere  Kreise  der  bekannteste  Ort  in  ganz  Island  und 
am  häufigsten  beschrieben. 

Ich  will  auch  keine  Zusammenstellung  der  Nachrichten  geben,  die  wir  über  die 
i8  Ausbrüche  der  Hekla  in  geschichtlicher  Zeit  haben;  ich  verweise  dafür  auf 
Thoroddsens  „Oversigt  over  de  islandske  Vulkaners  Historie"  und  „Vulkaner  og 
Jordskjaelv  paa  Island",  S.  51  —  64,  sowie  auf  Pöstion,  „Island",  S.  108 — iio.  Ich 
begnüge  mich  mit  der  Bemerkung,  dass  die  Hekla  im  ganzen  im  Laufe  der  Zeit 
7C0  qkm  (nach  Thoroddsen:  523  qkm)  Landes  mit  Lava  bedeckt  hat,  ein  Gebiet 
annähernd  so  gross  wie  das  Fürstentum  Schwarzburg-Rudolstadt  (V  e  1 1  er.)  Die  Zahl 
der  Vulkane  im  Gebiete  der  Hekla  beträgt  10,  unter  ihnen  nimmt  der  Stratovulkan 
der  Hekla  mit  seinen  vielen  Kraterreihen  und  einzelnen  Kratern  den  ersten  Platz  ein- 
Der  erste  geschichtlich  bekannte  Ausbruch  fand  im  Jahre  1104  statt,  der  letzte  1845, 
dieser  erreichte  erst  in  der  Mitte  des  Jahres  1846  sein  Ende.  Wie  die  isländischen 
Zeitungen  melden,  wurden  im  November  1905  in  der  Nähe  von  Galialcvklir  heftige 
Erdstösse  wahrgenommen,  und  fast  zu  derselben  Zeit  im  Jahre  1906,  wo  der  Vesuv 
zu  speien  anfing  und  das  furchtbare  Erdbeben  San  Franzisko  vernichtete,  wurden  Feuer- 
säulen von  Schiffern  an  der  Südküste  bemerkt.  Alle  Zeichen  deuten  darauf  hin,  dass 
ein  neuer  Ausbruch  bevorsteht. 

Während  des  Mittelalters  war  der  Aberglaube  allgemein  auf 
dem  Kontinent  verbreitet,  dass  die  Hekla  der  Eingang  zur 
Hölle  sei.  Er  ist  aber  sicher  niemals  Volksglaube  auf  Island  ge- 
wesen, sondern  ist  ausländischen  Ursprunges  und  erst  vom  Ausland 
eingeführt ;  dazu  kannten  die  Isländer  ihre  Vulkane  zu  gut. 

Saxo  kennt  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  die  Hekla  bereits:  „Auf  Island 
ist  ein  Berg,  der  infolge  des  ununterbrochenen  Brandes  einem  zum  Himmel  reichenden 
Berge  gleicht  und  ewigen  Brand  durch  ununterbrochenes  Ausspeien  von  Flammen 
unterhält."  Aber  er  versetzt  weder  die  Hölle  noch  das  Fegefeuer  in  die  Hekla,  sondern 
kennt  eine  kalte  Pein  auf  Island:  in  dem  Geräusch,  das  das  Anschlagen  des  Treib- 
eises an  den  Strandfelsen  verursacht,  glaube  man  die  klagenden  Stimmen  der  armen 
Seelen  zu  hören,  die  in  diesem  Eise  ihre  Sünden  abbüssten.  Den  Glauben  an  eine 
auf  Island  bestehende  kalte  Pein  in  den  Gletschern  kann  ich,  ausser  durch  den  Königs- 
spiegel und  David  Fabricius,  nur  noch  durch  ein  einziges  isländisches,  aber  un- 
sicheres, weil  gelehrtes  Zeugnis  stützen.  Bei  der  Beschreibung  des  Ausbruches  des 
ÖrcefajökiiU  im  Jahre  1727  sagt  Sira  Jon  Purläksson:  Ein  Bauer  hörte,  ehe  das 
Feuer  ausbrach,  im  Berge  Laute  (jöklarliljöä),  die  Seufzern  und  einem  starken  Ge- 
plauder glichen;  wenn  er  aber  genauer  aufmerken  wollte,  so  konnte  er  nichts  ver- 
nehmen (Ol  aus  Olavius,  Ökonomische  Reise  durch  Island.  Dresden  und  Leipzig 
1787,   S.  4i3ff.). 

Im  13.  Jahrhundert  wird  die  Hekla  zuerst  als  Peinigungsstätte  erwähnt.  Der 
Verfasser  des  Königsspiegels,  nur  wenig  später  als  Saxo,  glaubte,  wie  damals  alle 
Welt,  dass,  wie  im  Feuer  der  Vulkane  Siziliens,  so  auch  in  denen  Islands,  sich  eine 
Strafstätte  für  die  Seelen  befinde:  „das  Feuer  auf  Island  verbrenne  nicht  Holz  und 
Erde,  sondern  nähre  sich  nur  von  „toten  Dingen",  von  Steinen,  daher  sei  auch  das 
Feuer  tot,  und  deshalb  sei  es  am  wahrscheinlichsten,  dass  es  das  Höllenfeuer  sei, 
denn  da  seien  alle  Dinge  tot"  (Kahle,  Sommer  auf  Island  76  7).  Um  die  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  schreibt  der  Mönch  Alberich  zu  Trois  Fontaines :  „Am  Tage  der 
Schlacht  von  Fotvig  (1134)  sahen  die  Hirten  auf  Island  die  Seelen  der  Getöteten  in 
Gestalt  schwarzer  Raben  herbeifliegen  und  hörten  sie  seufzen:  Wehe,  wehe,  was 
haben  wir  getan  ?  Wehe,  wehe,  was  ist  nun  geschehen  ?  Andere  ungeheure  Vögel, 
die  wie   Greifen    aussahen,    jagten    sie    vor  sich  her,    und  vor  den  Augen  der  Hirten 


Die  Hekla  als  Eingang  zur  Hölle.  31 

stürzten  sie  alle  in  die  isländische  Hölle."  Im  Feuer  kann,  so  heisst  es  weiter  im 
Chronikon  de  Lanercost,  etwa  loo  Jahre  später,  deutliches  Wimmern  der  Seelen  ge- 
hört werden,  die  da  gepeinigt  werden.  Wieder  etwas  später  bemerken  die  Annalen 
von  Flaiey,  bei  einem  Ausbruche  der  Hekla  hätte  man  in  dem  Feuer  grosse  und 
kleine  Vögel  mit  allerlei  Geschrei   herumfliegen  sehen,   und  man  hielt  diese  für  Seelen. 

Es  war  also  kein  frommer  Wunsch,  wenn  man  zu  einem  sagte:  „Fahre  nach 
dem  Heklaberge !",  d.  h.  dem  Blocksberge.  Melanchthons  Schwiegersohn,  der  Arzt 
Caspar  Peucer,  erzählt:  „Der  Hekia-Berg  lässt  aus  einem  unermesslichen  Abgrund 
oder  vielmehr  aus  der  Tiefe  der  Hölle  das  jämmerliche  und  wehklagende  Geheul 
Schluchzender  ertönen,  so  dass  man  die  Stimmen  der  Weinenden  auf  viele  Meilen  hinaus 
überall  vernimmt.  Diesen  Berg  umkreisen  Scharen  kohlschwarzer  Raben  und  Geier, 
die  nach  Ansicht  der  Bewohner  dort  nisten.  Dort  befindet  sich  der  Eingang  zur 
Hölle,  denn  die  Bevölkerung  weiss  aus  langjähriger  Erfahrung,  dass,  wenn  irgendwo 
auf  der  Welt  Schlachten  geschlagen  oder  blutige  Taten  vollbracht  werden,  dann  dort 
entsetzliches  Lärmen,   Geheul  und   Gewinnsei  sich  hören  lässt." 

Noch  im  Jahre  1616  schreibt  der  Prediger  und  Astronom  Fabricius  aus  Osteel 
in  Ostfriesland:  „Sechs  Meilen  im  Umkre^e  des  Hekla-Berges  findet  sich  kein  lebendes 
Wesen,  und  der  Glaube  ist  im  Schwange,  dass  in  diesem  Berge  die  Hölle  sich  be- 
finden müsse,  der  Ort,  an  dem  die  Seelen  der  Verdammten  gequält,  geschmort  und 
gebraten  würden.  In  der  Nähe  dieses  Berges  halten  sich  mancherlei  Gespenster  auf; 
Fischer,  die  in  der  Nähe  ihr  Handwerk  trieben,  erzählten  wunderbare  Dinge  und  Er- 
lebnisse. Wo  überall,  und  in  welchem  Lande  auch  Kriege  geführt  und  Schlachten 
geschlagen  werden,  bleibt  ihnen  nicht  verborgen.  Sie  bemerken  es  an  der  Geschäftig" 
keit  des  Teufels  und  seiner  Gehilfen,  die  sich  an  solchen  Tagen  besonders  breit 
machen,  um  die  Seelen  der  Gefallenen,  Gespenstern  gleich,  in  den  Berg  zu  schaffen. 
Alle  Jahre  anfangs  Juli  sammeln  sich  grosse  Eismassen  um  den  Hekelsberg.  Das  ge- 
schieht, sagt  das  Volk,  um  die  Seelen  der  Verdammten  auch  ausserhalb  des  Berges 
durch  grimmige  Kälte  zu  quälen.  Drei  Monate  schliesst  dies  den  Berg  ein"  (David 
Fabricius,  Island  und  Grönland  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts,  herausgegeben  von 
Karl  Tannen,  Bremen,   1890,   S.   24,   43)'). 

Die  Hekla  als  Hölle  ist  also  ein  Produkt  des  Auslandes,  und 
zwar  der  Geistlichkeit.  Ausländern,  denen  die  feuerspeienden  Berge 
Islands  etwas  Neues  und  Unerhörtes  waren,  lag  es  näher,  diese  mit 
ihren  Vorstellungen  von  der  Hölle  in  Verbindung  zu  setzen,  als  den 
Isländern  selbst,  die  mit  solchen  Erscheinungen  von  Jugend  auf  ver- 
traut waren. 

Der  erste  Ausbruch  der  Hekla  vom  Jahre  1104  ist  ganz  sagenhaft  eingekleidet 
und  mit  dem  berühmten  Priester  Sa'iniindr,  dem  Gelehrten,  in  Verbindung  gebracht. 
Seinem  Wissen  mutete  man  Ungeheures  zu,  die  Sage  gestaltete  ihn  zu  einer  Art 
Faust  um.  Als  im  Jahre  1643  der  Bischof  Brynjölfur  Sveinsson  eine  Pergament- 
handschrift auffand,  die  20  Lieder  über  Stofie  der  Götter-  und  Heldensage  enthielt, 
schrieb  man  diese  ältere,  poetische  Edda  auch  dem  SceJimndr  zu,  als  ihrem  Sammler 
oder  gar  als  ihrem  Dichter.  Dieser  Sa'mundr  hatte  sich  in  Sachsen  mit  einer  weisen 
Frau  verlobt.  Lange  wartete  sie  auf  seine  Rückkunft,  nachdem  er  nach  Island  abge- 
fahren war;  als  er  aber  immer  und  immer  nicht  kam,  wurde  sie  endlich  des  Wartens  müde 
und  gewann  die  Überzeugung,  dass  er  sie  zum  Narren  gehalten  habe.  Da  sandte  sie 
an  Scemundr  ein  vergoldetes  Kistchen  ab  und  wies  ihre  Boten  an,   es  von  niemandem 


')  Maurer,  Die  Hölle  auf  Island,  in:  Z.  d.  Vereins  f.  Volkskunde  IV,  S.  256 
bis  269,  VIII,  S.  452 — 454;  Th  or  oddsen- G  ebha  rd  t  I,  S.  121,  141 — 143,  146^ 
170,  219  —  222.  Ich  füge  als  neues  Zeugnis  hinzu:  Barrow,  Ein  Besuch  auf  der 
Insel  Island,    1836,   S.   114. 


32  Der  erste  Ausbruch  der  Hekla. 

ausser  von  ihm  selbst  öffnen  zu  lassen.  Diesen  Boten  und  den  Kaufleuten,  mit  denen 
sie  reisten ,  ging  die  Fahrt  wunderbar  schnell  von  statten.  Scvmiindr  war  in  der 
Kirche,  als  sie  zu  ihm  kamen.  Er  stellte  das  Kistchen  zunächst  auf  dem  Altar  der 
Kirche,  trug  es  dann  hinauf  auf  die  höchste  Spitze  der  Hekla  und  warf  es  dort  in 
einen  Spalt  hinunter.  Da,  sagen  die  Leute,  habe  die  Hekla  zum  ersten  Male  Feuer 
ausgeworfen.  —  Merkwürdigerweise  setzen  die  isländischen  Annalen  wirkhch  den 
ersten  Ausbruch  der  Hekla  in  das  Jahr  1104,  also  in  das  48.  Lebensjahr  des  Scemundr 
(Maurer,  Isländische  Volkssagen,  S.  299;  Lehmann-Filhes,  Isländische  Volks- 
sagen I,  S.  209,  248 ;  vergl.  auch  II,  S.  75 ;  Eine  Ächtersage  von  Galtalcckur  bei 
Lehmann-Filhes    II,   S.    176). 


Zehntes   Kapitel. 

Oddi  und  der  Schauplatz  der  Njälssaga. 


Juli. 


Da  mein  Begleiter  über  seine  Reitpferde  klagte,  bitte  ich 
Ögmundur,  ihm  eins  beim  Bauern  umzutauschen,  wenn  nötig, 
wollen  wir  zulegen.  Er  brummte  zwar:  ^^rimii ken^iir  illur  rcedari" 
(der  schlechte  Ruderer  gibt  dem  Ruder  Schuld),  sieht  aber  ein, 
das  der  Student  sich  unmöglich  noch  fünf  Wochen  herumärgern 
kann,  und  der  Bauer  willigt  ein.  Leider  soll  dieser  Tausch  uns 
noch  einen  recht  bösen  Tag  bereiten !  Der  Bauer  gibt  uns  fast  zwei 
Stunden  weit  das  Geleit,  bis  wir  die  Vestri-Rdngd  passiert  haben. 
Wir  behalten  den  Fluss,  der  nordwestlich  von  der  Hekla  entspringt, 
zur  Rechten  und  reiten  im  strömenden  Regen  durch  eine  öde  vul- 
kanische Wüstenlandschaft.  Nur  hier  und  da  taucht  eine  Oase  mit 
einem  kleinen  Gehöft  auf.  Auch  diese  Gegend  fand  Ögmundur 
sehr  verändert;  wo  früher  leidlicher  Graswuchs  gewesen  war,  hatten 
Stürme  die  Erdkrume  fortgeführt  und  vernichtet;  an  anderen  Stellen 
waren  unfruchtbare  Strecken  in  gutes  Weideland  verwandelt.  Wo 
der  Flugsand  noch  nicht  zur  Ruhe  gekommen  ist,  kann  keine  Pflanze 
Wurzel  fassen;  aber  wo  er  vom  Winde  fortgeführt  ist  und  nur  grober 
Kies  zurückgeblieben  ist,  kommt  auf  den  kleinen  Erhöhungen  die 
blaue  oder  graugrüne  Festuca  arenaria  (Vingiill),  Silene  maritima 
(Huliirt  oder  Fdlkapungur)  und  Armeria  maritima  fort  (Geldinga- 
Juiappur).  Der  Sand  von  Rdngdrvellir  (d.  h.  der  Ebenen  zwischen 
den  beiden  Rd^igdr)  besteht  aus  Palagonitstaub,  basaltischer  Asche 
und  Basaltgrus.  In  einigen  langen  Einsenkungen  sieht  man  un- 
zählige bläuliche,  und,  wenn  sie  mit  Eisenverbindungen  versetzt  sind, 
rötliche  Sandschichten.  Grosse  vom  Winde  bearbeitete  Steine  sind 
hin  und  wieder  eingeschwemmt,  und  einzelne  Schichten  von  Aschen 
und  Bimsstein  zeugen  von   den  Ausbrüchen    des    benachbarten  Vul- 

Herrmann,   Island  \\.  O 


34  Von  Galtalaekur  bis  Oddi. 

kans^).  Mit  Rdngdrvellir  betraten  wir  den  Schauplatz  der  Xjdls- 
saga,  der  auch  die  südUch  und  östHch  davon  gelegenen  Gegenden 
umfasst. 

Die  Vestri-  und  die  Eystn-Rdngd  scheinen  früher  noch  enger 
aneinander  als  heute  in  die  Pverd  geflossen  zu  sein  (Querache, 
Seitenfluss)  und  eine  Landzunge  (oddi)  gebildet  zu  haben;  während 
früher  die  Pverd  nur  ein  Nebenfluss  der  Eystri  Rdngd  war,  ist  sie 
heute  der  Hauptfluss,  und  ihre  langen,  gelben  Wellen  sind  nicht 
wenig  gefürchtet.  Nach  dieser  Landzunge  hat  der  Pfarrhof  Oddi 
seinen  Namen ,  und  ich  hätte  es  nie  verwinden  können ,  wenn  der 
Regen  mich  davon  abgehalten  hätte,  den  altberühmten  Sitz  und  Mittel- 
punkt isländischer  Gelehrsamkeit,  den  Wohnort  des  weisen  SccDiundr, 
zu  besuchen,  dessen  Name  mit  der  Edda  unlöslich  verknüpft  ist. 
Zwar  war  Sira  Skiili  Skülason  nicht  zu  Piause,  —  wir  begegneten 
ihm  unterwegs,  —  aber  er  bat  herzlich,  ja  nicht  an  seinem  Hause 
vorbei  zu  reiten.  Kurz  vor  Oddi  begegnete  mir  ein  Unfall,  der 
leicht  böse  Folgen  hätte  haben  können.  Über  einen  schmalen, 
etwa  I  m  tiefen  Bach  mit  ziemlich  hohen  Uferrändern  waren  ein 
paar  Bretter,  Steine  und  Erde  gelegt,  aber  so  nachlässig,  dass 
zwischen  den  einzelnen  Steinen  fausttiefe  Löcher  waren,  durch  die 
man  den  Bach  fliessen  sah.  Mir  kam  die  Brücke  sogleich  wenig 
vertrauenswürdig  vor,  da  aber  die  anderen  sie  ohne  Schaden  passiert 
hatten,  w^ollte  ich  nicht  zurückbleiben,  war  jedoch  so  vorsichtig,  die 
Füsse  aus  den  Bügeln  zu  heben  und  die  Zügel  hoch  zu  ziehen. 
Kaum  hatte  mein  Pferd  die  Brücke  betreten,  da  stolperte  es  auch 
schon,  verfing  sich  mit  der  Hinterhand  in  einer  Rille  und  lag  im 
nächsten  Augenblick  auf  dem  Rücken  im  Wasser,  mit  allen  Vieren 
wild  um  sich  schlagend,  ich  selber  aber  stand  unversehrt  am  Ufer, 
die  Zügel  in  der  Hand;  wie  ich  freilich  das  Kunststück  fertig  ge- 
bracht habe,  ist  mir  noch  heute  ein  Rätsel.  Dann  zog  ich  mit 
Leibeskräften  an  den  Zügeln,  um  dem  Pferde  beim  Aufstehen  zu 
helfen,  musste  mich  aber  vor  seinen  blitzschnell  durch  die  Luft 
wirbelnden  Hufen  in  acht  nehmen.  Ehe  noch  Ögmundur, 
schreckensbleich,  heran  kam,  war  der  Gaul  schon  wieder  in  die 
Höhe  gebracht,  ein  paar  Riemen  waren  zerrissen,  sonst  hatten  weder 
Reiter  noch  Ross  Schaden  erlitten.  In  Siöröl/shvoll,  wohin  wir  am 
Abend  kamen,  muss  Ögmundur  mein  harmloses  Abenteuer  stark 
übertrieben  haben.  „Tapfer  wie  ein  Soldat"  sollte  ich  mich  be- 
nommen haben,  und  ich  war  mir,  leider,  nicht  des  geringsten  einer 
Tat  bewusst,  die  des  Erwähnens  wert  war.  Dr.  Olafiir  Gud- 
mundsson  wollte  mich  durchaus  untersuchen ,  ob  ich  mir  nichts 
gebrochen  hätte,  und  seine  liebenswürdige  Frau  bedauerte  mich 
einmal    über    das    andere.     Vor    zwei   Jahren    war    ein    Führer    mit 


1)  Thoroddsen,  in:   Petermanns  geogr.  Mitteilungen   1892,8.    189,   190. 


Oddi 


35 


seinem  Pferde  auf  derselben  Brücke  zu  Falle  gekommen;  aber  so 
unglücklich,  dass  das  Pferd  getötet  werden,  und  der  Mann  ein  paar 
Wochen  an  gebrochenem  Beine  im  Hause  des  Arztes  liegen  musste. 
Gleichwohl  hatte  sich  der  Bauer  nicht  gemüssigt  gesehen,  die  Brücke 
in  Ordnung  zu  bringen! 

Um  vier  Uhr  waren  wir  am  Pfarrhof  Oddi  angelangt;  trotz  des 
unendlichen  Regens  machten  wir  eine  photographische  Aufnahme 
(Fig.  69),  die   vielgerühmte    Aussicht   auf   die  Hekla,    die    Gletscher 


Fig.   69.      Oddi. 


des  Hinterlandes,  das  gewaltige  Delta,  das  vom  Markarfljöt,  von 
den  beiden  Rdngdr  und  der  Pjörsd  gebildet  wird,  auf  die  da- 
zwischenliegenden, sandigen  ,, Landinseln"  und  darüber  hinaus  auf 
das  unendliche  Meer,  in  dem  sich  schleierhaft  die  Vestmanna  eyjar 
erheben,  diese  Aussicht  war  uns  vollständig  versagt.  Die  freund- 
liche Einladmig  der  Frau  Superintendent  zu  Kaffee,  Kuchen  und  zu 
einer  Zigarre  nahmen  wir  dankend  an,  und  ihrer  dringenden  Auf- 
forderung, in  ihrem  Hause  zu  übernachten,  wären  wir  gern  gefolgt, 
wenn  man  uns  nicht  in  Stördlfshvoll  erwartet  hätte.  Die  Dame 
hatte  so  angenehme,    grossstädtische  Umgangsformen,    dass    ich    sie 

3* 


36  Oddi-Edda. 

für  eine  Kopenhagnerin  hielt;  sie  war  aber  die  Tochter  eines  Do- 
zenten an  der  Prestasköli  in  Reykjavik  und  erwiderte  mir  lachend, 
dass  schon  Prof.  Vetter  aus  Bern  eine  ähnHche  Anfrage  an  sie 
gerichtet  hätte  i).  Ihr  Gatte  ist  der  Nachfolger  des  Dichters 
JMatthias  Jochumsson.  Das  stattliche  Wohnhaus,  dessen  Bau,  wie 
ich  anderwärts  hörte,  1 1  ooo  Kr.  gekostet  hat,  ist  erst  nach  dem 
Erdbeben  von  1896  errichtet.  Die  Stösse  waren  damals  von  einem 
unterirdischen  Rollen  von  solcher  Stärke  begleitet,  dass  man  darüber 
gar  nicht  hörte,  wie  in  der  Schlafstube  ein  Bücherschrank  umfiel 
und  daneben  ein  Ofen  die  Treppe  hinabstürzte;  infolge  der  Heftig- 
keit des  Stosses  fingen  die  Kirchenglocken  von  selbst  zu  läuten  an. 
In  der  Nachbarschaft  waren  die  Stösse  so  arg,  dass  kein  Mensch 
aufstehen  konnte,  man  musste  auf  der  Erde  liegen  und  sich  an 
Steinen  und  kleinen  Erdhaufen  festhalten. 

Eine  Ansicht  vom  Rhein,  eine  Photographie  von  Prof.  Ftnmir 
Jönsson  und  Bilder  von  Collingwood  schmückten  die  behaglich,  ja 
elegant  eingerichtete  Stube,  auf  dem  Tische  lag  auch  das  schöne, 
prächtig  ausgestattete  Buch  von  W.  G.  Collingwood  and  Jon 
Stefdnsson,  A  pilgriniage  to  the  saga-steads  0/  Iceland  (Ulverston 
1899).  Mit  seinen  13  ganzseitigen  und  ca.  150  in  den  Text  ge- 
druckten Bildern  liefert  das  Buch  neben  Daniel  Bruuns  illustrierten 
Sc'hriften  einen  wertvollen  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Schauplatzes 
der  wichtigsten  Sagas  und  bahnt  einen  neuen  Weg  an,  der  Aufmerk- 
samkeit und  Nachfolge  verdient.  Co  11  ingwoo  ds  Bilder  sind  teils 
lichte,  lebhafte  Farbendrucke,  teils  Zinkätzungen,  deren  mattgrauer 
Ton  leicht  eine  gewisse  Einförmigkeit  zeigt;  was  die  Naturtreue  be- 
trifft, so  scheinen  mir  die  Landschaften  einen  allzustark  ausge- 
prägten alpinen  Charakter  zu  haben,  der  Island  nicht  zukommt. 

Jon  Stefdnsson ,  der  den  Maler  1897  auf  seiner  Sommerreise  durch  Island 
begleitet  hat,  bringt  den  Namen  Oddi,  wie  neuerdings  beliebt  ist,  mit  „Edda"  zu- 
sammen. Eirikur  Magm'tsson  deutet  „Edda"  als  das  ,,Buch  on  Oddi":  hier  habe 
Scenuiudr  gelebt  und  gewirkt  und  die  erste  Sammlung  alter  heidnischer  Lieder  ver- 
anstaltet; sein  Entw-urf  soll  Snorri ,  der  in  Oddi  auferzogen  wurde,  zu  seiner  Edda 
veranlasst  haben  ').  Aber  der  Zusammenhang  zwischen  dem  Werk  und  Titel  ist  noch 
nicht  genügend  aufgehellt ,  und  die  Verknüpfung  mit  Scemundr  ist  nicht  bewiesen. 
Auch  SiJMWns'  Deutung,  Snorri  habe  den  Baustofif  seines  Werkes  in  Oddi  vorge- 
funden und  nach  ihm  sein  Werk  ,,Buch  von  Oddi"  genannt,  stösst  auf  sprachliche  und 
sachliche  Schwierigkeiten  ^>.  Zwar  die  Übersetzung  mit  „Urgrossmutter" :  die  Edda 
erzähle,  wie  das  Grossmütterchen  am  Spinnrocken,  dem  Kreise  der  Kinder  und  Enkel 
Lieder  und  Sagen  aus  längst  verklungenen  Zeiten ,  wird  wohl  kaum  noch  aufrecht 
erhalten.      Aber    im    allgemeinen    ist    man    sich    darüber    einig,    dass  der  Titel   „Edda" 


')  Vetter  war  1887  hier  zum  Besuche,  vergl.  Sonntagsblatt  des  Bund.  Bern 
1887.     Nr.  43,   44,  47. 

-)  Edda  (its  Derivation  and  Meaning).     The  Saga-Book  of  the  Viking  Club   1895. 

^)  Over  afleiding  en  beteekenis  van  het  woord  Edda.  Verslagen  en  Mededeel. 
der  kgl.  Akad.  von  Wetensch.-Letterk.    4.  Reeks.    Deel  III,  6—32. 


Oddi-Edda.     Saemundr.  3^ 

d.  h.  „Poetik"  nur  Siwrris  skaldischem  Handbuche  gebühre ,  dass  für  Snorn  die 
Lehre  von  der  Umschreibung,  als  des  vornehmsten  Prinzipes  der  Poesie,  die  Poetik 
überhaupt  war,  und  dass  der  Liedersammlung,  die  Snorri  gar  nicht  gekannt  hat,  dieser 
Titel  ursprünglich  fremd  ist.  Nur  nebenbei  werfe  ich  einige  Fragen  auf:  Wie  kommt 
es,  dass  gerade  diese  Lieder  der  Vergangenheit  entrissen  sind?  Wo  sind  die  vielen 
andern,  die  es  ausser  ihnen  gegeben  hat?  Warum  sind  sie  nicht  mit  aufgenommen? 
Sind  sie  wirkHch  „echt  heidnisch",  oder  nur  ein  aristokratisches  Heidentum?  Ist  ihr 
auffallend  „zahmer"  Inhalt  überarbeitet?  Oder  sind  sie  späte  Schöpfungen  christlicher 
Dichter,  die  in  der  Vorzeit  ihres  Volks  wohl  bewandert  waren?  Je  mehr  ich  darüber 
nachdenke,  umsomehr  wundere  ich  mich,  dass  das  Heidentum  so  „anständig",  so 
„salonfähig"  gewesen  sein  soll  —  aber  das  sind  ketzerische  Anschauungen,  die  ich 
eben  nur  dem  Tagebuch  anzuvertrauen  wage. 

Auf  keinen  Fall  hat  S(xmundr  etwas  mit  der  Liedersammlung  „Edda"  zu  tun, 
und  der  Titel  „Ssemundar  Edda"  oder  „ältere  Edda"  ist  falsch.  Oddi  ist  der  Aus- 
gangspunkt der  Frührenaissance  :  man  schöpft  nicht  mehr  immer  aus  der  Gegenwart, 
sondern  holt  sich  Stoff  und  Form  aus  früheren  Zeiten.  Sa'mundr  pflegt  nicht  nur 
die  Wissenschaft,  die  er  aus  England  und  Paris  mitgebracht  hat,  sondern  „greift  zum 
ersten  Male  zielbewusst  in  den  Schatz  der  heimischen  Vergangenheit  und  rettet  diesen 
vor  der  Vergangenheit  (Mogk).  Er  hat  entweder  eine  annalistische  Schrift  über  die 
Könige  Norwegens  von  Hälfdan  dem  Schwarzen  bis  auf  Magnus  den  Guten  in 
lateinischer  Sprache  verfasst,  oder  seine  „Vorlesungen"  über  die  Königsgeschichte, 
das  einzigartige  Wissen  dieses  Gelehrten  in  chronologischen  und  historischen  Fragen 
der  nordischen  Geschichte,  wurden  wie  ein  kostbarer  Familienschatz  von  einer  Gene- 
ration auf  die  andere  überliefert,  und  wirkten  als  feste  Ssemundsche  Tradition  befruch- 
tend auf  die  Nachfolger  ein.  Dann  liegt  seine  Bedeutung  weniger  in  seiner  Tätigkeit 
als  Schriftsteller  denn  als  Lehrer,  und  in  der  Hochschule  zu  Oddi  wurde  der  von 
ihm  geweckte  Geist  weiter  gepflegt  von  seinen  Söhnen  Eyjölfr  und  Loptr  und  seinem 
Enkel  Jon  Loptsson.  Durch  diesen  zu  seiner  Zeit  mächtigsten  und  verständigsten 
Mann,  kunst-  und  prachtHebend  wie  kein  zweiter,  wurde  auch  dessen  Pflegesohn 
Snorri  in  die  von  Sa'mundr  vertretene  Richtung  eingeführt  und  legte  hier  den  Grund 
zu  seinem  ausgebreiteten  Wissen ;  Snorri  schuf  dann  wieder  in  ReykJiolt  eine  zweite 
Heimstätte  für  Wissenschaft  und  Literatur;  so  hängt  Oddi  auch  mit  den  gefeierten 
Werken  Snorris ,  der  sogenannten  jüngeren  Edda  und  der  Heimskringla ,  geistig 
zusammen. 

Das  Sagageschlecht  von  Oddi,  dem  schon  ScFiiiundr  ange- 
hörte, sind  die  nach  dem  Stammsitze  benannten  Oddverjar,  die  in 
den  Parteikämpfen  der  Sturlungenzeit  eine  so  grosse  Rolle  spielen. 
Loptr  ScDiinndarson  war  nicht  nur  durch  seine  Vorfahren  selbst 
königlichen  Geblütes,  sondern  auch  durch  seine  Gattin  Pöra ,  eine 
natürliche  Tochter  des  Königs  Magnus  berfcet  (barfuss)  von  Nor- 
wegen, mit  Königen  verschwägert.  Nach  einer  Überlieferung  des 
17.  Jahrhunderts  hat  dessen  Hof  Ncefrholt ,  ,,der  an  den  Wurzeln 
des  Berges  Ilekla  steht",  inmitten  des  bebauten  Landes  gelegen 
vmd  300  eiserne  Türen  gehabt,  also  fast  soviel  wie  Odins  Haus 
Walhall,  das   540  Pforten  hatte. 

Schon  bei  Lebzeiten  galt  Sa'mundr  als  einer  der  gelehrtesten 
Männer  in  kirchlichen  und  weltlichen  Dingen,  und  schon  früh  hat 
sich  die  Saga  seiner  bemächtigt.  Nach  der  Jönssaga  helga  des 
Mönches  Gnnulaugr  (f  12 18)  war  er  in  Paris  bei  einem  Astrologen 
in    die    Lehre    gegangen    und    übertraf   seinen   Meister   bald    in    der 


38  Oddi.     Islands  Bedeutung  für  Deutschland. 

Zauberkunst  (vergl.  IMaurer,  S.  119).  Aber  erst  die  erste  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts,  besonders  seitdem  man  anfing,  die  alten  Schätze 
der  heimischen  Literatur  wieder  ans  Tageslicht  zu  ziehen,  hat  ihn 
zu  dem  Monstrum  an  Gelehrsamkeit  und  zu  dem  Hexenmeister  ge- 
macht, als  der  er  alle  Menschen  überragt  und  seine  alten  Lehrer 
oft  zum  Besten  hat.  Damals  wurde  er  zum  Verfasser  der  Scfnncndar- 
edda,  der  Xjalssaga,  des  Sonncnliedes  und  anderer  berühmter  Werke, 
ganz  neuerdings  auch  zum  Dichter  der  Völuspä ,  als  einer  in  der 
skaldischen  Mythensprache  des  heidnischen  Nordens  vorgetragenen 
christlichen  Heilslehre  (E.  H.  Meyer,  Völuspa,  '^o.xXm  1889).  Als 
Meister  der  schwarzen  Kunst  lebt  er  in  der  Volkssage  bis  heute 
fort^). 

Ich  unterhielt  mich  mit  der  Frau  Superintendent  auch  über  die 
Bedeutung,  die  Island  für  uns  Deutsche  hat.  Besser  als  die  Ant- 
wort, die  ich  damals  gab,  ist  die  von  Prof.  Heus  1er  und  Meissner, 
und  ich  setze  deren  Wort  deswegen  hierher.  „Die  Isländer  haben 
sich  um  die  germanische  Literatur  die  allergrössten  Verdienste  er- 
worben. Von  den  Eddaliedern  besässen  wir  nichts,  hätten  sie  nicht 
auf  Island  eine  Zuflucht  gefunden.  .  .  .  Als  im  13.  Jahrhundert  das 
übrige  Europa  im  Zeichen  des  französischen  Rittertums  und  der 
Kirchenstreitigkeiten  stand,  da  konnte  dort,  auf  der  einsamen  Insel, 
aus  der  altertümlich-germanischen  Götter-  und  Heroendichtung  noch 
eine  reiche  Ernte  unter  Dach  gebracht  werden.  Die  zweite  grosse 
Tat  der  Isländer  war  die  Schöpfung  einer  kunstmässigen  erzählenden 
Prosa.  .  .  .  Hier  brachen  sie  ganz  neue  Bahnen.  Prosaische  Erzäh- 
lung, kunstmässig  ausgeübt  und  an  allgemeiner  Wertschätzung  der 
Poesie  ebenbürtig,  fehlte  dem  norwegischen  Mutterlande  ebenso  wie 
allen  anderen  Germanenländern.  Neben  die  Poesie  trat  bei  den 
Isländern  ein  nach  Inhalt  und  Form  selbstgewachsenes,  volkstüm- 
liches Erzählen  in  ungebundener  Rede"  (Heus  1er,  Geschichte  vom 
Hühnerthorir,  Berlin  1900,  S.  i).  ,,Eine  volkstümliche  Erzählungs- 
literatur von  köstlicher  Frische  und  strengem  Wahrheitssinne  über- 
liefert uns  die  Zustände  der  heidnischen  Zeit,  die  grossen  Schicksale 
der  Völker  wie  die  kleinen  und  kleinsten  Erlebnisse  der  Menschen, 
mit  einer  Treue,  die  in  der  Weltliteratur  einzig  dasteht.  Auch  tür 
uns  Deutsche ,  die  wir  versuchen ,  aus  den  verwaschenen  und  zer- 
sprengten Zeugnissen  unseres  Altertums  eine  Vorstellung  von  dem 
äusseren  und  inneren  Leben  unserer  heidnischen  Vorfahren  zu  ge- 
winnen, ist  Island  klassischer  Boden.  Die  Bilder  des  Nordens,  an 
denen  kaum  eine  Farbenstimmung  verblichen,  kaum  ein  Zug  der 
scharfrandigen  Zeichnung  ausgefallen  ist ,  erfrischen  und  schulen 
unser  Auge  für  unsere  heimischen  Aufgaben"  (Meissner,  Streng- 
leikar  S.   i). 

1)  Jon  Amazon,  hl.  Pjödsögur  \,  485  —  504;  Maurer,  Isl.  Volkssagen  118  ff.; 
Lehman  n-Filh  es,  Isl.  Volkssagen  I,   205  ff.,  II,   XI. 


Volkssagen  in  Oddi.  39 

Von  handgreiflichen  Erinnerungen  an  die  alte  Glanzzeit  ist  in 
Oddi  leider  nichts  mehr  erhalten.  Weder  der  Ort  wird  noch  gezeigt, 
wo  Skarpliediuii  und  Högiii,  die  Bluträcher  des  edlen  Giuniarr 
von  Hlidarendi,  ihr  Rachewerk  begannen  und  den  jungen  Hröaldr 
erschlugen,  der  Guunarr  den  Todesstreich  gegeben,  noch  die  Stätte 
auf  dem  Kirchhofe,  wo  Samundr  ruhen  soll.  Mit  der  alten  Kirche 
sind  auch  zwei  Reliquien  verschwunden,  die  noch  vor  ca.  40  Jahren 
zu  sehen  waren :  ein  Ring  an  der  Kirchentür  und  ein  Stein  mit 
einer  flachen  Vertiefung  vor  der  Kirchentür.  Damit  hat  es  folgende 
Bewandnis: 

Ein  Schift"  war  an  der  Südküste  gescheitert  und  mit  der  ertrunkenen  Mannschaft 
in  einem  Hügel  oberhalb  von  Oddi  beigesetzt.  Zur  Zeit  des  Scemiindr  wollten  die 
Leute  den  Hügel  ausgraben ,  ohne  dass  dieser  etwas  davon  erführe ;  es  sollten  viele 
Schätze  in  ihm  ruhen.  Sie  fanden  wirklich  das  Schiff  und  auch  Schätze  und  stiessen 
auf  einen  Kasten  und  einen  Ring,  der  am  Deckel  sass.  Der  Kasten  war  aber  so 
schwer,  dass  sie  ihn  nicht  von  der  Stelle  bewegen  konnten,  nur  der  Ring  brach  beim 
Heben  ab.  Da  sahen  sie  plötzlich,  wie  das  ganze  Gehöft  in  Flammen  stand,  und 
Scemundr  läutete  mit  allen  Glocken  Feuerlärm.  Schnell  warfen  sie  die  Grube  wieder 
zu,  da  schwand  auch  der  lichte  Schein.  ,, Jener  Ring  aber  soll  derselbe  sein,  der  noch 
jetzt  an  der  Kirchentür  zu  Oddi  sitzt:  innen  ist  er  von  Eisen,  aussen  aber  aus  Kupfer- 
messing oder  einer  Erzmischung ,  und  soll  von  allen  Ringen  an  den  Kirchtüren  in 
Island  der  grösste  sein."  Wie  Scemundr  den  ersten  Ausbruch  der  Hekla  verschul- 
dete, so  war  er  auch  Wettermacher:  er  blies  den  Schnee  von  der  Kirche  fort,  dass 
sie  nicht  Schaden  litte  und  scheute  sich  nicht,  den  Teufel  in  seine  Dienste  zu  nehmen. 
Der  musste  ihm  Heu  einholen  und  den  Kuhstall  reinigen.  Der  Schwarze  verrichtete 
auch  seine  Arbeit  ganz  untadelhaft.  Als  aber  Sctmundr  am  Ostertage  auf  der  Kanzel 
steht,  schichtet  ihm  jener  vor  der  Kirchentür  den  ganzen  grossen  Misthaufen  vom 
Pfarrhofe  auf,  so  dass  Sira  die  Kirche  nicht  verlassen  kann.  Aber  nicht  faul,  bannt 
er  den  Teufel  her  und  befiehlt  ihm,  allen  Mist  von  der  Kirchentür  wieder  an  seinen 
alten  Ort  fortzutragen,  und  so  streng  hält  er  es  damit,  dass  er  ihn  am  Ende  noch 
zwingt,  die  letzten  Überreste  mit  der  Zunge  aufzuschlecken.  So  nachdrücklich  leckte 
der  Teufel  in  seinem  Ärger,  dass  davon  in  dem  flachen  Steine,  der  vor  der  Kirchen- 
türe lag,  eine  tiefe  Rinne  entstand.  „Dieser  Stein  befindet  sich  noch  heutigen  Tages 
zu  Oddi,  wenn  auch  jetzt  nur  noch  der  vierte  Teil  davon  vorhanden  ist.  Er  liegt 
jetzt  vor  der  Tür  des  Gehöftes,  und  noch  immer  kann  man  die  Vertiefung  in  ihm 
sehen."  — 

Unser  Quartier  StörölfsJivoll,  das  Haus  des  Arztes  Dr.  Olafiir 
Gudmiiudssou,  liegt  am  Fusse  eines  grünbewachsenen  Hügels,  auf 
dem  sich  ein  trigonomictrisches  Signal  erhebt,  ein  gut  gepflegtes, 
geräumiges  Tun  umgibt  es  nach  der  Ebene  zu,  zur  Rechten  liegen 
eine  stattliche  Halle  für  Thingversammlungen  und  für  die  Konfir- 
manden und  eine  schlanke,  mit  einem  Kreuz  gekrönte  A7i?iexia 
Kirkja  i)  (Fig.  70).  Wir  wurden  erwartet,  trotz  des  Regens  kam  der 
Arzt  heraus,  umarmte  Ögmundur  und  mich  stürmisch  und  half 
uns  beim  Ablegen  unserer  nassen  Überkleider.  In  der  Stube  hing 
ein  grosses  Bild  von  Rektor  Olsen,   und  die  Ähnlichkeit  zwischen 


i)  In  der  Kirche  verschiedene  Leichensteine  und  Inschriften  in  lat.  u.  isl.  Sprache. 
Vergl.  Olsen,  Smävegis  in  „Arbök  hins  isl.  Fornleifafjelags"  1898,  S.  33  ff. 


40 


Störölfshvoll. 


ihm  und  seiner  Schwester,  der  Gattin  des  Arztes,  war  überraschend. 
Dass  wir  nicht  die  ersten  Gäste  waren,  die  sich  hier  behaglich 
fühhen,  zeigte  das  Fremdenbuch:  darin  traf  ich  die  Namen  von 
AdeHne  Rittershaus  ^),  der  Tochter  des  bekannten  Dichters,  der 
ehemahgen  Gattin  eines  Reykjaviker  Gymnasiallehrers,  jetzt  Privat- 
dozentin in  Zürich ,  eines  Hamburger  Kaufmanns  Braun,  der  in 
Reykjavik  eine  Niederlassung  hat,  und  der  Ärzte  Sanitätsrat  Dr.  C  a  hn  - 


Fis 


Störölfshvoll. 


heim  in  Dresden  und  Dr.  Gross  mann  in  Liverpool.  Beide  Herren 
haben  wiederholt  Island  bereist  und  nicht  nur  geologische,  sondern 
auch  medizinische  Studien  gemacht  ^j.  Als  sie  1892  und  1895  in 
Akureyri  etwa  200  Kranke,  darunter  sehr  viele  Augenleidende,  unent- 
geltlich behandelten,  lohnte  ihnen  der  wackere  Matthias  Jochuiiisson, 
der  bei  der  Behandlung  der  Augenkranken  selbst  assistierte,  mit 
einem  Dankgedichte  in  dem  ehrwürdigen  Versmasse  der  Edda  (über- 
setzt bei  Pöstion,  Eislandblüten   170,   171). 


1)  W'ir  verdanken  ihr  einen  wertvollen  Beitrag  zur  vergleichenden  Märchen- 
forschung  „Die  Neuisländischen  Volksmärchen",   Halle    1902. 

«ä)  C  ahn  heim,  Zwei  Sommerreisen  in  Island,  in:  Verhandlungen  der  Gesell- 
schaft lür  Erdkunde  in  Berlin,  1894,  Nr.  5.  Grossmann,  Across  Iceland,  in:  The 
geographica!  Journal,  London  1894,  S.  261 — 281,  Observ^ations  on  the  glaciation  of 
Iceland,  in:  The  Glacialists  Magazine,  London  1893,  I,  S.  33—45;  The  crater  Hverfjall, 
a.  a.  O.,  S.  85  —  91  ;  On  hollovv  pyramidal  ice  cryitals  [Surtshellir]  in:  Nature,  Vol.  50, 
S.   1894,  600  —  602. 


Der  Engländer  in  Sicht !  41 

Schon  in  Galtalcrkur  war  uns  die  unheilkündende  Nähe  eines 
enghschen  Touristen  angesagt  worden,  der  mit  seinem  Führer,  einem 
stud.  med. ,  schon  vier  Tage  auf  uns  in  Störölfslnwll  wartete.  Ich 
hatte  gar  keine  Neigung,  ihn  mitzunehmen,  und  Ögmundur  ver- 
stand mein  Bedenken,  dann  in  den  Quartieren  zum  ,, Ellenbogen- 
kind" herabzusinken.  Er  sprach  zudem ,  wie  es  bei  einem  Eng- 
länder nicht  anders  zu  erwarten  ist,  nur  seine  Muttersprache.  Den 
Vorteil  hatte  allein  er;  denn  dass  er  uns  auch  seine  acht  Pferde 
zur  Verfügung  stellte,  konnte  nicht  in  Betracht  kommen. 

Wenn  ich  mich  gleichwohl  erweichen  Hess,  so  waren  es  folgende 
Erwägungen:  der  Student  konnte  unmöglich  allein  die  nicht  ganz 
harmlose  Reise  die  Südküste  entlang  wagen,  es  war  Anstands-  und 
Menschenpflicht,  sich  der  beiden  anzunehmen ;  da  der  junge  Mediziner 
gut  deutsch  sprach,  hatte  mein  Begleiter  zugleich  Unterhaltung  auf 
der  Weiterreise.  Meine  Bedingungen  waren:  der  Engländer  durfte 
nie  dasselbe  Quartier  wie  wir  beziehen,  hatte  bei  allen  Extra-Aus- 
gaben für  Lokalführer,  Flussübergänge  usw.  die  Hälfte  zu  bezahlen, 
sollte  am  nächsten  Morgen  bereits  Störölfshvoll  verlassen,  da  das 
Haus  für  soviel  Eindringlinge  natürlich  zu  eng  wurde,  und  musste 
in  Djüpivogur,  wo  die  Gefahren  vorüber  waren,  sich  seitwärts  in 
die  Büsche  schlagen.  Trotzdem  hätte  ich,  wie  die  Folgezeit  zeiete, 
besser  getan,  meiner  ersten  Regung  nachzugeben  und  den  Engländer 
seinem  Schicksale  zu  überlassen. 

4.  Juli. 

Da  Dr.  Ölafur  ganz  gut  deutsch  sprach  und  mein  „stüdent" 
auch  Lektüre  gefunden  hatte  (Jahnke,  Fürst  Bismarck),  konnte 
ich  ihm  unbesorgt  noch  einen  Tag  zur  Ruhe  und  Stärkung  schenken, 
er  hat  dann  auch  später,  ohne  je  auszusetzen,  alle  Strapazen  wacker 
überstanden  und  mutig  die  Zähne  zusammen  gebissen,  wenn  es 
hart  herging.  Ich  selbst  beschloss  mit  Ögmundur  einen  Ausflug 
in  die  gepriesene  Fljötshlfd  zu  unternehmen  (Stromhalde).  Von  der 
neuen,  schönen  Strasse,  die  nach  Reykjavik  führt,  bogen  wir  südlich 
ab  nach  Diiffaksholt  und  ritten  dann  ununterbrochen  die  Pverd 
entlang. 

Dujpakr^)  und  Störölfr,  nach  dem  Störölfshvoll  benannt  ist,  stritten  sich  bei 
der  Landnahme  um  den  Boden.  Eines  Abends  sah  ein  Mann,  der  die  Gabe  des  zweiten 
Gesichtes  hatte,  wie  aus  dem  Gehöfte  des  Störölfr  ein  grosser  Bär  kam  und  aus 
Dilfpaksholt  ein  Stier.  Als  sie  zusammentrafen,  Ijub  ein  grimmer  Streit  an,  in  dem 
der  Bär  Sieger  blieb.  Am  andern  Morgen  sah  man,  dass  da,  wo  sie  ihren  Kampf 
ausgefochten  hatten,  und  wo  die  Erde  aufgewühlt  war,  ein  Tal  entstanden  war  (Lnd.  5,  5I. 
Eine  breite  Vertiefung,  wie  ein  langgezogener  Graben,  vielleicht  ein  altes  Flussbett, 
hat  Anlass  zu  dieser  Sage  gegeben  und  ist  noch  heute  zu  sehen. 


^ )  Der  Name  soll  keltisch  sein,  Dubhthach,  der  Schwarze. 


42  Ausflug  nach  Hlidarendi.     Spöi  und  Loa. 

Die  Wiesen,  die  wir  heute  durchritten,  gehören  zu  den  üppigsten 
von  ganz  Island.  ZaWreiche  Schafe  weiden  auf  ihnen,  Gruppen  von 
bedächtigen  Rindern  glotzen  uns  an ,  mutwillige  Pferde  spielen  in 
muntern  Sprüngen,  nie  wieder  habe  ich  während  meiner  ganzen 
Reise  so  viele  Tiere  beisammen  gesehen.  Der  Regenbrachvogel 
(Numenius  phaeopus,  isländisch  spöi),  eine  Schnepfenart  mit  langem, 
gebogenem  Schnabel,  flattert  unaufhörlich  neben  uns  her,  die  langen 
Füsse  zurück  und  Kopf  und  Hals  vorstreckend,  mit  halb  geöffnetem 
Schnabel  seinen  eigenartigen  Schlag  anstimmend,  der  ruhig  mit 
weichen  Flötentönen  beginnt  und  mit  einem  trillernden  Dididi  .  .  . 
endigt.  Als  ich  lange  wieder  in  Deutschland  war  und  an  einem 
stillen  Sommerabend  unvermutet  dieses  Rollen  hörte,  das  in  der 
Ferne  leicht  wie  Unkenschnurren  klingt,  wurde  mit  einem  Male  der 
ganze  Zauber  Islands  wieder  in  mir  lebendig.  PdlL  Olafsson  hat 
dem  zierlichen  Tierchen,  das  kein  Isländer  schiessen  darf,  weil  er 
sonst  unglücklich  würde,  ein  reizendes  Liedchen  gewidmet  (Pöstion, 
Eislandblüten   140): 

Du  Unrast  in  dem   Vogelreiche, 
Du  fliegst  und  singst  zu  allen  Stunden, 
Wie  sinnlos  an  die  immer  gleiche 
Gesangesweise  festgebunden. 

Doch   mag  dein  Lied  auch  gleich  erschallen, 
Klingt  stets  die  gleiche  Weise  wieder, 
Mir  kann  kein  Vogelsang  erschallen 
Wie  deine  Laute,  deine  Lieder. 

Und  jedes  Lied,   wie  jede  Weise, 
Es  gilt  —  so  ganz  nach  meinem   Sinne   — 
Dem  gleichen  Hoflen,  einem  Preise, 
Derselben  Lust,   derselben  Minne. 

Der  stete  Begleiter  des  Regenbrachvogels  ist  der  Goldregen- 
pfeifer (Charadrius  pluvialis,  isländisch  loa).  Aber  während  der  spöi 
fliegend  und  laufend  unsere  Pferde  in  unmittelbarer  Nähe  begleitet, 
ist  die  loa  weit  scheuer  und  vorsichtiger.  Fürchtet  sie,  dass  wir 
ihrem  Neste  zu  nahe  kommen,  so  lässt  sie  einen  einförmigen  Ruf 
von  klagender,  schwermütiger  Tonfärbung  erschallen,  setzt  sich 
zierlich  in  hochaufgerichteter  Körperhaltung  auf  den  nächsten  Erd- 
hügel und  fixiert  den  Eindringling,  indem  sie  ihm  ihr  schwarzes, 
weissumsäumtes  Brüstchen  zukehrt,  mit  dem  ernsten  Blick  ihrer 
grossen  Augen.  Sie  verrichtet  für  den  kleinen  Alpenstrandläufer 
(Tringa  alpina,  isländisch  löiiprcrll,  d.  h.  Knecht  der  loa,  weil  beide 
vielfach  in  Gesellschaft  gesehen  w^erden)  Warner-  und  Wächter- 
dienste: fliegt  die  loa  auf,  so  schwirren  auch  die  zwei  oder  drei 
Pärchen  des  löiiprall  mit  lautem  rauh  schnurrenden  Schriririri  da- 
von; lässt  sie  sich  nieder,  so  scharen  sie  sich  sofort  wieder  um  sie. 


Ausflug  nach  Hlidarendi.     Der  Goldregenpfeifer.  43 

Nach  isländischem  Volksglauben  preisst  der  Goldregenpfeifer  in 
seinem  Gesänge  Gott;  sein  „dirrindü"  deutet  man  als  ,,dyrdin  dy" 
(^r^^Ehre,  Ruhm).  Jonas  Hallgri'msson  hat  diesen  Frühlings- 
boten Islands  schön  besungen  (Pöstion,  Eislandblüten  45): 

Vöglein  singt  des  Morgens  früh 
Frisch  und  froh  sein    „Dirrindü" 
In   der  Luft  der  lauen : 
„Preiset  Gottes   Güte  laut, 
Seht,  wie  hell  der  Himmel   blaut, 
Grün  sind  alle  Auen  ! 

Flog  vom  Nest  im  Moore   fort, 
Friedlich  harren  meiner  dort 
Kindlein,   noch  ganz  kleine. 
Füttre  treu  die  frohe  Schar, 
Fliegen  bring'   ich,  oder  gar 
Würmer,   wunderfeine!" 

Heimwärts  flog  das  Vögelein 

—  Lenzmild  ist  der  Sonnenschein, 

Blumen   blühn  im  Tale  — 

Doch  kein  Kindlein  findet's  mehr: 

Frass  ein  Rabe  kurz   vorher 

Sie  zum   Morgenmahle. 

Benedikt  Gröndal  widmet  dem  schwermütigen  Sänger  folgendes 
Gedicht  (Pöstion,  Eislandblüten   131): 

Vöglein  in  der  Heide  singt 
Vom   Tod  der  Blumen  traut; 
Immer  der  gleiche  Gesang  ist's 
Mit  trautem  Vogellaut. 

Himmlisch  mild   deine  Töne  sind, 
Heidevöglein  mein  ! 
Ich  höre  dir  zu  und  sinne  — 
Mag  nicht  ins  Haus  hinein  .... 

Der  heutige  Ausflug  gehört  zu  meinen  schönsten  Erinnerungen, 
und  wenn  ich  von  Isländern  gefragt  bin,  wo  es  mir  am  besten  ge- 
fallen hätte,  habe  ich  an  erster  Linie  diesen  Ritt  nach  Hlidar- 
endi genannt.  Das  Wetter  ist  herrlich ,  heller  Sonnenschein  flutet 
über  die  Wiesen  und  das  Wasser  und  verscheucht  einen  Nebel- 
schleier nach  dem  andern  von  den  trotzigen  Bergen.  Unter  uns 
rauschen  die  schmutzig  grauen  Wellen  der  Pverä  und  des  Alark- 
arßjöt,  das,  fortwährend  seinen  Lauf  ändernd  und  Geschiebemassen 
herabführend,  mit  dem  Netze  seiner  zahlreichen  Arme  das  mit  Ge- 
röll besäte,  10  km  breite,  etwa  vier  Stunden  lange  Tal  ausfüllt,  das 
uns  im  Osten  von  der  Gletscherkette  trennt.  In  diese  fluvioglazialen 
Geröllflächen  sind  die  zwar  nicht  breiten,  aber  tiefen  Rinnen  des 
Markarßjöt   eingeschnitten.     Wo  die  Gletscher  aufhören ,    teilt  sich 


44  Ausflug  nach  Hlidarendi. 

der  Strom  in  vier  verschiedene  Betten  und  bildet  ein  sandiges  und 
sumpfiges  Delta  von  fast  sechs  geographischen  Meilen.  Der  west- 
lichste dieser  vier  Arme,  die  Pverd ,  durch  die  das  Delta  mit  der 
Pjörsd  zusammenhängt,  war  noch  im  17.  Jahrhundert  ein  selbstän- 
diger Strom ;  erst  die  wiederholten  Überschwemmungen  des  Mark- 
arfljöt ,  vor  allem  ein  Ausbruch  des  Ey/afjalla/ökull  im  Anfange 
des  18.  Jahrhunderts  haben  der  Pverd  einen  gewaltigen  Zufluss  an 
Wasser  gegeben,  ihr  Flussbett  erweitert  und  nach  oben  hin  ver- 
längert und  so  die  Pverä  dem  Markarfljöt  dienstbar  gemacht 
Keinem  Zweifel  aber  unterliegt,  dass  die  Pverd  zur  Sagazeit  noch 
ein  ganz  unbedeutender  Fluss  gewesen  ist  und  keine  Rolle  gespielt 
hat.  In  der  Njdlssaga  wird  die  Pverd  nicht  einmal  genannt,  sondern 
nur  die  Rdngd,  und  in  ihre  Nähe  wird  auch  Gunnarrs  Hof  Ijlida>'- 
end i  \er\egt  (Kaalund  I,  237 — 243).  Mit  dem  von  Geröll  ausge- 
gefüllten  Tale  des  Markarßjöt  beginnen  die  ,,sandar"  an  der  Süd- 
küste. Die  Inseln,  die  sich  zwischen  den  Hunderten  von  Armen 
des  Markarfljdt  gebildet  haben,  hcissen  Landeyjar  (Landinseln); 
aus  ihnen  ragen  die  vereinzelten  Kegel  des  Litla  und  Stdra  Di'uion  ') 
hervor.  Über  die  niedrige,  zum  grössten  Teil  aus  Moor  bestehende 
Gegend  schweift  der  Blick  bis  zu  der  von  Sandflächen  und  Strand- 
wällen  begrenzten  Küste  des  Atlantischen  Ozeans,  bis  zu  den  davor 
gelagerten  Vertiefungen  mit  seichtem,  stillstehendem  Wasser  (gljd), 
und  darüber  hinaus  bis  zu  den  weissbrandenden  Wogen.  Schliesslich 
verschwimmt  der  silberne  Wasserspiegel  vor  den  Augen ,  und  sie 
gewahren  nur  undeutlich  noch  die  Zacken  der  Vestniaiiuaeyjar. 
Aber  da  tauchen  neben  ihnen  ein  paar  Segel  auf.  Neugierig  passen 
wir  auf,  wohin  sie  ihren  Lauf  lenken.  Aber  siehe  da,  sie  rühren 
und  regen  sich  nicht,  festgebannt  liegen  sie  an  derselben  Stelle, 
und  da  merken  wir,  dass  es  Felsen  sind,  die  bei  der  klaren  Be- 
leuchtung so  nah  erscheinen ,  wie  grosse  Schiffe  an  der  Küste ,  es 
sind  die  Drdngar  (Klippen) ,  die  wir  schon  von  der  Seereise  her 
kennen  (die  Daniel  Bruun  [Det  hoje  Nord  Kph.  1902,  S.  45]  ent- 
nommene Figur  Nr.  71  zeigt  den  Blick  von  Hlidarendi  nach  den 
Vestinatinaeyjar). 

Steigen  .wir  in  dem  Kirchlein  von  / flidareiidi  im  Glockenstuhl 
empor,  oder  reiten  wir  noch  zwei  Stunden  weiter  bis  zum  nächsten 
Pfarrhof,  so  wähnen  wir  uns  in  ein  Tal  von  völlig  alpinenhaftem 
Charakter  versetzt.  Der  Anblick  der  Pörsmörk ,  der  grünen  Oase 
inmitten  der  Eis-  und  Feuerberge,  ist  überwältigend.  Grüne,  mehr 
oder  minder  steile  Weiden  bilden  die  Talwände ,  auf  deren  halber 
Höhe   einige  Höfe   wie  Schwalbennester  aufgebaut  sind.     Von  allen 


1)  Der  öfter  vorkommende  Name  bezeichnet  kleine,  freistehende  Berge.  Nach 
G  u  s  t.  S  t  o  r  m  ist  er  keltisch  und  eine  gemeinsame  Bezeichnung  zweier  runder  Berge 
(Minder  fra  en  Islandsfaerd.     Christiania   1874,   S.   19). 


Ausflug  nach  Hlidarendi. 


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46  Försmörk. 

Seiten  blitzen  grössere  und  kleinere  Wasserflächen  auf,  und  drei 
oder  vier  schäumende  Wasserfälle  hängen  wie  breite ,  mattsilberne 
Bänder  an  den  Abhängen.  Der  eine  ist  besonders  darum  merk- 
würdig, dass  man  das  Flüsschen,  das  ihn  bildet,  die  Merkid  (Grenz- 
fluss) ,  zunächst  hoch  oben  an  einem  Abhänge  wahrnimmt ;  dann 
verschwindet  es  völlig  und  kommt  erst  tief  unten  wieder  zum  Vor- 
scheine, wie  es  aus  vier  Höhlen  zugleich  herniederstürzt.  Weit  an- 
sehnlicher ist  der  Seljalaiidsfoss ,  der  über  die  steile  W^and  des 
Eyjafjallajökull  fällt.  Dieser  Plateau -Gletscher  nimmt  vor  allem 
unsere  Augen  gefangen.  Von  seinem  Doppelgipfel  gewahrt  man 
nur  den  stumpfen  Kegel,  sein  Schnee-  und  Eispanzer  reicht  auf  der 
uns  zugekehrten  Seite  nur  bis  zur  Hälfte,  dann  verläuft  das  Massiv 
über  steinigen  nackten  Fels  in  die  Ebene,  die  am  Fusse  des  Berges 
mit  zahllossen,  grossen  runden  Steinen  und  Geröll  bedeckt  ist.  Nach 
Norden  sendet  das  ca.  1200  qkm  grosse  Eisfeld  fünf  grössere  Schreit- 
gletscher in  das  Tal  hinab,  einige  der  weissen  und  bläulichen  Zungen 
gehen  bis  auf  den  Grund  nieder.  Nach  Nordosten  sehen  wir  in 
den  schwarzen,  von  den  trüben  Wassern  des  JMarkarfljöt  in  vielen 
Armen  durchschnittenen  Talgrund.  Über  seiner  Mündung  schaut 
die  vielzinnige  Reihe  des  TiiidfjaUajökiill  hernieder ,  nach  seinen 
schwarzen  Spitzen  ,,Spitzenberggletscher"  geheissen.  Die  Berge  der 
Pörsniörk  bestehen  aus  vulkanischen  Tuffen ,  denen  gelegentlich 
glaziale  Gesteine  beigemengt  sind.  In  den  Tuffen  hat  der  deutsche 
Geologe  von  Knebel  Maarkanäle  festgestellt,  d.  h.  mit  vulkani- 
schen Breccien  erfüllte  vulkanische  Explosionsröhren  ^).  Seltsam  ge- 
formte braune  und  graue  Felsen  schliessen  die  ,, Donnersmark"  gen 
Osten,  eine  Welt  für  sich  von  abenteuerlichen,  wild  zerrissenen  Fels- 
gestalten, stürzenden  Bächen,  Gletschern  und  Wäldern,  den  grössten 
des  Südlandes.  Gerade  dieser  Gegensatz  macht  die  Pörsmörk  so 
anziehend,  und,  abgesehen  von  der  Südküste,  ist  man  kaum  wo 
anders  der  Gletscherwelt  so  nahe  wie  hier.  Weit  im  Hintergrunde 
schimmern  der  3Ierki( rjökull  wnd  der  Godalai/ds/ökull  herüber,  ,,eine 
kaum  gehobene  Bogenlinie,  die  an  vier  Stellen  brüchige  Eismassen 
tiefer  herabhängen  lässt".  Hinter  diesen  beiden  Gletschern  führt 
ein  wenig  benutzter  Weg  von  Norden  her  nach  der  Südküste  am 
Vatna/ökull  vorbei.  Hier  war  es,  wo  sich  Flosi  und  die  Seinen 
durchschlichen,  als  sie  Xjdll  in  BergpörsJivoU  überfielen  und  in 
seinem  Hause  verbrannten;  hier  wurden  sie  nach  der  Tat  von  den 
Freunden  des  Xjdll,  obwohl  vergeblich,  bis  nach  den  grossen  Sand- 
wüsten jenseits  der  Gletscher  verfolgt.  (Auch  die  Figur  Nr.  72  ist 
Daniel  Bruun  entnommen  [Det  hoje  Nord  S.   144].) 


1)  Dr.  Walther  von  Knebel,  Studien  in  Island  im  Sommer  1905.  Globus 
1905,  Bd.  88,  Nr.  22.  —Vetter,  Islands  Donnermark,  Beilage  zur  (Münchener)  Allge- 
meinen Zeitung.      1888,   Nr.    13,   14. 


Ausflug  nach  Hlidarendi. 


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48  Der  Eyjafjallajökull.      Gunnarr  von  Hlidarendi. 

Der  Eyjafjallajökull  ist  der  westlichste  und  höchste  Teil  der 
gewaltigen  zusammenhängenden  Gletschermasse,  die  mit  einem  Namen 
]\Iyrdalsjökull  genannt  wird.  Er  hat  seinen  Namen  „Inselberge- 
gletscher" entweder  von  dem  schwarzen  Felsgrat,  der  sich  aus  dem 
weissen  Rücken  des  Gebirges  erhebt ,  oder,  wahrscheinlicher,  von 
den  Inseln  (eyjar),  die  sich  zu  seinem  Fusse  hinziehen,  den  Landeyjar 
und  den  Vestuiaiiiiaexjar.  Svetiiii  Pdlssou,  der  bekannte  isländische 
Arzt  und  Naturforscher,  hat  ihn  1793  bestiegen:  nach  ihm  ist  der 
Hauptkrater  eingestürzt  und  mit  Eis  angefüllt ,  während  drei  oder 
vier  Tuff klippen ,  an  denen  das  Eis  nicht  hat  haften  können ,  wie 
Hörner  über  diesen  Ungeheuern  vulkanischen  Becher  aufragen  ^). 
Prof.  Vetter  hat  dann  1S87  eine  Besteigung  versucht,  aber  es  ist 
ihm  nicht  geglückt,  auch  von  oben  herab  in  die  Felsen-  und  Gletscher- 
welt der  Pö7'S))wrk  zu  sehen-).  Der  Eyjajjallajökull  hat  zwei  Aus- 
brüche gehabt,  die  aber  keinen  grossen  Schaden  angerichtet  haben : 
im  Jahre  161 2  soll  Wasser  und  Eis  bis  nach  dem  Meere  hinaus- 
getrieben sein;  1821  spie  er  Wasser  und  Eis,  eine  gewaltige,  mit 
Eisstücken  gemischte  Wassermasse  staute  das  Markarßjöt  bis  zu 
den  Hauswiesen  der  gegenüberliegenden  Gehöfte  empor.  Die  zurück- 
gebliebenen Gletschertrümmer,  die  über  zwei  Jahre  zum  Auftauen 
brauchten ,  haben  hier  und  da  in  der  Ebene  tiefe ,  runde  Löcher 
zurückgelassen  ,,wie  die  Vertiefungen  in  einer  Apfelkuchenpfanne" 
(K  aal  und):  wie  die  für  Island  charakteristischen  ,,sandar",  so  be- 
ginnen hier  auch  die  ebenso  eigenartigen  trichterförmigen  Löcher,  die 
vor  allem  in  den  Gegenden  südlich  vom  l'al )i ajökiill xox^oxxwaQXi.  Ver- 
heerungen durch  Lava  und  Asche  scheint  der  Berg  nicht  angerichtet 
zu  haben,  wie  sein  Nachbar,  die  Kalla:  dagegen  wird  die  Anlage 
des  Flusstales,  eines  ehemaligen  Fjordes,  und  des  Küstenlandes  auf 
seine  Tätigkeit  zurückzuführen  sein. 

,, Schön  ist  die  Halde !  so  schön  hab'  ich  das  Land  noch  nie 
gesehen  .  .  .  ich  reite  wieder  heim  und  reise  nicht."  —  Diese  Worte 
des  ritterlichsten  Helden  auf  Island,  des  Gunnarr  Hdmundarson 
von  Hlidarendi ,  fielen  mir  ein,  als  ich  über  das  weite  Flachland 
nach  dem  strahlenzitternden  Meer  hinausblickte.  Hier,  in  Illidaretidi, 
hat   Gunnarr  im  zehnten  Jahrhundert  gelebt. 

Er  war  ein  Mann  gross  von  Wuchs  und  stark  und  der  allerkampftüchtigste 
Mensch.  Er  hieb  und  schoss  mit  beiden  Händen,  wenn  er  wollte ;  mit  dem  Schwerte 
focht  er  so  schnell,  dass  man  glaubte,  drei  Schwerter  in  der  Luft  zu  sehen.  Er  war 
der  allerbeste  Bogenschütze  und  traf  alles,  wonach  er  zielte.  Er  sprang  höher,  als 
er  selber  war,  mit  voller  Waffenrüstung,  und  ebensoweit  rückwärts  wie  vorwärts.  Er 
konnte  schwimmen  wie  ein  Seehund,  und  kein  Spiel  gab  es,  worin  einer  mit  ihm 
hätte  wetteifern  können;    man    sagt,    dass  kein  ihm  gleicher  je  wieder  gelebt  hat.     Er 


')  Thoroddsen,    Oversigt  over  de  islandske   Vulkaners  Historie.      Kph.    1882, 

S.  24i  54.  90. 

-)  Vetter,   Der  Eyjafjallajökull.     Jahrbuch  des  Schweizer  Alpenklubs   1887. 


Gunnarr  von  Hlidarendi.  49 

war  schön  von  Aussehen  und  hatte  lichte,  helle  Hautfarbe;  seine  Nase  war  wohl- 
geformt und  etwas  nach  aufwärts  gebogen.  Er  hatte  blaue  Augen,  einen  lebhaften 
Blick  und  rote  Wangen ;  sein  Haar  war  stark,  von  blonder  Farbe  und  stand  ihm  wohl. 
Er  hatte  von  allen  Männern  die  höfischste  Lebensart,  war  entschlossen  im  Handeln, 
gab  guten  Rat  und  war  wohlwollend,  freigebig  und  besonnen,  gütig  und  sorgfältig  in 
der  Wahl  seiner  Freunde.  Ausserdem  war  er  reich  an  Besitz  (K.  19).  Diese  Cha- 
rakteristik von  ihm  entwirft  die  Njälssaga,  die  Krone  aller  isländischen  Sagas ,  und 
diese  Charakteristik  ist  die  schönste  der  gesamten  .Sagaliteratur.  Mogk  rühmt  von 
der  Njälssaga,  dass  sie  an  Grossartigkeit  der  Charakterschilderung,  an  ethischem 
und  ästhetischem  Wert,  an  dramatischer  Darstellung,  an  der  reichen  Fülle  interessanter 
Tatsachen  alle  anderen  übertrifft ').  Diese  Saga  voll  Weibertücke  und  Weiberhass, 
Freundestreue  und  Blutrache  ist  die  wohlüberlegte  und  planmässig  durchgeführte  Ver- 
schmelzung von  zwei  Sagas,  die  eine  handelte  von  Gunnarr  von  Hlidarendi,  die 
andere  von  Njäll  und  seinen  Söhnen  auf  Bergpörshvoll.  Die  Vereinigung  der  beiden 
Sagas  war  um  so  leichter,  als  ihre  beiden  Helden  durch  treue  Freundschaft  mit- 
einander verbunden  waren.  Den  Schauplatz  dieses  Meisterwerkes  kennen  zu  lernen 
war  einer  der  Hauptgründe  für  meine  beiden  Abstecher  von  Störölfshvoll  nach 
Hlidarendi  und  Bergpörshvoll  gewesen,  und  ich  will  den  Versuch  wagen,  memen 
Lesern  eine  Vorstellung  von  dem  Inhalt  und  der  dichterischen  Bedeutung  dieser  Saga 
zu  geben.  Zu  kurz  war  die  Zeit,  die  mir  zur  Verfügung  stand,  als  dass  ich  gründlich 
alle  Angaben  der  Saga  mit  dem  Schauplatze,  wie  er  in  Wirklichkeit  ist,  hätte  ver- 
gleichen können. 

Treue  Freundschaft  verbindet  den  edlen  Gunnarr  mit  dem  weisen  Njäll.  Nur 
selten  erzählt  eine  Saga,  dass  eine  Frau  schön  ist;  und  ist  es  der  Fall,  so  bringt  die 
Liebe  nur  Leid  und  Verderben:  ie  diu  Hebe  leide  ze  aller  jungiste  gif.  Schön  ist 
Hallgerdr  und  hochgewachsen,  ihre  Haare  wallen  so  lang  und  schwer  hernieder,  dass 
sie  sich  darin  einhüllen  kann.  Aber  sie  ist  stolz,  ränkesüchtig  und  rachgierig,  für  den 
Unterschied  von  Gut  und  Böse  hat  sie  nicht  das  geringste  Gefühl.  Als  Kind  spielt 
sie  einst  mit  einigen  Mädchen  auf  der  Diele.  „Ist  es  nicht  ein  liebliches  Mädchen?" 
fragt  voll  Stolz  der  Vater  ihren  Oheim.  Nach  langem  Schweigen  erwidert  der : 
„Sehr  schön  ist  sie,  und  mancher  wird  dafür  büssen  müssen.  Aber  ich  kann  nicht 
begreifen,  wie  die  Diebesaugen  in  unsere  Sippe  kommen".  Diese  Worte  werden  für 
die  ganze  Erzählung  bedeutungsvoll,  sie  verkündigen  warnend  ihr  verderbliches  Ein- 
greifen in  das  Geschick  von  Gunnarr  und  Njäll  und  dessen  Söhnen.  Mit  unwider- 
stehlicher Macht  zieht  sie  alle  Männer  an  sich,  ihre  beiden  ersten  Gatten  beseitigt  sie 
direkt  oder  indirekt.  Auf  dem  „Lögberg"  in  Pingvellir  begegnet  Gunnarr  der 
Hallgerdr,  ihr  herrliches  Haar  hängt  ihr  über  die  Brust  herab,  sie  trägt  ein  rotes 
Gewand  und  darüber  einen  Scharlachmantel,  dessen  Borde  bis  zum  Schosse  reicht. 
Gunnarr  beginnt  ein  Gespräch  mit  ihr  und  fragt  sie,  ob  sie  unverheiratet  sei.  Sie 
antwortet,  dass  dies  der  Fall  wäre,  „und  es  ist  nicht  vieler  Männer  Sache,  mit  mir 
eine  Ehe  zu  wagen".  „Scheine  ich  dir  nicht  eine  angemessene  Partie?"  fragt  er. 
„Darum  handelt  sichs  nicht",  versetzt  sie,  „aber  wählerisch  unter  Männern  werde  ich 
sein."  ,,Wie  wirst  du  antworten,  wenn  ich  um  deine  Hand  bitte?"  fragt  Gunnarr. 
,,Das  wird  nicht  deine  Absicht  sein",  entgegnet  sie.  „Du  irrst",  erwiderter.  ,,Wenn 
es  dir  irgendwie  Ernst  ist",  antwortet  sie,  ,,so  suche  meinen  Vater  auf."  Trotz  der 
Warnung    ihres  Oheims:    „Du,    Gunnarr,    bist    tüchtig    und    brav;    aber    sie    hat    ihre 


^)  Geschichte  der  norwegisch-isländischen  Literatur.  Strassburg  1904,  S.  214. 
—  Finnur  Jönsson,  Der  oldnorske  og  oldisl.  Litteraturs  Historie.  Kph.  II.  1898, 
S.  525 — 547;  —  Om  Njala,  in:  Aarb.  f.  nord.  Oldkynd.  og  Hist.  1904,  S.  89  — 166.  — 
Lehmann  u.  Schnorr  von  Carolsfeld,  Die  Njälssage,  insbesondere  in  ihren  juristi- 
schen Bestandteilen.  Berlin  1883.  —  Ausgaben:  Kph.  1875,  Reykjavik  1894.  — 
Kap.  124—132  sind  deutsch  übersetzt  von  Beruh.  Döring  ,, Eine  altisländisch 
Brandlegung".     Leipzig   1878.     Programm  des  Nicolaigymnasiums. 

Herrmann,  Island  II.  4 


50  Gunnarr  von  Hlidarendi. 

guten  und  schlechten  Seiten,  und  ich  will  dich  darüber  nicht  im  Ungewissen  lassen", 
verlobt  er  sich  mit  ihr.  Auch  Njäll,  den  Gunnarr  sofort  benachrichtigt,  ist  wenig 
erfreut:  ,,Sie  wird  nur  Böses  anstiften,  wenn  sie  hierher  kommt".  ,, Niemals  aber", 
entgegnet   Gunnarr,   „soll  sie  unsere  Freundschaft  stören". 

Zwischen  Hallgerctr  und  Bergpöra,  der  hochsinnigen,  aber  stolzen  und  heftigen 
Frau  des  Njäll  bricht  der  Kriemhildenstreit  aus^  wie  die  kiinigi)inen  ein  ander 
schulten.  Beim  Gastmahl  in  Bergpörshvoll  suchen  die  beiden  Frauen  einander  mit 
den  gehässigsten  Hohnworten  und  Kränkungen  den  Vorrang  streitig  zu  machen,  und 
die  unterliegende  Hallgerdr  heischt  Rache  von  ihrem  Gatten  Gunnarr,  wie  Brün- 
hild  von  Günther  Rache  fordert.  Ärgerlich  darüber,  dass  sie,  Gunnars  Weib,  den 
Platz  vor  einer  von  Bergpöras  Schwiegertöchtern  hat  räumen  müssen,  ergreift  Hall- 
gerdr die  Hand  ihrer  Feindin  mit  den  Worten:  ,,Du  und  Njäll  passt  gut  zu  einander, 
Du  hast  missgestaltete  Nägel  an  jedem  Finger,  und  Njäll  ist  bartlos".  ,,Das  ist 
wahr"  entgegnet  Bergpöra,  ,,aber  keiner  von  uns  legt  es  dem  andern  zur  Last. 
Dein  erster   Gatte  war  nicht  bartlos,   dennoch  brachtest  Du   ihm   den  Tod". 

Hallgerdr  entblödet  sich  nicht,  zu  stehlen  und  ihren  Gatten  als  Hehler  hinzu- 
stellen. Sie  stiftet  während  einer  Hungersnot  einen  Sklaven  an,  nach  Kirkjubcer  in 
der  Vestur  Skapta/ells  sf/sla  zu  reiten,  dort  zwei  Pferdelasten  an  Butter  und  Käse 
zu  stehlen  und  dann  den  Speicher  in  Brand  zu  stecken.  Als  Gunnarr  den  gemeinen 
Diebstahl  merkt,  wird  er  zornig :  ,, Schlimm  wäre  es,  wenn  ich  Diebshehler  sein 
sollte"  und  schlägt  sie  auf  die  Wangen.  ,,An  den  Schlag  sollst  du  denken !"  ruft 
Hallgerdr  und  eilt  hinaus  (vergl.  I,  S.  219,  220). 

Gunnarr  und  Njäll  bleiben  sich  treu  und  zahlen  einander  gern  die  Sühne,  die 
Mannen-  und  Freundesmord,  den  die  Feindschaft  ihrer  Frauen  hervorgerufen  hat,  nach 
den  Gesetzen  fordert.  Einmal  aber  verletzt  Gunnarr  gegen  den  Rat  seines  Freundes 
das  Gesetz,  er  muss  seinen  Hof  Hlidarendi  verlassen  und  auf  drei  Jahre  ins  Elend 
gehen.  ,, Brichst  du  diesen  Vergleich,  wird  es  dein  Tod  sein.  Gehst  du  aber  ausser 
Landes,  dann  wird  dir  diese  Fahrt  mehr  Ehre  einbringen  als  deine  Wikingerzüge." 
Schon  hat  Gunnarr  einen  Platz  auf  dem  Schiffe  belegt,  das  ihn  nach  Christiania 
bringen  soll,  hat  Abschied  von  den  Freunden  genommen  und  seinen  Dienstleuten 
Lebewohl  gesagt.  Er  hat  sich  aufs  Pferd  geschwungen  und  ist  das  Markarfljöt  ent- 
lang geritten.  Auf  der  Mitte  des  Weges  zwischen  Hlidarendi  und  dem  Meere,  auf 
einem  grünen  Rasenplatz ,  der  seitdem  Gunnarshnlmi  (Gunnars  Inselchen)  heisst, 
stolpert  sein  Pferd,  er  schwingt  sich  aus  dem  Sattel,  sein  Gesicht  kehrt  sich  der 
Halde  zu  und  seinem  Gehöft  auf  Hlidarendi.  Da  sagte  er:  „Schön  ist  die  Halde! 
so  schön  hab  ich  sie  nie  gesehen  :  die  Fluren  gelb  und  das  Gras  auf  dem  Tun  ge- 
schlagen .  .   .  ich  reite  wieder  heim  und  reise  nicht!" 

So  wird  Gunnarr  friedlos,  seine  Heimatsliebe  gibt  ihn  seinen  Feinden  in  die 
Hände.  Hallgerdr,  die  väleniinne,  hat  ihr  Ziel  erreicht :  Gunnarr  fällt  im  Kampfe, 
und  Njäll  wird  in  seinem  Hause  verbrannt.  Olafr  Pfau  hat  Gunnarr  einen  grossen 
Hund  geschenkt:  „der  hat  Menschenverstand;  er  wird  jeden  anbellen,  den  er  als 
deinen  Feind  erkennt,  niemals  aber  deinen  Freund,  denn  er  sieht  es  jedem  sogleich 
an,  ob  er  dir  wohlgesinnt  ist,  oder  übel ;  seine  Treue  zu  dir  wird  er  durch  Einsetzung 
seines  Lebens  beweisen,  sein  Name  ist  Sämr" .  Da  Gunnars  Feinde  wissen,  dass  sie, 
solange  Sämr  lebt ,  ihm  nichts  anhaben  können ,  zwingen  sie  Gunnars  Nachbar, 
indem  sie  ihm  den  Dolch  vor  die  Brust  setzen,  entweder  sofort  zu  sterben  oder  den 
Hund  an  sich  zu  locken,  der  ihn  als  guten  Nachbarn  kennt,  und  so  unschädlich  zu 
machen.  Sämr  liegt  oben  auf  dem  Hausdache,  der  Bauer  lockt  ihn  an  sich  auf  dem 
eingehegten  Weg,  der  durch  das  Tun  läuft.  Freundlich  wedelnd  springt  der  Hund 
herab,  als  er  aber  die  anderen  Männer  sieht,  packt  er  den  Bauern  und  beisst  ihn. 
Da  schlägt  ihm  ein  anderer  die  Axt  tief  ins  Gehirn.  Der  Hund  stösst  ein  Geheul 
aus,  wie  man  noch  nie  von  einem  Hunde  vernommen  hat  und  stürzt  tot  nieder. 
Gunnarr  erwacht  in  seinem  Schlafhause  und  ruft:  „Schmerzlich  ist  dir  mitgespielt, 
Sämr,  mein  Liebling!   mein  Tod  wird   dem   deinen  schnell  nachfolgen!" 


Gunnarr  und  Hallgerdr.  öl 

Gunnars  Haus  war  von  lauter  Holz  gebaut  und  aussen  mit  Brettern  überkleidet. 
Fenster  waren  neben  der  Plattform  und  Läden  vorgezogen.  Gunnarr  schlief  in  der 
Oberstube.  Auf  dem  Erdboden  lagen  Stränge,  und  diese  v^'urden  dazu  verwendet,  das 
Haus  beständig  festzuhalten.  Mit  deren  Hilfe  winden  die  Feinde,  an  ihrer  Spitze 
Gissurr  hviti  und  Geirr  godi,  das  Dach  ab,  Gunnarr  aber  merkt  es  erst,  als  es 
geschehen  ist.  „Gib  mir  zwei  Locken  von  Deinem  Haar",  sagt  Gunnarr  zu  seinem 
Weibe  Hallgerdr,  da  ihm  die  Bogensehne  unbrauchbar  geworden,  „und  flicht  Du  mir 
eine  Bogensehne  daraus,  Mutter,"  zu  seiner  Mutter  Rannveig.  „Hängt  etwas  davon 
ab?"  fragt  Hallgerdr.  „Mein  Leben  hängt  davon  ab",  erwidert  er,  „solange  ich 
meinen  Bogen  gebrauchen  kann ,  sollen  meine  Feinde  nie  Macht  über  mich  be- 
kommen !"  „Dann  werde  ich  Dir  die  Ohrfeige  gedenken,  die  Du  mir  gabst",  sagt  sie, 
„mir  verschlägt  es  nichts,  ob  Du  Dich  längere  oder  kürzere  Zeit  wehrst."  „Jeder  hat 
etwas,  womit  er  sich  einen  Namen  macht",  entgegnet  Gunnarr,  „ich  werde  Dich  nicht 
lange  bitten."  Rannveig  ruft  ihr  zu:  „Arg  handelst  Du,  ewig  wird  Deine  Schande 
leben!"  Tapfer  kämpfend  fällt  Gunnarr.  Sein  Sohn  Högni  aber  und  Skarp- 
hedinn,  Njäls  ältester  Sohn,  übernehmen  die  Rache  und  ruhen  nicht  eher,  als  bis 
Gunnars  Mörder  alle  getötet  sind :  „von  zweier  vroiiwen  bägen  ivart  vil  nianic 
hell  verlorn."  Hallgerdr  ist  eine  Frauengestalt,  die  in  dem  verführerischen  Reiz, 
den  sie  auf  die  Männer  ausübt,  in  ihrer  zügellosen  Wildheit  und  unbezähmbaren  Rach- 
sucht an  Shakespeares  Frauengestalten  gemahnt.  Hochdramatisch  ist  die  Streitszene 
zwischen  ihr  und  Bergpöra,  im  vollen  Sinne  tragisch  die  Umkehr  Gunnars,  als  sein 
Blick  auf  die  blühende  Halde  fällt,  und  dem  letzten  Akt,  wo  in  der  höchsten  Not  die 
Frau  dem  Manne,  der  ihr  alles  geopfert,  die  Hilfe  versagt,  wüsste  ich  wenig  Stellen 
in  der  Weltliteratur  zur  Seite  zu  setzen. 

Isländische  Volkslieder  gibt  es  sehr  wenig ;  auf  den  Färöern  aber,  „w^o  die 
Wendung  des  Geschmackes  auf  ausländische  Ritterromantik  sich  weniger  durchgreifend 
geltend  machte",  hat  sich  manches  Lied  isländischen   Ursprungs  noch  erhalten. 

Auf  Syderö,  einer  der  Färöer,  ist  ein  Volkslied  aufgezeichnet,  Gunnars  Lied, 
Gunnars  kvcedi ' ) : 

Gunnarr,   der  Recke,  schoss    —   da  sprang 

Ihm   an  seinem  Bogen  der  Strang. 

Da  handelte  sie    so  schmählich. 
Schmählich  verriet  sie  den  Helden  kühn, 
Und  das  war  doch  so  schmählich. 

,, Hallgerd,  zeige,   dass  Du  mich  liebst, 
Damit,  dass  Du   eine  Locke  mir  gibst." 

,, Meine  Locken  sind  meine  Lust, 
Golden  wallen  sie  über  die  Brust. 

Künde  mir  klar,  sage  mir  wahr. 
Was  begehrest  Du  jetzt  mein  Haar?" 

„Wäre  mein  Bogen  mir  unversehrt. 
Leicht  ich  mich  meiner  Feinde  wehrt'. 

Schneide   mir  schnell   eine  Locke  ab, 
Denn  mein   Leben  hängt  davon  ab." 

,, Hängt  Dein  Leben  auch  davon  ab  — 
Nie  schneid  ich  für  Dich   eine  Locke  ab. 


1)  Faeröiske  kvasder,  samlede  og  besörgede  ved  V.  U.  Hammershaimb  Kph. 
1855.  Nr.  8.  —  Anliquarisk  Tidsskrift ,  udgivet  af  det  kongelige  Nordiske  Oldskrift- 
Selskab.     Kph.   1849—51,  S.  87. 


4* 


52  Gunnarr  und  Hallgerdr. 

Immer  gedenke  des  Tages  ich, 

Da  auf  die  Wange  Du  schlugest  mich!" 

Verflucht  sei  das  Weib,   Schand  ihr  und  Scham, 
Die  ihrem   Gatten  das  Leben  nahm  ! 

Mutter  weinet  so  bitterlich: 

,,Nimm  mein  Haar  und  rette  Dich!" 

„Niemals!     Eh'r  falle  dem  Feinde  mein  Haupt, 

Ehe  man  Dich  eines  Haares  beraubt!" 
Da  handelte  sie  so  schmählich, 
Schmählich  verriet  sie   den  Helden  kühn, 
Und  das  war  doch  so  schmählich. 

In  diesem  Volksliede  tritt  ein  neues,  erschütterndes  Motiv  zutage :  Mutterliebe 
opfert  alles  dem  vielgeliebten  Kinde ;  aber  eher  will  der  Sohn  sterben,  als  dass  er 
der  Mutter  ein  Härchen  krümmt,  als  dass  er  ihrem  heiligen  Haupte  eine  Locke 
entzieht. 

Etwas  nüchtern,  weil  halbgelehrten  Ursprung  oder  doch  Einfluss  verratend,  mutet 
dagegen  ein  isländisches  Volkslied  an,   Gnnnarskvoe(tt ') : 

Von  Gunnarr,   dem  Bauern  und  streitbaren  Helden 
Auf  Hlidarendi,   will  mein  Lied   euch  melden. 
—  Auf  dem   Thing 
Liebte  Brynhild  mehr  den   Hring. 

In  dieser,  in  jedem  Verse  wiederkehrenden  Strophe  wird  auf  die  Hringssaga 
Og  Tryggva  angespielt,  die  heimische  Mythen  mit  romantischen  Gestalten  und  Er- 
eignissen verwebt.  Das  Lied  handelt  von  dem  Diebstahle  des  Käses  und  von  der 
Ohrfeige,  die  Gunnarr  der  Hallgerdr  gab,  und  davon,  welchen  Lohn  er  bekam,  als 
er  sich  gegen   Gissurr  und  seine   Genossen  wehrte : 

Hallgerd  will  das  Haar  nicht  geben, 
Hängt  daran  auch  Gunnars  Leben  — 

Das  Volkslied  schliesst  so : 

Also  endet  der  beiden  Zank  — 
Tot  zur  Erde  Gunnarr   sank. 
—  Auf  dem   Thing 
Liebte  Brynhild   mehr  den  Hring. 

Übrigens  ist  der  Refrain  gut   gewählt,    er    passt    ausgezeichnet    zu    dem   Gegen- 
stande.  — 

Es  ist  merkwürdig,  dass  ein  so  durch  und  durch  tragischer 
Stoff  noch  keinen  Dramatiker  auf  Island  gelockt  hat ;  Indridi  Evi- 
arsson  und  Mattlu'as  Jochunisson  hätten  wohl  die  Kraft  dazu. 
Jonas  Hallgrfmsson  allerdings  hat  in  einer  wundervollen  Elegie 
„Gunnarshöhn''  den  Zug  festgehalten,  dass  das  Heimweh  und  die 
Vaterlandsliebe  den  Helden  derart  packen,  dass  er  den  Eid  bricht 
und  dem  sichern  Tod  entgegengeht.     Aber  Gunnarr  selbst  kommt 


^)  Jon  t'orkelsson,    Om  Digtningen  paa  Island   S.    183;  Finnur  Jönsson, 
Bökmentasaga  Islendinga.     Kph.    1904  5,    S.   467. 


Gunnarr  bei  Jonas  Hallgrimsson  und  Bjarni  Thörarensen.  53 

bei  ihm  zu  kurz;  wer  seine  Saga  nicht  kennt,  wird  nimmermehr  ein 
Bild  dieses  lichten  Sonnenjünglings  erhalten.  Allzu  üppig  über- 
wuchert die  Naturschilderung  die  Handlung.  Dafür  entschädigt 
freilich  der  Wohllaut  der  Sprache,  und  über  der  Beschreibung  liegt 
ein  Zauber  ausgegossen,  der  dem  Gedichte  allzeit  einen  Ehrenplatz 
in  der  isländischen  Lyrik  sichert. 

Bjariii  Thörareitsen ,  Jonas  Freund,  hat  in  Hlidarendi  (d.  h. 
Halden-Ende)  seine  Kindheit  verlebt.  Vergleicht  er  die  Landschaft 
jetzt  mit  der,  wie  sie  zu  Gimnars  Zeiten  gewesen  ist,  wie  öde  und 
ärmlich  ist  sie  geworden!  Im  schlichten  Versmasse  der  Edda  gibt 
er  seinem  Schmerze  darüber  Ausdruck^): 

Ein  wüster  Fleck  Gunnarr  vom  hohen 

Ist  Fljötshlid  geworden,  Grabhügel  sieht 

Das  einst   so  wunder-  Die  früher  so  schönen 

Lieblich   gewesen  !  Steige  verblasst, 

Bergkies  umlliesst  Und  er  bereut's  jetzt, 

Die  Füsse  jetzt,  Dass  er  zurück  kam, 

Die   ehmals  auf  grünem  Um  in  so  öder 

Grasfeld  gestanden.  Erde  zu  ruhen. 

Auch  Jonas  weiss ,  dass  zu  Gunnars  Tagen  das  Land  weit 
schöner  gewesen  ist:  jetzt  ist  die  Pverd  über  ihre  Ufer  getreten 
und  hat  die  Gegend  in  eine  Sandwüste  verwandelt;  lieblich  ist  nur 
noch  der  Holm ,  wo  sein  Ross  strauchelte ,  und  wo  Gunnarr  um- 
kehrte. Aber  mit  um  so  grösserer  Liebe  verweilt  er  beim  Aus- 
malen der  Landschaft,  wie  sie  ehedem  gewesen  ist,  während  Bjarnis 
Sinn  die  traurige  Gegenwart  gefangen  hält.  Im  verklärenden  Lichte 
der  Romantik  sieht  Jonas,  wie  die  Abendsonne  die  silberblauen 
Zinken  des  Eyjafjallagletschers  bestrahlt,  der  hoch  über  das  Land 
nach  Osten  emporragt  und  sein  lichtes  Haupt  im  klaren  Blau  des 
Himmels  badet  .  .  .  Dort  ragt  der  Tiudfjallajökiill  mit  seinem 
dunkelblauen  Mantel  und  dem  blanken  Helm,  der  im  Schneeglanze 
blitzert.  Von  Norden  her  der  Hekla-Gipfel  dräut,  dessen  blanker, 
schwarzer  Achat  wie  ein  Spiegel  blinkt.  Das  Markarfljöt  strömt 
brausend  durch  ein  waldiges  Tal,  grüne  Wiesen  bedecken  seine 
Ufer,  die  Drossel  singt  in  der  Luft. 

Dann  wird  erzählt,  wie  Gunnarr  und  sein  Bruder  sich  zum 
Aufbruch  fertig  machen  und  abreiten. 

Noch  einmal  wendet  Gunnarr  sich  zurück ; 

Da  gilts  ihm  gleich,   ob  auch  der  Tod  ihm  werde 

Von  Feindeshand  zum   baldigen  Geschick. 

,,Nie",   ruft  er,   ,,sah  ich  schöner  dies  Stück  Erde; 
Die  rote  Blume  blinkt  im  gelben  Hage, 
Zerstreut  auf  breiten  Weiden  geht  die  Herde. 


1)  Übersetzung  von  Pöstion,  Isl.   Dichter  der  Neuzeit,   S.   299. 


54  Gunnarshölmi  von  Jonas  Hallgrimsson. 

Hier  will  verbringen  ich  die  Lebenstage, 

Die  noch  beschieden   mir.   —  Ich  bleib  im  Land  ! 

Leb  Bruder  wohl  ]"     Das  ist  die   Gtwnars  Sage. 

Das  Gedicht  schliesst  mit  den  beiden  Stanzen: 

Denn  er  verschmähte  Heil  an  fremdem   Strand; 

Den  Tod  im   Lande  hat  er  vorgezogen. 

Es  Hess  der  Held  in    grimmer  Feinde   Hand 

Sein  Leben  bald,   durch  schlaue  List  betrogen.    — 

Lieb  dünkt  mich    Gunnars  Sage,   wenn  im   Sand 

Ich  stehend  staune,   wie  der  Macht   der  Wogen 

Der  Gunnarsholm,  so  niedrig  er  auch   liegt, 

In  seinem  grünen  Schmucke  noch  obsiegt. 

Durch  Sand  sollt  jetzt  die  Pverä,  wo  einmal 
Es  Äcker  gab,   umsäumt  von  grünen  Auen ; 
Des  Stroms  Verheerung  in  dem  schönen  Tal 
Im  Sonnenrot  die  alten  Berge  schauen. 
Die  Zwerge  flohn,   der  Felstroll  starb,   und   Qual 
Der  Not  herrscht  drückend  in   den  öden   Gauen ; 
Doch  schirmt  den  Ort  geheimnisvolle   Macht, 
Wo   Gunnarr  umgekehrt  trotz  seiner  Acht '). 

Neidlos  erkannte  Bjanii  Thörarensen  die  Schönheit  des  Ge- 
dichtes an.  ,,Nun  glaub"  ich,  es  ist  am  besten,  ich  höre  auf  zu 
dichten!"  rief  er  aus,  als  er  das  Gedicht  des  dreissigjährigen  Freundes 
gelesen  hatte.  Mit  den  Augen  hatte  BJanii  allerdings  die  Natur 
nie  angesehen,  er  wäre  nie  darauf  verfallen,  die  Liebe  des  Helden 
zur  Natur  zum  Motiv  seiner  Umkehr  zu  machen:  bei  ihm  hätte  es 
Gunnarr  aus  Heldentrotz  und  Todesverachtung  getan. 

Das  Tragische,  das  in  der  Gunnarssaga  liegt,  ist  noch  nicht 
gehoben,  aber  ein  Ansatz  dazu  ist  gemacht  —  von  Henrik  Ibsen 
in  seinem  Schauspiele  „Nordische  Heerfahrt". 

Nichts  hat  das  Verständnis  dieses  Dramas  in  Deutschland  und  in  Skandinavien 
so  erschwert  wie  die  irrige  Annahme,  dass  der  Dichter  die  Brynhild-Tragödie  der 
Edda  und  der  Völsungasaga  in  realistischer  Form  dramatisiert  habe.  Die  isländischen 
Sagas  vielmehr,  vor  allem  die  Njälssaga,  haben  ihm  Stoft'  und  Farbe  gegeben. 
Oernulfs  Totenklage  im  IV.  Akte  ist  eine  Nachdichtung  des  Sonatorrek  (Verlust  der 
Söhne\  des  Egill  SkallogriDlSSOU,  eines  der  grossartigsten  und  am  tiefsten  gefühlten 
Skaldenlieder,  das  wir  haben.  Wie  der  heidnische  Skald  gibt  der  moderne  Dichter 
seiner  Ohnmacht  den  Göttern  gegenüber  Ausdruck  und  ballt  wie  Prometheus  voll 
Trotz  seine  Faust.  Nicht  nur  den  Namen  des  unversöhnlichen  Kaari  und  der  Berg- 
thora,  des  alten  Oernulf  Gattin,  hat  der  Dichter  der  Njölssaga  entnommen,  auch  der 
Spott  über  Njdls  Bartlosigkeit,  der  Vorwurf,  dass  Oernulf  in  Weiberkleidung  gesteckt 
habe  (vergl.  Nj.  124),  die  treue  Freundschaft  zwischen  Sigurd  und  Gunnar^),  vor  aUem 


*)  Übersetzung  von  Pöstion,  Isl.  Dichter,  S.  356;  Eislandblüten  S.  41  (abge- 
druckt bei  Valtyr-Palleske,  Island  am  Beginn  des  20.  Jahrb.,   S.    171). 

^)  Mit  SigKrds  Worten  ,,Fest  soll  unsere  Freundschaft  bestehen,  versucht  man 
gleich  sie  zu  erschüttern ,"  vergl.  Gunnars  Worte  „Niemals  soll  sie  (Hallgerdr) 
unsere  Freundschaft  stören",  und  ,,er  werde  niemals  seinen  Freundschaftsbund  mit 
Njdll  brechen"  (K.  37). 


Die  Gunnarssaga  und  Ibsens   „Nordische  Heerfahrt".     Hlidarendi.  55 

der  ganze  II.  Akt  (das  Festmahl  in  Gtiniiars  Halle  und  das  Festmahl  auf  Berg- 
pörshvoll)  stammen  eben  daher.  Hjördis  ist  schön,  aber  hartgesinnt  und  rachgierig 
wie  Hallgerdr.  Deutlich  ist  die  Szene,  wie  der  „eingebrannte"  oder  richtiger:  be- 
lagerte Glinnar  (denn  die  Brandlegung  kommt  nur  bei  Njäll  vor)  seine  Gattin  um 
eine  Haarflechte  bittet,  von  dem  norwegischen  Dichter  benutzt,  wenn  auch  mit  leise 
geänderter  Motivierung,  die  an  Shakespeares  Verhältnis  zu  seinen  Quellen  erinnert. 
Hjördis  erzählt  Siglird  im  III.  Akt  einen  Traum:  Sigurd  der  Starke  kommt  ins 
Land ,  Mord  und  Brand  will  er  üben.  Alle  Mannen  Glttlliars  sind  gefallen ,  nur  er 
und  Hjördis  sind  übrig.  Schon  legen  sie  von  draussen  Feuer  ans  Dach  —  „Ein 
Bogenschuss",  ruft  Giiimar,  ein  einziger  kann  uns  erretten"  —  —  da  reisst  der 
Strang.  „Hjördis,  schneide  von  Deinem  Haar  eine  Flechte  und  mache  eine  Bogensehne 
daraus  —  es  gilt  das  Leben!"  Aber  Hjördis  lacht  —  ,,Lass  brennen,  lass  brennen! 
Das  Leben  ist  mir  keine  Handvoll  Haare  wert."  Den  grossen  Beifall,  den  die  Auf- 
führungen von  Ibsens  ,,Nordischer  Heerfahrt"  in  Reyjavik  gefunden  haben,  schiebe 
ich  einmal  darauf,  dass  die  Isländer  besser  als  wir  das  wahrheitsgetreue,  lebensvolle 
Bild  des  Dichters  aus  der  altnordischen  Vorzeit  zu  würdigen  gewusst  haben  ^) ,  so- 
dann darauf,  dass  Ibsen  wie  Björnson  mit  den  Menschen  der  alten  Sagazeit  verwandt 
sind.  Auch  in  Ibsens  Schicksalsdramen  kann  man,  wie  Alex.  Bugge  hervorhebt,  deut- 
lich die  Übereinstimmung  mit  der  Auflassung  der  Eddalieder  und  der  Geschlechtssaga 
von  Menschen  und  Schicksal  verspüren  (B  ugg  e- Hun  ge  r  lan  d  ,  Die  Wikinger.  Halle 
1906,  S.  282). 

Als  wir  die  kleine  Kirche  verliessen,  die  dasselbe  Altarbild  wie 
in  Lundur  schmückt,  Christus  mit  einem  Kinde,  gesellte  sich  der 
Bauer  zu  uns  und  erbot  sich,  uns  die  einzelnen  Stätten  zu  zeigen, 
an  denen  die  Tradition  haftet.  Nordöstlich  vom  Gehöfte  soll 
Gimnars  Grabhügel  sein,  eine  natürliche  Anhöhe  aus  Grus  und 
Stein;  aber  das  ist  unmöglich,  weil  die  Pverd  hier  alles  verwüstet 
hat.  Ein  paar  ansehnliche  Steinblöcke  mögen  in  der  Tat  als  Funda- 
ment benutzt  sein.  Sie  sollen  die  Überreste  des  Hauses  sein,  in  dem 
Gunnarr  sich  heldenhaft  wehrte.  Eine  kleine  grüne  Erhebung  im 
Boden  heisst  Sdnishaiigr ,  hier  soll  Guunars  treuer  Hund  Sdrnr 
liegen.  Eggert  Ölafsson  und  Bjarni  Pdlsson  haben  auf  ihrer  Reise 
hier  zwei  alte  Schwerter,  einen  Spiess  und  einen  Ringpanzer  ange- 
troffen (deutsche  Ausgabe  II,  229),  und  nach  einer  Beschreibung 
vom  Jahre  1746  wurde  in  Skdlholt  eine  Axt  aufbewahrt,  die  Skarp- 
hedinn,  Njdls  Sohn,  gehört  hatte  (Kaalund  II,  408) ^j.  Mag  man 
dem  auch  zweifelnd  gegenüberstehen,  eine  Angabe  der  Njdla  ist 
von  so  überraschender  Naturwahrheit,  dass  man  gern  auch  die  übrigen 
annehmen  wird.  Sig?mmdr  Lambasoii  und  Skjöldr  waren  von 
Gunnarr  aufgenommen,  Hallgerdr  warf  auch  nach  ihnen  ihre  Netze 
aus  und  überredete  sie,  einen  Mann  Njals  treulos  zu  überfallen,  der 
dessen  Söhne  erzogen  hatte.  Skarphedinn  zog  mit  seinen  Brüdern 
zur  Rache  nach  Hlidarendi  und  traf  die    beiden   Mörder    ,, zwischen 

1)  Auch  die  charakteristische  Mischung  von  Heidentum  und  Christentum  bei 
Sigurd  ist  in  der  Njälssaga  enthalten;  das  hat  gut  erkannt  Roman  Woerner, 
Henrik  Ibsen  I,   München   1900,   S.    loo/i,  auch  S.  82  oben. 

2)  Über  archäologische  Funde  hier  vergl.  Kaalund,  Islands  Fortidslaevninger 
S.  63  f.,  90  Anm.   I,  103. 


56  Mein  Besuch  in  Hlidarendi. 

zwei  Bächen",  wo  sie  nach  einigen  Pferden  suchten  (K.  45):  diese 
Stelle  liegt  etwas  östlich  von  Hlidarendi  und  passt  genau  zu  der 
Beschreibung. 

Der  Bauer  sprach  lebhaft  und  schnell,  ich  hatte  grosse  Mühe, 
seinen  Worten  zu  folgen.  Da  begleitete  er  seine  Erklärung  mit 
allerhand  Gesten,  er  warf  sich  auf  die  Erde,  um  mir  zu  veranschau- 
lichen, wie  Guunars  Feinde  herangekrochen  wären,  und  ahmte  das 
Bellen  des  Hundes  nach,  der  seinen  Herrn  warnen  sollte,  —  kurz, 
er  war  bis  auf  das  kleinste  mit  dem  Inhalt  und  dem  Schauplatze 
der  Sage  vertraut.  Ich  musste  daran  denken ,  ob  wohl  auf  den 
Süptitzer  Höhen  ein  Bauer  mir  die  Schlacht  von  Torgau  auch  nur 
annähernd  so  genau  und  lebendig  zu  schildern  vermöchte.  Unser 
Bauer  wusste  aber  auch  weiter  Bescheid.  Der  Mineraloge  und 
Chemiker  Gi'sli  Magnüsson  (162 1  —  96)  lebte  hier  und  legte  einen 
Gemüsegarten  an,  auch  Gerste  säte  er,  doch  soll  seine  Ernte  nie 
mehr  als  einen  Scheffel  Getreide  betragen  haben.  Der  Kümmel, 
der  sich  jetzt  über  die  ganze  Landschaft  Fljötshli'd  verbreitet  hat, 
soll  von  Hlidarendi  stammen,  w^ohin  ihn  Gi'sli  zuerst  gebracht  hat. 
Jon  Porkehson  (1697— 1759)  und  Egger t  (1756)  fanden  den  Ge- 
müsegarten Gi'slis  vollständig  verödet,  nur  Kümmel  wuchs  noch 
von  dem,  was  er  gesät  hatte. 

Wir  waren  schnell  vertraut  geworden.  Der  Bauer  bat  um  die 
Ehre,  mir  eine  Tasse  Kaffee  anbieten  zu  dürfen,  und  wartete  sogar 
mit  einer  guten  Zigarre  auf.  Er  wusste  auch  von  manchen  Sagen 
zu  erzählen;  da  ich  sie  aber  bei  meiner  Rückkehr  gedruckt  vorge- 
funden habe,  gehe  ich  auf  sie  nicht  ein  ^).  In  der  einfachen,  aber 
säubern  Stube  stand  ein  schottisches  Harmonium;  der  18jährige 
Sohn,  ein  Bauernjunge  mit  groben,  ungefügen  Fingern,  setzte  sich 
ohne  langes  Zieren  an  das  Instrument  und  spielte  Choräle  und 
Lieder,  die  wir  mitsangen.  Auf  ein  heimliches  Flüstern  mit  seinem 
Vater  schlug  er  mit  einem  Male  w'ohlbekannte  Töne  an,  und  zu 
Ehren  des  deutschen  Gastes  erklang  das  gewaltige  Trutz-  und  Sieges- 
lied der  protestantischen  Kirche:  „Ein  feste  Burg  ist  unser  Gott". 
Durch  die  ofTenen  Fenster  tönte  es  in  isländischer  Übersetzung 
hinaus  zu  den  ewigen  Bergen  und  Gletschern,  als  wollte  es  Zeugnis 
dafür  ablegen,  dass  der  nördlichste,  germanische  Stamm  trotz  aller 
heissen  Bemühungen  der  katholischen  Kirche  das  „Wort"  bewahren 
werde.  Nicht  oft  in  meinem  Leben  habe  ich  das  alte  Lutherlied 
mit  solcher  Andacht  und  Weihe  gehört  und  gesungen,  wie  hier  auf 
dem    weltentlegenen   Eislande,    fernab    von    dem,    was    man    ,,Zivili- 


1)  Eine  Eiben-  und  Ächtersage  von  Hlidarendi  bei  Maurer,  Isl.  Volkssagen, 
S.  13,  246;  eine  Gespenstersage  am  Markarfljöt  a.  a.  O.  66;  eine  Riesen-  und  Pest- 
sage von  Fljötshlid  a.  a.  O.  44,  224.  Ein  wunderliches  Fortleben  Giinnars  bis  in 
die  Neuzeit  bei  Maurer,  Zeitschrift  d.  Ver.  f.   Volksk.,  V,  99. 


Von  Hlidarendi  zurück  nach  StörölfshvoU.  0/ 

sation"  nennt.  Auch  mein  skeptischer  Führer  war  sichthch  ergriffen, 
und  während  er  sonst  von  deutschen  Liedern  eigentUch  nur  „Ich 
weiss  nicht,  was  soll  es  bedeuten"  kannte  und  summte,  fing  er 
heute  beim  Weiterritt  immer  wieder  an,  in  die  klare  Luft  hinaus 
zu  schmettern  : 

Vor  giid  er  borg  ä  bjargi  traust, 
hid  besta  sverd  og  verja. 

Es  war,  als  wollte  der  heutige  Tag  uns  geradezu  mit  einer 
Fülle  des  Schönen  überschütten.  Als  wir  die  Pverd  entlang  zurück 
ritten,  deren  Wellen  immer  mehr  Land  einzureissen  drohen,  hatten 
wir  den  überraschenden  Anblick  einer  Fata  morgana  (ti'dbrd, 
npphillingar  m.  pl.):  die  Höfe  und  Anhöhen  erschienen  wie  Inseln 
auf  einer  in  Wirklichkeit  gar  nicht  vorhandenen  Wasserfläche  zu 
schwimmen,  selbst  der  Berg  Dimon  schien  emporgehoben  und  auf 
dem  Wasser  zu  spiegeln,  fern  auf  dem  Meere  schwebten  einige  Schiffe 
in  der  Luft.  Der  Genuss  dieses  in  seiner  Schönheit  überwältigenden, 
in  seiner  geheimnisvollen  Natur  aufs  höchste  erregenden  Schauspiels 
ist  nur  bei  klarem,  stillem  und  warmem  Wetter  möglich;  die  Luft 
selbst  zittert  und  flimmert  wie  bei  uns  auf  der  Heide  in  der  heissen 
Mittagssonne.  Etwas  ähnlicher  ist  die  tidbrd  in  Lavawüsten,  die 
Sieingriniur  Thorsteinsson  besingt: 

Die  Lava   glänzt  im  warmen 
Zitternden  Sonnenschein; 
Von  schwarzen  Kieseln   glitzerts 
Beim  Moosgrund  im   Gestein'). 

Als  wir  zurückkamen,  hörten  wir  einen  Knecht,  die  Sense  auf 
dem  Rücken,  mit  melodischer  Stimme  ein  Lied  singen,  das  über 
die  Wiesen  in  der  Stille  des  Abends  weithin  klang  —  es  war  eine 
englische  Weise,  der  Text  eine  Übersetzung.  Ein  gemütlicher 
Plauderabend  mit  den  liebenswürdigen  Wirten  beschloss  den  schönen 
Tag  würdig.  Die  Mitteilung,  dass  in  StörölfshvoU  zuweilen  Theater- 
aufführungen stattfinden,  interessierte  mich  sehr.  Auch  zeigte  mir 
der  Arzt  ein  Drama,  das  eine  englische  Dame  Beatrice  Helen 
Barmby  verfasst  und  Matthias  Jochumsson  ins  Isländische  über- 
setzt hat:  Gisli  Sürsson,  Sjönleikur.  Akureyri  1902  —  aber  ich 
muss  gestehen,  das  Drama  verlohnt  weder  die  Mühe  des  Übersetzens 
noch  die  Kosten  des  Drückens. 


1)  Pöstion,  Eislandblüten,  S.  145.  Über  die  Luftspiegelungen  vergl.  Kaa- 
lund  I,  218  Anm.;  v.  Knebel,  Globus  1905,  Bd.  88,  Nr.  22,  wo  auch  eine  sehr 
gute  Abbildung. 


58  Von  Störölfshvoll   nach  Berg^örshvoll. 


5.  Juli. 


,,Das  ist  eine  schlimme  Geschichte",  begrüsste  mich  der  Doktor 
am  Morgen;  „das  Pferd,  das  Sie  in  GaltalcBkur  umgetauscht  haben, 
ist  ausgerissen,  obwohl  es  an  den  Füssen  gefesselt  war."  Obgleich 
sich  alle  verfügbaren  Kräfte  auf  die  Suche  machten,  wurde  es  doch 
nicht  gefunden;  lange  Zeit  nachher  habe  ich  erfahren,  dass  es  drei 
Monate  später,  völlig  verwildert,  aber  stark  und  gesund,  in  einer 
Einöde  aufgegriffen  ist.  Ich  hatte  aber  keine  Lust,  deswegen  auf 
den  Besuch  von  Bergpörs,Jivoll  zu  verzichten,  den  Wohnsitz  des  weisen 
Njdll,  und  da  Ögmundur,  der  völlig  ausser  Fassung  war,  allein 
weitersuchen  wollte,  besorgte  mir  der  Arzt  einen  Führer,  der  mich 
dahin  geleiten  und  an  einem  genau  mit  Ögmundur  vereinbarten 
Platze  zu  einer  bestimmten  Stunde  wieder  abliefern  sollte.  JöJiann 
Pdll  Porkelssoii  war  eine  prächtige  isländische  Erscheinung,  mit 
blondem  Spitzbart  und  langen  Seitenkoteletten,  seine  wasserdichten 
Strümpfe  reichten  bis  zum  Gesäss.  Er  ritt  eine  reizende  Isabelle 
(f(filbleikiir\  nach  der  Farbe  des  Fißll,  Löwenzahn,  benannt),  und 
führte  ein  zweites  Pferd  am  Zügel.  Johann  sprach  nur  isländisch, 
es  war  also  das  erste  Mal,  dass  ich  ausschliesslich  auf  meine  islän- 
dischen Sprachkenntnisse  angewiesen  war,  und  da  auf  beiden  Seiten 
der  beste  Wille  vorhanden  war,  sich  zu  verständigen,  ging  es  auch 
ganz  gut. 

Als  mein  Begleiter  und  ich  durch  die  schmutziggelbe,  reissende 
Pverd  reiten  sollten,  stockten  wir  unwillkürlich  einen  Augenblick; 
das  Boot  aber,  das  am  andern  Ufer  lag,  schlugen  wir  aus,  da  wir 
uns  nicht  vor  den  Mägden  biossteilen  wollten,  die,  lustig  kichernd, 
den  Hund  hinter  sich  auf  dem  Sattel,  auf  uns  zukamen. 

Als  wir  uns  nach  zwei  Stunden  Bergpörshvoll  näherten,  kamen 
uns  viele  Hunderte  von  Lämmern  entgegen,  sie  waren  eben  erst 
ihren  Müttern  fortgenommen  und  wurden  auf  die  Gemeindeweide 
getrieben  (afrjettiir).  Das  klägliche  Blöken  der  Schafe,  das  kläffende 
Bellen  der  Hunde,  die  die  Herde  auf  allen  Seiten  ansprangen,  das 
laute  Rufen  der  Knechte  und  Mägde,  die  nach  Männerart  auf  ihren 
Pferden  sassen,  erfüllte  die  Luft  mit  einem  Höllenlärm ;  nur  langsam 
bewegte  sich  der  lange  Zug  vorwärts,  und  als  er  hinter  eine  Höhe 
verschwunden  war,  drang  immer  noch  aus  der  Ferne  ein  dumpfes 
Gewirr  durchdringender  Töne  zu  uns  herüber. 

Bergpörshvoll  liegt  auf  einem  kleinen  Höhenzuge,  der  sich  in 
der  Ebene  wellenförmig  etwa  von  Osten  nach  Westen  erstreckt; 
zwischen  drei  Höhen  liegen  tiefere  Einschnitte,  und  in  einer  von 
ihnen  erschien  dem  Erzieher  von  Njälls  Söhnen  seine  Fylgja  in  Ge- 
stalt eines  Bockes,  und  verkündete  ihm  seinen  bevorstehenden  Tod 
(Nj.  41  ;  Herrmann,  Nord.  Myth.  82).  Die  südöstlichste  Höhe  heisst 
Floshöll,    nach   dem    Anführer    der    ]\Iordbrenner,    davor    liegt    eine 


Bergporshvoll.  59 

kleine  Vertiefuns^  (^'^i)  Flosaldg  —  ,,eine  Vertiefung  war  in  dem 
Hügel",  K.  128  — ,  wo  die  Feinde  ihre  Rosse  anbanden  und  rasteten, 
bis  der  Abend  anbrach.  Den  ersten  Einschnitt  kann  man  allenfalls 
in  der  Saga  wieder  erkennen,  der  zweite  passt  nicht,  unmöglich 
können  sich  an  diesem  kleinen  Platze  100  Mann  mit  200  Pferden 
versteckt  halten,  das  kann  nur  weiter  östlich  gewesen  sein.  Ich 
glaube  nicht,  dass  der  Erzähler  der  Njdhsaga  diesen  Schauplatz 
aus  eigener  Anschauung  gekannt  hat,  und  finde  es  bei  der  ab- 
geschiedenen Lage  von  Bergpörshvoll  auch  erklärlich.  Der  Führer 
zeigte  Kdragerdi,  d.  h.  Erdzaun,  über  den  Kdri  lief,  und  nannte 
einen  kleinen  Teich  Kdratjörn,  in  ihm  löschte  der  aus  dem  bren- 
nenden Hause  entflohene  Kdri  seine  in  Brand  geratenen  Kleider  — 
nach  der  Saga  aber  geschah  es  in  einem  Bache  (K.  129).  Wie  wir 
ausprobiert  haben,  kann  man  hier  vom  Hause  aus  nicht  gesehen 
werden,  besonders  nicht  m  gebückter  Stellung.  Darüber  hinaus  ist 
ein  Loch,  gross  genug,  um  einen  liegenden  oder  kauernden  Menschen 
zu  bergen.  In  dieser  Grube  erholte  sich  Kdri  von  dem  furchtbaren, 
nächtlichen  Kampfe,  und  ,, diese  Grube  ist  später  Kdragröf  (Karis 
Grube)  genannt  worden"  (K.  129).  Ganz  auffallend  aber  ist,  dass 
das  Affall  (Abfluss),  die  westlichste  Verzweigung  des  Markarff/öf, 
das  das  Gehöft  nach  Osten  begrenzt,  in  der  Saga  gar  nicht  erwähnt 
wird ;  sein  breites,  tiefes  Bett  musste  den  Angreifern  fast  unüber- 
windliche Schwierigkeiten  bereiten.  Im  Jahre  1883  hat  man  bei 
Nachgrabungen  unter  den  Trümmern  von  Njdls  ehemaligem  Gehöfte 
eine  verkohlte  Masse  gefunden,  die  sich  bei  der  Analyse  als  skyr  oder 
Käse  erwies  ^).  Auch  das  Schulterblatt  eines  Ochsen  wurde  zutage 
befördert  —  ob  desselben,  dessen  frisch  abgezogenes  Fell  die 
Leichen  des  Xjdll  und  der  Bergpöra  trotz  der  Feuersbrunst  frisch  und 
unversehrt  bewahrte,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden.  Wenn  ich 
auch  die  Freude  der  Isländer  über  diese  Funde  verstehe,  als  Beweise 
für  die  Wahrheit  und  Zuverlässigkeit  der  Saga,  so  meine  ich  doch, 
dass  es  solcher  äusserlicher  Zufälligkeiten  nicht  erst  bedurft  hätte. 
Saga  ist  doch  nicht  Sage  in  unserem  Sinne,  sondern  der  Saga- 
schreiber erzählt  von  wirklichen  Ereignissen  und  wirklichen  Personen, 
wenn  auch  natürlich  unbewusst  sie  dichterisch  ummodelnd  :  Dichtung 
und  Wahrheit  wie  bei  Goethes  Darstellung  seines  Lebens,  ein  histo- 
rischer Roman,  ohne  erdichtet  zu  sein  (Petersen,  Bidrag  til  den 
oldn.  lit.  historie.  Kph.   1861.  S.  221). 

In  Bergpörshvoll  lebte  am  Ende  des  10.,  anfangs  des  11.  Jahrhunderts  der 
wegen  seiner  Rechtschaffenheit  und  Weisheit  vor  anderen  berühmte  Njnll  mit  seiner 
treuen,  hochgesinnten,  aber  stolzen  und  heftigen  Gemahlin  Bergpöra,  seinen  vier 
Söhnen  und  zwei  Töchtern.  Von  Bergpöra  und  ihrer  unversöhnlichen  Feindin  Hall- 
gerdr  ist  früher  gesagt,  dass  es  Frauengestalten  sind,  zu  denen  wir  Seitenstücke  nur 


1)  V.   Storck,    Kemiske    og    mikroskopiske  Undersögelser    af  et  ejendommeligt 
Stof,  fundet  paa  Bergthorshvol.      1887. 


e 


60  Geschichte  von  Njäll  und  seinen  Söhnen. 

in  der  norwegischen  Literatur  unserer  Tage,  bei  Ibsen  undBjörnson,  haben.  Njöll 
aber  ist  eine  einzig  dastehende  Gestalt  in  der  gesamten  Sagaliteratur,  eine  echt 
Patriarchengestalt.  Als  Dankbrand  998  von  Alptafjördr  aus  seine  Mission  begann, 
wobei  er  den  Flosi  in  Svinafell  bekehrte  und  Kirkjiibcer  besuchte,  kam  er  auch 
nach  Bergförshvoll,  ,,da  nahm  Njäll  den  Glauben  an  und  alle  seine  Hausgenossen" 
(Kph.  loi).  Er  war  reich  an  Gut  und  von  edler  Sinnesart,  milde  und  menschen- 
freundlich. Er  war  so  gesetzeskundig,  dass  er  darin  nicht  seines  gleichen  hatte,  klug 
und  mit  der  Gabe  des  zweiten  Gesichtes  versehen,  er  gab  gute  Ratschläge  und  er- 
teilte sie  gern,  und  was  er  riet,  das  geriet  wohl.  Skarphedinn  war  Njälls  ältester 
Sohn.  Er  war  gross  von  Wuchs,  aber  von  bleichem  Aussehen  und  gespensterhaft, 
stark  und  sehr  kampftüchtig,  rasch  entschlossen,  furchtlos  und  schlagfertig  in  der  Rede. 
Er  hatte  dunkelbraunes,  gekräuseltes  Haar,  das  er  hinter  die  Ohren  strich,  treffliche 
Augen,  aber  auf  der  Nase  eine  Warze;  seine  Zähne  standen  vor,  und  darum  war 
der  Mund  ein  wenig  hässlich.  Er  machte  gern  eine  spöttische  Miene  und  sah  oft  so 
bös  aus^  wie  wenn  er  aus  Meeresklippen  gekommen  wäre.  Dieser  Skarphedinn 
hatte  mit  dem  Sohn  Gunnars  von  Hlidarendi  die  Rache  übernommen,  und  nicht 
eher  geruht,  als  bis  Gunnars  Mörder  getötet  waren. 

Im  zweiten  Teile,  in  der  eigentlichen  Njälssaga,  stehen  Njäll  und  seine  Söhne 
im  Vordergrunde.  Es  handelt  sich  um  die  Verwicklungen  der  Njälssöhne  und  ihres 
Schwagers  Käri  Sölmundarson  mit  Präinn  Sigfüsson ,  einem  Verwandten 
Gunnars.  Heimtückische  Gegner  zerreissen  die  Freundschaft  zwischen  den  Njäls- 
söhnen  und  ihrem  Pflegebruder  Höskuldr.  Sie  überfallen  ihn  und  ermorden  ihn ;  mit 
den  Worten:  „Gott  stehe  mir  bei  und  verzeihe  euch"  bricht  der  Edle  unter  ihren 
Streichen  zusammen.  „Ich  liebte  Höskuldr",  ruft  Njäll  aus,  ,,mehr  als  meine  Söhne. 
Als  ich  seinen  Tod  erfuhr,  war  es  mir,  als  ob  mir  das  süsseste  Licht  meiner  Augen 
ausgelöscht  wäre.  Lieber  wünschte  ich,  ich  hätte  alle  meine  Söhne  verloren  und 
jener  lebte  noch."  Diese  Tat  war  grauenvoll ;  ein  Unschuldiger  war  von  seinen  Zieh- 
brüdern erschlagen;  furchtbar  war  sie  in  ihren  Folgen,  denn  viele,  viele  Leute  kostete 
sie  das  Leben,  zunächst  Njäll,  seine  Frau  und  seine  Söhne.  Von  allen,  die  davon 
hörten,  wurde  dieser  Mord  aufs  herbste  getadelt.  Flosi  Pördarson  übernimmt  die 
Rache,  die  in  der  Njälsbrenna  endet  (loii).  Die  „brenna",  Brandlegung  ist  ein 
Kampfmanöver,  das  man  anwendet,  wenn  man  den  Gegner  nicht  mit  Waffengewalt 
bezwingen  kann.  Aus  dem  Saalbrand  im  Nibelungenlied  und  aus  Gust.  Freytags 
„Ingo"   ist  dieses  Verfahren  bekannt. 

In  der  schauerlichen  Kluft  Almannagjä  wird  der  Plan  gefasst,  alle  Njälssöhne 
zu  töten.  Acht  Wochen  vor  Wintersanfang  will  man  von  daheim  aufbrechen ,  sich 
auf  dem  Rücken  des  Berges  Prihyrningr  treffen  und  dann  gemeinschaftlich  gegen 
BergpörsJwoll  vorrücken,  um  mit  Feuer  und  Schwert  gegen  Njäll,  seine  Söhne  und 
seinen  Schwiegersohn  Käri  vorzugehen  (über  diesen  Weg  s.  u.  Kirkjuba'r).  In 
einer  Vertiefung  vor  Njälls  Gehöft  machen  die  100  Mordbrenner  Halt  und  beginnen 
die  drinnen  im  Hause  durch  Rauch  zu  ersticken,  wie  einen  Polarfuchs  in  seiner  Höhle. 
Wie  Hagen  und  Volker  im  Nibelungenliede  (V.  17 15  flf.)  versprechen  sich  Skarp- 
hedinn und  Käri  Treue  bis  in  den  Tod,  und  dass  der  Überlebende  den  andern  rächen 
werde.  Und  wie  Hagen  im  zweiten  Teile  des  Nibelungenliedes,  so  ist  Skarphedinn, 
dessen  äussere  Erscheinung  doch  auch  in  manchen  Punkten  an  den  fahlen  Tronjer 
erinnert,  mit  besonderer  Vorliebe  gezeichnet.  Die  Njälssippe  teilt  der  Nibelunge  Not: 
dö  quälte  man  mit  fiure  den  helden  da  den  lip. 

Die  Feinde  zünden  Feuer  an  und  errichten  einen  grossen  Scheiterhaufen  vor 
der  Türe.  Die  Frauen  schütten  saures,  mit  Wasser  vermischtes  Milchwasser  in  die 
Flammen  und  löschen  sie.  Da  bemerkt  Flosi,  dass  in  dem  Hause  ein  Obergemach 
angebracht  ist  und  zwar  auf  dem  Querbalken.  Sie  nehmen  Vogelgras,  das  ausserhalb 
des  Hauses  aufgehäuft  liegt  [Alsine  media,  isländisch  arfanöra]  und  bringen  Feuer 
hinein;  die  im  Hause  merken  es  nicht  eher,  als  bis  die  ganze  Zimmerdecke  in  Brand 
steht.     Dem  alten  Njäll  und  seiner  Frau  wollen  die  Feinde  Ausgang  aus  dem  Hause 


Geschichte  von  Njäll  und  seinen  Söhnen.  61 

gewähren ,  da  sie  unverdient  zu  solchem  Geschicke  kommen.  Aber  in  einer  Szene, 
die  altklassischen  Heroismus  atmet,  lehnen  beide  es  ab,  Njäll  mit  den  Worten:  „Ich 
will  das  Haus  nicht  verlassen ;  denn  ich  bin  ein  alter  Mann  und  wenig  dazu  geeignet, 
meine  Söhne  zu  rächen,  und  mit  Schande  will  ich  nicht  leben."  Und  die  Frau  sagt: 
„Ich  bin  mit  Njäll  jung  verheiratet  worden;  das  habe  ich  ihm  versprochen,  dass 
Los  über  uns  beide  ergehen  soll."  Darauf  gehen  beide  ins  lodernde  Feuer  zurück 
und  lassen  sich  mit  ihren  .Söhnen,  auf  deren  Vernichtung  allein  die  Feinde  es  abge- 
sehen haben,  verbrennen.  Njäll  ruft  seinen  Haushalter  zu  sich  :  „Nun  sollst  du  acht 
geben,  wo  wir  beide  uns  niederlegen;  ich  beabsichtige,  mich  von  hier  nicht  mehr 
fortzubegeben,  wie  sehr  mich  auch  Rauch  oder  Hitze  belästigt."  Er  befiehlt  ihm,  die 
frische  Haut  eines  Ochsen  zu  nehmen,  den  sie  vor  kurzem  geschlachtet  haben,  und 
über  ihn  und  seine  Frau  zu  breiten,  wenn  sie  sich  hingelegt  haben.  Dann  legen  sich 
beide  auf  das  Lager,  zeichnen  sich  mit  dem  Kreuz  und  befehlen  ihre  Seele  in  Gottes 
Hände;  als  später  ihre  Leichen  gefunden  werden,  sind  sie  unverbrannt,  Njälls  Aus- 
sehen kommt  ihnen  so  hell  vor,  wie  sie  noch  nie  den  Körper  eines  Toten  gesehen 
haben. 

Das  Dach  ist  abgebrannt,  dann  die  Zimmerdecke ;  ihr  äusserster  Balken  an  einer 
der  Giebelwände  stürzt  in  schräger  Lage  hinab,  so  dass  man  an  ihm  hinauf  zum  Dach 
klettern  und  so  ins  Freie  gelangen  kann.  Bevor  auch  noch  der  Kantenbalken  herab- 
stürzt in  der  Richtung  gegen  jene  Giebelwand ,  läuft  Käri  längs  des  Querbalkens 
hinaus,  schwingt  sich  vom  Dache  und  entkommt,  durch  den  schwelenden  Rauch 
gedeckt.  Als  aber  Skarpheitinn  es  ihm  nachmachen  will,  bricht  der  glimmende 
Balken  unter  ihm  zusammen;  er  versucht  die  Wand  emporzuklimmen,  da  stürzt  der 
Kantenbalken  auf  ihn,  das  ganze  Dach  bricht  zusammen,  er  gerät  zwischen  dieses 
und  die  Giebelwand  und  wird  so  eingeklemmt.  So  wird  sein  Leichnam,  aufrecht  an 
der  Endwand  stehend ,  gefunden ;  alle  machen  die  Beobachtung ,  dass  seine  harten 
Züge  vom  Tode  mild  verklärt  sind  und  gewahren  zu  ihrem  Erstaunen,  dass  Skarp- 
heitinn, wie  Sigurd  in  Ibsens  „Nordischer  Heerfahrt",  ein  heimlicher  Christ  gewesen 
ist :    in   die  Haut  zwischen  den  Schultern  und  auf  die  Brust  ist  ein  Kreuz  eingebrannt. 

Die  Mordbrenner  reiten  auf  den  Rücken  des  Prihymingr ,  weil  sie  von  dort 
die  ganze  Umgegend  überblicken  können,  und  dann  in  ein  Tal,  das  nachmals  Flosadalr 
genannt  ist.  Da  Käri  entronnen  ist,  wissen  sie,  dass  die  Rache  für  Njäll  unaus- 
bleiblich ist:  durch  sin  eines  sterben  starp  vil  maneger  muoter  kint.  Käris 
Rache  an  Flosi  und  seiner  Schar  bildet  den  Schluss  der  Saga.  Auf  der  Althings- 
ebene  kommt  es  zu  einem  gewaltigen  Kampfe,  die  Brandmänner  müssen  Island  ver- 
lassen, zum  Teil  für  immer,  zum  Teil  für  einige  Jahre.  Käri  aber  bleibt  unversöhn- 
lich und  verlässt  sogar  Island,  um  die  Feinde  in  der  Fremde  aufzusuchen  und  zu  er- 
schlagen. Wie  er  schliesslich  in  Svinafell  mit  Flosi  noch  einmal  zusammentrifft, 
wie  das  Drama  endlich  doch  noch  einen  versöhnenden  Abschluss  findet,  das  hoffe  ich 
später  erzählen  zu  können,  wenn  wir  glücklich  die  Vestttr  Skaptafells  sysla  und  den 
Skeiitarärsanditr  durchquert  haben.  — 

Zwei  heutige  Volkssagen  mögen  den  Beschluss  bilden.  Nach  empfangener  Taufe 
soll  Hallgerdr  gesagt  haben:  „Das  lächert  mich,  dass  Gunnarr  als  Heide  starb, 
ich  aber  eine  Christin  geworden  bin,"  und  sie  bestimmte,  dass  sie  ^Lni  Laugarnes 
bei  Reykjavik  begraben  würde,  weil  sie  voraussah,  dass  hierhin  dereinst  der  Bischofs- 
sitz verlegt  würde  —  diese  wilde  Rachsucht,  die  selbst  dem  verstorbenen  Manne  das 
Heil  der  Seele  nicht  gönnen  will,  passt  trefflich  zu  dem  Charakter  des  rachgierigen 
Weibes.  Die  Erinnerung  an  die  Klugheit  und  prozessualistische  Gewandtheit  des 
alten  Njäll  ist  auf  Island  niemals  erloschen.  Aber  der  Spruch ,  den  die  heutige 
Volkssage  ihm  in  den  Mund  legt:  „Durch  langewährendes  Unwetter  und  durch  Gesetz- 
losigkeit wird  Island  zugrunde  gehen",  stammt  aus  dem    17.  Jahrhundert'). 


I)  J.  Arn.  Isl.  Pjöds.  I,  XIV,  XV,  437/38.     Maurer,   Germ.  IX,   23536. 


62  Berg|)orshvoll.     Skarphedinns  Heldentat. 

In    BergporsJivoll  war   nur    ein    altes,    freundliches    Mütterchen 
zu  Hause.      Als    unser  Führer    neunmal    mit    dem   Peitschenstiel    an 
den  Türpfosten  geklopft  hatte,  erschien  sie  und  lud  uns  zum  Kaffee 
ein.     Leider  beging  ich  eine    gutgemeinte  Taktlosigkeit,    indem    ich 
ihr  eine  Krone  zum  Danke  für  die  Bewirtung  unter  die  Tasse  legte. 
Damit  hatte  ich  sie  sichtlich  gekränkt:  wenn  sie  auch  arm  sei,    so- 
viel hätte  sie  doch,  um  einem  Fremden,    der  soweit   herkäme,    eine 
Erquickung  anzubieten;  auch  sei  alles  viel  zu    einfach   und    ärmlich 
bei  ihr,  und  sie  müsse  befürchten,  dass    ich    daran  Anstoss   nähme. 
Erst  mit  vieler  Mühe    gelang    es    mir,    sie    zu    beruhigen,    und    auch 
Johann  musste  sich    für   mich    ins  Zeug   legen,    dass    ich    sie    nicht 
hätte   kränken    wollen.      Ich  zog  daraus  die  Lehre,  dass  man  Gast- 
lichkeit nicht  mit  Geld  erkaufen  könne.     Aber  ihrem  etwa  vierzehn- 
jährigen Enkel,  der  uns  die  Furt   durch    das    Affall  zeigte,    drückte 
ich  die  verschmähte  Krone  für  seine  Sparbüchse   in  die  Hand,    und 
als  wir  schon    weit   entfernt    waren,    stand    er    immer   noch    da   und 
blickte,  glückerfüllt,  schier   ungläubig,    auf   das    unbekannte,   blanke 
Geldstück.     Da  Jöha)ni   trotz    seiner  scharfen  Augen    Ögmundur 
in  der  Ferne  nicht  sehen  konnte,  beschlossen  wir  einen  kleinen  Um- 
weg  nach   N.O.    zu    machen,    bis    in    die    Nähe    des    Störa    Diiiion. 
Wir  passierten  die  Alar  (Riemen,  pl.),  den  mittleren  Arm    und  das 
ursprüngliche    Flussbett    des    Markarßjöt,    und    yö/iann    zeigte    mir 
Gimnars/iölnn ,    den    kaum    wahrzunehmenden    Hli'darendi  und    in 
der  östlichen  Bergseite  eine  rötliche  Felspartie,  Raiidaskridur. 

Hier  hatten  Gunnarr  und  Njdll  einen  gemeinsamen  Wald,  sie  hatten  ihn 
niemals  geteilt,  sondern  jeder  holte  sich  seinen  Bedarf,  ohne  dass  je  darüber  Zwistig- 
keiten  entstanden  waren ;  hier  brach  die  Feindschaft  zwischen  Hallgerdr  und  Berg- 
pöra  offen  aus,  indem  erstere  einen  Dienstmann  des  Njdll  hier  erschlagen  Hess 
(Kph.  36).  Hier  lauerten  Skarpliedinn  und  Kdri  dem  Frdinn  Sigfüsson  auf.  ,,Es 
blitzen  Schilde  im  Sonnenschein  dort  oben  auf  RatidaskriiturV  rief  einer  von 
t'räins  Mannen.  ,,Nun  müssen  wir  über  das  Markarfljöt  und  ihnen  entgegen !"  sagte 
Skarphedinn,  als  die  Feinde  vom  Wege  ablenkten.  Am  Rande  des  Flusses  hatte 
sich  festes  Eis  angesetzt,  dazwischen  war  das  Wasser  frei,  aber  hier  und  da  dienten 
kleine  Eisschollen  als  Brücke.  Skarphedinn  lief  aufwärts  zum  Flusse.  Aber  der 
war  so  tief,  dass  er  eine  lange  Strecke  unpassierbar  war.  Eine  grosse  Eisscholle,  die 
glatt  wie  Eis  ist,  war  am  Ostrande  des  Flusses  angetrieben.  Mitten  darauf  stand  Prdinn 
mit  seinen  Begleitern.  Skarphedinn  schwang  sich  empor  und  sprang  über  den 
12  Ellen  breiten  Fluss  von  einem  Eisrande  zum  andern,  hemmte  seinen  Lauf  nicht, 
sondern  rutschte  sogleich  auf  dem  Eise  vorwärts.  Die  Eisscholle  war  gehörig  glatt, 
und  er  fuhr  so  schnell  dahin,  wie  nur  ein  Vogel  fliegt.  Mit  seiner  furchtbaren  Axt 
spaltete  er  Prdinn  das  Haupt  bis  zu  den  Zähnen,  so  dass  diese  auf  dem  Eise  umher- 
rollten. Einen  Backenzahn  davon  warf  er  später,  als  er  in  Bergpörshvoll  einge- 
brannt wurde,  einem  der  Brandmänner  ins  Auge,  dass  diesem  das  Auge  heraus- 
geschlagen wurde  und  auf  die  Wange  herabhing  (K.  92).  Ich  schenke  Johanns 
Versicherung  Glauben,  dass  man  bei  hellem  Wetter  wirklich  von  hier  helle  Gegen- 
stände am  Raudaskridiir  wahrnehmen  kann. 

Wir  sprengten  wieder  südlich,  durchritten  das  JMarkarßjöt  und 
spähten   nach    Ögmundur    aus,    aber   vergeblich.      Die    Sache    be- 


Von  Bergpörshvoll  nach   I'orvaldseyri.  63 

gann  ungemütlich  zu  werden,  was  sollten  wir  ohne  ihn  und  unsere 
Packpferde  anfangen?  sollten  wir  zurück  nach  StöruIfshvoU?  oder 
weiter  nach  Porvaldseyri,  das  als  Nachtquartier  bestimmt  war?  Ich 
schimpfte  und  wetterte  gehörig  und  hatte  auf  die  schöne  Umgegend 
nicht  sonderlich  acht.  Da  meinte  JöJiann,  Ögmundur  hätte  viel- 
leicht ein  anderes  Gehöft  aufgesucht.  Wir  suchten  weiter,  riefen 
seinen  Namen  über  die  flache  Ebene  und  trafen  ihn  wirklich  am 
Fusse  eines  Bauernhofes,  das  von  einer  ordentlichen  Strauchhecke 
umschlossen  war.  Die  Pferde  waren  abgesattelt  und  grasten,  er 
selbst  sass  traurig  auf  einer  Packkiste  und  starrte  vor  sich  hin. 
Das  Wiedersehen  war  etwas  kühl:  er  war  bedrückt,  weil  er  das 
entlaufene  Pferd  nicht  wiedergefunden  hatte,  ich  war  verstimmt, 
dass  er  nicht  an  dem  verabredeten  Platze  gewartet  hatte.  Nach- 
dem ich  Johann  abgelohnt  hatte  —  er  forderte  6  Kr.  — ,  rasteten 
wir  nur  wenige  Minuten  und  begnügten  uns  mit  Cakes  und  Speck, 
denn  bis  Porvaldseyri  sollten  noch  fünf  Stunden  sein.  Der  Ritt 
führte  uns  an  den  Wasserfällen  vorüber,  die  ich  gestern  von  Hlt'dar- 
endi  aus  gesehen  hatte,  an  dem  kleinen  reizenden  Gljujrdfoss,  und 
bald  darauf  an  dem  grösseren  Seljalaudsfoss,  der  aus  einer  Höhe 
von  etwa  60  m  zischend  und  siedend  in  ein  rundes  Bassin  stürzt, 
von  wo  aus  er  wie  ein  kleiner  Bach  abfliesst ,  und  endlich  an  dem 
Drifandifoss,  der  sich  bei  seinem  Fall  ganz  in  Staubregen  auflöst. 
Wie  durch  Wasserfälle,  so  ist  die  ganze  Strecke  durch  eine  Reihe 
natürlicher  Höhlen  in  den  steilen  Tuffgebirgen  am  Fusse  des  Eyja- 
fjallajökuU  berühmt:  sie  stammen  aus  der  Zeit,  als  der  Wasser- 
stand gleich  nach  der  Eiszeit  bedeutend  höher  als  jetzt  war,  und 
werden  von  den  Bewohnern  als  Heuschober,  Viehställe,  Packhäuser 
und  Versammlungsorte  benutzt;  die  bekanntesten  dieser  von  der 
Brandung  geschaffenen  Höhlen  sind  Paradisarhellir  (57  m  ü.  M.) 
und  Loptsalahellir  (30  m  ü.  M.).  Wir  hatten  aber  keine  Zeit,  um 
uns  aufzuhalten.  Auf  der  schmalen  Poststrasse  ging  es  in  flottem 
Trabe  vorwärts,  rechts  das  Meer,  links  im  Schutze  des  mächtigen 
Inselbergegletschers;  allerhand  seltsame  Felsbildungen,  Ruinen  ver- 
gleichbar, tauchten  auf,  nach  2V2  Stunde  wird  sogar  ein  isländisches 
„Dorf"  passiert;  es  besteht  aus  fünf  armseligen  Häusern  und  etwa 
50  Bewohnern  und  liegt  gewissermassen  an  der  Dorfstrasse.  Einen 
Bauern,  der  einen  feingebauten,  jungen  Schimmel  am  Zügel  führte, 
hielten  wir  an  und  erstanden  sein  Pferd  für  unseren  Ausreisser  ohne 
langes  Feilschen  für  95  Kr.:  der  Bauer  war  zufrieden,  soviel  Geld 
baar  ausgezahlt  zu  bekommen,  aber  auch  der  Schimmel  hat  sich 
bewährt,  er  war  etwas  nervös  und  unerfahren,  aber  unter  einer 
sicheren  Faust  war  er  vortrefflich  zu  gebrauchen.  Damit  war 
Ögmundur  eine  schwere  Sorge  genommen,  unsere  Stimmung 
schlug  wieder  um,  mit  fröhlichem  Hohoho  wurden  die  Pferde  an- 
getrieben, die  lange  Hetzpeitsche  schwirrte  und  sauste,    bald  wurde 


64 


forvaldseyri. 


Dyrkölaey,  der  südlichste  Punkt  Islands,  sichtbar,  und  die  Frage 
wurde  lebhaft  erörtert,  ob  wir  wohl  den  ,,Zieten"  in  ]^ik  antreffen 
würden.  Kurz  nach  9  Uhr  waren  wir  in  Porvaldseyri  am  Fusse  des 
Eyjafjallajökull  angelangt    (Fig.  73).     Leider  war   der  Besitzer,   der 


Fig.  73.     t'orvaldseyri  (dahinter  der  Eyjafjallajökull). 

als  einer  der  reichsten  und  gastfreiesten  Bauern  bekannt  ist,  nicht 
anwesend;  die  Haushälterin  aber  Hess  es  an  nichts  fehlen,  Kartoffeln 
in  Milch  und  gesalzenes  Hammelfleisch  standen  bald  auf  dem  Tische, 
die  Schlafzimmer  waren  in  Ordnung,  Karbolseife  und  saubere  Kämme 
lagen  bereit,  und  da  es   recht    kühl    war,   gingen    wir   bald    zu  Bett. 


6.  Juli. 

Am  Morgen  wurden  Haus  und  Hof  einer  genaueren  Besichtigung 
unterzogen.  Das  stattliche  Wohnhaus  würde  jedem  Städtchen  zur 
Zierde  gereichen ,  eine  Treppe  führt  auf  den  Hausflur ,  um  den 
rechts  und  links  die  geräumigen  Zimmer  liegen,  darunter  wohl  ein 
Dutzend  Fremdenstuben,  ein  bischen  kahl  vielleicht  eingerichtet  und 
die  Wände  unbekleidet,  aber  das  Gerät  durchweg  aus  Mahagoniholz 


Von  f'orvaldseyri  bis  Hrütshellir.  65 

und  die  Dielen  überall  mit  Fellen  bekleidet,  die  einen  etwas  scharfen 
Geruch  verbreiten.  Hinter  dem  modernen  Hause  liegen  vier  Wohn- 
räume alten  Stils,  dann  kommt  ein  grosser  Hof  mit  Dunggrube, 
eingefasst  von  den  vielen  Vorratshäusern  und  Ställen,  und  ganz  am 
Ende  ein  Heustall,  der  wohl  20000  Pferdelasten  Heu  aufnehmen 
kann.  Der  Besitzer  dieses  ,. Mustergutes"  soll  über  100  Pferde,  etwa 
20  Rinder  und  mehrere  hundert  Schafe  haben. 

Vor  dem  Hause  ist  eine  Menge  weissen  Treibholzes  aufge- 
stapelt, das  mit  Ketten  zusammengehalten  wird ;  auch  die  mächtige 
Rippe  eines  Grindwals  liegt  da. 

Erst  jetzt  können  wir  die  schöne  Lage  von  Porvaldseyri  wür- 
digen :  es  liegt  in  einem  kleinen  freundlichen  und  fruchtbaren  Tale 
mitten  zwischen  den  Bergen ;  auf  der  linken  Seite  reicht  eine  grüne 
Gletscherzunge  bis  zur  Mitte  des  Tales  nieder,  rechts  oben  schimmert 
ein  grosses  Gletscherfeld ,  die  schwarzen  Bergwände  des  Hinter- 
grundes sind  hier  und  da  mit  mächtigen  Schneemassen  besetzt.  Es 
ist  nur  gut ,  dass  Porvaldseyri  so  wenig  bequem  zu  erreichen  ist ; 
läge  der  Hof  in  Tirol  oder  in  der  Schweiz,  so  würde  sich  hier  bald 
ein  ,, erstklassiges"  Hotel  erheben. 

Schon  am  gestrigen  Abend  hatte  ich  ein  dürftiges,  unschein- 
bares Männchen  gesehen;  es  war  ärmlich  gekleidet,  trug  einen  dicken 
Schal  um  den  Hals  und  auf  dem  Kopfe  einen  eingetriebenen  Hut 
aus  der  Zeit  Albrechts  des  Bären.  Es  stand  und  drückte  sich 
herum,  ich  merkte,  es  wollte  mich  anreden,  wusste  aber  nicht,  was 
ich  von  ihm  denken  sollte.  Auch  jetzt  wieder  schlich  es  mir  nach, 
sah  mich  mit  seinen  guten  blauen  Augen  an,  fasste  sich  dann  end- 
lich Mut  und  fragte  mich ,  ob  ich  aus  Pyzkalaiid  wäre.  Es  war 
Sigurdiir  Jönsson  aus  Orrustustadir ,  jener  wackere  Bauer,  der 
zuerst  die  unglücklichen  Schiffbrüchigen  des  ,, Friedrich  Albert"  auf- 
gefunden und  sich  ihrer  in  so  rührender  Weise  angenommen  hatte. 
Gern  nahm  ich  seine  Begleitung  für  die  nächsten  Tage  an :  es  zeigte 
sich  bald,  dass  wir  ohne  ihn  schwerlich  den  ersten  Gletscherfiuss 
hätten  passieren  können. 

Etwa  eine  Stunde  nach  dem  Aufbruche  erreichten  wir  das 
Hriltafell ,  wo  wir  den  Engländer  von  StöröfshvoU  treffen  wollten. 
Auch  hier  liegen  mehrere  Höhlen  unmittelbar  am  Wege,  am  inter- 
essantesten ist  der  sogenannte  PlnUsIiellir :  man  klettert  über  ein 
paar  mächtige  Felsblöcke  bis  zu  der  hohen,  geräumigen  Höhle,  die 
in  der  Decke  ein  grosses  Loch  hat,  zum  Abziehen  des  Rauches  und 
zum  Ausspähen,  wenn  Feinde  kämen ;  ein  paar  Fuss  höher  ist  eine 
Einbuchtung ,  wo  Hrtltr  sein  Bett  hatte ;  von  hier  aus  kommt  man 
wieder  zu  einer  Grotte  oberhalb  der  Haupthöhle  und  kann  durch 
die  erwähnte  Öffnung  im  Dache  in  die  Höhle  gelangen.  Das  be- 
nutzten die  Knechte,  die  mit  Ilrüts  strenger  Herrschaft  unzufrieden 
waren   und    töteten    ihn;    nach   anderer    Überlieferung   gruben   seine 

Herrmann,  Island  11.  5 


66 


Der  Skögafoss, 


Feinde   durch  die  Decke  dieser  Höhle  und  machten  ihn  im  Schlafe 
nieder^). 

Östlich  von  Hrütafell  ragt  ein  freistehender  Knollen  empor, 
Dräng Jili'd,  voller  Höhlen  und  kleiner  Grotten;  seine  senkrechten, 
glatten  Wände  sind  mit  weissen,  brütenden  Möven  besetzt  (procella 


Fig.  74.     Skögafoss. 


glacialis).  Während  man  diese  seltsamen  Bergformationen  betrachtet 
und  sich  an  dem  Schreien  und  Krächzen  der  Vögel  ergötzt ,  steht 
man  plötzlich  nach  einer  scharfen  Biegung  des  W^eges  gerade  dem 
prächtigen  Skögafoss  gegenüber  (Fig.  74).  Er  ist  etwa  80  m  hoch 
und  stürzt  senkrecht  von  dem  grünen  Felsen  mit  seiner  gewaltigen. 


1)  Eine  etwas  abweichende  Fassung  bei  Maurer,  Isl.  Volkssagen,  S.  228. 


Vom   Skögafoss  zum   Fülilaekur.  67 

vom  Eyjafjallajökiill  stammenden  Wassermenge  hernieder ,  wobei 
er  sich  in  lo — 12  parallel  niederfallende  Schaumsäulen  teilt,  „wie 
ein  isländischer  Brautschleier",  meinte  Ögmundur.  Wir  versuchten 
bis  zu  der  Stelle  vorzudringen,  wo  der  Fall  die  Erde  erreicht,  wurden 
aber  mit  einem  solchen  Staubregen  überschüttet,  dass  wir  schleunigst 
flüchteten.  Nach  der  Volkssage  hat  hier,  in  der  Nähe  des  herr- 
lichen Wasserfalles,  der  zauberkundige  Prasi  Pörölfsson  gewohnt, 
von  dessen  Zauberkünsten  und  -Kämpfen  wir  bald  hören  werden. 
Man  erzählt,  dass  er  seinen  Schatz,  der  in  einigen  mit  Gold  ge- 
füllten Kisten  bestand ,  in  diesen  Foss  gestürzt  habe ,  und  die 
Kleinode  harren  noch  bis  heute  ihres  Finders  (Maurer,  Germ.  IX, 
237;  Isländische  Volkssagen  216/17). 

Der  Graswuchs    hört  jetzt   auf,    und    die  erste  der  zwölf  Sand- 
wüsten (sandur)  der  Skapfafells  sysla  breitet  sich  vor  uns  aus.    Der 
Skögasandiir  (westlich  der  jfökulsd)  und  der  SöUieiiiiasandtir  (öst- 
lich der  Jökiilsd),  die  zusammen  ein  Areal  von  80  qkm  einnehmen, 
werden  durch  das  tiefe  Flussbett  der  Jökulsd  voneinander  getrennt. 
Im  Skögasandur   wächst    kein    Halm  und  keine  Blume,  der   Schutt 
besteht    aus   kantigen  Basaltbruchstücken,    und    auf   der    Oberfläche 
liegen  grosse  Breccieblöcke  verstreut  umher.     Der  Sölheimasandur 
ist  von  ähnlicher  Beschaffenheit,  aber  weiter  nach  Osten  hin  ist  der 
Grus    mehr    gerollt ;    in    den    Einscnkungen   und    alten    Flussbetten 
haben  einige  Pflanzen  Boden  gefunden,  bisweilen  sieht  man  grosse, 
gelbe  Flächen  von  Galium  wemm^Gtclmadra;  Labkraut  oder  Unserer 
lieben   Frau   Bettstroh).     Die   berüchtigte   Jüknlsd  d  Söllieiuiasandi 
entspringt    auf    einem    Laufgletscher    des   Myrdalsjökull^    dem  SdL- 
heimajökulL    und    hat    sich    mitten    durch    die    Sandwüste,    wo    der 
Weg   nach   dem  Meere  am  kürzesten  ist,    ein  tiefes,    von  Terrassen 
begrenztes    Bett   gegraben,    das    mit    grossen    Rollsteinen    ausgefüllt 
ist,    die    vom    Wasser    herabgeführt    und    bearbeitet    werden.      Der 
Gletscherfluss    ist    sehr    gefährlich     wegen    seiner    grossen    Wasser- 
menge,   der   reissenden   Strömung,    des    unsichern    Bodens    und   der 
häufigen    Gletscherstürze,    oft    führt    er   auch    Eis    mit  sich.     Er  ist 
durch  seinen  Gletschergestank  (jökla-fyla)  d.h.  durch  seinen  durch- 
dringenden   Schwefelgeruch    berüchtigt    und    heisst    deswegen    auch 
Fülücrkicr  (Gestankbach).    Man  kennt  die  Ursache  dieses  eigentüm- 
lichen   Schwefelwasserstoffgestankes    nicht.     Der    schwedische    Geo- 
loge Paijkull  erklärt  ihn  damit,  dass  die  Steine,  die  der  Gletscher 
bei  seinem  Vorrücken  zermahlen  hat,  Körper  von  Schwefelkies  und 
Schwefeleisen  einschhessen  (En  Sommer  i  Island,  Kph.  1867,  S.  64). 
Thoroddsen    hält   es  für    nicht    unwahrscheinlich,     dass    sich    ver- 
schiedentlich Solfataren  unter  dem  Eise  befinden,  sie  seien  ja  ziem- 
lich häufig  in  den  schneelosen  Bergen  in  Islands  vulkanischem  Mittel- 
stück, dass  sie  ebensogut  auch  unter  dem  Eise  vorkommen  könnten; 
aber    diese  Solfataren   seien    natürlich   unbekannt  und  unzugänglich. 

5* 


68  Die  Jökulsä  wird  glücklich  überschritten. 

Schon  Abt  Arngri'inr  erzählt  (f  1361):  „Aus  den  Gletschern 
rinnt  gelegentlich  ein  reissender  Strom  unter  heftigem  Getöse  her- 
vor, und  mit  dem  wüstesten  Gestanke,  so  dass  davon  die  Vögel  in 
der  Luft  sterben  und  die  Menschen  und  Tiere  auf  der  Erde."  Das 
von  der  tödlichen  Wirkung  Berichtete  beruht  selbstverständlich  auf 
Übertreibung.  Aber  beim  Gletschersturz  am  Skeidardrjükull  im 
März  1892  wurde  der  Gletschergeruch  sogar  in  Reykjavik  wahr- 
genommen. Auch  uns  blieb  der  hässliche  Gestank  nicht  erspart, 
aber  wir  spürten  ihn  nicht  vor  dem  Überschreiten  und  während 
desselben,  sondern  unmittelbar  nachdem  wir  das  östliche  Ufer 
erreicht  hatten :  es  war  ein  niederträchtiger  Geruch  nach  faulen 
Eiern,  und  einem  empfindlichen,  nüchternen  Magen  hätte  wohl 
schlimm  werden  können.  Wir  versuchten  den  Übergang  zuerst 
oben  am  Gletscher,  der  mich  übrigens  in  seiner  Form  sehr  an  den 
bekannten  Svartisen- Gletscher  nördlich  von  Drontheim  erinnerte, 
aber  die  tiefe  Kluft  mit  ihren  fast  senkrechten  Wänden  schreckte 
uns  ab.  Das  Glctschertor  hat  die  prächtigste  grüne  Farbe,  die  man 
sich  vorstellen  kann,  von  allen  Seiten  rieseln  zahlreiche  Eisströme 
in  Regenbogen  bildenden  Kaskaden  in  den  Hauptlauf  hernieder; 
Ögiinmdiir  behauptete,  gehört  zu  haben,  dass  man  zuweilen  im 
Hauptarm  ein  paar  Pfützen  mit  stillstehendem,  gelbgrünem  Wasser 
sehen  kann,  die  Schwefelwasser  sein  sollen.  Wir  ritten  also  zurück, 
den  ca.  eine  Meile  langen  Fluss  entlang  bis  etwa  zehn  Minuten  von 
seiner  Mündung  entfernt ;  die  Pferde  wurden  zusammengekoppelt, 
die  Gurte  nachgesehen,  der  Engländer  zog  seine  Schuhe  aus  und 
die  Wasserstiefel  an,  die  bis  zum  Unterleib  gingen,  der  ,, deutsche" 
Bauer  setzte  sich  an  die  Spitze,  lange  sahen  wir  ihm  nach,  ob  es 
ihm  gelingen  würde,  eine  Furt  zu  finden  —  aber  siehe  da,  unsere 
Sorge  war  umsonst  gewesen,  nach  wenigen  Minuten  winkte  er 
triumphierend  von  drüben,  wir  sollten  ihm  folgen.  Der  Übergang 
war  für  unsere  Verhältnisse  und  nach  unsern  bisherigen  Erfahrungen 
harmlos;  und  als  wir  das  östliche  Ufer  und  damit  den  westlichen 
Bezirk  der  Skaptafells  sxsla,  den  Myrdahir,  erreicht  hatten,  riefen 
wir  nach  guter  isländischer  Sitte  neunmal  Hurra !  Das  Hauptziel 
lag  vor  uns. 


Elftes    Kapitel. 

Reise  durch  die  Vestur  Skaptafells  sysla'). 

Die  kurze,  nur  etwa  eine  Meile  lange  Jökulsd  d  Sölheiniasandi 
bildet  auf  ihrem  Wege  von  den  Gletschern  bis  zum  Meere  seit  alter 
Zeit  die  Grenze  zwischen  Süd-  und  Ostviertel  (Lnd.  IV,  13,  5); 
1783  wurden  durch  künighchen  Befehl  die  beiden  Skaptafells-Bezirke 
zum  Südamt  geschlagen.  Aber  der  Übergang  über  diesen  Gletscher- 
fluss  bildet  noch  heute  gleichsam  den  Eingang  zu  einem  ganz  eigen- 
artigen Landstriche ;  bis  zu  Thoroddsens  Forschungsreisen  in 
den  Jahren  1893  und  1894  waren  grosse  Strecken  noch  nie  von 
einem  Menschen  betreten  worden. 

Abgesehen  von  der  Besiedlung  der  Skaptafells  si'sla,  die  uns 
ziemlich  ausiuhrlich  in  der  La7idndiiiabök  erzählt  wird,  sind  nur 
einzelne  Angaben  über  diesen  Bezirk  überliefert,  und  zwar  betreffen 
sie  meist  vulkanische  Ausbrüche:  die  der  Kalla  ca.  900,  1245, 
1262,  1311,  1332  (.?),  1416,  1580,  1625,  1660,  1721,  1755,  1823, 
1860,  des  Eyjafjallajökidl  161 2,  1821,  der  Eldgjd  ca.  930,  der 
Kraterreihe  des  Laki  ca.  900  (.^),  1783,  des  Örcrfajöhtll  1341,  1350, 
1598,  1727  und  der  Gn'nisvötn  (oder  des  Sidii-  oder  Skeidardr- 
jökiill)  1389,  1598,  1638,  168 1,  1685,  17 16,  1725,  1727,  1753,  1774, 
1784,  1867,  1873,  1883,  1903.  Saxo  erzählt  etwas  von  der  Ver- 
änderung im  Innern  der  Schiebegletsther,  und  der  Mönch  Alberich 
schildert  Gletscherstürze  an  der  Kalla.     Die    erste  ausführliche  Be- 


')  Thoroddsen,  Ferd  um  VesturSkapta felis  sysht  snniarid  iQg'i  (And- 
vari  XIX,  S.  44  —  161);  Ferd  um  Austur-  Skaptafells  sf/slu  og  Mulasyslur 
sumarid  1894  (Aiidvari  XX,  S.  1—84,  XXI,  S.  1—33);  Reise  i  Vester  Skaptafells 
Syssel  paa  Island  i  Sommeren  1893  (Geogr.  Tidsk.  XII,  S.  167—234);  Fra  det 
sydöstlige  Island  (Geogr.  Tidsk.  XIII,  S.  3—37);  kurzer  Auszug  daraus  mit  guter 
Karte  in  Petermanns  Mitteilungen  1895,  Bd.  41,  S.  288  —  290).  —  Daniel  Bruun, 
Gennem  afsides  Egne  paa  Island.  Jagttagelser  foretagne  paa  Rejser  i  Skaftafells- 
syslerne  1899  og  1902  (Tidsskrift  for  Landökonomi  1903,  S.  i  — 118,  auch  als  Sonder- 
ausgabe zu  haben). 


70  Geschichte  der  Erforschung  der  Skaptafells  sysla. 

Schreibung  der  J-'esfur  Skaptafells  sxsla  stammt  von  Bjarni  Nikii- 
Idsson  (1744),  der  Aiistur  Skaptafells  sysla  von  Sigitrdur  Stefdnsson 
(1746).  1756  wurde  diese  Gegend  von  Eggert  Ölafsson  und  Bjarni 
Pdlsson  bereist.  Die  Kraterreihe  des  Laki  wurde  1794  von  dem 
isländischen  Naturforscher  Sveinn  Pdlsson  besucht  und  untersucht, 
nachdem  er  grosse  Teile  der  Südküste  schon  vorher  bereist  hatte; 
ihm  verdanken  wir  auch  die  besten  Aufschlüsse  über  die  Topo- 
graphie dieser  Gegend.  1824  durchquerte  H  enderson  vom  Osten 
her  diesen  Bezirk,  und  ihm  wurde  bei  dieser  Gelegenheit  von  den 
Bewohnern  gesagt:  er  sei  ein  so  ungewöhnlicher  Gast,  dass  Jahr- 
hunderte verfliessen  könnten,  eher  ein  solcher  Reisende  wieder  käme 
(I,  S.  352).  Beinahe  trifft  diese  Befürchtung  auch  zu,  denn  soviel 
Island  auch  sonst  bereist  ist,  in  diese  Öden  haben  sich  nur  wenige 
Forscher  verirrt.  Björn  Gnnnlaiigsson,  Islands  Kartograph,  war 
1835  in  der  Vestnr  Skaptafells  sysla.  Preyer  und  Zi  rk  el  wollten 
1860  die  Stätte  der  Verwüstungen  der  Kötlugjd  besuchen  und  nach 
den  gänzlich  unerforschten  Eisgefilden  des  riesigen  Vatnajökull  vor- 
dringen; aber  kein  Isländer  wollte  sie  dahin  führen,  obwohl  sie 
doppelten  Lohn  versprachen  (S.  74).  In  demselben  Jahre  wollte 
Z  e  i  1  a  u  ,  der  Führer  der  Fox-Expedition,  von  Djüpivogur  aus  einige 
Leute  am  Fusse  des  Vatnajökull  durch  die  Skaptafells  sysla 
schicken,  um  eine  Landlinie  für  die  geplante  Telegraphen-Anlage 
zu  suchen;  aber  die  Bewohner  bekreuzten  sich  und  fielen  fast  in 
Ohnmacht  vor  Entsetzen  über  Z  e  i  I  a  u  s  Unkenntnis  von  dem  furcht- 
baren Innern  Islands  (Fox-Expeditionen,  Kph.  1861,  S.  55/6).  Der 
Schwede  Paijkull  hat  1865  die  ganze  Südküste  bereist,  und  eben- 
so der  Sagenforscher  Kristian  Kaalund  1873.  Der  Norweger 
Heiland  vermass  1881  den  grössten  Teil  der  Kraterreihe  des  La  kl 
und  zeichnete  vorzügliche  Bilder  von  ihr  (vergl.  Fig.  7,  Bd.  I,  S.  59), 
seine  Karte  aber  von  der  Vestnr  Skaptafells  sysla  ist  geographisch 
und  geologisch  sehr  mangelhaft.  Keilhack  aus  Berlin  kehrte  1883 
in  Höfdabrekka  um,  und  Küchler  setzte  1905  schon  die  Jöknlsd 
d  Sölheiniasandi  ,,ein  unüberschreitbares  Ziel"  (Unter  der  Mitter- 
nachtssonne S.  54). 

Erst  Thoroddsen  hat  die  beiden  Bezirke  für  die  Wissen- 
schaft erschlossen  und  Strecken  durchforscht,  wo  noch  nie  ein 
Mensch  gewesen  war.  Er  untersuchte  1893  die  ganze  Gegend 
zwischen  Myrdals-  und  Vatnajökull,  entdeckte  den  See  Langisjör 
und  die  Eldgjd ,  untersuchte  die  unbewohnten  Teile  östlich  der 
Skaptd  und  fand  die  bisher  unbekannten  Quellen  der  Skaptd  und 
des  H^'erfisfljöt  auf.  1894  bereiste  Thoroddsen  die  Austur 
Skaptafells  sysla,  und  zwar  besonders  den  Südrand  des  Vattiafökull, 
den  Örafajökiill;  vor  allem  aber  drang  er  in  die  wenig  bekannten 
Teile  des  inneren  Hochlandes  an  der  Nordostecke  dieses  ungeheueren 
Gletscherkomplexes,  so  dass  er,   zusammen   mit    seinen  Reisen   von 


Allgemeine  geographische  und  geologische  Bemerkungen  über  die  Skaptafells  sysla.     ( 1 

1884,  1889  und  1S93,  die  ganze  8000  qkm  grosse  Eisfläche  zum 
ersten  Male  von  allen  Seiten  erforscht  hat.  Der  dänische  Haupt- 
mann DanielBruun  war  1899  Inder  Vestur-  und  Austur  Skapta- 
fells sxsla.  Abteilungen  des  dänischen  Generalstabs  haben  1903  die 
23  □'Meilen  lange  Küste  von  Papös  nach  Westen  hin  bis  zum 
Breidamerhirsandur  aufgenommen,  1904  die  Gegend  von  da  bis 
Vi'k  und  eine  grossartige  Karte  des  Skeidardrsandur  und  Örcefa- 
jükull  gezeichnet.  Ein  Deutscher  ist  also  in  diesen  Gegenden  noch 
nicht  gewesen,  jedenfalls,  um  mich  vorsichtig  auszudrücken,  ist  von 
deutscher  Seite  noch  kein  Reisebericht  darüber  erschienen;  man 
wird  verstehen,  dass  dies  ein  Grund  mehr  für  mich  war,  allen 
Warnungen  zum  Trotze,  diesen  Bezirk  aufzusuchen  und  zu  be- 
schreiben.  Ich  brauche  wohl  nicht  noch  einmal  hervorzuheben,  dass 
der  Zweck  dieser  Reise  weder  geographischer  noch  geologischer 
Natur  war,  und  dass  mir  vor  allem  nicht  in  den  Sinn  kommen 
konnte,  Thoroddsen  irgendwie  zu  verbessern.  Bruuns  Reise- 
bericht lernte  ich  erst  nach  meiner  Rückkehr  kennen,  und  auch  ihm 
bin  ich  vielfach  zu  Danke  verpflichtet;  dass  unsere  Ergebnisse  so 
oft  übereinstimmen,  rührt  daher,  dass  wir  dieselben  Gewährsmänner 
und  für  einen  Teil  der  Reise  denselben  Führer  hatten.  Auch  hier 
ist  meine  Absicht,  nach  persönlichen  Eindrücken  durch  eine  popu- 
läre Schilderung  über  die  ehemaligen  und  jetzigen  Lebens-  und 
Kulturverhältnisse  aufzuklären. 

Die  Skaptafells  sysla  besteht  eigentlich  aus  zwei  Jurisdiktions- 
bezirken ,  der  Vestur-  und  Austiir  Skaptafells  sysla,  mit  etwa 
3200  Seelen ,  wird  aber  von  einem  einzigen  Syslumadiir  verwal- 
tet, der  acht  Tage  gebraucht,  um  seine  ganze  sysla  zu  durchreiten. 
Die  bebaute  Küste  von  der  Jökulsd  d  Solheimasandi  an  bis  zur 
Skeidard,  die  zwischen  den  beiden  grossen  Firnplateaus  Myrdals- 
jökiill  und  Vatnajökull  (ca.  160  □  Meilen)  eingeklemmt  ist,  heisst 
die  Vestur  Skaptafells  sysla  (1898  1950  Menschen);  der  Strich 
südlich  vom  Vatnajökull ,  von  der  Skeidard  oder  von  den  Xi'ips- 
vötii  an  bis  zur  Lönsheidi ,  heisst  die  Austur  Skaptafells  sysla 
(1898  1187  Bewohner).  In  dem  ganzen  Bezirke  habe  ich.  merk- 
würdigerweise nicht  eine  warme  Quelle  angetroffen.  Die  Sand- 
strecken (sandur)  des  westlichen  Teiles  nehmen  ein  Areal  von 
1230  qkm  ein  und  bestehen  aus  Grus  und  Lehm,  den  die  Gletscher- 
ströme mitgeführt  haben,  sowie  aus  vulkanischen  Schlacken  und 
Flugsand;  östlich  von  den  Xüpsvötn  nehmen  sie  ein  Areal  von 
1 500  qkm  ein  und  bestehen  ausschliesslich  aus  abgerolltem  Gletscher- 
und  Flussgeröll,  vulkanische  Asche  oder  Tuffstaub  spielen  hier  keine 
Rolle.  Diese  si'sla  ist  also  eine  schmale  Küstenlinie  am  Fuss  un- 
geheurer Gletscher,  von  denen  eine  Menge  gefährlicher  Gletscher- 
ströme herniederstürzen,  mit  stets  wechselnden  Flussbetten,  die  den 
Verkehr  sehr  schwierig,  zeitweise  sogar  unmöglich  machen:  sie  haben 


72  Die  allgemeine  Beschaflfenheit  der  Sysla. 

durch  den  vielen  Gletscherkies,  Lehm  und  Sand,  den  sie  mit  sich 
führen,  alle  eine  trübe  Farbe,  die  bald  milchweiss  undurchsichtig, 
bald  schmutzig  weissgrau,  bald  schokoladenbraun  ist.  Die  Ober- 
fläche der  Grus-  und  Lehmstrecken  ist  hier  und  da  von  Lava- 
strömen und  an  einzelnen  Stellen  von  Erdreich  bedeckt;  wo  aber 
die  Gletscherflüsse  mit  ihren  vielen  Armen  das  Flachland  überfluten, 
wird  alles  Erdreich  fortgeschwemmt  oder  mit  Grus  bedeckt,  vmd 
kein  Pflanzenwuchs  gedeiht.  Darum  stehen  auch  in  der  Ebene  fast 
keine  menschUchen  Wohnungen ,  die  wenigen  Gehöfte  stehen  in 
kleinen  Oasen  an  den  Bergseiten,  wohin  das  Gletscherwasser  nicht 
gelangen  kann.  Nach  Thor oddsen  bedecken  im  westlichen  Teile 
die  Lavaströme  ein  Areal  von  1368  qkm,  mit  einem  Volumen  von 
23845  Million  cbm. 

Wie  den  Pflanzen,  so  setzen  die  Gletscherflüsse  und  die  öden 
Sandstrecken  auch  den  Tieren  eine  Grenze.  Die  kleine  Glocken- 
blume, Campanula  rotundifolia,  die  im  Westen  und  Osten  zu  den 
gewöhnlichen  Pflanzen  zählt,  verschwindet  südlich  vom  Vatiiajökiill 
an  der  Skeidarä  vollständig.  Ratten  und  Mäuse  kommen  nur  an 
einigen  Stellen  vor,  wo  der  Verkehr  bequemer  ist.  Aber  im  Distrikte 
Örcrfi,  unter  dem  Gletscher  gleichen  Namens,  findet  man  weder 
Ratten  noch  Mäuse ,  nur  bis  zum  Hreppur  Borgar  ho/n,  westlich 
davon,  sind  die  Mäuse  vorgedrungen,  aber  nicht  auch  die  Ratten. 
Das  langsame  Vordringen  dieser  Tiere,  die  sonst  überall  den  Weg 
mit  den  Menschen  in  die  meisten  Stätten  zu  finden  wissen,  ist  der 
beste  Beweis  für  die  fürchterliche  Abgeschiedenheit  dieser  Gegend. 

Das  Traurige  ist,  dass  diese  Verhältnisse  niemals  sonderlich 
verbessert  werden  können,  nicht  einmal  mit  den  technischen  Er- 
rungenschaften und  Hilfsmitteln  unserer  Zeit.  Die  Ströme  sind 
meist  viel  zu  reissend  und  wasserreich,  als  dass  man  mit  einem  Boote 
hinübersetzen  könnte,  und  Brücken  können  überhaupt  nicht  ange- 
legt werden,  da  ja  das  Flussbett  sehr  veränderlich  ist  und  oft  nur 
aus  heimtückischem  Flugsande  besteht.  Nur  über  die  Skaptd  bei 
Kirkjitbcrr  führt  eine  Brücke,  und  erstaunlicherweise  sind  nach  dem 
neuesten  Staatsbudget  für  je  eine  Brücke  über  die  Hölnisd  und  das 
Skaptdreldvabi  12000  Kr.  ausgeworfen,  unter  der  Voraussetzung, 
dass  der  Bezirk  selbst  mindestens  2000  Kr.  zuschiesst.  Dieser  Plan 
verdient  wegen  seiner  Kühnheit  das  höchste  Lob.  Denn  das  Strom- 
gebiet der  beiden  Flüsse  gehört  an  einigen  Stellen  zu  den  Strecken, 
die  oft  ein  zwei  bis  drei  Stunden  langes  Passieren  von  überschwemm- 
tem Land  nötig  machen.  Wenn  man  sich  hier  also  auch  die  Anlage 
von  Brücken  als  möglich  denkt,  so  müssen  sie  doch  so  enorm  teuer 
werden,  dass  sie  schon  aus  diesem  Grunde  nicht  geschlagen  werden. 
Dazu  kommt  noch,  dass  die  Küste  selbst  keinen  Hafen  und  keinen 
Fjord  hat  —  mit  Ausnahme  von  Vik  —  und  dass  das  Meer  fast  überall 
in    gewaltiger  Brandung   gegen   den  flachen  Strand  braust.     Wo  die 


Gletscherströme.     Eisvulkane.  73 

Gletscherströme  münden,  verschwinden  bald  alle  Einschnitte  wegen 
der  Menge  von  Geröll,  das  sie  mit  sich  führen.  Durch  den  Wider- 
stand des  Meeres  werden  die  Flüsse  im  einigen  Stellen  zu  seichten, 
veränderlichen  Lagunen  aufgestaut,  den  Halfen  der  südbaltischen 
Küste  vergleichbar;  schmale  Landzungen,  von  den  Flüssen  und  der 
Brandung  gebildet,  trennen  sie  vom  Meere  (/^d/>  oder  Idf?,  wenn  die 
Lagune  Süsswasscr  enthält;  ds  [älter:  dss],  wenn  sie  durch  Ver- 
breiterung eines  Flusses  bei  der  Mündung  gebildet  ist;  Pöstion, 
Island,  S.  i68).  Oft  sind  die  Lagunen  im  Winter  grösser  als  im 
Sommer.  Denn  bei  schweren  Winterstürmen  werden  die  Ausflüsse 
verstopft,  so  dass  das  Flusswasser  sich  über  grössere  Strecken  aus- 
breitet. Im  Sommer  ist  dagegen  die  Brandung  schwächer,  so  dass 
die  Strömung  der  Flüsse  wieder  Öffnungen  in  den  aufgeworfenen 
Sandriffen  bilden  kann.  Wird  eine  im  Winter  verstopfte  Öffnung 
im  Juni  von  20 — 30  Mann  wieder  aufgeschaufelt ,  so  fliesst  das 
Wasser  ab,  und  sogleich  spriesst  in  der  Niederung  Gras  hervor; 
bleibt  aber  die  Überschwemmung  einmal  aus,  so  entsteht  Heumangel. 

Die  Bewohner  der  Skaptafells  sysla  sind  also  in  jeder  Beziehung 
übel  daran,  und  das  Schlimmste  ist,  wie  gesagt,  dass  keine  Aus- 
sicht ist,  es  könnte  je  besser  werden.  Denn,  wie  Bruun  richtig 
bemerkt :  wären  dies  die  einzigen  Übelstände ,  mit  denen  die  Be- 
völkerung zu  kämpfen  hätte ,  so  könnte  sie  sich  doch  anderweitig 
darauf  einrichten  und  ihr  schweres  Los  gefasst  und  in  Frieden 
tragen.  Aber  das  Fürchterlichste  sind  die  schreckUchen  Verhee- 
rungen, die  vulkanische  Ausbrüche  verursacht  haben  und  auch 
in  Zukunft  verursachen  werden.  Die  feuerspeienden  Vulkane  liegen 
unter  dem  Gletschereise  verborgen,  bei  den  Ausbrüchen  schmelzen 
die  Gletscher  und  zerreissen ,  das  Flachland  wird  von  gewaltigen 
Wasserfluten  überschwemmt,  und  Eisstücke,  grösser  noch  als  Häuser, 
werden  auf  die  Sandstrecken  niedergeführt  oder  hinaus  auf  das 
Meer.  Das  auf  den  Vulkanen  gelagerte  Eis  schmilzt,  und  die 
Dämpfe  verwandeln  die  ganze  Lavamasse  in  Asche ;  deshalb  werfen 
die  Vulkane  in  dieser  Gegend  niemals  zusammenhängende  Lava  aus, 
sondern  lauter  Asche.  Beim  Au.sbruche  der  Katla  (11.  Mai  1721) 
wurde  eine  solche  Masse  Eisberge  hinaus  ins  Meer  geführt ,  dass 
man  von  dem  höchsten  Berge  der  Umgegend  nicht  über  die  Eis- 
felder hinwegsehen  konnte,  die  das  Meer  bedeckten,  und  dass  fast 
nirgends  eine  Wake  zu  erblicken  war  i) ;  die  äussersten  Eisberge 
blieben  in  einer  Tiefe  von  70 — 80  Faden,  etwa  drei  Seemeilen  vom 
Land  entfernt,  stehen  und  bildeten  förmlich  eine  Eisbarrikade;  das 
Meer  wurde  durch  sie  emporgehoben,  überschwemmte  die  Küste  und 
vernichtete    die   Wiesen    und    Hauswiesen.      Bei    dem    vulkanischen 


1)  Wake,   Wuhne,   offene   Stelle   im  Eis. 


74  Gletscherstürze.     Passieren  der  Gletscherströme. 

Ausbruche  des  Laki  1783  war  der  Lavastrom  so  gross,  dass  man 
sagt,  er  habe  denselben  Kubikinhalt  wie  der  Mont  Blanc. 

Nicht  ohne  Grund  hatte  man  mich  vor  den  Gletscherströmen 
gewarnt.  Ein  Ritt  durch  sie  erfordert  in  der  Tat  gute  Nerven  und 
völlige  Schwindelfreiheit.  Ich  war  wirklich  froh,  durch  die  Probe- 
tour und  den  Anfang  der  grösseren  Reise  einigermassen  auf  sie  vor- 
bereitet zu  sein.  Diese  Flü.sse  verändern  fast  täglich  den  Lauf  und 
darum  auch  fast  täglich  die  Übergangsstellen  und  Furten;  heute 
kann  man  hier  den  Fluss  passieren ,  morgen  eine  halbe  Stunde 
weiter  nördlich;  heute  dauert  der  Übergang  fünf  Minuten,  morgen 
währt  er  vielleicht  zwei  Stunden,  um  nur  einen  einzelnen  Arm  zu 
durchkreuzen.  Ja,  es  ist  vorgekommen,  dass  Leute,  die  von  Osten 
her  (\Q.rv  Sandiir  passierten,  die  Jökiihd  d  BreidaiiierkursaJtdi  über- 
haupt  nicht  angetroffen  haben.  Während  sie  in  der  Wüste  waren, 
war  der  Ursprungsort  des  Flusses  plötzlich  verstopft,  das  Wasser 
suchte  sich  eine  i  neuen  Weg,  das  alte  Flussbett  wurde  leer,  und 
während  derRei^^nde  bei  diesem  angelangt  war  und  vergeblich  den 
Fluss  suchte,  hatt-:  dieser  hinter  seinem  Rücken,  wo  der  Bauer  viel- 
leicht vor  einigen  Augenblicken  gewesen  war ,  ein  neues  Bett  ge- 
funden. Nur  wer  aus  jahrelanger  eigener  Erfahrung  die  Flüsse 
kennt,  vermag  die  Furten  zu  finden  und  die  Reisenden  hinüber  zu 
geleiten. 

Scheint  die  Sonne  auf  die  Gletscher,  so  dass  diese  schmelzen 
und  das  Flussbett  mit  Wasser  füllen,  und  regnet  es  noch  dazu,  wie 
es  während  der  Reisezeit  die  Regel  ist,  so  ist  ein  Übergang  lebens- 
gefährlich oder  geradezu  unmöglich.  Dazu  kommt,  dass  man  nie 
sicher  ist  vor  einem  plötzlichen  Gletscherlauf  oder  -stürz  (jökiilhlmip)  : 
die  Flüsse,  besonders  die,  die  ihren  Ursprung  in  einem  sogenannten 
skridjökull  haben,  d.  h.  einem  Gletscher,  der  in  fortwährender  Ver- 
änderung und  Verschiebung  begriffen  ist ,  oder  in  einem  fjalljökull 
d.  h.  Fallgletscher,  d.  h.  einem  .solchen,  der  sich  langsam  nach  ab- 
wärts bewegt ,  schwellen  unversehens  an  infolge  vulkanischer  Aus- 
brüche unterhalb  der  Firnen  (aussergewöhnliche  Gletscherstürze)  oder 
durch  Bersten  der  Gletscher  (gewöhnliche  Gletscherstürze).  Dann 
stürzen  ungeheure,  mit  Eisblöcken  angefüllte  Wassermassen  aus  den 
Gletschern  hervor,  grosse  Steine,  Kies  und  Schlamm  mit  sich  fort- 
wälzend, alles  fortreissend,  was  dem  Wassersturze  in  den  Weg 
kommt ,  und  die  fürchterlichsten  Verheerungen  anrichtend ;  nach 
jedem  Ausbruche  müssen  sich  die  Flüsse  neue  Betten  bilden.  Durch 
solche  jökulhlaiip  ist  besonders  die  Skeidard  berüchtigt ;  dann  hebt 
sich  der  ganze  Gletscher,  von  dem  sie  entspringt,  der  Skeidard rjökull, 
der  sich  wie  ein  4  D  Meilen  grosser  Eiskuchen  von  dem  eigentlichen 
Vatnajökull  nach  dem  Skeidardrsaiidiir  erstreckt  (15  D]\Ieilen  gross), 
bis  die  Eisdecke  unter  fürchterlichem  Krachen  birst.  Durch  Glet- 
scherstürze   bei    vulkanischen    Ausbrüchen,    wo    die    feuerspeienden 


Passieren  der  Gletscherströme.  7o 

Krater  unter  Eis  und  Schnee  verborgen  liegen,  sind  die  Katla  und 
der   Örccfajükull  besonders  berüchtigt. 

An  der  Art  und  Weise,  wie  das  sprudelnde  Wasser  wirbelt,  an 
der  Art  der  Brechung  der  Strömung  (eptir  brotiiui),  an  der  Schnellig- 
keit, mit  der  das  Wasser  dahin  schiesst,  und  an  anderen  ähnlichen 
Zeichen  erkennen  die  Bewohner  die  Übergangsstellen,  und  zwar  so- 
wohl die  Tiefe  des  Flusses  als  auch  die  Beschaffenheit  des  Bodens. 
Ohne  Lokalführer  kann  man  sie  überhaupt  nicht  passieren,    und  es 
ist  geradezu  wunderbar,  mit  welcher  Geschicklichkeit  sie  den  Fremden 
hinübergeleiten.      Zuweilen    reitet    ein   Führer   voraus    und    probiert 
mit    einer   langen  Stange,    wo  die  seichtesten  Stellen  sind,    und  wie 
der  Grund  beschaffen  ist.     Bald  reitet  man  aufwärts,  der  Strömung 
entgegen,  dann  wieder  wendet  man  sich  von  ihr  ab  und  reitet  wohl 
zehn    Minuten    lang    fiussabwärts.     Glaubt    man    endlich   drüben    zu 
sein,    so  merkt  man,    dass  man  erst  auf  einer  Insel  oder  Sandbank 
angelangt    ist,    die    vom    verlassenen  Ufer   kaum    einige  Schritt  ent- 
fernt   zu  sein  scheint,    und    das    aufregende  Schauspiel  beginnt  von 
neuem.     Es  ist  ein  förmliches  Vorwärtstasten,  da  es  ja  keine  festen 
Furten  gibt,  und  der  Grund  sich  täglich  ändert.    Anfänglich  kommt 
es  einem  so  vor,  als  ob  die  ganze  Karawane  sich  rückwärts  bewege  ; 
man    hat   jedes  Gefühl    dafür   verloren,    ob    man  gerade  oder  schief 
im  Sattel  sitzt,    und  es  überfällt  einen  dasselbe  dämonische  Gefühl 
wie  Goethes  Fischer:  halb  zieht  es  ihn,  halb  sinkt  er  hin.    Nervösen 
Leuten    ist    dringend  zu  empfehlen,    sich   krampfhaft  an  die  Mähne 
zu  klammern  oder  die  Zügel  kurz  zu  fassen,  den  Kopf  des  Pferdes 
hochzuhalten    und    die  Beine   gerade  in  das  Wasser  zu  stecken,  um 
die  Gewalt   des  Stromes  zu  brechen  und  dem  Pferde  mehr  Halt  zu 
geben;    sehr   heilsam   ist    auch,    den    Blick   starr   auf   das   jenseitige 
Ufer  oder  in  die  Höhe  zu  richten,  um  nicht  immerfort  die  schäumenden 
Wellen  vor  Augen  zu  haben.    Langsam,  aber  unerschütterlich  arbeiten 
sich  die  Pferde  durch  den  reissenden  Strom ;  langsam  geht  es,  denn 
es  fällt  ihnen  schwer,  die  aufgehobenen  Füsse  vorwärts  zu  bringen, 
und   vorsichtig    tasten    sie    erst,   bevor   sie   sie  niedersetzen,    ob  der 
Grund    auch    fest    ist,    und   kein   glatter  Stein  sie  ausrutschen  lässt. 
Auch   ohne   dass  man  ihnen  besondere  Hilfen  gibt,    stellen  sie  sich 
schräg,   um  den  Anprall  zu  hemmen,  und  um  nicht  umgeworfen  zu 
werden.    Das  Wasser,  das  öfters  über  ihren  Rücken  zusammenschlägt, 
beirrt  sie  viel  weniger  als  den  ungeübten  Reiter.    Gleitet  dieser  aus 
dem    Sattel    in    die   über    i    m   hohen   Wellen,    so    ist    er   verloren, 
weniger   wegen    der  Tiefe    des  Stromes,    als   wegen  seiner  rasenden 
Geschwindigkeit,  gegen  die  es  kein  Aufkommen  und  Ankämpfen  gibt. 
Andere  Flüsse    setzen,   wo    ihr  Gefälle  geringer  ist,    Gletscher- 
schlamm ab.    Dieser  sinkt  auf  den  Boden  nieder,  häuft  sich  an  und 
wird  immer  mehr,  bis  das  Bett  ganz  von  ihm  ausgefüllt  ist.     Dann 
wird  das  Bett  für  den  Fluss  zu  eng,    er  steigt  über  seine  Ufer,  um 


76  Passieren  der  Gletscherströme. 

Platz  ZU  gewinnen  und  sich  auszudehnen,  und  sucht  sich  ein  neues 
Bett.  Dieser  Schlamm  ist  für  die  Pferde  äusserst  gefährlich ,  sie 
sinken  in  den  weichen  Boden  ein  und  können  sich  nicht  wieder  in 
die  Höhe  richten.  Es  war  ein  schrecklich  aufregender  Augenblick, 
als  ein  Bauer,  der  unseren  Führer  verschmähte  und  sich  auf  eigene 
Faust  eine  Furt  suchte ,  plötzlich  mit  seinem  Rösslein  verschwand. 
Zum  Glück  war  es  nah  am  Ufer  und  ziemlich  seicht.  Mann  und 
Pferd  ruderten  mit  Arm  und  Bein,  endlich  kam  der  Bauer,  über  und 
über  nass  und  mit  Dreck  beschmiert,  empor;  aber  es  gelang  ihm 
nicht  so  leicht,  sein  Pferd  in  die  Höhe  zu  bringen;  je  w'ilder  es  mit 
aufgeblähten  Nüstern  um  sich  schlug,  um  so  tiefer  versank  es  in 
dem  nachgebenden  Flugsande ;  erst  nach  langen ,  langen  Minuten 
wurde  das  Pferd  gerettet,  und  reumütig  folgte  uns  der  Bauer  jetzt 
auf  dem  Fusse.  Bei  solchen  Flüssen ,  die  wegen  ihres  Flugsandes 
berüchtigt  sind,  jagt  man  zuweilen  die  losen  Pferde  voraus,  damit 
sie  den  lockeren  Sand  feststampfen,  denn  sie  können  im  Falle  der 
Not  schwimmen.  In  der  Regel  findet  der  Übergang  da  statt ,  wo 
der  Fluss  am  breitesten  ist,  weil  es  da  am  flachsten  ist.  Ein  Über- 
gang über  einen  Gletscherfluss ,  der  sich  in  weiten  Verzweigungen 
über  eine  Stunde  ausbreitet,  kommt  einem  dagegen  wie  ein  Kinder- 
spiel vor,  auch  wenn  das  Wasser  fortwährend  über  den  Knien  zu- 
sammenschlägt. Im  Winter  bei  leichtem  Frost  sind  die  Gletscher- 
flüsse am  leichtesten  zu  passieren ;  im  Sommer  bei  Hitze  und  warmem 
Regen  schwer;  sind  sie  absolut  nicht  zu  durchreiten,  so  muss  man 
versuchen,  einen  Weg  über  die  Gletscher  selbst  zu  suchen.  Wer 
feste  Nerven,  einen  guten  Magen  und  einen  eisernen,  widerstands- 
fähigen Körper  hat ,  wird  auch  als  einfacher  Tourist  hier  auf  seine 
Kosten  kommen,  zumal  wenn  sein  Sinn  allem  Ungewöhnlichen  und 
Abenteuerlichen  noch  nicht  ganz  entfremdet  ist. 

Die  Geologen,  namentlich  Thoroddsen ,  haben  bewiesen,  dass 
Islands  Südküste  seit  dem  Ende  der  Eiszeit  sich  über  das  Meer 
erhoben  hat.  Das  niedrige  Küstenland  zwischen  den  Vorgebirgen 
Hjörleifshöfdi  und  higölfshöfdi,  zwischen  dem  Myrda/s-  und  Örcrfa- 
jökiill  ist  am  Schlüsse  der  Eiszeit  vom  ?^Ieer  bedeckt  gewesen.  Es 
ward  in  Norden  von  steilen  Felswänden  begrenzt,  die  deutliche 
Spuren  von  der  Arbeit  des  Meeres  an  sich  tragen,  Höhlen,  die  die 
Brandung  des  Meeres  gew'aschen  hat. 

Für  Geologen  ist  also  die  Südküste  von  grösstem  Interesse. 
Nirgends  sonst  in  Island  hat  man  so  leicht  Gelegenheit,  die  ge- 
waltige Tätigkeit  der  Gletscher,  Gletscherströme  und  Vulkane  zu 
studieren  und  Sandflächen  kennen  zu  lernen,  die  in  ihrer  Unwirtlich- 
keit eher  an  Afrika  und  Asien  gemahnen,  als  an  Europa.  Aber 
auch  für  den  Historiker  ist  ein  Besuch  dieser  Gegend  von  hohem 
Reize.  Hier  waren  die  ersten  Bewohner  gelandet,  hier  hatten  Iren 
und  Norweger  kurze  Zeit  zusammengesessen,  hier  war  also  die  älteste 


Geschriebene  Zeitungen.     Stand   der  Bildung.  77 

Bevölkerung  von  Island  ganz  gewiss  keine  rein  norwegische,  sondern 
irisches  und  germanisches  Blut  hatten  sich  hier  miteinander  gemischt. 
Hier  war  der  deutsche  Missionar  Dankbrand  998  von  Osten  her 
durch  das  Südland  zum  Althing  gezogen,  hier  hatte  der  erste  auf 
Island  getaufte  Einheimische  gewohnt,  Sidn-Hallr,  hier  waren  bis 
zur  Reformation  zwei  der  grössten  isländischen  Klöster  Kirkjiibmr 
und  Pykkvibo'r ,  und  hier  spielt  ein  grosser  Teil  der  Ereignisse  der 
Njdlssaga,  vor  allem  ihr  grossartiger  Schluss. 

Vor  allem  aber  musste  diese  Gegend  wegen  ihrer  abgeschiedenen 
Lage  noch  manchen  Ertrag  für  die  Volkskunde  abwerfen,  denn  hier 
haben  sich  natürlich  alte  Sitten  und  Bräuche  länger  erhalten  als 
anderswo. 

In  den  Skaptafells  sysla  leben  wirklich  noch  Menschen,  die 
von  den  Fortschritten  unserer  Zeit  keine  Ahnung  haben,  die  ausser 
ihrem  Hofe  höchstens  noch  die  Gebirgsweiden  und  die  nächste 
Kirche  kennen,  und  denen  das  übrige  Island  als  das  gelobte  Land 
gilt.  Dem  politischen  Leben,  das  sonst  die  Isländer  so  leiden- 
schaftlich erhitzt,  stehen  sie  gleichgültig  gegenüber.  Gedruckte 
Zeitungen  habe  ich  nur  vereinzelt  auf  den  Bauernhöfen  gefunden, 
ein  eigenes  Blatt  für  diesen  Bezirk  gibt  es  überhaupt  nicht.  Inter- 
essant war  mir  eine  geschriebene  Zeitung,  die  ich  auf  zwei 
Gehöften  antraf  {svettablad,  sveit  =  Distrikt) :  Jeder  Bauer  schreibt 
auf  seiner  Farm  die  Ereignisse  eines  längeren  Zeitraumes  oder  auch 
Gemeindeangelegenheiten  auf  und  tauscht  seinen  Bericht  gegen  den 
eines  anderen  ein,  so  bleibt  er  über  alles  ihn  Interessierende  leidlich 
auf  dem  Laufenden  und  erfährt  mitunter  auch  im  strengsten  Winter 
etwas  von  dem,  was  draussen  in  der  grossen  Welt  vorgeht. 

Ob  es  auch  hier,  wie  an  der  Hornküste,  noch  einige  ältere 
Leute  gibt,  die  nicht  lesen  können,  was  sonst  auf  Island  unerhört 
ist,  entzieht  sich  meiner  Beurteilung.  Nach  Bruun  haben  alle  Be- 
wohner von  ihren  Eltern  das  Lesen  gelernt,  und  zwar  nach  alten 
Andachtsbüchern,  aber  nicht  Rechnen  und  Schreiben.  Vor  Unter- 
schriften hatte  man  noch  vor  50  Jahren  einen  heillosen  Respekt, 
wie  es  ja  auch  bei  uns  noch  in  entlegenen  Winkeln  oft  genug  vor- 
kommt. Mit  der  Konfirmation  ist  die  Erziehung  gewöhnlich  ab- 
geschlossen. Postillen,  Gesangbücher  und  andere  religiöse  Schriften 
habe  ich  wiederholt  vorgefunden,  seltener  eine  ganze  Bibel.  Im 
Winter  sind  Hausandachten  üblich,  auch  die  alten  Sagas  werden 
dann  vorgelesen  oder  erzählt;  doch  sind  gedruckte  Sagas  seltener 
als  anderswo,  meist  werden  sie  von  Gehöft  zu  Gehöft  geliehen. 
Im  übrigen  steht  es,  wie  ich  glaube,  bei  der  heranwachsenden 
Generation  mit  dem  Schreiben  und  Rechnen  besser.  Die  Schreib- 
hefte der  Kinder,  die  ich  mir  angesehen  habe,  w^aren  sauber  und 
in  Ordnung,  die  Buchstaben  wie  gestochen;  auf  den  Rechnungen, 
die  ich  mir  für  Quartier  und  Kost  ausstellen  Hess,  habe  ich  fast  nie 


78  Treibholz.     Strandrecht. 

einen   Fehler    bemerkt.     Die  Aus.sprache    scheint    mir    etwas  anders 
zu  sein  wie   sonst,    mir   persönUch    jedenfalls    mundgerechter,    nicht 
so  lispelnd  und  schnell,    sondern  eher  rauh  und  bedächtig,  mehr  an 
die  der  Faeringer  erinnernd.     Über  Unreinlichkeit  habe  ich  nirgends 
auch   nur  im  Geringsten  zu  klagen  gehabt,    und   auch  mein  Führer, 
der  meist  mit  dem  Gesinde    zusammenschlief,    war    stets  zufrieden. 
Die    Lepra    kommt    nirgends    und    der    Hundewurm    nur   noch  ver- 
einzelt vor.    Die  kurze  Sommerzeit  wurde  nach  Kräften  ausgenutzt, 
und  wenn  ich  mich  meist  gegen  sieben  Uhr  erhob,  waren  die  Leute 
schon    lange    auf   dem   Tun  und   den  angrenzenden  Wiesen  mit  der 
Heuarbeit    beschäftigt.     Über    alles    Lob    ist    die    Gastlichkeit    und 
Hilfsbereitschaft    erhaben,    die    mir   durchweg    zuteil    geworden    ist. 
So  kärglich  auch  die  Natur  die  Bewohner  der  Skaptafells  sysla 
bedacht  hat,    ganz  vernachlässigt  hat  sie  sie  doch  nicht :    das  Holz, 
das  der  Wald  ihnen  schuldig  bleibt,  liefert  ihnen  die  Meeresströmung. 
Treibholz  {rekavidur)  wird  in  grossen  Mengen    an  die  Küste  an- 
geschwemmt,   meist    Nadelholz:    Fichten,    Tannen,    Lärchen,    doch 
auch  Laubholz :    Pappeln  und  besonders   Mahagoniholz.     Früher  hat 
man    ausschliesslich    den   Golfstrom    dafür   verantwortlich    gemacht, 
jetzt  weiss  man,  dass  auch  die  Polarströme  dabei  eine  Rolle  spielen. 
Nach    dem    schwedischen    Botaniker  Ingvarson    haben    die  Treib- 
hölzer  grösstenteils  ihren  Ursprung  in  Sibirien.     Ein  Teil  des  Golf- 
stromes   geht    vermutlich    an    der    Nordküste    Spitzbergens    hinauf, 
und    das    Treibholz    gelangt    dann    durch    den    Polarstrom    von    den 
Mündungen  der  sibirischen  Flüsse   über  Nowaja  Semlja   nach  Grön- 
land hin.     Von    dort    trifft    der  Polarstrom  mit  dem  Golfstrome  zu- 
sammen und  geht  mit  ihm  wieder  nach  Island,    den  Fsröern,   Nor- 
wegen   und   weiter   nordwärts.     Ich  war  oft  ganz  erstaunt    über  die 
Menge    der  Stämme,    die    den  Strand    bedeckten  oder   auf   den  Ge- 
höften  aufgeschichtet  lagen,    und  über    ihre  Dicke:    es    sind    meist 
unbehauene,    rindenlose    Bäume    mit  Wurzelknorren    und   Astenden, 
mit  Muscheln  und  Tang  bedeckt,  von  der  Luft  weissgrau  gebleicht. 
Sie  sollen  dauerhafter  und  zäher  sein  als  die  eingeführten  Bauhölzer 
und  werden  noch  heute,    wie   früher,    für    das  Haus   und  das  Haus- 
gerät verwendet ;    verfaulte   Stücke  und  alte  Stämme  sind  willkom- 
mener  Brennstoff.     Überall   findet  man  in  den  sonst  so  kahlen  und 
ärmlichen  Räumen  Möbel,    Tische    und    Kommoden    aus   Mahagoni- 
holz,   selbst  in  Ställen    kann    man  Pfosten   aus  diesem  Holz  sehen ; 
die    Bewohner    haben    offenbar  keine  Ahnung  von  dem  Werte,    den 
es  sonst    überall    auf   der  Welt    hat.     Auch  hier,    wie   an  der  Nord- 
küste,   wird   gleichwohl    darüber   geklagt,    dass    das  Treibholz   jetzt 
nicht  mehr  so  reichlich  sei  wie  früher;     es  nimmt  natürlich  in  dem 
Masse    ab,    wie    die  Wälder   ausgerodet    werden.     Vor    dem  Honia- 
fjördiir    wurde    vor    dreissig   Jahren    eine    Menge    Bambusrohr    an- 
geschwemmt und  von  den  Bewohnern  zur  Anfertigung  von  Gefässen 


Strandrecht.  79 

benutzt.  Der  Transport  der  Treibhölzer  nach  den  mehr  im  Innern 
gelegenen  Gehöften  ist  im  Sommer  sehr  schwierig;  im  Winter  wird 
er  mit  Schlitten  bewerkstelligt. 

Wem  gehört  das  angeschwemmte  Treibholz  ?  Als  die  ersten 
Ansiedler  sich  an  den  Küsten  niederliessen,  grenzten  sie  wohl  ihr 
Eigentum  ab,  trafen  aber  weder  Bestimmungen  über  das  Treibholz, 
das  in  unerschöpflichen  Mengen  antrieb,  noch  über  antreibendes 
Wrack  {vrdgrek,  jetzt  vogrek).  Etwa  940  wurde  gesetzlich  aus- 
gesprochen (Grettis  S.  12),  dass  ,,im  Zweifel  der  Strand  Pertinenz 
des  Grundeigentums"  sei  (Maurer,  Island,  S.  448);  auch  die 
Gesetzbücher  halten  diese  Regel  noch  fest.  Später  ist  das  Strand- 
recht häufig  von  dem  Grundbesitz  abgetrennt ;  es  kommt  vor,  dass 
Klöster  eine  stattliche  Reihe  von  Strandberechtigungen  in  fremden 
Gegenden  aufzuweisen  haben.  Der  Strandberechtigte  durfte  das 
Treibholz  mit  seiner  Marke  bezeichnen,  um  sich  dadurch  das 
Recht  auf  dasselbe  zu  sichern  für  den  Fall,  dass  es  wieder  weg- 
geschwemmt würde.  Heute  gehört  das  meiste  Treibholz  den  häufig 
fernliegenden  Kirchen,  die  für  billiges  Geld  die  Strandgerechtigkeit 
den  Angehörigen  des  Kirchspiels  verpachten. 

Ein  antreibendes  Wrack  gehört  nicht  dem  Strandberechtigten, 
sondern  dem  Grundeigentümer  zu;  dazu  wurden  Leichen,  Waren, 
andere  Güter,  Schiffsholz  und  verarbeitetes  Holz  gerechnet.  Alles 
dies  wurde  aber  nicht  ohne  weiteres  Eigentum  des  Empfängers, 
sondern  er  durfte  nur  soviel  behalten,  wie  zur  Bestreitung  der  Be- 
gräbniskosten nötig  war,  oder  wie  zu  verderben  drohte.  Konnte 
der  Besitzer  oder  dessen  Erbe  seine  Ansprüche  glaubhaft  nach- 
weisen, so  erhielt  er  seine  Sachen  zurück ;  erst  nach  fünf  Jahren, 
wenn  sich  niemand  meldete,  hatte  der  Grundeigentümer  Recht  auf 
das  übrige  Wrack.  Diese  Behandlung  des  Wracks  ist,  sagt  Maurer, 
ausserordentlich  mild  und  menschenfreundlich  und  sticht  auffallend 
ab  gegen  die  harte  Handhabung  des  Strandrechts  damals  in  andern 
Ländern  und  noch  heute  in  vielen  Gegenden.  Heute  steht  nach 
meinen  Erkundigungen  das  vogrek  in  der  Regel  dem  Besitzer  des 
Strandes  zu,  doch  so,  dass  der  Finder  oder  Berger,  namentlich 
wenn  das  Wrack  Gefahr  lief,  wieder  abgetrieben  zu  werden,  einen 
bestimmten  Anteil  erhält.  Es  kann  auch  sein,  dass  das  vogrek  an 
gewissen  Orten  einem  andern  wie  dem  Besitzer  zukommt ,  einem 
Privatmann  oder  vor  allem  einer  Kirche.  Weder  der  Syshtiiiadur 
noch  der  Distrikt  haben  Anteil  am  Wrack,  es  sei  denn,  dass  ein 
Wal  an  Land  treibt.  Die  naive,  grausame  Anschauung  des  Natur- 
menschen spricht  aus  folgender  Anschauung  eines  Bauern.  Wir 
hatten  über  den  gestrandeten  deutschen  Fischereidampfer  „Friedrich 
Albert"  gesprochen,  und  ich  meinte,  man  müsse  an  der  Südküste 
Leuchttürme    errichten,    auch   wenn    sie   noch  so  viel   kosteten,    um 


80  Der  Sölheimasandur. 

das  Scheitern  und  Stranden  zu  verhindern.  Da  erwiderte  er  ganz 
unbefangen:  „0  nein,  das  wäre  nicht  gut  für  uns,  damit  würde  uns 
viel  entgehen." 

6.  Juh. 

Nach  diesen  allgemeinen  Bemerkungen  kehre  ich  zu  der  Be- 
schreibung meiner  Reise  zurück.  Der  Sölheimasandur ,  den  wir 
nach  der  Überschreitung  der  Jökulsd  als  die  westlichste  der  Sand- 
wüsten der  Skaptafells  svsla  erreicht  haben,  erhebt  sich,  wie  sich 
Thoroddsen  ausdrückt,  schwach  kuppenförmig  gegen  den  Gletscher 
'gleichen  Namens  hinan  als  ein  flacher,  ungeheuer  grosser  Gruskegel, 
der  das  Tal  des  SölJieiniajökull  hinunter  geglitten  ist.  Die  Ent- 
stehung dieser  Sandstrecke  ist  nach  einer  alten  Sage  augenscheinlich 
durch  einen  Gletschersturz  bewirkt  worden  (Lnd.  IV,   5): 

Der  alte  zauberkundige  Löd iniindr  wohnte  in  Söl/ietniar,  ein  anderer,  nicht 
minder  zauberkundiger  Landnahmemann,  Prasi,  wohnte  in  Skögar.  Eines  Morgens 
bemerkte  Prasi,  wie  ein  gewaltiger  Wasserstrom  aus  einem  Gletscher  näher  und 
näher  kam.  Durch  seine  Zauberkunst  gab  er  der  Flut  eine  andere  Richtung,  so  dass 
sie  nach  Osten,  nach  Sölheimar  stürzte,  wo  LodDiundr  wohnte.  Aber  dessen 
Knecht  sah  das  und  erzählte  seinem  Herrn,  dass  das  Meer  von  Norden  auf  sie  los- 
käme. Lodmundr  war  blind  und  forderte  den  Knecht  auf,  ihm  einen  Eimer  Wasser 
von  dem  zu  bringen,  das  er  „Meer"  nannte;  als  er  zurückkam,  sagte  Lodmundr,  er 
glaube  nicht,  dass  es  Meerwasser  wäre.  Dann  Hess  er  sich  von  seinem  Knechte  nach 
dem  Wasser  hinführen,  „und  stecke  meinen  Stab  in  das  Wasser  hinein"  ;  an  dem 
.Stabe  war  ein  Ring,  Lodmundr  umfasste  den  Stab  mit  beiden  Händen  und  biss  in 
den  Ring :  da  begann  der  Wasserstrom  abermals  seine  Richtung  zu  ändern  und  ergoss 
sich  nach  Westen,  nach  Skögar.  So  trieben  Prasi  und  Lodmundr  abwechselnd 
das  Wasser  einander  zu,  bis  es  sich  in  einer  Kluft  traf  (dem  eigentlichen  Flussbette), 
und  sie  kamen  nunmehr  überein,  den  Strom  den  kürzesten  Weg  nach  dem  Meere  zu 
einschlagen  zu  lassen.  Dieser  Fluss  heisst  jetzt  Jökulsd  ä  Sölheimasandi  und 
trennt  das  Süd-  und  Ostviertel  von  einander." 

Noch  heute  heissen  zwei  Berge  an  jenem  Flusse  zur  Erinnerung 
an  jene  Zauberkünste  LodimindarscEti  und  Prasahdls.  Pfarrer  Jon 
Egilsson  erzählt,  vor  1500  sei  ein  Riesenweib  am  SölJieiinasmidur 
angetrieben  [Safii  Hl  sögu  Islands  I,  S.  46),  und  dass  abergläubische 
Gemüter  sich  hier  zauberkundige  Männer,  Riesen  und  Geister  wohn- 
haft dachten,  ist  nur  allzu  natürlich.  Die  Stimmung,  die  einen 
Reisenden  in  unseren  Tagen  in  dieser  schweigenden  Wüste  über- 
fällt, gibt  ein  Gedicht  von  Gri'inur   Tliovisen  trefflich  wieder: 

Sölheimasandur . 

(Mel. :  Du  gamla,   du  friska,  du  fjällhöga  Nord  .   .  . 

Du  Land  meiner  Väter,   du  felsiges  Land  [Schvved.  Volkslied],). 

So  reite  mit   mir  übern  Sölheimasand, 

Wo  die  Welle  rauscht  und  niemals  schweiget, 

Die  Jökulsd  spinnt  von  Eiswolle  ein  Band, 

Und  der  Gletscher  bis  dicht  ans  Meer  sich  neiget. 


Die  Kalla.     Nach  Vik.  81 

Und   Schweigen  hüllt  dort  die  Küste   ein, 
Kein  Laut  unterbricht  den  Frieden,   den  stillen, 
Die  Natur  spricht  dort  mit  sich  selbst  allein, 
Doch  nur  wenige  verstehen  ihren  Willen. 

Im  flotten  Trabe  ging  es  vorwärts.  Zwei  weitere  Küstenflüsse, 
der  KUfatidi  und  die  Hafursd,  die  die  östliche  Grenze  des  Sölheima- 
sandur  bildet,  wurden  ohne  jede  Schwierigkeit  überschritten.  Die 
Sonne  strahlte,  das  Wetter  ward  hell  und  heiter,  eine  SchnechüUe 
nach  der  andern  entschleierte  sich  und  offenbarte  ihre  reinen 
Formen,  ein  grüner  Gletscher  nach  dem  andern  tauchte  auf; 
Klippen,  die  weit  entfernt  waren,  schienen  in  nächster  Nähe  zu 
liegen,  und  manche  andere  seltsame  Bilder  zeigten  uns  die  Luft- 
spiegelungen: die  Wüste  glich  einer  überschwemmten  Ebene  mit 
vielen  zitternden  kleinen  Seen;  lange  Karawanen  von  kleinen  Last- 
tieren schienen  sich  am  Horizont  zu  bewegen,  wo  in  Wahrheit  kein 
lebendes  Wesen  war.  Vor  allem  suchten  unsere  Augen  natürlich 
die  beiden  grossen  Vulkane  des  Myrdalsjökiill,  den  Eyjafjallajökiill 
und  die  Katla.  Letztere  liegt  im  obersten  Teile  des  Firnbeckens 
des  Gletschers,  der  sich  östlich  von  der  Mitte  des  Myrdalsjdkull 
bis  zu  den  Sandwüsten  hinab  erstreckt,  unter  dem  Eise.  Sie  hat 
in  geschichtlicher  Zeit  zwölf  Ausbrüche  gehabt,  von  denen  der  erste 
ungefähr  900,  der  letzte  1860  stattfand.  Kafla  ist  eigentlich  ein 
Frauenname. 

Im  Kloster  Pykkvibccr  lebte  eine  zauberkundige  Haushälterin  mit  Namen  Katla. 
Sie  hatte  einst  im  Zorne  den  Schafhirten  in  einem  Bottich  mit  syra  ertränkt  (die 
Molken,  die  beim  Seihen  des  Skyr  ablaufen).  Als  die  Zeit  nahte,  wo  die  Leiche, 
da  die  syra  ausgetrunken  war,  gefunden  werden  musste,  zog  sie  schnell  ihre  Hexen- 
hosen an  —  eine  Art  Siebenmeilenstiefel,  um  die  sie  sich  mit  dem  Hirten  erzürnt 
hatte,  der  sie  heimhch  gebraucht  hatte  — ,  Hef  auf  den  Gletscher  und  stürzte  sich 
in  den  Kraterschlund.  Bald  hatte  der  Gletscher  den  ersten  „Lauf,  und  dieser 
richtete  sich  gegen  das  Kloster.  Man  schrieb  ihn  der  Hexe  zu,  und  die  Kluft  hiess 
seitdem  Kötlugjä  (Spalte  der  Katla)  und  die  verödete  Gegend  Kötlusandiir^). 

Als  ein  langes,  grünes  Tal  uns  aufnahm,  richteten  wir  unsere 
Blicke  auf  das  weite  Meer  und  gewahrten  mehrere  englische  Trawler, 
die  dicht  an  der  Küste  lagen  und  den  armen  Bewohnern  ihr  Eigen- 
tum vor  der  Nase  fortnahmen;  aber  wir  freuten  uns,  dass  der 
,,Zieten",  den  wir  hier  vermuteten,  sie  abfassen  würde.  Ganz  deut- 
lich waren  die  Vestmaiuiaeyjar  und  Dyrhölaey  zu  sehen,  die  uns 
vor  wenigen  Wochen  vom  Schiffe  aus  den  ersten  Anblick  von  Island 
gewährt  hatten.  Scharf  hob  sich  die  türartige  Klippe  ab,  die  aus 
dem  Wasser  emporragt  und,  wie  ihr  Name  andeutet,  eine  Passage 
hat,  durch  die  grössere  Fischerboote  fahren  können.  Auf  einer  Oase, 
am  Fusse  des  Reynisfjall,  machten  wir  Halt,  kochten  eine  Konserven- 
büchse,   die,    wie  gewöhnlich,  Frankfurter  Würstchen  und  Grünkohl 

1)  Jon  Arnason,  Ist.  Pjöcts.  I,  S.  184/85. 

Herr  mann,  Island  II.  O 


82 


Vik. 


enthielt ,    und 
Trinken  einen 
dem  Aufbruch 
dass    mir    ein 
zu  viel   war ; 
fest  und  tief, 

Auf  Schi 
paar  Strecken 


taten  zur  Vorsicht  in  das  eiskalte  Bergwasser  beim 
Schuss  Rum.    Aber  ich  war  in  den  lo  Tagen,  die  seit 

vergangen  waren,  so  des  Alkohols  entwöhnt  worden, 
Teelöffel  voll  Rum  in  eine  Kaffeetasse  Wasser  schon 
ich  schlich  mich  seitwärts  und  schlief  einige  Minuten 
was  ich  sonst  nie  während  des  Marsches  getan  habe, 
angenwegen   ging    es  dann  das  Reynisfjall  hinan;    ein 

mussten  wir  zu  Fuss  gehen,  den  Pferden  wurden  die 


F'g-  75-     ^'k  i  Myrdal. 

Zügel  Über  den  Kopf  und  die  Steigbügel  über  den  Sattel  geworfen, 
und  munter  suchten  sie  sich  selbst  den  Weg.  Dieser  war  steil  und 
schroff,  aber  höchst  malerisch:  grosse  Steinblöcke  hingen  drohend 
über  unseren  Häuptern,  und  Reiter,  die  uns  begegneten,  erschienen 
wenige  Minuten  darauf  unmittelbar  unter  unseren  Füssen.  Froh- 
lieh  trabten  wir  bergab,  bei  dem  ersten  statthchen  Hause,  das  wir 
erreichten,  schwenkte  der  Engländer  unserem  Kontrakt  gemäss  ab, 
wir  ritten  weiter  bis  unmittelbar  an  den  Strand  und  fanden  herz- 
liche Aufnahme  bei  dem  Faktor   Giimiarr   Ölafsson. 

In    Vik  wohnte    der    schon    oft    genannte    isländische  Arzt  und 
Naturforscher  Sveinn  Pälssun  1809 — 40;  er  war  ein  tüchtiger  Geolog 


Vik. 


m 


und  Botaniker  und  in  vieler  Beziehung  seiner  Zeit  weit  voraus;  er 
gab  zum  Beispiel  zuerst  eine  richtige  Erklärung  der  Bewegung  der 
Gletscher.  Der  Handelsplatz  V/'Jc  liegt  in  einem  schönen,  üppigen 
Tale,  die  lo — 12  Häuser  mit  ca.  loo  Einwohnern  sind  dem  Meere 
zugekehrt,  ringsum  erheben  sich  steile  Berge  (B"ig.  75j-  Auf  der 
offenen  Reede  in  der  kleinen  Bucht  können  bei  gutem  Wetter 
Handelsschiffe  anlaufen,  und  darum  wird  hier  im  Sommer  ein  nicht 


Fig.  76.     Brandung  bei  Vik  (Reynisdrängar). 


unbeträchtlicher  Handel  getrieben.  TV/l'  ist,  wie  gesagt,  die  einzige 
Stelle  an  der  ganzen  Süd-  und  Südostküste ,  wo  dies  möglich  ist, 
und  erst  bei  Hor7iafjördu)'  in  der  Aus  für  Skapfa/ells  sysla  können 
Schiffe  vor  Anker  gehen.  Nur  bei  Nordostwind  kann  man  in  den 
Hafen  einfahren.  Ausserhalb  des  Reyiiisfjall ,  das  die  Bucht  nach 
Westen  begrenzt,  erheben  sich,  gewissermassen  als  seine  Verlänge- 
rung, eine  Reihe  spitzer  Klippen,  die  Reynisdrängar ,  aus  dem 
Meere  (Fig.  76) :  drei  vielzackige,  schwarze  Felsenriffe. 

Nacli  der  Volkssage  ist  das  erste  Riff,  das  an  der  Spitze  in  3  Teile  gespalten 
ist,  ein  Schiff,  das  einen  jungen  Riesen  an  Bord  genommen  hat ;  das  Riff  dahinter  ist 
die  Frau  des  Riesen,  die  das  Schiff  in  seiner  Fahrt  aufzuhalten  sucht,  und  das  dicke 
Riff  soll  der  Sohn  des  Unholdes  sein.  Gerade  als  die  Riesin  das  Schiff  umstürzen 
wollte,  ging  die  Sonne  auf,  und  alle  drei  erstarrten  zu  Stein.  Ohne  diese  Volkssage 
zu    kennen,    sagt    Henderson  (I,    S.    341):   Diese    rohen    Felsen    haben    bei    nebligem 

6* 


84  Vik. 

Wetter  Ähnlichkeit    mit    einer  Flotte    von  Schiffen,    und    wirklich    hielt    ich    sie    selbst 
beim   ersten  Anblick  für  Schiffe. 

Nach  Osten  zu  fällt  dXo.  ArnarstakksJieidi  steil  nach  dem  Meere 
und  endet  in  den  sogenannten  Vikurkleitnr ,  von  Schluchten  und 
vorspringenden  Klippen  durchfurchten,  aber  meist,  selbst  im  Winter, 
mit  grüner  Angelika  bedeckten,  fast  senkrechten  Felswänden.  Diese 
Tufffelsen  mit  ihren  Sohlen  und  Absätzen  sind  von  unzähligen 
Scharen  schneeweisser  Vögel  belebt  (Procellaria  glacialis);  man 
rechnet,  dass  hier  allein  jährlich  im  Herbste  3000  erwachsene  Junge 
gefangen  werden. 

Das  Klima  beträgt  im  Winter  durchschnittlich  7 ",  selten  mehr, 
vor  einigen  Jahren  waren  allerdings  20°  Kälte. 

Unsere  erste  Frage  an  den  liebenswürdigen  Faktor  war,  ob 
der  kleine  Kreuzer  ,,Zieten"  hier  gewesen  wäre;  denn  wir  hatten 
verabredet,  •  uns  hier  zu  treffen,  damit  wir,  wenn  nötig,  unseren 
Proviant  ergänzen  könnten.  Das  Schiff  war  in  der  Tat  vor  2  Stunden 
draussen  gesehen ,  hatte  auch  verschiedene  Signale  gegeben ,  aber 
was  vor  wenigen  Stunden  noch  möglich  gewesen  wäre,  war  jetzt 
unmöglich.  Auch  am  nächsten  Morgen  konnten  wir  durch  das 
Fernglas  den  ,,Zieten"  draussen  manövrieren  sehen,  mussten  aber 
schweren  Herzens  die  Hoffnung  aufgeben,  ihm  in  Islands  Gewässern 
wieder  zu  begegnen. 

Von  dem  Hause  des  Faktors  ilihren  Schienenstränge  bis  weit 
auf  den  Strand  hinaus.  Als  ich  mich  ahnungslos  zu  weit  hinaus- 
wagte, kamen  einige  Wellen  wie  hohe  Mauern  unter  lautem  Donnern 
herangerollt,  schössen  über  die  Schienen  und  die  aufs  Land  ge- 
zogenen Boote  und  überfluteten  mit  ihrem  gelbweissen  Schaum  alles 
bis  unmittelbar  zu  der  Stelle,  wo  ich  war. 

Vor  dem  Hause  herrschte  noch  am  Abend  reges  Leben.  Kara- 
wanen, manche  20  Pferde  stark,  beladen  mit  Wolle  und  getrocknetem 
Fisch,  kamen  an  (man  nennt  einen  solchen  Zug  Packpferde  lest)^ 
und  die  Begleiter  wurden  von  den  Anwesenden  froh  mit  Kuss  und 
Handschlag  begrüsst.  Andere  Karawanen,  belastet  mit  Säcken  voll 
Zucker,  Kaffee,  Korn  und  sonstigen  Waren,  machten  sich  zum  Ab- 
schiede fertig  und  wollten  die  ganze  Nacht  hindurch  wandern. 
Allerliebst  sah  es  aus,  wie  die  Füllen,  nicht  grösser  als  Bernhardiner- 
hunde, neben  den  Stuten  umhersprangen.  Eine  solche  Handelsreise 
wird  in  diesem  Bezirke  nur  einmal  im  Jahre  unternommen,  sehr 
selten  zweimal ;  darum  stecken  die  Bauern  auch  bei  dem  Kaufmann 
nicht  in  Schulden  und  sind,  für  Islands  Verhältnisse,  nicht  arm. 
Kleine  Zelte  waren  aufgeschlagen,  aus  denen  lustiges  Lachen  und 
Scherzen  heraustönte ,  aus  einem  Hess  sogar  eine  Handharmonika 
ihre  quäkende ,  gedehnte  Stimme  erschallen ;  aber  kein  einziger 
Betrunkener  war  zu  sehen,  alle  Fröhlichkeit  hatte  ihre  Grenze,  und 
kein  Zank  und  Streit  kam  vor. 


Vik.  85 

Die  Faktorei  war  ein  recht  ansehnliches  Gebäude.  Das  Wohn- 
haus Hnks  war  ganz  komfortabel  eingerichtet,  so  wie  bei  uns  die 
besseren  bürgerlichen  Wohnungen.  Der  eigentliche  Laden  war  in 
einem  grossen,  zweistöckigen  Hause  untergebracht  und  war  ein 
Warenhaus  im  kleinen.  Hinter  den  hohen  Ladentischen  liefen  eifrig 
5  bis  6  junge  Leute  umher  und  häuften  geschäftig  Ballen  auf  Ballen, 
vieles  packten  sie  sogleich  in  die  roten  Packkoffer  ein.  Weiter 
nach  rechts  lagen  noch  einige  Speicher,  in  denen  noch  andere  Vor- 
räte aufgestapelt  lagen.  Man  konnte  an  dem  ganzen  Treiben 
merken,  dass  Käufer  und  Verkäufer  Vertrauen  zueinander  hatten 
und  miteinander  zufrieden  waren. 

Als  ich  vom  Pferde  stieg,  trat  ein  junger  Bursch  auf  mich  zu 
und  fragte:  „Sind  Sie  nicht  der  Deutsche,  der  vor  4  Wochen  in 
Reykjavik  war?"  Er  hatte  mich  trotz  der  Reiseausrüstung  wieder 
erkannt;  er  freute  sich,  dass  ich  mit  der  bisherigen  Tour  zufrieden 
war  und  wünschte  mir  göda  ferd  für  den  Skeidardrsandur  und  die 
Jökulsd  d  BreidaDierkursandi,  und  dabei  machte  er  eine  abwehrende 
Bewegung,  dass  die  Namen,  die  durch  ihre  Länge  schon  nicht  recht 
geheuer  aussehen,  mir  noch  gefährlicher  erschienen.  Ein  paar 
andere  junge  Leute,  mit  weissen  Drillichjacken  und  blauen  Militär- 
hosen, grüssten  ganz  nach  Soldatenart,  und  ich  wunderte  mich, 
woher  die  Polizisten  kämen;  denn  Soldaten  hat  doch  Island  gar 
nicht.  Erst  am  nächsten  Morgen  merkte  ich,  dass  es  dänische 
Soldaten  waren,  die  Offiziere  des  Generalstabs  begleiteten. 

Unser  Wirt  und  seine  Frau  waren  von  einer  Gastlichkeit  und 
Gefälligkeit,  die  uns  in  hohem  Grade  erfreuten.  Ein  Kaffee,  so 
vortreffHch,  wie  man  ihn  nur  in  Island  bekommt,  erschien  sofort 
auf  dem  Tisch  der  guten  Stube,  dazu  Natronkuchen  und  hinterher 
Zigarren;  die  Kiste  stand  während  unseres  ganzen  Aufenthaltes 
offen.  Zum  Abend  gab  es  Ragout,  Hummer,  Sardinen  usw.,  am 
nächsten  Morgen  gefüllten  Eierkuchen  und  für  jeden  eine  Flasche 
Bier,  die  natürhch,  obwohl  sie  ,, alkoholfrei"  war,  nach  so  langem 
Fasten  treffhch  mundete  —  und  der  Preis  für  die  Schlemmerei  und 
das  gute  Nachtlager.?  Drei  Kronen,  für  jeden  von  uns  eine  ganze 
Krone !  Ich  genierte  mich  ordentlich,  diese  lächerlich  geringe  Summe 
zu  bezahlen.  Von  der  Güte  seiner  Waren  konnte  ich  mich  über- 
zeugen, als  ich  unsere  Esskiste  bei  ihm  wieder  füllte;  wir  kautten 
2  Flaschen  Rotwein,  die  Flasche  zu  2  Kr.,  der  sogar  recht  gut  war, 
einige  Büchsen  Lachs,  i  Kr.,  und  100  Zigarren  zu  9  Kr.,  die  etwa 
einer  anständigen  deutschen  6  Pfennig-Zigarre  entsprachen. 

7.  Juli. 

Mein  Lager  war  mir  aus  den  Hochzeitsbetten  hergestellt,  wie 
die  schönen  Stickereien  und  die  grossen,  roten,  verschlungenen 
Monogramme  zeigten.     Eigentlich    sollte    heute  Ruhetag    sein,    aber 


%  Vik. 

das  Wetter  war  zu  verlockend,  und  so  gab  ich  Ögmundur  früh 
Befehl,  nach  den  Pferden  zu  sehen.  Um  1 1  Uhr  waren  sie  zur 
Stelle;  es  war  nicht  leicht  gewesen,  sie  aus  den  hohen  Bergen 
herunterzuholen,  und  in  dem  sie  vor  dem  Hause  umgebenden  Ge- 
dränge suchten  sie  sich  jeden  Augenblick  zu  drücken.  Es  war  ein 
Leben  wie  bei  uns  zur  Jahrmarktszeit,  nur  dass  der  ohrenbetäubende 
Lärm  der  ,, Musik"  fehlte.  Mit  ]\Iühe  gelang  es  uns,  unseren  treff- 
lichen Wirt  in  einem  unbeschäftigten  Augenblicke  abzufassen  und 
Abschied  von  ihm  zu  nehmen.  Dann  setzten  wir  uns  in  Bewegung 
und  wollten  gerade  aus  dem  Gehöft  abbiegen,  als  ich  plötzlich 
meinen  Namen  und  auf  gut  deutsch  die  Worte  höre:  ,, Warum  wollen 
Sie  schon  so  früh  fort-^^"  Ich  reisse  erstaunt  mein  Rösslein  herum 
und  sehe  vor  mir  einen  Hünen  mit  blondem  Vollbarte,  die  Soldaten- 
hosen in  Stiefeln,  einen  Sweater  statt  des  Waffenrockes.  Es  war 
Hauptmann  Hammershöj  vom  dänischen  Generalstabe,  der  schon 
früher  auf  den  Faeröern  mit  Triangulierungsarbeiten  beschäftigt  ge- 
wesen war.  Jetzt  sollte  er  mit  zwei  Kameraden  und  neun  Unter- 
offizieren die  Strecke  von  TV/f'  bis  zur  Jökulsd  d  Breidamerhir- 
sandi  aufnehmen,  nachdem  1903  die  Küste  von  Papös  bis  zur 
'Jökulsd  aufgenommen  war.  Schon  1S56  hatte  Lord  Du  ff  er  in  ge- 
sagt: ,,Die  Aufnahme  Islands  scheint  das  Steckenpferd  der  dänischen 
Regierung  gewesen  zu  sein  und  hat  eine  so  vollendete  Karte  ge- 
liefert, dass  jeder  kleine  Felseinschnitt,  jeder  Bergstrom,  jede  Lava- 
flut mit  bewundernswerter  Genauigkeit  darauf  angegeben  ist  (Aus 
hohen  Breitengraden,  1860,  S.  85).  Was  würde  er  zu  den  neusten 
Karten  des  Generalstabcs  sagen,  diesen  unerreichbaren  Mustern  an 
Genauigkeit,  Übersichtlichkeit  und  Sauberkeit!  Der  Hauptmann 
war  erst  spät  am  Abend  von  seiner  Arbeit  zurückgekehrt  und  hatte 
den  ganzen  Vormittag  zu  tun  gehabt.  Nun  war  er  frei  und  freute 
sich,  ein  verständiges  Wort  reden  zu  können,  und  ich  musste  gerade 
fort.  Er  bot  mir  Lebensmittel  und  Konserven  an,  w-as  ich  dankend 
ablehnte,  da  ich  reichlich  versorgt  war,  trug  mir  Grüsse  an  seine 
Kameraden  auf,  die  ich  in  einigen  Tagen  antreffen  würde,  und  dann 
schieden  wir  mit  einem  herzhaften  Händedrucke. 

Der  Weg  ging  anfangs  in  der  Nähe  des  Meeres  an  steilen,  grün 
bewachsenen  und  mit  Vogelguano  gedüngten  Felsen  vorüber.  In 
ihren  Spalten  sassen,  schnurrten  und  schrien  Tausende  von  Eis- 
sturmvögeln; ein  ohrenbetäubendes  Grrr  scholl  von  den  Nestern 
her,  und  aus  der  Luft  tönte  es  unablässig  Grab,  gra,  grab,  gra.  .  . 
Die  Eissturmvögel  legen  Mitte  Mai  ein  weisses,  nach  Moschus 
duftendes  Ei,  das  ihnen  von  den  Bewohnern  fortgenommen  wird; 
aber  Mitte  August,  wenn  die  Jungen  erwachsen  sind,  werden  sie 
massenweise  von  den  Vogelfängern  erschlagen,  die  sich  an  Tauen 
oft  80—90  Faden  tief  auf  die  Felsen  herablassen.  Ende  August 
ziehen  die  Vögel  fort,  kehren  aber  im  Dezember  zurück,  und  wieder 


Vik.     Myrdalssandur. 


87 


wird  ein  Teil  der  nun  ausgewachsenen  Tiere  gefangen,    mit  Vogel- 
stangen, an  deren  Ende  ein  sackförmiges  Nest  ist.     Auch  Papagei- 
taucher'waren  ziemlich  häufig  (Fratercula  arctica  glacialis);  preslur 
„Priester"  nennt    sie  der  Isländer    wegen    ihres    ernsten  Benehmens, 
cn-clle  rote  und  gelbe  Streifen  heben  das  sonst  weisse  und  schwarze 
Gefieder.     Sie    hockten    auf   kleinen    Vorsprüngen,    putzten    die   mit 
Erde    befleckten    Federn    und    drehten    den   dicken    Kopf  mit   dem 
starken    Schnabel,    der   dem   der    Papageien    ähnlich,    aber    an    der 
Spitze  nicht  umgebogen  ist.    Sie  scheinen  eine  wenig  friedenliebende 
Sippe  zu  sein,  ihr  ärgerliches  Knurren  drang  fortwährend    an   unser 
Ohr,  und  vor  den  Höhlen  zankten  und  stritten  sie  sich  mit  fremden 
Eindringlingen.     Sie  werden  gleichfalls   mit  Vogelstangen    gefangen, 
die  Jungen  werden  selten  herausgenommen.     Uria  Troile    aber,    die 
Lomme,  die  sonst  auf  den  isländischen  Vogelbergen,  namentlich  auf 
den    Vcsimannaeyjar   so   häufig  ist,    soll  hier  gar  nicht  vorkommen. 
Bald  begann  die  Wüste,  die  zweite  Sandstrecke  des  Südlandes, 
des   Myrdalssandur   oder   Köthisandur ,    der    sich    von   der    Arna- 
stakksheidi  bis  zum  Ki'idaßjöt  erstreckt  und  ein  Areal  von  600  qkm 
hat.      Diese    Strecke    steht    völlig    unter    der    Herrschaft    des    nahen 
Vulkans  Katla,    der  bei  Ausbrüchen  das    ebene  Land    mit  Wasser- 
fluten,  Eisstücken   und   Schutt   überschwemmt  und   mit  Asche    und 
Scorien    bedeckt.      Der    westliche    Teil    ist    ohne    alle    Vegetation, 
während    im    östlichen   Pflanzen    und    Gebüsch    gedeihen.      Nur    im 
Juni    und   Juli,    wenn    die    Handelsfahrten    nach    Vik    unternommen 
werden,  ist  etwas  Leben  in  dieser  Ode. 

Eine  Menge  recht  ansehnlicher  Gletscherflüsse,  die  fast  alle  auf 
dem  Myrdnlsjökull  entspringen,  durchströmen  die  Wüste  mit  weiten 
Verzweigungen  und  oft  veränderten  Flussbetten.  Ögmundur 
zählte  mir  die  auf,  die  wir  heute  zu  passieren  hatten :  Kerlingardalsd 
(Altweiberfluss),  MülakviSl  (die  Grimsd  der  Landndma?),  die  aus 
der  Kötlugjd  direkt  stammt,  früher  Höfdd  hiess  und  sich  später 
mit  dem  Sandvatn  vereinigt,  ferner  die  Eyjard  (Inselache)  und 
Jökulvatii  oder  Nyvatn  (Neuwasser);  den  südlicheren  Dyralcrkur, 
die  Lcird  und  die  Skdlm,  die  im  NO.  fliessen,  berührten  wir  nicht. 
Aber  die  Angabe  meines  Führers,  obwohl  sie  durch  die  Karte  von 
Björn  Gunnlaugsson  unterstützt  wird,  bewahrheitete  sich  nicht: 
eine  Eyjard  gibt  es  nicht  mehr,  und  das  Jökulvatn,  das  bei  dem 
Ausbruche  1823  gebildet  wurde,  ist  verschwunden;  auch  muss  die 
j\Iülakvi'sl  früher  östlicher  geflossen  sein. 

Wir  lenkten  unseren  Kurs  nach  Norden  und  ritten  durch  den 
mit  Geröll  angefüllten  Ker Ungar dahir,  der  früher  ein  Fjord  ge- 
wesen ist,  Kerhngarfjördur  (Lnd.  IV,  13)  und  seinen  Namen  da- 
her hatte,  dass  bei  dem  Schiffbruche  des  Eysteinn,  der  hier  Land 
nahm,  ein  Weib  an  Land  trieb,  „da  wo  jetzt  der  Höfdasandr  ist". 
Ögmundur  machte  darauf  aufmerksam,    dass   man   an    den    grün- 


88  Kerlingargördr.     Hjörleifshöfdi. 

bewachsenen  Bergwänden  die  Lage  des  Fjordes  und  auch  den  Weg 
noch  erkennen  könnte,  der  von  ihm  über  die  Berge  führte.  Aber 
die  Vogelberge  des  Kerlingarfjördr,  die  einst  weit  ins  Meer  hin- 
aus ragten,  sind  jetzt  durch  breite  Sandebenen  völhg  miteinander 
verbunden.  Eggert  Ölafsson  erzählt,  dass  noch  zu  seiner  Zeit  die 
ältesten  Leute  sich  erinnerten,  dass  vor  60  Jahren  (d.  h.  also  im 
Anfange  des  18.. Jahrhunderts)  das  Meer  bis  an  die  Öffnung  des 
Tales  gereicht  habe,  und  dass  das  Wasser  noch  so  tief  gewesen 
sei,  dass  man  auf  den  Klippen  mit  Angeln  fischen  konnte  (II,  S.  121). 
Doch  ist  kaum  zu  glauben,  dass  sich  die  ehemalige  Lage  des 
Fjordes  noch  bestimmen  lässt.  Denn  als  das  Buch  von  der  Be- 
siedlung Islands  aufgezeichnet  wurde,  war  er  schon  durch  Gletscher- 


Fig.   77.     Hjörleifshöfdi. 

stürze  aus  der  Katla  ausgefüllt,  und  bei  dem  Ausbruche  von  1660 
ergossen  sich  neue  Gletscherfluten  mit  Gestein  und  Sand  in  den 
Fjord:  wo  man  früher  bei  einer  Tiefe  von  20  Ellen  im  Meere  ge- 
fischt hatte,  entstand  trockncr  Ufersand,  und  der  Strand  nahm  an 
fast   1000  m  in  das  Meer  hinein  zu. 

Die  ganze  Gegend  überhaupt  hat  früher  ein  anderes  Aussehen 
gehabt.  Kap  Hjörleifshöfdi^  das  sich  jetzt  eine  ziemliche  Strecke 
landeinwärts  befindet  und  durch  eine  vorgelagerte,  3  km  breite 
Sandstrecke  vom  Meere  getrennt  ist,  lag  zur  Zeit  der  Besiedlung 
Islands  an  einem  Fjord  ganz  am  Meere  (Fig.  ']']\,  einige  spitze 
Klippen  rings  um  das  Vorgebirge  erinnern  noch  daran,  dass  das 
Meer  einst  ganz  hierher  reichte;  nach  den  dänischen  hydrographischen 
Untersuchungen  findet  sich  ausserhalb  von  Hjörleifshöfdi  die  sog. 
Reynis-T'xQ.{Q.^   5  Seemeilen  lang,  4  breit  und  ca.  20  Faden  tief. 


Myrdalssandur.  89 

In  (^Geschichtlicher  Beziehung  ist  diese  Gegend  besonders  inter- 
essant als  Schauplatz  der  verschiedenen  Händel  und  des  Todes  des 
ersten  Ansiedlers  Iljörleifr. 

Hier,  wo  damals  noch  der  Kerlinga rfjördr  war,  landete  874  Ingölfs  Genosse, 
Hjörleifr,  wurde  aber  im  nächsten  Frühling  von  seinen  irischen  Knechten  in  einem 
Wald  in  der  Nähe  erschlagen.  Die  Knechte  flüchteten  darauf  auf  die  Vestmanna 
eyjar,  wurden  hier  aber  von  Ingölfr  aufgesucht  und  getötet.  Bei  der  Abreise  aus 
Norwegen  hatte  Hjörleifr  den  Göttern  nicht  opfern  wollen,  darum  sagte  sein  Freund 
und  Reisegefährte  bei  seinem  Tode:  „Welch  trauriges  Los  für  einen  so  edlen  Mann, 
durch  die  Hand  elender  Knechte  zu  fallen!  Aber  so  seh'  ich  es  jedem  ergehen,  der 
nicht  den  Göttern  opfern  will!"  Auf  dem  höchsten  Punkte  des  Kaps  Hjörleifshü/ili 
wird  eine  H/Örleifsvarctci  gezeigt,  wo  der  erschlagene  Wiking  von  seinem  Freunde 
begraben  sein  soU^). 

Jeder  Reisende  wirft  auf  das  ziemlich  junge  Steindenkmal  ein 
paar  Steine.  In  diesem  Brauche  lebt  eine  alte  religiöse  Anschauung 
fort;  ursprünglich  wollte  man  die  Seele  des  übelwollenden  Toten 
durch  die  Last  der  auf  ihm  ruhenden  Steine  in  seinem  Grabe  fest- 
bannen; später  ward  der  Steinwurf  zum  Opfer,  das  bei  Vermeidung 
von  Strafe  von  dem  Verstorbenen  gefordert  wurde. 

Nach  Hjörleifs  Tode  wagte  keiner,  aus  Furcht  vor  den  Landgeistem,  östlich 
von  der  Grimsä  (heute  Millakvisl)  Land  zu  nehmen,  bis  Ölver  diese  Strecke  in 
Besitz  nahm  und  sich  in  {Hjörleifs-]  Höfdi  niederliess  (Lnd.  IV,  13).  Zwischen  der 
Grimsä  und  Kerlingarä  nahm  Sigmnndr  Kleykir  Land,  und  Björn  zwischen  der 
Kerlingarä  und  Hafrsd.  Aber  schon  die  ersten  Bewohner  sollten  die  verheerenden 
Ausbrüche  des  Vulkans  hier  kennen  lernen  (gegen  900).  Molda-Gnilpr  nahm  Land 
zwischen  dem  Kudafljöt  und  der  Eyjarä  und  ganz  Alptaver.  Die  Gegend  war 
ziemlich  dicht  bevölkert,  damals  war  hier  auch  ein  grosser  See,  und  viele  Schwäne 
wurden  auf  ihm  gefangen;  wie  der  Name  Myrdalr  zeigt,  muss  der  Boden  aus  Moos 
bestanden  haben,  das  wohl  mit  Gras  bewachsen  war.  Aber  bei  den  herausbrechenden 
Lavaströmen  aus  der  Eldgjä  mussten  die  Bewohner  nach  Westen,  nach  Höfdabrekka, 
flüchten  und  schlugen  da  Zelte  auf  (Lnd.  IV,  12).  Hrafn  hafmirlykill  nahm  Land 
zwischen  der  Hölinsä  und  Eyjard  und  wohnte  zu  Dynskögar.  Er  sah  aber  richtig 
voraus,  dass  ein  vulkanischer  Ausbruch  diesen  Ort  vernichten  würde  und  siedelte 
darum  nach  Lägey  über  (=  flacher  See,  westlich  von  der  Eyjard,  Lnd.  IV,  12). 
Bei  diesem  Ausbruch  wurde  das  ganze  Land  zwischen  der  Eyjarä  und  Hölmsd  bis 
zum  Flusse  Skälm ,  sowie  ein  ganzer  Bezirk,  das  Dynskögahverß ,  verwüstet  und 
hierdurch  der  Myrdalssandur  gebildet.  Von  dem  Ausbruch  der  Kalla,  bei  dem 
der  Sölheimasandur  entstand,  habe  ich  früher  erzählt.  131 1  wurde  der  Bezirk 
Lägeyjarhverfi  verwüstet,  zwischen  Eyjarä  und  Midakvisl,  51  Gehöfte  stürzten 
bei  dem  Erdbeben  ein.  Bei  der  fünften  Eruption  nahmen  die  Wasserfluten  die  Rich- 
tung nach  Kap  Hjörleifshöfdi  (daher  heisst  der  Ausbruch  Höfda/dattp) ,  bei  der 
achten,  1600,  rissen  die  Fluten,  mächtige  Eisblöcke  einherwälzend,  die  Kirche  von 
Höfdabrekka  mit  sich  fort,  und  man  sah  sie,  von  Eismassen  umgeben,  weit  in  die 
See  hinaustreiben. 

Der  Pfarrhof  Höfdabrekl^a,  an  dem  wir  auf  langen  Serpentinen 
vorbeikamen,  wurde  wieder  aufgebaut  und  liegt  jetzt  1 50  m  ü.  d. 
M.,  um  den  Gletscherstürzen  der  Katla  zu  entgehen.  Die  Aussicht, 
die  man  von  dem  hohen,    schön    bewachsenen  Berge  geniesst,    geht 


1)  Kaalund,   II,   S.  338;   Kahle,  Z.   d.  V.   f.  V.  XII,   S.  205,  322. 


90  Myrdalssandur.     f*ykkvibaer. 

nach  Osten  weit  über  den  ganzen  Myrdalssandur,  und  am  Meere 
taucht  Hjörleifshöfdi  auf.  Wunderbar  war,  dass  uns  fortwährend, 
obwohl  wir  doch  zwei  Meilen  vom  Meere  entfernt  waren,  Eissturm- 
vögel begleiteten. 

Die  einzige  Abwechslung  in  der  graslosen  Öde,  die  uns  nach- 
her aufnahm,  bot  das  Durchreiten  der  in  vielen  Verzweigungen  aus 
dem  Katlagebiete  stammenden  Gletscherströme,  die  unangenehm 
trüb  aussahen  und  reissend  dahinschossen.  Sehr  angenehm  emp- 
fanden wir,  dass  von  Zeit  zu  Zeit  lange  Stangen  (stika)  in  der 
Wüste  errichtet  waren,  um  bei  Finsternis,  Nebel,  Schnee-  und  Sand- 
stürmen dem  Reisenden  einen  Anhalt  für  die  Richtung  in  dieser 
absolut  flachen  Gegend  zu  gewähren.  Auch  am  nächsten  Tage 
trafen  wir  diese  Wegweiser  jenseits  des  Küdafljöt.  Henderson 
erwähnt,  dass  auch  in  den  Flüssen  solche  langen  Stangen  in  ver- 
schiedenen Entfernungen  eingerammt  seien,  um  die  bequemsten 
Durchgangsstellen  zu  bezeichnen  (I,  S.  327).  Ich  habe  sie  nirgends 
mehr  vorgefunden  und  meine  auch,  dass  sie  bei  der  fast  täglichen 
Veränderung,  die  die  Gletscherbäche  erleiden,  den  Fremden  eher  in 
Gefahr  locken,  als  ihm  die  Richtung  angeben^). 

Gegen  zwei  Uhr  machten  wir  Halt,  da,  wo  einst  das  Kloster 
PykkvihcFr  gestanden  hatte.  Der  Tag  war  überaus  herrlich ;  von 
Westen  her  tauchten  mächtige,  dunkelblaue,  mit  Schneefurchen 
durchzogene  Gletscher  auf,  die  runden,  glitzernden  Gipfel  der  Katla 
wurden  frei,  und  allmählich  ward  in  weiter  Ferne  ein  Schneeberg 
nach  dem  andern  sichtbar,  von  denen  namentlich  einer  in  seiner 
weissen  Keuschheit  an  den  Johannisberg  im  Gross-Glockner-Gebiet 
erinnerte.  Riesige  Gletscher  leuchteten  von  Nordosten  her,  und  vor 
allem  baute  das  breite,  ungeheure  Massiv  des  Vatnajökiill  mit  seiner 
höchsten  Erhebung,  dem  eisgepanzerten  Örcc/ajokull,  der  wie  ein 
ungeheures  Vorgebirge  über  die  Schneefelder  hinausragt,  sich  immer 
deutlicher  und  gigantischer  vor  uns  auf. 

Hier  ist  auch  der  Schauplatz  für  den  dritten  Missionsversuch, 
der  auf  Island  von  Pangbrandr  unternommen  wurde. 

Im  Frühjahr  998  zog  er  vom  Beritfjörctr  über  Stafafdl  und  Svinafell  nach 
Skögarhverß  (Waldbezirk)  und  wohnte  in  Kirkjiiba'T  bei  einem  Manne,  dessen 
Vorfahren  bereits  Christen  gewesen  waren  (Ketill  enn  fiflski,  s.  u.).  Von  da  ging  er 
weiter  nach  Höfitabrekka.  Im  Kerlingardalr  wohnte  ein  Mann,  Galdra-Hedinn 
(Zauber-),  mit  ihm  schlössen  die  Heiden  einen  Vertrag,  dass  er  Dankbrand  und  seine 
Gesellschaft  töten  sollte.  Er  ging  hinauf  auf  Arnastakksheidi  und  richtete  da  ein 
grosses  Opfer  her,  als  Dankbrand  von  Osten  herritt.  Da  barst  [durch  die  Zauber- 
kunst des  Hediiin]  die  Erde  auseinander  unter  seinem  Pferde,  er  aber  sprang  vom 
Pferde  und  kam  auf  den  Rand  zu  stehen.  Die  Erde  aber  verschlang  das  Pferd  mit 
allem  Reitzeug,  und  sie  sahen  es  nicht  wieder  (Njäls  S.  102).  Einer  von  Dankbrands 
Begleitern    fand    den    Galdra-Hedinn    auf  der  Heide,    kam    auf  Schussweite    auf  ihn 


1)  Zu  Lnd.  III,  6  vergl.  oben  I,   Kap.  VI,   S.   289. 


t'ykkvibser.     Njälssaga.  91 

heran,  schoss  mit  dem  Speere  nach   ihm  vmd   durchbohrte  ihn.     Dankbrand  zog  weiter 
nach  Bergpörshvoll  und  bekehrte  den  Njall  mit  allen  seinen  Hausgenossen. 

Wir  haben  zuletzt  den  Teil  der  Njälssaga  erzählt,  in  dem 
Flosi  mit  seinen  Leuten  Njdll  überfällt  und  Feuer  an  sein  Haus 
legt.  Die  Ar/iastakksheidi  ist  der  Schauplatz  der  weiteren  Ver- 
wicklungen. 


t>" 


Trotz  des  Vergleiches,  der  nach  heftigem  Kampf  auf  dem  Althing  geschlossen 
war,  wollte  Knri  Sölmitiidarsoil ,  Njdls  Schwiegersohn,  der  allein  dem  Mordbrand 
entronnen  war,  auf  eigene  Faust  Rache  üben.  Seine  Rache  an  FloSi  und  seiner 
Schar  bildet  den  Schluss  der  Saga,  und  wichtige  Ereignisse  spielen  hier.  Kurz  nach 
den  Gerichtsverhandlungen  auf  dem  Althing  gelingt  es  Käri  und  Porgeirr  skorargeirr 
einen  Teil  der  Brandstifter,  nämlich  die  Sigfüssöhne,  zu  überfallen  ,  die  sich  auf  dem 
Wege  nach  Höfitabrekka  im  Kerlingardalr  zum  Schlafen  hingelegt  hatten.  Käri 
und  Porgeirr  waren  über  die  Amasiakksheidi  geritten ,  aber  die  Kerlingardalsä 
war  zu  stark  angeschwollen,  als  dass  sie  sie  passieren  konnten.  Da  sahen  sie  höher 
herauf  an  dem  Flusse  gesattelte  Pferde  stehen.  Sie  ritten  dorthin  und  fanden  hier 
in  einer  Vertiefung  die  Sigfüssöhne  schlafen;  ihre  Spiesse  standen  zu  ihren  Füssen. 
Sie  nahmen  die  Speere  und  schleuderten  sie  in  den  Fluss.  „Sollen  wir  sie  wecken?" 
fragte  Porgeirr.  Käri  antwortete:  „Schlafende  Männer  darf  man  nicht  überfallen", 
und  sie  drangen  nicht  eher  auf  ihre  Feinde  ein,  als  bis  diese  sich  gerüstet  hatten. 
Käri  tötete  Sigmundr  Lambason,  Mördr  Valgardsson,  Porgeirr  schlug  Porkeil 
Sig/tisson  nieder.  Da  riefen  sie:  „Lasst  uns  zu  unsern  Pferden  eilen,  gegen  diese 
Übermenschen  vermögen  wir  nichts  auszurichten."  Da  stürmten  sie  nach  ihren  Pferden 
und  schwangen  sich  auf  sie.  Zehn  Brandstiiter  hatten  ihr  Leben  gerettet ,  sie  ritten 
nach  Svinafell  und  kündeten  Flosi  die  traurige  Mähr'.  „Das  war  zu  erwarten", 
meinte  Flosi,   „in  Zukunft  zieht  nicht  mehr  so  sorglos  einher"   (Njäls  S.    146). 

Pykkvabcr/är  -  Klmistur  war  seinerzeit  eines  der  grössten 
Klöster  gewesen,  hoch  berühmt  durch  seine  reiche  Bibliothek. 
Dieses  Aueustinerkloster  ist  1 168  von  einem  reichen  Besitzer  des 
Hofes,  der  ,, Christus  und  seine  Heiligen"  zu  Erben  einsetzte,  ge- 
stiftet worden.  Das  zweite  Augustinerkloster  wurde  1172  auf  der 
Insel  Flatey  im  Breidifjördur  gegründet,  aber  1184  nach  Helgafell 
verlegt,  das  dritte  1226  auf  der  Insel  Videy,  und  das  vierte  1295 
oder  1296  zu  Mödritvellir.  Das  letzte  Augustinerkloster,  zugleich 
das  letzte  Kloster  auf  Island  überhaupt,  wurde  1493  in  Skrida  im 
Fljötsdalr  errichtet,  die  dazu  gehörige  Kirche  wurde  erst  1512  ein- 
geweiht. Nach  Einführung  der  Reformation  wurde  das  Kloster 
Pykkvibcer  aufgehoben. 

Bei  den  isländischen  Klosterleuten  zeigte  sich  frisches  und  freies 
geistiges  Leben.  Die  Klöster  waren  die  Pflegestätten  der  Gelehr- 
samkeit und  Literatur,  und  zwar  einer  durchweg  nationalen  Literatur. 
Es  ist  ganz  gewiss  richtig,  dass  Island  dem  katholischen  Priestertum 
hauptsächlich  die  Begründung  und  Blüte  seiner  älteren  Literatur, 
vom  Ende  des  11.  bis  zur  Mitte  des  16.  Jahrhunderts,  verdankt. 
Seit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts,  als  sich  die  Skaldenkunst 
inhaltlich  überlebt  hatte,  wurden  auch  kirchliche  Stoffe  von  geist- 
lichen   Skalden   behandelt.     Der   Kanonikus    Gaiiili   von    Pykkvibccr 


92  f*ykkvibaer  als  Sitz  der  Gelehrsamkeit.     Lilja    des  Eysteinn  Asgrimsson. 

dichtete  in  der  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  ein  Preislied 
auf  den  Apostel  Johannes  im  skaldischem  Versmasse  und  das  Lied 
„Sonne  in  Leiden",  eine  geistige  Betrachtung  von  Christi  Leiden 
und  Sterben,  seiner  Auferstehung,  Himmelfahrt  und  Wiederkunft 
am  jüngsten  Tage.  In  Pykkvibo'r  ist  auch  in  der  ersten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  die  Messiade  Islands  entstanden,  die  Lilja  des 
Augustinermönches  Eysteinn  Asgrimssoji,  das  innigste,  kunstvollste 
Gedicht  des  Mittelalters  ^).  Wie  berühmt  es  geworden  war,  zeigt 
das  Sprichwort  ,, Jeder  Skalde  möchte  die  Lilie  gedichtet  haben", 
und  es  wurde  bald  ein  richtiges  Volksbuch,  das  ganz  oder  teilweise, 
von  Einzelnen  wie  von  ganzen  Familien  gebetet  wurde,  von  manchen 
täglich,  von  andern  wenigstens  einmal  in  der  Woche  vorgelesen  wurde, 
und  ein  Versäumnis  hierin  galt  noch  nach  der  Reformation  geradezu 
als  ein  Zeichen  geringer  Frömmigkeit. 

Aber  auch  durch  seine  Gelehrsamkeit  war  das  ,, Kloster  iVeri''\ 
wie  es  auch  genannt  wurde,  berühmt.  Porldkr  Pörhallsson  der 
Heilige  (Bischof  von  Skdlholt  1178—93),  der  in  Paris  und  Lincoln 
studiert  hatte,  half  dem  greisen  Gründer  des  ersten  Augustiner- 
klosters in  Pykkvibcrr  bei  der  Ausführung  dieses  Planes  und  über- 
nahm 1168  erst  als  Prior,  dann  1172  als  Abt  die  Leitung  des 
neuen  Konvents.  Er  war  wissenschaftlich  hochgebildet  und  allen 
seinen  Zeitgenossen  gewachsen,  ein  Musterbild  priesterlichen  Lebens, 
aber  allem  weltlichen  Treiben  abgeneigt.  Eine  förmliche  Kanonisation 
durch  den  Papst  fand  nicht  statt,  doch  wurde  gegen  die  ihm  er- 
wiesene Verehrung  auch  kein  Einspruch  erhoben^).  Yon  AhtBrandr 
Jönsson,  der  später  Bischof  wurde,  wissen  wir,  dass  er  während  der 
Jahre  II 47 — 62  der  dortigen  Schule  sein  besonderes  Augenmerk 
zuwandte ;  seine  Kunstfertigkeit,  sein  Geschick  im  Schreiben,  dann 
aber  sein  Verständnis  in  allen  Zweigen  der  Büchergelehrsamkeit, 
besonders  in  der  Geschichte,  wird  hochgerühmt ;  er  übersetzte  z.  B. 
für  den  norwegischen  König  Magnus  die  Geschichte  Alexanders 
des  Grossen  und  mehrere  andere  römische  Schriftsteller  ins  Islän- 
dische. Der  spätere  Abt  von  Pykkvibmr  Runölfr  Signmndsson 
war  sein  tüchtigster  Schüler.  Lmirentiiis  Kdlfsson,  früher  Lehrer 
an  der  Domschule  zu  Hölar,  hielt  später  in  Pykkvibcrr  zum  Besten 
vieler  Schüler  und  Klosterleute  Schule,  übernahm  dann  den  Unter- 
richt der  Konvcntualcn  und  sonstiger  Schüler  zu  Miinkapverd. 
Hier  wurden  auch  um  die  Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  die 
ersten  Versuche  gemacht,    die  Bibel  in  die  Landessprache  zu  über- 


' )  Eirikur  Magnüsson,  An  icelandic  religious  poem  of  the  fourteenth  Century  . . . 
London  and  Edinburgh  1870.  Nachdichtung  von:  Baumgartner,  Die  Lilie.  Islän- 
dische Mariendichtung  aus  dem    14.  Jahrhundert.     Freiburg   1884. 

2)  Über  die  Porläksmessa  vergl.  Lehmann-Filhcs,  Isl.  Volkssagen  II, 
S.   264  f. 


J'ykkvibaer  als  Sitz  der  Gelehrsamkeit.     Reichtum  des  Klosters.  93 

setzen.  Endlich  war  aucli  der  Verfasser  der  Njdlssaga  oder  der 
Vereiniger  der  Giinnarssaga  mit  der  Njdlssaga,  wie  sie  jetzt  vor- 
liegt, nach  einer  recht  ansprechenden  Vermutung  Kaalands  (11,327) 
ein  Geistlicher  des  Augustincrklosters  zu  fykkvilxrr,  wo  um  die 
Mitte  des  dreizehnten  Jahrhunderts  die  erwähnten  Brandr  Jönsson 
und  Runölfr  Sigmundsson  als  Äbte  wirkten.  Schliesslich  war  auch 
Jon  Jönsson,  Bischof  von  Hölar  (1424—27),  früher  Abt  von  Pykk- 
vibcer  gewesen. 

König  Kristian  III.  von  Dänemark  verfügte  am  I.Februar  1541, 
dass  die  Klöster  Pykkvibccr,  Kirkjubccr  und  Skrida  Volksschulen 
werden  sollten,  später  wurden  sie  unter  dem  Titel  ,,Redemptur" 
vermietet,  der  Ertrag  dem  königlichen  Schatze  zugewiesen  und  das 
Kloster  selbst  von  einem  königlichen  Administrator  verwaltet. 

Während  die  niedrige,  sumpfige  Stelle,  wo  einst  das  Kloster 
stand,  heute  kaum  noch  zum  dauernden  Wohnen  einladet,  muss  es 
früher  wohlhabend,  wenn  nicht  reich  ausgestattet  gewesen  sein. 
Das  Kloster  hatte  24  Kühe  auf  dem  Heimland  und  5  auf  den 
Aussenlanden,  23  Ochsen,  2  Stiere,  25  jährige  Rinder  und  22  Kälber, 
ferner  220  Milchschafe  daheim  und  160  auf  den  Aussenlanden, 
95  ältere  Hammel,  257  jährige  Schafe,  60  Jährlinge  mit  Lämmern 
und  215  Lämmer  auf  der  Weide,  endlich  39  Pferde  (Dipl.  Isl.  I 
Nr.  48,  S.  252,  Nr.  100,  S.  396).  1340  war  der  Bestand  des  Klosters 
an  Betten  und  Wandteppichen  bedeutend,  ebenso  gab  es  eine  Menge 
Messgewänder  und  Kircheninventar,  darunter  verschiedene  Heiligen- 
bilder. Eine  stattliche  Anzahl  Rindvieh  wurde  gehalten  ■ —  darunter 
43  Kühe  auf  dem  Heimlande  — ,  und  viele,  zum  Teil  weit  entfernt 
liegende  Gehöfte  hatten  Abgaben  zu  zahlen.  Reese^n  erwähnt  in 
seiner  Descriptio  nova  Islandiae  (1681 — 88),  dass  ein  Mann  im 
Kloster  Pykkvibar,  der  Missetaten  auf  dem  Gewissen  hatte,  einst 
einen  kurz  vorher  Begrabenen  erweckt  habe,  um  von  ihm  zu  er- 
fahren, wie  es  ihm  ergehen  würde.  Als  aber  der  Erweckte  erschien, 
ganz  russig  und  schwarz  von  Rauch  und  Feuer,  erschrak  jener  der- 
massen,  dass  er  den  Verstand  verlor  ^). 

Die  vulkanischen  Ausbrüche  haben  aber  diese  Gegend  furchtbar 
mitgenommen.  Bei  der  sechsten  Eruption  der  Kafla  1580,  die 
durch  heftigen  Aschenregen,  Rauchsäulen  und  mächtige  Ströme 
geschmolzenen  Eises  ausgezeichnet  war,  überschwemmte  ein  Strom 
das  Kloster,  der  andere  ergoss  sich  über  den  Myrdalssandur. 
Beim  achten  Ausbruch  der  Kafla  1625,  der  zwölf  Tage  anhielt, 
und  bei  dem  unter  Erdbeben  Feuersäulen  aus  dem  Krater  stiegen, 
ward  das  Kloster  von  einer  Wasserflut  heimgesucht,  die  so  mächtig 
war,  dass  sie  nach  Berichten  von  Augenzeugen  das  grösste  Seeschiff 
hätte  tragen  können.    Das  Weideland  war  zwei  Fuss  hoch  mit  Bims- 


1)  Thoroddsen-Gebhardt  II,   S.  200. 


94  Myrar.     Eldgjä. 

Stein  bedeckt.    Bis  nach  Bergen  (i8o  geogr.  Meilen  weit)  wurde  die 
feine  Asche  getragen  M- 

Durch  die  Ungeheuern  Lavamassen,  die  aus  der  grossen  Aus- 
bruchsspalte Eldgjä  geströmt  sind  und  die  Landschaft  Alptaver  be- 
deckt haben  —  „Schwanenlager",  weil  sich  hier  bei  einem  nicht 
mehr  vorhandenen  See  viele  Schwäne  aufhielten ;  wie  ein  füchter- 
licher  Hohn  klingt  der  Name  für  die  Landschaft  heute !  —  ging  es  zu 
unserem  Nachtquartier  Myrar ;  wir  fanden  bei  Sira  Bjarni  Einarsson 
Unterkunft,  dessen  Bruder  1899  in  einem  der  Gletscherströme  er- 
trunken war.  Der  Pfarrhof  liegt  prächtig  mitten  in  einer  grünen 
Oase.  Nach  Süden  konnte  man  bis  zum  Meere  sehen,  auf  dessen 
langen,  rollenden  Wellen  sich  einige  Dampfer  schaukelten.  Über 
alle  Beschreibung  schön  aber  war  der  Sonnenuntergang  über  den 
fernen  Schneefeldern  und  Gletschern ;  von  hellem  Gelb  übergössen 
lagen  sie  schweigend  da,  nur  zu  früh  trieb  uns  der  kalte  Abend- 
wind ins  Haus  zurück.  Da  es  mir  zum  Schlafengehen  noch  zu 
zeitig  war,  benutzte  ich  die  Zeit  und  suchte  mir  aus  dem  Pack- 
koffer Thoroddsens  Aufsatz  ,, Reise  durch  die  \^estur  Skaptafells 
sysla"'  hervor,  um  mich  näher  über  die  Ausbrüche  der  Eldgjä  zu 
unterrichten. 

Diese  grösste  der  bekannten  offenen,  klaffenden  Ausbruchsspalten  ist  im  Sommer 
1893  von  Thoroddsen  entdeckt  worden.  Nach  den  historisch  -  kritischen  Studien 
desselben  Gelehrten  muss  der  Ausbruch  ca.  930  erfolgt  sein ,  kurz  nachdem  diese 
Landschaft  angebaut  war;  vielleicht  fand  auch  schon  in  vorgeschichtlicher  Zeit  ein 
Ausbruch  statt.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Nachrichten  von  dem  Unheil,  das 
der  aus  der  Eldgjä  ins  Alptaver  sich  ergiessende  Lavastrom  angerichtet  liat,  früh 
ins  Ausland  gedrungen  sind,  und  dass  sie,  entstellt  von  Mönchen  in  Süd-Frankreich, 
in  den  Chronica  des  Mönches  Alberich  vorliegen  (vergl.  I,  S.  87).  Die  Eldgjä  erstreckt 
sich  am  nördlichsten  Rande  des  Myrdalsjökidl,  hat  die  Richtung  von  SW.  nach  NO. 
und  eine  Länge  von  30  km.  Die  Ungeheuern  Lavaströme ,  die  sie  ausgegossen  hat, 
sind  in  drei  Armen  aus  der  Spalte  geflossen :  zwei  davon  verfolgten  den  Weg  durch 
die  Talklüfte  zweier  in  NO.  gelegener  Flüsse  bis  in  das  Tal  der  Skaptä,  der  grösste 
und  breiteste  aber  strömte  aus  dem  südlichen  Ende  der  Eldg/ä  heraus  und  breitete 
sich  über  die  Landschaft  ^llptaver ,  Medalland  und  Landbrot ,  welche  beiden  letz- 
teren wir  in  den  nächsten  Tagen  passieren  sollen.  Die  Lavaströme  bedeckten  ein 
Areal   von  613  qkm   bei  einem  Volumen  von  9325  Millionen   cbm. 

<S.  Juli. 

Schon  kurz  nach  6  Uhr  war  ich  auf  den  Beinen,  denn  ein  an- 
strengender und  nicht  harmloser  Tag  lag  vor  uns;  es  hiess,  wir 
könnten  durch  die  verschiedenen  Gletscherströme  sehr  lange  auf- 
gehalten werden,  und  es  könnte  Nacht  werden,  bis  wir  Kirkjubo'r, 
unser  nächstes  Quartier,  erreichten.     \w  der  Nacht  war  es  bitterkalt 


1)  Relation  om  den  Ild-og  Vand-Flod,  som  anno  1625  udbrod  af  Isbjerget  Myr- 
dalsjökull;  ferfattet  af  Tychebeg  Klosterforpagter,  Herr  Thorsteen  Magnussen,  som 
den  Tid  selv  vor  der  til  Stede. 


Myrar.     Beschwerde  über  den  Engländer!     Laki.  95 

gewesen,  und  ein  eisiger  Nordwind  herrschte  noch ;  das  war  gut 
für  die  Flüsse,  die  nun  nicht  zugenommen  hatten.  Ögniundur 
zähhe  mir  beim  KalTee  wieder  unser  Pensum  auf,  es  galt  folgende 
vier  Ströme  zu  passieren :  die  Skülm,  das  Küdaßjöt,  das  Eldvatn 
und  die  Skaptd.  Schon  bei  dem  ersten  Flusse  merkten  wir,  dass 
unsere  Karte  nicht  mehr  stimmte ;  nach  Björn  Gunnlaiigsson  fliesst 
die  Skdliii  ziemlich  weit  nördlich  in  den  westlichen  Arm  des 
Ki'idaßjöt  und  sein  Lauf  ist  westlich,  heute  aber  mündet  sie  nicht 
weit  von  Myrar  in  den  Ki'idafljötsos,  ihr  Lauf  ist  also  südlich. 

Natürlich  kommt  der  Engländer,  der  den  Lokalführer  mit- 
bringen soll,  nicht  pünktlich,  der  gute  Whisky  liegt  ihm  vermut- 
lich noch  in  den  Beinen.  Mein  Begleiter  beschwert  sich  über  ihn: 
wenn  ich  vorausritte,  schlage  der  Engländer  mit  Vorliebe  nach  dem 
Pferde  des  Studenten  und  suche  es  wild  zu  machen,  nicht  einmal 
im  Wasser  lasse  er  ihm  Ruhe,  und  als  sein  erschreckter  Gaul 
mitten  im  Flusse  gebockt  habe,  hätte  er  vor  kindlichem  Vergnügen 
laut  aufgelacht.  Ich  tröstete  ihn  mit  den  Worten  des  Führers,  der 
Engländer  sei  eine  Mischung  von  Kind  und  Narr,  versprach  ihm 
aber  energische  Vorstellungen  zu  erheben  und  uns  im  schlimmsten 
Falle  ganz  von  ihm  zu  trennen.  Wie  bald  sollte  ich  selbst  gehörig 
mit  ihm  zusammen  geraten! 

Unruhig  und  unmutig  ging  ich  gestiefelt  und  gespornt  vor  dem 
Hause  auf  und  wieder.  Der  Pfarrer,  der  sich  gar  nicht  recht  wohl  fühlte 
und  mir  deshalb  keine  Gesellschaft  leisten  konnte,  holte  aus  seiner 
Bibliothek  hervor:  Magnus  Stephensen,  Kort  Beskrivelse  over  den 
nye  Vulcans  (Laki)  Ildsprudning  i  Vester  Skaptafellssyssel  paa  Island 
i  Aaret  1783,  Kp.  1785  und  Thoroddsen,  Oversigt  over  de  isl. 
Vulkaners  Historie.  Er  forderte  mich  auf,  um  mir  die  Wartezeit 
zu  vertreiben,  die  Seiten  zu  lesen,  die  von  Islands  grösstem  Vul- 
kanausbruche, dem  sogen,  skaptdreldur  ,,Skaptä-Feuer",  handelten, 
und  zwar  gerade  in  der  Gegend,  die  wir  heute  durchqueren  sollten'). 

Die  Kraterreihe  des  Laki,  von  der  der  fürchterliche  Ausbruch  im  Jahre  1783 
herrührt,  ist  die  bedeutendste  auf  Island.  Bevor  sie  sich  bildete,  im  ersten  Jahrhun- 
dert der  Besiedlung  des  Landes,  ist  der  westliche  Rand  des  Vatnajökilll  vollkommen 
flaches  Land  gewesen,  und  unzählige  Gletscherströme  ergossen  sich  von  Süden  in  die 
Skaptd.  Die  Kraterreihe  bildet  zunächst  dem  Vatnajökilll  die  Wasserscheide  zwi- 
schen der  Skaptd  und  dem  Hverfisßjöt ;  die  Wasserscheide  ist  erst  bei  der  ersten 
Eruption  der  Spalte  entstanden,  zuvor  hat  sich  der  grösste  Teil  der  Wassermasse  des 
Hverfisßjöt  in  die  Skaptd  ergossen,  und  das  Hverfisfljöt  hat  nur  als  kleiner  Bach 
existiert.  Über  den  ersten  Ausbruch  der  Z,(7^/-Spalte  ist  nicht  viel  zu  berichten; 
Thoroddsen  nimmt  an,  dass  dies  zu  Anfang  des  10.  Jahrhunderts  geschehen  sei: 
Eyvindr    karpi    nahm    Land    zwischen    dem    Alniannaßjöt   und    der    Geirlandsd. 


1)  „Tillaeg  til  Beskrivelserne  over  den  Vulcan,  der  brsendte  i  Skaptafells-Syssel 
1783"»  of  Svend  Paulsen  (Norsk  Touristforenings  Aarbog  1882).  —  Heiland, 
Laki's  Kratere  og  Lavaströmme.  Kristiania  1886.  —  Thoroddsen,  Geogr.  Tidskr. 
XII,   1894;  Globus  64,   1893,  Nr.    19. 


96  Myrar.     Laki, 

Bevor  das  Almannafljöt  (der  grosse  Fluss)  „lief",  war  es  nur  ein  kleiner  Bach,  der 
Rapiala'kr  \].\ess  (Lattenbach;  Lnd.  IV,  ii).  Das  Hverfisfljöt  (benannt  nach  dem 
Fljötshverfi,  „Stromniederung")  hiess  früher  Almannafljöt :  der  andere  Name,  Rap- 
ialcekr,  zeigt ,  dass  das  Hverßsfljöt  ursprünglich  kein  grösserer  Fluss  gewesen  ist, 
sondern  nur  ein  kleiner  Bach,    der  aber  durch  einen   Gletschersturz  verändert  wurde. 

Die  berühmte  30  km  lange  Spalte  des  Laki  hat  bei  den  grossartigen  Ausbrüchen 
im  Jahre  1783  von  neuem  gewaltige  Lavaströme  ausgegossen.  Diese  Ausbrüche  ge- 
hören zu  den  heftigsten,  die  man  überhaupt  von  Vulkanen  kennt,  sie  waren  für  Island 
geradezu  ein  Nationalunglück.  Die  Lavamassen  bedeckten  ein  Areal  von  565  qkm 
mit  einem  Volumen  von  12320  Millionen  cbm ;  ausserdem  wurden  3000  Millionen  cbm 
Asche ,  Bomben  und  Schlacken  ausgeworfen.  Auf  der  ganzen  Spalte  befinden  sich 
ungefähr  100  Krater,  die  kleineren  Öffnungen  mitgerechnet  (vergl.  die  Abb.  I,  S.  59). 
In  zwei  Armen  erreichte  die  Lava  die  Ansiedlungen:  der  westliche  Arm  strömte  zu- 
nächst durch  den  Bezirk  Skaptarlunga  und  ist  etwa  1 1  Meilen  lang  und  in  Meitalland 
drei  Meilen  breit ;   der  östliche  Arm  ist  4  ^/2  Meilen  lang  und   I  — 2  Meilen  breit. 

Im  Mai  1783  war  der  unterseeische  Vulkan  bei  Eldeyjar  oder  Fliglasker  auf 
dem  Meeresboden  tätig  gewesen,  am  i.  Juni  spürte  man  in  der  Skaptafells  sf/s/a 
starke  Erderschütterungen,  die  immer  heftiger  wurden.  Die  Skaptä ,  die  damals 
130  m  breit  war  und  sich  durch  die  Tuff-  und  Basaltmassen  ein  500 — 600  Fuss  tiefes 
Bett  gegraben  hatte,  verschwand  plötzlich  am  11.  Juni  völlig,  dafür  wälzte  sich  am 
nächsten  Tage  ein  gewaltiger  Lavastrom  wie  ein  brausendes  Meer  das  Flussbett  ent- 
lang, füllte  es  nicht  nur  völlig  aus,  sondern  ergoss  sich  sogar  noch  in  mächtigen 
Fluten  über  die  Ufer.  Aschenwolken  verdunkelten  den  Himmel ,  stinkender  Rauch 
hüllte  die  Erde  ein,  die  Sonne  sah  wie  eine  rote  Scheibe  aus.  Ein  Erdbeben  folgte 
dem  andern,  begleitet  von  unterirdischen  Kanonaden,  und  das  Echo  leitete  den  unauf- 
hörlichen Donner  von  Berg  zu  Berg  weiter.  In  der  Landschaft  Sida  wurden  zwei 
Gehöfte  ganz ,  fünf  zum  Teil  zerstört.  Von  der  Landschaft  Meitalland  aber  wurde 
der  Lavastrom  durch  einen  Ungeheuern  Schlund  abgehalten.  Am  14.  Juni  stürzte  aus 
den  Aschenwolken  ein  säuerlicher  Regen,  am  18.  kam  ein  neuer  Ausfluss  aus  dem 
Vulkan,  er  teilte  sich  in  zwei  Arme ,  der  eine  floss  südwärts  nach  Medalland ,  der 
andere  östlich  über  Sida.  Am  30.  Juni  kam  ein  neuer  Lavastrom :  ein  Arm  machte 
vor  dem  Kildafljöt  halt,  da  er  nicht  Kraft  genug  hatte,  eine  solche  Wassermassc  zu 
durchbrechen ;  der  andere  strömte  nach  der  Landschaft  Landbrot  und  verwüstete 
weite,  mit  Strandhafer  bewachsene  Strecken  ;  der  dritte  floss  gerade  nach  Osten  im 
Bette  der  Skaptä,  die  Landschaft  Sida  entlang.  Am  20.  Juli  stand  die  Lava  eine 
Viertelstunde  von  Kirkjuba'r  still,  beim  Systrastapi,  wo  sie  einen  130  m  breiten 
und  40  m  tiefen  Kanal  ausfüllte. 

Aber  nicht  nur  das  Tal  der  Skaptä  wurde  heimgesucht.  Am  29.  Juli  zog  über 
die  Landschaft  Fljötshverfi  und  den  östlichen  Teil  von  Sida  eine  grosse  Aschen- 
wolke herauf,  das  Hverfisjljöt  sandte  am  31.  Juli  an  einzelnen  Stellen  Dämpfe  empor, 
andere  Stellen  kochten  geradezu,  am  7.  August  stürzte  sich  ein  brausender  Lavastrom 
diesen  Fluss  entlang,  füllte  ihn  an  und  breitete  sich  über  das  Land  im  Süden  aus 
Neue  Lavaergüsse  und  Erdbeben  folgten  das  ganze  Jahr  hindurch,  erst  anfang  1784 
wurden  die  Ausbrüche  schwächer,  die  Gletscherflüsse,  zumal  die  vom  Skeidarärjökiill 
schwanden  mehr  und  mehr,  bis  dieser  am  18.  April  1784  in  den  Flüssen  Siila  und 
NitpSVÖtn  einen  gewaltigen  „Gletschersturz"  entsandte;  dieser  überschu^emmte  alle 
unterhalb  liegenden  Sandstrecken  und  machte  auf  lange  den  Verkehr  zwischen  dem 
westlichen  und  östlichen    Vatnajökull  unmöglich. 

Der  Einfluss  der  Lavamassen  auf  die  Flüsse  war  sehr  bedeutend.  Das  Bett 
der  Skaptä  wurde  ausgefüllt,  sie  musste  sich  neben  ihrem  früheren  Bett  einen  andern 
Weg  bahnen.  In  Medalland  verschwanden  verschiedene  Flüsse;  vom  unteren  Rande 
des  Lavafeldes  quellen  hier  viele  kleine  Bäche  hervor  und  bilden  das  recht  ansehnliche 
Eldvatn  (Feuerwasser).  Das  Hverfisfljöt  hatte  früher  seinen  Weg  an  der  westlichen 
Seite  des  Berges  Hnitta,  jetzt  fliesst  es  östlich,  näher  am  Sidujökull. 


Myrar.     Laki.  97 

Vor  dem  Ausbruche  gab  es  in  der  Vestur  Skaptajells  sifsla  289  Bauern,  1785 
nur  190,  1793  210.  Acht  Gehöfte  wurden  vollständig  zerstört  und  verbrannt,  29 
mehr  oder  minder  beschädigt,  zwei  Kirchspiele  auf  zwei  Jahre  gänzlich  unbewohnbar 
gemacht.  Wegen  der  dicken  Nebel-  und  Aschenwolken  konnten  die  Fischer  nicht 
aufs  Meer  (man  nennt  die  Jahre  1783  und  1784  darum  noch  heute  reykjamöduhar- 
dindi:  rey k hk  Rnuch ,  w?w/rt  Nebelluft,  härdindi  durch  Misswachs  herbeigeführte 
harte  Zeit).  Die  Forellen  und  Lachse  starben.  Das  isländische  Moos  fehlte  drei 
Jahre  lang  völlig,  der  Strandhafer  war  gänzlich  vernichtet,  das  Gras  verdorrt  und 
versengt,  Schnauzen  und  Klauen  der  Schafe  wurden  gelb  von  dem  feinen,  säuerlichen, 
halb  zersetzten  Bimsstein-  und  Schwefelstaub.  Wie  meist  bei  vulkanischen  Ausbrüchen, 
stellte  sich  bei  ihnen  eine  besondere  Krankheit  ein  (gaddltr)  :  die  Backenzähne  ent- 
wickelten hohe  Spitzen ,  die  das  Zahnfleisch  und  den  Gaumen  verwundeten  und  Ent- 
zündungen und  tiefe   Wunden  erzeugten. 

Auch  der  Gesundheitszustand  der  Menschen  litt  direkt  und  indirekt  unter  den 
Folgen  des  Ausbruches.  Die  verdorbene  Luft,  sowie  Mangel  und  Elend,  hervorgerufen 
durch  das  Zugrundegehen  des  Viehes,  verursachten  verschiedene  Krankheiten.  Ein 
bösartiger  Skorbut  plagte  die  Leute  in  den  Landschaften ,  welche  dem  Vulkanherde 
am  nächsten  lagen,  verbreitete  sich  jedoch  mit  der  Not  selbst  über  die  fernsten  Teile 
des  Landes.  Füsse,  Arme,  Hals  und  Kopf  schwollen  auf,  an  den  Rippen  und  an  den 
Knochen  entstanden  Geschwülste ,  die  Muskeln  wurden  von  Krämpfen  zusammen  ge- 
zogen ,  die  Zähne  gelockert ,  am  Gaumen  und  im  Hals  bildeten  sich  übelriechende 
Wunden.  Diese  Krankheit  hörte  nicht  eher  auf  zu  rasen,  als  bis  nach  ein  paar  Jahren 
die  Felder  wieder  ihr  gewöhnliches  grünes  Kleid  trugen  und  die  Zeiten  sich  zu  bessern 
begannen. 

Da  die  Landleute  keine  äussere  Hülfsquelle  hatten ,  als  ihr  Vieh ,  mussten  sie, 
nachdem  sie  dieses  verloren  hatten ,  zu  den  ungeniessbarsten  Dingen  greifen.  Einige 
kochten  sogar  alte  Häute,  Felle,  Taue  u.  dergl. ,  um  ihr  Leben  zu  fristen,  andere 
schlachteten  die  wenigen  übrig  gebliebenen  Tiere  und  wanderten ,  als  diese  verzehrt 
waren,  hinab  an  die  Meeresküste;  allein  da  auch  die  Fischerei  fehlschlug,  fielen  sie 
dem  sicheren  Hungertode  anheim.  Viele  starben  geradezu  an  Hunger,  andere  an  der 
Ruhr,  hier  und  da  fand  man  an  Hunger  und  Kälte  gestorbene  oder  halbtote  Menschen 
auf  den  Wegen ,  wo  sie  vor  Ermattung  umgesunken  waren.  In  Landschaften ,  wo 
sonst  etwa  20  Menschen  jährlich  starben,  starben  jetzt  200.  Im  ganzen  starben  auf 
Island  in  den  Jahren  1784  und  1785  infolge  der  Wirkungen  des  Ausbruches  9238  Men- 
schen oder  ungefähr  ein  Fünftel  der  ganzen  Bevölkerung,  und  all  dies  Elend  führte 
zuletzt  eine  Auflösung  der  bürgerlichen  Verhältnisse  herbei,  so  dass  Diebstähle  und 
andere  Verbrechen  in  einer  beunruhigenden  Weise  zunahmen.  Von  allen  bekannten 
Vulkanausbrüchen  ist  dieser  für  Island  der  verderblichste  gewesen'). 

In  Dänemark  dachte  man  allen  Ernstes  daran,  die  Reste  des  isländischen  Volkes 
aus  seiner  ruhmreichen  Heimat  in  die  unbesiedelte  Heide  Jütlands  zu  verpflanzen  ;  von 
einer  für  die  so  schwer  Heimgesuchten  gesammelten  Kollekte  bekamen  sie  nur  den 
vierten  Teil,  der  Rest  —  30000  Reichstaler  —  wurde  anderweitig  verbraucht,  z  B. 
zur  Deckung  der  Kosten  der  Küstenvermessung.  — 

Kurz  vor  10  Uhr  kam  der  Engländer  endlich  mit  seinem  Führer 
und  dem  Lokalführer,  und  der  Übergang  über  die  Skdlin  begann 
sofort.  Er  fing  recht  harmlos  an,  der  Lokalführer  ritt  voran,  einer 
nach  dem  andern  folgte,  hinter  mir  der  Engländer.  Man  merkte 
wohl,  dass  das  Flussbett  so  breit  war,  dass  man  es  kaum  mit  den 
Augen  übersehen  konnte,  aber  das  Wasser  war  so  flach  und  seicht, 
dass  es  kaum  die  Fesseln  der  Pferde  netzte,  immer  neue  Inselchen 


')  Thoroddsen,  Ovcrsigt  .  .,   S.   77  ff,  87,   88 

Herrmann,  Island  II. 


98     Ein  Renkontre  zwischen  England  und  Deutschland  beim  Überschreiten   der  Skälm. 

kamen  zum  Vorscheine,  und  man  war  dann  wieder  ein  paar  Augen- 
blicke auf  dem  Trockenen.  Nur  mein  sonst  so  ruhiger  Schimmel 
war  heute  auffallend  unruhig ,  er  bockte  und  stieg  und  liess  sich 
gar  nicht  beschwichtigen;  nur  wenn  wir  uns  auf  einer  Sandbank 
verschnauften,  war  er  friedlich.  Nun  aber  wurde  das  Wasser  tiefer, 
es  reichte  bis  zu  den  Stiefelsohlen,  und  bald  bis  zu  den  Knien,  man 
musste  die  Beine  aufheben,  wenn  die  nasse  Flut  nicht  von  oben  in 
die  Stiefelschäfte  stürzen  sollte,  und  ordentlich  auf  den  Vordermann 
aufpassen.  Die  ersten  Pferde  stampften  für  die  folgenden  den  Weg 
in  dem  Flugsande  fest,  und  Ögmundur  hatte  uns  eingeschärft, 
genau  da  auf  eine  Insel  loszureiten ,  wo  die  anderen  Pferde  bereits 
emporgeklettert  seien.  Allmählich  wurde  der  Ritt  ungemütlich,  man 
konnte  kein  Ende  absehen,  immer  neue  Inseln  tauchten  auf,  und 
immer  neue,  und  immer  tiefere  Verzweigungen  der  Skdlin  breiteten 
sich  vor  uns  aus,  und  immer  mehr  machte  mir  mein  Schimmel  zu 
schaffen.  Einige  Pferde,  die  sich  aus  der  Linie  entfernten,  versanken 
bis  an  den  Rücken  und  mussten  herausgeholt  werden,  wenn  sie  sich 
nicht  durch  kräftiges  Strampeln  selbst  losmachten.  Endlich  lag  der 
letzte  Wasserarm  vor  uns,  das  Hauptbett.  Gerade  schicke  ich  mich 
vorsichtig  an,  von  einer  Rasenbank  in  das  etwas  steil  abfallende 
Bett  hinunter  zu  lenken,  da  bekomme  ich  einen  gehörigen  Peitschen- 
hieb über  meine  linke  Hand,  im  Nu  drehe  ich  mich  um  und  sehe, 
wie  der  Engländer  zu  einem  neuen  Schlage  ausholt.  Die  Klage 
meines  Gefährten  fiel  mir  ein ,  sofort  war  mir  klar ,  dass  der  Eng- 
länder während  der  ganzen  Zeit  mein  braves  Rösslein  geschlagen 
hatte,  und  dass  es  deswegen  so  unruhig  gewesen  war.  Dass  er 
nicht  einmal  in  diesem  nicht  ganz  ungefährlichen  Augenblicke  sein 
kindisches  Spiel  lassen  konnte,  reizte  mich  aufs  Höchste.  Denn  ich 
hatte  keine  Lust,  seinetwegen  Bekanntschaft  mit  dem  kalten  Wasser 
und  womöglich  mit  dem  nicht  weiten  Meere  zu  machen,  auf  Nimmer- 
wiedersehen. Darum  riss  ich  mit  einem  Ruck  mein  Ross  herum, 
schwang  meine  schwere  Peitsche  mit  dem  langen  Lederriemen  und 
liess  sie  kräftig  auf  den  Körperteil  des  Mr.  Beefsteak  nieder- 
sausen ,  der  von  der  Natur  bei  unnützen  Buben  dazu  eingerichtet 
ist.  Woher  mir  auf  einmal  der  Reichtum  an  Kraft-  und  Schimpf- 
worten kam ,  mit  denen  ich  den  sich  ängstlich  Duckenden  über- 
häufte, weiss  ich  heute  noch  nicht.  An  Übung  fehlte  es  mir  jeden- 
falls völlig ;  darf  doch  ein  Schulmeister  weder  schelten  noch  schlagen. 
Beides  sass  aber  sicher.  „You  are  a  fool,  a  mooncalf !"  waren  noch 
Koseworte.  Einen  so  harten  Ausgang  hatte  Mr.  Beefsteak  offen- 
bar nicht  erwartet.  Obwohl  er  mir  an  Körperkraft  mindestens  gleich 
gewesen  wäre,  kroch  er  ängstlich  zusammen  und  konnte  sogar  plötz- 
lich deutsch  reden ,  wenn  es  auch  nur  ein  einziges  Wort  war ,  das 
er  immer  wieder  herausstiess :  ,,Sweinerei!  Sweinerei!"  Ganz  ent- 
setzt sahen  die  andern  der  Tragödie  zu,  die  sich  so  schnell  vor  ihren 


Skälm.     Küdafljöt.  99 

Au<^en  abspielte;  wie  gelähmt,  sassen  sie  mitten  im  Wasser  auf 
ihren  Pferden.  Aber  als  Ögmundur  herbeistürzte,  rief  ich  ihm 
zu:  „Alles  erledigt!  Weiter!"  und  merkte  in  der  Erregung  kaum, 
wie  das  Wasser  über  dem  Sattel  zusammenschoss  und  ich  nach 
einigen  Minuten  glücklich  das  andere  Ufer  erreichte.  ,,Doch  zu- 
weilen sind  erfrischend,  wie  Gewitter,  gold'ne  Rücksichtslosigkeiten." 
Ich  fühlte  mich  so  frei,  so  leicht,  so  gehoben,  dass  ich  im  Augen- 
blick vor  nichts  zurückgeschreckt  wäre.  Ganz  hinten  kam  Old  Eng- 
land nachgeschlichen,  zusammengekauert,  wie  ein  Häufchen  Unglück. 
Der  Übergang  hatte  55  Minuten  gedauert. 

Wir  landeten  unmittelbar  an  einem  Gehöfte  und  sahen  auf  der 
anderen  Seite  des  neuen  Flusses ,  der  jetzt  den  Weitermarsch  auf- 
hielt, ein  anderes  liegen.  Es  war  das  Küdaßjöt,  das  seinen  Namen 
nach  dem  Schiffe  Ki'idi  des  Ansiedlers  Vilbaldr  hat,  der  hier  landete 
und  das  T^mgiiland  zwischen  der  Skaptd  und  Höluisd  nahm  (Lnd. 
IV,  11).  Henderson  nennt  diesen  Fluss  den  Nil  Islands.  Das 
wusste  ich  wohl ;  da  ich  aber  das  andere  Ufer  so  nahe  sah  und 
wohl  auch  etwas  erregt  war,  steckte  ich  mir  eine  Zigarette  an.  Das 
Ki'idafljöt  wird  von  mehreren  bedeutenden  Flüssen  gebildet ,  der 
Leird,  Jökidskvisl,  Höluisd,  Tiingufljöt  und  Skaptd,  ganz  im  Süden 
strömt  auch  noch  die  Skdlm  hinein:  es  ergiesst  sich  also  eine  ganz 
ansehnliche  Wassermenge  in  den  Ozean.  Als  sich  der  Lokalführer 
aber  noch  einen  jungen  Burschen  aus  dem  Gehöfte  zu  Hilfe  holte, 
als  die  Pferde  sorgfältig  nachgesehen,  die  Gurten  und  Riemen  fest- 
gezogen ,  die  Eisen  geprüft ,  die  vier  Packpferde  für  sich  und  die 
acht  losen  Gäule  für  sich  zusammengekuppelt  wurden,  indem  die 
Schwänze  des  ersten  mit  dem  Kopf-  und  Brustriemen  des  folgenden 
verknotet  wurden,  da  merkte  ich  doch,  dass  etwas  Aussergewöhn- 
liches  vorging.  Ögmundur  ermahnte  uns  dringend,  genau  dem 
Lokalführer  zu  folgen:  der  Boden  sei  voll  Schlamm  und  Lehm,  und 
diese  weichen  Stellen  müssten  wir  zu  umgehen  suchen.  Der  Lokal- 
führer ritt  voraus,  die  vier  Packpferde  an  einem  langen  Riemen  fest 
haltend,  der  Bauernbursche  leitete  die  übrigen  Tiere ;  Ö  g  m  u  n  d  u  r 
nahm  die  rechte,  der  Führer  des  Mr.  Beefsteak  die  linke  Seite 
ein,  wir  drei  bildeten  die  Spitze.  Zuerst  ging  es  etwa  vier  Minuten 
stromabwärts ,  dann  machten  wir  eine  scharfe  Wendung  nach  links 
und  ritten  denselben  Weg  zurück ,  um  ein  tiefes  Loch  im  Fluss- 
bette zu  vermeiden.  Die  Strömung  war  schwer,  aber  nicht  gerade 
reissend ,  das  Wasser  reichte  bis  an  den  Sattelknopf.  Auf  einer 
Insel  wurde  Halt  gemacht ;  es  hatte  sich  herausgestellt ,  dass  der 
Weg,  der  gestern  noch  passierbar  gewesen,  es  heute  nicht  mehr  war. 
Der  Lokalführer  versuchte  mit  seinem  Pferde,  das  durch  die  fast 
tägliche  Gewöhnung  durchaus  zuverlässig  und  ruhig  war,  einen  neuen 
Weg  zu  finden ;  aber  sofort  schlug  das  Wasser  über  ihm  zusammen, 
und   schwimmend    kehrte    er    zu    uns    zurück.     Er   ritt  bald  hierhin, 

7* 


100  Küdafljöt.     Eldvatn.     Mückenplage. 

bald  dorthin ,  den  Strom  bald  herauf,  bald  herunter,  endlich  hatte 
er  eine  Furt  gefunden,  schwenkte  den  Hut,  und  wir  folgten  ihm. 
Von  neuem  begann  das  Waten  von  Sandbank  zu  Sandbank.  Die 
Pferde  pusteten  und  stöhnten,  und  wir  nahmen  alle  Sinne  zusammen, 
die  Füsse  lose  in  den  Bügeln  haltend ,  und  die  Zügel  fest  in  der 
Faust.  Prächtig  sah  es  aus,  wie  die  Packpferde  an  den  sandigen 
Bänken  emporklommen,  wie  sie  erst  behutsam  die  Vorderfüsse  auf- 
setzten und  probierten,  ob  der  Boden  hielt,  und  wie  sie  sich  dann 
mit  dem  Vorderleib  vorn  hereinlegten  und  sich  zuletzt  mit  einem 
mächtigen  Ruck  emporschwangen.  •  Wie  bei  der  Skdli)i,  kommt  der 
tiefste  Arm  zuletzt,  und  während  der  Führer  erleichtert  aufatmend 
ausrief:  ,,Das  ging  gut!",  schwangen  wir  uns  aus  dem  Sattel  und 
frühstückten  —  aber  in  getrennten  Lagern:  der  Engländer  mit  seinem 
Führer  allein,  und  wir  allein.  Der  Lokalführer  erhielt  4  Kr.,  die  er 
redlich  verdient  hatte. 

Nach  kurzer  Rast  ging  es  über  sumpfige  Wiesen,  die  im  Westen 
vom  Ki'idaßjöt  im  Sommer  vollständig  unter  Wasser  gesetzt  werden, 
nach  der  Landschaft  Medalland,  die  1783  von  Lava  und  Sand  völlig 
bedeckt  worden  ist.  Im  Flugsande  wächst  eine  ziemlich  bedeutende 
Menge  Strandhafer ,  der  von  armen  Leuten  zuweilen  noch  geerntet 
wird,  um  die  Körner  als  Brot  zu  verwenden.  An  der  Küste  sahen  wir 
ein  grosses  Wrack  aus  dem  Sand  aufragen.  Ögmundur  behauptete, 
es  wäre  das  französische  Hospitalschiff  ,,St.  Pierre",  das  1899  hier 
gestrandet  sei;  aber  die  französischen  Katholiken  hätten  ein  neues 
Hospitalschiff  gebaut  und  ausgerüstet  und  trotz  des  bösen  Omens 
wieder  ,,St.  Pierre"  genannt;  in  der  Nähe  wohne  ein  Bauer,  dessen 
Zimmer  mit  allerlei  Gegenständen  aus  dem  gestrandeten  Schiff  an- 
gefüllt sei. 

Das  Eldvat)i ,  das  wir  gegen  2  Uhr  erreichten ,  ist  erst  gegen 
1783  entstanden.  Es  ist  ein  ziemlich  wasserreicher  Strom  und  kann 
nur  an  einem  Punkte  durchritten  werden.  Dieser  liegt  zwar  fest, 
da  das  Eldvatji  kein  Glctscherstrom  ist,  aber  wegen  der  Spalten  und 
Löcher  auf  dem  Boden  ist  der  Übergang  trotzdem  nicht  ungefähr- 
lich. Gleichwohl  verzichtete  Ögmundur  darauf,  einen  besonderen 
Führer  zu  nehmen,  wenn  er  in  dem  Gehöfte,  das  nicht  weit  davon 
entfernt  lag,  sichere  Auskunft  bekäme.  Während  der  kurzen  Warte- 
zeit lernten  wir  zum  ersten  Male  die  Mückenplage  auf  Island  kennen, 
die  wahrlich  hier  nicht  geringer  ist  als  in  den  Sumpfwäldern  Lapp- 
lands. Gewitzigt  durch  die  HcUlcnqualen ,  die  die  Stiche  dieser  in 
wolkenähnlichen  Zügen  auftretenden  Mücken  mir  vor  fünf  Jahren 
verursacht  hatten,  war  ich  mit  einem  schönen,  langen  Mückenschleier 
versehen  —  aber,  ach,  er  ruhte  wohlverwahrt  ganz  unten  in  irgend 
einem  Packkoffer,  da  ich  ihn  erst  beim  Myvat)i  für  nötig  gehalten 
hatte.  Ich  will  nicht  gerade  sagen ,  dass  ihre  Stiche  besonders 
schmerzhaft  und  juckenerregend  waren,  aber  die  ekelhaften  kleinen 


Der  Engländer  kommt  in  dieser  Saga  nicht  mehr  vor. 


101 


Tierchen  drangen  in  Mund,  Ohren,  Nase  und  Augen  und  erschwerten 
nicht  nur  das  Sprechen,  sondern  machten  selbst  das  Rauchen  fast 
unmöeHch.  Am  meisten  hatten  die  armen  Pferde  zu  leiden;  sie 
wurden  fast  rasend,  und  da  ich  fürchtete,  die  losen  Pferde  würden 
durchgehen ,  begann  ich  auf  eigene  Faust  den  Übergang.  Als 
Ögmundur  zurückkam,  waren  wir  schon  in  der  Mitte;  triumphie- 
rend schwenkte  er  den  photographischen  Apparat  ,  geleitete  den 
Studenten  auf  eine  Insel,  von  wo  aus  er  eine  Aufnahme  des  Über- 
gangs machen  sollte  (Fig.  7<S)  und  schloss  sich  uns  wieder  an,  um 
ja  nicht  auf  dem  Bilde  zu  fehlen.  Aber  die  tiefen  Stellen  kamen 
erst  jetzt.    Einige  Pferde,  die  ahnungslos  und  sorglos  einherpatschten, 


Fig.   78.     Ritt  durch  das  Eldvatn. 


verloren  plötzlich  den  Grund  und  mussten  schwimmen.  Mr.  Beef- 
steak stolperte  blind  hinterdrein,  verschwand  bis  an  die  Brust  im 
Wasser  und  wurde  noch  knapp  zur  rechten  Zeit  wieder  herausge- 
rissen. Auf  einer  schönen,  frischen  Wiese  am  Fusse  eines  Lava- 
feldes Hessen  wir  die  Pferde  grasen,  verspeisten  mit  dem  frohen 
Gefühle,  für  heute  alle  Fährlichkeiten  überwunden  zu  haben,  die 
üblichen  Frankfurter  Würstchen  und  die  Eier,  die  uns  Rektor  Olsens 
gütige  Schwester  mitgegeben  hatte,  erquickten  uns  an  der  ausge- 
zeichneten deutschen  Konservenbutter  (von  Bruns  in  Oldenburg) 
und  gönnten  uns  sogar  eine  halbe  Flasche  von  dem  in  ]'/'k  ge- 
kauften Rotwein.  Weit  abseits  lag  der  Engländer.  Plötzlich  stand 
er  auf,  winkte  Ögmundur  zu  sich  heran,  und  wir  sahen  sie  beide 
lange  und  lebhaft  miteinander  verhandeln.  Ögmundur  meldete: 
Mr.  Beefsteak  bedaure  aufrichtig,  absichtslos  meinen  Zorn  erregt 


102  Kirkjub^r. 

ZU  haben,  er  bat  regelrecht  um  Entschuldigung  und  bot  mir  sogar 
seinen  sorgsam  gehüteten,  vielgeliebten  Whisky  an.  Ich  liess  ihm 
sagen:  die  Sache  sollte  erledigt  sein,  für  seinen  ,, Lebenstau"  dankte 
ich,  aber  in  Beriifjördiii'  müssten  sich  unsere  Wege  trennen.  Da 
er  sich  somit  schliesslich  doch  noch  als  ,, Gentleman"  gezeigt  hatte, 
will  ich  seinen  Namen  nicht  verraten,  sondern  schliesse  so,  wie  es 
in  den  alten  Sagas  beliebt  ist :  ok  er  hanii  ör  sügiDuii  (er  kommt 
in  dieser  Saga  nicht  mehr  vor). 

Spät  am  Abend  gelangten  wir,  nachdem  wir  die  Landschaft 
Landbrot  von  S.W.  nach  N.O.  durchquert  hatten,  über  und  über 
mit  Sand  bedeckt,  an  der  reissenden  Skaptd  an  (Schaf tfluss).  Wenn 
man  ihre  schäumenden  zischenden  Wogen  in  dem  engen  Felsental 
rollen  und  sich  auf-  und  niederbäumen  sieht,  kann  man  verstehen, 
dass  die  erregte  Phantasie  sich  vorstellte,  ein  schillernder  Schlangen- 
körper wälze  sich  in  dem  braunen  Wasser  ^).  Seit  kurzem  führt 
eine  ansehnliche  Brücke  über  die  Skaptd.  Auf  mächtigen  Quader- 
steinen schwingt  sie  sich  kühn  über  die  einzelnen  Arme  des  Flusses 
in  drei  Bogen  (vergl.  das  farbige  Titelbild) ,  ihre  Herstellung  nahm 
verschiedene  Jahre  in  Anspruch  und  kostete  loooo  Kronen.  In  der 
Ferne  schimmerten  die  zackigen  Schneeberge  und  Gletscher  des 
Ör<2fajökull,  und  eine  feierliche  Stille  lag  über  der  weiten  Flur. 

In  Kirkjubcrr  wohnt  der  Sxshiviadur  und  Alfingismadur 
Gudlatigur  Giidmundsson,  der  bei  dem  Festessen  des  Konsuls 
Thomsen  in  Reykjavik  mein  Tischnachbar  gewesen  war,  ein  liebens- 
würdiger, hochgebildeter  Mann,  der  von  l886  —  89  Instruktor  der 
Reykjaviker  Schauspielergesellschaft  gewesen  war.  Vor  dem  statt- 
lichen Wohnhaus,  das  unmittelbar  am  Fuss  eines  Berges  liegt,  von 
dem  ein  hübscher  Wasserfall  herniederstürzt,  waren  mehrere  Zelte  auf- 
geschlagen (Fig.  79).  Es  war  eine  andere  Abteilung  des  dänischen 
Generalstabes,  die  hier  Messungen  vornahm,  und  ihr  Führer  Premier- 
leutnant Buchwaldt,  eine  wahre  Siegfriedserscheinung,  kam  mir 
weit  entgegen  und  begrüsste  mich  dänisch,  da  er  in  dem  brillen- 
bewaffneten Reiter  ohne  weiteres  einen  Fremden  vermutete. 

Die  Aufnahme,  die  wir  beim  Bezirksvorsteher  fanden,  war  über- 
aus herzlich:  es  war  nicht,  als  ob  wir  uns  flüchtig  von  einem  Diner 
her  kannten,  sondern  als  ob  sich  alte  gute  Freunde  nach  langer 
Trennungszeit  wiedersehen.  Kaum  hatten  wir  ein  gründliches  Bad 
genommen,  so  wurde  das  Abendessen  aufgetragen,  obwohl  es  schon 
auf  ^Mitternacht  ging,  und  die  zarten,  selbstgezogenen  Radieschen 
mundeten  köstlich.  Seine  erste  Frage  war,  ob  ich  nun  geläufig 
isländisch  sprechen  könnte,  was  ich,  trotz  Ögmundurs  Protest,  ab- 
wehrte.   Mit  meinem  Gefährten  sprach  er  fliessend  Deutsch,  obwohl 


1)  Annalen  des  Bischofs   Gisli  Oddsson  in   Skälholt  von   1637,  vergrl.  Z.  d.  V. 
f.  V.  I,  S.    169. 


Kirkjuba;r. 


lO:} 


er  seit  seiner  Kopenhagener  Studienzeit,  abgesehen  von  den  Unter- 
redungen mit  den  Schiftbrüchigen  des  „Friedrich  Albert",  keine  Ge- 
legenheit mehr  dazu  gehabt  hatte.  Mit  Freuden  nahm  ich  seine 
Einladung  an,  den  Sonnabend  bei  ihm  zu  l)lciben  und  erst  am 
Sonntag  weiter  zu  ziehen. 

Auch  dieses  Gehöfte  zeigt,  was  guter  Wille,  Energie  und 
Intelligenz  selbst  auf  Island  zu  leisten  vermögen.  Das  Haus  machte 
einen  durchaus  modernen  und  praktischen  Eindruck,  die  Amtsstube 


Fig    79.     Kirkjubaer  ä  Sidu. 

war  mit  Schreibpult,  Regalen  voller  juristischer  Bücher  und  mit 
Schränken  ausgestattet,  in  denen,  was  mich  am  meisten  in  Erstaunen 
setzte,  dicke  Aktenstösse  aufgehäuft  waren.  Neben  dem  Hause  lag 
ein  grosser,  wohlgepflegter  Garten,  dahinter  die  Ställe  und  eine  Mühle, 
die  von  dem  Wasserfall  getrieben  wurde.  Die  Landschaft  S/'da, 
die  wir  mit  Kirkjuhdr  betreten  hatten,  gehört  überhaupt  zu  den 
schönsten  und  fruchtbarsten  in  ganz  Island.  Wohl  gibt  es  im  S.O. 
nach  der  Küste  zu  öde  Sandstrecken,  und  höher  hinauf,  am  Hverßs- 
fljöt,  Lavafelder,  aber  die  meisten  Höfe  hegen  am  südlichen  Abhang 
einer    zusammenhängenden   Bergkette,     in    die    verschiedene    kleine 


104  Kirkjubaer.     Geschichtliche  Erinnerungen. 

Täler  einschneiden,  und  noch  \veit  nach  Norden  hin,  dem  Vatnajökiill 
zu,  liegen  fruchtbare  Gebiete.  Die  Landschaft  liegt  zwischen  den 
Flüssen  Skaptd  und  Hverfisßjöt  und  hat  ihren  Namen  ,, Seite"  nach 
dem  steilen  Bergabhange,  in  dem  das  Hochland  hier  abfällt,  und  an 
dessen  Fuss  die  meisten  Ansiedlungen  liegen.  Noch  weiter  nördlich  von 
Kirkjnbcrr  kommen  vereinzelte  Birkenbäume  vor,  aber  die  Bewohner 
wissen  diese  seltene  Gabe  zu  schätzen,  und  niemand  darf  auch  nur 
ein  Zweiglein  davon  abschneiden. 

Ostwärts  bei  Hörgadalltr,  so  erzählt  eine  Volkssage ,  wächst  am  Rande  einer 
Bachschlucht  ein  einzelnes  Birkenreis,  hoch  und  schön.  Zu  keinem,  wenn  auch  noch 
so  dringenden  Zwecke  darf  man  es  abschneiden  oder  brechen.  Einst  trieb  ein  Mäd- 
chen seine  Kühe  in  der  Nähe  vorüber.  Diese  waren  ungeduldig  und  unmutig  und 
liefen  bald  hierhin,  bald  dorthin.  Da  kam  das  Mädchen  auf  den  Einfall,  von  jener 
Birke  eine  Rute  loszureissen  und  damit  die  Kuh  zu  schlagen,  die  am  ungeberdesten 
war.  Sogleich  stürzte  diese  mit  gebrochenen  Schenkeln  zu  Boden,  und  das  kam  daher, 
dass  das  Mädcheu  sie  mit  einem  Zweige  der  Birke  geschlagen  hatte,  von  der  man 
zu  keinem  Zweck   etwas  abschneiden  darf. 

Ktrkjubcrr  ist  reich  an  geschichtlichen  Erinnerungen,  die  sogar 
über  die  Besiedelung  Islands  durch  die  Norweger  hinausgehen. 

Ketill  enn  fiflski  (als  „der  Närrische"  von  den  Heiden  wegen  seines  Christen- 
glaubens verhöhnt)  zog  von  den  Hebriden  nach  Island,  er  war  ein  Christ  (Lnd.  IV,  ii). 
Er  nahm  Land  zwischen  der  Geirlaiidsä  und  Fjardarä  oberhalb  des  Nfikomi  (das 
Neugekommene,  Neugebildete).  Er  wohnte  in  Kirkjubcer.  Dort  hatten  früher  Papar 
gesessen  (irische  Anachoreten),  und  deshalb  durften  sich  keine  Heiden  hier  ansiedeln. 
Nach  Ketills  Tode  wollte  dennoch  ein  Heide  namens  Hildir  seinen  Wohnsitz  dort- 
hin verlegen  und  glaubte  nicht,  dass  kein  Heide  hier  leben  dürfte.  Als  er  an  die 
Einfriedigung  des  77/«  gekommen  war,  wurde  er  plötzlich  aus  dem  Leben  abgerufen ; 
er  liegt  im  Hildishaiigr  (Grabhügel  des  Hildir,  östlich  von  Kirkjuhcvr  [Kirchen- 
hof]). Höchst  verdächtig  lautet  die  Nachricht,  dass  man  in  diesem  Hügel  beim  Aus- 
graben einen  Schildbuckel  gefunden  habe.  Kaalund  meint,  dass  der  Distrikt  Sida 
früher  Paptjli  geheissen  habe;  Papyli  statt  Papbfili  ist  Pfaffenwohnsitz'). 

Die  ganze  Küste  von  ]^fk  bis  Ivgölfshöfdi  ist  heute  für  Schiffe 
unzugänglich,  früher  aber  muss  es  besser  gewesen  sein.  Thoroddsen 
nimmt  mit  Recht  an,  dass  die  Iren  in  Kirkjuhcrr  selbst  gelandet  sein 
müssen;  denn  ohne  Pferde,  die  sie  sicherlich  nicht  auf  das  Schiff 
mitgenommen  hatten,  können  sie  nicht  über  die  weite  Landstrecke 
gezogen  sein.  Wie  der  Kcrlingarfjördiir  bei  ITjörleifshöfdi ,  so 
muss  da,  wo  heute  die  Landschaft  Landbrot  und  der  Skaptdrös 
liegen,  ein  Fjord  gelegen  haben,  der  sich  bis  Ktrkjubcrr  erstreckte, 
und  in  ihn  wird  sich  die  Fjardarä  ergossen  haben  (Fjordfluss). 
Aber  die  Lava  aus  der  Eldgjd  ca.  930  hat  die  ganze  Landschaft 
verändert,  kurz  nachdem  die  Norweger  sich  hier  niedergelassen 
hatten,  und  dadurch  wurde  Neuland  gebildet  (Nykomi)  unterhalb 
von   Si'da.      Da    sich   aber   die   Vegetation   auf   dieser    Landstrecke 


1)  Kaalund  II,    S.  276,    314.    —    Thoroddsen,    Andvari  XIX,    S.  90.    — 
Bogi  Meisted,  Iskudinga  Saga  I,  S.  191,  Anm.  i. 


Geschichtliche  Erinnerungen.     Kirkjubaejar-KIaustur.  105 

schnell    entwickelte,    so  war  schon  200 — 300  Jahre    nach   dem  Aus- 
bruche Medalland  und  Landbrot  wieder  dicht  besiedelt. 

Daher  konnte  schon  1186  in  Kirkjubcrr  ein  Benediktiner- 
Nonnenkloster  errichtet  werden,  das  erste  Frauenkloster  auf  Island 
überhaupt  ^).  Solche  Anachorctinnen  {minna,  eiusetukona  Einsied- 
lerinnen) trugen  klösterUche  Tracht  und  bauten  ihre  Zellen  in  der 
Nähe  der  Bischofssitze,  Männerklöster  oder  anderer  Kirchen;  schon 
zu  Anfang  des  elften  Jahrhunderts  wird  eine  solche  Frau  genannt 
(Laxd.  S.  78).  In^  Kirkjiibccr  wohnte  auch  der  hervorragend  ge- 
lehrte Priester  Bjariihedtnn  Sigurdarson  (f  ii73),  bei  dem  der 
heilige  Porldkr  sechs  Jahre  wohnte.  Von  dem  Kloster  ist  jetzt 
nichts  mehr  übrig;  es  soll  öfter  umgebaut  worden  sein.  Zuerst 
stand  es  weiter  nach  NO.,  wo  jetzt  schwarzer,  spärlich  mit  Strand- 
hafer bewachsener  Flugsand  liegt.  Henderson  (I,  325)  und 
Thoroddsen  (Geogr.  Tid.  XII,  178)  erwähnen  einen  viereckigen 
steinernen  Fussboden,  25  Fuss  lang  und  20  Fuss  breit,  der  aus 
regelmässigen,  fünfkantigen  Steinen  gebildet  und  mit  einer  zement- 
ähnlichen Masse  zusammengefügt  ist.  Dies  soll  der  Fussboden  und 
die  Grundlage  der  alten  Klosterkirche  sein.  Aber  es  ist  nicht  eine 
äusserst  künstlerische  Zusammenfügung  von  zugehauenen  Basalt- 
säulen, sondern  ein  Werk  der  Natur,  man  kann  die  Basaltsäulen 
bis  tief  in  die  Erde  hinein  verfolgen,  Menschenhände  haben  also  nicht 
die  Pfeilerreihe  in  diese  Ordnung  gebracht ;  und  selbst  das  ist  nicht 
sicher,  dass  die  Christen,  als  sie  dieses  Basaltbett  entdeckten,  ihr 
Gotteshaus  darauf  erbauten.  Ähnliche  Basaltlager  mit  Säulenstruktur 
finden  sich  übrigens  in  Sida  noch  öfter  ^j. 

Ursprünglich  scheint  das  Kloster  eine  besondere  Bedeutung 
nicht  gehabt  zu  haben.  Obwohl  es  der  Hauptschauplatz  der  sogen. 
Svin/ellinga  Saga  ist  (Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  eines  Teiles  der 
Stiirlunga  Saga),  werden  darin  doch  mit  keinem  Worte  die  weib- 
lichen Insassen  des  Klosters  erwähnt.  Das  ist  um  so  wunderbarer, 
als  in  derselben  Saga,  im  Jahre  1249,  eine  fast  unglaubliche  Menge 
Vieh  in  Kirkjubccr  erbeutet  wird:  30  Kühe,  36  Stück  Jungvieh, 
4  Pflugochsen,  120  Milchschafe,  50  Hammel,  70  jährige  Schafe, 
20  Pferde,  25  Schweine,  50  Gänse;  ausserdem  werden  mitgenommen: 
12  Schilde,  12  Speere,  6  Stahlhauben,  6  Panzer,  10  Kisten  und  i 
Pferdelast  Bettdecken  (I,  S.  91/2).  Nach  dem  Zusammenhange  ist 
das  nicht  einmal  das  gesamte  Gut  von  Kirkjubccr,  sondern  nur  die 
Hälfte,  vielleicht  sogar  nur  ein  Viertel;  beachtenswert  ist  auch,  dass 
unter    den    Haustieren    Gänse    und    Schweine    genannt    werden,   die 


1)   Kahle,   Kristni  Saga  S.    103,  Anm.,   S.   125. 
,      2)  Nach  Kaal und  haben  Sigurdur  Vigfüsson  diesen  „Kirchboden"  untersucht 
{Arbök   Fornkifafjelagsins    1888—92,    S.  68),    der   Dichter   Brynjölfur  Jönsson 
(a.  a.   O.   1894,   S.   19,   20)  und  Prof.  Thoroddsen. 


106  Kirkjubaejar-Klaustur. 

heute  auf  Island  fast  ausgestorben  sind,  und  Pflugochsen,  die  Acker- 
bau voraussetzen.  In  einer  Urkunde  werden  30  Kühe  und  7  Kuh- 
werte an  nicht  melkendem  Rindvieh  aufgezählt,  150  Milchschafe, 
60  Hammel,  60  jährige  Schafe,  30  Pferde  (Dipl.  isl.  No.  99,  S.  394). 

In  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  (1343)  wurde  eine  Nonne 
lebendig  verbrannt,  weil  sie  sich  dem  Teufel  verschrieben  und  sich 
überdies  an  einer  geweihten  Hostie  gröblich  vergangen  hatte  ^). 
Sonst  wissen  wir,  dass  12  Äbtissinnen  an  der  Spitze  des  Klosters 
gestanden  haben,  bis  es  zur  Zeit  der  Reformation  säkularisiert 
wurde  und  seine  Besitzungen  (3 1  Bauernhöfe)  mit  den  Privatdomänen 
des  dänischen  Königs  vereinigt  wurden.  1552  schrieb  Kristian  III. 
an  die  letzte  Äbtissin  Halldöra  —  es  waren  damals  ausser  ihr  nur 
sechs  Schwestern  im  Kloster  —  und  befahl  ihr,  eine  Schule  in  der 
Abtei  zu  errichten,  worin  die  Jugend  der  umliegenden  Gegend  lesen 
und  schreiben  lernen  und  in  den  Grundsätzen  der  Reformation 
unterrichtet  werden  sollte  —  aber  der  Plan  wurde  nie  ausgeführt^). 
Jetzt  ist  Kirkjuhcrr,  wie  gesagt,  Sitz  des  Syshmiadur;  sein  Haus 
liegt  weiter  nach  Westen,  als   das  ehemalige  Kloster  lag. 

Von  den  Bewohnern  der  beiden  Klöster  weiss  die  Volkssage 
mancherlei  zu  erzählen. 

Natürlich  fehlt  es  nicht  an  Verkehr  zwischen  den  Mönchen  und  Nonnen.  Jen- 
seits der  Skaptä,  in  der  Landschaft  Landbrot,  wird  eine  sönghöll  gezeigt,  von  wo 
die  Mönche  in  Pykkvibivr  ein  Signal  gaben,  wenn  sie  die  Nonnen  in  Kirkjubcer 
besuchen  wollten^).  Eine  hübsche  Geschich'^e,  auf  deren  Verwandtschaft  mit  Boccaccio 
(II.   Erzählung  des  9.  Tages)  Kahle  aufmerksam  gemacht  hat,  will  ich   erzählen*): 

Einmal  war  ein  Abt  und  ein  oder  mehrere  Mönche  mit  ihm  im  Kloster  Kirk- 
jubcer. Mitten  in  der  Nacht  visitiert  die  Äbtissin  die  Nonnen  und  trifft  in  einer 
Zelle  eine  Nonne  mit  einem  Mönche  im  Bette  liegend.  Die  Äbtissin  beginnt  die 
Nonne  zu  schelten,  da  sieht  diese  nach  dem  Kopfputze  der  Äbtissin  und  sagt:  „Was 
habt  ihr  denn  da  an  dem  Kopfe,  gute  Mutter?"  Da  wurde  die  Äbtissin  gewahr,  dass 
sie  versehentlich  die  Hose  des  Abtes  ergriffen  und  sich  mit  ihr  statt  des  Schleiers 
geschmückt  hatte.  Da  ging  sie  fort  und  sagte:  „Wir  sind  alle  Sünderinnen 
Schwester!" 

9.  Juli. 

Hinter  dem  Wohnhause  ist  ein  schöner,  mit  Gras  bewachsener 
Bergabhang.  Am  nächsten  Morgen  ging  ich  mit  meinem  Wirte  da- 
hin, obwohl  der  Anstieg  ziemlich  steil,  und  die  Luft  bei  dem  feuchten 
Westwinde  drückend  schwül  war.  Oben  auf  dem  Berge  ist  ein  grosses, 
üppiges  Grasland,  die  Kirkjubcejar heidi  (163  m  hoch);  in  der  ganzen 
Runde  wohnt  zwei  Stunden  von    hier   nur   ein   einziger  Bauer.     Auf 


'^.^ 


1)  Flaieyjar  Annäll,  ed.  Storm  402  =  2.  d.  V.  f.  V.  I.  S.  42. 

'^)  Finnur  Jönnson,  Histor.  eccles.  IV,  77  —  82. 

3|  Sö«^ÄÖ//=  ein  Hügel,  wo  gesungen  wird  (vielleicht  von  Elfen),  oder  „Echo- 
fels", oder   „Höhe,   auf  der  gesungen  wird",   oder   „Kapelle"    (?) 

4)  Jon  Arnason,  Isl.  Pjöcts.  II,  S.  71  ff.  —  Kahle,  Germania  1891,  Bd.  36, 
S.  375- 


Kirkjubaejar-Klaustur.  107 

der  Hochebene  befindet  sich  ein  stiller,  dunkelblauer  See,  Systravatti 
(Schwosternsee).  Er  hat  seinen  Namen,  wie  mir  Herr  Giidlaugur 
erzählte,  daher,  dass  in  ihm  zwei  Nonnen  beim  Baden  ertranken. 
Bei  Jon  Arnason  fand  ich  folgende  Sage: 

Zwei  Nonnen  aus  dem  Kloster  gingen  dahin.  Ein  wundervoller  goldener  Kamm 
schimmerte  aus  den  Wellen  empor,  die  eine  versuchte  dorthin  zu  waten,  aber  das 
Wasser  wurde  immer  tiefer,  und  sie  musste  ertrinken.  Auch  die  andere  verlangte 
nach  dem  Kamme.  Da  bemerkte  sie  ein  steingraues  Pferd  am  See  stehen.  Es  war 
so  gross,  dass  sie  es  nicht  eher  besteigen  konnte,  als  bis  es  sich  auf  die  Knie  nieder- 
gelassen hatte.  Mit  ihm  ritt  sie  in  den  See  hinein  —  aber  weder  von  dem  Ross, 
noch  von  der  Nonne,  noch  von  dem   Kamme  hat  man  je  wieder  etwas  gehört. 

Wohl  zwei  Stunden  streiften  wir  auf  der  Hochebene  umher, 
ich  war  ganz  entzückt  von  dem  herrlichen  Ausblick  über  die  viel- 
fachen Windungen  der  Skaptd  und  über  das  ganze  Land  bis  zum 
Meere  hin,  wie  von  dem  üppigen  Blumenflor.  Beim  Abstiege  kamen 
wir  an  einem  seltsam  geformten,  mitten  in  lachenden  Wiesen  ge- 
legenen, einsamen  Felsen  vorbei,  Systrastapi  (Schwesternklippe, 
vergl.  das  Titelbild).  Auf  ihm  sind  die  Gräber  zweier  Nonnen,  von 
denen  die  eine  mit  Unrecht,  die  andere  mit  Recht  wegen  uner- 
laubter Liebe  zum  Tode  verurteilt  worden  war.  Oben  auf  der 
Klippe,  auf  die  wir  uns  mit  Mühe  hinaufwanden,  sollen  die  Gräber 
sein:  das  nach  Westen  gelegene,  wo  die  unschuldig  Bestrafte 
schlummert,  prangt  Sommer  und  Winter  im  grünen  Schmuck;  das 
andere,  östliche,  ist  alle  Zeit  aller  Blumen  bar  und  öd  und  grau. 
Nach  Bischof  F  i  n  n  s  Kirchengeschichte  ist  der  Systrastapi  von  der 
Skaptd  umflossen,  heute  liegt  er  nördlich  davon  und  etwa  fünf 
Minuten  vom  Wohnhaus  entfernt  (vergl.  S.  96). 

Auf  Kirkjiibdr  endlich  findet  das  Ereignis  statt,  das  den  An- 
stoss  zu  Gunnars  Unglück  gibt  und  schliesslich  seinen  Tod  be- 
wirkt: der  Diebstahl  seiner  schönen  und  stattlichen,  aber  herzlosen 
und  rachsüchtigen  Ehefrau  Hallgerdr.  Ich  habe  früher  erzählt,  wie 
sie  durch  ihren  Knecht  von  hier  zwei  Pferdelasten  Speisewaren 
stehlen  lässt,  wie  Gniifiarr  sie  deswegen  schlägt,  und  wie  sie  ihm 
droht:  ,,Den  Backenstreich  sollst  du  mir  büssen!"  (Kap.  V,  S.  219, 
Kap.  X,  S.  50V  Der  Diebstahl  und  die  Brandlegung  des  Speichers 
(hir)  wird  dadurch  bezeugt,  dass  man  beim  Graben  an  der  Stelle, 
wo  man  das  bilr  vermutet  hatte,  wirklich  seine  Fundamente  aufge- 
deckt hat^).  Das  Sprichwort,  das  ich  einmal  auf  Island  hörte: 
vi'da  konia  Hallgerdi  bitlingar  ,, Hallgerdr  bekommt  ihr  Essen 
überall  her",  d.  h.  von  allen  Seiten  bekommt  man  Nachrichten  über 
etwas,  stammt  aus  dieser  Diebsgeschichte  ^). 


1)  Arbök  fornleifafj.  1888-92,  S.  534. 

2)  Kann    sich    auch    darauf   beziehen,    dass    Hallgerdr  zufällig    durch    ein    paar 
Bettelvveiber  von  den  Plänen  des  Njäll  und  seiner  Söhne  erfährt. 


108  Kirkjubaer.     Ein  isländischer  Blumenstrauss. 

Auch  eine  Runeninschrift  auf  einem  fünfeckigen,  blauen  Basalt- 
steine ist  hier  aufgefunden.  Sie  hat  den  üblichen  Anfang:  „hier 
ruht  .  .  .",  aber  die  Zeichen  sind  so  verwischt,  dass  sie  nicht  mehr 
zu  entziffern  sind^). 

Nach  Tisch  schlenderten  wir  ziellos  umher,  um  uns  an  dem 
hellen  Sonnenschein  und  der  Blumenfülle  zu  laben,  die  Täler  und 
Höhen  schmückten.  Ögmundur  sang  ein  isländisches  Lied  auf 
die  Blumenpracht  nach  der  feierlichen  Melodie  von  ,, Integer  vitae". 
Es  war  eine  ordentliche  Erholung  für  das  Auge,  nach  den  langen 
Wüstenwanderungen,  den  vielen  Lavagebilden  und  nackten  Fels- 
gesteinen, sich  an  dieser  Pracht  laben  zu  können.  Aus  den  saftig 
grünen  Wiesengräsern  lugten  zahllose  duftige  Spiräen  (jMjadjiirt) 
hervor,  bescheidene  Stiefmütterchen  (Viola  tricolor,  Fjöla),  Berg- 
mohn mit  der  zarten  weissen  Blüte  und  der  rötlichbraunen  Aussen- 
seite,  (Papaver  radicatum,  Alelasöl),  der  lebhaftgelbe  Löwenzahn 
(Taraxacum  vulgare,  F/yill),  das  dunklere  Gelb  des  Hahnenfusses, 
(Ranunculus  acer,  Söley ;  R.  repens  =  Skridsölcy ;  R.  pygmäus  = 
Dvergsöley),  die  zarte  gelbgrüne  Orchidee  (Coeloglossum  viride, 
Baniaröt).  An  den  Halden  standen  die  Alpen-  oder  Rauschbeere 
(Empetrum  nigrum,  KrcEkiber)  mit  ihren  noch  unreifen,  grünen, 
runden  Beeren;  nach  dem  Flusse  zu  versteckten  sich  das  weisse 
Leberkraut  (Parnassia  palustris,  Mxrarsöley)^  in  den  sumpfigen 
Teilen  nickten  die  silberschimmernden  Büschel  des  Wollgrases  (Eri- 
oph.  angustifol.,  Fifa),  und  Vergissmeinnicht  blickten  verstohlen 
zwischen  aufdringlicheren  Blumen  empor  (Mysotis  arenaria,  Gleym- 
vijcr-ei  [wörtliche  Übersetzung  von  Vergiss  mein  nicht]  oder 
Kattarmiga  ,, Katzenauge" ;  die  Blätter  heissen  Kattarklö,  ,, Katzen- 
klaue", weil  sie  fest  kleben  bleiben,  wenn  man  sie  auf  die 
Kleider  wirft).  Alle  Farbentöne  aber  überwog  das  Blau.  Sehr  er- 
staunt war  ich,  verschiedene  Gentianen  vorzufinden,  die  funkelnden 
Edelsteine,  wie  ein  Reisender  sie  nennt,  bei  denen  man  Hunger 
und  Durst  vergisst  (Gent,  camp.,  JManm'öndur);  Gent.  Amarella 
subarct.,  Grccnvöndnr ;  Gent,  tenella,  Marni7'e)idliNgiir).  Davon 
hob  sich  das  Himmelblau  des  Storchschnabels  überaus  zart  ab 
(Geranium  =  Bldgresi;  Ger.  silv.,  Storkabldgresi  oder  Lituiiargras, 
früher  auf  Island  zum  Blaufärben  benutzt).  Doch  keine  Blume  er- 
freute mich  so  wie  die  bescheidene  kleine  Glockenblume  (Campa- 
nula  rotundifolia,  Bldklukka).  Wo  immer  ich  sie  auf  meinen  Reisen 
angetroffen  hatte,  von  Tirol  an  und  weiter  südwärts,  von  Kopen- 
hagen und  Kristiania  an  bis  fast  zum  Nordkap,  von  Stockholm  bis 
zur  Lappmark  —  überall,  du  treuer  Reisegefährte,  hat  mich  dein 
schlichter  Zauber  gerührt,  haben  mich  deine  klaren  blauen  Farben 
erfrischt,  deine  reizenden  Blüten  mich  entzückt,  und  stets  war  mir, 


1)  Henderson  I,   S.  335.    —   Kaalund,  Fortidsl.   124. 


Kirkjubser.      „O  wundervoll  ist  unser  Land."  109 

wie  wenn  du  mir  mit  deinen  zierlichen  Glocken  einen  Gruss  aus 
der  fernen  Heimat  zuläutetest!  Und  niemals  hätte  ich  gedacht, 
dass  sich  in  diesen  „Gestaden  der  Vergessenheit",  wo  Feuer  und 
Eis  in  grauenvollem  Bunde  die  schrecklichsten  Verheerungen  ange- 
richtet haben,  ein  paradiesischer  Ort  finden  würde,  auf  den,  wie 
auf  das  ganze  Eisland  überhaupt,  das  wundervolle  Gedicht  von 
Jon    TJi.   TJiöroddsen  passen  würde: 

Island. 

O  wundervoll  ist  unser  Land 
Am  schönen  Sommertage ! 
Die  Erde  trägt  ein  grün  Gewand, 
Die  Herde  spielt  im  Hage. 
Auf  schlägt  sein   blaues  Aug  das  Tal 
Zum   Sonnenlicht,  dem  hellen. 
Die  Wiese  glänzt,   der  Wald  zumal, 
Wie   Gold   erglühn  die  Wellen. 

Im  Winter  sind  nicht  minder  schön 
Die  schneebedeckten  Zacken. 
Des  Nordlichts  Strahlendiadem 
Umfunkelt  Haupt  und   Nacken, 
Wenn  flimmernd  blitzt  der  Sterne   Glanz 
Weit  auf  kristallnem  Eise^ 
Im   Felsen  schlingt  der  Elfen   Tanz 
Geheimnisvolle  Kreise. 

Du  bargst  die  Ahnen  gnädiglich, 
Hast  ihnen  Ruh  gegeben: 
Mög  auf  der  Vorzeit  Trümmern  sich 
Gestalten  neues  Leben ! 
Gesegnet  seist  du,  schönes  Land, 
Gesegnet  all  die  Deinen, 
Solange  grünt  der  Berge  Wand, 
Solange   Sternen  scheinen. 


Der  schöne  Tag  fand  durch  einen  gemütlichen  Abend  im  Kreise 
der  Familie  einen  würdigen  Absehluss.  Es  ist  in  Island  nicht  Sitte, 
dass  sich  die  Hausfrau  mit  den  Gästen  zu  Tisch  setzt;  gewöhnlich 
weilt  sie  im  Nebenzimmer,  um  jedes  Winkes  gewärtig  zu  sein;  ja, 
bei  einem  Preshtr  war  ich  zwei  volle  Tage  zu  Gaste,  ohne  über- 
haupt die  Dame  des  Hauses  zu  Gesicht  zu  bekommen,  die  sich  in 
sorglicher  Tätigkeit  für  uns  geradezu  aufrieb.  Eine  Ausnahme  hatte 
bisher  nur  Reykholt  gebildet,  wo  die  reizenden  Pfarrerstöchter,  Störi- 
in'ipiir,  wo  die  liebenswürdige  junge  Frau  Pastor,  und  Störölfshvoll, 
wo  die  gütige  Frau  Dr.  an  den  Mahlzeiten  und  Männerreden  teil- 
genommen hatten.  In  Kirkjubcer  kamen  nach  dem  Abendessen  die 
allerliebsten  Töchter  zu  uns,  während  wir  aus  der  unerschöpflichen 
Zigarrenkiste  rauchten,  und  plauderten  mit  uns;  die  Hausfrau  selbst 


110  Kirkjubaer.     Ein   musikalischer  Abend. 

lernten  wir  erst  am  letzten  Vormittag  kennen.  Für  den  fremden 
Wanderer  gibt  es  kein  behaglicheres  Gefühl,  als  im  trauten  Familien- 
kreise von  den  Seinen  daheim  erzählen  zu  können  und  ein  empfäng- 
liches Ohr  für  die  kleinen  Sorgen  und  Ängste  zu  finden ,  die  den 
Gatten  und  Vater  überfallen ,  wenn  er  so  unerreichbar  weit  von 
Frau  und  Kindern  ist.  Dankbar  gedenke  ich  auch  des  musikalischen 
Genusses,  den  uns  die  jungen  Damen  bereiteten ;  die  eine  hatte  eine 
angenehme  frische  Stimme ,  und  die  andere  begleitete  sie  auf  dem 
Harmonium.  Zuerst  wurden  dänische  Lieder  gesungen  (Danmarks 
Melodier),  dann,  als  ich  um  einige  isländische  Lieder  bat,  auch  solche : 
Das  Tausendjahr-Feierlied  von  Matthias  Jochumsson ,  komponiert 
von  Svei}ibjör)i  Sveinhjörnsson,  und  ,, Island"  von  Hatuies  Hafsteinn, 
nach  der  Melodie :  ,,Die  Wacht  am  Rhein".  Der  Vater,  der  ja  kurz 
vorher  in  Reykjavik  gewesen  war,  hatte  einige  neue  Kompositionen 
von  Bjarni  Porsteüisso)!  mitgebracht,  z.  B.  Kirku/n'oll  (Gedicht 
von  Giidnntndur  Gnd?NU>idsso?i).  Das  Lied  erzählt  von  einem 
Knaben,  der  an  einem  Sonntagabend  den  Gottesdienst  der  Elfen  in 
einem  Hügel  belauscht  hat.  Wie  den ,  der  im  Reiche  der  Elfen 
verweilte,  unbezwingbare  Sehnsucht  erfasst,  bis  er  zu  ihnen  zurück- 
kehrt oder  stirbt  oder  von  Sinnen  gerät ,  so  vernimmt  der  Knabe 
seitdem  fortwährend  vor  seinen  Ohren  den  wunderbaren  Klang  der 
Elfenglocken.  ,,Vom  Hügel  tönt  die  Glocke  melodisch  in  die  Nacht", 
lautet  der  Refrain;  mit  tief  empfundener  Kunst  hat  der  Tondichter 
diese  geheimnisvollen  Schauer  des  Elfenreiches  auszumalen  ver- 
standen, und  die  feierlichen,  mystischen  Glockentöne  passen  gerade 
für  das  volle  Harmonium  ausgezeichnet. 

Den  Höhepunkt  der  musikalischen  Unterhaltung  bildete  aber 
unstreitig  der  Vortrag  zweier  Lieder  desselben  Komponisten,  die 
im  wahren  Sinne  volkstümlich  und  patriotisch  zu  nennen  sind;  dem 
ersten  prophezeie  ich  nach  Text  und  Melodie  geradezu  die  Bedeutung 
eines  isländischen  Nationalliedes.  Beide  Gedichte  stehen  in  Indridi 
Einarssons  Drama  „Das  Schiff  sinkt."  Das  erste  ,,Gissurr  tummelt 
froh  den  Renner"  hat  mit  der  Handlung  wenig  zu  tun,  das 
zweite  ,,Kühn  war  er  wie  ein  Löwe"  passt  besser  (I,  S.  356),  es  ist 
gewissermassen  die  Variation  eines  bekannten  gemeingermanischen 
Themas :  wer  sich  gegen  sein  eigenes  Land  wendet,  auch  wenn 
ihm  die  Heimat  noch  so  übel  mitgespielt  hat,  wird  als  noch  so 
gefeierter  „Überläufer"  doch  stets  von  heisser  Sehnsucht  nach  ihr 
und  von  bitterer  Reue  gequält  werden;  es  ist  eine  der  wenigen 
volksliedartigen  Balladen,  die  die  isländische  Poesie  aufzuweisen 
hat,  und  verdient  schon  deshalb  Beachtung. 

Von  dem  zweiten  Liede  teile  ich  zunächst  die  Übersetzung 
mit : 


Kirkjubser.     Indridis  Lied.  111 


Islands  Freiheit  geht  verloren. 

Gissurr  tummelt  froh   den   Kenner,   ihm  gelang  der  Trug. 
Seinem  Tross  ist  keine   Strasse,   kein   Weg  breit  genug. 
Ach,   die  Burgen  sind  zerstört !   — 

Auf  dem  Pferd  häng'  ich  gebunden,  wohin  führt  man  mich? 
Erst  bei  Hei  der  Ritt  wird  enden.  Freunde,  denkt  an  mich! 
Kummer  quält  mich  unerhört,   drückt  schwer  wie  Blei. 

Tanze,  armer  Fuchs,  nun,  tanze !  's  ist  das'  letzte  Mal, 
Dass  du  sprengst  mit  deinem  Reiter  über  Berg  und  Tal. 
Ach,   die  Burgen  sind  zerstört !    — 

Wenn  die   Sonne  wieder  aufgeht,  deine  Last  ist  leicht. 
Denn  an  deinem   Sattelknopfe  hängt  mein  Haupt  so  bleicli. 
Kummer  quält  mich  unerhört,   drückt  schwer  wie  Blei. 

Hocherhob'ne  Beile  blinken,  Feuer  ringsum  loht, 
Bis  zur  Stätte,   wo  ich  sterbe,   flammt  es  blutigrot. 
—   Ach,   die  Burgen  sind  zerstört,  alles  vorbei !    — 
Über  Island  schwebt  nun  drohend  fremde  Königsmacht, 
Warum  ist  der  arge  Bube  nicht  längst  umgebracht?  — 
Kummer  quält  mich  unerhört,  drückt  schwer  wie  Blei. 

Während  das  zweite  Lied  „Kühn  war  er  wie  ein  Löwe"  ein 
durchaus  eigenes  Erzeugnis  des  Dichters  ist,  hat  er  die  Idee  und 
den  Grundakkord  zu  dem  ersten   der  Stur lunga- Saga  entnommen. 

Unter  den  Anhängern  des  wenig  sympathischen  Gissurr  Porvaldssofl,  des  ersten 
Statthalters  des  norwegischen  Königs,  befand  sich  anfänglich  auch  Pörctr  Andresson. 
Er  half  1253  auf  dem  Thing,  unterstützte  ihn  mit  30  Mann,  merkte  aber  bald,  dass 
auf  Gissurr  kein  Verlass  war,  und  fasste  dann  den  Plan,  ihn  aus  dem  Wege  zu 
räumen.  Dieser  Anschlag  auf  sein  Leben  ward  aber  Gissurr  verraten,  und  es  kam 
zwischen  beiden  zu  offener  Feindschaft.  Pördr  hielt  sich  mit  seinen  Brüdern  in  den 
Bergen  nördlich  von  der  Pörsniörk  auf;  da  aber  Gissiirr  verräterischerweise  1264 
eine  Zusammenkunft  mit  ihm  verabredete,  folgte  Pördr  allzu  vertrauensselig  der  Auf- 
forderung. Zu  einem  Bauern,  der  ihn  begleitete  und  ihn  fragte,  was  er  nach  seiner 
Versöhnung  mit  Gissurr  tun  würde,  äusserte  er :  „So  wird  das  nicht  zugehen.  Ich 
werde  getötet  werden,  aber  meine  Brüder  werden  Frieden  haben."  Bei  diesen 
Worten  spornte  er  sein  Ross  an  und  sang  mit  lauter  Stimme:  „Miliar  erii  SOr^ir 
fungar  sem  bly"  ^).  Er  wurde  ergriffen  und  mit  einer  Axt  in  den  Hals  gehauen, 
so  dass  er  tot  zusammenbrach.  Aber  Gissurr  befühlte  die  Wunde  und  befahl ,  die 
Axt  noch   einmal  in  den  Leib  des  Toten  zu  schlagen. 

Die  Stimmung  also,  die  in  dem  losgerissenen  Seufzer  liegt :  ,, Meine 
Kümmernisse  sind  schwer  wie  Blei"  hat  Indridi  den  Grundton  zu 
seinem  ergreifenden  Liede  gegeben.  Er  hat  mit  feinem  dichterischen 
Empfinden  gemerkt,  dass  diese  Worte  wohl  der  Kehrreim,  der 
,,Stev"  eines  volkstümlichen,  erzählenden  Gedichts  gewesen  sind, 
sie  deshalb  mit  Glück  als  Refrain  beibehalten  und  ihnen  ein  Gegen- 
stück in  dem  Kehrreime  gegeben:  ,,Ach,  die  Burgen  sind  zerstört." 
Sonst    hat  er  den    Helden    weit    über    seine   Vorlage    erhoben   und 


1)   Oxforder  Ausgabe   II,   S.   263  —  265,   Buch  VII,   K.  329. 


112 


Kirkjubaer.     „Islands  Freiheit  geht  verloren/' 


idealisiert,  das  Episodenhafte  getilgt  oder  zum  Reinmenschlichen 
erhöht  und  Pördr  zum  letzten  Verteidiger  der  isländischen  Freiheit 
gemacht.  Für  ein  Konzert  in  Torgau,  bei  dem  beide  Lieder  ge- 
sungen wurden,  hatte  ich  als  Überschriften  gewählt:  ,, Islands  Frei- 
heit geht  verloren"  und  für  das  zweite  Lied  einfach:  ,, Ballade." 
Ich  war  sehr  erfreut,  als  mir  der  Dichter  sein  volles  Einverständnis 
mit  dieser  Bezeichnung  brieflich  mitteilte.  Durch  die  Wiedergabe 
der  Komposition  von  ßjarni  Porsfeinssou  hofte  ich  mir  den  Dank 
meiner  Leser  zu  verdienen.  Sie  mag  besser  als  Worte  einen  Begriff 
von  der  isländischen  Musik  unserer  Tage  geben.  Wer  den  unendlich 
schwermütigen  Refrain  ,,Ach,  die  Burgen  sind  zerstört",  ,, Kummer 
quält  mich  unerhört,  drückt  schwer  wie  Blei"  einmal  vernommen, 
wird  ihn  nicht  leicht  wieder  aus  dem  Gedächtnis  verlieren. 


Islands  Freiheit  geht  verloren. 

(Indridi  Einarsson.) 
Andante  espressivo.  Bjarni  Porsteinssoti. 


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1.  Gis- surr  tum- melt 

2.  Tan-  ze,     ar  -  mer 

3.  Hoch -er -hob  -  ne 


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1.  froh  den  Ren- ner,       ihm    ge  -  lang    der      Trug. 

2.  Fuchs,  nun,  tan  -  ze,       's  ist  das   letz  -  te  Mal, 

3.  Bei  -  le  bliu-ken,       Feu  -  er  rings -um       loht, 


Sei  -  nem  Tross  ist 
dass  du  sprengst  mit 
Bis    zur  Stät  -  te. 


„Islands  Freiheit  geht  verloren." 


113 


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1 .  kei  -  ne    Stra  -  sse, 

2.  dei-nem  Rei-ter 

3.  wo  ich    ster  -  be, 


kein  Weg  breit  ge- 
ü  -  her  Berg    und 
flammt  es    blu  -  tit; 


nug. 
Tal. 
rot. 


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(Vers  3  ) 


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1 .  Ach,     die      Bur  -  gen 

2.  Ach,     die      Bur  -  gen 

3.  Ach,     die      Bur  -  gen 


sind  zer  -  stört, 
sind  zer  -  stört, 
sind  zer  -  stört. 


al  -  les    vor 


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Auf  dem  Pferd  häng'    ich     ge  -  bun  -den,     wo  -  hin  führt  man  mich  ? 

Wenn  die    Son  -  ne       wie  -  der  auf-  geht,     dei  -  ne  Last    ist     leicht, 

Ü  -  ber     Is- land  schwebt  nun  dro-hend  frem-de    Kö -nigs -macht, 


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Herrmann,    Island  II. 


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„Islands  Freiheit  geht  verloren." 


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1.  Erst  bei  Hei    der  Ritt  wird    en  -  den.  Freun-de  denkt  an    mich! 

2.  denn    an    dei  -  nem   Sat  -  tel-knop  -  fe  hängt  mein  Haupt  so  bleich. 

3.  Wa-rum  ist     der     ar  -  ge    Bu  -  be  nicht  längst  um  -  ge-bracht? 


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I — 3.  Kummer  quält  mich    un  -  er  -  hört,  drückt  schwer  wie    Blei, 

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Kirkjiibaer.     Schiffbruch  des  „Friedrich  Albert".  IIa 


lO.  Juli. 

Die  drückende  Schwüle  von  gestern  hat  sich  in  Nebel  und 
sanften  Regen  aufgelöst;  dichte  Schleier  hängen  über  der  ganzen 
Landschaft,  so  dass  man  nicht  einmal  die  Kirkjubccjar heidi  unmittel- 
bar hinter  dem  Hause  sehen  kann.  Als  Ögmundur  auf  dem  Hoch- 
plateau unsere  Pferde  suchen  will,  kann  er  kaum  zwei  Schritt  weit 
blicken,  und  als  er  mit  Mühe  sieben  Tiere  eingefangen  hat  und 
nach  den  noch  fehlenden  zweien  umherirrt,  sind  die  ersten  wieder 
verschwunden.  So  kommt  er  erst  gegen  zwei  Uhr  zurück,  müde  und 
durchnässt,  während  wir  schon  Mittagbrot  gegessen  haben  und  uns 
an  Schokolade  und  Kuchen  erquicken.  Zwar  hat  sein  langes  Fern- 
bleiben mich  daran  gehindert,  den  Arzt  in  der  Nähe, /^?/r;/?  y^/7.yjö?z, 
zu  besuchen,  der  sich  der  Unglücklichen  des  ,, Friedrich  Albert"  so 
aufopfernd  angenommen  hat,  aber  es  hat  doch  auch  das  Gute  ge- 
habt :  der  Regen  hat  aufgehört ,  und  ich  habe  Zeit  genug  gehabt, 
mich  beim  Sysliuuadur  über  die  Schicksale  der  Schiffbrüchigen  zu 
erkundigen.  Wir  gingen  davon  aus,  dass  das  Deutsche  Reich  jede 
Beihilfe  für  ein  Kabel  nach  Island  abgelehnt  habe,  weil  es  kein 
Interesse  daran  habe.  Aber  nach  Angabe  des  Herrn  Giidlaiigiir 
kommen  jährlich  etwa  300  deutsche  Fischerfahrzeuge  nach  Island, 
und  das  traurige  Los  des  ,, Friedrich  Albert"  hätte  den  Behörden 
zeigen  sollen,  dass  auch  wir  an  einer  schnellen  Verbindung  mit 
Island  lebhaftes  Interesse  haben.  Wie  viel  Angst,  Aufregung  und 
Kummer  wäre  den  Angehörigen  erspart  geblieben,  wenn  sie  tele- 
graphisch hätten  nach  Hause  melden  können,  dass  sie  gerettet 
seien.  So  kam  wohl  die  Kunde  von  der  Strandung  verhältnismässig 
früh  nach  Deutschland,  aber  die  wertvollere  Nachricht  von  ihrer 
Rettung  gebrauchte  Monate. 

Ich  vermute  übrigens,  dass  Ernst  von  Wildenbruch  von  dem  kläglichen 
Schicksale  des  „Friedrich  Albert"  gehört  hat.  In  seine  „Hauskomödie:  Der  unsterb- 
liche Felix"  spielt  eine  Episode  hinein,  die  genau  den  hier  erzählten  Ereignissen  ent- 
spricht. Die  Angehörigen  eines  Steuermanns  auf  einem  Fischereidampfer  „Christo- 
phoros"  sind  lange  ohne  Nachricht  geblieben,  „und  Island,  das  ist  weit";  sie  sehen 
in  den  Zeitungen  nach,  ob  vielleicht  in  ihnen  etwas  steht,  gehen  doch  so  viele  Schiffe 
da  oben  verloren.  Ein  Schiffsbau-Techniker  aus  Bremerhaven  hat  den  schweren  Auf- 
trag bekommen,  Nachforschungen  nach  der  Familie  anzustellen  und  sie  darauf  vorzu- 
bereiten,  dass  das  Schiff  ein  wenig  lange  ausbleibt,  ja  monatelang  verschollen  ist, 
und  dass  der  Steuermann  als  ertrunken  gelten  muss.  Der  herzzerreissende  Schmerz 
der  Mutter,  die  ihren  einzigen  Sohn,  und  der  Frau,  die  den  Gatten  und  Vater  ihres 
kleinen  Kindes  verloren  hat ,  wirkt  auf  den  Helden  der  Komödie ,  den  eingebildeten 
Dichterling  so  ein,  dass  er,  da  ihm  zugleich  die  Augen  über  sein  bisheriges,  auf 
Eitelkeit  und  Reklame  gegründetes  Leben  aufgehen,  beschliesst,  die  Waise  an  Kindes- 
statt aufzunehmen.  Aber  im  letzten  Augenblicke  kommt  ein  Telegramm  von  der 
Reederei  über  Kopenhagen:  Das  Schiff  ist  an  der  Küste  von  Island  gescheitert  und 
zum  Teufel,  die  Besatzung  aber  hat  sich  ans  Land  gerettet  und  lebt;  von  Bremer- 
haven  ist  schon   ein   Schiff  hinaus,    sie   zu   holen.      Nicht    nur    die    allgemeinen   Umrisse 

8* 


116 


Kirkjubser.     Schiffbruch  des   „Friedrich  Albert". 


scheinen  mir  überraschend  zu  stimmen ,  sondern  einer  der  Geretteten  stammt  auch, 
wie  ich  später  bei  dem  Arzte  Pöntur  Pörctarsoil  erfuhr,  aus  Weimar,  dem  Wohn- 
sitze des  gefeierten  Dichters'). 

Am  Abend  des  19.  Januar  1903  gegen  10  Uhr  strandete  der  Geestemünder 
Fischdampfer  „Friedrich  Albert"  an  der  Südküste  von  Island,  etwa  12  Seemeilen  west- 
lich von  Ingölfshöfdi  in  einer  we- 
gen ihrer  starken  Stromversetzung 
verrufenen  Bucht  und  wurde  wrack  ; 
diese  Bucht  ist  darum  besonders 
gefährlich,  weil  während  der  Nacht 
jede  Orientierung  fehlt,  da  Leucht- 
feuer nicht  vorhanden  sind.  Den 
wachthabenden  Steuermann  traf 
insofern  ein  Verschulden  an  der 
Strandung,  als  er  trotz  Befehls  des 
Kapitäns  es  unterlassen  hatte ,  zu 
loten,  und  dass  er,  als  das  .Schiff 
in  der  Brandung  war,  nicht  abdrehte, 
sondern  rückwärts  ging.  Die  Lei- 
chen der  drei  bei  dem  Schiffbruch 
verunglückten  Leute  wurden  später 
gefunden,  und  zwar  z.  T.  im  Schiffe 
selbst.  Befände  sich  die  Südküste 
Islands,  an  der  gerade  die  deutsche 
Fischerflotte  so  tätig  ist,  durch  Be- 
feuerung in  besserer  Verfassung, 
so  könnte  sie  den  Schiffer  recht- 
zeitig warnen.  Die  aus  12  Mann 
bestehende  Besatzung  rettete  sich 
vier  Stunden  später  ans  Land,  wo 
sie  bis  zum  elften  Tage  vergeblich 
nach  menschlichen  Wohnungen  zu 
gelangen  suchte.  Hätten  sie  sich 
nach  Osten  gewandt,  würden  sie 
an  einem  Tage  den  Bauernhof 
Fagurhölsmyri  erreicht  haben. 
Aberabgeschrecktdurch  die  Schnee- 
und  Eismassen  des  Örcpfajökull 
zogen  sie  es  vor,  nach  Westen  und 
Nordwesten  zu  tappen,  über  Lagu- 
nen, Abflüsse,  Sandwüsten  und 
Gletscherströme.  Infolge  der  Kälte, 
Anstrengungen  und  Entbehrungen  starben  3  Mann,  mehrere  erlitten  durch  Frost  Be- 
schädigungen und  Verlust  von  Gliedmassen,  an  vieren  wurden  später  von  Dr.  Pördttr 
Pördorson  Amputationen  vorgenommen,  und  es  wurden  ihnen  z.  T.  die  Füsse  bis  zur 
Ferse  abgenommen.  Die  Kunst  des  isländischen  Arztes  hatte  sie  später  doch  soweit 
gebracht,    dass  drei  wieder  gehen  konnten,   wenn  auch  nur  langsam,   und  auf  Stöcken 


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1  , 

Fig.  80. 


Sigurdur  JOnsson ,     Bauer  von  ürrustu- 
stadu-  mit  Frau  und  Tochter. 


^)  Der  folgende  Bericht  ist  auf  den  Erzählungen  isländischer  Gewährsmänner 
aufgebaut.  Dass  er  nicht  übertrieben  ist,  zeigt  das  inzwischen  erschienene  Buch:  Vom 
Tode  erstanden.  Dem  Andenken  der  toten  Kameraden  auf  Island  gewidmet  von  ihrem 
Kapitän  Georg  Büschen,  Bremerhaven  1905.  — -  Es  freut  mich,  dass  darin  auch 
der  Männer  dankbar  gedacht  ist,  denen  ihre  treue  Hilfe  nicht  amtlich  durch  Ordens- 
verleihungen bescheinigt  ist,  des  Herrn  Kaaber,  Geschäftsführer  des  Deutschen 
Konsuls  in  Reykjavik,  und   vor  allem  des  wackern  Bauern  Sigurdur  Jönsson. 


Kirkjubser.     Errichtung  von  Schutzhütten   an  der  Südküste.  117 

gestützt,  der  vierte  muss  Zeit  seines  Lebens  getragen  werden.  Ein  fünfter  hat  beide 
Beine  unter  den  Knien  infolge  des  erlittenen  Frostschadens  verloren.  Unter  der  um- 
sichtigen und  energischen  Leitung  des  Kapitäns  —  eine  Karte  besassen  sie  nicht,  und 
diese  hätte  ihnen  in  dem  öden  Skeiitarärsandiir  auch  wenig  genützt  —  gelangten 
die  Überlebenden  endlich  zu  bebauten  Gegenden,  wo  ihnen  von  der  isländischen  Be- 
völkerung liebevolle  Aufnahme  und  Pflege  zu  teil  wurde.  Ich  habe  früher  erzählt, 
dass  der  Sfisluinadlir  für  seine  bewunderungswürdige  Umsicht  und  tatkräftige  Hilfe 
mit  dem  Roten  Adler-Orden  IIL  Klasse,  Konaul  Thomsen  mit  dem  Kronen-Orden 
IV.  Klasse  und  Dr.  Pörctur  zu  Borgir  mit  dem  Roten  Adler-Orden  IV.  Klasse  aus- 
gezeichnet sind.  Nur  den  armen  Häusler  Sigltrdlir  Jönsson,  unsere  Reisebekannt- 
schaft von  Porvaldseyri,  hat  man  vergessen,  und  in  gewisser  Beziehung  hat  gerade 
er  die  grössten  Verdienste.  Er  nahm  die  Unglücklichen  in  seinem  kleinen  Bauern- 
hofe Orrusinsfadir  auf  (Schlachtstätte) ,  packte  sie  sofort  in  seine  Betten  und  er- 
quickte sie  mit  warmer  Milch,  ritt  ohne  Zögern  unter  nicht  geringen  Gefahren  über 
die  reissenden,  winterlichen  Ströme  und  benachrichtigte  den  Sfisluniadur.  Hoch 
klingt  das  Lied  vom  braven  Mann!  Das  Seeamt  Bremerhaven  hat  in  seinem  Spruche 
vom  2.  Juni  1903  allerdings  ausgesprochen:  „Insbesondere  verdient  hohe  Anerkennun5 
die  allen  Schiffbrüchigen  von  dem  Besitzer  des  kleinen  Bauernhofes  Orrnstitstadir, 
den  sie  zuerst  erreichten,  zuteil  gewordene  Pflege  und  Fürsorge"  (Nordwestdeutsche 
Zeitung,  4.  Juni  1903,  Beilage  Nr.  128).  Aber  ich  meine,  der  wackere,  bescheidene 
Mann  —  „Höher  und  himmlischer  wahrlich  schlug  das  Herz,  das  der  Bauer  im  Kittel 
trug  !"  —  verdient  es  auch  im  Bilde  festgehalten  zu  werden.  Es  ist  das  Einzige,  was 
wir  für  ihn  tun  konnten.  Als  wir  am  Nachmittag  an  seiner  Behausung  vorüber- 
kamen, liessen  wir  es  uns  nicht  nehmen,  ihn,  seine  Frau  und  seine  Tochter  zu  photo- 
graphieren,  trotz  ihres  Sträubens  und  trotz  ihrer  Angst,  die  sie  vor  der  Ijösmynda- 
vjel  hatten  (photographischer  Apparat ;  Fig.   80). 

Nachdem  das  Seeamt  dem  tatkräftigen  Eingreifen  des  „Strand- 
vogtes" (sysluniadur,  auch  als  „Kreisrichter"  bezeichnet)  und  Be- 
zirksarztes, sowie  dem  sofortigen  Handeln  des  deutschen  Konsuls 
die  vollste  Anerkennung  gezollt  hatte,  der  sogleich  alles  Erforder- 
liche veranlasste,  um  die  traurige  Lage  der  Schiffbrüchigen  zu  er- 
leichtern und  ihre  Rückkehr  in  die  Heimat  in  die  Wege  zu  leiten, 
sprach  es  weiter  aus:  Die  von  dem  deutschen  Konsul  Thomsen 
angeregte  Errichtung  von  Schutzhütten  an  der  Südküste  zur  Ver- 
hütung solcher  Leiden  wäre  mit  Freuden  zu  begrüssen,  und  es  wäre 
wünschenswert,  wenn  das  Seeamt  Veranlassung  zu  diesen  Massregeln 
gäbe.  Konsul  Thomsen  hat  aber  nicht  nur  ,,sehr  gute"  Vor- 
schläge gemacht,  sondern  sie  auch  in  die  Tat  umgesetzt.  Er  hat 
auf  eigene  Kosten  an  dem  gefährlichsten  Teile  der  Südküste,  an 
der  Stelle,  wo  die  Besatzungen  der  gestrandeten  Fischdampfer  zum 
grössten  Teile  zugrunde  gingen,  eine  Schutzhütte  errichten  lassen, 
wie  sie  vom  Deutschen  Seefischerei- Verein  angeregt  worden  war. 
Kenner  der  Südküste,  besonders  des  Skeidardrsaiidur,  unter  anderem 
auch  der  Kommandant  des  dänischen  Kreuzers  ,,Hekla",  der  neben 
dem  Schutze  der  Fischerei  mit  der  Vermessung  der  isländischen 
Küste  beschäftigt  ist,  zweifeln  zwar,  dass  die  Hütte  stand  halten 
werde.  Da  aber  das  Wrack  über  zwei  Jahre  dicht  am  Strande  der 
Brandung  widerstanden  hat,  scheint  die  Möglichkeit  nicht  ausge- 
schlossen, sehr  stark  gebaute  und  tief  verpfählte  niedrige  Hütten  in 


1 18  Kirkjubaer.     Konsul  Thomsens   Schutzhütte. 

der  Nähe  des  Strandes  zu  errichten  und  zu  erhalten.  Ebenso  wird 
es  mögUch  sein,  an  einigen  Punkten  der  Küste  Baken  zu  errichten, 
die  in  erster  Linie  einen  Anhahspunkt  für  Navigierung  in  der  nächsten 
Nähe  dieser  ganz  entblössten  Küste  geben  sollen,  dann  aber,  wie 
die  Schutzhütten,  mit  einfachen  Reiseplänen  nach  den  nächsten  An- 
siedlungen,  sowie  mit  einigen  Lebensmitteln  ausgerüstet  sein  müssen. 
Ich  hatte  Konsul  Thomsen  versprochen,  wenn  irgend  möglich 
seine  zwischen  Hvalsi'ki  und  Raiidahcrgsös  gelegene  Schutzhütte 
aufzusuchen,  zu  photographicren  und  ihm  Bericht  über  den  Fort- 
gang der  Arbeiten  abzustatten.  Ögmundur  sträubte  sich  aber 
mit  aller  Gewalt  dagegen,  einen  Abstecher  von  drei  Tagen  in  diese 
Sandwüste  zu  machen.  Da  auch  Premierleutnant  Buchwaldt 
dringend  abriet,  mir  ein  Bild  von  der  Hütte  entwarf  und  mir  auf 
meiner  Karte  die  Strandungsstelle  und  die  Lage  der  Schutzhütte 
eintrug,  nahm  ich  Abstand  von  meinem  Vorhaben.  In  Akureyri 
las  ich  dann,  dass  Herr  Thomsen  seine  Hütte  persönlich  aufge- 
sucht hatte.  Er  sah  nicht  nur  ein,  dass  ich,  ohne  meine  ganze 
Reise  aufs  Spiel  zu  setzen,  seine  Bitte  nicht  erfüllen  konnte,  sondern 
überliess  mir  auch  gütig  Material  über  die  Beschaffenheit  und  Aus- 
stattung der  Hütte. 

Seine  Schiitzhütte  (scvhthüs)  besteht  aus  13X13  cm  Balken,  die  mit  gekehlten 
Brettern  und  dicker  Teerpappe  bekleidet  sind.  Die  Dimensionen  des  Hauses  über 
der  Erde  sind  2x2m,  die  Höhe  beträgt  2,10  —  2,70  m,  aber  die  Balken  sind  noch 
2  m  länger;  unter  der  Erde  sind  sie  noch  mit  ebenso  dicken  Balken  und  Eisen  wieder 
verbunden,  es  scheint  daher  ausgeschlossen,  dass  das  Haus  umfällt,  obwohl  es  auf 
Sand  gebaut  ist.  Die  Hauptschwierigkeit  bestand  in  dem  Transport  des  Baumaterials 
nach  der  betreffenden  Stelle,  doch  war  sie  durch  Geld  und  Zeit  zu  überwinden.  Das 
,, Hospiz",  wie  der  Konsul  sein  Werk  nennt,  enthält  Kojen  und  Bettzeug  für  14  Mann, 
Proviant  für  mindestens  14  Tage  (Konservenfleisch,  Brot,  Fett,  Reis,  Tee,  Zucker), 
Kochapparat  und  Essgeschirr,  Petroleum,  Lampe  und  Kerzen,  Medizin ,  eine  Menge 
Verbandstoff,  Bretter,  Handwerkszeug,  Schreib-  und  Nähzeug,  Spielkarten,  und  zwei 
Tonnen  Teer:  die  sollen  die  Schiffbrüchigen  anzünden,  um  die  Aufmerksamkeit  der 
Bauern  auf  sich  zu  lenken.  Herr  Thomsen  hat  später  noch  hinzugefügt:  mehr 
Petroleum,  Unterdecken,  Kompass,  eine  Karte,  auf  der  die  Wege  zu  den  nächsten 
Gehöften  verzeichnet  sind,  und  vor  allem  ein  leichtes,  tragbares  Segeltuchboot  (39  Kilo). 
Am   15.   August   1904  w^ar  die  Hütte  fertig  und  mit  allem  ausgerüstet. 

Wenn  also  wieder  einmal  ein  Fischereidampfer  am  Skeidardr- 
sandur  stranden  sollte,  werden  die  Schiffbrüchigen  alles  vorfinden, 
was  sie  vorläufig  gebrauchen.  Konsul  Thomsen  hat  mit  der 
glücklichen  Lösung  dieser  sehr  schwierigen  Aufgabe,  auf  dem  äusserst 
unwirtlichen  und  schwer  zu  erreichenden  Gelände  eine  Schutzhütte 
zu  errichten,  eine  Tat  vollbracht,  die  allen  an  Islands  Südküste 
Schiffahrt  treibenden  Völkern  zum  grössten  Segen  gereichen  kann. 
Der  Deutsche  Seefischerei-Verein  hat  ihm  auch  für  seine  opfer- 
willigen Bemühungen  öffentlich  gedankt.  Derselbe  Verein  hat  dann 
auch  angefangen,  Material  dafür  zu  sammeln,  um  den  Islanddampfern 
tür  jeden   Mann    der    Besatzung    eine    Küstenkarte    mit    den    einge- 


Kirkjubaer.     Konsul  Thomsens  Schutzhütte.  119 

zeichneten  Wegen  zu  bewohnten  Plätzen  und  eine  Erläuterung  dazu 
mitzugeben.      Von    (kr    betreffenden   dänischen    Behörde    ist    beides 
(Karte    und    Anweisung)    auf    Grund    der    neuesten    (Jrtlichen    Ver- 
messungen hergestellt  und  als    ,,Tillacg   til  Efterretningcr    for  Söfa- 
rende"  gedruckt.    Das  Kaiserliche  Reichs-Marine-Amt  hat  eine  Über- 
setzung hiervon  anfertigen  und  als  Beilage  zu  den  „Nachrichten  für 
Seefahrer"    erscheinen    lassen.      Gleichzeitig    hat    der    Staatssekretär 
des  Reichs-Marine-Amts  auf  Empfehlung  des  Deutschen  Seefischerei- 
Vereins  Sonderabdrücke  dieser   „Anweisung    für   Schiffbrüchige    auf 
Island"  auf  starkem  Papier  in  Taschenformat  und  mit  abwaschbarem 
Dermatoidumschlag  herstellen   lassen    und    dem  Verein   zur  Abgabe 
an  die  Islandfahrcr  übergeben.     Dieser    hat    an    die  Reedereien    der 
Islanddampfer    eine    hinreichende    Zahl    von    Exemplaren    übersandt 
mit  der  Empfehlung,  bei  Antritt   der  Islandfahrt   jedem  Manne    der 
Besatzung  ein  Exemplar  der  Anweisung  einhändigen  zu  lassen.    Es 
ist  dieses   leicht    in    der    Tasche    zu    tragen    und   gibt    damit   jedem 
Manne  die  Mittel  in  die  Hand,  mit  Hilfe   der  Karte  sich    zu    orien- 
tieren und  unter  Beherzigung    der  Winke    für   die    einzuschlagenden 
Wege    entweder    das    Schutzhaus    oder    die   Niederlassungen    zu    er- 
reichen.    Sollte  daher  das  Unglück  noch  einmal  wollen,  dass  jemand 
von  den  deutschen  Dampfern   als  Schiffbrüchiger    den    gefürchteten 
Strand   betreten    muss,    so    darf    gehofft   werden,    dass    das    planlose 
Umherirren,  das  für  die  früheren  Schiffbrüchigen    so    verhängnisvoll 
wurde,  jetzt  vermieden  werden  kann. 

Ach,  nur  zu  bald  sollte  beides  auf  die  Probe  gestellt  werden! 
Im  Februar  1906  strandete  an  der  Südküste  der  Geestemünder 
Heringsdampfer  „August  Wilhelm",  etwas  später  bei  Ingölfshöfdi 
der  „Nordstern"  —  beide  Male  wurde  die  Besatzung  durch  fremde 
Schiffe  gerettet. 

Aber  dasselbe  furchtbare  Schicksal  wie  den  , .Friedrich  Albert" ,  drohte  am 
18.  Februar  1906  den  Fischdampfer  , .Württemberg"  aus  Bremen  zu  treften.  Es  war 
fast  genau  dieselbe  Stelle,  an  der  der  „Friedrich  Albert"  gescheitert  war.  Zur  Ebbe- 
zeit gelang  es  der  Mannschaft,  im  ganzen  13  Mann,  glücklich  an  Land  zu  kommen. 
Glücklicherweise  hatte  man  die  von  der  nautischen  Abteilung  des  Reichs-Marine-Amts 
herausgegebenen  Büchlein  mit  Karte  durch  die  Wüste  und  Beschreibung  der  Schutz- 
hütte in  drei  Exemplaren  an  Bord.  Die  Schifil'brüchigen  setzten  ihre  ganze  Hoffnung 
auf  diese  Schutzhütte.  Man  machte  sich  also  sofort  auf  den  Weg  gegen  Westen, 
die  Küste  entlang.  Es  waren  6  bis  8  Grad  Frost,  dabei  wehte  ein  eisig  scharfer 
Wind.  Die  Leute  waren  nass  und  fast  erstarrt.  Die  sumpfigen  Sandstrecken  inner- 
halb der  Strandlinie  waren  meistens  gefroren,  aber  mehrmals  mussten  die  Schiff- 
brüchigen reissende  Ströme  durchwaten.  Als  es  dunkel  wurde,  kamen  sie  an  einen 
Strom,  der  schwer  zu  überschreiten  war,  und  sie  mussten  für  die  Nacht  Rast  halten. 
Ein  kleines  Segel  hatten  sie  mitgebracht,  unter  welchem  für  vier  bis  fünf  Mann  Platz 
war,  die   anderen  lagerten  sich  in   den   Schnee   dicht  dabei. 

Am  nächsten  Morgen  um  sechs  Uhr  wurde  die  Wanderung  fortgesetzt.  Nach- 
mittags fing  es  an  zu  schneien,  und  noch  um  drei  Uhr  war  keine  Hütte  sichtbar.  Die 
vor  Hunger  und  Kälte  erschöpften  Leute  vermochten  sich  kaum  noch  auf  den  Beinen 
zu  halten.     Es  war  klar:    falls  die  Schutzhütte  jetzt  nicht  bald  erreicht  wurde,  waren 


120  Hverfisfljöt  und  Djüpä. 

alle  rettungslos  verloren !  Endlich  gegen  fünf  Uhr  nachmittags  zeigten  die  Vorposten 
durch  Rufen  und  Winken  an,  dass  die  Schutzhütte  sichtbar  sei.  Als  die  Schiffbrüchigen 
endlich  beim  Einbrüche  der  Finsternis  die  Schutzhütte  erreichten,  waren  zwei  von  den 
Leuten  so  erschöpft,  dass  sie  zusammenbrachen.  In  der  Hütte  war  für  14  Mann  alles 
vorhanden,  ^vas  sie  brauchten.  Zwei  Tage  hielten  sich  die  Schiffbrüchigen  dort  auf, 
um  sich  von  den  ausgestandenen  Strapazen  zu  erholen.  Des  Abends  zündeten  sie  von 
Treibholz  und  Teer  grosse  Feuer  an,  um  von  bewohnten  Gegenden  die  Aufmerksam- 
keit an  sich  zu  lenken.  Ihre  Feuer  wurden  auch  von  den  westlichen  Gemeinden 
bemerkt ;  ehe  aber  von  dort  ein  Hilfsunternehmen  ausgerüstet  wurde,  wurde  ihnen 
von  einem  östlich  gelegenen  Dorfe  schon  Hilfe  geleistet.  Einige  Leute ,  die  zufällig 
nach  dem  Strande  geritten  waren,  um  nach  Treibholz  zu  suchen,  sahen  das  Wrack 
und  folgten  den  Spuren  nach  der  Schutzhütte.  Am  nächsten  Morgen  nahmen  sie  zwei 
Schiffbrüchige  mit  sich  nach  der  westlichen  Gemeinde,  wo  dann  ein  Hilfsunternehmen 
ausgerüstet  wurde,  um  die  zurückgebliebenen  elf  Mann  abzuholen.  Und  so  erreichten 
die  deutschen  Seeleute  alle  heil  und  gesund  wieder  menschliche  Niederlassungen,  wo 
sie  aufs  beste  behandelt  wurden.  Am  28.  Februar  reisten  sie  in  einer  langen  Kara- 
wane mit  26  Pferden  von  der  gastfreundlichen  Gemeinde  ab.  Am  8.  März,  um  7  Uhr 
abends  kamen  die  Schiffbrüchigen  in  Reykjavik  beim  deutschen  Konsul  an.  Nur 
durch   die   Schutzhütte  sind  sie  gerettet  worden !  — 

Der  Abschied  von  der  lieben.swürdicjen  Familie  fiel  uns  wirklich 
schwer.  Klingender  Dank  wurde  entrüstet  zurückgewiesen,  dafür 
erhielten  wir  von  dem  dänischen  Generalstabsoffizier  Premierlieutnant 
Buchwaldt  eine  Einladung  in  sein  Zelt  für  den  übernächsten  Tag 
nach  Svi'nafell.  Das  Land  zwischen  den  drei  Flüssen  Geirlandsd, 
Hörgsd  und  Fossdlar  war  völlig  überschwemmt,  fast  drei  Stunden 
ritten  wir  ununterbrochen  durch  Wasser,  in  dem  die  Pferde  lustig 
bis  an  die  Knie  umherpatschten.  Den  Brunasandjir  (verbrannter 
Sandj,  der  ein  Areal  von  160  qkm  hat,  Hessen  wir  südlich  liegen 
und  ritten  auf  Moorboden,  immer  ein  etwa  i  m  hohes,  dünnes 
Lavafeld  entlang,  den  östlichen  Arm  des  Lakistromes.  Hart  an 
seinem  Rande  liegt  Orrustiistadir,  wo  der  ,, deutsche"  Bauer  wohnt. 
Nachdem  mein  Begleiter  ihn  photographiert  hatte,  baten  wir  ihn, 
uns  den  Weg  über  das  Hverßsfljdt  und  die  Djüpd  zu  weisen.  Da 
der  erste  Fluss  heute  schon  mehrere  Male  passiert  war,  hatten  die 
Pferde  einen  ordentlichen  Weg  in  dem  weichen  Sande  festgestampft, 
und  der  Übergang  dauerte  kaum  eine  halbe  Stunde.  Es  kann  aber 
vorkommen,  dass  selbst  die  hier  ansässigen  Führer  in  das  trübe, 
schlammige  Wasser  bis  an  die  Brust  hineinwaten  müssen,  um  der 
Karawane  den  Weg  festzutreten. 

Auch  die  Djnpd  meinte  es  gnädig  mit  uns.  Sie  führt  zwar 
keinen  Sand,  ist  aber  ziemlich  tief.  Ich  wollte  einem  Packpferde, 
das  mir  mit  den  scharfen  Ecken  des  Koffers  zu  nahe  kam,  eins 
mit  der  Peitsche  versetzten,  beugte  mich  dabei  zu  sehr  aus  dem 
Sattel  und  zog  mir  den  linken  Stiefel  voll  Wasser.  Zeit  zum 
Wechseln  der  Strümpfe  war  nicht,  aber  auch  nicht  zum  Erkälten ; 
die  paar  Liter  wurden  ausgeschüttet,  im  Quartier  warme  Socken 
angezogen    und    die    Stiefel    mit    trockenem    Heu    ausgefüllt.     Hier 


Nüpstadur.  121 

trennten  wir  uns  von  unserm  biedern,  rührend  guten  und  schlichten 
Bauern,  den  wir  wohl  zum  letztenmal  in  unserm  Leben  gesehen 
haben.  Immer  wieder  schüttelte  er  uns  die  Hand.  Noch  lange 
sahen  wir  ihm  nach,  wie  er  sein  isabellcnfarbiges  Rösslein  durch 
die  Djüpd  lenkte,  dann  schwenkte  er  seinen  Hut,  wir  unsere 
Tücher,  und  unsere  besten  Segenswünsche  begleiteten  den  in  der 
Ferne  langsam  Verschwindenden,  dem  unsere  armen  Landsleute 
Rettung  und  Leben  zu  verdanken  hatten.  Die  Djüpd  ist  übrigens, 
wie  mir  Ögmundur  erzählte,  durch  zahlreiche  kleine  Gletscher- 
läufe berüchtigt  und  bedeckt  dann  die  in  der  Nähe  liegenden 
Lavaströme  und  Sandflächen  mit  einer  dichten  Lehmmasse.  Als 
Ögmundur  vor  elf  Jahren  mit  Thoroddsen  hier  war,  hatte  sie 
eine  sehr  bedeutende  Wassermasse  und  eine  so  reissende  Strömung, 
dass  der  Übergang  geradezu  lebensgefährlich  war.  Zwei  Tage  später 
hatte  sie  einen  regelrechten  Gletscherlauf,  das  Lärmen  und  Brüllen 
des  Flusses  übertönte  noch  das  Heulen  des  orkanartigen  Sturmes, 
der  gerade  tobte  ;  die  schokoladenbraune  schlammige  Wassermasse 
schoss  in  grossen  Kaskaden  einher,  und  wo  sie  sich  an  Steinen 
oder  Sandbänken  brach,  wurde  sie  gleich  riesigen  Sprudelquellen 
emporgeschleudert  ^). 

Der  letzte  Teil  des  Weges  führte  über  ein  elendes  Lavafeld, 
das  voller  spitzer  Steine  und  scharfer  Zacken  war,  die  Pferde 
strauchelten  unablässig.  Da  uns  der  dänische  Oftizier  schon  in 
Nüpstadur  angemeldet  hatte,  wurden  wir  sogleich  mit  Kaffee  und 
Kuchen  bewirtet.  Unsere  erste  Frage  galt  den  Flüssen,  die  am 
nächsten  Tage  zu  überschreiten  waren.  Die  Antwort  lautete  wenig 
erfreulich :  durch  die  gestrige  Wärme  sei  die  Skeidard  so  ange- 
schwollen, dass  sie  unmöglich  durchritten  werden  könnte.  Der 
Bauer  versprach  aber  zwei  tüchtige  Führer  zu  besorgen ;  einer  allein 
wage  den  Rückweg  nicht,  die  Tour  dauere  für  sie  zwei  Tage,  jeder 
bekäme   12  Kronen. 

Der  Bauernhof  liegt  an  der  äussersten  Grenze  des  bewohnten 
Distriktes  Fljdtshverfi  am  Fusse  eines  senkrechten  Berges,  dessen 
spitze  Zinnen  kühn  in  den  Himmel  ragen  (Fig.  81).  Die  hohen 
Türme  und  Schanzen  scheinen  so  lose  in  der  Luft  zu  schweben, 
dass  man  jeden  Augenblick  befürchtet,  ein  paar  tausend  Zentner 
Steine  würdern  herniederstürzen  und  das  Gehöft  zertrümmern ;  aber 
der  Tuff  wird  von  mächtigen  Basaltgängen  zusammengehalten.  Nach 
Osten  ragt  der  Lö?iiagnüpur  (Lummentaucherberg,  770  m)  wie  ein 
gewaltiger  Keil  aus  der  Sandwüste,  die  unmittelbar  hinter  dem  Tun 
beginnt ;  seine  steilen  Tufffelsen  beherrschen  in  ihrer  stattlichen 
Höhe  die  ganze  Landschaft  und  geben  ihr  ein  düsteres,  grossartiges 


')  Ich  habe  Ögm  undurs  trockeneren  Bericht  in  letzter  Minute  noch  etwas  mit 
Thoroddsens  Farben  aufgefrischt;   Thoroddsen,  Island  I,   S    38,39. 


122 


Nüpstadur. 


Gepräge.     In   der   Ferne   rollen   die    langgestreckten  blauen  Wellen 
des  Meeres. 

Hier  wohnte  einst  Gm'tpa-Bdrdr ,  der  zuerst  gegen  Ende  des 
9.  Jahrhunderts  durch  das  innere  Island  gereist  sein  soll  (I,  S.  83). 
Nach  Thoroddsen  hegt  oben  auf  dem  Berge  eine  Höhle  Gapt, 
wo  BCirdr  nach  der  Volkssage  sein  Handwerkszeug  vergessen  haben 


H5=ni»e.lLmp3>2 


Nüpstadur. 


soll.  Ein  paar  beherzte  ^Männer  w'aren  vor  einigen  Jahren  hinauf- 
geklettert, fanden  aber  natürlich  nichts.  Von  hier  aus  trat  der  Eng- 
länder William  Watts  am  25.  Juni  1895  seine  beschwerliche,  16  Tage 
dauernde  Wanderung  über  den    Vatnajökiill  nach   Gri'mstadir  an. 

Ein  Runen-Leichenstein  ist  hier  gefunden,  die  verwetterten  und 
unleserlich  gewordenen  Zeichen  lassen  sich  vielleicht  enträtseln  als 
,,Hier    ruht    Björn."      Ein    Gebäude,    das    abseits    von    den    übrigen 


Ni'ipstadur.  123 

Räumen  liegt  und  als  Packhaus  dient,  ist  vielleicht  das  einzige  aus 
katholischer  Zeit  erhaltene  Bethaus.  An  der  Tür  waren  die  Felle 
von  sechs  Seehunden  angenagelt,  die  der  Bauer  selbst  erbeutet  hatte. 
Ögmundur  macht  mich  noch  besonders  auf  die  ,, Kirchhoftür"  auf- 
merksam (süluhlid ,  stdadraJilid) ,  durch  die  die  Toten  nach  dem 
Kirchhofe  getragen  werden  :  nur  wenn  der  Gestorbene  auf  diesem  Wege 
zur  Ruhe  gebracht  wird,  findet  er  Frieden  und  stört  die  Hinterblie- 
benen nicht :  so  wird  auch  in  Bayern  der  Totenweg,  in  Holland  der 
Lijk-,  Nood-  oder  Reeweg  ausschliesslich  nur  mit  Leichen  befahren. 

Mitten  zwischen  den  Gletschern  nördlich  von  Löiiiagnnpur,  an 
den  Canons  der  Nüpsä,  liegt  der  in  Island  berühmte  Birkenwald 
Ni'tpstadaskögar.  Der  Syluinadiir  hatte  mich  besonders  auf  ihn 
aufmerksam  gemacht ;  leider  war  es  zu  spät  an  diesem  Abend,  und 
am  nächsten  Morgen  mussten  wir  zu  früh  aufbrechen,  als  dass  wir 
ihn  noch  besuchen  konnten.  Er  hat  nach  Eggert  Ölafsson  eine 
Länge  von  i  ^/i  und  eine  Breite  von  beinahe  V2  Meile :  das  sei  um 
so  wunderbarer,  als  das  Eis  sich  dicht  heranerstrecke,  und  die  kalten 
Gletscherwasser  der  Xi'ipsvötii ,  die  den  Wald  durchströmten,  sich 
an  dessen  Nordseite  aus  den  Eismassen  ergiessen  und  den  Fuss  der 
Bergseite  überschwemmten.  Nach  Thoroddsen  aber  übertrifft  der 
Xüpstadaskögur  die  andern  Wälder  Islands  weder  an  Ausdehnung 
noch  an  Höhe  der  Bäume.  Er  wird  wegen  seiner  Entlegenheit  nur 
selten  besucht  und  ist  auch  nur  unter  sehr  halsbrecherischen  Klet- 
tereien zu  erreichen.  Hier  kommen  seit  200  Jahren  verwilderte 
Schafe  vor. 

Als  wir  mit  dem  Bauern  beim  Abendbrot  sassen  —  es  war 
alles  peinlich  sauber,  über  das  Präsentierbrett  war  sogar  eine  weisse 
Serviette  gebreitet  — ,  erdröhnten  mächtige  Schritte,  und  in  der 
Tür  erschien  alsbald  ein  in  schwarzes  Leder  gekleideter  Hüne,  der 
mit  dem  Kopfe  fast  an  die  Decke  stiess :  es  war  wirklich,  wie  w^enn 
ein  alter  Wiking  auferstanden  wäre  und  uns  mit  seinem  Besuche 
erfreuen  wollte.  Ich  habe  manchen  Isländer  getroffen ,  der  einen 
würdigen  Flügelmann  in  der  Garde  abgegeben  hätte ,  aber  gegen 
diesen  Riesen  verschwanden  selbst  Rektor  Olsen  und  Porgri'miir 
in  Reykjavik  und  die  herkulischen  Pfarrer  von  Gardar  und  von 
Reykholt ;  nicht  wenig  trug  zu  diesem  imposanten  Eindruck  aller- 
dings seine  Bekleidung  bei.  Es  war  der  Pfarrer  von  Kirkjub(er, 
Magnus  Björnssou ,  der  noch  in  der  Nacht  in  der  Begleitung  des 
Postreiters  nach  seinem  Pfarrhofe  zurückreiten  wollte  und  schon 
von  Svmafell  kam,  wohin  wir  am  nächsten  Tage  wollten.  Leider 
verliess  er  uns  schon  nach  einer  halben  Stunde.  Wir  hatten  uns 
bald  angefreundet ,  und  er  erzählte  mir  von  seinen  gefährlichen  Sonn- 
tagstouren; namentlich  einen  Weihnachtsabend,  wo  er  16  Stunden 
lang  durch  Schnee,  Eis  und  Wasser  geritten  sei,  um  seine  sorgende 
Gattin    noch  am  heiligen  Abend  zu  überraschen,    werde  er  nie  ver- 


124  Nüpstadur.     Postverkehr. 

gessen.  Er  hatte  bei  der  Operation  der  Schiffbrüchigen  hilfreiche 
Hand  beim  Chloroformieren  geleistet  und  rühmte  das  mutige  und 
anständige  Verhalten  der  Gestrandeten.  Seine  Auskunft  für  morgen 
war  wenig  ermutigend :  nur  für  sehr  unerschrockene  Männer  und 
tüchtige  „Wasserpferde"  sei  der  Weg  zu  wagen.  Er  selbst  ritt 
einen  hohen,  starkknochigen  Gaul,  dem  man  wohl  zutraute,  dass  er 
weder  Gletscher  noch  Strudel  scheute.  Von  dem  Postreiter,  mit 
dem  er  zusammen  ritt,  um  im  schlimmsten  Falle  Hilfe  zu  haben, 
zog  ich  einige  Erkundigungen  über  isländisches  Postwesen  ein : 
Vor  etwa  50  Jahren  fand  Beförderung  von  Briefen  —  nicht 
auch  von  Paketen  —  in  der  Skaptafelh  sysla  nur  etwa  drei  bis 
vier  Male  im  Jahre ,  zu  ganz  unbestimmten  Zeiten  statt ,  und  zwar 
meist  nur  für  die  Beamten;  ein  Pferd  wurde  dem  Postreiter  nicht 
gestellt,  doch  durfte  er  sich  eins  von  den  Bauern  borgen.  Seitdem 
aber  Vi'k  und  Honiafjördiir  von  Dampfern  angelaufen  werden,  wenn 
es  Wind  und  Wetter  gestatten,  werden  etwa  alle  14  Tage  Briefe 
über  Land  befördert ,  zusammen  im  Jahre  1 5  mal.  Oft  hat  der 
Postillon  eine  ganze  Karawane  von  Pferden  bei  sich,  die  mit  roten 
Koffern  beladen  sind,  auf  die  ein  goldenes  Hörn  gemalt  ist,  und 
wenn  er  in  die  Nähe  eines  Hofes  kommt,  lässt  er  lustig  sein  Hörn 
ertönen.  In  der  Wüste  östlich  der  Jökiilsd  ä  Axarßrdi  können 
die  Postillone  nicht  reiten,  sondern  müssen  bei  Schnee-  und  Sand- 
stürmen zu  Fuss  gehen  und  dazu  noch  einen  Schlitten  mit  den  Post- 
säcken ziehen.  jNIancher  ist  schon  dem  stürmischen,  rauhen  Wetter 
zum  Opfer  gefallen,  wenn  er  die  , .Warten"  verloren  hat  oder  ist 
hinter  Steinblöcken  und  in  unterirdischen  Höhlen  erfroren,  wo  er 
Schutz  gesucht  hat.  Bauern,  die  eine  notwendige  Reise  unternehmen 
müssen,  schliessen  sich  den  Postreitern  gern  an ;  auch  ist  es  billiger, 
als  wenn  sie  sich  einen  besonderen  Führer  nehmen.  Für  die  Route 
von  Kirkjuhcrr  bis  Borgir  erhält  der  Postreiter  35  Kr.,  muss  sich 
aber  zwei  Pferde  auf  eigene  Kosten  verschaffen ;  wenn  er  mehr  als 
ein  Bagagepferd  gebraucht,  erhält  er  für  jedes  Pferd  20  Kr.  be- 
sonders; für  die  weitere  Strecke  von  Kirkjiibcrr  bis  Oddi  erhält  er 
65  Kr.  Er  übernachtet  auf  den  Höfen  und  kann  im  allgemeinen 
darauf  rechnen,  hier  Kost  und  Quartier  umsonst  zu  erhalten.  Von 
Oddi  bis  Reykjavik  verkehren  sogar  Postwagen,  die  Personen  und 
Güter  befördern.  Wie  gross  überhaupt  die  Fortschritte  im  Postver- 
kehr sind,  kann  man  daraus  ersehen,  dass  die  Zahl  der  Briefe  von 
1879 — 1894  um  309,7,  die  der  Geldbriefe  und  eingeschriebenen 
Briefe  um  160  und  die  der  Pakete  um  137,5  v.  H.  gestiegen  sind. 
Die  Leitung  des  Postwesens  liegt,  unter  der  Oberaufsicht  des  ]\Iini- 
sters,  in  den  Händen  des  Postmeisters  in  Reykjavik  (pöstmeistari), 
dem  26  Postagenten  (postafgreidsluiiiadiir)  und  165  Inhaber  von 
Briefablagestellen  unterstehen  (brjefhir dingamadur) . 


Zwölftes   Kapitel. 

Reise  durch  die  Austur  Skaptafeils  sysla. 

II.  Juli. 

Der  Skeidardrsa7id2ir ,  den  wir  heute  in  seiner  ganzen  Länge 
durchqueren  müssen,  um  nach  Svi'nafell  zu  gelangen,  ist  von  den 
Sandwüsten  der  Südküste  die  grösste  (ca.  700  qkm.).  Er  besteht 
fast  ausschliesslich  aus  gerolltem  Gletscherschutt  mit  dazwischen 
gemengtem  Lehm  und  feinem  Sand,  bei  Gletscherläufen  und  Über- 
schwemmungen werden  bedeutende  Massen  Gletscherton  abgesetzt, 
und  bei  trockenem  Wetter  jagt  der  Wind  diesen  durch  die  Luft. 
Bei  starken  Stürmen  wird  der  sehr  feine  vulkanische  Staub  in  die 
fernsten  Gegenden  Islands  gewirbelt,  so  dass  der  Himmel  neblig, 
rotbraun  und  bisweilen  verfinstert  ist.  Misiiir  (Staubnebel)  nennen 
die  Isländer  diesen  Zustand.  Wo  der  Flugsand  ständig  in  Bewegung 
ist,  kann  kein  Pflanzenwuchs  gedeihen,  ausser  einigen  Büscheln 
Strandhafer  auf  kleinen  Sandhügeln;  aber  wenn  all  der  bewegliche, 
feine  Staub  bis  auf  den  gröberen  Schutt  fortgeweht  ist,  so  sagen 
die  Isländer,  der  Sand  sei  örfoka,  d.  h.  er  kann  nicht  mehr  fort- 
fliegen, dann  können  Pflanzen  zwischen  dem  Grus  Wurzel  fassen, 
vorausgesetzt,  dass  die  Gletscherflüsse  die  aufspriessende  Vegetation 
nicht  wieder  vernichten.  ,,Eine  Sandstrecke ,  die  längere  Zeit  mit 
Erdreich  bedeckt  gewesen  ist,  wird  oft  wieder  durch  Sandstürme 
vernichtet  und  zerrieben;  tiefe  Rinnen  und  Furchen  graben  sich 
durch  das  Erdreich;  sie  erweitern  sich  mehr  und  mehr,  bis  das 
ganze  Grasland  zerrieben  und  fortgeblasen  ist,  und  nur  einzelne 
dicke,  schwarzgrüne  Stücke  bleiben  zerstreut  in  der  Wüste  liegen, 
als  Zeugen  der  furchtbaren  Verheerung,  die  hier  gehaust  hat" 
(Thoroddsen,  Geogr.  Tid.  XII,  S.  212). 

Die  kahle  Fläche  des  Skeidardrsand2ir  liegt  zwischen  den  beiden 
gefürchteten  und  gefährlichen  Flüssen  Nüpsvöbi  und  Skeidard\  seine 
Ausdehnung  von  Westen  nach  Osten  beträgt  35  km,  vom  Skeidardr- 


126  Skeidarärsandur. 

jökull  bis  zum  Meere  ca.  20  km.  Kurz  nach  9  Uhr  brachen  wir  bei 
leichtem  Nebel  und  Regen,  in  unser  Ölzeug  gehüllt,  von  Xüpstadur 
auf,  voraus  die  beiden  Lokalführer.  Das  Passieren  der  zahllosen, 
weitverzweigten  Arme  der  Xi'ipsvötn  mit  den  dazwischen  liegenden 
Lehm-  und  Sandinseln  und  Kiesrücken,  die  ebenso  veränderlich  sind 
wie  der  Gletscherfluss  selbst,  dauerte  zwar  geraume  Zeit,  ging  aber 
ohne  besondere  Anstrengung  glücklich  vorüber,  und  wir  waren  da- 
mit in  der  Aiistur  Skaptafelh  sysla  angelangt.  Es  war  auffallend, 
wie  gut  sich  unsere  Führer  aus  der  Strömung  eine  Vorstellung  von 
dem  Grunde  des  Flussbettes  zu  machen  wussten :  wo  sie  sehr 
stark  ist,  lagert  grosses  Geröll,  und  dieses  wird  klarer  und  kleiner, 
je  schwächer  die  Strömung  wird.  Schlamm  ist  nur  da,  wo  das 
Wasser  träge  dahinschleicht  und  verhältnismässig  flach  ist ;  auch  die 
der  Strömung  abgekehrten  Enden  der  Sandinseln  sind  meist  schlam- 
mig; die  Führer  ritten  fast  durchweg  auf  die  der  Strömung  zuge- 
wendeten Riffe  zu,  und  die  Pferde  konnten  auf  dem  groben  Geröll 
ohne  Schwierigkeit  Fuss  fassen. 

Dann  ging  es  den  Fuss  des  Skeidardrjökull  entlang  (20  km 
lang,  an  der  schmälsten  Stelle  7  V2  km  breit),  und  die  eigentliche, 
uns  endlos  vorkommende  Wasserwanderung  in  dem  immer  dichter 
fallenden  Regen  begann.  Da  dieser  Gletscher  tief  in  den  Sa?tdtir 
hineinreicht,  ist  er  schwarz  von  Schutt  und  Steinen  und  sieht  fast 
wie  ein  Lavastrom  aus.  Er  ist  von  unzähligen  Spalten  zerrissen, 
und  überall  quellen  gelbliche  und  hellbraune  Gletscherbäche  aus 
den  Rissen  und  Ritzen  hervor.  Einige  vereinzelne  Moränenzüge 
und  durch  Gletscherläufe  hervorgebrachte  Geschiebehügel  bilden 
die  einzige  Erhöhung  in  der  weiten  Ebene.  Wie  im  Myrdalssandur 
und  später  wieder  im  Breidavierki{rsa)idur  trafen  wir  eine  Reihe 
„Gletscherlöcher",  trichterförmige  Vertiefungen,  die  bereits  Saxo 
erwähnt:  grosse  Eisstücke,  die  bei  Gletscherläufen  von  den  Gletschern 
losgerissen  sind  und  hier  und  da  zurückgeblieben  sind;  sie  schmelzen 
bei  warmem  Wetter  langsam  und  sehr  allmählich,  es  kann  Jahre 
dauern,  bis  das  letzte  Stückchen  Eis  zergangen  ist.  Es  ist  nicht 
ungefährlich,  in  die  Nähe  solcher  Löcher  zu  kommen,  da  Sand  und 
Lehm  um  sie  herum  durch  das  Gletscherwasser  so  aufgeweicht 
sind,  dass  Ross  und  Reiter  darin  leicht  verschwinden  können. 
In  einigen  Trichtern  war  das  Wasser  von  wundervoller  dunkel- 
blauer Färbung,  während  der  Boden  silberhell  durchschimmerte. 

Fast  keine  Pflanze  erfreute  unser  Auge,  nur  hie  und  da  einige 
Halme  Strandhafer,  ein  paar  kümmerliche  Abendlichtnelken  (Melan- 
dryum  album)  und  wunderbarerweise  vereinzelte  Epilobium  angusti- 
folium.  Im  nördlichen  Teile  riefen  Schmarotzermöven  (Stercorarius 
parasiticus,  Kjöi)  ihr  unmutiges,  rabenartiges  Gau  Gau,  während 
die  Raubmöven  (Megalestris  skua,  SkÜDiiir)  den  südlichen  Teil  be- 
herrschen.     Herr   Buchwaldt    glaubt    beobachtet    zu  haben,    dass 


Übergang  über  die  Skeidarä.  127 

beide  Arten  sich  streng  an  ilir  Jagdgebiet  halten  und  nur  in  der 
Mitte  gemeinsam  nebeneinander  vorkommen.  Ordentlich  froh  be- 
grüsstcn  wir  ein  paar  Schafe,  die  sich  hierher  verirrt  hatten;  aber 
kaum  hatten  sie  uns  erbHckt,  da  stoben  sie  in  langen  Sätzen  davon. 

Um  vier  Uhr  waren  wir  an  der  Skeidarä  angelangt  [skeid  = 
Weberlade  mit  dem  Kamm),  die  in  der  südcistlichcn  Ecke  des 
Skeidardrjökull  entspringt  und  nicht  nur  wegen  ihrer  i)lötzlichcn, 
gewaltsamen  Gletscherläufe  berüchtigt  ist,  sondern  auch  wegen  ihrer 
sonst  häufiger  vorkommenden  Überschwemmungen.  Sie  scheint  früher 
mitten  auf  dem  Sandur  zum  Meere  geströmt  zu  sein,  hat  aber 
allmählich  ihren  Lauf  verändert  und  mündet  in  die  Lagunen  ausser- 
halb   Ör(cß. 

Bei  dem  Gletschersturze  von  1892,  bei  dem  man  den  Schwefel- 
wasserstoffgeruch [jöklafyla  =  Gletschergeruch)  in  Reykjavik  deutlich 
wahrnahm,  verlegte  sie  ihr  Bett  mehr  nach  Westen.  Früher  lief  sie 
westlich  von  dem  Gehöfte  Skaptafell  vorbei  und  teilte  sich  später 
in  mehrere  Arme,  so  dass  sie  leicht  zu  passieren  war :  seit  1 892 
aber  bahnte  sie  sich  ihren  Weg  in  einem  einzigen  Flussbette,  so 
dass  sie  anfangs  überhaupt  nicht  zu  durchreiten  war,  allmählich 
jedoch  verzweigte  sie  sich  und  breitete  sich  in  ein  paar  Dutzend 
Arme  aus,  so  dass  sie  jetzt  wenigstens  nicht  mehr  absolut  unüber- 
windbare  Hindernisse  bietet  ^). 

Viele  von  den  Ausbrüchen,  die  dem  S/'dii-  oder  Skcidardrjökiill 
zugeschrieben  werden,  rühren  nach  Thoroddsen  von  dem  (jriiiis^'ötii 
her,  nordwestlich  vom  Sketdardrjdkull  unter  dem  Eise,  und  die 
vielen  Gletscher-  und  Wasserstürze  dieses  Jökiill  sind  durch  vul- 
kanische Umwälzungen  an  den  Grimsvötii  hervorgerufen.  Thorodd- 
sen zählt  mindestens   15  Eruptionen  dieser  Ausbruchsstelle. 

Die  Führer  sorgten  in  ihrer  Unterhaltung  dafür,  dass  die  Er- 
innerung an  die  furchtbaren  Naturereignisse  in  uns  wach  und  rege 
blieb,  und  malten  aus,  was  geschehen  würde,  wenn  ein  Gletscher- 
sturz uns  überfiele.  Aber  auch  ohne  deren  Reden  war  Ögmundur 
und  mir  etwas  bänglich  zu  Mute.  Denn  wenn  wir  die  Skeidard 
nicht  passieren  konnten,  war  es  mit  der  Weiterreise  nach  Osten 
vorbei,  und  gesetzt,  wir  kehrten  um  und  wollten  nach  Nüpstadur 
zurück,  —  wie,  wenn  jetzt  auch  die  Xüpsvöfn  unpassierbar  ge- 
worden wären?  Dann  sassen  wir  da  zwischen  den  beiden  Strömen 
und  ritten  bald  nach  Osten  und  bald  nach  Westen  und  machten 
jedesmal  die  Entdeckung,  dass  wir  eingekeilt  waren  und  mindestens 
eine  Nacht  und  einen  Tag  noch  im  Freien  bleiben  mussten.  Die 
Anstalten    zum  Übergang  wurden    mit   einer  Sorgfalt  getroffen,    wie 


')  Maurer,  Isl.  Volkssagen  S.  304  —  306.  Den  Gletschersturz  von  1892  hat  Geb- 
hardt  nach  isländischen  Berichten  geschildert:  Globus  1892,  Bd.  62,  Nr.  6.  — 
Thoroddsen,  Island   11,   S.    189  ft". 


128  Übergang  über  die  Skeidarä. 

noch  nie  zuvor;  man  hatte  das  beruhigende  Gefühl,  zu  der  Ge- 
wissenhaftigkeit der  beiden  Lokalführer  volles  Vertrauen  haben  zu 
können.  Eine  Zigarre  wurde  trotz  des  Regens  angezündet  —  „wer 
weiss,  ob  es  nicht  Ihre  letzte  ist?",  meinte  der  eine.  Die  Brille 
wurde  von  den  Regentropfen  gereinigt,  der  Südwester  vorn  hoch- 
geklappt, damit  er  nicht  den  Blick  hindere,  Zügel,  Riemen,  Gurte 
und  Eisen  der  Pferde  wurden  nachgesehen,  die  Koffer  noch  einmal 
verschnürt,  und  dann  ritten  die  Lokalführer  allein  voraus,  um  zu 
sehen,  ob  der  w^eite  Umweg  über  die  Gletscher  zu  ersparen  wäre. 
Ungeduldig  harren  wir  am  Ufer  und  bewundern  den  Mut  und  die 
Geschicklichkeit  der  beiden.  Der  jüngere,  ein  Bursch  von  etwa 
i8  Jahren,  der  oftmals  die  Post  hier  geritten  hatte,  ein  richtiger 
vatnnmadiir  lenkte  seinen  Braunen  bald  hierhin,  bald  dorthin,  riss 
ihn  im  Nu  herum,  sobald  der  Boden  zu  weich  wurde,  und  steuerte 
ihn  wieder  durch  die  meterhohen  Wogen.  Etwa  in  der  Mitte  des 
Stromes  war  eine  ziemlich  breite  Sandbank;  von  ihr  aus  kehrten 
sie  um,  um  uns  abzuholen.  Jeder  nahm  darauf  zwei  Packpferde 
mit  der  linken  Faust,  die  Zügel  des  Pferdes  meines  Gefährten  und 
des  meinigen  mit  der  rechten,  und  der  jüngere  Bursch  und  ich 
übernahmen  die  Führung:  einmal,  weil  er  der  mutigere  von  beiden 
war,  und  zweitens  damit  ich,  wenn  es  not  tat,  seine  Worte  ver- 
dolmetschen konnte.  Es  war  4  2°,  wie  mich  ein  Blick  auf  die  Uhr 
belehrte,  die  Zigarre  wurde  fortgeworfen,  auf  Rat  der  Führer  mit 
beiden  Händen  die  Mähne  fest  gepackt  und  der  Leib  des  Pferdes 
wie  mit  einem  Schraubstock  umklammert.  ,,Und  Gott  befahl  ich 
meine  Seele."  Von  dem  steilen  Uferrande  stapfen  die  Pferde 
sofort  bis  über  die  Mitte  des  Sattels  in  das  tosende  Wasser  hinein, 
und  wenn  wir  nicht  vorbereitet  gewesen  wären  und  uns  mit  eiserner 
Kraft  festgehalten  hätten,  wären  wir  unfehlbar  in  die  eiskalten 
Strudel  hineingeflogen.  Wer  einen  solchen  Strom  hat  passieren 
müssen,  versteht,  dass  die  Nordleute  sich  ihre  Hölle  als  eine 
Wasserhölle  vorstellten :  der  Grenzstrom,  der  sie  von  den  übrigen 
Welträumen  scheidet,  wälzt  Schwerter  und  Messer  in  seinen 
schäumenden  Strudeln ;  meineidige  Männer  und  Mordgesellen  und 
solche,  die  anderer  Ehefrauen  verführten,  mussten  hier  wilde  Ströme 
durchwaten,  deren  eiskalte,  schneidende  Wogen  wie  Gift  und 
Schwerter  stechen. 

Mit  unheimlicher  Geschwindigkeit  kam  das  milchweisse  Wasser 
herangeschossen ;  die  armen  Tiere,  die  den  ganzen  Tag  noch  kein 
Futter  bekommen  hatten,  stöhnten,  schnoben  und  zitterten,  als  wir 
gegen  die  Strömung  auf  den  Schrittgletscher  los  ritten.  Höchst 
ungemütlich  war,  dass  wir  uns  selbst  gar  nicht  frei  bewegen 
konnten,  sondern  völlig  auf  die  eherne  Faust  der  Führer  ange- 
wiesen waren,  die  uns  auf  unseren  Pferden  Schritt  für  Schritt  mit 
fortriss.     Dazu    kam,    dass    bei   jeder  unvorsichtigen    Bewegung    der 


Übergang  über  die  Skeidarä.  129 

schwere  Packkoffer  j:(egen  die  Kniescheibe  schlug,  was  tüchtig  weh 
tat,  und  dass  Ögmundurs  Pferd  nach  vorn  kam  und  meinen  braven 
Passgänger  zu  beissen  begann.  Sobald  wir  auf  der  erwähnten  Insel 
Halt  machten,  um  uns  zu  verschnaufen,  stellte  ich  daher  dem 
Lokalführer  vor:  ich  wollte  allein  reiten,  und  Ögmundur  sollte 
sein  loses  Pferd  am  Zügel  führen.  Aber  der  Führer  schlug  mir 
meinen  Wunsch  rundweg  ab :  die  Gefahren  kämen  erst  jetzt,  und 
wenn  ich  strauchelte  und  aus  dem  Sattel  glitte,  wäre  ich  verloren ; 
die  rasenden  Wellen,  die  jetzt  fast  zwei  Mann  hoch  waren,  würden 
mich  sofort  mit  sich  reissen,  und  wenn  ich  nicht  das  Glück  hätte, 
gegen  eine  Sandbank  geschleudert  zu  werden,  würde  ich  unten  im 
Meere  landen. 

Er  hatte  recht.     Was  wir  bisher  unternommen    hatten,  war  ein 
Kinderspielzeug    gegen    das,    was    jetzt    kam.      Immer    mehr   Arme 
breiteten  sich  vor  uns  aus,  und  einer  war  schlimmer  als  der  andere. 
Wir    pressten    die    Füsse    um    den    Leib    des   Pferdes,    dass   sie  uns 
schmerzten  und  hielten  die  Zügel  mit  eiserner  Faust  fest,  dass  sich 
die  Nägel  ins  Fleisch  bohrten,    obwohl    der  Führer  sie  selbst  schon 
gepackt    hatte.     An    einer    recht    bösen   Stelle,    wo    das   Wasser   in 
wilder,    ungehemmter  Wut    auf    uns    losgebraust    kam,    tauchte  mit 
einem    Male    wieder   Ögmundurs    Pferd   neben   mir    auf   und    fing 
von    neuem    an,    mein    sonst    so   sanftes  Reitpferd  zu  beissen,    dass 
es   bockte    und    hoch    stieg.     Mit    aller   Kraft  zog  ich  ihm  eins  mit 
meiner    schweren    Reitpeitsche   über   den   Rücken,    aber   der  Schlag 
machte  es  nur   noch  wilder,    und    immer    näher   drängte   es  sich  an 
mich  heran,    so  dass  ich  buchstäblich  von  den  beiden  Pferdeleibern 
eingekeilt  war  und  mich  nicht  rühren  noch  regen  konnte.    Zugleich 
riss    der    Führer    sein   Pferd    mit    Gewalt    nach    rechts    und    schrie: 
„Vorsicht!  tiefes  Loch  im  Grunde!"    Woher  ich  die  schnelle  Über- 
legung  und    Geistesgegenwart    hatte,    weiss    ich   heute    noch    nicht. 
Ich  überschrie  das  Donnern  und  Tosen  des  Stromes:    „Zügel  los!", 
versetzte    dem    lästigen    Störenfried    einen    so    wohlgezielten    Hieb, 
dass  er  zurückblieb  und  lenkte   selbständig,    ohne   Hilfe,    ohne    eine 
Spur   von   Angst,    mein    ,, Wasserpferd"    durch   Strudel    und    Gischt 
hindurch  ans  rettende  Ufer.    Der  Übergang  hatte  genau  eine  Stunde 
lO  Minuten  gedauert. 

Ich  war  mir  gar  nicht  bewusst,  etwas  Besonderes  geleistet  zu 
haben,  und  war  daher  sehr  erstaunt,  aber  auch  aufrichtig  erfreut, 
als  der  Führer  auf  mich  los  kam,  mir  die  Hand  schüttelte  und  die 
schlichten  Worte  sagte:  ,,Das  war  wacker."  Auch  Ögmundur, 
der  von  dem  ganzen  Vorfall  überhaupt  nichts  bemerkt  hatte,  so 
schnell  hatte  er  sich  abgespielt,  war  zufrieden  mit  mir  und  klopfte 
mich  auf  die  Schulter.  Wir  waren  völlig  durchnässt,  das  Ölzeug 
hatte  nichts  mehr  geholfen,    da  das  Wasser  uns  oft  über  den  Leib 

Herr  mann,    Island  II.  9 


130  Svinafell. 

ging;  wir  konnten  aber  nur  die  Stiefel  ausziehen  und  den  nassen 
Inhalt  ausschütten,  da  wir  uns  beeilen  mussten.  Der  Regen  hörte 
auf,  und  wir  konnten  den  Skeidardrjökull  und  Svi)wfeUsjökidl 
deutlich  erkennen ;  letzterer  machte  einen  recht  hässlichen  Ein- 
druck, so  voll  war  er  von  Grus  und  Dreck;  dahinter  tauchte  der 
Skaptafellsjükull  auf,  von  dem  die  Skaptofellsd  entspringt. 

Aber  noch  einmal  mussten  wir  einen  Gletscherstrom  passieren, 
bevor  uns  der  wohlverdiente  heisse  Kaffee  zuteil  wurde.  Die 
Svinafellsd,  ein  zwar  reissender  aber  sonst  wenig  gefährlicher  Fluss, 
war  so  angeschwollen,  dass  wir  zweimal  vergeblich  versuchten,  hin- 
über zu  kommen ;  die  Pferde  verloren  sogleich  den  Boden  unter  den 
Füssen  oder  rutschten  auf  den  grossen  glatten  Steinen  aus  oder 
gerieten  plötzlich  in  Gruben  oder  auf  Sand.  Endlich  glückte  es  uns, 
eine  Furt  zu  finden,  obwohl  uns  das  Wasser  immer  noch  bis  an 
die  Brust  reichte. 

Das  Gehöft  Svinafell  liegt  in  einer  Oase  am  Fusse  eines  Tuff- 
felsens gleichen  Namens  und  wird  von  fünf  Familien  bewohnt,  die 
zusammen  35  Pferde,  16  Kühe  und  395  Schafe  haben.  Pdll  Jönsson, 
bei  dem  ich  abgestiegen,  und  den  wir  sogleich  für  den  übernächsten 
Tag  verpflichteten  —  er  sollte  uns  von  dem  nahen  Fagur/idlsmyrt 
abholen  — ,  ist  einer  der  besten  Führer  im  ganzen  Bezirke  Örccfi. 
Mit  seinem  rötlich -blonden  Vollbart  und  dichtem  Haupthaar  und 
den  energischen  braunen  Augen  machte  er  sofort  einen  sympathischen 
Eindruck  auf  uns,  und  gerne  folgten  wir  ihm  durch  den  dunkeln 
Gang  in  die  saubere  Stube,  wo  alsbald  Kaffee  und  Kuchen  auf  den 
Tisch  kamen.  Als  wir  uns  anzogen,  trat  Premierlcutnant  Buch- 
waldt  vom  dänischen  Generalstab  ein  und  lud  uns  zum  Essen 
in  sein  Zelt. 

Unmittelbar  nördlich  vom  Tun  des  Gehöftes  beginnt  wieder  die 
öde  Wüste.  Sonst  ist  die  nähere  Umgebung  recht  anmutend,  und 
die  grünen  Abhänge  erfreuen  um  so  mehr,  je  wilder  die  weitere 
Umgebung  ist:  die  traurige  Sandstreckc,  die  mit  Dreck  und  Schmutz 
bedeckten  Gletscherarme,  die  sich  fast  unmittelbar  bis  an  den  Hof 
erstrecken,  die  reissenden  Gletscherflüsse,  die  überall  über  die 
Geröllhalden  dahinstürzen.  Der  Bezirk  Öra-ß  [Örcß/ahreppicr  = 
Wüstenbezirk)  gilt  als  einer  der  abgeschlossensten  Teile  Islands, 
er  ist  von  der  übrigen  Welt  wie  abgeschnitten,  nicht  einmal  Katzen 
und  Mäuse  gibt  es  hier.  Nur  wo  die  Vegetation  vor  Gletschern 
und  Gletscherflüssen  gedeihen  kann,  ist  sie  verhältnismässig  reich. 
Ja,  noch  oberhalb  von  Svinafell,  bei  Skaptafell,  findet  man  blumige 
Abhänge,  malerische  Felsen,  Wasserfälle  und  reichbelaubte  Birken 
und  Vogelbeerbäume  von  10  m  Höhe.  Zwei  Schluchten  mit  Wasser- 
fällen rechnet  Thoroddsen  zu  den  schönsten  Plätzen  auf  ganz 
Island. 


Svinafell.     Beim  dänischen  Generalstab  zu  Gaste.  131 

Von  einem  anderen,  ungemein  dichten  und  laubreichen  Gehölz  in  derselben 
Gegend,  bei  Bcejarstaitir,  sagt  T  h  o  r  o  d  d  s  e  n :  „  Der  Bcejarstadarskögur  ist  einer  der 
schönsten  und  blühendsten  Wälder  auf  Island ;  er  ist  sehr  dicht,  so  dass  man  an  vielen 
Stellen  nur  schwer  hindurch  kommen  kann,  und  überall  hoch  gewachsen,  jugendt'risch 
und  kräftigen  Wuchses;  nirgends  ist  er  so  niedrig,  dass  er  den  Wanderer  nicht  über- 
ragte. Durchschnittlich  mag  die  Höhe  der  Bäume  lo  bis  12  Fuss  betragen,  viele 
messen  14  bis  16  und  einzelne  17  bis  18  Fuss,  alle  sind  sie  kerzengerade,  gut  ge- 
wachsen und  blühend.  Einige  12  bis  14  Fuss  hohe  Ebereschenstämmchen  sind  im 
Walde  verstreut  und  manchmal  eine  „gelbe  Weide"  (Salix  phylicifolia)  dazwischen 
von  denen  eine,  die  ich  mass,  7  Fuss  hoch  war.  Wir  durchwanderten  fast  den  ganzen 
Wald  und  ruhten  uns  auf  dem  grünen  Boden  einer  Rodung  aus ,  wo  sich  aber  das 
Geäst  trotz  der  Grösse  des  Platzes  über  unseren  Häuptern  beinahe  schloss.  Man 
hätte  sich  hier ,  wo  man  von  der  gigantischen  Wüstenei  der  Umgegend  nichts  sah, 
einbilden  können,  in  einem  ausländischen  Walde  zu  sein." 


Das  Zelt  des  Offiziers  und  seiner  Mannschaft    lag   dicht   hinter 
dem  Bauernhofe,  wo  ein  Bach  in   hübschen  Wasserfällen    über    den 
mit    saftigem    Grün    üppig    bewachsenen    Abhang    stürzt;    auf   einer 
Terrasse    stehen    zu    beiden    Seiten    des   Baches    mehrere    stattliche 
Birken,  wovon  die  höchste  wohl  6  m  gross  ist.     Der  Lagerplatz  war 
also  mit  grossem  Geschick   und  Geschmack    ausgesucht.     Das    Zelt 
war  überaus  praktisch,  an    der   Decke   war   die    Lagerstatt    für    den 
Burschen    angebracht,    der    hinaufturnen    musste,    das   Feldbett    des 
Offiziers  stand   auf   dem  Boden,    das   ganze    Zelt    konnte    ein    Pferd 
bequem  tragen.     Durch  uns  drei   war    der  Raum   natürlich   gänzlich 
ausgefüllt,    und    statt   auf   Stühlen    sassen    wir    auf  Packkisten.      Es 
waren   reizende   Stunden,   die    wir   bei   dem    liebenswürdigen  Manne 
verlebten.     Das  Mahl,  das  er  uns  bot,  erschien  uns  geradezu  lukul- 
lisch:   nach    guter    dänischer   Sitte    zunächst    vortrefflicher    Akvavit 
und  Smörbrod,  belegt  mit  zartem,  dänischem  Käse  und  Ölsardincn, 
dann  Konserven   —  Kalbfleisch,  und  zuletzt    eine    süsse    Speise    aus 
getrockneten    Apfelschnitten,    die    für    12    Personen    gereicht    hätte. 
Durchkältet   wie    wir   waren,    nahmen    wir   mit    aufrichtigem    Danke 
den    edlen  Kornschnaps   an,    der    bald    eine    angenehme,    behagliche 
Wärme  in  unserem  hmern  bewirkte,    und    tranken   mit   besonderem 
Behagen  einige  Flaschen    Tuborg   Pilsner:    das    waren  Genüsse,    die 
wir  uns  in    dieser   Einöde    niemals    hätten   träumen   lassen.      Gläser 
gab  es  natürlich  nicht,  aber  aus  der  Flasche  zu  trinken   hatten    wir 
doch  noch  nicht  verlernt.     Als   wir    freilich    nachher    erfuhren,    dass 
der  Offizier   für    sich    und    seine  Leute    für    die    ganze    Zeit,    die    er 
hier    oben    in    angestrengter    Tätigkeit    und    rauhem,    regnerischem 
Wetter  zubrachte,  nur  sechs  Flaschen  Akvavit  und  einige  Flaschen 
Bier    zur   Verfügung    hatte,    tat    uns    unsere    Schwelgerei    leid.     Er 
zeigte  uns  auf  soeben  aufgenommenen  Kartenskizzen  den  Weg,  den 
wir  gestern  zurückgelegt,  und  jeden  grössern  Arm  der  Skeidard  und 
jede  bedeutende  Sandbank  konnten  wir  wieder  erkennen.    Natürlich 
verhehlte  er  sich  nicht,  dass  durch  den  nächsten  Gletschersturz  das 

9=. 


132  Svinafell  und  die  Njälssaga. 

Bild  wieder  völlig  geändert  werden  würde  \).  Am  19.  März  hatten 
sie  Kopenhagen  verlassen,  ein  englischer  Trawler  hatte  sie  am 
12.  April  gegen  3  ^  und  25  Flaschen  Akvavit  von  den  Veshnanna- 
eyjar  nach  der  Nähe  von  Vik  gebracht ,  und  sofort  war  mit  der 
Arbeit  begonnen.  Diese  wurde  unter  Premierleutnant  Koch  und 
Buchwaldt  verteilt ,  mitten  im  Sandiir  wurde  ein  Depot  von 
Lebensmitteln  errichtet,  eins  nordöstlich  auf  dem  Skeidarcirjökull 
und  eins  nördlich  vom  Morsdrjökiill.  Die  Gegend  nördlich  vom 
Skaptafellsjükull  und  die  östlichen,  völlig  unzugänglichen  Abhänge 
des  Örcrfajökull  wurden  aufgenommen,  Aldfabygdir  und  Esjufjöll, 
und  der  Breidamerkiirjökiill ,  so  dass  die  Küste  von  Papös  an  bis 
Vi'k  jetzt  neu  kartographiert  ist.  Von  den  Ungeheuern  Schwierig- 
keiten, mit  der  die  Offiziere  zu  kämpfen  hatten,  kann  man  sich 
kaum  eine  Vorstellung  machen.  Nicht  nur  die  reissenden  Flüsse 
und  die  Sandwüste  bereiten  täglich  neues  Ungemach,  sondern  vor 
allem  die  gänzlich  unbekannten  Gletscher,  wo  man  sich  Schicht  für 
Schicht  erkämpfen  muss.  Bald  kann  man  Tage  lang  nicht  arbeiten, 
da  keine  Sonne  scheint,  und  ist  auf  das  enge  Zelt  beschränkt,  dann 
muss  man  ununterbrochen  48  Stunden  auf  dem  windumtosten 
Gletscher  Messungen  und  Berechnungen  vornehmen.  Aber  der  Er- 
folg hat  alle  Mühe  gekrönt,  und  Dänemark  kann  stolz  auf  solche 
Offiziere  und  deren  Leistungen  sein. 

Die  Strapazen  des  heutigen  Tages  und  der  ungewohnte  Alkohol- 
genuss  hatten  mich  so  müde  gemacht,  dass  ich  zum  ersten  und 
einzigen  Male  keine  Zeit  mehr  fand,  die  gewohnten  Eintragungen 
in  das  Tagebuch  zu  machen,  sondern  es  auf  den  nächsten  Morgen 
verschob. 

12.  Juli. 

Svinafell  war  der  Wohnsitz  einer  der  Hauptpersonen  der 
Njdlssaga,  des  Flosi,  der  durch  die  Macht  der  Verhältnisse  gegen 
seinen  Willen  dazu  gezwungen  wurde,  als  Führer  der  [Mordbrenner 
beim  Njälsbrande  aufzutreten. 

Nach  Svitia/ell  rief  Flosi  zwei  Monat  vor  Winters  Anfang  alle  seine  Mannen  zu 
sich  zur  Fahrt  nach  Westen,  die  ihm  zu  folgen  gelobt  hatten.  Sie  kamen  alle,  ein 
jeder  mit  zwei  Rossen  und  guten  Waffen,  und  blieben  in  Svinafell  zur  Nacht.  Am 
Sonntag  liess  sich  Flosi  frühzeitig  Gottesdienst  abhalten  und  ging  dann  zu  Tisch. 
Nachdem  er  noch  seinem  Gesinde  aufgetragen  hatte ,  was  es  in  seiner  Abwesenheit 
arbeiten  sollte ,  ging  er  zu  seinen  Pferden  und  ritt  mit  seinen  Begleitern  westwärts 
nach  dem  Skeidarärsandur.  Flosi  ermahnte  seine  Leute,  zunächst  nicht  mit  allem 
Eifer  zu  reiten  und  erklärte,  dass  sie  auch  ohne  übermässige  Eile  ihren  Plan  zu  Ende 
führen  würden ;  zugleich  forderte  er  sie  alle  auf  zu  warten,  wenn  irgend  einer  Verlangen 


1)  Eine  vorzügliche  Karte  des  Örcefajökiill  und  Skeidarärsandur ,  aufge- 
nommen von  der  topographischen  Abteilung  des  Dänischen  Generalstabes,  ist  soeben 
in  Geogr.  Tidskrift  erschienen  1905,  XVIII,  Massstab  1:200000.  J.  P.  Koch:  Fra 
Generalsstabens  topografiske  Afdelings  Virksomhed  paa  Island  S.  i — 4. 


Svinafell  und  die  Njälssaga.  133 

hätte,  Halt  zu  machen.  Sie  ritten  westwärts  nach  Skögarhverfi  und  kamen  nach 
Kirkjubcer.  Flosi  forderte  alle  Leute  auf,  in  die  Kirche  zu  gehen  und  zu  beten 
und  diese  gehorchten.  Dann  bestiegen  sie  die  Pferde,  ritten  hinauf  ins  Hochland, 
dann  weiter  nach  den  Fiskivötn ,  ritten  etwas  westlich  von  den  Seen  weiter  und 
lenkten  ihren  Ritt  nach  dem  Ma'üfellssandr ,  wobei  sie  den  EyjafjaUajökidl  links 
liegen  Hessen,  darauf  hinab  nach  Godalond ,  setzten  über  das  Markarfljöt  und 
kamen  Montag  Nachmittag  gegen  3  Uhr  auf  dem  Rücken  des  Prihyrningr  an;  dort 
warteten  sie  bis  gegen  6  Uhr  abends.  Daselbst  kamen  sämtliche  Verschworene  zu- 
sammen ,  ausser  Ingjaldr  at  Keldtim.  Die  Sigfüsssöhne  schalten  heftig  auf  ihn, 
aber  Flosi  ermahnte  sie,  auf  higjaldr  nicht  zu  schelten,  solange  er  nicht  da  wäre; 
„aber  später",  sagte  er  noch,  „wollen  wir  es  ihm  vergelten,  dass  er  nicht  kommt." 
Darauf  ritten  sie  nach  einer  Vertiefung  in  dem  Hügel,  auf  dem  Bergpörshvoll  liegt, 
banden  dasselbst  ihre  Rosse  an  und  warteten,  bis  es  stark  auf  den  Abend  ging,  sie 
bildeten  eine  Schar  von  etwa  100  Mann  (K.  126).  Der  Überfall  selbst  ist  früher 
erzählt '). 

Ich  hatte  die  A^jdlssaga  in  der  bequemen  Reykjaviker  Ausgabe 
bei  mir,  las  das  Kapitel  noch  einmal  genau  durch  und  versuchte 
auf  der  Karte  den  Weg  zu  verfolgen,  wie  er  angegeben  ist.  Die 
an  und  für  sich  geringe  Zeit,  die  Flosi  zur  Verfügung  stand,  wird 
noch  verkürzt  durch  eine  Reihe  von  Geschäften,  die  am  Abmarsch- 
tage vollführt  werden;  Besuch  der  Messe,  Einnahme  von  Speis'  und 
Trank,  langsames  Reiten,  wobei  noch  der  Befehl  ausgegeben  wird, 
zu  warten,  wenn  einer  zurückbleiben  muss;  ausserdem  hat  jeder 
Reiter  nur  zwei  Pferde!  Und  dennoch  soll  die  stattliche  Schar,  die 
sich  natürlich  nicht  so  schnell  vorwärts  bewegen  kann,  wie  ein 
einzelner  Reiter,  in  kaum  1V2  Tagen  die  weite  Strecke  durch  un- 
wegsames Land  zurückgelegt  haben!  Aber  auch  die  Marschroute 
erscheint  unmöglich.  Von  KirkJ2ibccr^  wo  noch  einmal  die  Messe 
gehört  wird,  reiten  sie  wunderlicherweise  auf  grossen  Umwegen  nach 
Norden  an  den  Fiskivötn  vorbei,  dann  wieder  nach  Süden  nach  dem 
Godaland,  und  dann  erst  direkt  nach  Westen  nach  dem  Prihyrnijigr: 
sie  schlagen  also  einen  möglichst  weiten  und  auch  möglichst  unbe- 
qmemen  Weg  ein,  der  sie  noch  dazu  durch  mögUchst  ungastliche 
Gegenden  führt.  Die  Zeit,  die  Umstände  und  Richtung  des  Weges 
also  Verstössen  in  dem  Masse  gegen  die  Wirklichkeit,  dass  die  Saga 
unmöglich  in  der  Gegend  entstanden  und  aufgezeichnet  sein  kann, 
von  der  sie  handelt.  Kein  Landeskundiger  hätte  sich  jemals  solche 
Irrtümer  zuschulden  kommen  lassen.  Was  anderes  aber  ist  es, 
wenn,  wie  Kaalund  annimmt  (IL,  S.  328),  der  Verfasser  oder  Auf- 
zeichner ein  Bewohner  der  l ^estur  Skaptafells  sxsla  war,  der  niemals 
selbst  weite  Reisen  über  das  Gebirge  unternommen  hatte,  der 
darum  die  Fiskivötn  in   die  Nähe  des  Mcelifellssandr  verlegte,    also 


1)  Maurer,  Germania  VII,  S.  244  ;  Lehmann  und  Schnorr  von  Carolsfeld, 
Die  Njälssage.  Berlin  1883,  S.  168;  Finnur  Jönsson,  Oldn.  Lit.  Hist.  IL  S.  339; 
Finnur  Jönsson,  Om  Njäla ,  S.  106  (Aarb.  f.  nord.  Oldk.  und  Hist.  1904,  S.  89 
bis   166). 


134  Svinafell  und  der  Schluss  der  Njälssaga. 

ein  Geistlicher  war,  vielleicht  Abt  Brandr  Jönssoii  (vergl.  S.  93). 
Njäls  abgelegenen  Wohnsitz  Bergförshvoll  kennt  der  Verfasser, 
wie  früher  gezeigt  ist,  gleichfalls  nicht  aus  eigener  Anschauung,  und 
selbst  Finnur  Jönsson,  der  viele  andere  Bedenken  sonst  durch  seine 
scharfsinnige  Untersuchung  gehoben  hat,  muss  zugeben,  dass  die 
Erwähnung  der  Fiskivötn  auffallend  ist,  und  dass  der  Verfasser  den 
Weg  selbst  kaum  gekannt  hat.  Wohl  führt  er  Thoroddsens 
Autorität  dafür  an,  dass  der  Weg  mit  guten  Pferden  sich  in  so 
kurzer  Zeit  zurücklegen  lasse,  aber  der  Bauer  Pdll  jönsson,  den 
ich  danach  befragte,  erklärte  es  für  durchaus  unmöglich,  selbst  für 
einen  einzelnen  Reiter  und  mit  stets  frisch  untergelegten  Pferden. 
Von  einer  Höhle  im  Svi'nafelhfjall,  FlosaJiellir,  wusste  er  mir  keine 
Volkssage  mehr  zu  erzählen. 

In  Srma/ell  spielt  auch  der  letzte  Akt  des  gewaltigen  Dramas, 
das  uns  die  Njälssaga  vorführt.  Ihr  Schluss  erzählt  uns  die  Rache, 
die  die  Brandmänner  für  ihre  Freveltat  trifft. 

Auf  der  Althingsebene  kommt  es  zu  einem  Kampfe  zwischen  den  Angehörigen 
des  Njäll  und  den  Gegnern ,  nachdem  der  Prozess  für  die  Klagen  der  Verwandten 
des  Njäll  einen  ungünstigen  Ausfall  zu  nehmen  drohte,  da  Flosi  mit  lauter  Kniflen 
und  Tücken  vorgeht.  Der  Streit  endet  damit,  dass  Flosi  und  die  Seinen  weichen 
müssen  und  sich  in  die  Almannagjö  zurückziehen.  Dennoch  kommt  es  am  folgen- 
den Tage  auf  dem  Lögberg  zu  einem  Ausgleiche,  und  zwar  infolge  einer  ergreifenden 
Rede ,  die  der  Vater  eines  Jünglings  hält ,  der  beim  Überschreiten  der  Oxarä  von 
unbekannter  Hand  mit  einem  Speere  erschossen  war.  A'/dll  sollte  mit  dreifacher, 
Bergpöra  mit  doppelter  Mannbusse  gebüsst  werden ,  Skarpheclins  Tod  sollte  sich 
ausgleichen  gegen  die  Ermordung  des  Höskiildr  Präinsson,  Flosi  und  alle  Brand- 
stifter sollten  ins  Elend  gehen ,  Flosi  auf  3  Jahre  ,  die  übrigen  durften  niemals  nach 
Island  zurückkehren;  wenn  sie  nach  Verlauf  von  3  Wintern  nicht  abgefahren  wären, 
sollten  sie  vogelfrei  sein  Nur  Porgeirr  Skorargeirr  und  Käri  verschmähen  jede 
Aussöhnung,  und  selbst  als  sich  ersterer  später  mit  Flosi  in  Svinafell  vertragen  hat, 
weist  es  Käri  schroff  zurück  (K.  138  ff.).  Einige  von  den  Brandmännern,  die  nicht 
im  Althings-Kampfe  gefallen  sind,   werden  später    getötet   (vergl.  S.  91).  ^ 

Flosi  ritt  nach  dem  Homafjördur  und  stach  von  hier  in  See.  Er  ging  nach 
Rom,  holte  sich  persönlich  vom  Papste  Ablass  und  kehrte  dann  nach  Island  zurück, 
als  er  seine  Strafe  völlig  abgcbüsst  hatte.  Auch  Käri  hatte  in  Rom  Absolution 
empfangen  und  fuhr  mit  18  Mann  nach  Island  zurück.  Nach  langer  Überfahrt  erreichte 
er  Ingölfshöfdi;  hier  zerschellte  sein  Schiff,  doch  die  Mannschaft  konnte  sich  retten. 
Es  war  ein  schweres  Unwetter,  und  als  die  Leute  Käri  fragten,  was  sie  tun  sollten, 
riet  er,  nach  Flosis  in  der  Nähe  gelegenen  Bauernhofe  Svinafell  zu  gehen,  um  seine 
Heldenhaftigkeit  auf  die  Probe  zu  stellen.  Flosi  sass  in  seiner  Stube,  als  Käri  kam. 
Er  erkannte  ihn  sofort,  sprang  auf  und  eilte  ihm  entgegen,  küsste  ihn  und  führt  ihn 
zu  seinem  Ehrensitze.  Nunmehr  söhnten  sich  die  beiden  erbitterten  Gegner  von  ehe- 
mals vöUig  aus;  ja  Flosi  verheiratete  sogar  mit  Käri  seine  Nichte  Hildigiinnr,  die 
Witwe  des  Höskuldr  Prdinsson,  da  inzwischen  Käris  Frau,  Helga,  Njäls  Tochter, 
verstorben  war.  Käri  und  seine  Nachkommen  lebten  nachmals  auf  Island;  Flosi 
dagegen  kam  in  hohem  Alter  auf  dem  Meere  um.  Er  war  nach  Norwegen  gereist, 
um  sich  Bauholz  zu  holen;  spät  im  Sommer  fuhr  er  auf  lockerem  Fahrzeug  trotz  der 
Abmahnung  anderer  zurück ;  von  seinem  Schiffe  hat  man  nie  wieder  etwas  gehört 
(K.   159).   - 


Svi'nafell.     Schnupftabak.     Der  Bezirk  Öraefi.  135 

Der  Vater   oder  Grossvater   der  Bauern  von  Smnafell  war  ein 
gemütlicher,  alter  Herr.    Er  konnte  sogar  ein  paar  dänische  Brocken, 
und  Leutnant  Buchwaldts  grösstes  Vergnügen  war,  sich  von  ihm 
Schnupftabak  auszubitten  {iieftöbak;  niuinitöbak  =  Priem;  ad  taka 
i  i/eßd  =  schnupfen,  ad  brüka  tipp  i  sig  =  priemen).    Grossvater 
sass  den  ganzen  Tag  vor  der  Tür  und  zerschnitt  mit  seinem  Messer 
die    auf   Island    bei    der    ärmeren    Bevölkerung    ausserordentlich   be- 
liebten   Kautabakrollen.      Er    priemte,    rauchte    und    schnupfte    zu 
gleicher  Zeit ;  ja,  ich  glaube,  er  trocknete  den  gekauten  Priem  noch 
einmal  auf,  zerrieb  ihn  und  benutzte  ihn  noch  einmal  für  die  Nase. 
Schnupftabaksdosen    (dös)    findet    man   nur  bei  den  Reicheren;    un- 
unterbrochen wird  der  Deckel  aufgeklappt,    ein  Prieschen  herausge- 
nommen  und  mit  Behagen  eingesogen.     Die  Ärmeren  haben  förm- 
liche Pulverhörner    (bankur) ,   die   oben    mit    einem    an    einer  Kette 
hängenden   Stöpsel    versehen,    und   da    die    Goldschmiedekunst    auf 
Island    ziemUch    entwickelt    ist,    meist    künstlerisch    geschnitzt    und 
mit  Silber   beschlagen    sind.     Der  Schnupf-   und  Kautabak  hat  sich 
seit  1619  ungemein  schnell  eingebürgert,  besonders  leidenschaftliche 
Schnupfer    nennt    man    iöbaksvargiir   ,, Tabaks wölfe"  (sing,  tantum), 
Stefan    Ölafssou   (1620 — 1688)    besang   ihn   sogar    in    mehreren  Ge- 
dichten.    Der  Tabak  wird  in  Rollen  und  Blättern  gekauft,    sie  zer- 
reiben  ihn    selbst   und    streuen    ihn   zu  Hause   in   langen  Zeilen  auf 
die  Hand,  ,,wie  es  die  Bewohner  des  bayrisch-böhmischen  Waldge- 
birges mit  dem  sogenannten  Presiltabak  machen"  ^).    Auf  der  Reise 
bringen    sie    mit    zurückgebogenem   Kopfe   die  Mündung   des  Horns 
unmittelbar  an  die  Nase,  stecken  sie  abwechselnd  in  das  rechte  und 
linke  Nasenloch,    verlieren    so    nichts    von   dem  Tabak  und  stopfen 
dann    behutsam    das  Zäpfchen   wieder    in  die  obere  Öffnung.     Dass 
die  holde  WeibHchkeit  dieser  Sitte  frönt,  habe  ich  nicht  beobachtet, 
eben  so  wenig,    dass    sie   raucht,    wie    bei   uns   so  viele  Gebirgsbe- 
wohnerinnen tun. 

Die  Austur  Skaptafells  sysla  umfasst  die  Bezirke :  Örceß, 
Sudursveit,  Myrar  oder  Myrnasveit  (Sümpfe),  Nes  (Landspitze), 
Lön  oder  Lönshverfi.  Die  ersten  Ansiedler  fanden  den  Skeidardr- 
sandiir  schon  vor,  sonst  würde  es  unverständlich  sein,  warum  sie 
das  Land  zwischen  der  Skeidard  und  dem  FljötsJwerß  nicht  be- 
setzten^). In  jüngster  Zeit  ist  die  Skeidard  dem  Örafahreppur 
immer  näher  gekommen  und  hat  immer  grössere  Strecken  des  frucht- 
baren Graslandes  zerstört.  Heute  gleicht  das  Flachland  östlich  von 
ihr  ganz  dem  des  Skeidardrsandur ,  es  besteht  aus  Geröll  der  vielen 
Gletscherflüsse,    Überrieselungen    und   Lagunen.     Nur    hier   und    da 


1)  Küchler,   Gartenlaube   1892,  Nr.   25,   S.  423. 

2)  Die  Besiedelung  dieser  Sf/s/a  bei   Schumann,    S.  36  7.    —   Eine  Beschreibung 
aus  dem   18.  Jahrhundert  bei  Thoroddsen-Gebhardtll,  S.  266  ff.,  376. 


136  Volkskundliches  aus  dem  Bezirk  Öraefi. 

liegen  kleine  Oasen  mitten  in  den  Wüsten;  aber  die  Gletscher  schauen 
sozusagen  den  Bauern  hier  in  die  Fenster  und  Türen  hinein,  und 
auf  ihnen  und  unter  ihnen  droht  einer  der  gefährlichsten  Vulkane 
Islands.  Die  Bewohner  wissen  es  freilich  nicht  anders,  sie  sind  mit 
all  den  Gefahren  so  vertraut,  dass  man  sich  ihnen  unbedenklich  an- 
vertrauen kann.  Ihre  Wohnungen  sind  so  sauber  wie  aller  Orten 
auf  Island;  da  Zimmerholz  schwer  zu  transportieren  ist,  verwendet 
man  zum  Häuserbau  meist  Treibholz,  das  ausgezeichnete  Dienste 
tut;  nur  Wassergläser  habe  ich  vermisst.  Milch  und  Wasser  wurde 
mir  meist  in  Tassen  angeboten  ^).  Ihre  allgemeine  Bildung  steht 
hoch  über  der  der  Bauern  in  abgelegenen  Gegenden  Deutschlands. 
Der  Bauer  in  Reynivellir  hatte  eine  grosse  Karte  von  Europa  in 
seiner  Stube  und  verfolgte  mit  sichtlichem  Verständnis  meine  Reise 
von  Torgau  über  Berlin,  Kopenhagen,  Edinburgh  bis  Reykjavik.  Er 
hatte  mich  für  einen  Schweizer  gehalten,  in  dem  leicht  erklärlichen 
Irrtum :  Torgau  sei  der  Thurgau.  In  FagurJiölsviyri  fand  ich  zwei 
Bände  lyrische  Gedichte  von  JMaitJu'as  Joclmuisso)!.  Mancher  alte 
Aberglaube  lebt  hier  noch  fort,  besonders  unerschütterlich  der  Glaube 
an  Elfen :  sie  behaupten,  ihnen  oft  begegnet  zu  sein,  Klippen  und 
Felsen  seien  von  ihnen  bewohnt.  Die  Lage  eines  Wohnhauses  darf 
nicht  verändert  werden,  sonst  käme  ein  Bergsturz  und  risse  das  Haus 
ein.  In  den  Flüssen  hausen  Wassergeister,  auf  den  Bergen  und 
Gletschern  Riesen  und  Achter,  in  ungeteilte  Schafpelze  gekleidet, 
die  zottigen  Haare  hängen  ungekämmt  in  langen  Strählen  auf  den 
Rücken.  Hoch  oben  im  J^afnajokull  liegen  die  Mdjnbygdir  (Möven- 
kolonien),  Felsenvorsprünge,  auf  denen  Möven  und  Gänse  nisten ; 
hier  sollen  Ächter  hausen;  einige  Leute,  die  mit  einem  Priester 
1850  hier  oben  den  Vögeln  nachstellten,  behaupteten,  ihre  Wohnungen 
gesehen  zu  haben  und  kehrten  entsetzt  um. 

Wenn  man,  im  Begriffe,  auf  das  Meer  zu  gehen,  beim  Verlassen 
des  Gehöftes  strauchelt,  so  hat  man  Glück  bei  seinem  Unternehmen, 
z.  B.  beim  Fischfange  (fall  tilfararheilla  =  die  Fahrt  bedeutet  Glück); 
kommt  man  aber  vom  Meere  nach  Hause  und  fällt  dabei  zu  Boden, 
so  bedeutet  es  Unglück.  Als  ich  nach  FagurJiölsniyri  kam,  be- 
grüsste  mich  der  Bauer  mit  den  Worten :  sein  Hund  habe  ihm  meine 
Ankunft  prophezeit  {spd  gestuni).  Ich  konnte  nicht  recht  klug 
daraus  werden,  ob  nicht  der  Bauer  einen  Spass  mit  mir  machte, 
oder  ob  seine  Äusserung  ernst  war;  denn  nachher  stellte  sich 
heraus,  dass  er  meine  Ankunft  in  einer  Reykjaviker  Zeitung  gelesen 
hatte,  und  er  vermutete  natürlich,  dass  ich  nach  alten  Glaubens- 
resten fahnden  würde.  Aber  als  ich  in  ihn  drang,  nannte  er  mir 
ähnliche  Ausdrücke,  die  den  alten  Glauben  bekunden,  dass  die  Tiere 


J)  Wie    ich  aus    den   Fjdrlüg   für    19067    ersehe,    suchen    die  Bewohner   jetzt 
einen  Arzt  für  sich,    und  die  Regierung   hat  jährlich   150  Kr.  Unterstützung  bewilligt. 


Volkskundliches  aus  dem   Bezirk  Öraefi.  137 

im  Hause  es  prophezeien,  ob  der  oder  jener  Gast  kommt.  Liegt 
der  Hund  z.  B.  auf  dem  Boden  und  schläft,  den  Kopf  zwischen  die 
Beine  vergraben,  so  kommt  ein  Mensch  aus  demselben  Bezirke ;  hat 
der  Hund  aber  den  Kopf  auf  die  Vorderbeine  gelegt,  so  kommt 
ein  Fremder  aus  einem  andern  Bezirke.  Lässt  sich  das  Feuer  auf 
dem  Herde  schlecht  anmachen,  so  sagt  man  wohl :  eldur  spdir  gestuiiL 
(das  Feuer  prophezeit  Gäste). 

Die  alten  Nordleute  hatten  den  Glauben,  jeder  Mensch  habe 
seine  Fylgja  (Folgerin) ;  gemeint  ist  entweder  das  zweite  Ich  des 
Menschen,  das  sich  im  Schlaf  oder  kurz  vor  dem  Tode  von  ihm 
trennte  und  sichtbar  wurde ,  oder  die  Seele  des  Ahnen ,  die  als 
Schutzgeist  dem  Geschlechte  folgte.  Ich  will  nicht  behaupten,  dass 
diese  alte  Vorstellung  noch  heute  geglaubt  wird,  aber  bekannt  ist 
sie  jedenfalls  noch  in  der  ganzen  Sysla,  und  der  sprachliche  Aus- 
druck dafür  lebt  zum  mindesten  noch  fort.  Der  eine  hat  eine  gute, 
der;  andere  eine  böse  Fylgja.  Diese  gehen  dem  Menschen  voraus 
und  kommen  eher  als  dieser  selbst  nach  dem  Gehöft.  Oft  üben 
sie  einen  Einfluss  auf  andere  aus,  bewirken  z.  B.,  dass  die  Leute 
auf  der  Farm  auffallend  schläfrig  werden ;  diesen  Einfluss  der  Fylgjen 
nennt  man  noch  heute  wie  im  Heidentum  adsökn  (Angriff)  und  das 
dazu    gehörende  Verbum   adscEkja   ad. 

Während  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  Taschenuhren 
noch  sehr  selten  waren  —  höchstens  besassen  der  Pfarrer  und  der 
Syslumadur  eine  solche  —  sind  sie  jetzt  allgemein  verbreitet,  und 
selbst  Knechte  und  Tagelöhner  haben  ein  nr ;  Wanduhren  sind  fast 
auf  jedem  Gehöfte  (khikka).  Darum  war  mir  die  Art  und  Weise 
interessant,  wie  man  hier  noch  heute  die  Zeit  bestimmt  und  nennt. 
Da  in  dieser  abgelegenen  Sysla  Taschenuhren  noch  verhältnismässig 
selten  sind,  berechnet  man  die  Zeit  nach  dem  Stande  der  Sonne  am 
Himmel,  oder  wie  sie  ihre  Schatten  auf  Felsen  wirft.  Die  Zeit  des 
Sonnenaufganges  (sölaruppkonia)  ist  natürlich  verschieden  nach  Ort 
und  Zeit,   die  Bezeichnung    erfolgt  je  nach  dem  Stande    der  Sonne : 

6  Uhr  morgens  =  niidur  morgun,  ca.  9  Uhr  =  dagiudlimkX  =  Anfang) 
1 2  Uhr  =  hddegi  ca.  2  Uhr  =■  fnidmunda 

3  Uhr  =  nön  6  Uhr  =  midaftan. 

Der  Sonnenuntergang  heisst  sölarlag.  Die  Zeit,  wenn  man, 
natürlich  nur  an  hellen  Tagen,  bei  wolkenlosem  Himmel,  nicht  mehr 
Licht  am  westlichen  Himmel  sieht,  nennt  man  dagsetur ; 

9  Uhr  abends  =  ndftmdl,  12  Uhr  nachts  =:  midnött,  niidncE-tti, 
3  Uhr  morgens  =  öita.  Die  dazwischen  liegenden  Stunden  werden 
zuweilen  nach  Tagesachteln  berechnet  (eyktamörk). 

Mit  vaka  (,, wachen",  im  Gegensatze  zu  ,, schlafen")  bezeichnet 
man  die  Zeit  im  Winter,  wo  man  des  Abends  bei  Licht  arbeitet, 
gewöhnUch  von  6  Uhr  nachmittags    an  bis   11    oder   12  Uhr  nachts. 


138  Volkskundliches  aus  dem  Bezirk  Öraefi.     Sandfell. 

Dann  wird  das  Licht  ausgelöscht,  und  die  Zeit,  da  man  zu  Bett 
geht,  heisst  vökulok  (Schkiss  der  vakd).  Die  Zeit  endUch  von 
Sonnenuntergang  bis  zum  Beginne  der  vaka  nennt  man  rökkur 
(Dämmerung,  vergl.  Ragiiarökkr  =  Götterdämmerung,  Missver- 
ständnis für  Rngiinrök  =  Göttergeschick,  Götterende). 

Wohl  auf  der  ganzen  Insel  verbreitet  ist  die  Redensart :  ein 
tüchtiger  Bauer  soll  darauf  aufpassen,  dass  die  Wanduhren  seines 
Gehöftes  vorgehen,  damit  die  Leute  nicht  allzulange  am  Morgen  in 
den  Federn  liegen.  Am  Abend  reguliert  ja  das  Tageslicht  von  selbst 
die  Arbeitszeit.  Man  trifft  im  Innern,  namentlich  im  Sommer,  Uhren, 
die  ein  bis  zwei  Stunden  vorgehen.  Eine  solche  Uhr  heisst  bihnanns- 
kliikka,  bihnadur  bedeutet  dabei  nicht  ,, Bauer"  überhaupt,  sondern 
einen  tätigen  Bauern. 

An  volkstümlichen  Spielen  habe  ich  nur  zwei  kennen  gelernt: 
beim  kne/aletkur  schlagen  sich  zwei  Gegner  mit  der  geschlossenen 
Faust  gegen  die  Stelle,  wo  Nagel  und  zweites  Glied  sind ;  es  ist 
verboten,  auf  den  Handrücken  oder  das  dritte  Glied  zu  zielen ;  oft 
genug  fliesst  dabei  Blut  von  den  Knöcheln ;  beim  Fingerspiel  (krökiir) 
stecken  die  beiden  Gegner  den  Mittel-  oder  kleinen  Finger  inein- 
ander und  suchen  so  einander  von  der  Stelle  zu  ziehen.  Wenn  ich 
nicht    irre,    gibt   es  in  Bayern  und  Tirol  etwas  ähnliches  (Hakein.?). 

Auf  eine  hübsche  Weise  erfuhr  ich,  dass  man  mir  nach  guter, 
alter  Sitte  einen,  übrigens  recht  schmeichelhaften,  Beinamen  beige- 
legt hatte.  Derselbe  Bauer,  der  mich  damit  aufgezogen  hatte,  dass 
ihm  sein  Hund  mein  Kommen  gemeldet  hatte,  fragte  mich  spitz- 
bübisch lächelnd:  in  Deutschland  gäbe  es  wohl  viele  Tauben,  und 
ich  ässe  wohl  mit  Vorliebe  Taubenherzen.  Da  ich  ihn  durchaus 
nicht  verstand,  drang  ich  in  ihn,  mir  zu  sagen,  was  er  meinte,  und 
so  in  die  Enge  getrieben,  erwiderte  er:  es  wäre  Glaube,  dass,  wer 
Taubenherzen  ässe  oder  getrocknet  bei  sich  trüge,  sich  die  Liebe 
aller  Menschen  erwürbe :  —  mein  Beiname  war  Pdll  hinn  dstndlegi. 

Zwei  sprichwörtliche  Redensarten  mögen  den  Schluss  bilden: 
Gull  reynist  i  eldt,  gedprydi  i  viötlccti  =  Gold  bewährt  sich  im 
Feuer,  Gleichmut  in  Sorgen.  Ad  vatna  miisiim  (den  Mäusen  Wasser 
geben)  sagt  man  vom  Weinen  der  kleinen  Kinder. 

Man  sieht  an  dieser  dürftigen  Ausbeute,  die  allerdings  durch 
zahlreichere  andere  Zeugnisse  dieses  Buches  bedeutend  anwächst, 
wie  irrig  die  übliche  Vorstellung  ist,  nach  der  Island  ein  lebendiges 
Repositorium  uralter  Überlieferungen  sei,  die  aus  der  grauesten  Vor- 
zeit ohne  alle  Unterbrechung  bis  in  die  Gegenwart  hinabreichen 
(Maurer,  Germania  IX,  S.  233).  Leider  ist  zu  befürchten,  dass, 
wer  nach  25  Jahren  kommt  denselbigen  Weg  gefahren,  überhaupt 
nichts  Altertümliches  und  Eigenartiges  mehr  findet,  dass  dann  auch 
Island  in  den  grossen  alles  verwischenden  und  gleichmachenden 
Kulturstrom  untergetaucht  ist. 


Sandfell. 


139 


Da  wir  nur  einen  kurzen  Tagesritt  vorhatten,  nahmen  wir  von 
dem  Bauern  in  Svniafell  und  dem  Hebenswürdigen  dänischen  Offizier 
erst  spät  Abschied.  Nach  kurzer  Zeit,  nachdem  wir  sechs  oder 
sieben  Flüsse  überschritten  hatten,  darunter  die  Virkisd  ves/ri  und 
eystn\  die  vom  Falljökull  entspringen,  machten  wir  vor  dem  Pfarr- 
hofe Sandfell  Halt,  der  in  einer  grünen  Oase  am  Fusse  des  Orcr/a- 
jökull  liegt;  aber  zu  beiden  Seiten  lagen  Gletscher,  aus  denen 
Gletscherstürze  die  Niederungen  mit  Felsstücken,  Schutt    und  Sand 


Fig.  82.     Inneres  der  Kirche  zu  Sandfell. 


überschwemmt  haben.  Die  Wärme  ist  hier  bedeutend  grösser  als 
sonst  in  der  Umgegend;  im  März  1902,  der  besonders  strenge  Kälte 
aufwies,  waren  in  Sandfell  nur  6*^  Kälte,  weiter  östlich  aber  18*^. 
Sandfell  ist  die  einzige  Stelle  in  der  Skaptafells  sysla,  wo  meteoro- 
logische Beobachtungen  vorgenommen  werden.  Die  Kirche  ist  auch 
wahrscheinlich  die  einzige  noch  erhaltene,  die  fast  ausschliesslich  aus 
Gras  hergestellt  ist.  Da  ich  früher  das  Äussere  der  Kirche  abgebildet 
gegeben  habe  (I,  S.  324),  mag  hier  eine  Photographie  des  Innern 
folgen  (Fig.  82).  Man  sieht,  es  ist  nicht  viel  grösser  als  eine  Badslofa 
und  kann  vielleicht  20  Personen    fassen.     Auf   dem  Altare    standen 


140  Sandfell.     Öraefajökull, 

zwei  alte  Messingleuchter;  unter  dem  Dach  im  Innern  hingen  zwei 
Glocken,  deren  gedämpfter  Schall  durch  das  Ziehen  an  zwei  dünnen 
Stricken  hervorgerufen  wurde.  Im  übrigen  war  das  Kirchlein  pein- 
lich sauber  wie  ein  Schmuckkästlein. 

Zwischen  den  mächtigen  Eisarmen  des  Breidaiiierkurjökull  im 
Osten  und  des  Skeidardrjökull  im  Westen  erhebt  der  Örccfajökull, 
in  Wirklichkeit  ein  kolossaler,  eisgepanzerter  Vulkan,  seine  schöne, 
weisse  Kuppel.  Er  gehört  zu  den  24  Gletschern,  die  sich  vom  Süd- 
rande des  Vatnajökull  zwischen  Löii  und  Skeidard  fast  aus  jeder 
Bergkluft  abwärts  erstrecken  und  sich  kuchenförmig  auf  den  unter- 
halb liegenden  Gerollflächen  ausbreiten.  Er  ist  aus  Tuff-  und  Brec- 
cieschichten  aufgebaut,  die  vom  Zentrum  aus  abfallen;  an  seiner 
südöstlichen  Seite  finden  sich  auch  ziemlich  viel  Liparit-Einlage- 
rungen  und  Lavaströme  mit  Gletscherschliffen ,  die  bis  zur  Küste 
hinabreichen  und  beweisen,  dass  der  Vulkan  schon  während  der 
Eiszeit  tätig  war.  Von  ihm  erstrecken  sich  acht  Gletscher  herab, 
drei  nach  Osten,  drei  nach  Westen  und  zwei  nach  Süden;  im 
Westen:  Svinafells-,  Virkis-  (oder  Fall-),  KotdrjökulL  im  Süden: 
Höldr-,  Stigdrjökull]  im  Osten:  Kvidr-  und  der  östliche  und  west- 
liche Hnitdrjökitll.  Diese  sind  bei  den  Ausbrüchen  des  Vulkans 
geschmolzen  und  haben  grossen  Schaden  verursacht;  jeder  Ausbruch 
hat  weite  Strecken  mit  mächtigen  Felsblöcken  bedeckt,  die  die 
Gletscher  mit  sich  führten,  wenn  sie  bei  den  vulkanischen  Erup- 
tionen halbgeschmolzen  in  die  Niederungen  hinabglitten. 

Von  Sand/eil  aus  unternahmen  der  Engländer  F.  W.  Ho  well 
am  17.  August  1891  seine  Besteigung  des  Örcrfajökull,  die  er  in 
24  Stunden  ausführte,  und  der  junge  dänische  Arzt  Chr.  Schier- 
beck am  30.  Juni  1899,  der  diese  Spitze  des  Hvannadalshm'ikur 
(Gipfel  über  dem  Angelikatale)  auf  einem  leichteren  Wege  erreichte. 
Den  südlichsten,  steilen,  sargförmigen  Gipfel  Hnappur  (Bergknoten, 
185 1  m)  hatte  bereits  der  isländische  Arzt  Sveinn  Pdlsson  am 
II.  August  1794  erstiegen,  und  der  schneeireic  H'i'anttadals/uinkur 
war  schon  18 13  zum  ersten  Male  vom  Hauptmann  Frisak  be- 
zwungen, der  an  der  grossen  Höhenmessung  von  ganz  Island  zu 
Anfang  des  19.  Jahrhunderts  teilnahm.  Jetzt  hat  auch  der  dänische 
Generalstab  die  Höhe  des  Hvannadalshnükiir  mit  2119  m  festge- 
stellt und  diesen  Gipfel  damit  als  den  höchsten  Punkt  der  Insel  er- 
wiesen. 

Von  den  vier  Ausbrüchen  des  Örcpfajökull  in  den  Jahren  1341, 
13 50.  1598  und  1727  wird  der  erste  zugleich  mit  einer  Eruption 
der  Hekla  in  den  Skdlholter  Annalen  erwähnt.  An  ihn  haben  sich 
einige  Volkssagen  angeknüpft,  die  bei  den  Bewohnern  noch  heute 
im  Umlauf  sind : 


Öraefajökull.     Fagurhölsmyri.     Armenpflege.  141 

Der  Hirt  Hallur^)  vom  Bauernhofe  Svinafell  hatte  die  Melkschafe  heimge- 
trieben, und  die  Mägde  waren  gerade  dabei,  sie  zu  melken.  Da  hörte  man  einen 
Knall  vom  Gletscher  her  und  gleich  darauf  noch  einen.  Da  sagte  Hallur,  es  würde 
kaum  geraten  sein,  noch  auf  den  dritten  zu  warten  und  lief  davon ,  was  er  konnte, 
zu  dem  Berge  in  der  Nähe  und  versteckte  sich  in  der  Flosahöhle.  Sogleich  hörte 
man  den  dritten  Knall,  der  Gletscher  stürzte  vor  und  fegte  den  ganzen  Bezirk  fort ; 
Hallur  war  der  einzige,  der  mit  dem  Leben  davonkam.  Man  sagt  auch,  dass  ein 
Pferd,  eine  Blässe,  das  oben  auf  der  Felsspitze  bei  Fagurhölsmyri  stand  ,  die  seit- 
dem Blesaklettitr  hiess,  entkam.  Als  einige  Reisende  später  hier  vorbeikamen,  stand 
das  Pferd  noch  auf  der  Klippe;  aber  als  sie  es  fangen  wollten,  wurde  es  so  scheu, 
dass  es  herabstürzte  und  starb.  Von  der  Gletscherflut ,  die  Häuser ,  Menschen  und 
Vieh  fortfegte,  wurden  zwei  Kirchspiele  [Hof  und  Raitdilcekur)  mit  40  Gehöften  und 
zwei   Pfarrhöfen  vollständig  zerstört. 

Die  Gegend  bei  Sandfell  war  die  einzige  Oase  des  heutigen 
Tages.  Ununterbrochen  führte  uns  der  Weg  am  Fusse  des 
schmutziggrauen,  hässhch  anzuschauenden  Gletschers  entlang  über 
eine  lange  Geröllwüste,  die  durch  Gletscherstürze  des  14.  und  16. 
Jahrhunderts  entstanden  ist.  Von  den  vielen  Flüssen,  die  wir  durch- 
ritten, konnte  ich  nur  einige  Namen  erfahren:  die  Kotd,  östlich  von 
Sandfell,  und  die  Glji'tfiirsd,  westlich  von  FagurJu'dsniyri.  Das 
Wetter  hatte  sich  aufgeklärt,  wir  konnten  IngdlfsJwfdi  deutlich 
sehen,  eine  frei  stehende  Klippe  an  der  Küste,  und  bemerkten 
mehrere  Dampfer  auf  dem  Ozean.  Zuletzt  ging  es  über  ganz  mit 
Wasser  bedeckte  Wiesen  einen  kleinen  Bergrücken  hinan,  und  wir 
waren  in  Fagiirhölsmyri,  wo  uns  ^r///c/^a««/'i'(?/?  mit  wohltuender 
Herzlichkeit  aufnahm,  ein  wackerer  und  gutunterrichteter  Mann,  der 
uns  bereitwillig  über  alle  Fragen  Auskunft  erteilte.  Er  ist  Post- 
halter und  Hreppstjöri,  d.  i.  Gemeindevorsteher.  Diese  werden  von 
den  Bauern  gewählt  —  auf  eine  der  22  syslur  kommen  je  5 — 12 
Gemeinden,  hreppur ,  pl.  hreppar  —  und  unterstehen  dem  Sysbt- 
niadur,  ihnen  liegt  besonders  die  Armenpflege  ob,  ein  noch  heute 
wunder  Punkt  auf  Island.  Armenhäuser  gibt  es  nicht,  auf  die 
80000  Einwohner  kommen  rund  2300  Ortsarme,  die  dadurch  den 
Gemeinden  erwachsende  Last  wird  also  recht  fühlbar,  ja,  die  Armen- 
last ist  die  empfindlichste  von  allen  Lasten  auf  Island.  Die  gänzlich 
Mittellosen  werden,  wie  das  früher  auch  in  Deutschland  der  Fall 
war,  meist  gegen  Entgelt  in  Privathäusern  untergebracht,  erhalten 
auch  wohl  im  eigenen  Heim  Unterstützungsgelder  ausgezahlt.  Da 
die  Ortsarmen  sehr  gut  behandelt  werden,  hat  der  Gedanke,  Unter- 
stützungen zu  empfangen,  nichts  Abstossendes,  und  das  mag  wohl 
eine  Hauptursache  sein,  dass  ihre  Zahl  so  sehr  gross  und  ihr  Unter- 
halt   die    schwerste  Last   ist,    die    der  Steuerzahler   zu   tragen    hat: 


1)  Storm,  Isl.  Annalen,  Kristiania  1888,  S.  226.  —  Nach  anderer  Sage  hiess 
der  Mann  Flosi.  Da  nun  bei  Svinafell  eine  Flosihöhle  liegt,  und  die  Tradition  nichts 
von  dem  Helden  gleichen  Namens  aus  der  Njälssaga  zu  erzählen  weiss,  so  vermute 
ich,  dass  der  Flossahellir  nach  dem  Hirten  benannt  ist. 


142  Fagurhölsmyri.     Armenpflege.     Altersversorgung. 

jeder  Ortsarme  erhielt  1895  durchschnittlich  66  Kr.;  dazu  kommen 
die  Begräbniskosten  für  die  Gemeindearmen,  die  Kosten  für  Ab- 
schiebung von  Mittellosen  und  Unterstützungen  und  Darlehen  an 
Mittellose,  die  keineswegs  immer  zurückerstattet  werden.  Etwas 
grössere  Strenge  gegen  arbeitsscheues  Gesindel  wäre  wohl  am  Platze: 
mancher  Arme,  der  auf  Island  nicht  mehr  arbeiten  konnte  und  nach 
Amerika  abgeschoben  wurde,  hat  dort  schnell  das  Arbeiten  wieder 
gelernt  und  schlägt  sich  dort  ganz  anständig  durchs  Leben.  —  Eine 
Alter  s Versorgung  besteht  seit  1891.  ,, In  jeder  Stadt  und  in  jeder 
Landgemeinde  ist  eine  Kasse  gegründet  worden,  und  alle  Personen, 
die  in  einem  Dienstverhältnis  leben  oder  allein  stehen  (abgesehen 
von  besonderen  Verhältnissen),  von  dem  20.  bis  zum  60.  Lebens- 
jahre, ebenso  auch  Kinder,  die  noch  im  Elternhause  sich  auflialten, 
sind  verpflichtet,  jährlich  eine  Summe  in  diese  zu  zahlen,  und  zwar 
die  männliche  Person  i  Kr.,  die  weibliche  30  Ore.  Zehn  Jahre  nach 
der  Gründung  dieser  Kassen  wird  dann  die  Hälfte  sowohl  von  den 
Zinsen,  wie  auch  von  den  Jahresbeiträgen  an  kränkliche  und  alters- 
schwache Arme,  die  in  der  betreffenden  Gemeinde  wohnhaft  sind 
und  keine  anderweitige  Gemeindeunterstützung  beziehen,  verteilt, 
wenn  sie  jemals  zu  den  Klassen  gehört  haben,  die  zu  der  Kasse 
beitragpflichtig  sind.  Die  andere  Hälfte  von  den  Zinsen  und  den 
Jahresbeiträgen  wird  stets  zum  Kapital  geschlagen,  so  dass  dieses 
mit  der  Zeit  sehr  anwachsen  wird  und  eine  beträchtliche  Summe 
zur  Unterstützung  altersschwacher  Personen  zur  Verfügung  steht. 
Hier  ist  also  ein  grosser  Schritt  vorwärts  getan  und  gut  für  die  Zu- 
kunft gesorgt"^). 

Fagur]iöls)ii\ri  ist  das  südlichste  Gehöft  im  OrcrfaJireppur  und 
liegt  auf  dem  Höhenzuge,  der  sich  zwischen  Ilnappavellir  und  Hof 
vom  Orccfajökull  erstreckt.  Unmittelbar  neben  der  Farm,  die  von 
zwei  Familien  bewohnt  wird,  zusammen  von  20  Menschen  (250  Schafe, 
15  Pferde,  10  Kühe),  liegt  die  etwa  16  m  hohe  Felsspitze  Blesa- 
klettiir;  senkrechte  Doleritfelsen  mit  undeutlichen  Eisschrammen  er- 
heben sich  nach  dem  flachen  Küstenlande  zu.  Da  wir  sehr  zeitig 
ins  Quartier  gekommen  waren,  Ögmundur  mit  den  Pferden  und 
der  Bauer  mit  der  Ernte  zu  tun  hatten,  war  es  mir  sehr  lieb,  von 
ihm  die  Gedichte  von  Matthias  JocJiumsson  zum  Lesen  zu  be- 
kommen {Ljödmcrli  I,  Seydisfjördur  1902).  Das  Buch  enthielt  vor 
allem  Übersetzungen,  von  Ibsen:  Porgeirr  i  Vi'k  (Terje  Vigen), 
Abraham  Lincolms  Ermordung,  Der  Bergmann  (hrestii  fjall  vid 
liardvi'g  högg),  Lichtscheu;  von  Chamisso:  Frauenliebe  und  Leben, 
von  Horaz:  Integer  vitae,  Persicos  odi,  O  Venus  regina,  Sic  te 
diva  potens;  ausserdem  Tennyson,  Poe,  Shelley,  Longfellow;  von 
eigenen  Dichtungen:  Das  Polareis,  An  Hallgriinur  Pjetursson. 


1)    Valtyr-Palleske,  Die  Fortschritte  Islands,  S.  24. 


Fagurhölsm^Ti.     Ingölfshöfdi.  143 

13.  Juli. 

Als  ich  um  6  Uhr  ins  Freie  trat,  war  der  Bauer  schon  wieder 
bei  der  Heuarbeit.  Er  zeigte  mir  die  Stelle,  wo  der  ,, Friedrich 
Albert"  gestrandet  war:  hätten  sich  die  armen  Schiffbrüchigen  nach 
Osten  gewendet,  so  wären  sie  in  einem  Tage  in  Fagurhölsmyri  ge- 
wesen. Klar  und  scharf  hob  sich  in  der  hellen  Luft  das  Vorgebirge 
IngölfsJiöfdi  ab. 

Hier  war  der  fromme  hlgölfr  gelandet,  da  er  die  Hochsitzsäulen,  die  er  ins 
Wasser  geworfen  hatte ,  bei  einem  Sturm  aus  den  Augen  verloren  hatte.  Westlich 
vom  Kap  bildet  heute  die  Skei(tarä  eine  riesige,  seichte  und  hässliche  Lagune  von 
rotbrauner  Farbe  [Markos).  Der  Fluss  hat  sich  immer  mehr  nach  Osten,  nach  dem 
Bezirk  Orcefi  vorgeschoben  —  das  Dörfchen  und  die  Annexkirche  von  Sandfell, 
Hof,  haben  dadurch  immer  mehr  von  ihrem  Graslande  verloren  — ,  und  ergiesst  jetzt 
seine  Hauptwassermasse  östlich  von   IngölfsJiöfdi. 

Nach  Ami  Magnüsson  war  das  Vorgebirge  fast  ganz  mit  Gras  bewachsen 
und  bloss  im  Norden  kahl ,  nur  an  2  Stellen  konnte  man  es  zu  Pferde  besteigen, 
sonst  aber  bestand  es  aus  einem  Felsen  mit  Namen  Selasker  (Robbenschäre).  Daselbst 
soll  früher  ein  Kauffahrteischiff  geankert  haben.  4  Fischerhütten  lagen  auf  dem  Kap. 
Von  dem  Fjord,  der  früher  hier  gewesen  sein  soll ,  sah  man  keine  Anzeichen  mehr. 
Auf  dem  Strande  ging  man  im  Sommer  fast  ganz  rings  um  das  Vorgebirge  den 
Vögeln  nach.  Auf  dem  östlichen  Strande  stand  ein  mächtiger,  einzelner  Fels,  dessen 
obere  Hälfte  mit  Gras  bewachsen  war  [Borgarklettur  =  Burgfels ').  Bis  1 700  hing 
also  die  Landspitze,  die  nach  dem  Meere  hinaus  von  steilen  Felsen  eingefasst  ist, 
während  sie  nach  dem  Lande  zu  steil  abfällt ,  hier  mit  dem  Lande  zusammen ,  west. 
lieh  davon  war  ein  schiffbarer  Fjord,  und  man  zeigte  vor  kurzem  noch  einen  Felsen 
mit  einem  Loch,  durch  das  die  Landungstaue  befestigt  wurden.  Heute  ist  durch  den 
niederen  Wasserstand  und  die  Untiefen  alle  Schiffahrt  unmöglich  geworden ,  und  die 
Skeidard  hat  soviel  Sand  und  Schlamm  ins  Meer  gewälzt,  dass  jede  Fischerei  auf- 
hören musste.  Dafür  ist  der  Vogelfang  auf  IngölfsJiöfdi  recht  ergiebig.  Noch  vor 
kurzem  konnte  man  freilich  wenig  Gebrauch  davon  machen ,  da  das  Wasser  für  die 
Kähne  meist  zu  flach  und  der  Grund  für  die  Pferde  zu  schlammig  war.  Oft  musste 
man  in  den  Lagunen  einen  halben  Tag  hin  und  her  kreuzen ,  bis  man  leidlich  feste 
Stellen  fand ,  auf  denen  die  doch  an  die  schlammigen  Gletscherflüsse  gewohnten 
Bauern  nach  der  Landspitze  gelangen  konnten.  Seit  1902  aber  kann  man  von 
FaglirJiÖlsunjri  in  i'/j  Stunden  bequem  dahin  über  den  Sumpf  reiten.  Wenn  die 
Vögel  die  Felsen  entlang  streichen,  werden  sie  mit  Netzen  gefangen,  die  an  lange 
Stangen  befestigt  sind,  oder  die  Leute  lassen  sich  an  Seilen  herab,  um  die  Seevögel 
zu  erreichen,  Eissturmvögel,  Lummen,  Nordseetaucher,  Papageitaucher,  dreizehige 
Möven,  dünnschnäblige  Lummen  und  Tordalke.  Noch  im  Mai  1902  lag  das  Treibeis, 
das  die  ganze  NW.,  N.  und  Ostküste  blockierte,  auch  an  der  Südküste  und  selbst  vor 
IngölfsJiöfdi.  Der  Mangel  an  Lebensmitteln  machte  sich  recht  fühlbar,  Mehl  war 
selten,  Kaffee  und  Zucker  gab  es  kaum  irgendwo.  Erst  Ende  Mai  verschwand  das 
Eis,  und  mit  Ungeduld  und  Sehnsucht  erwartete  man  das  nächste  Handelsschiff  im 
Hornafjördur.  Im  Jahre  1882  waren  bei  derselben  Gelegenheit  einige  Eisbären 
an  der  Aitstltr  SJiapiafells  sf/sla  ans  Land  gekommen,  fühlten  sich  aber  offenbar 
unbehaglich  und  verschwanden  spurlos.  Drei  Bären  kamen  nach  dem  Hornafjördur, 
wovon  einer  erlegt  wurde;  bei  BorgarJiöfn  zeigten  sich  2,  in  Uppsalir  zerriss  ein 
Eisbär  ein  weibliches  Schaf.  Seitdem  hat  man  von  diesen  ungebetenen  Gästen  nichts 
wieder  gehört,  und  1902  scheint  keiner  der  SOdküste  einen  Besuch  abgestattet  zu 
haben. 


1)  Thoroddsen-Gebhardt  II,   S.   267,   268. 


144  Breidamerkursandur.     Übergang  über  den  Gletscher. 

Unser  Führer  Pdll  Jönsson  aus  Svinafell  war  schon  um  7  Uhr 
zur  Stelle.  Wir  ritten  den  Gletscherfuss  entlang  und  kamen  in  einer 
halben  Stunde  nach  Hnappavellir,  einer  Ansiedlung  von  8  Familien, 
mit  ca.  50  Menschen,  50  Pferden,  20  Kühen  und  600  Schafen. 
Jede  Familie  hat  ihren  eigenen  Hof,  der  aus  vielen  kleinen  Ge- 
bäuden und  Ställen  besteht;  die  Zahl  der  Bauten  ist  darum  minde- 
stens ebenso  gross  wie  die  der  Bewohner.  Alle  liegen  dicht  zu- 
sammen auf  einem  grossen  Tun,  das  in  der  Regel  nicht  besonders 
für  jeden  abgezäunt  ist,  obwohl  jeder  genau  weiss,  welcher  Teil  der 
Hauswiese  sein  Eigentum  ist.  Eine  neue  Abteilung  des  General- 
stabes hatte  hier  zwei  Zelte  aufgeschlagen,  aber  die  Herren  schliefen 
noch,  und  wir  wollten  sie  nicht  stören.  Spuren  ihrer  Tätigkeit 
zeigte  der  folgende  Weg:  überall  waren  kleine  Warten  errichtet, 
auf  denen  lustig  Fähnlein  in  den  dänischen  Farben  flatterten.  Bei 
Hnappavellir  beginnt  der  Bezirk  Sudursveü  mit  seinen  nur  schmalen 
Gletschern,  da  sich  ihnen  vorspringende  Berge  entgegen  stemmen, 
und  eine  der  längsten  Sandstrecken  Islands,  der  40  km  lange  und 
sehr  schmale  Breidamerkursa)idiir  (ca.  160  qkm):  er  besteht  aus 
grobem  Geröll  und  etwa  faustgrossen  Rollsteinen,  zwischen  denen 
meist  feiner  Sand  lagert,  und  bietet  somit  den  Pferden  nicht  geringe 
Schwierigkeiten,  da  sie  fortwährend  straucheln.  Da  Gletscherläufe 
hier  selten  sind,  zeigt  dieser  Sandur  mehr  Pflanzenwuchs  als  der 
Skeidardrsandur.  Zunächst  ritten  wir  an  zwei  kleineren  Gletschern 
vorüber,  dem  Höldr-  und  Sti'gärjökiill,  die  fast  bis  auf  das  Flach- 
land reichten,  und  passierten  fortgesetzt  eine  Menge  kleiner,  reissen- 
der  Gletscherbäche,  darunter  die  Kvi'd  vestri  und  eystri;  einer  war 
so  tief,  dass  der  isländische  Student  ohne  weiteres  seine  Stiefel  aus- 
zog und  über  den  Rücken  hängte.  Ein  eisiger  Wind  hatte  allen 
Nebel  verscheucht  und  zeigte  uns  den  J^ahiajokitll  in  seiner  ganzen 
Ungeheuern  Pracht  und  Majestät,  mit  seinen  riesigen  gezackten 
Bergen  und  kolossalen  Schneefeldern;  am  Strande  sahen  wir  zwei 
Wracks  liegen,  darunter  ein  grosses  Segelschiff.  Gegen  3  Uhr 
machten  wir  gegenüber  dem  Breidainerkurjökull,  der  ganz  aus 
Palagonitbreccie  besteht,  und  den  Siidiirsveitarfjöll  Halt,  um  uns 
für  den  Übergang  über  die  Jöhilsd  d  Breidai)ierkiirsandi  zu  stärken. 
Die  Gletscher  auf  dem  Breidanierkiir  befinden  sich  in  den  letzten 
zwei  oder  drei  Jahrhunderten  in  beständigem  Vorrücken  und  haben 
sich  nie  zurückgezogen.  Thoroddsen  vergleicht  ihn  treffend  mit 
einem  100 — 200  m  dicken,  graulichweissen  Eisschilde,  der  unten 
auf  dem  flachen  Lande  liegt.  Der  Hauptstrom  ist  nur  6  km  breit. 
Das  Ende  des  Gletschers,  der  eigentlich  durch  Zusammenschmelzung 
von  drei  Gletschern  entstanden  ist,  und  dessen  Rand  eine  Länge 
von  20  km  hat,  lag  in  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  7  km  von  der 
Küste  entfernt,  jetzt  aber  ist  er  dem  Meere  so  nahe  gerückt,  dass 
seine   äusserste    Spitze    nur    256  m    vom  Meeresstrand    entfernt    ist, 


Breidamerkursandur.     Übergang  über  den  Gletscher.  14o 

und  das  Gletschercnde  jetzt  nur  9  m  über  der  Meeresfläche  liegt. 
Ein  wenig  westlich  von  dem  niedrigsten  Gletscherende  strömt  die 
JÖkulsä  d  Bretdai/ierkursa)idi  hernieder.  Schon  lange,  che  wir  den 
Strom  selbst  gewahr  wurden,  sahen  wir  seine  Wellen  sich  weit  über 
die  Ufer  erheben,  und  ein  Blick  auf  die  fürchterliche,  wild  einher 
tosende  Wassermasse  zeigte  uns,  dass  ein  Durchreiten  völlig  un- 
möglich war. 

Diese  Jökiilsd  ist  so  recht  der  Typus  eines  der  gefürchteten 
Gletscherflüsse,  ja  sie  gilt  wegen  ihrer  Wassermenge  und  wegen  der 
Eisstücke,  die  sie  mit  sich  führt,  sogar  als  Islands  gefährlichster 
Fluss.  Sie  stürzt  wie  durch  eine  Kloake  unter  dem  Rande  des 
Gletschers  hervor  und  eilt,  sich  über  die  Sandfläche  weit  ver- 
zweigend, zur  Küste  hinab.  Da  der  Weg  bis  zu  ihrer  Mündung  im 
Meere  so  kurz  ist  (ca.  1^/2  km),  so  wird  die  Strömung  sehr  reissend. 
Bei  Regenwetter  schwillt  sie  nicht  an,  aber  bei  einem  mit  Sonnen- 
schein begleiteten  Südwestwinde  wächst  sie  nicht  nur  durch  das 
stärkere  Schmelzen  des  Eises,  sondern  auch  dadurch,  dass  die 
starken  Brandungen  des  Meeres  den  Fluss  in  seiner  heftigen  und 
reissenden  Fahrt  hindern  (Olaf sen-Povelsen  II,  S.  60,  §  783)- 
Der  Lauf  der  Jökulsd  ist  sehr  veränderlich;  bisweilen  breitet  sich 
die  gewaltige  Wassermasse  über  grosse,  grosse  Strecken  aus,  andere 
Male  wieder  hat  sie  sich  eine  tiefe  Rinne  in  den  Grus  gegraben 
und  ist  dann  so  tief,  dass  sie  überhaupt  nirgends  zu  passieren  ist: 
dann  müssen  die  Reisenden  über  den  Gletscher  selbst  gehen  ober- 
halb des  Ursprungs  des  Flusses,  und  das  kann  natürlich  recht  be- 
schwerlich werden;  man  nennt  das  einen  Fluss  „«  undirvarpt''  pas- 
sieren. Die  bräunlichgelbe  Wassermasse  sprudelt  schäumend  aus  dem 
Gletschertor  heraus,  das  eine  ganz  erstaunliche  Ähnlichkeit  mit  der 
Felsbildung  auf  Prellers  Gemälde  aufweist  ,,Odysseus  Gefährten 
schlachten  die  Rinder  des  Helios",  wie  ein  wallender,  riesiger 
Geysir \  grosse,  grosse  schwarze  Eisstücke  werden  vorwärts  und 
rückwärts  geschleudert,  bis  sie  vom  Strome  gefasst  und  nach  dem 
Meere  geführt  werden ;  die  grössten  Eisklumpen  stehen  hier  und  da 
auf  dem  Boden  fest,  bis  auch  sie  aufgelöst  und  fortgeschwemmt 
werden.  Wenn  sich  der  Fluss  über  sein  ganzes  Bett  in  vielen 
Armen  ausbreitet,  kann  man  ihn  zu  Pferde  passieren;  aber  das 
ist  in  einem  warmen  Sommer  meist  lebensgefährlich;  nur  die  in 
allernächster  Nähe  wohnenden  Bauern  sind  mit  den  Stromverhält- 
nissen so  genau  bekannt,  dass  sie  mit  unsäglicher  Mühe  die  Reisenden 
hinüber  lotsen  können.  Man  erzählt,  dass  einst,  als  die  Jökulsd 
stark  geschwollen  war,  aber  doch  sich  über  eine  grössere  Strecke 
ausbreitete,  eine  Handelskarawane  acht  Stunden  zum  Übergange 
gebrauchte.  Dabei  wurden  die  Lasten  von  17  Pferden  herab- 
geschleudert, ein  Mädchen  wurde  vom  Strome  mit  fortgerissen, 
aber  auf  eine  Sandbank  geworfen  und  so  gerettet,  ihr  Pferd  ertrank. 

Herrmann,  Island  II.  10 


146  Übergang  über  den  Breidamerkurjökull. 

Den  ganzen  nächsten  Tag  gebrauchte  man  dazu,  14  Pferdelasten 
zu  bergen,  3  waren  vollständig  verloren.  Man  kann  sich  denken, 
wie  mühsam  es  für  die  Bewohner  so  entlegener  Gegenden  ist,  sich 
Waren  von  den  Handelsplätzen  zu  holen.  Denn  wenn  auch  die 
Reisen  nach  F/'X'  oder  Horiiafjordur  ,,nur"  sechs  bis  acht  oder  zehn 
Tage  dauern,  verderben  die  Waren  doch  mehr  oder  weniger  in  den 
vielen  Flüssen,  die  zu  durchreiten  sind ;  das  Korn  muss  später  ge- 
trocknet werden,  andere  Sachen  werden  völlig  unbrauchbar.  Man 
sagt,  dass  Pferde,  die  öfter  diese  Jökulsd  passiert  haben,  anfangen 
sich  zu  schütteln,  wenn  sie  sich  dem  Flusse  nähern.  Ein  Bad  in 
dem  eiskalten  Wasser  muss  auch  durch  Mark  und  Bein  gehen, 
denn  der  Fluss  hat  da,  wo  er  dem  Gletscher  entspringt,  nur  eine 
Temperatur  von   l  °  C. 

Wie  erwähnt,    hat    man    in  den  letzten  Jahren  vorgezogen    (ich 
glaube    seit   1892),    mit   den    Pferden    über   den   Breidainerkurjökull 
zu  gehen,    und    der    nächstwohnendc   Bauer   hat  darum  den  Auftrag 
bekommen,  und  eine  Unterstützung  dazu,  den  sogenannten  Gletscher- 
weg  instand  zu  halten;    d.h.  er  soll  eine    genügend    grosse  Anzahl 
Holzbrettcr    bereit    halten,    um   sie  über  die  grössten  Risse  im  Eise 
zu  legen.     Wenn  man  sehr  grosses  Glück  hat,  kann  man  auf  diese 
Weise    in    25   Minuten    den    Gletscher    unmittelbar    am    Fusse    der 
Jökulsd   passieren,    meist    aber    dauert   es   weit    länger;    denn    man 
muss,    um    die    grossen    Spalten    und    die    glatten  Eisrücken  zu  um- 
gehen,   weite    Umwege    oben    über   den  Gletscher  machen,    so  dass 
man  5 — 6  Stunden  gebrauchen  kann;  es  beansprucht  auch  geraume 
Zeit,  die  Holzbrücken  nachzuschleppen,  um  sie  da  anzubringen,  wo 
sie  nötig  sind,    oder  die  Pferde  mit  Peitschenknall  und  -schlag   und 
lautem  Ruf  ,,Hoho,  topp,  topp,  topp!"  anzuspornen,  über  die  Risse 
in  kühnem    Schwünge    zu    springen.     Zuweilen   kommt  es  auch  vor, 
dass    die    Pferde    in   eine    Gletscherspalte    stürzen ;     sie   sind   dann 
natürlich  verloren  und  müssen  erschossen  werden.     Wir  hatten  ver- 
sprechen müssen,  für  den  Verlust  eines  jeden  Pferdes  aufzukommen ; 
aber  alles  ging  glücklich  von  statten,    und  nach  etwa  zwei  Stunden 
lag  der  gefürchtete  Gletscher  und  Fluss  hinter  uns. 

Pdll  Jönsson  war  vorausgeritten,  um  mit  seinem  Eispickel  den 
Gletscher  zu  untersuchen ;  am  Fusse  des  Gletschers  hatte  er  einige 
hölzerne  Bretter  verborgen,  die  er  jetzt  hervorholte.  Anfang  und 
Ende  des  Gletschers  waren  ganz  schwarz  von  Dreck  und  Grus, 
und  die  Oberfläche  war  sehr  uneben  wegen  der  zahlreichen  Rücken, 
Spitzen  und  Kämme,  zwischen  denen  man  die  Pferde  vorsichtig 
am  Zügel  hindurch  führen  musste  (Fig.  83).  Beim  Aufstieg  war 
das  vorderste  Pferd  ausgeglitten,  und  das  hatte  die  anderen  scheu 
gemacht.  iVIeist  war  der  Grus  so  dick,  dass  sie  festen  Boden  unter 
den  Füssen  hatten;  einige  Male  aber  war  es  so  glatt,  dass  es  für 
die  armen  Tiere,  die  nicht  mit  scharfen  Eisen  versehen  waren,  sehr 


Übergang  über  den  Breidamerkurjökull. 


147 


schwierig  war,  von  der  Stelle  zu  kommen.  Die  Spalten  waren 
meist  so  schmal,  dass  sie  leicht  hinüberspringen  konnten,  und  wir 
hinterher,  natürlich  ohne  durch  ein  Seil  verbunden  zu  sein.  An  ein- 
zelnen Stellen  aber  mussten  wir  doch  über  eine  breite,  tiefe  Rinne 
eine  Brücke  legen.  Die  Führer  hieben  mit  der  Axt  Stücke  vom 
Rande  der  Spalte  los,  damit  die  Brücke  gehörig  fest  lag,  und  dann 
wurden  die  Pferde  einzeln  hinübergeführt.  Das  dauerte  doch  ge- 
raume Zeit,  da  die  vorsichtigen  Tiere  erst  die  Brücke  beschnüffeln 
mussten,  bis  sie  sich  auf  sie  wagten,  aber  zuletzt  kamen  alle  sechs 
Reiter  und  achtzehn  Rosse  glücklich  hinüber. 

Am  Ende  des  Gletschers  befanden  sich  wieder  die  schon  mehr- 
fach erwähnten  trichterförmigen  Gletscherlöcher,  doch  stammen  diese 


Fig.  83.     Übergang  über  den  Breidamerkurjökull. 


wohl    aus   sehr   alter   Zeit,    da   sie    rings  mit  uraltem,    verwittertem, 
gelbweissem  Moose  bewachsen  waren. 

Über  Steine,  Ströme  und  tief  mit  Wasser  bedeckte  Wiesen 
ging  es  im  frischen  Galopp  nach  Reynivellir ;  wie  marmoriert  sieht 
die  nackte  Lehm-  und  Sandfläche  aus,  gelbliche  Wasserbäche  durch- 
ziehen den  Sandur  weit  und  breit  wie  Adern.  Etwa  20  Minuten 
vom  Gehöft  entfernt  trafen  wir  den  Bauern  und  Hreppstjöri  Eyjölfiir 
Ru7iölfsson.  Kaum  hatte  er  vernommen,  dass  wir  bei  ihm  absteigen 
wollten,  da  stob  er  von  dannen,  um,  wie  der  Führer  ihm  lachend 
hinterherrief,  die  gute  Stube  zu  putzen.  Reynivellir  liegt  auf  einer 
grünen  Ebene  am  Fusse  schwarzer,  steiler  Bergabhänge.  Nach 
Süden  erstrecken  sich  die  Wiesen  bis  zu  den  Lagunen,  und  in  der 
Ferne  dämmern  die  Hrollaugseyjar  auf,  drei  kahle  haseln,  auf 
denen  der  Besiedler  der  Austur  Skaptajells  sysla  seine  Fischstation 
gehabt   haben   soll.     Nach   Westen   ist   die  Aussicht   öd    und    wild, 

10* 


148  Reynivellir.     Föstur. 

aber  in  ihrer  schroffen  Zerrissenheit  grossartig;  nach  Norden  ragt 
eine  senkrechte  Spitze  empor,  über  sie  schimmert  der  gewaltige 
grauweisse  Schild  des  Breidamerkurjökull^  und  dahinter  lugt  in 
der  Ferne  der  riesige  gezackte  Kamm  des    Örcrfajökidl  hervor. 

Der  Bauer  litt,  wie  so  viele  Bewohner  dieser  Sysla^  an  ent- 
zfindeten  Augen;  kein  Wunder  bei  der  Unmasse  des  feinen  vulka- 
nischen Staubes,  den  der  geringste  Lufthauch  aufwirbelt  und  in  die 
Augen  treibt !  Obwohl  seine  Kinder  schon  längst  erwachsen  waren, 
tummelten  sich  doch  ein  paar  jüngere  Kinder  umher.  Wir  taten 
damit  Einblick  in  eine  seit  alters  her  auf  Island  geübte  Sitte. 
Man  gab  früher,  namentlich  in  reichen  Häusern,  das  Kind  andern 
zur  Erziehung  (fösfr),  um  ihm  eine  bessere  oder  einfachere,  strengere 
Erziehung  zuzuwenden,  als  man  selbst  zu  geben  vermocht  hätte;  arme 
und  selbst  unfreie  Kinder  wurden  mit  Reichen  zusammen  erzogen. 
Wohlhabende  pflegen  noch  heute  sich  ein  oder  zwei  fremde  Kinder 
anzunehmen,  um  Ärmeren  zu  helfen  und  die  Last  des  Lebens  zu 
erleichtern,  oder  auch,  weil  alle  Isländer  sehr  kinderlieb  sind  und 
namentlich,  wenn  die  eigenen  Sprösslinge  erwachsen  sind.  Verlangen 
nach  jungem  Leben  im  Hause  haben.  Bei  Eyjölfiir  kam  noch  hinzu, 
dass  ein  Lieblingssohn  von  i6  Jahren  beim  Suchen  zweier  verirrter 
Schafe  abgestürzt  und  verunglückt  war. 

14.  Juli. 

Ögmundur  war  seit  gestern  Abend  wie  ausgewechselt ,  er 
sprudelte  förmlich  von  Übermut ;  alle  wirklichen  Gefahren  waren  vor- 
über, und  treu  und  zuverlässig  hatte  er  uns  wider  alle  Fährlichkeiten 
behütet  und  bewahrt.  Nachdem  wir  dem  wackern  PdlL  Jöiisson 
gedankt  hatten  —  er  bekam  14  Kr.  und  musste  den  weiten  Weg 
allein  zurücklegen  —  beschlugen  wir  einige  Hufe  frisch  und  machten 
uns  noch  vor  9  Uhr  reisefertig.  Trotz  des  Regens  beschlossen  wir, 
aus  den  geplanten  zwei  Reisetagen  einen  zu  machen,  um  besseres 
Quartier  zu  bekommen  und  um  Dr.  Pordtir  Pördarsoti  in  Borgt)- 
kennen  zu  lernen,  der  die  Schiffbrüchigen  des  ,, Friedrich  Albert" 
als  Arzt  behandelt  hatte.  Eyjölßir  riet  uns  gleichfalls  dazu  und 
tröstete  uns :  nach  dem  Wind  und  Nebel  zu  urteilen,  werde  der 
Regen  nicht  lange  anhalten,  um  3  Uhr  würden  wir  den  schönsten 
Sonnenschein  haben.  Und  er  hatte  recht!  Die  Isländer  sind  über- 
haupt vorzügliche  Wetterbeobachter,  nicht  nur  die  Fischer,  sondern 
auch  die  Bauern;  für  beide  ist  es  oft  eine  Lebensfrage,  Stürme, 
Frost,  Schnee  und  Regen  voraus  zu  wissen. 

Zuerst  ging  es  auf  schmalem,  mit  .spitzen,  scharfen  Steinen 
übersäten  Wege  nur  langsam  voran,  dann  im  Trab  und  Galopp 
über  sumpfige  Wiesen  und  durch  die  berüchtigte  Stehiavötn 
(Gesteinswasser),    über    den    Steinasaiidur    (ca.  40  qkm  Areal)    am 


Von  Uppsalir  bis  zum  Hornafjardarfljöt.  149 

Gehöft  Borgarhöfii  vorüber,  das  aus  7  Häusern  besteht  (31  Pferde, 
21  Kühe,  360  Schafe,  35  Tagesernten  Tünheu,  175  ,, Pferde",  695 
,, Pferde"  /if/iey).  Zuweilen  tauchten  auf  ein  paar  Minuten  die 
Spuren  der  alten  Poststrasse  auf,  der  schmale  Streifen  unterhalb 
der  Gletscher,  wo  der  Verkehr  gewöhnlich  stattfindet.  Um  i  Uhr 
machten  wir  in  Uppsalir  Halt  (i  Familie,  10  Pferde,  6  Kühe,  133 
Schafe,  6  Tagesernten,  40  „Pferde",  200  Pferde  nthey).  Aber  der 
Name  ,, Oberhausen"  (wörtlich :  hohe  Säle)  passt  zu  dem  ganz 
hübsch  und  hoch  gelegenen  Gehöfte  nur  wenig;  denn  eine  über 
dem  Kuhstall  gelegene  Wohnstube  kann  man  doch  beim  besten 
Willen  nicht  ,,hohe  Säle"  nennen.  Während  wir  frierend  ein  paar 
Sardinen,  Speck  und  Schiffszwieback  zu  uns  nahmen,  erkundigte 
sich  Ögmundur  bei  dem  Bauern  nach  dem  Wege:  die  Poststrasse 
war  unpassierbar,  völlig  unter  Wasser;  wir  mussten  einen  Umweg 
von  mindestens  zwei  Stunden  machen.  Wir  baten  den  Bauern,  uns 
zu  führen.  Schnell  wurden  zwei  Pferde  für  ihn  eingefangen,  und 
die  beiden  ersten  der  vier  oder  fünf  Flüsse,  deren  Passieren  unser 
heutiges  Tagespensum  bildete,  die  Heinabergsvötii  und  die  Kolgri'uia 
wurden  genommen.  Die  Kolgrfma  ist  sonst  ziemlich  harmlos,  heute 
aber  war  sie  so  breit  und  wasserreich,  dass  "der  Übergang  immerhin 
25  Minuten  dauerte.  Die  Kolgri)ua,  die  auf  dem  westlichen  Heina- 
bergsjökiill  entspringt  (Wetzsteinfelsengletscher)  und  sich  in  einen 
grossen  Lö}i  ergiesst,  (Hdlsaös),  bildet  die  Grenze  zwischen  dem 
Bezirk  Siidursveit  und  Myrar  oder  Myrnasveit.  Dieser  ist,  wie 
schon  der  Name  ,, Moore,  Sümpfe"  zeigt,  sehr  feucht  und  besteht 
aus  vielen  sumpfigen  Flächen  und  grossen  Sandstrecken  {Heinabergs- 
saudiir,  ca.  1 50  qkm) ;  an  den  Stetnavöin  und  Heinabergsvötii  tritt 
der  nackte,  unfruchtbare  Sand  zutage.  Die  Sümpfe  und  Sande  sind 
wohl  eine  Folge  der  Gletscherflüsse,  die  das  Land  durchschneiden. 
Die  Gehöfte  liegen  inmitten  dieser  Moor-  und  Sandstrecken,  meist 
am  Fusse  von  Basalthügeln,  und  das  Tibi,  das  oft  recht  klein  ist, 
erstreckt  sich  die  Abhänge  hinauf.  Obwohl  genug  Gras  wächst, 
ist  die  Gegend  doch  arm,  denn  sie  eignet  sich  nicht  zur  Schafzucht, 
und  die  Bauern  verstehen  die  Rinderzucht  nicht.  Da  Torf  hier  gar 
nicht  vorkommt,  wird  der  Dünger  statt  für  das  Ti'in,  zum  Brennen 
verwendet,  und  darum  werfen  auch  die  Haus  wiesen  weniger  Ertrag  ab. 
Früher  war  der  Fischfang  an  der  Küste  recht  ergiebig,  aber  heute 
wagt  sich  kein  Isländer  hier  im  Sommer  aufs  Meer,  aus  Angst  vor  den 
rücksichtslosen  englischen  Trawlern,  die  hier  stets  in  grosser  Menge 
anzutreffen  sind.  Vom  Vatimjölzull  kommen  grosse  Gletscher  herab, 
der  unruhige  FldajöJ^iill  (13  km  lang,  4  km  breit)  und  der  östliche  und 
westliche  Heinabergsjöieull  (der  erste  2^/2 — 3  km  breit,  der  zweite 
2 — 3V2  km  breit).  Auf  dem  östlichen  entspringen  die  Heinabergs- 
vötii ;  diese  kleinen  Flüsse  ergiessen  sich  bald  in  die  Hölmsd,  bald 
in  die  Kolgri'ma^    bald    getrennt    in    beide.     Die  Hölmsd^    wie  kurz 


150  über  das  HornaQardarfljöt  nach  Borgir. 

vorher  das  Lmidvatn ,  wurde  nicht  leicht  durchritten;  in  ersterer 
reichte  uns  das  Wasser  bis  an  die  Brust,  und  das  Pferd  meines 
Begleiters  musste  vom  Führer  am  Zügel  genommen  werden.  Als 
durchaus  unpassierbar  stellte  sich  das  Hornafjardarfijöt  heraus ; 
statt  die  sonst  übliche  Furt  zu  benutzen,  die  uns  in  kurzer  Zeit 
nach  Borgir  geführt  hätte,  mussten  wir  den  Fluss  umgehen.  Wir 
ritten  hart  nach  Norden  und  durchquerten  zuerst  fast  an  seinem 
Ursprung  den  westlichen  Arm  (hin  vestri  H.),  dann  den  östlichen 
(hin  exstri  Hornafjardarfijöt ) .  Der  Fluss  schneidet  tief  in  die 
Berge  ein,  wie  ein  Fjord,  und  entspringt  in  mehren  Bächen  aus 
zwei  sich  vereinigenden  Laufgletschern  des  östlichen  VatnajöJiuli. 

So  leicht  und  harmlos,  wie  wir  uns  vorgestellt  hatten,  war 
dieser  Weg  denn  doch  nicht.  Der  linke  Arm  wurde  zwar  ohne  be- 
sondere Mühe  genommen ;  auf  dem  ziemlich  steilen  Felsen  Svinafell 
aber ,  der  zwischen  beiden  Läufen  liegt ,  und  auf  den  die  rechte 
Seite  haarscharf  umgebenden,  jähen  Felswänden  konnten  die  Pferde 
kaum  Fuss  fassen,  und  bei  jedem  Schritte  musste  man  befürchten, 
in  das  brausende  Wasser  zu  stürzen,  dessen  Gischt  zu  uns  empor- 
spritzte. Wir  und  die  Pferde  waren  förmlich  nervös  und  waren 
froh,  als  wir  nach  dreistündigem  Klettern  und  Waten  die  Ostseite 
erreicht  hatten.  Hätte  sich  nicht  die  Wetter -Voraussage  des  Bauern 
von  Reynivellir  erfüllt,  hätten  wir  Nebel  oder  Regen  gehabt,  so 
wäre  nach  meiner  Ansicht  auch  dieser  Weg  unpassierbar  gewesen, 
und  wir  hätten  irgendwo  auf  dem  westlichen  Ufer  tagelang  warten 
können.  Von  den  losen  Pferden  mussten  verschiedene  schwimmen, 
die  unachtsam  gewesen  waren,  und  eines  purzelte  sogar  vom  Felsen 
ins  Wasser,  glücklicherweise  ohne  Schaden  zu  nehmen.  Statt  des 
Regens  hatte  sich  die  Sonne  pünktlich  um  3  Uhr  eingestellt,  und  ein 
riesiges  Schneefeld  nach  dem  andern  wurde  sichtbar;  ein  Dreihut 
in  der  Ferne  erschien  in  den  Wolkenschatten  ins  Ungeheure  ver- 
grössert.  Nachdem  wir  dem  Führer  seine  8  Kr.  gegeben  hatten, 
ging  es  ohne  Rast  weiter,  um  erst  einmal  wieder  warm  zu  werden. 
Wie  die  wilde  Jagd  brausten  wir  über  üppiges  Wiesengrün  dahin, 
dass  Ross  und  Reiter  schnoben,  und  Kies  und  Funken  stoben.  Als 
wieder  behagliche  Wärme  uns  durchrieselte,  gönnten  wir  den  ge- 
plagten Gäulen  Ruhe,  wir  selbst  belohnten  uns  mit  einer  Extra- 
Zigarre und  einer  doppelten  Portion  Schokolade.  Nur  mein  Begleiter 
machte  mir  Sorge,  er  klapperte  vor  Kälte  mit  den  Zähnen,  da  seine 
Stiefel  gänzlich  undicht  geworden  waren ;  aber  Kognak  verschmähte 
er,  und  tröstender  Zuspruch  sowie  ein  kleiner  Dauerlauf  gaben  ihm 
Wärme  und  Mut  wieder,  obwohl  der  Abendwind  eisig  von  den 
Gletschern  herüberwehte.  Über  die  Schneefelder  schwebten  gelbe, 
lichtumsäumte  Wolken,  und  das  die  Wiesen  bedeckende  Wasser 
strahlte  gleichfalls  golden  wieder;  im  Westen  aber  hingen  finstere, 
unheilschwangere  Regenwolken.   Wie  wir  später  erfuhren,  war  heute 


Borgir.     Dr.  f'ördur.  151 

der  kälteste  Tag  auf  der  ganzen  Reise,  4°  C,  und  wenige  Tage 
darauf  hatten  wir  36°.  Die  Füsse  waren  eisigkalt,  und  mich  fror  so, 
dass  ich  den  Lodenmantel  hervorholte;  denn  ganz  umsonst  wollte 
ich  ihn  nicht  mitgeschleppt  haben.  Nach  10  Uhr  waren  wir  in 
Borgir  (Nesjasi^eif),  mit  ungemeiner  Herzlichkeit  von  Dr.  Pördur 
Pördarsou  begrüsst.  Kaum  hatten  wir  uns  umgezogen,  da  brachte 
schon  die  Hausfrau,  die  Mutter  fünf  strammer  Söhne,  siedend 
heissen  KaiTee,  das  Abendbrot  folgte  unmittelbar,  und  beim  trau- 
lichen Lampenscheine  schmausten  und  plauderten  wir,  wie  wenn 
wir  schon  lang  Bekannte  wären  —  es  war  das  erste  Mal,  dass  wir 
bei  Licht  assen,  draussen  war  rabenschwarze  Nacht,  unsere  Uhr 
zeigte  11V2,  aber  die  des  Arztes  12^/2.  In  der  mit  allem  Komfort 
ausgestatteten  guten  Stube,  im  breiten,  behaglichen  Bett  schlafe  ich 
bei  offenem  Fenster  wie  ein  Murmeltier. 

15.  Juli. 

Dr.  Pördur  rab  mir  Briefe  der  von  ihm  behandelten  Schiff- 
brüchigen  des  ,, Friedrich  Albert"  zu  lesen.  Sie  waren  freilich  in 
einer  Orthographie  geschrieben,  dass  ein  Ausländer  unmöglich  alles 
verstehen  konnte,  aber  sie  waren  voll  rührender  Dankbarkeit  und 
Anhänglichkeit.  Sie  klagten  bitter  darüber,  dass  der  ,, Unfall"  (ge- 
meint ist  die  „Unfallversicherung")  nichts  zahlen  wollte,  und  dass 
auch  die  Reederei  nichts  von  sich  merken  Hesse,  obwohl  sie  ihnen 
in  ihren  Briefen  nach  Island  alles  Mögliche  versprochen  hätte. 
Wie  anders  sei  es  auf  Island !  Dort  mache  man  keinen  Unterschied 
zwischen  arm  und  reich ;  dort  sei  noch  wahre  Liebe  und  Mensch- 
lichkeit zu  finden ;  aber  am  gütigsten  sei  doch  der  Doktor  zu  ihnen 
gewesen.  Der  Unglückliche,  dem  Pördur  beide  Füsse  bis  zum 
Knie  hatte  abnehmen  müssen,  und  der  auf  einem  Damensattel  bis 
Reykjavik  geritten  war,  erkundigte  sich  lebhaft  nach  einem  Aus- 
bruche im  Vatnajökull  vom  Jahre  1904,  von  dem  er  aus  den 
Zeitungen  erfahren  hatte. 

Sehr  schwer  widerstand  ich  der  liebenswürdigen  Einladung,  bei 
dem  freundlichen  Ehepaar  noch  einen  Tag  weiter  zu  Gaste  zu  sein. 
Als  wir  uns  um  i  Uhr  trennten,  stand  die  ganze  Familie  vor  dem 
Hause,  und  das  Schwenken  der  Hüte  und  Tücher  dauerte,  so  lange 
noch  etwas  zu  sehen  war.  Leb  wohl,  du  wackerer  Mann !  Deine 
aufopfernden  Dienste  hat  dir  der  Staat  weder  mit  den  80  Kr.,  die 
er  dir  für  monatelange  ärztliche  Pflege  geschickt  hat,  noch  mit  dem 
Roten  Adlerorden  vierter  Klasse  bezahlen  können  —  aber  in  den 
Herzen  dieser  Armen  wirst  du  fortleben,  und  Kinder  und  Kindes- 
kinder werden  von  dem  gütigen  Manne  im  unwirtlichen  Norden 
erzählen,  der  das  Gleichnis  vom  barmherzigen  Samariter  in  die  Tat 
umgesetzt  hat. 


152  Hornafjördur. 

Der  Distrikt  AVj-,  den  wir  weiter  durchritten,  gehört  zu  den 
fruchtbarsten  Teilen  im  östHchen  Island.  Leider  aber  kann  hier 
keine  Schafzucht  getrieben  werden,  denn  die  Berge  sind  ohne  Gras- 
wuchs, und  das  innere  Hochland  ist  von  Gletschern  bedeckt.  Das 
Hornafjardai'ßjöt  ergiesst  sich  in  den  Hornafjördur,  der  seinen 
Namen  von  dem  Vorgebirge  Vestrarhorn  hat  und  eigentlich  eine 
Lagune  ist ;  das  östliche  Lön  heisst  auch  Skardsfjördur  (Engpass- 
fjord), wegen  des  von  ihm  ansteigenden  Passes  Abiiaiinaskard. 
Beide  Lagunen  haben  einen  gemeinsamen  Abfluss  durch  den  Honia- 
f/ardarös,  und  ein  starker  Strom  hält  immer  eine  Rinne  von 
ca.  6  m  offen.  Deswegen  können  auch  kleine  Dampfer  ihn  bei 
gutem  Wetter  befahren,  obwohl  die  Einfahrt  nicht  leicht  ist.  Seit 
1880  ist  hier  ein  autorisierter  Handelsplatz.  Einige  Ruinen  am 
Rande  des  Os  sollen  die  Reste  von  Kaufbuden  sein  und  aus  einer 
Zeit  stammen,  wo  die  Handelsschiffe  noch  durch  den  Os  fuhren; 
es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie  aus  der  Zeit  herrühren,  wo 
die  Deutschen  hier  Handel  trieben.  Im  Fjord  wimmelt  es  von 
Forellen  und  Steinbutten ;  zuweilen  werden  auch  Wale  an  Land 
getrieben,  wenn  sie  zu  unbesonnen  Heringszüge  verfolgen  und  sich 
aus  dem  engen  Eingange  nicht  wieder  heraus  finden. 

Nach  der  Volkssage  war  da,  wo  jetzt  die  Fluten  sind,  eine  schöne,  dichtbebaute 
Gegend.  Da  begann  des  Nachts ,  während  alle  Leute  schliefen ,  der  Gletscher  zu 
„laufen",  und  alle  kamen  um,  weder  Menschen  noch  Vieh  wurden  gerettet.  Die 
Fluten  fegten  alles  ganz  und  gar  hinweg,  Höfe  und  Häuser  und  was  darinnen  war, 
und  auch  die  Rasenschicht  wurde  mitgenommen.  Auf  diese  Weise  wurde  der  ganze 
Distrikt  vernichtet  und  bot  am  Morgen,  als  man  die  Spuren  des  Geschehenen  sah, 
einen  merkwürdigen  und  grauenhaften  Anblick. 

Drei  Jahre  später  war  ein  Hirt  unten  bei  der  Mündung  des  Stromes  unterwegs. 
Da  blieb  sein  Hund  an  einem  Höcker  auf  dem  sandigen  Boden  stehen.  Der  Hirt 
wollte  weiter  gehen,  allein  der  Köter  sprang  schwanzwedelnd  an  ihm  empor  und  lief 
abwechselnd  zu  dem  kleinen  Hügel,  an  dem  er  schnüffelnd  scharrte,  und  zu  dem 
Hirten.  Der  Hirt  ging  nun  zu  dem  Erdhöcker  und  wollte  wissen,  ^vas  dort  los  sei.  Da 
hörte  er  Hundegebell  unten  im  Hügel.  Schnell  grub  er  nach  und  fand  ein  Mädchen 
und  einen  Hund  bei  ihr.  Sie  war  hier  gewesen,  seitdem  der  Gletscherlauf  stattge- 
funden hatte ;  das  Haus,  in  dem  sie  war,  hatte  sich  gehalten,  war  aber  vom  Sande  ver- 
schüttet worden.  Sie  hatte  dort  für  sich  und  den  Hund  genug  Speise  gefunden. 
Der  Hirt  ging  mit  seinem  Funde  heim,  das  Ereignis  galt,  und  gilt  auch  noch,  als  sehr 
merkwürdig^). 

Im  übrigen  spielen  die  Hornfirdinger,  sehr  mit  Unrecht,  die  Rolle  der  deutschen 
Schildbürger  auf  Island.  Einst  kamen  einige  Homßrctinger  in  einen  Handelsort, 
was  sonst  nicht  zu  geschehen  pflegte.  Alles  um  sie  her  däuchte  sie  sehr  prachtvoll 
und  unähnlich  dem,  was  sie  im  Hornafjöntur  gewohnt  waren.  Unter  anderem  fiel  ihr 
Blick  auch  auf  dert  Mond ,  der  am  klaren  Himmel  schien.  „Das  ist  doch  ein  statt- 
licher Mond",  sagten  sie,  „das  ist  etwas  ganz  anderes  wie  der  verdammte  Mond  im 
Hornafjördur !" '). 


')  L  ehmann-Filhes,  Isl.  Volkssagen  II,   S.   76,   77;   241. 

'^)  Vergl.  auch  Isländische    Münchhausiaden,    übersetzt    von    Gebhard,    Globus, 
Bd.  72,   1897,  •^■'-   II  j  Maurer,  Isl.  Volkssagen  S.  29679. 


Hornafjördiir.     Almannaskard.     Loni.  153 

Es  ist  beachtenswert,  dass  sich  hier  manches  Altertümliche  in 
Glauben  und  Denken  bis  in  den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  er- 
halten hat:  der  Glaube  an  Trolle  und  Ächter  war  überaus  lebendig, 
man  zeigte  ein  paar  ,,Wölwengräber"  (völvuleidi)  und  scheint  Wölwen 
gleichbedeutend  mit  Elfen  aufgefasst  zu  haben.  Auch  eine  goda- 
borg  gab  es,  einen  kreisförmigen,  eingehegten  Platz,  der  eine  Art 
Opferstätte  gewesen  sein  soll.  Auch  die  Besiedlung  der  Austur 
Skaptafells  sysla  ist  in  dieser  Gegend  zuerst  erfolgt. 

HroUmtgr  fuhr  mit  Erlaubnis  des  Königs  Haraldr  Haarschön  nach  Island 
und  mit  ihm  zogen  seine  Frau  und  seine  Söhne.  Er  kam  in  die  östlich  von  Horn 
gelegene  Gegend  und  warf  seine  Hochsitzpfeiler  über  Bord.  Sie  schwammen  in  den 
Horiiaf/ördr;  er  selbst  aber  wurde  verschlagen  und  hielt  westwärts,  die  Küste  entlang. 
Sie  landeten  im  Westviertel  in  dem  Leiruvägr  von  Nes  und  hielten  sich  hier  während 
des  ersten  Viertels  auf.  Da  hörte  Hrollaugr  von  seinen  Hochsitzpfeilern  und  zog 
deswegen  ostwärts.  Während  des  zweiten  Viertels  war  er  am  Ingölfsfell.  Hierauf 
fuhr  er  ostwärts  nach  den  Hornafjördr  und  nahm  Land  vom  Horn  ostwärts  bis 
zur  Kviä.  Zuerst  wohnte  er  an  der  Skardsbrekka  im  Hornafjördr,  aber  später 
zu  Breidabölsiadr  im  Fellshverß.  Zu  dieser  Zeit  gab  er  die  Länder  nördlich  von 
Borgarhöfn  preis,  aber  die  südlich  von  Hreggsgerdismüli  besass  er  bis  zu  seinem 
Tode  (Lnd.   IV,  9). 

Eine  aus  Basalt  und  Liparit  bestehende  Bergkette  bildet  die 
Grenze  zwischen  den  Bezirken  N^es  und  Löri.  Um  3  Uhr  hatten 
wir  den  Fuss  des  Almannaskard  erreicht  (Aller  Leute  Pass),  auf 
engem,  im  Winter  meist  nicht  zu  passierendem  Wege  ging  es  ziem- 
lich steil  empor,  einer  hinter  dem  andern;  um  die  geplagten  Pferde 
zu  schonen,  liess  ich  absteigen.  Als  wir  die  Höhe  erreicht  hatten, 
bot  sich  uns  eine  Aussicht,  wie  ich  sie  überraschender,  grossartiger 
und  unbegrenzter  kaum  je  zuvor  genossen  hatte.  Unmittelbar  unter 
mir  lag  die  steile  Höhe  des  Passes  (168  m),  dessen  Fuss  der 
Skardsfjördur  umspült;  nach  Osten  dehnte  sich  das  weite  Welt- 
meer aus,  nur  durch  den  entfernten  Horizont  begrenzt;  nach  Westen 
breitete  sich  der  stattliche  Hornafjördur  aus,  üppige  Wiesen  mit 
Bauernhöfen  geschmückt,  Inseln,  Schären,  Hoch-  und  Tiefland;  da- 
hinter war,  soweit  das  Auge  reichte,  nichts  zu  sehen  wie  eine  einzige, 
unermessliche  Kette  von  Gletschern,  der  Südrand  des  Vatuajökull, 
oben  glitzernde  Firnflächen,  ein  Eiskatarakt,  wie  Thoroddsen 
sagt,  in  jedem  Felseneinschnitt  und  Gletscher  in  den  Tälern,  die 
sich  in  der  Ebene  kuchenförmig  ausbreiten.  Die  Meereswogen,  die 
Gletscher  und  die  Schneefelder  waren  von  den  matten  Strahlen  der 
Mittagssonne  wie  in  Silber  getaucht.  Noch  einmal  sah  ich  den 
Örccfajökull  in  seiner  stolzen  Pracht,  noch  einmal  überblickte  ich 
den  Weg  der  letzten  Tage,  dann  riss  ich  mich  gewaltsam  los  und 
bestieg  wieder  das  Pferd.  Der  Sturm  brüllte  um  uns,  dass  wir  uns 
kaum  auf  den  Gäulen  halten  konnten,  und  diese  nur  mühsam  Schritt 
für  Schritt  weiter  stapften.  Wehe  uns,  wenn  wir  diesen  Orkan  in 
den  grossen  Sandwüsten  gehabt  hätten!     Am  Ende   des  Passes  be- 


154  Jökulsä  i  Löni.     Stafafell. 

gann  eine  fürchterliche  Steinwüste,  ein  nacktes  Geröllfeld,  aus 
Liparit,  Granophyr  (granitähnlicher  Liparit)  und  Basalt  zusammen- 
gesetzt ,  das  die  Jökulsä  i  Löni  mit  ihren  Nebenflüssen  Karlsd 
und  Reidard  nach  und  nach  über  das  Tiefland  in  Löii  ausge- 
breitet hat. 

Der  Distrikt  Lön  bietet  also  einen  überaus  trostlosen  Anblick 
dar,  und  die  zackige  Bergkette,  die  ihn  auf  beiden  Seiten  und  im 
Hintergrunde  im  Halbkreis  umgibt,  besteht  aus  nackten,  pyramiden- 
oder  kegelförmigen,  dunkelblauen  oder  schwarzen  Felsen  ohne  jeden 
Pflanzenwuchs.  Aber  in  ihren  kleinen  Tälern  und  Einschnitten  ge- 
deiht gutes  Gras  und  ermöglicht  eine  leidliche  Schafzucht,  während 
an  der  Küste  ein  ergiebiger  Fisch-  und  Seehundsfang  getrieben 
wird,  und  auf  der  Insel  Vigur  viele  Eiderenten  brüten.  Die  Bauern 
gelten  für  wohlhabend.  Die  beiden  langgestreckten  Lagunen  Papa- 
fjördur  —  so  benannt  nach  den  irischen  Einsiedlern  fapar  d.  h. 
Pfaflen  —  und  Löjiafjördiir  erhalten  das  meiste  Wasser  von  der 
Jökiilsd  1  Löni  und  haben  durch  den  Bcrjarös  einen  gemeinsamen 
Abfluss.  Dieser  wird  meistens  im  Winter  durch  Sand  verstopft  und 
das  Flusswasser  in  den  Lagunen  auf  gedämmt,  so  dass  die  Ufer 
überschwemmt  werden.  Im  Juni  graben  dann  die  Einwohner  einen 
Kanal  durch  den  Sand,  woran  meist  20 — 30  INIann  einen  Tag  lang 
arbeiten.  Das  ausströmende  Wasser  erweitert  die  Rinne,  der 
Wasserspiegel  in  den  Lagunen  sinkt,  und  auf  den  mit  Lehm  be- 
deckten Wiesen,  die  im  Winter  unter  Wasser  gestanden  haben, 
wächst  in  kurzer  Zeit  das  Gras.  Wenn  die  Jökidsd  zuweilen  ihren 
Hauptarm  durch  den  Bcrjarös  leitet,  bleibt  dieser  den  ganzen  Winter 
offen,  und  es  tritt  dann  stets  im  folgenden  Jahre  Misswachs  ein; 
sonst  ergiesst  sich  der  Fluss  gewöhnlich  in  mehreren  Armen  in  den 
Papnfjördur'^).  Seit  den  sechziger  Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts 
hat  man  bei  Papös  ein  festes  Handelsetablissement  angelegt. 

Die  Jökiilsd  f  Löni,  deren  Quellen  Thoroddsen  1 894  am 
Rand  eines  Gletschers  im  Vesturdalur  entdeckt  hat,  setzt  ihren  Lauf 
durch  2 — 400  m  tiefe  Canons  nach  dem  LÖ7i  hinab  fort.  Sie  ist 
keiner  von  den  gefährlichen  Gletscherströmen,  immerhin  gehört 
grosse  Erfahrung  und  Übung  dazu,  die  stets  wechselnden  Furten 
aufzufinden.  Der  Führer,  den  wir  herbeiholten,  war  ganz  winterlich 
gekleidet:  er  trug  einen  Winterüberzicher,  einen  dichten  Schal  um 
den  Hals  und  ein  warmes  Tuch  über  dem  jMunde,  aber  er  verstand 
seine  Sache  ausgezeichnet,  obwohl  der  Fluss  seit  dem  gestrigen 
Tage  seinen  Lauf  völlig  verändert  hatte. 

Stafafell,  wo  uns  Sira  Jon  Jönsson  herzlich  aufnahm,  liegt  am 
Fusse  eines  niedrigen,    runden  Berges,    der    früher   mit  Bäumen   be- 


1)  Thoroddsen,  Geogr.  Tidskr.  XIII,   1895,  S.  5. 


Stafafell.  155 

wachsen  gewesen  sein  und  daher  seinen  Namen  „Baumberg"  haben 
soll.  Der  Superintendent  hatte  deswegen  auch  verschiedene  Ver- 
suche gemacht,  Bäume  bei  seinem  Pfarrhofe  zu  ziehen,  aber  sie 
waren  alle  wieder  eingegangen;  nur  ein  Vogelbeerbaum,  den  er  mir 
mit  berechtigtem  Stolze  wies,  stand  hinter  einem  Felsen  geschützt, 
schon  eine  Reihe  von  Jahren,  und  hatte  eine  Höhe  von  etwa  3  m. 
Die  Schäre  Vigur  ausserhalb  des  Papafjördiir  gehört  zu  Stafafell 
und  bildet  eine  wesentliche  Einnahmequelle  für  den  Geistlichen,  be- 
sonders wegen  der  hier  brütenden  Eiderenten.  Auch  einige  Felle 
von  Seehunden,  die  der  Pröfastur  selbst  erlegt  hatte,  waren  wie  in 
Nilpstadur  zum  Trocknen  aufgespannt. 

Sira  Jon  ist  das  Vorbild  eines  Geistlichen  und  das  Muster  eines 
Landmanns.  Er  hatte  einen  Heu -Vorrat  für  zwei  Jahre  und  war 
dabei,  für  sein  Haus  und  für  das  Tun  eine  Wasserleitung  anzu- 
legen. Tiefe  Gräben  einer  alten  Wasserleitung  über  das  Tt'm  hat 
schon  Eggert  Olafsson  in  Stafafell  gesehen  (II,  S.  124).  Sira  Jon 
ist  aber  auch  eine  Grösse  auf  dem  Gebiete  der  isländischen  Sagen- 
forschung. Wir  waren  bald  in  ein  lebhaftes  Gespräch  über  sagen- 
geschichtliche und  mythologische  Fragen  verwickelt,  und  er  nahm  es 
als  selbstverständlich  an,  dass  wir  noch  einen  Tag  hier  blieben,  um 
das  Gespräch  gründlich  fortzusetzen. 

Unterhalb  von  Stafafell,  westlich  von  der  Jökulsd,  liegt  ein 
kleines  Gehöft,  Pörisdahir;  hier  wohnte  Ende  des  17.  Jahrhunderts 
Pördur  V^idalin,  der  die  erste  wissenschaftliche  Abhandlung  über 
Islands  Gletscher  geschrieben  hat. 

In  Stafafell  wohnte  998  Porkell,  ein  erbitterter  Feind  des  ein- 
dringenden Christentums;  er  forderte  Dankbrand  zum  Zweikampfe. 
Dieser  setzte  ein  Kruzifix  vor  den  Schild,  und  es  nahm  mit  ihnen 
das  Ende,  dass  Dankbrand  den  Sieg  gewann  und  den  Porkell  er- 
schlug (Njdlssaga  loi;  weiteres  s.  o.  S.  90).  Von  da  zog  Dank- 
brand nach  dem  Hornafjördur  und  blieb  in  Borgarhöfii  zu  Gaste, 
westlich  vom  Heiiiabergssandr. 

16.  Juli. 

In  der  Frühe  waren  nur  6"  C,  bald  aber  machte  sich  die  Sonne 
auf.  Der  Ruhetag  wurde  dazu  benutzt,  die  Wäsche  fortzugeben  und 
die  Koffer  auszupacken.  Die  Stiefeletten  waren  verschimmelt,  das 
reine  Zeug  und  selbst  die  Zigarren  waren  feucht;  der  feine  rötliche 
Staub  aus  der  Zeit  der  Wüstenwanderungen  war  überall  durchge- 
drungen und  hatte  alles  beschmutzt.  Aber  die  Sonne,  unter  deren 
Strahlen  wir  den  Inhalt  der  Koffer  ausbreiteten,  trocknete  bald  alles. 

Die  Kirche  ist  aus  einfachem,  geteertem  Holz  hergestellt  und 
mit  einem  Zaune  von  Grassoden  und  Steinen  umgeben;  vor  40 
Jahren  fand  der  schwedische  Geologe  Paijkull  hier  nur  eine  schlichte 


156  Stafafell. 

Rasenkirche.     Das    kunstvolle   Schloss    an    der  Kirchtür,    das    schon 
Eggert  Ölafssoii  bewundert  hatte,  ist  noch  heute   da:    es    hat    zwei 
Riegel,   worin    der  Schlüssel    beim  Aufschliessen    zweimal   herumge- 
dreht werden  muss  und  ist  „mit  artigem,  silbernem  Laubwerk  aus- 
gelegt" (II,  S.    124).     Es  soll    vor    mehr    als    200    Jahren    am    Fusse 
eines    Berges    aufgefunden    sein.      In    der   Kirche    bemerkte    Eggert 
ein  messincjnes  Taufbecken   mit    einer  Inschrift,   deren  Zeichen   den 
sogenannten  Jwfdaletiir  sehr  ähnlich  sahen  (vergl.  I,  S.  168).    Ich  kann 
nicht  sagen,  ob  das  Becken  noch  da  ist.     Ebensowenig  erinnere  ich 
mich,  eine    sehr   alte  Altardecke   gesehen    zu   haben,    auf  die   ^laria 
und  Petrus  gestickt  waren.     Auffallend  ist  aber,   dass  Eggert  nicht 
das  Altargemälde  aus  dem   17.  Jahrhundert    erwähnt:    es    stellt    den 
Erlöser    am    Kreuze    dar,    zu    .seinen    Füssen    knien    der     damalige 
Pfarrer  und    dessen  Frau   in   der  Tracht    des    17.  Jahrhunderts;    das 
Bild    ist    also    ein    wertvoller    Beitrag    für    die    Trachtenkunde    des 
17.    Jahrhunderts   auf   Island.      Unten    an    dem    Glockenseile    in    der 
Kirche  hängen  zwei  Adlerklauen.     Ein  alter  Mann  soll  in  Seenot  ge- 
lobt haben,  im  Falle    der  Rettung    eine  Adlerklaue    für    die   Glocke 
zu  weihen.     Sira  Jon  meinte  lächelnd,    Daniel   Bruun,    der    vor 
zwei  Jahren  bei  ihm  gewesen  war,  erkläre   sie    als    ein  Schutzmittel 
gegen  Feuersgefahr.     ,,Das  Haus  soll  niemals  brennen,  in  dem  eine 
Adlerklaue    ist",    und    der   dänische    Hauptmann    habe    ihm    erzählt, 
auch   in    der  Schmiede   zu  Fagnrhölsmyri  habe  er  eine    .solche    mit 
wunderlichen    Zeichen   versehene    Klaue    an    dem  Griff  des  Strickes 
gesehen,    womit    der    Blasebalg    gezogen    wurde.      Auch    Konrad 
Maurer    berichtet    nach    mündlicher    Überlieferung    den    Glauben, 
dass  dem,  der  eine  Adlerklauc  in  der  Schmiede  verwendet,  um  den 
Blasebalg  zu  ziehen,  die  Schmiede   nicht    abbrennt;   auch   hält   man 
dafür,  dass  Kinder,  die  ihre  Milch  durch  den  Kiel   einer  Adlerfeder 
trinken,  ein  ganz  besonders  starkes  Gedächtnis  bekommen  (Isländische 
Volkssagen   S.    170).      Auch    Prof.    Vetter    fand    in    dem    Gehöfte 
Kollafj'ördur  (Kj.)   an  der  Zugschnur  eines  Blasebalges   eine  Adler- 
klaue als  Handgriff. 

17.  Juli. 

Vor  Anfang  des  Gottesdienstes  brachen  wir  auf,  Sira  Jan 
hatte  mir  noch  als  Abschiedsgeschenk  die  meisten  seiner  Abhand- 
lungen gegeben,  namentlich  die  in  isländischer  Sprache  abgefassten 
und  in  isländischen  Zeitschriften  erschienenen.  Der  unermüdliche 
Fleiss  des  Gelehrten  ist  um  so  höher  zu  schätzen,  als  er  eines 
Augenleidens  wegen  nur  im  Sommer  und  nur  bei  hellem  Wetter 
arbeiten  kann. 

Der  Weg  über  die  Wiesen  war  ganz  leidlich,  und  die  Zeit 
wurde  dadurch  angenehm  verkürzt,  dass  uns  alle  Augenblicke  Reiter 


Lönsheidi.  157 

begegneten;  teils  wollten  sie  zum  Gottesdienste  nach  Stnfafell, 
teils  hatten  sie '  von  Ögmundurs  Ankunft  gehört,  den  sie  von 
seiner  Reise  mit  Thoroddsen  kannten,  und  wollten  ihn  begrüssen. 
Der  Übergang  über  die  rauhe  und  öde  Lönsheidi  aber,  die  die 
Grenze  zwischen  der  Ansfur  Skaptafells  spla  und  Südur  ATnla 
sysla  bildet,  war  abscheulich.  Dieses  Plateau  ist  nicht  sehr  hoch 
(385  m),  aber  der  Weg  geht  recht  steil,  ist  sehr  schmal  und  ganz 
mit  kleinen,  spitzen  Steinen  bedeckt.  Die  Szenerie  erinnert  lebhaft 
an  die  Almannagjd^)\  etwa  auf  der  Höhe  standen  wir  einem  gähnen- 
den Abgrunde  gegenüber,  in  den  ein  reissendes  Wasser  hinab- 
stürzte und  dabei  einen  prächtigen  Fall  bildete.  Da  mich  die  armen 
Pferde  dauerten,  stieg  ich  ab  und  warf  meinem  Schimmel  die  Zügel 
über  den  Hals  und  die  Steigbügel  über  den  Sattel,  dann  kletterte 
er  vorsichtig  Zoll  für  Zoll  im  Zickzack  weiter.  Überall  lagen  grosse, 
blendend  weisse  Schneefelder  umher,  da  die  Sonne  noch  nicht  so 
weit  vorgedrungen  war.  Der  Abstieg  war  wo  möglich  noch  schlimmer, 
er  war  eine  förmliche  Treppe,  und  ein  paar  Mal  mussten  die  Pferde 
von  Stufe  zu  Stufe  springen.  Ein  grosser  Felsstein,  auf  den  mehrere 
kleine  aufgetürmt  waren,  zeigte  uns  an,  dass  wir  gegen  ^/4  3  Uhr 
die  Grenze  der  Skaptafells  sysla  erreicht  hatten,  und  wie  wir  ihren 
Anfang  begrüsst  hatten,  so  riefen  wir  auch  jetzt  neunmal:  Hurra!, 
aber  nicht  fröhlich  und  übermütig,  sondern  es  tat  uns  wirklich  leid, 
von  dieser  mit  Unrecht  so  gefürchteten  Gegend  Abschied  zu  nehmen; 
denn  was  wir  hier  gesehen  und  erlebt  hatten,  das,  wussten  wir, 
würde  den  Höhepunkt  unseres  Lebens  ausmachen.  Niemals  wieder 
würden  wir  diese  Gletscher  und  Vulkane,  diese  Ströme  und  Wüsten 
sehen,  und  niemals  wieder  würden  wir  einem  von  den  guten  Menschen 
die  Hand  drücken,  die  uns  nicht  wie  neugierige  Fremde,  sondern 
wie  altvertraute  Freunde  aufgenommen  hatten. 

1)  Korrekiurnote :  Bei  Kaalund  (II,  S.  261)  finde  ich,  dass  eine  grosse  Kluft 
an  der  Ostseite  der  Lönsheidi  wirklich  Almannagjä  heisst;  ich  kann  aus  seiner 
Notiz  nicht  ersehen,  ob  er  dieselbe  meint,  deren  Gestalt  mich  an  die  berühmte  „All- 
männerschlucht"  an  der  Öxarä  erinnerte. 


Dreizehntes   Kapitel. 

Reise  durch  die  Süaur  und  Nordur  Müla  sysla. 

Im  Starniyrardalur  machten  wir  Halt,  nicht  weit  von  dem 
Gehöfte  Pvottd  und  dem  Fkissc  gleichen  Namens.  In  seinen  Wellen 
hatte  Dankbrand  den  edlen,  friedliebenden  Häuptling  Ilallr  — 
gewöhnlich  Hallr  d  Sidu  Porsteinsson  oder  Sidu-Hallr  genannt  — 
mit  seiner  Familie  getauft. 

Als  Dankbrand  nach  dem  nördlichen  Alptafjöräiir  kam,  wollten  die  Isländer 
mit  den  Christen  nicht  reden  und  sie  nicht  nach  einem  Hafen  weisen,  und  keinerlei 
Hilfe  oder  Menschlichkeit  wollte  ihnen  das  Volk  der  Umgegend  erzeigen.  Damals 
wohnte  Sidu-Hallr  zu  Pvoiiä.  Er  hatte  im  Fljötsdalr  zu  tun  gehabt,  und  als  er 
wieder  südwärts  kam,  suchte  ihn  Dankbrand  auf,  trat  auf  ihn  zu  und  grüsste  ihn 
höflich;  er  erzählte  dem  Hallr,  wie  es  mit  seiner  Ankunft  zuging,  und  zugleich,  dass 
König  Olafr  ihm  sagen  lasse,  wenn  er  etwa  ins  Ostland  käme,  möge  er  ihm  seinen 
Schutz  angedeihen  lassen,  worin  immer  er  dessen  bedürfe.  Da  bat  Dankbrand, 
dass  Hallr  sein  Schiff  in  einen  Hafen  schaffen  und  ihm  für  die  andern  notwendigen 
Dinge  Sorge  tragen  möchte.  Hallr  nahm  seine  Worte  und  die  Botschaft  des  Königs 
Olafr  wohl  auf;  er  sorgte  sogleich  für  Leute,  um  Dankbrands  Schilf  nach  dem 
südlichen  Alptafjördur  nach  Leinivägr  zu  schaffen  und  Hess  es  da  ans  Land  ziehen, 
wo  man  es  seitdem  Pangbrandshö/n  oder  Pangbrands/tröf  {Da. nkhr and s- Hafen 
oder  Schiffshütte)  nennt;  die  ganze  Ladung  aber  Hess  er  heimführen  in  seinen  Hof- 
raum und  schlug  ihnen  da  ein  Zelt  auf,  in  dem  sie  während  des  Winters  wohnten; 
Dankbrand  sang  darin  Messen  und  verrichtete  den  Gottesdienst. 

Hallr  war  freundlich  gegen  Dankbrand  und  alle  seine  Genossen  und  ver- 
schaffte ihm  alles  Nötige ;  er  war  lange  in  der  Bude  bei  ihnen.  Es  war  im  Herbste, 
dem  nächsten  Tage  vor  dem  Festtage  Michaelis,  da  hielt  Dankbrand  mit  den 
Seinigen  den  Vorabend  heilig ;  der  Hausherr  Hallr  war  dabei  und  fragte,  warum  sie 
zu  arbeiten  aufhörten.  Dankbrand  antwortete:  „Den  Tag,  der  nachkommt,  halten 
wir  heihg  und  festlich  zu  Ehren  des  heiligen'  Erzengels  Gottes  Michael".  Hallr 
sprach:  „Was  für  Einer  war  Michael,  oder  wie  steht  es  mit  ihm?"  Dankbrand 
antwortet :  „Michael  war  kein  Mensch,  vielmehr  ein  Geist,  vom  allmächtigen  Gott  als 
Häuptling  gesetzt  den  anderen  Engeln,  die  er  gesetzt  hat  gegen  die  Teufel  und  ihre 
feindlichen  Sendlinge  zu  streiten,  und  alles  rechtgläubige  Christenvolk  zu  schirmen 
gegen  die  schädlichen  Geschosse  der  unsauberen  Geister.  Dem  Erzengel  Michael  ist 
auch  insbesondere  von  Gott  Gewalt  gegeben  über  die  Seelen  der  Christenleute  beim 
Abschiede    von    dieser  Welt,    sie    in    Empfang    zu    nehmen    und    sie   in    die    herrUche 


Kottä.     Sidu-Hallr.  159 

Wohnung  des  Paradieses  zu  führen;  da  ist  unbeschreibliche  Freude  und  Wonne, 
Pracht  und  Glückseligkeit,  und  genug  an  aller  Herrlichkeit;  da  ist  kein  Tod,  kein 
Schmerz  noch  Krankheit,  kein  Kummer  noch  Elend,  sondern  ewiges  Leben  und  Wohl- 
sein ohne  Ende.  Da  sind  die  Leute,  welche  ihrem  Schöpfer  während  ihres  Lebens 
rein  gedient  haben  mit  Rechtschafl'enheit ,  verbunden  dem  Dienste  der  Engel;  ihre 
Schönheit  und  ihr  Glanz  besiegt  das  Sonnenlicht;  ihr  Wohlgeruch  ist  über  alle 
Süssigkeit,  ihre  Schnelligkeit,  Stärke  und  Macht  ist  mehr,  als  der  Gedanke  erreichen 
kann.  Ihre  unzählbare  Menge  ist  von  Gott  in  neun  Heerscharen  geteilt,  zu  vorge- 
schriebenem Dienste ;  einige  von  ihnen  haben  die  Bestimmung  und  Gewalt,  zu  streiten 
und  alle  Macht  der  boshaften  Geister  zu  lähmen ,  welche  dem  Menschengeschlechte 
immer  nachstellen  und  Übles  zuzufügen  bestrebt  sind ;  andere  halten  Krankheiten  von 
den  Menschen  ab  und  Übel  und  Widerwärtigkeiten  und  schaffen  statt  dessen  voll- 
kommene Gesundheit  und  allen  anderen  Bedarf  und  alle  glücklichen  Dinge  für  die 
sterblichen  Menschen ;  einige  stehen  beständig  vor  dem  Schöpfer,  und  bei  dem  allem 
ist  ihnen  sämtlich  die  Eigenschaft  und  Gewohnheit  gemeinsam ,  unablässig  den  all- 
mächtigen Gott  zu  loben  und  ihn  mit  schön  lautenden  Singstimmen  unbeschreiblich  zu 
ergötzen;  immer  seine  Schönheit  bewundernd,  sehnen  sie  sich  ewig  sein  Antlitz  zu 
sehen."  Als  aber  Dankbrand  dies  oder  ähnliches  mit  klugem  Vortrage  erzählt 
hatte,  da  sprach  Hallr:  „Es  scheint  mir  für  Menschen  unmöglich  einzusehen  oder  zu 
begreifen,  wie  erhaben  derjenige  sein  muss,  dem  solche  und  so  herrliche  Engel 
dienen."  Dankbrand  antwortete:  Sicherlich  hat  dir  der  heilige  Geist  dieses  Ver- 
ständnis in  die  Brust  geblasen,  einem  Heidenmanne !"  Als  aber  der  Hausherr  abends 
mit  seinen  Hausleuten  zu  Tisch  gegangen  war,  da  sprach  Hallr  zu  seinen  Leuten: 
„Dankbrand  und  seine  Genossen  halten  den  Tag,  der  morgen  kommt,  festlich  zu 
Ehren  eines  ihrer  Götter;  nun  sollt  ihr  auch  frei  haben  und  den  Tag  mit  ihnen  heilig 
halten ;  es  ist  uns  auch  gestattet  hinzugehen  und  die  Gebräuche  dieser  Religion  anzu- 
sehen und  anzuhören".  Am  Morgen,  als  Hallr  angekleidet  war,  ging  er  zum  Zelte 
und  stand  mit  allen  seinen  Hausleuten  davor;  als  sie  aber  den  Glockenschlag  und 
die  schönen  Stimmen  der  singenden  Leute  hörten,  die  sie  vordem  noch  nie  gehört 
hatten,  da  waren  sie  sehr  erstaunt;  noch  weit  mehr  aber,  als  die  Messe  gelesen 
wurde  und  sie  da  die  Kleriker  mit  prächtigen  Gewändern  bekleidet  sahen  und  die 
Kerzen  mit  hellem  Lichte  scheinend  und  als  sie  den  süssesten  Duft  des  Weihrauches 
verspürten.  Und  als  Hallr  heimkam  ,  fragte  er  seine  Hausleute,  wie  ihnen  die  Ge- 
bräuche der  Christenleute  vorkämen?  Sie  antworteten,  dass  ihnen  alles  das  äusserst 
sauber  und  schön  vorkomme,  was  sie  von  ihrer  Sitte  und  ihrem  Dienste  gesehen  und 
gehört  hätten.  Der  Priester  Dankbrand  sprach  oft  zu  Hallr  und  drang  in  ihn,  zu 
der  Sittsamkeit  des  christlichen  Glaubens  sich  zu  bekehren,  und  einstmals  sprach 
Hallr  zum  Dankbrand:  „So  trifft  es  sich,  dass  hier  bei  mir  zwei  sehr  bejahrte 
alte  Weiber  sind,  sehr  schwach  und  abgelebt,  so  dass  sie  auf  dem  Siechbette  liegen 
und  sich  nicht  mehr  selbst  tragen  können ;  nun  will  ich  dich  die  alten  Weiber  taufen 
lassen,  und  wenn  sie  sich  nach  der  Taufe  etwas  mehr  rühren  können  oder  dann 
etwas  minder  krank  sind  als  vorher,  und  es  ihnen  nicht  schadet,  wenn  sie  soviel  be- 
wegt und  ins  Wasser  getaucht  werden,  dann  sehe  ich,  dass  grosse  Kraft  im  christ- 
lichen Glauben  ist;  dann  will  ich  mich  taufen  lassen  und  all  mein  Hausvolk."  Dann 
drang  Hallr  in  die  alten  Weiber,  den  Glauben  anzunehmen,  den  Dankbrand  ver- 
künde, und  da  sie  die  dreifache  Frage  des  Geistlichen  nach  dem  dreifachen  Glauben 
bejaht  und  ferner  die  Taufe,  wie  es  Sitte  ist,  begehrt  hatten,  da  taufte  sie  der  Priester 
Dankbrand  im  Namen  des  Vaters  und  des  Sohnes  und  des  heiligen  Geistes  und 
bekleidete  sie  mit  den  weissen  Gewändern.  Und  als  der  Hausherr  Hallr  des  andern 
Tags  zu  ihnen  kam  und  fragte,  wie  es  ihnen  gehe,  da  antworteten  sie  beide  zugleich, 
so  sprechend:  „Sehr  wohl  geht  es  uns,  denn  von  der  Natur  des  Alters  sind  unsere 
Glieder  zwar  kraftlos ,  aber  doch  ist  alle  Krankheit  weg  und  alles  Unbehagen ,  das 
uns  lange  geplagt  und  beschwert  hat,  dafür  aber  ist  eine  vollkommene  Ruhe  und 
Gesundheit  des  Körpers  gekommen;  denn  all  unsere  Glieder  und  Sehnen  sind  weich 
und  beweghch,    jedes  in    seinem   Dienste,    gleichsam    als  wären  wir    zum    zweitenmal 


160 


f>vottd.      Sidu-Hallr.      Hof. 


jung  geworden;  so  ist  auch  alle  Furcht  und  Angst  verschwunden  und  aller  Lebens- 
überdruss,  und  wir  haben  Freude  und  Trost  empfangen  und  die  grosse  Hoffnung 
ewiger  Freude  und  zukünftiger  Seligkeit."  Der  Hausherr  wurde  darüber  froh  und 
versprach  den  Glauben  zu  nehmen.  Hallr  wurde  getauft  am  Sonnabend  vor  Ostern 
in  seinem  Brunnquell  und  sein  gesamtes  Hausvolk.  Da  gab  der  Priester  D  ankbran  d 
diesem  Bach  einen  Namen  und  nannte  ihn  Pvotiä  (Waschache,  Taufache),  wovon 
seitdem  der  Hof  benannt  ist  (Jüngere  Ol.  S.  Tryggv.  K.  2io  =  FMS.  II,   S.   197  ff.). 

Wir   ritten    das    sich    immer   mehr    verengende    Tal    hindurch, 
das    sich    unmittelbar    an    einen  ■  rauschenden    Flusslauf    anschliesst 


Fig.  84.     Hof  i  Alptafirdi. 


und  seltsame,  romantische  Felsen  aufweist.  Der  Weg  war  nicht 
viel  besser  als  vorher,  aber  der  Blick  auf  den  mit  Seen  und  Holmen 
geschmückten  ^Uptafjördur  war  wunderhübsch.  Überall  trafen  wir, 
trotz  des  Sonntags,  die  Leute  beim  Mähen  und  Umwenden  des 
Grases.  Um  acht  Uhr  kamen  wir  im  Pfarrhof  Hof  an  (Fig.  84). 
Hinter  der  Kirche  lagen  kahle  Felsen,  zur  Linken  breiteten  sich 
verschiedene  Flüsse  aus;  gegenüber  ragten  schneebedeckte  Berge 
empor,  deren  weisses  Tuch  tief  hinabreichte,  und  leuchtete  die  Eis- 
kuppe des  Hofsjökiill,  des  östlichen  Vorpostens  des  Vatiiajokiill. 
Dessen  anderer  östlicher  Ausläufer  ist  der  Prdndarjöhdl:  beide 
sind   durch   tiefe   Erosionstäler  von  der  Hauptmasse  getrennt.     Der 


Hof.     t'idrandi.  161 

Ifoßjokull,  etwa  iioo— 1250  m  hoch,  hat  nach  Norden  eine  mehr 
abgerundete  Kuppelform;  nach  Süden  erstrecken  sich  zwei  Aus- 
läufer, nach  Nordwest  bilden  steinige  Hochebenen,  nach  Südwest 
das  Tal  der  Vidirdahd  die  Grenze.  Der  Prdndarjdkicll  gleicht 
einer  grossen  Kuppel,  aus  ihrer  Eisbedeckung  erhebt  sich  eine 
Bergspitze.  Drei  Höhlen,  die  Hof  gerade  gegenüber  liegen,  und 
einige  Strandlinien  in  einer  Höhe  von  20  m  ü.  M.  zeigen,  dass  die 
Niederung  bei  Älptafjördiir  einst  vom  Meere  bedeckt  gewesen  ist. 
Die  Kirche  [war  mit  Blech  gedeckt,  das  Kreuz  darauf  sogar  aus 
Gusseisen,  beide  Längswände  waren  mit  dicken  Ketten  am  Boden 
befestigt,  damit  nicht  die  heulenden  Stürme  den  leichten  Holzbau 
umrissen. 

18.  Juh. 

Hof  ist  der  Schauplatz  einer  merkwürdigen  Geschichte,  die 
gewissermassen  das  Vorspiel  zu  der  soeben  erzählten  Bekehrung 
des  Sidii-Hallr  ist.  Vor  allem  ist  sie  ein  wertvolles  Zeichen  für 
die  tiefe  Gärung  im  Volke :  der  alte  Glaube  ist  in  Zweifel  und 
Schwanken  geraten,  man  sehnt  sich  in  ängstlicher  Spannung  nach 
etwas  Höherem,  und  diese  bange  Ahnung  äussert  sich  in  mystischen 
Träumen,  wunderlichen  Gesichten  und  seltsamen  Weissagungen. 
Solcher  Sagen  laufen  verschiedene  um,  und  mögen  auch  die  geist- 
lichen Verfasser  oder  Aufzeichner  manche  Linie  nachgezogen  haben, 
ihren  Wert  als  Symptom  einer  aufdämmernden,  neuen  Zeit  behalten 
sie  doch. 

Bödvarr  enn  hviti  hatte  Land  genommen  vom  Leiriivägr  landeinwärts  (wohl: 
Starmyrarvogar  im  südlichen  Inneren  des  Älptafjörctur):  alle  Täler,  die  daselbst 
liegen  und  seewärts  auf  der  anderen  Seite  bis  zum  Bergrücken  Midi,  wonach  die  bei- 
den Mida  syjslur  benannt  sind.  Er  wohnte  in  Hof  und  errichtete  dort  einen  grossen 
Tempel  (Lnd.  IV,  7).  Der  Sohn  dieses  Bödvarr  war  Porsteinn  Sidu-Hallr,  und 
dieser  wieder  hatte  neben  anderen  Kindern  einen  Sohn  namens  Pidrandt ,  einen 
tüchtigen  und  allseitig  behebten  Jüngling  M-  Pörhallr ,  der  Weissager,  wohnte  in 
Hörgsland.  Sidu-Hallr  und  er  waren  die  besten  Freunde  und  besuchten  einander 
häufig. 

Eines  Sommers  war  Pörhallr  bei  dem  Freunde  zu  Gast;  Pidrandt  war  soeben 
von  einer  Reise  heimgekommen,  und  von  allen  Anwesenden  wurde  seine  Tüchtigkeit 
vielfach  gepriesen:  nur  Pörhallr  schwieg.  Vom  Vater  über  den  Grund  seines 
Schweigens  befragt,  erklärt  er,  auch  ihm  gefalle  der  junge  Mann,  aber:  „Es  kann 
sein,  dass  man  seiner  nicht  lange  geniesst,  und  dann  wirst  du  genug  Sehnsucht  nach 
diesem  deinem  so  gut  gearteten  Sohne  haben,  wenn  auch  nicht  jedermann  seine 
Tüchtigkeit  vor  dir  lobt."  Im  Sommer  wird  Pörhallr  traurig;  um  den  Grund  be- 
fragt, äussert  er,  er  erwarte  Übles  von  dem  grossen  Gastmahle,  das  Sidu-Hallr 
nach  alter  Sitte  im  Herbste  halten  wollte:  „denn  mir  ahnt,  dass  bei  diesem  Mahle 
ein  Weissager  {Spdmadr)  erschlagen  werde."  Da  beruhigt  ihn  Sidu-Hallr,  indem 
er  ihm  sagt,  er  habe  einen  Ochsen,  den  er  seiner  besonderen  Klugheit  wegen  Spdmadr 


^)  Pidranda  pätir  ok  Pörhalls.  Fornmanna  Sögur  II,  192  ff;  Flateyjarbök  I, 
418  ff.    Vergl.  Kahle,  Kristnisaga  S.  20. 

Herr  mann,  Island  II.  AA 


162  Hof.     t-idrandi. 

nenne,  und  diesen  habe  er  vor  im  Herbste  zu  schlachten;  Pörhallr  aber  entgegnet: 
„Ich  sagte  dies  auch  nicht  darum,  dass  ich  um  mein  Leben  gefürchtet  hätte,  und 
grössere  und  wundersamere  Vorgänge  schwanen  mir,  von  denen  ich  zurzeit  noch  nicht 
sprechen  will."  Als  nun  der  Herbst  und  das  Gastmahl  heranrückt,  bittet  Pörhallr 
eines  Abends  alle  Anwesenden,  es  möge  doch  die  Nacht  über  ja  niemand  hinaus- 
gehen und  was  auch  vorgehen  möge,  nicht  darauf  zu  achten  scheinen,  indem  grosser 
Schade  entstehen  werde,  wenn  man  diesem  Rate  nicht  folge.  Sictu-Hollr  gebietet, 
sich  demgemäss  zu  verhalten.  „Als  aber  die  meisten  Leute  eingeschlafen  waren,  da 
klopfte  es  an  die  Tür,  und  niemand  tat,  als  ob  er  es  bemerkte :  so  ging  es  dreimal ; 
da  sprang  Pictranc/i  auf  und  sprach:  „Das  ist  eine  grosse  Schande,  wenn  alle  Leute 
hier  tun,  als  ob  sie  schliefen,  und  etwa  Gäste  gekommen  sind."  Er  nahm  ein  Schwert 
in  die  Hand  und  ging  hinaus;  er  sah  niemanden:  da  fiel  ihm  ein,  es  möchten  etwa 
einige  Gäste  vorher  heim  zum  Hofe  geritten ,  dann  aber  denen ,  die  weiter  zurück- 
ritten, wieder  entgegengeritten  sein.  Da  ging  er  an  einen  Holzhaufen  und  hörte,  dass 
von  Norden  her  auf  den  Plan  geritten  wurde;  er  sah,  dass  es  neun  Weiber  waren, 
und  alle  in  schwarzen  Gewändern,  und  sie  hatten  gezogene  Schwerter  in  den  Händen ; 
er  hörte  auch,  dass  von  Süden  her  auf  den  Plan  geritten  wurde,  das  waren  aber 
auch  neun  Weiber,  alle  in  lichten  Gewändern  und  auf  weissen  Pferden;  da  wollte 
Pidrandt  wieder  hineingehen  und  den  Leuten  sein  Gesicht  erzählen  ;  da  kamen  ihm 
aber  jene  schwarzgekleideten  Weiber  zuvor  und  griffen  ihn  an,  er  aber  wehrte  sich 
tapfer ;  lange  Zeit  nachher  erwachte  Pörhallr  und  fragte,  ob  Pidrandi  wache,  und 
da  würde  ihm  nicht  geantwortet.  Pörhallr  sprach,  allzulange  habe  man  geschlafen. 
Jetzt  ging  man  hinaus;  es  war  Mondschein  und  Frostwetter;  da  fanden  sie  den 
Pidrandi  verwundet  liegen,  und  er  wurde  hineingetragen ,  und  als  man  Worte  von 
ihm  erhalten  konnte,  erzählte  er  alles  das,  was  sich  ihm  zugetragen  hatte ;  er  starb 
desselben  Morgens  im  Zwielicht  und  wurde  nach  heidnischer  Sitte  in  einen  Grab- 
hügel gelegt.  Dann  erkundigte  man  sich  um  die  Fahrten  der  Leute,  und  Niemand 
wusste  eine  Spur  von  Feinden  des  Pidrandi.  Hallr  fragte  den  Pörhallr,  was  an 
diesem  wundersamen  Ereignisse  schuld  sein  möge?  Pörhallr  antwortete:  „Das  weiss 
ich  nicht ;  aber  vermuten  kann  ich ,  dass  dies  keine  anderen  Weiber  waren,  als  die 
Schutzgeister  eures  Geschlechtes ;  ich  vermute ,  dass  ein  Glaubenswechsel  eintreten 
werde,  und  es  wird  demnächst  ein  besserer  Glaube  ins  Land  kommen ;  ich  glaube, 
dass  diese  euere  Göttinnen  (disir).  die  diesem  id.  h.  dem  heidnischen!  Glauben  ge- 
folgt sind ,  den  Glaubenswechsel  und  dass  euer  Geschlecht  ihnen  verloren  gehen 
werde ,  vorausgewusst  haben  werden ;  nun  werden  sie  sich  nicht  haben  gefallen 
lassen  wollen,  dass  sie  von  euch  nicht  vorher  noch  eine  Schätzung  (=  Opfer)  haben 
sollten,  und  sie  werden  dies  als  ihren  Anteil  genommen  haben;  jene  besseren  Göt- 
tinnen aber  werden  ihm  haben  helfen  wollen,  und  kamen  damit  unter  den  gegebenen 
Umständen  nicht  zurecht ;  nun  wird  euer  Geschlecht  ihrer  geniessen,  sobald  ihr  den 
noch  unbekannten  Glauben  annehmen  werdet,  den  sie  verkünden  und  welchem  sie 
folgen." 

Die  Fylgjen  oder  Di'sen,  d.  h.  die  Geister  der  heidnischen  Vor- 
fahren, die  bisher  von  den  Lebenden  Opfer  empfangen  haben, 
fürchten  durch  die  bevorstehende  Glaubensänderung  um  ihre  Ver- 
ehrung und  Opferspenden  zu  kommen;  sie  nehmen  daher  ein  junges 
Leben  dieses  Geschlechtes  zu  deren  Ablösung  hin.  Aber  die  besseren 
Disen,  die  christlichen  Schutzengel,  die  Vertreter  des  neuen  Glau- 
bens, besitzen  noch  keine  Macht  im  Lande  und  haben  daher  auch 
kein  Recht,  dem  Pidrandi  zu  helfen.  Noch  ist  ja  das  Christentum 
nicht  eingeführt.  Bald  aber  landet  Dankbrand,  Si'dii-Hallr  nimmt 
ihn  gastlich  auf  und  lässt  sich  taufen,  und  zwar  gegen  die  Ver- 
bürgung  des    Priesters,    dass   der   heilige    Michael   sein   Schutzengel 


Hof.     Pidrandi.     Alptafjördur.  163 

würde  [Ä^fdlssao-a  loi).  Das  nunmehr  christlich  gewordene  Ge- 
schlecht wird  also  in  Zukunft  der  Schutzengel  geniessen,  die  früher 
nicht  hatten  rettend  eingreifen  dürfen. 

Als  Si'du-Hallr,  aus  Kummer  über  den  Verlust  seines  hoffnungs- 
vollen Sohnes,  nach  Pvottd  gezogen  war,  ereignete  sich  eine  andere, 
ebenfalls  höchst  interessante  Geschichte. 

Einmal  geschah  es  zu  Pvottä  (wohin  Hallr  inzwischen  gezogen  war),  class 
Pörhallr  dort  bei  Hallr  zu  Gast  war.  Hallr  lag  in  einem  Kastenbette  (hvilugolf), 
Pörhallr  aber  in  einem  andern.  Das  Kastenbett  aber  hatte  ein  Fenster,  und  eines 
Morgens,  als  beide  wachten,  lachte  Pörhallr.  Hallr  fragte:  „Warum  lachst  du 
jetzt?"  Der  antwortete:  „Ich  lache  darum,  weil  ich  viele  Hügel  sich  öffnen  sehe, 
und  jedes  Getier  rüstet  sein  Bündel,  gross  und  klein,  und  sie  haben  jetzt  ihre  Fahr- 
tage" (d.  h.  die  gesetzlichen  Ziele,  an  denen  Pächter,  Dienstleute  u.  dgl.  mehr  ihren 
Umzug  bewerkstelligen  müssen).  Offenbar  sind  es  die  Landgeister  oder  die  Ge- 
schlechtsgeister ,  die  sich  wegen  des  demnächst  kommenden  Glaubens  zum  Auszuge 
fertig  machen  (F.M.S.   II,  K.  215)  i).    — 

Wir  brachen  zeitig  von  Hof  auf.  Wenn  wir  Zeit  und  Kräfte 
sparen  wollten,  mussten  wir  versuchen,  bei  Ebbe  durch  den  Hamars- 
fjördrir  hindurchzureiten ;  bei  Flut  ist  die  in  diesen  Fjord  ein- 
mündende Hamarsd  unpassierbar.  Die  erste  halbe  Stunde  führte 
uns  der  Weg  über  üppige,  mit  silberschimmerndem  Wollgrase  be- 
deckte Wiesen,  dann  über  einen  unbequemen  Bergrücken  und 
endlich  immer  den  Rand  des  Alptafjördur  entlang  (Schwänebusen). 
Er  ist  die  letzte  in  der  langen  Reihe  der  Lagunen,  die  sich  an  der 
Südküste  hinzieht,  und  ist  durch  eine  lange,  schmale  Nehrung  von 
der  See  getrennt ;  bei  Sturm  wird  diese  von  der  Brandung  überflutet, 
und  oft  wird  dann  Treibholz  über  sie  hinweg  in  die  Lagune  ge- 
worfen. Die  Berge  in  der  Runde  und  die  sechs  kleinen  Inseln 
mitten  im  Wasser  erinnerten  unsern  Führer  an  das  Myvain,  und  in 
gewisser  Hinsicht  mussten  wir  ihm  später  Recht  geben. 

Die  Sonne  stand  hell  am  Himmel,  aber  die  frische  Brise  vom 
Meer  Hess  keine  Hitze  aufkommen;  ich  steckte  die  Reisemütze  in 
die  Tasche  und  ritt  barhäuptig.  Mit  Wohlbehagen  sogen  wir  den 
kräftigen  Geruch  des  Salzwassers,  des  Seetangs  und  der  Muscheln 
ein  und  lauschten  dem  taktmässigen  Donnern  der  Brandung.  Als 
wir  am  nördlichen  Ende  des  Fjord  einen  kleinen  Berg  hinaufritten, 
waren  wir  mit  einem  Male  ausserhalb  der  malerischen  norwegischen 
Landschaft  und  befanden  uns  mitten  zwischen  kahlen  Felsen  und 
Schneebergen.  Aber  bald  senkte  sich  der  Weg  wieder,  über  Wiesen 
und  Sumpf  erreichten  wir  den  von  Bergen  umsäumten  Haiiiars- 
fjördiir  (Steilklippenbach)  und  konnten  seit  mehreren  Tagen  zum 
ersten  Male  wieder  auf  dem  weiten  Meeresboden  einige  Galopp- 
sprünge machen.  Ein  mächtiger  Adler,  der  in  der  Gegend  seinen 
Horst  hatte,  Hess  sich  durch  uns  nicht  im  geringsten  beirren. 


1)  Die  Übersetzung    im  Anschluss  an  Maurer,    Bekehrung  I,   S.  228  fF.,  389  flf. 

11* 


164  Hamarsfjördur.     Papey. 

Es  traf  sich  glücklich,  dass  wir  auf  einen  Bauern  stiessen,  der 
ebenfalls  den  Umweg  um  den  Westrand  des  Fjords  sparen  wollte 
und  uns  ohne  weiteres  mitnahm.  Obwohl  wir  schon  auf  der  ersten 
Reise  durch  den  Hvalfjördiir  geritten  w^aren,  war  es  doch  ein 
eigentümliches  Gefühl,  das  Meer  20  Minuten  lang  um  sich  rauschen 
zu  hören  und  mitten  durch  seine  Wellen  zu  ziehen.  Es  reichte  den 
Pferden  meist  nur  bis  zum  Sattelrande ;  wo  es  flacher  w'ar,  fingen 
sie  von  selbst  an  zu  laufen  und  bespritzten  uns  über  und  über. 
Die  zahllosen  Wasservögel  liessen  sich  durch  uns  gar  nicht  stören, 
und  die  Pferde  umgingen  sie  von  selbst  in  grossem  Bogen.  Der 
Himmel  schimmerte  in  prächtigstem  Blau,  nicht  eine  Wolke  trübte 
seine  heitern  Farben;  dunkelblau  war  das  Wasser  des  Fjordes,  nur 
ein  leiser  Sonnenstrahl  zitterte  darüber  und  tanzte  auf  den  sich 
kräuselnden  Wellen.  Besonders  schön  war  anzuschauen,  wie  sich 
etwa  in  der  Mitte  alle  Farbentöne  des  Regenbogens  wiederspiegelten 
und  von  den  Wellen  gebrochen  und  gebogen  wurden.  Auf  dem 
nördlichen  Ufer  des  Ilaiiinrsfjördur  hemmte  hochinteressantes  Geröll 
ein  zu  schnelles  Vorwärtskommen.  Ögmundur  machte  mich  darauf 
aufmerksam,  wie  das  Geröll  sich  gleichsam  nach  seinem  Gewicht 
an  der  Küste  geordnet  habe :  die  rötlichen,  hellen  Liparitsteine 
lagen  gesondert  weiter  oben  am  Strande,  während  das  basaltische, 
blauschwarze  Geröll  wegen  seiner  Schwere  tiefer  unten  für  sich  in 
Reihen  lag.  Wenn  der  Ausdruck  geologisch  möglich  ist,  möchte 
ich  von  oxydiertem  Liparit  sprechen;  beim  Ausbruche  der  Askja 
1875  war  die  ganze  Asche  auf  die  Ostseite  gefallen.  In  der 
jNIündung  des  Fjords  liegen  zwei  Inselgruppen,  Pvottdreyjar  und 
Bi'ila)idseyjar,  die  aus  einer  Menge  kleiner  Inseln  bestehen.  Die 
ersteren,  die  jetzt  fast  zu  einer  Insel  vereinigt  sind,  sind  mit  Dünen 
bedeckt.  Auf  einer  von  ihnen,  Eskildscw  war  im  i<S.  Jahrhundert 
ein  Hafen,  und  vor  90  Jahren  befand  sich  hier  ein  schiffbarer  Kanal 
zwischen  den  Inseln,  jetzt  ist  er  schon  ganz  ausgefüllt.  Die  Meeres- 
tiefe zwischen  den  Bi'ilaiidseyjar  verringert  sich  gleichfalls  von  Jahr 
zu  Jahr  mehr,  und  vor  40  Jahren  wurde  bei  einer  Meerestiefe  von 
vierzig  Faden  gefischt,  wo  jetzt  nur  eine  Tiefe  von  zwei  Faden  ist 
(Thoroddsen).  Früher  gab  es  hier  viele  Eidervögel,  aber  die 
Sandflucht  hat  sie  zum  grössten  Teile  nach  der  zu  Stafafell  ge- 
hörenden Insel  Vigur  vertrieben. 

östlich  von  diesen  Inseln,  2  Stunden  Bootfahrt  von  Djüpivogur  liegt  Papey. 
Auf  der  grasreichen  und  von  vielen  Eidervögeln  bewohnten  Insel,  die  zugleich  eine 
gute  Station  für  den  Fisch-  und  Seehundsfang  ist,  liegt  eines  der  reichsten  Gehöfte 
Islands,  das  15000  Kr.  gekostet  haben  soll.  Auf  der  Insel  findet  sich  viel  Eisen-  oder 
Schwefelkies.  Die  Bewohner  hielten  das  gelbe,  glänzende  Mineral  für  Gold  und  nannten 
daher  den  Felsen,  wo  der  Schwefelkies  besonders  schön  hervortritt  Ormabceli  oder 
Drekabceli  (Schlangen-  oder  Drachenlager);  denn  nach  allgemeinen  Glauben  liegen 
Schlangen  auf  Gold  und  bewachen  es.  Ein  Holländer  namens  Kumper  schoss  mit 
einer  Büchse  nach  dem  Lager,    um  den  Wurm  vom   Golde  zu  vertreiben  und  es  sich 


Djüpivogur. 


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166  Djüpivogur. 

selbst  anzueignen.  Wieviel  Gold  Kumper  im  Wurmbett  fand,  vvürd  nicht  berichtet, 
doch  soll  der  Wurm  zuerst  nach  der  Schäre  Omissker  und  dann  in  den  Haniars- 
fjördur  geschwommen  sein,  und  man  glaubt,  er  habe  in  dieser  Bucht  seinen  dauernden 
Aufenthalt  genommen  und  sei  vor  grossen  Ereignissen  zum  Vorschein  gekommen ; 
deshalb  sollen  die  Leute  an  diesen  Orten  nicht  auf  den  Fischfang  zu  rudern  wagen'). 
Papey  (Insel  der  papar)  hat  den  Namen  von  den  irischen  Einsiedlern,  deren 
Spur  die  Nordleute  bei  ihrem  ersten  Besuche  fanden.  Die  havtdnämabök  sagt  aus- 
drücklich: „Irische  Bücher,  Glocken  und  Krummstäbe  fanden  sich  im  Osten  zw  Papey" ß 
(Prolog).  Ein  kleiner  Hügel  auf  der  Südwestseite  heisst  noch  heute  irski  höll  (Irischer 
Hügel),  und  in  einer  Bucht  in  der  Nähe  und  in  einer  anderen  auf  der  Ostseite  finden 
sich  Ruinen,  die  man  mit  den  Iren  in  Zusammenhang  bringt  —  leider  ist  noch  keine 
genaue  Untersuchung  und  Ausgrabung  hier  vorgenommen.  Wunderlich  ist  die  Be- 
zeichnung: wer  sich  Geld  in  Hülle  und  Fülle  verschaffen  will,  bereitet  sich  Papeyjar- 
buxur  (Hosen  von  Papey)  ;  das  kann  nur  so  verstanden  werden,  dass  die  Papar 
bereits  im   Mittelalter  als  gespenstige  Wesen  galten  '■*). 

Den  blauschimmernden  Fjord  immer  vor  Augen  behaltend 
ritten  wir  an  grossartigen,  seltsam  geformten  Bergen  und  Stein- 
massen vorüber,  die  eine  Höhe  von  800— looom  haben,  passierten 
dann  ein  ganz  modernes,  stattliches  Haus,  die  Wohnung  eines 
Arztes,  und  bald  verkündeten  uns  beim  Wegebau  beschäftigte 
Arbeiter  die  Nähe  unseres  Zieles,  Djüpivogur  (Fig.  85). 

Der  Handelsplatz  Djüpivogitr  (tiefe  Bucht)  liegt  am  Eingange 
des  Benifjördiir^  in  den  die  Beni/jardard  und  die  Fossd  einmünden, 
und  hat  einen  guten  Hafen,  der  durch  steile  Felsen  abgeschlossen 
und  gegen  alle  Winde  geschützt  ist.  Der  Hafen  ist  so  tief,  dass 
die  Schiffe  unmittelbar  an  den  Landungsbrücken  anlegen  können, 
während  sich  .sonst  auf  Island  keine  grossen  Schiffsbrücken  oder 
Kai  finden.  Leider  erschwert  der  häufige  dicke  Nebel  oft  die  Ein- 
fahrt, und  durch  einige  in  der  3*lündung  liegende  Schären  wird  das 
Fahrwasser  dann  ganz  unsicher  gemacht.  Der  Benifjördiir  ist 
19  km  lang  und  2 — 4  km  breit,  er  ist  im  Innern  tiefer  als  an  der 
Mündung. 

Ein  Stück  Norwegen  tat  sich  vor  uns  auf:  über  dem  Fjord 
lachte  ein  blauer  Himmel,  ringsum  ragten  hohe  Schneeberge  empor, 
und  viele  kleine  Holme  lagen  zerstreut  umher.  Djüpivogtir  hat 
etwa  12  Häuser  und  120  Einwohner.  Man  merkt,  dass  man  wieder 
in  einer  Gegend  ist,  die  nicht  mehr  von  aller  Verbindung  ab- 
geschlossen ist;  es  fiel  mir  auf,  wie  viel  Leute  dänisch,  norwegisch 
oder  englisch  sprachen.  Bei  Ludvig  Jönssoti,  wo  wir  abgestiegen 
waren,  gab  es  nicht  nur  Flundern,  Enteneier  und  den  unvermeid- 
lichen Hammel,  sondern  auch  Sardinen,  Edamerkäse,  selbst  englische 
Beefsteaks  und  sogar  Bier,  allerdings  alkoholfrei.  Ein  grosser  Salon 
wurde  uns  zur  Verfügung  gestellt,  jeder  bekam  ein  eigenes,  hohes 
und  geräumiges  Schlafzimmer;    durch  einen    eigenartigen    Zufall  lag 

1)  Olaus  Olavius,   Ökonom.  Reise,   S.   317;   L  eh  m  ann- F  ilhe  s,   Isl.  Volks- 
sagen II,  S    27. 

'^)  Maurer,   Isl.   Volkssagen,   S.  91. 


Djüpivogur.  167 

auf  dem  Nachttisch  die  dänische  Übersetzunc;;  des  Saxo  Grammaticus 
von  Grundtvig.  Die  Preise  waren  unglaubHch  niedrig:  das  Logis 
kostete  80  Öre,  das  fürstUche  Mittagessen  ebensoviel,  das  nicht 
minder  reichlich  zusammengesetzte  Abendessen  noch  5  r)re  weniger. 
Liidvig  ist  einer  der  gewecktesten  und  behendesten  Isländer,  die 
ich  kennen  gelernt  habe ;  flink  wie  ein  Wiesel  sprang  er  überall 
umher  und  sah  nach  dem  Rechten.  Er  machte  mich  mit  seinen 
Freunden  bekannt  und  stellte  mich  förmlich  als  ein  Wundertier  vor, 
das  nicht  nur  isländisch  lesen,  sondern  auch  sprechen  könnte;  und 
dabei  befolgte  ich  im  wesentlichen  die  alte  Reiseregel :  wer  mit 
seinem  Wortschatze  haushalten  muss,  tut  am  besten,  zunächst  in 
der  fremden  Sprache  zu  lächeln,  dann  wird  man  gut  aufgenommen 
und  verstanden.  Er  führte  mich  auf  eine  ,, Warte",  von  wo  ein 
herrUcher  Überblick  über  die  ganze  Gegend  war:  über  Papey  hin- 
weg bis  zu  den  weit  im  offenen  Meere  liegenden  Inseln  Selsker, 
Kjöggur  und  Geirfuglasker\  rechts  dehnte  sich  der  Hamars-  und 
Alptafjördiir  aus,  die  wir  heute  passiert  hatten,  dahinter  lag  die  Löns- 
heidi,  wo  wir  vorgestern  gewesen  waren.  In  unserem  Rücken  stieg 
der  Bula7idsft?idur  auf,  eine  terrassenförmig  aufgebaute,  charakte- 
ristische 1063  m  hohe  Pyramide.  Während  auf  den  übrigen  Bergen 
Schneemassen  liegen,  ist  der  BiUandstindiir  ganz  kahl;  er  ist  wohl 
zu  steil,  als  dass  sich  im  Winter  Schnee  in  grösseren  Mengen  auf 
ihm  festsetzen  könnte,  und  er  schmilzt  darum  im  Frühjahr  bald 
fort.  Die  ganze  Umgegend  ist  sehr  kupiert,  die  zahllosen  Trapp- 
gänge, die  schon  Sartorius  von  Waltershausen  aufgefallen  sind, 
und  die  sich  wie  Schlangen  über  das  Flachland  und  die  Hügel  erheben, 
sind  äusserst  charakteristisch  (Phys.  geogr.  Skizze  von  Island  S.  57/8)- 

Während  wir  noch  oben  plauderten,  kam  langsam  vom  Meere 
her  der  Nebel  herangekrochen  und  legte  sich  wie  ein  dunkler  Mahr 
über  die  Landschaft.  Der  Fjord  ist  durch  seinen  Nebel  berüchtigt; 
als  Ögmundur  1882  hier  war,  herrschte  jeden  Tag  Nebel.  Die 
jährliche  Regenmenge  beträgt  hier  1093  mm,  in  Stykkishöbiiur 
658  mm,  auf  Gn'msey  414  mm.  1884  betrugen  die  Niederschläge 
in  Gn'msey  1 1  mm,  in  Berufjördur  142  mm,  im  August  in  Gri'insey 
48  mm,  in  Beni/Jördtir  226  mm.  Überhaupt  ist  die  Regenmenge  im 
ganzen  Südostlande  viel  grösser  als  an  andern  Stellen,  wegen  des 
Zusammentreffens  der  kalten  und  warmen  Strömung  am  Ostlande 
und  wegen  des  Schmelzens  des  Polareises'). 

Am  Abend  wurden  alle  9  Pferde  frisch  beschlagen,  Ludvig 
zeigte  sich  auch  dabei  ausserordentlich  geschickt.  Die  zierlichen, 
aus  Schweden  bezogenen  Eisen  waren  im  Augenblick  angepasst  und 
festgenagelt ;  da  sich  der  nervöse  Schimmel  meines  Begleiters  sehr 
störrisch  und  ungeduldig  dabei  benahm,  wurde  ihm  ein  Stein  in  das 


1)  Thoroddsen,   Petermanns  Mitteilungen    1885,   S.   329,  330. 


168  Djüpivogur. 

Ohr  gelegt  und  dieses  zugehalten;  er  wurde  wirklich  sofort  ruhig  — 
das  soll  allgemeiner  Volksglaube  auf  Island  sein. 

Während  der  Arbeit  erzählte  mir  Ludvig ,  dass  vor  acht  Tagen 
zwei  Tage  lang  der  „Zieten"  hier  gewesen  war,  dann  aber  nach  dem 
Fdskrndsfjördiir  weiter  gefahren  sei.  Es  war  das  letzte  Lebens- 
zeichen, das  ich  auf  Island  vom  „Zieten"  bekam.  Die  Matrosen, 
die  an  Land  gegangen  waren,  um  Steine  und  Eier  zu  sammeln, 
hatten  sich  durch  ihr  bescheidenes  Auftreten  die  Herzen  aller  Be- 
wohner gewonnen,  und  gern  tauschten  wir  unserem  Wirt  die  9  Mk. 
ein,  wofür  sie  bei  ihm  gegessen  und  getrunken  hatten. 

Auf  den  Klippen  bei  Djüpivogur  wohnen  zahllose  Eissturmvögel 
(vergl.  I,  S.  33)  und  Schmarotzerraubmöven ;  Papageitaucher  treten 
in  solchen  Unmengen  auf,  dass  sie  die  Brut  der  Eiderenten  gefährden, 
indem  sie  ihre  Nesthöhlen  unterhalb  der  dünnen  Erdschicht,  die  den 
Fels  bedeckt,  bis  unter  die  Nester  der  Eiderente  führen,  wodurch 
diese  nicht  selten  einstürzen  i).  Auf  einem  Felsvorsprung  in  der 
Nähe  sollte  ein  Adlerhorst  sein,  doch  konnten  wir  ihn  wegen  des 
immer  dichter  werdenden  Nebels  nicht  aufsuchen. 

19.  Juli. 

Pjöärekr  hatte  zuerst  den  Breiddalr  genommen,  war  aber  dann  über  das 
Gebirge  in  den  Berufjönir  gezogen.  Er  nahm  den  ganzen  nördlichen  Strand  und 
den  südlichen  über  das  Bülandsnes  hinweg  und  auf  der  anderen  Seite  landeinwärts 
bis  zu  den  Raudaskridur  (Lnd.  IV,  7).  Maurer  erwähnt  kurz  eine  Volkssage,  nach 
der  eine  Bera  dem  Berufjördr  den  Namen  gegeben  habe,  aber  sie  und  ihr  Mann 
Soii  sollen  ein  unglückliches  Ende  gefunden  haben,  und  die  Überreste  ihrer  Wohn- 
stätte sollen  noch  gezeigt  werden"). 

Von  Berufjördr  nahm  die  Missionsreise  Dankbrands  ihren  Anfang.  Im  Herbst 
997  kam  ein  Schift"  hierher  nach  dem  östlichen  Meerbusen,  in  den  Berufjördr  nach 
Gauiavik.  Der  Schiffsherr  hiess  Pangbrandr,  er  war  ein  Sohn  des  Grafen  Vilbaldr 
aus  Sachsen.  Dankbrand  war  hierher  ausgesandt  von  König  Ölafr  Tryggvason, 
um  den  Glauben  zu  verkünden.  Zwei  Brüder  aber,  die  zu  Berunes  wohnten  [auf  dem 
nördlichen  Ufer  |des  Fjordes]  und  Inhaber  eines  Godordes  waren ,  verboten  den 
Leuten,  Kaufschaft  mit  den  Fremden  zu  treiben,  weil  diese  Ruhestörungen  im  Lande 
zu  erregen  drohten  ^NJdlssaga  loi). 

Obwohl  die  Süd-  und  Ostküste  am  wenigsten  von  Fremden  besucht  zu  werden 
scheint,  blieb  sie  den  Deutschen  doch  nicht  unbekannt.  Papey  wurde  in  den  80 er 
Jahren  des  16.  Jahrhunderts  von  den  Bremern  erbittert  gegen  die  Hamburger  verteidigt, 
und  dicht  h&i  Papey  wird  1592  eine  „Ladelstede"  erwähnt,  Fulwick  oder  Fuglvik ; 
in  derselben  Gegend  wird  IVait/ose  (unerklärlich;  Vadlar?)  von  Bremen  aus  befahren^). 

Vom   Berufjördur  nahm    1869  die  Fox-Expedition  ihren  Ausgang. 

Beim  Erwachen  spürte  ich  heftige  Schluckbeschwerden,  eine 
tüchtige  ^Mandelentzündung  machte  sich  bemerkbar;  wahrscheinlich 
hatte  ich  mich   beim    kalten  Baden    in  Stafafell   oder   beim    Reiten 


1)  Riemschneider,     Anzeigeblatt     der     Ornithologischen    Monatsschrift     des 
deutschen  Vereins  zum   Schutze  der  Vogelwelt   1896,   S.   269. 

2)  Germania  IV,  S.  238. 

3)  Baasch,  Die  Islandfahrt  der  Deutschen  S.    107,   Anm.  6,   7. 


Djüpivogur.  lo9 

ohne  Kopfbedeckung  erkältet.  Wohl  hatte  ich  für  solche  Fälle 
Sublimat  bei  mir,  aber  das  lag  unten  im  Koffer,  und  ich  hatte  keine 
Lust,  ihn  deswegen  ganz  auszupacken;  auch  vertraute  ich  darauf, 
dass  die  köstliche  Luft  die  Entzündung  schon  heben  würde,  wenn 
ich  mich  des  Rauchens  enthielte.  Bei  dem  Arzte,  dessen  elegant 
eingerichtete  Räume  deutlich  verrieten,  dass  wir  nicht  mehr  in  der 
SkaptafeLh  sysla  waren  —  selbst  eine  Photographie  von  Karl  I  Icinz 
und  Käthe  aus  „Alt-Heidelberg"  fehhe  nicht!  —  kauften  wir  Bor- 
vaseline für  unsere  Pferde  ein.  Sie  waren  fast  alle  gedrückt,  zum 
Teil  recht  bedenklich ;  unter  die  Packsättel  legten  wir  Rasenstreifen 
und  Felle.  Während  Ögmundur  die  Karawane  auf  einem  kürzeren 
Wege  fortführte,  geleitete  mich  Ludvig  nach  dem  Gehöfte  Teigar- 
horn,  wo  zwei  Damen  die  Kunst  des  Photographierens  ausüben  und 
das  Recht  haben,  die  umliegenden  Berge  nach  seltenen  Mineralien 
zu  durchsuchen  und  diese  zu  verkaufen  ^j.  Ich  erstand  mir  einige 
hübsche  Steine  zum  Andenken.  Der  Doppelspat  (Silfurberg),  der 
mit  Hammer  und  Meissel  aus  dem  umgebenden  Gesteine  vorsichtig 
gelöst  wird,  ist  etwas  trübe  und  gefärbt  und  soll  dem  von  Eski- 
fjördiir  (Schachtelbucht)  nachstehen.  Vor  allem  aber  ist  Djüpi- 
vogur die  Hauptfundstelle  für  Zeolithe  oder  Mandelsteine  {geisla- 
steÜDi,  Strahlenstein);  sie  sind  hier  so  häufig,  dass  man  fast  mit 
jedem  Schlage  eine  Mandel  ausbrechen  kann.  Die  vorzüglichsten 
isländischen  Zeolithe  sind:  Apophyllit,  Thomsonit,  Chabasit,  Heu- 
landit,  Mesotyp,  Analcim,  Stilbit,  Levyn  und  Epistilbit.  Dieses 
letztere,  seltene  Mineral  findet  sich  nirgends  in  so  schönen  Kristallen 
wie  hier;  auf  Island  kommt  es  nur  noch  am  Pyrill  und  gegenüber 
von  Akureyri  vor.  Die  schönen  Kristalle,  die  als  isländische  Pro- 
dukte unsere  Mineraliensammlungen  zieren,  stammen  fast  alle  aus 
Eski-  und  Beriifjördur,  und  die  beiden  Damen  verschicken  ganze 
Kisten  voll  nach  Deutschland  und  Österreich. 

Zwei  Stunden  weit  gab  uns  der  treffliche  Ludvig  das  Geleit. 
Als  wir  rasteten,  fragte  er  mich  listig  lächelnd,  ob  ich  nicht  meinte, 
dass  eine  Flasche  echten  dänischen  Bieres  für  meinen  kranken  Hals 
gut  wäre,  und  dabei  holte  er  schmunzelnd  aus  seiner  Manteltasche 
vier  in  Stroh  eingewickelte  Flaschen  hervor,  die  wirkliches  Bier  ent- 
hielten, das  nicht  „skattefri"  war.  Wie  er  in  deren  Besitz  gelangt 
war,  darf  ich  nicht  verraten;  in  seinem  Hause  selbst  hatte  er  uns 
keinen  Tropfen  davon  vorgesetzt,  jede  Bezahlung  dafür  wies  er  ent- 
rüstet zurück;  auch  hier  merkte  ich  wieder,  dass  man  auf  Island 
Gefälligkeiten  nicht  mit  Münze  vergüten  kann. 

Wir  wählten  nicht  den  alten  beschwerlichen  Weg  über  die 
Öxarheidr    nach    dem    SIzridudalur,    weil    ich    ihn    unsern   Pferden 


1)  Ich    verdanke  den  Damen,  deren  Namen  ich  leider  vergessen  habe,    das  Bild 
auf  S.    165. 


170  Berufjardarskard. 

nicht  zumuten  durfte,  obwohl  ich  den  mir  aus  der  Hrafnkels  Saga 
bekannten  Weg  gern  kennen  gelernt  hätte,  sondern  wir  zogen  den 
Übergang  über  die  Breiddalsheidi  \or .  Wir  ritten  fast  um  den  ganzen 
südlichen  Rand  des  Fjordes  herum,  da  der  Führer  durchaus  nicht 
zu  bewegen  war,  den  Weg  durch  Überschreiten  der  Bucht  abzu- 
kürzen. Der  Ritt  war  recht  eintönig,  die  Sonne  stach,  und  der  un- 
gewohnte Biergenuss  wirkte  einschläfernd.  Unlustig  und  missmutig 
lagerten  wir  am  Abschlüsse  des  Tales  auf  einer  mit  Wollgras  ge- 
schmückten Wiese  und  sahen  mit  grossem  Unbehagen  zu  dem 
Berufjardarskard  hinauf  (669  m),  dessen  Höhe  wir  mit  unseren 
trägen  Füssen  ersteigen  sollten,  denn  die  Pferde  mussten  nach  den 
letzten  anstrengenden  Tagen  geschont  werden.  Aber  es  ging  besser, 
als  wir  gefürchtet  hatten;  der  Reitweg  ist  nicht  nur  für  isländische 
Verhältnisse  gut,  und  grüne  Matten  gestatten  unterwegs  zu  rasten 
und  die  schöne  Aussicht  über  den  Fjord  in  seiner  ganzen  Ausdeh- 
nung zu  geniessen.  Der  Rand  des  Hochgebirges  ist  bis  zum  Meere 
hinab  zerklüftet,  die  schwarzen  Wände  steigen  senkrecht  empor,  in 
der  Ferne  schimmert  die  Kuppel  des  Prdndarjö'kull ,  und  hinter 
jener  schneebedeckten  Kette  liegt  der  Fdskrüdsfjördiir.  Oben 
schlängelt  sich  der  Pass  wie  über  einen  Sattel  zwischen  steilen 
Zinnen  und  zackigen  Wänden  dahin,  unmittelbar  an  breiten,  unbe- 
rührten Schneefeldern  vorüber;  dann  geht  es  hart  einen  tiefen  Kessel 
entlang,  in  dem  sich  kein  Leben  regt,  der  Boden  ist  mit  schwarzem, 
schmutzigem  Schnee  angefüllt,  und  schroff  fallen  die  nackten  Seiten- 
wände hinab:  der  richtige  Hexenkessel!  Die  seltsamsten  und  kost- 
barsten Steine  lagen  überall  umher  oder  schimmerten  aus  den 
dunkeln  Wänden  heraus,  und  noch  heute  kann  ich  mich  ärgern,  dass 
ich  meine  Trägheit  nicht  öfter  überwand  und  mir  nicht  mehr  Schätze 
aus  den  Felsen  loslöste.  Zum  ersten  Male  wieder  seit  der  Be- 
steigung der  Hekla  brach  der  Schweiss  in  Strömen  aus,  aber  der 
herrliche  Blick  und  der  funkelnde  Sonnenschein  belebten  uns  wieder; 
auch  Ögmundur,  der  zum  ersten  und  einzigen  Male  während  der 
ganzen  Reise  schlapp  zu  werden  drohte,  wurde  wieder  frisch,  unsere 
frohe  Stimmung  kehrte  wieder,  leider  nicht  auch  die  Stimme.  Beim 
Abstiege  mussten  die  Pferde  zunächst  noch  geführt  werden.  Im 
ganzen  waren  wir  auf  fürchterlichen  Pfaden  drei  Stunden  lang  ge- 
klettert und  über  fünf  Stunden  geritten,  bis  wir  am  Fusse  des  Passes 
den  Breiddahir  erreichten,  eine  schöne,  mit  saftigen  Blumen  ge- 
zierte Ebene,  die  rings  von  Bergen  eingeschlossen  ist,  deren  weisse 
oder  grünliche  Liparitfelsen  mit  schwarzen  Basaltgängen  durch- 
setzt sind.  Ergreifend  wirkte  die  feierliche  Stille,  die  uns  umgab. 
Kein  Vogel  liess  sich  hören,  leise  murmelten  die  plätschernden 
Wellen  der  Breiddalsd ,  der  hübsche  Wasserfall  rauschte  gleich- 
massig,  und  nur  der  Wind  fuhr  mit  volleren  Tönen  über  die  weiten 
Wiesen. 


Höskuldstadir.     Breiddalur.     Skriddalur.  171 

Höskuldstadir  liegt  gerade  dem  Abstiege  gegenüber.  Der 
Bauer  kam  uns  entgegen  und  half  uns  beim  Absatteln.  Ich  fühlte 
mich  aber  zu  elend,  um  ein  längeres  Gespräch  mit  ihm  anzuknüpfen, 
Hess  mir  sogleich  das  Bett  anrichten  und  mir  eine  Kanne  siedend 
heisse  Milch  mit  recht  viel  Zucker  bringen,  schlief  sofort  ein, 
schwitzte  gehörig,  wiederholte  denselben  Trunk  am  nächsten  Morgen 
und  stand  gesund  auf. 

20.  Juli. 

Die  Bäuerin  war  die  Nacht  aufgeblieben  und  hatte  für  ihren 
Besuch  kleine  Kuchen  gebacken  (kleinur),  zum  Kaffee  gab  es  ausser- 
dem noch  für  jeden  ein  Hühnerei.  Obwohl  die  Bauersleute  ersicht- 
lich arm  waren,  taten  sie  doch  alles,  was  sie  uns  an  den  Augen 
ablesen  konnten. 

Wir  ritten  durch  die  wiesenreiche  Felssohle  des  Breiddalur  in 
seiner  nordwestlichen  Ausdehnung  hindurch,  im  drückenden,  sengenden 
Sonnenscheine,  kein  Lüftchen  regte  sich  in  dem  von  äusserst  gro- 
tesken Felsen  gestalteten  Tale.  Die  Bergkuppen  erschienen,  so  oft 
man  seine  Stellung  veränderte,  auch  in  verschiedener  Gestalt;  zu- 
weilen glichen  sie  Giebeln  von  Häusern,  Schlössern  usw.,  aber  der 
vorherrschende  Anblick,  den  sie  boten,  war  der  von  hohen  Türmen 
und  Zinnen.  Es  war  der  heisseste  Tag  der  ganzen  Reise,  und  gegen 
Mittag  hatten  wir  44  ^  C.  In  dem  tiefen  Sumpfe  versanken  die 
Pferde  fortwährend  und  mussten  zuweilen  mit  den  Peitschen  ange- 
trieben werden,  von  einer  Erhöhung  zur  andern  zu  springen.  Das 
Ende  des  Tales  bildete  eine  kleine  weisse,  steinbesäte  Wüste,  wir 
schmorten  in  der  Sonnenglut  und  bedauerten  den  blauen  Klemmer 
so  gut  versteckt  zu  haben ,  dass  wir  ihn  erst  in  Akureyri  wieder 
fanden.  Dann  krochen  wir  langsam  einen  massig  steilen  Berg 
hinan,  durchzogen  die  Breiddalsheidi ,  auf  deren  Höhe  noch  viele 
Schneefelder  lagen,  und  bogen  in  den  langen  Skriddalur  ein  (Berg- 
schlipftal). Ein  schmaler  Bergrücken,  Müli,  trennt  den  Skrid- 
dalur vom  Geitdalur  (Ziegental),  oben  in  dem  ersten  Tale  liegt  ein 
kleiner  See,  Skriduvafn,  durch  ihn  fliesst  die  JMülad,  die  wir  entlang 
ritten;  im  Geitdalur  fliesst  die  aus  dem  Likdrvatn  entspringende 
Geitdalsd:  beide  Flüsse  vereinigen  sich  hinter  dem  Gehöfte  Ping- 
müh,  wo  die  Ostländer  ihre  regelmässigen  Thinge  abhielten,  und  das 
wir  links  liegen  lassen  müssen,  und  heissen  von  nun  an  zusammen 
Gr/'msn,  diese  ergiesst  sich  in  das  Lagarßjöt.  Bei  Pingmi'ili  finden 
sich  einige  Ruinen,  ein  Hügel  im  Tiui  heisst  PinghölL  ein  Teil  des 
Tuns  Godafihi,  zwei  Ruinen  dabei  Godalöptir,  ein  grosser  Fels  in 
der  Nähe  Godasteinn.  Durch  das  Gebirge  westlich  geht  ein 
mächtiger  Basaltgang,  Trollkonustigur,  der  von  einer  Riesin  so 
zu    sagen    als    Treppe     benutzt    wurde.     Nördlich    von    Skriduvatn 


172  Skriddalur.     Hallormstadahäls. 

sieht  man  einen  mächtigen  Bergsturz,  der  den  ganzen  östUchen  Tal- 
boden mit  Steinhaufen  und  Hügeln  angefüllt  hat,  die  aber  mit  Gras 
bewachsen  sind.  Man  kann  deutlich  eine  grosse  Kluft  warnehmen, 
aus  der  der  Bergsturz  erfolgt  ist.  Dieser  hat  dem  See  und  Tal  den 
Namen  gegeben.  Von  ihm  erzählt  bereits  das  Buch  von  der  Be- 
siedelung  Islands. 

Mrafnkell  hiess  ein  Sohn  des  Hrafn.  Er  kam  gegen  Ende  der  Besiedlungszeit 
nach  Island  und  war  den  ersten  Winter  im  Breiddalr.  Im  Frühling  aber  zog  er 
über  das  Gebirge  und  ruhte  im  Skriddalr  aus  und  schlief  ein.  •  Da  träumte  ihn,  ein 
Mann  käme  zu  ihm  und  bäte  ihn  aufzustehen  und  so  schnell  wie  möglich  fortzuziehen. 
Er  erwachte  und  ging  fort.  l\iera.\ii  nahra  Hrafnkell  d&n  Hrafnkelsdalr  ihnd.  IV,  3). 
Die  Volkssage  weiss  heute  nichts  mehr  davon ,  sondern  knüpft  den  Bergsturz  an 
einen  Bischof,  der  einmal  hier  betete,  aber,  durch  die  Stimme  eines  Raben  gewarnt, 
die  er  verstand,  zur  rechten  Zeit  sein  Zelt  jenseits  des  Flusses  aufschlug.  Merkwürdig 
ist,  dass  dasselbe  Ereignis,  das  von  Hrafnkell,  dem  Helden  der  nach  ihm  benannten 
Saga  erzählt  wird,  auch  von  seinem  Vater  tiallfredr  berichtet  wird,  aber  der  Schau- 
platz ist  der  Geitdalr.  Hallfredr  war  mit  seiner  Frau  und  dem  fünfzehnjährigen 
Hrafnkell  nach  dem  Breiddalr  gekommen ,  verlegte  aber  im  Frühjahr  seine  Woh- 
nung nordwärts  über  die  Flfötdalsheidi  und  Hess  sich  im  Geitdalr  nieder.  Eines 
Nachts  träumte  ihn,  dass  ein  Mann  zu  ihm  kam  und  sagte :  „  Da  liegst  du,  Hallfredr, 
und  ziemlich  unvorsichtig !  Zieh  fort  von  hier  westlich  über  das  Lagarfljöt,  dort 
liegt  all  dein  Glück."  Darauf  erwachte  er  und  schlug  seine  Wohnung  auf  jenseits 
der  Rd)igd  zwischen  den  Mündungen  des  Lagarfljöt  und  der  Jökulsä  ä  Brü,  an 
der  Stelle,  die  seitdem  Hallfredarstadir  heisst.  Dort  wohnte  er  bis  zu  seinem  Alter. 
In  seiner  alten  Wohnung  aber  war  eine  Ziege  und  ein  Bock  zurückgeblieben ;  und 
an  demselben  Tage,  an  dem  Hallfredr  weggezogen  war,  fuhr  ein  Steinschlipf  auf  das 
verlassene  Haus,  und  beide  Tiere  gingen  dabei  zugrunde :  deshalb  heisst  diese  Stelle 
Geitdalr').    - 

Die  Landschaft  bekam  allmählich  einen  ganz  andern  Charakter, 
die  Wildheit  hörte  auf.  Als  wir  den  Hallorinstadahdh  erstiegen, 
bot  sich  uns  wieder  eine  jener  köstlichen  Aussichten,  wie  sie  nur 
die  reine  Luft  Islands  gewährt.  Unser  erster  Blick  fiel  auf  das  breite, 
lange,  silberne  Band  des  Lagarfljöt  und  glitt  darüber  hinweg  auf 
einen  matten  Goldbronze-Schimmer,  den  Ozean.  Nach  Westen  über 
den  Fljötsdalr  hin  stieg  die  eisbedeckte,  isolierte  Glocke  des  Sncefell 
empor,  nur  zwei  Meter  vom  Nordrande  des  VatiiajökiilL  entfernt 
(1822  m).  Siicrfell  ist  ein  sehr  alter  Vulkan  und  muss  in  vorge- 
schichtlicher Zeit  sehr  tätig  gewesen  sein ;  er  besteht  aus  Palagonit- 
breccie  und  Tuff,  scheint  aber  von  Süden  nach  Norden  von  einem 
dicken  Liparitgange  durchsetzt  zu  sein.  An  seinen  südlichsten 
Gipfel  schliesst  sich  eine  wellige,  vegetationslose  Hochebene  an,  die 
sich  zwischen  zwei  Gletschern  in  den  J^ainajökidl  hineinschiebt. 
Auf  ihr  erhebt  sich  eine  doppelte  Reihe  von  Bergspitzen,  die 
Pföfalniükar  (Diebesspitzenj,  deren  südlichste  Erhebung  ein  isolierter, 
regelmässiger,  schneefreier  Brecciekegel  ist,  der  Litla  Sna/ell{i  133  m). 


1)  Heinrich   Lenk,    Die  Saga    von  Hrafnkell   Freysgodi,    übersetzt  und  erläu- 
läutert.     Wien    1883,  K.   i. 


Der  Ost-   und  Nordrand  des  Vatnajökull. 


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Der  Ost-   und  Nordrand  des  Vatnajökull. 


Der  östliche  dieser  Gletscher,  die  vom  Nordrande  des  Vatnajökiill 
zu  beiden  Seiten  des  Sncrfell  niedergehen,  ist  der  Eyjabakkajöktdl ; 
er  hat  ein  Areal  von  25  qkm;  auf  ihm  entspringen  die  Jökulsd 
f  Fljötsdal,  die  in  das  Lagarßjöt  mündet,  die  Jökulsd  d  Brii,  die  in 
weitem  Bogen  nach  Westen  geht,  und  die  Eyfabakkad,  die  sich  mit 
der  zuerst  genannten  Jökulsd  vereinigt.  Westlich  vom  Sncs/ell  geht 
vom  Vafnajökull  der  Br?(ar/ökiill  her^h,  der  ein  Areal  von  ca.  500  km 
umfasst  (Fig.  87  und  Fig.  88).  Der  kolossale  Bn'iariökull  ist  sehr 
unruhig.  So  stieg  z.  B.  1625  die  Jökiilsd  d  Brü  um  20  Ellen,  und 
1890  barst  der  Gletscher,  so  dass  man  zwischen  den  Ungeheuern 
Eismassen  den  blossen  Felsen  sehen  konnte.  Ögmundur  behaup- 
tete sogar  die  lang- 
gestreckte, schwar- 
ze Mauer  der  Kverk- 
fjöll  in  der  Mitte 
des  Nordrandes  des 
}^atnajökiill  erken- 
nen zu  können  (vgl. 
Fig.  86).  Wie  ein 
mächtiges  Vorgebir- 
ge türmt  sich  dieser 
Vulkan  am  Rande 
des  ]^atnajöku II 2i\\{ , 
die  mächtige  Berg- 
masse ist  von  oben 
bis  unten  durch  eine 
kolossale  Spalte  zer- 
rissen, durch  die  ein  Gletscher  bis  auf  die  Lavaebene  herunterreicht. 
Über  dem  Gletscherende  befindet  sich  oben  im  Gebirgsabhang  eine 
Kratergruppe  mit  Solfataren,  171 7  fanden  hier  Eisbrüche  statt,  wo- 
bei der  Gletscher  zum  Teil  schmolz.  Um  die  Erforschung  dieses 
Teiles  haben  sich  Thoroddsen  und  Bruun  verdient  gemacht, 
doch  harrt  hier  noch  manche  Aufgabe  ihrer  Lösung ;  freilich  sind 
gut  Wetter,  Zeit  und  Geld  dabei  nötig. 

Das  Lagarfljöt  (^Seefluss),  die  natürliche  Grenze  zwischen  der 
Südnr  und  Nordur  Miila  sysla,  ist  die  Erweiterung  der  Jökulsd 
i  Fljötsdal  und  fliesst  durch  ein  langgestrecktes  Felsenbassin.  Es 
ist  in  seinem  obern  Laufe  so  tief,  dass  es  von  grösseren  Schiffen 
befahren  werden  könnte,  aber  zunächst  dem  Meere  ist  eine  längere 
Reihe  von  Kaskaden  und  Fällen,  die  Mündung  ist  versandet  und 
ohne  Hafen,  durch  die  Ablagerung  des  Flusses  ist  eine  gras- 
bewachsene Ebene  entstanden.  Das  Fljöt  hat  eine  Länge  von  45  km 
und  eine  Breite  von  i — 2  km,  bei  einer  Tiefe  von  iio  m,  und 
reicht   84  m    unter   den   ]^Ieerespiegel ;    die   Ufer    und  Umgebungen 


Fig.   88.    Am  Nordrande  des  Vatnajökull.    (Die  Jökulskvisl 

vereinigt    sich    mit    der  Jökulsä,    die  aus  dem  Eyjabakka- 

jökuU  entspringt. j 


Lagarfljöt.  175 

sind  stark  vom  Eise  gescheuert,  eine  Rundhöckerlandschaft  von  aus- 
geprägter Form^). 

Nach  dem  Volksglauben  ist  der  Seefluss  von  allerhand  Wasserungeheuern  bevöl- 
kert^). Gespenstische  Seehunde  hausen  darin,  die  eigentlich  Menschen  sind,  in  der 
Johannisnacht  ihr  Seehundsfell  ablegen  und  am  Strande  spielen  und  tanzen.  Ein  be- 
sonders grosser,  gewaltiger  Seehund,  der  unter  einem  Wasserfalle  lag,  wurde  durch 
Sprüche  an  den  Felsen  festgebannt;  dort  liegt  er  und  kann  sich  nicht  mehr  rühren, 
um  jemandem  ein  Leid  zu  tun.  Ein  Roche,  der  im  Seefluss  sein  Unwesen  trieb, 
hatte  neun  Schwänze  und  fügte  den  Menschen,  da  er  an  der  Überfahrtsstelle  lag,  viel 
Schaden  zu.  Endlich  kam  ein  Kraftskalde  dorthin  und  bannte  durch  seine  Verse  den 
Rochen  fest  auf  den  Grund  des  Stromes.  Einst,  als  er  schon  festgebannt  war,  schwamm 
ein  Verbrecher  den  Strom  hinauf.  Da  berührte  er  den  Rochen  mit  der  grossen  Zehe, 
und  dabei  wurde  ihm  ganz  seltsam.  Er  ging  sogleich  ans  Land  und  sah,  dass  die 
Zehe  schwarz  und  geschwollen  war.  Da  hieb  er  sich  die  Zehe  ab.  —  Am  bekanntesten 
unter  den  Wasserungeheuern  im  Lagarfl]öt  ist  der  sogenannte  „Wurm  im  Lagar- 
fljöt". Schon  auf  der  Weltkarte  des  Abraham  Ortelius  1570  steht  bei  diesem  See- 
flusse: „In  diesem  See  befindet  sich  eine  ungeheure  Schlange,  die  den  Bewohnern 
schadet.  Sie  zeigt  sich,  wenn  umwälzende  Ereignisse  bevorstehen."  Auf  der  Island- 
karte Gerhard  Mercators  1595  steht  nur:  In  diesem  See  ist  einmal  eine  ungewöhnlich 
grosse  Schlange  gesehen  worden."  „Im  Jahre  1607,  sagt  der  Annalist,  sah  man  die 
Schlange  im  Lagarßjöt  in  3  Krümmungen,  deren  jede  so  hoch  über  dem  Wasser 
hervorragte,  dass  ein  Mann  mit  aufgerichteter  Lanze  darunter  durchgehen  konnte. 
1612,  1618,  1641  und  1672  wird  der  Erscheinung  der  Schlange  oder  des  Wurms  nur 
schlechtweg  gedacht  mit  dem  Beifügen,  dass  sie  sich  in  dem  Herbste  des  vorletzten 
Jahres  zu  wiederholten  Malen  habe  sehen  lassen".  (O  lafs  en-Po  v  eis  enll,  S.  95, 
§  788).  In  den  Annalen  des  Bischofs  Gisli  Oddsson  in  Skälholf  von  1657  wird  aus- 
führlicher von  der  Schlange  erzählt.  „Sie  ist  aller  Schlangen  fürchterlichste.  Einige 
sagen,  dass  sie  eine  Meile  lang  sei,  doch  stimmen  die  Angaben  darüber  nicht,  wieviel 
Krümmungen  sie  hat :  ein,  zwei,  drei  werden  angegeben.  Sie  ist  entsetzlich  und  regt 
den  Fluss  so  auf,  dass  er  auf  das  Land  überströmt.  Sie  gebärdet  sich  so  schlimm, 
dass  die  Erde  erbebt  und  die  Häuser  in  der  Nähe  wanken.  Sie  ist  sehr  hässlich. 
Einmal  wollte  ein  Bischof  sie  aus  dem  Flusse  hinwegbannen,  und  solange  er  da  war, 
war  sie  verschwunden.  Als  er  aber  fortgegangen,  kam  sie  wieder  zum  Vorschein, 
und  sie  war  durchaus  nicht  angenehmer  als  zuvor^).  Stephan  Olafson  (ti688)  sagt, 
dass  die  Schlange  auf  Gold  liege  und  mit  Kopf  und  Schwanz  am  Grunde  festgewachsen 
sei,  sie  sei  eine  halbe  Pingmanna/eüt  \&ng,  d.  h.  5  Stunden  Weges  =  drittehalb  Meilen. 

Eggert  Olafsson,  dessen  Bericht  ich  oben  gegeben  habe,  hat  auch  die  Er- 
klärung:  „Heftige  Ausdünstungen  aus  dem  Wasser  oder  dem  Grunde  des  Sees,  die 
nach  Beschaflenheit  des  Windes  und  Wetters  auf  diese  oder  jene  Art  gebildet  seien, 
hätten  den  Zuschauern  solche  Gestalten  gewiesen,  woraus  sie  durch  Hilfe  der  Ein- 
bildungskraft die  obigen  Erscheinungen  hervorgebracht  haben."  Selbst  noch  im  Früh- 
jahr 18 19  sah  man  im  Eise  des  Lagarßjot  ein  Ungeheuer,  grau  und  von  Gestalt  so, 
als  stünde  ein  Pferd  auf  dem  Kopfe  mit  den  Lenden  nach  oben;  es  zog  in  langsamer 
Fahrt,  dem  Strom  und  leichten  Winden  entgegen,  nach  Hallormstadir,  wo  es  endlich 
verschwand. 

Nach  alten  Beschreibungen  muss  die  Gegend  um  die  Jökulsd 
i  Fljötsdal  und  das  Lagarfljöt  bis  zur  Küste  hin  eine  der  schönsten 


1)  Nach  Thoroddsen,  Island,   S.  41,  43,   44. 

■'^)  hl.  Pjödsögurl,    S.  638  — 641;    Herrmann,  Nordische    Mythologie,   S.   70, 
103,    104;   Lehmann-Filhes,  Isl.  Volkssagen  II,   S.  24  —  26. 
3)  Zeitschrift  des  Vereins  für  Volkskunde  I,   S.    r68. 


176 


Lagarfljöt.     Zur  Waldfrage  in  Island. 


Islands  und  ganz  waldbewachsen  gewesen  sein,  aber  jahrhunderte- 
lang hat  die  Begehrlichkeit  und  Unvernunft  der  Einwohner  die 
reichen  Waldungen  unbarmherzig  ausgerissen  und  abgeweidet. 
Darum  ist  das  Erdreich  an  den  meisten  Orten  bis  auf  die  eisge- 
scheuerten Basaltfelsen  hinunter  fortgeweht.  Wo  früher  ein  schöner 
hoher  Wald  mit  hohen  Birken  und  schönen  Ebereschen  war,  sind 
jetzt  nur  wenige  Stämmchen  übrig ,  doch  bewiesen  grosse  Haufen 
von  Sparren,  dass  man  erst  kürzlich  viele  stattliche  Bäume  ge- 
fällt hatte.  Leider  herrscht  noch  hier  und  da  die  alte  bettelhafte 
Unsitte,  nur  an  den  augenblicklichen  Nutzen  zu  denken,  gleichgültig, 
ob  späteren  Geschlechtern  grosser  Schade  zugefügt  wird.  Als  noch 
im  ganzen  Bezirk    bis  zum  Meere,    bis    zur  halben  Höhe    der  Berge 

Wälder  waren,  ist  es  kaum  irgendwo 
auf  Island  ebenso  schön  gewesen ;  jetzt 
aber  sind  andere  Zeiten,  die  Bewohner 
sind  durch  viele  Jahrhunderte  vereint 
tätig  gewesen ,  diese  Schönheit  zu  ver- 
derben, alle  Reisebeschreibungen  seit 
der  Mitte  des  i8.  Jahrhunderts  erwäh- 
nen die  Waldverwüstungen  in  dieser 
Gegend;  ...  es  ist  grausig,  die  Be- 
schreibung zu  lesen,  die  Sveinn  Pdh- 
son  von  der  Behandlung  der  Wälder 
hier  am  Ende  des  i8.  Jahrhunderts 
gibt  1). 

Wohl  wusste  ich,  dass  in  dieser 
Gegend  einer-  der  schönsten  Birken- 
wälder Islands  liegt,  der  Hallonnsta- 
darskögnr,  wohl  waren  mir  beim  Ab- 
stiege vom  Hallornistadahdls  vereinzelte  Bäume  aufgefallen,  die 
sich  im  Wasser  des  Seeflusses  wiederspiegelten  und  an  Höhe 
alle  Stämme  übertrafen,  die  ich  bisher  gesehen  hatte,  aber  wir 
waren  gerade  durch  unsere  Packpferde  in  Anspruch  genommen,  von 
deren  Rücken  sich  die  Koffer  losgelöst  hatten  und  waren  auch  wohl 
durch  die  Hitze  etwas  abgestumpft.  Welche  Überraschung  aber, 
als  wir  zum  Ufer  hinabritten  und  unser  Blick  unvorbereitet  auf 
grosse,  richtige  Birkenbäume  fiel,  meist  Stämme  von  5 — 6  m,  viele 
von  ca.  7  m  Höhe,  einer  war  sogar  8 Vi  m  hoch  (Fig.  89).  Unser 
Auge,  das  so  lange  Zeit,  abgesehen  von  den  wenigen  Oasen,  nur 
auf  starren  Gletschern  und  toten  Wüsten  geruht  hatte,  konnte  sich 
nicht    satt    sehen    an    dem    frischen  Grün.     Das  war   ja    ein    ordent- 


Fig:    89.     Birkenwald   bei  Hallorm 
stadir  (in  der  Mitte  Lagarfljöt). 


1 )  Skögtnäl  Islands,  efür  pröf.  C.  V.  Prytz.  Pytt  hefir  Stgr.  Thorsieinsson, 
in:  TimaritBd.  24,  1903;  -  L  ehmann-Filhes,  Die  Waldfrage  in  Island.  Globus, 
Bd.  85,   1904,  Nr.   16. 


Hallormstadarskögur.     Brckka.  177 

lichcr  Wald,  nicht  bloss  ein  am  Boden  kriechendes,  dürftiges  Ge- 
strüpp! ein  Wald,  der  auch  bei  uns  in  Deutschland  diesen  Namen 
verdient  hätte !  Unter  den  dicht  aneinander  gereihten  Bäumen  rieseln 
muntere  Bäche  dahin,  zwischen  den  leuchtenden  Stämmen  schim- 
mert der  silberne  Fluss,  und  am  anderen  Ufer  steigen  schwarze,  ge- 
klüftete  Berge  empor,  von  denen  Wasserfälle  herniederstürzen.  Wohl 
eine  halbe  Stunde  lang  ritten  wir  durch  den  grünen  Wald  dahin. 
Neben  Hlidarendi  hat  es  mir  hier  am  besten  gefallen,  und  ich  ver- 
stehe, dass  die  Bewohner  von  Seydisfjördur  mit  Vorliebe  ,, Wald- 
touren" hierher  unternehmen,  und  dass  die  romantische  Lage,  wie 
Ögmundur  erzählte,  schon  manche  Verlobung  zustande  gebracht 
hat.  Besonders  erfreulich  ist,  dass  dieser  Wald  auch  wirklich  er- 
halten bleiben  und  weiter  gedeihen  wird.  Denn  während  man  früher 
hier  jährlich  400  Pferdelasten  Reisig  zur  Feuerung  brauchte,  hat  man 
jetzt  einen  ausgezeichneten  Torfstich  entdeckt,  so  dass  der  Wald 
geschont  werden  kann.  Damit  die  Schafe  nicht  die  zarten  Spröss- 
linge,  und  wenn  tiefer  Schnee  liegt,  auch  die  Spitzen  höherer 
Bäume  abnagen,  hat  man  fast  den  ganzen  Wald  mit  einem  rotan- 
gestrichen Staket  aus  Eisen  und  Stacheldraht  umzäunt;  ja  der 
bisherige  Administrator,  jetzt  Sysluniadiir  in  Kirkjubcpr,  also  Gud- 
laugs  Nachfolger,  der  seit  Oktober  1904  Bürgermeister  in  Akureyri 
ist,  hat  1901  eine  neue  Anpflanzung  von  Tannen  und  Fichten  ver- 
sucht, die  er  aus  Dänemark  bezogen  hat,  und  die  vielversprechend 
angesetzt  haben. 

Während  wir  am  Ausgange  des  Waldes  rasteten,  sahen  wir 
ein  Boot  über  den  Fluss  kommen.  Kaum  war  es  knirschend  aut 
den  Strand  gelaufen,  da  stürzte  Ögmundur  auf  einen  der  Insassen 
zu  und  umarmte  und  küsste  ihn  unaufhörlich.  Ich  dachte  zunächst, 
es  wäre  einer  der  zahllosen  Bekannten  von  ihm,  aber  freudestrah- 
lend rief  er  mir  zu:  es  sei  sein  Schwager,  der  Arzt  von  Brekka, 
Dr.  Jonas  Krisfinnsson,  bei  dem  wir  über  Nacht  bleiben  wollten. 
Dieser  hatte  vom  anderen  Ufer  aus  mit  seinem  Fernglase  Ögmundur 
erkannt,  trotz  des  wilden  Bartes,  der  ihm  seit  Reykjavik  gewachsen 
war.  Um  uns  den  Umweg  von  2 — 3  Stunden  bis  zur  nächsten 
Fähre  zu  ersparen,  wollte  er  uns  abholen,  und  sein  Bruder  über- 
nahm es,  die  abgesattelten  Pferde  nachzubringen.  Das  kühle  Bad 
tat  ihnen  wohl,  und  da  wir  vom  Arzte  freundlich  eingeladen  wurden, 
bei  ihm  zwei  Nächte  zu  bleiben,  wurden  sie  wieder  völlig  frisch, 
und  unbedenklich  konnte  ihnen  der  Rest  der  Reise  zugemutet 
werden.  Obwohl  Dr.  Jonas  und  Ögmundur  kräftig  in  die  Ruder 
griffen,  dauerte  die  Überfahrt  doch  länger  als  20  Minuten;  die  Ge- 
päckkoffer wurden  von  einigen  Knechten  den  steilen  Abhang  hinauf- 
getragen, und  bald  löschten  wir  unseren  Durst  an  einer  Kanne 
köstlichen  Kaffees  und  drei  grossen  Schalen  Milch;  von  dem 
kalten  Gletscherwasser   unterwegs    zu    trinken,    habe   ich    stets  ver- 

Herrmann,  Island  II.  ^-' 


178  Brekka. 

mieden,  auch  wenn  die  Gier  noch  so  gross  war,  und  ich  bin  da- 
durch auch  von  mancherlei  Beschwerden,  wie  Magenerkähung  und 
Durchfall,  verschont  geblieben. 

Das  Wohnhaus  war  ganz  altertümlich;  nicht  nur  der  dunkle 
Eingang  war  vorhanden,  von  dem  aus  zur  Linken  die  Gaststube 
lag,  sondern  man  musste  sich  auch  durch  einen  langen,  finsteren 
Gang  tappen,  darauf  ein  paar  Stufen  hinaufsteigen  und  war  dann 
in  dem  Esszimmer ,  durch  dessen  Fenster  man  über  das  Grasdach 
der  unteren  Räume  hinwegblickte. 


'&' 


21.  Juli. 

Gross  war  meine  Überraschung,  als  mir  Dr.  Jonas  am  nächsten 
Morgen  ein  Bild  brachte,  das  Prof.  Kahle  aus  Heidelberg  vor  dem 
Antritt  seiner  Reise  von  Reykjavik  nach  Akitreyri  darstellte.  JÖ7ias 
war  1894 Kahl  es  Führer  gewesen  und  zeigte  mir  voll  Stolz  die  Stelle 
in  Kahles  Buch  (S.  133),  wo  dieser  sagt,  einen  besseren  Führer  hätte 
er  kaum  finden  können.  Aber  auch  er  bewahrte  K  ah le  ein  dank- 
bares Andenken  und  rühmte  namentlich  die  Unverdrossenheit,  mit 
der  er  unterwegs  isländisch  zu  sprechen  sich  bemüht  hätte. 

Dem  Wohnhause  gegenüber  wurde  der  Grund  zu  einem  neuen 
Krankenhause  gelegt ,  es  ist  das  siebente  auf  der  ganzen  Insel. 
Der  Boden  war  etwa  i^st  m  tief  ausgeschachtet,  und  das  Fundament 
war  aus  Feldsteinen  hergerichtet,  die  mit  Zement  verbunden  waren. 
Es  ist  für  6  Betten  berechnet  und  die  Stiftung  einiger  wohlhabender 
Bauern  aus  der  Umgegend.  Für  den  Reichtum  dieser  Gegend 
mögen  folgende  Angaben  sprechen:  Adalböl  hat  12  Menschen, 
6  Pferde,  2  Kühe,   300  Schafe;  Skrida  hat  20  Menschen,  22  Pferde, 

10  Kühe,  800  Schafe,   Porgerdarstadir   (im    südlichen  Fljötsdalur): 

1 1  Menschen,  6  Pferde,  4  Kühe,  300  Schafe.  Der  Bauer  des  zuletzt 
genannten  Hofes  hält  keine  Melkschafe ,  obwohl  ein  Schaf  täglich 
I  Liter  ^^lilch  liefert,  sondern  deckt  seinen  Bedarf  an  Milch  durch 
die  4  Kühe;  die  Schafe,  denen  die  Milch  entzogen  wird,  sollen  an 
Wert  verlieren,  und  deshalb  soll  sich  ihre  Auffütterung  nicht  recht 
verlohnen.  Er  holt  auch  das  Heu  von  den  Bergwiesen  nicht  auf 
dem  Rücken  der  Pferde ,  wie  sonst  allgemein  üblich ,  sondern  hat 
sich  aus  Norwegen  nach  Seydisfjördiir  einen  ca.  looo  m  langen 
Eisendraht  kommen  lassen,  und  an  diesem  gleitet  das  Heu  nun  zu 
Tale  »). 

Dr.  Jonas  hat  ein  gastfreies  Haus,  nicht  weniger  als  neun 
Personen  kamen  im  Laufe  des  Tages  zu  Besuch,  darunter  drei 
junge  Damen  aus  Reykjavik ,  die  ein  paar  Tage  bleiben  wollten, 
und  ein  Isländer  aus  Amerika.     Da  Ögmundur   seine  Pferde    für 


1)  Bruun,  Ved  Vatna  Jökulls  Nordrand,  S.   i8. 


Hengifoss. 


179 


die  Kletterei  nicht  hergeben  wollte,  Hess  der  Doktor  seine  eigenen 
schönen  Tiere  vorführen  und  brachte  uns  mit  seinem  Bruder  spät 
am  Nachmittag  selbst  nach  dem  Hengifoss  (steiler,  hoher  Wasser- 
fall), dem  höchsten  Wasserfall  auf  Island  (Fig.  90J.  Die  Wiesen 
in    der  Nähe    des  Hauses    waren    überaus    üppig:    von    dem  weissen 


Fig.  90.     Hengifoss. 


Klee,  den  bunten  Wicken  und  zierlichen  Stiefmütterchen  stieg  ein 
lieblicher  Duft  empor.  Bei  einem  Vorwerke  war  ein  Blaufuchs,  ein 
junges,  zierliches  Tierchen,  an  einer  langen  Kette  festgemacht,  er 
lief  unermüdlich  im  Kreise  umher  und  war  so  zahm,  dass  er  auf 
einen  Pfiff  herankam.  Dann  aber  ging  es  tüchtig  bergan,  und  wir 
hatten  wieder  eine  herrliche  Aussicht.  Es  ist  eitle  Mühe,  all  die 
prächtigen  Bilder    zu    beschreiben,    die    der  Reisende    auf  Island  zu 

12* 


180  Brekka.     Hengifoss. 

sehen  bekommt,  vorausgesetzt,  dass  das  Wetter  gut  ist.  Über  das 
breite,  tiefe  Tal  lag  eine  bläulich  weisse,  in  lichten  Hauch  ge- 
hüllte, aber  vollkommen  durchsichtige  Luftschicht  ausgebreitet,  die 
den  Tälern  weit  und  Höhen  eine  magische  Beleuchtung  gab.  Unten 
spiegelte  sich  das  Lagarfljöt  in  weissen,  langen  Streifen,  der  SiKr/ell 
stieg  im  Hintergrunde  empor,  und  darüber  hinaus  die  riesigen 
Schnee-  und  Eisfelder  des  ]^atnajök2iU ;  auf  der  entgegengesetzten 
Seite  ragte  einsam  der  Höttiir  (Hut)  und  nach  Nordosten  der  ge- 
waltige Bergrücken  zwischen  dem  Vopnafjördiir  und  dem  Jökiils- 
dalur  ^  der  im  Siiiör/jaLl  seinen  höchsten  Punkt  erreicht  (^Butter- 
berg,    12  1 1   m). 

Der  Wasserfall  wird  von  der  Hengifossd  gebildet,  einem  kleinen, 
aber  reissenden  Bergbach,  der  am  Stapalili'd  plötzlich  senkrecht  in 
eine  Tiefe  von  iio  m  hinabtost  und  nach  verschiedenen  kleinen 
Fällen  durch  tiefe  Klüfte  in  das  Lagarfljöt  stürzt;  der  schönste 
unter  diesen  ist  der  Lttla)icsfoss,  der  von  einer  lotrechten  Wand 
mit  prachtvollen  Basaltwänden  herunterfällt.  Der  Abstieg  nach  dem 
Loss  war  nicht  leicht.  Über  Tuffklötzc,  die  unter  der  Hand  zer- 
bröckelten, und  Basaltblöcke  kletterten  wir  in  das  Flussbett  hinab, 
um  den  Foss  in  seinem  ganzen  Fall  überblicken  zu  können.  Er 
kommt  aus  einem  Rundbau  in  zwei  mächtigen  Strahlen  geschossen, 
die  sich  unten  in  viele  schmale  Streifen  zerstäuben.  Nicht  die 
Menge  des  Wassers,  sondern  die  Höhe,  von  der  es  herabbraust, 
wirkt  so  imponierend,  und  die  wildromantische  Umgebung,  von  der 
aus  man  das  grossartige  Schauspiel  geniesst.  Das  Flussbett  ist  mit 
riesigen  Steinen  ausgefüllt,  die  in  phantastischen  Stellungen  auf- 
gestapelt sind;  da  sie  vom  Wasser  glatt  gescheuert  sind,  ist  es 
nicht  leicht,  beim  Springen  von  einem  Stein  auf  den  andern  auf 
ihnen  festen  Fuss  zu  fassen.  Auf  dem  jenseitigen  Ufer  fand  ich 
die  grössten  Giengen  von  Stirturhrandni\  die  ich  bisher  gesehen 
hatte,  Reste  einer  früheren,  üppigeren  Pflanzenwelt,  und  ich  hatte 
das  grosse  Glück,  darunter  einen  deutlichen  Blattabdruck  zu  ent- 
decken, der  jetzt  auf  meinem  Schreibtische  liegt.  Von  praktischer 
Bedeutung  ist  der  Surturbra)idnr  für  den  Isländer  nicht ;  er  genügt 
wohl,  um  das  Feuer  in  der  Schmiede  und  der  Badstofa  zu  unter- 
halten, aber  er  kommt  entweder  in  mehr  oder  weniger  unzugäng- 
lichen Gegenden  hoch  oben  in  den  Bergen  vor,  oder  seine  Aus- 
beutung ist  bald  erschöpft,  wenn  man  ihn  zu  eifrig  sucht. 

Beim  Heimwege  hatten  wir  den  seltenen  Anblick  eines  rosa- 
baugiir  (Sturmring):  um  die  Sonne  lag  ein  grosser,  weiter,  breiter 
Kreis  mit  einigen  Regenbogenfarben.  Der  Führer  meinte,  es  sei 
Staub,  der  in  weiter  Ferne  zum  Himmel  emporwirbelte,  aber  er 
gelte  als  ein  Vorbote  von  starkem,  mit  Regen  oder  Schnee  be- 
gleitetem Winde.    Eine  alte  Bezeichnung,  die  er  daneben  gebrauchte, 


Brekka.     Hrafnkelssaga.  381 

hafgill    vermag   ich    leider,    trotz  vielfacher  Anfragen,    nicht  zu  be- 
legen noch  zu  deuten  ^). 

22.    Juli. 

Am  nächsten  Morgen  gaben  un.s  der  Doktor  und  seine  liebens- 
würdige Gattin  eine  Stunde  weit  das  Geleite,  bis  gegenüber  Hrafn- 
kelsstadir,  der  Stätte,  wo  der  vertriebene  HrafnkclL  sich  ein  neues 
Haus  und  neue  Macht  gegründet  hatte;  sein  Bruder  hatte  es  über- 
nommen, uns  über  die  unwirtliche  Fljötsdalsheidi  zu  führen.  Es  war 
eigentlich  mein  Plan  gewesen,  diese  Gegend  genauer  kennen  zu 
lernen  und  zwei  bis  drei  Tage  darauf  zu  verwenden.  Denn  hier  ist 
der  Schauplatz  der  Hraßikelssaga  Freysgoda,  einer  Geschlechts- 
sage, die  durch  die  mit  höchster  Kunst  ausgeführte  Zeichnung  des 
Charakters  des  Helden  auch  den  modernen  Leser  unwiderstehlich 
fesselt.  Der  Dialog  ist  ungemein  charakteristisch  und  von  drama- 
tischer Lebhaftigkeit,  und  das  Bild,  das  vom  isländischen  Leben  in 
der  Mitte  des  lo.  Jahrhunderts  entrollt  wird,  enthält  viele  wertvolle 
Züge,  besonders  über  den  Vorgang  bei  den  Thingversammlungen 
—  Sdnis  Rechtsgang  gegen  Hrafnkell  und  die  sich  anschliessende 
Exekution  — ,  über  Götterverehrung,  Wesen  und  Bereich  der  Goden- 
gewalt.  Aber  Sira  Jon  in  Stafafell  hatte  mir  Daniel  Bruuns 
Aufsatz  ,,Am  Nordrande  des  Vatna  Jökull"  gezeigt,  und  ich  hatte 
daraus  zu  meinem  Schmerz  ersehen,  dass  der  unermüdliche  Haupt- 
mann auch  hier  gewesen  war  und  die  Gegend  sehr  genau  durch- 
forscht hatte.  Dadurch  war  mein  Vorhaben  in  der  Hauptsache 
unnötig  geworden,  immerhin  lernte  ich  noch  wichtige  Teile  der 
Landschaft  kennen,  wo  die  Sage  spielt.  Sie  schildert  einen  Atheisten, 
oder  besser  einen  Skeptiker,  der  von  Göttern  keine  Hilfe  mehr  er- 
wartet und  statt  der  Götter  nur  ein  Schicksalswalten  annimmt. 
Felix  Dahn  hat  nach  dem  Vorbilde  dieser  ,, Biographie"  seinen 
nordischen  Roman  ,,Sind  Götter.?"  geschrieben. 

Als  Hallfredr,  Hrafnkels  Vater,  aus  dem  Geitdalr  fortgezogen  war  (vergl. 
S.  172),  ritt  sein  Sohn  jeden  Sommer  über  die  Fljötsdalsheidi:  damals  war  der 
Jökulsdalur  bis  zur  Brücke  über  die  Jökulsä  ä  Brü  noch  ganz  bewohnt. 
Hrafnkell  sah,  dass  sich  vom  Jökttlsdalur  hinauf  ein  unbewohntes  Tal  hinzog,  das 
ihm  mehr  als  alle  andern  Täler,  die  er  bisher  gesehen  hatte,  zur  Besiedlung  geeignet 
erschien.  Er  baute  sich  in  diesem  Tale  seinen  Hof  und  nannte  ihn  Adalböl  (Haupt- 
wohnung)^  er  veranstaltete  ein  grosses  Opfer  und  Hess  einen  grossen  Tempel  auf- 
führen.    Er  war  ein  überaus  rücksichtsloser,   aber  sehr  tüchtiger  Mann.     Er  unterwarf 


1)  In  Björn  Halldörssons  Lexicon  islandico-latina-danicum  (Kph.  18:4)  findet 
sich  das  Wort  hafgall  n.  irina,  meteoron  aeris  pelagici,  eine  regenbogenfarbige  Luft- 
erscheinung auf  dem  Meere.  —  Die  Nebensonne,  die  vor  der  Sonne  hergeht,  nennt 
man  Gill.  Dies  soll  schlechtes  Wetter  bedeuten,  wenn  nicht  zugleich  eine  Neben- 
sonne der  Sonne  folgt;  letztere  Nebensonne  wird  dann  „Wolf"  genannt,  daher  stammt 
das  Sprichwort  „Selten  ist  Gill  zu  etwas  gut,  wenn  nicht  der  Wolf  hinterher  fährt". 
Gill  ^=^  Gildir  =^^o\il    Vergl.   Herrmann,  Nordische  Mythologie,   S.   179. 


182  Hrafnkelssaga. 

sich  auch  die  Männer  des  Jökulsdalr  zu  Thingmännern.  Mit  seinen  Leuten  war  er 
nachgiebig  und  sanft,  aber  rauh  und  hart  gegen  die  Männer  des  Jökulsdalr ,  und 
diese  erlangten  von  ihm  keine  BilUgkeit.  Er  stand  oftmals  in  Zweikämpfen ,  büsste 
aber  keinen  Mann  mit  Geld ;  denn  keiner  bekam  von  ihm  irgendwelche  Bussgelder, 
was  immer  Hrafnkell  ihm  angetan  haben  mochte. 

-  Hrafnkell  liebte  keinen  Gott  mehr  als  Freyr,  und  ihm  gab  er  von  allen  seinen 
besten  Schätzen  die  Hälfte.  Darum  wurde  er  Freysgodi ,  „Priester  des  Freyr"  ge- 
nannt. Er  hatte  in  seinem  Eigentum  ein  Kleinod,  das  ihm  besser  als  jedes  andere 
schien  Es  war  ein  Hengst  von  dunkelbrauner  Farbe,  mit  einem  schwarzen  Streifen 
über  dem  Rücken ;  er  nannte  ihn  Freyfaxi.  Diesen  gab  er  seinem  Freunde  Freyr 
zur  Hälfte.  Zu  dem  Hengste  hatte  er  so  grosse  Zuneigung,  dass  er  das  Gelübde  tat, 
er  wolle  den  Mann  töten,  der  ohne  seinen  Willen  auf  ihm   reiten  würde. 

Im  Hrafnkelsdalr  wohnte  ein  anderer  Bauer ,  mit  zwei  Söhnen  Sämr  und 
Eyvindr  auf  dem  Hofe  Höll  östlich  von  Adalböl.  In  demselben  Tale  war  dessen 
Bruder  ansässig ,  der  einen  Sohn  Einarr  hatte.  Als  dieser  sich  bei  Hrafnkell  als 
Hirt  verdingte ,  schärfte  er  ihm  ausdrücklich  das  Verbot  ein :  er  soll  niemals  dem 
Hengste  auf  den  Rücken  kommen,  wie  gross  ihm  auch  die  Notwendigkeit  dazu  er- 
scheine, denn  er  habe  hoch  und  teuer  gelobt,  den  totzuschlagen,  der  auf  ihm  ritte; 
die  zwölf  Stuten  aber ,  die  dem  Hengste  folgten ,  stünden  ihm  jederzeit  zu  Gebote. 
Trotzdem  besteigt  der  Knecht  Freyfaxi ,  als  ihm  seine  Schafherde  versprengt  ist, 
und  das  feurige  Ross  trägt  ihn  von  Tagesanbruch  bis  zum  Abend  schnell  vorwärts 
und  weit  umher.  Als  die  verirrte  Heerde  wieder  heimgetrieben  ist,  trieft  Freyfaxi 
ganz  von  Schweiss,  so  dass  er  von  jedem  Haare  tropft,  und  ist  über  und  über  mit 
Schlamm  bespritzt  und  sehr  erschöpft.  Das  Pferd  reisst  sich  los  und  stürmt  den 
weiten  Weg  von  der  Weide  bis  zu  Hrafnkels  Hause;  es  macht  nicht  eher  Halt,  als 
bis  es  vor  der  Türe  steht,  dann  wiehert  es  laut.  Hrafnkel  erkennt  Freyfaxi  am 
Gewieher,  ihm  ahnt  nichts  Gutes;  er  geht  hinaus  und  sagt  zu  ihm:  „Schimpflich  er- 
scheint es  mir,  dass  du  so  arg  mitgenommen  bist,  mein  Pflegekind  !  aber  du  hast  ver- 
ständig gehandelt ,  dass  du  mich  davon  unterrichtet  hast :  es  soll  gerächt  werden ! 
gehe  du  nun  zu  deiner  Schar".  Der  Hengst  tat  es  sogleich,  Hrafnkel  aber  erschlug 
den  Knecht,  liess  den  Leichnam  auf  eine  Bergterrasse  bringen  und  errichtete  eine 
Warte  bei  dem  Grabhügel.  Da  aber  der  stolze  und  mächtige  Gode  Hrafnkell  sich 
weigerte,  den  Vater  des  Erschlagenen,  einen  armen,  einfachen  Bauern,  als  seines- 
gleichen anzuerkennen  und  den  Getöteten  mit  Geld  zu  büssen,  nahm-  Einars  Vetter 
Sämr  die  Sache  in  die  Hand,  um  sie  vor  das  Althing  zu  bringen.  Er  ritt  über  die 
Brücke  der  Jökulsä  d  Brii,  durch  die  Mödru da Is heidi  bis  Mödrudalr,  wo  er  über- 
nachtete, dann  bis  zur  Herdubreidstunga^) ,  einer  grasreichen  Strecke  an  der 
Herdubreid ,  weiter  nordwestlich  nach  den  Bläfjöll  (südöstlich  vom  Myvaln) ,  und 
von  da  in  den  Kröksdalr  (südwestlich  vom  Mf/valn),  wo  das  Skjdlfandafljöt  in  das 
Tal  eintritt,  und  weiter  südwärts  bis  zur  Wüste  Spre)igisandr ,  vorüber  an  den 
Saudafell  (westlich  von  der  Blanda)  und  so  bis  zur  Althingsstätte. 

Diese  Stelle  ist  schon  früher  als  ein  Beweis  dafür  angeführt ,  dass  man  im 
Altertum  den  Weg  auch  über  die  Ödungen  wagte,  um  die  Reise  zu  kürzen.  Sämr 
überschreitet  den  nördlichen  Teil  des  Odädahraun.  Heutzutage  ist  diese  Strasse 
längst  aufgegeben,  während  sie  im  17.  Jahrhundert  noch  bisweilen  in  der  Richtung 
nach  Osten  zu  benutzt  worden  sein  soll.  Es  heisst,  die  Bischöfe  seien  auf  ihren  Visi- 
tationsreisen nach  dem  Ostlande  über  Odädahraun  gegangen,  und  da  dieser  Weg 
über  die  höchsten  Gebirge  und  Ödungen  führte,  haben  sich  an  diese  Fahrten  der 
Bischöfe  verschiedene  Ächtersagen  geknüpft.  Thoroddsen  fand  1884  auf  dem 
klippenreichen  Terrain  vom  Ferjufjall  an  der  Jökulsä,  wo  im  16.  Jahrhundert  eine 
Fähre  nach  Mödrudalr  gewesen  sein  soll,    bis  zu  den  Herdubreidarfjöll  zu  seiner 


1)    Tunga  ist  eine  Landzunge,   die  sich  ins  Meer  erstreckt,  oder  ein  Stück  Land, 
das  zwei  zusammenfliessende  Wasseradern  scheidet. 


Hrafnkelssaga.  183 

grossen  Verwunderung  alte  bemooste  Steinwarten,  die  dann  weiter  in  gerader  Rich- 
tung vom  Nordende  der  Hentubreidarfjöll  zum  Ketill  in  den  Fremrinämnr  führten. 
Er  vermutet,  dass  dies  der  Reitweg  ist,  den  Sdmr  benutzt  hat.  Der  Weg  ist  heute 
fast  ungangbar,  da  sich  bei  der  Eruption  auf  den  Mfivainsörctfi  1875  unzählige  sehr 
tiefe  Risse  in  der  Lava  gebildet  haben '). 

Hrcifnkell  begab  sich  ebenfalls  nach  der  Althingsstätte,  schlug  aber  folgenden 
Weg  ein  :  Er  ritt  am  Ende  des  Lagarfljöt  vorüber  und  quer  über  den  Bergrücken 
bis  zum  Skridudalr,  dann  aufwärts  durch  denselben  (also  denselben  Weg,  der  oben 
beschrieben  ist)  und  südwärts  auf  der  Oxarheidr  (heute :  Oxi  oder  Axarhekti)  zum 
Beriifjördlir  und  dann  den  geraden  Thingmännerweg  bis  Sida.  Er  gebrauchte 
70  Tage  bis  zur  Thingstätte.  Sämr  verfocht  auf  dem  Lögberg  seinen  Prozess  nach 
den  richtigen  Landesgesetzen  ohne  Formfehler  und  mit  tüchtiger  Sachwaltung,  so  dass 
Hrafnkell  geächtet  wurde.  Hrafnkell  aber  kehrte  nach  Adalböl  zurück  und  tat, 
wie  wenn  nichts  geschehen  wäre.  Hier  überfielen  ihn  die  Verwandten  des  ermor- 
deten Einarr,  sie  schenkten  ihm  zwar  das  Leben,  aber  zwangen  ihn,  Sdnir  seine 
Godenwürde  zu  übergeben  und  Adalböl  zu  verlassen.  Mit  geringer  Habe  und  einem 
Spiesse  zog  Hrafnkell  fort  quer  über  den  Fljötsdalr,  östlich  von  Lagarfljöt,  lich- 
tete den  Wald  und  baute  sich  einen  stattlichen  Hof  auf,  der  seitdem  Hrafnkels- 
siadir  heisst. 

Weil  durch  Frey  faxt  soviel  Unheil  entstanden  war,  bestimmten  die  Verwandten 
des  Erschlagenen:  es  solle  ihn  der  in  Empfang  nehmen,  dem  er  gehöre,  d.  h.  er  soll 
in  Anerkennung  des  ihm  zustehenden  Miteigentums  dem  Gotte  Freyr  geopfert  werden. 
Man  führte  den  Hengst  auf  eine  schroffe  Felswand ,  zog  ihm  einen  Sack  über  den 
Kopf,  band  Steine  an  seinen  Hals  und  stiess  ihn  in  den  Abgrund.  Der  Ort  heisst 
seitdem  „/>^/aA:/s-KIippe".  Oberhalb  stand  der  Tempel,  den  Hrafnkell  dem  Freyr 
errichtet  hatte.  Die  Götterbilder  wurden  ihres  Schmuckes  beraubt,  und  der  Tempel 
ward   ein  Raub  der  Flammen. 

Als  Hrafnkell  erfuhr,  dass  Frey  faxt  getötet  und  Freyrs  Tempel  verbrannt 
war,  sprach  er:  „Ich  halte  es  für  eine  Abgeschmacktheit,  an  Götter  zu  glauben;"  er 
erklärte,  dass  er  von  jetzt  an  nimmer  an  Götter  glauben  werde,  und  das  hielt  er  seit- 
dem, indem  er  nie  wieder  opferte.  Trotzdem  wurde  der  völlig  ungläubige  Mann,  der 
nie  mehr  opferte,  nachdem  er  wieder  mächtig  geworden  war,  später  Gode  und  er 
warb  Godenherrschaft  über  alles  Land  östlich  vom  Lagarfljöt.  Dieser  Godenbezirk 
wurde  bald  viel  grösser  und  volkreicher  als  der,  den  er  früher  innegehabt  hatte;  er 
erstreckte  sich  aufwärts  über  den  Skridudalr  und  ganz  hinauf  das  Lagarfljöt 
entlang. 

Das  Glück  begünstigte  den  willensstarken  Mann,  so  dass  er  bald  ebenso  mächtig 
ward  wie  früher;  aber  er  war  jetzt  beliebter  als  zuvor,  er  war  bereitwillig  und  gast- 
frei, gefügig  und  zugänglich. 

Seine  Aussöhnung  mit  Sämr  war  nur  scheinbar.  Auf  den  Spott  einer  seiner 
Mägde  überfiel  er  Säms  unschuldigen  Bruder  in  der  Fljötsdalsheidi  auf  einem  Moore, 
das  ohne  Rasendecke  und  so  beschaffen  war,  wie  wenn  man  im  blossen  Schlamme 
ritte;  man  sank  stets  bis  zum  Knie  oder  zur  Mitte  des  Schenkels,  zeitweilig  bis  zum 
Bauche.  Trotz  mannhafter  Verteidigung  erlagen  Säms  Bruder  und  vier  andere 
Männer  bald.  Dann  überfiel  Hrafnkell  den  Sämr  und  zwang  ihn,  unter  denselben 
Bedingungen  von  Adalböl  fortzuziehen,  unter  denen  er  es  einst  hatte  verlassen  müssen. 
Hier  verbrachte  er  den  Rest  seiner  Tage,  angesehener  noch  als  früher,  aber  auch 
beliebter  als  zuvor.  Sein  Grabhügel  liegt  im  Hrafnkelsdalr,  ausserhalb  von  Adalböl, 
grosse  Schätze  wurden  ihm  ins  Grab  gelegt,  seine  ganze  Waft'enrüstung  und  sein  guter 
Spiess.  Seine  Söhne  übernahmen  die  Godengewalt;  der  eine  wohnte  zu  Adalböl 
der  andere  zu  Hrafnkelsstadir, 


1)  Thoroddsen,   Petermanns   Mitteilungen    1885,   S.   285,6;  Thoroddsen 
Gebhardt  II,  S.   1134;  Thoroddsen,  Geogr.  Tidsk.  XVIII,   1905,  S.  26  ff. 


184  Hrafnkelssaga. 

Ich  habe  diese  Saga  so  ausführUch  wieder  erzählt,  nicht  nur 
weil  sie  eine  Perle  unter  den  Geschlechtssagen  ist,  sondern  weil  ich 
ihren  Schauplatz  zum  Teil  bereist  habe,  und,  gestützt  auf  Kaalunds 
(II,  S.  218  ff.)  und  Bruuns  Untersuchungen,  beurteilen  kann,  wie 
zuverlässig  und  mit  der  Wirklichkeit  übereinstimmend  ihre  lokalen 
Angaben  sind.  Mit  einer  treuen  Anschaulichkeit  und  realistischen 
Ausführlichkeit  wie  kaum  in  einer  andern  Saga  sind  die  Örtlich- 
keiten und  Reisewege  beschrieben,  der  Verfasser  muss  sie  aus  eigener 
Anschauung  kennen,  also  im  Jökiilsdalr  oder  Fljötsdalr  zu  Hause 
gewesen  sein.  Dass  er  ein  Geistlicher  gewesen  ist,  glaube  ich  nicht; 
von  einem  geistlichen  Interesse  ist  schwerlich  etwas  zu  spüren,  auch 
nicht  in  der  Art,  wie  die  Zerstörung  des  Tempels  und  die  Sinnes- 
änderung des  Hrafnkell  geschildert  wird.  Die  Gewissenhaftigkeit 
des  Erzählers  geht  so  weit,  dass  er  bei  Einars  Grabhügel  (Einars- 
varda)  nicht  zu  erwähnen  vergisst :  ,,man  hat  auf  der  Sennhütte 
Vesperzeit  {ftiidaptan,  6  Uhr  abends),  wenn  die  Sonne  gerade  über 
Einars  Warte  steht".  Sigurdur  Vigfüsson  hat  die  Ruinen  eines 
ütibiir  (Aussenhaus,  Gebäude  zur  Aufbewahrung  von  Vorräten)  und 
eines  skdli  (vergl.  I,  S.  312J  in  Adalböl  entdeckt.  Eine  halbe  Meile 
südlich  davon  wird  die  Stelle  gezeigt ,  wo  Freyfaxi  getötet  wurde 
(Freyfaxahamarr)  und  eine  tiefe  Kluft  (Faxagil),  in  die  das  Pferd 
hinabgestürzt  wurde.  Ungefähr  an  derselben  Stelle,  wo  einst  Hrafnkell 
wohnte,  haust  heute  Elias,  ein  berühmter  Rentierjäger,  der  in 
wenigen  Jahren  200  Rentiere  erlegt  hat. 

Ilrafnkelsstadir  und  den  4  Meilen  langen  Hrafiikelsdahir,  ein 
Seitental,  das  sich  östlich  von  dem  Jökulsdalur  abzweigt,  sahen 
wir  nur  von  weitem ;  aber  Bessastadir  passierten  wir  und  waren  so- 
mit auf  demselben  Wege,  den  Sä  ms  unglücklicher  Bruder  vor  seiner 
Ermordung  geritten  war.  Die  allerdings  wenig  glaubwürdige  Saga 
von  den  Droplaugssöhnen  erwähnt  in  Bessastadir  eines  von  einem 
Gehege  aus  Pfählen  umschlossenen  Tempels,  der  von  edlen  Metallen, 
Gold  und  Silber  erglänzte :  darin  waren  Thors  und  Freys,  Friggs 
und  Freyjas  Bilder  in  kostbaren  Gewändern'). 

Nicht  weit  davon  entfernt  liegt  das  Gehöft  Skriduklaiistur 
(20  Menschen,  22  Pferde,  10  Kühe,  600  — 8cx)  Schafe).  Hier  war 
das  letzte  Kloster  auf  Island  errichtet,  1494,  aber  in  der  Reformation 
wurde  es  aufgehoben,  und  seine  Besitzungen  wurden  von  der  Krone 
eingezogen.  Etwas  südlich  von  dem  ehemaligen  Kloster  liegt  der 
Pfarrhof  Valpjöfstadnr:  eine  wundervoll  geschnitzte  Kirchentür  von 
hier,  die  aus  der  Zeit  von  1200  — 1225  stammen  soll,  besitzt  das 
Nationalmuseum    in  Kopenhagen-).    In  Hallfredarstadir  (1856)  und 


1)  Eine  Münchhausiade,  die  hier  spielt,  teilt  Gebhard  mit,  vergl.  die  Anm.  S.  153. 

2)  Weinhold,  Altnordisches  Leben,  S.  324.   K  a  a  1  u  n  d  II,  S.  226  ff;  K  a  a  1  u  n  d , 
Fortidslaevninger  S.  71,  93;  Baumgartner,   S.   306  ff. 


über  die  Fljötsdalsheidi.  185 

später  wvi  Skridiiklaiistur  (1866)  lebte  der  kürzlich  verstorbene /V// 
Ölafsson,  einer  der  beliebtesten  Dichter  Islands,  der  isländische 
Bellmann.  Er  ist  ein  Meister  der  Form  und  beherrscht  auch  den 
Stoff,  ein  Sänger  der  Gatten-  und  Elternliebe,  weiss  aber  auch  einen 
guten  Trunk  zu  würdigen.  Als  am  29.  März  1875  die  vulkanischen 
Ausbrüche  in  den  Dyngjufjöll  und  in  der  Sveinagjd  stattfanden, 
wobei  ein  schrecklicher  Äschenregen  über  den  Jökuhdalur  und 
Fljötsdahir  bis  hinab  zur  Küste  herniederfiel,  dichtete  er  das  launige 
Lied  1) : 

Am  Tage,  da  die  Asche  fiel. 

Es  dröhnt  die  See    —   sie  peitscht  den  Sand 
Und  bricht  sich  an  dem  Strande. 
Im  Westen  speit  ein  Feuerberg 
Nun  Bimsstein  auf  die   Lande. 

Der  Wind  verhext  die  salz'ge   See, 
Bläst  immerzu  ins  Feuer 
Und  hüllt  in  Asche  Hof  und   Gau, 
Es  ist  nicht  mehr  geheuer. 

Doch  sagt,   wie  kann  ich  um  Pardon 
Anflehn  die  graue  Asche? 
Drum  kämpf  ich  wider  Brandung,   Wind 
Und  Feuer  —  mit  der  Flasche. 

Den  ganzen  Sommer  trink'  ich  nun 
Tagaus,  tagein,  —  nicht  bange, 
Was  wohl  die  Welt  darüber  spricht. 
Und  stütze  meine  Wange. 

Der  Weg  durch  die  Fljötsdalsheidi  war  überaus  öde  und  eintönig, 
nur  isländisch  Moos  und  dürre  Rentierflechten  kommen  hier  fort. 
Rentiere  sind  hier  keine  Seltenheit  (Jireiiin,  hreiitdyr),  besonders 
im  Winter  finden  sie  sich  hier  ein,  da  auf  der  Höhe  oftmals  weniger 
Schnee  liegt  als  in  den  Tälern;  im  Sommer  halten  sie  sich  mehr 
in  den  Schluchten  zwischen  den  einzelnen  Gletscherfeldern  des 
Vatnajökull  auf.  Im  Frühjahr  1904  traf  ein  Bauer,  der  zum  Arzte 
nach  Brekka  ritt,  hier  eine  Stute  mit  zwei  Jungen;  das  eine  lief 
neugierig  auf  ihn  zu  und  war  nicht  fortzubringen;  er  warf  schnell 
einen  Steinzaun  um  es  herum,  nahm  es  auf  dem  Heimwege  mit 
und  zog  es  mit  Milch  auf.  Ögmundur  erzählte  mir,  dass  er  auf 
der  Halbinsel  Reykjanes  im  Herbst  1 899  ein  Rudel  von  1 5  —  20  Stück 
gesehen  habe.  Das  Ren  ist  keineswegs  auf  Island  heimisch ,  son- 
dern   erst    in  der  zweiten  Hälfte    des   18.  Jahrhunderts    eingeführt^). 


1)  Pöstion,  Eislandblüten,  S.   13g. 

2)  Islandske    Maaneds-Tidender    for   Aar    1775,    S.    55  —  60;    Olaus    Olayius, 
Öconomisk  Reise,    Vorwort  S.    94;    LovsamlLng    for  Island  V,    S.  393,    683;     Olaflir 


186  Fljötsdalsheidi.     Rentiere. 

1771  wurden  13  Tiere  aus  Finnmarken  übergeführt,  10  starben  wäh- 
rend der  Seereise,  die  übrigen  drei  wurden  in  der  Rdngdrvalla  sysla 
ausgesetzt,  1777  wurden  25  nach  der  GullbringK  sysla  gebr^Lcht,  deren 
Reste  Ögmundur  getroffen  hat,  1783  weitere  nach  der  Vadlaheidi 
am  Eyjafjördur,  ihre  Zahl  hat  sich  in  7  Jahren  auf  300—400  ver- 
mehrt. NamentHch  auf  dem  Gebirge  zwischen  der  nördlichen 
Mi'ila  sxsla  und  der  Pingeyjar  sysla,  also  in  der  Gegend,  wo  wir 
uns  befanden,  nahm  ihre  Zahl  so  sehr  zu,  dass  die  Bauern  sich 
darüber  beklagten,  die  Herden  frässen  das  isländische  Moos  auf  und 
zerträten  sogar  im  Winter  die  Graswiesen  und  zerstörten  sie.  Da  sie 
sehr  scheu  sind  und  nur  selten  gesehen  werden,  hatte  man  auch 
keinen  Nutzen  von  ihrem  Wildbret.  Vor  allem  aber  passen  die 
Rentiere  wohl  für  Nomaden ,  wie  die  Lappen ,  aber  nicht  für  die 
sesshaften  Isländer,  und  es  ist  bezeichnend  für  die  Anschauung,  die 
man  von  Island  hatte,  dass  1787  allen  Ernstes  vorgeschlagen  wurde, 
eine  Lappenfamilie  auf  der  Insel  anzusiedeln.  Der  Schaden,  den 
die  Tiere  anrichten,  überwiegt  weit  ihren  Nutzen.  Durch  das  Jagd- 
gesetz vom  20.  Juni  1849  wurde  die  Jagd  auf  Rentiere  vollständig 
freigegeben ,  und  heute  ist  ihre  Zahl  so  zusammengeschmolzen, 
dass  sie  fast  zu  zählen  sind.  Ausser  auf  Reykjanes  und  am  Nord- 
rande des  Vatnajöhill  kommen  sie  heute  eigentlich  nur  noch  süd- 
östlich vom  Myvatn  und  beim  Sna^fell  vor.  Thoroddsen  erzählt, 
dass  1900  ein  verendetes  Ren  auf  dem  Breidamerkiirsandur  ge- 
funden wurde  und  zwei  lebende  im  Bezirke  Örafi  gesehen  wurden: 
sie  müssen  sich  quer  über  die  Schneeflächen  des  ]^atnajöknll  so- 
weit nach  Süden  verlaufen  haben  V).  Von  der  Herde  am  Sna-fell, 
die  1888  noch  700  —  800  Stück  stark  war,  sollen  noch  ca.  150  Tiere 
übrig  sein;  ich  habe  früher  erzählt,  dass  Elias  in  Adalböl  allein 
200  davon  auf  dem  Gewissen  hat.  Die  Bauern  im  Jökiilsdahir 
und  //ra/nkelsdaliir  hatten  eine  ganz  bedeutende  Einnahme  durch 
die  Rentierjagd;  da  diese  sich  oft  in  starken  Rudeln  in  der  Nähe 
des  Jöktilsdalur  aufhielten,  und  da  sie  ihre  kranken  oder  toten 
Gefährten  nur  ungern  verlassen,  können  mehrere  oft  mit  einem 
Male  geschossen  werden.  Das  Fleisch,  das  im  Herbst  am  besten 
ist,  wird  verkauft  oder  für  den  Winter  aufbewahrt,  der  Preis  eines 
Tieres  beträgt  10  Kr.  Seit  dem  17.  Mai  1882  ist  vom  i.  Januar 
bis  zum  I.  August  Schonzeit  für  Rentiere,  um  dem  unsinnigen, 
rücksichtslosen  Morden  durch  englische  Touristen  ein  Ende  zu 
machen. 

Wir     selbst     trafen     keine    Rentiere     auf    der    Fljötsdalsheidi, 


Jösepsson  Hjörtr,  Um  Hreinadyr,  in :  Rit  pess  kgl.  isl.  Lcerdömslistafjelags  VII, 
S.  77  —  104.  —    Sehr  sorgfältig  hat  Gebhardt  das  Material  zusammengestellt  in  seinem 
Aufsatze    „Die  Rentiere  auf  Island".     Globus,   Bd.  86,    1904,  Nr.   16. 
1)  Geogr.  Tidskr.  XIII,   1895,  S.  27;  XVII,   1903,  S.  236,  237. 


Fljötsdalshcifli.     Jftkulsä  ä  Brü. 


187 


während  ich  in  Jotunheim  in  Norwegen  unzähHge  gesehen  und  über 
ein  Dutzend  Geweihe  gefunden  hatte.  Ohne  Lokalführer  wäre  es 
unmöghch  gewesen,  den  Weg  zu  finden:  kleine  Sandstrecken 
wechselten  mit  nackten  Steinen  ab,  zwischen  denen  auch  nicht  ein 
Hälmchen  wuchs.  Es  ging  endlos  bergauf,  bergab,  bergauf,  bergab; 
alle  Stunden  sahen  wir  vielleicht  ein  verirrtes  Schaf,  und  ordentlich 
eine  Freude  war  es,  wenn  wir  ein  dünnes,  ängstliches  Vogelpicpen 
hörten.  Träge  schlichen  die  Pferde  dahin,  und  besonders  mein 
wackerer  Passgänger,  der  heute  zum  Packpferde  degradiert  war, 
Hess  traurig  den  Kopf  sinken.  Hoffentlich  macht  er  es  nicht  so, 
wie  das  alte  Reitpferd  des  Oddr  Eiuarsson  von  Skdlholt  (f  1630), 
das  sich  aus  Kummer  und  gekränktem  Ehrgeiz  ertränkte,  weil  es 
nicht  mehr  zum  Reiten  taugte!  Der  Abstieg  zur  Jökulsd  d  Brü 
war  geradezu  entsetzlich.  Wir  waren  etwas  zu  weit  östlich  abge- 
kommen, fast  bis  zur  Mündung  der  Hölkiid,  und  mussten  nach 
Eyriksstadir  abbiegen,  wo  wir  über  Nacht  bleiben  wollten.  Es 
ging  fortwährend  herauf  und  herunter,  über  Klüfte,  Spalten  und 
Erdrutsche,  die  dem  vulkanischen  Ausbruche  der  Askja  von  1875 
ihr  Dasein  verdankten. 

Die  Jökulsd  d  Brü  (umgebildet  aus  at  brü  =  hjd  brü,  =  Glet- 
scherfluss  mit  der  Brücke,  K aal  und  II,  S.  203)  entspringt  in  mehreren 
Armen,  Kriiigilsd,   Jökulsd  d  Brü  und  Jökulskvfsl  auf  dem  Eyja- 
bakkajökull,  dem 
Nordrande      des 
Vatnajökull,  und 
nimmt     westlich 
noch  die  Saudd 
auf  (Fig.  91),  tritt 
bei  dem  Vioi^-Brü 
in  bewohnte  Ge- 
genden   ein    und 
strömt   in  einem 
engen  Kluftbette 
mit  überaus  stei- 
len Felsen  inreis- 
sendem       Gefäll 
einher.  Die  milch- 
weissen    Wogen 
•    gehen    so  hoch,    dass   auch  der  sicherste  Reiter  sich  nicht   auf  dem 
Pferde  zu  halten  vermag;    dazu    ist    das   mit  Flugsand  gefüllte  Bett 
mit  riesigen,    glatten,    vom  Strudel    abgeschliffenen    Steinen  besetzt. 
Wenn  die  Sonne,    wie  in  diesem  Sommer,    lange    auf   die  Gletscher 
geschienen  hat,  wird  die  Abschmelzung  so  gross,    und  der  Fluss  so 
reissend,  dass  nicht  einmal  die  mutigen  Pferde  hinüber  schwimmen 
können. 


Fig.  91.     Jökulsä  ä  Brü,    entspringt    auf  dem   EyjabakkajölvuU. 


188  Jökulsä  ä  Brü.     Eyriksstadir. 

Der  Strom  hat  seinen  Namen  „Gletscherfluss  mit  der  Brücke" 
daher,  dass  über  ihn  seit  alter  Zeit  eine  Brücke  führt,  und  noch 
l88l,  als  Thoroddsen  seine  Forschungsreisen  auf  Island  begann, 
war  dies  auf  der  ganzen,  grossen  Insel  die  einzige  Brücke. 

Schon  im  Pältr  af  Porsteini  hvita  (Kph.  1848,  S.  40)  wird  eine  Brücke  er- 
wähnt, die  über  den  nördlichen  Lauf,  etwa  bei  dem  Gehöfte  Fossvöllttr  geführt  haben 
muss;  nach  Kaalund  (II,  S.  204)  hat  der  Fluss  hier  eine  Breite  von  54  Ellen,  und  die 
Kluft,  in  der  er  dahinströmt,  hat  Wände,  die  so  steil  sind  wie  die  der  Almannagjd. 
Obwohl  der  gewöhnliche  Wasserstand  15  Ellen  unter  den  Kluftufern  beträgt,  schwillt 
der  Fluss  im  Frühjahr  oder  bei  Gletscherschmelzen  so  an,  dass  er  die  60  (dän.)  Fuss 
lange  Brücke  immer  gefährdet.  Die  Brücke  bei  Fossvöllur  ist  von  deutschen  Kauf- 
leuten zuerst  gebaut  und  nachher  von  den  Umwohnern  unterhalten  worden,  bis  sie 
1698  erneuert  wurde;  1819  ist  die  Holzbrücke  abermals  erneuert.  Daneben  scheint 
eine  natürliche  Steinbrücke  über  die  Jökulsd  geführt  zu  haben  (steinbogi),  d.  h.  eine 
Brücke,  die  durch  Felsen  gebildet  ist,  die  den  Fluss  überwölben;  der  Name  des 
Gehöftes  Brit  erinnert  noch  an  die  alte  Steinbrücke,  die  um  1 700  eingestürzt  ist. 
Diese  Brücke  scheint  schon  Sämr  benutzt  zu  haben :  die  Hrafnkelssaga  hebt  hervor, 
dass  zu  Hrafnkels  Zeiten  der  Jökulsdalr  bis  zur  Brücke  hinauf  ganz  bewohnt  war 
(K.  2).  Beide  Brücken  aber,  die  hölzerne  bei  Fossvöllur,  und  die  natürliche  bei  Brü 
scheint  die  Droplaugarsonar  Saga  zu  meinen  (K.  13):  anlässlich  eines  Mordes  im 
Bezirke  Fljötsdalr  beschloss  man,  an  den  Furten  wie  an  den  Brücken  über  die 
Jökulsä  Wache  zu   halten'). 

Da  der  Fluss  also  weder  durchritten ,  noch  mit  dem  Boote 
passiert  werden  kann,  haben  die  Isländer  hier  eine  ganz  eigentüm- 
liche, ebenso  einfache  wie  praktische  Einrichtung  getroffen,  um 
nicht  von  den  Bewohnern  des  andern  Ufers  abgeschnitten  zu 
werden:  eine  Luftfähre,  in  der  immer  nur  ein  Mann  befördert 
werden  kann  (drdttur  oder  kldfiir).  Der  Bauer  von  Eyriksstadir, 
Einar  Eiriksson,  ein  ungewöhnlich  stattlicher  und  schöner  Mann, 
kam  zufällig  ans  andere  Ufer  und  sah  uns  warten.  Er  rief  mehrere 
Knechte  herbei,  darunter  einen  Stelzfuss,  dem  der  Doktor  in  Brekka 
einen  Fuss  hatte  abnehmen  müssen,  und  die  Vorbereitungen  zum 
Übergang  wurden  getroffen. 

Zwischen  den  Felsen  sind  zwei  Drahtseile  über  den  Fluss  ge- 
spannt, an  denen  eine  Holzkiste  auf  Rädern  schwebt,  gross  genug, 
um  einen  Menschen  und  die  gewöhnliche  Ladung  eines  Pferdes 
aufzunehmen.  In  diesen  Korb  muss  der  Reisende  steigen  und  sich 
vermittelst  eines  dritten  Seiles  entweder  selbst  über  den  gähnenden 
Abgrund  auf  das  andere  Ufer  ziehen  oder  sich  von  einem  andern 
Manne,  der  sich  daselbst  befindet,  hinüberziehen  lassen.  Sobald 
das  Seil  losgebunden  wird,  schiesst  der  Kasten  mit  wachsender 
Schnelligkeit  bis  zur  Mitte,  wo  das  Seil  am  tiefsten  hängt,  gerade 
über  dem  donnernden  Flusse,  steht  dann  plötzlich  eine  Weile  still, 
und  man  hat  unwillkürlich    den    nicht   sonderlich    beruhigenden   Ge- 


1)    Thorsteinn  V.  Gislason  hat  die  „Jökulsä  mit  der  Brücke"   in  einem  schönen 
Gedichte    besungen,    das  Pöstion    gut   verdolmetscht  hat    (Eislandblüten  S.   205  —  207). 


Drättur. 


189 


danken,  im  nächsten  Augenblick  wird  der  ganze  kostbare  Inhalt 
mit  einem  Ruck  in  die  Fluten  geschleudert  (Fig.  92).  Es  ist  wahr- 
haftig ein  eigentümliches  Gefühl,  so  zusammengekauert  in  dem 
Kasten  zu  hocken,  mitten  über  dem  schäumenden  Strom,  wo  das 
Wasser  brüllt ,  so  dass  man  nicht  einen  Laut  hören  kann ,  auf 
Gnade  und  Ungnade  der  Haltbarkeit  der  Taue  überlassen;  zcrreissen 
diese,  oder  bricht  der  Boden  der  Kiste  durch,  so  fliegt  man  auf 
Nimmer -Wiedersehen    in   den  wirbelnden    Fluss.     Nervösen  oder  an 


Fig.  92.      Luftfähre   (dräüur)    bei  Eyriksstadir. 


Schwindel  leidenden  Menschen  ist  schon  der  Anblick  des  hoch  über 
dem  Abgrunde  schwebenden  Kastens  unerträglich;  ein  englischer 
Reisender,  der  verschiedene  gefährliche  Gletschertouren  in  Island 
gemacht  hatte,  machte  kurzer  Hand  wieder  Kehrt  und  ritt  einen 
vollen  Tag  weiter  bis  zur  nächsten  Brücke.  Kaum  hatte  ich  in  dem 
Drättur  Platz  genommen,  da  hakte,  wohl  infolge  meiner  Schwere, 
das  eine  Rad  aus ,  und  mit  Mühe  konnte  es  noch  in  seine  Schiene 
gebracht  werden,  als  ich  auch  schon  der  Mitte  zusauste.  Ich  hatte 
aber  mit  der  Zeit  solches  Vertrauen  zu  den  isländischen  Einrich- 
tungen   gewonnen ,    dass    mir    auch    nicht    eine    Minute    das   Gefühl 


190  Eyriksstadir.     Drättur. 

der  Angst  kam ;  ja  ich  bemühte  mich  noch,  da  der  Student  am 
andern  Ufer  seinen  photographischen  Apparat  anlegte,  ein  möghchst 
freundhches  Gesicht  zu  machen.  Von  der  Mitte  aus  zieht  man  sich 
auf  der  anderen  Seite  wieder  empor,  oder  lässt  sich  heraufwinden ; 
vertaut    sich    selbst    und    die    Kiste  und  steigt  wohlgemut  aus ').  — 

Die  Pferde  noch  an  demselben  Abend  hinüberzubringen,  erwies 
sich  als  unmöglich.  Der  Bauer  fürchtete,  dass  sie  durch  die  rasende 
Strömung  —  der  Fluss  schiesst  mit  einer  "Geschwindigkeit  von 
7  Meilen  dahin  —  von  dem  Vorsprung  am  andern  Ufer  abgetrieben 
oder  über  einen  furchtbaren  Wasserfall  gegen  die  vom  Wasser 
bedeckten  Steine  geschleudert  und  zerschmettert  würden.  Er  hoffte 
aber,  dass  die  Nacht  kalt  werden  würde:  die  letzten  Abschmelzungen 
des  Gletschers  seien  zwischen  3  —  4  Uhr  früh  zu  erwarten,  dann 
trete  noch  einmal  eine  Anschwellung  ein,  und  um  9  Uhr  etwa  sei 
der  Fluss  flach  genug,  dass  man  es  wagen  könnte,  die  Pferde  hin- 
über zu  treiben.  Sie  mussten  also  während  der  Nacht  auf  dem 
südlichen  Ufer  .bleiben,  ihre  Füsse  wurden  aber  nicht  gefesselt, 
weil  das  dürre  Gelände  auf  der  Heidi  sie  nicht  zum  Ausreissen 
verlocken  würde. 

Der  Bauernhof  Exn'ksstadir  liegt  auf  einer  Anhöhe,  etwa  acht 
Minuten  vom  Fluss  entfernt.  Waren  wir  schon  von  dem  stattlichen 
Aussehen  des  Hofes,  dem  wohlgepflegten  Tihi  und  den  vielen  gut- 
erhaltenen kleineren  Gebäuden  überrascht,  so  wurden  wir  es  noch 
mehr  von  der  Einrichtung  des  Innern.  An  den  Fenstern  schimmerten 
saubere,  weisse  Tüllgardinen,  die  Wohnräume  waren  behaglich  aus- 
.gestattet,  in  unserem  Schlafgemach  standen  zwei  Riesenbetten  und 
ein  eigener  Waschtisch  mit  einem  hübsch  gemusterten  schweren 
Porzellanservice.  Zum  erstenmal  im  Leben  bekam  ich  auch  den 
berühmten  dänischen  Kaffeepunsch  vorgesetzt:  eine  halbe  Tasse 
guten,  starken  Kaffees  wird  nach  Belieben  mit  Brennivm  „ver- 
dünnt"; dazu  gab  es  frischgebackenen  duftigen  Kuchen,  und  aus 
einer  unerschöpflichen  Kiste  wurden  treffliche  Zigarren  angeboten. 
Mit  listigem  Schmunzeln  wies  mir  Einar  die  Inschrift  der  Kiste : 
,, Probieren  geht  über  Studieren",  auf  dem  Deckel  war  ein  Bruder 
Studio  abgebildet  mit  Schläger  und  Bierglas,  und  als  Gegenstück 
dazu  ein  anderer,  der  bei  den  Büchern  büffelte;  an  den  Seiten- 
wänden stand  ,, Gaudeamus  igitur".  Es  war  deutsches  Erzeugnis, 
und  die  Zigarre  war  wirklich  gut.    Dass  die  Schmisse  des  Studenten 


')  Der  Drättur  ist  hübsch  verwertet  bei  Po  eck,  Islandzauber  S.  62,  63,  99. 
—  Eine  eigenartige  Überbrückung  lernte  Genschow  am  Ta  tien  In  kennen.  „Ein 
Bambusseil  war  über  das  Flussbett  gezogen  und  an  den  Ufern  am  Felsblock  befestigt. 
An  dem  Seil  hing  ein  Haken,  an  dem  Menschen  oder  Tiere,  die  hinüberwollten,  be- 
festigt und  mittelst  einer  Leine  dann  am  Seil  entlang  sich  zogen,  bezügl.  gezogen 
wurden.  Es  sah  dies  höchst  possierlich  aus.  Wir  brauchten  diese  Rutschbahn  nicht 
zu  benutzen."     Genschow,  Unter  Chinesen  und   Tibetanern,    Rostock   1905,   S.  247. 


Eyriksstadir.  191 

Aufsehen  erregten,  lässt  sich  denken.  Kopfschüttelnd  betrachtete 
der  Bauer  sie  immer  wieder  und  konnte  sich  nicht  vorstellen,  dass 
viele  Studenten  bei  uns  so  umherliefen.  Er  muss  auch  seinem 
Gesinde  davon  erzählt  haben,  denn  als  wir  uns  das  Gehöft  besahen, 
stiessen  sich  die  Mägde  kichernd  an  und  blickten  gebannt  nach  der 
linken  Wange  meines  Gefährten.  Aber  vollends  glaubte  ich  nach 
Deutschland  entrückt  zu  sein,  als  der  bildhübsche  Bube  eintrat  und 
uns  sein  Spielzeug  zeigte:  ,, Lehmanns  Automobil!"  Es  war  ein 
Berliner  Dienstmann  mit  blauer  Bluse  und  roter  Mütze,  der  einen 
zweiräderigen  Karren  schob.  Deutsche  Zigarren  und  deutsches  Spiel- 
zeug im  einsamen  Osten  der  weltentlegenen  Insel  —  war  das  nicht 
zum  Lachen.^  Und  doch  scheinen  schon  in  der  ältesten  Zeit  fremde 
Händler  mit  Spielwaren  nach  Island  gekommen  zu  sein.  Eggert 
Olafsson  und  Bjanii  Pdlsson  erzählen,  dass  im  Anfange  des  17.  Jahr- 
hunderts auf  der  Insel  Flatey  im  Westen  kleine  gegossene  Kupfer- 
bilder von  allerlei  Tieren  aufgefunden  seien  (I,  S.  327):  es  war  wohl 
der  Vorrat  eines  fremden  Händlers,  der  damit  strandete.  Eine  Saga 
erzählt,  wie  ein  sechsjähriger  Junge  einem  zwei  Jahre  jüngeren  ein 
Messingpferdchen  schenkte:  er  sei  zu  gross,  um  noch  damit  zu 
spielen  {Vi'ga  Gl.  S.   12). 

Voll  berechtigten  Stolzes  führte  mich  Einar  auf  seinem  Gehöft 
umher.  Die  Schmiede  war  mit  allem  erforderlichen  Handwerks- 
zeuge versehen,  Hammer,  Amboss  und  Blasebalg  fehlten  nicht,  vor 
ihr  lag  ein  Hestasteinn^  der  die  Jahreszahl  1675  trug;  ein  eiserner 
Ring  war  in  ihn  eingelassen,  und  an  diesem  wird  das  Pferd  fest- 
gemacht, wenn  es  beschlagen  wird.  Die  Schafe,  die  zum  Melken 
in  die  Hürde  getrieben  wurden  (kviar),  waren  entschieden  fetter 
als  sonst.  Ich  habe  früher  erwähnt,  dass  die  Schafe  im  Osten  be- 
sonders gut  gedeihen,  sie  stehen  auch  höher  im  Preise  als  z.  B.  im 
Südwesten:  ein  dreijähriger  Widder  z.B.  kostet  hier  25  Kr.,  anders- 
wo 16  Kr.  Sie  gehen  im  Winter  fast  immer  auf  die  Weide,  da  sie 
genügend  Futter  finden  und  der  Schnee  keine  dichte  Decke  bildet. 
Die  Gehöfte  in  dieser  Öde  sind  zwar  spärlich  und  weit  verstreut, 
aber  die  Bauern  sind  recht  wohlhabend.  Dazu  kommt,  dass  sie  bei 
der  weiten  Entfernung  von  der  Küste  nur  selten  nach  den  Handels- 
plätzen kommen  und  das  verderbliche  Kreditsystem  nicht  zu  kennen 
scheinen.  Der  Bauer  in  Mö'drudaliir,  wohin  wir  am  nächsten  Tage 
kamen,  hat  40  Pferde,  1000  Schafe,  aber  nur  6-8  Kühe;  denn  bei 
dem  Laub  der  kleinen  Weiden  und  dem  Strandhafer  können  wohl 
Schafe  bestehen,  aber  für  Kühe  findet  sich  nicht  genug  Futter. 
Dieser  Bauer  ist  sogar  ein  ,, Fortschrittsmann":  er  fährt  alle  Jahre, 
wie  übrigens  auch  manche  andere  isländische  Bauern,  nach  Kopen- 
hagen oder  Norwegen,  ,,um  sich  auszulüften",  und  als  wir  bei  ihm 
einkehrten,  war  er  auf  ^/4  Jahre  nach  Amerika  gereist. 


192  Eyriksstadir. 

Unter  der  Grasdecke  des  Tun  lag  eine  etwa  drei  Zoll  dicke 
Aschenschicht,  sie  stammt  von  dem  vulkanischen  Ausbruche  aus 
den  Dyjigjufjöll^  1875.  Daher  rühren  auch  die  vielen  grauen  Streifen, 
die  die  Wiesen  bedecken  und  von  weitem  wie  schmutzige  Schnee- 
felder aussehen.  Der  Auswurf  der  kolossalen  Masse  von  Bimsstein- 
asche hat  das  Gras  überall  verwittert,  im  Westen  von  der  Liiidad 
an,  die  etwas  nördlich  von  Mödrudalur  in  die  Jöhilsd  d  Fjölluni 
mündet,  bis  zur  Jökiilsd  d  Bri'i.  Auf  ebenem  Boden  liegt  die 
Asche  15 — 30  cm  hoch,  in  der  Nähe  der  Gebirgsabhänge  ist  sie 
nach  Thoroddsen  bis  zu  3 — 4  m  Dicke  herabgeschwemmt.  Noch 
jetzt  sind  fünf  Gehöfte  in  'jökiihdalur  vollständig  verödet.  Die 
Askja  (Schachtel),  genannt  nach  einem  kesseiförmigen  Tale,  das 
von  steilen,  hohen  Felsen  umgeben  ist,  1 148  m,  Islands  grösster 
Vulkan,  ist  eigentlich  von  mindestens  20  Vulkanen  gebildet  (mit 
einem  Areal  von  55  qkm)  und  liegt  südöstlich  im  Odddahraun, 
mitten  in  einer  Berggruppe,  den  DyngjiifjölL  Der  Ausbruch  am 
29.  jMärz  1875  förderte  eine  ungeheure  Menge  liparitischer  Bimsstein- 
asche zutage,  die  ein  Areal  von  5  —  600  qkm  im  östlichen  Island 
bedeckte,  aber  merkwürdigerweise  keine  Lava:  die  Dampfentwicke- 
lung war  so  ungeheuer  stark,  dass  der  Dampf  die  geschmolzenen 
Steinmassen  nicht  als  Ströme  ausfliessen  liess,  sondern  als  Bims- 
steinasche ausgeblasen  hat. 

23-  Juli. 

In  der  Frühe  kam  der  Knecht,  dem  Dr.  Jonas  das  Bein  ab- 
genommen hatte,  mit  der  tröstlichen  Meldung,  dass  die  Pferde  wohl 
über  die  Jökiilsd  gebracht  werden  könnten.  Wir  hatten  wieder, 
wie  während  der  ganzen  Reise,  Glück ;  das  W'asser  war  ersichtlich 
gefallen,  überall  traten  glatte,  scharfe,  hohe  Steine  zutage,  die 
gestern  nicht  zu  sehen  waren ;  wir  konnten  also  den  Umweg  von 
zwei  Tagen  bis  hinauf  zur  Brücke  und  am  nördlichen  Ufer  w'ieder 
zurück,  ersparen.  Trotzdem  war  der  Übergang  der  Pferde  am 
nächsten  Morgen  das  Gefährlichste  und  Aufregendste,  was  ich  auf 
Island  erlebt  habe.  Sechs  ]\lann  traten  in  Tätigkeit :  vier  fuhren 
mit  dem  Drdttiir  hinüber,  um  die  Pferde  in  den  Fluss  zu  treiben, 
zwei  blieben  zurück,  darunter  der  Bauer  selbst.  Einer  hielt  ein 
Pferd  an  der  Hand,  um  die  andern  anzulocken  und  ihnen  Mut  zu 
machen  ;  es  sollte  ihnen  durch  sein  Wiehern  sagen :  ich  bin  glücklich 
hinübergekommen,  also  werdet  ihr  doch  auch  so  viel  Mut  haben. 
Sieben  von  unsern  neun  Pferden  gingen  auch  ohne  weiteres  in  das 
Wasser  hinein,  und  obwohl  die  wackern  Tiere  sofort  den  Grund 
verloren,  obwohl  das  Wasser  minutenlang  über  ihren  Köpfen  zu- 
sammenschlug, sie  verwirrte  und  sie  weit  wegtrieb,  erreichten  sie 
doch    glücklich,    mit    frohem  Aufatmen    begrüsst,    das  andere  Ufer. 


Eyriksstadir.     Die  Pferde  werden   über  die  Jökulsä  gebracht. 


193 


Die  beiden  letzten  aber  wurden  vor  den  schäumenden  Wellen  scheu 
und  ängstlich,  kehrten  wieder  um  und  suchten  sich  davon  zu  machen. 
Zweimal,  dreimal  wurden  sie  mit  Steinwürfen  wieder  hineingetrieben 
(Fig.  93),  aber  sobald  der  Boden  unter  ihnen  nachgab,  schwammen 
sie  wieder  zurück.    Ich  war  verzweifelt  und  gab  schon  alle  Hoffnung 


Fig.  93.      Die  Pferde  werden  durch  Steinwürfe  in  die  Jökulsä  getrieben. 


auf.  Aber  der  Bauer  tröstete  mich.  Er  nahm  ein  Seil,  das  noch 
einmal  so  lang  war ,  wie  der  Fluss  breit ,  fuhr  schnell  auf  dem 
Kasten  hinüber,  befestigte  das  Tauende  an  dem  Unterkiefer  des 
einen  Pferdes,  kehrte  durch  die  Luft  zurück,  und  von  neuem  begann 
das  aufregende  Schauspiel  des  Hinübertreibens  ^).    Die  schwarzblaue 


^  Auf  dieselbe  Weise   bringt  Sven  Hedin  seine  Kamele  über  einen  reissenden 
Fluss  (Abenteuer  in   Tibet,  Leipzig   1904,   S.   182  83). 

Herrraann,  Island  II.  13 


]94 


Eyriksstadir.     Die  Pferde   werden  über  die  Jökulsä  gebracht. 


Schecke  drückte  sich  auch  wirkhch  abermals;  das  andere  Pferd 
aber  wurde  vorn  von  der  Leine  gezogen,  hinten  schrien,  prügelten, 
warfen  die  vier  Mann ;  jetzt  war  es  an  der  schlimmen  Stelle,  wo  es 
schwimmen  musste ;  zurück  konnte  es  nicht  mehr,  da  der  Schmerz 
am  Unterkiefer  zu  heftig  wurde ;  wie  ein  Pfeil  schoss  der  Bauer, 
der  mit  eiserner  Faust  das  Tau  festhielt,  auf  dem  schmalen,  glatten 
Wege  dahin,  um  mit  dem  von  der  Strömung  abwärts  getriebenen 
Pferde  Schritt    zu  halten,  und  zog  gleichzeitig  mit  Leibeskräften  an 


Fig.   94.     Satteln    der  Pferde    nach    dem   Übergang    über    die  Jökulsä  bei  Eyriksstadir. 


dem  Strick,  bis  der  Ausreisser  glücklich  gelandet  war.  Wie  ein 
Pudel  schüttelte  er  sich ;  als  er  aber  seine  Kameraden  bemerkte, 
legte  er  alle  Angst  ab  und  fing  fröhlich  zu  grasen  an.  Dasselbe 
Manöver  wiederholte  sich  auch  bei  dem  neunten,  letzten  Pferde : 
es  hatte  sich  mit  dem  linken  Hinterfusse  an  einer  scharfen  Klippe 
gestosscn  und  blutete  heftig.  Es  war  augenscheinlich  das  schwächste 
und  furchtsamste  von  allen  unseren  Pferden ;  eine  lange,  lange  Zeit, 
so  dass  ich  es  schon  verloren  gab,  verschwand  es  unter  den  Wellen ; 
aber  der  Bauer  liess  mit  übermenschlicher  Kraft  die  Leine  nicht 
los;    endlich    tauchten    die  Ohren   auf,    der  ganze    Kopf,    und    dann 


Jökuldalsheidi.  195 

stampfte  es  gemächlich  die  steile  Seitenwand  empor.  Damit  war 
auch  das  letzte  Hindernis  siegreich  überwunden;  die  Pferde  wurden 
gesattelt  (Fig.  94)  und  frohgemut  konnte  die  Weiterreise  angetreten 
werden. 

Der  Bauer  gab  uns  selbst  das  Geleit,  und  ich  freute  mich  auf- 
richtig, mit  dem  verständigen  Manne  noch  plaudern  zu  können. 
Die  Jökuldalsheidi ,  etwa  500  m  ü.  M.,  liegt  zwischen  der  in  den 
Vopnafjördur  mündenden  Hofsd  imd  der  Jökiilsd  d  Brü,  eine 
steinige  öde,  wellenförmige  Hochebene,  aus  der  sich  jedoch  mehrere 
parallele  Gebirgsketten  und  einzelne  kleine  Gcbirgsknoten  erheben. 
Die  Karte  von  Björn  Giinnlaugsson  lässt  hier  vollständig  im  Stiche, 
die  Lage  der  Gebirgszüge  entspricht  nicht  der  Wirklichkeit,  viele 
Täler  und  Flüsse  fehlen,  und  selbst  die  Gehöfte  liegen  nicht  an  der 
richtigen  Stelle.  Noch  viel  unbrauchbarer  natürlich  ist  Björns  Karte 
am  Nordrande  des  Vatnajök^Ul,  aber  selbst  das  Gebiet  zwischen 
beiden  Gletscherflüssen  ist  völlig  verkehrt  eingezeichnet.  Selbst 
Thoroddsen,  der  die  Notwendigkeit  einer  genaueren  Karte  er- 
kannte, ist  durch  besondere  Zeitverhältnisse  und  schlechte  Witterung 
verhindert  gewesen,  alle  Fehler  zu  verbessern. 

Gegenüber  der  Stelle,  wo  wir  gestern  abwärts  nach  der 
Jökulsd  gerutscht  waren,  stiegen  wir  heute  empor.  Eine  Menge 
glazialer  Seen  breitete  sich  vor  uns  aus,  viel  mehr,  als  auf  den 
Karten  eingetragen  sind :  das  Anavatn ,  das  durch  die  Pverd  mit 
dem  Pverdrvatn  verbunden  ist,  die  in  die  Jökulsd  d  Bri'i  fliesst, 
Mntbrunnavafn,  Sccnaiitavatn,  Hafsvötn^  Prihyrningsvafu ,  Grioina- 
vatn.  Letzterer  See  ist  durch  die  Masse  von  Bimssteinasche 
fast  ausgetrocknet.  Auf  dem  von  Einar  als  grösstem  See  bezeich- 
neten Gripdeild  (Diebes-,  Räubersee)  wiegten  sich  etwa  zwölf  stolze, 
silberweisse  Schwäne,  die  sich  durch  unsere  Nähe  nicht  im  ge- 
ringsten stören  Hessen,  obwohl  sie  von  Mitte  Juli  bis  Anfang  Sep- 
tember nicht  fliegen  können.  Die  Seen  sind  überreich  an  Forellen, 
und  die  paar  Bauern,  die  hier  wohnen,  können  sie  beim  besten 
Willen  nicht  verspeisen.  Aber  das  sind  auch  ihre  einzigen  Schätze, 
und  an  den  Häusern  sieht  man,  wie  arm  ihre  Bewohner  sind;  es 
sind  die  dürftigsten  Behausungen,  die  ich  auf  Island  angetroffen 
habe,  windschief  und  fast  nur  aus  Grassoden  bestehend. 

Diese  Heidih\\diQ.t  dieGrenze  zwischen  denPalagonit-Formationen 
und  den  Basaltbildungen  des  Ostlandes,  in  die  sich  die  Jökulsd  d 
Bn'i  eine  tiefe  Rinne  gegraben  hat.  Bald  umfing  uns  die  öde, 
nackte  Steppe  mit  ihren  Todesschauern.  Vergebens  sucht  das  Auge 
nach  einem  freundlichen  grünen  Fleckchen ;  es  sieht  nichts  wie 
Sand  und  Steine  und  Staub ;  kein  Vogel,  kein  Tier,  keine  Pflanze, 
kein  Leben  regt  sich,  alles  ist  ausgestorben.  Hätte  uns  Einar  nicht 
mit  seinem  herzlichen  Lachen  aufgeheitert,  ich  glaube,  wir  wären 
melancholisch  geworden  und  hätten  kein  Wort  unter  uns  gewechselt; 

13* 


196  Jökuldalsheidi.     Mödrudalur. 

selbst  unsere  munteren  Pferdchen  schlichen  gesenkten  Hauptes 
träge  dahin.  Der  Boden  war  1  —  2  Zoll  dick  mit  Bimsstein  bedeckt; 
an  anderen  Stellen  lag  der  Grus  in  kleinen  Haufen  umher,  tiefe 
Risse  und  Spalten  zogen  bald  hier,  bald  dort  durch  die  Oberfläche : 
diese  Bimssteinschichten  sind  furchtbare  Zeugen  von  der  Grossartig- 
keit des  Ausbruches  in  der  Askja  vom  Jahre   1875. 

Je  mehr  wir  nach  Westen  hinüberbogen,  desto  eintöniger  wurde 
die  Gegend,  wenn  überhaupt  noch  eine  Steigerung  der  Öde  mög- 
lich war.  Wolken  von  feinem  Flugsande  flogen  über  uns  hin,  und  wir 
sahen,  wie  in  der  Ferpe  eine  mächtige  Staubsäule  plötzlich  hoch 
in  die  Luft  empor  wirbelte,  sich  mit  rasender  Geschwindigkeit  im 
Kreise  drehte  und  mit  einem  Male  verschwand ;  bald  darauf  wieder- 
holte sich  dasselbe  Schauspiel  an  einigen  andern  Stellen.  Auch  die 
Einsenkungen  des  Bodens  waren  von  dem  Flugsand  ausgefüllt,  zu- 
weilen hatte  der  Wind  diese  Mischungen  von  verwittertem  Pala- 
gonittuff,  vulkanischer  Asche  und  liparitischem  Bimssteinstaub  aus 
der  Askja  (niöhella)  zu  Dünen  zusammengefegt,  die  wie  kleine 
Wellen  über  die  Ebene  liefen,  nur  hier  und  da  mit  Flechten,  Moosen, 
Sandhafer  und  Weiden  bewachsen.  Zwei  Bergketten,  Mödrudals- 
gardar^  die  durch  eine  Ebene,  Geitasandur,  500  m  ü.  M.,  von  ein- 
ander geschieden  sind,  trennten  uns  noch  von  unserem  Ziele.  Ob- 
wohl sie  auf  Björns  Karte  nicht  verzeichnet  sind,  war  der 
Weg  doch  nicht  mehr  zu  verfehlen,  Einar  nahm  daher  Abschied 
von  uns. 

Als  wir  von  den  Bergen  niederstiegen,  zeigte  sich  plötzlich,  wie 
eine  Oase  in  der  Wüste,  Mödrudalur  vor  unseren  Augen  (Fig.  95); 
der  Name  ist,  wie  Mödruvellir  bei  Ahireyri  von  iiiadra  gebildet, 
„Galium  boreale".  Mödrudalur  mit  seinen  W' lesen  ringsum  ist 
gleichsam  eine  Welt  für  sich,  abgesondert  von  der  übrigen  Welt 
durch  die  Jökulsd  d  Fjöllum  nach  Westen,  und  die  Jökuldalsheidi 
und  Jökulsd  d  Brü  nach  Osten.  Das  Gehöft  machte  einen  statt- 
lichen, wohlhabenden  Eindruck  und  wird  als  die  Hauptstation  für 
die  Reisenden  zwischen  dem  Ost-  und  Nordlande  viel  von  Fremden 
besucht ;  doch  schien  es  mir  so,  als  ob  durch  die  vielen  Reisen  des 
Bauern  nach  dem  Auslande  nicht  alles  so  in  Ordnung  war,  wie  ich 
es  sonst  in  Island  gefunden  habe.  Mödrudalur,  eins  der  höchst 
gelegenen  Gehöfte,  469  m  ü.  ]\I.,  ist  meteorologische  Station,  die 
Witterung  ist  hier  bedeutend  strenger  als  an  der  Küste,  die  jähr- 
liche Mitteltemperatur  ist  -hO,8*'C.  Salix  glauca  und  Elymus 
arenarius  werden  im  Herbst  als  Winterfutter  verwendet,  Kartoffeln 
und  Rüben  gedeihen  nicht.  Wir  unterzogen  uns  zunächst  einer 
gründlichen  Reinigung,  unsere  Kleider,  Ohren  und  Augen  waren  voll 
Sand ;  denn  obwohl  wir  nur  7  Stunden  unterwegs  waren,  hatte  sich 
doch  bei  der  Hitze  und  dem  Staub  aus  unserem  Schweiss  und  dem 
Flugsand  eine  förmliche  Kruste  auf  den  Gesichtern  gebildet,  so  dass 


Mödrudalur. 


107 


wir  wie  Räuber  aussahen,  die  aus  dem  „Räubersec"  kamen;  dann 
betraten  wir  die  Gaststube,  wo  Kaffee  und  Milch  unser  warteten. 
Das  Zimmer  war  mit  verschiedenen  deutschen  Öldrucken  geschmückt, 
darunter  war  eine  Abbildung  des  Kcmigssees,  Bayerische  Jäger  und 
Schloss  Chillon.  Ögmundur  meinte,  sie  stammten  von  Konrad 
Maurer  her,  der  hier  1H58  längere  Zeit  verweilte.  Damals  war 
Mödrudalur  das  „eleganteste"  Gehöft  in  ganz  Island,  heute  ist  es 
nur  eins  der  reichsten^). 


Fig.  95.      Mödrudalur. 


Der  Abend  war  zu  schön,  als  dass  wir  in  der  Stube  hätten 
bleiben  können.  Vor  dem  Hause,  zu  dem  eine  Freitreppe  empor- 
führte, lag  eine  frisch  abgezogene,  mit  Salz  eingeriebene  Pferdehaut ; 
die  Haare  des  Schweifes  und  der  Mähne  hingen  am  Zaun,  zu  glatten 
Strähnen  geordnet,   und  sollten  später  zu  Angelschnüren  verarbeitet 

werden. 

Feierliches  Schweigen  lag  über  der  traumversunkenen  Land- 
schaft, und  die  Beleuchtung  war  so  eigenartig  und  wunderbar,  wie 
sie  nur  das  grausilberne  Licht  und  die  helle  Luft  Islands  hervorzu- 


1)  Zwei  interessante  Volkssagen,  die  hier  spielen,  bei  Maurer,  Isl.  Volkssagen, 
S.    154  —  157   und  Lehm  ann-Filhes  II,   S.   214  —  223. 


198 


Mödrudalur.     Herdubreid. 


bringen  vermögen.  Geradeaus  vom  Hause,  so  dass  man  meint,  sie 
mit  den  Händen  greifen  zu  können,  erheben  sich  die  steilen,  dunkeln 
Wände  der  Herdiibreid  (die  Breitschulterige,  i66o  m.j,  auf  die  oben 
eine  flache  Schneedecke  aufgestülpt  ist  (Fig.  96).  Wir  hatten  den 
schönen,  isolierten  Berg  schon  während  des  ganzen  Tages  vor  Augen 
gehabt,  und  Ögmundur  verglich  ihn  wegen  seiner  Lage  mitten  in 
der  Ebene  mit  einem  riesigen  englischen  Pudding  auf  einer  flachen 
Schüssel.  Der  Berg  besteht  aus  sehr  grobkörniger  Breccie  mit  ein- 
gelagerten, olivinreichen  Basaltblöcken,  und  ist  nicht,  wie  Keil  hack 
angibt  (Z.  d.  Deutschen  geol.  Ges.  Bd.  38.  S.  400)  ein  Vulkan,  son- 
dern ein  Brecciefelsen,  und  zwar  so  steil,  dass  weder  Thoroddsen 


Fig.  96.     Herdubreid. 


hat  hinaufreiten  (!)  können,  noch  sehr  geübte  MitgUeder  des  eng- 
lischen Alpenklubs  ihn  haben  ersteigen  können;  aber  er  ist  auf 
allen  Seiten  von  Lavaströmen  umgeben,  und  die  Ausbrüche,  die  man 
der  Herdubreid  zugeschrieben  hat,  haben  vermutlich  in  der  Dyng- 
hifjöll  stattgefunden.  Seinen  Gipfel  bedeckt  eine  Firnkappe,  aber 
die  Wände  fallen  allzu  lotrecht  herab,  als  dass  eine  eigentliche 
Gletscherbildung  stattfinden  könnte;  in  heissen  Sommern,  wie  1904, 
verschwindet  die  Schneepyramide  des  Gipfels  zum  grossen  Teile. 
Nördlich  von  der  Herdubreid  ziehen  sich  die  schroffen  Tufifspitzen 
der  HerdiibreidarJjölL  hin,  858  m,  südlich  die  völlig  mit  Bimsstein- 
grus bedeckten  Herdubreidartögl  (1077  m);  dahinter  schimmert  der 
gewaltige  Schild  des  Kollötta  Z>v«^'(7 -Vulkans  empor  (1209  m), 
und  südlich  von  ihm  steckt  der  Kamm  des  Brardrafell,  ,,wie  ein 
ungeheueres    Stachelschwein"    seine    mächtigen    Tuffsäulen    empor. 


Mödrudalur.     Jökulsä  ä  Fjöllum.  199 

Bis    ZU  den  Dvng/u//ö//  und  selbst  bis  zu  den  KverkfjöLl  und  dem 
Dyngju/ökull,' den  nördlichsten  Ausläufern  des  VatnajökuU  schweifte 
das  Auge    nach  Westen    und  Süden;    der  Dyugjujökiill  (400   qkm.) 
ist  so  mit  Schlamm,  Kies  und  grossen  Doleritblöcken  l)edeckt,  dass 
er  den  Eindruck  eines  Lavastromes  macht,  obwohl  vr)n  seiner  Firn- 
flcäche   keine    einzige    Bergspitze    aufragt;    die  Oberfläche    des  Glet- 
schers   ist    mit  Eiszacken   und  Eispyramiden    besetzt.     Dahinter  lag 
die  ausgedehnteste  und  ödeste  aller  zusammenhängenden  Lavaflächen 
Islands,    das    Ödddahrauii ,    das    ein   Areal    von  3400  qkm   umfasst. 
Nach  Norden  zu  erhoben  sich  die  Berge  des  Myvatn,  von  goldenem 
Schimmer    übergössen;    kein  Berg    glich   dem    andern,    bald   war    es 
eine  Spitze,    bald  eine  Pyramide,  bald  ein  breiter  Rücken,  bald  ein 
tiefer   Sattel,    bald    ein    spitzer  Kegel,    bald   eine    gewölbte   Kuppel. 
Die  gelbe  Färbung  am  Himmel  ging  langsam  in  ein  eigentümliches 
Rotbraun    über,    und    in    der  Ferne    stiegen    schwarze,    dunkelblaue 
Wolken  auf,    die  in  ihrem  Schoss  ein  Gewitter  zu  tragen   schienen. 
Als    aber    gegen   1 1   Uhr    der  Vollmond   durchbrach ,    wechselte    die 
Beleuchtung   abermals,   ein    kaltes  Blau    legte    sich    über  die    fernen 
Firnflächen,  und  fröstelnd  begab  ich  mich  zur  Ruhe. 

24.  Juli. 

Wir  ritten  immer  der  Jökiihd  d  Fjöllum  [=  auf  den  Bergen, 
oder  Jökulsd  i  Axarßrdi  genannt,  nach  dem  Meerbusen  Axarfjör- 
dur,  in  dem  sie  in  das  Meer  mündet)  parallel,  die  zu  unserer  Linken 
blieb,  nach  Norden  zu.  Sie  galt  früher  als  der  längste  Fluss  Islands, 
was  aber  die  PJörsd  ist,  hat  ein  Gebiet  von  94  n-Meilen  und  führt 
450  km  Wasser  in  der  Sekunde;  sie  entspringt  in- einer  Einsenkung 
zwischen  dem  Ostrande  des  Dyngjujökiill  und  den  Kverkfjöll  und 
fliesst  bis  zum  Meere  durch  Tuff-  und  Breccieterrain  ohne  nennens- 
werte Talbildung,  die  tiefe  Kluft  unterhalb  des  Deltifoss  ist  nach 
Thoroddsen  (Island,  S.  36)  mehr  einer  vulkanischen  Spalten- 
bildung als  der  Erosion  des  Wassers  zuzuschreiben,  sie  ergiesst  sich 
in  die  „Axtbucht".  Selbst  die  Jökulsd  d  Brü  und  das  Lagar- 
fljöt  sind  nur  5  Meilen  kürzer  (je  20  Meilen  lang),  und  das 
Skjdlfandafljöt  ist  fast  eben  so  lang  (24  Meilen),  hat  ein  Gebiet 
von  2800  qkm  und  führt  eine  Wassermasse  von  105  cbm  in  der 
Sekunde. 

Der  Boden  war  weich  und  bestand  ausschliesslich  aus  Sand. 
Ohne  Beschwerde  passierten  wir  die  Skardsd.  Im  Gänsemarsch 
trotteten  wir  bei  Prallhitze  durch  das  spärliche,  dürre,  raschelnde 
Gras,  spitzgeformte,  braune  und  schwarze  Berge  entlang,  die  ohne 
jeden  Pflanzenwuchs  waren,  selbst  ohne  dürftiges  Moos.  Kein  W'ölk- 
chen  bedeckte  den  blauen  Himmel.    Fast  unerträglich  wurde  die  Glut, 


200  Durch  die  Wüste. 

als  wir  in  den  engen,  schmalen,  von  Bergen  rings  eingeschlossenen 
Vi'didalur  einbogen,  kein  Lüftchen  regte  sich,  und  träumend  ritt  ich, 
um  dem  Staub  zu  entgehen,  am  Ende  des  Zuges.  Plötzlich  blieb  mein 
Pferd  in  dem  weichen  Sande  stecken,  in  schönem  Bogen  glitt  ich 
vornüber  und  lag  mit  meiner  Brille  mitten  im  Sande.  Regungslos  stand 
der  Gaul  still,  erst  als  ich  mich  erhob,  nahm  er  Reissaus  und  galop- 
pierte seinen  Genossen  nach,  bis  er  von  Ögmundur  aufgefangen 
wurde.  Ich  hatte  mir  nur  die  linke  Hand  etwas  aufgeschlagen  und  war 
ordentlich  froh,  den  grossen  Apothekerkasten  in  Anspruch  nehmen  zu 
können,  wenn  es  auch  nur  ein  Heftpflaster  war,  das  ich  ihm  entnahm; 
so  war  das  grosse,  schw'ere  Ding,  das  so  viel  Platz  im  Koffer  ein- 
nahm und  mich  jeden  Abend  und  Morgen  beim  Aus-  und  Einpacken 
geärgert  hatte,  wenigstens  einmal  nützlich  gewesen.  Ögmundur 
aber  gab  mir  die  weise  Warnung:  ,,Auf  gefährlichen  Strecken  ist 
man  achtsam  und  behutsam ,  da  kommt  nichts  vor ;  w^o  es  aber 
harmlos  ist,  passiert  am  meisten;  mancher  hat  schon  seinen  Finger 
beim  Bohren  in  die  Nasenlöcher  gebrochen".  Der  Bauer  des  Ge- 
höftes jydtdalur  lud  uns  freundlich  zu  einer  Tasse  Kaffee  ein,  und 
da  wir  ganz  verschmachtet  waren,  folgten  wir  ihm  gern  in  das  alter- 
tümliche Haus  und  tappten  durch  einen  langen  dunklen  Seitengang 
eine  halbe  Treppe  hoch  in  die  Stube.  Auffallend  war  mir,  dass 
das  mit  Gras  gedeckte  Dach,  das  sonst  grünt  und  womöglich  blüht, 
hier  vollständig  ausgetrocknet,  dürr  und  kahl  war.  So  einfach  und 
dürftig  der  Raum  auch  ausgestattet  war,  —  das  eine  ausziehbare 
Bett  diente  zugleich  als  Tisch  —  eine  Wanduhr,  Nähmaschine  und 
Barometer  fehlten  nicht,  und  der  recht  gute  Kaffee  wurde  sogar  in 
einer  silbernen  Kanne  dargeboten,  auf  deren  Deckel  sich  ein  islän- 
discher Falk  erhob,  der  einen  getöteten  Drachen  zwischen  den  Fängen 
hielt:  wie  ich  von  der  Bäuerin  erfuhr,  eine  Versinnbildlichung  des 
Gedankens,  dass  Islands  fürchterlichste  Krankheit,  der  Aussatz,  im 
Aussterben  begriffen  ist.  Übrigens  fand  ich  derartige  Kannen  von 
nun  an  auf  jedem  Gehöfte  bis  Akureyri  vor.  Die  geblümten  Por- 
zellantassen hatten  einen  Goldrand,  und  die  schwer  beladenen 
Kuchenteller  standen  auf  einem  richtigen  Präsentierbrette,  das  mit 
einer  weissen  Serviette  bedeckt  war.  Es  war  alles  ungemein  sauber, 
und  als  sich  gar  herausstellte,  dass  die  Hausfrau  die  Schwester  der 
Bäuerin  von  Exn'kssladir  war,  wir  also  direkt  Nachrichten  von  dem 
wackeren  Einar  und  seiner  freundlichen  Gattin  bringen  konnten, 
widerstanden  wir  nur  schwer  der  Einladung,  die  Nacht  über  hier 
zu  bleiben. 

Wieder  begann  der  Ritt  durch  die  gelbgraue  Wüste,  in  der 
sich  lauter  Haufen  und  kleine  Hügel  von  Flugsand  wellenförmig  er- 
hoben. Von  Reitweg  ist  hier  keine  Rede  mehr,  nur  ganz  vereinzelt 
zeigen  kleine  Steinpyramiden  die  Richtung  an,  meist  ist  man  auf 
gut  Glück  angewiesen.     In  den  Tälern    hat   der  Flugsand  lössartige 


Grimstadir.  201 

Schichten  gebildet,  die  die  Isländer  viöhella  nennen,  der  Wind  hat 
ordentHch  Furchen  in  sie  eingegraben,  und  an  den  kleinen  Plateau- 
flächen sind  die  einzelnen  Lagen  von  Pflanzenstengeln  durchwebt. 
Ich  hielt  es  vor  Staub  nicht  aus,  sprengte  voran  und  war  so  glück- 
lich, den  Weg  zu  finden,  wenn  man  von  ,,Weg"  reden  kann.  Durch 
Sandhafer,  der  vertrockneten  Kakteen  glich,  und  zerstreute  Exem- 
plare von  Silene  maritima  (Ifohirt,  oder  Fdlkapnngur),  Cerastium 
alpinum  (Milsareyra)  und  Armeria  sibirica  (Gullintoppa)  und  dicke 
Bildungen  von  altem  Flugsande  kamen  wir  endlich  zu  den  Ruinen 
des  ehemaligen  Gehöftes  Grimstadir.  Als  man  vor  mehr  als 
25  Jahren  hier  einen  Brunnen  grub,  stiess  man  unter  der  6  m  tiefen 
Flugsandbildung  auf  eine  2  ^/a  m  dicke  Schicht  Kiessand,  die  wieder 
auf  einer  festen  Masse  von  Palagonitbreccie  ruhte.  Beim  Ausbrucii 
der  Askja  1875  fiel  am  28.  März  zweimal  Asche,  darunter  eine 
Menge  verfilzter,  fast  i  m  langer,  dunkelbrauner  Glasfäden,  die  wie 
grobe  Glasfäden  aussahen  und  auf  der  Jökulsd  schwammen.  Diese 
führt  nach  Heiland  hier  eine  Wassermenge  von  450  cbm  in  der 
Sekunde,  und  die  Masse  Gletscherschlamm,  die  sie  mit  sich  führt, 
beträgt  nach  demselben  Gelehrten  nicht  weniger  als  23328  Tons 
täglich.  Von  dem  alten  Gehöfte  ragten  nur  noch  ein  paar  zer- 
fallene Wände  traurig  empor,  aber  etwas  Gras  war  wenigstens  da, 
dass  die  Pferde  sich  erholen  konnten.  Vor  vier  Jahren  war  der 
Bauer  von  hier  fortgezogen,  näher  an  die  Jökulsd  d  Fjölluni  heran, 
weil  alles  versandet  war  (die  Lage  von  Grimstadir  ist  demnach  auf 
allen  Karten  zu  berichtigen).  Eine  halbe  Stunde  später  waren  wir 
in  dem  neuen  Gehöft  Grimstadir ,  dem  südlichsten  Bauernhofe 
der  Nordiir  Pingeyjar  sysla.  Wieder  leuchtete  von  weitem  die 
Kuppe  der  Herdubreid  herüber,  und  der  Bauer  sagte  mir,  dass  der 
Berg  den  Knechten  als  Tagmesser  dient. 

Unsere  erste  Bitte  galt  frischem  Wasser,  aber  zweimal  musste 
das  grosse  Becken  geleert  werden,  und  erst  beim  dritten  Male  kam 
wieder  Grund  in  die  Haut  und  in  die  Haare.  Grimstadir  liegt  ganz 
ähnlich  wie  Mödriidalur.  Der  umsichtige  Bauer  brachte  sogleich 
starken  Kaffee  und  vier  verschiedene  Sorten  Kuchen,  darunter 
englische,  mit  Himbeer-Marmelade  gefüllte  Kakes.  Das  Abendessen 
bestand  aus  lauter  isländischen  Nationalgerichten ,  die  uns  bis  auf 
das  Walfleisch  gut  mundeten.  Er  hatte  es  kürzlich  von  der  Küste 
mitgebracht ,  als  er  200  Pf.  Roggen  für  1 7  Kr.  eingekauft  hatte, 
die  Transportkosten  für  diese  berechnete  er  sich  mit  6  Kr.  An 
den  Wänden  der  Gaststube  hingen  das  Tausendjahrbild,  Thorodd- 
sens  geologische  Karte,  Christus  mit  der  Dornenkrone  und  die 
Mater  dolorosa.  Aber  von  katholischen  Gefühlen  war  bei  dem 
Bauern  nicht  das  Geringste  zu  merken ;  seine  sehr  vernünftige  Ant- 
wort lief  etwa  auf  dasselbe  hinaus,  was  Schiller  mit  den  Versen 
ausdrückt : 


202 


Grimstadir. 


Mit  der  Mutter  und  ihren  Söhnen 

Krönt  sich  die  herrlich  vollendete  Welt. 

Selber  die  Kirche,   die  göttliche,   stellt  nicht 

Schöneres  dar  auf  dem  himmlischen  Thron. 

Höheres  bildet 

Selber  die  Kunst  nicht,  die  göttlich  geborne, 

Als  die  Mutter  mit  ihrem  Sohn. 


Vierzehntes   Kapitel. 

Reise  durch  die  Noraur  und  Sudur  Mngeyjar  sysla. 

25.  Juli. 

In  Gnmstadir  spielt  eine  der  beliebten  Äch  t  er  sagen  ^). 
Ödddahraun  ist,  wie  früher  gezeigt,  eine  der  wenigen  Stellen,  wo  man 
wirklich  Beweise  für  den  Aufenthalt  findet.  Jon  Eggertsso7i  (1643-89), 
derselbe,  der  erwähnt,  dass  sich  die  Schlange  im  Lagarfl/öiim  Todes- 
jahre Friedrich  III.  habe  sehen  lassen,  sagt,  bei  dem  Berge  Herdu- 
hreid sei  ein  mächtiges  Tal  und  in  diesem  viele  wilde  Schafe; 
wenn  im  Sommer  starker  Südwind  wehe,  so  kämen  sie  gegen 
Norden  zu  aus  dem  Tale  herab.  Ein  Geistlicher  im  Mödrudalur 
fing  einst  80  Stück  davon  ein,  die  sämtlich  sehr  schön  waren  und 
keine  Zeichen  trugen.  Thoroddsen  fand  hier  Ruinen  von  Hütten, 
die  aus  Lavaplatten  zusammengesetzt  waren,  die  Wände  waren  mit 
Moos  verstopft.  Aber  auch  die  Gebirgs-,  Eis-  und  Lavawüsten  der 
Umgegend  sollen  Friedlose  beherhergt  haben.  Im  Laufe  der  Zeit 
wuchsen  sie  zu  Übermenschen  heran,  wurden  gewaltige  Zauberer 
und  nahmen  mancherlei  Züge  der  Elfen  und  Unholde  an. 

Eine  halbe  Stunde  westlich  von  Grimstadir  passierten  wir  die 
Jökulsd  in  derselben  Weise,  wie  im  Anfange  der  Reise  die  Hvitd 
und  P/ursd\  zuerst  wurden  die  Koffer  und  Sättel  in  einem  Boote 
hinübergebracht,  dann  wir  selbst,  die  Pferde  mussten  schwimmen. 
Der  Fluss  führte  eine  Menge  faustgrosser  Bimssteine,  und  am  flachen 
Ufer  war  alles  davon  bedeckt.  Wir  ritten  heute  das  westliche 
Ufer  der  Jökulsd  entlang,  am  äussersten  Rande  der  berüchtigten 
MyvalnörcF/i :  diese  Wüste  liegt  östlich  von  den  früher  genannten 
Bergen  und  erstreckt  sich  die  Jökulsd  entlang  bis  zum  Meere,  ohne 

1)  Maurer,  Isl.  Volkssagen,  S.  156;  L  e  h  m  a  nn- F  il  h  es  II,   S.  228  —  230,  vergl. 
S.   95,  Anm. 


204  Myvatnsöraefi.     Sveinagjä. 

von  Bergen  unterbrochen  zu  werden;  nur  in  ihrem  südlichen  Teile 
kommen  einige  Kraterreihen  vor.  vulkanische  Klüfte  und  einge- 
sunkene Landstreifen;  die  hier  befindlichen  Lavaströme  stehen  mit 
dem   Odddahraiiii  in  ^/erbindung. 

Wären  wir  direkt  von  Grimstadir  nach  Reykjahlid  am  Mijvatn  geritten, 
so  hätten  wir  die  22  km  lange  Kraterreihe  der  Sveinagjä  mit  50 — 60  Kratern  pas- 
siert; von  diesen  Kratern  wurde  vom  18.  Februar  bis  August  1875  ein  Lavasstrom  mit 
einem  Volumen  von  ca.  300  Millionen  cbm  ausgegossen;  die  nördlichste  Kraterreihe 
in  den  Myvainsönvfi  befindet  sich  in  der  Nähe  des  Detiifoss.  Vor  dem  Ausbruche 
befand  sich  hier  eine  400 — 500  m  breite  und  10 — 16  km  lange  Senkung  zwischen 
senkrechten,  10-20  m  hohen  Lavawänden;  nach  heftigen  Erdbeben  brach  die  Lava 
an  der  westlichen  Spaltenwand  hervor,  füllte  die  Senkung  aus  und  floss  weit  über 
beide  Spalten  hinaus').  Knebel,  der  1905  mit  meinem  Führer  Ögmundur  hier 
war,  nennt  diese  Lava  das  Trostloseste  an  Laven,  was  er  gesehen  habe;  das  Lava- 
feld sei  fast  unpassierbar,  und  der  Übergang  über  ein  etwa  2  km  breites  Tal  davon 
habe  vier  volle  Stunden  beansprucht ;  die  Oberfläche  sei  völlig  rauh  und  bestehe  aus 
lauter  geborstenen  und  übereinander  geschobenen  Lavaplatten ,  so  dass  man  jeden 
Augenblick  einbräche. 

Obwohl  wir  nur  die  letzten  Ausläufer  der  Lavaergüsse  der 
„Jünglingsspalte"  passierten,  war  der  Weg  unangenehm  genug.  Die 
Unterlage  der  etwa  5 — 300  m  ü.  M.  liegenden  Ödung  besteht  aus 
Lava.  Die  breiten  schwarzen  und  bläulichen  Platten,  deren  Ober- 
fläche von  verfilzten  Lavaseilen  bedeckt  ist,  stehen  überall  aus  dem 
Flugsande  heraus,  der  auf  grosse  Strecken  einen  beweglichen 
Teppich  über  dem  Ganzen  bildet ;  nur  hier  und  da  hat  Sandhafer 
Wurzel  schlagen  können.  Viele  Unebenheiten  in  den  Lavafeldern 
waren  von  Flugsand  ausgefüllt,  der  aus  verwittertem  Palagonittuff 
bestand;  in  anderen  Vertiefungen  hatte  sich  schwarze  oder  graue 
vulkanische  Asche  abgelagert,  die  mit  Sandhafer  bewachsene  Dünen- 
partien bildete.  Das  Passieren  der  Tausende  von  kleinen  Hügeln, 
die  wie  hohe  Maulwurfshügel  aussahen,  machte  den  Pferden  unsäg- 
liche Beschwerde,  sie  stolperten  unausgesetzt  und  bedurften  un- 
ablässig der  Peitsche.  Zum  Glück  hatte  es  in  der  Nacht  etwas 
geregnet,  die  Sonne  brannte  nicht  zu  heiss,  und  ein  kühler  Wind 
fächelte  uns  Linderung  zu.  Trotzdem  lag  der  Staub  bald  finger- 
dick auf  den  Kleidern,  die  Ögmundur  in  der  Nacht  mit  vieler 
Mühe  ausgeklopft  hatte.  Gegen  ^littag  sahen  wir  in  der  Ferne 
feine  Rauchwolken  aufsteigen,  ich  dachte  zuerst  an  den  Dampf 
heisser  Quellen ;  aber  der  Rauch  wuchs  zusehends ,  bald  merkten 
wir,  dass  es  ein  Sandsturm  war,  der  auf  dem  östlichen  Ufer  der 
Jökiilsd  dahin  wirbelte;  eme  lange,  schmale  Säule  fegte  bis  zu 
den  Wolken  empor,  drehte  sich  ein  paarmal  im  Kreise  und  war 
plötzlich  wieder  verschwunden.  An  Lavagebilden  vorüber,  die  ver- 
streut,   wie    Burgen    und    Mauern,    auf    uns    niederblickten,    kamen 


t)  Thoroddsen,  Island  I,   S.    116. 

-)  Globus   1905,  Nr.  24,   S.  377;  hier  auch  zwei  gute  Abbildungen. 


Dettifoss. 


•20c 


wir  endlich  zu  einem  kleinen  Grasfleck,  die  Pferde  fielen  gierig 
über  das  Gras  her.  Nicht  einmal  vördur  gaben  den  weiteren  Weg 
an;  es  galt  nur,  den  Fluss  nicht  aus  den  Augen  zu  verlieren.  Ge- 
trockneter Pferdedünger  aber  zeigte,  dass  doch  zuweilen  Menschen 
sich  hierher  verirren  f  freilich  kann  es  nicht  oft  der  Fall  sein,  denn 
massenweise    lag    Wolle    von    den    Schafen    umher    oder    hing    an 


Fig.  97.     Dettifoss. 


Büschen  von  Salix  glauca;  also  nicht  einmal  diese  hatte  die  Bauern 
verlocken  können,  in  die  Öde  vorzudringen. 

Nach  zwei  Stunden  sahen  wir  abermals  weissen  Dampf  auf- 
steigen, aber  diesmal  war  es  wirklich  Wasserdampf,  kein  Staub. 
Über  mächtiges  Basaltgeröll,  das  von  Riesenfäusten  durcheinander 
geworfen  zu  sein  schien,  stiegen  wir  in  die  Höhe,  Hessen  die  zu- 
sammen gebundenen  Pferde  in  der  Nähe  eines  kleinen,  klaren  Sees 


206  Dettifoss. 

zurück  und  suchten  den  Weg  nach  dem  Dettifoss  (304  m  ü.  M.). 
Rechts  Hessen  wir  in  einiger  Entfernung  einen  kleinen  Fall  liegen,  der 
nicht  so  hoch  ist  wie  der  eigentliche  Foss,  aber  wegen  seiner  vielen 
Arme  wunderhübsch  aussieht.  Der  Dettifoss  entspricht  seinem  Namen 
(aisl.  detta  ^  schwer  und  hart  niederfallen).  Seine  Wassermenge  ist 
vielleicht  nicht  so  gewaltig  wie  die  des  Gullfoss,  aber  sie  ist  lehmig 
weiss  und  stürzt  von  einer  senkrechten  Felswand  ungeteilt  mit  ihrer 
ganzen  Wucht  und  unter  wildem  und  furchtbarem  Toben  in  einer 
Höhe  von  107  m  in  die  Tiefe  (Fig.  97).  Unterhalb  des  Foss  fliesst 
die  Jökttlsd  durch  eine  20  km  lange  und  100 — 150  m  tiefe  Spalte 
durch  Dolerit  und  Tuff;  an  den  Seitenwänden  sieht  man  die  basal- 
tischen Lavaströme  im  Querschnitt  auf  Dolerit  ruhen.  Thoroddsen 
vermutet,  dass  die  Spalte  vulkanischen  Ursprungs  ist  ^) ;  am  Boden 
der  Kluft  setzt  der  Strom  mit  Wasserwirbeln  und  Kaskaden  seinen 
Lauf  zum  Meere  brausend  und  schäumend  fort.  Man  bemerkt 
deutlich  die  verschiedenen  dicken  Doleritbänke,  oft  mit  schönen 
Säulen,  von  denen  die  meisten  lotrecht  nach  oben  und  nach  unten 
stehen,  während  andere  schief  und  einzelne  gekrümmt  sind.  Nord- 
westlich vom  Dettifoss  befindet  sich  eine  bedeutende,  von  Lava 
ausgefüllte  Einsenkung,  die  von  der  Spalte  durchklüftet  worden  ist, 
die  sich  die  Jökitlsd  zum  Meere  bahnt.  Westlich  \ova  Foss  ist  ein 
Lavatal  mit  Schlackenkratern  und  neuerer  Lava,  schwarze  Basalt- 
blöcke heben  sich  von  dem  graulichen  Dolerit  ab ;  diese  Kraterreihe 
setzt  sich  am  rechten,  ganz  zerrissenen  und  wildsteinigen  Ufer  fort, 
einer  der  grössten  Krater  heisst  Kveinisödiill  (Frauensattel). 

Der  Engländer  Watts  hat  den  Dettifoss  (Across  the  Vatna 
Jökull,  S.  120)  mit  dem  Niagarafall  verglichen.  Nach  Bildern  zu 
urteilen,  ist  in  der  Tat  eine  gewisse  Ähnlichkeit  zwischen  dem 
sogenannten  ,, amerikanischen  Fall"  und  dem  Dettifoss  vorhanden. 
Er  ist  mehrfach  von  isländischen  Dichtern  besungen,  zuletzt  von 
Eiiiar  Beiiediktsson  {Skt'rnir^  1905,  S.  97 — loo);  von  keinem  aber 
schöner  als  von  Knstjdii  Jöiisson,  einem  armen,  zwanzigjährigen 
Bauernknechte  (geb.  21.  Juli  1S42).  Als  das  Gedicht  1861  in  einer 
Rcyk/a7'/'ker  Zeitung  erschien,  erregte  es  das  grösste  Aufsehen  und 
machte  den  Sänger  mit  einem  Schlage  zum  Volksdichter  (pfödskald); 
Pöstion  hat  es  übersetzt  (Eislandblüten,  S.  86/7). 

Der  Wasserstaub  hat  unterhalb  des  Falles  auf  einem  Seiten- 
rand eine  üppige  Vegetation  hervorgerufen.  Bis  hierher  kann  man 
klettern  und  hat  dann  den  imposanten  Foss  in  seiner  ganzen 
Mächtigkeit  vor  sich ;  beugt  man  sich  vorsichtig  über  den  Felsen, 
so  kann  man  ihn  bis  zum  Boden  der  fökulsd  verfolgen,  während 
der  obere  Teil  vor  Gischt  und  Refjen  nicht  lange  zu  betrachten  ist. 


1)  Thoroddsen,  Vulkane  im  nordöstlichen  Island.    Mitt.  d.  k.  k.   Geogr.   Ges. 
1891.     S.    126;  Island   S.   35,  41. 


Dettifoss. 


207 


Der  feine  dunkle  Sprühregen  des  Falles  zwang  uns  schon  nach  einer 
Stunde,  wieder  fortzugehen;  denn  da  wir,  obwohl  wir  durch  den 
Besuch  des  Giillfoss  hätten  gewitzigt  sein  können,  kein  Ölzeug 
anhatten,  war  der  Staub  auf  unsern  Röcken  in  eine  dunkle,  braune 
Brühe  verwandelt,  und  beschmutzt  und  beschmiert  von  oben  bis 
unten,  kletterten  wir  zurück. . 

Der  Führer   hatte  gedacht,    in  einer  halben  Stunde  würden  w^ir 
ins  Quartier  kommen,  aber  es  waren  fast  noch  drei  Stunden  Weges. 


Fig.   98.      Wäsche  und   Abkochen   vor   Svinadalur. 


Der  mahlende  Sand  hörte  zunächst  nicht  auf,  dann  aber  löste  ihn 
ein  fürchterliches  Steingeröll  ab.  Grossartig  war  der  Blick  nach 
rechts  auf  das  Ufer  der  Jökulsd\  seltsam  geformte  Berge  bauten 
sich  terrassenförmig  auf,  breite  Bergkuppen  mit  steil  abfallenden 
Wänden  sahen  wie  zackige  Hahnenkämme  aus ;  Lavaklippen  und 
-Mauern  standen  wie  in  Reih  und  Glied  aufmarschiert  da,  und 
hinter  ihnen  schimmerten  von  den  Bergen  breite  Schneefelder 
durch.  Die  steilen  Felswände  der  Jöknlsd  erinnerten  in  ihrer 
wuchtigen  senkrechten  Schroffheit  an  die  Ali/iannag/d.    Ögmundur 


208  Svinadalur. 

kletterte  auf  einen  Felskegel  und  spähte  nach  dem  Wege :  ein 
schmaler  Reitstieg  schlängelte  sich  durch  das  Stein -Labyrinth;  wir 
folgten  ihm  und  befanden  uns  plötzlich  in  einer  lachenden  Au  an 
einem  munter  rieselnden  Bache.  Der  schroffe,  unvermittelte  Gegen- 
satz zwischen  der  gelbbraunen  Sandwüste,  dem  öden  Felsgewirr 
und  der  von  blauen  Blumen  geschmückten  Wiese  war  für  uns 
geradezu  überwältigend.  Im  Nu  waren  die  Rosse  abgepackt,  und 
während  der  Führer,  da  der  kalte  Wind  ziemlich  heftig  bhes,  in 
einem  Koffer  die  Spiritusmaschine  anzündete  und  eine  Konserven- 
büchse wärmte,  wusch  ich  mir  gründlich  Kopf  und  Hals.  Mein 
Begleiter  war  heimtückisch  genug,  uns  unvermutet  in  diesem  Augen- 
blicke zu  photographieren  (Fig.  98). 

Ögmundur  forderte  uns  auf,  tüchtig  von  den  Frankfurter 
Würstchen,  dem  Speck  und  Käse  zuzulangen,  denn  im  Quartier 
gäbe  es  nichts  zu  essen.  Über  zwei  Stunden  lagen  wir  in  behag- 
licher Ruh  im  frischen  Grase,  und  hätten  wir  gewusst,  dass  wir  nur 
noch  dreiviertel  Stunde  Weges  bis  Svinadalur  gehabt  hätten,  wären 
wir  noch  länger  geblieben.  An  einem  jungen  Birkenwalde  vorüber, 
in  dem  manche  Stämme  wohl  jManneshöhe  hatten,  trabten  wir  auf 
unser  Ziel  zu,  durchquerten  das  hübsche  Tal,  das  den  prosaischen 
Namen  ,, Schweinetal"  führt,  und  bogen  durch  ein  grosses  Tun  in 
das  Gehöft  ein.  Vor  dem  Hause  war,  wie  in  Gri'instadir,  ein  ganz 
vertrockneter  Baum  eingegraben,  und  die  dürren  Aste  dienten  zum 
Aufhängen  der  Kinderwäsche,  Strümpfe  und  anderer  Sachen.  In 
der  sauberen  Stube  wurden  zwei  Betten  zurecht  gemacht,  ein 
angenehmer  Duft  nach  frisch  getrockneten  Kräutern  füllte  den 
Raum,  Grasbüschel  hingen  über  dem  Spiegel,  und  an  den  Wänden 
eine  grosse  Photographie  von  Jesus  und  Maria.  Bald  stellte  ein 
Kind  noch  ein  Glas  soeben  gepflückter  Blumen  auf  die  Kommode ; 
Milch,  Brot  und  Butter  wurden  aufgetragen;  Ögmundurs  Be- 
fürchtung, wir  würden  Hunger  leiden,  war  also  unbegründet. 


26.  Juli. 

Die  Landschaft  bei  Svf)mdahir  macht  einen  ganz  eigenartigen 
Eindruck.  Die  grossen  vulkanischen  Riesen,  die  wunderlichen  Fels- 
formen und  die  hübschen,  mit  lebhaftem  Grün  geschmückten  Fels- 
abhänge geben  der  Gegend  eine  wildromantische  Schönheit,  wie 
man  sie  auf  Island  nur  selten  trifft.  Die  Mächtigkeit  der  präglazialen 
Lavaströme  etwas  südlich  beträgt  nach  Thoroddsen  über  lOO  m. 
Im  Flussbett  der  Jökulsd  tritt  Palagonitbreccie  zutage,  und  eine 
Menge  der  eigentümlichen  Basaltablagerungen  und  der  unregel- 
mässigen Gänge  in  der  Brecciemasse  finden  sich ,  überall  ruht  der 
Dolerit  auf  der  Breccie. 


Svinadalur. 


209 


Manches  Altertümliche  hat  sich  hier  noch  erhalten,  obwohl  wir 
uns  schon  auf  der  grossen  Touristenstrecke  befinden,  die  von 
Akiireyri  aus  alljährlich  abgeklappert  wird.  Neu  war  mir  der  An- 
blick einiger  Knechte,  die  Ohrringe  trugen.  Die  alten  Isländer 
haben  wohl  Ringe  um  den  Hals,  Ober-  und  Unterarm,  Hand.  Finger 
und  Fuss  getragen;  aber  dass  die  Männer  wie  Frauen  mit  Ohrringen 
geschmückt  gewesen  wären,  ist  mir  nicht  erinnerlich.  Wirklich 
sehenswert   war   der    Herd.     Da  ich   die   Einrichtung    eines    solchen 


Fig.  99.     Alter  Herd  in  Svinadalur. 


früher  beschrieben  habe,  mag  die  beigegebene  Photographie  das 
Gesagte  erläutern  (Fig.  99).  Die  Aufnahme  ist  mit  jNIagnesiumlicht 
erfolgt,  und  als  es  unvermutet  aufflammte,  stiessen  die  Knechte 
und  Mägde,  die  vom  Flur  aus  zusahen,  einen  lauten  Schrei  aus. 

Die  Nähe  des  IMückensees  machte  sich  bereits  unangenehm 
bemerkbar.  Die  Glücken  belästigten  nicht  nur  uns,  wenn  wir 
draussen  standen  oder  gingen,  sondern  sie  hatten  auch  die  Pferde 
über  eine  Stunde  weit  versprengt,  und  ein  Knecht  musste  aus- 
geschickt werden,  sie  wieder  einzufangen. 

Herrmann.  Island  II.  14 


210  Hljödaklettar.     Asbyrgi. 

Zwanzig  ^Minuten  hinter  dem  Gehöfte,  zum  Teil  mitten  im 
schäumenden  Wasser  der  yöknlsd,  hegt  eine  Reihe  wunderbarer, 
barokker,  brandbraunroter  und  braunschwarzer  Basahfelsen,  die 
Hljödaklettar  (150  — 20oFuss  hoch,  EchokHppen?  weil  sie  das  Echo 
verschiedene  Male  zurückwerfen  und  verstärken;  oder  Klippen  des 
Schweigens?).  Die  Anordnung  der  Basaltsäulen,  die  oft  im  Halb- 
kreise fächerförmig  vor  kleinen  Öffnungen  und  Höhlungen  stehen, 
ist  selten  so  schön  zu  sehen,  wie  an  dem  einen  Felsen,  von  einem 
Krater  daneben  sind  etwa  noch  drei  Fünftel  erhalten,  während 
zwei  Fünftel  verschwunden  sind ;  zuweilen  ist  etwas  Breccie  in 
Höhlungen  im  Felsen  eingeschlossen.  Die  Erosion  hat  die  Palagonit- 
breccie  ausgewaschen,  aber  die  harten  Basaltgänge  sind  stehen  ge- 
blieben, daher  stammen  die  unregelmässigen,  bizarren  Formen  dieser 
Klippen  ^V 

Allmählich  näherten  wir  uns  der  Küstenebene  des  Axarfjördur 
und  dem  ]\Ieere,  das  wir  von  weitem  auftauchen  sahen.  Noch  ein- 
mal durchritten  wir  eine  kleine  öde  Sandstrecke,  die  von  einem 
vulkanischen  Ausbruche  der  Kverkfjöll  stammen  soll,  dann  aber 
W'Urde  die  Gegend  wieder  üppig.  Grüne  Halden  wechselten  mit 
stattlichem  Birkengebüsch  ab,  und  selbst  unser  schönes  deutsches 
Heidekraut  war  nicht  selten,  Empctrum  nigrum  stand  massenhaft 
umher.  Gegenüber  einer  neuen  Brücke  über  die  Jokiilsd,  an  die 
die  letzte  Hand  angelegt  wurde,  und  die  noch  Sommer  1904  dem 
Verkehr  übergeben  werden  sollte,  bogen  wir  an  dem  Gehöft  As 
vorbei,  wo  Ögmundur  einen  Brief  abgab,  —  die  Post  benutzt 
gelegentlich  zuverlässige  jMänncr  für  ihre  Dienste  — ,  und  ritten  von 
Osten  in  das  wegen  seiner  Schönheit  in  ganz  Island  berühmte, 
dreieckige  Tal  Ash\rgi\(\x\€\n.  Ein  hufeisenförmiger  Streifen  Landes 
ist  bei  einem  Erdbeben  heruntergerutscht,  eine  Felseninscl  aber, 
wie  ein  dreieckiger  Keil  gestaltet,  ist  dabei  stehen  geblieben,  wie 
von  einer  Riesenfaust  aus  dem  Zusammenhange  mit  dem  ursprüng- 
lichen Gebirgsstocke  herausgerissen;  eine  Kluft,  wie  eine  mächtige 
römische  V,  jede  Seite  ca.  25CX)  m  lang,  mit  ein  paar  hundert  m 
breiten  Wiesen  und  mit  gutem  Wald  bewachsen,  trennt  den  Keil 
von  der  Umgebung.  Die  Felsmauern  erheben  sich  unmittelbar  aus 
dem  Tale  senkrecht,  wie  in  der  Almaujiagjd,  in  einer  Höhe  von 
60 — 100  m  und  bauen  sich  aus  vielen  Schichten  einer  doleritischen 
Lava  auf;  Schlackenkrusten  trennen  die  mächtigen  Doleritbänke, 
und  zwischen  ihnen  liegen  Höhlen,  die  „wie  niedrige  Fenster  im 
Rundbogenstile"    geformt    sind.      Nach    der   Volksüberlieferung    hat 


')  Zwei  gute  Abbildungen  von  den  Hljödaklettar  und  eine  von  Asbyrgi  finden 
sich  in:  Verhandlungen  der  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin  1894;  es  sind  die  einzigen,  die  ich 
von  dieser  Gegend  kenne;  leider  hat  mir  Dr.  Grossmann  eine  Wiedergabe  seiner 
Bilder  nicht   gestattet. 


Äsbyrgi.     Ziegen.  211 

das  Meer  einmal  ganz  in  die  Felsspalte  Äsbyrgi  hineingereicht,  das 
muss    aber    in    postglazialer    Zeit    gewesen    sein     [Sa/n    iil    sögii 
Islands  II,  S.  431),    und    man   kann    in  der  Tat  noch  an  den  ange- 
griffenen   und  zerfressenen  Felswänden  die  Spuren  der  Meerestätig- 
keit  hoch   über   dem    jetzigen   Wasserspiegel    erkennen,    das    Land 
muss  sich   in   jüngerer    Zeit   um  ca.  40  m  gehoben    haben.     Da  die 
Spalte  gegen  Stürme  geschützt  ist,  so  ist  der  Pflanzenwuchs  prächtig 
entwickelt,    und    das    Birkenwäldchen,    in    dem   wir    Rast    machten, 
wies    Stämme    von    Armesdicke    und    fast  6  m   Höhe    auf.      „Das 
wunderbare  Tal",  sagt  Kahle   treffend,  „erinnert  an  Böcklinsche 
Landschaften,    wenn   man    sich   den  Wald  höher  und  dichter  denkt. 
Prächtig   würde    hierher   die  Jungfrau  auf  dem  Einhorn  passen,    wie 
sie  herausreitet  aus  dem  schweigenden  Märchental"  (S.  243).    Nach 
demselben  Gewährsmanne  gibt  es  ein  stimmungsvolles  Gedicht  von 
Einar  Benediktsson :    Odins  Ross  habe  einst  auf  seinem  Ritte  jene 
dreieckige     Klippe     mit    seinem    Hufe     herausgeschlagen.      Weder 
Ögmundur  noch    mir  war    das  Gedicht  bekannt,  aber  der  Führer 
behauptete,  Einar  müsse  seinen  Stoff  aus  einer  Volkssage  entlehnt 
haben,    die   er   sehr   wohl    kenne;     freie    Erfindung   von   ihm    sei   es 
jedenfalls  nicht.    Wir  gebrauchten  etwa  20  Minuten,  um  wieder  aus 
dem  Tal   herauszukommen,    und    konnten  dabei  deutlich  bemerken, 
wie  das   Hufeisen   allmählich    von    unten    aufsteigt.     Wir    erprobten 
dabei    unzählige,    dreifach    wiederschallende    Echos    und    sahen    an 
einer  Wand  in  halber  Höhe    einen  aus  Reisern   hergestellten  Adler- 
horst.    Über    grüne    Maulwurfshügel    sprengten   wir   die   sich    fjord- 
artig erweiternde   Jöknlsd  entlang,    freuten  uns  über  die  stattlichen 
Gehöfte  und  die  zahlreichen  weidenden  Pferde  und  Rinder,  rasteten 
dann    am    Flusse    und   verspeisten    die    letzten   warmen  Würstchen. 
Während  wir  damit  beschäftigt  waren,    Messer  und  Gabel  mit  dem 
Bimsstein    zu    putzen,    der    überall    am    Ufer    umherlag,   —   bisher 
hatten   wir   uns    damit    begnügt,    die    Esswerkzeuge   in   die   Erde  zu 
stossen  und  dann  am  Handtuch  zu  trocknen  — ,  tauchten  mit  einem 
Male  zwölf  schwarze  und  zwei  weisse  Ziegen  vor  uns  auf,  die  ersten, 
die  wir  auf  Island  zu  sehen  bekamen. 

Ziegen  (geit)  kommen  heute  nur  noch  in  den  \i€\A&x^  Piugeyjar 
syshir,  in  der  Eyjafjardar-  und  Dala  sysla  im  N.W.  vor.  Wie  die 
zahlreichen  mit'  geit  und  hafr  (Ziegenbock)  zusammengesetzten 
Namen  zeigen,  gab  es  früher  auf  Island  weit  mehr  dieser  neu- 
gierigen, behenden  Klippenkletterer  als  heute,  und  um  iic»  soll 
die  Insel  ebensoviel  Ziegen  wie  Schafe  gehabt  haben.  Von  Hall- 
fr  edr,  dem  Vater  des  Hrafnkell  Freysgodi,  haben  wir  früher  gehört, 
dass  ihm  ein  Bergrutsch  eine  Ziege  und  einen  Ziegenbock  erschlug. 
Ein  Bauer  in  Hörgdrddlr  hatte  30  Ziegenböcke  [Ljösv.  S.  14)- 
Wie  die  übrigen  Haustiere  trugen  sie  eine  Gutsmarke,  und  nach 
der   Grdgds  hatten  8  junge  Ziegen,  die  ihre  Lämmer  tränken  können, 

14* 


212  Vikingavatn. 

den  Wert  einer  Normalkuh,  und  ein  zweijähriger  Bock  den  einer 
Ziege.  Aber  ihre  Naschhaftigkeit  machte  sie  zu  gefährhchen  Fein- 
den der  zarten  Baumschösslinge  und  der  Rinde,  und  darum  starben 
sie  allmähHch  aus,  obwohl  sie  durch  grössere  Genügsamkeit  im 
Futter,  einen  höheren  Ertrag  an  Milch  und  stärkere  Fruchtbarkeit 
die  Schafe  übertreffen. 

Gehöft  und  See  Vfkingavaiji  sind  nur  durch  einen  schmalen 
Landstreifen  vom  Meere  getrennt.  Der  sehr  wohlhabende  Bauer 
Björn  Pörarinsson,  dessen  Geschlecht  hier  seit  dem  14.  Jahrh. 
wohnt,  erinnert  sich,  dass  Prof.  Kahle  vor  10  Jahren  hier  war;  er 
zeigt  mir  auch  einige  Photographien  seiner  Farm,  die  Dr.  Zugmayer 
aufgenommen  und  ihm  zugeschickt  hat,  und  trägt  mir  Grüssc  an 
beide  Herren  auf.  Auch  an  den  Preisen  für  Logis  und  Kost  und 
der  Güte  der  Verpflegung  merkt  man,  dass  man  sich  auf  der  Heer- 
strasse der  Touristen  und  in  der  Nähe  grösserer  Handelsplätze  be- 
findet: der  Preis  beträgt  von  jetzt  an  bis  Akiireyri  2  Kr.  für  die 
Person,  nur  in  Grenjadarstadiir  genoss  ich  noch  einmal  unverfälschte 
isländische  Gastfreundschaft. 

Björn  erzählte  mir  folgende  Sage ,  für  deren  Echtheit  und  Reinheit  er  mir 
bürgen  wollte;  ich  übersetze  sie  wörtlich:  „Ein  Mann  namens  Vikingr  flüchtete  aus 
Norwegen  vor  Harald  Schönhaar,  weil  er  sich  dessen  Feindschaft  zugezogen  hatte, 
und  siedelte  sich  hier  an.  Da  sandte  König  Harald  viele  Leute  aus,  um  ihn  zu  töten. 
Aber  zweimal  konnte  Vikingr  die  Häscher  selbst  töten;  erst  beim  drittenmal  töteten 
sie  ihn,  während  er  Forellen  auf  dem  See  fing.  Sein  Grab  liegt  dicht  beim  Kartoffel- 
felde, aber  der  Leiche  fehlt  der  Kopf;  denn  Harald  hatte  verlangt,  dass  seine  Boten 
ihm  das  Haupt  seines  Feindes  überreichen  sollten.  Aber  als  sie  mit  dem  abge- 
schlagenen Kopfe  fortritten,  hing  die  Zunge  heraus,  und  das  sah  so  grässlich  aus, 
dass  sie  schnell  den  Kopf  begruben ;  der  Ort,  wo  dies  geschah,  heisst  Höfudreiitar 
und  liegt  zwischen  Hiisavik  und   Grenjadarstadur,  etwas  südlich  vom  Wege"'). 

Der  See  ist  von  unzähligen  schnatternden  Wasservögeln  belebt, 
viele  grüne  Holme  liegen  in  ihm  verstreut,  seine  zahlreichen  Buchten 
sind  vermutlich  durch  Senkungen  in  der  darunter  liegenden  Lava 
hervorgebracht.  Zur  Linken  erstreckt  sich  die  hohe  Tiinguheidi, 
und  weit  im  offenen  Meere  verschwinden  die  Inseln  Äldndreyar 
und  Gni/isey  unter  dem  Polarkreis  in  leisem  Dunste.  Im  Juni  kann 
man  hier  die  Mitternachtssonne  sehen.  Eine  Menge  Treibholz  war 
neben  dem  Hofe  aufgehäuft,  stattliche,  unbehauene  Stämme,  die 
ich  zuerst  für  Mastbäume  hielt.  Noch  vor  einem  Jahre  kamen 
Rentiere  dicht  am  Gehöft  vor,  aber  jetzt  sind  sie  ganz  aus  dieser 
Gegend  verschwunden,  ein  Geweih  lag  vor  dem  Hause.  Zum  Abend- 
essen gab  es  sowohl  selbstgeräucherte,  wie  frisch  gefangene  und 
schmackhaft  zubereitete  Forellen,  sowie  ein  Gemüse  von  jungen, 
selbst  geernteten  Erbsen.     Der  Sonnenuntergang    war  über  alle  Be- 


1)  Zur  Beurteilung    derartiger  Volksüberlieferungen    ist  Maurer,    Germania  24, 
S.  88  ff.  zu  vergleichen. 


Vikingavatn.  L13 

Schreibung  schön :  das  war  wirkHch  die  Waberlohe,  ein  Feuerzauber, 
der  auf  dem  purpurroten  Himmel  aufflammte. 

27.  JuH. 

Einarr,  Vestmadr  und  Vemundr  fuhren  die  Nordküste  Islands  entlang  und 
segelten  westlich  von  Slefia  in  einen  Busen  hinein.  Sie  stellten  zu  Reistargnüpr 
eine  Axt  auf  und  benannten  danach  den  Axarfjördiir  (Lnd.  III,  20,1.  —  Miwi  fuhr 
nach  Island  und  litt  am  Tjömes  Schiftbruch.  Einige  Monate  wohnte  er  zu  Mänä, 
bis  er  vertrieben   wurde  (a.   a.   O.). 

Die  Mdndreyjdr  im  Axar/jörditr  sind  eine  Fortsetzung  der 
Halbinsel  Tjömes,  die  sich  in  einem  unterseeischen  Höhenrücken 
soweit  ins  Meer  hinauserstreckt.  Neujahr  1868  sollen  nördlich  von 
ihnen  vulkanische  Eruptionen  stattgefunden  haben.  Nach  den  isl. 
Annalen  ist  bei  ähnlicher  Gelegenheit  im  Jahre  1372  im  Ozean  nord- 
östlich von  Grivisey  eine  neue  Insel  aufgetaucht.  Eine  nähere 
Untersuchung  ist  wohl  von  Thoroddsen  zu  erwarten.  Bei  dem 
heftigen  Erdbeben  am  25.  Januar  1885  gingen  grosse  Bergstürze 
von  den  Höhen  auf  der  östlichen  Seite  der  Halbinsel  Tjörnes  nieder, 
und  die  Flüsse  führten  eine  ungewöhnlich  grosse,  lehmige  Wasser- 
masse. Das  Eis  auf  dem  See  Vikingavatn^  das  eine  Stärke  von 
M-i—^ji  Elle  hatte,  wurde  in  unzählige  Stücke  zerrissen  und  zu 
hohen  Wällen  am  westlichen  Ufer  des  Sees  aufgetürmt.  Die  Leute 
im  Gehöfte  konnten  sich  weder  draussen  noch  drinnen  auf  den 
Füssen  halten.  Auf  den  flachen  Sandstrecken  nordwestlich  vom 
Vikingavatn  wurde  der  Sand  in  100—200  m  hohen  Säulen  in  die 
Luft  geworfen,  wie  bei  einem  Ausbruche ;  diese  Sanderuptionen,  die 
im  Osten  begannen  und  sich  nach  Westen  fortpflanzten,  dauerten 
1 5  Minuten  und  hinterliessen  mehrere  Erdsturzlöcher,  deren  grösstes 
einen  Umfang  von  ca.  140  m  hatte.  In  Husavik  war  das  Erdbeben 
viel  schwächer ;  doch  nahm  man  leise  Erschütterungen  bis  zum  Ey'a- 
fjördnr  wahr  ^). 

Der  Weg  führte  uns  durch  das  Birkengestrüpp  am  Fusse  der 
mit  Moos  bewachsenen  Tunguheidi  entlang.  Unsere  Pferde  scheuch- 
ten zahllose  Schneehühner  auf,  die  ängstlich  schreiend,  die  Flügel 
tief  herabhängen  lassend,  vor  uns  herliefen,  um  uns  irre  zu  führen 
und  den  Jungen  Gelegenheit  zu  geben,  sich  in  Sicherheit  zu  bringen. 
Essbare  Pilze  standen  in  ungeheueren  Mengen  umher.  Bei  der 
grossen  Hitze,  die  seit  Wochen  herrschte,  und  dem  üppigen  Gras- 
wuchse  fielen  die  ausgedehnten  Schneeflächen  um  so  mehr  auf;  aber 
sie  rührten  nicht  etwa  daher,  dass  wir  uns  auf  einer  bedeutenden 
Höhe  befanden,  sondern  der  Mai  war,  wie  ich  noch  in  Kopenhagen 
in  isländischen  Zeitungen  gelesen  hatte,  hier  grimmig  kalt  gewesen, 
nur  5  Nächte    waren    ohne    Frost    geblieben,    täglich   hatte    Schnee- 


1)  Thoroddsen,   Mitt.  d.  k.  k    Geogr.   Ges.  Wien   1891,   S.  272/3. 


214  Hüsavik. 

treiben  geherrscht,  und  der  Schnee  hatte  so  tief  gelegen,  dass  man 
sich  ohne  Ski  nicht  fortbewegen  konnte.  Man  hatte  Futtermangel 
und  auch  das  Ausbleiben  der  Fische  im  Eyjafjördiir  befürchtet, 
der  ungewöhnlich  warme  Sommer  jedoch  hatte  alles  wieder  gut  ge- 
macht. Aber  der  schöne,  blaue  Blumenschmuck  nahm  gar  zu  bald 
wieder  ein  Ende,  und  die  öde  Hochfläche  ReykjaJieidi  nahm  uns 
auf.  In  der  Ferne  konnten  wir  deutlich  die  Wassersäule  des 
Uxahver  sehen,  den  wir  morgen  besuchen  wollten.  Nach  sechs- 
stündigem Ritte  erblickten  wir  mit  frohem  Gefühle  das  unendliche 
Meer.  Ögmundur,  der  seine  klassische  Bildung  zeigen  wollte, 
rief:  ,, Thalatta!  Thalatta!",  und  kurz  darauf  tauchte  vor  unseren 
Augen  die  in  der  Sudiir  Pingeyjar  sysla  gelegene  Hafenstadt 
Hüsavik  (Hausbucht)  auf,  die  wie  ein  reizendes  Spielzeug  am  Fusse 
des  Hüsavi'ktirfjall  liegt. 

Leider  machte  sich  der  im  Nordlande  so  berüchtigte  Nebel 
auf  und  verschleierte  das  Meer  und  die  lange  schwarzweisse  Kette 
der  Kinuarfjöll  [Kinn  =  Wange,  Abhang)  westlich  von  Skjdlfanda- 
ffj'flf.  Früher  muss  sich  der  Aleerbusen  Skjdlfandi  als  vielarmiger 
Fjord  bedeutend  weiter  in  das  Land  hinauf  erstreckt  haben; 
Thoroddsen  hält  die  Dünen  im  Laxdrdaliir  für  alte  Strandbil- 
dungen. Wir  ritten,  zum  Teil  über  Moräne,  nach  dem  Strand  hin- 
unter, an  einem  See  vorüber,  und  dann  auf  guter,  fester  Strasse  in 
den  säubern,  freundlichen  Handelsplatz  hinein,  durch  dessen  Mitte 
sich  ein  kleiner  Bach  hinzieht.  Überall  standen  grosse  Pyramiden 
von  Torf  am  Wege.  Neben  kleinen  Erdhäusern  gibt  es  auch  recht 
stattliche  moderne  Wohnhäuser,  aus  Holz  gebaut  und  mit  Wellblech 
bedeckt,  die  sogar  mit  Gärten  versehen  sind,  deren  Wege  mit  Kies 
bestreut  sind.  Hüsavik  hat  im  ganzen  50—60  Häuser  und  445 
Einwohner.  Im  N.-O.  springt  das  Land  am  Fusse  des  Hüsavi'kur- 
fjall  etwas  hervor,  so  dass  die  einlaufenden  Schiffe  einigermassen 
Schutz  haben.  Ein  paar  Schiffe  schaukelten  im  Hafen,  doch  war 
von  dem  Dampfer,  mit  dem  wir  die  Heimreise  von  Akureyri  aus 
antreten  wollten,  nichts  zu  sehen  und  nichts  zu  hören.  Überhaupt 
werden  wir  seit  acht  Tagen  damit  bange  gemacht,  dass  auf  die 
Dampfer,  die  vom  Nordland  abfahren,  gar  kein  Verlass  sei,  abgesehen 
von  denen  der  Vereinigten  Dampfschiff-Gesellschaft,  und  davon  ist 
der  nächste  erst  in   14  Tagen  fällig. 

Das  alte  Gasthaus  ist  geschlossen,  da  die  Wirtin  gestorben  ist, 
ein  neues  Hotel  soll  erst  eröffnet  werden,  doch  finden  wir  recht 
gute  Aufnahme  in  einer  Bäckerei  bei  Sigurjön  Porgri'msson.  So- 
bald unsere  Ankunft  bekannt  geworden  ist,  erhält  Ögmundur 
wohl  von  einem  Dutzend  Leute  Besuch,  darunter  von  Bjarni  Bene- 
diktsson,  einem  Kaufmann  hier,  Bruder  der  Frau  des  Arztes  in 
Brekka.  Es  gibt  endlich  einmal  wieder  Bier,  wenn  auch  alkohol- 
freies,  und  Zigarren,  aber  weder  Wein  noch  Kognak. 


Hüsavik.     Schwefel.  215 


28.  Juli. 

Islands  zweiter  Entdecker,  der  Schwede  Gardarr,  blieb  den  Winter  über  in 
Hüsavik  und  baute  da  ein  Haus  (Lnd.  I.  i).  An  diesen  Gantarr  knüpft  eine  alte 
Sage  an  über  den  Ursprung  der  Lavaströme  im  Laxdrdalnr  und  am  Mijvain. 
Thoroddsen  ist  sie  folgendermassen  erzählt  worden:  Gantarr  sandte  einst  einen 
Knecht  aus,  damit  er  ausfindig  machte,  wo  die  Laxä  entspränge.  Der  Sklave  kam 
sehr  schnell  zurück  und  erzählte,  was  er  gesehen  hatte,  nämlich,  dass  der  Fluss  aus 
einem  Landsee  komme.  Gardarr  aber  glaubte  nicht,  dass  der  Sklave  die  Wahrheit 
redete,  schalt  ihn  wegen  Trägheit  aus  und  sagte,  er  habe  gewiss  versäumt,  nach  den 
Quellen  des  Flusses  zu  suchen.  Hierdurch  war  der  Knecht  so  beleidigt,  dass  er 
wünschte,  es  möchte  aus  jeder  Fussstaple,  die  er  auf  der  Reise  gemacht,  Feuer  aus- 
brechen. Die  Verwünschung  des  Sklaven  hatte  die  Wirkung,  dass  das  Feuer  überall 
aus  der  Erde  hervorbrach,  wodurch  die  Krater  und  Lavaströme  am  Myvatn  und  im 
Laxdrdalnr  entstanden. 

Eyviiidr  aus  Hördaland  in  Norwegen  kam  in  die  Hüsavik  und  nahm  den 
Reykjadalr  vom  Vesiinannsvain  landeinwärts,  er  wohnte  zu  Helgastadir.  Näit- 
fari,  der  mit  Gardarr  ausgefahren  war,  hatte  sich  früher  den  Reykjadalr  angeeignet 
und  Merkzeichen  an  den  Bäumen  angebracht;  aber  Eyvindr  vertrieb  ihn.  Später  kam 
auch  sein  Bruder  Keüll  aus  Hördaland  nach  Island  und  wohnte  zu  Einarsstadir 
(Lnd.  III,  19).  Grenjadr,  nach  dem  unser  heutiges  Quartier  Grenjadarstadur  be- 
nannt ist,  nahm  den  Peigjandadal  und  die  Hraiiiiaheidi ,  das  rorgerdarfell  und 
den  unteren  Laxdrdalr^). 

Als  Ausfuhrstation  des  Schwefels  aus  den  in  der  Nähe  gelegenen 
Schwefelminen  hat  Htisavfk  schon  früh  eine  bedeutende  Rolle  ge- 
spielt,  und  diese  wird  noch  beträchtlich  gesteigert  werden,  wenn 
erst  die  schon  lange  geplante  Eisenbahn  von  Reykjahlid  hierher 
führen  wird. 

Der  Schwefel  von  Reykjahlid  hat  lange  Zeit  den  Bedarf  für  Nordeuropa 
gedeckt  und  bildete  im  16.  Jahrhundert  neben  dem  Stockfisch  den  Hauptausfuhrartikel 
für  die  deutschen  Islandfahrer,  Hüsavik  war  der  Ausfahrhafen  für  Schwefel").  Der 
Bruttogewinn  beim  Verkauf  betrug  für  die  Hamburger  1600  Prozent!  1561  nahm  die 
freie  Ausfuhr  des  isländischen  Schwefels  durch   die  Deutschen   ein  Ende. 

Solange  dem  Betrieb  durch  die  Schwefelminen  auf  Sicilien  noch  keine  Kon- 
kurrenz erwuchs,  lohnte  er  sich  recht  gut.  1284  hatte  der  Erzbischof  von  Troildhjeni 
das  Privilegium,  Schwefel  und  Falken  auszuführen  ;  später  wurde  er  auch  von  anderen 
ausgeführt,  wenn  sie  dem  Erzbischofe  nur  einen  Zoll  dafür  bezahlten,  wie  man  aus 
einem  Urteile  ersehen  kann,  das  im  Jahre  1340  von  den  Chorbrüdern  in  Trondhjem 
gefällt  wurde.  Vom  Ende  des  vierzehnten  bis  zur  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
gehörten  alle  Schwefelminen  im  Nordlande  einem  alten  isländischen  Häuptlingsge- 
schlecht. Der  Schwefel  wurde  damals,  wie  auch  später,  auf  Pferden  von  den  Freuiri- 
lldiniir  und  dem  See  Alfivatit  nach  Hlisavik  transportiert  und  die  Minen  zuweilen 
an  andere  verpachtet.  Im  Jahre  1563  kaufte  die  dänische  Regierung  die  Minen  für 
ein  Geringes  an  und  liess  eine  Reihe  von  Jahren  hindurch  eine  ganze  Masse  Schwefel 
von  Hüsavik  ausführen.  Derselbe  wurde  von  den  umwohnenden  Bauern  auf  Pferden 
nach  Hlisavik  gebracht,  wo  sie  für  jedes  Liespfund  eine  gewisse  Entschädigung  er- 
hielten.    Diese  Ausfuhr  war    damals,    wo  der  Schwefel    noch    hoch  im  Preise    stand, 


' )  Zwei  Volkssagen  bei  L  e  h  m  a  n  n  ■  F  i  1  h  e  s  I,  S.  108  :  Pfarrer  Ketill  zu  Hüsavik 
und  I,  S.   174:  Der  Hnsavikiir-Lalli. 

-)  Baasch,  Islandfahrt  der  Deutschen  S.  78—80;  T  h  or  od  d  s  e  n- G  e  b- 
hardt  I,  S.    151,   223,   II,   S.   376;   Thoroddsen,   Das  Ausland   1889,   S.   i6i. 


216  Hüsavik.     Erdbeben.     Gvendarstein. 

sehr  einträglich  für  die  Regierung ;  sie  bezog  z.  B.  im  ersten  Jahre  %'on  einem  einzigen 
Schvvefelschift'e  einen  Reingewinn  von  loooo  Talern,  was  in  jenen  Zeiten  eine  sehr 
grosse  Summe  war.  Als  der  Schwefel  später  im  Preise  fiel,  wurden  die  Minen  von 
der  Regierung  an  verschiedene  dänische  und  fremde   Spekulanten  verpachtet. 

Die  Gegend  um  Hi'isavik  scheint  mit  der  Landschaft  Ölfiis 
und  der  Umgebung  der  IJekla  am  meisten  heftigen  Erdbeben 
ausgesetzt  zu  sein. 

Das  erste  wird  1260  erwähnt,  das  zweite  161 8.  Dem  Ausbruche  der  Katla 
gingen  1755  starke  Erdbeben  bei  Hüsavik  voraus,  die  3  Tage  anhielten.  13  Gehöfte 
fielen  ein,  21  wurden  schwer  beschädigt.  Auch  1868  fanden  hier  Erderschiitterungen 
statt,  die  mit  einem  Ausbruche  im  Vatnajöknll  in  Verbindung  gestanden  haben 
müssen :  mehrere  Spalten  bildeten  sich ,  ein  Gehöft  stürzte  ein,  und  mehrere  wurden 
beschädigt.  1872  erfolgte  ein  neues  Erdbeben,  die  Leute  mussten  aus  den  Häusern 
flüchten,  und  alles,  was  lose  war,  fiel  um.  Am  schlimmsten  waren  die  Äusserungen 
des  Erdbebens  auf  beiden  Seiten  des  Skjdlfaiidi:  die  Erde  bekam  tiefe  Sprünge,  und 
die  Lawinen  stürzten  massenhaft  von  den  Bergen  herab,  auf  emer  Farm  wurde  der 
ganze  Schafbestand  unter  einer  Lawine  begraben.  Auf  der  Insel  Flatey  zog  sich  das 
Meer  plötzlich  zurück  und  überschwemmte  dann  die  Strandflächen  weit  und  breit; 
die  Spalten,  die  während  des  Erdbebens  gebildet  wurden,  ergossen  Seewasser  und 
Sand,  zwei  Gehöfte  wurden  völlig  zerstört  und  alle  Häuser  auf  der  Insel  mehr  oder 
weniger  beschädigt').  Das  letzte  Erdbeben  hier  war  auch  das  stärkste.  Schon  am 
2.  November  1884  fühlte  man  auf  Island  eine  ziemlich  starke  Erderschütterung,  worauf 
16  kleinere  folgten.  Vom  2.  —  6.  November  zählte  man  50  grössere  und  schwächere  Stösse. 
Am  furchtbarsten  aber  war  der  Hauptstoss  am  25.  Januar  1885  in  der  Gegend  des 
Axarfjöritiir.  Die  Erde  klafl'te  auseinander,  und  das  lehmige  Wasser  wurde  mehrere 
Meter  in  die  Höhe  geschleudert;  alle  Spalten  füllten  sich  mit  Wasser  an,  mehrere 
alte  Lavarisse  wurden  durch  das  Erdbeben  abwechselnd  erweitert  und  zusammenge- 
drückt, iMid  eine  alte   Spalte  war  hinterher  eine  Elle  schmaler  als  zuvor. 

Auf  dem  Wege  nach  dem  Gehöfte  La.xani\n\  das  ich.  wie 
Ogmundur  erklärte,  auf  jeden  Fall  kennen  lernen  musste,  kamen 
wir  an  dem  Gveiidarstein  vorüber  und  warfen,  wie  jeder,  der  zum 
ersten  ]\Iale  hier  vorüberreitet,  dies  tun  muss,  vom  Pferde  herab 
einen  Stein  zu  den  übrigen  auf  den  grossen  Haufen  (vergl.  I,  S.  288 
Anm.;  II  89.) 

Bischof  Gvendur  soll  hier  einen  Wiedergänger  {Drang)  hineingebannt  haben, 
und  es  ist  fromme  Pflicht,  die  Last,  die  über  dem  Unholde  ruht,  zu  vermehren,  damit 
er  nicht  wieder  umgehen  und  schaden  kann.  Versäumt  der  Reisende  diese  Pflicht, 
so  fügt  der  Unhold  ihm  irgend  einen  Schaden  zu.  In  Deutschland  breitet  man,  um 
die  W^iederkehr  der  im  Kindbett  verstorbenen  Mutter  zu  ihrem  hinterbliebenen  Kinde 
zu  verhindern,  die  Windeln  des  Kindes ,  mit  Steinen  beschwert,  über  das  Grab  der 
toten  Wöchnerin:  dann  bleibt  sie  dort"').  Gvendiir  ist  Koseform  für  Giutmnndur; 
gemeint  ist  Bischof  Giidmundnr  ArasOH  von  Hölar  (1203  —  37).  ^n  allen  Teilen 
der  Insel  findet  sich  der  eine  oder  andere  Gvettdarbrunnr,  der  vom  Bischof  geweiht 
sein  soll ;  solche  Brunnen  gefrieren  nicht,  und  ihr  Wasser  gilt  als  besonders  gesund 
und  heilkräftig;  auch  ein  Wasserfall  und   ein  Bad  ist  nach  ihm   benannt^). 


1)  Thoroddsen,  Mitt.  d.  k.  k.  geogr.  Ges.    1891.  W^ien  S.  271. 

-)  E.  H.  Meyer,  Germanische  Mythologie  loi  ;  Tägliche  Rundschau,  Unter- 
haltungs-Beilage Nr.  82,    1905. 

^)  Maurer,  Isl.  Volkssagen  S,  197;  Weinhold,  Die  Verehrung  der  Quellen 
in  Deutschland.  Berlin,   1898. 


Laxamyri.  -1« 

Laxa///\n\  etwa  eine  Stunde  von  IMsavik  eniicrn\.,  liegt  unweit 
der  Laxd.  Diese  fliesst  in  mehreren  Armen  aus  dem  Mp'afii  heraus, 
da  sie  sich  durch  alte  Lavaströme  hindurchwinden  muss,  die  sie 
zu  vielen  Krümmungen  und  Einengungen  nötigen.  Sie  fliesst  den 
ganzen  Weg  bis  zum  Skjdlfandi  auf  Lavagrund;  die  Lava  stammt 
jedenfalls  aus  prähistorischen  Kratern  längs  des  Flusses;  nach  der 
oben  mitgeteilten  Sage  sollen  diese  allerdings  erst  entstanden  sein, 
nachdem  die  Besiedelung  hier  bereits  vor  sich  gegangen  war.  Es 
finden  sich  in  ihr  viele  kleine  eigentümliche  Inseln  und  Wasserfälle. 
Nach  Thoroddsen  bildet  das  Tal  der  Laxd  die  Grenze  zwischen 
der  Basaltformation  des  Nordlandes  und  dem  Palagonittuff  der 
vulkanischen  Gebiete,  die  die  Mitte  der  Insel  einnehmen. 

Die  Laxd  ist  neben  der  Livitd  wegen  der  Menge  und  Güte 
ihrer  Lachse  berühmt;  die  schwarzen  Lavablöcke  unter  dem 
Wasser  mit  ihren  dunkeln  Höhlen  und  Grotten  sind  ihnen  der 
liebste  Aufenthalt.  Man  hat  die  Beobachtung  gemacht,  dass,  wenn 
der  Wind  um  Johanni  bei  Vollmond  südlich  weht,  der  Lachs  mit 
besonderer  Vorliebe  den  Fluss  hinauf  steigt.  (Olaus  Olavius, 
S.  278.) 

Laxamyri  ist  eines  der  teuersten  Gehöfte  auf  Island  und  soll- 
einen Wert  von  looooo  Kr.  haben.  Die  beiden  grossen  Wohnhäuser, 
die  Wirtschaftsgebäude  und  die  Windmühle  sind  durch  ein  hölzernes 
Staket  vom  Tun  geschieden;  über  der  Tür  sind  die  aus  Holz  ge- 
schnitzten und  mit  Farbe  lebenswahr  angestrichenen  Tiere  ange- 
bracht, denen  der  Bauer  seinen  Wohlstand  verdankt:  ein  Lachs  im 
silbernen  Schuppenkleide  und  ein  Eiderentenpaar,  das  Männchen 
mit  dunkeln  Schulterfedern  und  hellen  Brustfedern  und  das  einfarbige 
Weibchen.  Der  Künstler  ist  ein  einfacher  Laie  und  hat  doch  seine 
Sache  so  gut  gemacht,  dass  K  ah le  getäuscht  schreibt,  die  Tiere  wären 
aus  Eisen  geschmiedet.  Der  Bauer  Egill  Sig2tiyönsso/i  fand  sich 
mit  gutem  Humor  in  unseren  Überfall,  lud  uns,  wie  üblich,  zu 
Kaffee,  Kuchen  und  Zigarren  ein  und  erteilte  bereitwillig  Auskunft. 

Er  nimmt  jährlich  3000  Kr.  für  Eiderdunen  ein,  durchschnittlich  7  —  10000  Kr. 
für  Lachse,  in  einem  Sommer  sogar  12000  Kr.,  ein  Handelshaus  in  Reykjavik  kauft 
sie  und  schickt  sie  nach  Kopenhagen.  Egill  erhält  40  Öre  für  das  Pfund,  bei  kleinen 
Tieren  30-35  Öre,  i  Pfd.  geräucherter  Lachs  kostet  80  Öre.  An  Eiderenten  gibt 
es  ca  20000  hier.  Die  Daunen  gehen  nach  Kopenhagen  oder  Russland,  wo  die 
Reichen  ihre  Pelze  mit  den  zarten  Flaumen  lüttern ,  die  so  gut  wie  kein  Gewicht 
haben.  Dieses  Jahr  (1904)  kostet  das  Pfund  Daunen  11  Kr.  50  Öre,  er  hat  300  Pfd. 
gesammelt,  darunter  150  Pfd.  allerfeinster  Ware.  Die  Vögel  legen  ihre  Eier  sehr  un- 
regelmässig, der  eine  8,  ein  anderer  nur  2,  dann  tauscht  man,  so  dass  auf  jedes  Nest 
etwa  4  Eier  kommen.  Nur  die  Eier  und  Daunen  der  ersten  Brut  werden  genommen. 
Der  Bauer  holte  ein  Nest  und  zeigte  mir,  wie  es  gereinigt  wird.  Das  in  der  Sonne 
getrocknete,  schmutzige  Nest  wird  über  ein  in  einen  hölzernen  Rahmen  eingespanntes 
Netz  gestrichen,  so  dass  der  Dreck  herausfällt  (vergl.  I,  S.  327).  Nimmt  man  noch 
hinzu,  dass  der  Bauer  ca.  500  Schafe  hat,  so  versteht  man,  dass  er  auch  für  unsere 
Verhältnisse    ein  wirklich    reicher  Mann  ist    und    auch    genug  Arbeit  hat.     Bitter  aber 


218 


Uxahver. 


klagte  er  darüber,  dass  er  nicht  hinreichend  Arbeitsleute  bekommen  könnte:  das  sei 
eine  Folge  der  törichten  Auswanderung  nach  Amerika;  er  habe  sich  daher  Arbeiter 
aus  Norwegen  geholt,  die  sich  schnell  eingelebt  hätten  und  billiger  seien,  als  die 
isländischen  Knechte.    —   Zuweilen  verirren  sich  Rentiere  hierher. 

Wir  ritten  zunächst  die  Laxd  entlang  und  kamen  auf  schmalem, 
aber  erkennbarem  Wege  zu  einigen  heissen  Springquellen,  wenn  ich 
nicht  irre,  sechs.    Die  kochenden  Quellen  liegen  in  einer  Reihe  von 


Fig.    I  GG.     Uxahver. 


Süden  nach  Norden  in  drei  Gruppen  und  kochen  und  brodeln 
unaufliörlich ;  die  erste  Gruppe  hat  nur  eine  Quelle  (Uxahver),  die 
andern  haben  zwei  bis  drei  Quellen.  Die  grösste  von  ihnen  ist  der 
Uxa/iver  (Ochsenquelle),  sie  ist  ganz  wie  der  Geysir  gestaltet,  mit 
Springröhre,  Becken  und  flachem  Sinterkegel  (Fig.  loo).  Nach  der 
Sage  ist  einmal   ein  Ochse   hineingefallen ;    bei  dem  nächsten  Aus- 


Uxhaver. 


219 


bruchc  wurde  aber  nur  noch  das  Knochengerüst  herausgeschleudert, 
Haut  und  Fleisch  waren  von  dem  heissen  Wasser  verzehrt.  Jon 
Beiiediktssoii  (1747)  sagt:  Der  Uxahver  springe  40—50  Klafter 
hoch;  er  habe  einmal  ein  Viertel  Schaf  in  die  Quelle  hineingetan, 
und  binnen  einer  halben  Viertelstunde  war  es  gar  gekocht').  Nach 
dem  Erdbeben  von  1872  sprang  der  Hver  lange  Jahre  nicht.  Wir 
sahen  ihn  wieder  in  Tätigkeit,  alle  5 — 10  Minuten  wurde  aus  dem 
Becken  eine  etwa  10  m  hohe  Wassergarbe  in  die  Höhe  geworfen. 
Das  Wasser  im  Bassin  liegt  zunächst  still  und  ruhig  da,    allmählich 


Fig     loi.     Biüarfoss  der  Laxä  bei  Grenjadarstadur. 


beginnt  es  zu  sprudeln  und  zu  bubbeln,  in  der  Mitte  quillt  und 
siedelt  es  immer  heftiger,  sobald  das  Becken  vollgelaufen  ist,  er- 
folgt dann  der  mehr  breite  als  hohe  Ausbruch,  der  durchschnittlich 
25  Sekunden  dauert.  Da  die  Sonne  gerade  darüber  stand,  schimmer- 
ten die  Tropfen  silberblau ;  das  Wasser  war  übrigens  so  heiss, 
dass  wir  für  unsere  Stiefel  fürchteten;  in  den  Rand  des  flachen 
Sinterkegels  hatten  viele  Touristen  ihren  Namen  eingeritzt.  Der 
Bauer  des  Gehöftes  Reykir  (Rauch)  hatte  rings  um  die  heissen 
Quellen  Kartoffelfelder  angelegt  und  das  warme  Wasser  in  Rinnen 
darübergeleitet,  so  dass  die  Beete  so  üppig  standen  wie  selten  sonst 
auf  Island. 


1)   Thoroddsen-Gebhardt  II,    S.   278;    vergl.  weiter    a.  a.   O-  II,    S.   341  2 
und  Anderson,   S.   16. 


220  Brüarfoss.     Grenjadarstadur. 

Überraschend  wirkte,  als  wir  nach  einer  Stunde  bergab  ritten, 
der  BHck  auf  das  weite  Lavafeld,  das  dicht  bis  an  den  Pfarrhof 
Grenjadarstadur  heranreicht  und  über  die  fruchtbaren  Wiesen, 
bald  hierhin,  bald  dorthin,  einen  Block  verstreut  hat :  kleine  Seen 
leuchten  überall,  und  viele  reizende,  grüne  Inselchen  liegen  im 
Flussbette.  Kurz  vor  Grenjadarstadur  führen  zwei  Brücken  über 
die  Laxd.  Der  Fluss  teilt  sich  hier  und  bildet  eine  lange,  schmale 
Insel,  so  dass  zwei  Brücken  notwendig  sind.  \'on  der  ersten  hat 
man  einen  prachtvollen  Blick  auf  den  Wasserfall,  Bniar/oss  (Brücken- 
wasserfall;  Fig.  lOi).  Die  Kaskade  erinnerte  mich  in  ihrer  Gesamt- 
heit, namentlich  mit  den  beiden  Inselchen  in  der  Mitte  des  Flusses, 
die  mit  hohen  Bäumen  bewachsen  sind,  und  um  die  der  Foss 
schäumend  und  brausend  wirbelt,  an  den  Rheinfall  bei  Schaffhausen. 

Pröfasiiir  Benedikt  Kristjdnsson  war  auf  unseren  Besuch  durch 
einen  Knecht  vorbereitet,  den  Ögmundur  gestern  in  Hüsavfk  ge- 
troffen hatte,  und  nahm  uns  mit  seiner  stattlichen  Gemahlin  sehr 
herzlich  auf.  Er  ist  der  Vater  des  Kaufmanns  in  Hi'tsavi'k,  den  wir 
gestern  kennen  gelernt  hatten,  und  der  Schwiegervater  des  Arztes 
in  Brekka:  ich  hatte  somit  den  grössten  Teil  der  Verwandtschaft 
meines  Führers  kennen  gelernt.  Das  Pfarrhaus  besteht  aus  zwei 
verschiedenen  Teilen,  vorn  heraus  liegt  der  ganz  modern  gehaltene 
und  mit  behaglichem  Luxus  ausgestattete  Teil:  die  Prunkstube  im 
vollen  Sinne  des  Wortes,  mit  Leonardos  Abendmahl  und  einer 
Nachbildung  der  Ariadne  des  Canova,  in  Biskuit,  sowie  der  Schlaf- 
raum für  Gäste;  durch  einen  ,, langen,  dunklen  und  beschwerlichen 
Weg",  wie  Sira  ihn  nannte,  gelangte  man  an  der  Küche  vorüber 
zu  dem  alten,  auf  gut  isländisch  eingerichteten  Teile,  der  Studier- 
stube, dem  Wohnzimmer  und  den  übrigen  Räumen.  Beibehalten  ist 
auch  die  altertümliche  Küche,  weil  sie  billiger  und  für  isländische 
Verhältnisse  praktischer  ist  (vergl.  Fig.  56;  I,  S.  321 ).  Diese  Bauart,  die 
das  Altbewährte  in  glücklicher  Weise  mit  dem  Modernen  vereinigt, 
scheint  mir  für  die  wohlhabenderen  Isländer  vorbildlich  und  nach- 
ahmenswert zu  sein.  Dem  Hause  gegenüber  liegt  das  schmucke 
Kirchlein  mit  einem  besonderen  Glockenturm;  er  erinnerte  mich 
überraschend  an  den  ,,Klockstapel",  den  ich  vor  fünf  Jahren  in 
Haasjö  in  Jemtland  gesehen  hatte.  Auf  dem  Friedhofe  liegt  ein 
Runenstein,  der  auf  drei  Seiten  eine  Inschrift  hat,  die  längste  in 
isländischer  Sprache. 

Der  Pfarrhof  ist  alter  Sitz  der  Gelehrsamkeit.  Von  Porsteinn 
Illugason  (f  1335)  heisst  es  z.B.:  ,,Noch  lange  wird  man  die  Werke 
seiner  Hand  in  der  Niederschrift  von  Büchern,  in  der  Malerei  und 
in  der  Holzschnitzerei  zeigen".  Sigurdiir  Jönsso7i  gehörte  im  15.  Jahr- 
hundert hier  zu  den  wenigen  Geistlichen,  die  imstande  waren,  die 
Söhne  der  Vornehmen  zu  unterrichten  ^). 

I)  Thoro  ddsen- Gebhardt  I,  S.  99,   180. 


Grenjadarstadur.     M<vatn.  221 

Die  Mückenplai^c  fing  bereits  an,  sicii  höchst  unangenehm  be- 
merkbar zu  machen.  Da  Ögmundur  hier  vor  vielen  Jahren,  als 
er  mit  Thoroddsen  reiste,  ein  Pferd  tageweit  entlaufen  war,  das 
von  den  Stechmücken  rein  verrückt  gestochen  war,  wurden  die 
armen  Tiere  für  die  Nacht  in  einer  Hürde  beim  Hause  untergebracht, 
auf  die  Weide  sollten  sie  erst  am  nächsten  Morgen. 

Man  unterscheidet  Rykmy  und  Bitvargiir  {Alyvargur,  sing.  tant. 
bedeutet  „Stechmücken,  Mückenplage");  erstere  stechen  nicht, 
sondern  stehen  wie  Rauchwolken  in  der  Luft  und  verursachen  ein 
eigentümliches  Geräusch,  das  wie  fernes  Stimmengewirr  klingt;  die 
anderen  (Simulia)  sind  verhältnismässig  weniger  zahlreich,  aber 
machen  sich  um  so  fühlbarer,  besonders  an  den  Pferden,  die  sie 
ganz  toll  machen.  Sie  setzen  sich  den  Pferden  und  Schafen  an  die 
am  wenigsten  behaarten  Stellen,  die  Tiere  stellen  sich  dann  in  einen 
Kreis  und  wedeln  einander  mit  den  Schweifen  ins  Gesicht,  wenn 
die  Mücken  zu  frech  werden.  Zuweilen  reibt  man  die  Tiere  mit 
Karbolöl  ein  und  brennt  Petroleum  in  den  Hürden  (kviar).  Bei  der 
Heuernte  tragen  die  Bewohner  wollene  Handschuhe  und  oft  be- 
sondere Kappen  (Myvatus-]iett2ir),  die  bis  auf  den  Hals  reichen 
und  kurze  Schirme  und  einen  Flor  vor  dem  Gesichte  haben. 

29.  Juli. 

Ögmundur  war  überglücklich.  Er  hatte  beim  Propst  zwei 
Briefe  von  seiner  Frau  vorgefunden:  zu  Hause  stand  alles  wohl  — 
wie  beneidete  ich  ihn !  Aber  in  vier  Tagen  sind  wir  in  Akureyri, 
und  dann  hoffe  ich  auch  gute  Nachrichten  von  den  fernen  Lieben 
anzutreffen  ! 

Langsam  ritten  wir  über  den  braunen  Sand  und  roten  Kies  des 
öden,  toten  Hölasandur.  Die  Sonne  strahlte,  aber  der  Wind 
brachte  uns  Kühlung  und  fegte  den  Staub  auf  die  andere  Seite, 
so  dass  er  uns  nicht  belästigte.  Nach  drei  Stunden  sahen  wir  die 
SiUur  (Säulen),  eine  1135  m  hohe  Bergkette  südlich  von  Akureyri 
am  westlichen  Ufer  der  Eyjafjardard  und  dahinter  den  Vindheima- 
jökull  (1465  m).  Zwei  Stunden  darauf  hatten  wir  den  ersten  An- 
blick des  Myvatn,  und  obwohl  unsere  Erwartungen  auf  das  Höchste 
gespannt  waren,  wurden  sie  doch  von  der  Wirklichkeit  noch  weit 
übertroffen.  Das  Myvatn  ist  27  qkm  gross,  aber  nur  5 — 7  m  tief; 
das  Bassin  ist,  wie  Thoroddsen  sagt,  zwischen  Lavaspalten  ein- 
gesenkt, und  später  sind  mehrere  Lavaströme  in  den  See  hinaus 
geflossen.  Das  helle  durchsichtige  Wasser  lässt  die  grottenartigen 
Gebilde  der  schwarzen  Basaltlava  deutlich  erkennen.  Seine  Um- 
gebung ist  mit  Kratern  derartig  übersät,  dass  sie  wie  eine  Mond- 
landschaft aussieht.  Myvatn  ist  Islands  Feuerherd.  Wenige  Stellen 
auf   der   Erde    sind  von  der  Tätigkeit  des  unterirdischen   Feuers  so 


Mvvatn. 


durchwühlt,  wie  diese  Gegend.  Weite,  mit  Kratern  bedeckte  Flächen, 
grosse  vulkanische  Spalten,  die  sich  durch  die  Berge  von  einer  Seite 
zur  andern  erstrecken,  Schlammvulkane,  Solfataren  und  Fumarolen, 
unübersehbare  Lavafelder  treten  auf  allen  Seiten  hervor.  Daher 
haben  eine  Menge  europäischer  Geologen  seit  langer  Zeit  ihre 
Aufmerksamkeit  dieser  Gegend  gewidmet.  Hier  hat  sich  auch 
Thoroddsen  seine  Sporen  verdient.  Als  1S76  von  Dänemark  eine 
Expedition  unter  Prof.  Johnstrup  ausgeschickt  wurde,  um  die 
Vulkane  des  Nordlandes  zu  untersuchen,  befand  auch  er  sich  unter 
den  Teilnehmern,  und  acht  Jahre  später  untersuchte  er  allein  vom 
Mi'vatn  aus  die  ,, Lavawüste  im  Innern  Islands"^). 

Das  östliche  Ufer  des  Sees,  das  wir  zunächst  erreichten,  hat 
eine  Menge  tiefeingeschnittener  Fjorde ,  unfruchtbare  Lavafelder 
ziehen  sich  das  Ufer  entlang,  aber  sie  sind  so  wunderbar  gestaltet, 
dass  sie  nie  eintönig  wirken,  und  Thoroddsen  gesteht,  dass  er 
auf  ganz  Island  keine  Lavaspitzen  mit  so  seltsamen  und  malerischen 
Gebilden  gesehen  hat  wie  hier.  In  der  Lava  halten  sich  unglaub- 
liche Massen  von  Spinnen  auf,  die  ihre  Netze  über  die  Lavalöcher 
spinnen,  und  in  den  Lavaspalten  kommen  üppige  Farnkräuter  fort. 
In  dem  See  und  um  den  See  erheben  sich  gewaltige  Säulen, 
Türme  und  Felsburgen,  wie  Ritterschlösscr  des  Mittelalters,  und 
wenn  des   Abends    ein    leiser   Schleier   sich   über  den  See   und  die 

Berge  senkt ,  und 
alles  in  phantasti- 
schen Formen  ver- 
schwimmt ,  dann 
treiben  spukhafte 
Mächte  hier  ihr 
Spiel,  denen  zu  be- 
gegnen nicht  ge- 
heuer ist.  Der  Ne- 
bel    ballt    sich 


zu 


einem  ungeheueren 


Fig.   102.     Der  Nachtkobold    in  seinem  Boote.     (Ein  eigen- 
tümlich geformter  La%'afelsen  an   der  Ostseite  des  Mvvatn.) 


Riesen  zusammen, 
und  die  an  den  Lava- 
blöcken und  Berg- 
gipfeln zur  Abend-  und  Nachtzeit  haftenden  und  mit  Sonnenaufgang 
schwindenden,  oder  durch  den  Sturm  verscheuchten  Nebelgebilde 
riefen  und  rufen  die  Yersteinerungssagen  von  Riesen  hervor:  der 
nackte,  kahle  Fels  bleibt  zurück,  während  die  Nebelgestalten  zum 
Himmel  entschweben.  Ein  grosser  bootmässiger  Lavablock  mit 
einer   aufrecht    stehenden    Spitze    soll    ein    versteinertes    Riesenweib 


1)  Auch    der    letzte  Aufsatz   Thoroddsens  beschäftigt  sich  mit  dem  Myvain. 
Geogr.  Tidskr.   1905,  XVIII,  S.  26  —  46.   —   Korrektumote. 


M^'vatn.     Slütnes.  223 

sein  (Fig.    102),    und  die  Sage,    die  sich   daran  knüpft,    erzählt  fol- 
gendes M: 

In  einem  Berge  bei  den  Sommerweideplätzen,  die  den  Einwohnern  am  Mijvatn 
gehören,  wohnte  eine  Riesin,  ein  Nachttroll,  in  deren  Natur  es  liegt,  dass  sie  nicht 
vertragen  können,  die  Sonne  zu  sehen.  Darum  müssen  sie  ihren  Lebensunterhalt  des 
Nachts  gewinnen.  Die  Riesin  fügte  den  Leuten  am  See  viel  Schaden  zu,  da  sie  des 
Nachts  die  Fische  aus  dem  See  stahl.  Man  sagt,  sie  habe  ein  kleines  Boot  gehabt, 
in  dem  sei  sie  auf  dem  See  umhergerudert  und  habe  es  dann  auf  dem  Rücken 
wieder  nach  ihrer  Felsvvohnung  getragen. 

Eines  Sommers  war  der  Fischfang  ausserordentlich  ergiebig;  jede  Nacht  stahl 
die  Riesin  die  Fische  aus  dem  See,  und  das  verdross  die  Bauern  sehr.  Als  gegen 
Sommervvende  die  Riesin  wieder  fischte,  war  gerade  auch  ein  Bauer  mit  Fischen  be- 
schäftigt. Sie  wagte  aber  nicht,  ihn  anzugreifen,  denn  es  waren  noch  drei  andere 
bei  ihm  ;  sie  beschloss  daher  zu  warten,  bis  der  Bauer  mit  dem  Fischen  fertig  wäre. 
Dieser  aber  zögerte  bis  gegen  Morgen ,  da  er  wusste ,  wie  es  sich  mit  der  Riesin 
verhielt.  Endlich  hörte  er  mit  Fischen  auf,  die  Riesin  warf  sogleich  ihre  Angel  aus, 
und  als  sie  genug  gefangen  hatte,  ging  sie  heim.  Unterwegs  aber  überraschte  sie  die 
Sonne.  Da  setzte  sie  das  Boot  auf  der  Stelle  nieder,  wo  sie  stand,  stieg  selbst 
hinein,   und  so  ist  alles  zu  Stein  geworden. 

Die  deutlichen  Merkmale  davon  kann  man  noch  heute  sehen.  Das  Boot  gleicht 
genau  den  Fahrzeugen,  die  man  noch  jetzt  auf  dem  Mijvatn  zum  Fischen  braucht, 
nur  dass  es  viel  grösser  ist.  „Man  kann  seine  ganze  Einrichtung  deutlich  erkennen 
und  noch  die  Ruder  und  ihre  Befestigung  sehen;  es  sind  dazu  Einschnitte  im  Boots- 
rande vorhanden  gewesen,  nicht  die  heute  gebräuchlichen  Klampen.  Im  Hintersteven 
des  Bootes  ist  eine  grosse  Erhöhung,  und  man  hält  dies  für  die  Riesin,  die  sich  hier 
zur  letzten  Ruhe  niedergelegt  hat". 

Einstmals  hat  das  Myvatn  mit  dem  nordwestlich  gelegenen 
Sandvain  zusammengehangen,  und  der  Berg  J^mdbelgur  ist  damals 
eine  Insel  gewesen.  Mehrere  Krater  —  nach  Thoroddsen  minde- 
stens 50  — ,  ragen  als  Inseln  aus  der  Wasserfläche  des  Myvatn 
empor,  und  im  Boden  sollen  tiefe  Kessel  und  Abgründe  sein.  Die 
seichten  Stellen  sind  mit  Wasserpflanzen,  besonders  mit  Myrio- 
phyllum  spicatum  bedeckt  (Vatnaiiiari) ;  hier  hausen  die  Larven 
der  Myriaden  von  kleinen  Mücken,  die  dem  See  seinen  berüchtigten 
Namen  gegeben  haben.  Einige  der  Inseln  und  Holme  sind  flach 
und  niedrig,  unfruchtbar  und  nur  spärlich  bewachsen  mit  Binsen, 
Archangelica  und  dem  auf  Island  seltenen  Erysimum  hieracifolium 
(Aronsvöndiir).  Andere,  ehemalige  Krater,  sind  höher  und  kegel- 
förmig mit  einem  Becken  in  der  Mitte,  oft  halb  vom  Wasser  ein- 
gerissen, mit  Gras  und  Weiden  bewachsen  (vergl.  die  Fig.   103). 

Als  der  Bauer  von  Griiitstadir  merkte,  dass  wir  keine  Engländer 
waren  und  keine  Gewehre  bei  uns  hatten,  erlaubte  er  uns,  allein 
nach  der  Insel  Shltnes  zu  rudern.  Diese  Insel  ist  die  schönste  von 
allen  Inseln  des  Myvatn^  ein  herrliches,  kleines  Idyll,  ein  Robinsons- 
Eiland  mit  kleinen,  kreisrunden,  von  hohem  Schilf  eingefassten  Seen, 
kleinen  Fjorden    und    einem  kleinen  Walde.     Sie  ist  nur  800 — 1000 


1)  Jon  Arnason,  Isl.  Pjödsögur  I,  S.  215/16. 


224 


Mfvatn.     Slütnes. 


Schritt  lang  und  nur  ^;4  so  breit,  aber  die  Humusschicht,  die  die 
basaltische  Lava  bedeckt,  trägt  eine  üppige  Fülle  Ampfer,  Geranien, 
Schafgarbe  und  namentlich  Wollgras.  Das  Hevi  wird  auf  der  Insel 
gelassen,  mit  Rasenstreifen  zugedeckt  und  im  Winter  mit  Schlitten 
hinübergebracht.  Die  Weiden,  Birken  und  Ebereschen  erreichen 
eine  Höhe  und  einen  Umfang  wie  selten  auf  Island,  zwischen  ihren 
Büschen  haben  zahllose  Enten  ihre  Nester ;  eine  strauchartige  Eber- 
esche prangte  in  voller  Blüte,  die  Weidenbüsche  gingen  uns  bis  zur 
Brust,    und  einige  knorrige,    vielfach  hin-  und  hergewundene  Birken 


Fig.   103.     Die  Insel  Slütnes  im  Myvatn. 


waren  wohl  von  doppelter  Manneshöhe,  aber  das  Auffallendste  waren 
wohl  die  Archangelicastauden,  die  fast  2  m  hoch  kerzengerade  neben 
einander  standen  (Fig.  104).  ]\Ian  glaubt  wirklich  nicht  auf  Island 
zu  sein,  wenn  man  diese  Ortlichkeit  betritt. 

Slütnes  ist  ein  wahres  Eden  für  die  Wasservögel,  kein  Schuss 
darf  hier  fallen,  kein  Tier  getötet  werden.  Wohl  keine  Stätte  in 
ganz  Europa  bietet  dem  Ornithologen  ein  so  reiches  Feld,  um  die 
Eigenheiten  und  Lebensweise  der  Enten  kennen  zu  lernen.  Das 
Vogelleben  hier  ist  untersucht  und  geschildert  von  Fr.  Faber 
(1819),  Th.  Krüper  (1856),  Frey  er  (1860),  Riem  Schneider  (1895) 
und  H an tz seh  (1903).  Zu  den  am  meisten  charakteristischen  Vögeln 
gehört    der    zutrauliche    Ohrentaucher    (Colymbus    auritus ,    Se/önd)^ 


M^vatn.     Slütnes. 


o->r. 


dessen  schwininiendc,  mit  der  am  Grunde  wurzelnden  Wasserpflanzen 
verflochtene  Nester  an  der  Küste  sehr  häufig  sind.  Von  Enten  sind 
Clangula  islandica,  l<\iligula  marila,  Anas  hiemalis,  Anas  crecca, 
Anas  boschas  und  Oedemia  nigra  die  häufigsten,  im  ganzen  brüten 
etwa  20  Arten  hier;  Mergus  merganser  und  Mergus  serrator,  Colym- 
bus  glacialis  und  septentrionalis  sind  ebenfalls  häufig,  ausserdem 
Seeschwalben,  IMöven,  Odinshähne  und  viele  andere  Wasservtigel. 
Die  Hausente  {//üsö/id,  Spatelente,  Clangula  isl.)  ist  sehr  zahm 
und  hat  ihren  Namen  daher,  dass  man  oft  auf  den  Holmen  kleine 
,, Häuser"   für  sie  baut. 


Fig.    104.     Im   Gebüsch  der  Insel   Slütnes. 


Ebenso  berühmt  ist  das  Myvatii  durch  seine  Forellen.  Salmo 
alpinus  wird  in  grossen  Mengen  gefangen  und  frisch,  gesalzen  und, 
wie  Stockfisch,  in  der  Luft  getrocknet  {JMyvafns-reidur}  verspeist; 
in  letzterer  Zubereitung  ist  er  geradezu  eine  Delikatesse.  Ausser- 
dem kommen  vor :  die  Bachforelle  und  Lachsforelle,  der  Saibling 
und  eine  von  den  Isländern  krüs  genannte  Art,  die  sich  in  Löchern 
und  Lavaspalten  aufhält  \).  Der  Fang  beginnt  gewöhnlich  anfangs 
April  und  dauert  bis  in  den  Sommer  hinein.  In  der  Laichzeit 
suchen  grosse  Züge  von  Forellen  die  Nähe  des  Landes  und  werden 
von  Oktober    bis  Februar    von  den  Umwohnern    im  Garn  gefangen. 


1)  Vergl.  Reykdcela  S.   1881,    K.   21;  Thoroddsen-Ge  bhardt  II,   S.   2789, 
303,  327/8,   337. 

Herrraann,   Island  II.  15 


226  Myvatn.     Reykjahlid. 

Im  Winter  werden  Löcher  in  das  Eis  geschlagen,  und  man  zieht 
ein  grosses  Zugnetz,  eine  sogenannte  Wathe,  unter  dem  Eise  durch 
zwei  grosse  Löcher. 

Vor  dem  Bauernhofe  Gri'instadir  lag  mindestens  ein  Dutzend 
Renntiergeweihe,  an  deren  Zacken  Kleidungsstücke  aufgehängt  waren. 
Die  Landstrecke  zwischen  Gri'instadir  und  ReykjaJilid,  über  deren 
Lava   wir   ritten,    soll    früher  ein  Wiesengrund  mit  kleinen  schilfbe- 


Fig.   105.     Reykjahlid. 

wachsenen  Binnenseen  gewesen  sein,  der  zu  den  umliegenden  Ge- 
höften gehörte.  Ausser  dem  Pfarrhofe  ReykjaJili'd,  wo  die  Häuser 
unter  der  Lava  begraben  wurden,  sind  drei  andere  Höfe  vollständig 
zerstört  worden. 

Reykjalili'd,  etwa  •';4  Stunde  von  Gri'instadir  entfernt,  liegt  am 
nordöstlichen  Ufer  des  Sees  292  m  über  dem  Meere  (Fig.  105).  Das 
Tün^  das  bis  an  den  See  reicht,  wird  nach  Westen  begrenzt  vom 
Lavastrom  des  Leirlini'ikur  vom  Jahre  1729,  nach  Osten  von  alter 
Lava  mit  Rissen  und  Höhlen,  die  z.  T.  als  Schafställe  benutzt 
werden.     Die    neue  Lava  ist  z.  T.  mit  Moosen  bewachsen ;    wo  ein 


Reykjahlid.  227 

wenig   Staub    sich    in    den  Vertiefungen  angesammelt  hat,    kommen 
vereinzelte  Phanerogamen  (?)  vor. 

In  irgend  einem  dänischen  Reiseberichte  habe  ich  gelesen,  dass 
sich  hier  im  Laufe  des  20.  Jahrhunderts  sicherlich  ein  Hotel  ,, erster 
Klasse"  erheben  wird,  mit  befrackten  Kellnern,  einem  Portier  in 
Uniform  und  Ruderknechten  in  „Nationaltracht",  die  den  Fremden 
für  ein  paar  Pf.  Sterling  auf  den  See  zum  Forellenfang  rudern, 
während  andere  Engländer  gegen  horrende  Summen  die  letzten 
Renntiere  abschiessen,  und  noch  andere  mit  der  ,, Zahnradbahn" 
nach  den  Trölladyngjur  fahren  oder  zu  den  Schwefelquellen  pilgern, 
deren  Besuch  Ah'.  Cook  nur  gegen  hohes  Eintrittsgeld  gestattet. 
Das  ist  zwar  ein  Traum  der  Zukunft,  aber  ganz  in  das  luftige  Reich 
der  Phantasie  gehört  er  nicht.  Vorläufig  muss  man  allerdings  mit 
dem  säubern  Bauernhofe  von  Einar  Fridreksson  für  lieb  nehmen. 
Ein  englischer  Ingenieur  war  da,  der  das  Gelände  für  die  geplante 
Eisenbahn  nach  Hiisavik  untersuchte,  und  ein  paar  isländische 
Touristen.  Denn  auch  die  Isländer  fangen  jetzt  an,  ihr  Heimatsland 
zu  bereisen :  wie  die  Bewohner  von  Reykjavik  nach  Pingvellir,  dem 
Geysir  und  der  Flekla,  so  reisen  die  Nordländer  nach  dem  Dettifoss, 
Asbyrgi  und  dem  Myvatn.  Trotzdem  also  fünf  Fremde  da  waren, 
erhielten  wir  doch  ein  eigenes,  grosses  Zimmer  für  uns,  und  zum 
Abendessen  gab  es  Saiblinge,  die  nicht  minder  gut  mundeten  wie 
die  in  St.  Bartholomä  am  Königssee.  Da  wir  Nordwind  hatten, 
waren  alle  Mücken  auf  der  Südseite  des  Sees,  wir  konnten  sogar 
ohne  Zigarre  im  Freien  sitzen  und  umherstreichen.  Riesige  Lava- 
platten liegen  umher,  aber  um  die  steinerne  Kirche  und  die  Wind- 
mühle ist  eine  Art  Ti'iii  angebracht,  nach  vorn  breitet  sich  die 
zitternde  Fläche  des  Sees,  im  Hintergrunde  stehen  Berge  aus  Tuff, 
und  über  sie  blickt  die  Liparitspitze  der  Pyramide  des  Hli'dar- 
fjall  {77s  m)i). 

In  der  Nähe  des  Hlidarfjall  liegt  eine  der  grössten  Lavaspalten  Islands,  eine 
ca.  35  km  lange  Kraterreihe  mit  80—100  Kratern,  Leirhnükur  (Lehmhöhe)  genannt. 
Der  nördlichste  Teil  dieser  langen  Kraterlinie  war  1725  —  29  in  heftiger  Bewegung. 
Man  hat  diese  Ausbrüche  oft  der  Krafla  zugeschoben  (828  m,  sprich  Krabla,  d.  h. 
Krabblerin,  warum?),  einem  Berg  aus  Palagonittuff ,  westlich  vom  Leirhmtkur ; 
aber  die  Kraßa  hat  in  geschichtlicher  Zeit  keine  Eruption  gehabt,  einige  kleine 
Krater  auf  ihrer  Nordseite  sind  vor  der  Besiedlung  der  Insel  entstanden.  Der  Aus- 
bruch des  Leirhnükur  1729  übertraf  noch  die  vorhergehenden  an  Furchtbarkeit. 
Bei  den  unaufhörlichen  Eruptionen  strömte  die  Lava  vor,  bis  sie  den  Hof  Reykjahlid 
erreichte.  Der  Pfarrer  musste  mit  Weib,  Kind  und  Gesinde  flüchten,  drei  Höfe  in 
der  Nähe  gingen  in  Flammen  auf,  aber  die  Bewohner  konnten  sich  retten.  Den  Tag 
darauf  wurde  der  Pfarrhof  selbst  von  der  Lava  überschwemmt,   aber  die  Kirche  blieb 


1)  Von  diesem  Berge  wird  eine  ähnliche  Versteinerungssage  erzählt,  wie  von 
dem  Nachtkobold  in  seinem  Boote.  Lehmann-Filhes,  Isl.  Volkssagen  I,  S.  99; 
andere  Sagen  aus  dieser  Gegend  a.  a.  O.  I ,  S.  49,  173,  179,  II,  191  flf . ;  Maurer, 
Isl.  Volkssagen  S.  47,   190. 

15* 


228  Myvatn.     HverOall. 

verschont ;  sie  wurde  von  dem  glühenden  Strom  umkreist ,  aber  da  sich  die  Lava  all- 
mähUch  über  die  flache  Gegend  ergoss ,  und  die  Kirche  höher  stand  als  die  Um- 
gebung, so  war  es  eigentlich  ganz  natürlich,  die  fromme  Bevölkerung  jedoch  sah  darin 
ein  Wunder;  noch  heute  steht  die  Kirche  in  einer  kleinen  grünen  Fläche  mitten  in 
dem  kohlschwarzen  Lavafelde.  Der  Lavastrom  stürzte  weiter  in  das  Mf/vafn ,  und 
zwischen  dem  feurigen  Strom  und  dem  Wasser  entbrannte  der  fürchterlichste  Kampf. 
Alles  wurde  in  Dampf  gehüllt,  und  unter  einer  unaulTiörlichen  Kanonade  wurde  der 
Kampf  lange  Zeit  fortgesetzt,  bis  das  Wasser  Sieger  blieb.  Das  Volumen  der  Lava- 
ströme von  1725 — 29  beträgt  ca.  1018  Mill.  ehm.,  das  der  älteren  Lava  derselben 
Spalte  wahrscheinlich  3 — 4000  Mill.  cbm.  Vor  dem  Ausbruch  soll  das  Wasser  des 
Sees  bis  zu  der  Höhe  hinauf  gereicht  haben,  auf  der  die  Kirche  steht. 


30.  Juli. 

Da  ich  früher  erzählt  habe,  wie  der  deutsche  Missionar  Dankbrand  von 
DjlipWOgur  nach  dem  Althing  fährt,  will  ich  seine  weiteren  Reisen  kurz  erwähnen. 
Dankbrand  brachte  mutig  das  Wort  Gottes  am  Thing  vor,  scheint  aber  nicht  viel 
Erfolg  gehabt  zu  haben.  Da  zog  er  fort  und  beabsichtigte  den  östlichen  Weg  nach 
dem  Eyja/jürctur  zu  nehmen.  Er  taufte  viele  Leute  im  Pangbrandsla'kr  iBachi, 
im  Axarfjördur,  und  beim  Myvatn  im  PangbrandspoUr  (kleiner  Teich).  Aber  er 
vermochte  nicht  weiter  vorzugehen  als  bis  zum  Skjälfandafljöi,  wegen  der  Gewalt 
der  Bewohner  der  um  den  Eyjafjördur  liegenden  Landschaft.  Da  kehrte  er  zurück 
nach  dem   Ostlande  und  lehrte  da  den  Glauben  {Krisini  S.  7). 

Der  Pangbrandslcpkr  fällt  in  die  Sandd ,  die  sich  östlich  von  der  Jökulsn 
in  den  Axarfjördur  ergiesst  und  trägt  noch  heute  den  Namen.  Aber  em  Pang- 
brandspoUr ist  heute  am  M{ivatn  nicht  mehr  bekannt :  nur  eine  Beschreibung  der 
Gegend  aus  dem  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  berichtet  von  einer  Heilquelle,  in  der 
nach  schriftlicher  Überlieferung  Dank  brand  getauft  haben  soll,  und  diese  wird  wohl 
mit  dem  PangbrandspoUr  identisch  sein  (Kahle,  Kristni  S.  22 1. 

Der  Bauer  hatte  in  die-sem  Jahre  800  Enteneier  eingesammelt, 
die  bis  Weihnachten  aufbewahrt  werden  können.  Seine  Heuernte 
betrug  70  ,, Pferde"  (ein  ,, Pferd"  =  150  —  200  Pf.),  auch  er  lässt  das 
Heu  auf  den  Inseln  und  holt  es  sich  nach  Bedarf  im  Winter.  Öst- 
lich vom  Hofe  liegt  eine  Kluft  Störagjd,  die  mit  warmem  Wasser 
angefüllt  ist,  das  zu  Bädern  benutzt  wird. 

Da  der  Himmel  bedeckt  war,  holte  ich  mein  Ölzeug  hervor, 
das  so  lange  nicht  in  Gebrauch  gewesen  war,  und  mein  Begleiter 
benutzte  die  Gelegenheit,  mich  zu  photographieren  (vergl.  Fig.  42). 
Denn  wir  wollten  einen  Abstecher  nach  den  berühmten  Solfataren 
machen,  den  ReykjnJdidarndiiiur  (ndina  Schwefelquelle)  und  den 
für  Island  charakteristischen  Schlammvulkanen  (leirliverj.  Zunächst 
ritten  wir  über  Lava,  bogen  auf  Serpentinenwegen  in  eine  passartige 
Einsenkung  ein  und  machten  auf  der  Höhe  Halt ,  um  Umschau  zu 
halten:  hinter  uns  lag  der  schimmernde  See  mit  den  vielen  grünen 
Inseln,  vor  uns  die  dunkelblauen  Berge,  scharf  zeichneten  sich  am 
südlichen  Ende  des  Xdt)iafjall  die  charakteristische  Form  des  Kraters 
auf  dem  Hverfjall  ab,  der  wie  ein  ungeheuerer  Becher,  wie  ein 
ringförmiger  Kraterwall  aus  seiner  Umgebung  hervorragt  und  das 
ganze   AJyvatn   beherrscht    i^Fig.    io6j.     Sein    Umfang    beträgt    nach 


Mvvatn.     Hlidarnamur. 


229 


«S<i^ 


Fig.    io6.     Hverfjall.      (Ein    grosser  Krater    an    der  Ostseite  des 
Myvatn;  im  Hintergrunde  Nämafjall,  links  Lavaströme.) 


Knebel  4140  m,  der  Durchmesser  etwa  1300  m,  seine  Höhe  aber 
nur   150  mM.     Nach  Knebel  ist  die  aus  Preyer-Zirkel  entnommene 
Zeichnune  etwas  überhöht.     Die  vom  Krater  ausgeworfenen  Massen 
bestehen     nach 
Knebel    nicht 
in  Lavablöcken, 
sondern  aus  zer- 
sprengtem   Ge- 
stein der  in  der 
Tiefe       befind- 
lichen    Basalte 
und  Tuffe.  „Das 
Hverfjall  ist  ein 
riesenhafter  Ex- 
plosionskrater, 
wie   kein  ande- 
rer auf  Island  in 
gleicher  Vollen- 
dung auftritt." 

Auf  der  öst- 
lichen Seite  des 

Ndniafjall  und  den  ganzen  Bergrücken  hinauf  finden  sich  die  grössten 
Solfataren  und  Schlammvulkane.  Auch  auf  der  westlichen  Seite 
findet  einige  Schwefelablagerung  statt:  diese  Solfataren  haben  den 
gemeinsamen  Namen  Hlidarndmur.  Schon  beim  Vorbeireiten  hatten 
wir  einige  Stellen  gesehen,  wo  aus  schwefel-inkrustierten  Kegeln 
Dampf  zischend  aufstieg,  und  widerwärtiger,  zäher  Schlamm  brodelnd 
kochte.  Als  wir  aber  abwärts  nach  der  Ebene  ritten  und  den  öst- 
lichen Rand  des  Xdmafjall  entlang  auf  die  Hauptschwefelquellen 
zuritten,  da  ward  das  Wort  Wahrheit,  das  Sartori us  von  Wal- 
tershausen gesagt,  der  1846  hier  gewesen  war:  „Wenn  die  Hexen 
des  Macbeth  für  ihre  infernalen  Beschäftigungen  noch  nicht  den 
rechten  Platz  aufgefunden  hätten,  so  könnte  ihnen  der  böse  Feind 
wahrhaftig  nicht  besser  raten,  als  in  den  Ndiinir  von  Reykjahlid 
ihre  Werkstatt  aufzuschlagen"  (S.  123). 

Die  Erde  war  von  den  schwefelsauren  Dämpfen  förmUch  durch- 
kocht, schwer  und  niederdrückend  hingen  die  schwarzen  Regen- 
wolken am  Himmel,  und  der  leise  fallende  Regen  hüllte  alles  in 
melancholische  Schleier,  ohne  die  Aussicht  wesentlich  zu  beein- 
trächtigen. Um  so  schärfer  hoben  sich  gerade  vor  uns  die  gelb- 
roten Schwefelberge  ab,  und  ihre  Wände  spielten  in  allen  möglichen 
Farben,  gelb,  rot,  blau,  grünlich  und  weiss;  denn  die  Gesteine  sind 
alle  in  bunten  Ton   verwandelt.     Die    Farbenzusammenstellung   war 


1)  Globus   1905,  Nr.  24,  S.  376. 


230  Myvatn.     Hlidamämur. 

wirklich  wunderbar :  kleine  graue  Flecken  huschten  verstreut  mitten 
durch    die    Lavaklippen,    hier   waren  gedämpl'te   braunrote   Flächen, 
dort  hellgelbe,  dort  schwarze ;  aber  diese  Farben  gingen  nie  in  ein- 
ander über,  niemals  waren  sie  in  einander  auf  den  Sand  aufgekleckst, 
sondern    jede    Farbe    blieb    für    sich   allein,    bald  überwog  die  eine, 
bald    die    andere.      Das    Auge    tat    einem    förmlich   weh    beim    An- 
schauen dieser  in  der  schreiendsten  Disharmonie  nebeneinander  auf- 
getragenen   Farben.      Von    Pflanzenwuchs    war    nicht    die    geringste 
Spur    zu    bemerken,    kein   Vogel    durchschnitt    flüchtig    die    unheil- 
geschwängerte   Luft,    nicht    einmal  die  Mücken  wagen  sich  hierher. 
Plötzlich  muss   ich  unwillkürlich  die  Nase  rümpfen  und  spüre  einen 
eigentümlichen   prickelnden  Reiz  am  Gaumen:    der  Wind  trägt  mir 
einen  unangenehmen  faden  Schwefelgeruch  zu,  der  sich  von  Minute 
zu  Minute    schwerer   und   beklemmender    auf  die  Lunge  legt.     Nun 
sehe    ich    auch    in    einiger    Entfernung,    bald    auch    unmittelbar    am 
Wege    etwa  2  m    hohe    hellgelbe    oder    gelbgrüne    Schwefelflecken, 
von  denen  ein  weisser  Rauch  emporkriecht,  und  weisse  Krusten  von 
verschiedenen  Salzen :  all  die  grossen,  gelben  Punkte  auf  den  roten 
und    braunen    Felsen    sind    Schwefel.      Ringsum    liegen    Pfützen    mit 
kochendem  Ton   in  allen    möglichen    Farben:    dunkelblau,    hellblau, 
dunkelgrün,    gelb    und   weiss,    grau   und    rot;     in    den    Lehmkesseln 
kocht    und    blubbert  der  Ton  unter  starker  Dampfentwicklung,    wie 
,,Brei  in  einem  eisernen  Topfe".   Aus  jedem  Loch,  aus  jedem  Risse, 
aus  jeder  Spalte  steigen  bald  grössere,  bald  kleinere  Dampfstrahlen 
in  die  Luft.     Loki,  der  Feuergott,  ist  in  seiner  unterirdischen  Werk- 
stätte Tag  und  Nacht  tätig.    INIan  hört  aus  der  Tiefe  ein  gedämpftes 
Stöhnen,  Pfauchen  und  Pfeifen  heraufdringen,  und  die  Erde  scheint 
zu  schwanken.     Das    mag    wohl    Täuschung    sein,    aber   verräterisch 
genug  ist  der  Boden,    die  Pferde  weigern  sich  weiter  zu  gehen  und 
stehen  von  selbst  zitternd  und  prustend  still.    Unsere  Füsse  bleiben 
in  der  schleimigen,  klebrigen,  weissgelblichen  oder  bräunlichen  Masse 
stecken,  mit   grösster   Mühe   und  Vorsicht  tappen  wir  uns  vorwärts. 
Wehe    dem,    der    in    den  zähen,    heisscn  Schlamm,    in  die  glühend- 
heissen    Schichten  von    halbflüssigem   Ton    und    Schwefel    versinkt! 
Wenn    er   sich    nicht    schnell    der    Länge    nach    mit    ausgebreiteten 
Armen    hinwirft,    ist    er   verloren.     Am   widerlichsten    aber    ist    der 
Blick  in  die  vier  grösseren  und  mehrere  kleine    Schlammpfuhle  mit 
kraterförmigen    Rändern,    die,    von  Süd   nach  Nord  geordnet,    dicht 
beieinander     liegen:       graublauer     oder     bleischwarzer,      ekelhafter 
Schlamm  brodelt  ununterbrochen  in  ihnen  langsam  und  schwerfällig 
und  vermag  es  nur  zu  einigen  Blasen  zu  bringen,    die    unaufhörlich 
aus  der  Tiefe  aufsteigen,    zischend  oder  mit  leisem,  dumpfen  Knall 
platzen  und  den  Schlamm  auseinander  und  über  den  Rand  empor  werfen. 

Da  unten  aber  ist's  fürchterlich, 

Und  der  Mensch  versuche  die  Götter  nicht! 


Mi?vatn.     Hlidarnämur.  231 

Es-  war  ein  unheimlicher,  wahrhaft  dämonischer  AnbHck,  das 
Grauenhafteste,  das  sich  eine  Doreesche  Phantasie  ausmalen  kann, 
und  doch  bleibt  sie  hier  hinter  der  Wirklichkeit  zurück.  Nur  mein 
Führer  behauptete,  1888  mit  Thoroddsen  in  den  Kerliitgarjjöll 
am  Rande  des  Hofsjökull  Solfataren  und  Schlammvulkane  gesehen 
zu  haben,  die  die  lllidarndmur  noch  weit  überträfen.  Wenn  der 
bekannte  Jesuitenpater  Baumgartner  hier  gewesen  wäre,  würde 
er  hier  und  nicht  bei  der  Hekla  geschrieben  haben :  „Die  vulka- 
nischen Erscheinungen  der  letzten  Jahrhunderte  zeigen  zum  wenigsten, 
dass  es  dem  Schöpfer  weder  an  Erfindungsgeist  noch  an  Macht 
gebricht,  eine  Hölle  anzuzünden"  —  Worte  übrigens,  die  auf  die 
Isländer  einen  eigenartigen  Eindruck  gemacht  haben  müssen,  denn 
sie  wurden  mir  gegenüber  wiederholt  zitiert. 

Der  Wind  trieb  uns  den  Gestank  des  Schwefelwasserstoffes  mit 
solcher  Gewalt  ins  Gesicht,  dass  wir  dem  Höllenpfuhl  den  Rücken 
wandten,  die  Pferde  bestiegen  und  durch  die  ausgebrannte  Wüste 
zurück  nach  ReykjaJih'd  ritten.  Gegen  vier  Uhr  brachen  wir  von 
hier  auf,  um  ShUustadir  zu  erreichen,  unser  nur  drei  Stunden  ent- 
ferntes Ziel  am  Südwestende  des  Myvatn.  Der  Regen  hat  aufge- 
hört, die  Sonne  lacht,  aber  sie  hat  auch  die  Mücken  lebendig  ge- 
macht ;  sie  setzen  sich  in  die  Nasenlöcher  und  Augen  und  dringen 
in  die  Mundhöhle  und  Ohren ;  die  Zigarre  nützt  so  gut  wie  nichts, 
aber  wozu  ist  das  Mückennetz  so  lange  mitgeschleppt?  jetzt  soll  es 
zu  seinem  Rechte  kommen !  es  wird  schnell  über  das  Gesicht  ge- 
zogen und  verschafft  wirklich  Ruhe  vor  den  Plagegeistern.  Da  aber 
kein  Lüftchen  sich  rührt,  wird  es  unter  dem  langen,  breiten  Schleier 
unerträglich  heiss,  und  lieber  w'ill  ich  mich  von  den  Mücken  um- 
schwirren und  umsummen  lassen,  als  in  dem  Backofen  schmoren ; 
die  Pferde  leiden  augenscheinlich  viel  mehr  als  wir,  sie  schnauben 
und  prusten  in  einem  fort  und  eilen,  was  sie  können,  obwohl  wir 
lieber  langsam  ritten,  um  die  überaus  interessante  Landschaft  zu 
gemessen. 

Es  ist  wohl  die  letzte  Lava,  die  wir  auf  Island  zu  passieren 
haben,  und  soviel  wunderbare  Lavafelder  wir  auch  passiert  haben, 
dieses  letzte  ist  vielleicht  das  eigenartigste.  Es  ist  mir  unbegreiflich, 
wie  Baumgartner,  der  allerdings  selbst  nicht  hier  gewesen  ist, 
schreiben  kann,  dass  das  Mi'vatti  in  keinem  Verhältnisse  zu  den 
Anstrengungen  und  Opfern  stünde,  die  eine  Reise  hierher  an  den 
Menschen  stelle,  und  des  Engländers  Burton  Schilderung  ist  ge- 
radezu läppisch :  „Wir  fanden  am  Myvatn  keinen  Platz,  w'o  Fische 
und  Vögel  im  Überfluss  leben,  und  wo  die  W^under  Islands  sich 
vereinigen.  Der  Grund  des  Sees  ist  schwarz  und  schlammig,  das 
Wasser  am  Ufer  ist  seicht  und  voll  Unkraut,  Schilf  und  Schlamm; 
von  dem  letzteren  ist  das  Gestade  und  der  Rand  der  Inseln  weiss  .  .  . 
das  richtige  Nest   für  Blutegel"  (Ultima  Thule  or  a  Summer  in  Ice- 


232 


Mvvatn.     Kälfaströnd. 


land  1875).  Die  Lava  zeigte  die  unglaublichsten,  abenteuerlichsten 
Gebilde :  Zacken  und  Säulen,  terrassenförmige  Klippen  und  wild 
zerrissene  Blöcke,  schroffe  Brüche  und  tiefe  Kessel,  Kuppeln  und 
Kegel,  Wände  und  Schlösser,  Portale  und  Brücken  —  und  zwischen 
dem  Labyrinth  dieser  finsteren,  wild  durcheinander  geworfenen, 
schwarzen,  selten  rotbraunen  ^Massen  liegen  grüne  Wiesen  mit  zahl- 
reichen Birkengebüschen  versteckt,  kleine  Teiche,  Überreste  des 
alten  Sees,  durch  die  erstarrten  Feuermassen  vom  Hauptsee  getrennt. 


Fig.    107.     Kälfaströnd  am   Myvatn. 


Im  Myvaiii  selbst  taucht  eine  Insel  nach  der  andern  auf,  manche 
gerade  so  gross,  dass  eine  Archangelika -Staude  darauf  Platz  hat. 
Die  phantastischsten  Formen  weist  die  Kälfaströnd  auf,  wo  die 
Lavagebilde  weit  in  den  See  hineinragen  (Fig.  107),  und  als  wir 
lang  ausgestreckt  im  Rasen  ruhten,  hörten  wir  ein  Gezwitscher  wie 
von  einer  Amsel  und  sahen  eine  Rotdrossel  (Turdus  iliacus,  Skögar- 
pröstur)  und  einen  isländischen  Leinfinken  (Acanthis  linaria  isl., 
Audinititltugur).  Fast  in  jeder  Spalte,  in  jeder  Lavahöhle  nisteten 
Enten  und  Säger,  zwischen  den  Lavaklippen  im  Wasser  wimmelte 
es    von    Berg-   und    Eisenten,    von    Fuligula    islandica    und    Mergus 


Mvvatn.     Skütustadir. 


233 


serrator.  Hier  allein  im  ganzen  Alyvaln  nistet  nach  Riemschneider 
ein  Gänsepaar  (Anser  segetum).  Wir  klettern  einen  steilen  Fels  hin- 
auf, und  Ögmundur  zeigt  mir  in  der  Ferne  das  Gehöft  Hörgs- 
ddlur ,  wo  Olsen  und  B  r  u  u  n  vor  drei  Jahren  eine  guterhaltene 
heidnische  Altaranlage  ausgegraben  haben. 

Die  Westseite  des  Myvatn  hat  einen  ganz  anderen  Charakter 
wie  die  Ostseite  :  im  Osten  gehen  mehrere  Kraterreihen  von  Süden 
nach   Norden,    wie   ,, Perlen   an  einer  Schnur";    im  Westen  sammeln 


Fig.    io8.     .Skütustadir. 


sich  die  Krater  in  mehrere  unregelmässige  Gruppen  (Thoroddsen). 
Die  grösste  Kratergruppe  des  Westrandes  liegt  bei  dem  Pfarrhofe 
Skiitiistadir ,  der  eigentümlichste  Krater  heisst  Arnarbceli ;  er  ist 
aus  Lavaklecksen  aufgetürmt,  dicht  bei  ihm  ergiesst  sich  der  tiefe 
GrcEfiücrkur  in  den  See ;  von  der  Spitze  des  Kraters  sieht  man  in 
eine  ungeheure  Kluft  hinunter.  Der  Pfarrhof  liegt  auf  einer  ein  paar 
hundert  m  breiten  Bodenerhebung,  die  den  See  von  einem  südlich 
gelegenen  Sumpfe  trennt ;  östlich  dehnt  sich  ein  Basaltfeld  aus ; 
nördlich  erhebt  sich  der  isolierte  Kegel  des  Viiidbelgjarfjall ;  west- 
lich ergiesst  sich  die  Krdkd  in    den   See,    der  See    selbst   hat    eine 


234  Myvatn.     Skütustadir. 

tiefe  Bucht  mit  verschiedenen  kleinen  Inseln  (Fig.  io8).  Kirche 
und  Pfarrhof  sind  mit  einer  Steinmauer  umgeben,  die  Kirche  selbst, 
aus  Holz,  schwarz  angestrichen,  erinnert  an  eine  norddeutsche  Dorf- 
kirche: sie  hat  einen  richtigen  Kirchturm,  der  mit  einer  Kuppel 
beginnt  und  in  eine  Kugel  auf  einer  Stange  endet.  Auf  einem  alten 
Grabkreuz  aus  Holz  lesen  wir  von  einem  ]\Ianne,  der  mit  zwei 
Frauen  23  Kinder  erzeugt  hat:  da  ist  es  kein  Wunder,  dass  Islands 
Bevölkerung  trotz  der  Auswanderung  nach  Amerika  nicht  abnimmt. 
Neben  dem  Pfarrhausc  steht  ein  stattliches  zweistöckiges  Gebäude, 
ganz  aus  Holz,  es  dient  als  Thingstätte  (Pingstadur)  und  Volks- 
schule (Barnasköli).  Yxo^'-X  Ar)ii  Jöiisson,  ein  stattlicher  Mann  mit 
einem  Lord  Byron-Kopfe,  nimmt  uns  sehr  liebenswürdig  auf,  und 
die  schlanke  Brynhild-Tochter  mit  zwei  langen,  dicken  Zöpfen  —  die 
Pfarrerstöchter  in  Gre/ijadarsfadur  vertraten  mehr  den  Kriemhild- 
Typus  — ,  trägt  uns  bald  in  der  Studierstube  ein  köstliches  Mahl 
auf.  Die  Bibliothek,  die  erste  grössere,  die  ich  seit  Brekka  wieder 
sehe,  enthält  viele  naturwissenschaftliche  Werke,  ausserdem  Dickens, 
Byron,  Shakespeare,  Lie's  Hellseher  und  in  deutscher  Sprache : 
Frenzel,  Im  goldenen  Zeitalter;  Gerok,  Pilgerbrot;  Schirlitz,  Wörter- 
buch zum  Neuen  Testament.  Skütustadir  ist  ebenfalls  ein  Eldorado 
für  Ornithologen,  ausgestopfte  Vögel  stehen  auf  den  Bücherregalen, 
und  Vogel  bälge  hängen  an  den  Wänden.  Da  Sira  Ami  am  nächsten 
]\Ioreen  in  der  Frühe  zum  Gottesdienste  fortreiten  muss,  zeigt  er 
uns  die  nächste  Umgebung  des  Pfarrhofes,  vor  allem  den  Ski'ita- 
iiellir,  eine  Lavahöhle  mit  schmalem,  steilem  Eingang,  und  eine 
kleine  Insel  Dritey,  auf  der  Sküti  den  Meuchelmörder  ausgesetzt 
hat,  der  ihm  nach  dem  Leben  getrachtet  hatte.  Prof.  Fintnir 
Jönsson  aus  Kopenhagen,  der  etwa  acht  Tage  vorher  hier  war,  hat 
die  Lokalität  untersucht  und  diese  Insel  als  die  in  Frage  kommende 
bezeichnet  ^). 

31.  Juli. 

Skütustadir  hat  seinen  Namen  von  dem  kriegerischen,  rach- 
süchtigen und  doch  keineswegs  rohen  f  ^iga-Sküta  (f  996 ;  Mord  = 
Sküta],  dem  Helden  des  zweiten  Teiles  der  Reykdcrla-Saga.  Aber 
auch  mit  der  ]l'ga-Glü/nssaga ,  deren  Schauplatz,  den  südlichen 
Eyjafjördur,  wir  noch  kennen  lernen  werden,  steht  seine  Geschichte 
durch  eine  Episode  in  Verbindung  (K.  16).  Und  weil  die  Gegend 
um  das  Myvatn  so  arm  an  geschichtlichen  Erinnerungen  ist,  bietet 
die  Saga  ein  erhöhtes  Interesse. 


1)  Darüber,  dass  Hrauniiiuga  im  Odädahraun,  wie  Bruun  (Gjennem  affolkede 
B3'gder,  S.  38)  annimmt,  das  alte  Gehöft  Skiitustadir  gewesen  sei,  konnte  ich  keine 
Auskunft  erhalten. 


Myvatn.      Skütustadir.  235 

Der  Gode  Porgeirr  von  Ljösavatn,  auf»  dessen  kluge  Rede  hin  im  Jahre  looo 
das  Christentum  angenommen  wurde,  war  Skittas  erbittertster  Feind  und  suchte  ihn 
durch  gedungene  Meuchehnörder  ums  Leben  zu  bringen.  Aber  Skiita  entrann  dem 
Anschlage,  fing  den  Meuchelmörder,  führte  ihn  auf  eine  öde  Schäre  im  See,  zog  ihm 
die  Kleider  aus  und  band  ihn  nackt  an  einen  Pfahl ;  dann  schickte  er  Botschaft  an 
Porgeirr,  er  solle  seinem  Manne  helfen.  Da  dieses  nicht  geschieht,  stirbt  der  Arme 
vor  Hunger,  bis  zum  Wahnsinn  gepeinigt  von  den  unzähligen  Mücken,  die  gerade  hier 
eine  fürchterliche  Plage  sind.  Einen  zweiten  Meuchelmörder  tötet  Skiita  auf  die 
gleiche  grauenvolle  Weise,  indem  er  ihn  auf  der  Hrafnasker  aussetzt  (heute :  Dritey  ?). 
Und  wie  der  treue  Hund  Säinr  Leben  und  Eigentum  seines  Herrn  Giinnarr  von 
Hlictarendi  bewacht ,  so  vereitelt  auch  die  Wachsamkeit  des  Hundes  Flöki  einen 
Anschlag  des  GliUltr  auf  Skütas  Leben.  Eigentlich  ist  Flöki  der  Hund  des  Gantr 
auf  dem  Gute  Gatitlöiid,  das  dicht  bei  Hörgsdalr  gelegen^),  und  warnte  durch  sein 
unaufhörliches  Bellen  vor  Viga-GliiHir ,  der  mit  einer  starken  Kriegsschar  gegen 
Skilfa  aufgebrochen  war.  Sküia  vergleicht  sich  mit  Porgeirr,  und  dieser  gelobt, 
ihm  nicht  mehr  nachzustellen.  Zwei  andere  Feinde  aber  erfahren  durch  Verräterei 
von  Skittas  künstlich  angelegtem  Erdhause  (einer  Höhle  in  der  Erde  unter  seinem 
Hause),  in  das  er  in  der  Stunde  der  Gefahr  fliehen  konnte,  dringen  durch  den  unter- 
irdischen Gang  in  den  Schlafraum  und  töten  ihn.  Der  eine  der  Gegner  wird  von 
Skiita  bei  dem  Überfall  erschlagen,  der  andere  später  ausser  Land  verwiesen.  Nach 
der  Tradition  ist  der  erwähnte  Skiitahellir  jenes  unterirdische  Haus'^). 

Als  sich  der  Nebel  verzog,  kamen  die  Mücken  in  Ungeheuern 
Massen  hervorgeschwärmt ;  wir  konnten  es  draussen  nicht  aushalten 
und  überliessen  dem  Führer  und  dem  Knecht  die  Mühe  des  Packens 
und  Satteins.  Die  Pferde  waren  wie  rasend.  Sie  waren  schon  in 
aller  Frühe  durchgebrannt,  und  wenn  nicht  zufällig  ein  Bauer  sie 
angetroffen  hätte,  würden  wir  sie  an  diesem  Tage  kaum  wieder- 
gesehen haben.  Wir  warteten  in  der  wohlverschlossenen  Stube,  bis 
alles  in  Ordnung  war,  schwangen  uns  nach  hastigem  Abschied  auf 
unsere  Reittiere,  und  fort  ging  es  im  sausenden  Galopp,  was  die 
Pferde  laufen  konnten.  Kein  vernünftiger  Reiter  wird  ohne  Grund 
sein  Tagewerk  mit  Galopp  beginnen,  aber  die  Pferde  Hessen  uns 
gar  keine  Wahl.  Es  ist ,  wie  wenn  die  Mücken  nach  einem  be- 
stimmten Angriffsplane  vorgehen :  sie  teilen  sich  in  verschiedene 
kleine  Scharen,  jede  hat  ihren  bestimmten  Platz,  wobei  sie  dicht 
zusammen  kleben  und  runde  Kreise  bilden;  sobald  die  Pferde  ihre 
Stachel  verspüren,  schütteln  sie  die  Mähne,  schlagen  mit  dem 
Schweif  um  sich  und  vertreiben  so  auf  eine  Sekunde  ihre  blutigen 
Peiniger ;  aber  im  nächsten  Augenblicke  haben  sich  diese  wieder 
zusammen  gezogen  und  stürzen,  gieriger  als  zuvor,  auf  ihre  Opfer. 
Zum  Glück  machte  sich  bald  eine  kühle  Brise  auf,  die  Sonne  ver- 
steckte sich,  im  Nu  war  der  ganze  Schwärm  verschwunden. 

Wie  immer  Sonntags  begegneten  uns  eine  Menge  Reiter,  im 
Fluge  wurden   Frage   und  Antwort   ausgetauscht.     In    einem    silber- 


1)  Hier  hat  man  1855  bei  einer  Ausgrabung  im  Tun  das  Skelett  eines  Menschen 
und   eines  Hundes  gefunden  (Kaalund,   Fortidslsevninger,   S.   70). 

■-)  Skitti  ist  eine  von  einem  überhängenden  Felsen  gebildete  Höhle.  „In  der 
Gegend   um  das  Mijvatn  sind  viele  Skuten"    (Viga  Gl.   S.   42). 


236  Godafoss. 

hellen  Flüsschen  badeten  Jünglinge  und  Knaben,  und  gern  hätten 
wir  uns  mit  ihnen  in  die  kühle  Flut  gestürzt.  Man  konnte  endlich 
einmal  wieder  reiten  und  brauchte  keine  Rücksicht  mehr  auf  Pferde 
und  Weg  zu  nehmen.  Von  einer  Anhöhe  sandten  wir  den  letzten 
umfassenden  Blick  auf  den  See.  Noch  einmal  lag  er  in  seiner 
ganzen  Ausdehnun^j  vor  uns,  mit  seinen  Kraterinseln,  den  blauen 
Bergen  ringsum,  im  Osten  das  gelbrote  Ndmafjall  und  das  die 
ganze  Landschaft  beherrschende  Hverfjall.  Nach  kaum  vier 
Stunden  schimmerte  von  weitem  der  blaue  Spiegel  des  Ljösavatn 
auf,  und  bald  war  das  Skjdlfaiidafljöt  erreicht  (d.  h.  der  zitternde, 
bebende  Fluss,  vergl.  den  Zwerg  Schilbung  im  Nibelungen- Liede). 
Wir  ritten  den  sehr  breiten,  schäumenden  und  wirbelnden  Strom 
eine  kurze  Strecke  hinauf,  passierten  sein  zerrissenes  Kluftbett  auf 
einer  ansehnlichen  Brücke,  die  unten  sogar  mit  Draht  umsponnen 
ist,  um  ein  Durchfallen  zu  verhindern,  und  standen  dem  Godafoss 
gerade  gegenüber  (Fig.  109).  Der  Wasserfall  hat  die  mächtigen 
porphyritischen  Lavaströme  durchbrochen,  und  der  Fluss  hat 
mehrere  Rinnen  mit  Riescnkcsscln,  ausgewaschenen  Höhlen  und 
Felsentoren  gebildet.  Der  etwa  6  m  hohe  Foss  stürzt  in  breitem 
Bett  hufeisenförmig  in  sechs  verschiedenen  Fällen  in  einen  schmalen 
Spalt  herab,  sein  Donnern  scheint  die  Felsen  zu  erschüttern,  auf 
denen  wir  stehen;  von  unten  aus  hat  man  den  besten  Eindruck  von 
seiner  gewaltigen  Breite,  von  oben  aber,  wohin  man  nach  einer 
halsbrecherischen  Kletterei  gelangen  kann,  wobei  das  Wasser  fast 
bis  zum  Knie  reicht,  wirkt  er  in  seiner  wilden  Herrlichkeit  am  besten 
für  das  Auge.  Er  hat  seinen  Namen  „Götter-Wasserfall"  der  Über- 
lieferung nach  daher,  dass  Porgeirr,  der  Gode  von  Ljösavatn  seine 
Götterbilder  hineingeschleudert  hat,  aber  die  Sage  passt  zu  dem 
sonstigen  Verhalten  des  kühnen  Mannes  wenig  ^). 

Der  Godafoss  ist  ungefähr  20  Minuten  vom  Ljösavatn  entfernt 
( Licht wasser),  und  von  dem  Gehöfte  gleichen  Namens,  unserm 
nächsten  Nachtquartier,  können  wir  noch  deutlich  seine  weissen 
Dampfwolken  sehen.  In  dem  grossen  zweistöckigen  Holzhause 
wohnten  früher  zwei  Bauern,  der  eine  oben,  der  andere  unten,  jetzt 
wohnt    der    Besitzer    allein.      Auch    in    Skütiistadir    wohnten    zwei 


1)  An  die  Höhle  beim  Godafoss  knüpfen  sich  zwei  jüngere  Sagen  (Maurer, 
Isl.  Volkssagen,  S.  226,  228)  und  eine  ältere,  die  Grettissage.  Der  isländische  Natio- 
nalheld Grettir  hat  hier  einen  Kampf  mit  einem  Ungeheuer  bestanden,  etwa  da,  wo 
auf  dem  Bilde  die  beiden  Zuschauer  stehen;  die  Stelle  wird  noch  heute  gezeigt.  Da 
Kahle  (S.  224)  die  Geschichte  wieder  erzählt  hat,  begnüge  ich  mich  mit  dem  Hinweis 
auf  ihn  und  meine  nordische  Mythologie  S.  166  67.  Eine  Beschreibung  dieser  Gegend 
von  1747  erwähnt,  dass  unter  dem  Fluss  eine  Höhle  war,  wo  Grettir  den  Unhold 
besiegte ,  und  dass  er  von  da  einen  grossen  kupfernen  Kessel  mitnahm  ,  der  jetzt  in 
dem  Bischofssitze  Hölar  sein  soll  und  allgemein  „Kessel  des  Grettir"  genannt  wird 
(Kaalund  II,   S,  425I. 


Godafoss. 


237 


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238 


Ljösavatn. 


Parteien,  drei  Viertel  des  Hauses  hatte  der  Propst  inne,  den  Rest 
eine  Witwe.  Oft  wohnt  der  junge  verheiratete  Bauer  bei  seinem 
Vater,  bis  er  etwas  Passendes  zum  Kauf  gefunden  hat.  In  Reykjahlid 
wohnten  sogar  drei  Familien:  der  alte  Bauer  und  seine  beiden  ver- 
heirateten Söhne;  in  Vikingavatn  war  der  eine  Bauer  Bruder  von 
der  Frau  des  zweiten. 


Fig.    iio.     Wassermühle  bei  Ljösavatn. 

Ljösavatn  ist  als  Wohnsitz  des  Porgeirr  godi  bekannt,  dessen 
grösste  Tat  die  Durchsetzung  der  Annahme  des  Christentums  auf 
dem  Althing  war.  Wo  heute  das  TiDi  steht,  war  einst  der  Tempel 
gelegen^).  Ausserdem  fand  Bruun  hier  die  Ruinen  eines  alten 
Gehöftes,  eines  Schafstalles  und  eines  Heuschobers.  Eine  Basalt- 
säule mit  einer  Runeninschrift,  die  lange  Zeit  als  Pfahl  benutzt 
wurde,  um  die  Pferde  anzubinden,  galt  früher  irrtümlich  als  Porgeirs 
Leichenstein,  sie  trägt  aber  die  Inschrift:  „Hier  ruht  Ilalldöra  Por- 
gils  Tochter". 

Erwähnenswert  ist  endlich  noch  eine  Wassermühle  hier  (Fig.  iio), 
auf  Island  kennt  man  solche  seit   1200. 


I.  August. 

Wir  brachen  bereits  um  9  Uhr  auf,  um  noch  bei  Ebbe,  zwischen 
2 — 3  Uhr,  die  Eyjafjardard  passieren  zu  können,  und  ritten  fast 
ganz    um   den    kleinen   See    herum,    der    in    dem    leisen    Nebel   wie 


1)   Beschreibung  nach  Dan.   Bruuns  Ausgrabung  bei  Kahle  S.   220. 


Hälsskögur. 


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240  Hälsskögur. 

mattes  Silber  schimmerte.  Wir  kamen  an  einer  Gruppe  von  alten 
Kratern  vorüber  und  Schlackenhöhen,  die  zum  Teil  von  der  aus  dem 
See  kommenden  Djüpd  (tiefe  Ache)  durchschnitten  sind.  Wo  sie 
in  das  Skjdlfandaßjöt  mündet,  bildet  sie  eine  grössere  Insel,  Pingey 
(Thing- Insel),  so  genannt,  weil  hier  eine  von  den  13  regelmä.ssigen 
Frühjahrsthingversammlungen  der  Republik  abgehalten  wurde.  West- 
lich vom  See  ist  eine  warme  Quelle  am  Rande  eines  grasbewachsenen 
Kieshügels ;  dicht  bei  einem  kalten  Bache  sprudelt  das  warme  Wasser 
aus  einigen  Öffnungen  mit  verschiedener  Wärme  hervor,  im  wärm- 
sten Loche  beträgt  die  Temperatur  etwa  53'',  in  zwei  andern  30 
und  40 ^  etwas  weiter  unten  25  und  26^'^).  Die  Tiefe  des  Sees 
beträgt   17  Klafter. 

Dann  ging  es  das  Ljösavatnsskard  hinauf,  das  für  Geologen 
interessant  ist  durch  seine  schalen-  oder  trichterförmigen  Vertie- 
fungen ;  diese  Kessel  sind  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  am  Schlüsse 
der  Eiszeit  gebildet  worden,  wo  isolierte  Eismassen  geschmolzen 
sind^).  Darauf  durchschnitten  wir  den  etwa  37^'2  km  langen  Fnjöska- 
dalur  (fujösknr  faules  Holz),  der  von  600—700  m  hohen  Bergen 
umgeben  wird,  und  machten  einen  Abstecher  nach  dem  Ildlsskögur^ 
dem  berühmtesten  Birkenwalde  des  Nordlandes  (Fig.  in).  Die 
geschützte  Lage  des  Tales,  die  Bewässerung  durch  Schmelzwasser 
von  den  Bergen  und  die  Pflege  und  Schonung,  die  die  Umwohner 
ihm  zuteil  werden  lassen,  haben  bewirkt,  dass  der  Wald  auch  nach 
unseren  Begriffen  diesen  Namen  verdient.  Ich  glaube  nicht,  dass  er 
an  Höhe  und  Stattlichkeit  dem  Jlal/ori/istadarköeitr  nachsteht. 
Nach  Eggerf  Olafsson  haben  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  diese 
Waldungen  alle  Wälder  Islands  an  Schönheit  übertroffen ,  und  sie 
sind  noch  hundert  Jahre  früher  so  hoch  gewesen,  dass  die  Stämme 
bis  zu  den  Ästen  hinauf  20  Ellen  gemessen  haben.  Der  Wald  ge- 
hört auch  heute  noch  zu  den  stattlichsten  auf  der  ganzen  Insel ; 
Thoroddsen  gibt  die  Höhe  einer  Birke  auf  8  m  an,  und  den 
Stammumfang  auf  21  Zoll,  den  einer  andern,  etwas  niedrigeren  Birke 
auf  37  Zoll.  In  dem  Walde  nistet  und  brütet  der  Flachsfink  (Frin- 
gilla  linaria),  ein  sonst  auf  Island  seltener  Vogel,  und  die  Rot- 
drossel (Turdus  iliacus);  be.sonders  aber  scheint  er  dem  Wiesen- 
pieper zu  behagen  (Anthus  pratensis,  Grdtitlingur).  Das  fröhliche 
Geschmetter  freilich,  das  bei  uns  im  Walde  von  Zweig  zu  Zweig 
jubilierend  erschallt,  fehlte;  aber  das  plaudernde  Gezwitscher  der 
Finken ,  die  starartigen  Lockrufe  der  Drosseln ,  das  melodische, 
feine,  lerchenartige  Tirilieren  des  Wiesenpiepers  däuchte  uns  die 
schönste  Musik,  und  lange  lagen  wir  im  Schatten  der  dunkelgrünen, 
glänzenden   Birken   dahingestreckt    und    lauschten   dankbar    und  an- 


1)  Thoroddsen,   Mitt.   d.  k.   k.   Geogr.   Ges.  Wien    1891,   S.  269. 

2)  Thoroddsen,  Island   S.   45. 


Vor  Akureyri.  241 

dächtig  dem  bescheidenen  Konzert.  Von  unten  tönte  das  Rauschen 
der  reissenden  Fnjöskd  zu  uns  herauf.  Der  Staat  hat  jetzt  den  Wald 
und  das  Gehöft  Vaglir  angekauft  (daher  auch  Vnglaskögur  genannt; 
I/dls  ist  ein  Pfarrhof  „langer  niedriger  Bergrücken"),  den  Wald  zum 
Schutze  gegen  Schafe  und  Ziegen,  von  denen  es  in  diesem  Tal  über 
hundert  geben  soll,  eingefriedet  und  den  Rand  mit  Ebereschen  ein- 
gesäumt. 

Vorsichtig  ritten  wir  durch  den  Wald  bergab  bis  zur  Fnjöskd, 
deren  klares,  durchsichtiges  Wasser  wir  bequem  durchquerten,  ob- 
wohl der  Grund  mit  glatten ,  runden  Steinen  angefüllt  war ;  im 
Frühjahr  führt  der  Fluss  eine  so  grosse  Wassermenge ,  und  die 
Strömung  ist  so  reissend,  dass  man  ein  Boot  benutzen  muss^). 

Von  der  Furt  (112  m  ü.  M.)  ging  es  dann  auf  gutem,  bequemem 
Zickzackwege  die  Vadlaheidi  hinauf  (709  m  ü.  M.).  Von  der  Höhe 
des  Bergrückens,  Jdriihryggiir,  hatten  wir  den  ersten  Blick  auf 
die  Schneeberge,  die  den  Eyjafjördiir  umsäumen,  bald  tauchte  ein 
langer,  schmaler  Streifen  auf,  der  sich  immer  weiter  ausdehnte  und 
sich  zuletzt  ins  Unermessliche  verlor:  es  war  das  Meer.  Dann  lag 
der  tiefblaue  Fjord  vor  uns,  die  Häuser  von  Akureyri  und  Oddeyri 
wurden  sichtbar,  und  endlich  konnten  wir  mit  einem  BHck  den 
Fluss,  den  Fjord,  das  Meer  übersehen.  Wir  standen  am  Endziel 
unserer  Reise!  Mit  aufrichtigem  Danke  denken  wir  daran,  wie 
überaus  glücklich  alles  vonstatten  gegangen  war.  Aber  mächtig 
packte  uns  auch  die  Sehnsucht  nach  Weib  und  Kind:  was  für 
Nachrichten  aus  Deutschland  würden  mich  erwarten?  was  für  Bot- 
schaft würde  Ö  g  m  u  n  d  u  r  aus  Hafnarfjördur  vorfinden  ?  Ein  frohes 
Gefühl  durchflutete  uns,  als  wir  nun  nach  der  Mündung  der  Eyja- 
Jjardard  in  den  Fjord  abwärts  ritten  und  deutlich  auf  einigen 
Häusern  in  Akitreyri  bunte  Fahnen  im  Winde  lustig  flattern  sahen, 
und  je  tiefer  wir  stiegen,  um  so  mehr  Fahnen  hoben  sich  vom 
hellen  Himmel  ab.  ,,Man  flaggt  in  der  Stadt  und  im  Hafen",  sagte 
ich  mit  leiser  Anspielung  auf  den  Titel  eines  pädagogischen  Romans 
von  Björnson  zu  Ögmundur;  „man  flaggt  zu  Ehren  unserer 
glücklichen  Ankunft",  erwiderte  er  mit  vergnügtem  Schmunzeln. 
Als  ein  besonders  günstiges  Vorzeichen  sahen  wir  es  an,  dass  gerade 
in  diesem  Augenblicke  zwei  Odinsvögel  mit  fröhlichem  Krächzen 
rechts  von  uns  aufflogen. 

Von  selbst  bogen  unsere  Pferde  nach  der  üblichen  Haltestelle 
ab,  die  alle  von  Osten  Kommenden  kurz  vor  dem  Endpunkte  noch 
einmal  benutzen;  sie  kannten  sie  noch  von  früher  her,  da  sie  alle 
schon  einmal  in  Akureyri  gewesen  waren,  und  wussten,  dass  auch 
heute    hier    gerastet  werden   würde.     Aber  unsere  Ungeduld  gönnte 


1)  Sage  vom  „Thorgeirsbullen"  bei  Maurer,  Isl.  Volkssagen,  S.  78;   Lehman  n- 
Filhes  I,   S.   163,  fernere  Sagen  a.  a.   O.  I,   S.   83,   200. 

Herrmann,    Island  II.  16 


242  Ankunft  in  Akureyri. 

ihnen  keine  lange  Ruhe.  Mit  mehr  Sorgfalt  als  sonst  wurden  die 
Pferde  umgesattelt,  die  Koffer  wurden  abgestäubt,  wir  selbst  machten 
uns  so  blank  wie  möglich.  Mein  treuer  Passgänger,  auf  dem  ich 
Reykjavik  zu  Beginn  der  Durchquerung  verlassen  hatte,  sollte  mich 
auch  auf  dem  letzten  Ritte  tragen,  und  mit  stolzem  Gewieher  be- 
grüsste  er  mich,  als  ich  ihn  streichelte  und  mich  in  den  Sattel 
schwang.  Kurz  vor  der  INIündung  durchkreuzten  wir  die  zahlreichen 
Arme  oder  vadlar  (seichte  Stellen)  des  Flusses,  die  deltaförmig 
mehrere  flache,  mit  Gras  bekleidete  Holme  umgeben,  auf  denen 
kleine,  weisse  Zelte  stehen  für  die  Leute,  die  das  Heu  einbringen. 
Die  grösste  von  diesen  Inseln  heisst  Stadarey,  früher  Pörunnarey, 
weil  hier  dem  ersten  Ansiedler,  Ilelgi  dem  INIageren,  ein  Töchter- 
chen Pöriinn  geboren  wurde.  Es  erschien  uns  als  ein  durchaus 
würdiger  Abschluss  der  Reise,  dass  uns  noch  einmal  das  Wasser 
während  der  zwanzig  Minuten,  die  der  Übergang  dauerte,  bis  über 
die  Stiefelschäfte  ging,  dann  erreichten  wir  die  feste  Landstrasse, 
und  lustig  klangen  die  Hufe  auf  dem  harten  Gestein.  Die  losen 
Pferde  voraus,  die  Packgäule  hinterdrein,  wir  drei  selbst  dicht  neben- 
einander, so  dass  wir  fast  die  Strasse  ausfüllten,  so  hielten  wir 
unseren  Einzug  in  dem  freundlichen  Städtchen,  und  lustig  summte 
ich  vor  mich  hin  das  hübsche  Gedicht  von  MattJii'as  JocJni)iisson, 
den  ich  hier  selbst  kennen  zu  lernen  hoffte : 

Heil  und  Segen,  Akureyri, 
Schönste  Stadt  am   Eyjafjord ! 
Nirgends  unterm  Zelt  der  Wolken 
Fand  ich  schöner'n  Ruheort. 
Meinen  Kindern  warst  voll   Liebe 
Schirm   und   Schutz  du,   Hilf  und  Hort! 

Als  wir  punkt  drei  Uhr  vor  dem  stattlichen  Hotel  hielten,  das 
mitten  aus  Norwegen  durch  die  Luft  nach  Island  getragen  zu  sein 
scheint,  kam  uns  schon  der  freundliche  Wirt  {veitingarniadur) 
Vigfi'is  Sigfihson  entgegen  und  rief  uns  von  weitem  zu:  ,,Die 
Koffer  sind  da,  und  eine  grosse  Menge  Briefe!"  Mit  bebender  Eile 
wurden  die  Umschläge  aufgerissen,  und  der  Inhalt  überflogen :  Gott 
sei  Dank,  alles  stand  gut  daheim  !  Nun  erst  konnten  wir  uns  von 
ganzem  Herzen  der  Freude  hingeben.  Da  wir  uns  schon  vor  fünf 
Tagen  angemeldet  hatten,  fanden  wir  recht  gute  Unterkunft,  jeder 
erhielt  ein  besonderes  Zimmer,  ich  sogar  noch  eine  besondere  Wohn- 
stube. Denn  das  Hotel  war  überfüllt,  von  Engländern  und  auch 
von  Isländern  aus  der  Umgegend.  Jetzt  erfahren  wir  auch  den 
Grund,  warum  Akureyri  in  so  reichem  Flaggenschmucke  prangt: 
die  Handelsgesellschaft  feiert  ihr  Stiftungsfest.  Daher  die  Fest- 
stimmung überall,  darum  waren  auch  die  Läden  geschlossen ;  weniger 
angenehm  war  es,  dass  der  Ball  gerade  unter  unseren  Räumen  in 
dem  grossen  Saale  abgehalten  wurde.     Der  morgende  Tag  wird  so- 


Ankunft  in  Akurcyri.  243 

gleich  mitgefeiert ,  es  ist  der  zweite  August ,  der  sogenannte 
,, Grundgesetztag",  der  zur  Erinnerung  an  das  Inkrafttreten  der 
Verfassung  und  des  Tausendjahr  festes  der  Besiedlung  Island  ge- 
feiert wird. 

Noch  einmal  werden  die  Briefe  in  Müsse  der  Reihe  nach  durch- 
gelesen, dann  werden  die  Koffer  geöffnet,  der  alte  Adam  wird  ins 
Wasser  gesteckt,  weisse  Wäsche  und  ein  ordentlicher  Anzug  hervor- 
gesucht und  mit  unbeschreiblichem  Behagen  angezogen ;  das  Zeug 
passt  nicht  mehr  so  recht,  sondern  sitzt  etwas  schlotternd,  denn 
wie  ich  am  nächsten  Tage  auf  der  Wage  mit  Wohlbehagen  fest- 
stelle, habe  ich  seit  Reykjavi'k  1 5  Pfund  abgenommen.  Es  war  ein 
köstliches  Gefühl,  Kragen,  Schlips  und  Manschetten  wieder  anzu- 
legen und  leichte  Stiefel  anzuziehen.  Ein  Blick  in  den  Spiegel  zeigt 
uns,  wie  braun  wir  gebrannt  sind,  von  der  leuchtenden  Wäsche 
sticht  das  Indianerrot  des  Gesichtes  scharf  ab.  Und  wie  hell  und 
froh  blitzen  die  Augen,  die  solange  keine  rote  Tinte  und  keine 
Druckerschwärze  gesehen  haben !  Wie  gesund  ich  bin,  habe  ich 
früher  gar  nicht  gewusst,  nicht  einmal  als  Soldat  habe  ich  mich  so 
frisch  gefühlt.  Das  Mittagessen  wird  für  uns  besonders  im  Salon 
aufgetragen ,  der  geradezu  luxuriös  ausgestattet  war,  und  kaum 
drei  Stunden  später  wurde  schon  wieder  das  Abendbrot  aufgetischt. 
Von  unten  her  tönt  der  Finnländische  Reitermarsch,  der  Altnor- 
wegische Jägermarsch,  den  ich  zuerst  für  ein  isländisches  Erzeugnis 
hielt,  bis  ich  in  Haugesund  merkte,  dass  er  aus  Norwegen  stammt, 
und  die  Takte  einer  Polonaise ,  denen  bald  eine  Polka  und  der 
Walzer  ,,Wie  süss!"  folgen. 

Wir  warfen  nur  einen  flüchtigen  Blick  in  den  Ballsaal  und 
sahen  kurze  Zeit  den  tanzenden  Paaren  zu.  Nichts  erinnerte  daran, 
dass  wir  hoch  oben  im  Norden,  dicht  unter  dem  Polarkreise  waren, 
man  konnte  sich  nach  Dänemark  oder  Deutschland  versetzt  wähnen. 
Die  Herren  trugen  schwarze  Röcke  oder  Jacketts,  die  Damen  luftige 
Tüllkleider,  seidene  Blusen,  einige  sogar  Reformkleider,  auch  die 
geschmackvolle  Volkstracht  war  vertreten.  Nur  die  eigentliche 
charakteristische  Festtracht,  der  Kopfschmuck  (faldiir)  fehlte  gänz- 
lich. Die  Musik  wurde  von  einer  Handharmonika  ausgeführt,  und 
bei  besonders  gefallenden  Stellen  fielen  die  Tänzer  mit  ein  oder 
schlugen  nach  dem  Takte  die  Hände  zusammen.  Eine  grosse  Vor- 
liebe schien  mir  für  Schritttänze  zu  herrschen,  fast  jeder  zweite 
Tanz  war  eine  Art  Polonaise,  und  sicher  und  gewandt  bewegte  sich 
alles  im  Saale. 

Gegen  zehn  Uhr  zogen  wir  drei  uns  in  den  Salon  zurück,  um 
bei  einer  Flasche  Sekt  den  glücklichen  Abschluss  der  Reise  zu 
feiern.  Es  war  seit  Reykjavik  der  erste  Sekt,  den  wir  tranken,  und 
wir  glaubten,  uns  diesen  kleinen  Luxus  wohl  gönnen  zu  dürfen. 
Es  war  übrigens  echter  französischer  Champagner  und  kostete  9  Kr., 

16* 


244  Erster  Abend  in  Akureyri. 

die  Flasche  Rotwein  dazu  2  Kr.  Ich  hielt  eine  kleine  Rede  und 
sprach  Ögmundur  unsern  herzlichsten  Dank  und  unsere  wärmste 
Anerkennung  für  seine  treuen  Dienste  und  unermüdliche  Bereitwillig- 
keit aus.  Ögmundur  erwiderte  darauf:  Er  sei  froh,  dass  die  Reise 
so  ausgezeichnet  verlaufen  sei,  dass  es  mir  in  seinem  lieben  Island 
so  gut  gefallen,  und  dass  ich  gastliche  Menschen  gefunden  hätte. 
Das  Gegenteil  würde  ihn  auch  gekränkt  haben,  da  er  überzeugt 
sei,  dass  seine  Landsleute  im  allgemeinen  fühlen  konnten,  dass  sie 
es  mit  einem  verständigen  Freunde  zu  tun  hätten,  der  ihre  guten 
Seiten  zu  schätzen  wüsste  und  ihre  Mängel  mit  Nachsicht  ertragen 
würde.  Dann  knüpfte  er  an  unseren  Besuch  von  Piiigvellir  und 
die  Besteigung  der  Hekla  an  und  zitierte  das  Gedicht,  das  Jöjias 
Hallgrimssoii  an  den  Franzosen  Paul  Gaimard  gerichtet  hatte : 
es  passe  nicht  nur  wegen  unserer  gleichlautenden  Vornamen,  sondern 
auch  nach  seinem  Inhalte  für  mich  ^).  Er  bat  mich,  die  Verse  nicht 
zu  vergessen,  auch  wenn  ich  wieder  nach  Deutschland  zurückgekehrt 
sei,  Island  wie  ein  Traum  hinter  mir  läge,  und  mein  Besuch  in  der 
Skapta/elh  sxsla  den  Bewohnern  nur  wie  eine  längst  verklungene 
Sage  im  Gedächtnis  fortlebe.  Er  bezog  die  letzte  Strophe  direkt 
auf  mich  und  wandte  sich  dabei  unmittelbar  an  mich: 

Du  standest  auf  der  Hekla  Schnee  ') 
Und  sahst  das  schöne   Land  sich  dehnen, 
Wo  hell  von  grünen  Bergeslehnen 
Die   Ströme  ziehn   zur  blauen   See, 
Und  unten   Loki,   festgeschlossen, 
Begraben  unter  Eibkolossen   — 
O  sag,   schien  dir  nicht  Island  da 
Das  Schönste,   was  dein  Aug'  je  sah? 

Dich  trug  dein  Ross  durch  Tal   und  Feld, 
Und   stieg  auch  auf  die  Berge   oben, 
Wo  nur  des  Wasserfalles  Toben 
Zwiesprach  mit  steilen  Felsen  hält, 
Und  wo  die  Schafe  grasend  wandern 
Von  einer  blum'gen  Au  zur  andern   — 
O  sag,  nun  glaubst  du  mir  es  doch, 
Dass  solch  ein  Land  hält  jeder  hoch? 


1)  Joseph  Paul  Gaimard,  geb.  1790,  Marinearzt,  umsegelte  zweimal  die 
Erde,  reiste  1835  und  1836  nach  Island,  f  10.  Dezember  1858.  Er  war  kein  grosser 
Gelehrter  und  schrieb  selbst  nichts  über  die  Expeditionen,  die  er  leitete.  Auf  Island 
hinterliess  er  einen  günstigen  Eindruck,  und  noch  vor  kurzem  sah  man  sein  Bild  auf 
Bauernhöfen.  Sein  Führer  war  Pastor  Jon  Atistmann.  Gaimard  sprach  mit  seinen 
Führern  französisch,  auf  den  Pfarrhöfen  meist  lateinisch,  aber  ganz  verkehrt  und  ohne 
sich  um  die  Grammatik  zu  kümmern.  Thoroddsen,  Landfrcedissaga  III,  S.  242 
bis  251. 

2)  Bei  der  Wiedergabe  der  ersten  Strophe  habe  ich  mich  etwas  an  Vetter, 
Vom  Fels  zum  Meer  1889,  S.  613  angelehnt. 


Erster  Abend  in  Akureyri.  245 

Zum   See  kamst  du,  dem  fischereichen, 
Um  den  die  wilde  Lava  ragte, 
Wo  unsres  Freistaats  Althing  tagte, 
In  aller  Welt   einst  ohnegleichen. 
Einst  blinkten  hier  der  Zelte  Wände, 
Jetzt  starrt  hier   Schweigen  ohne   Ende    — 
Beraubt  des  Althings  —  sahst  du  nicht 
Den   Schmerz  in  Islands  Angesicht? 

Nun  weilst  du  in  der  Hauptstadt  schon  ^), 
Den   welschen  Gast  die  Freunde  grüssen. 
Du  liebst  das  Land,   wie  alle  wissen, 
Und   seine  freie  Nation. 
Ein  Geist  beseelt  uns  trotz  der  Plage, 
Die  auf"  uns  ruhte  lange  Tage. 
Ein  Trunk  aus  freier  Bildung  Born 
Zurück  die  Kraft  gibt,   die  verlor'n. 

Wohl  dem,  der  Wissen  sich  gewann! 
Es  schärft  den  Willen,  gibt  ihm  Stärke, 
Erfüllt   mit  Hoflnung  ihn  zum  Werke 
Und  spendet   Segen  jedermann. 
Unendlich  Dank  und   ewig  neuer 
Dem,  der  das  helle  Gottesfeuer 
Anfacht  und  schützend  unterhält, 
Dass  es  durchdringt  die  dunkle   Welt! 

Solch  Dank   wird  dir  von  uns  gezollt, 
Der  du,   stets  eifrig  im  Entdecken 
Der  Schätze  der  Natur,  verstecken 
Den   Fund  vor  uns  hast  nie  gewollt. 
Heil,   Paul,   dir,  Heil !  Von  allen   Gästen 
Gefielst  du  unserm  Volk  am  besten. 
Mög'   Gott  auf  deinen  Wegen  sein    — 
Island  denkt  jede  Stunde  dein! 


')   Gemeint  ist  Kopenhagen. 


Fünfzehntes   Kapitel. 

Akureyri. 


•8.  August. 


Von  Schlaf  war  natürlich  bei  dem  Lärm  unten  nicht  viel  die 
Rede;  als  ich  aufstand,  lag  das  ganze  Hotel  noch  im  Schlummer, 
die  letzten  Gäste  waren  erst  nach  sechs  Uhr  aufgebrochen.  Während 
ich  zum  Fenster  hinaus  auf  den  Fjord  blickte  und  den  Eiderv^ögeln 
zusah,  die  sich  am  Strande  sonnten  und  zwischen  denen  die  Katzen 
spielten,  ohne  ihnen  etwas  zu  tun,  knatterte  und  knisterte  mit  einem 
Male  der  ganze  Holzbau.  Ich  blickte  verwundert  in  die  Stube  zu- 
rück und  bemerkte,  wie  das  Wasser  auf  dem  Waschtische  hin  und 
her  schwankte,  und  die  Gläser  und  die  Karaffe  leise  klirrten.  Etwa 
V4  Stunde  später  wiederholte  sich  das  Schwingen  und  Knacken. 
An  ein  Erdbeben  dachte  ich  nicht  einen  Augenblick,  und  das  hätte 
doch  am  nächsten  gelegen.  Erst  der  Führer  klärte  mich  darüber 
auf,  als  er  mich  fragte,  wie  mir  der  jardskjdlfti  gefallen  hätte.  Es 
war  nur  eine  leichte  Erderschütterung  gewesen,  im  Siglujjördiir 
aber  waren,  wie  ich  von  Kapitän  Ivcrsen  erfuhr,  die  Stösse  weit 
heftiger  gewesen,  und  die  Schiffe  hatten  bedenklich  zu  schaukeln 
angefangen.  Später  hörte  ich,  dass  man  das  Erdbeben  auch  in 
Saudarkrökur  wahrgenommen  hatte,  und  dass  man  es  mit  den 
vielen  Ausbrüchen  im  Alyvat)  1-^0)0x0X0^  zusammen  gebracht  hat;  an 
anderen  Stellen  des  Nord-  und  Ostlandes  hatte  man  Aschenregen 
beobachtet. 

Akureyri  ist  im  innersten  Teile  des  Eyjafjördur  gelegen,  etwas 
nördlich  von  der  Stelle,  wo  die  Eyjafjardard  in  ihn  mündet,  und 
zieht  sich  an  dessen  westlichem  Ufer  längs  der  Küste  unter  einer 
mit  Kartoffelfeldern  bewachsenen  Anhöhe  hin ;  dahinter  und  gegen- 
über erheben  sich  die  den  schmalen  Fjord  in  seiner  ganzen  Länge 
umfassenden  Basaltberge,  die  selbst  im  Hochsommer  mit  Schnee 
bedeckt  sind.     Der    Eyjafjördur  hat   seinen  Namen    ,, Insel  bucht" 


Akureyri. 


247 


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248  Lage  von  Akureyri. 

entweder  nach  den  in  nördlicher  Richtung  gelegenen  Inseln  Hrisey 
(Strauchinsel)  und  den  weiter  draussen  liegenden  Inseln  Flatey 
(flache  Inseln)  und  Grinisey,  schon  nördlich  vom  Palarkreise,  oder 
von  den  vielen  kleinen  Holmen  an  der  Mündung  der  Eyjafjardard; 
jähe  mit  losen  Kieseln  bedeckte  Sandbänke  zwischen  Hrisey  und 
dem  Lande  werden  im  Altertum  erwähnt  {}^i'ga  Gl.  Saga  27).  Der 
Fjord  ist  dem  Anscheine  nach  eine  regelmässig  und  schön  ent- 
wickelte Erosionsrinne.  Seine  Länge  beträgt  60  km,  die  Breite  an 
der  Mündung  1 5  km,  im  übrigen  ist  er  verhältnismässig  schmal, 
erweitert  sich  aber  nach  Norden,  wo  er  mehrere  Täler  von  Westen 
her  aufnimmt.  Bei  Akureyri  ist  der  Fjord  gut  2  km,  bei  Oddeyri 
gut  I  km  breit.  Oddeyri,  etwa  15  Minuten  von  Akureyri  entfernt, 
liegt  auf  einer  Landzunge,  die  sich  weit  nach  Osten  in  den  Fjord 
hineinschiebt  und  den  Hafen  von  Akureyri  gegen  Stürme  ausge- 
zeichnet schützt :  dieser  so  eingeschlossene  und  abgeschlossene  Teil 
heisst  Pollurinn  (der  Teich).  Freilich  fürchtet  man ,  dass  der 
Hafen  von  Akureyri  in  absehbarer  Zeit  vernichtet  werden  wird; 
denn  die  Eyjafjardard  führt,  obwohl  sie  kein  Gletscherfluss  ist,  so- 
viel Schlamm  und  Erde  mit  sich,  dass  das  Meer  noch  20  km  von 
seiner  Mündung  schokoladenfarbig  aussieht ;  und  während  vor  ca. 
75  Jahren  oberhalb  von  Akureyri  noch  grosse  Boote  landen  konnten, 
können  jetzt  nicht  einmal  kleine  Fahrzeuge  mehr  herankommen 
(Thoroddsen).  Nicht  immer  können  die  grossen  Dampfer  an  der 
Landungsbrücke  anlegen,  die  auf  Pfählen  in  den  Fjord  führt  und 
auf  dem  mit  Steinen  angefüllten  Wrack  eines  französischen  Segel- 
schiffes endigt,  sondern  müssen  zwischen  Akureyri  und  Oddeyri 
Anker  werfen. 

,,Bei  Akureyri  ist  die  Küste  von  hohen  Terrassen  begrenzt,  die 
auf  geschrammten  Basaltsäulcn  ruhen ;  diese  steilen  Ufer  bestehen 
zum  grossen  Teil  aus  bläulichgrauem,  grobkörnigem,  schiefrigem 
Ton,  der  von  Sand  und  Geröll  bedeckt  ist"  (Thoroddsen,  Island 
S.   102.) 

Der  freundliche  Eindruck,  den  die  Stadt  beim  ersten  Blick  auf 
uns  machte,  als  wir  von  der  steilen  Vadlaheidi  zum  Strande  nieder- 
stiegen, schwand  nicht,  als  wir  sie  näher  kennen  lernten.  Der  erste 
Teil  der  Stadt  besteht  aus  einer  einzigen  Häuserreihe,  in  dem  an- 
deren gibt  es  zwei  lange  Strassen,  aber  die  an  der  Küste  gelegene 
wird  zur  Zeit  der  Flut  streckenweise  vom  Meere  bedeckt.  Die 
Strassen  sind  durchweg  sauber,  obwohl  die  Kühe  auf  ihnen  pro- 
menieren. Die  Strandpromenade  nach  Oddeyri  würde  sogar  einem 
Badeorte  zum  Schmucke  gereichen  und  bietet  hübsche,  abwechs- 
lungsreiche Bilder  über  den  Fjord.  Die  Häuser,  im  norwegischen 
Stil  und  aus  norwegischem  Holze  gebaut,  sowie  die  stattlichen  Maga- 
zine ziehen  sich  fast  den  ganzen  Strand  entlang,  auf  halber  Höhe 
der    Terrassen    stehen    einige    villenartige    Gebäude,    über   die    rote 


Lage  von  Akureyri.  249 

Volksschule  und  Realschule,  deren  Grund  gerade  gelegt  wurde,  ragt 
noch  das  Krankenhaus  hinaus.  Fast  jedes  Haus  ist  mit  einem 
Garten  versehen ;  das  ist  um  so  erstaunlicher,  als  die  mittlere  Jahres- 
temperatur in  AA'Hreyn  nur  ^/s'^C  beträgt.  Nelken  und  Rosenstöcke, 
sowie  Geranien  lugen  hinter  der  weissen  Gardine  der  mit  Teer  an- 
gestrichenen Fensterkreuze  hervor ;  Zierblumen  und  Gemüse,  Rha- 
barber ,  Kohl ,  Rüben  und  Johannisbeeren  gedeihen  ganz  gut.  Die 
Abhänge  sind  förmlich  blau  von  Viola  tricolor,  und  die  Kartoffeln 
stehen  ausgezeichnet.  Man  glaubt  sich  in  einen  Fjord  Norwegens 
versetzt,  und  dieser  Eindruck  wird  noch  dadurch  verstärkt,  dass 
man  auf  den  Strassen  fast  eben  so  viel  norwegisch  wie  isländisch 
sprechen  hört. 

In  allen  Reisebeschreibungen  spielen  die  drei  Vogelbeerbäume 
mit  ihren  stattlichen  Laubkronen  in  Akureyri  eine  gewisse  Rolle  — 
zwei  stehen  in  dem  jiidalstro'ti  neben  dem  Hotel,  der  dritte  in  dem 
Hafnarstrcrti  vor  dem  ,, argentinischen  Konsulat"  (!),  ein  vierter 
brannte  am  19.  Dezember  1901  nieder  — ,  kein  Reisender  vergisst, 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  dass  dies  die  einzigen  oder  höchsten 
Bäume  in  ganz  Island  seien.  Aber  nicht  nur  sind  die  Ebereschen 
in  Skrida  mindestens  eben  so  hoch,  sondern  die  Birken  im  Hallorm- 
stadarskögiir  erreichen  eine  Höhe  von  28  Fuss,  und  die  Eberesche 
bei  Skaptafell  sogar  von  30  Fuss.  Aber  die  Angabe  hat  sich  ein- 
mal von  einem  Touristen  auf  den  anderen  fortgeerbt  und  wird  wohl 
auch  nicht  ausgerottet  werden. 

Drei  grosse  norwegische  Dampfer,  mit  Heringen  beladen,  lagen 
im  Fjord,  darunter  ,,Thor"  aus  Haugesund  mit  840  T.  Fast  hätten 
wir  ihn  für  unsere  Rückreise  benutzt,  nun  ist  er  mit  33  Personen 
am  I.  März  1905  bei  einem  furchtbaren  Sturm  in  seinem  Heimats- 
orte untergegangen.  In  der  Mitte  zwischen  Akureyri  und  Oddeyri, 
die  durch  einen  kleinen  Bach  voneinander  getrennt  sind,  besitzt  der 
Dichter  Matthias  Jochiimsson  ein  auf  halber  Höhe  gelegenes  Häus- 
chen. Wir  trafen  ihn  auf  unserem  Orientierungsspaziergange,  und 
da  ich  sein  charakteristisches  Gesicht  sofort  nach  der  Photographie 
wieder  erkannte,  grüsste  ich  ihn ;  er  dankte  erstaunt,  sagte  mir  aber 
am  Nachmittag,  als  ich  ihn  besuchte,  dass  er  sich  über  diese  Auf- 
merksamkeit gefreut  hätte. 

In  der  Nähe  liegt  das  Theater  (leikhi'ts),  ein  einfacher  Holzbau, 
für  200  Personen  eingerichtet.  Es  wird  nur  im  Winter  benutzt  und 
steht  im  Sommer  leer.  Die  ersten  Aufführungen  fanden  1860  statt, 
zwei  dänische  Kaufleute  und  ein  isländischer  Arzt  hatten  sie  ins 
Leben  gerufen.  Dann  war  der  norwegische  Konsul  jf.  V.  Havsteeu 
in   Oddeyri  25  Jahre    lang  Vorsteher    der    Schauspielgesellschaft  zu 


')    Wacholder-     und  Vogelbeerbaum    im    Volksglauben,    vergl.    Lehmann -Fi 
h  e  s ,  Isl.  Volkssagen  II,   S.  29,  30. 


250  Oddeyri.     Versuchsstation  für  Waldanpflanzungen. 

Akureyri\  jetzt  ist  MaWims  die  Seele  des  Theaters,  und  auf  sein 
und  Havsteens  Betreiben  werden  nur  Stücke  in  isländischer  Sprache 
aufgeführt. 

Oddeyri ^  früher  eine  Thingstätte,  auf  der  Landzunge  gelegen, 
die  den  Halbkreis  abschliesst,  den  der  Pollur  bildet,  erinnert  mit 
seinen  kleinen  Holzbaracken  an  Hammerfest  und  steht  entschieden 
hinter  Akureyri  zurück.  Eine  grosse  Transiederei  am  Ende  des 
Fleckens  trägt  auch  nicht  dazu  bei,  den  Aufenthalt  besonders  be- 
haglich zu  machen.  Nördlich  von  Oddeyri  mündet  die  Glerd 
(Glasache),  sie  stürzt  in  einem  hübschen  Falle  schmal,  aber  ziem- 
lich steil  zwischen  den  dunkeln  Felsen  über  die  Terrasse  her- 
unter und  verlohnt  wohl  den  kleinen  Spaziergang  von  Akureyri 
aus.  Sehr  erstaunt  war  Ögmundur,  als  ich  ihm  vorschlug,  bei 
Konsul  Havsteen  einen  Besuch  zu  machen.  Doch  die  liebenswürdige 
Aufnahme,  die  wir  in  den  mit  grosser  Eleganz,  aber  geschmackvoll 
und  behaglich  eingerichteten  Räumen  fanden,  Hess  nicht  das  Gefühl 
in  uns  aufkommen,  dass  wir  fremde  Eindringlinge  wären,  um  so 
weniger,  als  sich  herausstellte,  dass  ich  den  Bruder  des  Konsuls  bei 
der  Gesellschaft  des  Konsuls  Thomsen  in  Reykjavik  kennen  ge- 
lernt hatte,  und  die  beiden  stattlichen  Jünglinge,  die  das  Gymna- 
sium besuchten,  erkannten  mich  vom  Hospitieren  wieder.  Der  Vater 
der  Frau  Konsul  stammte  aus  Hamburg,  darum  sprach  sie  eben  so 
gut  deutsch  wie  dänisch.  Grossen  Spass  hatte  ihr.  Kahles  Charak- 
teristik bereitet :  ,,eine  lebhafte  Kopcnhagcrin.  mit  der  ich  in  Erinne- 
rungen an  die  schöne  dänische  Hauptstadt  schwelgte".  Der  Konsul 
besitzt,  wie  schon  früher  erwähnt,  eine  prächtige  Sammlung  von 
alten  Taufbecken,  eine  grossartige  Eiersammlung  und  viele  seltene 
Steine. 

Wir  wenden  uns  zum  südlichen  Stadtteile  !  Neben  dem  Buch- 
ladcn,  wo  ich  mir  meinen  Bedarf  an  isländischen  Büchern  ergänzte  — 
u.  a.  kaufte  ich  das  Neue  Testament  in  isländischer  Übersetzung, 
Hid  Nya  Testai/ieuti  Drottins  vors,  Akureyri  1903,  mit  reizenden 
farbigen  Abbildungen  aus  dem  orientalischen  Leben,  in  Leinwand 
gebunden,  für  zwei  Kr.  — ,  befindet  sich  seit  4  Jahren  eine  „Ver- 
suchsstation für  Waldanpflanzungen"^).  Die  Aufsicht 
führt  ein  alter  Tischlermeister,  der  ,, seine  Bäume  liebt,  wie  ein 
Vater  seine  Kinder".  Er  erzählte  mir,  dass  der  erste  Winter  für  ihn 
sehr  beschwerlich  und  aufregend  gewesen  war,  da  er  ja  nicht  die 
geringste  Erfahrung  besass,  aber  jetzt  wisse  er  Bescheid  und  sei 
mit  dem  Erfolge  zufrieden.  Die  Frühlingssaat  stand  in  langen, 
schmalen  Beeten  und  war  mit  Erika  und  Netzen  zugedeckt,  zum 
Schutze    gegen  Winde    und  Vögel ;    im   Winter  wird  Holz    darüber 


^)  Die  andern  Versuche  von  Waldanpflanzungen  hat  man  in  Pingvellir,    Reyk- 
javik und  zu  Hals  gemacht. 


Akureyri.     Versuchsgärtnerei.  251 

gelegt.  Wie  ein  Gruss  aus  der  Heimat  wehte  es  mich  an,  als  ich 
einige  Lärchenblätter  in  der  Hand  zerrieb  und  den  üppigen  Harz- 
geruch einzog.  Beim  Betreten  des  Gartens  überraschte  mich  ein 
starker  Duft  von  Spiräen,  in  der  Mitte  war  ein  Rundteil  von  Rosen 
angelegt,  die  gerade  zu  blühen  anfingen,  dazwischen  standen  Primeln, 
Veilchen,  Stiefmütterchen  und  Kresse,  die  sogar  im  Winter  draussen 
bleiben.  Diesjährige  Saat  war  Pinus  montana;  die  vom  vorigen 
Jahre,  Abies  pectinata  und  siberica,  Birken  aus  Island  und  Norwegen, 
Akazien,  Pappeln,  Erlen,  Ulmen  und  Ebereschen  waren  etwa  eine 
Hand  hoch.  Die  Bäumchen  des  ersten  Versuches,  Ebereschen  von 
1900,  hatten  fast  Manneshöhe  erreicht.  Ich  glaubte,  eine  wohlge- 
pflegte Baumschule  in  Deutschland  vor  mir  zu  haben,  und  freute 
mich,  zu  hören,  dass  man  von  dieser  ,, Versuchsstation"  in  diesem 
Jahre  ca.  6000  Schösslinge  an  andere  Stätten,  auch  an  einzelne 
Bauern  verschickt  habe.  Der  Professor  der  Forstwissenschaft  an 
der  landwirtschafthchen  Hochschule  in  Kopenhagen,  C.  V.  Prytz, 
der  1903  Island  bereist  hat,  um  sich  von  dem  Stande  der  Wälder 
und  des  Baumwuchses  zu  unterrichten,  wird  hieran  seine  Freude  ge- 
habt haben.  Nach  seiner  Ansicht  hat  der  Wald  für  Island  eine  hohe 
Bedeutung,  er  soll  nicht  nur  als  Schmuck  und  Zierde  dienen,  sondern 
Nutzen  bringen,  er  soll  die  Erde  festhalten  und  Schutz  gewähren, 
damit  Wasser  und  Wind  die  fruchtbare  Humusschicht  nicht  hin  und 
her  tragen  können^).  Er  empfiehlt  norwegische,  amerikanische,  vor 
allem  isländische  Pflanzen,  man  soll  das  Tun  mit  Bäumen  bepflanzen, 
denn  da  sind  sie  vor  dem  Vieh  sicher ;  man  soll  an  den  Bergseiten 
grössere  Teile  mit  Birken  besäen,  damit  die  Bergabhänge  sich  mit 
Gras  überziehen,  weil  das  Erdreich  Schutz  erhält  und  liegen  bleiben 
kann ;  man  soll  endlich  Zwergbirken  säen,  um  so  hoch  hinauf  wie 
wie  möglich  Gewalt  über  die  Erde  zu  erlangen:  in  Fnjöskadaliir 
erstrecken  sich  z.  B.  Streifen  Waldes  bis  zu  1800  Fuss  über  dem 
Meere.  Dem  Isländer  fehlt  natürlich  vorläufig  Erfahrung  und 
Sachkenntnis,  aber  Dänemark  wird  gern  mit  Rat  und  Beistand 
helfen. 

Etwas  südlich  von  dieser  ,, Versuchsstation  für  Waldanpflanzen" 
befindet  sich  eine  ebenso  interessante  ,, Versuchsgärtnerei". 
Sie  steht  unter  der  Leitung  eines  jungen  Mannes,  der  eine  dänische 
Gartenbauschule  besucht  hat,  also  sein  Handwerk  versteht.  Für 
diesen  ,, botanischen  Garten"  hat  das  Althing  6000  Kr.  Unterstützung 
bewilligt,  und  auch  das  Rccktunarfjelag  Nordicrlands  widmet  der 
Entwickelung  des  Gemüsebaues  besondere  Aufmerksamkeit  -).  Diese 
„Gesellschaft  für  Bodenpflege"  zählt  ca.  800  Mitglieder,  die  jährlich 


1)  Globus   1904,  Nr.    16.  , 

^)   Stofnum    Raektunartjelags    Nordurlands    og    log   J)ess.     Ak.    1903,    Arsskyrsla 
Rsektunartjelags  Nordurlands.     Ak.   1904. 


252  Akureyri.     Kirche.     Friedhof. 

2  Kr.  Beitrag  zahlen,  so  dass  hier  dem  botanischen  Garten  mit  den 
freiwilUgen  Gaben  für  1904  1 1606  Kr.  zur  Verfügung  standen.  Man 
hat  Rot-,  Grün-  und  Weisskohl,  Radieschen  und  Erbsen  gesät,  die 
gerade  blühten,  Weiden  nnd  Rosen  gepflanzt  und  25  ,, Tagesernten" 
mit  Hafer  besät.  Auch  Versuche  mit  Weizen,  Gerste,  Hafer, 
Lupinen,  Runkelrüben,  verschiedenen  Grassorten  und  drei  Kartoffel- 
arten werden  angestellt.  Auf  einigen  jung  angelegten  Beeten  lagen 
Glasfenster.  Um  den  Nutzen  des  künstlichen  Düngers  vor  Augen 
zu  führen  (Chilisalpeter  und  Superphosphat),  hat  man  einige  Stellen 
gedüngt,  andere  nicht,  auf  der  ersteren  stand  alles  doppelt  so  hoch 
und  dicht.  Um  ferner  den  Bauern  praktisch  den  Wert  der  modernen 
Maschinen  zu  zeigen,  stehen  in  einem  besonderen  Schuppen  Eggen, 
Pflüge,  Sämaschinen,  zum  Teil  aus  Norwegen  und  England  bezogen? 
zum  Teil  in  Akureyri  selbst  hergestellt  und  den  isländischen  Ver- 
hältnissen, namentlich  den  viel  kleineren  Pferden,  angepasst. 

Zwischen  der  Baumschule  und  dem  botanischen  Garten  ragt 
die  stattliche  Kirche  empor  mit  je  vier  Fenstern  an  der  Seite 
und  zwei  Fenstern  vorn.  Sie  ist  eine  der  grössten  auf  der  ganzen 
Insel,  der  Unterbau  ist  Stein,  der  Oberbau  Holz,  das  Ganze  ist 
weiss  angestrichen.  In  der  Sakristei  stehen  zwei  schöne,  geschnitzte 
Schränke  von  1672,  der  Chor  ist  hell  und  luftig,  ein  riesiger  Ofen 
vermag  die  Kirche  im  strengsten  Winter  etwas  zu  wärmen ;  das 
Altarbild  ist  im  Stile  von  Plockhor.st  gemalt:  es  stellt  den  Erlöser 
am  Kreuze  dar,  umgeben  von  Johannes  und  Maria,  Magdalena  kniet 
weinend  am  Fusse  des  Kreuzes.  Noch  verschiedene  Holzmalereien 
aus  dem  17.  Jahrhundert  werden  hier  aufbewahrt,  aber  sie  sind 
ohne  künstlerischen  Wert. 

Der  Friedhof  liegt  hoch  oben  auf  den  Bergen,  und  der  Weg 
dahin  ist  so  steil,  dass  die  Särge  auf  dem  Rücken  der  Pferde  fest- 
gebunden werden  müssen,  während  sonst  Wagen  mit  zwei  und  vier 
Rädern  in  ^Ikiireyri  gar  nichts  Seltenes  sind.  Kahl  und  dürr  ist 
der  Boden,  und  eisig  fegen  die  Stürme  darüber  hin.  Und  doch  hat 
auch  hier  die  Liebe  die  Stätte,  wo  die  Entschlafenen  ruhen,  nach 
Kräften  geschmückt,  und  wenn  es  nur  Erbsen  und  Kohl  sind,  die 
man  auf  dem  Hügel  angepflanzt  hat.  Die  Kränze  sind  mit  Steinen 
beschwert,  damit  der  Sturm  sie  nicht  entführen  kann,  drei  Gräber 
waren  wie  ein  Sarg  zurecht  gemacht,  den  Sargboden  nahmen 
Pflanzen  und  Blumen  ein,  der  halbgeöffnete  Deckel  schützte  sie 
vor  Wind  und  Kälte ;  ein  Grabdenkmal  war  sogar  eine  Granitsäule, 
mit  einem  Relief  von  Thorvaldsen.  Niedergedrückt  und  in  trüber 
Stimmung  betrachteten  wir  schweigend  den  Ruheplatz  der  Toten, 
und  es  dauerte  lange,  bis  die  Spannung  sich  löste. 

Wir  gehen  weiter  auf  dem  kleinen  Hochplateau,  kommen  an 
der  kleinen  Bibliothek  vorüber  {Bökarsafn  Nordurajufsiiis,  eine 
der    drei  Amtsbibliotheken),    die    etwa  3000  Bände   aufweist,    meist 


Akureyri.     Matthias  Jochumsson. 


253 


Geschenke  von  Prof.  Willard  Fiske,  und  besuchen  das  peinlich 
saubere  Krankenhaus;  es  hat  Wasserleitung  und  Wasserheizung 
und  ein  gut  eingerichtetes  Operationszimmer.  Am  Ende  von 
/[kiireyri  soll  die  neue  Realschule  mit  Internat  zu  stehen  kommen 
fgagn/rcrda-skdli) ,  ihr  Fundament  war  fertig  gemauert,  und  mäch- 
tige, aus  Norwegen  bezogene  Balken  lagen  umher ;  die  Anstalt  befand 
sich  früher  in  Müdnivellir,  ist  aber,  nachdem  sie  dort  durch  Feuer 
zerstört  ist,  nach  Akureyri  verlegt. 

Unterhalb  von  ihr  wohnt  der  gro.i&e'DichiQr  Matihfas  Joc/itii/isson. 
Er  war  Pfingsten  in  Kopenhagen  gewesen,  also  zu  derselben  Zeit, 
wo  auch  ich  mich  dort  aufhielt, 
um  die  Vorbereitungen  zu  meiner 
Reise  zu  treffen,  namentlich  nach 
der  sprachlichen  Richtung  hin. 
Als  ich  ihm  meine  Aufwartung 
machen  wollte,  war  er  schon  nach 
Jütland  und  Schleswig  und  weiter 
nach  Schweden  abgereist;  ich 
beschloss  daher,  jetzt  das  Ver- 
säumte nachzuholen  und  ihn  zu 
besuchen.  Man  merkt  dem  sieb- 
zigjährigen Dichter  sein  Alter 
nicht  an,  weder  in  seiner  äusseren 
Erscheinung  noch  in  seiner  hu- 
morvollen, geistsprühenden  Unter- 
haltung (Fig.  113).  Auch  bei  ihm 
fiel  mir,  wie  bei  den  andern  is- 
ländischen Dichtern,  die  ich  ken- 
nen   gelernt    hatte ,    die  wahrhaft 

grosse  und  echte  Bescheidenheit  auf,  mit  der  er  von  seinen  eigenen 
Schöpfungen  sprach.  Er  quittierte  dankend  und  lächelnd  einige 
Anspielungen  auf  seine  Gedichte,  lenkte  dann  aber  gewandt  das 
Gespräch  auf  allgemeine  Fragen. 

Ich  wunderte  mich  darüber,  dass  das  so  hochbegabte  isländische 
Volk  noch  nicht  einen  einzigen  Philosophen  hervorgebracht  habe. 
Ganz  richtig  bemerkte  er,  dass  die  isländische  Sprache  dazu  nicht 
geeignet  sei,  weil  sie  überängstlich  alle  Fremdwörter  fern  hielte, 
und  zum  Philosophieren  gehöre  einmal  ein  ganz  bestimmt  ausge- 
prägter Wort-  und  Begriffsschatz  ^).  Ein  Lieblingsgedanke  von  ihm 
war  eine  pangermanische  Allianz:  Pangermanismus  gegen  Pan- 
slavismus!  Er  hoffte,  dass  sich  in  England  und  den  Vereinigten 
Staaten,    in    Holland,    Belgien    und    Luxemburg,    in    der    Schweiz, 


Fig.   113.     Matthias  Jochumsson. 


1)  Ein  reHgionsphilosophischer  Essay    Vegurinil  (Der  Weg)  ist    inzwischen    von 
Oddur  Björnsson  erschienen,  Akureyri  1904. 


254  Akureyri.     Matthias  Jochumsson. 

Österreich  und  Deutschland,  in  Dänemark,  Norwegen  und  Schweden 
genug  verständige  Männer  finden  würden,  um  einen  solchen  Bund 
ins  Leben  zu  rufen.  Als  ich  erwiderte :  ,,Aber  Deutschland  muss 
an  der  Spitze  stehen!",  rief  er  überzeugungsvoll:  ,,Der  deutsche 
Kaiser  allein  ist  der  geeignete  Mann  dazu!"  Ich  erzählte  ihm  von 
einem  Aufsatze  ähnlichen  Inhaltes,  den  ich  in  den  ,, Grenzboten" 
gelesen  hatte,  und  ohne  weiteres  gab  er  zu:  Die  Idee  stamme  gar 
nicht  von  ihm,  sondern  von  Björns on,  den  er  1898  kennen  gelernt 
habe ;  aber  auch  der  habe  nur  Gedanken  des  dänischen  Bischofs 
Grundtvig  und  des  norwegischen  Historikers  P.  A.  Munch  wieder 
aufgegriffen,  die  für  eine  Verbrüderung  der  germanischen  Rassen 
eingetreten  wären  ^). 

Mit  dieser  Anschauung  hängt  auch  die  Reise  des  Dichters  nach 
Dänemark  zusammen.  Mattliias  will  eine  kurze  volkstümliche  Dar- 
stellung der  beiden  schlcswigschen  Kriege  Dänemarks  schreiben  — 
ob  in  Gestalt  einer  Novelle,  vermag  ich  nicht  anzugeben  —  und 
glaubt,  dass  ein  solches  Volksbuch,  das  die  Greuel  des  Krieges 
aufdeckt  und  auf  eine  Waffenbrüderschaft  der  beiden  Reiche  hin- 
weist, auf  Island  eine  schöne  Mission  erfüllen  werde.  Er  hat  in 
Kopenhagen  dazu  vorbereitende  Studien  gemacht  und  dann  in  Süd- 
jütland  an  Ort  und  Stelle  den  Gang  der  Ereignisse  in  den  Jahren 
1848 — 50  und    1S64  verfolgt  2j. 

MatfJiias  ist  am  ii.  November  1835  im  nordwestlichen  Island 
geboren,  als  Sohn  eines  armen  Bauern ;  er  musste  in  seiner  Kind- 
heit die  Schafe  hüten  und  manche  Nacht  unter  freiem  Himmel  zu- 
bringen, die  Phantasie  des  Knaben  nahm  so  früh  den  Eindruck  der 
gewaltigen  Natur  Islands  in  sich  auf  und  bevölkerte  die  Umgebung 
mit  allerlei  unheimlichen  Spukgestalten.  Erst  spät  kam  er  auf  das 
Gymnasium  in  Reykjavi'k,  war  im  Winter  1856  aber  Lehrling  bei 
einem  Kaufmann  in  Kopenhagen  und  benutzte  fleissig  die  Gelegen- 
heit, bei  seinen  Landsleuten  im  sogenannten  Regenseii,  dem  staat- 
lichen Konvikt,  neuere  Sprachen  zu  lernen.  Ein  Verwandter  bot 
ihm  die  Mittel  zum  Studium,  im  Herbst  1859  kehrte  Mattliias  nach 
Reykjavik  zurück  und  wurde  wegen  seiner  Sprachkenntnisse  in  die 
Unter-Sekunda  aufgenommen;  pünktlich  nach  3  Jahren,  1863,  be- 
stand er  das  Abiturienten-Examen  und  wurde  so  Student.  Er  wohnte 
als  Schüler  bei  Jon  Ariiason,  dem  genialen  Sammler  isländischer 
Volkssagen,  Märchen,  Rätsel  und  Spiele,  und  lernte  in  dessen  Hause 
auch  den  vielseitigen  Kunstmaler  Sigurdur  Giidniundsson  kennen. 


1)  Björnson  war  1870  für  eine  Vereinigung  Islands  mit  Norwegen  eingetreten, 
vergl.  Ibsens  Briefe  (Sämtl.  Werke  X,   S.  452). 

2)  Olaf  Hansen,  Nyisl.  Lyrik  S.  134  flf;  Dannebrog  1904,  Nr.  4271  ;  Skirmr 
79.  Jahrg.  S.  369.  —  Seine  Reise  hat  Matthias  beschrieben  in:  Frä  Danmörku, 
Nokkrir  fyrirlesirar  iil  frödleiks  og  skemtunar,  dsamt  kvcedtim  og  myndum. 
Kph.  1906.     Korrekturnoie. 


Akurcyri.     Matthias  Jochumsson.  255 

die  Seele  der  dramatischen  Veranstaltungen  in  Reykjavik.  iS6i 
schrieb  er  schon  sein  erstes  Drama  in  fünf  Akten,  „Die  Ächter", 
das  er  1898  unter  dem  Titel  Skug g a-Sveinn  (der  schwarze  Sveinn) 
neu  heraust^ab.  Dieses  Drama  bildet,  wie  früher  gesagt,  den  Mark- 
stein für  die  neuere  isländische  Dramatik.  AlattJit'as  studierte  am 
Predigerseminar  in  Reykjaiu'k  und  kurze  Zeit  auch  in  Kopenhagen, 
wo  er  bei  dem  gelehrten  Konrad  Gislason  auch  altnordische 
Studien  trieb. 

Nachdem  er  kurze  Zeit  in  der  Nähe  von  Reykjaiu'k  Pfarrer  ge- 
wesen war,  nahm  er  seinen  Abschied  und  kaufte  die  Zeitung 
Pjödölfiir,  deren  Redakteur  er  1874 — 80  war.  Zwischen  Sorgen  und 
Särgen  verlebte  der  Dichter  seine  besten  Jahre ;  die  beiden  ersten 
Frauen  starben  ihm  nach  kurzer  Ehe,  erst  mit  der  dritten  blühte 
ihm  sein  Glück  auf,  von  elf  Kindern  leben  noch  neun.  Als  er  wieder 
ein  Pfarramt  übernahm,  wurde  er  nach  Oddi,  einem  der  berühmtesten 
Pfarrhöfe  Islands,  versetzt,  und  mehr  als  ein  fremder  Tourist  hat 
dort  die  Gastfreundschaft  des  Dichter-Pfarrers  genossen.  1887  wurde 
er  in  Akiireyn'  Superintendent,  1893  wurde  er  von  seinen  Lands- 
leuten zur  Teilnahme  an  dem  grossen  Religions  -  Kongress  während 
der  Weltausstellung  in  Chicago  eingeladen,  1898  reiste  er  nach 
Norwegen,  wo  er  Björnson  und  Ibsen  kennen  lernte  und  in 
Bergen  einen  Vortrag  über  Island  hielt;  1900  trat  er  in  den  Ruhe- 
stand, bezieht  aber  seitdem  eine  ,, Dichterpension"  von  2000  Kr. 
jährlich,  wie  Thorsfeiiin  Erlingsson  und  Valdimar  Briem  800  Kr., 
Pdll  Olafsson   500  Kr.  erhalten. 

Matthias  gehört  zu  den  ersten  und  volkstümlichsten  Dichtern 
der  Gegenwart,  als  Lyriker  steht  er  bei  vielen  an  erster  Stelle. 
Pöstion  charakterisiert  ihn  so:  ,,Er  ist  überaus  vielseitig  und 
produktiv,  mehr  volkstümlich  [als  Stcingriin2ir\  feurig  und  kräftig, 
oft  von  hinreissendem  Schwünge,  doch  bisweilen  ...  zu  phantastisch, 
zu  flüchtig;  er  ist  ein  virtuoser  Sprachkünstler  und  am  grössten  in 
seinen  Gedichten  auf  Verstorbene."  Wie  Steingrimur  Thorsteinsson 
hat  er  ausserordentlich  viel  übersetzt:  Grundtvig,  Hauch,  Wergeland, 
Ewald;  Tegner,  Ibsen,  Runeberg;  Björnson;  Shakespeare,  Burns, 
Byron ;  Longfellow.  Den  Unterschied  zwischen  Steingrimur  und 
Matt/iias  formuliert  Olaf  Hansen  hübsch  so:  ,,StetugriJnur  mnwwi 
das  Ohr  durch  seine  sanfte,  lockende  Stimme  gefangen,  Sira  JMat- 
thias'  Organ  dröhnt  wie  Harfenklang  und  Orgellschall." 

Auch  in  der  Geschichte  des  jungen  erst  aufstrebenden  Dramas 
gebührt  ihm  ein  Ehrenplatz.  Neben  den  ,, Ächtern"  hat  er  1S75 
einen  Einakter  gedichtet:  Hinn  sanni  Pjödvilji  (der  wahre  Volks- 
wille), ebenfalls  1875  die  dreiaktige  Posse  Vestiir/ararnir  (die 
Amerikafahrer),  1890  das  ,, Sagaspiel  in  4  Akten"  Helgi  htun  ?nagri\ 
es  ist  der  erste  Versuch  eines  Saga -Dramas  und  zur  Feier  der 
tausendjährigen  Besiedelung  des  Eyja/jördzir  durch  Helgi  den  Magern 


256  Akureyri.     Matthias  Jochumsson. 

gedichtet;  1900  Jon  Arason:  der  letzte  katholische  Bischof  aus 
Island;  1901  Aldamöt  (die  Begegnung  der  Jahrhunderte),  ein  Schau- 
spiel mit  Gedichten  und  Chören.  Für  das  Lcikhüs  in  Akureyri  hat 
er  Holbergs  „Jeppe  paa  Bjerget"  übersetzt,  Hostrups  ,,Genboerne", 
,,Den  Tredje",  Heibergs  ,,Nej"  und  anderes,  aber  die  Übersetzungen 
nicht  durch  den  Druck  veröffentlicht. 

Alatthi'as  liebt  es,  Männer  zu  schildern,  die  dasselbe  kräftige, 
volkstümliche  Gepräge  haben  wie  er  selbst.  Wie  er  Jon  Arason 
in  seiner  grössten  und  besten  dramatischen  Dichtung  mit  kräftigen 
Strichen  leibhaftig  vor  uns  hinstellt,  so  hat  er  in  dem  Liederzyklus 
von  Grettir  (Grettisljöd)  dem  beliebtesten  Sagahelden  Fleisch  von 
seinem  Fleische,  Leben  von  seinem  Leben  gegeben :  in  dem  fried- 
losen und  verfolgten  Recken  sahen  die  Isländer  und  der  Dichter 
ein  Bild  ihres  eigenen  Schicksals.  Keinen  Augenblick  bleiben  wir 
in  Zweifel,  dass  der  Dichter  ein  Geistlicher  und  ein  Isländer  ist : 
die  kraftvollen  Töne  des  Psalmisten  klingen  ebenso  mächtig  an, 
wie  die  mythengetränkte  Sprache  der  Skalden  und  die  knappe 
Einfachheit  der  alten  Sagas.  In  der  Hymne  ,,zur  Erinnerung  an  die 
looojährige  Besiedlung  Islands  1874"  braust  es  wie  Posaunenton 
mit  dem  Sänger  des  90.  Psalmes,  zuweilen  an  Klopstock  erinnernd: 

Gott  unsers  Landes,  sei  gelobt ; 

Du  strahlst  in  ewigem,   ewigem  Glanz! 

Deine  Heerschar  der  Zeiten,  sie  flicht  dir  zum  Ruhm 

Aus  Sonnenlichtgarben  den  Kranz. 

Ein  Tag  ist  für  dich   so  wie  tausend  Jahr, 

Ein  Jahrtausend  ein  Tag,  der  verglüht, 

Ein  Ewigkeitsblümlein  mit  zitternder  Trän, 

Das  Gott  anbetend  verblüht. 

Islands  tausend  Jahr, 

Islands  tausend  Jahr   — 
Ein  Ewigkeitsblümlein  mit  zitternder  Trän, 
Das  Gott  anbetend  verblüht '). 

Oder  Hallgn'mur  wird  mit  David  verglichen,  der  Zehntausend 
schlug,  Saul  aber  nur  Tausend : 

Ein  Mann  ist's,  hell  umstrahlt  von  Ruhmesglanz, 
Der  König  David  dieses  Gletscherlands, 
Ein  Volksheld  auf  dem  Totenbett  hier  liegt, 
Auch  dieser  hat  Zehntausend  wohl  besiegt. 

Aber  wenn  Matthias  das  Polareis  schildert,  das  einsperrende 
und  Hungersnot  bringende,  dann  nennt  er  die  Eisschollen  „Heljar- 
diskar" : 


1)  Pöstion,  Eislandblüten  S.  163,  166;  in  der  Charakteristik  habe  ich  manchen 
Zug  aus  Olaf  Hansen  geliehen  und  weiter  ausgeführt.  Das  ganze,  sehr  schöne  Ge- 
dicht „Eggert  Ölafsson"  hat  Pöstion  verdeutscht,  Eislandblüten,  S.  168  —  170. 


Akureyri.     Matthias  Jochumsson.  257 

Hei  steht  im  Steven  vorn  —  und  das  heisst  Sterben, 
Schon  streut  die    „Hungerteller"    sie  aufs  Meer. 

Jonas  J lalign'iiissoii  hatte  dem  Andenken  von  Eggert  Öla/sson, 

dem  glühenden  Patrioten,  bedeutenden  Dichter  und  unvergleichHchen 

Schilderer  der   geliebten    Heimat,  in  seinem    ,,Lied  von  der  Hulda" 

ein  poetisches  Denkmal  gesetzt  {(Hnlduljöd),  schlicht  wie  die  Stimme 

des  Brachvogels  vom  Steinhügel  klingt ;  er  hatte  den  Toten  wie  die 

Wala  aus  der  Tiefe  gerufen  und  sein  Volk  angefleht,  dessen  Stimme 

zu  hören,   wenn  es  seine  Eigenart    bewahrt  wissen  wollte;    und  der 

Tote  hat  seine  Mission  erfüllt,    ganz    Island  kennt  nunmehr  Eggert 

Ölafssoiis  grosse  Verdienste.    Wenn  Sira  Matthias  Eggert  Olafsson 

besingt,  dann  weiss  er,  dass  jetzt  ein  leises  Anklingen  des  Akkordes 

genügt,  um  den  unendlichen  Schmerz  über  den  zu  früh  Verstorbenen 

bei  allen  Landsleuten  unnennbar  zu  erregen.   Bei  Jonas  wird  Eggert 

als   der    ,, kluge  Mann"    und  Sänger   der   Natur   und  des  Landlebens 

gepriesen : 

Das  war  Eggert  Olafsson, 
Jung  und  flink,   an  Ehren  reich. 

Matthias  aber  braucht  nur  einen  Tag  aus  Eggerts  Leben 
herauszugreifen,  seinen  Todestag,  als  er  im  Mai  1768  vom  Berge 
Skor  nach  seinem  neuerbauten  Gehöft  abfuhr  und  im  Brcidifjördiir 
ertrank,  und  alle  Welt  auf  Island  weiss,  um  wen  es  sich  dabei 
handelt.  Dem  Fremden  ist  er  nur  ein  edler  Mann,  der  mutig  trotz 
Sturm  und  Wogenbraus  aufs  Meer  geht;  der  Isländer  zuckt  zu- 
sammen, wenn  nur  der  Name  ertönt :  Eggerts  Geist  lebt  noch  unter 
Eggerts  Volk : 

„Das  war  Herr  Eggert  Ölafsson^\ 

Seufzt  Islands  Schutzgeist  schwer; 
„Wahrhaftig,   einen  bessern  Mann 

Bewein'  ich  nimmermehr!"    — 

Fast  eine  Woche  Zeit  haben  wir,  bis  der  Dampfer  kommt ;  da 
können  wir  getrost  das  Wichtigste  aus  der  Geschichte  von 
Akureyri  uns  vergegenwärtigen. 

Helgi  der  Magere,  ein  Norweger,  der  Sohn  des  Ostländers  Eyvtndr ,  siedelte 
890  im  Norden,  am  Eyjafjüräitr,  daher  stammen  die  Eyfirdingar  (die  Bewohner  der 
Inselbucht)  —  so  heisst  es  kurz  in  Aris  Isländerbuch  (K.  2).  Dieser  Helgi  war  ein 
wunderlicher  Heiliger,  ein  interessantes  Gegenstück  zu  dem  Heiden  Hrafnkell ,  der 
es  für  eine  Torheit  hielt,  an  Götter  zu  glauben  und  doch  einen  neuen  Godenbezirk 
gründete.  Heidnischer  und  christlicher  Glaube  wohnen  nebeneinander  in  seiner  Brust, 
aber  von  einem  tieferen  religiösen  Gefühle  bei  Helgi  kann  man  kaum  sprechen,  von 
einem  seelischen  Konflikt  vollends  ist  keine  Spur  vorhanden;  sondern  je  nach  dem 
er  Vorteil  erwartet ,  wendet  er  sich  an  den  weissen  Christ  oder  an  den  Donnergott 
Thor.  Aber  für  einen  modernen  Dramatiker  müsste  sein  Schwanken  zwischen 
Christentum  und  Heidentum  einen  prächtigen  Stoff  abgeben,  etwa  wie  bei  Julian  in 
Ibsens   „Kaiser    und  Galiläer"  ,    und  es  ist    auffallend,    dass  Sira  Matthias   in  seinem 

Herrmann,  Island  II.  17 


258  Aus  der  Geschichte  von  Akureyri. 

Drama  „Helgi  der  Magere"  dieses  Problem  nicht  einmal  gestreift  hat.  Helgt  war  in 
Island  und  auf  den  Hebriden  erzogen ,  hatte  die  Taufe  empfangen  oder  war  wenig- 
stens mit  dem  Kreuze  bezeichnet  und  heiratete  in  eine  christliche  Familie  hinein ;  sein 
Schwager  war  jener  Ketill  hinn  fiflski,  der  sich  in  Kirkjiibcer  niederliess,  und  dessen 
Nachkommenschaft  sich  das  Christentum  erhielt,  bis  in  die  Zeit,  da  es  durch  Dank- 
brand  auf  Island  gepredigt  wurde.  Dennoch  war  Helgi  nur  halbwegs  christlichen 
Glaubens:  er  nannte  zwar  seine  Niederlassung  im  Kyjafjördur  Vorgebirge  Christi, 
Krisisnes,  wandte  sich  aber  in  allen  Notfällen,  zumal  wenn  es  sich  um  eine  Seefahrt 
handelte,  an  Thor;  er  fragte  Thor  um  Rat,  wo  er  sich  auf  Island  niederlassen  sollte 
und  nahm  von  dem  Lande  Besitz  vermittelst  der  altheidnischen  Feuerweihe.  Seine  Söhne 
Hrölfr  und  Ingjaldr  sind  wieder  völlige  Heiden  (Lnd.  III,    12). 

Die  Sagas,  die  am  Eyjafjördiir  und  östlich  davon  spielen  (Reyk- 
dcela  Saga  vergl.  S.  234  V/ga-Sküfu  Saga)  berichten  zwar  auch  von 
Kämpfen  und  Streitigkeiten,  aber  es  fehlt  ihnen  der  heroische  Zug  der 
Geschichte  des  Westlandes.  Sühne,  Ächtung  auf  Zeit  oder  Verweisung 
aus  dem  Bezirke,  Geldbusse  überwiegen  die  Verbannung  auf  Lebens- 
zeit. Ein  kleinbäuerlicher  Ton  zieht  sich  durch  die  Erzählungen  ^). 
Im  Munkapverd  Kloster  und  im  Kloster  von  Saurbccr  mögen  sie 
entstanden  sein,  wenn  man  Geistliche  als  Verfasser  annehmen  darf ; 
jedenfalls  tritt  überall  gute  Lokalkenntnis  zutage. 

Am  nordwesthchen  Gestade  des  Eyjafjördur  spielt  der  Kern  der  Svarfdcela- 
Saga:  er  behandelt  die  Fehden  des  Porsteinn  Svörfiidr  mit  dem  Goden  Ljötölfr. 
Eine  Fortsetzung  davon  ist  die  kleine  Valla-Ljötssaga :  sie  lässt  den  Streit  durch 
den  Goden  Ljöt  Ljötölfsson  und  Halli  Sigmundsson  wieder  aufleben.  In 
Mödruvellir  an  der  Eyjafjardard,  südlich  von  Akureyri  —  nicht  in  dem  von  mir 
besuchten  Mödruvellir  im  Hürgdrdalur  —  lebte  Gudmundr  der  Mächtige  (f  1025), 
der  im  Verein  mit  seinen  beiden  Söhnen  mit  dem  Goden  Porgeirr  und  den  Leuten 
vom  Ljösavatn  fortwährend  Streitigkeiten  hatte  ( Ljösvetninga  Saga).  Die  Reyk- 
dcvla-Saga  hat  die  Fehden  des  Vemundr  und  Skuta  im  Reykjadalur,  östlich  vom 
Eyjafjördur,  zum  Inhalt '). 

Nördlich  von  Mödruvellir  liegt  Pverd  oder  Munkapverd,  das 
zweite  Benediktinerkloster  auf  Island,  1 155  gegründet.  Hier  siedelten 
sich  die  Vorfahren  des  Skalden  Viga-Glicmr  an,  aus  dessen  Ge- 
schichte wir  später  mehr  erfahren  werden. 

Von  Kaupangr  endlich,  südlich  von  Akureyri,  am  anderen  Ufer  des  Fjordes, 
erzählt  eine  Volkssage,  dass  es  früher  Bildsä  geheissen  habe ;  hier  war  es,  wo  Helgt 
der  Magere  den  ersten  Winter  zubrachte,  zur  Zeit  einer  Hungersnot  aber  wurde  es  um 
einen  Spottpreis  verkauft.  Auch  von  dem  südlich  gelegenen  Gehöfte  Grund,  das  ich 
später  besuchte,  wird  berichtet,  dass  es  aus  Not  verkauft  worden  sei,  und  zwar  um 
einen  Schafschlegel.  Als  der  frühere  Besitzer  dann  einmal  an  dem  stattlichen  Gehöfte 
vorüberritt ,  auf  dem  er  selbst  so  manches  Jahr  gesessen  hatte ,  sprach  er  seufzend 
den  Vers : 

Komme  ich  vorüber  hier, 

Drückt  es  schwer  die  Seele  mir, 

Grund  ist  eine  wahre  Zier : 

Gott  weiss,  ob  der  Hof  bleibt  dir. 

1)  Mogk,   Geschichte  der  Norweg.-Isl.   Literatur  S.  764. 

2)  Eine  umfangreichere  Volkssage  „Sigridur,  die  Sonne  des  Eyjafjördur"  bei 
Lehmann-Filhes,  Isl.  Volkssagen,  II,   S.   146—158. 


Aus  der  Geschichte  von  Akureyri.     Mödruvellir.  259 

Akureyri  ist  seit  1862  Kaufstadt  und  verdient  mit  vollem 
Rechte  den  Namen  „Hauptstadt  des  Nordlandes".  Sic  hatte  181 5 
nur  drei  Kaufmannshäuser  und  18 — 20  Fischerhütten,  1871  bis  314 
Einwohner,  1880  bis  545  und  heute  mit  Oddeyri  zusammen  1 500  bis 
1600.  Sie  ist  Sitz  des  Bürgermeisters  (BcBJarfögeti),  der  zugleich 
Sysliuiiadiir  ist  —  früher  wohnte  dieser  im  Mö'druvalla  Klaushtr, 
jetzt  bekleidet  Gudlatigur  Gudmiindsson  aus  Kirkjubcrr  diesen 
Posten  — ,  hat  ein  Krankenhaus  mit  zwei  Ärzten,  Apotheke,  Theater, 
Kirche,  Volksschule  und  Realschule.  Eine  Woche  vor  unserer  An- 
kunft war  auch  eine  Molkerei  auf  Anteilscheine  gegründet,  die  Zahl 
der  Teilnehmer  betrug  23 ,  aber  man  erwartete  weiteren  An- 
schluss;  endlich  hat  sich  hier  eine  Aktiengesellschaft  zur  Gründung 
einer  Tuchfabrik  gebildet,  die  mit  Wasserkraft  betrieben  wird;  die 
Maschinen  stammen  aus  Deutschland.  Hier  legen  alle  Dampfer  an, 
die  Island  umfahren,  hier  ist  die  Hauptstation  der  zahlreichen  Hai- 
fischschiffe des  Nordlandes.  Aber  den  glänzenden  Aufschwung,  den 
Akureyri  genommen  hat,  und  der  ohne  Zweifel  noch  von  Jahr  zu 
Jahr  zunehmen  wird,  verdankt  sie  den  Norwegern.  1868  kamen 
die  ersten  Norweger  hierher,  1884  waren  etwa  1800  Norweger  im 
Nordland  ansässig.  Der  Fang  des  Herings  wird  fast  ausschliesslich 
von  Norwegern  betrieben,  die  meist  aus  Haugesund  stammen.  In 
diesem  Jahre  war  der  Heringsfang  äusserst  lohnend,  namentlich  im 
Siglufjördur  wimmelte  es  geradezu  von  norwegischen  Segel-  und 
Dampfschiffen.  Sie  bauen  da  auch  ein  Haus  nach  dem  anderen 
und  erhalten  von  den  Isländern  das  beste  Zeugnis.  Auch  die  Boot- 
fischerei war  recht  verlockend,  doch  macht  sich  Mangel  an  ein- 
heimischen Arbeitskräften  bemerkbar.  — 

Mit  Freuden  nahm  ich  die  jMitteilung  von  meinem  Führer  auf, 
dass  es  Herrn  Stefan  Stefdnsson  in  Mödruvellir  sehr  angenehm 
sein  würde,  wenn  ich  ihn  besuchte.  Mödruvellir  liegt  an  der  nord- 
westlichen Seite  des  Hörgdrdalur  (Fig.  114).  Der  Weg  dahin  führt 
die  Küste  entlang  über  ziemlich  unebenes  Gelände  von  Basalt- 
terrassen mit  dazwischen  liegenden  Mooren,  die  Entfernung  beträgt 
etwa  zwei  Meilen.  Der  Hörgdrdalur  erstreckt  sich  von  S.  W.  zum 
Eyjafjördur ,  wird  durch  das  Zusammenstossen  des  Öxnadalur 
(Ochsental)  und  des  eigentlichen  Hörgdrdalur  gebildet  und  von 
der  Hörgd  durchströmt.  Diese  ist  zwar  ein  ansehnlicher,  aber  im 
allgemeinen  ruhiger  Fluss,  kann  jedoch  so  anschwellen,  dass  der 
Übergang  lebensgefährlich  wird.  Der  verdiente  isländische  Gelehrte 
Ölafnr  Dav/'dsson,  der  im  Sommer  botanische  Exkursionen  unter- 
nahm, im  Winter  volkskundliche  und  literarische  Studien  trieb. 
Sagen  sammelte  und  ein  sehr  tüchtiges  Werk  „hlenzkur  Pjödsögur" 
in  mehreren  Bänden  herausgegeben  hat,  hat  in  der  Hörgsd  am 
6.  September  1903  den  Tod  gefunden.  Ölafiir  war  von  einem 
botanischen  Ausfluge  zurückgekehrt,  die  Botanisiertrommel  und  eine 

17* 


260 


Mödruvellir. 


Reisetasche  waren  voller  Steine ;  das  Pferd  muss  in  dem  unerwartet 
stark  angeschwollenen  Strome  ausgeglitten  sein,  die  schwere  Aus- 
rüstung liess  ihn  nicht  wieder  in  die  Höhe  kommen,  obwohl  er 
sonst  ein  tüchtiger  Schwimmer  war,  und  so  musste  er.  3 1  Jahre  alt, 
elend  ertrinken. 

Bei  ]\Iödruvellir  ist  der  Hörgdrdahir  etwa  eine  Meile  breit  und 
wird  nach  N.W.  von  etwa  2000  dänischen  Fuss  hohen  Bergen  be- 
grenzt,   während    auf    der    südwestlichen  Seite    einige    Spitzen   eine 


Fig.   114.     Mödruvellir. 


Höhe  von  3000  Fuss  und  darüber  erreichen.  Noch  am  Ende  des 
18.  Jahrhunders  war,  wie  zur  Sagazeit,  der  östliche  Teil  des  Tales 
ganz  mit  Wald  bewachsen,  jetzt  ist  dieser  völlig  verschwunden ;  aber 
das  Tal  ist  dicht  besiedelt,  die  Gehöfte  machen  durchweg  einen 
stattlichen  wohlhabenden  Eindruck.  Als  Thoroddsen  1896  das 
nördliche  Island  durchforschte  und  nach  12  jähriger  Abwesenheit 
wieder  nach  der  Stätte  seiner  früheren  Tätigkeit  kam  —  er  war 
Lehrer  an  der  Realschule  daselbst  gewesen  und  hatte  Naturgeschichte, 
Geographie,  Dänisch,  Geschichte  und  Rechnen  unterrichtet  — ,  war 
er  freudig  überrascht    von  den  grossen  Fortschritten,    die  er  überall 


Mödruvellir.  261 

wahrnahm,  neue  Holzbauten  waren  entstanden,  und  namentlich  war 
viel  zur  Verbesserung  des  Bodens  geschehen  ^j. 

In  Mödruvellir  gründeten  die  Augustiner  1295  ein  Kloster,  das  bis  zu  seiner 
Aufhebung  1546  bestand,  wo  es  an  die  dänische  Krone  kam.  Bei  Ausgrabungen,  die 
man  hier  vornahm,  fand  man,  dass  die  alten  Gebäude  vom  Fundament  an  aus  Grasssoden 
aufgeführt  waren,  die  Aussen-  und  Innenränder  der  Mauern  ruhten  auf  einer  doppelten 
Reihe  von  flachen  Steinen,  die  Dicke  der  Mauern  betrug  5  Fuss  ^).  1461  besass  das 
Kloster  ein  Exemplar  der  Skjöl dunga-Sagci  (Dipl.  isl.  V,  S.  290),  die  die  Geschichte 
der  mythischen  Könige  Dänemarks  enthielt;  sie  ist  uns  leider  verloren  gegangen,  doch 
sind  uns  Auszüge  aus  ihr  erhalten  in  der  lateinisch  geschriebenen  „Geschichte  des 
alten  Dänemarks"  des  Arngrimur  Jönsson,  desselben  Gelehrten,  der  für  die  prosai- 
sche Edda  die  Verfasserschaft  Snorris  erwies  (vergl.  I,  S.  89).  Für  die  neu  er- 
wachte Sa.ro-Forschung  und  damit  für  die  Literaturgeschichte  des  Nordens  überhaupt 
hat  diese  Saga  insofern  noch  erhöhtes  Interesse,  als  sie,  wie  Axel  Olrik  gezeigt 
hat,  eine  der  wichtigsten  Quellen  Saxos  war.  1783  erhielt  hier  der  Oberamtmann 
des  Nord-  und  Ostamtes  seinen  Sitz,  siedelte  aber  1874  nach  Akiireyri  über,  als  eine 
Feuersbrunst  seine  Wohnung  zerstörte.  1833  —  41  war  Bjarni  Thörarensen  hier 
Amtmann,  der  Dichter  der  isländischen  Nationalhymne.  Sein  Grab  ist  noch  heute  auf 
dem  Friedhofe  bei  der  Kirche  zu  sehen,  und  ehrfürchtig  blickten  wir  auf  die  Stätte, 
wo  der  irdische  Rest  des  grossen  Mannes  ruht,  dessen  Poesie  das  Gebirge  Islands 
seine  Erhabenheit ,  der  Wasserfall  seine  Energie ,  der  Vulkan  sein  Feuer  und  der 
Schnee  seine  Reinheit  verliehen  hat,  wie  Grimur  T/lomsen  von  ihm  rühmt  (Pöstion, 
Isl.  Dichter  S.  296).  An  Stelle  des  abgebrannten  Amtshauses  erhob  sich  am  i.  Ok- 
tober 1880  eine  Realschule,  die  mit  drei  Lehrern  und  35  Schülern  eröffnet  wurde. 
Bezeichnend  für  die  Kenntnis,  die  man  in  Dänemark  damals  noch  von  Island  hatte, 
ist,  dass  man  für  das  Fundament  für  400  Kr.  Quadersteine  aus  Norwegen  kommen 
Hess,  während  in  dem  an  Steinen  gesegneten  Island  für  20  Öre  Zement  genügt 
hätten!  Bis  1901  ist  die  Schule  von  330  Schülern  besucht  worden,  208  davon  haben 
hier  die  Abschlussprüfung  bestanden,  tüchtige  Bauern,  Kaufleute,  Wanderlehrer,  Hand- 
werker, ein  Arzt  und  ein  Organist  sind  aus  ihr  hervorgegangen.  Gelehrt  wurde: 
Isländisch,  Dänisch,  Englisch,  Geschichte  und  Geographie,  Chemie,  Gesang.  Aber  ein 
seltsamer  Unstern  schwebte  über  den  Gebäuden.  Seit  1376,  wo  das  Kloster  und  die 
Kirche  abbrannten,  hat  im  ganzen  sechsmal  das  Feuer  hier  gewütet;  nach  dem  letzten 
Brande,  dem  das  ganze  Schulgebäude  mit  allen  Einrichtungen  zum  Opfer  fiel,  hat  man 
beschlossen,  die  Realschule  nach  Akureyri  zu  verlegen  ^). 

Herr  Stefan  Stefdnsson,  der  uns  gütig  eingeladen  hatte,  ist 
ein  vorzüglicher  Botaniker,  vielleicht  der  beste  auf  Island.  Er  hat 
eine  ausgezeichnete  ,, Flora  Islands"  geschrieben  mit  127  lebens- 
wahren Abbildungen,  eine  wertvolle  Studie  über  isländische  Futter- 
und  Weidekräuter  veröffentlicht  und  dem  Dichtergott  Bragi  durch 
ein  Schauspiel  in  drei  Akten  gehuldigt,  Pröfastsdöttirin  (die  Propst- 
tochter), das  1882  am  Gymnasium  zu  Reykjavik  und  1884  von  den 
in  Kopenhagen  lebenden  Isländern  aufgeführt  wurde.  Übrigens  sind 
von  den  Realschülern  wiederholt  dramatische  Aufführungen  veran- 
staltet worden,  1890  ist  ein  Märchenstück  ,, Aschenbrödel"  aufgeführt 
( Ölnbogabarnid) ,    eine    freie  Übertragung    der    englischen  Operette 

1)  Thoroddsen,  Fra  det  nordlige  Island,   Geogr.   Tidskr.  XIV,   1896,   S.  11. 

2)  Bruun,  Nordboerner  Kulturliv  I,  S.  88;  Arkseologiske  Undersögelser 
S.  22. 

y)  Minnigarrit  Mödriivallaskölans.     Um  timabilid  1800— 1900,  R.  1901. 


262  Mödruvellir.      Skrida.      Dampferverkehr  in  Akureyri. 

„Cinderella"  von  Farmen  und  H.  S.  Leigh^).  Herr  Stefan  ist 
endlich  einer  der  tüchtigsten  Bauern  und  hat  sich  den  Fortschritten 
nicht  verschlossen,  die  eine  höhere  Kultur  und  weiter  entwickelte 
Technik  gebracht  haben.  Der  für  20  Kühe  eingerichtete  Stall  z.  B. 
würde  jedem  Rittergute  bei  uns  zur  Ehre  gereichen,  und  die  Ein- 
richtung des  Hauses  verrät  überall  den  wohlhabenden,  feingebildeten 
Mann;  das  Haus  ist  sogar  mit  elektrischer  Leitung  versehen.  Um 
sein  Laboratorium  würde  ihn  mancher  Kollege  in  Deutschland  be- 
neiden, seine  Bibliothek  ist  nicht  nur  an  naturwissenschaftlichen 
Werken  reich,  sondern  auch  an  Reisebeschreibungen,  von  Anderson 
bis  Kahle.  Statt  mit  Sherry  und  Portwein  wurden  wir  mit  eng- 
lischem Porter  und  einem  vorzüglichen  dänischen  Rum  (aus  St. 
Croix)  bewirtet,  nur  allzu  schnell  flössen  die  Stunden  dahin.  Als 
wir  schon  zu  Pferde  gestiegen  waren,  wurde  noch  eine  Hesiaskdl, 
ein  Satteltrunk,  kredenzt  (deutsch  etwa:  „aus  dem  Stegreif",  gälisch 
Doch  an'  Dorrach  ,, Steigbügelbecher",  wie  ich  zufällig  in  Edinburgh 
gelernt  hatte).  Dabei  fiel  mein  Blick  von  ungefähr  auf  ein  verrostetes 
Beil,  das  achtlos  vor  der  Freitreppe  lag,  die  zu  dem  stattlichen 
Holzhause  führte :  es  war  das  Beil,  mit  dem  die  letzte  Hinrichtung 
stattgefunden  hatte.  Lachend  erzählte  ich  ihm,  dass  jahrelang  in 
Deutschland  auf  Jahrmärkten  das  Beil  gezeigt  sei,  mit  dem  ein  be- 
kannter Berliner  Scharfrichter  die  Hinrichtungen  vorgenommen  hatte, 
und  empfahl  ihm,  die  Reliquie  einem  Budenbesitzer  bei  uns  zu  ver- 
kaufen. Bevor  er  noch  Zeit  gefunden  hatte,  sich  meinen  Vorschlag 
zu  überlegen,  hatten  wir  schon  die  Pferde  angetrieben  und  galop- 
pierten weiter  nach  dem  Gehöfe  Skrida,  das  wir  in  dreiviertel 
Stunden  erreichten. 

Skrida  hat  einen  gewissen  Ruf  dadurch,  dass  hier  die  höchsten 
Bäume  Islands  stehen  sollen,  wenigstens  die  höchsten  Vogelbeer- 
bäume; es  sind  12,  ca.  22  Fuss  hohe  Bäume,  die  in  einem  rechten 
Winkel  gepflanzt  sind,  leider  sind  drei  bereits  eingegangen;  aber  ich 
finde  es  löblich,  dass  der  Bauer  sie  hat  stehen  lassen  und  nicht  zu 
Brennholz  abgehackt  hat  (Fig.    1 1 5). 

Am  3.  August  war  der  schmucke  ,,Egill"  von  der  Vathne-Linie 
gekommen,  am  4.  lief  die  ,,Vesta"  ein,  in  der  Nacht  soll  ,,jModesta" 
von  der  Tulinius-Linie  eintreffen  —  ein  wirklich  lebhafter  Verkehr! 
Mit  der  „Vesta"  waren  auch  zwei  Schweine  gekommen,  wir  waren 
Zeugen,  wie  sie  von  dem  Bäcker,  der  sie  bestellt  hatte,  in  ihren 
Stall  gebracht  wurden,  und  wie  die  Kühe  mit  unwilligem  Gebrumm 
die  frechen  unbekannten  Eindringlinge  eintreiben  halfen.  Halb 
Akureyri  war  auf  den  Beinen,  um  sich  die  Schweine  anzusehen, 
besonders  die  liebe  Jugend  und  die  Frauen.  Denn  Schweinevieh 
und  Borstenspeck    sind    nicht  bei  den  Isländern  ein  idealer  Lebens- 


1)  Pöstion,  Das  isl.   Drama.   S.   73  Anm. 


Skrida 


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264  Skrida.     Viga-Glümssaga. 

zweck,  wenigstens  heute  nicht  mehr.  Gerade  in  Akureyri  aber  war 
es  gewesen,  wo  Helgi  dem  Mageren  beim  Landen  mehrere  Schweine, 
darunter  der  Eber  Sölvi  entwischt  waren;  sie  verHefen  sich  in  die 
Wälder  und  wurden  erst  nach  drei  Jahren,  fünf  Meilen  südlicher, 
im  Sölvadalr,  auf  70  angewachsen,  wieder  gefunden  (Lnd.  III,  12). 
Ähnlich  erging  es  dem  alten  Iiigiumiidr,  der  zwischen  890  und  894 
nach  Island  kam,  westlich  von  Eyjafjördiir.  Auch  ihm  entsprangen 
mehrere  Schweine,  und  als  man  sie  im  nächsten  Jahre  wieder  fand, 
hatten  sie  sich  auf  120  vermehrt,  waren  aber  arg  verwildert 
(Vatnsd.  S.   15). 

Zum  letzten  Male,  zum  letzten  Ritt  ins  alte  romantische  Land, 
wurden  die  Pferde  bestiegen,  es  galt,  den  Schauplatz  der  Vi'ga- 
Glüms  Saga  kennen  zu  lernen:  Mödmvellir  im  Hörgdrdalr  und 
Mödruvellir  am  südlichen  Eyjafjürdur,  Hri'sey,  Myrkd,  die  warmen 
Quellen  bei  Hrafnagil  (Hrafnagilslaiig),  Myvatn,  Mu7ikapverd, 
Kaiipangr,  die  VadlaJieidi  und  viele  andere  Ortschaften,  die  noch 
heute  bestehen,  werden  in  ihr  erwähnt.  Zwanzig  Jahre  lang  hat 
der  Häuptling  und  Dichter  Ghunr  mit  Gewalt  und  List  die  Gegend 
am  südlichen  Eyjajjördiir  beherrscht ;  zwanzig  weitere  Jahre  hindurch 
hat  es  keine  mächtigeren  Männer  gegeben  als  solche,  die  ihm  eben- 
bürtig waren,  von  allen  waffentüchtigen  Leuten  im  Eyjafjördiir  hat 
Gli'imr  sich  als  der  tüchtigste  erwiesen.  Prächtig  ist  die  Charakte- 
ristik ,  die  von  ihm  entworfen  wird.  Die  germanische  Helden- 
dichtung schildert  den  Helden ,  bevor  er  erwachsen  Proben  seines 
Mutes  und  seiner  Tapferkeit  ablegt,  gern,  wie  er  während  seiner 
Tölpeljahre  kaum  den  Mund  zur  Rede  auftut  und  blöde  im  Hause 
oder  am  Herde  herumlungert.  So  ist  auch  Gliiiur  ein  träger  Junge, 
schweigsam  und  teilnahmslos,  und  kümmert  sich  wenig  um  die 
häuslichen  Angelegenheiten.  Von  Wuchs  ist  er  hoch,  von  Haut- 
farbe etwas  dunkel,  er  hat  lichtes  Haar,  ist  schlank,  aber  unbeholfen 
und  meidet  die  Gesellschaft  der  Leute.  Nach  einer  schmählichen 
Verhöhnung  von  selten  eines  Feindes  ,, überfiel  ihn  ein  solcher  Lach- 
krampf, dass  er  ganz  blass  im  Gesichte  wurde,  und  aus  seinen 
Augen  Tränen  gleich  grossen  Hagelkörnern  fielen"  (K.  23).  Für 
den  Kultus  des  Gottes  Ereyr,  für  Pferdekämpfe,  wie  sie  ganze 
Distrikte  gegeneinander  ausfochten ,  und  für  einzelne  juristische 
Fragen,  zumal  für  eine  jesuitische  Eidesabiegung  ist  die  Saga  von 
höchster  Bedeutung^). 

Während  Glüms  Aufenthalt  in  Norwegen  stirbt  sein  Vater  Eyjölfr  auf  seinem 
Gehöfte  Pverä.  Porkeil  vom  Mi'ivatn ,  der  Schwiegervater  von  Gliims  früh  ver- 
storbenem Bruder,  zieht  mit  seinem  Sohne  Sigmundr  dorthin  und  beginnt  dem  Erbe 


1)  Viga-Gltim.  Eine  germanische  Bauerngeschichte  der  Heidenzeit.  Aus 
dem  Altisländischen  frei  und  verkürzt  übertragen  von  Dr.  Ferdinand  Khull,  Graz 
1888. 


Akureyri.     Viga-Glümssaga.     Grund.  265 

der  Witwe  des  Eyjölfr  nachzustellen;  die  Witwe  Astridr  und  Glümr  müssen  sich 
mit  dem  Teile  begnügen,  auf  dem  kein  Haus  steht.  Sic  wird  verdächtigt,  dem  Porkeil 
zwei  Färsen  gestohlen  zu  haben  und  muss  auf"  einen  wertvollen  Acker  Vitazgjafi, 
verzichten  (Sichergeber),  der  nie  ohne  Frucht  war,  obwohl  bei  der  Verteilung  der 
Ländercien  ausgemacht  war,  dass  beide  Teile  den  „Sichergeber"  je  einen  Monat  be- 
nutzen sollten.  Glitmr  rächt  die  Vergewaltigung,  während  alle  andern  sich  vor  dem 
mächtigen  Porkell  ducken  und  tötet  den  Sigmundr.  Schliesslich  gelangt  er  wieder 
in  den  Besitz  seines  Vatererbes.  Porkell  muss  das  Land  verlassen;  da  ging  er,  einen 
alten  Ochsen  mit  sich  führend,  zum  Tempel  des  Freyr  und  sprach:  „Freyr,  Du  bist 
lange  mein  Freund  gewesen,  wert  des  vollen  Vertrauens,  Du  hast  viele  Ochsen  von 
mir  entgegengenommen  und  mir  wohl  gelohnt !  Nun  bringe  ich  Dir  diesen  Ochsen  dar 
mit  der  Bitte,  lass  den  Glümr  ebenso  gegen  seinen  Willen  vom  Pverärland  gehen, 
wie  ich  es  jetzt  tue,  und  gib  mir  ein  Zeichen,  ob  Du  die  Gabe  nimmst  oder  nicht." 
Der  Ochse  aber  ward  erschlagen,  dass  er  brüllend  tot  zusammenfiel;  dem  Porkell 
schien  das  Zeichen  gut,  und  er  ward  nun  fröhlicher,  da  er  meinte,  der  Gott  hätte 
seine  Bitte  angenommen. 

Einige  Zeit  darauf  träumte  dem  Glümr,  dass  viele  Leute  zu  Pverä  Freyr 
zu  besuchen  kämen  (d.  h.  zum  Tempel  des  Freyr) ,  und  ein  grosser  Zusammenlauf 
wäre,  Freyr  aber  sass  auf  einem  Stuhle.  Er  glaubte  sie  zu  fragen,  wer  sie  wären, 
und  sie  erwiderten:  „Wir  sind  deine  verstorbenen  Gesippen  und  bitten  jetzt  Freyr, 
dass  du  vom  Pverärland  nicht  vertrieben  werdest;  aber  es  hilft  nichts,  Freyr  ant- 
wortet kurz  und  erzürnt  und  gedenkt  der  Rindergabe  des  Porkell".  Da  erwachte 
Glümr  und  behauptete  fortan,  er  stünde  jetzt  schlechter  mit  Freyr. 

Glümr  muss  wirklich  seinen  Hof  an  den  Bruder  des  mächtigen  Gitdmiindr 
abtreten  und  darf  sich  nicht  näher  niederlassen  als  im  Hörgärdalar.  Er  kauft  sich 
im  Oxnadalr  an,  und  damit  beginnt  der  Wendepunkt  seines  Lebens.  Als  das  Christen- 
tum Eingang  findet,  nimmt  er  die  Taufe  (looo),  lebt  noch  drei  Winter,  wird  im  Toten- 
bette vom  Bischof  eingesegnet  und  stirbt  in  den  weissen  Kleidern.  Aber  bevor  er 
stirbt,  fühlt  er  noch  einmal  das  Verlangen,  seine  alten  Heldenkraft  zu  zeigen  und  hilft 
einigen  Verwandten,  die  einen  Totschlag  begangen  haben.  Der  Streit  endet  jedoch 
mit  einem  Vergleiche,  der  ihm  wenig  behagt,  in  der  bitteren  Klage  macht  er  seinem 
Missmute  Luft: 

Leid  ist  mir  das  Leben 
Auf  der  Welt  geworden, 
Das  Alter  ist's. 
Das  den  Dichter  erdrückt.    — 

In  Grund  hatte  ich  noch  einmal  Gelegenheit,  mich  von  dem 
Wohlstande  zu  überzeugen,  zu  dem  ein  tüchtiger  Landwirt  auch  auf 
Island  gelangen  kann.  Das  Tiiii  war  völlig  geebnet,  und  der  Bauer, 
Magnus  Sigiirdsson ,  hatte  mit  der  zweiten  Ernte  zusammen 
30000  Pf.  Heu  eingebracht.  Er  ist  einer  der  reichsten,  jedenfalls 
der  wohltätigsten  Isländer.  Nach  der  Bewirtung  mit  Kaffee  und 
Whisky  führte  er  uns  auf  dem  stattlichen  Hofe  umher  und  sprach 
davon,  sich  einen  Motorwagen  anzuschaffen,  um  seine  Waren  be- 
quemer nach  und  von  Akureyri  transportieren  zu  können.  Er  hat 
für  die  Kirche  ein  Altarbild,  Christi  Auferstehung,  für  500  Kr.  ge- 
stiftet und  baut  jetzt  auf  eigene  Rechnung  ein  neues,  würdiges 
Gotteshaus  für  15  —  16000  Kr.  ganz  aus  Holz,  das  neben  der  Dom- 
kirche in  der  Hauptstadt  die  schönste  und  grösste  Kirche  zu  werden 
verspricht.    20  Arbeitsleute  waren  bei  dem  Bau  beschäftigt,  und  am 


266  Akureyri.     MunkaJ)verä. 

nächsten  Tage  brachten  zwei  vierräderige  mit  je  zwei  Pferden  be- 
spannte Wagen  die  Fenster  für  die  neue  Kirche.  Henderson 
erwähnt  in  der  alten  ein  Porträt  des  General  Monk  (I,  S.  130), 
aber  ich  kann  nicht  sagen,  ob  das  Bild  sich  noch  dort  befindet. 

In  den  älteren  Sagas  spielt  Grund  keine  grosse  Rolle,  aber  zur  Sturlungenzeit 
war  Grund  der  Sitz  des  Sighvatr,  Sohnes  des  S/nr/a,  eines  Nachkommen  des  be- 
rühmten Coden  Snorri  und  Bruders  des  Geschichtsschreibers  Snorri  Stiirluson.  In 
der  Nähe  von  Grund  liegt  Helguhöll,  der  Grabhügel  der  ebenso  reichen,  wie  hab- 
gierigen und  herrschsüchtigen  Helga  Aruadötiir,  die  im  16.  Jahrhundert  hier  lebte. 
In  diesem  Hügel  sollen  grosse  Schätze  verborgen  sein.  Als  aber  die  Leute  einmal 
nach  diesen  zu  graben  versuchten,  sahen  sie  plötzlich  die  Kirche  zu  Grund  in  hellen 
Flammen  stehen.  Natürlich  liefen  sie  eiligst  hin,  das  Feuer  zu  löschen  ;  es  war  aber 
ein  Blendwerk  gewesen,   um  sie  von  dem  Unternehmen  abzuziehen '). 

Gisli  Brynjülfsson  (1827— 1888)  hat  eine  Volkssage  aus  Grund  dichterisch 
behandelt:  Reynividurinn  (der  Vogelbeerbaum):  In  der  alten  Zeit  waren  in  Grund 
zwei  Geschwister  wegen  Blutschande  zum  Tode  verurteilt,  vergebens  hatten  sie  stand- 
haft ihre  Unschuld  behauptet.  Auf  dem  Richtplatz  angekommen,  beteten  sie  noch  zu 
Gott ,  dass  er  wenigstens  nach  ihrem  Tode  noch  ihrer  Reinheit  ein  Zeugnis  geben 
möge.  Da  sprosste  aus  ihrem  Blute  ein  Vogelbeerbaum  auf.  In  Gislis  Gedicht  er- 
scheinen die  Geschwister  schuldig,  und  dennoch  wächst  aus  ihrem  Blute  der  Baum  ; 
das  ist  eine  Korruption  der  ursprünglichen  Sage  ^). 

Von  Griiud  ritten  wir  auf  der  schönen  Landstrasse  ein  Stück 
zurück,  überschritten  die  Eyjafjardard  und  besuchten  Alunkapverd 
am  östlichen  Ufer. 

In  der  Nähe  muss  der  Tempel  des  Freyr  gestanden  haben.  Der  erste  Abt  des 
durch  Bischof  Björn  1155  gestifteten  Benediktinerklosters  war  Nikulds,  der  Sohn 
des  Bergr.  In  dieses  Kloster  zog  sich  der  mächtige  Häuptling  Porgeirr  Hallason 
zurück,  der  Grossvater  des  späteren  Bischofs  Gudmundr  Arason;  seine  Tochter 
Ingibjörg  war  in  zweiter  Ehe  mit  Siurla  Pördarson  verheiratet.  Literarisch  tätig 
waren  hier  die  Äbte  Bergr  Sokkason  und  Arni  Jönsson.  1429  brannte  das  Kloster 
und  die  Kirche  mit  dem  ganzen  Inventar  ab.  —  Das  älteste  Exemplar  eines  mehrstim- 
migen Gesanges  des  ganzen  Nordens,  ein  Pergamentbiatt,  stammt  aus  diesem  Kloster 
vom  Jahre  1473.  Kurz  vor  der  Reformation,  im  Anfange  des  16.  Jahrhunderts,  als 
die  Wissenschaft  auf  Island  arg  darniederlag ,  war  Abt  Einarr  in  Munkapverd  bei- 
nahe der  einzige  der  lateinischen  Sprache  kundige ;  hier  war  es  auch,  wo  Jon  Arason 
unterrichtet  wurde'). 

Man  muss  dem  Stifter  des  Klosters  nachrühmen,  dass  der  Ort, 
den  er  aussuchte ,  nicht  nur  anmutig  gelegen ,  sondern  auch  sehr 
fruchtbar  ist.  Wo  früher  das  Kloster  stand,  befindet  sich  seit  vielen 
Jahren  ein  Gemüse-  und  Kartoffelgarten,  den  schon  Olaus  Olavius 


1)  Maurer,   Isl.  Volkssagen  S.   71. 

2)  Maurer,  a.  a.  O.  S.  177.  Dieselbe  Sage  findet  sich  auf  den  Vestmanna 
eyjar,  Lehmann-Filhes  II,  S.  27 — 29.  —  Ein  anderer  Hügel  bei  Grund  heisst 
Danskihöll,  über  ihn  vergl.  Maurer,  S.  227. 

'^)  Kaalund    (Fortidslaevninger    S.    120' i),    erwähnt    auf    dem    Kirchhof   einen 
Runenstein,   Bldhosusteinn,    den  ich  nicht    gesehen  habe.     Eine  Volkssage  bei  Leh 
mann-Filhes  II,   S.   72  —  74.     Über  die  Noten  vergl.  Aarböger  1899,   S.   293  flf. 


Akureyri.      Munkapverä.     Hrafnagil.  267 

erwähnt,  und  das  Gras  hier  gilt  als  das  saftigste  auf  ganz  Island. 
Die  Pverd  (Querachc),  nach  der  das  Gehöft  seinen  Namen  hat, 
mündet  in  die  liyja/j'ardarä,  nachdem  sie  sich  nach  Bildung  eines 
ziemlich  hohen  Wasserfalles,  des  Godafoss  —  ,, Götterwasserfall", 
dem  man,  d.  h.  den  in  ihm  lebenden  Wassergeistern,  nach  der 
Überlieferung  geopfert  haben  soll  — ,  mit  der  Äljadmd  vereinigt  hat. 
Der  Bauer  führte  uns  selbst  nach  den  beiden  Wasserfällen  und  dem 
Canon.  Der  Fluss  hat  inmitten  der  hohen,  steilen  Felsen  nur  ein 
schmales  Bett  und  schlängelt  sich,  in  verschiedenen  Kaskaden  herab- 
stürzend, über  mächtige  Blöcke  hin.  Von  einer  Holzbrücke  aus  hat 
man  einen  schönen  Blick  nach  oben  und  unten,  jedenfalls  kann 
sich  der  Glerdrfoss  bei  Oddeyri  hiermit  nicht  messen.  Rechts  da- 
von sieht  man  in  den  langen,  schmalen  Mjadmürdalur  hinein;  die 
Mjadmd  —  wenn  ich  nicht  irre,  sagte  der  Bauer  aber  Ältdd, 
„mittlerer  Fluss"  —  strömt  ganz  ähnlich  einher  und  bildet  gleich- 
falls einen  Wasserfall.  \\\  diesen  war  im  Frühjahr  ein  Schaf  hinein- 
geraten und  heruntergestürzt,  aber  heil  und  gesund  unten  ange- 
kommen. Hierher  hatte  einer  der  von  Gliliiis  Feinde  SkiUa  abge- 
schickten Meuchelmörder  den  Gblmr  gelockt :  er  sollte  sich  im 
Mjadmdrdalr  einfinden,  wo  GlÜDir  seine  Sennhütte  hatte.  Nur 
durch  einen  Sprung  in  die  Felskluft  kann  sich  der  unbewaffnete 
Glninr  vor  Skiita  retten.  Als  Skiita  den  Rock  seines  Gegners  im 
Flusse  treiben  sieht,  haut  er  nach  ihm,  merkt  aber,  dass  Gliimr 
entronnen  ist,  indem  er  auf  einen  Felsvorsprung  gesprungen  ist.  Die 
ganze  Situation  ist  wenig  glaublich^). 

Wir  ritten  über  den  Fluss  zurück  und  2m{  Akureyri  z\i^  kehrten 
aber  noch  einmal  in  Hrafnagil  (Rabenkluft)  bei  Sira  Jonas  Jönasson 
ein,  um  unsern  letzten  Besuch  auf  Island  zu  machen-). 

Hrafnagil  kommt ,  wie  die  zuletzt  erwähnten  Ortschaften ,  wiederholt  in  den 
Sagas  vor,  deren  Schauplatz  der  Eyjafjördur  ist.  In  Hrafnagil  geschah  1358  ein 
Neidingswerk ,  das  zeigt,  wie  in  der  Sturlungenzeit  jede  Scheu  vor  Treubruch  oder 
irgend  einer  anderen  Schandtat  geschwunden  war.  Porgils  skardi  wurde  hier  von 
Porvardr  Pörarinsson  ohne  vorgängiges,  ernstliches  Zerwürfnis  überfallen.  Durch 
einen  Vertrauten  hatte  dieser  erst  ausforschen  lassen,  wo  er  übernachten  würde,  und 
ein  zweiter  hatte  dessen  Schlafstelle  auskundschaften  und  zugleich  für  das  Öffnen  der 
Tür  sorgen  müssen ;  die  Bitte  um  Frieden  wurde  dem  Überfallenen  abgeschlagen  und 
sogar  der  Trost  eines  anwesenden  Priesters  ihm  verweigert,  obwohl  dieser  selbst  für 
ihn  mit  scharfen  Worten  eintrat;  mit  22  Wunden  bedeckt,  blieb  die  Leiche  liegen, 
und  sogar  geraubt  und  geplündert  wurde  sofort  auf  dem  Hofe.  Ein  einziger  unter 
Porvards  Begleitern  hatte  sich  geweigert,  an  der  Schandtat  teilzunehmen  und  diese 
unverhohlen  als  ein  nidingsverk  bezeichnet  (Sturl.   S.  IX,  K.   20). 


1)  BeiKaalund  (II,  S.  122,  Anm.  2)  sehe  ich  soeben,  dass  der  Text  Midärdalr 
hat :   Midä  und  Mjadmä  scheinen  also  denselben  Fluss  zu  bezeichnen. 

^)  In  Hrafnagil  hörte  Konrad  Maurer  das  deutsche  Märchen  von  „Schnee- 
witchen"  in  isl.  Gestaltung  erzählen:  Maurer,  Isländische  Volkssagen  S.  280;  Pöstion, 
Isländische  Märchen  S.    153  ff. 


268  Akureyri.     Hrafnagil. 

In  der  Geschichte  von  Vt'ga-Glümr  wird  auch  die  Hrafnagils- 
laug  erwähnt.  Eine  lauwarme  Quelle  dieses  Namens  liegt  südlich 
von  dem  stattlichen,  eingeebneten  Tiin^  eine  zweite,  heissere  be- 
findet sich  nördlich  vom  Pfarrhofe.  ,, Beider  Quellen  bedienen  sich 
die  Einwohner,  und  man  will  bemerkt  haben,  dass  das  letztere  Bad 
vorzüglich  nicht  allein  äusserlich  als  ein  kräftig  auflösendes  Mittel 
bei  den  gewöhnlichen  Schwachheiten  der  Frauenzimmer  gebraucht 
werden  kann,  sondern  dass  auch  das  Wasser,  wenn  man  es  ein- 
nimmt, gichtische  Schmerzen  stillet  und  eine  anodische  Kraft  be- 
sitzt, entkräftete  Menschen  wieder  zu  stärken"  (Ol aus  Olavius, 
S.  201/2). 

1748  fand  man  hier  beim  Ausgraben  am  Eingang  eines  Schaf- 
stalles ein  Menschengerippe.  Egg  er  t  Olafsson  hat  es  1755  mit 
eigenen  Augen  gesehen  und  meint,  dass  es  nicht  allein  einem  mehr 
als  mittelmässigen  Menschen  zugehört  hat ,  sondern  dass  auch  alle 
seine  Teile ,  besonders  die  Hirnschale ,  ungemein  dick  und  stark 
waren  ^). 

Mein  Besuch  galt  dem  Pröfastur  und  Dichter  Jonas  Jöriasson, 
von  dem  ich  kurz  zuvor  in  der  Zeitschrift  ..Eiiiireidinn'-'  (Bd.  III) 
eine  eigenartige,  herbe  Novelle  gelesen  hatte.  Von  Ögmundur 
hatte  ich  gehört,  dass  er  der  Lehrer  des  Jesuitenpaters  Baum- 
gar tn  er  gewesen  war.  Der  Pater  und  der  ,,Candidatus  der 
lutherischen  Gottesgelehrtheit"  haben  als  Lehrer  wie  als  Schüler 
einander  Ehre  gemacht,  beide  beherrschen  die  Sprache,  die  der 
Lernende  sich  aneignen  wollte,  gründlich.  Wie  Baumgartner  in 
der  isländischen  Literatur  tüchtig  belesen  ist,  obwohl  er  darin  nicht 
Fachmann  ist,  so  hat  Sira  Jonas  die  grösste  deutsche  Bibliothek, 
die  ich  auf  Island  bei  Privatleuten  gefunden  habe ;  er  kennt  nicht 
nur  Goethe,  Schiller  und  Heine,  sondern  auch  Lessing,  Freytag, 
Spindler,  Scheffel,  Hauff  und  selbst  Reuter.  Ja,  ich  muss  sagen,  er 
spricht  besser  deutsch  als  dänisch. 

Sira  Jonas  ist  am  7.  August  1856  geboren,  besuchte  1874  —  80 
das  Gymnasium,  dann  die  theologische  Hochschule  in  Reykjavik^ 
wurde  1883  Pfarrer  und  ist  jetzt  Superintendent  des  Bezirks  Eyja- 
fjördiir.  Er  hat  nur  Novellen  geschrieben  und  ist  ein  unbedingter 
Anhänger  der  modernen  realistischen  Dichtung ;  er  weilt  mehr  bei 
den  Schattenseiten  des  Lebens  als  bei  seinen  Freuden,  selten  nur 
schimmert  ein  Funken  Humor  durch,  und  selbst  dann  ist  es  noch 
bittere  Ironie  und  scharfe  Satire.  Seine  Erzählungen  sind  trefflich 
angelegt,  und  das  Problem  ist  fein  durchgeführt,  wie  jeder  aus  den 
vier  von  Küchler  gut  übersetzten  Novellen  ,, Lebenslügen"  ersehen 
kann  (Leipzig,  Reclam). 


1)  Reise  durch  Island  II,  S.  66;  K aal  und,  Fortidslaevninger  S.  69. 


Die  letzten  Tage  in  Akureyri.  269 

Wäre  der  Dampfer  „Modesta"  pünktlich  gekommen,  wie  es 
der  Fahrplan  vorschrieb,  so  hätte  auch  nicht  der  leiseste  Misston 
den  langen  Aufenthalt  auf  Island  getrübt.  Aber  mein  Urlaub  ging 
zu  Ende,  ich  musste  unbedingt  an  einem  bestimmten  Tage  daheim 
sein.  ,,Vesta"  und  ,,Egill"  hatte  ich  mir  entgehen  lassen,  nun  sass 
ich  da  mit  den  schweren  Reisekoffern,  untätig  und  verdrossen,  auf- 
geregt und  gereizt  und  fing  an,  nervös  zu  werden.  Wie  Iphigenie 
stand  ich  am  Ufer  lange  Tage,  das  Land  der  Deutschen  mit  der 
Seele  suchend.  Heute  lache  ich  über  meine  Ungeduld,  aber  damals 
war  mir  wenig  froh  zu  Mute.  Ögmundur  blieb  mir  zuliebe 
noch  einen  Tag  länger,  obwohl  es  ihn  mit  Gewalt  zu  seiner  Frau 
und  den  kranken  Kindern  zog.  Aber  in  der  Frühe  des  8.  August 
hiess  es  Abschied  nehmen  von  dem  wackern,  treuen  ]\Ianne.  Noch 
einmal  sah  ich  die  ganze  Karawane  vor  mir,  die  sechs  Wochen  lang 
unter  meiner  Leitung  gestanden  hatte,  noch  einmal  streichelte  ich 
meinem  unermüdlichen  Schimmel  die  struppige  Mähne,  dann  ein 
letztes  Lebewohl,  ein  letztes  Winken,  Ögmundur  verschwand  mit 
den  neun  Pferden  um  die  Ecke,  und  ich  war  allein. 

Fast  verzweifelt  kehrte  ich  ins  Hotel  zurück.  Zum  Glück  lernte 
ich  einen  Leidensgefährten  kennen,  einen  in  Isafjördur  wohnenden 
Norweger,  einen  Tranhändler,  der  am  15.  August  in  Bergen  sein 
musste,  wenn  er  nicht  bedeutende  Verluste  haben  wollte.  Da,  in 
der  höchsten  Not,  nahte  die  Rettung.  Herr  Konsul  Havsteen  erfuhr 
meine  üble  Lage  und  fragte  mich,  ob  ich  mit  dem  Fischdampfer 
,, Harald"  nach  Sighifjördiir  fahren  wollte,  dort  würde  ich  schon 
einen  Heringsdampfer  finden,  der  mich  in  kurzer  Zeit  nach  Nor- 
wegen zurück  fahren  würde.  Er  verhehlte  mir  das  Bedenkliche 
dieses  Schrittes  nicht,  immerhin  bliebe  mir  ja  für  jeden  Fall  die 
,,Modesta".  Wir  gingen  sofort  an  Bord  des  ,, Harald",  der  mit 
vollem  Wimpelschmuck  zum  Abdampfen  bereit  lag.  Kapitän  So  le- 
st ad  t  aus  Kristiansund  war  sofort  bereit,  meinen  Begleiter,  den 
Norweger,  und  mich  mitzunehmen,  und  zwar  fasste  er  das,  wie  sich 
später  herausstellte,  als  Einladung  auf.  Die  Rechnung  im  Hotel, 
die  nicht  gering  war,  wurde  beglichen,  der  Wirt  lud  uns  zum  Ab- 
schiedstrunke zu  Sekt  und  Portwein  ein  (welche  Mischung  übrigens 
gut  schmeckt),  die  Koffer  wurden  an  Bord  gebracht,  der  wacklige, 
hölzerne  Verbindungssteg  wurde  zurückgezogen,  ein  schriller  Pfiff 
gellte,  die  Maschine  stöhnte  und  ächzte,  das  Wasser  rauschte  auf, 
und  fort  ging  es,  ins  Ungewisse  hinaus. 


Sechzehntes   Kapitel. 

Heimreise.    Rückblicl^  und  Ausblick. 

8.  — 18.  August. 

Zum  Abschiednehmen  just  das  rechte  Wetter!  Trüb  und  grau 
hing  der  Himmel  über  uns,  leichter  Regen  rieselte,  Nebel  verbarg 
die  Ufer  des  Fjords,  fröstelnd  stand  ich  auf  dem  Verdeck.  Wir 
waren  nicht  die  einzigen  Passagiere.  Etwa  zwanzig  Isländerinnen 
Sassen  auf  des  Schiffes  Rand,  vor  Kälte  bebend,  und  hüllten  sich 
in  ihre  Umschlagtücher;  sie  waren  sauber  angezogen,  und  mir  fiel 
auf,  dass  sie  alle  Handschuhe  trugen,  meist  sogar  von  Glaceleder. 
Sie  waren  die  Woche  über  den  Norwegern  beim  Zubereiten  und 
Salzen  der  Fische  behilflich  gewesen,  was  recht  gut  bezahlt  wird 
den  Sonntag  hatte  sie  der  „Harald"  zu  ihren  Angehörigen  nach 
Akitreyri  gebracht,  jetzt  ging  es  „ins  Geschäft"  zurück.  Weniger 
erfreulich  war  ihr  Anblick  am  nächsten  Morgen  bei  der  Arbeit. 
In  langen  Männerstiefeln,  die  bis  zu  den  Knieen  reichten,  und  einem 
sackähnlichen  Rocke,  hoch  aufgeschürzt,  ein  Kopftuch  lose  über- 
geworfen, so  hantierten  sie  eifrig  bei  den  Fischen,  und  ich  verstand, 
warum  sie  auf  der  Reise  ihre  Hände  so  ängstlich  versteckt  gehalten 
hatten,  denn  das  scharfe  Salz  hatte  förmliche  Rinnen  und  Löcher 
in  ihre  Hände  gerissen.  Norwegische  Frauen  mit  nach  Island  zu 
bekommen  hält,  trotz  der  guten  Bezahlung,  sehr  schwer;  einige 
aber  bleiben  die  ganze  ,, Saison"  dort;  wenn  sie  ihre  Arbeit  auf 
einem  Dampfer  vollendet  haben,  siedeln  sie  auf  den  nächsten  über. 

Wir  stoppten  gegen  sechs  Uhr  kurze  Zeit  an  der  Insel  Hrisey, 
drei  norwegische  Fangmänner  wurden  an  Land  gesetzt  und  eine 
Menge  Netze  ihnen  nach  in  die  auf  und  nieder  schiessenden  kleinen 
Boote  geworfen.  Heute  ist  die  ^/4  Meilen  lange  Insel  ganz  kahl, 
früher  war  sie  waldbewachsen,  aber  durch  den  Unverstand  der  Be- 
wohner sind  die  Wälder  verschwunden,  und  die  vielen  kleinen 
Löcher  im  Boden,    die  von  alten   Kohlenmeilern    herrühren,    zeigen, 


Hrisey.     Siglufjördur.  271 

dass  man  die  Bäume  zu  Holzkohle  verbrannt  hat.  Noch  vor  zwanzig 
Jahren  ist  in  Hrisey  ein  bedeutender  Herings-  und  Dorschfang  be- 
trieben. Am  II.  September  1884  fügte  ein  Orkan  der  Fischerflotte 
einen  Schaden  von  ca.  300000  Kr.  zu;  einige  Boote  wurden  auf 
das  Land  geworfen,  19  liefen  im  Nu  voll  Wasser  und  sanken,  17 
mussten  die  Mastbäume  kappen,  fast  alle  hatten  Havarie  gelitten. 
Das  Unglück  war  dadurch  so  gross  geworden,  dass  das  Unwetter 
ganz  unerwartet  ausbrach,  und  dass  die  Fischer  ihre  Fahrzeuge 
eng  aneinander  vertaut  hatten.  Während  früher  4 — 6  Gehöfte  auf 
der  Insel  lagen,  sind  es  jetzt  nur  noch  zwei;  dafür  sind  mehrere 
Fischläger  mit  kleinen  Holzhäusern  entstanden.  Die  Eidervögel,  die 
es  früher  hier  gab,  sind  durch  den  Lärm  vollständig  verscheucht. 

Nach  fünfstündiger  Fahrt  kamen  wir  im  Sighifjördiir  an  (Mast- 
baumbucht, Lnd.  III,  II),  der  ungefähr  in  der  Richtung  von  Norden 
nach  Süden  in  die  Halbinsel  einschneidet,  die  von  dem  Skagajjördur 
und  dem  EyjafjördiLr  gebildet  wird.  Auf  der  Westseite  des  Fjords 
liegt  der  Pfarrhof  Hvanneyri,  wo  der  Pfarrer  und  Komponist  Bjarni 
Porsieinsson  wohnt.  Der  Handelsplatz  Sigkifjördur  mit  ca.  40 
Häusern  liegt  südlich  auf  der  sandigen  Küste  (im  Altertum  Por- 
niödserr)  unterhalb  des  Pfarrhofes,  rings  von  hohen  Felsen  um- 
schlossen, hat  einen  guten  Hafen  und  ist  Postdampferstation.  Der 
Hafen  friert  im  Winter  niemals  zu,  ausser  wenn  mit  der  heftigsten 
Kälte  zugleich  das  grönländische  Treibeis  kommt.  In  diesem  Jahre 
lag  noch  im  Juli  eine  Menge  Polareis  vor  Kap  Hörn.  Ein  Kutter 
von  den  Faeröern,  der  westlich  um  das  Land  sollte,  musste  kürzlich 
wieder  umkehren.  Der  grösste  Teil  des  Eises  lag  noch  ca.  2  Meilen 
von  der  Küste  ab.  Im  18.  Jahrhundert  wurde  der  Hafen  besonders 
von  den  Holländern  aufgesucht,  dann  aber  von  den  Engländern, 
heute  ist  er  Hauptstation  der  Norweger  ^),  die  sich  das  isländische 
Bürgerrecht  erworben  haben  und  im  Sommer  hier  wohnen^). 

Als  wir  einfuhren,  war  fast  der  ganze  Hafen  von  Segelschiffen 
und  Fischerbooten  angefüllt,  nicht  weniger  als  neun  Dampfer  lagen 
hier.  Wir  erfuhren,  dass  am  nächsten  Tage  der  Dampfer  ,,Glyg" 
(vorsichtig,  scharf  ausspähend)  nach  Haugesund  abfahren  sollte.  Ich 
liess  mich  sofort  dahin  rudern,  aber  der  Kapitän  machte  allerlei 
Ausflüchte:  sein  Schiff  sei  nicht  für  Passagiere  eingerichtet,  weder 
was  Kost,  noch  Kajüte  beträfe.  Über  zwei  Stunden  dauerten  die 
Unterhandlungen;  wenn  er  mich  nicht  mitnahm,  war  ich  doch  auf 
die  ,,Modesta"  angewiesen;  denn  an  Land  konnte  ich  nicht  gehen, 
da  herrschten  Masern  und  Scharlach.  Zum  Glück  kam  der  Besitzer, 
Herr  Bakkevig  aus  Haugesund,  bald  an  Bord.  In  bewegten  Worten 
schilderte  ich  ihm  unsere  Lage  und  machte  kein  Hehl  von  meiner 
Sehnsucht    nach    meiner    Familie;    da    fühlte    er    ein    menschliches 


1)  Olafsen-Povelsen  II,  S.  66;  Olans  Olaviiis  S.  237. 


272  Siglufjördur. 

Rühren;  er  selbst  sorgte  sich  um  seine  Frau  und  seine  sechs 
Kinder,  deren  AnbUck  er  fast  ein  halbes  Jahr  entbehren  musste ; 
er  gab  uns  die  Erlaubnis,  mitzufahren,  ja,  er  tat  noch  mehr,  in 
guter  norwegischer  Gastfreundschaft  wies  er  den  Kapitän  und 
Stewart  an,  mir  den  Aufenthalt  möglichst  behaglich  zu  machen, 
stellte  mir  eine  Kiste  Zigarren  zur  Verfügung,  die,  wie  er  meinte, 
wohl  bis  Haugesund  reichen  würde,  und  deutete  fein  und  vornehm 
an,  dass  ich  sein  Gast  wäre. 

So  sollte  ich  nicht  nur  billiger,  sondern  auch  schneller  nach 
Norwegen  kommen,  als  wenn  ich  mit  ,,Modesta"  gefahren  wäre. 
Wieder  war  mir  das  Glück  hold  gewesen,  das  mich  auf  der  ganzen 
Reise  begleitet  hatte,  und  in  menschlicher  Kurzsichtigkeit  hatte  ich 
mit  dem  Schicksal  hadern  wollen!  Ja,  wäre  ich  nicht  nach  dem 
Siglufjördur  gekommen,  so  wäre  mir  ein  wichtiges  Moment  ent- 
gangen. Nicht  nur  bietet  der  Fjord  ein  wundervolles  Bild  mit  dem 
Wasserfall  und  den  fünf  Terrassenpyramiden  —  ,, Zermatt,  Chamonix, 
das  Suldental  haben  hier  eine  liebliche  Wiederholung",  sagt  Jäger 
(Die  nordische  Atlantis,  S.  149)  — ,  sondern  kaum  ein  anderer  Ort 
auf  ganz  Island  ist  zur  Zeit  so  geeignet,  einen  vollen  Einblick  in 
das  Leben  und  Treiben  beim  Fischfange  zu  verschaffen  wie  Siglu- 
fjördur. 

Für  den  ungeheuren  Fischreichtum  hier  mag  die  nackte  Zahl 
sprechen:  durchschnittlich  werden  am  Tage  iocxd  Tonnen  Heringe 
gefangen.  Da  müssen  sich  die  Hände  natürlich  fleissig  regen.  Die 
Ausweiderinnen ,  die  in  Ölzeug  gekleidet  und  von  Kopf  bis  zu 
Fuss  mit  Blut  beschmiert  hantieren,  erinnern  an  Indianer,  die  in 
ihrer  Kriegsbemalung  frisch  vom  Schlachtfelde  kommen.  Einige 
Frauen  setzen  das  Messer  in  die  Kiemen  und  schneiden  den  Fischen 
die  Köpfe  ab,  andere  nehmen  die  Eingeweide  aus,  andere  machen 
Einschnitte  in  den  Leib,  wieder  andere  besorgen  das  Einsalzen. 
Eine  zweite  Gruppe,  die  Packerinnen,  ist  bei  den  Tonnen  be- 
schäftigt :  einige  schlagen  mit  einer  Art  Sichel  Deckel  in  die 
Tonnen,  andere  kehren  die  Abfälle  zusammen  und  fegen  sie  durch 
eine  Luke  in  das  Meer.  Ist  der  Fang  gross,  so  müssen  die  Weiber 
Tag  und  Nacht  arbeiten,  und  da  oft  genug  die  Boote  erst  spät 
am  Abend  wiederkommen,  so  geht  das  Geschäft  des  Ausweidcns 
und  Einsalzens  die  ganze  Nacht  hindurch;  die  ganze  Nacht  hindurch 
rattert  die  Maschine,  saust  die  Winde,  und  Tonne  auf  Tonne  wird 
weiter  befördert.  Rein  mechanisch  besorgt  schliesslich  der  Körper 
die  Arbeit,  während  der  Geist  für  Augenblicke  völlig  einschlummert. 
Wenn  der  Abfall  ins  Meer  geschafft  wird,  kommen  die  Möven,  die 
gefrässigen  Marodeure  des  Schlachtfeldes  zur  See,  und  schnappen 
im  Fluge  den  fettesten  Bissen  auf,  bevor  er  das  Wasser  berührt; 
aber  noch  schneller  entreisst  ihnen  eine  andere  den  Happen  wieder, 
und    dieser    wieder    suchen    noch    andere    mit    Flügelschlägen    und 


Siglufjördur.  .  273 

Schnabelhicben  ihre  Beute  zu  entreissen.  Immer  neue  Ladungen 
werden  von  den  Segelschiffen  herangebracht,  kübclweise  werden 
die  Fische  aus  ihnen  in  eine  Tonne  entleert,  bis  diese  voll  ist, 
dann  werden  sie  einfach  auf  das  Deck  geschüttet;  dass  dabei  20-30 
Stück  zuviel  mit  herauspurzeln  und  klatschend  aufschlagen,  spielt 
keine  Rolle.  Alles  glitzert  und  funkelt  natürlich  von  den  silbernen 
Schuppen,  zumal  im  Lichte  der  elektrischen  Lampen,  die  sich  auf 
der  Oberfläche  des  Wassers  wiederspiegeln :  das  alles  macht  einen 
phantastischen  Eindruck.  Aber  es  herrscht  verhältnismäs.sig  Rein- 
lichkeit, und  den  Gestank  hatte  ich  mir  weit,  weit  ärger  vorgestellt; 
im  Gegenteil,  die  aufgestapelte,  von  Salzwasser  triefende  Beute  ver- 
breitet einen  nicht  unangenehmen,  frischen,  stärkenden  Duft.  Der 
Dampfer  ,,Glyg"  hatte  3000  Tonnen  Heringe  an  Bord,  trotzdem 
war  das  Verdeck  blitzblank,  nicht  eine  Schuppe,  nicht  ein  Hering 
lag  umher,  nicht  der  geringste  üble  Geruch  war  zu  verspüren. 
Ununterbrochen  liefen  Boote  aus  der  Hafenmündung  aus  und 
suchten  die  hohe  See,  einige  liessen  sich  von  schwerfälligen,  breit- 
bäuchigen  Dampfern  schleppen.  Die  braunen  und  roten  Segel 
hoben  sich  hübsch  vom  blauen  Fjord  und  von  den  grünen  Berg- 
wänden ab.  Hunderte  von  schlanken  Seglern  nahmen  ihren  Kurs 
hinaus  nach  den  Fischgründen.  Allmählich  war  der  ganze  Horizont 
mit  ihren  braunen  Segeln  betüpfelt,  und  die  äussersten  verschwanden 
erst  dann  in  der  weiten  Wasserwüste,  wenn  Meer  und  Himmel  in- 
dunstiger Ferne  ineinander  flössen. 

Früher  waren  dichte  Flüge  von  Möwen,  die  auf  die  Fische  Jagd 
machten,  oder  eine  grosse  Schar  Wale,  die  die  Heringe  verfolgten, 
die  Vorboten  davon,  dass  sich  ein  ,,Zug"  Heringe  in  der  Bucht 
zeigte.  Heute  fahren  gegen  Abend  sogenannte  ,, Notboote"  ins  offene 
Meer  hinaus,  um  den  Hering  zu  suchen.  ,,Not"  ist  ein  riesiges, 
feinmaschiges  Netz,  150  Faden  lang  und  15 — 20  Faden  tief.  Während 
das  Schiff  sich  langsam  durch  das  Wasser  bewegt,  legt  die  Be- 
mannung im  Schlummer  des  Abends  die  Netze  in  die  See  aus,  bis 
ihre  ganze  Ausrüstung  —  oft  sind  es  50  aneinander  gebundene  Netze, 
die  zusammen  eine  Länge  von  1000—2000  m  haben  —  auso-eo-eben 
ist  und  das  Ganze  senkrecht  im  Wasser  hängt,  an  einem  Tau  auf- 
gereiht, woran  Schwimmer  und  Baken  von  Fellen  oder  Metallen 
befestigt  sind.  In  die  Maschen  dieses  wie  ein  Vorhang  ins  Wasser 
hängenden  Netzes  stossen  nun  die  Heringe  mit  ihren  Köpfen  und 
können  sich  nicht  wieder  herausarbeiten.  Dieses  zusammengedrängte 
,,Aat"  (Futter,  Frass)  bleibt  darin  gefangen,  bis  die  Netze  an  Bord 
gezogen  und  in  den  eisernen  Bauch  des  Dampfers  geschüttet  werden. 
Gern  setzt  man  das  Netz  mit  den  gefangenen  Heringen  noch  in 
der  Nähe  der  Küste  aus  und  lässt  die  Beute  14.  Ta^e  lane  darin 
damit  sie  mager  wird  und  leichter  eingepökelt  werden  kann.  Ge- 
schieht  dies    unmittelbar   nach   dem  Fange,    so  ist  der  Magen  noch 

Herrmann,  Island  II.  18 


274  SigluQördur.     Abschied  von  Island. 

ZU  voll ,  der  Fisch  hält  sich  nicht  so  gut,  und  die  Ware  hat  einen 
viel  geringeren  Wert.  In  diesem  ausgesetzten  Netze  glänzt  und 
gleisst  es  natürlich  an  der  Oberfläche ;  am  Rande  des  Netzes 
kreisen  habgierige  Dorsche  und  werfen  sehnsüchtige  Blicke  hinein 
nach  den  gefangenen  Heringen ;  denn  der  Hering  ist  die  Lieblings- 
speise des  Dorsches.   — 

Um  12  Uhr  war  die  letzte  Tonne  an  Bord,  alles  war  verstaut, 
das  letzte  Glas  auf  das  Wohl  des  liebenswürdigen  Reders  und  auf 
eine  glückliche  Heimreise  vom  Tochterlande  Island  nach  dem 
Mutterlande  Norwegen  geleert,  dann  wurden  die  Anker  gelichtet, 
dreimal  schrillt  die  Pfeife  des  ,,Glyg",  dreimal  antworten  die  sämt- 
lichen im  Hafen  zurückbleibenden  Dampfer,  dreimal  dippte  „Glyg" 
zum  Abschiede  die  Flagge,  und  alle  Segelschiffe  erwiderten  unsern 
Gruss.  Und  während  ich  sinnend  hinten  am  Schiffe  stand,  fielen 
mir  die  Verse  ein,  die  Jon  Olafsson  dichtete,  als  er  1873  nach 
Amerika  auswanderte  : 

So  leb'  denn  wohl,  mein  heissgeliebtes  Land? 
Ich  seh  dich  wohl,  ich  fühl's,   zum   letztenmal. 
Zerrissen,   ach,  wird  unser  Herzensband. 
Dies  nur  zu  denken,  ist  schon  Todesqual  '). 

Leb'  wohl,  uralte  tsa/old,  Felsenweib,  ernst  und  hold,  Heim  hoch- 
gepreist !  Auch  meine  Liebe  dir  glüht,  so  lange  das  Leben  mir 
blüht,  und  auch  mein  Herzenswunsch  ist : 

Schicksalshand,  segensschwer, 
Stärke  dich  mehr  und  mehr, 
Solang'  im   Sternenheer 
Sonne  noch  kreist!   — 

,,Glyg"  legte  in  der  Stunde  8  englische  Meilen  zurück,  aller- 
dings war  die  See  spiegelglatt ,  und  eine  leichte  Brise  im  Rücken 
half  nach.  So  war  der  Aufenthalt  an  Bord  äusserst  behaglich,  und 
wir  kamen  kaum  vom  Verdeck  in  die  Kajüte  hinunter.  Das  Beneh- 
men der  Mannschaft  war  tadellos,  und  Kapitän  Iversen  war  ein 
musterhafter  und  gewissenhafter  Seemann,  dem  man  sich  selbst  für 
gefährliche  Zeiten  ruhig  anvertraut  hätte.  Er  war  die  ganze  Nacht 
auf  seinem  Posten  und  schloss  kaum  ein  Auge ;  er  war  aber  auch 
ein  unterhaltender  Plauderer,  liebenswürdiger  Wirt  und  selbstloser 
Kamerad.  Ich  stehe  nicht  an  zu  erklären,  dass  wir  uns  auf  seinem 
Dampfer  ebenso  wohl  gefühlt  haben ,  wie  bei  der  Hinreise  auf 
,, Laura",  und  jedenfalls  weit,  weit  behaglicher  als  an  Bord  der 
,,Hera",  mit  der  wir  von  Bergen  nach  Hamburg  fuhren.  Denn  auf 
dem    vielgepriesenen    Touristendampfer   wurde    die  Verpflegung  von 


1)  Pöstion,  Eislandblüten,  S.   177. 


Heimfahrt.     Haugesund.  275 

Tag  zu  Tag  schlechter,  und  das  unmotivierte  Lärmen  und  Singen 
der  zahh-eichen  deutschen  Vergnügungsreisenden  war  nicht  zum 
Aushalten,  zumal  wenn  man  fast  drei  Monate  die  wundervolle 
Stille  auf  Island  genossen  hatte;  zum  Glück  machte  ihrem  unnützen 
Treiben  bald  die  unruhige  See  ein  Ende.  Das  Essen  war  einfach, 
aber  schmackhaft ;  Hering  gab  es  naturgemäss  täglich  zu  Mittag, 
und  ebenso  Labskausch  zu  Abend,  aber  auch  Schinken,  Ölsardinen, 
Corned  Beef  und  Käse  fehlten  nicht.  Zum  Kaffee  buk  der  Steward 
ausgezeichnete  Waffeln. 

In  der  Frühe  des  zweiten  Tages  hatten  wir  die  nordöstliche 
Spitze  von  Island  passiert,  Kap  Langanes  (langes  Vorgebirge),  und 
mittags  zwei  Uhr  hatten  wir  den  letzten  Blick  auf  Islands  Küste. 
Langanes  ist  wegen  des  Nebels  berüchtigt,  doch  ist  er  auf  der 
Südseite  der  Landspitze  häufiger  als  auf  der  Nordseite.  Die  äusserste 
Spitze  des  Kaps  ist  von  steilen,  30 — 40  m  hohen  Doleritbänken, 
oft  mit  schönen  Säulen,  umgeben.  Die  senkrechten  Wände,  gegen 
die  das  Eismeer  mit  seiner  starken  Brandung  unaufhörlich  tost  und 
schäumt,  sind  der  Tummelplatz  zahlreicher  Vögel:  es  war  der 
letzte  Vogelberg  Islands ,  den  wir  zu  Gesicht  bekamen.  Früher 
war  die  Küste  berühmt  wegen  der  unglaublichen  Menge  von  Treib- 
holz, das  man  hier  fand;  doch  ist  der  Strand  auch  jetzt  noch 
förmlich  weiss  von  Hölzern. 

Etwa  48  Stunden  nach  der  Abfahrt  von  Siglufjördnr  waren 
wir  in  der  Höhe  der  Faeröer;  da  wir  aber  noch  10  Meilen  entfernt 
waren  und  die  Luft  unsichtig  war,  konnten  wir  mit  blossem  Auge 
nichts  von  ihnen  wahrnehmen.  Während  die  Farbe  des  Meeres 
bisher  stahlgrau  gewesen  war,  wurde  es  jetzt  dunkelgrün.  Wieder 
24  Stunden  später  dampften  wir  an  den  Shetlandinseln  vorüber  und 
waren  gegen  7  Uhr  in  der  Nordsee.  Am  folgenden  Tage  war  an- 
fangs prächtiger  Sonnenschein,  die  Wellen  lagen  still  und  ruhig  da, 
am  Nachmittage  tauchte  die  norwegische  Küste  auf;  gegen  Abend 
aber  ward  es  trüber ,  feiner  Regen  rieselte  und  rann  unaufhörlich 
nieder,  heulender  Sturm  packte  den  kleinen  Dampfer  und  Hess  ihn 
auf  den  aufgeregten  Wogen  auf  und  nieder  tanzen.  Durch  Schwingen 
lodernder  Pechfackeln  wurde  der  Lotse  von  der  berüchtigten 
Leuchtturminsel  Utsire  an  Bord  geholt,  alle  Lichter  wurden  ab- 
geblendet, und  langsam  schob  sich  „Glyg"  in  der  rabenschwarzen 
Nacht  in  die  Kanäle  des  norwegischen  Venedig  ein,  um  fünf  Uhr 
früh  gingen  wir  in  Haugesund  vor  Anker.  Ich  suchte  sofort  das 
Telegraphenamt  auf,  und  zwei  Stunden  später  hatte  ich  schon  zu- 
friedenstellende Antwort  von  daheim. 

Wohl  keine  Stadt  Norwegens  ist  in  den  letzten  Jahren  so 
schnell  empor  gewachsen  wie  Haugesund.  Vor  20  Jahren  noch  hatte 
sie  nur  5  — 10  Dampfer,  dann  fing  man  mit  kleinen  Spekulationen 
an,    man  versuchte   es  mit  20,   50  Tonnen  Hering,    heute   entsendet 

18* 


276  Haugesund. 

sie  mehr  als  loo  Dampfer,  nach  Island  wie  nach  der  nördlichen 
Küste  von  Norwegen,  wo  der  Vaarsild  (Frühlingshering,  Februar 
bis  April  |  und  der  wertvollere,  köstliche  Fedsild  (Fetthering,  August 
und  September)  gefangen  wird,  der  dann  nach  Dänemark,  Deutsch- 
land und  Russland  weiter  verkauft  wird. 

Keinen  schöneren  Gesamtabschluss  könnte  ich  mir  für  meine 
Reise  nach  Island  denken  als  Haugesund.  Hier  starb  933  König 
Harald  Haarschön,  der  in  der  Seeschlacht  im  Hafsfjord  872  die 
norwegischen  Volks-  und  Kleinkönige  besiegte  und  damit  zum 
ersten  Male  eine  Herrschaft  schuf,  die  das  ganze  Land  umfasste. 
Seine  Militärmonarchie  hatte  die  Gründung  der  isländischen  Republik 
zur  Folge.  Viele  Kleinkönige,  alte  Jarlsfamilien  und  eine  Masse 
Bauern  wanderten  nach  Islands  soeben  entdeckten  Lavaklippen, 
Eisfeldern  und  grünen  Wiesen  aus,  um  eine  neue,  freie  Heimat  zu 
suchen.  Mit  dem  Besuche  der  Vestmannaeyjar ,  wo  der  erste  An- 
siedler, der  alte  I)igölfr^  der  an  der  Spitze  der  Unzufriedenen  ge- 
standen, den  Tod  seines  Gefährten  an  den  irischen  Sklaven  rächte, 
hatte  die  eigentliche  Reise  begonnen.  In  Reykjavik ,  wo  ich  so 
köstliche,  anregende  Tage  verlebte,  hatte  Ingölfr  seine  Nieder- 
lassung gegründet ;  Pingvellir  und  Oddi,  die  alte  Gerichtsstätte 
und  der  berühmte  Sitz  isländischer  Gelehrsamkeit,  waren  mir  keine 
blassen  Namen  mehr ;  auf  der  langen  Durchquerung  der  Südküste 
war  ich  Schritt  auf  Schritt  den  Spuren  der  Ansiedler  nachgegangen 
und  hatte  bei  Berufjürdiir  das  Eindringen  des  Christentums  auf 
dem  vulkanischen  Eislande  verfolgt;  im  Ostlande  hatte  ich  den 
Schauplatz  der  Geschichte  von  Hrafnkell  besucht,  dessen  Vater 
vor  König  Haralds  Strenge  gewichen  war;  in  Akureyri  hatte  ich 
zum  letzten  j\lale  den  gewaltigen  Aufschwung  mit  eigenen  Augen 
wahrgenommen,  den  das  wrackere,  bescheidene  Völkchen  in  den 
letzten  30  Jahren  genommen  hatte :  —  reihte  sich  da  der  Schluss 
der  Reise,  der  Besuch  der  Stätte,  wo  der  Mann  begraben  liegt, 
dem  Island  sein  Eintreten  in  die  Geschichte  verdankt,  nicht  würdig 
an  den  Anfang  und  gab  so  dem  Ganzen  erst  seine  schöne  Ab- 
rundung  ? 

Auf  dem  Haraldsliaiig ,  einem  kleinen  Hügel  nördlich  von 
der  Stadt,  wird  der  Grabstein  des  Königs  noch  heute  gezeigt.  Mag 
auch  die  strenge  Wissenschaft  mit  gutem  Grunde  dessen  Echtheit 
bezweifeln,  ein  Isländer,  Snorri  Stiirliison,  hat  vor  rund  600  Jahren 
den  alten  Grabstein  beschrieben,  und  seine  Darstellung  macht  den 
Eindruck,  dass  er  selbst  in  Haugesund  gewesen,  den  Grabstein  ge- 
sehen und  gemessen  hat  (Haralds  Saga  ins  hdrfagra  K.  42) :  „Bei 
dem  Kirchhofe  nordwestlich  ist  Haralds  Grabhügel,  aber  im  Westen 
der  Kirche  liegt  der  Grabstein,  der  auf  seinem  Grabe  im  Hügel  lag, 
und  der  Stein  ist  vierzehntehalb  Fuss  lang  und  fast  zwei  Ellen  breit 
Mitten  in  dem  Hügel  war  das  Grab  des  Königs ;    ein  anderer  Stein 


Ilaugesund. 


27t 


war  zu  Häuptcn,  ein  anderer  zu  Füssen  gesetzt,  die  Steinplatte  war 
oben  darauf  gelegt,  das  Grab  war  auswendig  mit  Steinen  angefüllt 
auf  beiden  Seiten  (d.  h.  so  dass  unter  den  Steinplatten  eine  Kammer 
gebildet  wurde).    Die  beschriebenen  Steine,  die  in  dem  Hügel  waren 


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stehen  noch  daselbst  auf  dem  Kirchhofe."  Als  der  Tag  von 
Haralds  Sieg  zum  tausendsten  Male  wiederkehrte,  wurde  auf  dem 
Haraldshaug  1872  ^\&  Haralds-Stötte  errichtet,  ein  fast  20  m  hoher 
Obelisk  von  rotem  Granit,  auf  einem  viereckigen  Sockel,  und  rings 
um    die  „Säule"    ragen    wohl    20,    etwa  drei  m  hohe  Steine  empor, 


278  Rückblick  und  Ausblick. 

auf  denen    die  Namen    der    alten   norwegischen  Völkerschaften  ein- 
gegraben sind  (Fig.   ii6). 

Noch  an  demselben  Abend  fuhr  ich  mit  dem  prächtigen 
Dampfer  ,,Kong  Oskar  II."  nach  Bergen  und  von  da  mit  der  ,,Hera" 
nach  Hamburg;  genau  zehn  Tage  nach  der  Abfahrt  von  ^ikureyri 
betrat  ich  wieder  das  Festland,  war  ich  auf  deutschen  Boden. 


CsJl^i] 


Diese    Blätter    aber    —  so    will    ich    in    leiser   Abänderunij   mit 


t> 


Felix  Dahns  nordischem  Roman  „Odhins  Trost"  schliessen  — 
diese  Blätter,  die  ich  begann  auf  der  Insel,  die  sie  Thule  nennen, 
die  Blätter,  die  ich  flüchtig  mit  Bleistift  füllte  im  Lande  der  Mitter- 
nachtssonne, während  der  kurzen  Rast  auf  frischem  Wiesengrün,  am 
Fusse  eisiger  Gletscher  oder  auf  öden,  phantastischen  Lavafeldern, 
im  Sattel  und  im  wohnlichen  Gastzimmer  isländischer  Bauernhöfe  — 
zu  Ende  schreib'  ich  sie  und  überarbeit'  ich  sie  in  der  traulichen 
Studierstube,  wenn  still  des  Nachts  die  Lampe  freundlich  brennt. 
Und  mächtig  überkommt  mich  dann  die  Erinnerung  an  die  schönste 
Zeit  meines  Lebens,  dessen  Höhepunkt  immer  die  Reise  nach  der 
fernen  Insel  bilden  wird,  die  von  des  Nordmeers  schäumender  Woge 
umspült  wird  und  mit  dem  weissen  Helme  der  Gletscherkuppeln 
in  das  Sonnengewölk  emporragt.  Dann  ersteht  sie  vor  mir  im 
Silberkleide,  schimmernd,  schneeumgürtet,  mit  dem  Brauthelm  licht 
und  rein ,  mit  den  langen ,  aus  Kristall  und  weissem  Schnee  ge- 
wobenen Schleiern,  Feuerglut  im  tiefen  Busen,  trotz  der  eisum- 
wogten See.  Dann  beginnt  es  zu  klingen  und  zu  singen  in  mir, 
dann  wird  der  süsse  Wohllaut  der  wundervollen  Worte  in  mir  wach, 
die  Islands  gefeierter  Sänger  Jonas  Hallgrfmssott  ,, Erinnerung  an 
Island"  genannt  hat^): 

Es  lieget  fern  ein  lichter  Gau 
Mit  Schwanenliederschalle, 
Forellcnbächen,   blum'ger  Au 
Und  blankem  Wogenschwaiie, 
Mit  Gletscherfirnen,  Felsen   blau 
Und  steilem  Wasserfalle  — 
Beträufl'  ihn,  Herr,   mit   Segenstau 
Heut  und  die  Tage  alle. 


1)   Lehmann-Filhes,  Proben  isl.  Lyrik,   S.   25. 


Rückblick  und  Ausblick.  279 

Dann  steigt  in  mir,  während  ich  Vergangenheit  und  Gegenwart 
bei  mir  abwäge,  die  Frage  auf:  Wie  wird  Islands  Zukunft  sein? 
Nur  kurz  kann  ich  sie  beantworten,  zu  lang  schon  verweilt'  ich,  und 
der  Leser  wird  ungeduldig. 

Im  Verhältnisse  zu  anderen  Völkern  wird  die  Insel  immer  zu- 
rücktreten müssen,  aber  ihren  bescheidenen  Platz  unter  der  Sonne 
wird  sie  sich  gleichwohl  behaupten  können.  Auch  in  wirtschaft- 
licher Hinsicht  wird  den  Isländern  eine  fröhlichere  Zukunft  blühen, 
wenn  sie  auch  naturgemäss  mit  den  grossen  Nationen  nie  mehr  in 
Wettbewerb  werden  treten  können.  Eine  wahre  Bebauung  des 
Landes  ist  erst  jetzt  wieder  im  Gange,  der  alte  Schlendrian  ist  vor- 
bei, man  nimmt  nicht  mehr  phantastische  Träume  für  Wirklichkeit, 
Island  ist  nicht  mehr  Hamlet,  dem  zu  einer  frischen  mut'gen  Tat 
die  frische,  mut'ge  Seele  fehlt,  und  der  Monologe  hält,  lang  und 
breit,  und  in  Verse  bringt  seinen  Groll.  Was  die  heutige  Generation 
geleistet  hat  an  Wegeanlagen ,  Brückenbauten ,  Verbesserung  der 
Wohnungen,  der  Hauswiesen  und  der  Gärten,  ist  alle  Anerkennung 
wert.  Möge  der  warnende  Ruf  von  Jonas  Hallgrünsson  nicht  um- 
sonst erklungen  sein: 

Was  ist  in   sechshundert  Jahren  aus  unserer  Arbeit  geworden? 
Gingen  den  richtigen  Weg  wir  wohl  zum   Guten  empor? 

Thoroddsen,  der  wie  kein  zweiter  Isländer  seine  Heimat 
kennt,  ist  der  festen  Überzeugung,  dass  die  natürlichen  Reichtümer 
der  Insel  noch  lange  nicht  in  dem  Masse  ausgebeutet  werden,  wie 
sie  verdienen.  Aber  ,,seit  Island  1874  seine  eigene  Verfassung  er- 
halten hat,  kann  man  grössere  oder  kleinere  Fortschritte  nach  allen 
Richtungen  hin  wahrnehmen,  und  wenn  es  auch  nur  langsam  geht, 
so  ist  doch  Hoffnung  vorhanden,  dass  diese  Fortschritts-Bestrebungen 
mit  Erfolg  gekrönt  werden.  Man  sieht  ein,  dass  man  in  den  prak- 
tischen Fragen  noch  weit  zurück  ist,  und  dass  man  mit  allen  Kräften 
das  Versäumte  nachholen  muss,  und  damit  ist  schon  viel  gewonnen. 
Es  gibt  kaum  eine  Gemeinde,  wo  man  nicht  in  der  einen  oder 
anderen  Weise  auf  Reform  bedacht  ist,  nur  über  die  Ausführungen 
sind  die  Ansichten  unsicher  und  schwankend.  Jeder,  der  Island 
kennt,  weiss,  dass  die  Landwirtschaft,  besonders  aber  die  Fischerei 
trotz  des  rauhen  Klimas  noch  einen  viel  grösseren  Ertrag  abwerfen 
könnte,  wenn  sie  mit  der  gebührenden  Einsicht  und  Energie  be- 
trieben würden.  Wenn  die  Isländer  erst  die  feste  Überzeugung  in 
sich  aufgenommen  haben,  dass  kein  wahrer  Fortschritt  ohne  ange- 
strengte Arbeit,  Umsicht  und  Sparsamkeit  erreicht  werden  kann, 
und  wenn  sie  bei  der  Ausführung  die  nötige  Willens-  und  Arbeits 
kraft  zeigen,  so  ist  kein  Zweifel,  dass  das  Land  wieder  einen  Grad 
von  allgemeinem  Wohlstande  erreichen    kann,    wie  es  ihn  seit  Jahr- 


280  Rückblick  und  Ausblick. 

hunderten  nicht  mehr  gekannt  hat"  ^).  Eindringlich  ruft  Thorodd- 
sen  seinen  Landsleuten  zu:  ,,Wir  müssen  versuchen,  mit  den  Er- 
rungenschaften der  Neuzeit  Schritt  zu  halten,  wenn  es  auch  schwer 
werden,  und  wenn  es  auch  langsamer  bei  uns  gehen  wird.  Auf  der 
anderen  Seite  müssen  wir  unsere  Nationalität  wahren  und  es  lernen, 
die  uns  von  der  Natur  gebotenen  Reichtümer  in  verständiger  Weise 
zu  benutzen.  Hoffen  wir,  dass  die  Tüchtigkeit,  Ausdauer  und 
Willensstärke  unserer  Vorfahren  uns  auch  in  zukünftigen  Jahr- 
hunderten den  Weg  weisen  werden.  Verstehen  wir  die  Zeichen  der 
Zeit  nicht,  und  ringen  wir  nicht  mit  allen  Kräfren  Leibes  und  der 
Seele  um  unsere  geistigen  und  materiellen  Fortschritte,  so  kann  es 
sich  ereignen,  dass  wir  unsere  Nationalität  verlieren,  unsere  Freiheit 
und  was  sonst  uns  das  Teuerste  ist.  Denn  das  Naturgesetz,  dem 
Pflanzen  und  Tiere,  einzelne  Menschen  und  ganze  Völker  unterworfen 
sind,  duldet  keine  Halbheit"  ^).  — 

Das  sind  im  allgemeinen  die  Ziele,  die  Island  für  die  Zukunft 
zu  erstreben  hat.  Gehen  wir  nun  im  einzelnen,  in  aller  Kürze,  die 
Fortschritte  durch,  die  Island  im  19.  Jahrhundert  gemacht  hat;  da- 
bei wird  sich  von  selbst  ergeben  und  zur  Sprache  kommen,  was 
künftig  noch  zu  tun  übrig  bleibt. 

Der  gewaltigste  Fortschritt  ist,  dass  Island  nach  fünfzigjährigem 
Kampfe  am  S.Januar  1874  eine  eigene  Verfassung  erhalten  hat, 
nach  der  es  ,,ein  untrennbarer  Bestandteil  des  Königreiches  Däne- 
mark ist  mit  eigenen  Rechten" ;  das  Verdienst,  diese  Zugeständ- 
nisse der  dänischen  Regierung  abgetrotzt  zu  haben,  gebührt  lediglich 
Jö7i  Sigurdsson  und  dem  Deutschen  Konrad  Maurer;  1904 
wurde  durchgesetzt,  dass  an  Stelle  des  Landshöfdingi  für  Island 
ein  besonderer  Minister  ernannt  wurde,  ,,der  seinen  ständigen  Wohn- 
sitz in  Reykjavik  hat,  die  isländische  Sprache  beherrscht,  persönlich 
mit  dem  Althing,  der  gesetzgebenden  Kammer,  verkehren  kann  und 
für  die  Gesamthaltung  der  Regierung  verantwortlich  ist,  soweit  sie 
die  inneren  Angelegenheiten  der  Insel  betrifft".  Zwischen  dem 
isländischen  Radikalismus  und  den  dänischen  Ansprüchen  geschickt 
vermittelt  und  so  die  Verfassungsveränderung  ermöglicht  zu  haben, 
ist  ein  wesentliches  Verdienst  von  Dr.  l^aUyr  Giidiiniiidsson.  Däne- 
mark hat  also  anerkannt,  dass  Island  selbständig  ist,  wenn  auch 
der  dänische  König  die  Gesetze  unterschreiben  muss.  Gleichwohl 
gibt  es  noch  verschiedene  Oppositionsparteien,  meist  reine  Theore- 
tiker —  sie  nennen  sich  Laiidvaniari)ieiiii,  Landesverteidiger,  ihr 
Hauptorgan  ist  der  Ingölfiir  in  Reykjavik  — ,  die  meinen,  die  Islän- 
der   hätten  dadurch   das  Recht  des  Landes  preis  gegeben,  dass  der 


1)  Ferd  um  Austurlatid,  Andvari,  IX,  S.  96. 

2)  Andvari,  XUI,  S-  225. 


Rückblick  und  Ausblick.  281 

isländische  Minister  im  dänischen  Staatsrate  sei,  die  übrigen  Minister 
könnten  sich  so  in  die  Verhähnisse  der  Insel  zu  deren  Schaden  ein- 
mischen. Was  diese  radikalen  Heisssporne  erstreben,  ist  nicht  mehr 
und  nicht  weniger  als  die  völlige  wirtschaftliche  und  politische  Los- 
reissung  der  Insel  von  Dänemark  (skilnadiir)  und  die  Wiederher- 
stellung eines  isländischen  Freistaates.  Aber  die  „glorious  Isolation", 
die  sich  England  wider  Willen  leisten  kann ,  würde  für  Island 
schwere  Gefahren  und  grosse  Nachteile  zur  Folge  haben.  Island 
selbst  bringt  den  Dänen  nichts  ein,  aber  die  Isländer  geniessen  von 
Dänemark  Beihilfen,  die  sie  auf  lange  Zeit  nicht  entbehren  können ; 
jeder  isländische  Student  z.  B.  kostet  die  dänische  Krone  eine 
Menge  Geld,  da  ihm  durch  freie  Wohnung  und  reichliche  Unter- 
stützung der  Aufenthalt  in  Kopenhagen  möglichst  erleichtert  wird. 
Wer  die  Geschichte  Islands  kennt  und  weiss,  wie  man  sich  in  Däne- 
mark früher  angewöhnt  hatte,  Island  als  eine  blosse  ,,Dependenz" 
zu  betrachten,  die  man  durch  die  drückendsten  Handelsmonopole 
aussaugte,  und  deren  öffentliches  Gut  man  unbedenklich  zugunsten 
des  dänischen  Schatzes  verschleuderte,  der  versteht,  dass  die  Ge- 
fühle der  Isländer  für  die  Dänen  nicht  sonderlich  freundschaftlich 
und  liebevoll  sein  konnten.  Aber  wohin  soll  es  führen,  wenn  man 
nicht  vergeben  und  vergessen  und  mit  dem  geschichtlich  Gewordenen 
rechnen  will?  Um  so  mehr,  da  Dänemark  aufrichtig  bemüht  ist, 
die  geschlagenen  Wunden  zu  heilen,  wieder  gut  zu  machen,  was 
es  verschuldet  hat,  und  den  berechtigten  Nationalstolz  auf  alle  Weise 
zu  schonen.  Eine  feine  Höflichkeit  ist  es,  dass  König  Frederik 
das  gesamte  Althing  im  Juli  1906  nach  Kopenhagen  eingeladen 
und  auf  einem  besonders  zur  Verfügung  gestellten  Dampfer  feierlich 
nach  Koperthagen  geleitet  hat.  Im  Sommer  1907  will  der  König 
dann  die  Insel  selbst  besuchen,  und  dann  können  sich  die  Isländer 
überzeugen,  dass  er  sogar  ihre  Sprache  spricht.  Viele  Augen  sehen 
sich  nach  einem  Anschluss  an  England  oder  Norwegen  um,  —  aber 
dass  damit  eine  Verbesserung  erreicht  würde,  glauben  sie  selbst 
nicht.  Heusler  hat  vollkommen  recht:  die  höhere  Politik  könne 
man  auf  Jahrzehnte  ruhen  lassen ;  die  Verfassung,  so  wie  sie  sei, 
gebe  Raum  genug,  um  an  dem  wirtschaftlichen  Fortschritt,  der 
ohne  Vergleich  wichtigsten  Aufgabe,  erfolgreich  zu  arbeiten.  Manchem 
von  der  Oppositionspartei,  den  ich  als  liebenswürdigen  Wirt  und 
feingebildeten  Gelehrten  schätzen  gelernt  habe,  habe  ich  den  warnen- 
den Rat  erteilen  müssen,  nicht  ein  doppeltes  Spiel  zu  spielen :  auf 
Island  selbst  werfen  sie  dem  Minister  vor,  dass  er  Dänemark  gegen- 
über zu  schwach  und  nachgiebig  sei ;  in  Dänemark  aber,  und  von 
da  gelangt  es  in  die  ausländische  Presse,  stellen  sie  die  Verhält- 
nisse so  hin,  als  dächte  man  allen  Ernstes  nach  dem  Vorbilde  des 
norwegisches  Separatismus  an  eine  völlige  Losreissung  von  der 
,, Fremdherrschaft",  an  eine  Trennung  vom  ,, Ausland"  Dänemark. 


282  Rückblick  und  Ausblick. 

Einen  weiteren  Fortschritt  zeigt  das  Verkehrswesen.  Ab- 
gesehen von  der  weit  häufigeren  Dampfverbindung  ist  der  Verbesse- 
rung der  Wege  (vegabcrtur)  die  grösste  Aufmerksamkeit  geschenkt, 
und  eine  stattUche  Anzahl  Brücken  ist  gebaut  worden.  Eine  Eisen- 
bahn gibt  es  zwar  noch  nicht,  aber  die  telegraphische  Verbindung 
mit  dem  Auslande  und  unter  den  einzelnen  Orten  der  Insel  ist  seit 
September   1906  Wirklichkeit  geworden. 

Das  Land  ist  zwar  arm,  aber  nicht  nur  völlig  schuldenfrei, 
sondern  besitzt  sogar  seit  1871  einen  Reservefonds,  der  am  i.  Januar 
1904  1820000  Kr.  betrug,  während  er  1876  nur  400000  Kr.  hatte. 
Während  die  Gesamteinnahmen  des  Staates  1876  ']']  auf  611  000  Kr. 
veranschlagt  wurden,  betrugen  sie  1902/3  2  064 000  Kr.  Der  Wert 
der  einzelnen  Häuser  in  den  Kaufstädten  ist  von  600000  Kr.  im 
Jahre  1870  auf  5000000  Kr.  1899  gestiegen.  Die  erste  Sparkasse 
entstand  1872  in  Reykjavik  mit  13  610  Kr.  Einlagen,  1902  betrugen 
sie  2  505000  Kr.  Im  Juni  1904  ist  eine  zweite  Bank  eröffnet  (Islands 
banki),  die  Noten  in  Umlauf  gesetzt  hat;  sie  ist  von  einer  Gesell- 
schaft dänischer  und  norwegischer  Banken  und  Kapitalisten  ge- 
gründet und  hat  für  30  Jahre  das  Privilegium ,  Banknoten  aus- 
zugeben. 

Auf  literarischem  Gebiete  sind  zu  der  bereits  früher 
blühenden  Lyrik  die  Anfänge  der  Novellistik  und  des  Romans  ge- 
kommen, und  selbst  die  dramatische  Kunst  zeigt  verheissungsvolle 
Ansätze.  Musik  und  Bildhauerkunst  stecken  in  den  Kinderschuhen, 
doch  zieht  ein  entschieden  begabter  Bildhauer  und  ein  tüchtiger 
Maler  schon  die  Aufmerksamkeit  auf  sich.  Für  den  Unterricht  ist, 
so  darf  man  getrost  sagen ,  in  keinem  Lande  so  gut  gesorgt ,  wie 
in  Island.  Der  einzigartige  Bildungstrieb,  der  den  Isländern  immer 
eigen  gewesen  ist,  hat  auch  jetzt  noch  nicht  nachgelassen:  mancher 
einfache  Bauer  erwirbt  sich  aus  eigener  Kraft  nicht  nur  Sprach- 
kenntnisse, sondern  auch  gediegenes  literarisches  Wissen,  und  dieser 
ideale  Zug  ist  es  besonders,  der  uns  das  Volk  in  seiner  Gesamtheit 
so  lieb  und  wert  macht.  Die  Sprache  ist  von  fremden  Elementen, 
namentlich  von  Danismen  gereinigt,  die  Rechtschreibung  verbessert, 
wenn  auch  noch  keine  Einheit  hier  erreicht  ist,  und  der  Stil  ver- 
vollkommnet^). 


1)  „Isländischer  Geist  und  isländische  Dichtung,  denen  die  dänische  Kultur  ihre 
ganze  nordische  Kultur  verdankt,  müsste  einen  Ehrenplatz  auch  im  Kreise  der  modernen 
Bildung  Dänemarks  zugesichert  werden"  (Georg  Brandes,  Gesammelte  Schriften  IV, 
S.  364).  Aber  sein  Vorschlag  „Die  jungen  isländischen  Dichter  müssen  die  dänische 
Sprache  gut  genug  beherrschen  können,  um  unsere  Literatur  mit  den  besten  Schöpfungen 
isländischer  Dichtkunst  zu  bereichern"  (a.  a.  S.  361),  ist  unmöglich;  soviel  ich  weiss, 
hat  noch  kein  isländischer  Dichter  in  dänischer  Sprache  gedichtet ,  obwohl  er  sie 
ebensogut  wie  seine  Muttersprache  beherrscht,  noch  seine  Schöpfungen  selbst  in  das 
Dänische  übertragen. 


Rückblick  und  Ausblick.  283 

Ganz  besondere  Pflege  hat  man  dem  Gesundheitswesen 
gewidmet.  Die  durchschnitthche  Lebensdauer  hat  in  den  letzten 
25  Jahren  um  mehr  als  10  Jahre  zugenommen.  Grossartig  ist  die 
Altersversorgung  geregelt.  Die  Enthaltsamkeitsbewegung 
schreitet  rüstig  fort,  namentlich  durch  die  Tätigkeit  der  Guttempler- 
loge. Die  einzigen,  aber  erfreulichen  Rückgänge,  die  die  Insel  auf- 
zuweisen hat,  sind  das  Nachlassen  des  Aussatzes,  der  Hundewurm- 
krankheit  und  vor  allem  des  Gebrauchs  an  alkoholischen  Getränken. 
Während  1S69  auf  den  Mann  8,94  Topf  Branntwein  kamen  (etwa 
unserem  Liter  entsprechend),  sind  es  1902  nur  2,31.  Zur  Nachahmung 
können  folgende  gesetzliche  Bestimmungen  dienen :  „Niemand  braucht 
geistige  Getränke  zu  bezahlen,  die  er  im  Wirtshaus  auf  Borg  erhält, 
die  Zöglinge  öffentlicher  Schulen  auch  dann  nicht,  wenn  sie  Getränke 
im  Kaufladen  oder  anderswo  auf  Borg  entnehmen.  Wer  Spirituosen 
an  Personen  unter  16  Jahren  oder  an  solche  verkauft,  die  wegen 
Trunksucht  entmündigt  sind,  ist  straffällig".  Die  Erzeugung  alko- 
holischer Getränke  im  Lande  selbst  ist  untersagt.  Auch  die  Einfuhr 
von  Spirituosen  ist  zurückgegangen;  ein  Liter  Branntwein  kostet 
z.  B.  45   Öre  Zoll. 

Auch  die  Lebensweise  des  Volkes  zeigt  entschiedene  Fort- 
schritte, die  Errungenschaften  der  europäischen  Kultur  finden  un- 
aufhaltsam ihren  Weg  nach  der  abseits  gelegenen  Insel.  Die  Nah- 
rungsverhältnisse haben  sich  gebessert,  die  Kleidung  ist  geschmack- 
voller geworden,  die  Reinlichkeit  hat  zugenommen,  die  Zubereitung 
der  Speisen  ist  besser  geworden,  Aberglaube  und  Vorurteile  haben 
abgenommen,  die  Petroleumlampe  hat  die  Teerlampe  verdrängt ; 
Nähmaschinen,  Strickmaschinen,  Zentrifugen,  Webstühle,  Spinn- 
maschinen, selbst  Mähmaschinen,  haben  Eingang  gefunden.  Auch 
der  Wagen  hat  sich  eingebürgert,  während  es  noch  vor  kurzer  Zeit 
keinen  einzigen  gab  und  alles  zu  Pferde  transportiert  werden 
musste. 

In  Thoroddsens  Novelle  „Jüngling  und  Mädchen"  sagt  eine 
bejahrte  Kirchspielsarme,  die,  da  ihr  Heimatsort  zweifelhaft  ist,  von 
einer  Gemeinde  zur  anderen  abgeschoben  wird,  hungrig  und  vor 
Frost  erstarrt:  ,,Aber  Gott  vergebe  dem  König,  nun  sitzt  er  und 
trinkt  Kaffee  und  Branntwein  und  weiss  nicht,  was  hier  vorgeht". 
Das  wird  heute  auch  dem  armseligsten  Weibe  nicht  mehr  in  den 
Mund  kommen,  Kaffee  und  Branntwein  gelten  auf  der  Insel  nicht 
mehr  als  königliche  Genussmittel  ^). 

Die  Einwohnerzahl,  die  1850  59000  betrug,  ist  auf  rund 
80000  angewachsen,  der  Überschuss  an  Geburten  betrug  1895  etwa 
1873.  Der  Ausgewanderten  sind  1903  und  1904  zusammen  750, 
1905  und   1906  noch  viel  weniger,    während  früher  in  einem  Jahre 


')  Kuntze,  Island  am  Beginn  des  20.  Jahrhunderts.     Grenzboten  1905,   S.  332. 


284  Rückblick  und  Ausblick. 

soviel  jNIenschen  fortzogen.  Und  doch  könnten  auf  Island,  wie 
man  sorgfältig  ausgerechnet  hat,  annähernd  SoooCXD  Menschen  woh- 
nen und  noch  dazu  viel  besser  leben,  als  es  jetzt  der  Fall  ist, 
also  fast  das  Zehnfache  der  heutigen  Bevölkerung').  Dr.  Valtyr 
Giidmundsson  hat  daher  vor  einigen  Jahren  dem  Althing  einen 
Gesetzesvorschlag  unterbreitet,  nach  dem  Ansiedler  aus  den  skandi- 
navischen Reichen  unter  besonders  günstigen  Bedingungen  nach 
Island  übergeführt  werden  sollen.  Dieser  auf  die  Kolonisation  der 
Insel  abzielende  Vorschlag  ist  zum  Gesetz  erhoben  worden.  Den 
Ansiedlern  wird  Ödland  überwiesen,  wie  auch  Darlehen  aus  der 
isländischen  Staatskasse  zum  Hausbau,  zum  Ankauf  von  Vieh  und 
zur  Anschaffung  von  Gerätschaften  gewährt  werden.  So  hofft  man 
die  grossen  Weiden  besser  auszunützen,  dem  Meiereibetrieb  und  der 
Fischerei  zu  helfen.  Auf  der  Insel  selbst  fehlt  es  dazu  an  Arbeits- 
kraft, und  der  Arbeitslohn  auf  Island  ist  viel  höher  als  in  Däne- 
mark oder  Norwegen.  Welch  ein  wunderbarer  Umschwung!  Heute 
will  man  mehr  Menschen  auf  Island  ansiedeln,  um  es  urbar  zu 
machen ;  vor  1 20  Jahren  aber,  nach  dem  furchtbaren  Ausbruche  der 
Kraterreihe  des  Laki  (1783)  entstand  bei  der  dänischen  Regierung 
der  Gedanke,  die  Isländer  in  die  unbesiedelte  Heide  Jütlands  zu 
verpflanzen ! 

Die  Erwerbsverhältnisse  sind  zum  grossen  Teil  stark  ver- 
bessert. An  Rindern  gab  es  1881  ungefähr  18000,  1902  aber  27000; 
an  Schafen  1881 — 414000,  1902— 700000;  an  Pferden  188 1  —  3 1  000, 
1892 — 45000  Stück.  Um  die  Bodenkultur  zu  heben,  hat  man  entspre- 
chende Vereine  gegründet  und  von  Staatswegen  bedeutende  Summen 
für  Bodenverbesserungen  bewilligt.  Ödfelder  werden  urbar  gemacht, 
die  Hauswiesen  geebnet.  Wiesen-  und  Weideland  schärfer  vonein- 
ander getrennt.  Rieselfelder  und  Bewässerungsgräben  angelegt,  ja, 
man  hat  sogar  mit  der  Aufforstung  des  Landes  begonnen,  und  die 
Regierung  hat  grössere  Summen  bewilligt,  um  den  Versuch  zu  wagen, 
in  einzelnen  Gegenden  wieder  Wälder  anzupflanzen.  Der  Wert  der 
Heuernte  war  1885  ungefähr  2  3 20 000  Kr.,  1902  aber  4605  000  Kr., 
der  Wert  der  Kartoffeln  1885  =  2900  Tonnen,  1902  =  15  500  Tonnen. 
Die  Einfuhr  der  Kartofleln  und  Rüben  wird  in  absehbarer  Zeit  ganz 
unnötig  sein.  Leider  lässt  der  träge  Zopfgeist  in  der  Landwirt- 
schaft die  Moore  immer  noch  in  ihrem  bisherigen  Zustande  und 
verschmäht,  Gelder  von  auswärts  aufzunehmen.  Immerhin  bedeckten 
dank  der  isländischen  Gartenbaugesellschaft  (Gardyrkßifjelag)  die 
Gemüsefelder  1895  einen  Raum  von  50000  qm  (1871  nur  25000  qmj. 
Die  Ebnung  des  Bodens  auf  dem  Wiesenlande  (der  sogenannte 
Pi(fnasljethir)  betrug  1871/75  durchschnittlich  im  Jahre  13,5  ha,  1895 
aber   122,73  ha.     Gedüngte  und  überhaupt  richtig  gepflegte  Wiesen 


1)  Gebhardt,  Globus,  Bd.  67,  S.  385. 


Rückblick  und  Ausblick.  285 

(rccktiid  tun)  gab  es  1885  gegen  31000  Tagewerk  (zu  rund  32  ar), 
1895  aber  41000  Tagewerk.  Zeit  wird  es  auch  kosten,  bis  das 
richtige  Gleichgewicht  zwischen  dem  Betriebe  der  Landwirtschaft 
und  der  Fischerei  wieder  hergestellt  ist,  nachdem  es  jahrhundertelang 
zum  Nachteile  der  Landwirtschaft  verrückt  worden  ist. 

Der  Fischfang  geht  rüstig  vorwärts:  einer  Ausfuhr  von  rund 
fünf  Millionen  Pfund  Fischen  1849  steht  1896  eine  solche  von  rund 
22  Millionen  Pfund  gegenüber.  Der  Wert  der  Fischereiprodukte 
betrug  1885—3375000  Kr.,  1902 — 8000000  Kr.  Der  Gesamtexport 
betrug  1885  ca.  5 '/2  Mill.  Kr.,  1902 — io\'2  Mill.  Kr.,  der  Export 
pro  Einwohner  1885 — T"]  Kr.,  1902 — 132  Kr.  Islands  Flotte  an 
Schiffen  über  20  Reg.-T.  ist  von  84  Schiffen  1895  auf  170  Schiffe 
1902  angewachsen. 

Ausserordentliche  Fortschritte  hat  der  Handel  gemacht,  er 
hat  sich  in  den  letzten  50  Jahren  fast  versechsfacht:  er  ist  allmäh- 
lich mehr  in  die  Hände  der  Isländer  gelangt,  und  der  Tauschhandel 
ist  so  gut  wie  völlig  geschwunden.  Nach  Dänemark  hat  England 
den  Hauptanteil  am  isländischen  Handel.  Den  Hauptausfuhrartikel 
bilden  noch  immer  gesalzene  Fische ;  die  Ausfuhr  von  Wolle  nach 
Norwegen  ist,  nachdem  auf  Island  selbst  Spinnereien  und  Webereien 
errichtet  sind,  zu  völliger  Bedeutungslosigkeit  herabgesunken.  End- 
lich ist  der  Handel  dadurch  in  neue  Bahnen  gelenkt,  dass  sich  ver- 
schiedene Bauern  und  Gemeinden  zu  gemeinsamem  Handel  zusammen- 
geschlossen haben.  Zu  wünschen  bleibt  immerhin  noch  eine  direkte 
Verbindung  Islands  mit  dem  Auslande,  nicht  erst  mit  dem  Umwege 
über  Edinburgh  und  Kopenhagen,  die  Einrichtung  der  Flussschiff- 
fahrt nach  Sprengung  der  Stromschnellen  und  somit  eine  Erleich- 
terung des  Transportes  der  isländischen  Waren  nach  der  Küste  und 
die  Instandsetzung  und  Bemannung  eigener  isländischer  Schiffe. 
Gewinnung  von  Kapital  ist  also  vor  allem  für  Islands  Gedeihen 
nötig,  und  kann  man  nicht  einheimisches  Kapital  und  einheimische 
Unternehmer  aufbringen,  so  muss  man  versuchen,  solche  aus  dem 
Auslande  zu  gewinnen.  Dann  kann  selbst  die  noch  so  sehr  ver- 
mehrte Bevölkerung  Islands  nicht  nur  unter  denselben  Bedingungen 
des  Wohlstandes  und  Behagens  dort  leben,  sondern  sogar  noch 
unter  viel  besseren  als  die  jetzige  kleinere  ^). 

Gewaltige  Fortschritte  sind  also  in  den  letzten  25  Jahren  ge- 
macht, und  frohe  Hoffnungen  kann  der  Isländer  und  Isländerfreund 
auf  die  Zukunft  setzen.  Immerhin  bleibt  noch  genug  zu  tun  übrig. 
Von  dem  grossen  Aufschwung,  bemerkt  E.  Mogk  sehr  richtig,  den 
die  Naturwissenschaften  und  die  davon  abhängige  Industrie  in  der 
Neuzeit   gewonnen   haben,    ist   Island  noch  wenig  berührt  worden-). 


1)  Gebhardt,   Globus,   Bd.    76,   S.   385. 

2)  Hettners  geogr.   Zeitschr.   Jahrgang  XI,    1905,    S.   635. 


286  Rückblick  und  Ausblick. 

Zu  Fabrikanlagen  fordert  die  Natur  des  Landes  geradezu  heraus. 
aber  die  wasserreichen  Ströme  mit  ihren  Wasserfällen,  deren  Kraft 
auf  lOOO  Millionen  Pferdekräfte  veranschlagt  wird,  nutzt  der  Isländer 
nicht  aus,  sondern  verpachtet  sie  an  Engländer.  Die  reichen  Schwefel- 
lager sind  nicht  mehr  in  Betrieb,  leidliche  Kohlenlager  sind  im  Nord- 
und  Ostlande  gefunden,  aber  noch  nicht  auf  ihre  Ergiebigkeit  unter- 
sucht. 

So  freudig  man  vom  allgemein  menschlichen  Standpunkte  aus  die 
lichteren  Aussichten  für  die  Zukunft  begrüssen  wird  —  die  vorzüg- 
lichen Verkehrsmittel  der  Gegenwart,  die  Island  allmählich  von  den 
nachteiligen  Wirkungen  seiner  fernen,  isolierten  Lage  befreit  haben, 
bergen  dem  selbstsüchtigen  Freunde,  dem  Islands  Sprache,  Sitten 
und  Gebräuche  immer  als  die  altertümlichsten  aller  germanischen 
Völker  besonders  lieb  und  teuer  gewesen  sind,  auch  eine  nicht  zu 
unterschätzende  Gefahr  in  sich.  Mit  leisem  Bedauern  wird  er 
fragen,  ob  nicht  unaufhaltsam  Island  aufhören  wird,  ein  dankbarer 
Boden  für  die  Volkskunde  zu  sein.  Schon  das  vergangene  Jahr- 
hundert zeigt,  dass  viele  charakteristische  Züge  isländischer  Eigen- 
art schwinden,  und  dass  die  Berührung  mit  der  heutigen  Kultur 
zwar  segensreich  auf  die  allgemeinen  Verhältnisse  einwirkt,  dafür 
aber  mit  den  alten  Sitten,  Einrichtungen  und  Zuständen  unbarm- 
herzig aufräumt.  Noch  in  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  konnten 
Magnus  Gn'msson  und  Jon  Arnaso?i,  sowie  Konrad  Maurer  eine 
reiche  Ernte  Volkssagcn,  Rätsel,  Reihengedichte  und  Spiele  unter 
Dach  bringen.  Wie  dürftig  ist  dagegen  der  Ertrag,  den  Daniel 
Bruun  und  selbst  Thoroddsen  von  ihren  vielen  Reisen  mitge- 
bracht haben!  Selbst  in  die  Skaptafells  sxsla  wird  im  Laufe  der 
Zeit  das  moderne  Leben  durchsickern.  Eine  Darstellung  alt- 
nordischen Lebens  tut  uns  Not,  bevor  alles  gleichgemacht  ist.  Mit 
Zeichenstift  und  photographischem  Apparat  muss  festgehalten 
werden,  was  noch  von  Altertümern  vorhanden  ist.  Noch  bietet 
sich  uns  hier  eine  Gelegenheit,  wie  nirgends  sonst  in  germanischen 
Ländern,  das  Altertum  unmittelbar  durch  die  Gegenwart  zu  erläutern 
—  wie  bald  wird  auch  sie  verschwunden  sein!  Ans  Werk  drum, 
ihr  nordischen  Philologen  in  Kopenhagen  und  Island !  Noch  ist  es 
Zeit,  die  Aufgabe  zu  lösen,  in  25  Jahren  kann  sie  unwiederbringlich 
dahin  sein! 

Gewisse  Vorzüge  vor  allen  andern  Germanen  wird  Island  immer 
behalten.  Ohne  das  entlegene  Eiland  wären  beinahe  alle  nordischen 
und  viele  germanischen  Altertümer  verloren  gegangen,  wäre  eine 
prachtvolle  altgermanische  Sprache  nicht  rein  und  in  voller  Alter- 
tümlichkeit bewahrt.  Die  Isländer  sind  darum  das  einzige  germa- 
nische Volk,  das  sich  der  alten  rein  germanischen  Literatur  ohne 
gelehrte  Vermittlung  erfreuen  kann,  nur  in  Island  ist  eine  nationale 
Bildung  im  eigentlichen  Sinne  möglich.    ,,Wer  altgermanische  Prosa 


Rückblick  und  Ausblick.  287 

und  altgermanischen  Stil  kennen  lernen  will,  mu.ss  bei  den  Sagas 
Einkehr  halten,  wo  sich  allein  eine  nationale  Prosa  entwickelt  hat. 
Kein  germanisches  Volk  kann  den  Isländern  etwas  Ähnliches  an  die 
Seite  stellen,  und  selbst  bei  den  stammverwandten  Norwegern, 
Schweden  und  Dänen  findet  man  diesen  Zweig  der  Literatur 
nicht"  ^).  Nirgends  in  der  Welt,  um  nur  einige  Hauptpunkte  her- 
vorzuheben, haben  wir  eine  so  eingehende  und  zuverlässige  Kunde 
von  der  Besitznahme  und  Besiedlung  eines  Landes,  wie  von  den 
Norwegern,  die  am  Ende  des  9.  und  Anfang  des  10.  Jahrhunderts 
sich  auf  Island  festgesetzt  haben.  Bei  keinem  anderen  germanischen 
Stamme  ausser  bei  den  Isländern  finden  wir  eine  grammatische 
Behandlung  der  heimischen  Sprache  im  Mittelalter.  ,, Diesem  Volke 
endlich  ist,  sagt  Heus  1er,  die  Schriftstellerei  inneres  Bedürfnis. 
Für  Island  ist  die  literarische  Beschäftigung  nicht  ein  Luxus,  eine 
Spielerei,  die  üppigeren  Völkern  überlassen  werden  könnte.  Die 
Eigenart  des  Volkes,  seine  Stellung  in  der  Welt  beruht  auf  diesem 
Boden.  Man  spricht  auch  wohl  anderswo  von  literarischen  Nationen. 
Aber  dabei  sind  es  die  oberen  Zehntausend,  für  die  das  Schrifttum 
vorhanden  ist.  Auf  Island  ist  das  ganze  Volk  das  Publikum.  Das 
ganze  Volk  lebt  in  seiner  Literatur.  Zustände,  die  bei  uns  mit 
Hans  Sachsens  Zeit  aufgehört  haben,  blieben  auf  Island  bestehen"  ^J. 
Dass  eine  Einbusse  an  altem  nationalen  Eigentum  unvermeidlich 
ist,  wissen  auch  die  Isländer  selbst.  Aber  ich  glaube,  Thoroddsen 
hat  richtig  erkannt,  dass  die  Isländer  die  Frage  nicht  so  stellen 
müssen:  sollen  wir  alle  Kraft  einseitig  auf  unser  wirtschaftliches 
Emporkommen  verwenden?  oder  sollen  wir  die  Hände  in  den 
Schoss  legen  und  uns  nur  in  unserer  ruhmreichen  Vergangenheit 
sonnen?  sondern  er  weist  mit  Recht  nachdrücklich  darauf  hin,  dass 
man  beides  sehr  wohl  miteinander  vereinen  kann.  Die  Isländer 
sollen  ihre  Nationalität,  ihre  Eigenart  nicht  aufgeben,  sie  sollen  das 
glückliche  Volk  bleiben,  das  dank  seiner  abgeschiedenen  Lage  es 
sich  gönnen  kann,  in  den  Literaturschätzen  der  Vergangenheit  und 
Gegenwart  zu  leben,  wie  kein  zweites  Volk  auf  der  ganzen  Welt, 
sie  sollen  der  germanische  Stamm  bleiben,  der  das  schöne  Lob  des 
Tacitus,  das  er  einst  allen  Deutschen  gespendet  hat,  mit  Stolz  auf 
sich  beziehen  kann:  es  bleibe  das  eigentümhche,  unverfälschte,  nur 
sich  selbst  gleiche  Völkchen !  ,, Solange  die  Isländer,  sagt  Heusler, 
ihre  eigensten  Güter ,  die  Werke  in  ihrer  Sprache ,  als  lebendigen 
Besitz  festhalten,  werden  sie,  in  Zukunft  wie  bisher,  ihre  geistige 
Persönlichkeit  wahren  und  dem  Namen  ihrer  Insel  den  edlen,  hellen 
Klang  sichern."  ,,Der  Blick  auf  die  eigene  Vorzeit  ist  immer  der 
Schutzgeist  der  Isländer  gewesen.    Ohne  ihn  hätten  die  Vaterlands- 


1)  Mogk,  Norw.-Isl.  Literaturgeschichte   S.   176. 

2)  Deutsche  Rundschau,   XXII,   S.   406. 


288  Rückblick  und  Ausblick. 

liebe,  die  Sprache,  das  Volkstum  die  zwei  Jahrhunderte  des  Elends 
nicht  überdauert."  Aber  damit  sie  nicht  aussterben,  damit  sie  in 
dem  zwischen  den  Völkern  der  Erde  geführten  Wettstreit  ihren 
Platz  dauernd  ausfüllen,  müssen  sie  auch  mit  den  Fortschritten  der 
übrigen  Menschheit  mitzukommen  suchen  und  dürfen  sich  nicht 
querköpfig  und  störrisch  der  Neuzeit  und  Aussenwelt  verschliessen. 
Schon  Jon  Th.  TJiöroddseii  hat  erkannt,  dass  allein  diese  Ver- 
einigung Island  zum  Segen  gereichen  kann : 

Halte  dein  Volkstum  zu  höchst 

und  such'   es  zu  bilden,   denn  unterm 
Mantel  des  Auslands  verbirgt 

oft  sich   ein  schneidiges  Schwert, 
Eben  das  Schwert,  das  zu   Tode 

verwundet  dein  Bestes  und  Schönstes: 
Heimische,  treffliche  Art, 

heimischen  Alters  Geschmack. 
Folge  du  jenen  getrost, 

die  dich  führen  wollen  die   Wege 
Zu  gedeihlichem  Ziel: 

Fortschritt  und  Freiheit  und   Glück*). 

Dann  wird  das  prophetische  Wort  in  Erfüllung  gehen,  das  der 
greise  Dichter  Benedikt  Gröndal  seinen  Landsleuten  im  Über- 
schwang der  Begeisterung  zugerufen  hat: 

Herrlich  seh  ich  schreiten  dich 
In  der  Zukunft  Weite, 
Schirmend  legt  die  Woge  sich 
Rings  an  deiner  Seite. 
Schimmernd  reihen  sich  zum  Kranz 
Deine  alten   Sterne, 
Und  des  Nordlichts  Zauberglanz 
Flutet  in  die  Ferne. 

Die  bange  Frage,  die  derselbe  Dichter  vor  langen  Jahren  auf- 
geworfen hat,  kann  verstummen : 

Wird  auch  uns  die  Stunde  schlagen. 
Wo  der  Knechtschaft  Nacht  zerfliesst, 
Wo  der  Blumen  schönste  Fülle 
Aus  dem  freien  Boden  spriesst? 

Frohgemut  kann  er  heute  triumphieren : 

Ja,  der  Tag,   er  ist  erschienen, 
Wo  das  Recht  zum   Szepter  greift, 
Und  der  Tag  geht  erst  zu  Ende, 
Wenn  mein  Volk  zum  Grabe  reift! 


1)  Von  den  folgenden  Gedichten  ist  das  i.,  4.  und  5.  von  Pöstion  übersetzt, 
Eislandblüten  S.  85,  157/8,  1989,  das  2.  und  3.  von  Baumgartner,  Island  und  die 
Färöer,   S.   434,   454. 


Rückblick  und  Ausblick.  289 

An  alle  Isländer  aber,  an  hoch  und  gering,  an  arm  und  reich, 
an  alte  wie  an  junge,  an  die,  die  auf  der  meerumbraustcn  Insel 
geblieben  sind,  und  besonders  an  die,  die  der  Heimat  den  Rücken 
gekehrt  haben,  richtet  sich  eine  eindringliche  Mahnung  von  Siein- 
grtmur  lliorsteinsson  aus  seinem  Festgesange  zur  Feier  der  tausend- 
jährigen Besiedelung  Islands : 

Lasst  wirken  uns  stets  für  ein  ruhmvoll  Gedeihn 

Des  geliebten  Landes,  des  kalten, 

Das  uns  schenkte  des  Lebens  rosigen  Schein 

Und  dereinst  uns  das  Bahrtuch  wird  falten. 

Es  ist  zu  gut  für  Elend  und  Roheit 

Und  noch  nicht  zu  schwach   für  Adel   und  Hoheit. 

Gott  stärke  die  Wackern,   die  klug  sich  geweiht 

Dem  wahren  Fortschritt  im  Lande, 

Fürs  Volk  sich  wehren  im  tätigen   Streit^ 

Bis  gefallen  die  letzten  Bande, 

Bis  das  Volk  durch  die   Gluten  der  Wahrheit  gedrungen, 

Der  alte  Ruhm   und  die  Freiheit  errungen !    — 

Als  Hannes  Ha/siemn,  der  reichbegabte  Lyriker  und  der  erste 
isländische  Minister,  auf  der  Heimfahrt  nach  Island  an  Schottlands 
Küste  vorbeifuhr,  wimmelte  es  im  Fjord  von  Schiffen,  des  Landes 
Adern  sind  voller  Leben.  Wie  gern  sähe  er  einen  Teil  dieser 
Schätze  im  Besitze  der  geliebten  Heimat !  Im  Geiste  schaut  er 
Tausende  von  Schiffen  an  Islands  Küste  versammelt,  mit  Jung- 
islands besten  Söhnen  bemannt,  isländisch  erschallt  das  Kommando: 
Volldampf  voraus!  Schlaffheit  und  Schläfrigkeit,  die  alten  Erbübel, 
sieht  er  im  Geiste  für  immer  verbannt,  und  eine  neue  helle  Morgen- 
röte  bricht  dem  Vaterlande  an.  Und  wie  alle  Deutschen  sich  um 
die  schmetternden  Klänge  der  ,, Wacht  am  Rhein"  scharen,  so 
stimmt  Hannes  Hafsteinii  nach  derselben  Melodie  ein  neues  Natio- 
nallied an,  das  die  Zagen  und  Schwachen  vorwärts  reissen  und  jeden 
anspornen  soll,  seine  Pflicht  und  Schuldigkeit  mit  Einsetzung  aller 
Kräfte  und  bis  zum  letzten  Atemzuge  zu  tun.  Als  ein  stimmungs- 
voller Rückblick  auf  die  Vergangenheit,  ein  ernster  Mahnruf  an  die 
Gegenwart,  ein  froher  Ausblick  in  die  Zukunft  mag  sein  Gedicht 
,, Island"  dieses  Buch  beschliessen,  da  es  am  besten  all  das  aus- 
drückt und  wiedergibt,  das  dem  Verfasser  selbst  auf  den  vor- 
liegenden Seiten  als  Leitmotiv  und  Grundakkord  vorgeschwebt  hat : 

Du  unsers  Erdteils  jüngstes  Land, 

Du  unser  Land,  o  Heimatland! 

Hoch  ragst  Du,  wie  des  Jünglings  Stirn, 

Vom  Meer  umrauscht,  mit  Berg  und  Firn. 

Drückt  dich  auch  schwer  des  Schicksals  Hand, 

Du  musst  doch  immer  vorwärts,  vorwärts,  Land! 

Herrmann,  Island  II.  19 


290  Rückblick  und  Ausblick. 

Jed'  Ding  hat  seine  Werdezeit, 

Hart  war  die  Deine  und  voll  Leid ; 

Die  Jugend,  schläfrig,  kinderhaft. 

Birgt  doch  gar  oft  verborgne  Kraft ; 

Drauf  kommt  die  Zeit  der  Männlichkeit, 

Dann  gilt's,  voranzugeh'n  im  Kampf  der  Zeit. 

Vorwärts  all  Deine  Berge  schaun, 

Vorwärts  zeigt  jedes  Kap,   —  und,  traun, 

Auch  Du  willst  nimmer  schläfrig  sein. 

Wagst  in  den  Zeitstrom  Dich  hinein. 

Geh  stolz,  von  Feigheit  unberührt, 

Den  rechten  Weg,  der  Dich  zur  Freiheit  führt 

Du  unsers  Erdteils  jüngstes  Land, 

Du  unser  Land,  o  Vaterland! 

Du  gabst  uns  unsre  Sprache  hold, 

Du  prägtest  unsrer  Seele  Gold, 

Du  nährst  all,  die  wir  leben  hier. 

Und  was  wir  haben,  haben  wir  von  Dir! 

Wie  sollten  wir  Dich  lieben  nicht, 

Da  alles  uns  mit  Dir  verflicht 

Und  Deine  Zukunft  unsre  ist? 

Uns  trifft's,  wenn  Du  im  Rückschritt  bist. 

Drum  heb'   das  Felsenhaupt  hinan. 

Denn  tun  wird  jeder,  jeder,  was  er  kann! 


Verzeichnis  der  Abbildungen. 


(Die  Vollbilder  sind  durch  gesperrten  Druck  hervorgehoben.) 

Teil    I. 

Titelbild:    Benedikt   Gröndal    „Gedenkblatt    an    die    tausend- 
jährige Jubelfeier  der  Besiedlung  Island s". 

Seite 

Bild    I.    Erster  Anblick  von  Islands  Südküste g 

2.  Dyrhölaey  und  MyrdalsjökuU 34 

3.  Heimaey  (Vestmannaeyjar) 37 

4.  Vogelfang  auf  der  Vestmannaeyjar 40 

5.  Ein  Trawler , 45 

6.  Geologische  Karte  von  Island 49 

7.  KraterreihedesLaki 5g 

8.  Der  Vulkan  KverkQöll 76 

9.  Einar  Jönsson,  Utilegumadurinn 81 

10.  Ögmundur  Sigurdsson  und  f'orvaldur  Thoroddsen 97 

11.  f'ingvellir.    Blick  vom  Beginne  der  Almannagjä     .  105 

12.  Hannes  Hafsteinn 126 

13.  Reykjavik 12g 

14.  Zwei  Frauen  in  Festtracht,  eine  in  Alltagstracht 136 

15.  Pferd  im  Winterpelz 13g 

16.  Die  heissen  Quellen  bei  Reykjavik 145 

17.  Gymnasium  mit  Bibliothek  in  Reykjavik 153 

18.  Björn  Magnussen  Olsen 158 

19.  Deckel  auf  einem  gekerbten  Kasten 166 

20.  Geschnitzte  Hornlöffel 168 

21.  Bänder  aus  Island i6g 

22.  Isländische,  in  Flach-  und  Kreuzstich    ausgeführte  Handarbeit  171 

23.  Einar  Jönsson,  Entwurf  eines  Nationaldenkmals  für  den  Fasring 
Poul  Nolsö 179 

24.  Tragbare  Hürde  (zum  Melken  der  Schafe)     .     .     .     .  195 

25.  Einbringen  des  Heus igg 

19* 


2{)2  Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Seite 

Schafe  aufderWeide 201 

Lämmerhürde 203 

Höhle  mit  Umzäunung,  zugleich  Höhle  für  Hirten 206 

Einsammeln  der  Schafe  im  Herbste 207 

Schafhürde  im  Südlande 208 

Grosse  Schafhürde 209 

Sortieren  der  Schafe  in  einer  grossen  Hürde    .     .     .  211 

Natürliche  Rinne  in  einem  Lavafelde,  als  Schafstall  benutzt    .  214 

Alte  Zufluchtsstätte  für  Schafvieh 215 

Bienenkorbartige  Zufluchtsstätte  für  Schafe 216 

Kuhstall,  darüber  eine  Badstofa 219 

Reitpeitsche 224 

Die  letzte  Reise 225 

Schutzhürde  für  den  Winter  (für  Pferde) 226 

Pferdekämpfe  in  alter  Zeit 231 

Hvalfjördur,  gesehen  vom  Reynivallahäls 265 

Im  Regen  bei  Reykjahlid 274 

Holztransport 275 

Stafholtsey 280 

Satteln  der  Packpferde 282 

Rast  in  einem  Lavafelde  —  kein  Gras 283 

Bad  Snorris  (Snorralaug) 287 

Grundriss  von  Pingvellir   . 300 

t'ingvellir.     Die    Öxarä    stürzt   in    die   Almannagjä 

nieder 301 

Der  „Gesetzesfelsen"  und  Hngvallavatn 307 

Bauernhof  im  Eyjafjördur 311 

Grundriss  des  ältesten  isländischen  Wohnhauses 312 

Gehöft  im  Südlande  (Rückseite) 314 

Dasselbe  Gehöft  (Grundriss) 315 

Eine  Badstofa 318 

Altertümliche  Küche  in  Grenjadarstadur 321 

Alte  Kirche  bei  Sandfell 324 

Ragnheidar-hellir 329 

Siegel  der  Islandfahrerbrüderschaft  in  Hamburg 344 

Indridi  Einarsson 353 


Teil   IL 

Titelbild  in  Earbendruck   „Blick  auf  Kir kjubaer". 

Seite 

Aufbruch  zur  Reise 2 

Eingang  zur  Almannagjä 3 

Das  Geysirgebiet 7 

Gullfoss 14 

Unterhalb  des  Gullfoss 15 

Übergang  über  die  Hvitä 17 

Störinüpur zi 


Bild  26. 

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Bild  68. 

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114. 

Verzeichnis  der  Abbildungen.  293 

Seite 

Hekla 25 

Oddi 35 

Storölfshvoll 40 

Blick  von  Hlidarendi  nach  den  Vestmannaeyjar      .  45 

Am  Eyjafj  allajökull 47 

f'orvaldseyri 64 

Skögafoss 66 

Vik  i  Myrdal 82 

Brandung  bei  Vik  (Reynisdrängar) 83 

Hjörleifshöfdi 88 

Ritt  durch  das  Eldvatn loi 

Kirkjubasr  ä  Siclu 103 

Sigurdur   Jönsson,    Bauer    von    Orrustustadir    mit    Frau    und 

Tochter 116 

Nüpstadur 122 

Inneres  der  Kirche  zu  Sandfell 139 

Übergang  über  den  BreidamerkurjökuU 147 

Hof  I   Alptafirdi 160 

Djüpivogur 165 

Brüarjökull  am  Nordrande  des  VatnajökuU 173 

Nordostrand  des  VatnajökuU 173 

Am  Nordrande  des  VatnajökuU 174 

Birkenwald  bei  Hallormstadahäls 176 

Hengifoss 179 

Jökulsä  ä  Brü,  entspringt  auf  dem  EyjabakkajökuU      ....  187 

Luftfähre  (drattHr)  bei  Eyriksstadir 189 

Die  Pferde  werden  durch  Steinwürfe  in  die  Jökulsä  getrieben  193 
Satteln  der  Pferde  nach  dem  Übergang  über  die  Jökulsä  bei 

Ej^riksstadir 194 

Mödrudalur 197 

Herdubreid 198 

Dettifoss 205 

Wäsche  und  Abkochen  vor  Svinadalur 207 

Alter  Herd  in  Svinadalur 209 

Uxahver 218 

Brüarfoss  der  Laxä  bei  Grenjadarstadur 219 

Der  Nachtkobold  in  seinem  Boote 222 

Die  Insel  Slütnes  im  Myvatn 224 

Im  Gebüsch  der  Insel  Slütnes 225 

Reykjahlid 226 

Hverfjall 229 

Kälfaströnd  am  Myvatn 232 

Skütustadir 233 

Godafoss 237 

Wassermühle  bei  Ljösavatn 238 

Hälsskögur  i  Fnjöskadal .  239 

Akureyri 247 

Matthias  Jochumsson 253 

Mödruvellir 269 


294  Verzeichnis  der  Abbildungen. 

Seite 

Bild  115.    Ebereschen  in  Skrida 263 

„     116.    Der  Haraldshaug  bei  Haugesund 277 

Am  Ende  des  zweiten  Teiles:  Übersichtskarte,  Herrmanns  Reiseroute 
in  Island. 

Die  von  fremden  Vorlagen  entnommenen  Bilder  sind  folgenden  Werken 
entliehen:  Nr.  5,  10,  24,  27,  28,  30,  31,  33,  34,  35,  36,  38,  39,  40,  43,  45,  46, 
48»  53»  54.  55-  65,  71,  72,  86,  87,  88,  89,  91,  iio,  stammen  von  Daniel 
Bruun;  Nr.  2,  50,  77  von  Collingwood;  Nr.  3,  15,  19,  22  von  Ann  an - 
dale;  Nr.  i,  8,  102,  106  von  Thoroddsen;  Nr.  6  von  Löffler;  Nr.  96  von 
Paijkull;  Nr.  59  von  Baasch;  Nr.  7  von  Heiland;  Nr.  21  von  der  „Zeit- 
schrift des  Vereins  für  Volkskunde"  (Berlin  1899,  Asher  &  Co).  Die  übrigen 
Abbildungen  sind  nach  photographischen  Aufnahmen  hergestellt;  die  Vorlagen 
für  Nr.  4,  II,  13,  16,  49,  61-64,  68  lieferte  Sigfiis  Eymitndsson  in  Reykjavik; 
für  Nr.  14,  24,  26,  29,  32.  51,  109,  III,  112,  115  H.  Schtöth  in  Akitreyri;  Nr.  25, 
41,  42,  44,  47,  56,  57,  58,  66,  69,  70,  73,  74,  75,  76,  78—84,91-95,97—101,  103, 
104,  105,  114,  115  Günther  Eberhardt  in  Torgau;  von  diesem  rührt  auch 
das  farbige  Titelblatt  her. 


Verzeichnis  der  Proben  aus  der  isländischen 

Literatur. 


I.  Ausführlicher  besprochene  Stellen  aus  den  Sagas. 

Allgemeines  über  die  Sagas  S.  io8  ff. 
Egilssaga.     Allgemeines:  159,  257,  286. 

K.  8—279;  K.  29—189,  237;  K.  62—189;  K.  65—190;  K.  86—258,  259. 
Grettissaga.     Allgemeines:  79,  80. 

K.  12— II  79;  K.  53 — 290;  K.  61—67;  ^-  64,  65,  66—11  236  Anm. 
Gunnlaugssaga  Ormstungn.     Allgemeines:  257,  259,  288,  302. 
Hcensna  Pörissaga.     Allgemeines:  15,  278,  279,  281,  288. 
Hrafnkelssaga  Freysgoda.     Allgemeines:  iio;  II  170,  181- 184. 

K.  i-II  172;  K.  2-II  188;  K.  2,  3-II  181,  182;  K.  5-11  182;  K.  7 -II  182; 

K.  II,  12,  13,  14-II  183;  K.  18-II  183. 
Landnämabök .     Allgemeines:  100,  loi,  iii,  159,  327;  II  69. 

Prolog.  I,  i  -  10,  II,  II  166,  215;  I,  2-235,  323;  I>  6—130;  II  89;  I,  8-130; 

I,  9-329;    I,    18-287;    II,    5—48;    II,  6-152;    II,    7—48;    II,  30-288; 

III  I— 189;    III,  6—289,  II  90;  III.  6,  7,  8-83;  III,  8—231,  232;  III,  II— II 

271;    III,  12— II  257,  258,   264;    III,  18—83;    III,  20— II  213;    III,  107-65; 

IV,  3-II  172;  IV,  4-173;  IV,  5-II  67,  80;  IV,  7-II  161,  168;  IV,  9-U 
153;   IV,   II— II  95,  96,  99,   104;   IV,    12-II  189;   IV,   13-II  69,  87,  89; 

V,  5  -39.  235,  II  47. 

Njälssaga.     Allgemeines:    104,  iio,  i6x,  304,  305,  308,  312,  314,  333;  II  34,  38, 

39,  44>  46,  49,  54,  55,  58,  59,  77,  9i,  93,  107,  133,  134. 

Kap.  I— 81  =  II  49    51 ;  K.  16,  17 — 212;  K.  19— II  48,  49;  K.  36  — II  62; 

K-  41— II  58;    K-  44-94;    K-  45-II  55,  56;    K.  47  f  —  219,  220,  11  50; 

K-  53—189;  K-  59-232,  233.  —  Kap.  82-159  =  II  59-6i;  K.  gi-\l  62; 

K.  loi— II  60,  155,  163,  168;  K.  102— II  90.  91;  K.  III  — 189;  K.  119— 165; 

K.  126  -II  132,  133;    K.  128-11  59;    K.  129-II  59;   K.  138  ff  -II  134; 

K.  149-II  91;  K.  156-II  134. 
Saxo  Grammaticus.     Allgemeines :  6g,  89 ;  II  12,  167,  261. 

pag.  6  — II  12;  pag.  6— II  30;  pag.  7—66,  68,  69,  II  126. 
Viga-Glümssaga.     Allgemeines:  II  264. 

K.  9— II  265,  266;  K.  12 -II  191;  K.  16— II  234,  235,  267;  K.  19— II  267 

K.  23-11  264;  K.  26-11  265;  K.  27-II  248;  K.  28-II  265. 


29G  Proben  aus  der  isländischen  Literatur. 

2.  Gedichte  der  Neuzeit. 
Teil   I. 

Seite 

I.  Bjarni  Thörarensen,  Das  isländische  Nationallied  „Uralle  Isafold"  23 

2    Bjanü  Thörarensen  „Island" 55  56 

3.  Bjarni  Thörarensen  „Svein  Pälsson"  (Bruchstück) 71 

4.  Grimiir  Thomsen  „In  der  Sprengisand-Wüste" 84 

5.  Benedikt  Gröndal  „Gedenkblatt" 125 

6.  Ein  Danz 181 

7.  Bjarni  Thörarensen  „Küsse  mich!" 184 

8.  Steingrimiir  Thorsteinsson  „Schwanengesang  auf  der  Heide"  .     .  279  280 

9.  Jonas  Hal/grimsson  „Island"  (Bruchstück,  vergl.  auch  S.  180)       .  304,  308 

10.  Volkslied  „Die  Handelsreise  nach  Hamburg" 317, 318 

11.  Volkslied  „Lied  von  Kaiser  Friedrich  Rotbart" 349-35^ 

12.  Indridi  Einarsson  „Ballade"       35^  357 

13.  Hannes  Hafsteinn  „Trinklied" 368  369 

14.  Björn  Magniisson  Olsen  „Die  Entdeckung  von  Vinland  dem  guten"  369  370 

15.  Björn  Magniisson  Olsen  „Mittwinteropfer" 371  372 


Teil    II. 

Seile 

16.  Hannes  Hafsteinn  „Beim  Geysir" 10  11 

17.  Gudniundur  Magniisson  „Der  Gullfoss" 16 

18.  Fäll  üla/sson  „Der  kleine  Brachvogel" 42 

19.  Jonas  Hallgritnsson  „Brachvogels  Lied" 43 

20.  Benedikt  Gröndal  „Im  Herbst" * 43 

21.  Faeröisches  Volkslied  „Gunnars  Lied" 51  '52 

22.  Isländisches  Volkslied  „Gunnars  Lied"  (Bruchstück) 52 

23.  Bjarni   Thörarensen  „Fljötshh'd" 53 

24.  Jonas  Hallgrimsson  „Gunnarshölmi"  (Bruchstück) 53  54 

25.  Sieingrimur  Thorsteinsson  „In  der  Lavawüste"  (Bruchstück)    .     .  57 

26.  Grimur  Thomsen  „Sölheimasandur" 8081 

27.  Jon   Th.   Thöroddsen  „Island" 109 

28.  Indridi  Einarsson  „Islands  Freiheit  geht  verloren" m 

29.  Päll  Ölafsson  „Am  Tage,  da  die  Asche  fiel" 185 

30.  Matthias  Jochiimsson  „Akureyri"  (Bruchstück) 242 

31.  Jonas  Hallgrimsson  „An  Paul  Gaimard" 244  245 

32.  Matthias  Jochumsson  „Hymne  zur  Erinnerung  an  die  looojährige 
Besiedlung  Islands  1874"  (Bruchstück) •  256 

33.  Jonas  Hallgrimsson  „Erinnerung  an  Island" 278 

34.  Jon   Th.   Thöroddsen  „An  die  Isländer"  (Bruchstück) 288 

35.  Benedikt  Gröndal  „Lied  zum  Millenialfest  1874"  (Bruchstück)    .     .  288 

36.  Benedikt  Gröndal  „Südfahrt"  (Bruchstück) 288 

37.  Steingrimur  Thorsteinsson  „Gesang  zum  Volksfeste  auf  f*ingvellir" 
(Bruchstück) 289 

38.  Hannes  Hafsteinn  „Island" 290,291 


Proben  aus  der  isländischen  Literatur.  297 

3.  Drama, 

Seite 

Ausführliche   Inhaltsangabe   des   Schauspieles  „Das  Schiff  sinkt", 

von  Indridi  Einarsson I,  354 — 358 


4.  Kompositionen. 

1.  Ein  alter  Zwiegesang 184 

2.  Zwei  Melodien  zu  „Lied  von  Kaiser  Friedrich  Rotbart"     .     .  349 

3.  Bjarni  Porsteinsson  „Islands  Freiheit  geht  verloren"  .     .     .     .II,  112— 114 

Von  den  Gedichten  sind  Nr.  i,  33  von  Lehmann-Filhes  übersetzt, 
Nr.  35,  36  von  Baumg artner,  Nr.  2,  3,  8,  16,  18,  19,  20,  23,  24,  25,  29,  32, 
34>  37>  38  von  Pöstion,  die  übrigen  19  vom  Verfasser. 


Namenverzeichnis. 


(Die  Seitenzahlen  des  zweiten   Teiles  beginnen   mit  einer  römischen  II.) 


Adam  von  Bremen  30,  85,   313,  343. 

Adalböl  II  181  f. 

Affoll  II  59,  62. 

Ahasver  (auf  Island)  347. 

Akranes  345. 

Aknreyri22^,  248,  362,  363,  375;  11  40, 

241—270. 
Alar  II  62. 
Alberich  von  Troisfontaines  87 ;  II  30, 

31.  69,  94. 
Alntannaßjüt  II  95,  96. 
Almnnnagjä    105,  124,  300  ff. ;  II  2,  3, 

4,. 60,  134,  157,  207. 
Almannaskard  II  152,  153. 
Alptafjördiir  II  158,  160,  161,  163,  167. 
Alptanes  128. 
Alptaver  60;  II  89,  94. 
Alsey  37. 
Alt  Heidelberg  146,  259,  260,  351,  352, 

361;  II  169. 
Amerika  106,  250,  295,  296. 
Anderson  28,   89,   90,    161,   253,   328; 

II  262. 
Annandale  165  ff. 
Arhver  284. 
Ari  der  Kundige   iio,    iii,    113,   159, 

277. 
Armannsfell  297,  298,  307. 
Arnaldr  Porvaldsson  68;  II  12. 
Arnarstakksheidi  II  84,  87,  90,  91. 


Arnas  Magnaeus  163. 

Arnes  sf/sla  II  18,  19. 

Arngrimr  (Abt)  41,  87,  277;  II  68. 

Arngrimur  Jönsson    Vidalin   31 ,    69, 

89,  336;  II  261. 
Ami  Magnüsson  89,  163,  336;   II  143. 
Arni  von  Skdlholt  112. 
Asbyrgi  II  210,  211. 
Asgrimur  Jönsson   19,    174,    175,  180; 

II  20,  22,  23. 
Askjn  57,  60,   61,  75,  94;   II  164.  187, 

192,  196,  201. 
Augustiner  Orden  II  261. 
Axarfjördur  II  199,  210,  212,  213,  216, 

228. 

B. 

Bach  185. 

Barbarossa  349  ff. 

Bcrjarös  II   154. 

Bcejarstadarskögur  II  131. 

Baula  52,  281. 

Baumgartner  5,  ii6, 172,266;  II  231, 268. 

Benedikt  Gröndal  (d.  ältere)  341. 

(d.jüngere)i24,  125, 

162, 316, 331, 338, 339, 363—365;  n  9, 

43.  288. 
Benediktiner  Orden  324;  II  105,  266. 
Bergen  9;  II  278. 
Bergpörshvoll  194,  304,  312,  314,  333; 

II  46,  49,  50,  58-62,  91,  133,  134. 


Namenverzeichnis. 


299 


Beruf jördur   54,   55;    II  90,    166,    167, 

168,  169. 
Beruf jardarskard  II  170. 
Bessastadir  286,  331,  332,  338. 
Bessastadir  (Miila  s.j   II  184. 
Bjarni  Pälsson  73,  90. 
Bjarni  Thörarensen  20,  55,  56,  70,  71, 

124,   177,  183,  184,  338,  339,  340;   II 

53,  54,  261,  274. 
Bjarni  Porsfeinsson  186;  II  112,  113. 
Björn    Gimnlaugsson   67,   73,    75,  80, 

91,  125,  275;  II  70,  195,  196. 
Björn  Mngniisson  Olsen  78,  141,  157  — 

159,  286,  299,  306,  328,  349,  366,  367, 

369—372,  375;  II  4,  39,  123,  233. 
Björnson  20,  361 ;  II  60,  241,  254,  255. 
Bläfellsjökuü  52;  II  10. 
Blefken  88,  300,  344,  345. 
Blesaklettur  II  141,  142. 
Blesi  II  6,  8,  13. 
Boden  13,  14,  102,  258,  278. 
Bogi  Th.  Meisted  99. 
Borgarf jördur  278  f. 
Borgarhöfn  II  72,  143,  148,  155. 
Borgir  II  124,  148,  151. 
Brandes,  Georg  125,  II  282. 
Brandr  Jönsson  II  92,  93,  134. 
Breidabölstadttr  [Bgf.)  288. 
BreidamerkiirjökiiU  69,  ^  i ;  II  132,  140, 

144  ff. 
Breidanierkursandur  202;    II   71,    126, 

144  f.,  186. 
Breiddolur  II  170,  171,  172. 
Breiddalsheidi  II  171. 
Breidif jördur  5c ;  II  257. 
Brekka  209;  II  177  — 181,  220. 
Brennissfeinsfjöll  60. 
Brennugjä  302. 
Brockhaus  174. 
Brüarä  290;  II  5,  6. 
Brüarfoss  II  219,  220. 
Brüarjökull  77;  II  173,  174. 
Brunnasa)idur  II  120. 
Bruun,  Daniel  6,    77,    78,    84,    96,  97, 

104,  289,  306;  II  19,  71,  181,  233,286. 
Brynjölfur  Sveinsson  163;  II  31. 
Biilandseyjar  II  164. 
Bulandstindur  II  165,  167. 
Bunsen  91 ;  II  12. 


Bürger  337. 
Byrgisbud  306. 
Byron  30;  II  255. 

C. 

Chamisso  II  142. 
Christian  IX.  122,  123. 
Chronicon  Norveg.  87. 
Collingwood  II  36. 

D. 

Dahn  2,  30;  II  181,  278. 

Dankbrand    ic6,    107,   333;    II    60,  77, 

90,  91,  155»  158  ff.  168,  228. 
Deildartunga  284. 
Dettifoss  II  199,  204—206. 
Dimon  II  44,  57,  62. 
Ditlev   Thomsen  133,  157,  177,  372  ff., 
•    II  117— 120. 
Djüpä  II  120,  121. 
Djüpä  (Ping.  s  )  W  240. 
Djüpivogur  33,  43;  II  166—169,  228. 
Drängar  II  44. 
Dränghlid  II  66. 
Drekkingarhylur  302. 
Drifandifoss  II  63. 
Dritey  II  234,  235. 
Dufpaksholt  II  41. 
Dyngjufjöll  58,   80,   93;    II    185,    192, 

198. 
Dyngjujökull  71,  76;  II  198,  199. 
Dyrhölaey  34;  II  64,  81. 


E. 

Edinburgh  22  ff. 

Effersey  45. 

Eggert  Brim  357,  360. 

Egger/  Ö/afsson  70,  73,  90;  II  70,  175, 

240,  257,  268. 
Egi//  Skallagrimsson  4,  173,  189,  257, 

258,  259,  286;  II  54. 
Egi/s  saga  257. 
Einar  Hjörleifsson  126. 
Einar  Jönsson  81,82,  175—180;  II  22. 
Eiriksjökull  281,  296. 


300 


Namenverzeichnis. 


Eirikr  (d.  Rote)  104,  125 
Eidborg  48. 
Eldey  42. 

Eldeyjar  42,  43 ;  II  96. 
Eldgjä  58,  75;  II  69,  70,  94,  104. 
Eldvatn  II  95. 
Ellidaä  258,  329. 
Ellidavatn  259. 
^s/Vjr  135,  258,  259. 
Eskifjörditr  II  169. 
Eydar  191. 

Eyjahakkaä  II  173,  174. 
EyjabakkajökuU  77;  II  174,  187. 
Eyjafjallajökull  33,  57 ;    II  19,  29,  44, 
46,  47,  48,  53,  63,  64,  67,  69,  81,  133. 
Eyjafjnrdarä  II  238,  241  f.,  246  f. 
Eyjafjördur  12;  II  241  f.,  246  f. 
Eyjasandur  39. 
Eyrarbakki  39. 

Eyriksstadir  320;  II  188—195. 
Eysteinn  Asgrimsson  132;  II  92. 


F. 


Fabricius  88,  344;  II  30,  31. 

Faeröer  32,  33,  48,  118,  178;  II  51,  275. 

Fagurhölsmyri  700;  II  116,  130,  141  f., 

156. 
FalljökuU  II  139,  140. 
Fdskrudsfjördtir    148,    238,    252,    253, 

255;  II  168,  170. 
Fafa  II  6,  8. 

Faxafjörditr  43  f.,  50,  128,  345. 
Faxagil  II  184. 
Faxt  44. 
Finnur  Jönsson  lOi,  140,  161;  II  134, 

234- 
Finnur  Magnüsson  340. 

Einsen,  N.  R.  151. 

Fiske  131,  337,  363;  II  253. 

Fiskivötn  II  23,  133,  134. 

Fjardarä  II  104. 

Ejölnir  339. 

Fldajökull  II  149. 

Flatey  II  91. 

Flemming,  F.  F.  22. 

Fljötsdalr  II  172,  173,  184,  185. 

Fljötsdalsheidi  II  173,  181  f.,  185  f. 

Fljötshlid  II  4t  fr.,  53,  56. 


Fljötshverfi  II  121,  135. 

Flöki  55. 

Elosagjd  306,  308. 

Flosaskard  74. 

Floshöll  II  58. 

/Vos/  304,  308;  II  46,   60,  61,  91,  132, 

133,  134- 
Fnjöskd  II  240. 
Fnjöskdrdalur  233;    II  239,    240,   241, 

251. 
Fossdlar  II  120. 
Fossvöllitr  II  188. 
Füuque  157,  340,  341. 
Fox-Expedition  290,  291  ;  II  70,  168. 
Freyfaxagil  II  183,  184. 
Freyfaxahamarr  II  183,  184. 
Freiligrath   i,  2. 
Erernrinämiir  II  183,  215. 
Frenzel  II  234. 

Freytag,  Gustav  341,  353;  II  60,  268. 
Friedrich   Albert  (Fischdampfer)    146, 

147,   255,   372,   373;    II  65,   79,   103, 

115- 120,  143,  148,  151. 
Friedrich  (BischoO  106. 
Friedrich  Rotbart  (Kaiser)  348—351. 
Friesak  72;  II  140. 
Fuglasker  42,  43,  251 ;  II  96. 
Fulda,  Ludwig  353,  361. 
Fulilcekiir  88;  II  67,  68. 


Gaimard,  Paul  90;  II  244. 

Galtalcekur  II  23  ff. 

Gardarr  55;  II  215. 

Gautlönd  II  235. 

Gebhardt  5,  95,  172,  337,  353. 

Geibel  341. 

Geirfuglasker  (V)  37,  43. 

{SM)  43;  II  167. 
Geirlandsä  II  95,  120. 
Geitdalur  II  171,  172,  181. 
Geitland  67,  78. 
Geldingasker  41. 
Gerhard,  Paul  172,  337. 
Gerok  339;  II  21,  234. 
Gestur  Pdlsson  3,  4,  125. 
Geysir  2,  68,  125, 134, 176,  214;  II 6—13 


Namenverzeichnis. 


301 


Gildruhagi  II  i8. 
Giraldus  Cambrensis  86. 
Gisli  Brynjiilfsson  338,  339;  II  266. 
Gisli  Magnüsson  II  56. 
Gissurr  der  Weisse  39,  107. 
Gissurr  Einarsson  116,  335. 
Gissurr  Isletfsson  107,  334. 
Gissurr    Porvaldsson     it2,    113,    181, 
186,  286,  327,  356,  360;  II  III  — 113. 
Gleni  II  250,  267. 
Glu/rafoss  II  63. 
Gljnfursä  II  141. 
Gnüpa-Bärdr  75,  83;  II  126. 
Godafoss  II  236,  237;  267. 
Godalandsjökull  II  46,  133. 
Goethe  30,  157,  337  f. ;  II  22. 
Gories   Peerse   31,   88,   89,   319,   336, 

344,  346,  353- 
Grabein  3. 
Grenadiermütze  43. 
Grenjadarstaditr  2,2.1;  II  212,  215,  220, 

221. 
Grettir  67,  68,  78;  II  256. 
Grimr  geitskör  103. 
Grimsä  278,  293,  295;  II  89. 

„         (Mula  s.J  II  171. 
Grimsey  38,  366;  II  167,  212,  248. 
Grimstadir  (Mijvatn)  II  223  f. 

„  74;  II  122,  201-203. 

Grimsvötn  57;  II  69,  127. 
Grimur  Thomsen  82,  83,  84,  245,  331, 

337;  341;  II  80,  81,  261. 
Grönland  48,  85,  98,  104,  118. 
Grund  114,    196,    200,    362;    II  258, 

265  —  267. 
Gudbrandur  Porläksson  335. 
Gudlaugiir    Gudmiindsson     216,    373, 

375;  II  102  ff.,  HO,  177,  259. 
Gudmundur  Arason  II  216. 
Gudmiindur  Helgason    284  ff. ;    II  20, 

123. 
Gudmundur  Magnüsson  II  16. 
Gullfoss  II  13 — 16. 
Gunnarr    von    Hlidarendi    144,    189, 

212,  219,  232,  233,  304 ;  II  39,  48  bis 

54,  62,  107. 
Gunnarshölnn  II  50,  52,  53,  54,  62. 


Gunnbj  arnarsker  104. 

Gunnlaugs  saga  z^'],  259,  288,  302. 

Gvendarstein  II  216. 

H. 

Hafnarfjördur  114,   128,  144,  330  bis 

333.  336,  342  f. 
Haflidarskrä  iio. 
Hafursä  II  8t. 
Häkon  d.  Alte  112. 
Hall  Caine  3,  185,  186,   187,  240,  361 ; 

II  4,  5- 
Halldör  Jnkobsson  92. 

Hallfredr  II  172,  181. 

Hallgerdr  144,  212,  219,  220;  II  49  bis 

51,  59,  62,  107. 
Hallgrimur  Pjetursson  131,  172,    266, 

337;  II  20. 
Hallormstadahäls  II  172,  176. 
HallormstadarskögurW.  176,  177,  240, 

249. 
Hallr  Pörarinsson  iio. 
Hallshellir  82;  II  4,  5. 
Hals  191 ;  II  241. 
Hälsaös  II  149. 
Hdlsskögur  II  239,  240,  241. 
Hamarsfjördur  II  163,  164,  166. 
Hamburg  343  ff. ;  II  168. 
Hamburg- Amerika -Linie   3,    12,    13, 

185. 
Hammerich,  Angull  182  fif. 
Hannes  Hafsteinn  126,  127,  135,   292, 

338,  34 1;  365.  366-369,  372;  11  9  bis 

II,  289,  290. 
Hansa  88,  343  ff. 
Hantzsch  36. 
Harald  Gormsson  125. 
Harald  Haarschön  100;  II  212,  276  bis 

278. 
Haugesund  II  275—278. 
Haukr  Erlendsson  loi. 
Haukadalur  iio,  334;  II  4,  10. 
Hauptmann,  Gerhard  353. 
Hawthornden  27. 
Heimaey  35  f ,  167. 
Heimaklettur  37. 
Heimskringla  112,  336. 
Heinabergsjökull  II  149. 


302 


Namenverzeichnis. 


Heinabergssandur  II  149,  155. 
Heinabergsvötn  II  149. 
Heine  126,  157.  339,  34°,  34^ ;  II  22. 
Hekla2,   33.   57,   61,   68,  86,  93,   247; 

II  9,  10,  19,  23—32,  53,  244. 
Helgafell  (Kloster)  II  91. 
Helga  feil  (Vestm.)  37,  38. 
Helgi   (der  Magere)  II  242,  255,   257, 

258,  264. 
Helgi  Pjetursson  93. 
Heiland,  Amund  59,  90,  92;  II  70 
Hellirey  41,  215. 
Helluland  85. 
Henderson  90;  II  70. 
Hengifoss  II  179  —  181. 
Hengill  II  i,  13. 
Henzen  5,  352. 

Herbert  von  Vauclaire  68,  86. 
Herdubreid  Q2;  II  182,  198,  201,  203. 
Heusler  185,  264,  285,  317. 
Heyse,  Paul  342. 
Hjalti  Skeggjason  39,  107. 
Hjalti  Porsteinsson  173. 
Hjörleifr  39,  100,  125;  II  89. 
Hjörleifshöfdi  II  76,  88,  89. 
Hlidarendi  70,  162,  189,  192,  212,  219, 

220,  294;  II  43—57- 
Hlidarfjall  227. 
Hlidarnämur  II  228  —  231. 
Hljodaklettar  II  210. 
Hnappavellir  II  144. 
Hnappur  72;  II  140. 
Hof  (Müla  s.)  II  160  f. 
Höfdabrekka  II  70,  89,  90,  91. 
Hofsjökull  (östl.)  73;  II  160,  161. 
Hofsjökull  (westl.)  76. 
Hölar  107,  161,  191,  317,  334    366. 
Hölärjökull  II  140,  144. 
Hölmsä  II  72,  89,  99,  149 
Horaz  II  22,  108.  142. 
Hornafjardarßjöt  II  150,  152. 
Hornafjördiir\i.^Q,i^,  143,  152.  153, 

155- 
Hörn  <Cap  Nord)  272. 

Horrebow  70,  90. 

Hörgärdalur  II  259  f. 

Hörgsdaliir  II  233,  236. 

Höskuldstadir  II  171. 

Howel  72,  73,  74,  77;  II  140. 


Hrafnagil  II  264,  267,  268. 
Hrafnagjä  300,  304;  II  4. 
Hrafnkell  Freysgodi  iio;   II  172,  18  c 

-184,  257. 
Hrafnkelsdalur  78;  II  172,  173,  181  f., 

186. 
Hrafnkelstadir  II  181/. 
Hrisey  II  248,  264,  270,  271. 
Hrollaugseyjar  II  147. 
HrossJiylur  II  23. 
Hruui  II  18. 
Hrutärjökull  II  140. 
Hrutshellir  11  65,  66. 
Hundstagekönig  120. 
Hühner-Thorir  15,  278,  279,   281,  288. 
Hüsavik  66;  II  214—218,  227. 
Hvaleyri  330. 

Hvalfjördiir  106,  265  f.,  275. 
Hvaiutadalshnukiir  72,  73;  II  140. 
Hvanneyri  191. 

Hverßsfljöl  75;  II  70,  95,  96,  104,  120. 
Hverfjall  II  228,  229,  236. 
Hvifd  {Bgf.)  78,  278,  276,  280. 
Hvitä  (Arnes  syslo)  II  13,  15,  17  f. 
Hvitärvellir  279. 


Ibsen   286,   352,   353,   357,  361;    II  54, 

55,  60,  61,  142,  255,  257. 
Ilias  337. 
Indridi  Einarsson  4,  65,  82,  181,  351  ff., 

3.59.  361,  363;  II  5»  1 10 -1x3- 
Ingölfr  Arnarson  39,    100,    123,    125, 

130,  180,  329;  II  89,  143. 
Ingölfs/iöfdiW-ie,  116,  119, 134,  141,143- 
Isafjördur  243,  265. 
isleifr  85,  107,  334. 

J. 

Jäger  175. 

JarlhetUir  II  10. 

Jökuldalsheidi  II  195  ff. 

Jökulsä     d    Breidamerkursandi     69; 

II  74,  86,  144  ff. 
Jökulsd  d  Bnt  58,  77,  290,  326;  II 173, 

174,  181  f.,  187—195-  199 


Namenverzeichnis. 


303 


Jükn/sd  ä  SölheimasancU  67,   68,  69; 

II  70,  71,  80. 
Jöknlsä  ä  Fjöllum,  i  Axarßrdi  II  124, 

192,  199—208,  210,  211,  212. 
Jükn/sd  i  Fljötsdol  II  174,  175. 
Jöknlsä  i  Löni  II  154. 
Jökulsdalur  75,  78,  83;  II  181  i.,  186. 
Jökiilskvisl  II  174,  187. 

Johannes  Magnus  88. 

Johnstrup  92,  93,  94 ;  II  222. 

Jon   Arason   (Bischof)    116,  117,  360; 

II  256,  266. 
Jon  Arnason  94;  II  254,  286. 
Jon  Jönsson  II  154  f. 
Jon  Ögmundarson  324. 
Jon    Sigurdsson    121,    122,    125,    132, 

177,  180,  316 ;  II  280. 
Jonas  Hallgrimsson  91,  92,    126,  175, 

193,  245,    296,    300,    304,    308,    336, 

338,  340,  341,   351;    1143^    52-54, 

244,  245,  257,  278,  279. 
Jonas  Helgason  184. 
Jonas  Jönasson  4,  341 ;  II  267,  268. 
Jonas  Krisfiänsson  II  177  fr. 
Jon  Loptsson  1 1 1 ;  II  37. 
Jon  Olafsson  341 ;  II  274. 
Jon  Pördarson  Thöroddsen  3,  94,  140, 

186,  212,  213;  II  109,  283,  288. 
Jon  Porläksson  2ri'2  337. 
Jon  Porleifsson  338. 
Jon  Porsfeinsson  38,  39. 
Jörgensen  Jörgen  120. 
Jörundur  Jörundarson  120. 
Josephs-Hospital  134,  146  f. 

K. 

Kaalund  7,  93,  275,  277;  II  70,  93,  133. 
Kahles,  258,  285;  II  178,  212,  217,  250, 

262. 
Kälfä  II  19. 

Kälfaströnd  II  232,  233. 
Käragröf  II  59. 
Karl  42. 
Karlsä  II  154. 

^»fla  53,  57,  60,  68,  78;  II  69,  73,  75, 
^  88,  89,  93. 

Keilhack  73,  157;  II  70. 
Keilir  42,  134. 


Kerlingardalsd  II  87,  89. 

Kerlingardalttr  II  87,  89,  90,  91. 

Kerlingar  dyngja  57. 

Kerlingarfjöll  II  76,  78,  231. 

Kerlingarfjördr  II  87,  89. 

Ketill  60. 

Kdill  (der  Närrische)  II  90,   104,   258. 

Kettll  Porsfeinsson  iio. 

Kinnarfjöll  II  214. 

Kirkjitba'r  216,  219,  324;  II  50,  60,  72, 

11,  90,  93>  94,  96,  102-120,  124,  133, 

258. 
Kirkjiiba'jarheidi  II  106,  107,  115. 
Kisfiifell  II  76. 
Kjalvegiir  83. 
Kjerulf  91. 
Kjölitr  83. 
Klifandi  II  81. 
Klopstock  272. 
Knebel,  Walther  von   92;    II  46,  204, 

229. 
Kolgriina  II  149. 
Kollötta  Dyngja  57;  II  198. 
Kolumbus  106,  265. 
Kopenhagen  9,  13,  14,   117,  215,  337, 

338,  345- 
Kossak  3. 

Königsspiegel  66,  69,  86,  237;  II  13. 
Kötliigjd  II  70,  81. 
Kotä  II  141. 
Kotdrjökiill  II  140. 
Krafla  II  227. 

Kristjdn  Jönsson  339,  341;  II  206. 
Krisiivik  57,  134;  II  12. 
Küchler  3,  4,  353,  358;  II  70,  268. 
Kiidafljöt  II  87,  89,  95,  96,  99,  100. 
Kvennsödiill  II  206. 
Kverkfjöll  58,  75,  76,  77;    II  173,  174, 

198,  199,  210. 
Kvid  II   144. 
Kvidrjökull  II  140. 


Lagarfljöt  II  171,    172,  174  —  176,    199, 

203. 
Laki  58,   59,   60,   61,    119;    II  69,   70 

74,  55  ff-,  281. 
Lonab>ot  II  94,  96,  102,  105,  106. 


304 


Namenverzeichnis. 


Landeyjor  II  35,  44,  48. 
Landvatn  II  149. 
Langanes  (Cap.)  65;  II  275. 
Langjüktill  65,  66,  67,  69,  73,   76,  78, 

296;  II  10. 
Langisjör  75;  II  70. 
L'Arronge  361. 

Laugarnes  143—145,  148;  II  61. 
Laugarvatnshellir  II  5. 
Laurenfius  Kälfsson  II  92. 
Laxä  (KJ.)  261. 
Laxä  (bei  Reykj)  328. 
Laxä  (Arnes  s.)  II  19. 
Laxä  (Ping.  s.)   II  214,  216,  217,  218, 

220. 
Laxamfiri  II  216,  217. 
Laxärdaliir  II  214  f. 
Lehmann-Filhes,  Frl.  95,  196. 
Leifr  106,  125,  333,  369,  370. 
Leirä  324,  336. 
Leirä  ( V.  Skapt.  s.)  99. 
Leirhnükur  60;  II  226  f. 
Leith  9,  21  f. 
Ljösavatn  II  236  f. 
Lodmundr  48,  80. 
Löniai^nitpiir  210;  II  121. 
Zö«  II  135,  140,  153,  154. 
Lönsheidi  II  157,  167. 
Loptsalahellir  H  63. 
Loti,  Pierre  3,  251  ff. 
Lundareykjadalur  278  f.,  293,  295. 
Limdur  293^.;  II  55. 
Luther  116  ff.,  335,  II  22,  56,  57. 

M. 

Mcelifellssandr  II  133. 

Mäfabygdir  82;  II  132,  136. 

Magnus  Eyjölfsson  106. 

Magnus  Häkonarson  112. 

Magnus  Stephensen  180,  324,  327,  339; 

n  95- 

Mdndreyjar  II  212,  213. 

Maria  Stuart  25. 

Markarfljöt  II   24,  35    43,  44,  46,  48, 

53,  59,  62,  133. 
Matthias  Jochumsson  82,  117,  124,  185, 

338,  339,  353,  357,  359-  360,  363,  372; 

II  36,  40,  57,  136,  142,  242,  249,  253  ff. 


Medalland  II  94,  96.  100,  105. 
Maurer,  Konrad  84,  121,  158,  161,  191, 

349;  II  197,  280,  286. 
Merigarto  85,  333. 
Merkiä  II  46. 
Merkurjökull  II  46. 
Mej'er-Förster    (s.   a.  Alt-Heidelberg) 

146,  259,  260,  351,  352,  361. 
Midä  II  267. 
Milton  272,  337. 
Mödrudalur    70;  II  182,    191,  192,  196 

bis  199. 
Mödrudalsheidi  182,  195,  196. 
Mödruvellir  94,    97,    196,   218;    II  91, 

196,  253,  258,  259-262,  264. 
Mosfell  258  f. 
Mit  lad  II  171. 
Mulakvisl  II  87,  89. 
Müla  sysla  II  158  -  202. 
Muli  II  161,  171. 
Munkapverä  192,  334;  II  92,  258,  264, 

266,  267. 
Mijrar  (.Pfarrhof)  II  94  ff. 
Myrar  (A.  Skapt.)  250;  II  135,  149  ff- 
Myrda/ur  II  68,  80  ff. 
Myrdalsjökull2,'i-  34,  58;  H  48, 67,  71,81. 
Myrdalssandur  II  87  ff.,  126. 
Myvatn  II  163,  221—236,  246,  264. 
Myvatnsörceß  II  203,  204. 


N. 

Naddodr  55. 

Nämafjall  II  228  f. 

Nes  II  135,  152,  153. 

Nesjasveit  II  151. 

Neue  Insel  42. 

Nikuläsargjä  306,  308. 

Nikuläs  Bergsson  334,  335;  II  266. 

Njäll  104,  304,  305 ;  II  46,  49  f.,  59  bis 

61,  62,  91,  134. 
Njäls  saga  vergl.  S.  295 
Nolsö  178,  179. 
Nordkap  225,  226. 
Nüpstadarskögar  210,  211;  II  123. 
Nupstadur  74;  II  12  t  — 124. 
Nupsvötn  II  71,  96,  123,  125,  126,  127, 
Nykomi  II  104. 


Namenverzeichnis. 


305 


O. 

Ödädahraiin  52,  57,  58,  66,  80,  82,  83, 

II  182,  192,  199,  203,  204. 
Oddeyri  243,  363;  II  241,  248,  250. 
Oddi  223,  285,  334;  n  34—39.  124,  255. 
Oddur  Gottskälksson  116,  335. 
Odyssee  337,  365. 
Ögmimdnr    Sigurdsson    97,    98,    162, 

228,    257,  282,   283,  298,   309,   332; 

II  16,  68,  170,  204,  244,  269. 
Ok  293. 
Ölfitsä  II  17. 

Ölafr  Tryggvason  106,  107,  324,  333. 
Ölafsdalur  191,  198. 
Ölafiir  Davidsson  II  259,  260. 
Ölafur  Egilsson  39. 
Olaiis  Magnus  88,  322. 
Olaiis  0/aviiis  90,  345. 
0/e   Worin  89,  165. 
Olsen,  s.  Björn  M.  Ö. 
Orkaden  29. 

Öra'fajökidl  53,    57,  68,  72,  78;   II  69, 
70,    71,    75,    102,    116,  132,  139,  140, 

14^.  153- 
Örcefi  II  72,  127,  130,  135,  142,  186. 

Örlygr  130,  259,  323. 

OrrusfHstadir  II  65,  116.  117,  120. 

Öskjiihlid  124,  143. 

Öxarä  105,  174,  259,  300  fl'.;  II  134. 

Öxarärholmr  302. 

Öxarheidr  II  169,  183. 

Öxnadalur  259,  265. 


Päll  Bjarnason  Vidalin  69,  336. 
Pdll  Jonsson  322,  336,  372. 
Päll  Ölafsson  II  42,  185,  255. 
Pälsfjall  74. 
Papnfjördur  II  154,  155. 
Papar  II  104,  154. 
Papey  II  164,  166,  167,  168. 
Papös  II  71,  86,  132,  154. 
Papyli  II  104. 
Paradisarhellir  II  63. 
Poeck  I,  3. 
Portland  34,  251. 

Herrmann,    Island  II. 


Pöstion  4,  342. 
Preyer  84,  92;  II  70. 
Prytz  277;  IT  251. 
Pytheas  30. 

R. 

Ragnheidarhellir  212,  328,  329. 
Rängä  II  24,  33,  34,  35. 
Rängärsandur  12. 
Rängärvälla  sysla  38;    II  18,   19,    33, 

186. 
Rängärvellir  II  34. 
Raptaloikiir  II  96. 
Raiutaskridur  II  62. 
Reginprecht  85,  333. 
Reichenau  85,  334. 
Reidarä  II  154. 

Reykholt  78,  132,  220,  284 ff.;  II  37. 
Reykir  II  219. 
Reykjadalsd  284. 
Reykjadalitr  212. 
Reykjaheidi  II  214. 
Reykjahlid  200;   II  20,   215,  226—234, 

238. 
Reykjanes  41,  42;  II  185. 
Reykjavik  9,  45,  46,  54,   55,   66,   120, 
128-163,  191,  231,  233,  240,  242,  309, 
326-333,   351»   352,   353,   357;    358» 
359;  362,  363—376;  n  68. 

Reynis-drängar  34;  II  44,  83. 

Reynisfjall  II  81,  82,  83. 

Reyniva  IIa  hals  265. 

Reynivellir  (Kj.)  185,  261  f. 

Reynivellir  (A.  Skapt.  s.J  II 136, 147, 148. 

Rögnvaldur  Ölafsson  19. 

Rosegger  343. 

Roslin  22  f. 

Rosmhvalanes  237. 

Runölfr  Sigmundsson  II  92,  93. 

S. 

Sacher  Masoch  342. 

Sa'mundr  Slgfüsson  iii;  II  31,  32,36. 

37,  38,  39- 
Salis  (Gaudenz,  v.  S.-Seewis)  341. 

Sandä  II  228. 

20 


306 


Namenverzeichnis. 


Sandfell ^2,^2>,?ßi,;  II 139, 140,141,143. 

Sandklettavatn  298. 

Saxo  Grammaticus  66,  68,  69,  85,  87, 

89;  II  69. 
Sanrbcer  266,  267,  362. 
Saurbcer  (bei  Akureyri)  II  258. 
Scheflfel,  Viktor  v.  2,  30,  368. 
Schierbeck  72,  73;  II  140. 
Schiller  15,  157,  337  ff-;  ^  22. 
Schubin,  Ossip  342. 
Schythe  75,  91,  93. 
Scott  24,  25,  28,  30. 
Seljalaiulsfoss  II  46,  63. 
Seltjarnarnes  128. 
Se^i^  345. 

Seydisfjördtir  g,2\g,  292, 293, 360;  II 177. 
Shakespeare  338,  360;  II  255. 
Shetlandinseln  29,  30,  292;  II  275. 
Sida  215;  II  96. 
Sidii-Hallr  II  77,  158-163. 
Sidujökiill  II  69,  96,  127. 
Sigfüs  Einarsson  83,  186. 
Sighvatr  Slurluson  in;  II  266. 
Siglufjördiir  II  246,  259,  269  f. 
Sigitrdiir  Breidfjörd  126,  262,  339. 
Sigurdur  Gitdinundsson  135,  136,  173, 

174»  359;  n  254. 
Sigurdur  Jönsson  II  65,  68,  116,  117. 
Sigurdur  Sle/chisson  II  6. 
Skagi  43. 

Skälholt  107,  334,  335;  II  6. 
Skallagrimr  189,  237,  278,  279,  287. 
Skälm  II  87,  95,  97,  98,  99. 
Skäney  288. 
Skaptd  42,  58,   75;   II  70,   72,  94,   95, 

96,  99,  102,  107. 
Skaptafell  II  127,  130,  249. 
Skaplafellsd  II  130. 
Skaptafellsjökull  II  130. 
Skaptafells  sysla  51,  53,  69,   70,   161, 

215,  216,  219,  221,  245,  246,  289,  290, 

317;  319,  322,  373;    II  69—157,   286. 
Skardsfjördur  II  152,  153. 
Skardsheidi  275. 
Skarphedinn  189,  232,  233,  304 ;  II  39, 

55,  60,  61,  62. 
Skeid  224. 
Skeidardrjökull  52,   53,  57,  68;  II  68, 

69»  77)  96,  126,  127,  130,  132. 


Skeidarärsandur  96,   147,   373;   II  71, 
74,   117,   118,  119,   120,   125«.,    132, 

135- 
Skerjafjördur  128,  143. 

Skjaldbreidur  42,  57,  67,  296,  299,  304, 

307- 
Skjälfandafljöt   II  199,  214,  216,   236, 

240. 

Skjöldunga  Saga  89;  II  261. 

Skögafoss  II  66,  67. 

Skögasandur  II  67. 

Skorradalsvatn  212,  276,  278. 

Skrida  (bei  Akureyri)  II  249,  262,  263. 

Skrida  324;  II  91,  93. 

Skriddalur  II  171. 

Skridudaliir  II  169. 

Skriduklauslur  192;  II  91,  184,  185. 

Skrißa  286-288. 

Sküli  Magnüsson  119. 

Skiitusladir  II  231  f. 

Sliitnes  II  223  f. 

Sncefell  75,  77. 

Sncefell  (östl.)  II  172,  173. 

Siurfellsjökull  44,  45,  57,  375. 

5;7rt/<'//s«<?6'-Halbinsel  44,  48. 

Snorralaug  286  —  288. 

Snorri  godi  jfi,  107,  111,157,213,285, 

304- 
Snorri  Sturluson    in,    112,    132,    178, 

285  ff.,  303.  304.  332,  333»  363;  II  36, 

37,  261,  266,  276. 
Sölheimasandur  48;   II  67,  80,  81,  89. 
Spielhagen  342. 

Sprengisandur  78,  83,  84,  j86;  II  182. 
Staf afeil  II  90,  154  f. 
Stafholtsey  280  ff.,  319. 
Starniiirardalur  158. 
Stefan    Slepdnsson    196,    197,   275;    II 

259—262. 
Stefnir  Porgilsson  106. 
Steinavötn  II  148,  149. 
Steinasandur  II  148. 
Steingriniur    Thorsteinsson    62,     124, 

135,  159,  279,  326,  338,  339,  34i>  360; 

II  57»  255. 
Stigärjökull  II  140,  144. 
Storinüpur  174;  II  19—22. 
Störölfshvoll  220;  II  34,  35,  39  ft. 
Strokkur  II  6  f.,  18. 


Namenverzeichnis. 


B(J7 


Sturla  Pördarson  loi,  113;  II  266. 

Stnjtur  57. 

Sturliinga  Saga  113,  159;  II  266,  267, 

Styrmir  loi,  327. 

Sudermann  353,  361. 

Sudursveit  II  135,  144  f.,  149. 

SudursveUarfjöll  II  144. 

Süla  II  96. 

Sülnasker  36. 

Sil  Zur  II  221. 

Surtshellir  65. 

Sveinagjä  60,  93;  II  185,  204. 

Sveinbjörn  (Musiker)   185. 

Sveinbjörn  Egilsson  337,  338. 

Sveinn  Pdlssoii  67,  70,  71,  72,  90,  238, 

359>  360;  II  48,  70,  82,  140. 
Svend  Foyn  256. 
Svinadalur  [Kj.)  261. 
Svinadalur  (Ping .  s.)  II  208,  209,  210. 
Svinafell  II   60,  61,   90,   91,    120,  123, 

125,  130-139- 
Svinafellsä  II  130. 
Svinafellsjökull  II  130,  140. 
Svinaskard  260. 
Systrastapi  II  96,  107. 
Systravatn  II  107. 


T, 

Tacitus  32,  261,  264,  313;  II  287. 

Thomsen,  s.  DUlev   Thomsen. 

Thoroddsen,  s.  Porvaldur  Th. 

Thorvaldsen  106,  130,  131,  175  ff. 

Thule  9,  30,  340. 

Tieck  338,  340. 

Tiedge  341. 

Tindfjallajökull  II  19,  29,  46,  53. 

Teitr  Isleifsson  iio. 

Tjörnes  II  213. 

Tomas  Scemundsson  339. 

Torfajökull  52. 

Torfi  Bjarnason  191,  198. 

Trollkonustigur  II  171. 

Trö/ladyngja  (ReykJ.)  42,  57. 

Trölladyngja  (Oddd.)  57;  II  227. 

Tröllahäls  zg^. 

Tungnä  75. 

Tungufljöt  11  13,  17. 


Tunguheidi  11  212,  213. 
Tvisker  238. 
Tyrkir  106,  370. 

U. 

Uhland  337. 

Ulfljötr  102,  103,  304. 

Unst  30,  31. 

Uppsalir  II  143,  149. 

Uxahryggir  80,  222,  223,  294—297. 

Uxahver  192;  II  214,  218,  219. 

Uxavafn  297. 


Vadlaheidi  II  241,  248,  264. 
Valdimar  Briem  176;    II  22,   23,  255. 
Valtijr  Gudmundsson  6,  7,  39,  125,  292, 

342;  II  280,  284. 
Valpjöfstadir  165;  184. 
VatnajökuU  54,  57,  66,  71,  72  ff.,  94, 

95;  II  29,  46,  144,  150,  160,  172—174. 
Vatnajükulsvegur  75. 
Vellindishver  284. 
Verdandi  126. 
Verne,  Jules  3,  28,  45. 
Vestmanna   eyjar  9,    12,    34—41,    48, 

251,  364;  II  28,  35,  48,  81. 
Vestrarhorn  II  152. 
Vidalin  69. 

Videy  45,  130,  156,  326—328;  II  91. 
Vididalur  89. 

Vididalur  (Ping.  sj  II  199,  2CX). 
Vißlstadir  329. 
Viga-Skiita  II  234,  235. 
F«^2/r  II  154,  155,  164. 
F2/&  39;  II  72,  82  ff.,  132. 
Vikingavatu  II  212,  213,  238. 
Vikurkkttur  II  84. 
Villijdlmur  Fiiisen  19,  257,  283. 
Viitdheinuyökull  II  221. 
Vinland  106,  125,  368,  368,  370. 
Virkisd  II  139. 
Virkisjökull  II  140. 
Vonarskard  75,  83. 


20  ■ 


308 


Namenverzeichnis. 


W. 

Waltershausen,   Sart.  von  91;   II  229. 

Wathne  12,  249. 

Watts  74;  II  122. 

Wieland  337,  339. 

Wildenbruch  II  115,  116. 

Wilhelm,  Bischof  der  Orkaden  87. 

Worm,  Ole  89,  165. 


Z. 


Zieten  (Kl.  Kreuzer)  38,  156,  185,  255, 

326,  372—376;  II  64,  81,  84,  168. 
Zirkel  84,  91,  92;  II  70. 
Zugmayer  6,  19,  84,  257;  II  212. 


P. 

Pangbrandr  s.  Dankbrand. 

Pangbrandshvkr  II  228. 

Perney  130. 

Pidrandi  II  161,  162. 

Pingey  II  240. 

Pmgeyjar  sysla  II  203—241. 

Pingey  rar  324. 

Pingniüli  II  171. 

Pingnes  278,  279. 

Pingvallavatii  ■^i,  42,  300,308;  II  1,2, 

245- 
Pingvellir  103,  105,  124,  171,  174,  185, 

191,  298-309;  II  2,  3,  4,  49,  244,245. 

Pjöfalmiikar  II  172,  173. 

Pjörsä  75,  78;  II    19,   23,   35,  44,   199. 

P/örsdrdalur  78;  II  10. 


Pörarinn  Porläksson  174. 

Pördr  Andresson  181;  II  iii — 113. 

Pördr  Stiirliison  iii. 

Pördiir  Vidalin  69:  II  155. 

Pördtir  Pördarso}i  II 116,  117,  148,  154. 

Porgeirr  107,  304;  II  235,  236,  238. 

Porgrimur  Gudmitndsen  139,  140. 

Pörisvatn  75. 

Porläkr  Runölfsson  iio. 

Porläkur  Pörhallsson  II  92,  105. 

Pormödr  Torfason  89,  140,  163. 

Pörsmörk  78;  II  44  ff.,  11 1. 

Porsteinn  Egilsson  120,  360;  II  255. 

Porsteinn  Illugason  163. 

Porvaldr  Kodränsson  106,  323. 

Porva/dseyri  320;  II  63—65. 

Porvaldiir  Bödvarsson  337. 

Porvalditr  Thöroddsen  6,  50,  52,  56 
58,  60,  67,  70,  71,  72,  73,  75,  76,  82, 
84,  92,  94-97,  140,  225,  237,  275, 
290;  II  16,  67,  69,  70,  71,  J2I,  134, 
213,  222,  260,  279,  280,  286,  287. 

Prändarjökidl  II  160,  161,  170. 

Prasi  II  67,  80. 

Prihyrningur  II  29,  60,  61,  133. 

Piirrärhraiin  41. 

Pverä  (Bgf.)  280. 

Pverä  (Rdngdrv.  s.)  II  41,  43,  44,  53, 

54»  55)  58- 
Pverä  ^bei  Akureyri)  267. 
Pverfell  295. 
Pvottä  II  158,  160,  163. 
Pvottäreyjar  II  164. 
Pykkvibcer  II  77,  81,  90—93,  106. 
Pyrill  266;  II  169. 


Sachregister. 


A. 

Aberglaube  90  f.,  205;  11  136  ff.,  156. 

Abiturienten-Examen  156,  157. 

Ächter   67,   79  ff.,   177,   205,  296,   353,   I 

359;  II  5.  136.  203,  255. 
Ackerbau  188  ft.,  327;  II  56. 
adalkirkja  325. 
Administrative  Einteilung  Islands  122, 

123;  II  141. 
afrjettir  202,  205—209,  315;  II  58. 
Alpenstrandläufer  269;  II  42. 
almenningur  208  f. 
Altersversorgung  II  142. 
Altertumsmuseum  162,  170,   174,   324, 

325- 
Alpingi  103,  113,  117,  119,  122. 

Amerikanische  Fischer  259. 

Amtmann  118,  126,  331,   332;    II  261. 

Anamesit  50. 

Annalen  85. 

annexia  273,  325;  II  39. 

Apalhraiin  63  f. 

Archangelica  officinalis  74, 193 ;  II  224, 
232. 

Armenpflege  II  141,  142. 

Arnamagnäanische    Handschriften- 
sammlung 163. 

Ärzte    146—152,   280,   281,   319,    345; 

II  115-117.  154,  259. 
askiir  149,  164,  317. 
Autklärung  180,  327. 
Augenkrankheit  II  148. 


Auslandsreisen  84  f. ;  11  igi. 
Ausrüstung  für  die  Reise  274,  275. 
Aussprache  des  Neuisländischen  267, 

268,  352;  II  78. 
Auswanderung    122,    123,    295,    296; 

II  218,  234,  283,  284. 
Automobil  267,  290,  373;  II  265. 


B. 


badstofa  219, 244, 262, 313,  318,  319,  335. 

bcejarfögeti  122;  II  177,  259. 

Bär  II  143. 

Beer,  s.  Haus. 

Bank  von  Island  14,  18;  II  282. 

Basalt  50. 

baulusieinn  52. 

Befehlshaber  331,  332. 

Begräbnis  225,  226;  II  252. 

Begrüssungen  263,  264. 

Bergengelwurz  193. 

Berggang  205  ff.,  210. 

Bergkönig  206. 

Besiedlung  Isl ands  100 ff.;  II 343, 276, 287. 

Bettler  149,  262;  II  141,  142. 

Bezirksverfassung  103;  II  141. 

Bibel,  übersetzt  272,  335;    II  92,   250. 

Bibliotheken  131,  153,  154,  233;  II  22, 

234,  252,  268. 
Bischöfe  107  fi. 
Biskupaveldi  115, 
blägrijti  50. 


310 


Sachregister. 


Blumen  s.  a.  Flora  6i  ff.,  196,  197, 
276,  278,  325,  330;  II  33,  72,  108, 
109,  201,  210,  223,  224,  249. 

Bodenverbesserung  190 f.;  II  261,  284. 

Brachvogel  266;  II  42,  257. 

Branntwein  118,  269,  270,  299;  II  283. 

Brettchenweberei  169,  170. 

Brücken  95,  290,  336;  II  5,  72,  103, 
210,  220,  236,  248,  282. 

biict  303,  304. 

bümannskhikka  II  138. 

bünadarfjelag  190  f. 

bür  312  ff.;  II  107. 

Butter  191,  220;  II  loi. 

C. 

Christenrecht  107. 

Christentum,  seine  Einführung  106  ff., 
333;  II  158  fl.,  161—163,  257,  258. 

D. 

Dampferverbindung    mit   Island    lof.; 

II  214,  259,  262,  269,  282,  285. 
dansar  s.  Tanzgedichte. 
Dänemarks    Beziehungen    zu    Island 

113  ff.,  234,  267,  353,  361 ;  II  130-132, 

186,  261,  281,  282. 
Deutschlands   Beziehungen   zu  Island 

69,  114,  159,   160,  217,  253  ff.,    267, 

33.3-35i>  353»  361,  367,  372;   II  21, 

22,   38;  115,  117-120,  152,  168,  190, 

191-  254,  259. 
dagsldtta  198;  U  285. 
Dichterpension  II  255. 
dilkiir  202,  208,  209  f. 
Dolerit  50,  52. 
Doppelspat  15;  II  169. 
Dorsch  236,  241,  242;  n  271. 
Drama,   Geschichte  des  isl.  351—363: 

n  255. 

Dramatische  Aufführungen  146,  15g, 
174,  259,  351,  235,  358  f.;  II  52,  57, 
249.  250,  255,  256,  261,  262. 

drättur  II  188—150. 

Draussenlieger  s.  Ächter. 

Düngen  194:  II  149,  252. 

dyngja  (Lavakuppe)  57. 

dyngja  (Frauenstube)  313. 


E. 

Ebereschen  II  249,  262,  266. 
Eddalieder  163;  II  31,  36,  37,  55. 
Eier  39  f.,  43,  269. 
Eiderdunen  327,  346;  II  217. 
Eidergans  326—328;  II  217,  246,  271. 
Einokunartimabil  117  f 
Einwohnerzahl  II  283. 
Eis  54:  II  213. 
Eisenbahn  II  215,  227,  282. 
Eissturmvogel  33;    II  84,   86,   87,    90 

143,  168. 
Eiszeit  48;  II  76,  240. 
eldhiis  310  ff. 
Elfen  176,  308,  336;    II  109,   iio,  136, 

153,  203. 
Elymus  arenarius  (s.  a.  Sandhafer)  62, 

190. 
Englands  Beziehungen   zu    Island  88, 

114,  250,  251,  331,  332,  342  f.;  II  227, 

271,  281. 
Entdeckung  Amerikas  106. 
Entdeckung  Grönlands  104. 
Entdeckung  Islands  55,  99  ff. 
Enten  11  224  f.,  232  f. 
Enthaltsamkeitsbewegung  II  283. 
Entwöhnen  der  Lämmer  202  ff. 
Erdbeben  37,  66;  II  18,  19,  20,  36,  213, 

216,  219,  246. 
Erwerbsquellen  188-256:  II  284,  285. 
Erziehungswesen  152—162,   334—336, 

n  37;    77,   91»   92,  93,  186,  148,  260; 

261,  266,  282. 
Export  15  f.,   191,   200,   220,  238,  239, 

241,  243,  251,  327,  346;   II  215,  285. 


fcFrikviar  194  f 

Falken  15,  86,  346;  II  215. 

Familienleben  162,  264. 

Fata  morgana  II  57,  81. 

Fauna  II  72,  224,  225,  232,  233,  240. 

Fische  241  ff.,  269,  345  f ;  II  272  ff.j 

Fischerei  39,  45,  118,  233-256,  345  f. 

II  270  f 
Fischfang,   Betrieb  233  ff.,  243  ff.;    II 

149,  154.  225,  226,  270  ff. 


Sachregister. 


Hll 


fjallagrös  193. 

fjarborg  215,  2t6. 

Flaschenpost  38. 

Flora  s.  a.  Blumen  96,  197;  II  72,  108, 
126,  144,  223. 

Flugsand  61  ;  II  70,  98,   196,  200,  904. 

Flurwiese  197. 

Flussübergänge 290 ;  II 17, 18,23,58,  68, 
72,  74,  76,  97,  98,  92,  IOC,  loi,  210, 
121,  126,  127-129,  130,  145,  149,  154, 
187-190,  192—195,  203,  242, 259,  260, 

Forellen  233,  242,  308;  II  195,  212, 
225,  226. 

det  Forenede  Dampskibsselskab  11, 
12. 

formansvistir  245. 

Forngripasafn  78,  162,  170,   324,  325. 

Fornleifafjelag  78. 

fösiur  II  148. 

fräfa'rur  202. 

Frankreich  251  ft'. ;  II  100. 

Frauen  125,  135-137. 

Freistaat  103— 113. 

frelsisbardtta  120  fT. 

Fuchs  62,  205;  II  179. 

fylgdarniadur  282—284. 

fylgja  II  58,  137,  162,  163. 


G. 

gaddur  II  97. 

Gärten  190  ff.;  II  56,  251,  252,  266. 

Gartenbaugesellschaft  199  ff.;   II   251, 

284. 
Gastfreundschaft   261    ff.,   319;   II    78, 

200. 
Gefängnis  144,  146. 
geirfiigl  37,  43. 
Geistlichkeit,  katholische  109,  148,  270; 

II  91—93,  201,  266. 
Geistlichkeit,   lutherische    109,  270  fi". , 

319,  345;  II  155,  268. 
Gemäldesammlung  131,  132. 
Generalstab  36,  227,  228;  II  71,  85,  86, 

102,  130—132,  140,  144. 
Geologischer  Bau  Islands  48  ff.;  II  76. 
Gericht  104,  119,  123,  304,  305. 
Gesang  185,  273;  II 22,  56, 57,  iio  ff.,  266. 


Geschichte  Islands  99  —  127. 
Gesundheitsverhältnisse   146—152;    II 

148,  283. 
Getränke  208,  220,  269,  270 ;  II  82,  131, 

169,  190,  214,  243,  244,  262,  269,  283. 
Gletscher  66 — 77,  87,  222;   11  46,  130, 

136,  141,  144  f,  155. 
Gletscherflüsse  279;  II  13,  74—76,  145, 

187. 
Gletschergestank  II  67,  68,  127. 
Gletscherlöcher  69;  11  48,  126,  147. 
Gletschersturz   48,  67;    II   68,   71,  89, 

121,  127,  141,  152. 
Gletscherwasser  197,  270;  II  177,  178- 
glima  \(i2.. 

gU"  44- 

godi  102,  303,  305;  II  183, 

Goldregenpfeifer  II  42,  43. 

Golfstrom  II  78. 

Grdgäs  113. 

Gras  iq6,  197. 

Grösse  Islands  i,  49,  95,  261. 

Gymnasiai-Bibliothek  153,  154. 

Gymnasium  1520:,  331,  332,  338,  358, 

359- 

H. 

Haar  der  Pele  61;  II  201. 

Habicht  86. 

Haflidaskrä  iio. 

Haifischfang  243. 

Handel  15  ff.,   275,   276,   343  f;    II  84, 

85;  145»  146,  152,  191.  201,  214,  215, 

285. 
Handelsmonopol  16,  114,  117  ff. 
Handwerkerhaus  132. 
Haus,    das    isl.    104,   219,    310 — 325; 

II  20,  51,  64,  65,  130,  136,   144,  149, 

178,  195,  200,  217,  220,  236,  238,  262. 
Hauswiese,  s.  tun. 
Helluhraun  63  f 
Herd  320;  209. 

Heringsfang  236,  248  flf.;   II  259,  271  f. 
Jiestarjett  227,  273. 
hestasteinn  227;  II  191. 
hestavig  232  ff. 
Heu  196,  197. 


312 


Sachregister. 


Heuernte  198  ff.;    II  73,  178,  228,  263, 

284. 
Hexenglaube  336. 
hirdstjöri  113. 
Hirt  202,  204,  216. 
hjallur  242,  315. 
Hochland  77  ff. 
Hochweiden  205  ff. 
Hölle  II  30,  31. 
höfdaleUir  168. 
höfiidsmadur  113. 
Höhlen  s.  a.  Lavahöhlen  65,  208,  214, 

215;  II  63. 
holt  143. 

Hornlöffel  168,  169. 
Holzschneidekunst  1635.     II  184,  217, 

252. 
Holztransport  275,  276. 
hrann  63  ff. 
Hungersnot  118. 
hreppstjöri  122,  210;  II  141. 
hreppur  141. 

Hundebandwunn  149,  150,317;  II  78. 
Hühner  281. 
hüsagarditr  322. 
hver  66,  144;  II  219. 
hvönn  193. 


Import  15, 189, 190, 192, 322, 346;  n  285. 
Iren  29;  II  104,  154,  166. 
islendingobök  11 1. 
Islendingasaga  113. 
Isländer-Sagas  loi,  108,  109;  11  295. 

J. 

jardabcetiir  191,  197. 
jardhüs  314;  II  235. 
Järnsida  113,  114. 
jökulhlaup  68. 
jökull  66. 

Jökulsä  II  13,  74—76. 
Jönsbök  114. 

K. 

Kabelverbindung  127,  290  ff. 
Kaffee  208,  320;  II  283. 


Kalte  Pein  30. 

Kartoff'el  192;  II  249,  266,  284. 
Käse  219,  220. 
Kaufmann  17  f 
Kegelförmige  Vulkane  56,  57. 
Keltische  Einflüsse  loi,  181;  II  77. 
kerling  289;  II  28. 
Kesselbruch  44. 

Kirchen  259,  294,  308,  317,  323-325, 
345;  n  79,  139.   ^55,   156,   161,  228, 
234,  252,  263. 
Kirchhöfe   133,   273,   325;    II  20,    123, 

252. 
kläf'ur  II  188—190. 
Khrkaveldistimabtl  115. 
Klima  49,  54,  55;    II  23,  84,  139,  154, 
167,  196,  213,  214,  271,  275. 

Klippfisch  239,  242. 

Klöster  324;  II  79,  91,  266. 

König  auf  Island  123,  124. 

kofi  208,  297. 

Kohl  192. 

Kommersbuch  367  f 

Konsumvereine  18;  II  285. 

Kosten  des  Reisens  auf  Island  263. 

Krankenhäuser  146  ff. ;  II  178,  249,  253. 

Krater  56  ff'. 

Kraterreihen  58  ff. 

Kuckuckslichtnelke  62. 

Küche  244;  II  209. 

Kühe  217  ff.;  II  284. 

Künste  auf  Island  163 — 187. 

Küssen  264. 

Kuhställe  218,  219,  315;  II  262. 

Kunstgewerbe  163  ff'. 

kviar  204. 


Lachs  235,  242;  II  217. 
Lagunen  II  73. 
Landbau  188  —  193. 
Landesarchiv  132. 
Landesbibliothek  131,  233. 
Landnahmezeit  100  f 
Landnämabuk  190,  loi,  11 1,  327. 
landnämsöld  100 — 103. 
Landwirtschaft  118,  188  flf.,  240;  II  284, 
285. 


Sachregister. 


313 


Landwirtschaftliche  Schulen  i6o. 

Ländliche  Verfassung  122,  123. 

Länge  der  Überfahrt  nach  Island  9  f. 

landfögeti  118,  322. 

hmdshöfdingi  122,  125,  126;  IT  280. 

lang  66,  144. 

Lava  60  ff.,  86,  299,  300;  II  231  ff. 

Lavafelder  60  ff.,  283. 

Lavahöhlen  41,  329;  II  2. 

Lavakuppen  57,  58. 

Lavavegetation    61    ff.,    330;    II    222, 

231  f. 
Leibesübungen  162;  II  138. 
Leinfink  II  232,  240. 
Leithammel  213,  214. 
Lepra  148,  149;  II  78,  200. 
Lilja  n  92. 
Liparit  52,  281. 
Lögberg  103,   107,  303,   305  fif.,   II  49, 

134,  183. 
lögmadr  113,  138. 
lögrjeit  208. 

lögrjetta  103,  300,  305  ft: 
lögsögumadr  103,  113,  303,  305. 
lokhvila  165,  288,  312. 
lopt  312. 

M. 

Maccaluben  229  f 

Mädchenschulen  160. 

Malerei  173-180,  294,  325,  352;  II  20, 

156,  251,  263,  264. 
Malverkasofn  131,  177. 
mark    (Erkennungszeichen)    203,    210, 

212,  213,  218,  236;  II  211. 
Marschall  v.  Island  113. 
Mangelhölzer  166,  167. 
Meerelster  178. 
nieliir  62,  143. 
Mineralien  II  169. 

Minister  122,  126,  127,  133;  II  280,  281. 
rnistiir  II  125. 
Mitternachtssonne  II  212. 
mjölba'titr  119. 
möberg  50. 
möhella  II  196,  200. 
Monopolhandel  117  f.,  125,  336,   344  f. 
Moos  63. 


Moos,  isländisches  2,  193  (338). 
Mücken  11  100,  loi,  209,  221,  223,  227, 

23',  235. 
Mühle  II  103,  238. 
Musik  180—187,  349;  If  56,  57,  HO  bis 

113,  243,  266. 
myri  142,  197 ;  II  89. 
Mythologisches  29,    47,    48,    164,    165, 

173,  176,  259,  298;  II  38,  4r,  58,  102, 

123,    136,    137»    153,   18  L  f,  184,  222, 

230,  264,  265. 

N. 

Name  „Island"  55,  100. 
Namengebung  140  —  142;  II  138. 
nämur  II  228  f. 
Nationallied  20,  21,  34,  125,  367;  II  4, 

27,  289,  290. 
Nationalgerichte  28, 220,  246, 256, 267  f., 

366,  367;  II  64,  201,  212. 
Nationaltracht  135  ff. ;  II  209,  221,  243. 
Nationalversammlung  122. 
Natur  Islands  47  ft; ;  II  285,  286. 
Naturwissenschaftliches  Museum   162. 
naust  315. 
Nonnen  II  105,  106. 
Norwegens    Beziehungen     zu     Island 

loi,  102,  113  ft:,  248  ff.;   II  249,  259, 

271  f.,  281. 


O. 


Obsidian  52. 
ölkelda  66. 
örfoka  II  125. 


Packpferd  228  ff. 

Palagonit  51  f. 

Passgänger  224. 

Peitsche  224,  225,  263. 

Pest  78,  115,  343. 

Petroleum  244. 

Pfänderspiel  317. 

Pferd  138,   139,  221-234,  263;   II  63. 

167,  168,  169,  187,  197,  284. 
Pferd  (Last)  199,  200;  II  65,  228. 


314 


Sachregister. 


Pferdehetzen  231 — 233. 
Pferderennen  231,  232. 
Pferdeställe  226  f ,  315. 
Pinguin  (geirfitgl)  37,  43. 
Polizei  80,  138. 

Postverkehr  45,  346;  II  124,  210. 
Programme  der  Lateinschule  156. 
Psalmen  38. 

Quellen,  heisse  66,  279,  284,  286; 
II  I,  4,  5,  6tT.,  18,  218,  219,  228,  240, 
268. 

—  kohlensäurehaltige  60. 

—  schwefelhaltige  66;  II  228  ff. 

R. 

Rabe  62. 

Radium  II  12,  13. 

rauchen  II  135. 

Realschulen  160,  332;  II  249,  253,  260, 

261. 
Regensen  (Collegium  regium)  254. 
Reformation,  Einführung    116  ff.,   335, 

336;  II  91,  93,  106. 
Refornigymnasium  159,  160. 
Reinlichkeit  317;  II  78,  136,  236. 
Reisen,  Art.  d.  R.  auf  Isl.  96,  229,  230, 

282,  283. 
Reitzeug  229  f 
Religionsbekenntnis  117,   335;    II  201, 

234- 
Rentier  77,  203;  II  185,  186,  212,  218, 

226,  227. 
Retirade  3x5,  317. 
reykjamöänhardindi  II  97. 
riklingur  28,  269. 
rimur  115,  116,  161. 
Rindviehzucht  217 — 220;  II  284. 
Ringkampf  162,  212,  303. 
ritöld  109. 
rjett  204,  208  ft'. 
Romane  116;  II  282. 
Romantiker  339  f. 
rosabaugur  II  180. 
Rotdrossel  62,  133,  277;  II  232,  240. 
Runen  158,  163,  287;  II  108,  122,  220, 

238,  266. 


Saiii/iiis  297;  II  117,  118. 

Saeter  198. 

safn-rjett  209,  210. 

Sagas  {sögnr)  108  f  161 ;  II  55,  59,  77, 

184,  258,  287. 
säluhlid  II  123 
Salzfisch  242. 

Sandhafer  62,  143,  190;  II  196,  201. 
Sandsturm  II  196,  204,  213. 
sandur   33;    II  44,    48,    70,    120,    124, 

125  «F.,  132,  144,  199. 
Schach  238,  365,  366. 
Schafe  80,  81,    194  ff-,  200,    217,   284; 

11  191,  203,  284. 
Schafställe  213  f,  315,  322,329;  II  226, 

238. 
Schafzucht  2ooff. 
Schellfisch  243. 
Schläge  i6[,  162. 
Schlammvulkane  229  f 
Schmiede  315. 
Schmuck  II  209. 
Schnaps  17,  118. 
Schneeammer  61. 
Schneehuhn  63;  II  213. 
Schnupfen  II  135. 
Schornsteine  320. 
Schreitgletscher  s.  skridjökull. 
Schulden  17,  18;  II  282. 
Schwan  279,  280;  II  94,  195. 
Schutzhütte  des  Konsul  Thomsen  375; 

II  117 — 120. 
Schwarzer  Tod  78,  115,  343. 
Schwefel  15,  344,  345;  II  215,  216. 
Schwefelquellen  II  228  f 
Schweine  II  26,  262,  264. 
Schwindsucht  149,  150. 
Seehund  238,  246  f,  280;    II  123,  154, 

i55>  175- 
Seemannsschule  160,  240. 

Seepapagei  35,  36,  39;  II  87. 

Seeräuber   (algierische)    38,    39,    120, 

331- 
Sense  198,  315. 
Sidaskipfi  116. 
singen  185;  II  243. 


Sachregister. 


315 


Sira  264. 

skdli  3L0  ff. 

skjäluggi  320. 

skoptäreldur  119;  II  72,  95, 

skemnia  286. 

skjölgantur  226. 

skridjökull  69;  II  71. 

skyr  220;  II  59. 

söguöld  108  f. 

50/  193,  202. 

Snorra  Edda  i\-2.;  II  36,  37,  261. 

Sparkassen  II  282. 

Sprache  253,  267,  268;  II  167,  282. 

Soldaten  19,  138;  II  85. 

Solfataren  II  67,  174,  228  f. 

Sommertag,  der  erste  154,  362. 

Sonnenuntergang  134,  135;  II  94,  150, 

197,  199,  212,  213. 
Spielzeug  II  191. 

Sprichwörter  II  33,  107,  138,  200. 
Staubsäulen  II  196,  204. 
Steinschmätzer  62. 
stekkiir  202  f. 
Stickereien  170  ff. 
Stiftsamtmann  118,  126. 
Stockfisch  239,  242. 
Störidömur  79. 
Stiirlungaöld  11 1  f 
Stiirliinga  saga  113. 
Stonehenge  29. 
Student  154,  157. 
stimarhits  323. 
Sumpf  142;  II  284. 
Surfttrbrandur  48;  II  180. 
sysla  113;  II  141, 
syslitmadnr  113,  122;  II  141. 

T. 

Tabak  294;  II  135. 
Tageseinteilung  II  137,  184. 
Tanz  181,  182;  II  343. 
Tanzgedichte  182. 
Taubstummenanstalt  160. 
Taufbecken  346,  347. 
Tauschhandel  16;  II  285. 
Telegramm  290,  292. 
Telegraph    127,    290—292;    II  70,   115, 
282. 


Telephon  267,  290,  292,  330. 

Tempel  266,  293. 

Theater  132,  351,  352,  362,  363;  II  57, 
102,  240,  250,  256. 

Thingstätten  258,  278,  299  ff.;  II  12, 
171,  234,  240,  250. 

Tonnenfisch  242,  243. 

Torf  II  177. 

Totenklage  4. 

Touristen,  Bemerkungen  für  12,  96, 
223,  229,  230, 261  ff.,  274,  275, 282  bis 
284,  289,  294,  298,  299;  11  76,  82,  85, 
109,  167,  208,  211,  212,  227,  243. 

Tracht  der  Frauen  135—137,  17^,  299; 
II  243,  267. 

Tracht  der  Männer  137,  138,  299. 

Tran  243,  244,  346;  II  250. 

Trawler  45,  250;  II  149. 

Treibeis  54,  87;    II  143,  256,  257,  271. 

Treibholz  II  65,    78,  79,  136,  212,  275. 

Trinksitten  367. 

Trunksucht  118,  270,  299,  346. 

Triangulierung  (vergl.  auch  General- 
stab) 36;  II  131— 133. 

Tuff  50  f. 

Tulinius  12. 

ti'm  104,  138,  163,  191,  194—197,  240, 
266,  315;  II  144,  149,  155,  251. 

tvisöngiir  182 — 185,  367. 

tüngardnr  322. 

U. 

Uhren  II  137,  138. 

Umsatz  18. 

Unterrichtswesen  152—164,  285;  II  77, 

91-93,  282. 
Uppgangur  konirngsvaldsins  117  ff. 
Urbevölkerung   Islands  29,    loi,    102; 

II  77. 
üthey  196,  197. 
ütilegumaditr  s.  Achter. 


vadmäl  2,2f),  303,  346. 
varda  289;  II  184,  205. 
vatnahestitr  221,  222. 
vegabatiir  289;  II  282. 


316 


Sachregister. 


Verdandi  126. 

Verfassung  113.  125  ff. ,   279,  280,  281. 

Verkehrsverhältnisse  221,  225,  290  bis 

292,  299,  300;  II  90,  124,  146,  282. 
Versicherungswesen  218,  240,  313. 
Versuchsgärten  308,  309;   II  251,  252. 
vertid  235,  244. 
vetrarJms  322. 
Vidreisnartimabil  120  ff. 
Viehzucht  438,  200  ff. 
Vogelberge  21,  35,  39  f,  43,  247;  II  66, 

84,  86,  87,  136,  143,  275. 
Volksbräuche  und  Volkssagen  38,  65, 

131,  176,  280,  289,  302,  308,  327,  372; 

11  31,  32,  39,  43,  61,  65,  67,  80,  81, 

83,  89,  104,  106,  107,  122,  136—138, 
141,  152,  164,  166,  171,175,211,212, 
215,  216,  218,  222,  223,  241,  258,  262, 
286. 

Volkscharakter  19,   102,  161,  162,  267, 
270,  285,  296,  316,  319;  II  53,  62,  77, 

84,  109,  136,  148,  154,  167,  171,  279, 
281,  287. 

Volkslied  II  51,  52. 

Volksschulen  160;  II  93,  106,  234,  249. 

Vulkane  37,  38,   42,  50,  51,  56  flf.,  95; 

II  19,  33,  69,  73,  93.  95  f',  127,  140, 
185,  187,  192,  210,  213,  221  f,  227, 
228. 

W. 

Wal  235,  237,  255,  256;  II  65. 

Wald  27  —  191,  276—278;    II  123,   131, 


155,  176,  177,  208,  211,  224,  240,  250, 

251,  269,  270,  284. 
Walross  132,  237,  238. 
Wanderlehrer  160. 
Wappen  Islands  13,  344. 
Warten  84,  289;    II  28,   124,  144,  184, 

205. 
Wasserfälle  302 ;   II  13  ff.,   46,   63,  66, 

103,  130,  131,  179,  180,  206,  236,  250, 

267,  286. 
Wassermühle  II  103,  238. 
Weidewirtschaft  193  ff;  II  284. 
Wettervoraussage  291 ;  II  148. 
Wiesen  193  ft'.;  II  284. 
Wiesenpieper  61,  277;  11  240. 
Windmühle  II  217,  226. 
Wolle  200,  204,  284;  n  205,  285. 
Wrackrecht  II  79. 


Zeichenkunst  173. 
Zeiteinteilung  II  137. 
Ziegen  II  172,  211,  212,  241. 
ZoU  270;  II  283. 
Zweikampf  259,  302,  305. 


Zwiegesang  182- 


185. 


Pjödjardir  2,-ji. 
Porrablötsvisiir  371  72. 
Püfa  142;  II  284. 


Lofeei»,  Polarkreis 


20        WesUic 


ifica 
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Abküpzungen : 
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f jdr.  -  fjördur      skd.-skai'd 
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hd.-heidi  viu-vatn 


Maßstab  l:  1750 000 
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IClometer. 


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Verlag  von  "VSlhelm  Enselniaim  iii  Leipmig. 


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