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Full text of "Israel und Babylonien: Der Einfluss Babyloniens auf die Israelitische Religion"

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[el und Babylonien. 

Der Einfluss Babyloniens auf die 
israelitische Religilm. 



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D Hermanii Gunkd 



Drittes Taus»?rid 



<^«ia Ttrf' 4iTB^Kw«(ift». 







e5ttin0en 

l'andetiboMh and Raprt^rt 

1903. 






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Israel und Babylonien. 

Der Einfiuss Babyloniens auf die 
israelitische Religion. 



Von 



B Hermann Gjunkel 

o. ProfBflBor der alttertamenü. Theologie in Berlin. 



Drittes Tausend 



vom Yerf. dniehgesehen. 




6ottiiideii 

Tandenboedi und Rnpred^t 

1903* 




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M0fFin 



Uii'M.BuohAii<ter« v«i b. A. Hutiv GOUinsm. 






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Seit einem Jahre wird das deutsche Publikum durch das 
Thema »Babel und Bibel« in Erregung gehalten. Woraus 
ist die Sensation, die die Vorträge von Delitzsch 
hervorgerufen haben, zu erklären? Das ist eine 
wohl aufzuwerfende Präge. Denn zunächst jener erste Yor- 
tJ-ag, auf den hin die Bewegung im Publikum entstand, 
bietet, darin stimmen alle Kundigen überein, seinem wissen- 
schaftlichen Stoff nach kaum anderes, als was den Assyrio- 
logen und auch den alttestamentlichen Theologen allgemein 
bekannt war; dieser Vortrag ist und wollte sicherlich auch 
nichts anderes sein als ein reichhaltiger und anschaulicher 
Überblick über das bisher Erreichte. Um die so plötzlich 
entstehende Sensation zu erklären, muss man sich an die 
Verhältnisse unserer Publizistik erinnern : unsere Tagespresse 
lebt ihrer Art nach vom Tage, vom Aktuellen; das sich 
langsam, in der Stille Vollziehende entgeht leicht ihren 
Blicken; aber wenn irgend ein zufalliges Geschehen die 
Dinge an die Oberfläche treibt, dann sind sie mit einem 
Male »aktuell« und bleiben es, bis ein anderes, Aktuelleres sie 
zurückdrängt. So hatte unsere deutsche Tagespresse bis 
dahin von der im Stillen gewaltig aufeteigenden assyriolo- 
:gischen Wissenschaft wenig Notiz genommen. Besonders 
aber hat die wissenschaftliche Theologie Grund, sich (von 
-einigen rühmlichen Ausnahmen, besonders in neuerer Zeit, 

1* 



1G8196 

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abgesehen) über Nichtbeachtung von selten der Presse zu 
beklagen, wie denn die Theologie auch bei der Veran- 
staltung von öffentlichen Vorträgen, von Lehrkursen und 
dergleichen übergangen zu werden pflegt. Was man aber 
in den Zeitungen hie und da speziell über Alttestamentliches 
lesen kann, ist gewöhnlich wissenschaftlich überaus gering- 
wertig; gibt es doch sehr viele unter den Gebildeten, bis in 
die höchsten Schichten hinauf, ja selbst, wie von Zeit zu 
Zeit deutlich wird, manche unter den Universitätslehrern» 
mit denen . wir Tag für Tag Zimmer an Zimmer dozieren» 
die von der Existenz einer ernsthaften wissenschaftlichen 
Theologie nichts wissen, die von der Art unserer gelehrten 
Arbeit keine Vorstellung haben , und die unsere Ergebnisse» 
trotz aller unserer Bemühungen, sie zu popularisieren, nicht 
kennen. Bei dieser allgemeinen Unkenntnis der Wissen- 
schaft von der Seligion steht der Dilettantismus auf 
diesem Felde in Blüte wie nicht leicht irgend wo anders; 
über Religion glauben viele ohne jede fachmännische Kennt- 
nisse mitsprechen zu können; was wir in dieser Beziehung 
jeden Tag aufs neue gewahren, ist »schaudervoll, höchst 
schaudervoll U So kann man es erleben, dass auch Forscher» 
die auf ihrem eigenen Gebiete ganz nüchtern und besonnen 
sind, plötzlich die Balance verlieren, wenn sie auf die Reli- 
gion zu sprechen kommen. Jetzt aber sind die babylonisch- 
biblischen Forschungen plötzlich aktuell geworden, wie durch 
einen Scheinwerfer von oben mit einem Male von licht 
Übergossen. Alle Welt verschlang diesen Vortrag, den die 
höchste Person unseres Staates sich zweimal hatte halten 
lassen. Je weniger aber das Publikum vorher von diesen 
Dingen gewusst hatte, je grösser war jetzt sein Staunen,, 
eine ganze versunkene Welt hier ans licht des Tages auf- 
steigen zu sehen. Delitzsch hatte es leider versäumt, im 
Text seines Vortrages mit ganz unmissverständlichen Worten 



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festzustellen, dass das von ihm zusammengestellte Material 
im wesentlichen, besonders so weit es gesichert ist, ein ge- 
meinsamer Besitz einer ganzen Generation von Forschem 
ist; ein Teil des Publikums, und vielleicht kein geringer, 
hat ihn daher gänzlich missverstanden und seinen Vortrag 
als eine grosse wissenschaftliche Tat aufgefasst. — Zugleich 
wurden die kirchlichen Kreise in starke Erregung ver- 
setzt. Delitzsch hatte sich zu den Ergebnissen der modernen 
alttestamentlicheh Forschung bekannt, er hatte z. B. die Be- 
hauptung, dass die fünf Bücher Mosis aus sehr verschieden- 
artigen Quellenschriften zusammengestellt sind, als eine wissen- 
schaftlich unerschütterlich feststehende Tatsache bezeichnet. Er 
hatte für gewisse, allbekannte Stücke der Traditionen Israels, be- 
sonders die Erzählungen von der Schöpfung, von der Sintflut, 
auch vom Paradiese, altbabylonischen Ursprung behauptet und 
damit sich zu der Meinung bekannt, dass diese Erzählungen 
als Mythen und Sagen, also nicht als objektive Schilderung 
wirklicher Begebenheiten aufzufassen seien. Auch der Sab- 
bath sei babylonischen Ursprungs, und selbst für den Mono- ( 
theismus gebe es dort eine Analogie. Auch mit diesen Auf- 
stellungen hatte Delitzsch nicht viel mehr gesagt, als was 
in den Kreisen der Forscher allgemein anerkannt oder we- 
nigstens erwogen worden ist. Trotzdem wirkten seine Worte 
auf viele in der Gemeinde wie ein Donnerschlag. Man- 
cherlei mag in Betracht «kommen, um eine so unerwartete 
Wirkung zu erklären. Aber der Haupterklärungsgrund ist ( 
doch die bejammernswerte Entfremdung der evangelischen | 
Kirche von der evangelischen Wissenschaft. Wer die Schuld 
an dieser Entfremdung trägt, das soll hier nicht untersucht 
werden; nur die Tatsache selbst, die leider unleugbar ist, 
sei festgestellt. Wie wenige unter den Gebildeten, ja auch 
unter den älteren Geistlichen haben eine deutliche Vor- 
stellung davon, was in der Theologie der Gegenwart eigent- 



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lieh vorgeht! und wie wenig von unsem Besultaten ist 
bisher in die Lehrerseminare eingedrungen! So konnte es 
geschehen, dass diese biblisch-babylonischen Forschungen, 
als sie mit einem Male aktuell wurden, die Gemeinde über- 
raschten und viele wehrlos fanden. Jetzt hätte die Kirche 
eine nüchterne und strenge Theologie gebraucht, die ihr 
hätte sagen können, was an Delitzsch' Aufstellungen richtig, 
und was daran etwa Übertreibung sei; aber, wenn auch manche 
besonnenen Worte gesprochen worden sind, so tönte doch viel 
lauter die Stimme der erregten Parteien. Da riefen die einen, 
mit der Bibel sei es nun ein für alle Male aus; die Assy- 
riologie habe bewiesen, dass alle Hauptsachen babylonisch 
seien ! Und die andern wehrten sich mit dem Mut der Ver- 
zweiflung, auch nur ein Tüttelchen der Religion Israels als von 
fremd her übernommen anzuerkennen. Und zwischen diesen 
beiden äussersten Gegensätzen eine verwirrende Menge von 
Meinungen, wiederspiegelnd das ganze Chaos unserer gährenden 
Zeit. Auch das Judentum machte sich auf in der Furcht, den 
Ruhmeskranz des auserwählten Volkes zu verlieren, wenn 
israelitische Überlieferungen babylonischen Ursprungs sein 
sollten! Persönliche Streitigkeiten, die vielleicht besser ver- 
mieden worden wären, kamen hinzu. Es hagelte von mehr 
oder weniger berufener Seite Artikel in Zeitungen und Zeit- 
schrifl;en, Vorträge, mit und ohne Lichtbilder, Broschüren 
allerlei Art; und Erklärungen oder sonstige Veröffentlichungen 
in Zeitungen stachelten die etwa einmal ermattende Sensation 
immer wieder auf. Eine ungeheure Verwirrung der Ge- 
müter war die Folge. 

Diese Verwirrung aber ist durch den kürzlich gehaltenen 
zweiten Vortrag von Delitzsch noch gesteigert. Zwar brachte 
auch dieser Vortrag, was den Stoff anlangt, dem Kenner 
nichts Besonderes; aber nun begab sich der Assyriologe, 
durch seine kirchlichen Gegner gereizt, ganz auf theologi- 



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sches Gebiet und stellte kurzer Hand den Offenbarungs- 
charakter des Alten Testamentes und sogar der israelitischen 
Seligion in Frage. 

Am selben Tage aber, wo dieser Vortrag ausgegeben 
wurde, wurde das Publikum durch eine andere grosse Sen- 
sation überrascht: ein Brief des Kaisers zerstörte den weit 
verbreiteten Irrtum, als seien Delitzsch' grundsätzliche Auf- 
stellungen in jeder Beziehung von allerhöchster Zustimmung 
begleitet gewesen. So ward noch einmal die Aufmerksam- 
keit weitester Kreise auf diesen Vortrag gelenkt, und wieder 
begann die Mut der Publikationen. Und noch ist, wie es 
scheint, ein dritter Vortrag, über den wir hie und da ge- f 
heimnisvoUe Andeutungen lesen, zu erwarten. 

So hat sich auch der Verfasser dieser Zeilen verpflichtet 
gefühlt, sich den vielen Aufforderungen, die an ihn gelangt 
sind, nicht zu versagen, und an seinem Teile mitzuhelfen, 
der herrschenden Verwirrung zu steuern. Manche Erwä- 
gungen hätten ihn freilich eher zum Schweigen als zum Beden 
bestimmen können; denn wissenschaftliche Forschung sucht 
die Stille und scheut die Sensation; und so schmerzlich es 
dem Forscher sein mag, wenn niemand von dem Ertrage 
seiner mühevollen Arbeit Notiz nimmt, so gefahrlich ist es für 
ihn, wenn ihn der Lärm des Tages umbraust, der das Beste 
in ihm übertäuben kann, nämlich den reinen und gerechten 
Sinn, den er vor allem nötig hat. Soll denn aber einmal 
gesprochen werden, so sei es in aUer Ehrlichkeit und Wahr- 
haftigkeit; niemandem zuliebe und niemandem zuleide! 
Der Verfasser darf annehmen, dass manche Leser durch 
das eine oder andere seiner Worte überrascht oder befremdet 
werden, obwohl er sich vornimmt, im allgemeinen nicht 
über das hinauszugehen, was er als gemeinsame Überzeugung 
der Fachgenossen annehmen kann ; er bittet aber auch die 
Leser, wenn sie in manchem anderer Meinung sind, una 



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6 

wenigstens zu glauben, dass wir die Wahrheit aus ganzen 
Kräften suchen , und dass wir durch ihre Aussprache in 
einem grösseren Kreise nur unserer teueren evangelischen 
Kirche zu dienen wünschen. 

Zunächst einige Worte über die babylonische Kultur 
im allgemeinen. Die Entzifferung der Keilinschriften ist eine 
r der glänzendsten Taten des menschlichen Geistes. Seitdem 
I hat sich unsere Anschauung vom alten und ältesten Orient 
I entscheidend verändert. Während die Forscher früherer 
Generationen auf die dürftigen Nachrichten des Alten Testa- 
ments und der Griechen über den alten Orient angewiesen 
I waren, so kennen wir ihn jetzt aus einheimischen Quellen, 
und diese Quellen beginnen mindestens um 3000 ! Um volle 
zwei Jahrtausende hat sich vor unsem Augen die Ge- 
schichte Vorderasiens ausgedehnt! Was für ein gewaltiges 
wissenschaftliches Ereignis! Und was für ein vielfarbiges 
geschichtliches Bild, wenn auch einstweilen noch so lücken- 
haft bekannt, entrollt sich jetzt vor unsem Augen! Yölker 
treten auf, blühen und vergehen! Ungeheure weltumfas- 
sende Erobererstaaten entstehen und ringen um die Herr- 
schaft. Der Mittelpunkt des Orients aber ist Babylo- 
nien; dort blüht seit unvordenklichen Zeiten eine bewun- 
derungswürdig hohe Kultur, die schön um 3000 in voller 
Blüte steht; diese Kultur stammt von einem nicht-semiti- 
schen Volke, das wir Sumerer nennen, und ist dann von 
semitischen Einwandrern übernommen und fortgeführt. Von 
Babylonien aus ist diese Kultur durch den ganzen vorderen 
Orient getragen worden bis nach Ägypten hin. Babel nimmt 
im Orient die Stellung ein wie Jahrtausende später Eom 
im Abendland. Diese babylonische Weltkultur sehen wir 
wirken bis in griechisch-römische Zeit hinein; ja ihre letzten 
Ausläufer haben wir mitten unter uns. Wenige Einzel- 
heiten müssen hier genügen, um die unermessliche Bedeu- 



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tung der babylonischen Kultur deutlich zu machen. Vor 
kurzem wurde die gelehrte Welt überrascht durch die Auf- r 
findung der Gesetzsammlung des babylonischen Königs Ham- ; 
murabi um 2200; diese Gesetzsammlung zeigt uns komplizierte . 
soziale Yerhältnisse und ein fein ausgebildetes Recht, Bechts- 
zustände, die z. T. weit zivilisierter sind als die Israels im 
sogenannten mosaischen RecKTf "m BäBylonieii ist" z. K die 
Blutrache, die im alten Israel herrscht, verschwunden. Um 
nur noch einen Punkt zu nennen, der die Höhe der baby- 
lonischen Kultur zeigt: das Hammurabigesetz enthält eine 4 
Gebührenordnung für Arzte! Und dieses Gesetz ist um 
2200 kodifiziert, es stammt aus einer Zeit, 1000 Jahre, ehe i 
es überhaupt ein Volk Israel gab. £s ist von Moses entfernt \ 
wi^jyir. von^Karl dem Grossen! — Um**<ffe weite Ausdehnung ' 
des babylonischen E^influsses zu veranschaulichen, nennen 
wir einen andern Fund, der vor einer Beihe von Jahren 
(1887) ein plötzliches licht auf diese Dinge geworfen hat, i 
den Fund von Tell-Amarna in Ägypten. Man hat daselbst 
das Archiv Amenophis' lY ausgegraben und darin den Brief- 
wechsel der Pharaonen mit den babylonischen, assyrischen, me- 
sopotamischen, cyprischen Königen und mit ihren ägyptischen 
Yasallen in Kanaan vorgefunden. Daraus, dass dieser inter- f 
nationale Briefwechsel in babylonischer Sprache geführt / 
wird, ersah man, dass das Babylonische damals in ganz ) 
Yorderasien die internationale Diplomatensprache gewesen 
ist: selbst die kleinen Könige Kanaans, die damals unter 
ägyptischer Oberhoheit standen, schrieben an ihren ägypti- 
schen Herrn nicht auf ägyptischem Material, d. h. auf Pa- 
pyrus, und in ägyptischer Sprache, sondern auf babyloni- 
schem, d. h. auf Tontäfelchen und in babylonischer Sprache! 
Bedenken wir aber, was die Yorherrschaft einer Fremd- 
sprache im diplomatischen Yerkehr für die ganze Kultur 
bedeutet! Syrien und Kanaan müssen damals unter baby- 



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8 

loBischem Kultureinfluss gestanden haben, etwa so, wie im 
18. Jahrhandert die ganze gebildete Welt und also auch 
die Diplomaten französisch gesprochen haben! Dieser Brief- 
wechsel aber, der eine so weite Ausdehnung der baby- 
lonischen Kultur, bis nach Kanaan hin, zeigt, stammt aus der 
Zeit von 1500/1400; Kanaan war der Kultur nach eine 
babylonische Provinz, ehe Israel in Kanaan eingedrungen 
war! — Ein anderes Bild: als in späteren Zeiten, in denen 
der Perser, der Griechen und Eömer, die Völker sich mischen, 
als die Religionen zusammenfliessen und neue Mischgebilde 
entstehen, auch da ist das Babylonische noch auf dem Plan; 
immer wieder hören wir in jener Zeit von sieben höchsten 
Genien oder Göttern; das sind die sieben babylonischen 
Planetengötter; es sind — um dies schon hier vorweg zu 
nehmen — dieselben Gestalten, die in der jüdisch-christ- 
lichen Überlieferung als die sieben höchsten Engel, die sieben 
Erzengel fortdauern. In den bunten Spekulationen, die in 
den ersten christlichen Jahrhunderten aus dem Orient ein- 
strömten und selbst in einzelne christliche Kreise eindrangen, 
Spekulationen, die wir »gnostisch« zu nennen pflegen, noch 
in diesen klingen z. T. uralte babylonische Mythologeme 
nach. — Ja noch unter uns erinnert einiges, wenn auch 
natürlich nur schwach, an die babylonische Weisheit. Die 
Babylonier sind die Lehrmeister unserer Kulturwelt geworden 
besonders in der Astronomie, in der Mathematik und den 
Maassen. Noch teilen auch wir den Himmelsäquator nach den 
12 Sternbildern und den Kreis in 360 Grade, den Tag in 
2 X 12 Stunden und die Stunde in 60 Minuten. Und die 
modernen christlichen Völker benennen die 7 Tage der Woche 
nach den 7 Planetengöttern der Babylonier: Sonntag, 
Montag, Mardi, Mercredi, Donnerstag, Freitag, Saturdayl 
Solche Namen hat die moderne Welt aus der griechisch- 



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römischen Eultar erhalten, diese aber aus der orientalischen^. | 
ursprünglich babylonischen. 

Es ist begreiflich, dass es die modernen Forscher wie 
ein Rausch überkommt, wenn sie solche ungeheore Ge- 
schichte übersehen! Und jeder Tag kann neue Entdecklni^^ 1 
gen bringen; denn wir stehen ja nicht am Ende dieser \ 
Forschungen; noch harren gewiss ganze Bibliotheken von f 
Tontafeln unter der Erde auf den glücklichen Entdecker,. ( 
und auch von dem bereits Gefundenen ist nur ein Teil 
gelesen und verwertet. So verstehen wir es, wenn die 
Assyriologie in jugendlich stürmischem Kraftgefühl nach 
allen Seiten hin übergreift, wenn sie auch die griechischo 
Kultur, auch das römische Kecht und die israelitische Reli- 
gion nach babylonischen Grundlagen untersucht. Dass sich 
die älteren Wissenschaften gegen solche Babyionisierungs- 
versuche wehren, ist begreiflich genug: die Gräzisten z. B. 
werden sich nicht so rasch entschliessen können, manches,, 
was bis dahin als einheimisch hellenisch gegolten hat, als 
aus dem Orient eingeführt gelten zu lassen. Trotz aller 
Gegnerschaft aber werden, so darf man sicher annehmen^, 
solche Untersuchungen, soweit sie nicht schon geschehen 
sind, künftighin kommen und die Wissenschaft befruchten. — 
Andrerseits ist auch hier dafür gesorgt, dass die Bäume nicht 
in den Himmel wachsen. Das letzte Ergebnis wird sicherlich 
nicht dieses sein, dass die ganze Welt im Grunde babylo- , 
nisch ist. So bedeutend der Einfiuss des Babylonischen 
auch sein mag, viel bedeutender noch vielleicht, als wir 
gegenwärtig nur ahnen können, so darf man doch auch dies 
schon jetzt mit aller Sicherheit sagen, dass die grossen 
Yölker des Altertums, die später auf den Plan* getreten 
sind, auf deren Grunde unsere geistige Kultur gebaut ist,, 
besonders Israel, Hellas und Rom, trotz gelegentliehen und 



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10 

Tielleicbt tiefgreifenden babylonischen Einflusses ihre charak- 
i»ristiscbe Eigenart besitzen und Neues hervorgebracht haben. 

und damit kommen wir zu unserm eigentlichen Thema: 
welche Einwirkung hat die babylonische Welt auf 
Israel, speziell auf die israelitische Beligion aus- 
geübt? 

Hiermit aber betreten wir ein Gebiet, wo der alttesta- 
mentliche Theologe, der bisher nur Bericht erstatten konnte, 
das volle Recht hat, als Fachmann mitzusprechen. Es ist 
nötig, das ausdrücklich zu sagen. Denn einige Assyriologen 

— wir stellen das mit Bedauern fest — haben der älteren 
Wissenschaft vom Alten Testament gegenüber einen eigentüm- 
lichen Ton angeschlagen: als ob der einzige, rechtmässige 
Weg zum Verständnis Israels von jetzt an durch die Assy- 
riologie hindurch führe; und als ob der Assyriologe die 
Mitarbeit des Theologen bei der alttestamentlicheh Forschung 
•entbehren könne. Auch Delitzsch hat sich trotz der höchst 
^merkennenden Worte, die er zuerst für unsere Wissenschaft 
ausgesprochen hat i), in den späteren Phasen der Debatte, 
wo er allerdings — und dies soll nicht übersehen werden 

— durch unverständige Gegner vielfach gereizt war, von 
•diesem Tone nicht ganz frei gehalten *). Nun liegt die Sache 
in Wirklichkeit aber so, dass die Assyriologie bereits ein fast 
unübersehbares Gebiet umfasst, und dass andrerseits auch 
•die alttestamentliche Forschung die volle Kraft eines gewöhn- 
lichen Sterblichen in Anspruch nimmt, so dass es nur einem 
Genialen, für den es solche Grenzen nicht gibt, möglich 
wäre, beide Gebiete wirklich zu vereinigen. Wir alttesta- 
mentlichen Theologen sind also darauf angewiesen, von dem 
Assyriologen zu lernen, wenn er uns Babylonisches lehrt, 
auch, wenn er uns den hebräischen Sprachgebrauch aus 
dem Babylonischen erklärt, aber wir müssen andrerseits 
>4arauf halten, dass auch der Assyriologe die Grenzen seiner 



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11 



Wissenschaft wahrt. Der Assyriologe, der etwa Israelitisches 
mit Babylonischem vergleicht und daraus deuten will, begibt 
sich damit auf ein Gebiet, auf dem er, wenigstens im ge- 
wöhnlichen Fall, kein Fachmann im vollen Sinne ist und 
muss sich dessen bewusst bleiben; auch »hebräische 
Philologie« gibt noch kein wirkliches inneres Verständnis 
der israelitischen Religion. So sind also beide Fächer auf 
freund willige Nachbarschaft, auf Zusammenarbeiten ange- 
wiesen. Mögen sich — so wünschen wir von Herzen — 
beide Wissenschaften wiederum die Hand reichen zu ge- 
meinsamer Arbeit, wobei jede die andere achtet und von 
der andern zu lernen bestrebt ist. Möge der Assyriologe, 
der über Alttestamentliches reden will, wenn er sich auT 
diesem Gebiete nicht ganz taktfest fühlt, den Theologen zu 
Bäte ziehen ! So hätte auch Delitzsch, den wir als Assyrio- 
logen und hebräischen Philologen hochschätzen, vielleicht 
gut getan, wenn er den Hat eines sachkundigen und be- 
sonnenen alttestamentlichen Fachmanns eingeholt hätte, ehe- 
er seine Meinungen über alttestamentliche Religion dem 
grossen Publikum darbot Vielleicht hätte der Alttestamentier 
ihn zur rechten Zeit aufmerksam gemacht, wo ihm etwa ein 
sprachliches Versehen entschlüpft war*), oder wo er gar 
versäumt hatte, den Urtext nachzusehen^); er hätte ihm 
seine schweren Bedenken gegen die Auffassung mancher 
Bibelstellen nicht verschwiegen ß) öder sonst auf allerlei 
unrichtige oder zweifelhafte Behauptungen hingewiesen«); 
er würde sich bemüht haben, ihm unser religionsgeschicht- 
liches Verständnis des Alten Testamentes darzulegen'); er 
hätte ihm zu zeigen versucht, dass er die alttestamentliche 
Religion bei weitem unterschätze, und er hätte ihn davor 
gewarnt, sich auf systematisch-theologische Fragen einzu- 
lassen. Wenn Delitzsch alle diese Ratschläge befolgt hätte,, 
so hätte der erste Vortrag in manchem eine andere Gestalt 



\ 



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12 

I 4)ekommen, und der zweite wäre überhaupt nicht gehalten 
worden: beides zum Nutzen der Sache und sicherlich auch 
von Delitzsch! 

Lassen wir nun zunächst die Religion aus dem Spiele 
und fragen wir, ob wir einen Einfluss Babyloniens auf 
j die Kultur Israels annehmen dürfen? Auf diese Frage 
dürfen wir mit aller Bestimmtheit Ja antworten. Dieser 
Einfluss ist vorhanden, und er muss sogar ein sehr grosser 
gewesen sein. Babylonisch ist in Israel vor allem Maass, 
-Gewicht und Geld. Babylonisch ist die auffallende Vorliebe 
-der israelitischen Kultur, auch der Literatur, für bestimmte 
Zahlen, z. B. die Zahlen Sieben und Zwöl^ eine Vorliebe, die 
sich in Babylonien daraus erklärt, dass für bestimmte Gruppen 
von Stemgöttem bestimmte Zahlen charakteristisch sind. Und 

^selbst die Neigung Israels, literarische Stücke nach diesen 
Zahlen zu gruppieren, ist für Babylonien bezeugt: das grosse 
babylonische Schöpfungsepos war auf sieben Tafeln geschrie- 
ben und das Nationalepos von Gilgameä auf zwölf. Neue 
Überraschungen hat uns die Gesetzsammlung des Hammurabi 
gebracht : auch der ^Babylonier befolgt ^^"_?:?i!J]t.P?*^tu?i' ^^g^ 
ijm Auge, Zahn um Zahn!«) Auch er adoptiert wie der 
Israelit, indem er das Wort ausspricht: du bist mein Sohn*), 
und er leugnet die Zugehörigkeit ab, indem er sagt: du 
bist nicht mein Vater oder mein Herr *«). Wenn Laban und 
Jakob mit einander rechten, so liegt ihrem Rechtsfall baby- 
lonisches Recht zu gründe: im Falle von Tötung des Viehs 

• durch wilde Tiere trifft der Schade den Besitzerin); und 
wer den anderen eines Diebstahls beschuldigt, hat das Recht, 
vor Zeugen eine Haussuchung bei ihm zu veranstalten i*). 

5 Auch das babylonische Eheweib kann wie das althebräische 

■'im Falle der Kinderlosigkeit ihrem Ehemann eine Magd 
geben, um so zu Kindern zu kommen i*). Die Geschichte 

^ von der Sklavin Hagar, die so zur Mutter wird und sich 



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13 

dann über ihre Herrin erhebt i*), ist gradezu ein Parade- 
beispiel babylonischen Rechts i*). . Doch genug der Einzel- 
heiten ! Wir ersehen ja schon aus diesem wenigen zur Ge- 
ntige, dass Israel nicht frei von Babylonischem geblieben ist. 
Auch die Epochen, in denen Babylonien besonders auf 
Israel gewirkt hat,- können wir angeben: bekannt ist vor 
allem die Zeit der Höhe des assyrischen Reiches, etwa 660, 
wo die babylonischen Götter, als Götter des assyrischen 
Weltreichs, in der ganzen vorderasiatischen Welt als die mäch- 
tigsten Götter galten: das ist dieselbe Zeit, wo selbst die 
ägyptischen Städte offiziell babylonische Namen trugen, 
und wo die babylonischen Götter vom Staate Juda verehrt 
wurden: ihre Zeichen und Altäre standen damals im Jahve- 
tempel auf dem Zion. — Und wieder kamen die Judäer 
unter babylonischen Einfluss, als Nebukadnezar alle Vor- 
nehmen und Besitzenden nach Babylonien überführte und 
sie 80 in die unmittelbare Sphäre des Babylonischen brachte. 
Das nachexiüsche Judentum ist diesem Einfluss der Welt- 
kultur auf allen Gebieten des äusseren Lebens völlig er- 
legen: es hat in den Jahrhunderten nach dem Exil sogar ^ 
seine einheimische Sprache verlernt und die damals die j 
ganze semitische Kulturwelt beherrschende aramäische Sprache ] 
angenommen; es ist so schliesslich ein ganz anderes Volkl 
geworden, das mit dem alten israelitischen Volkstum nur } 
durch einen dünnen Faden verbunden ist. — Viel wichtiger 
aber als diese späteren Epochen ist, was wir aus 
den Tell-Amamabriefen wissen, dass Kanaan schon vor f 
Israels Einwanderung mit Babylonischem erfüllt war. Als . 
Israel also in Kanaan einzog und in die altkanaanäische 
Kultur einwuchs, kam es damit indirekt unter die Kultur- 
herrschaft Babyloniens. Demnach wundert es uns nicht, 
wenn schon die ältesten Erzählungen wie die eben ge- 
nannten von Jakob und Laban, von Hagar und Sara baby- 



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14 

Ionische Bechtszustände voraussetzen. Und dieser Einflass 
j hat niemals ganz aufgehört; denn Israels Gebiet lag an der 
( grossen Handelsstrasse, die von Babylonien nach Ägypten 
\ führte; auf solchen grossen Weltstrassen wandern die Kauf- 
leute mit ihren Gütern, die Eroberer mit ihren Heeren, aber 
auch die Gedanken, die Mythen und Sagen und die Reli- 
gionen. Und dass auch die babylonische Religion so nach 
Kanaan gewandert ist, das ist keine Vermutung, sondern 
das können wir mit Beispielen belegen: der Berg 
\ Sinai heisst wahrscheinlich nach dem babylonischen Mond- 
I gott Sin, und der Berg Nebö, wo Mose starb, ist genannt 
' nach dem babylonischen Nebö, d. i. Merkur. 

Andrerseits würde es natürlich sehr verkehrt sein, wenn 
wir uns vorstellen würden, Israel sei nich ts anderes als eine 
babylonische Provinz gewesen. Ägypten mit seiner uralten 
Kultur, die mit der babylonischen rivalisierte, lag ja viel zu 
nahe, als dass es nicht gleichfalls hätte einwirken müssen; hat 
doch die ägyptische Politik zu verschiedenen Zeiten Kanaan und 
Syrien zu ihrem Machtbereich gerechnet. Man erinnere sich 
nur an die Rolle, die Ägypten und ägyptisches Leben in 
den Josephgeschichten spielt, um zu erkennen, wie sehr 
sich das alte Israel mit Ägypten beschäftigt hat. Dass aber 
die Hebräer nebst ihren Verwandten, den Phöniziern und 
den Aramäern, auch Selbständiges in ihrer Kultur haben, 
das tritt am deutlichsten daran hervor, dass sie ihre eigene 
Schrift besitzen; sie schreiben weder ägyptisch noch ba- 
bylonisch. Und es ist ja bekannt, dass sich Verwandtschafts- 
beziehungen in der ganzen Kultur am deutlichsten an der 
Schrift offenbaren. Man muss sich also auch hier vor Über- 
treibungen hüten. 

Fragen wir nun, ob auch die Religion Israels 
Spuren des Babylonischen aufweist? Dass der Histo- 
riker das Recht, ja die Pflicht hat, diese Frage aufzuwerfen, 



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15 



kann nach dem Vorhergehenden gewiss keinem Zweifel 
unterliegen. Aber darf die Theologie als solche, dürfen wir 
als Christen, die an die Ofienbarung Gottes in der Beligion 
Israels glauben, uns an solchem Unternehmen beteiligen? 
Fällt nicht der Glaube an Gottes Oflfenbamng dahin, wenn 
wir Babylonisches in dieser Religion finden? Orthodoxe 
Gegner ron Delitzsch haben diese Frage bejaht und sich 
daher aus Leibeskräften gegen die Annahme babylonischer 
Elemente in der Bibel gewehrt. Derselben Ansicht aber 
sind auch die Extremen auf der andern Seite und froh- 
locken eben deshalb über den Sturz der Bibel und der Re- 
ligion. Wie soll dem gegenüber nun unsere Stellung sein? 
Ein Glaube, so müssen wir sagen, der seines Names würdig 
ist, muss mutig und tapfer sein. Was wäre das fiir ein 
Glaube, der sich vor Tatsachen fürchtete, der wissenschaft- 
liche Untersuchung scheute! Glauben wir wirklich an Gott, 
der sich in der Geschichte offenbart, so haben wir nicht 
dem Höchsten vorzuschreiben, wie die Ereignisse sein 
sollen, in denen wir ihn finden, sondern wir haben nur 
demütig die Spuren seiner Füsse zu küssen und sein Walten 
in der Geschichte zu verehren. Haben wir unsere An- 
schauungen von Gottes Wegen in der Geschichte zu ändern, 
weil uns die Tatsachen belehren, nun, so haben wir eben 
einfach umzulernQu! 

Finden wir also wirklich in der Religion Israels baby- 
lonische Elemente, ja wären es auch überaus wertvolle und 
wichtige Stücke, so sollte sich doch unser Glaube freuen, 
dass die Welt sich uns jetzt auftut und wir Gottes Walten 1 
sehen, wo wir es früher nicht geahnt haben. Das Judentum, 
bei dem sich Religiöses und Nationales stets innig verbindet, 
mag Angst haben, dass ihm eine Perle seiner Krone geraubt 
werden soll; was aber geht uns der nationale Anspruch des 
Judentums an! Wir erkennen freudig und ehrlich Gottes 

Onnkel: Isnel nnd Babylonien. 2 



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r 



16 

I [ Offenbarung überall da, wo sich eine menschliche Seele 
( \ ihrem Gott nahe fohlt, und sei es unter den dürftigsten und 
- l sonderbarsten Formen. Fern sei es von uns, Gottes Offen- 
I barung auf Israel zu beschränken! »Ausgestreuet ist der 
1 Samen über alles weite Land!« Wie viel grossartiger als 
die modernen Orthodoxen haben doch hierin die Väter der 
christlichen Kirche gedacht, die in den grossen und edlen 
^ Heroen der griechischen Philosophie Träger des überallhin 
.zerstreuten Samens des göttlichen Wortes gesehn haben. 
Machen wir Christen doch ja nicht die Unart des Juden- 
tums mit, das seinen Gott zu ehren glaubte, indem es alle 
übrigen Religionen verhöhnte und verlästerte. Die israeli- 
tisch-christliche Religion ist, um ein biblisches Bild zu 
brauchen, der Erstgeborene unter seinen Brüdern. Wir 
haben es wahrlich nicht nötig, unsern eigentümlichen Be- 
sitz eifersüchtig zu verteidigen; wir sollten gross genug 
sein, um überall, und auch bei jenen alten Babyloniem 
anzuerkennen, was irgend anzuerkennen ist. Die Hoheit und 
Herrlichkeit der israelitischen Religion wird dadurch nicht 
geschmälert, sondern erst recht ins Licht gesetzt. 

Auf jeden Fall aber, sei es wie es sei, sind wir ent- 
schlossen, die Tatsachen zu hören, ihnen auch nicht inner- 
lich zu widerstreben, sondern uns ihnen willig hinzugeben. 
Und darin besteht unsere Ehre als Forscher. 
\ Delitzsch hat im ersten Vortrag eine Reihe von Punkten 

genannt, in denen die babylonische Religion die israelitische 
beeinflusst haben soll; das sind zunächst biblische Erzäh- 
zählungen, von der Sintflut, von der Schöpfung und vom 
I Paradiese, die aus babylonischer Überlieferung stammen 
» sollen. Wie steht die Sache? 

i Babylonischer Ursprung ist ganz unzweifelhaft für die 

I Sintfluterzählung 1^); beinahe alle modernen Forscher, 
' Assyriologen und Alttestamentier, stimmen hierin überein; 



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17 

und wenn vereinzelte, allzu ängstliche Theologen sich gegen 
diesen unabweislichen Schluss sträuben, so mögen sie wohl 
zusehen, ob sie nicht der Sache des Glaubens, die sie ver- 
teidigen wollen, vielmehr schaden als nützen! Wehe der 
Theologie und wehe auch unserer Kirche, wenn sie in den 
Buf kommt, dass sie ihre Augen vor offenbaren Tatsachen 
verschliesst! 

Der Tatbestand ist folgender: auch die Babylonier haben 
eine Sintflutgeschichte, deren ganzer AuMss mit den beiden 
biblischen Erzählungen — denn es gibt im 1. Buche Mosis 
zwei Sintflutgeschichten, die von einer dritten Hand zu- 
sammengearbeitet sind — in merkwürdiger Weise überein- 
stimmt. Die Wichtigkeit der Sache verlangt es, dass wir hier 
etwas länger verweilen. Die babylonische Erzählung, die in 
einer wundervollen poetischen Form auf uns gekommen ist, 
berichtet, wie einst die Götter beschlossen hatten, die Stadt Surip- 
pak (am Euphrat, wohl nahe an seiner Mündung ins Meer ge- 
legen) zu verderben. Ea aber, der Gott der Weisheit, wollte 
seinen Liebling üt-napiStim, der seinem Schutzgott an Weis- 
heit ebenbürtig war, erretten. Da er aber nicht wagte, den 
Rat der grossen Götter einem Menschen zu offenbaren, so griff 
er zu einer List: er erschien ihm in der Nacht, während 
er im Bohrhause an der Wand schlief, und befahl dem 
Bohrhause, der Wand, ein Schiff zu bauen! Der Mensch 
aber, klug wie sein Gott, verstand diese Bätseirede. Er 
baut das Schiff. Der Bau wird genau beschrieben: es wird 
in verschiedene Abteilungen geteilt; hinein kommt alles 
Silber und Gold, Lebenssamen jeglicher Art, seine Familie 
und seine Verwandten, Vieh und auch Handwerker. Man 
beachte den letzteren Zug, der uns zeigt, dass es ein Kultur- 
volk ist, das sich diese Geschichte erzählt; nach einer an- 
dern babylonischen Bezension dieser Erzählung, die uns 
von griechischer Hand überliefert ist, hat der Held der 

2* 



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18 

Erz&hlung sogar Schriften vergraben, um sie über die Sintflut 
zu retten. Im folgenden wird dann in poetischen, stark 
mythologischen Zügen erzählt, wie die Sintflut kommt Zur 
angegebenen Zeit geht Ut-napiätim selber ins Schiff. Eine 
schwarze Wolke steigt empor; das ist die Donnerwolke des 
Gottes Hadad. Nabu und Harduk schreiten voran ; die Anun- 
naki heben die Fackeln hoch. Die Wasser steigen empor und 
dringen auf die Menschen los. Selbst die Götter erschrecken 
vor der furchtbaren Flut, sie fliehen empor zu Anu's Himmel 
und kauern dort oben nieder wie ein Hund! Laut schreit lätar, 
es jammert Bellt, die göttliche Mutter der Menschen; und 
alle Götter weinen. Endlich hört die Flut auf. Ut-napiätim 
öffnet das Fenster; er sieht hinaus und jammert über den 
Untergang aller Welt Das Schiff sitzt fest auf einem nörd- 
lichen Berge. Um zu erfahren, ob das Land schon trocken 
geworden sei, entsendet er dreimal Yögel. Zuerst eine 
Taube, die aber keinen Buheplatz findet und darum zurück- 
kehrt. Dann eine Schwalbe. Schliesslich einen Baben. 
Der Babe sieht das Wasser abnehmen und kehrt nicht 
wieder zurück. Das zeigt Ut-napiStim, dass die Erde jetzt 
trocken ist; er verlässt das Schiff und bringt nun zuerst 
ein Opfer dar. Die Götter aber rochen den Duft und 
scharten sich wie Fliegen um den Opferer. Auch Bei, der 
Hauptanstifter der Flut, kommt heran ; Bellt schilt ihn darob. 
Bei ergrimmt, als er die Menschen sieht, die der Flut ent- 
kommen sind. Ea gibt halb und halb zu, dass er die Bet- 
tung veranlasst habe, und hält Bei mit starker Lronie vor^ 
wie töricht er gewesen ist, eine solche Flut anzurichten; 
Endlich besinnt sich Bei eines besseren und erzeigt den 
Greretteten seine Huld, indem er sie unter die Gtötter erhebt 
Diese babylonische Geschichte ist hier so ausführlich 
geschildert worden, damit der Leser selber ihre merkwürdige 
Ähnlichkeit mit der biblischen, zugleich aber auch ihre 



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19 

ebenso grosse Abweichung erkennen möge. Zunächst die Be- \ 
rührungen: die Ähnlichkeit im G^mge der Handlung leuchtet j 
sofort ein; es ist trotz aller Abweichungen im einzelnen doch ' 
im ganzen derselbe Erzählungsstoff. Besonders frappant 
ist die Übereinstimmung beider Erzählungen vom Aussenden ) 
der Vögel. Wie mag dem ersten Entdecker des babyloni- 
schen Berichtes, als er an diese Stelle kam, das Herz ge- 
klopft haben! Auch das ist eine merkwürdige Berührung, 
dass am. Schlüsse ein Opfer gebracht wird, und dass die 1 
Oötter da^Opfer riechen. Anderes kommt hinzu, so, dass 
in der zweiten hebräischen Quelle wie in der griechisch- 
babylonischen Tradition Ararat d. h. Armenien als Landungs- 
ort der Arche genannt wird, und dass der Held der Sint- 
flut in beiden Traditionen der zehnte in seiner Reihe ist, \ 
Noah der zehnte der Urväter, üt-napiStim der zehnte der 
ürkönige. Demnach muss eine Beziehung zwischen beiden 
Erzählungen bestehen. Wenn man nun das unvordenk- 
liche Alter der babylonischen Kultur und auch dieser 
babylonischen Fluterzählung erwägt, wenn man sich ver- 
gegenwärtigt, dass Fluten gerade in Babylonien, das dem I 
Meere naheliegt und ein von grossen Strömen bewässertes ^ 
Flachland ist, sehr natürlich sind, so können wir nicht j 
zweifeln, dass die israelitische Erzählung aus der babyloni- 
schen entstanden ist. Die babylonische Erzählung von der 
grossen Flut ist als ein Stück der grossen babylonischen 
Kultur durch die vorderasiatische Welt gegangen; haben wir 
doch jetzt die ältesten Darstellungen einer „Arche Noae" aus 
einem altetrurischen und einem altsardinischen Grabe ^7)! 
J2ie_4asflucht aber, die dem gegenüber wohl noch zuweilen 
von allzu "ängstlichen Gemütern versucht wird, es handle ^ 
sich hier um zwei verschiedene Berichte über dieselbe ge- 1 
schichtliche Tatsache, das Hebräische sei von dem Babyloni- 
schen nicht abhängig, sondern gebe nur dieselbe Begebenheit 



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20 

wieder — diese Ausflucht hätte eigentlich dem gegenüber 
gar nicht versucht werden dürfen. Denn für jeden Sagen- 
kenner js t es ganz unzweifelhaft, dass beide ^Erzählungen, 
die in nebensächlichen Einzelzügen so sehr übereinstimmen, 
als Erzählungen verwandt sein müssen. 

Wir sagen: für den Sagenkenner; denn auch dieser 
Schluss ist unentrinnbar, dass die hebräische Fluttradition, 
wenn wir sie so aus der babylonischen ableiten, nicht eine 
geschichtliche Erzählung in strengem Sinne, sondern eine 
poetische, volkstümliche d. h. eine Sage ist. Das lehrt uns 
freilich nicht nur die Assyriologie; sondern das geht zu- 
gleich aus ganz anderen Merkmalen hervor und sollte für 
jedermann, der überhaupt auf Bildung und Geschmack An- 
spruch macht, schon lange selbstverständlich sein! Die 
Sintfluterzählung ist eine Sage, ist Poesie, wie es denn 
mancherlei Arten von Poesie und auch mancherlei Sagen 
I im Alten Testament gibt. Das ist nicht das Urteil der 
Pietätslosigkeit und des Unglaubens, sondern ein Urteil, das 
mit Pietät und Frömmigkeit durchaus vereinbar ist: denn 
Sagen sind ja das köstlichste Out, das ein antikes Yolk 
A Überhaupt besitzt, und sie besonders sind im stände, die 
; Gedanken der Religion auszusprechen. Welch jammervolles 
i Schauspiel ist es, wenn die ängstliche Frömmigkeit gewisser 
Kreise in traurigem Bunde mit kläglicher Unbildung sich 
fürchtet vor der Poesie im Alten Testamente, vor der herr- 
lichsten Poesie der Welt! Kirche^und Schule aber sollten 
Idie Aufgabe, unser Volk überHiesagenhaliben Bestandteile des 
Alten und Neuen Testamentes au&uklären, fernerhin nicht 
den ungläubigen Kreisen überlassen. Es ist dringend nötig, 
dass wenigstens auf den oberen Klassen der höheren Schulen, 
sobald die Möglichkeit geschichtlichen Verständnisses im 
jungen Menschen erwachsen ist, an einigen Hauptbeispielen 
gezeigt werde, dass im Alten Testament poetische Erzäh- 



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21 

langen vorbanden sind; und die Sintfluterzählung könnte 
dabei als besonders deutliches Beispiel dienen. 

Wir stimmen also mit Delitzsch durchaus überein, wenn 
er die Abhängigkeit der biblischen Fluterzählung von der 
babylonischen annimmt; ja wir betrachten es als ein nicht 
geringes Verdienst von Delitzsch, dass er mutig genug gewesen | 
ist, dies Resultat der Forschung vor jener vornehmen Ver- | 
Sammlung auszusprechen und sich dabei zugleich zu der 
modernen Pentateuchkritik mit aller Offenheit zu bekennen i»). 
Dies Verdienst, das sich Delitzsch so um die Popularisierung 
der Forschung erworben hat, wollen wir ihm nicht ver- 
gessen, auch wenn wir ihm in vielem anderen nicht zu- 
stimmen können. Denn freilich weichen wir schon in der 
Art, wie diese Abhängigkeit zu denken sei, von ihm 
ab. Delitzsch scheint hier wie in anderen Fällen der j 
Meinung zuzuneigen, den biblischen Schriftsteilem hätte | 
die babylonische Sage schriftlich vorgelegen, und sie sei 
von ihnen mit vollem Bewusstsein übersetzt und überarbeitet 
worden i»). Das würde aber eine bei weitem zu äusser- 
liche Vorstellung von der Sache sein, die daher für den 
Kenner der Sagengeschichte schwerlich in Betracht kommt; 
viel näher Uegt diesem die Annahme, dass die Sage j 
in mündlicher Überlieferung zu Israel gekommen ist; ^ 
und dass diese natürlichere Annahme auch hier zutrifft, 
beweisen die mancherlei Abweichungen des babylonischen 
und biblischen Sagen Stoffs: so sind z. B. die Namen 
»Arche« und »Flut«, die die hebräischen Schriftsteller sicher- 
lich nicht erfunden haben, andere als die babylonischen *<>). 
Viel schwerer aber als ein solcher Irrtum wiegt eine Unter- | 
lassung, die Delitzsch begangen hat. Er hat sich begnügt J 
die Abhängigkeit des biblischen Stoffs vom babylonischen \ 
festzustellen, ohne eine Untersuchung darüber hinzuzufügen^ 
ob das Biblische dem Original gegenüber nicht auch eine 



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22 

\ gewisse Selbständigkeit habe. Und eben wegen dieser 
Unterlassung konnte der Schein entstehen, als ob die bib- 

. lische Erzählung, weil von der babylonischen abhängig, 
deshalb wertlos sei! Hat doch Delitzsch selbst von »der 
reineren und ursprünglicheren Form««!) der babylonischen 
Traditionen gesprochen. Eine verhängnisvolle Einseitigkeit, 
die den Delitzsch'schen Vorträgen anhaftet, und durch die 
er an der herrschenden Verwirrung die Hauptschuld trägt! 
Wo in der ganzen Welt aber ist es erlaubt, nur die Her- 
kunft eines Stoffes nachzuweisen, ohne sofort, wenn man 

rirgend kann, eine Untersuchung hinzuzufügen, in welcher 

J Weise dieser Stoff umgebildet worden sei? Unsere grossen 
deutschen Dichter haben bei ihren grössten Schöpfungen 
vielfach alte Stoffe übernommen; Goethes »Faust« z.B. ruht, 
wie jedermann weiss, auf einer älteren deutschen Sage. 
Wer glaubt aber, dass Goethes Dichtung geringer werde, 
wenn man auf das Volksbuch von »Faust« als seine Quelle 
hinweist? Im Gegenteil, erst dann erkennt man seine 
Grösse, wenn man beobachtet, was er aus dem ungefügen 
und rohen Stoffe gemacht hat. — Und so ist es auch mit 
der biblischen und babylonischen Fluterzählung. Der Unter- 
schied beider Erzählungen ist ein &st unermesslicher; es 

In der babylonischen Erzählung ein wilder, grotesker 
Polytheismus: die Götter überlisten und befehden einander, 
sie erbeben vor der Flut und kauern wie Hunde am Himmel, 
und sie kommen zum Opfer wie Fliegen. Die biblische 

[Erzählung aber redet von dem Einen Gott, dessen gerechte 
Vergeltung die Flut ist, und der den Frommen, nachdem 
er ihn erprobt hat, gnädig beschützt. Daher fehlt auch im 

f biblischen Bericht ein Zug, den das Babylonische enthält, 
und der dem Modernen, sentimental Empfindenden viel- 
« leicht sympathisch ist, nämlich das Mitleid des Heros mit 



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23 

den getöteten Menschen. Welche Übertreibung aber ist es, 
wenn Delitzsch behauptet ^^), dass die babylonische Sage 
wegen dieses Einen Zuges »uns sehr viel sympathischer« 
sei als die biblische! Die Sympathie mit diesem Zuge wird 
übrigens beträchtlich gemildert, wenn man daneben hält, 
dass der Heros der Flut keineswegs daran gedacht hat, 
seine Mitbürger zu retten, sondern ihnen vielmehr, anstatt 
sie vor der Flut zu warnen, auf Eat seines Gottes einen 
reichen Segen angekündigt und sie so in Sicherheit gewiegt 
hat! Die Erzählung der Bibel aber, die die Sintflut durch 
die Sünde der Menschen begründet, ist viel zu ernsthaft, 
als dass sie Mitleid mit den mit Recht bestraften Sündern 
kennte! — Die israelitische Tradition hat also die babyloni- 
sche keineswegs einfach übernommen, sondern sie hat sie 
— e in wahres W under dgr Wfjltgftarhinhte — aufs stärkste 
umgebildet; si^^lat^(Slacken ijn„Gold^veiwa^ Sollen 
wir uns also als Christen nicht freuen, dass wir an jener 
babylonischen ürrezension einen Maasstab gefunden haben, / 
um zu ermessen, wie viel näher der Gott, an den wir j 
glauben, dem alten Israel gewesen ist als den Babyloniem! i 
Wahrlich, wer Sinn für Religion und Religionsgeschichte \ 
hat, kann diesen gewaltigen Unterschied der beiden Er- 
zählungen nicht übersehen! 

Ähnlich liegt die Sache in der Schöpfungsgeschichte, 
nur dass hier der Beweis für die Abhängigkeit der israeli- 
tischen Überlieferung 1. Mose 1 von der babylonischen 
viel schwieriger zu führen ist. Die Schöpfungsgeschichte 
der Babylonier erzählt, wie die Welt ursprünglich ein grosses 
Gewässer gewesen ist, das sich die Babylonier in ihrer 
mythologischen Art als ein gewaltiges weibliches ürwesen 
Ti&mat vorstellen. Aus der Verbindung Tiämats mit dem 
Urvater Apsü sind alle Götter entsprossen. Nun erzählt 
der Mythus, wie ein Kampf zwischen den jüngeren und 



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24 

jenen alten Göttern entstanden ist, bis endlich Marduk, der 
Stadtgott von Babel, auftrat, Tiämat besiegte, in zwei Teile 
zerlegte und daraus Himmel und Erde bildete. So ist die 
Welt aus dem Urwasser entstanden. — Wer diesen baby- 
lonischen Urmythus mit 1. Mose 1 vergleicht, wird zunächst 
kaum etwas anderes wahrnehmen als den unendlichen Ab- 
stand zwischen beiden: dort die heidnischen Gtötter, in 
wildem Kampf gegen einander entbrannt, hier der Eine, 
der spricht und es geschieht. Trotzdem gibt es gewisse 
Spuren, die uns wahrscheinlich machen, dass dem biblischen 
Bericht der babylonische zu gründe liegt, wenn beide auch 
durch einen sehr langen Zeitraum geschieden sein müssen. 
Der hebräische Bericht hat gewisse Beste, die uns zeigen,, 
dass er einst mythologischer gewesen sein muss; auch hier ist 
die Welt ursprünglich Wasser gewesen, und der Ausdruck, 
der dafür gebraucht wird, tehdm, ist sprachlich letztlich der- 
selbe wie der babylonische tiämat. Und auch im Hebräischen 
wird die Welt so geschaffen, dass das ursprüngliche Ur- 
Wasser in zwei Teile, in Himmel und Erde geschieden wird. 
Also doch trotz aller Abweichung in der religiösen Ideo 
ein verwandter Stoff! Nun ist auch hier die Abhängigkeit 
des Israelitischen vom Babylonischen wahrscheinlich zu 
machen; entspricht doch die Art, wie hier die Welt ent- 
steht, ganz dem babylonischen Klima, in dem des Winters 
überall Wasser herrscht, bis der Gott der Frühlingssonne 
ersteht, die Wasser spaltet und Himmel und Erde erschafft. 
Dass aber die Erzählung vom Kampf des Lichtgottes gegen 
die Wasser der Urzeit und gegen das wilde Ungetüm auch 
in Kanaan bekannt gewesen ist, das lehren gewisse An- 
spielungen bei Propheten, Dichtern, Apokalyptikern, wo» 
dieser Kampf auf Jahve übertragen worden ist »»). Solche 
Anspielungen sind in diesem Zusammenhang deshalb wert- 
voll, weil sie die Zwischenglieder zwischen dem grotes- 



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25 

ken babyloDischen ürmythus und dem späthebräiscben* 
Bericht 1. Mose 1 darstellen. Auch für 1. Mose 1 können 
wir also, was den Stoff betrifft, eine Abhängigkeit yom 
Babylonischen annehmen; aber wiederum überwiegt daa- 
Originelle in 1. Mose 1 bei weitem das Übernommene. Also 
auch diese Annahme dient nur dazu, die eigentümliche- 
Hoheit der Beligion Israels zu zeigen. 

Wiederum aber lehrt diese Betrachtung, dass die- 
Schöpfiingserzäblung nicht anders als die von der Sint- j 
flut eine Dichtung ist; auch das ist eine Erkenntnis, gegen 
die sich niemand, der unsere Kirche wirklich lieb hat,, 
sträuben sollte; es wäre nicht zu viel verlangt und der An- 
fang einer^höfihst notwen digen Reformation , wenn schon in 
dem biblischen Oeschichtenbuch das erste Stück über- 
schrieben würde: das Gedicht von der Schöpfujog. Mögen 
die Fachleute diesen*VoiÄ5hIäg"etwägeii.''"^^^ ist es noch Zeit. 
Vielleicht kommt einmal die Stunde, da es heisst: zu spätl 

Auch die Überlieferung von den Urvätern der 
Menschheit bis zur Sintflut ist, wie mit grosser Wahr- 
scheinlichkeit anzunehmen ist, babylonischen Ursprungs ^ 
die hebräischen Namen lassen sich teilweise als direkte; 
Chfi^tzüggen^ der Namen der babylonischen Urkönige be- 
greifen. Diese Erklärung ist bedeutsam, weil so auch auf 
die grossen Lebenszahlen, die den Patriarchen zugescbrieben^ 
werden, und die zu so mancherlei Erwägungen Anlass ge- 
geben haben, ein licht fällt: die babylonische Überlieferung 
kennt an dieser Stelle noch viel grössere Zahlen, und hier 
erklären sie sich aus astronomischer Weltzeitberechnung. 

Aus den Urmythen der Bibel hat Delitzsch noch die 
Paradiesessage als babylonisch bezeichnet; aber nur auf 
eine altbabylonische Abbildung hin, deren Deutung ganz, 
unsicher ist**). 

Nach dem Vorgange E. Schrader's vergleicht Delitzsch. 



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26 

ferner die Sage vomWahnsiiinNebukadiiezars, der wegen 
seines Hochmuts aus den Menschen ausgestossen ward und 
mit den Tieren des Feldes lebte, mit einer griechisch-baby- 
lonischen Tradition, wonach der König, auf der Höhe seiner 
Macht angelangt, den fremden Eroberer geweissagt und 
ihm gewünscht habe, dass er durch die Einöde gejagt 
werden möge, wo die wilden Tiere und Vögel umher- 
schweifen. Beide Überlieferungen haben ja auch eine ge- 
wisse Ähnlichkeit, die aber doch viel zu schwach ist, als 
-dass sich eine Abhängigkeit der biblischen von der baby- 
lonischen Erzählung sicher behaupten liesse. Viel enger ist die 
Verwandtschaft der jüdischen Sage mit der altbabylonischen 
^on Eabani, der untier den Tieren wie ein Tier lebte: sein 
Haar bedeckte seinen ganzen Leib und reckte sich wie 
Weizen, und mit den Gazellen zusammen frass er Gras, 
dnd auch hier folgt Delitzsch der äusserlichen Auffassung, als 
•ob der Schriftsteller die fremde Sage umgestaltet hätte"); 
höchstens könnte es sich — ich glaube, dass mir alle Folk- 
loristen darin zustimmen werden — um Umbildung in münd- 
licher Tradition handeln. Delitzsch will aber gar, dass selbst 
-der Jugend, sobald sie von der betreffenden biblischen Ge- 
schichte hört, der babylonische Ursprung und die »reinere 
^und ursprünglichere Form dieser ^Zählung« mitgeteilt werde! 
Den grellen Ausdruck aber, dass wir durch die Wahn- 
vorstellung eines vertierten Nebukadnezar »erblich belastete 
seien, hätte er auf jeden Fall vermeiden sollen; übrigens 
^hat er je diese Erzählung für etwas anderes als eine Sage 
^gehalten? 

Ebenso ist alles, was er über den Ursprung des Glaubens 
an ein Leben nach dem Tode so blumenreich ausführt, 
höchst zweifelhaft. Vielmehr stimmen die alten Babylonier 
und Hebräer in dem Glauben überein, dass die Seele nach 
wdem Tode in die dunkele Unterwelt eingeht, von wannen 



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27 

es für den gewöhDlichen Menschen keine Errettung gibt. 
Der Glaube an die Auferstehung gehört im allgemeinen 
dem Alten Testament noch nicht an, sondern ist im Juden- 
tum erst in nachkanonischer Zeit und jedenfalls nicht unter 
dem Einfluss alt babylonischer fieligion zur Herrschaft ge- 
kommen. 

Richtig ist, dass bei dem Engelglauben, wie er ' 
besonders im nachexilischen Judentum hervortritt, Baby* 
Ionisches nachklingt: wir können das für die sieben Ei^- 
engel beweisen, für die Saraphen und Eeruben vermuten. 
Ob aber die Vorstellung von den Engeln überhaupt au» 
Babylonien stammt, ist eine andere Frage, die man einst- 
weilen wohl aufwerfen, aber schwerlich beantworten kann. 

Viel Staub aufgewirbelt hat die Ableitung des hebräi- 
schen Sabbath von den Babyloniem. Auch hier muss 
man die Laien vor unnötiger Au&egung warnen; denn was 
ist uns Christen der Sabbath? Die hohe und reine Beligion \ 
des Christentums, wie sie in der Reformation Luthers 
wieder erneuert ist, kennt keine heiligen Tage! Jesus hat 
ungescheut das Sabbathgebot übertreten, und der Apostel 
sagt, dass uns niemand richten solle über Speise oder Trank^ 
oder in betreff eines Festes oder Neumonds oder Sabbaths 
(Kolosserbr. 2 le). Dei christliche Sonntage ist.ßiqht eine Über- 
tragung des SabbatKs",*"sönaerh etwas Neues und Anderes. 
Ee%tonsgescHchflfcfi aber liegt die Sache so, dass die- 
Feier eines solchen heiligen Tages in der grossen geschicht- 
lichen Religion ein Überrest aus älterer Zeit ist, da man 
an Götter glaubte, die ihrer Art nach mit Tagen zu- 
sammengehören; ganz klar ist das für das Neumondsfest, 
das natürlich ursprünglich mit Mondverehrung zusammen- 
hängt. Vor den babylonischen Entdeckungen ffl5en"wir die 
Entstehungsgeschichte des Sabbath nicht gekannt: denn solche 
Eultussatzungen sind gewöhnlich viel zu alt, als dass es in 



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28 

^einem so jungen Volke wie Israel eine historische Über- 
lieferung über ihren Ursprung geben könnte; so ist es nicht 
verwunderlich, wenn schon das älteste Israel von dem Ur- 
sprung des Sabbath ebenso wenig etwas Sicheres weiss wie von 
dem der Beschneidung, der Blutenthaltung und vieler anderer 
Zeremonien*«). Wenn es aber doch in Israel Erklärungen 
solcher Kultusgebräuche gibt, wie beim Sabbath die bekannte 
Deutung, der siebente Tag sei heilig, weil ihn Gott bei der 
Schöpfung als Buhetag geheiligt habe, so sind das nachträg- 
liche Deutungen, die geistreich und tief sein mögen, die 
aber für die wissenschaftliche Erklärung der Zeremonien nicht 
in Betracht kommen. Wenn wir demnach bei den Baby- 
loniern etwa eine Parallele für den Sabbath finden, so 
werden wir uns einfach über die Bereicherung unseres 
Wissens freuen. Und solche Parallele dürfen wir allerdings, 
wenn auch einstweilen noch mit einiger Reserve, annehmen *7) 
und vermuten, dass der hebräische Sabbath aus Babylonien 
-stamme, dem klassischen Lande der Verehrung der Gestirne 
und ihrer charakteristischen Tage. Freilich ist es wieder 
eine starke Übertreibung, wenn Delitzsch sagt, dass wir 
vdie in der Sabbath- bezw. Sonntagsruhe beschlossene Segens- 
fülle im letzten Grunde jenem alten Kulturvolk ver- 
danken *«). Denn solche Tage bekommen doch, wenn sie in 
-eine andere Religion übergehen, einen ganz neuen Charakter! 
jDie alten Babylonier haben den Sabbath als Busstag ge- 
I feiert, wo man die erzürnten GötteT versöhnte, als einen 
{ bösen Tag, wo man gewisse Handlungen meiden sollte. 
Der althebräische Sabbath enthält nichts von solchen Ideen, 
sondern gilt als fröhlicher Feiertag. Und wie kann man 
gar von dem Sonntag sagen, seine Segensfülle stamme 
ursprünglich aus Babel! 

Wir übergehn alles Nebensächliche, dessen sich noch sehr 
viel nennen liesse ^^), und kommen zur Hauptfrage, ob und 



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29 

wieweit die Babylonier Monotheisten gewesen sind. Hier 
m5ss"man zunäcMt feSst^tenj'idäfiS* '6*g^*T^^ Formen 

des Monotheismus in manchen Völkern und zu mancherlei 
Zeiten gegeben hat, dass aber trotzdem das Volk Israel^ 
das klassische Volk des Monotheismus ist und bleibt: der- I 
jenige Monotheismus, zu dem wir uns bekennen, oder ge- 
nauer, der der Vorläufer des unsrigen ist, stammt aus dem 
Judentum; und i n Israel is t diesex Monotheismus autochthon 
entstanden ; wir kennen seine Entstehungsgeschichte in Israel 
sehr wohl. Die babylonische Religion dagegen ist un- 
zweifelhaft polytheistisch, und zwar hat sie eine über- 
aus krasse, groteske Vielgötterei. Wenn sich also in Babylonien 
einiges an Monotheismus Anklingende finden sollte, so wäre das 
hier die Ausnahme. Die grosse historische Wirkung, 
auf die es ankommt, ist in diesem Punkte nicht 
von Babylonien ausgegangen, sondern von Israel, i 
Delitzsch hat nun auf verschiedene Einzelheiten hingewiesen, 
zunächst auf gewisse mit el = Oott zusammengesetzte Namen 
wie »Gott mit mir«, »Gott rief ich an«, »Gott ist gross« u. a., die 
speziell bei »nordsemitischen Einwanderern« in Babylonien in 
der Zeit Hammurabi's gebräuchlich gewesen sind. Delitzsch 
nimmt an, dass diese »Nordsemiten« Verwandte der Hebräer und 
ebenso wie diese von ältester Zeit her Monotheisten gewesen sind ; 
seine Meinung ist also keineswegs, dass der israelitische 
Monotheismus in Babylonien entstanden sei. Indes alle diese | 
Kombinationen fallen laut- und klanglos dahin; denn die 
zitierten Namen sind gar nicht spezifisch-mono- 
theistisch, was Delitzsch von jedem Kenner der ßeligions- 
geschichte hätte erfahren können; die polytheistischen 
Griechen haben z. B. Namen wie Theophilos « Gottlieb, 
Theopompos — Gottgesandt, Theodosios = Gottesgabe, Theo- 
xenos « Gottesgast u. a. Die ebenfalls polytheistischen 
Phönizier, Aramäer und Araber haben sehr viele Namen, 



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30 

die mit el » Gott zusammengesetzt sind, wie 'Ainel, Auge 
Gottes, Channel »Gnade Gottes«, *Aliel, »El ist erhaben« 
u. a.»o). Im Vorübergehen sei noch bemerkt, dass alles, 
was Delitzsch über die keilschriftlichen Namen Ja've-ilu 
und Jaum-ilu — »Jahve ist Gtottc bemerkt »i), höchst 
zweifelhaft ist. Die Deutung ist nach dem urteil berufener 
Fachgenossen von Delitzsch sehr fraglich und sogar die 
Lesung des ersten der beiden Namen nicht einmsd ganz 
sicher»*). Delitzsch hätte aber an der hervorragenden 
Stätte, an der er sprach, einen besonderen Wert darauf 
iegen jnaüsMgö^ Zuverlässiges, jmite^ -^"Tfun 

giBt es noch aus neubabylonischer Zeit eine Stelle, in der 
verschiedene Götter mit Marduk gleichgesetzt werden, und 
diese ist allerdings mit Delitzsch als nahezu monotheistisch 
■aufzufassen »») ; aus dieser Stelle geht hervor, dassJbAbjdkusisbobe 
]^qrie.8terUcbe Jgjgisheit an einem gewissen Punkte der Geschichte 
: erkannt hat, dass die verschiedenen Götter letztlich Erschei- 
piungsformen desselben göttlichen Wesens seien, eine Anschau- 
4uüg, die auch die ^edy^sch§JPopulaQ^.hilos^ zur Zeit Jesu 
jerreicht hatte. Wir freuen uns einer solchen geistigen Höhe, 
die durch allen bunten Wahn der Vielgötterei hinauf zu 
lem Einen dringt. Freilich wird solche Erkenntnis der 
( Weisen in Babylonien ebenso wenig wie in Griechenland 
ie^eigenJUphe ReHgion^ in der es vielmehr 

beim Polytheismus verblieben ist. Mit der monotheistischen B e- 
ligion Israels ist also diese monotheistische Spekulation 
doch nur von ferne zu vergleichen. 

Es wird dem Leser aufgefallen sein, dass wir bisher 
nur von lauter Einzelheiten gesprochen haben. Das hat 
seinen guten Grund. Denn die babylonische Beligion ist 
uns einstweilen erst in Bruchstücken bekannt, während die 
israelitische freilich in ihren wesentlichen Zügen und ihren 
historischen Epochen klar vor uns liegt. Was man gegen- 



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wärüg geben kann, wenn man den Einfluss Babels auf 
Israels Beligion behandeln will, ist also höchstens das, 
dass man, natürlich mit aller Reserve, diejenigen Bereiche 
absteckt, in denen Übertragung babylonischen, mehr oder 
weniger religiösen Materials auf Israel stattgeAinden haben ^ 
kann; das sind vor allem Sagen und Mythen; femer Kultus- 
satzungen, die vielleicht in weitem Umfange babylonischen 
Ursprungs sind ; femer Bechtssatzungen, die ja in der Antike { 
stets mit der Beligion irgendwie zusammenhängen; sodann Kos- 
mologie, die Anschauung von der Art und Teilung der Welt; 
femer Volksglaube von himmlischen, irdischen und unterirdi- 
schen Wesen allerlei Art, von Engeln und Dämonen ; femer Be- 
rechnungen über Dauer und Epochen der Welt, prophetische 
und apokalyptische Bilder. Die wertvollsten Stücke sind 
vielleicht religiöse Lieder, die zusammen mit gewissen Kul- 
tussatzungen durch die Länder gewandert sind: wir haben 
babylonische Psalmen, die den hebräischen, wenn auch reli- 
giös weit unterlegen, so doch der Form nach verwandt sind. 
Das meiste aber von diesem ganzen StofP hängt, wenigstens 
in Israel, mit der eigentlichen Beligion nur lose zusammen 
oder ist, wie wir an der Sintflut- und Schöpfungsgeschichte 
gesehen haben und ebenso an den religiösen liedem zeigen 
könnten, in stärkster Weise israelitisiert worden. Wenn man 
auf das Wesentliche, Ausschlaggebende sieht, so muss man 
doch anerkennen, dass Israels Beligion in der klassi- 
schen Zeit Babel gegenüber selbständig ist. 

Auch eine Parallele zwischen den beiden Beli- 
gion en können wir einstweilen noch nicht ziehen. Delitzsch 
hat das versucht, aber ist doch dabei in Einzelheiten stecken 
geblieben. Und er ist dabei — wir berufen uns in dieser 
Sache auf das Urteil aller Kenner — durchaus parteiisch 
verfahren: er erhebt die Babylonier und setzt Israel möglichst 
herunter. So ist es eine starke Ungerechtigkeit, wenn 

Gunkel: Israel und Babylonien. 3 



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Delitzsch behauptet, dass sich in Babylonien und Israel »die 
gleichen naiven Vorstellungen von der Gottheit« fänden: 
wie in Babel die Götter ässen und tränken, sich wohl auch 
zur Buhe begäben, so gehe Jahve zur Zeit der Abendkühle 
im Paradiese spazieren und labe sich an dem lieblichen 
Gerüche der Opfer Noahs. Nun kann es aber für den ge- 
rechten Beurteiler kein Zweifel sein, dass die Gottesan- 
schauung der Babylonier bei weitem naiver ist als die 
israelitische; man denke nur an die Art, wie die Götter in 
: der Sintflutgescbichte auftreten, wo sie wie Hunde am 
* Himmel kauern! Auch im Alten Testament gibt es gele- 
gentlich starke Anthropomorphismen, die aber längst nicht 
80 krass sind, wie es in Babel üblich ist: dass Jahve isst 
und trinkt, hat das historische Israel niemals gesagt. Solche 
derben Anthropomorphismen sind im Alten Testament Ar- 
chaismen, die inden.uraltenSagen von der Sintflut und vom 
Paradiese stehen geblieben, aber von der fortschreitenden Re- 
ligion überwunden worden sind. Entschuldbar mag dies Ver- 
fahren von Delitzsch deshalb sein, weil der unverständige Eifer 
einiger theologischer Gegner ihn geärgert hatte. Wir aber 
wollen nicht parteiisch sein, sondern möglichst objektiv 
und gerecht. Wir haben durchaus nicht die Absicht, uns die 
offenkundigen Schwächen Israels, die auch zuweilen im 
Alten Testamente zum Ausdruck kommen, zu verhehlen, und 
wir haben keineswegs das BedürMs, in Israel alles herrlich 
und schön zu finden. Der jüdische Monotheismus z. B. ist — 
das erkennen wir unumwunden an — vielfach von einem 
' Hass und manchmal einem blutroten Hass gegen die Heiden 
I befleckt, den man historisch aus den jammervollen Verhält- 
nissen des stets gedrückten Judentums verstehen mag, den 
wir aber in keinem Fall in unsere Religion mit hinein- 

f nehmen wollen; das Gebet »schütte deinen Grimm aus auf 
die Heidenc mag ein Goeze verteidigen, aber wir nicht 



1 



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33 

Andrerseits wollen wir, was die Babylonier Hohes hervor^ 
gebracht haben, auch in der Beligion, sicherlich nicht yer^ 
ringern. Die Götterhymnen der Babylonier, die sich manch* 
mal zu hohem Schwünge erheben, und ihre Busspsalmen, 
in denen nicht selten starkes Sündengefühl hindurchklingt, 
treSen bei uns auf ein empfängliches Ohr; wir freuen uns 
über die uralte, bewunderungswürdige Gesittung dieses 
Yolks, von der Israel manches hätte lernen können. Aber 
wenn babylonische und biblische Religion verglichen werden 
soUen, welcher unparteiische kann da zweifeln, auf welche 
Seite er sich zu stellen hat? Dort der krasse Polytheis- 
mus, hier in der klassischen Zeit der Monotheismus; die 
babylonische Religion ganz durchzogen von Zauberei, die 
•den grossen .Propheten Israels tief zu Füssen liegt; dort die | 
Verehrung der Bilder, hier die Bildlosigkeit des jüdischen 
Xultus '*) ; dort die Verbindung der Götter mit der Natur, hier \ 
aber erhebt sich der religiöse Gedanke in der klassischen Zeit 
zum Glauben an Einen Gott, der über der Welt steht; dort 
•die religiöse Prostitution, die einst auch Israel überschwemmt 
hat, die aber hier verscheucht ist durch den heiligen Sturm 
tier Prophetie! Das schönste Gut Israels aber ist der Satz 
«einer Propheten, für den sie leidenschaftlich eifern, der 
Satz, dass Gott keine Opfer und Zeremonien begehre, son- 
dern Frömmigkeit des Herzens und Gerechtigkeit der Taten; / 
diese innerste Verbindung der Religion mit der Sittlichkeit ' 
ist es vor allem, wodurch Israels Religion turmhoch überj 
alle übrigen Religionen des alten Orients hervorragt ! Das ist | 
Israels Vermächtnis an die Menschheit und bleibt es, wenn . 
auch das Judentum dieser gewaltigen Idee wieder untreu I 
geworden ist. Und wo hat die babylonische Welt Gestalten 
hervorgebracht wie die grossen religiösen Figuren der Pro- 
pheten, den zornigen Amos, den majestätischen Jesaias, den 
üefen und zarten Jeremias, von Mose und Elias ganz zu 



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schweigen. Die israelitischen Propheten des Exils haben sich 
über die Religion Babels, die sie vor Augen hatten, trotz 
des Pompes und Prunkes, mit dem sie auftrat, obwohl 
diese Götter die Gtötter des Weltreichs waren, das Juda in 
den Staub geworfen, hocherhaben gefühlt; sie haben sie 
gewiss nicht gerecht beurteilt; wie das im Kampfe der 
Beligionen zu geschehen pflegt; aber sie haben im Grunde 
doch Becht gehabt. Bei ist gefallen und Nebö gestürzt, 
aber durch die Jahrtausende erschallt der brausende Jubelruf 
der Sänger Israels: wer ist, Jahve, wie du unter den Göt- 
tern! Die Götter der Babylonier sind, als ihre Zeit ge- 
kommen war, dahingegangen; dem Gotte des kleinen Judas 
sind, als die Zeit erfüllt war, die Herzen der Heiden zuge- 
fallen. Dies ungeheure geschichtliche Ereignis, unter dessen 
Einfluss die ganze folgende Weltgeschichte steht, muss eine 
ungeheure Ursache haben; und was ist diese Ursache, was 
kann sie anders sein, als die entschiedene Überlegenheit dieser 
Religion über die andern? 

und nun zum Schluss die Frage: dürfen wir fortfahren^ 
von Gottes Offenbarung in Israel zu reden? Delitzsch, 
hat sie verneint. Freilich zeigt sich hier am deutlichsten^ 
dass ihm die eigentliche theologische Fachbildung fehlt; 
seine Stellung ist daher unklar und unzulänglich; wir wollen 
versuchen, Delitzsch' Standpunkt klar zu legen, in der 
HofPnung, wenigstens die Hauptsache richtig zu trefPen. 
Der Begriff der Offenbarung, den er voraussetzt, ist der 
supernaturale, altkirchliche, den man noch jetzig im popu- 
lären Bewusstsein mit diesem Wort zu verbinden pflegt.. 
Darnach steht :» Offenbarung« in begrifflichem Gegensatz 
gegen alles Menschliche; der Glaube, die alttestamentliche Re- 
ligion sei :»Offenbarung<, schliesst also in diesem Sinne alle 
menschliche Mitwirkung und historische Entwicklung aus.. 
Diesen Satz, dass die alttestamentliche Religion in diesem 



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35 

Sinne auf Offenbarung beruhe, bemüht sich Delitzsch nun 
zu widerlegen, indem er auf allerlei Widersprüche und 
Schwierigkeiten im Alten Testament hinweist; er zeigt z. B., 
dass der Gtott, der nach dem Zeugnis der Propheten jedes 
äussere Opfer verschmäht, unmöglich zugleich die Zeremo- 
nialgesetze der späteren jüdischen Gesetzgebung im soge- 
genannten >Priesterkodex« verordnet haben könne. Oder 
er weist auf die mancherlei heidnischen Parallelen hin, die 
es für alttestamentliche Gesetze gibt: Sabbath, Neumond, 
Schaubrote, Beschneidung haben nicht nur die Israeliten, 
sondern andere Völker auch. Oder er zeigt, dass es im ( 
Alten Testament auch rein profane Stücke gibt, wie das \ 
Hohe Lied, eine Sammlung hebräischer Liebeslieder, die mit ' 
Religion überhaupt kaum etwas zu tun haben. Wir können 
uns diese Argumentationen von Delitzsch, wenn wir auch 
manche Abstriche im einzelnen machen müssen, wohl an- 
eignen. Wir begrüssen Delitzsch als einen Bundesgenossen im t 
Kampfe gegen den Wahn, als ob das Alte Testament wörtlich \ 
von Gott eingegeben, und als ob seine Religion gewissermaassen ( 
vom Himmel gefallen, ^nejfi^schl iches Zutun un d ohne G^ 
schichte entstanden sei. Nur freilich, dass uns diese, meist 
etWäeTTuöSeflichlgn, ja geradezu groben Beweisführungen in 
keiner Weise imponieren; denn dieser Bundesgenosse kommt 
etwas spät. Der Theologe, der die Geschichte seiner Wissen- 
schaftkennt, weiss, dass solche Polemik gegen den Supernatura- 
lismus seit zwei Jahrhunderten besteht, und oft mit viel 
grösserem Material als das geringe, das Delitzsch in der Eile 
zusammengerafft hat, aufgetreten ist. Und diese jahrhundert- 
jährige Polemik hat seit lange ihre Früchte getragen. Die Gegner, 
die Delitzsch bekämpft, existieren, wenigstens unter den aka- 
demischen Theologen nicht mehr; und die Türen, die er mit so 
schönem Eifer einrennt, stehen schon lange offen. Die evan- 
gelische Theologie hat in allen Lagern jenen orthodoxen Inspi- 



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lationsglauben längst fallen lassen, und auch der Olaube, dass 
die alte israelitische Religion nicht geschichtlich, sondern 
rein-übergeschichtlich, -übernatürlich entstanden sei, wird 
schwerlich von irgend einem evangelischen deutschen Theo- 
logen verteidigt. Das ist auch Delitzsch nicht unbekannt. 
Immerhin wirkt die alte Anschauung, zumal in manchen Kreisen, 
die von der wissenschaftlichen Theologie nicht viel wissen, 
noch nach; vielfach ist, auch unter Theologen, der prin- 
zipielle Unterschied der alten supematuralistischen und der 
modernen religionsgeschichtlichen Betrachtung nicht völlig 
klar erkannt; man hat sich manchmal mit halben Vermittlungen 
begnügt. So mag man Delitzsch in diesem Punkte immerhin 
gewahren lassen; nur möge er seine Ausdrücke, wie es sich 
bei solchen heiligen Dingen geziemt, zarter wählen, und er 
möge sich nicht dem Glauben hingeben, als habe er hier 
eine bedeutsame theologische Frage »aufgerollt« >^). 

Nun glaubt aber Delitzsch, indem er den Begriff der 
»Offenbarung« in diesem Sinne als unmöglich erweist, die 
Offenbarung überhaupt gestürzt zu haben. »Offenba- 
rung« ist ihm eben nur die supematurale; er weiss es zwar, 
dass es unter den Theologen seit langer Zeit einen andern 
Begriff von Offenbarung gibt; aber diesen kann er nur für 
eine »Yerwässerung« des altkirchlichen Begriffs halten ^^). 

Wie steht es mit diesem modernen Begriff der Offen- 
barung? Wir schicken voraus, dass wir, indem wir über 
solchen Begriff handeln, den Boden der Oeschichtswissen- 
schaft verlassen und üb^ die Frage sprechen, wie Ge- 
schichtliches vom Standpunkt der Religion, des Glaubens 
ab zu beurteilen sei. Nun glaubt die wissenschaftliche Theo- 
' ^ logie der Gegenwart, ein tieferes Verständnis der Offenbarung 
zu besitzen, wonach Göttliches und Menschliches nicht 
äusserlich neben einander stehe, sondern innerlich in 
: einander li^. Die Geschichte der Offenbarung vollzieht 



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37 

sich danach unter den Menschen nach denselben psycholo- 
gischen Gesetzen wie alles menschliche Geschehen. Aber 
das Auge des Glaubens sieht in der Tiefe dieses Ge- 
schehens den Gott, der zu der Seele spricht, und der sich 
dem_aufechliesst, der ihn von ganzem JJerzen sucht. Gottes 
Offenbarung erkennen^ wir in den grossen Personen der f 
Religion, die in ihrem tie&ten Innern das heUige Geheimnis \ 
erfahren und mit Flammenzungen davon reden; Gottes 
Offenbarung sehen wir in den grossen Wendungen und 
wunderbaren Fügungen der Geschichte. Kinderglaube meint, 
in alter und neuer Zeit, Qott habe die Tafeln des Gesetzes ( 
mit eigner Hand beschrieben und dem Mose überreicht; der 
Glaube der Erwachsenen und Reifen weiss, dass Gott seine 
Gebote mit seinem Finger in die Herzen seiner Auser- . 
wählten schreibt. 

Haben wir nun das Recht, eine solche Offenbarung in . 
Israels Religion zu sehen? Sicherlich! Denn was ist das \ 
für eine Religion? ein wahres Wunder Gottes unter ; 
den Religionen des antiken Orients! Was fliessen l 
hier für Ströme der hinreissenden Begeisterung für den 
majestätischen Gott, der tiefen Ehrfurcht vor seinem heiligen 
Walten und des unerschütterlichen Vertrauens zu seiner 
Treue 1 Wer diese Religion mit gläubigem Auge betrachtet, 
der wird mit uns bekennen: diesem Volke hat sich Gott er- 
schlossen ! Hier ist Gott näher gewesen und deutlicher erkannt 
als sonst irgendwo im alten Orient, bis auf Jesum Christum^ 
unsern Herrn ! Dies ist die Religion, von der wir abhängig 
sind, von der wir noch immer zu lernen haben, auf deren 
Boden unsere ganze Kultur gebaut ist ; wir sind Israeliten in 
der Religion, so wie wir Griechen sind in der Kunst und 
Römer im Recht. Mögen die alten Israeliten also in vielen 
Dingen der Kultur tief unter den Babyloniern stehen, 
so stehen sie doch hoch über ihnen in der Religion; Israel 



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38 

ist und bleibt das Volk der Offenbarung. Ist das 
nun wirklich eine »Verwässerungc des Begriffe der Offen- 
barung, wie Delitzsch meint? Nein, wir denken, das ist eine 
Vergeistigung und Vertiefungl 

Delitzsch aber wird man psychologisch so verstehen dürfen, 
dass er in den Kreisen, aus denen er stammt, und in denen er 
vormals über Theologie unterrichtet worden ist, nur eine ziemlich 
krasse, um es mit starkem, aber deutlichem Worte zu sagen 
mythologische Anschauung von Offenbarung empfangen 
hat, und dass er sich jetzt, da er ihre ünhaltbarkeit erkannt 
hat, wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, mit Eifer 
und Zorn gegen diesen Begriff wendet, ohne ihn doch wirk- 
lich innerlich überwunden und eine zugleich der Wissen- 
schaft und der Religion genügende Stellung gewonnen zu 
haben. So hat er sich binnen Jahres Frist durch seine theo- 
logischen Gegner zu viel exponierteren Positionen drängen 
lassen, als die er ursprünglich eingenommen hatte; denn 
noch in seinem ersten Vortrage hat er die Losung ausge- 
geben, dass man die Religion der Propheten, Psalmisten und 
Jesu von »rein menschlichen Vorstellungen«, die ihr noch 
anhaften, zu befreien habe^^): damals scheint er also 
noch geglaubt zu haben, dass die Religion der Pro- 
pheten als solche nicht »rein menschlich« sei. Auch jetzt 
unterscheidet er im Buche Jonas die »menschliche Form« 
vom eigentlichen Inhalt; der Inhalt ist also, wenn wir 
Delitzsch recht verstehen, nicht »menschlich« «8). 
Oanz unbegreiflich ist es, wenn Delitzsch mit seiner Leug- 
nung der Offenbarung keineswegs unserm Gottesglauben und 
wahrhafter Religiosität schaden will*«); aber ist unser 
Gottesglaube denkbar ohne den Glauben, dass dieser Gott 
sich den Menschen in der Geschichte offenbare? Oder 
erkennt Delitzsch in Jesus eine schlechthin supematu- 
rale Offenbarung an? Man darf es vielleicht nach der 



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39 

Art, wie er von Jesus spricht, annehmen; jedenfalls würde 
das eine sehr starke Inkonsequenz sein, wenn er hier von 
seiner Weltanschauung — denn darauf und nicht auf Ein- 
zelheiten kommt es an — eine Ausnahme zuliesse. Gelegentlich 
heisst es hei Delitzsch, dass die moderne theologische Über- 
zeugung, dass alle göttliche Offenbarung eine menschlich 
vermittelte sei, die sich deshalb auch allmählich geschicht- 
lich entwickelt habe, auch seine eigene sei*<>). So ist 
er also schliesslich ganz mit uns einverstanden?! Aber 
noch auf derselben Seite**) widerruft er dies Zu- 
geständnis. Und an anderer Stelle redet er von der Gottes- 
ofPenbarung, die wir ein jeder in uns in unserem Gewissen 
tragen**); das ist also, wenn auch sehr rationalistisch 
ausgedrückt, eine nicht- supernaturale Offenbarung, die er 
anderwärts bekämpft. Ein wahres Labyrinth von Wider- 
sprüchen! Auf welcher theologischen Höhe Delitzsch steht, 
zeigen Äusserungen von ihm wie die: gibt es denn 
noch einen Glauben ausser dem Bibelglauben?*«) 
— man traut seinen Augen nicht, wenn man das 
liest! — oder gar: die Menschheit hätte eine persön- 
liche Gottesoffenbarung, wegen ihres vermeintlichen Frevels 
«n den Zehn Geboten, gar nicht verdient**) — was für 
ein Ungedanke! denn was haben wir überhaupt von Gott 
^verdient«? 

Wenn wir Delitzsch also recht verstehen, so ist er ein 
Bationalist alten Schlages, der vom Supematuralismus her- 
kommt und diesen als seinen eigentlichen Gegner erbittert 
bekämpft, obwohl ihm selber auch noch einige Eierschalen des 
Supematuralismus anhaften, der aber zu der Erkenntnis, . 
dass die Geschichte die eigentliche Stätte der Offenbarung ( 
"Gottes sei, noch nicht durchgedrungen ist Man kann nicht 
umhin, festzustellen, dass solcher geschichtsloser Rationalis- 
mus ziemlich die dürftigste Auffassung von Religion ist, die 



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je existiert hat, und dass wir uns bisher dem Wahne 
hingegeben hatten, dass solche theologische Stellung längst 
überwunden sei und nicht wiederkommen werde. 

Wie wird der Fortgang der ganzen »Bibel- und Babel-« 
Bewegung sein? Man darf es mit grosser Sicherheit vor- 
aussagen. Der Sensation wird in nicht allzu ferner Zeit die 
Ernüchterung folgen; ein neues aktuelles Ereignis wird 
»Bibel und Babel« ablösen. Auch Delitzsch' Vorträge, die 
weder neues Material gebracht haben noch theologisch etwas 
Besonderes zu sagen vermochten, werden im Publikum bald 
vergessen sein; die Geschichte der Wissenschaft wird 
sie künftighin schwerlich erwähnen. Was aber als Folge 
der ganzen Erregung überbleibt, das ist, so dürfen wir 
hoflfen, und dafür dürfen wir Delitzsch trotz allen Wider- 
spruches, den wir gegen ihn erheben mussten, dankbar sein> 
ein dauerndes Interesse der Gebildeten für babylonische und 
biblische Forschungen — mögen die Interessenten fortan 
zu soliden , fachmännisch - unanfechtbaren Publikationen 
greifen — , zugleich aber, so müssen wir fürchten, ein Miss- 
trauen weiter Kreise gegen die Kirche und die Schule, die 
die theologische Wissenschaft und ihre gesicherten Resultate 
leider so lange ignoriert haben. Möge die evangelische 
Kirche und Schule aus den Erfahrungen dieser Tage eine 
Lehre ziehen und sich ihrer Aufgabe bewusst werden, der 
Gemeinde den Glauben in einer Form darzubieten, die 
keine historische Kritik anzutasten vermag. 



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Anmerkungen. 



1) Im I. Vortrag« S. 4. 

2) Nar mit gemischten Empfindungen kann man auch Delitzsch'' 
Äusserung im II. Vortrag S. 14 lesen, wonach er von den hahylonischen 
Denkmälern, »die unsre Expedition heben wird«, für das sprachliche 
Verständnis des Alten Testamentes bedeutendere und raschere Fort- 
schritte erwartet, als solche innerhalb zweier Jahrtausende ihm 
beschieden gewesen. Man wird niemandem verdenken, wenn er 
über den Wert seines Forschungsgebietes hoch denkt; und auch 
wenn er diesen Wert bedeutend überschätzt, doch noch solche mensch- 
liche Schwäche gern verzeihen. Aber man muss von seinem Nächsten 
auch nicht zu viel Geduld verlangen. Wer zum Kampfe auszieht, 
rühme sich nicht wie der, der heimkehrt. 

3) Delitzsch spricht im I. Vortrag* S. 38. 39 mehrere Male 
von dem Scheol; das Wort ist femininum. 

4) Delitzsch zitiert im II. Vortrag S. 26 16 tiqtöl, »du sollst 
nicht töten«; es heisst in Wirklichkeit an beiden Stellen (2. Mose 
20 18 5. Mose 5i7) 16 tir^ah, »du sollst nicht morden«. »Wir Ge- 
lehrten machen es jedem von uns zu schwerem Vorwurf, wenn er 
die Inschrift eines beliebigen Menschen — — — auch nur in 
Einem Schriftzeichen ungenau oder gar falsch wiedergibt« (II S. 21). 

5) Ganz verfehlt ist es, wenn Delitzsch bei der bekannten 
Stelle 1. Mose In »Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde ; 
nach Gottes Bilde schuf er ihn; männlich und weiblich schuf er 
sie«, eine polytheistische, Götter und Göttinnen unterscheidende 
Auffassung für möglich hält (P S. 64). Sicherlich ist dies nicht die 
Meinung des streng monotheistischen Schriftstellers von 1. Mose 1 
gewesen ; ebenso wenig aber hat man irgend einen Grund, diese krass- 



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42 

polytheistische Auffassung als ursprüngliche Meinung des Stoffes 
anzusehen; vielmehr heisst es einfach: 1) der Mensch ist nach 
Oottes Bilde geschaffen; 2) als die Menschen geschaffen wurden, 
waren sie Mann und Weih. 

Wie Delitzsch in der Stelle Hioh 24i8f. die spätjüdische Vor- 
stellung von der doppelten Vergeltung in der Unterwelt finden 
kann (P 8. 39), ist mir unverständlich. 

Aus Jes 6624 (»ihr Wurm stirht nicht, und ihr Feuer ver- 
loscht nicht«) folgert Delitzsch, dass die Feuerbestattung im Alten 
Testament als mit der Beerdigung auf ganz gleicher Linie stehend 
erachtet werde; auch dies nicht ohne den leidigen Nehenhlick auf 
Modernes, denn er schliesst aus dieser Stelle, dass der Feuer- 
bestattung von biblischer Seite nicht das Mindeste entgegenstehe 
•<P S. 69). Diese Auffassung der Stelle ist aber unrichtig; viel- 
mehr ist uns wohl bekannt, dass die übliche, ehrenvolle Bestattungs- 
^eise im alten Israel das Begraben war, während das Verbrennen 
Kies Leichnams als grauenvolle Schändung galt. Jes 6624 handelt 
-es sich aber gar nicht um regelmässige Bestattung, sondern um 
•das grausige Schicksal der Abtrünnigen, die, von Gottes Gericht 
^getroffen, tot auf dem Felde liegen bleiben^ faulend oder durch 
Feuer verbrannt. 

Auch die Obersetzung von Hab 34 »Hörner an seiner Seite« 
•(11 8. 31) ist ein starkes Stück; der Parallelismus (nogah, Glanz) 
und der Zusammenhang (Gott hüllt sich darin ein) zeigen vielmehr, 
•dass das Wort »Strahlen an seiner Seite« zu übersetzen ist. So 
fällt Delitzsch' Meinung, auch Israel habe sich seinen Gott 
-wie die Babylonier ihre Götter gehörnt vorgestellt, in sich zu- 
sammen. 

6) Die Behauptung, das Jonaslied sei ein Mosaik von Psalm- 
stellen (II S. 16), ist meiner Meinung nach ebenso unrichtig, wie 
•die, Ps 45 sei ein einfaches »Minnelied« (II S. 19); zum mindesten 
Jiätte Delitzsch diese Aufstellungen vorsichtiger aussprechen sollen. 

Die Bemerkung, dass »wir« noch heute den Berg Sinai in 
der Gebirgsgruppe der Sinaihalbinsel suchen (II S. 22), ist so all- 
gemein nicht richtig; vielmehr glauben viele Neuere, dass er dort 
nicht gelegen haben könne; auch hier erweist sich Delitzsch als 
-nicht genügend orientiert. 

Delitzsch' Polemik gegen die moderne alttestamentliche Text- 
Jcritik (II S. 14) trifft nicht zu. Selbstverständlich ist das reich- 



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43 

haltige assyrische Lexikon für das lückenhafte hebräische von. 
allergrösstem Wert; so mag es auch gelingen, mancherlei Stellen,, 
die schon von unserer Wissenschaft aufgegeben waren, oder denen 
man nur durch Textänderung beizukommen hoffen durfte, durch» 
Hinweis auf Babylonisches zu erklären. Dadurch aber wird die 
gesicherte Erkenntnis unserer Generation von Gelehrten, dass viele 
Stellen des Alten Testaments verderbt sind, in keiner Weise auf- 
gehoben. 

Die etymologische Erklärung von »Jahve« als des »Seienden«- 
ist ebenso zweifelhaft als die von »El« (Gott) als des »Ziels«» 
Delitzsch hätte solche Erklärungen nicht ohne starke Beserve 
aussprechen dürfen. Für »Jahve« hat er das getan (P S. 47), für 
»El« unterlassen (!"* S. 45). 

7) An vielen Stellen tritt hervor, dass ein eigentlich histo- 
risches Verständnis des Alten Testaments Delitzsch nicht recht 
liegt; dies wäre für einen Assyriologen, der bei seinem Fach bleibt, 
kein Vorwurf. 

Am stärksten zeigt sich dies darin, dass Delitzsch den Gott, 
der dem Mose am Sinai unter Donner und Erdbeben erscheint,, 
»den Allumfasser, den Allerhalter« nennt (II S. 21) : Delitzsch setzt 
in Eins den Gottesbegriff des Mose und den des — Faust! 

Ein auffallender Fehler gegen religionsgeschichtliche Expose 
ist auch die Übersetzung von 1. Mose 128, wonach Abram im 
Namen Jahves »gepredigt« haben soll (II S. 29); gepredigt? 
wem den gepredigt? doch nicht etwa den Kanaanäem?! Das be- 
treffende Wort bedeutet an jener Stelle, wie wohl alle >fodernen 
anerkennen, nicht ein »Predigen«, sondern ein »Anrufen«, wie eg^ 
im antiken Kultus geschieht. 

Wenn Moses die von Gottes Hand beschriebenen Tafeln im 
Zorn zerschmeisst, so müsste ihn, meint Delitzsch, ein einstimmiger 
gellender Vorwurf aller Völker der Erde treffen (II S. 21)! Wie 
viel höher ist der Standpunkt der alten Volkserzählung, die sa. 
den furchtbaren Zorn des Heros über Israels Sünde darstellt, dass 
er die göttlichen Tafeln in sinnlosem Grimm zu Boden wirft. 
Was hätte Michel Angelo gesagt, wenn er diese prosaische Be- 
merkung von Delitzsch gekannt hätte! 

Im Buche Hiob grenzen einige Worte, so meint Delitzsch 
U S. 19, an Blasphemie und schliessen daher aus, dass das Alte 
Testament ein geoffenbartes Keligionsbuch sei. Wie viel grösser- 



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*and freier sind darin die Schöpfer des Kanons gewesen, die den 
Hiob in der heiligen Schrift ertragen haben trotz seiner schein- 
baren Blasphemien. Denn was sind das für Blasphemien? Ge- 
waltigste Ergüsse eines heroischen Menschen, der seinen Gott, den 
Halt seines Lebens, zu verlieren fürchtet, der um Gott und Ge- 
rechtigkeit streitet, mit Tränen der Verzweiflung im Auge! 

Das 5. 6. 7. Gebot sei, so meint er II S. 28, dem Selbst- 
erhaltungstrieb entsprungen. Wirklich nur dem Selbsterhaltungs- 
trieb ? — Die volkstümlichen Gesetze Israels seien »zwecks höherer 
Heiligkeit und Unverbrüchlichkeit auf Jahve selbst als den höchsten 
Gesetzgeber zurückgeführt« (II S. 23). Delitzsch versteht hier 
ganz in der Weise des alten Eationalismus aus bewusster Absicht, 
was in Wirklichkeit absichtslos, naiv, wie selbstverständlich ent- 
standen ist. Die uralten Satzungen, so ist jedes antike Volk über- 
zeugt, sind nicht von der lebenden Generation noch von den 
Vätern noch von Menschen überhaupt geschaffen; dazu sind sie viel 
zu weise und wunderbar; sondern sie sind von der Gottheit selbst 
gegeben. Ganz anders ist dieselbe Behauptung entstanden, wenn 
sie nicht wie im alten Israel vom volkstümlichen altererbten Gesetz, 
sondern vom soeben gemachten Gesetz auftritt; das letztere gilt 
von Hammurabi. 

Unhistorisch ist es auch, wenn Delitzsch meint, die Idee der 
Uroffenbarung werde schon durch Einen Vers des Alten Testa- 
mentes Lügen gestraft (II S. 3. 37); aber ist denn das Alte Testa- 
ment ein System, in dem es keinen Widerspruch geben kann, oder 
enthält es nicht vielmehr eine bunte Fülle von Urkunden aus 
einem grossen religionsgeschichtlichen Prozess, in dem es gar 
vielerlei verschiedene Positionen gegeben hat? Wenn also wirklich 
Eine Stelle eine Uroffenbarung ausschliessen sollte, warum sollte 
nicht eine andere diese Idee enthalten? 

Den im Buche Daniel gesammelten Flugschriften wirft 
Delitzsch »Irrtümer und Nachlässigkeiten« vor (II 8. 16); aber die 
Legenden des Buches enthalten Volksüberlieferung, die man 
gar nicht nach dem Maasse der strengen Geschichte messen darf! 

Als Zeichen der Frivolität, mit der man die Zehn Gebote 
behandelt habe, führt Delitzsch auch die in der lutherischen Kirche 
übliche Zählung der Gebote an, wonach die beiden ersten zusammen 
gerechnet werden (II S. 20). In der Sache hat Delitzsch unzweifel- 
haft Becht; aber wer wird eine so geringe Kleinigkeit anführen. 



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um daraus zu erweisen, die Menschheit hätte eine weitere Gottes- 
offenbarung nicht verdient! Warum nicht einer modernen Kirche 
konzedieren, dass sie sich für ihre praktischen Zwecke das antike 
Material in ihrer Weise zurechtlegt? 

Darin, dass andere Geschlechter ein anderes Verständnis der 
heiligen Geschichte gehabt haben — was dem historischen Sinn 
selbstverständlich ist — vermag sich Delitzsch nicht zu finden; 
in antiken Schrifterklärungen wie Hebr Isf. vermag er nur Ver- 
irrungen zu sehen (II S. 19). Er tadelt es gar, dass das Wort »vom 
Wurm, der nicht stirbt«, in den Beschreibungen Jesu vom Höllenfeuer 
stehe , wo es »nicht passe« (P S. 69) ; so setzt Delitzsch unsere 
oder seine moderne Auffassung als die selbstverständliche voraus 
und verlangt auch von dem neutestamentlichen Zeitalter, dass es 
diese Erklärung befolge! Übrigens, benutzt Delitzsch im 
Neuen Testament keine kritische Ausgabe? Hätte er eine 
moderne kritische Ausgabe eingesehen, so würde er bemerkt haben, 
dass Mk 944.46, die er neben V. 48 zitiert, gegenwärtig für unecht ge- 
halten werden, und dass, da nur V.43f. (und ev. 45 f.), aber nicht V.47f. 
vom Höllenfeuer reden, seine ganze Bemerkung dahinfällt. Aber 
was würde Delitzsch wohl von einem Theologen sagen, der in assy- 
riologischen Dingen so unkritisch verfahren würde? Und warum 
redet Delitzsch über Neues Testament, in dem er doch 
offenbar nicht zu Hause ist? 

Sehr ungeschichtlich ist auch die Art, wie er die Bedeutung 
von El »Gott«, das nach ihm ursprünglich »Ziel« heissen soll, er- 
läutert. Die Gottheit sei das Ziel, das heisse, sie sei das Wesen, 
nach welchem wie nach ihrem Ziele die Augen des himmelwärts 
schauenden Menschen sich richten, nach welchem das menschliche 
Herz sich sehne, heraus aus der Unbeständigkeit und Unvoll- 
kommenheit des irdischen Lebens (PS. 45 f.)! Was für eine krasse 
Modernisierung! Als ob es für den »Menschen« selbstver- 
ständlich sei, dass er die Gottheit im Himmel suche, und dass 
er sich danach sehne aus der Unbeständigkeit dieser Welt! 

Unhistorisch ist.es auch, wenn Delitzsch behauptet, I.Mose 1 
enthalte nicht die Idee, dass Gott der allmächtige Schöpfer Him- 
mels und der Erden sei, weil hier die Frage, woher das Chaos 
stamme, unbeantwortet bleibe (P S. 65). Aber die Idee des 
»Schaffens« hat ihre Geschichte; daher kann man wohl sagen, 
dass diese Idee in 1. Mose 1 eben wegen des Chaos noch nicht 



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bis zur letzten Konsequenz durchdacht sei; aber man darf 
nicht bezweifeln, dass der priesterliche Verfasser des Stücks diese 
Idee habe ausdrücken wollen. Aber solche feineren unterschiede 
darf man bei Delitzsch nicht suchen. 

Nach 5. Mose 4 19, einer Stelle, die übrigens den Alttestament- 
lem selbstverständlicher Weise wohl bekannt ist, obwohl sie 
Delitzsch (II S. 3) »vergessen« nennt, hat Gott das Heer des Himmels, 
d. h. die Gestirne den Völkern zugeteilt. Delitzsch missversteht 
die Stelle ganz, wenn er meint, Gott selber habe also alle Heiden 
der Gottlosigkeit preisgegeben (II S. 36 f.); vielmehr ist die Meinung 
des Verfassers, dass die Gestirne wirklich göttliche Wesen, wenn 
auch Jahve untergeordnet seien. Ganz unmethodisch ist es weiter, 
wenn Delitzsch hiermit nun noch 5. Mose 72 kombiniert, wonach 
Jahve Israel befiehlt, die Völker Kanaans auszurotten, und wenn er es 
einen »furchtbaren« Gedanken nennt, dass Jahve die Völker, die 
er selbst der Gottlosigkeit preisgegeben habe, eben deshalb so er- 
barmungslos bestrafe. Delitzsch kombiniert so Stellen, die innerlich 
nicht zusammengehören; er behandelt das Buch 5. Mose, als wenn 
es zugegebenermaassen das Werk Eines Verfassers wäre: das ist 
eine Methode, die wir wissenschaftlichen Forscher unter uns nicht 
dulden würden. Dass aber beide Stellen innerlich nicht zusammen- 
hängen, ist klar: 5. Mose 72 setzt in keiner Weise voraus, dass 
der Götzendienst der Kanaanäer von Jahve stamme. Übrigens 
heisst es hier auch nicht, dass Jahve die Völker Kanaans »wegen 
ihrer Gottlosigkeit« vernichten wolle, sondern vielmehr, damit 
sie Israel nicht zu ihrem Götzendienst verführen. 

Andere Beispiele im folgenden. 

8) Hammurabi § 196 fiT.; 2. Mose 2l24f. 9) ibid. § 170f.; 

Ps 27. 10) ibid. § 192, 282; Hos 1. 2. 11) ibid. § 244, 

266; 1. Mose 3139. 12) ibid. § 9. 13) ibid. § 144; 

1. Mose 16. 14) 1. Mose 16. 15) Hammurabi § 146. 

16) Eine ausführlichere Behandlung der babylonisch-israeli- 
tischen Beziehungen in der Urgeschichte findet der Leser aus der 
Feder des Verfassers in der »Christlichen Welt« 1903 No. 6 Sp. 121 fF. 

17 j Vgl. üsener, Sintfiuthsagen S. 248 ff. 

18) P S. 32. 19) I« S. 31 ; andere Fälle im folgenden. 

20) Doch wäre zwischen babylonischem abübu (Sintfiut) und 
hebräischem mabbül ein Zusammenhang denkbar, vgl. Zimmern in 
Schrader*s »Keilinschriften und das Alte Testament«' S. 546. 



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21) I S. 29 ; in der zweiten Aaflage hat Delitzsch diesen Aus- 
druck verändert, freilich auch diesmal ohne ein Wort über den 
besonderen Wert der israelitischen Überlieferung hinzuzufügen. 

22) n 8. 33. 

23) Die Hauptstellen sind Ps 1045ff. 468f. Jes 17i8--i4. Jes 
51 9f. Ps 89ioff. Hiob 26 it. 9i8. Ps 74i8ff. Jes 27 1. Dan 7, 
Offenbarung Job. 12. }3. 17. Eine ausführliche Behandlung dieser 
Stellen in meinem Werke »Schöpfung und Chaos« S. 29— -114. 

24) Befremdlich ist Delitzsch' Bemerkung über Quellenscheidung 
in der Paradiesesgeschichte (P S. 67): eine ältere Form 
schimmere noch durch die Erzählung hindurch, die nur Einen Baum 
in der Mitte des Gartens, nämlich den Lebensbaum gekannt habe. 
Der Unkundige muss Delitzsch* Worte hier so missverstehen, als ob 
er hier etwas Neues und Eigenes (»wie mir wenigstens scheint«) vor- 
tragen wolle. Nun ist aber diese Vermutung, dass eine ältere 
Bezension der Erzählung nur Einen Baum gekannt habe, schon 
seit lange (durch Budde) ausgesprochen worden und wohl allgemein 
anerkannt. Man nimmt aber an, dass dieser Eine Baum der Baum 
der Erkenntnis gewesen sei. Beruhen Delitzsch' Worte hier 
nur auf einer Verwechselung? Oder glaubt er wirklich, hier etwas 
Besonderes sagen zu können? Im letzteren Falle hätte er seine 
Meinung ausführlicher darlegen und begründen müssen: die Argu- 
mente, die er andeutet, sind bisher für die andere Vermutung 
verwandt worden. — Bemerkt sei noch, dass die babylonische Sage 
von Adapa einige der hebräischen Paradieseserzählung ähnliche 
Motive enthält. 25) H S. 15. 

26) Delitzsch (P S. 28), der sich mit religionsgeschichtlichen 
Untersuchungen nicht zu beschäftigen scheint, findet es »denk- 
würdig«, dass die israelitische Tradition selbst über den Ursprung 
des Sabbathtages nicht mehr sicheren Bescheid wisse; der Beli- 
gionshistoriker findet das einfach selbstverständlich. 

27) Vgl. Zimmern in Schrader's »Keilinschriften und das 
Alte Testament«» S. 592 ff. 28) P S. 29. 

29) Der Stoff, den Delitzsch beim Vergleich beider Beligionen 
zusammenträgt, ist sehr verschiedenartig: teils handelt es sich um 
solche Stücke, in denen Israel von Babel abhängig ist; teils um 
Fälle, wo nur eine gewisse Ähnlichkeit vorliegt, ohne dass deshalb 
Abhängigkeit anzunehmen wäre; manchmal sind es so allgemeine 
Ähnlichkeiten, wie sie sich in der Antike überall finden, wie z. B., 
Ounkel: lanel imd Babylonlcn. 4 



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dass sich die Gottheit im Traum oder durch Mittelspersonen offen- 
hart. Solche letzteren Fälle würde ein Forscher, der in der Beli- 
gionsgeschichte erfahren ist, üherhaupt in diesem Zusammenhange 
nicht erwähnt haben. 

30) Vgl. Chamberlain, Dilettantismus S. Mff.; Ed. Meyer in 
Boscher* s Lexikon der römischen und griechischen Mythologie 
Art. El. 31) P 8. 46ff. 74ff. 

32) Zimmern in Schrader's »Keilinschriften und das Alte Testa- 
ment«^ S. 468. — Über die Etymologie von Jahve und El vgl. oben 
Anm. 6. — Übrigens wäre an sich gegen das Vorkommen des Namens 
»Jahve« in vorisraelitischer Zeit gewiss nichts einzuwenden; denn er- 
funden hat Moses den Namen sicherlich nicht, wir dürften vielmehr 
Auch ohne Zeugnis annehmen, dass dieser Name irgend eine Vorge- 
schichte gehabt hat. Warum sollte er nicht auch im babylonischen 
Pantheon irgendwo vorkommen? Aber nicht auf die Laute »Jahve« 
kommt es an, sondern darauf, was für eine Gottesfigur sich die 
Menschen unter diesem Namen gedacht haben. 

33) Zimmern in Schrader*s »Keilinschriften und das Alte 
Testament«^ 8. 609. 

34) Delitzsch (II 8. 30 ff.) weist, um den Bilderdienst der 
Babylonier begreiflich zu machen, darauf hin, dass sich auch die 
israelitischen Propheten Jahve anthropomorphisch vorgestellt haben, 
Ganz recht; die Idee der »Geistigkeit« Gottes ist im Alten Testa- 
ment wohl erstrebt, aber noch nicht erreicht worden. Aber welch 
grosser Fortschritt ist doch, dass die prophetische Beligion jedes 
Gottesbild mit erhabenem Spott ablehnt! Wir aber sind darin 
Kinder der Propheten und nicht der Babylonier. Wie aber kann 
Delitzsch in diesem Zusammenhange gar auf die Bilder Gott-Vaters 
in der christlichen Kunst hinweisen ? Weiss doch unter uns jedes 
Kind, was die Babylonier eben nicht wussten, dass solche Bilder 
keine wirklich zutreffenden Darstellungen der Gottheit, sondern nur 
Werke der Phantasie sind. 

35) II S. 41. 36) n S. 44. 37) P S. 44. 
38) n 8. 16. 39) n 8. 39. 40) n 8. 44. 
41) n 8. 44. 42) n S. 20. 43) P 8. 69. 
44) n 8. 20. 




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