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- Zahrbücer
der
utſchen Geſchichte.
NLASSUNG HERAUSGEGEBEN
MIT DUBCH DIE
FÜTZUNG HISTORISCHE COMMISSION
AJESTAET BEI DER
VON BAYERN KÖNIGL. ACADEMIE DER
LIAN II. WISSENSCHAFTEN.
Leipzig,
Verlag von Dunder und Humblot.
1871.
Jahrbücher
fränkiſchen Reiches
unter König Pippin
von
Ludwig Gelsner.
AUF VERANLASSUNG HERAUSGEGEBEN
UND MIT DURCH DIE
UNTERSTÜTZUNG HISTORISCHE COMMISSION
SEINER MAJESTAET BEI DER
DES KÖNIGS VONBAYERN KÖNIGL. ACADEMIE DER.._
MAXIMILIAN II. WISSENSCHAFTEN.
|
]
Leipzig,
Verlag von Dunder und Humblot.
1871.
BES tr
Vorwort.
Die Jahrbucher der deutfchen Gefchichte treten mit dem vor—
liegenden Bande in das Zeitafter der karolingiſchen Monarchie ein.
Bon der unnatürlichen Lahmung früherer Jahrzehnte befreit, vollendet
das fränkiſche Königthum unter Pippin und feinem Sohne die ſchon
unter der erſten Dynaſtie begonnene Gründung eines romaniſch- ger⸗
maniſchen Weltftantes, indem es jeden Widerftand ber einzelnen Stämme
und Stammesfürften nieberwirft und galliſch-römiſche Eultur mit
deutſchem Wefen zu einer neuen Ginheit zu verbinden ftrebt. Die
Schöpfung war freilich nur von furzem Veftande; ihre Wirkungen
aber dauern bis auf unfere Tage fort, auch die weltbewegenden Er
eigniffe der jüngften Zeit weifen auf fie zurüd. Denn je inniger die
verfchiedenartigen Elemente ſich damals bereits durchdrungen hatten,
defto fchwieriger wurde nad) dem Zerfalle „des Reiches die gegenfeitige
Abfcheidung feiner zwei Hauptbeftandtheile, und die Grenzgebiete wurden
fo der Gegenftand einer Nivalität, die der franzöſiſchen Politik Jahr—
Hunderte lang zur Richtſchnur gedient, bis der Heutige große Tag fie
endlich in wahrhaft nationaler und darum hoffentlich bfeibender Weife
gefchlichtet hat. Mögen die beiden Nachbarvöffer denn in gegenfeitiger
Achtung und geiftesverwandter Arbeit bald wieder den friedlichen
Wettftreit aufnehmen, der fie zu Trägern der Eivilifation gemacht,
327195
vI Vorwort.
und aud in diefem Sinne darthun, daß das fränfiiche Geſammtreich
nicht umfonft den gemeinfamen Eingang ihrer Geſchichte bildet!
Zu dem Charakter dieſes Umiverfalreiches gehört außer den eben
erwähnten nationalen Elementen noch ein drittes, das mehr als die
anderen beiden erft unter Pippin in den Vordergrund tritt: das
religiöfe. Denn damals gelang e8 dem römijchen Kirchenthum, auch
die Geifter der Franken in feinen Zauber zu bannen und mit ihrer
Hulfe eine geiftige und weltliche Macht zu erringen, die bis in bie
Gegenwart hinein von größtem Einfluß auf die Geſchichte Europa’g
geweſen iſt. Darin befteht die doppelte Bedeutung des Bonifacius:
indem er feine Miffions- und Neformationsthätigfeit an das Papft-
thum anfnüpfte, gab er dem fränfifchen Stante zugleich jene Richtung,
welhe zur Einmiſchung in die politischen Angelegenheiten Italiens
führte; die Vefeitigung des gallifchen Irrlehrers Aldebert und die
‚ Bekämpfung des Langobarbenfönigs Aiſtulf ftehen dadurch mit einander
in engem Caufalzufommenhange; und wenngleich in Pippins Tagen
weder die nationale Richtung der fränfifchen Kirche nod in Stalien
das Langobardenreich dem römiſchen Stuhle ganz unterlag, fo wurde
damals doch der Grund zu jener Entwidlung Italiens und der Kirche
gelegt, die erjt mit dem Jahre 1870 zu entfcheidendem Abſchluſſe ge-
Tangt zu fein fcheint.
Siebzehn bedeutfame Jahre alfo find es, denen unfere Dar-
ftellung gewidmet ift. ine jede Generation Hält das Schidjal der
Welt in ihren Händen; die damals lebende aber hat weit hinaus be⸗
ftimmend auf daffelbe eingewirft. Die Ereigniffe jener Jahre haben
daher aud) von jeher das Intereſſe der Wiſſenſchaft erregt und befonders
in neuerer Zeit nad) vielen Seiten Hin die Forſchung befchäftigt.
Was von itafienifchen und franzöſiſchen, vor Allem aber von deutſchen
Gelehrten für den hier in Rede ftehenden Abfchnitt der Gefchichte ge—
than worden ift, fei es, indem fie ben Quellenapparat herbeifchafften,
die Hiftorifchen Aufzeichnungen, die Gefege, die Briefe jener Zeit in
ihrer möglichft urfprünglichen Geftalt vorlegten, das urfundliche Material
4
Vorwort. vo
fammeften und jichteten, oder inden fie den damaligen Begebenheiten
und Zuftänden eine tief eindringende Behandlung widmeten, ein jedes
Capitel dieſes Buches weift darauf wie auf feine Grundlage Hin; fie
haben an dem, was auch mir zu leiften geglückt fein folfte, den beften
Antheil; und daß mein Dank manchen unter ihnen nicht mehr erreichen
tann, erfüllt mich mit tiefer Wehmuth. Fand ich bei ihnen doch die
Mufter jener Unbefangenheit des Urtheils, welche die Geftalten der
Vergangenheit bei aller Verfchiedenheit der Lebensziele uns menſchlich
näher bringt, bei ihnen die Mufter ausharrenden Strebens nad) einer
möglichft erfchöpfenden Löſung der gewählten Aufgabe, bei ihnen end»
lich die Vorbilder patriotif—her Hingebung an das Studium der vater:
ländifchen Gedichte.
Denn am Ende (wie es Dahfmann einmal ausdrüdt) gehört die
Bergangenheit der Gegenwart an und die Schrift dem Leben. Worauf
aber wäre dies anwendbarer, als auf die gejchichtlichen Studien in
Deutfchland feit dem Unabhängigfeitöfriege der Jahre 1813 und 1814
bis zum Unabhängigfeitötriege der Jahre 1870 und 1871? Der
wiebererwachte Nationalgeift Hatte diefe Studien gewedt, die Studien
hinwiederum befebten den Nationalgeift. Alte die zahlloſen Leiftungen
auf dem Gebiete deutfcher Sprache und Literatur, deutſchen Rechte
und beutfcher Gedichte, die großen Werke der Einzelnen und die
Unternehmungen vereinter Kräfte, von der Gründung der Geſellſchaft
fine ältere deutfche Gefchichtsfunde bis zur Gründung der hiftorijchen
Commiſſion bei der königl. bayer. Akademie der Wiſſenſchaften, fie alle
find von patriotifcher Gefinnung durchweht, von dem Bewußtſein der
Zufammengehörigkeit ſämmtlicher deutfchen Stämme, von der Sehnfucht
nad) ihrer ftaatlichen Wiedervereinigung, von der Begeiſterung für eine
fchönere Zufunft des Vaterlandes. Die Sehnſucht ift erfüllt, das
Ideal iſt ins Leben getreten, die theoretiſchen Discuffionen find durch
die machtvolle That zur Entſcheidung gebraht. Nun fteht es aufe
gerichtet da, das große deutſche Neich, einiger, ftärfer, als je in den
beften Tagen der alten Raiferzeit. Eine Regeneration ohne Gleichen in
VII Vorwort.
der Gejchichte! Der nationale Gedanfe, der Fürften und Volk begeifternd
mit ſich fortgeriffen, Hat dies Wunder gewirft, der nationale Gedanke,
zu deffen überrafchendem Triumphe die deutfche Geſchichtswiſſenſchaft
fo ehrenvolf beigetragen hat. So nehme denn auch diefes Bud), dem
in fo bebeutungsvoller Stunde zu erfcheinen befchieden ift, an der
alfgemeinen Zeier Theil: als ein Glied jener großen Neihe national
gefhichtlicher Arbeiten fei e8 in Bewunderung und Liebe dem geeinten
Vaterlande dargebracht!
Frankfurt am Main, den 2. März 1871.
Dr. $udwig Oelsner.
Inhalt.
Erſtes Eapitel. 752. Vom Kirhengut
Zweites Eapitel. 752. Urkunden
Drittes Eapitel. 751—753. Bonifacins als Biſchof von Mainz
Biertes Eapitel. 758. Die Privilegien von m unecn und Fulda .
1. Einfeitendes . . .
3. Fulda
Fünftes Eapitel. 758. Beftätigung des Marktrechtes von ©. Dendẽ
Schstes Capitel. 758. Kriegeereignifſe
Siebentes Capitel. Die Verhäftniffe Italiens um die Mitte des
achten Jahrhundertts.
1. Berfall der byzantiniſchen Macht
2. Langobardiſche Zuflände . .. 2...
3. Die Beziehungen des Papftthums zum Frantenreihe. . -
4. Berwidfungen unter Gregor IL, Gregor II. und Zacharias
Achtes Kapitel. 758—754. Die Reife StephansIL ins Frankenreich
Neuntes Eapitel. 754. Die Pippiniſche Schenkung - . . . -
Zehntes Eapitel. 754. Papft Stephan IL in Gallien . . . -
Eiftes Eapitel. 754. Das Ende des Bonifacus . . .. - -
Zwölftes Eapitel. 754. Die Synode der Bilderfeinde zu Eon«
fantinopel 22 2202er.
Dreizehntes Capitel. 754. Der erſte italieniſche Krieg -
Bierzehntes Capitel. 754-755. Die Eongregation der Kanor
niker U MB ren
Bünfzehntes Capitel. 755. Die Synode von Bernenil . . -
Sechszehntes Eapitel, 755. Schenkungen an ©. Germain und
©. Denys
Siebzehntes Eapitel. 755. Verhandlungen der Herbftignode .
1. Die königliche Borlae 2: 220er nee
2. Die Beſchlüſſe der Synode... 222 nee
x Inhalt.
Achtzehntes Capitel. 756. Der zweite italieniſche Krieg . .
Neunzehntes Gapitel. 756. Die Synode von Verberie . . .
Zwanzigftes Capitel. 756757. Die Lage Italiens in ben
Testen Zeiten des Papftes Stephan . 2 222. 2.
Einundzwanzigftes Eapitel. 757. Der Reichstag von Compidgne
1. Ein Maifed. . .. - EEE Kernen
2. Herzog Taffilo von Baiern . . . . - Pa
2. Die Synode zu Aſchheim 76 2 22220. .
b. Die vaſſallitiſche Huldigung Taſſilo's . . . . -
3. Das Capitular von Eompiägte » 2-22 nee
Zweiundzwanzigfies Capitel. 757—759. Urkunden. Familien»
exeigniffe. Ztalienifche Angelegenheiten. Sachfentrieg .
Dreiundzwanzigftes Capitel. 759-760. S. Galliſche Bes
gebenheiten. 2 222. - Da —
Bierundzwanzigſtes Capitel. 760. Aquitaniſche, gothiſche,
italieniſche Angelegenheiten. Urkunden. Kirchengeſang .
Fünfundzwanzigſtes Capitel. 761—762. Der zweite und dritte
aquitaniſche Feldzug. Urkunden für Prüm. Italien .
Sechsundzwanzigſtes Eapitel. 762. Der Todtenbund von
Mi one
Siebenundzwanzigftes Eapitel. 768—764. Gründung des Ar
ſters Lorſch. Der vierte aquitanische Zug. Der Abfall
Zaffiloo. 2 2 nn
Achtundzwanzigſtes Capitel. 768—765. Die Verbannung des
Abtes Sturm von Fulda. .
Neunundzwanzigftes Capitel. 765. &. Gonr. Die. Mlöfter
Chrodegangs. Verhandlungen mit Bagdad und Byzanz.
Aquitaniſche Feldihlaht » .
Dreißigftes Capitel. 766767. Tod Ehrodegangs. urtunden.
Bilderſtreit. Drei aquitaniſche Feldzüge. Papſt Con-
ſtantin I........ . ....
Einunddreißigſtes Capitel. 768. Neunter aquitaniſcher Feld-
zug; Capitular. Papft Stephan III.
Urkunden. Tod Pippins.. .
Eacurſe.
Erenrs I. Zur Chronologie der italieniſchen Ereigniſſe. .
$ 1. Die Regierungszeit des Könige Rachis. - . - »
82. Die Regierungszeit des Könige Aiſtulf.. . . -
8 3. Der Regierungsantritt des Könige Deſiderius . . -
54. Weldis, Sohn und Mitregent des Defiderius. . . -
Seite
254—269
270—281
282—292
293—314
293—296
296 —306
296-302
302—306
306—314
315—8327
328—337
8338— 347
348—356
857--376
377—885
386—392
898—400
401—409
410—480
483—454
435
436-487
437--439
439—440
Inhalt.
85. Die Herzoge von Spoleto 2» 2 22220 ee
8. Herzog Lupo. . . - .
b. Spoleto unter ber unmittelbaren” derrſchaft vs
Könige Aiftulf . . Deren
©. Herzog Abuin. 220er
d. Herzog Gifulf - . - . -
e. Herzog Theodieins . . -
8 6. Die Hergoge vom Benebent 2 2 onen
87. Die zwei italienifchen Kriege Pippins . 2... - -
a. Der Feldzug des Jahres 756... 2.2.2...
b. Der Feldzug des Jahres 754... ... ...
Ereurs OD. Zur Kritit der Capitularien und Stuobalftatuten
aus Pippins Königszeit..
1. Das eapitulare Vermeriene .. . 2.2.2.2...
2. Ueber einige Zuſatzartilel zum capitulare Vermeriense
3. Die Originalität des capitulare incerti anni. . . .
4. Ueber zwei angebliche Capitel des capitulare incerti
|}: EEE
$ 5. Das capitulare Vernense duplex und fein Berhältniß
zum capitulare incerti anni... 2.2... .
$ 6. Ueber die Eapitel 15 und 20 dee capitulare Compen-
dienss. *
8 7. Ueber einige Zufagartite dam eapitzlare Compendiense
$ 8. Ueber den Zeitpunkt des conventus Attiniacensis . .
Chronologiſche Meberficht
Ercurs III. Ueber die fogenannte Divifio des Kirchenguts durch
die Hausmaier Karlmann und Pippin . . . . -
81. Die Geſetze Karlmanns . . 2.
$ 2. Das capitulare Suessionense vom Jahre 744 . . .
$ 3. Ueber den Begriff des Wortes divisio . . . .. . -
Erenrs IV. Das Geburtsjahr Karla des Großen... ....
Ercurs V. Die Bulle des Papftes Zacharias für Fulda, ihre
Handſchriften und Diude. onen
Ereurs VI. Das Todesjahe des Bonifgg
Ercurs VIL Die Ehe Bippin® . . 2:2 222 nenne
Ereurs VII. Ueber das Fantuzzi'ſche Fragment 2...
Ereurs IX. Weber die fogenannte Historia translationis S. Germani
Ereurs X. Das Translationsjahr des heil. Germanus. . . -
Erceurs XI. Ueber den Zufammenhang der ep. 8—10 des Codex
Carolin . 2.2222 .
Ereurs XII. Charakter und Zeitpunkt der Berfammlung zu aſchein
Ereurs XIII. Die Stellung des Kloſters S. Gallen bis zum
Jahre EU. one .
s
8
8
8
463—467
467—468
468—470
471-474
474
474—477
477
478—485
479—482
482—483
484—485
486
487—488
489—494
495496
497—500
501-502
508
504—505
506-508
509—512
XII Inhalt.
Seite
Ereurs XIV. Zur Chronologie der S. Galliſchen Begebenheiten . 518—515
Erenrs XV. Die Berbannungszeit des Abtes Sturm von Fulda 516-517
Ereurs XVI. Beiträge zur Annalenkunde .......... 518—522
81. Zur Kritit der annales Xantenses . ... 2... 518—520
82. Zur Rritif der annales Laureshamenses, Petaviani
Mosellani . .. 2222 20er 520—522
Ereurs XVIL Die Reichstheilung des Jahres 768... .. - 523—526
Verzeichniß der in abgekürzter Form citirten Were... ... - 527—528
Re een 529-544
König Yippin.
Erſtes Gapitel.
Vom Kirhengut.
752,
Die Königsherrfchaft Pippins, welche in den legten Monaten des
Zahres 751 ihren Anfang nahm, *) führt uns fogleich bei ihrem
Beginne in das Kirchliche Gebiet ein, auf welches ſich auch fonft die
Thätigfeit des Könige und die Bewegung feiner Zeit vornehmlich
bezog. Denn e8 galt, wie ſchon in den vorhergegangenen Jahren
feines Majordomats, die innere und äußere Lage der Kirche zu ver-
befjern. Wir Haben es zunächſt nur mit dem zweiten Gegenftande,
den Schiejalen des Kirchen- und Koftergutes, zu thun.
In einem Schreiben des Bonifaz vom Jahre 742 finden wir
folgende Schilderung der kirchlichen Zuftände im Frantenreiche: ) „Mehr
als 80 Jahre lang haben die Franken nad Ausfage älterer Leute feine
Synode gehalten, feinen Erzbifhof gehabt, canoniſche Einrichtungen
weder begründet noch erneuert; jetzt aber ®) find die biſchöflichen Site
in den Städten zum größten Theile entweder Habfüchtigen Laien zum
Befit, *) oder unzüchtigen Klerikern, Wüftlingen und Zölfnern, 5) zu
) Die Unterfucung Sidel’s, Ueber die Epoche der Regierung Pippins, For-
jungen zur deutſchen Geidichte IV. S. 439 fj., im Äuszuge wiedergegeben
Urkundenlehre S. 242, welde den Regierungsantritt Pippins in die erfte Hälfte
des November 751 jet, Tann im diefer vielbehandeften chronologiſchen Frage für's
erſte wohl als abſchließend betrachtet werden.
Jaffe, Bibliotheca III. ep. 42. p. 112,
') Modo autem maxima ex parte per civitates episcopales sedes traditae
sunt laicis cupidis ad possidendum va adulteratis clericis, scortatoribus et
publicanis, geculariter ad perfruendum.
+) Nach Jaffé's Interpunktion würde ad possidendum zu cupidis, nicht zum
Berbum des Satzes gehören. Ich glaube jedoch, daß cupidis für ſich allein fteht,
in dem Sinne wie z. ®. in ber Translatio 8. Mauri c. 11, Mabillon Acta
SS. IV. 2. p. 170, der Ausbrud cupidae mentis homines und wie aud) in den
Urkunden fo häufig das Wort cupiditas.
°) Diefe letzteren zwei Worte find offenbar ein bibliſcher Beifag zu cleriei,
wie Bonifaz aud an einer andern Stelle von ethniei et publicani redet; Jaffe,
Sahrb. d. diſch. Geſch. Delsner, König Pippin. 1
2 Eapitel I. 752.
weltlichen Genuß überlafjen.“ Das gleichzeitige Capitular Karlmanns
bietet ein noch genanere® Bild von dem unkirchlichen Lebenswandel
‘der damaligen Geiftlichfeit, von der daraus hervorgegangenen Ver-
fümmerung des Chriftentfums im Volke, dem Ueberhandnehmen heid-
nifchen Glaubens und Brauche. t) Auch einzelne Beiſpiele beftätigen
die Worte des Bonifaz. So befand ſich das Bisthum Reims zur
Zeit Karl Martells in den Händen des Milo, der, um mit den Worten
de8 Papftes Hadrian zu reden, nur durch die Tonſur Geiftlicher war
und von den firchlichen Ordnungen nichts verftand, unter deſſen Ver-
waltung die Kleriker der Diöcefe, ſowohl die Priefter als aud bie
a, und Nonnen, ohne Kirchengefeg, nah Willtir und Belieben
lebten.
Daß bei ſolchen Zuſtänden auch der ſeit langer Zeit aufgeſammelte
Beſitz der Kirche Schaden leiden mußte, liegt auf der Hand und wird
ſelbſt von denen zugeſtanden, die eine unmittelbare Beraubung der
Kirche durch Karl Martell zu beſtreiten bemüht ſind.“) Jenen hab⸗
ſüchtigen Laien war es ja, wie Bonifaz es deutlich ausdrüdte, nur
um den Güterbefig, *) jenen Klerikern nur um den Genuß des Kirchen-
vermögens zu thun. Sie werden bafjelbe entweder verjchwendet ober
an ihre Verwandten und Freunde vergeben, kurz, ihren Stiftern ent-
fremdet haben, fie werden auch dem Machthaber, der fie eingeſetzt,
durch Schenkungen oder Verleihungen an feine Kriegsleute willfährig
geweſen fein. So wird erzählt, daß der Abt Teutfind von S. Wandrille
(734— 738) faft den dritten Theil feines Kirchengutes an feine Ange
börigen und an konigliche Vaſallen verfchenkt; ®) unter Anderen habe
Graf Rothar eine große Anzahl von Befigungen, welche einzeln auf-
geführt werden, empfangen, und zwar nicht zu förmlichem Eigenthum,
fondern nur als Precarie gegen einen jährlichen Zins. Es ift wohl
Bibl, II. ep. 70. p. 209; vgl. Matt. 18, 17. 21, 82. Waitz, Berfaffungs-
geichichte IT. ©. 17, auch Hahn, Yahrb—her ©. 180, Iegt daher auf publicani
zu viel Gewicht.
}) Karlomanni princ. capit. a. 742 c. 5.
%) Hadriani I. papae epist. ad Tilpinum archiep. Rhem. bei Migne, Patr.
lat. XCVI. col. 1213.
®) Roth, Beneficialwefen S. 834. 341.
+) Man — ham sine anere, allgemeiner gehaltene Ste. gleichen
Inhalts (Jaffe, Bibl. III. ep. 70. p. 208): Illud autem, quod laicus homo, vel
inperator vel rex aut aliquis praefectorum vel comitum, saeculari potestate
tus, sibi per violentiam rapiat monasterium de potestate episcopi vel
abbatis vel abbatissae, et incipiat ipse vice abbatis regere et habere sub se
monachos et, pecuniam possidere, quae fuit Christi sanguine conparata etc.
Aud) in den Worten ber Vita Eucherüi (j. Roth, BW. ©. 331. N. 68), wonad;
Karl Martell aufgefordert wurde, ut b. virum ... cum omni propinguitate
ipsius exilio deputaret honoresque eorum quosdam propriis usibus annecteret,
quosdam vero suis satellitibus cumularet, ift Mar ausgeiproden, da man «8
bei der Entfernung jener Familie von ihren Aemtern und Würden hauptſächlich
auf das mit benfelben verbundene Vermögen abgejehen Hatte; e8 geht dies nament-
lich aus den Worten usibus annecteret hervor.
®) Gesta abbatum Fontanellensium c. 10, Pertz 88. II. p. 282-283.
Bom Kirchengut. 3
anzunehmen, daß ſolche Vergabungen Teutfinds an königliche Vaſallen
und Beamte nicht ohne Hinzuthun des Majordomus erfolgt find. Ein
anderes Beifpiel ganz ähnlicher Art Hat fi in einer Urkunde Pippins
vom Jahre 754 erhalten.) Die Villa Taberniacum nämlich, im
Gau von Paris gelegen, war vor Jahren durch Schenkung in den
Beſitz des Kloſters S. Denys gelangt, von diefem dann aber auf den
Wunſch des Hausmaiers Ehroin ?) als Precarie an einen Dann,
Namens Zohannes, ebenfo fpäter auf Antrag König Childeberts ſowie
des Hausmaiers Grimoald an zwei andere Perfonen, gleichfalls in
Form einer Precarie verliehen worden.?) Wir dürfen aus ſolchen
Vorgängen indeß wohl faum auf ein von der Staatsgewalt in Anſpruch
genommenes Berfügungsrecht über kirchliches Gut ſchließen; 4) die Fürften
legten nur ihre Fürjprache ein, wie ſolche auch fonft oft in Urkunden
vorkommt, ohne daß darin ein Machtgebot erfannt werden darf; °) über»
dies lag in der Uebertragung auf Lebenszeit gegen Zins, wie fie zum
Begriff der Precarie gehörte, keineswegs ein völliges Aufgeben des
Beſitzthums von Seiten des Stiftes. -
Neben folchen freiwilligen Vergabungen freilich begegnet uns in
jener Zeit auch mande Gütereinziehung wider den Willen der Kirchen-
vorfteher; fo 3. B. in Auxerre von Ceiten Karl Martells jelbft.
Denn die Einziehung der Befigungen des Bisthums geſchah unter
dem Episcopat Aidulfs, deſſen prüfungsreice Verwaltung trog aller
Einwendungen hauptſächlich in die Zeit Karls gefegt werden muß. °)
Mlein dies ift ja nicht die Hauptfrage, ub oder inwieweit das Staatd-
oberhaupt bei den Berminderungen des Kirchengutes mitgewirkt. Denn
indem wir, wie jogleich ausgeführt werden fol, eine Säcularifation,
d. i. eine gleichmäßige gefegliche Einziehung alles Kirchengutes, in der
») Sickel P. 9; f. unten Cap. X.
®) Ad petitiones inlustris viri Ebroini majoris domus.
®) Precarias anterioris regis domni Childeberti et precariam avunculi
nostri Grimoaldi majoris domus. Ueber diefe ungewöhnlichen Ausdrüde vgl.
Sickel, P. 9*.
+) So fieht es 3. B. Waitz an, BG. II. ©. 15. (N. 2).
5) gl. die Schenkung Chilperihe II. an S. Denys 717 ad peticione inlustri
viro Raganfredo majorim-domus nostro : Migne Patr. lat. LXXX VIII. col. 1126.
Im italieniſchen Urkunden ift der ftehende Ausdruck für folde Vermittlung: per
rogum. Auf die petitio eines Königs mochte allerdings wohl oft das bei Sidel, UL.
6.65. N. 4, angeführte Wort des Biſchofs Yandericus von Paris paffen: quia supra-
dieti . . . regis petitio quasi nobis jussio est, cui difficillimum est resisti.
*) Historia epp. Antissiodorensium c. 32 bei Labbe, Nova bibliotheca
librorum manuser. I. p. 430: Aidulfus . . . sedit annos 15, fuit temporibus
Caroli et perduravit usque ad Pipinum Ejus tempore res ecclesiasticae
ab episcoporum potestate per eundem principem abstractae in dominatum
saecularium cesserunt. Mau wird Roth, BR. S. 450, ſchwerlich einräumen
können, daß unter idem princeps nicht Karl, jondern Pippin zu verftehen ſei.
Bern das dafelbft citirte Chronicon 'Turonense von Aidulf fagt: Anno Leonis
18. Antissiodoro post Clementem successit Aidulfus, post Maurinus, fo Tonnte
Roth diefe Notiz für feine Meinung am wenigſten geltend maden; denn das
18. Regierungsjaht Kaiſer Leo's dauerte vom 25. März 729 bis zum 25. März
4 Capitel I. 762.
Zeit Pippins nicht zugeben, ſind wir keineswegs gemeint, dieſelbe in
die Tage feines Vaters zurückzuverlegen. Eine ſoiche Alternative Liegt
nicht vor, und es handelt ſich für uns nur darum, die Thatſache
einer mehr oder weniger verbreiteten Kirchenberaubung ſchon in den
Zeiten Karl Martells nachzuweiſen.
Da tritt uns nun als beachtenswerther Beleg abermals das
Beifpiel von S. Denys entgegen. Die Vertreter dieſes Kloſters
klagten vor dem Hofgericht Pippins, da er noch Hausmaier war, über
den Verluft einer Menge größerer und Heinerer Ortſchaften, von denen
beinahe 50 mit Namen angeführt werben, in deren Beſitz ihr Stift
vor langer Zeit durch Schenkungen der Könige und anderer Frommen
gelangt fei, die e8 aber durch die ruchlofe Batgier böfer Menschen,
auch durch die Lauheit der Aebte und die Nachläffigkeit der Richter
wieder eingebüßt habe. ?) Ohne Zweifel waren diefe Befigungen nicht
erft während der Negierung Pippins, fondern ſchon feit geraumer
Zeit *) und alfmählich verloren gegangen. Wir hören zugleich, wie
das gelommen. Es fehlte ſowohl Seitens der kirchlichen als auch,
Seitens. der weltlichen Vorfteher Hier und gewiß auch anderwärts, an
der hinreichenden Wachſamkeit, und fo fonnte die Habgier mit Erfolg
ihr Spiel treiben. Die mannigfachen Proceffe, die theils das Klofter
gegen Andere, theils ſelbſt Brivatperfonen gegen das Kiofter anftrengten, °)
in denen e8 aud) wohl vorfam, daß beide Parteien ihren Anſpruch urfund-
lich zu begründen wußten, *) beweifen eine Unficherheit der Rechtszuftände,
bie alten Beſitz gefährden mußte. 5)
So fam «8, daß nicht nur jene Laienbiſchöfe und verderbten Priefter,
von denen Bonifaz erzählt, ihr Kirchengut zu weltlichen Zwecken ver-
wandten, fondern daß den geiftlichen Inſtituten aud) fonft auf mwider-
rechtliche Weife gar manches Beſitzthum entfremdet wurde. Wenn
Karlmann daher faum 6 Monate, nachdem er in die Stellung feineg
Vaters eingetreten, den doppelten Beſchluß faßte, den Kirchen das
ihnen entfrembete Gut wieder zurüdzuerftatten und zugleid) die „faljchen
730 (f. die Ian ansgearbeitete Tabelle bei Jaff6, Bibl. III. p. 18), und
da Aidulf der Historia zufolge nur .15 Jahre Bifchof war, fo fällt fein Episcopat,
genau den obigen Worten der Historia entfprechend, im die Jahre 729-744.
Ehenfo genau trifft e8 dann zu, wenn von feinem Nachfolger Maurinus Hist.
c. 83 p. 431 geja, at wird: ae orians episcopus sedit annos 28, fuit circa
exordium regni
) Pardessus, Fe et "chart. II. n° 608. p. 418: a pravis sen malis
hominibus per iniqua cupiditate seu malo ingenio vel tepiditate abbatorum
vel neglecto judicum de ipsa sancta casa abstractas vel dismanatas fuerunt.
Die ganze Urkunde wird in Sickel K. 45 wörtlich wiederholt und beftätigt; Karl
fügt nur noch vier weitere Güter hinzu.
u —9 —— der Plural abbatorum in der vorſtehenden N. 1; vgl. auch
ic)
2 En Tegteren Art gefört: Migne Patr. lat. LXXXYIIT. col, 1808 u. 9. 747.
Pardessus II. n° 608. p. 414 (a. 750); äfnlid) Sickel K. 46.
334 Beifpiele, wie jelbft Fiscalgut fa, längere Zeit in unrechtmäßigen
Händen befinden konnie, bieten Bickel K. 127.
Bom Kirhengut. 5
Prieſter“ von der Verwaltung der Stifter zu entfernen, !) fo wäre
es eime zu enge, durch den Wortlaut des Geſetzes keineswegs gebotene
Auffaffung, in jenen Verluften der Kirche nichts als die Unterfchlagungen
der früheren Geiftlichteit zu fehen. *)
Das dann folgende Verfahren der Söhne Karl Martelis, durch
eine eigenthümliche Meißdeutung der Quellen ®) von mander Seite
als eine allgemeine Einziehung des Kirchengutes durch den Staat
angefehen, *) war in Wirklichkeit, wie ſchon die Maßregel Karlmanne
im Jahr 742, eine Reftitution des Kirchengutes, nur mit der Mobdifi-
cation, daß die Stifter, was jie verloren Hatten, nicht volfftändig
zurüderhielten, fondern daß ein Theil davon als Precarie in Laien-
händen verblieb. Die Inhaber folcher Precarien, wahrſcheinlich meift
die bisherigen Beſitzer der Grundftüde, 5) mußten einen jährlichen Zins
an die Kirchen zahlen, und bei ihrem Tode erfolgte, wenn nicht etwa
der König, durch die Verhältniffe gezwungen, eine neue Verleihung
verlangte, der Heimfall des Gutes. Ja, jobald dem Stifte Mangel
drohte, mußte das Gut ihm fogleich zurücgegeben werden.
Es war eine Maßregel, die in jeder Beziehung den Vortheil der
Kirche bezwedte. Denn auch die Precarienertheilung begriff ja eine
Anerkennung des kirchlichen Eigenthumsrechtes in ſich und ſchloß ſich
durchaus nur einem ganz verbreiteten Gebrauche jener Zeit an. Auch
daß der Landesfürft die Ertheilung der Precarie vermittelte, war nicht
neu; wir erinnern an das obenerwähnte Beifpiel der Villa Taberniacum,
welche ſchon in merowingiſcher Zeit dreimal nacheinander auf fürft-
fies Anfuchen als Precarie des Klofters S. Denys vergeben worden
war. Wir fünnen daher, wie in diefem einzelnen Falle, fo aud in
dem umfafjenderen Verfahren der Tarolingifchen Brüder fein Ver—
fügungsrecht des Staates über das Kirchengut erfennen. So fah es
auch ficher die damalige Geiftlichkeit an, indem fie dem Beichluffe
ihre Zuftimmung gab. Sie hatte es an Einreden keineswegs fehlen
faffen, wie behauptet worden; °) ihr Widerftand aber bezog fid nicht
auf die beabjichtigte Precarienertheilung, fondern nur auf die Höhe des
jährlich zu entrichtenden Zinfes, ?) und der Papft, welder in einem
. _') Karlomanni principis capit. a. 742 c. 1: Et fraudatas pecunias eccle-
siarum ecclesiis restitulmus et reddidimus. Falsos presbiteros ... . de
pecuniis ecclesiarum abstulimus et degradavimus et ad poenitentiam coegimus.
3) Roth, Feubalität S. 98.
®) Eine nähere Beſprechung der einſchlagenden Gejegeäftelfen f. in Ereurs II.
at befonderg die in vorerwähutem Excurs angeführten Schriften von
0
?) Jaff6, Bibl. II. ep. 51. p. 150—151: De censu vero expetendo, eo
juod impetrare a Francis ad reddendum aecclesiis vel monasteriis non po-
isti, quam ut in vertente anno ab unoquoque conjugio servorum 12 denarii
reddantur: et hoc gratias Deo, quia hoc potuisti impetrare ... et dum
Dominus donaverit quietem, augentur et luminaria sanctorum (745, Oct. 81).
6 Eapitel J. 752.
Schreiben vom 31. October 745 feinen Legaten Bonifaz darüber
beruhigen mußte, brachte vielmehr auch für das, was bemilligt worden
fei, Gott feinen Dank dar, indem er von ruhigeren Tagen eine weitere
Beſſerung Hoffte. 1) Wenn ftatt defjen zu Ende des 8. Jahrhunderts
der urfprüngliche Charakter der Mafregel völfig umgeftaltet war, ?) fo
fällt dies eben der fpäteren Zeit, nicht den erften Urhebern des Geſetzes
zur Saft; man müßte denn behaupten wollen, daß fie Anderes verheißen
und Anderes beabfichtigt Haben. Yon König Pippin aber liegen wieder-
holte Beweife einer confequenten Durchführung der Mafregel vor.
Im Jahre 755 verordnet die von ihm berufene Synode von
Verneuil: „Wenn es Klöfter geben jollte, die aus Armuth die Vor—
ſchriften des Ordens nicht erfüllen fünnten, fo möge der Bifchof die
Wahrheit der Sache prüfen und dem Könige alsdann davon Anzeige
machen, damit diefer in feiner Mildthätigfeit Abhülfe gewähre.“ ) In
demfelben Jahre wird auf eine Verordnung hingemwiefen, der zufolge
die Aebte und NAebtiffinnen der Klöſter, offenbar um eines geordneten
Haushalts willen, über die Befigungen, welde ihnen zu ihrem Lebeng-
unterhalte überlaffen worden, dem Könige oder ihrem Biſchof Rechen⸗
ſchaft zu leiften hatten. *) Im Jahre 768 endlich übertrug Pippin
diefelben Grundfäge, nad welchen er das Kirchengut im Frankenreiche
behandelt Hatte, auch auf die Bisthiimer und Abteien des eroberten
Aquitaniens, indem er ihnen das, was fie zur Beftreitung ihrer Lebens-
bedürfniffe befaßen, gegen jeden Eingriff ficherte. °)
Diefen Gefegesbeftimmungen entſprachen auch einzelne Thatfachen,
deren Andenken uns erhalten ift. In erjter Reihe ift Hier eine annaliſtiſche
Nachricht zu verzeichnen, wonach Pippin auf Ermahnen des Bonifaz
einigen Bisthümern die Hälfte oder den dritten Teil ihrer Befigungen
wiedergab mit dem Verſprechen, daß er in Zufunft Alles reſtituiren
Wenn Ziſczn. wie wir aus einem andern Schreiben deſſelben Papſtes
erſehen (Jaff&, Bibl. III. ep. 80. p. 225), im Jahre 751 nochmals auf dieſen Zing
zurückkam, jo geſchah dies ohne Zweifel nur im Rüdblick auf feine ganze Ver
gangenheit, beweift aber, daß die vor 7 ober 8 Jahren beichlofjene Mafregel auch
wirklich zur Ausführung gelommen war.
*) Roth, Münchener hiftor. Jahrbuch für 1865, ©. 286.
ml Capit. Vern. c. 6.
+) Daj. c. 20 (Petitio episcoporum c. 8). Es ift nicht recht abzuſehen,
warm, wie Roth Fendalität S. 100 meint, an dem Worte demittebatis An⸗
ſtoß genommen werden müßte.
5) Capit. Aquitanicum (Pertz LL. IL p. 18) e. 3; j. unten Cap. XXXI;
Roth, BW. ©. 344 und Mindener Jahrbuch S. 281, hat in dieſem Sate die
Worte ad eorum opus überfehen, außerdem die Verordnung auf das ganze Reich
bezogen, darin alfo eine Zuficherung erfannt, daß fortan fein Gut, das ſich noch
im Defig der Kitche befinde, feiner Beftimmung mehr entzogen werden folle. Aud)
Hahn, Jahrbücher S. 182, deutet den Sa zu allgemein auf eine Sicherung der
Kirche vor weiteren Uebergriffen. Mit der früheren Synode, deren der König ges
denft, sicut in nostra sinodo jam constitutum fuit, fönnte jehr wohl die Ber-
fammlung von Soiffons gemeint fein, auf welcher beftimmt worden war, daß
bie Mönde und Nonnen de rebus ecelesiasticis subtraditis consolentur, usque
ad illorum necessitati satisfaciant (Pippini principis capit. Suession. c. 8).
Vom Kirchengut. 7
werde. 1) Ohne Zweifel verblieb der zurüdbehaltene Theil in Form
zinsbarer Precarien fürs Erfte noch weiter in Laienhänden. Obwohl
unfere Quelle diejes Factum zum Jahre 750 erzählt, fo bringt fie
doch auch die Nachricht von der Krönung Pippins unter demjelben
Jahre, unmittelbar vor der uns hier intereffirenden Notiz; wir haben
diefe daher wohl mit Recht in das Jahr 752 geſetzt und darin einen
Hauptanlaß gefunden, die Kircengutsangelegenheit überhaupt an dieſer
Stelle zur Sprache zu bringen. ‚
Andere Reftitutionen werden in den Urfunden überliefert. Es
iſt fchon oben der großen Zahl von Ortfchaften gedacht worden, welche
Pippin furze Zeit vor feiner Krönung ?) dem Kloſter S. Denys von
Rechts wegen zugejprochen. In das erfte Jahr feiner Königszeit
gehört ein ähnliches, zu Gunſten deffelben Kloſters erlafjenes, Diplom. °)
Auch das einzige aus Pippins Zeit erhaltene Veifpiel einer nad) Vor:
ſchrift des Geſetzes ertheilten Precarie fällt in das Jahr 752.) Zwei
völlig gleichartige Reftitutionen, beide wiederum zu Gunften von
©. Denys, erfolgten in den Jahren 754 und 766.°) Zwei Villen,
Taberniacum und Exona, welde einft von vornehmer Seite, die letztere
fogar von einem Könige, dem Kloſter gejchenft worden waren, befanden
ſich fchlieglih in den Händen von Vafallen Pippins, des Gafindus
Zeubbert und des Grafen Raucho, denen fie der König felbft zu Bene-
ficium verliehen hatte. Die Urkunden fügen übereinftimmend Hinzu, daß
die Güter durch böfe Menſchen in fträflicher Habgter dem Stift ent-
riffen worden jeien; der König Hatte fich bei Verleihung derfelben alfo
über ihre Zugehörigkeit getäufht. Qaberniacum Hatte vorher, wie
bereits erwähnt, ©) fchon dreimal auf fürftliche Verwendung als Precarie
gedient; das Eigenthumsrecht des Kloſters war demnach erft feit damals
in Bergeffenheit gerathen. Pippin trug, nachdem ihm von Beauftragten
Fulrads die Beweisſtücke vorgelegt worden, fein Bedenken, die beiden
Villen unter Aufhebung aller andern Anſprüche in voller Integrität
dem Kloſter zurüczuerftatten. 7)
Freilich liegen aud aus Pippins Regierungszeit Erfcheinungen
der entgegengefegten Art vor; aber das Wenigfte wird ihm ſelbſt
zugefehrieben werden können. Wir haben foeben gefehen, wie er durch
die Schuld Anderer — er würde font nicht von der ruchlofen Habgier
) Ann. Bertiniani a. 750, Pertz SS. I. p. 138: Pipinus, monente sancto
Bonifacio, quibusdam episcopatibus vel medietates vel tertias rerum [reddidit],
promittens in postmodum omnia restituere.
3) Pardessus II. n° 608. p. 418; j. oben S. 4. N. 1 und Ereurs IIL.$1ex.
®) Sickel P. 1; j. unten Cap. II.
+) ©. unten Cap. II. ex.
>) Sickel P. 9. 25; j. unten Cap. X. in. und Cap. XXX.
% &. oben ©. 3.
?) Zwei andere Villen, Avisinae, quem vassus genitoris nostri [Pippini
regis] tenuit, und Madriu, quem Gabbifrisio per beneficium habuit, werden
erft von Karl im Jahre 775 an ©. Denys zurüdgegeben: Sickel K. 45, dazu
Anmerl. ©. 245,
8 Capitel I. 752.
böfer Menſchen gefprochen haben — zu Eingriffen in den Beſitz feines
Yieblingsffofters verleitet worden war. Es beruhte vielleicht auf einer
ähnlichen Täuſchung, daß er die Billa Anifiacus und nod einige
“andere, welche dem Bistyum Laon gehörten, als fein Eigenthum be—
trachtete, 1) oder daß er feinem Bruder Remedius unter anderen bur—
gundifchen Ortſchaften auch Güter des Bisthums Langres übertrug. ?)
Man muß dabei unwillkürlich eines Ausſpruches gedenken, den einft
Karl der Kahle that, als er die Güter eines Kloſters, welche er vorher
an Andere verliehen Hatte, jenem wieder zurücderftattete: die Einpfänger .
diefer Befigungen, fchreibt er, haben uns, wie wir nunmehr in Er—
fahrung bringen, lügenhafterweife vorgeredet, daß diefelben unfer Eigen-
thum feien.?) Es wäre ein großer Irrthum, zu glauben, daß die
damaligen Geſellſchaftsverhältniſſe fo ruhig und geordnet gewefen feien,
wie etwa die unferen. Welche Gewaltthaten erlaubten ſich z. B. die
Ziscalinen Pippins gegen die Befigungen und Untergebenen des Kloſters
S. Germain, bis endlich bei der Translation des Heiligen der König
davon Kunde erhielt.) Wie viel Unrecht wird daher auch fonft in
dem weiten Umfang feines Reiches gegen Kirchengut und Kirchenleute
begangen worden fein, ohne daß er davon gewußt oder erfahren hat.
Wenn Gaidulf von Ravenna, dem er das Klofter Glanfeuil über-
tragen, fein Amt fchlecht verwaltete, fo erfahren wir doc grade hier,
daß die Beraubungen des Stifts, welche übrigens erft in die Regie
rungszeit Karls des Großen fielen, nur dadurd möglich waren, daß
fie von Niemand zur Kenntniß des Königs gebracht wurden.) Es
wird ganz allein dem Biſchof Gauziolenus von Le Mans fhuld ge-
geben, daß die N löfter feines Sprengels durch Verfchleuderung ihrer
Güter verödet find. ©) Das Verfahren des Abtes Wido von S. Wanprilfe
(753—787) wird faft mit denfelben Worten gejchildert, wie das des
') Vita S. Remigii auctore Hinemaro, Bouquet V.p. 432; f. übrigens Waig,
36. IV. ©. 171. N. 4.
%) Chronicon Besuense ed. Dachery, Spicilegium I. p. 508.
*) Rai, BG. IV. ©. 189. N. 5: comperientes scilicet, susceptores
earumdem rerum nobis esse mentitos, qui nostre proprietatis esse res Deo
collatas nobis mentiti sunt. Dieſe Worte fdjeinen mir nämlich nicht einen all-
genen Grundfag zu enthalten, jondern ſich nur auf den beftimmten Fall zu
beziehen.
*) Translatio S. Germani c. 5, Mabillen Acta SS. II. 2. p. 96; |.
unten Cap. XVI.
®) Tranglatio S. Mauri c. II., Mabillon Acta SS. IV. 2. p. 170: post
ejusdem [Gaidulfi] percussionem praedia ac villae ... tam a comite An-
degavensi quam ab aliis quibusque praesumtuosae ac cupidae mentis homi-
nibus usurpatae sunt ... quia nemo fuit, qui ad notitiam ... imperatoris
Caroli ... hoc perferre curaret.
®) Acta epp. Cenomannensium c. 17, Mabillon Analecta p. 289: quando
ipse [G.] defunctus est, quod pudet dieere, pauci et quasi nulli in his [86
monasteriolis] monachi remanserunt, quoniam ille eos inde indesinenter
eicere studuit et laicis ac secularibus Yominibus ipsas cellulas beneficiario
jure possidendas tradidit.
Bom Kirchengut. 9
Teutfind, von dem oben bie Rede war, ) umd wir können nicht finden,
daß der Berichterftatter, fei es zwiſchen dem Verhalten der beiden Aebte
oder der Mitwirkung ihrer Fürften, einen weſentlichen Unterſchied
macht. %) Nirgende ift, außer den vorerwähnten zwei Beifpielen von
Laon und Langres, von einem unmittelbaren Angriffe Pippins auf
da8 Kirchengut die Rede. Ob num Wilicarius von Vienne fein
Bisthum ſchon unter Karl?) oder erft umter. Pippin‘) wegen ber
Beraubung feiner Kirche verließ, dürfen wir daher ruhig dahingeftelft
fein laſſen; die That wird auch hier nicht der Staatsgewalt, fondern
nur unbeftimmt den Franken zugefhrieben. 5) Wir hören, daß ber
von Bonifazius eingefegte Abel von Reims wieder geftürzt worden
ift, %) daß Milo und Seinesgleihen den Kirchen vielen Schaden
zufügen, 7) daß ein anderer, feiner Würde entfegter Biſchof auch nach
der Degradation die Güter feiner Kirche am fi zu reißen fucht: ®)
aber es fehlt jeder Anhaltspunkt, um die Schuld oder Mitſchuld
Pippins an. allebem behaupten zu können. Selbſt wenn der Bijchof
Wiomad von Trier die Befigungen feiner Kirche mit dem Grafen
theifen mußte, °) ift es nicht ausgemacht, daß diefer Graf im Auftrage
feines Königs fo handelte. Vielleicht die umfafjendfte Einziehung. von
Kirchengut zur Zeit Pippins, erfolgte in Alamannien durch die Grafen
Rudhart und Warin; 1°) aber fo ausführliche Nachrichten hierüber auch
vorliegen, nichts weift darauf Hin, daß der König die Handlungsweiſe
feiner Vertreter veranlaßt habe. .
Diefe Beleuchtung der einzelnen Thatfachen war nothwendig, nicht
um apofogetifcher ober um kirchlicher Zwede willen, die ung ferne Liegen,
jmdern um für die lapidaren Worte einer zweiten annaliftifhen Auf-
zeichnung, die fich wie die vorerwähnte unmittelbar an die Nachricht von
) Bon Teutfind beißt es, Gesta abb. Font. c. 10: pene tertiam facul-
tatum partem abstulit suisque propinquis ac regiis hominibus ad possiden-
dum tradidit; von Wido c. 15: plurimae res ecclesiae perierunt, quas ipse
regiis hominibus ad possidendum contradidit.
?) Dies behauptet Roth, Münchener Jahrbuch 1855, S. 297—298.
>) Wie Hahn, Jahrbücher ©. 187, berechnet.
I So Roth, BB. ©. 338. ’
®) Adonis Chron., Pertz SS. II. p. 319: cum ... Franci res sacras
ecclesiarum ad usus suos retorquerent.
N Hadriani papae epist. ad Tilpinum archiep. Rhemensem, Migne
Patr. Jat. XCVI. col. 1213: Qui [Abel] ab illo [Zacharia papa] constitutus fuit,
sed ibi permanere permissus non fuit, sed magis contra Deum ejectus est etc.
”) Jaffe, Bibl. III. ep. 80. p. 224: De Milone autem et ejusmodi simi-
libus, qui aecclesiis Dei plurimum nocent ete. \
®) Daj. p. 225: Episcopus autem eondempnatus, de quo inguisisti, qui
... reg ecclesine post degradationem sibi vindicare nitetur etc.
®) Beer, mittelch. Urkmmdenbuh I. S. 214: quae quondam tempore
Wiomadi . .. de episcopatu abstracta et in comitatum conversa fuisse noscuntur.
* 40) Vita 8. Otmari c. 4, Pertz SS. II. p. 43: Warinus et Ruodhardus,
qui tunc temporis totius Alamanniae curam administrabant ... res eccle-
siarum sub sua potestate sitarum magna ex parte in proprietatis suae domi-
nium per vim contraxerunt; f. unten Cap. XXI.
10 Capitel I. 752.
der Krönung Pippins anjchließt, daher ebenfalls ins Jahr 752 zu fegen
ift, das richtige Verftändniß zu gewinnen. „Die Güter der Kirche,
fo lauten die Worte, wurden verzeichnet und vertheilt.“ *) Der kurze
Sag hat die mannigfachften Auslegungen erfahren; die Einen haben
darin die Säcularifation, *) die Andern hinwiederum eine Neftitution
im Sinne des Capitulars von Leftines gefunden. °) Nur darin ftimmte
man überein, daß der Sak von einer das Neid) umfaſſenden, gefeg-
geberifhen Maßregel Handle. Und doc) Liegt e8 durchaus nicht im
Weſen jener älteften Annalen, auch von Akten der Geſetzgebung Notiz
zu nehmen; *) zudem würde, wer in der Nachricht ein neues Reftitutions-
verfahren erfennen wolfte, den Wortlaut des Satzes künſtlich auslegen
müffen. 5) Am einfachiten erffärt fich diefer, wenn wir ihn auf ein
lokales Faktum deuten. Die Nachricht findet ſich ausſchließlich in den
drei Annalen, welche dem elſäſſiſchen Kloſter Murbach entjtammen.
Wie nun, wenn damit die gewalttätigen Gütereinziehungen Alamanniens
gemeint wären, welche in der ©. Galliichen Kloftertradition zwar nur
auf die zwei nächftanwohnenden Grafen zurüdgeführt werden, an welchen
aber, wie wir beftimmt erfahren, auch andere alemannifche Stiftungen,
alfo gewiß auch noch andere Grafen des Landes, betheiligt waren?
Auf eine Vertheilung der eingezogenen Güter fein aud) eine Urkunde -
des Klojters S. Gallen Hinzuweifen. °)
Unfer Refultat ijt: 7) das große Ereigniß einer Säcularifation,
das unter den Söhnen Karl Martells begonnen, mit dem Ableben
Pippins fein Ende erreicht haben fol ®) und das angeblich von den
der Zeit nach Zunächftftehenden todtgeſchwiegen worden, ?) Hat niemals
ftattgefunden; der Staat hat in Pippins Tagen fo wenig wie unter
feinen nächften Vorgängern und Nachfolgern eine freie Verfügung
') Ann. Alamannici Guelferbytani Nazariani 751, Pertz SS. I. p. 26—27:
Res ecelesiarum (G. ecelesiae) descriptas atque (G. und N. quae et) divisas.
®) Bol. befonders Roth, Feudalität ©. 82 ff.
*) Waitz, BG. II. ©. 35. N. 1, ber in diefen Morten daher dafjelbe aus-
jebrücht findet, wie in der oben erwähnten Stelle ver Ann. Bertiniani; ähnlich
ah, Jahrbücher ©. 185.
4) Aus Pipins Zeit wäre fonft nur noch die eine Notiz der Ann, Petav.
und Mosellani 755 anzuführen: et mutaverunt Martis campum in mense
Majo. Wir haben dieſe Nachricht jedoch unten, Ercurs I. $ 7°, zu entkräften
*) Wartmann, Urtundenbucd der, Abtei &. Gallen IL. n° 161: res mens
Brose [flat quas?] ego quesivi de Werino; vgl. unten Cap. XXIII.
im
Irminon möge hier feine Stelle finden, er fagt p. 4 n. 3: On retrouve en la
ossession de Yabhaye de Saint-Germain, sous Chariemagne, la plupart des
iens qui lui avaient été donnes avant le temps de Charles Martel. Si
Yon faisait les mêmes. recherches relativement aux autres monastäres et
lises, il en resulterait peut-ötre la preuve que les 6tablissements
ecel6siastigies nont pas &t6 autant depouils ‚qu’on le eroit gön&ralement.
*) Roth, DW. ©. 3
9) Munchener hiſt. es für 1865, ©. 281.
Vom Kirhengnt. B 11
über den in den Händen der Kirche befindlichen Beſitz in Anſpruch
genommen. !) Wohl Haben auch damals die Bisthümer und Klöſter
zahlreiche Gütereinziehungen erfahren; aber es find doc immer mur
vereinzelte Erſcheinungen, wie jie auch vorher und nachher vorgefommen
und mit denen der König felbft wohl meiftens nicht in Verbindung
zu bringen ift. Pippin war gleid) feinen Nachfolgern Karl und Ludwig
ein Freund und Förderer der Kirche. Wenn zu Ludwig des Frommen
Zeiten eine Gütereinziehung damit entſchuldigt wurde, fie fei von der
Rothwendigleit geboten, ?) fie gefchehe mehr zur Vertheidigung als zum
Raube, °) fo würde eine ſolche Rechtfertigung auch Pippin gebühren.
Wie fpäter Ludwig gegen die Einziehungen feiner Söhne, t) fo ift er
gegen ein ähnliches Verfahren Waifars von Aquitanien eingejchritten. °)
Wie Ludwig war er bemüht, das Kirchengut wieder Herzuftellen; es
befteht kein Unterſchied zwifchen feiner kirchlichen Richtung und ber-
jenigen feines Enfels, welcher der Fromme genannt wird. 9)
') Roth, BW. ©. 350.
Vita Walae c. 8, Pertz SS. II. p. 548: quia respublica multis
attenuata de causis per se sufficere non valet, nobis cum rebus ecclesia-
stieis ... agendum est nosque auffragio facultatum eoram juvandi; Capit.
& 8170.29, Pertz LL.I. p. 209: de his rebus, quae nuper necessitate cogente
a nonnullis ecclesiis sunt ablatae.
®) Vita Walae 1. c.: ob defensionem magis quam ad rapinam.
“) Vita Ludowici c. 56, Pertz 88. II. p. 648.
°) ©. unten Cap. XXIV.
) Auch Pippin erhielt in fpäteren Jahrhunderten hin und wieder den Bei-
namen Pius, jo in Ademari historiarum (c. 1025) lib. I. c. 56, Pertz SS.
IV. p. 114: Franei ... voluerunt in regem elevare Pipinum Pium; lib. II.
- @ 1. p. 116: Karolus Martellus genuit Pipinum Pium etc.; regum Fran-
corum catalogus (—1180), Pertz SS. X. p. 189: Pipinus Pius rex. Bl.
Bait, BO. III. ©. 84. N. 4; Hahn, Jahrbücher ©. 9. N. 6, der bei dieſer
Gelegenheit mit Recht bemerkt, daß der Beiname „ber Kurze‘ oder „Kleine“ ur-
fprüngfich dem mittleren Pippin gegeben worden jei. Diefer heifit daher 3. ©.
bei Avemar lib. I. c. 49, lib. II. c. 1: Pipinus Brevis, au; Pipinus Vetulus
vel Brevis; ebenjo Nomina regum Francorum (—1180), Pertz SS. X. p. 188:
Karolus Martelus, filius Pipini brevis staturae; regum Francorum cata-
logus 1. c.: Pipinus Brevis. Die Webertragung des Namens auf König Pippin
erfolgte doch ſchon us, Zeit mh Ademar, jo in den ann. jonenses min.
(— 1064) ad a. 771, Pertz SS. V. p. 18: Karolus imperator filius Pipini
parvi; in der. etwas fpäteren, trochaiſch geſchriebenen, Genealogia regum Francorum
comitumque Flandriae vom Jahre 1120, Pertz SS. IX. p. 308, heißt es: Karolus
quippe Martellus a Pipino nobili Genuit parvum Pipinum, patrem magni
Karoli. — Es ift wohl feine Frage, daß die Fabel von der Tödiung eines Löwen
durch die Hand Pippins (ſ. unten Cap. X) die falſche Vorftellung von der KRörper-
geſtait deſſelben hervorgerufen hat; las man doch ſchon in dem Buche des Mönchs
von ©. Gallen, wie der König den primates exercitus, quod eum clancul
despicientes carpere golerent, nad) vollbrachter That die Worte angerufen: Videtur
vobis, utrum dominus vester esse possim? Non audistis, quid fecerit parvus
David ingenti illi Goliath vel brevissimus Alexander procerissimis satellitibus
suis? (Mon. Sangall. de Catolo Magno ‘lib. II. c. 15).
Bweites Gapitel.
Urkunden.
752.
Das Unterfceidende der beiden Herrfcher, in deren kirchlicher
Gefinnung wir foeben volle Uebereinftimmung gefunden, zeigt fi in
ganz anderen Dingen; insbefondere zeichnete ſich Pippin gleich feinem
Sohne Karl auf das vortheilhaftefte vor Ludwig dem Frommen durch
fein feloftthätiges Eingreifen in die Gefchäfte des ihm anvertrauten
Neiches aus, und wir heben gewiß mit Recht als ein Beifpiel hierfür
die oberrichterfiche Thätigfeit des Königs hervor. Während Ludwig
die vor ihn gebrachten Klagen in der Regel von feinen Beamten
unterſuchen ließ und auf deren Berichte Hin die Entſcheidung fällte,
während unter feinen beinahe 400 vorhandenen Diplomen ſich daher
feine einzige GerichtSurfunde findet, 1) fungirte Pippin zu wiederholten
Malen als VBorjigender des Königsgerichts und bewies felbft durch
eigene Ausjagen in jtreitiger Sache ?) feine eingehende Theilnahme an
den Verhandlungen. Unter den 30—40 Konigsurkunden, die uns
von ihm erhalten find, ?) Handeln drei, ſämmtlich das Klofter S. Denys
betreffend, von folchen Gerichtötagen, welche er in eigener Perfon
abgehalten. *
Es Täßt fih nicht angeben, aus welchem Anlaß die in Rede
ftehenden Streitfachen vor das königliche Gericht gebracht worden find,
ob unter Umgehung der gräflichen Jurisdiction, wie folde von Karl
dem Großen ja einmal ausdrüdfich anbefohlen ward, °) oder im Wege
') Sidel, UL. ©. 358.
») Sickel P. 16: Et ipso domnus rex Pippinus adfirmabat etc.
®) Bon feinen Sausmaierurfunden abgejehen.
*) Sickel P. 16.
) Waitz, go. W. ©. 409. N. 2.
Urkunben. 13
der Appellation von dem Erkenntniß des erften Nichters, oder endlich
in Foige eines befonderen Schutzes, deffen ji das Kloſter von künig-
licher Seite zu erfreuen gehabt Hütte. 1) Der Wortlaut der Diplome
‚giebt Hierüber feinen Aufſchluß; ) nur der legte Fall ſcheint Hier
nicht anwendbar, weil bis dahin von feinem, dem Kloſter S. Denye
ertheilten, Mundbriefe verlautet.
Das gewöhnliche Verfahren war, daß ein Gegenftand, che er
zur Kenntniß des Königs gelangte, dem Pfalzgrafen vorgelegt werden
mußte, der darüber entſchied, ob die Sache vor den König zu bringen
fei oder nicht. Ohne Zweifel gehörten in diefer Weife auch ftreitige
Befigverhältniffe der Kirchen und Kloöſter zur Competenz bes Pfalz:
grafen, und nur fireng geiftliche Angelegenheiten vor den Apofrifiarius
ober Capellan des Königs.) Obwohl Fulrad von ©. Denys daher
mit dem Amte des Apofrifiarius betraut war, *) werden doch auch feine
Magen gewiß erft der Prüfung des Pialzgrafen unterbreitet worden fein,
bevor fie im Gerichte des Königs felbft zur Entfcheidung gelangten.
In dem erften diefer Proceffe nun, welcher im Jahre 752 zum
Austrag Tam,°) erjchien Abt Fulrad felbft, um wegen des Beſitzes
der Billa Abaciacum °) im Gau von Le Mans, ?) fowie eines Theile
der Billa Sibriacum im Gau von Madrie®) Beſchwerde zu führen.
Eine Frau, Namens Joba, nämlich hatte durch zwei getrennte Ur-
funden ?) die beiden Giter in Gegenwart des Königs Chilperich II.
(715— 720) an das Kloſter geſchenkt. Trotzdem Hatte S. Denys,
wie es fcheint, den Befig niemals angetreten; denn jet, nach mehr
als 30 Zahren, Hatte noch immer. der Sohn Joba's, Gislemar, beide
Schenkungen inne.
Als Pippin am 1. März 752 im Palafte zu Verberie einen
Gerichtstag hielt, 1%) famen Hier gewiß auch noch andere Nechtöftreitig-
3) Davon ift gleich nachher bei Beſprechung der Urkunde für Anifola des
Näheren die Rebe.
2) gl. Sickel, Beiträge zur Diplomatit II. S. 268.
®) Hincmar de ordine palatii c. 19 bei Walter, Corpus juris Germanici III.
p. 766; vgl. Watt, BO. IV. ©. 415. N. 5.
+) Hinemar c. 15. p. 765.
3 Sickel P. 1. .
9 Durch ein Berfehen wird von Sickel, Acta II. p. 456, bei diefem Namen
anf L. 141 ftatt auf P. 1 vermiefen.
?) In der Urkunde Heißt es einmal: in pago Cenomannico seu et Oximensi,
iodaß beide Gane damals irgenbivie zufammengehört Haben müffen.
®) Süblid, von Evreur. In der Stelle, recognovit quod genitrix sua
Joba ipsam villam superius nominatam Abaciacum cum omni integritate in
pago Matriacensi ad casam sancti Dionysii manu potestativa condonasset,
find nad) integritate offenbar die Worte seu et Sibriacum ausgefallen, wie fie
fich gleich nachher in ähnlicher Verbindung wirklich finden.
Dgl. den Plural: inspectis ipsis testamentis.
?) Cum nos in Dei nomine Vermeria in palatio nostro una cum proceribus
nostris vel fidelibus ad universorum causas audiendas vel recto judicio termi-
nandas resideremus. Der Ort wird am Schluffe nah Art der meromwingifchen
Placita — unter den Rarofingern erſcheint e8 als Ausnahme — nochmals genannt
14 Eapitel IL. 782.
feiten zur Verhandlung; wir erfahren jedoch nur, daß der- Abt Fulrad
von ©. Denys damals gegen den ebenfalls anweſenden Gislemar
feine, lage vorbrachte. Unter den Nichtern, welche dem König zur
Seite ftanden, werden außer dem Pfalzgrafen noch ſechs mit Namen
aufgeführt, darunter drei, welche auch in den fpäteren zwei Gerichte-
verfammlungen genannt werden, Milo, Helmengaudus und Chrodhardus;
die drei anderen jind Rotgarius, Charichardus und Autgarius; als Pfalz
graf fungivt hier wie die zwei folgenden Male Wichertus !), fein Name
fteht wie gewöhnlich Hinter denen der übrigen Beiſitzer. Außerdem
aber ift von vielen andern Vornehmen und Getreuen die Rede, welche
an der Entſcheidung Theil nahmen, offenbar Beamten und Vaſallen,
die fi am Hofe des Könige oder in feiner Begleitung befanden. ?)
Die Verhandlung war raſch zu Ende geführt. Nachdem man
von den entjeheidenden Schenkungsurfunden Kenntniß genommen hatte,
verzichtete der Beklagte auf jeden Einſpruch, erfannte an, daß feine
Mutter die Vergabung mit vollmãchtiger Hand vorgenommen, über⸗
reichte dem Vertreter des Kloſters ein Pfand zum Zeichen der Weber
gabe der Güter und befräftigte den Aft ſchließlich noch durch das
urfränfifche Symbol des Halmwurfs. 9) Nachdem der Streit in ſolcher
Weife erledigt war, *) blieb dem königlichen Gerichte nur übrig, auch
feinerfeits zu Gunften des Rlofters das Endurtheil zu ſprechen °) und,
wie gewöhnlich nach völliger Austragung des Procefjes, *) dem beiden
Parteien in diefer Sache für alle Zeit Frieden aufzuerlegen. ?)
Die nod übrigen Urkunden des Jahres 752 betreffen die mannig-
fachften äußeren Verhältniſſe geiftlicher Stifter. War das foeben
erörterte Document eine Gerichtsurkunde, wie es fpäter genannt wurde,
ein Placitum, fo liegen uns außerdem ein Mundbrief, ein Wahl-
privilegium, eine Schenkung, ein Jmmunitätsdiplom, ja endlich auch
noch eine Precarie auf Grund fünigliher Befürwortung vor.
Kaum zwei Monate nach der Gerichtsfigung zu Verberie, am
25. April 752 nämlich, erließ Pippin, während feines Aufenthaltes
(Dat. Kal. Martias anno primo regni nostri, Vermeria feliciter), und zwar,
ebenfalls in merowingiſcher Weile, ohne actum, während dieſes Wort ſeitdem in
der Datirungsformel der Diplome nicht Pr fehen pflegt; f. 3. 8. fhon im der
nöcftfolgenden Urkunde Birnins, Sickel P. 3: Data mens. April. die 25. in
anno primo regnante Pippino rege, actum ad Arestalio palatio publico.
Bl. Sidel UL. ©. 363.
N Bgl. Sidel, UL. ©. 361.
Bol. Baig, 86. IV. ©. 419.
®) Lex Salioned. Waitz, das alte Recht der salischen Franken, it. 46.p.258.
quia haec causa sic acta vel perpetrata fuit.
— ut... Fulradus abba vel successores sui ipsas villas .
contra ipsum Gislemarum habeat evindicatas atque elidigatas.
) Bal. Sidel, UL. S. 362—363.
?) et sit inter eos in postmodum ex hac re omni tempore sopita causatio.
N
Urkunden. 15
zu Herftal bei Lüttich, für das Klofter Anifola oder S. Calais !) ein
Diplom, ?) das mit anderen, nicht minder beglaubigten, Urkunden
infofern eine befondere Wichtigkeit erlangt hat, als es zur Entkräftung
unberechtigter Anſprüche diente, welche die Biſchöfe von Le Mans zur
Zeit Ludwigs des Frommen auf den Beſitz des Kloſters erhoben und
durch die dreifteften Falſchungen geftügt hatten. °)
Die Urkunde ift ſchon ihrer Form wegen interefant, *) weil
diefe recht deutlich auf dem eben eingetretenen Wechfel der Dynaftien
hinmeift. Wenn das oben befprodene Placitum für S. Denys fih
noch ganz in den merowingifchen Formen bewegte, und zwar in höherem
Grade, als diefe auch fonft in Gerichtsurfunden beibehalten wurden, ®)
fo folgt der vorliegende Schugbrief für Anifola, obwohl er nur ältere
Verfügungen beftätigt, doch einem ganz anderen Schema, als die drei
früheren Diplome gleichen Inhalts von Childebert I., Chilperih I. und
Theodorich III., deren drittes dem Jahre 674 angehört.) Vielmehr
war in ber allerfegten Zeit des erften Königsgefchledhtes eine Formel
entftanden, die auch ſchon in den Hausmaierurfunden der Arnulfinger
begegnet ) und in gleicher Weile dem Schugbrief Pippins vom
Jahre 752, dem erften Karolingerdiplom, das wir befigen, zu Grunde
liegt, während die folgenden fid davon wieder entfernt Haben. Am
bezeichnendften ift der Eingang. Während die Königsurfunden fonft
mit dem Namen und dem Titel des Ausftellers beginnen, eine etwaige
Anrede aber erft nachfolgt,“) geht Hier, wie in Privaturfunden, die
Anrede dem Namen des Königs voran; °) der bisherige Titel inluster
vir hat ſich noch nicht in den fortan allein gebräuchlichen vir inluster
umgewandelt, und wenngleich Pippin hier nicht mehr wie noch im
Jahre 748 die angeredeten Beamten des Reichs als feine Freunde
!) Casa sancti Carilefi; am Anille, Dep. Sarthe, nicht weit von Le Mars.
Die Urkunde jagt: monast. Anisola, qui est in honore sancti Carilefi confessoris
constructus in pago Cenomannico, in condita Labrocinse. Ueker bie nähere
Ortebeftimmung in condita L., die aud) in einer Urkunde Karls d. Gr. (Sickel
K. 22) wiederkehtt, ſ. Waitz, VG. II. ©. 276. N. 2, III. ©. 382. N. 1. Das
celtiſche Wort condita entfpricht dem lateiniſchen centena und bezeichnet die auch
im Gallien feit der fränfiihen Zeit herrſchend gewordene Eintheilung der Gaue in
Heinere Diftrilte.
%) Sickel P. 3.
) ©. befonders Roth, Beneficialweſen, Beilage II: Die Acta episco-
porum Cenomannensium.
+) Hiervon handelt Sickel, Beiträge zur Dipfomatit II. ©. 182—190.
Bal. Sidel, UL. $ 108.
) Sicel, Beiträge z. Dipl. II. ©. 188.
?) Bgl. den Schugbrief Pippins für Honau vom Jahr 748: Pardessus II.
m 599. p. 412.
®) Bgl. 3. 8. Sickel P. 7: Pippinus rex Francorum vir inluster Bonifatio
archiepiscopo etc.; P. 8: Pippinus r. Fr. vir illuster omnibus ducibus comi-
tibus etc.
®) Domnis sanctis ... episcopis et abbatibus, comitibus, domesticis .. .
inluster vir Pippinus rex Francorum bene cupiens vester.
16 ° Capitel IL. 752.
bezeichnet, ) fo find doc die ziemlich gleichbedeutenden drei Schluß-
worte 2) ftehen geblieben, welche feitdem ebenfalls nicht mehr wieder⸗
fehren. Die Ausfertigung erfolgte duch den Kanzler Chrodingus,
der fonft nicht wieder vorfommt. *)
Der Inhalt ift ein doppelter. Zunächſt wurde dem Abt Sigobald
und der ganzen Congregation von Anifola auf Grund freiwilliger
Commendation *) von neuem, doch ohne Bezugnahme auf die drei
früheren Mundbriefe, der königliche Schuß ertheilt. Ein folder Schuß
bezog ſich zumeift auf das Eigenthum des N lofters an Perjonen und
Sachen, ftand daher eigentlichen Beſitzbeſtätigungen ziemlich nahe; 5)
nur beruhten die legteren auf einer forgfältigen Prüfung des Beſitz⸗
rechts, ftelften dieſes alfo durch die Confirmation außer Zweifel, während
der königliche Schuß feine derartige Garantie für den ganzen Umfang
der Befigungen, fondern nur Sicherheit gegen Gewaltthat und Unrecht
gewährte. Freilich Hatte darauf eigentlich jeder Stantsunterthan An-
ſpruch, und e8 war Sache der Behörden, insbefondere der Gerichte,
dieſem Anſpruch in jedem einzelnen Falle zu genügen. Allein der
Konigsſchutz bot, durch ein weſentlich vortheilhafteres Gerichtsverfahren,
folhe Sicherheit in erhöhtem Maße. Denn in dem letzten Sage
folder Mundbriefe concentrivt fich ihr vornehmlichfter Gedanke; da
heißt es: „und follten gegen die Aebte des Kloſters oder die Leute
deſſelben ſolche Proceſſe anhängig gemacht fein, welche im Gaugericht
nicht ohne ihren Schaden nad) Vorſchrift und Vernunft entjchieden
worden, fo follen diefelben unter allen Umftänden aufgejchoben und ung
vorbehalten fein, damit jene nachher vor uns nad) Recht und Gerechtig-
feit ihr Urtheil empfangen.) Man Hat diefe Worte nicht ganz '
richtig dahin ausgelegt, daß den Mundleuten ein unbefchränfter, von
den fonftigen Formalitäten befreiter Rechtszug an das Hofgericht ge-
währt worden fei;?) denn es ift in dem ganzen Satze von einer
Berufung, von einem Schelten des erften Urtheils nichts gejagt. Der
Sinn ift vielmehr, daß ein den Mundleuten ungünftiges Urtheil erfter
Inſtanz, aud wenn die Richter den Vorfihriften des Gejeges ent-
ſprochen Hatten, an und für ſich ungültig fein follte. Wenn fonft ein
2) In der oben ©. 15. N. 7 angeführten, Urkunde heißt es: vel omnibus agen-
tibus seu junioribus seu successoribus vestris seu amicis meis seu omnibus
missis meis discurrentibus.
) S. oben ©. 15. N. 9: bene cupiens vester.
®) Sidel, U. ©. 76.
+) de sua propria potestate semetipsum et illam congregationem sanctam,
quam in regimen habet, et omnes res eorum in manu nostra plenius com-
mendarvit. “
3) Bol, Side, Beiträge 3. Dipl. II. ©. 247.
®) Sickel P. 8: si tales causae adversus abbates ipsius monasterii ab
hoste [muß Heißen: oborte] fuerint aut de homines suos surrexerint, quas
in pago absque suo dispendio recte et rationabiliter definitas non fuerint,
eas usque ante nos omnimodis sint suspensas vel reseratas ſlies: reservatas].
?) Sidel, Beiträge III. S. 268.
Urkunden. 17
Spruch der erften Inſtanz, fobald feine Appellation erfolgt, Rechtskraft
erhält und feinem höheren Gerichte weiter zur Prüfung vorgelegt wird,
fo bedurfte es in diefem Falle gar Feiner Berufung von Seiten der
unterliegenden Partei, um den Ausſpruch umzuftoßen. Der Richter
ſelbſt, d. 5. der Graf des Gaues, hatte die Streitfrage als unerledigt
dem Könige zu unterbreiten; diejer allein war befugt, eine Entſcheidung
"zu Ungunften feiner Schugbefohlenen zu fällen.
Der zweite Gegenftand, welcher den Vorfteher des Kloſters Anifola
veranlaßt hatte, am koniglichen Hoflager zu Herftal zu erfcheinen,
betraf die Abtswahl. Sigobald erbat für die Mönche das Recht, bei
feinem und feiner Nachfolger Tode aus eigner Mitte einen nenen Abt
zu wählen, feinen andern fi aufdrängen zu laſſen. Diefelbe Urkunde,
welche von der Aufnahme des Klofters.in das königliche Mundium
handelt, berichtet auch über diefes Gefuh; und während fonft die
Gewährung mehrerer Begünftigungen, auch wenn fie gleichzeitig geſchah,
lieber in getrennten Diplomen ausgefprocden wurde, find Hier beide
Verfügungen in Ein Document zufammengefaßt.- Der Schreiber des
Diploms, Chrodingus, mußte die übliche Formel des Schugbriefes
daher durch einen Zufag erweitern, und es ift ihm mit Recht als
Unbehoffenheit ausgelegt worden, !) daß er zwar die Bitte um Wahl-
freiheit, aber nicht auch die Bewilligung derfelben in das Scriftftüd
aufgenommen. Denn daß diefe erfolgt ift, unterliegt feinem Zweifel;
wäre es nicht gefchehen, fo hätte der Verfaffer dies gewiß nicht unge-
fagt laſſen können oder er hätte auch über das Geſuch gefchwiegen. ?)
Von Anifola, das, durch feine Commendation in den Schub
Pippins, den eigentlich königlichen Klöftern wenigftens zeitweilig gleich-
geftellt war, werden wir num zu einem Inſtitut der letzteren Art
binübergeführt: zu dem Salvatorflofter in Prüm nämlich, ) das durch
önigliche Stiftung auf königlichem Grund und Boden entftanden war.
Gehörten die Stifter S. Denys und ©. Calais Neuftrien an, fo lag
Prüm auf auftrafifhem Gebiete, in der Stammlandfchaft des faro-
lingiſchen Hauſes. Am Südabhange der Schneeeifel, wo jest eine
Heine Kreisftadt des Regierungsbezirls Trier den gleihen Namen
führt, erhob fid) damals, von Pippin und feiner Gattin Bertrada ge-
gründet, die Benedictinerabtei Prüm. Schon vorher Hatte dafelbft,
an der Grenze des Ardennen- und Bidgaues, t) die Villa Prumia
1) Sidel, Beiträge IT. ©. 190.
) Schon der Uebergang, Propterea litteras nostras .... eidem dedimus,
weiſt rau bin, dub den Wünfchen des Kloſters entſprochen worden iſt.
4) Bol. — Dirlrhentiſqheo urtundenbuch I. Ne 16 (Sickel P. 20): infra
terminos bidense atque ardinne; aljo nit in pago Muslinsi, wie Sidel
P. 4) ſchreibt.
Jahrb. d. diſch. Geſch Delsner, König Pippin. 2
18 Capitel U. 752.
beftanden, fo benannt von dem Flüßchen Prüm, mit. welchen fih an
diefer Stelle der Dethinbach vereinigt ') und welches in fübliher
Richtung der Sauer (Sure) aufließt, die oberhalb ber Stadt Trier,
der Saarmündung gegenüber, fich in die Mofel ergießt. Im Jahre 720
war hier bereit von einer Frau Bertrada oder Berta und ihrem Sohne
Charibert, ohne Zweifel der Großmutter und dem Vater der Gemahlin
Pippins, die übrigens fehon damals dem arnuffingifchen Geſchlechte
nahe jtanden, ?) der Grund zu einer Föfterlihen Anfiedlung gelegt
worden; ®) allein dieſe Stiftung muß innerlich und äußerlich in Verfall
gewejen fein, denn Pippin befchränfte ſich nicht darauf, ein neues
Gebäude zu errichten, er bevöfferte e8 auch mit Mönchen, die er aus
der Ferne herbeirief. 4 Wie er felbft fagt, daß er mit feiner Ge—
mahlin auf eigenem Beſitzthum bas Kloſter gebaut, 3) ſo ſprechen dies
auch feine Nachfolger mit aller Beſtimmtheit aus. °) ALS die Zeit
der Gründung hat man früher das Jahr 762 betrachtet und die
damalige Schenkungsurkunde irrigerweife als Fundationsdocument auf
gefaßt; ) doch die Schenkung Pipping aus dem erften Jahre feiner
Regierung, die freilich erjt vor einem Jahrzehnt befannt geworden, ®)
beweift, daß die Stiftung wohl ſchon in die legten Jahre feines Major-
domats zu jegen ift. Pippin hatte die Kirche des Klofters mit Reliquien
von Jeſus und Maria, von Petrns und Paulus, von Johannes dem
Täufer und den Martyrern Stephanus, Dionyſius, Mauricius, den
Belennern Martinus, Vedaſtus und Germanus auszuftatten gewußt; *)
und da fchon die erjte Gründung vom Jahre 720 heilige Meberrefte
von Maria, Petrus, Paulus, Johannes und Martinus aufzuweifen
gehabt, 10) fo waren diefe wahrfcheinlich aus dem alten Stift in das
neue hinübergerettet, allerdings durch Reliquien Jeſu 1) weſentlich ver-
mehrt worden. Daher der Name S. Salvatorflofter, der ſeitdem
?) Beger a. a. D.: ubi rivulus qui dicitur dethenobach ingreditur in
rumiam.
2) &. befonders Hahn, Jahrbücher, Ercurs I. S. 151—158.
Per N° 8; Migne Patr. lat. LXXXVIII. col. 1274.
Daj. N’ 16: atque ibidem monachos constituemus; N° 10: monachi, quos
ibidem instituimus.
5) Daf. N° 16: notum est. „nos et conjuge nostra Bertradane
monasterium in re proprietatig nostre aedificare; N° 10: monasterium
novo construximus opere; ebenjo N° 17. 18.
*) Rarl d. Gr., Sickel K. 126: monasterium ... quod b. m. domnus ac
genitor noster Pippinus quondum rex necnon domna et genetrix nostra
Berterada regina novo opere a fundamentis ... visi sunt construxisse; ebenfo
Beyer N°37 u. a, m. Auqch Ludwig der Fromme, Sickel L. 151, jagt, daß Pippin
an — das Kloſter in rebus proprietatis eorum ex Tundamento con-
uxeruni
ww) Dal. Ne 16: de scandaliis domni nostri J. Chr.
Urkunden. 19
herrſchend wurde und erft 75—100 Jahre fpäter den Zufag et s. Mariae
zu erhalten pflegte. *) -
Die Mönde, welche Pippin in die neue Stiftung einführte,
famen, wie gejagt, aus der Ferne: e8 war eine Colonie des Klofters -
©. Faron bei Meaur, welche ſich Hier niederließ ?) und, wie wir
fpäter jehen werden, den Zufammenhang mit den Brüdern in der
Heimath nicht verlor.) Auch Abt Affuer, der jedoch erft 762 ge-
nannt wird, ftammte offenbar aus galfiihem Gebiet. Im Gau von
Anger? nämlich lagen zwei Villen, die einft das Eigenthum feiner
Großmutter gewefen, von diefer aber dem Könige Pippin übertragen
worden waren und in Karls des Großen Tagen von Aſſuer als groß-
mütterlihes und mütterliches Exbe in Anfprud genommen wurden. *)
Andere feiner Verwandten Hatten in bderfelben Gegend durch Feind-
feligkeit gegen den Staat ihre Befigungen verwirft.5) So dient
Affuer als ein bemerfenswerthes Beiſpiel, wie Pippin gegnerifche
Tamilien nad) Ueberwältigung ihres Widerftandgs in feinen Kreis zu
ziehen und an fein Intereſſe zu feſſeln wußte. Denn als ein Zeichen
der Verfühnung muß es erfcheinen, daß Afjuer Abt eines königlichen
Kloſters wurde und daß die greife Theodelhildis dem Könige ihr Gut
übergab; und es gewinnt ſonach wohl eine beftimmtere Bedeutung,
wenn das große Diplom vom Jahre 762 die Fortdauer des Fünig-
lichen Schutzes an die Bedingung fnüpft, daß die Monche Pippin
und feinen Erben die Treue bewahren. ©)
Doch fehren wir vorerft zu der Urkunde des Jahres 752 zurüd. ?)
Sie ift am 27. Mai zu Wereftein, einem fonft unbefannten Orte,
erlaffen — mie aud) zwei der fpäteren Urkunden Pippins für Prüm
ihre Angftelungsorte fonderbarerweije mit unerflärlichen, offenbar ver-
derbten Namen, Trisgodrog und Inaslario, bezeichnen.?) Die Schenkung,
welche den Mönchen zum Unterhalt und zur Erquieung, °) dem Könige
3) Bol. Sickel, Acta II. S. 212, wo bie Worte vel s. Mariae in P. 4
deshalb für eine Interpolation des fpäter Iebenden Copiften gehalten werben. In
den 4 Urkunden v. 762 u. 763, Sickel P. 19. 20. 22. 28, Heißt, Prüm nur
monasterium sancti Salvatoris.
?) Beyer N° 16: de congregatione domni Romani et Vulframni epi-
scoporum, quos modo in hoc coenobium s. Salvatoris congregavimus; vgl.
Gallia christiana VIII. col. 1688, Ein Mönd Egidius ſchenit dem Klofier
im Sabre 765 feine Alisungen in den Gauen von Le Mans, Rouen und
Angers: Beyer N° 19, Migne Patr. lat. XCVI. col. 1652.
9) ©. unten Cap. XXV.
+) Urkunde Karla vong 17. Februar 797, Sickel K. 150.
) Daſ.: cum aliis rebus, que propter infidelitatem aliquorum hominum
parentumque suorum in fisco redacte fuerant.
%) Beyer N 16: dum ipsi monachi regulariter et fideliter ad parte
nostra vel heredum meorum ibidem conversare videntur.
”) Wegen der angeblichen „Stiftungsurkunde” vom Jahre 762 meint Görk
a. a. D., es fei flatt anno primo regni ipsius domni Pippini regis vieleicht
richtiger a. XI. zu leſen.
i) Sickel P. 20. 22. Statt Wereftein vermuthet Görz Heriftal.
°) usibus eorum et refectioni.
20 J Capitel II. 762.
ſelbſt und ſeiner Gemahlin zu dauerndem Gedächtniß gereichen ſollte,
betraf das Recht der Fiſcherei im Moſelgau, und zwar erſtens im
Gebiete der königlichen Dörfer Mehring und Schweich, ) welche unter-
halb Triers am linken Mofelufer liegen; zweitens noch weiter fluß-
abwärts, gleich hinter Neumagen, ®) an der Stelle, wo die Drohn von
der rechten Seite Her ſich in die Mofel ergießt.) Hier wie dort
ſollten die Kloſterleute, an beiden Ufern des Fluſſes, den Fiſchfang
treiben und, wo es dem Abt beliebte, ein Wehr anlegen dürfen. *)
Dazu bekamen fie drittens noch die Erlaubniß, auch in der Drohn
an einer Stelle, deren Wahl ihnen felbft überlaffen wurde, eine Fiſcherei
anzulegen. 5)
Wir gedenken am beften bier noc zweier anderen Schenkungen
Pippins an Prüm, von welchen weder das Datum noch aud ein
Document erhalten ift, auf welche vielmehr nur in fpäteren Urkunden
Bezug genommen wird, Die erfte derfelben betraf einen Wald in
der Nähe des Kloſters, ©) die andere die Anlegung einer Fiſcherei fern
von Prüm felbft, an dem Nheinufer des Dorfes Nedarau bei Mann-
heim. ?) Vielleicht hängt die zweite diefer Vergünftigungen mit der
Mebertragung ber Celle zu Altrip zufammen, von welcher das Diplom
des Zahres 762 meldet. ®)
Vier Immunitätsprivilegien, die zum Theil in vollftändigem
Wortlaut, zum Theil nur im Auszuge vorhanden find, mögen gleich”
falls hier angereiht werden, obwohl grade die drei volfftändig erhaltenen
ganz ohne Datum, da8 vierte aber ohne fichere Datirung geblieben ift.
Wir beginnen mit der Urkunde für Echternad) (Epternacum),
jenes Schwefterffofter von Prüm, gleich diefem in der Nähe von Trier,
4) infra terminos villarum nostrarum Marningum et Soiacum.
*) juxta castrum quod Noviacum dicitur.
®) ubi Drona influit in Mogellam.
*) ad piscandum, ad vennas faciendum. Venna = franz. vanne; Dr
ange VI. p. 765: Septum ad intereipiendos pisces. Cine Gloffe vom Jahre
1222 fagt (Beer N° 22): Venna est instrumentum sumptuosum et satis utile,
unde pisces capiuntur, quod instrumentum appellamus wer.
°) Donamus etiam in fluvio Drahocne ala capturam piscium etc., von
Sidel (P. 4) nicht erwähnt.
°) Sickel L. 101, 816 8. November. Die Möndje adierunt serenitatem
nostram retuleruntquie qualiter [Pipı pinns aus nogter] inter ceteras dona-
tiones quendam waldum ibidem coı
?) Urt. Ludwigs IT. ge Deutichen) vom 15. Februar 871, Beyer N’ 113:
piscationem et vinnam domnus Pippinus rex cum terminis supra fluvium
Rheni consistentibus de villa Naucravia concessit ad monast. Prumise per
suae auctoritatis praeceptum. Bgl. Sigkel, Acta deperd. p. 379; daj. p. 212
wird die Urkunde Suhmige irrigerweiſe als Beflätigung von P. 4 bezeichnet.
®) Beyer N° tradimus ... cellam jure Proprietatis nostre in loco
qui dieitur Alto, super Auvium Reni in pago Spirinse. Altrip liegt in
der Pfalz, bei Mutterftadt, alſo ebenfalls nicht weit von Mannheim.
Urkunden, . 21
im Bidgau, gelegen, gleich diefem eine karolingiſche Bamilienftiftung,
aber älteren Urfprungs, denn cs fnüpfte fi daran das Andenken
Pippins des Mittleren ſowie das des heil, Willibrord, deffen Grab-
ftätte das Kloſter war. Für das Datum der Urkunde *) bietet auch
der Name des Abtes, auf deſſen Geſuch fie der König ertheilt Hat,
feinerlei Anhaltspunkte; denn Albert, Willibrords unmittelbarer Nad;-
folger in der Abtei, verwaltete das Stift 37 Jahre lang, alfo feit
den Tagen Karl Martells bis in die Regierungszeit Karls des Großen
hinein.) Der Umftand, daß fie jedenfalls Pippins Königszeit ange
hört, verpflichtet uns, an welcher Stelle aud immer, ihren Inhalt
anzuführen. Es ift aber einerjeits die Betätigung früher ertheilter
und bisher in Geltung gebliebener Immunitätsprivilegien, 9) andrer-
ſeits die Zuſicherung jenes königlichen Mundiums, das wir bei Be—
ſprechung des Diploms für Anifola genauer zu charakteriſiren verfucht
haben. Wiederum findet ſich alfo die Schugertheilung mit einer anderen
Beitimmung vereinigt; wie oben mit der Bewilligung freier Abtswahl,
ſo Hier mit der Immumitätsbeftätigung. Beide Verleihungen aber,
die Immunität und die Defenfion, wurden Echternach, wie allen
föniglichen Klöftern, auf Grund diefer feiner Qualität zu Theil.)
Die Immunität allein Konnte auch den felbftändigen geiftlichen
Hnftituten zuerkannt werden, und als folche erfcheinen die Klöſter
Murbady und Corbie. > J
Das Kloſter Murbach im Elſaß war im Jahre 726°) von dem
heil. Pirmin auf Veranlafjung des Grafen Eberhard und auf deſſen
Grund und Boden geftiftet worden. 6) Es Hatte den Namen Vivarius-
peregrinorum erhalten, hieß aber auch damals ſchon Murbach,“) wie
!) Sickel P. 34; zum erften Male edirt von Sidel, Beiträge zur Diplo-
matit V. ©. 390. Eine unechte Schenlungsurkunde Pippins für Echternach
(Sickel, Acta spuria p. 407) trägt da8 Datum: tertio nonas mai. anno i. d.
752, indict. 4, anno vero d. Pippini regis tertio (Beyer I. N° 11).
®) Sickel, Acta II. &. 220—221.
ueber das Weſen der Immunität ſ. Waitz, BG. IV. ©. 243 fj.; Sidel,
Beiträge 3. Dipl. III. ©. 175 fi.; beſonders aber deffelben Beitr. z. Dipl. V.
©. 311—380: die Immunitätsrehte nad) den Urkunden der erſten Karolinger
bis zum Jahr 840.
+) Bgl. Sidel, Beitr. z. Dipl. I. ©. 216.
°) Rettberg, IL. ©. 88.
Das Diplom Theodorichs IV. vom Jahre 727 jagt (Migne Patr. lat.
LXXXVIII col. 1144): Perminus gratia Dei episcopus nostris temporibus cum
monachis suis ... monasterio virorum in heremi vasta, quae Vosagus appel-
latur, in pago Alsacinse in loco qui vocatur Vivarius-peregrinorum, qui
antea appellatus est Muorbach, in alode fidele nostro Rbon lo comite,
cum ipsius adjutorio ... conatus est constituere; der Biſchof Widegern von
Straßburg (daf. col. 1282): vir inluster Eborhardus quomis ... infra nostra
parrocia ... cum Dei adjutorio et nostro conailio monastyrio in suo pro-
prio a novo aedificare conatus est, ad quod evocantes Perminis episcog
cum suis peregrinis monachis ibidem cynobio vel sancto ordene sub regul
beati Benedicti, Dei gratia et nostro adjutorio, perficere deberent. J
.) Bertaufsurkunde vom Jahre 780 (Migne 1. c. col. 1285): de mona-
sterio quod vocatur Maurobaccus ... actum Marbach monasterio.
22 Eapitel II. 762.
der Fluß, an weldem es fag,?) und wie fhon vor der Gründung
des Stift8 der Ort genannt war. Als Schugheiliger deffelben erſcheint,
neben Maria, Michael, Petrus und Paulus,?) insbefondere der Martyrer
Leodegarius, ein Vorfahr des Stifters.“) Schon Theodorich TV. hatte
auf Bitten Pirmins und des Grafen Eberhard dem Kloſter im erften
Jahre feines Beſtehens die Immunität verliehen, +) die nachfolgenden
Herrſcher dies Privilegium erneuert. Eine gleiche Beſtätigung ber
bisherigen Immunität erbat ſich jegt der Abt Baldebert von König
Pippin, indem er ihm die Urkunden der Vorgänger zur Einfihtnahme
vorlegte. Pippin genehmigte das Gefuch, wobei er, gleich Theodorich,
den Grafen Eberhard als Wohlthäter des Kloſters befonders hervor-
506.5) Für die Ansftellungszeit des Diploms ift hier infofern die
Grenze enger gezogen, als der Abt Baldebert, den Annalen des eigenen
Kloſters zufolge, 6) ſchon im Jahre 762 ftarb. Derfelbe führte auch
den Bifchofstitel,?) und es feheint fein ftihhaltiger Grund vorhanden,
an feiner Zdentität mit dem Biſchofe Baldebert von Baſel zu zweifeln. °)
Auch die zwei nächftfolgenden Aebte, Haribertus und Amicus, erhielten
in den Jahren 772 und 775 von Karl dem Großen eine Beftätigung
der Immunität.?) Aus einer Urkunde Ludwigs des Frommen aber
erfahren wir, daß feit den Zeiten Pippins, offenbar auch in Folge -
feiner Verfügung, freie Leute dem Kloſter untergeben waren, d. h.
demfelben alle diejenigen Leitungen zu entrichten hatten, welche fonft
der Fiscus in Änſpruch nahm. 1%) Im einer noch fpäteren Urkunde
wird die Zahl diefer Freien auf fünf, ebenfo ihr Wohnfig genau an-
gegeben, auch Hinzugefügt, daß Pippin zugleich das Kloſter Luzern
(Luciaria) an Murdach geſchenkt Habe. 1)
) Sickel P. 21: de monasterio Vivario-Peregrinorum, qui ponitur in
pago Alsasense super fluvium Morbac.
%) Bot. bie Diplome Theodorihs IV. (S. 21 N. 6) und Bippins (Sickel P. 21).
») Rettberg DI. ©. 89.
+) ©. oben ©. 21. N. 6.
5) Sickel P. 21.
*) Pertz SS I. p. 28—29 zum Jahre 762: Baldebertus obiit, Haribertus
abba ordinatus est.
?) Schöpflin, Alsatia diplomatica ne 32.
®) Diefer Meinung ſcheint aud) Rettberg IL. ©. 93; Sickel, Acta II. ©. 218,
erklärt ſich in entgegengeſetztem Sinne Allein daß der Convent von Attigny,
auf welchem auch Baldebertus episcopus civitas Bagelae erichien, in das Jahr
765 gehöre, ift mar Vermuthung (j. unten Excurs II. $ 8). Daß Murbad) aber
dem Bistum Straßburg untergeben war, was wir überdies nur aus der Zeit
Widegerns (f. oben ©. 21.6) mit Beftimmtheit wiffen, konnte ber Erhebung feines
Abtes zum Bifhof von Bafel doch Yaum binderfich fein. Grade daß die Lönigl.
Urkunde ihn nur als Abt bezeichnet, fpricht gegen die Meinung, wonach er ſchon
um jeineg Kloſteramts willen den Biſchofötitel geführt Habe. Auch jheinen mir bie
Privilegien Theodorichs und Widegerns, jo beſonders des Letzteren Worte (Migne
In sol 100), si de se erlernen habent, eine, vegelmäßige Verbindung ber
iſchöflichen Würde mit der Abtitele eher auszufchließen, als vorauszuſetzen.
y Sickel K. 8. 40, s '
3 Sickel L. 92.
“) Diplom Lothars vom Jahr 840: Sickel, Acta II. p. 876.
1.
Urkunden. 23
Das Kloſter Eorbie an der Somme, zum Gau von Amiens
gehörig, war urfprünglic zwar eine königliche Stiftung, von Balthe-
childis, der Mutter Chlothars IT., gegründet.) Doch fcheint diefe
Qualität mit dem Ende des meromwingifchen Geſchlechts erlojhen zu
fein; wenigftens deutet in dem Pippinifchen Diplom *) nichts auf eine
folche Hin. Die Beftimmungen defjelben aber betreffen eine Immunitäte-
beftätigung, welche fi auf die von dem Abte Leodegarius vorgelegten
Diplome der merowingifchen Könige Childerich II., Theodorich IIL.,
Chlodwig III., Chifdebert IH. und Dagobert III. gründete. ®)
Anders verhält es ſich mit S. Wandrille (Fontanellense coeno-
bium), einem Nachbarftifte von Corbie, an der Seine unterhalb Rouen's
gelegen.) Daß freilich Wandregifil, der Erbauer und erfte Abt des
Kloſters, ebenfo wie zwei Nachfolger deffelben, Hugo und Wido, Ver-
wandte der arnulfingifchen Familie waren, 5) reicht wohl faum Hin,
es als karolingiſche Stiftung zu-bezeichnen ; entſcheidender aber für feine
. Qualität ift die glaubwürdig erzählte Thatfahe, daß Karl Martell,
indem er dem Kloſter die Immunität ertheilte, es zugleich in feinen
befonderen Schu genommen. °) Offenbar weil dies nur in Folge
einer Commendation gefchehen war, hielt man es für gut, Pippin um
eine gleiche Maßregel zu bitten. ?) Und fo begegnen wir denn in .
dem Privilegium Pippins für S. Wandrilfe abermals einem Diplom, '
da8 zugleich eine Immunitäts- und Schugertheilung ift.?) Die Ver-
fügung wurde in der Königlichen Pfalz zu Verberie am 6. Juni er-
laſſen; für das Ausftellungsjahr gewährt die Amtszeit des Abtes
Auftrulph, welchen Pippin das PBrivilegium ertheilt Hat, ?) den nächſten
Kr das Dipfom Chlotars vom Jahr 660, Migne Patr. lat. LXXXVII.
j * Sickel P. 83; zum erften Male herausgegeben von Sidel, Beitr. z.
f. V. ©. 389. ”
col.
) Schon im März 769 ſteht das Kloſter unter einem andern Abte, Namens
Hado, vgl. Sickel K. 3. Als Vorgänger Leodegars kennen wir Grimo, einen
der Gefandten, welde Karl Martell kurz dor feinem Tode auf den Hilferuf
Gregors III. nad; Rom ſchickte: Fred. cont. c. 110.
3— Val. darüber Sickel, Acta II. p. 867. -
®) Gesta abbatum Fontanellensium c. 1. 8. 11, Pertz SS. IL. p. 271.
280. 284.
%) Dal. c. 9. p. 281-282: Lando impetravit a Carolo prineipe privi-
legium immunitatis perennis, in quo continetur, quod coenobium istud sub
sua defensione ac tuitione idem princeps specialius receptum haberet .. .
quatenus res istius coenobii universaque sua salva esse valerent nec a quo-
quam diripi aut contaminari vel in aliquo laedi quocungue possent ingenio.
”) Bol. Sidel, Beitr. zur Dipl. III. ©. 218.
®) Die Gesta abb. Font. c. 14. p. 289 geben von diefer wie von anderen
Urkunden des Kloſters einen zuberläffigen Auszug; danach befahl Pippin, ut nullus
judex neque exactor reipublicae gentis Francorum, ad causas audiendas ac
freda exigenda nec fidejussores-aceipiendos nec ad ullam exacturam geren-
dam potestatem hujus coenohii ingredi audeat, sed sub perenni sua defen-
sione ac protectione secura in aeternum ab omni querimonia valeret permanere,
®) Daf.: Austrulpho edidit gloriosus rex Pipinus privilegium ete.
24 Eapitel IL. 752.
Anhalt. Aufteulph nämlich war in den legten 40er Jahren auf bie
Bitte feines erblindeten Vorgängers und aller Kloftergenoffen von
Pippin zum Abt erhoben worden, nad) furzer und rühmlicher Thätig-
feit aber zu dem unwiderſtehlichen Entfchluffe gelangt, andachtshalber
nach Rom zu reifen. Gleich Wilicarius von Vienne, der das Biſchofs-
amt niedergelegt Hatte, und offenbar auch gleichpeitig mit ihm, traf er
unter dem Pontificat Stephans IL. in Rom ein; N auch ihn führte
nad Verrichtung der Andacht der Rückweg zum Kloſter ©. Maurice
an ber oberen Nhone. Während Wilicarius aber die Leitung diefes
Kloſters übernahm, erlag Auſtrulphus dafelbft einem Fieber, an
welchem er bereit8 Tängere Zeit gelitten Hatte. Sein Tod erfolgte
am 14. September, ?) und zwar kann dies weder vor 752 gemejen
fein, da Stephan II. erft im März diefes Jahres den päpftlichen
Stuhl beftieg, noch auch nad) 752, da fchon vor dem 1. Sept. des
nädhften Jahres Wido feine Stelle inne hatte.°) Die Urkunde Pippins .
für ©. Wandrille kann mithin nicht nad) dem 6. Juni 752 ausgeſtellt
worden fein; allein ihr dieſes Datum felbft zu geben, hat doch feine
Bedenken. Auftrulph Hätte dann, felbft wenn er unmittelbar nad
Empfang des Privilegs feine Wallfahrt antrat, im einem Vierteljahre
diefelbe volfendet Haben müffen. Zudem nennt der Verfaffer ſelbſt
ausdrücklich das Jahr 750; *) er fügt zwar Hinzu, in demfelben Jahre
jei Pippin zum König eingefet worden; allein der Zufammenhang
der beiden Sätze fcheint doch zu Iofe, als daß in diefen Worten die
Umfhreibung einer urfundfichen Angabe, wie etwa „im erften Jahre
der Regierung Pippins,“ erfannt werben dürfte.) Auch bezeichnet
der Autor ja vorher und nachher wiederholt das Jahr 752 als die
Epoche der Thronbefteigung Pippins. Es wäre daher nicht unbe
gründet, das Privilegium von ©. Wandrilfe in die Zeit des Major-
domats zu verweilen. Der Verichterjtatter fagt allerdings, „der glor-
reihe König” Pippin Habe das Privileg ertheilt, und dieſes Wort
1) Gesta abb. Font. c. 14. p. 290: Perveniens Romanae urbis ad arces tem-
pore Stephani papae; Adonis archiep. Vienn. chronicon, Pertz SS. II. p. 319:
Wilicarius, relicta Viennensi sede, Romam primum abiit ibique papae
Stephano notus efficitur.
%) Gesta p. 290: 18. kal. Octobrium.
Daf.: ann. Dom. 753, indictione 6. Seiten Angaben defjelben Ber-
faſſers zufolge, wonach Wido sub a. D. 787, ind. lecimo octavo kal.
Oct. (am nämlicen Tage, wie einft Auftrulph) re — er das Kloſter
35 Jahre, 8 Monate und 13 Tage geleitet hatte (p. 290. c. 15), müßte freilich
fein Amtsantritt ſchon in den Febr. 752 gefegt werben, womit fi nicht vertrüge,
daß Auſtrulph zur Zeit Stephans nad, Rom gefommen. Es ift auffallend, daß
ein Autor, der fo gern rechnet, fo ſchlecht vechmet. Wir werben dies ſogleich
durch feine Angaben über die Regierungsepoche Pippins beftätigt finden; ein anderes
Beifbiel if, daß er von 742—747 7 Jahre zählt (cap. 18—14. p. 286—288.).
*) Daf. p. 289: Editum est anno dom. incarn. 750, die 8. iduum Juniarum,
Vermeria palatio regio. Quo anno idem gloriosus princeps Pipinus .... rex
constituitur Francorum, ablato principis nomine.
5) Pertz weift bei Quo anno auf das Quo tempore ber Fortjegung Fredegars hin.
Urkanben. 25
würde den Ausfchlag geben, wenn in der Schrift, wie es oft wirklich
den Anfchein hat, zwifchen dem Zürften Pippin und dem Könige Pippin
immer forgfältig unterfchieden wäre. Dem ift jedod nicht fo; denn
in der Erzählung eines Vorganges unmittelbar nad) feines Vaters
Tode wird er doch auch ſchon König genannt!) Die Frage nad
dem Datum der Urkunde wird fi demnach, fo lange e8 an weiteren
Hulfsmitteln fehlt, nicht mit Beſtimmtheit entfcheiden Tafjen. ?)
Zum Schluffe unferer Diplomenlefe finde Hier ausnahmsweiſe
auch noch eine Privaturfunde, wegen des befonderen Intereſſes, das
ſich an fie Fnüpft, eine nähere Berüchſichtigung. Wie wir im erften
Capitel dargethan, ift auf den Neichsverfammlungen zu Leftines und
Soiffons ein Theil des zur Reftitution beftimmten Kirchengutes im
Intereſſe der Kriegsmannſchaften zurüdbehalten und in Form von
Precarien denfelben überwieſen worden. Merkwürdig genug ift von
den ſchriftlichen Verträgen, welche hierüber ausgefertigt werden mußten,
nur ein einziges, ſchon oben®) erwähntes, Document übrig geblieben,
welches, zu Ye Mans im eriten Zahre Pippins, alfo 752, ausge
fteltt, *) einen vollgüftigen Beweis dafür Liefert, daß die Ausführung
jenes Reichsbeſchluſſes auch noch nad Jahren nicht ins Stoden ge-
rathen war. 5) Die Urkunde betrifft mehrere Güter des damals unter
der Leitung des Ganziolenus ftehenden Bisthums Le Mans, ©) welche,
ohne Zweifel einft rechtswidrig entfremdet, auf Befehl des Königs der
Kirche wieder zurüderftattet werden follten, von derſelben aber einem
Marne, Namens Wulfingus, auf defien Bitte und auf den Wunſch
des Königs überlaffen wurden. ) Diefe Einmijchung des Königs in
eigentlich private Angelegenheiten ift übrigens die einzige Eigenthüm⸗
fichkeit, durch welche die Urkunde ſich von fonftigen Precarieverträgen
unterfcheidet; denn auch in dieſen ift, gewöhnlich mit gleichen Worten,
von der Bitte des Empfängers, von ber Bereitwilfigfeit des Stifte,
') Gesta abb. Font. c. 12. p.
3) Aehnlie Erwägungen —S uns, die größere Erzählung des c. 14
der Ey des Majordomats zuzuweiſen, hier alfo zu übergehen.
©. oben ©. 7 (N. 4).
*) Gesta Aldrici episc, Cenomannensis c. 62 bei Baluze, Miscellaneorum
lib. I. p. 158: actum Cenomanis eivitate in anno primo regni Domini
nostri Pipini gl. regis.
®) Bol. oben ©. 6. N. 1.
*) Zur Erläuterung der Ortsnamen jener Gegend verweiſt Sidel, Acta II.
p. 211, auf eine mir micht. zugänglich gewordene Schrift von Th. Cauvin,
geographie ancienne du diocöse de Mans, Paris 1844.
?) Cognitum est qualiter domnus noster Pipinus gloriosus rex villas .
ad ipsam ecclesiam reddere jussit et postea per verbum domino nostro
Pipino mea fuit petitio et vestra decrevit voluntas, ut ipsa locella per vestra
beneficia ad usus fructuario ordine [lies: ad excolendum usufructnario 0)
mihi tenere permisistis.
26 Eapitel IL 752.
ja zuweilen felbft von der Vermittlung Dritter die Nede. !) Und
wie durch ſolche Verleihungen der Kirche Häufig nur eine Schenkung
dem Schenker oder feinen Angehörigen zum Nießbrauch zurücerftattet
wurde, fo hat auch Wulfing, wie es ſcheint, bereits vorher innegehabt,
mas ihm jegt in veränderter Form von dem rechtmäßigen Eigenthümer
wieder eingeräumt wurde. *) Seine Gegenleiftung beftand in einem
Pfunde Silber jährlichen Zinfes, da8 am S. Martingfefte an die
Kirche zu entrichten war ‘und offenbar zur Beleuchtung während der
Winterszeit verwendet wurde. °) Bei fäumiger Zinszahlung jollte er
angehalten werden, fich für die Zahlung zu verbürgen, *) ein Verfahren,
das nach altſaliſchem Recht fehlieglich zur Tilgung der Schuld führen
mußte. °) Einen Verluſt des Gutes aber follte ſolche Säummiß nicht
zur Folge haben, denn es war auf Lebenszeit verliehen und die Precarie
ſollte, aud ohne Erneuerung von 5 zu 5 Jahren, fo lange in
Geltung bleiben. Nach dem Ableben des Empfängers jedoch follte
das Beneficium ohne Widerrede in den Beſitz des Bisthums zurüdfallen.
Daß dies nicht gefchehen, beweiſt ein zweiter, ' diefelben Güter
betreffender, Precarievertrag aus der Zeit Karls des Großen.) Diefer
Tall aber war ja zu Leftines ausdrüdlich vorgefehen worden, da man
dem Fürften vorbehalten hatte, nad, Erledigung einer Precarie eine
neue Verleihung zu beantragen. ) Der Name des neuen Empfängers
war Germund, der damals lebende Biſchof Franco, die Zeit der Ueber-
tragung das 31. Regierungsjahr Karls. Faſt feheint es, als Hätte
bei der neuen Verleihung die Vorfchrift, ein neues Document zu
2) &. 3. 8. Beyer J. N° 14: postea vero vestra fuit petitio et intercessio
bonorum hominum,
) Bol. befonders die Worte mihi tenere permisistis; tenere — behalten.
°) Annis singulis ad festivitatem S. Martini illam hibernaticam argento
libra una [fies: argenti libram unam] ad parte S. Gervasio aut rectoris
ecelesiarum transolvere faciam. Wait, B®. IV. ©. 164. N. 3, hebt hervor,
daß der Ausdrud hibernatica nod in anderen fpäteren Urkunden von Le Mans
vorkommt, läßt denfelben jedoch unerflärt. Auch Roth, BW. ©. 362, hält das
Wort für eine Singularität von Maine. Hibernatica [scil. libra] ſcheint jedoch
nichts Anderes, als was in einer Pecarie des Klofters Prüm vom Jahre 767
mit hyemale libra bezeichnet wird: ea seilicet ratione, ut annis singulis missa
S. Martini hyemale libra de argento ad lumen ipsius ecelesiae sancti Salva-
toris solvere debeam; Beyer I. N° 21. Daß hier der Ausbrud ad -Jumen im
wörtlichen Sinne zu nehmen ift, geht aus einer anderen Precavie von Prüm
(Beyer Ne 14) hervor, wo beflimmt wird, daß als Zins annis singulis ad festivi-
tatem sancti Salvatoris in luminaribus ipsius drei Denare entweder in baarem
Gelde aut in cera zu entrichten feien.
#) Et si negligens aut tardus de ipso censo ad ipso placito fuero, fidem
exinde facere debeam et ipsam rem, dum ego advivo, perdere non debeam;
vgl. Beyer Ne 21: et si de isto censu tardus aut negligens apparuero, fidem
exinde faciam et ipsum censum solvam et ipsas res, dum advivo, non
°) Lex Salica ed. Waitz, Tit. 50; vgl. daj. ©. 179-183.
°) Gesta Aldrici 1. c. c. 68.
) Karlomanni prineipis capit. Liftinense c. 2: Et iterum, si necessitas
cogat, ut princeps jubeat, precarium renovetur et rescribatur novum.
Urkunden. 27
ſchreiben, keine ſtricte Beachtung gefunden, als wäre vielmehr das
alte Schriftftitet beibehalten und nur eine Aenderung der wichtigſten
Namen darin vorgenommen worden. Denn in ber uns erhaltenen
Abſchrift finden wir denfelben Schreiber wieder, der vor mehr ale
40 Jahren die Urkunde Wulfings ausgefertigt, ebenfo diefelben 8 Zeugen,
welde fie damals unterfchrieben Hatten. Acht neue Zeugen, die jegt
Hinzufamen, feheinen ihre Namen einfach, Hinzugefügt zu Haben. Der
Precariebrief Germunds mag daher als ein neuer Beweis von ber
Unbehoffenheit der damaligen Urkundenfchreiber gelten; allein es Liegt
fein ausreichender Grund vor, das eine oder das andere der beiden
Doeumente als Falſchung zu betrachten. *)
) Wie Roth, BW. ©. 452, will.
Drittes Capitel.
Bonifacius ala Biſchof von Mainz.
751— 753.
In den erften Monaten des Jahres 742 meldete Bonifacius
dem Papfte Zacharias, der Frankenherzog Karkmann Habe ihn zu ſich
rufen laſſen und ihn aufgefordert, in feinem Reichstheile eine Synode
zu verfammeln; derſelbe ſei Willens, die feit 60— 70 Jahren zerrütteten
Verhältniffe der Kirche zu verbejfern. ) Mit diefer Berufung trat
in dem Leben des Bonifaz eine entfcheidende Wendung ein. Die neue
Aufgabe, die ihm num geftellt ward, ging über die Thätigfeit hinaus,
welcher er fi) in den Tagen Karl Martells und der beiden Gregore
vorzugsweiſe gewidmet hatte; er bat den Papft deshalb um Beſcheid,
ob er das Werk, zu welchem der Herzog ihn eingeladen, unternehmen
ſolle, fowie im Falle der Zuftimmung um die Unterweifungen des
apoftolifchen Stuhls. ?)
Bonifacius hatte ſich bis dahin vornehmlich der Heidenbefehrung,
feinem innerften Berufe, hingegeben. Wie er ſchon als Kind ſich einft aus
dem Glanze des weltlichen Lebens nad) der lofterzelle gefehnt und weder
durch die Bitten noch durch die Drohungen feines begüterten Vaters
davon hatte abbringen laſſen; ®) wie der junge Mönd) dann, troß des
ungewöhnlichen Anfehens, das er fich in feiner Heimath erworben,
troß feines Einflufjes bei den fynodalen Berathungen in die Fremde
309, von Familie und Geburtsland ſich losriß, um in unbelannter
1) Jaff, Bibl. III. ep. 42. p. 112.
®) Daf.: Nam si per verbum vestrum hoc negotium, duce rogante supra
dieto, movere et incipere debeo, praeceptum et judieium apostolicae sedis
cum canonibus aecclesiasticis praesto habere cupio.
) Willibaldi Vita S. Bonifatü c. 1, Jaffe Bibl. III. p. 432.
Bonifacius als Biſchof von Mainz. 29
Ferne die Lehre Chrifti zu verbreiten; ") wie er bei feiner Wieder-
fehr nad) England trog der dringenden Bitten der Kloſterbrüder
ſich weigerte, das Amt des eben verftorbenen Abtes zu übernehmen; ?)
wie er endlich nach dreijährigem Aufenthalte bei dem Friefenapoftel
Willibrord die Bifhofswürde ausfchlug, durch welche diefer ihn zu
feinem Nachfolger im dortigen Bisthum erheben wollte: °) dies Alles
beweift, daß Bonifaz nur dem innerften Drange feiner Natur, der
von ihm felbft fo bezeichneten „Liebe zur Pilgerfchaft“ *) gefolgt war,
als er, mit päpftlicher Vollmacht zur Predigt ausgerüftet, 5) in der
Eigenfhaft eines „germanifchen Legaten der römiſchen Kirche“ °) ſich
in die Gaue der heidniſchen oder ins Heidenthum zurücgefallenen
Deutſchen begab und ihnen das Chriftentfum verkündete. j
Auch das neue Amt, zu weldem er jegt berufen warb, übernahm
er nur im Auftrage und ale Vertreter des Papftes. ?) Der Heil.
Apoftel Petrus, fagt Gregor II. einmal, ift der Urfprung fowohl des
Apoftolats als auch des Episcopats. ®) Es Handelte ſich darum, die
entartete fränfifche Geiftlichfeit wieder unter die canonifchen Ordnungen
zu bringen, durch ein feftes hierarchiſches Band die Kleriker wie die
Laien an bie orthoboge römische Lehre zu feſſeln. Dem päpftlichen
Vertreter war bei diefer Organifation nad) feiner eigenen und des
Papftes Meinung eine Art ftändiger Nunciatur zugedacht. Darum
ſollte eine Stadt, die als Neichemittelpunft gelten konnte, ihm zum
dauernden Wohnfig angewiefen werden. Welch ein Unterfchied gegen
früher! Noch im October 739 hatte Gregor III. ihm geſchrieben:
„Es kann dir nicht geftattet werden, Bruder, an einem Orte zu ver-
weilen. Wo aud immer der Herr dir den Weg ber Heilsverkündigung
eröffnet, darfft du nicht ablaffen zu predigen; laß es did nicht ver-
drießen, rauhe und weite Wege zu wandeln, damit durch dein Bemühen
der Glaube weit und breit zur Herefchaft gelange.“ °) Im Oktober
) Willib. c. 4. p. 440. Schon vor dem Jahre 706 war ein Gedicht de
itineris peregrinatione ihm gewidmet worden: epist. Aedilwaldi,
Jafi& II. ep. 5. p. 87.
%) willib. c. 5. p. 448.
®) Daf. p.
5. p. 447—448.
+) Jaffe, Bibl. II. ep. 86. p. 233: Postquam nos timor Christi et amor
peregrinationis longa et lata terrarum ac maris intercapedine separayit etc.
®) Jus praedicationis: epist, Zachariae papae, Jaff6 II. ep. 49. p. 135—136.
*) Bonifacius archiepiscopus, legatus Germanicus Romanae ecclesiae:
Jaffe, Bibl. IT. ep. 59. p. 168 und an anderen Stellen.
?) Carlomanni principis capitulare a. 742 (Pertz LL. I. p. 16; Jafte,
Bibl. TI. n° 47. p. 127): et constituimus super eos archiepiscopum Boni-
fatium, qui est missus sancti Petri. — Epist. Zacharise, Jaff6 III. ep. 51.
p- 149: De synodo congregata apud Francorum provineiam ... peragente
nostra vice tua sanctitate. — Vgl. noch Jaff6 III. ep. (Zachariae) 81. p. 227:
Sed et in provincia Francorum nostra vice-concilium habuisti.
*) Epist. Gregorüi II. papae, 726 22. Nov., Jaff6 III. ep. 27. p. 88:
Quia beatus apostolus Petrus et apostolatus et episcopatus prineipium exstitit.
®) Epist. Gregorüi III. papae, Jaff& III. ep. 38. p. 106: Nec enim habebis
licentiam, frater, percepti laboris in uno morari loco ... Non pigeas itinera
30 j Capitel II. 761-788.
745 dagegen begrüßte e8 Zacharias als etwas Freudiges, auf Gottes
Wint Gejchehenes, daß ſämmiliche Großen der Franken Eine Stadt aus
erwäßlt, welche bis an die Grenzen der Heiden und an die meubefehrten
germanifchen Gebiete reiche, damit Bonifaz hier einen bleibenden Metro-
politanfig Habe, von Hier aus die übrigen Biſchöfe zum rechten Wege
anleite, dann feine Nachfolger beftändig das gleiche Recht genieken. *)
Es war, wie der Schluß deifelben Briefes zeigt, Coln gemeint, ) und
der Papſt beeilte jich, dem Wunfche der Franken gemäß diefe Metro-
pole durch apoftolifche Beſtätigung dem Bonifaz zuzuerfennen. ?) Er
fegnet die Fürjten, daß fie demfelben Hierin zur Seite geftanden haben,
da falſche und ſchismatiſche Priefter die Maßregel zu Hindern gefucht. *)
Diefe bedeutete in der That nichts Geringeres, als die Aufrichtung
des päpftlichen Supremats im Frankenreich; das Kirchenoberhaupt follte
durch eine ftändige Vertretung zu geregeltem Einfluß gelangen. Zacharias
hielt am ſolchen Ausſichten gerne feft; nach Jahren noch, als der Plan
einer Cölner Metropole von den Franken bereit aufgegeben war,
wendet er ſich in einer Encyelica an die Biſchöfe des Reichs, wie
von Würzburg, Straßburg, Speier, Cöln, Tongern, fo aud) von
Rouen, Amiens, Laon, Meaur u. A. mit den Worten: „Ihr Habt
zu eurer Kräftigung und Stüge an unfer ftatt ben heiligen und ehr-
würdigen Bonifacins, unferen erzbifchöflichen Bruder, den Legaten des
apoftolijchen Stuhls und unfern Stelfvertreter.“ °)
Diefe Ausfichten jedoch verwirklichten ſich nicht. „Die Franken,“
ſchreibt Bonifaz dem Papfte, „find dem gegebenen Worte nicht treu
geblieben." 6) Die Sinnesänderung aber betraf nicht allein, wie ge-
wöhnlic angenommen worden, ?) den für Bonifaz beftimmten Biſchofs⸗
garpere aspera et diversa, ut christiana fides longe lateque tuo conamine
1) Epist. Zachariae, Jaff6 III. ep. 51. p. 149: De eo namque quod suggessisti,
quod elegerunt unam civitatem omnes Francorum principes ... quatenus
ibi sedem metropolitanam perpetuo tempore habere debeas et inde ceteros
episcopos ad viam instrueres rectitudinis et post tui successores perpetuo
jure possideant; hoc, quod decreverunt, nas laeto suscepimus animo, eo
quod ex Dei nutu factum est.
) Daf. p. 152: De civitate namque illa, quae nuper Agrippina vocabatur
nunc vero Colonia, juxta petitionem Francorum per nostrae auctoritatis
praeceptum nomini tuo metropolim confirmavimus.
d ©. d. vorhergehende Note.
9 Daf. p- 149: si quidem falsi sacerdotes et seismatici hoc impedire
conati sunt ... et quia tibi ipsi prineipes Francorum etiam in hoc adjutores
exstiterunt, retribuat illis omnipotens Deus vicissitudinis premium.
®) Epist. Zachar., Jaffe III. ep. 67. p. 194: Habetis itaque nostra vice,
ad confortandam dilectionem vestram et conlaborandum vobis in evangelium
Christi, sanctissimum ac reverendissimum Bonifatium, fratrem nostrum archi-
episcopum, apostolicae sedis legatum et nostram praesentantem vicem.
*) Epist Zachar., 748 1. Mai, Jaffe III. ep. 66. p. 192: Alia denique
scripta tuae fraternitatis continebant: quod jam olim Ye ‚Agrippina. eivitate
seripsisti, quod Franci non perseveraverunt in verbo, quod promiserunt; et
nunc moratur tua fraternitas in civitate Magontia.
) Bgl. z. B. Rettberg, L ©. 379.
Bonifacius als Biſchof von Mainz. 31
fig, infofern ipm im Jahre 748 ftatt Cölns das Bisthum Mainz
übertragen wurde; vielmehr war das ganze Wefen feiner Stellung ein
verändertes. Aus einem Nuntius Roms, der den Mittelpunkt der ger
fammten Staatsfirhe Hatte bilden follen, war er zu einem einfachen
Biſchofe des Reichs geworden. Was dazu die Veranlaffung gegeben,
wird nirgends ausgeſprochen; die nächſtliegende Erflärung ift wohl,
daß die fränfifche, beſonders aber die gallifche Geiſtlichkeit ſich der
Unterordnung unter einen päpftlichen Vikar widerſetzt haben wird. 1)
Die Zuftimmung des Majordomus Pippin wird daher mehr dem
Drängen des Klerus, als feiner eigenen Initiative zuzufchreiben fein:
war dod) die Wahl Cölns im Jahre 745 von beiden Brüdern aus-
gegangen und für beide Neichstheile beſchloſſen worden. 2)
Bonifacius fehnte fi bald aus diefem Verhältniß heraus, und
er bat Zacharias um die Erlaubniß, feinen biſchöflichen Sig zu Mainz,
falls er eine dafür geeignete Perſönlichkeit fände, einem Anderen über-
tragen zu dürfen, felbft aber wie ehedem Legat des apoftolifchen Stuhls
zu fein. ®) Es widerftrebte ihm, dem ehemaligen Primas der fräntifchen
Kirche, nunmehr auf einen verhältnigmäßig engen Wirkungskreis be-
ſchränkt und nur als einer der vielen Biſchöfe dem Klerus des Reiches
eingereiht zu fein. Man würde darin mit Unrecht verleiten Ehrgeiz
erfennen. Er hatte der Heidenmiffion als ausſchließlichem Berufe
entfagt, um die religiöfen Angelegenheiten des gejammten fräntifchen
Staats im orthodogen Geifte Roms zu ordnen und zu leiten, nicht
um fid) mit der Verwaltung eines Bisthums zu befallen, deren viel-
fach weltliche und geringfügige Gefchäfte ihn von jeinen höheren Auf-
gaben ablenken mußten. Nicht um folder Thätigfeit willen mochte
er in diefen Landen weilen, die er und feine Genofjen doch immerhin
nur als eine Fremde betrachteten, in welcher fie fich im Auftrage des
apoſtoliſchen Stuhles aufzuhalten hätten. t)
Papſt Zacharias jedoh drang in ihn, den Gig der Mainzer
Kirche, welcher ihm angewieſen worden, keineswegs zu verlaffen, 5)
damit ſich an ihm das Wort der Schrift erfülle: Wer bis an das
Ende beharret, der wird ſelig.“) So ift denn auch fein Zweifel, daß
Bonifacius fi der Verwaltung feiner Didcefe wirklich unterzogen.
2) Bol. oben ©. 30. N. 4.
%) ©. oben ©. 30. N. 1. — Willibald ſchreibt die Uebertragung des
Mainzer Pontificats irrigerweiſe dem Karlmann zu: Bonifatius archiepiscopus,
Magontiae civitati, ipso Charlomanno consentiente ac donante, pontificatu
praesidens. Vita "8. Bonifatüi c. 8. p- 459.
®) Epist. Zachar., 748 1. Mai, Jaf III. ep. 66. p. 192: tu vero,
carissime, legatus et missus esse, ut fuisti, sedis apostolicae.
*) Epist. Bonif., Jaff€ III. ep. 60. p. 178: de... Anglorum gente nati
et — hie per Praeceptum apostolicae zedis peregrinamur.
5) Jaffe III. ep. 66. p. 192: sedem, quam obtines, sanctae Magontinae
aecclesiae nequaquam relinquas.
*) Qui perseveraverit usque in finem, hic salvus erit: Matth. 10, 22;
24, 13 — ein in den Briefen jener Zeit umzählige Male citirtes Bibelmort.
32 Capitel II. 751-758.
Biſchof Lull nennt ihn in einem Schreiben feinen Vorgänger im
Amte; !) in feiner Eigenſchaft als Biſchof von Mainz begegnet e8
Bonifacius, daß ein Sflave feiner Kirche, Ansfrid genannt, unter
Umgehung der bijchöflichen Yurisdiction beim Könige Pippin Klage
führt und ſich ein Schreiben defielben erwirft, worin Bonifaz aufge
fordert wird, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu laffen. 2)
Im Jahre 751 beſchloſſen die Franken, das Bisthum Mainz
für Bonifaz und feine Nachfolger zum Erzbisthum zu erheben und
ihm die Städte Speyer, Worms, Köln, Utrecht und Tongern, fowie
ale neubefehrten germanifchen Landfchaften unterzuordnen. Auf ihre
Bitte beftätigt Zacharias die neue Einrichtung durch eine an Bonifaz
gerichtete Bulle. ) Es wird darin ausdrüclich auf den Wunſch
der Franken Hingewiefen, mit feinem Worte aber wie einft bei Er-
richtung der Cölner Metropole auf de8 Bonifaz eigenen Antrag, und
in dem begleitenden Schreiben an diefen *) wird auffalfender Weife
von der Erhöhung feiner Kirche nichts gefagt. Beide Umftände ſcheinen
anzudenten, daß die Maßregel für Bonifaz nicht erwünſcht am, zumal
er in diefer Erweiterung feiner Befugniffe doch noch lange feinen
Erſatz für den verlorenen Primat des Franfenreiches finden fonnte.
Es ift daher wohl möglich, daß Bonifaz, joweit es den vereinigten
Beichlüffen der oberften Staats- und Kirchenbehörbe gegenüber ge-
fchehen konnte, die ihm übertragene Amtsgewalt abgelehnt-hat; *) die
Erhebung Cölns zur Metropole war ja dereinft ebenfalls ſchon vom
) Jaffe III. ep. 114. p. 279: non congentiente antecessore meo sancto
Bonifatio archiepiscopo, neque me, successore ejus.
%) Epist. Bonif., Jaff& III. ep. 105. p. 258: Quidam servus ecclesiae
nostrae ... qui nos arte fugiebat, Ansfrid nomine, veniens ad nos cum
indiculo vestro, rogans, ut ei justitiam faceremus.
®) Jaff6 IIL ep. 81. p. 287: juxta eorundem filiorum Francorum peti-
tionem. Der Mainzer, jest Münchner, Eoder der Bonifaciſchen Briefe enthält
nur die erfien Zeilen diejer Bulle, da das nächftfolgende Blatt deffelben, auf welchem
die Fortjegung des Schreibens, ſowie das päpftliche Brivilegium für Fulda ftand,
ſchon frühzeitig aus dem Coder hevausgeichnitten worden. Die Ausgaben des
Briefes fügen ſich daher nur auf die Carlsruher Handihrift, doch enthält den-
jelben nach Giles (Bonif. Opera II. p. 186) auch der von ihm eingejehene
Barifer Eoder; vgl. Ereurs V. — Auffallend ift, daß e8 im dem Schreiben heißt,
Bonif. habe bis dahin noch feine Cathedralficche innegehabt (nunc usque cathe-
dralem sedem sibi minime vindicavit [fraternitas tua]), da er doch feit Jahren
ſchon Main, befjaß. Dazu kommt die irrthümliche Angabe der Jahre feines
Episcopats (25 ftatt 29); es muß endlich befremden, daß Zacharias in dem ver-
traufichen Schreiben befielben Datums (Jaffe IIT. ep. 80) das Mainzer Privileg
mit feinem Worte erwähnt, während er das Fuldaiſche ausdrüclich anfündigt
(p. 222). Dennoch ift fein Grund vorhanden, am der Echtheit der Bulle zu
ziveifeln, und die erfteriwähnten Ungenauigkeiten erflären ſich vieleicht dadurd),
daß die vordere Hälfte des Schreibens wörtlich aus der ehemaligen Bulle für
Eiln entnommen fein mag.
*) Jaf6 III. ep. 80. p. 220.
°) In einem einzigen Doeument, der Copialurkunde Ne 2 bei Dronke (Cod.
dipl. Fuldens. p. 1), einer carta pagensis, findet ſich der Ausdruck domnus
Bonifacius archiepiscopus urbis Mogontiae. Die Urkunde ift jedoch, man datire
Bonifacius als Biſchof von Mainz. 33
Reiche befchloffen und vom Papfte genehmigt worden. So erflärt es
fih, daß Bonifaz in feinem Utrechter Streite mit Cöln !) auf jene
päpftliche Bulle, die ihm fowohl Cöln als Utrecht unterordnete, gar
keinen Bezug nimmt. Sein Nachfolger Lull führt ja auch Bis zum
Jahre 780 nur den Bifchofstitel, und die erzbiſchöfliche Würde wurde
ihm erft dann ausdrücklich zuerkannt. Bonifacius felber bezeichnet ſich
in feinen Schriftftüden charakteriſtiſcher Weife niemals als Kirchen-
oberhanpt von Mainz; den Biſchofs⸗ und Erzbifchofstitel aber, den
ex ſich beizulegen pflegt, befaß er bereits Jahrzehnte, bevor ihm ein
beitimmter Sprengel angemwiejen war.
Es ift daher eine verkehrte Auffaffung, wenn man meint, Bonifaz
habe darum gezürnt, weil die zugefagte Erhebung feines Bisthums
Mainz zur Metropole vielleicht wieder rüdgängig geworden fei.2) Eine
folche Vereitelung des Planes mußte ihm vielmehr ebenfo gleichgültig
fein, wie die Ausführung deifelben. Er blieb nad wie vor feiner
urfprünglichen Stellung als Nuntins des Reiches beraubt, blieb nad
wie vor nur eines der zahlreichen, einander coordinirten Mitglieder der
höheren fränfifchen Geiftlichfeit. ®)
Auf die Mitwirkung des Bonifaz beim Thronwechſel fällt unter
folden Umftänden ein neues Licht. Man hat es auffallend gefunden
und weitere Schlüffe daraus gezogen, daß grade in den älteften Berichten
über die Thronbefteigung Pippins, in der Fortfegung des Fredegar
und in der fogenannten Claufula vom Jahre 767 die Theilnahme
des Bonifacius an der Salbung des neuen Königs ganz unerwähnt
geblieben if. Das follte gegen das ausdrückliche Zeugniß der Lorfcher
Annalen als Beweis gelten, daß Bonifaz dem Thronwechſel fern
geblieben. Allein jene beiden Quellen find gallifchen Urſprungs; denn
der Fortſetzer des Tredegar ift ohne Zweifel in Burgund, der Ber-
faffer der Elaufel in S. Denys zu fuchen. Wenn nun Beide, wie
fie nun mit Dronfe vom 24. Januar 750 ober richtiger 751, viel älter als die
päpfliche Bulle, welche Mainz zum Erzbistum erhebt; jene Worte erweiſen fih
alfo ſchon dadurch nur als ein fpäterer Zuſatz des Schreibers, von deffen Hand
wir die Topie befißen.
) ©. unten Cap. IV. 2.
3 Rettberg I. ©. 396.
®) In jüngfter Zeit Hat Dünzelmann, Unterſuchung über die erften unter Karl:
mann und Pippin gehaltenen Concifien (Inauguralbiffertation 1869) ©. 2846,
die Mebertragung des Erzbisthums Mainz am Bonifaz in das Jahr 748 zu ver«
legen, die des Bisthums Cöln aber ganz zu beftreiten verſucht. Seine Ausführungen
feinen mir jedoch unficher und unhaltbar. Indem er von Zweifeln am der chrono⸗
logifhen Datirungsweile der Bonifaciiden Briefſammlung ausgeht, Hält er den
Abjhreiber oder Sammler auch weiterer Willkür in Abänderung der Zahlen des
Lontertes für fähig, ja verdächtigt ſogar die Nadjrichten der Briefe jelbt, fomeit
fie mit ihm in Wiberfprud) find, und bricht bie Unterfudjung fälieplic, weit fie
ihn zu weit führen würde, in der Mitte ab. Daß auf Willibalds Worte (oben
©. 31. N. 2) nicht viel zu bauen, beftätigt unter anderen Ungenauigkeiten auch
di, tele Dünzelmann felbft &. 58 ihm nadiweift; die Angaben der ann.
Lauriss. min. a. 17. Pippini aber, auf die er ©. 44 grofies Gewicht Iept, find,
wie wir im Ercurs VI darzuthun ſuchen, weder jelbftändig mod) richtig.
Yapeb. d. did. Geld. Deläner, König Pippin. 3
34 . Capitel EI. 781788.
es ja dem wirklichen Sachverhalt entiprah, in Bonifaz nur einen
aus der Zahl der fränfifchen Biſchöfe ſahen, was war natürlicher,
als daß fie ſich darauf beichränften, der eine von ber Weihe durch die
Biſchöfe im Allgemeinen, *) der andere von der Salbung durd) die
Hände ber Priefter Gallien zu reden? %)
Es fei uns geftattet, bei dieſer fo vielbefprocenen Frage von
dem Verhalten des Bonifaz beim Sturze der Merowinger noch einen
Augenblid zu verweilen. Zwar fann der Berjud, Bonifaz als völlig
umbetheiligt barzuftellen, °) Heutzutage wohl als vereitelt betrachtet
werden, und es ift hier nicht nöthig, die Unhaltbarfeit der Argumente
nochmals im Einzelnen darzuthun.“) Nur zwei allgemeinere Be—
merfungen mögen an biefer Stelle ihren Plag finden.
Was zuvörderft die Betheiligung der hohen Geiſtlichkeit an der
Krönungsfeier, die kirchliche Weihe betrifft, jo war diefe nichts ale
ein Hufdigungsaft, den bie Bifhöfe in ihrer Eigenschaft als Unter-
gebene des Königs vollzogen. 5) Das Wefentlichjte bei dem ganzen
Ereigniß war die Zuftimmung der Franken, und diefer konnte fich
Pippin ſchon damals verfichert halten, als die Reichsverſammlung
ihre berühmte Anfrage über das Königthum an den Papft gerichtet
hatte. ©) Selbjt jene Anfrage war kaum mehr als eine Formalität,
wie Pippin überhaupt feierliche Formen liebte, in feinem Falle aber
von entjcheidender Bedeutung. Daß Bonifaz die Vermittlung beim
Papſte übernommen, ift allerdings unerwieſen; ebenfo unerwiefen jedoch,
daß die mündliche Inftruction, welche er feinem damaligen Abgefandten
Lull mitgegeben, ?) einen günftigen Beſcheid zu vereiteln bezweckt hätte,
Aber auch der Thronwechjel ſelbſt ift in feiner Wichtigkeit über⸗
!) Fred. cont. c. 117: cum consecratione episcoporum et subjectione
principum.
%) Mabillon, de 8 Üplomatica p- 384 (Bouquet, Recueil V. p. 9; Migne,
Patr. lat. LXXI. col. 911): per manus beatorum sacerdotum Galliarum.
®) &. beionders Wetiberg L $ 67. ©. 380-392. — Eine neuerdings er-
ſchienene Abhandlung von Henjer, Bonifacius und der Staatsſtreich Pippins im
Zahre 752 (Programm der Renlichule zu Caffel 1869), recapitufirt fat nur die
—— Rettbergs, ohne von den ſpäteren Fortſchritten der Forſchung Notiz
zu nehmen.
*) Bol. 3 die Darftellungen bei Hahn, Jahrbücher S. 146 (N. 2), und
bei Wait, 28. I. ©. 60 (N. 1); bejonders auch Phillips, Weber den —
des hl. Bonifacius an dem Sturze der Merowinger (Mündjener gelehrte Angei
1847, n° 77—78), welche Abhandlung mir, als ich in meiner Sifertation (De
Pippino rege Francorum, 1853, p. 15) denfelben Gegenftand behandelte, a
unbelannt war.
5) Fred. cont. c. 117 (oben R. 1) ftellt bie Consecratio der Biſchöfe mit
der Subjectio der weltlichen Großen zufammen. Dat. Di Karofingiiche Monarchie,
in: Die Zeit, Frankfurt a. M. 1861, n° 50, ©. 6)
®) Fred. cont. I. c.: una cum consilio et —* omnium Francorum
missa relatione. Bgl. Wait, BG. TIL ©. 56. N. 2.
?) Jaff6 Bibl. III. ep. 79. p. 218: Habet in secreta quaedam mea,
quae soli pietati vestrae profiteri debet: quaedam viva voce vobis dicere,
quaedam per litteras notata ostendere.
Bonifacius als Biſchof von Mainz. 35
ſchätzt und dabei von fpäteren, größtentheils modernen Legitimitäts-
begriffen ausgegangen worden. Zu welder Verächtlichfeit war das
merowingiſche Kon gthum Herabgejunfen, zu welcher Machtvolltommen-
heit bereit das Majordomat der Karolinger emporgeftiegen! Cs ift
erjt jüngft hervorgehoben worden, *) daß die einzige annaliftiiche Auf-
zeichnung, die uns aus der Megierungszeit Pippins erhalten ift, das
ältefte Jahrbuch von Fulda nämlich, des Dynaſtiewechſels gar nicht
gedenft; daß ferner ſowohl die größeren als auch die Hleineren Lorfcher
Annalen, indem fie die Gefchichte Pippins erzählen, feine Regierungs-
zeit vom erften Jahre feines Hausmaiertfums an ununterbrochen hie
zu feinem Tode berechnen. Beide Thatjachen beweifen, daß der Sturz
Childerichs für die Zeitgenofjen feine fo auffehenerregende Begebenheit
gewefen, wie in den Augen der Nachwelt. Man fönnte als weiteren
Beleg die harmlofen Worte anführen, mit welchen ber Biograph des
Bonifacius, Willibald, von der Thronbefteigung Pippins redet. ?) Boni-
facins felbft aber dachte zu Hoc von der Aufgabe des Herrſcherthums,
um an dem Sturze des Merowingers ernftlichen Anftoß zu nehmen.
Das Ermahnungsfchreiben, weldes er im Vereine mit fünf Mit-
bifhöfen um die Mitte der 40er Jahre an den angelſächſiſchen König
Aethilbald von Mercia richtete, giebt und Gelegenheit, feine Anfichten
näher Tennen zu lernen. ?) Er erinnert den König an die Verant-
wortlichfeit für das Heil feiner Unterthanen; *) er fchärft ihm ein,
daß er nicht dem eigenen Verdienft, fondern der reichen Gnade Gottes
die Herrfchaft zu verdanken, daß er daher durch feine Thaten fich diefer
Gnade würdig zu zeigen habe. Er weift ifn zur Warnung auf das
Beifpiel zweier Vorgänger Hin, welde um ihrer Sünden willen, durch
Gottes gerechtes Gericht verurtheilt, von der Töniglichen Höhe diefes
Lebens herabgeftürzt feien. ) Wenn Aethilbald vor Gott und den
Menfchen gute Werke vollbringe, °) dann freue er ſich deffen und bete,
daß Gott ihn lange Zeit im Befige der Herrihaft erhalte. Er ber
zeichnet jene guten Werke näher: er habe mit Freuden vernommen,
daß der König viel Mildthätigfeit übe, daß er Diebftahl und Gewalt
that, Meineid und Raub mit ftarfem Arme verhüte, daß er die Wittwen
und die Armen füge, den Frieden in feinem Lande befeftigt Habe. ?)
) Th. Sidel, Weber die Epoche der "Regierung Pippins: Forſchungen zur
deutfchen Geididhte IV. ©. 452. 9 Pipping: 8 s
*) Willibaldi Vita S. Bonifatii c. 8. p. 461: Cum vero Pippinus Domino
donante regale Franchorum, felix supradicti germani suecessor, regnum sus-
cepit et, jam aliquantulum sedante populorum perturbatione, in regem sub-
levatus est etc.
2 Jaff&, Bibl, III. ep. 59 (a. 744-747). p. 168.
+) Dai. p. 173.
%) p. 174.
*) p. 169: quandocumque .... opera bona coram Deo et hominibus
per nuntiog fideles audivimus ... laeti gratias agimus Deo.
?) Daf.: Audivimus enim, quod elimosinarum plurima facias. Et in hoc
congratulamur ... Audivimus quoque, quod furta et iniquitates, perjuria et
36 Capitel IT. 761758.
Wer die Herrſcherpflichten fo ernſt auffaßte, lonnte unmöglich ſich für
einen Schattenkönig ereifern, welcher durchaus feine vor Gott und den
Menſchen wohlgefälligen Werke aufzuweifen Hatte,
Wenn Bonifoz unmittelbar nad; dem Thronwechſel ſich zeitweilig
von den Geſchaften feines Amtes zuruckzog, fo Haben wir feinen Grund,
dies einer anderen Urfache zugufchreiben, als der in den Quellen wieber-
holt bezeugten Schwäche feines Alters. Offenbar in diefen legten
Jahren feines Lebens hat ihm Liudger, der nachmalige Bifhof von
Münfter, ein Zriefe, gefehen; er fagt es uns in feiner Biographie
des Abtes Gregor von Utrecht.) Wie dankbar würden wir ihm ge—
weſen fein, wenn er uns ein anſchauliches Bild des Greifes hinter-
laſſen hätte. Er fagt nur, daß fein Haar weiß, fein Körper vom
Alter: abgezehrt geweſen ſei.) Der ofterwähnte Willibald berichtet,
nachdem er ſchon zu Ende der 30er Jahre von Altersſchwäche ge-
fprochen, 3) der Heilige Mann habe, durch körperliche Krankheit gebeugt,
die Spnobalverfammlungen nicht mehr befuchen Können und ſich deshalb
auf den Rath des Königs Pippin einen Gehülfen ausgewählt; er habe
Lull, feinen begabten Schüler, hierzu beftimmt, ihn zum Biſchof er-
hoben und ordinirt. 4) Es war offenbar die Stellung eines Chor-
bifchofs, 5) zu welcher Bonifaz feinen Schüler befördert und um deren
willen er ihm die erforderliche Biſchofsweihe ertheilt Hat.
Aber jehr bald genügte e8 nicht, einen Gehülfen ernannt zu Haben:
die Entfräftung des Bonifaz nahm dermaßen überhand, daß er und
die Freunde feine baldige Auflöfung erwarteten. Für diefen Fall
hatte Zacharias ihn ſchon vor Jahren ermächtigt, ſich einen Nachfolger
zu ernennen. ?) Hierfür bedurfte es jedoch der Genehmigung des
rapinas fortiter prohibeas, et defensor viduarım et pauperum case dinos-
ceris, et pacem stabilitam in regno tuo habeas. Et in hoc quoque, lau-
dantes Deum, gavisi sumus.
») Vita S, Gregor abb, Trajectensis auctore 8. Liudgero c. 14, Mabillon
Acta 88. III. 2. p. 329.
). Daf.: gun [Bonifacium] oculis meis ipse vidi candidum canitie et
itum genectute, plenum virtutibus et vitae meritis.
Willibaldi Vita S. Bonifatii c. 7. p. 456: apud honorandum Longo-
bardorum Liutbrandum regem, jam senio fessis membris, requiescebat.
*) Daf. c. 8. p. 461462: Quia sanctus vir, infirmitate corporis per-
gravatus, synodalia conciliorum conventicula per omnia adire non poterat,
jam consultu atque consilio gloriosi regis idoneum praeponere ministrum
Supra dicto gregi definivit. Et Lul, suum ingeniosae indolis diseipulum, ad
erudiendum tante plebis numerositatem constituit et in episcopatus gradum
provehit atque ordinavit eique hereditatem, quam in Christo instanti labore
adquesierat, inplicavit.
®) Bol. wes Bonifaz von Willibrord erzähft, Jafi6 II. ep. 107. p. 260:
Et in illa sede ... praedicans usque ad debilem senectutem permansit. Et
sibi corepiscopum ad ministerium implendum substituit; et finitis longevae
vitse diebus in pace migravit ad Dominum.
°) Jaft& III. ep. 84. p. 281: Videtur, ut vitam istam temporalem et
cursum dierum meorum per istas infirmitates cito debeam, finire.
?) Jaff6 III. ep. 48. p. 120.
Bonifaeius als Biſchof von Mainz. 37
Königs, und fo wandte er fi denn an dieſen mit der Bitte, ihm die
Uebertragung des Bisthums an Lull zu geftatten. ) Es ift ihm dabei
vor Allem um die Verforgung feiner Schüler zu tun, die faft ſammt⸗
lich aus der Fremde wären, die einen als Prieſter im Dienfte der
Gemeinden befchäftigt, die andern als Monche in die Klöſter vertheilt und
dem Unterricht der Kinder bingegeben; ) manche unter ihnen, die
fon lange Zeit mit ihm gearbeitet, feien bereits vorgerückten Alters.
Daß diefe alle nicht einft wie Hirtenlofe Schafe ſich zerftreueten, *)
das Chriftenthum an den Grenzen ber Heiden aber nicht wieder unter-
gehe, dafür erbittet ſich Bonifaz die Hilfe des Königs, und als Mittel
empfiehlt er ihm die Einfegung eines Nachfolgers im biſchöflichen Amte.
Denn e8 Tüme darauf an, jenen Geiftlichen in der Nachbarſchaft der
Heiden das Tärgliche Leben zu friften; fie hätten wohl Brod zu ihrer
Speifung, aber Kfeider könnten fie fich nicht verfhaffen; daher müſſe
ihnen von außen her geholfen werden, damit fie dort im Dienfte der
Kirche aushielten. Dies werde vornehmlich die Aufgabe feines Nach-
folgers fein, wie er ſelbſt es fich zur Aufgabe gemacht Habe. *)
Das Schreiben gewährt einen eigenthümlihen Einblid in bie
Seele des Bonifacius. Darin alfo liegt fir ihn der Schwerpunft des
Mainzer Episcopats, daß von den Mitteln deffelben die neuen Er—
oberungen der Religion gegen einen Rückfall ins Heidenthum geſchützt
werden. Das hatte ihn vielleicht mit feiner amtlichen Stellung ver-
V) Jaff6 TIL ep. 85. p. 282: deprecor, ut filiolum meum et corepiscopum
Lullum ... in hoe ministerium populorum 'et ecelesiarum conponere et con-
stituere faciatis praedicatorem et Detorem presbiterorum et populorum. —
safe trennt hier zum exften Male die in den Handſchriften in Eins verſchmolzenen
u eiefe an den König und an den Abt Fulvad von ©. Denys, den Eapellan
ſelben
Natié III. ep. 84. p. 281: quidam sunt monachi per cellulas nostras
et infantes ad legendas litteras oꝛ ti. — Die Kloſtergründungen des Bonifaz
waren bereits in den Tagen des Stifters und feiner Abficht gemäß jener Pflege
des Unterrichts gewidmet durch welche Fulda ja ſchon nad; 100 Jahren zu größtem
Ruhme gelangte. Das vorftehende Schreiben ift nicht die einzige Spur folder
Förderung der Studien. Aud, in Friblar ernennt Bonifag nad; dem Tode des
Abtes Wigbert ziwei Mfofterbrüder zu Lehrern der Kinder (Jaffe IIL ep. 64.
p. 188: et magistri sint infantum). $ür höhere Stubien aber war in Thüringen
geforgt: dorthin Hatte der Erzbifchof einem feiner Untergebenen, offenbar einem
Briefler des Sprengels, zum Behufe feiner Ausbildung zu gehen geftattet Qafte,
II. ep. 99. p. 247: vestrae sanctitatis licentia lectionis scrutandique causs
... Thiringiam perrexi); dieſer aber war durch Augenübeb und Kopfleiden ver-
hindert, im der ihm zugemeſſenen Zeit an das Ziel zu gelangen, und richtete an
Bonifaz daher bie Bitte, noch etwas Jünger verweilen zu dürfen, um dann gekräf-
tigteren Geiſtes zur Pflicht des Kirchendienſtes zurüdzufehten (p. 248: paulo diu-
tius manere mihi paternitas vestra hic concedat, ut . . . oportuno tempore
servitutis vestrae ad officium . . . robustiorem recipiatis).
- ®) Jaff& III. ep. 85. p. 232: sicut oves non habentes pastorem. Bel.
Matth. 9, 36; Marc. 6, 34.
*) Daf. eodem modo, sicut ego illos adjuvari.
38 Capitel II. 761—758.
föhnt, daß fie durch ihre Einkünfte ihn in den Stand ſetzte, bie
Pflanzungen, welche ihm am meiften am Herzen Tagen, zu unterhalten
und zu pflegen.
Indem Bonifaz fein Geſuch an den König richtete, bat er zus
gleich. den Abt Fulrad um deffen Befürwortung, !) wie ja auch 3.8.
Theophylacias, der Archidiacon des päpftlihen Stuhls, einmal ein Ge:
ſuch des Bonifoz an feinen päpftlihen Herrn übermittelte, 2) oder wie
Biſchof Benedict, der Vicedominus des apoftolifchen Stuhle, einmal
verfichert, daß er durch Wort und That die Gefandten des Bonifaz
unterftütt habe. °) Fulrad war, wie ausdrücklich bezeugt wird, 4) der
Apokrifiarius der Könige Pippin und Karl, derjenige Hofbeamte alfo,
zu deſſen Kenntnig und Vermittlung ſämmtliche kirchlichen Angelegen-
heiten des Reiches gelangten. ) Der fränfifche Ausdrud für jenen
der römiſchen Kaiſerzeit entjtammenden Titel war Capellan, *) und
auch als ſolcher wird Fulrad in den Quellen oft bezeichnet. 7) Das
Schreiben an ihn Hat demnach nichts Auffällig.
Es war, wie erwähnt, einer feiner Fieblingsjünger, Lull, welchen
Bonifaz ſich zum Nachfolger auserfor. Auch Lull war Angelſachſe
von Geburt; ſchon vor langer Zeit war er über das Meer gelommen,
um in Föfterlihem Verkehr ſich an den Arbeiten des Bonifaz zu be
theiligen. ®) Die Hingebung an diefen ift ein Herborftechender Zug
feines Charakter; auch in Rom, woſelbſt Bonifaz zweimal feine Ans
gelegenheiten, durch ihn beforgen ließ, wußte man die treuen Dienfte
des gemandten Jungers zu rühmen; ) er felbft nennt jich fpäter
einmal den Knecht der Schüler feines Herrn Bonifacius. 1%) Er
war nach und nad) zum Diacon, 1?) zum Archidiacon, 1%) zum
) Jaffe III. ep. 84. p. 231; ſ. oben ©. 37. N. 1.
3) Epist. Theophilaciae, Jaff6 III. ep. 69. p. 198-199.
®) Epist. Benedicti, Jaff6 II. ep. 83. p. 230.
“) Hincmar de ordine palatii c. 16, Walter III. p. 765: tempore Pippini
et Caroli hoc ministerium consensu episcoporum per Fulradum presbyterum
. . exstitit executum. u
5) Daf. c. 18: Apocrisiarius, id est, responsalis negotiorum ecelesias-
ticorum; vgl. c. 19. p. 766, c. 20. p. 767.
®) Daf. c. 16. p. 766: Apocrisiarius, quem nostrates Capellanum vel
Palatii custodem appellant; ebenjo c. 19.
?) Bol. zu den Stellen bei Wait, BG. II. ©. 431. N. 2, noch die Ann.
Laur. maj. und Einhardi 749.
®) Jaff& III. ep. 41. p. 109: in venerandi archiepiscopi Bonifatii mona-
sticae conversationis regula suscepti ipsiusque laboris adjutores sumus.
U} Bois, 'Theophilaciae, Jaf6 II. ep. 78. p. 217: vestrae almae paterni-
tati ... fidelibus ac lepidis ministrat servitiis.
) Jaff6 II. ep. 97. p. 245: servus domni Bonifacii diseipulorum.
#1) Epist, Lulli diaconi, Jaff6 III. ep. 75—76. p. 214--215.
"2) Epist. Theophil, Jaff& III. ep. 78. p. 217: Lullum, benedictum archi-
diaconum vest
Bonifscius ale Biſchof von Mainz. 39
Prieſter, *) endlich zum Chorbifchof aufgeftiegen; ) als ſolchen bezeichnet
ihn Bonifaz in dem oben erwähnten Schreiben an den König. In ihm,
fo Hofft er, ‘werden die Priefter einen Meifter, ‘die Mönche einen
der Regel getreuen Lehrer, das chriftliche Volt endlich einen gewiffenhaften
Prediger und Hirten haben. ®)
Die Befürchtungen für das Leben des Bonifaz gingen jedoch
vorerſt nicht in Erfüllung. Sehr bald fühlte er ſich fo gefräftigt,
da} er den Neichsverfammlungen Pippins wieder beimohnen zu können
glaubte; er meldet dies dem Könige in demfelben Schreiben, weldes
ihm den Dank für die gewährte Bitte, d. i. offenbar für die Zuftimmung
zur Wahl Lulls, überbrachte. „Eurer Hoheit“, fchreibt er, „Tage ih
großen Dank und erflehe für Eud ewigen Lohn dafür, daß Ihr meine
Wünfe in Milde zu erhören und mein Alter und meine Hinfälligkeit
zu tröften geruht Habt. Jetzt aber, glorreiher Sohn, wiſſe, daB ich
dur das Erbarmen Gottes wieder in Euren Dienft eintreten zu
fönnen glaube; darum bitte ich Euch, mir’ anzufagen, ob ich bei jener
Verſammlung erſcheinen folle, auf daß ich Euren Willen erfülle.” 4)
Die Uebertragung des Bisthums Mainz an den Nachfolger ge-
langte durch diefe neue Wendung noch nicht zur Ausführnng. 5) Der
wiebergefräftigte Bonifaz fand fogleich auch für feine kirchlichen Stiftungen
vollauf zu thun. Die Heiden Hatten mehr als 30 feiner Kirchen
verwüſtet und verbrannt, und Bonifaz beeilte fih, den Wiederaufbau
derfelben zu betreiben. Schon im Mai 752 muß er fi im jene
Grenzlandfchaften hriftlichen Bekenntniſſes begeben haben, da die Nach
richt vom Tode des Papſtes Zacharias und von ber am 26. März
752 erfolgten Weihe Stepyans II. vor feiner Abreife noch nicht zu
ihm gelangt war. Erft als er, etwa im Spätherbft deſſelben Jahres,
von jener Beichäftigung heimfehrte, fandte er durch einen Boten fein
Begrüßungsfchreiben an Stephan und entfchuldigte ſich wegen diefer
Verzögerung eben mit jener Wiederherftellung feiner Kirchen; ®) er
bittet den neuen Papft um die Fortdauer des bisherigen Verkehrs und
1) Epist, Bonif. (a. 751), Jaff6 III. ep. 79. p. 218: hune presbiterum
meum, portitorem litterarum mearum, nomine Lul. — Epist. Zachariae
(751 4. Nov.), Jaff& III. ep. 80. p. 226: praedicto Lul religioso presbitero tuo.
) Epist. Bonif., Jaff& III. ep. 85. p. 232: filiolum meum et corepiscopum.
’) D t spero ... quod in illo habeant presbiteri magistrum et
monachi regularem doctorem et populi christiani fidelem praedicatorem et
Pastorem.
+) Jaff& III. ep. 105. p. 258: ut nobis indicetis, si ad placitum istum
debeamus venire, ut vestram voluntatem perficiamus. Das Placitum weiſt
auf die Frühjahesgeit.
®) Bol. die Fortſetzung des in der vorhergehenden Note angeführten Schreibens,
welche von der oben beiprochenen Angelegenheit des Sklaven Ansfrid handelt:
©. 32 (N. 2).
°) Jaffe III. ep. 106. p. 259: Interea deprecor, ut pietas domini mei
non indi quia tam tarde missum meum et litteras ad praesentiam
vestram direxi. Sed hoc ideirco contigit, quia praeoccupatus fui in restau-
40 Capitel IIL 781788.
der Gemeinſchaft mit dem apoſtoliſchen Stuhle, damit er in feinem
üngerberufe ein ebenfo treu ergebener Diener Roms bfeiben könne,
wie er es unter dem drei vorhergegangenen Pontificaten gewefen fei.
Im Gefühle voller Ruſtigkeit wünfcht er von Stephan in gleicher
Weiſe wie einft von feinen Vorgängern durch Ermahnung und Be
lehrung unterftügt zu werben, damit er um fo beffer die Vorſchriften
deffelben erfüllen Könne; denn wenn er bisher in feinem Legatenamt
der Kirche irgend einen Nugen bereitet habe, fo wünſche er folden
auch in Zukunft zu Leiften und zu mehren. )
So ieuchtet die Lebensflamme bes begeifterten Mannes noch einmal
auf vor ihrem gänzlihen Erlbſchen. Mit verjüngter Kraft trit er
in das Jahr 753 ein, aber auch mit dem Vorſatze, die ihm noch
ratione ecclesiarum ... Et haec fuit oceasio tarditatis litterarum e& appells-
tionis paternitatis vestrae, et non aliqua neglegentiae ineuria. Jaff6 (n. 2)
nimmt ohne erkennbaren Grund am, daß dem Briefe der Schluß fehle.
') Daf. p. 258—259. Ein Wort zur Chronologie dieſes Bnefes, welchen
Jaffs ins Jahr 755 fett. Ih verweiſe vor Allem auf den unten folgenden
Tyrcurs VI, in welchem bargethan iſt, daß ber Tod des Bonifacius in das Jahr
754, nicht 755 fält. Das Schreiben kann aber auch nicht in das Jahr 754 ger
hören, denn es if nicht denkbar, daß Bonifaz, wenn er wirklich dem Papfte auch
nur zwei Jahre nad; der Veftelgung des apoſtoliſchen Stuhls zum erften Male
ſchrieb, alsdann noch auf biefen Amtsantritt Bezug genommen haben follte: ein
Bedenken, das um fo größer wird, wenn man ben Brief ins Jahr 755 feht,
fodaß er erft nach der Anweſenheit Stephans in Gallien gefchrieben twäre. Leicht
Lönnte man nun in den Worten bes Sonia, eine Begriung des Bapftes nicht
zum Amtsantritt, fondern bei feinem Cintritt in das fränkiiche Land erkennen,
und bie in ber vorflehenden Anmerkung citieten Güte. wurden recht wohl dazu
paffen. Allein der erſte des Briefes laht ſich doch durchaus nur auf einen
Wechſel des Pontificats beziehen. Dan vergleihe damit ben Ahnlichen Wortlaut
des Schreibens an Zacharias, als biefer den päpftlichen Sul beftieg. Wie es
dort u. A. heißt: intimis subnixe flagitamus ibus: ut, sicut prascessorum
vestrorum pro auctoritate sancti Petri servi devoti et subditi discipuli fulmus,
sic et ventrae pietatis servi oboedientes, subditi sub jure canonico, fleri
mereamur optantes, catholicam fidem et unitatem Romanae ecclesise servando
(Jeff6 III. ep. 42. p. 111), fo bier: Sanctitatis vestrae clementiam Intimis
ac visceratis obnixe flagito precibus: ut familiaritatem et unitatem sanctae
sedis spontollcne ab almitatis vestrae clementia impetrare et habere merear;;
et in Apulatu pietatis vestrae, sedi apostolicae serviendo, servus vester
ac devotus permanere possim eodem modo, = ante sub tribus prae-
cessoribus vestris apostolicae sedi serviebam (Jaffö III. ep. 106. p. 258259).
Die größere Wärme des friiheren Schreibens erflärt ſich durch die perſönlichen
Beziehungen, welche ſchon vorher zwiſchen Zacharias und Bonifacius befanden
hatten; vgl. ep. 42 (Bonifacius Zachariae). p. 118: venerande memoriae
Brascamer vester, sicut audistis, in praesentia vestra mihi praecepit etc.
ah Bonifacius aber von feinem BBjährigen Legatenamt redet, Tann für bie
Datirung des Briefes nicht beſtimmend fein; es dient doch nichts naturlicher, ale
daß der greife Schreiber fi um einige Jahre geirrt Hat, wie 3. B. auch Zacharias
in feinem Mainzer Priviiegium unrichtlgerwelſe von einem 2bjährigen Episcopat
des Bonifacius redet (Jafi6 III. n° Bl. B 227). Als Datum des Schreibens
ergiebt ſich alſo ber Herbſt des Jahres 752. — Die Krankheit des Bonifacius
fiel nach unferer Darftellung in die Wintermonate 761—752, ſodaß von ben
beiden Briefen qu König Pippin ber eine (ep. 85. p. 282), weicher von ber Er
Bontfachne ale Biſchof von Mainz. 4
vergönnte Zeit der erften und höchften Aufgabe feines Lebens, ber
jeldenbefehrung, zu weihen. Auch Indem er fi jet an das Könige
e Hoflager begab, hatte er vor Allem das Wohl feiner Miffione-
landſchaften im Auge.
frankung berichtet, In den Anfang, ber ambere (op. 108. p. Q5R), welder bie
Wiedergenefung melbet, In das Ende dieſes Winters zu fegen ware. Indeh wilde
and der Aunahme, daß Bonifaciue nicht vor, ſondern ft nach ber anfrengenden
Heife in die Difftonsgebtete erkrantt fel, nichte ntgenenfihen; jene Briefe wären
fodann In den Wintermonaten 759-758 geſchrieben. fix unferen Tert aber
wurden fich daraus nur unweſentliche Mobiflcationen ergeben.
Diertes Gapitel.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda.
753.
1. Einleitendes. ”
Das Evangelium Matthäi fchliegt mit den Worten Jeſu an
feine Jünger: „Gehet Hin und Iehret ale Völker und taufet fie im
Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geiftes und
lehret fie halten Alles, was ich Euch befohlen Habe, und fiehe, ich bin
bei Euch alle Tage, bis an der Welt Ende.” ?) Petrus aber, der
erfte der Apoftel, „brachte das Licht der Wahrheit vom Aufgang zum
Niedergang:“ fo lehrte fon Eufebins von Cäfaren, 2) und damit
hatte er in furzen Zügen das fpätere Verhältniß zwiſchen Rom und
dem Abendlande vorgezeihnet. Die Nachfolger Petri blieben die Träger
des Apoftelamts, die römifche Kirche durfte fich als die Mutter aller
Gläubigen betrachten. ®)
Bei den Franfen Hatte der päpftliche Stuhl ſchon in merowingifchen
Zeiten zuweilen feine Stellung geltend gemadjt; erft der nächſten
Herrſcherfamilie jedoch war es vorbehalten, das Anjehen und den Ein-
fluß Roms durd Erneuerung feiner apoftolifchen Thätigkeit dauernd
zu begründen. Das Land der Angelſachſen diente zur Vermittlung.
2) Matt 28, 19. 20.
®) Historiae ecclesiasticae lib. IL. c. 14, Migne Patr. graec. XX. col. 172:
ds [llkrpos] old rıs yevvalog Tod Seod orrparnyög... ch mon
Tiunzov dunopeiav vos vontod Purds IE dvarolav Tol; zark
Boy Ixduder. ö
*) gl. 3. 8. epist. GregoriiIT. papse, Jaff€ Bibl. III. ep. 20. p. 80-81:
a sancta sede apostolica, spiritali omnium fidelium matre.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 43
Hier hatte einft Gregors I. Abgefandter, Auguftin, die römiſche Lchre
mit Erfolg verbreitet, und die angelfächfiiche Kirche blieb feitdem in
engftem Zufammenhange mit dem Papftthum. Nach Nom begab ſich
Willibrord, als Pippin von Heriftall ihm die Predigt in Friesland
geftattete, um ſich hierzu auch des Papftes Sergius Erlaubniß und
Segen zu erbitten. i) Als Winfried feine britiſche Heimath verlieh,
um fi dem Werke der Heidenbefehrung zu widmen, gab Biſchof
Daniel ihm ein Empfehlungsfhreiben an den Papft mit, zu welchem
er feine erften Schritte Ienkte.?) Die karolingiſchen Hausmaier ver-
fagten ihrerſeits der päpftlichen Autorität die Anerkennung nicht: fo
vermittelte Pippin für jenen Frieſenapoſtel die päpftlihe Ordination
zum Erzbifchof, ) und Karl Martell nahm den vom Papfte empfohlenen
Bonifaz in feinen befonderen Schug auf. *) Gregor II. hält fein
apoftolifches Anfehen für fo geſichert und anerkannt, daß er auch bei
der Bevölkerung des Frankenreichs, ja felbft bei dem noch heidnifchen
Theile der Thüringer und den Altfachfen das Werk des Bonifaz durch
feine Furſprache zu fördern hofft.°)
Mit diefer bedeutungsvolfen Beziehung des römischen Stuhle
zur Heidenmiffion hängt es nun offenbar zufammen, daß die Kirchen⸗
verfaffung folder von Rom aus befehrten Gebiete an der unmittel-
baren Arbindung mit dem Papftthum feitzuhalten ſuchte. Da hier
das Chriſtenthum ohne Hinzuthun der im Lande ſchon von früher her
vorhandenen Kirchengewalten feften Fuß gefaßt Hatte, gebührte diefen
auch der Machtzuwachs nicht, weldher in der Einordnung neuer Stif-
tungen in ältere Parochien gelegen haben würde. Denn das ift das
Weſen der Unterordnung unter Rom, daß dadurd) jede andere und
nähere Unterordnung ausgejchloffen war; ſolche Unterwerfung war
Befreiung, Schuß, daher Gegenjtand eines Privilegiums. In Rom
gipfelte ja überhaupt alle firdhliche Autorität nach der Lehre, welche die
angelfächfifchen Mifjionäre fo eifrig im Frankenreiche vertraten; was
diejelben für ihre Kirchen- und Kloftergründungen erftrebten, war daher
nur die Ummittelbarfeit des Verhältniffes, die Eremtion von den
fonftigen Zwiſcheninſtanzen der Hierardhifchen Ordnung. Die alten
Biihöfe bon Cöln hatten nichts für die Chriftianifirung Frieslands
gethan; das Mainzer Bistum hatte feinen Antheil an der Bekehrung
der Thüringer und Heſſen. Dort wie hier Hatte Rom für die Ver—
breitung des Evangeliums geforgt, und die kirchliche Organifation
1) Beda, hist. ecelesiast. gentis Anglorum lib. V. c. 11, Monumenta
historiea Britannica I. p. 258: Mox ut comperit Wilbrord datam sibi a
prineipe licentiam ibidem praedicandi, acceleravit venire Romam ... ut cum
ejus ‚Basi I.) licentia et benedictione ... opus iniret.
Willibaldi Vita $. Bonifacii c. 5. p. 443; dgl. dafı n. 2.
®) Beda p. 259; Alcuini Vita S. Willibrordi c. 6. 7, Migne Patr.
lat, CI (Alcuini Opera T. IN). col. 697.
“) Epist. Gregor IL, Jaffe III. ep. 21. p. 81; epist. Karoli, Jaffe II.
ep. 24. p. 84; Willibaldi Vita 8. Bonifatii c. 6. p. 451452.
®) Jaff6 III. ep. 19. 20. 22. 26. p. 79. 80. 8l. 87.
4 Capitel IV. 788.
ſollte daher den divecten, durch Feine Zwiſchenbehörde vermittelten Zu-
fammenhang mit Rom wahren. Dies feheint mir der Leitende Ge—
ſichtspunkt auch des Bonifacius gewefen zu fein, zumal in deſſen
Heimath ganz ähnliche Verhäftniffe beftanden. So hatte einft König
Yethilberht von Kent, durch den römiſchen Apoftel Auguftin für das
Chriſtenthum gewonnen, im Jahre 605 bei Dover „auf Ermahnen
des Papftes Gregor und des Anguftin“ zu Ehren Petri und Pauli
ein Klofter gegründet, „um nicht undanfbar gegen den zu erſcheinen,
von deſſen heiligem Sige aus uns, die wir im Schatten de8 Todes
Taßen, das Licht der Wahrheit aufgegangen iſt.“ Dies Kloſter num,
das er reich befchenft Hatte, übergab er der völlig unabhängigen Leitung
de8 Abtes und feiner Brüder, ) und Auguftin, als Erzbiſchof von
Dover, ſchließt fich der föniglichen Verordnung an, indem er allen
feinen Nachfolgern im Erzbisthum unterfagt, irgend welche „Gewalt
vder Herrſchaft über dies apoftolifche Kloſter, feine Ländereien und
Kirchen auszuüben und den Abt anders denn als ihren Bruder und
gleichgeftellten Genoſſen zu betrachten.) Der König und der Erz⸗
biſchof befräftigen ihre Worte durch einen ‚Hinweis auf des Papftes
Drohung mit der Ercommunication, °) fodaß den beiden Urkunden ein
päpftlihes Schreiben ähnlichen Inhalts zu Grunde gelegen haben
muß, *) in welchem Gregor das Kloſter in feinen befonderen Schuß
nahm; denn Auguftin erflärt: wer die Beftimmungen feines Privilegs
verlegen würde, möge wiffen, daß der Heil, Petrus ihn durch feinen
Stelfvertreter Gregor mit dem apoſtoliſchen Schwerte ftrafen werde. 5)
Auch Hier alfo ein Beiſpiel von der Exemtion eines Kloſters aus der
1) Kemble, Cod. dipl. aevi Saxonici I. n° 4. p. 5: abbas ipse,- qui ibi
fuerit ordinatus, intus et foris cum consilio fratrum, secundum timorem Dei,
libere eam regat et ordinet; daſ. n° 8. p. 8: in ipsius abbatis sint omnia
libera ditione.
%) Daf. n° 5. p. 7: ne quisguam unguam ullam potestatem aut domi-
natum aut imperium in hoc dominicum vel apostolicum monasterium vel
terras vel ecclesias ad illud pertinentes usurpare praesumat ... Abbatem
& suis fratribus electum ... non ad suum famulatum, sed ad dominicum
ministerium ordinet, nec sibi hunc obaudire, sed Deo suadeat: nec vero sibi
subjectum, sed fratrem, sed consortem, sed collegam et comministrum in
opus dominicum eum reputet. Non ibi missas, quasi ad süae ditionis altare,
nec ordinationes vel benedictiones ugurpative sine abbatis vel fratrum peti-
tione exerceat.
®) Auguftinus ſagt vom Könige, n° 5. p. 7: suoque regio privilegio et
superni judicii imprecatione atque apostolica sancti papae Gregorii inter-
minatione excommunicatoria contra omnem injuriam confirmavit; dann fährt
ex fort: ego quoque, ejusdem libertatis adjutor et patrocinator, omnes succes-
sores meos archiepiscopos ... obtestor atque apostolica patris nostri papae
Gregorii interminatione interdico etc. J
Val. daf. p. 8: haec ergo.omnia ... apostolica ipsius institutoris
nostri Gregorii comprobatione et auctoritate servanda sancimus suoque ore
confirmamus.
5) Daf.: seiat se apostolico beati Petri gladio per suum vicarium Gregorium
puniendum, nisi emendaverit.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 45
ortöbifchöflichen Gewalt, 1) ohne daß, wie es fonft wohl öfter geichah, *)
die canonifhen Befugniffe des Biſchofs vorbehalten wurden. Auf
ähnliche angefjächftfche Beifpiele, felbft aus viel fpäterer Zeit, ift ber
reits von anderer Seite hingewiefen ®) und als befonders bezeichnend
mit Recht eine Bulle Sergius’ I. hervorgehoben worden, worin diefer
Papſt — 100 Jahre nach der Belehrung des Landes durch Auguftin
— zwei Klöfter unter die Jurisdiction und den Schug Petri ftellt
und jeder anderen biſchöflichen oder priefterlihen Jurisdiction entzieht. *)
Wie natürlich alfo, dag Wilibrord und Winfried den Inſtitutionen
ihres Vaterlandes uud in diefem Punkte bei den Franken Eingang
zu verſchaffen ſuchten.
Es dünft uns charalteriſtiſch, was Theodorich IV. im Jahre 723
bei Beftätigung der Freiheiten von ©. Denys zu dem Privilegium
Chlodwigs II. vom Jahre 653 Hinzuzufegen für gut fand.) Während
diefer nur unbeftimmt gefagt hatte, die Märtyrer Eleutherius, Rufticus
und Dionyfins hätten die Palme des Sieges errungen, wußte jener
von ihnen zu erzählen — und Pippin nahm denjelben Zufag aud
in fein Privilegium vom Jahre 768 auf,“) — fie feien als die
Erften nad) den Apofteln im Auftrage des Heil. Clemens, Nachfolgers
des Apoftels Petrus, nach Gallien gefommen und, indem fie hier die
Zaufe der Buße und des Sündenerlaffes predigten, als Märtyrer
geftorben. 7) Scheint e8 nicht, daß mit diefem Hohen Alter und Ver-
dienft der Stiftung ihre freie Stellung innerhalb der Parifer Diöcefe
beffer begründet und gerechtfertigt werden folte? Der Heil. Dionyfius
hatte als Glaubensbote Roms den erften Samen des Chriftenthume
in Gallien ausgeftreut, unabhängig von dem Bisthum Paris, lange
vor deſſen Eriftenz; wie follte S. Denys alfo nicht allezeit unabhängig
bleiben? Das Privilegium Theodorichs erfolgte unter Vermittlung
FL Ein praerogativum ecclesiasticae libertatis privilegium genannt: daſ.
2° 6.p.9.
2). 3. 8. im ber Urkunde des Biſchofs Erconwald von Effer vom Jahre 695,
Kemble n° 88. p. 48.
) Th. Sicel, Beiträge zur Diplomatif IV. S. 630—632.
4) Gale, Historiae Britannicae etc. Scriptores I. p. 352—858 (Jaffe,
Regesta pont. Roman. n° 1644): quatenus sub jurisdietione atque tuitione .. .
beati Petri apostoli et ejus quam dispensamus ecclesiae et nunc sint et in
perpetuum permaneant ... nulliusque alterius jurisdietioni sint subjecta nec
quisquam episcoporum aut sacerdotum ... sibi in ea qualemcunque juris-
dietionem defendere . jraesumat ... aut missarum solennia ibidem gerere,
praeter si a religioso abbate et congregatione ascitus advenerit.
®) Pardessus II. p. 98. 338.
©) Sickel P. 80.
?) Qui primi post apostolos sub ordinatione b. Clementis, Petri apostoli
successoris, in hanc Galliarum provinciam advenerunt ibique praedicantes
baptismum poenitentiae in remissionem peccatorum palmam martyri merue-
runt. — P3 die Passio ss. mart; m Dionysii Rustici Eleutherii auch erft
um jene Zeit entftanden i?_ X libien, histoire de l’abbaye de S. Denys,
1706, piöces justificatives, II. harte 1 $. 1. p. 168—165.
46 Capitel IV. 758.
Karl Martells, %) und deffen befonderen Gunft hatte ſich grade damals
ſowohl Willibrord-Clemens als auch Bonifaz zu erfreuen. Grund⸗
fäge, die vielleicht unter ihrer Einwirkung auf die Verhältniſſe von
©. Denys angewendet wurden, mußten nothwendigerweife auch ihren
eigenen Miffionsgebieten zu ftatten kommen, und wenigftens von Bonifaz
wiffen wir, wie fehr ihm daran gelegen war.
Er, der fo viel über die im Franfenreihe vorgefundenen Bifchöfe
zu Magen hatte, fonnte nicht wünſchen, daß ihmen die neubefehrten
Rande übergeben würden. Damit wäre eine Gefahr für die Erhaltung
der reinen vömifchen Lehre, aber auch eine Gefahr für das äußere
Gedeihen feiner Stiftungen verbunden gewefen. Schon die älteften
Canones ertheilten den Bifhöfen das Verfügungsrecht über die Güter
der Kirchen, und man fam im 8. Jahrhundert öfter darauf zurück. 2)
Darum war ja in den Tagen Karl Martelis fo mandes Bisthum
an Laien verliehen worden, weil der damit verbundene Befig fie gereizt
Hatte. 3) Ueber einen verurtheilten Bifhof klagt Bonifaz, daß er ſich
auch nach der Degradation noch das Vermögen feiner Kirche anzu=
eignen fuche.t) Man gewinnt zuweilen den Eindrud, als ob die
bifchöfliche Gewalt in erfter Linie als eine weltliche Gewalt betrachtet
worden fei. So fagt Lull einmal, freilich von einem „gottlofen
Schismatiler“: „Er pflegte immer zu ſchwören, daß er nichts Irdiſches
annehmen würde; plöglich und unerfehens ftand er als Biſchof da!“ 5)
Bonifacius fuchte daher ſowohl die Kirchen als auch die Klöfter
feiner Gründung vor der Einfügung in einen äfteren fränkiſchen
Didcefan- oder Metropolitanverband zu bewahren. Als er im Jahre
742 die drei Bisthumer Würzburg, Buraburg und Erfurt ftiftete,
beeifte er fi) vor Allem, fie unmittelbar unter den Papft zu ftellen,
als deifen Stellvertreter er ja gehandelt Hatte. °) Nicht allein, daß
er diefen zur Sicherung gegen jeden Eingriff um eine Beftätigungs-
1) Missa petitione per illustri viro Carlo majorem-domus nostro.
®) Bgl. epist. Gregorii II, 722 1. Dec., Jaffe IIL ep. 19. p. 79: De
reditu vero ecclesige vel oblatione fidelium quattuor faciat portiones ete.,
wörtlich mit einer formel des Liber diurnus Romanorum pontificum übere
fimmend. $erner Capitula Synodi Aschaimensis c. 8, Pertz LL. III. p. 457:
De potestate episcoporum . ... ut ecelesiasticis rebus dominentur atque
spensando provideant etc.
®) Epist. Bonifacii (742), Jaffe III. ep. 42. p. 112: episcopales gedes
traditae sunt Iaicis cupidis ad possidendum.
+) Epist. Zarhar., 761 4. Nov., Jaf6 II. ep. 80. p. 225: Episcopus
autem condemnatus ... qui reg ecclesiae post degradationem sibi vindicare
nitetur.
®) Jaff& III. ep. 111. p. 274: Qui semper jurare solebat, nihil se terreni
accepturum, cum subito ex improviso velut novum fantasma episcopus
apparuit.
®) Epist. Zachar., 743 1. April, Jaff6 III, ep. 44. p. 128, ep. 45. p. 125:
" quae [ordinatio] dignante Deo ex nostra praeceptione in vobis facta est, —
>. Ännal. Lauriss. min. a. 5. Pippini: annuente Carlmanno et auctoritate
apostolici papae.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 47
urtunde bittet, ) die Zacharias denn auch kraft feines Apoftelamts
ausfertigen zu dürfen meint, 3) — ein anderes Moment macht die
unmittelbare Unterordnung unter Rom ganz unzweifelhaft. Zachartas
beitimmt nämlich, daß nad) dem Ableben der erfteingefegten Biſchöfe
fein Anderer als „derjenige, welder die Stelle unferes apoftolifchen
Stuhles in jenen Landestheilen vertreten wird,“ einen Nachfolger zu
ordiniven habe. °) Neun Jahre fpäter freilich unterftellt er, dem
Wunſche der Franken fid fügend, *) auch das Miffionsland des Bonifaz
der neugegründeten Metropole Mainz; °) aber grade das trug vielleicht
wejentlicy dazu bei, Bonifaz gegen eine Stellung einzunehmen, bie
feine Pflanzungen ihm nicht als päpftlihem Legaten, fondern als
fränkiſchem Kirchenfürften unterordnete, die unmittelbare Beziehung
derfelben zu Rom alſo für die Zufunft löfte.
Für das Verftändnig der in das Jahr 753 fallenden Verhand⸗
lungen in Betreff des Bisthums Utrecht und des Kloſters Fulda
ſchien e8 uns unerläßlich, die vorftehenden alfgemeineren Betrachtungen
vorauszufciden. Denn Friesland und die Hefjfch-tääringifchen Land-
ſchaften, dieſe zwei Flügelgebiete des heidniſchen Sachjenlandes, bildeten
den vornehmlichſten Schauplag aller Mifjionsthätigfeit in der Periode,
welche den Regierungsjahren Karls des Großen voranging. Aus der
Fürforge für die Freiheit diefer jüngften Eroberungen des Chriften-
thums erklären fi die Veftrebungen des Bonifaz, welche wir im
Folgenden zu ſchildern haben.
Wir wenden uns zunächft den Angelegenheiten der friefifchen
Kirche zu.
’) Jaff& III. ep. 42. p. 112: Haec tria loca propris carta auctoritate
apostolatus vestri roborare et confirmare enter postulamus: ut ... per
auctoritatem et praeceptum sancti ‚Petri, jussionibus apostolieis, fundatae
et stabilitae sint tres in Germania episcopales sedes; et ut praesentes vel
futurae generationes non praesumant, vel parrochias corrumpere vel violare
praeceptum apostolicae sedis.
%) Jaff II. ep. 43. p. 117: Quae auctoritate beati Petri apostoli firma
esse deererimus; vgl. ep. 44—45. p. 123—125.
®) Jaff6 II. ep. 44—45. p. 123--125: et hoc interdicentes, ut nullus
audeat ... ordinare episcopum post vestram de hoc seculo evocationem,
nisi is, qui apostolicae nostrae sedis in illis partibus praesentaverit vicem.
+) Epist. Zachariae 751 4. Nov., Jaff& III. ep. 81. p. 297: juzta .
Francorum petitionem.
) Daj.: et omnes Germaniae gentes, quas tua fraternitas per suam
predicationem Christi lumen cognoscere feeit.
48 Capitel IV. 758.
2. Atretht.)
„Am wetlichen Ufer des Fluſſes Laubach (Laumers, Lagbeki)
war die Grenze ber chriſtlichen und heidnifchen Friefen in allen Tagen
des Königs Pippin.“ ?) Diefe Worte Liudgers geben den wichtigfien
geographifchen Anhaltspunkt für die Gefchichte der Unterwerfung und
Bekehrung des Friefenftammes. Das öftlichere Land zwifchen Laubach
und Weſer war demnach zu der Zeit, mit welcher wir uns hier be
ſchäftigen, noch in feine Beziehung zum Frankenreiche getreten; nur
Weitfriesland vom Sinkfal bis zum Fli und Mittelfriesland zwifchen
ZU und Laubach Hatten fich erft der Gewalt fränfifcher Waffen, dann
der chriftlichen Glaubenslehre ergeben. Es war dies, gleich der fpäteren
Unterwerfung des Sachſenlandes, ein Werk des karolingiſchen Herrfcher-
haufes. Pippin von Heriſtall Hatte 689 über Ratbod gejiegt und
alles Land weitlih vom Fli in Befig genommen; dann hatte Ratbod
zwar durch einen Sieg über den jungen Karl im Jahre 714 den alten
Umfang jeiner Macht wiederhergeftellt, gleich nad, feinem Tode jedoch
(719) drang Karl bis zum Si, fpäter nad fünfjährigen Kämpfen
mit Herzog Poppo 734 fogar bis zum Lauwers vor, und bis zum
Jahre 785 behielt dann das fränkische Herrfchaftsgebiet in jenen
Gegenden biefelbe Ausdehnung, wie fie von Karl Martell begründet
worden war. °)
Zugleich hatte unter dem Schutze der Farolingifhen Hausmaier
das Chriftenthum bei den Sriefen Eingang und Verbreitung gefunden ;
dem angelfähfischen Miſſionär Wilfibrord gebührt der Name des
Apoftels der Triefen. Denn faum Hatte Pippin ihm die Erlaubniß
zur Predigt gegeben, fo eilte er nad) Rom, um unter des Papſtes Sergius
Zuftimmung und Segen das Werk zu beginnen; hierauf verfündete
er weit und breit im Lande das Wort des Glaubens, brachte Diele
vom Heidenthum zurück und baute Kirchen und Klöfter; das Caftell
Utrecht aber wies Pippin ihm ala Bifchofefig an.*) So berichtet
noch bei Lebzeiten Willibrords 5) der angeiſächſiſche Priefter Beda, und
feine glaubwürdigen Worte werden durch die Mittheilungen des Bonifaz,
die fih in einem Schreiben deffelben an den Papft Stephan finden,
theils beftätigt, theils ergänzt. %) „Zu den Zeiten des Papftes Sergius,
) Das Wert von W. Moll, Kerkgeschiedenis van Nederland vösr de
hervorming, D. 1. (1864), ftand mir nicht zur Benugung.
®) Vita S. Gregorii abb. Trajectensis c. 10, Mabillon Acta SS. III. 2.
. 326: usque in ripam oceidentelem Auminis quod dieitur Lagbeki, ubi con-
inium erat christianorum Fresonum ac paganorum cunctis diebus Pippini regis.
°) ®gl. Karl v. Richthofen, Lex Frisionum, Pertz LL. III. p. 641—643.
._) Beda, hist. eccles. gentis Anglorum lib. V. c. 11, Monumenta historica
Britannica I. p. 269.
>) Daj. p. 260: adhue superest; Beda ſtarb 785, Willibrord 739.
°) Jaff6, Bibl. III. ep. 107. p. 259.
NT
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 49
erzähft diefer, fam an die Schwellen der Apoftel ein Priefter von
wunderbarer Tugend und Heiligkeit, ein Sachſe von Geſchlecht, Namens
Wilbrord, auch Clemens genannt; ihn erhob jener Papft zum Biſchof
und fandte ihn zur Belehrung der heidniſchen Frieſen an die Geftade
des Weftmeeres. Hier predigte er 50 Jahre hindurch und befehrte
genanntes Volk großentheils zum Glauben Chrifti, er zerftörte Haine
und Tempel, erbaute Kirchen und gründete ſich als Biſchofsſitz eine
Kirche zu Ehren des heil. Erlbſers in dem feiten Orte Trajectum.
Und im Beſitze jener Salvatorkicche, welche er ſich erbaut, ſetzte er
jeine Predigt bis in fein ſchwaches Greiſenalter fort." Bonifaz hebt
in dem weiteren DBerlaufe des DBriefes nochmals ausdrücklich hervor,
daß „das Bol der Frieſen Heidnifch geblieben fei, bis das ehrwürdige
Oberhaupt des römiſchen Stuhls, Sergins, den genannten Knecht
Gottes ihm als Bifchof zur Belehrung ſchickte; diefer habe jenes Volk,
wie gefagt, zum Glauben Chrifti befehrt.” ) Damit ftimmt wiederum
Beda überein, indem er von den zweijührigen Bekehrungsverſuchen des
Angelſachſen Wigbert, welde unmittelbar vor die Zeit Willibrords
fallen, fagt, er habe bei feinen barbarifchen Zuhörern aud) nicht den
mindeften Ertrag jo vieler Mühe geerntet. ?)
Nicht ohne Grund verweilen wir bei den Anfängen des Chriften-
thums unter den Frieſen; denn dieſe Nachrichten find von entideiden-
der Wichtigkeit für die Prüfung zweier nur abfhriftlich vorhandenen
Urkunden Pippins zu Gunften des Utrechter Martinsftifts. °)
Die eine derfelben, die, zu Verberie ausgeftellt, den 23. Mai 753
als Datum trägt, *) ift troß der Verderbtheit des Textes?) und trotz
der Bezeichnung des mittleren Pippin als Königs der Franken doc
völfig unverdächtig; °) e8 ift die Beſtätigung eines Diploms der Vor-
1) Jaff& Bibl.IIL. ep. 107. p. 260 --261: pagana permansit gens Fresorum,
usque quod venerandus pontifex Romanae sedis Sergius ... Wilbrordum
episcopum ad praedicandum supra dietae genti transmisit; qui illam gentem,
ut praefatus sum, ad fidem Christi convertit.
3) Beda hist. ecel. gentis Anglorum lib. V. c. 9. p. 257: neque aliquem
tanti laboris fructum apud barbarog invenit auditores.
®) Sickel P. 5. 6. Die ältefte Form ihrer Ueberlieferung gewährt ein dem
11. Zahchundert angehöriger Cod. Cotton. des brit. Mufeums, „Tiberius C. XI.“,
aus weichem id; durch freundliche Vermittlung eine Abjchrift befige. Doch ergab
die Vergleichung mit ben bereit vorhandenen Druden eine zu geringe Ausbeute,
als daß ein nochmaliger Abdrud am Plage geweien wäre. Die erheblicheren
Barianten werde ich an geeigneter Stelle in den Anmerkungen verzeichnen.
4) Sickel P. 5. .
%) Zur Berichtigung wäre die Urkunde Karls des Großen, Sickel K. 2, zu
benugen. Der Londoner Eoder hat das Diplom zweimal, fol. 26 B. und fol.
27B.— 28A. Ye beiden Copien fehlen die Worte renovare vellemus , ſowie
am Schluſſe das finnlofe Interpunctionszeichen vor cognoscite; ftatt spectare
Haben fie sperare und bergl. mehr. Am erheblichſten wäre noch die Stelle fol.
26 B.: omnia decima partem ad ipsa casa Dei sancti Martini quem [sie!]
domnus Bonefacius archiepiscopus custos preesse videtur concessimus vel con-
firmamus in luminaribus etc.
®) ®gl. Sickel P. 5.* p. 218.
Yahıb, d. diſch. Gef. Delsner, König Pippin. 4
50 Capitel IV. 788.
gänger, Pippins von Heriftall, Karl Martells und Karlmanns, die
ihrerjeits wiederum von des Königs Pippin Nachfolgern, Karl dem
Großen und Ludwig dem Frommen, erneuert.twird. Auch in bem
obenangeführten Schreiben des Bonifaz an Papft Stephan ift von
der Martinskirche die Rede. Schon unter dem alten Könige Dagobert
nämfid) war die fränkiſche Herrſchaft einft über Utrecht ausgedehnt
und dies Caftell fammt einer Kirche dajelbjt zur Parochie des Biſchofs
von Cöln gejchlagen worden. Willibrord fand dies Kirchlein zerjtört,
von den Heiden bis auf den Grund vernichtet, *) und er errichtete
das Gebäude von neuem und weihte e8 dem heil. Martin. ®) Pippin
der Ueltere befchenkte das Stift mit dem Zehnten alles Fiscalguts,
der Ländereien, der Sklaven, der Zölle, ber Handelsabgaben; “) Karl
Martell und Karmann wiederholten die Schenkung. °)- Diefe Gunft-
bezeigungen der farolingifhen Hausmaier haben durchaus nichts Be—
fremdendes: von Karl Marteli liegen in zwei Diplomen aus den
Jahren 722 und 726 noch anderweitige Beweiſe feiner Fürforge für
Willibrord und die Utrechter Kirche vor; ©) Karlmann aber trug dem
Bonifaz auf, für den erledigten Sig Willibrords einen neuen Biſchof aufe
zuftellen und zu ordiniren, was diejer auch that. ”) König Pippin
ſchloß fih nun auf Erſuchen des Bonifaz °) feinem Großvater, Vater
und Bruder in der Schenkung für die Martinskirche an; er wird,
wie fein Vater, auch anderen friefifchen Stiftungen feine Gunft zuge
wendet haben, das Diplom für S. Martin Hat fi zufällig erhalten.
Das Stift war, wie aus der Urfunde hervorgeht, eine wichtige Pflanze
ftätte des Chriſtenthums unter den riefen; denn die verlichenen
Fiscaleinkünfte follten den Mönchen und Kanonikern zu ftatten kommen,
„welche dafelbft die Heiden zum Chriftentfum befehren und die Ber
Tehrten in der Beobachtung der neuen Religion unterweijen.” °) Ohne
Zweifel Haben wir hier an jene vielbefuchte Klofterfchule von Utrecht
zu denken, welcher nach des Bonifacius Tode fein Schüler Gregor
als Priefterabt vorftand. 1°) Wenn die Urkunde Pippins daher das
Meartinsmünfter mit dem Bisthum identificirt,1) während die bifchöfliche
1) Sickel K. 2, L. 58.
*) Epist, Bonif, Jaff& Bibl. TIL. ep. 107. p. 261: destructae ecelesiolae
fundamenta deruta et a paganis conculcata.
®) Daf. p. 260: et eam proprio labore a fundamento construxit et in
honore sancti Martini consecravit.
*) ©. Sickel P. 6.
®) Daf.: per eorum instrumenta.
°) Heda, historia episc. Ultraject., notis illustrate ab Arn. Buchelio,
1642. p. 28. 30; Bouquet V. p. 699. 705; Pardessus II. p. 334. 347.
?) Epist. Bonif., Jaffe III. ep. 107. p. 260: Carlmannus commendarit
mihi sedem illam ad constituendum et ordinandum episcopum. Quod et feci.
r] Sickel P. 5: venerabilis vir Bonefacius archiepiscopus nobis expeciit.
°) Qui ibidem gentiles ad christianitatem convertunt et Domni migeri-
cordia ipsos conversos quos habent doceant.
’) Vita Gregorii abb. Traject. c. 15, Mabillon Acta SS. III. 2. p. 829.
1) Ad ipsa casa Dei concessit vel ad illo episcopatu.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 51
Kirche doch ausdrücklich als Kirche des Heil. Erlöfers bezeichnet ift, )
fo darf dies, ähnlich jenem Ausdrude „König der Franken“ fiir
Pippin von Heriftall, als eine, fei es abfichtliche oder unabſicht-
liche, Ungenauigkeit der Abſchrift angefehen werden, ohne daß dadurch
ein Zweifel an der Echtheit de Diplome begründet würde.
Ganz anders verhält es fid jedoch mit der zweiten, undatirten
Urkunde, einem Immunitätsdiplom, welhesg. Pippin, ebenfalls auf
Bitten des Bonifaz, ?) nach dem Vorgange zweier merowingiſchen
Könige, Lothar und Theodebert, zu Gunften der Martinskirche erlaffen
haben ſoll. °)
Zunähft ift gegen die Annahme einer gleichzeitigen Ausfertigung
mit der erften Urkunde wohl mit Grund einzuwenden, daß die beiden
Diplome von verfchiedenen Kanzlern unterzeichnet find, jenes von
Widmarus, der aud noch in 3 anderen Urkunden der Koönigszeit vor—
fommt, diefes von Wineramnus, der fonft nur in Pippins Hausmaier-
urkunden begegnet. 4)
Dies letztere Faktum, daß Wineramnus in feinem anderen Docu-
mente nad) der Königsfrönung Pippins wieder erfcheint, ift für die
Beurtheilung der Urkunde überhaupt beachtenswerth. Wir bemerken
weiter, daß die Smmunitätsprivilegien Lothars und Ludwigs des Deutjchen
für ©. Martin) fi wohl auf ein gleiches Privilegium Ludwigs
des Frommen, aber nicht auch ausdrüclich auf@ein ſolches von Pippin
oder jenen zwei merowingifchen Königen beziehen, fondern nur alfge-
mein fagen, in Ludwigs Urkunde fei bemerkt, daß nicht er allein,
fondern auch feine Vorgänger, die Könige der Franken, jener Kirche
die Immunität verliehen Hätten. ©) Ludwigs Urkunde ift freilich ver-
toren; - doc; fcheint gewiß, daß die Berufung auf das Beifpiel der
Vorgänger darin ebenfo allgemein gehalten gewefen. Denn wo Ludwig
diefelben mit Namen genannt hat, find dieſe aud) in die abgeleiteten
Urkunden übergegangen: fo nimmt Zwentibold auf Ludwigs Zehnt-
!) Epist. Bonif., Jaffe III. ep. 107. p. 260: et sedem episcopalem et
ecelesiam in honore sancti Salvatoris constituens in loco et castello quod
dicitur Trajectum; et in illa sede et ecclesia sancti Salvatoris, quam construxit,
praedicans usque ad debilem senectutem permansit. Aud} in der Vita Gregorüi
iſt vom diefer Kirche die Rede: der fterbende Gregor jussit se ante oratorium
sancti Salvatoris a discipulis portari; Mabillon III. 2. c. 22. p. 338.
) Apostolicus vir et in Christo pater Bonifacius urbis Trajectensis
episcopus clementise regni nostri suggessit.
®) Sickel P. 6 [763, Mai].
+) Bol. Sidel, UL. ©. 76. Wir Haben zwei unzweifelhaft gleichzeitige Urkunden
gimine mit vollfändigem Protokoll, für Fulda und S. Denys, vom Juli 766,
ickel P. 24. 25, und beide tragen die gleichen Namen des Baddilo und des
Hitherius.
%) Seda.©. 52. BB.
*) Obtulit obtutibus nostris authoritatem immunitatis .. . Ludovieci
piissimi Augusti, in qua erat ingertum, quod non solum idem dominus et
genitor noster, verum etiam praedecessores ejus, reges videlicet Francorum,
eidem ecclesiae sub tuitione et defensione eorum ... consistere fecerant,
52 Capitel IV. 758.
verleifung Bezug und nennt, wie dieſer felbft, die Könige Pippin,
Karl und ihre Vorgänger als Urheber gleicher Gunftbezeigungen. *)
Ja, von der Zehnturfunde liegen ſämmtliche -Beftätigungen, die des
Königs Pippin, Karls des Großen, der beiden Ludwige, Zwentibolds
und Conrads, noch ihrem ganzen Wortlaut nad) dem Könige Heinrich
vor; ?) und ſchon Kaifer Ludwig hätte das Immunitätsprivilegium
Pippins, wenn es wigklich je erlaffen wäre, nicht mehr ausdrüdlich
angeführt? — Doc) diefe Umftände insgefammt würden, ebenfo wie
mancher fehlerhafte Ausdrud, fein Hinreicendes Zeugniß gegen die
Echtheit der Pippiniſchen Urkunde fein, wenn nicht ein entjcheidendes
Argument hinzufäme: der Widerſpruch nämlich, in welchem der Inhalt
. der Urkunde mit dem mehrerwähnten Schreiben des Bonifaz an Papft
Stephan DI. fteht.
Jenem Diplom zufolge hatten die Könige Lothar ®) und Theode⸗
bert 4) der Martinskirche zu Utrecht über die Ortfchaften, melde zu
ihrem Beſitze gehörten oder künftig gehören würden, volle Immunität
ertheilt. Bonifaz legte ihre Originalurfunden dem Könige Pippin
mit der Bitte vor, daß, obwohl das Stift ſich auch in der Gegenwart
jener Vergünftigung erfreue, ®) der Konig diefelbe doch von neuem
beftätigen möchte. Dies gefdhieht, indem Pippin alle gegenwärtigen
und fünftigen Güter der Kirche gleich feinen Vorgängern mit ber
Immunität ausftattet And jene Verleihung, wie fie bis dahin aufrecht
erhalten worden, ©) auch in Zufunft erhalten wiffen will. Inhalt
und Wortlaut der Urkunde find der üblichen Formel genau nachge—
bildet und die fehlerhaften Stellen danach leicht zu corrigiren. 7) Unfere
Bedenken gegen die Echtheit aber beruhen auf folgenden Erwägungen:
I. Das merowingiihe Diplom ſpricht von einer Martinskirche,
und doch läßt der Brief des Bonifaz feinen Zweifel zu, daß erft
Wilfibrord der wiedererbauten Kirche diefen Namen gegeben. Diefer
3) Ludwig jagt, Heda ©. 45: detulit mansuetudini nostrae quasdam autho-
ritates constitutionum, qualiter dominus et genitor noster Carolus ... et
avus noster Pippinus et antecessores eorum etc. Zwentibold, Heda &. 63:
obtulit authoritatem Ludovici ... in qua erat insertum, qualiter Carolus
genitor suus ... et arus Pippinus rex et antecessores eorum etc.
3) Heda ©. 79.
®) L, 500-561.
IL, 586-612.
®) Ipsum beneficium circa eandem aecclesiam sancti Martini, sient &
supra dictis prineipibus fuit indultum, moderno tempore asserit esse con-
servatum. .
°) Sieut ipsa beneficia ... fuerunt indulta et usque nunc conservata.
?) Statt integra et imminuta lies integram immunitatem, ftatt ita ut
inantea lie i. et i., ftatt legitimo redibit initio lies 1. r. mitio. In dem oben
©. 49. N. 3 genannten Gopialbud; des brit. Mufeums findet ſich an allen drei
Stellen der richtige Ausdrud. Bon fonftigen Tertverſchiedenheiten wäre zu er-
wähnen, daß von den Worten Bonifacius urbis Trajectensis episcopus im
Manufeript das Wort urbis fehlt, dafür aber ein leerer Raum gelaffen ift; nach
Cojus petitionem pro reverentia ipsius fehlen die Worte sancti loci,
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 53
fand, fagt Bonifaz, das alte Kirchlein von den Heiden bis auf den
Grund zerjtört, er baute die Kirche mit eigner Anftrengung wieder
auf und weihte fie zu Ehren des heil. Martin. 1) Eine Erläuterung
zu bdiefen Worten bietet uns abermals Bedas Kirchengefchichte, im
welcher erzählt wird, Willibrord habe aus Rom Reliquien der Heiligen
mitgebracht, um fie bei Errichtung von Kirchen in Bereitſchaft zu haben
und jede derfelben demjenigen Heiligen zu weihen, deffen Gebeine in
ihr aufbewahrt würden. 2) Sonach erſcheint e8 als ein Anachronismus,
der nur durch Unechtheit der Urkunde zu erflären ift, daß ſchon in
den älteren merowingifchen Zeiten von der Exiftenz eines Martins»
ftiftes geredet wird.
II. Noch wichtiger ift, was die Urfunde von den Befigungen
diefer Kirche fagt, wonach ganze Dorfſchaften damals ihr Eigenthum
waren und die Erwerbung der Immunität wünſchenswerth machten.
Wie vereinigt ſich dies mit der anderen Thatfache, daß ſchon Dago-
bert, ) al8 er in den Beſitz Utredhts gelangte, nur ein Kirchlein dafelbft
vorfand, welches er dem Cöfnifchen Sprengel einfügte? 4) Wie verträgt
es ſich ferner, daß nad) feiner Zeit ganz Friesland wieder ins Heiden-
thum zurüdfiel und die Immunität dod) bis in die Tage des Bonifaz
Beſtand gehabt haben follte? *) Sind die hierauf bezügfichen Worte
auch ftehende Formel, jo kann doch nicht angenommen werden, daß
man ſich derjelben wider befferes Wiffen bedient habe. Wäre aber
auch die Immunität erft in den Tagen der karolingiſchen Hausmaier
wieder zu erneuerter Geltung gelangt und der Wortlaut der Urkunde ©)
in diefem Sinne zu deuten, fo hätte ſich Bonifaz ja gewiß auch hier,
wie bei der Bewilligung des Zehnten, nicht mır auf die meromwingifchen
Diplome, fondern zugleih auf die der Ahnen Pippins geftügt. Es
ift geradezu unvereinbar, daß derjelbe Bonifaz, der das Werk der Frieſen⸗
befehrung in feinem Briefe an den Papft fo beftimmt, man Tann
fagen tendenziös, den legten 50—60 Jahren zufchreibt, zu gleicher
Zeit in einer an den König gerichteten Petition ſich Hätte bemühen
folfen, das 200jährige Beſtehen einer veichbegüterten frieſiſchen Kirche
nachzuweiſen.
1) Jaff6 III. ep. 107. p. 260: derutam usque ad solum [ecclesiolam] in
eastello Trajecto repperit et eam proprio labore a fundamento construxit et
in honore sancti Martini consecravit.
*) Beda, hist. ecel. gentis Anglorum, lib. V. c. 11. p. 258: quibus
[reliquiis sanctorum] ibidem depositis, in eorum honorem, quorum essent
ülae, singula quaeque loca dedicaret.
®) L, geft. 638.
, ) Epist. Bonif., Jaff6 III. ep. 107. p. 260.
®) Daf. p. 260-261: Non praedicavit [episcopus Colonensis], non con-
vertit Fresos ad fidem Christi; sed pagana permansit gens Fresorum, us-
que dum ... . Sergius.. . . Wilbrordum episcopum ad praedicandum supra
dietae. genti transmisit; qui illam gentem ... ad fidem Christi convertit,
©) moderno tempore asserit esse conservatum.
54 Capitel IV. 788.
Somit fällt das Immunttätsdiplom Pippins fir Utrecht, ) und
mit ihm von felbft das vielbefprochene Utrechter Bisthum des Bonifaz,
von welchem nur hier, ) fonft nirgends, eine Spur ſich findet. Die
Falſchung gehört eben jenen .päteren Zeiten an, in denen man hohen
Werth darauf legte, den friefiichen Biſchofskatalog mit dem Namen
des Heiligen zu ſchmücken. Als einft die Brüder Karlmann und
Pippin den römifchen Glaubensboten zum Primas der geſammten
fränkiſchen Kirche zu erheben gedachten, da ordnete der Erftere auch
Utrecht ihm unter, ) und Bonifaz befegte das verwaifte Bisthum,
grade wie er in Würzburg und Eichftädt Bifchöfe einfegte. ) Wahr:
fcheinlich wählte er dazu denfelben Mann, den einft ſchon Willibrord,
als er in Hohen Jahren ftand, zu feinem Chorbiſchof gemacht hatte, 5)
Sein Name aber war Eoban, wie Willibald ausdrücklich bezeugt, °)
und wenngleich, biefer für ihn auch dann nod) die Bezeichnung Chor»
bifchof wählt, fo nannte er ſich felbft doch Biſchof, als er 753 das
tönigliche Privilegium fir Fulda unterfchrieb. 7)
Bonifacius Tieß fich allerdings aud ferner noch das Wohl des
Bisthums Utrecht angelegen fein, wie er ja auch für Fulda beforgt
war, obwohl er diefem Klofter in Sturm fchon feit lange einen Abt
gegeben hatte. Die erneuerte Bewilligung des Zehnten für S. Martin
wird nicht die einzige materielle Erwerbung geweſen fein, welde bie
"Kirchen des Utrechter Sprengel® feinen Bemühungen zu verdanten
hatten. Viel wichtiger aber war, gewiß auch in feinen Augen, die
Erledigung eines Streites, der die ganze Stellung der friefiichen
Kirche betraf.
Der Biihof von Coln nämlih — wir werden ihn fpäter unter
dem Namen Hildegar wiederfinden %) — erhob jet gegen die Selb»
ftändigfeit des Utrechter Bistyums auf Grund der vorerwähnten Maß-
regel König Dagoberts Einſpruch.“) Diefer habe, behauptete er, das
A) Diefelbe Anſicht ſprach ſchon Rettberg aus (I. ©. 394; II. ©. 502. 527),
doc) ohne fie zu begründen. Mabillon, den er anführt, äußert nur, daß er das
geimtpriiteg Agpine für magis sincerum et genuinum halte (annales ord. s.
. IL p. 161).
2) ©. oben S. 510.2; ©. 52. 7.
%) ©. oben ©. 50 N. 7.
9 Willibald, Vita 8. Bonifacii, faßt e8 entſchieden ebenfo auf, da er von
beiden Ordinationen mit ähnlichen Worten redet, p. 461: jam sibi suaeque in-
firmitati, longevo aetatis senio decrepitus, salabre exhibuit consilium .. .
et duos bonae industriae viros ad ordinem episcopatus promorit, Willibal-
dum et Burchhardum; p. 463: quem [chorepiscopum Eoban] ad subvenien-
dum suae senilis aetatis debilitati Fresonis, injuncto sibi episcopio in urbe
quae vocatur Trehct, subrogavit.
) Epist. Bonif,, Jaff& IIL. ep. 107. p. 260: Et sibi corepiscopum ad
ministerium implendum substitnit.
% ©. die vorftehende Note 4.
?) Dronke, Cod. dipl. Fuldensis n° 5. p. 4: Signum Eoban episcopi.
2 ©. unten Cap. VL.
) Sonderbare Srrthümer begeht der Geſchichtſchreiber der Stadt Eöln, wo
er diefes Streites gedenkt. „Nach dem Tode des durch Vonifacius zum Biſchof
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 55
Caſtell Utrecht fammt der dafelbft befindlichen Kirche der Colniſchen
Varochie untergeben mit der Bedingung, daß der Biſchof von Cöln
das Vollk der Friefen zum Chriftenthum befehre. Daher forderte er
den ehemaligen Sig Willibrords für ſich zurüd und beftritt ihm den
Charakter eines biſchöflichen Sites. Bonifacius Hatte zweierlei zu
erwibern: erftens nämlich hätten die Cölner Bifchöfe jene Bedingung
Dagoberts nicht erfüllt, die Frieſen feien heidniſch geblieben, bis Papft
Sergius den Willibrord mit der Predigt dafelbft betraut. Sodann
fei auf das winzige umd obendrein längſt verfchüttete Kirchlein aus
der Zeit Dagoberts weniger Werth zu legen, als auf die Vorſchrift
des apoftolifchen Stuhls, auf die päpftlihe Ordination und das Legaten-
amt Willibrorde. Utrecht müffe daher ein Bifchofsfik bleiben, dem
römifchen- Papfte unmittelbar unterthan, weil zur Belehrung der Friefen
gegründet, von denen noch immer ein großer Theil heidniſch fei. )
Diefe Discuffion, welche, nad einigen Ausdrücken des darüber
vorliegenden Berichtes zu ſchließen, bei einer perfönlichen Zufammen-
kunft der beiden Kirchenhäupter ftattgefunden hatte, blieb ohne Refultat.
Da der Biſchof von Cöln nicht nachgeben wollte, wandte ſich Bonifaz
an das Urtheil des Papftes Stephan, und indem er ihm die Streit
frage darlegte, erflärte er fich, falls der Papft feiner Meinung nicht
beiftimme, zur Nachgiebigfeit bereit; falls jener jedoch fein Auftreten
bilfigte, erbat er fi) aus dem Archiv der römischen Kirche eine Ab⸗
ſchrift der Inſtruction, welche einft Sergius dem zum Bifchof ordinirten
Willibrord gegeben hatte. ®)
Es ift klar, was beide Gegner wollten. Der Biſchof von Eöln
forderte nicht etwa eine Metropolitangewalt über das Bisthum Utrecht,
fondern die Einverfeibung des friefiichen Gebiets in feine Diöcefe,
indem er ihm grade den Charakter eines bifchöflichen Gebietes ftreitig
machte. Bonifaz hinwiederum wünſchte nicht nur diefen bifchöflichen
Charakter gewahrt, fondern, was ihm das Wichtigere war, die uns
mittelbare Unterordnung Frieslands als eines von Rom aus hriftiani-
firten und immer noch zu hriftianifirenden Landes unter den päpftlichen
Stuhl. Ohne Zweifel gedachte er das aus Rom erbetene Schreiben
des Sergius in gleicher Weife, wie er es mit dem Privilegium des
Zacharias für Fulda that, dem Könige vorzulegen, um von diefem _
von Utrecht ernannten Willibrord, fagt er, beftritt Hildegar von Cöln das Recht,
einen neuen Bifchof für die Utrechter Diöcefe zu beftellen ... Bonifacius erfuchte
den Bapft Stephan IL, traft päpftlicher Machtvolllommenheit die obſchwebende
Frage zu entſcheiden und den Cölner Stuhl ... mit feinen Anfprüchen auf die
feiefifehe Provinz abzuweiſen. Stephan ſcheint fih zu Gunflen des Bonifacins
entſchieden zu haben:” Ennen, Geſch. der Stadt Eöln I. (1868), ©. 191. Er
Überfieht, daß Wilisrord 739 farb, während Stephan IL. erft 752 Papft wurde.
Ganz —— aber iſt die angebliche Einſetzung Willibrords durch Bonifaz.
) Epist. Bonif., Jaſté II ep. 107. p. 261: Fiat sedis episcopalis, sub-
jeeta Romano pontifiei, praedicans gentem Fresorum, quia magna pars
ilorum adhuc pagana est.
3) Daf. p. 259--261.
56 Capitel IV. 768.
ein ähnliches Diplom für Utrecht zu erlangen, wie es ihm für fein
Kloſter zu Fulda erteilt worden ift.
Ueber den weiteren Verlauf des Streites Tiegt jedoch feine aus-
drückliche Nachricht vor. In einem fehr ähnlichen Falle, der fich einft
im Anfange der Wirkſamkeit des Bonifaz, 724, zugetragen und offenbar
das mitteldeutiche Miffionsland betroffen Hatte, war Papſt Gregor II.
auf die Seite des Bonifaz getreten und für deſſen Anficht auch den
Hausmaier Karl Martell zu gewinnen bemüht. *) In gleichem Sinne
fiel gewiß auch diesmal die päpftliche Entſcheidung aus; beide Gegner
jedoch eveilte fehr bald der Tod durch Heidenhand. Vielleicht wollte
Hildegar etwas verjpätet nachholen, was Dagobert einft feinem Vor-
gänger in Betreff der Heidenmiffion aufgetragen hatte, indem er König
Pippin in den Sachſenkrieg begleitete. Auch des Bonifaz Tod wird
früher erfolgt fein, als ihm die Entſcheidung Stephans zukommen
fonnte. Daß fie aber feinem und dem eigenen päpftlichen Intereſſe
entfprach, beweiſt wohl die glei) darauf von Pippin und dem Papfte
Stephan unmittelbar ausgehende Ernennung Gregors zum Nachfolger
des Märtyrer in der friefifchen Miffion. °)
3. Fulda.
Die Gründung des Klofters Fulda fällt in die Zeit, da Bonifaz
noch ausfchlieglich in der Eigenschaft eines päpftlichen Legaten unter
den Franken wirkte, als weder Mainz noch auch Cöln bereits zu feiner
Metropole erwählt war. 3) Die Gründung diefes Klofters jteht daher
in engem Zufammenhange mit feiner apoftolifhen Sendung. Es ift
wohl wahr, daß dajjelbe durch feine einfame Lage aud den Zwecken
der Asceje zu dienen beftimmt war; *) allein Bonifacius hebt doch
mit befonderem Nachdruck Hervor, daß der Ort mitten unter den
1) Epist. Gregorüi II. papae, 724 4. Dec., Jaffé II. ep. 25. p. 86:
Porro pro episcopo illo, qui nunc usque desidia quadam in eadem gente
praedicationis verbum disseminare neglexerat, et nunc sibi partem quasi in
parrochiam defendit, Carolo excellentissimo flio nostro patricio, ut eum
Conpescat suadentes, paternis litteris scripsimus. Et credimus, quod hoc vitari
praecipiat,
®) Vita Gregorii abb. Trajectensis c. 14, Mabillon Acta SS. III. 2.
p- 329: post martyrium sancti magistri . . . ipse quoque beatus Gregorius
& Stephano apostolicae sedis praesule et ab illustri et religioso rege Pippino
suscepit auctoritatem seminandi verbum Dei in Fresonia.
7% Sie erfolgte Anfangs 744: Eigil, Vita Sturmi c. 18, Pertz 88. IL.
p. 870-371.
6 — 3. B. Bonifaz den Ort als locus silvaticus in heremö
vastissimae solitudinis, Jaff6 Bibl. III. ep. 79. p. 219. ettberg, I. ©. 371
bis 372, gebt jedod zu weit, wenn er daraus den Schluß zieht, da von dem
Stifter „im firengften Sinne eine mönchiſche Anftalt für Ascefe und Contem-
plation, nicht aber für Mitfion und Aufklärung der Umgegenb beabfichtigt wurde.“
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 57
Nationen feiner Predigt liege, ') daß die vier Völker, denen er das
Wort Chrifti verfündet, im Umfreife deffelben wohnten, daß er diefen
Bölfern von bier aus, fo lange er lebe und bei Kräften fei, mit des
Papftes Beiftand nügen fünne und möchte. 2)
Das Kloſter war fehr bald eine Lieblingsftiftung des Bonifaz:
fowie die geeignete Stätte gefunden war, begab er ſich in eigner
Berfon zu Karfmann, um ſich diefe als Geſchenk zu erbitten; ?) er
ſelbſt vermehrte die Befigungen des Ortes um einige Heine Dörfer. +)
Jedes Jahr, fo oft ihm fein bifchöfliches Amt die Muße gewährte,
ging er wie zur Erholung nad) Fulda und weilte dafelbft: 5) eine
Anhöhe, die nad) ihm der Biſchofsberg genannt wurde, diente alsdann
zu feinem Aufenthalt; auf diefem „geliebten” Berge lag er dem Gebete
ob und forſchte in den Heiligen Schriften; zugleich benußte er die
Anweſenheit, um den Abt und die Brüder über die Pflichten ihres
Standes zu belehren. %) So wählte er denn auch Fulda zu feiner
Grabegftätte: ?) am diefem Orte, fehreibt er dem Papfte, habe ich mir
vorbehaltlich deiner Zuftimmung vorgejegt, den altersmüden Leib eine
Zeit lang oder auch nur wenige Tage durch Ruhe zu pflegen und
nad dem Tode begraben zu fein. ®)
As Bonifaz im Jahre 751 feinen Presbyter Lull mit gewich⸗
tigen Aufträgen an den Papft fandte, bildete die Sache des Klofters
Fulda einen bedeutfamen Gegenftand der Unterhandlung. Vielleicht
darf deshalb auch ein Schreiben des Biſchofs an den Abt Optatus
und die gefammte Congregation von Montecafino in diefelbe Zeit ge
fegt werden. 9) Denn ohne Frage hatte der ehemalige Hausmaier
1) p. 219: in medio nationum praedicationis nostrae.
%) p. 220: Quattuor etenim populi, quibus verbum Christi per gratiam
Dei diximus, in circuitu loci hujus habitare dinoscuntur; quibus cum vestra
intercessione, quamdiu vivo vel sapio, utilis esse possum.
®) Eigil, Vita Sturmi c. 11. 12. p. 370.
) Daf. c. 14. p. 872: aliquas ei [loco] villulas ad exquirenda eibi
necessaria tribuit.
9) Daf. c. 18. p. 371: Sic vero solebat saepe illos visitare ipse, et per
singulos annos, quantis vicibus licuit propter episcopalem curam quam plu-
rimam habebat in populo, venire et morari apud locum illum; vgl. c. 14.
p- 372, c. 16. p. 878.
%) Daf. c. 18. p. 871.
?) Willibaldi Vita S. Bonifacii c. 8, Jaffe Bibl. IH. p. 462: ibidem [ad
Fuldan] meum multis annorum curriculis corpus inveteratum perduc; daj.
p- 469: ad eum, quem vivens praedistinaverat, locum; Eigil, Vita S. Sturmi
©. 15. p. 872—873: Sturmi et qui cum eo de eremo convenerunt, con-
stanter dixerunt, quod sanctus episcopus plerumque apud eos manens, et
locum eis ubi corpus suum poguissent demonstrarit et quod absque dubio
ibi in solitudine voluisset corpore quiescere.
®) Jaff6 III. ep. 79. p. 220: In quo loco ... proposui ... post mor-
tem jacere.
) Jaff& III. ep. 104. p. 256: Reverentissimo fratri immo dilectissimo
oonsacerdoti Optato abba et universae sanctae congregationi, sub cura illius
regularis vitae normam custodienti. Optatus leitete da Klofter 750—760.
58 Gapitel IV. 758.
Karlmann damals bereits den Berg Soracte bei Rom mit dem ftilleren
Caſinum vertauſcht; *) fein Andenken aber war mit Fulda innig vers
nüpft, 2) umd an ihn vielleicht am meiften unter allen feinen Genoſſen
war des Bonifacius Bitte gerichtet, die Congregation möge in der
friedlichen Stille brüderlicher Eintracht für ihn beten, damit er von
allen Bedrängniffen frei den Vollern den Weg des Lebens zu zeigen
fortfahre; an ihn gewiß auch das Erbieten des Bonifaz, Alles, was
ihm zu ihun oder zu jagen aufgetragen würde, getreulich ausführen
zu wollen. ®)
Bei feiner Heimfehr aus Rom, Ende 751, bradte Lull feinem
Meifter das berühmte Privilegium für Fulda mit, €) deffen im Jahre
753 erfolgende Beftätigung durch Pippin 5) uns zu einigem Verweilen
nöthigt.
Man hat beitritten, daß die Ertheilung dieſes Privilegiums auf
den Wunſch des Bonifacius geichehen fei, wie die Urkunde ſelbſt aus-
drücklich befagt: ©) fein dem Lulf mitgegebenes Schreiben nämlich, fo
meinte man, enthalte nichts von einem ſolchen Geſuche; die Aeußerung
des Privilegs, daß Bonifaz um dieſe Neuerung gebeten habe, fei und
bleibe daher nicht wahr; was Zacharias aus der Bitte herausleſen
tönnen, ſei nimmermehr daſſelbe, was das Privilegium ausfage. 7)
„ Dabei überfah man jedoch, daß das Schreiben des Bonifaz uns nicht
vollftändig erhalten ift: ſchon der Schreiber ber Karlsruher Briefe
fammlung hatte dies bemerft und Hinter dem Briefe deshalb eine
Seite, die zweite des 35. Blattes, Teer gelafjen. 2) Bonifacius hat,
fo weit der Text uns vorliegt, überhaupt noch feine Bitte vorgetragen;
nachdem er von der Gründung des Kloſters gefprochen, von welchem
aus er unter päpftlichem Beiftand den vier von ihm befehrten Stämmen
auch ferner noch nüglich zu bleiben Hofft, äußert er den Wunſch, im
der Gemeinjchaft und im Dienft der römifchen Kirche unter ben
!) Einhardi Vita Karoli c. 2,
3) Bgl. 3. B. in dem Briefe des Bonifaz, welden Lull dem Papfte über
brachte, Jaffe III. ep. 79. p. 219, die Worte: Hunc locum supra dietum per
yiros religiosos et, Deum timentes, maxime Carlmannum quondam prineipem
Francorum, justo labore adquisivi; ferner Pippins Schentungsurkunde für Fulda
vom Juli 766, Sickel P. 24: pro animae nostrae remedium vel bonae memo-
a aymano nostro Carolomanno quondam (jo noch zweimal im derſelben
e)-
®) Jafts M. 3 104. p. 257: si quid fraternitas vestra nobis mandare
ad perficiendum vel ad dicendum dignata fuerit, voluntatis vestrae desi-
derium in omnibus adinplebimus.
*) Jatf6 Bibl. III. n° 82. p. 228-229; vgl. Ercurs V: Die Bulle des
Papſtes Zacharias für Fulda.
°) Sickel P. 7.
*) Postulasti a nobis, guatenus monasterium Salvatoris a te constru-
etum in loco qui voeatur Boconia, erga ripam fluminis Vultaha, privilegii
sedis apostolicae infulis decoretpr.
3 Rettberg I. ©. 615.
Jaffe Bibl. II. p. 220. N. d. und N. b.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 59
germanifchen Völkern, zu denen er gefendet fei, auszuharren, und
ftügt das Gelöbnig des Gehorfams gegen die päpftlichen Befehle durch
eine Reihe von DBibelitellen, welche die Ehrfurcht gegen den Vater
lehren. 1) Offenbar follte mit diejen Worten die Bitte um papſt⸗
lichen Schuß für fein Kloſter eingeleitet werben, das Antwortfchreiben
des Papftes felt dies auch ganz außer Zweifel. Darin meldet jener
dem Legaten nämlich die Bewilligung des Privilegs mit den Worten:
„Du haft aud) dies gewünfcht, daß das Kloſter, welches du in weiter
Einfamfeit und mitten unter den Völfern deiner Predigt gegründet
u. f. w.,?) für dich durch ein Privifegium des apoftolifchen Stuhls
gefügt werde: ?) dies haben wir, den Wunſch gemährend, ganz
deinem Verlangen gemäß volfzogen;* und er fügt, ebenfalls mit
biblifchen Citaten, eine Anerfennung feines ausbauernden Dienftes bei. *)
Der Inhalt des Privilegiums nun, das wir foeben als eine
Neuerung haben bezeichnen Hören, ift in Kürze folgender: Bonifaz
habe den Papſt gebeten, daß diefer fein in der Bochonia am Ufer der
Fulda erbautes Salvatorffofter mit einem Privilegium bes apoſtoliſchen
Stuhles ſchmücke, damit daffelbe, unter die Jurisdiction der römiſchen
Kirche geftellt, Yeiner anderen Kirche Gerichtsbarkeit untergehen werde.
„Diefen Wunsch,” fo fährt die Urkunde fort, „vollführen wir und ver⸗
bieten deshalb jeglichen Prieſter irgend welcher Kirche, in befagtem
Aoſter neben dem apoftolifhen Stuhle irgend eine Gewalt auszuüben,
ſodaß, wer nicht vom Abte des Kloſters eingeladen ift, nicht einmal
eine Mefje zu celebriren fich herausnehmen darf, damit e8 in Wahr-
heit als eine dem apoftolifchen Stuhl unterworfene Stiftung in feinen
Beſitzungen unerfchüttert bleibe.” Schließlich wird allen Kirchenvor-
ftehern insgefammt, 5) fowie den Inhabern irgend melder anderen
Würde für etwaige Uebertretung diejes Erlafjes mit dem Anathem
gedroht.
Eine der heftigften gefehrten Fehden war einft wegen diefer päpft-
fihen Bulle entbrannt, als fie noch die Wichtigkeit Hatte, dag mit ihr
die Unabhängigkeit des Kloſters vom Diöcefanbifchof ftand oder fiel.
A) Jaff6 Bibl. III. p. 220: Eccli. 8, 2. 7. 9. 10. 11.
— ep. 80. p. 222: Igitur et hoc petisti, ut monasterium in vastissima
solitudine et in medio gentium quibus praedicas constitutum ... atque in honore
Salvatoris Dei nostri dedicatum, ubi etiam et monachos sub regula beati Bene-
dieti degere ordinasti, illud venerabile monasterium nomini tuo privilegio sedis
apostolicae muniri. Wie der Anfang dieſes Gates faft wörtlid) dem voraus-
pegangenen Schreiben des Bonifaz (Jaffe III. ep. 79. p. 219: Est praeter ea
jocus silvaticns etc.) entnommen if, jo werden aud; die legten Worte dem Schluß
diefes Schreibens eniſprochen Haben. .
®) Nomini tuo confirmirte Zacharias dem Bonifaz einft auch die Metropole
Cöln, obwohl er damit pro fui temporibus ejusdem metropolitanae eccle-
siae stabilitatem bezwedte: Jaffe Bibl. ep. 81. p. 152.
+) Jaffe III. ep. 80. p. 222: Quod, votis tuie acquiescentes, ordinavimus
juxta desiderium et petitionem tuam. — uf p. 220 N. e muß «8 flatt
C 89”—40 wahrſcheinlich heißen: C 3639; vgl. p. 218 N. e und 226 N. g.
®) omnibus omnino cnjuslibet ecclesise praesulibus.
60 Eapitel IV. 753. j
Mit gleicher Energie wurde die Echtheit der Urkunde damals beftritten
und bewiefen. Seitdem ift der praftifche Zweck der Unterſuchung ge-
ſchwunden, das wiſſenſchaftliche Intereſſe aber geblieben, bis in nenefter
Zeit ſcharffinnige Forſchung die Frage wohl für immer zum Abſchluß
gebracht und den Verdacht einer Fälſchung befeitigt Hat.) Unter den
hierfür beigebrachten Argumenten find vor Allem die analogen Urkunden
früherer Päpfte für angelfächfifche Möfter bemerfenswerth, in denen
diefelben Beltimmungen, ja auch diefelben Ausdrüde wie in der
Zuldaer Bulle angetroffen werden, in&befonbere wie dort von der Aus—
ſchließung jeder anderen als päpftlichen Yurisdiction die Nede ift. °)
In ihnen gewinnt daher auch die dem Fuldaer Privifegium gleich
Tautende Urfunde des päpftlichen Formelbuchs, 3) für deren Entjtehungs-
zeit die kritiſch fo umfichere Befchaffenheit jener wichtigen Quellenfchrift
nur unvollfommene Anhaltspunkte bietet, wenngleich nicht ihrem Wort-
Taut, fo doc) ihrem Inhalt nach die zuverläfjigfte Unterlage; und eine
Herleitung der Formel aus dem angeblich erdichteten Privilegium für
Fulda ift ſonach unmöglich. Das Verhältniß ift vielmehr einfach dies,
daß Papft Zacharias ſich bei Ausftellung der Bulle einer Faſſung
bediente, weiche ſchon fo oft zur Anwendung gefommen war, daß fie
in der päpftlichen Kanzlei bereits als ftehende Formel galt.
Das Fuldaer Privilegium kann alfo ſchwerlich fo unfanonifch ‘
gewefen fein, wie. gewöhnlich ſelbſt von Seiten der Vertheidiger der
Urkunde behauptet wird; vielmehr ſcheint mir das Eigenthümliche
defielben bisher noch nirgends genügend erfaßt. „Das Neue und Un—
erhörte des Inhalts,“ fagt ein gefehrter Forfcher, *) „liegt nicht ſowohl
in der Verfürzung der Ordinariatsgewalt für Mainz, als vielmehr in der
unmittelbaren Unterwerfung defjelben unter den päpftlichen Stuhl,
wozu die befannten Verhältniſſe, das Erſuchen des Bonifaz und die
fpätere Stellung Fulda's zu Mainz nicht paſſen.“ „Es ift ganz richtig,“
jo Heißt es an einem anderen Orte, °) „daß der Papft Zacharias in
feinem Privilegium ſich über alle fanonifchen Beftimmungen hinweg-
gefegt und durch die Exemtion des Kloſters eine bie dahin im Franfen-
reihe unerhörte Neuerung vorgenommen habe.“ Ferner: °) „Das
Außergewöhnliche des Inhalts ift, daB Fulda der Jurisdietion jeder
anderen geiftlichen Autorität, d. 5. auch des Didcefanbifhofs entzogen
und ausschließlich der Yurisdiction des päpftlihen Stuhls unterſtellt
wird. Andere, von Biihöfen ertheilte, Klofterprivilegien gewähren
nur Garantie gegen den Mißbrauch der Episcopalgewalt und laſſen
4) Sidel, Beitr. z. Dipl. IV. ©. 609-635.
2) Daf. ©. 631; vgl. ©. 622. N. 2.
®) Liber diurnus Romanorum pontificum ed. Garnerius p. 118. Die
neue Ausgabe von de Roziere, Paris 1869, habe ich leider nicht einfehen können.
+) Rettberg IL. ©. 677.
) Sidel a. a. D. ©. 629.
) Daf. ©. 622.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 61
das bijchöfliche Oberauffichtsrecht fortbeitehen; ) hier aber wird geradezu
das Fanonifch feftitehende Recht des Biſchofs aufgehoben.“
Ich frage zuvörderſt: welche Diöcefe Hatte denn einen Anfpruc auf
Fulda, ſodaß von einem kanoniſch feftftehenden Rechte des Diöcefan-
biſchofs geredet werden könnte? Als das Kloſter gegründet wurde,
ftand Bonifacius, der „Gefandte des heil. Petrus“, an der Spitze des
gefommten Clerus, ohne daß die Verwaltung eines einzelnen Sprengel®
ihm aufgebürdet war. In der Eigenfchaft eines päpftlichen Legaten
leitete er die Angelegenheiten des Kloſters wie die aller anderen
Schöpfungen feiner Mifjionsthätigkeit. Indem er mehrere Jahre
fpäter das Erzbistum Mainz übernahm, konnte feine Meinung nicht
fein, die nur perfönfiche Union zwifchen feinen Stiftungen und Mainz
zu einer realen zu machen ober vollends in ein Abhängigfeitsverhäftnig
umzuwandeln. Das Kloſter Fulda ftand nicht unter dem Bisthum
Mainz, fondern nur unter dem Legaten Bonifacius, der zufällig auch
Biſchof von Mainz geworden war. Er ftand über Fulda kraft apofto-
liſchen Mandats, er befaß Mainz aus Auftrag der fränfifchen Staats-
gemalt. Von dem Eintritt des Kloſters in ein bifchöfliches Amtsgebiet
verlautet nichts; %) was berechtigt uns, von dem Oberaufſichtsrecht
eines Ortsbifhofs zu reden?
Das Klofter gehörte alfo keinem fränfifchen Bisthum an; es
ftand allein unter dem Papft, dem Oberhaupt aller Miffion, und
feinem deutichen Glaubensboten. Diejes thatfächlich ſchon beftehende
Verhäftnig wünfchte Bonifaz zu einem dauernden zu geftalten: darum
erbat er fid) das Privilegium. Wir haben ihn dafjelbe Verfahren im
Jahre 742 bei Gründung der drei mitteldeutichen Bisthümer, °) vor
Allem aber 753 im Intereſſe der Willibrord'ſchen Stiftung in Fries-
land beobachten fehen. *) Wie er darauf dringt, daß Utrecht ein nur
dem römischen Bischof 'untergebenes Bisthum bleibe, 5) fo fordert und
erlangt er auch für Fulda, daß es unter ber Jurisdiction feiner
anderen, als der römischen Kirche ftehe. *) Eine Erſcheinung alfo,
?) Nihil de canonica institutione convellitur.
®) Erſt in der päpftlichen Bulle für Mainz vom 4. Nov. 751 (Jaffe IIL
n° 81: p. 226) werben u. X. alle von Bonifaz für das Chriſtenthum geivonnenen
Gebiete dem neuen Bisthum untergeordnet. Mit jener Bulle aber ſteht das
Privilegium für Fulda, welches von bemfelben Tage datirt ift, vieleicht in ger
nauem Zufammenhang, injofern es gerade die Ereintion- des Kloſters von der
neugegrändeten erzbifchöflichen Gewalt bezwedte. Die Grrüchtung bes Erzbisthums
war auf den Wunſch der Franken (juxta eorundem filiorum Francorum peti-
tionem), die Erimirung Fulda’s auf Bitten des Bonifaz geſchehen Doc; das
Mainzer Privileg blieb ja überhaupt unausgeführt.
°) ©. oben ©. 46—47. B
+) ©. oben S. 5456.
®) Jaffe Bibl. III. ep. 107. p. 261: sedes episcopalis subjecta Romano
pontifici.
°) Daf. ep. 82. p. 228: ut sub jurisdictione sanctae nostrae, cui deo
auctore deservimus, aecelesiae [i. e. Romanae] constitutum nullius alterius
aecclesiae jurisdietionibus sabmittatur.
62 Capitel IV. 758.
die ſich zu gleicher Zeit mehrfach wiederfindet und die durchaus folge-
richtig fi) aus dem Weſen der Heidenbefehrung erklärt, Tann nicht mit
Recht als unerhört und außergewöhnlich bezeichnet werden.
Es ift gejagt worden, das Privilegium enthalte eine mit den
Tendenzen bed Zacharias und Bonifacius unverträgliche Verlegung der
Kanones; denn von ihnen fei das hierarchiſche Band in Deutfchland
begründet, feien demgemäß auch die Klöfter der Episkopalgewalt unter»
geordnet worden, wie es die zu neuer Anerkennung gebrachten Kanone
vorjchrieben. 1) Dem ift zunäcft entgegenzuhalten, daß auch die un»
mittelbare Unterordnung jener eben genannten Bisthlimer unter Nom
den hierarchiſchen Grundfägen zuwiderlief, welche vorfchrieben, daß die
Biſchofe unter einem Metropolitan und erft diefer unmittelbar unter
dem Papfte ftehen folle. Wir fehen Hieraus, daß dem Bonifaz für
den Erfolg der Miffton nichts erfprießlicher fchien als die directe Ver—
bindung ber neu gewonnenen Gebiete mit der Quelle der Lehre, mit
Nom, ſelbſt wenn dabei die fanonifche DVerfaffung einigen Schaden
nahm. Denn in feinem Briefe an Erzbifchof Cubberht von Kent,
in welchem Bonifaz ein Bild der hierarchiſchen Ordnung entwirft,
erſcheint die Metropolitanwürde als ein wefentliches Glied des Ganzen, ?)
und auch in den Gapitufarien der 40er Jahre, die unter feiner Ein-
wirkung erlaſſen worden waren, ift dem erzbifchöflihen Amte die ihm
gebührende Stellung eingeräumt.) Das Gleiche aber läßt fi von
den Beziehungen der Biſchöfe zu den Klöftern nicht jagen. Weder in
den vorerwähnten Capitufarien noch aud in den Briefen des Bonifaz
oder in denen, welche Zacharias nad) dem Franfenreich richtete, findet
fih eine Stelle, welche die Klöfter der Episfopalgewalt zumeift. 4)
Allerdings wird ein ſolches Verhältniß in den galliihen Synoden des
6. und 7. Jahrhunderts öfter geltend gemacht, 5) und es iſt anderer⸗
feits richtig, daß ſchon in den 40er Jahren des 8. Jahrhunderts die
Reichsverſammlungen Karlmanns und Pippins ſich ausgefprocener-
maßen die Erneuerung der fanonifchen Decrete und kirchlichen Satzungen
zur Aufgabe ftellten. %) So oft jedoch in unferen Gapitularien mit
allgemeinen Worten von der Wiederherftellung des kanoniſchen Rechts
geredet wird, find gewiß nur diejenigen Beftimmungen deſſelben gemeint
und wirklich zur Ausführung gelangt, welche neben jenem allgemeinen
!) Sidel a. a. O. S.
°) Jaff& III. ep. .
®) Bal. befonders Pippini prineipis capitulare Suessionense a. 744 c. 8:
ordinavimus per civitates legitimos episcopos; ideirco constituemus super
eos archiepiscopus Abel et Ardobertum, ut ad ipsius vel judicia eorum de
omne necessitate ecelesiastica recurrant tam episcopi quam alius popul
*) &o heißt e8 3. B. Karlomanni prineipis capitulare a. 742 c. 7 nın
Et ut monachi et ancillae Dei monasteriales juxta regulam sancti Benedicti
ordinare et vivere, vitam propriam gubernare studeant.
5) ©. Rettberg II. ©. 671.
*) ®gl. ;. ®. Karlomanni principis capitulare a. 742 c. 1: ut canonum
decreta et ecclesiae jura restaurentur et religio christiana emendetur.
629—630.
02.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 68
Sage noch den ausbrüdlichen Gegenftand eines befünderen Paragraphen
bifdeten. Erſt nach dem Tode des Bonifacins, im Jahre 755, wurde
zu Verneuil die Unterordnung der Mlöfter unter die bifchöfliche Aufficht
mit beftimmten Worten ausgefprocen: ?) ein Beweis, daß Bonifacius
fie entweder nicht durchgefegt ober nicht durchzufegen beabfichtigt hat.
Es wird überhaupt zwifchen dem, was vor und was nad) bem Jahre
754 für die fränkiſche Kirchenverfaſſung geſchehen ift, forgfältig zu
unterfcheiden fein. Das Werk des Bonifaz Hat feinen Urheber aller-
dings überdauert, aber doch in weſentlich modificirter Geftalt. Auch,
den Nacjfolgern kam es auf die Sicherung des Chriſtenthums duch
fefte äußere Formen an; während Bonifaz aber, im wahrften Sinne
ultramontan, den Stügpunft feiner Inftitutionen vor Allem in Rom
geſucht Hatte, erfannten die Späteren es für beffer, die fränkiſche
Staatskirche innerlich auszubauen und den gefammten Clerus des
Reichs, die Mönche wie die Priefter, als ein im fich geichloffenes Ganze
zu organifiren. ?)
Noch in einem Punkte feheint mir die neueſte Auffaffung der
Bulle einer Berichtigung zu bedürfen. Auch folche Klofterprivilegien,
welde von Ortsbifchöfen ertheilt find, enthalten die Beſtimmung, daß
der Biſchof in dem Kloſter nur auf Aufforderung des Abtes bie ihm
auftehenden Zunctionen verrichten, insbefondere Kirchen und Altüre
confecriven, Weihen ertheilen und die Mefje feiern dürfe. Die kurze,
negative Faffung der päpftlichen Bulle nun °) ift in noch engerem
Sinne fo gedeutet worden, daß die Befugniffe bes Ortsbiichofs darauf
befchränft feien, daß er auf Einladung des Abtes die Mefje im Kloſter
eelebriren dürfe. *) Aber offenbar mit Unrecht. Von den biſchöflichen
Verrichtungen ift das Mefielefen als die vorübergehendſte Handlung
unftreitig auch die geringfügigfte; die Conferrationen dagegen behalten für
die Zufunft Werth. Nur um die volle Autonomie des Kloſters zu
bezeichnen, Hebt Zacharias hervor, daß ſelbſt bie eier einer Meſſe
nicht ohne Erlaubnig des Abtes geſchehen dürfe, °) keineswegs aber,
daß nur die Meffe auf Einladung des Abtes geftattet fei. Vielmehr
blieb der Abt gewiß auch Hier berechtigt, zu den Actus. episcopales
in ihrem ganzen Umfange einen Bifchof ins Kloſter zu berufen.
4) Capitulare Vernense c. 8. 5. 6. 10. 11. — Xettberg, IL. ©. 676, er⸗
blickt darin mißverfländficher Weife einen „Verſuch im Geifte des Bonifaz, um
die bedentlichen Folgen jener Eremtionen für die biſchöfliche Gewalt abzuwehren.“
?) Setoft äußerlich glaube ich zwiſchen den beiden Geiegebungen den Unter
ſchied waßrzunehmen, daß als Duelle des Tanonifchen Rechtes zur Zeit des Bonifacius
dx Diomihe Coder Canonum, nach ipm dagegen die fog. IMdoriiche Sammlung
jedient hat.
J 9) nisi ab abbate monasterii fuerit invitatus, nec missarum solemnitatem
ibidem quispiam praesumat omnimodo celebrare.
*) Eidel a. a. ©. ©. 628.
®) Nec wäre ſonach als ne-quidem zu deuten; vgl. Jaffe Bihl. IV. p. 35.
89, Cod. Carol. ep. 6. 7: nec unius enim palmi terrae spatium (et nec uhius
p. t. sp.) b. Petro reddere passus est.
64 Eapitel IV. 758. \
Bon einem Ortsbifchof zu reden, dazu freilich gibt ebenſowenig
die vorermähnte thatfächliche Stellung Fulda's, wie der Wortlaut ber
Bulle Anlaß: der Abt durfte zu den bifchöflichen Amtshandlungen den
Vorfteher jeder beliebigen Diöcefe wählen, und ohne feine Einladung
war eben Jeder ausgefchloffen. Ein Veifpiel unerlaubten Eingriffs,
noch aus dem 8. Jahrhundert, jei hier angeführt, zumal es bisher
ganz unbeadhtet geblieben. ) Die-Kunde davon ift in einem Briefe
de8 Rabanus Maurus an feinen Nachfolger in Fulda, den Abt Hatto
(842—856), erhalten, doch auch diefer Brief ung nur in einem: dürf⸗
tigen Auszuge überliefert. So viel aber erfennen wir mit Beftimmt-
heit, daß Biſchof Bernwolf von Würzburg, welcher im Yahre 800
“ ftacb, ®) fih eine Ordination im Kloſter Fulda erlaubt Hatte; daß
deshalb zwifchen ihm, dem Biſchof Nicolf von Mainz und dem
Zuldaifchen Abte Baugolf, dem Nachfolger Sturms (780—803), ein
Streit ausbrach — wobei übrigens unflar bleibt, welcher Partei Biſchof
Nicolf angehörte —; daß der Gegenftand des Streites die Bulle des
Papſtes Zacharias war, indem der eine Theil, offenbar Baugolf, ſich
auf diefelbe berief; daß die Sache endlich vor Karl und den Biſchöfen
in einer Synode verhandelt und der Bifchof von Würzburg wegen
miberrechtlicher Ordination verurtheilt worden ift. Dieſe kurze Notiz
wird für uns dadurd fo werthvoll, daß wir daraus erfahren, wie
faum 50 Jahre nad Ertheilung der Bulle ein biſchöfliches Concil,
gegen alles bifchöfliche Intereſſe, fich zu Gunften ihrer Gültigkeit aus-
ſprach; ein neuer Beweis für die Echtheit des päpſtlichen Privilegs,
der offenbar Höher anzufchlagen ift, als die BVeftätigungsurfunden der
nachfolgenden Päpfte und felbjt als die Mittheilungen Eigils im Leben
des Abtes Sturm. °)
Alter diefer Beweiſe freilich Hätte es micht bedurft, wenn die
Urkunde, in welcher Pippin dem Bonifaz das Privilegium des römifchen
Stuhls beftätigt, *) im Original erhalten wäre. Wohl wenige Documente
) Wir verdanken feine Kenntniß den Magdeburger Centurien, aus welden
Dümmler unter vielen anderen Stellen, die auf einen Fuldaiſchen Briefcoder des
9. Jahrhunderts hinweiſen, aud) den uns intereffivenden Paſſus ans Licht gezogen
hat. Derfelbe befindet fi in der Octava Centuria ecclesiasticae historiae
(Basil. 1564) cap. 10 (de episcopis et doctoribus), col. 808 (Herbipolenses
seu Wirzburgenses) und lautet: Megingaudo successit Bernwolf et praefuit
annis septem. Inter eum et Riculfum Moguntinum episcopum et Bougulfium
Fuldensem abbatem ortum est dissidium propter chartam quandam, quam
aliqui Bonifacium a pontifice accepisse efirmarunt. Tandem causa in prae-
sentia Caroli et episcoporum in synodo tractata Berwolffus damnatur propter
illicitam ordinationem in Fuldensi coenobio factam. Rabanus in epistola
ad Hattonem. Qgl. Dümmler, Ueber eine veriholene Fuldifhe Brieffammlung
des 9. Jahrhunderts, Forfhungen zur deutfchen Geſchichte V. (1865) ©. 869.
2) Rettberg IL ©. 320.
») Eigil, Vita S. Sturmi c. 19, Pertz SS. II. p. 375. — Vielleicht gab
biefer Streit mit Bernwolf von Würzburg dazu Anlaß, daß man in Fulda, eiwa
weil das Originaldiplom Pippins an den Hof gejhict wurde, von demfelben zu-
vor dene Abfcrit nahe, von welcher jogleih die Rede fein wird.
ickel P. 7.
Die Privilegien von Utrecht und Fulda. 65
haben die Diplomatif in ſolchem Maße befchäftigt, wie diefe Urkunde,
Es genügt, auf die Studien des neueften Forſchers hinzuweiſen, der
die zu Fulda aufbewahrte Handfehrift bei der erften Unterfuchung für
ein Original erklärt Hatte, !) diefen Ausſpruch aber nach wiederholter
Prüfung zurüdgenommen und in dem Document nur eine gegen das
Ende des 8. Yahrhunderts veranftaltete Abfchrift erfannt hat.2) Bei
diefem Urtheil wird es nun wohl für immer fein Bewenden haben,?)
und das füniglihe Diplom, das daher ebenfomohl eine Fälſchung wie
eine Copie fein fönnte, hört damit auf, als ein Beweis für die Echtheit
der päpftlichen Bulle zu gelten, bedarf ihrer vielmehr zu. feiner eigenen
Anerkennung.
Das Schreiben‘ des Königs ift zu Attigny im Juni deö zweiten
Zahres feiner Regierung, d. i. 753, erlaffen. Hierhin alfo Hatte ſich
Pippin von Verberie aus begeben, wo wir ihn nod am 23. Mai
die Utrechter Urkunde haben ausſtellen ſehen. Das Schreiben ift an
Bonifaz gerichtet, und zwar bezeichnender Weife als den germanifchen
Legaten des apoftolifhen Stuhlse. 4) Es wiederholt, um fie zu be-
fräftigen, °) die Worte des oben erörterten päpftlichen Privilegs von
der Ausfchliegung aller priefterlichen Gewalt, der unmittelbaren Unter⸗
ordnung des Klofters unter Nom, und legt befonderen Nachdruck
auf ben dabei beabfihtigten Schuß des gegenwärtigen und fünftigen
loftergutes. %) Es gedenkt der Zuftimmung der Biſchöfe und anderen
Getreuen, 7) offenbar derfelben, welche die Urkunde mit unterzeichnet
haben ®) und in deren Verfammlung vielleicht aud) der Plan des
2) Sidel, Beitr. 3. Dipl. I. S. 142.
?) Derf., Beitr. z. Dipl, IV. S. 598—609.
®) In jüngfter Zeit hat Herquet, Specimina diplomatum monasterio Ful-
densi a Karolis exhibitorum (photographifche Nachbildungen), Heft 1 (1867),
noch einmal unternommen, die Originalität der Urkunde darzuthun; über die
Unftichhaftigteit feiner Beweiſe jedod vgl. Adolf Cohn, Gött. gel. Anz. 1868,
Stüd 18, ©. 692—695.
) Bonifatio archiepiscopo et legato germanico ab apostolica sede directo.
Im weiteren Verlaufe heit e8 noch einmal: ex auctoritate sancti Petri prin-
cipis apostolorum, pro quo legatione fungeris.
s) privilegium . . . per omnia roboramus.
*) Bgl. oben ©. 46. Der Yusorud ex donis et oblationibus deeimisque
fidelium ift techniſch, ja fogar biblijchen Urfprungs, daher für die Frage nad; dem
Charakter des Zehnten umerheblich. Dal. 5. ®. Jaffd Bibl. IIT. ep. 70. p. 206:
Lac et lanas ovium Christi oblationibus cotidianis ac decimis fidelium sus-
cipiunt; capit. synodi Aschaimensis, Pertz LL. III. p. 457, c. 7: alienas
oblationes aut deeimas. Die biblijhe Quelle des Ausbruds ift: Numeri c. 18.
7) cum consensu episcoporum ceterorumque fidelium nostrorum.
®) Wegen des Signum Lul episcopi ift e8 durchaus nicht nöthig, eine
jpätere Unterzeichnung der Zeugen anzunehmen. Lull war ſchon feit längerer Zeit
corepiscopus, dazu des Bonifaz befignirter Nachfolger in Mainz, und wurde ger
wiß wie Eoban bald corepiscopus, bald episcopus genannt. Grade daß feiner
Unterjchrift die des Eoban von Utrecht folgt, der ja zugleich mit Bonifacius den
Märtyrertod erlitt, dient zum Beweiſe, daB auch Lull nicht erſt nad) des Bonifacius
Tode feinen Namen —— haben kann; ein zweiter Beweis iſt das noch
ſpãter kommende Signum gingozi presbiteri, offenbar des Nachfolgers von
Zahrb. d. diſch. Ceih. Oelsner, König Pippin.
66 Capitel IV. 753.
Bonifacius, nah Friesland zu gehen, dem Könige vorgetragen und
zur Berathung gebracht worden ift. Denn daß aud Bonifacius zu
Attigny amwefend war, beweift feine Namensunterfchrift; daß er die
Reife aber nicht antrat, ohne ‚vorher „mit dem Könige und anderen
Chriſten“ darüber Raths gepflogen zu haben, wird uns von anderer
Seite glaubwürdig berichtet.*)
Nachdem er nunmehr in treuer Fürforge die Angelegenheiten
zweier Lieblingeftiftungen nad Kräften geordnet und fichergeftellt, trat
Bonifaz jene glorreiche Bekehrungsreiſe an, auf welcher er dur
Heidenhände den Tod finden follte. Pippin aber begab fih in einen
der zahlreichen Sachſenkriege, welche in ihrer Weife ebenfalls den
Miffionszweden dienten, von denen jedoch noch lange Zeit jenes Wort
gelten fonnte, womit einft Tacitus bie römiſch-germaniſchen Kämpfe
harafterifirt hatte: triumphantur magis quam vincuntar.
Burchard im Bisthum, Würzburg. Uebrigens ſchließt der Tert ausdrüclich mit
den Worten: tam anuli nostri impressione quam fidelium nostrorum adstipu-
latione subnixum. — Bon den Präfeften, welche mitunterichrieben haben, finden
wir mehrere in der Adreffe eines von Jaffé zum erften Male aus der Karlsruher
Handſchrift veröffentlichten Schreibens des Papftes Bea jaria wieder (Bibl. III.
ep. 68. p. 195); e8 find: Throandus (vieleicht der Stifter des Kiofters. Holze
Hirhen, das Karl 775 an Fulda verlieh; Rettberg I. ©. 607. 638), Liutfridus,
Hrunzolfus (Rantulfus), Hroggo (Rocgo). — Für den fräntifchen, Erchrauch des
Wortes praefectus wäre zu ben Stellen bei Waitz, BG. IL. ©. 824. N. 1, IIL
©. 325. N. 3 und IV. ©. 512. N. 2, noch anzuführen: Karla prince,
capit. Liftin. c. 1 (comites et praefecti); Jaf6 III. ep. 92. p. 240 (Carissimo
filio Regeberhto praefecto Bonifacius); Willibaldi Vita Es Bonif. c. 8. p. 468
(ejusdem urbis praefeotus), c. 9. p. 470 (unus, qui. officium praefecture
secundum indietum gloriosi regis Pippini super pagum locumque illum gerebat).
m) Eigil, Vita S. Sturmi e. 15: inito cum rege et ceteris christianis
eonsilio,
Fünftes Gapitel.
Beftätigung des Marktrehtes von ©. Deny2. ')
753.
Ehe wir zu den Sriegsereigniffen des Jahres 753 übergehen
fönnen, bleibt ung noch von einer Verhandlung des königlichen Gerichtes
zu melden, welche ein mehr als 100jähriges Recht des Kloſters
©. Denys betraf.
Im Jahre 629 nämlich hatte Dagobert I., unter den mero-
wingifchen Gönnern des Nlofter8 der treuefte, zwifchen dem Orte
©. Denys und Paris, alfo im Norden diefer Stadt, ?) einen Markt
errichtet, der alljährlih am 9. Detober, dem Feſte des heiligen
Dionyſius, ®) beginyen und des Fremdenzuzugs wegen vier Wochen
dauern follte, *%) Denn e8 wurde auf die Theilnahme nicht nut aller
Städte des Reiches, fondern auch des Auslandes gerechnet, fo der
überfeeifhen Sachſen, d. i. der Angelfachfen, die fich vorzugsweiſe,
4) Die bier in Betracht Tommenden Urkunden find: a) Diplom Dagoberts I.
vom Jahre 629, Migne Patr. lat. LXXX. col. 510-511. Jacobs, Note sur
le commerce en Gaule au temps de Dagobert, Rev. arch£ologique Sept. 1861,
liefert p. 188—190 ebenfalls den Text mebft einer Ueberfegung. — b) Placitum
Chifdeberts TIL. v. Jahre 710, Migne col. 11081110. — c) Diplom
Bippins vom 8. Juli 758, Sickel P. 8. (Migne XCVI. col, 1524—1526),
%) Urhunde Re a: in illa strada, que vadit Parisius eivitate, in loco qui
dieitur Pasellus s. Martini; ofenbar in der Nähe der Kirche S. Martin. Bol.
Alfr. Jacobs, G&ographie de diplömes merovingiens, Paris 1862, p. 12.
®) Daf.: ad missa ipsa quae evenit septimo idus octobris.
+) Daj.: Jubemus etiam, ut’ ipse mercadus per quatuor septimanas
extendatur, ut illi negociatores de Longobardia sive Hyspanica et de Provencia
ac de alias regiones illuc advenire possent, Jacobs, Note, ſchließt daraus,
daß eine Reife von Oberitafien nad) Norbfrankreic damals auf vier Wochen ver-
anſchlagt werden mochte.
68 j Copitel V. 76.
wie es fheint, der Häfen von Rouen und Vie!) zu ihrer Landung
bedienten, 3) fodann vom Süden her der Langobarden aus Oberitalien, °)
fowie der Gothen aus Languedoc und der Provence. *) Die vorzlig-
fichften Handelögegenftände waren Wein, Honig und Krapp, wenig.
ftens für die Käufer, welche über den Canal famen. °) Mit jener
Marktberehtigung nun war, als weſentlichſter Vortheil derfelben, feit
dem dritten Jahre nad Ertheilung des Privilegiums — denn bie
erften zwei Jahre Iang ſollte zur befjeren Begründung des Marktver-
kehrs allgemeine Zoltfreiheit herrſchen — der Befig aller von den
Marltwaaren zu erhebenden Zölle verbunden. %) Damit das Kloſter
aber von feiner Seite eine Beeinträchtigung erfahre, wurde einestheils
den königlichen Beamten aufs ftrengfte unterfagt, den Markt auf irgend
welche Weije zu hindern umd fei es in Paris oder fonftwo im ganzen
Gau ſich der mannichfaltigen Waarenzölle zu bemächtigen; anderntheils
erging an die Kaufleute das Verbot, während der Marktzeit an irgend
einem anderen Orte des Parifer Gaues eim Geſchäft abzuſchließen;
wer dies that, hatte dafür die königliche Bannbuße an das Kloſter zu
entrichten.
Diefes Marktprivilegium, für die Handeltreibenden wie für das
Klofter gewiß von großem Vortheil, war auf der anderen Seite nicht
nur für den Fiscus, fondern aud für die Gaubeamten felbft ein er-
hebficher Verluſt; denn die legteren theilten vielfach) die Einfünfte,
welche fie für den Staat zu erheben hatten. ?) Daher verlegten ins-
befondere die Grafen des Gaues zu wiederholten Malen die Vor—
4) Wicus, aud) Ouentovicus genannt, an der Candie-Miündung, in der Nähe
des jetigen Etaples. gl. Gusrard, Polyptique de l'abb6 Irminon I. p. 786:
port frequent& par les navires qui allaient en Angleterre ou qui en venaient.
Au Bonifaz landete 718 von Sonden aus am der Cande- Mündung und ver-
weilte, feinen Gefährten erwartend, zu Bic: hostia fuminus quod dicitur Cuent
. . . aspieiunt et ad aridam sospites terram perveniunt; sed et castra metati
sunt in Cuentawich (Willibaldi Vit. 8. Bonifacii c. 5, Jaff6 Bibl. III. p. 444).
) urt. N° a: maxime ad Rothomo porto et Wicusporto qui veniunt de
ultra mare. Pippin muß jedoch auch die Frieſen darunter begriffen Haben, da
ex, die früheren Präcepte refümivend, fagt: de omnes necuciantes-tam Saxones
quam Frisiones vel alias nationes promiscuas,
®) Gin weiteres Zeugriß für den Handelsverkehr ‚jeigen Franfen und
Langobarden enthält der Edietus Langobardorum (Pertz LL. T. IV), Liutprandi
Leges de anno XIV (726) c. X (79): Et si homenis non habuerit, in quo-
rum presentia [cavallum] sonparavit, nisi simplieiter dixerit: „quod con-
paravi de Franco aut nescio de qualem hominem“ etc.
*) Der Name Hyfpanica, oben S. 67. N.4, bezeichnet in diefer Verbindung nur
das weſtgothiſche Septimanien; vgl. Jacobs, Note p. 192, Geographie p. 12.
®) Urf. N° a: qui veniunt de ultra mare pro vina et melle vel garantia
emendam.
) Bol. Waitz, BG. II. ©. 551 (N. 3), IV. ©. 44-46.
) Waitz a. a. O. IV. ©. 144; vgl. aud) in umferer Urk. N° c die Worte:
quidquid exinde fiscus noster forsitan ad parte nostra seu et ad omnes
agentes nostros potuerat sperare, omnia et ex omnibus ipse telloneus ad
ipsa casa Dei in integrum sit concessus atque indultus vel evindicatus.
Veftätigung des Marktrechtes von &. Denys. 69
ſchriften Dagoberts: zuerft Gairin, der fon in den nächftfolgenden
Jahrzehnten gelebt Haben muß, da bereits der erfte Nachfolger Dagoberts
in Neuftrien, Chlodwig II. (638 — 656), von den Mönden um
Schuß angegangen wurde. Jener Graf führte nämlich eine Theilung
der Zolleinfünfte dur und entzog dem Klofter damit längere Zeit
die Hälfte feiner Einnahmen. ?) Es Half nur wenig, daß die Be—
ſchwerden des Kloſters im Palafte Gehör fanden; *) das wiederholte
Einfchreiten der Könige — e8 werden nach Chlodwig II. noch feine Söhne
Childerich IT. und Theodorich III., fowie deffen Sohn Chlodwig III.
genannt?) — läßt nur auf ebenfo häufig borangegangene Eingriffe
der Grafen jchließen, und jo Fonnte im Jahre 710 behauptet werden,
daß es ſchon feit Tanger Zeit Gewohnheit fei, nur die Hälfte jenes
Zolles dem Klofter, die andere dem Fiscus zufommen zu lafien. *)
Noch weitere Irrungen Hatte die Verlegung des Marktes zur
Folge, welche durch (nicht näher bezeichnete) unglückliche Ereigniſſe
notäwendig geworden war. Statt an dem urfprünglichen Plage nämlich,
welcher Kloftereigenthum gemejen, wurde der Markt fpäter im Stadt
gebiete von Paris felbft, zwiſchen den nördlich gelegenen Kirchen
©. Martin und S. Laurentius, abgehalten; 5) und aud dies haben
die Grafen, wie es fcheint, als Handhabe benugt, um die Markt
gerehtigkeit von ©. Denys anzutaften. Wenigftens erhielten die vorer-
wähnten Erneuerungen des Privilegs den befonderen Zufag, daß die Kauf:
leute auch auf diefem neuen Marftplag, oder wo jie fonft immer Aufftellung
nehmen würden, ben Zoll an das Kloſter zu ‚entrichten hätten. °)
Der Wortlaut einer folchen Privifegienbeftätigung durch ein
Königsgericht Liegt erft wieder von Childebert IIT. aus dem Jahre 710
vor. Damals klagten die Agenten des Abtes Dalfinus gegen den
. .
!) Urt. N° b, col. 1109: Intendibant econtra agentes s. Dionysil, quasi
hoc Gairinus quondam, loce ipsius Parisiace comis, per foreia hunc con-
suetudinem ibidem misissit et aliquando ipsa medietate de ipso teleneu ejus-
dem exinde tullissit.
2) Die borangeführte Stelle lautet weiter: sed ipsi agentes hoc ad pala-
cium sogessissent et eorum precepcionis in integretate semper renovassent.
®) Die Urkunden N° b und c haben ftatt des Iehteren Chlodwig den Namen
Chlodocharius (Clotarius); ſ. jedoch Voigtel's Stammtafeln, neu herausgegeben
von 2. U. Cohn 1864, Heft 1, Tafel 15. Ueber die mannigfachen Verſuche,
diefe Namensverwechſelung zu erflären, fiehe die Anmerkung bes Geransgebers
Pardeſſus bei Migne LXXXVIM. col. 1108. not. c.
4) Urf. N° b, col. 1109: Aserebant e contra agentes ipsius viro Gri-
moaldo, msjorem-domus nostri, quase de longo tempore talis consuetudo
fuissit, ut medietate exinde casa s. Dionisii receperit, illa alia medietate
illi comis ad partem fisci nostri.
°) Daf. col. 1110: antehactis temporibus, elade intercedenterde ipso vigo
s. Dionisii ipse marcadus fuit emutatus et ad Parisius civetate inter 8.
Martini et s. Laurente baselicis ipse marcadus fuit factus.
°) Die Urkunde fährt fort: et inde precepeionis predietorum principum
acceperunt, ut in ipso loco aut ubyque ad ipsa festivetate resedibant ad
eorum negucia vel conmercia exercienda, ipso teleneu pars prediete baselice
domni Dionisii in integritate receperit.
70 Eapitel V. 753.
Hausmaier des Königs, Grimoald, den älteren Bruder Karl Martells,
weil auch er durch feine Beamten, namentlich die Parifer Gaugrafen,
die Hälfte der Markteinnahmen für den Fiscus in Anfprud nahm,
und zwar, wie wir oben gehört, auf Grund eines feit Lange beftehenden
Gebrauchs. Es genügte wiederum die Vorlegung der früheren könig-
lien Diplome, !) fowie die mündliche Ausfage mehrerer Perſonen,
um nicht nur die Beifiger des Gerichts, fondern auch Grimoald ſelbſt ?)
zur Anerkennung zu veranlafen, daß der Marktzoll in feinem ganzen
Umfange dem heil. Dionyfius gebühre. Demgemäß fprad) auch Chil-
debert ihn den Klägern zu, mit dem ausdrücklichen Bemerken, daß ein
etwaiger Wechſel der Marktftätte darin nichts ändern folfe.°)
Aber ſchon unter Karl Martell erlitt das Klofter in feinen Marft-
einfünften abermals ſchweren Abbruch, ohne daß doc ein Theil des
Zolfes ihm vorenthalten worden wäre. Der Schaden wurde ihm auch
diesmal durch die öffentliche Behörde, jedoch auf indireftem Wege,
zugefügt. Es war übrigens nicht Karl felbft, dem das Verfahren -zur
Laſt fiel; wir erfahren vielmehr bei diefer Gelegenheit von einer zeit»
weiligen Verdrängung deffelben durch die Habgier Swanahildens, feiner
zweiten Gemahlin, und die Ränke bes damaligen Parifer Grafen
* Gairefreb: 4) einer Thatfache, die um fo überrafchender ift, wenn man
an Karls Tettwilliges Verhalten gegen feinen und der Smanahilde
Sohn, Gripho, denkt. 5) Gewiß ift, daß Swanahild und Gairefred
den Brauch einführten, °) von allen marftbefuchenden Kaufleuten, ?)
welcher Nation fie auch immer angehörten, eine Kopfftener zu erheben,
und zwar 4 Denare von jedem freien Manne; ®) die Sklaven waren
4) Nur das erſte von allen, das Dagoberts vom Jahre 629, blieb fonder-
barerweije unerwähgt.
) Urt. N° b, col. 1169: asenciente ipso viro Grimoaldo, majorem-domus
nostri,
®) Daf. col. 1109: tam quod ibidem super terras ipsius baselice resedire
vedintur, quam et postia ipsa vice ad Parisius; ferner col. 1110: et se
evenit, aut pro clade aut per quacumquelibit delaecione [b. i. delaesione]
interveniente, exinde aliuby fuerit ipsi marcatus emutatus, predietus teleneus
in integretate ad ipsa casa Dei... . permaniat concessus adque indultus.
4) Urt. N° c: ante hos annos, quando Carlus fuit ejectus per Soanachilde
cupiditate et Gairefredo Parisius comite insidiante.
®) Befremdend ift aud, daß Pippin feinen Vater in der Urkunde kurzweg
nur mit feinem Nanien nennt, wie jonft weder ihm noch felbft entferntere Ber
wandte. Dennod läßt der Sat kaum eine andere Deutung, noch auch wohl die
Handſchrift eine amdere Leſung zu. Die neuefte Ausgabe der Klofterurkunden bei
Tardif, Monumens historiques (1868), ift mic leider nicht zugänglich geweſen;
Migne benugte bei feinem Abbrud nur die älteren Editionen.
) Die Urfunde fügt Hinzu: per deprecationem, bitttveife, wie Wait BG.IV.
©. 146 08 überträgt. Der Ausdrud, gewöhnlicher precatio ober precaria, bilbet
den Gegenſatz Ir per fortia, womit Childebert das Berfahren Gairins bezeichnet;
1. -
f. oben ©. 69 >
?) ad illos necuciantes vel marcadantes.
®) dicebant, quod .. . unumquemgue hominem ingenuum dinarius
quatuor dare fecissent. ‘ J
Beſtätigung des Marktrechtes von ©. Denys. 71
der Abgabe demnach nicht unterworfen. Der nachfolgende Graf Gaire⸗
hard !) aber begnügte fi mit dem vorgefundenen Mißbrauch nicht,
fondern erhöhte die Abgabe jedes freien Mannes, welder von einem
Sklaven begleitet zu Markte kam, von 4 auf 5 Denare; 2) der unfreie
Stand des Begleiters mußte duch einen Eid — des Herrn, wie ich
vermuthe — erhärtet werben. ?)
Die Folge diefer Belaftung war, daß die Fremden, die fonft den
Markt zu beiuchen pflegten, allmählich ausblieben, daß der Verkehr
dadurch abnahm, die Zolleinkünfte des Kloſters vermindert wurden:
fo ſtellten es wenigſtens die Vertreter des Kloſters vor Pippin und
feinen Beifigern in ihrer Beſchwerde gegen Gairehard dar. Diefer
behauptete zwar, nur nad) dem Vorgange Swanahildens und Gairefreds
gehandelt zu Haben, erklärte jedoch zugleich, daß er dem Ausſpruche des
Königs und den alten Privilegien ſich zu fügen bereit fei. Nachdem
denn auch die Urkunden der früheren geld von Dagobert I. bis
auf Childebert und feinen Hausmaier Grimoald, *) vorgelegt und ver-
leſen worden waren, fiel die Entfcheidung des Gerichts in allen Stücken
zu Gunften des Mllofters aus: es wurde einerjeits jene mißbräuchliche
Kopffteuer von vier Denaren, andererfeits jede Erhebung von Zöllen
) Die Namen Gairin, Gairefred, Gairehard laffen auf Verwandtſchaft
zwiichen den drei Grafen ſchließen; vgl. Weinhold, die deutſchen Frauen in dem
Mittelalter S. 21—22.
®) ad unoquemgue homine ingenuo de quacumque natione ... dinarius
quatuor de eorum capite exactabant, si ingenuus esset; et si servus erat,
tunc conjurare debebat, quod servus fuisset, et ipsi homines, quando ipso
sacramento jurabant, quinque dinarius pro hoc donabant.
®) Felibien, histoire de l’abbaye royale de S. Denys (1706) p. 44,
giebt diefe Stelle der Urkunde folgendermaßen wieder: . . . sous pretexte que
les Religieux dans un temps de guerre avaient autrefois permis & Soana-
childe et & Gairefroy comtes de Paris de lever quatre deniers par teste
sur les marchands ... . Paugmenter @’un denier sur les marchands qui
n'&taient pas de condition libre. Daß er aber per eorum consensu mit Un-
tedht auf die monachi s. Dionysii, flatt auf Swanahifde und Gairefred, bezieht,
zeigt die fpätere Stelle: qualiter antea per permissione Soanachilde vel jam
dieto Gairefredo missa fuisset [oonsuetudo]. Wir glauben ferner gegen FElibien
annehmen zu müffen, daß für ben Kopf jedes Sklaven nur ein Denar von Seiten
feines Herrn entrichtet wurde; denn wenn e8 ſchon an ſich nicht glaublich ift,
dog man Sklaven höher als Freie befteuert haben follte, jo fommt Hinzu, daß
unfreie deute doch auch ſchwerlich als felbftändige Käufer oder Berfäufer auf Märkte
gereift fein werben, baß überdies der Eid um einer Erleichterung, nicht um einer
Erſchwerung willen geleiftet wurde, Der Plural comtes endlich ſcheint auf dem
feltfamen Jerthume zu berufen, als ob aud) unter Smanahild ein Barifer Graf
zu denfen wäre. — Wenn es ſchon große Schwierigkeiten Hat, den Inhalt einer
Urkunde duch ein Negeft zutreffend wiederzugeben, fo ift es oft, wie da8 vor ·
iegende Dipfom bewveift, noch weniger Teidht, ven Wortlaut in allen feinen Einzel-
beiten zu reprodueiren
Es if bemerfensmwerth, wie bei_Anführung des letzten gerichtlichen Er-
tenntniffes, das ja eigentlich gegen den Hausmaier gerichtet mar und nur ſchließ ·
lid) auch feine Zuftimmung erhielt, die Perfon Grimoald's von Pippin zu wiede
hoften Malen in den Bordergrund geftelt wirb: fo col. 1624: etiam et Hilt-
bertus et avunculus noster Grimoaldus majorim domus; col. 1526: inspecto
72 Capitel V. 758.
für den König oder feine Beamten während der Marktzeit unterfagt.
Der Waarentransport pflegte ſowohl auf Schiffen als aud auf Wagen
und Saumthieren zu gefchehen; daher gab es in der Stadt und auf
dem Lande, auf den Flüffen und in den Häfen, an Brücken und
Thoren die mannigfaltigiten Arten der Verzollung, die hier im Einzelnen
aufgeführt und ſämmtlich von nenem dem Klofter zugefprochen wurden. *)
Die Begünftigung bezog ſich auch diesmal, wie gejagt, nur auf die Dauer
de8 Jahrmarktes, welcher in der Feſtzeit des heil. Dionyſius abge
halten wurde; ?) und zwar follte die Erhebung der Zölle alsdann durch
die Klojterbeamten felbft, wie es ſcheint, nicht durch die Stantsbehörde
erfolgen. *)
Das Diplom, weldes Pippin über diefe Angelegenheit ausftellte,
ift nicht ſowohl eine königliche GerichtSurkunde, d. h. eine Aufzeichnung
der vor dem Könige geführten Verhandlungen, als vielmehr ein Präcept
des Fürften zur Betätigung und Sicherung des durch die gerichtliche
Entſcheidung feitgeftellten Rechts; *) daffelbe ift daher aud, was bei
Gerichtsurfunden nicht der Fall zu fein pflegte, mit der föniglichen
Unterſchrift verfehen und in der Kanzlei des Königs ausgefertigt. *)
Doc ift es jedenfalls unmittelbar nach Beendigung der Verhandlungen
erlaffen worden. Die Urkunde ift vom 8. Juli 753 batirt: vielleicht
ipso judieio domno Hildeberto rege vel aliorum regum, sed et avunculo
nostro Grimoaldo majorim domo; ja ſelbſt am der dritten Stelle, die auf den
Sachverhalt genauer eingeht, col. 1525: relectas et percursas ipsas praecep-
tiones sen et confirmationes vel illo judicio evindieato domno Hiltberto
rege et avunculo nostro Grimoaldo majorim domo, quem agentes s. Dionysii
super inlustri viro Grimoaldo majorim domo evindicaverunt.
*) Eine Erklärung der einzelnen Namen giebt u. A. Jacobs in der ange
führten Note sur le commerce p. 193—194, befonders aber Waig BG. II.
©. 552 und IV. ©. 52. N. 1.
®) Col. 1624: ad festivitate s. Dionysii martyris, tam in ipso marcado
quam et in ipsa civitate Parisius de ipsa vice, seu et per villabus vel per
agros; ebenfo 1526: nec infra ipso pago Parisiago nec in ipsa civitate de
ipsa vice nec aliabi, qui ad ipsa sancte festivitate adveniunt. Der Ausdrud
de iu vice bedeutet: für biejes Mal, im Gegenfag zu allen übrigen Zeiten
des Jahres.
®) Col. 1525: ille telloneus de illo marcado in villabus vel agros eorum
totus absque judicis introitum ad casa s. Dionysii adesse debebat.
+) Bgl. Sidel, UL. ©. 867.
®) Ejus jussus recognovi et subscripsi; vgl. Sidel UL. ©. 76 und 359.
— Eine ganz ähnliche, zum großen Theile wörtlich gleichlautende Beftätigung
diefer Marktzölle ertheilte Faum drei Monate nad Pippins Tode, ohne fihtbaren
äußeren Anlaß, Karlmann dem Kloſter: Sickel C. 1. Dieje Urkunde bietet eine
merhvürdige Probe, wie medjaniich oft die Urkundenichreiber ihre Vorlage copirten.
Auch Karlmann, verbietet darin nämlich jene dinarius quatuor de omnes nationes
quod ibidem ad ipso marcado adveniunt, quem Sonachildis et Guaireridus
comis (ut supra memoravimus) in consuetudine miserunt; und do ift vor
her in der Urkunde von diejen jwei Perjonen nirgends die Rede. Die Stelle it
aber wörtlich dem Pippiniſchen Diplom entnommen, und bier beziehen ſich jene
Worte ut supra memoravimus allerdings auf eine fehon vorher erfolgte Er-
wähnung der Sadje. Bgl. Sidef, UL. ©. 181. N. 8.
Beftätigung des Marktrechtes von S. Denye. 73
in denfelben Tagen, wo durch fie eine moch übrig gebliebene Spur
der einft mächtigen Swanahilde verwifcht wurde, machte ein blutiger
Kampf aud dem jungen Leben ihres Sohnes Gripho ein Ende!) Der
Ausftellungsort ift nicht genannt; ebenfowenig die Stätte der Gerichts:
verhandlungen. Ob Pippin fid) vielleicht fon auf dem Zuge gegen
bie Sachſen befand? Eine‘ Gerihtsfigung fhließt eine militäriiche
Umgebung doch nicht unbedingt aus; ja, es muß auffallen, eine wie
ftattliche Zahl von Großen an ber Berathung des Procefjes Theil
nahm. Denn während bei den Gerichtstagen der Jahre 752 und
759 ®) außer dem Pfalzgrafen Wichert nur je 6 Veifiger namhaft ges
macht werden, fällen hier mit Einfluß Wicherts 15 Männer das Urtheil
— ihre Namen find: Milo, Helmegaudus, Hildegarius (ohne Frage
der Biſchof von Cöln, welcher im Sachſenkriege umkam), Chrothardus,
Drogo, Baugulfus, Gisfeharius, Leuthfredus, Raulco, Theudericus,
Maganarius, Nithadus, Waltharius, Vulfarius, Wicbertus, — und
es ift vielleicht eher anzunehmen, daß unter diefen fich auch mehrere
Kriegsgenoffen Pippins befanden, als daß fie jämmtlih zum Hofe
des Königs gehörten.
en
*) ©. unten Cap. VI.
®) Sickel P. 1. 16; ſ. Eap. I. und Cap. XXIL.
Sehstes Gapitel. -
Kriegsereigniffe
753.
Im Sommer des Jahres 753 mußte Pippin gegen die heidnifchen
Sachfen, welche er einftmals ſchon als Majordomus befämpft Hatte,
abermals ins Feld ziehen. Der politifche und Kirchliche Gegenfag, in
welchem diefes Volk zu den Franken ftand, führte immer wieder zu
neuen Örenzftreitigfeiten, und diefe entftanden, wie Einhard gewiß mit
Recht bemerkt, ) um fo leichter, als die Grenze der beiden Stämme
in der Ebene Jag und mit feiner natürlichen Scheidelinie zufammenfiel.
Wenn die Chroniften den Anlaß zu folden Kämpfen gern in der
„gewohnten Treulofigfeit“ der Sachſen erfennen, fo geftattet uns eine
Notiz aus der Zeit Ludwigs des Frommen einen Einblid in die
inneren Verhältniſſe des Sachſenlandes, der jenen ſcheinbaren Bruch
der Verträge in eim richtigeres Licht ſetzt.) Wohl führte nämlich
ein jedesmafiger Sieg der fränkiſchen Waffen zur Unterwerfung eines
Theil der Sadjfen, die Unterworfenen aber erfuhren von ihren freis
gebliebenen Stammesgenofjen folden Drud und Zwang, daß fie ent-
weder ſich ihmen wieder anfchließen oder von ihren Sigen weichen
mußten.
As Bonifacius einft in rüjtigfter Mannesfraft aus England
nad) dem Continent gekommen war, hatte er eine lebhafte Sympathie
für die Sachſen mit herübergebracht umd vielleicht fein vorzüglichftes
Augenmerk auf ihre Belehrung gerichtet. Denn man war fi damals
der fächfifchen Abftammung der Bewohner Britanniens wohl bewußt,
) Einhardi Vita Karoli c. 7: Suberant et causae, quae cotidie pacem
conturbare poterant: termini videlicet nostri et illorum pene ubique in plano
contigui.
3) Jaff6 Bibl. I. p. 319, ep. Mogunt. ne 4. j
Kriegsereigniffe. 75
man nannte das Sachfenland die antiqua Sazonia, ) feine Bewohner
die Altfachfen, ?) im Gegenfage zur Saronia transmarina °) und den
„aus Britannien kommenden Sachſen,“ *) die man wohl auch kurzweg
Sachſen nannte.d) Ya, die deutfchen Anwohner der Nordfee jelbit
pflegten, wie Bonifacius erzählt, den angelfächftichen Miffionären zu
erflären: „Wir find von Einem Blut und Einem Bein.” %) Und
mande Sitte und Einrichtung des heidniſchen Volles war. nur geeignet,
die Sympathie für daffelbe zu erhöhen: fo weift Bonifacius in jenem
Schreiben, ?) durch welches er den englifhen König Aethilbald zur
Tugend ermahnt, auf das Beifpiel der Sachſen hin und thut an
einzelnen Zügen, befonder8 aus dem ehelichen Leben derfelben, dar,
wie fie das „göttlihe Gefeß im Herzen tragen.“ Sein Wunfd war
daher lange Zeit, unter ihnen das Chriftenthum zu verbreiten. Was
Karl der Große erft nach 3Ojährigem Kriege vermochte, hoffte er von
der Macht des Wortes. Er wendet fi) an die Brüder in der Heimath,
damit fie beteten, daß Gott die Herzen der heidniſchen Sachſen dem
katholiſchen Glauben zuwende. °) Man antwortet ihm mit dem Aus-
drud höchſter Freude über fein Unternehmen und mit dem Verſprechen,
für den Erfolg deffelben täglich beten zu wollen. %) Bapft Gregor II.
richtet zur Beförderung des Bekehrungswerkes ein befonderes Schreiben
an- das gefammte Volk der Altfachfen: 1%) eine aus Bibelftellen zu-
ſammengeſetzte Abmahnung vom Cultus der Gößenbilder, in welder
die Warnung vor den Täufchungen der Philofophie auf die ſächſiſchen
Bauern einen fonderbaren Eindruck machen mußte. Viel zutreffender
war die Aufforderung, daß fie Keinen, der ſich bekehren wolle, daran
!) Jaff& Bibl. III. ep. 59. p. 172.
%) Daf. ep- 22. p. 81.
®) Daf. ep. 42. p. 114.
+) Willibaldi Vita S. Bonifacii c. 7. p. 456.
®) Sickel P. 8: omnes necuciantes tam Saxones quam Frisiones; |. oben
©. 68. N. 2.
°) Jaffö Bibl. II. ep. 39. p. 107: et ipsi [pagani Saxones] solent
dicere: „De uno sanguine et de uno osse sumus“.
”) Daf. ep. 59. p. 172: naturaliter ea, quae legis sunt, faciunt et ostendunt
opus legis scriptum in cordibus suis ... propriis uxoribus matrimonii foedera
servantes, fornicatores et adulteros puniunt. Es ift baher ein Irrthum, dem
id 3. B. in Karl Bartfd’s Ueberfegung des Nibelungenlieves (1867), Einleitung
©. XVI, begegnet bin, der altgermanifchen Ehe die Innigkeit der fpäteren chrift-
lichen Zeit abzufpredhen.
®) Daf. ep. 39. p. 107.
®) Daf. ep. 101. p. 251. Der Zufammenhang der beiden Briefe ift von
den Heransgebern nicht bemerft worden, obgleich Inhalt und Wortlaut (ol. z.B.
corda paganorum Saxonum converti) ihn unzweifelhaft maden. Da in dem-
exfteren des Papftes Zacharias feine Erwähnung geicjieht (opl. Jafis p. 108 n. 2),
der Verfaſſer des anderen aber, Bifchof Torhthelm von Leicefter, nicht vor 737
fein Amt antrat (Jaff& p. 252. n. 1), fo ergiebt fid), daß beide Schreiben im die
Zeit von 787—741 fallen.
3%) Daf. ep. 22. p. 81: universo populo provinciae Altsaxonum.
76 Capitel VI. 758,
hindern oder zum Rücktritt ins Heidenthum zwingen follten. 1) Der
Hauptzweck de8 Schreibens war, Bonifacius als feinen „Mitarbeiter
im Herrn“ bei ihnen einzuführen, damit er ſich überzeuge, „wie es
bei ihnen ftehe.“ ?)
Aber weder das Schreiben des Papftes, noch das lebendige Wort
des Glaubensboten war von Wirkung geweſen; Bonifacius hatte nun
wohl ſchon feit länger als cinem Jahrzehnt die Hoffnung auf eine
Belehrung der Sachſen durch die Predigt aufgegeben und ſich auf
feine Lieblingspflanzungen in Heffen und Thüringen befchränft. Sein
Herzeleid war jegt, daß die Sachſen mit ihren Feindſeligkeiten diefe
heimſuchten und bedrohten. Soeben hatten fie ihm bei einem aber-
maligen Einfalle mehr ala 30 Kirchen verwüſtet "und verbrannt, ®)
und der Krieg, den Pippin jetzt, im zweiten Jahre nad) feiner Krönung,
unternahm, wurde gewiß auch, hierdurch veranlaft.
Derfelbe wurde von Gallien aus*) unter großen Zurüftungen
eröffnet. Mit dem gefammten Heere der Franken drang der König
nordoftwärts in das Gebiet der Ems vor.) Bei dem Caftell burg
in der Nähe von Osnabrück ftieß er auf hartnäckigen Widerftand, 9)
und hier war es, wo der Biſchof Hildegar von Cöln, erſt feit kurzem
Nachfolger des Biſchofs Agiloff, getödtet wurde, ”) wohl nicht als
Theilnehmer am Kampfe, was dem ausdrüdlihen Verbote des Capitulars
von 742 widerftritten Haben würde, ®) fondern als geiftlicher Begleiter
des Könige. Das weitere Vordringen Pippins läßt erfennen, daß die
Burg in feine Hände fiel. Er ſetzte feinen ſiegreichen Marſch bie
) Jaff& Bibl. III. ep. 22. p. 83: Hoc autem commoneo, fratres: ut, qui-
cunque voluerit ex vobis ad Christum converti, nullo modo eum prohibeatis
neque vim ei faciatis sculptilia adorare.
) Daf.: misi ad vos Bonifatium ... ad hoc ipsum: ut cognoseat, quae
eirca vos sunt, et consoletur corda vestra cum exhortationis verbo.
) S. oben ©. 39,
*) Fred. cont. c. 118: Rheno transjecto in Saxoniam cum magno appa-
ratu veniens.
3) Val. 3. Möfer, Osnabrückiſche Geſchichte I. S. 189: „Pippin ging tiefer
in Weſtphalen und auf Rheme. Hier mußte er Meifter von der Ems und einigen
Veſtungen auf feiner Linken jein, ehe er fich nach Aheme vertiefen Konnte. Er
hatte alfo notwendig Iburg in unferem Stifte bejett.”
®) Ann. Laur. 753. Im 11. Jahrhundert verwandelte der Biſchof von
Dsnabrüd dies Caftell in ein Klofter; Annalen defjelben (Annales Yburgenses) :
Pertz 88. XVI. p. 434.
?) Ann. 8. Amandi, Murbac., Lauriss. min., maj. 788; die ann. Einh.
bezeichnen ihn, durch einen leicht erflärlichen Anachronismus (j. Rettberg I. S. 540),
al® archiepiscopus. Möfer a. a. DO. S. 190. N. e fafit die näheren Umftände
feines Todes nicht richtig auf.
®) Karlom. capit. 742 c. 2: Servis Dei ... in exercitum et in hostem
pergere omnino prohibuimus; nisi illi tantummodo, qui propter divinum
ministerium, missarum seilicet sollemnia adimplenda et sanctorum patrocinia
portanda, ad hoc electi sunt. Id est: unum vet duos episcopos cum capellanis
Presbiteris princeps secum habeat etc. "
l
1
>
Kriegsereigniffe. 77
zur Wefer fort, *) wobei das Land nad) der Sitte der Zeit mit Feuer
und Schwert verwültet wurde. Bei Nehme in der Nähe von Minden
baten die Sachſen um Zrieden; ?) fie verſprachen mit Eid und Geißeln,
in Zukunft fi aller Feindfeligfeiten zu enthalten und den Franken,
wie ſchon in früheren Zeiten, einen jährlichen Tribut zu entrichten.
Mit vieler Beute und fowohl männlichen als weiblichen Gefangenen
fehrte der fiegreiche König in jein Land zurück und erreichte den Rhein
bei Bonn, einem damals befeftigten Plage. °)
Während diefes ſächſiſchen Feldzuges war in Burgund von den
Getreuen Pippins ohne fein eigenes Hinzuthun ein mehrjähriger und
gefährlicher Gegner des Königs befeitigt worden. Gripho, der Stief-
bruder Karlmanns und Pippins, der Sohn der baieriſchen Gemahlin
Karl Martells, Swanahilde, endete hier, etwa 25 Jahre alt, fein
ruhelofes, abenteuerliches Dafein: ein unglücklicher Züngling, der doch,
auf ungetheiltes Mitgefühl feinen Anſpruch maden kann. Bei des
Vaters Tode war auch ihm ohne Zweifel, gleic) feinen älteren Brüdern,
ein Antheil an der Regierung des Reichs zugedacht worden, vielleicht
unter der Oberleitung eines älteren Bruders, zumal er damals höchſtens
15 Jahre alt geweſen jein kann.“) Ob es nun wahr ift, daß er
nad) der Geſammtherrſchaft ftrebte°) oder daß die Franken ihn nicht
mochten: ©) genug, er erhob fi und mußte mit Waffengewalt befämpft
werden. Nach Karlmanns Rüctritt Hatte ihn Pippin aus feiner mehr-
jährigen Gefangenschaft erlöft und ihn mit Ehren behandelt; 7) aber
%) Möfer a. a. O. ©. 190. N. d: „Die große Heerſtraße geht über Bilefeld,
Herford und Reme.“
%) Ann. Laur. maj. 753; Fred. cont. c. 118.
®) Fred. cont. c. 118: iterum ad Rhenum, ad castrum cujus est nomen
Bonna, veniens.
+) In diefem Sinne find die vielgedeuteten Worte des auch von Hahn, Jahr -
bücher &. 216, nod) in das Jahr 741 geieten Bonifaciicen Briefes an Gripho
(Jaffe Bibl. III. ep. 40. p. 108): si tibi Deus potestatem donaverit, zu ver-
ftehen; es if} darin durchaus fein Anichluß des Apoftels an die Ipäteren Aufftande-
verſuche Griphos zu erfennen. Um die Fürjorge für Thüringen aber bittet ev
ihn nur deshalb, weil dieſes Land überhaupt der vornchmliche Gegenftand jeiner
Hingebung war. € darf nicht überjehen werben, daß die Anrebe in biefem Briefe
wedyfeft, aus der inzahf nämlich, in die Mehrzahl übergeht und durch das ziwei-
malige Alii ſich ganz unzweifelhaft als an Mehrere gerichtet erweiſt. Es fcheint
daher, daß Donifacius in größtentheile gleichlautenden Briefen, von denen mur
der eine an Gripho erhalten ift, alle drei Brüder beim Regierungsantritt beglud ·
wünfcht Hat; ungefähr wie ber Papft die neueingeiegten drei viſchdie O
FA gleihlautenden Briefen und mit gemeinfamer Anrede beftätigte (Jaffe .
. 44. 45. p. 123. 124, on Wittn und Burdhard gerichtet; ber britte Brief an
— ſehit. Wettberg, I. ©. 351. N. 18, findet darin eine itafienifche Rach-
Yäffigteit der päpftlichen gete).
®) Ann. Einh. 741: Swanahilde illum ad spem totius regni coneitavit.
®) Ann. Mett. 741: De hac autem tertia portione, quam Gripponi adole-
scenti decessurus princeps tradiderat, Franei valde contristati erant.
?) Ann. Einb. 747: Gripho, Pippino fratri suo subjectus esse nolens,
quamquam sub illo honorifice viveret; woraus der Meter Annalift macht:
Pippinus ... misericordia motus, fratrem suum de custodia, in qua cum
78 Eapitel VI. 758.
Gripho floh zu den Sachen und zu den Baiern, um mit Hülfe der
Feinde feines Bruders zur Herrfhaft zu gelangen. Wiederum befiegt
und wiederum begnadigt, erhielt er hierauf 12 neuftrifche Grafſchaften
zur Verwaltung, fo daß mit feiner Stellung die Herzogswürde ver-
bunden war; !) die Stadt Le Mans wurde ihm als Refidenz ange
wiefen. ?) Gleichwohl bfieb er unbefriedigt und begab ſich zu dem
ihm benachbarten Herzoge Waifar von Aquitanien. Pippin forderte
feine Auslieferung. Die füdfranzöfifchen Vorgänge des Jahres 752°)
mochten Waifars Widerftand gegen den Willen des Frankenherrſchers
gebrochen Haben: Gripho verließ ihn und wollte jegt zu den Lango-
batden gehen, deren Verhältnig zu den Franken ſich foeben bedrohlich
zu geftalten anfing. So trieb die Herrichfucht ihn von einem Lande
zum andern; fo fehr vergaß er um feines perſönlichen Vortheils willen
das. vaterländifche Intereſſe, daß er den Feinden der Franfen das
Reich der Franken verdanken wollte. Mitten in diefer verrätherifchen
Laufbahn aber ereilte ihn der Tod, und zwar, wie der muthige Züngling
ihn verdiente, im tapferen Kampfe. Denn immer war er von zahl-
reihen Anhängern begleitet, edlen Zünglingen, wie fie wohl auch
genannt werden. Als er über die Rhone gekommen und ſchon im
Begriffe war, auf dem gewöhnlichen Wege über den Montcenis die
Grenze Staliens zu überſchreiten, da traten ihm zwei königliche Grafen,
Theodo von Vienne und Friedrich, der Graf des ſchweizeriſchen Zura-
gebietes, mit bewaffneter Macht entgegen; *) es fam bei Maurienne
zum Kampfe, und ſowohl Gripho als auch die beiden Grafen fanden
bier ihren Tod. König Pippin empfing die Nachricht, als er eben vom
Sachſenkriege zurüdgefehrt war. °)
Einer durchaus alfeinftehenden und zudem aus unguerfäffiger
Quelle ftammenden Nachricht zufolge unternahm Pippin im Jahre 753
ermanus suus recluserat, liberavit et ipsum fraterna dilectione honoratum
in palatio suo habuit, deditque illi comitatus et fiscos plurimos. Bgl. Bontiell,
die Anfänge des Ieesfingifhen Haujes, ©. 159. N. 17.
') Ueber den fränfifchen Se in jener Zeit ſ. Waitz, VG. II.
©. sid fi, Befanbers ©. 319; Sidel, Beiträge zur Diplomatit V. ©. 380388.
Laur. maj. 748: "Grifonem Dartibus Niustriae misit et dedit ei 12
comitatus; more ducum, fügen die ann. Einh. Hinzu. Ann. Mett. 749: Nam
Gripponi Cinomannicam urbem cum duodecim comitatibus dedit. — Bonnell’s
Argumente, a. a. O. ©. 163. N. 4. 5, reichen doch kaum aus, dieſe beftimmte
Notiz der ſog. Meter Annalen umzuftoßen; ev felbft erfennt ja an, daß die eigen-
thümlichen Nachrichten derfelben auf eine uns unbelannte Duelle zurüdzuführen
fein bürften. Ganz grundlos fagt Hugo Floriacensis, hist. ecel. lib. VI, Pertz
SS. IX. p. 359, Pippin habe Gripho zum rex Austrasiorum gemadit. .
®) ©. unten Cap. XXIV.
) Fred. cont. c. 118. Die ‚Ann. Laur. min. a. 14. Pippini befcränfen
fich in ihrem Auszuge auf die Nennung des Grafen Theodoin, zu deſſen Gebiete
der Rampfplat gehörte.
°) Fred. cont. 1. c. Die Angabe Wattenbach's, Geſchichtsquellen (1866)
©. 91, daß der Annalift von Gripho nicht vede, ift daher micht ganz richtig. —
Die Chronit Ado's von Bienne, Pertz SS. II. p. 319, fügt dem Excerpt aus
Fredegar die Worte bei: Cujus mortem licet perfidi patriae adeo doluit.
Kriegsereigniffe. 79
auch einen Kriegezug nad) der Bretagne, 1) drang mit feinem Heere
bis zum Caftell Venedi, dem heutigen Vannes, vor, eroberte dafjelbe
und zwang das ganze Land zur Unterwerfung. Ob diefer Krieg gegen
die Bretonen mit den Unternehmungen Griphos, deffen cenomannifches
Opbier ja an die Bretagne grenzte, in Zufammenhang geftanden, müffen
wir ebenfo unentfchieden Tafjen wie die Glaubhaftigfeit der Nachricht
überhaupt. Gewiß ift, daß diefe britifchen Anfiedler Weftgalliens in
merowingifchen wie in farolingifchen Zeiten nur ungern die Herrſchaft
der Franken trugen, daß auch Pippins Erfolge jedenfalls nur von
kurzer Dauer waren. Der Zeit nad) wäre, troß der Zufammenftelfung,
in welcher uns die Nachricht überliefert ift, der Zug gegen die Bretonen
vor den Sachſenkrieg zu fegen; denn unſere Hauptquellen, insbefondere
die Fortfegung des Fredegar, geben alle übrigen Ereigniffe diefes Jahres
in fo klarem Zufammenhang, daß, für den bretonijchen Feldzug nur
am Anfange deijelben Raum bleibt, zumal in der ebenerwähnten Chronif
mit dem fächfifchen Kriege ein ganz neuer Abſchnitt beginnt. ?)
) Ann. Mett. 758: Inde [aus Sachſen] rex. P. revertens audivit quod
Grippo . . . oceisus fuisset, exereitumque in Britanniam duxit et Venedis
castrum conquisivit totamque Britanniam subjugavit partibus Francorum.
Im feiner Kritif der Meter Annalen hat Bonnell, &. 163—165, diefe Stelle
mit Scarffinn zu emtfeäften gefucht; gleichwohl darf die Nachricht, wie auch
Baig VG. II. ©. 86. N. 3 bemerkt, ſchwerlich ganz verworfen werden.
?) gl. Fred. cont. c. 117 ex.: Usque nunc inluster vir Childebrandus
comes, avanculus praedicti regis Pippini, hanc historiam vel Gesta Francorum
diligentissime seribi procuravit. Abhinc ab illustre viro Nibelungo filio ipsius
Childebrandi itemgue comite succedat auctoritas.
Siebentes Gapitel.
Die Verhältniffe Italiens um die Mitte des adten
Jahrhunderts.
1. Berfall der byzantiniſchen Madt.
Das byzantiniſche Reich war in der Mitte des fechften Jahr⸗
hunderts zu gewaltiger Macht gelangt. Damals, als es die Gothen-
herrſchaft in Italien geftürzt, war von Narfes auch das fränfifche
Heer, welches in den Kampf fid eingemiſcht hatte, völlig aufgerieben
worden. „Stalien,“ fagt Gregor von Tours, ?) „wurde wieder unter
die Herrſchaft des Kaiſers gebracht, und es gab fortan Niemand, der
es und wiedererobert hätte.“ Bis nad) Spanien drangen die byzan-
tinifchen Heere und entriffen den Weftgothen Theile ihres Landes. ?)
Als im Jahre 582 ein fränkiſcher Thronprätendent, der aus Conftan-
tinopel zurüctgefehrt war, bei dem Bifchofe von Marſeille freundliche
Aufnahme fand, wurde diefer, weil er das fränfifche Reich unter die
Taiferfiche Oberhoheit habe bringen wollen, in den Kerker geworfen. °)
Aber ſchon das Ende des Yahrhunderts führte einen Rückgang
herbei. In Spanien wurde die griechifche Herrichaft wieder geftürzt
und das Gothenreih umfaßte alle Küften des Landes bis an die
Pyrenäen.“) In Italien breitete fih von Norden Her das kriegeriſche
Volk der Langobarden aus, und der griechiſche Kaifer wußte zu_ ihrer
Abwehr fein anderes Mittel als die Erfaufung fräntifcher Hülfe;
Childerich II. aber löſte feine Aufgabe fo ſchlecht, daß der Kaiſer,
!) Gregorii Turonensis historia ecclesiastica Francorum, Migne Patr.
lat. T. LXXI (nad) Ruinart), lib. IV. c. 9.
®) Daf. lib. IV. c. 8.
®) Daf. lib. VI. c. 24: voluissetque Francorum regnum imperialibus per
haec subdere ditionibus. .
*) Daf.lib. V.c. 38; Fredegarii Chronicon (Migne Patr. lat. LXXT) c. 88.
Die Verhältniffe Italiens. 8
wiewohl vergebens, fein Geld wieder forderte. !) ALS der König ein
zweites Mal über die Alpen 'Tam, erlitt er eine Niederlage; ?) als
endlich bei einem abermaligen Einfall in Italien die zugefagte griechiſche
Unterftügung ausblieb, da ſchloß er Frieden und Freundſchaft mit
den Langobarden. °)
Schon verwüfteten im Oſten die Perfer viele Provinzen des
Reichs, t) Schon verfündeten die Aftrologen die von den Arabern
drohende Gefahr, °) die denn aucd noch vor der Mitte des fiebenten
Jahrhunderts über das oftrömifche Reich furchtbar hereinbrach, fodaß
nur Eonftantinopel und Thracien, dazu einige Inſeln und die itafifche
Provinz, dem Kaifer verblieben. ©) Hier aber Hatte ji der Statt-
halter deffelben bereits zu einem jährfihen Tribute von 300 Pfund
Goldes an die Langobarden verftehen müſſen, und König Charoald,
von deſſen ZThaten. freilich Paulus Diaconus faft nichts in Erfahrung
gebracht haben will, ?) erließ nur den dritten Theil diejer Summe
zur Belohnung für einen ihm erwiejenen Dienft.°) So tief war
die Macht und das Auſehn des Kaifers felbft in den unterthänigen
Landſchaften Italiens gejunfen, daß z. B. in Venedig die wichtigften
Verfaffungsänderungen vorgenommen werden konnten, ohne daß von
obenher eine Einmifdung bemerfbar wäre. °)
Da brach im achten Jahrhundert der Bilderftreit aus und machte
den byzantinischen Namen in Stalien vollends zu nichte. Laffen wir
die Motive der beiden Gegenparteien in diefem Kampfe außer Betracht:
wie einleuchtend auc, immer die Beweisgründe waren, welde Leo den
Iſaurier gegen die Bilderverehrung einnahmen, in Italien fanden fie
nirgends Tebhaften Widerhall, weder in Nom!) noch in Ravenna
oder Venedig, 1!) noch felbft unter den Langobarden. 12)
An der Spige der Gegner aber ftand natürlich der Papit. Kaum
15 Jahre waren vergangen, feit ein römijcher Biſchof auf Einladung
. des Kaiſers in Gonftantinopel erſchienen und dort mit den höchſten
) Gregor. Turon. lib. VI. c. 42: hic, fidus a solatiis, ne responsum
quidem pro hac re voluit reddere.
2) Daf. lib. IX. c. 26.
%) Daf. lib. X. c. 8.
4) Fredeg. chron. c. 64.
°) Daf. c. 66.
*) Daf. c. 81: Constantinopolis tantum cum Thraciana provincia et
paueis insulis, etiam et Romana provincia, imperii ditioni remanserat.
?) Paul. Diac. hist, gentis Langobardorum (Migne, Patr. lat. T. XCV)
lib. IV. c. 42.
) Fred: chron. c. 69.
) Johannis Diaconi Chron. Venetum, Pertz SS. VII. p. 11.
9 Vita Gregorii II. ed. Vignoli II. c. 18—19. p. 30—32.
") Daf. c. 17. p. 29: Omnes Pentapolenses atque Venetiarum exercitus
contra imperatoris jussionem restiterunt.
1) Daf. c. 19. p. 82: una se quasi fratres fidei catena Cconstrinxerunt
Romani atque Langobardi ... pro fide vera et christianorum certantes
te.
Iahrb. d. diſch Geſch. Delsner, König Pippin. 6
82 Capitel VII. Um 750.
Ehren empfangen worden war. !) Jetzt, am Ende der zwanziger Jahre,
erhob fi) Gregor II. zum kraftvollen Widerftande gegen den Bilder-
ſturm: 2) e8 ſei nicht des Kaiſers Sade, in kirchlichen Dingen Anz,
ordnungen zu treffen; ®) die Päpfte hätten bei den Königen des Abend»
landes bisher das Anfehn des Kaifers aufrecht zu erhalten geſucht; 9
num aber ſagten dieſe ſich von allen Pflichten gegen denſelben los und
die Folgen zeigten ſich in erneuten Angriffen der Langobarden und
Sarmaten, gegen welche der Kaiſer wahrlich die Provinz nicht würde
fhügen können.) Da Leo aus Zorn über folhe Oppofition ſich
de8 Papftes zu bemächtigen drohte, fo wies diefer ſtolz darauf Hin,
wie umerreichbar er dem byzantiniſchen Machthaber fei; ©) follte er
ſich aber in Italien nicht mehr ficher wiffen, fo werde er ins Abend-
land reifen, deſſen Fürften ihn zu fich eingeladen hätten. 7) Mit folder
Standhaftigkeit hielt Gregor an feiner geiftfichen Freiheit und Autorität
feft, und hätte er darüber felbft die Hauptſtadt des Erdfreifes, die
2) Vita Constantini papae, Vignoli II. c. 3—6. * 8. J
%) Briefe Gregors II. an Kaiſer Leo, c. 729: Jafle, Regesta pontificum
Romanorum n° 1672. 1674; Migne, Patr. lat. LXXXIX. col. 511—521.
521—524.
®) Migne 1. c. col. 518: Scis, imperator, sanctae ecclesiae dogmata non
imperatorum esse, sed pontificum .... Ideirco ecclesiis praepositi sunt
pontifices, a reipublicae negotiis abstinentes; et imperatores ergo similiter
ab ecclesiasticis abstineant et, quae sibi commissa sunt, capessant. Bpl.
col. 522: quemadmodum pontifex introspiciendi in palatium potestatem non
habet ac dignitates regias deferendi, sic neque imperator in ecclesias
introspiciendi . ... sed unusquisque nostrum, in qua vocatione vocatus est
& Deo, in ea maneat.
4) Daj.: Testis est Deus, quascungue misisti ad nos epistolas, auribus
eordibusque regum Oceidentis obtulimus, pacem illorum tibi ac benevolentiam
coneiliantes . . . Ideirco etiam laurata tua receperunt, ut reges a regibus
honore affiei convenit; idque cum nondum inceptum hoc conatumque tuum,
quo adversus imagines insurrexisti, audivissent. Vgl. col. 519: Scire debes
ac pro certo habere, pontifices, qui pro tempore Romae exstiterint, con-
ciliandae paeis causa sedere tanguam parietem integerrimum septumque
medianum Orientis et Oceidentis ac pacis arbitros et moderatores esse.
®) Daf. col. 519: projecta laurata tun conculcarunt et faciem tuam
coneiderunt, ac delectu .habito Longobardi et Sarmutae ceterique, qui ad
geptentrionem habitant, miseram Decapolim incursionibus infestarunt ip-
samque metropolim Ravennam occuparunt, et ejectis magistratibus tuis pro-
prios constituere magistratus et vicinas nobis sedes regias i ipsamque Romam
sic tractare statuerunt, cum tu nos defendere minime possis.
®) Daſ.: Quod si nobis insolenter insultes et .minas intentes, non ‚est
nobis necesse, tecum in certamen descendere; ad quatuor et viginti stadia
secedet in — Campanise Romanus pontifex: tum tu vade, ventos
persequere (cf. Eccli. 84, 2. Aehnlich noch einmal col. 520.
”) Col. 520-521: Nuper siquidem ab interiori Oceidente preces illius
quem Septetum appellant accepimus, qui vultum Dei
ut ad impartiendum ei sanctum baptisma illuc profieiscamur; ae ne socor-
diae negligentiaeque nostrae ratio nobis reddenda sit, ad iter nos accingimus.
&benfo col. 524: nos, prout ante scripsimus tibi, viam ingredimur Dei beni-
gnitate hr extremas Occidentis regiones versus los, qui sanctum baptisma
effagitanı
Die Berhäftniffe Italiens. 83
Grabftätte des erften der Apoftel, aufgeben müffen. Sein tapferer
| Wibderftand ift dadurch, wie jeder für eine dee geführte Kampf, von
| hohem Intereſſe. "
Gleichzeitig aber war die materielle Stellung des Kaiſers in Italien
durd den Bilderftreit aufs tieffte erfchüttert. Man wählte aller Orten
Anführer zur DVertheidigung der Freiheit; man ging mit dem Plane
um, einen andern Kaiſer einzufegen und nad) Gonftantinopel zu führen;
nur der Papft vereitelte da8 Vorhaben.) In Tuscien trat ein Mann,
Namens Tiberius, als Bewerber um den biyantinifhen Thron auf;
wiederum war e8 Gregor, der feine Bekämpfung unterftügte. ) In
Ravenna fanden zwifchen den beiden Religionsparteien blutige Kämpfe
- ftatt, die mit der Niederlage der minder mächtigen Bilderftirmer
endeten. °) So fcheiterten denn auch die Verſuche, die angeblich von
Byzanz aus gemacht wurden, den Papft auf gemwaltfame Weife zu
befeitigen. *)
Als Gregor IT. 731 den apoftolifchen Stuhl beftieg, konnte er
es wagen, buch ein aus allen Theilen Italiens zufammenberufenes
Concil die Verehrung der Bilder ald Dogma verkünden und über
alle Zeinde derfelben den Bannfluch ausſprechen zu laſſen.“) Gegen
wen fonft als gegen den faiferlihen Reformator war diefer Kirchenbann
gerichtet ? Die römifche Synode von 731 bezeichnet daher den offenen
Bruch zwifchen Stalien und Oftrom, den faktiſchen Sturz der faifer-
lichen Gewalt, mehr als zwei Jahrzehnte bevor der Sieg Pippins
über Aiſtulf das Schickſal derfelben für immer entſchied.
2. Sangobardifhe Zuſtände. °)
Das Langobardenreih trat um die Mitte des 8. Jahrhunderts
in jene verhängnißvolle Krifis ein, welche nach kaum 25 Jahren mit
dem Untergange deſſelben endete. Es war natürlich, daß ein jo wichtiges
und zugleich jo tragifches Ereigniß die Gemüther der Nachwelt in
hohem Grade bejchäftigte; daß das Mitgefühl für die Geſchicke des
?) Vita Gregorii II. c. 17 p. 30: Spernentes ordinationes exarchi, sibi
omnes ubique in Italia duces elegerunt atque sic de pontificis deque sua
immunitate cuncti studebant . . . omnis Italia consilium init, ut sibi eli-
gerent imperatorem et Constantinopolim ducerent; sed compescuit tale con-
ailium pontifex, sperans de conversione principis.
. ©.
umd Banbdi di Vesme (Gött. gel. en 1856, 29. Sept, ©. 1592): nie
wäre für die germaniſche Redhts- und Berfaffungsgeichichte wichtiger als eine er-
ſchöpfende, ins Detail der Forſchung eingehende Darftellung der langobardiſchen
84 . Capitel VE. Um 750.
fpäter fo zerfüfteten Landes Stalien in jener That der Franken ein
folgenſchweres Unglück ſah, welches dem Einheitswerfe der Langobarden
ein jähes Ende bereitet habe; daß andererfeits die Theilnahme für das
untergegangene Reich ihren Ausdrud in einer Fülle von Erzählungen
fand, mit welden die Sage das Herbe der geſchichtlichen Wahrheit
zu mildern ſuchte. Im Angefichte einer großen Begebenheit aber
ziemt es ſich wohl, fich nicht allein dem unmittelbaren Eindrude der
Thatfachen hinzugeben, fondern ihnen vielmehr mit möglichfter Sorg-
falt nachzuſpüren, die ihnen zu Grunde liegenden ſittlichen und poli—
tifchen Zuftände zu erforfchen. Was das Factum bei folder Unter-
ſuchung an tragifchem Pathos verlieren dürfte, gewinnt e8 vielleicht
an Erklarlichteit und Hiftorifcher Gerechtigkeit.
Leider fehlt es uns für diefe legten Abſchnitte der langobardiſchen
Geſchichte am einem’ zugleich zeitgenöffifchen und einheimifchen Berichte.
Wir find auf die römifchen und fränfifchen Quellen Hingewiefen, und
dies zu um fo größerem Bedauern, als grade der weitaus bebeutendfte
Hiftorifer jener Zeit, Paulus Diaconus, der felbjt ein Langobarde
war, feine Erzählungen mit dem Ende des Königs Liutprand abbricht,
und zwar nidt, wie man wohl behaupten wollte, weil es feinem
patriotifchen Herzen widerftrebte, das traurige Schlußcapitel der vater-
ländiſchen Geſchichte zu erzählen, fondern weil er höchft wahrſcheinlich
dur den Tod an der Vollendung feiner Arbeit gehindert wurde;
denn e8 war das legte feiner Werke, und eine Hinmweifung auf fpäter
zu Erzählendes, die fi) darin gegen das Ende findet, beweift unzwei—
deutig, daß er es fortzufegen entichloffen mar. ?)
Einen nicht genug zu ſchätzenden Erſatz für die mangelnde Ge-
ſchichtſchreibung bieten dagegen die Könige Rachis und Aiftulf jelbit
in ihren, erſt in neuefter Zeit durch den Forſcherfleiß deutfcher und
itafienifcher Gelehrten vollftändig aufgefundenen und kritiſch edirten,
Gefegen. 2) Ein eigenthümlicher Vorzug des langobardifhen Ver—
faffungsfebens nämlich war die regelmäßig fortichveitende gefeggeberifche
Berhältniffe . . . Ich twürde mic) lebhaft frenen, wenn diefe Anzeige dazu bei⸗
tragen follte, auf die Wichtigfeit einer folhen, Hegel’8 Skizze weiterführenden und
ergänzenden, Arbeit aufmerfiam zu madjen und vielleicht Einen oder den Anderen
zur Uebernafme derfelben anzuregen.“ Geitvenn haben 9. Babft (Gefejichte des
Tangobardifchen Herzogthums, Forſchungen zur deutſchen Geſchichte II, 1862,
S. 405—518) und Ed. Djenbrüggen (das Strafrecht der Lanigobarden, 1863)
treffliche Beiträge zur Löſung diefer Aufgabe geliefert. Auch die nachfolgende
Darftellung möchte als ein Scherflein zum Ganzen angelägen werben.
1) Paul. Diac. hist. Langob. lib. VI. c. 58: Cujus [des Biſchofs Petrus
von Pavia] nos aliquod miraculum, quod posteriori tempore gestum est, in
loco ‚Proprio ponemus.
) Historiae patriae monumenta T. VIII: Edieta regum Langobardorum
ed. Carol. Baudi a Vesme, Augustae Taurinorum 1855; Pertz LL. T. IV:
Edietus Langobardorum ed. Friderico Bluhme, 1868. Wir befigen von Rachis
14 Capitel, von denen jedoch nur c. 51% bem Edictus einverleibt waren
Gi. Bluhme p. 188 n. 1); vom ituff 22, und zwar de anno primo (b. 1. 750)
€. 1-9, de anno quinto (b. i. 754; bei Bluhme unrichtig: 755) c. 10—22.
Die Berhäftniffe Itafiens. 85
Thätigfeit, wie fie in dem Edictus vorliegt. König Rothari, welcher
um die Mitte des 7. Jahrhunderts lebte, der erfte Urheber eines
gefehriebenen Geſetzes unter den Langobarden, hatte am Schluffe feines
Geſetzbuchs den Oberhäuptern des Volkes das Necht zu weiteren Nach-
trägen vorbehalten. *) Die nachfolgenden Könige Grimoald, Liutprand,
Rachis und Aiftulf machten von diefem Vorbehalte denn auch ger
wifjenhaften Gebrauch, wobei fie in ihren Prologen ftets auf Rotharis
Worte Bezug nahmen. ?) So z. B. Rachis im Jahre 746, indem
er fagt: „ALS Rothari die Gefege ſchrieb, um allen Streit und Zwieſpalt
abzufchneiden: da fegte er auch feſt, daß alle feine Nachfolger, was.
fie darin durch Gottes Eingebung als rauh und hart erfennen würden,
mäßigen und mildern follten.“ ®) Der Hergang bei folhen Verfaſſungs⸗
änderungen war nun der, daß der König in feinem Palafte zu Pavia
die Großen des Neiche, die Judices, um ſich verfammelte, mit ihnen
und den „umftehenden Langobarden,“ wie zuweilen der Ausdrud- lautet,
die Beſtimmungen des alten Gefeges durchging, die Neuerungen zur
Prüfung vorlegte und nad erfolgter Verftändigung als Anhang dem
Buche beifügte. %) Ganz anders war da8 Berfahren bei anderen
deutſchen Stämmen: wenn hier das Recht umgeftaltet werden follte,
fo geſchah dies in Form einer neuen ZTextesrecenfion des Ganzen,
und es hat der ganze Scharffinn der modernen Forſchung dazu gehört,
die verſchiedenen Necenfionen, wie fie ſich in den Handfchriften finden,
von einander zu unterfcheiden. Die Iangobardifhen Könige ließen das
) Edictus Rothari c. 386: pertractantes et sub hoc tamen capitulo
reservantös, ut quod adhuc, annuentem divinam clementiam, per subtilem
inquisitionem de antiquas legis Langobardorum, tam per nosmetipsos quam
per antiquos homines memorare potuerimus, in hoc edietum subjungere
debeamus. Drufelben Sinn hat man, feit König Liutprand (Prolog zu deu
Leges a. 1) bis Baudi di Besme (p. 270 n.), aud; oft in den folgenten Worten
des Rothari ſchen Prologs gefunden: necessarium esse prospeximus, praesentem
corregere legem, quae priores omnes renovet et emendet, et quod deest
adieiat,'et quod superfluum est abseidat. Bfuhtme p. 2. n. 2 dagegen ergängt
zu priores omnes den Begriff leges und erffärt das Mißverſtändniß Liutprands
damit, daß diefer das Wort omnes ale homines aufgefaßt und unter Priores
homines die principes ‚verftanden habe. Muratori bemerkte fogar, ihm jei ganz
unerfindlid, ubi Rothari dixerit a successoribus suis sua fore emendanda.
?) Die Leges .a Grimowaldo additae beginnen mit den Worten: Superiore
pagina hujus edicti legitur ita, quod adhuc annuente Domino memorare
potuerimus de sincolas causas, quae in presente non sunt adficte, in hoc
edictum adjungere debeamus .. . Ideo ego . . . per suggestione judicum
omniumque consensu, ea que illis dura et impia in hoc edietum vißa sunt,
ad meliorem statum et clementiorem remedium corregere et revocare pre-
vidernus. — Die in der vorhergehenden Note erwähnte Stelle Liutprands lauter:
Rothari rex ... prudenter hoc inserere curavit, dicens, ut quis ille Lango-
bardorum princeps ejus successor superfluum quid inibi reperit, ex eo sa-
pienter auferret, et quod minus invenerit, Deo sibi inspirante adicerit; das
habe Grimoeld gethan und feiner norma wolle aud) er jett folgen.
®) Prolog zu jeinen Leges a. 746.
*) Bol. befonders die Prologe Liutprands zu jeinen Leges de anno octabo
(720), de anno quartodecimo (726).
86 Gapitel VII. Um 750.
Geſetzbuch Rotharis, während grade er ihnen Verbefferungen geftattet
hatte, wenigftens der Form nad) völlig unangetaftet und bewegten fich
dadurd in ihren Zufägen defto freier. Wir erfahren faft immer die
thatfächliche Veranlaffung der neuen Mafregeln und verdanken fo dem
Edictus die nüglichften Beiträge zur Erfenntniß der focialen und poli—
tiſchen Zuftände des Königreichs. Cine Nachahmung der fränfifhen
Ordnungen ſcheint e8 zu fein, daß in der Zeit, welcher unfere Dar-
ftelung gewidmet ift, — früher Herrfchte darin mehr Willkur und
Zufall — die Eröffnung jener Verfammlungen am 1. März erfolgte;
ebenfo ift der Ausdrud Capitufare, deſſen ſich Aiftulf einmal bedient, *)
unzweifelhaft der fränfifchen Gefegeöfprache entnommen. Nicht alle
neuen Vorſchriften übrigens wurden in den Edictus aufgenommen; ?)
es gilt dies namentlich von königlichen Verordnungen, welche nicht
aus den Berathungen der Reihsverfammlung Herborgegangen waren. ®)
Daß diefelben gleichwohl von großem Werthe für bie Geſchichte find,
Tiegt auf der Hand.
Ein fehr ſchwieriger und vielbehandelter Gegenftand der Geſchichts-
forſchung ift die Frage nad) den Elementen der Bevölferung im Tango-
bardiſchen Reiche, Es ift der Grundgedanfe der weitſchichtigen Werfe
des Neapolitaner® Carlo Troya, namentlic).feines ſechsbändigen lango—
bardiſchen Urkundenbuchs, daß die Langobarden mit den von ihnen
überwundenen Römern zu einem ununterjceidbaren Ganzen zufammen-
geſchmolzen feien. Er Hat damit nicht wenig die nationale Eitelfeit
der Staliener und ihren falſchen Römerſtolz verlegt. Liebte es doch
auch Dante, ſich zu der „unter dem Mift feiner Vaterſtadt noch übrig-
gebliebenen Ausſaat des alten Rom“ zu rechnen. Die Bertheidiger
der römischen Abftammung, die übrigens in Deutſchland eine mächtige
Stüge fanden, *) behaupteten ein fortdauerndes, ſcharf geiondertes
Nebeneinanderfein der freien Langobarden und der freien Römer, diejer
in den Städten, jener auf dem platten Sande, damit zugleich die
Fortdauer des römischen neben dem langobardiſchen Recht, oder mit
!) Im Prolog zu feinen Leges de anno primo (750): paruit in ejus
[edicti] volumine adaugeri et in capitulare affigere die Kalendarum Mar-
tiarum. Auch Papft Siephan III. bedient ſich des Ausdrudes einmal in einem
Schreiben an die fränlifhen Könige Karl und Karimann, Cod. Carol. ep. 46. p. 187:
capitulare, quod vobis per praesentes vestros fidelissimos missos direximus
— offenbar ein Berzeichniß von Beichwerdepunkten, wie er ein anderes Mal,
ep. 47. p. 163, feine eigenen Oefant Geſandten de singulis causis subtiliter informitt,
vestro regali informan
?) Bol. Ratchis regis Capitla i in breve statuta (c. 13. 14): Ista, quae
superius scripta tenentur, in edietum scribantur, et ista capitula dus de
subtus in breve previdimus statuere. Boretius, die Eapitularien im Langobar-
denreich (1864) ©. 9. 13, fließt aus diefer und der in Note 1 angeführten
Stelle, daß der die langobardiſchen Gefege enthaltende Bergamentband aus zwei
Theifen beftanden Habe, deren einen der Edictus, den anderen (von Aiftulf capi-
tulare genannten) die Capitel außerhatb deffelben bildeten.
®) ©. Blume, praef. p. X; Boretius ©. 13.
9 An Savigny, ee des römiſchen Rechts im Mittelalter I. ©. 342 ff.
— —
Die Berhältniffe Italiens. 87
anderen Worten, die Geltung der perfönlichen Rechte, wie fie aller-
dings in anderen germanifchen Reichen, befonders bei den Franken,
Princip gemefen if. Troha dagegen und mit ihm die neueren Ver—
treter der deutfchen Wiſſenſchaft !) behaupten und beweifen, daß die
Langobarden gleich von Anfang an ſich ebenfomohl in, den Städten
wie auf dem Lande nicderliegen — wie man e8 einmal ausgedrüdt
kat: Stalien war und blieb ein Land der Städte, ?) — daß die Römer
degegen weder römifches Recht noch freien Grundbefig behielten, fondern
Coonen d. i. Pächter ihrer langobardiſchen Herren wurden und ale
folge der Klaſſe der Aldionen angehörten, einer Mittelftufe zwiſchen
den Freien und den eigentlichen Leibeignen, aus welcher fie jedod im
Laufe der Zeit vielfach durch Freilaſſung wieder zur vollen Gleich—
ftellung mit den freien Langobarden gelangten, fodaß allmählich unter
alfen Ständen der Bevölkerung der Stammesunterfhied erloih. Das
Syſtem der perfönlichen Rechte aber, wonach die Landesbewohner einem
je nad) ihrer Abftammung verfchiedenen Gefege unterworfen geweſen
wären, deftreiten fie für das Langobardenreih und behaupten ihn
gegenüber die Territorialität, d. H. die ausfchlieglihe Gemeingültigkeit
des langobardiſchen Rechts. Zum Beweiſe dient ihnen insbefondere
das Stillfweigen, weldes die königlichen Geſetze jener Bevölferungs-
verfchiedenheit gegenüber beobachten. Einen nicht geringen Beleg für
diefe Anficht bieten auch grade die Erlajfe der Könige Rachis und
Aiftulf. Hier ift wohl am mehreren Stellen von „Römern“ bie
Rede, ®) aber darunter find ohne allen Zweifel die Bewohner des
oftrömijchen Italiens gemeint, gegen welche der Kriegszuftand proclamirt
wird. Hätte e8 damals noch langobardifche Unterthanen gleicher Be:
nennung gegeben, dann würde jener Name für die Landesfeinde ficher
nicht in folcher Allgemeinheit gebraucht worden fein. *) Am meiften
giebt die Verſchmelzung ji in der Sprache der Urfunden und der
Geſetze kund, einem Latein, das offenbar fchon Volksſprache geworden
ift, 5) wie ſich dies nicht nur an der Eiuflechtung germanifcher Be—
nennungen, z. B. Aldio für einen Halbfreien, Arimannus für einen
Vollfreien, Gafindins für einen Schugbefohlenen, Widrigild f. v. a.
Wergeld, Morgincap d. i. Morgengabe, Coccora d. i. Köder, fondern
auch in mandem unzweifelhaften Germanismus zeigt. ©)
Die Thätigfeit der Bewohner erftredte fi auf Landbau und
1) Befonders Hegel, Geſchichte der Städteverfaffung in Itafien J. ©. 836 ff.
2) Hegel a. a. DO. ©. 474.
%) 5. B. Ahistulfi leges c. 4.
+) Achnlid) Hegel a. a. D. ©. 428.
®) Daß das Latein im 8. Jahrhundert die Volksſprache der Langobarden ger
wejen, das pangoßarbifee aber nur in einzelnen Austrüden fortbeftanden, ſcheint
au aus Paul. Diac. hist. Lang. lib. V. c. 29, VI. c. 7. 24, ferner aus
Einh. ann. a. 796 hervorzugehen.
%) So heißt 3. ®. „er werde ihm ausgeliefert”: fiat ei ‚datus in manus;
„8 ſchien uns tet, daß folder Meineid verhütet werde”: mobis justum com-
paruit, ut hoc perjurium fieret resecatum u. |. w.
88 Capitel VIL Um 750.
Handel; doc) feheinen die Kaufleute erft im 8. Jahrhundert zur vollen
Gleichſtellung mit den Grumdbefigern gelangt zu fein. Der Handel
bediente fi der Echifffahrt wie des Landverfehrs. ) Sowohl die
Grumdbefiger als auch die Handeltreibenden unterfchieden ſich unter-
einander aud) für das Gejeg nad) ihrem Vermögen; ?) dem Befiger
vieler Meierhöfe ftand derjenige gegenüber, der nur ein Pferd oder
ſonſt einiges Vieh befaß, und dem großen oder, ‚wie er genannt wird
mächtigen Handelsheren der kleine Krämer; gewöhnlich nahm man
die ziemlich unbeftimmten drei Etufen der Potentes, Sequentes ud
DMinores an. Die natürliche Folge einer ſolchen Bermögensftala ift
in der Regel ein über da8 Maß hinausgehendes Verlangen nad) größerem
Erwerb, und e8 fehlt nicht an Erſcheinungen, die diefe Erfahrung bei
den Langobarden beftätigen. ?) König Rachis flagt ganz allgemein,
daß Schlechte Menfchen, die göttlichen Ordnungen vernachläffigend mehr
den Vortheil diefer Welt als ihr Seelenheil erftveben und nicht abe
laſſen, die Schwachen oder Bedürftigen auf ſchlaue Weife zu drüden.
Biele gewiffenlofe und von menfchlicher Begier getriebene Leute habe
er daher in Meineid fallen fehen; und fein Bemühen ift es, m folchen
Streitigkeiten die Ansfage glaubwürdiger Zeugen an bie Stelle des
Eides zu fegen. t) Es ijt Alten befannt, heißt e8 ein anteres Mal,
daß bisher aus böfer Habgier oft ein Kaufbrief angefochten und be-
hauptet wurde, der volle Preis fei noch nicht gezahlt; das thaten
fchiffbrüchige Leute) in der Abficht, damit folche Käufer, die ihre
Behauptung nicht gern befehwören wollten, ftatt des Eides dem Kläger
eine Abfindungsfumme zahlten; diefe kamen dadurch unverdient zu
Schaden. Auch hier befeitigt Rachis den Eid und ftellt das volle
Anfehen der fhriftlihen Urkunde her. ©)
Ein erjchöpfendes Charakterbild des Volkes zu gewinnen, dazu
reihen unfere Quellen in feiner Weife Bin; aus der Fulle des Lebens
herausgenommen, können einzelne die Gefeggebung befchäftigende That-
fachen nur als Symptome gelten, die dem Gefammturtheil zur An—
leitung dienen. Einige zeitgenöffiiche Aeußerungen gereihen unferer
ungünftigen Vorftellung nur zur Beftätigung. Eine gehäffige Feindes—
ftimme freilich ift die Stimme des Papftes Stephan III., als diefer
in den Jahren 769—770 die Söhne Pippins von einer ehelichen Ver—
?) Ahist. Leges c. 6.
®) Dai. c. 2.3.
°) &o bemerkt jchon Liutpraud, Leges de anno XIX (731). c. II (119):
excrevit vieium hoc [lntrene zwijchen Verlobten] in gentem nostram pro
eupiditatem pecuniac.
#) Ratchis Leges, prologus.
>) Wir begegnen dem Worte naufragus in diefem übrigens ſchon bei ben
Alten gebräuchlichen Sinne aud) bei Limprand, Leges de anno XXIII (735).
c.X (152): Si quiscumque homo qui est prodicus [prodigus] aut naufracus etc.
Das Verbum naufragare finder ſich Liutprandi Leges c. 87. 117, ferner Troya
n° 595 (October 746).
°) Ratchis Leges c. 8.
Die Verhättwiffe Italiens. 89
bindung mit der langobardiſchen Königefamilie zurückzuhalten fuchte; 1)
aber es fpricht ſich in feinen Worten doch mehr als Haß, es fpricht
ſich darin Verachtung gegen den ganzen Voiksſtamm aus.) Der
unparteiifche Mainzer Priefter Willibald redet in der Biographie
des heil. Bonifacius von einer dreifachen Gefahr, welche mit einer
itafienifchen Reife verbunden jei: man habe die ſchneebedeckten Alpen,
die Wildheit der Langobarden und den hochmüthigen Trotz der
buzantinifchen Soldner zu fürchten.) Es dunkt uns nicht wider-
fpredend, fondern Höchft bezeichnend, daß derfelbe Autor den König
Liutprand, im Gegenfage zu feinem Volke, trefflih und chrenmerth
nennt; 4) denn ein tiefer Unterfchied ſcheint chen die Könige und ihre
nächſte Umgebung von der großen’ Maffe des Volkes zu trennen, welche
fie nicht zu ſich emporzuheben vermochten.
Ein Zug von Roheit gehört hierher, von dem Aiftulf erzählt. 5)
„Es ift zu unferer Kenntniß gelangt,“ ſchreibt er, „daß zumeilen bei
feftlicher Abholung der Verlobten eines Mannes, mit Brautführerinnen
und Gauffern, verkehrte Meñnſchen ſchmutziges Waffer auf fie hinab—
gegofien Haben.” Weil dies aber an verfchiedenen Orten geſchehen, fo
fegt Aiſtuif, um Aufruhr und Todtfchlag zu vermeiden, auf eine Wieder-
holung folcher Exceſſe das höchfte Bußgeld, nämlich 900 Schilfinge. —
Aehnlichen Gemeinheiten hatte ſchon iutprand entgegentreten müffen. *)
Die Könige erkennen e8 als ein Bedürfniß, den Frauen eine
höhere Würdigung zu verichaffen. Mande Zurückſetzung, die durd)
das bisherige Erbrecht ihndt widerfahren, wird durch Aiftulf befeitigt.
Nicht der Sohn nur, fonderit auch die Tochter, die fi durch befonders
treue Dienfte Hervorgethan, darf vom Vater fortan mit einem größeren
Erbantheil bedacht werden.) Die Wittme fol nicht allein auf die
Morgengabe und die Meta, d. i. den bei der Verlobung vom Manne
1) Cod. Carol. ep. 47. p. 159.
3) Er nennt die Sangobarben eine foetentissima gens. quae in numero
gentium nequaguam computatur, de cujus natione et leprosorum genus oriri
certum est. Einen Commentav zu dieſer ſonderbaren Charakteriftif bietet viel-
Teicht die Erzähfung des Paulus Diaconus, hist. Lang. lib. IV. c. 37, von den
teufcen Töchtern der Verrätherin Romilda.
®) Willibaldi Vita S. Bonifacii cap. 5, Jaffe Bibl. III. p. 444: Multas-
que sanctorum ecelesias orando adierunt, ut tutius, opitulante Altithrono,
alpina nivium juga transcenderent Longobardorumgue erga illos humanitatem
mitius sentirent militumque malitiosam superbiae ferocitatem facilius eva-
derent. Der Zufammenhang des Satzes aber nöthigt,\humanitatem zu ber:
werfen uud dafür immanitatern zu leſen, wie aud) p. 445 von ben inmanissimi
Germaniae populi die Rede if. — Dieje Emenbation wird auch ſchon von
Simfon, Wilibatds Leben des heil. Bonifacius &. 31. N. 5, vorgefchlagen, der
ſich dabei mit Recht auf das in Othlons Ucherarbeitung gebrauchte Wort fero-
eitas ftübt.
+) Willib. Vita 8. Beni c. 5. p. 445, c. 7. p. 456.
>) Ahist. Leges c.
°) Liutpr. Leges ie no XIX (781). c. IX (126); de anno XXI (733).
c. VI (135).
?) Ahist, Leges c. 18.
90 Eapitel VIL Um 750.
verfprochenen Kaufpreis angewiefen fein, fie ſoll aud mit den Kindern
erben, ſelbſt mit den Stieflindern. ) Und fo forgte Aiftulf auch für
die unverheirathet gebliebenen Schweftern eines mit Hintgrlafjung von
Kindern verftorbenen Mannes: die Neffen und Nichten müſſen nad)
Maßgabe ihres Vermögens für die Tante forgen, damit fie ohne
Entbehrungen leben könne und weder an Speife und Tranf, nod) in
Kleidern und Schuhwerk, noch auch in Bedienung und Pflege Noth
leide; ebenfo haben fie ihr, wenn fie in ein Kloſter treten will, eine
angemeffene Ausftattung mitzugeben. Ein tiefer liegendes Motiv dieſes
Paragraphen ift die Beforgniß, jie möchte vielleicht, wenn fie Noth
leidend im Efternhaufe zurüdbleibe, zu ihrer Erleichterung ſich mit
einem Sklaven ehelich verbinden und dadurch felbft unfrei werden. ?)
Denn die Abftammung war nicht die einzige Quelle der Knecht-
ſchaft; man konnte eines Verbrechens wegen in den Stand der Unfreien
verfegt werden, und das bedeuteten wohl immer die Worte, mit denen
ein Verurtheilter feinem Gegner überliefert wurde: „dieſer folle mit
ihm thun, was er wolle.“ ) Selbft Kinder und Kindesfinder waren "
dann Leibeigene und fonnten nur in der geſetzlich vorgefchriebenen Form
der Freilaffung ihre Unabhängigfeit wieder erlangen. +) Aud) die Freie,
die eines Sklaven Frau wurde, trat in die Ruechtihaft ein; nur wenn
das Verhältniß 60 Zahre lang Geheimniß geblieben war, behielt fie
und ihre Nachtommenſchaft die Freiheit.) So fegte es noch Rachis
feſt; und wahrſcheinlich um diefer Folgen willen wünfchte Aiftulf, wie
gejagt, es zu verhindern, daß ledig gebliebene Tanten, durch Ausſchließung
von aller Erbfchaft gezwungen, ſich mit Sflaven verheiratheten. Aiftulf
bewährt ſich überhaupt al8 ein Gegner der Sklaverei: „Es ſcheint uns
von höchſtem Heil,“ fagt er einmal, „Knechte aus der Knechtſchaft zur
Freiheit zu führen; denn auch unfer Erföfer ift in Knechtögeftalt er-
ichienen, um uns mit der Freiheit zu beſchenken“ 9) — ein Ausſpruch,
der für die verfittlichende Bedeutung des Chriftenthums bei den alten
germanifchen Völfern ein bemerkenswerthes Zeugniß ablegt. Aber folche
Grundfäge zur Durchführung zu bringen, bot die größten Schwierig:
feiten dar; am meiften ftand ihnen die Habfucht entgegen. Der Sklave
bildete ein fehr einträgliches Beſitzthum jeines Herrn; daher die Sflaven-
jägerei unter den Freien felbft. Es fam vor, daß Jemand. einen Mann
in feinen Dienft forderte, und als diefer fich zu folgen weigerte, ihn
in feiner Wuth erſchlug.“) Es geſchah, daß Söhne die von ihren
1) Ahist, Leges c. 14.
2) Dal. c. 10.
®) Ratchis Leges c. 10, Ahist. c. 15.
*) Ahist. Leges c. 22.
%) Ratebis Leges c. 6.
%) Ahist, Leges c. 12: maxima merces nobis esse videtur, ut de servitio
servi ad libertatem ducantur, eo quod redemptor noster servus fieri dignatus
est, ut nos libertatem donarit.
?) Ratchis Leges c. 7.
Die Berhältniffe Italiens. " 9
Vätern letztwillig verfügte Freilaſſung der Sklaven nicht beachteten
und diefelben nicht entließen. 1) Gegen ſolche Gewaltthaten fehritten
die Könige ein: jener Todtfchläger verfiel der Strenge des Geſetzes,
und in dem zweiterwähnten Falle mußte der Wille des Vaters ge-
wiffenhaft erfüllt werden. Ja, nur im Intereſſe der Freilaſſung
forderte Aiftulf, daß die Freigewordenen gegen ihre bisherigen Herren
bis zu deren Ableben das Treuverhältnig bewahrten und fie nicht
fofort ſchnöde verließen; 2) denn viele Leute, fagt er, fürdten von
ihren Freigelaſſenen hintenangefegt zu werden und unterlaffen es
deshalb, ihnen die Freiheit zu geben. Kam endlich der Fall vor, daß
Jemand freiwillig in den Dienft eines Anderen getreten war, dann
ficherte Aiftulf ihm und feinen Nachkommen das bleibende Recht des
Wiederaustritts, auch wenn der Herr in die Entlaffung nicht wilfigte. °)
Das Konigthum erfcheint bei den Langobarden Hoch über der
Nation ftehend, in voller Ausübung feines fittlihen Berufes. Der
König war die Seele der Gejeggebung; Anregung und Ausführung
gingen von ihm aus. m feinem zweiten Prologe fagt Aiftulf: „Da
der Prophet uns ermahnt: „„Richtet in Gerechtigkeit, Söhne der
Menfchen““ und an einer anderen Stelle: „„Lernet die Gerechtigkeit,
die ihr die Erde bewohnt, denn der gerechte Gott liebt die Gerechtig-
feit,"" darum geziemt es uns, eifrig danach zu ftreben, daß das ung
amdertraute Voik in den Gerichten wicht befchwert werde und daß
wir dem allmächtigen Gotte, durch deſſen Beiſtand wir herrſchen, in
Allem gefallen mögen. Indem wir daher, dem Beifpiele unferer
Vorgänger folgend, alle Verordnungen derfelben in Erwägung gezogen,
haben wir Einiges barin nicht vorgefunden, woritber unſere Richter
in größtem Irrthum befangen find.t) Wir Haben fie daher aus den
verſchiedenen Theilen unſeres Reiches zufammengerufen und nach ge-
meinfamem Beſchluß dasjenige, was unjerer Hoheit gerecht erfchienen, 5)
dem Edictus beigefügt, damit die Gerechtigkeit beftehe und alle Duntel-
heit in dem Urtheil unferer Richter erhelft werde.“ 6) Diefer künig-
lichen Smitiative entfprechend, heißt es daher zu wiederholten Malen
von Gefetesbeftimmungen: „So gefiel e8 dem Fürften,“ ?) „es gefiel
gleichfalls dem Fürften.“ ®) a, eine reformatorifche Ungeduld möchte
man darin erfennen, wenn der König zuweilen auf fofortige Abhülfe,
noch innerhalb der gegenwärtigen Indiction, dringt. ?) Auch in die
einzelnen Progeffe griff derfelbe jehr Häufig ein; von jedem Ausſpruche
3) Ahist. Leges c. 12.
Dal. c. 11.
®) Dal. c. 22.
+) de quibus maximus error nostros judices ad danda judicia involvebat.
%) quae praecellentiae nostrae juxta Deum justa comparuerunt.
*) quatinus justitia maneat et nostrorum judicum judicio omnis obscu-
ritas inluminetur.
? Ahist. Leges c. 2: prineipi placuit.
2 e. 8: placuit idem prineipi.
al. c. 8.
: intra presentem indictionem.
92. Eapitel VII. Um 750.
der Richter durfte der Verurtheilte an den Hof appelliren.) Dafür
fließt meift die Hälfte der Strafgelder, in manden Fällen die ganze
Summe, in den Schatz des Könige?) Es ift ein ſchöner Zug, daß
die Herrfcher weder für ihre Hofgüter, noch für ihr Gefolge, die Gafindii,
noch aud für die Klöſter und heiligen Orte, die unter dem Schutze
des Palaftes ftanden, irgend einen Vorzug beim Gerichtöverfahren in
Anſpruch nahmen.) Auch der kirchliche Sinn der Könige Tieß nichts
zu wünſchen übrig.*) Der Arianismus war zwar noch keineswegs
erfofhen, und bis in die Zeiten Karla des Großen gab es in der
Hauptftadt eine katholiſche und eine arianifche Kirche, einen Fatholifchen
und einen arianiſchen Bifchof. 5) Aber trog diefes Verhältnifjes, das
etwas von dem modernen Geifte der Duldung hat, erfreuten ſich die
tatholiſchen Yuftitute dennoch, des größten Schugee und Zuwachſes.
Liutprand nimmt gern Rathſchläge und Belehrungen vom Bapfte an,
den er da8 Oberhaupt der Kirchen Gottes und ihrer Priefter in der
ganzen Welt nennt, °) dem in der That auch die langobardiſchen
Biſchöfe untergeben find. ”) Aiftuff betrachtet in Betreff der ehelichen
Verwandtſchaftsgrade die fanonifchen Beftimmungen als ebenfo bindend,
wie den Edictus.s) eine Verunglimpfung als der „gottlofe” und
„gottlofefte“ im dem gleichzeitigen und fpäteren Ueberlieferungen bemeift
nur die parteiifche Färbung der langobardenfeindlihen Quellen und
fteht in grellem Widerfpruh zu feinen eigenen Aeußerungen über
Gottes Wort und göttliche Gnade. °
Einen Glanzpunkt des Hoflebens endlich bildete die Pflege der
Wiffenfchaften von Seiten der Könige. Wir würden unferen Gegen-
ftand nur mangelhaft zu behandeln glauben, gebächten wir vor Allem
jenes hochgebildeten Geſchichtſchreibers Paulus Diaconus hier nicht,
der, um das Jahr 730 im Friaul aus einem edlen Tangobarbifchen
Geſchlechte geboren, mit feiner blühendften Jugendkraft dem hier
1) ®gl. 3. ®. Ratchis Leges c. 1. 2.
®) Ratchis Leges c. 4, Ahist. c. 15.
®) Ahist. Leges c. 14. 17. 19. 20.
+) Bol. {don oben 5. 81 (M. 12).
®) Paul. Diac. hist. Lang. lib. IV. c. 48: von Hegel a. a. O. ©. 372,
375 überjehen; ebenjo von Dtto Abel, das Ehriftentgum bei den Langobarden
(Anhang zu feiner, in den „Gefchichtichreibern der deutichen Vorzeit” erſchienenen,
Ucberfegung des Paulus, ©. 247).
°) Liutpr. Leges c 33: Hoc autem ideo adfiximus, quia Deo teste papa
urbis Romae, qui in omni mundo caput ecclesiarum Dei et sacerdotum est,
per suam epistolam nos adortavit, ut tale conjugium fieri nullatinus per-
mitteremus.
?) gl. Troya n° 631. 661.
®) Ahist. Deges c. 8; vgl. Troya ne 592, Urfunde Giſulfs IT. von
Benevent, Mai 746: fecimus venire sanctos canones et religi in nostra prac-
sentia ... . Tunc nostrae gloriosae potestati justum visum est, judicare
secundum praecepta canonum, ut etc.
) Auf kirchenfeindliche oorgänge zur Zeit des Unterganges der Langobarden
deutet Paul. Diac. lib. V.
Die Berhältniffe Italiens. 93
gefgilderten Zeitraume angehört; er empfing feine Bildung am Hofe
de8 Könige Rachis zu Pavia und erwarb ſich hier nicht mur eine
gründliche Kenntnig der lateinischen Sprache und Literatur, jondern
aud des Griehifchen. 1) In den Tagen des Rachis oder Aiftulf,
als Alcuin, ein Altersgenoffe des Paulus, in nod jugendlichen Jahren
ſich auf feiner erften Reiſe nach Rom einige Tage zu Pavia aufhielt, fand
hier zwifchen Petrus von Pija und einem Juden, Namens Julius,
eine Disputation ftatt, deren fi Alcuin noch ein Halbes Jahrhundert
fpäter erinnerte; die Disputation war, wie man ihm ebendajelbit,
vielleicht bei feinem zweiten Aufenthalt, erzähfte, auch niedergeichricben
worden. ?) Schon Theudelinde, Kunintpert, Liutprand werden als
Beſchützer der: Wiffenfhaften gerühmt; der Grammatifer Felix, ein
Oheim von Flavianus, dem Lehrer des Paulus, ftand bei feinem Könige
in jo hohem Anfehen, daß diefer ihm unter anderen reichen Geichenfen
ein mit Silber und Gold geſchmücktes Trinfgefäß verehrte.) Paulus
felbft febte fpäter ohne Zweifel auch am Hofe des Defiderius; wenigſtens
erfahren mir, ‚daß er die Studien feiner Tochter Adelperga geleitet,
der nachmaligen Herzogin von Benevent, in deren Umgebung er wahr-
ſcheinlich ebenfalls längere Zeit zugebracht hat, bevor er zum Franken⸗
fönige Karl und ins Klofter Montecaſino ging.*) Ein Gelchrtenleben
aljo, das aufs engfte mit dem Hofleben zufammenhing und in dem-
felben wurzelte. Won einer allgemeineren Volksbildung, aus der ein
Mann wie Paulus hätte hervorgehen fönnen, von einem Schulunterricht
erbliden wir faum eine Spur, 5) und wir fehen uns demnach ver-
anlaft, das Königthum aud in wiffenfchaftlicher Beziehung hoch über
das ihm untergebene Volk zu ftellen.
Wenden wir unfere Aufmerffamfeit jegt dem Beamtenthum zu, -
dem Organe der Vermittlung zwiſchen Herrfchern und Beherrſchten.
Das ganze Reich der Langobarden zerfiel in größere Stadtgebiete, auch
Zudicarien genannt, ©) weil ein Juder an der Spige eines jeden
ftand. Diefe Judices, denen als Unterbeamte (Actores) der Schul-
theiß, der Centenar, der Locopofitus, der Stario u. A. m. beigegeben
) Bol. Bethmann, Paulus Diaconus Leben und Schriften: Pertz, Archiv
für ältere beutthe Geihichtsfunde X. ©. 247 ff.; ferner Otto Abel a. a. D.,
Einfeitung ©. VII. fi.
%) Alcuini ep. ed. Migne, Patr. lat. C. ep. 101. col. 813: Dum ego adole-
scens Romam perrexi et aliquantos dies in Papia regali civitate demorarer,
quidam Judeus, Julius nomine, cum Petro magistro habuit diputtionem;
et Scriptam esse eandem controversiam, in eadem civitate audi
®) Paul. Diac. lib. VI. c. 8. Inden Urkunden begegnet ein 2 ein Mater, Auripert
pietor, der ſich der Gunft Aiſtulfs zu erfreuen hatte; ya no 7%
+) Bethmann und Abel a. a. DO.
®) ®gl. Troya n° 620 (a. 748), n° 871 (a. 767); beide aus Lucca. Die
erftere Urkunde hat die Unterjchrift eines Deusdede v. v. presb. magistro scole
testis; nad) der anderen befand fich das Haus eines Priefters Auderadus prope
porticalem basilicae, ubi est scola.
®) Bgl. 3. ®. Liutpr. Leges c, 44.
94 Capitel VII. Um 750.
waren, !) hatten zunächft die Gerichtsbarkeit in ihrem Sprengel. Wie
entledigten fie ſich jedoch diefes Amtes? König Rachis ruft im erften
Jahre feiner Regierung Gott zum Zeugen an, daß er weder zur
Andacht noch zum Vergnügen ſich fortbegeben könne, wegen der Reclama-
tionen fo vieler Menſchen, die fich über die Judices befchwerten. 2)
Es wurde ihnen zum Vorwurf gemacht, daß fie nicht täglich Gericht
hielten, daß fie Gemaltthätigfeiten duldeten und übten, daß fie aus
Ruckſicht auf ihre Getreuen, auf Verwandte und Freunde, oder auch
durch Beſtechung verleitet, das Recht braden. Eine Folge diefer
Corruption war außer jenen Befchwerden beim Könige das Schwinden
alfes Vertrauens zu den Beamten im Bolfe. Der Eine umging die
Inſtanz des Juder und wandte ſich fofort an das Gericht des Königs; *)
der Andere nahm den Urtheilsfpruc des Juder nicht an oder weigerte
ſich, vor ihm zu erfcheinen, und ſuchte nod Mehrere um fich zu
vereinigen, daß fie das Gleiche thun follten. So entftanden in ver-
fchiedenen Städten Verbindungen von 4, 5 umd mehr Perfonen gegen
ihren Richter, Zavae, wie der Edictus jie nennt.“) Die Könige traten
folgen Ungefeglichkeiten des Volfes wohl mit Kraft entgegen; noch
ftrenger fchritten fie aber gegen die pflichtvergeffenen Richter ein, denn
bie foldes thun, fagt Rachis, find weder Gott noch uns getreu noch
auf das Wohl dieſes Landes bedadht.5) Und fo Tieß er fi von den
Audices das ſchriftliche Verfprechen geben, daß fie gerecht richten wollten ;
ein gleiches Gelöbniß ſollten diefe ihren Unterrichtern abfordern. Wer
aber auch dann noch die Pflicht verlegte, den bedrohte er mit unnad-
fihtiger Vertreibung vom Amte und fchwerer Geldbuße. Ob folhe
Heilmittel indeſſen dem Uebel abhalfen, ift ſehr zu bezweifeln. Leſen
wir doch aud in Aijtulfs Capitular von Strafandrohungen gegen
diejenigen Richter, welche e8 verfäumen würden, Diebe zu verfolgen,
oder fie über die Grenze würden entſchlüpfen laffen; gegen diejenigen
Nichter ferner, in deren Judicaria ſich, laut Ausfage eines von anderen
Nichtern eingefangenen Diebes, deſſen Spießgefellen aufhielten, ohne
daß zu ihrer Verhaftung Schritte gejchahen. %) Ueberhaupt ift es
auffallend, daß die meiften Paragraphen fih nicht nur gegen Schäden
ober Verbrechen, fondern immer zugleich gegen die Judices kehrten, bie
ſich in der ihnen obliegenden Mitwirkung läffig oder treulos erwiefen.
) Näheres hierüber ſ. Pabſt, Gedichte des Iangobarbifcen ex naogthuns,
Anhang 1: die niederen Beamten bei den Kangabarden, a. a.
) Ratchis Leges c. 1: jam teste Deo dicimus, quia 1 —8* vel ad
orationem possumus exire, aut ubicumque caballicare, propter reclamationes
multorum hominum.
®) Daf. c. 2.
*) Da. c. 10. Ofenbedggen, das Strafrecht der Sangobarden ©. 54, hält
zava ober zaba für eine bewaffnete Rottirung.
®) Daf. c. 1: Quia cognoscimus, eum nec Dei nec nostrum esse fidelem,
nec pro salvationem terrae istius decertare, sed, ut diximus, contra Deum
quaerit agere et contra nos.
9) Ahist, Leges c. 9.
Die Berhältniffe Italiens. . 9
Und diefe Zudices waren zugleich die Anführer des Volkes im
Kriege. t) Auch bei den Langobarden fielen in altgermanifcher Weife Volt
und Heer, Volfverfammlung und Heeresmufterung zufammen. Der
Kriegsdienft war die Pflicht aller Freien, und während er früher an den
Grundbeſitz gebunden war, ſchloß Aiſtulf zuerſt auch die Handelireibenden
in die allgemeine Wehrpflicht ein.?) Wie bei den Franken, brach man im
Falle eines Krieges von der Reichsverfammlung gewöhnlich fogleich zum
Feldzuge auf, und Rachis befahl daher, daß jeder Arimanne, d. h. jeder
friegspflichtige Freie, wenn er mit feinem Juder zum Palafte ziehe, feine
Waffen fogleich felbft mitnehme; ®) denn es fei ungewiß,. was ihm
zuftoßen könne oder welchen Auftrag er vom König empfangen würde.
Doch erging das Fönigliche Aufgebot oft auch durch die Städte des
Landes, und e8 wurde dann an jedem Orte der Tag des Aufbruchs
beftimmt angefagt. *) Das Heer zerfiel nad) der verfchiedenen Art
der Bewaffnung in drei Abtheilungen, die Schwerbewaffneten, das
find folche, die mit Lanze, Schild und Panzer ausgerüftet waren, die
Truppen zweiter Klafje, denen der Panzer fehlte, endlich die Xeicht-
gerüfteten, die ohne Schugwaffen nur aus der Ferne fih mit Pfeil
und Bogen am Kampfe betheiligten. 5) Jene erften zwei Truppen-
gattungen, die nad; dem Charakter ihrer Trutzwaffe, der Lanze, einer
Stoßwaffe, offenbar Dann gegen Maun zu fämpfen Hatten, waren
überdies beritten. Welchem Zruppentheile man angehören follte, das
richtete fi), da Jeder für feine Ausrüftung felbft zu forgen hatte,
nad dem Vermögen des Einzelnen, und wie bei den alten Römern
die Lorica eine Auszeichnung der Felbherren und Officiere war, fo
gehörten nad, Aiſtulfs Vorſchrift bei den Langobarden die Panzerträger
zu den Höcjftbegüterten ſowohl unter den Grundbeſitzern wie unter
den Kaufleuten; file jene war zu ſolchem Vorzug der Beſitz von
7 Meierhöfen erforderlich, während in die zweite Kaffe alle diejenigen
aufgenommen wurden, welde wenigftens 40 Morgen Landes befafen. ©)
Ob nun grade die Vermögensitufen eine paffende Klaſſificirung
für den SKriegsdienft abgeben, mag dahingeftellt bleiben; beftand bei
den Franken doch daffelbe Princip. Wichtiger aber ift es, daß die
königlichen Befehle auch in militärifchen Dingen nur füdenhaft zur
VBollziehung gelangten. Schon vor Aiftulf war wahrſcheinlich eine
genaue Vorfchrift über die Bewaffnung erlaffen worden, ich vermuthe,
von Rachis, mad) einer Andeutung in deſſen Gefegen. ?) Und fo
fpricht Aftulf, wie von einer Verfäumniß früherer Anordnungen, „von
3 Vgl. 3. B. Ratchis Leges c. 4.
3) Ahist, Leges c. 3.
®) Ratchis Leges c. 4.
+) Ahist. Leges c. 21.
®) Daf. c. 2. 8.
°) Daf. c. 2.
?) Ratchis Leges c. 4: De ferratura quidem et aliis armis vel caballis
ita fieri debeat, sicut jam antea per nostram jussionem precepimus.
96 Capitel VIL Um 750.
jenen Männern, welde einen Panzer haben können und feineswegs
haben, ſowie den geringeren, welche Pferd, Schild und Lanze haben
fünnen und feineswegs haben.” 1) Wirderum alfo lajfen die Könige e8
ihrerfeits an Fürforge für das Land nicht fehlen, aber die Anderen, feien es
die Unterthanen oder die ausführenden Behörden, thun ihre Schuldigfeit
nicht. Eine gewiß wohlwolfende Verfügung Aiftulfs verbietet, gegen einen
Schuldner oder Bürgen 12 Tage vor dem Abmarjch aus der Heimath
und 12 Tage nad) feiner Rückkehr aus den Kriege eine Pfändung vor-
nehmen zu laffen. 2) So Hatte auch Liutprand einft die Judices und
ihre Unterbeamten ermächtigt, von den unbentittelten Mannjchaften
jedesmal eine beftimmte Anzahl vom Feldzuge zu entbinden, Aiſtulf
aber findet Anlaß zu rügen, daß nicht die Armen, fondern grade die
Mächtigen aus dem Kriege nach Haufe entlaffen werden.) Schon
König Rachis Hatte befohlen, die Grenzen in Stand zu fegen und
wohl zu bewachen, damit weder die Feinde einbrechen noch Flüchtlinge
pafjiren fönnten; ) Aiftulf muß diefen Befehl namentlich in Betreff
der Gebirgseingänge oder Elufen ernenern, welche in fchlechtem Zu⸗
ftande feien. 5) Immer wieder bedarf es der ftrengften Verwarnung
gegen wifjentliche oder unwiſſentliche Pflichtverfäumnig der Judices,
und es darf doc audy nicht unbeadhtet bleiben, daß beide Könige von
flüchtigen Leuten, alfo wohl von Ueberläufern, zu reden genöthigt find.
Der Abfall und Verrath erfcheint in den Gefegen der beiden
Könige als eine vielfach vorausgefegte Möglichkeit, ja in Geftalt be-
ftimmter Thatſachen. Man fürchtet nicht nur die nad) und von Rom
durchziehenden Pilger, welche deshalb nicht ohne einen mit königlichen
Siegel verfehenen Paß reifen dürfen, unter Androhung der Todesſtrafe
und Vermögensconfiscation für denjenigen Juder, der c8 hierbei an
der nöthigen Wacjfamfeit fehlen Laffen würde. %) Nein, König Rachis
ſieht ſich veranfaft, in einem befonderen Paragraphen unter gleich
ftrengen Drohungen die Judices und Jedermann im Lande davor zu
warnen, einen Boten ohne fönigliche Ermächtigung nach Rom, Ravenna,
Spoleto, Benevent — alfo auch die legtgenannten zwei langobardifchen
Herzogthüimer wurden damals wie fremdes Land behandelt, — nad
Srancien, Baiern, Alamannien, Nätien oder Avarien zu ſchicken.7)
1) Ahist, Leges c. 2.
2) Daj. c. 21 (754); vielleicht ſchon in befonderem Hinblick auf den bevor-
stehenden Franfenfrieg.
) Liutpr. Leges c. 83; Ahist. Leges c. 7.
*) Ratchis Leges c. 18.
#) Ahist, Leges c. 5 (750): De clusas qui disruptae sunt, restaurentur
et ponant ibi custodiam, ut nec nostri homines possint transire sine voluntate
Tegis, nec extranei possint introire in provincia nostra similiter sine voluntate
regis yel jussione. Et in quale clusa inventus fuerit, tali pena subjaceat
elusarius, qui custodire neglexit, a judice suo, qualis ipse judex a rege
anteposito, nisi judex pro utilitate vegis m miserit missum suum, aut reciperit
tantummodo pro causa regis.
®) Ratchis Leges c. 18.
) Daf. c. 9.
RT
Die Berhältuiffe Italiens. 97
Aiſtulf befichlt: „Wer ohne den Willen des Königs mit römiſchen
Leuten verkehrt, jol, wenn es ein Zuder ift, fein Wergeld zahlen und
fein Amt verlieren; wenn ein Arimanne, feines Vermögens beraubt
bettelnd durchs Land ziehen. So leide, wer gegen den Willen feines
königlichen Herrn mit römiſchen Leuten Verkehr Hat, fo lange wir
mit ihnen im Streite find.“ ) Ein merfwürdiges Faktum erzählt
der König Rachis: „Es ift uns berichtet worden,” ſchreibt er, „daß
es einige Böfewichter giebt, welche, jei es durch unfere Gafindii (hier
Deficiofi genannt) oder durch die Thürfteher unſeres Palaftes und
andere Leute mehr unfer Geheimniß zu ermitteln und, was wir thun,
zu erforjchen ſuchen; die Gefragten theilen, was fie erfahren fünnen,
ihnen heimlich mit, und fie melden e8 dann weiter ins Ausland.“
„Wer aber in folhe Dinge zu dringen fucht,“ fährt er fort, „ift nicht
erprobt in feiner Treue und bringt fich in ſchweren Verdacht;“ und
er ſetzt auf folhe Handlung gleichfalls Tod und Confiscation. °)
Laffen wir jevod vor Allem die gefchichtlihen Thatſachen felbft
reden, um von ber Leiftungsfähigkeit oder Zuverläffigfeit des lango—
bardifchen Heeres und feiner Führer eine Vorſtellung zu erlangen.
Dreimal zogen die Franfen gegen Pavia, zweimal unter Pippin, ein
mol unter Karl, Die Alpen bildeten einen mächtigen Grenzwall;
die Langobarden Hatten gegen den überlegenen Feind die Natur zum
Bundesgenoffen. Dennoch unterlagen fie, das erfte Mal fogar nur
einer Kleinen fränkiſchen Heeresabtheilung, die über die Berge und
Felſen hinweg dem. Hauptheere vorangezogen war; und in raſchem
Siegeslaufe ftand erft Pippin, dann Karl vor der Hauptftadt des
Langobarbenreihs und bezwang den Feind. Wer will bei der Mangel-
haftigfeit der Quellen entfcheiden, wie viel von diefen Niederlagen auf
Rechnung des Heeres, wie viel auf die der Führer zu fegen, wie viel
die Unfähigkeit, wie viel die Feigheit oder felbft der Verrath daran
verſchuldet hat? ®)
Dies waren die Tangobardifchen Zuftände in der Mitte des achten
Jahrhunderts. Wir müffen geftehen, der langobardiſche Staat trug
gar manden Keim des Todes ſchon in fi, als er durch einen ge-
waltigen äußeren Stoß zufammenbrad.*) Wir können in feiner Bes
völferung fein Nationalbewußtjein, feine geſchloſſene Einheit, feinen
tapferen und feinen gejeglichen Sinn erkennen. Wohl wollte man noch
1) Ahist. Leges c. 4 (750).
2) Ratchis Leges c, 12.
*) In einer Schenkungsuchunde des Könige Adelchis vom 11. Nov. 771
oder 772, an deren Echtheit wohl nicht zu aweifeln ift, obwohl fie nur im einer
alten Abſchriſt eriftirt, erhält das Salvatorffofter zu Brescia omnes res vel
familias Augino, qui in Francia fuga lapsus est, et omnes curtes vel singula
territoria atque familia, que fuerunt Sesenno Raidolfi Radoaldi Stabili Coardi
Ansaheli Gotefrid et Teodosi vel de alii consentientes eorum, quam ipsi
pro sua perdiderunt infedelitate et potestate palatii nostri devenierunt;
Troya n° 985.
+) Anders urtheilt H. Pabſt, a. a. O. ©. 492.
Yahrb, d. did. Geſch. Delsner, König Pippin. 7
98 Eapitel VI. Um 750.
nad) dem Untergange des Reichs in der fichlifchen Meerenge jene Säule
des Authari gejehen haben, bei welcher diefer König einft, indem er
fie mit feiner Lanze berührte, die Worte ſprach: „Bis hierher foll
das Gebiet der Langobarden reihen!“ 1) Jener Eroberungsdrang
Autharis Hat in der That auch die meiften feiner Nachfolger auf dem
Thron befeelt; aber fie verjtanden oder vermochten es nicht, ihre
Nation in gleihem Schwunge mit ſich fortzureißen, und ftatt daß es
ihnen gelungen wäre, die Griechen vollends aus Italien zu verdrängen,
wurde 28 den ftreitbaren Franken vielmehr ein Leichtes, den ſchwachen
Bruderftamm niederzumerfen. Daß die Langobarden, felbft in ihrem
befferen Theile, ihnen feinen unverföhnlihen Nationalhaß entgegen-
feßten, beweift das hervorragende Beiſpiel des oftgenannten Gelehrten
Paufus Diaconus, der, um Fürbitte für feinen gefangenen Bruder
einzulegen, zu Karl, dem „Könige der Franken und Langobarden,”
gegangen war und deffen aufrichtiger Freund und Verehrer wurde.
3. Bie Beziehungen des Yapfithums zum Frankenreiche.
Es ift feine Frage, daß religiöfer Eifer der vornehmlichfte Beweg⸗
grund war, der die Franken und ihre Könige zum Kanıpfe gegen die
Langobarden veranlaßte. Pippin hat es einmal eidlich bethenert, daß
er nur aus Liebe zum Heiligen Petrus und um der Vergebung feiner
Sünden willen fid fo oft in den Kampf begeben, und daß fein Schatz
der Welt ihm zu bewegen vermöchte, was er dem heil. Petrus einmal
dargebradht, ihm wieder zu nehmen. 2) So legt denn auch Stephan II.
dem Apoftelfürften das Zeugniß in den Mund, daß vor allen anderen
Völkern das Volk der Franken fi ihm ergeben gezeigt. ®)
Es lag fo nahe, daß mit der Hingabe an die Lehren des Chriften-
thums fich ſogleich auch die Unterwerfung unter die Autorität des
Papſtthums verband; man fand fie in den biblifchen Glaubensurkunden
ſelbſt mehrfach begründet, und von den entgegengejegten Deductionen
der Reformationszeit zeigte fich damals nirgends eine Spur. Petrus
hatte nicht nur gleich den übrigen Apofteln den Auftcag erhalten, den
Heiden das Evangelium zu bringen, und dadurch insbefondere für das
Abendland die höchſte Bedeutung erlangt; *) ihm hatte Chriftus unter
N Paul. Diac. hist. . lib. III. c. 82.
?) Vita Stephani I. c. Affirmabat sub juramento, quod per nullius
hominis favorem sese certamini saepius dedisset, nisi pro amore b. Petri
et venia delictorum suorum etc.
®) Cod. Carol. ep. 10. p. 59: Declaratum quippe est, quod super omnes
gentes, quae sub celo sunt, vestra Francorum gens prona mihi apostolo
Dei Petro extitit.
+) ©. oben ©. 42.
Die Verhäftnifie Italiens. 99
den Jüngern ſelbſt den erften Rang zuerfannt, *) denn zu ihm ſprach
er die Worte: „Du bift Petrus, und auf diefen Felfen will id meine
Gemeine bauen, und die Pforten der Hölle jollen fie nicht über:
wältigen;“ ®) an ihn ließ er den dreifachen Ruf ergehen: „Weide
meine Schafe!" °) Den tiefften Eindrud aber machten die Worte
Jeſu: „Und ic will dir des Himmelreichs Schlüffel geben; Altes,
was du auf Erden binden wirft, foll au im Himmel gebunden fein,
und Alles, was du auf Erden löfen wirft, fol aud im Himmel
108 fein.”*) Damit war dem heil. Petrus und feinem anerkannten
Stellvertreter, dem Biſchof von Rom, die Macht zu verdammen und
freizufprechen verliehen und, da alle Religion fi) auf das Schuld-
bewußtfein und das Gnadenbedürfniß der Menfchen gründet, dem Papft-
thum die Herrſchaft über die Gemüther gefihert. Petrus war der
Pförtner des Himmelreichs,“) und der Fromme fügte fich gern den
Vorſchriften der römifchen Kirche, um der Heerde Chrifti beigezählt, *)
um dort, von wo der Tatholiiche Glaube ins Abendland gefommen,
auch immer über den Weg des Heils unterwiefen, um von dem Schlüffel-
träger des himmliſchen Neiches nicht wegen Abfalls von feiner Lehre
verworfen zu werden. ?) „Alle, die meine Predigt hören und erfüllen,“
ruft Petrus den Franken zu, „mögen zuverfichtlid glauben, daß ihre
Sünden in bdiefer Welt durch Gottes Rathſchluß erlaffen find und
daß fie rein und fledenlos in das jenfeitige Leben eintreten werden.” ®)
Dazu Fam die Vorſtellung von der Wichtigkeit der Fürbitte Heiliger
bei Gott: daher die Heiligenverehrung, der Reliquiencult; insbejondere
war es Sitte geworden, an ben Gräbern berühmter Blutzeugen und
Befenner zu beten, namentlich an ihren Sefttagen fich dafelbft zu ver-
3) Bal. die oben ©. 98. N. 3. citirte ep. Stephani II., Petri apost. nomine
seripte, p. 56: Et mihi suo exiguo servo et vocato apostolo singillatim suas
commendans oves.
3) Matth. 16, 18,
®) Job. 21, 15—17.
4) Matth. 16, 19.
®) Cod. Carol. ep. 7. p. 40—41: Mementote ... quod promisistis eidem
janitori regni coelorum ..... ut iterum vitam aeternam, quam ab ipso prin-
cipe apostolorum promissam habetis, possideatis. — Qgl. aud; den Bere
Acuins, Migne Patr. lat. CI. col. 779: Claviger aetherius, doctor simul
inelytus_orbis.
%) gl. Aleuini ep. ed. Migne, Patr. lat. C. ep. 24. col. 178: Semper
3. Romanae sedis . . . principes et pastores amavi, cupiens illorum sanc-
tissimis intercessionibus inter oves Christi numerari, quas Deus Christus post
resurrectionis suae gloriam b. Petro principi -apostolorum pascendas
eommendavit. B
”) Dgl. daf. ep. 90. col. 288: ut, unde catholicae fidei initia’ aceipimus,
inde exemplaria salutis nostrae semper habeamus; ne membra a capite
separentur suo; ne claviger regni coelestis abjiciat, quos a suis deviasse
intelligit doctrinis.
©) Cod. Carol. ep. 10. p. 56: omnes, qui meam audientes impleverint
praedicacionem, profecto credant, sua in hoc mundo Dei praecepeione
relaxari peecata; et mundi adque sine macula in illam progredientur vitam.
100 Capitel VIL Um 750.
fammeln. Gilt dies ſchon von den Grabftätten eines Dionyſius,
Martinus, Hilarius, Ambrofius, fo wurde Rom, wofelbft Petrus und
Paulus und unzählige andere Martyrer ihr Grab gefunden hatten, *)
ein wahrer Sammelplag aller europäifchen Pilger, *) von denen es doch
immer nur Einzelnen gelingen fonnte, bis in das ferne Serufalem
zu gelangen. Bon dem gefammten Exdfreis, heißt es in Stephans
Briefen einmal, fommen die Nationen hier zujammen;°) und es ift
der volle Ausdrud für die gewaltige Stellung des Papftthums, infofern
es ſowohl die Gebote Gottes unter den Menfchen, als auch die Gebete
der Menſchen vor Gott vertrat, daß Paul I. ſich bei Antritt feines
Amtes als den nunmehrigen Mittler zwifchen Gott und den Menfchen
bezeichnet. €)
Im Frantenreihe war diefe Stellung des Papſtthums wohl auch
früger fchon, 3. 3. in den Tagen Gregors des Großen, zu einiger
Anerkennung und Geltung gelangt; aber grade im Anfange des achten
Sahrhunderts Hatte man den Zufammenhang mit Nom fast ganz
verloren. Es war eine nur vereinzelte Erjcheinung, daß der Baiern-
herzog Theodo, von Stammesgenoffen begleitet, andachtshalber zu ben
Schwellen des Heil. Petrus kam, „der Erfte aus jenem Volke,“ wie ber
Biograph Gregors II. hervorhebt; 8 und die von ihm augeknüpfte Ver⸗
bindung mit dem Papfte, in Folge deren im Jahre 716 eine päpſtliche
Geſandtſchaft nach Baiern ging, °) blieb vorerft ohne nachhaltiges
Reſultat. Daß Herzog Eudo von Aquitanien im Anfange der 20er
Jahre mit dem Papfte in Verkehr ftand, erflärt fi aus dem gemein-
famen Intereſſe, welches fie gegen die Ungläubigen verknüpfte. ?) Die
Thatſache, daß 80 Jahre vor Bonifaz feine Synode im Frankenreiche
ftattgefunden, ®) ſowie die kirchlichen Zuftände überhaupt, welche jener
vorfand, laſſen unmöglich glauben, daß zwifchen Rom und den Franken
') Alcuini ep. 9, Migne 1. c. col. 151: Roma sanctorum apostolorum
et innumerabilium martyrum corona ceircumdata. ©. auch Ein] hist.
translat. Marcellini et Petri c. 2, Opera ed. Teulet II. p. 180.
®) Alcuini homilia de natali ». Willibrordi c. 1, Migne Patr. lat. CI.
col. 711: Roma urbs, orbis caput, b. apostolorum Petri et Pauli specialius
quodammodo gloriosissimis Iaetatur triumphis; unde ad eandem et gentes
et populi cum devoto pectoris officio quotidie concurrunt, ut majori quique
apud b. apostolos fidei compunctione vel sua defleant crimina vel coelestis
vitae abundantiori spe sibi aditum aperiri deposcant. — Man wird e8 gewiß
gerechtfertigt finden, daß wir zur Charakieriſtik des Zeitalter wiederholt Neußerungen
Aleuins benutzen.
9 1. ep. 11. p. 62: convenientibus ex universo orbe terrarum
nstionibus.
) Daf. ep. 16. p. 76: mediator Dei et hominum, speculator ani-
marum institutus sum.
®) Vita Gregorüi II. c. 4: primus de gente eadem.
°) Pertz IE 1m. p. 451; vgl. daf. p. 285.
’) Vita Gregorii II. c. 9: Eudonis Francorum ducis missa pontifici
epistola.
*) Jaffe Bibl. III. ep. 42. (a. 742) p. 112: Franci, ut seniores dicunt,
Plus quam per tempus octuginta annorum synodum non fecerunt nec archi-
Die Verhältniffe Italiens. 101
noch irgend ein fefterer Zufammenhang beftanden. Als im October
745 eine römische Synode fid) zum erften Dale wieder mit fränfifchen
Angelegenheiten, mit der von Bonifaz erhobenen Anklage nämlich gegen
Aldebert und Clemens, bejcäftigte, da ſprach ein Suffraganbiſchof des
Bapftes, Epiphanius, die bezeichnenden Worte: „Fürwahr, apoſtoliſcher
err, eine göttliche Eingebung hat dein Herz bewogen, den Biſchof
jonifaz und die Fürften der Franken zu ermahnen, daß fie nad) jo
langer Zeit wieder ein Concil verfammelten, auf daß ſolche Spaltungen
und Gottesläfterungen fortan deinem heiligen Apoftolat nicht mehr
verborgen bleiben.“ i) Die Veranftaltung von Concilien erfchien als
das ficherfte Mittel, den Einfluß des Papſtthums auf die fränkische
Kirche zu begründen. ° Zugleich beweifen die Worte, daß vorher die
Verbindung mit dem fränkifchen Reiche fange Zeit unterbrochen ge—
weſen. Papft Zacharias ftellt e8 unmittelbar nad jener römifchen
Verfammlung gradezu als die Aufgabe des Bonifacius hin, die Einheit
der Kirche, die fatholifche und apoſtoliſche Disciplin, d. i. das römische
Chriftenthum, aud in jenen abendländifchen Gegenden zu verbreiten,
damit die Bewohner derjelben fammt und fonder8 wahre Katholiken
fein könnten umd nicht länger, durch falſche Priefter ivregeleitet, dem
Verderben anheimfielen. ?) .
Dies alfo war die Aufgabe, welche nächſt der Heidenbefehrung,
und durch deren glänzende Erfolge wefentlich gefördert, die ganze
Thätigfeit des Bonifacius in Anfprud) nahm. Die unbedingte Hin-
gebung an den Stuhl Petri, welche. er zu Iehren hatte, erfüllte ihn
ſelbſt als eine Heilige Ueberlieferung feines Heimatlandes. Er war
in der englifchen Kirche, wie er fich jelbft einmal ausdrückt, geboren
und erzogen worden, ®) und von feiner Anhänglichkeit für jie zeugt
es, daß er zu wiederholten Malen ſich bei ihren Oberhäuptern Raths
erholt, daß er mit vielen von ihnen durch das Band brübderlicher
Gemeinfchaft und gegenfeitiger Fürbitte im Gebet verbunden bleibt. *)
Bei den Angelſachſen aber hatte, feit von Gregor I. um das Jahr
episcopum habuerunt nec aecelesiae canonica jura alicubi fundabant vel reno-
vabant. Die Synode zu Autun 670 wird ſchwerlich als eine Widerlegung dieſer
Worte betrachtet werden; vgl. Rettberg L ©. 312.
?) Jaff6 Bibl. TIL. ep. 50. p. 142: ut haeo scismata quamque blas-
phemise usque quaque sancto vestro apostolatui minime celarentur.
?) Daf. ep. 51. p. 182: ut ... aecclesiae Dei unitas et disciplina catho-
lica atque apostolica ubique in illis partibus dilatata, cunctae populorum
turbae etiam in occiduis partibus veri catholici esse possint et non amplius,
per falsos sacerdotes erroribus involuti, demergantur in interitum.
7 Daf. ep. 42. p. 114: synodus et aecelesia, in qua natus et nutritus
fai, id est in transmarina Saxonia Lundunensis synodus.
) Val. 3. B. ep. 30. p. 96: ut mihi venerandae memoriae antecessor
vester Berhtwaldus archiepiscopus exeunti a patria concessit; wie er ep. 29.
Hinzufügt: quia Germanicum mare periculosum est navigantibus. Es
sch intereffant, in wie maunigfachen Variationen Bonifacius und feine
englijhen Freunde in ihrer Correſpondenz die Erſcheinungen des Meeres meta-
phoriſch verwenden.
102 Capitel VII. Um 750.
600 der Heil. Anguftinus zu ihnen gefhidt worden war, die Autorität
des Papſtihums die fetefte Wurzel gefaßt. Selbft der unabhängige
Geift der altbritijchen oder ſchottiſchen Chriften war nad und nad
der Uebermacht Roms gewichen: das Dogma von der Schlüffelgewalt
Petri hatte, wie befonders das merkwürdige Beifpiel des Königs Oswin
aus der Mitte des 7. Jahrhuũderts zeigt, ) aud in diefem Kämpfe
feine durchgreifende Wirkung bewährt. in nicht erfolglofer ?) Verſuch,
welchen noch 100 Jahre nad) Auguftin der Abt Aldhelm von Malmes-
bury in gleicher Richtung machte, wirft ein Helles Licht auf die ftreng
päpftliche Gejinnung des damaligen England?) „Da Petrus bie
Schlüffel des himmlifchen Reiches übertragen find (jagt er), wer, der
die Beltimmungen feiner Kirche verfehmäht, darf fonach hoffen, durch
die Pforte des Baradiefes einzutreten?“ Er weiß aud) dem Einwande
zu begegnen, daß, wer die Vorjchriften beider Teftamente chre, an .die
Trinität, an die Incarnation, das Leiden und die Auferftehung Chrifti,
an das jüngfte Gericht glaube, unfehlbar zur Schaar der Katholiken
gerechnet werden müfle. Aldhelm beruft ſich deshalb auf die Worte
Jacobi: „Du glaubft, daß ein einiger Gott ift: Du thuft wohl daran;
die Teufel glauben es auch und zittern. Willft du aber wiffen, du
eitler Menſch, daß der Glaube ohne Werke tobt jei?“ *) Unter den
Werfen aber verfteht er die Beobachtung der allgemeinen Sagungen
der Kirche. „Der katholiſche Glaube und die brüderfiche Ueberein-
ftimmung verfolgen unzertrennlich das gleiche Ziel; und um in einen
kurzen Schlußgedanfen Alles zufammenzufaffen: vergebens rühmt ſich
feines Tatholifchen Glaubens, wer dem Dogma und der Regel des
heil. Petrus nicht anhängt.” °) So gab es für Aldhelm feinen Glauben
mehr außerhalb der Kirche, d. i. der inneren und äußeren Gemeinſchaft
aller Gläubigen, deren Mittelpunft Nom bildete.
) Als nämlich, in einer Disputation über bie Zeit der Ofterfeier der Vertreter
ber ſchottiſchen Partei, Colman, ſich auf das Beifpiel bes nationalen Heiligen
Columba berief, verwies fein römiſch gefinnter Gegner Vilfrid zur Verherrlichuug
des heil. Petrus auf jene Stelle aus Matth. 16, 18. 19, die wir oben ©. 99.
N.2. 4 angeführt haben. Haec perorante Vilfrido, fo erzähft Beda weiter, dixit
rex: Verene, Colmane, haec illi Petro dieta sunt a Domino? Qui ait: Vere
rex. At ille: Habetis, inquit, vos proferre aliquid tantae potestatis vestro
Columbae datum? At ait ille: Nihil. Rursum rex: Si utrique vestrum,
inquit, in hoc sine ulla controversia consentiunt, quod haec principaliter
Petro dieta et ei claves regni coelorum sint datae a Domino... . et ego
vobis dico, quia hie est ostiarius ille, cui ego contradicere nolo, sed in
quantum novi vel valeo, hujus cupio in omnibus obedire statutis, ne forte
me adveniente ad fores regni coelerom, non sit qui reseret, averso illo,
qui claves tenere probafur. Beda, hist. eccl. gentis Angl. lib. II. c. 25,
Mon. hist, Brit. I. p. 203; vgl, Rettberg I. &. 320.
ib B) Dal. bie von Jaffé , Bibl. II. p. 24. n. 5, citirte Stelle aus Beda
®) Jafi& III. ep. I. p. 24-31.
3 Jacob. 2, 19. 20.
. 5) Jaffe TIL ep. 1. p. 31: frusta de fide catholica inaniter gloriatur,
qui dogma et regulam sancti Petri non sectatur.
Die Verhältniffe Italiens. 103
Es ift denn auch ganz überrafchend, in wie zahlreichen Schaaren
damals die Frommen Englands, „Vornehme und Geringe, Laien und
Keriker, Männer und Frauen,” ?) zum Grabe Petri zu wallfahrten
pflegten. Konnte doch Papſt Johannes VI. zwiichen 705 und 707
mit den angelfähfifchen Großen, welche fich bei ihm aufhielten, einen
förmlihen Beſchluß für da8 ganze Land fallen! *) Schon in den erften
Jahren feines Aufenthaltes auf dem Feſtlande offenbarten dem Boni-
facius zwei englifche Klofterfrauen ihr Verlangen, „gleich den meiften
ihrer Verwandten“ die einftige Herrſcherin des Erdfreifes, Rom, auf-
zuſuchen und dort die Verzeihung ihrer Sünden zu erflehen, „wie
«8 viele. Andere gethan Haben und noch thun.” ®) Wir hören fogar
vor der Ankunft des Bonifacius bereits von einer englifchen Aebtiffin,
die auf ihrer Romreife das Kloſter Pfalzel bei Trier berührt und an
die Vorfteherin defjelben, Adola, empfohlen ift.*) Das berühmtefte
Beiſpiel folder Wallfahrt aber boten im Jahre 709 der König Coinred
von Mercia und Offa, ein Prinz aus Eſſer, welde Heimat und
Herrſchaft verließen und als Mönde in Rom ftarben.d) Voll An-
erfennung für diefen Schritt jagt Beda, der damals Iebende Gefchicht-
Schreiber der Angelfachfen, Coinred Habe, nachdem er eine Zeit lang
auf die ebelfte Weile geherrſcht, auf noch viel eblere Weife das Scepter
feines Neiches niedergelegt. ©)
Solcher Geift herrfchte im Anfange des 8. Jahrhunderts unter
den Angelfahfen; von ſolchem Geifte erfüllt, Teiftete Bonifaz im
Zahre 722, nach Art der römifhen Suffragane, am Grabe Petri
den Eid, daß er in Treue und Herzensreinheit dem Apoftel und feiner
Kirche, fowie feinem Stellvertreter Gregor und deſſen Nachfolgern
dienen, feinen Anfchlag gegen die Einheit der gemeinfamen und allge
meinen Kirche unterftügen werde; ?) und diefer Eid war die Richtſchnur
feines nachfolgenden Lebens und Wirkens.
Seine Betrebungen ftießen im Franfenreiche auf größere Schwierig-
feiten, als er wohl vermuthet Hatte. Es ift aud) von anderer Seite
ſchon auf die altbritiichen Prediger Hingewiefen worden, welde ihre
nationale Abneigung gegen die päpftliche Univerfalherrichaft nad) dem
Beda hist. ecol. Angl. ib. V. c. 7.
®) Jaffe, Regesta pontif. Roman. n° 1647; Migne Patr. lat. LXXXIX.
col. 63: Congregatis omnibus Anglorum proceribus, qui tunc ad b. Petrum
degebant apostolum.
®) Jaff6 Bibl. III. ep. 14. p. 69: multum temporis fluxit, ex quo desi-
derium habuimus, sicut plurimi ex necessariis nostris et cognatis sive alienis,
dominam quondam orbis Romam peteremus et ibi peccatorum nostrorum
veniam impetremus, sicut alii multi fecerunt et adhuc faciunt; et ego maxime,
quae aetate profectior sum et multa pluriora in vita mea commisi et perpetravi.
= %) Daf. ep. 8. p. 49.
PAIN Constantini papae c. 9; Beda hist. ecel. lib. V. c. 20. Bpl.
auch Kemble, Cod. dipl. Anglosaxon. I. p. 67.
) Beda 1. c.: C. qui regno Merciorum nobilissime tempore aliquanto
praefuerat, nobilius multo regni sceptra reliquit.
?) Bonifacii juramentum: Epist. 17. p. 77.
104 Eapitel VII. Um 750.
Feſtlande herübergebracht Hatten und hier dem Bonifacius entgegen-
wirkten. )) Verweilen wir daher nur bei einem einzigen, aber offenbar
dem mächtigften Widerfacher, welchen er auf fränfifhem Boden fand,
bei dem Gallier Aldebert, zumal das Auftreten diefes Mannes vielfach
mißverftanden worden. Man Hat in ihm Widerfprühe zu finden
geglaubt, aus denen es ſchwer werde, das eigentlich Charafteriftifche
zu erfennen, ®) ober ſich gar damit begnügt, den Seftenführer einfach
als Betrüger Hinzuftellen. ®) Der Kern feines Wejens aber ift die
Oppofition gegen Rom und die römiſche Kirchenverfaffung. Er ver-
ſchmähte es, erzählt Bonifaz, *) zu irgend eines Apoftels oder Märtyrers
Ehren eine Kirche zu weihen; er warf die Frage auf, was die Menſchen
denn eigentlich damit wollten, daß fie die Schwellen der heil. Apoftel —
Petrus und Paulus — beſuchten.“) Auf Feldern, an Quellen, und
wo es ihm fonft gut fchien, errichtete er Kreuze und Kapellen, Bier
veranftaltete er öffentliche Andachten, und in Maffe ftrömten die Leute
an folden Orten zufammen, indem fie ihre anderen Priefter verachteten
und die alten Kirchen verließen. Afdebert hielt an der Grundlehre
des Chriſtenthums feit; ꝰ) er erfannte ſelbſt die Schlüffelgewalt S. Peters
an?) und hielt die Reliquien deffelben in Ehren. 9) Um gleichwohl die
Blide und die Wege feines Volkes von Rom abzulenken, war vor
Allem nothwendig, demfelben ein gleich wirkfames Mittel der Sünden»
vergebung zu bieten, wie e8 die päpftfiche Kirche gewährte. Darum
feßte er fi, wie Bonifaz es ausdrüdt, den Apofteln Chrifti gleich; °)
ein Engel des Herrn, ſprach er, habe ihm’ von den äußerften Enden
der Welt Reliquien von wunderbarer Heiligfeit gebracht; durch ihre
Kraft könne er von Gott Alles, was er begehre, erlangen, Wenn
dann das Volk fich zu feinen Füßen warf und beichten wollte, ſprach
er: „Es bedarf des Belenntnifjes nicht, ich weiß eure Sunden, alles
1) Stettberg I. ©. 818.
®) Daf. ©. 315; nach Neander, Kirchengeſchichte IT. S. 111—119.
®) Hahn, Jahrbücher S. 69. N. 7: „Der Betrug erflärt Alles... Alle
Verfuche Rettberg’s, die harakteriftiichen Merkmale für Aldebert auszuſpüren, find
daher überflüffig.”
*) Jaff6 II. ep. 50. p. 189. .
®) Daf.: Et interrogavit, quid voluissent homines, visitando limina san-
ctorum apostolorum.
®) Qgl. fein demuthvolles Gebet, daf. p. 144. Selbſt die darin genannten
Engel, deren Anrufung ihm als Dämonencult ausgelegt wurde, find, worauf
Rettberg II. ©. 793 aufmerffam macht, in einem Verzeichniß der im fränkiſchen
Reiche anerkannten Heiligen aus dem Ende des 8. Jahrhunderts angeführt.
?) Qgl. feine epistola domini nostri Jesu Christi filii Dei, Jaff& III.
ep. 50. p. 143: Et ipsa epistola per manus angeli Domini pervenit ad
'Romanam eivitatem, ad locum sepulcri sancti Petri, ubi claves regni caelorum
constitutae sunt.
®) Bl. daf. p. 189: Ungulas suas et capillos dedit ad honorificandum
et portandum cum reliquiis s. Petri principis apostolorum.
Daſ.: in tantam superbiam elatus est, ut se aequiperaret apostolis
ii
"Die Verhalmiſſe Italiens. "105
Vergangene ift euch verziehen, fehret frei und in Frieden im eure
Häufer zurück!“ Er galt der Menge als ein Mann von apoftolifcher
Heiligkeit, von feinen Verdienften hoffte fie Beiſtand, feine Nägel und
Haare foll fie gleich den Reliquien Petri mit fic getragen haben.
Bir dürfen Hierbei nicht vergeffen, daß unfere Berichte über ihn von
der gegnerifchen Seite herrühren und gewiß mande Entftellung ent-
halten. Um fo ficherer können wir daher die Angabe Willibalds, daß
niedrige Geldgier ihn geleitet, *) eine Angabe, die ſich in feinem Worte
des Bonifaciihen Berichtes beftätigt findet, al unglaubwürdig ver»
werfen. Aldebert war Gallier von Geburt, ?) und der mächtige Anz
hang, der ihn umgab, berechtigt uns, in ihm den Ausdrud eines
nationalen Widerwillens gegen das Fremde, das ein Angelſachſe aus
Rom brachte, zu erfennen. Selbft als die Synode von Soiſſons im
Jahre 744 feine Kegerei einmüthig verurtheilt und die Verbrennung
feiner Kreuze ambefohlen hatte, )) Tieß das Bolt nicht von ihm ab;
es zürnte dem Bonifaz, der ihm feinen Heiligften Apoftel, feinen Be—
ſchützer und Fürſprecher entriffen Habe; Verfolgung, Haß, Verwünfhung
teafen ihn; die Kirche Chrifti, fchreibt er, erleidet ein ernftes Hinder-
niß; #) er fieht ſich genöthigt, die unmittelbare Hülfe des Papftes an-
zurufen. Aber auch nad) der römifchen Synode des Jahres 745,
welche den beiden Irrlehrern Aldebert und Clemens galt, ift der
Gegenftand nicht abgethan, und Papft Zacharias fommt 747 nochmals
auf denfelben zurüd. 5) Seitdem freilich ift jede Spur Aldeberts ver-
ſchwunden, und fein perfönlicher Einfluß fheint für immer befeitigt. °)
Doc) war damit der Widerftand gegen die geiftliche. Herrſchaft Roms
mit nichten unterdrüct. Wir werden feine Wirkung in dem Wider
fpruch zu erfennen haben, welchen der italienische Kriegszug Pippins
nachmals unter den weltlichen Großen des Neiches fand; ?) fr die
Sinnesweife des Clerus aber ift es bezeichnend, daß man zu Verneuil
im Jahre 755 die Pilgerfahrten der Mönche nad; Rom einſchränkte, *)
vor Allem, daß in der neuen Organifation, welde die fränkiſche Kirche
%) Vita 8. Bonifacii c. 7. p. 458: Eldebercht et Clemens . . . profana
pecuniarum cupiditate seducti.
») Ep. 50. p. 138: Unus qui dieitur Eldebert natione generis Gallus est.
%) Pippini prineipis capitulare Suessionense c. 2. 7.
*) Ep. 50. p. 188—189: Propter istos enim persecutiones et inimicitias
et maledictiones multorum populorum patior et aecclesia Christi impedimen-
tum fidei et doctrinae recte sustinet.
5) Jaf& III. ep. 63. p. 182.
*) Willibaldi Vita 8. Bonif. p. 458: ab aecclesiae unitate expulsi, juxta
apostolum traditi sunt satanae in interitum carnis (1 Corinth. 5, 5). Daf
diefe Worte imdefjen nur auf Einferferung zu deuten, wird unten, Cap. XIV.,
dargethan.
?) Einhardi Vita Karoli c. 6.
®) Capit. Vern. c. 10. Aehnliche Bemühungen des Bonifaz waren doch
immer nur gegen das Reifen der Frauen gerichtet.
106 Capitel VIL Um 760.
nad dem Tode des Bonifaz erhielt, für eine Machtentfaltung des
Papſtthums fein Raum gelafen wurde. ?)
Doc davon fpäter. Vorerſt ift zu conftatiren, daß das Anfehen
Roms bei den Franken durch den Einfluß des Bonifaz immer mehr
und mehr zunahm. Ein untrügliches Zeichen hierfür find die zahl-
reihen Reifen der Pilger nach Rom. Schon um das Jahr 738 ſah
ſich Bonifaz bei feiner Anmefenheit daſelbſt von einer großen Menge
Franken und Baiern umgeben, die feine Belehrung fuchten. 2). In
einem Schreiben an den Papft gedenkt er nicht lange nachher der
Alemannen, Baiern und Franken, welche ſich in Rom befänden. *)
AS Karlmann 747 fi auf dem Berge Soracte niedergelaffen hatte,
ftörte ihn dort der Beſuch „vieler Edlen aus Francien, welhe um
der Löfung ihrer Gelübde willen nad Rom wallfahrteten.“ ) Um
einzelner Beifpiele zu gedenfen, fo Tiegt aus dem Jahre 744 eine
Urfunde vor, in welcher die Alamannin Pieta, indem fie dem Kloſter
S. Gallen ihre Güter überträgt, ſich als Entgelt nur 70 Solidi, 5
Pferde und anderes für ihre Reife nach Rom Erforderliche ansbedingt. >)
In dem erften oder zweiten Pontificatsjahre des Papftes Stephan (752
bis 757) treffen zwei hohe Prälaten des Frankenreichs, der Abt Auftrulph
von ©. Wandrille und der Erzbifchof Wilicarius von DVienne, um
der Andacht zu pflegen, in Rom ein. °) Vielleicht ift einer von ihnen
jener ungenannte Pilger, durch welchen der Papft im Jahre 753
wegen feiner Neife nach Gallien heimlich mit Pippin zu unterhandeln
anfing. ”) Auch in den 60er Jahren redet Paul I. von „verfchiedenen
Pilgern aus dem Frankenlande, die zu den Schwellen der Apoftel
gefommen feien.“ ®) Der hervorragendfte Fall diefer Art jedoch war die
Pilgerfahrt des Hausmaiers Karlmann, der nach Niederlegung feines
Herrſcheramtes in Rom das Möndsgewand nahm, wie 40 Jahre
vor ihm jene angelſächſiſchen Zürften Coinred und Offa, von denen
oben die Rede gewefen.
Aber die Andachtsübungen an den Gräbern der Apoftel waren
es nicht allein, was die Verbindung zwifchen Rom und dem Franfen-
lande ausmachte; auch in Fragen der Kirchenverfaffung und des Kirchen⸗
rechts wurde e8 in den Tagen des Bonifaz Gewohnheit, ſich nad Rom
3) Dal. wos hierüber fhon oben ©. 63 geg if.
») Willibaldi Vit. S. Bonif. p. 456: Franchorum enim et Bajoariorum
nec non ex Brittania advenientium Saxonum aliarumque provinciarum ingens
sedulo ejus admonitione adherebat multitudo.
%) Jaff III. ep. 42. p. 115: Alamanni vel Bajoarii vel Franei, si juxta
Romanam urbem aliquid facere viderint ex his peceatis.
*) Einhardi Vita Karoli c. 2: cum ex Francia multi nobilium ob vota
solvenda Romam solemniter commearent,
*) BWartmann, Urkundenbuch der Abtei S. Gallen I. Ne. 10. ©. 12.
) Pertz 8S. II. p. 290. 319.
Vita Stephani II. c. 15.
9 Cod. Carol. ep. 28. p. 106: per diversos ex ipsis regionibus limi-
nibus apostolorum advenientes peregrinos didicimus.
Be. . 12:
Die Berhältniffe Italiens. 107
zu wenden. Als einft im December 722 Gregor II. feinen Legaten
dem Wohlwollen Karl Martells empfahl, war das Geleitfchreiben,
wie fein Eingang deutlich zeigt, 1) die erfte Zufchrift, welche Karl nad
bereit8 achtjähriger Regierung von einem Papfte empfing. Im Jahre
745 dagegen erlebte man das Schaufpiel, daß eine römifche Synode
über fränfifche Ketereien richtete, daß an den Papft die Aufforderung
erging, durch fein Ermahnungsfchreiben das Volt der Franken und
Gallier auf den rechten Weg zu führen, 2) durch fein Wort die Ein-
Terferung jener zwei Keger zu bewirfen.®) Und gleich dem päpftlichen
Legaten felbft, gingen auch die auf fein Betreiben geftürzten Bifchöfe
und Priefter der Franken, um ihre Stellung zu retten, an den apofto-
liſchen Stuhl; *) ja, felbft ein Laie, gegen deſſen unkanoniſche Ehe
Bonifacius Einfprud that, berief ji auf eine von Gregor III. ihm
hierzu ertheilte Erlaubniß. 5) ,
Bor Allem waren die in den 40er Jahren gefeierten Synoden
des Reichs ein Triumph des Bonifaz und der von ihm vertretenen
Sache des Papſtthums. Zwanzig Jahre, nachdem er von Gregor II.
die Biſchofsweihe erhalten hatte, war es ihm im Jahre 742 endlich
vergönnt, als der „Vertreter des heil. Petrus“ das erſte fränkiſche
Concil zu leiten.°) Im Jahre 748 aber erlangte das von ihm
errichtete hierarchiſche Gebäude feine letzte Vollendung. „Wir haben
befchloffen und gelobt,“ fo berichtet er feinem Freunde, dem Erzbiſchof
Eudberht von Canterbury, „den Fatholiihen Glauben und die Einheit
und die Unterordnung unter die römische Kirche bis an das Ende
unferes Lebens bewahren, dem heil Petrus und feinem Stelfvertreter
untergeben fein zu wollen, alljährlich eine Synode zu veranftalten,
für die Metropolitane die Pallien in Rom zu erbitten und in jeder
Beziehung den Vorfchriften des Heil. Petrus nachzukommen, um ber
ihm anvertrauten Heerde beigezählt zu werden; und diefem Bekenntniß
1) Jaff6 III. ep. 21. p. 81: Comperientes te, in Christo dilectissime,
religiosae mentis affectum gerere in multis oportunitatibus, debito salutis
praemisso, notum facimus etc.
%) Dal. ep. 50. p. 188: per seripta vestra populum Francorum et
Gallorum corrigere studeatis.
®) Daj.: per verbum vestrum isti heretici duo mittantur in carcerem;
vgl. p- 140: Quapropter de hoc quoque heretico [Clemens] precor, ut
per litteras vestras mandare curetis duci Carlomanno, ut mittatur in custodiam.
*) Daj. ep. 42. p. 116: Episcopi quoque et presbiteri generis Fran-
corum . . . revenientes ab apostolica sede, dicunt: sibi Romanum pontificem
licentiam dedisse, ministerium episcopale in aecclesia ministrare. Bgl. ep.
43. p. 12+; ferner ep. 51. p. 151: intimasti nobis de alio seductore nomine
Geoleobo, qui anten false episcopi honore fungebatur, et quia sine cujus-
cumque consultu apud nos properat.
®) Daj. ep. 42. p. 114: laicus quidam magnae personae ad nos veniens
dicebat: sibi ab apost. sedis pontifice sanctae memoriae Gregorio datam
fuisse licentiam etc. Vgl. ep. 48. p. 120: absit hoc, ut decessor noster
ista praeeiperet.
°) Karlomanni principis capitulare a. 742: B,, qui est missus 8. Petri.
108 Capitel VIL Um 750.
haben wir allefammt unfere Zuftimmung und Unterfchrift gegeben und .
es dem heil. Petrus, dem Erften der Apoftel, zugefendet.“ 1) Die
wichtigen Befchlüffe waren von 13 Bifhöfen aus dem Often und
Weften des Reichs gefaßt, denen der Papft Zacharias in feinem
Antwortfchreiben dafür in freudig erregten Worten feinen Dank aus-
fpriht: „Euer Glaube und enre Uiebereinftimmung mit uns,“ fagt
er, „ift nun nicht nur vor Gott, fondern vor allen Menfchen offenbar,
da ihr eurem von Gott eingefegten Gönner und Meifter, dem heil.
Apoftelfürften Petrus, euch auf das bereitwilfigfte angefchloffen Habt.” *)
Daf ein folcher Schritt des vereinigten Episcopats nicht ohne
die Billigung des Landesfürften gefchehen fein konnte, Tiegt auf der '
Hand. Wie fehr auch Pippin die päpftliche Autorität ehrte, beweiſt
feine fon im Jahre 746 an Zacharias gerichtete Anfrage über
PVriefterverhältniffe und Gegenftände des Eherechts; °) ſie war nur ein
Vorläufer der berühmten anderen Anfrage, welche das Recht des
Konigthums betraf und auf deren Beantwortung hin die Krone des
Tranfenreich® von dem Gefchlechte der Merowinger auf das der Karo-
finger überging. Selbft zu einer rein ftaatlichen Aftion, wie diefe,
entſchloß man fi erft, nachdem man dazu die Genehmigung des
apoſtoliſchen Stuhls eingeholt hatte: 4) eine höhere Anerfennung hätte
der Autorität des Papſtthums nicht zu Theil werden können.
Als Alcuin im Jahre 799 den König Karl, um der Rettung
des bedrängten Papftes willen, zur Unterbrehung des Sachſenkrieges
veranlaffen wollte, ſprach er die Worte: „Es ift leichter zu ertragen,
daß der Fuß, ald daß das Haupt leide; in feinem alle darf die
Sorge fir das Haupt verfäumt werden.” °) Bon gleichen Beweg-
gründen ging Pippin aus, als er im Jahre 754 mit bewaffneter
Macht dem Oberhaupte der katholiſchen Kirche zu Hülfe eilt. Schon
um das Jahr 729, als dem Papſtthum von Seiten des bilderfeind-
lichen Kaiſers Leo Gefahr drohte, jegte Gregor II. fein Vertrauen
auf den Schutz des Abendlandes, wo alle Reiche, wie er fagte, den
heil. Petrus als einen Gott auf Erden betrachteten.) Damals war
1) Jaff& III. ep. 70. p. 200.
3) Daf. ep. 67. p. 194; vgl. noch ep. 66. p. 190: Suscepimus vero et
chartam conscriptam vere atque orthodoxae professionis et catholicae unitatis,
quam cum dilectissimis nobis episcopis partis Francorum tua direxit reve-
renda fraternitas,
®) Cod. Carol. ep. 3. p. 18; vgl. Jaff& III. ep. 68. p. 182.
r] Fred. cont. c. 117: a sede apostolica auctoritate percepta.
°) Alcuini ep. ed. Migne, Patr. lat. C. ep. 95. col. 301: Nullatenus
capitis cura omittenda est; levius est pedes dolere quam caput. 9. von
Doͤllinger, Das Kaiſerthum Karls des Großen (Dündener hiſtoriſches Jahrbuch
für 1865) ©. 380, fegt die vielgebeutsten Worte in gleichem Sinne aus.
_°) Gregorü papae II. ep. Me Leonem, Jaff6 Regest. pontif. Rom. n° 1672,
Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 520: Occidens universus ad humilitatem
nostram convertit oculos ac ... nobis confidunt et in eum, cujus denuntias
te imaginem eversurum atque deleturum, sancti seilicet Petri, quem omnia
Oceidentis regna velut Deum terrestrem habent,
ET
Die Berhältniffe Italiens. 109
fein Augenmerk befonder8 auf die Sangobarden gerichtet, deren Land
nur gemeint fein fonnte, wenn er dem byzantiniſchen Kaiſer zuvief:
„Nur 24 Stadien braud)t der römifche Pontifer fih nah Campanien
hin zu entfernen, dann fomme du und verfolge die Winde!" 1) Der
Langobardenfönig ftand damals, wie mit. dem Papfte, fo aud mit
den Sranfen in beftem Einvernehmen. Es war in der zweiten Häffte
der 30er Jahre, als Bonifaz und der jugendliche Sohn Karl Martells
Bippin, Beide vielleiht zu einer und derjelben Zeit, in den Mauern
von Pavia ſich der Gaſtfreundſchaft des Königs Kiutprand erfreuten: 2)
jene beiden Männer, deren nachmalige Beftimmuug es war, den Unter-
gang feines Reiches vorzubereiten, ber Eine durch fein Wort, der
Andere durch fein Schwert. Den Üebergang von der einen Situation
zur anderen bildete der Hülferuf, welchen Gregor III., um ſich der
Angriffe eben jenes Liutprand zu erwehren, in den Jahren 739 und
740 an Karl Martell richtete.
4. Verwicklungen unter Gregor II. Gregor III. und Zacharias.
Unter den langobardifchen Königen des 8. Jahrhunderts ift
Liutprand ohne Zweifel der hervorragendfte. Schon die lange Dauer
feiner Regierung verftattete ihm, ſowohl an dem inneren Ausbau jeinee
Staates durch eine reiche gefeggeberifche Thätigfeit fortzuarbeiten, als
auch die wiederaufgenommene Politik der Machtvergrößerung in Italien
mit Beharrlicfeit zu verfolgen.
Es ift fehr zu beflagen, daß eine authentifhe Kunde über die
monnigfachen Beziehungen zwiſchen dem byzantiniſchen Kaiferreiche
und dem Abendlande für uns verloren oder doch verfchloffen ift. Wenn
der Hiftorifhe Sinn Karls des Großen im Jahre 791 dafür Sorge
getragen hatte, daß alle ſowohl aus Rom als auch aus Conftantinopel ?)
eingelaufenen Briefe an feinen Großvater, feinen Vater und ihn felbft,
foweit fie noch vorhanden waren, durch Anfertigung einer Abichrift
beffer aufbewahrt wurden, fo verdanfen wir jener Maßregel wohl den
unfchägbaren Beſitz eines großen Theile der päpftlichen Correfpondenz
in dem fogenannten Coder Carolinus; allein während diefer fi doch
auch nur in einer einzigen fpäteren Copie aus dem Ende des neunten
Jahrhunderts erhalten Hat, *) fehlen die kaiſerlichen Briefe ganz und
1) Migne, Patr. lat, IXXXL. col. 519; f. oben S. 82. N. 6.
») Willibaldi Vita 8. Bonifac. p. 456, dgl. jhon p. 445; Pauli Diac.
hist, Langob. lib. VI. c. 88.
°) Cod. Carol. ed. Jaff& Bibl. IV. p. 13: de summa sede apostolica
b. Petri apostolorum prineipis seu etiam de Imperio ad eos directae.
*) Dal. p. 2.
110 Eapitel VII. Um 750.
gar. Ebenſo haben wir den Tangobardifch-byzantinifchen Briefwechfel
nicht, obwohl der gefandtfchaftliche Verkehr ein jehr reger war. Dadurch
find die wichtigen Beziehungen der beiden Staaten zu einander für
ung in ein faum zu durchdringendes Dunkel gehüllt.
Die auswärtige Politik des Königs Liutprand verfolgte das doppelte
Ziel, die byzantinifhe Herrihaft aus Italien zu verdrängen umd die
langobardijchen Herzogthlimer Spoleto und Benevent fefter mit feinem
Neiche zu verknüpfen.) Daher die Erfeheinung, daß ein von ihm
geftürzter Herzog, Godichalt von Benevent, in Conftantinopel feine
Zuflucht fuchte. ?)
Es ift möglich, daß Liutprand bei feinen Angriffen auf das
oftrömifche Gebiet an die Zributpflicht anfnüpfte, zu welcher fi, wie
‚oben erzähft worden, ) im 7. Zahrhundert der Exarch von Ravenna
verftanden hatte: wenigften® erklärte der König einmal, er behalte
einen Theil faiferlichen Gebietes bis zur Rücktehr feiner Gefandten
ans Gonftantinopel ala Pfand zurüd.*) Aber der Anlaß zu ſolchen
Entfhädigungsanfprühen kann aud in bhzantinifcherfeits erfolgten
Herausforderungen zu ſuchen fein. Der Geſchichtſchreiber der Lango-
barden, Paulus Diaconus, fpriht von dem „gewohnten Hochmuth der
Römer” 5) — er meint damit die Bewohner des griechiſchen Ztaliens,
— mit dem fie zur Zeit Liutprands einft gegen ein langobardifches
Heer ausgezogen ſeien; wir hören aud anderweitig von dem -Weber-
muth und der Wildheit der kaiſerlichen Söldner in Ytalien. 9)
Was Gregor II. dem Kaiſer Leo anläßlich des Bilderfturmes
warnend vorhergefagt, daß man fortan dem fräftigeren Vorbringen
der Langobarden feinen ausreichenden Widerjtand werde entgegenzufegen
haben, ?) das bewahrheitete ſich fehr bald. Ya, nicht nur durch Waffen-
gemalt gelangte Lintprand in den Beſitz Taiferlihen Landes, wie des
Caſtells von Sutri im Jahre 728, °) fondern die Uebereinftimmung
in der refigiöfen Streitfrage der Zeit bewirkte vorübergehend eine ſolche
Annäherung zwiſchen Römern und Langobarden, °) daß mehrere Städte
der Aemilia und der Pentapolie, alfo ein großer Theil des Exarchats,
ſich freimillig den Langobarden ergaben; 1%) und wir haben Grund
anzunehmen, daß diefe fich lange Zeit in dem Beſitze behaupteten. 11)
Bol, Papft, Geſch. d. Tangob. Herzogtfums, a. a. O. ©. 474 ff.
J Diac. hist. Langoh. I VI c. 56.
°) ©. oben ©. 81.
+) Vita Zachariae c. 15. p. 72: partem quam pignoris causa detinebat.
®) Paul. Diac. hist, Lang. VI c. 58.
n Vita — p. 444, oben ©. 89. N. 8; vgl.
Roth BW. ©. 294—295.
N. obın ©. 82 (N. 5).
%) Vita Gregorüi IL. c. 21. p. 38.
®) Daf.: c. 19. p. 3; f. oben ©. 81. 0. 12.
2) Daj.:_c. 18. p.
N) Die Stadt Pr ti, gehörte zu diefen feiedfichen Erwerbungen, und
unter den Reſtitutionen Liutprands an Zacharias im Jahre 742 finden wir
auch das patrimonium Auximanum; Vita Zachar. c. 9. p. 64.
Die Verhältnifſe Italiens. 111
Das Papſtthum begünftigte diefe friedfihen Siege nicht, durch
welche es ſchließlich nur ftatt des byzantiniſchen Herrn den lango-
bardifchen eingetaufcht Hätte, und aus diefem Gefichtspunfte erflären
fi) die wiederholten Bemühungen Gregors II., einen Sturz der
Kaiſerherrſchaft in Italien zu verhüten. *) Worläufig aber vermied
Liutprand noch einen ernten Conflict mit dem Papfte; er gab auf
defjen dringende Ermahnung Sutri wieder heraus, und zwar als
Schenkung an die römifche Kirche, %) und als er bei Bekämpfung der
Herzogthiimer Spoleto und Benevent auch vor Rom mit Heeresmacht
erſchien, wußte Gregor II. durch feinen perſönlichen Einfluß ihn wieder
zum Abzuge zu bewegen. °)
Erjt die letzten Jahre Gregors II. (731—741) führten eine
verhängnißvolle Wendung herbei. König Lintprand war wieder mit
den Herzogthlimern im Kampfe, als Traſamund von Spoleto den
Entſchluß faßte, nad) Rom zu fliehen. *) Da die Römer feine Aus-
lieferung verweigerten, fo zog der König vor die Stadt, belagerte
fie eine Zeit lang und nahm ſchließlich 4 Orte des römiſchen Ducats
in Befig.5) Damals, fo fagt ein römischer Bericht, gab es große
Wirren zwifchen den Römern und Langobarden, da die Beneventaner
und Spoletaner mit den Römern zufammenhielten. %) Der Zwiefpalt
mit Rom war aber eine Folge des Kampfes gegen die Herzoge, und
die umgefehrte Darftellung des Papftes ) war Entjtellung der That-
fachen zu dem Zwecke, den fränkiſchen Hausmaier Karl Martell gegen
Kiutprand einzunehmen. Denn Gregor III. Hatte ſich zu dem be-
deutungsvollen Schritte entfchloffen, die Macht der Franken zur Rettung
der Kirche Petri aufzurufen.
Die wichtige That blieb vorerft ohne Folgen, Seit den Kriege-
zügen, weldje die Franken am Ende des 6. Jahrhunderts im Dienfte
des griechifchen Kaifers gegen die Langobarden unternommen hatten,
Scheint zwifchen den beiden germanifchen Stämmen jene Anficht herr-
fchend geblieben zu fein, welche damals von den Gefandten des Authari
fo warm vertreten und von den fränfifchen Königen fo freundlich
aufgenommen worden war. „Laſſet ab, uns zu verfolgen”, fprachen
fie, „und es fei Friede und Eintracht zwifchen uns, auf daß wir in
2) S. oben S. 83. 3. v. Döllinger, Die Papftfabeln des Mittelalters
(1863), bekämpft in einem beſonderen Abſchnitte, Gregorius II. und Kaiſer Leo
der Hanrier (S. 151 f.), die entgegengefehte Behauptung, dab Gregor die
Haliener zum Abfall von Leo anfgereigt.
%) Vita Gregor. II. c. 21. p. 883.
®) Daf. c. 22. p. 35: et recessit mitis, qui venerat ferus.
*) Paul. Diac. hist. Lang. lib. VI. c. 54; Vita Zacharise c. 2. p. 59.
) Vita Gregor. III. c. 14. p. 55; Vita Zachar. c. 2. p. 60; - Gregorüi
IIL, omnibus episcopis in Tuscia Langobardorum, Mansi XII. col. 286.
®) Vita Zachar. c. 8. p. 61.
?) Cod. Carol. ep. 2. p. 16—17: Non pro alio -- satisfaciat te veritas, fili —
eosdem duces persequitur capitulo, nisi pro eo, quod noluerunt praeterito
anno de suis partibus super nos inruere; vgl. Breufig, Karl Martell, S. 92 ff.
112 Capitel VII. Um 750.
den Stunden der Noth einander helfen und unfere Widerfacher, indem
fie euer und unfer Volk unverfehrt und miteinander in Frieden fehen,
vielmehr erzittern — denn ihnen alfen ift unfere Freundſchaft ein
Aergernig — als ſich über unfere Zwietracht freuen mögen.“ 1)
Zwiſchen Karl Martell insbefondere und Yintprand, feinem ebenbürtigen
Zeitgenoffen, gab ſich eine wahre Freundſchaft ſowohl in ihren perfün-
fichen als auch in ihren politifchen Beziehungen kund. Dem jungen
Pippin ſchnitt Liutprand, germanifcher Sitte gemäß, auf des Vaters
Wunſch das Hauptyaar ab, und nachdem er ihn durch diefes Symbol
gleichfam an Kindesftatt angenommen, „ihm Water geworden war“,
ſchickte er ihn, mit Föniglichen Geſchenken reich ausgeftattet, wieder in
die Heimath zurüd.*) Als um diefelbe Zeit die Carazenen, nad)
ihrer großen Niederlage bei Tours, abermals in das füdlige Gallien
eingefallen waren, bat Karl Martell den Langobardenfönig um Hülfe
gegen fie. Diefer eilte ohne Zögern mit feinem gefanmten Heere
herbei und bewirfte damit, daß die Araber fich fofort wieder zurüd-
zogen.) In der Lobrede auf Piutprand, womit das umvollendete
Werk des langobardiſchen Geſchichtsſchreibers abbricht, hebt er zum
Schluffe grade dies rühmend hervor, daß der König immer aufs eifrigfte
beftrebt gewefen, mit den Franfen Frieden zu halten. +) Offenbar
war auch des patriotifchen Paulus Meinung, daß ein. Friedene- und
Freundſchaftsbündniß das naturgemäßefte Terhäftniß zwifchen den beiden
deutfchen Stämmen gewejen wäre. Es gehört zu den ftärfften Proben
von der alles Stammesgefühl zerfegenden Macht der Kirche, daß es
ſchließlich zwifchen beiden Völkern zum Kampf auf Leben und Tod
gekommen ift. In den Tagen Karls und Liutprands freilich noch
nit; und es gereichte dem damaligen Papfte zu nicht geringem
Kummer, daß „die Kirche von ihren Söhnen ſich verlaffen fah”, daß
der Sranfenfürft den Nechtfertigungen der Feinde mehr Glauben ſcheukte
als den Anklagen des römiſchen Stuhls, daß er ihre friegerifchen
Unternehmungen geftattete und feine Abhilfe Hoffen Tief. Gregor
befchwört ihm vergebens, die Freundfchaft des Langobardenfünigs nicht
der Liebe des Apoftelfürften vorzuziehen; °) vielleicht verhütete auch
der bald darauf eintretende, fajt gleichzeitige Tod Karla und des Papftes
einen wirfjameren Verlauf der Verhandlungen. ©) Aber obwohl es für
jegt zu der erbetenen fränfijchen Intervention nicht fam, die Richtung
!) Gregor. Turon. hist. ecel. Frane. lib. X. c. 3.
2) Paul. Diac. hist. Lang. lib. VL c. 52: ei pater effectus est. Dal.
Grimm, deutſche Rechtsalterthumer S. 146—147. Cine ähnliche Sitte beſtand
Doch uch am byzantinifhen Hofe: Vita Benedicti II. (688—685) c. 8, Vignoli I.
p. 298.
®) Paul. Diac. hist. Lang. lib. VI. c. 53.
+) Daf. c. 57 ex.: maxima semper cura Francorum Avarımque pacem
eustodiens. Neber den Verkehr zwifchen beiden Bölfern f. oben ©. 68. (M. 3).
®) Cod. Carol. ep. 2 (740). p. 15—18.
) Karl ftarb Ende October, Gregor III. Ende November 741.
Die Verhältniffe Italiens. * 113
war nunmehr gezeigt, in welcher ſich der römische Bifchof in ähnlichem
Falle fünftig zu bewegen hatte,
Einen merkwürdigen Gegenfag zu der eben bezeichneten ſchroffen
Situation unter Gregor III. bildet das Pontificat des fanftmüthigen,
vermittelnden Zacharias. Denn als mild und volf Güte wird er
geſchildert, ſchwer zu erzürnen, rafch im BVerzeihen, Niemandem Böfes
mit Boſem befohnend, felbft feinen ehemaligen DVerfolgern das Böſe
mit Guter vergeltend. ) Sein Beifpiel zeigt, von welchem Einfluß
in der Gedichte der Charakter hochſtehender Perfönlicjkeiten ift. Selbft
mit dem byzantinifchen Kaifer lebte er in Frieden, obwohl Conftantin V.
Copronymus, der am 18. Juni 741 den Thron feines Vaters Leo
beftiegen Hatte, der leidenjaftlichfte unter den Bilderftürmern war. ®)
Zacharias war unter den Päpften des 8. Jahrhunderts der einzige
Grieche, ?) und fein Beftreben, zwiſchen dem griehiihen und dem
römiſchen Lehrbegriff eine Ausgleihung herbeizuführen, läßt fich deutlich
daraus erfennen, daß er die vier Bücher der Dialoge, ein Werk
Gregors I., aus dem Lateinifchen ins Griechiſche überfegte. *) So war
auch den Langobarden gegenüber fein Thun ein friedlich vermittelndes.
Er hatte feinen Grund, in dem Könige Riutprand, dem Gönner des
Bonifacins, 5) dem Erbauer zahlreicher Gotteshäufer, °) einen unerbitt-
lichen Gegner der römischen Kirche, überhaupt einen unbeugſamen
Kriegäfürften.-zu erfennen. Zacharias veranlaßte die Römer vielmehr
gleich nach feinem Amtsantritt, die ungerechte Sache des Herzogs von
Spoleto zu verlaffen, und er begab fich im eigener Perfon zu Liutprand
nad Terni, um den geftörten Frieden wiederherzuftelfen. 7) Auch
im nächjften Jahre ging er, durch den erften Erfolg ermuthigt, auf
die Bitte der Kavennaten zu Liutprand, diesmal nad Pavia felbft,
und erreichte gleichfalls das gemünfchte Ziel.) Es war gerade das
Feſt Petri (der 29. Juni), und Zacharias feierte dasfelbe, auf Ein-
ladung und in Gegenwart des Königs, in der Kirche, welche dieſer
außerhalb der Stadt dem heiligen Petrus zu Ehren geftiftet und „Zum
goldnen Himmel” genannt Hatte. °)
Stalien erfreute fich jetzt eines fegensreichen Friedens; ebenfo nad)
Liutprands Tode (744), während der Regierung feines Nachfolgers
Rachis, bisher Herzogs von Friaul, 1%) der auf des Papftes Fürbitte
?) Vita Zachar. c. 1. p. 8889.
3) Bol. daf. c. 20. p. 77.
®) Daj.-c. 1. p. 58: natione Graecus.
+) Daf. c. 29. p. 84: et plures, qui latinam ignorabant lectionem, per
eorum illuminavit lectionum historiam.
®) ®gl. Willib. Vit. S. Bonif. c.
°) Paul. Diac. hist. Lang. lib.
?) Vit. Zachar. c. 5-11. p. 62—67.
*) Daf. c. 12—16. p. 67—72.
®) Daf.; Paul, piae lib. VI. c. 57.
%) Paul. Diac. lib. VI. c. 50.
Yahıb. d. diſch. Gefh. Delöner, Kdnig Pippin. 8
114 . Eapitel VII. Um 750.
fogleih einen 2Ojährigen Frieden fhloß *) und diefen nur einmal
durch die Belagerung einiger Städte des Exarchats, darunter Perugia,
unterbrach; aud damals ſtellte die perfünliche Verwendung des Papites
den Frieden wieder her. ?)
Es waren allem Anſchein nad) verwandte Naturen, die des Zacharias
und des Rachis; der Gefchichtsfchreiber Paulus, der an des Letzteren
Hofe gelebt, rühmt gewiß aus reicher Erfahrung feine „gewohnte
Milde“. 9) Mehr als fein Vorgänger Lintprand, den derfelbe fein
Bebenkert trägt „der Wiffenfchaften unfundig“ zu nennen, *) ſcheint
Rachis ſich die Pflege der Bildung zur Aufgabe gemacht zu haben,
und die umfangreichen Kenntniſſe des Paulus Diaconus gereihen der
damaligen Hofihule zu Pavia und ihrem Lehrer Flavianus °) zum
ruhmreihen Zeugniß. Die Bildung jener Zeit war, wie die herr-
chende Religion, römifh; und der fpätere Eintritt des Rachis in den
Möndeftand beweist, gleichermaßen wie die Pflege der Wiſſenſchaften
an feinem Hofe, eine entfchiedene Hinneigung feines Sinnes zu Rom.
Wir werden in diefer Anficht durch die Thatſache beftärkt, daß feine
Tran Taffia aus der Stadt Rom ftammte. %) Zu welcher freund»
lichen Geftaltung fonnten die italienischen Verhältniffe gelangen, wenn
Männer, wie Rachis und Zacharias, dem Geifte der Eintracht mehr
und mehr Geltung verjchafften! ALS im Jahre 745 Bonifacins über
die friegerifhen Drangjale der von ihm befehrten Landſchaften Hagte,
fonnte Zacharias beruhigend auf fein eigenes Beifpiel verweilen: „Auch
die Stadt Rom“, fehrieb er, „ilt in Folge ruchlofer Unternehmungen
öfter verwütet worden, und doch hat der Herr in feiner Allmacht fie
wieder getröftet.“ ?) Im feinen Tagen, jagt der Biograph des Papftes,
lebte das von Gott ihm andertraute Volk in großer Sicherheit und
Freude; ganz Stalien genoß damals der Ruhe. °)
}) Vita Zach. c. 17. p. 74.
%) Dat. c. 28. p. 80. Va, noch das unter zahlreicher Beiefigung fango-
bardiſcher Biſchöfe veranftaltete Concil. Romanum a, 748, Mansi XII. col.
370 [B]; ferner das Schreiben des Zacharias an Biſchof Theodor von Pavia
über bie Berwanbtenheivath, Mansi XII. col. 354.
*) Paul. Diac, lib. VI. c. 56.
*) Dal. c. 87.
5) Dai. c. 8.
°) Benedicti 8. Andreae monachi chron. (Pertz 88. T. II.) e. 16:
accepit Rachisi uxorem de hurbem Roma, nomine Tassia-
) Jaff& Bibl. III. ep. 51. p. 148—149: Quia et Romana civitas ex
accidentibus facinoribus sepius est depopulata, et tamen omnipotentia sua
Dominus ex supernis eam dignatus est consolare.
®) Vita Zachar. c. 17. p. 74, c. 28. p. 84.
Achtes Gapitel.
Die Reife Stephans II. ins Franfenreid.
753— 754.
Wir treten aus den Tagen des Zacharias und Radis in die
Tage Stephans II. und Aiftulfs wie aus den Tagen des Sonnen-
fcheins in die Tage des Sturms.
Aftulf ift ung aus feinen jüngeren Jahren durch einzelne von
feinem Landemanne Paulus Diaconus aufbewahrte Züge bekannt. Er
war gleich Rachis ein Sohn des Herzogs Pemmo von Friaul und
jener merkwürdigen Ratperga, die ihrer unanfehnlichen Erſcheinung
wegen ihren Gatten oft gebeten Hatte, daß er fie verftoßen und ſich
eine andere, eines fo mächtigen Herrn würdige, Frau ſuchen möge.
Pemmo aber z0g die Demuth und Züchtigkeit feiner Gattin aller
Schönheit des Leibes vor, und er zeugte mit ihr drei Söhne, Rachis,
Rachaii und Aiftulf, „Lauter waere Männer, deren Geburt die Niedrig-
feit der Mutter zu Ehren brachte.“ ?)
Als einft Pemmo den Patriarchen von Aquileja erſt vom Felfen
ins Meer hatte ftürzen wollen, dann aber in harter Gefangenfchaft
hielt — eine Gewaltthat, die ihm das Herzogthum foftete —, da
gehörte Aiftulf zu den Theilnehmern der That, während Rachis von
Liutprand die väterliche Würde befam. Faſt hätte ſich jener durch das
Verfahren des Königs zu neuer Gepaltthat hinreißen laſſen; denn
als Liutprand über den abgefegten Herzog und feine Genofien zu
Gerichte faß, Permmo und feine Söhne Rachait und Aiftulf aus
Ruckſicht auf Rachis begnadigte, die anderen Mitfchuldigen aber feſt⸗
nehmen ließ: da konnte Aiftulf feinen Schmerz nicht bezwingen und
') Paul. Diac. hist. Langob. lib. VI. c. 26: viros strenuos, quorum
nativitas humilitatem matris ad gloriam erezit.
116 Capitel VIII. 758—754.
er würde den König, Hinter deffen Sit er ftand, vielleicht mit feinem
Schwerte durchbohrt haben, wenn ihn fein Bruder Rachis davon nicht
zurüdgehalten Hätte.) Der Biograph des Papſtes Stephan würde
ihn gewiß fchon damals „löwenähnlich knirſchend“ gefunden haben, ?)
wie fpäter, als er drohend vor Rom ftand oder als er von der Abſicht
des Papftes erfuhr, nach dem ranfenreiche zu gehen. Es war ein
feidenfchaftlicher Mann, der, wo er auf Widerftand traf, fi von
feinem Zorne überwältigen Tieß, der gegen feinen Kirchenfürſten und
feinen König den Arm erhob und auch dor dem oberften Kirchenhaupte
nicht zurückwich. Vielleicht feinem Vater ähnlicher, wie Rachis feiner
Mutter. Der tiefe pfychologifche Gegenfag zwifchen der Freude an
friedlicher Entwiclung und dem Verlangen nach gemwaltfamer Um—
wälzung, ein Gegenfaß, der durch die gefammte Menfchheit geht, ſcheint
auch die zwei Föniglichen Brüder bon einander unterſchieden zu haben, °)
An Tapferkeit Tießen es Beide nicht fehlen: als Führer der Nachhut
im Heere Liutprands beftanden fie einft mit Wenigen einen Ueberfall
bon vereinigten Römern und Spoletanern; einen wohlbewaffneten
Gegner aber, der auf Rachis eindrang, warf diefer zwar mit einem
Stoß vom Pferde, ließ ihn jedoch, als feine Begleiter ihn umbringen
wollten, „in feiner gewöhnlichen Milde“ Laufen; Aiftulf dagegen, der
auf einer Brüde von zwei ftarfen Spoletanern hinterrücks angegriffen
wurde, jtieß den einen mit dem Speere die Brücde hinab, wandte ſich
dann fofort gegen den anderen, tötete aud ihn und ſchickte ihn
feinem Kameraden ins Waffer nad. *)
Vielleicht Haben folche Kriegserinnerungen aus den Tagen Liutprands
in König Aiftulf den Wunſch befeftigt, das Land Ztalien endlich unter
Einem Scepter zu vereinigen. Daß feine Berufung auf den Thron
in biefem nationalen oder weniftens vomfeindlichen Sinne erfolgt war,
erfahren wir aus einer zwar- viel fpäteren, aber durchaus glauben«
erwedfenden Weberlieferung. °) Sein Bruder Rachis nämlich, deffen
Fran Taſſia, wie ſchon erwähnt, aus der Stadt Rom ftammte, Hatte
durch feine römiſchen Sympathien ſich die Gemüther entfremdet. Schon
durch die Heirath felbft ſcheint er gegen das Langobardifche Herfommen
verftoßen zu Haben.) Während fodann dem Edictus zufolge die Frauen
) Paul, Diac. hist. Lang. lib. VI. c. 5l: Tunc rex in judicio resi-
dens . ... e08 post suam sedem consistere praecepit .... Tunc Aistulphus
dolorem non ferens evaginato pene gladio regem percutere voluit, nisi eum
Ratchis suus germanus cohibuisset.
#) Vita Stephani II. c. 10. 22: fremens ut leo.
®) Bal. Chron. Salernitanum, Pertz SS. III. p. 467: Ratchis.... . pius
atque amabilis, Aystulfus vir per omnis astutissimus et ferox.
.‘) Paul. Diac, hist. Lang. lib. VI. c. 56: omne illud pugnae pondus
sustinentes virilitergue certantes .... quem R. subito percutiens equo deje-
eit a eum pietate solita fugere permisit . . . vita privatum post socium
mersit.
d Benedicti 8. Andreae monachi chronicon (Pertz SS. T. II) c. 16.
°) et disrupit lex paterna Langobardorum morgyncaph, et mithio, quae
in suis legibus affıxum est, non adimplevit.
9
\
Die Reife Stephans IT. ins Frankenreich. 117
nach dem Rechte der Männer zu Ieben Hatten, ?) machte er vielmehr
Schenkungen nad) römischer Form.) Durch feindfelige Verbindungen
in feinem Lande veranlaßt, begab er ſich in das Gebiet des ihm er-
gebenen Herzogs Lupo von Spoleto, von hier aus auf Taſſia's Wunſch
zu einem breitägigen Beſuche in das römische Kloſter des heil. Silvefter
auf dem Soracte. Die Schenfung eines fpoletanifchen Grundſtücks
an diefes Klofter, die Verſchleuderung langobardifchen Gebietes aljo,
bewirfte feinen völligen Sturz; Aiftulf, der ſchon vorher zum Gegen-
könig ausgerufen worden war, mußte die Schenfung durch ein fürm-
liches Geſetz rücdgängig zu machen verſprechen, und der erfte Beſchluß
des Reichstages, der fchon im März. 750, 8 Monate nach feiner
Thronbefteigung, in Pavia zufammentrat, °) ging in der That dahin,
daß diejenigen Schenkungen des Könige Rachis und feiner Gemahlin
Taſſia, die nach der Thronerhebung Aiftulfs gemacht worden feien,
feine Gültigkeit Haben follten, wenn König Aiftulf fie nicht beftätigt
hätte. *) Rachis aber, auf weiteren Widerjtand verzichtend, ging mit
feiner Frau und feinen Töchtern nad; Rom und zog fi, auf den
Zujprud) und unter dem Segen des Papites Zacharias, in das beneven-
tanijche Lloſtet des heil, Benedict auf Montecafino zurüd, °) dasfelbe
Kloſter, in welches vor kurzem auch der fränkifche Hausmaier Karmann
als Mönd) eingetreten war.
Mit Ungeftüm ſchritt Aiftulf nun zur Eroberung des byzantiniſchen
Italiens. Den zweiten Jahrestag feines Regierungsantritts (Juli 751)
beging er bereits im Palaſte zu Ravenna; °) ja, er war, wenn man
feinen erften Prolog im Edictus fo deuten darf, bereit8 im Anfange
des Jahres 750 im Beſitze des Erarchats,”) und fo wäre wohl
denkbar, was Benedict von S. Andrea erzählt, daß der Neichsver: .
) Liutprandi Leges de anno XIX (731). c. XI (127): Edictus Langobar-
dorum ed. Baudi di Vesme p. 138; ed. Fr. Bluhme, Pertz LL. IV. p. 160.
®) Fecit autem donationes cartule Romane, sicut ipsi Romani petierunt.
Das zeigen freilid) bie noch vorhandenen Urkunden nicht, durch) weiche er u. U
beſonders dem Kfofter Farfa im Herzogthum Spoleto jeine Gunft bewies, z. B.
Troya n° 596. 602. 607. Jene Uebertretung wird alſo wohl nur bei Schenkungen
an Römer vorgelommen fein.
®) una cum cunctis judieibus et Langobardis universarum provinciarum
nostrarum; daraus macht der Mönd Benedict von Goracte c. 16: cum epi-
scopis, abbatibus, prepositis synodochiorum et cum custodibus ecelesiarum.
Bir finden jedod) nirgends angedeutet, daß die langobardiſche Geiftficjkeit, etwa
wie bie fränfiiche, zugleich mit den weltlichen Großen an der —A—— die
Reichsangelegenheiten Seiigenoumen habe; vgl. Hegel, Geſch. der Stäbtener-
faffung von Jialien I. ©. 498; Boretius, die Capitularien im Langobarden-
teid) ©. 4.
u) Ahistulphi Leges c. 1, Edietus Langobardorum ed. Baudi di Vesme
p- 167, ed. Bluhme p. 196.
3) Leo Marsicanns (e. 1100), Pertz 88. VII. p. 582: Exstat in hodier-
num diem vines satis monasterio vicina, quae vulgo vinea Rateisi vocatur.
®) Troya n° 645: Datum jussionis Ravennae in palatio, IV. die mensis
Julii a. felicissimi regni nostri III., per indiet. IV. Sgl. Ercurs J. $ 2.
?) traditum nobis a Domino populum Romanorum.
118 Capitel VI. 758—754.
fammlung vom 1. März; 750 auch der Erzbiſchof von Ravenna beis
gewohnt habe.) ALS, nad dem Ableben des Papftes Zacharias und
dem nod vor der Ordination erfolgten Tode feines nächſterwählten
Nahfolgers, 2) Stephan II. am 26. März 752 den apoſtoliſchen
Stuhl beftieg, war der König bereit8 in das römiſche Ducat einges
drungen ) und bedrohte Rom und die Nacbarftädte; 4) im October
752 befand er ſich im Nepi, 5) gegen das Ende des Jahres wieder
in Ravenna, im September 753 wurden die feften Pläge in der Nähe
Roms bedrängt und es gelang den Langobarden, das der römifchen
Kirche gehörige, nur 30,000 Schritte von Rom entfernte Gaftell
Geccano bei Frofinone zu befegen. ©)
Einen Einbli in die Kriegsführung Aiftulfs geftattet die Dürftig-
feit der Quellen freilich nicht; aber das läßt fich doch erfennen, daß
er mit Energie den Plan verfolgte, die langobardiſche Herrſchaft in
Italien auszubreiten. Wir erfahren, worin fein Anjprud an die
neu erworbenen und zu erwerbenden Lande beftand, den er wohl auch
durch Wegführung von Geißeln zu erzwingen fuchte: ) er forderte
Unterwerfung unter die Steuerverhälmniffe und unter die Gerichts-
barfeit de8 Tangobardifchen Reiche; und wie z. B. Piacenza, was wir
zufällig wiffen,®) 30 Pfund Seife und eine Hafenfteuer an den König-
lichen Palaft zu liefern Hatte, und wie ſelbſt in den herzoglichen Gebieten
von Spoleto und Benevent der König die oberfte Yurisdiction befaß
— was ſogleich gezeigt werden foll —, fo verlangte er auch von
Rom und den Nachbarorten die Anerkennung feiner Gerichtshoheit und
eine jährliche Abgabe, °) angeblich einen Goldfchilling für den Kopf. 1%)
Es Handelte fich für Aiſtulf nicht um einen Verwüftungs- und Plün-
derungszug oder um die Eintreibung eines Tributes von Seiten der
Negierung des Landes; fein Plan war vielmehr, die byzantiniſchen
Landſchaften Italiens, einfchließlich Roms, dem Tangobardiihen Staate
einzuverleiben. Was er beanfpruchte, waren die natürlichen Rechte
der Landeshoheit, wie fie bis dahin auch der griechifche Kaifer beſeſſen
) Benedieti chron. c. 17: fecit synodum cum Valerius archiepise.
Ravenne civitatis.
®) Vita Stephani II. c. 2.3; Ann. Murbac. 751: Zacharias papa defunctus;
hanus electus, tertia die percussus; alter Stephanus electus et consecratus.
Es iſt daher fein Grund vorhanden, jenen Stephan als den Zweiten, jeinen Nach-
folger als den Dritten zu bezeichnen, wie 3. 8. Jaff6 Bibl. II. IV. thut; vgl.
BVattenbad) in Sybel's hiſtoriſcher Zeit XIX (1868). ©. 172.
®) Benedicti chron. c. 17: in campo Tiburtino cum sex milia Lango-
bardorum.
*) Vita Stephani c. 5.
®) Daf. c. 7.
°) Dai. e: 17.
?) Cod. Carol. ep. 7. p. 41: obsides et captivos.
®) Troya n° 591.
®) Fred. cont.c. 119: tributa et munera contra legis ordinem a Romanis
regnirebant . . . quod antea Romani nunquam fecerant.
») Vita Steph. «6
Die Reife Stephans IT. ins Frankenreich. 119
und ausgeübt hatte, und es zeigte ſich theilweiſe fogar ein bereittwilliges
Entgegenfommen Seitens der früher byzantinifchen Unterthanen. *)
Ob der König in jenen Jahren 750—753 auch den Boden der
Herzogthümer Spoleto und Benevent betreten, ift nicht erjichtlih. In
erfterem Lande aber erfolgte um die Mitte des Jahres 751 ein
Negierungswechfel, der uns beweift, daß Aiftulf entſchloſſen war, in
dieſen ſchon langobardiſchen Gebieten die Zügel ftraffer anzuziehen. ?)
Herzog Lupo nämlich, der noch im December 750 in feinem Palafte °
zu Spoleto eine Gerichtsfigung gehalten, ®) ja nod im April 751
mit feiner Gemahlin Hermelinda zu Rieti ein Nonnenflofter gegründet
hatte, 4) war bereit8 im Juli desfelben Jahres nicht mehr der Herricher
des Landes; denn Aiftulf beftätigte am 4. diefes Monats dem Kloſier
Farfa vier Urkunden, „erlaffen von Lupo, dem gewefenen Herzog
unferer fpoletanifchen Stadt.“ ®) Die früheren Beziehungen Lupo's
zu Rachis, fowie der Umftand, daß da, wo man ihn wieder nennt,
in feinerlei Weife °) auf feinen Tod Hingedeutet wird, berechtigen zu
der Annahme, daß er durch Aiftulf geftürzt worden iſt. Das Wefent-
fiche bfeibt, daß diefer num felbft die Verwaltung des Landes über-
nimmt und während feines ganzen Lebens fein Herzog mehr vorfommt.
Nach des Könige Negierungsjahren wird in den Urkunden fortan das
Datum bezeichnet, der König befchenft Farfa mit Berg und Weide
fpoletanifchen Gebietes. 7) — In Benevent ift nun zwar nicht in
gleicher Weife die Herzogswürde erlofchen, vielmehr bleiben dort Gifulf,
der Neffe und Zögling des Königs Liutprand, dann deffen Witte
Scauniperga während der Umnmiündigkeit ihres Sohnes Liutprand,
endlich diefer felbft im ununterbrochenen Beſitze ihres „geheiligten
Palaſtes;“ der König aber ift der oberfte Herr des Landes: vor ihn
bringt, mit einer Schenkungsurfunde des Herzogs Gifulf verfehen,
ein Unterthan feine Streitfache gegen das Klofter ©. Vincenzo, nad)
dem die Entſcheidung der Herzogin und ihres Sohnes zu Gunften
des Kloſters ausgefallen war. ?) Die Spoletaner und Beneventaner
) Benedieti chron. c. 17: Tune surrexerunt viri Romani scelerati et
intimaverunt Astulfu regi, ut venirent et possiderunt Tusciae finibus et
Romanum imperium usurparent.
?) Ueber die Sonderftellung ber beiden Herzogthümer und ihre Verfaffung
ſ. Babft, Geie;. des Iangobavdifghen Herzogtums, a.a. D. &.455—456. 469—473.
Troya n° 641.
+) Daf. n° 644.
°) Daj. n° 645: qui fuit dux civitatis nostrae Spoletanae. DBgl. n° 677
(Auguft 753): ostendit nobis ... . abbas praeceptum domni regis, ubi con-
tinebatur, quomodo omnes donationes, quas Lupo dux in monasterio fecerat,
ipse domnus rex in ipso sancto monasterio per suum confirmavit praeceptum.
) Wie etwa durch das Wort quondam.
?) Troya n° 702 (756, 5. April): montem unum cum pascuo suo in
finibus Spolet. vel Reatin. loco qui nominatur Alegia ... qualiter potestati
nostrae pertinuit et ad publicum fuit possessum. ®gl. n° 812 (a. 764) und
2° 964* (V. p. 767, a. 772).
®) Troya n° 857: Pertraxit causam etiam ad judieium domni Aistulfi regis.
120 Eapitel VII. 753-754.
endlich — das ift die ficherfte Probe ihrer Unterthanenſchaft — kämpfen
in den Kriegen Aiftulfs an der Seite der königlichen Heere; fie ziehen
mit ihnen im Januar 756 felbft gegen Nom.)
Aiftulf mochte fih im Sommer 753 feinem Ziele ſchon fehr
nahe fühlen; und wenn die erdichteten Urkunden für Nonantola, ein
von feinem Verwandten Anfelm geftiftetes Kloſter bei Modena, ihr
mit dem Titel Imperator Auguftus belegen, fo war es doch gut ers
fonnen, diefe Schenkungen in die Jahre 752 und 753 zu feßen. ?)
Aber auf feinem Wege zur Alleinherrſchaft über Stalien trat ihm
jest Stephan II., der Papft der Stadt Nom, entgegen, „ein muthvoller
Hüter der ihm amvertrauten Heerde.“ °)
Der Papft wurde von den Eroberungsfriegen der Langobarden
in doppelter Beziefung unmittelbar berührt: einmal als Verwalter
der ausgebreiteten Güter oder Patrimonien feiner Kirche, fodann ale
geiftficher Vater der römischen Didcefe, dem das Scidfal feiner Ge-
meinden nicht gleichgültig bleiben Konnte; die Kriege jener Zeit aber
waren blutig und zerftörend, weit über das Maß des Umvermeidlichen
hinaus. Zu dem unmittelbaren Intereffe kam ſodann noch, in Folge
der päpftlichen Autorität überhaupt, die Stellung eines Vertreters des
gefammten griechifchen Italiens, wie fie der Papft fo oft auch den
Kaifern gegenüber eingenommen hatte; ſchon ein Einfall ins Exarchat
Konnte für den römischen Bifchof daher Veranlafjung fein, zu inter
veniren. Wir erfahren nicht, daß Zacharias, der ja bis Mitte März
752 auf dem apoftolifhen Stuhle faß, irgend einen Schritt gegen
Aiſtulf gethan. 9 Dieſer hatte grade damals in einem ſeit lange
währenden Streite zweier langobardiſchen Biſchöfe Gelegenheit, den
Bapft als oberftes Kirchenhaupt anzuerkennen, und Stephan II., dem
das Endurtheil in jenem Streite übertragen war, fpendete in feiner
Bulle vom 20. Mai diefer Gefinnung des Königs großes Lob. 5)
Aber ſchon im dritten Monate feines Pontificats beginnen die Ber
mühungen Stephans, ®) fei e& für Rom und „die von Gott ihm an-
vertrauten Heerden,“ fei es „auch, für Mavenna und die ganze italiſche
» Provinz." ?) Diejelben richten fich zunächſt an Aiftulf felbft und an
’) &. unten Cap. XVII.
%) Troya n° 666 (Sept. 752) und n° 673 (März 758).
®) Vita Stephani c. 3: fortissimus etiam ovilis sui cum Dei virtute
defensor.
4) Sein Hülferuf an Karl Martell, eine chronologiſche Anmögtiätit, ſcheint
eine Erfindung des päpftlichen Hiftoriographen: Vit, Stephani c. 15.
°) Troya n° 661, Bulfe vom 20. Mai 752: Ipse vero — Ausfred
von Siena] subterfugiens reatus sui culpam apud Astulfum excellentissimum
regem fugam petivit. Qui praecellentissimus rex a sedis apostolicae judicio
illum subtrahere noluit.
°) Vita Stephani c. 6.
) Daf. c. 15: pro gregibus sibi a Deo commissis et perditis ovibus,
scilicet et pro universo exarchatu Ravennae atque cunctae istius Italiae
provinciae populo.
Die Reife Stephans IL. ins Frankeneih. 121
den Kaiſer; dieſer wird dur ein Schreiben um militäriſche Hilfe
angegangen, ?) jener durch eine Gefandtichaft um Zrieden gebeten.
Einen auf 40 Jahre erwirkten Vertrag aber bricht Aiftulf ſchon nad)
4 Monaten, alfo im October 752, wieder, und der Papft, der durch
eine neue Geſaudtſchaft auf ihn einwirken will, wählt hierzu diesmal.
Tangobardifche Unterthanen, die beneventanifchen Aebte von S. Vincenzo
und von Montecaſino. Da macht Aiftulf feine königlichen Rechte
geltend; unter Zurüdweifung ihres Auftrages und ihrer Geſchenke
befiehlt er ihnen, in ihre Kloͤſter zurüczufehren, ohne auf dem Heim⸗
wege Nom zu berühren. Ein gleiches Schickſal Hatte eine dritte Ge-
fandtfchaft, bei welcher fi der foeben aus Conjtantinopel eingetroffene
kaiſerliche Rath Zohannes befand; diefer Hatte von feinem Herrn ein
Schreiben ſowohl an Stephan als auch an Aiftulf mitgebradt und
mußte fid überzeugen, wie wirkungslos das Faiferlihe Wort blieb,
wenn ihm der Nachdruck faiferlicher Waffengewalt fehlte. Aiftulf_er-
theilte einen nichtsfagenden Beſcheid und gab dem Johannes einen
wohlunterwiejenen Langobarden nad) Conftantinopel mit. Der Bapft
wiederholte feinen Hülferuf und feine Proceffionen ; 2) feine Hoffnungen
aber wandten fi jegt — es war im Frühjahr 753°) — jenem
abendländifchen Volke zu, das feit drei Jahrzehnten mit immer fteigen-
der Verehrung fich dem heil. Petrus angefchloffen, zu dem fehon ein-
mal vor 14 Jahren ein Nachfolger Petri in ähnlicher Lage feine
Zuflucht genommen hatte: dem Volke der Franken.
Einem Pilger, der damals von Rom heimfehrte, gab Stephan
ein Schreiben an König Pippin mit, worin die Bitte ausgefprocdhen
war, Pippin möchte den Papft dur eine Gefandtjchaft zu fi ins
») Vita Stephani c. 9: juxta quod ei saepius exhortando scripserat.
3) Bei ſoihem Umzuge wurde einmal das zu nichte gewordene Friedens
inftrument an da8 Kreuz Chrifti geheftet: Vita Stephani c. 11.
) Wir berechnen die Dauer einer Reife zwifchen Rom und dem fränkichen
‚Hoflager etwa auf einen Monat; vgl. die Reife des Papites Stephan felbft, melde
vom 15. November bis 6. Januar, die Reife Hadrians I., welche von October
bis November dauerte; Jaff6 Regesta pontif. Rom. p. 222. Zu einem ähn-
lichen Reſultate gelangt Alfred Jacobs, oben ©. 67. N. 4. — Der Weg nad;
oder von Conftantinopel erforderte 3 bis 4 Monate; fo ging 3. B. einmal eine
Nachricht vom 14. September 775 bis 7. Februar 776, doc; waren bereit8 vor
her nuntii praecurrenses eingetroffen, Jaffe Bibl. IV. p. 196. — Danach laſſen
fih nun die Ereigniffe bis zum 14. October 753, dem Tage der Abreife Stephans
aus Rom, annähernd alfo ordnen:
Mitte März Abreife des Pilgers,
”» April Ankunft bei Pippin,
” Mai Abreife des Abtes Droctegang,
». Juni Ankunft deffelben in Rom,
1. Juli Nückeife deffelben,
1. Aug. jein Eintreffen bei Hofe,
1. Sept. Rüctehr der päpftlichen Gefandten aus Confta@inopel,
7 m Abreife des Biichofs Chrodegang und des Herzogs Autdhar,
1, Oct. Ankunft derfelben in Rom,
14. Oct. Abreife des Papftes.
122 Gapitel VI. 753-754.
Frankenreich einladen laſſen.) Diefe von Stephan gewählte Form
einer erbetenen Einladung war nicht ohne Bedeutung: Aiftulf konnte
alsdann die Neife nicht hindern, ohne den fränfifchen König zu ver—
legen. Die päpftliche Ynitiative mußte daher Geheimniß bleiben, und
der Biograph Stephans hebt dies in der That ausdrüdlich hervor; ?)
vielleicht diente deshalb ein fränfifcher Pilger als Weberbringer des
Briefes.
Zum erſten Male ſeit dem Beſtehen des römiſchen Stuhles war
ein Papft num im Begriff, Stalien zu verfaffen, um feine Schritte
nicht oftwärts (wie früher zumeilen gefchehen), jondern nad dem Weſten
zu wenden. Schon Gregor II. hatte gegen Leo den Saurier eine
ſolche Abficht verlauten laſſen, auch er hatte eine aus dem Abendlande
an ihn ergangene Einladung vorgeſchützt; vielleicht folgte Stephan
hierin dem Beiſpiele feines Vorgängers. Im Uebrigen aber war die
Situation durchaus verſchieden. Damals handelte es fich um geijtliche,
diesmal um weltliche Dinge; damals um das kirchliche Anjehen des
Papſtthums, diesmal um lofalen Beſitz; damals um eine Zuflucht
für die Perſon des Papftes, diesmal um den Schuß der apojtolijchen
Stadt. Gregor II. konnte vorübergehend auf Rom verzichten, wenn
er nur felbft dem Zwange des Bilderftürmers entging und feine geift-
liche Autorität bewahrte; Stephan II. dagegen mollte Rom nur vere
laffen, um als Sieger wieder zurüczufehren. Wie ſchon Gregor III.
die fränkische Waffenmacht gegen den langobardiſchen Dränger ange-
rufen hatte, jo follten auch jett die Franken nah Stalien kommen
und die Langobarden fchlagen. Was Gregor II. durch Botſchafter
und Briefe zu erwirfen geſucht, das hoffte Stephan mit beſſerem
Erfolge durch den Eindrud feiner perfönlichen Erſcheinung zu erreichen.
Somohl Stephan als auch Pippin waren ſich diefer Tragweite des
Befuches ohne Zweifel bewußt.°) Cs kam daher ſchon jet darauf
an, das Zuftandefommen eines Feldzuges zu fihern, und in diefem
Sinne ift die dem Antritt der Reife vorhergehende Correſpondenz zu
deuten. Einer Aufforderung des Papftes an die fränkiſchen Großen,
!) Vita Stephani c. 15: per quos ad se eum accersiens venire fecisset.
Im einer Bulle Clemens’ II., melde fih in dem Ehartularium des Kloſters
Romainmotier findet, wird der Hergang ebenjo dargeftellt: Pipinus ... audiens
necessitatem sanctae Romanae ecclesiae vocarit predictum dominum papam
Stephanum, ut ad se veniret; M&moires et documens publi6s par Ia societ
@bistoire de la Suisse romande III (1841). p. 419.
%) Vita Stephani c. 15: clam-per quendam peregrinum suas misit literas
Pippino.
PB, Schr richtig fagt ein fpäterer Papft, Stephan IN., bei erneuter Bedrängniß
durch die Sangobarden den beiden Söhnen Bippins, Cod. Carol. ep. 47. p. 162:
O quantum laborem sustinuit isdem praeeipuus ac beatissimus pontifex
[Stepfan II], qui, ita imbecillis existens, tanto se exhibuit prolixi_itineris
periculo; ei@nisi Dominus praesto fuerit, in vacuum ejus labor deducetur,
fuitque nobis iter illud, quod ibidem idem noster praedecessor in Franeiam
properavit, in magnam ruinam, dum nostri inimici plus nunc, quam pridem.
in superbiae ferocitatem elevati sunt,
Die Reife Stephans II. ins Frankenreich. 123
feine Bitte um Hilfe bei Pippin zu unterftügen — was dem Wort-
Tante nad) der Zweck eines päpftlichen Schreibens aus jenen Tagen
zu fein fheint *) —, bedurfte e8 wahrlich nicht, nachdem Pippin dem
Bapfte dur; den Abt Droctegang von Jumieèges fowie durd) einen
zweiten, fpäteren Abgefandten feine Bereitwilligfeit zur Erfüllung aller
Wünfche desfelben ausgefprochen *) und deffen Dank und Segen dafür
erworben Hatte, °) Ganz im Gegentheile mußten die fränkischen Großen,
deren Zuftimmung zu jedem Kriege erforderlich war, fir das Unter-
nehmen gewonnen werden. „Der langobardifche Krieg,” erzählt Einhard,
„wurde von Pippin auf Bitten des Papſtes Stephan mit großer
Schwierigkeit unternommen; denn einige von ben fränfifchen Großen, mit
denen er fi) zu berathen pflegte, widerjtrebten feinem Willen in ſolchem
Grade, daß fie frei heraus erklärten, fie würden den König im Stiche
laſſen und in die Heimat zurüdfehren.” 4) Wir werden die Motive
diefer Oppofition wohl mit Hecht in jenem national-fränfifchen Wider-
ftreben gegen die farolinifch-römifchen Tendenzen zu ſuchen haben, von
dem bereits oben ausführlicher die Rede gewejen ift.5) Diefe Oppofition
gegen den italienifchen Krieg aber trat gewiß gleich bei der erften An:
regung hervor, von ihr hatte Droctegang vermuthlih dem Papfte
Mittheilung zu machen, ©) ihr ſollte der Papft ſelbſt durch ein Schreiben
an die Großen begegnen. Und biefes Schreiben nun leidet feinen
Zwed, die Großen für die Wünfche Pippins und des Papſtes zu
gewinnen, in die viel wirfjamere Form einer Bitte, diefelben follten
Pippin für die Wünſche des Papftes zu gewinnen ſuchen. „Wir
haben da8 Vertrauen,“ fagt Stephan, „daß ihr Gott fürchtet und den
heit. Petrus liebt und mit aller Hingebung eures Geijtes, um der
Wahrnehmung feiner Vortheile willen, fir unfer Geſuch eintreten
werdet.“ ?) Der Bapft befchwört fie, „Leine Gelegenheit zu verfäumen,
um den König zur Wahrnehmung der Vortheile Petri zu ermuntern.“ ®)
Er verheißt ihnen, „jobald unter ihrer Mithilfe feine Bitte erfüllt
fein würde,“ 9) DVerzeifung ihrer Sünden und den Eintritt ins ewige
Leben. „Aber feid wachſam, Söhne,“ fo ſchließt er, „und beeifert
euch fehr, an dem, was wir erbeten haben, theilzunehmen: denn wer
!) Cod. Carol. ep. 5: p. 33: omnibus dueibus gentis Francorum.
?) Vita Stephani c. 16: omnem voluntatem ac petitionem papae adim-
plere se velle.
®) Cod. Carol. ep. 4. p. 82.
+) Einhardi Vit. Karoli c. 6.
%) ©. oben ©. 105.
©) Cod. Carol. ep. 4. p. 32: juxta quod nobis locutus fuit, congruum
per eum tuae sublimissimae bonitäti, in ore ponentes, remisimus responsum.
?) Daſ. ep. 5. p. 33: cum tota mentis devotione pro ejus [b. Petri]
perficienda utilitate in nostra obsecratione cooperatores et adjutores eritis.
®) nulla interponatur occasio, ut non sitis adjutores ad olsinendum ...
Pippinum ... pro perfieienda utilitate ... Petri.
°) quatenus vobis concurrentibus dum nostra deprecatio fuerit impleta
... vestra deleantur peccata.
124 Capitel VII. 753—754.
nad) der anderen Seite Hinneigen wollte, witrde das Erbtheil der ewigen
Seligfeit verlieren.” 1)
Nachdem der Abt Droctegang mit feinen Begleitern, darunter
einem päpftlichen Beauftragten Namens Yohannes, von Rom zurüd-
gefehrt war, unferer Berechnung nad) Anfangs Auguft, etiva um die
Zeit, als des Könige Bruder Gripho mit feinen Genoffen auf dem
Wege nad) dem Langobardenlande den Tod gefunden hatte: da traten
zwei der vornehmften Franken, der Biſchof Chrodegang von Met und
der Herzog Autcharius, die Reife nad) Italien an, um den Papft aus
Kom ins Frankenland zu führen. Sie waren zu diefer Sendung,
wie ein glaubwirdiger Bericht ausdrüdfich bezeugt, von der ganzen
Verfammlung der Franken auserforen worben.?) Kurze Zeit vor
ihrer Ankunft war von Seiten des Kaiſers in Rom die Weijung ein
getroffen, der Papſt folle fich zu Aiftulf begeben, um die Herausgabe
der eroberten Städte zu betreiben, und ein Bote Hatte bei Aiftulf
bereits ficheres Geleit für Stephan und fein Gefolge erbeten, als die
fränfifche Gefandtfchaft anlangte. 9) Wie wenig man in Rom an
einen Erfolg der neueſten byzantiniſchen Miffion glaubte, beweift der
feierliche Abfchied, welchen der Papft und die Römer von einander
nahmen: man zweifelte eben nicht, daß das Franfenreich fein Reifeziel
fei. Mit einem zahlreichen geiftlichen und weltlichen Gefolge verließ
er am 14. October 753 die Stadt. Nach einer Reife von 40 römischen
(8 deutfchen) Meilen gelangte er bereits auf langobardifches Gebiet; König
Aiftulf befand fich in feiner Hauptftadt Pavia. Sehr bemerfenswerth
ift num das Verhalten desfelben, als er von dem verhängnißvolfen Reife»
plane des Papftes erfuhr, der ihm bis dahin offenbar verborgen ge—
blieben war. Nachdem Stephan ſich nämlich des faiferlichen Auftrags
— mie zu erwarten ftand, erfolglos — entledigt Hatte, da traten die
fränkiſchen Botſchafter vor den König mit dem dringenden Erſuchen,
er möge den heiligen Vater nad) dem Frankenlande entlafjen. Aiftulf
ließ diefen zu fi rufen, fragte ihn, ob es fein eigener Wille jei, ins
Frankenland zu gehen. Bis zum folgenden Tage machte er dann
durd) feine Großen wiederhofte Verſuche, den Papft zu einem anderen
Entſchluſſe zu bewegen. Äls diefer Hierauf in Begleitung des Biſchofs
Chrodegang abermals vor ihm erfchien, fragte der König ihn wiederum,
ob er wirklich ins Franfenland gehen wolle. Der Papſt antwortete:
!) Cod. Carol. ep. 5. p. 34.
%) Paul. Diac. de episcopis Mettensibus, Pertz 88. II. p. 265: [eiro-
degang] a Pippino rege omnique Francorum coetu singulariter electus,
Romam directus est Stephanumque venerabilem papam, ut cunctorum vota
anhelabant, ad Gallias evocavit.
°) Vita Stephani II. c. 18: extemplo et missi jam fati Pippini regis
Francorum conjunxerunt, id est Rotdigangus episcopus et Autcharius dux,
quatenus praedictum Stephanum papam ... ad suum regem in Franciam
deducerent. Waitz, BG. II. ©. 70. N. 2, benern irrthumlich, Chrodegang
fei, ge Vita Stephani zufolge, dem Papfte nur in Gallien zum Begleiter gegeben
worden.
Die Reife Stephans II. ins Frankenreich. 125
„Wenn es dein Wille ift, mich zu entlaffen, fo ift e8 mein Wille
allerdings, zu gehen.“ Da entließ ihn der König, und von Bifchöfen,
Brieftern, Diafonen und weltlichen Würdenträgern begleitet, trat der
Papft am 15. November die Weiterreife an. ?)
Mit großer Schnelligkeit, wie um der Verfolgung Aiftulfs zu
entrinnen, eilte er den penninifchen Alpen zu, die fteil auffteigend die
tiefe Po-Ebene von dem Gebirgsthal der oberen Rhone ſcheiden und
damals wie heute die politifche Grenze Staliens bildeten. In einer
Höhe von mehr als 7000 Fuß führt hier eine Straße zwiſchen den
beiden Gipfeln des S. Bernhard — Mons Zovis — hindurch, jegt
berühmt durch ein freundliches Hospiz, ſchon damals und felbft im
römifchen Altertum ein wohlbefannter Alpenpaß. Ihn erftieg Papft
Stephan II. im Spätherbfte.des Jahres 753 ®), und ein allgemeines
Danfgebet ertönte aus dem Munde der Neifenden, als fie ihn betreten
Hatten; denn fie waren damit auf fränfiihen Boden gelangt. °) Da,
wo die Rhone zwifchen den Berner Alpen und der Montblanc-Öruppe
in rafcher nordieftlicher Wendung zum Genfer See durchbricht, erreichte
man das Thal des Fluffes; und feinem Laufe folgend, an einer der engften
Stellen des Thale, fann man nad Agaunum oder S. Maurice, dem
Kloſter des agaunenfifchen Märtyrers Mauritius, der mit feiner the-
baifchen Legion einft auf gleichem Wege aus Italien nad) Gallien Hatte
bordringen follen. 4) Zum Sprengel des Erzbisthums Vienne gehörig,
ftand diefes Kloſter damals wahrſcheinlich fchon unter der Leitung des
ehemaligen Erzbischofs Wilicarius, der feinen Biſchofsſitz aufgegeben,
auf einer Wallfahrt nad; Rom den Papft Stephan fennen gelernt,
dann die Verwaltung des Klofters übernommen hatte. ’) In S. Maus
vice wurde von der bejchwerfichen und gefahrvollen Reife mehrere Tage
geraftet; man war von der Kälte und dem Schnee, von den reißenden
Strömen und fteilen Bergen erfchöpft; °) einer der vornehmften römi-
ſchen Begleiter des Papftes, der Primicerius Ambrofius, erlag hier dem
Fieber. ) Urfprünglic hatte Pippin in diefem Mofter mit dem Papfte
1) Vita Stephani c. 17—23. Die Erzählung der Vita Chrodegangi c. 24,
Pertz SS. X. p. 566, bietet nichts als eine wortreiche Umfchreibung des Berichtes
der Vita Stephani; vgl. Wattenbach, Geihichtsquellen (2. Aufl.) ©. 284.
%) Fred. cont. c. 119: jam monte Jovis transmeato.
°) Vit. Steph. e. 24: ad Francorum conjunzit clusas.
+) Das jhon früh errichtete Klofter war nad; feinem Berfalle von König
Sigismund im Anfange des 6. Jahrhunderts wieder hergeſtellt worben; Gregor.
Turon. hist. Franc. lib. III. c. 5, Fredeg. chron. c. 1.
5) Adonis archiep. Viennensis chron., Pertz SS. II. p. 819: Wilicarias,
relicta Viennensi sede, Romam primum abiit, ibique papae Stephano notus
efficitur ; interjecto non multo tempore, Agauni monasterium martyrum in
curam suscepit.
®) Cod. Carol. ep. 7. p. 38: adflicti in nive et frigore ....atque validis
fluminibus et atrocissimis montibus seu diversis periculis
?) Vita Steph. c. 24. Seine Grabſchrift in den Krypten des Vaticans
findet fidh_ bei Galletti, del Primicero della santa sede apostolica (Roma 1776)
p- 41—42; der Anfang derfelben aud) bei Gregoronins, Geſchichte der Stadt Rom
126 Capitel VII. 753—754.
zufammenzutreffen gedacht; ftatt feiner aber begrüßten denſelben Bier
zwei hochgeftellte Vertreter des Königs, der Abt Fulrad von ©. Denys
und der Herzog Rothard, und ſchloſſen ſich dem Gefolge des Papftes an.
Noch ein zweites Kloſter der Schweiz, Romainmotier, rühmte
ſich fpäter der Anweſenheit Stephans, ja, führte feinen Namen auf
ihn zurück: er habe nämlich auch hier auszuruhen gewünfcht und zum
Dank für die treue Aufnahme, die er dafelbft gefunden, den Ort ge-
fegnet und geheiligt, zu Ehren der Apoftel Kirchen geweiht und die
Stiftung „das römische Klofter” genannt. 1) Monafterium Romanum
©. Petri lautete im der Folgezeit wirklich der Name des Klofters. ?)
Pippin hatte nach glücklich vollbrachtem Sachſenkriege, der, wie
wir oben gefehen, in die Monate Juli und Auguft zu fegen ift, bei
Bonn wieder den Rhein erreicht und dann mit Familie und Hofitaat °)
einen dauernden Aufenthalt zu Thionvilfe an der Mofel genommen. *)
Hier befand er ſich in der Nähe begünſtigter Klöſter, wie Prim und
Echternach, in der Nähe von Meg, dem Bifchofsfige feines Jugend⸗
freundes Chrodegang; die Wälder der Eifel?) Inden zu Herbitjagden
ein. Hier haben wir und daher die oben erwähnte Reichsverſammlung
zu denken, 6) von der Paulus Diaconus in der Geſchichte der Bifchöfe
von Meb erzählt; von hier aus hatten ſich dann Chrodegang umd der
Herzog Autchar nach Nom begeben. Noch am Weihnachtstage vermeilte
Pippin zu Thionville; 7) daher empfing er hier die Meldung, daß der
Papft den S. Bernhard überfhritten habe. ®) Mit großer Freude
und Sorgfalt wurden num die Vorbereitungen zum Empfange getroffen,
welcher im Schloffe Bonthion ftattfinden foltte, °) Während der König
im Dittelafter II. ©. 811. Danach flarb Ambroſius mense Decemb. indietione
VIL tempori domni Stephani papae, im After von etwa 60 Jahren. Sechs
Jahre nachher wurde feine Leiche unter großen Ehren nad Rom gebracht und
bier im September 759, mense Septembrio indict. XIII. tempore ter bea-
tissimi domni Pauli papae, Beigeett. Sein Zracfolger war ver 1 fpäter oft ger
nannte Primicerius Shrifoptonns; gt. Vit. Steph. II. c. 49, Vit. Steph. III.
ce. 5 sq., Cod. Carol. ep. 36. p. 128.
1) Memoires et Aeumens publik par la soci6t& dhistoire de la Suisse
romande T. III (1841), Chartulaire de een a ET
®) Gesta abbatum Fontanellensium c. 4, Pertz SS. m. p. 2725 vgl.
Vita 8. Wandregisili abbatis Fontanellensis c. 10, Mabillon Acta SS. II.
p. 529; vita alia c. 11, af. p. 588.
®) Vita Steph. c. 25: cum conjuge et filiis atque primatibus.
9 Fred. cont. c. 119: cum ... Theudone villa publica super Mosella
resedisset.
®) Arduenna silva (Fred. cont. c. 119) war früher der Gefammtname der
weſtniederrheiniſchen Gebirge.
*) Das ort residere, deſſen ſich der Fortſetger des Fredegat bedient, ift
die gewöhnliche Bezeichnung für einen mit Amesarihäften ver verbundenen Aufenthalt
am einem Orte, ad universorum causas audien(
?) Ann. Lauriss. maj. 753: Hoc anno natalem Domini in Theodone
villa, pascha in Carisiaco celebravit.
®) Fred. cont. c. 119.
°) Daf.: Pontem-Ugone villa publica; Dep. Marne, zwiſchen Bitry und
Bar le Duc, in der Gegend von Blesme, wo jetzt die aus der Weſtſchweiz fommende
Die Reife Stephans II. ing Frankenreich. 127
felbft alfo fi von Thionvilfe Hierher begab, fandte er feinen äfteften
Sohn, den damals 11—12jährigen Karl ?), mit mehreren Optimaten
etwa 20 deutſche Meilen weit ?) dem Papfte entgegen. Der Empfang
geichah unter feierlichen Formen. Pippin, der von Ponthion aus mit feiner
Familie und feinem Gefolge ungefähr eine Stunde Weges °) dem Gafte
entgegengezogen war, ftieg beim erften Anblicke des Papftes vom Pferde,
kniete demuthvoll nieder und ging dann eine Strede weit wie ein Mar-
ſchall neben dem Roſſe des heiligen Vaters her. *) Hierauf ftimmten der
Eifenbahn in die franzöfiſche Ofibahn mündet. Val. aud Alfred Jacobs, GEo-
graphie de diplömes merovingiens p. 26.
1) &. Excurs IV.: Das Geburtsjahr Karls d. Gr.
) Vita Steph. c. 25: ad fere centum millia.
®) Daf.: ad fere trium millium spatium.
*) Dai [papae] et vice stratoris usque in aliguantum loci juxta
gjus sellarem properavit. Diefe Stelle Hat einige Wictigfeit erlangt wegen
eines ganz analogen Borpanges, den das fingirte Edictum Constantini impera-
toris, das Document über die angebliche Schenkung Eonftantins des Großen,
von bdiefem Kaifer und dem Papfte Silvefter meldet: et tenentes frenum equi
illius, fo erzählt der Kaifer, pro reverentia beati Petri stratoris officium illi
exhibuimus (Isidori Mercatoris decretalium collectio ed. Migne, Patr. lat.
CXZX. col. 250). Dan Hat beide Stelen miteinander in Zufammenhang ger
bracht, und zwar bald in dem einen Sinne, daß die Konftantin betreffende An-
gabe unverkennbar auf abendländifhem Boden erwachſen, orientaliiher Sitte und
Anſchauung fremd fei, daß die Sache zum erſten Male im Jahre 754 vor-
tomme, als Bippin dem Papfte Stephan eine ſoiche Ehre erwies, und daß dies
in Rom fo jehr gefallen habe, daß man «8 glei) darauf durch Uebertragung auf
Conftantin zu einem Vorbild und einer Regel für Könige und Kaiſer machte
(Döllinger, Papftfabeln des Mittelalters S. 64—65); bald im entgegengefeßten
Sinne, wonach die Conftantinifche Urkunde in der Abficht angefertigt worden ſei,
um bem König Pippin gezeigt zu werden, das Beifpiel des Kaifers aber Pippin
bewogen habe, dieſe den Franken fo ganz fremde Huldigung dem Bapfte zu er-
weifen (Janus, Der Bapit und das Concil ©. 143), Das Amt des Strators
(Stallmeifters) eriftivte jedenfalls ſchon in der älteren römifhen Kaiſerzeit: Cara-
calla fiel auf Anftiften jeines Nachfolgers Macrinus durch die Hand feines strator
(Aelii Spartiani Antoninus Caracalla ec. 7: quum illum in equum strator
ejus levaret, pugione latus ejus confodit; Julii Capitolini Macrinus c. 4:
stratore ejus redemto). Ebenſo fennt die Chronographie des Theophanes einen
Kovoravrivog orparap ro’ Apraßdodov (ed. J.Classen, Bonnae 1839,
p- 624) und nennt überhaupt die Orpd=Topes unter den Bacıkıxoi dvIpmmor
(p. 697). Cine alte römiſche Gottesdienftordnung endlich, der Ordo Romanus I.
c. 2 (Mabillon, Mus. Ital. IT. p. 4), fdreibt vor: Diebus sollemnibus, sicuti
est pasche, primo omnes acolythi ... . praecedant pontificem pedestres ad
stationem; stratores autem laici a dextris et a sinistris equi ambulent, nealicubi
titubet. Unter ſolchen Umftänden kann bie in zwei römiſchen Schriften ſich wieder»
Holende Hindentung auf das officium stratoris faum zu weiteren Folgerungen berech⸗
tigen ; bie den beiden Päpften ertviefene Ehre aber war bei feierlichen Aufzügen, da bie
Sitte der Stratoren einmal beftand, gewiß manmigfach in Gebraud. Wenn vom
Bapf Zacharias erzählt wird, daß der König Lintprand in ejus obsequium
idium milliarium perrexit (Vit. Zach. c. 7. p. 68), fo faffen dies
neuere Darfteller wohl mit Recht jo auf, daß auch ſchon Fintprand am Steige
bügel des Papfles herging ober das Roß defelben am Zügel führte (Gregprmuiue,
Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter II. ©. 289. N. 1; Nichues, Geſchichte
des Berhältniffes zwiſchen Kaifertfum und Papſtthum im Mittelalter I. ©. 517;
Bormann, Die Politit der Päpfte von Gregor I. bie Gregor VIL, I. ©. 218).
128 Capitel VIIL 7608- 764.
Papſt und alle die Seinen einen Lobgeſang an, und unter Hymnen
und geiftlichen Liedern hielten der König und der Papft am 6. Januar
754 ihren denfwürdigen Einzug in Ponthion. t)
Stephan Hatte für den König und feine Umgebung reiche Ge—
ſchenke mitgebradt; als fie in der Kapelle des Schloffes wieder zu⸗
jammentrafen, da empfahl der Papft, dem vorangegangenen Zufagen
vertrauend, die Sache Petri in die Hände des Königs: Pippin feiner
ſeits gelobte, die Vertheidigung der Kirche übernehmen zu wollen. ?)
Nach einem etwas fpäteren Berichte fand diefer Vorgang am nächſten
Tage nad) der Ankunft und unter fymbolifhen, zum Theil biblifchen,
Formen ftatt: der Papft erichien mit feinem Clerus in härenem Ge»
wande, das Haupt mit Aſche bedeckt, und am Boden liegend flehte er
unter Anrufung Gottes und der Apoftel den König um Hülfe an; er
ſtand nicht früher auf, als bis der König, feine Söhne und feine
Großen ihm die Hand reichten und ihn zum Zeichen Fünftigen Bei ⸗
ftandes von der Erde erhoben.°) Da es Winter war, Ind Pippin den
Bapft und die Seinen ein, im Klofter des heil. Dionyfins bei Paris
die Falte Jahreszeit zuzubringen. Der König, der ihn wohl dorthin
begleitete, verweilte einige Zeit in feiner Gefelfchaft; dann aber vers
fieß er den Ruheſitz, fein eignes Lieblingsffofter, um das in vertrau-
licher Beſprechung verabredete Unternehmen mit feinen Franken ins
Werk zu fegen.
1) Vita Steph. c. 25; Fred. cont. c. 119.
3) Außer der Vita Steph. und der Fortfegung des Fredegar noch Cod. Carol.
ep. 7. p. 88: Etenim dum vestris mellifluis obtutibus praegentati sumus,
omnes causas principis apostolorum in vestris manibus commendarimus,
quoniam quidem, inspirati a Deo, aurem petitionibus nostris adcommodare
dignati estis et vos b. Petro polliciti estis ejus justitiam exigere et defen-
sionem sanctae Dei ecclesiae procurare.
®) Chron. Moissiac., Pertz SS. I. p. 298. Man vergleiche die Worte:
aspersus cinere et indutus cilicio in terram prostratus, mit lib. Judith 9, 1:
et induens se eilicio, posuit einerem super caput suum et prosternens se
Domino ete. In der neuen Bedrängniß des Jahres 756 jchreibt Stephan jelbft
ähnlich, Cod. Carol. ep. 9. p. 51: tamquam praesentialiter adsistens provo-
lutus terrae et tuis vestigiis me prosternens cum divinis mysteriis conjuro
coram Deo vivo et... b. Petro. — Yır fremdartiger, offenbar abfichtlicher,
Entftelung begegnet uns diefer Bericht 200 Jahre jpäter wieder in ber Passio
3. Bonifaci, Jaffe Bibl. III. p. 477: Stephan fiegt in Aſche und Haargewand
am Boden, als auf feine Einladung Pippin eintritt. Der Papft holt darauf ein
Schwert hervor und übergiebt es dem Könige als Sinnbild der ihm damit über
teagenen Schirmgewalt. Der Anlaß zur Flucht nach dem Frankenlande aber ift
ihm ein Auffland der Römer gegen ihm. Der Langobarden wird nicht gedacht
und auf die Römer die Schuld gewält, weil die vömifchen Bunde der eigenen
Zeit (ut mos eorum est) einen folchen Hergang verftändlicher maden. Man
denfe an Benediet VI. (974), Bonifacius VII. (974), Johannes XIV. (984),
gohannes XVI. (998) und befonders an Gregor, den Gegenpapft Benebicts VIIL
(1012), von dem es bei Thietmar heißt: ad regem venit cum omni apparatu
apostolico, expulsionem suam omnibus lamentando innotescens; Jafié, Reg.
pontif. Roman. p. 381. 336. 344. 356. Der Berfaffer der Passio aber jchrieb
furz nad) 1011; Jaffe, Bibl. II. p. 426. — Auch das päpftliche Schwert ift
ein Anachronismus.
.
Aeuntes Gapitel.
Die Pippiniſche Schenkung.
754.
Wir kommen nun zu einem der wichtigften und zugleich ſchwie⸗
rigften Capitel aus der Xebensgefchichte des Königs Pippin, zur Erör-
terung der Frage: Was ift im Jahre 754 zu Quierzy !) geſchehen?
Daß hier nämlid) von Seiten Pippins und der Franken Entjcheidendes
befchloffen worden, ift unzweifelhaft. Die Biographie des Papftes
Hadrian jagt mit ausdrüdlihen Worten, das Schenfungsverfprehen
Bippins, welches Karl fih im Jahr 774 zu Rom habe vorlefen Laffen,
fei in dem Orte Quierzy gemacht worden. ?) Auch der Biograph
Stephans erzählt: „Ansgeftattet mit dem Zuſptuch und dem Segen des
Bapites, begab ſich Pippin nach Quierzy; hier verfammelte er die
Großen feines Reiches, und indem er fie mit den Ermahnungen des
Papſtes befannt machte, beſchloß er mit ihnen, das auszuführen, was
er mit dem heifigen Vater verabredet hatte.” 5) Die Lorfcher Annalen
beftätigen die Thatfache, infofern fie berichten, daß Pippin das Ofterfeit
(14. April) zu Quierzy gefeiert habe. *) Der Papft war dafelbft, wie
es ſcheint, nicht amwejend; er konnte den Beſprechungen, die er mit
Pippin in ©. Denys gepflogen,, volffommen vertrauen. Wohl aber
betheifigten fi) außer den Großen des ganzen Reichs auch die beiden
Söhne Pippins an den Beichlüffen diefer Verfammlung, und die da-
y q Earifiacum, jegt Quierzy (Kierſy), Dorf im Dep. Afne, Arr. Laon, an
er Diſe.
®) Vita Hadriani c. 42, Vignoli II. p. 192,
®) Vita Stephani II. c. 29. p. 106.
*) Ann. Laur. maj. 758; ſ. oben ©. 126. R. 7.
Dahrb. d. diſch. Gef. Delsner, König Pippin. 9
130 Gapitel IX. 754.
ſelbſt zu Stande gefommene Schenkungsurkunde ſprach ſowohl ihre als
auch aller Berfammelten Zuftimmung aus. )
Denn eine fhriftliche Urfunde war es, in welder Pippin die dem
Bapfte zugedachte Schenkung zu Quierzy verkündete. ) Das Dokument
ift verloren; ®) aber es läßt ſich aus zerftreuten Andeutungen erkennen,
daß die Formeln, wie fie in Actenſtücken diefer Art üblich waren, auch
bier nicht fehlten. Was Pippin unter Zuftimmung der Reichsver⸗
jammlung dem heil. Petrus verhieß, follte ihm die Befeftigung feiner
Herrſchaft, ) die Verzeihung feiner Sunden, das Seelenheil und das
ewige Leben erwerben.) Es iſt auch von einem Eidſchwur die
Rede, ©) duch welchen der König feine Zufage befräftigt babe; doch
wird diefer wohl nicht erft iekt, fondern ſchon früher in die Hand des
Vapſtes geleiftet worden fein. 7
Die Urkunde wird eine Schenkung genannt: ®) diefer Ausdruck
aber findet ji Immer nur bei Vergabung eignen Beſitzt hums, °) auch
wenn dies im Wege dei Eroberung vor längerer oder kürzerer Zeit
erworben worben ift. So überläßt der Langobardenkönig Aripert das
lange Zeit hindurch der römischen Kirche entfrembete Patrimonium der
Gottifchen Alpen dem Papfte Johannes vo. in einer mit Goldſchriſt
i) Vita Hadriani I. c. 41: quam [promissionem] Pippinus quidem rex
et ipse lentissimus Carolus cum suo germano Carolomanno atque
Omnibus judicibus Francorum fecerunt. Die Chronik des Kloſters Montecafino
von Leo Marficanus, Pertz SS. VII. p. 585, giebt diefe Stelle folgendermaßen
wieder: eamque donationem propria manu sua filiorumque suorum multorum-
que judicum et optimatum suorum corroboravit. ®gl. überdies Cod. Carol.
ep. [Stephani IIL, 769—770] 46. p. 156: in ea promissione amoris, quam
cum vestro pio genitore . . principi apostolorum . . pollieiti estis; p. 157:
omnia, quae beato Petro . . cum vestro sanctae” memoriae pio genitore
promisistis, adimplere dignemini. 9m ep. 47. p. 161 fjildert derfelbe Papf,
—e einft Augenzeuge lſ. Ercurs VII], dem Hergang eigenthümlicher jo:
Recordamini ... quomodo vos fidedicere visus est prelatus vester domnus
ac genitor, promittens i in vestris animabus ... firmiter debere vos permanere
erga sanctae ecclesise fidelitatem etc. .
) Cod. Carol. ep. 6.p. 86: per donationis paginam b. Petri sanctaeque Dei
ecclesiae rei publice civitates et loca restituenda confirmastis ... per dona-
tionem vestram manu firmatam; und öfter.
®) Ueber das Fragmentum Fantuzzi's ſ. unten Ercurs VII.
*) Cod. Carol. ep. 45. p. 152: quae. pro stabilitate regni vestri et aeternae
vitae remunerationem beato Petro polliciti estis.
®) Daf. ep. 29. p. 109: juxta id quod beato Petro ... ob remedium
animae vestrae et veniam delictorum vestrorum pollicentes sı opondistis; ep. 30.
p- 118: haec provintia ... a vobis beato Petro pro Temedio animae vestrae
concessa; ep. 37. p. 182: "quod semel beato Petro pro aeternae vitae retri-
butione obt
®) Daſ. ep. 11. p. 64: omnia, quae beato Petro sub jurejurando promi-
aisti, adimplere jubeas.
?) Bel. Vita Steph. c. 25 wonach Pippin gleich bet der erften Begegnung
zu Ponthion ‚Jurejurando spondens papae satisfecit etc.
®) donationis pagina: Cod. Carol. ep. 6. p. 85. 86 u. öfter.
*) Bol. die zahllofen Schenkungen umferer ürkundenbücher.
“
Die Pippiniſche Schenkung. 131
ausgefertigten Schenkungsurfunde; *) fo ftellt Lintprand über die Wieder-
erftattung einiger, zwei Jahre vorher occupirter, Städte dem Papſte
Zacharias eine Schenkungsurfunde aus, ebenfo über das fabinifche Patri-
monium, das ſchon vor 30 Jahren weggenommen war.?) indem
Pippin alfo einen Krieg gegen Aiſtulf zu unternehmen und dem
Bapfte eine Schenfung zu machen verſprach, die fi, wie wir fehen
werben, auf italifches Gebiet bezog, mußte er fein Beſitzrecht an das
zu Verſchentende ebenfall® durch Sieg und Eroberung zu erringen
hoffen. Eine merkwürdige Stelle in der zeitgenöffiihen Fortjegung
des Fredegar beweift uns auch, daß der Begriff des Eroberungsrechts
in jenen Tagen fein fremder war; ®) zugleid; aber, daß diejer Begriff
in die damalige Gedankenwelt durch die Vermittlung der Bibel Ein-
gang gefunden hatte. *)
Es handelte fi vor Allem um die Heilung des Schadens, den
die römische Kirche durch die Einfälle der Langobarden in ihrem Be—
fige erlitten Hatte. Die Patrimonien Petri, die ſich auch über die
Grenzen Italiens Hinaus erftredten, waren in diefem Lande felbft be-
fonders zahlreich; am dichteften aber, wie jich denten Yäßt, in der Um-
gebung von Rom. Ein Verzeichniß päpftlicher Giterverleihungen, deſſen
Erhaltung dem Gardinal Deusdedit zu verdanken iſt, 5) weift u. 4.
ein Patrimonium von Neapel (zu welchem Capri gehörte), von Gasta,
von Ravenna nad; wir Hören außerdem von einem Patrimonium von
Dfimo, Ancona, Umana. 9) In nächfter Nähe der Hauptftabt befanden
fich die Patrimonia Appiae et Tusciae, ein jede& der beiden auch fubur-
banım genannt, ferner das Patrimonium Lavicanım, Tiburtinum,
Sabinenfe, Narnienfe, Sutrienfe; die Grundſtücke diefer Patrimonien,
gegen jährlichen Zins (vielfach auf 29 Jahre) verliehen, lagen zum
Theil nur wenige Miglien von Rom entfernt. Durd die langobar-
difche Eroberung und Verwüftung des Exarchats Hatte der Papſt an
diefen Patrimonien bedeutenden Schaden gelitten, und je näher der
Feind der Stadt Rom gekommen war, defto ſchwerer waren die Verlufte
der römischen Kirche geworden. Diefes rechtmäßige Eigenthum der
Kirche ift unter der Juſtitia S. Petri zu verftehen, welche Pippin
aus Verehrung für den Heiligen von den Feinden wiederzufordern ver-
ſprach; in diefem Sinne ift oft, der eigentlichen Bedeutung des Wortes
) Vita Joh. c. 3, Vignoli I. p. 319.
®) Vita Zachar. c. 8, Vignoli II. p. 64.
®) Fred. cont. c. 126: cepit urbem et restituit eam ditioni suse jure
praelüi; vgl. Wait, 86. III. ©. 528. 8. 3.
*) Jus belli: Iudic. 21, 22; jure praelii: 4 Reg. 18, 26. Bgl. Exeurs L.$. 7°-
) [Borgia] Istoria del dominio temporale della sede apostolica nelle due
Sicilie, Rom. 1789; Appendice di Documenti, Doc. I. p. 3—12: Elenco della
eittd e di altri fondi della chiesa Romana, aus der Canonenfammlung des
Cardinals Deusdedit.
®) Vita Zachariae c. 9.
132 Capitel IX. 754.
gemäß, von einer Reſtitution die Rede.) Das meinte der Papft, als
er, wie e8 fpäter oft heißt, alle Angelegenheiten Petri in die Hände
Pippins empfahl. Darauf endlich bezieht ſich das Verſprechen der
Bertheidigung der heil. Kirche, welches Pippin feinem Gafte im Franfen-
lande gab. 2)
Aber der Papft war auch um „des ihm anvertrauten Volkes“
1) Cod. Carol. ep. 6. p. 35: justitiam beati Petri, in quantum potuistis,
exigere studuistis et per donacionis paginam restituendum confirmavit bonitas
vestra. — Es fdjeint mir daher weder geboten noch gerechtfertigt, mit Janus,
Der Papft und das Concil ©. 143—144, die Anfertigung der Conſtantiniſchen
Schentungsurtunde deshalb dicht vor 754 zu fegen, um damit die Veeichnung
der Pippiniſchen Schenkung als Reftitution zu erflären. Grit im Mai 778 ge:
ſchieht ihrer bekanntlich im einem Briefe des Papftes Hadrian Erwähnung, worin
diefer Karl den Großen um Erfüllung früherer Verſprechungen bittet, damit, wie
einft in Gilvefters Zeiten der Raifer Conftantin dem römifchen Stuhle potestatem
in his Hesperiae partibus largiri dignatus est, die Bölfer jet ausrufen könnten:
ecce novus christianissimus Dei Constantinus imperator his temporibus
surrexit, per quem omnia Deus sanctae suae ecclesiae beati apostolorum
priaeipis Petri largiri dignatus est [Cod. Carol. ep. 61. p. 199-200].
Charakteriftifch genug ift grade hier nicht der Ausdruck restituere oder reddere,
ſondern largiri gebraucht, zum fiheren Beweije, daß man wenigſtens damals eine
jolche Continuität der Jahrhunderte nicht kannte und die Maßregel einer längft -
entihwundenen Zeit nicht als noch geltendes Recht, fondern höchftens als nach.
ahmenswürdiges Mufter aufftellte, etwa wie die Bäpfte Pippin zuriefen: Quid
aliud quam novum te dixerim Moysen et praefulgidum asseram David regem?
[Cod. Carol. ep. 11. p. 62 u. öfter]. Ein amderes Argument von Janus ift
ion oben ©. 127. N. 4 in Erwägung gezogen worden. Auch v. Döllinger,
Münchener Hift. Jahrbuch für 1865 ©. 326, erklärt fid) gegen die Annahme, daß
Pippin die um dieſe Zeit entflandene Schenkung Conftantins als Befigtitel vor-
gezeigt worden fei; dem toiderfpreche die auch nachher nod in Rom feftgehaftene
Veſchramung der Forderungen auf gewiffe Theile Italiens Seine eigene Aufe
faffung des Wortes Keftitution aber, ©. 326827 und 375876, jheint mir
nicht minder unzutreffend; fie ftütt fi) zum Theil auf das in dem älteren Aus-
jaben des Cod. Carol. oft wieberfehrende, durch Jaffé jedoch (. B. ep. 6. p. 35:
eato Petro sanctaeque Dei ecelesiae rei publice Romanorum, p. 86: beati
Petri sanctaeque Dei ecclesiae rei publice civitates) befeitigte et oder vel
greifen den Wörtern ecclesia und respublica Danad) wollte Pippin nicht
einen Kircheuſtaat gründen, jondern die eroberten Gebiete der alten national»
itafienijchen Nespublica zuräderftatten, deren autonomes Recht durch die byzan—
tiniſche Ujurpation nur faetiſch unterbrochen, nicht aufgehoben worden ſei; dem
Papft aber übergab er fie wie ein Depofttum, als dem Vertreter der Nespublica
im Gegenfage gegen Langobarden und Griechen. Ich kann nur finden, daß das
Papſtthum nad erfolgter Schenkung mit der römiſchen Respublica vollftändig
identifieirt wird; und wenn Döllinger die Päpfte als „Vormünder oder Erben“
Roms bezeichnet, jo dritt wohl das zweite Wort, aber nicht das erfte den wahren
Sachverhalt aus. — Auguftin Theiner, Codex diplomaticus dominii temporalis
S. Sedis I. II. (Rome 1861—1862), Preface p. VIL und p. I, bat eine Ab-
handlung sur Porigine du gouvernement temporel des Etats du $. Siege in
Ausficht geftellt, im welcher er den Nachweis führen will, que la donation de
Pepin doit se dire plus justement une restitution: c’est une donation en ce
sens seulement, que les Papes, impuissants ä defendre les &tats qu'ils
posstdaient, se firent mettre dans la possession l&gale de ces m&mes &tats.
%) Dai. ep. 7. p. 38: vos bento Petro pollieiti estis ejus justitiam exi-
gere et defensionem sanctae Dei ecclesiae procurare.
Die Pippiniſche Schenkung. 133
willen nad) Gallien gefommen. Darunter find die Angehörigen feiner
Diöcefe zu verftehn, und zwar nicht nur die Gemeinde Roms, fondern
zugleich die Gemeinden feiner Suffragane. Auch ihre Angelegenheiten,
„das Leben alfer Römer“, „das Volk des Römerſtaats“ Hatte Stephan
dem Frankenkönige übergeben. Wie Zacharias die Thüringer das Volk
des Bonifacius nennt, N wie er von einem Bolfe des Bifchofs von
Pavia fpricht, 2) in demfelben Sinne waren bie dahin die Bewohner
Roms und des römifchen Ducats das Volt des Papftes. Dieſer ift noch
feinestwegs der Souverän der Stadt. Er kann das ‚Heer ber Römer
wohl zu einem Unternehmen ermahnen, ®) ebenfo wie in einem anderen
. Falle den Herzog und das Heer von Neapel; aber e8 fteht nicht unter
feinem Befehle. *) Er übt auf die Angelegenheiten der Stadt einen
großen Einfluß aus, aber neben ihm vertritt ein Patricius, ein Dur
oder der Exarch von Ravenna die Majejtät des Kaifers, >) Wie gätte
auch Gregor II., wen er bereit8 Herrfcher von Rom geweſen wäre,
dem Kaiſer Leo um das Jahr 729 zurufen tönen, daß derjelbe ſich
in die kirchlichen Angelegenheiten ebenfo wenig einzumijchen Habe, als
er ſelbſt in die Geſchäſte der weltlichen Macht? ®) Aber wie ſchon
Leo I. die Römer bei Attila, wie Zacharias fie bei Liutprand ver-
treten und auf Bitten der Ravennaten ſich auch für fie bei demjelben
verwendet Hatte, ?) jo führte Stephan jetzt bei den Franken nicht nur
feine, fondern auch feines Volkes Sache. Pippin aber verfprad ihm
die Vertheidigung nicht nur der Heil. Kirche, fondern auch aller Römer
und des ganzen Landes. ®)
Der Fortjeger des Fredegar Hebt, mit präcifer Auffaffung der
Sachlage, diefes doppelte Ziel des Papſtes und feines Beſchützers fcharf
hervor. 9) Auf der einen Seite war der Befigftand des Papftthums,
auf der anderen die Freiheit und Sicherheit feines Volkes wieder her-
zuftellen. »
Ein ähnlicher Fall war es, als Liutprand ſich auf Bitten des
Zacharias entſchloß, 4 römifche Städte und mehrere Patrimonien,
) Jaff& Bibl. II. ep. 51. p. 148: De persecutione autem gentium, quae
in tuis plebibus facta est.
ed Zacharias an Biſchof Theodor von Pavia, Mansi XII. col. 355, Troya
m 63
9 "Vita Zachariae c. 5. p. 62: exhortatione sancti viri exereitus Romanus
in adjutorium regis egressus est.
*) Epist. Gregorii II. ad Leonem imperatorem, Jaffe Reg. pontif. Ro-
manorum n° 1674, Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 523: Nos inermes ac
audi, qui terrenos et carnales exercitus non habemus.
°) Vita Zach. p. 60. 61. 65. 68.
) ©. oben ©. 82. N. 8: pontifices a reipublicae negotiis abstinentes.
N). oben ©. 118.
®) Cod. Carol. ep. 22. p- 96: vos ... decertaturos fore ad defensionem
sanctae Dei ecclesiae et universi populi” Romani atque totius provintiae.
®) Fred. cont. c. 120: ad sedem apostolicam Romanam et rempublicam
hostiliter nunguam accederet.
134 Eapitel IX. 754.
welche von den Langobarden weggenommen waren, wieber herauszu⸗
geben. Aber während er die letzteren dem heiligen Petrus wieder-
erftattete, gab er die erfteren, ebenjo wie die Gefangenen, welde er in
feinem Gewahrſam hatte, durch die Perfon des Papftes an ben römi-
chen Ducat zurüd, mit welchem er auf 20 Jahre Frieden ſchloß. )
Anders war e8 jetzt: zwifchen dem fränfifhen König und Oftrom be»
ftand allem Anfchein nad ſchon feit fange fein Verkehr; Pippin, der fich
zu einem Kriegszuge über die Alpen anſchickte, konnte nicht gewillt fein,
diefe Opfer für die Wiederherſtellung des byzantinischen Befitftandes
zu bringen. Einem faiferlichen Gejandten, der ihn fpäter darum an-
ging, erklärte er geradezu,. daß er nur aus Liebe zum heil. Petrus und
um feiner menſchlichen Rücficht willen ſich wiederholt in den Kampf
begeben habe. 2)
Aus diefen Berhältnijfen ergiebt ſich das Weſen der Pippiniſchen
‚Schenkung. Das den Langobarden entrifiene Land follte in den Beſitz
und unter die Botmäßigfeit des Papftes fommen. Damit waren nicht
nur ſolche Gebiete gemeint, aus welchen die Langobarden erft durch einen
Sieg der Franken Hinausgedrängt wurden, jondern auch folche, welche fie
ſchon beim bloßen Herannahen des Feindes räumten oder aus gleichem
Grunde zu bedrohen aufhörten. Denn der fränkiſche Chronift fagt mit
Maren Worten, daß Aiftulf alles Kriegegeräth, da8 er gegen die
römifche Republik in Bewegung geſetzt Hatte, bei Ankunft der Franken
zu feiner Vertheidigung verwendete. °) So bildete denn die Stadt
Rom und der römiſche Ducat den Kern der Pippinifchen Schenkung.
Wenn Paul I. fpäter dem Könige berichtet, daß die Griechen einen
Angriff auf Rom und Ravenna beabfichtigten, fo bittet er um Schuß
für „diefe Provinz,“ wie er fich ausdrückt, „welche durch deinen Kampf
befreit und von dir zum Heile deiner Seele dem Heil. Petrus über-
geben worden ift.“ 4) Bon der Größe des Sieges aber und den Bedin⸗
gungen des Friedens hing. die Ausdehnung des neugegründeten päpft-
lichen Machtgebietes ab. °)
Darin alfo beftand das Zweite und Neue, was zur bloßen Ver⸗
theidigung der Kirche und zur Wiederherftellung ihres früheren Beſitzes
hinzufam : die Erhöhung der Kirche, ®) der Zuwachs zu ihrem Bejit-
') Vita Zachariae c. 9; vgl. auch c. 15. Dem Verfahren Pippins ent«
ſprecheuder ſcheint die Herausgabe von Sutri an Gregor. IL: facta donatione
beatiss. apostolis Petro et Paulo restituit atque donarit, Vita Gregorüi II. c.21.
NS. oben ©. 98. N. 2.
®) Fred. cont. c. 120: usque ad clusas veniens ... cum telis et machinis
et multo apparatu, quod nequiter contra rempublicam et sedem Romanam
apostolicam admiserat, nefarie nitebatur defendere; j. unten Cap. XII.
*) Cod. Carol. ep. 80. p. 118: haec provintia vestro certamine redempta
et a vobis beato Petro pro remedio animae vestrae concessa.
®) Die dilatatio hujus provintiae a vobis de manibus gentium ereptae:
Cod. Carol. ep. 18. p. 71.
*) ut per vos exaltetur ecelesia: ep. 6. p. 36; ad exaltationem sanctae
Dei ecelesine: ep. 7. p. 37 etc.
Die vippiniſche Schenkung. 135
thum. ) Das war das Brandopfer nach dem Ausdrucke bes Papftes
Hadrian, ?) welches Pippin dem Heil. Petrus darbrachte. Durch
diefe Vergrößerung des Beſitzthums follten die feit fo langer Zeit
verfümmerten Rechte der Kirche ihre volle Wiederherftellung finden. ®)
Daß es ſich dabei nur um die den Langobarden zu entreißende Beute
handelte, ergiebt fi auch daraus, daß die Gefangenen und die Geißeln,
welche Aiftulf weggeführt, ebenfalls ein Gegenftand der Donation waren.t)
Von einer fpeciellen Angabe der geſchenkten Ortſchaften Tonnte
nad) alledem aber vor dem Kriege unmöglich die Nede fein, da ja ber
Ausgang des Kampfes erft über das Maß der Schenkung entſcheiden
mußte. Als Karl der Große nad) faft vollbrachtem Siege im Jahre
774 in Rom erfchien und hier um volle Durchführung der Pippini»
Then Verfprehungen angegangen wurde, da fonnte er den Umfang ber
Schenkung, welche er dem Papfte zudachte, fehr „wohl im Einzelnen
bezeichnen. 5) Ganz anders war die Lage der Dinge im Frühjahr 754.
J augmentam: ep. 9. p. 49.
) holocaustum: ep. 98. p. 290.
*) Plenariam justitiam eidem Dei ecclaesiae tribuere digneris: ep. 11.
p. 63. 64; Defiderius nämlich spopondit justitiam sanctae Dei ecclaesise ...
plenius restituere, p. 65; ep.13. p. 71: perfecta sanctaeDei ecclesiae exaltatio ;
ep. 17. p. 81: —8 liberatio sanctae Dei ecclesiae et ejus peculiaris populi;
ep. 19. B 88: ampliata liberatio ecclesiae et istius a vobis redemptae provintiae.
+) Ep. 7. p. 41: velociter et sine ullo impedimento, quod beato Petro
promisistis per donationem vestram, civitates et loca atque omnes obsides
et captivos b. Petro reddite, vel omnia quae. ipsa donatio continet.
) Vita Hadriani c. 41: pontifex .... cum eodem rege se ad loquen-
dam conjungens, constanter eum deprecatus est ... ut promissionem illam,
quam ... Pippinus quidem rex et ipse praecell. Carolus cum suo germano
Carolomanno atque omnibus judicibus Francorum fecerunt .. . domno
Stephano juniori papae, quando in Franciam perrexit, pro concedendis diversis
eivitatibus ac territoriis istius Italiae provincige ... adimpleret in omnibus.
— Cap. 42: Cumque ipsam promissionem, quae in Francia in loco qui
vocatur Carisiaco facta est, sibi relegi fecisset, complacuit illi et ejus judi-
eibus omnia, quae ibidem erant adnexa, et propria voluntate, bono ac libenti
animo et aliam donationis promissionem ad instar anterioris . . . adscribi
jussit .... ubi concessit easdem civitates et territoria b. Petro easque
Praefato pontifici contradi spopondit per designatum confinium, sicut in
eadem donatione contineri monstratur: id est, a Lunis cum insula Corsica,
deinde in Suriano, deinde in monte Burdone, inde in Berceto, deinde in Parma,
deinde in Regio, et exinde in Mantus, atque in monte Silieis, simulque et uni-
versum exarchatum Ravennatium, sicut antiquitus erat, atque provincias Vene-
tiarum et Istriam, necnon cunctum ducatum Spoletinum seu Beneventanum. —
Cap. 43: Facta eadem donatione, propria sus manu ipge . . . eam corro-
borans, universos episcopos, abbates, duces et grafioges in ea adscribi fecit.
Diefe Donation Karls vom Jahre 774 ift, beiläufig bemerkt, grade in dem
legten Jahrzehnt auf das lebhafteſte Discutirt worden. Keineswegs von allen Seiten
wird den Worten ber Vita Hadriani, der einzigen Duelle für das Detail der
Schenkung, voller Glauben beigemeffen. So erflärt Gregorovius, Geſch. der
Stadt Rom im Mittelalter II. S. 397, die Schenkung für ein Märchen und
meint, ber Schreiber der Thaten Hadrians habe das Document, wenn er über-
Banpt eines mit Augen fah, entweder gefälſcht vorgefunden oder die darin ent-
haltenen Angaben felbft verändert; auch Niehues, Kaifertfum und Papftthum im
136 Enpitel IX. 754.
Damals mußten die Franken und ihr König ſich darauf bejchränten,
in unbeftimmter Weife für den Ball, daß ihnen der Sieg zu Theil
würde, dem Papfte fo viel, als fie dem Feinde entreigen würden,
zu dauerndem Beſitze zu verfpredhen. 1)
Mittelalter I. ©. 565, entſcheidet fich dafür, den Verfaſſer oder Herausgeber des
Buches der Päpfte des Irrthums oder der Fälſchung anzuklagen. Naqh rofta,
De donationibus a Pippino et Carolo Magno sedi apostolicae factis (Regi-
montii Pr. 1862), ift die Vita Hadriani, wofür der p. 34 sg. verfudite Beweis
mir freifich nicht gelungen fdeint, erft 30-40 Jahre mac) dem Tode des Papftes
geſchrieben und trägt vier verſchiedene Schenkungen Karls von 774—800 in Eine
zufammen. Sigurd Abel, der fowohl in der Abhandlung über Papft Hadrian I.
und die weltliche Herrſchaft des römiihen Stuhls, Forjhungen zur deuiſchen Ge-
ſchichte J. S. 459, als auch in den Jahrbüchern des fränkiſchen Reis unter Karl
dem Großen, I. ©. 181, an der Glaubwürdigkeit der Vita fefthält, unterſcheidet
doch, nad; dem Borgange Aelterer, wie der Kirhenhiftorifer Schrödh und
J. E. €. Schmidt, jowie Hald's (Donatio Caroli Magni, Hauniae 1836), zwiſchen
ſolchen Landſtrichen, welche Karl dem Papſte mit Hoheitsrechten überlafien, und
anderen, in denen er ihm nur die Patrimonien zugefichert habe (Forichungen
&. 471 ff., Iahrbüder ©. 132). Diefer ünterſcheibung jchlieht ſich and, Sidel
an, Acta II. p. 380—381, während Fider, Forſchungen zur Reichs und Redts-
geihichte Italiens II. (1869) S. 347. N. 2, fie kunſtlich und micht begründet
genug findet und, gleich Mod (De donatione a Carolo Magno sedi apostolicae
a. 774 oblata, Monasterii 1861), das Schenkungsverſprechen Karls auf den
vollen Umfang der genannten Tandfejaften bezieht. — Cine Schrift des Abbe
Dehaisnes, Dissertation eritique sur la donation promise par Charlemagne
au saint-siege en 774 (Arras 1862), ift mir noch nicht zu Geficht gefommen.
3) Ic finde dieg in den folgenden Worten Stephans, Cod. Carol. ep. 6.
Pp. 35, angedeutet: justitiam b. Petri, in quantum potuistis, exigere studuistis
et per donacionis paginam restituendum confirmavit bonitas vestra; denn
was heißt dag anders als Pippin habe verfprochen, das Recht Petri nad) Kräften
zu reſtituiren ?
Eine vorübergehende Annäherung an unfere Auffaſſung der Sache findet ſich
in den Worten Barmann’s, Politi der Päpfte I. ©. 289: „Zunädjft zwar wirb
jene Berfommfung in Kierfen fauın fo beftimmte Grenzen abgefiedt haben, wie
es ſchon einem Menfchenalter fpäter erfcheinen Konnte.“ Selbſt Abel, Untergang
des Langobardenreiches S. 38, räumt ein, die Worte im der Biographie Papit
Hadrians Tießen die Deutung zu, daß erft die zweite, von’ Karl im Jahre 774
nen ausgeftellte Urkunde die genaue Angabe der dem heil. Petrus geichenkten
Gebiete enthalte. Auch im den Forſchungen, I. S. 466, geht er davon aus, bafı
Bippin; da er mit den italijchen Angelegenheiten erft jeit kurzem in Berührung
gefommen, nur eine unvollfländige Kenniniß von ihmen haben konnte; bie Lifte
der in der Schenkung genannten Gebiete, fo {chfieft er daraus, habe gewiß nicht
Bippin, jondern der Papft aufgeftelft, und zwar 754 im fränkiſchen Reiche; nur
da habe es ihm gelingen können, dem Könige fo weitgehende Forderungen noch
als ausführbar darzuftellen und ihm dafür zu gewinnen; jobald danı SPippin
jelbft nad) Italien gefommen, ſei nur noch vom Cyardjat und der Pentapolis die
Rede; er habe ort durch eigne Einficht eine andere Anſchauung von den Bir-
hältniffen gewonnen und der Bapft, joviel man fehe, vorläufig nicht gewagt, mehr
ale das Erarchat und die Pentapolis zu verlangen. — So richtig mir Abel’s
Prämiſſe ericheint, jo wenig find es die daraus gezogenen Folgerungen. Die
Annahme einer jo plumpen Weberrumpelung Pippins und jeiner Großen, cine
derartige Vorftellung von „Zagen ber Finfterniß im damaligen Frankenreich, in
denen e8 bei dem vollftändigen Erlöſchen aller Studien aud nicht einen Man
in Pippins Kreife gegeben, deſſen Scharfblid die römiſchen Agenten zu jenen
Die Pippiniſche Schenkung. 137
Unfere Meinung ift alfo, daß die fpeciafifirte Schenkung Karls,
wie fie im 42. Capitel der Biographie Hadrians als Erneuerung der
Bippinifhen Donation bezeichnet wird, ſchon aus diefen allgemeinen
Gründen nicht den Inhalt der Urkunde von Quierzy gebildet Haben
fann. ) Der Wortlaut der Stelle zwingt keineswegs zu folder Aus-
fegung; ?) noch andere wefentliche Gründe aber fpredhen gegen bie
Annahme, daß in jener Orenzbeftimmung der Umfang der Bippinifchen
Schenkung zu erfennen fei.
Nah Beendigung des zweiten Krieges im Jahre 756 fah fi
Aiftulf nämlich zur Herausgabe eines großen Theiles des Exarchais ge-
zwungen; er trat benfelben an Pippin ab, und dieſer ftellte darüber
eine betaillirte Schenkungsurfunde aus, welche auf dem Grabe des
heil. Petrus niedergelegt wurde und fi zur Zeit, als der Biograph
gehabt hätten“ (Janus, Der Papit und das Concil S. 146), widerftreitet entſchieden
den wirklichen Berhältniffen jener Zeit.
!) In einem Briefe Hadrians vom Jahre 775, Cod. Carol. ep. 56. p. 186,
wird jener römifhen Scene de8 Jahres 774 gedadıt, und e8 werben da beide
Schenkungen ebenfalls in eimer Weiſe zufammengeftellt, die verleiten könnte, fie
für gleichlautend zu halten; e8 Heißt dafelbft: cuncta perficere et adimplere
dignemini, quae sanctae memoriae genitor vester, domnus Pippinus rex
b. Petro una vobiscum pollieitus, et postmodum tu ipse ... dum ad limina
apostolorum profectus es, ea ipsa spondens confirmasti eidemque Dei apostolo
praesentialiter manibus tuis eandem obtulisti promissionem. in ähnlicher
Sat findet fih ep. 77. a. 783. p. 284. Allein auch diefe Stellen vertragen
fich jehr wohl mit der Annahme, daß Pippin im feiner Donation nur unbe
ſtimmt und im Prineip die zw erhoffenden Abtretungen Aiftulfs dem Papſte
zugefagt habe. Im Jahre 775 ſchwebte überdies grade der Streit mit dem Exp
biichef_von Ravenna (vgl. Embolum de protervia Leonis archiepiscopi, dai.
p. 187), der mit nichts Geringerem umging, als ſich und das Erarchat vom
römischen Bifchof foszureißen; jene Erinnerung an Pippins verſprechen galt daher
janz unzweifelhaft nur der feit den Tagen Pippins und Stephans erworbenen
— über Ravenna. Ebenſo bezieht ſich ep. 77 nur auf einen Vorfall, der
fi} partibus Ravennae zugetragen. — Dagegen dient ein anderer Brief Habrians
zur Beftätigung unſerer Anfiht von den beiden Donationen, Cod. Carol. ep. 98.
p. 290: quaesumus vestram regalem potentiam, nullam novitatem in holo-
canstum, quod beato Petro ... genitor, vester optulit et vestra excellentia
amplius’ confirmavit, inponere satagat. Quia ... honor patrieiatus vestri
a nobis inrefragabiliter conservatur etiam et plus amplius honorificae honoratur,
simili modo ipsum patrieiatum beati Petri ... tama .... Pippini magni regis
genitoris vestri in seriptis in integro concessum et a vobis amplius confir-
matum, inrefragabili jure permanest. Zmeimal wird hier das, was Karl dem
heil. Petrus dargebracht, durch dns Wort amplius als eine Erweiterung der
Schenkungen Pippins bezeichnet.
) Daß Pippin eine promissio pro concedendis diversis civitatibus ac
territoriis gemacht, konnte bei einer allgemeinen und nur principiellen Faſſung
feiner Urkunde recht wohl gejagt werden; die Aufforderung, daß Karl diefes Ber-
ſprechen feines Vaters adimpleret in omnibus, nimmt auf die Fortichritte der
fränfifhen Eroberung jeit Pippins Tode Bezug. Der Sat, daß Karl easdem
eivitates et territoria concessit, wird durd) den folgenden, easque contradi
spopondit per designatum confinium, ins richtige Licht geſetzt; denn wenn es
von biefer Begrenzung heißt, sicut in eadem donatione contineri monstratur,
fo ift mit eadem donatione ebenjo wie im Anfange des Cap. 43 die Donation
138 Eapitel IX. 754.
Stephans fchrieb, noch im Archiv der Kirche befand. *) Wie hätte diefe
Gabe, die nicht einmal das ganze Exarchat umfaßte, ſich neben jener
vermeintlichen Schenkung vom Jahre 754 ausnehmen müffen, deren
Urkunde ja aud in Rom aufberahrt lag und von weldher das Exar—
Hat nur einen Bruchtheil ausmachte? Man Könnte einmwenden, im
Jahre 756 Hätte Pippin fein urfprüngliches Verfprechen eben nur
zum Theil verwirflicht; denn im Jahre 757 bittet Stephan ja um
die Bewilligung der noch fehlenden Städte des Exarchats, die, Dank
dem ausgebrochenen Thronftreit, der neue König der Langobarden
Defiderius gleichfalls herauszugeben bereit war. Aber gerade hier
vermiffen wir in den Briefen bes Papftes bezeichnenderweiſe jede An-
deutung, daß dieſe Städte eigentlich zur Schenkung von Quierzy ge-
hörten, vom Papfte daher mit allem Rechte beanfprucht wirrden. Der»
felbe führt vielmehr neue Argumente ind Feld; jene Städte und ihre
Gebiete, Ortihaften und Waldungen Hütten aud früher ſchon mit
den Befigungen des Papftes unter gemeinfamer Herrſchaft geftanden ;
Fulrad, der Tönigliche Bevollmächtigte, habe Gelegenheit gehabt, ſich
zu überzeugen, daß die Unterthanen des Papftes ohne jene Städte,
mit denen fie immer verbunden gewefen, gar nicht leben fönnten. ®)
Aus diefen, fo zu fagen volkswirthſchaftlichen, Gründen findet er die
Karls gemeint. Die Worte, complacuit illi et ejus judicibus omnia, quae
ibidem erant adnexa, können von der qualitativen Seite der Schenkung gemeint
fein, auf welche wir weiter unten zurüdfommen; ad instar endlich bezeichnet nur
die Aehnlichkeit, nicht die wörtliche Uebereinftimmung.
Mod, De donatione Caroli Magni, gelangt bei Prüfung des Wortlautes zu
gleichem Refultat und beftveitet daher ebenfalls die Foentität der beiden Schenkungen
von 754 und 774. Auch Niehues, I. ©. 565. N. 2, und Döllinger, Mündner
Jahrbuch für 1865 S. 327, unterfheiden diefelben auf das beftimmtefle. Ja,
felb Abel, Forihungen LS. 459—460, gie au, daß, obtohl der nächfte
Eindrud der Erzählung des Biographen Hadrians der fei, daß Karl die Schenkung
von Quierzy einfach beflätigt habe, eine genauere Betrachtung der Stelle nicht
notäwendig zu dieſem Ergebniß zu führen heine; die jabe über die Austellung
einer neuen Schenklungsurkunde laffe allerdings für die Vermutung Raum, daß
die neue Urkunde mit der erfien nicht völlig gleihlautend gewefen jei, und daß
die erfte die in der neuen Urkunde gi genane Aufzählung der einzelnen @e-
biete noch nicht enthalten habe. Sidel dagegen, Acta II. p. 381, findet nach
Hadrians Biographie die beiden Promiifionen einander gleich. Wait geht, der
Natur feines Werkes gemäß, auf eine Erörterung über ben Umfang ber verſprochenen
Gebiete überhaupt nicht ein (B®. III. ©. 81. N. 1); aus ähnlichem Grunde
läßt e8 Fider unentidjieden (a. a. D. 8. 846. ©. 829), ob die Schenkung von
774 bloße Wiederhofung oder zugleich Erweiterung der von Pippin 754 verfeißenen
Schenkung war. Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß Leo Marficanns (um 1100)
in dem confinium dev Vita Hadriani, das er wörtlich nachſchreibt, den Umfang
der Pippiniſchen Schenkung erfennt: Fecit [Pippinus) una cum filiis suis
promissionem et concessionem b. Petro ejusque vicario de civitatibus ac
territoriis Italiae per designatum confinium: a Lunis cum insula Corsica etc.
(Chron. mon. Casin. I. c. 8, Pertz SS. VII. p. 585).
') Vita Stephani II. c. 46: emisit in scriptis donationem, quae hactenus
in archivo sanctae nostrae ecclesiae recondita tenetur.
*) Cod. Carol. ep. 11. p. 63—64: omnia conspitiens satisfactus est,
quod nequaquam ipse populus [quem a manibus inimicorum redemisti} vivere
Die Pippinifce Schenkung. 139
Bewilligung jener Städte für die vollfommene Freude der Kirche und
für die vollftändige Freiheit und Sicherheit ihres Volles unerläßlich:
diefe aber habe Pippin dem heil. Petrus eidlich zugefagt.
So lange Defiderius fein Verfprechen wirklich erfüllen zu wollen
ichien, zeigten fi) die Päpfte auch volffommen befriedigt: ?) fie machten
feine weiteren Anfprüche geltend, zu denen die angebliche Schenkung
des Jahres 754 fie ja berechtigt haben würde; fie klagten erft dann
wieder, ald Deſiderius das gegebene Wort nicht haften wollte.
Es Laßt fi) auch im Einzelnen noch zeigen, daß der Inhalt
der Urkunde von 774 auf die frühere nicht zutrifft.
An keiner Stelle der an Pippin gerichteten päpftlichen Briefe,
noch aud) in den zahlreichen Documenten der langobardifchen Urfunden-
fammlung findet ſich eine Andentung, daß die Herzogthlimer Spoleto
und Benevent oder auch nur ein Theil derfelben unter die päpftliche
Botmäßigfeit gefommen fein. Ihre Fürſten find als Befiegte, wie
Aiſtulf und Defiderius felbft, in ein gewiſſes Abhängigkeitsverhältniß
zu den Sieger, dem Franfenfönige und dem Papft, getreten; aber
die Einverleibung der Landſchaften in den päpftlihen Staat ift nimmer
erfolgt. — Als ferner im Jahr 771 der Patriarch) von Iſtrien den
Papſt um Schuß gegen die Zangobarden anging, nahm er mit nichten
auf die Zugehörigkeit feines Landes zur Herrfchaft des päpſtlichen
Stuhles Bezug. Aber auch in der Antwort Stephans III. wird
einer zu Quierzy erfolgten Schenfung von Iſtrien und Venetien nicht
gedacht, vielmehr auf den Friedensvertrag mit den Langobarden Hin-
gewiefen, ?) in welchem ausgemachtermaßen, alſo nicht urkundlich nach⸗
weisbar, die Provinzen Iſtrien und Benetien mit enthalten geweſen
wären. In einem Briefe vom Jahre 808 endlich, den Leo III. an
Kaiſer Karl richtet, ift wohl von einer Schenkung Corficas die Rebe,
aber nur als einer Schenkung Karls, nicht auch feines Vaters. °)
Nachdem wir nunmehr den quantitativen Charakter der Pippinifchen
Schenkung feitgeftellt Haben, erübrigt noch, auch die qualitative Seite
de8 neuen Bejiges näher zu beleuchten.
Wenn der Papft bisher bei aller Ausdehnung feiner Patrimonien
doch immer nur ein reicher Grundherr gewejen war, übte er fortan
ssit extra eorum fines et territoria atque possessiones, absque civitatibus
Mis, que semper cum eis sub unius dominii ditione erant connexae.
*) Cod. Carol. ep. 11. p. 65: das werde bewirken, ut ecclesia secura
maneat usque in finem seculi; vgl. ep. 13. p. 69: omnium nostrum constant
procurata salutis remedia. ö
) Troya n° 946: in nostro pacto generali, quod inter Romanos, Francos
et Langobardos dignoseitur provenire, et ipsa vestra Istriarum provincia
constat esse confirmata et annexa simulque Venetiarum provincia. Wait,
86. III. ©. 582, bezweifelt die Echtheit der Urkunde.
”) Jaffe Bibl. IV. p. 310.
140 Capitel IX. 754,
über feine Untergebenen politifche Hoheitsrechte aus. Das Land befand
fih in feiner „Gewalt;“ *) Pippin ermahnt bie Römer zur feften
Treue gegen ihren Herrn: fie geloben diefe, da er fie Heilfam regiere. *)
In Streitigkeiten zwifchen den beiderfeitigen Unterthanen ordnet ber
Papſt am den Sangobardenfönig, um den Zwieſpalt auszugleichen,
feine Bevollmächtigten ab. °) Selbft von einem Eide der Treue ver-
lautet, den die gefammte Bevölkerung dem Papfte zu leiſten Hat; )
wer fich daher dem Papfte widerfegt, wird als Rebell bezeichnet. 5)
Das Heer der Römer °) fteht jegt unter päpftlihem Befehl: beim
Herannahen des Feindes ſchützt der Papft die Stadt, indem er aus
) Cod. Carol. ep. 37. p. 182: quod semel beato Petro obtulistis, nulla
deberet ratione ab ejus jure et potestate separari; vgl. ep. (Hadriani) 51.
p. 171 (a. 774): quae potestativae temporibus Langobardorum detinentes
ordinare ac disponere videbamur.
?) Cod. Carol. ep. 13. p. 70: Quia ipse noster est pater et obtimus
pastor; et pro nostra salute decertare cotidiae non cessat, fovens nos et
salubriter gubernans sicut revera rationales sibi a Deo commissas oves. — Die
Injeription diefes Schreibens, Pippino regi Francorum et patritio Romanorum
omnis senatus atquae universa populi generalitas a Deo servatae Romanae
urbis, gehört zu denjenigen Quellenangaben, in welchen Savigny (Geſchichte des
röm. Rechts im Pittelalter L S. 820) und Wilmans (Rom vom 5. bis zum
8. Jahrhundert, in Schmidt’s Zeitjcheift für Geichichtewiffenicaft IL. &. 197 ff.)
die Spuren einer wirklichen Eriftenz des römifgen Senats in jener Zeit erfamıt
haben. Hegel, Geichichte der Städteverfaffung in Stalien I. ©. 277 fi, hat dieſe
Meinung beſeitigt und namentlich durch den Hinweis auf eine andere Stelle des
Carol. (ep. 24. p. 101: salutant vos et cunctus procerum senatus atque
diversi populi congregatio) dargethan, daß Senatus mur der collective Ausdrud
für die Seniores, d. h. die weltlichen Vornehmen der Stadt war. Cine Parallele
wiſchen der Imfcription zu ep. 8. p. 43 und den Schlußtworten der ep. 24.
p- 101, die wir foeben zum Theil angeführt haben, beftätigt die Anficht Hegel’s.
Die ep. 24 nämlich, von Paul I. an Pippin gerichtet, fchließt mit den Worten:
Salutant [vos] cuncti sacerdotes et clerus istius .... Romanae ecclesiae, salu-
tant vos et cunctus procerum senatus atque diversi populi congregatio; bie
ep. 8 aber beginnt: Dominis excell. Pippino Carolo et Carlomanno ... Ste-
phanus papa et omnes episcopi presbiteri diacones seu duces cartularii
comites tribunentes et universus populus et exercitus Romanorum. Die
duces cartularii comites tribuni entſprechen alfo ganz genau dem cunctus pro-
cerum senatus. — Zur Erklärung der Tegtangeführten Worte populus et exer-
eitus Romanorum jei noch bemerkt, daß die Bürgerihaft Roms ſich in den
exereitus oder die militia, d. h. in bie zum Kriegebienft. heredhtigten milites, bie
fädtijche Miliz, und in den populus, d. i. vie geringere Maffe der übrigen cives
theilte (opt. Hegel 1. S. 250; Giefebrecht, Geichichte der deutichen Katferzeit I,
Anhang III: die ftädtifchen Verhäftniffe Roms im 10, Jahrhundert, 2. Auflage,
S. 846); daraus erflären ſich in den päpftlihen Briefen den auch Ausdrüde
wie cunctis generalibus exercitibus et populo Franciae, ep. 10. P. 56.
®) Ep. 20. p. 89.
“) Ep. (Hadriani) 56. p. 187 (a. 775): dirigentes ibidem nostrum
missum ... qui judices earundem civitatum [Imula atque Bononia] ad nos
deferre deberet et sacramenta in fide beati Petri et nostra atque excellentiae
vestrae a cuncto earum populo suseiperet.
®) Ep. (Hadr.) 51. p. 171 (a. 774 ex.): [Leo archiepiscopus Ravennatium
civitatis] rebellis beato Petro et nobis extitit.
®) Üeber ven populus et exereitus Romanorum j. die vorfiehende N. 2.
Die Pippiniſche Schenkung. 141
Tuscien und.Campanien, aus Perugia und ſelbſt aus der Pentapolis
Mannschaften zufammenzieht.") Stephan II. ift, wenn es nöthig
würde, entfchloffen, den König Defiderius gegen feinen Nebenbuhler
Rachis mit römiſchen Truppen zu unterftügen; %) ein anderes Mal
erläßt der Papft gegen den Herzog von Benevent ein Aufgebot feines
gefammten Heeres. ?) Nur an einer Flotte fehlt es ihm, 4) und er
muß für die Küftenftädte daher fremden Schug in Anfpruc nehmen.
Die Beamten werben vom Papfte eingefegt: fo wird von Hadrian
Theodor „unjer Herzog” genannt, °) ebenfo bezeichnet er zwei andere
Herzoge als feine „Getreuen ;“ ©) die weltlichen und geiftlihen Wirden-
träger bilden einen großen ‘Theil der päpftlihen „Optimaten,“ ?) mit
‘) Vita Hadriani c. 24.
3) Vita Stephani IT. c. 50.
*) Cod. Carol. ep. (Hadriani) 62. p. 203 (a. 778): disposuimus ... una
cum vestra potentia generalem nostrum exercitum illuc dirigere.
*) Daj. ep. 64. p. 206: nos nec navigia habemus nec nautas, qui eos
[die geiejifgjen SHlavenhändler] comprehendere potuissent.
') Ep. 61. p. 200 (778): direximus ... Theodorum ducem nostrum.
®) Ep.98.p. 275: Constantinus seu Paulus duces, nostri vestrique fideles.
Ep. 12. p. 68: una cum nostris obtimatibus aptum prospeximus etc.
Außer dem Beamtenadel aber gehörten zu biefen Optimaten gewiß auch alle vor-
nehmen Perfonen überhaupt, insbefondere die reihen Grundbefiger; vgl. Hegel,
Städteverfaffung von Stalien I. S. 249. Die päpftlichen Beamten unterjchieden
ſich nad ihrem weltlichen und geiſtlichen Stande in optimates militiae und
primates oder proceres ecclesiae, aud) judices de militia und judices de clero
genannt. Die erfteren, die mit ihrem militärifchen Amte auch vichterliche umd
abminifteative Thätigfeit verbanden, hiefen duces, cartulari, comites, tribuni,
consules; fie ftanden dem Range nad unter den geiftlichen Beamten, wie dieſe
wiederum bei officielfer Aufzählung erft auf die höhere Geiftficheit, die episcopi
und presbyteri, auch Turveg sacerdotes genannt, zu folgen pflegten. Deun
jene geiftlihen Hof- und Stantsbeamten waren in der Regel nur Kleriker niederer
Grade, häufig Subdiacone, ohne Priefterweihe. Zu ihnen gehörten: 1) die Scholae
oder Genofjenidjaften der Notarii und Defenforen, denen bejonders die Vermaltung
der päpftlichen Patrimonien anvertraut war und an deren Spitze je fieben Regionarti
(nad) den fieben kirchlichen Regionen der Stabt Rom) ftanden; 2) die ſpäter
fogenannten fieben judices palatini, die erften Minifter des Papftes: der Primi«
cerius (Erzlanzler oder Staatsfecretär), der Secundicerins (zweiter Kanzler oder
Unterftaatsjecretär), der Arcarius (Kaſſirer), der Sacellarius (Zahlmeifter), der
Protojeriniarius (Ranzleivorfteher), ver Primus Defenfor (oberfter Rechtsanwalt)
und der Abminiculator oder Nomenculator (dev Anwalt der Waifen, Wittwen,
Bedrängten und Gefangenen); endlich, 3) noch der Veſtararius (Prior Veſtiarii,
eigentlich) Garderobemeifter), der Cubicularius oder Superifta (Oberfammerkerr),
der Bicebominus (Haushofmeifter), der Bibliothefarius. Als einen vein ftäbtijchen
Beamten lernen wir aus dem Regiftrum von Subiaco (3. B. Troya n° 802) den
Magister census urbis Romae fennen, der nad; der Meinung Galletti’s, del
Primicero p. 182. n. 2, mit der Buchführung über die Communalabgaben der
Römer betraut war. — In einer Gefdjichte der Entftehung des Kirchenftantes ſchien
«8 uns, zumal wir in unjeren Erzählungen mehrfach bald den einen, bald den an⸗
deren der päpftlichen Würdenträger anzuführen veranlaft find, am Plate, nad) An-
feitung der ausführlicheren Darftellungen, welche Wilmans (in der vorerwähnten
Abhandlung), Hegel a. a. D. ©. 238 ff., Gieſebrecht a. a. D. ©. 845 fj., Gre:
gorovius a. a. D. ©. 461 ff. dem Gegenftande gewidmet haben, eine gedrängte
Üeberficht der römiſchen Amtsariftofratie jener Zeiten zu geben.
erh
denen Paul I. ſich, wie ein König mit feinen Großen, beräth. Wie
die Beamten in Rom, werden auch die der Provinz vom Papfte
ernannt; es find bie den fränkiſchen Agentes vergleichbaren Actores,
welche von Rom aus über die verjdiedenen Städte des päpftlihen
Gebietes gefetgt werden und fi) von dort ihre Weifungen zu holen
haben. *) In dem Streite mit dem Erzbiſchof von Ravenna bean-
fprucht Hadrian für die Beamten, melde biefer einfegt, wenigſtens
das Beftätigungsredt; ) durch diefen Streit findet fi Hadrian über-
haupt mehrfach veranlaßt, auf die feit Stephan IL beftehenden. Ein-
richtungen zurüdzufommen. So erfahren wir u. A., daß diejer zwei
Nichter in Ravenna eingefegt hatte, einen Priefter und einen Herzog,
welchen das Recht und die Gerechtigkeit dafelbft zu ſchützen oblag. °)
Denn die Ausübung der Gerichtsbarkeit gehörte zu den weient-
lichſten Hoheitsrechten des Papftes. Er Täßt z. B. Sklavenhändler,
welche in jeinen Häfen ergriffen werden, ins Gefängniß werfen: 4)
Zacharias Hatte in einem ähnlichen Falle den venetiichen Händlern
den Kaufpreis zurücerftattet und ſammtlichen Sklaven damit die Freiheit
gerettet. 5) Zwei Beamte, welche zu Karl geflüchtet waren, erbittet
Hadrian fi), damit fie nad) Gebühr beftraft würden, von dieſem
zuräd, 6) Einen befonders deutlichen Beleg für die Gerichtshoheit
des Papites bietet die Urkunde des Kloſters Farfa vom 22. April 772.7)
Bapft Hadrian fagt darin: viele frevelhafte Menjchen feines römiſchen
Staats?) Hätten, durch Diebftahl und amdere verfehrte Handlungen, |
dem Klofter mannigfachen Schaden zugefügt; da nun der Abt defielben, |
Probatus, öfter um Abhilfe gebeten, der Papft aber wegen überhäufter
142 Eapitel IX. 754.
1) Ep. Bl. p. 172 (a. 774 ex.): Etenim ipse noster praedecessor [Ste-
phan II.) cunctas actiones ejusdem exarchatus [Ravennantium] ad peragendum
digtribuebat; et omnes actores ab hac Romana urbe praecepta earundem
actionum aceipiebant. Dies ift der technifche Ausdrud: accipere oder suscipere
praecepta actionum de civitatibus (p. 188) ober praecepta de accionibus,
praecepta de eivitatibus (p. 184); die Thätigeit der Beamten wird als actum
agere bezeichnet (p. 188); für ihre Einfegung dienen Ausdrüde, wie actores con-
stituere ober ordinare (p. 171. 184), praeceptum eivitatis alicui tribuere (p. 188).
) Ep. 55.p. 184 (a. 775) ; er beklagt fich nämlich : nullum hominem ex eisdem
eivitatibus [Imula et Bononia] ad nos venire permisit, sed ipse ibidem actores,
quos voluit, sine nostra auctoritate ordinavit et in sua eos detinet potestate.
®) Ep. 51. p. 172: Nam et judices ad faciendas justitias omnibus vim
tientibus in eadem Ravennantium urbe residendum ab hac Romana urbe
Airexit, Philippum videlicet illo in tempore presbiterum [gu Hadrians Zeit
Biſchof] simulque et Eustachium quondam ducem.
*) Ep. 64. p. 206: naves Grecorum gentis in portu civitatis nostrae
Centumeellensium comburi fecimus et ipsos Grecos in carcere per multa
tempora detinuimus.
®) Vita Zachariae c. 22,
%) Cod. Carol. ep. 77. p. 238; fie feien sine nostra scientia zu Karl
geflohen, freti existentes, eo quod nos talia iniqua tetra atque perversa
operatione minimae illos in christiano populo peragere sinissemus.
? Troya ne 908.
plures ac diversi nefarii homines nostrae Romanorum reipublicas,
Die Pippiniſche Schenkung. 143
Gefhäfte ſich damit nicht fogleich befaffen können, fo habe er fich jetzt in
Miccio, dem Notarius Negionarius und Prior Veftiarii, einen Stell-
vertreter erwählt, der ſich eigens mit den Beſchwerden des Kloſters
befchäftigen ſolle. Auch alle Nachfolger dejjelben erhalten den Auftrag,
den Klagen des Klofters fortan gerecht zu werden, jeden päpftlichen
Unterthan, fei er aus Rom felbft oder den übrigen römijchen Städten,
wegen eines Frevels gegen das Kloſter im Namen des Papftes zur
Strafe zu ziehn, ) einen Freien ſowohl wie einen Sklaven, eine
kirchliche Perſon nicht minder als einen Kriegsmann.
Ganz ohne Analogie im damaligen Staatenleben war diefe Stellung
des römifchen Biſchofs nicht; man wird mehrfach an die Immunitäts-
rechte erinnert, welche die fränkiſchen Könige fo Häufig den Biſchöfen
und Aebten ihres Reiches ertheilten. %) Denn auch folde mit Immu⸗
nität ausgeftattete Befigungen nahmen nach und nach den Charakter
felbftändiger, von dem übrigen Körper des Reiche abgejonderter Gebiete
und Herrſchaften an. ®)
Andererfeits befaß auch der Papft nicht die volle Sonveränetät
in feinem Lande.
Wir werden es nicht als weientliche Einſchränkung derſelben be⸗
trachten, daß in den Schriftſtucken der Päpfte, auch ſelbſt in den Privat-
urfunden ihrer Unterthanen, noch immer nach den Regierungsjahren
der griechiſchen Kaifer gerechnet wird; *) denn es Täßt ſich darin doc
nur die wefenlofe Fortdauer einer Formalität erkenuen, welcher Hadrian
Tchlieglich ohne äußeren Anlaß ein Ende macht, nachdem er ſich ihrer
zulegt am 22. April 772 in der oben angeführten Urkunde für Farfa
bedient hat. Wenn daher von einem ortbeftehen der kaiſerlichen Ober⸗
Hoheit nicht geredet werden fann, fo greift dagegen das fränfifche König.
thum tief in die Verhäftniffe des päpftlihen Staates ein. Schon die
Miebergabe der neuen Gebiete von Seiten der Langobarden erfolgte
bezeichnend genug an den Sranfenfönig, und erft diefer übertrug fie
dann dem Papfte, °) Der päpftliche Staat, wie er von den Franken
1) licentiem habeant potestative distinguendi [fies: distringendi] tam *
ecclesiasticam personam quamque ex militia existentem vel etiam famulum
ecelesiae aut servum cujusquam, sive ex civitate Romana seu de diversis
ceteris locis et civitatibus istius nostrae Romanorum reipublicae.
) Die aM eines ganzen Stadtgebietes am ben bajelbft ‚efibivenden
are, findet fi, Hreifi er unter ben fpäteren Rarolingern; |. Wait, BG. IV.
©. 273. Wenn daher Karl der Kahle nach dem Vorgange eines Königs Pippin
die dag von ganz Narbonne an das dortige Bisthum überträgt (Histoire de
. Preuves n° 62. col. 81, Urkunde Karls des Kahlen vom Jahre
843: Similiter concedimus eidem ecelesiae, sicut hactenus a predecessoribus
nogtris, Pipino videlicet rege et deinceps, concessum est illi, medietatem
totius eivitatis cum turribus et adjacentiis earum), fo if hier Pippin von
Aquitanien gemeint; vgl. Sickel L. 35* gegen Troya n° 730.
> — W. ©. 270-271.
“) Stephan II.: Jaf6 Regesta pontif. Rom. n° 1782--1784; Paul I.:
n° 1799. 1809; Hadrian: n° 1837. Privaturkunden: Troya n° 802. 874.
5) Vita Steph. II. c. 47; vgl. Cod. Carol, ep. 17. p. 80: eas [civitates]
144 Capitel IX. 754.
gegründet war, bedurfte auch des fortwährenden Schutes derfelber,
wenn er unverletzt bfeiben follte; 1) die Dertheidigung und Hülfe
gegen fünftige Angriffe gehörte zu den Verfprecjungen, welche Pippin
dem Papfte gegeben hatte.) Jedes Schugverhältniß diefer Art aber
begründet ein Schugredt und eine Schugherrfchaft, auch wenn darüber
feine beftimmt formulirten Berabredungen getroffen find. Der Papft
und fein Volk ernenern zu wiederholten Malen dem Könige und den
Franken das Gelübde der Anhänglicfeit und der Treue. ®) Die
Römer erklären fich bereit für den König ihr Blut zu vergießen; 4)
in der Liebe zu ihm wollen fie leben und fterben; 5) der Papft nennt
feine eignen Getreuen zugleich die Getreuen des Königs, ®) und es
ſcheint faft, als ob der Treueid der päpftlihen Unterthanen zugleich auch
dem fränfifchen Könige geleiftet worden fei.”) Die Römer betrachten
ſich ale Brüder der Franken, freilich vorzugsweife in dem Sinne, daß
Beide das Volk des Eigenthumes Petri find; ®) aber e8 macht doch
auch den Eindrud, als fühlten fie fih mit ihnen zu einer politiſchen
Gemeinfhaft vereinigt, in welcher Pippin und feine Söhne zugleich
die Rinige der Provinz der Franken und ihre (der Römer) Patricier
find, ?) .
Denn in dem Patriciatus Romanorum, welcher den fränfifchen
Königen im Jahre 754 übertragen wurde, 1%) Tag der Begriff der
Herrfchaft; nur in dieſem Sinne nennt der Papft auch einmal feine
eigene Stellung ein Patriciat. *!) Wenn fonft in römiſchen Kaifer-
veiche der Titel Patricius ein fehr verbreiteter war und jedem hoch—
.. . excellentissime christianitati tuae et per te etiam beato Petro ... pollicitus
est redditurum; ep. 7. p. 89: b. Petro per vestros missos restituenda promisit.
2) ®gt. Cod. Carol. ep. 94. p. 277: ut ... nostra territoria per vestram
regalem tuitionem intacta permaneant.
®) Daj. ep. 29. p. 109: nullum sit inpedimentum vobis defensionem
atque auxilium sanctae Dei ecclesiae vel ejus peculiaris populi inpertiendi,
juxta id quod heato Petro apostolo per beatae memoriae praedecessorem
domino ac germano nostro [Stephano II.] ... pollicentes spopondistis.
#) Daf. ep. 12. 21. 22. 34. 87. 42, p. 68. 92. 96. 120. 181. 142. Die
Ausdrüde find: fides, caritas, dilectio, caritatis dilectio, amoris constantia,
puritas, In der sincera fidelitas Conftantins, ep. 45. p. 158, läßt fich wohl
faum eine Steigerung erfennen, wie Waig, BG. II. ©. 82. N. 3, meint.
*) Daf. ep. 12. 46. p. 68. 187.
®) Ep. 22. p. 96: una nobis erit in vestro amore vita ac mors. '
®) 3. 8. ep. 93. p. 275: nostros vestrosque fideles.
S. oben S. 140. N. 3.
) peculiaris populus S. Petri. gl. Deuteron. 7, 6; 14, 2; 26, 18.
®) Ep. 8. p. 43: Dominis ... Pippino Carolo et Carlomanno tribus
regibus et nostris Romanorum patriciis, seu omnibus episcopis abbatibus
presbiteris et monachis, seu gloriosis ducibus comitibus vel cuncto exercitui
regni et provincie Francorum.
!0) Clausula, Mabill. de re diplom. p. 884: Pippinus ... per manus ...
Stephani pontificis ... in regem et patrieium una cum ... filis Carolo et
Carolomanno ... unctus et benedietus est; vgl. die Adreſſe in Cod, Carol.,
ep. 6 sg.
) Ep. 98. p. 290; ſ. oben ©. 187. N. 1.
Die vippiniſche Schenkung. 145
geftellten Stantsbeamten zur Auszeichnung gegeben wurbe, wie benn
aud) Gregor II. ſchon im Jahre 724 Karl Martell, den „Subregulus“
Gregors IIL,?) fo nennt, 2) fo war dagegen der „Patricius der Römer“
ſchon nach der Anſchauungsweiſe des Fredegar ?) der eigentliche Be—
herrſcher des Erarchats, der Vertreter und Träger des Imperiums in
Stalien; eine ähnliche Bedeutung hatte daher jet auch das Patriciat
Bippins und feiner Söhne. *) Der Papft Hält es für feine Pflicht,
dem Könige über alle Vorfälle in feinem Staaie Bericht zu erftatten; °)
er freut ji, daß Pippin aud aus eigenem Antrieb über die Angele—
genheiten Ztaliens bei ihm anfragt.“) Bei eintretenden Irrungen mit
Defiderius wird die Vermittelung Töniglicher Gefandten angerufen,
und in ihrer Gegenwart findet der Ausgleich ftatt; ) ja, der Papſt
erbittet und erhält fogar eine ftehende fränkifche Gefandtfchaft an feinem
Hofe. ®) Er ift alfezeit bereit, dem Willen des Königs zu gehorden; °)
ihm gelten die Wünfche Pippins wie feine eigenen. 1%)
) Ep. 1. 2. p. 14. 15. Weber ben Ausdruck subregulus vgl. zu Seig
36. I. ©. 628. R 3, befonders noch Gregor. Turon. hist, eccl. Fr. lib. IL c.
) ©. oben ©. 56. N. 1: Carolo excellentissimo filio nostro patricio .
seripsimus. Dasſelbe Wort, offenbar als fräntiger 9 Antstitel, wie er unter den
Merowingern mehrfach vorkommt (vgl. Waig, BE. IL S. 341; Veltman, De
Karoli Martelli patrieiatu, Monasterii 1863, p. 19 sq.), findet fi} für Karl
Martell auch in der, übrigens unvollftändigen, Datirungszeile einer Weißenburger
Mkunte, Zeuss traditiones possessionesque Wizenburgenses n° 247: anno —
. thedericus regis et Carolo patricio majorem domus palatio regis.
Das Sid Patrieiat wurde ihm befanntlich erft 741 von Gregor III. angetragen.
®) Fredegarii Chron. c. 69.
Aehnlich urtheilte ſchon Karl Fr. Pudor, De patriciis medii aevi,
Lipsiae 1758 4°, p. 20 sg. Much Hegel, ital, Städteverfaffung I. S 209, und
Baig, BG. IIL ©. 80, jehen in der Würde eine Art ſtaithalteriſcher Befugniß,
natürlich ohme die früher damit verbundene Beziehung zum oſtrömiſchen Kaifer.
Döllinger, Mündener Jahrbuch ©. 319 ff., Hält das Patriciat zwar nur für
eine Schirmvogtei ohne vegierende oder richterliche Gewalt, erkennt jedoch zugleich
an, daß der Papft in allen politifchen und militärii—hen Dingen fi dem Willen
und den Anordnungen des Königs beugen mußte Barmann, Die Politit der
Papſte I. ©. 242, will in der Uebertragung des alten Titels römiſcher Großen
einestheils mit Dölinger die Verpflihtung zu Schutz und Eruts wider alle Feinde
Roms, anderntheils aber auch eine Erhöhung der einheimifchen Königswürde finden.
'od. Carol. ep. 81. p. 113—114: christianitati vestrae ... sicut
nostro post Deum liberatori ea, quae superveniunt vel aguntur in his partibus,
guantotius significare nostri est procurandum.
®) Daf. ep. 29. p. 109: Nam et de hge ... gratias Deo omnipotenti
et vestrae excellentiae referimus, quia ... eclesiam Dei et populum vestra
excellentia visitare non piget. Aefnlich ep. 22. p. 96: innotuistis, ob hoc
vos praesentes direxisge missos, ut agnoscere per eos valuissetis etc.
”) Ep. 20. p. 89: in praesentia missuum vestrorum constitit cum Desi-
derio Tangoh lorum rege; vgl. ep. 34. p. 120—121.
—3 Ep. 20. 80. 32. 34. 37. p. 90. 112. 116. 120. 138.
DJ ER. 42. p. 142: vestris obtemperantes voluntatibus; daj. p. 143:
extra vestram voluntatem nequaquam quippiam agere volumus; sed “ vestra
fuerit voluntas, de omnibus agere studemus.
*) Ep. 21. p. 94: omnia, quae vobis placita sunt, et nobis omnino
congrua et prospera esse videntur.
Zahrb. d. di. Cefh. Delöner, adnig Pippin. 10
146 Eapitel IX. 754.
Wenn fo der Bapft ſich namentlich in feiner äußeren Politik bereit-
willig dem Könige unterordnet, fo thut er e8 dagegen nur mit Wider»
ftreben, wo es fih um eine Einmifchung in die Beziehungen zu feinen
Unterthanen, alfo um Eingriffe in die eigentliche Herricherthätigfeit han⸗
beit. Aus den Jahren Pippins Liegen hierüber allerdings feine Nad)
richten vor; um fo bemerfenswerther find jedoch einige Verwicklungen
zwifchen Karl und Hadrian feit dem Sturze des Langobardenreichs. Es
ift, als ob der Papft, nach Befeitigung feines bisherigen Nebenbuhlers,
die neue Nachbatjchaft mit ebenfo wachſamen Augen beobachten und feine
Stellung ihr gegenüber ebenfo eiferfüchtig hüten zu müffen geglaubt hätte.
Er verwahrt ſich gegen die Anmefenheit eines Königlichen Vertreters
bei der Biſchofswahl in Ravenna; ?) er beflagt fid darüber, daß Karl
gegen einen päpftlichen Gefandten an feinem Hofe, der ſich Ungebühr-
liches hat zu Schulden kommen laſſen, felbft einfchreitet und ihn nicht
vielmehr dem Papfte zur Beftrafung überantwortet, 2) Sehr bezeichnend
ift die Correfpondenz über die Frage, ob päpftlie Unterthanen in
ihren Nechtsftreitigkeiten vom Urtheile des Papftes an den König appel-
liren dürften. - Hadrian bittet Karl, fie unter allen Umftänden abzu-
weiſen, wenn er nicht felbft ihnen die Reife erlaubt hätte. Karl meint,
wie feinen eigenen Unterthanen die Reife nach Rom geftattet fei, jo
müßten auch die Römer. zu ihm kommen und ihr Recht juchen dürfen.
Der Papft bleibt dabei, daß fie dazu feiner Genehmigung bedürften
und daß Karl fie zur Unterwerfung unter die päpftlichen Weiſungen
auffordern, ihnen fagen follte, daß er fie der Botmäßigfeit des. heil,
Petrus niemals entziehen werbe; wie er felbft das Lönigliche Patriciat in
Ehren halte, fo müffe auch das Patriciat Petri bejtehen bleiben. °)
Es ift befannt, daß Karl im Jahre 800 in Rom erſchien, um die
gegen Papft Leo III. erhobenen Beſchuldigungen zu unterſuchen. Der
Papſt fieht ſich genöthigt, vor dem Könige den Reinigungseid zu leiften;
aber er behauptet, dies ungezwungen und aus freiem Willen zu tun,
und ohne daß für feine Nachfolger damit eine Präjudiz gegeben fei. +)
Nach feiner Kaiferkrönung hat Karl der Große noch entfchiedener in
die päpftlichen. Angelegenheiten eingegriffen. Darin beftand ja feine
}) Ep. 88. p. 266; er conſtatirt p. 267, neque a sanctae recordationis
precellentissimi genitoris vestri domni Pippini magni regis, neque a vestra
in triumphis regali victoria missum ad electionem Ravenne directum esse.
) Ep. 58. p. 178: zeque ab ipsis mundi exordiis cognoseitur eve-
nisse, ut missum ... beati Petri magnus vel parvus a quacunque gente
detentus fuisset. Sed jubeat nobis eum vestra sollicitudo dirigere; et
severissimae eos sciscitantes, juxta noxam ei repertam eum corripiemus,
®) Ep. 98. p. 289291, befonders p. 290: quaesumus vestram regalem
potentiam, nullam novitatem in holocaustum, quod beato Petro sanctae
recordationis genitor vester optulit et —J excellentia amplius confirmavit,
inponere satagat ete.; j. oben ©. 137. N.
“) Jafi6 Bibl. IV. p. 878—379: Et oe. . mea spontanea voluntate
facio, non quasi ... ego hanc consuetudinem aut decretum in sancta ecelesia
successoribus meis . . . inponam.
1
Die Pippiniſche Schenkung. 147
Größe, daß fein Blick und fein Arm überalihin reichten. Seine Nach-
folger aber glichen ihm darin keineswegs, und fo konnte dann ber
nimmer erfchlaffende Geift der Päpfte zu immer größerer und größerer
Selbftändigfeit gelangen. !)
Obwohl in den von Pippin neugeftalteten italiſchen Verhält⸗
niflen daher dem fränfifchen Patriciat noch ein bedeutender Raum
vorbehalten war, fo lag in diefer Neubildung doch der Keim ber
päpftlihen Souveränetät: das römiſche Bisthum war zur sancta
Dei ecclesia reipublicae Romanorum geworden, der Kirchenſtaat
war gegründet.
%) Inwiefern unſerer Meinung nad; aud) das fragmentum Fantuzzianum
diefem Zmede dienen follte, darüber ſ. unten Egcurs VIIL
Behntes Gapitel.
Papft Stephan II. in Gallien.
754.
König Pippin Hatte unmittelbar nad) der Ankunft des Papftes
durch eine Gefandtihaft an Aiftulf den fehwebenden Streit friedlich
beizufegen verſucht. Ais dann am 1. März 754 die Franken fih in
gewohnter Weife zufammenfanden — Pippin hatte fie diesmal nach
Braisne berufen *) —, konnte der ablehnende Beſcheid des Lango-
bardenfönigs bereit8 dem Volke Tundgegeben werden ; denn ſchon waren
die Gefandten unverrichteter Dinge zurückgekehrt. Erſt jegt, wo eine
ernfte Wendung mit Beftimmtheit vorauszufehen war, fhritt man zu
den Beichlüffen von Quierzy, welde wir im vorftehenden Kapitel näher
zu charakteriſiren verfucht haben.
Noch an einem dritten Orte finden wir den König in jenen
Tagen, da Stephan IT. als fein Gaft in Gallien weilte. In dem
Palaſt zu DVerberie?) nämlich erfolgte die ſchon früher®) erwähnte
Reftitution der im Parifer Gau gelegenen Billa Taberniacum an
©. Denys.“) Durd einen vornehmen Mann, Namens Guntaldus,
vor vielen Jahren dem Klofter zu vollem Eigenthum gefchenkt, war
das Gut erft auf die Fürfprache des Hausmaiers Ebroin, ſpäter auf
die des Königs Childebert II. und des Hausmaiers Grimoald, an
Hohannes, Frodoinus und Geruntus als Precarie verliehen worden;
‚‘) Fred. cont. c. 120: Bernaco villa publica; Dep. Aisne, nicht weit von
Soiffons.
?) Dep. Dife, Arc. Senlis.
°) ©. oben ©. 8,
*) Sickel P. 9: das vielerörterte Beifpiel einer precaria verbo regis aus
merowingiſcher Zeit; vgl. Roth, BW. ©. 817. N. 2, Feubalität ©. 76; Waitz,
Bojallität ©. 69, 36. II. ©. 15. N. 2; Sickel P. 9*.
Bapft Stephan IL. in Gallien. 149
im Laufe der Zeit aber war das Beſitzrecht von S. Denys ganz in
Vergeſſenheit gerathen, die Billa galt als Fiscalgut und befand ſich als
Beneficium Pippins in den Händen feines Vaſallen Teutbertus. Als
daher Fufrad jegt, unter Vorlegung der fehriftlichen Beweisftüde, das
Eigenthum des Kloſters reclamirte, that der König dem mwohlbegrün-
deten Rechtsanfprud) fofort Genüge, 4) Dem darüber ausgeftellten
Diplome fehlt im Datum zwar die Monats- umd Tagesangabe, und
wir erfahren nur, daß es im dritten Negierungsjahre Pippins erlaffen
iſt; gleichwohl gefchah der Akt ohne Zweifel nod während der An-
weſenheit des Papftes in Gallien, da Fulrad, der diefen zurüdgefeitete,
erft im Laufe des folgenden Jahres, wie wir fehen werden, aus
Ilalien Heimtehrte.
In ©. Denys alfo, in Braisne, in Quierzy, in Verberie, zu⸗
Tegt wieder in ©. Denys begegnen wir dem Könige in diefer erften
Hälfte des Jahres 754, die durd) die Anwefenheit des Papſtes in
Frankreich ausgezeichnet war; und wir dürfen wohl annehmen, daß
in jenen Gegenden nördlich von Paris, welche heute die Departements
Aisne und Dife bilden, das politische Leben damals ftärfer pulſirte
als in irgend einem andern Theile des großen Reiche. .
Ob der Papft diefen wechſelnden Aufenthalt des Königs ftets
teilte oder vielmehr fortdauernd in S. Denys blieb? Wir würden
diefe Frage im letzteren Sinne beantworten, wenn nicht wenigftens
fein Verweilen in Quierzy außer Zweifel ftünde. Den dort gepflogenen
Verhandlungen zwar, welche zu der Pippinifchen Schenkung führten,
wohnte er, wenn den Worten feines Biographen zu glauben ift, nicht
bei, 3) obwohl nicht abzufehen, warum der König auf den Eindrud,
der don ber Perfönlichkeit des Papſtes in der Verfammlung zu er-
warten ftand, verzichtet haben follte. Ein Aktenftüd Stephans jedoch,
welches zu Quierzy abgefaßt und und erhalten ift, beweift unumftößlich,
daß derſelbe ſich dort aufgehalten. ®) Das Schreiben zeugt zugleich, von
dem hohen Intereſſe, welches die Anwefenheit des Papftes im Lande
erregte. Man befchränfte fic nicht darauf, das ungewöhnliche Ereigniß
fast in ſämmtlichen Annalen zu verzeichnen, in Baiern fogar einmal
als Zeitbeftimmung einer Urkunde zu verwenden, *) fondern man be—
nußte die Gegenwart des angefehenen Kirchenoberhauptes, um manche
ragen, welche die Zeit bewegten, feiner Entfcheidung zu unterbreiten.
In jenem Schreiben nämlich erörterte er 19 kirchenrechtliche Gegen⸗
!) Ueber den Profog der Urkunde ſ. Sidel UL. ©. 170.
?) Dies hebt befonders Abel, Untergang des Langobardenreiches &. 86. N. 8,
und nad) ihm Waitz, BG. IIL ©. 81. N. 1, hervor.
®) Die Laoner Handſchrift, im welder das Schreiben erhalten F — am
Säluffe: Explieiunt quae domnus papa Stephanus in Carisiaco villa Brit-
taniaco monasterio ad interrogata dedit responsa; Sirmondus, Concil.
Gall. IL p. 679.
*) Meichelbeck, hist. Frising. I. 1. p. 52: quando domnus apostolicus
in partibus Gallise venerat.
150 Eapitel X. 754.
ftände, die ihm, ſei es nun als Facta ober als Probleme, zur Bes
urtheilung vorgelegt worden waren. Merfwitrdigerweife ging die
Anfrage von dem in jener Zeit nirgends weiter genannten Klofter
Bretigny aus, ) deſſen aud im 9. Jahrhundert nur einmal ganz
gelegentfih Erwahnung geſchieht: *) ein Beweis, daß damals im
Frankenlande ein viel reicheres Leben herrſchte, als fi) uns in den
noch vorhandenen Nachrichten offenbart; es fcheint, daß die Nähe des
päpftlihen Aufenthaltsorts den Monchen zu einem folden Schritte
die Anregung gab.
Da die Entfheidungen Stephans fi in fo mandem Pımfte mit
der frünkiſchen Gefeßgebung der nächſten Jahre berühren und auf
diefe gewiß nicht ohne Einfluß geblieben find, fo glauben wir hier eine
kurze Analyfe derfelben geben zu ſollen.) “
Mehr als die Häffte der Sätze bezieht fich auf Gegenftände des
Eherechts. Es wird gefragt, ob Fürperliches Umvermögen zur Loſung
einer Ehe beredhtige, und Stephan beftreitet dies: nur von dämonifchen
Perfonen, d. 5. Beſeſſenen, und von Ausfägigen dürfe man ſich ſcheiden
Taffen, und zwar von Leteren ohne Berzug;*) doch auch nad einer
rechtlich geftatteten Berftogung der Fran darf der Mann fi während
ihres Lebens nicht wieder verheirathen. 5) Die Anfragenden verweiſen
auf den Fall einer nothgedrungenen Veberfiedlung des Mannes in
ein anderes Land, fie glauben die dadurch erfolgte Trennung von der
Frau wie eine Scheidung anſehen zu dürfen. Der Bapft fcheint die
Sache allerdings ganz ebenfo zu benrtheilen, allein die Frage, ob einer
der beiden Theile nach folder Trennung eine zweite Ehe eingehen
durfe, verneint er doch auch hier für die Lebenszeit des anderen Theils. )
Hat die Frau daher in dem Glauben, daß ihr in Sriegsgefangen-
haft gerathener Mann entweder nie wiederfehren werde oder um—⸗
) Brittaniacum monasterium: Dep. Dife, unweit Noyon und Compidgne;
fe die ©. 149. N. 8 angeführte Stelle. Dadurch war die Vermuthung nahe gelegt,
daß die Worte Brittaniacum monasterium vielleicht nicht als Klofter Bretigu,
fondern in unbeſtinnuter Weiſe anf „ein britifches Kofler” zu deuten wären, au«
mal bei. den aftbritiichen Chriſten das Klofterweſen wirflic den Mittelpunkt des
tirchlichen Lebens bildete (eat, Nettberg I. S. 822). Allein die Gegenftände, um
welche es fidh in dem Schreiben handelt, erinnern fo vielfach am die fränkiſchen
Capitularien jener Sabre, daß der Anlaß zu demſelben wohl ohne Frage im
Frantenreiche zu ſuchen iſt. Die Worte.aber, was ſprachlich ebenfo ftatthaft wäre,
auf ein Kloſter der Bretagne zu beziehen, empfiehlt ſich deshalb nicht, weil Feine
Stiftung daſelbſt in jener Zeit irgendivie hervortritt.
*) In der von Sirmond a. 0. D. citirten Gtelle Hinemars; vgl. auch Gallia
christiana IX. col. 890.
) Die Responsa Stephani II. papae, zuerft von Sirmondus IE B 14—18
ebirt, finden fi aud bei Mansi XII. eol. 558, unb bei Migne Patr. lat.
LXXXIK. col. 1024.
4 Berponse €. 2% 9: postposita negligentia, ne concepti filii leprae
polluantur.
Papſt Stephan II. in Gallien. 151
gelommen fei, eine zweite Ehe gefchloffen, fo muß fie diefes Bundniß,
ohne daß es ihr doch als Sünde angerechnet würde, bei der Rückkehr
des Mannes wieder Löfen. *)
Ganz amdere Verhältniffe galten zwifchen Freien und Unfreien.
Die Verſtoßung einer Sklavin, um der Verbindung mit einer Freien
willen, erfährt die Bilfigung des Papftes.2) Die räumliche Trennung
des Mannes von feiner unfreien rau berechtigt Beide zur Wieder⸗
verheirathung, ohne daß die Heimkehr des Mannes darin eine Aende—
rumg bewirkt, ®)
Eine Reihe von Paragraphen befpricht verſchiedene Ehehinderniffe.
Papft Stephan betont nachdrücklich das Hinderniß der geiftlihen Ver—
wandtſchaft, indem er insbefondere die Verbindung mit einer Frau ver-
bietet, mit welcher man als Pathe bei der Taufe oder der Confirmation
ihres Kindes in eine ſolche Verwandtfchaft getreten ift.*) Er vedet ferner
von Mönden und Nonnen, die aus dem Kloſter entflohen und eine
Ehe eingegangen find; von Wittwen, die den Schleier genommen und
nad) einiger Zeit ſich wieder verheirathet haben; von Mädchen, die
das Gelübde der Zungfräulichkeit geleiftet, aber noch vor Anlegung des
Schleiers eine Ehe gefchloffen haben. 5) Alle diefe Verbindungen werden
als unftatthaft erklärt und ihre Löfung gefordert; ein Unterfchied zeigt
fih nur in der Dauer der Buße, durch welde die Sünde gefühnt
werden fol. Seltfam ift folgender Fall: Ein Mann Hat, ohne über
feine Ordination Rechenschaft geben zu fünnen, als Priefter fungirt,
Meſſen gelefen und getauft, dann aber den Dienft aufgegeben und
eine Frau genommen.°) Der Papft verurteilt ihn wegen folder
Doppelſchuld zu Iebenslängliher Buße in einem Kloſter; die Frau
wird nur dann für ſchuldfrei erklärt, wenn fie von der früheren Priefter-
thätigfeit de8 Mannes bei Eingehung der Ehe nichts gewußt hat. In
Betreff der von ihm getauften Kinder aber wird der Grundſatz aufge
itelft, daß die Anrufung der Trinität die Taufe durchaus gültig made.
Dies Princip wird zu wiederholten Malen ausgefprochen, fei es
nun, daß der Priefter Feinen Bifchof angeben kann, der ihn gemeiht,
daß er ſich als unwilfend erweift oder die Taufformel unrichtig her=
fagt,?) fei es daß bei der Handlung felbft eine Vorfchrift verlegt ift,
daß z. B. das Waffer in einer Schale oder mit den Händen über
das Haupt des Kindes gegoffen, °) oder daß in Ermanglung von Waffer
1) Cap.
9 Ca Eve viel eingehender und fivenger if in diefem Punkte das Capit.
Vermer © 5 13, unten Cap. XIX.
ap.
4) Cap. 4; von ähnlichen Beftrebim, jen der Vorgänger Surtane wird unten
Gap. XXI, 3 die Rede fein. ® “
5) Cap. 7.8. 6.
*) Cap. 10.
152 Capitel X. 754.
Wein angewendet worden. ?) Die Taufe gilt im allen diefen Fällen
als rechtmäßig vollzogen, wenn die Anrufung dabei erfolgt ift; der
Zaufende aber bleibt troß alfer Verftöße gegen das Gejek ftraflos,
wenn das Kind ſchwer erkrankt, alſo Gefahr im Verzuge war.
Ohne näheren Zufammenhang folgen dann noch einzelne, ben
Klerus betreffende Vorfchriften: e8 wird den Geiftlichen wie den
Mönden unter Androhung des Anathems verboten, langes Haar zu
tragen;?) bei Entdeckung einer Criminalſchuld, welche ein Priefter ver
feiner Ordination auf ſich geladen, fol milde Behandlung eintreten. ?)
Zwei Paragraphen endlich enthalten formelle Beftimmungen über das
geiftfihe Gerichtsverfahren: ein Biſchof foll von der Verfammlung
fümmtlicher Bifchöfe des Landes, ein Priefter oder Diafon dagegen von '
feinem Biſchof und feche, beziehungsweife drei felbftgemählten Collegen,
jeder andere Kleriker endlich ganz allein von dem Biſchof des Ortes
gerichtet werden.“)
Die Entfheidungen Stephans, die ſich größtentheils auf ältere
Synodalbeſchluſſe oder Decretalen ftügen, hatten gleich den zu Grunde
liegenden Anfragen nur den Zweck, augenblidliche Zweifel zu löſen;
fie bieten daher nicht im Entfernteften ein erſchöpfendes Syitem des
Kirchenrechts. Indeſſen berühren diefe 19 Paragraphen doch ſchon
die Hauptfächlichften zwei Punkte, welche in den Capitularien der nächſten
Jahre zur Sprade kommen: die ftrengere Verfaffung des Klerus und
die Hebung des religiöfen Lebens der Laien, foweit es ſich namentlich
an die Sacramente der Taufe und der Che knüpfte. So bot ſich dem
Bapfte bei feinem Aufenthalt in Gallien, der urfprünglid nur der
politiſchen Lage Italiens galt, doch auch reichliche Gelegenheit, in den
innern fränkischen Angelegenheiten fein geiftliches Anjehn zur Geltung
zu bringen.
Bevor wir aber der übrigen Handlungen gedenken, welche er
kraft feiner apoftolifchen Autorität vollzog, liegt uns ob, zwei fagen-
hafte Angaben zurückzuweiſen, welche ſowohl auf ihn, als auch auf
König Pippin Bezug haben. Der einen zufolge begaben fich ber König
und fein Gaft in das Gebiet der Garonne, um das angeblih von
Pippin gegründete Safvatorflofter zu Figeacd) einzumeihen. Dur)
ein Wunder aber wurde die päpftliche Confecration überflüffig gemacht,
und Stephan ftattete das Stift nun mit einem Privilegium, Pippin
mit reihen Geſchenken aus. Stephan ftellte daffelbe nämlich unmittelbar
unter die päpftliche Oberhoheit und eximirte es von jeder anderen geift-
lichen Gericht Gerichtsbarkeit, Pippin ordnete ihm unter vielen anderen Kirchen
— — gl. Capit. Vermer. c. 15, Compend. c. 12; unten Cap. XIX
und Cap. 8. An letzterer Stelle find ähnliche Ausiprüge anderer Päpfte
ange)
%) Cap. 18.
%) Cap. 17.
“) Cap. 15. 16.
5) Dep. Lot, bei Eahors.
BVapft Stephan IL. in Gallien. 153
befonders auch das Kloſter Conques unter. ) Gerade biefer Theil der an-
geblihen Schenkung aber erklärt ung den Urfprung der ganzen Dichtung.
Denn in fpäterer Zeit war das Verhältniß der beiden Klöfter Figeac
und Conques zu einander der Gegenftand Heftiger Streitigkeiten, und
offenbar um die Anſprüche Figeac's zu begründen, wurden jene Urs
kunden angefertigt, die jegt allgemein als Fälſchungen erkannt find. 2)
Ein Hiftorifcher Bericht aber, der denſelben Gegenftand betrifft, erweiſt
ſich als eine Interpolation des 12. Jahrhunderts, welcher jene uns
echten Urkunden zu Grunde Tiegen.®)
Minder erklärlich ift die Entftehung der zweiten Erzählung, wos
nad; die Salbung Pippins in dem Klofter zu Zerriöres ftattgefunden
Haben ſoll.“) Hier Hat damals zugleich, demfelben Berichte nad),
Pippin den Löwen erlegt: eine Sage, die der Mönch von ©. Gallen
befanntlich mit größerer Ausführfichkeit, aber ohne Angabe des Ortes
und aus fpäterer Zeit erzählt.d) Auch von der Salbungsfeier zu
Ferrieres meldet noch ein zweiter Bericht.‘) Indeſſen kann dadurch die
ficher beglaubigte Thatfache, daß die Salbung zu ©. Denys erfolgt
ift, unmöglich in Frage geftellt werden.
Die Orte Figeac und Ferriöres find daher aus dem Stinerar
fowohl Pippins als aud; des Papftes Stephan zu ftreichen. Was ins»
befondere den Letzteren betrifft, jo wurde er an ©. Denys, wahrſcheinlich
während der Früßlingsmonate, durch eine ernfte Krankheit gefeifelt,
die vielleicht aud, wie feine eigne Heimkehr, fo zugleich den Heereszug
der. Franken nad) Stalien verzögert hat. Der Papft lag jo ſchwer
danieder, daß die ganze Umgebung bereits an feinem Auffommen
zweifelte; feine Genefung aber erfolgte plögfich, ) — wie er felbft in
einem fpäteren Schreiben erzählt, durch ein Wunder, ®) Der Beil,
’) Heremitarım Conchense coenobium: Dep. Avehron, bei Rhodez.
) Bgl. Jaffe, Reg. pontif. Rom., acta spuria n° 811; Sickel, Acta II.
. 408,
®) Ademari historiarum (Pertz SS. T. IV) lib. I. c. 57, Zufaß ber Hand-
ſchrift IT, die erfi am Ende des 12. Jahrhunderts geichrieben it, während Cod. I,
welcher gleidh dem Werke felbft aus dem 11. Jahrhundert Rammt, nichts davon
enthält. Weber den Streit der beiden Klöfter |. Joſ. Vanhedejs Commentarius
praevius zur Vita S. Ambrosii episc. Cadurcensis, nach den Acta SS. Boll.
16. Oct. Yn. 2 gedrudt bei Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 1206—1209,
cap. 9—10.
+) Interpolation bes Cod. Ferrariensis der Vita Hiudowici Imperatoris
c. 19, Pertz SS. II. p. 616: monasterium sanctae Mariae et sancti Petri
de Ferrariis, quod antiquitus Bethleem vocabatur; Dep. Loiret, bei Montargis.
®) Monachus Sangallensis de Carolo Magno lib. II. c. 15. Hiernad)
fand der Kampf erft nadı Befiegung der Tangobarden ftatt, als Pippin von feiner
angeblichen Romreiſe wieder im fein Reich zurücgefehrt war.
®) Ein vetus codex Floriacensis de gestis pontificum bei Mansi XII.
col. 557, Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 1028.
7) Vita Stephani c. 28. p. 105: dum eum mane mortuum invenire
sperarent, subito alia die sanus repertus est.
®) Revelatio Stephani II. papae ed. Surius, Vitae 88. (Coloniae 1618)
Oct. 9. p. 180; Mansi XII. col. 556; Migne Patr. lat. LKXXXIX. col. 1022;
—
Dionyſius nämlich und ihm zur Seite Petrus und Paulus waren dem
Kranken erſchienen, wie fie miteinander ſeine Heilung verabredeten.
Dionyſius kundigte ihm die bevorſtehende Geneſung an, indem er ihm zu⸗
gleich auftrug, den beiden Apoſteln in der Kirche des Kloſters einen Altar
zu errichten. Sobald Stephan daher von feinem Kranfenlager wieder
erftanden war, ließ er es ſich angelegen fein, diefen Auftrag zu voll-
führen. Am 28. Juli, einem Sonntage, erfolgte fodann die feier-
liche Einweihung des Altars,) den der Papft mit Pallium und
Schlüffeln beichentte.*)
Damals war es mohl auch, wo Stephan dem Leichnam Petro⸗
nella's, der Tochter des Apoſtels Petrus, eine neue Ruheſtatte in Rom
zu erbauen gelobte.“) Ebenſo beſchloß er wahrſcheinlich in jenen Tagen,
dem Heil. Dionyſius und feinen Genoffen im Märtyrerthume ein
Kloſter in Rom zu weihen; er nahm denn auc bei feiner Abreife
einige Reliquien deſſelben mit; doch wurde der von ihm begonnene
Bau, zu welchem das galliſche Stift ala Muſter diente, *) erft von
Paul I, feinem Bruder, zur Vollendung gebradht.5) Wie lieb Stephan
allezeit die Erinnerung an jenes Kloſter geblieben, in welchem er
7 Monate lang gaftliche Aufnahme gefunden Hatte, bemeifen die ver-
ſchiedenen Bullen, welche er kurz vor feinem Tode dem Abt Fulrad
ertheilte,°) in denen er unter Anderem für die ab» und zureilenden
päpftlihen Gefandten ein freundfihes Obdach im Klofter erbat.)
Eine weitere Maßregel des PBapftes während feines Aufenthalts
in Gallien war die Ertheilung des Palliums an den Biſchof Chro-
degang von Meg. °) Zwar ſcheint diefer jelbft fich des dadurch erlangten
erzbiſchoflichen Titels bei feinen Unterſchriften nicht bedient zu haben; 9)
derfelbe wurde ihm jedoch von Andern gewöhnlich beigelegt, 1%) und die
154 Capitel X, 754.
Jalfs neenn n° 1772. Wattenbach, Gefchichtsquellen (1866) ©. 495. N. 2,
hält die maue für untergefchoben.
‘) Hilduinus (Abt von ©. Denys, + 814), de S. Dionysio, bei Surius l. c.:
quinto Calendas Augusti; daraus ann. Palidenses (saec. 12) bei Pertz, SS.
XVL p: 57, und die ©. 155. N. 3 verzeichneten Berichte, in denen iedod) zum
Theil das Datum coreumpirt ift; fo bat 3. B. Regino: 753 5 Idus Augusti.
) Hildwin m a. O.; daraus bie historia regum Francorum 8. Dionysii,
Pertz 88. IX. p. 399.
Vita Stephani c. 52. p. 124.
) Benedicti chronicon c. 20, Pertz ss. II. p. 706: juxta formas sp&
cies decorata, sicnt in Francia viderat.
®) Hilduin a. a. D.; aus ihm ſchöpft Hug. Flor. hist. ecel. (1110), Pertz
88, IX. p. 859.
%) ©. unten Cap. XX.
?) Jatie Regesta n° 1783; Mansi XII. col.556, Migne Patr. lat. LXXXIX.
col. 1018: missis sanctae nostrae ecclesiae euntibus et redeuntibus, in quan-
tum possibilitas erit humanitatis susceptione, in jam fato venerabili monas-
terio facere non desistant,
°) Vita Stephani c. 53. p. 125.
* Vogl. 3. B. 757 feine Urkunde für Gorze — Cap. XXI), 762 bie
episcoporum de8 Conventus Attiniacensis (Cap.
onge ©. die Urkunden des Codex Laureshamensis unten Cop. XXVIL
Bopft Stephan IL in Gallien. 155
von ihm vollzogenen Biſchofsweihen *) beweifen, daß er von ben Be
fugniffen feiner Stellung vollen Gebrauch madjte.2) Auch Chrodegang
hatte ſich, gleich Fulrad, um den Papft große Verdienſte erworben,
namentlich ihn aus Rom abgeholt und durch das Gebiet der Lango⸗
barden ins Frankenreich geleitet. So vergalt der Papft aus der Fülle
feiner geiſtlichen Macht allen denen, welche ihm hülfreiche Hand gefeiftet.
So belohnte er denn auch in erjter Reihe den König Pippin felbft, der
bereits alle Vorbereitungen getroffen hatte, um mit den Streitkräften
feines Volles das Papftthum aus der Gewalt der Feinde zu erretten.
Wir gelangen hiermit zur Königsfalbung, welche zugleich mit
der vorhin erwähnten Altarmeihe am letzten Sonntag des Yulimonats
in der Kirche der Heil. Märtyrer Dionyſius, Ruſtieus und Eleu⸗
therius ftatthatte.®) Zwar follte diefe Salbung der königlichen Familie
?) Paul. Diac. de episc, Mettensibus, Pertz SS. II. p. 268: Hie conse,
“eravit episcopos quam plurimos per diversas civitates.
2) Bol, Rettberg I. ©. 494. Nad; der Vita Chrodegangi c. 26, Pertz
88. X. p. 568, hatte er vom Papfe die Erlaubniß erhalten, per totam Galliam
episcopos benedicere, cum stola ubivis ire, erucem ante se ferre Domini.
) Die Belege für diefes Faktum finden fid fon bei Waitz, VG. II.
©. 65. R. 3, fa volltändig zujammengefiellt. Die Fortfehung bes Fredeger
und die Meinen Annalen melden wohl von der Ankunft des Papftes, aber nicht
von der Salbung; bie thun vielmehr nur folgende Onellen: die ann. Lauriss,
maj. 754 nebft den davon abhängigen Berichten (die ann. Bertiniani fügen bie
hromofogifche Angabe Hinzn: 6 Kal. Augusti); die ann. Lauriss, min. a. 16.
Pippini; das Chron. Moissiacense, Pertz SS. I. p. 298, das Hier eine jelb-
fändige Nachricht zw geben fcheint; bie Vita Steph. c. 27. p. 105; endlid, die
fogenannte Clausula, die ausführlicfte umd wegen ihres fait gleichzeitigen Ur-
ſprungs auch die wichtigſte Notiz, weiche zuerft von Mabillon, de re diplomatica,
1709, p. 384 (nad) ihm von Bouquet, Recueil V. p. 9, und Anderen), aus
einem pervetustum exemplar membraneum veröffentlicht worden ifl. Dies
Mannfeript, eine Abfchrift der Bücher Gregors von Tours De gloria confessorum
enthaltend, war offenbar im Klofter ©. Denys umd zivar, wie aus den Schluß-
worten des Schreibers auf der letzten Seite des Coder, eben jener Clausula, her»
vorgeht, im Jahre 767 entftanden. Die Clausula nämlich begiunt mit den Worten:
Si nosse vis, lector, quibus hic libellus temporibus videatur esse conscriptus
et ad sacrorum martyrum pretiosam editus laudem, invenies anno ab inc.
Dom. 767, temporibus felicissimi atque tranquillissimi et catholici Pippini
regis Francorum et patrieii Romanorum, filii b. m. quondam Caroli prin-
eipis, anno felicisimi regni ejus in Dei nomine sexto decimo, indictione
quinta, et filiorum ejus eorundemque regum Francorum Caroli et Carlo-
manni ... . anno tertio decimo. Diefe yeeifoße Zeitangabe erflärt ber Ber-
faſſer ſodann duch einen näheren Hinweis auf die doppelte Salbungseeremonie
751 und 754, wobei er wiederholt hervorhebt, daß die Kirche von S. Deuts der
Schauplatz der zweiten Handlung gewefen fei, unter Anderem auch Bertrada nach
drüdlich als sanctis martyribus (d. i. dem Dionyftus, Rufticus und Elentherius)
devotissime adhaerentem bezeichnet. Die ganze Erzählung hat jedoch, wie er
guleßt gefteht, noch eine weitere Tendenz; zum Gehjluffe nämlich fagte er: Haec
ideo caritati vestrae breviter in novissima paginula libelli inseruimus hujus,
ut per succedentium temporum (hier feheint ein Wort, wie etwa curricula,
ausgefallen) et vulgi relatione propago in aevo valeat cognoscere posterorum.
— Diefe noq aus Pippins Lebzeiten fammende Ueberlieferung, deren Zuverläffig-
keit nicht zu bezweifeln ſcheint — Watienbach's entgegenftehende Anſicht, Geſchichts -
156 Eapitel X. 754.
auch der römiſchen Kirche zu ftatten kommen, und die Päpfte haben
aus derſelben in der That eine Art Rechtsanſpruch und zugleich größere «+
Zuverficht auf den Beiftand der Frankenkönige geſchöpft. „Darum Hat
der Herr euch zu Königen gefalbt," ſchreibt Stephan, „damit durch euch
feine Heilige Kirche erhöht und dem Erften der Apoftel fein Recht
werde;“ ) Baul erffärt: „Gott hat, vom Mutterfchooße her dich er-
wählend, darum dich fegnend und zum Könige falbend, dich zum Ver⸗
theidiger und Befreier feiner Kirche beftimmt.”*) Der religiöfe Ges
danfengang war, daß durch die Wirkung des Beil. Geiftes bei ber
Salbung das Herz des Königs fortan in Gottes Hand ftand,?) von
Liebe zu Gott entflammt wurbe.*) Indeſſen hatten, ihres myftifchen
Sinnes entfleidet, doch auch folhe Worte nur die Bedeutung, daß
durch die päpftliche Salbung den Königen ein Dienft geſchehen war,
der fie zu Dank verpflichtete. „Wahrlich, die wir geliebt, haben wir
gefunden; die wir gefucht, in Armen gehalten. 5) Darum Hat ſich
über euch nad) des Herrn Rathſchluß der Segen und die Gnade des
heil. Betrus ergoffen; was feinem eurer Vorgänger zu Theil geworden,
Habt ihr empfangen; euch vor allen Königen und Völkern hat der
Erſte der Apoftel zu feinem Eigenthum erwählt.“°) Die Päpfte deuten
gern an, daß erft von jener Salbung die volle Königewürde Pippins
quellen (1866) S. 495. N. 2, ift von ihm nicht näher motivirt —, liegt einer
ganzen Reihe fpäterer Berichte zu Grunde; unmittelbar freilich nur der öfter er-
wähnten Schrift des Abtes Hilduin von S. Denys, der auf den Wunſch Ludwigs
des Frommen (Sickel L. 338; Ludwig gedenkt in dieſem Schreiben unter anderen
Begebenheiten des Kloſters der Salbung Pippins und feiner Söhne inter sacra
missarum solemnia und münfcht, daß Hilbuin bie Revelatio Stepfans auf
xichne, sicut ab eo dictata est, et gesta quae eidem subnixa sunt) vom ber dem
Bapfte gewordenen Revelation und der Eintveihung des Altars der Apoftel Petrus
und Paulus, im Anſchluß daran aber aud), mit den Worten ber Clausula, von
der Salbung erzählt und für Altarweihe und Satbungefeiee ben 28. Juli ale
Datum angibt, da nad ihm die Salbung inter celebrationem consecrationis
praefati altaris et oblationem sacratissimi sacrificii erfolgte. — Die jonft noch
vorhandenen Berichte find ſämmtlich der Arbeit Hilduins, alfo nur mittelbar der
Clausula entnommen; «8 find: 1. die Einſchaltung dtegino s (c. 900) zum
Sabre 758 feiner Chronik, Pertz SS. I. p. 556; 2. die Vita Chrodegangi (aus
dem 10. Jahrhundert) c. 25—26, Pertz 88. X. p. 567; 8. bie historia regum
Francorum monasterii 8. Dionysüi (aus dem 12. Iahrfundert), Pertz SS. IX.
p. 399; 4. die Notizen dreier nicht näher bezeichneten Codiees von Fleury, Sens
und ©. Germain des Prss, Mansi XIL col, 557—558, Migne Patr. lat.
LXXXIX. col. 1023—1024; 5. in ganz kurzem Auszuge endlich findet ſich die
Nachricht Hilduins (vgl. befonders die Worte inter sacra missarum sollemnia)
im drei Annalenmerken, deren Wortlaut unten S. 160. N. 6 angeführt if.
) Cod. Carol. ep. 7. p. 41: ideo vos Dominus per humilittem meam,
mediante b. Petro, unxit in reges, ut per vos sancta sua exaltetur ecelesia.
) Daf. ep. 16. p. 76; ähnlich in dem Schreiben am die Söhne Pippins,
ep. 85. p. 122.
®) ®9l. 3. 8. ep. 21. p. 92, ep. 36. p. 126.
*) Ep. 40. p. 188.
5 Hohelied 3, 2.
*) Cod. Carol. ep. 7. p. 41.
Vapſt Stephan IT. in Gallien. 157
datire; ) nur in diefem Sinne bezeichnen fie feine Herrſchaft als von
Gott verliehen,?) und ihre Auffafjung fand auch im Franfenreiche,
felbft in Regierungskreifen, Eingang.®) Der durd den Stellvertreter
Petri gefalbte Fürft ſchien, alle anderen Könige überragend, auf dem
Gipfel weltlicher Macht zu ftehn,*) und e8 hängt gewiß damit zu—
fammen, daß das Oberhaupt des Franfenreich® in der Meinung der
Menſchen, noch vor der Kaiferfrönung Karls des Großen, als eine der
drei höchften Perfonen. der Erde galt.d) Wer möchte bezweifeln, daf
vor Allem feine venle Macht ihm einen folhen Rang verichaffter
Diefe Machtſtellung aber fand in der päpftlichen Weihe ihre deutlichfte
Kundgebung, ihre feierliche Beftätigung vor Mitwelt und Nachwelt.
„Einft, als der allmächtige Gott das Leiden feines Volkes Iſrael fah,“
ſo ſchreibt Paul einmal den Söhnen Pippins, „da erbarmte er ſich feiner
und ſchickte ihm feinen Diener Moje, fpäter den Joſua und die ans
deren Helfer, Verehrer jeines göttlichen Namens, Aber an ihnen allen
Hatte feine göttliche Majeſtät kein ſolches Wohlgefallen, wie an David,
dem Könige und Propheten, von dem Gott ſprach: „„Ich habe ger
funden meinen Knecht David, ich Habe ihn gejalbt mit meinem heiligen
) ©. die Stelle ©. 156 N. 1; vgl. auch Wait, BE. II. ©. 65. N. 1.
%) Cod. Carol. ep. 11. p. 66: regni vestri gubernacula a Deo vobis
concessa; ep. 21. p. 92: Deo et b. Petro semper placere procurate, qui
vobis presentis regni gubernacula tribuit .. . temporalis regie potestatis
ve] culmen largiri dignatus est.
©) Bol. 3. 8. die Worte der Clausula: quos et divina pietas exaltare
dignata est et sanctorum apostolorum intercessionibus per manus vicarii
ipsorum beatissimi pontificis confirmare et consecrare disposuit; dazu die
Stellen bei Waitz, BG. II. ©. 199. N. 1 umd bei Sidel, UL. ©. 169. N. 8.
— Der Titel gratia Dei rex Francorum findet ſich allerdings in feinem einzigen
Autographum, fondern nur in drei abjchriftlich vorhandenen Urkunden Pippins,
in den Diplomen Sickel P. 27 und 28 vom Jahre 768 und im der Enoyclica
P. 32; allein Sidel, der dies zuerft hervorhebt (Beitr. 3. Dipl. III. ©. 183—184),
Inüpft daran doch aud nur die Behauptung, daß der Ausbrud unter Bippin
noch nit zur fanzleimäßigen Titulatur der Diplome geworden fei; er ſchüeßt
aus P. 32, daß bie in gratia Dei rex fich ausiprechende Borftellung fon am
Hofe Pippins von der Partei der Geiſtlichteit, welcher der Schreiber dermuthlich
angehört habe, gehegt und gepflegt worden jei (UL. ©. 401. N. 8). Bei den
Angeljahfen war das Wort Übrigens ſchon iängſt im Gebraud;, und zwar ſowohl
in Föniglicen wie in bifhöflichen Titeln; vgl. 3.3. die Stellen bei Kemble, Cod.
dipl. aev. Sax. I. p. 3. 6. 18. 26, fämmtlic, aus dem 7. Zahrhundert. Ver—
einzefte Beifpiele der Tegteren Art finden ſich and in fränfii—en ürtunden fo
wird Pirminius in dem Diplom Theodorichs IV. für Murbah vom Jahre 727
Perminus gratia Dei episcopus genannt (j. oben &. 21. N. 6), ja, das Klofter
Zeißenburg ertätt um 740 die Schenkung eines Wersaldus gracia Dei monachus
(Zeus, tradit. Wizenburg. n° 241).
+) Bl. die im Note 2 diefer Seite citivten Worte Pauls L: potestatis vel
culmen largiri dignatus est.
®) Alcuini epist. ed. Migne, Patr. lat. O. Fr 95. (an König Karl) p. 301:
tres personae in mundo altissimae hucusque fuerunt: apostolica sublimitas
. ... alia est imperialis dignitas et secundae Romae saecularis potentia ...
tertia est regalis dignitas, in qua vos Domini dispensatio rectorem populi
christiani disposuit.
158 Eapitel X. 754.
Del, ich will ihm ewiglich Samen geben und feinen Stuhl, fo -Tange
der Himmel währet, erhalten.“ “1) Und fo hat Gott auch an euch
Gefallen gefunden, und. indem er feinen Apoftel Petrus durch. defien
Vertreter ausfandte, euch und euren trefflihen Vater mit Heiligem Dele
zu ſalben, hat er euch zu diefem Gipfel königlicher Würde erhoben
und mit himmliſchen Segnungen erfült.“2) Paul I. kommt mit Bor
liebe auf ſolche Vergleihungen zurüd; dem Könige. jelbft ſchreibt er:
„Wenn wir die Erzählungen der Heiligen Schrift im Geifte erwägen,
die Verdienfte der Auserwählten Gottes betrachten und deine gottein-
gegebenen Thaten damit vergleichen, dann erfennen wir, daß du wie ein
neuer Moſe unferen Tagen erfchienen biſt;“ und nachdem er ausgeführt,
wie Pippin gleich Mofe das Volk Gottes aus der Gewalt des Feindes
erlöft, den reinen Glauben verbreitet und Irrthumer bekämpft habe, führt
er fort: „Darum verdientejt du mit dem Dele der Heiligung gefalbt
und jenen frommen Konigen beigezählt zu werden, die in alten Zeiten
Gottes Wohlgefallen gefunden;®) und wir rufen mit dem Pjalmiften:
nn Der Herr hat dih als treu erfannt und dich deshalb mit dem
heiligen Del gefalbt; feine Hand wird dich, erhalten und fein Arm
dich ftärfen.“”4)
Wir heben diefe Säge aus der päpftlichen Correfpondenz nicht
ohne beſondere Abficht Hervor. Sie zeigen uns nämlich, an welches
geſchichtliche Vorbild man anknupfte, indem man die Königsfalbung,
eine vollftändige Neuerung, °) bei den Franken einführte.. Man griff
in die altjüdifche Vergangenheit zurüd; der Schmud der Ehren, der
einft das Haupt Davids geziert hatte, ging jet auf Pippin und feine
Nachtommen über; die Aehnlichkeit beider Könige erfüllte die Gemüther
aller Gläubigen.*) Selbft der Kirche war da8 Sacrament der Könige-
weihe noch ziemlich neu, denn fie hatte das Beifpiel des-Alten Teſta⸗
ments urfprüngli nur auf die Salbung der Hohen Geiftlichkeit ange
wendet. So hatte, noch anderthalb Jahrhunderte früher, Gregor. der
Große in feinem Commentar zum erften Buche Samuels die Salbung
Sauls und Davids nur als prophetifch-alfegorifche Darftellung der
1) pſalm 88, 21. 30.
®) Cod. Carol. ep. 38, p. 118: in utero matris vos sanctifleans, ad tam
magnum regale pervexit culmen, mittens apostolum suum b. Petrum per ejus
nempe vicarium.
®) Daſ. ep. 42. p. 141: inter fideles reges, qui olim Deo placuerunt,
unctus connumeratusque conprobaris.
+) Pfalm 88, 21—22. .
5) Im 9. Jahrhundert wurde durch Fälſchungen die Deinung verbreitet, daß
auch die Meromwinger gejalbt worden ſeien; vgl. Big, 36. I. © 61.9.1,
Sickel L. 222*.
F) Cod. Carol. ep. 48. p. 145: merito cum egregio illo ac praseipuo
David rege et eximio prophetarum in celestibus regnis participem te esse,
omnium fidelium mentes opinantur, quia, sicut honorum infulis, ita quoque
et operibus eum coaequare christianitas tua, ut ipsa rei operatio demonstrat,
dinoseitur; vgl. ſchon ep. (Stephani II) 11. p. 62.
Priefterweihe aufgefaßt: denn Sammel rede von äußeren Dingen und
meine die inneren, er fpreche von Weltlichem und bezeichne damit das
Geiftliche, die Bücher der heiligen Schrift feien nicht fowohl Gefchichte,
als vielmehr Prophetie.t) Erjt im 7. Yahrhundert, feheint es, fam
die Salbung der Könige durch die Geijtlichfeit, und zwar -bei ger-
manifchen Völkern, den Weftgothen und Angeljahien, auf,?) und
vielleicht von England aus fand die Ceremonie ihren. Weg aud zu
den Franken. Sie war zum erften Male ſchon von den Biſchöfen des
Reiche zur Ausführung gebracht worden, als Pippin Ende 751 den
Thron beftieg;°) jett ſchloß ſich auch der Papft dem Gebrauche an,
und indem er. den Franfenfönig an die Seite Davids ftellte, erhob er
ſich felbft zur Würde Samuels, des Hohenpriefters der Heiligen Schrift.
Daß die Ceremonie an einer und derfelben Perfon zweimal voll»
zogen wurde, erregte weder den Betheiligten noch auch den Berichte
eritattern, zeitgenöffischen fowie jüngeren, irgend ein Bedenken.) War
doch, wie ſchon von Früheren richtig bemerft ift, 5) aud König David
mehr als einmal gefalbt worden; ®) freilich das erfte Mal von Samuel,
das zweite Mal von den Männern Juda's, zum dritten Mal endlich
bon den Aelteften in Iſrael. Allein wir haben auch feinen Grund,
die beiden Salbungen Pippins für gleichbedeutend zu Halten. Wohl
wor Zacharias im Jahre 751 um jeine Zuftimmung zum Thron
wechſel angegangen worden; die Salbungsfeier jedoch, durch melde der
fränkiſche Klerus ſich damald an dem Creigniß betheiligte, erfolgte
Papſt Stephan IL in Gallien. 159
!) 8. Gregorii Magni in librum primum Regum expositiones, Migne Patr.
17 sg. (Provemium), col. 278 sq. (lib. IV. c. V. zu 1 Reg. 10, 1),
6.1), 01. 447 sg. (lib. VI. c. 1zu 1 Reg. 16,1); 3.8. 001. 447:
Haec ad literas tetigimus, nunc sub literae narratione praelatorum nostro-
rum electionem videamus. Daher darf man wohl faum mit ber Real-Encyelo-
pädie fir Theologie und Kirche, XII. ©. 240 (Art. Sakramente von ©. €. Steitz),
das sacramentum unctionis Suse ſchon auf die Salbung eines Königs beziehen.
?) Bol. Watt, BG. II. ©. 62.
?) Bieleiht je die hierauf begügficien An des Fred. cont. c. 117: ut
antiquitus ordo deposcit, die Wait, BG. S. 61. N. 1, auf dem alten
Gehrauch der 7 deutet, den obigen —E gemäß viefmehr von ber
Serien Tradition zu verſtehen.
Nur die ann. Lauriss. min. a. 16. Pippini ſcheinen hier ausgenommen werben
Pe IR jen. Sie veden nämlich ganz allein vom der Salbung Karls und Karlmanus
tephan: St. papa unxit duos filios Pippini in reges, Karlum et Karl-
— fie ſtellen aber auch die Krönungsfeier des Jahres 761 fo dar, wie
wenn die ganze Handlung nur in der Salbung Pippins duch Bonifaz, als
dem Vertreter des Papftes, beftanden hätte (a. 12): Mandavit pontifex regi et
opulo Francorum, ut Pippinus, qui potestate regia utebatur, rex appel-
Tretur ot In zede wegali constitueretur. Quod ita et factum est per un-
ctionem sancti Bonifatii archiepiscopi Suessionis eivitate. Kurz zuvor (a. 5)
wird Bonifez guweidtih als legatus Germanicus Romanae ecclesiae bezeichnet.
2gl. Serarius,- hist. Mogunt. lib. III. n. 38, citirt bei Mansi XII.
eol. 633: eundem regem ungui saepius quid vetat? An non etiam aliquando
factum? Mitto Caroli Magni ejusque filiorum historias .. . David vero
nonne ter unctus?
1. Sam. 16, 8; I. Sam. 2, 4; 5, 3.
160 Capitel X. 754.
nicht in päpftlichem Auftrage, ) fondern nur als ein Zeichen der Hul-
digung, welche die geiftfichen Großen ebenfo wie die weltlichen dem
neuen Könige darbringen mußten. ?)
Auch die Königin Bertrada hatte bereits an der Krönung des
Jahres 751 theifgehabt;®) jest befand ſie fi abermals an der Seite
ihres Gemahls, mit föniglichem Feierfleid angetan, und Papft Stephan
ſprach über fie den Segen bes fiebengeftaltigen Geiftes aus. *) Da—
mals war e3 vielleicht, wo er an Pippin die. Ermahnung richtete,
feiner Gattin alfezeit in Treue anzuhangen, eine Ermahnung, die der
feierlichen Handlung ganz angemefjen war und mit Unrecht auf einen
Zwieſpalt zwiſchen König und Königin gedeutet worden 'ift. 9)
Bon großer Wichtigfeit war die gleichzeitige Salbung der beiden
Söhne Pippins;) denn fie bedeutete die Weihe der neuen Dpnaftie.
Der Papft ertheilte auch ihnen, wie dem Könige felbft, den Titel Pa-
tricius) und muß außerdem nod eine firchlihe Handlung an ihnen
volfzogen haben, durch welche er zu den Eltern in das Verhältniß der
Compaternität trat;®) er unterläßt e8 in feinen fpäteren Briefen nie,
beiden Thatſachen, fei e8 in der Sufeription oder auch fonft, wo es ber
Eontert mit ſich bringt, Ausdruck zu geben.?) Das Wefentlichere jedoch,
war, wie gejagt, ihre Salbung, ihre vielleicht byzantiniſchem Beifpiel
nachgebildete Ernennung zu Königen an ihres Vaters Seite.
?) Die päpftliche Correſpondenz kommt daher bezeichnenderweiſe fehr oft auf
die Salbungsfeier des Jahres 754, aber niemals auf die des Jahres 751 zurüd.
2) ©. oben ©. 34 (N. 5). Daß Bippin im Jahre 754 zugleid) zum Patricius
ernannt, nad) den Worten der Ciauſula (oben ©. 144. N. 10) in regem et
tricium .. . unctus est, fonnte feinen weſentlichen Unterfchied der beiden
eierlichkeiten begründen; denn die Erhebung zum Patricius war unmöglich je
mit einer. Salbung verbunden. .
®) Fred. cont. c. 117: una cum regina Bertradane.
9 Clausula 1. c.; über den septiformis spiritus (nad; Jeſaia 11, 2—8)
vgl. das Schreiben Karls des Großen bei Jaffe Bibl. IV. p. 374.
5) ©. unten Ercurs VII: Die Ehe Pippins.
°) Drei Annalenwerke der jpäteren Zeit nennen in einer wörtlich gleichlauten-
ben Notiz, die fid) im Uebrigen an Hilduin anlehut (f. oben ©. 156. N.),
auch Gisla, die erſt im Jahre 757 geborene Tochter Pippins, unter den Gejalbten;
vielleicht kaunte der Autor die Briefe des Cod. Carol. und ließ ſich durch die hier
öfter wieberfehrende Zufammenftellung der drei Namen Karl, Karlmann und Gisla
zu diefem Anachronismus verleiten. Es find die ann. S. Benigni Divion. (um
1125 compilitt, Pertz SS. V. p. 87) und die offenbar auf ihnen beruhenden
annales Angliae (—1155, Pertz SS. XVI. p. 480) und Besuenses (—1174,
Pertz SS. IL. p. 248); die Stelle aber lautet: bemedictus est Pipinus rex a
sancto Stephano papa Parisius et filii ejus Karolus et Karlomannus et filia
Gisila inter sacra missarum sollemnia, precipiente sancto Petro et sancto
Paulo et beato Dionisio.
?) Zgl. befonders bie Adreffen in Cod. Carol. ep. 6. 7. 8. 26. 83. 85. 46 5q.,
3 8. ep. 8 (a. 756): Dominis excellentissimis Pippino Carolo et Carlomanno
tribus regibus et nostris Romanorum patriciis.
*) Man hat angenommen (Bagi), er babe fie vor der Salbung getauft;
richtiger jedoch ift e8 wohl, am die Confirmation zu denken, die ja gleiche Ber
siehungen ſchuf.
9 Bol. 3. 8. die in Eycurs VIE citivte Stelle aus ep. 9. p. 52.
Bapft Stephan II. in Gallien. 161
In genaueftem Zufammenhange damit fteht es, daß der Papft,
indem er auch den fränfifchen Großen feinen Segen ertheilte, fie
zugleich unter Androhung der Ercommunication verpflichtete, niemals
! in alfer Zufunft aus einem amberen Geſchlechte fi einen König zu
erwählen. ) Es wäre recht wohl denkbar, daß er Hierzu durch keinerlei
oppofitionelle Bewegung veranlaßt, vielmehr nur, joweit fein Einfluß
reichte, die Erblichkeit des neuen Herrfcherhaufes zu fichern bemüht
war. Auf der anderen Seite treffen wir jedoch mehr als einmal
wirklich auf Spuren einer Gegenpartei. Nicht zum geringften trugen
grade die italienifchen Verwicklungen dazu bei, dem Könige Feinde zu
Ichaffen, und Stephan mochte daher feinerfeits mit den ihm zu Gebote
ftehenden Mitteln den König wiederum zu ftügen fuchen. Wenn wir
den Schritt des Papftes in diefem Sinne deuten, fo fragt fi, in
welcher Perſon oder welder Familie wohl die Widerfaher Pippins,
bei einem Umfturz der neuen Verhältniffe, ihren Vereinigungspunft
gefunden haben würden. An eine merowingifche Reftauration war
doch kaum zu denfen: König Childerich IIL war ins Klofter S. Omer
gebracht, fein Sohn Theodorih nad) S. Wandrille, und mit ihnen
waren die letzten Vertreter ber geftürzten Königsfamilie befeitigt. Erſt
feit dem Anfange des 9. Jahrhunderts verbreitete fi die Meinung,
der in Gallien weilende Papſt habe die Aufgabe gehabt, die meromingifche
Dynaftie aus dem Wege zu räumen. Daher die Schilderung Erham-
berts, wie Stephan bei feiner Ankunft im Frankenreiche zuerft den
Regenten Pippin um Hülfe gegen die Langobarden angegangen, wie
diefer ihn mit den Worten: „Ich habe einen koniglichen Herrn,“
an den unfähigen Merominger gewiejen, wie endlich Stephan ſich zu
Pippin zurücgemendet und ihn kraft der Autorität Petri aufgefordert,
jenen zu fcheeren und ins Kloſter zu ſchicken, felbft aber Fürft und
König der Franken zu fein.) Schon Einhard beging daher in der
Biographie Karls des Großen den Irrthum, die Abfegung Childerichs
auf einen Befehl des Papftes Stephan zurüczuführen; ’) und der
um dieſelbe Zeit lebende griechiſche Autor Theophanes bemerkt fogar,
Stephan habe Pippin des Treweides entbunden, den derſelbe einft
feinem Vorgänger geſchworen Hätte. *) Ohne Zweifel hatten die fpäteren
Generationen ein lebhafteres Gefühl für das an Childerich begangene
Unrecht, als die Zeitgenofjen felbft, in denen nur das Gefühl feiner
Unmwiürdigfeit rege war. Und fo dachte man ſich noch Stephan bei
‘) Clausula: simulque Francorum principes benedictione et Spiritus
sancti gratia confirmavit et tali omnes interdictu et excommunicationis lege
constrinzit, ut nunguam de alterius lumbis regem in aevo praesumant eligere,
sed ex ipsorum.
®) Erchamberti breviarium, Pertz SS. II. p. 328.
®) Einhardi Vita Karoli c. 1: [Hildrichus rex] jussu Stephani Romani
pontificis depositus ac detonsus atque in monasterium trusus est.
+) Theophanis Chronographia ed. Bonn. I. p. 620: Adoavıog adrdv
Tüg Emiopxiag züs mpbg Töv piya Tod abrod Zrepavor.
Yapeh. d. did. Geh. Delsner, König Pippin. u
feiner Anweſenheit in Gallien mit dem Thronwechſel befchäftigt, während
in Wirklichkeit die legten Sproffen des erften fränfijchen Könige-
gefchlechtes ſchon feit mehr denn Yahreöfrift Hinter Kloftermauern ver»
ſchwunden waren.
Unfere Vermuthung ift eine andere.) Wenn dem Könige Pippin
überhaupt ernftere Feindſeligleiten drohten, fo gingen diefe nicht von
einem Mitgliede der geftürzten Dynaſtie, fondern von feiner eigenen
Familie aus. Wir wiffen, wie fein jüngerer Bruder Gripfo im
Jahre 753, als die Beziehungen zwifhen Pippin und Aiftul; fich zu
trüben anfingen, von Aquitanien nad Stalien geeilt, wie feine Pläne
jedod durch einen jähen Tod vereitelt worden waren. Jetzt aber trat
der ältere Bruder Karlmann nad; mehr als fechsjähriger Abweſenheit
wieder auf fränfifchem Boden auf, um Stephans und ſomit auch
Pippins Abfichten zu durchkreuzen. Karlmann hatte befanntlih in
Rom das Möncsgelübde geleiftet, dann einige Zeit im Kloſter des
Beil. Siloefter auf dem Berge Orefte zugebracht, endlich aber feinen
Aufenthalt bei den Mönden von Montecafino genommen, an deren
Spige feit 750 der Abt Optatus ftand. ?) Nun gehörte Montecafino
zum Herzogthum Benevent, einem Dajallenlande der Langobarden.
Nachdem aljo Stephan zu Pippin gegangen war, wußte Aiftulf durch
Vermittlung des Abtes, vielleicht auch feines eigenen Bruders Rachis,
welcher ſich in dasſelbe Klofter zurückgezogen Hatte, den Mönch Karl
mann zu bewegen, daß er dem Papfte nachreifte, um den Wünfchen
desfelben entgegenzumirfen. Er unterzog ſich dem Auftrage gern nad)
der einen, ®) ungern nach der anderen Weberfieferung; 4) in jedem Falle
betrieb er feine Miffion mit großem Eifer.) Won den zahlreichen
Quellen, die fein Auftreten melden, “) giebt freilich feine an; daß
Karlmann, indem er dem Papſte entgegenarbeitete, auch gegen Pippin
eine feindfefige Haltung angenommen habe; indeſſen Liegen hierfür
doch gerwichtige Andeutungen vor. Schon daß die beiden Brüder in
der Sade, um die es ſich handelte, entgegengefegten Meinungen
huldigten und daß der König dem Drängen Karlmanns doch nicht
nachgab, mußte die Stimmung zwiſchen ihnen verbittern; es lag nichts
162 Eapitel X. 754.
9 at ſchon Waitz, VG. II. ©. 66-67; befonders auch Krosta, de
donationibus a Pippino et Carolo Magno sedi apost. factis, p. 18—15.
?) ©. oben ©. 57—58.
®) Benedieti chronicon c. 19, Pertz 88. III. p. 705: libenti animo
perrexit sieque in Franciam venit. '
4) Einh. ann. 753: invitus tamen hoc fecisse putatur, quia nec ille
abbatis sui jussa contemnere, nec abbas ille praeceptis regis Langobardorum,
qui ei hoc imperavit, audebat resistere.
®) Vita Stephani II. c. 30: Dumgue conjunzisset illuc, nitebatur omnino
et vehementius decertabat sanetae Dei ecclesiae causam subvertere, juxta
quod a praefato necdicendo Aistulfo tyranno fuerat directus.
°) Nur Fred. cont. und Einh. Vita Karoli ſchweigen davon gänzlich. Die
Chronica 8. Benedicti (gefgjrieben 872), Pertz SS. II. p. 200, laͤßt Karlmann
als legatus pro reipublice a Papa missus nad; Srancien fommen.
Bapft Stephan II. in Gallien. 163
näher, als daß Karlmann und. die Mißvergnügten im Stante einander
die Hände reichten. Daß etwas Derartiges aber wirklich geichehen
fein muß, beweift vor Alfem die bedeutungsvolle Maßregel, welde
Pippin erft jegt gegen die Söhne feines Bruders ergriff. Er Tieß fie
nämlich, wie einft Childerich und defjen Sohn, ins Klofter bringen. ')
Es galt alfo, einer Bewegung vorzubeugen, die den Thron, nicht der
Rarolinger überhaupt, fondern nur der Pippinifchen Linie bedrohte. —
Ein zweites Argument Liefert die fpätere päpftliche Correfpondenz.
Karlmann war, als er nad) Gallien gegangen, von mehreren Brüdern
feines Kloſters begleitet worden; inzwijchen war er felbft gejtorben,
die Langobarden von Pippin in zwei glücklichen Feldzügen gefchlagen,
Herzog Liutprand von Benevent von der Seite Aiftulfs auf die Seite
der Sieger getreten, volle drei Jahre waren feit der Abreife Karl-
manns und feiner Gefährten verfloffen, und die Mönde noch immer
nicht zurückgefehrt. Jetzt endlich wandte ſich Optatus an den Papft,
| nit etwa, damit diefer ihnen die NRückkunft geftatte, fondern damit
er bei Pippin die Erlaubniß erwirke. Stephan II. trug dem Könige
die Bitte des Optatus nicht ohne eine gewiſſe Zurüchaltung vor:
„Der fromme Abt Optatus,” fehreibt er, „hat uns in Betreff einiger
Mönche feines Kloſters, die einft mit deinem Bruder gereift find, die
Bitte ausgefproden, daß du fie entlaffen möchteft; beftimme du über
fie jedoch ganz nad) deinem Ermeffen.“ %) Aus diefen Worten ſcheint
uns hervorzugehen, daß die Mönche im Frankenlande eine Art Ge
fangenfchaft zu erleiden hatten, die fih am natürlichften durd ein
voransgegangenes Vergehen gegen den König erklärt.
Auch Karlmann felbft war dur übereinftimmenden Beſchluß
Pippins und des Papftes im Frankenlande zurüdgehalten worden, °)
und zwar blieb er, nachdem er dem Könige auf feinem Zuge nad)
Italien bis an die Rhone gefolgt war, mit der Königin Bertrada in
einem Klofter der Stadt Vienne zurüd. 4) Hier kränkelte er längere
Zeit, bis er am 17. Auguft 755 ftarb.®) Seine Leiche wurde auf
* 2) Ann. Lauresh. Petav. Mogell. 753: Et papa de Roma venit, et Carlo-
mannus post illum et filii sui tonsi.
®) Cod. Carol. ep. 11. p. 67: petüit nobis Obtatus religious abba vene-
randi monasterii sancti Benedicti pro monachis suis, qui cum tuo germano
profecti sunt, ut eos absolvere jubeas; sed qualiter tua fuerit voluntas, ita
de eis — jubeas. 1. einen ähnlichen Fall ep. 29. p. 110—111.
®) Ann. Alam. altern Nazar. 753: Et Karlomannus rediit, qui et
detentus.
3 Ann. Laur. maj. 755.
3 Vita Steph. IL. c. 30; ann. $. Amandi, Lauriss. maj., Einh. 755;
Lauresh. 754 u. a. m. ®Die ann. Fuldenses Enhardi 754 fagen irethümfich:
Lugduni vita decessit. Das Jahr 755 ift, wie wir fehen, nicht ganz unan«
fechtbar ; ebenfo der Tag. Mir dem 17. Auguſt zeugt die Vita Stephani, wo es
ausdrüctic), jedod) nicht in allen Codices, heift: die nempe 17. Augusti anno
Domini 755. Das Nekrologium Hugo’ von Flavigny dagegen, Pertz SS. VIII.
P. 287, offenbar das vetustum necrologium Flaviniacense de8 Pagi, Critica III.
P- 297 (nicht Floriacense, wie Krofta p. 13. n. 4. irrig anführt) giebt den,
N
164 Eapitel X. 754.
} Befehl Pippins nad) Montecafino gebracht und hier beigefegt.") Das
Silvefterflofter auf Monte Orefte aber, das er vom Papfte Zaharias
zum Beſitz erhalten hatte, übertrug Paul I. im Jahre 762 an Pippin,
indem er das Präcept des Zacharias ausbrüdlih für aufgehoben er-
Märte.?) Wenige Jahre darauf wurde die Schenfung von Pippin
wieherum durch ein Diplom, das und nicht erhalten ift, dem Papfte
Paul veftituirt. °) .
4. December an: 2. Non. Dec. Karlomannus monachus frater Pippini regis
obüt. Nur wenn der Tod Karlmann’s am 17. Auguft des Jahres 754 erfolgte,
, würden die bier zum Theil felbftändigen ann. Einh. mit Xedt fagen, daß er
B vor der Rückehr Pippins aus Jialien geftorben fei: priusquam rex de Italia
F reverteretur, febre correptus, diem oblit. Auffalfendermweife wird in dem necro-
logium Casinensis ecelesiae, Muratori 88. rr. Ital. VIL ool. 989, Gattola
hist. abbatise Cassinensis accessiones p. 843, des Kloſterbruders Karl-
mann nicht gedacht.
!) Einhardi ann. 755: cujus corpus jussu regis ad _monasterium sancti |
Benedicti ... relatum est; die vorerwähnte Chronik von ©. Benedict (nad) ihr J
die chronica mon. Casin. auctore Leone, Pertz 88. VII. p. 584) fügt hinzu: |
in locello aureo.
®) Cod. Carol. ep. 28. p. 98.
Daf. ep. 42. p. 148-144; Sickel, Acta deperdita p. 380. n° 3.
Ilftes Gapitel.
Das Ende des Bonifacius.
754.
In einem Schreiben an Erzbifchof Eudberht von Kent aus dem
Zahre 748 äußerte Bonifaz unter Anderem: „Laßt uns, wenn Gott
es jo beſchloſſen hat, für die heiligen Geſetze unſerer Väter fterben,
damit wir mit ihnen des ewigen Erbes theilhaftig zu werben verdienen, “%)
Die Stunde fam nun, wo er dies Wort wahr machen ſollte. Dan
mag über die Ziele des Bonifaz urtheifen, wie man wolle: wer für ver
gangene Zeiten ſich ein unbefangenes Verftändniß bewahrt hat, wird dem
Leben und Sterben diefes Mannes feine Bewunderung nicht verfagen
tönnen, „Alle Koftbarfeiten der Welt,“ fo äußert er einmal, „fie beftehen
nun im Glanze des Goldes und Silbers oder in funfelnden Ebdel-
fteinen, in fehwelgerifchen Speifen oder in ausgeſuchtem Kleiderſchmuck,
ziehen wie ein Schatten vorüber, vergehen wie Rauch, verfchwinden dem
Schaume gleih;*) eine Zierde von wahrhafter Schönheit ift die göttliche
Weisheit, welche uns an die Ufer des Paradiefes und zu den dauern-
den Freuden der Engel führt.“°) Sole Worte ſchrieb Bonifaz einft,
als er in volffter Mannesblüthe ftand, und fein Zug aus feinem
langen Leben Hat fie Lügen geftraft. Was die Menſchheit im Innerſten
bewegt, da8 Verlangen nad irdifchem Wohlergehen, er gab es im
Dienfte feiner Mitmenschen und für die Hoffnung jenfeitigen Gluckes
freudig hin. So ſteht er, hoch über der Menge, in der Reihe jener
Auserleſenen, welche ihr Leben einem Ideale zu weihen und zu opfern
verſtanden haben.
Jafẽs Bibl. III. ep. 70. p. 208; Moriamur, si Deus voluerit, pro sanctis
legibus patrum nostrorum, ut hereditaten cum illis aeternam consequi mereamur.
®) Dal. ep. 9. (716--717) p. Bl.
5 Dal. p. 52.
166 Gapitel XI. 754.
Weit hinter ihm lagen die Zeiten, wo es noch fein Borfak ges
wefen, in das angelfächfifche Heimatland zurädzufehren.!) Sein fühner
Geiſt Hatte damals vielleicht vafcher die große Lebensaufgabe zu be-
wältigen gehofft, als es in Wirklichkeit gelungen. Statt nad England
zurüdzufehren, begab ſich der Greis vielmehr, wie einft al8 er das
erfte Mal das Feſtland betreten, zu den heidniſchen Sriefen, um ſich
dem durch die fränfifche Kirchenreformation unterbrochenen Werfe der
Heidenbefehrung noch einmal und bis an fein Xebensende hinzugeben.?)
Ob Bonifaz feit feinem Zufammenwirfen mit Wilfibrord jetzt
zum erften Male wieder nad) Friesland gekommen, ift ſchwer zu fagen.
Wäre dies der Fall, wie könnte Liudger fein Wirfen daſelbſt mit der
Thätigfeit Wilfibrords und Gregors, als feines Vorgängers und Nad-
folgers, auf gleiche Stufe ftellen?®) Bon Liudgers eigenen Vorfahren
ferner, einer frommen und angefehenen friejischen Familie, wird erzählt,
daß fie, wie mit Willibrord, fo auch mit Bonifaz in vertrautem Ver-
tehr geftanden.*) Willibald freilich, der Biograph des Bonifaz, er-
wähnt eines weiteren Aufenthalts in Friesland nicht, ja, feheint einen
folchen fogar auszufchließen; °) allein ihm ift e8 weniger um fachliche
Volfftändigkeit, ala um ein recht verflärtes Heiligenbild zu thun. ©)
Bei der ungemeinen Nührigfeit des Legaten, bei feinen „beftändigen
Reifen“ ?) dunkt e8 uns vielmehr Höchft unwahrſcheinlich, daß er nicht
auch die Utrechter Diöcefe Hin und wieder befucht Haben follte. ®)
Würden wir doch aus Willibalds Buche ebenfo wenig von ben
Bert. Bibl. ID. ep. 9. p. 52: Si Dominus Ba gr voluerit, ut ali-
inte paries remeans, sicut propositum hal
DJ En Willibaldi Vita 8. Bonifacii c. 8. p. 462: — ——e
yatieini raesagio sequentem obitus sui diem ... praenuntiavit et, quali
ie demum relinqueret, insinuavit.
u Vita 8. Gregorii abb. Trajectensis c. 14, Mabillon Acta SS. III. 2.
p. 329. Wir jehen dabei von der offenbar i irrigen Notiz ganz ab, daß Bonifaz
je Sabre in Friesland gepreigt habe: c. 3. p. 321.
*) Vita 8. Liudgeri c. 4, Pertz 88. II. p. 406: Habuit progenies illa
magnam familiaritatem cum sancto Willibrordo, nec non et cum sancto
Bonifacio, qui eum partibus illis doctor serenus illuxit.
5) Willibaldi Vita S. Bonif. c. 8. p. 462: Ut ubi, primitus praedicationis
studium ingrediens, praemiorum inchoaverat inerementa, etiam e saeculo
rediens sumptus reciperet remunerationis. ®gl. daj.: Fresiam olim corpore,
non quidem mente, omissam; ferner c. 4. p. 441: proponens animo . quod
multis transactis annorum curriculis gloriosa martyrii testificatio conprobarit.
) Es ſcheint daher auch kein Grumd vorhanden, die Schrift Willibalds, wie
fie auf uns gefommen, mit Jaffe, Bibl. III. p. 424, für unvollftändig zu halten.
?) Ex jelbft fpricht nämlich einmal von instantes labores et itinera continug;
Jaff6 TIL ep. 88. p. 287.
°) Seiters, Bonifacius ©. 511—512, fließt aus Jaff6 III. ep. 65. p. 184,
daß Bonifoz in der Zeit zwiſchen Rarkmanns Abdankung und der Cirmeitung
18 toieder in Friesland geweſen fei. Die Anfrage, Indica nobis aliqı
episcopo nostro, ift in der That nad) Beieeland gerichtet (Quare non trang-
misisti vestimenta, quae debuisti mittere de Fresarum provincia?); fie würde
jedoch ihre Beneishaft verlieren, wenn fie, wie aus dem Worte transmisisti her-
vorzugehen fcheint, von England ausgegangen ift. Bgl. Hahn, Jahrb. S. 211.N. 1.
1
—
Das Ende des Bonifacius. 167
häufigen Befuchen des Kloſters Fulda erfahren haben, deren Andenken
uns durch Eigil erhalten ift.!)
So meldet auch nur eine fpätere Quelle von der Anmefenheit
des Bonifaz in Hornbach (Gamundias) bei Zweibrücken, kurz vor dem
Antritt feiner friefifchen Reife. Er wünſchte den Heil, Pirmin, den
frommen Stifter der Klöfter Reichenau und Hornbach, zu fehen und
fi mit ihm über die Erhaltung des Chriftentfums im Volke zu be»
ſprechen.) Während Pirmin furze Zeit nah dieſer Zufammenkunft,
am 3, November 753, in Hornbach ftarb,®) kehrte Bonifaz nad Mainz
zurück und rüſtete fh hier zur Fahrt nach dem Friefenlande.*)
Wir werden den Beginn diefer Fahrt wohl in den Juli oder
Auguft 753 zu fegen haben, nachdem noch im Juni die Zufammen-
funft mit Pippin, die Ertheilung des Diplome für Fulda und die
Berathung des Vorhabens mit dem Könige und den Großen ftatt-
gefunden. 5) In feiner nächften Umgebung Hatte Bonifaz jetzt vor
Allen den Biſchof Lull, der bereits früher zu feinem Nachfolger er-
nannt und der wahrſcheinlich auch ſchon auf der letzten thüringer Reife
fein Begleiter gewejen war.“) Ihm legte er im Vorgefühl feines
nahen Todes die Pflichten des Biſchofsamtes, die Erhaltung des ortho-
doren Glaubens, beſonders aber die materielle Fürforge für feine
Kirchen- und Klofterftiftungen ans Herz; ) ihm befahl er, feine Leiche
dereinft nad) Fulda zu bringen; ihm übertrug er alle Vorbereitungen
zur Reife — er nahm zahfreiche Bücher und Reliquien mit —; „aber
auch das Leintuch,“ fprach er, „in welches mein entfeelter Leib gehülft
werden foll, lege zu meinen Büchern.“ Lull antwortete mit einem
Strom von Thränen; da brach Bonifaz das Gefpräh ab und ging
zu Anderem über. ®)
Noch viele andere feiner Jünger umgaben ihn in diefen feier-
lichen Tagen; °) unter ihnen befand jich Lioba, auch Leobghtha genannt,
2) ©. oben ©. 87.
3) De stabilitate sanctae ecclesiae populique christiani: Vita 8. Pirminii,
in fürzeree Faſſung bei Done, Onellenfammlung der bad. Landesgeſchichte I.
©. 85, c. 15; ausführlicher bei Mabillon Acta SS. III. 2. p. 149, e. 22. —
Felix, qui tantorum virorum vidit amplexus! ruft der Verfaffer aus.
®) ©. Rettberg II. ©. 54.
+) Vita Pirminii ed. Mone l. c.: Sanctus autem Bonifacius Mogontiam
reversus est et inde ... per alveum Reni tendebat ... regionem Fresonum
visitare volens.
°) ©. oben ©. 65—66.
) Vgl. was oben ©. 89 von dem Wiederaufbau der zerftörten Kirchen gefagt
ift, mit dem, was die Passio S. Bonifacii, Jaff& III. p. 477, erzählt (Qualiter
Lullum omnibus orientalibus commendavit), ſowie mit den Worten, melde
Willibald dem Bonifacius in den Mund legt (c. 8. p. 462): Sed tu, fili karissime,
structuram in Thyringea a me ceptam aecclesiarum ad perfectionis terminum
IC.
”) willib. c. 8, p. 462; vgl. oben ©. 87.
*) Willib. c. 8. p. 463.
®) Die Vita Liobae 5. B. erwähnt der seniores monachorum von Fulda,
qui aderant: Mabillon Acta SS. 2. c. 20. p. 256.
168 Eapitel XI. 754.
die durch hohe Tugend und Geiftesfraft ausgezeichnete Heimatgenoſſin
und Anverwandte des Bonifacius,t) die von ihm an die Spige des
Nonnenklofters zu Bischofsheim geftellt worden war. Bonifaz hatte
fie zw fich berufen, um fie zw unerfchütterficher Ausdauer in ihrem
Berufe zu ermahnen: nicht Alter, nicht Gebrechlichkeit, fein Leiden diefer
Welt folle fie von ihrem Ziele ablenken; fei das Leben ja fo kurz
im Vergleiche zur Ewigkeit, wo die Herrlichkeit der Heiligen fie erwarte,
Er empfahl fie der Fürforge Lulls und der anweſenden Mönde von
Fulda, fprah den Wunſch aus, daß ihr Leichnam einft neben dem
feinigen beftattet werde — ein Wunſch, der nachmals wirklich erfüllt
worden ift?) —, und indem er ihr feheidend fein Gewand überreichte,
bat er fie nochmals, das Land ihrer Pilgerfchaft nie zu verlaffen. °)
Mit zahlreichen Begleitern *) beftieg er das Schiff, weldes ihn
theinabwärts nad) Friesland führen follte. Für den nächtlichen Auf-
enthalt wurden jedesmal geeignete Häfen ausgeſucht; einen folchen Ruhe⸗
punft bot ihm unter Anderem das nicht mäher bezeichnete Grundftück
einer frommen Matrone, die hier ein ascetifches Leben führte: fie ver—
ſprach ihm auf ‚feinen Wunſch,“) daß fie eine Glode von ſchönem
Klang, welche in ihrer Kapelle hing, bei feiner Rückkehr ihm zum
Gefchent machen würde. 6)
Das Schiff gelangte bis in die Zupderfee, und zwar entweder
durch die Yſel oder, wenn eine fpätere Nachricht von der Meife über
Utrecht Glauben verdient,”) durch die Vechte, welche ſich hier vom
Rhein abzweigt. Die Fahrt folgte fodann dem öſtlichen Ufer der
Zuyderſee, weldhe damals bekanntlich ein Binnengewäfjer bildete und
dur den Fli (Flevum) mit dem Meere in Verbindung ftand. Diefer
Fluß ſcheint bis dahin, nicht die Herrſchaft der Franken, aber die des
Chriſtenthums oftwärts begrenzt zu haben. Die Miffionsthätigfeit
des Bonifaz erftrecte ſich daher jetst über das bereits fränfifche Gebiet
zwifchen Fli und Lawers, das Heutige Weftfriesland, welches durch den
nordweitwärts fließenden Boorufluß (Bordne) damals in Oftrachia
und Weſtrachia (Ofter- und Weftergo) zerfiel und über welches hinaus
?) Sgf. Jaff6 III. ep. 28. p. 83: Bonifacio . ... mihi adfinitatis propin-
quitafe conexo Leobgytha; Vita Liobae c. 10.p. 251: affinitate sibi [Bonifacio]
ex mäterno sanguine jungebatur.
%) Vita Liobae c. 24. p. 257.
®) Daf. c. 20. p. 256.
+) Willib. c. 8. p. 468: Sumptis secum conviatoribus navem ascendit;
Jaff6 II. ep. 108. p. 262: cum suis plurimis domestieis.
5) Auch aus England erbat fi) Bonifaz einft eine Glode: $ 62. p. 181.
Ein Seföentie &. Gallen mit einer foldjen: Vita 8. Galli lib. II. c. 11, Pertz
. IL p. 28.
°) Vita Pirminii, Mone p. 35, Mabillon p. 150. Den Namen jener Frau
(Beala) vet nur die größere Vita, wenn nicht auch Hier etwa beata dafiir
zu leſen iſt.
) Vita Bonifacii auctore Ultrajectino, Pertz SS. II. p. 349. n. 28:
moxque per undas Rheni ... . Trajecto oppido delatus est.
Das Ende des Bonifacius. 169
erft in den Zeiten Karls des Großen fi die Frankenherrſchaft und
das Chriſtenthum zugleich, ausbreitete.
Hier gelang e8 ihm und feinen Genoffen, Taufende von Männern,
Frauen und Kindern zur Taufe zu bewegen; die Götenbilder wurden
zertrümmert und Kirchen gegründet.Y) Nach längerem Aufenthalte da-
felbft begab er ſich, offenbar für die Dauer des Winters, zu feinen
in Deutfchland gelegenen, aber nicht näher angegebenen, Kirchen zu—
rück.) Ueber die Zeit Bis zu feiner zweiten Reife nach Fries—
Sand find wir ohne alle Nachricht; es waren diefelben Wintermonate,
während deren Papft Stephan II. in S. Denys weilte. Bonifacius,
der, wie gejagt, in Deutfchland Raſt hielt, begab fih, ohne mit dem
Bapfte in perfönlichen Verkehr getreten zu fein, im Frühjahr 754 fogleich
wieder nach Friesland zurück.
Ob er von neuem geprebigt und abermalige Bekehrungen voll»
bracht Hat, oder ob es fi) nur um die Neophyten des vergangenen
Jahres handelt: genug, er beftimmte den 5. Juni für die Confirmation
der Neugetauften und ſchlug zu diefem Zwecke, während die Menge ſich
in ihre Wohnungen zerftreut Hatte, am Ufer des Boornfluffes, bei
Dofkum, feine Zelte auf.?) Ich glaube vermuthen zu können, warum
Bonifaz diefen Tag zur Feier der bifhöflichen Handauflegung wählte.
Derfelbe fiel in jenem Jahre auf den Mittwoch nach Pfingften, *)
einen der vier fpäter fogenannten Ouatemberfafttage,5) ſchon damals nad}
gewiefenermaßen eine Faftenzeit.*) Die Confirmationsfeier aber legte fo-
Willib. c. 8. p. 463.
Bon diejer — und der Ameifadien — gech Friesland berichtet
nur Vita 8. Sturmi c. 15, Pertz SS.
) Willi. c. 8. p. 464. In den Bart, "ala *restom confirmationis
neopi am diem et nuper baptizatorum ab episcopo manus inpositionis et
confirmationis populo praedixerat, ift offenbar ein fehler enthalten; denn
Neophyten find nicht etwa Katechumenen, die noch vor der Taufe ftehen, fondern — und
fo faßt auch Othlon in jeiner Ueberarbeitung Willibalde das Wort auf (Mabillon
Acta, SS. III. 2. cap. 22. p. 84) — fo viel ale nuper baptizati, daher cönfirmatio
neophytorum daffelbe wie confirmatio nuper baptizatorum. Nun jehlt «8 zwar
bei Willibald nicht an Parallelismen, doc; findet er ganz in biblifcher Weife für
die gleichen Begriffe ftet8 neue Worte und Wendungen, während fi hier das
Wort confirmatio wiederholt. Indem ic daher von berjelben Vorausſetzung
ausgehe, auf welde Hin Jaffs am einer andern Stelle, p. 459, not. d, . gegen die
Autorität der Codices eine Verfegung vorgenommen, jdeint mir der Sat fol-
gendermaßen umzuftellen: quia festum nuper baptizatorum ab episcopo
manus inpogitionis et confirmationis neophitorum diem etc. — Aud; Simfon,
Willibalde Leben des heil. Bonif. S. 80. N. 6, hält die Stelle für corrumpirt.
Der Pfingffonntag war am 2. Juni.
Haltaus, Calendarium p. 101.
—— das zweite Concil zu Tours vom Jahre 567 beſtimmte c. 27:
de jejuniis vero antiqua a monachis instituta serventur, ut post quinqua-
gesimam tota hebdomade ex asse jejunent. Von dem heil. Egbert aber, welcher
im 7. Jahrhundert lebte, meldet Beda, hist. eccl. Angl. lib. III. c. 27: post
peracta solemnia Pentecostes ... non plus quam semel in die reficiebatur etc.
Dgl. Muratori Anecdotorum IL. p. 246-266: de IV temporum jejuniis,
beſonders p. 266.
170 j Capitel ZI. „784.
wohl den Gonfirmirenden als auch den Confirmanden ftrenges Faften
auf. *) Diefer Zufammenhang zwifchen der Wahl des 5. Juni und feiner
religiöfen Bedeutung mußte ſchon Willibald, dem erjten Biographen
des Bonifaz, entgehen, da derfelbe in der Annahme des Jahres ivrte.*)
Ein Wunder Tündigte Bonifaz das bevorftehende Ereigniß des
Tages an: im ber vorhergehenden Nacht war das Zelt, in weldem
er anhaltend betete, von himmliſchem Lichte durchſtrahlt.“) Als der
Tag anbrach, erichienen ftatt der Neubekehrten zahlreiche Feinde vor
den Zelten. *) Dem Bonifaz jtand, außer feinen geiftlichen Gefährten,
auch ftreitbare Mannſchaft zur Seite; 5) beim Anblid der Feinde griff
diefe zu den Waffen und wollte Widerftand leiften. Auf ben erften
Waffenlärm aber trat Bonifaz, mit heiligen Reliquien verfehen und
ein Evangelienbuch in der Hand, von feinen Kerifern umgeben, aus
dem Zelte hervor. Er unterfagte den Kampf und forderte ſeine Be—
gleiter auf, ftarfen Muthes den Tod zu erleiden; denn nur den Leib
tönnten die Mörder verderben, nicht die Seele, welche bald der ewigen
Belohnung theilhaftig fein werde.) Ohne Gegenwehr erlag nun
Bonifaz und fein ganzes Gefolge den Schwertftreichen der wüthenden
Heiden. Die Zahl der Opfer belief fi auf 52; 7) die Namen der
zehn Geiftlichen, welche mit ihrem führer ftarben, find uns von
Willibald aufbewahrt und glänzen feitden in dem Verzeichniß der
Blutzengen des Chriftentfums. Es waren Eoban, der Biſchof von
Utreht; die drei Priefter Wintrung, Walthert und Aethelheri; die
Diafonen Hamund, Seirbald und Bofa;. endlich die vier Mönde
Wachar, Gundaecer, Zehere und Hathomif.*) Ein jüngerer Bericht
) Für das Faften des Biſchofs finde ich allerdingg nur eine Beftimmung
des Concils von Meaur (845), c. 3: Ut episcopi nonnigi jejuni per imposi-
tionem manuum Spiritum sanctum tradant; für das der Confirmanden dagegen
das c. 6. des Eoncil8 von Orleans: Ut jejuni ad confirmationem veniant per-
fectae aetatis (Ivonis Decret. I. c. 261, Migne Patr. lat. CLXI. col. 120. 121).
*) €3 Liegt darin zugleich ein nicht unerheblicher Beweis für das Jahr 754
als Zobesjahr des Bonifaz (f. Ercurs VI). Im Jahre 755 fiel Pfingften auf ben
25. Mai, der 5. Juni (ein Donnerstag) gehörte aljo nicht mehr.der Pfingſtwoche an.
®) Passio 8. Bonif. 1. c. p. 479.
*) Willib. c. 8. p. 464. Othlons Auffaffung biefes Gates, die den Sinn
ſehr unweſentlich modificirt (Mabill. IIL 2. p. 88), ift ſchon von Mabillon
pP. 89. n. 9. als ivrig bezeichnet. 5
®) Ueber bieje pueri oder clientes vgl. Wait, BG. IV. ©. 232. N. 4.
©) Willib. p. 465. Der Wortlaut der beiden Reden ift offenbar Willibalds Zuthat;
denn man könnte mit Recht fragen, wer von den Hörenden biefe Stunde überlebt habe.
?) Vita 8. Bonif. auetore Ultrajectino, Acta SS. Boll. 5. Jun. I. p. 481;
danach Vita S. Bonif. auctore forsan Monasteriensi, daj. p-
®) Willib. p. 463—464. Die Martyrologien des Erzbiihois Ado von
Vienne (f 874) und des Mönde Husward von S. Germain des Pr&s_dom
are 875 heben unter den Genoffen nur Eoban hervor (5. Juni): s. Bonifacius
N... martyrium consummavit cum Eoban coöpiscopo et aliis servis Dei (Abo
bei Migne Patr. lat. OXXIH, nad; Heribert Roswegde, col. 281; Ufuardus bei
Migne CXXIV, nad) Sollerius, col. 128). Dagegen werden in den ann. Xantenses
752 ge als die mobiliores inter eos mit Namen angeführt, Pertz SS. II.
P. 222: Eobanus episcopus et Adalarius sacerdos (ohne Zweifel der Aethelheri
Das Ende des Bonifacius. 171
bezeichnet noch Hyltibrant, einen Bruder des Diaconus Hamund, der
fir die Bebürfniffe des Tiſches geforgt Hatte, ala den zuerft Heraus»
getretenen und zuerft Ermorbeten. !)
Ueber die Leiten Augenblice des Bonifaz befigen wir die Ausfage
eines alten Weibes, welches eiblich betheuerte, ein Augenzeuge des
Ereigniſſes gewefen zu fein. Dana) empfing er ftehend und betend
den Zodesftreic, indem er, wie zum Schuge gegen das erhobene
Schwert des Mörders, den Evangeliencoder über feinen Kopf hielt. ?)
Noch im 11. Jahrhundert zeigte man zu Fulda die Bud, welches
dom Schwerte verleit war, ohne daß auch nur ein einziger Buchſtabe
beſchädigt erſchien; und man fand dies viel wunderbarer, als wenn
da8 ganze Buch unverfehrt geblieben wäre. °)
So endete das Leben des heil. Bonifacius, ein Lehrerleben im
bedeutendften Sinne des Wortes.
Wir rühmen an ihm vor Allem die innere Wahrheit des Weſens,
die zwifchen Denken und Wollen, zwifchen Reden und Thun feinen
Unterfchied zuließ. So weit war er von allem Wortheldentfum ent
fernt, daß es ihm weniger nöthig ſchien, auf die gleichfam felbftver-
ftändliche Webereinftimmung zwiſchen Worten und Handlungen zu
dringen, als vielmehr darauf, daß der Fromme ſich nicht in einfamer
Tugend genüge. „Dazu ift der Priefter der Kirche vorgeſetzt,“ ſchreibt
er,*) „damit er nicht nur durch guten Lebenswandel ein Beiſpiel
gebe, fondern auch in zuverfichtlicher Belehrung den Einzelnen ihre
Sünde vor Augen führe und ihnen darthue, welde Strafe die Ver»
ftodten, welcher Ruhm die Gehorfamen erwarte. Denn wen das
Predigtamt verliehen ift, darf nicht erröthen, noch ſich fürchten, die
Gottloſen zu warnen; fonft ftirbt er, bei aller Heiligkeit feines eigenen
Wandels, mit allen denen, die durch fein Schweigen geftorben find.“ 5)
des Willibald). Diejer Adelharius findet fih dann auch in fpäteren Zuſätzen des
Martyrologiums von Ado, und zwar gleich Eoban als coöpiscopus, während die
älteften drei Cobice ihm micht Tennen Ye. Roeweyde bei Migne . c. col. 427).
Im 16. Jahrhundert endlich wird er ohne, ja, gegen jebes zeitgenöfftiche Jeugniß
als Oberhaupt des thüringifchen Bistums Erfurt bezeichnet; Rettberg II. S. 368.
t) Passio 8. Bonif. p. 479.
?) Vita 8. Bonif. anet, Ultraject., im Auszuge bei Jaffs TIL. p. 506.
®) Othloni Vita 8. Bonif, im Muszuge bei Jaffd II. p. 803. Bei diefer
Gelegenheit fei erwähnt, daß die Bibliothek zu Fulda noch heute eine alte Hand-
ſchrift des N. T. befitt, welche, wie man vermuthet, von Bonifaz dorthin ge:
bradt und mit Randbemerkungen vom feiner Hand verfehen ift. Das hierüber
erſchienene Bud) von €. Ranke, Codex Fuldensis ... Novi Testamenti, Marburg
und Kein, 1868, habe ic; nicht einfehen können.
+) Jait6 III. ep. 70. (an Eudberht von Kent) p. 204—205. Dem eutſpricht
es, wie Cudberht nach des Bonifacius Tode deffen Wirken charakteriſirt: per
sacrae exhortationis ineitamenta et per exempla pietatis ac bonitatis ipse
ductor et signifer; ep. 108. p. 263.
) Nach Ezechiel 3, 18.
172 Capitel XI. 754.
So arbeitete Bonifaz denn auch raſtlos an Dem, was er als das
Heil feiner Nebenmenſchen erkannt hatte; und nod im Greifenalter
begab er ſich unter die Heidnifchen Friefen.
Welche Unerſchrockenheit zu folder „zuverfichtlichen Predigt” ge-
hörte, beweift nicht allein fein Lebensende; auch mitten in der Gemein-
ſchaft der Gläubigen erforderte fie rücfichtslofen Muth. Es galt,
auch die Reichen und Vornehmen, wenn fie ierten, zurechtzumeifen,
die Schwachen gegen die Gewalt der Mächtigen zu vertheibigen; !)
es galt, um der Gottesfurcht willen fein Anfehen der Menfchen zu
fürchten.) Wenn er an den Hof ging, fo geſchah es, weil er des⸗
felben zur Förderung feiner religiöfen Intereſſen bedurfte: $) „ohne
den Schuß des Sranfenfürften,“ jagt er, „vermag ich weder das Volk
zu leiten, noch die Kirchen und Sloftergeiftlichfeit zu ſchirmen; ohne
fein Machtwort bin ich außer Stande, Götzendienſt und Heidnifche
Sitte in Deutſchland zu unterdrüden.“ 4) Nur weil er fonft großen
Schaden für feine Predigt fürchtet, befucht er den Palaft, fo fehr es
ihn auch ſchmerzt, die Berührung mit falfchen Prieftern daſelbſt nicht
gänzlich vermeiden zu fönnen.d) Wir werden an Lioba erinnert,
deren Biograph erzählt, fie habe das Geräufch des Hofes wie einen
Beer Gifts gemieden.) Es war ber Geijt des Lehrers, der die
— Aebtiſſin wie alle ſeine zahlloſen Schüler und Schülerinnen
eſeelte.
Denn von ihm kann, wie nur ſelten in ſolchem Maße von einem
Meiſter, geſagt werden, daß er eine Schule gegründet habe. Wir
kennen die Burchard, Lull, Deneard, die Brüder Willibald und Wunni—⸗
bald, Frauengeſtalten wie Chunihilt und Berthgit (Mutter und Tochter),
Chunitrud, Tecla, Waltpurg und vor Allen Lioba oder Leobghth, die
auf feinen Ruf die angelfächfifche Heimat verlaſſen hatten, um ihn
in feinem Werke zu unterftüßen. ) Aber auch auf dem Feſtlande
gewann er zahlreiche Zünger. Im Baiern folgte ihm, auf den Wunſch
der Eltern, Sturm, der Sohn eines edlen Haufes; er nahm von
feiner weinenden Familie freudig Abfchied und trat mit dem Biſchof
die Pilgerfhaft an.?) Der 14—15jährige Gregor, Sohn eines vor-
nehmen fränkifchen Gefchlechts aus der Mofelgegend, hatte Bonifaz
nur einmal gehört und fühlte ſich unwiderftehlih an ihn gefeffelt.
Ohne Wiffen feiner abweſenden Eltern, gegen die Abmahnungen feiner
) Jaff6 II. ep. 70. (Bonifacii) p. 206—207. 208.
?) Ep. 60. p. 177: pro timore Dei personam hominis non timeas.
2 Sosente ecclesiarum necessitate: ep. 79. p. 219.
Ep. 5b. p. 159.
9 Daf.: Sed item timeo magis damnum de praedicatione ... si ad
prineipem Francorum non venero.
°) Vita Liobae c. 21. p. 256: Sed illa, ut veneni poculum, ita palatinum
detestabatur tumultum.
7) Bol. beſonders Othfon bei Jaff6 III. p. 490, Passio daſ. p. 475; ferner
ep. 41. p. 109, ep. 91. p. 289,
*) Vita 8. shrmi 1. p. 270.
Das Ende des Bonifacius. 173
Großmutter ging er mit dem fremden Manne in eine unbefannte
Gerne. *) „Sieh’ da, o Lefer,“ ruft der Biograph Gregors, „welch'
große Gnade auf Einem Menjchen ruhte und welden Ertrag jener
arme Mann, der einftmals einfam in Friesland erfchienen war, der
Kirche heimgebracht Hat!“ 2)
Es genügt für die Würdigung des Bonifaz nicht, fi feiner
mädtigen Einwirkung auf die Maffen, feiner Predigt, zu erinnern;
wir müffen aud) die ftillere Lehrthätigfeit, welche er feinen Schülern
zumendete, ins Auge faſſen. Hierbei fällt die Sorgfalt auf, welche
er der Heranbildung de& weiblichen Geſchlechtes widmete. Als er noch
in England lebte, genoß Egburg feines Unterrichts; fie nennt ſich in
einem Briefe die legte feiner Schüler und Schülerinnen.) Gleich
in die erfte Zeit feines Aufenthaltes auf dem Feſtlande gehört jene
begeifterte Aufforderung zum Studium der heiligen Schrift, *) welche
er an Nithard, einen jugendlichen Freund in der Heimat, richtet und
mit dem Berfprechen ſchließt, daß er demfelben, wenn Gott ihm einft
zurüdzufehren geftatte, aufs treuefte darin zur Seite ftehen werde. °)
In glaubwürdiger Ueberlieferung ift uns eine ſchöne Probe feiner
Lehrmethode erhalten. ALS er nach feiner erften Miffionsthätigfeit in
Friesland nämlich in das Jungfrauenkloſter Pfalzel bei Trier kam
und bier nad) beendeter Mefje mit der Aebtiſſin Adula und ihren
Genoffinnen zu Tische faß, da rief man den eben von der Hofſchule
heimgefehrten Enfel Adula’s, den 14—15jährigen Gregor, herbei,
damit er während des Efjens aus der heiligen Schrift vorlefe. Es
wurde ihm das Buch gegeben, und nach empfangenem Segen begann
er zu leſen und für fein Alter gut zu leſen. Zum Schluffe jagte
der Meifter: Du lieft gut, mein Sohn, wenn du das Gelefene nur
auch verjtehjt. Der Knabe bejahte dies. So fage mir denn, ſprach
Bonifaz, wie du es verftehft. Da begann Gregor nochmals von
vorn zu leſen; jener aber unterbrach ihn und wünſchte, daß er in
feiner eigenen und heimatlichen Sprache das Leſeſtück wiederhofe.
Das vermochte der Knabe nicht und befannte fein Unvermögen. Willft
du num, mein Sohn, daß ich es dir fage? fragte Bonifaz; der Knabe
bat darum. Da ließ Jener ihn das Ganze no einmal Far und
deutlich Iefen und erging fi dann über das Vorgetragene in fo hin—
reißender Rede, daß von diefer Stunde an Gregor — der fünftige
Nachfolger des Märtyrers in Friesland — nicht mehr von der Seite
des Meifters wich. ©)
) Vita 8. ‚Gregorü c. 4. p. 322. Othlon, 1. c. p. 490, bezeichnet ihn
irrigerweife als einen Arngeiaifen.
2) Daf. c. 10. p. 326.
%) Jafie III. Peg 18. p. 64: ultima discipulorum seu discipularam tuarum.
+) Ep. 9. p. 51—52; f. oben ©. 165.
%) ©. oben ©. 166. n. 1. Der Nadjjat lautet: spondeo, me tibi in his
omnibus fore fidelem amicum et in studio divinarum scripturarum, in quantum
vires subpeditent, devotissimum adjutorem.
*) Vita Gregorü c. 3. p. 322.
a
Daß Bonifaz als Biſchof dem Yugendunterricht nicht nur feine
Zürforge zugemwendet, wie wir früher fchon gefehen, ) fondern felbft-
thätig obgelegen Hat, aud darüber Liegen einige Andeutungen vor;
und es ift gewiß ganz im wörtlihen Sinne zu nehmen, wenn die
Zeitgenoffen von den Schülern desjelben reden, wie z. B. Lull ſich
in einem Briefe an Lioba einen Knecht der Schüler des heil. Bonifacius
nennt.%) Ein Ungenannter bezeichnet ihn in feinem Briefe wiederholt
als feinen teuerften Lehrer und Meifter, deſſen Verdienfte er nächſt
Gott es zufhreibt, wenn fein Geift zu denfen und zu forfchen ver»
ftehe.°) Ein Anderer überfendet zweien Freundinnen einen poetifchen
Verſuch mit der Bemerkung, er habe diefe Kunft jüngft unter der
Leitung ihres Allen gemeinfamen und feines bejonderen Meifters, des
hohwürdigen Biſchofs Bonifacius, gelernt: „Nächſt dem himmlifchen
Erleuchter ift er es,“ fo fügt er hinzu, „durch den mir da8 Auge
des Geiftes geöffnet und das dürre Herz täglich mit dem Thau gött-
lichen Neftars genährt wird.“ 4)
Die danfbare Verehrung Seitens feiner Zöglinge — in den
Tagen des Kampfes und der Trübfal gewiß fein reicher Troft —
zeugt am ficherften ſowohl für feinen Lehreifer als auch für fein Lehr-
geſchick, vor Allem aber für die mafellofe Würde feiner Perjönlichkeit.
Jene Egburg, welche wir oben genannt Haben, verjichert ihm, nicht
ein Tag verjtreiche, nicht eine Nacht vergehe ihr ohne das Andenken
an feinen Unterricht. „Nicht fo erjehnt der vom Sturm umher⸗
geichleuderte Schiffer den Hafen, nicht fo der durftende Ader den Regen,
nicht jo harrt am gebogenen Ufer die angftoolle Mutter ihres Sohnes,
wie e8 mich verlangt, deines Anblickes zu genießen.”5) So möchte "
auch Eangyth, eine angelfächfifche Aebtiffin, in jene Lande gelangen, wo
Bonifaz wohne; und wenn es ihr vergännt wäre, das lebendige Wort
feines Mundes zu hören, füßer follten feine Ausfprüche ihr fein, denn
Honig und Honigfeim; °) denn in ihm glaubt fie jenen treuen Freund
zu befigen, mit welhem jie wie mit ji) jelbft reden, auf defien Rath»
ſchläge fie in ihrem Mißtrauen gegen den eigenen Rath vertrauen
nme.) Das war Bonifacius den Seinen, ein Lehrer und Führer
174 Capitel XL. 754.
) ©. oben ©. 37.0. 2.
®) Jaff6 III. ep. 97. p. 245: servus domni Bonifacii discipulorum. Karl
der Große ſchreibt einem Erzbiſchof, Jaffe Bibl. IV. p. 370, Sickel K. 109:
Omnes, qui te discipulum beati Bonefacii martyris norunt, prestolantur e
vestris studiis ratissimum fructum. Die Autorihaft Karls ift indefien nur
Hupothefe, da die Handſchrift nicht allein den Exzbichof, fondern auch den Abfender
blos mit ille bezeichnet. Das ganze Schreiben ift vielleicht nichts als eine Uebung
im Briefſtil; vgl. Sicdel ©. 263.
®) Jafte I. ep. 99. p. 247.
*) Dai. ep. 95. p. 243.
®) Daj. ep. 18. p. 6465.
®) Nach Pialım 118, 103; 18, 11.
) Jaffe IIL ep. 14. p. 69.
Das Ende des Bonifacius. 175
zugleich, am deffen „füßer Unterhaltung“ fie fich ftärften, 1) durch deſſen
Tod fie, wie der Erzbifchof von Kent e8 ausdrücken zu dürfen glaubte,
ihren Familienvater verloren. ?)
Sein Unterrichtsftoff beſchränkte fich, wie fein Wiffen, keineswegs
auf das theologijche Gebiet; als Veifpiel dafür Tann die oben erwähnte
Anleitung zu metrifchen Uebungen dienen,°) die damals überhanpt im
Schwange waren.t) Auch jeinen eigenen Briefen hat er zuweilen Berfe
angehängt, °) doch nur in der erften Zeit feines öffentlichen Wirkens.
Damals liebte er es wohl auch, griedifche Worte, ja jelbft mytho-
Logische Wendungen einzuflechten, die feine Bekanntſchaft mit jener
Sprache und Literatur erfennen lafjen.‘) Später wird fein Ausdrud
durchaus einfah und fahlid, und wenn ung z. B. bei Lull Hin und
wieder ein Citat aus Birgil begegnet, fo findet fich dagegen in des
Bonifacins Briefen, von Anflängen an Tacitus abgejehen,?) feine einzige
claſſiſche Stelle, wohl aber eine Fülle von Anführungen aus der Heil.
Schrift A. und N. Teftaments.
Denn diefe war für ihn allerdings der Anfang und der Schluß
alles Lernens und Forfchens, die göttliche Quelle alles Glaubens und
Erfennens. Dabei war und blieb er eine durch umd durch praftifche,
zu fchaffender Thätigfeit angelegte Natur, welche niemals das Bewußt-
fein ihrer Zwecke verlor. Selbft das Studium der Bibel und ihrer
Commentare ordnete er der Hauptaufgabe feines Lebens, der Predigt,
unter. Als er ſich von Erzbiſchof Ecbercht von York einmal die
Homilien Beda’s und feine Erflärung zu den Sprüchen Salomo’s
erbat, ſprach er es gradezu aus, daß dieſe Bücher ihm zum Hand»
gebrauch beim Predigen nützlich fein follten.°) An die Aebtiffin Eadburg
richtete er die Bitte, ihm die Epiiteln Petri in goldenen Lettern ab—
ſchreiben zu laſſen,“) um durch diefes Mittel bei der Predigt den
ſinnlichen Menjchen Ehrfurcht vor der heiligen Schrift einzuflößen,
freilich auch, weil er die Worte deffen, der ihn zur Miffion beftimmt
hätte, ſtets mächtig vor Augen zu haben wünſchte. 1%) Denn die Gött-
A) Vita 8. Sturmi c. 5. p. 867: Post colloguium dulce, quod habuit
cum magistro ; c. 10. p. 370: suave colloguium inter se de vita et conver-
satione monachorum diutissime habuerunt; c. 11. p. 370: post dulces sermones.
?) Jaff6 III. ep. 108. p. 263: quasi taedio absentati patris familias.
%) ©. oben ©. 174. (N. 4); vgl. and, ep. 99. (an Vonifaz) p. 248: hos
tibi versiculos, pater amande, subter scriptos correctionis causa direxi.
%) 2gl. 3. 8. Jaff6 IIL. ep. 111. (Lulli) p. 273: quando limpida dieta
Dei communiter rimabamur ; ep. 23. (Liobae) p. 84: Istam artem ab Eadburge
magisterio didici, quae indesinenter legem divinam rimare non cessat.
Sernere Proben: ep. 125. 139. 148. 149. p. 291. 307. 312. 814.
°) Ep. 9. p. 52; ep. 10. p. 61.
°) Ep. 9. p. 50. 52,
?) Germania c. 19: ep. 59. p. 172.
®) Ep. 100. p. 250: quod nobis praedicantibus habile et manuale et
utillimum esse videtur.
®) Ep. 82. p. 99.
?) ad honorem et reverentiam sanctarum scripturarum ante oculog
u
lichteit der Bibel war ihm über allen Zweifel erhaben: er, der viele
Zaufende von Gögendienern erft über da8 Dafein Gottes zu belehren
hatte, fonnte leichter begreifen, daß man die Gottheit beleidigte, als
daß der gottgläubige Menjch die Worte der Bibel in Zweifel z0g.
In dem fo vielfach charakteriftifchen Briefe an Eudberht von Kent
fagt er einmal: „Sobald wir hören, „„dies jagt Gott,““ wer möchte
dann an die Erfüllung des Verheißenen nicht glauben, als wer Gott
feinen Glauben fehenft?*") Er Hat offenbar die Lüde feines Gedanten-
ganges gar nicht bemerft und einen Beweis für die Untrüglicfeit des
bibfifhen Wortes nie vermißt. Diefer Mangel an wifjenfchaftlicher
Kritik aber war dem ganzen Zeitalter eigen. Wenn Virgilius von
Salzburg biblifhen Vorftellungen entgegen Iehrte, es gebe unterhalb
der Erde, noch eine andere Welt und andere Menfchen und Sonne
und Mond,?) fo erſcheint er ung eben als ein zu der höheren Einſicht
176 Eapitel XI. 754.
carnalium in praedicando, et quia dicta ejus, qui me in hoc iter direxit,
maxime semper in praesentia cupiam habere. *
Ep· 70. p. 207: Quando audimus, „Haec dicit Deus,“ quis futurum
esse non credat, quod dicit Deus, nisi qui Deo non credit?
*) Ep. 66. p. 191: quod alius mundus et alii homines sub terra sint
seu sol et luna. In den früheren Ausgaben, Würdtwein p. 238, Giles I.
p. 173, fehlen die vier legten Worte, die e8 nunmehr unzweifelhaft machen, daß
Virgilius die Antipoden gemeint, und eine Annahme wie die, daß hier vielleicht
irgend eine phantaftiiche Meinung von fubtelluriihen Bewohnern innerhalb der
Erde vorliege (Rettberg II. ©. 236), oder daß Virgil von unjerer Erde verjchiedene
Welten im Sinne gehabt habe (Hahn, Jahrbücher S. 111—112), gänzlich aus-
fließen. Die Lehre von den Antipoden, ſchon im Alterthum vielfad, erörtert,
war offenbar durch Vermittlung der patriſtiſchen Literatur zur Kenntniß Virgils
gelangt. Bon den Stoifern aufgeftellt, war fe von Epikur verladht, von Anderen
ernfthaft in Zweifel gezogen worden. Cicero z. B. hielt jede Behauptung in
ſolchen Dingen für bloße Conjectur: Dicitis etiam, esse e regione nobis, e
contraria parte terrae, qui adversis vestigiis stent contra nostra vestigia,
quos Ayrimodag vocatis? Cur mihi magis succensetis, qui ista non aspernor,
quam eis, qui, quum audiunt, desipere vos arbitrantur? (Academica lib. II.
c. 39). Andere acceptirten die Theorie; fo ſchildert Virgil das Verhältniß mit
den Worten (Georgica I. v. 250-251):
Nos ubi primus equis oriens afflavit anhelis,
Illis sera rubens accendit lumina vesper;
und der Philofoph Seneca eitirt diefe Verſe, wo er die im den hellen Tag hinein
ſchiafenden Müßiggänger, qui offiia Jucis noctisque pervertunt, mit den
Antipoden vergleicht, quos natura sedibus nostris subditos e contrario posuit:
talis horum contraria omnibus non regio, sed vita est; sunt quidam in
eadem urbe antipodes! (Epist. ad Lucilium 122). Mit wiffenfcaftlicer Aus-
führlichkeit endlich behandelt Plinius, Naturalis hist. lib. II. c. 64 sq., die Kugel-
geftalt des Himmels und der Erde und das Vorhandenſein von Menichen auf
der ganzen Erdoberfläche: Ingens hic pugna litterarum contraque volgi, eircum-
fundi terrae undique homines Sonversisgue inter se pedibus stare et cunctis
similem esse coeli verticem etc. (lib. c. 65). — Diefe Lehren des Alter-
thums waren €8, gegen welde ein Lactantius polemifirte, indem er im britten
Buche jeiner Divinae institutiones, betitelt de falsa sapientia philosophorum,
einen Theil des 24. Capitel® den Antipoden widmete (Migne Patr. lat. VI.
col. 425—428; Epitome div. inst. c. 39, daf. col. 1046); zu beren Mider- |
Tegung fpäter aud) Auguftinus, De eivitate Dei lib. XVI. c. 9, fih die Frage }
—
früherer und ſpäterer Jahrhunderte hindurchgedrungener Denker, den
die eigene Zeit verwarf, uͤber den der Papft Zacharias nicht minder
den Stab brach als Bonifacius, fein Legat.) Der Bibelglaube war
Das Ende des Bonifacius. 177
ftellte: An inferiorem partem terrae, quae nostrae habitationi contraria est,
Antipodas habere .credendum sit (Migne Patr. lat. XLI. col. 487). Das
Studium der Kirchenväter leitete dann die philoſophiſchen Köpfe des Mittelalters
gleichfalls zu ſolchen Forſchungen an, und das ruhmtoirdige Beiſpiel des Birgilins
beweift, daß es and) damals jelbftändige Geifter gab, die fid nicht blindlinge dem
Urtheile der Meifter unterwarfen.
?) Seiters, Bonifacius ©. 435436, bemüht fih, die damalige Berdammung
der Lehre durch die Kirche damit zu reditfertigen, daß „das Mahre in derſelben
mit weſentlichen und in ihren Eonfequenzen höchft verberblichen Irrthumern unter-
mifcht* gewejen jei. „Schon Ractantius,* behauptet er, „hatte gegen fie ange
Känpft, weil zu feiner Zeit nicht ſowohl die Augelförmige Geftalt der Erde, als
vielmehr das Bild einer platten Scheibe bei diejer Lehre zu Grunde gelegt wurde.
Diefelbe Vorftellung Hatte auch Birgilius von der Erde.” „Die Vorftellung von
der platten Erdſcheibe war aber mehr als hinreichend, um die biblifche Lehre von
i der Abftammung bes Menfchengeichlechts, von der Erlöfung des ganzen Geſchlechts
| durch Chriſtum und viele andere Wahrheiten des Chriftentfums wankend zu
maden.“ Daß Birgilius die Erde fir eine platte Scheibe gehalten, ift von Seiters
n wilffürlich angenommen; benn wir wiffen über feine Anfichten nichts Anderes,
als was in Jaffe III. ep. 66 gejagt if. Wenn aber daciautius gegen die Lchre
| von den Antipoden ankämpfte, fo geichah es keineswegs aus vefigtöfen Gründen
\ oder weil die Philofophen von der Kugelgeftalt der Erde nichts wußten. Sie
gingen vielmehr, feinem eigenen Berichte zufolge, grade von ber Behauptung aus,
daß die Welt rund fei wie ein Ball, daß daher aud die Erde, welde von ihr
eingeſchloſſen werde, Tugelähnlich fei, ba e8 unmöglich, ut non esset rotundum,
quod rotundo.conclusum teneretur; daraus folge weiter, ut in omnes coeli
partes eandem faciem gerat, id est, montes erigat, campos tendat, maria
consternat; endlich, ut nulla sit pars terrae, quae non ab hominibus ceterisque
animalibus incolatur. Sic pendulos istos Antipodas coeli rotunditas adinvenit.
Bon einer ernſtlichen Abiberlegung aber ift bei Laetantius kaum die Rede, am
wenigften von einer auf veligiöfe Dogmen begründeten: quid dicam de iis, nescio
— fagt er — vanis vana defendunt ..... interdum eos puto aut joci causa
philosophari aut prudentes et scios mendacia defendenda suseipere. Er
meint, aber, nach jener Lehre müffe man glauben, esse homines, quorum vesti-
gia sint superiora quam capita, aut ibi quae apıd nos jacent pendere; und
das Täcerliche folder Zuftände malt er banm nod) weiter aus, fo daß er im ber
Epitome fınz erflären fann: De antipodis quoque sine risu nec audiri nec
diei potest. — Ganz anders Auguſtinus. Auch er geht von der Kugelgeftalt
der Erbe aus, aber er benft fi diefe Kugel in der Mitte ihrer Oberfläche von
einem breiten Meeresgürtel umringt, ebenfo wie Plinius von einem vasto mari
interveniente ſprach, das bie Bewohner beider Erbhälften für immer von ein«
ander ſcheide: Sic maria circumfusa undique dividuo globo partem orbis
auferunt nobis, nec inde huc nec hinc illo pervio tractu (Nat. hist. lib. U.
e. 67; lib. IV. c. 12). Bon folder Anjhauung ausgehend, findet Auguftin die
Eriftenz der Antipoden in der That mit der einheitlichen Abftammung aller Menjchen,
wie die Bibel fie Iehet, in Widerfpruch, umd da die heil. Schrift nicht Füge, jon-
dern durch die Bewährung ihrer Vorherfagungen auch ihre Berichte von vergangenen
Dingen beglanbige, jo bleibe für die Vertheibiger jener Lehre fein anderer Aus
weg übrig, als die „gar zu abfurde“ Annahme, aliquos homines ex hac in
illam partem, Oceani immensitate trajecta, navigare ac pervenire potuisse,
ut etiam illic ex uno illo primo homine genus institueretur humanum. —
Dies wird denn auch der Standpunkt des Bonifacins und Zacharias geweſen fein,
indem fie die Lehre des Birgilins als eine perversa et iniqua doctrina, quam
Yahıb. d. dijch. Geich. Delsner, König Pippin. 12
178 Eapitel XL 754.
dem damaligen Geſchlechte die fichere Grundlage aller feiner Anfchaus
ungen und Schöpfungen, und diefe Anfchauungen waren Iebenswarm,
diefe Geftaltungen voll Lebenskraft, mit jenen Schattenbildern nicht
zu vergleichen, zu welchen fie in den folgenden Zeiten verfümmert find.
Aus diefem feften, wenngleich befhränkteren, Boden erwuchs denn auch
die Ueberzeugungsftärfe und ‚die Thatkraft des Bonifacius, wie ja alle
Entfchiedenheit des Haudelns mit einer gewilfen Einfeitigfeit verbunden
ift. Er ſcheute es nicht, jeden Gegner feiner Beftrebungen zu Boden
zu werfen; alfein er trug auch fein Bedenken, ſich felber ihnen zum
Opfer zu bringen.
Nun war er zum Märtyrer geworden, und die Einzelheiten feiner
Translation bewiefen, daß ein bedeutender Menſch aus der Neihe der
Lebenden gefchieden war. B
Sobald die Nahricht von dem, was fi zu Dokkum zugetragen,
nad Utrecht gelangt war, begaben ſich Brüder des dortigen Kloſters
an die Stätte, und während fie einen Theil der Gemordeten dajelbft
beftatteten, bradjten fie die Leichen des Bonifaz, des Eoban, deſſen ab⸗
geſchlagenes Haupt fie jedoch nicht finden fonnten, der Priefter und Dia⸗
Tone — einer jpäteren Nachricht zufolge noch 13 anderer Gefallenen!) —
zu Schiffe über die Zupderfee nach Utrecht. *) Der Wunfch des Klerus
und der Bevölkerung war, daß gleich den übrigen Märtyrern auch Bonifaz
bier feine Orabftätte fände.?) Dem Berichte Eigils zufolge ftand man
ſchon im Begriff, den Heiligen aus der kleinen Kirche, wofelbft man
feine Bahre vom Schiffe aus zuerft aufgejtellt Hatte, nach der größeren
Kirche zu bringen und in dem dort vorbereiteten Sarkophag beizufegen,
als ein Wunder dies verhinderte. Die Bahre nämlich ließ fih, fo
Biele auch Hand anlegten, nit vom Boden heben; erft als man
daraus die Willensmeinung des Märtyrers erkannte und ihn nach
Mainz zu bringen beſchloß, verminderte ſich das Gewicht, man trug
die Bahre zum Fluſſe und auf das Schiff und fuhr mit ihr den
Rhein Hinauf.t) Im feiner Abneigung gegen den Biſchof Lull ge
contra Deum et animam suam locutus est, mißbilligten; wir haben beshalb
im Terte allerdings ebenfo, wie Seiters und Hefele . ©. 528. N. 1), dieſe
Verwerfung auf bibliſche Argumente zurüdführen zu follen geglaubt.
!) Vita 8. Bonif. auctore Monasteriensi c. 8, Acta SS. Boll. 5. Jun. I.
p. 483.
Pe} Willibaldi Vita 8. Bonif. c. 8. p. 467; Eigilis Vita 8. Sturmi c. 15.
p·
®) Den ann. Xantenses zufolge, Pertz 88. II. p. 222 (f. oben ©. 170,
N. 8), wurden in fpäteren Jahren auch Biſchof Eoban und der Priefter Adalar
von Utredit nad) Fulda transferirt, wo fie juxta corpus sancti pastoris sui
Bonifacii satis pulcherrime requiescunt. Eine thuringiſche Tra dition hinwiederum
Sehanptn, ihre Gebeine feien nach Erfurt gelommen; Ketiberg II. ©. 868. N. 23.
be.
ita 8. Sturmi c. 15—
i J Das Ende des Bonifacius. 179
denkt der Biograph des Abtes Sturm offenbar mit Abficht der Mit-
wirkung nicht, welche Jenem Hierbei zuftel. Denn da er Willibalds
Werk ſehr wohl kannte, fo mußte er wiffen, daß eine zahlreiche Ge⸗
ſandtſchaft Lulis, unter der Leitung eines durch Frömmigkeit ausge
zeichneten Mannes, Namens Hadda, eigens nach Utrecht geſchickt wor-
den war, um den Leichnam des Erzbiſchofs abzuholen.t) Der Wider-
ftand der Utrechter ging nad Willibald fo weit, daß der Graf der
Stadt, einem ausdrüdlichen Gebote des Königs Pippin zum Trotz,
in Gegenwart jener Gefandten die Fortſchaffung der Leiche verbot. ?)
Ein Wunder mußte helfen, aber ein anderes, als das von Eigil er—
zählte. Es ift beachtenswerth, wie früh zum Theil und wie mannig>
fach die Wunderfage das Andenfen des Märtyrers umfpielte. Nach
Willibald gerieth die Kirchenglocke zu Utrecht ohne menſchliches Hinzu
thun in Bewegung: das war ein Zeichen, daß der Leichnam heraus:
gegeben werden follte, und unter Abfingung von Pfalmen und Hyms-
nen wurde derfelbe auf das Schiff gebracht.?)
Sehr bald geſchah ein ähnliches Wunder. Auf der günftigen
Nheinfahrt gelangte man wieder an jenen Ort, wo Bonifaz ein Jahr
vorher bei einer Matrone eingefehrt und eine Glocke von wunderbarem
lang, welche in ihrer Capelle hing, fich zum Geſchenk bei feiner Rüd-
kehr erbeten hatte. Schon einen Tag vor der Ankunft ertünte das
Geläute ganz von felbft und hörte nicht früher auf, als bis die fterb-
lichen Ueberrefte des Märtyrers in das Heiligtfum gebracht waren.*)
Am 4. Juli, dem dreißigften Tage nach der Paffion, landete
das Schiff in Mainz. °) An demfelben Tage traf Lull aus dem könig⸗
lichen Palaſte ein, und unter vielen Anderen, Männern und Frauen,
welche jet in Mainz zufammenftrömten, befanden ſich auch der Abt
Sturm von Fulda und mehrere feiner Brüder. ®) Sogleich begann
Seitens der Geiftlichkeit und der Einwohnerfchaft eine äpnliche Bewegung,
wie fie in Utrecht ftattgefunden. Man behauptete, e8 fei nicht recht,
daß der Todte an einem andern Ort bejtattet werde, als wo er im
Leben feinen Bifchofefig gehabt.) Zugleich traf ein Bote des Königs
ein, der den Befehl überbrachte, daß die Leiche des Heiligen, wenn es
deffen eigener Wille fei, dort beigefetgt werden ſollte. Vergeblich machten
) Willib. p. 487. .
Daf. p. 468. Die Ueberfegung der Stelle bei Arndt, Geſchichtsſchreiber
der deutſchen Vorzeit VIIL 2. ©. 48, ſcheint mir irrig; zutyeffender die Simfons
©. 86, doch kann ich feine Auffaffung der Worte eis audientibus quemadmodum
nicht theilen.
Willib. p. 468.
Vita 8. Pirmi l. Mone c. 17. p. 86; ed. Mabillon c. 26. p. 150.
®) Willib. p. 468; Eigil itberteug dies Datum auf die Ankunft in Fulda,
Vita 8. Sturmi c. 15*. p. 878.
°) Willi; p. 488; Eigil c. 1°. p. 872.
7) Eigil 1. c.: fas non esse, ut sanctus Dei martyr alium deferatur in
locum; sed ubi episcopalem sedem vivens habuit, ibi etiam oportere eum
corpore quiescere. — Danad) Dthlon bei Jafi6 IIL. p. 504.
180 Eapitel XI. 754.
Sturm und die Seinigen den oft ausgejprodenen Wunſch des Ver-
ftorbenen geltend, ein Wunder mußte denfelben noch einmal offenbaren.
Der Heilige erfchien Nachts einem Diakon im Traum!) und beflagte
fi) darüber, daß man ihn nad) Fulda zu bringen zögere. Nachdem
diefer dann feine Viſion erzählt und die Wahrheit feiner Worte am
Altare beſchworen hatte, gab man nad) und brachte den Leichnam unter
geiftlichen Gefängen auf das Schiff zurüd.?)
Welche Rolle Lull bei diefen Vorgängen fpielte, wird in ben ver-
fchiedenen Berichten verfchieden angegeben. Die Darftellung Eigils aber
ift offenbar ein tendenziöfer Ausdrud der Abneigung gegen Lull, die
feine ganze Schrift kennzeichnet. Nach ihm nämlid, widerftrebte der
Biſchof am meiften und hartnädigften der Weberführung des Leihnams
nad) Fulda, und er war e8, der dem Diafon erft dann Glauben ſchenkte,
als diefer die ihm gewordene Offenbarung eidlich erhärtet Hatte. Es
fällt num freilich dagegen wenig ins Gewicht, daß Berichte des 11.
Jahrhunderts verfihern, Lull habe fih dem Drängen der Mainzifchen
Bevölkerung pflichttreu widerſetzt,“) oder er habe demjelben beinahe
ſchon nachgeben müfjen, als die Bifion Dtperts ihm zu Hilfe ge-
fommen wäre. 4) Auch kann es auffallend erfcheinen, daß Willibald,
der bei feiner Arbeit den Eingebungen Lulls folgte, das, was zu Mainz
geſchehen, ganz mit Stilffhweigen übergeht. Alfein derfelbe Willibald
führt in feinem Buche ja die eigenen Worte des Bonifaz an, mit
denen biefer einft von Lull ein Grab in Fulda forderte,°) und bie
Geſandtſchaft des Biſchofs nach Utrecht Hatte demfelben Berichterftatter
zufolge nur die Translation in dieſes Klofter zum Zwed.‘) Hätte
Lull jest fo gehandelt, wie Eigil von ihm ausfagt, jo würden biefe
zwei Stellen jhwerlich in dem Buche ftehen geblieben fein.
Wenigftens einige Reliquien, das Waſſer, worin der Leichnam
de8 Bonifaz gewaſchen worden,?) die Kleider, in denen er den Tod
erlitten hatte, blieben in Mainz und wurden in dem nördlichen Theile
der Bonifacius-Lirche unter dem Baptifterium Johannis aufbewahrt.®)
Die Leiche felbft aber wurde num vom Bifchof Lull und feinem Klerus
unter dem Andrang einer unzähligen Menjchenmenge, welche die beider-
ı) Vita S. Sturmi p. 873. Die Passio $. Bonif., Jaff6 III. p. 480, und
nad) ihr Othlon, daj. p. 504, nennen denjelben Otperaht, Otpert.
%) Leviori ut ferunt ad navim onere, quam antea de nave portarunt:
Passio p. 480.
®) Daf.: Lullo renitenti reminiscentique juramenti.
4) Othlon bei Jaff6 III. p. 504: ut pene eorum consilio sanctus Lullus
consentiret, nisi cuidam venerabili diacono etc.
5) Willib. c. 8. p. 462.
*) Daf. p. 467: ad perducendum ... cadaver ad monasterium ... Fulda.
?) Die Passio p. 479 erzählt hierbei das Wunder: Cumque corpus viri
Dei ex more lavatur, quasi noviter facta vulnera ejus sanguinem profuderunt.
®) Passio p. 479. Wie man deinfelben Autor erzählte, befanden fid Reliquien
des Märtyrers aud im Frauentkloſter zu Kitzingen: ubi adhuc domni episcopi,
ut ferunt, femoralia et subtalares pro reliquiis habentur; Passio p. 475.
Das Ende des Bonifacius. 181
feitigen Ufer und in einer großen Anzahl von Schiffen den Rhein
bededte, nach Fulda begleitet. Bis Hochheim bediente man fich der .
Schifffahrt auf dem Main, von da ging e8 auf dem Landwege weiter.
Zn der Kirche- des Mofters, in dem neu errichteten Grabmal, wurde
die Leiche feierlich beigefegt, worauf Lull mit feinen Begleitern ſich
auf den Ruͤckweg begab. !)
Auch das Andenken des Bonifaʒ wirkte glaubenerweckend weiter,
wie einſt fein lebendiges Wort; ja fein Märtyrertod trug augenblicliche
Frucht. Die Mörder hatten nad) vollbrachter That alle Habfeligfeiten
der Erjchlagenen, die Bücherfiften und Neliquienfapfeln in dem Wahne,
daß Gold und Silber darin enthalten fei, mitgenommen, bann fi)
an dem Weine beraufcht, den fie mit anderen Speifevorräthen auf den
Schiffen der Getöbteten vorgefunden: Hierauf brach über die Theilung
der ungejehenen Beute ein Streit zwifchen ihnen aus, bei weldem
Biele das Leben verloren.?) Als die Uebrigen ftatt der erwarteten
Schäge die Bücher erblidten, warfen fig diefelben theils in die Felder,
theils in das Rohrgebüſch, wofelbft man fie nad) langer Zeit noch
unverfehrt wiederfand; dann kehrten fie in ihre Wohnungen zurüd,
Aber ſchon nad drei Tagen wurden fie Hier von der chriftlichen Be—
völferung Frieslands in Friegerifhem Rachezuge überfallen und zum
größten Theile niedergemadt. Die Sieger nahmen ihre Frauen und
Kinder, ihre Knechte und Mägde, fowie all’ ihr Hausgeräth als Beute
mit. Eine Folge diefer Niederlage aber war, daß die überlebenden
Heiden jener Gegend, von ihrem Unglück gebroden, freiwillig zum
Chriſtenthum übertraten.°)
So erhob fid denn einige Zeit nachher zu Dokkum, der Todes⸗
ftätte des Meärtyrers, auf einem Damm, welchen Abba, der fränfifche
Graf jenes Gaues, gegen die Meeresfluth hatte aufrichten laſſen, eine
ftattliche Kirche, nicht weit von jener Quelle füßen Waffers, welche dafelbft
entfprang und als eine Seltenheit in diefem Lande ſchon von den Zeit
genoffen in verfchiedener Weife einer Wunderwirkung bes Heiligen zu⸗
geichrieben wurde.) Es war diefelbe Kirche, an welcher der Angelſachſe
Willehad, nachmals erfter Bischof von Bremen, gleich nad) feiner An-
) Willib. p. 469; Eigil p. 873. Die Passio, p. 481, erzählt bier noch
von der wunberßasen Speifun der vielen Anmefenden durd) bie Fiſche des
Kloſterteichs, ſowie von dem Megefang, der aus ber Tiefe bes Fluſſes ertönte,
als der Leichnam über bie Brüde getragen wurde. Der erfte Theil der Erzählung
findet, na A dem Leben Pirmins wieder: Mabillon p. 151.
ita Pirminii c. 25. p. 150 weiß feltfamer Weiſe von nur einem
Einzigen u ensähten, der dem gegemjeitigen Gemegel entrann, aber bald nachher
eines AH Imerbaften ee
3 Dgl. die Darfeung Wilibate, c. 9. p. FR mit t perkerigen des foger
nannten ibyter Trajectensis bei Jade II. p. bald p. 470
ſcheint mir in der Stelle memorabile quoddam — populisque imitabile
182 Eapitel XI. 754.
tunft aus England längere Zeit durch Jugendunterricht und Heiden⸗
befehrung wirkte;t) diefelbe Kirche, welche etwa fieben Jahre lang
umter der priefterlichen Leitung des heil. Lindger, eines geborenen
Frieſen, ftand, bevor diefer feine Wirkſamleit unter den Sachſen an-
trat und das Bisthum Münfter erhielt. *)
Den größten Aufſchwung aber nahm feit dem Tode des Bonifaz
derjenige Ort, der zur Ruheſtätte feiner Gebeine auserforen war.
Viele Edle, erzählt Eigil, wetteiferten, ſich und ihre Habe dafelbft Gott
zu weihen; mit jedem Tage wuchs die Schaar der Münde.?) Das
Urkundenbuch des Kloſters dient zur Veftätigung diefer Worte: die
. Zahl der Schenkungen an das Stift, „welches der Heil, Märtyrer
Bonifacius gegründet, wofelbft fein geweihter Körper ruht,“ nahm jegt
merflich zu; ſchon das Todesjahr felbft weißt fehr reichlihe Gaben auf,
und zwar ſowohl der Sterbemonat, in welchem das Klofter daher noch
nicht als die Grabftätte bezeichnet wird,*) al8 auch der Juli, der
Monat der Beifegung.d) Der Abt Sturm erlebte es noch, daß das
Rlofter, von geringeren Perfonen und Novizen abgefehen, 400 Mönde
umfaßte; ja der ganze bochonifche Wald, in defien Innerem Fulda lag,
füllte ſich mit Kirchen und Hlöfterlichen Zweigftiftungen. )
Der fünfte Juni blieb fortan ein Hoher Feiertag für Fulda. Im
Jahre 811 fordern die Mönche für die zahlreichen Beſucher dee Feftes
gaftliche Aufnahme ;”) Rabanus Maurus, der berühmte Abt des Kloſters
in den Jahren 822—846, äußert einmal, da er in kaiſerlichem Auf-
trage abwejend ift, feinem Gaſte Lupus von Ferrieres den Wunſch,
daß derfelhe die Abreife von Fulda bis zu diefem Tage verſchiebe, weil
er felbft zum Bontfacius-Fefte jedenfalls zurücgefehrt fein werde.®)
flott des Wortes imitabile, wofür Simjon ©. 94. R.'2. intimabile vermuthete,
vielmehr mirabile zu fegen, wie es — p. 468 heißt: mirabile statim ac
memorabile cunctis adstantibus . ... auditum est miraculum.
ı) Vita 8. Willehadi c. 2, Pertz 88. II. p. 880. Der Ort wird Bier
Dockynchirica genannt, d. h. die Dokkum⸗Kirche.
Vita 8. Liudgeri c. 15. 17. 18, Pertz SS. II. p. 408—410.
) Vita 8. Sturmi p. 873: multi nobiles certatim et concite properantes,
se suaque omnia ibi Domino tradiderunt.
*) Dronke, Cod. dipl. Fuldensis n° 9. 10. p. 6. 7: sub die XV. junii —
sub die XV. kal. jul. — anno III. regni domni nostri Pippini regis. Ich
faube das Fehlen des Satzes „ubi ipse sanctus martyr B. corpore requiescit“
Bier betonen zu bürfen, fo richtig aud, im Uebrigen die Bemerkung Sickel's if,
daß dieſer Umftand nicht mit Nothiwendigkeit auf bie pet vor ber Beifegung hin-
N Soriäungen, zur deutſchen Geſchichte IV. ©.
) Dronke n° U 12. 18. p. 8—10, vom FR 23. und 31. Juli 754.
praebeatur. Bol. —ã— LS. 630.,
*) Lupi abb. Ferrar. epist. ed. Migne, Patr. lat. CXIX. ep. 5. (an Einhard)
Das Ende des Bonifacius, 183
Die eier erſtreckte fich aber auch weit über die Grenzen von
Fulda hinaus. Walafrid Strabo, Abt von Reichenau, ein Zeitgenoffe
Rabans, befingt in einem Diftichon die Freude des Tages.!) Noch aus
dem 8. Zahrhundert ift uns in einer muthmaßlich zu Utrecht ent
ftandenen Lebensbeichreibung des Bonifaz*) ein vierzeiliges Gedicht
erhalten, welches alljährlih am 5. Juni in der dortigen Kirche ger
fungen wurde, worin der Jubel der Brüder und der Laien ſich aus-
ſpricht, weil an dieſem Tage Bonifacius die Höhe der Himmel er-
ftiegen und mit feinem Blute das ewige Leben erworben habe:°) wenn
jene Biographie nicht vielmehr in England entftanden ift,*) ſodaß auch
jenes Tetraſtichon dort gefungen worden wäre.
Denn eine Synode der englifchen Geiftlichfeit Hatte, kurze Zeit
nachdem bie Kunde des Ereigniffes über das Meer gedrungen war, den
Beſchluß gefaßt, das Andenken des Tobten, den fie mit Recht den
Ihrigen nannte, alljährlich durch eine feftliche Begehung des 5. Juni
zu ehren.d) Man zählte ihn dort zu den ausgezeichnetiten und beften
Lehrern des orthodoren Glaubens und ftellte ihn Gregor dem Großen
und Auguftin an die Seite.) Ein Bifchof des Landes, Milret von
Worcefter, der erjt ein Jahr vorher das Feſtland verlafien und fi
damals traurigen Herzens von Bonifaz und Lull verabſchiedet Hatte,
ſchrieb Legterem nun unter dem unmittelbaren Eindrude der Botfchaft,
die er doch auch feine betrübende nennen fann, da der Märtyrer feine
große Lebensarbeit durch einen glorreichen Abſchluß vollendet habe, den
Zurückgebliebenen aber ein treuer Vermittler fein werde. Auch er nennt
ihn die Zierde und die Krone Aller, melde das Vaterland damals
hervorgebracht Habe.) Er bittet ſchließlich, ihm eine Beſchreibung
von dem Leben und dem Tode des Märtyrers zufommen zu laſſen; )
ceol. 447: Lustris abbas Rabanus ... hortatus est, ut reditum meum ad
Non. Jun. differrem, quando solemnitas S. Bonifacii se abesse minime sineret.
1) Walafridi Carmina de singulis festivitatibus anni ed. Migne, Patr.
lat. CXIV., in natale S. Bonifacii archiepiscopi, col. 1084:
Gaudia praesentis, Bonifaci sancte, diei
Nos salvent, Domino dante tuis meritis.
Val. Acta SS. Boll. 5. Jun. I, Commentarius praevius $ 5. p. 458.
®) Jaffe III. p. 506:
Juniis in Nonis festam venerabile nobis
Advenit, exultant fratres cum civibus in quo,
Tunc quia caelorum meruit Bonifacius alta
Scandere, perpetuam mercatus sanguine vitam.
+) Darauf nämlich ſcheint mir die Stelle zu deuten: thesaurus iste, quem
Britannicis finibus pretiosissimum offero; Acta 8. Boll. 5. Jun. I. p. 480. $ 16.
®) Jaff6 III. ep. 108. p. 268: In generali synodo nostra ... ejus
natalicii illiusgue cobortis cum eo martyrizantis insinuantes statuimus annua
frequentatione sollemniter celebrare.
©) Daf.: utpote quem specialiter nobis cum beato Gregorio et Augustino
et patronum quaerimus et habere indubitanter credimus.
N) Ep. 109. p. 267.
®) Haec de amantissimo patre; cujus venerabilem vitam et gloriosam
finem ut mihi in notitiam wenire facias, totis viribus exopto.
184 Capitel XI. 754.
ein Wunſch, welcher nicht nur aus Britannien laut wurde, fondern
auch in Stalien, in Gallien, in Deutſchland vielfachen Widerhall fand.t)
Diefem Wunſche verdanken wir vor Allem das pietätvolle Werk
de8 Mainziichen Priefters Willibald, das einer ganzen Neihe von
Darftellungen der Folgezeit zu Grunde liegt. Denn immer von neuem
wieder, bis in die Gegenwart Binein,?) hat theils das religiöfe Intereſſe,
teile: die Wißbegier fih dem Apoftel der Deutfchen zugewendet, der
als eine der bedeutfamften und, Dank der reichlicher fließenden Ueber⸗
lleferung, aud als eime ber Iebendigften Geftalten in der Geſchichte
des achten Jahrhunderts daſteht.
ı) Willibaldi Vita 8. Bonifacii, prologus B 480: petentibus relegiosis
ac catholicis viris, juibus vel in Tuscise partibus vel in Gallise terminis
vel in Germaniae aditibus aut etiam in Brittaniae limitibus sancti Bonifatii
ris fama miraculorumque choruscatio perstrepuit.
Eine Differtation von €. M. Welte, Die Beftrebungen des Bonifacius,
Jena 1870, ift mir bis jegt nur aus einer Anzeige befannt.
Bwölftes Gapitel.
Die Synode der Bilderfeinde zu Gonftantinopel.
754.
Es war ein ereignißreiches Jahr, das Jahr 754! Während Papft
Stephan in Gallien weilte, während auf deutichem Boden Bonifacius
feine Laufbahn ſchloß, fand im fernen Often Europas eine Kirchen-
verfammlung ftatt, die als der Höhepunkt des damaligen Bilderſtreites
betrachtet werden kann und, infofern ihre Bejchlüffe auch das Ahend-
land in eine lebhafte veligiöfe Bewegung verfegten, in einer Gefchichte
des Frankenreichs nicht Übergangen werden darf. Wie ben päpftlichen
Bemühungen in Gallien die Mitwirkung des Bonifacius fehlte, fo
wurde in Conftantinopel wiederum ber Bifhof von Rom vermißt;
Beide waren gleihwohl von großer Wichtigkeit für den Ausgang der
Beftrebungen, jener trog feiner Abweſenheit, diejer grade durch fein
Ausbleiben.
As im Jahre 730 Kaifer Leo der Iſaurier den Patriarchen
Germanus von Conftantinopel für die Bildervernichtung zu gewinnen
verfucht hatte, war bdiefer ihm unter Anderem mit der Bemerkung
entgegengetreten, ohne die Autorität eines allgemeinen Concil8 dürfe
am Glauben nichts geändert werden.) Leo hat indeffen feine Schritte
diefer Art zur Durchführung feiner Ideen unternommen; erft Con-
ftantinus V. Copronymus, fein gleichgefinnter Sohn, der im Jahre
741 den Thron beftieg, veranftaltete in der fiebenten Imdiction,?) alfo
754, eine große Verfammlung der Bijchöfe feines Reichs, um duch
1) Hefele II. ©. 851.
3) Theophanis Chronogr. ed. Bonn. p. 659: dd dexdeng od De-
Bpovapiov unvös &pbäuevor, Buipxeoav Eng. vod Adyovorov räs
adräs g Ivdıxrusvog.
186 Eapitel XII. 754.
fie die Befeitigung der Bilder zum Dogma erheben zu laſſen. Die
Verſammlung betrachtete ſich als öfumenifch und zählte ſich daher den
ſechs früheren öfumenifhen Synoden als fiebente bei.") Allein fo
groß ihre Mitgliederzahl auch war — diefelbe belief ſich auf 338°) —,
fo wurde ihr von den Gegnern doch der Charakter eines allgemeinen
Eoncils nit nur ihrer irrgläubigen Beſchluſſe wegen, fondern auch
deshalb abgeſprochen, weil die fünf Herborragendften Bisthümer in der
Verſammlung ohne Vertretung geblieben waren.?) Außer dem Papfte
Stephan nämlich waren auch die drei Patriarchen von Alexandria,
Antiochia und Jeruſalem nicht erfhienen, da fie gleich jenem den Bilder⸗
fturm mißbilfigten, ihre Gebiete aber ſchon feit lange von den Arabern
erobert, alſo der byzantiniſchen Machtſphäre entzogen waren. Endlich
fehlte felbft der Patriarch von Conftantinopel; denn Anaftafins, der
Nachfolger des Germanus, war 753 geftorben, und erft am legten
Sigungstage der Synode ernannte Conftantin V. einen neuen Batri-
archen.*) Grade diefe Sedisvacanz hatte dem Kaifer für die Einbe-
rufung der Synode günftig gefchienen, weil er darauf rechnen mochte,
daß die Hoffnung auf das erledigte Amt viele Biſchöfe veranlaffen
würde, fich ihm bei den Verhandlungen gefällig zu erweifen.
Am 10. Februar wurden die Sigungen des Concils eröffnet, 5)
und zwar in bem Palafte Hieria, ©) welcher ſich auf der Conftantinopel
gegenüber Tiegenden Seite de8 Bosporus, im Süben des heutigen
Scutari befand. Nach ſechsmonatlichen Berathungen fand am 8. Auguft
in der Marienkirche der Blachernen, einer nördlichen Vorftadt von
Eonftantinopel, die Schlußfigung ftatt, 7) welcher der Kaifer Conftantin
ſowie fein junger Sohn und Mitregent Leo perſönlich beimohnten und
in welcher die Berfammlung nad) Verleſung der ausführlich motivirten
Beichlüffe noch einmal veranlaßt wurde, ihre Einftimmigfeit kund⸗
zugeben. ®) Als die Borfigenden des Concils werden die Biſchöfe
von Ephejus und Perge bezeichnet; *) eine Hauptrolle fpielte auch
!) Mansi XII. col. 208: "Opog virg dyiag ueydAng xal olxovuerı-
xüs EBödung ovxodov.
%) Daf. col. 282; Theophanes p. 659 giebt die Zahl der Biſchsfe anf 848 an.
®) Mansi XII. col. 208—209; Theophanes 1. c.: underög napdvrog
dx av x0BoAıar Ipövar, Pouns, pnui, zal Adskardpeiag zul
Avrioxeing za TspovoAöumv.
4 Theophanes fährt nach den S. 186. N. 2 citirten Worten fort: xcd Pr
iv Bhaxipvaus 2LDovres oi Tjg Ieoröxov noAuuoı, AvnAdev Kov-
oravrivog iv a dußanı xgarav Kovaravrivov wovaydr.... zal
... pn ueydAn cn Pavn * Kavoravrivov olxovuevızod nargıdexgov
nord va irn.
) S. N. 2 der vorigen Seite.
°) Theophanes 1. c.: &v ı@ ws "Iepeiag nadarig.
) Mansi XIII. col. 209; Theophanes f. die vorfiehende N. 4.
*) Mansi XIIT. col. 852.
) Theophanes 1. c.
Die Synode der Bülderfeinde zu Conftantinopel. 187
Bischof Gregorius von Neocäfaren, derfelbe, welcher ſich mehr als
30 Jahre fpäter, auf der öfumenifchen Synode zu Nicäa, wegen feines
damaligen Auftretens Verzeihung erbat.1) hm wurde daher auch
in der 6. Sigung diefer Synode, wo es fih um die ausdrückliche
Zurücweifung der zu Conftantinopel gefaßten Beſchlüſſe Handelte, aufs
erlegt, einen Abfchnitt jenes Protofolls nad) dem anderen vorzulefen,
damit zwei andere Mitglieder der Verſammlung darauf die entſprechen⸗
den Abfchnitte einer fehr weitläufigen ſchriftlichen Widerlegung folgen
ließen.
Nur diefem Umftande verdanken wir das Vorhandenfein jener
bifderfeindlichen Decrete; ) aus ihnen aber gewinnen wir die Weber-
zeugung, daß der Bilderfturm des 8. Jahrhunderts, fo viel dazu auch
nichtehriftlicher Einfluß beigetragen haben mag, doch zu gleicher Zeit
als eine natürliche Confequenz des damals herrſchend gewordenen
theologifchen Lehrbegriffs anzufehen ift. Die Kirche hatte nämlich feit-
geftellt, daß in der Perfon Jeſu zwei Naturen, die göttliche und die
menfchliche, unzertrennlich und doch zugleich unvermilcht miteinander
verbunden gewejen feien. Die Unzertrennlichkeit ſchloß die Lehre des
Neftorins aus, welcher ftatt der zwei in Einer Perſon verbundenen
Naturen eine doppelte Berfon Chrifti annahm, aljo z. B. den Kreuzes-
tod als nur von dem menſchlichen Chriftus erlitten betrachtete; und
indem andererſeits eine Vermiſchung der beiden Naturen beftritten
wurde, war der Monophufitismus verworfen, der zugleich mit der
Zweiheit der Perfon auch die Zmeiheit der Natur geläugnet hatte.
So hielt die orthodoxe Lehre die Mitte zwifchen den zwei extremen
Theorien des Neftorianismus, welcher eine Trennung, und des Mono—
phyſitismus, welcher eine Vermiſchung der beiden Naturen Chriſti
lehrte. Bon diefem orthodoxen Standpunkte aus aber glaubte die
Synode des Yahres 754 die Bilderverehrung unterfagen zu müffen.
Entweder nämlich, fo meinte fie, wolle der Kimftler, indem er Chriſtus
male, den Gott und den Menfchen zugleich darftellen, oder nur den
menſchlichen Ehriftus. In jenem Falle begehe er eine doppelte Blas-
phemie; denn er ftelle erſtens die undarjtellbare Gottheit dar, die nur
im Geifte und durch das Wort erfannt werden fünne; zweitens ver-
mifche er in dem Gemälde die beiden Naturen Chrifti zu einer ein
heitlichen und verfalle fo in die monophufitifche Ketzerei.“) Wolle der
Maler dagegen nur den Menſchen Chriftus zur Anfchauung bringen,
fo läugne er die Einperfünlichkeit desfelben, füge zur Trinität noch
1) Coneil. Nieaen. II. a. 787 actio secunda, Mansi XII. col. 1051—1054;
actio tertis, daf. col. 1114—1119; vgl. befonders col. 1118: Tonyooroc oͤ
Neoxciocpeloc xal —— üs mapeAdodong doeßods ovv6dor.
3) Der oben erwähnte dp0g der Synode findet ſich in Folge defien nämlich
in den Acten des fiebenten deumeniſchen Concils zu Nicda vom Jahre 787,
actio VI, Mansi XIII. col. 207—356 ; ee und lateiniſch. Die alte Ueber:
kung he de Anaſtaſius ſteht — col. 654— 718.
Mansi XII. col. 25:
N
188 Capitel XI. 754.
eine vierte Perfon Hinzu, mache fih aljo des neftorianif—hen Irrthums
ſchuldig.)
Ein beſonderer Paragraph beſchäftigt ſich noch, was von Anderen
nicht genügend hervorgehoben ift, ) mit den Darſtellungen des Leidens
Jeſu — ein Beweis, daß diefer Stoff ſchon damals ein Lieblings-
thema der Malerei war. Die Synode verwahrt fi nämlich gegen
die Meinung, daß ein ſolches Bild Chrifti zu zeichnen erlaubt wäre,
welches ihn in dem Momente, wo ſich die Seele vom Körper getrennt
habe, mithin als Leichnam zeige: bei der Menſchwerdung Chrifti, fagt
fie, fei nicht die Seele allein, fondern auch der Leib vergöttlicht worden,
und dieſe Göttlichfeit verbleibe beiden Theilen, auch bei ihrer Trennung
in der freiwilligen Paffion. ®)
Die folgenden Säge wenden ſich gegen die bildliche Darftellung
Maria's und ber Heiligen: auf fie fei zwar nicht anwendbar, was
gegen die Abbildung Chrifti geltend gemacht worden; allein fie wider-
ftreite doch auch einem wichtigen Dogma, dem Glauben an die Wieder-
auferftehung der Todten. Die Heiden, denen diefer Glaube gefehlt
habe, hätten in dem todten Bilde ein ſchwaches Mittel gefunden,
ihren Verftorbenen Fortdauer zu geben ; wie dürfe diefe Heidnifche Kunft
j.dod es wagen, jene Heiligen, die dereinft an Chrifti Seite thronend
den Erdfreis richten werden, durch ein Abbild aus todtem Stoff zu
beſchimpfenꝰ +)
Außerdem aber verwirft die Synode fämmtliche kirchlichen Bilder
noch deshalb, weil das Volk, wie fie behauptet, im Anfchauen derfelben
von der Verehrung des Schöpfers leicht zur Verehrung des Geſchaffenen,
d. h. zur Anbetung der Bilder felbft, zur Idololatrie übergehe. Nad-
dem ber Heidnifche Gößendienft durch das Chriſtenthum befeitigt worden,
nachdem die Apoftel, die Kirchenväter, die 6 erften Synoden in gleichem
Geifte gewirkt hätten, habe Lucifer noch einmal, die Sinne der Menfchen
verwirrend, den Bilderdienſt erneuert; Gott habe daher jegt den Kaiſer
dazu berufen, der Verirrung ein Ende zu machen. 5)
Die Synode unterläßt es endlich nicht, fowohl aus der Bibel,
als auch aus den fpäteren Religionsfchriften zahlreiche Belege für ihre
Anfichten zufammenzuftellen. ©)
So war der „gottlofen Runft“ der Krieg erflärt; e8 wurde über
eben, der fortan ein Bild fich anzufchaffen, es anzubeten, e8 in der
Kirche oder in einer Privatwohnung aufzuftellen oder auch nur heimlich
4) Mansi XIIL col. 256. 260.
?) ©. befonders Hefele III. S. 382, deſſen Darftellung im Uebrigen durch
gewohnte Klarheit und Ausführlickeit ausgezeichnet it, während Schloffer, Ger
ſchichte der bilderftürmenden Kaiſer S. 215, dieſe Synode nur flüchtig behandelt.
) Mansi XIII. col. 257. “
*) Col. 272—277.
>) Col. 226.
) Col. 280 2q.
Die Synode der. Bilderfeinde zu Eonftantinopel. 189
zu befigen wagte, da8 Anathem ausgeſprochen und die weltliche Straf-
gewalt gegen ihn angerufen. 1)
Seit länger als einem Bierteljahrhundert Hatte der Bilderſtreit
bereit8 die Chriftenheit bewegt. Indem jegt die ifonoflaftifhe Partei
ihre Anficht in feierlicher und zugleich ſyſtematiſcher Form proclamirte,
beſchleunigte fie die Entfcheidung des langwierigen Kampfes, zumal
in der abendländifhen Welt. Denn Kaiſer Conftantin, der, foweit
feine Macht reichte, mit der Verfolgung der Bilder eine gleich Leiden-
ſchaftliche Verfolgung der Bilderfreunde verband, bemühte ſich dem
Papſte gegenüber vor Allem, wie wir in den folgenden Jahren des
Oefteren zu bemerken haben werden, den König Pippin und die Franken
für feine Anficht zu gewinnen. Auf der anderen Seite aher boten
die Bilderfreunde alfe Mittel der Einwirkung auf — Papft Stephan
benutzte dazu gewiß auch ſchon feine Anmefenheit im Srankenreihe —,
um der Sache der Bilder zum Siege zu verhelfen. In theoretifcher
Beziehung befämpfte man befonders den Vorwurf der Gößendienerei,
der zu Conftantinopel erhoben worden war, weniger den der Blasphemie,
welche die Synode in den bildlichen Darftellungen Chrifti gefunden
hatte. Man fuchte die für die Bilderabfchaffung angeführten Zeugniffe
zu entfräften, indem man einestheils die Stellen anders deutete, andern-
theil8 doch auch gegen manchen der citirten Autoren, fo 3. B. gegen
den Kirchenhiftorifer Eufebius, zu dem Einwand der Heterodorie feine
Zuflucht nehmen mußte. ) Endlich beftritt man mit Eifer den Heiligen
und öfumenifchen Charakter der Synode, nannte fie eine After»
verfammlung, ®) ein. jüdifches Synedrion,“) eine Verfammlung der
Ehriftenanffäger. °)
Der Erfolg Hat zu Gunften der Bilder entſchieden; ja die Ver—
nichtung derfelben, wie fie außerhalb des byzantinischen Reiches über-
haupt nur wenig durchgedrungen war, wurde hier felbft im Jahre 787
duch bifhöflihen und faiferlihen Beſchluß feierlich wieder zurüd-
genommen. Wir wollen diefen Ausgang, von der dogmatijchen Seite
der Streitfrage ganz abjehend, nicht beflagen; die bildende Kunft war
dadurch vor einem Anathem gerettet, das anderenfall® von unberechen-
barer Wirfung gewefen wäre. Wenn man Stellen Tieft wie diejenige,
wo „der gemeinen Kunft der Heiden die gepriefene Mutter Gottes”
) Mansi XII. col. 324—328.
?) Col. 318 sq.; ebenfo fon Cone. Nieaen. actio V., Mansi XII.
col. 176 sq.
°) Pseudosyllogum illud: Schreiben des Papſtes Hadrian, Mansi XI.
col. 1078; vgl. Hefele III. ©. 419.
) Tö ’Iovdaixdv ovv&dpıov, Tb zarı TGV oenTav sixdvov
PovayS&v: Conc. Nieaen. actio IV., Mansi XIII. col. 182; vgl. Hefele III
©. 436.
5) Xpuoriavoxariyopo», weil fie die Chriften des Götendienftes ber
f&ufdigte: Conc. Nicaen. actio VI, Mansi XI. col. 205; vgl. Hefele IIL.
©. 424.
190 Eapitel XII. .784.
- zu malen verboten wird, *) und dabei der Kunftihöpfungen gebentt,
deren Gegenstand grade die Madonna geworden, jo fühlt man, daB
in dem Standpunkte der Bilderftürmer etwas Barbariſches oder, wie
es von anderer Seite bezeichnet worben iſt, ) etwas Fanatiſches lag,
dem der Sieg nicht zu wunſchen war.
Für die kirchliche und politiſche Entwicklung des Abendlandes
aber hätte die Bilderfrage Leicht die größte Bedeutung erlangen können,
wenn es den Bemühungen des Kaiſers Conftantin gelungen wäre,
durch jene veligiöfe Differenz das neubefeftigte Band wieder zu zerreißen,
welches die Franken, vor Allem den König derfelben, mit dem Bapft-
thum verknüpfte. Von den eifrigen Anftrengungen, mit denen biejer
Gefahr vorgebeugt wurde, heben wir hier eine intereffante Probe hervor,
welche wir in der Bonifaciſchen Brieffammlung zu finden glauben.
Es ift ſchon oben des Schreibens gedacht worden, ®) welches
Erzbiſchof Cudberht von Kent im Namen einer engliihen Synode an
Lull und die anderen Genoffen des Bonifaz etwa ein Jahr nach deffen
Tode gerichtet. Die Engländer hatten bejchloffen, den Todestag des
Märtyrers alljährlich zu feiern und die Verbindung zu gegenfeitiger
Fürbitte im Gebet auch mit feinen Schilern, wie bisher mit ihm
felöft, zu unterhalten; und fie theilten ihren Beſchluß den fränfifchen
Biſchöfen und Prieftern mit. Doc war dies weder bei ihren Be:
rathungen noch in ihrem Schreiben die Hauptſathe. Es fei Hier im
Allgemeinen bemerkt, daß die Briefe jener Zeit oft feiner und plan-
voller angelegt find, als man wohl zu erwarten pflegt; daß nicht alfe
Theile derfelben, auch wenn fie äußerlich coordinirt erfcheinen, für
den Verfaſſer gleich wichtig waren; daß es für die richtige Erfaſſung
des Inhalts vielmehr darauf ankommt, das Wefentlihe von dem
minder Wefentlichen zu unterſcheiden und den einheitlichen Zweck eines
ſolchen Schreibens herauszufinden. ALS diefer erſcheint in dem vor-
Tiegenden Briefe die Aufforderung am Schluffe, daß Lull und feine
Genoſſen fammt ihren Untergebenen ſtets einmüthig und treu gegen
die Feinde des orthodoxen Glaubens, die Keger und Schismatifer, die
Menſchen von ruchloſem Lebenswandel einander unterftügen und zu—
fammenhalten möchten.) Die Verherrlihung des Bonifaz bildet dazu
nur die Einfeitung: da er nämlich, der fo heldenmüthige Ausdauer
bewiefen, num bei Gott weile, fo folle dies für feine Schüler ein
_') Mansi XII. col. 277: ILög O2 za) vhv mavdunnrov umeiga
od ©608 ... Ev vH xudaig vod "EAANvog Texon yoapev xara-
roluscıy;
?) Schloſſer a. a. O. ©. 215.
#) Jaff& Bibl. III. ep. 108. p. 261 sq.; f. oben ©. 188.
*) Pag. 266: contestantes et obsecrantes ... ut vos, o karissimi, cuncti
generaliter cum subjectis vobis in Christo per omnia sitis semper ad in-
vicem fideles adjutores et unanimes cooperatores contra omnes orthodoxas
— inimicos atque hereticos et scismaticos ac nequissimae conversationis
'omines.
——
Die Synode der Bilderfeinde zu Eonftantinopel, 191
ftärkerer Sporn fein, feine Ermahnungen zu beobachten und feinem
Beifpiele zu folgen; 4) und wer fich davon entferne, werde in ihm
vor Gottes Nichterftuhle ftatt eines Fürfprechers vielmehr einen Ans
Mäger finden; wer feinen Vorfchriften dagegen nadjeifere, werde ſich
im Leben wie im Tode der Gemeinfchaft fowohl „der römifchen und
apoftolifchen Kirche, von welcher Bonifaz ihnen als Legat und Lehrer
gefendet worden,“ als auch zugleich ihrer Aller, der Schreibenden, in
Gebet und Meſſe zu erfreuen haben.?) Und dies ift zunächſt von
dem Untergebenen der angeredeten Biihöfe und Priefter gejagt; denn
es wird benjelben auch noch zur Pflicht gemacht, ihren nunmehrigen
Lehrern und Lentern Gehorfam und trene Anhänglichkeit zu beweifen ;
erft zulegt folgt die bereits angeführte bivecte Ermahnung zur ftande
haften und einmüthigen Abwehr alles Ketzeriſchen. Cine englifche
Synode hielt e8 aljo für angemefjen, fränkiſche Biſchöfe zum Zefthalten
an der Lehre des Bonifaz und der römifchen Kirche anzufpornen;
muß man daraus nicht auf eine Hinneigung oder doch Anreizung zu
heterodogen Richtungen fchliegen? Die Synode giebt eine Schilderung
von den kirchlichen Zuftänden der Zeit: „Es ift nicht nötig,“ fagt
fie, „euch von den äußeren Heimfuhungen zu reiben, die ihr felber
oft erlitten Habt; aber fehet, wie in den meiften Gegenden die chrijt-
liche Religion want, wie faft von allen Seiten her die äußere und
innere Ordnung der Kirchen geftört wird und neue Sekten faft überall
ihr Haupt erheben. Und das fann nicht Wunder nehmen, da Viele,
den Beichlüffen der Väter und den Kirchengeſetzen zuwider, ihren
eigenen Eingebungen gemäß, Verkehrtes Lehren und thun, wie ſolches
namentlich im vergangenen Jahre ein Mann von großer Autorität
ausgefprochen und ausgeführt hat.’ °) Diefe Worte find freilich zu
unbeftimmt gehalten, um eine unzweifelhafte Auslegung zuzulaffen;
auch fcheint nirgends ein Verſuch gemacht, fie zu erflären. Sollten
wir aber nicht berechtigt fein, darin eine Anfpielung auf das Unter»
nehmen des griechiſchen Kaifers im Jahre 754 zu erfennen? Daraus
ergäbe fih, wie umfaffende Anftalten damals getroffen wurden, der
byzantinifchen Kegerei im Frankenreiche entgegenzuarbeiten: eine englifche
%) Jaff6 Bibl. ID. ep. 108. p. 265: prudentia vestra sollerter attendat,
si ejus vos oporteat sacris ammonitionibus consentire et pietatis illius
exempla pro viribus segui.
%) Pag. 266: pro certo se sciant et ipsius Romanae atque apostolice
ecclesiae, a qua legatus eis et doctor directus est, ac deinde pariter cum ea
omnium nostrum habere ... . perpetuam communionem.
®) Pag. 264—265: ecce quam plurimis in locis christianae religionis
valide status vacillat; dum pene undique exterius interiusve rerum eccle-
siasticarum perturbatur ordo, novellarumgue conversationum prave ubique
pene succrescunt sectae. Nec mirum, dum, post videlicet positis antiquorum
patrum decretis ac legibus ecclesiasticis relictis, multi juzta proprias adin-
ventiones prava et plurimorum noeiva saluti sentiunt adfirmant atque agunt;
ut scilicet transacto anno a quodam magnue auctoritatis viro dietum et
gestum esse constat,
192 Eapitel XIL 754.
Synode wird in Scene gefegt, um die Befchlüffe einer griechiſchen
Symode unwirffam zu machen, fei es nun, baß man eine Wirkung
derfelben nur befürchtete oder fie vielleicht ſchon wahrgenommen hatte.
Jedenfalls jedoch war es dann nur eine Minorität unter den
Franken, der durch das Schreiben des englifchen Episcopates hätte
entgegengeiwirkt werden müffen; in der großen Mehrheit und befonders
in den maßgebenden Kreifen befannte man fi mit Wärme zu ber
Sache des Papſtthums, und ehe noch die Synode der englifchen Bifchöfe
zufammengetveten war, hatten Pippin und die Franken bereits das
Schwert fir Papft Stephan II. gezogen und in raſchem Siegeslaufe
denfelben nach Italien zurüdgeführt.
—
Dreizehntes Gapitel.
Der erfte italienifche Krieg.
754.
Dem Ausbruche des Krieges gingen, wie es gewöhnlich zu ge»
ſchehen pflegt, Unterhandlungen voran. Bei der Unberechenbarteit alles
Vaffenerfolges überhaupt, bei den freundfchaftlichen Beziehungen ins-
befondere, die bisher zwifchen Franken und Langobarden beftanden
hatten, war es natürlich, daß Pippin nod in der letzten Stunde den
Wunſch Hatte, durch das Gewicht feines Wortes Aiftulf_ zur fried-
fertigen Räumung der eroberten Gebiete zu bewegen.) Er that es,
wie von dem römifchen Berichterftatter wiederholt verfichert wird, auch
auf Bitten des heiligen Vaters, ?) dem es darum zu thun fein mußte,
fein Ziel ohne Blutvergießen zu erreichen. °)
Die vortheilhafte Stellung aber, welche ſich König Aiftulf in
Stalien erobert Hatte, täufchte ihn felbft über die Gefahr eines frän-
tiichen Krieges, nicht daß er den Ausbruch desfelben bezweifelt hätte,
fondern infofern er ihn glücklich zu beftehen Hofft. Denn von dem
Tage an, wo er den Papft, ohme ihm nachgegeben zu haben, aus
Pavia entließ, mußte er entichloffen fein, aud dem Drängen des
Franlenkönigs zu widerftehen und die letzte Entſcheidung von der
Schärfe des Schwertes zu erwarten. Bald gaben ihm die Botfchaften
Pippins volle Gewißheit darüber, daß diefer die Sache des römiſchen
») Vita Stephani II. c. 31.32: ut pacifice propria restitueret propriis
Fred. cont. c. 119: ut superstitiosas ac impias vel contra legis ordinem
«@usas ... . propter ejus petitionem facere non deberet.
%) Vita Stephani c. 31: ut vere b. Petri fidelis ac pontificis salutiferis
obtemperans monitis,
®) Daf. c. 32. 33. 36: absque humani sanguinis effusione.
Zehrb. d. dijch. Geih. Delöner, König Pippin. 13
194 Eapitel XI. 754.
Biſchofs zu der feinigen gemacht hatte, und ein mächtiger Staat, wie
der fränfifche, konnte nad) einmal begonnener Einmifhung in fremde
Angelegenheiten nicht in der Mitte des Weges ftehen bleiben und es
bei der Ablehnung feiner Rathſchläge und Ermahnungen bewenden
laſſen. Dreimal gingen die Gejandten mit Vermittlungsvorſchlägen
uach Pavia; fie hatten dem Könige große Geldabfindungen anzubieten, 1)
12000 Scillinge nad) Angabe einer Chronik; ?) erft als alle diefe
friedfihen Verſuche fruchtlos geblieben waren, fegte das Heer ſich in
Bewegung.
Es war nicht das erfte Mal im Mittelalter, daß eine Heeres»
maſſe den Gebirgswall überftieg, weichen die Natur zwiſchen Frankreich
und Stalien aufgerichtet. Hatten in den Tagen Alboins die Lango-
barden Einfälle in Gallien gemacht, °) fo waren fpäter, mie Schon
erwähnt, die Franken zu wiederholten Malen in Oberitalien einge»
drungen, 4) und nicht felten hat die Einfenkung de Montcenis den
kriegeriſchen Schaaren zum Uebergang gedient. Kaum ein Jahr aber
war verfloffen, feit der jüngere Bruder Pippins, Gripho, mit feinen
Genoffen vom füdweftlichen Frankreich Her durch die Thäler der Iſere
und des Arc nad, Italien zu gelangen verſucht hatte, um ein Bündniß
mit demjenigen Könige zu ſchließen, gegen welchen jest Pippin zu
Felde 309.
Nachdem am 28. Zuli in der Kirche von ©. Denys die Sal-
bungsfeier ftattgefunden, erfolgte wahrjcheinlic Anfangs Auguft 5) der
Aufbruch des Heeres, das, wie ausdrücklich betont wird, aus allen,
nicht nur den fränfifchen, Teilen des Reiches zufammengezogen war.
Der Marſch ging durch Lyon und Vienne den grajiihen Alpen zu.
Im Gefolge des Königs befanden fi, außer dem Papfte und feinen
Begleitern, außer vielen weltlichen und geiftlichen Großen des Franfen-
reihe ) — darunter Hieronymus, ein natürlicher Bruder Pippins, ?)
und der Abt Fulrad von S. Denys®) —, auch Bertrada, die Ge—
mahlin des Königs, und fein älterer Bruder, der Mönd Karmann.
Denn für Lepteren war, wie bereits erzählt, °) durch übereinjtim-
menden Beſchliuß Pippins und des Papftes ein Kloſter der Stadt
Vienne zu dauerndem Aufenthalte beftimmt worden; erft jegt aber ift
4) Vita Stephani e. 31: bis et tertio ... eundem deprecatus est et
plura, ei pollicitus est munera.
‘on. Moissiac,, Pertz SS. I. p. 293.
2 ger Turon. hist, ecel. Fran. lib. IV. e. 42. 44.
©. oben ©. 81.
5) Ueber den Zeitpunkt, insbeſondere über die Worte des Fred. cont. c. 120:
eo tempore quo solent reges ad bella procedere, j. Ercurs I. $ 7°,
©) Bgl. die fpätere Siedensoermittung per sacerdotes et optimates Fran-
+ corum, Fred. cont. c. 120. — Biſchof Gai rein, Fr Abt von Flavigny, kam
auf dem Feldzuge um; ſ. unten Cap. XXVI.
?) Vita Stephani c. 38; Enhardi — 754, Pertz SS. I. p. 347.
‘) Vita Stephani c. 38; Cod. Carol. ep. (Stephani) "6. 7. p. 37. 40.
9 ©. 168, nad) Vita Steph. c. 30: pari consilio ... Viennae collocaverunt.
Der erſte italieniſche Krieg. 195
er daſelbſt, zugleich mit dem geſammten Frankenheere, eingetroffen und
— ſchon krank, wie es ſcheint — mit der Königin zurücgeblieben. 1)
Noch einmal, nachdem ungefähr die Hälfte des Marſches zurüd-
gelegt war, ſchickte Pippin auf des Papſtes Wunſch Gejandte mit
Friedensanträgen zu Aiftulf; der Papft gab ihnen auch feinerfeits ein
dringendes Schreiben mit. Aiftulf ſoll darauf mit Drohungen und
Beleidigungen gegen Stephan, Pippin und alle Franken geantwortet, 2)
unter Anderem dem Papfte die Erlaubniß zu freier Rückkehr in feine
Heimat zugefagt Haben. 9) Schon Hatte er an der Grenze feines
Landes alle Vorkehrungen zum Empfange des Feindes getroffen, das
Heer ftand dafelbft vielleicht ſchon Tampfbereit in feinen Lagern; im
Juli hatten die Theilnehmer des Krieges bereit8 Haus und Hof ver-
laſſen müffen.*) Hätte er jet alfo bereitwilliger als vorher auf
Friedensvorſchläge eingehen folfen, die immer nur die alten unannehm⸗
baren Forderungen enthielten?
Hatte Pippin in Vienne feinen älteren Bruder zum letzten Male
gefehen, fo führte ihn der Weitermarſch nun an die Todesftätte feines
jüngeren Bruders Gripho, nad) Maurienne. Hier, im Kloſter Johannes
des ZTäufers, fand ein feierlicher Gottesdienſt ftatt; Pippin und feine
Großen ehrten den Papft, wie ſchon früher, durch prächtige Gaben;
er überließ ihm ferner die dem Aiftulf zugedachten Geſchenke zu freier
Verfügung, und indem er fich feinen Gebeten empfahl, eilte er in
den Kampf. 5)
Ueber das nun folgende entfcheidende Kriegsereigniß vermiffen
wir freilich, wie über die itafienifchen Vorgänge überhaupt, fehr ungern
eine Mittheilung aus langobardifcher Feder; aber es Tiegen doch zwei
verhältnigmäßig ausführliche und von einander völlig unabhängige
Berichte vor, die im dieſe wichtigen Begebenheiten einen genaueren
Einbli gewähren: ein fränkiſcher nämlich in der Fortfegung des
Fredegar und ein römiſcher in der Biographie des Papſtes Stephan.
Beide, wie fubjectiv auch immer in ihren perfünlichen Neigungen und
Abneigungen, geftatten doch nicht den geringften Zweifel an ihrer
Wahrheitsfiebe und Authenticität; ja, ihre Darftellungen zeichnen ſich
durch eine gewiſſe Anfchaufichfeit aus, die auf genauere Sadfenntniß
und beſonders auf Ortsfunde ſchließen läßt. Einen detaillirten Schladt-
bericht enthält zwar weder die eine noch die andere Schrift; aber «8
giebt eine Kürze der Erzähfung, zu welcher ſich der Autor aus Mangel
an Stoff gezwungen fieht, eine andere, welche er bei aller Fülle des
Stoffes ſich felber auferlegt. Wer die Geſchichten einer Zeit eingehender
?) Ann. Lauriss. maj. 755: remansit una cum Bertradane regina in-
US.
Yit. Stephani c. 32. 38.
) Chron. Moissiac, p. 208: nihil ei se facere promittens, nisi viam se
praebere, quatenus ad propria remearet.
) Troya n° 685. 686. 697; vgl. Ereurs I. $ 7°.
Vita Steph. c. 34.
196 Eapitel XIII. 754.
fernen zu lernen gefucht hat, wird bei den einzelnen Quellenfchriftftellern
fehr bald über das eine oder das andere Verhältnig des Wiſſens und
Mittheilens im Klaren fein. Die compendiarifhe Knappheit ſowohl
unferes fränfifchen, als auch unferes römischen Berichterjtatters erklärt
fi) auf die letztangedeutete Art, nicht aus dürftiger Kenntniß des
Gegenftandes, fondern aus einem Mangel an Redefertigfeit. Stellt
ſich zwifchen Beiden noch vollends eine genaue Webereinftimmung des
Erzählten heraus, fo erfreut ſich der Forſcher eines Vortheils, der
ihm im der Ergründung jener Zeiten nur fehr felten zu Theil wird.
Die Uebereinftimmung beider Berichte und ihre Anſchaulichkeit
ift allerdings nicht immer anerfannt worden; noch jüngfthin fand man
in ihnen hier und da Umflarheit und Widerfprud.!) Wir werden
zu einem richtigeren Verftändniß der Begebenheiten gelangen, wenn
wir zuvor von dem Schauplage derjelben eine deutliche Vorftellung
zu gewinnen fuchen.
Wir dürfen wohl mit Recht annehmen, daß man im Mittelalter
bei der Ueberjchreitung des Monteenis im Großen und Ganzen den-
felben Weg eingefchlagen hat, welchen die im Anfange unferes Jahr⸗
hunderts erbaute Kunftftraße nimmt. Diefer verfolgt von ©. Yean
de Maurienne aus den Gebirgsfluß Arc, einen Nebenfluß der Iſore,
faft bis zu feiner Quelle, geht dann in einer Höhe von 5—6000 Fuß
durch die zwifchen dem weftfichen und öftlichen Gipfel des Weontcenis be-
findliche plateauförmige Einfattelung hindurch, den eigentlichen Montcenis-
Paß mit der 1X Stunden langen Ebene Madelina, und fällt hierauf
raſch abwärts neben der Genifa her, bis zu deren Mündung in die
Dora Ripera bei Sufa, von Sufa dann weiter abwärts, immer noch
zwifchen Hohen und einander nahe gegemüberftehenden Gebirgsmällen
hindurch, bis endlich die Berge jäh abbrechen und das weite piemon-
tefifche Tiefland fi aufthut. So führen von der Höhe des Montcenis-
Pafjes die Thäler von Maurienne und von Suſa zur Ebene nieder,
jenes weftwärts in langſamerer Abdachung, dieſes in fteilerer Senfung
nad Often. Da, wo man aus der lombardiſchen Tiefebene in das
Thal von Sufa emporfteigt, ?) erheben fich, wie die Hüter des Thal
einganges, rechts und links, in geringer Entfernung bon einander, der
Mons Caprafius und der Mons Pyrhirianus, zwei Berge, die fomit
den Gintritt in Italien beherrſchen, - der letztere noch Heute durd) eine
Hafbverfalfene Kirche von fühnem Bau geſchmückt, die einft dem im
11. Jahrhundert blühenden Klofter S. Michaelis de Elufa angehörte. ?)
Wenn diefe Kirche aber noch heute am ein friedfames Klofterleben
im 11. Jahrhundert erinnert, fo weiß ung ein Mönch desfelben Zahr-
») Abel, Untergang des Langobardenreichs ©. 43 fi.
) In ipsis Italiae faucibus, wie ein mittelalterlicher Autor jagt: Vita
Benedicti abbatis Clusensis ed. Bethmann, Pertz SS. XII. p. 196.
hal Bethmanns Vorrede zu jeiner Ausgabe der vorerwähnten Vita
Benedicti abb. Clusensis.
Der erſte italienifche Krieg. 197
hunderts von Manertrümmern zu erzählen, auf die man zu feiner
‚Zeit als auf die Ueberrefte einer kriegsbewegten Vergangenheit hinwies,
die einft, zwiſchen jenen zwei Bergen errichtet, da8 Thal von Sufa
N schließen und zur Abwehr eines vom Montcenis niederfteigenden feind-
\ lihen Heeres dienen follten. *) Sie waren nad) feiner Darftellung
das Werk de8 Defiderius in jenem Kriege gegen Karl den Großen,
der mit dem Untergange des Langobardenreichs endete, und Defiderius
hatte Hier in der That alferlei Befeftigungen angelegt. ?) Wie aber
in den fpäteren Jahrhunderten fi überhaupt alle Erinnerungen aus
den Todesfämpfen der Langobarden um Karl den Großen und Defiderius
vereinigten, fodaß der Mönd; von Novalefe z. B. den König Aiſtulf
gar nicht Fennt und Defiderius als den unmittelbaren Nachfolger Liut-
prands bezeichnet: fo fonnten jene Mauerfundamente, welche die fpätere
Sage gern auf den legten langobardiſch-fränkiſchen Krieg zurüdführte,
recht wohl and aus den Sommermonaten des Jahres 754 ftammen,
in denen ſich Aiſtulf dazu anfchiete, hier die eindringenden Franken
zu empfangen.
Denn dies waren die fogenannten Clufen der Langobarden, °)
welche in den Kriegen Pippins und Aiftulfs militäriſch fo wichtig
geworden find. Hier, am Fuße der Alpen, war die Grenze des
Langobardenreiches gegen Gallien hin; Hier ſchlug das Heer Aiftulfe
daher fein Lager auf und erwartete den Feind, Denn war der Krieg
gegen Rom ein Angriffsfrieg gewefen, fo war der Krieg gegen bie
Franfen nur ein Vertheidigungsfrieg. Jetzt verwendete Aiftulf zum
Schuge feiner Landesgrenze alle die Geſchoſſe, Maſchinen und fonftigen
Zurüftungen, welche er vorher zum Einfall ins römiſche Gebiet be-
nugt Hatte.) Es ift au von einem Graben die Rebe, den die
Langobarden anlegten, der offenbar zu einer Mauer gehörte und mit
diefer das dahinter befindliche Lager zu ſchützen beftimmt war. 5)
Ehe wir jedoch in der Erzählung weiter gehen, ift noch mit
wenigen Worten zu beweifen, daß in Wirklichkeit erft Hier am Aus—
gange des Thales von Sufa die Grenze der Langobarden war, daß
') Chron. Novaliciense, Pertz 88. T. VII, lib. II. c. 9.
\ ?) Vita Hadriani c. 29: fabrieis et diversis maceriis curiose munire
visi sunt.
®) gl. ann. Lauriss. maj. 755: Haistolfus . . . clusas Langobardorum
petiit, obviam Pippino regi et Francis venit, was die ann. Einh. 755 mit
den Worten wiedergeben: Resistentibus Langobardis et claustra Italiae tuen-
tibus; Vita Steph. c. 43: in Langobardorum partes conjunzit et clusas
eorum funditus evertit.
+) Fred. cont. 120: Aistulfus, commoto omni ezercitu Langobardorum,
usque ad clusas, quae cognominatur valle Seusana, veniens, ibi cum omni
exercitu suo castra metatus est et cum telis et machinis et multo apparatu,
quod nequiter contra — ublicam et sedem Romanam apostolicam admi-
serat, nefarie nitebatur de tendere; vgl. oben S. 134 (N. 3).
5) Vita Steph. c. 35: Franci introeuntes clusas cunctum fossatum Lango-
bardorum post peractam caedem abstulerunt, spolia multa auferentes.
198 Capitel XII. 754.
d08 Sufaner Thal fammt dem Montcenis ganz ebenfo wie Maurienne
zum Sranfenreiche gehörte. Diefen Beweis aber liefern, die Urkunden
des ©. Petriffofters zu Novalefe bei Suſa.) Dasfelbe wurde im
Zahre 726 unter der Regierung des merowingifchen Könige Theo—
dorich IV., mit Zuftimmung der Bifchöfe von Maurienne und Sufa,
„zum Heile des Frankenreiches“ gegründet; ®) der Bifchof von Maurienne
Hatte bier die Weihe der Altäre und der Priefter zu vollziehen. >)
Afinarius, der Abt in den Zeiten Pippins, war ein Franfe von
Geſchlecht,“) und es pflegten auch fonft oft edle Franken bier das
Möncsgewand zu nehmen. °) Auf dem Comvent zu Attigny im Jahre
762 erfchien unter den Biſchöfen und Aebten des Frankenreiches auch
Afinarins und trat dem großen Todtenbunde derjelben bei.) Wir
wiſſen aus Diplomen Karlmanns und Karls des Großen, daß ihr
Vater Pippin einft das Privilegium und die Immunität des Klofters
beftätigt hat.”) Noch zwei andere Diplome der beiden föniglichen
Brüder befaß das Stift aus den Jahren 769 und 773, ein fünftes
endlich aus der Kaiferzeit Karls.s) Die Urkunde Karlmanns gewährte
in herfömmlicher Weife den Leuten des Kloſters, welche für dasſelbe
auf Reifen gingen, um, fei e8 auf Wagen, auf Saumthieren, auf
Schiffen oder auf ihrem eigenen Rüden, für den Bedarf der Mönche
Waaren heimzubringen, völlig zolffreien Verkehr in feinen Reichen;
ebenjo freie Weide für die Heerden des Kloſters. Wir erfennen aus
alledem, nicht nur daß das Gebiet von Sufa, zu weldem Novalefe
gehörte, fränkiſch war,“) fondern daß es auch, was bei feiner Hohen
Lage und Abgefchiedenheit für jene Zeiten um fo überrafchender ift,
in lebhafter Verbindung mit dem Reiche ftand.
Mit dem Worte Clufä war nun offenbar ein doppelter Sinn
verbunden: es bedeutete einestheild nur den Eingang in die Alpen-
thäler, gewifjermaßen das verfchließbare Thor derfelben — daher konnte
von den Cluſen der Zangobarden an der langobardifch-fränfifchen Grenze
die Rede fein 1%) —, anderntheils aber auch diefe Thäler felbft, wie
‘) Historiae patriae monumenta T. I, Chartarum T. I, p. 15 (Grindungs-
urkunde): in loco nuncupante Novelicis in ipso pago Segueinu.
%) Daf.: una cum consensu ponteficum vel clerum nostrorum Maurien-
nate et Segucinae civitatum . . . pro stabiletatem regno Francorum .. .
anno 5. regn. d. n. Theoderico rege.
®) Chron. Novalic. 1. c. lib. II. c. 6.
+) Daf. e. 11.
? Dal. 0. 4.
& Pertz LL.L p. 29: Asinarius abbas de Novalicio; ſ. unten Gap. XXVI.
Ne 36.
?) Sickel C. 11 [3 K, 2 (779); Acta deperdita p. 377.
3 Sickel C. 5, K.
Da auch Karls Fr Seiben Divisio imperü 806, Pertz LL. T. I,
«1: vi usque ad clusas.
10) Bgl. zu den bisher ngefüeten Stellen noch Vita Hadriani c. 29:
ea per montem Cinisem ad easdem appropinquavit clusas et remotus in
inibus Francorum [an der Grenze des Franienreichs] cum suis exercitibus
Der erfte itafienifche Krieg. 199
3. B. der Fortjeger des Fredegar das Thal von Sufa ausdrücklich
fo benennt. *) Wenn daher von den „eigenen Cluſen der Franken“
geſprochen wird, ?) jo ift darunter die ganze Alpenftraße, vom Ein-
gange des Thals von Maurienne bis zum Ausgange des Thals von
Sufa, zu verſtehen. Nach Feftftellung diefer Hiftorifch-geographifchen
Borbegriffe wird der Verlauf des Krieges fi uns leicht erklären.
Erft oberhalb der Stadt Maurienne begannen für das fränfifche
Heer die Schwierigkeiten des eigentlichen Gebirgemarfches; daher die
feierliche Scene in der Kirche des Heil. Johannes. Pippin Hatte
offenbar nicht erwartet, daß die Langobarden fich ftrengftend auf die
Defenfive befehränfen und nicht einmal aus ftrategifchen Gründen die
fränkiſche Grenze überfchreiten würden.) Welchen Vortheil hätte es
ihnen gewährt, wenn fie in das Thal von Sufa eingedrungen und
die Höhe des Alpenüberganges befett Hütten! Davon hielt fie vielleicht
nur das eine Bedenken zurüd, daß außer dem Monteenis-Paß noch
ein zweiter füdlicherer Weg Maurienne und Suſa verbindet, ein Weg,
der früher als jener den Arc verläßt, ziemlich weit oberhalb Suſa's
bereit die Dora Ripera erreicht und die Orte S. Michel, Bardonäche,
Oulx, Exille berührt, ein Weg, der denn auch von den Poftwagen
zwifchen S. Michel und Sufa befahren und in 11—12 Stunden
von denfelben zurüdgelegt wird. Die Quellen Taffen uns darüber,
welche von beiden Straßen die Franken im Jahre 754 eingejchlagen
haben, and wirklich ganz in Zweifel; erft in der Darftellung des
zweiten Feldzugs nennt der Fortjeger des Fredegar mit Beftimmtheit
den Montcenis. ebenfalls aber Hätte Aiftulf das Thal bis Sufa
hinauf befegen können, wo beide Wege fi) vereinigen; und dies, wie
es ſcheint, befürchtend, hatte Pippin dem Hauptheere, bei dem er felbft
bfieb, eine kleinere Abtheilung unter Anführung einiger Großen „zur
Bewachung der fränkiſchen Cluſen“ vorausgeſchickt. Es war ohne
Zweifel eine auserwählte Schaar leichtbewaffneter, tapferer Leute, die
ſchneller als die große Maſſe der Mannſchaft durch die Enge der
Schluchten und über die Felſen hinweg in das Thal von Suſa ge—
langten und bier ihren König zu erwarten hatten. *)
resedit, während Defierius und bie Seinen ad resistendum fortiter in ipsis
clusis assistebant.
) ©. oben ©. 197. N. 4: usque ad clusas quae cognominatur valle
Sensana.
®) Vita Stephani c. 33. 35: ad custodiendas proprias Francorum clusas.
) Es beruht auf einem Mißverftändniß, wenn Abel, Untergang des Lango-
bardenreihes ©. 42, meint, das Thal von Sufa fei von Aiftulf beſeht gewefen.
Auch andere Irrthumer feiner Auffafjung hoffen wir durch unfere efellung
berihtigt zu haben.
*) Vita Steph. c. 33: praemittens ante suum occursum aliquos ex suis
proceribus et cum eis exereituales viros (der Ausdrud exereitalis war im
Stalien fehr gebräuchlich; vgl. die Urkunden bei Trota, 3. B. n° 718) ad custo-
diendas proprias Francorum clusas, ibique conjungentes remoti residebant,
proprii regis praestolantes adventum; einen ähnlichen Ausdrud der Vita
200 Capitel XII. 754.
Während Pippin aber nur mit großer Mühe feine Heeresmaſſen
vorwärts führte und ſich nod in weiter Entfernung von feinem Vor-
trab befand, *) war dieſer bereit8 unvermuthet mit den Feinden in
Kampf gerathen. Kaum hatte Aiftulf nämlich von der Nähe des
Heinen Corps Kunde erhalten, ?) fo entſchloß er fich alsbald zur Offenfive,
befahl feinen ſämmtlichen Truppen, ſich zu waffnen, verließ mit den-
felben das wohlverfchangte Lager und drang in das Thal von Sufa
vor.?) In früher Morgenftunde*) erfolgte der Weberfall. Bei der
numerischen Ungleichheit der beiden Heere fchien der Ausgang kaum
zweifelhaft. Aber das auserlefene Häuflein der Franken begeifterte
und jtärkte in diefem Augenblide höchſter Gefahr der Gedanke an die
Bedeutung ihres Kampfes. Mit einer ungewohnten Wärme erzählt
der Chronift, ala ob er felbft oder fein Gewährsmann dabei gewejen
wäre: „Nicht mit eigner Hülfe, nicht durch die eigne Kraft glaubten die
Franken jet fich befreien zu können; fondern Gott rufen fie an und
den heiligen Apoftel Petrus befhwören fie, ihnen beizuftehen.“ Das
Treffen beginnt, es wird mit SHeftigfeit gekämpft, die Langobarden
erleiden empfindliche Verlufte, Aiſtulf wendet fih zur Flucht. Den
Franken ift es wohl jedenfalls zu ftatten gefommen, daß der Sturm-
angriff der Sangobarden von unten herauf geſchehen mußte; aber ihr
Ungeftim bei der Gegenwehr muß grenzenlo® gemwefen fein. Sie
gehen, fowie der Feind zurüchveicht, fofort zur Verfolgung über, und
diefe vollendet die Niederlage der Langobarden. Der enge Weg mochte
die Verwirrung fteigern; wie Aiftulf felbft, flohen gewiß fehr Viele
über die nad) Norden und Süden hin das Thal begrenzenden Berge;
an eine Sammlung des Heeres Hinter den Schanzen war, wenigftens
in größerem Maßftabe, nicht mehr zu denken, die Meiften von den
Fuhrern und der Maunſchaft kamen um; nur mit Wenigen erreichte
der wehrlofe König die Hauptſtadt. Die Sieger aber drangen bis
zum Ausgange des Thales nach, zerftörten hier, nicht ohne noch auf
einigen Widerftand zu ftoßen, die Befeftigungen der Langobarden, be
mädhtigten ſich ihres Lagers und machten viele Beute. 5)
Hadr. c. 29 f. oben ©. 198. N. 10: remotus in finibus Francorum resedit.
Der Fortſetzer des Fred. jagt noch beftimmter, c. 120: pauci montibus angu-
stisque locis erumpentibus [fies: erumpentes] usque in valle Seusana per-
venerunt.
) So find die Worte des Chroniften, cum propter angusta vallium montes
rupesque exercitus praedicti regis minime transire potuissent, aufzufaflen;
denn daß fie — über die Berge kamen, erzaͤhlt er ſelbſt im weiteren Vers
faufe: [P.] cum omni exereitu vel multitudine agminum Francorum usque
ad Tieinum peraccessit.
) Haec cernens: Fred. cont. c. 120; audiens autem . . . parvum
numerum ex illis Francis adfuisse: Vita Steph. c. 35.
®) Vita Steph. 1. c.: subito aperiens clusas.
+) Daf.: dilueulo.
®) Daf.: fossatum Langobardorum peractam caedem abstulerunt;
oben ©. 197. N. 5. post r
|
a
Der erfte italieniſche Krieg. 201
Diefe glänzende Waffenthat, durch welche der Krieg entſchieden
war, erregte mit Necht das Staunen der Zeitgenoffen: alle Volker,
fohreibt der Papft, erfannten in diefem „unermeßlichen Siege,’ in
‚diefer „großen und leuchtenden Wunderthat“ die Gerechtigkeit der Sache
Petri; i) und infofern die Schlaht unter Anrufung des Apoftels ges
wonnen war, lag darin fpäter ein neuer Sporn zum Kampfe für
Rom. Der Papft kommt zu wiederholten Malen darauf zurüd.
„Merket wohl,“ ruft durch feinen Mund der heil. Petrus den Franken
zu, „daß ich euch in allen euren Nöthen, auf euer Flehen, beigeftanden
habe; bedenfet, wie ich die Feinde der heiligen Kirche, als fie gegen
euch ein Treffen eröffneten, durch euch, die Geringeren an Zahl, zu
Boden werfen Tieß.“ 2) „Die Beinde Gottes und der Kirche,” jo
heißt es an einer anderen Stelle, ®) „ihrer Wildheit vertrauend und
„ſchnellen Zußes zum DBlutvergießen,““ *) fielen über eine Heine
Anzahl aus eurem Volke her; Gott aber verlich euch durch die Hand
des heil. Petrus einen folhen Sieg, daß fie, die Unzähligen, von
wenigen Leuten getödtet wurden. Und die Feinde Petri wurden zu
Boden geftoßend) und folcher Schrecken ihnen vom Herrn eingejagt,
daß fie in nichts zergingen.“ 6)
Eine tiefe Demüthigung Aiftulfs war in der That das große
Ergebniß der Schladt bei Sufa. Als Pippin und der Papft mit
dem Hauptheere zu den Heldenmüthigen Siegern geftoßen waren, rückte
man bereinigt vor die Mauern von Pavia. Die Stadt wurde einige
Zeit belagert ?) und zwar fo eng eingefchloffen, daß für Aiftulf fein
Entfommen möglich war; dabei wurde in gewohnter Weife die ganze
Landſchaft verwüftet, viel.verbrannt, viel geplündert, Gold, Silber und
anderer Zierat, der jich in den Ortichaften fand, geraubt. Da wandte
ſich Aiftulf an die Großen der Franken mit der Bitte um Frieden; ®)
der Papft vermittelte und unterftüßte diefe Bitte bei Pippin, und fo
tam, jedenfalls wohl erft im October des Jahres 754, °) der Friede
?) Cod. Carol. ep. 6. 7. p. 85. 88.
®) Daf. ep. 10. p. 59—6Ö0: dum contra vos praelium ingruerunt, a vobis,
qui Barvo numero contra eos fuistis, prosternere feci.
P] Dat, ep, 7. p- 39.
®) ®f. 146, 6; Jeſaia 26, 5.
I Bi. 57, 8
') Vita Steph: c. 86: aliquantos dies; Einhardi Vita Karoli c. 6: pau-
corum dierum obsidione, im Gegenjage zur longa obsidio unter Karl; übrigens
ſpricht Einhard nur unbeftimmt von Einem Kriege Pippins. Ueber die 15 Monate
des Chr. Moissiac. {. die Bemerfung von Berk, 88. I. p. 293. not. c.
®) Fred. cont. 1. c.: pacem per sacerdotes et optimates Francorum petens;
Vita Steph. c. 37: eosque [Aistulphum cum suis] Deo dilectam pacem inhiantes,
®) Vita Steph. c. 46: per indictionem VIIL., d. i. Sept. 754 bis Sept.
755. Da wir den Beginm des Feldzuges aber in den Anfang Auguſt geſetzt, fo
Mann der Friedensſchluß nicht wohl früher, als oben angegeben, gebadjt werden;
denn wir dürfen auf den Marſch des Heeres durch Gallien und über die Alpen,
der überdies noch durch eine Geſandtſchaft an Aiſiulf unterbrochen wurde, gewiß
unbedenklich 2—3 Monate reinen.
202 Capitel XIIL 754.
zu Stande, der in einer fehriftlichen Urkunde ausgeſprochen) und durch
einen feierlichen Eidſchwur des Langobardifchen Königs und feiner Großen
ſowie durch 40 Geifel bekräftigt wurde. ?) Schon diefe Geifelftellung
deutet nach den Begriffen jener Zeit auf die Begründung eines Ab-
büngigeitöverhäftnifjes der Langobarden zu den Franken; ®) e8 wird
aber auch mit beftimmten Worten berichtet, daß Aiftulf dem Könige
Pippin die Huldigung geleiftet habe *) und daß der Eid und die Geifel
eine Bürgſchaft dafür fein follten, daß er fi niemals der fränkifchen
Oberhoheit wieder entziehen würde: 5) Von der Leiftung eines Tributes
verlautet nichts; ©) wohl aber gab Aiftulf fomwohl dem Konige als
aud) den Optimaten der Franken viele Gefchente.”)
Wenn der römifche" Berichterftatter von alten diefen ihm un»
weſentlichen Dingen ſchweigt, jo Täßt ſich der fränfifche dagegen in
Betreff derjenigen Vertragsbeftimmungen, welche ſich auf die Regelung
der italienifchen erhältniffe bezogen, feine ſolche Unterlaffung zu
Schulden fommen. Das Verfprechen Aiftulfs in diefem Punkte nämlich
ging feinen Worten nah — und diefe Faſſung bezeichnet Alfes, worauf
es einem Franken bei der Löfung der Sade anfommen mußte —
dahin, alie gegen den apoftofifchen Stuhl begangenen Rechtsverlegungen
durch vollften Erfat wieder gut zu machen. Der römische Autor drückt
fid) beftimmter fo aus, daß er verſprochen habe, die Stadt Ravenna
fammt verfchiedenen anderen Städten fofort heranszugeben;®) und zwar
follte die Uebernahme derjelben durch den römifchen Stuhl unter der
Mitwirkung fränkiſcher Bevollmächtigten gejchehen.?) Die Städte ges
hörten theils zur Aemilia, theils zu den beiden Pentapolis, der am
:) Vita Steph, c. 37: [iftulf) per scriptam paginam ‚adfrmarit, se ilico
redditurum civitatem Ravennatium cum aliis diversis eivitatibus.
%) Bon der Betheiligung der langobardiſchen Judices beim Friebenefehfuffe
fprechen, aufer ber Vita Steph. c. 37, aud) Cod. Carol. ep. 6. p. 86, ep. 7.
BD: Videns namque suam deceptionem iniquus Haistolfus rex, cum suis
destructis judicibus per blandos sermones et suasiones atque sacramenta
inluserunt Drudentiam vestram; vgl. noch ann. Einh. 756: quamquam .
tam se quam optimates suos jurejurando obstrinxisset. Dem terribili et
fortissimo sacramento der Vita Steph. entſprechen befonders die Worte der ep. 7.
p.40: in tanta Dei mysteria sacramenta praebuerunt et noluerunt observare.
— Die Zahl der Geifel wird von den größeren und kleineren Lorſcher Annalen
angegeben.
% Bol. Waitz, BG. IT. ©. 528. Dadurch erffärt fi, warum Defiderius
im Jahre 758 jo dringend die Zurüdgabe der Geifel forderte; Cod. Carol.
ep. 16. 17. p. 76. 80, |. unten Cap. XXI.
4) Fred. cont. c. 120: dictiones supradicto regi Pippino faciens; vgl.
Waitz, BG. IV. ©. 236.
®) Daf.: ut nunquam a Francorum ditione se abstraheret.
) Die dahin gehende Angabe der Chronik von Moiffac, Pertz SS. I p. 298,
in wohl richtiger beim Jahre 768 zu verwenden.
Fred. cont. 1. c.
9 ©. die Vorfehenbe N. 1.
®) Cod. Carol. ep. 7. p. 39: omnia ... b. Petro per vestros missos
restituenda promisit.
Der erfte italienifhe Krieg. 203
Meere und der im Innern gelegenen (maritima und mediterranen), die
daher auch) zuweilen mit dem gemeinfamen Namen Decapolis bezeichnet
werden; es waren außer der Hauptftadt Ravenna noch folgende Orte:
Ariminum (Rimini), Conha, Pifaurum (Pefaro), Fanum (Fano),
Senagallia (Sinigaglia), Aeſium (Zei), Cejena (Ceſena), Forum
Populi (Forlimpopoli), Forum Livii (Forli) nebſt dem Caſtell Suffu-
bium, Bobium (Galeata), Mons Feretri (Montefeltri), Acerragio,
Mons Lucati, Serra, das Caſtell S. Marini (S. Marino), Urbinum
(Urbino), Cales (Cagli), Luceoli, Eugubium (Gubbio).). Auch die
Stadt Narni, welche vor vielen Jahren widerrechtlich zum Herzogthum
Spoleto gezogen worden war, verſprach Aiſtulf dem Papſte heraus-
zugeben. Endlich gelobte er noch, nie wieder einen feindlichen Angriff
auf das römiſche Gebiet zu unternehmen. ?)
Unmittelbar nach dem Abfchluß diefer Verträge, die der Biograph
Stephans ganz zutreffend einen Frieden zwifchen Römern, Franken
und Langobarden nennt,®) verabichiedete Pippin fih vom Papfte,*)
indem er ihn noch einmal reichlich befchenkte, und verließ mit feinem
Heere Stalien.d) Es mochte ihm bedenklich erſcheinen, in der ſchon
») Vita Steph. c. 47. Diet Verzeichniß, das eigentlich bie Abtretungen nad}
dem zweiten Kriege enthält, benugen wir auf Grund de8 Cap. 46 der Vita,
mofelbft e8 vom zweiten friedensichluffe Heißt: quas prius contempserat
conscriptas in pacti foedere reddere civitates, nunc modis omnibus profite-
batur se redditurum. Sicque denuo confirmato pacto anteriore, quod per
elapsam indietionem VIIL inter partes provenerat, restituit ipse Aistulphus
easdem civitates, addens et castrum, quod cognominatur Comiaclum. In
der That ſchließt die Aufzählung der Städte in c. 47 mit den Worten: et
Comiaclum.
%) Fred. cont. 1. c.: ulterius ad sedem apostolicam Romanam et rem-
publicam hostiliter nunquam accederet.
®) Vita Steph. c. 37: facta pace inter Romanos, Francos et Langobardos.
*) Ganz unbegründet iſt, was ber Mönd von ©. Gallen (De Carolo Magno
lb. II. c. 15, Jaff& Bibl. IV. p. 689) von einer kurzen, ber Mönd, Benediet
von ©. Andrea am Soracte (Benedicti Chron. c. 20, Pertz SS. III. p. 706)
von einer längeren, der Letztere noch dazu von einer viel fpäteren Anweſenheit
Bippins in Rom erzählt. Die erfigenannte Tradition will wiſſen, Pippin Habe
die Stabt orationis tantum gratia nad; Befierung der Feinde befugt und er ſei
bier von den Bürgern mit einem Zurufe begrüßt worden, ben Manche fpäter,
vim carminis et originem ignorantes, an ben Feſttagen ber Apoftel zu fingen
gerfeot hätten; derfelbe Iautete: Cives apostolorum et domestici Dei advenerunt
ie, portantes pacem et illuminantes patriam, dare pacem gentibus et
liberare populum Domini.
®) Unter feinen Begleitern befand fich vielleicht jener Gaidulf von Ravenna,
von bem wir wiffen, daß Pippin ihm das Kfofter Glanfenil oder S. Maur fur
Loire in Anjou übertrug (locum ipsum cum omnium integritate possessionum
... rex Gaidulfo cuidam Ravennati dedit: Translatio S. Mauri c. I, Mabillon
Acta SS. IV. 2..p. 169; vgl. Roth, BW. ©. 340; Feudalität ©. 89; oben
©. 8). Aucqh fehrte damals, entweder im Gefolge Pippins oder kurz nachher, der
Biſchof Egilfrid von Lüttich, Abt von S. Bavon in Gent, zurüd, qui anno
Domini 754 de urbe Roma rediens, multas reliquias apostolorum et aliorum
sanctorum ... secum detulit et in coenobio Gandensi 16. kalendas Decembris
honorifice et decenter collocavit: ann. S. Bavonis Gandensis 752, Pertz SS. IL
204 Enpitel XII. 754.
fo weit vorgerüctten Jahreszeit die Ruckkehr zu verzögern; an der
pünftlichen Ausführung.der Verträge aber zweifelte er nicht, obwohl
der Papft den Zuficerungen der Langobarden feinen Glauben ſchenken
wollte. Der Bruder Pippins, Hieronymus, und der Abt Fulrad von
©. Denys waren die Führer der zurücbleibenden fränfifchen Gejandt-
ſchaft, ) welche den Auftrag Hatte, die Vollziehung des Friedens-
inftrument® zu überwachen und zunächſt den Heil. Vater mit allem
Geremoniell nad Rom zu geleiten. Wir erfahren aus einer Bulle
des Nachfolgers, daß der Papft auf feinem Heimwege in dem Klofter
des heil. Hilarius zu Galeata gaftliche Aufnahme fand.) Wir hören
von ihm felbft, daß er bereitS auf diefer Rückreiſe in die Heimat
mannigfache Kränfungen von Seiten Aiftulfs zu erleiden Hatte.) Auf
dem Felde des Nero, alfo auf der rechten Tiberfeite, betrat Stephan
nad) einjähriger folgenreicher Abwefenheit das Gebiet der ewigen Stadt
wieder, von Klerus und Volk mit lauten Freudenrufen empfangen.
p. 187. Wenn der Annalift ihn als per Stephanum papam abbas Gandensis
ereatus bezeichnet, fo ift das jedenfalls eine Unvichtigkeit, zu welder den Verfaſſer
vielleicht ein felbfterlebter Fall diefer Art verleitet Hat; f. a. 1841. 1848, p. 191.
Denn eine ſolche Belegung fränkifcher Abteien durch den Papft widerſpricht der
Sihereeteflunn der er Pippimifcen Zeit.
Vita Stephani [Pippinus] fratrem suum Hieronymum et Ful-
radum abbatem cum Gonmutls aliis misit missis; Fred. cont. c. 120: cum
optimatibus suis et multa munera; Enhardi Fuld. ann. 754: Stephanus papa,
duce Hieronimo fratre Pippini, Romam revertitur ; Cod. Carol. ep. (Stephani) 6.
p. 37: Folradus filius noster, vester consiliarius, et ejus socii; ep. 7. p. 40:
Folradus ... una cum suis sociis. Auffallend, daß Stephan dem Könige gegen-
über beffen Bruder nicht nennt; offenbar mar Fufead die Geele der Gefandtidhaft.
AXud die ann. Lauriss. maj. 755 heben nur Biefen hervor: Stephanus papa
reductus est ... per missos domni regis Pippini, Folradum et reliquis qui
cum eo erant, woſn die ann. Einhardi in ihrer Weiſe fagen: [P.] Stephanum
‚pam cum Folrado presbytero capellano et non minima Francorum manu
— remisit. — Da Fulrad Geiſtlicher war, jo darf daraus im Hinblick auf
zahlreiche analoge Fälle geichloffen werden, daß fein Genoffe —— dem
weltlichen Stande angehörte; vgl. Hahn, Jahrbücher S. 154, Ercurs IL
%) Bulle Pauls I. vom 5, Februar 759, Troya ne 782: affluenter ipsius
itineris subsidia illi tribuit,
®) Cod. Carol. ep- 6. p. 35: Aion, ana invicem.separati sumus,
nos affligere ... conatus est; ebenfo ep. 7.
Dierzehntes Gapitel.
Die Gongregation der Kanoniker zu Meb.
754— 755.
Durch die ttalifchen Kriegsereigniffe Hindurch fehlingt ſich eine
umfaffehde und nachhaltige geſetzgeberiſche Thätigfeit, auf die wir nun=
mehr, beim Uebergang in das Jahr 755, unfer nächſtes Augenmerk
zu richten haben. Schon in den 40er Zapren hatte man den Verfall
alfes kirchlichen Lebens fchmerzlich empfunden und demfelben in beiden
damals getrennten Neichehälften unter dem Einfluffe des Bonifacius
gejeglich abzuhelfen geſucht. Schon damals hatte man eine Befjerung
in dem Lebenswandel ſowohl der Geiftlihfeit, al8 aud der Laien
ins Auge gefaßt.!) Diefe Bemühungen, waren jedoch ohne bemerkens—
werthen Erfolg geblieben; wir überzeugen uns davon, wenn wir nad
der Königsfrönung Pinpins von neuem Elagen hören, daß Klerus und
Volt in große Vernachläſſigung gerathen feien, daß die Pflichtvergeffen-
heit der Hirten und ihrer Untergebenen nur zugenommen habe, daß
unter den Geiftlichen feit langer Zeit weit verbreitete Mißftände herr⸗
ſchen.) So ftehen wir nun am Eingange einer neuen Legislatur-
periode, welche das früher begonnene Werk auf kräftigere Weife durch—
zuführen. hatte,
Dod ehe wir zur Darftellung der hierauf bezüglichen Reiche-
verhandlungen gelangen, ift eines vereinzelten Neformverfuches zu ge-
Bgl. 3. 3. Capit. Suession. a. 744 c. 4: Similiter deerevimus, ut laiei
homines legitimi viyant.
') Chrodegan; la canonicorum secundum editionem Labbei, Migne
Patr. * ——— — 1097, prologus: pastorum subditorumgue negligentia
et his temporibus nimium crevit ... cum in tantam negligentiam clerum
plebemque devenisse conspicerem . . . mala diu longeque usurpata.
206 Eapitel XIV. 754756.
denken, der auf engerem Gebiete das gleiche Ziel verfolgte: wir meinen
die Mafregeln des Biſchofs Chrodegang von Me. Yon ihm rühren
jene lagen her, die wir foeben angeführt; und in dem Bewußtfein
der mit feinem Hirtenamte verbundenen Pflichten war er mit fih zu
Rathe gegangen!) und zu der Einfiht gelangt, daß eine Regeneration
am ſicherſten bei dem Nächfterreichbaren beginne; daß fie daher mit
dem Einzelnen anzufangen habe, fo lange die Gefammtheit fih ihr
verſchließe; daß eine Beſſerung des Hauptes zulett auch den Gliedern,
eine Hebung des Klerus allmählich aud der demfelben anvertrauten
Bevölkerung zu ftatten fommen müfje. So befchränfte ſich Chrode—
gang auf den Umfang feiner biihöflichen Gewalt, ja er dehnte feine
Neuerung nicht einmal auf den gefammten Klerus feiner Diöcefe aus,
obwohl eine folche Erweiterung vorbehalten blieb;*) er Hatte bei feiner
Einrichtung vielmehr nur die Geiftlichleit der Stadt Meg im Auge,
insbefondere die Kleriker der Kathedrale zu S. Stephan, der Marien-
und der Petersfirche, fowie endlich der Paulskirche, welche damals,
wie es ſcheint, erft gegründet worden war.®)
Zn welchem Jahre num Chrodegang die Congregation der Meter
Geiſtlichkeit — denn damit ift feine Schöpfung bezeichnet — ins Leben
rief, wird in dem Statut, das er hierüber ausarbeitete, nicht ange-
geben, fondern darin nur gejagt, daß dafjelbe in der Königszeit Pippins
verfaßt fei.t) Auch Hat die Forſchung ſich mit diefer Frage nicht
näher befcäftigt. Man Hat die Schrift Chrodegangs in ihrem Zur
jammenhange mit der Mönchsregel des heil. Benedict, man hat fie
in ihrem Zufammenhange mit der fogenannten Aachener Regel vom
Jahre 817 betrachtet, jedoch am wenigften nad ihrer Beziehung zur
eigenen Zeit gefragt. Ein Blick auf die Neichsbeichlüffe des Jahres
755 aber fegt e8 außer Zweifel, daß das Werk Chrodegangs denfelben
vorangegangen fein muß; denn wäre das Capitular von Verneuil ſchon
vorhanden geweſen, mit welchem ein neuer Aufſchwung des kirchlichen
Lebens im fränkifchen Neiche begann, fo Hätte Chrodegang nicht mehr
von dem religiöfen Verfall feiner Zeit ſprechen, nicht ausrufen fönnen:
„Was bleibt uns, die wir in einer fo fehweren Krifis leben, anders
4) Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 1097: cumgue offici mei pastoralis
curam invigilare coepissem . . . coepi moestus conqueri [fies: conquirere],
quid agere deberem; eine ähnliche Wendung findet fich in desjelben Chrodegang
Privilegium für Gorze vom Jahre 757, Migne 1. c. col. 1122: dum... . in-
spicerem, quid Dei filius diceret ... ideirco coepi moestus conquirere quid
pro animae remedio ... . facerem.
®%) Daf. cap. 31. col. 1116: Si quis autem eodem modo, quo supra
instituimus, ad hanc congregationem, tam unus ex abbatibus nostris quam
quilibet ex extraneis clericis se sociare desideraverit, eo tenore, ut alii
fratres fecerunt, faciat.
®) Die nen beitretenden Kleriker werden aufgefordert, ihr ettoniges Beſitzthum
ad ecclesiam beati Pauli ad opus Dei vel clerieis ibidem deservientibus zu
übertragen: c. 81. col, 1115.
*) Prologus col. 1097: Temporibus piissimi ac serenissimi regis Pippini.
FARBE NT
zu thun übrig, als daß wir unferen eignen Klerus, fo weit es ums
möglid), wenn nicht, fo weit es ung geboten ift, auf den rechten Weg
zurüdzuführen fuchen?“!)
Auf der andern Seite hat Chrodegang feine Einrichtung ſchwerlich
| vor dem Zahre 754 gefchaffen; wir folgern dies aus dem mehrfachen
' Anſchluſſe an das Beifpiel Roms grade in äußeren Dingen. So hält
er am der Rangordnung innerhalb des Klerus feft, welche in der
römifchen Kirche vorgefchrieben war, fordert daher auch, daß die Geift-
lichen in der gegenfeitigen Anrede dem Brauche des apoftolifchen Stuhles
Die Congregation der Kanonifer zu Met. 207
') Wir gehen in diefer Anmerkung auf die chronologiſche Frage noch etwas
näher ein. &r heben zunächſt hervor, daß Ehrodegangs Privilegium für Gorze
vom Jahre 757 von dem consensus fratrum nostrorum canonicorum spiritua-
lium, bejonders aber (am Schluffe) von den fratres nostri de congregatione
8. Stephani fideles ipsius consentienteg vedet, aljo Ausbrüde braucht, die in
j dem Statut Chrodegangs geradezu als termini techniei dienen; auch ſcheint darin
j die VBefitlofigteit der Mönche nur zum Gegenfate gegen die Befitverhäftniffe der
congregirten Kanoniler ausdrüclich Hervorgehoben zu fein. Was num aber das
Verhältniß zum Capitulare Vernense. betrifft, jo hat man in cap. 11 deſſelben
(in monasterio sint sub ordine regulari aut sub manu episcopi sub ordine
canonica) fogar ſchon einen Einfluß der Einrichtung Chrodegangs erkennen wollen
(ettberg I. ©. 495. N, 2), und dies ift allerdings aud) injofern richtig, als die
Ausdrudsweife mit der feinigen übereinftimmt, nicht in dem Sinne, als ob feine
Inftitution damals bereits überal Eingang gefunden hätte. Wichtiger erſcheint
ung eine Vergleihung der beiden Prologe. Chrodegang beginnt (col. 1097): Si
trecentorum decem et octo reliquorumgue sanctorum m camonum auc-
toritas perduraret, et clerus atque episcopus secundum eorum rectitudinis
normam viverent, superfiuum videretur, a nobis exiguis minimisque super
hac re tam ordinate disposita aliquid retractari et quasi quidem novi ali-
quid diei; ganz mit demfelben Gedanken beginnt das Vernenſiſche Capitular:
Sufficerant quidem priscorum patrum rei sanctae ecelesiae catholicae
rectissimae normae ad mortalium correctionem prolatae, si earum sanctissima
jura perseverassent inlaesa. Cine weitere Webereinftimmung des Gedantenganges
zeigt ſich in ven Sägen: Intendamus ergo ad hoc animum, quantum possumus,
quia non possumus, quantum debenus (Chrodegang) — Et quia facultas
modo non subpetit ad integrum, tamen aliqua ex parte vult esse correctum,
quod aecclesiae Dei valde cognoseit esse contrarium (Capit. Vern.). Es ann
daher nicht zweifelhaft fein, daß eine der beiden Vorreden der anderen nachgebildet
iſtz und e8 dünkt ung viel weniger wahrſcheinlich, daß ein Tocales Actenſtück, welches
mit einer neuen Idee hervortritt, ſich der Einleitung eines bereits allgemein gel-
tenden Reichsgeſetes bedient Haben follte, als daf umgekehrt in das Capitular der
Gedanke eines einzelnen Manns aufgenommen wurde, der jedenfalls an den
Reichstagsberathungen, vielleicht aber auch an der Nedaction der Beſchlüſſe einen
bedeutenden Antheil hatte. Dazu lommt, daß der Prolog Chrodegangs offenbar
aud) an das Capit. Suession. a. 744 anklingt, in deffen c. 1 e8 heißt: In pri-
mitus constituimus fide catholica, quam constituerunt 318 episcopi in Nicaeno
concilio, ut denuntiaretur per universa regione nostra, et judictas canonicas
aliorum samctorum, quae constituerunt in synodis suis. Der Gedanfengang
Chrodegangs war aljo: da die Bejchlüffe der Nicäijhen und der übrigen älteren
Shnoden durch die im Jahre 744 erfolgte Publication derjelben nicht wieklich in
Kraft getreten feien, jo bebürfe e8 neuer Maßregeln zur Hebung der fränfijchen
Kirhe; er Mmüpft mithin unmittelbar an 744 an — ein Weweis, daß ihm noch
lein Geſetz jüngeren Datums vorlag, an das er hätte anknüpfen können.
208 Copitel XIV. 754-755.
folgen; *) er verbietet nach römiſchem Vorgange das Tragen eines
Stodes in der Kirche;?) fir den Beſuch der Capitelverfammlung fehreibt
er diejenige Kleidung vor, welche der römiſchen Ordnung entjprede;®) |
in der Kirche follen ſämmtliche Kleriker, auf ihren Plägen figend, den
Biſchof erwarten, wie es römiſche Sitte fei.*) Alle diefe Beftimmungen B
verdanken ihren Urſprung offenbar nicht irgend einer fhriftlih ab⸗
gefaßten Kirhenordnung Roms,*) fondern der eigenen Auſchauung des
Biſchofs an Ort und Stelle; und wenn er hier und da von einer
gejeglihen Inſtitution oder von der Verfafjung der römifchen Kirche
und von römiſcher Ordnung redet, fo bedeuten dieſe Ausdride gewiß
nichts Anderes, ald was er am anderer Stelle mit römifcher Sitte
und römifchem Herkommen bezeichnet.) Das eben Hat Rom damals
groß gemacht, daß der unmittelbare Eindrud feines Beifpiels jeden
Beſucher mit ſich fortriß und zur Naceiferung anfpornte. Nun wiffen
wir, daß Chrodegang es war, der 753 den Papft aus Rom holte,
') Cap. 2. col. 1099; secundum legitimam institutionem Romanae eccle-
siae — secundum constitutionem sanctae ecclesiae sedis apostolicae.
®) Cap. 7: secundum quod Romana ecclesia tenet.
hab ®) Cap. 8: sicut habet ordo Romanus; cap. 33: sicut ordo ecclesiasticus \
et.
*) Cap. 83: sicut mog est Romanae ecclesiae. |
°) Unter, den von Mabillen im zweiten Bande des Museum Italicum ge-
jammelten Ritualbügern der römiſchen Kirche nehmen die zwei erften gllerdings !
ein hohes Alter in Anſpruch, da der im Anfange des 9. Jahrhunderts lebende
Amalarius in feinen liturgiſchen Schriften mande Stelle derfelben citirt und
erläutert (ogl. admonitio p. 2. 41). Die erftere von beiden, Ordo ecelesiasticus
Romanae ecelesiae genannt, vedet überdieg von Gebeten pro Carolo rege und
pro rege Francorum (p. 17. 19), ift aljo wohl vor 800 geichrieben. In beiden
finden fih Anklänge an Chrodegangs Schrift, die ja auch ausdrüdlich auf einen
ordo Romanus und ordo ecelesiasticus Bezug nimmt (f. oben N. 3): der
Ordo J beſchreibt zu wiederholten Malen, z. B. p. 5, wie an Feſttagen primo
mane praecedit omnis clerus apostolicum ad ecclesiam ... exspectantes
pontificem in ecclesia ... sedentes in presbyterio (ähnlich; p. 22. 26. 32. 85);
der Ordo II hebt hervor, daf während der Meſſe die Stöde aus Händen gelegt
wurden, p. 46: Sed et baculi omnium deponuntur de manibus. — Dies ift
jedoch Alles, was von Ehrodegang aus jenen zwei Büchern hätte geſchöpft jein
Tönnen; beide zufammengenommen wirden aljo nicht ausreichen, ſämmtliche Hin-
weifungen auf römifches Verfahren zu erffären. Zudem ift aud das Angeführte
weniger neue Vorſchrift, als vielmehr Mittheilung des beftehenden Gebraudjs ; ja,
der Ordo I fügt dies jelbft mehrmals Hinzu: sicut mos est (p. 22), more solito
(p. 31), juxta consuetudinem (p. 32). Offenbar auf dieje jelbftbeobachteten Ger
wohnheiten der römiſchen Kirche muß daher auch Alles, was bei Chrodegang
römische Srtiehmung u zurüdgeführt werden. Die zum Theil jhon erwähnten
Worte des erflen endlich, p. 17: tempore Adriani institutum est, ut
flecteretur pro Carolo rege; antea vero non fuit consuetudo — laffen es
wenigftens in Betreff diefer Schrift kaum zweifelhaft jein, daß fie erft nad} den
Tagen Pippins und Chrodegangs entſtanden ift; man müßte jene Stelle denn,
nie geſchehen ift (admonitio p. 2), für fpäteren Zufag halten, was mir willfür«
lich ſcheint.
q) Paulus Diaeonus, der noch von Einführung des römiſchen Geſanges und
der römſchen Ordinationgzeiten durch Chrodegang erzählt, bedient ſich derfelven
Worte: morem atque ordinem Romanae ecclesiae servare praecepit ...sicut
morig est Romanae ecclesiae; De episcopis Mettensibus, Pertz SS. II. p. 268.
Die Eongregation der Kanoniker zu Meg. 209,
um ihn nad; Gallien zu führen. Damals alfo hatte er — denn vom
einem früheren Beſuche diefer Stadt verlautet nichts — das geiftliche
Leben und die gottesdienftlichen Gebräuche mit eigenen Augen gejehen;
ſchon Hatte Papft Stephan damals eine der Megifchen vielfach ähnliche
Regeneration, feines Klerus ins Werk gejegt.‘) So mochte denn
Chrodegang Hier die entfcheidende Anregung zu feinem Unternehmen
empfangen haben; und während das Frankenheer den Papft nach Stalien
zurücigeleitete, gab er ſich vielleicht der Ausarbeitung und Durchführung
feines Gedankens hin. Diefe wird um fo fpäter anzufegen fein, als
Ehrodegang feineswegs nur der eigenen Entſchließung folgte, fondern ſich
aud) den Rath und die Zuftimmung des bifchöflichen Klerus?) oder,
wie einmal angedeutet ift, fogar feiner Didcefanfynode einholte.®)
Das fo entftandene Stiftungsreglement, an die betheiligte Geift-
lichkeit gerichtet, *) nennt ſich in befcheidener Weife‘) ein eines Decret,‘)
ein Hleines Statut,?) dazu beftimmt, das Leben der fanonifchen Kleriker
zu beffern ‚®) die alte kanoniſche Ordnung mwieberherzuftellen,*) auf
deren Vorſchriften es wiederholt Hinmeift.?‘) Nur in diefem Sinne
") Vita Stephani II. c. 12. p. 94: Hic etiam beatissimus papa omnes
suos sacerdotes et clerum, in Lateranensi patriarchio sedule aggregans, ad-
monebat, divinam, totis nisibus scrutari scripturam et in lectione vacare
spirituali, ut efficaces invenirentur in omni responso et assertione adver-
sariorum ecclesise Dei. Nec enim cessabat indesinenter admonendo et con-
fortando cunctum Dei populum sobrie pieque agere atque ab omni pravitate
sese custodire. Omnibus autem praenominatis sacerdotibus dum de coele-
stibus suadebat, terrenis honoribus et dationibus eos attrahebat, ut cuncti
ornati in ecclesia invenirentur etc.
) Prologus: fratrum spiritualium consolatione adjutus; c. 34, col. 1118:
una cum consensu fratrum spiritualium constituimus. -
®) Cap. 7: Illud in timore curavimus, secundum quod Romana ecclesia
tenet et nostra synodus judicavit.
*) Prologus: Intendamus ergo; cap. 1: De multis pauca perstrin-
ximus, ut animos vestros ad amorem humilitatis provocemus.
®) Prologus: a nobis exiguis minimisque; c. 34, col. 1117: juxta medio-
eritatem nostram et capacitatem sensus. Ach heißt es im Privilegium für
Gorze, col. 1121: juxta possibilitatem ex medioeritate mei sensus.
©) Prologus: parvum decretulum; c. 31, col. 1115: in parvulo decretulo,
quod_digessimus.
Cap. 8: istam institutiunculem nostram; c. 17: huic parvulae insti-
tutiunculae; c. 25: hujus parvae institutionis,
®) Cap. 34 in.: Dum de corrigenda vita clericorum canonicorum rebus
pernecessarüis . . . descripsimus.
®) Cap. 31, col. 1114: nos qui peculiarius canonieis ordinibus inservire
debemus; daſ. col. 1115: ordinem canonicum ... modo utcunque recuperare
eupimus, offenbar mit Bezug auf die unmittelbar vorhergehenden Worte, daß die
Kirche, canonum jussione constrictam, für die Armen, Wittwen und Waifen
forgen müffe.
1%) Prologus: ut ordo canonicus deposcit; c. 15 ex.: secundum ordinem
eanonicum; c. 25: der archidiaconus und der primicerius feien docti evangelia
et sanctorum patrum instituta canonum; daj.: quidquid secundum canonicam
institutionem . . . non potuerint definire; daj.: si reperti fuerint . . . con-
temptores canonicae et hujus parvae institutionis.
dahrb. d. dijch. Geſch. Delsner, König Pippin. 14
‚ 210 Eapitel XIV. 754—755.
bezeichnet Chrodegang auch die nmeugegründete Verbindung als eine
tanoniſche Ordnung,?) und ihre Mitglieder als kanoniſche Kleriker oder
furzweg Ranonifer.?) Die Kanones der Väter folfen ihnen zur Nicht-
ſchnur dienen, wie den Mönchen die Regel dee heil. Benedict; die Aus-
drücke kanoniſch und regular ftehen, als das Unterfcheidende der Welt-
und Kloftergeiftlichfeit, auch fonft in einem gewiſſen Gegenfage zu
einander.) Es iſt daher unrichtig, das Statut Chrodegangs gleic-
falls eine Regel zu nennen; er felbft bediente ſich diefes Namens nie,*)
fo leicht er auch durch die Schrift des Benedictus von Nurfia dazu
hätte veranlaßt werden fönnen und fo zahlreich felbft die Excerpte
waren, welche er aus den 73 Paragraphen jener, von ihm auffallender
Weife nirgends citirten, Regel mit großer Gemwandtheit?) in feine 34
Ranones hineingearbeitet hat.
Denn die Benedictinifche Klofterverfaffung, welche grade damals
zu erneuter Wichtigkeit gelangt war, diente der neuen Inſtitution im
der That zum Mufter;) ſchon die Namen ermnern vielfah daran.
So bediente ſich Chrodegang für die Genofjenihaft feiner Kleriker
dejfelben Ausdrucks Congregation,?) welcher fonft für die Vereinigungen
der Mönche gebräuchlich war; die Worte Domus und Clauftre, Dom
und Kloſter, bezeichneten gleichermaßen den abgejchlofienen Raum,
welcher ihre Kirchen und Wohnungen umfaßte.®) ‚Den Mittelpunkt
) 3. 8. cap. 12: Vetetur in hoc canonico ordine omnis pracsumptionis
occasio; nach S. Benedicti Regula, Migne Patr. lat. T.-LXVI, c. 70: Vetetur
in monasterio omnis praesumptionis occasio. 5
®) Cap. 2: Ordines suos canonici (Bened. c. 63: Ordines suos in mona-
sterio) ita congervent; cap. 8: ille clerus canonicus, qui sub ipso ordine
vivere debent; daf.: ipsi cleriei canoniei; äfnfidh cap. 8. 21. 24.
) Bol. die ©. 207. N. 1 angeführte Stelle des capit. Vern. a. 755 c. 11.
+) Das Incipit regula am Schluffe des Prologs iſt ſicherlich nur Zuſatz der
Herausgeber; Paulus Diaconus fagt, Pertz SS. II. p. 268: normam eis instituit,
qualiter in ecclesia militare deberemt.
5) Nur einmal, in dem Capitel De septimanariis coquinae (Chrod. c. 24,
Bened. c. 85), hat er mechanijch nachgejchrieben, ‚indem er, des localen Charakters
feiner Einrichtung uneingedent, bei wörtlicher Aufnahme der Stelle: Fratres (Chrod. :
Cleriei canonici) sibi invicem serviant, ut nullus excusetur a coquinae officio
.. sed habeant omnes solatia secundum modum congregationis aut posi-
tionem loci — auch die letzten Worte aut positionem loci beibehielt, die nur
in der für die Klöſter aller Gegenden beftimmten Regel Benedicts einen guten
Sinn geben.
©) Zgl. Paulus Diac. 1. c.: Hic clerum adunavit et ad instar coenobii
intra claustrorum septa conversari fecit.
?) Cap. 8: ipsi clerici, qui in ipsa congregatione sunt; cap. 21. 31.
®) Claustra, cap. 8. 4. 8. 21. 27; domus. cap. 20: per illas ecclesias
quae infra domum sunt; cap. 34: tam domi quam et in suburbanis; daj.:
neque ad domum ad stationem publicam neque in reliquis stationibus; daf.:
matricularüi, tam qui in domo sunt quam illi qui per ceteras ecclesias i
eivitatem vel vicis matriculas habent, ad conventum statutum omnes in
ecclesia in domo veniant, In gleichem Sinne ift das Wort daher auch cap. 29
und 80 zu verftehen, ebenjo cap. 6, wo man leicht geneigt jein Tönnte, domus
für gleichbedeutend mit ecclesia sancti Stephani zu halten.
|
En
Die Eongregation der Kanoniker zu Met. 211
desfelben bildete die S. Stephanskirche, denn Hier verfammelte man ſich
zu den täglichen Gebeten;") aber auch andere Kirchen, fo befonders
die obengenannten zu ©. Peter und ©. Maria,?) befanden fi inner-
Halb der Domus, während andere in der Stadt zerftreut lagen.?) Das
engfte Band umſchloß denn auch nur diejenigen Geiftlichen, welche den
Kirchen der erfteren Art angehörten: auf fie bezog fi, was Chrodegang
als den Hauptzwed der Verbindung bezeichnet, die Gemeinfamfeit der täg-
lichen Andachten und Leſungen.“) Sie haben die 7 fanonifchen Gebetftunden
ebenfo wie die Vigilien ganz nach der Benedictinerregel einzuhalten;®)
ja diefe Andachtszeiten werden als ſchon beftehend vorausgefegt und nur
die gemeinfame Verrichtung des Gottesdienſtes angeorbnet,°) fo daß
die Vorſchriften Chrodegangs in diefem Punkte gradezu aus Benedict
ergänzt werden müffen.”) Beſonders hervorgehoben wird nur noch,
aber auch mit Benedicts Worten, die Pflicht einer angemefjenen Hal-
tung beim Gottesdienfte,®) fowie die Pflicht der Privatandaht für
diejenigen, welche fich auf Reifen oder am einem von der Kirche allzu
entfernten Ort befinden.°)
Um fo felbftändiger erfdheint dagegen die Einrichtung bes foge-
nannten Capitels, auf welche das Statut großes Gewicht legt. „Es
ift nöthig,” fo Heißt es im 8. Paragraphen, „daß der kanoniſche Klerus
täglich zum Capitel fomme, damit er hier Gottes Wort und einen
Abfchnitt aus diefer unferer Verordnung höre, damit ferner der Bifchof,
oder wer fonft als Vorgeſetzter fungirt, feine Befehle ertheile und,
was er zu befjern hat, beffere.” Wurde den internen Klerikern in
diefer Weife der tägliche Befuch des Capitels vorgefchrieben, jo waren
diejenigen ftädtifchen Geiftlichen, welche außerhalb der Clauftra wohnten,
dazu nur am Sonntag und an den Feſttagen der Heiligen verpflichtet.10)
Die Matricularien endlich, das find die Armen, welde fei es beim
Dome, fei e8 bei den Kirchen der Übrigen Stadt oder des flachen Landes
gemeinjame Verpflegung fanden, 1!) mußten fich alle 14 Tage Samstags
zu gleichem Zwede in der Kathedrale verfammeln, um entweder vom
3) Cap. 4. 5.
%) Cap. 24.
®) Daher der Gegenſatz: illas ecclesias quae infra domum sunt (cap. 20)
und’ statio publica per illas ecclesias forenses (cap. 88); zu legteren gehörte
omnis clerus, qui foris claustra est (cap. 8).
4) Prologus: Seripturis sacris nitentes decernimus, ut omnes sint una-
nimes officiis divinis lectionibusque assidui.
®) Bened. c. 8—16.
ni Chrod. c. 6.
?) Namentlich fehfen zu cap. 5 (De officiis divinis in noctibus, Bened. c. 8),
wo nur von hiemis temporibus die Rede it, die entipredenden zwei Gapitel
Benedicts, c. 10 (Qualiter aestatis tempore agatur nocturna laus) und c. 16
(Qualiter divina opera per diem agantur); vgl. ſchon Rettberg I. ©. 497.
®) Chrod. c. 7, nad) Bened. c. 19—20.
3 Chrod. c. 6. 10, nach Bened. c. 50.
10) Cap. 8. 38.
ꝛij &. Ducange s. v. matricula.
212 . Eapitel XIV. 754-756.
Biſchof oder von dem Hauptpriefter zu S. Stephan durch Vorleſung
und Predigt erbaut zu werden.)
Kehren wir jedoch zur eigentlichen Congregation zurüd. Ihre
Gemeinfchaft umfaßte das ganze Leben: ihre Mitglieder aßen zufammen
in dem Refectorium, fie jchliefen in Einem Schlafſaal, die älteren
zwifchen den jüngeren;*) felbft ihr Tagewerk war ihnen in der Regel
von dem Vorgeſetzten zugewiefen.?) Die Berührung mit der Aufen-
welt wurde, foweit e8 möglich war, eingefchränft: das Verlaffen der
Wohnung überhaupt zu verbieten, erlaubte der Beruf- ja nicht; allein
auf das ftrengjte war es unterfagt, ohne Noth oder gar durd) ab-
fihtlihe Verzögerung der Heimfehr außer dem Haufe zu übernachten.
Denn nad) dem Schlußgebet des Tages, dem Completorium, trat fofort
die nächtliche Stille ein, und wie bis zum anderen Morgen weder
gegeffen noch) getrunken noch gefprochen werben durfte, fo blieben auch
die Clauftra von diefer Stunde am geſchloſſen, und wer fich verfpätgt
hatte, fand bis zum Nachtgebete feinen Einlaß.“) Der jährlich wechjelnde
Thürhüter wurde dafür verantwortlich gemacht; er hatte übrigens all-
abendlich die Thorfchlüffel an den Archidiakon oder defjen Stellvertreter
abzuliefern®). Da ferner die Kirchen, welche innerhalb der Clauftra
lagen, ihre eigenen Ausgänge hatten, fo erſtreckte fi auch auf ihre
daſelbſt fchlafenden Hüter die Verpflichtung, nach dem Compfetorium
Niemand herein noch Hinauszulaffen.‘) Statthafte Ausnahmen gab es
natürlich von allen diefen Verordnungen; fo war auch den Laien und
nichtcongregivten Klerifern der Zutritt nicht unbedingt verwehrt;?) als
das Princip der Verbindung darf jedoch die feftefte Gemeinfchaft der
Ranonifer und ihre möglichjt volfftändige Abfchliegung nad) außen be
trachtet werden.
Auch die Gemeinfchaft indejjen Hat ihre Gefahren und fordert
deshalb eine ftrenge Zucht. Chrobegang verlangt, daß die Kanoniker
zum Gehorjam gegen den Biſchof und die anderen Vorgeſetzten bereit,
in Liebe verbunden, von gutem Eifer befeelt, von allem Streit und
Haß entfernt jeien.?) Sie follen einander mit Ehrerbietung zuvor
kommen?) und ihre fei e8 Körperlichen, fei e8 fittlihen Schwächen geduldig
ertragen. 1°) Die Jüngeren jollen den Aelteren Ehre, diefe den Züngeren
Def. .
°) Die oben &. 211. R. 4 citirte Stelle des Prologus lautet weiter: atque
ad obedientiam episcopi sui praepositique, ut ordo canonicus deposcit, parati,
charitate connexi, zelo bono ferventissimi, amore conjuncti, a litibus vel
seandalis sen odio remoti.
9) Rad; Röm. 12, 10.
”) Chrod. c. 11, Bened. c. 72.
Die Eongregation der Kanoniker zu Mey. 213
Liebe erweiſen; in der Anrede darf nicht verfäumt werden, dem Namen
in römiſcher Weife den amtlichen Rang beizufügen.!) Niemand außer
den Vorgeſetzten darf fich herausnehmen, feinen Genofjen, aud wenn
diefer ihm duch Worte oder Handlungen dazu gereizt Hätte, von der
Gemeinschaft auszufchließen oder zu ſchlagen.) Gegenfeitige Dienit-
bereitfchaft kennzeichnet und fördert liebende Gemeinſchaft; mannigfade
Aemter bezwedtten daher die Uebung diefer Tugend. Wir haben des
Thürhüters bereits gedacht; wir nennen ferner das Amt des Keller-
meiſters, der die Speifevorräthe unter feiner Obhut Batte;®) den
wöchentlich wechjelnden Dienſt in der Küche, von welchem nur eine
höhere Beichäftigung entbinden konnte;“) das Gefchäft des Lectors,
der .während des Efjens unter alfgemeinem Stillſchweigen vorzulefen
hatte;3) endlich die Krankenpflege. Denn zu der Fürforge für die er-
krankten Genoffen, die den oberften Auffehern der Congregation, dem
Biſchof, dem Ärchidiakon, dem Primicerius zur höchften Pflicht gemacht
wurde, gehörte auch, daß den Kranken je nach Bedürfniß ein oder
mehrere Klerifer zur Seite gegeben wurden, die ſich ganz und gar
ihrem Dienfte zu widmen Hatten; dabei wurden doch auch die Kranfen
ermahnt, ihre Wärter nicht über Gebühr zu befäftigen.®)
Bon größter Wichtigfeit mußte e8 fein, daß zwiſchen den Vor⸗
gejegten und dem Untergebenen ein gutes Verhältniß beftand.”) Gleich
der erfte Paragraph Chrodegangs Hatte daher die Demuth zum Gegen-
ftande, die ſich auf der einen Seite durch Gehorfam, auf der andern durch
Milde befunde und fi wie vom Trotze, fo aud von der Thrannei
fern hafte.®) Als oberfter Vorfteher galt natürlich der Biſchof; da
feine hohe und umfafjende Stellung ihm jedod nicht geftattete, einem
fo Heinen Theile des Sprengels feine ftete Aufmerkſamkeit zuzumenden,
fo mußte ein Anderer mit der regelmäßigen Leitung und Aufficht
betraut werden, und dies war der Archidiakon, der felbft wieder in
dem Primicerius feinen Subftituten Hatte.?) Welche Stellung Chrodegang
?) Chrod. c. 2; ähnlich Bened. c. 63.
®) Chrod. c. 12, Bened. c. 70.
®) Chrod. c. 26, Bened. c. 31.
*) Chrod. c. 24, Bened. c. 35. Bon beiden Autoren wird bei diefem An-
laß wiederholt betont: sibi sub charitate invicem serviant. .
®) Chrod. c. 21, Bened. c. 38.
*) Chrod. c. 28, Bened. c. 36.
) Der allgemeine Ausdrud für den Vorgeſetzten if, wie bei Benedict, prior;
daher 3. B. in c. 12 der Gegenfag: nulli liceat quemquam parem suum ex-
communicare aut caedere .. . sed ad priorem veniat. B
®) Chrod. c. 1, Bened. c. 7: De humilitate.
) Das öfter vorfommende archidiaconus vel primicerius fünnte geneigt
machen, die beiden Aemter für identijch zu halten. Dem fteht jedoch entgegen,
1. daß auf eine ſoiche Wendung in der Hegel der Plural folgt, z. B. cap. 26:
De archidiacono vel primicerio. Oportet eos esse prudentes, daf.: Qui
arch. vel prim. . . . sint Deo et episcopo fideles et obedientes, daj.: Qui
arch. vel prim. si reperti fuerint superbi; 2. daß die beiden Worte Hin und
wieder auch durch et verbunden find, 3. B. cap. 24: Arch. vero et primicerius
214 Capitel XIV. 754755.
diefen zwei Beamten anwies, erfieht man am beften daraus, daß er
auf fie anwendet, was Benedict in feiner Kloſterregel zugleih vom
Bropft und vom Abte fagt.*) Ihre wejentlichite Funktion war die Aus:
übung der richterlichen Gewalt; und wenn ihnen daher einerfeits zur
Pflicht gemacht wird, des warnenden Beifpiel8 von Efi gedentend, die
Laſter gleich im Keime zu unterdrüden,?) fo werden fie andererfeits zur
Milde ermahnt, an das Wort des Evangeliums vom Balken und
dem Splitter erinnert, fowie an den Ausſpruch des griechifchen Weifen:
In Nichts zu viel!?) Die ganze Folge der Vergehungen und Ber-
brechen, von der Verjpätung bei Gebet und Tafel oder der Beſchädigung
eines Geräths bis zum Diebftahl, Ehebruh und Mord, gehörte vor
ihr geiftliches Gericht;t) ihr eniſprach denn auch eine lange Stufen-
feiter der Strafen, mit der vertraulichen Ermahnung beginnend, dann
zur Öffentlichen Zurechtweifung, zur Excommunication, zur förperlichen
Züdtigung, zur Einzelhaft fortſchreitend. Den Genoſſen aber war
es ſtreng unterfagt, einen Angeklagten in Schutz zu nehmen; ) fie
follten vielmehr den Strafenden durch ihren Beifall unterftüßen und
fo dazu beitragen Helfen, daß das Böfe befeitigt und der Schuldige
zur Beſſerung gebracht werde.) Nur Freiwilliges Geftändniß konnte
eine Milderung der Strafe bewirken.“) Die offene Belennung der Sünde
ift überhaupt ein Punkt, den Chrodegang mit großem Nachdruck be-
ſpricht. Hier ift zugleich einer der Fälle, wo er hinter der Forderung
der Vorfahren zurüdbleiben zu müſſen glaubt; denn während die heil.
Väter verlangt Hätten, daß der Menſch jeden böfen Gedanken, der ihn
anmandle, fofort feinem Vorgeſetzten befenne, begnüge er ſich damit,
vel cellerarius, cap. 28: post episcopum habeat de illis maximam curam
arch. et prim., et caveant etc. Der Primicerius ift daher wohl gemeint, wenn
es 3. B. cap. 27 heißt: si archidiaconus alicubi est, qui sub ipso est, ipsas
claves recipiat; oder cap. 30: Et ille archidiaconas vel qui tunc sub manu
episcopi praeesse videtur. Auch die matricularii hatten einen Vorgeſetzten aus
eigner Mitte, gewiffermaßen einen primus inter pares, der dieſen Titel führte:
Et per sin; in matriculas sit primicerius matricularum de ipsis, qui super
(cap. 34).
) . c. 25 mit Bened. c. 2. 64. 65. Xettberg, I. ©. 496—497,
1. ©. 610, vergleicht daher umeichtig dem Bifchof mit dem Abt, den Archidiakon
mit dem Pro)
#) Chrod. c. 25 (mit gleichen Ben ſchon im Prolog), Bened. c. 2.
®) Chrod. c. 25 nad; Bened. c. 2. 64: et ne quid nimis
4) Chrod. c. 15—19 nad; Bened. c. 23—26. 43—46. Wir bemerken beir
Täufig, daß die Ueberjchrift von Chrod. c. 17 (De excommunicatione corporum)
nad) Bened. c. 23 in De excommunicatione culparum verbeffert werden muß.
) Chrod. c. 15 (nad; Bened. c. 25): solus persistens in poenitentiae
luctu . . . scieng illam terribilem sententiam apostoli dicentis, tradere hujus-
modi hominem in interitum carnis, ut spiritus salvus sit in die Domini
(1 Corinth. 5, 5). Dies bibliide Citat wird daher aud in Willibafds Vita
8. Bonifacii c. 7. p. 458 auf bie Abführung ber beiden Ketzer ins Gefängniß
zu beuten fein; ſ. oben ©. 105 (N. 6).
3— — ©. 19, Bened. c. 69. Pi
© 11; Bierfür finder ns in Benediets Regel keine Parallelſtelle.
9 Chrod. c. 18, Bened. c. “
Die Eongregation der Kanoniker zu Met. 215
bei feinem Klerus eine wenigftens zweimal jährlich vor dem Bischof
abzulegende Beichte einzuführen!) Aber auch zu jeder anderen Zeit
folfe, wen das Bedürfniß dazu treibe, Gelegenheit Haben, vor dem
Biſchof oder einem Stellvertreter deffelben feine Sünden zu befennen;
wer diefe dagegen aus Furcht vor Degradation oder Nichtbeförderung
und dergleihen dem Biſchof zu verheimlichen gewagt, folle, wenn er
deſſen überführt fei, mit den ftrengften Strafen belegt werden.*)
In diefer geiftigen Ueberwahung der Kanonifer fand jedoch auch
Chrodegang ſelbft mur die eine Seite des biſchöflichen Berufs: der
Hirt der Congregation, lehrt er, hat nad; zwei Seiten hin die größte
Sorgfalt zu beweifen, infofern er nämlich einerjeits die Laſter unter-
drückt und fie bei ihrem erften Erfcheinen mit der Wurzel auszurotten
eilt, andererfeit8 aber auch feinen Slerifern Alles, was fie zur Ber
friedigung ihrer menſchlichen Bedürfniffe brauchen, darzubieten fucht. ®)
So fagt von ihm auch Paulus Diaconus, er habe dem Klerus Ge-
treide und andere Lebensmittel in hinreihendem Maße gejpendet, damit
diefer, von vergänglichen Gefchäften ungeftört, ganz allein dem göttlichen
Dienfte ſich widmen könne.) Das Statut Chrodegangs enthält daher,
gleich der Regel des heil. Benedict, eingehende Bejtimmungen über das
Maß der zu verabreichenden Speifen und Getränfe, über die Zahl
der jährlich zu vertheifenden Kleider und Schuhe, endlih über den
Holzbedarf:) ein Detail, auf weldes einzugehen wir uns wohl er-
laſſen dürfen. Bon Intereſſe ift für und nur, näher zu erfahren,
aus welden Mitten die Koften beftritten wurden. Sehr Vieles hatte
der Biſchof felbft zu leiften: ihm lag namentlich ob, für alles Fehlende
aufzufommen. Die Congregation hatte aber auch beftimmte Einkünfte:
dahin gehörte das jogenannte Schuhgeld (Calciatieum), welches der
Biſchof von Meg ſchon von früher Her jährlich den Klerikern zu geben
pflegte; dahin die Einnahme aus den Stadt und Landzöllen, welche
ihnen verliehen waren und von denen vier Pfund Denare zur An-
Schaffung des Holzes dienen follten;®) dahin ferner ber Ertrag ber
Almofen, fei es, daß jie der Gejammtheit oder dem einzelnen Priefter
— ihm wurde die Annahme zu eigenem Gebrauch geftattet — für
eine Meife, für eine Beichte oder für Verrictung eines Gebetes gezahlt
wurden.?) Alle dieje Einnahmen dienten zur Dedung der Bedürfniffe,
und Chrodegang glaubte fogar, hin und wieder einen Ueberſchuß er-
Y) In ähnlicher Weife haben die matrieularii zweimal im Jahre dem pres-
byter eustos ecclesiae sancti Stephani zu beichten: cap. 34.
) Chrod. c. 14.
®) Prologus: et quod usibus humanis juxta formam subter dispositam
necessarium fuerit, eis praebere audeat [studeat?].
+) Pertz SS. II. p. 268.
®) Chrod. c. 20. 22. 23. 29, Bened. c. 39. 40. 41. 49. 55.
©) Chrod. c. 29. Dieje Stelle gehört ergänzend zu dem, was Waitz, BG.
TW. ©. 57, anführt.
?) Chrod. c. 82.
— — — —
216 Capitel XIV. 754—755.
warten zu dürfen. Der Vollftändigfeit wegen führen wir auch an,
daß den Kloſtern der Stadt und der Nachbarſchaft die altherfömmliche
Verpflichtung blieb, an den Fefttagen ihrer Heiligen eine Speifung des
biſchöflichen Klerus zu veranftalten.Y) Ein jehr bedeutender Gewinn
aber mußte der Genofjenfchaft endlich noch aus dem Beitritt begüterter
Mitglieder erwachſen. Denn Chrodegang forderte im Princip gleich
Benedict, daß die Beitretenden all’ ihren Befig im Geifte der apofto-
tischen Zeit an die Gemeinfchaft überlajfen follten;?) nur machte er auch
hier den Zeitverhältniffen ein Zugeftändniß. Benediet war ihm darin
übrigens mit ähnlichem Beiſpiel vorangegangen: wenn ein ind
reicher Eltern nämlich ins Kloſter trat und fein Erbtheil dem Stifte
als Schenkung zufiel, jo fonnten die Eltern fich den Nießbrauch des—
felben vorbehalten.) Der Metzer Kanonifer durfte in gleicher Weiſe
ſich felbft den Tebenslänglichen Genuß feines Privateigenthums fichern,
indem er ſich dasfelbe als Precarie oder Beneficium 4) von der
Kirche zurüderbat. Er Hatte alsdann über den Ertrag feines Gutes
fowie über allen beweglichen Befik freies Verfügungsreht; nur mußte
er damit auch feine eigenen Bedürfuiffe beftreiten und zu Gunften
der nichtbefigenden Klerifer fowie der Armen, Wittwen und Waifen
auf feinen Antheil am Gefammteinfommen verzichten; man erkannte
gern an, daß er auch damit im gewiffen Sinne ein Eigenthum auf-
gab.5) Blieb von jenem beweglichen Befig ein Ueberſchuß, jo durfte
’) Dies ſcheint der Sinn des Satzes in cap. 30: Et de illis festivitatibus,
unde abbatias in ista civitate vel foras propinguas habemus, sicut consue-
tudinem habuerunt refectionem ad clerum facere, hoc omnino non rema-
neat, in quantum possibilitas fuerit.
?) Chrod. c. 31, Bened. c. 88 (Apoftelgeidjichte 4, 32).
®) Bened. c. 59.
*) Der ietztere Ausdrud iſt cap. 29 ex., einmal aud cap. 31 gebraucht;
hierdurch wird das von Waitz; BG. IV. ©. 153—154, Geſagte beftätigt und
ergänzt.
°) Der Text bietet Bier, cap. 31. col. 1115, einige Schtwierigeiten, nament»
lich in dem Sage: si tamen infirmi fuerint, ut in omnibus [ftatt omnia] ad
integrum ecclesiae Dei, cui deserviunt, dare noluerint, et sic ipsius ecclesiae
in amore Christi gratuita servitute sedulaque modulatione impendant. Der
Nachſatz müßte vielleicht folgendermaßen Iauten: et sic ipsi ecclesiae i. a. Chr.
tuitam servitutem [d. b. ohme Entgelt] sedulamque modulationem impendant
Far cap. 20: sedula servitute Deo ädhaerere contendant); und «8 müßte
alsdann in dem nächſten Gate heißen: quia rebus ecclesiae non sicuti ceteri
canonici utuntur. — Das Statut Chrodegangs ſcheint überhaupt einer neuen
und kritiſchen Ausgabe cbenjo bebürftig ala wert). Bon augenfälligen Fehlern
der bisherigen Editionen fei erwähnt: cap. 2.: ubicunque autem se obviaverit
clerus junior, inclinatus a priore benedictionem petat, ftatt: ub. autem se
obv. clerus, junior inclinatus a. p. b. petat; c. 8: praeter tantum si...
jusserint. Ut... veniant, relinquant ete., flatt: si jusgerint, ut ... veniant,
relinquant; c. 27: portas, claustra vel ostia ftatt: portas claustri vel ostia,
wie gleidh nachher portas sive ostia claustri; c. 29: ligna sufficienter et annum,
fatt: ad annum; baf.: Et si aliquid exinde fuerit, ftatt: superfuerit (vgl.
c. 80: et quod superest, c. 32 ex.: et si aliquid exinde superfuerit); am
Schluſſe desjelben Capitels fehlt der Nachſatz; c. 31: de rehus quas habet ...
Die Eongregation der Kanoniker zu Metz. 217
er über die eine Hälfte deffelben teftamentarifch verfügen, die andere
fiel an die Genoſſenſchaft. Ueber das unbewegliche Gut dagegen hatte
er weber im Leben noch im Tode: zı verfügen, umd alles Erbrecht der
Verwandten war ausdrücflich ausgejchlojfen. 1)
Dies waren die Grundzüge der Verfaſſung, welche Chrodegang
dem neu organifirten Klerus der Stadt Metz gab. Daß diefelbe in
Kraft trat und Beftand Hatte, erfehen wir aus dem Vorhandenfein
einer dem Texte Chrodegangs einverleibten Zufagbeftimmung, welche
Erzbischof Angilram zu Karla des Großen Zeit ‚dem Statut feines
Vorgängers beizufügen für gut fand;?) fie zeigt zugleich, daß das von
uns analyfirte Actenftüd, nicht das zu 86 Paragraphen erweiterte und
aller Tocalen Beziehungen entfleidete, welches die gleiche Aufichrift trägt, )
Chrodegangs Originalarbeit if. Mit diefer erweiterten Form ftimmt
wiederum die Aachener Regel vom Jahre 817°) vielfach, auf das genauefte
überein und beweift, welches auch immer das DVerhäftniß der beiden
Schriften zu einander fein mag,?) von wie weitreihender Wirkung das
Wert Chrodegangs war. Uns indeffen lag vor Allem daran, die
Stelfung zu bezeichnen, die es in der eignen Zeit einnahm, den ur-
fprünglichen Zwed zu erfennen, dem es bienen follte. Chrodegang
ſchuf es, weil er früher und lebhafter als Andere die kirchlichen Bes
bürfniffe feiner Zeit empfand.‘) ALS gleich darauf auch die Reiche:
gejeggebung fich denfelben zumwandte, geſchah es ficherlich nicht ohne
feine Anregung und feine ‚eifrige Mitwirkung; ja, manche ftiliftifche
donatione per praesentem donet ... faciat, wo eines der beiden Verba meg-
fallen muß; c. 34 ex.: archiepiscopus vel primicerius ftatt archidiaconus
v. pr. Noch andere Emendationen |. oben ©. 206. R. 1, ©. 214. R. 4,
©. 215. N. 3. ’
) Chrod. c. 31.
) Daf. c. 20 ex.
®) Chrodegangi regula canonicorum secundum Dacherii recensionem ed.
Migne, Patr. lat. LXXXIX. col. 1057 sq.
*) Concil. Aquisgran. a. 817, De institutione canonicorum, Mansi XIV.
col. 153246. Derjelbe Band niit aud) die vera ac sincera Chrodegangi
regula, col. 318—832; bie interpolata col. 882—346.
®) Ohne Zweifel ift bie eine unter Benugung der anderen entflanden. Labbe
ſchrieb der Aachener Regel die Priorität zu, vgl. feine Observatio bei Migne
col. 1098; Rettberg, der mit Dacherh (ogl. deffen Monitum bei Migne col. 1055)
entgegengejegter Anficht geweſen zu jein jcheint (I. ©. 496), ift e8 nicht vergönnt
gewejen, diefelbe, wie ev beabfichtigt Hatte, näher auszuführen.
°) Bon einem Zeitgenoffen Chrodegangs, dem Biſchof Madalvens von Verdun
(fj. unten Cap. XXVI. N° 22), Iejen wir, daß er clericos regulariter vivere,
septies in die laudes Deo dicere, et noctu ad confitendum illi surgere aecele-
siastica sanctione instituit, vietumgue illis cotidianum de propriis, prout
potuit, ordinavit; chron. Hugonis Flav., Pertz SS. VIII. p. 841. ®ir
fehen, biefer Bifchof_ verfolgte auf gleichen Wegen die gleichen Ziele, wie Chrobegang.
Wenn wir es hier jedoch, wie Netiberg I. ©. 529 wohl richtig vermuthet, mit
einer Einführung des Mekifhen Statutes in Verdun zu thun haben follten, jo
Täge barin ein, vieleicht mu durch Zufall vereingefter, Berveis von dem bedeutenden
Einfluffe, den Chrodegangs Schöpfung ſchon auf die Mitfebenden ausgeübt.
.
218 Capitel XIV. 754755.
Aehnlichkeit rechtfertigt vielleicht die Vermuthung, dag auch die Be
ſchlüuſſe von Verneuil aus feiner Feder Hervorgegangen find. 1)
4) Wir verweifen vor Allem auf die oben &. 207. N. 1 beſprochene Achn-
lichkeit zwiſchen ber Praefatio des Capitulare Vernense und bem Prolog Ehrode-
gangs, ſowie auf den dort angeführten Ga aus dem cap. 11 des Capitulars.
Wie fich zwiſchen den zwei unzweifelhaft Chrodegangiichen Schriftftüden, bem
Statut der Kanonifer und dem Privilegium für Gorze, eine ſtiliſtiſche Verwandt-
ſchaft zeigt (ogl. oben ©. 206. N. 1 und ©. 209. N. 5), jo glauben wir hier
aus einer Reihe von ſprachlichen Anklängen die Identität des Autors vermuthen
au dürfen. Zunächſt wäre noch mandes Wort aus jenen zwei Stellen anzuführen.
Der Ausdrud sub manu episcopi (Vern. c. 11) findet fi Chrod. c. 3. 80;
gieichwie Pippiu bie Synode berief, recuperare aliquantisper cupiens instituta
canonica (Praef. capit. Vern.), fo fagt Chrodegang c. 18: ordinem canonicum
... Modo utcungue recuperare cupimus; Beide wollen das Ziel wenigfens
aliqua ex parte erreigen (Vern. praef., Chrod. c. 14); ein Hauptgefihtepunft
ift für Beide das Seelenheil der- Untergebenen: propter eorum animas salvandas
(V. c. 10), propter illorum utilitstem ad eorum animas salvandas (Chrod.
c. 8). Wir vergleichen ferner V. c. 5 (über die Beauffihtigung der Möfter:
Berföße gegen bie Regel episcopus emendare debeat; quod si non potuerit,
hoc quem metropolitanum constituimus innotescat et ipse hoc emendare
faciat; quod si hoc nec ipse emendare potuerit, ad synodum publicum exinde
veniant) mit Chrod. c. 34 (bie matricularii betreffend: et si hoc presbyter
per se emendare non potuerit, innotescat archidiacono vel primicerio, ut
ipsi hoc corrigant ... et si opus fuerit, in notitiam episcopi veniat, ut ipse
hoc emendet) — V. c. 6 (si aliqua monasteria sunt, qui eorum ordine propter
paupertatem adimplere non potuerint, hoc ille episcopus de veritate praevi-
jeat et hoc domno rege innotescat) mit Chrod. c. 28 (si ad plenum non
habeant ... hoc omnino episcopo innotescant et ipse ... provideat), c. 29
(@ ... sufficienter non habuerint, ille episcopus hoc praevideat et mittat,
unde hoc totum adimpletum sit ad eorum necessitatem), c. 31 ex. (episcopus
provideat ei necessaria, qualiter opus bonum .. . adimplere valeat) — V.c. 7
(Nisi tantum si necessitas evenerit ... licentiam habeant) oder c. 10 (si
talis causa evenerit, quod absit, quod ... licentiam habeant) mit Chrod.
c. 4 (nisi tantum si talis causa evenerit, quod ... licentiam habeant ...
et si, quod absit, evenerit) — V. c. 7 (pro infirmitate aut pro necessitate)
mit Chrod. c. 20 ex. {pro eorum infirmitatibus vel necessitatibus) — V. c. 9
(seiat se esse excommunicatum) mit Chrod. c. 31 (et sciant se pro hac
re etc.) — V.c.9 (Et ut seiatis, qualis sit modus istius exceommunicationis)
mit Chrod. c. 19 (Qualis debeat esse modus excommunicationis), objdon
diefer Sat wörtlih ans Bened. c. 24 entnommen ift — V. c. 9 (antequam
ab episcopo suo sit reconciliatus) mit Chrod. c. 15 (et episcopus secundum
ordinem canonicum eum reconciliet). — Es ift allerdings nicht zu verfennen,
daß das Latein des Copitulars fehlerhafter als das des Sram ift; allein die
Tehlerhaftigfeit der damaligen Capitularien muß jedenfalls zum großen Theile
auf Rechnung der Abjchreiber gefegt werden, deren Eremplare ſich zufällig erhalten
Haben. Geſehe, an deren Abfaffung in den 40er Jahren ein Bonifaz, in ben
50er Jahren ein Ehrodegang umd Lull, ein Eddo und Tello Theil nahmen, Lönnen
in ihrer urſprünglichen (Form unmöglich jo fehlerhaft geweſen fein. _
Sünfzehntes Gapitel.
Die Synode von Verneuil.
755.
In den erften Sommertagen des Jahres 755 traten auf ben
Ruf des Königs Pippin die meiften Biſchöfe Galliens in Verneuil!)
zu einer Berathung zujammen, welche das gefammte religiöfe Leben
der Nation nad den Vorſchriften der Väter neu geftalten ſollte.
Es ift auffallend, daß der König des Frankenreichs ſich auf die
Berufung der galliſchen Biſchöfe beſchränkte: das Protokoll fagt dies
mit Haren Worten,?) und die Wahl des Ortes Vernenil für die Zu-
ſammenkunft, ſowie die weiter unten zu ermähnende Wahl von Soifjons
zum regelmäßigen Berfommlungsort der Metropolitane erſcheint als
eine Betätigung diefer Thatſache.“) Allein die gallifchen, d. i. Linfe-
rheinischen, Diöcefen bildeten ja die überwiegende Mehrheit aller
fränkiſchen Bisthümer, man vergleiche nur das Verzeihniß der zu
Attigny verfammelten Prälaten des Reichs;t) und fo fonnte e8 einem
galliſchen Protofollführer, wenngleich die rechtsrheiniſchen Kirchenoberen
oder doch einige derfelben vielleicht anwefend waren, dennoch begegnen,
daß er nur von galliſchen Biſchöfen ſprach; auch mußte auf dieſe bei
der Wahl des Verfammlungsortes die meifte Rüdficht genommen werben.
Aber wenn felbft die deutjchen Gegenden bei der Berathung nicht ver-
1) Vernum palatium publicum: Bernenil, Dep. Dife, Arr. Senlis. Verno
villa war Eigenthum der arnulfingiichen Familie, wie aus Pardessus II. p. 286
erh: vgl. Jacobs, Geographie de diplömes merovingiens n° 27. 36.
?) Pertz LL. I. p. 24: Galliarum episcopos adgregari fecit ad concilium
Vernus palatio publico.
®) Bl. Waitz, BG. M. ©. 467.
+) Unten Cap. XXVI,
220 Capitel XV. 755.
treten waren, fo erging es einzelnen galfifchen Gebieten ja nicht beffer, !)
und es darf daher wohl angenommen werden, daß die Beſchlüſſe des
Concils von Berneuil in allen Theilen des fränkischen Reichs Geſetzes⸗
kraft erlangten.
Das Capitular, welches aus den DBerathungen Hervorgegangen
ift, trägt das Datum des 11. Juli 7555?) der Zufammentritt der
Verſammlung ift alfo gewiß ſchon in den erften Tagen des Monats
oder noch früher erfolgt.
Daß der Anftoß zu den Verhandlungen von dem Künige felbft
ausgegangen, befagt das Vorwort der Urkunde. Er war es, ber in
den Zuftänden des Reichs manches der Kirche durchaus Unangemeſſene
fand, der daher vorläufig wenigſtens einige alte Satzungen wieder
zur Geltung zu bringen wünfchte.?) Wohl hatte er ſchon im Jahre 744
nach dem Beiſpiele ſeines Bruders Karlmann in ſeiner damaligen
Reichshälfte einen ähnlichen Anfang gemacht; allein der Verlauf der
Vallien⸗Angelegenheit kann uns als Anzeichen dafür dienen, daß die
damaligen Beſchlüſſe überhaupt nur ſehr mangelhaft zur Ausführung
gefommen fein mögen.*)
Es galt, die Grundfäge des kirchlichen Lebens, wie fie feit dem
4. Zahrhundert in allgemeinen und befonderen Concilien entwickelt
worden waren, in dem wieberverjüngten Staate der Franken zur An-
wendung zu bringen. In den Sammlungen des römifchen Abtes
Dionyfins?) und des Biſchofs Iſidor von Sevilfa®) befaß man eine
Zufammenftelfung diefer Kanones fowie zahlreicher päpftlicher Dekretalen,
und e8 fcheint nicht zweifelhaft, daß namentlich die ſpaniſche Sammlung,
in welcher fid) auch die Acten mehrerer gallifcher Concilien fanden,
dem Könige Pippin und feinen Biſchöfen theils zu wörtlichen Auszügen,
theils zu freierer Benutzung gedient hat.
*) Die Einladung war nicht an Mimmmefiche, —A Galliens gerichtet: uni-
vergog paene Galliarum episcopos
®) Die ältefte Handſchrift hat zwar IL. Fi ai und nur bie zwei jüngeren
Y., weshalb fi) aud Perg für den 14. Juli enticjieden. Allein jene Handichrift
iR, wie eine Bergleihung der Anmerfungen bei Perg bewveift, fo augenfcheintid)
incorrect in einzelnen Buchftaben und Wörtern, daß ihr gemiß auch in biefer
Angabe keine größere Glaubwürdigkeit gebührt. Ich ziehe daher mit Gidel, P. 10*,
das andere Datum vor.
®) recuperare aliquantisper cupiens instituta canonica.
9 ap. das Schreiben des Bonifacius an Papft Zacharias vom Jahre 751,
Jaffe Bibl. III. ep. 79. p. 219: De eo autem quod jam praeterito tempore
de archiepiscopis et de Palleis a Romana aecclesia petendis juxta promissa
Francorum sanctitati vestrae notum feci, indulgentiam apostolicae sedis
flagito. Quia, quod promiserunt, tardantes non impleverunt; et adhuc differtur
et ventilatur et, quid inde perficere volnerint, ignoratur. Sed mea voluntate
impleta esset promissio.
®) + c. 550. Sein Codex canonum ecelesiae universae, ſowie der Codex
canonum ecelesiae Romanae gedrudt bei Migne, Patr. lat. T. LXVIL, Paris 1848.
°) + 636. Die Collectio canonum S. Isidoro Hispalensi ascripta, von uns
der Kürze wegen Isidori liber canonum genannt, findet ſich bei Migne, Patr. lat.
T. LXXXIV (8. Isidori Hisp. episcopi opera omnia, T. VIII), Paris 1850.
RER,
Die Synode von Bernenil. 221
„Die Regeln der Väter,“ fo beginnt das Capitular, „die treff-
fihen Normen der Heiligen katholiſchen Kirche, zur Beſſerung der
Sierblichen aufgeftellt, würden vollfommen ausgereicht Haben ‚") wenn
ihre heiligen Anordnungen umverlegt geblieben wären. Aber weil unter
dem Einfluß ungünftiger Verhältniffe und unruhiger Zeiten ®) gar
Manches davon nachläffigerweife in Bergefjenheit gerathen ift, darum
hat der glorreiche und fromme, durchlauchtige Frankenkönig Pippin faft
fämmtliche Biſchöfe Galliens im Palafte von Verneuil zu einem Concil
vereinigt, im der Abfiht, die kanoniſchen Einrichtungen einigermaßen
wieder ind Leben zu rufen; und weil im Augenblide für da® Ganze
die Kraft nicht ausreicht, fo will er doch wenigftens in einigen Theilen
verbefiert wiffen, was der Kirche Gottes, wie er einficht, fehr entgegen
iſt. Wenn Gott ihm fpäter heitere und ruhige Tage gewährt, fo
gedenkt er die Kanones der Heiligen in ihrem vollen Umfange wieder
herzuſtellen; dann foll dasjenige, was jegt im Drange der Nothwendigkeit
aus denfelben nur loſe herausgehoben worden, außer Kraft treten und
das gefammte kanoniſche Recht feſt und unverfehrt beftehen. Bis dies
gefchehen kann, mag einftweilen das, was in den folgenden Gapiteln
zu unferer Befferung gemeinfam vorgebracht worden, unerfchüttert und
unverlegt bleiben.“
So weit die Vorrede, die in der Art der Urkunden nach den
Regierungsjahren „unferes Herrn des glorreichen Königs Pippin“ datirt
ift, mit welcher daher offenbar nicht der König felbft, fondern die
Biſchöfe auf Grund eines königlichen Einberufungsfchreibens die neue
Gefeggebung inauguriren. in weiterer Beweis dafür, daß wir in
dem Gapitufar die Worte der Biſchöfe vor uns haben, aber zugleich
wohl aud) dafür, daß Pippin der Verfammlung beiwohnte, ift in den
Worten des 6. Capitels zu erfennen, wo eine Vorſchrift deshalb
modificirt wird, weil „der königliche Herr fagt,” daß er die Aenderung
wünſche.)
Die Synode von Verneuil beſchäftigt fi in ihren 12 Capiteln“)
ausſchließlich mit der Organifation des Klerus. Ihr erfter Satz lautet:
„In jedem Stadtgebiet fol ein Biſchof fein.“ Diefem find ſowohl die
Kleriler als auch die Regularen und die Laien in geiftlicher Beziehung
*) Sufficerant ftatt suffecerant.
) Diefe Worte müffen viel allgemeiner aufgefaßt werden, als es bei Hahn,
Jahrbücher ©. 233, geſchieht, der dabei nur an den langobardiſchen Krieg des
Jahres 756 denft; doch auch wiederum nicht fo allgemein, wie e8 Sidel, Forſchungen
zur deutſchen Gejdichte IV. ©. 444, das Wahrjheinlichere dumkt, als ob wir es
nur mit der ſo häufigen ange Fr lechte Zeiten zu thum hätten, Val. Willi-
baldi Vita $. Bonifacii c. 8. : Quae [synodalis episcoporum congre-
gatio] ob cottidianas bellorum A iciones et infestam circumvallantium barba-
rarım gentium seditionem ... vel minime facta est vel ... oblivione tradita.
2 Sed domnus rex dieit, quod vellit, ut quando aliquas de ipsa abbatissas
ipse domnus rex ad se jusserit venire ... ut tunc ad eum aliquas veniant.
4) Ueber die Trennung dieſer 12 erfien Capitel des Capit. Vernense von
dev darauf folgenden Petitio episcoporum, c. 13—26, vgl. unten Ercuts II. $ 6.
222 Capitel XV. 756.
untergeben, damit fie ein gottgefälliges Leben führen.!) Den Bifchöfen
ſelbft aber find aus ihrer eigenen Mitte Metropolitane vorgefegt,
denen fie, bis darüber Ausführlicheres angeordnet fein würde, fanonifchen
Gehorfam zu leiften haben.?) Die Einfegung der Metropolitane
tann erft furz zuvor geſchehen fein;°) fie war, wenn auch gewiß nicht
ohne königliche Mitwirkung, durch die Biſchöfe felbft erfolgt,*) wie es
die älteren Kanones ausdrüdlich vorfchreiben.d) Merkwitrdigerweife findet
ſich über diefe wichtige Maßregel feine einzige anderweitige Nachricht;
auch darf nicht unermähnt bleiben, daß nirgends von der päpftlichen
Ertheilung des Palliums an diefe Kirchenhäupter geredet,®) ſowie daß
ihnen niemals der erzbifhöfliche Titel ertheilt wird; ja, erft nachdem
das Geſetz fie zweimal als „an der Metropolitane Statt“ eingefegt”)
bezeichnet hat, nennt es fie weiterhin kurzweg die Metropolitane.?) Es
ſcheint, daß die Einführung der erzbiſchöflichen Verfaſſung auch dies-
mal wieder, wie in den Zeiten des Bonifacius, auf große Schwierig.
keiten ftieß, und daß deshalb die weiteren Maßregeln, welche zu Verneuil
verheißen wurden, nicht zur Ausführung gefommen find.
Bor Allem wichtig aber ift, daß wir von einer Begründung
amtlicher Beziehungen zu Nom feine Spur finden. Inwieweit hier
der Tod des Bonifacius oder die italienischen Wirren von Einfluß
gewefen, läßt jich nicht entfcheiden. Die angeftrengten Bemühungen
jenes päpftlichen Legaten aber, welche auf Herftellung eines geordneten
hierarhifchen Zufammenhanges zwifchen der fränfifchen und der römifchen
Kirche gerichtet gewefen waren,°) erwiefen ſich jegt als fruchtlos. Bon
}) Cap. 8: ad corrigendum et emendandum secundum ordinem canonicam
spirie ut sic vivant, qualiter Deo placere possint. gl. Capit. Suession.
744 c. 3. ,
®) Cap. 2: obediant secundum canonicam institutionem, interim quod
secundum canonicam constitutionem hoc plenius emendamus. gl. Bonifacius
an Cudberht von Kent, Jaft II. ep. 70. p. 202: proprium sit metropolitano
juxta canonum statuta, subjectorum sii episcoporum investigare mores et
sollicitudinem circa populos, qualis sit.
®) Bgl. capit. Vern. c. 4: episcopi, quos modo vicem metropolitanorum
constituimus.
*) Bgl. das dreimarie constituimus in capit. Vern. c. 2. 4. B.
9 Bol. 3. B. concil. Aurelianense IL a. 538 (richtiger die dritte Synode
von Orleans, |. Hefele II. S. 752) c. 3, Isidori liber canonum 1. c. col. 279:
Ipse tamen metropolitanus a comprovineialibus episcopis, sicut decreta sedis
apostolicae continent, cum conscnsu cleri vel civium eligatur, quia aequum
est, sicut ipsa sedes apostoliea dixit, qui praeponendus est omnibus, ab
omnibus eligatur.
% Das Pallium war nad) der Meinung des Bonifacius von der Metropoliten:
wurde nicht zu trennen: metropolitanus, qui sit pallio suhlimatus; Jaff& IT.
ep. 70. p. 202.
?) Capit. Vern. c. 2. 4: in vicem metropolitanorum.
®) Dal. c. 4. 5.9. voro
af. ©. 4. 5.9.
Bi &o hatte er 3. B. im Iahre 748 dem Erzbifhof von Kent geichrieben:
Sie enim, nisi fallor, omnis episcopi debent metropolitano et ipse Romano
gontiici, si quid de corrigendis populis apud eos impossibile est, notum
facere; Jafi6 III. ep. 70. p. 202. Bl. oben ©. 107—108.
Die Synode von Verneuil. 228
einer päpftlichen Inftanz enthält unfer Geſetz nicht die geringfte An-
deutung ; alfe inneren Angelegenheiten des Reiches, auch die kirchlichen,
finden innerhalb desfelben ihre endgültige Entfcheidung. Was von dem
Antheil päpftlicher Abgefandten an den Berathungen der Synode von
Compiegne im Jahre 757 verlautet, kann diefe Behauptung nicht ent»
fräften.!) Dagegen fände fie allerdings eine thatfächliche Widerlegung,
wenn ein Brief des Biſchofs Lull aus der nachbonifaciſchen Zeit
wirklich}, wie e8 die Meinung der Herausgeber ift, an den Papft ge-
tichtet märe.?) Darin klagt jener nämlich über die durch zwei feiner
Prieſter erfolgte Verlegung des 8. Capitels der Synode von Bernenil:®)
nachdem er die ihm felbft zu Gebote ftehenden Mittel der Increpation
und der Ercommunication erſchöpft, macht er pflichtmäßige Anzeige
von den ftrafbaren Vorgängen‘) und bittet um richterliche Behandlung
derſelben.“) Ein foldhes Schreiben, nad Rom gerichtet, würde an
das in der Bonifacifchen Zeit gegen Aldebert und Clemens eingehaltene
Verfahren erinnern. Allein das Schreiben wendet ſich feineswegs an
den Papft,) jondern entweder an die fränfifhe Synode — und wir be-
fügen darin alsdann vielleicht den jchriftlich abgefaßten Vortrag eines
Mitgliedes der Verfammlung —, oder es ift eine Befchwerde bei dem
1) ©. unten Cap. XXI, 1.
%) „Lullus Papae:“ Giles I. ep. 101. p. 215; „pontifici Romano:“
Jaff6 III. ep. 114. p. 279; während ſchon Balıze, Capitularia regum Francorum
I. col. 1027, das Ridjtigere geiehen hat. ‘
®) Ut omnes presbiteri, qui in parrochia sunt, sub potestate episcopi
esse debeant.
*) Sancta et regularia instituta ... manifesta ratione scimus conser-
vanda; quapropter caritati vestrae reficere non audemus etc.
®) Vestra antem nunc de his caritas, quod rectum sit ac justum, judi-
et ... vestro sanctissimo judieio adseribimus emendanda.
®) Da bemfelben in der Dandſchrift fowohl Adreffe und Schluß, als aud) das
Lenıma fehlt, fo läßt fich auf den Ndreffaten nur aus dem Contert des Briefes
schließen. Nun wird derfelbe darin aber mit vestra caritas angeredet, eine An-
redeform, die dem Papfte gegenüber durchaus ungebräuchlich if. Dean bezeichnet
diefen mit paternitas, pietas, sanctitas vestra; der Ausbrud caritas aber ent-
fpricht in der biidjöflichen Correfpondenz etwa dem Worte fraternitas, beffen ſich
ebenfalls niemand dem Papfte gegenüber bebient haben würde. Mit caritas redet
Lull den Gregor von Utrecht, dev Biihof Magingoz von Würzburg den Lull an
(Jeff TIL. ep. 111. 128). Dasielbe Wort braucht ein Bijchof felbft einem Erz-
biſchof gegenüber: es ift Daniel von Windjefter in einem Briefe an Bonifacius
(Jette IT. ep. 56); das freundſchaftliche Verhältniß der beiden Männer hob hier
den Rangunierſchied auf. in ähnliches Verhäftniß aber mag zwiſchen Lull und
dem unbelaunten Empfänger des in Rede ftehenden Schreibens beftanden Haben.
Daß e8 jedenfalls ein Hoher Geiftlicher war, ift aus den Worten vestro sanctissimo
judieio zu exfennen. Gegen die päpfttiche Stellung besjelben aber fpricht bejonbers
noch der Sat: Cognita enim canonum auctoritate decrevistis, ut omnes pres-
biteri ete., morauf, was jhon erwähnt, jedoch vom den Herausgebern überjehen
worden ift, das cap. 8 des Capit. Vernense folgt. Nur an die fränfifce Shnode
aljo oder an ein Mitglied derjelben können diefe Worte, ebenſo wie die vorher
gehenden institutionis vestrae decreta contemnens und die folgenden secundum
quod definistis und secundum canonicam institutionem vestram, gerichtet jein.
224 Gapitel XV. 755.
Nächftvorgejegten des Biſchofs, dem Metropolitan — was freilich zu
der jehr bedenllichen Vorausſetzung nöthigte, daß Mainz bei der neuen
Regelung der Kirchenangelegenheiten nicht ſelbſt zur Metropole erhoben
worden fei.
Denn das Schreiben entfpräcdhe dann ganz genau den Beftimmungen
von Verneuil. Danach) haben die Metropolitane einestheils die ihnen
untergebenen. Bifchöfe in der Ausübung ihres Amtes gegen Wider-
fpenftige zu unterftügen,*) amberentheils die Maßnahmen derfelben bei
begründeter Appellation der Betroffenen zu berichtigen.*) Erſt als die
oberfte Kirchenbehörde erfcheint alsdann die Synode. Auch diefe Ein—
richtung war ſchon im den 40er Jahren fowohl von Karlmann als
von Pippin ins Leben gernfen worden, und zwar follte jährlich eine
Synode in Gegenwart des Fürften abgehalten werden.?) Jetzt wurde
nad dem Vorgange der Coneilien von Nicäa, Antiohia u. a. m.t) für
jedes Jahr eine zweimalige Kirchenverfammlung angeordnet, auch die
Zeit der Zufammentünfte wenigftens annähernd jenen älteften Vor—
ſchriften gemäß feftgefegt. Für die eine Verfammlung nämlich wurde
der -erfte März, für die andere der erfte October als Eröffnungstermin
beftimmt. Während im März aber ſämmtliche Bifchöfe fi einzu-
finden haben, treten im Herbft nur die Metropolitane zufammen; andere
Biihöfe, auch Aebte und Priefter dürfen von jenen Hinzugezogen
werden®.)
Der feierlichere Charakter der Märzverfammlung wurde dadurch
noch wefentlic erhöht, daß fie in Gegenwart des Königs ftattzufinden
hatte; ihm blieb es daher vorbehalten, den jedesmaligen Verfammlungs-
ort zu beftimmen, alfo auch wohl, die Mitglieder einzuberufen.‘) Für
die zweite Zufammenfunft dagegen wurde ein für allemal Soiſſons
gewählt, wenn nicht fehon im März die Bifchöfe ſich über einen andern
Ort verjtändigten. Auch bei der Wahl der Stadt Soiffons ſcheint die
Nücficht auf den König maßgebend gewejen zu fein, al deſſen Sig
1) Capit. Vern. c. b.
®) Daf. c. 9.
3) Karlomanni prineipis capit. a. 742 ce. 1: Statuimus per annos singulos
synodum congregare, ut nobis praesentibus canonum decreta et ecelesiae
jüra restaurentur et. religio christiana emendetur; Pippini principis capit.
Suessionense a. 744'c. 2: decrevimus, ut annis eingulls synodo renovare
debeamus.
4) Conc. Nicaenum a. 825 c. 5: recte visum est, per singulos annos
in singulis quibusque provineiis bis in anno episcoporum coneilium fieri ...
habeatur autem concilium semel ante dies Quadragesimae .. . secun-
dum vero concilium agatur circa tempus autumni; Isidori liber canonum
col. 94. Cone Antiochenum a. 341 c. 20: semel post tertiam hebdomadam
paschalis festivitatis .. . secundum vero concilium idibus Octubribus habeatur ;
Isidori ib. can. col. 127. gl. aud) conc. Chalcedonense a. 451 c. 19, Isid.
col. 170, u. a. m.
5) Capit. Vern. c. 4: Et alii episcopi vel abbates seu presbiteri, quos
ipsi metropolitani aput se venire jusserint.
®) Daf.: ubi domno rex jusserit, ejus praesentia,
Die Synode von Bernenil. 225
jene Stadt ja in einer annaliftiichen Notiz ausdrücklich bezeichnet wird.)
Denn der König, in Gemeinſchaft mit der Synode, erſcheint als das
Oberhaupt der gefammten fränfifchen Kirche, jomohl was die Geſetz⸗
gebung, als was die höchſte Gerichtöbarfeit betrifft; wir werden bald
Gelegenheit Haben, diefe oberfte Stellung des Königs und der Synode
an einem einzelnen Falle zu erkennen. Nur auf jene, wenn man fo
fagen darf, königliche Synode vom 1. März jedoch ſcheint ſich der
Ausdruck „öffentlihe Synode” zu bezichen.?) -
Neben diefen Reichöverfammlungen gab es in den einzelnen Diöcefen
noch bifhöfliche Concilien, an welchen fic alle Priefter des Sprengels
zu betheiligen Hatten,®) fei es, um über ihre Wirkſamkeit Rechenſchaft
zu geben, fei es, um die Beichlüffe der großen Synode zu erfahren,
auch wohl, um mit dem Biſchof Beſprechungen zu pflegen, wobei ihnen
freilich nur eine berathende Stimme zuftand. *) Ueberhaupt findet ja
alles kirchliche Leben ſchon in der bifchöflichen Spige feinen wefentlichen
Abſchluß.) Denn vom Bischof gehen ‘alle Cuftushandlungen aus;
und wie nur er die Priefter der einzelnen Gemeinden ordiniren darf,
fo find fie au in Ausübung ihres Amtes‘) ihm untergeben, und es
darf ohne feine Vollmacht fein Priefter in der Parodie Taufen voll-
ned Ann. Sangallenses Baluzii 768: Carlomannus in Suessiones civitate,
in sede patris sul.
®) Capit. Vern. c. 5: synodus publicus. Das Wort publicus im Sinne
dom ytöniglihe begegnet befobene oft im Tangebarbien Untunden; opt. jac
auch Waitz, BO. IV. ©. 6. N. 1.
®) Capit. Vern. c. 8: Et omnes presbiteri ad concilium episcopi con-
veniant.
+) Bl. Hefele I. ©. 14. Im der fidorifcjen Kanonenfammlung handelt
davon das Concil. Toletanum XVI. a. 693 c. 7, de publicatione Coneili, Liber
canonum col. 541: Grandis populo datur emendationis correctio, si gesta
synodalia dum quandoque peraguntur relatione pontificum in suis parochiis
publicantur: Et ideo plena decernimus unanimitate connexi, ut dum in
qualibet provincia concilium agitatur, unusquisque episcoporum admonitionibus
suis infra sex mensium spatia omnes abbates, presbyteros, diaconos atque
elericos eu etiam omnem conventum eivitatis ipsius, ubi praeesse dignoseitur,
necnon et cunctam dioecesis suae plebem aggregare nequaquam moretur,
quatenus coram eis publice omnia reserata de his quae eodem anno in concilio
acta vel definita exstiterint, plenissime notiores efficiantur. BgL. aud den
Brief des Bonifacius an Cudberht, Jaff& Bibl. II. ep. 70. p. 202: episcopi
& synodo venientes, in propria parrochia cum presbiteris et abbatibus con-
ventum habentes, praecepta synodi servare insinnando praecipiant; wörtlich
gleich) dem c. 25 der englifchen Synode zu Eloveshoe: Mansi XII. col. 403. Eine
ſolche Diögefanfgnode, ummittelbar nach Beendigung des Provincialconcils, war
3. B. die de Biſchofs vom Augerre im gahre 578, in deren 7. Capitel auch aus
dräüdtic beftimmt wird, daß im Mai alle Briefter, im November alle Aebte zu einer
Synode in die Stadt kommen follten; Hefele II. ©. 39.
5) Bgl. die fogenannten apoftoliichen Ranones, c. 89: 40. 41 5q., 3. B. c. 40:
Domini populus ipsi commissus est et pro animabus eorum hic redditurus
est rationem; Dionysii Codex canonum I. c. col. 146; Hefele I. ©. 787.
®) Capit. Vern. c. 8: de eorum ordine; ordo = Kirdjenamt: Richter, Lehrbuch
des Kirchenrechts, 1858, ©. 25.
dahrb. d. dijch. Geh. Deläner, König Pippin. 15
ziehen oder Mefien feiern. Die biſchöfliche Controle ging fo weit,
daß die Priefter bei ihren Taufhandlungen an die öffentlichen Bapti-
fterien gebunden waren, welche der Biſchof dafiir beftimmt hatte;*)
nur wenn Krankheit oder Lebensgefahr vorlag, durften die Priefter der
Parodie, um einen Todesfall ohne vorgängige Taufe zu verhilten, die
Handlung auch an einem andern Orte vornehmen?) Dabei bejchränft
das Gefeg die Ausübung kirchlicher Functionen mit aller Strenge auf
„diejenigen Prieſter, welche der Biſchof in feiner Parodie eingefegt
hat;) Geiftlihen anderer Diöcefen durfte, wenn fie ohne Empfehlungs-
briefe famen,*) jelbft der Bifchof feine Amtshandlung geftatten;°) und
um dad Wechfeln der Parodie von Seiten der Merifer zu verhindern,
wurde auf das 20. Gapitel der Synode von Chalcedon hingewieſen
und dieſes feinem ganzen Wortlaute nad) aufgenommen.‘) Jenem
Kanon gemäß aber durfte fein Geiftliher in die kirchlichen Dienfte
einer andern Stadt treten, er müßte denn feine Heimat durch feindliche
Invafion verloren Haben; fonft follte er da verbleiben, wo er zu
miniftriren angefangen; und Strafe traf fowohl ihn, wenn er feine
Kirche verlieh, als aud den Bifchof, welcher ihn aufnahm: fie wurden |
fo Lange, bis da8 Vergehen wieder gut gemacht war, von der Gemeinſchaft |
der Gläubigen ausgeiloffen. Eine ſtillſchweigende Erweiterung der
fonjt treu wiedergegebenen älteren Vorfchrift erlaubte ſich das Concil
von Berneuil, indem es den Fall einfchaltete, daß ein Kleriker in den
Dienft eines Laien übertrat, und aud für ſolchen Fall gegen den
Geiftlihen wie gegen den Laien die obengenannte Strafe feitjekte.*)
Es fcheint, als ob die Aufnahme des ganzen Kanons Hauptfählih um
226 Capitel XV. 755.
) Capit. Vern. c. 7. |
) Daf., wiederholt von Karl d. Gr. im Jahre 801: Pertz LL. I. p.
e. 16. — Aus früherer Zeit finde ih nur im Cap. 16 ‚in germenifäen Pr
vom Jahre 527 eine ähnliche Beftimmung; Hefele IL ©. 6
%) Capit. Vern. c. 7: illi presbyteri, quos — in ipsa parrochia
constituerit. |
4) Daf. c. 12: De non suscipiendis alterius ecelesiae clericos et de
susceptoribus eorum absque litteris commendaticiis (nad; c. 13 des conc.
Chalcedonense a. 451).
>) Zgl. epist. Zachariae papae ad principes Francorum missa, zum erften
Male gebrudt bei Jaffe Bibl. II. ep. 68. p. 197: Nam et hoc hortamur
christianitatem vestram, ut juxta sanctorum canonum instituta in aeclesüs
a vobis fundatis non aliunde veniens presbiter suscipiatur, nisi a vestrae
eclesiae fuerit episcopo consecratus aut ab eo per commendaticias litteras
suscipiatur. Multi enim sibimet ipsis mendaces, multotiens servi cujusquam,
fugam arripientes, dominis suis semet ipsos quasi consecratos presbiteros
adnuntiant; et sunt ministri diaboli et non Dei, et qui eos suscipiunt similiter.
®) Capit. Vern. c. 12: In canone Caleidonense capitulo 20.
?) Conc. Chaleedonense a. 451 c. 20, Isidori liber canonum col. 170.
Selbft die Worte sicut jam constitutum est und placuit find dem Kanon von
Ehafcedon entnommen.
*) Bei Ivo, der denjelben Kanon in fein Decretum aufgenommen (lib. VI.
c. 861), fehlt jene Interpolation.
Die Synode von Verneuil. 227
diefer Interpolation willen erfolgt, alfo befonders gegen die Mißbräuche
der Laien gerichtet war.)
So brachte die Synode von Verneuil, indem fie die Kirche des
Frankenreichs nad kanoniſchen Principien neu zu begründen fuchte,
vor Allem in das Berhältnig der Didcefen und Priefter zu einander
Karheit und Ordnung. Sache der Biſchöfe war es nun, und in ihre
Macht war es gegeben, jedem pflichtvergeffenen Kleriker ſowie zugleich
denen, welde eine Ausfchreitung in Schutz nahmen, mit fanonifcher
Strenge entgegenzutreten.®) Sie durften eine Pflichtwidrigfeit des
Priefters je mach ihrem Ermeſſen mit Degradation beftrafen und,
wenn er trogdem eine religiöfe Funktion zu verrichten wagte, die Er-
communication über ihn verhängen.?) Das Geſetz hält es für gut,
wie zur Belehrung und Warnung des Volfes,*) das Weſen biefer
Strafe näher auseinanderzufegen. „Ein Ercommunieirter,“ fo fährt es
nämlich fort, „darf die Kirche nicht betreten und mit feinem Chriften
effen oder trinken; man darf, bis er vom Bischof wieder gefühnt ift,
feine Geſchenke von ihm annehmen, ihm feinen Kuß reichen, mit ihm
nicht beten, ihm nicht grüßen. Denn wer wiffentlih mit einem Ex-
communicirten verfehrt, dem fei Fund, daß auch ihn die Ercommuni-
cation trifft.” Wohl darf, wer das Urtheil fir ungerecht Hält, fich mit
einer Beihwerde an den Metropolitanbifchof wenden; die Excommuni-
cation jedocd bleibt unterdeffen in Kraft. Verſchmäht er aber auch den
Ausſpruch des Metropolitan. und e8 bleiben alle Beſſerungsverſuche ohne
Erfolg, dann verurtheilt der König den Schufdigen zur Verbannung.*)
1), Bgl. den ©. 226. N. 5 erwähnten Brief des Bapfıs Zacharias, Jaffe III.
ep. 68. p. 196: Apostolicum praeceptum vobis , ut nullus saecularis
clericum in suum obsequium habeat; sed illi, signaculum in capite
habet, mente deserviet et corde, educatus in his, quae a suo praecipitur
episcopo. Detestabile est enim et iniquum opus, clericum in ludis inveniri
aut cum acceptoribus vel venationibus degere vitam, tantisque scenicis
causis sauciatum, ad episcopatum aut presbiterium vel quodlibet sacerdotale
officium accedere.
%) Capit. Vern. c. 8: secundum canonicam institutionem judicentur tam
ipsi quam defensores eorum.
9 Daj. c. 9: Si quis presbiter ab episcopo sup degradatus fuerit ...
et postea ... excommunicatus. gl. Benedictus Levita lib. I. c. 62; Regino
ib. II. ed. Bal. c. 420, ed. Wasserschleben c. 426; Burchard lib. IL c. 179;
Ivo Deer. lib. VI.c. 224. Der Sat beruht auf c. 29 der apoſtoliſchen Kanones,
Hefele I. ©. 782, citiet von Zadjariag in feinem Cchreiben an Pippin vom
Jahre 747, Jafte TV. ep. 3. p. 22. c. 2.
4) Capit. Vern.c.9: Et ut sciatis, qualis sit modus istius excommunicationis.
9 Fi Gregorü III. Excerptum ex Patrum dictis canonumque sententiis,
Mansi . col. 287 89.; 3. B. c. 11, de incestis: Si quis filius cum matre
tam funestum atque nefarium vitium Perpetrarerit, secundum antiquam diffi-
nitionem inermis quindecim annos cum fletu et luctu poenitentiae, et uxorem
nunquam aceipiat, et ex bis septem annos extra metas ipsius terrae exul
hat. Atngẽ Beſtimmungen kehren in den. alten Pönitentialbüchern ſehr häufig
wieder; vgl. Waſſerſchleben, Die Bußordnungen der abendländiſchen Kirche. Ueber
Serbannungeftafe im Sranfenteihe ſ. Waitz, BO. II. ©. 540-541, IV.
228 Gapitel XV. 758.
Biſchof Lullus von Mainz Hatte Gelegenheit, die ſoeben ge—
ſchilderte hierarchiſche Ordnung zwei wiberfeglichen Geiftlichen gegen-
über in Anwendung zu bringen. 1) Einer feiner Priefter nämlich,
Namens Willefrith, ‘hatte noch bei Lebzeiten des Bonifacius gegen
Tanonifches Recht einen in einer anderen Parodie ordinirten Priefter
Enraed in die Mainzer Diöcefe gebracht, ohne die Zuftimmung des
Bonifacius fowohl wie auch ohne die feines Nachfolgers Lull. Nach-⸗
dem Enraed ſich merfwirdigerweife dennoch behauptet hatte, verſchmähte
er nunmehr auch die Pflichten der Unterordnung unter das biſchöfliche
Magifterium, wie e8 Lull unter wörtlicher Anführung des dahin zielen-
den Satzes der Beichlüffe von Verneuil bezeichnet; ) er übertrat alle
Beitimmumgen dieſes Paragraphen. °) Als die hierauf: empfangene
Zurechtweifung*) feine Wirkung gehabt, der Biſchof daher die Ercom-
munication über ihn ausgefprochen Hatte, nahm Willefrith ihn bei fich
auf und ſchützte ihn.®) Beide hatten fich überdies auch mannigfacher
Beraubung ber Kirchen ſchuldig gemacht; fie Hatten Sklaven offen, und
heimlich weggeführt, hatten den denreichthum vermindert, goldne
Schäge — die Gaben frommer Männer und Frauen —, auch Silber,
leider, Waffen entwendet. Biſchof Full fand es jegt an der Zeit,
unter Darfegung aller diefer Vergehungen die Entfcheidung der höheren
Inſtanz anzurufen.) Der Ausgang des Prozeſſes ift unbefannt,
aber wohl nicht zweifelhaft. Der Fall beweiſt, wie loder trog aller
Anftrengungen des Bonifacins die Bande der hierarchiſchen Ordnung
doc noch bei feinem Tode waren; er erflärt uns, warum es dringend
fhien, dem Klerus eine ftrammere Verfaffung zu geben; und bei folder
Sinnesweife in den maßgebenden Kreifen, wie fie in dem Capitular
von Verneuil fich Tumdgiebt, hat man die Gelegenheit gewiß gern
benugt, das Gefeg thatfählich zur Ausführung zu bringen.
Gleich dem Klerus ftanden, wie fehon erwähnt, auch die Bewohner
2) ©. das bereits oben S. 223. N. 2 beſprochene Schreiben desſelben:
Jaff6 II. ep. 114. p. 279.
%) Qui, et institutionis vestrae decreta contemnens et in parrochia nostra
constitutus, nostrum sprevit magisterium. Cognita enim canonum auctoritate
decrevistis: ut omnes presbiteri, qui in parrochia sunt, sub potestate episcopi
esse debeant ete.; f. oben ©. 228. N. 6.
) Quae omnia facere contemsit praedictus ille presbiter nomine Enraed.
*) increpationis sententia, d. i. zeitweilige Ercommumication bis nad) er⸗
folgter poenitentia; vgl. das Schreiben Lulls an die Aebtiffin Suitha, Jalfé IIL.
ep. 126. p. 292. x
°) Et exinde a supradicto Willefritho susceptus est ac defensus; vgl.
Capit. Vern. c. 8: tam ipsi quam defensores eorum.
) Bal. oben ©. 228. N. 5. Beachtenswerth erſcheint vielleicht, was hier
beiläuftg bemerkt fein mag, die Webereinftimmung der Schlußtwendung jeines
Schreibens: Bed quia longum est, ut ordinem replicemus omnia, Jaffe II.
P. 280, mit den Worten der Vita S. Bonifacii c. 8: Sed quia longum est, ut
per ordinem replicentur; Jaff& I. p. 463. Der Mainzer Priefter Willibald
ſchrieb dieſe Vita ja befanntfic im Auftrage der Bifhöfe ul und Magingoz.
PvP
f Die Synode von Verneuil. 229
der Möfter unter der. bifchöflichen Gewalt. !) Sie heißen die Regularen,
weil fie auf die Klofterregel des Heil. Benedict verpflichtet waren. ?)
Nah den Borfchriften diefer Regel zu leben, wird daher fowohl den
Mönden, als and) den Nonnen im Allgemeinen und im Einzelnen
eingefhärft; den Bifchöfen aber, in deren Parodie die öfter Tiegen,
zur Pflicht gemacht, darüber zu wachen. ®)
Zuoörderft ftehen unter ber Aufficht der Biſchöfe die Aebte. Wir
wiffen bereits, daß fie ſowohl zu den allgemeinen wie zu den Diöcefan-
ſynoden von den Biſchöfen zugezogen wurden.) Auch über die Be-
handlung eines pflichtvergeffenen Abtes giebt das Capitular eine An»
weifung. 5) Dabei zeigt fi ein eigenthümlicher Gegenfag gegen die
Strenge, welcher die Kleriker unterworfen waren. Seiner Geiftlichteit
gegenüber beſaß der Bifchof, wie wir foeben gefehen haben, das Recht
der Excommunication; ja auch gegen den Laien hatte er dies Strafe
mittel in Händen, nicht nur für den wiffentlihen Verkehr mit einem
Sebannten, fondern auch noch insbefondere für wiederholten Inceſt. °)
Gegen einen Abt dagegen, der ſich die Verlegung der Kloſterregel zu
Schulden kommen ließ, Konnte der Bifchof des Sprengels nichts weiter
thun, als daß er zunächt im Wege der Güte ihm zu beffern fuchte;
wenn dies mißlang, blieb ihm nur übrig, die Unterftügung feines
Metropolitans anzurufen. Selbft diefer konnte, wenn fein Beſſerungs⸗
verfuch erfolglos blieb, feine Strafe verhängen, fondern ſich deshalb
nur am die öffentliche Synode wenden. Erft Hier wurde ein den
Kanones entiprechendes Urtheil gefällt, wenn der Angeflagte ſich ein
gefunden Hatte; ?) war dies aber nicht gefchehen, ®) dann verlor er
feine Winde, oder es wurde zur Erhöhung der Strafe?) noch von
Tümmtlihen Bifchöfen über ihn die Ercommunication verhängt. 1°)
Zugleich erfolgte in derfelben Synode die Einfegung eines Nachfolgers
„nach dem Vorfchlage und dem Willen des Königs und unter der
Zuftimmung der Diener Gottes.“ 1!)
!) Capit. Vern. c. 3; f. oben ©. 222 (N. 1).
%) 3gl. Karlomanni principis capitulare a. 742 c. 7, Liftinense c. 1:
‚Abbates et monachi receperunt regulam sancti patris Benedicti ad restaurandam
normam regularis vitae; Pertz LL. I. p. 17—18, Jaff& Bibl. III. p. 128—129.
®) Capit. Vern. c. 5: Et si hoc facere contempserint, episcopus, in
cujus parrochia esse videntur, hoc emendare debeat.
%) ©. oben ©. 224. N. 5, ©. 225: N. 4.
5) Capit. Vern. c. 5. Daß es fic dabei um den Abt Handelt, ift aus ben
Schlußfägen erkennbar: honorem suum perdat ... qui gregem regat.
%) Dat. c. 9: Quicanque clericus vel laicus aut femina incestum comiserit.
?) ad synodum publicum exinde veniant et ibidem canonicam sententiam
accipiat.
®) Das bedeutet: et si publicum synodum contempserit, wegen des darauf
folgenden in ipso synodo.
v ®) Bgl. die Steigerung von der Degradation zur Excommunication in capit.
ern. c. 9.
10) aut honorem suum perdat aut excommunicetur ab omnibus episcopis.
*!) pro verbo et voluntate domno rege vel consenso servorum Dei.
230 Capitel XV. 755.
Wie die Aebte, ftanden auch ihre Mönche unter der biſchöflichen
Aufſicht. Ihnen wird vor allem Anderen das Umberfchweifen außer-
halb der Kloftermauern als regelwidrig unterfagt. ') Selbſt nah Rom
zu gehen, fol ihnen nicht geftattet werden; als Ausnahme gilt, daß
eine folche Reife im Auftrage des Abtes gefchicht. 2) Ein zweiter
Ausnahmefall ift unerwünfcterer Art, Wenn nämlich entweder der
Abt des Klofters als fäumig und nachläſſig erfunden wird, oder wenn
das Kloſter, ohne daß der Biſchof e8 hindern Tann, in Laienhände
geräth ®) und einige Mönde daher um ihres Seelenheiles willen in
ein anderes Stift überzujiedeln wünſchen: aud in einem ſolchen Falle
darf das Kloſter unter Zuftimmung des Biſchofs verlaffen werden. *)
Hier giebt ſich abermals das Bemühen fund, das religiöfe Leben vor
der nachtheiligen Einwirkung mächtiger Laien zu bewahren. Wenn
es vielleicht noch immer nicht möglich war, ein oder das andere Kloſter
vor weltlicher Befignahme zu ſchützen, fo follte der klöſterliche Geiſt
darumter doch nicht leiden und der Wegzug der Mönche dann lieber
zur Auflöfung der Congregation führen.
Große Aufmerkſamkeit wendete man den Srauenflöftern zu. 5)
Wie fon ältere galliſche Concilien den Aebten, H fo unterfagte man
jegt auch den Aebtiffinnen die gleichzeitige Leitung zweier öfter ; die
Abfiht dabei war ftrenge Abfchliegung innerhalb der Mlofterräume; auch
wurde das Verbot, dieſe zu verlaffen, ausdrüdlich Hinzugefügt. Kein
Anlaß wurde als dringend genug erachtet, um die Aebtijfin oder ihre
Nonnen felbft zu einer Neife an den Hof des Königs zu berechtigen.
Wenn fie in einer wichtigen Angelegenheit dem Könige oder der Synode
etwas mitzutheilen wünfchten, dann follten fie dies durch ihren Propft
ober ihre Boten thun. Ebenſo follten ihre Gefchenfe durd Boten
nad dem Palafte befördert werden.?) Wenn einige Mlöfter aus Armuth
ihren Beruf nicht erfüllen könnten, dann follte der Biſchof den That-
beftand prüfen und zur Kenntniß des Königs bringen, damit dieſer
ihre Lage in Barmherzigkeit beſſere.
') Capit. Vern. c. 10: ad Romam vel aliubi vagandi.
3 nisi oboedientiam abbatis sui exerceant.
®) Hefele, II. ©. 551, überjet: „Iſt ein Abt fo nachläifig, daß fein Kloſter |
in die Hände vom Laien kommt.“ Aber Berk hat: aut in manus laicorum |
veniat; ut feht nur in einem der drei Cobices. |
%) In dem Briefe an Erzbiſchof Eudberht von Kent vom Iahre 748, Jafie
Bibl. III. ep. 70. p. 208—209, fpricht Bonifacius von folder Occupation eines
ofters durch einen Qaien, der, fei e8 ein Kaifer, ein König oder fonft ein welt«
licher Machthaber, dasſelbe dem Biſchof oder Abt oder der Aebtiifin entreißt, ſelbſt
am Abtesftefle tritt, die Mönche unter feine Leitung, das Kloftergut unter feine
Berwaltung nimmt: Talibus, quod et hic et ibi reperiuntur, cum tuba Dei
clangamus, ne tacentes dampnemur.
®) Capit. Vern. c. 6.
*) Unum abbatem duobus monasteriis interdieimus praesidere: concil.
Agathense (Agde) a. 506, c. 88. 57, wiederholt zu Epaon in Burgund im
Jahre 517, c. 5; Isidori liber canonum col. 269. 271. 287.
?) Et quale munera ad palatium dare voluerint: von Waitz, B®. IV.
S. 6. R. 2, wo er über ben Gebrauch des Wortes palatium fpricht, überfehen.
Die Symode von Bernenil. 231
Nur auf den ausdrücklichen Wunſch des Königs Pippin wurde
außer dem feindlichen Ueberfall, einem auch fonft allgemein anerkannten
Grunde zur Answanderung,t) noch eine zweite Ausnahme von jener
ftrengen Abſchließung zugelafien.?). Pippin nämlich wünſchte, daß ein-
zelne von den Aebtiffinnen, jobald an fie ein königlicher Befehl erginge,
einmal im Jahre zu ihm kommen dürften. Es ift dabei voraus»
gefeßt, daß er von ihnen um diefen Befehl angegangen worden;°) die
Aebtiffin jollte daher das Kloſter nicht eher verlaffen, als bis fie mit
Genehmigung ihres Biſchofs durch einen Gefandten die Einladung des
Königs erbeten hatte; verweigerte fie diefer, dann mußte fie, vor—
behaltlich einer fünftigen Abänderung der Vorfchrift, im Kloſter ver-
bfeiben. Sowohl auf der Hinreife zum Könige wie auf der Rüdreife
follten die Frauen nur fo lange als dringend nöthig in den am Wege
fiegenden Ortfchaften verweilen.
Auch den Nonnen wurde, wie bereit8 angedeutet, da8 Verlaſſen
des Kloſtergebäudes ftreng verboten. Für einen Fehltritt follte im
Klofter felbft unter dem Beirath des Bifchofs Buße gethan werben.
Banden ſich unter ihnen ſolche, die fich der Regel nicht fügen wollten
und des Zuſammenwohnens mit den andern unwürdig waren,
dann follten fie an einem vom Biſchof oder der Vorfteherin ausge
wählten Plage des Pulfatoriums, d. i. des Wohnhaufes der Novizen,
abgefondert und unter Bewachung leben und fo lange von der Aebtiffin
mit Handarbeiten beſchäftigt werden, bis fie der Wiederaufnahme in
die Congregation würdig befunden würden. *)
Aus den Briefen jener Zeit erfahren wir allerdings von einer
folgen Sittenverderbniß unter den Nonnen, daß eine fo ftrenge Ab-
ſchließung wohl erflärlich wird. Bonifacius klagte befonder über die
verjcjleierten Frauen Englands, welche nad dem Continent kamen,
um nah Rom zu gehen; nur eine geringe Zahl, fagt er, fehre rein
zuridt, ein großer Theil gehe zu Grunde: „es giebt nur fehr wenige
Städte. der Langobarden oder Franken, wo ji nicht eine Ehebrecherin
oder Buhlerin englifcher Abkunft fände.“ 5) In einem andern Schreiben
wird von Biſchof Luft in fehr- heftigen Worten die Ercommunication
über eine ihm untergebene Aebtiffin, Namens Suitha, und zwei ihrer
Nonnen verhängt, denen fie gegen die fanonifche Vorfchrift, ohne des
*) nisi hostilitate cogente.
?) Bed domnus rex dicit, quod vellit ut quando aliquas de ipsa abba-
tissas ipse domnus rex ad se jusserit venire, semel in anno et per consenso
episeopi in cujus parrochia est, ut tunc ad eum aliquas veniant.
®) Et ante non movetur de suo monasterio, anteguam suum missum ad
domnum regem transmittat. Et si jusserit rex venire, veniat.
*) Capit. Vern. c. 6.
°) Im dem eben erwähnten Briefe an Eubberht, p. 208: bonum esset ...
si prohiberet synodus et principes vestri mulieribus et velatis feminis illud
iter et frequentiam, quam ad Romanam civitatem veniendo et redeundo
faciunt ... Perpauce enim sunt civitates in Langobardia vel in Francia
aut in Gallis, in qua non sit adultera vel meretrix generis Anglorum.
232 Capitel XV. 788.
Biſchofs Erlaubniß und Rath, geftattet hatte, fih in ein entferntes
Land zu begeben.!) Es darf wohl angenommen werben, daß diefes
Strafverfahren Lulis, in ähnlicher Weife wie jenes oben gefhilderte
gegen zwei Prieſter feiner Diöcefe, fih auf die ſoeben dargelegten
Beftimmungen der Synode von Verneuil gründete.
Soviel über die neue Organifation des Klerus; denn unter bem
Nomen Klerus begriff man im weiteren Sinne auch die Angehörigen
der Klöfter. — Sollte das geijtliche Leben aber von allen Seiten erfaßt
und einer ftrengeren Zucht unterworfen werden, dann mußte man auch
die BVerhältniffe der Neligiofen oder Asceten regeln. Dies waren
Männer und Frauen, welche fi dem Dienft Gottes gewidmet hatten,
jene durch die Zonfur, diefe durch den Schleier, ihr Vermögen jedoch
unter eigener Verwaltung behielten und fi) weder in dem geiftlichen
Stand noch in ein reguläres Kloſter begeben Hatten.?) Die Synode
verlangt, daß folche Perfonen durchaus entweder in einem Kloſter nad)
der Ordensregel oder umter der Leitung des Bifchofs als Kanonifer
leben follten, widrigenfalls fie von diefem, bei hartnädfiger Weigerung,
zu ercommuniciren feien.°) Gleichwohl nimmt die Gefeggebung ſchon
zwei Jahre fpäter wieder auf ſolche Verfchleierung außerhalb des Kloſters
wie auf etwas völfig Zuläffiges Bezug.*)
") Jaff& Bibl. II. ep. 126. p. 292: sacro velamine palliatas feminas
N. et N. contra statuta canonum et sanctae regulae disciplinam, sine licentia
et consilio meo ... propter arrogantiam ac voluptatem laicorum explendam,
ad perditionem animarum suarum, liberas ire permiseras in longinguam
regionem ... Pro hujusmodi stultitia excommunicatam te esse scias cum
omnibus tuis, qui hunc neglegentiae reatum consentiendo perpetraverunt;
usque dum digna satisfactione hanc emendetis culpam. Illas autem vagas
et inoboedientes supra dietas feminas intra cellam vestram non recipiatis.
Bed foras monasterium, excommunicatae ab ecelesia Christi, sedeant, peni-
tentiam agentes, dum yenerint, in pane et aqua; et vos similiter, abstinendo
ab omni carne et ab omni potu qui melle indulcoratur.
®) Bgl. conc. Toletanum IV. a. 688 c. 58: De religiosis vagis. Religiosi
viri ... qui nec inter clericos nec inter monachos habentur,'sive hi qui
per äiversa loca vagi feruntur, ab episcopis, in quorum conventu commanere
noscuntur, licentia eorum coörceatur, in clero aut in monasteriis\deputati;
Teid. liber can. col. 379. — Für Frauen diefer Art findet fich hier und da die
Bezeichnung nonnanes, 3. B. im 9. Cap. der synod. Aschaimensis, Pertz
p. 457, einer Nachbildung unſeres Capit. Vern. c. 11: De clericis et nonnanes, ut
‚aut in monasterio ire debeant aut ... regulariter vivant (j. unten Cap. XXI, 2°);
ebenfo im Capitulare generale a. 89, Pertz LL. I. p. 68, c. 8: De monasterüis
minutis, ubi nonnanes sine regula sedent,
°) Capit. Vern. c. 11. Rettberg, II. S. 699, erfennt in den ancillae ‘Dei
Pag: ohne Grund Ronnenvereine, da das Sefek vielmehr Einzelftehende 'imt
(uge hat.
4) Capit. Co: end. ec. 16: Si quis vir mulierem suam dimiserit et dederit
commeatum pro religionis causa infra monasterium Deo servire aut foras
monasterium dederit licentiam velare,
Sechszehntes Gapitel.
Schenkungen an ©. Germain und ©. Denys.
755.
” Was wir im vorhergehenden Gapitel als wahrſcheinlich hingeſtellt,
daß Pippin der Verfammlung zu Verneuil perſönlich beigewohnt habe, !)
ftimmt zu zwei anderen Stinerarangaben, denen zufolge der König am
24. und 25. Juli fi im Kloſter ©. Germäin des Prés, am 29.
in Compidgne, alfo beide Male ebenfalls in der Umgebung von Paris
aufgehalten hat.
Am 25. Yuli?) des Jahres 755°) nämlich, erfolgte in Gegenwart
Pippins die Translation des heil. Germanus.“) Diefer ehemalige
Biſchof von Paris hatte um die Mitte des 6. Jahrhunderts den
König ChHildebert zur Erbauung jenes Kloſters bei Paris veranlaft,
welches ben in Spanien erbeuteten HeiligtHümern zu Ehren, bie bafelbft
aufbewahrt wurden, das Kloſter des Heil. Kreuzes und des Heil.
Vincenz,ꝰ) in fpäterer Zeit aber gewöhnlich das Mlofter des Heil. Ger-
manus hieß, und zwar S. Germain des Prés (de Pratis), weil die
S. oben ©. 221.
3) Dies Datum bezeugt 1. der Mönch Aimoin von S. Germain in [sacc. IK. ex.),
De miraculis 8. Germani lib. 1. c. 17, Mabillon Acta 88. III. 2. p. 110:
translationis ejus festus dies ... octavo kalendas Angustas celebratur ;
2. ein Zeitgenoffe und Kloſterbruder deffelben, — in ſeinem Martyrologium,
Migne Patr. lat. CXXIV. col.295: VIII. kal. Aug. civitate Parisius translatio
sancti Germani episcopi et confessoris.
?) ©. unten Treurs X: Ueber das Translationsjahr bes heil. Germanus.
+) Translatio 8. Germani, Mabillon Acta SS. III. 2. p. 94 sq.
®) And) den Namen des Heil. Stephan Abe das ste zuweilen wegen
einiger Reliquien deffelben, welche ſich unter dem Altar befanden; Kr: . des
Sermanne Schenkung ad ‚Juminarin. erclesise sanctae Crack sack
pri seu sancti Vincentii levitae et martyris: Po] Teminonfs ed.
Gu£rard II. c. 10. p. 117. a
234 Capitel XVI. 758.
Gegend, in welcher dasfelbe ftand, jegt ein dicht angebauter Stadttheil
von Paris, ehedem nur ein weiter Wiefengrund war. Germanus
felbft, der in früheren Jahren zu Autun, feiner Heimatſtadt, dem
Mofter des Heil. Symphorianus als Abt vorgeftanden, hatte an der
Südweftfeite der neuerbauten Stiftskirche, rechts vom Eingange, eine
diefem Heifigen geweihte Kapelle errichtet) und Hier neben feinen
Eltern Eleutherius und Eufebia fi eine Grabftätte ausgewählt. ?)
Schon in den legten Jahren Karl Martells aber hegte Abt Lantfred
den Wunſch, die Gebeine des Heiligen aus jener Seitencapelle in das
Hauptſchiff zu übertragen und im Chor der Kirche, der wie gewöhnlich
gegen Often lag, Hinter dem Hochaltar beizufegen; durch feine aqui—
tanifche Gefangenschaft daran gehindert, brachte er den Plan in der
Königszeit Pippins endlich zur Ausführung.)
Wir find nun nicht geneigt, die Wunder alle, von denen dieſe
Translation begleitet geweſen fein ſoll, der Koftertradition nachzuer ⸗
zählen; etwa wie wir der reichen Sagenbildung, welche ſich an den
Tod und die Uebertragung eines der bedeutendften Helden unferer
Darftellung, des heil. Bonifacius, anſchloß, mit aller Theilnahme gefolgt
- find. Wir lafjen es deshalb auch dahingeftelit, iuwieweit die Mit-
theifungen hierüber wirklich al® das, wofür unfer Berichterſtatter fie
ausgiebt, als Zugenderinnerungen Karls des Großen zu gelten haben.*)
Denn fowohl Karl al8 auch jein jüngerer Bruder Karmann wohnten
mit ihrem Vater und vielen geiftlichen und weltlichen Würdenträgern
de8 Reiches der Ceremonie bei, welde am 24. Juli damit ihren Ans
fang nahm, daß man den Sarg aus der Symphoriansfapelle nach dem
unteren Ende des Hauptſchiffes brachte, und am 25. in früher Morgen-
ftunde mit der Einſenkung Hinter dem Hochaltar des Chores endete. °)
Der König feierte das Ereigniß noch insbefondere durch eine Schenkung
') Bol. den Plan des Gebäudes bei Bouillart, histoire de Saint Germain
des Prez (1724), p. 808, planche 16.
®) Ueber Efeutherius und Euſebia vgl. Vita S. Germani auet. Venantio
Fortunato c. 1, Acta SS. Boll, 28. Mai, p. 778; Gu6rard, Polypt. Irmin.
D. c. 10. (breve de Vitriaco) p. 117. 118; endlich eine Rotig im Anhange der
Ruinart ſchen Ausgabe Gregors von Tonre, Migne Patr. lat. LXXI. col. 1198:
corpora Eleutherii et Eusebiae b. pontificis parentum ex oratorio sancti
Symphoriani in sancti translatione in chorum allata fuisse dieuntur.
*) Hahn, Jahrbücher ©. 23. N. 4, und Bresfig, Die Zeit Karl Martells
S. 77. R. 1, citiren bie hiervon handelnde Schrift einmal irrthümlich: Translatio
Germani episcopi Parisiensis — auctore Lantfredo abbate; vielleicht in Folge
mißerftändlicher Auffaffung der Worte Mabillons in den Observationes praeviae
p- 92: Translationis anctor fuit Lantfredus abbas, Pippinus rex approbator
et testis. Das Richtige hat Hahn übrigens ©. 243.
*) ©. unten Excurs IX: Ueber bie fog. Translatio S. Germani.
®) Translatio c. 4. p. 96: adest primo mane divae memorige genitor
meus; ego quoque germanusque meus, pedissequi ipsius, cunctique proceres
ipsius regni, cupientes coeptum opus ad finem honestum usque perducere.
Der in vorfiehender N.2 erwähnten Nadjricht zufolge wurden damals zugleich, die
Gebeihe-der Eltern im Chore beigeſetzt.
Schenkungen an S. Germain und S. Denys. 235
an das Mlofter. Die Billa Palaifeau?) nämlich, welche mitten zwifchen
den Befigungen des Kloſters Ing, war bis dahin Konigsgut gemefen,
und die Fiscalinen hatten ſich in Folge deſſen manchen Uebermuth gegen
das Kloftergut und die Kloſterleute erlaubt.*) Durch Fönigliche Schenkung
ging diefer Ort jegt in das Eigenthum des Stiftes über:®) eine That-
fache, die, obwohl eine Urkunde Pippins darüber weder vorliegt noch
irgendwo erwähnt wird, aus zwei Gründen doch außer Zweifel fteht.
An dem Grabdentmale des Heil. Germanus befindet fih nämlich noch
jest eine Marmorplatte mit marmornem Kreuz, welche aus dem 8.
Jahrhundert ftammt‘) und in ihrer Umfchrift beftätigt, daß König
Pippin dem Heiligen am Tage der Translation jenes Fiscalgut ge-
ſchenkt Habe.d) Sodann enthält das Zinsregifter, welches der. Abt
Irmino gegen das Ende der Regierung Karla des Großen oder in den
erſten Jahren Ludwigs angefertigt hat,“) ein ausführliches Verzeichniß
aller Einlünfte, welche das Kloſter S. Germain aus Palaiſeau bezog.“)
Schon von Alters her Hatte ſich das Kloſter der Immunität zu
erfrenen gehabt, wie aus einer Betätigung derfelben durch Karl den
Großen hervorgeht;®) da er jedoch feines Vaters dabei nicht ausdrücklich
gedenft, dürfen wir mit Sicherheit fchließen, daß Pippin fich zu einer
gleichen Betätigung nicht veranlaßt gefunden. Wohl aber verdankte
ihm das Klofter die Befreiung von allen Zöllen im Reiche, eine Ber
günftigung, auf welche fein Sohn Karl ſich mit beftimmten Worten
bezieht, indem er fie dem Stifte von neuem gewährt.?) Eine ſolche
Maßregel bildete da8 Gegenftüc zur Verleihung einer Markt- und Zoll⸗
berechtigung, wie fie 3. B. dem Kloſter ©. Denys im Jahre 754
erneuert worden war.!) Das Eine wie das Andere zwar bot auf Koſten
des Fiscus dem Empfänger bedeutende Bortheile dar; doch während
er in dem Ießteren Falle das Recht erlangte, anftatt des Staates
*) Villa Palatiolum; jest ein Bezirfshauptort des Arrondiffements Berfailles.
) Translatio c. 5. p. 96: Est in hoc pago Parisiaco villa vestra vocabulo
Palatiolum, et in circuitu ipsius sunt villulae istius monasterii constitutae.
Ipsi autem fiscalini vestri pb fortitudinem celsitudinis vestrae valde sunt
insolentes et temerarii, et multa mala contra hunc locum perpetrant, videlicet
homines et pecora caedendo et occidendo; vineas et messes, prata et silvas
devastando; atque in aliis modis familiam hujus ecclesiae persequendo et
affligendo. Vgi. oben ©. 8 (N. 4).
®) Daf.: Et ponens vadium suum super sanctum tumulum : Ascipe,
inquit, o beatissime Germane, villam nostram Palatiolum cum omnibus
appendiciis suis.
d gl. Gu6rard, Irminon I. p. 828.
Diejelbe lautet: Hic pausante sancto Germano in die translationis
dedit ei rex Pipinus fiscum Palatiolum cum appenditiis suis omnibus; j. die
Abbildung bei Bouillart p. 285, planche 15.
) Guerard, Irminon L p. 10—14,
?) Dai. I. p. 828881, II. p. 6-28.
®) Sickel K. 16, 772 20. Oct.; ſ. jedoch die Anmerkung zu dieſer Urkunde,
Acta II. p. 232—238.
®) Sickel K._ 68, 779 27. März; vgl. Acta deperdita p. 886.
1) ©. oben Cap. V.
236 Cavitel XVI. 758.
Jahr aus Yahr ein eine beftimmte Abgabe zu erheben, durfte er im
anderen Falle in jedem beliebigen Theile des Reiches Kaufgeſchäfte
betreiben, ohne am den Königlichen Zolfftätten zu irgend einer Zahlung
angehalten zu fein. Pippin verlieh ein folches Vorrecht dem Klofter
©. Germain, fodaß die Handelsleute dieſes Stiftes, fofern fie im
Auftrage defjelben reiften, nach herfümmlicher Ansdrudsweife ſowohl
diesfeits als jenfeits der Loire, in Burgund, in der Provence, im
eigentlichen Zrancien, auch in Auftrien, kurz überall im Reiche mit
ihren Waaren umberziehen durften, ohne von ihren Saumthieren,
ihren Wagen, ihren Schiffen einen Zoll oder fonft eine Abgabe an
den Fiscus entrichten zu müfjen.!) Wir glaubten diefes Diplomes am
beften Hier Erwähnung zu thun, obgleich der allein vorhandene Auszug
desſelben, wie er und im der Urkunde Karls vorliegt, über die Zeit
des Erlaſſes natürlichermeife nicht die geringfte Andeutung giebt.?)
Mit größerer Beftimmtheit dagegen können wir eine britte Verleihung
Pippins an S. Germain, obwohl auch ihrer nur gelegentlich Erwähnung
geichieht, in das Jahr 768 fegen: wir meinen die Schenfung eines
Teiles der Equaliniſchen Waldung (Foret d’Ipeline bei Rambouillet),
deren Pippin zugleich mit der andermeitigen Vertheilung diefes Waldes
kurz vor feinem Tode im einer Urkunde für S. Denys 'gedentt,?) auf
welche wir daher bei Beſprechung diefer Urkunde nochmals zurids
tommen werden.
Sei es nun, daß die Mönde von S. Denys ihren Urkundenſchatz
beffer gehütet Haben, als es fonft zu geichehen pflegte, ſei es, daß
Pippin diefem geiftlichen Stifte mehr als allen anderen zugethan war,
oder endlich daß Abt Fulrad ſich bei dem Könige höheren Einfluffes
als irgend eim Underer erfreute: genug, grade der dritte Theil aller
noch vorhandenen eigentlihen Diplome Pippins betrifft ©. Denys,
und wie zu jedem der drei vorhergegangenen Jahre und noch mandem
folgenden, Haben wir auch zum Jahre 755 eine diefem Kloſter ertheilte
Urkunde zu verzeichnen.*) Eben diefe Urfunde dient einestheils zur
Erffärung der Sympathie Pippins für das Stift, welches er darin als
feine Erziehungsftätte bezeichnet, 5) anderentheils als Probe von dem
use Sickel K. 68: praeceptionem domni et genitoris nostri b. m. Pippini
quondam regis ... ubi repperimus insertum, qualiter ... beneficium praesti-
tisse cognoscitur, ut annis singulis ubicumque in regno nostro negociantes
ipsius sancti loci pergere vellent ... tam ultra Ligere quam citra Ligere,
vel in Burgundia, etiam in Provincia, vel in Francis quam et in Austria
.. nullo theloneo, nec de saumas nec de carrigine neque de navigio neque
de qualibet redibitione exinde ad partem fisci nostri missi sui discurrentes
dissolvere non debeant.
?) Bon einer nohmaligen Anwejenheit Pippins in S. Germain, nicht Jange
nach der oben erzählten Translationsfeier, berichtet die Translatio c. 8. p. 98.
®) Sickel P. 28; f. unten Cap. XXXI.
*) Sickel P. 11.
) Daf.: monisterium beati domni Dioninsine ubi enotriti sumus.
Schenkungen an ©. Germain und S. Denys. 237
hohen Anfehen, das Fulrad bei dem Könige bejaß.!) Die neue Gunft- '
bezeigung, eine Schenkung, ‚galt vielleicht der erften Jahresfeier der
Salbung, welche am 28. Juli 754 in der Kirche des heil. Dionyfius
ftattgefunden Hatte; das Diplom wäre alsdann, wofür aus Pippins
eigener Zeit eine Analogie vorliegt,?) erft einen Tag nad) vollzogener
Handlung ausgefertigt.?) Ueber den Gegenftand der Schenkung ift
Folgendes zu bemerken:
Im Jahre 708 hatte Graf Wulfoald den im Gau von Verdun
gelegenen Ort Marfupia, auch Caſtellio (Chätilfon) geumt, duch
Tauſch erworben*) und dafelbft mit feiner Gemahlin Adalfinda gleich
darauf zu Ehren des heil. Michael ein Kloſter gegriimdet.d) Wie der
Ort felbft, wurde daher aud das Klofter, außer nad) feinem Heiligen,
oft mit den beiden Namen Gaftellio und Marfupium bezeichnet,“) umd
zwar rührte ber legtere von dem Bade Marfoupe her, einem Zufluffe
der Maas, welcher am Fuße des S. Michaelsberges entiprang. Denn
die Stiftung lag offenbar auf einer Anhöhe, während der Ort felbft
ſich am Fuße derfelben längs der Marſoupe Hinzog.”)
Wie [don Wulfoald, der Gründer des Mofters, Herr der Ortſchaft
gewejen war,®) fo befand fich diefelbe auch in den Tagen des Könige
Pippin im Belige eines Wulfoald, bis diefer wegen einer feindfeligen
Handlung gegen den König derfelben verluftig ging. Es war vielleicht
ein Sohn oder felbft ein Enkel jenes Grafen, keineswegs dieſer felbft,
der fchon 45 Jahre vorher im Gheftande gelebt, ſchon damals Vater
und Schwiegervater durch den Tod verloren Hatte?) und defien in
einer Urkunde vom Jahre 772 mit aller Achtung gedacht wird. 10)
9) Dgl. daj.: sed Folleradus abbas.vel ipsa congregacio sancto Dioninsio
nobis deprecati sunt pro eo, et suam vitam illi perdonavemus in Dei amore
et domni Dioninsiae.
%) Sickel P. 16.
®) P. 11: Datum quarto kal. Augusti, anno quarto regni nostri, Com-
pendio in Dei nomine feliciter.
*) Migne Patr. lat. LXXXVIIL col. 1263: Dedit Sigibandus episcopus
raltndo comiti locellum Marsupia nuncupatum in pago Virdunensi (charta
a. 708).
®) Daf.col. 1254: monasterium ... a novo fundamen!
nostrae, in page Virdunensi, in loeo qui dieitur Castilli
i
diniaca, ubi radice montis consurgit fluviolus qui dicitur Masupia,
in honore nomin "sancto Michael archangelo .. . visi fuimus aedificasse
(charta a. 709).
%) Bgl. 4.8. SickelL. 85, 816 2. Juni: Smaragdus abbas ex monasterio
Sasellionis, 'quod nuneupatur Marsupium, quod est constructum in honorem
2 aelis.
?) Daher in P. 11 die Worte: loco aleco in pago Vereduninse, quae
appellatur ad Muntem sancto Micaelo arcangelo, super. fluvio Marsupia.
) ©. oben N. 4 und 5: in jure proprietatis nostrae.
Junligne LXXXVII. col. 1254: Ego Wolfoaldus, filius Gislaramno
quondam, nec non et conjux nostra Adalsinda,. filia Adalberto quondam
(oharta a 709).
!) Sickel K. 13, 772 Mai: Hermengaudus abbas sive episcopus de
monasterio Castellionis in pago Virdunensi in fine Vindemiaca, ubi consurgit
288 Capitel XVI. 755.
Worin die Feindfeligkeiten des jüngeren Wulfoald beftanden Haben mögen,
diefe Frage, fo lebhaft fie auch unfer Intereſſe erregt, bleibt unbe⸗
antwortet. Wie eine frühere Urkunde Pippins ganz beiläufig ung über
eine fonft nirgends erwähnte Vertreibung feines Vaters aus Paris
belehrt hat,!) fo gewinnen wir hier über innere Bewegungen während
feiner eignen Regierungszeit einen Auffchluß, der freilich die Wißbegier
eher reist als befriedigt und uns blos das Eine deutfich vergegen-
wärtigt, daß unfere Kenntniß jener Zeiten dod immer nur eine mangel-
hafte bleibt. Man kann die Vermuthung hegen, daß es ſich vieleicht
um eine merowingiſche Schilderhebung gehandelt, daß die That Wul-
foalds mit Gripho’8 Unternehmungen in Zufammenhang geftanden,?)
ober endlich, daß Pippins Abweſenheit in Italien den Gegnern feiner
Politik das Zeichen zur Empörung gewefen:?) folhe Vermuthungen
jedoch find werthlos, da fie der Gewißheit entbehren. Die Acten des
Prozeſſes aber, welcher vor der fränfifchen Reichsverſammlung“) gegen
Wulfoald geführt wurde, find nicht auf uns gekommen; unfere Urkunde
ſagt nur: „Wulfoald wollte, wie ihm nachgewiefen worden ift, jenen
Ort am S. Micaelsberge zu einem Caftell umbauen, um unfere
Feinde darin aufzunehmen.“6) Auch ift es nicht bei der Abficht allein
geblieben; denn im weiteren Texte der Urkunde ift wiederhoft von jenem
„Ort und Caſtell“ die Rede.) Wulfoald war daher zum Tode ver:
urtheilt, auf die Fürbitte des Abtes Fulrad jedoch und der Mönde
von ©. Denys ihm von Pippin das Leben gefchenkt worden. Jenen
befeftigten Ort aber, den er daflir dem Könige überliefern mußte, ?)
ſchenkte diefer jet mit allem Zubehör an das Kloſter des Heil. Dionyſius,
damit die Brüder für ihn, feine Kinder und das Reich unabläffig beten
und, wie fie e8 ihm verfproden Hatten, Tag für Tag feinen Namen
Auvius Marsupia, quod ‚illuster Volfaudus et conjux sua Adalsina in eorum
proprietnte in honore s. Michaelis archangeli ... . noscitur construxisse;
Kettberg 1. &. 532, der daraus jedoch ierthümfich gu folgern fcheint, da
Fin feinen Same: ‚wie begnadigt habe.
©. oben S. 70 (N. 4).
Es ift gewiß nicht ohne inneren Zufammenhang mit ben Borgängen in
Chatillon, daß die Schenkung des Ortes an S. Denys für das Seelenfeil Karl
Martells geichieht, P. 11: in nostra mercede et remedio animae domni geni-
toris nostri Karoli.
) 8: oben &. 161 ff.
11: ad Francorum judiciam propter hoc missus fuit ad caulas;
vgl. Sa BG. IV. ©. 423 (N. 4).
°) Daf.: pro eo quod illo castello ibidem volebat aedificare ad nostros
inimicos recipiendum, sicut comprobatum est.
) Daf.: donamus ipso loco et castello ad monisterium b. domni Dio-
ninsiae . . . ipso loco et castello adquesivimus in palatio nostro.
”) Dai.: quem Fulfoaldus quondam pro sua vita nobis dedit. Ohne
Zweifel hatte das Gericht jelbft, nachdem von Geite Pippins das Todesurtheil
aufgehoben worden war, bie Eonfiscation ausgeſprochen; denn an einer andern
Stk ber Urkunde heißt es: constat, quod nos per justitia et lege Francorum
loco et castello adquesivimus in palatio nostro. Aehnliche Beifpiele ſ.
ig, BO. IV. ©. 425 (N. 1).
Schenkungen an S. Germain und S. Denys. 239
ſowohl in der Meſſe als auch in ihren Privatandachten beim Grabe
des Heiligen nennen jolften.
Man Hat diefe Urkunde vielfach als eine Webertragung des
©. Michaelskloſters an S. Denys gedeutet.!) Allein fo ſeltſam es auch
ſein mochte, das Kloſter von dem Schickſal der ganzen Ortſchaft zu
eximiren, ſo ſpricht die Urkunde doch nun einmal nur von dieſer, und
nicht von dem Stift.) Es ſteht daher mit dem uns vorliegenden
Diplome durchaus in feinem Widerſpruch, daß Pippin dem S. Michaels-
Hofter nach dem Zeugniffe feines Sohnes Karl die Immunität be—
willigt hat,®) und daß dasfelbe auch in anderen Urkunden als voll-
fommen unabhängig erfcheint; es ift mit Unrecht daraus gefolgert-
worden, daß das Verhältnig, welches durch unfer Diplom begründet
werden folfte, nicht von langer Dauer geweſen oder vielleicht gar nicht
ins Leben getreten fei.
1) Rettberg I. ©. 581; Sickel Acta II. p. 231.
®) Die Worte, et cum ipsos clericos qui deservire videntur, fönnen als
Anhaltspunkt für die entgegenftehende Auffaffung doch unmöglich genügen. Man
vergleiche damit 3. ®. in Pippins Schenfungsurkunde für Prüm, Sickel P, 20,
die Stelle, welche von der Uebertragung dreier Zellen an das Kloſter handelt:
Tradimus‘. . . cellam jure proprietatis nostrae in pago Spirensi, quae est
constructa in honore sancti Medardi, cum villis et appendiciis suis ... totum
et ad integrum, tam ecclesiae ministeria, quam et alias res ibidem pertinentes;
ebenfo wird bei dem zwei anderen ‚wenigftens hinzugefügt, daß fie in honore sancti
Petri und in honore sanctae Mariae errichtet jeien.
®) Sickel K. 13: integra immunitate omnes res... visi fuimus con-
cessisse, sicut b. m. domnus et genitor noster Pippinus quondam rex fecit.
Die Urkunde Pippins ift verloren; vgl. Sickel, Acta deperdita p. 375.
Siebzehntes Gapitel.
Berhandlungen der Herbftiynode.
755.
1. Bie königlihe Vorlage.
Geftügt auf unfere im Anhange diefes Buches befindliche Unter»
ſuchung, ) ſprechen wir noch von einer zweiten Kirchenverſammlung
des Jahres 755, die wir etwa in den Anfang des October zu ſetzen
haben werden; Hatte die Synode von Verneuil doch ausdrüdlih für
den Herbft jedes Jahres eine Zufammenkunft der Metropolitane an-
geordnet, denfelben auch die Befugniß ertheilt, die ihnen untergebene
Geiftlichkeit in beliebiger Auswahl zu berfelben Hinzuzuziehen.
Die Tönigliche Vorlage — denn als folche erweilt fi uns das
fogenannte unbeftimmte Capitular 2) — fnüpfte an denjenigen Para-
graphen der Zulibefchlüffe an, der auf den Inceſt, fei es der Geift-
lien oder der Laien, bei Erfolglofigkeit der kirchlichen Befferungs-
mittel, die Verbannung durch föniglichen Richterſpruch geſetzt Hatte. °)
Das Eapitular fpecialifirt zuvörderſt die Fälle, welche unter den Be—
griff des Inceſtes fallen.*) Die Aufzäglung erinnert zum Theil an
ähnliche Zufammenftellungen ber Päpfte Gregor II. und Gregor II. 5)
An letzterer Stelle findet ſich auch das Verbrechen des Yncejts in dem
Sinne definirt, daß e8 die Eingehung einer unerlaubten geſchlechtlichen
Verbindung bedeute.) Es fällt alfo einestheils eine gejegwidrige Ehe,
2) &. unten Exeurs IT. $ 5.
%) Capitulare incerti anni, Pertz LL. I. p. 80; f. Excurs IL. $ 5.
%) Capit. Vern. c. 9; f. oben ©. 227 (M. 5), ©. 229 (M. 6).
+) Capit. inc. anni c. 1.
®) Mansi XI. col. 263. 291.
©) Daf. col. 291, c. 11: Incesti aieuntur, qui proprie illicitam commix-
tionem perpetrant.
——
ei
Berhandlungen der Herbſtſhnode. 241
anderentheils manche gefchlechtliche Vermischung außerehelicher Art unter
den Begriff des Inceſts. Vor Allem aber ift darunter der geſchlecht-
liche Umgang mit Verwandten gemeint. Wir werden fpäter auf diefe
Gegenftände genauer einzugehen Haben und beſchränken uns daher hier
auf ein furzes Verzeichniß der fträflichen Fälle, wie auch unfer Capis
tular es enthält. Dasfelbe redet nämlich von Begehung des Inceſts
mit einer Gottgeweihten, mit der eignen Mutter, X) mit der geiftlichen
Mutter (fei es durch Taufe oder durch Firmelung), mit Mutter und
Tochter, mit zwei Schweftern, mit de8 Bruders oder der Schwefter
Tochter oder Enkelin, mit der Conſobrine oder Sobrine, 2) endlich mit
der Tante von väterlicher oder mütterlicher Seite.
In Betreff aller diefer Verbrechen wurde der urfprüngliche In⸗
ftanzengang, wonach zuerft die Disciplinargewalt der Kirche eintrat,
ohne Zweifel aufrecht erhalten. Die Abänderung, welche jegt vor-
genommen wurde, betraf das Verfahren in der legten Inſtanz, alſo
vor dem föniglichen "Gericht. Das Exil nämlich, eine urſprünglich,
wie es fcheint, römifche Strafe, °) wurde in fränfifhem Sinne modir
fieirt. Hierbei unterfdied man, ob der Angeklagte ein Kleriker oder
ein Laie, in letzterem Falle, ob er ein Freier oder ein Sklave, endlich
ob er, fei e8 als Freier oder als Höriger, auf einem kirchlichen Gute
anfäffig war oder nicht. In dieſem Sinne allein ift fowohl im 2.,
als aud im 7. Capitel das Wort Eecelefiafticus zu faffen und die
befondere Hervorhebung dieſer Klaffe der Bevölkerung aus der mit
den Befigungen der Kirche fo vielfach verbundenen Immunität zu
erflären, deren Weſen ja großentheild in der Gerichtsbarkeit über die
Gutsangehörigen beftand.
Ein freier Mann, welcher wegen Inceſts vor das Tönigliche
‚Gericht fam, wurde eines Vermögens verluftig erflärt; wenn er ſolches
nicht befaß, traf ihn entfprechende Kerkerftrafe. *) Führte der Verluſt
des Vermögens jedoch nicht zur Beſſerung des Schuldigen, fo traf
ihn eine Art Reichsacht, indem Niemand den Befiglofen bei ſich auf
nehmen, noch ihm Speife reichen durfte; denn wer dies that, mußte
dem Könige die große Bannbuße von 60 Solidi zahlen. Ein Blid
auf Titel 56 des Salifchen Geſetzes bemeift, wie genau fich dieſes
Strafverfahren an den äfteften Rechtsbrauch der Franken anfchloß. 5)
3) fieg aut cum matre sua flatt aut commatre sus; ſ. Ereurs Il. $ 8.
*) Consobrini find Geſchwiſterlinder, sobrini Geſchwiſterenkel.
9) gl. oben ©. 297. N. B.
%) Dem si habet fleit das fpäter folgende et si pecuniam non habet
gegenüber ; et si hoc fecerit bezieht ſich daher nicht auf den Imceftuöfen felbft.
°) Baig, Das alte Recht der ſjaliſchen Franken S. 264: Tune rex ad quem
mannitus est eum extra sermonem suum ponat. Tunc ipse culpabilis et
omnes res suas erunt. Et quicungue eum aut paverit aut hospitalem dederit,
si uxor sua propria, 600 dinar., qui faciunt sol. 15, culpabilis judicetur,
donec omnia quae ei legibus inputatur conponat. Daß das Verbrechen jelbft,
um deſſen Beftrafung es fich im diefem Titel handelt, ein ganz anderes ift, kommi
bierbei nicht in Betracht.
Yahrb. d. diſch. Seid. Deläner, König Pippin. 16
242 Capitel XVIL 755.
Auch die Behandlung der Sklaven ober Freigelaffenen, welche
fich jenes Verbrechens ſchuldig gemacht Hatten, entſprach dem altein-
heimischen Rechte.) Sie wurden mit vielen Schlägen geftraft, und
ihre Herr, wenn er fie ihr Verbrechen weiter verüben Tieß, zu 60 Solidi
Buße verurtheilt.
Die Kirchenlente unterfchieden ſich in folche, welche ein Beneficium
(Honor) Hatten,?) und in geringere Leute. Jene wurden ihres Beſitz⸗
thums verfuftig; diefe entweder mit Schlägen oder mit Gefängniß
beftraft.
Das Verfahren gegen Priefter und fonftige Kleriker war folgen-
des: der Archidiafon des Bisthums ®) berief im Verein mit dem Grafen
des Gaues*) den Angeklagten vor die Synode. Leiftete diefer der
Vorladung feine Folge, fo hielt ihn der Graf?) zum Recht an, indem
er ihm oder feinem Befchüger die Buße von 60 Solidi auferlegte.
Auch wenn er fi num ftellte, blieb die Buße verfallen; der Biſchof
aber unterwarf ihn alsdann dem Fanonifchen Gerichtöverfahren. Dies
beftand, wie fi denfen läßt, in der Degradation, und der ehemalige
Kleriler trat nunmehr, wenn er von feinem Treiben nicht abließ, in
die oben gefchilderte Lage eines Laien ein. Geſchah es aber, daß
irgend ein Mächtiger den inceftuöfen Kleriker oder Laien der Gerichte-
behörde gewaltfam vorenthielt, ©) fo zwang der Graf denſelben durch
Bürgen, zugleich mit einem Abgefandten des Biſchofs vor dem Könige
zu erſcheinen; und biefer bewirkte alsdann, daß der Schuldige zur
Strafe gezogen wurde.
Die Vorſchriften über den Inceſt betrafen, wie wir fehen, vor-
zugsweiſe das Verhalten des Grafen. Wie diefer aber Hier das Recht
zu fehligen berufen war, fo wurde in dem Gapitel über die Zölle das
Recht vor etwaigen Uebergriffen der Grafen gefchügt. ”) Pippin ver⸗
ordnet, daß von Lebensmitteln, fowie überhaupt von ſolchen Fuhren
und Saumthieren, auf denen fid keine Handelsgegenftände befinden,
nirgendwo ein Zoll erhoben werde; ebenfo befichlt er, daß Pilger,
welche andachtshalber ſich nach Rom oder anderSmohin begeben, weder
an Brücen noch an Gebirgspäffen oder in Häfen und an Landungs-
2) ®gf. Lex Salica tit. 40, Waitz a. a. O. ©. 46-247.
9) bonae personae genannt.
®) „Der Vorſtand bes bifchöflichen Gerichtshofes:“ Rettberg II. S. 610;
vgl. feine Stellung in der Eongregation der Kanoniter zu Met, oben Eap. XIV.
4 Wie ſchon Karlmann es im Jahre 742 ausdrüdt: adjuvante gravione
qui defensor ecclesiae est, Pertz LL. I. p. 17. Bei Benedictus Levita, der
in feiner Copitularienfammfung diefe Vorſchriften über den Inceſt wiebergiebt,
L. c. 9—12, fehlen die Worte una cum comite; die hierarchiſche Abficht ift
Pi wie bei dem "übrigen Veränderungen, die er ſich erlaubt, unverkennbar.
®) jussione episcopi monitus, fügt Benebict hinzu.
°) Benebict, lib. I. c. 12, ſchreibt: Si aliqua persona per violentiam pres-
bite) aut clerico vel misso Ag incestansun Contrafixerit. P
?) Capit. inc. anni c. 4.
Berhanblungen ber Herbſtſynode. 243
plägen angehalten, wegen ihres beweglichen Gutes 1) behelfigt oder zur
Entrichtung eines Zolles gezwungen werben follten. 2) Auf die Ueber»
tretung diefer Vorſchrift fette er eine Buße von 60 Solidi, deren
eine Hälfte dem Töniglichen Schatze, die andere demjenigen zufiel,
welcher den Schuldigen der That überführen konnte.
Allerdings war die Erhebung der Zölle nicht felten Sache der
Privaten. ) Wenn wir dennoch jene Verordnungen, welche fi in
der directen Anrebeform an die Zolleinnehmer wenden, als eine den
königlichen Verwaltungsbeamten zugedachte Weifung betrachten, fo ger
fchieht dies im Hinblit auf das 6. Capitel unferes Capitulare, welches
lautet: „Die Immunitäten follen gewahrt bleiben.“ 2 Denn ein
Blick in die zahfreihen Immunitätsdiplome jener Zeit belehrt uns,
daß die befreiten Kirchen darin zumeift vor den Eingriffen der Tönig-
lichen Beamten geſchützt wurden. ®) Was dieje Privilegien aber für die
einzelnen Kirchen, das bezwedte jener kurze Paragraph des Capitulars
für alle insgefammt.
An die Immunitätsverhältniffe knüpft zum Theil auch ber 7.
Paragraph an, der fomit nicht bloß äußerlich mit dem 6. zufammen-
hängt. An der Spige fteht der Sat, daß alle, fowohl weltlichen als
auch kirchlichen, Unterthanen, d. 5. die Zugehörigen ſowohl der gräflichen
als aud der Immimitätsgerichtsbarfeit, einem Rechtfordernden Recht
gewähren follen.°) Indem fo vor Allem derjenige, der fic für geſchädigt
hielt, in feinen Anfprüchen unterftütt wurde, forderte da8 Geſetz doch auch
von ihm ftrenge Einhaltung des Rechtsverfahrens. Es ift wieder zu-
nachſt von den Weltlichen die Rede, und fowohl dem Inhalt als felbft
der Sprache nach lehnt fich die Verordnung ganz augenſcheinlich an
das alte ſaliſche Rechtsbuch an. Wenn Jemand, jo Heißt es nämlich
in unferem Capitular , eine Prozeßſache an die Pfalz gelangen läßt,
ohne feine Klage vorher auf der. Malſtatt dem Grafen umd den Radin-
burgen vorgetragen zu haben, oder wenn er dies zwar gethan, aber
!) propter schirpam suam; vgl. Wait, BG. IV. ©. 54. N. 1.
2) Wie fehr die Zollorbnungen Pippins, von denen uns bier offenbar nur
ein Bruchſtud vorliegt, — namentlich aud; über die Zollftätten muß er fpecielle
Anweifungen gegeben haben — der fpäteren Geſetzgebung zur Bafis dienten, be
weift Ludwigs des Frommen capitulare Aquisgranense generale a. 817, Pertz
LL. I. p. 218, c. 17: Ut ubi tempore avi nostri domni Pippini consuetudo
fuit teloneum dare, ibi et in futurum detur. — Karl ber Große erneuert die
Zollfreigeit der Wallfahrer, Jaffé Bibl. IV. p. 357: De peregrinis vero, qui
Pro amore Dei et salute animarum suarum beatorum apostolorum limina
desiderant adire, cum pace sine omni perturbatione vadant.
®) Waik, BO. IV. ©. 55.
*) Capit. inc. anni c. 6: Ut emunitates conservatae sint.
An diefe jelbft wendet fich daher germähnfic das Privilegium, etwa mit
den Worten: ut neque vos neque juniores seu successores vestri nec quislibet
de judiciaria potestate accinctus in curtes praefatas sanctae basilicae ...
ingredere non praesumat.
°) Capit. inc. anni c. 7: Ut omnes justiciam faciant, tam publici quam
ecclesiastici.
244 Enpitel XVII. 755.
das Urtheil der Richter nicht hinnehmen wollen und diefelbe Sache dann
ohne weitere Bezugnahme auf das Verfahren in erfter Inſtanz vor
den König gebracht Hat, fo foll er gegeißelt, und ift es eine angejehenere
Berfon, feine Beftrafung dem Belieben des Königs überlaffen werden.)
Anders ift der Fall, wenn er am Hof erſcheint, um den erften Spruch
als rechtswidrig zu ſchelten. Wie die königliche Autorität einerfeits
dazu dient, das Anfehen der unteren Gerichte zu fügen, fo darf
andererſeits der Unterthan, wenn er ſich durch das Grafſchaftsgericht
gefränft glaubt, an die höhere Entſcheidung appelliren: kann er feinen
Richtern den Beweis führen, daß fie nicht nach Recht geurtheift, dann
find fie ihm die gejeßlich vorgejchriebene Genugthuung fhuldig; *)
ebenfo jedoch Hat er Genugthuung zu leiften, wenn der Graf und die
Rachinburgen ihm überführen können, daß jie ihm Recht gefprochen und
er es nicht annehmen wollen.
Gegen die Angehörigen kirchlicher Immunitäten findet ein ähn-
liches Verfahren ftatt: fie dürfen mämlih nur im Auftrage ihrer
Gerichtsherren am Hofe erfcheinen, und wenn fie unter Umgehung
desjelben mit ihrer Streitfache zur Pfalz kommen, dann trifft auch fie
die Strafe der Züchtigung.?)
Wenn im dem vorftehenden Strafbeftimmungen zum öfteren die
Buße von 60 Solidi vorgefommen, fo ift feit Pippin darunter ein
viel milderes Strafmaß zu verftehen, als in der früheren Zeit. Während
früher nämlich — man vergleiche befonders die Ler Salica — der Solidus
40 Denare betragen hatte, verordnete Pippin, daß derfelbe bei den gefetlich
vorgeſchriebenen Bußen nur zu 12 Denaren berechnet werden follte;
die Straffumme belief ſich demnach kaum auf das Drittheil ihrer
früheren früheren Hbf‘) Die Vorſchrift ift uns im Original nicht erhalten,
BE 2 Lex Salica bei Waig, Das alte Recht der ſaliſchen Franken ©. 268,
Tit. 56: Si quis ad mallum venire contempserit aut quod ei a rachineburgiis
jndiean fuerit adimplere distulerit.
gl. Lex Salica, a. a. DO. ©. 264, Tit. 57 de rachineburgiis, e. 8:
si vo illi rachineburgii sunt et non secundum legem judicaverint, is contra
quem sententiam dederint causa sua agat, et si eis potuerit adprobare quod
non secundum legem judicaverunt, 600 dinar., qui faciunt sol. 15, culpabilis
judicetur. — Auffallend if bie Aehnfichteit zwifchen der oben befprodienen Stelle
unferes Capitulav® und dem Cap. 2 der Leges Ratchis regis (Edietus Lango-
bardorum ed. Fr. Bluhme, Pertz LL. IV): Propterea precepimus omnibus,
ut debeat rovertere unuszuisgue causam habeutem ad eiriatem suam ad
judieem suum, et nuntiare debeat causam suam judiei suo; et si justitiam
non receperit, tunc veniat ad nostram presentiam. Nam si quis venire
antea presumpserit, priusquam ad judicem suum vadat, qui habuerit, unde
conponere, solidos 50, et qui non habuerit, unde compositionem faciat,
juvemus ut eum fustetur; vgl. Sickel P. 36*.
®) Hefele, IL ©. 568, überfeggt: „Ebenſo erhalten die Geiſtlichen Schläge,
wenn fie fi ohne Wiffen ihres Vorgefegten an den König wenden.“ Den
Eccleftafticus aber als Geiftlichen anzufehen, verbietet doch ſchon die Bezeichnung
des hm als Senior. Waitz Kamen in der Erklärung des Sages; vgl.
26. IV. — 297. N. 8 und ©. 40:
*) Concil. Rhemense a. 818 c. 41, Mansi XIV. col. 81: Ut dominus
Berhandlungen der Herbtfgnobe. 245
fondern nur aus den Acten einer fpäteren Synode befannt. Weil
Karl der Große fie nämlich aufgehoben oder doch außer Acht gelaffen
hatte, fah fich die Kirchenverfammlung zu Reims im Jahre 813 ber
mogen, ihn um die Erneuerung derfelben zu bitten. Die Berechnung
zu 40 Denaren, meinte fie, fei die Urjache vieler Meineide und
falfchen Zeugenausfagen. So wirb wohl aud jene Herabfegung des
Strafbetrages durch Pippin hauptſächlich im Intereſſe des Rechts und
der Wahrheit erfolgt fein; vielleicht war es aber zugleich eine Maßregel
politifcher Klugheit, darauf berechnet, die Gemüther der Unterthanen
zu gewinnen.?)
Neu war daran übrigens nur die Anwendung des Heinen Solidus
von 12 Denaren auf die gerichtlichen Compofitionen; denn vorhanden
war diefe Rechnungsmünze ſchon vorher, wie aus Karimanns Gapitular
von Leftines hervorgeht.) Die Einführung diefer nur imaginären
Münze hängt mit einer allgemeinen Veränderung des Münzweſens
zufommen, welde in die legten Zeiten der Merowinger fällt und in
der Abfchaffung der Goldprägung, in der ausjchlieglichen Benugung
des Silbergelves beftand.?) Jener Solidus zu 40 Denaren, von dem
im den früheren Gefegen die Rede ift, war ein wirklich gemünzter
Goldfolidus; die Denare waren Silbermünzen. Nun hörte der Solidus
auf, die Denare beftanden fort; man ſchuf daher, um eine größere
Nehnungsmünze zu haben, den Begriff eines Silberfolidus, welcher
foviel als 12 Denare bedeutete. Was im Handel und Wandel vielleicht
ſchon allgemeine Geltung erlangt Hatte, dehnte Pippin jet auf die
gerichtlichen Verhältniffe aus, indem er bei den Strafgeldern den Silber-
ſolidus an die Stelle des Goldſolidus ſetzte.“) “
Nunmehr aber erforderte neben der Rüdficht auf den Gefchäfts-
verkehr des Volkes auch die Rückſicht auf die Finanzen des Staats,
daß der Metallwerth eines ſolchen Solidus, d. h. der Silbergehalt des
einzelnen Denars genau feftgeftellt wurde; und Hierauf bezieht fich
eine zweite das Munzweſen betreffende Vorſchrifi Pippins, welche
imperator secundum statutum bonae memoriae domini Pippini misericordiam
faciat, ne solidi, qui in lege habentur, per quadraginta denarios discurrant ;
quoniam propter eos multa Berdarin multaque falsa testimonia reperiuntur.
’) Bl. Bait, 86. IV. &
#) Capit. Liftin. c. 2: one Ri ch duodecim denarli.
®) Waig, BO. IV. ©. 66.
4) %d. Soetbeer, der im vierten Abichnitt feiner lehrreichen Beiträge zur
Geſchichte des Geld- und Manzweſens in Deutſchland auch das Geld- und Münz-
weſen unter Pippin einer gründlichen, wenngleich von hypothetiſchen Kombinationen
nicht hr. freigehaftenen, Prüfung unterzogen hat, Forſchungen zur deutſchen
Geſchichte &. 268 ff. gelangt nach eingehender Beſprechung der in N. 4 der
vorigen Seite angeführten Stelle zu der Bermuthung (S. 272), daß Pippin —
noch in den Jahren feines Majordomats — eine ganz allgemeine Berordnung
erlaffen Habe, nach welcher unter dem Solidus ein Wertübegrifi von 12 Silber-
denaren verflanden,. mit anderen Worten, für bie allgemeine Zahlungs. und
Ketnngemeie der Eilberfolidus ſtatt des früheren Golbjolivus eingeführt wer-
en follte
246 Eapitel XVIL 755.
in dem fünften Paragraphen der uns hier bejchäftigenden Verordnung
enthalten ift.!) Schon früher muß der Silberdenar von ſchwankendem
Gewicht und Werth gewefen fein, da die Zahl der Solidi, welche aus
einem Pfunde Goldes gefchlagen wurden und immer gleich 40 Denaren
bfieben, von 72 bis auf 84 geftiegen war.?) Set, wo der Denar die
einzige geprägte Münze war, mochte fein Silbergehalt noch weit größeren
Schwankungen ausgefegt fein; e8 war daher nöthig, zu beftimmen,
wie viel Denare aus einem Pfund Silber gemünzt werden follten.
Das Werthverhältniß zwiſchen Gold und Silber, wie es in den Kauf-
preifen goldener Handelsartifel hervortrat, ) mußte dabei entjcheidend
fein; wenn daher z. B. ein Pfund Gold 13 Pfund Silber werth war,
fo famen, da das Pfund Gold 84 Solidi zu 40 Denaren, aljo 3360
Denare enthielt, auf das Pfund Silber etwa 260 Silberdenare;
wer mehr daraus ſchlug, verfchlechterte das Geldſtück. Wirklich beftimmte
Pippin, daß das Pund Silber nicht mehr al8 22 Solidi, alfo 264
Denare enthalten follte.t) Aus dem Wortlaut der Vorfchrift ift zu
erkennen, daß bis dahin allerdings eine größere Zahl von Solidi aus
einem Pfund gewonnen zu werden pflegte, und die Meinung einiger
Forſcher ift, daß vor Pippin 25 Solidi, alfjo 300 Denare auf das
?) Capit. inc. anni c. 5: De moneta constituimus, ut amplius non
habeat in libra pensante nisi 22 solidos, et de ipsis 22 solidis monetarius
accipiat solidum 1, et illos alios domino cujus sunt reddat.
’) Weit, BE. IV. ©. 65-66.
®) Ein freilich umzuteicendes Beifpiel bietet das Schreiben des Biſchofs Lull,
Jaffe Bibl. IH. ep. 114. p. 280: duas armillas aureas et quingue siglas
aureas, valentes praetio trecentorum solidorum.
+) Ein großer Münzfund, welcher im Jahre 1858 zu Imphy, Dep. Nidore,
Arr. Nevers, gemacht wurde, förderte nicht weniger als 68 Denare Pippins ans
Licht, und e8 mußte von Intereffe jein, zu prüfen, wie fich dieſe fo zahlreich
erhaltenen Munzen Pippins zu feiner Müngverorbnung verhielten. Der bedeutende
Gewichtsunterſchied jedoch, welcher ſich zwiſchen den zum Theil auf derjelben Mitnz-
flätte geprägten und zu gleicher Zeit dem Verkehr entzogenen Stüden zeigte, führte
Soetbeer zu der für Unterſuchungen über alte Münzverhältniffe überhaupt wichtigen
Wahrnehmung, daß der geſehliche Münzfuß in jenen Zeiten nur für den Dur-
{mitt größerer Partien, wahrigeinfich für je ein games Pfund, gegolten haben
Tan, fodaß der Münper, der nad) Pippins Berorduung nicht mehr als 22 Solidi
aus dem Bfunde Silber prägen follte, diefer Vorſchrift genügte, wenn 264 Denare
zufammen ein Pfund wogen, ohne daß er verpflichtet war, die einzelnen Denare
gran ‚oder doch nahezu "/scs Pfund ſchwer herzuftellen (a. a. O. S. 278). Andererfeits
erechtigen grade die Ergebniffe des Münzfundes von Imphy zu der Annahme,
daß mehrere unter ähnlichen Berhältniffen gefundene gleichartige Münzftüde in
ihrem Durchſchnitt eine zutreffende Norm darbieten (Soetbeer S. 279). Aus dem
Durchſchnittsgewicht der zu Imphy gefundenen Denare aber glaubt Soetbeer, da
diefelben wahrſcheinlich erft zu Ende der Regierung Pippins geprägt worben feien,
zu erfennen (©. 281), daß König Pippin gegen Ende feiner Regierung den von
ihm ſelbſt früher angeordneten Minzfuß bereits verlafjen und einen neuen ſchwereren
eingeführt habe, jenen Münzfuß nämlich, nad weldem das Pfund Silber zu
20 Solidi oder 240 Denaren auszumungen war und welchen wir, ohne daß uns
von Karl dem Großen darüber eine Verordnung bekannt ift, in feinen Gapitularien
(Pertz LL. I. p. 39, vom Jahre 779; Soetbeer &. 290) als felbftwerftändliche
Borausfegung Fennen lernen.
Berhandlungen der Herbftiynode. 247
Pfund Silber gingen.!) Indem Pippin alfo einerfeits die Geldftrafen
durch Anwendung des Silberfolidus bedeutend reducirte, juchte er diefen
doch andererſeits in angemefjener Werthhöhe zu erhalten.?)
Zugleich befahl er, daß von den 22 Solidi einer als Schlagſchatz
dem Miünzer zufallen, die 21 anderen, dagegen dem Befiger des Silbers
gehören follten.°) Dies hängt mit der Einrichtung zufammen, daß in
den verfchiedenen Miünzjtätten des Reiches jeder Privatmann fein
Silber ausprägen oder unverwendbare Münzen in die curfirenden
umfchlagen laſſen konnte, weshalb eine ſolche Münzftätte mit Recht
als eine Art Wechſelbank bezeichnet worden ift.‘) Welches die Stellung
des Münzers zur Regierung war, ob z. B. ein Antheil am Schlagſchatze
in die Königliche Kaffe floß, ift nicht ar zu erkennen. Gewiß iſt jedoch,
daß feit dem Ende der Merowinger die Münzen nicht mehr den Namen
des Münzers,°) fondern den des Fürften trugen, daß ferner die Zahl
der Miünzftätten unter den Rarolingern bedeutend geringer wurde, daß
endlich die Münzer unter der Aufficht der föniglichen Grafen ftanden.®)
Daher dient auch dieſe Vorſchrift des uns vorliegenden apitulars zur
Beftätigung der Anfiht, daß wir in demfelben den Entwurf zu einem
an die DVerwaltungsbeamten des Reiches gerichteten Reſcripte des
Königs Pippin zu erfennen haben.
2. Bie Befhlüffe der Synode.
Im engften Zufammenhange mit der foeben erörterten Ber-
ordnung fteht das Protofoff einer biſchöflichen Verfammlung, welches
fih namentlich in feinen Tegten Paragraphen direct an den König
wendet, 7) daher gewiß auch im Original als Petitio episcoporum
52yal- Maik, 86. IV. & 69 IM 2) un ©. 597; Siether a. D.
?) Soetbeer findet ein weientlid;es Motiv beider Miünzverordnungen Pippins
in dem auf der Synode zu Leſtines getroffenen Ablommen, wonach die Kirchen
und Klöfer für jeden Haushalt der ihnen nicht veflituirten Güter mit einem
Solidus oder 12 Denaren eniſchädigt werden follten: wie von Pippin aus bie
fer Beranlaffung im Jahre 745 oder 746 die Rechnung nah Silberfolidi zu
12 Denaren in Neuftrien allgemein eingeführt worden fei (&. 272), fo habe er
jenes Abkommen dem Klerus dadurch möglichft angenehm zu machen gefucht, daß
er den Werth der überwieſenen Geldzahlungen indirect buch den Münzfuß er-
höhte (S. 285).
%) ©. oben ©. 246. N. 1.
+) Waig, BO. IV. ©. 80.
Bgl. Soetbeer ©. 285-286.
°) Waig, BG. IV. &. 75—76. 83—84.
?) Capit. Vernense duplex, c. 13—25; vgl. 3. ®. c. 21: sicut antea in
alio synodo dixistis (Cod. Bellovacensis, wofür der Cod. Parisiensis hat:
248 Capitel XVII. 755.
bezeichnet war, wie es biefe Aufichrift in den zwei uns erhaltenen
Eopien an feiner Spige trägt!) Der König hatte feine Verordnung
offenbar der Herbftverfammlung vorgelegt, und in der Petitio haben
wir dann die darauf erfolgte Kundgebung des Hohen Klerus. 3)
Ein Hauptgegenftand derfelben, welcher daher auch in einer ganzen
Neihe von Paragraphen behandelt wird, ift die Rechtspflege, die ja
auch Pippin in feinem Schreiben zur Sprache gebracht hatte. Der
ftrengen Forderung gegenüber, daß niemand die ordentlichen Gerichte
umgehen jolfe, wird Hier darauf Nachdruck gelegt, daß diefe Gerichte
auch ihrerſeits untadelig fein müßten. Niemand folle durch Geld zu
einer kirchlichen oder weltlichen Würde gelangen, weil dies fimoniftifhe
Kegerei fei.?) Nein Biſchof oder Abt noch auch ein Laie folle bei
Gewährung des Rechts verbotene Sporteln annehmen; denn wo Ge
ſchenke mitjpielen, werde die Gereditigfeit zu Schanden. 4) Die Grafen
und Richter werden aufgefordert, in ihren Verhandlungen zunächſt die
Angelegenheiten der Wittwen und Waifen, fowie die der Kirchen der
Barmherzigkeit des Königs gemäß anzuhören und zu entſcheiden, erſt
dann über die anderen Gegenftände nad) Recht und Vernunft zu be—
fchließen. 5)
Das bifcöfliche Schreiben hat vor Allem die Angelegenheiten der
Kirche im Auge und kommt daher nochmals auf die äußere Organi-
fation derfelden zurüd. Soll die geiftliche Behörde ihr Anfehen be»
wahren, dann darf eine Diöcefe nad) dem Tode ihres Dberhauptes
nit allzulange ohne Führer bleiben. Nach einer Vorſchrift bes
öfumenifchen Concil8 von Chalcedon foll ein erledigtes Bisthum, wenn
nicht ganz unvermeidliche Schwierigkeiten im Wege ftehen, nicht Länger
als drei Monate unbefegt bleiben. *) Die Verſammlung weift auf diefe
sicut antea in alio synodo perdonavit domnus rex); cheutfo c. 20: in alio
synodo nobis perdonastis; c. 22: sicut vos perdonastis, ita fiat.
1) ©, Pertz LL. I. p. 578.
2) Bot. Excurs IL. $ 8.
®) Petitio c. 12 (Capit. Vern. c. 24).
*) Dal. c. 18 (C. V. c. 25): ubi ipsa dona intercurrunt, justitia eva-
cuatur. Diefe Sentens ſcheint von den Biſchöfen ſelbſtändig formulirt; ähnlichen
Inhalts, doch nicht gleichlautend, find: Eceli. 20, 31 (Xenia et dona excaecant
oculos judicum, nad; Exod. 28, 8 oder Deuteron. 16, 19); Cassiodori Var.
lib. VII, 1 (Migne Patr. lat. LXIX: gladius [justitiae] contemnitur, ubi
aurum suscipitur) und IX, 24 (nescio quo pacto rara est in hominibus
manus clausa et aperta justitia); Lex Bajuwariorum II, 16 (Pertz LL. III.
p. 288: Perit lex cupiditatis amore, praemia et dona legibus vires tulerunt).
5) Petitio c. 11 (C. V. c. 28). Die Bilhöfe jagen comites vel judices,
offenbar ftatt des vom Könige gebrauchten Ausbruds comes vel rachemburgil
in c. 7 des Capit. incerti anni. — Die Ranbbemerfung bei Perg „ef. VII, 150“
besteht ſich ohne Zweifel auf die alte Capitularienfammlung in 7 Büdern (4 des
Anfegis, 3 bes Benedictus), im welcher das 150. Capitel des 7. Buches alfo
lautet: De ecclesiarum negotiis, ut absque dilatione ulla continuo audiantur
& judice; Baluze, Capitularia regum Francorum ]. col. 1057.
) Conc. Chaleedon. a. 489 c. 25 (Isidori liber canonum col. 171): Quo-
niam quidam metropolitanorum negligunt creditor sibi greges et differunt
Berhandlungen der herbſtſhnode. 249
Beftimmung Hin und fügt Hinzu, daß jedenfalls bis zur nächſten
Synode die Ordination zu erfolgen Habe. !)
Wie Hier der erfte Paragraph der Beichlüffe von Vernenil, daß
jede Stadt ihren Biſchof haben folle, eine Ergänzung erfährt, fo er-
ſcheint ein amberes Capitel nur als fpecielle Anwendung der allge-
meinen Vorſchrift jener Synode, °) wonach alle Priefter dem Bifchof
ihrer Parodie untergeben fein follen.®) Von einigen Presbyteraten
hatte die gefegliche Zugehörigkeit zu ihrem Episfopat vielleicht erſt
nachgewiefen ‚werden müffen, um fie zur Unterordnung unter dasfelbe
anzuhalten. Wollten wir uns fühneren Vermuthungen Hingeben, fo
Tieße ſich unſer Capitel vielfeiht mit jenen Vorfällen innerhalb der
Mainzer Didcefe in Zufammenhang bringen, von denen wir. oben
nad) einer Befchwerdefchrift des Biſchofs Lull berichtet haben. *) Wenn,
wie wohl angenommen werden darf, auch in anderen Sprengeln ſich
ſolcher Widerſtand der Priefter gegen das biſchöfliche Magifterium
zeigte, fo Konnte es wohl gejchehen, daß bie Verfammlung der Bifchöfe,
zu deren Kumde die verfchiedenen Thatjachen gelangten, in ihrer Betitio
dem Könige die wibderfpenftigen Priefter ebenfo wie die ihnen vor—
gefegten Bifchöfe namhaft machte und auf die von ihm anerkannte
Unterordnung drang. Wie der Satz in den uns erhaltenen zwei
fpäteren Abſchriften Tautet, 5) Hat er die umbeftimmte Geftalt einer
Formel, in welcher die Namen fehlen und deren Inhalt im Wefent-
lichen nur eine Wiederholung des achten Capitels von Verneuil ift.
Auf die Unterordnung der Mönche- und Nonnenklöfter unter den
Biſchof gründet fih der Sag, daß die Aebte und Aebtijfinnen über
das, was Pippin von ihren Befigungen und Ortfchaften ihnen zum
Unterhalt gelafjen, entweder dem Könige felbft, wenn das Kloſter
föniglih war, oder, wenn bifhöflih, dem Biſchofe Rechenſchaft zu
geben hatten. 9)
Die vom Könige ausgeſprochene Gewäßrleiftung der Immunitäten
acceptiven die Biſchofe, indem fie diefelben in ihrem ganzen Umfange
bei fämmtfihen Kirchen gewahrt zu fehen wünſchen.) Cie nehmen
zugleich Anlaß, die der Kirche auch über ihre Kleriker zuftehende Gerichts-
gewalt in Erinnerung zu bringen. Im Anſchluß an den neunten
ordinationes facere episcoporum, placnit sanctae synodo intra tres menses
fieri ordinationes episcoporum, placuit inexcusabilis necessitas coegerit ordi-
nationis tempus amplius propagari.
!) Petitio c. 5 (C. V. c. 17).
3) Capit. Vern. c. 8; oben ©. 225.
%) Petitio c. 9 (C. V. c. 21): sicut antea in alio synodo dixistis.
%) ©. oben ©. 228.
®) Ut Mos presbyteratus qui ad illum episcopatum legibus obtingunt,
ut m episcopi Pos Yeherent habere. wireop en EN
®) Petitio c. 8 (C. V. c. 20).
?) Daf. c. 7 (C. V. cc. 19): ut omnes inmunitates per universas ecclesias
conservatae sint.
250 Capitel XVIL 766.
Kanon des dritten carthagiichen Concils !) verbieten fie es alfen Geift-
lichen, ohne Auftrag ihres Biſchofs oder Abts an die öffentlichen
Gerichte der Laien zu gehen. ?) Zener Kanon fagt: „Wer, das geift-
liche Gericht umgehend, ſich in einer Criminalſache durch die ftaatlichen
Gerichte zu reinigen gefucht Hat, fol, aud wenn das Urtheil ihm
günftig ausgefallen, feine Stelle verlieren. Bei einem Givilprozeß
muß er auf das Erftrittene verzichten, wenn er feine Stelfe behaupten
will, Denn wer feine Richter aus der Gejammtheit der Kirche zu
erwählen das Recht hat, erkennt fich felbft als der brüderlichen Ge-
noffenfhaft unwürdig, wenn er, die geſammte Kirche verwerfend, beim
weltlichen Gericht Hülfe fucht, da der Apoftel ja fogar die Streitig-
feiten der Laien vor die Kirche zu bringen und hier auszutragen ge-
bietet.” Die Verfammlung macht ſich diefe Worte des alten Kanons
zu eigen und fügt nur noch, dem 7. Capitel des ihr vorliegenden
töniglichen Reſcriptes gemäß,°) Hinzu: „Und vor Allem foll man in
folchen Angelegenheiten dem Könige feine Beläftigung bereiten.“ +)
Die kirchliche Gemeinschaft ſollte dem Kleriker Alles fein, und
um ſich von ihrem Dienfte nicht zu entfernen, durfte er — fo hatte
es das Goncil von Chalcedon ſchon beftimmt — feine fremden Be-
figungen übernehmen, noch weltliche Geſchäfte führen.®) Die fränkiſchen
Bifchöfe erneuern jenes alte Verbot, mit ausdrüdliher Bezugnahme
auf die griechiſche Synode;°) wie dort, werden nur drei Ausnahmen
geftattet: der Geiftlihe darf nämlich, wenn fein Bifchof oder Abt es
ihm aufträgt, die Sache der Kirchen, der Waifen und der Wittwen
In folder Weife bannte jede Kirche ihre Angehörigen mit mög»
fichfter Strenge in ihren Kreis; ebenfo kräftig ſchloß fie fremde Elemente
aus. Wenn zu Verneuil ſchon im Alfgemeinen beitimmt worden war,
daß auswärtigen Geiftlihen die Aufnahme in den Klerus einer Stadt
zu verweigern fei,?) fo wurde dies Werbot jegt insbejondere auf die
ämterlojen Bifchöfe angewendet, welche feine Parochien hatten, aber auch
4) Isidori liber canonum col. 190. Die Barifer Handſchrift unfers Capi-
tulare Bat richtig cap. VIIII, ebenfo Benebict, lib. I. c. 155; ber Codex
Bellovacensis dagegen, dem Bas gefolgt ift, capitulo 8.
?) Petitio c. 6 (C. V. c. 18).
®) Capit. inc. anni c. 7 » das fich allerdings nur auf Laien bezieht: Et si
aliquis homo ad palatium venerit pro causa sua et antea ad illum comitem
non immotuerit etc. Wie eine Anticipation des Sitsöftichen Zufagartitels er-
fcheint bier die Interpolation Benedicts, lib. L c. 16: et antea suo episcopo
suisque ministris quae ecclesiastica sunt, et quae saecularia suo comiti non
innotuerit. Dieſer Einſchaltung entſprechen weiterhin die Begfaffungen Bensbiee.
*) Et maxime, ne in talibus causis inquietudine domno rege facii
Bei Benedict, lib. IIL c. 155, fehlt diefer Zuſatz
®) Cone.Chalced. c. 3 (Isidori liber canonum col. 166—167): possessionum
conductiones et causas saeculares; daraus machie die Petitio: conductores non
sint, hoc est, ut non habeant actionis sac
*) Petitio c. 4 (C. V. c. 16): Ex canone Calcidonense cap. 8.
?) Capit. Vern. c. 12; oben ©. 226. .
Ti
—
Berhandlungen ber Herbſthhnode. 251
ihre Ordination nicht nachweiſen fonnten.t) Sie durften in der Parodie
eines anderen Bifchofs ſich ohne deffen Geheiß feine Prieftereinfegung
ober fonftige Amtsverrichtung erlauben, widrigenfall® fie fuspendirt
und vor bie nächſte Synode zur Aburtheilung geladen wurden. Wer
gegen den Willen feines rechtmäßigen Kirchenoberhauptes einen foldhen
Biſchof oder den von ihm ordinirten Priefter in Schug nahm, er
mochte Klerikler oder Laie fein, den follte bis zur Ausgleihung der
Sache die Ercommunication treffen.*)
Die Anträge der Bifchöfe bezogen fich, wie wir jehen, hauptfächlich
auf geiftliche Angelegenheiten; auch die weltlichen Gegenftände, welche
fie zur Sprache bringen, haben eine Kirchliche Seite. Die Zollver-
ordnung Pippins veranlagt fie, vor Allem der verheißenen Zoũfreiheit
der Wallfahrer ihren Beifall zu geben, während fie in Betreff der
anderen Zolibefreiungen wohl die Anficht des Königs billigen, doc
mit dem, durch das Intereſſe mancher Kirche vielleicht gebotenen, Bor-
behalte, daß fie nur da zur Ausführung gelangen follten, wo bie Zöffe
nicht durch regelmäßige Verleihung bereits eingeführt feien.°)
Das eheliche Leben bildete zu allen Zeiten einen Gegenftand geift-
licher Fürforge; auch die fränkifchen Verfammlungen haben ihm die
eingehendfte Behandlung gewidmet. Fürs erfte jedoch antwortete die
Synode auf die vom Könige beabftchtigten Maßregeln gegen den Inceſt
mit der Aufftellung eines allerdings tiefeingreifenden Grundſatzes: daß
alle Laien nämlich, die edlen wie die geringen, ihre Heirathen öffentlich
feiern folften.*) Es war auch diefe Beftimmung nur die Erneuerung
frügerer Sagungen. Auf Deffentlichfeit der Eheſchließung hatten ſchon
vor alten Zeiten die Päpfte Leo I. und Hormisda gedrungen, letzterer
mit den Worten: „Rein Gläubiger, weldes Standes er auch fei,
heirathe heimlich;“ 5) Papft Leo Hatte eine Ehefrau nad dem Sinne
des Gefeges folgendermaßen charakterifirt: in Jungfräulichkeit verlobt,
“ 4) Petitio c. 1 (C. V. c. 18): De episcopis vacantibus qui parrochias
non habent nec scimus ordinationem eorum qualiter fuit ; vgl. den 16. Kanon
des Concils von Antiohia: de episcopis vacantibus (Isidori lib. canonum
col. 126), au Karlomanni principis capitulare a. 742 c. 4, Pippini prin-
cipis capitulare Suessionense a. 744 c. 5. Das Geſetz Karlmanus wieder-
holt Karl der Große gleich im Anfang feiner Regierung, Pertz LL. I. p. 38.
©. 4. Auf ihm beruht wohl auch c. 8 einer der Zeit nach jehr unficheren Synode
von Rouen, welche von Einigen jogar in die Mitte des 7. Jahrhunderts zurück-
verfegt wirb; ngl. Sefele III. ©. 88.
) Petitio c. 1 (C. V. c. 18); vgl. capit. Vern. c. 8 ex. — Die etwas
anlaren Worte nisi tantum pro itineris causa enthalten wohl eine Ausnahme
von ber firengen Regel bei Abweſenhen des Bilhofs der Parodie.
°) Petitio c. 10 (C. V._c. 22). Dieje Auslegung entipricht {emoßt dem
urfprüngliceren Wortlaut des Codex Bellovacensis al® auch dem des Parisiensis,
der felbft wie eine Interpretation des erfteren erſcheint; Pertz LL. I. p. 27. not. g.
+) Petitio c. 3 (C. V. c. 15): Ut omnes homines laici pnblicas nuptias
faciant, tam nobiles quam ignobiles.
°) Ivo, Decreti P. VI. c. 141, col. 616: Ut nullus fidelis, cujuscun-
que conditionis sit, occulte nuptias faciat; sed benedictione a sacerdote
accepta, publice nubat in Domino, Diefer Stelle ſcheint unfer Paragraph
.
252 Capitel XVIL. 768.
mit gefeglicher Mitgift ausgeftattet und dem Evangelium gemäß in
öffentlichen Heirath verehelicht.*)
Endlih wurde noch auf angemefjene Heiligung des Sonntags
gedrungen,?) wiederum nad) äfterem Vorgang; ja, man beſchränkte ſich
hier auf eine vom erften bis zum legten Worte getreue Abſchrift des
31. Kanons der zweiten Eynode zu Orleans vom Jahre 538. °)
Man Habe dem Volke vorgeredet,*) fo Heißt e8 dort wie hier, e8 dürfe
am Sonntage weder zu Pferde noch mit Rindergefpann und Wagen
eine Reife gemacht, noch Speife zubereitet oder irgend etwas für den
Schmud des Haufes oder des Körpers gethan werden. Das aber fei
vielmehr jädifches Vorurtheil, als chriftlicher Brauch. Daher. jolle
fortan am Sonntag, was früher erlaubt gewefen, erlaubt bleiben.
Alle Feldarbeit jedoch, das Pflügen des Aders, das Beſchneiden des
Weinftods, das Dreſchen, das Ernten,S) das Umzäunen, folfe unter
laſſen werden, damit man leichter zur Kirche gehen und fid) der Andacht
Hingeben könne. Eine Uebertretung dieſes Verbote aber folle nicht von
weltlichen Richtern, fondern durch priefterliches Strafverfahren gefühnt
werden. Offenbar auf dieſes Capitel, obgleich e8 aus älterer Quelfe
ftammt, bezog fi Karl der Große in feinen Anordnungen über die
Sonntagsfeier,*) indem er bei der Unterfagung ber Feldarbeit?) aus-
drücklich auf die Synodalbefchlüffe feines Vaters hinwies.®)
am verwanbteften; fie Reht jedoch weder im der Iſidoriſchen noch in der Diony-
ſianiſchen Kanonenfammlung.
') Ivo, Decr. VIII. c. 140, 1. c.: Qualis uxor esse debeat, quae habenda
est secundum legem: virgo casta et desponsata in virginitate, et dotata
legitime et a parentibus tradita et a sponso et a paranymphis aceipienda,
et ita secundum legem et evangelium publicis nuptiis honeste in conjugium
liquide sumenda. Aehnlich fagt Leo in einem anderen Schreiben, Ivo Le
ce. 189: et dotata legitime et publicis nuptiis honestats ... quia aliud est
nupta, aliud concubina. Nur dieſe Stelle findet fich aud in der Iſidoriſchen
Sammlung unter den epistolae decretales, Migne 1. c. col. 766. — Das von
Ivo, Deer. VIII. c. 144, citirte Cap. 7 der 3. Synode von Arles (nec sine
publicis nuptiis quisguam nubere vel uxorem ducere praesumat) fleht in ben
vorhandenen Protofollen bei feinem der älteren Eoncilien von Arles. — Auf
welder Stelle des Evangeliums die Forderung der Deffentlichkeit beruht, kann
ich nicht finden. — Die Unterfheidung aber zwiſchen nobiles und ignobiles ift
jedenfalls eher bibfiihem, als fränfifgem Spradigebraud entnommen, |. 3. ©.
Siob 14, 21; Jefaia 3, 5; 1 Corinth. 4, 10. gl. and; die Stellen bei Wai,
36. IV. ©. 280. N. 2.
%) Petitio c. 2 (C. V. c. 14).
%) Isidori liber canonum col. 285: Quia persuasum est populis bis
non in laici distrietione, sed in sacerdotis castigatione consistat. Selbſt
Nedewendungen wie id statuimus und censuimus find wörtlich jenem älteren
Actenfüd entlehnt.
9 Vgl. Matth. 27, 20: Seniores persuaserunt populis.
®) exartum d. i. exaratum = exaratio, wie das vorhergehende arata =
aratio; vielleicht aber audh „das Ansroden“. Bol. Ducange s. v. exartum.
*) Capit. ecclesiasticum a. 789 e. 80, Pertz LL. I. p. 66.
ji ©r begeidmet ruralia opera als opera servilia ber Männer.
Sicut et bonae memorise genitor meus in suis synodalibus edictis
mandavit,
.
Berfanblungen der Herbftiynode. 253
Wenn Karl an einer andern Stelle die in Reichsverſammlungen
und Synoden erlafjenen Edicte feines Vaters im Aligemeinen beob-
achtet zu fehen wünſcht,) fo beweift der uns vorliegende Paragraph
der Petitio episcoporum, mit der ebenerwähnten Verordnung Karls
über die Sonntagsfeier zufammengehalten, noch mehr als jenes allgemeine
Gebot, daß die Befchlüffe der Kirchenverſammlungen, nachdem fie in
irgend welcher Form vom Könige genehmigt und mit feiner Erlaubniß,
wenn auch nicht unter feinem Namen, verkündet worden,?) ebenjo an-
erfannte Geltung im Reiche hatten, wie die Erlaſſe des Königs felbft.
) Capitulare a. 779 c. 12, Pertz LL. I. p. 87: Capitula vero quae
bonae memoriae genitor noster in sua placita constituit et in synodis, con-
servare volumus.
3) Karl bezeichnet im dem beiden eben angeführten Sieden | bie Znodellututm
ausdriccũch als Beichlüffe feines Vaters vgl. auch Ercurs IL. $ 1.
Achtzehnles Capitel.
Der zweite italieniſche Krieg.
756.
Es gehört zu den ſchwerſten inneren „Kämpfen des Menjchen,
daß er zu den Entfagungen fich verftehe, melde die Gewalt eines
Mächtigeren ihm auferlegt. Nach einer mehr ala 150jährigen Friedens-
zeit waren im Jahre 754 zum erften Male wieder fränfifche Heer-
ſchaaren in die Ebene des Po hinabgeftiegen und hatten dem bis dahin
rüdficht8lo8 bordringenden Langobardenfönige unerwartet Halt geboten.
Welches nun auch die Beweggründe Aiftulfs bei feinen SKriegszügen
gegen das mittlere Italien geweſen fein mögen: ſchon die bloße
Erweiterung der Grenzen ſchien damals ein fo würdiges Ziel der
Staatskunft, der Befig irdiicher Macht fo freudenreih, daß Wünfche
dieſer Art, bei allem Hinweis auf das ewige Leben, dod nur felten
in einem über Fürften ausgefprochenen apoftoliihen Segen fehlten. *)
Aiftulf_befaß daher wohl den Muth, für die von ihm vertretene Sache
einen Kampf mit den Franken aufzunehmen; aber nicht die Kraft, ſich
in feine Niederlage zu finden. Als er den Friedensvertrag bejchwor,
war er bereit entſchloſſen, denfelben, wenn der Zwang aufhörte, wieder
zu brechen. B
Dem faum heimgefehrten Franfenkönige fandte der Papft bereits
die klagenvollſten Berichte nah, und er machte ihm zu wiederholten
2) Bgl. die Briefe des Coder Carolinus, 3. B. ep. 88. p. 119: Unde et
petimus misericordissimam Dei nostri longanimitatem, ut, sus vos gratia
protegens, aevis et prosperis temporibus regalia sceptra concedat perfruenda,
ilatans terminos regni vestri; ep. 42. p. 142: divinam pro vobis indesinenter
exposco clementiam, ut ipse super vos de throno majestatis suae respiciat
et regni vestri fastigium foveat atque inmensas vobis de celo tribuat vietorias
et omnes barbaras gentes vestris prosternere dignetur vestigiis et terminos
regales vestrae potentiae dilatet.
A
Der zweite itafienifche Krieg. 255
Malen den Vorwurf, den Schmeichelreden der Feinde ein geneigteres
Ohr gefchenkt zu haben, als feinen eigenen wohlbegründeten Warnungen.
„Du haſt ihnen, die dir Falfches vorfpiegelten, mehr als ung geglaubt,
die wir die Wahrheit fagten, und unfer Herz ift von Schmerz und
Trauer darüber erfüllt, daß deine Güte uns fein Gehör gegeben.
Denn in Allem, was wir dir gejagt, haben wir wahr gejprochen; das
iſt nun durch die Thatſachen felbft offenbar geworden.“ *)
Dean Hat in diefen fcheinbar unfriedfertigen Worten mit Unrecht
einen Widerfpruc gegen die Mittheilung gefunden, daß der Papft bei
Pippin auf die Äbſchließung des Friedens gedrungen. Wir erfahren
ja näher, worüber der Papſt fich befehwert; er Magt nicht darliber,
daß der König einen voreiligen Frieden bewilligt, nicht darüber, daß
die Bedingungen bdesfelben zu milde gewefen, fondern nur darüber,
daß diefe nicht zur Ausführung gelangt fein.) „Aiſtulf,“ fo heißt
es in den Briefen, „hat mit Allem, was er eidlich zugefichert, was
er durch deine Bevollmächtigten dem heil. Petrus herauszugeben ver-
ſprochen, uns Hintergangen; ®) die Friedensverträge find von ihm und
feinem Volke zerriffen worden, und wir haben nichts von dem, was
feftgefeigt und eidlich zugefagt war, erreichen können.““) Der Lango-
bardenfönig wird daher der Falſchheit, der Lüge umd des Meineids
beſchuldigt, 5) und Stephan hatte allerdings ſchon früher einmal die
Erfahrung gemacht, daß derjelbe an eingegangenen Bertragspflichten
nicht mit Treue fefthielt. Pippin aber war im Vertrauen auf die
ufagen Aiftulfs und feiner Großen ®) ſogleich nach Beendigung des
jeges wieder in fein Reich zurücgefehrt, und alle Bitten des Papftes
hatten ihn, wie es feheint, weder zu längerem Verweilen noch zur
Zurüdlajfung einer Heeresabtheilung oder zu fonftigen Briedensgarantien
bewegen fünnen.
Aiftulf gab dem heil. Petrus nicht eine Handbreit Landes Heraus; ?)
mit Hohn behandelte er dem Papft, die römifche Kirche, felbft die
fräntiichen Gefandten; ja, Stephan will von Mördern willen, die
3) Cod. Carol. ep. 7. p. 89.
) Abel, Untergang bes Langobardenreichs, fagt S. 47: „Nicht eigentlich mit
dem Inhalt des Friedens if Stephan umzufrieden;“ und doch wieder ©. 48:
„Vorerſt fteht feit, daß ber Papft mit dem ihm lAiſtulf] gewährten Bedingungen
nicht zufrieden war.“
Cod Carol. ep. 6. 7. p. 86. 80.
*) Daſ. ep. 8. 9. p. 44. 49.
>) Da. ep. 6. 7. p. 35. 40; ebenfo Vita Stephani c. 87. 89, Fred.
ont. c. 121.
*) Cod. Carol. ep. 6. p. 36: ipsius nequissimi regis vel ejus judicum
seductuosa verba et illusionis mendatia; ep. 7. p. 89: Haistolfus rex cum
suis Deo destructis judieibus per blandos sermones et suasiones atque sacra-
mente inluserunt prudentiam vestram.
?) Daf. ep. 6. 7. p. 85. 39: nec unius palmi terrae spatium beato Petro
reddere voluit.
256 Capitel XVII. 756.
gegen fein Leben gedungen feien: 1) wir find hier freilich, was wir
nie vergeffen dürfen, auf die einfeitigften Berichte der Curie ange-
wiefen. Die Kränfungen, die dem Papfte, feit dem erften Tage feiner
Trennung von Pippin, angethan wurden, verurfachten einen vorüber
gehenden Rüdfall in feine Krankheit; *) denn von ihnen zu erzählen,
meint er, fei der menfchlihen Zunge unmöglich; felbft die Steine
würden, wenn man fo fagen dürfe, mit ihm weinen. °) Er fei ohne
allen Erfolg für die Sade der Kirche nah Rom zurüdgefehrt, und
doch hätten alle Chriften feſt geglaubt, daß der heil. Petrus nun durch
Pippins fräftigen Arm zu feinem Rechte gelangt wäre; darum be-
lage das ganze römiſche Volt mit ihm die Truchtlofigfeit feiner an=
ftrengenden Reife, und alle Völker fein von Staunen ergriffen. *)
Stephan beſchwört den König daher, daB er um feines Seelenheiles
willen das Verſprechen erfülle, welches er dem heil. Petrus geleiftet,
die Schenkung, welche er mit eigner Hand bekräftigt, in Ausführung
bringe und den trügerifchen Reden der Langobarden fortan feinen
Glauben mehr ſchenke. „„Es ift beffer, nicht geloben, als nad, dem
Gelübde das Verſprochene nicht leiſten.“!s) „Euch ift nad) langen
Zeiten das Werk der Erhöhung der Kirche vorbehaften ; ; zu dem hohen
Berufe, der feinem eurer Vorgänger geworden, hat Gott euch von
Eivigfeit Her auserjehen und vorherbeftimmt; Handelt fo, daß ihr in
diefem Leben euch des Sieges und im Tünftigen der ewigen Seligfeit
erfreuen möget.“ ©)
Der Papſt Hatte feinem Schreiben — offenbar dem erften feit
der Trennung — größere Ausführlichfeit zu geben gewünſcht; aber
die Lage des Augenblids Tieß ihn davon zurüdfommen und fi auf
das Nothwendige beſchränken.) Auch auf die genauere Schilderung
feiner Bedrangniß konnte er verzichten und dem Abte Fulrad und
deffen Genoffen, den Ueberbringern des Schreibens, das übrigens
zugleich an die beiden Söpne, Pippins gerichtet war, die Darftellung
aller Einzelheiten überlajfen. ®)
1) Cod. Carol, ep. 7. p. 89: etiam et ad nostram propriam animam aufe-
rendam mala ejus inperatio et summissio facta est.
9) Daſ. ep. 6. p. 85.
®) Eine in der Sprache der Papte ſehr gebräudice Wendung, vgl. Cod.
Carol. ep. 6. 7. 8. 9. 12. p. 35. 8940. 51. 67—68; vielleiht nad)
Luc. 19, 40. Der Ausdrud war ftchend in dem Formular der Anzeige vom
Tode eines Papfles: cujus cuncti vere et, si dicendum est, etiam lapides ipei
fleverunt exitum (Liber diurnus Romanorum pontificum, cap. H. au. 1:
Nuntius ad exarchum de transitu pontificis).
+) Cod. Carol. ep. 6. 7. p. 85. 42.
®) Ecclesiastes 5, 4.
©) Cod. Carol. ep. 6. p. 36—37.
?) Dai. p. 34—85: ideo a multorum sermonum prolixitate declinavimus
et unum, quod est necessarium, excellentissimae christianitati vestrae in-
notescere studuimus; von Troya mißverfianden, Cod. dipl. Lang. IV. p. 581.
%) Ep. 6. p. 87.
Der zweite italieniſche Krieg. 257
Die Rückreiſe der königlichen Gejandten ift, nad) dem mannid-
fachen Inhalte des päpſtlichen Briefes zu urtheilen, wohl ſchwerlich
vor dem Frühjahr 755 erfolgt. Erſt vom 29. Juli ift die Schenkung
des Caſtelis S. Michael an ©. Denys datirt, ) die, umferer oben
ausgefprochenen Vermuthung nach, der Jahresfeier der Krönung gelten
foltte, zugleich aber für Fulrad eine Anerkennung feiner diplomatifchen
Dienfte fein mochte, wie folde wohl auch das Jahr vorher in der
Wiederherftellung des vollen Befigrechtes an Taberniacum enthalten
war. 2) ebenfalls ift aus jener Urkunde die Anweſenheit Fulrads
am Hofe zu erkennen und damit wenigftens nad) der einen Seite hin
ein Anhaltspunkt für die Zeit der Abfendung des päpftlichen Schreibens
gegeben.
In Italien aber verfchlimmerten ſich die Verhältniffe nad) der
Abreife der fränkiſchen Bevollmächtigten noch weit mehr.) Der König
Aiftulf beharrte nicht nur bei der Vorenthaltung der abgetretenen
Gebiete, fondern e8 erfolgten dafelbft auf feinen Befehl allerlei Er⸗
prefjungen und Brandfchagungen, *) wie fie aus den Tagen des .
Defiderius einmal in einem Slagerufe des Patriarchen von Iſtrien
genauer gefhildert werden. 5) So der päpftliche Bericht; von Aiftulf
felbſt bejigen wir aus diefer Zeit eine Kundgebung der Firchenfreund-
lichften Art: er erneuert unterm 20. Juli 755 auf Bitten des Priefters
Benedict einer Bafilifa bei Bergamo die Schenkung eines Grundſtücks
und erweitert fie durch Befreiung desſelben von öffentlichen Abgaben
und Leiftungen. °) Es berührt eigenthümlich, den König Aiftulf auf
der einen Seite mit den Geiftlichen feines Landes in beſtem Einver-
nehmen und für das Heil feiner Seele beforgt zu fehen, 7) auf der
anderen Seite dad anerkannte Oberhaupt aller Kirchen gegen ihn eine
ſolche Sprache führen zu hören, als ob „der Teufel fic feines Herzens
1) S. oben Cap. XVI, ©. 236 fi.
2) ©. oben ©. 148—149.
®) Vita Stephani c. 39: [Aistulfus] post aliquanta temporis spatia . .
etiam ad d pelon dilapsus est.
*) Cod. Carol. ep. 7. p. 40: etiam scamaras atque depredationes seu deva-
stationes in civitatibus et loeis beati Petri facere sua imperatione nec cessavit
nee cessat; ep. 9. p. 49: Jam credimus ... nobilitati tuae esse cognita ...
quia nullum augmentum nobig factum est, potius autem post desolationem
totius nostrae provintiae et plura homicidia ab eadem gente perpetrata.
5) In Danduli chronicon Venetum ed. Muratori, SS. rr. Ital. XII.
p. 144; Troya n° 945: jam non sufferunt pauperes illi quotidianis diebus
collectas faciendo Langobardorum milites; aud) von den Kirchen aequales
collectas ex tritico et singula animalia assiduam consuetudinem faciunt.
®) Lupi, Cod. dipl. Bergom. I. p. 437—438; Troya n° 698: necnon etiam
concedimus et donamus omnes scuvies et utilitates, quas homines exinde in
puplico habuerunt consuetudinem faeiendum — die Anfänge der Immunität im
Xangobardenreiche, die aber don den einheimiſchen Königen nicht weiter ausge-
bildet worden find; vgl. Waig VG. IV. ©. 253. Troya, IV. p. 881 not., er-
Märt: scufia & tributo servile o pensione in danaro.
?) Nos vero ipsius . . . petitionem obaudientes et animae nostrae con-
siderantes mercedem.
Jahrb. d. difh. Geſch. Delsner, Aönig Pippin. 17
|
258 CToapitel XVII. 756.
bemädhtigt, als ob er Gottes vergeffen, der ihm gejchaffen, und den
chriſtlichen Glauben verlaffen hätte.” !)
AS Aufenthaltsort Aiftulfs wird in jener Urkunde der Hof
Lemennis genannt, ein Ort in dem Gebiete von Bergamo; ?) er
befand fih damals aljo auf Langobardifhem Boden, nicht weit von
Pavia, und fcheint, bereits auf das Aeußerfte gefaßt, ſich mit ernften
Krieg8vorbereitungen befchäftigt zu haben. Im Auguft desfelben Jahres
nämlich befcenft ein Langobarde, Namens Gaiprand, die Kirche des
heit. Fridian bei Lucca für den Fall feines Todes mit einem Grund⸗
ftüde, „um für Kleines das Große, für Irdiſches das Himmliſche,
für Zeitliches das Ewige zu erwerben,” da er „abermals zum Seeres-
zuge gegen die Franken aufgeboten ſei.“ ) Obwohl es fid für Aiftulf
vorerft nur um einen demnächft auszuführenden Angriff auf Rom
handelte, fo war e8 doc) fehr bezeichnend und zutreffend, daß der Aufruf
an das Volk einen Kampf mit den Franken als den Zwed der
Rüftungen hinftellte.
Ein folcher ftand freilich noch fehr weit in Ausficht, ungeachtet
der ungebuldigen Wünfche des Papftes. Denn es verlautet zunächft
von feinem Schritte, den Bippin nad) Empfang des päpftlichen Schreibens
durch Fulrad unternommen hätte, und der Papft ſcheint die Schuld
davon den mündlichen Berichten der Ueberbringer beigemeffen zu haben,
wenn ich einige Worte feines nächſten Briefes richtig deute. Indem
er dieſes zweite Schreiben nämlich durd den Biſchof Wilharius von
Nomentum, feinen Suffragan, überjendet *) und auf deffen mündliche
Auseinanderfegungen verweift, beruft er fi doch aud nochmals auf
Fulrad und feine Genoffen, die dem Könige Alles erzählen könnten,
„wenn fie Gott vor Augen haben."°) Das Schreiben felbft aber,
wiederum an Pippin, Karl und Karlmann gerichtet, ift in viel dringen»
derem Tome gehalten als das erjte, indem es mit allen Mitteln ber
Nede die Pflicht einfchärft, ein gegebenes Wort zu Löfen, zumal ein
dem heil. Petrus gegebenes Wort. „Denn der Erfte der Apoftel
bewahrt eure Schenfung wie ein Schriftftüc feft in feinen Händen;
forget dafür, daß er dasjelbe nicht einft am Tage des Gerichts euch
entgegenhalte und wegen feiner Nichterfüllung von euch ftrenge Reden»
ſchaft fordere.“ Der Krieg des Jahres 754 Hat in den Augen des
Bapftes feinen Werth mehr, da er fruchtlos geblieben ift: „Ein guter
Name wäre von euch unter alle Völker ausgegangen, wenn er durch
Thaten ſich bewährt Hätte; aber der Glauben ohne Werke ift tobt.” ®)
1) Cod. Carol. ep. 7.
%) Lupi I. c. not.
*) Troya n° 696: quia in exercito ad Francia iteratus sum ambulan-
dum; Lupi p. 488: „tessutus sum“ seu forsan „tenutus“ a teneor. Das
Nähere über dieje Urkunde |. Excurs I. $ 7°.
*) Cod, Carol. ep. 7. p. 87 sg.
®) Daf. p- 40: si Denm prae oculis habent, omnia vobis enarrare possunt.
°) Bol. Jacob. 2, 20.
. 39. 40.
Der zweite italieniſche Brig. 259
Zum erften Male wird Bier mit Nachdrud auf die Bedeutung der
päpftlichen Salbung Hingewiefen: „Was feinem eurer Vorgänger be-
ſchieden gewefen, Habt ihr empfangen; der Segen: und die Gnade des
heil. Petrus ift nad) Gottes Vorſchrift über euch ausgegoffen worden,
und der Erfte der Apoftel Hat euch aus allen Königen und Völkern
zu feinem Eigenthum erwählt, damit durch euch die Kirche Gottes
erhöht werde.” Und wie fein Lohn dem Lohne für die Vertheidigung
der Kirche gleiche, fo werde ihnen, wenn fie das Begonnene nicht
‚vollendeten, Zuverfiht und Kraft im Kampfe mit ihren Feinden fehlen
und im zufünftigen Leben Verdammniß ihr Theil fein.
Biſchof Wilharius, zuweilen auch Wicharius genannt, kehrte erft
nach Jahren wieder in ſeine Heimat zurück. Pippin aber ſandte jetzt
einen Abt Warneharius nach Italien, ) und dieſem war es vorbe⸗
halten, die nächſten Schickſale der Stadt Rom als Augenzeuge und
unter ſelbſtthatiger Theilnahme mitzuerleben.
Die Langobarden waren von der Nichtachtung der Friedens-
bedingungen zu erneuten Feindfeligfeiten gegen römijches Gebiet, z. B.
der Occupation des feften Plages Narni, ?) von diefen endlich zur
förmlichen Einfhliegung Roms fortgefhritten, ®) und fie wurden darin,
was einft vor 16 Jahren nicht gefchehen war, von den Spoletanern
und Beneventanern kräftig unterftügt. So lagerten fich feit dem
Neujahrstage des Jahres 756 drei feindliche Heere vor den Thoren
Roms: *) das eine, von Tuscien kommend, ftellte ji längs des
rechten Tiberufers an den Thoren des heil. Petrus und des heil.
PBancratius, ſowie an dem nad) Porto führenden Thore auf; das
zweite (beneventanifche) Heer befegte die füdlichen Thore der Stadt, fo
das Thor von ©. Paul und von ©. Yohann dem Täufer; das
Gentrum der Belogerungsarmee endlich, bei welchem ſich Aiftulf felbft
befand, rückte offenbar aus dem Spoletanifchen heran und ſchlug feine
Zelte im Nordoften der Stadt, befonders am ſalariſchen Thore auf.
In dreimonatlihen täglichen Kämpfen) ftritt man um den Beſitz
1) Cod. Carol. ep. 8. 9. p. 47. 48. 54. 55; Vita Stephani IL. c. 42.
®) Cod. Carol. ep. 9. p. 51: Nam et civitatem Narniensem, quam beato
Petro tua christianitas concessit, abstulerunt. Etwas mehr jagt Vita Steph.
c. 41: castrum Narniense, quod pridem reddiderat Aistulphus missis Fran-
coram, a jure beati Petri abstulit; dies widerſpricht jebod) der wiederholten
Berfiherung des Papfles: nec unius palmi terrae spatium beato Petro reddere
voluit. Es ift anzunehmen, daß Aiftulf die vor vielen Jahren widerrechtlich er-
folgte Vereinigung Narni's mit Spoleto, ftatt fie bem friedensvertrage gemäß zu
Töfen, durch irgend einen Negierungsact von neuem fanctionirt hat.
®) Cod. aroı. ep. 9. p. 49—50.
*) Daf. ep. 8. 9. p. 44. 50: In ipsis Januariarum kalendis cunetus
ejusdem Haistulfi Langobardorum regis exercitus ... in hanc civitatem
Romanam conjunxerunt.
®) Dai. ep. 8. 9. p. 44—45. 50—51; Vita Stephani c. 41: quam
et trium mensium spatio obsidens atque ex omni parte circumdans, quotidie
eam fortiter expugnabat; Fred. cont. c. 121: Iterum ad Romam cum exer-
citu suo veniens, finibus Romanorum pervagans atque regionem illam vastans,
260 Capitel XVII. 756.
Roms, deffen Mauern ebenfo raſtlos beftürmt, wie hartnädig ver»
theidigt wurden. Selbft Warneharius, jener fränfifche Abt, Tegte trog
Kirchen- und Staatsverbot den Panzer an, und der Papſt ift des
Ruhmes voll, wie er bei Nacht und bei Tage auf den Mauern Wache
halte und aus allen Kräften, „als ein guter Streiter Chriſti,“ 1) für
die Befreiung der Stadt kämpfe.
Natürlich blieben bei fo heftiger Feindſchaft die Umgebungen
Roms nicht verfchont. Es Ing in der Natur des Krieges überhaupt
und in den Gitten jener Zeit insbejondere, daß ein Kriegsſchau—
plag zugleich weithin ein Schauplag der Verwüftung war. Wenn
über die Verheerungen, welche die Langobarden vor Rom anrichteten,
ausführlichere Berichte vorliegen, fo muß man fich ftets gegenwärtig
halten, daß diefelben aus dem Lager des Gegners während der Kämpfe
felbft Hervorgegangen, alfo unter dem Eindrudte des Haſſes und gewiß
auch übertreibender Gerüchte gefchrieben worden find. Daß die Aecker
ringsumher zertreten, die Weinſtöcke entwurzelt, die Heerden geraubt,
die Anfiedelungen der Menfchen durch Feuer zerftört, und daß hierbei
zwifchen Kirchen» und Privateigenthum nicht unterfchieden wurde, ift
gern zu glauben. Aber die Langobarden werben noch ſchwererer Frevel
beſchuldigt: fie tödteten viele Männer und Frauen; fie riffen die
Säuglinge aus den Armen der Mütter und mißhandelten diefe ſelbſt.
Sie überfielen die Möndje beim Gottesdienft, die Nonnen in ihrer
Abgeſchiedenheit; fie gaben die Kirchen den Flammen preis, zerfchlugen
und verbrannten die Heiligenbilder, ?) verzehrten, vom Fleiſche gefättigt,
den Leib des Heren, nahmen die Altardecken und andere Kirchenzier
mit fort, um fie zu eigenem Gebrauch zu verwenden. Selbft von den
Heiden, meint Stephan, feien ſolche Frevel nie begangen worden, und
es würden auch die Steine, wenn fie die Verwüftung fähen, ein
Rlagegejchrei erheben.
So unwefentlih es num auch ift, das Mehr oder Weniger der
damals verübten militärifhen Exceſſe zu ermitteln, fo fcheint doch,
Grund vorhanden, die gefchilderten Kirchenſchändungen in Zweifel zu
ziehen. Denn die erfte der Bajilifen, die Petersfirche, die damals
noch ungeſchützt außerhalb der Mauern lag, deren Schätze der Raubgier
die reichfte Befriedigung geboten hätten, blieb, fomeit wir fehen können,
von den Händen der Langobarden unangetaftet.°) Auch weiß der
Biograph Stephans nur von einer ganz anderen Art des Kirchenraubes
ad ecclesiam S. Petri perveniens, et domos, quas ibidem reperit, maxime
igne concremavit.
) 2 Tim. 2, 8.
?) sacratissimas sanctorum imagines in ignem proitientes, suis gladiis
consumpserunt: ep. 8. 9. p. 44. 50.
®) Der heil. Petrus bittet, Cod. Carol. ep. 10. p. 59: Non separer a
populo meo Romano; p. 58: ne, quod absit, corpus meum ... „’et domus
mea, ubi per Dei praecepeionem requiescit, ab eis contaminentur. — Fred.
eont. c. 121. j. oben ©. 259. N. 5.
Der zweite italieniſche Krieg. 261
zu erzählen, die vielmehr von einem frommen Sinne zeugt und damals
zu ben erlaubten Dingen gezählt worden iſt. ) Er beſchuldigt den
König Aiſtulf nämlich, viele Gräber der Heiligen durchſucht und
ihre Gebeine geraubt zu haben.) Ya, nah mehr als 60 Jahren
noch, zur Zeit des Papftes Paſchalis J., erzählte man fih in Rom
von folhem Diebftahl Aiſtulfs und feiner Leute; die heilige Cäcilia
freilich, die davon betroffen fein follte, fand man nad) eifrigem Suchen
in der Gräberftraße vor dem appifchen Thore wieder. ®)
Noch mander andere Umftand in den Erzählungen Stephans
erſcheint unglaubwürdig, wie, daß Aiftulf, dem es vor Allem darauf
angefommen fei, fi) der Perfon des Papites zu bemächtigen, bei forts
dauerndem Widerjtande gedroht, alle Römer mit einem Schwerte zu
tödten; daß er mit denfelben Worten, wie einft Liutprand, ihnen
höhnend zugerufen habe: „Mögen die Franken nun fommen und euch
aus unferen Händen befreien!“ +)
Ohne Zweifel war es Aiftulf jest auf das allerernftlichfte um
die Begründung feiner Herrihaft über Rom zu thun; nad) den Er-
fahrungen des Yahres 754 mußte er jet mehr als je erfennen, daß
der Beſitz diefer Stadt und die Unterwerfung des Papftes für die
Zukunft feines Reiches entſcheidend war.
Wiederum war er, wie vor drei Jahren, feinem Ziele nahe:
wiederum famen die Franken und zerftörten alle feine Hoffnungen
und Pläne.
Die Einfehliefung Roms Hatte bereit? 55 Tage gedauert, als
es, Ende Februar alfo, mit vieler Mühe gelang, auf dem Seewege
eine Gejandtihaft ins Frankenland zu ſchicken, die dort von ben
neueften Vorgängen Kunde geben ſollte. An derſelben nahmen außer
dem Abt Warneharius der Bifhof Georg von Oſtia, wieder ein
Suffragan des Papftes, und zwei römiſche Edelleute, Thomaricus und
Comita, Theil. Drei Schreiben, die ihnen mitgegeben wurden, 5) follten
’) Man erinnere fi u. A. der Tebendigen Erzählung Einhards von den
nãchtlicher Weile (clam noctu, nullo Romanorum civium sentiente: c. 8. 10)
entführten Reliquien der Märtyrer Marcellinus und Petrus aus den neglectis
martyrum sepulchris, quorum Romae ingens copia est (c. 2); Einhardi
Opera ed. Teulet II. p. 176.
®) Vita Stephani c. 41: multa quoque sanctorum cimiteria effodiens,
eorum corpora sacra ad magnum animae suae detrimentum abstulit. Diefelbe
Anklage ſpricht offenbar aus Anlak desielben Ereigniffes, Bapft Paul I. im
Jahre 761 bei Gründung des Stephansflofters in Rom gegen die Langobarden
im Allgemeinen aus, Mansi XII. col. 646: Igitur cum per evoluta annorum
spatia diversa sanctorum Christi martyrum atque confessorum ejus foras
muros hujus Romanae urbis sita antiquitus coemeteria neglecta satis mane-
rent diruta, contigit postmodum ab impia Langobardorum gentium impu-
guatione funditus esse demolita. Qui etiam et aliquanta ipsorum effodientes
martyrum sepulchra et impie devastantes, quorumdam sanctorum depraedati
auferentes secum deportaverunt corpora.
q Vita Paschalis c. 15. 16, Vignoli II. p. 831—882.
*) ®gl. Cod. Carol. ep. 2. (Gregorüi III.) p. 15—16.
°) Cod. Carol. ep. 8—10; |. Excurs XI,
262 Capitel XVIIL 756.
vereinigt mit ihren mündlichen Vorſtellungen das Mißtrauen und das
Wibderftreben befeitigen, welchem die bisherigen Botfchaften des Papftes
doch begegnet fein müffen.*) In wortreicher und ſchwungvoller Klage
wird die Gefahr des Augenblids geſchildert: „Könnteft du,“ ruft
Stephan feinem Beihüger zu, „nur eine einzige Stunde gegenwärtig
fein, um unfere Trübfal zu fehen! Statt des Lichtes, das wir durch
dich zu fehen hofften, ift Finfterniß hereingebrochen, und das Jüngſt⸗-
erlebte ift ſchlimmer als alles Frühere. Alle Völker ringsumher, die
zu euch, dem kraftvollen Stamme ber Franken, ihre Zuflucht genommen,
find gerettet worden; mögen nicht einft die Nationen der Erde jagen:
Wo ift die Zuverfiht der Nömer, die fie nächſt Gott auf die Könige
und das Volk der Franken geſetzt?“ Wie in dem früheren Briefe,
wird auch hier auf die einmal übernommene Verantwortlicfeit, auf
die diesfeitigen und jenfeitigen Belohnungen und Strafen hingemwiefen.
Es gilt jegt nicht mehr, die Vermittlung eines königlichen Gefandten
zu erlangen; es gilt jchleunige bewaffnete Hilfe. „Mit dem Propheten
flehen wir zu dem Herrn: Herr, hadere mit unferen Haderern, ftreite
wider unfere Beftreiter; ergreife den Schild und Waffen und made
dich auf, uns zu Helfen.“ 2) Daher wiederholt ſich hier, was auch
dem Ausbruche des erften Krieges vorangegangen: neben dem Hülfruf
an den König ergeht zugleich ein zweiter an die Nation, oder vielmehr,
den veränderten Verhältniffen gemäß, neben dem Briefe des Papftes
an Pippin ein zweiter des Papftes und der Römer an die Könige
und das gefammte Volt der Franken. ®)
Aber noch ein drittes Mittel der Einwirkung verfuchte Stephan,
wie e8 nur ‚in einer ſolchen Zeit lebendigen Glaubens erfonnen werden
Tonnte.*) Es ift die berühmte Profopopdie, welde er damals fchrieb, °)
in welcher Petrus felbftredend auftritt und die glaubenstreuen Franken,
die er „zu feiner Kindſchaft verordnet und zum Eigenthume fi er-
foren,“ in den Heiligen Kampf ruft. Nach einem Eingange, der den
Apoftelbriefen des Neuen Teſtaments nachgebildet ift, *) weiſt er auf
feine bevorzugte Stellung unter den Apofteln hin, vermöge deren Alle,
) Cod. Carol. ep. 8. 9. p. 47. 54—55: nequaquam amplius discredas
nostras afflicciones et nullo modo neglectum ponatis ad liberandum nos.
8. 34, 1. 2.
3 Cod. Carol. ep. 8. p. 43: Domnis excellentissimis Pippino, Carolo et
Carolomanno ... seu — episcopis, abbatibus, presbyteris et monachis,
seu gloriosis ducibus, comitibus vel cuncto exereitui regni et provinciae
Francorum Stephanus papa et omnes episcopi, presbyteri, diacones, seu
duces, cartularii, comites, tribuni et universus populus et exercitus Romanorum.
+) Schon Gibben nimmt diefen „öchft auferordentlichen Brief“ gegen den
Vorwurf des Betrugs und der Blasphemie in Schuß; der Papft, meint er, wollte
gewiß vielmehr überreden als betrügen; The history of the decline and fall
the Roman empire, London 1830, chap. 49. p. 883. not. f.
®) Cod. Carol. ep. 10. p. 55— 60.
9 Daf. p. 55—56: Petrus Vocatus apostolus a Jesu Christo ... gratia
pax et virtus; dgl. 3. ®. 1 Corinth. 1, 1-8: Paulus vocatus apostolus Jesu
Christi . . gratia vobis et pax.
Der zweite italieniſche Krieg. 263
die fein Wort erfüllen, zuverfihtlih an die Erlaffung ihrer Sünden
glauben dürften. „Und fo ermahne ich euch, der Apoftel Gottes Petrus,
dieje römiſche Stadt und das mir von Gott anvertraute Volk aus
den Händen der Feinde zu retten und das Haus, in welchem ich nad)
dem Fleiſche ruhe, vor Heidnifcher Entweihung zu bewahren. Nehmet
es feineswegs anders, Geliebte, fondern glaubet gewiß: ich felbft, als
ob ich im Fleiſche lebend vor euch ftünde, richte diefe nachdrückliche
Ermahnung an euch, und mit mir die Mutter Gottes und alle himm-
liſchen Schaaren." Er kommt wiederholt auf die ungeſchützte Lage
feines Heiligthums und feines Grabes zurück und deutet an, daß der
Feind fich feines Leibes bemächtigen könnte. „Erbarmet euch Roms
und befreiet es im höchſter Beſchleunigung, damit nicht mein Leib,
was ferne fei, und mein Haus, in welchem er nach Gottes Vorschrift
ruht, von den Verfolgern entheiligt werde; eilet, eilet, bevor der lebendige
Quell, aus dem ihr wiedergeboren feid, vertrodne, bevor der noch
zurücgebfiebene Funke jenes flammenden Feuers erlöfche, *) aus welchem
ihr euer Licht empfangen. Laffet e8 nicht zu, daß ich von meinem
römischen Volfe getrennt werde; dann werdet ihr auch von dem Reiche
Gottes und dem ewigen Leben nicht getrennt werden. „„So Jemand
auch fämpfet, wird er doch nicht gefrönet, er kämpfe denn recht.““ 2)
Darum ftreitet muthig für die Befreiung der heiligen Kirche, damit
ihr nicht auf immer zu Grunde gehe. Denn wiffet, fo ihr die
Rettung verfäumt, dann werde ic, kraft des mir von Chriftus ver-
liehenen Apoftolats euch um der Mißachtung meiner Mahnrufe willen
vom Himmelreich und der ewigen Seligfeit ausſchließen. Aber Gott
leite eure Gedanken und Handlungen (fo. fchließt er mit freundlicherer
Wendung), damit ihr als die Getreuen feiner Macht und durch meine
Fürbitte Sieg und Wohlergehen auf Erden und in der fünftigen Welt
feinen Lohn empfanget mit feinen Heiligen und Auserwählten.”
Dies beredte Schreiben, das vermuthlic zugleich mit dem oben-
erwähnten Hülferufe des Papftes und der Römer in der Frühjahrs-
verfammlung der Franken verlefen wurde, machte durch feine feierliche
Form und feinen beftimmten und felbitgewiffen Ton ohne Zweifel
einen tiefen Eindrud auf die Hörer, von denen Petrus ja rühmen
konnte, daß fie an Hinneigung zu ihm alfe Völker unter dem Himmel
überträfen. ®)
Die Wirkung war die gewünfchte: der Krieg, Wenn die aus
Rom kommenden Vorftellungen nur immer die dortige Bedrängniß
ſchilderten und darin jchon einen zwingenden Anlaß zum Kriege fahen,
?) Cod. Carol. ed. Jaff6 ep. 10. p. 58: ipsa modica stilla; ed. Cenni
ep. 10. p. 98: ipsa modica favilla — ob nidjt vielmehr seintilla zu Iefen ?
3) 2 Zimoth. 2, 5.
®) Cod. Carol. ep. 10. p. 59: declaratum quippe est, quod super omnes
gentes, quae sub lo sunt, vestra Francorum gens prona mihi apostolo
i Petro exstitit, et ideo ecclesiam. quam mihi Dominus tradidit, vobis
per manus vicarii mei commendavi ad liberandum de manibus inimicorum.
264 Capitel XVII. 756.
fo Fam bei Pippin und den fränfifhen Großen noch die Erwägung
hinzu, daß in der Handlungsweife Aiftulfs zugleich eine Auflehnung
gegen die Bertragspflichten lag, welche er ihnen gegenüber eingegangen
war.!) Don heftigem Zorn ergriffen, erließ Pippin wiederum ein
Aufgebot des gefammten Heeres und wohl ſchon Anfangs Mai fette
ſich dasfelbe in Bewegung. ?)
Unter den hohen Geiftlichen im Gefolge des Königs befand ſich
auch diesmal wieder der Abt Fulrad von S. Denys, wahrſcheinlich
auch ber päpftliche Gefandte, Biſchof Georg von Oftia.®) Zu den
hervorragendften Perfönlichfeiten im Heere aber gehörte diesmal der
junge Herzog Taſſilo von Baiern, Sohn Odilo's und der Chiltrude,
der Schweſter Pippins. Geboren im Jahre 742, ein Altersgenoffe
Karls des Großen, hatte er wahrfheinlich im Jahre 748 feinen Vater,
754 feine Mutter verloren.*) Bis dahin unter der Vormundſchaft
Chiltrudens, etwa wie ganz um diefelbe Zeit in Benevent die Herzogs⸗
wittwe Scauniberga in Gemeinjchaft mit ihrem Sohne Liutprand
herrſchte, begann er nach dem Tode der Mutter wohl ſchon felbftändig
fein Land zu verwalten, nad) wie vor allerdings unter der Oberhoheit
des Frankenkönigs Pippin, der ihn ja auch nach der Verdrängung
Gripho's aus Baiern im Jahre 748 mit dem Herzogthume belehnt
hatte. 5) Wenn daher auch früher ſchon die Baiern in Pippins Heere
nicht gefehlt Haben werden, )) fo famen fie diesmal unter der Anführung
ihres jugendlichen Herzogs, eines nahen Verwandten der Königsfamilie;
daher darf es nicht auffallen, daß davon mehrfach, felbft in den kurzen
Annalen, Erwähnung gefhieht.?)
Der Marſch ging auch diesmal wieder durch Burgund; aber
y Daher nad) dem zweiten Kriege die Forderung, Fred. cont. c. 121: ut
amplius nunquam contra regem Pippinum vel proceres Francorum rebellis
et contumax esse debeat.
) Wir rechnen etwa fo: \
24. Februar: Abreife der römiſchen Geſandtſchaft, b
Ende März: Ankunft derjelben bei Bippin. \
Anfangs Mi lufbruch des Heeres,
Mitte Juni: Kampf a den Elufen, Belagerung von Pavia.
Ende Juli: Friedensſchluß.
Ende Auguft: Ruckehr der Franten.
cn Dem im in 757 wird er von Stephan abermals zu Pippin gefchidt
66.
ro — 754: Et Hiltruda mortus; ebenſo die ann. Petav. und
Mosellani 754 u. a. m.
218 2, Said, BG. II. ©. 48—44; vgl. Hahn, Jahrbücher S. 115—117.
—215.
°) Bgl. z. 8. Fred. cont. c. 120: et reliquae nationes, quae, in suo
regno commorabantur. .
?) Fred. cont. c. 121: Bez Pin inus cum nepote suo Tassilone Bajoa-
riorum duce partibus Italiae Ticinum iterum accessit; ann. Lauresh.
755 u. a. m.: venit Thassilo 1 Mareis campum in mense Madio. Weber
die Chronologie, ſowie insbefondere über die Entftehung des Maifeldes f. Ereurs I.
8 7%; dazu Cap. XXI, 1.
| Der zweite italieniſche Krieg. " 265
ſchon bei Chälon wurde die Sadne, bei Genf die Rhone überjchritten
und fo auf dem nörblideren Wege durch Savoyen das Thal von
Maurienne erreicht. Nach Ueberfchreitung des Meontcenis ftieg das
gefammte Heer in das Thal von Sufa hinab umd gelangte ohne
Widerftand bis an den Ausgang desfelben, die Grenze des lango-
bardifchen Reiche. *)
Hier Hatte, wie in dem erften Kriege, das feindliche Heer wiederum
feine Aufftellung genommen. Aiftulf war von Rom ſchon nach drei
monatlicher Belagerung, alſo Ende März, unverrichteter Dinge wieder
abgezogen, hatte die mittel» und füditalifhen Truppen, wie es fcheint,
ganz entlafjen müjjen ?) und befand fich felbft fchon am 5. April
wieder in feinem Palafte zu Pavia, mwofelbft er dem fpoletanifchen
Kloſter Farfa auf Bitten des Abtes Fulcoald, eines Franken, „zur
Ehre Gottes und der heiligen Maria“ eine Schenkung machte.“) Wir
erfahren auch nicht, daß er feine Truppen zu den Cluſen begleitet
und an dem dortigen Kampfe perjünlich theilgenommen habe; es ift
aus den Quellen vielmehr erfennbar, daß er in der Hauptftadt zurüd-
geblieben war, vielfeiht um dieſelbe gegen einen abermaligen Angriff
beffer vorbereiten und vertheidigen zu Fönnen. €)
Noch bevor aber die Entfcheidung erfolgte, trug ſich folgender
Zwifchenfald) zu. Zwei byzantinifche Botſchafter, Georgius und
Johannes — der Lestere, ein kaiſerlicher Geheimrath, Hatte ſchon in
den eriten Zeiten Stephans zweimal als Gefandter gedient, — trafen,
grade als die fränfifche Armee über die Alpen zog, in Rom ein (die
Belagerung der Stadt war alfo damals ſchon aufgehoben) und wurden
hier vom Papſte mit der Nachricht überrafcht, daß Pippin bereits auf
dem zweiten Zuge gegen Aiftulf begriffen fei. In Conftantinopel war
demnach zur Zeit ihrer Abreife nur die Kunde von Aiftulfs erneuten
Einfällen ins römifche Gebiet, vielleicht jhon von der Belagerung
Roms verbreitet, und ihr Auftrag wird demgemäß, wie im Jahre 753,
dahin gegangen fein, im Verein mit Stephan bei dem Langobarden-
fönige die Herausgabe der oecupirten Lande zu erwirfen. Die kriegerischen
Borgänge des Jahres 754, fowie die Pippinifhe Schenkung durften
jegt, wo alle Ergebniffe jenes Jahres wieder in Frage geſtellt waren,
füglich wohl unbeachtet gelaffen werden. Vielleicht erſtreckten ſich übrigens
4) Fred. cont. c. 121: Rex P. cum exereitu suo, monte Cinisio trans-
acto, usque ad clusas, ubi Langobardi ei resistere nitebantur, perveniens.
) Wenigftens finden wir den Herzog Liutprand im Juni wieder in feinem
Palafte zu Benevent, als BVorfigenden einer gerichtlichen Verhandlung, Troya
n° 708: actum Beneventi in palatio, mense Junio, per indictionem nonam.
®) Troya n° 702: ob reverentiam Dei et b. Mariae . ... vestram obau-
dientes petitionem . . . Datum Ticini in ‚palatio 5. die mensis Aprilis a,
felieissimi regni nostri in Dei nomine VII., per ind. VII.
*) Fred. cont. c. 121: Rex Aistulfus iterum ad elusas exercitum Lango-
bardorum mittens, qui regi Pippino et Francis resisterent et partibus Italiae
intrare non sinerent.
°) Vita Stephani c. 43—45.
266 Capitel XVII. 756.
die Inftructionen der beiden Gefandten auch auf eine Reife zum Franken⸗
Tönige. Genug, als fie jet von dem abermaligen Ausbruche des Krieges
hörten, befchloffen fie auf dem Seewege ins Frankenland zu gehen,
und fie gelangten mit möglichfter Befchleunigung nach Marfeilte. Der
Bapft hatte ihnen feinerfeits, einen Begleiter mitgegeben.
Auf dem Kriegefchauplage aber war inzwiſchen der Zufammenftoß
erfolgt. Die Langobarden Hatten es diesmal vermieden, aus ihrer
feſten Stellung zum Angriff überzugehen, und den Feind an dem engen
Eingange der Cluſen erwartet. Die Franken aber täuſchten ihre Er—
wartungen. Sie hatten bei ihren zweimaligen Alpenübergängen gelernt,
über die Berge zu klettern und durch die Felsſchluchten zu dringen.
ALS fie daher faum an den Cluſen angefommen waren, brachen fie,
ftatt .gradaus auf die Schanzen der Langobarden Loszugehen, über die
Gebirge vor, welche das Thal begrenzten, bis fie- in das piemonteſiſche
Tiefland gelangten und den überrafchten Gegner, der fie von vorn
her erwartete, im Rüden überfielen. Gewiß war ein Theil des Heeres,
um den Feind zu täufchen und den Kampf durch einen Frontangriff
zu unterftügen, im Sufaner Thal zurücgeblieben.!) Aber es kam
gar nicht zum Kampfe, nur zur Niedermegelung der Langobarden; ?)
diejenigen, welche das Schwert verfchonte, retteten ich durch ſchleunige
Flucht. Die Iangobardiichen Befeftigungswerfe wurden hierauf voll⸗
ftändig zerftört, ) und das Heer ſetzte fich gegen Pavia in Bewegung.
Schon war die Kunde von diefem Triumphe der Franken bis
nah Marfeille gedrungen, als die byzantinischen Botſchafter dort
landeten. Es war ihnen nun vor Allem darum zu thun, das Ohr
des fiegreichen Pippin zu gewinnen, und um allen päpftlichen Einfluß
%) Fred. cont. c. 221: Statim Franci solito more, ut edocti erant, per
montes et rupes erumpentes (derſelbe Ausdruck wie in cap. 120), in regnum
Aistulfi cum multa ira et furore intrant, Langobardos, quos ibi reppererunt,
interficiunt; reliqui, qui remanserant,. vix fuga lapsi evaserunt. Ganz auf
diefelbe Weife fiegte Kgrl im Jahre 773, fo daß beide Waffenthaten fich gegen-
feitig erläutern; vgl. ann. Lauriss. maj. 773, Abel I. ©. 119. Ich komme
auch hier wieder auf die anfhaulichen Mitteilungen der Chronif von Novaleje
zurüch die einen emtjchieden hiftoriichen Keen Haben und ſich mit gleichem Rechte
für die Geſchichte Pippins, wie fir die feines Sohnes verwenden lafjen; danach
drang das Heer [Karls] per erepidinem cujusdam montis, in quo usque in
hodiernum diem Via Francorum dieitur. Cumque de predicto descendissent
monte, devenerunt in planitiem vici, cui nomen erat Gavensis — d.i. Giaveno
im Süden der Cluſen, Jam plane extra montes, ut facilis inde descensus sit
et apertus in Italiam, wie der Herausgeber Bethmann in not. 58 bemerkt —
ibique se adunantes struebant aciem contra Desiderium. Desiderius vero
sperans Karolum ante se ad bellum, Karolus autem a dorsa ipsorum de
monte descenso festinabat. At ubi Desiderius talia comperit, ascenso equo
Papiam fugiit. Chron. Novaliciense, Pertz SS. T. VII, lib. IIL c. 14.
®) Daher jagt Fred. cont. c. 121 ex.: Pippinus absque belli eventu, cum
omni exercitu suo illaeso ad propriam sedem regni sui remeavit incolumis.
*) Vita Stephani, diesmal fehr frz, c. 48: P. iterum generalem faciens
motionem, in Langobardorum partes vonjunzit et clusas eorum funditus
overtit.
Der zweite italieniſche Krieg. 267
fernzuhalten, verfuchten fie fich ihres römischen Neifegenoffen, wie es
ſcheint, durch Meuchelmord oder doch durch körperliche Mißhandlung
zu entledigen.*) Da dies mißlang, jo reifte einer von ihnen, Georgius,
eilig voraus und erreichte den König nicht weit von Pavia. Er bes
ſchwor ihn, die Stadt Ravenna und die übrigen Orte des Exarchats
der kaiſerlichen Botmäßigkeit zu überlaffen; er unterftügte feine Bitten
durch Spendung faiferliher Summen und Verheißung größerer. Ver⸗
gebens: Pippin betheuerte mit feierlihem Eidfhwur, daß er zu feines
Menschen Gunften fich wiederholt in den Kampf begeben habe, ſondern
allein um feiner Liebe zum heil. Petrus und um der Vergebung
feiner Sinden willen; feine Schäge der Welt würden ihn vermögen,
was er. dem heil. Petrus einmal dargebracht Habe, ihm wieder zu ent-
reißen ; ja, er werde nie und nimmer dulden, daß dieſer Beſitz auf
irgend eine Weife der römischen Kirche entfremdet werde. Der Bots
fchafter wurde auf anderem Wege fofort in feine Heimat entjendet;
auf der Durdreife berührte er auch Rom wieder. ?)
PBippin aber fhritt num zur Belagerung von Pavia, das wiederum
rings von den Zelten der Franken umfchloffen und von aller äußeren
Verbindung abgejehnitten wurde, während die Umgegend der Verwüftung
preiögegeben war.) Aiftulf ſah ſich überwunden; nach vorausgegangener
Furſprache der fränkiſchen Geiftlichen und Großen bat er zum zweiten
Dale feinen. mächtigen Gegner um Frieden, bereit, ſich wegen der
Verlegung feiner früheren Gelöbniffe dem Urtheilsfpruche des fränfifchen
Adels und Klerus zu unterwerfen. Er Hatte durch diefen Krieg, ber
al8 Empörung betrachtet werden Tonnte, Reich und Leben vermwirkt
und verdankte die Erhaltung beider nur der Fürbitte der fränfifchen
Großen.) Zur Sühne des Rechtsbruchs mußte er, fo lautete die
Entſcheidung des fränfifchen Gerichts, den dritten Theil des Stants-
fchages, der in Pavia aufbewahrt, lag, dem Könige Pippin außliefern.
Neue Eide und neue Geifel mußten Sicherheit geben, daß er gegen
*) Die unflaren Worte der Vita Stephani c. 44 — nitebantur dolo detinere
missum apostalicae sedis, ne ad praedictum regem posset properare, affligentes
eum valide — dürften nicht fo jhfimm ausgelegt werden, twenm nidt 1) de
folgende Say von einer rettenden Dazwifchenkunft des Heil. Petrus fpräde:
interveniente beato Petro apostolorum prineipe eorum callida ad —
redacta est versutia, 2) eine im Uebrigen völlig vereinzelte Notiz der annales
8. Bavonis Gandensis, Pertz SS. II. p. 187, von einer ähnfichen That erzählte:
Anno 752 Hildebertus abbas Gandensis interficitur a consiliariis Constantini
impiissimi imperatoris.
?) Das von Montfaucon, Palaeographia graeca p. 265—267, aufbervahrte
Brndftüd eines griechiſchen Briefes, worin der Herausgeber ein Schreiben des
Kaifers Eonftantin an Pippin erfennen till, bietet fo geringe Anhaltspunkte für
die Venugung dar, daß wir es lieber ganz Bbergangen haben.
®) Fred. cont. c. 121: totam regionem illam fortiter devastans, circa
murog Tieini utraque parte fixit tentoria, ita ut nullus exinde evadere
potuisget.
+) Ohne rund dagegen fagt Fred. cont. c. 12 icon nad) dem erften Kriege:
Pippinus misericordia motus Ylkam et regnum ei concessit,
268 Capitel XVIIL 756.
den König und das Volk der Franfen nicht wieder die Waffen er-
greifen oder ſich auflehnen werde; zum dauernden Zeichen der Unter-
werfung unter die fränfifche Oberhoheit follte fortan jährlich ein Tribut
entrichtet werden, 1) wie einft fchon nad) dem Tode des Könige Kleph,
zu den Zeiten der 12 Herzoge und der Könige Authari und Agiluff.
Denn aud damals erfannten die Langobarden, fo berichtet wenigftens
Fredegar, %) die Oberhoheit der Franfenfönige an, holten bei der Wahl
eines neuen Oberhauptes ihre Erlaubniß ein und entrichteten ihnen
jährlich) einen Tribut von 12000 Schillingen, bis diefer endlich durch
einmalige Zahlung von 36000 Scilfingen abgelöft wurde. Der
nunmehr erneuerte Tribut wurde, wenn eine oben erwähnte Nachricht
hierhergezogen werden darf, 3) auf jährlih 5000 Schillinge feſtgeſetzt;
außerdem brachte Aiſtulf dem Könige Pippin diesmal noch viel größere
Gaben dar, als beim Abſchluſſe des erften Friedensvertrages.
Die italienifchen Angelegenheiten gelangten jegt zu einem erfolg-
reicheren Austrage, als das erfte Mal. Aiftulf verpflichtete fi näm-
lich durch Zufagen aller Art,*) jene felben Städte, welche ſchon
das vorige Friedensinftrument genau bezeichnet hatte, alfo Ravenna
und zwanzig andere Orte des Erarhats, dazu noch Comiaclum
(Comachhio), einen feiten Plag im Norden von Ravenna, zu räumen;
Pippin ftellte über den Empfang diefer Städte und die Uebertragung
des Beliges an die römische Kirche eine fchriftliche Urkunde aus, und
Abt Fulrad von ©. Denys, mit der Vollziehung derfelben beauftragt,
begab fich, während Pippin in fein Reich zurückehrte, mit Bevoll-
mãchtigten Atftulfs nad) Ravenna und in die genannten Ortfchaften
der Aemilia und der Pentapolis, ließ ſich die Schlüffel derjelben
aushändigen und Geifel ftellen und ging fchließlih, von den oberften
Behörden der Städte begleitet, nad Rom. Hier legte er fowohl jene
Schlüffel, als auch die Schenkungsurkunde feines Königs auf dem
Grabe Petri nieder und übergab die Städte damit dem Apoftel und
Bo eentrigen, ſowie allen fünftigen Nachfolgern zu ewigem
eeſitz.
Aiſtulf aber und das Volk der Langobarden mußten verſprechen,
mit der Kirche und ihren Unterthanen fortan ein ruhiges und fried-
liches Verhältniß zu unterhalten. 6)
a Bon deffen wirklicher Zahlung übrigens im dem folgenden Jahren nichts |
berlautet.
*) Fred. chron. c. 45; vgl. jedod; au, Greg. Tur. hist. Franc. lib. X.
c. 8: subjecti ac fideles vobis, sicut patribus vestris fuimus, et esse desi-
deramus, nec discedimus a sacramento, quod praedecessores nostri vestris prae-
decessoribus juraverunt.
®) Chron. Moissiacense, Pertz SS. I. p. 298; j. oben &. 202. R. 6.
*) Vita Steph. c.46: quas prius contempserat conscriptas in pacti foedere
reddere civitates, nunc modis omnibus profitebatur se redditurum.
?) Daj. ©. 46---47.
*) Cod. Carol. ep. 11. p. 65: in pacis quiete cum ecelesiae Dei et nostro
populo, sieut in pactibus a tua bonitate confirmatis continetur.
Der zweite italieniſche Krieg. 269
So hatte der Fräftige Arm Pippins „die Mutter und das Haupt
der Kirchen ans tiefer Trübjal zur Freude erhoben,“ 1) und in lautem
Jubel ruft der Papft mit den Worten des Pfalmiften: „Den Abend
lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude; die rechte
Hand des Höchſten kann Alles ändern.”?) Den Pilgern, die vom
ganzen. Erdfreis her in Rom zufammenftrömten, erzählte er gerne
von den Thaten Pippins; in Momenten der Andacht entftrömten ihm
Gebete für den König und das Volk der Franken. Zum erften Male
wird Pippin jegt mit Mofe und David verglichen, von denen einft
auch das Volt Gottes aus der Gewalt der Feinde errettet worden
fei. Der Papft fegnet ihn, feine Söhne, feine Gattin, feinen Thron,
fein Volk; denn durch ihm fei die Kirche erfreut, die Feinde der Kirche
aber zu Boden geworfen. )) —
Ein griechiſches Sprichwort jener Zeit, da8 uns Einhard mit»
theilt, Hatte fih an Rom umd den Langobarden bewährt: „Den
Franken habe zum Freund, aber nicht zum Nachbar!“ *)
') Ood. Carol. ep. 1. p. 61.
9) Bi. 29, 6; 76, 11.
») Cod. Carol. ep. 11. p. 68.
*) Einbardi Vita Karoli c. 16.
, Aeunzehntes Gapitel.
Die Synode von Berberie.
756.
Noch während des zweiten italienifchen Krieges oder gleich nach
Beendigung deſſelben fand die Synode zu Verberie ftatt.!) Bon aller
bisherigen Ueberlieferung uns entfernend, vermweifen wir diefelbe aus
den erjten Jahren der Konigsherrſchaft Pippins in das Jahr 756,
Wir haben im Anhang die Gründe hierfür näher dargelegt,?) die ſich
im Wefentlihen dahin zufammenfafjen laffen, daß die Zufammenkunft
zu DVerberie fpäter al8 die Synode von Verneuil und früher al8 die-
jenige von Compidgne, alfo nach 755 und vor 757 ftattgefunden haben
muß. Wir Haben dort ferner auszuführen gefucht, daß in dem Capitular
von Verberie die Beſchlüſſe eines Concils enthalten find, bei denen
ſich die perfönfihe Mitwirtung des Königs Pippin zwar in feiner
Weife darthun läßt, an deren verhtöfräftiger Geltung im Frankenreiche
jedoch nicht gezweifelt werden fan. Indem wir zum Beweife alles
deffen uns auf die näheren Erörterungen im Anhang beziehen, gehen
wir bier fofort zu einer ſyſtematiſchen Darftellung des Inhalts der
Beſchluſſe über.
ALS im Jahre 755 zu Vernenil das erfte Concil der Bifchöfe
zufammentrat, erjchien die Neorganifation der Geiftlichfeit als feine
deingendfte Aufgabe und bildete deshalb den ausſchließlichen Gegenftand
feiner Berathungen. Schon in ihrer Petitio jedoch hatten dann die
Bischöfe noch in demfelben Jahre, hauptſächlich durch die Vorlage des
Königs veranlaßt, auch den Angelegenheiten der Laien einige Aufmerf-
!) Vermeria palatium publicum, der Ausftellungsort mehrerer Diplome
Pippius (Sickel P. 1. [4]. 5. 9. 18), die villa Verimbrea des Fred. cont. c. 109:
jest Berker, Dep. Dife, dr. Senlis.
9) S. Excurs I. $
Die Synode don Berberie. 271
ſamkeit zugewendet. Die nunmehr een Berathungen zu Verberie
und Compiögne aber behandeln falt nur das Leben der Laien, ind-
befondere die Eheverhältniffe. Nachdem Pippin fchon im vergangenen
Jahre genaue Beitimmungen darüber getroffen, wie der Inceſt, falls
die Kirchengewalt fich gegen ihn nicht ausreichend zeige, von dem welt⸗
lichen Gerichten zu behandeln fei,!) war es jegt Sache der Bifchöfe,
Erlaubtes und’ Umerlaubtes geſetzlich fcharf zu fondern und über die
firchenrechtliche Behandlung der verfchiedenften Uebertretungsfälle ſich
miteinander in Einvernehmen zu fegen.?)
Die Gefeßgebung der vierziger Jahre, nad ähnlichem Plane an«
gelegt, war mitten in ihrer Entwicklung unterbrochen worden. Nur
ein einziger Paragraph der beiden Synoden Karlmanns betraf die
Laien, indem er einestheils den Verkauf hriftliher Sklaven an Heiden
verbot, anderentheil® dem Ehebruch und den gefegmwidrigen Ehen mit
alfgemeinen Worten entgegentrat.) Von den neun Beichlüffen der
Verſammlung zu Soiffons hatte nur ein Theil des vierten und der
neunte die Laien zum Gegenftande. Dort hieß es, diefelben follten
gefegmäßig leben, die verfchiedenen Unfeufchheiten vermeiden, fi vom
Meineid fern halten, fein faljches Zeugniß ablegen; eine auch fonft
gebräuchliche Zufammenftelfung von Sünden ‚*) in fürzefte Faffung
gebracht. Der neunte Paragraph bejchäftigte fich ausfchlieglich mit der
Ehe und ftellte in Betreff derfelben folgende 4 Grundfäge auf: es darf
fein Laie 1. ein gottgeweihtes Weib, 2. eine feiner eigenen Verwandten?)
heiraten; 3. der Mann darf feine Frau nicht verftoßen, außer
wenn fie Unzucht begangen ;®) 4. fein Mann darf bei Lebzeiten feiner
Frau, feine Frau bei Lebzeiten ihres Mannes zum zweiten Male heie
rathen. Diefe vier Principien der Synode von Soiſſons nun wurden
zu BVerberie und Compiögne theils weiter ausgeführt, theils mobificirt,
‘) Capit. incerti anni c. 1-8,
) Bgi. in der nächftfolgenden Anmerkung die Worte: episcoporum judicio.
#) Capit. Liftinenge c. 3: Similiter praecipimus, ut juxta decreta canonum
adulteria et incesta matrimonia; quae non sint legitima, prohibeantur et
emendentur episcoporum judicio; et ut mancipia christiana paganis non
tradantur. Der Bonifaciiche Briefwechſel weift das Factum nad}, auf welchen
der Tetstere Satz beruft: Nam et hoc inter alia discrimen agi in partibus
illis dixisti, quod quidam ex fidelibus ad immolandum paganis sua venun-
dent mancipia; hoc ut magnopere corrigere debeas, frater, commendemus,
nee sinas dert ultra, scelus enim est et impietas (Gregorius III, Bonifacio,
Jaff& Bibl. IL ep. 28. p. 94).
+) Bgt. 4. ©. Gregorüi III libellus poenitentialis, Mansi XI. col. 287,
c. 5 de fornicatione, c. 7 de perjurio, c. 18 de falsis testibus.
®) nec suam parentem; Rettberg, I. S. 364, und Andere verfichen darunter
die Mutter der Nonne: „weldher Fortſchritt möndjiicher Härte,“ ruft er aus, „daß
das Gelübde der Tochter auf die Mutter zurücwirkt!” Uber ſchon Hefele bes
richtigt den Irethum, III. ©. 486. N. 2; auch Hahn, Iahrbücher ©. 59, hat
das Richtige.
°) quia maritus muliere sua non debet dimittere, excepto causa forni-
cationis deprehensa; vgl. Matth. 5, 82: Ego autem dico vobis, quia omnis,
qui dimiserit uxorem suam, excepta fornicationis causa, facit eam moechari,
272 Gapitel XIX: 786.
und die forgfältige Cafuiftif jener Gefege aus Pippins Königszeit hat
zur Folge ‚gehabt, daß die Synoden von Berberie und Compidgne an
der päteren Entwidlung des kanoniſchen Eherechts einen nicht geringen
Antheil erlangt haben.
Die erwähnten Prineipien aber berufen nicht allein auf der
tanonifchen Geſetzgebung der früheren Jahrhunderte, fondern fie ſchließen
ſich getreu den Vorſchriften der Bibel felbft an, jei es des Alten
Teftaments, wo gejagt ift: „Niemand ſoll ſich zu feiner nächſten
Blutsfreundin thun,“?) fei es des Neuen Teſtaments, wo u. A. Paulus
fagt: „Welcher verheirathet, der thut wohl; welcher aber nicht ver-
heiratet, der thut beſſer. Den Ehelichen aber gebiefe nicht ich, ſondern
der Herr, daß das Weib ſich nicht feheide von dem Manne; fo fie
ſich aber ſcheidet, daß fie ohne Ehe bleibe oder ſich mit dem Manne
verföhne ; und daß der Mann das Weib nicht von ſich Lajfe“2) — oder
Chriſtus felbft: „Ich aber fage euch, wer fih von feinem Weibe
ſcheidet, es fei denn um Ehebruch, und freiet eine andere, der bricht
die Ehe; und wer die Abgeſchiedene freiet, der bricht auch die Ehe.” °)
Bor Allem das Neue Teftament begründete die Doppelanſchauung von
der Gottgefälligfeit der Virginität neben der Unverbrüchlichfeit einer in
Keufchheit geichloffenen Ehe.
Auch durch den Hohen Werth, den die fränfifchen Gefetgeber des
8. Zahrhunderts auf die Regelung der ehelichen Verhältnifje legen,
wird man an die Bücher der heiligen Schrift erinnert; und wie Mofe
fein Volt beim Eintritt in das gelobte Land vor den Greueln der
Unfeufchheit warnt, „auf daß euch nicht auch das Land ausfpeie, wenn
ihr es verunreinigt, gleich wie es die Heiden Hat ausgefpieen, die vor
euch waren,“*) fo follte auch der verjüngte fränfifche Staat auf Rein»
heit des ehelichen und Familienlebens begründet werden, wie fie den
damals herrſchenden Begriffen der Menſchen entſprach.
Indem wir die einzelnen Vorſchriften des Capitulars, die nach
der Art jener Zeit planlos auf einander folgen, in einen geordneteren
Zuſammenhang zu bringen ſuchen, ſchließen wir uns am beſten jenen
vier Grundbeſtimmungen des Jahres 744 an.
I. Die den Nonnen auferlegte Eheloſigkeit wird auch denjenigen
ſchon verheiratheten Frauen geboten, weiche mit Erlaubniß ihres Mannes
den Schleier nehmen; dem Manne ift alsdann gleichfalls die Wieder-
verheirathung unterfagt.5) Eine weitere Ausdehnung jenes Verbotes
betrifft die Priefterfrauen. Wenn ein Priefter nämlich feine Nichte zur
Frau gehabt,*) fo ift es nicht genug, daß er fie entlaffen und feinen
') Levit. 18, 6.
%) 1 Corinth. 7, 88. 10. 11.
®) Matth. 19, 2
*) Levit. 18,
®) Capit. Dr e. 21.
©) Im einem von Labbe, Conc. T. VII, benutzten Cod. Pal. de8 Baticanß fehlen
die zwei Worte neptem suam; „et merito, fügt ev hinzu, nam in genere loquitur
Die Synode von Berberic. 273
Grad verloren hat: auch wer fie nachher ehelicht, muß fich wieder von
ihr ſcheiden; denn es wird als verwerflich angejehen, daß die ehemalige
Frau eines Priefters einem andern Manne zu Theil werde.t) Der er-
zwungene Eintritt in den Nonnenftand,2) etwa durch den einfeitigen
Willen der Eltern bewirkt, Hat Feine Gültigkeit, obwohl einem folden
Mädchen dod empfohlen wird, den Schleier zu behalten;S) hatte ein
Prieſter fih an ſolchem Zwange durch die Confecration betheifigt, fo
verlor er feinen Grad.t) Ebenfo durfte die Ehefrau nicht ohne Zu-
ftimmung ihres Mannes den Schleier nehmen; hatte fie es gethan, fo
ftand e8 in der Gewalt des Mannes, ob fie denfelben behalten follte
oder nicht.5) 5
II. Das Verbot der Verwandtenehe übernahm die Kirche ſowohl
aus dem moſaiſchen, wie aus dem römischen Recht. Ueberall, wo dem
Weibe eine geaditete Stellung eingeräumt ift, beftehen nach dieſer
Richtung Hin weitreichende Verbote. Die Ehe foll außer der gejchlecht-
lichen Vereinigung zugleich eine fittliche Lebensgemeinfchaft begründen;
wo daher die letztere ſchon duch Blutsfreundſchaft befteht, Hat der
Hinzutritt ber ehelichen Verbindung einen vorwiegend finnlichen Cha-
de quacunque uxore*. Schon Baluze Hat in feinen Anmerkungen zu den Capi ⸗
tularien, Capitularia regum Francorum II. col. 10283, diefe Meinung Labbe’s
widerlegt, die ja auch Handichriftlich durchaus unhaftbar ift. Die Priefterehe über-
haupt war demnach nicht verboten; das Strafbare des Falles lag vielmehr nur
in der Heirath mit einer fo nahen Verwandten. — Man könnte meinen, e8 habe
mit der Nichte der dritte Verwandtſchaftsgrad bezeichnet werden follen, welcher
nad) dem erflen Capitel des Geſetzes auch zwiſchen Laien die Ehe ausichließt;
denn nad römiſcher Berechnung befteht zwiſchen Oheim und Nichte allerdings der
dritte Verwandtigaftsgrad. Allein daß unſere Gefete in kirchlicher Weiſe nad)
Generationen, nicht nach der Einheit zählen, wird fic weiterhin zeigen (ſ. unten
©. 275). Es ergiebt fih daher für die Yaflung des dritten Capitels, wenn nicht
etwa ‚neptis überhaupt eine Verwandte bedeutet, nur die eine Erflärung, daß
dasjelbe auf einem beftimmten Faetum beruhe. Im ähnlicher Weiſe fcheint auch
dem 5. Eapitel eine wirkliche Thatſache zu Grunde gelegen zu Haben; vgl. unten
©. 276. N. 6. Ohne allen Zweifel if dies in capit. Compend. c. 9 der Fall:
Homo Francus accepit beneficium etc. And; mo daher folde factij—he Ver—
anlaffung nicht erfichtlic ift, wird die Gejeßgebung wohl in ber Regel von einer
folgen ausgegangen ſein.
*) Capit. Vermer. c. 8: quia reprehensibile est, ut relictam sacerdotis
-alius homo habeat; vgl. concil. Aurelian. I. c. 9: Si relieta presbyteri vel
diaconi alio se conjunxerit (Isidori liber canonum col. 275).
%) Capit. Vermer. c. 4: invitam aut reclamantem. So heißt e8 auch
concil. Aurelian. II. c. 7: De episcopo, qui invitum aut reclamantem prae-
sumpserit ordinare (Isidori lib. can. col. 280).
®) Rettberg II. S. 696 behauptet unrichtigerweiſe, e8 fei von ihrer Befreiung
nicht die Rede. Papft Gregor IT. fejreibt alerdings, Jaff& III. ep. 27. p. 90:
Addidisti adhuc, quodsi pater vel mater filium filiamque intra septa monasterii
in infantiae annis sub regulari tradiderint disciplinae, utrum liceat eis, post-
quam pubertatis inoleverint annos, egredi et matrimonio copulare. Hoc
omnino devitamus. Quia nefas est, ut oblatis a parentibus Deo filiis volu-
ptatis frena laxentur.
*) Capit. Vermer. c. 4.
°) Daf.
Zahrb. d dif. Gef. Deläner, König Pippin, 18
274 Gapitel XIX. 756.
rafter. Es ift bezeichnen, daß die Bibel ein ſolches Verhältniß regel-
mäßig ein Revelare turpitudinem nennt, ) die Kirche aber das Wort
Inceftum, Unfenfchgeit, dafür gewählt Hat.2) Die ftrenge Unterfagung
der Verwandtenehe ift alfo nicht aus ber Abneigung gegen die Che
überhaupt und dem Wunfche, fie fo ‚viel als möglich einzufchränfen,
fondern im Gegentheil aus der Sacramentsnatur der Ehe zu erflären.
Nach altrömifchem Recht galten ſchon die Gefchwifter als zweiter
Berwandtichaftsgrad, die Geſchwiſterlinder (Gonfobrini) als der vierte,
die Geſchwiſterenkel (Sobrini) als der feste Grad; man zählte alfo
die einzelnen Verwandten nach der Abftammung von einem gemeinfamen
Familienhaupte. Mit dem festen Grade galt die Verwandtfchaft als
abgefchloffen, ſchon im fiebenten Grade war die Ehe geftattet.
Das Tanonifche Recht behielt diefe Zahlen bei, verband damit
aber, nicht ohme zu verſchiedenen Zeiten auf Widerſtand zu ftoßen,)
veränderte Begriffe, indem es nad) Generationen, nicht nad) Perfonen
zählte. Geſchwiſter bildeten demnach den erften Grad, Geſchwiſter⸗
finder erft den zweiten, Gefchwifterenfel den dritten Grad u. ſ. m,
und indem auch bei ſolcher Computation der ſiebente Grad als Grenze
gefegt wurde, war es gleigbebeutend mit einer anderen oft wieder-
fehrenden Beftimmung, wonach die Ehe überhaupt verboten wurde,
foweit man fi einer Verwandtfchaft bewußt war. So hatten denn
3. B. die Päpfte Gregor II. und Zacharias ®) ſich in letzterem
!) Levit. c. 18.
*) Die vom heil. Augufinus, De ceivitate Dei lib. XV. c. 15 (Ivonis
Panormia lib. VII. c. 52, Migne 1. c. col. 1291), für das Berbot der Ber-
wandtenheirath geltend gemachten Argumente, ut homines diversarum necessitu-
dinum vinculis necterentur . . . numerogius se porrigat charitas ... copio-
sius se socialis dilectio colligeret, reichen nicht hin, das ſtrenge Berfahten gegen
Uebertreter des Verbote zu motiviren.
®) Bol. 3. 8. das Schreiben Meranders II. (} 1078) an den neapofitanifchen
Keruß, c. 55 (Ivo Deer. lib. IX. c. 6, Migne ]. c. col. 658): De parentelae
gradibus tam famosae quaestionis apud illos scrupulum nuper etiam inter
vos emersisse cognovimus; dann harakterifirt er die gegnerifche Anficht folgender-
maßen: ita generationes a duobus fatribus altrinsecus prodeuntes enumerant,
ut eorum invicem filios quartam, nepotes sextam, pronepotes octavam gene-
rationem esse perhibeant. Hoc itaque modo unumquemgue generationis
gradum, qui unus proculdubio dicendus est, dividunt ... Qui nimirum
nequaquam in hujus fetoris ructus pestilenter irrumperent, si sacrae pabu-
lum seripturae vivacis ingenii faucibus ruminarent.
+) Gregorius II. Bonifaeio, 726 Nov. 22, Jaff& III. ep. 27. p. 89: Igitur
in primis legebatur, ut quota progenies propinquorum matrimonio copu-
“letur. Dieimus, quod oportuerat quidem, quamdiu se agnoscunt affinitate
propinquos, ad hujus copulae non accedere societatem.
») Zacharias Pippino majori domus 747, Jaffö IV. ep. 8. p. 29, . 22:
Nos autem, gracia divina su! ‚ante, juxta praedecessorum et Antecessorum
pontificum decreta multo amplius eonfirmantes dieimus, ut, dum usquae sese
generacio cognoverit, juxta ritum et normam christianitatis et religionem
Romanorum non copulentur conjugiis.
Die Synode von Berberie. 275
Sinne ausgejprochen, Gregor III. dagegen die fiebente Generation als
Grenze der Verwandtſchaft bezeichnet.)
Bei den germanijchen Völkern aber Hatte fi eine fo jtrenge
Auffaffung nicht durchführen laſſen, und fchon Gregor I. hatte den
neubefehrten Angeffachlen eine Heirath in der dritten oder vierten
Generation geftattet.?) Auf diefes Zugeftändniß kommt auch Bonifacius
bei den Franken zurüd,®) und Papft Gregor II. räumt ihm ebenfalls
die Verbindung nad dem vierten Grade ein.t) Die Synode zu Ver—
berie num erhebt diefe Anficht zum Gefeg; ihr erfter Kanon nämlich,
beftimmt: Im dritten Gliede werden die Ehen getrennt, und nad,
beitandener Buße dürfen die Gefchiedenen, wenn fie es wollen, ſich
mit Anderen verbinden. Schon beftehende Ehen zwiſchen Verwandten
vierten Grades trennen wir nicht, fordern jedoch Buße; ift eine ſolche
Verbindung aber noch nicht erfolgt, fo geben wir dazu feine Erlaubniß.“ °)
Daß diefem Gefege die kirchliche Berechnungsweiſe zu Grunde Liegt,
bemeift ein daran fich anfchliegender Kanon der Synode von Compiögne,
von dem fpäter zu fprechen fein wird, welcher auf den Fall Bezug
nimmt, daß zwei Eheleute einander zur einen Hälfte im dritten, zur
anderen im vierten Grade angehören;®) eine ſolche Eventualität ift
nur bei der Zählung nad) Generationen möglich.
II. Bisher war von unerlaubten Heiraten und den dadurch
notwendigen Scheidungen die Rede. Aber auch eine durchaus gejegliche
) Gregorius III. Bonifacio, Jaff6 III. ep. 28. p. 98: Progeniem vero
suam quemque usque ad septimam observare decernimus generationem.
%) Gregorins I. Augustino epise. Angl., Juni 601: Unde necesse est,
ut jam tertia vel quarta generatio fidelium licenter sibi jungi debeat; Jaffe,
Regesta pont. Rom. ne 1414.
®) Er bittet den Erzbiſchof Nothelm von Canterbury, ihm cin Exemplar
jenes Schreibens zu verſchaffen, qua continetur, ut dicunt, interrogationes
Augustini pontificis ac praedicatoris primi Anglorum et responsiones sancti
Gregorii pspae, in qua inter cetera capitula continetur, quod in tertia ge-
neratione propinquitatis fidelibus liceat matrimonia copulare . . . Quia in
serinio Romanae ecclesiae, ut adfirmant scrinarii, cum ceteris exemplaribus
supra dJicti pontificis quaesita non inveniebatur; Jaff& III. ep. 30. p. 96.
Offenbar mit Bezug Hierauf fagt Papft —** concil. Roman. II. a. 743
ce. 15: neque hoc silendum est, quod in Germaniae partibus ita divulgatum
est, quod quidem in archivo nostrae sanctae ecclesiae minime reperimus,
ipsis tamen asserentibus hominibus de Germaniae partibus didieimus, quod
beatae recordationis sanctus Gregorius papa, dum eos ad religionem Chri-
stianitatis divina gratia illustraret, licentiam illis dedisset in quarta se copu-:
lare generatione, quod quidem Christianis licitum non est, dum usque gene-
rationem cognoverint, sed dum rudes erant et invitandi ad fidem, quamquam
minime scriptum (ut dictum est) reperimus, credere non ambigamus; Mansi XII.
col. 365—366.
*) In dem oben, &. 274. N. 4, angeführten Schreiben fährt er folgender“
mafen fort: sed quia temperantia magis, et praesertim in tam barbaram
gentem, placet plus quam districtione censurae, concedendum est, ut post
quartam generationem jungantur.
3 Capit. Vermer. c. 1.
*) Capit. Compend. c. 3.
276 Capitel XIX. 756.
Verbindung Konnte getrennt werden, wenn einer von beiden Theilen
den Pflichten des ehelichen Berufes nicht nachkam. Vor Allem war der
Ehebruch ein Scheidungsgrund ; merkwürdigerweife aber kennt unfer
Capitular nur folche Fälle des Ehebruchs, bei denen eine Perfon aus
der Schwägerſchaft, d. h. aus der Familie des betrogenen Theils, die
Mitſchuld trägt; fo, wenn der Mann einer früher vermittweten Frau
mit feiner Stieftochter Unzucht begeht,") oder wenn umgefehrt ein Sohn
feiner Stiefmutter beiwohnt.?) Beiden Ehebrechern wird alsdann für
ihre ganze Lebenszeit die Ehe unterfagt: die Hintergangene Stau jedoch
darf, wenn fie nad) Entdeckung des Verbrechens den ehelichen Umgang
mit ihrem Manne gemieden hat, fich wieder verheirathen; ebenfo der
Mann, der von feiner Frau betrogen worden. Beiden freilich wird
es als wünfchenswerther erflärt, daß fie ſich enthalten.
Andere Fälle des Ehebruchs find unerlaubte Verbindungen eines
Mannes mit der Schweiter?) oder der Bafet) feiner Frau. Die
Schuldigen werden auch Hier zu bleibender Ehelofigfeit verurtheilt, der
Frau, was fie thun wolle, freigeftellt.5)
Aber der Ehebruc war nicht der einzige Scheidungsgrund, wie
Pippin im Jahre 744 den Worten des Evangeliums gemäß Hatte
feftfegen wollen. Auch fonftige Beweiſe der Treulofigkeit follten zur
Verſtoßung der Frau berechtigen. Wenn ein Weib mit anderen Männern
den Tod ihres Gatten beſchloſſen, diefer aber bei feiner Vertheidigung
einen Menſchen erfchlagen hat und dies beweifen kann, dann darf er
feine Fran entlaffen und eine andere nehmen.“) Die Nachſtellerin ſelbſt
aber muß Buße thun und ehelos bleiben.”)
Das Recht zur Scheidung erfährt noch eine weitere Ausdehnung:
„Wenn Jemand durch unvermeidliche Nothwendigkeit gezwungen, in
!) Capit. Vermer. c. 2. 11.
2) Dal. c. 10.
%) Dal. c. 11.12.
9 Daj. c. 18.
’) Das cap, 11 enthält nichts als eine Zufammenfaffung des in cap. 2
und 12 ausführlicher Gefagten. — Zu cap. 18 findet ſich in allen Hanbiehriften
der dunkle Bela: Hoc aecelesia non recipit (dies erfennt bie Kirche nicht an).
Nettberg, I. ©. 758. N. 9, hält denfelben für eine fpätere Zuthat, gegen bie
der Frau des Chebredjers gewährte Freiheit des Handelns gerichtet; und diefe .
Deutung ſcheint jedenfalls zutreffender, als die Meinung Hefele's, In. €. 539.
Kan. 18, der darin einen „Proteft der fränkiſchen Biſchöfe auf dem Reichstage
gegen dieſes durch die weltliche Majorität und den König erlafiene Gefetz“ ficht.
°) Capit. Vermer. c. 5. Wie bei cap. 8, muß aud Bier ein wirklicher
Vorfall zu Grunde liegen (vgl. oben ©. 272. N. 6); denn wenn das Gefeg auch
wohl mit Recht die verfuchte Ausführung des Mordanſchlags zur Bedingung der
Eheſcheidung macht, fo kann doch unmöglich gemeint fein, daß jedesmal zugleich
ein Zodtihlag von Seiten des Mannes erforderlid) fei.
?) Diefer Schlufah [Ipsa autem insidiatrix. poenitentia subacta, absque
spe conjugii maneat] fehlt zwar in den beiden von Perk benutzten Handichriften,
findet fihh aber bei Negino umd einen Nacfolgern und feheint doch aud) in dem
von Sirmondus und Haluzius benutzten Meter Coder geftanden zu Haben, was
dann gegen die Identität defjelben mit dem Pertz'ſchen Pariſer Coder ſpräche;
Die Synode von Verberie. 277
ein anderes Herzogthum oder Land geflohen oder mit feinem Herrn,
dem er die Treue nicht brechen kann, dorthin gegangen ift, und feine
Frau, obgleich fie es könnte, aus Liebe zu ihren Angehörigen oder
um ihres Beſitzes en ihm nicht hat folgen wollen, dann foll fie
alfezeit, folange ihr Mann lebt, umverheirathet bleiben. Diefer aber,
der, durch Nothwendigfeit gezwungen, nad) einem anderen Orte ge
flohen ift, darf, wenn er nicht wieder in feine Heimat zurüdfehren zu
fönnen hofft und ſich nicht enthalten Tann, nad) voransgegangener
Buße eine andere Fran nehmen.“ 1)
War hier von Verlegung der ehelichen Treue die Rede, fo macht
ein anderer Sag auch die Erfüllung der phyſiſchen Pflicht zur Bes
dingung für den Zortbeftand der Ehe. ?) Wenn eine Frau nämlich
fich beklagt, daß ihr Mann ihr niemals beigewohnt Habe, fo follen
fie zur Kreuzesprobe geführt und, wenn es ſich beftätigt, geſchieden
werden; die Frau darf dann nad) ihrem Belieben Handeln. ®)
IV. €8 ift eine in unferem Geſetz oft wiederkehrende Wendung,
daß bei Auflöfung einer, fei es ungültigen oder entmeihten, Ehe über
den fchuldigen Theil die Strafe der Ehelofigfeit verhängt, ihm die
„Hoffnung auf Wiederverheiratfung“ genommen 4) und, wo die Schuld
auf zwei Perfonen ruht, beiden die zweite Heirath unterfagt wird.
Dem unfduldigen Theile dagegen wird dieſe ausdrücklich geftattet;
ebenfo, wo überhaupt feine Schuld vorliegt, beiden Theilen; 9) doch
fehlt dabei wohl nie der Zuſatz, daß es beffer fei, ſich zu enthalten,
vgl. Pertz LL. I. Praefatio p. XXXI: plurimum consentit, si omnino alius
fuit, quod vix eredam. Diefelbe Ungleichheit der beiden Handfehriften zeigt fich
noch in einer Stelle des c. 6 [si eam a servitute redimere potest, — und
as c. 9 [si nunquam in suam patriam se reversurum sperat].
i) Capit. Vermer. c. 9.
2) Daj.c.17. Aehnlich ſchon Gregor IL. in feinem Schreiben an Bonifacius vom
22. November 726, Jaff& II. ep. 27. p. 88: Nam quod posuisti, quodsi mulier
infirmitate correpta non valuerit viri debitum reddere, quid ejus faciat jugalis;
bonum esset, si sic permaneret, ut abstinentiae vacaret. Sed quia hoc ma-
‚gnorum est, ille, qui se non poterit continere, nubat magis. Non tamen subsidii
opem subtrahat ab illa, cui infirmitas praepedit et non detestabilis culpa exelu-
it, Anders Stephan IT. in jeinen Responsa vom Jahre 754; f. oben &. 150 (N. 4).
®) Ueber das Kreuzurtheil j. Grimm, Deutſche Rechtsalterthümer S. 926:
„Hierzu gehörten, wie zu bem Zweilampf, beide Theile; fie mußten mit aufe
erhobenen Händen unbeweglich an einem Krenze fiehen; welder von ihnen der
erfte zu Boden fan, bie Hände rührte oder mieberfallen ließ, hatte verloren, und
der andere fiegte.” Bol. auch Xettberg II. ©. 752, Waitz BG. IV. ©. 359.
N. 2. — In den alten Beichtbüchern if beim perjurium regelmäßig von einem
Eide in cruce, natürlid; in anderem Sinne, die Rebe: qui juraverit in manu
episcopi vel presbyteri aut diaconi seu in altari sive in cruce consecrata;
vgl. 3. B. Wafferichleben, Die Bußordnungen der abendländiſchen Kirche, S. 190
(Zeodorus), 226 (Beba), 238 (Egbert), 477 (Cummean).
4) 3. 8. capit. Vermer. c. 5: absque spe conjugii maneat.
®) ®gl. capit. Vermer. c. 1: In tertio genuclum ſſt. geniculo, wie in der
Lex Salica tit. XLIV. c. 10—11; Waitz, Das alte Recht der falifchen Franken
©. 253] separantur, et post poenitentiam actam, si ita voluerint, licentiam
habent aliis se conjungere.
278 Capitel XIX. 756.
dem Pauliniſchen Worte entjprechend: „Es ift gut, wenn fie fo bleiben;
fo fie aber ſich nicht enthalten, fo laß fie freien.“ !) Bedenken wir,
daß in alfen diefen Fällen das Verbot der Wiederverheiratfung als
Strafe gilt, fo laſſen fi diefe Abmahnungen von einer zweiten Ver—⸗
bindung, ebenfo wie wir es oben von dem Ehehinderniß der Verwandt⸗
ſchaft bemerften, nur aus dem Streben erklären, die Ehe zu heiligen,
nicht aus dem Wunfche, fie möglichft zu erfchweren. ?)
Eine Reihe befonderer Beftimmungen galt den ehelichen Ver—
hältniffen der Sflaven. Es machte einen Unterfchied, ob fie es mit
Freien oder mit Freigelaffenen oder endlich mit Ihresgleichen zu thun
hatten. Ja, das Gejeg von Verberie keunt noch innerhalb der Un-
freiheit eine Abftufung zwiſchen der Abhängigfeit von einem Freien
und der von einem anderen Unfreien. ®) Wenn ein Sflave nämlic)
feine eigne Magd zur Concubine gehabt hat, *) dann darf er fie ent
laffen und eine Gfeichftehende, d. i. eine Magd feines Herrn, nehmen;?)
beſſer fei e8 freilich, die eigne Magd zu behalten. Auf ſolche Wahrung
eines einmal gejchloffenen Bündniffes wird grade bei den Unfreien
auch fonft mit großem Nachdruck hingewirkt. Wenn z. B. ein Sklave
und eine Sklavin, die bisher unter einem gemeinſamen Herrn vereinigt
lebten, durch Verkauf von einander getrennt worden find, dann ſoil
ihnen, falls ihre Wiedervereinigung nicht möglich, empfohlen werden,
fo zu bleiben. %) Der Abt Negino von Prüm, der diefe Stelle wie
mehrere andere unfereg Capitulars in feine Kanonenfammlung auf
genommen, ?) unterbricht hier feine fonft fo objektive Zufammenftelfung .
durch die Bemerkung, daß das römiſche Recht wenigftens in diefem
Punkte das Beſſere verordne, ®) infofern es darauf dringe, daß beim
Verkauf eines verheirateten Sflaven zugleich feine Ehegenofjin über-
nommen werde und umgefehrt; fowie es andererfeit8 in der gleichen
Abficht, eine Trennung zu verhüten, die Ehe nur zwifchen den Sflaven
eines und desfelben Herrn geftatte. 9)
') 1 Corinth. 7, 8-9: bonum est illis, si sic permaneant. Quodsi non
se eontinent, nubant. Die Ausdrüde des Eapitulars find: si ita voluerit, si
se continere non potest, melius est abstinere etc. In cap. 2 wird Diele
Einfehränkung dreifach wiederhoft: si ita voluerit, si se continere non potest,
nisi voluntate se abstinet.
2) Das Lebtere ift Rettbergs Meinung, II. ©. 758.
®) Bol. Gu6rard, Irminon I. p. 807, über die serfs de serfs.
9 — IN. S. 538. N. 1 bemerkt, die Ehen der Sklaven hätten überhaupt
Eonceubinate geheigen; doch iſt der Sprachaebrauch unferes Eapitulars ein anderer,
indem, wiederhoit auch von der uxor eines Sklaven geredet wird, ſo cap. 6. 8. 18.
) Capit. Vermer. c. 7: comparem suam, ancillam domini sui.
%) Daf. c. 19.
?) De synodalibus causis et disciplinis ecelesiasticis lib. II. ed. Baluz.
c. 122, ed. Wasserschleben c. 121.
®) Sed lex Romana lc melius de hac duntaxat causa praecipere videtur.
9 Regino apt bie römijche Gefegeöftelle (Breviar. Int. L. un. Cod. Theod.
Commun. divid. 2, 25) unmittelbar auf die des Capitulars folgen: lib. II. Bal.
c. 123, Wase. c. 2%
Die Synode von Berberie. 279
Auch von den Freigelaffenen fordert das fränkiſche Gefeg eine
ftrenge Beobachtung der einmal eingegangenen Pflicht. Wer nach feiner
Freilaſſung mit einer Sklavin feines Herrn Unzucht getrieben, 1) kann
von diefem bazu gezwungen werben, fie zur Frau zu nehmen. Entläßt
er fie aber und nimmt eine andere, fo foll er dazu angehaften werden,
diefe zu entlaffen und entweder die erftere wieder aufzunehmen oder,
fo Lange fie lebt, ehelos zu bleiben. ?) Ebenfo ergeht es demjenigen Frei⸗
gelaffenen, der, als er nod im Stande der Knechtſchaft war, mit
einer Sklavin zufammengelebt und fie nad) gefeglic) erhaltener Freiheit
entlaffen hat. °)
Bei einer Heirath zwifchen Freien und Unfreien wird unterſchieden,
ob der freie Theil den Stand des anderen gefannt hat oder nicht.
Hat Jemand nämlich eine Sklavin zur Fran genommen, ohne über
ihren Stand im Irrthum zu fein, dann Hat er bei ihr ftetS aus—
zuharren; 4) daß er dadurch jelbft umfrei werde, ift aus dem Geſetze
feineswegs zu erfennen. Wenn ein freier Mann jedoch eine Sklavin
in dem Wahne, fie fei eine Freie, zur Frau genommen, oder wenn
umgefehrt eine Freie im diefer Weife bei ihrer Verheirathung über
den Stand ihres Mannes getäufcht worden ift: 5) dann fol bei Ent-
hüllung des Irrthums, d. h. wenn das Kuechtſchaftsverhältniß wieder
geltend gemacht wird, °) zuerft der Losfauf verjucht werden; gelingt
diefer jedoch nicht, fo ift dem Freien eine zweite Ehe geftattet.”)
Biſchof Ivo von. Chartres, der nad dem Vorgange Regino's und
Burchards diefe Stelle fowohl in das Deeretum als auch in die Phnor-
mia aufgenommen, begründet eine ſolche separatio conjugii propter
errorem conditionis mit einer ähnlichen Beitimmung des roͤmiſchen
Rechts, welche eine Heirat zwifchen Freien und Unfreien überhaupt
nicht geftattet.®) Unſer Geſetz macht jedoh noch eine Ausnahme
geltend ; wenn der eine Theil nämlich. aus Noth, dur den Hunger
getrieben, ſich in die Sffaverei verkauft und um den Preis feiner
Freiheit den andern Theil mit deffen eigener Zuftimmung vom Hunger
3) Adulterium ift bier im allgemeineren Sinne gebraucht, wie auch 3. ®.
von Bonifacius in feinem Briefe an König Aethilbald von Mercia: Jaffe ILL.
ep. 59. & 168. .
) Capit. Vermer. c. 8.
®) Daf. c. 20. Ueber die Bezeichnung cartellarius [d. i. cartularius, ein
durch Urkunde SFreigelafiener] |. Roth, Feudafität ©. 298.
*) Capit. Vermer. c. 18.
®) Das römische Recht fett dem Fall, daß der Betrug durch die Schlauheit
und mit der Exlaubniß des Heren geſchehen fei, calliditate et conniventia domini.
%) si postea fuerit inservita; fo aud; Regino lib. II. Bal. c. 119, Wass.
©. 118. In servitute deteeta: Burchard Deer. lib, IX. c. 26; ebenfo Ivo
Deer. ib. VIII. c. 164, Panorm. lib. VI. c. 41 und 111; Gratian C. XXIX.
q.2.c. 4.
?).Capit. Vermer. c. 6.
®) Der Stelle unferes Capitulars (Panormia lib. VI. c. 111) fehidt er in
©. 10 den römifchen Rechtsſatz woraus: Iuliani Epitome Novellarum Const. 36.
cap. 3.
280 Gapitel XIX. 756.
errettet hat: eine ſolche Ehe foll fortbeftehen umd nicht getrennt werben.
Nur wenn die Trennung ſchon erfolgt tft, darf es dabei fein Bewenden
haben; doch find beiderjeits dafür Bußübungen nöthig. *)
Mitten zwiſchen den eherechtlichen Beſtimmungen, die wir foeben
darzulegen verfucht, enthält das Gefeg von Verberie in den Capiteln
14—16 noch drei auf den Klerus bezügliche Verordnungen, die dem
Charakter des Ganzen ſo fremd find, daß eine der beiden un erhaltenen
Adfchriften fie wirklich weggelafjen hat, 2) die ſich bei unferer Datirung
des Capitulars aber ganz einfach als ein Nachtrag zu den Synodal⸗
befchlüffen des Jahres 755 ermeifen. °)
Damals hatte man den Wanberbifchöfen ohne Weiteres die eigen-
mächtige Einfegung von Prieftern unterfagt, jede dennoch erfolgte
Ordination jomit für ungüftig erflärt. %) Schon im Yahre 739
jedoch Hatte Papft Gregor III. dem Bonifacius während feiner Reform-
beftrebungen in Baiern ein milderes Verfahren gegen die BPriefter
empfohlen, die er dafelbft vorfinden werde. „Sollten auch die Männer,“
fo fchreibt er ihm, „von denen fie ordinirt worden, umbefannt fein
umd wäre es felbft zweifelhaft, ob es Biſchöfe geweſen oder nicht —
wenn nur bie Priefter felbft wactere und fromme Männer find, dann
mögen fie von ihrem Bifchof confecrirt werden und weiter den Heiligen
Dienft verrichten.“ 5) In ähnlichem Sinne modificirt die fränkiſche
Synode jegt ihren vorjährigen Befchluß: wohl folle durch einen Wander»
bifhof feine Ordination von Prieftern vorgenommen werden; find
diefe” jedoch im Uebrigen untadelhaft, dann mögen fie nochmals bie
Weihe empfangen. ©)
Der folgende Paragraph nimmt auf das 9. Kapitel der Synode
von Verneuil Bezug, wo gefagt ift, daß ein degradirter Priefter ohne
Erlaubniß des Biſchofs feine Amtshandlung verrichten dürfe, wibrigen-
falls ihn die Ercommunication treffe. Die Verfammlung zu Berberie
mildert aud) hier die urfprüngliche Strenge des Geſetzes; fie. geftattet
einem abgefegten Priefter nämlich, die Taufe eines Kranken im Falle
!) Streng logiſch fchlieht fi biefe Ausnahme freifich nicht an die aufgeftellte
Hauptregel an; denn hier liegt ja fein error conditionis bei Eingehung der Ehe
vor. Aber Mangel an Togifher Schärfe zeigte ſich uns ja ſchon darin, daß das
cap. 11 nichts als eine Wiederholung des Inhalts zweier anderen Capitel ift;
f. oben ©. 276. N. 6.
%) €s if} der Mungmer Eoder; f. Pertz LL. I p. 28. not. d. Durch ein
Berfehen hat dann der Schreiber, dem das vollfländige Tapitular vorgefegen, auch
Kr übergangen; wenigſtens erflärt ſich diefe weitere Weglaffung jo am
einfachſten.
S. Ereurs I. $ 1.
*) Petitio episcoporum c. 1 (capit. Vern. duplex c. 18): de episcopis
vacantibus,
®) Si bone actionis et catholici viri sunt ipsi presbiteri . .. ab episcopo
u congecrentur et sic ministerio aaero tur: Jaff& III ep. 38.
°) Capit. Vermer. c. 14: 8i autem boni sunt illi presbiteri, iterum
consecrentur.
Die Synode von Berberie. 281
unzweifelhofter Notwendigkeit, d. h. wenn ber Tod desfelben nahe
bevorfteht und fein anderer Priefter anweſend ift.!) Es ſcheint dabei
eine ähnfiche Beftimmung der erften Synode zu Orleans vom Jahre
511 vorgefchwebt zu Haben, welche fich freilich nicht auf Degradirte,
fondern auf freiwillig Büßende bezieht. )
Die dritte Vorſchrift endlich verbietet den Geiftlichen, Waffen zu
tragen; ®) fie könnte als Ergänzung zum vierten Capitel der Petitio
epifcoporum angejehen werben, weldes ben Klerikern alle weltlichen
Gefchäfte unterfagt. *)
Er Vermer. ce. 15: Presbiter degradn‘ certa necessitate cogente,
pro ge lo mortis, si alius non adest, Aoies t infirmum baptizare.
Coneil. Aurelian. I. c. 8 (Isidori ib. can. col. 27): aud im Worte
laut die fi} mande Aehnlichteit: Si presbyter vel diaconus pro reatu suo
se ab altaris communione sub poenitentis professione submoverit, sic quoque
si alii defuerint et causa certae necessitatis exoritur, poscentem baptismum
liceat baptizare.
3) Capit, Vermer. c. 16; vgl. concil. Toletanum IV. c. 45: de clerieis
qui arma sumpserint (Isidori lib. can. col. 877).
*) Petitio episcoporum c. 4 (capit. Vern. c. 18); oben ©. 250 (R. 5.6).
Eine weitere Bemerkung über den vorliegenden Paragraphen f. Excurs IL.$ 1 ex.
Bwanzigfies Gapitel.
Die Lage Italiens in den letzten Zeiten des
Bapftes Stephan.
756— 757,
König Aiftulf ftarb kurze Zeit nach dem zweiten italieniſchen
Kriege eines plöglichen Todes. Wir erfahren von feiner Negierungs-
handlung mehr, die er vollzogen; und wenn bie Lorſcher Annalen von
einem abermals beabfichtigten Vertragsbruche wilfen wollen, ) fo be-
weift das Schweigen der italienifhen Quellen doch zur Genüge, daß
dem nicht fo war. Die furze Zeit bis zu feinem Tode geftattete
wohl überhaupt feine Wiederaufnahme der alten Pläne. Als Aiftulf
nämlic, im November oder Dezember des Jahres 756 ſich auf die
Jagd begeben hatte, *) wahrfcheinfih in den Stadtwald bei Pavia,
wo auch fonft die Könige das Weidwerk übten, °) wurde er von feinem
Pferde wider einen Baum gefchleudert und töbtlich verwundet, jo daß
er nach wenigen Tagen ftarb. 4) -
%) Ann. Laur. maj. 756: Et dum reversus est Pippinus rex, cupiebat
supradictus Haistulfus nefandus rex mentiri quae antea pollicitus fuerat,
obsides dulgere, sacramenta irrumpere; bie ann. Einhardi 756 erzählen in
nichtsfagender Umfchreibung diefer Worte, Aiftulf habe darauf gefonnen, quomodo
sua promissa non tam impleret, quam dolose ea, quae impleta fuerant,
commntaret, R 132
Ueber die chronologiſche Frage ſ. Excurs
u. gr Paulus ie 8 historia Langobardorum lib. V. c. 37. 89,
ib. VI c. 57.
*) Am genaueften Fred. cont. c. 122: Post haec Aistulfus rex L., dum
venationem in quadam silva exerceret, divino judicio de equo quo sedebat
super quandam arborem projectus, vitam et regnum crudeliter digna morte
amisit. Offenbar daraus ann. Laur. min. a. 21. Pippini: Heistulfus in vena-
tione equi lapsus, regnum cum vita perdidit. Diejelbe Stelle liegt, wie e
Die Lage Italiens in den letzten Zeiten des Papftes Stephan. 283
Das Ereigniß muß aud im Sranfenveiche viel Aufſehn gemacht
haben; denn ein großer Theil jelbft der Heinften Jahrbücher gedenft
des Todesfalls.!) Die ansführlicheren fränkiſchen und päpftlihen
Berichte laſſen dem unglüdlichen Könige einen verwünfchenden Nachruf
folgen; ) am Härteften aber drückt fich der Papft jelbft in feinem
Schreiben an Pippin aus: „Jener teuflifhe Tyrann,“ fagt er, „der
Verſchlinger chriſtlichen Blutes, der Zerftörer der Kirchen Gottes, ift
durch göttlichen Schlag getroffen und in den Abgrund der Hölfe Hinab-
geftoßen worden.” ®)
Ein befjeres Andenken wurde ihm im eigenen Lande bewahrt:
dort ift er den Fürften umd dem Volke der Königliche Herr Heiligen
Gedächtnifjes geblieben. *)
Ein eigenthümliches Verhängniß wollte, daß von den drei aufe
einanderfolgenden Königen der Iegten Zeit Lintprand und Rachis nur
Töchter Hatten, Aiftulf aber mit feiner Fran Gifeltrude in finderlofer
Ehe Tebte. Eine regelmäßige Thronfolge war ſchon dadurch aus—
geſchloſſen; in diefem Augenblide aber drohte durch die plögliche Er»
Tedigung der Krone ein fürmlicher Bürgerkrieg.
Zum erften Male tritt jetzt Defiderius auf, der legte König der
Langobarden, um defjen Haupt die verflärende Sage, weil er zu-
gleich) mit feinem Staate untergegangen ift, ihren reichſten Kranz ges
flochten, während fie feines Vorgängers Aiftulf faft ganz vergeſſen hat.
ſcheint. den ann. Laur. maj. 756 (Quodam die venationem fecit et percussus
est dei judicio, vitam, finivit) ſowie den hier jelbftändigen ann. Einhardi 756
zu Grunde (in venatione de equo suo casu rolapsus est, atque ex hoc
aegritudine contracta intra paucog dies vivendi terminum fecit). Auffallend
ift hier manche Uebereinfimmung des Wortlauts mit Cod. Carol. ep. 11. p. 64:
Etenim tyrannus ille, sequax diaboli, Haistulfus . . . divino ietu percussus
est... ut... suam impiam finiret vitam. Noch | genauer fimmt damit die
Vita Stephani . e. 48 überein: quodam loco venatum pergens, divino ietu
percussus interiit. — Als Curioſum fei angeführt, daß die Historia regum
Francorum monasterii 8. Dionysü, die in Erzählung der Atatieifchen Angelegen-
heiten übrigens ber Vita Stephani folgt, offenbar durch ein Mißverftändnif der
Worte divino ictu percussus ben König vom Blitze erfchlagen werden läßt,
Pertz SS. IX. p. 400: venationi intentus, divino judicio fulmine percussus,
atrocissima morte interüt.
?) Ann. Alamannici Nazariani 755, Petaviani Mosellani 756. Der Heraus-
geber der Ießteren, Xappenberg, giebt dafür dem ganz unbegreiflichen Sram an:
propter consuetudinem ejus cum monasterio Lauresham; Pertz SS. XVL
p- 491. n. 86.
%) Fred. cont. c. 122. Vita Stephani II. c. 48.
®) Cod. Carol. ep. 11. p. 64; f. ©. 282. N. 4.
*) Troya n° 798, 768 19. $ebruar: sanctae recordandae memoriae; n° 855,
Yuni 766: per donum sancte memorie domni Haistulfi regis; n° 964*, p. 767,
Juli 772: a bonae memoriae domno Haistulfo rege; vgl. noch n° 727. 791. 851.
Wenn das chronicon Salernitanum jedoch von ihm fa, on: valde dilexit monachos
et in eorum est mortuus manibus (c. 7, Pertz 88. p. 475), fo ift_ das, wie
ſchon Perg angemerkt, eine Verwechſelung mit dem Abte Anjelm von Nonantola,
einem Schwager (Vita Ans. c. 7, Muratori 88. rr. It. I. p. 194); Gregorovius,
IL S. 381, hat die Angabe daher mit Unrecht in jeine Erzählung "aufgenommen.
284 Capitel X. 756-757.
Schon feine Thronerhebung wird in mannigfacher Weiſe ausgefhmüdt,?)
und richtig ift an diefen‘ Erzählungen nur, daß Brescia als feine
Heimat bezeichnet wird; denn Bier gründete er nebft feiner Gattin
Anfa ein Nonnenklofter , defjen Vorfteherin ihre Tochter Anfelperga
wurde; hier hatte Aiſtulf ihn einft mit Beſitzungen beſchenkt, die er
dann an jenes Klofter überließ.) Zwiſchen Defiderius und feinem
Könige haben, wie auch fonft erfichtlich ift, freundfchaftliche Beziehungen
beftanden: Aiftulf Hatte ihm als Herzog von Tuscien eingefegt, )) und
wir finden ihn hier an der Seite des Königs und als feinen Rath—
geber bei Ausftellung einer Urkunde. *) Die Annalen Einhards
nennen ihn einen Marſchall Aiſtulfs; 5) es war die ein im fränkiſchen
Reiche oft ermähntes höheres Hofanit,“) mit welchem ſich mehrfach
ein Eriegerifches Commando verbunden findet. 7)
Sobald Defiderius, der fi damals in Tuscien befand, von dem
Tode Aiftulfs Hörte, faßte er den Entſchluß, ‚fih um die Königskrone
zu bewerben, und fammelte zu diefem Zwecke die Heeresmacht Tusciens,
wie e8 danach feheint, eines Kampfes gemärtig.®) In der That war
gleichzeitig ein Anderer in Pavia aufgetreten, nicht als Bewerber,
fondern mit vollem Anfprud auf den Wiederbefig des königlichen
Palaſtes, den er einft mit der N lofterzelle vertaufcht Hatte, Es war
Rachis, der ältere Bruder des verftorbenen Könige, der Mönd von
Montecafino. Wie wenige Jahre früher der fränkijche Firft Karlmann
aus dem Kloſter in das Geräufch einer entzweiten Welt zurüdgefehrt
war, wie wenige Jahre fpäter der aquitanifche Fürſt guno ‚nad
dem Tode Waifars das Kloſterleben verließ, um den Kampf gegen
die fränfifchen Sieger von neuem aufzunehmen: fo eilte bei dem plüß-
lichen Ableben feines Bruders der einftmalige Friedensfürft Rachis
auf den Thron zurück — von melden Plänen erfüllt, wiffen wir
1) Legende von der heifigen Julia, aus einer Handſchrift der Chronik des
Biſchofs Sicardus von Eremona (F 1215) überfegt von Otto Abel, Paulus
Diaconus und die übrigen Geſchichtsſchreiber der Langobarden ©. 204— 206
(Geajartärdse ber deutichen Vorzeit, 8. Jahrhundert).
Troya n° 727: qualiter jamdudum a predecessore nostro domno
Aistullo rege nobis conceasa fuit; n° 851, Beftätigung ber Beſitzun— en des
Mofters duch König Aelcjis, den Sohn de Defiberius: primum omnium claustra
ipsius monasterii cum singulis edificiis . . . qualiter eidem domno et geni-
tori — a enerande memorie Astulfo concessum fuerat, ferner noch eine
curtis . iter ... [a] suprascripto domno Astulfo rege illi fuerat concessa.
u) vi Stephani . c. 48: Desiderius quidam dux Langobardorum, qui
ab eodem nequissimo Aistulpho in partes Tusciae fuerat directus.
*) Troya n° 791: et adhuc ipse princeps [Desiderius] dixit, quod judi-
catum ipsum vedissit et per du rogum domnus Aistolf eum per suum
Praeceptum
®) Ann. Einh. 766: Oui [Beistulfo] Desiderius, qui comes stabuli ejus
erat, successit in regnum.
.) ED Gregor. Turon. hist. Franc. lib. V. c. 40, lib. IX. c. 38; chron.
[3
?) Sal. ann. Einh. a. 782. 807; Wait, 47. N. 3.
®) Ueber, dieje Vorgänge vgl. bejondere Vita 23 e 48-51.
Die Lage Italiens in den legten Zeiten des Papſtes Stephan. . 285
veilich nicht zu fagen. Bei feiner Hinneigung zu Rom läßt ſich wohl
vermuthen, daß er, wenn feine Regierung Beftand hatte, es verfucht
und verftanden haben würde, die Leidenjchaften der jüngften Jahre
wieder zu beſchwichtigen.
Der Papft begünftigte die Bewerbung des Defiderius, fei es,
weil er den unfanonifchen Austritt des Rachis aus dem Klofter nicht
billigen durfte, fei es, daß Defiderius ihn durch feine Anerbietungen
zu gewinnen gewußt hatte. Diefer wandte ſich nämlich an Stephan
mit der Bitte um Hülfe, alfo um militärif—hen Beiſtand. Rachis
war nicht nur jenfeit3 der Apenninen, fondern auch im übrigen Reiche
von einem großen Anhang unterftügt, welcher die Bewerbung bes
tusciſchen Herzogs geringihägig verwarf und fie mit Waffengewalt
zu bekämpfen -entfchloffen war.) Vom Dezember bis zum März,
fo fagt die Chronik von Brescia, ?) behauptete ſich Rachis im Palafte
zu Pavia; und der Beſitz dieſes Palaftes gehörte zur vollen Würde
des Tangobardifhen Königthums.) Daß er aber aud in Tuscien
eine Partei für ſich hatte, beweift da8 einzige aus feinem Interregnum
vorhandene Document, eine Urkunde des Biſchofs von Piſa nämlich
aus dem Februar 757, die nad} feiner Regierungszeit datirt ift.*)
Damals war der MWettftreit der beiden Nebenbuhler aljo entweber
noch gar nicht vorhanden oder noch unentſchieden.
Es kam überhaupt auch zu feiner blutigen Entſcheidung. Die
Verſprechungen des Defiderins hatten den Papft veranlaßt, mit dem
noch immer anwefenden fränfiihen Bevollmächtigten Fulrad in Be:
rathung zu treten. Defiderius hatte fich bereit erklärt, die nod in
feiner Gewalt befindlichen Städte des ehemaligen Exarchats an den
Papſt abzutreten; er Hatte eidlich gelobt, alle Wünfche des Papftes
zu erfüllen. Darauf waren päpftliche Gefandte, der Diacon Paulus,
ein Bruder Stephan, nicht lange nachher fein Nachfolger, ®) und der
Primicerius Chriftophorus, ©) zugleich mit ihnen. aber die fränkiſchen
Gefandten Fulrad und Rodbert zu Defiderius nach Tuscien abge
gangen, ?) um mit dem ZIhronbewerber das Nähere zu beſprechen und
ihn durch ein bindendes Schriftftüd zur Einhaltung feiner Zufage zu
1) Cap. 48: sed et alii plures Langobardorum optimates cum eo, eun-
dem Desiderium spernentes, plurimam Transalpinorum vel ceterorum loco-
rum Langobardorum exereituum multitudinem aggregantes, ad dimicandum
contra eum profecti sunt.
*) Chron. Brixiense, Pertz 88. III. p. 239.
®) Dgl. Paul. Diac. hist. Langob. lib. V. c. 39.
+) Troya n° 707: guvernante domno Ratchis famulu Christi Jesu, prin-
cipem gentis Languvardorum, anno primo, mense Februario, per ind. decima.
®) Derjelbe ſchreibt daher fpäter, Cod. Carol. ep. 17. p. 80: eas [eivitates]
nobis praesentaliter ... . pollicitug est redditurum [Desiderius].
®) Cod. Carol. ep. 36. (Pauli) p. 128: dilectus filius noster Christophorus
primicerius et consiliarius ... . nostri praedecessoris ac germani, domni
Stephani papae, simulque et noster sincerus atque probatissimus fidelis.
?) Rodbertus wird Cod. Carol. ep. 17. p. 80 genannt.
286 Eapitel XX. 756-757.
verpflichten. Deſiderius gefobte ſchriftlich und mit feierlichen Eide *)
die Herausgabe folgender jech Städte nebft ihren Stadtgebieten, Wal-
dungen und Landichaften: Faenza, Imola und Ferrara in der Provinz
Aemilia; Ancona, Oſimo und Umana im füböftlihen Theile der
Pentapolis; dazu kam nachträglich durch zwei langobardiſche Unterhändfer,
Herzog Garrinod und Grimoald, die Bewilligung der Stadt Bologna
und ihres Gebietes. ?) Die Uebergabe der Städte follte wiederum,
wie im Yahre 756, erft an den Franfenfönig, dann durch diefen an
die Kirche Petri erfolgen. °) Defiderius wiederholte das Verſprechen,
daß er mit dem Papfte und dem römifchen Wolfe ſtets in Frieden
bleiben wolle; er gelobte auch Treue gegen Pippin und bat, daß der
Bapft zwifchen den Franken und Langobarden ein Bündniß des Friedens
und der Eintracht herbeiführen möge. *)
Nachdem diefe Beſprechungen jtattgefunden hatten, verſuchte der
Papſt, durch feinen Einfluß den König Rachis und feine Anhänger
zur Anerfennung des Defiderius zu bewegen. Ueberbringer des päpft-
lichen Schreibens war Stephan, der Priefter der Cäcilienkicche zu Rom,
nachmals Papft Stephan III.5) Zugleich eilte der raftlofe Abt Fulrad
in Begleitung einer Anzahl Franken zu Rachis; ja, der Papft war
entfchloffen, wenn es nöthig werden follte, feinen Schügling mit
römifcher Truppenmacht zu unterftügen. Doc defjen bedurfte es
nicht, denn Rachis fügte ſich, fcheint es, dem päpftlichen Drängen; °)
und während er Hiermit aus der Geſchichte verſchwand,“) beftieg
Defiderius, von allen Seiten anerfannt, den langobardiſchen Thron.®)
Theilweife erfüllte er fogleich feine Verſprechungen, indem er
') Vita Steph. c. 49: per scriptam paginam sub terribili juramento;
Cod. Carol. ep. 19. (Pauli) p. 87: secundum ut constitit et pactuum foedera
continentur; ep. 34. p. 121: nobis omnia juxta pacti seriem restituantur.
?) Cod. Carol. ep. 11. (Stephani) p. 64.
») Ep. 17. (Paul) p- 80: christianitati tuae et per te etiam beato
Petro ... . pollieitus est redditurum; baj. p. 82—83: fortiter ipsum Desi-
derium vel ejus Langobardorum gentem constringere jubeas, quatenus prae-
fatas, quas pollieitus est, eivitates tuae melliluae excellentiae et per te
beato Petro fautori tuo restituat. Vgl. oben ©. 148. N. 5.
4) Vit. Steph. II. c. 49; Cod. Carol. ep. 11. (Stephani) p. 64: et in
pacis quiete cum Dei ecclesia et nostro populo semper mansurum professus
est, atque fidelem erga a Deo protectum regnum vestrum esse testatus est.
°) Vita Steph. c. 50: misit suum missum Stephanum venerabilem pres-
byterum. &eine Unterichrift findet fi in einer Bulle Pauls I. vom 2. Iuni
761,. Mansi XII. col. 650: Stephanus humilis presbyter sacrae Romanae
ecelesiae tituli sanetae Caceiliae; vgl. dazu Vita Stephani III. c. I, Vignoli
II. p. 182: [Zacharias] eum presbyterum in titulo beatae Caeeiliae conse-
eravit. Noch Näheres über ihn j. unten Exeurs VII.
°) Vita Stephani IL. c. 50: ita Dominus disposuit, ut sine ullo homi-
num periculo Desiderius per jam dicti coangelici papae procurationem ean-
dem, quam ambiebat, assumeret regalem dignitatem.
?) Er farb zu Montecafino: chronica sancti Benedicti, Bertz SS. III.
pP. 200; chronica mon. Casin. auetore Leone, Pertz SS. VII. p. 584.
®) Ueber den Zeitpunft, Anfang März 757, j. Creurs I. $ 8.
Zu
Die Lage Italiens in den letzten Zeiten des Papſtes Stephan. 287
einem päpftlichen Gefandten die Stadt Faenza nebft dem Caſtram
Ziberiacum, das gefammte Herzogtfum Ferrara, endlich die Stadt
Gavello (Gabellum) nördlich vom Po Herausgab.!) Schon vorher
aber war von Seiten des Papftes über alle die eben erzählten Vor—
gänge im Langobardenreiche, über Aiftulfs Tod umd über die Ver—
abredungen mit Defiderius, an Pippin Bericht erftattet worden. 2)
Die Ueberbringer dieſes Schreibens waren der Biſchof Georg von
Oſtia, derfelbe, welcher das Jahr vorher während der Belagerung
Roms nad) Gallien geſchickt worden war, und Johannes, ein Regionarius
von Rom und des Papftes Sacellarius.?) Auch Fulrad kehrte endlich,
in fein Vaterland zurück, und der Papft fühlte jich gedrungen, der
Thätigfeit dieſes Staatsmanned reiches Lob zu fpenden. 4) Auf fein
Zeugniß berief er fi) aud, da es galt, die neuen Erwerbungen,
welche über die urfprüngliche Donation hinausgingen, al8 notwendige
Ergänzung der früheren darzuftellen. Fulrad, fagt er, habe duch
eigene Anſchauung fi überzeugt, °) daß die Gebiete des Papftes von
ı) Yit. Steph. o. 51.
9 Cod. Carol. ep. 11. p. 61-67.
Biſchof Wilparius von Nomentum, der bereits 755 zu Bippin em en
war, hielt fi noch immer im Frankenreiche auf; Cod. Carol. ep. 7. 2
ep. 11.p.
+ Ein thatfächlicher, Ausdrud des Dankes waren bie vier Bullen, melde
Stephan dem Abte ertheilte (ſämmtlich gedrudt bei Migne, Patr. lat. LXXXIX.
col. 1013—1018), durch weiche ex 1. feinem Wunſche gemäß ihm ein hospitale
beim Grabe des Papſtes Leo, quod tenuit Ratchis monachus, und ein Haus
beim Kloſter des heil. Martin, quam tenuit Nazarius monachus, auf Lebenszeit
zuwies (Jaffe Reg. pont. Rom. n° 1784); 2, demſelben, maxime amore ducti
excellentissimi filii nostri Pippini regis, den ornatus apostolici vestimenti
enter (Jaffe n° 1781, Tert jehr corrumpirt); 3. dem Klofter S. Denys geftattete,
a 6 Diatone desjefben nad) römiſchem Kirchenbrauche beim Aftardienft stolam
Imaticae decoris induantur (Jaffe n® 1783); endlid, 4. dem Abte Fulrad
de Erlaubniß gab, überall im Frantenreich auf ihm zugehörigen Grundftüden
Klöſter zu bauen, und dieje gleich S. Denys jelbft, ähnlich wie einft Zacharias
das Klofter Fulda, unter bie unmittelbare Jurisbiction des Papſtes ftellte (Jaffe
n° 1782). — Nur N° 4 hat volle Datirung: Datum IV. kalendas Martias,
imperante domno Ziisimo augusto Constantino a Deo coronato magno
imperatore, anno decimo octavo (?) imperii ejus, sed et Leone imperatore
ejus filio anno quarto, indietione decima; die Urkunde ift aljo am 26. Fer
bruar 757 ausgeftellt. Aus den Worten a praesenti decima indietione (Sep-
tember 756 bis September 757) in N° 1 darf aber wohl mit Recht gefchloffen
werden, daß fie gleichzeitig mit N° 4 erlaſſen ift. Die anderen zwei Stüde endlich,
Ne 2 und 3, find ganz undatirt und bieten auch fonft feine chronologiſchen An-
haltspuntte; nur ift aus dem Sage der Ne 3: laudem sibi bonam apud hanc
sanctam sederm apostolicam acquirant, zu exfehen, daß auch dieſes Schreiben
nicht etwa in ©. Denys, fondern in Rom erlafien worden if. — Die Bullen
enthalten wohl —— Ungewohnliches, doch nichts, was fie als falſch zu ver⸗
werfen nöthigt. Namentlich iſt die Echtheit der N° 4 ebenſo eifrig und — von
einzelnen Iuterpolationen abgeiehen — ebenſo grundlos angefochten worden, wie
die der Fuldaer Bulle, mit welcher u. A. aud) Sidel, Beiträge zur Diplomatik IV.
©. 618, diefelbe zufammenhält. Einen Hinweis auf br | peloiteg enthalten die
Aoteu der synodus Werner. a. 858, Pertz LL. I. p.
®) Cod. Carol. ep. 11. p. 68-64: ſ. oben &. \ 2.2
288 Capitel XX. 786--757. |
denjenigen Gebieten, welche bisher mit denfelben unter Einer Herrſchaft
geftanden und zu einem Ganzen verbunden geweſen fein, ohne Gefahr
für ihre Exiftenz nicht getrennt bleiben dürften; nur durch die Wieder-
vereinigung mit ihnen würden fie zu völliger Sicherheit und Zufriedenheit
gelangen; i) nur dann wirde daher der heil, Petrus volle Genugthuung |
finden, wie der König fie ihm durch einen Eidſchwur zugefagt. ?) Erft |
nad) diefer Anseinanderfegung bittet Stephan um Pippins Zuftimmung
zur Wahl des Defiderius, der durch Einräumung obengenannter fieben
Städte den VBedürfniffen des Kirchenftants fo bereitwillig entgegen-
tommen wolle und ſich zugleich zur Treue gegen das fränkiſche Reich
verpflichtet Habe. Das Verhältniß der beiden Könige zu einander
wurde in ber That ein ſolches, daß Pippin durch Ermahnungen und
ſelbſt Befehle den Defiderius zur Ausführung feines Willens zu
veranlajfen vermochte. ®) Hatte ja Pippin noch immer die Lango-
bardiſchen Geifel in Händen, *) und die vertragsmäßigen Verpflich-
tungen, welche einft Aiftulf eingegangen war, blieben doch auch für
feinen Nachfolger bindend.
Es unterliegt feinem Zweifel, daß Pippin die in dem Briefe
des Papftes ausgejprochenen Anträge genehmigt Hat.) Dies war
übrigens nicht die einzige Rom günftige Wendung, welche der Tod
Aiftulfs herbeigeführt. In den beiden Herzogthümern Spoleto und
Benevent waren ähnliche Veränderungen eingetreten, wie im Künig-
reiche felbft. Herzog Liutprand hatte ſich vielleicht ſchon bei Lebzeiten
Aiſtulfs von den Unternehmungen desfelben zurücgezogen; es ift
bereit8 erwähnt worden, daß er im Juni 756, aljo während des
fränkiſchen Krieges, daheim in feinem Palafte zu Benevent eine Geric)ts-
figung hielt. *) Jedenfalls war er mit feinem Volke entſchloſſen, nad
dem Kriege freundfchaftliche Verbindungen mit Rom anzufnüpfen; und
als der König gejtorben war, wandten ſich fowohl die Spoletaner,
als auch die Beneventaner an Stephan mit der Bitte, jie dem Schutze
Pippins zu empfehlen: *) einer Bitte, welche die Herzoge fammt ihren
Beamten durd ein eidliches Gelöbniß der Treue gegen den Papft und
2 Cod. Carol. ep. 11. p. 63: ut populus Dei ... in magna securitate
et delectatione, tuo auxilio adjutus, vivere valeat.
®) Daj. p. 64: conjuro, spiritalis compater, ut... omnia, quae beato
Petro sub jurejurando promisisti, adimplere jubeas et, sicut cepisti, plena-
riam justitiam illi inpertire.
®) Daſ. p. 63: eivitates ... . restituere praecipiatis; p. 65: obtestando,
admonendo etiam et praeeipiendo; ep. 17. p. 81: Desiderium . . . fortiter
Constringere digneris; ähnfid, p. 82, |. oben ©. 286. N. 8; ep. 81. p. 114:
dirigere jubentis vestram praeceptionem Desiderio.
*) Ep. 16. p. 76; ep. 17. p. 80.
®) Fred. cont. c. 122: Langobardi, una cum consensu praedicti regis
Pippini et consilio procerum suorum, Desiderium in sedem regni instituunt,
S. oben ©. 265. N. 2.
?) Cod. Carol. ep. 11. p. 65: tam ipsi Spolitini quamque etiam Bene-
ventani omnes se commendare per nos a Deo servatae excellentiae tuao
eupiunt; ep. 17. p. 79: se sub vestra a Deo servata potestate contulerunt,
Die Lage Italiens in dem Iegten Zeiten des Papfies Stephan. 289 .
den Frankenkönig befräftigten. 1) Denn aud in Spoleto war nun
mehr, nachdem Aiftulf während jeiner ganzen Regierung das Land
unmittelbar unter feiner Verwaltung behalten Hatte,*) unter Zuftimmung
des Papftes und des fränfifhen Bevollmächtigten ein neuer Herzog,
Namens Alboin, eingejeit worden, °) und ſchon im März des Jahres
"757 ift eine Urkunde des Kloſters Farfa nach feiner Regierungszeit
datirt.*) Wie fehr man hier aber mit der jüngften Vergangenheit
zu brechen wünfchte, beweiſt vielleicht folgender Vorgang. >) Ein Bürger
von Nieti, Namens Pando, Hatte zur Belohnung feiner Dienjte von
Aiftulf ein Grundftüd zum Geſchenk erhalten; jest glaubte er ſich
dasfelbe durch den Herzog beftätigen laſſen zu müſſen; °) ja, ſchon im
September des nämlichen Jahres übergab er es dem Klofter Farfa,
faft als ob Alboin nur unter einer folchen Bedingung die Schenkung
feines Vorgängers erneuert hätte.
Dies war die Lage Italiens in den legten Tagen des Papftes
Stephan; der Name des fränfifchen Königs hatte die höchſte Geltung
auf der Halbinfel, und obwohl mit diefen Triumphen feine Gebiets-
erweiterung verbunden war, fo bemirkten fie doc) einen gewaltigen
Machtzuwachs, eine Erhöhung des Anfehns in der ganzen damaligen
Welt.) Noch einmal war die Möglichfeit gegeben, den Fortbeſtand
des Langobardenreichs mit den Intereſſen des Papſtthums in Einklang
zu erhalten. Rom war befriedigt: e8 bat Pippin um die Sanctionirung
der neuen langobardifchen Zuftände; Pippin war befriedigt, und er
dringt fpäter einmal beim Papfte Paul auf Bewahrung friedlicher
Beziehungen zu Deſiderius. ®)
4) Wenigftens von Alboin von Spoleto cum ejus satrapibus erzählt Paul I,
ep. 17. p. 79, daß fie in fide beati Petri et vestra sacramentum prebuerunt.
2) ©. oben ©. 119.
®) Cod. Carol. ep. 11. p. 65: Nam et Spolaetini ducatus generalitas per
manns beati Petri et tuum fortissimum brachium constituerunt sibi ducem.
Deſſelben Ausdruds bedient fi Stephan fr die Einfegung des Defiderius p. 64:
Nunc antem Dei providentia, per manus sui prineipis apostolorum beati
Petri, simul et per tuum fortissimum brachium, praecurrente industria Deo
amabilis viri Folradi . . . ordinatus est rex super gentem Langobardorum
Desiderius, vir mitissimus.
*) Troya ne 709.
®) Daf. n° 714: tempore Albuini ... ducis gentis Langob. anno ducatus
ejus ‚primo, mense Sept., ind. XI.
) per nostrum gervitium a domno Haistulfo rege conquisimus, vel postea
domnus noster Albuinus .... dux per suum nobis confirmavit praeceptum.
Es galt aud im Frankenreiche als ndjaß, daß Präcepte geftürzter Fürften
feine Gültigkeit mehr Hatten, daher der Erneuerung bedurften; jo befigen wir
3. B. zwei Diplome Karls des Großen aus den Jahren 781 und 791, Sickel K. 82.
und 180, in denen diefer zwei Urkunden des Langobardenkönigs Adeldis und eine
Schenkung des Herzogs Taffilo von Baiern beftätigt.
?) gl. Cod. Carol. ep. 17. p. 81: Omnes omnino gentes, quae super
faciem universae terrae consistunt, compertum habent tuum certamen, quod
ad defensionem sanctae Dei ecelesiae adhibuisti, et magnum te ac praecipuum
regem landabiliter asserunt.
®) Daf. ep. 89. p. 187: Hoc interea vestram meminere volumus excel-
Sahrb. d. dj. Geſch. Deläner, König Pippin. 19
290 Eapitel XX. 756757.
Selbft das Verhältniß zum oftrömifchen Reiche geftaltete ſich
freundlicher: wir hören von einem geſandtſchaftlichen Verkehr zwiſchen
Conſtantin V. und Pippin, trog der im vorhergegangenen Jahre
verunglücten Miffion der byzantiniſchen Großwürdenträger Georgius
und Zohannes. Pippin eröffnete denfelben; „um der Freundſchaft
willen und zum Seile feines Landes,“ fo erzählt der Tortfeger des
Fredegar, „Idicte König Pippin eine Gefandtihaft an den Kaifer
Eonftantin; ebenfo ſchickte Conftantin an den König eine Gefandtfchaft
mit vielen Gefchenfen, und fie verſprachen einander gegenfeitig Freund⸗
ſchaft und Treue.” 1) Es ift offenbar diefelbe Geſandtſchaft, von der
die fränfifhen Annalen faft ohne Ausnahme erzählen, weil unter den
kaiſerlichen Geſchenken ſich auch eine Orgel befand, ein Snftrument,
das man bis dahin im Frankenlande noch nicht gefannt hatte.?)
Auch der Papft Stephan fommt, in feinem vorerwähnten Briefe
auf dieſe griechiiche Gefandtfchaft zurüd, wobei er den Silentiarius
Johannes als Träger berfelben nennt; wir erfahren durch ihn, daß
es fich dabei um die päpftlihen Patrimonien auf griechiichem Gebiet,
aber aud um religiöfe Fragen handelte. Wir werden von diefer
doppelten Angelegenheit fpäter noch mehr zu fagen haben. Aber es
ift hervorhebenswerth, daß derjenige Papſt, deſſen Pontificat vorwiegend
dem Kampfe für den weltlichen Bejig der Kirche gewidmet war, am
Ende feiner Laufbahn doch auch zu der höheren Aufgabe des Papft-
thums, zur Vertheidigung des Glaubens, zurüdfehren mußte. In
diefe Zeit vielleicht fällt das Ermahnungsfcreiben Stephans an den
Kaifer, von dem wir durch eine Mitteilung des Papftes Hadrian
wiffen.) An Pippin aber wendet er ſich mit der Bitte, daß er den
heiligen katholiſchen und apoftolifchen Glauben rein und unerfchüttert
erhalten möge.*) Er hat mit Fulrad verabredet, daß er mit dem
lentiam, nuper nobis direxisse, quatenus in pacis dilectione cum Desiderio
Langobardorum rege conversare studeamus.
4) Fred. cont. c. 123.
®) Quod antea non visum fuerat in Francia; fo deuten die ann. Mettenses
757 wohl ganz zutreffend die dunffen oder corrumpirten Worte der ann. Laur.
maj. 757: Misit Constantinus . . . Pippino cum aliis donis organum, qui
in Franeiam usque pervenit. Die ann. Einh. 757 combiniven tidtig, Ei)
die Geſchente während der Synode zu Eompiögne eingetroffen fein: quae [munera]
ad eum in Compendio villa pervenerunt, ubi tunc populi sui generalem con-
ventum habuit; of. unten Cap. XXI. 1.
®) Brief Hadrians an Conftantin VL. und Irene vom 26. October 785,
Mansi XII. col. 1061: dominus Gregorius atque item Gregorius beatissimi
pontifices . . . vestrae tranquillissimae pietatis proavum suis apostolicis
exarationum apieibus deprecati sunt, ut R} eadem novae praesumtionis teme-
ritate resipisceret easdemque imagines in pristino statu restitueret . . .
Et postmodum dominus Zacharias et Stephanus atque Paulus et item Ste-
phanus, praedecessores nostri sancti pontifices, saepius avum et genitorem
vestrae serenissimae tranquillitatis pro statuendis ipsis imaginibus sacris
deprecati sunt.
*) Cod. Carol. ep. 11. p. 65-66: ita disponere jubeas de parte Gre-
corum, ut fides sancta catholica et apostolica per te integra et inconcussa
a
Die Lage Italiens in den Ieten Zeiten des Papſtes Stephan. 291
Könige in diefen Dingen gemeinfam handeln wolle, und er bittet daher
jegt um Ausfunft über die Aufnahme der Gefandten am fränkiſchen
Hofe und um eine Abfchrift des ihnen mitgegebenen Töniglichen
Schreibens. *)
Inzwiſchen feierte er, und mit gutem Grunde, die großen Erfolge
feines Wirfens durch Stiftungen und Belohnungen. Vor Allem ver-
berrlichte er den heil. Petrus durd) die Verſchönerung feiner Bafilifa.*)
Ganz in der Nähe derfelben erbaute er der Heil. Petronella, der
Tochter Petri, wie er es ſchon in Gallien gelobt Hatte, eine Capelle,
die jedoch erft von feinem Nachfolger eingeweiht und den Gebeinen
der Heiligen zur Nubeftätte gegeben wurde. °) Ebenſo voffendete erſt
Paul das Kloſter des Dionyfins, für welches Stephan Reliquien
diefes Heiligen aus Gallien mitgebracht und griechiſche Mönche zu
berufen ſich vorgefeßt hatte. *) Wir erinnern uns, daß der Papft auf
feiner Ruckkehr nach Rom zu Ende des Jahres 754 im Kloſter des
Beil. Hilarius liebevolle Aufnahme gefunden Hatte; 5) den Vorſteher
diefes Stiftes, Biſchof Anscaufus von Forlimpopoli, belohnte er jett
damit, daß er das Kloſter ihm auf Lebenszeit überließ und e8, gegen
das alte Recht des Erzbisthums Ravenna, der römiſchen Kirche
unterordnete. ©)
Vielleicht fteht diefe Verleihung mit einem Eonflicte in Zufammen-
hang, der damals zwiſchen Stephan und dem Erzbifchof Sergius von
Ravenna ausgebrochen war. Denn daß der Papft diefen feiner Würde
entfegt habe, erzählt ein fpäteres Schreiben Hadrians zum Beweiſe
dafür, daß derfelbe im Exarchat volles Hoheitsrecht beſeſſen und aus-
geübt; ) er führt als Grumd der Abjegung an, daß Sergius fich
übermüthigermeife gegen den Willen des Papftes aufgelehnt habe.
Einer andern Meberlieferung zufolge ſoll der Erzbiſchof gegen Stephan
auf deffen Reife nach Gallien die Pflichten der Ehrerbietung verlegt
und ſich dabei auf den Beiftand Aiftulfs verlaffen Haben; Stephan
habe ihn dafür jegt nad) Rom bringen laffen und als einen auf
permaneat in eternum, et sancta Dei ecclesia, sicut ab aliis, et ab eorum
pestifera malitia liberetur et secura reddatur. Auf den Batrimonienfreit ber
sehen fi dann die nächftfolgenden Worte: atque omnia propriaetatis suae
pereipiat, unde pro anime vestrae salute indefessa luminariorum concinnatio
Dei ecclaesiis permaneat et esuries pauperum egenorum vel peregrinorum
nihilominus refectetur, et ad veram saturitatem perveniant.
) Cod. Carol. ep. 11. p. 66: ut sciamus, qualiter in commune con-
cordia agamus, sicut inter nos et Folradum Deo amabilem constitit.
%) Vita Stephani II. c. 47. 52.
®) Daf. c. 52; vgl. oben ©. 154 (N. 3), unten Eap. XKXIT (758).
4) Hildoini Areopagitica ed. Surius, Vitae SS. (Colon. 1618), Oct. 9.
p. 180; f. oben S. 154.
%) ©. oben ©. 204 (N. 2).
°) Bulle PaufsL, 759 5. Sebr., Mansi XIL col. 644, Troyan° 732: vicissi-
tudinem impensi beneficii eidem Anscauso episcopo irrogans, praefatum
monasterium diebus vite sue fruendum illi concessit.
?) Cod. Carol. ep. Bl. p. 172.
292 Eapitel XX. 766-757.
unfanonifche Weife zum Prieftertfum Beförderten vom Amte ent
fernt.*) Wie dem auch) fei, der Nachfolger Stephans, Paul J. feste
Sergius gleich im Anfange feiner Regierung wieder in das Erzbisthum
ein®) und blieb mit ihm dann in einem durchaus freundſchaftlichen
Verhaltniß. Paul ift es aud, der das Kloſter des' Heil. Hilarius
nad) dem Ableben des Biſchofs Anscaufus, im Jahre 759, der Kirche
von Ravenna wieder zurücdgab, welcher es von Alters her unterthan
geweſen war. °)
In der legten Hälfte des Monats April wurde Stephan vom
Tode ereilt, zwar nicht fo plöglich, inmitten der Verhandlungen gegen
Sergius, wie Agnellus will, doc) jedenfalls, ohne daß eine langwierige
Krankheit vorhergegangen war; dies beweift der in voller Lebens-
thätigfeit erft vor Monatsfrift gefchriebene Brief an König Pippin.
Ja, noch kurz vor feinem Tode richtete er am die Franfenkönige ein
Schreiben, worin er diefelben zu dauernder Anhänglichkeit an feine
Nachfolger ermahnte.*) Sein Tod erregte, gleich dem des Aiftulf,
aud im Frankenreiche viel Aufſehn.“) Daß aber die Römer dem
Berftorbenen große Treue und Dankbarkeit bewahrten, ergibt ſich wohl
unverfennbar aus der Uebertragung des Pontificats auf feinen Bruder
Paul, obwohl eine ſchwache Gegenpartei den Archidiacon Theophylactus
aufgeftelit Hatte, Paul felbft jedoch von feinem kranken Bruder im
Lateran bis zur ZTodesftunde nicht gewichen war; Paul I. konnte ſich
rühmen, von dem gefammten Volke ermählt zu fein.) Papft Stephan
Pa am 26. April mit hohen Ehren in der Kirche des Heil. Petrus
beigefegt.
}) Agnellus, Vitae pontificum Ravennatensium, Mansi XII. col. 655;
bie letztere Beichulbigung wird durch die Vita Stephani III. c. 19, Vignoli II.
148, beftätigt.
BE) Col. Carol. ep. 14. p. 74.
9 ©. die oben ©. 291. N. 6 citivte Bulle Pauls: agnoscentes rei veritatem
... juris sancte Ravennatis ecclesie a diuturnis existere temporibus.
*) Cod. Carol. ep. 47. (Stephani III.) p. 162: in suo transitu per sun
Pre sub terribili adjuratione adhortari studuit; das Schreiben ift nicht
erhalten.
°) Bgl. ann. Alamannici Guelferl i Nazariani 8: lenses maj. 756,
Petaviani (A. B.) 757. Iytan meell N.
*) Vita Pauli c. 1—2, Vignoli IL p. 126—127; Cod. Carol, ep. 12.
(Pauli) p. 68: In cujus apostolatus ordinem a cuncta populorum caterva
mea infelicitas electa est.
Linundzwanzigſtes Gapitel.
Der Reihätag von Compidgne.
757.
1. Ein Maifeld.
Welch’ folgenreiche Waffenthat im Yahre 756 vollbracht worden
war, mußte Pippin und den Franken recht zum Bewußtſein kommen,
als fie im Mai des folgenden Jahres fi in Compiögne zum Reichstag
zufammenfanden.
Da erſchien zunächft der jugendliche Herzog Taffilo mit zahlreichem
Gefolge baierifher Großen. Wie ſchon die erſte Spur eines Mai-
feldes im Zrantenreihe mit dem Namen Taſſilo's verknüpft ift, )
fo trat er auch in der Maiverfammlung des Jahres 757 auf, und
feine Ankunft bildete vielleicht den Glanzpunkt des Reichstages von
Compiegne. Die itafifhen Erfolge Pippins trugen auch diesjeits der
Alpen zur Befeftigung der fränfifchen Suprematie bei.
Zu Eompiegne fanden fich ferner die zwei im vorigen Gapitel
erwähnten römifchen Gefandten ein, welche dem Könige ein Schreiben
des inzwifchen verftorbenen Papftes Stephan zu überbringen hatten,
der Biſchof Georgius von Oſtia und Johannes, der Sacellarius
des Papftes; denn fie wohnten, wie aus einigen Paragraphen des
Synodalſtatuts erfichtlich ift, den dafelbft gepflogenen bifchöflichen
Berathungen bei. 3)
4) Ann. Lauresham. 755: Venit Tassilo ad Mareis campum in mense
Madio; vgl. oben &. 264 (R. 7) und Ercurs I. 8 7%,
®) gl. Cod. Carol. ep. 11. p. 66, oben ©. 287, mit capit. Compend.
e. 12. 14. 15. 16. 20. 21. — Vielleicht beziehen ſich auf diefe Berathungen bie
Worte bes päpftfichen Schreibens: Inspiratus autem a Deo, nimis festinanter
causam sanctae ecclesise perficies; quia sunt aliase canonicae causae, quas
perficere debeamus, pertinentes ad magnam regni tui laudem et magnam
animae tuae vel cunctae gentis Francorum inmensam mercedem (p. 65).
294 Eapitel XXI. 787.
Daß auch ein byzantiniſcher Botſchafter nad Compiegne fam, be
zeugen zwar die ſog. Einhard’shen Annalen mit ausdrüdlihen Worten,
indem fie von der Ankunft der kaiſerlichen Gefchenfe während des
Reichstags erzählen; ) allein wir würden diefe Angabe nur al& einen
frei erfundenen Zufag des Annafiften betrachten, wenn nicht aud ber
Brief Stephans II. eine Beftätigung enthielte., Indem der Papft
namlich jener faiferlihen Geſandtſchaft gegenüber auf die Entfchlüffe
Pippins einzuwirken fuchte, 2) mußte er ja vorausfegen, daß feine
eigenen Gefandten noch vor erfolgter Entjcheidung am fränfifchen
Hoflager eintreffen würden; fo fpricht er denn auch von der münd-
lichen und fhriftlichen Antwort Pippins auf die griechifchen Anträge
wie von etwas Künftigem.®) Wahrfcheinlih war der Faiferliche Ge-
fandte, wie es öfter zu gefehehen pflegte, *) über Italien nach Gallien
gereift, und nur kurze Zeit früher als Georgius und Johannes, oder
ſelbſt gleichzeitig mit ihnen, hier angefommen.
Beiderfeit8 aber warb man wetteifernd um die Gunft und die
Unterftügung des fiegreichen Könige. Gab der griechifche Kaifer die
Hoffnung auf den Befig Italiens nicht auf, fo arbeiteten die päpft-
lichen Vertreter einem Umfchlage der fränfifchen Politik entgegen;
fuchte jener die Franken für feine fegerifchen Beftrebungen einzunehmen,
fo bemühte fich der Papft, Pippin bei dem orthodoxen Glauben der
römifchen Kirche zu erhalten.
Die päpftlichen Abgefandten vertraten zugleich die Sache des
Langobardenkönigs. Denn Defiderins hatte feinen nicht ohne Wider-
ftand errichteten Thron am beften dadurch zu ftügen geglaubt, daß er
den päpftfichen und durch den Papft auch den Schutz des Frankenkönigs
angerufen. Durch jene Botſchafter gelobte er bemfelben Treue und
bat ihn um Frieden und Freundichaft. 5)
Dies waren die Früchte des zweimaligen Siege, daß alle ftreiten-
den Gewalten ſich darin begegneten, den mächtigen Frankenherrſcher
zu ummerben und in ber Verbindung mit ihm ihr Heil zu fuchen.
Selbft der Papſt, der an den Vorteilen des Sieges nicht den Heinften
AntHeil Hatte, deffen Befreiung und Erhöhung ja allein das Ziel des
Kampfes geweſen war, Tonnte die neue Stellung doch feinem Befreier
gegenüber am alferwenigften geltend machen. Denn bei dem immer
!) Ann. Einh. 757: Constantinus imperator misit Pippino regi multa
munera ... quae ad eum in Compendio villa pervenerunt, ubi tunc populi
sui generalem conventum habnit; f. oben ©. 290. N. 2.
) Cod. Carol. ep. 11. p. 65: Et hoc obnixe postulamus ... ut...
ita disponere jubeas de parte Grecorum etc.
®) Daf. p. 66: Qualiter autem cum silentiario locuti fueritis vel quo-
modo eum tua bonitas absolverit, una cum exemplari literarum, quas ei
dederitis, nos certiores reddite.
3 So 3. B. au 756 (f. oben S. 265—266) und 758 (unten Cap. XX).
>) Cod. Carol. ep. 11. p. 64: Et petilt nos, qnatinus bonitatem tuam
deprecaremur, ut cum eo et cuncta gente Langobardorum magnam pacis
concordiam confirmare jubeas. -
Der Reichstag von Compiogne. 295
noch fortdauernden Schugbedürfniß trat ſelbſt das geiftliche Uebergewicht
gegen die materielle Abhängigkeit zurüd. So zum Theil erklärt ſich
jener Rückgang der kirchlichen Autorität des Papſtthums im Franfen-
reihe, von welchem oben die Rede geweſen ift.!) Der Bapft ftand
nicht mehr, wie e8 in den 40er Jahren angebahnt worden war, an
der Spite des fränkiſchen Klerus; ihm war in der hierarchiſchen
Ordnung der Kirche fein Pla vorbehalten. Seine zwei Gefandten
wohnten wohl den Berathungen der Synode bei, und wo es ſich
B. um eine Veränderung der früher gefaßten Beſchlüſſe von
Gerneuit ?) ober Verberie°) handelte, wird ihrer Beiftimmung oder
fogar ihrer Anregung gedacht; *) auch zur weiteren Durchführung eines
entfhieden römischen Grundfages haben fie vielleicht die Veranlafjung
gegeben. 5) Allein alles dies befundet nur die freiwillige Unterordnung
der fränfifchen Geiftlicfeit unter das ſachkundige römiſche Urtheil;
von einem amtlichen Verhältniß aber zwifchen Rom und der fräntifchen
Kirche fehlt jede Spur.
Daß die Zufammenfunft von Compiegne im Mai ftattfand,
dafür Tiegt ein doppelter Beweis vor. Die päpftlichen Gefandten
waren nicht vor Ende März aus Rom abgereift, ®) erft Ende April
alfo bei Pippin angelommen. Da fie, wie wir gejehen, dem Reiche
tage beimohnten, fo Hat diefer früheftens im Laufe des Mai ftatt-
gefunden. Damit trifft überein, daß das Privilegium des Klofters
Gorze, welches Bifchof Chrodegang zu Compitgne während der Sy—
node ausfertigte, vom 23. Mai batirt ift. ?)
Hieran aber knüpft fi ung eine Bemerkung über den Urfprung
des fogenannten Maifeldes.
An die Stelle des Märzfeldes nämlich, d. i. der fränfifchen
Märzverfammlung, ift während der Regierungszeit Pippins das Mai-
feld, der Campus Majus oder Madius, getreten; in der Fortfegung
des Fredegar erfcheint der Name bereits als technifcher Ausdrud. ®)
Nun haben wir im Anhange diefes Buches darzuthun verfucht, daß
ein bejtimmter Gefetgebungsact, der diefer Veränderung zu Grunde
Täge, in unferen Quellen nicht nachweisbar iſt.) Die neue Ein-
richtung ging aus einem neuen Bedürfniß hervor und jeßte fich daher
auch ohne ausdrückliche Vorſchrift von felber durch. Welches aber
war jenes neue Bedurfniß? Man hat dasjelbe gewöhnlich in mili-
) ©. oben ©. ee 222—228.
%) Capit. Compend. c. 12.
®) Daj. c. 16. 20. 21. inter erklärlich ift in diefer Beziehung cap. 14,
aumaf «8 cap. 5 widerſpricht·
3 Es Heißt theils consenserunt ober consentit, theils sic senserunt.
®) Capit. Compend. c. 15.
%) ©. oben, ©. 286—287.
9 it in Compendio palatio publice in synodo congregats etc.; |.
unten
*) Fred. — 125.130. 181. 182; vgl. noch Waitz, BG. IIL ©. 469. N. 8.
) ©. Ereurs J. 8 7%
296 Capitel XXL. 757.
tärifchen Verhältniſſen gefucht, *) umd gewiß waren diefe nicht ohne
Einfluß bei einer Verfammlung, welche fo oft von der Berathung
zur friegerifchen Action überging. Aber e8 Tag doc; aud in den eben
angebeuteten diplomatifchen Beziehungen ein triftiges Motiv fir die
neue Maßregel. Wohl jedes Frühjahr waren von der anderen Seite
der Alpen und der Meere her Botfchaften zu erwarten, welche auf die
Entfchlüffe der Reichöverfammlung entfcheidend einwirken mußten.
Sollten diefe Gefandtfchaften nicht ſchon im ftrengen Winter von der
Heimat aufbrechen, fo mußte man die Zufammenfünfte vom 1. März
auf ein fpäteres Datum verlegen. Während die militärifchen Ver—
hältniffe im Grunde ja unverändert die alten geblieben waren, Hatten
ſich feit den italifchen Feldzügen die auswärtigen Angelegenheiten des
Frankenreiches für alle Zeit weſentlich umgeftaltet.
2. Jerzog Baffilo von Baiern.
a. Die Synode zu Aſchheim 756.
Das Herzogtfum Baiern Hatte in jeiner Stelfung zum Franfen-
reiche eine gewiffe Achnlichkeit mit Aquitanien ; doch entftand zwiſchen
den beiden Herricherhäufern fehr bald eine wichtige Verſchiedenheit.
Die aquitanifche Herrfcherfamilie, wenngleich den Meromingern feines-
wegs verwandt, wie früher irrig behauptet worden, 2) gehörte doch zu
jenen Fürftengefchlechtern, welche wider das Farolingijche Königthum
anfämpften, weil fie, wie ein Autor aus dem Anfange des 9. Jahr⸗
hunderts es ausdrüdt, den meromingifchen Konigen zu gehorchen ge=
wohnt waren. ®) Die baierifche Herzogsfamilie dagegen hatte mit
der neuen Dpnaftie frühzeitig verwandiſchaftliche Bande gefchlofien;
Chiltrudis, die Gattin Odilo’s, war eine Schweſter Pippins. Nach
Odilo's Tode Hatte diefer ihrem unmündigen Sohne Taffilo mit
Waffengewalt das bedrohte Herzogthum wiedererfämpft *) und fomit
ein freundliches Verhältniß zwifchen fich und feinem Neffen angebahnt.
Dabei befchränfte er in feiner Weife die unabhängige Verwaltung und
Gefeßgebung des Landes, wie fie bis dahin zu Recht beftanden. °)
So auch Waitz, BG. II. ©. 469, woſelbſt in N. 2 die verfdiebenen
Anfihten zufammengeftelt find.
Bl. Weit, BO. IT. ©. 9. N. 1.
®) Erchanberti breviarium, Pertz SS. II. p. 328: noluerunt obtemperare
dueibus Francorum, eo quod non potuerint regibus Meroveis servire, sicuti
antea soliti erant.
*) Ann. Lauriss. maj. 748; vgl. Hahn, Jahrbücher &. 115—117.
*) Eine ähnliche Auffaffung des Berhältnifies findet ſich bei Waitz BG. IU.
S. 98—100, und bei Wittmann, Ueber die Stellung der agilolfingiſchen Herzoge
Der Reichstag von Eompidgne. 297
Denn gleichwie in den Tagen der Herzoge Theodo und Obilo z. 8.
die Einfegung der Bifchöfe zu den Befugniſſen des Landesfürften
gehört Hatte!) umd wie zu ihren Zeiten vom legislativen Verſamm⸗
lungen des Herzogthums die Rede ift, *) fo blieben auch dem Zaffilo
ſammtliche Beamten untergeben, °) er ftand an der Spike aller Rechts⸗
pflege im Lande, *) und auch zu feiner Zeit treten baierifche Biſchöfe
zu amtfihen Berathungen zufammen, um in Gemeinfchaft mit ihrem
Herzog für das allgemeine Befte zu forgen. Wir meinen jene Synode,
welche ji im Jahre 756,5) alfo im Anfange der felbftändigen
Regierung Taſſilo's, zu Aſchheim, einem herzoglihen Landgute, ) ver-
fammelte, und mit welcher wir uns Bier genauer zu bejchäftigen
haben. ?)
Die Beſchlüſſe der Verſammlung erweifen ſich unverfennbar als
Negierungsgrumdfäge, welche, auf Ausfprüche der Bibel und der Kirchen-
ſchriftſteller geftügt, dem jugendlichen, aber fchrifttundigen Herzog in
Ausübung feines Amtes zur Anleitung dienen follten. ®)
nad) Außen und nad) Innen (Anhamahıngen ber & Siforifäien Claſſe der königl.
baierifehen Akad. d. Wiff. VII, 1860, ©. 169-220).
?) Aus den Zeiten Jeedoe vgl. Litterae Gregorii II. papae decretales
ed. Merkel, Pertz II. III. p. 451; aus den Tagen Odilo's: ep. Gregorii III.
vom 29. Detober 789, Tai Bibl. II. ep. 38. p. 105 (et quia cum assensu
Otile, dueis eorumdem Bajoariorum, seu optimatum provincise illius tres
alios ordinasses episcopos et in quattuor partes provinciam illam divisistis);
ep. Zachariae, 1. Mai 748, Jaff& 1. c. ep. 66. p. 190-191.
) S. die in der vorigen Note angeführten Litterae decretales Gregor’ IL,
©. 1: Conventus sacerdotum et judicum atque universorum gentis ejusdem
primariorum adgregetur; ferner die Briefe Gregor’s ILL, Jaft6 Bibl. II.
ep. 87. 38, p. 104. 106, de concilio . . . juxta ripam Danuvii.
>) Bl. pitula synodi Aschaimensis c. 11, unten ©. 801: presides
seu judices, centoriones atque vicarios admonere seu precipere debeatis;
c. 14: de missis vestris.
*) ©. beſonders die Cap. 10—15 der Aſchheimer Acten.
. unten Ereurs XII: Weber Charakter und Zeitpunkt der Berfammlung
zu Aſchheim.
©) Ascheim villa puplica; jegt ein Dorf im Landgericht München. Daß
dies ber Ort der Zufammenfunft war, geht aus den Worten des cap. 18, in
presente villa puplica noncupante Ascheim, hervor.
?) Capitula synodi Aschaimensis, als Additio quarta der Lex Bajuwariorum
Benudasgeen von Merkel: Pertz LL, III. (1868) p. 457 sg.
at Ereurs XII. Büdinger, Oeſterreichiſche Seisice 1. ©. 491, ficht in
den Ph: füffen des Concil8 nur „eine Art Gutachten, in offenbarer Sppofktion
gegen die Anfprüche der Aebte verfaßt“ ; die ganze Haltung des Actenftüdes jedoch
ſeint mir zu folder Auffaffung nicht zu berechtigen. — Aventin, annales Bo-
Jjorum (1554) lib. III. p. 280, fah zu Regensburg eine Pergamentichrift des
Biſchofs Wicterb von Tours, eines Baiern von Geburt und Verwandten des
agilolfingiſchen Fürftenhaufes (j. unten Cap. XXVI. No 25), deren Inhalt er
mit den Worten bezeichnet: in quo episcopus hortatur amicum ad pietatem.
Am Schluffe des Ganzen fagt der Biſchof, indem er felbft das Jahr 754 ale
Datum feiner Schrift angieh : Beripsi ego ipse Whicterbus ... hoc non quasi
potens, sed pro studio charitetis, quam circa te habeo, guia volebam, dum
seculi dignitatem regis, vitam aeternam nunguam perdas. Pax tibi et vita
298 Capitel XXL 757.
In den einleitenden Worten werden, wie zu Verneuil, die Vor—
ſchriften der Väter als eine ſichere Richtſchnur chriftlichen Lebens be-
zeichnet.!) Während die fränfifchen Biſchöfe jedoch in Uebereinftimmung
mit ihrem Könige nur eine Erneuerung der alten Kanones für nöthig
eradhteten, fährt die baierifche Synode folgendermaßen fort: „Wegen
der DVerfchiedenheit der Zeiten aber ift auch eine verfchiedene Geſetz⸗
gebung nothwendig; daher ift vorgejchrieben, daß die Verfammlung
der Priefter zu beftimmten Zeiten unter Gottes Beiftand die verſchiedenen
Rechtsordnungen prüfe. Denn der unſere Väter und Vorgänger im
Hirtenamte untertviefen Hat, wird auch ung unterweifen, wie es Heißt:
„Gleichwie mich der Vater gefandt Hat, fo fende ich euch.“ “ » Der
ſelbſt gefendet worden, hat und gefandt. Deshalb preifen wir ohne |
Aufhören Gott, der dich im umferen Tagen zum Fürſten eingefekt, j
weil du, obwohl von zartem Alter, im Verftändnig der heiligen Schrift !
deinen Vorgängern überlegen bif. Darum fürdte Gott und hüte
feine Wege; denn wer ihn nicht verföhnt Hat, entgeht feinem Zorne
nimmer.“ °)
Hierauf folgen in 15 Eapiteln die nad den Begriffen jener Zeit
wichtigſten Anweifungen für den Regenten. Vor Allem wird ihm
die Sache der Kirchen ans Herz gelegt. Er möge, fo bitten fie, ſowohl
feinerfeits ihr Eigenthum unangetaftet laſſen, ) als auch jede fonftige
Beraubung der Gotteshäufer nach dem Beifpiele feiner Ahnen, das
im Volfsrechte feinen Ausdrud finde, fowie auch nad) dem Borbilde
des fernften Morgen» und Abendlandes zu verhindern ſuchen.“) Sie
bitten ihn namentlich, jede Verweigerung des Kirchenzehnten 6) durch
& Domino augeatur. Man hat gewiß mit Recht Taffilo für dem gmpfänger
des Buches gehalten (Wattenbach, Geicichtsquellen, 1866, ©. 107. N. 1), das
demnach in ähnlicher Weiſe, wie bie Statuten der Synode von Acheim, den
jungen Herzog über feinen neuen Beruf zu belehren beftimmt war.
!) Suffieit enim christianis, cum normam priscorum patrum vitam
deducere et eorum auctoritate passim gradibus polum scandere; vgl. capit.
Vern. praefatio: Sufficerant quidem priscorum patrum regulae sanctae ecclesiae
catholicae rectissimae normae ad mortalium correctionem prolatae ete., welche
wiederum, wie wir oben ©. 207. N. 1 dargethan haben, dem Prolog Ehrobegangs
nacgebifbet ſcheint Veachtensiwerth ift der Anflang an Cassiodorus, Variarum
lib, 8 (Migne Patr. lat. T. LXIX): Priscorum mos fuit, nova jura
decernere . . . modo vero unusquisque novit fixum, quod ab antiquis ple-
nissime non dubitat constitutum. Suffiiunt ergo nobis jura, si non desit
voluntas eximia.
) Joh. 20, 21.
®) Qui illum non habet placatum, Nunquam evadit iratum.
N Cap. 2.
>) Cap. 4.
°) Cap. 5: De deeimis Deo reddendis. Alſo auch in Baiern beftand ſchon
damals die allgemeine Zehntpflicht (vgl. noch cap. 7: oblationes aut decimas),
wie fie in den unmittelbaren Gebieten des Frankenreiche fih aus der Zeit Fiyne
mehrfad; nadweifen läßt, fo in der Eneyclica de letaniis faciendis () LL.
p. 32, Jaff6 Bibl. II. ep. 115. p. 281), und in zahlreigen Urkunden; Pr
Der Reichstag von Eompiögne. 299
ein Decret feiner Hand mit der Zahlung des doppelten Zinfes zu
ftrafen, ) ja, feinerjeits no dem Säumigen je nad} defjen Vermögen
ein Bußgeld aufzuerlegen. ?)
Das ſo geſchützte Kirchengut aber fol, den Vorfchriften der älteften
Concilien gemäß, ®) unter der Verwaltung der Biſchöfe ftehen, da
diefe das Hirtenamt üben und darüber einft Nechenfchaft zu geben
haben. *) Die Hierarifche Ordnung, welche zu Aſchheim angeftrebt
wird, fehließt fich genau den Synodalbeſchlüſſen von Verneuil an.
Die Biſchöfe find auch Hier die Träger des Glaubens, die Vertreter
der kirchlichen Gemeinſchaft. Ihren Didcefanen wird das Recht ab»
geſprochen, fich felbft einen Priefter zu fegen; es hänge vielmehr von
dem Ermeffen der Bifchöfe ab, inwieweit die Gewählten dem Priefter-
amte gewachfen feien.°) Iſt hiermit das Verhältnig der Priefter zu
ihrem Vorgeſetzten geregelt, fo wird ihmen weiter ein friedliches Ver⸗
halten untereinander zur Pflicht gemacht, infofern fie fremde Opfer-
gaben ober Zehnten fich micht anzueignen haben.°) Auch die Aebte
und Aebtiffinnen werden, wiederum fo wie e8 zu Verneuil gefchehen
war, unter die biſchöfliche Aufficht geftellt, indem fie zugleich angewiejen
werden, der Benedictinifchen Regel gemäß zu leben.) Ganz unzweifel-
Waitz, BO, IV. ©. 102—104. And) hier, wie dort, erregte fie bei der Bevöl-
kerung Mißfallen und Widerſtand. Es ift bezeichnend, daß die baierifchen Biſchöfe
ihre Forderung durch ein altteftamentliches Citat (Maleachi III, 7—10) fügen;
denn das Alte Teftament bot in der That die befte Handhabe, den Zehnten als
allgemeine Steuer einzuführen: dgl. Reitberg IL. S. 714.
& #) Unde venit dürfte wohl in unde convenit zu emendiren fein; vgl. unten
. 801. N. 2.
%) Cap. 5: et ut vestrae requerillae secundum possibilitatem culpabilis
ezistant. Hefele, III. ©. 561, erflärt requirere, wovon ohne Zweifel requerilla
abzuleiten ift, im Sinne von uleisci. Wichtiger vielleicht ift, es als gleihbebeu-
tend mit inquirere (unterjuchen) zw faflen, und requerilla wäre demnach die
wegen Anſtrengung bes Prozefies an ben herzoglichen Fiscus zu entrichtende Geld»
leiftung. Einige Analogie bietet das Capit. Karls vom Jahre 783, c. 5: Si
comites ipsas causas commoverint ad requirendum ..... si missus dominicus
ipsas causas coeperit inquirere ete.; Pertz LL. I. p. 46.
®) Die Biihöfe eitiren unrichtig die synodus Nicenensis, vgl. Hefele III.
©. 561; Merkel l. c. p. 457. n. 43; fchon Froben Forfter, Abhandlungen der
?) Cap. 8: De abbatibus et abbatissas convenit admonendi, ut secun-
dum possibilitatem et loci administrationem, ut regulariter vivere debeant
300 Capitel XXI. 787.
Haft endlich ift die Entlehnung, wo von den Neligiofen ober Asceten
beiderlei Geſchlechts gefprochen wird; von ihnen wird gefordert, daß
fie entweder in ein Kloſter gehen, oder umter der Zuftimmung ihrer
Biſchöfe nach den Vorfcriften der Regel eben follen, widrigenfalls
ihnen mit der Excommunication gedroht wird. !)
Die Afchheimer Beſchlüſſe erinnern jedoch nicht nur an die
fränkiſche Juliverſammlung des Jahres 755, fondern auch an die
Herbftignode desfelben Jahres, und zwar zuvörderft an das Tönigliche
Edict, welches dort zur Vorlage fam.?) Der gemeinfame Gegenftand
beider Schriftftüde ift nämlich das Verbot der Verwandtenheirathen
oder Conjugia incefta, ein Thema, das bei dem facramentalen Charakter
der Ehe allezeit in das Bereich der Kirchengefeggebung gezogen worden
ift. Wenn aber zur Aufftellung diefes Paragraphen °) das Capitular
Pippins vielleicht die. nächſte Anregung gegeben, fo ſchloß die Synode
ſich in den einzelnen Beftimmungen doc genauer an eine in Baiern
ſchon beftehende ähnliche Vorſchrift an, die erft in den Zeiten Taſſilo's,
wahrſcheinlich unter der vormundichaftlichen Regierung feiner Mutter,
ebenfalls zu Aſchheim erlaffen und allem Anfchein nad) als Tit. VII, 1—3
in das Volksrecht aufgenommen worden war, wonach bei inceftuöfen
Verbindungen Scheidung und Verluft des Vermögens zu erfolgen Hatte.t)
Das baierifche Geſetz hatte vorher nur drei Capitalverbrechen gekannt,
auf welche Vermögens-Eonfiscation ftand: es waren der Mord des
Herzogs, die Hereinrufung der Feinde ins Land und die Ueberlieferung
einer Stadt an die Fremden.5) Durch jenes Decret war nun ein
vierter Fall Hinzugefommen, und indem die Bifchöfe im Allgemeinen
auf die Beobachtung der rechtlichen Beftimmungen über den Vermögens-
cum providentia episcoporum, quorum cura haec adesse dinoscuntur. Vgl.
sapit Vern. c. 5: Ut monasteria tam virorum quam puellarum saecundum
ordinem regulariter vivant. Et si hoc facere contempserint, episcopus, in
cujus parrochia esse videntur, hoc emendare debeat; dazu in cap. 6 bie
Worte: hoc ille episcopus de veritate praevideat. Hier zeigt fi zum Theil
eine wörtliche Uebereinftimmung.
') Cap. 9: De clericis et nonnanes; vgl. capit. Vern. c. 11, oben S. 232.
2) ©. oben ©. 240 ff.
®) Cap. 18.
*) Merkel l. c. p. 229. 297. — Die Worte: quo in presente villa puplica
‚Ascheim constituere recordamini (cap. 13), fafien jedoch vielleicht noch eine
andere, als bie im Text gegebene Deutung zu. Faſſen wir nämlid; recordamini,
was bei dem barbarifchen Stil gewiß zuläffig if, im Sinne von recordemini,
fo brauchen mir die Entftehung jener Paragraphen VII, 1—8 der Lex Bajuwar.
nicht erft auf eine frühere Landesverjammlung Taſſilo's zu Aſchheim zurüczuführen,
fondern fie wurden alebann in derjefben Berfammlung erfaffen, aus deren Ri
rathungen aud die uns vorliegenden Capitula synodi Ascheimensis herb:
gegangen find. Das cap. 18 enthielte banadı eine Aufforderung an Taffilo,
Bvetreff des Inceſts das eigene Decret zu befolgen, „das hier in der Billa
Aſchheim erlaſſen zu haben, er fich ſtets erinnern möge.”
®) Tit. II, 1 textus primi: Merkel I. c. p. 282.
Der Reichstag von Eompidgne. 301
verluft drangen, ) war es ihnen insbefondere um die füngfte Beftimmung
diefer Art, die eben den Inceſt betraf, zu thun. *)
Die noch übrigen Paragraphen der Afchheimer Synode haben den
Schutz der Wittwen, der Waifen, der Bedrängten zum Gegenftande,
fehr ähnlich einzelnen Befchlüffen der fräntifhen Herbſtſynode vom
Jahre 755.°) Denn alle Hitfebedürftigen im Lande waren, wie
dem Schuge des Fürften,*) fo auch der priefterlichen Fürforge empfohlen ; ;
von allen weltlichen Geſchäften 3. B. war daher nur die gerichtliche
Vertheidigung der Kirchen, der Wittwen und der Waifen den Geift-
lichen geftattet.°) Der Fürft aber follte nicht etwa in moderner Weife
durch pofitive Maßregeln für die Bedrängten forgen, fondern nur
jede Unbill, namentlih vor Gericht, von ihnen abwehren. Darum
fordern die Bifhöfe von ihrem Herzog, daß die Wittwen und Waifen
vor aller Gemaltthätigfeit der Mächtigen bewahrt bleiben, ) daß ebenfo
die Armen vor ungerechter Bedrückung gejchüßt werden mögen.) Sie
bitten ihn, in diefem Geifte feine Ober- und Unterbeamten zu inftruiren;®)
fie ermahnen ihn, das eigene herzogliche Gericht allfabbathlich oder doch
an jedem Monatsanfang abzuhalten, *) damit hier die Beſchwerden
der Armen, 19) Hier die verfchiedenften Vorfälle im Lande zur Kenntniß
des Fürjten gelangen.
Um gerecht richten zu fönnen, den Unfchuldigen zum Schuß,
den Schuldigen zum Schreden, zugleih um fein Urtheil mit dem
Salze des göttlihen Wortes zu würzen, folle der Herzog zu feinen
Gerichtstagen ſtets einen Priefter Hinzuziehen, 1") ebenfo feinen das Land
b) em. 12.
®) Ca} Hefele M. &. 562 überfieht den Zufammenhang mit cap. 12
und übenfeg : „In Betreff der inceftuöfen Ehen ift höchſt pafjend, daß ihr in
allweg durch ein Decret das durchführt, was ihr euch erinnert, Hier zu Aſchheim
anordnen zu wollen.“ Er rebet aljo von einem erft zu erlafienden , flatt von
einem ſchon beftehenden Decrete, nicht ohne dem Text Gewalt anzuthun. Auch
bedeutet maxime convenit ieineswegs „e& ift hödhft pafenb“, fondern durg
maxime wird vom Allgemeinen auf ein Bejonderes übergegangen, und convenit
(aud) admonendi convenit), unperfönlich gebraucht, bedeutet: „man kam ae
®) Capit. Vern. duplex c. 28. 25 (Petitio episcoporum c. 11. 18);
oben ©. 248.
+) Wait, SG. II. ©. 279, IV. ©. 200; vgl. 3. B. die dort angeführte
Stelle des capit. Baj. 808 c. 8, Pertz LL. I. p. 127: Ut viduse, orfani
et minus potentes sub Dei defensione et nostro mundeburdo pacem habeant
et eorum justitia.
9 — capit. Vern. c. 16 (Petitio episcoporum c. 4): ex canone Cal-
eidonense cap. 3; ſ. oben 5 250.
%) Bm. As Aschaim. c. 10.
Cap. 11.
H Daf.: presides seu judices, centoriones atque vicarios.
°) Cap. 15; judieium puplicum, -ebenfo in cap. 18 villa puplica, im
Sinne von vherzoglich“ , wie ja aud in capit. gem c. 5 synodus publica
fo viel als synodus regia bebentet; ſ. oben ©. 225. N. 2.
10) Clamor pauperorum ; wohl als Appellation zu "verfiehen, im Sinne vön
reclamatio.
%) Cap. 15.
302 Eapitel XXI. 787.
bereifenden Boten zu gleichem Zwede einen Priefter an die Seite
geben; !) denn wie das Inſtitut der Königsboten im Frankenreiche
ſchon unter Karl Martell und Pippin, ja felbft unter den Merowingern
bereits beftanden Hatte, ?) fo durchzogen, wie wir aus diejer Stelle
ziehen, auch Herzogeboten zur Controle der Beamten das baieriſche
md.
Dies etwa ift der Inhalt des Schreibens, welches die bifchöfliche
Synode im Jahre 756 an dem jungen Taſſilo richtete. Nichts bezeugt
mehr den bereit hervorgehobenen Charakter diefes Schreibens, als
die Art, wie die Bifchöfe ihren Fürften für die Befolgung der Rath-
fchläge zu gewinnen ſuchen; man meint, einen jener Briefe zu leſen,
durch welche die Püpfte der damaligen Zeit den Frankenkönig für ihre
Zwecke zu begeiftern wußten, indem fie ihm die Belohnungen und
Strafen des Himmel? vor die Seele führten und ihm ihren Segen
und ihr Gebet verhiefen. So mahnen auch die baierifhen Biſchöfe
ihren Zürften an die dereinftige Verantwortung am Tage des Gerichts °)
und laffen ihn, wenn er wohl regiere, eine fichere Vergeltung im
Jenſeits wie im Diesfeit Hoffen. *) Schon im Eingange. aber haben
fie ihm gemeldet, daß alfe Priefter und Mönche von ihnen die Weifung
erhalten hätten, nicht nur bei feierlichen Meſſen, fondern auch in ihrer
täglichen Andacht für das Seelenheil des Herzogs, für fein Leben und
das Gedeihen feiner Regierung, fowie für feine Getreuen ihre Gebete
zu Gott emporzufenden. 5)
b. Die vaffallitifhe Huldigung Taffilo’s.
Die Zufammenkunft der baieriſchen Bifchöfe zu Aſchheim hing,
wie wir gejehen haben, nicht nur der Zeit, fondern aud) ihren Zweden
nad) mit Zaffilo’8 beginnender Selbftändigfeit zufammen. Auf gleichen
Anlaß ift es zurlichzuführen, daß der junge ‚Herzog im Sommer 756
zum erften Male in eigner Perfon ſich an einem Kriegszuge des
Frankenkönigs betheiligte und mit feinem Oheim bis vor die Mauern
Pavia's z0g. Während die Afchheimer Acten aber von der inneren
%) Cap. 14.
®) Missi nostri de palatio ubique discurrentes: eine in den Urkunden oft
wieberfehrende Formel; vgl. Waig, BG. III. ©. 872.
°) Cap. 14.
*) Cap. 14. 15. — Eine jeltjame, aber noch feltfamer gedeutete Verheißung
bezieht ſich Put die gewiffenhafte Abhaltung der Herzoglichen Geritstage, c. 15:
de quibus diebus te epulaturum fatearis, si hoc agere coneris, testare audemus.
Der Stelle liegt ohme Zweifel Pſalm er 4 zu Grunde: Et justi epulentur et
exsultent in conspectu Dei, welchen Vers Luther überfegt: „Die Onchtem aber
möffen ih freuen und feihlidh en vor Gott.“
5) Cap. 1: eine Stelle, Mn mit Karls d. Gr. Capit. a. 769/771 c. 13
Aehnlichteit Hat; Pertz LL. I.
Der Reichstag von Eompidgne. . 303
Autonomie des Herzogthums zeugen, befundet jene Heeresfolge am
beften die Grenzen feiner Unabhängigkeit. Baiern ftand unter fränkiſcher
Hegemonie; und dies Verhältniß fand auf dem Reichstage zu Compiegne
feierlichen Ausdrud und Beftätigung.
Der Hergang wird folgendermaßen erzählt: „Taffilo, der Herzog
der Baiern, erfchien zu Compidgne und ergab fid) durch Handreichung
in das BVaffallitätsverhältnig. Er ſchwor unzählige Eide, die Reliquien
der Märtyrer mit der Hand berührend, und gelobte dem Könige Pippin
und feinen Söhnen Karl und Karmann Treue, fodaß er ihnen, wie
ein Vaſſall feinen Herren, mit aufrichtigem, fejtem Sinne nad Geſetz
und Recht ergeben fein follte. Bei den Gebeinen der Heiligen Dionyſius,
Ruſticus und Cleutherius, fowie des heil. Germanus und bes Heil.
Martinus betheuerte er, daß er alle Tage jeines Lebens die Eide
halten werde; auch feine vornehmen Begleiter gelobten dies, wie an
den eben erwähnten, fo noch an vielen anderen Orten.” !)
Das Bedeutungsvolfe des Ereignifes liegt darin, daß das im
Privatrecht ſchon feit lange bejtehende Beneficial- und Baffallenwefen
nun aud auf große öffentliche Verhältniffe übertragen wurde, fodaß
die Vaffallität feit diefem Vorgang eine höhere Wichtigkeit für das
fränkiſche Reich erhielt. Die feierliche Handlung ſchloß fi genau den
beftehenden fymbolifchen Formen der Commendation an: Taſſilo legte
feine zufammengefalteten Hände in diejenigen des Könige. Denn die
Hand war, wie mande Redensart noch heute zeigt, *) der Inbegriff
der Gewalt; der Sinn der Commendation war alſo, daß der Vaſſall
alle feine Macht dem Herrn übergab, ihm zu freier Verfügung ftellte.°)
Wir erkennen dies deutlich aus der Beichreibung, welche der Dichter
Ermoldus Nigellus von der Unterwerfung des Dänenkönigs unter
Ludwig den Frommen giebt: „Mit zujammengelegten Händen übergab
er ſich darauf dem Könige, ſich und fein Reich, das ihm rechtmäßig
gehörte. „„Empfange, Cäfar, fo ſprach er, mid und die mir unter
gebenen Lande; aus freien Stücken begebe ich mic) in deinen Dienſt.““
%) Ann. Laurise. maj. 757. Im Betreff der bei ben Eidesleiſtungen be-
nugten Heiligthümer ift entweder an Reliquien zu denken, die ſich im Befitze des
Königs oder feiner Biichöfe, damals alfo jänmtlich.zu Compiögne befanden, oder,
beſonders tegen ber letzteren Worte (sic et ejus homines majores natu, qui
erant cum eo, firmaverunt, sicut dietum est, in locis superius nominatis,
quia et in als multis), am „verfcjiebene durch ihre Schutsheiligen und dere
Ay berühmte Orte; für das Letztere enticheidet ſich Waitz, BG. II.
— "in Händen Haben“, , maus Händen geben”; vgl. Grimm, Deutſche
een &. 138. °
®) Es war Fein bloßer Treueid, wie Roth, BW. ©. 380, die Worte aus:
Im; aber aud die von Waitz gegebene Erklärung, Anfänge der Baffallität
©. 74: „fi in den Schuß ergeben“, trifft doch ſchwerlich den Kern des Begriffe.
Unferer Ainflaftung entfprechen die Worte der ann. Lauriss. maj. 787: tradens
se in manibus domni regis Caroli in vassaticum et reddens ducatum sibi
commissum a domno Pippino rege, in denen freilich Waitz etwas Neues er⸗
tennt, was jetzt über das frühere hinaus geichehen jei; BG. IT. ©. 104. N. 1.
Diiieeso, Google
Der Reichstag von Eompidgne. 305
Beneficium Hatte, fondern infofern jeder Beneficiar ſich commendiren
mußte.) Sehr erläuternd ift hierfür ein etwas fpäterer Brief, in
welchem Einhard ſich für einen Freund verwendet, der jich feit lange
im Befige eines faiferlichen Beneficiums befand, durch Krankheit jedoch
verhindert war, bei Hofe zu erfcheinen. Einhard bemüht fi, ihm
dies Beneficium zu fihern, bis er nad) erfolgter Genefung ſich dem
Kaifer vorftellen und feierlich commendiren würde. ?) So bejaß auch
Taſſilo ſchon vorher das Beneficum, wegen deſſen er jett die vafjalli-
tiſche Huldigung leiftete. Das Vafjallenverhältnig Hatte den freien
Entſchluß beider Theile zur Borausfegung; ?) was Pippin mit dem
minderjährigen Fürſtenſohne einfeitig vorgenommen Hatte, fonnte diefer
erft anerkennen, nachdem er zur Mundigkeit gelangt war. Die Maß ⸗
regel des Siegers wurde dadurch zu einem Act freien Uebereintommens.
Aber nicht nur dem Könige felbft, fondern auch feinen beiden
Söhnen Karl und Karlmann leiftete Zaffilo die Huldigung und den
Eid der Treue auf Lebenszeit. Ein gleiches Gelübde mußten außer
dem Herzog, der felbft noch Feine Nachkommenſchaft Hatte, die Vor—
nehmen feines Landes thun. Die Dauer des Verhältniſſes follte
nicht an das Leben oder den guten Willen eines Einzelnen gebunden fein.
In Wirklichkeit haben die Unterthanen des Herzogs, wenigſtens
theilweife, mit größerer Treue an dem Gelöbniß feitgehalten, als diefer
ſelbſt.) Es lag in der Doppelftellung des Herzogs ein innerer
Widerſpruch, den er auf die Länge nicht verwinden fonnte. Einem
Furſten, der in der Verwaltung feines Landes fo unabhängig daftand
wie Zaffilo, mochte es zulegt unerträglich werden, an allen Kriegs—
unternehmungen der mächtigeren Franken ſich betheiligen zu müffen,
ihrer auswärtigen Politit, fo fern fie ihm felber auch lag, ja wenn
fie ihm fogar, wie in Italien, widerftrebte, als Werkzeug zu dienen.
Was der Züngling vielleicht aufrihtig und unbefangen zugejagt hatte,
wollte der Mann nicht erfüllen. As Karl fpäter einmal gleiche
Huldigung verlangte, da muthete Taffilo feinen baierifchen Großen
zu, ein Anderes zu ſchwören, ein Anderes zu denken. 5) Er hat, da
) Waitz, Anfänge der Baffallität, S. 99, VG. IV. ©. 216.
®) Einhardi Opera ed. Teulet II. p. 38. 40; Jaff& Bibl. IV. p. 440,
ep. Einharti 1-2: ut domnum imperatorem rogare dignemini, ut permittat
F habere beneficium . . . quousque viribus receptis ad ejus praesentiam
venerit ac se sollemni more commendaverit; interim postulat, ut sibi liceat
benefieium suum habere . . . usque dum ad praesentiam ejus venerit ac se
in manus ejus commendaverit.
) Waitz, Vafjallität ©. 75.
4“) Bal. ann. Laur. maj. 788: coeperunt fideles Bajoarii dicere, quod
Tassilo lem suam salvam non haberet ... Quod et Tassilo denegare non
potuit, sed confessus est . . . vassos supradieti domno rege ad se adortasse
et in vitam eorum consilinsse.
®) Die vorfiehend citirte Stelle der ann. Laur. maj. lautet weiter: et hominis
suos, quando jurabant, jubebat, ut aliter in mente retinerent et sub dolo
Jurarent,
Zahrb. d. diſc. Geld. Delsner, König Pippin. 20
306 Eapitel XXI. 787.
fein Sohn als Geifel diente, gefagt: und wenn er zehn Söhne Hätte,
wollte er fie Tieber alle verlieren, ala daß das bejchworene Verhältniß
beftehen bleibe; es fei beſſer, tobt zu fein, als jo zu leben.) Bei
folder Sinnesweife war, trog aller Familienverbindung, ein tragiſcher
Ausgang unvermeidlich: Zaffilo riß fih los und ging zu Grunde;
der fränfifche Weltſtaat aber fehritt mit zermalmender Gewalt, über
ihm wie über Andere hinweg, feiner Vollendung zu.
3. Bas Gapitular von Gompiögne.
Den Kern der Spnobalverhandlungen bilden, wie zu Verberie, fo
auch Hier die Vorfchriften über eheliche Verhältniffe, zumal deren geſetz⸗
liche Regelung nicht ohne große Schwierigkeiten war. ?) Vieles ftimmt
mit den dort gefaßten Beichlüffen überein, Anderes wird berichtigt,
und, wie man jagen muß, in einem Sinne, der fi von der Härte
abjtracter Theorien fern Hält und den gefunden Lebensanfchauungen
und Lebensbedürfniffen Rechnung trägt. So wenig entiprad daher
mandjes der Pippinifchen Ehegeſetze dem rigorofen Standpunkt einer
fpäteren Zeit, daß frommer Cifer den freilich vergeblihen Verſuch
gemacht Hat, die Läftigen Capitel als interpolirt aus der Welt zu
ihaffen.) Die Synode zu Compiegne verlangt von den Menfchen
ein feſtes Ausharren bei freiwillig gefaßtem Entfchluffe, fei es dem
der Ehelofigfeit oder des Ehebündnifjes. Aber fie fordert Feine Ent-
fagung, die nicht entweder aus dem Herzen fommt oder als Strafe
für die Verlegung der ehelichen Treue auferlegt wird; andrerfeits läßt
fie die Ehe da, wo fie ihre Zwecke verfehlt Hat, nicht zur dauernden
Feſſel werden.
Eine zunehmende Strenge zeigt fi Hauptfählich nur im dem
Verbote der Verwandtenheivath. Eine Verbindung im vierten Grade,
diefer Grundfag wird wiederholt anerfannt, ſoll nicht getrennt, *) eine
folhe im dritten aufgelöft werden.) Jetzt fommt aber noch der
dazwifchenliegende Fall in Betracht, daß zwei Perfonen einander, die
eine im vierten, die andere im britten Grade, angehören; auch derartige
3) Ann. Laur. maj. 788: et etiam dixit melius se mortuum esse quam
ita vivere.
?) Die ımten ©. 312. N. 11 erwähnten Zweifel des Biſchofs von Würzburg
fanden im damaligen Klerus gewiß nicht vereinzelt ba.
®) Binterim, de capitulis Theodori Cantuariensis et de canonibus synod.
Vermerlensis et Compendiensis haud genuinis, Düsseldorf 1811; f. Kettberg
. ©. 763.
*) Capit. Compend. c. 1.
’) Daſ. e. 2.
Der Reichstag von Compidgne. 307
Verbindungen werben getrennt.) Ebenſo ift es verboten, den Wittwer
ober die Wittwe folcher Perfonen zu heivathen, mit denen man ent
weder im dritten, ober halb im dritten und Halb im vierten Grabe
verwandt geweſen; ift eine ſolche Ehe ſchon gefchloffen, dann ſoll fie
ebenfalls getrennt werden. 2) Die Synode von Eompiegne ging hier-
mit über die vom Könige jelbft vertretene Anficht Hinaus, an welcher
man zu Verberie noch feitgehalten Hatte, wonach der Begriff des
Inceſts ſich nicht weiter als über die Sobrinen oder Gejchwifterenfel,
alfo nicht über den dritten Verwandtſchaftsgrad hinaus erſtreckte.“) Unter
Karl dem Großen hat diefe Verſchärfung der Verbote nur noch weitere
Fortſchritte gemacht. *)
Zum erften Dale unter Pippin, und zwar zunächſt in des Könige
eigenem Nefeript, 5) fodann in dem uns hier vorliegenden Capitular
von Gompiögne, erſcheint aud die geiftliche Verwandtſchaft bei den
Franlen als Ehehinderniß. Wenn Jemand nämlich fein Stiefkind
bei der biſchöflichen Firmelung gehalten hat — öffenbar noch vor der
eigenen ehelichen Verbindung mit der Mutter, beziehungsweiſe dem
Vater des Kindes, da der Biſchof ſonſt die Theilnahme an der
Confirmationshandlung nicht geſtattet haben würde, — dann ſoll die
Ehe geſchieden werden, und es dürfen beide Theile ſich nicht wieder
verheirathen.“) Nur in der abendländiſchen Kirche, und auch hier erſt
im 8. Jahrhundert, iſt die Vorſtellung von der geiſtlichen Kindſchaft
durch die Firmelung zu ſolchem Einfluß auf die Ehegeſetzgebung ge-
Tangt.?) Bezeichnender Weife gehört dieſes Capitel zu den 6 Sägen
der Synode von Compiegne, bei welden ausdrücklich die Beiftimmung
des päpftlichen Gefandten, Biſchofs Georgins, Hervorgehoben wird. ®)
Denn von Rom aus bemühte man fi), das Chehinderniß geiftficher
Verwandtſchaft mehr und mehr zur Geltung zu bringen. Wir finden
es in den Synodalſtatuten der Päpfte Gregor II. vom Jahre 721°)
und Zacharias vom Jahre 743, 1%) dann in dem Schreiben des Papftes
Zadarias an Pippin und die fränkiſchen Großen vom Jahre 747, 11)
9 Capit. Compend. c. 8.
*) Daf. c.
) Capit. inc. anni c. 1; f. oben ©. 241 (M. 2).
) Capit. a. 801 c. 20, Pertz LL. L p. 86, von Rettberg IL. ©. 761
N. 3%) mißverftanden; conc. Moguntiacum &. 818 c. 54, Mansi XIV. col. 75.
°) Capit, inc. anni c. 1: cum matrina spiritali de fonte et confirmatione
episcopi.
nit Compend. c. 15.
?) ©. Richter, Lehebud) des Kirqenrechts, 1858, ©. 543.
*) Georgius consentit; doch fehlen dieje Worte in den beiden von Per ber
nutzten Cobices. Dasjelbe gilt von den ähnlichen Zufägen zu cap. 12 und 21;
dagegen finden fie ſich bei den andern drei Capitein (14. 16. 20) aud in den
Bert’ fchen ‚Sanärehrften,
®) Conc. Romanum 'a. 721 c. 4: Si quis commatrem spiritalem duxerit
in conjugium, anathema sit; Mansi XII. col. 263.
Conc. Romanum a. 743 c. 5; Mansi l. c. col. 388.
t) Cap. 22, Jaff6 IV. ep. 3. p. 29: Sed neo spiritalem commatrem aut
308 Capitel XXI. 757.
fowie desfelben Papſtes an Biſchof Theodor von Pavia,?) endlich in
dem oben analyfirten Gutachten Stephans II. vom Jahre 754.*)
Dem heil. Bonifacius waren folde Bedenken von feiner Heimat her
völlig unbefannt gewejen, und felbft als er zuerft davon erfuhr, fträubte
ſich fein Urtheil dagegen. Er bat drei befreumdete englifche Prälaten
um nähere Auskunft und Belehrung und fonnte fih in dem einen
diefer Briefe nicht enthalten, auf das Vernunftwidrige eines ſolchen
Ehehinderniffes Hinzuweifen, da ja alle Epriften als Kinder Gottes
und der Kirche in folcher geiftlichen Verwandtichaft miteinander ftünden.°)
Aber nicht nur der Legat der Kirche Petri, ſondern auch die fränfifche
Nation unterwarf ſich der päpftlichen Meinung, und wir haben in den
oben angeführten zwei Vorſchriften Pippins und feiner Synode bie
erften gefeglihen Verordnungen diefer Art zu erkennen, die in ber
Folge noch mande Erweiterung erfahren Haben.
Mit großer Strenge fchritt die Synode gegen Entweihungen der
Ehe durch Unkeuſchheit ein. Die Verbindung ift in ſolchen Fällen
gelöft, aber nur zu Gunften des gefränften Teils, der in bie volle
Freiheit zurücktritt; der fehuldige Theil -bleibt gebunden und jomit zu
Tebenslänglihem Cölibat verurtheilt. Gehen wir die einzelnen Beiſpiele
duch. Wenn Jemand mit der gejeglihen Gattin feines Bruders
Unzucht getrieben, dann wird beiden Ehebrechern auf Lebenszeit Eher
Tofigfeit auferlegt; der Gekränkte aber hat die Befugniß, wieder zu
heirathen. 4) Wenn ein Vater fih mit der Braut feines Sohnes
vergangen umd diefer fie nachher geehelicht Hat, dann wird dem Vater
und der Frau jedes weitere Ehebündniß unterfagt, der letzteren deshalb,
weil fie die That ihrem Manne verfchwiegen ; diefer aber darf, weil
filiam, quod absit, quis ducat temerario ausu uxorem. Est namque nefas
et perneciosum peccatum coram Deo et angelis ejus. In tantum enim grave
est, ut nullus sanctorum patrum atque sacrarum sinodorum adsertiones vel
etiam in imperialibus legibus quippiam judicatum sit; sed terribile Dei ju-
dieium metuentes, siluerunt sententiam dare. Bonifacius fagt aljo mit ‘gutem
Grund, Jaffe III. ep. 29. p. 96: Quod peccati genus, si verum est, actenus
ignorabam, et nec in antiquis canonibus nec in decretis pontificum patres
nec in calculo peccatorum apostolos usquam enumerasse cognovi.
}) Mansi XII. col. 854; Ivo, Decret. P. I. c. 307, Panormia lib. VI.
c. 128 (Migne Patr. lat. CLXI col. 133. 1278). Es ift die Antwort auf ein
Schreiben des langobardiſchen Biſchofs, per quod nobis seiseitare curasti, si
liceat flium, cujus pater alterius filiam ex sacro baptismate suscepit, id est
spiritalem ejusdem patris filiam, quod diei crudele est, in matrimonium su-
seipere; quod apud te enormiter regerasti contigisse.
2) ©. oben ©. 151. (N. 4).
®) Jaff6 Bibl. III. ep. 29. 30. 31. p. 95. 96. 98; vgl. befonders ep. 80.
p- 97: ut et ego intellegendo cognoscam, cujus auctoritas sit in illo judicio.
Quia nullatenus intellegere possum, quare in uno loco spiritalis propinquitas
in conjunctione carnalis copulae tam grande peccatum sit; quando omnes
in sacro baptismate Christi et ecclesiae filii et filiae, fratres et sorores esse
eomprobemur.
*) Capit. Compend. e. 11.
Der Reichstag von Eompiögne. 309
er davon nichts gewußt, eine zweite Frau nehmen. !) Wer mit einer
Frau und ihrer Tochter zugleich, doc ohne daß diefe von einander
mußten, in Unzucht gelebt, nachher aber eine Andere zur Frau ge
nommen hat, muß diefe wieder entlafjen und biß zu feinem Todestage
unverheirathet bleiben; feine Frau darf wieder heirathen, ja auch jene
Mutter und Tochter bleiben, weil fie von dem Frevel nichts gewußt
haben, zur Ehe berechtigt. ?) Nur wenn er ihnen befannt gewefen,
müffen fie ſich feheiden Laffen und Buße thun; ihre Männer aber
dürfen eine zweite Ehe eingehen. ®) Aehnlich verhält es fi, wenn
Jemand mit zwei Schweftern zugleich gefchlechtlichen Umgang gehabt
und eine von ihnen nachher öffentlich zur Frau genommen hat. Er
wird von ihr gefchieden und muß fortan ledig bleiben; gegen jene
Schweſtern aber tritt dasfelbe Verfahren ein, welches im vorhergehenden
Paragraphen gegen Mutter und Tochter vorgefchrieben worden. *)
Hat Jemand eine Frau genommen und, weil er findet, daß fie
von feinem eigenen Bruder geſchändet worden, fie wieder entlaffen,
eine andere genommen, aber auch diefe nicht rein gefunden, fo bleibt
fie dennoch fein rechtmäßiges Weib, „weil auch er jegt nicht mehr
jungfräufich ift.“ 5) Hat er daher eine dritte genommen, fo muß er
zur mittleren zurüdfehren, und jene fpätere Frau darf fi) mit einem
Anderen verbinden. 6) Im erften Sage alfo ift, wie bisher ſchon
öfter, von einer Entweihung der Ehe durch Verwandte die Rede, und
das Capitular fett die Loſung derjelden als felbftverftändfich voraus,
Sehr fonderbar aber und ungerecht, namentlich in feiner Motivirung,
muß der zweite Theil diefes Capitels erfcheinen. In der Kanonen-
fammlung des Regino, der auch das Capitular von Compidgne vielfach
excerpirt hat wie das von Verberie, ift diefer Sat daher viel allge-
meiner gefaßt und überhaupt jede Loſung einer Ehe, in welche die
Gattin nicht als Jungfrau eingetreten, fir unftatthaft erklärt. 7) Der
3 Capit. Compend. c. 13.
Habeant viros; das Tann bedeuten: fe dürfen Männer nehmen, wie 3. B.
auch in cap. 18: non habeat mulierem . . . habeant maritos, ober audj: fie
dürfen ihre Männer behalten; vgl. cap. 20: Si quis vir accepit m
habuit ipsam aliquo tempore, ebenfo ift in cap. 19 habere dem accipere ent:
ggenaeiet, Das Geſetz ſchließt alſo feimesmege den Fall aus, daß die beiden
Anderinnen ſchon verheiratet geween; ‚Hrfele, II. ©. 556, faßt es anders auf.
®) Capit. Compend. c.
*) Daſ. c. 18. Diefer FM ift eine Ergänzung zu capit. Vermer. c. 12:
qui dormierit cum duobus sororibus et una ex An llis antea uxor fuerit; f.
oben &. 276. (N. 3). Denn daß bier, von einer erft nachher. erfolgten Heitath
die Rebe ift, beweift der Zuſatz: „mwerin beide Schweſtern nicht von einander
wußten.“ Diejem Unterfdjteb entfpriht denn aud; Die verfcjiedene Behandlung
en Schweſter in capit. Vermer. c. 12 und in capit. Com-
°
®) quia neo ipse virgo fuit illo tempore.
%) Capit. Compend. c. 10.
?) Regino, lib. IL. ed. Baluz. c. 128, cd. Wasserschleben c. 127. Die
Borte a fratre guo fehlen dort bei contaminatam, und die Aufſchriſt des Capitels
310 Capitel XXL 757.
hierfür angegebene Grund, daß der Mann felbft ja möglicherweife )
nicht mehr jungfräufich geweſen, erſcheint freilich noch unftichhaltiger
als der ähnliche des Capitulars, und der zweite Grund, daß die Frau
nicht unter das Gejeg des Mannes falle, bevor fie mit ihm ehelich
verbunden fei, ift nur eine Verdrehung der Worte des Apoftels Paulus,
daß die Frau nach dem Tode ihres Mannes nicht mehr unter feinem
Geſetze ftehe.*) Die Faffung unferes Capitulars bleibt daher wohl
immerhin die beffere und die echte.
Nächft den foeben zufammengeftellten Beifpielen einer geſetzlich
gebotenen Scheidung find doch auch die Fälle, in denen die Trennung
- der Ehe nur für zuläffig erklärt wird, nicht gering an Zahl. Wir
nennen zuerſt die erzwungene Verbindung. Wenn Jemand nämlich
feine Stieftochter, eine Frankin d. h. eine Freie,®) gegen ihren eigenen,
fowie gegen den Willen ihrer Mutter und ihrer Angehörigen an einen
Mann verheiratet hat, e8 fei dies ein Freier oder ein Unfreier, ein
weltficher oder ein firchlicher Sklave, und fie Hat denfelben aus Ab:
neigung wieder verlaffen, dann dürfen die Verwandten ihr einen
anderen Mann geben oder fie felbft nad eigner Wahl einen ſolchen
nehmen; diefe zweite Verbindung foll nicht getrennt werden. *) Hierher
gehören fodann die Beftimmungen über die Ehe zwifchen Freien und
Unfreien, wie wir diefelben bereits aus dem Capitular von Verberie
tennen gelernt Haben. Hat ein Franke ein Weib genommen, in der
Meinung, daß fie eine Freie fei, und nachher das Gegentheil erfahren,
fo darf er fie entlaffen und cine andere heirathen; und umgekehrt. °)
Nur dann, wenn die Verbindung mit vollem Bewußtſein gefchloffen
worden ift,-foll fie da® ganze Leben Lang beftehen bleiben. °) Einen
neuen Fall fügt die Synode von Compiegne Hinzu, indem fie den
Ausfat des Mannes oder der Frau als einen rechtmäßigen Scheidungs-
grund betrachtet und dem Gefunden, aber nur unter Zuftimmung des
anderen Theile, die Wiederverheiratjung geftattet. ?) Wo dagegen von
dem Wunfche Verheiratheter, ſich Gott zu weihen, geſprochen wird,
werden wir wiederum an Verberie erinnert. in Iediges Weib, das
freiwillig, 8) eine Ehefrau, die mit des Mannes Erlaubniß den Schleier
genommen, °) muß dem Gelübde treu bleiben; hat letztere den Schritt
eigenmächtig gethan, dann foll der Mann, wenn es ihm beliebt, fie
Tautet allgemein; De virgine violata; ex eodem [b. i. ex decreto apud Com-
pen dium] cap. X.
#) potest fieri, ut virgo non -esset.
) Rom. 7, 2: si autem mortuus fuerit vir ejus, liberata est a lege viri.
®) BWait, 26. IV. ©. 284. 297.
4) Capit. Compend. c. 6.
Daj. c. 7; vgl. capit. Vermer. c. 6, oben &. 279 (N. 5-7).
e.
*) Dal. 8; capit, Vermer. c. 18, oben &. 279 (N. 4).
D Die Anregung zu diefem Capitel 1 gaben ohne Zweifel die Re-
sponsa Ste) —* vom Jahre 754; ſ. oben S. 150.
®) Dal. c. 14.
®) Daf. c. 5.
Der Reichstag von Eompidgne. 311
wieder zur Ehe zurücdbelommen.t) Für den anderen Fall aber tritt
infofern eine Milderung der früheren Vorfchrift ein, *) als der Mann,
bei einer folchen beiderſeits genehmigten Trennung, die Erlaubniß
erhält, eine andere Frau zu nehmen, feine erſte Frau mag num inner
Halb eines Kloſters fi) dem Dienfte Gottes weihen oder außerhalb
eines folhen den Schleier tragen; ) nur wird zur ftrengen Bedingung
gemacht, daß die Scheidung um Gottes und der Religion willen ge—
ſchehen fei.*) Ebenfo erhält, wenn umgefehrt der Mann der Welt
entfogt Hat, die Frau das Recht zur Wiederverheirathung. °)
Negino, der Hier wieder einmal, wie bei feinen Auszügen aus
dem Gapitular von Verberie, °) die Aufeinanderfolge der Gejege durch
eine eigene Bemerkung unterbricht, ftellt die Meinung auf, das Concil
zu Compiegne fei bei diefer Feſtſetzung der Autorität des heil. Hieronymus
gefolgt, deifen fonft unbelannten Ausfpruch”) er der Stelle des Capitulars
voranſchickt. Danach Hatte jener Kirchenvater fünf Bälle einer gefeß-
mäßigen Ehe aufgeftellt, als fünften den, daß, wenn ein Ehemann
oder eine Frau fi mit Zuftimmung des Gemahls dem Dienfte Gottes
gewidmet, dem anderen heile gejtattet fei, eine neue Ehe zu jchließen.®)
Regino betont noch, daß die Beftimmung des Pippinifchen Concils
mit fanonifhen und apoftolifchen Ausſprüchen in Einklang ftehe; er
führt zur weiteren Bekräftigung ein Schreiben des Papftes Nicolaus J.
vom Jahre 867 an, worin e8 u. U. Heißt: Obwohl die Schrift ver-
biete, daß der Menſch, was Gott verbunden hat, ſcheide,“) fo fei es
doch Gott felbft und nicht ein Menſch, der die Ehe trenne, wenn die-
felbe aus Liebe zu ihm, unter beiderfeitiger Einwilligung, aufgelöft
werde. 19)
Die Täler zuläffiger Scheidung aber find Hiermit nod; immer
nicht erſchöpft. Selbft den Pflichten des Herrendienftes wird vor
denen eines Ehebundniſſes, wenn dasſelbe erft fpäter geſchloſſen worden,
F} Capit. Compend. c. b.
3 St Dope ©. 21; f. oben ©. 272 (N.
Capit. Compend. c. 18; vgl. oben ©. 232 ® 4). Regino, lib. II. ed.
Bal. c. 108, ed. Wass. c. 107, läßt dieſe Unterſcheidung weg und fagt: et de-
derit ei licentiam pro religionis causa infra monasterium Deo servire et
velum suscipere.
6 religionis causa . . . sicut diximus, proptor Deum.
pit. Compend. c. 16.
% &. oben ©. 278 (M. 7-9).
?) ®gl. Wasserschleben 1. c. p. 254. not. n: „caput incertum*,
°) Rtgino, lib. II. ed. Bal. c. 107, ed. Wass. c. 106: Additur quintum :
Quando sive vir sive mulier ex consensu religionem ceperit, licet alteri
aceipere novum conjugium, sed puellam vel puerum. Daran ſchließt fi
Bu Te Eapitel (B. 108. W. 107 mit den Worten: Hanc auctoritatem,
imus, secutum est concilium, quod congregatum fuit apud Compen-
dium temporibus Pippini regis, in quo decretum ita legimus capitulo 16:
Si quis vir etc.
°) Matth. 19, 6.
10) Regino lib. II. ed. Bal. c. 109, ed. Wase, c. 108.
312 Capitel XXL 787.
der Vorzug eingeräumt. Dem Concil von Compiögne lag ohne Zweifel
eine wirkliche Thatfache vor.) Ein Franke Hat von feinem Senior
in anderem Lande ein Beneficium empfangen; ?) er nimmt feinen
eigenen Baffalfen dahin mit, ftirht nachher aber und läßt den Vaſſallen
zurüd. Ein Anderer empfängt fein Beneficium, und um jenen Vaſſallen
an ſich zu feffeln, giebt er ihm eine Frau aus dem Beneficialgut.
Derfelbe behält fie eine Zeit lang, dann aber verläßt er fie, ®) kehrt
zu den Verwandten feines verftorbenen Senior zurüd und nimmt dort
eine andere Frau. Der Synode lag die Frage vor, ob er dieſe be-
halten dürfe; die Entfcheidung fiel zu feinen Gunften aus. *)
Der Fall erinnert an die ähnliche Beftimmung des Capitulars
von Verberie, welche einem Vaſſallen zur zweiten Ehe zu fhreiten ge=
ftattet, wenn er aus Treue gegen feinen Senior die Heimat verlaffen
und feine Frau ihm micht folgen wollen.) Ein anderer Beſchluß
des Concils von Compiögne knupft noch beftimmter an dasſelbe Eapitel
der früheren Synode an, offenbar, um feine Gültigkeit einzufchränfen.
Während diefes nämlich in ganz allgemeiner Fafjung dem Manne
auch dann das Recht zur zweiten Ehe ertheilt, wenn er, durch unver⸗
meidliche Nothwendigfeit gezwungen, die Flucht ergriffen und feine
Frau ihm zu folgen verweigert hat, °) faßt die Synode von Compiegne
den beftimmten Fall ins Auge, daß der Mann ſich unter Zurüdlaffung
feiner Frau deshalb aus dem Lande entfernt habe, um der Blutrache
zu entgehen, 7) und fie beſchließt, daß alsdann nicht die Frau allein,
fondern aud) der Mann fi der zweiten Ehe zu enthalten. habe. ®)
Ein Brief des Biſchofs Magingoz von Würzburg zeigt ung,
daß diefer Gegenftand von dringendem praktifchen Intereſſe war. °)
Dem Biſchof ift es in diefem Schreiben um die Beantwortung der
Frage zu tun: ob bei gewaltſamer Trennung zweier Gatten dem
zurüdbleibenden Theile, wenn ihn die Vereinfamung quäle, eine zweite
Heirath erlaubt werden dürfe.1%) Er wägt die Meinungen des Hieronymus,
Yidorus, Auguftinus, Leo gegen einander ab, kann bei der Verſchieden⸗
heit derfelben aber zu feinem zmeifelfofen Reſultate gelangen 1!) und
H Homo Tiranens aoogpit be beneficium de seniore suo ... et modo habet eam.
Regino, lib. II. ed. Bal. c. 127, ed. Wass, c. 126, fügt erfärend
vun; m ia Provincia.
®) Regino nimmt als Grund an: cum ille senior dure ageret contra eum.
+) Capit. Compend. c. 9: Diffinitum est, quod illam quam postea acce-
pit ipsam habeat.
°) Capit. Vermer. c. 9; j. oben ©. 277 (N. 1).
®) Daj.: necessitate inevitabili cogente.
?) Propter faidam; faida oder — iſt die Kate de der nemifie für die
Ge Feines ihrer Sing tärigen: Bait, BG. IV. ©. 4
Capit Compend. c. 21.
3 — Bibl. II. ep. 182. p. u hitndo
supersit conjugi, quem vel quam so] perurguet.
+1) Constitutio matrimonli_ christianorum in jungendo vel separando a
patribus tanta diversitate nobis videtur disponi, ut vix una et conpar sen-
tentia ipsorum nostrae pateat parvitati.
a
Der Reichstag von Compidgne. 313
legt daher dem Biſchof Lull von Mainz die ſchwierige Frage vor, an
deren Löfung ihm viel gelegen.) Er felbft neigt zu der milderen
Entſcheidung Hin, daß die Wiederverheiratfung zu erlauben fei; 2) die
Antwort Lulls ift nicht vorhanden. Daß das Schreiben aber mit
feinem Worte auf die Concilien von Verberie und Compiegne Bezug
nimmt, berechtigt wohl zu der Annahme, daß es ihnen der Zeit nad
vorangegangen fei und die eben angeführten Verhandlungen und Bes
ſchlüſſe derfelben -vielleicht gar mitveranlaßt habe. °)
Noch über einen anderen Ausfprud der Synode von Compiegne
bleibt uns zu berichten übrig. der, gleich dem zuletzt befprochenen, als
Berfhärfung einer früheren Verordnung zu betrachten iſt.) Wenn
eine Ehefrau ſich nämlich, nachdem fie einige Zeit verheirathet geweſen,
über Nichterfüllung der ehelichen Pflicht von Seiten des Mannes be
ſchwert, dann foll die Entfheidung darüber, ob die Verbindung zu
trennen fei oder nicht, nur von der Gegenausfage des Mannes ab-
bhängig gemacht werden, nicht, wie zu Verberie beftimmt worden, von
der Kreuzesprobe. 5) Das Zugeftändniß des Mannes alfo gewährt ein
Recht zur Scheidung; fobald er dagegen die Thatſache Täugnet, bleibt
die Ehe beftehen. Die Synode giebt für den reformirenden Beſchluß
einen befonderen Grund an: denn der Mann, jagt fie mit den Worten
des Apoftels, ift da8 Haupt des Weibes. ®)
Ganz außer allem Zufammenhange endlich mit den eherechtlichen
Fragen, denen von den 21 Paragraphen des Geſetzes 20 gewidmet
find, fteht eine mildernde Beftimmung über die Taufe.) Die Ein-
ſchiebung des fremdartigen Gegenftandes erklärt ſich, wie eine ähnliche
Erſcheinung des Capitulars von Verberie, °) als ein ergänzender Nach;
trag zu den Beichlüffen des Jahres 755. Die Vollziehung einer
Taufe war nämlich zu Verneuil mit aller Strenge nur den vom
Biſchof eingefegten Prieftern, ja jelbft diefen der Negel nach nur in
den ausdrücklich vom Biſchof bezeichneten Baptifterien geftattet worden.)
Schon in alten Zeiten aber und neuerdings aud in der Correfpondenz
des Bonifacius mit den Päpften war oft die Frage erwogen worden,
1) id ipsum flagitantes multum.
*) Quid ergo supersit conjugi, quem vel quam solitudo perurguet, si et
Hisidori vel Hieronimi ac Leonis decretum juste ereditur esse tenendum,
nisi ut se matrimonio conjungat alterius, me fateor ignorare.
®) In diefem Falle befäßen wir in bem Schreiben des Bifchofs zugleich ein
neues Argument gegen die bisher übliche, von ung in Creurs II. $ 1 befämpfte
Berfegung des Capitulars von Verberie in dns Jahr 758.
) Capit. Compend. c. 20.
*) Capit. Vermer. c. 17; f. oben ©. 277 (N. 2). Ein Unterfdjieb in ber
Thatſache, wie ihn Richter, Lehrbuch des Kircheurechts (1853) S. 531. N. 1, an-
nimmt, ift zwiſchen dem beiden Paragraphen nicht erfennbar; vom Unvermögen
ift weder hier noch dort ausbrüdlich die Rede.
°) Yir caput est mulieris: Ephes. 5, 28; 1 Corinth. 11, 8.
?) Capit. Compend. ce. 12.
') &. oben ©. 280—281.
®) Capit. Vern. c. 7; j. oben S. 225—226.
314 Capitel XXL 757.
ob eine nicht durchaus gefegmäßig vollzogene Taufe leichthin für
ungültig erflärt werben dürfe. So hatte Papſt Leo der Große fich
gegen die Wiedertaufe eines zum erften Male durch Ketzer Getauften
ausgefprochen: es bedürfe ein folder nur noch der biſchöflichen Hand»
auflegung, um der Kraft de heiligen Geiſtes theilhaft, *) oder, wie
es Papft Zacharias einmal ansbrüdt, um gereinigt zu werben. ?)
Gregor II. empfahl dem Bonifacius im Jahre 726, fih an ben alten
Brauch der Kirche zu halten, wonach ein Seber, der einmal im Namen
des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geiftes getauft worden fei, nicht
wiedergetauft werden dürfe.“) Diefelbe Anficht ſprachen Gregor III, *)
Zacharias, ®) Stephan II.°) aus; Zacharias mißbilligt einmal ein
ftrengeres Verfahren des Bonifacius.”) In unferem Capitular nun
wird unter Bezugnahme auf einen fonft unbelannten Ausfprud des
Papſtes Sergius ®) eine Taufe felbft dann für gültig erflärt, wenn
fie von einem feinerjeitS ungetauften Priefter ausgeführt, die Heilige
Trinität aber dabei angerufen worden fei; nur bie Hanbauflegung des
Biſchofs wird auch hierbei als noch erforderlich betrachtet. Während
die zufällig anmelenden zwei päpftlichen Legaten fonft an einigen
Stellen nur ihre Zuftimmung zu den Beſchluſſen der Synode äußerten,
fcheinen fie hier — wenn einem einzelnen Worte des Capitulars ſoviel
Gewicht beigelegt werben darf — die erfte Anregung zur Aufnahme
der ganzen Beftimmung gegeben zu haben. °) j
) Epistola Leonis papae ad Leonem Ravennensem episcopum, Isidori
liber canonum col. 784: Quodsi ab haereticis baptizatum quempiam fuisse
constiterit, erga hunc nullatenus sacramentum regenerationis iteretur; sed
hoc tantum quod ibi defuit conferatur, ut per episcopalem manus impo-
sitionem virtutem sancti Spiritus consequatur.
%) Zacharias papa Bonifacio, 746 1. Juli, Jaff6 III. ep. 58. p. 168:
Quicunque baptizatus fuerit ab hereticis in nomine Patris et Filii et Spiritus
gancti, nullo modo rebaptizari debeatur, sed per sola manus inpositione
purgare debeatur.
®) Gregorius II. papa Bonifacio, 726 22. November, Jaff& III. ep. 27.
p. 90: in his tus dilectio teneat antiquum morem aecclesiae.
*) Gregorius III. papa Bonifacio, 789 29. October, Jaffe III. ep. 38.
Pr 1: qui baptizati sunt per diversitatem et declinationem linguarum
gentilitatis.
) Zacharias papa Bonifacio, 745 81. October und 748 1. Mai: Jaff6 III.
ep. 51. 66. p. 150. 186.
) ©. oben ©. 151—152.
?) Jaff& III. ep. 58. p. 167, 746 1. Juli; es betraf den Fall, wo ein
baieriſcher Priefter Latinam linguam penitus ifmorabet et, dum baptizaret,
s Latini eloquii, infringens linguam diceret: Baptizo te in nomine
et filia et Spiritus sancti. Ac per hoc tua reverenda fraternitas
vit rebaptizare. Sed, sanctissime frater, si ille qui baptizavit, non
errorem introducens aut heresim, sed, pro sola ignorantia Romanse locu-
tionis infringendo linguam, ut supra fati sumus, baptizans dixisset, non
possumus consentire, ut denuo baptizentur.
*) 1, 687— 701. .
Statt des fonft gebraudjten consentire heißt «8 in cap. 12: Georgius
episcopus Romanus et Johannes sacellarius sic senserunt.
a
Bweiundzwanzigfies Gapitel.
Urkunden. Familienereigniffe. Italieniſche Angelegen-
heiten. Sachſenkrieg.
757—759.
Einem Zufalle verdanken wir die Lifte, wenn nicht aller, fo doch
eines großen Theils der auf dem Goncil zu Compiögne verfammelten
Biſchöfe. Während der dortigen Berathungen nämlich ftellte Chrode-
gang von Metz feinem Nlofter Gorze ein Privilegium aus!) und
hielt es für wünfchenswerth, daß die Bifchöfe durch ihre Unterfchrift
gewijfermaßen die Mitbürgſchaft für den Inhalt desfelben über-
nahmen.) ine Reihe diefer Prülaten ift uns auch anderweitig be-
tannt; indem wir jedod) vorläufig auf die bei Beſprechung des Todten-
bundes vom Jahre 762 zu gebenden Erläuterungen verweifen, befehränfen
wir uns hier darauf, jene Männer zu nennen; in zweiter Reihe Laffen
wir dann die Namen der fonft unbefaunten Unterzeichner folgen. Als
Mitglieder der Synode von Compiegne erfcheinen ſonach die Biſchöfe
Ehrodegang von Meg, Abalfrid von Noyon, Lupus von Sense,
Buldarius von Tongern (Lüttich), Bulfrannus von Meaux, Heriveus
!) Mansi XII. col. 656, Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 1121—1126:
actum in Compendio palatio publice in synodo congregata anno ab inc.
Dom. 756, ind. 9, ep. 15, conc. 4, anno VI. regni Pippini gloriosi regis, sub
die 10. kal. Junii. Die Datirung der Urkunde weift freilich zum Theil auf
756 hin, allein am wichtigften ift doch die damals allein gebräuchliche Angabe
der Negierungsjahre des Königs, welche nur auf 757 paßt; alle anderen Zeit
beftimmungen find als Zufäge bes dem 12. Jahrhundert angehörigen Chartularium
Gorziense zu betraditen, in welchem ſfich diefe und andere Urkunden des Kloſters
allein erhalten haben.
®) Migne ]. c. col. 1124: ut hoc firmius subgistat vigoribus, et nos et
es nostri domini episcopi in synodo subscriptionem manibus nostris
lecrevimus roborare.
316 Gapitel XXIL. 757-789.
von Befangon, !) Megingaudus von Würzburg, *) Jacob von Zouf, ®)
Eufebins von Tours,“) Sidonius von Gonftanz, $) Sadrius von
Angers, ©) ferner Deofridus von Paris; ?) fodann folgende Bifchöfe,
deren Didcefen ung unbelannt find: Deotmarus, Audo,°) Chardobachius,
Lendenaus,?) ein zweiter Lupus, 19) Tedecharius,1?) Fortunus, Sadebertus.
Auch ein Abt, Rabigaudus, richtiger vieleicht Fabigaudus (von Weffo-
brunn), unterfertigte die Gorzer Urkunde; alfe anderen Unterzeichner
gehörten zum Klerus der Meter Kathedrale, auf deſſen zuftimmende
Unterfchrift Chrodegang gleichfalls großen Werth legen mochte, 1%) da
es galt, das Kloſter gegen den Mißbrauch der Didcefangewalt ficher
zu ftellen.
Hierbei ziemt es fich wohl, auf den Anhalt der Urkunde etwas
näher einzugehen; hat man doch, offenbar auf Grund des ung vor-
Tiegenden Documents, das Jahr 757 fogar als das Stiftungsjahr
des Kloſters Gorze betrachtet, 1°) und daß jedenfalls Chrodegang der
Gründer war, erfahren wir ſowohl von ihm felbft,14) als auch von
dem Gefchichtsfchreiber der Metzer Diöcefe, Paulus Diaconus. 15)
Fraglich ift nur, ob die Gründung nicht fon in die 40er Jahre
zu fegen fein dürfte, und gegen die Echtheit der Andernacher Urkunde,
laut welcher Chrodegang dem Kloſter bereits im Jahre 748 eine
Reihe von Gütern zuweift, 1%) Tiegt in der That fein gegründete Be—
denken vor. 17) Auch erjcheint die Urkunde des Jahres 757 nicht als
Fundationsdocument, fondern nur als bifchöfliches Privilegium, wie e8
einem Kloſter wohl ſchwerlich gleich bei feiner Gründung ertheilt worden
ift. Zunächſt wird den Mönchen ihr Befig garantirt, dabei ſowohl
!) In ber Urkunde: Herineus.
Daf.: Mangaudus.
®) Borficher des Kloſters Hornbach.
*) In der Urkunde: Mengebius.
>) Vorgänger bes Biſchofs Johannes, ftarb 760; ſ. unten Cap. XXIII
®) Borg ne des Biſchofs Mauriolus.
?) Mad) Gallia christ. VII. co). 29 eigentlid; Deodefribus.
®) Vielleicht En von Straßburg oder Hiddo von Autun.
?) Vielleicht Teodeningus von Baheur.
” Bessalt flatt des erſten vielleicht ullus zu leſen.
hart, Francia orient. I. p. 565, 1, vermutet dafur Leodegarius von —
—8 1124: et fratres nostri de congregatione 8. 5. Stephani
ipsius consentientes subscripserunt.
19) Bol. Rettberg I. ©. 518. N. 6 (M 8).
“) col. 1122: aedificavi monasterium in loco qui dieitur Gorzia, in pago
ninse.
15) Portz SS. II. p. 268: construxit etiam alterum monasterium, quod
Gorzia vocitatur.
'*) Migne Patr. lat. LXXXIX. col. 1119—1121: actum apud Ander-
nacum in palatio publice, anno ab inc. Dom. "a5 ind. 13, ep. 14, conc. 4,
anno VI. — ilderici regis, 20. die mensis Maji. Si igillum inlustris viri Pippini
majoris-domus.
) Waitz, BG. IM. ©. 47. N. 1, hat von der Urkunde denn auch umbedent-
lid) Gebrauch gemadit.
Urkunden. Familienereigniffe. Italieniſche Angelegenheiten. Sachſenkrieg. 317
auf die eigenen, *) als auch auf fremde Schenkungen Bezug genommen
und der darüber vorhandenen Inſtrumente gedacht.) Das Klofter
wird gegen jeden Eingriff der künftigen Bilchöfe und Orbinatoren
von ©. Stephan gefichert und unter Hinweifung auf ein auch hierüber
bereits vorhandenes Schriftftüd ihrem Schuge empfohlen.°) Hierbei
” wird mit Nachdruck auf die Vorſchrift des heil. Benedict hingewieſen,
wonach die Mönde fein Privateigentfum befigen, fondern Alles ger
meinfam haben folften. %) Der Biſchof verſpricht, felbft wenn er
Behufs Ausübung veligiöfer Functionen zuweilen in das Kloſter käme,
wie etwa um feine Andacht zu verrichten oder eine Viſitation der
Brüder vorzunehmen, ohne Anjpruch auf Gebühren dasjelbe wieder
verlaffen zu wollen.
Hatten diefe Beftimmungen das Stiftsvermögen zum Gegenftande,
fo bezogen fi) andere, ganz dem Charakter der damaligen Privilegien
entjprechend, 5) auf das Verhältniß des Biſchofs zu den Klofterbrüdern,
insbefondere zu ihrem Abte. Dem Biſchofe bleibt die fanonifche
Autorität vorbehalten, ®) und überall, wo gegen pflichtvergefjene Mönche
das Anjehen des Abtes nicht ausreiht, handhabt er die ihm zuftehende
Disciplinargewalt. Bei Erledigung der Abtjtelle fteht den Münden
das Recht zu, aus ihrer Mitte einen der Regel fundigen und tugend-
haften Mann für das Amt zu wählen und dem Bifchofe zur Be
ftätigung vorzuſchlagen; findet ſich ein folcher jedocd nicht, jo fällt
das Wahlrecht am diefen zurüd, nur daß er feinerfeits alsdann an
das Einverftändniß der Mönche, ſowie an die allgemeinen Bedingungen
der Ordensregel gebunden bleibt.
Bemerkenswerth ift die Stellung des Königs; nicht ohne feine
Bervilligung war urfprünglich die Gründung und Dotirung des Klofters
erfolgt, 7) ebenfo war fie jett für die in dem Privilegium aus-
geſprochene Bejigbeftätigung erforderlich.) Wir finden diefelbe Er-
) col. 1122: fundans atque dotans ipsum monasterium de rebus et
terris, quae propter venditiones, commutationes mihi legibus obvenerant;
vgl. col. 1119: quidquid comparavimus aut ad nos per venditionem, dona-
tionem, commutationem advenit.
®) col. 1123: inspecta eorum instrumenta, juxta constitutionem quam
eis instituimus, quieto ordine ipsas res teneant atque possideant.
®) Daj.: et sit ipsum monasterium sub mundeburde et defensione 8.
Stepbani ecelesiae Metensis, sicut in illo instramento continetur, quod de
ipso monasterio ad ecclesiam 8. Stephani fecimus.
. *) Regula $. Bened. c. 33: Omnia omnibus sint communia, ut scriptum
est, nec quisquam suum aliquid dicat aut praesumat; f. oben ©. 216 (R. 2).
>) Bol. Sidel, Beitr. 3. Dipl. IV. ©. 575.
%) Der übliche Ausbrud, nihil de canonica auctoritate convellitur, findet
fih aud in unſerer Urkunde, col. 1124.
?) col. 1122: una cum commeatu et voluntate domini nostri piissimi ac
gloriosissimi Pippini regis Francorum atque consensu fratrum nostrorum
eanonicorum spiritualium et Deum timentium laicorum fidelium S. Stephani
aedificavi monasterium.
®) col. 1123: una cum commeatu et voluntate piissimi et gl. Pippini
318 Eapitel XXII. 757—759.
ſcheinung fünf Jahre fpäter bei der Neugründung und Ausſtattung
des Kloſters Ettenheimminfter duch Biſchof Eddo von Straßburg
wieder; !) ja, in beiden Fällen wird auch die Zuftimmung der „gottes-
fürchtigen Laien“ des Bisthums ?) oder, wie Ebdo fi ausdrüdt, der,
im Bisthum lebenden „Bürger“ 9 hervorgehoben.
Nach dem Schluffe des Reichstages von Compiögne finden wir
die Spur Pippins erft im Auguft desjelben Jahres zu Attiguy wieder;
denn am 10. dieſes Monats ertheilte er hier dem Kloſter Nantua
bei Lyon ein Imniunitätsdiplom.“) Das Klofter war, wie aus einer
Stelle der Urkunde °) und aus einer fpäteren Andeutung hervorgeht,
ein königliches; doch ift die Art und die Zeit feiner Entftehung durch-
aus unbefannt; ein Nefrologium des Kloſters nennt nur noch zwei
Vorgänger des Abtes Siagrius, auf defien Bitte Pippin 757 das
Diplom erließ.) Auch wird außer diefer Urkunde im 8. Jahrhundert
des Klofters nicht weiter gedacht; erft unter Ludwig dem Frommen
wird es öfter genannt, namentlich findet es fich in dem Verzeichniß
der Reichsabteien aus dem Jahre 817 unter denen aufgeführt, welche
dem Kaifer jährliche Gejchenfe, aber feinen Kriegsdienft zu leiften
hatten.) Schon um das Jahr 1100 verfchwindet Nantun aus der
Reihe der Klöfter. *)
Hatte Pippin fi im Mai 757 zu Compiegne, im Auguft zu
Artigny aufgehalten, jo verbrachte er auch die nächitfolgenden Weihnachts⸗
und Oftertage noch in demfelben Gebiet, zu Corbeny bei Laon. ?) Ver—
muthlich hat jene Gegend daher aud) feiner Familie damals zu längerem
Aufenthalte gedient, ſodaß der Geburtsort feiner Tochter Gisla hier
zu ſuchen wäre. Diefe wurde nämlich im Jahre 757 geboren, 1%)
und zwar, wie aus den gleich darauf folgenden Vorgängen in Rom
regis et consensu fratrum nostrorum comvenit nobis, illis conservare pro
eorum quiete et tranquillitate.
) Migne Patr. lat. XCVI. col. 1548: placuit nobis per commeatum
domini aostri Pippini gloriosi regis, ut monachos ibidem congregare deberem
jedimus etiam ad ipsum monasterium cum consensu 2. regis Pippini
atque — sive civium nostrorum fh episcopatu degentium in stipendium
ipsorum monachorum quidquid etc.
%) ©. ©. 817.9. 7.
) ©. oben N. 1.
) Sickel P. 13.
®) Daf.: hoc ipse abbas aut monachi ... agant sub dominatione nostra;
1. Sickel, Beitt. z. Dipl. II. ©. 214—215. In einer Anmerkung werden
hier mehrere Stellen des verberbten Textes emenbirt.
) Gallia christ. IV. col. 216-217. Das den Könige Chilberich IL. zu«
Kae Diplom vom Jahre 664, Migne Patr. lat. L VII. col. 1290,
—* wie die darin erwähnte Bulle Gregor's L, Migne 1. c., entfdieben
un, Pertz LL. I. p. 223: monasterium Natradis (n. 15: leg. Nantuadis).
%) Gallia christ. IV. col. 217.
®) Ann. Laur. maj. 757: Natalem Domini et pascha Carbonaco celebravit.
"°) Ann. Petav. (A. B.) 757: nativitas Gislanae.
Urkunden. Familienereigniſſe. Italieniſche Angelegenheiten. Sachſenkrieg. 319
zu erjehen ift, erft gegen das Ende des Jahres. Denn einem ſchon
dem Bapfte Stephan gegebenen Verſprechen gemäß, übertrug Pippin
bei diefem Anlaß dem Bruder und Nachfolger desfelben, Paul L., die
Zaufzengenfchaft, indem er ihm durch den Abt Vulfard von Tours
das Tuch zufchicte, in weldes das Kind nach der Taufe eingehüllt
worden war.!) Nun hatte man im jenen Tagen zu Rom den marmornen
Sarg Petronella's; der Tochter des Apoftels Petrus, in einer hierzu
neuerbauten Kapelle der vaticanijchen Petersfirche beizufegen beſchloſſen.
Dieſe Translation, ſchon von Stephan beabſichtigt, geſchah, wie aus-
drüdtich bezeugt wird, im Jahre 758;) ſie geſtaltete ſich aber, wie
Paul felbft berichtet, zu einem doppelten Feſte der Freude, °) indem
er zugleich die neue Ruheſtätte Petronella's weihte*) und Hier während
de8 Meßopfers in Gegenwart der verfammelten Vollsmenge das
Tauftuch der Königstochter in Empfang nahm. Sole Geremonie
hatte diejelbe Bedeutung, als wenn er das Kind perfünlic aus der
Taufe gehoben Hätte. Froh der dadurch erworbenen Compaternität,
gab Paul dem Könige dafür feinen Dank zu erkennen und ſprach
über Vater und Kind feinen Segen aus. Zugleich glaubte er fich
durch diefe neue Beziehung berechtigt, Pippins Aufmerfamfeit abermals
und mit größerem Nachdrud auf die Lage der römiſchen Kirche hin⸗
zufenfen und feinen ausdauernden Beiſtand um ſo zuverſichtlicher in
Anſpruch zu nehmen.
Denn die italienischen Ungefegenheiten Hatten gleid nad) dem
Regierungsantritt des Königs Defiderius wieber einen ernfteren Charakter
angenommen. Zwar ift es, fo lange Pippin lebte, nicht noch einmal
zu einem bewaffneten Einſchreiten Seitens der Franken gefommen;
Pippins Anfehen war durch die Ereigniffe der vergangenen Jahre
fo feft begründet, daß fein Wort allein die Verwirrungen zu Töfen
vermochte. Solder Vermittlung jedoch bedurfte es zu wiederholten
Malen, und es ift anziehend, auch diefe diplomatifchen Siege Pippins
genauer zu verfolgen.
Deiiderins war ſchon im Jahre 757, fobald fein Thron befeftigt
') Cod. Carol. ep. 14. p. 73.
2) ©. die von Jaffe, p. 73. n. 2, citirte Stelle ans der Chronik Sigeberts
von Gembloug zum Jahre 758; Pertz SS. VI. p. 892. Ueber den Ort der
aula sacrati corporis auxiliatricis vitae beatae Petronellae vgl. Vita Pauli I.
papae c. 6. p. 180.
®) Cod. Carol. ep. 14. p. 72: gemina festivitatis peregimus gaudia .
sabanum ... infra aulam . b. Petronillae, quae pro lauda aeterna
memoria nominis vestri nunc dedicata dinoseitur, caelebrantes missarım
solemnia ... . suscepimus. Daß jdjon Stephan, al8 er in Gallien war, die
Translation gelobt, ift oben ©. 154 (N. 3) erzählt worden.
*) Der in vorftehender Note citirte Sag lautete ohne gie ifel: quae pro
laude Dei et aeterna memoria nominis vestri nunc dedicata dinoseitur.
Ganz Ati gt Paul I, ep. 42. p. 143: Nos quidem monasterium illud
ad laudem Dei et vestri memoriam atque aeternam mercedem nostro mo-
nasterio dinoseimur subdidisse.
320 Capitel XXI. 767-789.
fchten, feinen Verfprehungen untreu geworden, und der Papſt Paul
hatte bereit damals bei Pippin darüber Beſchwerde geführt.) Im
Anfange des Jahres 758, als der König bei Ueberfendung des Tauf-
tuchs feiner Tochter Gisla ih über den Stand der Sache erkundigt
hatte, konnte der Papſt noch immer nur berichten, daß er nichts
empfangen, daß bie Sangobarden vielmehr in gemwohntem Wortbruch
ſich weigerten, die gerechten Anfprüche Petri zu erfüllen. 9)
Sehr bald aber ging Defiderius zu militärifchen Offenjiomaßregeln
über, ®) und zwar ſcheinen den nächſten Anlaß dazu, wie einft in den
Tagen Liutprands, die Beziehungen des Königreih® zu den Herzog-
thümern Spoleto und Benevent gegeben zu haben; denn es war dem
Könige darum zu tun, das feit dem Tode Aiftulfs geloderte Band
wieder fejter zu fnüpfen. Der Marich der Langobarden berührte
gleich im Anfange päpftliches Land, und mande Stadt der Pentapolis
hatte die Verwüftung ihrer Saatfelder zu beffagen. Hierauf drang
der König in das Gebiet der beiden Herzogthümer ein und verheerte
basfelbe mit Feuer und Schwert. Herzog Alboin von Spoleto wurde
mit feinen Beamten ergriffen und in Feſſeln gelegt. Dem jugend-
lichen Herzog Liutprand gelang es zwar, nad) Otranto zu entfommen;
als er aber trog langen Drängens ſich weigerte, jene Stadt zu ver-
Iaffen und ſich dem Willen des Könige zu unterwerfen, ſetzte diefer
in Benevent den Aregis zum Herzog ein) der denn auch urkundlich
feit dem Mai des Zahres 758 daſelbſt nachzuweifen ift. °) In Spoleto
dagegen behielt Dejiderius, wie einft Aiſtulf, die Verwaltung eine
Zeit lang felbft in Händen, bis im April des Jahres 759 Gifulf
an die Spitze des Landes gelangte. ©)
Die Herzoge Liutprand und Alboin waren ihrer Vertragstreue
zum Opfer gefallen; ihre Nachfolger, ſowohl Aregis von Benevent,
der Schwiegerfohn des Defiderius, als and Gifulfus und Theodicius
von Spoleto ftanden fortan, bis zum Untergange des Langobarden-
reiche, feft zu ihrem Sönige. ?)
Inzwiſchen war Georgius, ein Gejandter des Kaifers Conftantin,®)
1) Bal. Cod. Carol. ep. 14. p. 78-74: per nostros legatos excellentiae
vestrae petendo mandavimus; ein den Gefandten mtitgegebenes Schreiben hat
fid) night erhalten.
») Daf. p. 78: Direxit nobis insignis bonitas vestra per suos affatus,
sibi innotesci adversantium causarum eventus. Unde certam a Deo protectam
eximietatem vestram reddimus, nihil nos usque hactenus recepisse.
®) Ueber alles Folgende j. Cod. Carol. ep. 17. p. 77—80.
4) &o lautet ber Name bei Bluhme, Edietus Langobardorum, Pertz SS. IV.
p. 207; bei Baudi bi Vesme dagegen, Historiae patriae monumente VIII
pP. 201: Arechis.
®) ©. unten Ercurs I. $ 6°; die ep. 17 des Codex Carolinus ift daher
mit Beftimmtheit in das Jahr 758 zu jegen.
©. unten Excurs I. $ dt.
©. unten Seurs I. $ 54. be. 6°.
*) Einer der griech ſchen Geianbten im Jahre 756 hatte ebenfalls Georgius
geheißen; j. oben ©. 265—267.
Urkunden. Familienereiguiſſe. Italieniſche Angelegenheiten. Sachſenkrieg. 321
auf feiner Reife nach dem Frankenlande ) in Neapel angelangt. Denn
auch von griechiſcher Seite verfuchte man von neuem, bie verlorene
Stellung in Italien wieder zu erringen. Während man deshalb aber
mit dem fränfifchen Hofe in Unterhandlung trat, wies man doch auch
die Ausfichten nicht zurück, welche jet ein Bundniß mit dem Lango-
bardentönig eröffnete. Defiderius nämlich, der ſich noch in Benevent
befand, ließ den Gefandten zu fi fommen und verabredete mit ihm
die Wieberherftellung der ehemaligen Befigverhältniffe in Italien. Der
Raifer folite, wozu Defiderius ihn auch durch ein eigenes Schreiben
aufforderte, 2) ein Heer nach Ztalien ſchicken; ein anderes wollte der
König aufftellen ; beide Heere follten ſich ſodann vor Ravenna ver-
einigen und diefe Stadt ſowie die Pentapolis und Rom dem Kaifer
wiebererobern. °) Hierauf ſollte Otranto mit Hülfe einer ſiciliſchen
Flotte der byzantinischen Herrichaft unterworfen, nur der Herzog und
fein Erzieher Johannes dem Könige ausgeliefert werden. 4)
Nun erſchien Dejiderius in Rom. Der Papft erinnerte ihn an
fein Verfprechen, beſchwor ihn, die noch immer vorenthaltenen Stäbdte,
wie Imola, Bologna, Oſimo, Ancona, herauszugeben. Deſiderius
forderte die Freigebung der Iangobardifchen Geifel, welche Pippin noch
in Händen hatte: werde der Papft ihm diefe verichaffen, dann wolle
er demnächſt Imola räumen. 5) -
Paul I. mußte ſich eines eigenthümlichen Kunftgriffes bedienen,
um alle die foeben erzählten Thatſachen zur Kenutniß Pippins zu
bringen. Schon zwei frühere Briefe über denfelden Gegenftand waren,
fo vermuthete der Papft, nicht an ihr Ziel gelangt;®) denn da der Weg
durch das Tangobardifche Land führte, fo konnten unerwünjchte Bot-
ſchaften dort leicht aufgehalten werden, und es fam auch wirklich fpäter
einmal vor, daß Defiderius eine ſolche Gefandtichaft des Papftes zurück⸗
zufehren nöthigte.”) Indem Paul daher über die jüngften Vorgänge
an den Frankenkönig zu berichten, ihm die Gerechtfame Petri an's
Herz zu legen und ihm von einer Zuftimmung zu den Forderungen
des Defiderius zurüdzuhalten wünfchte, gab er den Leberbringern feines
Schreibens®) zur Vorficht ein zweites mit, worin er von der friedlichen
) Cod. Carol. ep. 15. 17. p. 75. 79: qui ad vos Franciam directus fuerat.
%) Ep. 17. p. 79: suas imperatori dirigens litteras.
®) Ep. 15. p. 75: contra Ravennam vel Pentapolim ac Romanam urbem
ad conprehendendum.
*) Ep. 17. p. 79-80.
®) Ep. 16. p. 76; allgemeiner ep. 17. p. 80.
®) Ep. 17. p. 82: jam duas apostolicarum litterarum adsertiones excel-
lentiae vestrae clam per maximam industriam misimus.
?) Ep.'86. p. 127.
8) Es waren der Biſchof Georg von Oftia, der Priefter Stephan und ber
Frante Rodbert, ep. 16. 17. p. 77. 82; alle drei, wie wir oben S. 285. 286
geiehen, ſchon im Jahre 757 einmal mit päpftlichen Miffionen betraut.
Zahrb. d. dei. Geh. Oelsner, adnig Piypin. 21
322 Capitel XXII. 767759.
und demuthvolfen Ankunft des Königs in Rom erzählte und die Wünfche
desfelben zum Schein, befürwortete, 1)
Defiderius hatte feinen Aufenthalt zu Benevent und Rom in
der That auch zu frommen Zwecken benugt, indem er mandjerlei Reli»
quien aus biefen Städten, darunter befonders einige Gebeine des
heil. Benedict, für feine Klöſter mitnahm. *)
Wir erfahren vorläufig nichts über die Aufnahme, welche das
päpftliche Schreiben am fränfifchen Hofe gefunden, und werden erft
im Jahre 760 von einer, auf abermaliges Drängen des Papftes er-
folgenden, Intervention Pippins zu melden haben. Im Sommer
758 dagegen war der König, zum zweiten Male feit feiner Krönung,
mit einem Kriege gegen die Sachſen beichäftigt, nur fünf Jahre nad-
dem er fie bei Yburg und Rehme aufs Haupt geſchlagen hatte. °)
Er drang auch diesmal wieder, wie im Jahre 753 und wie es vor
ihm ſchon fein Vater gethan Hatte, vom Rhein Her in da® Land der
Weftfalen ein; von einer Frucht des erften Krieges ift feine Spur
wahrzunehmen. Sa, während er damals bis an die Wefer vorgerückt
war, beſchränkte er fich diesmal darauf, die Ems zu erreichen und
die hier anfäffigen Sachſen zur Anerkennung der fränfifchen Oberhoheit
zu zwingen. Wiederum bildete ein fefter Ort den Mittelpunft der
fächſiſchen Defenfive: es war Sitnia, d. i. entweder Senden im
Kreife Lüdinghauſen oder Sendenhorft im Kreife Beckum, beide zum
Negierungsbezirt Münfter gehörig und zwifchen der oberen Ems und
Kippe gelegen. Nachdem die Franken dieſes Feſtungswerk erftürmt
und den Feinden große Verlufte beigebracht Hatten, begann man über
den Frieden. zu unterhandeln, und diefer kam unter der Bedingung
zu Stande, daß die Befiegten alljährlich auf der fränfifchen Neiche-
verfammlung einen Tribut von 300 Pferden zu entrichten gelobten —
ſchon in merowingifcher Zeit hatten die Sachſen an der thüringiſchen
Grenze fi einmal zu einer ähnlichen Lieferung von 500 Kühen ver-
ftehen müffen. *) Jhr weiteres Verſprechen, alle Forderungen Pippins
erfüllen zu wollen, ift wohl mit Recht auf die Zulaffung chriſtlicher
Glaubensboten gedeutet worden; °) eine dritte Zuſage war noch, daß
1) Ep. 17. p. 82: alias vobis litteras misimus, quasi obtemperantes
praefati Desiderüi regis voluntati. Der Sauptbrief in daher ep. 17, der um-
gültige ep. 16.
%) Chronicon Brixiense, Pertz SS. III. p. 289: non longe post introi-
tum regni,
*) ©. oben ©. 76-77. — Faft alle Annalen melden von diefem zweiten
Zuge ins Sadjienland; am ausführlichften, wie gewöhnlich, die größeren Annalen
von Lori. Der letzte Fortſetzer des Fredegar dagegen, defien Wert mit der
Erzählung vom erften Sachfentriege begonnen hat, übergeht ben zweiten ganz und
gar mit Schweigen.
+) Dgl. Waitz BO. IL ©. 504.
®) Abel, Karl der Große I. ©. 94. — Die ann. Mett. haben ohne Frage
ganz willfürlic, beide Beftimmungen ſchon zum Jahre 753 gebracht, obgleich fie
diefelben zum Jahre 758 mit den Worteit der ann. Laur. maj. wiederholen. Wir
Urkunden. Familienereigniffe. Italieniſche Angelegenheiten. Sachſenkrieg. 323
fie jeden Schaden, welchen fie den Franken an Hab’ und Gut zu-
gefügt Hätten, ihnen wieder erfegen wollten. 1)
Der Krieg, der nicht vor Oftern (2. April) begonnen, ?) war
im Monat Auguft ſchon beendet; denn am 15. September befand fich
Pippin bereitS in Düren bei Aachen, offenbar auf dem Ruͤckmarſch
aus dem Sadjfenlande. Hier ertheilte er an jenem Tage nämlich
dem unter Leitung des Biſchofs Dubanus ftchenden Kloſter Honau
ein Immunitätsbipfom. 9) Dies Klofter, dem Heil. Michael geweiht, *)
befand ſich damals auf einer Nheininfel unterhalb Straßburgs; um
720 gegründet, Hatte e8 ſich doch erft unter Pippin einer fehr um—
faffenden ftaatlichen Zürforge zu erfreuen. Schon als Hausmaier ge-
währte ihm dieſer die Zollbefreiung, fowie die Aufnahme in fein
Mundium; 5) num fam die Immunität Hinzu, und damit waren bie
Beziehungen des Klofters zur Staatsbehörde nad, allen Seiten hin
zu feinem Vortheil geregelt. Pippin aber vermehrte die Ounftbezeigungen
noch dur) eine vierte Urfunde,*) welche einestheils eine Befigbeftätigung
enthielt, 7) anderentheils als Privilegium im engeren Sinne des Wortes
das Klofter gegen die Webergriffe der Diöcefangemalt ficherftellte. ®)
Daß es ſich Hierbei nicht allein um den Schutz des Eigentums, fondern
auch um das Recht der freien Abtswahl handelte, wird in der Urkunde
Haben daher in ber Darftellung des erſten Sachſenkrieges von jenen Zufägen des
Meer Annafiften feine Notiz genommen.
}) Ann. Laur. min. a. 22. Pippini.
%) ©. oben ©. 318. N. 9. Man hat bis in die neuefte Zeit bie Worte einer
©. Galliigen Urkunde vom 9. Mai 758, Wartmann N° 22: facta ista donacio
ad palacio qui dieitur A. in septima idus Madias. f sinum Pippino rege
nostro } anno septimo regi, fo gedeutet, als ob Pippin jene Brivaturfunde durch
fein Handzeichen beftätigt habe. Im diefem alle hätte er fi) nod am 9. Mai
in einer koͤniglichen Pfalz — wie vermuthet wurde, zu Attigny — aufgehalten,
der Krieg alfo erſt fpäter begonnen. Da jedoch fein anderes Beifpiel einer Ur-
kunde diefer Art vorliegt, fo betrachten wir mit Sidel aud in diefem nur als
Copie vorhandenen Document jene Worte nicht als Tönigliche Unterſchrift, ſondern
vielmehr als eine verderbte Datirungszeile, in welcher das Wort sinum in re-
gnante (abgefürzt) zu verbeſſern ift; dgl. Sickel, Mittheilungen bes Biftorifchen
Bereins in S. Gallen, Heft 4. (1865) ©. 19. N.; deſſelben UL. S. 190. N. 4.
Die Urkunde ift fomit für das Itinerar Pippins bedeutungslos. — Auf welche
Weiſe in der Schentungsurkunde Throdegangs für Gorze vom Jahre 748, oben
©. 316. N. 16, die Worte Sigillum inlustris viri Pippini majoris domus zu ber
urtheilen find, ob dabei vielleicht der Unterſchied zwiſchen der Stellung bes Haus-
maiers und des Königs in Betracht kommt, mag hier bahingeftellt bleiben.
%) Sickel P. 14.
4) Sickel P. 15 bezeichnet e8 als constructum in honore s. Michaelis
et s. Petri et s. Pauli.
®) Pardessus II. p. 412. ne 598. 599.
°) Sickel P. 15.
?) Precipimus, ut omnes facultates ipsius monasterii, quidquid ... cer-
nitur cum equitatis ordine possidere . . . absque cujuslibet inlieitis contro-
versiis inibi . . . proficiat in augmentum.
®) Etiam et privilegium ipsius monasterii . .. quod per auctoritatem
nostram seu .. . antecessorum nostrorum adumbratum fuisse dinogeitur
- . „ deerevimus robarare.
324 Capitel XXI. 757-759.
felbft zwar nicht gefagt, wohl aber in der noch vorhandenen Formel,
nach welcher jene geſchrieben worden, fodaß die Auslaffung diefer Stelle j
nur einer Nachläffigkeit zuzufchreiben iſt. ) Auf der anderen Seite |
ift es wohl auch nur der Gedanfenlofigfeit des Notare beizumeffen,
wenn er, feiner Vorlage Wort für Wort folgend, den König auf
früher ertheilte Privilegien Bezug nehmen läßt; ?) denn wie mechaniſch
er die Formel abſchrieb, beweift der eine Umftand, daß, wie in diefer,
von mehreren Vorgängern des Abtes die Rede ift, obmohl Biſchof
Dubanıs fhon in den 20er Jahren dem Gründer des Kloſters,
Benedict, als zweiter Vorfteher gefolgt war.“) In der Abjchrift,
welche wir von dem Diplom befigen, fehlt die Angabe ſowohl des
Ortes als auch der Zeit des Erlaſſes; wir Haben desjelben jedodh am
paffendften Hier zu erwähnen geglaubt, wo wir die YImmunitäts-
bewilligung für Honau zur verzeichnen hatten; nur ſcheint eine völlig
gleiche Datirung beider Urkunden darum nicht anzunehmen, weil fie
don verfchiedenen Kanzlern gefchrieben find, das Immunitätsdiplom
von Baddilo, der auch das Jahr vorher die Urfunde fr Nantua aus-
gefertigt hatte, *) das andere dagegen von Widmarus, hier fälſchlich
Wulmarus genannt. 5)
Aus dem Jahre 758 ift Feine weitere Thatfache bekannt; felbft die
gewöhnliche Notiz der Lorfcher Annalen über den Ort, wo Pippin die
Weihnachten und das nächſtfolgende Ofterfeft (22. April 759) zus
gebracht, vermifjen wir diesmal. Wir ziehen nun auch nod einen
Theil der Begebenheiten des folgenden Jahres in dieſes Capitel hinein,
indem wir die ©. Gallifchen Vorgänge, ſowie die KRriegsereigniffe in
Südfrankreich den nächften zwei Abfhnitten vorbehalten.
Zuvörberft ift wiederum von einem amilienereigniß des Fönig-
+ Tichen Saufes zu berichten. Es wurde im Jahre 759 nämlid der
dritte Sohn Pippins geboren, nach des Vaters eigenem Namen Pippin
genannt.) ALS Papft Paul davon erfuhr, erbat er fi vom Könige
auch diesmal wieder die Pathenftelle, wie er ſie bei Gisla in ſymboliſcher
Weiſe übernommen Hatte; 7) doch ift nirgends weiter davon die Rede.
Es war der einzige im Purpur geborene Sohn Pippins, der bei
) ar Sa dr gritz 3. Dipl. IV. ©. 588.
)
®) Bol. die 3 Ve Voronus vom Jahre 726, Migne Patr. lat. LXXXVIIL
Pr das Diplom Theodorichs, dal. col. 11, Tafjen wir abſichtlich un«
eachtet.
4) Er begegnet unter Pippins Kanzlern überhaupt am häufigſten, außer
P. 18 und 14 nod in P. 7. 17. 20. 22. 24. 25, von 758 bis 766; vgl.
Side, UL. ©. 76.
) Auch Widmarus erfcheint mehrfach in der Kanzlei Pippins: P. 5. 9. 15. 18,
°) Ann. Lauresham. (Petav. Nazar. Mosel.) 759: mutavit rex Pippinus
nomen suum in filio suo; ann. Lauriss. maj. 759: Natus est Pippino regi
filius, cui ... nomen suum imposuit, ut Pippinus vocaretur sicut et pater ejus.
h Cod. Carol, ep. 18. p. 8: quatenus duplex Spiritus saneti gratia
fiat in medio nostrum et gemine festivitatis nobis oriatur laetitia.
BP SE |
Urkunden. Familienereignifſe. Italieniſche Angelegenheiten. Sachſenkrieg. 325
längerem Leben die Schwierigkeiten gewiß noch gejteigert haben würde,
welde fi) dem Einigungswerfe Karls des Großen entgegenftellten.
Dahin ift es jedoch nicht gefommen, da ber Knabe ſchon im dritten
Jahre feines Lebens ftarb.!) Wir -befigen aus dem Jahre 761 einen
Brief des Papftes Paul, in welchem er bei den üblichen Segensmworten,
die er am Schluffe der föniglichen Familie widmet, ausdrücklich nur
die drei Kinder Karl, Karlmann und Gisla nennt;*) damals alfo
war das vierte Kind nicht mehr am Leben, und wir gelangen dadurch
zu dem Schluffe, daß feine Geburt ſchon in den Anfang des Jahres
759 gefallen fein muß.
Erft Ende October begegnen wir Pippin wieder und zwar in
feinem Palafte zu Compiegne, richterlicher Thätigkeit Hingegeben. *)
Wir verdanken die Kunde von diefer königlichen Gerichtsfigung abermals
einem Proceſſe des Kloſters ©. Denys, und dieſer bezog ſich, wie der
des Jahres 753, auf die Mearktzoligerechtigfeit des Kloſters, von
welcher wir bereits oben ausführlich geſprochen Haben.
Jene Bergünftigung Dagoberts I. nämlih, wonach ſämmtliche
Zolleinkünfte des Marktes von ©. Denys dem Stifte gehörten, wurde
durch den Grafen des Parifer Gaues von neuem verlegt, indem der⸗
felbe eine zweifache innerhalb der Stadt zu erhebende Abgabe, die
Schiffszölle und die Brückenzölle,“) ungerechtfertigter Weife fir ſich in
Anfpruh nahm. Der Proceß fiel in die Zeit des Marktes felbft,
welcher, wie. früher erwähnt, °) am Tage des heil. Dionyfins, d. i.
am 9. October, feinen Anfang nahm und von vierwöchentlicher Dauer
war; der Streit mochte alſo eben erft durch neue Thatfachen veranlaßt
worden fein, als die beiden Parteien am 23. October vor dem Könige
erfchienen. Die Sache des Kloſters wurde durch zwei Agenten desfelben,
Aderuffus und Rodegarius, vertreten; der Graf erſchien in eigener
Berfon: es war Gerardus, wahrſcheinlich derfelbe, welcher im Jahre
753 als Graf Gairehardus dem Gau vorftand. %) Die Agenten von
©. Denys beriefen fich darauf, daß jene Zölle dem Kloſter von Alters
ber zugefloffen feien; fie legten ferner, was 758 nicht geſchehen war,
das Diplom Dagoberts vor, durch welches der Markt im Parifer
Gau geftiftet und alle Zolleinnahmen desfelben dem heil. Dionyfius
zugefprodhen worden waren. Der König felbft fuchte zur Feſtſtellung
de8 Sachverhaltes beizutragen, indem er erzählte, daß er in feiner
Kindheit es immer mit angefehen, wie jene Zölle für das Kloſter
!) Ann. Laur. maj. 759: vixit annos duos et in tertio defunctus est.
®) Cod. Carol. ep. 21. p. 95.
%) Sickel P. 16.
+) teloneo infra Parisiis ex navibus et pontis volutaticos ac rotaticos.
®) ©. oben ©. 67.
) Obwohl beide Diplome, P. 8 und P. 16, im Autograph erhalten find,
wurde folche Abweichung in der Schreibart eines und desfelben Namens doch
nichts Befremdendes haben; heißen dod die beiden Agenten von S. Denys in
P. 16 jefbft erſt Aderulfus und Rodegarins, dan Adrulfus und Rotgarius.
326 Enpitel XXI. 757—789,
erhoben worden ſeien.) Graf Gerardus ftellte allen dieſen An-
führungen die Behauptung entgegen, daß er nicht anders handle als
feine Vorgänger, die, wie er, den Zoll für fich behalten hätten; auch
des Königs Ausfage überführte ihm nicht, er hielt ihr gegenüber die
feinige aufrecht. Die Entſcheidung Hing alfo davon ab, daß man das
alte Herfommen mit Zuverläffigkeit zu ermitteln fuchte. Denn bie
Vorschrift Dagoberts mußte auch jegt unwirkſam fein, wenn in Wirk-
lichkeit ſchon die früheren Grafen fie nicht befolgt hatten; die Be—
hauptung des Gerardus aber fonnte weder durch die entgegenftehende
Behauptung der anderen Partei, noch durch eine Jugenderinnerung
Pippins entfräftet werden. Es galt, für dem einen oder den anderen
Rechtsanſpruch notorifche Beweiſe beizubringen. So wurde denn die
Verhandlung vertagt und den Parteien aufgegeben, innerhalb der geſetz⸗
lich vorgefchriebenen Frift, d. h. innerhalb der nächiten fieben Tage,
wiederum zu erjcheinen, damit alsdann der‘ Streit zum Austrag ges
bracht würde.) Dies war das Ergebnif der Sigung vom 23. Detober,
einem Dienftag; ſchon am darauf folgenden Montage, dem 29. October, ?)
waren die Vertreter von ©. Denys im Stande, folde — vorzu⸗
führen, deren Ausſage ihr Recht außer Zweifel ſetzen mußte: es waren
Kloſterbeamte, welche jene Zölle einft felbft erhoben hatten. Die Ver—
handlung wurde daher wieder aufgenommen, und der königliche Gerichts-
hof fohritt zum Zeugenverhör. Damit war die Sache zu Gunſten des
Kloſters entfchieden: Graf Gerardus erklärte, daß er fich dem Geſetze
fowie dem Ausfpruc, des Königs und feiner Getreuen füge, und leiſtete
auf die ftreitigen Zölle Verzicht. Dem Kloſter aber wurde über die
erfolgte Entfcheidung Tags darauf eine Gerichtsurfunde ausgeftelit,
welche ihm zur dauernden Sicherung des errungenen Befiges gereichen
ſollte. Diefes Document ift ungewöhnlicher Weife nicht von einem
pfalzgräflichen Schreiber, wie es bei Gerihtsurfunden der Brauch war,
fondern von Ejus, einem Kanzler Pippins, ausgefertigt, gleich dem
Diplom ähnlichen Inhalts vom Jahre 753; 4) daher kommt es auch,
4) Während im Eingang der Urkunde Pippin als felbftredend auftritt, anno
octayo regni nogtri, ubi noß ... . regederemus, wird am biefer umd an einer
Fr ich darauf folgenden Stelle von ihm wie von einer dritten Perſon geſprochen:
t ipso domnus rex Pippinus adfirmabat; dann: statuerunt ut... ante
jam dietum domnum Pippinum ipsam intentionem deffinire debuissent.
) Sicut lex edicebat. Diefer beftimmte Fall einer Vertagung des Proceffes
wegen unvollftändiger Beweisaufnahme ift zwar im Saliſchen Gejee nicht aus-
drücfich vorgefehen, doch ift vom der gerichtlichen Frift von fieben Nädjten wieder⸗
hoft die Rebe.
®) Diefe Stelle unferer Urkunde iſt für die Berechnung der Regierungsepoche
Bipping wichtig geworden Weil der 29. October 758 nämlic; auf einen Sonntag
fiel, Sonntogsplacita aber verboten waren, fo hat Sickel das Datum, anno
octavo regni nostri, mit Recht auf 759 gedeutet und daraus das Ergebniß_ge-
wonnen, daß Pippi am 80. October 751 noch nicht König geweſen iſt; For⸗
ſchungen zur deutichen Geidichte IV. ©. 445, UL. ©. 248,
+) Bol. Sidel, U8. ©. 359.
2
Bar Zu
Urkunden. Familienereigniffe. Italieniſche Angelegenheiten. Sachſentrieg. 327
wohl, daß die Urkunde, was fonft bei gerichtlichen Aufzeichnungen nicht
üblih war, die königliche Unterfchrift trägt.") Als Pfalzgraf Hatte,
wie bei den früheren zwei Gerichtstagen des Königs, Wicbertus fungirt;
von den ſechs Beifigern, deren Namen hervorgehoben werden, ift ung
nur Wido neu, während wir Raulco, Milo, Helmengaudus, Rothardus
and Gisleharius ſchon aus den Verhandlungen des Jahres 753, Milo,
Helmengaudus und Rothardus auch aus denen de3 Zahres 752 fennen.?)
Vom 30. October bis zum Weihnachtstage, den der König in
dem belgiſchen Longlier feierte, ®) Liegt über feine Thätigfeit und feinen
Aufenthalt Feine Nachricht vor; unfer Blick richtet ſich jegt vielmehr
nad dem Klofter S. Gallen, deſſen Abt Otmar in diefen Tagen fein
trauriges Ende fand.
1) Sidel, UL. ©. 363.
) ©. oben ©. 14 und 73.
®) Ann. Lauriss. maj. 769: Eodem anno celebravit natalem Domini
in Longlare et pascha in Jopila.
Dreiundzwanzigfies Gapitel.
©. Galliſche Begebenheiten.
759— 760.
Seit Pippin auf den Wunfch feines nad) Rom pilgernden Bruders
Rarlmann die Zelle des Heil. Gallus in feinen befonderen Schuß ge-
nommen, ihr viele Gefchenfe verliehen und ihrem Auffeher Otmar !)
die Regel des Heil. Benedict zur Einführung übergeben Hatte, feit
damals, fagt Walafrid Strabo, datirt der Anfang des mönchiſchen
Lebens im Kloſter des heil. Gallus. ?) Die Zahl der Brüder nahm
immer mehr zu, und die Schenkungen der Umwohnenden verfahen die
Stiftung mit reichem Befit. °)
Diefes Wahsthum des Kloſters erregte zuvörderſt die Habgier
des rhätiſchen Grafen Victor von Chur, den es, wie unfer Bericht-
erftatter jagt, ſchmerzte, daß folhe Größe neuer Wunderthaten — und
zeitgenöffifche Nachrichten wiffen in Wirklichkeit von Wundern des
heil. Gallus während der Regierung Karlmanns und Pippins zu
erzählen‘) — den alamannifchen Volksſtamm zieren follte.d) Er
') Der gebräuchlichſte Name des Abtes in jeiner eigenen Zeit war Aubomar,
wie ſowohl die meiften Originalurkunden als auch die zeitgenöfftiche Vita S. Galli,
Pertz SS. II. p. 20 (venerando viro Audomaro abbati), beweifen. Da jedoch
aud der Name Otmar in einem Originafdocument vorfammt, Wartmann I.
Ne 10, 744 9. Novbr., jo empfiehlt e8 fich, die traditionelle Form beizubehalten.
») Vita 8. Galli lib. IT. c. 11, Pertz 88. II. p. 28: ex illo tempore
monasticae vitae in coehobio sancti Galli exordium coepit.
®) Daf. c. 15. p. 24.
+) Vita 8. Galli p. 20; vgl. beſonders die Schlußworte p. 21: Innumera-
bilia enim per electum suum Christus ibi ostendebat in praegentique aevo....
quae qui cuncta recitare coeperit, dies, ut opinor, ei ante quam sermo
cessabit.
) Walafrid 1. c. c. 12. p. 28: tanta novarum generositate virtutum
nostram gentem insigniri perdoluit.
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I
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S. Galliſche Begebenheiten. 329
beabſichtigte daher, ſich des gefeierten Leichnams duch Raub zu be—
mächtigen, und es war nicht die Wachſamkeit der Hüter, welche ihn
daran hinderte; denn eine plögliche Lichterſcheinung Hatte fie über die
Gefahr beruhigt: als der Graf fich vielmehr mit feinen Begleitern
bereits zu dem Unternehmen anſchickte, z0g er fich durch den Sturz
dom Pferde eine Verlegung zu, die ihn zur Rückkehr nöthigte.*) Es
war, wie es feheint, noch derjelbe Graf Victor, in deffen Dienft einft
der alamanniſche Otmar feine Jugendzeit verbracht und die Stufe
des Prieſterthums erjtiegen hatte. 2)
Ein neuer Angriff, auf das Kloſter ging von zwei alamannifchen
Grafen, Warin und Audhart, aus. Die Urkunden belehren uns,
daß der erftere diefer Beiden, Warin, in den Jahren 754—774 als
Graf des Thurgaus fungirte, °) in welchem auch das Kloſter ©. Gallen
Tag; ) einer einzigen Charte zufolge regierte er im Jahre 764 auch
den Linzgau, im Norden des Bodenſees.“) Graf Rudhart begegnet
urfundlih nur einmal im Jahre 769,°) und zwar als Graf des
ebenfalls nördlich vom Bodenſee, öftlich vom Linzgau, gelegenen Argen-
gaues;?) daß auch der Zürichgau unter feiner Leitung geftanden, ift
bloße Vermuthung. ®) Wir haben daher feinen Grund, nur auf die
Worte Walafrid’8 Hin?) die beiden Grafen als Statthalter des ganzen
Alamanniens anzufehen. 1%) Denn in ganz gleicher Stellung finden
wir neben ihnen Chancaro im Jahre 758 11) und Adalart, feinen
Nachfolger, im Jahre 765 1%) als Grafen des Breisgaus, einen anderen
Abalhart 763 und 772 als Grafen der Berchtoltsbaar, 1?) endlich
Cozbert im Jahre 766 als Grafen des Nibelgaues an der würtem-
bergifch-baierijchen Grenze. +)
\) Walafrid 1. c. c. 12—18. p. 23—24.
?) Vita 8. Otmari ce. 1, .Pertz SS. II. p. 41-42.
%) Es find deren 14, zwifhen N° 18 und Ne 64 bei-Wartmann. Schon
im Jahre 774 (N° 62. 71) finden wir feinen Sohn Sfanbard an gleicher Stelle.
4) Der Gau von Arbon, der zumeilen genannt wird, ging fpäter in dem
pagus Durgauensis aufs, ! Wartmann I. ©. N.
°) BWartmann Mas : Actum in Fisopah Subliee, Fiſchbach aber gehörte
zum Singgau, f. %° 84: in pago Linzcauvia in villa que dieitur Fiscbahe.
Bol. Stälin, Wiriembergiſche Seite 1. ©. 298,
) Wartmann N° 52: sub Roadharti comite.
?) Die Urkunde befagt dies zwar nicht ausdrüclich; ein Theil der Ort⸗
ſchaften jedoch, von denen fie Handelt, darunter auch der Ausftellungsort ſelbſt,
gehörte wenigfteng im Jahre 839 nachtweislich zum Argengau: Wartmann N’ 381.
Bgl. Stälin a. a. D. ©. 288.
% ©. unten ©. 335 (N. 7).
% Sowohl in ber Vita 8. Galli lib. IL. c. 15. p. 24, als and in der
Vita 8. Otmari c. 4. p. 43; an beiden Stellen faft mit ben gleichen Worten:
qui totius tunc Alamanniae curam administrabant.
10) &o Gtälin ©. 241—242; vgl. dagegen Wait BG. II. ©. 818. N. 1.
2) Wortmann N° 28.
12) Daf. Re 47.
") Daf. Ne 39. 63.
.) Daj. Ne 49,
330 Capitel XXIII. 759—760.
Um das Auftreten Warins und Rudharts zu begreifen, ver-
gegenwärtigen wir uns, daß die Grafen des Frankenreiches in der
Regel ſowohl mit Landbefig ausgeftattet waren, als auch einen be—
ftimmten Antheil an den öffentlichen Abgaben hatten, deren Erhebung
gewöhnlich zu ihren Functionen gehörte.) In den ©. Galliſchen
Urkunden wird ausdrüdlich einmal zwifchen dem Zins gewiſſer Güter,
welcher an den König zu entrichten war, und jenem, ber den Grafen
zufam, unterfchieden, diefer dem Kloſter zum Geſchenke gemacht, jener
auf. das beftimmtefte vorbehalten. 2) Wie nun, wenn ein habjüchtiger
Graf ſolche Schmälerung feiner Einfünfte nur mit Widerftreben hin-
nahm? wenn er mißgüinftigen Blickes den wachſenden Reichthum der
geiftlichen Stifter ſah? wenn er auf ihre Koſten fich felbft zu bereichern
ftrebte? Ihm ftanden in jeinem Gebiete die Mittel der Gewalt zur
Verfügung, der König aber konnte nicht immer und überall dem Unrecht
wehren. Hatten doch in den beten Tagen der Merominger manche Grafen
ftraflos das Recht beugen dürfen; ) wie viel unabhängiger werden
fie bei dem Verfalle der Föniglichen Macht geworden fein! Die Arnul-
finger aber bis auf Pippin herab mochten wohl viel für die Wieder-
berftellung einer kräftigen Centralgewalt gethan Haben; eine gründliche
Abhülfe aber bot doch erft Karls des Großen Inſtitut einer regel-
mäßigen Beauffichtigung der Gaubeamten dur die Königsboten. €)
König Pippin Hatte den Mönden von S. Gallen den Zins ge-
ſchenkt, welchen 21 freie Leute bis dahin an den Fiscus zu entrichten
gehabt Hatten.) Wir hören nun, daß Warin und Rudhart jene
Schenkung, durch welche jedenfalls ihr Einkommen beeinträchtigt wor-
den war, umftiegen und den Tribut ſich aneigneten. ©) Auch der durch
die Schenkungen Anderer erworbenen Befigungen bemächtigten fie ſich
großentheils. Sie beſchränkten ſich übrigens nicht auf die Beraubung
©. Gallens allein, auch anderen Kirchen entzogen fie einen großen
Theil ihres Eigenthums, foweit e8 innerhalb ihrer Amtsfprengel lag.”)
%) Waitz BG. IV. ©. 141-144.
?) Wartmann N° 226, 817 4. Juni: placuit nobis ... monasterio sancti
Galli ... quoddam censum de subter scriptis mansis, illud quod partibus
comitum exire solebat, salva tamen functione, quae tam ex censum quam
ex tributum vel alia qualibet re partibus palatii nostri exire debent, per
hane nostram auctoritatem concedere.
*) Waitz, BG. II. ©. 826, II. ©. 326.
Y) Bol. Waig BG. I. ©. 880 fi.
5) Walafrid, Vita 8. Galli lib. IT. c. 11. p. 28, verglichen mit Wartmann
N° 812 (Sickel L. 254), mofelbft die Namen jener Zinsleute angegeben find.
) Walafrid c. 15. p. 24: tributa, quae bonae memoriae Pipinus eisdem
fratribus concesserat, abstulerunt; vgl. Wartmann N° 812: jubemus, ut sicut
praedicti homines ingenui illud censum .. . exhibuerunt, ita ab hinc in
postmodum omnis posteritas eorum .. . sub omni integritate persolvant
nullasque vel a comitibus . . vel a qnibuslibet alterius ordinis inquietu-
dines aut calumnias pars ejusdem monasterii exinde patiatur.
”) Walafrid, Vita S. Galli lib. II. c. 15. p. 24, Vita S. Otmari c. 4.
—
S. Galliſche Begebenheiten. 331
Wir begegnen folder ftraflofen Gewalt, folcher Befigergreifung
„ohne freiwillige Uebergabe“ *) auch anderwärts und zu anderen Zeiten.
So wurde 3. B. unter der ſchwachen Regierung Ludwigs des Frommen
ein Befigthum der S. Galler Mönche durch den Grafen Gerold dem
Züricher Grafſchaftsgut einverleibt, und erſt im Jahre 875 ftellte
Ludwig der Deutſche das rechtmäßige Verhältniß wieder her.) In
den Tagen Pippins wurde dem Erzbisthum Trier ein bedeutender
Theil feiner Einfünfte entriffen und zu denen der dortigen Grafichaft
geichlagen. Auch hier behauptete ſich das Unrecht, und erft viel fpäter,
unter Ludwig dem Rinde im Jahre 902, erfolgte die Reftitution des
verlorenen Gutes. 9)
Abt Otmar von ©. Gallen begab ſich, Beſchwerde führend, zum
Könige Pippin.*) Es geſchah vielleicht damals, daß diefer ihn beim
Abſchiede mit 70 Pfund Silbers als einer Beiſteuer für die Bedürfniſſe
des Kloſters beichenkte, der Abt aber gleich beim Austritt aus dem
Palafte das Geld bis auf wenige Schillinge unter die Armen ver-
theifte. 5) Der König rief die Grafen zu ſich und befahl ihnen unter
Androhung feiner Ungnade die Zurücgabe des Kloftereigenthums.
Gleichwohl thaten fie nichts zur Befriedigung der Mönde. ALS
Otmar aber wiederum Elagend an den Hof reifen wollte, ließen fie
ihn durch bewaffnete Leute verfolgen und gefeſſelt zurücfführen. Zugleich
ließ einer feiner Mönde, Namens Lantpert, ſich zu einer Beſchuldigung
gegen den Abt Herbei, welche feine Abfegung nach fich ziehen mußte.
Es wurde dabei genau nach den Vorfchriften der Synode von
Verneuil verfahren. Da die Anklage auf Verlegung der Keufchheit
lautete, fo war e8 Sache des Didcefanbifchofs, den Fall in erfter
Inſtanz zu unterſuchen; ) wenn daher von der Berufung eines
Conciliums erzählt wird, fo kann damit nur eine Zufammenkunft
alfer Geiftlihen der Parodie gemeint fein. Als das Bisthum aber,
weldem S. Gallen in Fanonifcher Beziehung untergeben war, erſcheint
Eonftanz, deſſen damaliger Biſchof, zugleich Abt von Reichenau, Sidonius
war. Diefer nun fand fi zur kirchenrechtlichen Verfolgung Otmar's
bereit, ertheilte den ruchlofen Grafen, wie es in einem Berichte heißt,
feine Zuftimmung zur Verdammung des heil. Otmar.) AL der
P. 43: res ecclesiarum sub sua potestate sitarum magna ex parte in pro-
prietatis suae dominium per vim contraxerunt.
) Der urkundlide Ausdruck A 3 8. Wortmann N° 190: absque exspe-
etata traditione ... . res... . dominationem revocare.
) Wartmann Re 586. Sa Straf Gerold unter Ludwig dem Frommen
lebte, darf nad; Wartmann II. ©. 442 wohl mit Beftimmtheit behauptet werden.
Böhmer, Regesta Karolorum p. 115. n° 1187: de episcopatu abs-
tracta et in comitatum conversa.
*) Vita 8. Otmari c. 4. p. 48, .
®) Dal. c. 8. p. 42.
®) Capit. Vern. c. 9; oben ©. 227.
’) Abbatum Augiensium catalogus, Pertz SS. II. p. 37, in diefen heilen
wahrſcheinlich Copie einer Commemoratio abbatum qui in Augia fuere aus
332 Capitel XXI. 759-760.
Angeklagte in der Verfammlung erſchienen war, erbat fi Lantpert
das Wort und erklärte, er Fenne ein Weib, weldem Otmar Gewalt
angethan Habe. Diefer ſchwieg dazu; da man in ihn drang, auf den
Vorwurf zu antworten, fpradh er: „Ich befenne, in Vielem übermäßig
gefündigt zu haben; gegen diefe Beſchuldigung aber rufe ich den Kenner
meines: Zunerften, Gott, zum Zeugen an.“ Mehr fpradh er nicht
und verharrte, fo fehr man ihn auch beftürmte, in feinem Schweigen.
Die Ausfage Lantperts war alfo nicht widerlegt, und das Urtheil
mußte auf Amtsentjegung und Ercommunication lauten. Auch wenn
der Angeklagte an die höhere Inſtanz appelliren wollte, unterlag er
fürs erfte der itber ihn verhängten Strafe; !) Otmar wurde daher
nad) dem Schloffe de8 Ortes Bodman am Bodenſee gefangen abge
führt. *) Niemand durfte zu ihm kommen oder mit ihm reden; °)
fo blieb er einige Tage ganz ohne Nahrung, bis endlich einer feiner
Mönde, Namens Perahtgogus, *) Nachts den Weg zu ihm fand und
ihm fortan Speife zu reichen pflegte.
Erſt jet gewinnen wir einen feften hronologif—hen Boden. Die
Gefangenschaft Otmars, die ja erft mit feinem Tode endete, kann nicht
vor 759 ihren Anfang genommen Haben, da noch am 1. März diefes
Jahres fein Name in einer Urkunde des Klofters vorkommt. 5) Frei⸗
uͤch läßt fih daraus nicht rückwärts fchließen, warn die Gemaltthätig-
feiten der Grafen gegen das Klofter begonnen, wann Otmar feine
Zuflucht zum Könige genommen habe. Gewiß ift nur, daß jenes
dem 9. Jahrhundert (vgl. N. 20): Iste iniquis prineipibus assensum praebuit
in dampnatione beati Othmari; daraus entnommen: Hermannus Contractus
746, Pertz SS. V. p. 72.
!) Capit. Vern. c. 9: Quod si aliquis se reclamaverit, quod injuste
sit excommunicatus, licentiam habeat ad metropolitanum episcopum venire
. et interim suam excommunicationem custodiat; f. oben ©. 227.
2) Vita 8. Otmari c. 6. p. 43—44: apud villam Potamum palatio in-
lusus est. Eine urkunbfice Erwähnung des Palafles zu Bobman findet fih
in den S. Galler Charten nicht vor 849, dem Todesjahre Walafrids: Wart -
mann II. N° 408.
®) Bgl. den modus excommunicationis in Capit. Vern. c. 9, oben ©. 227.
+) Wartmann N° 31, 761 29. Juli, ift von Perteauzus ausgefertigt. Im
liber confessionum p. 4 findet fid) ein Bertgoz; ſ. Wartmann N 31 N.
5) Wartmanır N° 24: in dominationem ipsius monasterii rectoris, vide-
licet Audomaro, a die presente trado atque transfundo. Dem anno VI.
regnante domno Pippino rege entfpricht freilich das Jahr 759 nur, wenn wir
die Regierungszeit Pippins vom Salbungsjahre ſchlechthin, felbft ohne Berückfich-
tigung des Salbungstages, berechnen: ein Berfahren, das mir nicht zuläſſig ſcheint.
Da indefien der MWocjen- und Monatstag (kal. martiss, die Jovis) genau zum
Jahre 759 yafıt, jo {ft dies do; jedenfalls wohl das Ausftellungsjaht ber Urkunde
und bie Annahme eines Fehlers in der Iahregzahl das näcfiliegende Aushunfter
mittel; bleibt es ja nad) al’ feinen reichen Erfahrungen auch Wartmann’s ſchließ ⸗
liche Anfiht (IL. ©. 410), daß dem Kalenberdatum der Vorzug vor dem Regie
rungsbatum gebühre. — Ach nehme daher anf N° 23, vom 27. October des
7. Regierungsjahres, im weicher Otmar ebenfalls noch als Abt erſcheint (ubi
Autmarus abbas esse videtur), nicht weiter Bezug, da dieſe Urkunde aus dem
Jahr 758 faft ein halbes Jahr älter ift als Ne 24.
S. Galliſche Begebenheiten. 333
geiftliche Gericht, welches ihn wegen Inceſts verurtheilte, früheftens
im März 759 zufammengetreten war, daß daher feine Haft nicht
viel über ein halbes Jahr gedauert Haben kann, da der Tod noch in
demfelben Jahre ihn aus derfelben erlöfte.
Ein vornefmer Mann, Namens Gotbert, !) im Breisgau be-
gütert, woſelbſt er 754 dem Kloſter einige Beſitzungen übertragen
Hatte, ) aud) fonft in den Urfunden mehrfach als Zeuge genannt, °)
Hatte fi von den Grafen die Gunft erbeten, den Gefangenen auf
feinem Gute bewachen zu dürfen, und fo verbrachte Otmar die legten
Tage feines Lebens auf einer Nheininfel in der Nähe von Stein,
oberhalb Schaffhauſens. Am 16. November 759 ftarb er dort) und
wurde vorerft auf der Inſel ſelbſt beigeſetzt.
Daß er als ein unſchuldiges Opfer der gegen ihn und fein Klofter
gerichteten TFeindfeligkeiten gefallen, beweift nicht ſowohl feine nad)
mehr als 100 Jahren erfolgte Heiligfprehung, als vielmehr die
Thatſache, daß ſchon nad 10 Yahren fein Leichnam unter vielen
Ehren nad S. Gallen gebradht wurde. Durch eine Viſion ermahnt,
begaben ſich damals 11 Brüder Nachts an fein Grab und führten
den angeblich noch faft unverfehrten Körper auf einem Fahrzeug den
Rhein hinauf und über den Bodenſee nach ihrem Kloſter. Von den
entgegenziehenden Mönchen mit Freude empfangen, beitatteten fie den
Leichnam neben dem Altare Johannes des Täufers.“) Dies gefchah,
als die Grafen Warin und Rudhart und gewiß auch viele andere
Zeugen der einftigen Berurtheilung Otmars noch am Leben waren;
fo wenig glaubte man im Klofter an feine Schuld. Jenen Mönd
Lantpert aber, den einftmaligen Ankläger des eigenen Abtes, jah man
fpäter einhergehen, das Haupt durch Krankheit zur Erde gekrümmt
und ſtets mit lauier Stimme befennend, daß er gegen dem Heiligen“
Gottes gefrevelt Habe. °)
Und doc weift feine Spur darauf Hin, daß gegen Warin und
Rudhart von Seiten des Königs irgendwie eingefchritten worden wäre.
Wir finden fie nad) wie vor an der Spige ihrer Grafſchaften; dem
erfteren folgte in den 70er Jahren fein Sohn im Amte.”) Erft
diefer fühlte ſich verpflichtet, das Unrecht feines Waters wieder gut zu
machen, indem er ſchon in den Jahren 798 und 804, ®) befonders
aber im Jahre 806 zahlreiche Vefigungen, die Ermerbung und Nad-
) Vita 8. Otmari c. 6. p. 44: G. quidam vir potens.
?) Wartmann No 19.
) Daf. N’ 28. 85. 38.
+) S. Erxcurs XIV: Zur Chronologie der S. Galliſchen Begebenheiten.
5) Vita 8. Otmari c. 7—9. p. 44; vgl. Abel, Karl der Große I. ©. 60.
% Daſ. c. 5. p. 43.
?) Bgl. zu den S. 329. N. 3 angeführten Urkunden noch Wartmann IL. S. 449.
®) Wartmaun N° 154. 178.
*
334 Eapitel XXIII. 759-760,
laſſenſchaft feines Waters, *) dem Kloſter fchenfte, 2) zum eigenen und
zum Seelenheile feiner Eltern, °) und um den Beichwerden ein Ende
zu machen, welche das Stift in Betreff einzelner Drte des Thurgau's
gegen ihn erhoben Hatte;*) die Mönche fammt ihrem Vogt erklärten
fich damit zufriedengeftefit und verfprachen, weder ihn noch feine Erben
je wieder mit ihren Forderungen zu behelligen. 5) Noch, fpäter folgte
eine andere Reftitution: im Jahre 828 nämlich ficherten die Kaiſer
Ludwig und Lothar dem Klofter jenen Jahreszins 21 freier Leute
von neuem zu, welchen einft Pippin vom Fiscus auf das Stift über
tragen, die Grafen aber demfelben entzogen hatten; da eine fünigliche
Schenkungsurkunde nicht vorhanden war, begnügte man ſich mit der
eidlichen Ausfage glaubwürdiger Gaugenojjen.°) Ya, nad) 150 Jahren
noch glaubten die Nachfommen der beiden Grafen die Mißhandlung
de8 Heil. Otmar fühnen zu müſſen. Als einft König Konrad L, der
ſich zu ihrem Gefchlechte zählte, nah S. Gallen fam, begab er fid)
in die Kirche des Heil. Otmar, trat gleichſam als Selbſtſchuldiger zum
Altare Hin umd beſchenkte denfelben mit Deden, mit Gold und mit
Silber; auch verzichtete er zu Gunften der Kirche auf einige Einkünfte
des Föniglichen Fiscus und lieferte als einen Zins, dem er ſich zur
Buße felbft auferlegte, alljährlich während feines ganzen Lebens das
Wachs zum Grabe des Heiligen.) In ähnlicher Abficht entrichteten
die Welfen Rudolf und feine Söhne Welfpart und Heinrich, als
Nachkommen derfelben Familie, von ihren Metalibergwerten bei Füßen
jährlid eine Steuer an das Kloſter. ®)
Unmittelbar nach dem Tode Otmars jedoch blieben Warin und
Rudhart nicht nur von jeder Verantwortung frei, fondern grade jetzt
gelang es ihnen, ihren Maßregeln gegen das Klofter Sanction und
* Dauer zu verfchaffen.
Das dur den Tod Otmars erlevigte Amt hatte der Vertreter
des Königs, der Graf des Thurgau's, neu zu bejegen. Die Wahl
traf den Mönch Johannes von Reichenau, nachdem man ohne Zweifel
mit Biſchof Sidonius von Conftanz, dem Abte des Klojters Reichenau,
deshalb in Verbindung getreten war.) Es mußte erwünfcht fein,
) Quidquid ibidem pater meus conquesivit et mihi in hereditatem
dimisit et ego moderno tempore ibidem visus sum habere.
?) Wortmann N° 190.
®) Pro remedium anime mee seu patris mei Warini etmatris mee Hadellinde.
#) Ut querellas, quas contra me habetis per singula loca in Durgauge
. nullo umquam tempore non reppetatis.
®) Unde nos vobiscum una cum advocato vestro nomine Hrodino ‘bone
pacis convenit, quod cum supradicta traditione satisfacti fuissetis.
°) Wartmann N° 312 (Sickel L. 254).
?) Ekkehardi IV. Casus 8. Galli, Pertz 88. II. p. 85: nam parentes ejus
erant, qui eum vexaverant; p. 87: uti filius carnificum illorum.
®) Daf. p. 87: cum ejusdem quidem prosapiae fuerit. Es bleibt unent-
feinen, a welchen von beiden Grafen oder ob die Verwandtſchaft ſich auf beide
zugleich bezog
9 Aa diefem Sinne konnte von Arx, Geſchichte des Kantons S. Gallen I.
S. Galliſche Begebenheiten. 335
einen Abt zu befommen, ber die veränderten Beſitzverhältniſſe des
Stifte durch feine Anerkennung legitimirte. Gewiß nur unter dieſer
Bedingung hatte man Johannes das Amt angetragen, und daß er
Beides annahm, die Wahl und die Bedingungen, fett wiederum das
Einverftändniß feines bisherigen Vorgefegten Sidonius voraus. Diefer
aber wurde dadurch gewonnen, daß das Klofter S. Gallen, welches
bisher nur unter feiner geiftlichen Aufficht geftanden, jetzt in das Befit-
vecht des Bisthums übergehen follte.*) Sidonius und Johannes,
nunmehr die Verwalter des Sloftergutes, waren mit ihrer neuen
Stellung fo zufrieden, daß fie fi fogar zu neuen Abtretungen an die
beiden Grafen herbeiliegen. 2) Sie bewilligten Warin die Orte Bina,®)
Duringa,t) Engi; ®) Rudhart die Orte Andelfingen und Uznach, beide
im Canton Zürich befindlic, ) weshalb zu vermuthen ift, daß Rudhart
nicht nur im Norden de8 Bodenfees den Argengau beherrichte, fondern
dazu noch auf ©. Galliſcher Seite den Zürichgau.“) Auch der Vogt
des Kloſiers, Milo genannt, °) der Mann aljo, dem es am meiften
©. 30, fagen: „Sidonius gab der Abtei Johann zum Abte“, wobei er ſich offen»
bar auf Walafridi Vita S. Galli lib. II. c. 16. p. 23 ftügte, eine Stelle, bie
Wartmann L ©. 29 N. überfehen hat.
4) Die Kloſtererzählungen drüden dies jo aus, daß die Grafen Sidonium in-
stigarunt, ut monasterium episcopii partibus subicere studeret; Vita S. Galli
Mib. IL c. 16. p. 24. Das wichtigfte Belegftüd für die Ummandlung der Ber-
häftniffe ©. Gallens ift der fogleich zu beiprehende Vertrag vom Jahre 760.
©. übrigens Ercurs XIII: Die Stellung des Kioſters ©. Gallen bis zum Jahre 760,
®) Ratperti Casus 8. Galli c. 2, Pertz SS. II. p. 63.
®) Man hat Vina in Artiovinia, einer Billa des Breisgau's, wiebererfennen
wollen, welche 754 als Schenkung Cauzberts an das Kloſter gefommen war,
Wartmann N° 19. Der neuefte Herausgeber jedoch fpricht ſich gegen die von
Neugart angenommene Trennung des Wortes in zwei Namen aus (N. 2).
+) Diefen Ort, jegt Theuringen im wirtembergifcen Oberamt Tettnang,
beſaß ©. Gallen jeit dem Jahr 752 (MWartmann N° 16); als zum Pinzgau ge
hörig bezeichnen ihn Wartmann N° 100. 219,
°) Ein Ort diefes Namens findet fi) in den ©. Galler Urkunden nirgends;
vielleicht aber ift e8 die Billa Angin, Wartmann N’ 161, wofelbft ein Mann,
Namens Prunicho, im Jahre 800 jeinen Beſitz an S. Gallen überträgt, als res
meas proprias et [?] ego quesivi de Werino, wobei dann an den Grafen
Warin zu benfen wäre.
°) Im Uznach war das Mlofter ſchon jeit dem 40er Jahren reich begütert;
Wartmann N° 7. 10. 11.
?) Bon allen oben genannten Ortſchaften ift Uznach die einzige, über deren
Bergabung wir auch eine urkundliche Nachricht befigen. Kaifer Ludwig nämlich
gab fie 821, Wartmann N° 268 (Sickel L. 165), dem Kloſter zurüd, nachdem
forgfäftige Nachforſchungen bei den zuverläffigften Gaufeuten die Behauptung des
Abtes Cozbert beftätigt hatten, daß einft im den Zeiten des Biſchofs und Abtes
Johannes die Villa ihrem rechtmäßigen Befiger entzogen und dem Fiscus zu
Zurich einverleibt worden jei. Die Urkunde nennt Johannes, wie Natpert
ibonius: beide vollfommen richtig, da die zwei Männer offenbar gemeinjam
Handelten. — Ueber den etwas verſchiedenen Namen des Ortes in der Urkunde ſ.
Wartmann's Anmerk. 1 zu N° 268.
*) Ein Milo elerieus ſchrieb die Urkunde Wartmann N° 44, vom Dec. 764.
1
oblag, das Eigenthum des Stifts gegen fremde Eingriffe zu ſchützen, )
wurde mit einer Schenkung abgefunden, indem ihm eine ſechſte Billa,
Heimbad) im Breisgau, verliehen wurde. *)
Nur die große Schaar der Mönche verharrte noch in der Oppo—
fitton ; doch ihre Widerſtandskraft war gelähmt, feitdem ihr rechtmäßig
eingefegtes Oberhaupt zur Sache des Gegners hielt. Welchen Druck
überdies auch der Didcefanbifchof kraft feines bloßen Aufjichtsrechtes
ausüben konnte, bemeifen die zahlreichen Slofterprivilegien jener Zeit,
welche gegen folche Uebergriffe gerichtet waren. Daß Sidonius fich |
derartiger Mittel bediente, wird ausdrücklich beftätigt.°) Vergeben
fuchte ein benachbarter Biſchof, Tello von Chur, zu Gunften der Mönche,
unter denen er Verwandte hatte, zu interveniren. 4) Diefe mußten |
ſich endlich fügen, und fie erfannten, um größerem Uebel zu entgehen, }
das Hoheitsrecht des Biſchofs und damit natürlich auch, wenigſtens
thatſachlich, alle fonftigen Ummälzungen an.5) Ein würdiges Kirchen-
oberhaupt jener Gegend, Biſchof Eddo von Strafburg, brachte eine
Uebereintunft zu Stande, durch welche das neue Joch den Mönchen
möglichft milde gemacht wurde. Bon Sidonius und Johannes ſchrift⸗
lich ausgefertigt, beftimmte diefelbe, daß die Achte von ©. Gallen an
die Marienkirche zu Conftanz und ihre Biſchöfe jährlich eine Unze
Goldes und ein Pferd. im Werthe eines Pfundes ®) als Zins ent-
richten, im Uebrigen aber da8 Vermögen des Kloſters felbftändig ver-
walten follten.”) Damit war das Befigrecht des Bisthums im
Grundfag anerfannt und doch auch der Freiheit des Klofterd Raum
gelaffen.
Nicht Lange ftand Yohannes in diefem neuen Verhältniß zu
Biſchof Sidonius, und es ift aus diefer Zeit daher nur eine einzige
Urkunde des Kloſters vorhanden.?) Denn fhon am 4. Juli 760
ftarb Sidonius,“) nachdem er im Kloſter felbft, vor dem Altare
336 Capitel XXIII. 759-760.
+) Bl. 3. 8. Wartmann N° 190: ipsi ... fratres cum advocato eorum,
si aliquam questionem ab his rebus —* defendant.
rti Casus 8. Galli p.
*) Vita 8. Galli lib. II c. Ye p. 24: monasterium ingressus,. fratres
opprimere et eundem locum episcopii rebus subicere molitus est; c. 18.
p. 25: ad monasterium veniens, dum quadam violentia eundem loeum epis-
copio subicere, suaeque tyrannidi non consentientes monachos quasi justo
rebelles injuriis multif ormibus afficere temptavisset etc.
*) Dal. c. 18. p. 25.
°) Daf. c. 16. p. 24: Porro fratres dum potentiae illius resistere non
auderent, maluerunt ejus ditioni parere, quam tot adversitatibus implicari.
° Es ift ein Pfund Silber gemeint; vgl. Soetbeer, das Si, gend Män-
wefen unter PBippin, Serigungen au deutfejen Geigjichte IV. ©.
BWartmann N° 48: 2. Zuli, weiß noch von pr neiteren Ber
pffichtung des Klofters, je "außerhalb "ber Mauern jener Stadt erbaute Stephans ·
fire im Bebürfnißfalle auf — des Kloſters mit einem neuen Dache zu ver⸗
ſehen; X darüber Sickel K. 7
) Wartmann Ne 25, in vebefertem Wieberabdrud Bd. II. ©. 381: ubi nunc
pracest Johannes abba. Die Uriunde ift ohne Datum.
9) S. unten Exeurs XIV.
S. Galliſche Begebenheiten. 337
des heil. Gallus, von plöglicher Krankheit befallen worden war; )
Abt Zohannes wurde an feiner Statt nun aud zum Bifchof von
Conſtanz, fowie zum Abt von Neichenau erhoben. Dadurch er-
Härt es fi vielleicht, daß die erſt furz zuvor abgefchloffene Ueber—
einfunft beider Männer, welche von Karl dem Großen, von Ludwig
dem Frommen, von Ludivig dem Deutichen beftätigt worden und nur
in deren Diplomen auf ums gefommen ift, 2) dem Könige Pippin allem
Anschein nad nicht auch zur Beftätigung vorgelegen hat. War der
Vertrag ja vorläufig ohne praftifhe Bedeutung, fo lange Klofter und
Bisthum in einer Hand vereinigt blieben. ALS Johannes im Jahre
780, nur furze Zeit vor feinem Ableben, die Urkunde dem Könige
Karl vorfegte, mochte er vieleicht durch das Vorgefühl feines nahen
Todes veranlaßt worden fein, für die Zukunft Sorge zu tragen.
Eine der legten Amtshandlungen des Biſchofs Sidonius war
eine Kriegsräftung, wie fie den weltlichen und geiftfichen Großen des
Reichs gleichermaßen als Pflicht oblag, Wir erfahren, daß er damals
auch das Klofter S. Gallen zu militärifchen Lieferungen heranzog und
daß die Brüder ſich ihm nicht zu widerfegen wagten. ®) Mit der
Unterordnung unter da8 Bisthum waren aljo die Pflichten gegen die
Staatögewalt feineswegs erlojchen. Nur die Reichsunmittelbarkeit hatte
aufgehört, und der Biſchof Hatte für den Staat und als deſſen Ver:
treter jegt diefelben Leiftungen zu fordern, zu denen das Kloſter auch
ſonſt verpflichtet gewejen war.
Wir irren aber wohl faum, wenn wir annehmen, daß jene
Kriegsvorbereitungen dem Unternehmen gegen Waifar von Aquitanien
galten, wider welchen König Pippin nad) langen Unterhandlungen im
Jahre 760 zum erften Male ins Feld zog.
F} Vita 8. Galli lib. IL. c. 18.
Wartmann N° 92. 218. 344; — Pu Ne 433.
) Vita 8. Galli lib, II. c. 17. p. 24: Fertur eundem episcopum aliquando
ad iter hostile sibi de ipsius monasterii sumptibus vinticum pracparari jus-
sisse. Quod dum fratres praetermittere non auderent, ea, quae jussa fue-
rant, navi imposita per quorundam manus fratrum ad episcopium trans-
migerunt.
Dahrb. d. diſch. Geſch. Delsner, Adnig Pippin. 22
Dierundzwanzigfies Gapitel.
Aquitaniſche, gothiſche, italienifhe Angelegenheiten.
‚Urkunden. Kirchengeſang.
760.
In feiner Schilderung des Kaiferpalaftes zu Ingelheim erwähnt
Ermoldus Nigellus unter den bildlichen Darftellungen aus dev Ver-
gangenheit, mit denen derfelbe geſchmuckt geweſen, auch eines Gemäldes,
auf welchem König Pippin zu jehen war, wie er den Aquitanern Gefege
gab und, Dank der Gunft des Kriegögottes, fie mit feinem Reiche
vereinigte.!) So trat in der Erinnerung der Nachkommen alles übrige
Thun Pippins Hinter den großen Kampf zurüd, welcher die neun
Iegten Jahre feiner Regierung erfüllte und zur dauernden Unterwerfung
Aquitaniens unter das fränkiſche Scepter führte. Der aquitanifche
Krieg ift auch in den Augen des Paulus Diafonus und des Einhard
die hervorragendfte That Pippins.?) Wie einft Julius Cäfar neben
dem, was er in Stalien vollbracht, vor Allem in Gallien Unvergäng-
liches gefchaffen, fo hat auch Pippin durch den Bier geführten Krieg
die Zukunft des Landes begründet. Wurde feit Cäfar das feltifche
Gallien romanifirt, fo Hat fich feit Pippin jener große Theil desfelben,
welcher von der Loire und den Pyrenäen begrenzt wird, in fränfifches
) Ermoldi Nigelli lib. IV. v. 277—278, Pertz SS. IL p. 606:
Hinc, Pippine, micas, Agnitanis jura remittens
Et regno socias [socians?], Marte favente, tuo.
%) Paulus Diaconus, De episcopis Mettensibus, Pertz SS. II. p. 265:
Qui [Pippinus] inter reliqua, quae patravit, Wascones jamdudum Francorum
ditioni_rebelles cum Waifario suo principe felicitate mira debellavit et
subdidit. — Einhardi Vita Karoli c. 3: Pippinus . . . cum per annos 15
. imperaret, finito Aquitanico bello, quod contra Waifarium ducem Aqui-
taniae, ab eo susceptum, per continuos novem annos gerebatur, apıd Pari-
sios . . . diem obiit.
Aquitaniſche, gothiſche, italieniſche Angelegenheiten. Urfunden. Kirchengeſang. 339
Land umgewandelt. An der Schöpfung des heutigen Frankreich Hat
König Pippin daher einen wefentlichen Antheil. Denn trog der
längeren Bereinigung unter den Merowingern hatte bis dahin zwifchen
Aquitanien und dem übrigen Sranfenreiche noch immer der Gegenfag
tomanifcher und germaniſcher Nationalität beftanden; ?) die Familie
Eudo’s?) würde dem neuen Königsgefchlechte der Karolinger feinen fo
hartnädigen Widerftand Haben leiften können, wenn nicht der Gegenſatz
der Bevöfferungen ihrem Herrſcherrechte zur Stütze gereicht Hätte,
Die Beziehungen zwiſchen Pippin und dem Herzog Waifar von
Aquitanien waren bereits feit längerer Zeit ernftlich geftört. Daß
Gripho mit feinen Anhängern im Anfange der 50er Jahre in Aqui-
tanien eine Zufluchtftätte gefucht Hatte, °) ift allein ſchon hinreichender
Beweis dafür; denn als die italienifchen Angelegenheiten ſich zu ver-
wickeln begannen, fehen wir Gripho in gleicher Weife zu den Lango—
barden eilen. Einem wenig zuverläffigen Berichte zufolge hatte Pippin
damals von Waifar die Auslieferung feines Bruders gefordert, aber
nicht erlangt. *) Ob feit jener Zeit ſich noch einige Genofjen Gripho's
in Aquitanien aufhielten oder auch in fpäteren Fahren wieder fränkiſche
Flüchtlinge dort Aufnahme gefunden haben, muß dahingeftellt bleiben.
Genug, Pippin wollte ein folhes Verhältniß nicht fortbeftehen laſſen,
und eine feiner Forderungen, welche zum Kriege führten, war, daß
Waifar die Flüchtlinge ihm ausliefern follte.®)
Viel ernfter war der Zwiefpalt, der aus der Lage Septimaniens
entfprang. Diefen letzten Reſt theils gothiſchen theils maurifchen Ge-
biete8 wiünjchte ſowohl der Franfenfönig, als auch der Fürft von
Aquitanien feinem Lande einzuverleiben; der ſchmale Küftenftrich war
beiden benachbart und gleich werthvoll. Schon Hatte der Hauptort
desfelben, Narbonne, eine Stadt mit gothifcher Bevölferung und fara-
*) Bei dem fränkiſchen Chroniften, der um die Mitte des 8. Jahrhunderts
das Werf Fredegars fortfetste, heißen die Yquitanier Romani: Fred, cont. c. 111;
vgl. auch capit. Aquit. 768 c. 10: tam Romani quam et Salici.
”) Seen bie merowingiſche Abftammung derfelben |. oben 5.296. 0.2.
») ©. oben ©. 78.
+) Ann. Mett. 750: Direxit legatos suos ad Waifarium, ut sibi fratrem
suum fugientem redderet ; quod ille, pravo consilio inito, facere contempsit.
Robert Dorr, De bellis Francorum cum Arabibus gestis usque ad obitum
Karoli Magni (Königsberger Differtation 1861), verfudit p. 39 sg. nadjzueifen,
daß fowohl den ann. Mettenses al au; dem chron. Moissiac. und den Gesta
abb. Fontanell, in ihren Nachrichten über die fübfrangöfijchfpanifchen Vegeben-
heiten vielfach ein verloren gegangenes chronicon Aquitanicum zu Grunde Tiegen
fe ie bier citirte Stelle jedoch — mir ausſchließlich auf den Worten
die ont. c. 124 zu berußen: Rex Pippinus . etens per legatos
. et homines suos, qui de regno Francorum Pe ipsum Waifarium
Prineipem confugium fecerant, reddere deberet. Haec omnia Waifarius,
quae praedictus rex per legatos suog ei mandaverat, hoc totum facere con-
temsit. Es ift zu bedauern, daß Bonnell in feinen Unterfuchungen über dic annales
Mettenses, Anfänge des Tarolingiihen Haufes S. 157 ff., nicht auch die An-
figten Dorr’s einer Prüfung unterzogen hat.
®) Fred. cont. c. 124; ſ. die vorhergehende Note.
340 Capitel XXIV. 760.
zenifcher Befagung,.einen Angriff Waifars zu beftehen gehabt, ) als
im Jahre 752 der Gothenhäuptling Anfemundus die Städte Nismes,
Maguelonne, Agde und Béziers dem Könige Pippin übergab.?) Nun
ftand auch den Franken der Weg nad Narbonne offen, und jie ver-
fuchten fortan mit Beharrlichfeit, die Stadt zu erobern.?) Durd) ein
geheimes Einverftändniß mit den gothifchen Bewohnern derfelben ge-
lang dies endlich im Jahre 759; auf das Verſprechen Hin, daß ihnen
geftattet bfeiben würde, nad ihrem echte zu leben, erfchlugen fie die
farazenifche Mannſchaft und öffneten den Franken die Thore: *) ein
Ereigniß, welches den legten Reſt arabiſcher Herrſchaft auf der Nord-
feite der Pyrenäen vernichtete und felbft jenfeits des Gebirges einen
ſolchen Eindrud machte, daß der Statthalter von Barcelona und
Gerona, Suleiman, ſich zur Anerfennung der fränfifchen Oberhoheit
entfchloß. 5) Pippin, durch die Einnahme Narbonne's ohne Zweifel
auch Herr des ganzen weftgothifchen Landes, trat jet ale Beſchützer
feiner neuen Unterthanen auf und forderte von Herzog Waifar wegen
rechtswidriger Tödtung einiger Gothen Genugthuung.°) Die genaueren
Einzelheiten werden nirgends mitgetheilt, und es wäre citel, ſich darüber
in Vermuthungen zu ergehen. Es genügt zu willen, daß der Wett⸗
) Chron. Moissiac., Pertz SS. I. p. 294: Waifarius, princeps Aquitaniae,
Narbonam depraedat; nad einer Kombination Dorr's, 1. c„p. 40, war dies ber
reits im Jahre 747 geſchehen.
?) Daf.: anno 752. Im diefer und anderen beſtimmten Jahresangaben der
Chronik von Moiffac findet Dowr, 1. c. p. 89. 42, wohl mit Recht die Spuren
zu Grunde fiegender annales Aquitanici.
®) Daf.: Ex eo die Franci Narbonam infestant. In diefen Zufammen-
hang gehören die Worte der ann. Guelf. und Nazar. 756: Franei quieverunt,
excepto custodes directos ad Arbonam (erg, not. c, glaubte ad Narbonam
emendiven zu müffen; der Name der Stadt und Provinz Narbonne jedoch war
bei den Arabern, wie ſchon Hahn, Jahrbücher ©. 141. N. 3 geltend macht,
Arbuna; vgl. Lemble, Geſchichte von Spanien I. ©. 314). An Pippins per
ſönliche Betheiligung bei den militäriihen Operationen vor Narbonne ift trotz
der ann. Mett. 752 (Pippinus rex exereitum duxit in Gothiam ete.), wie
Dort p. 10. n. 33 richtig bemerkt hat, micht zu denfen. Ebenſo ift der Notiz
diefer Annalen, wonach der König per triennium bellum, aljo 755, Narbonam
obtinuit, die genau batirte Angabe des chron. Moissiac., welde die Einnahme
der Stadt in das Jahr 759 verlegt, entſchieden vorzuziehen.
*) Chron. Moiss. a. 759: dato sacramento Gothis qui ibi erant, ut, si
civitatem partibus traderent Pippini regis Francorum, permitteret eos legem
suam habere. Seitdem hatte Rarbonne befonders zum Schuße gegen die Saragenen
eine feänfijche Beſabung; vgl. Fred. cont. c. 127: custodias, quas rex [Pippinus]
Narbonam propter gentem Sarracenorum ad custodiendum miserat.
°) Ann. Mett. 752: Pippini se cum omnibus, quae habebat, dominationi
subdidit; Dort, p. 10 (n. 34), erfennt darin mit Recht mr eine Huldigung,
nicht eine förmliche Uebergabe der Städte. Nach Abel, Karl der Große I. S.281,
gehörte Suleiman zu den Widerfachern des Emirs von Eordova, Abd Errahman
(über diejen f. unten Cap. XXIX), und verfudste dur) jenen Schritt die Hülfe
Pippins gegen denſelben zu gewinnen; bie Berbindung hatte jedoch, joweit erficht-
lid) ift, nad) Teiner Seite hin weitere Folgen.
°) Fred. cont. c. 124: et Gothos regi, quos dudum Waifarius contra
legis ordinem oceiderat, ei solvere deberet.
Aquitaniſche, gothiſche, italieniſche Angelegenfeiten. Urkunden. Kirchengeſang. 341
ſtreit um den Beſitz Septimaniens ſchließlich dazu beigetragen hat, der
Unabhängigkeit Aquitaniens ſelbſt ein Ende zu machen.
Ein dritter, jehr wejentlicher Grund des Zwieſpalts endlich war
aud bier, wie bei den itafienifchen Verwicklungen, kirchlicher Natur.
Herzog Waifar hatte ſich einiger Güter bemächtigt, welche in feinem
Lande gelegen, aber das Eigenthum fränfifcher Kirchen geweſen waren ;*)
anderen hatte er die Freiheiten entzogen, welche ihnen in früherer Zeit
durch Zmmunitätsurfunden ertheilt worden waren. Solche Beeinträch-
tigung kirchlichen Befigthums lag, möchte man fagen, im Geifte der
Zeit; wir finden fie bei dem Angelfachien wie im Frankenreich, fie
gehörte zu den Maßregeln der oftrömifchen Kaifer wie zur Politik der
Yangobarden. Es ift der Hervorftechendfte "Charafterzug Pippins und
feines Regierungsſyſtems, daß er in diefem Kampfe der weltlichen
Gewalten gegen die Kirche auf die Seite der letzteren trat, daher im
eigenen Lande die zerrütteten Beſitzverhältniſſe der Bisthümer und
Klöfter wieder zu ordnen fuchte, in Stalien das Papftthum gegen die
Gewaltthaten Aiftulfs in Schug nahm und es zu einer nie gefannten
Selbftändigfeit und Macht erhob, eine gleiche Fürforge für kirchliche
Inſtitute endlich and im Aquitanien als feine Aufgabe betrachtete.
Ob die Eäcularifationen Waifare ſich nur auf die Befigungen aus-
wärtiger Kirchen oder auf das gefammte Kirchengut feines Landes er-
ftredten, ift aus den Quellen nicht erfennbar; gegen die legtere An—
nahme ſpricht, daß der Fürft mit Bertellan, dem Biſchof von Bourges,
fowie mit den Kloſtern feines Landes allem Anſchein nad) in gutem
Einvernehmen geftanden hat. 2) Jedenfalls trat Pippin nur als Vor-
fämpfer der fräntifchen Kirchen den Maßregeln des aquitanifchen Fürften
entgegen ; er forderte die Herausgabe ihres Befigthums und die Wieder:
berftellung ihrer althergebrachten Immunitätsrechte.) So Hatte auch
?) Bal. 3. B. Gesta epp. Virdunensium c. 12, Pertz SS. IV. p. 36:
Res etiam, quae sunt in Equitania antiquitus isti ecclesiae subjectae, id est
abbatia S. Amantii in Rodonia sita et Maderniacum et Puliniacum, frequenter
visitabat [Madelveus episcopus] et gesta praedictorum pontificum nostrorum
secum ferebat, ut per illorum merita illas res longius sitas liberius pos-
sidere quivisset, — Bon aquitaniſchen Befigungen anderer Kirchen verzeichnen
wir: 1) bie villa nuncopanti Napsiniaco in pago Bitorico (Maffigny bei Dont-
Tugon, Dep. Allier), — Childebert IM. im Jahre 695 cum omni merito vel
adjecencias suas dem Klofter S. Denys geſchenkt hatte, Jacobs Geographie de
diplömes mörovingiens p. 21. no 28, Migne Patr. lat. LXXX. col. 543—546;
2) die Güter, weiche S. Wanbrille feit dem Anfange des 8. Jahrhunderts in
Base Sanctonico, in pago Engolismensi bejaß, Gesta abb. Font. c. 7, Pertz
S. II. p. 279; 3) die aquitanijchen Bilfen, welde Karl der Große dem Klofter
©. Germain des Prös reftituirte, Sickel Acta deperdita p. 385. ne 2, Böhmer
Regesta Karolorum p. 197. n° 2072.
?) Bal. die Gefandtichaft Bertellans, Fred. cont. c. 125; die Berheerung
von Klöfteen durch die Franken, daj. c. 130. Nachdem Pippin in den Beſitz
von Bourges gelangt if, finden wir Aimarus als Erzbiſchof diefer Stadt (Urkunde
Pippins vom Jahre 767, |. unten Cap. XXX); im Jahre 769 den Biſchof
‚Germinarius, Mansi XII. col. 715.
®) Fred. cont. c. 124: Ar res ecclesiarum de regno ipsius, quae in
. 342 Capitel XXIV. 760.
der aquitanifche Krieg eine religiöſe Seite; ja, diefer gedenft der Fort⸗
ſetzer des Fredegar fogar in erfter Reihe, und andere Quellen heben
fie ganz alfein hervor. *)
Wenn der Krieg ſchließlich zur völfigen Unterwerfung Aquitaniens
führte, fo war dies eine Folge des beharrlichen Widerftandes, den
Waifar leiftete, Tag aber nicht, wie eine fpätere Chronik es andeutet,
im urfprünglichen Plane Pippins; )) nod nad) dem erften, glücklichen
Feldzuge hätte derfelbe jih mit der Erfüllung feiner Forderungen be—
gnügt. Diefe aber bezweckten feinen Eingriff in die Selbftändigfeit
Aquitaniens, fondern nur den Schug dev eigenen Somveränetät des
Tranfenreie. °) Ein fleiner Staat freilich gefährdet, dem mächtigeren
Nachbarlande gegenüber, dürch jede Rechtsverlegung fofort feine ganze
Erxiftenz.
Die Verhandlungen zwifchen Pippin umd Waifar waren ſchon
vor dem Jahre 760 eröffnet worden;*) damals hatte der Graf
Blandinus von Arverna in Gemeinfchaft mit dem Biſchof Bertellan
von Bourges eine Geſandtſchaft an Pippin übernommen und den
König zu höchſtem Zorne gereizt.) Erſt im Jahre 760 aber kam
es duch, die entfchiedene Ablehnung der Forderungen, welche Pippin
durch feine Gefandten an Waifar geftelft hatte, zum offenen Ausbruch,
der Feindfeligfeiten.
Der König hatte das Ofterfeft diefes Jahres (6. April) in
Jupille bei Lüttich gefeiert. ‘) Er Hielt fi) im Laufe des Juni zu
Attigny, am 10. desſelben Monats zu Verberie auf; während er
dort das Kloſter Fulda mit der ſchwäbiſchen Villa Thininga, einem
Dorfe des Ries, befchenkte, ?) erneuerte er Hier auf Bitten des Abtes
Nectarius von Anifola den im Jahre 752°) feinem Vorgänger Sigobald
ertheilten Schugbrief für das Klofter, indem er dem eigenen Mundium
noch da feines Sohnes Karl Hinzufügte, damit zugleich die Beftätigung
Aquitania sitae erant, redderet et sub immunitatis nomine, sicut ab antea
fuerant, conservatas esse deberent, et judices et exactores in supradictas
res ecclesiarum, quod a longo tempore factum non fuerat, mittere non deberet.
?) Ann. Lauriss. maj. 760, min. a. 28. Pippini.
%) Chr. Moissiac. p. 294: Waifarium, prineipem Aquitaniae, Pippinus
prossauitur, eo quod nollet se ditioni illius dare, sicut Eudo fecerat Karolo
patri ejı
ex Bippin, behauptet Fred. cont. c. 124, eröffnete die Feindſeligkeiten invitus
coartatus.
+) Anders find die Worte des Fred. cont. c. 125 (a. 761): dudum ante
annum superiorem, doch faum zu deuten, zumal die fetten Unterhandlungen, die
im Jahre 760 zum Bruche führten, an Waifars Hofe ftatthatten; vgl. Fred.
cont. c. 124 zweimal: quae Pippinus rex per legatos suos ei mandaverat.
®) Fred. cont. c. 125: etanimum regis ad iracundiam nimium provocasset.
9 ©. oben ©. 327. N. 3; in Vöhmers Regeften ift irrigerweiſe der 22. April
angegeben.
”) Sickel P. 17: villa qui dicitur Thininga sitam in pago Rezi super
fluvio qui vocatur Agira.
) S. oben ©. 14—17.
Aquitaniſche, gothiſche, itafienifche Angelegenheiten. Urkunden. Kirchengeſang. 343
der Immunität verband, deren ſich das Klofter von Alters Her zu
erfreuen gehabt hatte, und die Privilegienbeftimmung des Jahres 752,
durch weldhe die Freiheit der Abtswahl gefihert worden war, durch
Eremtion von der Episcopalgewalt vervollftändigte. *)
Bis in den Juni hinein werden demnach wohl auch die Unter
Handlungen mit Waifar gedauert haben, und erft fo fpät und von
jenen nordfranzöfifchen Gegenden aus unternahm Pippin den Feldzug.
Er begab ſich dur den Gau von Troyes nad) Auxerre; ?) bei Maſua,
einem Orte, der noch zum Gau diefer Stadt gehörte, überfchritt das
Heer die Loire. Indem es das Gebiet von Bourges nur im Nord-
often berührte, durchzog es befonders die Auvergne und vermwüftete
diefelbe, ohne jedoch einen feften Pla anzugreifen. Bei Tedoad ®)
empfing Pippin zwei Gefandte Waifars, Adotbertus und Dabdinus,
die ihn um Frieden baten und ſich durch Eide und Geifel für die Erle-
digung aller Beſchwerden des Königs verbürgten; die Geifel, zwei an
der Zahl, waren Adalgarius, ein Verwandter des Herzogs, und
Eitherius. Pippin kehrte in fein Land zurüd und der Krieg ſchien
beendet. — *)
Auch in Italien gelangten die feit 758 ſchwebenden Differenzen
jest zu einer vorübergehenden Ausgleihung. Papft Paul Hatte im
Jahre 759 nochmals Anlag genommen, durch den Biſchof Georg von
Dftia, der num ſchon zum vierten Male eine folhe Miffion erhielt,°)
) Sickel P. 18. Ueber bie bier unterlaffene Commenbation des Abtes |.
Sidel, Beitr. 3. Dipl. IH. ©. 271. Wie Bippin feinem Sohn fo Hatte Theodorich II.
674 den Schu des Klofters Anijola feinem Hausmaier übertragen: Migne Patr.
lat. LXXXVI. col. 1820; vgl. Sidel, Veit. 3. Dipl. I. ©. 191. Ueber die
ſtiliſtiſche Verbindung von Privilegium und Immunität (nullus episcopus nec
ullus comis nec juniores eorum etc.) j. Sidel, Beitr. z. Dipl. IV. S. 589.
) Das Kloſter des heil. Germanus zu Aurerre bejaß ein Präcept Pippins,
durch welches vier Schiffen desielben zollfreie Fahrt auf ber Loire und anderen
Slüffen bewilligt wurde; ſ. Sickel L. 81, Acta deperd. p. 369.
) Nach Balefius, Notit. Gall. p. 552, Doue bei Saumur, Dep. Maine et
Loire; aber es ift kaum denkbar, daß Tedoad in fo weiter Entfernung von ber
Auvergne zu fuchen ſei. Man Hat es bei der Bearbeitung des aquitaniſchen
Keirges oft zu beffagen, daß Alfred Jacobs in feiner lehrreichen Geographie de
Fredegaire, de ses Continuateurs et des Gesta Francorum, Paris 1859, die
letzte Fortfegung des Fredegar flillſchweigend ausgeichlofien und fic hier fogar
fteenger auf die merowingiſche Zeit beſchränkt hat, ala bei der geographiſchen Er-
länterung der Urkunden von ©. Denys in der G&ographie de diplömes mero-
vingiens (1862
+) Fred. cont. c. 124; Ann, Lauriss. maj. 760; Regino's Chronicon a.
760, Pertz SS. I. p. 557, im Webrigen nichts als eine Reproduction der Lorſcher
Annalen, nennt von dem Geifeln nur Adalgarins und bezeichnet ihn ala Ber
wandten des Herzogs. — In einem von Lacomblet, Acdiv für bie Geſchichte des
Niederrheins IV. (1863) S. 219, veröffentlichten Bruchſiücke der ann, Mettenses
findet fi zu dem Bei pertz vorliegenden Terie des Jahres 760 infofern eine Er⸗
gänzung, als darin aud die Namen der aquitaniſchen Gejandten (ftatt A. jedoch:
Wichertus) und Geifel aus der Onelle (ven ann. Laur. maj.) aufgenommen find.
®) ©. oben ©. 264 (756). 287 (757). 321 (758).
N
“
34 Eapitel XXIV. 760.
feine Sadje der Fürforge Pippins zu empfehlen. 1) Der König ent-
ſchied fi) denn auch zu Gunften des Papftes.
Was zunächſt die Beziehungen Roms zu Defiderius anlangte,
fo trafen in den erften Monaten des Jahres 760 zwei hochgeftellte
Botſchafter Pippins in Italien ein, um den Streitigkeiten ein Ende
zu machen. Es waren Remedius, der Bruder des Königs, feit 755
Biſchof von Nonen,?) und der Herzog Autcharius,°) Sie bewogen
Defiderius zu einem Vergleiche, wonad er während des kommenden
Monats April alle Anfprüche der Kirche, welche ſich auf vorenthaftenes
päpftfiches Gebiet bezogen, vollftändig zu erfüllen verfprad). *)
Nod) eine andere, von der erften fehr verfchiedene, Verabredung
wurde damals getroffen: diefe bezog ſich auf Rechtsftreitigkeiten, welche
zwiſchen den beiderfeitigen Unterthanen des Papftes und des Defiderius
ſchwebten. Wir haben oben eines fpäteren Falles diefer Art Er-
wähnung gethan,®) bei welchem es ſich um Gewalttpätigfeiten römischer
Unterthanen gegen das Klofter Farfa handelte. Wo zwei, obendrein
einander feindfelige, Nachbarſtaaten ſich berührten, ging e8 im jenen
Zeiten wohl nirgends ruhig und gejegmäßig her; Defiderius aber
hatte nichts gethan, um die gegenfeitige Gereiztheit der Römer und
Langobarden dauernd zu befchwichtigen. Auf ſolche Eonflicte der Grenz-
bewohner hatte das zweite Uebereinfommen Bezug: es follten nämlich
Vertreter beider Staaten gemeinfam die gegenjeitigen Rechtsanſprüche
der Langobarden und Römer unterfuchen und zum Austrag bringen;
und zwar folfte zuvörderft in allen langobardiſchen Städten den For-
derungen der Römer volles Recht gejchehen, dann erft den Langobarden
in allen päpftlchen Städten. Hier handelte es ſich alfo nicht um
die Macht und den Güterbefig der Kirche Petri, fondern um privat-
rechtliche Mißhelligkeiten zwiſchen den Bewohnern der römifch-Tango-
bardifchen Grenzdiftricte. 9)
Der erfte Theil der Zugeftändniffe des Defiderius wurde jofort
in Vollzug gefegt, und der Papft fonnte bereits von einigen Erfolgen
!) Cod. Carol. ep. 18. p. 84.
) ©. unten Cap. XXVI. Ne 7.
%) Aucharius gloriosissimus dux; ohne Zweiſel derfelbe, welcher in Gemein
ſchaft mit Ehrodegang F% En im Jahre 753 den Papft Stephan aus Rom
abgeholt hatte; j. oben ©.
*) Cod. Carol. ep. —* . 87: constitit inter eos et Desiderium Lango-
bardorum regem, ut per tobum instantem Aprilem mensem istius 18. indi-
ctionis omnes justitias fautoris vestri, beati Petri apostolorum principis, omnia
videlicet patrimonia, jura etiam et loca atque fines et territoria diversarum
eivitatum nostrarum reipublicae Romanorum nobis pleuissime restituisset.
) ©. 142—148.
°) Cod. Carol. ep. 20. p. 89. Der Herausgeber, baj. n. 2, hat die zwei
ganz berfchiebenartigen Berhältnifie für emifc gehalten. Wir finden die näms
liche Unterfjeibung aud) in ep. 34. p. 120—121. Dennod) hat Jaffe gewiß mit
Recht das auf p. 89 erwähnte Uebereinfommen als Ergebniß derſelben Gefandt⸗
ſchaft bezeichnet, von welcher in ep. 19. p. 87 die Rede iſt.
Aquitaniſche, gothifche, itafienifche Angelegenheiten. Urkunden. Kirchengefang. 345
berichten.) Ueber eine Auseinanderfegung diefer Art, welche bie Be—
grenzung des Stadtgebiete8 von Todi (Prov. und Diftr. Perugia)
gegen Spoleto, Affifi u. ſ. w. betraf, liegt ein förmliches Protofoll
der beiberfeitigen Bevollmächtigten vor.?) Zu einer volfftändigen Durch-⸗
führung der Mafregel kam es jedoch nicht, und in den fpäteren Briefen
wiederholen fi die Klagen. Noch weniger erfüllte Defiderius den
zweiten Theil feiner Zufage. Da er nämlich dem Abkommen zuwider
die Entfhädigungsanfprüche nur in der Weife befriedigen wollte, daß
man immer abmechjelnd eine langobardifche und eine römifche Stadt
an die Reihe nahm und fo den beiderfeitigen Beſchwerden gleichzeitig
abhalf, fo gingen die mit dem Ausgleihungegeihäft beauftragten
Beamten der beiden Staaten unverrichteter Sache wieder auseinander.°)
Gleich darauf folgten von Seiten der Langobarden feindliche Strei-
fereien auf römiſchem Gebiet: die Stadt Sinigaglia wurde überfallen,
ihre Umgebung geplündert und verwüftet; ebenfo erging e8 dem Caſtrum
Valentis in Campanien. Auf die Beſchwerde des Papftes antwortete
Defiderins mit einem drohenden und beleidigenden Briefe, welchen
Paul feinem Schreiben an Pippin beilegte. Der Papft bittet um die
Abfendung dreier Männer, von denen der eine nur bis Pavia zu
reifen brauche, um Pippin berichten zu können, wie Defiderius ſich
gegen ihn geäußert, die anderen beiden aber ihm felbft bleibend zur
Seite ftehen follten.*)
Wir fehen: die Schwierigkeiten, mit welchen der Papft in feiner
neugegründeten Stellung zu fämpfen Hatte, fanden zwar durch die
Dazwifchentunft fränfifcher Vermittler nicht fofortige Abhülfe; aber
die Hauptſache war, daß König Pippin, der mächtige Schiedsrichter
inmitten der ftreitenden Parteien, die Sache Pauls zu der feinigen
gemacht hatte; feinem Ausſpruch mußte ſich ſchließlich der Geguer doch
unterwerfen.
Ein ähnliches Ergebniß hatten die Verhandlungen mit Byzanz.
Es ift ſchon erzählt worden, daß im Jahre 758 ein Gefandter des
Kaiſers, Georgius, auf der Reife nach dem Franfenlande in Italien
erſchienen und mit Defiderius in eine bedeutjame Verbindung getreten
war. Auch am Hofe Pippins,,wo er dann eingetroffen, war es ihm
gelungen, in der Perſon des vömifchen Priefters Marinus eine ge-
wichtige Unterftügung zu finden. Marinus hatte, wie auch fonjt
häufig die Cardinalpriejter der römischen Kirche, eine Botſchaft des
A) Ep. 19. p. 87: ex parte quidem eisdem justitiis nobis isdem Lango-
bardorum rex fecisse dinoseitur.
®) Troya n° 741: Hae sunt fines comitatus Tudertini, quae factae sunt
tempore sanctissimi papae Pauli et magni regis Desiderii Langob., a. IV.
regni ejus, indiet. XIII (afio zwiſchen März und Auguft 760). Ego Tebaldus
et Tupno missi domni Desiderii brevem decisionis fieri jussimus.
®) Cod. Carol. ep. 20. p. 89: ecce nostri missi nihil inpetrantes ad
nos sine effectu reversi sunt.
*) Daſ. p. 90—91; genauer ep. 21. p. 98.
—
Bapftes an Pippin übernommen; ) Paul Hatte ihn um feiner Treue
und Heiligkeit willen gerühmt und ihm auf den Wunſch Pippins gern
die Leitung der Kirche des heil. Chryfogonus übertragen.?) Diefer
Priefter nun Tieß fi während feines Aufenthalts im Franfenlande
mit dem dort ebenfalls anweſenden griechifchen Gefandten Georg in
geheime Verbindungen gegen Rom und die orthodoze Lehre ein;®) der
Kaiſer jelbft bezog ſich darauf in einem Schreiben an Pippin, offenbar
wie auf einen Beweis von der Gerechtigkeit feiner Sade.t) Etwas
Näheres erfahren wir darüber nicht, wie unſere Kenntniß von den
damaligen Beziehungen des Abendlandes zu Oftrom ja überhaupt
faum Stüdwerk genannt werden kann. Aber jo viel fteht feft, daB
Pippin gegen alle Verſuchungen ftandhaft blieb; feine Haltung gegen
Marinus beweift es, dem er wegen feines Abfalls heftiger zürnte ale
feloft der Papft. Denn auf den dringenden Antrag Pauls, ihn durch
Uebertragung eines fränfifchen Bisthums zur veuigen Umkehr zu bes
wegen,°) ging Pippin nicht ein; ebenfo verweigerte er demfelben noch
im Jahre 764 trog der Verwendung des Papftes die Erfaubniß zur
Heimreife;®) der Nachfolger Pauls ſah fih noch 767 zu gleicher Für-
bitte veranlaßt.?) Wie die Miffion Georgs geendet, läßt fih nad
alfedem wohl denfen, obgleich e8 nirgends gejagt wird. Im Jahre
760 aber gelangte zum Papſte die Kunde,®) daß von Conftantinopef
aus unter Anführung von 6 Patriciern 300 Schiffe, mit denen ſich
auch noch die Flotte von Sieilien vereinigt, im Anzuge wären. Ihr
Ziel ſei Rom, dann das Franfenreih; ihre Abfiht noch unbekannt.
Die griehifhe Staatsmaſchine Hatte einen äußerft ſchwerfälligen Gang,
zumal wenn es ſich darum handelte, eine Streitmacht nad) dem Abend»
lande zu befördern. Fürs erfte blieb es mohl bei dem leeren Gerüchte
und der diplomatiſchen Action; wenigſtens verlantet von der angeb-
lichen Flotte in diefem Jahre nichts weiter.
Schließlich fei Hier noch eines Culturfortfchrittes im Frankenreiche
gedacht, der ſich offenbar an die itafienifche Reiſe des Biſchofs Neme-
dius von Rouen knüpft. Diefer hatte in Rom den Kirchengefang
gehört und den Sangmeifter Simeon dafür gewonnen, daß er in feinen
Dienft trat und die Geiftlichen feiner Heimat im Gefang unterrichtete.
Nachdem hierauf zu Rom der Vorfteher der Sängerfchule Georgins
geftorben war, wurde Simeon als der Nächſte im Range zurücberufen,
346 Capitel XXIV. 760.
?) &. Cod. Carol. ep. 45. (Constantini) p. 154: Marinum et Petrum
presbiteros, qui ad vestram precellentiam a nostro predecessore domno
Paulo papa directi sunt.
9) Ep. 24. p. 101.
®) Ep. 25. p. 102, ep. 29. p. 110.
*) Ep. 25. p. 102: Quod quidem et isdem imperator vestrae . .. ex-
cellentiae per suas innotuit litteras.
®) Dal. p. 102—108.
°) Ep. 29. p. 110.
?) Ep. 45. p. 184.
°) Ep. 20. p. 89.
Aquitaniſche, gothiſche, itafienifche Angelegenheiten. Urkunden. Kirchengeſang. 347
um fein Amt zu übernehmen. Da des Remedius Mönche aber noch
nicht hinreichend ausgebildet waren, fo ſchickte derfelbe fie ihrem Lehrer
nad), und Pippin übernahm es, fie der befonderen Obhut des Papftes
zu empfehlen. Paul I. übergab fie denn aud; dem Simeon zur forg-
fältigften Berüdfihtigung. *)
Auf diefe Thatfache Hat es vielleicht Bezug, wenn Karl der Große,
als er im März 789 dem gefammten Klerus des Reichs die Erlernung
des römifchen Gefangs einfchärfte, auf die gleichen Beſtrebungen feines
Vaters Hinwies, welcher um der Uebereinftimmung mit dem apoſto⸗
liſchen Stuhle und um der friedlichen Eintracht der Kirche willen den
galficanischen Gefang abgeſchafft Habe.?)
Der civilifirende Einfluß, den die Verbindung mit Stalien im
Mittelalter auf die nordiſchen Vöffer ſtets ausgeitbt hat, zeigte ſich
alfo ſchon damals, als diefe Verbindung begrimdet wurde. Auch in
wiſſenſchaftlicher Beziehung machte er ſich geltend: wir führen zu—
fammenfaffend an,®) daß die Päpfte dem Frankenkönig nicht nur die
Biographien von Heiligen, fondern auch grammatifche, orthographifche,
geometrifche Werke, fämmtlich in griechifcher Sprache verfaßt, fowie
eine Uhr überfenden.
) Ep. 41. p. 139, von Jaffé 758—767 batirt; das Schreiben darf aber
wohl feinesfalls vor 761 angefeßt werden.
B ®) Capit. ecclesiasticum a. 789 c. 79, Pertz LL. L p. 66: Omni clero.
Ut cantum Romanum pleniter discant et ordinabiliter per nocturnale vel
gradale officium peragatur, secundum quod beatae memoriae genitor noster
Pippinus rex decertavit ut fieret, quando Gallicanum tulit ob unanimitatem
apostolicae sedis et sanctae Dei aecclesiae pacificam concordiam. Karl fam
daranf ſchon früher einmal in ber Encyclica de emendatione librorum et
officiorum ecelesiasticorum, nad) Bert’ Meinung intra annos 776 et 784, zurüd:
ex fühle fich zu diefer Mafregel, angefeuert, fagte er, memoriae ve
Pippini genitoris nostri exemplis, qui totas Galliarum ecclesias Romanae
traditionis suo studio cantibus decoravit; Pertz LL. I. p. 45. gl. damit
noch die Nachricht des Paulus Diaconus über die gleichen Beftrebungen des
Biſchofs Chrodegang von Meg, Pertz SS. II. p. 268: Ipsumque clerum abun-
danter lege divina Romanaque imbutum cantilena, morem atque ordinem
Romanae ecclesiae servare praecepit, quod usque ad id tempus in Mettensi
ecclesia factum minime fuit.
®) gl. Cod. Carol. ep. 24. p. 101--102: Direximus excellentissime
praecellentiae vestrae et libros, quantos reperire potuimus: id est antiphonale
et responsale, insimul artem gramaticam, Aristolis, Dionisii Ariopagitis,
geometricam, orthografiam, grammaticam, omnes Greco eloquio scriptas, nec
non et horologium nocturnum; ep. 44. p. 149: gestum quippe sanctorum,
de qua misistis vobis dirigi, in quantum reperire valuimus, vobis transmisi-
mus. — Eine Probe fränfifchen Kunftfleißes dagegen, welche Pippin Thon Stephan IL.
als Schenkung zugedacht Hatte, aber erft dem Papfte Paul überfandte, war ein
Tiſch, für die Kirche des Heil. Petrus beftimmt; aus der Aufnahme, die er fand,
Täßt fi) erkennen, wie werthvoli er gemejen fein muß. Der Bapft ſchreibt, ep. 21.
p- 94, er habe ihn unter Hymnen und geiftfihen Gefängen in das Heiligthum
eingeführt; bier fei er vor dem Altare von ben Gefanbten des Königs in deſſen
Namen dargebracht worden. Nachdem er felbft ihn ſodann gejalbt und die heilige
Oblation darauf gelegt, Habe er unter Androhung des Anathems verfünbet, daß
niemand ihn je der Kirche Petri entfremden birfe: Et ecce memorale vestrum
in eadem apostolica aula fulgens permanet in aeternam!
SFünfundzwanzigfies Gapitel.
Der zweite und dritte aquitanifhe Feldzug. Urkunden
für Prüm. Italien.
761 — 762.
Nachdem Pippin ſowohl Weihnachten als auch Oſtern (29. März
761) in Quierzy, dem wohlbefannten königlichen Landgute bei Laon,
zugebracht hatte, ?) veranftaltete er in Düren bei Aachen die übliche
Hauptverfammlung aller Großen feines Reiches „zur Verathung des
Staatswohls und des Nugens der Franfen.”2) Vielleicht war dieſe
Zufammenkunft auch dazu beftimmt, alfe Differenzen mit Waifar, wie
verabredet war, 9) zur Ausgleihung zu bringen. Statt deffen aber
trafen hier Nachrichten der ſchlimmſten Art ein. Die Grafen jener
zwei nordoftaquitanifchen Gaue, welche das fränfifhe Heer im ver-
gangenen Jahre feindlich durchzogen hatte, waren auf Befehl Waifars,
unter Anführung ihrer hauptjtädtifchen Genoffen, der Grafen Unibertus
von Bourges und Blandinus von Arverna, mit Heeresmacht und
„wie zur Race“ in Burgund eingefallen und durch den Gau von
Autun verwüftend und plündernd bis unter die Mauern von Chälon
fur Saöne vorgedrungen; das Staatsgut Mailly“) ging in Flammen
‘) Ann. Laur. maj. 760. Die jet deutlich erfennbare Gewohnheit Pippins,
feinen Winteraufenthalt nicht vor Dftern zu verlaffen, hängt offenbar mit der
Entflehung des Maifelbes zufanmen.
®) Fred. cont. c. 125: pro salute patriae et utilitate Francorum tra-
etanda — der ftehende Ausdrud des Ehroniften ; wie ſachgemäß cin jedes feiner Worte,
erfieht man aus der Schilderung diefer Berjammlungen bei Waig, VG. III.
©. 468 fi., befonders &. 494—498. Die Bezeichnung Campo-Madio trifft hier
wahrjgeinlich genau zu.
®) Bgl. Fred. cont. c. 124 ex.: omnes justitias .‘, . in placito instituto
facere deberet.
*) Melliacum villa publica; Dep. Saöne et Loire, Arr. Charolles.
Der zweite und dritte aquitanifche Feldzug. Urkunden für Prim. Italien. 349
auf, mit reicher Beute fehrten fie ungehindert wieder in ihr Land zus
rüd.!) Die Erſcheinung wiederholt fi im Leben Pippins öfter (und
macht feinem Herzen gewiß Ehre), daß er den befiegten Gegner gern
ſchonte und feinen Verficherungen willig Glauben ſchenkte. So beftimmt
muß er im Jahr 760 der friedlichen Gefinnung Waifars vertraut
haben, daß er bei feiner Rüdfehr aus Aquitanien die Grenzen feines
Landes unbewacht gelaffen und fic dadurch den feindlichen Üeberfällen
ſchutzlos preisgegeben hatte.
Der Krieg war alfo noch nicht zu Ende, der Feldzug des Jahres
760 erfcheint vielmehr nur wie ein Vorjpiel des langjährigen und
erbitterten Kampfes, den feine Friedensverhandfungen mehr unterbrachen,
den Pippin jest bis zur Vernichtung des Feindes fortzuführen ent-
ſchloſſen war und deffen Ende mit dem Tode beider Gegner zufammen-
fällt. Ein Aufgebot des Königs berief alle Franfen zur friegerifchen
Zufammenkunft an die Loire. Nachdem die Mannjchaften fih in Be—
wegung geſetzt, begab er fich felbft, und zum erſten Male mit ihm
fein ältefter Sohn Karl, gleich der großen Maſſe des Heeres zumächft
wiederum nad) Troyes, dann durch Autun nad) Nevers. Hier, alfo
etwas füdlicher als das vorige Mal, wurde über die Loire gegangen;
der weitere Marfch aber nahm eine ähnliche Richtung wie damals:
man ftieg durd) die Vorterrafjen von Bourbonnais jüdwärts zum Hod-
lande der Auvergne empor. Nur unterfchied fish die diesjährige Krieg-
führung von der vorjährigen fehr wefentlid dadurch, daß man bies-
mal grade auf die Erftirmung der feften Pläge ausging. Zuerft
wurde das noch zum Biturinifchen Gau gehörige Gaftell Bourbon bei
Moulin, Dep. Altier, nad) kurzer Belagerung erobert, die Bejagung
gefangen fortgeführt, der Ort felbft durch Feuer verwüftet. Nachdem
dann in ähnlicher Weife Chantelle (Dep. Altier, bei Gannat) genommen
war, richtete jich der Angriff gegen die Stadt Arverna und ihr auf der
Höhe gelegenes Caſtell Clermont (Slermont-Ferrand, Dep. Puy de
Döme), einen der fefteften Punkte von Aquitanien. Auch diefes wurde
erftürmt und durch eine Feuersbrunft zertört, wobei viele Bewohner
de8 Ortes, Männer, Frauen und Kinder, ihr Leben einbüßten. Von
den VBertheidigern der Feftung wurde cin großer Theil im Kampfe
getödtet, ein anderer gefangen genommen, darunter Blandinus, jener
uns ſchon befannte Graf der Stadt Arverna, der bereits vor dem
Kriege als Gefandter am fränkiſchen Hofe, im Anfange diefes Jahres
) Fred, cont. c. 125: exercitum suum cum Uniberto comite Biturino
et Blandino comite Arvernico .. . cum reliquis comitibus clam hostiliter
usque Cavillonem omnem exercitum suum transmisit; ann. Laur. maj. 761:
quasi in vindietam. — Der füdenfafte Sat; der ann. Mett. 761, bie bier der
Fortfegung des Fredegar folgen: Waifarius pravo consilio exercitum Wasconum
in fines Burgundiae — — vastavit, findet fi) in dem bereits erwähnten Bruch
ftüde des Werts bei Lacomblet (f. oben ©. 343. N. 4), ganz der Quelle ent
fpredpend, durch die Worte vervoflfändigt: direxit, qui usque ad Cavadonem
urbem totam illam partem Burgundie, wobei die Wiederholung bes Wortes
Burgundie den Ausfall der Stelle in der Handſchrift Du Chesne's erflärlidh macht.
350 Gapitel XXV. 761-762,
aber bei dem Einfalle in Burgund fih als treuen Willensvolfftreder
feines Fürſten erwiefen hatte, ein echter Qertreter jener franfen-
feindlichen Richtung, welche die Bewohner Aquitaniens vielfach mit
ihrem Oberhaupte theilten. Blandinus wurde gebunden vor den König
gebracht und von diefem gefangen fortgeführt. Er Hat fi diefem
Schickfal fpäter durch die Flucht entzogen und es mit dem ſchöneren
Looſe des Heldentodes für die Freiheit feines Fürften und feines
Heimatlandes vertauſcht.
Nach dem Fortfeger des Fredegar und einem großen Theile der
glaubwürdigften Annalen beſchränkte ſich Pippin auf diefen, wie immer,
mit Verwüftungen verbundenen Rachezug durch jene Landfchaften, von
denen die Verheerung eines Theils von Burgund ausgegangen war.!)
Anderen Berichten zufolge drang er, jedenfalls nur das offene Land
verwüſtend, von der Auvergne aus noch weftwärts in daß tiefere Limouſin
und bis zur Stadt Limoges vor.?) Der ganze Feldzug wird wohl auch
diesmal erft im Juni begonnen und etwa bis in den September hinein
gedauert haben.
Im folgenden Jahre gewähren zwei Diplome Pippins einen chrono⸗
logiſchen Anhaltspunft;*) es find die Schenfungsurfunden für Kloſter
Keßling und für Prüm, jene vom 10. Juli, diefe vom 13. Auguft.*)
Der Ausftellungsort der erfteren ift Sinzig), in deffen Umgebung
jene Zelle Keßling Tag;°) das Staatsgut Trisgodros freilich, der Ans-
ftellungsort der zweiten Urkunde, ſcheint auch den neueften Heraus-
gebern nicht befannt, ?) doch ſpricht alle Wahrfcheinfichkeit, unter An-
derem auch die unzweifelhaft Anmwefenheit der Königin Bertrada, dafür,
daß dasfelbe in der Nähe des Kloſters Prim und der beiderfeitigen
Stammgüter des Königs und der Königin zu fuchen ift.
Dffenbar Hat demnach der aquitanifche Feldzug dieſes Jahres
bereits im Frühling ftattgefunden, und zwar innerhalb des Zeitraums
von nur 2—3 Monaten, da Pippin ſich am 18. April (Oftern) noch
in Quierzy aufpielt.®)
1) Fred. cont. c. 125, deſſen Schlußiag (Factum est autem ete.) in feiner
bis jet befannten, vielleicht unvollfändigen, Faffıng allerdings fehr überflüffig
erjheint; ann. S. Amandi, Guelferb. 761; ann. Lauriss. min. a. 24. Pippini.
®) Ann. Lauresh. Alam. Nazar. Mosellani Sangallenses maj. Lauriss.
maj. 761. Es ift beachtenswerth, daß die ann. Petaviani hier nur mit den ann.
S. Amandi, nidpt au, toie gewöhnlich, mit den Laureshamenses übereinftimmen.
) Die nod in Böhmers Regeſten aufgenommene Stinerarnotiz, wonach
Pippin am 15. Zumi 762 fih in Gone aufhielt, ift als unecht zu verwerfen;
vgl. Sickel K. 2
*) Sickel 3 N. 20.
5) Sentiacum; Regbz. Koblenz, Kr. Ahrweiler, an der Ahr.
®) Casleaca quae est posita infra terminos Sentiaceo.
?) Bol. die Regeften von Görz (N° 20) und das Ortsverzeihniß im 2. Bande
des Beyer ſchen Urkündenbuchs; Sidel, P. 20*, meint, daß der Ort in Aquitanien
oder auf dem Wege dorthin gefucht werden müffe.
Ann. Laur. maj. 761: Et celebravit natalem Domini in Carisisgo
villa, et pascha similiter.
—
Der zweite und dritte aquitanifche Feldzug. Urkunden für Prüm. Italien. 351
Auf diefem Zuge aber, an welchem außer Karl auch der jüngere
Sohn Pippins, Karlmann, Theil nahm, thaten die Franken einen
‚ entjheidenden Schlag. Ihr Marſch wandte ſich — wir erfahren nicht,
auf welchem Wege — gegen Bourges, die Hauptftadt des Feindes,
den fefteften Platz des ganzen Landes.) Die Stadt wurde von allen
Seiten eingefjloffen, mit Mafchinen rings wie von einem Wall um-
geben, viele Leute von beiden Theilen verwundet und getödtet;?) endlich
waren die Mauern gebrochen, und der König nahm die Stadt in
Beſitz. Jetzt aber zeigte fich die oben erwähnte Wandlung der Ten-
benzen, mit denen Pippin den Krieg gegen Waifar führte. Das bloße
Zerftörungsfyftem befriedigte nicht mehr, da der König entfchloffen
war, von Aquitanien Beſitz zu ergreifen. Allerdings wurde alles Rand,
das noch in Feindeshänden war, von den eindringenden Franken nad)
wie vor verwüſtet. Aber wenn früher nur zerftört worden war, wurde
jetst auch aufgebaut; die fonft in die Gefangenschaft abgeführten Mann-
ſchaften Waifars wurden num in Sreiheit gefeßt; der Graf von Bourges,
Unibert, fowie die übrigen Großen der Stadt wurden in Eid und
Pflicht genommen und blieben beim König; ihre Frauen und Kinder
ließ er in fein Reich führen. Mit voller Klarheit hebt der fränfijche
Chronift daher grade Hier das Recht der Schlachten Hervor, um die
Occupation von Bourges, die erfte in diefem Kriege, zu begründen,
ja, vielleicht zu rechtfertigen.) Pippin gab Befehl, daß die Mauern
der Stadt wieder hergeftellt werden follten, und eine fränfifche Beſatzung
unter Königlichen Grafen erhielt die Aufgabe, die Eroberung gegen
feindliche Angriffe zu fihern. Wenn fortan von Pippin dennoch wieder
ein fefter Ort in Aquitanien gefchleift wurde, fo geſchah es wohl des⸗
halb, weil er denfelben vorläufig nur unſchädlich zu machen und noch
nicht zu behaupten gefonnen war. So erging es Thouars,*) dem weit
lichften Zielpunkte der diesjährigen Expedition: nachdem er das Gaftell
belagert und „mit wunderbarer Schnelligkeit" eingenommen hatte,
brannte er es mieder; den Grafen und die Großen des Ortes aber
nahm er mit ſich ins Franfenland, wohin er von hier heimfehrte.
Der kurze Feldzug hatte das wichtige Ergebniß, daß Pippin in der
Bauprftabt Aquitaniens feiten Fuß gefaßt und auch an der unteren
'oire die Gewalt feiner Waffen erprobt Hatte.
Nach ſolchem Triumphe, von dem faft alle Berichte wiederhalten,°)
i) Bal. Fred. cont. c. 129: Bitoricas, caput Aquitaniae, munitissimam
urbem, In c. 126 dagegen ift wohl munitione fortissima ftatt fortissimam zu Iejen.
) Fred. cont. c. 126 läßt daher ben König diesmal nicht cum illaeso
ezercitu heimfehren.
®) Daj.: et restitnit eam ditioni suse jure praelii; Näheres hierüber f.
oben ©. 181 (M. 8. 4).
+) Toareis castrum; Dep. Deur-Süvres, im Süden des im vorigen Capitel
genannten Done. N
*) Bituricam conquisivit: fo melden alle nur einigermaßen vollftänbigen
Annalen; Thouars nennen der ortjeger des Fredegar ünd bie ann. Lauriss.
maj. Die ann. 8. Amandi fagen: superavit Wascones.
352 Capitel XXV. 761-762.
begreift fi) die Freigebigfeit, mit welcher Pippin bei der Rückkehr in
fein Neid) am 13. Auguft feine Stiftung Prüm befchenkte.!) Eine
ganze Reihe von oörjern auf der nordmeftlichen Seite der Mofel,
im Charasgau,?) Meofelgau,*) Bidgau,t) Eifel-°) und Ripuariergau,‘)
darumder zwei Ortfchaften, die zur Hälfte Pippins und zur Hälfte das
Erbgut feiner Gemahlin waren,?) gingen in das Cigenthum des
Kloſters über; ebenfo wurde demfelben der Beſitz dreier Kloſterftiftungen
beftätigt, welche ihm vom Könige jchon früher gefchenkt worden waren :®)
der Medarduszelle zu Altripp in der Pfalz, der Peterszelle zu Keßling
bei Einzig und der Marienzelle zu Revin an der Maas im Dep.
Ardennes.?)- Diefe Schenkungen jedod) machen nicht den alleinigen
Inhalt der Urkunden aus; ſchon Fraft feiner Eigenſchaft als fünigliche
Stiftung wurde dem Kloſter der befondere Schub des Könige und
feiner Erben zugefagt,!°) zugleich aber mande Immunitäts- und Privis
fegienbeftimmung damit verbunden.!!) Pippin verbot alle Uebergriffe
der bifhöflichen und weltlichen Gewalt!?) und vegelte insbefondere das
Verfahren bei der Abtswahl. Danach erhielten die Mönche das Recht
der Wahl und follten bei Ausübung deifelben nur von der Zuftimmung
des Königs abhängig fein; wie fie felbft aus der Congregation der
Biſchöfe Romans und Vulframnus von Meaur herftammten, fo ſollte
1) Sickel P. 20: Data mense Augusti die 13. anno XI. regnante Pippino.
?) Die Dörfer Nommersheim (Rumerii curtis), Wettelvorf bei Schöneden
(Wathilentorp), und Birresborn bei Mürlenbach (Birgisburias), alle drei dem
jetzigen Kreife Prüm angehörig, ganz in der Nähe der Kreisſtadt gelegen, fo daß
der Charasgan fich offenbar, wie nad) P. 20 Prüm jelbft, zwiihen dem Bidgau
und dem Aıdennengan befand; vgl. Hahn, Jahrbucher ©. 152.
*) Die Dörfer Mehring (Marningum) und Schweich (Soiacum), die wir
ſchon oben &. 20. (N. 1) als Tönigfices Cigenthum Tennen gelernt haben.
*) Marciaco: Merſch bei Luremburg.
®) Sarabodis villa: Saresdorf bei Gerofftein, Kreis Daun, Rgbz. Trier.
°) Reginbach: Nheinbad bei Bonn, Ngbz. Köln.
?) Hahn, Jahrbücher S. 168, hat daraus mit Recht auf nahe verwandt
ſchaftliche Beziehungen der beiderjeitigen Familien geichfoffen. Die beiden Orte
find KRommersheim, bei welden hinzugefügt if: tam illa portione quem de
genitore meo Karolo mihi advenit, quam et illam portionem ipsius Bertra-
dane, quam genitor suus Heribertus ei in alode dereliquit; und Rheinbach,
von dem e8 heißt: illam- portionem in Reginbach, quem ... Karolus mihi
in alodem dereliquit et illam aliam portionem in ipsa villa, quam Heri-
bertus uxori nostre Bertrade in alodem dimisit. In NRommerspeim behalten
ſich Pippin und Bertrada die Dienfte von 36 mit Namen angeführten Sklaven vor.
Quae antea ad ipsam ecclesiam per strumenta cartarum ibidem
delegatae fuerunt.
°) Das die mittlere Schenkung betreffende Diplom, vom 10. Juli desſelben
Jahres datirt, worin den Mönden von Keßling zugleih ein Theil des Waldes
Mellere auf ihre Bitte zugewieſen wird, ift noch vorhanden: Sickel P. 19. Die
anderen zwei instrumenta cartarum miüjfen den Acta deperdita Pippins bei-
geräht werben.
) In nostra sint potestate vel defensione seu heredum nostrorum.
2) Bol. Sidel, Veiträge 5. Dipl. IV. ©. 679.
, ") Ut nulla prejudicia atque gravamina a nullo episcoporum seu secala
rium inferantur.
Der zweite und dritte agnitanifche Feldzug. Urkunden für Prüm. Italien. 8583
aud ihr Abt jedesmal aus jener Congregation gewählt werden. !)
Wenn in den Einleitungen der Diplome fonft gewöhnlich nur her-
kömmliche Betrachtungen enthalten find, fo fpricht fi) in der Arenga
diefer Urkunde für Prüm doc eine beftimmtere Situation aus, die
ſich befonders dadurch charakterifirt, daß Pippin auf die Göttlichfeit
feiner Salbung Hinweift;?) denn wir wiffen, wie fehr man damals
aud in dem Siege über die Feinde eine Wirkung und Beftätigung
der göttlichen Gnade erkannte. Die Urkunde ift von Pippin und feiner
Gemahlin ausgeftellt, und beide Söhne, Karl und Karkmann, fegten
unter diefelbe das Zeichen ihrer Zuftimmung; zwölf Grafen und neun
Biihöfe fügten ihre Unterſchriften bei.
Während Pippin in diefer Weife durch fromme Handlungen feinen
aquitanifchen Sieg feierte, empfand Waifar die ganze Schwere des
Verluftes, den er erlitten. Der Fall von Clermont und Bourges über-
zeugte ihn, daß es vergeblich fein würde, ſich noch weiter auf die Ver⸗
theidigung fefter Pläge einzufaffen; und fo faßte er den verzweifelten
Entfchluß, die Mauern feiner wichtigften Städte, wie Voitiers, Limoges,
Saintes, Angouldme, Perigueur zu fchleifen.?) Offenbar war fchon
damals fein Gedanfe, daß eine große Feldſchlacht zwifchen ihm und
feinen mächtigen Gegner entſcheiden follte. Fürs erfte jedoch fam es,
wie wir fehen werden, ganz anders, als in diefem Augenblide zu er-
warten ftand. —
Auch die italienischen Angelegenheiten nahmen im Jahre 762
wieder die Aufmerffamkeit in Anſpruch. Nachdem die Vermittelungs-
verfuche des Jahres 760 zum großen Theil ſruchtlos geblieben waren,
Defiderius aber fich bei Pippin gegen die Vorwürfe des Papftes zu
verteidigen gewußt hatte ‚*) beungte diefer im folgenden Jahre die
Anwefenheit zweier fränfifchen Gefandten, Andreas und Gundericus,
um in ihrer Gegenwart die Wahrheit feiner Anklagen zu conftatiren.5)
Vieleicht noch im Laufe desjelben Jahres trafen abermals zwei fränkische
Gefandte, Dodo und Wihadus, und mit ihnen der feit 755 ab»
weſende römiſche Suffragan, Biſchof Wilharius von Mentana (No-
1) Ut de congregatione domni R. et V. spiseoporum, quos modo in hoc
coenobium S. Salvatoris congregavimus, quando abbas de hac vita migra-
verit, una cum consensu nostro et vestro abbatem de ipsa congregatione
vobis regulariter eligere debeatis.
) Divine nobis providentia in solium regni unxisse manifestum est; vgl.
Sidel, UL. ©. 169. N. 8.
®) Fred. cont. c. 129: Videns ... quod castrum Claremontis rex bel-
lando ceperat et Bitoricas ... cum machinis cepisset et impetum ejus ferre
non potuisset, omnes civitates, quae in Aquitania provincia ditionis suae
erant, id est Pectavis, Lemodicas, Santonis, Petrecors, Equolisma et reliquas
quamplures civitates et castella, omnes muros eorum in terram prostravit.
*) Cod. Carol. ep. 21. p. 92: innotuit excellentia vestra, vobis a Desi-
derio L. rege esse insinuatum, nullam malitiam vel invasionem a Lango-
bardis in nostris partibus fuisse infertas.
®) Yaf. pe 91. 98.
Jahrb d. diih. Gelb. Delsner, König Pippin. 28
—
354 Capitel XXV. 761762.
mentum)*) beim Papfte ein, um zu erfahren, ob ihm von Geiten ber
Langobarden endlich fein volles Hecht geworden fei oder nicht. Der
Bapft Fonnte auch jet nur von der Lift und dem gewohnten Truge
derjelben ſprechen.) Wilharius war faum wieder zu Pippin zurüd-
gefehrt,*) als der Papit ſich genöthigt fah, dem Könige wichtige Bot⸗
ſchaften neueften Datums zu überjenden: er habe nämlich foeben die
zuverläffige Mittheilung erhalten, daß die Griechen im Begriff ftünden,
einen Heereszug gegen Rom umd Ravenna zu unternehmen.‘) Nach
Abfendung diefes Briefes erhielt Paul von Seiten des Erzbiſchofs
Sergius von Ravenna ein Schreiben, welches diefer vom byzantinifchen
Hofe empfangen und welches dazu beftimmt gewefen war, ihn für die
faiferlihe Sache zu gewinnen. Aud) aus Venedig waren bei Sergius
vertrauliche Mittheilungen eingelaufen, welche derjelbe ebenfo wie jenes
Schreiben dem Bapfte überfchicte.”) Paul teilte alle diefe Berichte
abjchriftlih dem Frankenkönige mit; er bat darum, daß Defiderius
durch einen Königlichen Gefandten den Auftrag erhalten möchte, fei es
von Benevent oder von Spoleto oder von Tuscien aus, den bedrohten
Gebieten zu Hülfe zu eifen, in&befondere aud Ravenna und die See—
ftädte der Pentapolis gegen einen feindlichen Angriff zu unterftügen.
Er bat ferner, daß im nächften März ein Gefandter Pippins in Rom
feinen Aufenthalt nehmen möchte, befonders um, wenn es nöthig wäre,
den Deſiderius zur Hülfeleiftung zu drängen. °)
Vor den größeren Gefahren, die von griechiſcher Seite drohten,
traten die langobardiſch-römiſchen Zwiſtigkeiten in den Hintergrund.
Durch welche Maßregeln Pippin den Sturm befhworen, ift nicht er-
ſichtlich; offenbar aber ift ihm dies ſchon im Jahre 762 gelungen,
und Defiderius hat dabei ohne Zweifel nützliche Dienfte geleiftet.
Der Papft ift voll des Dankes für die Hülfe und die geeigneten Vor—
fehrungen,?) durch welche die Kirche vor den Nachftelflungen der Feinde
gerettet und der orthodore Glaube gegen jeden Angriff vertheidigt
worden fei. Die Bitte um einen ftändigen Gefandten wiederholt er
jedoch nocdhmals®) und ermahnt zur ftandhaften Ausdauer in dem
begonnenen Werke; denn Pippin wiffe ja fehr wohl, daß die ketzeriſchen
Griechen unaufhörlich darauf ausgingen, die apoftolifche Kirche und
) ©. oben S. 258—259.
‘) Cod. Carol. ep. 22. p. 95. 96—97.
®) Daf. ep. 30. p. 112; er war auf dieſer Rückreiſe von zwei anderen Ger
fandten Pippins, von einem Felix religiosus und von Ratbertus vir inluster,
°) Ep. 30. p. 112, ep. 31. p. 114.
?) Ep. 32. p. 115: vestro post Deum auxilio et optimo certaminae ...
ecclesia constat ab inimicorum insidiis erepta et orthodoxa christianorum
fides ab inpugnatoribus defensa.
®) Daf. p. 116: sicut per anteriores nostras litteras postulandum direximus.
⁊
Der zweite und deitte aquitanifche Feldzug. Urkunden für Prüm. Jialien. 355
ihre Lehre zu erſchüttern. Zugleich wünfcht der Papft, der ohne Zmeifel
von dem Kriegszuge diefes Jahres erfahren hat, über das Befinden
des Königs frohe Auskunft zu erhalten.t)
Der Meberbringer diefes Briefes, Petrus, der erfte Defenfor der
römiſchen Kirche, hatte aud) den Söhnen des Königs ein befonderes
Schreiben zu übergeben, durch welches der Papft, der wohl von ihrer
Theilnahme an dem Feldzuge wußte, aud) jie um Nachrichten über ihr
Befinden bat.) Die Feierlichkeit des Tones, der in diefem Briefe
herrſcht, macht den Eindruck, daß dies das erfte Mal war, wo ber
Papſt ſich in befonderer Zufhrift an die beiden Königsfühne wandte.
Dem heimfehrenden Gefandten folgten ſogleich drei fränkiſche
Bevollmächtigte,) ganz wie Paul es ſich ſchon vor längerer Zeit er-
beten hatte.4) Denn nun fonnte wieder an die Ausgleihung der lango-
bardifchen Mißhelligkeiten gedacht werden, und diefe erfolgte durch jene
fräntifchen Gefandten, foweit noch immer zwifchen den beiderfeitigen
Unterthanen Streitigkeiten zu fchlichten waren, zur vollen Zufriedenheit
des Papftes.d) Was die Vorenthaltung päpftlihen Eigenthums durch
Defiderius betraf, fo folften die Beſprechungen darüber vor diefem felbft
ftattfinden.) Der Papft, des Erfolges ungewiß, glaubte bei Pippiu
jehr eifrig auf Befriedigung feiner Forderungen dringen zu müſſen,
da man fonft noch weitere Webergriffe von Seiten der Langobarden
zu gewärtigen habe.?) Als derjelbe jedoch immer wieder auf die Bos—
heit der Griechen zu reden fam, forderte Pippin ihm endlich einmal
auf, fih dem Könige Defiderius inniger anzufchliegen. Beide verab-
redeten denn auch eine Zufammenfunft in Ravenna, fowohl zur Ver-
-ftändigung in ihren eigenen Angelegenheiten, als aud zur Abwehr der
Griechen, welche täglich Ravenna bedrohten.®)
So führte das Jahr 762 eine wirkliche und bleibende Annäherung
1) Ep. 32. p. 115: tanta nostro cordi desiderii capacitas inminet, de
vestra prosperitate laetos certosque effci.
#) Cod. Carol. ep. 33. p. 117—119; vgl. p. 118: amor nos hortatur
>... de vestra prosperitate sedule addiscere et in Domino gratulari.
®) Ep. 34. p. 119—120: die Aebte Widmarus und Gerbertus, ſowie der
weltliche Große Hngbaldus.
%) Daf. p. 120: juxta id quod petendo direximus.
#) Daf.: Prelati missi vestri in nostri presentia cum Langobardorum
missis nec non et Pentapolensium ac singularum nostrarum civitatum homi-
nibus adsistentes, conprobatio coram eis facta est de habitis inter utrasque
partes aliquibus justitiis, videlicet de peculiis inter partes restitutis; vgl.
oben ©. 344. N. 6.
®) Die vorſtehend citivte Stelle des päpftlichen Schreibens lautet weiter; Nam
de finibus civitatum nostrarum et patrimoniis beati Petri, ab eisdem Lango-
bardis retentis atque invasis, nihil usque hactenus recepimus.
?) Pag. 121: Et nescimus, quid ex hoc proveniendum sit... . si nobis
praelati civitatum nostrarum ab eisdem Langobardis invasi fines atque patri-
monia reddita non fuerint, etiam ea, quae primitus reddiderunt, invadere
insidiabunt.
*) Ep. 39. p. 137; vgl. oben ©. 289. N. 8.
356 Gapitel XXV. 761-762.
zwifchen dem Papfte und dem Langobardenkönig herbei. Damit ſtimmt
es trefflich zujammen, daß Paul I. das von der Königin Anja ges
gründete Klofter zu Brescia im October diefes Jahres mit feinem
Privilegium ausftattete.!) Im Anfange des Jahres 764 fonnte der
Bapft, auf die Anfrage Pippins über den Stand der Kirche, des römischen
Bolfes und fein eigenes Ergehen, den befriedigenden Beſcheid geben,
daß durch das göttliche Erbarmen, nicht durch fein Verdienft, Alles
ſich des beften Gedeihens erfreue.?) König Defiderius liefert Kurze Zeit
nachher einen römijchen Sklaven, der zu ihm geflohen, bereitwillig aus; °)
er fommt zur Verrihtung der Andacht nad) Rom und verftändigt ſich
mit dem Papſte leicht über die Schlichtung neuer Zwiftigfeiten, die
am der ausgedehnten Grenze ihrer Staaten fich zwifchen ihren Unter-
thanen wieder erhoben hatten.*) Er erhält von Pippin den Auftrag,
gegen die Griechen in Neapel und Gasta einzujchreiten, welche dem
Papſte feine dortigen Patrimonien vorenthielten und ihren neugewählten
Biſchöfen nicht geftatten wollten, fi) zum Empfange der Weihe nad)
Rom zu begeben.)
Während es fo der Vermittlung Pippins gelungen war, zwifchen
Nom und den Langobarden ein freundliches Verhältniß herzuftellen,
welches während feiner Regierungszeit nicht wieder geftört wurde, waren
die Beziehungen zu Conftantinopel dagegen unverändert diefelben ge-
blieben, und eine zugleich fränfifche und päpftliche Gefandtfchaft, die
gegen das Ende des Jahres 762 dahin abging,°) follte abermals
verſuchen, eine günftige Ausgleichung herbeizuführen. Im nächftfolgenden
Jahre jedody richtete jich die allgemeine Aufmerffamfeit noch aus-
schließlich auf die inneren Ereigniffe des Frankenreichs.
1) Jaffe, Regesta pontif. Romanorum n° 1809 ; Troya n° 808.
%) Cod. Carol. ep. 29. p. 109: omnia prospera erga sanctam Dei ecele-
siam atque nostram mediocritatem vel nobis commisso populo existunt.
®) Ep. 87. p. 183: agnoscat christianitas vestra .... conjunzisse hoc
praeterito auttumni tempore Desiderium ... ad apostolorum causa orationis
limina, eundemque nostrum puerum secum deferens nobis contradidit,
*) Daf.: ex parte justitias fecimus ac recepimus; sed et reliquas, quae
remanserunt, modis omnibus plenissime. inter partes facere student.
®) Daf.: p. 183—134. Welchem der zwei vorhergehenden Gerundien, con-
striogendum und restituendum, das Wort largiendi beizuordnen fei, kann ſprach ⸗
tich allerdings zweifeihaft fein; ic) habe mid) jedoch der von Zaffe, p. 184. n. 1,
vorgegogenen Deutung, bei welcher die zwei in einer Nachſchrift mitgetheilten Aufe
forderungen an Defiderius in gar keinem Zufammengange mit einander geftanben
haben würden, nicht anſchließen können.
°) Bgl. die Erkundigungen Pippins beim Papfte de missis vestris ac nostris,
qui ad regiam urbem simul properaverunt, auf welche diefer weder Ende 763
noch Anfangs 764 Beideid zu geben weiß; Cod. Carol. ep. 28. p. 107,
ep. 29. p. 110.
Sehsundzwanzigfies Gapitel.
Der Todtenbund von Attigny.
762.
Es war eine ftattliche Verfammlung, in welder Pippin dem
Klofter Prüm am 13. Auguft 762 jene große Schenkung ertheilte,
von welcher im vorhergehenden Gapitel erzählt worden ift. Außer
dem Könige, der Königin und ihren beiden Söhnen Karl und Karlmann
waren 12 Grafen und 9 Biſchöfe zugegen, welche ſämmtlich unter
das Diplom ihre Unterfchrift ſetzten. Die Namen der Grafen find:
Droco, 1) Chrodardus, 2) Warinus,?) Welantus, Gaugulfus, *) Ger-
hardus,*) Troanus,“) Waltarius,?) Herloinus, Gunbertus,?) Rachul-
) Ein Drogo findet ſich auch Sickel P. 8 (753), oben ©. 73. Hahn, Jahre
bucher ©. 89, vermuthet in ihm einen Neffen des Königs, den Sohn Karl-
manns; dagegen fpricht jedoch, was oben S. 1683 erzählt worden if.
by Unter den Beifigern der drei königlichen Gerichtsverſammlungen, von
welchen wir aus ber Zeit Pippins Kunde Haben, erſcheint jedesmal ein Ehrod-
hardus; f. oben ©. 14. 78. 827. Ein Chrodardus comis, vielleicht berfelbe,
deffen wir unten S. 364. 377 gedenfen, fteht im Jahre 764 als Verkäufer, in
ducatu Alamannorum in pago Brisagaviensi, dem Abte Fulrad von ©. Denys
Adern (Felibien, Histoire de S. Denys, pieces justif. n° 42. p. 29).
jeber die Grafen Warin und Rudhart er die in der Geichichte von ©. ‘alten
eine wichtige Rolle fpielen, j. oben Cap. X
®) Ueber die alamannifchen Grafen Fre und Rudhart ſ. bie vorhergehende
Note. Ein zweiter Warinus findet fih im Lobdengau, f. Cod. Lauresh. dipl.
I. n° 281. p. 858, n° 482. p. 476; Dronke, Cod. dipl. Fuld. n° 26. p. 16;
vgl, auch unten Cap. XXIX. in.
4) Wohl identiſch mit Baugulfns in P. 8, oben ©. 78.
®) Bielleicht der Gaugraf von Paris; vgl oben S. 71. 825.
°) Diefer Name erinnert an Throandus in Jaffe III. ep. 68. p. 195. und
in Sickel P. 7; oben © ©. 68, us 8
») Bat. P. 8; oben ©. 7
9 Ein Sundpertis Bean Jaff& Bibl. III. ep. 68. p. 196.
358 Capitel XVI. 762.
fus,!) Warinus;?) die anweſenden Biſchöfe waren: Genebaudus von
Laon, Gautlenus von Le Mans, Fulcharicus von Lüttich, Adalfredus
von Noyon, Bulframnus von Meaur, Megingaudus son Würzburg,
Berethelmus von Köln, ?) Bafinus von Speier,*) Wiemadus von
Zrier.d) Von einer weiteren Thätigleit der zu Trisgodros verfam-
melten Großen verlautet indeffen nichts; dagegen nahmen gleich nadj-
her®) ſechs unter jenen neun Prälaten, und zwar bie ſechs erftgenannten,
an einer zahlreihen Verſammlung von Biſchöfen und Aebten Theil,
welche in Attigny zufammentrat, „um die Sache der Religion und das
Heil der Seelen zu berathen“.?) Es war eine Synode, ganz nad
den Vorſchriften, welche der Reichstag von Verneuil für die Herbft-
verfammlungen der fränfifchen Geiftlichkeit erlaffen hatte; ®) und ob-
wohl die Beichlüffe derfelben uns nicht aufbewahrt find, fo wiffen
wir doch, daß mande „heilfame und weife Entſcheidung“ getroffen
worden. 9)
4) Unter ben Zeugen in Sickel P. 7 befindet ſich ein Thacholfus.
) S. oben ©. 857. N. 3.
®) Auch Berthelinus genannt, der Nachfolger des im Sachſenkriege 768 ges
falfenen Hildegar; Rettberg I. ©. 539.
*) Bol. Rettberg I. ©. 641, Gallia christiana V. col. 716. Sein Bor-
gänger David, einer der 18 Biſchöfe, an welche das Schreiben des Bapftes Zacharias
dom Jahre 748 gerichtet war (Jaff& III. ep. 67. p. 198), zugleich Abi des im
Gau von Speier gelegenen Kloſters Weißenburg (vgl. die Urkunden der Jahre
744—760 bei Zeuss, traditiones Wizenburgenses), farb nicht vor Auguft 760;
dgl. Rettberg a. a. O. N. 14. Unter ihn fertigte 753 und 756 ein Basinus diaconus
in Weißenburg zwei Urkunden aus (Zeuss n° 149. p. 139, n° 221.p. 211). David's
Nachfolger in der Abtei wurde jedoch nicht Bafinus, jondern Erembert, ebenfalls
Bifchof.und Abt zugleich, wahricheinlich der in Sickel P. 35 vorfommende Vifhof
Erembert von Worms. Das Bisthum Speier erhielt, ungewiß ob unter David
oder unter Bafınus, von Pippin die Immunität; Sickel K. 92, Acta deperd.
p. 384. Bon Karl dem Großen empfing Baſinus zugleih mit Lullus von Mainz
und Megingoz von Würzburg den Auftrag, die neue Kirche des Heil. Goar eins
zuweihen; Wandelberti de miraculis 8. is, Mabillon Acta SS. II. p. 299:
Basinus 'Nömeti, quae civitas nunc Spira vocatur, episcopus. Die Angabe
Wandelberts, daß er gleich feinen zwei Collegen von Bonifacius ordinirt worden
fei (qui omnes a beato Bonifacio pontifice et martyre fuerant ordinati),
widerlegt fid) durch die vorftehenden chronologifchen Notizen.
®) Auch Wiomadus oder Weomabus genannt, ſchon oben S. 9 (R. 9) er-
mwähnt; unter den Zeugen der Gründungsurfumde von Toric 763 erſcheint er als
Automadus Treverorum episcopus (Cod. Lauresh. I. p. 8). Er farb 791,
f. Sickel K. 97*. — Auch die Kirche von Trier wurde von Pippin mit der
Immunität ausgeftattet (Sickel K. 9, Acta deperd. p. 384); außerdem beftätigte
er ihr ben fpäter fo ftreitigen Beft des Kloſters Metlach (Sickel K. 97; Urkunde
Lothar’s I. vom Jahre 842, Beyer N° 69); vgl. Hahn, Jahrbücher S. 187; Abel,
Karl der Große LS. 184—186.
©) Ueber den Zeitpunkt ſ. Ercurs IT. $ 8.
7) Pertz LL. L p. 30: pro cnusa religionis et salute animarum con-
gregati.
) ©. oben ©. 224.
%) Inter cetera salubriter sapientergue definita.
Der Todtenbund von Attigny. 359
Außer den vorgenannten Biſchöfen von Köln, Speier und Trier
fehlten auf der Synode auch noch viele andere Würdenträger ber
fräntifchen Kirche, die im jenen Tagen font genannt werden, deren
Stifter zum großen Theil durch Gunftbezeigungen Pippins ausge
zeichnet find. So waren z. B. Worms, ) Neims,?) Cambrai, ?)
Amiens,t) Beauvais, °) Paris, °) Orleans ?) nidt vertreten; von
Klöftern, deren Aebte nicht anmwejend waren, nennen wir Fulda,
Prüm, Echternach, ) Weißenburg, ) Honau,!) S. Zrond, '!)
) Bol. über das Bisthum Worms unfere Angaben zum Yahre 763, unten
Cap. XXVIL
) Der Berfammlungsort Attigny felbft gehörte zum Sprengel von Reims.
®) Bippin ertheilte diefem Bisthum ein Immunitätsdiplom; Sickel L. 88,
Acta dep. p. 363.
+4) In Jaff6 III. ep. 67. (a. 748) p. 198 erſcheint Rimberhtus Amabianensis
episcopus; vgl. auch Gallia christ. X. col. 1157.
) Im dem N. 5 angeführten Briefe begegnet auch Deodatus Belbocanensis
episcopus.
) Der Biſchof von Paris tritt freifich, auffallend genug, auch fonft in den
Ereignifien jener Zeit nicht hervor; doch wiffen wir, daß ein Diplom Pippins
jämmtlige Befigungen feiner Kirche ficherte, mit dem eigenthümlichen Zuſatz, daf
alle freien Berohner des Kirchenguts nur unter dem Biſchof im dem Krieg zu
ziehen und nur mit bem Vogt ber Kirche vor Gericht zu ericheinen brauchten
(Siekel L. 145; Acta dep. p. 378). — Unter den Zeugen ber Gorzer Urkunde
Ehrodegangs vom Zahre 757 befindet ſich Biſchof Deofridus von Paris: f. oben
©. 316 (N. 7).
?) Ueber das Bisthum Orleans erfahren wir aus jenen Zeiten allerdings jo
menig, daß felbft die damalige Biſchofsreihe nicht zu entwirren ſcheint (Gallia
christ. VII. col. 1419). — Das Klofter des heil. Anianus jedod, welches: ſich
in der Umgebung der Stadt befand, jet S. Aignan d'Orlsans, hatte von Pippin
ſowohl et Immunitäts«, als auch ein Zollbefreiungsdiplom aufzuweiſen Bickel
L. 118—119; Acta dep. p. 360). — Ueber das Kloſter Fleury im Gau von
Orleans ſ. Näheres unten ©. 360. N. 4.
®) Das dem Abte Albert von Echternach ertheifte Immunitätsbipfom, Sickel
P. 34, ift bereits oben ©. 20—21 von uns beiproden. Cin puer Aldberchtes
de Aefternacae kommt in dem oben S. 228 angeführten Schreiben des Biſchofs
&ull, Jaff6 III. ep. 114. p. 280, vor.
) Die beiden Aebte des Kloſters in Pippins Zeit, die Biichöfe David und
Erembert, find ſchon auf der vorigen Seite N. 4 genannt. — Einem Diplom
Otto's IL. vom Jahre 967 zufolge ertheilte Pippin dem Kofter die Immunität
(Sickel Acta dep. p. 386), ja, danach erſcheint er fogar als Begründer der Stifs
tung (ipsem marcam Pippinus quondam imperator utilitati et servitio eorum
sub emunitatis firmatione contradidit); 1102 fpridjt Heineih IV. zum erften
Male von einem Dagobertus fundator.
20) Pipping Urkunden für Honau, Sickel P. 14, 15, f. oben S. 323.
*1) Monasterium 8. Trudonis; jegt Stadt in Belgien, Prov. Limburg, Arr.
Haffelt. Das Kloſter gehörte zur Diöcefe Mes, und die im 8. Jahrhundert von
dem Diofon Donatus verfaßte Vita 8. Trudonis (Mabillon Acta SS. II.
p. 1069 sq.) ift daher dem Erzbiſchof Angilram, dem Nachfolger Chrodegangs,
gewidmet (praefatio p. 1070; vgl. cap. 27, p. 1084: quod [monasterium]
Proprium est ad regendum Mettensis urbis episcopis). Diejer faft zeitgenöfftichen
Duelle zufolge wurde die Kirche des Kloſters temporibus piissimi regis Pippini
durch einen Pilger beftohlen, die That jedoch entdedt, der Schatz wieder zurücd«
360 Gapitel XXVI. 762,
©. Amand,!) ©. Maur des Fofjes,*) S.Calais,?) Fleury,*) Nantua. 5)
&8 wäre ein vergebliches. Bemühen, das Kommen der Einen, das
Ausbleiben der Andern erflären zu wollen. Die Mehrheit des hohen
Klerus jedoch‘ hatte fich Hier zufammengefunden; denn das vorhandene
Namensverzeichnig weiſt 44 Anweſende aus allen Theilen des weiten
fränkifchen Neiches auf. Es war ein gewiß nur beiläufig gefaßter
Beihluß, 6) dem wir feiner praftifchen Bedeutung wegen dies Ver—
zeichniß verdanfen.
Die 44 Prälaten nämlich fchloffen zu Attigny einen fogenannten
Todtenbund: fie trafen die Verabredung, daß jeder von ihnen beim
Ableben eines Genofjen 100 Mefien feiern und 100 Pfalter fingen
laſſen ſolle; außerdem hatten die Biſchöfe perfönlih 30 Meffen zu
leſen. Waren fie durch Krankheit oder fonft ein Hinderniß davon ab⸗
gehalten, fo joliten fie ebenfo wie diejenigen Aebte, welche nicht zu—
gleich -die Biſchofsweihe befaßen, einen Bifchof um ftellvertretende
Uebernahme der frommen Pflicht bitten. Die Sitte ftammte wahr-
ſcheinlich aus Britannien, ”) und fchon Bonifacius verabredete einer-
ſeits mit dem englifchen Abte Aldherius, andererſeits mit Optatus von
Montecafino ein gegenfeitiges Mefjelefen diefer Art für verftorbene
Brüder.) Biel beftimmter find bereits die Anmeifungen, welche Lull
feinen Prieftern für die Todesfeier des Biſchofs Romanus fendet,)
indem er darin die Zahl der Meſſen auf 30 feftfegt. Auch an der
gebracht und der Dieb judicante clementissimo rege Pippino suspensus est in
patibulo (cap. 28, p. 1085).
1) Dep. Nord; dies Klofter, die Heimat eines der älteften fränkischen Jahr-
bücher, verbanfte Pippin eine zweifache Gunftbegeigung: die Ertheilung der
Immunität und die Schenkung der Billa Barifis bei Taon, Dep. Aisye (Sickel
Acta dep. p. 360).
) S. Maur des Fofjes bei Paris, die cella quae dicitur Fossatis quae
sita est in ipso Parisiago (Sickel P. 28), erhielt von Pippin, außer einer beim
Jahre 768 näher anzugebenden Schenkung, aud noch die Immunität (Sickel
K. 11, Acta dep. p. 368).
®) Pippins Urkunden für das Kloſter des Beil. Carilephus zu Anifola bei
2e Mans, Sickel P. 3. 18, f. oben S. 15—17 und ©. 342-348.
*) Ober S. Benoit sur Loire (Dep. Loiret), S. Benedicti monasterium Flo-
riacense im Gau von Orldans. Dasjelbe erhielt von Pippin die Immunität
(Sickel L. 124), die Zolfreiheit für feine Fuhren und vier Schiffe (L. 123),
die königliche Billa Suncampus, welche vorher ein Bafall Pippins, Gisleharius,
befefien (L. 335), endlich, gleich ©. Mau des Fofjes, einen Antheil an ber
silva Aequalina (P. 28).
°) Pippins Immunitätsurkunde für Nantua (Dep. An), Sickel P. 18,
. oben ©. 818.
°) hoc quoque commoni cunctorum deereto statuerunt.
7) ©. Rettberg I. ©. 788.
°) Jaff6 III. ep. 90. p. 238, ep. 104. p. 256.
°) Daſ. ep. 116. p. 282. Es ift wahrſcheinlich der Vorgänger bes ‘zum
Zobtenbunde gehdrigen Vulframnus von Meaur, jener Romanus Meldensis epi-
scopus in Jaffe III. ep. 67. p: 198 (748, 1. Mai). Die Worte Lull's, nomen
domni Romani episcopi, mit Jaffs p. 282. n. 1 auf einen Papft zu deuten,
Scheint mir unzuläffig.j
Der Todtenbund von Attigny. 361
gegenwärtigen Uebereinfunft ift Lull betheiligt, ohne daß wir behaupten
fönnen, daß der Vorſchlag dazu von ihm ausgegangen; denn fein
Name fteht erft in dritter Reihe, nad) Chrodegang von Meg und
Eddo von Straßburg. Daß unter diefen Zweien felbft aber nicht
Eddo, entjchieden der Aeltefte der ganzen Verſammlung, den erſten
Plag einnimmt, zeugt nicht allein für das hohe Anfehen Chrodegangs,
fondern berechtigt vielleicht auch, in ihm den Urheber des Bundes zu
erkennen; und eine annaliftifhe Notiz, wonach er grade in Jahre 762
von fehwerer Krankheit heimgeſucht worden, !) läßt uns weiter ver-
mutben, was in dem Wiedergenefenen vielleicht den erften Gedanken
zur Gründung des Bundes mag angeregt haben.
Indem wir Hier das DVerzeichniß in derfelben Ordnung und
Namenſchreibung, wie es fi in einer einzigen, faft gleichzeitigen Hand-
ſchrift glücklich erhalten Hat, ) folgen lafjen, benugen wir diefen Änlaß,
um vereinzelte Notizen, welche ſich in den Quellen fei es über die
Berfonen, fei e8 über die Stifter finden, in den Erläuterungen zu—
fammenzuftellen. Von einigen der zu Nennenden freilich Hat ung die
Geſchichte außer ihren Unterjchriften in der Bundesurfunde feine Spur
weiter aufbewahrt; aus einem ganz emtgegengefegten Grunde haben
wir auch bei Anderen, die in unferer Darftellung fonft öfter wieder:
kehren, wie bei Chrodegang, Lull, Fulrad, an diefer Stelle nichts an-
gemerkt. Verſchaffen wir uns vorerft eine geographifche Ueberficht der
zu Attigny vertretenen Bisthiimer und Klöſter.
Dem heutigen Frankreich gehörten 14 Biſchöfe und 14 Aebte
an, Deutſchland 5 Biſchöfe und 4 Aebte, der Schweiz 2 Biſchöfe und
2 Aebte, Belgien 1 Biſchof und 1 Abt, Italien 1 Abt.
1. Die 28 franzöfifchen Stifter waren:
In Isle de France: die Bisthumer Meaur, Soijfons,
Laon, Noyon; die Klöfter S. Denys, ©. Germain des
Br&s, ©. Cloud,?) Rebais,‘) Nesles. o)
In der Picardie: die Klöſter Corbie und S. Riquier. *)
) Ann. Laureshamenses 762: Et domnus Hrodegangus archiepiscopus
egrotavit magna infirmitate; ann. Mosellani 762: et Chrotgangus archiepi-
scopus egrotavit magna infirmitate.
%) Dem Cod. bibl. Vaticanae Palatinus 577, aus dem Ende des 8. Jahı-
hunderte,
®) Die Unterſchrift Tantet: Johannis abbas de sancto Flodoaldo; ſchon
Mabilfon, Annales ord. S. Ben. II. p. 207, enıendirte: Chlodoaldo.
*) Monasterium Rasbacis (Bebacin), auch Hierusalem genannt, 3. B. in
der Translatio S. Viti (Pertz 88. II. p. 580-581); Dep. Seine et Marne,
Arr. Coulommiers.
Dep. Seine et Marne, Arr. Coulommiers; Nigella abscondita im Sprengel
von Troyes (Gallia christ. XII. col. 536). An das gleichnamige Frauenſtift,
Nivelles bei Brüffel (val. Gallia christ. I. col. 576, wo fich das Aebtiffinnen-
Verzeichniß findet, und Rettberg I. ©. 564), ift hier natürlich nicht zu denken.
) Centulum oder 8. Richarii monasterium, weil von Richarius c. 625
gegründet (Gallia christ. X. col. 1241); Dep. Somme, Arr. Abbevilke.
362 Capitel XXVI. 762.
In der Normandie: die Bisthlimer Rouen, Evreur, Vayeug;
die Klöfter Zumiöges,') ©. Randrike, 2) ©. Evroult.?)
In Maine, Anjou, Zouraine: die Bisthlmer Le Mang,
Angers, Tours.
In Bourgogne: die Bisthümer Sens, Autun; die Möfter
©. Eolombe,‘) Moutiers ©. ZYean,’) Flavigny.
In der Frandhe-Comte: das Bisthum Belangen, das Kloſter
S. laude.°)
In Lorraine: das Bisthum Verdun.
2. Die 9 deutfchen Stifter waren:
In Baiern: das Bistfum Würzburg; die Flöfter Nieder-
Altaich,?) Weſſobrunn,*) Eichftädt, Hornbad.?)
In Baden: das Bisthum Conftanz.
Zu Heften: das Bistyum Mainz.
In Eljag und Lothringen: die Bisthümer Straßburg und
Mep.
3. Zur Schweiz gehören:
Die Bisthümer Baſel und Chur, die Klöſter S. Maurice
und Pfäffers.
4. Zu Belgien:
Das Bisthum Lüttich,?) das Kloſter Lobbes.1!)
5. Zu Italien:
Das Klofter Novalefe. 12)
Wir geben nun das Verzeichniß der Biſchöfe und Aebte, wie es
ſich in der Bundesurkunde findet: 1?)
}) Monasterium Gemeticum; Dep. Seine inf6rieure, bei Rouen.
9) 8. Wandregisili monasterium Fontanella; Dep. Seine inferieure, Arr.
Yvetot.
®) Dep. Orne; S. Ebrulfi monasterium in Uticensi pagi Oximensis silva
(Gallia christ. XI. col. 813), daher in unferer Urkunde kurzweg Uticum genannt
(Ragingarius abbas de Utico), wie auch die ganze Landſchaft fpäter Ouche hieß.
+) Auch bei Vienne beftand ein Kfofter der Heil. Columba, doch kann dies
Bier nicht gemeint fein, weil es nur ein Frauenflofter war; vgl. Gallia christ. XVI.
eol. 149. Hier ift vielmehr an S. Colombe bei Sens zu denfen, dnsjelbe Kiofter,
wo ſeit I hHalnſang des 9. Jahrhunderts Annalen geſchrieben worden find (Pertz
88. I. p. 102 sq.: annales sanctae Columbae Senonenais).
»)8 — monasterium Reomaönse; Dep. Eöte d'Or, Art. Semur.
®) Dep. Jura; der alte Name des Ortes war Conbatisco, der Heilige des
Kiofters hieß Eugendus.
7) Niederbatern, an der Donau.
Oberbaiern, unweit des Led.
*) Biol, bei Zmeibrüden; ah Gamundias (Gmünden) genannt, eine Str
tung, Bitmin’s.
Der Name des Bisthums lautete damals noch von Alters her Zongern,
Echo BR Biſchofsſitz bereits nach Lüttich verlegt war; vgl. Rettberg I.
3 ag Senmgan, bei Eharleroi, an ber Sambre.
4) Prod. Turin, bei Sufa.
4) quorum nomina in hoc indieulo subter Scripte reperiuntur.
Der Todtenbund von Attigny. 363
1. Brodegangus Biſchof der Stadt Met.
2. © " "mn Straßburg.
3. Kulne 9 . Wainz.
4. Lupus nn Sens.
5. Baldeberhtus „ nn Balel.
6. Vulframuus nm Menur.
7. Remedius " nm Rouen.
8. Maurinus " nn Ever.
9. Genbaudus ” n„ » !aon.
10. Hildigangus n ”" Sooiſſons.
11. Athalfridus nn Nohyon.
12. Megingozus Würzburg.
13. Williharius ” deb Riofters ©. Maurice.
14. Folericus » der Stadt Tongern.
15. Theodulfus nm des Rlofters Lobbes.
16. Hibdo „ der Stadt Autum.
17. Dppolitus des Kloſters ©. Claude.
18. Jacob i ” Hornbach.
19. Gaucilenus der Stadt Le Mans.
20. Johannes ” „ Conftanz.
21. Willibaldus „ des Klofters Eichftädt.
22. Madalfeus » ber Stadt Verdun.
- 23. Harifeus "- nn Belangon.
24. Leodeningus " „ n Bayenz.
25. Euſebius " nn Tours,
26. Zello " ” n Chur.
27. Mauriofus " nn Angers.
28. Fulradus Abt des Klofterd ©. Denys.
29. Lantfridus „ bon ©. Germain.
30. Johannis "mn ©. Cloud.
31. Druhtgangus „ „ Zumidges.
32. Withlecus » » ©. Wandrille.
33. Witmarus nn ©. Riquier.
34. Leodharius n Corbie.
n
35. Manafe “ „ Blavigny.
36. Afinarius nn Novalefe.
37. Waldo ”» nm Moutier® ©. Jean.
38. Fabigaudus „„Weſſobrunn.
39. Godobertus vn Rebais.
40. Athalbertus nn fäffere.
41. Widradus n „ ©. Eolombe.
42. Eborfindus „„Altaich.
48. Geraus „„Meẽsles.
44. Ragingarius „ S. Evroult.
4) Der Coder Hat Lullo.
364 Capitel XXVI. 762.
Erläuterungen.
1. Chrodegang von Metz: 1. October 742 bis 6. März 766.
2. Eddo, auch Heddo genannt, gehörte der reichbegüterten elſäſſiſchen
Dynaſtenfamilie der Ethiconen an.9) Nachdem er bereits 7 Jahre lang
Abt von Reichenau geweſen, gelangte er 734 auf. den Biſchofsſtuhl
von Straßburg,?) in deſſen Beſitz er ſich urkundlich bis in die Zeiten
Karla des Großen nadweifen läßt.) Unter den Biſchöfen Baicrns
und Alamanniens, an welde ſich Papft Gregor III. in den Jahren
737—739 zur Empfehlung des Bonifacius wendet, erfcheint auch er
mit dem Namen Adda;t) als Eddanus bezeichnet ihn das Capitular
Karlmanns vom Jahre 742.5) Im Jahre 748 hatte er mit Boni-
facius und noch 12 anderen Biſchöfen des fränfifchen Neiches dem
Papſte Zacharias jene orthodore Bekenntnißſchrift überfandt, von der
oben die Rede gewefen ift.) An ihm wandte fi Herzog Odilo von
Baiern bei Gründung des Klofters Nieder-Altaich mit der Bitte um
12 alamannifhe Mönche.) Er vermittelte im Jahre 760 den Zwie-
fpalt, welder zwif—hen den Mönden von ©. Gallen und dem Biſchofe
Sidonins von Conftanz ausgebrochen war.) Unter den Klöftern feines
Sprengel® kann Ettenheimmünfter im badijchen Oberrheinfreis als
feine Gründung gelten;?) denn obwohl ſchon fein Vorgänger Widegern
daſelbſt Mönde eingeführt und mit Befigungen der Kathedrale zu
©. Marien ausgeftattet hatte, jo wor die Stiftung nachher doch gänz-
lich verfallen. Im Jahre 762 fegte daher Eddo dort mit Genehmigung
des Könige Pippin 30 Mönde ein, gab ihnen Hildolfus zum Abt
und befchenkte fie, nachdem er hierzu ebenfalls die Eriaubniß des Königs,
aber aud die Zuftimmung feiner Geiftlichfeit und der Einwohnerſchaft
feines Bisthums eingeholt hatte,!°) mit einer ftattlihen Neihe von
alamanniſchen Grundftüden, fowohl badiſchen als elſäſſiſchen und
ſchweizeriſchen Antheile. Die Urkunde Eddo's ift vom 13. März 762
datirt!!) und von dem Grafen Chrodardus, wahrfcheinfid, dem Gründer der
Klöfter Arnolfsau und Gengenbad),!?) mitunterzeichnet. — Eine andere,
Rettberg IL. S. 68. 76.
Daſ. ©. 68.
%) gl. Sickel K. 20. bb.
+) Jaff& Bibl. III. ep. 37. p. 108.
°) Pertz LL. I. p. 16; Jaffö IIL. ep. 47. p. 197.
) ©. 107—108.
?) Monumenta Boica XI.p. 14: [Odilo] de Alamannia duos denos mona-
‚chos per commeatum Pippini regis et Eddoni episcopi donantis hie adduxit.
) ©. oben ©. 336.
’ ar das Testamentum Eddonis vom Jahre 762, Migne Patr. lat.
XCVL col. 1547—1552 (nad) Grandidier).
20) ©. oben ©. 318. N. 1. .
1) Actum est hoc testamentum in civitate Argentinense tercio idus
Mareii, anno undecimo regnante domno nostro Pipino glorioso rege.
2).&, Rettberg II. ©. 83—84.
Der Todtenbund von Attigny. 365
aber linksrheiniſche Stiftung im Sprengel von Straßburg, Eberdheim-
münfter oder Novientum an der ZU unterhalb Schlettftadt, erhielt von
König Pippin Privilegium und Ymmunität,!)
3. Lullus von Mainz: 753—785. .
4. Zwei Biihöfe des Namens Lupus unterfehrieben 757 die
Urkunde für Gorze;?) ohne Zweifel war einer von ihnen der hier
genannte Bifhof von Sens. Sein Vorgänger war der im Jahre 744
zum Erzbifchof defignirte Hartbert;?) als fein Nachfolger begegnet feit
769 der Erzbifchof Wilharius.*)
5. Baldebert bejaß das Bisthum feit den Tagen des Papſtes
Zacharias; d) er unterzeichnete als erfter Zeuge das Privilegium des
Bischofs Eddo für Kloſter Schwarzach vom Jahre 749.) Ueber feine
Identität mit dem Abte Baldebert von Murbach, fowie über fein
Todesjahr Haben wir bereit® früher geſprochen.) — Das Marien-
kloſter Granfelden, Kanton Bern, welches zur Bajeler Didcefe gehörte,
erhielt von Pippin ein Immunitätsdiplom.®)
6. Romanus, der Vorgänger des Qulframnus, ein Mitunter-
zeichner des im Jahre 748 an Papft Zacharias überfandten Glaubens-
befenntniffes,°) ftarb erſt nach dem Rücktritt des Bonifacius.?%) Schon
757 jedoch unterzeichnete Vulframnus die Urkunde Chrodegaugs für
Gorze, ebenjo 762 Pippins Diplom für Prüm. Er überlebte Pippin;
denn fein Name findet ſich unter den Mitgliedern der römifchen Synode
vom Jahre 769.11) — Das Klofter des heil. Faro, welches ſich bei
Meaur befand, muß in jener Zeit durch gewilfenhafte Beobachtung
der benedictinifchen Regel ausgezeichnet gewejen fein; denn wie das
neugegründete Lorfch feine Mönche aus Gorze, wie Nieder-Altaich fie
vom Biſchof Eddo erhielt, fo wurde das Kloſter Prüm mit Mönden
aus S. Faron bevöffert.1?) Der Name „Congregation der Bifchöfi
Romanus und Vulframnus“ 18) beweift, daß diefe ftrengere Disciplin
das Werk der beiden Biſchöfe war.
1) Bl. Sickel C. 9, K. 225; Acta deperd. p. 377.
9 ‚oben S. 315—316.
®) Jatf6 Bibl. III. ep. 48. p. 182, ep.49. p. 184. Ein Hartbertus episcopus
beſchenkie im Jahre 745 das Klofter Weißenburg (Zeuss, Traditiones possessio-
nesque „Wizenburgenses n° 143).
9) 769 als Mitglied der Lateranfynode Stephans III. (Mansi XII. col. 714),
775 als Gejandter Karla des Sroen beim Bapfte Yadrian (Cod. Carol. ep. 58.
p. 176), 777 in Sickel K. 6
5) Bl. Rettberg II. ©. 5. N. 5: Baldebertus sub Zacharia papa.
°) Migne Patr. lat. LXXXVIII. col. 1317.
”) ©. oben ©. 22.
®) Sickel C. 13, Acta deperd. p. 871.
®) Jaffe Bibl. Ur, ep. 67. p. 193: Romanus Meldensis Dpus.
”) Bl. das oben S. 360 (N. 9) erwähnte, Schreiben des Biſchofs Lull
an feine Priefter, das ſonach in die Jahte 754—787 zu jegen ift, JaffE Bibl. III.
ep. 116. p. 282: Misimus vobis nomen domni Romani episcopi.
11) Mansi XII. col. 714.
) @. oben ©, 19.
"2) Sickel P. 20; oben ©. 353 (N. 1).
| u
7. Ein Vorgänger des Remedius war Grimo, der einzige jener
drei neuftrifchen Biſchöfe, welcher im Jahre 744 wirklich zum Erz⸗
biſchof erhoben wurde.t) Schon 748 aber finden wir als erften Unter
zeichner der oft amgeführten Bekenntnißſchrift fränfifcher Biſchöfe
Reginfrid von Nouen;?) einer fpäteren und chronologiſch unficheren
Ueberlieferung zufolge übernahm diefer das Erzbisthum fogar ſchon
740.°) Er verwaltete zugleich das benachbarte Klofter S. Wandrille,
erregte durch fein Betragen jedoch die Unzufriedenheit ſowohl feiner
Mönde als auch feiner Geiftlichen in fo hohem Grade, daß Pippin,
den Klagen nachgebend, ihn ſchon in den 40er Yahren von der Abtei
und im Jahre 755 vom Bisthum entfernte. Einige Güter der Kirche
wurden ihm zum Lebensunterhalt überwieſen; auf einem derſelben
ftarb er einige Zeit nachher; feine Leiche wurde nad) Rouen gebracht
und hier beftattet. Während nun ©. Wandrille auf den Wunſch der
Mönde dem Wando übertragen worden war, fam das Bistum 755
an Nemedius, im 9. Jahrhundert aud) Nemigius genannt, einen
Bruder Pippins.t) Ueber feine Gefandtichaftsreife nach Ztalien, fowie
über feine Sorge für Verbefferung des Kirchengefanges haben wir
bereits früher gejprochen.°) Unter die Urkunde Eddo's für Schwarzach
fegte auch er, wie Lull und Megingoz, nachträglich feinen Namen.
Er ftarb 771.°)
8. Nachfolger des Mauriolus wurde Gervoldus, der Capellan
der Königin Bertrada, und er verdankte feine Einfegung ihrem Ein-
fluffe bei Karl; erft nach dem Tode Bertrada’s jedoch übertrug ihm
der König auch das Klofter S. Wanprilfe.”)
9. Genebaudus IL, einer der 13 Biſchöfe, an welche das oft
citirte Schreiben des Papftes Zacharias vom Jahre 748 gerichtet
war; ®) zugleich einer der neun Biſchöfe, welche im Jahre 763 das
Diplom für Prüm unterfchrieben.?)
11. Der Name Adalfrid's findet ſich auch 75719) und 762,1)
noch 748 hatte Heleſeus den bifhöfliihen Stuhl inne. 1%) |
12. Megingoz, auch Magingoz oder Megingaud genannt, der
Nachfolger des im Jahre 753 verftorbenen erften Würzburger Biſchofs |
|
|
366 Capitel XXVL. 762.
Burchard, unterzeichnet als Priefter zugleich mit diefem das Fönigliche
1) Jaff6 Bibl. TIL. ep. 49. p. 184.
%) Daf. ep. 67. p. 198.
®) Gesta abbatum Fontanellensium c. 12, Pertz SS. II. u 286.
4) Ann. Petav. (Cod. A. B.) 765; Gesta abb. Font. p. 286. Cr war
früher, in Burgund gewejen, j. oben ©. 8 (N. 2) und Roth va ©. 840 (N. 6).
©. oben ©. 274. 277.
9 Bol. Hahn, Jahrb. S. 8—9.
Gesta abb. Font. * »201.
®) Jaff& Bibl. III. ep. 193: Genebaudus Laudensis episcopus.
®) Sickel P. 20; oben Ei 358.
30) Urkunde Ehrodegangs für Gorze, oben S. 315.
) Sickel P. 20; oben ©. 358.
') Jaff& Bibl. II. ep. C7. p. 193: Heleseus Novianensis episcopus.
— —
Der Todtenbund von Attigny. 367
Privilegium für Fulda vom Juni 753,1) ift aber, wenn einer fpäteren
Nachricht Glauben beigemeffen werden darf, noch von Bonifaz zum
Bischof ordinirt.?) ALS folher unterjchreibt er 757 die Urkunde für
GSorze,?) 762 da8 Diplom für Prüm, 763 eine Urfunde für Zulda.t)
Bon feiner eingehenden Correfpondenz mit Lull zeugen drei noch vor—
handene Briefe an denfelben;?) in feinem und Lull's Auftrage ſchrieb
der Priefter Willibald das Leben des Bonifaz; °) in Verbindung mit
Lull und Bafinus von Speier vollzog er auf Geheiß Karl's die Ein-
weihung der neuen S. Goarslirche.) — Die Salvatorfiche zu Würz⸗
burg, aud S. Kiliansmünſter genannt, feit Burchard die Kathedrale
der Stadt, wurde von König Pippin mit mannigfahen Bejigungen aus-
geftattet; feine Diplome find jedoch ſchon feit Jahrhunderten nicht mehr
vorhanden, ®) und mur noch aus fpäteren Urfunden befannt, wo die
Schenkungen Pippins mit denen Anderer, namentlich Karkmann’s, °)
zufammengenannt, die einzelnen Theile daher von einander nicht unter
ſchieden werden. Beſonders hervorzuheben ift die Schenkung von Zehnten
-- in einer Urkunde Arnulf’8 vom 1. December 889 näher bezeichnet
als der zehnte Theil des Tributes aus 17 oſtfränkiſchen Gauen und
als ein Kirhenzehnt von 25 königlichen Villen —, 10) fowie die Ueber-
weifung eines Antheil® am Heerbann, d. h. an den wegen verſäumter
Dienftpflicht einlaufenden Strafgeldern der Gaufente.*) Schr wahr-
ſcheinlich Hat die Kirche auch die Immunität fehon von Pippin er
halten. 12)
13. Ueber Wilicarius und fein Kloſter ift bereit8 oben Näheres
gefagt worden. 18) Seine frühere Stellung als Erzbifhof von Vienne
erffärt e8, daß er auch als Abt den biſchöflichen Titel beibehielt.
14. Einiges Nähere über Folerieus werden wir unten anzuführen
Gelegenheit haben. 14)
15. Zoleuin, der Geſchichtsſchreiber des Kloſters Lobbes, rühmt
Theodulf wegen feines Eifer in der Leitung des Stifte, fowie wegen
’) Sickel P. 7; oben ©. 65. N. 8.
) ©. die oben &. 858. N. 4 angeführte Stelle aus Wandelberti miracula
8. Goaris, fowie die Inſchrift bei Rettberg I. ©. 819. N. 41.
®) Ego Mangaudus episcopus subseripsi; oben S. 316 (N. 2).
+) Dronke, Cod. dipl. Fuld. n° 24. p. 15,
®) Jaffe Bibl. III. ep. 128. 182. 135.
®) Daſ. p. 429. 481.
) ©. oben ©. 368. N. 4.
®) gl. Sickel K. 210*.
) Des Hausmaiers, wie Rettberg meint (IT. ©. 322); nad) Sickel (Acta
II. p. 462), des Königs.
) Sickel, Acta deperd. p. 385 (n° 5); Rettberg, II. &. 321. N. 2 (M° 7).
11) Sickel L. 189.
’9) Kettberg’8 Folgerung aus Sickel L. 188 (IT. ©. 821. N. 2. N 1).
") ©. 9. 106. 126.
') ©. Exeurs I. 5 8.
368 Capitel XXVI. 762.
feiner Fürforge ftir das materielle Gedeihen desfelben; Theodulf lebte
bis in das zehnte Jahr der Regierung Karl’s. )
16. Ein Bifhof Hiddo unterzeichnete das Privilegium Eddo's
für Schwarzadg.?) Wir gedenfen am beften bier des Immunitäte-
diploms, weldes, Taut einer Beftätigungsurfunde Karl's des Großen,
das Kofter ©. Marcel bei Chälon fur Sadne von Pippin erhalten
hat. °)
17. Auch Yppolitus gehört zu den nachträglich hinzugefommenen
Unterzeichnern des vorermähnten Privilegiums für Schwarzad.*)
18. Aus zwei Diplomen Ludwig's des Frommen erfahren wir,
daß Pippin dem Kloſter Hornbad) mannigfahe Vergünftigungen hat
zukommen laffen, indem er die Befigungen desfelben von allen Ab»
gaben, feinen Handel von allen Zöllen im Reiche befreite, alle Friedens—
gelder, Steuern und Zinszahlungen, welche bie freien Bewohner der
Kloſtergüter dem Fiscus zu entrichten hatten, den Mönchen überließ.?)
Der Abt Jacob ſcheint identifh mit dem gleichnamigen Biſchof von
Touf,*) obwohl dies in den Quellen nicht ausgefprochen iſt; ) man
hat daher auf Grund unferer Bundesurkunde gewiß vichtig vermuthet,
daß er in der fpäteren Zeit feines Lebens dem Bisthum entfagt und
fi) auf die Abtei beſchränkt habe.) Dadnrch würde ſich bei ihm,
wie oben bei Wilicarius, die Beibehaltung des biſchöflichen Titels er-
Hören. Die Urkunden für Gorze vom Yahre 757 unterzeichnete er
als Bifchof, während der Name des Abtes Jacob ſich unter dem
Privilegium Eddo's für Schwarzah an letzter Stelle, aljo als die
fpätejte von alfen nachträglichen Unterfehriften findet.°) -
1) Foleuini Geste abb. Lobiensium c. 8, Pertz SS. IV. p. 52: partim
sub Pippino prineipe, post facto rege, novem vero annis sub Carolo rege,
post vero imperatore; regens illud non segniter et augmentans non me-
dioeriter.
) Migne Patr. lat. LXXXVIIL col. 18317—1818: In Dei nomen Hiddo
peccator, vocatus episcopus, subscripsi. In der Gallia christ. IV. col. 859
wird bemerft: in omnibus catalogis tum recentioribus tum antiquis omittitur.
%) Sickel K. 70, Acts deperd. p. 873.
“) In Dei nomen Yppolitus peccator abba subseripsi.
®) Sickel L. 15. 16, Acta dep. p. 372.
®) Bal. Gallia christ. XIII. col. 966, Xettberg I. ©. 516. 518.
?) Bgl. 3. B. Gesta epp. Tullensium (Pertz SS. T. YIIL) c. 23, wo viel»
mehr erzählt wird, der Biſchoͤf Jacob habe von Pippin die in den Vogeſen gelegene
Abtei S. Deodat erhalten, diefelbe, welche Karl im Januar 769 an ©. Denys
übertrug, sicut eum [monasteriolum] domnus et genitor noster Pippinus in
sun —8 tenuisse comprobatum est (Sickel K. 1; ugl. Waiy BG. IV.
©. 131).
) Rettberg I. ©. 518; Biſchof, Godo jedoch, der gleichfalls noch während
der Königsgeit Pippins das Bistum Toul inne hatte (qui immunitatem civitatis
et recuperationem chartarum igne consumtarum apud regem Pippinum suae
adquisivit aecelesiae; chron. Hugonis Flav. c. 1, Pertz SS. VIII. p. 341),
war den Gesta epp. Tullensium c. 21—23 zufolge nicht Nachfolger, ſondern
ein Vorgänger Jacobs. ”
®) Jacob vocatus abba.
—
Der Todtenbund von Attigny. 369
19. Es ift derfelbe Gauziolenus, den wir als Gautlenus unter
dem Diplom für Prüm gefunden haben.!) Diefe zweimafige Namens-
unterfchrift des Bifchofs widerlegt mehr als die ſchwachbeglaubigte
Münzverleifung .Pippins ?) jenes Geſchichtchen von einer fürmlichen
Waffenfeindfchaft zwilchen dem Biſchof und dem Könige, weldes zur
Zeit Ludwigs des Frommen erfunden worden fein mag, um ben nicht
zu befeitigenden Schugbrief Pippins für S. Calais ®) unwirkſam zu
machen. Diefer Erzählung zufolge) verfchloß Gauziolen im Verein
mit feinem Bruder Harivins dem einft vom Kriege heimkehrenden
Könige die Thore von Le Mans; und als Pippin mit feiner Mann-
ſchaft fi vor der Stadt Iagerte, wurde fein Mundfchent ifm zur
Seite getödtet, andere Leute verwundet, ja, der König mußte fich
ſchließlich zum Abzug bequemen und ſich mit der Vermüftung der
Landichaft begnügen. Aus Haß gegen den Bifchof fprad er Hierauf
die Mönde von ©. Calais, als er auf dem Rückzuge durch das
Kloſter kam, von aller Pflicht gegen denfelben frei und ftellte hier—
über dem Abte Siebald, welcher nicht zurüdzubleiben wagte und Pippin
deshalb nach Francien begleitete, 5) einen Mundbrief aus. Erft fpäter
erfannte er fein Unrecht, aus Häß gegen den Biſchof dem Bistyum
folgen Nachtheil zugefügt zu Haben, und verpflichtete feinen Sohn
Karl durch einen Eid, das Klofter dem Bisthum wieder zurüczugeben.
Unter Bischof Franco entledigte ſich diefer des väterlichen Auftrags.
Um allem Zweifel an der Glaubwürdigkeit feines Berichtes zuvor
zufommen, verfichert der Erzähler: „Diele leben noch, welche Karl
erzähfen hörten, wie fein Water Pippin ihm diefen Auftrag ans Herz
gelegt; und als er dem Franco das Mlofter übergab, lebten Viele,
welde Pippin ſelbſt jenen Befehl an Karl Hatten ertheilen hören.
Biſchof Aldricus aber (der den Gegenftand vor Kaifer Ludwig brachte)
hat den Sachverhalt bei wahrheitsgetreuen Männern erforfcht und ihn
durch zuverläffige Zeugen beglaubigt.“ Eine fo complicirte Betheurung
der Wahrheit jedod muß grade die entgegengefete Wirkung haben;
die ftärfjte Widerlegung liegt in der 760 erfolgten Erneuerung ded
Immunitätsdiploms vom Jahre 752.°) Man hat daher mit Unrecht
jenes Märden und felbft den weiteren Zufag, daß Gauziolen auf
Befehl Pippins geblendet worden fei,”?) nod in neuefter Zeit ber
Berükfichtigung werth gefunden und zur Begründung einer angeb-
lichen Einziehung des Kirchengutes durch Pippin benugt.®)
1) Oben ©. 28; vgl. aud Roth, Feudalität S. 87.
3) Sickel L. 845.
®) Sickel P. 3, f. oben S. 14—17.
2 Ges Aldrici ep. Cenomannensis, Baluze Miscellaneorum lib. III.
p. 15-11
5) P. 8 war, wie wir oben S. 15 erwähnt haben, im Herftal ausgeſtellt,
woranf Bier hingedeutet ifl.
°) Sickel hä 18, oben ©. 342—343.
7 Acta epp. Cenomannensium c. 17, Mabillon Analecta p. 819 sq. B
) Roth, BB. ©. 351, Feubalität S. 88. Danach foll die Beraubung und
Dahrb. d. diſch. Geih. Delsner, König Pippin. 24
370 Eapitel XXVI. 762.
20. Ueber Zohannes von Conftanz ift anderwärts das Nähere
zu finden.)
21. In England um das Jahr 700 geboren, unternahm Willi:
bald in feiner Jugend eine Pilgerfahrt nach Nom, von dort aus eine
Neife nach Jeruſalem. Nach feiner Rückkehr brachte er 10 Jahre im
Kloſter Meontecafino zu; erft dann gelangte er auf Veranlaſſung des
Bonifaz nad Deutfchland, woſelbſt auch fein Bruder Wunnibald als
Abt von Heidenheim und feine Schweiter Walpurga das Werk bes
Meifters förderten.?) Nur er und Burchard werden vom Prieſter
Wilkbald als die von Bonifaz im Jahre 741 eingefegten fränkifchen
Biſchöfe genannt;®) ihm war Eichftäbt übertragen, und wenn er jich
in unferer Urkunde Biſchof des Klofters Eichftädt nennt, fo ftimmt
dies zu der Nachricht feiner Biographin, daß er in jenem Orte ein
Kolſter errichtet und hier nach dem Mufter von Montecafino die heilige
Disciplin des Mönchslebens an fich felbft gebt Habe.*) Zu wieder-
holten Malen finden wir ihn in der Umgebung des Bonifaz.5) Er
ftarb im Jahre 781.)
22. In ber Reihenfolge der 44 Unterfehriften unferer Urkunde
fäßt fid Hin und wieder ein innerer Zufammenhang erfennen, fo z. B.,
wenn die Häupter benachbarter Didcefen, zwei Bifchöfe der Normandie,
drei Bifchöfe von Isle de France nebeneinander ftehen, oder wenn
der Abt von Lobbes unmittelbar nad) jeinem Didcefan, dem Bifchof
von Lüttich, folgt. Auch zwifchen Willibald und Madalveus mögen
nähere Beziehungen beftanden haben; jind fie Beide doch vor den
Uebrigen durch ihre Reife nach Zerufalem ausgezeichnet. Madalveus
unternahm biefelbe erft ala Biſchof und im Intereſſe feines Bisthums,
welches er im Jahre 753 in einem fehr traurigen Zuſtande über-
nommen hatte.) Um feiner Kirche aufzuhelfen, reifte er durch Gallien,
Blendung Gauziolen's im Anfange der BOer Jahre erfolgt fein, und doch wird
Beubaticät ©. 87 erwähnt, daß der Biſchof fi 762 im der Umgebung Pippins
efunden und das Diplom für Prüm umterzeichnet hat.
1) &. oben ©. 334 ff.
3) Vita S. Willibaldi auct. sanctimoniali, Mabillon Acta SS. III. 2.
p. 365—383; Othloni Vita S. Bonifacii, Jaff6 Bibl. III. p. 490. Bol. Rett-
berg II. &. 350 fe; über die Reife nad) Serufalem 1. Hahn, Die Reife bes
beil. Willibald nad Paläftina (Jahresbericht der Louiſenſtädtiſchen Realſchule,
Berlin 1856).
®) Jaffe Bibl. IIL p.
*) Vita S. Wilibaldi "an. p- 882: in loco qui dieitur Eistet mona-
sterium construere incipiebat atque ibidem sacram monasterialis vitae di-
seiplinam ..... in semetipso ostendendo exercebat.
°) Im Sabre 742: Pertz LL. I. 7 26, Jaff& Bibl. III. p. 197; um 745:
daf. ep. 59. p. 168; 758: Sickel P. 7.
%) Bol. David Bor bei Bethmann, "Gundechari liber pontif. Eichstetensis,
Pertz SS. VII. p. 243
?) Ann. 8. Benigni Divionensis 753, Pertz 8S. V. p. 37, wo ber Name
des Biſchofs aus Madelveus in Dadelucns verderbt iſt; " hronicon Hugonis,
Pertz SS. VIII p. 840: anno igitur inc. humanati verbi 758 suscepit prae-
sulatum Virdunensis ecclesiae domnus Madelveus.
Der Todtenbund von Attigny. 371
Italien und Griechenland nad Paläftina, wo er in Joppe Iandete und
von dem Patriarchen Jeruſalems die Reliquien vieler Heiligen nebſt
einem Kryſtallbecher von wunderbarer Arbeit erhielt.) Wie die Neli-
quien zur Mehrung der Kircheneinkünfte beitragen follten, fo begab er
fich aud) an den Königlichen Hof, um für feine Stadt, die ihm zugleich
Vaterſtadt war,?) die Unterftügung Pippins in Anſpruch zu nehmen; und
dieſer beſchenkte ihm reichlich, indem er zugleich den durch die Gaben
anderer Frommen erworbenen Befig urkundlich ſicherte.) Auch Madal-
veus ftarb erft in den Tagen Karla des Großen.t)
23. Statt Harifeus findet er ſich auch Herväus genannt.d) - In
der Gorzer Urkunde vom Jahre 757 ift feine Unterſchrift gleichfalls
anzutreffen, wenn wir ftatt Herineus Heriveus Iefen dürfen.) Sehr
unficher drückt ſich über ihn der franzöfifche Bearbeiter ber Bisthums-
geſchichte aus; ) allen Zeitberechnungen der Gelehrten fteht unfere
Urkunde als echtes und unumftößliches Document gegenüber. Hier
handelt es ſich nicht um Conjectur gegen Conjectur.
25. Als Vorgänger des Eufebius fungirt im Jahre 748 Aethe—
rius;®) er felbft darf wohl fchon in dem Unterzeichner der Gorzer Ur-
kunde Menfebius erkannt werden.*) Sein Amtsantritt aber würde frühe
ftens in das unmittelbar vorhergehende Jahr 756 zu fegen fein, wenn der
in diefem Jahr verftorbene Wicterb wirklich Biſchof von Tours war, 10)
alſo noch zwifchen Aetherius und Eufebius einzureihen ift. Ueber den
Amtsbezirk diefes Mannes jedoch beftehen fehr verſchiedene Meinungen. -
Er war Baier von Geburt und zwar aus der herzoglichen Familie der
Agiloffinger, alfo ein Verwandter Taſſilo's. Noch im höchſten Greifen-
alter, einer annaliftifchen Ueberlieferung zufolge als ein Achtziger,
feiner eigenen Meinung nad als ein Neunziger, konnte er leſen und
ſchreiben; !!) jenes Werk, welches er unferer oben ausgefprochenen Ver⸗
fr} Gesta epp. Virdunensium auctore Bertario c. 12, Pertz SS. IV.
P. 8
5 Chron. Hugonis 1. c.: Hic in eadem urbe christianis et inclitis paren-
tibus est editus.
%) Chr. Hugonis p. 342; vgl. Sickel, Acta deperd. p. 885.
+) Bertarius 1. c.: Fuit tempore Pipini regis usque ad tempus Karoli
Magni; eine Precaria Madalveo episcopo Virdunensi oblata anno IH. re-
gnante Karlomanno rege: Baluze, Capitularia regum Francorum II. col. 824.
®) Gallia christ. XV. col. 19.
) ©. oben ©. 816 (N. 1).
?) Gallia christ. 1. c.: Eum a. 765 actis Attiniacensis coneilii subseri-
psisse quidam referunt (!), quod chronologicum ordinem ab aliis propositum
prorsus everteret ... . Sed in eo monumentorum silentio conjecturis
quae fides?
ur Bibl. II. ep. 67. p. 193: Aethereus Toroanensis episcopus.
©. oben ©. 316 (N. 4).
29) Dies if u. A. die Anfiht von Per, SS. IL. B 214. n. 1, und von
Siefebredit, Männer Jahrbuch für 1865 ©. 200. N.
') Ann. Petav. (cod. Masciacensis) 756, Pertz s "II. p: 170: anno
v —8 Pipino rege obiit Wiceterbus episcopus et abba sancti Martini.
Fuit autem Baugoarius, genere Heilolvingus; senex et plus quam octogenarius
372 , Eapitel XXVL 762.
muthung nad) dem jugendlichen Taſſilo widmete, ) fehrieb er 754,
zwei Jahre vor feinem Zode.2) Daß die Handfhrift nun im S. Em-
merandklofter zu Regensburg gefunden wurde — was fehr erflärlich
ift, wenn der Empfänger in Baiern lebte —, hat, wie e8 feheint, die
Aufnahme des Verfaffers in den Regensburger Biſchofslatalog bewirkt,
am defjen Spige ihn denn auch mander neuere Forſcher ftellt.) Daß
die vorerwähnte annaliftifche Notiz jedoch aus Maffay, einem Kloſter
bei Bourges, ftammt, fpricht entfchieden für Tours; und obgleich
Wieterb vorher dem Martinsftifte zu Coln vorgeftanden zu haben
fcheint,“) fo Taffen die Worte der Annalen doc faum eine andere
Deutung zu, als daß er fehließlich in Tours zugleich Biſchof und Abt
des dortigen Martinsftiftes geweſen.“) Als er 756 ftarb, wurden die
Würden getheilt, indem Euſebius das Bisthum, Vulfard die Abtei
übernahm. Schon 769 aber finden wir unter den Mitgliedern der
Lateranfynode Stephans III. Gavienus ale Biſchof von Tours, °)
während Vulfard, der unter Pippin in die italienifhen und aquita—
niſchen Angelegenheiten eingreift, ), noch von Karl dem Großen die
Zolffreiheit für fein Kloſter erhält.®)
26. Der Name des Ortes lautet in feltfam corrumpirter und
noch nicht genügend erflärter Weife Coeradiddo;°) daß er indefjen auf
Chur zu deuten, ift außer Frage. Wir haben Tello's ſchon bei Be-
fprehung der S. Gallischen Irrungen gedacht; 10) damals intervenirte
- er bei Bifhof Sidonius vergeblich zu Gunften des Kloſters. Er hatte
unter den Brüdern bes Stiftes einige Verwandte, *!) auch war Abt
Dtmar in feiner Jugend am Hofe des Grafen Victor von Chur,
des Vaters von Tello, erzogen worden. 1%) Tello gehörte nämlich jener
vornehmen Familie an, welche fehon feit lange ſowohl die geiftliche
als auch die weltliche oder Praejes-Gewalt Raetiens in Händen Hatte.
usque ad id tempus licebat [corr. legebat] et propria manu scribens libros.
— Aventini annales Bojorum (1554) lib. III p. 280: Scripsi ego ipse Vhic-
$erbus quamguam peccalor episcopns, Jam senes, Pulo nonagenarius aut
supra, dolentibus membris et caliginantibus oculis.
!) ©. oben ©. 297. N. 8.
. ?) Aventini annales 1. c. p. 281: Tertio anno regnante Pipino filio
Carli, rege Francorum, in mense Junio, in diebus decem scripsi hunc libel-
lum, hoc est anno 754 a nativitate Christi, septima indictione.
®) &o Rettberg I. ©. 269.
+) Chron. 8. Martini Coloniensis, Pertz SS. II. p.
®) Auch Wattenbach, Geihictsquellen (1866) ©. 1d7. 2. Vn, entſcheidet fich
dafür, daß er Abt zu Tours war.
%) Mansi XII. col. 715.
©. oben ©. 319, unten Cap. XXVII.
9 Bol. Sickel L. 98. 305; in K. 90, April 782, erſcheint fein Nachfolger
Itherius.
®) Mabillon, Annales II. p. 207, meint: forte Diddo alterius episcopi
nomen est; eutberg, II. 6.188. 0.27, erklärt: „Coeradiddo d. 5. Curiae dietae“.
S. oben ©. 336.
11) Vita S. Galli lib. II c. 18, Pertz SS. II. p. 25.
”») Vita $. Othmari c. 1, baf. p. 41.
Der Todtenbund von Attigug. 373
Wie fein Vorgänger im Bisthum, Vigilius, ein Bruder feines Vaters
Victor geweſen war, fo ftanden ihm felbft wiederum vier Gejchwifter
weltlichen Standes, drei Brüder und eine Schwefter, mit Neffen und
Nichten zur Seite. Wir erfahren diefe Verwandtſchaftsverhältniſſe aus
dem Teſtament Tello's vom 15. December 765 ,%) durch mweldes er
feinen gefammten Antheil am väterlichen Erbe,?) ein ausgedehntes
Beſitzthum, dem Kloſter Difentis, insbefondere drei dafelbft erbauten
Kirchen, der Marien-, der Martins und der Petersficche,°) für den
Fall feines Todes zum Eigenthum beftimmt. Schon fein Bater hatte
ihm ſolche Verwendung feines Erbtheils zur Pflicht gemacht,“) und
Tello fam ihr jegt bereitwillig nad, um dadurch für fih und alle
feine, Eingangs der Urkunde verzeichneten, Verwandten die Sünden-
vergebung zu erlangen. — Die Stiftung Difentis befigt unter ihren
Acten auch eine Beftätigungsurfunde Pippins für ihren durch Schen-
fungen eines Grafen Wido erworbenen Beſitz;“) das Actenſtück ift
jedoch unecht.®)
27. Noch im Jahre 757 hatte ber Vorgänger des Mauriolus,
Sadrius, den bifchöflichen Stuhl inne.?) Er felbft überlebte Pippin.?) —
Die Kathedrale von Angers, die Kirche des heil. Mauritius, erhielt
von Pippin, einer fpäteren Beſtätigung zufolge, die Hälfte der Zoll
einnahmen von Angers und anderen Märkten ;) ebenfo wurde das in der
Nähe der Stadt gelegene Kloſter des heil. Albinus, S. Aubin d’Angers,
von Pippin, wie ſchon von feinen Vorgängern, in einer nicht mehr
vorhandenen Urkunde mit Gütern beſchenkt. 1)
28, Fulrad von ©. Denys; c. 750—784.
29. Es war von Lantfrid umd feinem Kloſter bereits die Rede,
als wir von der Translation des Heil. Germanus erzählten. 1) Schon
unter Karl Martell befleidete er fein Amt, und als er in deſſen Auf-
BE Mohr, Cod. dipl. ad hist. Raeticam I. p. 10. n° 9; Migne Patr. lat.
XCV. col. 1866-1561: Anno XV. sub regno domni nostri 'ippini regis,
quod est 18. kal. Januarias . . acta Curia in civitate publica.
®) Migne 1. c. col. 1566-1556: terra vel hereditas patris mei Victoris
vel illustris praesidis, quaecumque acquisivit per singula strumenta de quo-
cumque ingenio conquisita ac mihi Dominus per suam largitatem dare di-
gnatus est.
®) Daj. col. 1560: ad ipsum monasterium S. Mariae seu 8. Martini
sive S. Petri, quod nuncupatur Desertina; vgl. col. 1555: tres ecclesiae
8. Marise .... seu 8. M. seu 8. P., quas in hoc loco constructas esse
‚scimus, seu ceterorum sanctorum, quorum nomina in hoc loco constructa sunt.
*) Daſ. col. 1560: patris mei Braccepta, mea desideria curavi adim-
plere; furz vorher: genitoris mei, quod ipse praecepit, ut ita fieret, mandatum.
%) Mohr I. c. p. 177. n° 129 not.
9 Sickel, spuria p.
) Derſelbe ante —52 Urkunde für Gorze, oben S. 816 (N. 6);
gl. Gallia Christ.
PER die ibm — te Karls vom März 770, Sickel K. 6.
®) Sickel, Acta deperd. p. 87:
”) Sickel K. 4, Acta dep. p. "eo.
1) ©. oben En. XV, ©. Bu ff.
374 Capitel XXVI. 782.
trag eine Gefandtfchaftsreife nach Aquitanien machte, wurde er dafelbft
bis in die Regierungszeit Pippins gefangen gehalten.!) Auch er über
lebte Pippin?) und ift daher nächſt Eddo von Straßburg, fo viel wir
fehen fünnen, der einzige unter den Hier genannten Prälaten, der aus
den Tagen Karl Martells bis in die feines Enfels Karl hinüberreicht.
Dennoch unterzeichnete er die Bundesurkunde erft nach Fulrad, wie
auch in der Biſchofsreihe Eddo auf Chrodegang folgt.
31. Droctegang ift wegen feiner zweimaligen Geſandtſchaftsreiſe
nad Italien auch fonft von uns genannt.®) — Seinem Kloſter er-
theilte Pippin Zollfreiheit.“)
32. Wie oben die drei benachbarten Klöſter S. Denys, ©. Ger-
main und ©. Cloud, und wie gleich nachher die Klöfter ©. Riquier
und Corbie zufammen ftehen, fo Hier Jumidges und ©. Wandrille.
Es ift ſchon bei Remedius von Rouen erzählt worden, daß nad) Ab-
fegung des Neginfrid Wando das Kloſter des Heil. Wandregifilus
übernahm, dem er bereit8 in den erften Zeiten Karl Martelis „einmal
drei Jahre lang vorgeftanden hatte.?) Wegen politifcher Parteinahme
von diefem nad Utrecht verbannt, hatte er daſelbſt in dem Kloſter
des Heil. Servatius gelebt, bis ihm nad einem nahezu Zöjährigen
Exil von Pippin die Rücklehr geftattet wurde, Nur wenige Jahre
jedoch leitete er auch zum zweiten Male das Kloſter; fein Werk war
die Erbauung einer Kirche des Heil. Servatins an der Südſeite der
©. Peterstirche, außerdem wird ihm eine bedeutende Vermehrung ber
Kloſterbibliothek nachgeruhmt. Nach längerer: Krankheit erblindete er
endlich; daher fette Pippin, damals noch Hausmaier, auf Wando's
und feiner Mönde Antrag den Auftrulph ein, der bis dahin Propft
des Kloſters gewefen war.°) Das diefem Abt ertheilte Diplom Pippins
ift ſchon früher von uns erörtert, dabei zugleich erwähnt worden, daß
Auftrulph nach etwa fechsjähriger Amtszeit im Jahre 752 nah Rom
wallfahrtete und auf dem Rückwege in ©. Maurice ftarb.?) Der blinde
Wando überlebte ihn um 4 Jahre: mit großer Charafterftärke trug
er die Leiden feines Alters; ein ſchöner Zug wird noch aus feinen
legten Tagen erzählt. Während einer Feuersbrunft im Kloſter nämlich
befand er ſich in der an die Brandftätte ftoßenden Kirche des heil.
Servatins und Tieß ſich nicht bewegen, fie zu verlaffen; er wollte,
wenn ber Heilige feine Kirche nicht zu fehügen vermöge, mit dem
) Translatio 8. Germani, Mabillon Acta SS. III. 2. p. 94—95. Bgl.
Habn, Iahrbüger S. 21. 23; Breufig, Karl Martel ©. T6-M.
( Bi ? Bickel E. 1 som Di mi — ia —X Ze
saec. ’ertz p. melden daher unrii yon zum se
Obiit Lanfredus abba. u ”
®) ©. oben ©. 128, unten Cap. XXVII; Cod. Carol. ep. 4. 5. p. 82. 88,
ep. 26. I 108. 106.
de L. 38, Acta dep. p. 869.
Gesta abb. —E c 5 Pertz 88. II. p. 277.
% Daf. c. 12. p. 286.
') ©. oben S. 33—2.
KT.
Der Tobtenbund von Attigny. 375
Gebäude, das er errichtet, zugleich in den Flammen untergehen. Nadj-
dem er ber Feuersgefahr glücklich entkommen war, ftarb er noch in
demfelben Jahre 756.1) — Auf Auftrulph aber war 753 der Laie
Wido gefolgt, daher Widolaicus oder, wie in unferer Urkunde, With-
lecus genannt, einft Schatmeifter des Abtes Teutfind.?) Die Kloſter⸗
chronik erzäßlt, daß er durch reiche Geldfpenden am königlichen Hofe
die Stellung erlangt und als Abt das Kloftergut verjchleudert Habe;
fie verſchweigt indeſſen nicht, daß er auch fhrifttundig war; fie rühmt
die Schönheit der nad) dem Brande des Jahres 756 von ihm neu⸗
erbauten Petersficche; fie erwähnt, daß er mit Remedius von Rouen
in freundſchaftlichen Beziehungen ftand. Zu feiner Zeit befuchte Pippin
das Kloſter, um am Grabe des heil. Wandregifilus feine Andacht zu
verrichten; eine nicht näher bezeichnete Bitte jedoch, welche die Mönche
damals an ihn richteten, ließ er unerfüllt.?) Wido ftarb im Jahre 787. +)
33. Abt Widmar ift ohne Zweifel derfelbe, welcher im Anfange
des Jahres als Gefandter Pippins nach Stalien gegangen war.?)
34. Das dem Kloſter Corbie ertheilte Immunitätsdiplom ift
von uns bereits befprochen worden; der Name des Abtes lautet darin
Leodegarius,)
35. Manafje's Vorgänger, Gayroinus, ftarb auf dem erften
Feldzuge Pippins nah Ztalien,”) kann daher mit dem Abte gleichen
Namens in Eddo's Urkunde nicht identisch fein, da deſſen Unterfchrift
erft auf die des Biſchofs Nemedius folgt. Im Jahre 755 wurde
Manaſſe von Pippin eingejegt;®) er ftarb 787.°)
36. Ueber das Kloſter Novalefe ift ſchon oben Einiges gefagt
worden; Pippin beftäfigte das Privilegium und die Immunität des
Kloſters, feine Urkunden find jedod verloren und nur aus denen
feiner Söhne bekannt.) - Die Diplome Karlmanns aus den Yahren
’) Gesta c. 18. p. 286. 288.
%) Daf. c. 15. p. 290.
*) Da. p. 291. Der Ehronift fogt: illam inanem postulationem fratres
nostri eidem suggesserunt, quae omnibus est notissima. Daß die Vorftellung
fich jedoch auf Geihverfättife bezog, ift aus dem darauf folgenden Worten er»
fihtlih: Quanquam ipse praedium quoddam eis largiri dispositum haberet.
“) Gesta c. 15. p. 290.
) ©. oben ©. 355. N. 3; Cod. Carol, ep. 34. p. 119.
°) Sickel P. 33; oben ©. 28.
) Hugonis chron., Pertz SS. VIN. p. 351: Anno ab inc, Dom. 755.
ind. 8. post Gayroinum episcopum, qui in expeditione imperatoris obiit,
domnus Manassus ordinatur abbas in Flaviniaco dono imperatoris Pippini ;
ähnlich p- 340. Bol. oben ©. 194. N. 6.
®) Ann. Flaviniacenses 755, Pertz SS. III. p. 150: Manases ordinatur
abba; ebenjo Hugo (j. die vorfiehende Note): a. 765. ind. 8; fehlerhaft ift daher
die Angabe der Series .abb. Flav., Pertz SS. VIIL p. 502: Gayroinus epi-
scopus . .. in expeditione imperatoris obiit 2. Non. Julii 755. ind. 13.
” Chron. Hugonis 1. c.: obiit a. 787.
”) ©. oben S. 198: Sickel C. 11, K. 72.
376 Capitel XXVI. 762.
769 und 770 erfolgten noch auf Bitten des Abtes Afinarius;!) ſchon
773 jedoch begegnet fein Nachfolger Frodoenus.?)
38. Das berühmte Petersflofter zu Wefjobrunn ift von Zaffilo
gegründet worden.) Nur ein unbeglaubigter Bericht bezeichnet einen
Hung als erften Abt.t) Im der Urkunde für Gorze vom Jahre
757 ift Abt Rabigaudus wohl fein Anderer als Fabigaudus;*) der=
felbe würde ſonach zu jenen Begleitern Taſſilo's gehört haben, welche
mit ihrem Herzog in Compiögne den Huldigungseid leiſteten.
41. Ob in Widradus vielleicht jener Wichadus zu erfennen iſt,
der von Pippin einmal nach Italien gefchiet wurde?*)
. 42. Bon der Gründung des Kloſters Nieder-Altaich durch Odilo
ift oben in dem Notizen über Eddo geſprochen. Im 6. Jahre Taſſilo's
erhielt Eborfind (oder, wie er in dem Berichte Heißt, Fr eine
Schenkung für das Kioſter.) — An diefer Stelle ſei auch des Privi-
legiums gedacht, welches einem anderen baierifchen Klofter, Tegernfee,
von Seiten Pippins zu Theil gemorden;®) ebenfo der Schenkungen
des Königs an das damals alamannifhe Bistum Augsburg, welches
zu jener Zeit unter Biſchof Wicterp ftand.?)
43. Die Lage des Ortes ift ſchon oben angegeben. Ein benach⸗
bartes Kloſter, Montierender (Dep. Haute-Marne, Art. Baffy), zu Ehren
der heil. Petrus und Paulus im Dervenfifchen Walde errichtet, erhielt
don Pippin ein Immunitätsdiplom. 10)
1) Sickel C. 5. 11.
Sickel K. 21.
®) Codex tradit. Wessofontan. n° 1, Monumenta Boica VII. 837:
Notum sit omnibus Christi fidelibus, quod Tazzilo rex Bauwariorum ‘radidit
villam Risbach ... ad Wezzinbrunen ad altare 8. Petri ... fratribus ibidem
Deo et s. Petro servientibus: qui rex primitus Congregationem Wezzinbru-
nensem cum prediis suis in Augustensi regione sitis Deo et s. Petro apostolo
constituit.
*) Mon. Boica m p. 372; vgl. Rettberg IT. ©. 167.
S. oben ©. 3;
% ©. oben ©. 388: Cod. Carol. ep. 2 5.
?) Catalogus abb. Altahensium, EM SS. XVIL p. 366.
> Sickel, Acta deperd. p. 884.
Bil. Keitberg IL ©. 151; Sickel, Acta deperd. p. 362.
Sickel L. 50, Acta deperd. p. 865.
Siebenundzwanzigfies Gapitel.
Gründung des Kloſters Lorſch. Der vierte aquitaniſche
Zug. Der Abfall Tafjilo’s.
763 — 764.
Im Yahre 763 tritt wiederum eine firchengefchichtliche Begeben⸗
heit, und zwar eine ſolche, an welcher Bifchof Chrodegang von Met
abermals einen hervorragenden Antheil hat, in den Vordergrund ber
Erzählung: «8 ift die Gründung der berühmten Abtei Lorſch bei
Worms.!) Williswinda, die Wittwe des Grafen Rupert, vermuthlich
desfelben, der in ben italienischen Greigniffen eine Rolle geipielt,?)
hatte im Verein mit ihrem Sohne Cancor, einem Grafen des Rhein
gaues, den Entſchluß gefaßt, an der Weſchnitz, einem rechten Neben-
fluffe des Rheins, ein Kloſter zu errichten. Sie wählte die Stelle, wo
diefer Fluß durch die Aufnahme eines ihm lange Zeit parallel laufenden
Zufluffes, des jest fogenannten Landgrabens, eine Landipige bildet,
welche in unferer Weberlieferung ungenau als Snfel_ bezeichnet wird.
Hier erbauten fie zu Ehren des Heil. Petrus eine Kirche, hier follte
ihrem Wunſche gemäß Erzbifchof Chrodegang von Meg eine Genoffen-
ſchaft von Mönden gründen und leiten. Er war ihr Verwandter?)
und hatte überdieß ſchon einmal, im Jahre 761, einem rechtsrheinifchen
Großen, dem Grafen Rudhart, dem Stifter der Schwarzwalbflöfter
*) Ws Quelle dienen hier hauptſächlich die ben Codex diplomaticus Laures-
hamensis eröffnenden geſchichtlichen Nachrichten aus dem Ende des 12. Jahr-
hunderts; f. Codex Lauresh. dipl. ed. Academia Theodoro-Palatina, Maun-
hemii 1768, 1. p. 2 2. :
2) S. oben ©. 285 (N. 7), 321. N. 8; Rettberg I. ©. 584.
®) Codex 1. c.: Rutgango .. . tradiderunt . . . quia minus id per se
poterant, tanquam consanguineo et tum in Dei rebus viro spectatissimo.
378 Capitel XXVII. 763—764.
Gengenbach und Schwarzach, einige Monche ſeines Kloſters Gorze
zur Verfügung geſtellt.) Er ging auch auf den Antrag, der ihm jetzt
gemacht wurde, bereitwillig ein, und eine Schaar feiner Mönche hatte
fih in den Klofterräumen zu Lorfch ohne Zweifel bereits niedergelaſſen,
als Williswinda und Cancor dem Stifte am 12. Juli des Jahres
763 den Beſitz der Villa Hagenheim übertrugen.?) Sie fügten diefer
Tradition noch andere hinzu;°) ebenfo befehenkte ein Bruber des Grafen,
Thurinchert, die neue Stiftung,*) und Heimerich, ein Sohn Cancors,
befräftigte die Urkunden mehrfach durch feine Unterſchrift.“) Daß
Chrodegang fürmlich als Abt fungirte, kann nicht zweifelhaft fein, da
es in einigen Documenten ausdrüdfich gefagt wird; °) wie lange er
jedoch die perfönliche Leitung des Kloſters in Händen behalten, läßt
ſich nicht deutlich erfennen.”) Wahrſcheinlich ſchon im Anfange des
3) Ann. Lauresh. und Mosellani 761: transmisit domnus Hrodegangus
suos monachos de Gorzia ad monasterio Hrodhardi.
Codex p. 8, n° 1: anno duodecimo regnante domino nostro Pipino
rege sub die quarto Idus Julii. Diefe Urkunde bietet den ficherften chrono⸗
logiſchen Anhaltspunkt für die Gründung von Lorſch und hat offenbar auch dem
Sanımler des Codex, p. 2, als Quelle gedient. Sein Zujag: ann. Dom. incarn.
764, darf uns daher nicht irre führen, da bderjelbe nur auf einer faljchen Aufe
Töfung des urkundfichen Datums beruft, das mit Beſtimmtheit auf 763 Binmeift.
Nicht unerwähnt bleibe Übrigens, daß aud) die ann. Lauresh. und Mosel. erft
zum Jahre 764 melden: Et Chancor vir inluster comis dedit domno Chrode-
gango archiepiscopo et suos monachos monasterio cui vocatur Laurisheim
in pago Rininse.
®) Cod. p. 2: ecelesiam in Scarra cum suis appendiciis, praedium suum
in Maguntia. Die Urkunde über Scarra j. Codex I. p. 529. n° 598; weitere
Schenkungen Cancors f. Cod. I. p. 23. n° 10, II. p. 197. n° 1890; an der
erſteren war auch feine Frau Angila betheiligt.
*) Cod.I. p. 284. n° 167; fein Name findet ſich auch unter Cod. I. p. 23. n° 10.
®) Cod. I. p. 3. ne 1, p. 28. n° 10, p. 284. n° 167.
°) Cod. I. p. 3. n° 1 (Quft 768): ubi pracest vir venerabilis Rudgangus
archiepiscopus et abbas; p. 324. n° 232 (April 765): ubi dominus Rufgangns
archiepiscopus praeesse videtur; p. 358. n° 281 (Juli 764): Rutgango -
episcopo et abbate.
?) Wir find Hier nämlich auf die Urkunden des Coder angewiejen, welche jo
viele Fehler und Widerfprüche enthalten, daß fieftrog ihrer enge feine ſichere
Entjheidung ermöglichen; die Herausgeber bitten wiederholt, all’ bie naevi nur
- dem oder, micht ihnen felbftl, noch aud dem Originalen zuzuſchreiben. Als
Probe mag dienen, daf einige Stücke vom elften, vom — and fünften, ja vom
exften Jahre der Regierung Pippins datirt find (1.9. 447. n° 430, IL. p. 53.n° 955,
p. 188.n° 1356, p. 273. n° 1696, III. p. 136. n° 3508), daß das Klofter ſchon vor
bem Jahre 765 wiederholt als die Ruheftätte des Heil. Nazarius bezeichnet wird
@. 8. L p. 858. ne 281); auffallend endlich muß es fein, daß fein einziges
Stüd der großen Sammlung das 17. Regierungsjahr Pippins zum Datum hat.
Wenn nad) I. p. 324. n° 232 Shrobegang nod am 20. April 765 als Abt er-
int, fo find damit unter Anderem I. p. 860. n° 284, p. 458. n° 448,
n° 482 in Widerfprudh, denen zufolge bereits in ber erften Hälfte des
im März 765 Gundelandus an ber Spitze des Kloſters fand. Wenn
April,
num diefer jogar ſhhon im März und April 764 wiederholentlich als Abt begegnet
dl. p. 438. n° 417, p. 509. n° 548, p. 510. n° 549), fo find wir wohl beredje
tigt, da8 vereinzelte Zeugniß der Urkunden n° 282 und 281 fallen zu laſſen und
die Abtszeit Chrodegangs auf die Dauer von Hödjftens einem Jahre zu beſchränken.
Gründung d. Kloſters Lori. Vierter aquitan. Zug. Taffilo's Abfall. 379
Jahres 764 ftellte er das Stift unter die Obhut feines Bruders
Gundeland, gab ihm 16 Mönche von Gorze, Männer reifen Alters
und Geiftes, an die Seite und zog fich ſelbſt in feine Didcefe zurüd.
Indem wir und nunmehr wieder zu den Kriegsereigniffen in
Aquitanien wenden, wird unfer Blick unerwarteterweife auch von- hier
aus im Jahre 763 nad Deutfchland Hingelenft.
Stellen wir zunächſt die vorhandenen Stinerarangaben zufammen.
Pippin beging das Weihnachtsfeft 762 ebenfo wie das darauf fol-
gende Ofterfeft (3. April 763) zu Gentillh bei Paris.!) Die übliche
Reichsverſammlung hielt er zu Worms ab,*) und Hier übertrug er
feinen Söhnen die Verwaltung einiger Grafſchaften — eine Vor—
bereitung für die dereinftige Herrfcherthätigfeit.*) Hier ertheilte er wohl
aud dem Biſchof Erembert die Beftätigung der Immunität fowie der
Zolleinnahmen von Worms, Ladenburg und Wimpfen, wie fie einft
von Dagobert der bifchöflihen Kirche zu Worms verliehen worden
waren.t) Am 3. Auguft gewährte er dem Kloſter Prüm, nachdem fchon
die Urkunde des Jahres 762 eine ähnliche Beſtimmuug enthalten Hatte,
ein, Immunitätsdiplom in aller Form, wobei auch des föniglichen
Mundiums wiederum nachdrücklich Erwähnung geſchah; *) wahrſcheinlich
zur ſelben Zeit erfolgte die Zollbefreiung und vollendete die Reihe
von Gunſtbezeigungen, welche Pippin feinem Familienſtifte zu Theil
werben Tieß.®)
Den größeren Lorjcher Annalen zufolge unternahm Pippin auch
in diefem Jahre einen Zug nad) Aquitanien, ”) und zwar von Nevers
aus bis nach Cahors, und über Limoges wicder zurüd. Alle anderen
Quellen ſchweigen davon; aber felbft die Nichtigkeit jener Nachricht
vorausgefeßt, füge in diefem Verwüſtungszuge doc fein bemerfens-
werther Fortſchritt des Krieges. Bon größerer Wichtigkeit dagegen war
!) Ann. Laur. maj. 762.
®) Ann. $. Amandi 763: Pippinus placitum habuit in Warmacia; bie
größeren Lorſcher Annalen verlegen den Wormjer Reichstag ins folgende Jahr.
®) Ann, Lauresh. 763: dedit rex P. aliquos comitatus filios suos; ebenfo
die ann. Mosellani 763 (aliquos comptadus); bie ann. Petav. dagegen faffen die
Berichte der ann. S. Amandi und Lauresh. zufammen. Cine ähnüche Verleihung
mehrerer Grafidaften an Gripho (12 comitatus, more ducum) war im Jahre
748 erfolgt; |. oben ©. 78. (R. 1. 2).
+) Das Immunitätsdiplom, Sickel P. 35, ohne Ausftelfungsort und Datum,
iR von Sigel jet edirt in den Forſchungen zur deutſchen Geſchichte, IX. &. 406
bis 407; jchon früher bemugt von Arnold, etaffumgegeihiche der deutſchen
Freiſtädte I. S. 8 (N. 4), ſowie von Waitz, BO. IV. ©. 12. R. 1; vgl. auch
Pers, Archiv XI. ©. 476. — Die Zollurkunde ift verloren: wir wiffen von ihr nur
durch die Betätigung Ludwigs, Sickel L. 264, Acta deperdita p. 386.
>) Bl. Sidel, Veit. z. Dipl. II. ©. 207.
°) Sickel P. 22. 23. Die letztere der beiden Urkunden iſt undatirt; auch
der Ausftellungsort der erfteren, Inaslario palatio publico, ift unbefannt.
?) Ann. Laur. maj. 763: Pippinus rex habuit placitum suum in Niver-
nis, et quartum iter faciens in Aquitaniam.
380 Capitel XXVII. 763—764.
der Verluft, welchen Pippin damals durd den Abfall des Herzogs
von Baiern erfuhr.
Taſſilo Hatte dem Könige bereit® feine Schaaren zugeführt, als er
plöglic wieder in fein Land zurüdging und angeblich den Vorſatz
faßte, nimmermehr vor dem Angefichte feines Oheims zu erfcheinen.?)
Kaum ſechs Jahre waren feit der feierlichen Huldigung zu Com⸗
piegne vergangen, der Herzog ftand jet in den erften 20er Jahren
feines Lebens, und ſchon fonnte er das Verhältniß zu Pippin nicht
mehr ertragen. Die Abhängigkeit hatte ſich in den letzten Zeiten grade
auf feinem eigenften Machtgebiete gezeigt. Denn nachdem die Baiern
ihren füdöftlichen ‘Nachbarn, den Karantanen, deren von der Drau
durchfloſſenes Land das heutige Steiermark, Kärnthen und Ofttirol um⸗
faßte, gegen die andringenden Avaren Hülfe gebracht und dies ſlaviſche
Land dafür am das ihre gefettet hatten, war es jetzt innerhalb dreier
Jahre zweimal gefchehen, daß die Karantanen beim Ableben ihrer
Zürften ſich die in Baiern als Geifel weilenden Erben derſelben vom
Franfenkönige als Herrſcher erbaten.?) Das mit den Jahren zunch-
mende Berlangen Taſſilo's nad) voller Selbjtändigfeit mußte in den
aquitanifchen Wirren die günftigfte Gelegenheit zu feiner Befriedigung
fehen. Der Moment war in der That ein wohlgemählter; obſchon der
Wiederverföhnung unzugänglich, gelangte Pippin doch nicht mehr dazu,
den Herzog durch Waffengewalt zum Gehorfam zurüdzubringen. Bis
im die Regierungszeit Karls des Großen hinein bfieb Taſſilo unab-
hängiger Herr des Baiernlandes, und die reiche Entfaltung befonders
des Firchlichen Lebens und der Miffionsthätigkeit dafelbft, an welcher
der früher erwähnte Biſchof Virgilius von Salzburg einen fo be-
deutenden Antheil hatte, entzog jich vorerft jedem ummittelbaren Ein«
fluſſe des Königreichs, wie andererfeits Baiern fortan den dort fi
vollziehenden Ereigniſſen fremd ieh.
Es wäre wohl denkbar, daß die Franken durch eine folche
Schmwädung ihrer Macht, wie der Abfall Taſſilo's fie zur Folge hatte,
fi) genöthigt fahen, den einmal unternommenen aquitanifchen Zug
auf die Verwüftung einiger feindlichen Gaue zu befchränfen. Denn
der Krieg nahm durch diefen Zwiſchenfal plöglich eine ernftere Wen-
dung; mehr als aus alfen Berichten der Annalen, läßt ſich dies aus
der römifchen Correfpondenz erfennen, die jegt von dem Nächftliegenden
eine Weile ſchweigt und von den Begebenheiten auf dem galfijchen
Kriegsſchauplatze widerhallt.
Schon Ende 762 oder im Anfange des Jahres 763 waren zwei
) Ann. Laur. maj. 763: nusquam amplius faciem supradicti regis videre
voluit; ann. Laur. . 25. Pippini: Tassilo, de exercitu regis se sub-
ducens, Bajoariam petit; der Fortfeßer des Fredegar erwähnt des Ereigniffes nicht.
) De conversione Bagoariorum et Carantanorum libellus c. 4, Pertz SS.
XI. p. 7: permissione [fies: per jussionem] domni Pippini regis ipsis populis
petentibus redditus est eis Cheitmar. Vgl. Rettberg II. ©. 657 ; Bübinger, Orfter-
reichiſche Gefchichte I. S. 118, daſ. N. 3; Abel, art der Große I. ©. 46—47.
Gründung d. Kloſters Lorſch. Vierter aquitan. Zug. Taifilo's Abfall. 381
fränfifche Aebte, Droctegang von Jumièges und Vulfard von Tours,
von Pippin am den Bapft gejhiedt worden!) und hatten auch von
Seiten Karls und Karlmanns erwünfchte Boiſchaft über ihr Befinden
gebracht.) Bei ihrer Rüdfehr nun erbat fich der Papft aud über
den neuen Kriegszug und feinen Ausgang die Nachrichten Pippins.®)
Diefe blieben jedoch lange Zeit aus, ſodaß es Paul ernften Kummer
verurfachte, zumal von anderer Seite ungünftige Mittheilungen über
die Kriegevorgänge an ihn gelangten.*) Zn diefer beforgten Stimmung
wandte er ſich an Pippin dringend um Auskunft: „Dein Wohlergehen,“
ſchreibt er, „ift ja unfer Heil, und Dein Sieg unfere Freude und
Sicherheit") Die erjehnte Antwort blieb zwar noch immer auß,
aber verſchiedene Pilger die aus jenen Gegenden in Rom eintrafen,
mußten doch zu berichten, daß Pippin wohlbehalten aus dem Kriege
zurüctgefehrt jei.°) Das beruhigte den Papft und er wünfchte nur noch
3) Cod. Carol. ep. 28. p. 106: per Droctegandum et Vulfardum, Deo
amabiles fidelissimos vestros missos.
®) Daf. ep. 26. p. 103: Missam relationem excellentiae vestrae, defe-
rentibus harum gerulis Droctegangum seilicet et Vulfardum religiosis abba-
tibus, suseipientes, votivo sumus incolomitatis vestrae nuntio relevati. Der
Brief der beiden Königsföhne fcheint die Antwort auf das oben ©. 355 (N. 2)
angeführte Schreiben geweſen zw fein, welches Paul I. an fie gerichtet hatte
(Cod. Carol. ep. 33. p. 117).
®) Der in N. 1 angebeutete Sat der ep. 28. p. 106 lautet vollſtändig:
Praemissis nostris apicibus affatibus per Droctegandum et Vulfardum, Deo
amabiles fidelissimos vestros missos, visi sumus inpensius deprecamur (üepre-
cari?) eximiam excellentiam vestram, ut nos certiores atque laetiores reddere
annueretis de vestra amplissima sospitate et de eo, quo profecti estis, itinere,
qualiter erga vos Dominus esset operatus. Diefe den Achten mitgegebene Zur
ſchrift an Pippin ift jedoch nicht mehr vorhanden, während der Brief an die Söhne
desfelben (j. die vorhergehende Note) fih im Codex Carolinus erhalten hat.
*) Ep. 27. p. 105: a nostris vestrisque inimicis adversa nobis de ipsis
partibus adnuntiantur.
®) Die ep. 27, p. 104-105, iſt der Ausdruck dieſer höchſten Beſorgniß
Pauls: desiderium magnum nobis inheret, vestrae sospitatis gaudia addiscere
et vestris salutaribus profectibus gratulari, et contra inimicorum contritionem
addiscere. Pro quo quaesumus, ut certos nos, sicut desideramus, per vestros
nuntios de vestra prosperitate et laetitia reddere jubeatis; quoniam vestra
salus nostra est prosperitas, et vestra exaltatio nostrum precul dubio est
gaudium et inmensa securitas. Safj6, p. 104. n. 2, hält diefen Brief daher
mit Unrecht für das den beiden Aebten mitgegebene (unſerer Meinung nad) ver-
lorene) Schreiben Pauls. Denn wie hätte diejer ſchon bei der Heimkehr der Ge-
fandten Pippins lagen fönnen: dum hujus evoluto temporis spatio nos nec
vestrae sospitatis relationem meruimus suscipere nec penitus agnoscere, quid
erga vos ageretur vel qualiter in itinere, quo profecti estis, peregistis, nimis
anzietatis fervore desiderii nostri affectio in hoc ipsud addiscendum sedule
provocatur ?
®) Ep. 28. p. 106: dum tanto evoluto tempore nullam a vobis respon-
sionis seriem de hujuscemodi re agnovimus (zwei Anfragen Pauls de itinere,
quo profectis estis, waren unbeantwortet geblieben: die eine, welche von Droc-
tegang und Bulfard überbrat worden, die andere, welche in ep. 27 enthalten
mar), vehementer noster adtritus est animus. At vero per diversos ex ipsis
regionibus liminibus apostolorum advenientes peregrinos didieimus, sospitem
te ad propria ... esse reversum; unde magno gaudio noster animus relevatus est.
/
32 Capitel XXVII. 768-784.
durch Pippin ſelbſt dieſe Mittheilung beſtätigt zu ſehen.) Es war
vollkommen gerechtfertigt, daß er aͤngſtlichen Blickes die Geſchicke
Pippins verfolgte und mit ihnen das Schicſſal des Papſtthums und
der römifchen Kirche identificirte. Schon wurden in Stalien Stimmen .
Taut, die eine Erjchütterung der neuen Verhältnifje fürchten laſſen
mußten: wenn jest, jo Hieß e8, eine Bebrängniß fäme, würde Pippin
den Papft nicht zu retten vermögen.?) Solche Aeußerungen waren
ſelbſt bis zum Könige gedrungen, und der Papſt wußte ihm feinerfeits
nur das fefte Vertrauen auszufprechen, daß mit Gottes Beiftand fein
Hinderniß von irgend welcher Seite her der Kirche je den Schuß des
Königs entziehen werde,
Ein anderes Zeichen der Zeit war die Beſorgniß Pippins, feine
eigenen Gegner möchten — er meinte ofienbar den Baiernherzog
Taſſilo — die Bundesgenoffenfchaft des Papftes fuchen. Während der
römifchen Kirche in diefen bedenflichen Tagen das Bedürfniß fränfifchen
Schutzes doppelt fühlbar war, glaubten die Feinde Pippins, ihm jelbft
den empfindlichften Schlag zu verfegen, wenn fie den Paft von ihm
zu trennen und für ſich zu gewinnen mußten. Eine merkwürdige Probe
von dem innigen Zufammenhange, welder zwiſchen den Intereſſen des
fränkiſchen Königthums und des Papſtthums beftand. Auf den Wunſch
Pippins, daß Paul ſich mit feinen Gegnern in keinerlei Verbindung
einlaffen möge, antwortete diefer denn auch mit der wiederholten Bes
theuerung, daß des Königs Freunde feine Freunde feien, des Königs
Feinde aud als feine und der Kirche Feinde von ihm verworfen
würden. ®)
Pippin Hatte, wie wir aus dem Gefagten erfehen, dem dringen-
den Verlangen des Papftes endlich Genüge gethan und ihm über die
Ereigniffe der jüngjten Zeit Bericht erftattet; er konnte die Verſicherung
geben, daß er mit Frau und Kindern gefund, wohlbehalten und un—
verlegt fei; +) der Papft pries ſich glücklich, ſolche frohe Nachricht zu
1) Paul fährt nad) der in der vorhergehenden Note angeführten Stelle der
ep. 28 fort: Quapropter ... . obnixae petimus, ut dignetur sublimis vestra
excellentia quantotius nos de amplissima incolomitatis vestrae sospitate Iaetos
reddere, significans . . . qualiter erga vos et excellentissimam filiam et
spiritalem nostram commatrem et eximios filios agatur.
®) Cod. Carol. ep. 29. p. 109: Sed et hoc in ipsis vestris relationum
apieibus continebatur, per vestros vobis fuisse nuntiatum legatos, quod a
quibusdam malignis et mendatium proferentibus in istis partibus devul-
gatum esget, quia, si aliqua nobis necessitas eveniret, nullum nobis ausilium
prebere valuissetis.
®) Daf. p. 109—110: At vero, unde nobis christianissima vestra direxit
excellentia, quod, si quisguam e vestris adversariis aut contemptoribus ad
nos evenerit, nullo modo cum eis nos aut in eorum societate misceri, absit
a nobis, ut hanc rem faciemus; dum profecto vestri inimici sanetae Dei
ecelesiae et nostri existunt.
4) Daf. p. 108: vestra nobis praecelsa innotuit benignitas, qualiter,
divina Dei nostri fatiente misericordia, sani atque sospites et inlaesi exi-
stentes sitis.
Gründung d. Kloſters Lori. Vierter aquitan. Zug. Taſſilo's Abfall. 383
erhalten. Bon einem erfochtenen Siege aber verlautete in dieſem
Briefe, der in den erften Monaten des Jahres 764 geichrieben ift,!)
nichts; ebenſowenig von neuen Kriegsplänen des Könige, zu denen
der Papft fonft immer den Segen des Himmels zu erflchen pflegte.
Das Jahr 764 verlief in der That, wie aus der Weberein-
ftimmung der Quellen wohl mit Sicherheit gejchloffen werden Tann,
ohne ein Friegerifches Unternehmen Pippins. Vielleicht trug die grimmige
Kälte des Winters, die vom 14. December bis zum 16. März un
unterbrochen fortgedauert Hatte, durch die Mißernte und die Hungers-
noth, welche ihre Folgen waren, einen Theil der Schuld an dieſer
Unterbredung. ?) Die Haupturfache aber fuchen wir wohl mit Recht
) Cod. Carol. ep. 29. p. 110. n. 1.
®) Ann. S. Amandi 764: tunc fuit ille gelus pessimus et coepit 19. Cal.
Januar. et permansit usque in 17. Cal. Aprilis; ebenfo die Petav. und Bangal-
lenses Baluzii; die ann. Laureshamenses (Alamannici Nazariani Mosellani):
Hibernus (hiems) grandis et durus; bie ann. Guelferbytani: Tunc ille grandis
hiemps profuit; die ann. Laur. maj. 763 und min. a. 25. Pippini: Facta est
hiemps valida (der Cod. Remensis, bie zweite der von Per benugten Hand»
ſchrifien der Laur. min., fügt übereinftimmend mit ben ann. 8. Amandi die
Zeitdauer bei); enbfid, die ann. Weissemburgenses 763: hiems valida. Zu
diefen Angaben der Annalen darf ohne Zweifel der ausführlicere Bericht der
Chronik von Moiffac, obgleich) er dort unter dem Jahre 762 feht, Hinzugezogen
werden: Anno 762 gelu magnum Gallias, Illyricum et Thraciam deprimit
et multae arbores olivarum et ficulnearum decoctae gelu aruerunt, sed et
germen messium aruit, et supervenienti anno praedictas regiones gravius
depressit fames, ita ut multi homines penuria panis perirent. Durch bie
bier angegebene Ausdehnung der Kälte über Illyrien und Thracien erklärt fi
ung bie Stelle des Cod. Carol. ep. 29. p. 110, wonad; von den damals in Byzanz
weilenden römifchen und fränkiſchen Gefandten bis dahin feine Nachricht hatte
eintreffen fönnen, dum profeeto vobis incognitum non est, quod pro tam
saeva hujus hiemalis temporis asperitate nullus de illis partibus adveniens
nobis adnunciavit, qualiter circa eos agatur. — Einen weiteren Commentar
zu biefen Worten bietet des Theophanes Bericht über die damalige Kälte in Con-
flantinopel, der dadurch für uns eim bejonderes Interefie gewinnt; Theophanis
Chronographia ed. Bonn. I. p. 669—-671. Nachdem berjelbe im Eingang herr
vorgehoben, daf nicht nur das eigne Sand, fondern auch die Länder im Often,
Norden und Weiten von dem *pdog uEya zal nıxpöraron (vgl. oben
hibernus grandis et durus!) Heimgefudht worden feien, fchifdert er namentlid)
die aus der geborftenen Eiskruſte des Meeres entftandenen Eisberge, deren einen
ex jelbft mit etwa 30 Altersgenoffen erftiegen und als Tummelplag benutzt habe.
Ihm zufolge begann der Froft jhon Anfangs October und war im März von
einem ungewöhnlichen Sternihnuppenfall, überdies aber von folder Dürre be
gleitet, daß die Quellen anstrodneten. Das Jahr giebt Theophanes in feiner
Weije freilich nur ſehr unbeffimmt an; von der Eismaffenbildung jedoch jagt er,
daß fie im Februar der zweiten Imdiction (fatt w7g Ö' ivdıxrınvog muß e8
wis B ivduxeuövog heißen; vgl. II. p. 588) erfolgte, welde wirtlid vom
1. September 763 bis 1. September 764 dauerte. Auch, feten die von Theo—
phanes abgeleiteten Schriften, von denen unfer Ereurs XVI eingehender handelt,
die Nachricht tHeils im das 23. Regierungsjahr Conftantins (18. Iuni 763—764:
Anaſtaſius und die Historia miscella), theile in das Jahr 763 (Sigebert vom
Gembloug und die ann. Xantenses). — Man hat auf bieje Naturereigniffe end-
lich auch die Worte in dem Schreiben Pippins an Biſchof Lull, ohne Zweifel
384 Capitel XXVIL. 768-764.
in den durch Taſſilo's Abfall plötzlich veränderten Machtverhältnifien.
Denn zu einem Waffenftillftande zwiſchen Pippin und Waifar ift es
keineswegs gekommen; an die Stelle der fränkischen Einfälle in Aqui-
tanien ift vielmehr ein offenfives Vorgehen Waifars getreten, und
Pippin ſah fich, allerdings nur vorübergehend und immer mit Glück,
auf die Defenfive angewiejen.
Wir verdanken dem ortfeger des Fredegar wenigftens einige
Einzelheiten aus diefem, wie es ſcheint, längs der ganzen Grenze
erfolgten Angriffe Waifars auf das Frankenreich.)
Graf Mancio, ein Vetter des Fürften, Hatte mit anderen Grafen
den Auftrag erhalten, nad Narbonne vorzudringen. Wahrſcheinlich
wurde die fränfifche Beſatzung, welche dieje Stadt befonders gegen
die Spanischen Sarazenen zu fügen Hatte, in regelmäßigen Zwijchen-
zeiten von neuen Mannſchaften abgelöft. Mancio folte nun, fei es
die anfommenden, oder die abziehenden Truppen vor der Stadt über-
fallen und gefangen nehmen oder tödten. Wirklich ftieß er auf die
Grafen Auftraldus und Galemanius, als diefe grade im Begriffe
waren, nad) Haufe zurüczufehren. Es kam zum heftigen Kampfe,
aber die Franken behielten die Oberhand. Als Mancio und andere
Führer im Gefechte gefallen waren, ergriffen die noch Uebrigen die
Flut, und nur Wenige entfamen über das Gebirge. Mit reicher
Beute, befonder8 mit vielen Pferden, welche der Zeind zurücgelaffen
hatte, langten die Sieger freudig in ihrer Heimat an.
Chilpingus, ein Graf der Auvergne, drang mit feinen Schaaren
in den Gau der Stadt Lyon ein. Zwei burgundijche Grafen, Auftraldus
— vielleicht der oben genannte — und Adalardus von Chälon, ziehen
ihm entgegen, treffen ihn am der Loire, er fällt im Heißen Kampfe
und viele feiner Begleiter mit ihm; hierauf fliehen die Anderen, und
nur die Wälder und Sümpfe erretten Einige aus der Gewalt der
Derfolger.
Dasfelbe Schickſal traf den Grafen Amanugus von Poitiers bei
einem Ueberfalfe der Stadt Tours. Er unterlag den Unterthanen
des berühmten Martinsflofters dafelbft, da8 damals unter der Leitung
des öfter erwähnten Abtes Vulfard ftand, und fand mit den meiften
feiner Genofien den Tod im Kampfe.
Was Remiftanus, der Oheim Waifars, that, gehört ohne Zweifel
in diefen Zufammenhang. Pippin befand fi in dem nenerworbenen
einer Enchelica an alle Biſchöfe, bezogen: dedit [Deus] tribulationem pro delictis
nostris, und diefen Erlaß deshalb in das Jahr 765 gefegt; Perte LL.I. p. 32,
Jaff6 Bibl. III. ep. 115. p. 281. .
}) Fred. cont. c. 127—128; vgl. cap. 128 in.: Dum his et aliis modis
Franci et Wascones semper inter se altercarent. Die Schilderung diefer
Kämpfe leitet der Chroniſt, c. 127 in., mit einer Nachahmung fotgender Bibelftelle
(2. am. 8, 1) ein: Facta est ergo longa concertatio inter domum Saul et
inter domum David; David proficiens et semper se ipso robustior; domus
autem Saul decrescens quotidie. Näheres darüber j. Ercurs I. $ 7°.
Gründung d. Klofters Lorfh. Bierter aquitan. Zug. Taſſilo's Abfall. 385
Gebiete von Bourges, damit beſchäftigt, daS in der Nähe der Haupt-
ftadt gelegene Caſtell Argenton, welches zu den von Waifar zerjtörten
Feftungen gehörte, 1) wieder aufzubauen, als Remiftanus bei ihm er⸗
fchien und fih ihm und feinen Söhnen durch viele Eide zu ewiger
Treue verpflichtete. Er war ein Sohn Eudo’s,?) ein Vaterbruder
Waifars, °) und die Folgezeit Hat bewiefen, daß er den unverfühnlichen
Haß feiner Familie gegen das fränfifche Herrſcherhaus theilte. Aber
er wählte den Weg der Verftellung und Lift, und Pippin ließ ſich
von ihm auch wirklich täufchen. Er befchenkte ihm mit Gold und
Silber, mit koftbaren Gewändern, Rofjen und Waffen und übertrug
ihm fowohl das Caſtell Argenton, als auch die’ Südweſthälfte des
biturinifchen Gaues bis zum Cher; allerdings bildeten fränfifche Truppen
die Befagung der Feſtung. Es war dabei Pippins ausgefprochene
Abfiht, mit Remiſtans Hüffe den Angriffen feines Neffen auf Bourges
befjer widerftehen zu können, 4) während Remiſtan diefen Gau durch
Verrath feinem Neffen wieder in die Hände zu fpielen gedachte.
Es bleibt noch nachzutragen, daß Pippin das Ofterfeft des Jahres
764 (25. März) in Longlier, einem Orte der belgiſchen Provinz
Luremburg, zugebracht hatte, nachdem er dort ſchon Weihnachten 763
und fo vermuthlic den ganzen Winter über gewefen war; 5) daß ferner
die Reichsverſammlung des Jahres 764 vom Könige zu Quierzy
abgehalten wurde, ©) woſelbſt wir ihn auch noch am Ende des Jahres
antreffen werden. 7)
%) Ann. Lauriss. maj. 766: Argentomo castro, quod antea Waifarius
destruzit.
°) Fred. cont. c. 133: Remistanus filius Eudone quondam.
®) Fred. cont. c. 128 nennt ihr zwar avunculus Waifarii; den gleichen Fehler
jedoch begeht u. A. auch die Kanzlei Pippins, indem fie den Majordomus Grimoald,
den Bruder Karl Martells, als avunculus des Königs bezeichnet, Sickel P. 8
(oben ©. 71. N. 4); ebenfo die Kanzlei Karls des Großen, Sickel K. 127:
tempore genitoris nostri beatae memoriae Pippini quondam regis, geu et
avunculi nostri Carlomanni.
+) ad Waifario resistendum: Fred. cont. c. 129.
®) Ann. Laur. maj. 768.
*) Ann. Lauresh. (Petaviani Mosellani Nazariani) 764: Habuit rex Pip-
pinns conventum magnum cum Francis ad Carisago.
N) S. unten Cap. XXIX. in.
dahrb. d. di. Geſch. Delsmer, Adnig Pippin. 25
Aditundzwanzigfies Gapitel.
Die Verbannung des Abtes Sturm von Fulda.
763 — 765.
Wir beginnen mit einer Hypothefe. Der Biograph Sturms,
Abt Eigil, bezeichnet als den Gegenftand der Anklage, welche zur Ver⸗
bannung feines Helden führte, mit unbeftimmten Worten Feindfelig-
feit gegen den König.) Da nun die Verurtheilung Sturms in das
Jahr 763 zu fegen ift,*) glauben wir den gegen ihn erhobenen Vorwurf,
fei es nun, daß er die Sinnes- oder die Handlungsweife betraf,®)
gleichviel auch, ob die Beſchuldigung begründet war oder nicht, mit
dem Abfall Taſſilo's in Verbindung bringen zu dürfen. Es fpricht
dafür, daß Sturm von Geburt ein Baier war,“) ferner, daß er in
den erften Jahren der Regierung Karls die Aufgabe übernahm, zwifchen
Taffilo und dem Frankenkönige ein freundlicheres Verhältniß herzu-
ftellen.d) Es Liegt daher nahe genug, anzunehmen, daß er auch im
Jahre 763 für den abtrünnigen Herzog Sympathien zeigte, welche
böfer Wille zum Verbrechen ftempeln und welche der König felbft, in
der bedrängnißvolfen Situation jener Tage, ihm nicht verzeihen Konnte.
Biſchof Lull von Mainz Hat diefen Sturz des Abtes wohl im
Intereſſe feines Bisthums ausgebeutet, aber ihm keineswegs felbft
herbeigeführt, fo feindlic) aud die Veiden einander gegenüberftanden.
) Vita 8. Sturmi c. 16, Pertz SS. II. p. 373: crimen, nescio quod, de
inimicitia regis obieientes ei.
29) ©. unten Exeurs XV.
%) val. Vita Sturmi c. 18. p. 374: Sive umquam aliquando contra me
nequiter cogitaveris aut inique aliquid gesseris.
+) Daf. c. 2. p. 366: Norica provincia exortus, nobilibus et christianis
parentibus generatus et nutritus fuit.
>) Daf. c. 22. p. 376.
Die Verbannung des Abtes Sturm von Fulda. 387
Denn daß zwiſchen ihnen dauernde Zwietracht geherrfcht, bezeugt nicht
allein Eigil,*) fondern Sturm felbft in feierliher Stunde, da er die
Worte, welche er am Tage vor feinem Tode, in Eigils Gegenwart,
an die Brüder des Kloſters richtete, mit einer Verzeijung aller Krän-
tungen fchloß, die er im Leben erfahren, auch derer von Seiten Lulls,
welcher ihm immer entgegen geweſen ſei.“) Zwei Schüler des Bonifaz,
gleih nad) dem Tode des „Familienvaters,“*) einander fo heftige
Gegner! ’
Es fann nicht zweifelhaft fein, was fie entzweite. Wenn Sturm
die Flöfterliche Unabhängigkeit in ihrem umfafjendften Sinne darſtellte,
gehörte Lull zu den eifrigften Vertretern des neubegründeten Episcopats.
Wir fennen ihn bereits, wie er gegen zwei Priefter feiner Diöcefe
wegen unkanoniſchen Gebahrens und Ungehorfams gegen feine Befehle
den Ausſpruch des Vernenſiſchen Capitulars geltend machte, wonäch
alle Priefter einer Parochie unter der Gewalt des Biſchofs ftehen
follten.*) Wir haben ihn mit aller Strenge gegen jene Aebtifjin ein-
ſchreiten ſehen, welche zweien Nonnen „ohne feine Erlaubniß und
feinen Rath“ eine weite Reife geftattet hatte: „um folder Thorheit
willen“ fehreibt er ihr, „bift Du mit allen den Deinen, welche durch
ihre Beiftimmung die Fahrläffigkeit mitverfchufdet, fo Tange excommu»
niciet, bis ihr durch angemejjene Genugthuung das Vergehen gefühnt
habt.“6) Dies Frauenklofter ftand offenbar unter der Äufſicht des
Biſchofs von Mainz, und Lull erfüllte auch Hier mur die jüngjt er—
neuerten Beftimmungen des kanoniſchen Rechts, wonach ſämmtliche
Klöfter, die der Männer wie die der Frauen, dem Bifchof, im deſſen
Parochie fie lagen, untergeben fein follten.®) Auch Fulda gegenüber
ging das Veftreben Lulls ohne Zweifel dahin, der Ausnahmeftellung
des Kloſters ein Ende zu machen und als der Nachfolger des Bonifaz
im Bisthum aud in das Verhältniß desfelben zu Fulda einzutreten.
Wohl hatte Bonifaz durch das vom König beftätigte Privilegium des
Papſtes Zacharias folder ortsbiſchöflichen Ordinariatsgewalt grade
vorzubeugen gefucht, und Lull felbft hatte zu dem Umterzeichnern des
koniglichen Privilegs vom Jahre 753 gehört. Allein eben darin waren
die Zeiten anders geworben, daß das von Bonifaz erftrebte amtliche
Eingreifen des Papſtthums in die fränfifchen Kirchenangelegenheiten
der nun herrfchenden Richtung nicht entſprach, daher der Wunjd ent
ftand, auch in Fulda an die Stelle der augergewöhnlichen päpftlichen
V Vita Sturmi cap. 16. p. 373: Lullo tantum fama ejus bona displicuit,
et semper propter invidiam adversus eum faciebat.
®) Cap. 24. p. 877: ego cunctis ex intimo corde omnia convicia et om-
nes contumelias meas ignosco, necnon et Lullo, qui mihi semper adver-
sabatur.
S. oben ©. 175. N. 2.
H Jaff& Bibl. III. ep. 114. p. 279; ſ. oben ©. 228. 228.
5) Daf. ep. 126. p. 292; |. oben ©. 231—232.
®) Capit. Vern. c. 3. 5. 6; ſ. oben S. 229—281.
388 Gapitel XX VII. 763-765.
Yurisdiction die des Didcefanbifchofs zu fegen. Es wäre jedoch un-
richtig, wir wiederholen es, die Schidjale Sturms ganz allein aus
diefen Beftrebungen feines bijchöflichen Widerſachers herzuleiten: felbft
Eigil, der parteiijche Gegner Lulls, ftellt die Begebenheiten nicht in
ſolchem Lichte dar.
Drei Mönde des Kloſters vereinigten fich zur Reife an den Hof
— im Bertrauen auf den Beiftand des Biſchofs Lull, wie Eigil hin-
zufügt — und erhoben dort jene ſchon erwähnte Anflage gegen ihren
Abt. Sturm wurde vorgeladen, verſchmähte es jedoch, fich eingehender
zu vertheidigen. Aehnlich wie einft Otmar von ©. Gallen, als dieſer
vor feinen Richtern ftand, fprah er: „Siehe, mein Zeuge und mein
Mitwiffer ift in der Höhe, und Gott der Herr mein Helfer; deshalb
bin ich unverzagt." Das Urtheil fiel daher zu feinen Ungunften aus,
er wurde feftgenommen und mit wenigen feiner Kleriker in die Ver—
bannung geſchickt. Ohne Zweifel war es nicht der König allein, ſon⸗
dern das konigliche Gericht, vieleicht fogar die allgemeine Reichsver⸗
fammlung, die oft genug gegen angefehene Männer wegen fchwererer
Verbrechen ‘Gericht Hielt,*) welche in diefer Weife den Abt Sturm
von Fulda der Untreue gegen den König ſchuldig erkannte.) Was
dann gerüchtweije nach Fulda drang,®) daß der Rath des Bijchofs
Lull die Verurtheilung bewirkt, würde fonach auf feinen Einfluß als
Mitglied jener Gerichtsverfammlung zurüdzuführen fein.
Als Verbannungsort wurde dem Abt das große Klofter Jumieges“)
angewiefen, mofelbft er umter die Aufſicht eines der zuverläffigften
Getreuen Pippins, jenes Abtes Droctegang fam, der mehr als ein-
mal wichtige Staatsverhandlungen geleitet hatte;“) im der Nähe, zu
Rouen, hatte Remedius, ein Bruder Pippins, feinen bifhöflichen Sit.
Die Gegend war auch fonft von Pippin zum Aufenthalt Erifirter
bejtimmt: ganz nahe von Yumidges war das Klofter S. Wandrille,
das Gefängniß des letzten meromwingifchen Sproffen Theodorich, während
König Childerih IIL, fein Vater, nicht weit davon, in S. Omer,
eingefchloffen worden war.“) Sturm wurde von Droctegang und den
Brüdern des Kloſters mit Achtung und Wohlwollen aufgenommen
und brachte dajelbft zwei Jahre zu.
Die Nachricht feiner Verbannung erweckte nicht nur in Fulda
ſelbſt, fondern aud in allen Kirchen und Klöſtern jener öftlichen
2) Bol. Waitz BO. IV. ©. 422—423.
2) Auf eine Abftimmung Bieler deuten die Worte, Vita S. Sturmi c. 16.
p. 373: Tune pravorum praevaluit voluntas.
®) Daf.: Tunc rumor eximius omnium aures et ora pariter compleverat,
quod beatus Sturmi abbas a coenobio Fulda esset per consilium Lulli epi-
scopi abbatus.
*) Daf.: magnum coenobium, quod dieitur Jumedica; gewöhnlicher Ge-
meticum genannt, |. oben ©. 862. N. 1.
) ©. oben ©. 374. N 31.
°) ®gf. Gesta abbatum Fontanell. c. 14, Pertz SS. II. p. 289.
Die Verbannung des Abtes Sturm von Fulda. 389
Gegenden die tieffte Betrübniß; man betete, man faftete, man gedachte
an den Hof des Königs zu ziehen, den Abt vom Könige zurüczuerbitten.
Doch der Vorfag fam nicht zur Ausführung; man wagte e8 nicht,
gegen die richterliche Entſcheidung Einſpruch zu erheben, noch die Gnade
des Königs anzurufen, fo fehr auch das Klofter felbft in eben jenen
Tagen von Zerwürfniffen und Bedrückungen heimgeſucht wurde.
Denn der Entfernung des Abtes war die Aufhebung der Mlofter-
freigeit gefolgt. Wir witrden den Worten des parteieifrigen Eigil,
wonach Lull diefe Mafregel durch Beſtechung des Hofes erreicht haben
foll, *) feinen Glauben ſchenken, wenn nicht aus einer anderen Gegend
etwas Aehnliches berichtet würde: daß nämlich Wido der Laie nad
Erledigung der Abtei von ©. Wandrille mit vielen Geſchenken an
Gold und Silber nad) dem föniglichen Palafte geeilt und durch Ver⸗
theifung derjelben an Pippin und feine Umgebung zum Oberhaupt
des Kloſters erhoben worden fei.2) Freilich trug fich diefer Fall ſchon
im Jahre 753 zu, bevor die Reichsgeſetzgebung ein ausdrückliches
Verbot gegen fimoniftifche Ketzerei erlajjen hatte. °)
Wie dem nun aber auch fei, genug, Lull erlangte vom Könige,
daß ihm die Herrſchaft über das Nlofter Fulda übertragen wurde.
Damit waren die Privilegien von Zacharias und Pippin, durch welche
jede bifchöfliche Jurisdiction ausdrücklich ausgefchloffen worden war,
allerdings befeitigt; allein nachdem der Abt Sturm num einmal durch
richterlichen Ausſpruch der Infidelität fchuldig erflärt war, traf auch
das Kloſter nur folgerichtigerweife der Verluft feiner Vorrechte. Denn
die Treue gegen den König bildete die Grundbedingung aller Privilegien
ertheilung: erft ein Jahr vorher hatte Pippin dies dem Klofter Prüm
gegenüber mit Beftimmtheit ausgeſprochen,“) und in einem Erlajje
zu Gunften Fulda’s machte Karl der Große ganz denfelben Vor⸗
behalt.) Es fann daher nicht auffallen, daß die Mönche von Fulda
die Vernichtung ihrer verbrieften Rechte ruhig über ſich ergehen Ließen,
ohne dagegen Verwahrung einzulegen, und wir werden in dem ganzen
Verfahren weder eine Gemaltthat, ®) noch auch einen Beweis gegen
die Echtheit des Privilegiums vom Jahre 753 erkennen. ”)
) Vita Sturmi c. 17.p. 374: Lullus interim obtinuit apud Pippinum regem,
‚munera injusta tribuendo, ut monasterium Fulda in suum dominium donaretur.
#) Gesta abb. Fontanell. c. 15. p. 290: ad palatium ire deliberavit,
plurima donaria auri argentique secum deferens, quae Pippino regi ac suis
satellitibus collata, ut obtaverat, abbas constituitur; vgl. oben ©&. 875.
®) Petitio episcoporum c. 12 (capit. Vern. c. 24): Ut per pecunias
nullus ad gradum ecclesiasticum vel ad honorem accedere non debeat, quia
haeresis simoniaca esse videtur; ſ. oben S. 248 (N. 3. 4).
*) Sickel P. 20 (oben &. 852): dum ipsi monachi regulariter et fide
liter ad parte nostra vel heredum meorum ibidem conversare videntur.
5) Sickel K. 82 (744, 24. September): quamdiu ipsa congregatio sub
regula sancta vivere vel conversari videtur et ordinem sanctum invicem
custodiunt et observant et nobis fideles apparent.
9 So faßt es Sigel auf, Beiträge zur Dipfomatit IV. S. 684.
?) Wie z. 8. Rettberg, I. ©. 616, tut.
—
390 J Capitel XVIII. 763—765.
Nunmehr ſchloß Lull im Namen des Kloſters zwei Kaufgefchäfte
ab, durch welche dasfelbe gegen Entrichtung von 40 Pfund Goldes
und Silbers „aus dem Schatze des Heil. Märtyrers Bonifacius”
einige Grundftüde am Rhein erwarb.‘) Kraft feines bifchöflichen
Berfügungsrechtes erhob er einen feiner Priefter, Namens Marcus,
zum Nachfolger Sturme.?) Diefer, ein williges Werkzeug feines Vor⸗
gejegten, vermochte die Gemüther der Mönde nicht zu gewinnen; er
blieb ihnen fremd, fagt Eigil, obwohl fie zufammenwohnten. Bald
fteigerte fi die Spannung zum offenen Zwiefpalt: die Mönche ver-
einigten fich, verjagten Marcus und erflärten einftimmig, daß er nicht
wieder ihr Abt werden dürfe. Der Bifchof fuchte der Aufregung durch
fanftere Mittel Meifter zu werden, indem er. den Brüdern anheimgab,
aus ihrer Mitte fich felbft einen Abt zu wählen, der ihnen gefiele.
Ein foldes Zugeftändniß bildete oft genug den Inhalt der bifchöflichen
Rlofterprivilegien jener Zeit.
Die Wahl der Brüder fiel auf Prezzold, einen Mönch von tadel»
loſem Charafter, der ſchon feit feiner Kindheit der Leitung Sturms
anvertraut war und befjen befondere Gunft befaß. Sekt herrſchte
wieder. Eintracht unter den Brüdern; denn der neue Abt Hegte gleich
feinen Mönden nur den einen Gedanken, wie fie e8 mit des Könige
Erlaubniß erreichen könnten, daß ihr früherer Lehrer und Abt ihnen
wieder zurücigegeben wiirde.
Schon waren zwei Jahre dahingegangen; da gedachte Pippin des
verbannten Sturm und befahl, daß man ihn in Ehren nad) dem
Balafte bringen follte. Er war entichloffen, von dem Begnadigungs-
rechte, das ihm zuftand, °) nunmehr Gebraud zu machen. War ja
die gefahrvolle Lage der Jahre 763 und 764 glücklich überftanden,
ſodaß das Unrecht, deffen einft Sturm beſchuldigt worden, jet gewiß
einer milderen Auffafjung von Seiten des Königs begegnete. Sturm
wurde ſchleunig herbeigeholt und verbrachte mehrere Tage in der Capelle
des Königs.) Eines Morgens wollte diefer fi auf die Jagd be—
geben und ging daher in früher Stunde feiner Gewohnheit gemäß
zum Gebet. Alle anderen Geiftlichen ruhten nad) vollbrachter Früh—
andacht; nur Sturm wachte, und da er den König fommen fah, öffnete
er demjelben die Thüren der Kirche und Leuchtete ihm bis zum Altare.
Nach beendigtem Gebet (fo lautet der Bericht Eigils weiter) erhob ſich
Pippin und ſprach freundlichen Blides zu Sturm: „Der Herr hat
uns jegt zufammengeführt, und was es auch geweſen, deſſen beine
1) Dronke, Cod. dipl. Fuld. n° 8. 26, vom 28. und 31. Auguft 768:
de pretio sancti Bonifacii martyris; vgl. unten Excurs XV.
?) Vita 8. Sturmi c. 17. p. 874.
) Waitz BO. IV. ©. 424.
) Ueber den Begriff der Gapelle vgl. die Stellen bei Wait, BG. IT. ©.
429 ff.; aus denſelben wird jedoch nicht Mar, ob die Eapelle am einen einzigen,
beftimmten Ort gernden war. Daß Sturm damals in den Dienſt derſelben ein -·
getreten (Waitz UI. ©. 488. N. 1), fheint doch Taum anzunehmen.
Die Verbannung des Abtes Sturm von Fulda. 391
Mönde dich bei uns beſchuldigt und worüber wir dir gezürnt haben,
ich will e8 nicht mehr willen.” „„Obwohl id von Sünden nicht
frei bin,““ erwiderte Sturm, „„fo Habe ich gegen di, o König,
doc, kein Unrecht begangen.“" Jener aber ſprach: „Ob du nun einft=
mals feindlich gegen mich gedacht oder gehandelt haft, Gott möge dir
Altes erlaffen; ich verzeihe dir vom Grunde meines Herzens, und du
ſollſt fortan alle Zeit meine Gunft und Freundfchaft befigen.” Dann
zog er einen Faden aus feinem Gewande, warf ihn zur Erde und
ſprach: „Siehe, zum Zeichen vollfommener Verzeihung werfe ich diefen
Faden meines Gewandes zur Erde, damit Allen offenbar werde, daß
die frühere Feindfchaft getilgt ſei.“ Hierauf fehieden fie von einander,
und der König trat feine Fahrt an. )
Sehr bald drang die Kunde von diefem Vorfall zu Prezzold und
den übrigen Brüdern des Kloſters Fulda, und fie entjandten nun eine
Botſchaft an den König, um ſich ihren Abt wiederzuerbitten. Der
König nahm das Geſuch freundlich auf und verfprad es zu erfüllen.
Kurze Zeit nachher ließ er Sturm zu fi rufen und übertrug ihm
die Leitung des Klofters. Um die Begnadigung volffommen zu machen,
hob er das dem Biſchof Lull übertragene Hoheitsrecht wieder auf und
feßte das Privilegium des Papftes Zacharias von neuem in Kraft.
Wenn Eigil erzählt, daß Sturm dies Privileg von der Hand bes
Königs empfangen, ?) fo ift damit wohl ein neuer Erlaß des Königs
gemeint, in welchem jene päpftfiche Bulle, wie einft im Jahre 753,
beftätigt und bekräftigt wurde. Denn wenn ſchon Bonifacius für
- die päpftliche Urkunde des Könige Genehmigung erforderlich fand, ®) fo
war diefe unter den jegigen Verhältniffen gewiß noch viel wünſchens-
werther. Das neue Schreiben Pippins ift freilich nicht mehr vorhanden.
Der König erweiterte die Unabhängigfeit des Kloſters noch, indem
er dasſelbe in feine befondere Defenfion nahm, fodaß e8 fortan, wie
in geiſtlicher Beziehung unter der päpftfichen Jurisdiction, fo in welt-
lien Dingen zum Theil unmittelbar unter dem Königsgericht ftand.*)
Zwar haben wir auch feinen Schupbrief aufzuweifen, der dies befagte;
_ .) Vita 8. Sturmi c. 18. p. 374, Die ſymboliſche Bedeutung des Fadens
ift fowohl von Grimm, Deutihe Rechtsalterthümer ©. 182—184, als aud in
meuefter Zeit von Nochholz, Deutider Glaube und Braud) (Berlin 1867) I.
©. 204 —212, erörtert worden. Doc findet obige Stelle der Vita Sturmi bei
ihnen feine Beachtung und die darin enthaltene Symbolif feine Analogie.
) Vita 8. Sturmi c. 19. p. 375: cum privilegio supradieto, quod de
manu regis acceperat.
®) ®gl. Sickel P. 7 (oben &. 64—66): Quia veneranda paternitas tus
nostram excellentiam postulavit pro monasterio . . . ut, sicut ... . privilegio
sanctae sedis apostolicae sublimatum esse constat, ita etiam 'nostre auctori-
tatis praecepto roboretur ... . ideo hanc nostre praeceptionis seriem . . .
eonseribi jussimus, per quam privilegium sanctae sedis apostolicae . . . per
omnia roboramus,
+) Ueber die Bortheile, welche der Königsſchutz im Gerichtsverfahren gewährte,
f, das Nähere oben ©. 16—17. aeſcut s
392 Capitel XXVIIL 763-766.
allein Eigils Erzählung, Pippin habe Sturm befohlen, feinen und
des Kloſters Rechtsſchuß in Zukunft bei feinem Anderen als beim
Könige zu fuchen, *) läßt fich doc fehwerlih nur im Sinne der allge-
meinen Schughoheit des Königs über die gefammte Kirche verftehen. *)
Mit folhen Gnadenbezeigungen auögeftattet, wurde Sturm vom
Könige nach feinem Klofter entfandt. In Fulda aber und allen Männer
und Frauenflöftern jener Gegend fah man feiner Rückkehr mit Freude
entgegen. Als er in die Nähe feines Stiftes kam, zogen die Monche
mit goldenem Kreuz und den Reliquien der Heiligen zu feinem Empfange
aus, und unter geiftlihen Gefängen führte man ifn und feine Be—
gleiter in das Klojter ein.
Sogleich widmete er ſich mit allem Eifer der inneren und äußeren
Verbefjerung feines Stifts.°) Namentlich that er fih durch Schön-
beit und Kühnheit feiner Bauten Hervor. *) Er ſchmückte die Kirche
aus, verjah die Wohnungen der Mönde mit neuen Säulen, Balken
und Dächern, errichtete über dem Grabe des Bonifaz die fogenannte
„Ruhe,“ einen aus Gold und Elfenbein gefertigten, reichgeihmüdten
Schrein mit goldnem Altare. Am merfwürdigften aber war der ftatt-
liche Graben, welchen er mit Hülfe zahlreicher Arbeiter durch das Klofter
führte und in den er das Waſſer der Fulda aus dem urfprünglicen
Flußbett hineinfeitete.°) „Allen, die das Werk jehen und genießen,“
Sagt Eigil, „ift e8 klar, welcher große Nugen den Brüdern damit noch
heute täglich gefchieht."
Für die fortdauernde Gunft Pippins zeugt die Schenkung des
Fiscalguts Umftadt, welche Sturm vom König erlangte ®) und welche
wir unter dem Jahre 766 zu verzeichnen haben werden. Und wie
der jugendliche Karl alle diejenigen, welche ſich der Liebe feines Vaters
zu erfreuen gehabt hatten, feinerjeits gleichfalls in Ehren hielt,?) fo
zog er auch Sturm an ſich heran und würdigte ihn der vertrauteften
Freundſchaft.
ij Vita 8. Sturmi c. 19. p. 875: quod etiam cansam suam et monasterii
defensionem a nullo alio quaereret nisi a rege, imperavit.
’ &o Gidel, Beiträge zur Dipfomatit IV. ©. 635.
Vielleicht fällt in diefe Zeit jener Synodalbeſchluß oder doc die Ans-
führung desſelben, wodurch das einft von Bonifaz angeregte Verbot aller be-
rauſchenden Getränke, der Kranken und Schwachen wegen, wieder aufgehoben
wurde: Quod post plures annos, crescente familia, propter aegrotos et
imbecilles, tempore Pippini regis synodali decreto immutatum est; Vita
8. Sturmi c. 18. p. Bl.
*) Vita 8. Sturmi c. 20. p. 875.
%) Die Regula S. Benedicti, c. 66, fordert eine folde Einrichtung der
Klöfter, ut omnia necessaria, id est, aqua, molendinum, hortus, pistrinum
vel artes diversae intra monasterium exerceantur, ut non sit necessitas
monachis vagandi forag.
*) Vita 8. Sturmi c. 21. p. 375.
?) Daf.: Cum ipse rex juvenis [Karlus] cunctos, qui patris sui prius
honoribus praediti erant, grandibus muneribus in gratiam suam provocaret,
accersivit quoque venerandum abbatem Sturmen.
Heunundzwanzigfies Gapitel.
©. Goar. Die Klöfter Chrodegangs. Verhandlungen mit
Bagdad und Byzanz. Aquitaniſche Feldſchlacht.
765.
Die Weihnahtstage des Jahres 764 fowie das nächſtfolgende
Dfterfeft (14. April 765) feierte Pippin in Ouierzy.!) Hierauf fand
zu Atigny die große Reichsverſammlung ftatt,2) und Hier ohne Zweifel
erfolgte die Uebergabe der ©. Goarszelle an den Abt Afjuer von
Prüm.?) Diefe ehedem durch Gaftlichkeit ausgezeichnete Stiftung des
lebensfrohen Heiligen war zu jener Zeit ganz in Verfall gerathen,
und als der Abt von Prüm auf einer Neife nad Worms,t) die er
wahrſcheinlich zu Schiffe machte, einft in die Zelle gefommen war, hatte
Erpingus, der Vorfteher derjelben, die Anfprüche auf Unterhalt und
Beförderung, zu denen bderfelbe einer Verfügung Pippins zufolge auf
allen Königsgütern berechtigt war, nicht befriedigen können. Affuer
hatte dem Könige davon berichtet und dieſer ihm verfprochen, unter
günftigeren Zeitumftänden Abhilfe zu fehaffen. Als nun auf der
Neiheverfammlung zu Attigny auch Affuer im Föniglichen Palafte er-
fhien,5) gedachte Pippin der früheren Unterredung mit ihm, und um
?) Ann. Laur. maj. 764.
®%) Ann. S. Amandi 765: Pippinus Plaeitum habuit ad Atiniacum; faft
gleicjlautend ann. Laur. maj. (und Einhardi) 7°
Wandelberti (färieb 839) de —S 8. Goaris c. 1. und c. 35,
Mabillon Acta 88. II. p. 288. 298.
+) Bielleiht zu der Reichsverfammlung, welche 768 dort abgehalten worden;
f. oben ©. 879 (N. 2).
®) non multo post positus in palatio, quod Attiniacum vocatur, cum ad
generalem populi conventum simul abba Assuerus venisset, evocatum ad se
Princeps . . . commonefecit etc.
A*
394 Capitel XXIX. 766.
die Zelle des Heil. Goar fomohl äußerlich als auch innerlich zu heben,
übertrug er diefelbe kraft feines königlichen Befigrechtes der Obhut des
Abtes.) Bon den Bemühungen Afjuers für das rheinifche Stift er-
fahren wir nur, daß er e8 fich fogleich angelegen fein Ließ, über dem
Grabe des Heiligen eine neue Kirche zu bauen; die feierliche Ein-
weihung berjelben erfolgte jedoch erjt unter Karls des Großen Regie
rung durd die Biſchöfe Lullus von Mainz, Bafinus von Speier und
Megingaudus von Würzburg.?)
Auch andere drei Heilige gelangten im Jahre 765 zu hohen
Ehren im Frankenreiche, nicht alteinheimifche jedoch, wie ©. Goar.
Es war damals eine verbreitete Sitte, daß, wer Kirchen und Klöſter
mit Heiigengebeinen zu ſchmücken wünfchte, fi nad) dem reliquien-
reihen Rom wandte. Sowohl Willibrord als auch Bonifacius hatten
folhe von dort mitgebracht; Abt Fulrad von ©. Denys hatte einft
in gleicher Abficht fih von Pippin die Erlaubniß erbeten, nad Rom
zu gehen, und war mit den Gebeinen der Märtyrer Alerander und
giprott zurückgekehrt.) Auch Chrodegang Hatte ſich jegt, um feinen
öftern Höhere Weihe zu geben, bei Paul I. die Gebeine von Mär—
tyrern erbeten, und der Papft befohnte die hohen Verdienſte, welche
derfelbe fich, ähnlich den drei Vorgenannten, um Rom erworben, damit,
daß er ihm durch den Bischof Wilharius von Sens die Leichen der Hei-
ligen Gorgonius, Nazarius und Nabor überſchickte.) Am 15. Mai 765
3) Auf Grund diefer Mafregel Pippins entſchied fpäter Karl einen Streit
zwiſchen Afſuer und dem Biſchof Weomad von Trier zu Gunften des Erxfteren.
Vol. Abel, Karl d. Große I. ©. 348; Sickel, Acta deperd. p. 379. n° 6.
) Wandelbertus 1. c. p. 299; vgl. oben ©. 358. N. 4.
®) Historia translationis 8. Viti c. 2, Pertz SS. IL. p. 577: prineipem
adiit petivitque, ut eum Romam ire permitteret ... Quod princeps piissimus
libenter accipiens, non solum licentiam dedit, sed et gratias pro tali desiderio
retulit; diefer ausdrücklichen Angabe zufolge fiel die Reife alfo mit feiner der
früher erwähnten diplomatiſchen Mifftonen Fulrads zufammen. Bon den Re
Tiquien des heil. Hippolyt Hat das vom Fulrab geftiftete Audaldovillare im
Eljaß den Namen ©. Hippolyte erhalten. Ueber dag monasterium 8. Ale-
xandri, das ebenfalls im Clfaß gelegene Leberau (Rebraha), vgl. bejonbers Pertz
LL. I. p. 421.
*) Ann. Lauresh. 765: venerunt corpora sanctorum Gorgonii, Naboris
et Nazarii in Gorcia monasterio Id. Mad., et 5. Id. Jul. advenit preciosum
corpus sancti Nazarii in monasterio Laurishaim; ebenfo die ann. Petav. und
Mosell., beibe jedoch ohne die bejondere Erwähnung von Lorid) umd ohme Angabe
des Datums. Paul. Diac. de epp. Mett., Pertz SS. II. p. 268: Expetiit a
Paulo Romano pontifice tria corpora sanetorum martyrum, id est beati
Gorgonii ete.; danach war ſchon bie Bitte Ehrodegangs auf diefe drei Heiligen
gerichtet. Der Codex Laureshamensis p. 6 hebt hervor, ver Biſchof Habe missis
ad apostolicam sedem legatis fein Geſuch dem Papſte kundgethan, und er fährt
fort: transmisit ei S. Nazarium, Naborem et Gorgonium per Williharium
Sedunensem episcopum, delatos ad Gorziense monasterium, tvobei ftatt Sedus
nensemn ohne Zweifel Senonensem zu Iefen if. Nur eine fagenhaft ausgeichmüdte
Darftellung dieſer Translation läßt Chrodegang ſelbſt deshalb nah Rom gehen
umd alle die Ereigniffe miterleben, welde fie angeblich in ihrem Gefolge hatte,
S. Goar. Möfer Chrodegangs. Verhdl. m. Bagdad u. Byzanz. Aquit. Schlacht. 395
traf die Sendung in Gorze ein, und Chrodegang vertheilte fie fo, daß
Gorgonius in diefem Kloſter verblieb, Nabor nah ©. Avold, einem
ebenfalls bei Met gelegenen älteren Klofter, fam,!) Nazarius endlich
- für Lorfch beftimmt wurde. Der 11. Juli, an welchem diefer Heilige
dort eintraf, wurde zu einem Feſttag für die ganze Gegend: bis an
das Hardtgebirge?) z0g die Bevölkerung in großer Menge dem an-
Tommenden Heiligen entgegen; die Grafen Cancor und Warinus, for
wie andere Vornehme trugen die Reliquien bis ing Kloſter. Sept
erwies ſich der urfprüngliche Bau — fpäter das alte Münfter genannt
— als zu eng, und man beſchloß, die Stiftung nad einem freieren
Plage zu verlegen. So ift das heutige Lorſch entftanden; Paulus
Diaconus rühmt die Schönheit der Kirche, melde fich hier erhob.°)
Auch zu Gorze wurde, dem heil. Gorgonius zu Ehren, eine neue Ba—
ſilika errichtet. Beide Neubauten jedoch wurden, gleich der ©. Goars⸗
zelle, erft nach dem Tode Pippins vollendet; am früheften die Kirche
zu Gorze, in welcher die Beifegung des Heiligen fchon im Jahr 769
erfolgen fonnte.*)
Von diefen Vorgängen mehr Tocalen Anterefjes wenden wir ung
nun wieder zur allgemeinen Reichsgeſchichte zurück und reden zunörberft
von zwei Gefandtichaften, welche, wenn ‚nicht genau in die Tage der
Synode von Attigny, doch jedenfalls im jene Zeit fallen.
Es ift hier erforderlich, daß wir uns die politiichen Zuftände der
Araber um die Mitte des 8. Jahrhunderts in furzen Zügen ver
gegenwärtigen. Während in Afien die Abbafiden Abu⸗l-Abbas (F 9. Juni
754) und fein Bruder Manfur mit allen Mitteln der Gewalt ihre
Herrſchaft gründeten, hatte der Iete der Omejjaden, Abd Errahman,
der ihren graufamen Verfolgungen unter Fühnen Abenteuern entgangen
war, nad glücklich vollbrachter Landung in Spanien den Ufurpator
zu denen namentlic; ein nur durch Pippins Eingreifen verhinderter Diebflahl der
Refignien Seitens der Mönche von S. Maurice, ferner des heil. Gorgonius mehr»
fad} wiederholte Wunderthat gehörte, Daß er am den Orten, welche er zu erwerben
wünschte, fich nicht eher vom Boden heben ließ, als bis man fie ihm übergeben
hatte: inerat autem huic sancto martyri moris, ut quemcunque affectasset
locum, non prius posset levari corpus ejus etc.; Johannis Gorziensis Mira-
cula $. Gorgonii c. 1—6, Pertz SS. IV. p. 235; Vita Chrodegangi-(wahr-
ſcheinlich von demfelben Verfaſſer) c. 28—81, Pertz SS. X. p. 552. Achn-
fie Wunder werden aud) von ber Translation des Bonifacius und des Ger-
manus erzählt; f. oben ©. 178 und Excurs IX: Ueber bie jog. Translatio
S. Germani.
9) urſprunglich Hilariacum genannt, hieß es ſeitdem and) S. Nabor, und
hieraus ift dann S. Avold geworden; vgl. Rettberg L ©. 514. Nach Paulus
Diaconus war Sigibald, der unmittelbare Vorgänger Ehrodegangs, Gründer von
Hilariacum; ber Coder Laureshamenfis bezeichnet es daher unrichtig ale eine
Stiftung des Chrodegang felbfl-
f %) &o ift flatt des saltus qui Vosegus dieitur des oder wohl genauer
zu fagen.
®) aedificata in honorem ipsius martyris miri decoris basilica.
*) Ann. Lauresh. (Petav., Mosell.) 769.
396 , Capitel XXIX. 765.
Zufuf Ion Abd Errafman unter dem Beifall der Bevölkerung ge-
ftürzt und in Cordova ein Omejjadenreich aufgerichtet. Beide Staaten,
der afiatifche und der europäifche, Hatten fich Anfangs der 60er Jahre
durch Befiegung der aufrührerifchen Gegner befeftigt. Der Chalif von
Bagdad richtete daher feinen Blick nun auch auf Spanien und ſchickte
ein Heer zu deſſen Wiederunterwerfung ab, Nachdem diefes jedoch im
Jahre 764 eine ſchwere Niederlage erlitten Hatte, gedachte er feinen
Plan auf anderem Wege, mit Hülfe eines europäischen Bundesgenoſſen,
durchzuführen. Das arabifhe Spanien ftand durch den Streit um das
Gothenland ſchon feit längerer Zeit mit dem Frankenreiche in feind-
lichem Verhältniß. Wenn daher der aquitanifche Krieg leicht zu einer
Annäherung zwifchen Abd Errahman und Waifar führen konnte, fo
mußten eben diefe Kämpfe fowie die beftändigen Reibungen zwiſchen
dem afiatifchen Chalifat und Oftrom ein Bindemittel für Pippin und
Manßur werden. Es lag demnad nicht minder im Intereſſe des
Frankenkönigs, als des Ehalifen von Bagdad, daß fie fich enger an
einander fchloffen. Das Verbot des Koran, in einen Bund mit Un-
gläubigen zu treten, Hinderte Manßur nicht, ſich zunächft in dipfo-
matifhe Beziehungen mit Pippin einzufaffen. Im Jahre 765 ging
eine fränfifche Gefandtſchaft nad) Bagdad ab, die vom Chalifen, wie
wir fehen werden, freundlich empfangen und erwidert wurde.t) Näheres
wiffen wir tiber diefe Miffion freilich nicht; zu einem kriegeriſchen
Unternehmen gegen Spanien ift Pippin nicht gekommen. Erft Karl
der Große hat auch hier, wie in anderen Dingen, die Intentionen
des Vaters wieder aufgenommen und durchgeführt.)
Eine zweite Geſandtſchaft traf um diefe Zeit am fränkiſchen Hofe
ein; e8 waren der Spatarius Anthi und der Eunuch Sinefins aus
Eonftantinopel.?) Wir willen, daß fhon gegen das Ende des Jahres
762 fränkische und römische Botſchafter zur Herbeiführung eines Ver⸗
ftändniffes in den itafienifhen Angelegenheiten nad) Byzanz gegangen
waren.*) Noch im Anfange des Jahres 764 wußte Paul dem Könige
auf deifen Anfrage feine Nachricht über das Verbleiben der beider»
') Fred. cont. e. 184 (a, 768): nuntiatum est regi, quod missi sul,
quos dudum ad Amormuni regem Sarracenorum miserat, post ires annos
ad Massiliam reversi fuissent. — Amormuni gilt dem Chroniften irrigerweiſe
nicht al8 ber Titel, fondern ais der Name des Chalifen, ähnlich; wie bie Vita
8. Willibaldi episcopi c. 15. 21 ben ſarazeniſchen Herrſcher von Emeſſa Mir-
mumni nennt, illon Acta SS. II. 2. p. 374. 377; vgl. Hahn, Die Reife
des Heil. Willibald nad) Paläftina (Programm der Lonifenftädt. Realſchule),
Berlin 1856, ©. 9. N. 36.
3) Wir folgen in obiger Darftellung der farazenifchen Angelegenheiten jener
eit bejonders dem trefilichen Buche von Gufta Weil, Geſchichte der islamitiſchen
ölfer von Muhammed bis Selim, Stuttgart 1866; vgl. aud; Abel, Karl der
Große I. S. 231. Das Werk von Dozy, Histoire des Musulmans d’ Espagne
(Leyden 1861), habe id) nicht einfehen fönnen.
®) Cod. Carol. ep. 86. p. 125. 127.
*) ©. oben &. 856.
S. Goar. Möfter Chrodegangs. Verhdl. m. Bagdad u. Byzanz. Aquit. Schlacht. 397
feitigen Botſchafter zu geben.!) Endlich aber waren dieſe felbft und
mit ihnen die obengenannten Bevollmächtigten Conjtantins V. am Hof⸗
Tager Pippins eingetroffen.?) Sie bradten ein Schreiben des Kaijers
mit, dad nad der Behauptung Pauls voll Heuchelei und Täufhung
war.°) Der Kaifer beſchwerte fi darin über Fälſchungen duch Wort
und Schrift) die Gefandten alle berichteten Anderes, als Ihnen auf
getragen ſei; die kaiſerlichen Schreiben würden dem Papfte wie dem
Könige von ihren Beamten faljch ausgedeutet; die dringenden Vor—
ſtellungen, welche von Rom aus öfter an ihn gerichtet worden wären —
and Paul hatte gleich feinen Vorgängern den Kaifer für die Bilder-
verehrung zu gewinnen gefudht 5) — feien von dem päpftlihen Rathe
Chriftophorus ohne Auftrag und Wiffen des Papftes in deffen Namen
verfaßt worden; ebenfo Habe jener den Faiferlichen und königlichen
Gefandten falſche Schriftſtücke vorgelefen.
Es ift möglich, daß damals von griechiſcher Seite der Antrag
an Pippin gelangte, feine Tochter Gisla mit dem Sohne des Kaifers
zu vermählen.®)
Der König aber blieb al’ den Bemühungen Conftantins uns
zugänglich. Auf jene Brautwerbung erflärte er, daß er feine Kinder
nicht ins Ausland verheirathen dürfe, überdies gegen den Willen des
apoftolifchen Stuhls nichts unternehmen werde;”) er gab den Gefandten
des Kaifers überhaupt fein Gehör und feinen Beſcheid, ohne die Ver-
treter des Papftes zur Unterredung Hinzuzuziehen.?) So fand denn
}) Cod. Carol. ep. 28. p. 107, ep. 29. p. 110; j. oben S. 356. N. 6 und
©. 888. N. 2.
») Ep. 36. 5 125: innotuit benignitas vestra, qualiter nostri ac inpera-
toris missi a vobis suscepti sunt.
) Daj.: litteras, quas vobis simulationis ac inlusionis causa ipsi impe-
riales missi attulerunt nobisque a vobis directas; vgl. p. 127: relectis im-
perialibus litteris vobisque defertis per praelatos Änthi spatarium et Si-
nesyum eunuchum, quas nobis ob earum seriem intuendam . . . dirigere
dignati estis.
“) Daj. p. 128: Et in hoc perpendat vestra excellentia, quanta est ini-
micorum malitia . . . in id quod nec suis nec vestris nec nostris credant
missis.
) gl. den Brief des Papſtes Hadrian oben ©. 290. N. 8; Paul felbft
ertlari Cod. Carol. ep. 86. p. 128: nequaquam silesimus [fl. — ei prae-
dicandum ob constitutionem sanctarum imaginum et fidei orthodoxae inte-
gritatem.
®) Bgl. das Schreiben Stephans IIL am die Könige Karl und Karlmann
aus ben Jahren 769—770, Cod. Carol. ep. 47. p. 161: Constantinus impe-
rator nitebatur persuadere ganctae memoriae mitissimum vestrum genitorem
ad aceipiendum conjugio filii sui germanam vestram nobilissimam Ghisylam.
?) Daf.; an ber, von Joffs bezeichneten Stelle if, wenngleich der oder keine
Lude aufweift, doch jedenfalls responsum reddidistis oder ein ähnliches Wort zu
ergänzen.
®) Ep. 86. p. 125: eos... nequaguam suscipi aut illis respondi ad-
quiescentes absque nostrorum missuum praesentia . . . et ipsi nostri legati
ea ipsa nobis retulerunt,
398 Gapitel XIX. 768.
auch zwifchen den beiberfeitigen Abgefandten in feiner Gegenwart eine
Disputation über den orthodoren Olauben und die Ueberlieferung der
Bäter ftatt.!)
Pippin ließ Alles an dem Papft gelangen: den Faiferlichen Brief,
die eigene Antwort, einen ausführlichen Bericht über die Disputation.*)
Sämmtliche Actenftüce jedoch find verloren; wir haben nur die Ant
wort des Papftes,°) in welder er Pippin um ber Vertheidigung des
Glaubens willen preift und fein Thun göttlicher Eingebung zufchreibt.
Er habe die Zuverficht, daß fein Schmeihelwort und fein Verſprechen,
daß alle Schäte der Welt ihn nicht von der Treue gegen die Kirche
witrden abzuwenden vermögen. Wir erfehen daraus, welchen Inhalt
die Antwort Pippins an den Kaiſer gehabt Haben muß. Eine end-
gültige Abfertigung wird es dennoch nicht geweſen fein; denn während
der König den Sinefius bei ſich zuricbehielt, gab er dem anderen
faiferlichen Botſchafter feine eigenen Gefandten zur Fortſetzung der
Unterhandlungen nad) Conftantinopel mit. *)
Noch ein Gegenstand kommt in diefer Correfpondenz zur Sprache:
es ift die zu wiederholten Malen an den Papſt gerichtete Bitte des
Baiernherzogs Taffilo, zwifchen ihm und dem Frankenkönige den Frieden
wieberherzuftellen. ) Der Papft unterzog fich dem Auftrage wohl,
gab es jedoch dem Könige anheim, nad) eignem Ermeſſen zu entfcheiden.
Es liegt feine Andeutung vor, daß es je wieder zu einer Verftän-
digung zwifchen den beiden Gegnern gekommen fei. Aber bezeich-
nend ift es für die veränderte Lage der Dinge, daß der abge
falfene Herzog die Verfühnung ſuchte. Die Tage der Krifis waren
für Pippin glüdlich vorübergegangen; nad) der Unterbrechung zweier
Jahre konnte er im Sommer 765 wieder zur kräftigen Offenfive
gegen Waifar ſchreiten. ©)
Das oft erwähnte Nevers an der Loire diente abermals als
Sammelplag der Armee, zu welcher der König ſich auf dem gewohnten
) Ep. 86. p. 125: Sed et ea, quae pralati missi nostri cum impe-
rialibus missis de observatione fidei orthodoxe et pia patrum traditione
in vestri praesentia disputantes altercati sunt, nobis liquidius per eadem
vestra scripta innotuistis,
2) ©. vor. ©. N. 3 und bie vorſtehende N. 1, dazu p. 125: et exemplar
litterarum, quas praelato imperatori direxistis, responsionis quippe modo et
solutionem petitionum de his, quae ab eo vobis intimata sunt, nobis dirigere
. . . excellentia vestra annuit. Die Ueberbringer bes Hönigficen Schreibens
und feiner Einlagen waren bie heimfehrenden zwei päpftlichen Xegaten, Johannes,
ein Subbiafon und Abt, und der Defenfor Regionarius Pampilus, ſowie der fie
begleitende fräntifche Capellan Flaginus; ep. 36. p. 124.
3) Die im Borfiehenden mehrfach citirte ep. 36. p. 124—129.
4) Pag. 125: unum ex eis, Anthi nempe spatarium, cum vestris missis
regiam direxistis urbem.
®) Pag. 127: jam sepius nos petisse dinoseitur Tasilo Bajuariorum dux,
ut nostros missos ad vestram praeclaram excellentiam dirigi annuisgemus,
ut ea inter vos provenirent, quae pacis sunt. J
©) Ueber das Folgende f. Fred. cont. c. 180.
S. Goar. Klöſter Chrodegangs. Verhdlg. m. Bagdad ır. Byzanz. Aquit. Schlacht. 399
Wege über Troyes und Auxerre begab. Nach Ueberſchreitung der Loire
durchzog man diesmal die Landſchaft Limoufin; die Landgüter des
Herzogs wurden niebergebrannt, viele Kloſter der Verheerung preis-
gegeben.) Bon Iſſoudun aus, jegt einem Dorfe bei Limoges
(Dep. Creuſe, Arr. Aubuffon), wurde fodann bis in jene trauben-
reichen Gegenden vorgebrungen, aus denen damals Kirchen und Klöfter,
Neiche und Arme ihren Wein zu erhalten pflegten. 2) Da fammelte
Waifar ein großes Heer, zum Theil aus den Landfchaften jenfeits der
Garonne, und wagte einen Angriff auf den König.°) Es war das
erſte und einzige Begegnen beider Fürften in diefem ganzen Kriege.
Nach kurzem Kampfe aber ergriffen die Wasconen die Flucht, und der
König verfolgte fie bis zum Einbruch) der Naht. Nur mit Wenigen
entfam der Herzog. In diefer Schlacht war es, wo ber obengenannte
arvernifche Graf Blandinus, nachdem er aus ber fränfifchen Gefangen-
ſchaft zu Waifar entflohen war, fein Leben verlor.*) Bei Digoin,
Dep. Saöne et Loire, an der Grenze des Dep. Allier, überfchritt der
fiegreiche Pippin wieder die Loire und begab fi dur den Gau von
Autumn in fein Reich zurüd.
Der Entfheidungsfampf war zu Waifars Ungunften ausgefallen;
er verfuchte feine Rettung nun durch Friedensverhandlungen. Eine
Gefandtiaft des Herzogs, welhe am Hofe Pippins erfchien, erbat
die Zurüdgabe von Bourges und den anderen eroberten Plägen Aqui-
taniens und verſprach, daß der Herzog dafür dem Könige die vaſſallitiſche
Huldigung leiften und nad dem Vorgang früherer Zeiten demfelben
altjährlich einen Tribut und Geſchenke darbringen wolle. Die fränkiſchen
Großen hatten einst ähnliche Anerbietungen des Langobardenfönigs bei
Pippin befürwortet und den Frieden vermittelt; es zeugt von der Ge-
reiztheit der Gemüther fowie von der Siegeszuverſicht der Franlen,
daß die Reichsverſammlung dem Könige jegt den Rath ertheilte, die
Friedensanträge Waifars zurüdzumeifen.
Nun machte au die Natur den Schaden wieder gut, ben fie
das Jahr vorher, wie in anderen Theilen Europa’s, fo aud im Franken⸗
reiche angerichtet Hatte.5) „Gott hat in gegenwärtigem Jahre unferem
Lande feine Gite und Barmherzigkeit bewiefen,” ſchreibt Pippin; ©)
„er hatte uns unferer Sünden wegen Trübfal gefendet, nad der Trübfal
aber fandte er großen und wunderbaren Zroft, jenen Ueberfluß an
Erdfrucht, deſſen wir uns jet erfreuen. Um diefer und um unferer
fonftigen Angelegenheiten willen?) Tiegt e8 uns ob, ihm unferen Dank
3) monasteriis multis depopulatis.
9) ubi plurimum vinearum erat ... unde pene omnis Aquitania, tam
ecclesiae quam monasteria, divites et pauperes vina habere consueverant.
®) super praedictum regem venit.
%) S. oben ©. 349—350.
) ©. oben ©. 383. (N. 2).
®) Encyclica de letaniis faciendis: Pertz LL. I. p. 32, Jaff& Bibl. III.p. 281.
?) ob hoc atque pro alias causas nostras.
—— —
400 Capitel XLX. 765.
darzubringen, weil er in feinem Erbarmen feine Knechte getröftet hat.“
Der König verordnet daher, daß ein jeder Bifchof in feiner Parodie
eine Proceffion halte, ohne Zaften, nur zum Lobe Gottes, der ſolchen
Ueberfluß gejpendet Habe; und es folle ein jeder Mann Almofen geben
und die Armen fpeifen. Berner follten die Biihöfe im Namen des
Konigs darauf fehen, daß ein jeder Mann, gutwillig oder gezwungen,
feinen Zehnten entrichte.?)
V) aut vellet aut nollet, suam’decimam donet; vgl. oben ©. 298. R. 6. |
Dreißigfles Gapitel.
Tod Chrodegangs. Urkunden. Bilderftreit. Drei aqui—
taniſche Feldzüge. Papft Gonftantin II.
766— 767.
Pippin beging das Weihnachts: und Ofterfeit (6. April 766)
diesmal in Aachen.) Hier wird ihn daher die Nachricht vom Tode
des Bifhofs Chrodegang von Meg, feines Jugendgenoſſen, getroffen
haben; dieſer endete nämlich, nad) mehr als 23jähriger Amtsführung,
am 6. März des Jahres 766.)
Aus hochſtem fränfifchen Adel - geboren, war Chrodegang im
Palaſte Karl Martells auferzogen und ſchon vom ihm zur Würde des
Referendarius erhoben worden.?) Dann hatte ihn Pippin zum Biſchof
don Meg ernannt, Papft Stephan II. mit dem Pallium geſchmückt.
Er war durch Förperliche Schönheit, durch geiftige und fittlihe Bildung
ausgezeichnet: ein Wohlthäter der Wittwen und Waifen, den Pilgern
und allen Fremden ein Gaftfreund; mit Beredſamkeit bediente er ſich
nit nur der Mutterfprade, fondern auch des Tateinifchen Idioms.
Seine äußeren und inneren Vorzüge ficherten ihm denn auch eine ein-
flußreiche Stellung im Reihe. Wenn er fehon in der auswärtigen
Politif eine bedeutfame Rolle fpielte — wir kennen ihn als Mitglied
?) Ann. Laur. maj. 765.
3) Ann. Lauresh. 766: transivit domnus Hrodegangus archiepiscopus
pridie Non. Mart.; Paulus Diaconus de episc. Mettensibus, Pertz SS. II.
pP. 268: Rexit ecclesiam Mettensem annis viginti tribus, mensibus 5, diebus 5;
obiit pridie Nonas Martias in diebus Pippini regis; requiescit in Gorzia
monssterio. Das Bisthum blieb bis zu Pippins Tode unbefebt; vgl. Paulus
p- 269: cessavit episcopatus annos 2, menses 6 et dies
®) Paulus Diac. p. 267, dem aud; bie meiften der folgenden Rotigen ent⸗
nommien ſind. Ueber das Amt des Referendarius vgl. Waitz, BG. IL ©. 380.
Yahıb. d. diſch. Gefg. Deläner, König Pippin. 26
u.
jener Gefandtfchaft, welche den Papft nach Gallien abholte —, fo griff
er noch mehr in die Entwidlung der innern Angelegenheiten ein.
Zwei Klofterftiftungen, zu Gorze und zu Lorſch, und die Congregation
der Mleriker zu Meß waren locale Schöpfungen von dauernder Wich-
tigfeit; aber auch am der Gefeßgebung des Reiches nahm er einen
hervorragenden Anteil. Wir haben insbeſondere bei den Verhand-
Tungen zu Verneuil und zu Attigny in ihm den Führer der geiftlichen
Großen zu erfennen geglaubt; zu Compiögne durfte er die verfammelten
Väter der Synode mit feinen Privatangelegenheiten beichäftigen, indem
er fie zur Unterzeihnung des Privilegiums für Gorze veranlafte.
Wenn von irgend Jemand gefagt werden fann, daß er bie durch
das Ableben des Bonifaz eingetretene Lücke im Neiche wieder ausge-
füllt habe, fo gewiß nur don Chrobegang. Ihn befeelte der gleiche
Eifer für die Hebung des kirchlichen Lebens, er befaß gleiches Anfehen.
Und er war Franke von Geburt; die fränkifche Kirche bedurfte zu
ihrer Regeneration bereits der Ausländer nicht mehr. Die rege Für- |
forge für das engere Gebiet feiner Diöcefe, die Beſchränkung des erften
reformatorifchen Wirkens auf eine Stadt, den Mittelpunkt des Amts»
bezirks, charafterifirt den heimatlihen Sinn des Eingeborenen. Die
Verehrung fir Rom teilte der fräufifche Kirchenverbefjerer mit dem
angelſächſiſchen, aber er folgte ihm nicht bis in alle Conſequenzen der⸗
felben. Der Angelfachie trug fein Bedenken, die fränkiſche Kirche in
ein gefegliches Abhängigfeitsverhältniß zum Papſte zu bringen; ber
Franke ahmte das römijche Beiſpiel nach und achtete die päpftlichen
Ausfprüche, eine amtliche Unterordnung aber lehnte er ab. Wir dürfen
in Chrodegang, wenn nicht den Urheber, fo doch gewiß einen ber
Hanptvertreter dieſer nationalen Sinnesweife erfennen‘, die in der
Pippinifchen Gefeßgebung fchließlih den Sieg davon getragen hat.
Seine Leiche wurde im Kloſter Gorze beftattet.
König Pippin wandte fich abermals nad) Aquitanien. Der neue
Feldzug, zu welchem ein das ganze Land umfafjendes Aufgebot erfolgt
war, nahm von Orleans feinen Ausgang!) Hier fand die Jahres⸗
verfammlung der Großen ftatt, wobei Pippin von feinen Unterthanen
reich bejchenft wurde. Daß die Zufammenfunft zu Orléans aber erft
in den Juli des Jahres fiel, beweifen zwei dafelbft unter dieſem
Datum ausgeftellte Diplome des Königs, das eine, worin er dem
Kloſter des heil. Bonifacius die Villa Umjtadt im Maingau fchenft,%)
402 Capitel XXX. 766-767.
1) Fred. cont. c. 181.
3) Sickel P. 24: villa aliqua noncupante Autmundisstat qui ponitar in
pago Moinigaugio super fluvio Ricchina; jetst eine Stadt in Hefien-Darmftadt,
Prov. Starkenburg. Val. über diefe, Schenkung die oben S. 392. N. 6 citirte
Stelle der Vita Sturmi. — Ein Mann, Namens Sinleus, emaielt dem Kloſter
fpäter ohne allen Rechtsgrund einige Beſitzungen des Ortes vor (illas res in loco
qui dieitur Omenstat, quem domnus et pater noster Pippinus per suum
Preceptum ad monasterium sancti Bonifacii donaverat una cum adjacentiis
et ad se pertinentibus rebus; ungenau aufgefaßt vom Abel, Karl der Große I.
Tod Ehrodegangs. Urkdn. Bilderſtreit. Drei aquit. Züge. Bapft Conſtantin U. 403
das andere, worin er die im Gau von Paris gelegene Ville Erona
fammt ihren Zolleinfünften und fonftigem Zubehör dem Kloſter
©. Denys zurüderftattet.‘) In beiden Urkunden, nicht in der Ful-
daifchen allein, gedenft der König feines Bruders Rarfmann und for⸗
dert die Mönche auf, wie für fein eignes und feiner Nacfommen
Seelenheil, fo aud für das feines verftorbenen Bruders zu beten.?)
Im Juli alſo überſchritt Pippin mit feinem Heere bei Orleans
die Loire. Siegreich vordringend, erreichte er bei Agen (Aginnum) die
Garonne. Das ganze Land zwifchen den beiden Strömen unterwarf
fih dem Eroberer und leiftete den Eid der Treue. Hierauf fehrte
Bippin durd die Gaue von Perigueug und Angouleme wieder ins
Sranfenland zurüd.®)
Am Weihnachtstage des Jahres 766 finden wir ihn in Samouch
bei Laon,*) im Anfange des folgenden Jahres zu Gentiliy bei Paris.*)
Hier kam es nad mehr als 1Ojährigen Unterhandlungen endlich zu
einer dogmatifchen Auseinanderfegung mit Oftrom, die natürlicherweife
aud für die weltlichen Fragen, welche Stalien bewegten, entjcheidend
fein mußte. Die fränfifche Gefandtichaft des Jahres 765,°) welder
ſich auch Vertreter des Papftes angefchlofjen hatten, war in Begleitung
©. 108), bis Karl der Große und fein Hofgericht im November 772 auf eine
Zeſqperde des Abtes Sturm fie am dasſelbe wieder herauszugeben befahl: Sickel
. 17. — Zu einer Urkunde Ludwigs wird noch von einer anderen Schenkung
—— berichtet, von zwei Waldungen nämlich, Bramvirſt und Salzvorſt genanni,
weld;e Bippin und Karl dem Klofter trabirt; dgl. Sickel, Acta deperd. p. 369.
1) Sickel P. 25: villa cognominante Exona sita super fluvio Exone in
pago Parisiaco. — Das Nähere j. oben ©. 7.
* Während des Aufenthaltes zu Orléans erließ Pippin vielleicht auch jene
zwei nicht mehr vorhandenen Diplome für das Klofter des heil. Anianus, deren
Inhalt bereits oben ©. 359. N. 8 angegeben worden.
®) Ademar von Chabannais, um das Jahr 1000 Priefter a Angonteme,
giebt in ſeiner fränkiſchen Geſchichte, lib. II. c. 2 (Pertz SS. 148, IV.
P. 117), eine Zufagnotig zu den ann. Lauriss. maj. 769, die Ville Hierher zu
ziehen ift; er erzählt nämlich, Pippin habe zu Angoufdme feinen Capellan Taunus
als Bifhof eingefegt. Das Auctarium Gemblacense a. 771, gegen die Mitte
des 12. Jahrhunderts gefchrieben, Pertz SS. VI. p. 390, meldet fogar, daß Pippin
dajelbft zu Ehren Johannes des Täufers, deffen Haupt damals durch fromme
Pilger von Alerandrien nad; Angoulme gebradt worden, cernens per eam
cotidiana indigenis beneficia sibique crebras ex hostibus Aquitanieis vietorias
provenire, eine Kirche erbaut und ein Kloſter errichtet habe. Weber die Zweifel-
Baftigeit folder fpäten Nachrichten jedoch, die häufig auf einer Verwechſelung mit
nachfolgenden Königen gleichen Namens beruhen, vgl. Sickel, Acta dep. p. 366;
auch Abel, Karl der Große I. ©. 39 (N. 3).
ın. Lauriss. maj. 766; die ann. Weissemburgenses, Pertz SS. I.
p. 11, meiden zu biefem Jahre wieder, wie zu 763: Hiems grandis.
5)’Die Notiz der ann. Laur. maj. 766: et pascha Teefebravit] in Gen-
tiliaco, fan nur auf Irrthum beruhen, da, nad) der eigenen Angabe der Annalen
zum Jahre 767, Pippin das Ofterfeit (19. April) in Bienne beging, nachdem er
vorher zu Gentillg die Synode abgehalten, darauf einen Zug nad Aquitanien
el hatte, der den ann. S. Amandi zufolge ſchon in den Monat
ärz
) S. oben ©. 398 (N. 4).
404 Capitel XXX. 766-767.
griechischer Botſchafter im Herbft 766 zurückgekehrt. Pippin beſchloß
nun, die veligiöfe Streitfrage, welche fo oft vor ihm gebracht worden
war, in Gemeinfchaft mit den verfammelten weltlichen und geiftlichen
Großen feines Reichs endlich zum Austrag zu bringen. Es handelte
fih nit nur um den Gultus der Bilder, fondern aud um die da—
mit zufammenhängende Trinitätslehre.!) Die Kegerei des ehemaligen
Patriarchen von Gonftantinopel, Neftorius, hatte noch immer viele
Anhänger im Orient; Kaifer Conftantin felbft wollte nicht gelten
Taffen, daß man Maria, die Mutter Chrifti, Mutter Gottes nenne
und ihre Hülfe anrufe.?) Befonders aber ftritt man über da8 Dogma
vom Ausgehen des heil. Geiftes aus dem Sohne. Ein harafteriftiiches
Beiſpiel von der Richtung der griehifchen Kirche ift die Veränderung,
welche in der von Zacharias veranjtalteten Ueberjegung der Dialoge
Gregors I.°) vorgenommen wurde. Während es nämlich im lateiniſchen
Urterte und in der Uebertragung des Papftes geheißen hatte, der Heil.
Geift gehe von dem Vater und dem Sohne aus, änderten die Griechen
diefen Sat dahin ab, er gehe vom Vater aus und ruhe auf dem Sohne.*)
Der Papft, der von der bevorftehenden fränkifchen Reichsverfamm-
fung erfuhr, hatte wohl volles Vertrauen zu der orthodoxen Gefinnung
Pippins; da die Entſcheidung jedoch in die Hände der Großen des
Reichs gelegt war, wandte er fi, wie einft Stephan in den Jahren
753 und 756, aud an dieſe in feinem Ermahnungsfcreiben, das zu-
gleih im Namen des Klerus, des Adels und der gefammten Be—
völferung Roms abgefaßt war.>)
Zu Gentilly nun fand in des Königs und feiner Biſchöfe Ge-
genwart eine große Disputation ftatt, in welcher die Abgefandten des
griechiſchen Kaifers Conftantin V. und die des Papftes Paul I. ihre ent«
gegengefegten Meinungen über die Bilderverehrung und über die Frage von
der Dreieinigfeit bei den Sranfen zur Anerfennung zu bringen fuchten.®)
Die päpftliche Lehre trug, wie zu erwarten ftand, den Sieg davon. ”)
1) Bpf. oben Gap. XI. ©. 187—-188.
3) Theophanis Chronographia ed. Bonn. I. p. 671. 678. 684.
%) ©. oben ©. 118 (N. 4).
“) Vita Zachariae ed. Vignoli II. p. 84. n. 1.
®) Cod. Carol. ep. 87. p. 129 aq.
*) Ann. Laur. maj. 767: Tunc habuit domnus Pippinus rex in supra-
dieta villa synodum magnum inter Romanos et Graecos de sancta Trinitate
vel de sanctorum imaginibus. Das chronicon Adonis, Pertz II. p. 319, hat
nad) Trinitate die Worte: et utrum Spiritus sanctus, sicut procedit a Patre,
ita procedat a filio.
?) Die Vita Austremonüi primi Arvernorum episcopi, Mansi XII. col. 662,
gedenkt einer von Pippin veranftafteten Synode, welche mit derjenigen von Gentilly
identiſch zu fein ſcheint. Es waren in derfelben praesules elarissimi et comiteg
innumeri; cum his... . plurima de fide sanctae Trinitatis contra Deo con-
trarios haereticos disputavit et incorrigibiles quosque de suo regno cum
suis complicibus exturbavit (auf die Iekten Worte ift wohl fein weiterer
Werth zu Tegen). ie geroiß in jeder folcher Verfammlung, vertheilte Pippi
aud) hier iufinita munera ad restaurationem ecclesiarum et sartatectorum
Tod Ehrodegangs. Urldn. Bifderftreit. Drei aguit. Züge. Papft Conftantin IT. 405
D
Um diefelbe Zeit fam aud in der orientalifhen Chriftenheit die
durch den Bilderfturm Hervorgerufene Bewegung zum Abſchluß. Die
drei hervorragendften Kirchenhäupter des Morgenlandes, Theodorus I.
von Serufalem, Cosmas von Alerandria und Theodorus I. von Ans
tiochia, ſprachen ſich in ſchriftlichen Glaubensbefenntniffen, die fie zu—
nachſt ſich untereinander,) dann aber auch dem Biſchof von Rom und
Anderen mittheilten, im Sinne der orthodoren Lehre überhaupt und
insbefondere zu Gunften des Bilderdienftes aus. Das Schreiben des
erftgenannten Patriarchen hat ſich in den Acten des Nicäifchen Con-
eils vom Jahre 787 erhalten:*) Theodorus befennt darin vor Allem
feinen feften Glauben an die Heil. Dreieinigfeit, wie derfelbe von den
ſechs öfumenifhen Synoden, alfen Irrlehren gegenüber, feſtgeſtellt
worden ſei; dann rechtfertigt er die Verehrung der Heiligen, endlich
die der Bilder, ſowohl Chriſti und Mariä, als auch der Apoftel und
Propheten, dev Märtyrer und Bekenner. „Denn wir verehren nicht
den Stoff oder die Farben,“ fagt er, „Tondern werden durch jie nur
auf die Perfonen hingeführt und erweifen diefen die ſchuldige Ehre.
Wir wiffen mit Bafilius dem Großen, daß die dem Abbild gezollte
Ehre auf das Urbild übergeht. Wenn aber Einige in ftreitfüchtiger
Weiſe die Verehrung der Heiligenbilder, weil diefe von Menfchenhand
gemacht feien, verwerfen und diefelben in ihrer Thorheit, ja, Ruch—
Tofigfeit Gögenbilder nennen, fo mögen die jo Gefinnten wiffen, daß
auch die Cherubim, der Gnadenftuhl, die Lade, der Tifch, fämmtlich
von Mofe nad Gottes Vorſchrift angefertigt, Menfchenwert waren
und dennoch verehrt wurden.”
Theodorus von Zerufalem Hatte mit einer ſolchen Kundgebung
reparationem, umb unter ben dabei bedachten Aebten befand ſich Lanfrid vom
Kloſter Manziacum (Mazaye im der Auvergne, Dep. Puy de Döme, Art. Cler-
mont), ipsi regi admodum dilectus; dieſer erbat fi Hier zugleich die Exlaubniß
zur Translation des heil. Auftremonius aus dem Nachbarklofter Volvie (Dep.
Buy de Dome, Arr. Riom) nad Mazaye. — Die Erwähnung des Ortes Volvic
Bat grundfofer Weife dazu verleitet, ein concilium Volvicense anzunehmen, umd
feine Lage in der Auvergne empfahl deſſen Verlegung in das Jahr 761, wo
Pippin Arverna zerftört hat; fo verzeichnet denn auch Hefele, III. ©. 562, eine
Synode zu Bolvic vom Jahre 761. Eine Stätte kriegsfeindlicher Verwüſtung je-
do (ogl. Fred. cont. c. 125 ex.: Factum est autem, ut, postquam Pip-
pinus rex urbem Arvernam cepit, regionem illam totam vastavit) mar
Shnverlich zu gleicher Zeit die Stätte theologif—er Berathungen und Föniglicher
Bunftbezeigungen. Dagegen war Pippin in feinen fetten Jahren, wie ja auch
die fogleih zu erwähnende Urkunde für S. Antonin bemeift, allerdings mit ber
friedlichen Wiederherftellung des eroberten Landes beſchäftigt; mas daher die Vita
Austremonii von jener Synode anführt, würde nicht nur im feinem erſten, fon«
dern auch in jeinem zweiten Theile volltommen auf die Synode von Gentilly
paffen. Auf eine größere Entfernung laſſen überdies die Worte jchließen, daß
die Aebte — inter quos exstitit fridus — nad) Empfang der Geſchenke
ad propria rediere.
3) secundum solitum ecclesiae ritum; f. folgende Seite N. 2.
#) Coneil. Nicaen. II. Actio III, Mansi col. 1185—1146 (2griechiſch
und fateinifd)).
406 Capitel XXX. 766767.
[9
gegen Conftantin V. offenbar den Anfang gemacht; denn indem er
fein Schreiben den Patriarchen von Alerandria und Antiochia zuſchickte,
erfuchte er fie um Berichtigung etwaiger Irrthümer. ) 8 wird benn
auch ausdrüdlic erzählt, daß die Antwortfchreiben der Beiden noch
bei feinen Lebzeiten in Serufalem eingetroffen feien.*) Erft dann,
als er der alljeitigen Zuftimmung gewiß war, überfandte er jenes
Glaubensbefenntniß Namens der beiden anderen Patriarchen und zahl
reicher Metropolitanbifchöfe des Dftens dem Papſte Paul.?) Der
Ueberbringer traf erft am 12. Auguft 767 in Rom ein, anderthalb
Monate nad) dem Tode Pauls I., ſodaß fein Nachfolger Conftantin II.
das Schreiben in Empfang nahm, es vor der Verſammlung des Volkes
verlefen und in griechiſcher und lateinifcher Copie dem Könige Pippin
zufommen ließ.*) Schon vorher jedoch war aus Aegypten ein Mönch
mit ähnlichen Mittheilungen des Cosmas von Alerandria in Rom
angelangt, und Paul I. hatte, offenbar nur furze Zeit vor feinem
Tode, noch die Freude, aus dem Briefe des Patriarchen die orthodoxe
Gefinnung des Orients zu erfahren, ebenfo wie aud) der Bericht Pippins
über die Synode von Gentilly ihn noch am Leben fand. Wir haben
den Brief, in welchem er dem Könige die frohe Botſchaft aus Afrifa
meldet; °) ingleichen die Briefe, worin er ihm und dem Wolfe der
*) Mansi XD. col. 1145: His itaque synodicis nostris libenter acceptis, san-
ctissimi, si quid inventum fuerit in illis emendatione indigens, sine invidia
vestrae Deo plenae doctrinae nos participes facite et ad remittendum ea
nobis correcta estote precabiles.
®) Col. 1186: Hune autem libellum secundum solitum ecclesiae ritum
idem sanctae recordationis [Theodorus sanctae memoriae pater noster et
patriarcha Hierosolymorum] seripsit beatis et almi termini sanctissimis pa-
triarchis, Cosmae scilicet Alexandriae ac Theodoro Antiochiae Theopoleos;
qui et reciproca synodica eorum, dum adhuc viveret, recepisse dignoscitur.
®) Cod. Carol. ep. 45. (Constantini IL) p. 158: duodecimo die preteriti
Augusti mensis nunc transactae quintae indictionis (1. September 766 bie
1. September 767) conjunxit ad nos a sancta civitate quidam religiosus pres-
biter Constantinus nomine, deferens synodicam fidei, missam a Theodoro
Hierusolimitano patriarcha ad nomen predecessoris nostri domni Pauli papae;
in quo et reliqui patriarchae, id est Alexandrinus et Antiocenus, et plurimi
metropolitani episcopi orientalium partium visi sunt concordasse.
*) Daf. p- 154: Cujus exemplar in Latino et Greco eloquio vestrae
excellentiae direximus. In dem Briefe Conftanting felöf ift die Stelle p. 150:
Ipse enim pro humani generis salute, de sinu Patris descendens, verbum
caro factum, de virgine Maria domina nostra nasci dignatus est, non amit-
tens deitatem; sed semet ipsum exinanivit, formam servi accipiens (Philipp. Il, 7)
— umverfennbar- ein Anklang an das Schreiben des Patriarchen Theodor, Mansi
l. c. col. 1137.
5) Cod. Carol. ep. 40. p. 188: Innotescimus quippe, jam absolutis vestris
missis (e8 find wahrfcheinlich die in der nächflen Note genannten Haribert und
Dodo gemeint) conjunxisse ad nos navigium a partibus Africae, in quo qui-
dam monachus, a Cosma ab Alexandrino patriarcha cum litteris directus,
advenit, quarum instar praefulgidae excellentiae vestrae misimus intuendum,
ut ea, que nobis pro integritate fidei ab orientalibus praesulibus et ceteris
nationibus diriguntur, agnoscatis et Iaetetur cor vestrum.
Tod Chrodegangs. Urkdn. Bilderſtreit. Drei aquit. Züge. Bapft Conſtantin II. 407
Franken für die Errettung der Kirche aus den Anfechtungen ihrer
Gegner feinen Danf ausfpricht. ?)
Von den Kämpfen auf geiftigem Felde fehren wir nad) dem aqui—
tanifchen Kriegsfchauplage zurüd. Pippin hatte fi) bereits im Monat
März wieder dorthin begeben, und zwar drang er diesmal von Nar-
bonne aus in das feindliche Land ein und eroberte Toulouſe, Alby
Dep. Tarn), Rodez (Dep. Aveyron) und die Landſchaft Gevaudan
Dep. Lozere), alfo den füböftlichen Theil Aguitaniens.?) Schon am
31. März übertrug er dem Klofter ©. Antonin (entweder Dep. Tarıı
et Garonne, Arc. Montauban, oder Dep. Tarn, Arr. Alby), welches
damals unter dem Abte Fedancius ftand, das benachbarte Petersklofter
Mormacum am Aveyron im Gau von Cahors nebjt zwei dazu ge-
hörigen Kirchen und allen Befigungen derfelben zu vollem Eigenthum.
Die Handlung gefhah in der Kirche des heil. Antoninus in einer
feierlichen Verfammlung, welcher 14 Bifhöfe und 16 Grafen fowie
vieles Volk beimohnten. Daß der Heilige in der Urfunde als „Ver-
theidiger und Beſchützer des Königs und feines ganzen Heeres“ ber
zeichnet wird, beweiſt wohl die franfenfreundliche Gefinnung, welche
in dem Klofter während des Krieges geherrfcht hatte umd durch die
gegenwärtige Schenfung die Anerkennung des Siegers fand. °)
Das Ofterfeft, welches in diefem Jahre auf den 19. April fiel,
feierte der König auf burgundifchem Boden, zu VBienne; und mwahr-
ſcheinlich während dieſes Aufenthaltes übertrug er das feit Wilicars
Rücktritt erledigte Erzbisthum daſelbſt feinem Nachfolger Bertericus.“)
Noch in demfelben Jahre aber, und zwar im Monat Auguft, 5) ging
2) Cod. Carol. ep. 43. p. 145—147, überbracht von dem Abt Haribert und dem
Grafen Dodo, zwei heimfehrenden Gefandten des Königs, fowie zwei päpftlichen
Gefandten, dem Subdiakon und Abt Johannes und dem Primus Defenjor Petrus,
die uns Beide ſchon von früheren Miſſionen Her befannt find (f. oben S. 398.
N. 2 und ©. 355); ep. 38. p. 184—186.
%) Ann. Laur. maj. 767: Tolosam coepit, Albiensem similiter necnon
et Gavuldanum. Der Zufa des chron. Moit ., Pei p. 294:
Pippinus rex Narbonam veniens, Tolosa, Albigis et Ruthenis illi traditae
sunt, ift felbfiverftändfic, da der pagus Rutenicus zwifchen dein Albigensis und
Gavuldanus fag.
®) Wir befigen nicht dag Diplom ſelbſt, fondern nur eine Notitia traditoria,
die nad) der Histoire de Languedoc I, Preuves p. 28, bei Migne Patr.
lat. XCVI. col. 1562 wieder abgebrudt ift: data IT. kal. April. anno XVI.
regni Pippini serenissimi imperatoris; Sickel, Acta II. p. 8, ſeht die Urkunde
irethümlicherweife ins Jahr 768. Der Ausftelungsort ergibt ſich aus dem Wunder,
weldjes dem miianweſenden Biſchof Juſtinus dor dem Altare des heil. Antoninus
begegnete — Ueber eine zweite Schenkung Pippins an S. Antonin ſ. Sickel
. 126*.
Da}
*) Ann. Laur. maj. 767; chronicon Adonis archiepiscopi Viennensis,
Pertz 8S. II. p. 819: ubi tunc Viennensem episcopatum post aliquot annos
Berterico, cuidam ex familia ecclesiae, dedit. Ueber Wincar's Rüdtritt [.
oben ©. 867. R° 18.
) Ann. 8. Amandi 767: iterum Pippinus fuit in Wasconia in menge
Martio, et iterum in mense Augusto.
—
408 Capitel XXX. 766- 767.
er durch Trohes und Aurerre abermals nad Aquitanien, indem er
bei dem Gaftrum Gordinis, in der Nähe von Sancerre (Dep. Eher),
die Loire überſchritt. Als Sammelplag der Truppen war diesmal
Bourges beftimmt.!) So zuberfichtlich betrachtete er die Gebiet ber
reits als fein eigenes, ?) daß die Königin Bertrada ihn dahin begleiten
durfte und mit ihm im Bourges einzog, woſelbſt er die Erbauung
eines Palaftes anordnete. Nach einer Berathung mit feinen Großen
beſchloß er, die Königin unter dem Schuge fränkiſcher Truppen hier
zurückzulaſſen, felbft aber mit dem übrigen heile feines Heeres auf
die Verfolgung Waifars auszugehen. Cr. drang, wie kurz vorher
von Narbonne, fo jegt vom Norden aus bis zur Garonne vor, in
die Nähe jener Gegenden, welche er im Frühjahr dem Feinde entriffen
hatte. Viele Bergſchlöſſer und Felsverftede in den füblichen Teilen
von Limonfin und der Auvergne, ſowie in Nouergue (dem heutigen
Dep. Aveyron) fielen in des Könige Gewalt; °) es werden beſonders
Scoraille, Turenne, Peiruce namhaft gemacht. Der König mochte in
Erfahrung gebracht haben, daß fein unglücklicher Gegner fich hier zu
verbergen ſuchte. Es gelang ihm jedoch nicht, feiner Habhaft zu werden,
und als darüber der Winter eintrat, brach er für diefes Jahr die
Verfolgung ab und ging nach Bourges zurücd, um dafelbft mit feiner
Gemahlin die kalte Jahreszeit zuzubringen. *)
Erft hier erreichte ihn, wenn den Lorfcher Annalen zu glauben
iſt,) die Nachricht vom Tode Pauls J., obgleich diefer bereits am
28. Juni in der Kirche des Apoftels Paulus geftorben war, woſelbſt
?) Fred. cont. c. 132: Campo-Madio, sicut mos erat, ibidem tenere
jubet; ähnlich die ann. Laur. maj. 767: ibi synodum fecit cum omnibus Francis
solito more in campo.
) Fred. cont. ]. c.: cum regina sua Bertradane jam fiducialiter Ligere
transacto ad Betoricas accessit, palatium sibi aedificare jubet.
®) Die ann. Lauresh. (Petav., Mosell.) 767 fagen daher: conquisivit
domnus rex Pippinus Limodiam civitatem et alias civitates in Wasconia.
Damals vielleicht erteilte Pippin dem Klofter Solignac bei Limoges (Sollemniacum
monasterium) da® verloren gegangene Immumitätsbiplom, deffen in einer Be
ätigungsurfunde Ludwigs des Frommen Erwähnung geſchieht; Sickel L. 111,
Acta deperd. p. 384. — Pad Abemar, Historiarum lib. 1. c. 58, beidienfte
er die ©. Stephansticche zu Limoges mit der villa que dieitur Solanniacensis,
ferner das S. Martiolsftift dafelbft (Ademar hatte in diefem Klofter feinen Unter
right empfangen) mit einem golbnen Banner, welches er im Kampfe gegen Waifar
erbeutet, jowie mit der villa de sancto Valerico; Pertz SS. IV. p. 115.
*)_ Bon den Bewohnern der eroberten Gebiete ließ er fi, propter firmitatis
et pacis studium, Geifel ftelfen; sed post non multum temporis spatium ceteris
obsidibus licentia redeundi adtributa. Nur einer der Gefangenen, Lambertus
cognomento Aganus, ex pago qui vocatur Petroicus (Perigorb) et ex castro
quod appellatur Toringius (Zurenne), der einft -— offenbar als Kind — von
dem Grafen Ermenricns und feinem eigenen Vater Aganıs in obsidium gegeben
worden war, blieb feiner freiheit umd feines Vermögens beraubt, bis Kaifer
Ludtoig im Jahre 823 auf feine Bitte ihm Beides wiebergab; Sickel L. 206.
®) Ann. Laur. maj. 767: et reversus est Bituricam ibique nuntiatum
est ei de obitu Pauli papae.
Tod Ehrodegangs. Urtdu. Bilderſtreit. Drei aquit. Züge. Papſt Conſtantin II. 409
er ſich der Hige wegen aufzuhalten gedacht hatte.!) Auch diefer Papft
hatte, gleich feinem Bruder und Vorgänger Stephan II, befriedigt
und beruhigt aus dem Leben ſcheiden können, fowohl wenn er auf die
gebefferten Beziehungen zum Langobardenreiche, als auch wenn er auf
die glücfiche VBefeitigung der von Byzanz Her drohenden Gefahren
hinblickte. Sein Ableben aber war da8 Signal zu neuen Verwirrungen
innerhalb der Stadt Rom felbft, ?) die fi naturgemäß aus der ver-
änderten Stellung des Papſtthums ergaben. Denn feit mit der römischen
Biſchofswürde zugleich eine bedeutende weltliche Macht verbunden war,
mußte die Gelegenheit einer neuen Wahl herrfchfüchtigen Familien ein
Anlaß zu erlaubten und unerlaubten Agitationen werden. Die damalige
Bewegung ging von vier Brüdern, Namens Toto, Conftantinus, Paſſivus
und Paſchalis, aus, von demen der erfte den Herzogstitel führte, der
zweite den apoftolifchen Stuhl befteigen ſollte. Mit Hilfe tuscifcher
Bürger und Bauern bemächtigten fie fich des Laterans und zwangen
den Biſchof Georg von Paleftrina (Pränefte), Conftantin die geiftliche
Weihe zu ertheilen, ihn zum Subdiaton und Diafon zu befördern,
dann am 5. Yuli in Gemeinſchaft mit den Biſchöfen von Albano
und Porto altem Herfommen gemäß?) zum Papſte zu confecriren.
Ein Laie nahm jetzt, allem kanoniſchen Necht zumider, den höchſten
Biſchofsſitz der Chriftenheit ein: eine große Gefahr für das Anfehen
des Papfttäums unter den Gläubigen.
Eonftantin II. bemühte fi, jobald als er fein Pontificat ange-
treten, die Gunft des Königs Pippin zu gewinnen: 4) er fei wider
feinen Willen und ohne fein Verdienſt, wie durch einen heftigen Luft-
ſtrom emporgetragen, zur höchſten Priefterwürde gelangt; aber Jeſus
habe ja einſt aud Matthäus, den Zöllner, zum Evangeliften aus-
erforen, und indem er ſich gleichfalls al8 einen von den Zölfnern
betrachte, flehe er zu Gott, daß es ihm gelingen möge, das hohe
Hirtenamt heilbringend zu verwalten. Pippin aber möge feiner Liebe
und Treue verfichert fein und Verleumdern, welche die Reinheit feiner
Gefinnung etwa zu verdächtigen fuchen follten, feinen Glauben ſchenken.
Das Verhalten des Königs in diefer Angelegenheit, welche gewiß
auch von den Gegnern des Papftes zu feiner Kenntniß gebracht wurde,
iſt uns unbefannt. PVielfeicht darf daraus, daß fich feinerlei Spur
einer Einmifhung desfelben findet, gefchloffen werben, daß er die
Löfung diefer inneren Schwierigfeiten den Römern felbjt überließ, die
ja auch noch während feines Lebens dem ungeſetzlichen Pontificat
Conſtantins ein Ende zu machen wußten.
1) Yita S. Pauli c. 7, Vignoli II. p. 180. Unter ben fränkiſchen Annalen
nehmen beſonders die bes Kloſters Murbach, deffen Abt Haribert kurz zuvor in
Rom geweien war (j. oben ©. 407. N. 1), von dem Todesfalle Notiz; vgl. die
ann. Alamannici Guelferbytani Nazariani 767.
9) Bgl. hierüber die Vita Stephani III c. 3 sq.
®) Daj._c. 10: juxta antiquitatis morem; vgl. die damit übereinflimmende
Formel des Liber diurnus Romanorum pontificum.
*) Cod. Carol, ep. 44. 45. p. 147—15B.
’
Linunddreißigſtes Gapitel.
Neunter aquitanifher Feldzug; Gapitular. Papft
Stephan II. Reistheilung. Urkunden. Tod Pippins,
768.
Pippin war, wie erzählt, im Herbfte 767 zu feiner Gemahlin
nad) Bourges zurücigefehrt und beging hier in dem newerbauten Palafte
das Weihnachts⸗ und Dreifönigsfeft — das letzte, welches ihm zu
erleben beſchieden war — mit bejonderer Feierlichkeit.) Er Hatte
fein Heer diesmal nicht in die Heimat entlaffen, fondern für die
Dauer de8 Winters in bem benachbarten Burgund untergebracht.
Remiftan aber, der Oheim Waifars, hielt diefen Zeitpunkt für dem
geeignetften, vom Könige abzufallen und die Rettung des Herzogs
zu verfuchen. Er trat in die Dienfte feines Neffen zurlid und griff
mit Ungeftüm die fränkiſchen Befagungen derjenigen Städte an, welde
der König einft feiner Obhut anvertraut Hatte: feine Streifzüge durch
die Gaue von Bourges und Limoges fehredten die Landleute von der
Beitellung ihrer Aeder und Weinberge zurüd. 2)
Sobald Pippin von diefem Verrath erfuhr, es war um bie
Mitte des Monats Februar 768,°) fo wurden die Truppen aus ihren
) Fred. cont. c. 183: in Betoricas per hyemem totam cum regina zua
Bertradane in palatio resedit... . natale Domini nostri Jesu Christi et
sanctam Epiphaniam apud Betoricas urbem per consilium episcoporum vel
sacerdotum venerabiliter celebravit.
) Daf.: nullus colonus terrae ad laborandum tam agros quam vineas
colere non audebat.
%) Chronologifce Daten des Jahres 768:
15. Februar: Bippin in Bourges,
10. April (Oftern): Bippin in Selles an ber Loire,
‚2. Juni: Tod Waifars,
im Juli: Pippin in Poitiers,
im September: Pippin in S. Denys,
24. September: Todestag Pippins.
Neunter aquit. Zug; Capitular. Stephan II. Reichsthlg. Urtdn. Tod Pippins. 411
Winterquartieren wieder einberufen; der Erhebungsverſuch Remiſtans
mußte, ehe er noch größere Ausdehnung erlangte, unterdrückt werden.
Faſt ſcheint es, als ob der Aufenthalt zu Bourges für die Königin
feine genügende Sicherheit mehr bot; fie ging nad) Orleans und von
da zu Schiffe nach der Feſtung Selles (Dep. Loir et Eher), welche
ebenfalls an der Xoire lag.) Der König felbft blieb in Bourges
und ließ es, als die Mannſchaften eintrafen, fein Erftes fein, eine
größere Anzahl von Grafen und Getreuen gegen Remiſtan auszu—
fenden; ?) unter den vier namhaft gemachten Zührern finden wir den
Grafen Unibert wieder, der auch jegt, wie unter Waifars Herrfchaft,
der Stadt Bourges vorftand und fi) demnach, im Gegenjage zu
Blandinus von Arverna, dem neuen Herrn rückhaltslos angefchloffen
hatte, .
Es war noch Winterzeit, als Pippin die Meldung erhielt, die
Gefandten, welche er vor drei Zahren an den Chalifen Manßur ab-
geſchickt Hatte, 3) feien foeben wieder in Marjeille angefommen, und
eine mit reichen Geſchenken ausgejtattete farazenifche Geſandtſchaft
befinde ſich in ihrem Geleite. Sofort fehidte er zum ehrenvollen
Empfange der Fremden Boten nad) Marfeille und mies denfelben
vorläufig für den Neft des Winters die Stadt Meg zum Aufenthalts-
orte an.*)
Schon war die erfte wichtige Waffenthat vollbracht. Remiſtan
war den Grafen, welche Pippin gegen ihn ausgeſchickt hatte, in die
Hände gefallen, 5) und fie brachten ihm gefeffelt, nebft feiner Gemahlin,
vor den König. Diefer verurteilte ihn zum ſchmachvollen Tode am
Galgen; °) die Grafen von Bourges, Unibert und Ghiſelar, hatten
die Strafe fofort in Vollzug zu bringen,
Und nun brach der König felbft, das Frühjahr konnte faum fehon
begonnen haben, nach dem Süden auf, um durch die Ergreifung des
jauptgegnerd endlich dem Kampfe ein Ende zu machen. Der flüchtige
erzog Hatte fich immer weiter nad dem Weſten Hin zurüdgezogen
und die Stadt Saintes an der unteren Charente, wie es fcheint,
zur Zufludtsftätte feiner Familie beftimmt. Pippin gelangte nad)
Saintes, von da bis an den unteren Lauf der Garonne umd zu
» einem feiner Lage nad unbeftimmten Orte Montis ”); dort wurden
3) Fred. cont. c. 134: ad Sellus castrum super fluvium ipsius Ligeris.
#) Daf.: Hermenaldum, Beringarium, Childeradum et Unibertum comitem
Betorinum cum reliquis comitibus et leudibus suis.
©. oben ©. 396 (N. 1).
*) Fred. cont. c. 134: ad hiemandum.
®) Daf.: per divinum judieium et fidem regis eum capiunt.
©) Ueber diefe Hinrichtungsart ſ. Wait BG. IV. ©. 480; ein Beifpiel von
der Anwendung derſelben auf Kirchendiebſtahl ſ. oben ©. 859. N. 12.
?) Ann. Laur. maj. 768: in loco qui dieitur Montis; e8 giebt ein Mons
im Dep. Charente, ein anderes in Eharente inferieure; ein Dorf Mont im Dep.
Bofjes-Pyrenees (Art. Orthez), eine Stadt Mont im Dep. Gers am Abour.
Nach Fred. cont. c. 134 jedod hat Pippin die Garonne nicht überfchritten.
412 Gapitel XXXI. 768.
ihm die Mutter, eine Schweſter und mehrere Nichten Waifars, hier
durch Herowicus eine andere Schwefter desfelben in die Gewalt ge-
geben. Waifar felbft ſchweifte mit wenigem Gefolge in der Land⸗
ſchaft Perigord, im Edebol-Walde, umher ?) und entging auch diesmal
glücklich den Nachftellungen. In der That handelte es ſich nur noch
um die perfönliche Rettung des Befiegten; denn während Pippin jegt
an der Garonne ftand, brachten ihm außer vielen anderen Unterthanen
Waifars auch ſchon die Stämme Vaßconiens, welche jenfeits des
Stromes wohnten, ihre Huldigung dar und verbürgten durch Eibe
und Geifel ihre Treue gegen Pippin und feine Söhne Karl und
Karlmann. Es wird nachdrücklich hervorgehoben, daß der König fie
wohlwollend in feinen Unterthanenverband aufnahm.)
Zur Feier des Ofterfeftes (10. April) begab er ſich zur Königin
nad Selles; ®) diefe Feſttage waren aud zum Empfange der ajia-
tiſchen Gefandtfchaft beftimmt, welde Pippin von Met hierher kommen
ließ. Nach Entgegennahme der Geſchenke des Chalifen entfandte er die
Botſchafter auch feinerfeits wieder mit zahlreichen Gefchenfen und unter
ehrenvolfer Begleitung nad Marfeille, von wo fie zur See in ihre
Heimat reiften.*)
Sogleih nahm Pippin dann die faum unterbrochene Kriegsarbeit
wieder auf. Die Königin folgte ihm jetzt fogar bis Saintes, wofelbft
er mit rühmend erwähnter Schnelligkeit als einer der Erften anlangte.
Waifar, der ſich während der Abwefenheit Pippins etwas meiter vor-
gewagt hatte, eilte auf die Nachricht von der Wiederkehr desfelben in
die Wälder von Perigord zurüd. Pippin traf umfaffende Vorkehrungen,
um die Entſcheidung endlich zu erzwingen. In vier Colonnen getheilt,
ſuchten die Grafen und ihre Mannen den Flüchtigen in feinen Vers
ſtecken auf; er blieb trog alledem unerreicht.®)
Ob Pippin neben den offenen Angriffen aud einen Mordanſchlag
auf Waifar begünftigt oder gar veranlagt hat, muß dahingeftelit bleiben.
Dan ſprach damals davon,°) und der fränfifche Chronift, der das Ges
rücht in Wahrheitsfiebe mittheilt, beftreitet es nicht; eine gewiffe Un—
geduld des Könige war in diefen letzten Zeiten unverkennbar. Die
) Fred. cont. c. 134: huc illucque vagatur incertus.
%) Daf.: Pippinus benigniter eos in suam ditionem recepit.
—* Ann. Laur. maj. 768: pascha celebravit in castra qui dieitur Sels.
Bert’ Zweifel über die Lage des Ortes loſen fi durch Bergleihung mit Fred.
cont. c. 134: ad reginam suam ad Sellus veniens; es Tann danach nur das
oben ‚erwähnte Caftell an der Loire gemeint fein.
4) Fred. cont. 1. c. — Wir gedenten hier der Zolfverleihung, welde Pippin
dem ©. Bictorsfift zu Marfeille gewährte, wonad; namentlich bie aus Stalien
anfonımenden Schiffe ihre Zölle an die Kirche zu entrichten hatten; Sickel, Acta
deperd. p. 374.
5) Fred. cont. c. 135; ann. Laur. maj. 768; ann. Laur. min. a. 27.
Pippini: nec tamen ut voluit Weiferium capit, sed ille semper vastationi
et fügae intentus.
©) Fred. cont. c. 185: ut asserunt, consilio regis factum.
Neunter aquit. Zug; Capitular. Stephan III. Reichethlg. Urfon. Tod Pippins. 413
feftftehende Thatſache ift, daß Waifar am 2. Juni des Jahres 768
dur eine Mörderhand ftarb, die ſich in feiner eigenen Umgebung
gegen ihn gewaffnet hatte;*) der Mörder hüllte feine That in das
Dunkel der Nacht. So hatte das unruhige Leben des legten Fürften
von Aquitanien ein Ziel gefunden. Er hatte der großen Entwidelung
des fränfifchen Staates ſich entgegenzuftellen gewagt und für die wohl
Tampfeswürdige Unabhängigkeit jeines Fürſtenthums mit Kraft und Aus-
dauer geftritten. Ihn traf der Todeöftreich jedoch nicht, als er noch
inmitten der Kämpfe vielleicht den Sieg feiner Sade hoffen durfte;
der Zwed feines Lebens war, als er ftarb, bereitö verloren. Wenn
es wahr fein follte, daß Pippin ihm das Ende des Viriathus bereitet
hat, fo ift er dadurch vielleicht vor dem ſchwereren Schidfal eines
Vercingetorix bewahrt geblieben.
Das ganze Aquitanierland lag nun zu den-Füßen des mächtigen
Siegers; ‚die Bewohner beeilten fi, ihm zu Huldigen und das Ab-
bhängigfeitöverhäftniß, wie e8 einft unter dem Fräftigiten der Mero—
winger beftanden hatte, wieder zu erneuern.?) Im Triumphe fehrte
der König zu feiner Gemahlin nad) Saintes zurück.
Ehe wir aber zu den legten Tagen Pippins übergehen — denn
fein Lebenswerk war nun aud nahezu vollbracht —, richten wir noch
einmal, wenngleich der Zeit nad) etwas borgreifend, den Blid nad
Rom, wo nad) dreizehnmonatlicer Verwirrung mit raſcher und kräf⸗
tiger Hand die innere Ruhe und das Anjehen der fanonifchen Gefege
wieder Hergeftellt wurde.)
Zu den hervorragendften Feinden des Papftes Eonftantin gehörte
jener Primicerius Chriftophorus, den wir bereit als den verhaßten
?) Interfectus (interemtus) est: fat in allen Ouellen, a suis interfectus
est: Fred. cont. c. 185; dolo Warattovis (ein vornehmer Ram, v dgl. Sonnell,
Anfänge des Tarofingifcjen Haufes ©. 124): ann. Laur. min. a. 27. Pippini;
4. non. Junü: ann. S. Amandi 768; mense Junio: chr. Moiss. p. 294. Offen
bar ein Schreibfehler ift in den ann. Sangall. Baluzii p. 63: 4. non. Jan.;
bier findet fi noch der mur auf den 2. Juni, einen Donnerstag, paffende Zu-
fa: in nocte, die 5. feria.
®) Fred. cont. c. 135: omnes ad eum venientes ditionis suae, sicut an-
tiquitus fuerunt, se faoiunt.
®) Vita Stephani III. c. 5—24. — Hegel, Geſchichte der Städteverfaffung
von Italien I. ©. 257 ff., fehließt aus Siefene Borgängen auf das Borhandenfein
einer aan und einer langobardiſchen Partei in Rom. Cs dürfte ſich darin
jedoch) eher der Gegenfats einer orthodoren umd einer heterodogen Partei erkennen
Iaffen, auf welchen die Bilderfrage vieleicht von weſentlichem Einfluß war. Denn
gleichwie Chriftophorus, der Gegner des unkanoniſch gewählten Conftantin, zu⸗
leich ein Widerjacher Oftroms war, jo betrachtete es nach dem Sturge Conftantine
Fapfı Stephan IH. und feine Synode als eine ihrer dringendſten Aufgaben, für
das Dogma ber Bilderverehrung einzutreten, confundentes atque anathema-
tizantes execrabilem illam synodum, quae in Graeciae partibus nuper facta
est pro deponendis ipsis sacris imaginibus (Vita Steph. III. c. 33). Daß
die orthobore Partei aber beim Könige Defiderius eine Anlehnung ſuchte und
fand, bezeugt den von uns mehrfach hervorgehobenen Friedenszuſtand, welcher in
den 60er Jahren zwiſchen dem Papfttfum und den Langobarden, nicht ohne
Hinzuthun des fränkijgen Königs, herbeigeführt worden war.
——
414 Gapitel XXXI. 768.
Gegner des griehifchen Kaifers kennen.) Er und fein Sohn Sergius
beſchloſſen endlich, den Papft gewaltfam zu flürzen, und zwar durch
Tangobardifche Hülfe — ein bedenkliches Mittel; denn wirklich drohte
der Stadt, als die Langobarden dafelbft waren, einen Augenblid lang
der Verluft ihrer Unabhängigfeit.?) Unter dem Vorwande, daß fie in
einem fpoletanifchen Kloſter das Mönchsgewand nehmen wollten, be
gaben fich Chriftophorus und Sergius zu dem Herzog Theodicius
und mit diefem zu Deſiderius ſelbſt und erbaten ſich feinen Beiftand,
„damit der Irrthum jener Neuerung aus der Kirche getilgt würde.“ ®)
Nachdem fie beim Könige längere Zeit verweilt hatten, drangen fie
Ende Juli 768 von Rieti und anderen Städten des Herzogthums
Spoleto aus mit bewaffneter Macht gegen Rom vor, und Mitver-
fchmorene öffneten ihnen ein Thor. Herzog Toto und fein Bruder
Paſſivus traten ihnen zwar mit zahlreicher Mannſchaft entgegen, und
ein gewaltiger Langobarde, der auf den Herzog eindrang, wurde von
diefem- zum Schreden der übrigen Langobarden niedergemadht. Aber
unter Toto’8 eigenen Begfeitern befanden ſich Verräther, die ihn wäh⸗
rend des Kampfes meuchlings tödteten. Damit war auch das Schickſal
feines Bruders Conftantin entfchieden. Paſſivus meldete diefem, was
vorgefallen, und Beide hielten fih im Lateran Hinter verjchloffenen
Thuren verftedt; bald aber wurden fie hervorgeholt und im ficheren
Gewahrfam gebracht. Am 1. Auguft berief dann Chriftophorus jämmt-
liche geiftlichen und weltlichen Großen, ſowie die ganze Bürgerfchaft
der Stadt zur Wahl eines meuen Papftes, und diefe fiel einftimmig
auf Stephan, den Priefter der Cäcilien-⸗Kirche zu Rom. Sonntag den
7. Auguft, am Tage feiner feierlichen "Weihe, wurde zur Sühnung
der Stadt vor dem verjammelten Volfe ein Schuldbelenntniß verlefen,
in welchem ſich alle Römer, weil fie der Einfegung Conitantins feinen |
Widerftand gefeiftet hätten, als der Sünde derfelben theilhaftig er— |
klärten. Bon der graujamen Mißhandlung Conjtantins und feiner
Anhänger dürfen wir fhweigen, zumal fie nicht von feinem Nachfolger
felbft ausgegangen ift. Diefer rief vielmehr, um ähnlichen Ereigniffen
für die Zufunft vorzubeugen, gleich im Anfange feines Pontificats eine
Synode zufammen, zu welcher er ſich auch die Theilnahme fränfifcher j
Biſchöfe erbat. Sein Gejandter jedoch, der vorerwähnte Sergius, traf |
Pippin nicht mehr am Leben;*) er wandte fi daher an die Söhne \
desfelben, und auf deren Geheiß wohnten in der That zwölf Biſchöfe
S. oben ©. 397.
?) Vita Stephani III. c. 15: insurrexerunt quidam dicentes, quod Waldi-
jertus presbyter, Langobardo genere ortus, consilium cum Theodicio duce
Bpoletino iniinet ad... eivitatem Romanam Langobardorum genti tradendam.
%) Daj. c. 5: ejus [Desiderii] obtutibus praesentati, deprecati sunt eis
auzilium tribui, ut talis novitatis error ab ecclesia Dei amputaretur.
*) Daf. c. 17: properante Sergio ad Francorum regiones, jam invenit
de hac luce migrasse christianissimum Pippinum regem; et coeptum gra-
diens iter, pervenit ad ejus filioe.
Neunter aquit. Zug; Eapitular. Stephan III. Reichsthlg. Urkdn. Tod Pippins. 415
des Frankenreichs im April 769 einem römiſchen Concil bei, deſſen
Satzungen dazu beſtimmt waren, die Erhebung eines Laien auf den
päpftlichen Stuhl, ſowie jede andere den kanoniſchen Vorſchriften zu—
wiberlaufende Neuerung bei der römischen Biſchofswahl für alle Zukunft
zu verhüten.!)
König Pippin war in den legten Zeiten feines Lebens vor Allem
mit der fefteren Geftaltung der in Aquitanien neugefchaffenen Ber:
hältniſſe bejchäftigt; denn es galt jegt, dem unterworfenen Lande, in
welchem ein neunjähriger graufamer Krieg getobt hatte, geordnete Zu-
ftände wiederzugeben. Noch während des Waffenlärms Hatte Pippin
manche Feſtungswerke, welche zum Theil der Gegner felbft zerftört Hatte,
wieder aufrichten Lafjen und die eroberten Orte der Obhut föniglicher
Beſatzungen anvertraut.?) Auch in Saintes, woſelbſt er etwa die zweite
älfte des Monats Juni zubrachte,“) war er vor Allem bemüht, das
ächfte und Dringendfte für die Sicherung des Sieges zu thun, für
die Verwaltung der neuen Provinz nämlich geeignete Grafen und
Richter auszuwählen.*) Hier fanden damals die alljährlich üblichen
Berathungen der Reichsverſammlung ftatt,5) und für ein auf Aquitanien
bezüglihes Capitular Pippins hat man daher wohl mit Recht in
Saintes die Entftehung gefucht.*)
!) Vita Stephani III. c. 18 sg. Die Synobalacten ftehen bei Mansi XII.
col. 713—722; col. 714—715 find fämmtliche Mitglieder der Synode verzeichnet.
) Fred. cont. c. 129: [Waifarius] quamplures civitates et castella,
omnes muros eorum in terram prostravit, quos postea praecelsus rex Pip-
Pinus reparare jubet et homines suos ad ipsas civitates custodiendum dimisit.
®) Ann. Laur. maj. 768: ibi moram faciens aliquot dies. Die Urfunde
für Poitiers ift erft vom Juli datirt.
*) Fred. cont. c. 186: comites suos ac judices ibidem [Santonis] constituit.
®) Daf.: Dum Santonis rex venisset et causas pro salute patriae et uti-
litate Francorum tractaret.
°) Zum erften Male Herausgegeben von Perg, LL. II. p. 18, ex codice
Vossiano saec. XI. Die Beziehung auf Aquitanien ift in dem Capitular zwar
mit feiner Silbe ausbrüclich angezeigt, aber Perg Hat fie durch die Begteiung
mit der p. 14 folgenden Infteuction Karls des Großen für feine missi in Equi-
tanis vom Jahre 789 unzweifelhaft gemacht. Karl Hatte nämlich gleich nad) des
Vaters Tode die Beftimmungen desjelben von neuem eingefhärft und nur in
diefer Recenfion befigen wir überhaupt das Pippinifche Capitular, das demnach
ebenfowoht zu den Capitularien Karls als zu denen Pippins gezählt werden muß:
Ineipiunt capitula, quae b. m. genitor Pippinus sinodaliter — hier find im
Coder einige Worte ausgefallen, wie etwa instituit et nos — ab homnibus [d.i.
omnibus] conservare volumus. Im Zahre 789 nun werden bie aquitaniicen
Königsboten beauftragt, über die Ausführung früherer Verordnungen Nachforſchung
w halten, darunter bejonders de illo edieto quod domnus et genitor noster
ipinus instituit et nos in postmodum Per nostros missos conservare et im-
plere jussimns; und von den 17 Eapiteln diefer aquitanifchen Inftruction nehmen
9 mit gleihem Wortlaut auf. die Capitel 1-7. 9. 12. des Pippinifchen Capi«
tulars Bezug. Daran ergiebt fid, daß auch dieſes Capitular, was feinem In⸗
Halte fehr wohl entſpricht, für Aquitanien beftimmt war. Die Stelle in c. 8
der Imftruction: eo tempore . . . quando illa patria Deus sub nostris mani-
bus posuit, weift ebenfo beftimmt, wie auf das Sand, auch auf das Jahr 768
al8 den Zeitpunkt jenes Pippimiſchen Exlafjes hin. Aus biefem jelbft aber (c. 3.:
416 Capitel XXXI. 768,
Es muß unjer Intereſſe erregen, die erften gefeßgeberifchen und
Berwaltungsmaßregeln fennen zu Iernen, welche von Pippin in bem
neuerworbenen Lande getroffen wurden und welde in jenem aus 12
Paragraphen beftehenden Gapitular enthalten find.) An die ehemaligen
* Defiderien, welde im Jahre 760 den Anlaß zum Kriege gegeben |
hatten, erinnert nur die eine Beftimmung, daß alle Bifchöfe, Aebte,
Aebtiffinnen und fonftigen Geiftlichen im ungefchmälerten Befige der⸗
jenigen Güter ihrer Kirche belaſſen werden follten, die fie für ihren
Unterhalt nöthig Hätten ;?) denn es war natürlich, daß in dem ver-
armten Sande der entbehrliche Theil des Kirchengutes, ganz fo wie es
in den vierziger Jahren im Franfenreiche gefchehen war, unter ber
Form von Beneficien in Laienhänden verblieb, und Pippin trug nur
dafür Sorge, daß jeder Weltliche, der Kirchengut befaß, ſich darüber
zu größerer Sicherheit der Kirchen eine Verleihungsurfunde ausftellen
ließ.) Wir fehen, wie Pippin fi treu blieb: die Sorge’ für die
kirchlichen Inſtitute ftand ihm auch hier, bei der NReorganifation Aqui-
taniens, obenan. Daher die Vorſchrift, daß alle Kirchen, die in Trümmer
Tagen, von ihren Biſchöfen und Aebten unter Mitwirtung der aus
ihrem Gute belehnten Laien wieder aufgebaut werden follten.‘) Und
Biſchofe, Aebte und Aebtiffinnen wurden ermahnt, der Heiligen Ordnung
gemäß zu Teben.®)
Ein deutlicher Unterfchied tritt zwiſchen firchlichen und könig—
lichen Beneficien hervor. Bon den legteren, die offenbar aus den neu—
gewonnenen Staatsdomänen genommen wurden,®) ift an zwei Stellen
in ſehr bezeichnender Weife die Rede.“) Zunächſt will der König, daß
der Empfänger dem Grundftüce feine volle Sorgfalt zuwende, andern»
falls er es wieder herausgeben und ſich auf fein eigenes Gut be=
ſchränken möge.) Es waren aljo die im Lande ſchon anfäfjigen Aqui—
tanier felbft, denen Pippin vielfach feine Beneficien zugewendet hat,
vielleicht um die Stimmung des Volkes zu gewinnen. Ya, die Aus-
theilung von Königsgut muß in höchft umfafjender, man möchte faft
fagen, tumuftwarifcher Weife erfolgt fein; denn es wird die Möglichkeit
sicut in nostra sinodo jam constitutum fait) darf vielleicht gefchloffen werden,
daß die Regelung der aquitaniſchen Verhältniſſe, wahrfgeinlid nur ber kirchlichen
ſchon in einer früheren Synode begonnen worten, wenn mit jenen Worten nicht
vielmehr eine allgemeine jränkijche Synode gemeint ift; j. oben ©. 6. N. 5.
2) Bgl. den oben ©. 338. N. 1 angeführten Vers des Ermoldus Nigellus:
Hinc, Pippine, micas, Aquitanis jura remittens.
3) Capit. Aquitanicum c. 3.
- 3) Daf. c. 11: Ut omnes laici et secnlares, qui res ecclesiae tenent,
precarias inde accipiant.
*) Cap. 1.
®) Cap. 2.
‘) @gl. Fred. cont. c. 130: villas publicas, quae ditionis Waifarii erant.
?) Capit. Aquit. c. 5. 9.
®) Cap. 5: qui hoc facere non vult, dimittat ipsum beneficium et teneant
suas res proprias.
—
Neunteraquit. Zug ; Capitular. Stephan III. Reichsthlg. Urkon. Tod Pippins. 417
vorausgejegt, daß über den Beſitz eines Beneficiums Streit entftehen
könnte, und für diefen Ball beftimmt, daß derjenige es behalten folle,
dem der König es früher übertragen habe.)
Pippin fuchte feine neuen Unterthanen überhaupt mit dem Staats»
ganzen, in das fie eingetreten waren, eng zu verfnüpfen: fie haben
am Kriegsdienft wie an den Reichsverſammlungen theilzunehmen; ?)
es wird ihnen in ausgedehnten Maße die Appellation an den König
geftattet; fie haben in ſolchem Falle jederzeit Erlaubniß, zu ihm zu
fommen, und niemand darf durch einen Zwang irgend welcher Art
fie davon zurückzuhalten ſuchen.“) Wer aber auf der Reife zum König
begriffen ift, fteht in einem höheren Frieden: jeder Trevel gegen fein
Eigenthum wird mit dreifaher Buße belegt.*)
Andererſeits darf niemand, der ſich in den Krieg oder zur öffent
lichen Verſammlung begiebt, auf jeinem Wege eine Gewaltthat gegen
feinen Nächten begehen; er darf Futter für das Vieh, Waffer und
Ho, in ungünftiger Jahreszeit auch Wohnung beanfpruchen, alles
Uebrige aber nur erfaufen oder erbitten.d)
So werden die Unterthanen denn auch gegen Mißhandlungen
Seitens der Beamten gefichert: diefe dürfen die Armen des Landes
nicht höher belaften, als geſetzlich vorgefchrieben ift;°) und der Grund»
fag der perfünlichen Nechte, der im fränfifchen Reiche von jeher
herrfchend gewefen, wurde nun auch für da8 romanifche Aquitanien
proclamirt. Nicht für das römische und das falifche Recht allein wurde
Geltung gefordert; auch wer aus einer anderen Provinz käme, follte
nad den Geſetzen feiner Heimat Teben.?) Vielleicht wurde dabei vor-
zugsweiſe an die Gothen Septimaniens gedacht, denen, wie wir wiffen,
bei ihrer freiwilligen Unterwerfung unter das Frankenreich der Fort⸗
beftand ihres Volksrechts zugefichert worden war.®)
Schließlih wurde eine Art Provincialverfammlung, aus den
Bornehmen des Landes bejtehend,°) ins Leben gerufen, mit welcher die
Königsboten ganz in derfelben Weife, wie e8 fpäter unter Karl dem
Großen alfgemeine Reicheinftitution wurde, ſowohl ftaatliche als kirch-
Tiche Angelegenheiten in Berathung ziehen ſollten; 10) und worüber fie
fic) verftändigt Haben würden, das dürfe niemand anzufechten wagen. 1)
») Cap. 9.
?) Qgl. cap. 6: quicungue in itinere pergit, aut hostiliter vel ad placitum.
j Ca. 8 dgl. oben ©. 248—244.
®) Cap. 6: nulla super suum pare praendat, nisi emere aut praecare potu-
erit, excepto herba aqua et ligna; si vero talis tempus fuerit, mansionem
nullus vie,
ap. 4.
) Cap. 10: Ut omnes homines eorum legis habeant, tam Romani quam
et Salici; et si de alia provincia advenerit, secundum legem ipsius patriae vivat.
®) ©. oben ©. 340 (N. 4).
?) cum illis senioribus patriae.
0) ad nostrum profectum vel sanctae ecclesiae.
4) Cap. 12.
Jaheb. d. diſch. Gef. Delsner, König Pippin. 27
418 Capitel XXXI. 768.
Dies waren die Bejtimmungen des aquitanischen Capitulars, das,
wie es feheint, den neueingefegten Grafen des Landes als Richtſchnur
dienen follte. Pippin verftand es, nicht nur zu fiegen, fondern auch
den Sieg, vor Allem durch Förderung des allgemeinen Wohlergehene,
zu fihern. Er fonnte vertrauensvoll und befriedigt die neue Provinz
verlaffen, welche ihm nie wieder zu betreten befchieden war. Denn
ſchon in Saintes kam die Krankheit zum Ausbruch, die ihn in wenigen
Monaten dahinraffen follte; mit einem Fieberanfall begann fie.)
Die Heimkehr führte durch Poitiers und Tours?) An beiden
Orten bezeichnete er feine Anwefenheit durch fromme Werke; befonders
in Tours bedachte er fowohl die Kirchen und Kföfter, als auch die
Armen mit großen Gaben;?) damals ohne Zweifel bewilligte er dem
S. Martinskloſter dafelbft Privilegium und Immunität.“) Aber es ift
von den Urfunden, die er darüber ausgeftellt Hat, feine erhalten, wäh:
rend wir das Diplom beſitzen, durch welches er zu Poitiers, wahr-
fceinlih Anfangs Juli, dem Abte Bertinus die Immunität bes
Kioſters S. Hilaire beftätigte.°)
Zn Tours ſcheint er das Martinsftift bewohnt zu haben,®) und
er rief hier des Heiligen Fürbitte bei Gott für feine Thaten an; ”)
die Andacht muß mit hoher Zeierfichfeit verbunden geweſen fein, "pa
die Berichte ihrer fo nachdrücklich erwähnen. Vielleicht ift es gerecht-
fertigt, anzunehmen, daß Pippin ſchon zum 4. Juli hier eintraf, dem
großen Feſttage des Heil. Martin, am welchem zu gleicher Zeit die
Einweihung feiner Kirche, die Beifegung feines Leichnams und feine
Bifchofsweihe gefeiert wurde; jenem Tage, „durch deffen Feier im
Glauben (um mit den Worten Gregors von Tours zu reden) der
Schug des Heiligen in diefem und jenem Leben zu gewinnen war,“ ®)
bei deſſen jährlicher Wiederkehr, wie Alcuin verfichert, die Chriften
ı) Fred. cont. c. 186: Dum Santonis ... venisset ... a quadam febre
vexatus aegrotare coepit; in bemerfenswerther Aehnlichfeit des Wortlauts Heißt
es in ben ann. Lauriss. maj. 768: interemto Waifario, cum triumpho victo-
riae ad Sanctones reversus est, ibique moram faciens aliquod dies aegro-
tare coepit.
#) Fred. cont. 1. c.: Inde per Pictavis usque ad Toronis urbem .
ii : partibus Turonorum revertendo perrexit,
multam eleomosynam tam ecclesiis quam mona-
steriis vel pauperibus Targitus est.
+) Sickel K. 90 und L. 298; Acta deperd. p. 374.
®) Sickel p. 27: Data in mense Julio, anno XVII. ‚gesni nostri, Pictavis
eivitate; Dat Sidel, Beiträge zur Diplomatif IIL. ©. 228,
*) Fred. cont. c. 136: ad monasterium beati Martini confessoris accessit.
?) Daf.: auxilium beati Martini petens, ut pro ejus facinoribus Domini
misericordiam deprecari dignaretur; ann. Laur. maj. 768: orationem ad
sanctum Martinum fecit.
®) Gregor. Turon. hist. Franc. lib. II. c. 14: Solemnitas ipsius basilicae
ei lici virtute pollet: id est, dedicatione templi, translatione corporis sancti
el ordinatione ejus episcopatus. Hanc enim quarto nonas Julias obser-
Yabis. . quod si fideliter celebraveris, et in praesenti saeculo et in futuro
patrocinia beati antistitis promereberia.
Neunter aquit. Zug; Capitufar. Stephan III. Reichstälg. Urkdn. Tod pippins. 419
ſchaarenweiſe in der fonft jo unanfehnlichen Stadt zufammenftrömten. ?)
Endlich gelangte der kranke König, umgeben von feiner Gemahlin und
feinen zwei Söhnen, nah S. Denys, dem Eigenthume feines Schutz⸗
Heiligen, der Stätte feiner Kindheit und bald aud feines Grabes.
Er fühlte die Nähe des Todes und wünfchte die legte That zu
thun, die zur Sicherung der Zukunft noch erforderlich war. Er ver-
jammelte alle weltlichen und geiftlihen Würdenträger um fi, um in
Gemeinfhaft mit ihnen und unter ihrer Zuftimmung die Theilung
des Neiches vorzunehmen; ?) denn die Theilung, fo häufig eine Quelle
der Zwietraht und des Kampfes, galt in jenen Zeiten grade als das
Mittel zur Erhaltung des Friedens und der Eintradt.?) Der Beir
rath der Großen war einft auch von Karl Martell für die Theilung
des Jahres 741 nachgeſucht worden und durfte bei einem fo wichtigen
Regierungsacte gewiß nicht fehlen. Zugleich war es aber, wie fehr
treffend bemerkt worden ift, ) vielleicht das jtärffte Zeugniß von ber
eigenthümlichen Erblichfeit der königlichen Gewalt bei den Franken,
daß der Erftgeborene des Königs die Thronfolge mit feinen Brüdern
theilen mußte.
Bei dem Regierungswechfel, der jet dem fränfifchen Reiche bes
vorftand, fcheint fonderbarerweife der jüngere der Söhne nur ungern
dem erftgeborenen die Hälfte des Erbes eingeräumt zu haben; denn
mit Mühe ift er nad) dem Tode des Waters vermocht worden, den
Testen Willen desfelben in Ehren zu halten.) Man hat über dieſes
Mifverhältniß zwiſchen Karl und Karmann allerlei Vermuthungen auf
geftellt, die doch nur auf unficheren chronologifchen Notizen beruhen. 8)
Daß dasfelbe ſchon bei Lebzeiten des Vaters beftanden, würden wir aus
den gleichzeitigen Documenten nicht im Entfernteften zu erfennen ver-
mögen, ja auf Grund derfelben vielmehr bezweifeln, wenn nicht ein
) Homilia de natali sancti Willibrordi auctore Alcuino, Opera ed.
Migne II. (Patr. lat. CL) col. 711; bie Stelle handelt von den festa Sanctorum:
Quid te, Turonica civitas, loquar, muris quidem parvula et despectibilis ...
quis propter te adierit te? Um bes heil. Martin willen aber turbae ad te
confluunt christianorum.
) Abel, Karl der Große I. ©. 24. N. 1, hält den factus solemniter gene-
ralis conventus des Einhard (Vita Karoli c. 8) wohl mit Recht für diefe noch
bei Lebzeiten Pippins veranftaltete Verſammlung der proceres omnes, duces et
comites Francorum, tam episcopi quam sacerdotes (Fred. cont. c. 186).
®) ®gl. Divisio Imperii a. 806, Pertz LL. I. p. 141: ut sus quisque
;ortione contentus ... . nitatur . . . pacem et caritatem cum fratre custo-
lire; die ann. Einhardi 806 fagen daher: conventum habuit imperator cum
primoribus et optimatibus Francorum de pace constituenda et conservanda
inter filios suos et divisione regni facienda.
+) Bait, BO. IL ©. 98.
®) Einhardi Vita Karoli c. 3: mansitque ista quamvis cum summa difh-
cultate concordia, multis ex parte Karlomannisocietatem separare molientibus.
©) Ich meine bie Angabe der ann. Bertiniani 749 über das Hochzeitsjahr
®ippins, und bie des Cod. B. der ann. Petaviani, wonach Karlmann erft im
Zehre 751 geboren wäre.
420 Eapitel XXXI. 768.
Brief aus jpäteren Jahren die Thatjache außer Frage ftellte.) Um
fo dringender mußte Pippin wünſchen, die Nachfolge noch während
feines Lebens geordnet zu fehen,?) d. h. alfo wohl, demjenigen feiner
Söhne einen Antheil zu fihern, unter welchem bereinft die Macht
EM der Ruhm des fränkischen Namens ihren Höhepunkt erreichen
ollten.
Da die Theilung des Jahres 768 durch das frühzeitige Ableben
Karlmanns nur von einer ſehr vorübergehenden Bedeutung war, ſo
hätte fie die eingehenden Unterſuchungen, welche ihr gewidmet worden,
kaum in Anſpruch nehmen dürfen, wenn es fich dabei nicht auch um
das Princip der Theilung handelte, in welchem fi) ein wichtiger
politifcher Gedanke Pippins offenbart.
Eine wefentlihe Forderung war die Gleichheit der Theile.) Im
Einzelnen wird fodann glaubhaft berichtet, *) daß Karlmann das ganze
Burgund nebft Septimanien und der Provence, ferner Elſaß und
Alamannien befommen Habe; Auftrafien ſollte an Karl fallen, Aqui—
tanien zwifchen Beide getheilt werden. Daß Pippin über Baiern nicht
verfügte, war nach dem Abfalle Taſſilo's ebenfo natürlich, wie daß
im Jahre 741 weder Aquitanien noch Septimanien einen Theilungs-
gegenftand gebildet Hatte. Wenn die Berichte aber einerjeits von
Neuftrien, andererſeiis von den mitteldeutjchen Gebieten der Heſſen
und Thüringer ſchweigen, fo fann dies nur als Ungenauigfeit betrachtet
werden. Die Forſchung Hat daher andere Hilfsmittel aufbieten müffen,
um namentlich in Betreff Neuftriens zu einem Reſultat zu gelangen.
Bald ift hier nun eine gemeinfame Herrſchaft der Brüder, bald eine
Theilung auch dieſes Landes, ja ſelbſt Auftrafiens vermuthet worden.
Diefe Annahmen jedoch widerfteiten den pofitiven Angaben der Quellen,
fei es, was die Gleichheit der Antheile, fei es, was Auftrafien betrifft.
Es darf vielmehr behauptet werden, °) daß der ältefte Sohn Karl fo-
wohl Auftrajien als auch Neuftrien in ihrem ganzen Umfange bekam,
daß die mitteldeutfchen Landestheile gleich den ſüddeutſchen zum Macht-
gebiete Karlmanns gehörten und daß Aquitanien, wie auch gewöhnlich
angenommen wird, in einen weftlichen Antheil Karls und einen öft-
lichen Karlmanns zerfiel. ALS ein wichtiger Grundfag der Theilung
erſcheint ſonach die Bildung concentrirter oder doch feſt zufammen-
hängen der Maſſen. Aus der Vergleihung der beiden Hälften aber, mie
) Epist, Cathuulfi ad Karolum regem c. 775, Jaff& Bibl. IV. p. 337: !
de fratris tui insidiis in omnibus Deus te conservavit, ut de Jacob et
Esau legitur; vgl. Ranle, Zur Kritit fränkiſch - deutſcher Reichsannaliften, Ab-
handlungen der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften 1854, ©. 420.
?) ®gl. Fred. cont. c. 186: regnum Francorum ... . dum adhuc ipse
viveret, inter eos diviait,
®) Daf.: aequali sorte .... inter eos divisit; Einhardi Vita Karoli c. 8:
ea conditione praemissa, ut totum regni corpus ex aequo partirentur.
“) Fred. cont. c. 186.
®) Ueber das Nähere |. Ercurs XVII: Die Reichstheilung des Jahres 768.
Neunteraquit. Zug; Capitular. Stephan III. Reichethlg. Urfon. Tod Pippins. 421
wir diefelben fejtgeftelft, ergiebt ſich auch uns die ſchon von Anderen !)
heroorgehobene Abficht Pippins, fein Neid vor der Zerreißung im
eine romanische und eine germaniſche Hälfte zu bewahren, wie noch
der Theilungsplan feines Vaters fie herbeizuführen gedroht Hatte; fo-
wohl Karl als Karmann erhielten zu gleichen heilen germanifches
und romanifches Land.
Der Ernft und die Anftrengung diefer Verhandlungen, die erſt
wenige Tage vor dem Tode des Königs zum Abfchluß gelangten, 2)
laſſen annehmen, daß die Krankheit Pippins, indem fie den Körper
der Auflöfung entgegenführte, nicht zugleich feine Geiftesfräfte gefchwächt
hatte. Dafür fpricht au, daß noch der letzte Tag vor dem Tode,
der 23. September, durch mehrere Amtshandlungen bezeichnet iſt;
fie galten ſämmtlich demjenigen Kloſter, das ſich unter allen geiftlichen
Stiftern de8 Reiches der größten Fürforge Pippins zu erfreuen gehabt
hatte, dem Klofter S. Denys, welches er fich jetzt zu feiner Grabjtätte
auserſah.ꝰ) So allmählich und fo ſicher hatte die neue Dynaſtie die
Stelfe der alten einzunehmen gewußt, daß gleich der erſte Farolingifche
König das ehemalige Lieblingsftift der Merowinger ohne Bedenken
auch in feine befondere Gunft nahm und neben fo vielen Mitgliedern
der früheren Herrfcherfamifie fein Grab zu finden wünfchte Biel
mochten dazu feine perſönlichen Beziehungen zu Fulrad, dem Abte
des Kloſters, beigetragen haben. Denn außer den wichtigen Dienften,
welche diefer einft bei den Verhandlungen über den Thronwechſel, ſowie
in den italienifchen Angelegenheiten geleiftet hatte, ftand er dem Könige
ſchon feit den Tagen des Bonifacius %) dadurch befonders nahe, daß
alle Kirchenfachen, welche an den Hof gebracht wurden, nur durch
feine Vermittlung vor Pippin gelangten. °) Er hieß daher gewöhnlich
der Gapellan des Königs; denn diefer Zitel, welcher eigentlich dem
Hüter der föniglichen Hausheiligthiimer galt %) — und daß aud) Pippin
tolche beſaß, erfehen wir aus dem ZTeftament Karls des Großen —, ?)
bezeichnete feit Fulrad zugleich jenes einflußreiche Amt, zu welchem
der König ihn unter Zuftimmung der Biſchöfe berufen hatte; )) und
wenn Pippin ihn wohl aud) einen Erzpriefter, *) Papft Hadrian vollends
1) Bgl. befonders Waitz, BG. TIL ©. 89.
Fred. cont. c. 136: His gestis, post paucos dies ultimum diem et
vitam simul caruit.
*) Sickel P. 28: pro animae nostrae ‚remedium seu et propter locum
sepulturae corporis mei.
4) &. oben ©. 38.
®) Hincmar, De ordine palatii c. 14. 15. 19. 20. ed. Walter, Corpus
juris Germanici III. p. 765—767.
3 Vgl. Waitz, BG. III. ©. 429—430.
”) Einhardi Vita Karoli c. 33: Capellam, id est ecclesiasticum ministe-
rium, tam id quod ipse [Karolus] fecit atque congregavit, quam quod ad
eum ex paterna hereditate pervenit, ut integrum esset . . . ordinavit.
®) Hincmar c. 15. p. 765: tempore Pippini et Caroli hoc ministerium
consensu episcoporum Fulradum presbyterum ... . exstitit execntum.
®) Sickel P. 81: Fulrado capellano nostro sive archipresbytero.
422 Capitel XXXI. 768..
den Erzpriefter des Frankenreichs nennt, *) fo ift diefes Wort gemiß
nur in demjelben Sinne zu faffen.
Schon im Laufe des September 768 Hatte Pippin dem Kloſter
©. Denys den Wald von Iveline zum Geſchenk gemacht, einen Wald,
der fich, fomeit man den Grenzangaben der Urkunde folgen Tann, in
weitem Bogen um Paris dur die Departements Seine et Dife,
Seine und Seine et Marne erftrect zu haben ſcheint. Nur diejenigen
Theile desjelben waren von dieſer Schenkung ausgenommen, welche
Schon früher — doch offenbar erſt vor kurzem und gleichfalls durch
Pippin, denn ein langverjährter Beſitz hätte folches Vorbehaltes nicht
bedurft — an ſechs andere Stifter, nämlih an S. Germain des
Pres,?) an ©. Maur des Tolles, an das Nonnenklofter der Heil.
Maria zu Argenteuil, an die Marienkirche zu Chartres, an das Benedict-
ftift Fleury bei Orleans, endlich an die Petersficche zu Poitiers ®)
urfundlic 4) übertragen worden waren. Trotz des Schenkungspräcepts
jedoch ſcheiut die fürmliche Tradition an S. Denys vorerft unterblieben
zu fein; denn 6i8 zum Jahre 774 war der Wald noch Eigenthum
des Fiscus, und erft eine neue Schenkung Karls verſchaffte dem Kloſter
den factischen Beſitz.“) ine ähnliche Bewandtniß Hatte e8 mit den
zwei Dörfern Faberola und Noronte, nur daß Pippin über biefelben
feine Urkunde ausgeftelit, fondern fie durch die Hand feiner Söhne,
wahrjcheinfich ebenfalls erſt Kurz vor feinem Tode, dem Klofter delegirt
hatte und diefe fodann ihrerfeit® durch Ausfertigung von Diplomen
die Schenfung des Vaters perfect machten. ®)
Am 23. September nun confirmirte Pippin dem Kloſter ©. Denys
in zwei getrennten Urkunden Privilegium und Immunität; 7) es ges
ſchah dies unter dem Beirat der um ihn verfammelten Bifhöfe und
weltlichen Großen; fo viel wenigſtens erhellt aus der fchwer zu ent-
räthfelnden Einleitung, welche der Kanzler Hitherius, vielleicht unter
dem Eindrude des’ Augenblides, der überlieferten Formel aus eigner
Erfindung vorangefegt hat.) In dem Privilegium ift diefer Zu—
A) Hadriani epist. ad Tilpinum archiepiscopum Remensem, Migne Patr.
Iat, XCVI. col. 1212: Fulrado amabilissimo abbate, Franciae archipres-
ytero. s
®) Der Antheil diejes Kloſters hieß Cella Equalina; daher der Name des
Dorfes In Celle 188 Bordes, Dep. Seine et Dije, bei Rambouillet. Vgl. Guerard,
Polypt. Irmin. II. p. 24—32.
*) Die Dotirung der Kirche zu Poitiers wird, gleich den übrigen auf Aqui-
tanien bezüglichen Maßregeln diefer Art, ohne Zweifel erft nach der Verdrängung
Waifars erfolgt fein. — Ein anderes Stift in Poiton, das Kloſter Dee oder
©. Philbert de Bonaine, Dep. Vendée, erhielt von Pippin Immunität und freie
Abtswahl; vgl. Sickel, Acta deperd. p. 365.
*) per strumenta cartarum,
®) ®gl. Sickel K. 33*, wo befonders die Auslegung der zweiten Urkunde
im Sinne einer Reftitution überzeugend bekämpft wird. "
%) Sickel 0. 12, K. 33; vgl. Ks.
?) Sickel P. 80. 29.
9 Der Prolog, Ineipientia regni nostri affectum de nostra ereccione
Reunter aquit. Zug; Capitular. Stephan III. Reichethlg. Urkon. Tod pippins. 423
ſtimmung der weltlichen und geiſtlichen Großen übrigens noch einmal
am Schluſſe gedacht, und obwohl die Worte einem Diplom Theo—
dorichs IV., und auch in dieſem wiederum einer früheren Urkunde
(hlodwigs IL.) entlehnt find, fo iſt das Verfahren des Copiſten doch
im Allgemeinen kein ſo mechaniſches, daß er jene Stelle grundlos
nachgeſchrieben haben ſollte. Im Uebrigen aber ſind beide Urkunden
Pippins in der That nur Beſtätigungen früher verliehener Rechte:
jo iſt das Immunitätsdiplom nur eine Reproduction des von Chil-
perich II. im Jahre 716 erlaffenen Schriftftüces; *) fein erftes Privis
legium aber erhielt S. Denys im Jahre 653 von Chlodwig IL,
indem diefer den Befig des Klofters gegen jeden Eingriff des Biſchofs
von Paris ficherftellte und dasfelbe von aller Episcopalgewalt frei
erflärte.?) Theodorich IV. erneuerte dies Privilegium auf die Fürs
ſprache feines Hausmaiers Karl Martell®) umd fügte demfelben noch
die Beitimmung Hinzu, *) daß den Mönden eintretenden Falls die
Wahl eines neuen Abtes aus eigener Mitte überlaffen, nur die Be—
ftätigung des einmüthig Erforenen dem Könige vorbehalten fein ſollte.
Diefem Diplom Theodorichs hat das Pippinifche vom Jahre 768,
von den nothiwendigen Aenderungen abgejehen, ſowohl den Inhalt als
- auch den Wortlaut entfehnt, 5) und es verdient daraus mur das Eine
noch hervorgehoben zu werden, daß der Schreiber feinen Anftand ge—
nommen hat, die merowingifchen Vorgänger, ganz wie es in Theodorichs
Urkunde gefehehen war, als Ahnherren des föniglichen Ausftellers zu
bezeichnen. ©)
Ein drittes Diplom Pippins vom 23. September, eine der
wenigen Urkunden für Einzelperfonen, die ſich überhaupt erhalten haben,
wurde zu Gunften des Abtes von ©. Denys erlajfen.?) Bon dem
reichen Familienerbe Fulrads, das überdies durch Schenkungen und
Aufäufe noch vermehrt worden war, giebt das Zeftament desjelben
integre auxiliante domino vigilavi ete. (die verſchiedenen Lesarten ſ. bei Sickel,
us. ©. 151), findet ſich jowohl in bem Privilegium als aud in dem Immun
nitätgbiplom, hier jedod; im abgefürzter Faſſung; denn die längere des Privie
legiums ſcheint mir die urfprüngliche, namentlich chůehen ſich die, beiden Urkun ⸗
den gemeinſamen, Worte renovare deberemus am natürlichſten dem nur im Prie
vilegium vorkommenden Vorderfage an: sicut antiqui patres vel anterioreg
reges confirmaverunt, nos denuo in ipso sancto loco nostro munere privi-
legium renovare deberemus. Wenn Sicdel, Beiträge zur Dipl, III ©. 220,
im diefer Arenga einen fiheren Maßitab für die ſtiliſtiſchen Leiftungen der damaligen
föniglichen Schreiber findet, jo it derjelben doch die viel beffer ftilifirte, im Autos
graph erhaltene Arenga von P. 31 entgegenzuhalten.
1) Pardessus II. n° 495, Migne Patr. lat. LXXXVIIL. col. 1116; gleich-
falls nur ehätigung älterer Diplome.
) Pardessus Il. n° 322, Migne LXXXVII. col. 681.
®) Pardessus II. n° 527, Migne LXXXVII. col. 1136.
+) Bgl. Side, Beitr. 3. Dipl. IV. ©. 674.
®) Bol. das ſchon oben S. 45 (N. 6) Angeführte.
%) privilegium.... ab anterioribus regibus parentibus nostris... confirmatum.
?) Sickel P. 31.
[ET
424 Capitel XXXI. 768.
vom Jahre 777 ein Mares Bild; ) Hier iſt unter Anderem der im
Elſaß und der Mortenau gelegenen Güter Wido's gedacht, welde
diefer einft an Fulrad übertragen und zum Theil als Precarie zurüd-
empfangen hatte. Auf fie bezieht fi die Urkunde Pippins, In der
gut gejchriebenen Einleitung, die auch Hier feiner Formel entnommen,
fondern felbftändige Arbeit des Kanzler Hitherius ift,*) wird Fulrad
denen beigezählt, welche dem Könige allezeit nicht nur unverleite Treue,
fondern auch unermüdlihen Eifer im Dienfte bemiejen hätten. °) In
folchen Männern müſſe die Fönigliche Gnade erglänzen, ihnen für
alle Zeit Ruhe und Sicherheit des Befiges gewähren. In einer ge-
fährlichen Krankheit aber hatte Fulrad einft jene Güter Wido's —
es werden mit Namen nur folgende ſechs aus der Umgegend des
heutigen Colmar angeführt: Guemar,*) ©. Hippofyte, °) Andols-
heim,°) Sundhofen, ) Grufjenheim,?) Ribeauvillss) — für den Fall
feines Todes dem Könige zur Vergabung an heilige Orte überlafjen;
nad) feiner Genefung waren fie ihm zu freier Verfügung wieder zu⸗
rückerſtattet worden. Ueber diefe Wiedererftattung zu vollem Beſitz
erbat fi Fulrad jegt, Fünftiger Sicherheit wegen, namentlich zum
Schutze gegen den Einfprud der Erben Wido’s, eine fehriftliche Be—
glaubigung, und der König ertheilte fie ihm denn auch in jener viel-
leicht legten Urkunde feines Lebens.
Am folgenden Tage, dem 24. September 768, einem Samſtag, ftarb
König Pippin.*%) Einer nicht ganz gleichzeitigen Mittheilung nach erlag
3) Abbrud bei Mabillon, Acta 88. III. 2. p. 341.
9 Bgl. Sidel, UL. ©. 151. — Hitherins, ein Geiftfiher, war urfprünglich,
wie Bernericns (P. 22), nur ein Unterbeamter des Baddilo (P. 17. 24. 25): bie
erfte Spur einer Rangordnung und Beförderung innerhalb dev neuen königlichen
Kanzlei; vgl. Sidel, ÜR. ©. 76.
®) qui non solum fidem illaesam erga nos in omnibus visi sunt custo-
dire, sed etiam assiduitatem serviti totis viribus junctis non cessant im-
pendere.
+) Ohermari.
®) Audaldovillare, Audalsweiler; wegen der von Fulcad hier erbauten, die
Reliquien des 5. Hippolyt (f. oben &. 394) bergenden Zelle auch S. Hippolyte
oder ©. Bilt genannt.
) Anfulfishaim; and Abel, Karl der Große I. S. 223, entjcheidet ſich mit
Schöpflin für Andolsheim, während Grandidier den Namen auf Enzheim bei
Straßburg deutet.
N) Suntof.
®) Grucinfaim.
) Ratbertovillare, deutſch Rappolsweiler.
10) Die ann. 8. Amandi, Murbacenses, Weissemburgenses, Lauriss. min.
und maj. haben das Datum 8. kl. Oct., das daher trotz der ann. Sangall.
majores (9. kal. Oct.) und der Sangall. Baluz. (8. id. Oct.), aud) tro der in
Zahlenangaben ungenanen Fortjegung bes Fredegar c. 187 (Krönung der Söhne:
14. kal. Oet.), feitzußalten if. — Ebenſo kann e8 feinem Ameifel unterliegen,
daß Pippin in &. Denys georben; die Historia regum Francorum mona-
sterii 8. Dionysii, Pertz SS. IX. B 400, folgt offenbar dem Wiener Coder der
Einhardſchen Vita Karoli (vgl. Jatte, Bibl. IV. p. 512. not. h), indem fie den
Neunter aquit. Zug; Capitufar. Stephan III. Reichsthlg. Urkon. Tod Pippins. 425
er der Wafferfucht; *) er Hatte das 54. Jahr erreicht. ?) Bon feiner Familie
waren ihm ein Sohn und zwei Töchter im Tode vorangegangen; °) ihn
überlebten feine drei Brüder Remedius, Hieronymus und Bernhard,“)
Tod Pippins zu Paris erfolgen Täßt: Parisius [ftatt apud Parisius] morbo
aque intercutis deficiens mortuus est et in monasterio sancti Dionysii depor-
tatus ataue humatus est.
) Einh. Vita Karoli c. 3: apud Parisios morbo aquae intercutis diem
obüt. Die Stelle it Sueton, Nero c. 5, nachgebildet, aber darum keineswegs
zu verwerfen; vgl. Jaffe IV. p. 508. n. 1.
Ann. Lauriss. min. a. 27. Pippini.
®) Ueber den Sohn, Pippin genannt, |. oben S. 324—325. Bon den
beiden Töchtern, Rothaid und Adheleid, wiſſen wir nur, daß ihr Grab ſich zu
Meß, in der Kirche des heil. Arnulf, befand; Paulus Diaconus, ber in feiner
Geſchichte der Meter Biſchöfe davon erzählt, fügt zugleich die zwei metrifchen
Grabſchriften bei, welche er auf den Wunſch Karls des Großen ihnen gewidmet
Hatte; Pertz SS. IL. p. 265—266. Schon die Inhaltefofigfeit diefer Epitapfien
— beren eines dazu ausdrücklich bejagt: hic me posuere parentes — deutet auf
eine uur kurze Lebensdauer der beiden Prinzeffinnen Hin; aus dem Umftande aber,
daß ihrer im den Briefen des Coder Cavolinus niemals neben den übrigen Fa—
mifiengliedern des Königs gedacht wird, fchließen wir, daß ihre Geburt fomohl
als auch ihr Tod noch vor das Jahr 755 fiel, daß beide mithin in ihren erſten
Kinderjahren geftorben fein müffen. Dadurd) erklärt e8 fich, daß Gisla bei Ein-
hard als einzige Schweſter Karls bezeichnet wird (Vita Karoli c. 18: Erat ei
unica soror nomine Gisla); und es ift gewiß unbegründet, die in eimigen At
- nalen genannte Aebtiſſin Rothaid — ann. Lauresh. und Mosellani 760: Hrod-
haida [Chrothaida] abbatissa mortua —, wie es Lappenberg in einer An-
mertung zu der Stelle der Mogellani thut, mit der gleichnamigen Tochter Pippins
für identiſch zu halten.
+) Die erften beiden, nad) einer Genealogia comitum Flandriae aus ber
Mitte des 10. Jahrhunderts Söhne einer Concubine (Pertz SS. IX. p. 302:
Karolus senior et dux genuit Pipinum, Karlomannum, Griphonem et Ber-
nardum ex regina; Remigium et Gergnimum ex concubina), find von ung
bereits früher genannt worben, Remedius als Biſchof von Rouen, Hieronymus,
der aller Wahriheinlichfeit nad) dem weltlichen Stande angehörte, als Diplomat.
Bernhard, ebenfalls ein Weltlicher, hatte die mifitörifhe Laufbahn gewählt; wir
eriehen dies aus ben Ereigniſſen des Jahres 773, wo fein Neffe Karl ihm, bie
Anfügrung eines Heeres gegen Defiderius übertrug: ann. Lauriss. maj. 773.
Benn Hahn, Jahrbücher S. 7 (N. 7), wegen des von dem Annaliften hier ges
brauchten Yusdrudes (misit Bernehardum avunculum suum) Zweifel hegt, ob
Bernhard ein Bruder Pippins oder Bertrada's geweſen ſei, jo wird dieſes Ber
denfen doch unbedingt durch Paichafius Nadbertus, den Biograpgen Adalhards,
befeitigt, der, feinen Helden ausbrüdlic als Bernardi filius, fratris magni
Pippini regis, bezeichnet (Vita Adalhardi c. 61, Pertz SS, II. p. 530), im
anderen Falle auch nicht von deffen regalis prosapia reden Tönnte (c. 7. p. 526),
feine Notizen aber offenbar von Adalhard jelbft hatte, quem quia vidimus et
usi familiaritatis ejus amore (c. 2. p. 524); nicht ohne Abſicht wird daher im
ben ann. Einhardi 773 das Wort avunculus ber Lorjcher Annalen durch patruus
exfetgt worden fein. Aus der Vita Walae, lib. I. c. 12 (Pertz SS. II. p. 537),
wo Abeodatuß maxime pro fratribus nostris Saxoni& degentibus, guorum
Fuit ex genere, um Lebensnachrichten über Wala bittet, hat Mabillon, Acta
SS. IV. 1. p. 806, wohl mit Recht zu erfenmen geglaubt, daß die Gemahlin
Bernhards, deren ſouſt nirgends gedacht ift, aus dem Sachſenlande ſtammte (vgl.
auch Wattenbach, Geihichtsquellen 1866, ©. 169); Bernhard Hatte fic vielleicht
an den Sadjjenkriegen der Pippiniſchen Zeit betheiligt und bei folder Gelegenheit
eine Sächſin zur Frau genommen. Zu den Kindern dieſer Ehe gehörten die
426 Capitel XXXI. 768.
feine Gattin Bertrada, ) feine Tochter Gisla?) und feine zwei damals
fchon verheiratheten®) Söhne Karl und Karlmann. Mit großen Ehren
beftatteten ihn diefe feinem Willen gemäß *) im Kloſter des Heiligen
Dionyfins, dann eiften fie nad) ihren Negierungsftätten, um bort von
ihren Theilherrſchaften feierlich Beſitz zu ergreifen.
Es ift für Vater und Sohn bezeichnend, daß Karl in einer Kurze
Zeit nachher erlaffenen Urkunde den Wunſch ausfpricht, dereinft eben⸗
fals, wie Pippin, in ©. Denys beftattet zu werden.?) Es giebt fich
eben erwähnten zwei berühmten Gründer und Aebte des ſächſiſchen Klofters Korvei,
Adalhard und Wala, jowie bie heil. gda (vgl. bie Biographien derſelben, Pertz
SS. II. p. 524. 533. 569); Abalhard war in dem erſten 70er Jahren, ala er im .
Kloſter Corbie das Mönchsgewand nahın, ungefähr 20 Jahre alt (Vita c. 8. p. 525).
3) Weber ihre Einmifpung in die Politif gleich in den erften Jahren nach
Bippins Tode, namentlich über ihre ganz im Geifte Pippins unternommenen
Schritte zur Erhaltung freundlicher Sagiehungen zroifchen dem Franken · und dem
Langobardenreiche j. die ausführliche Därftelung Abels, Karl d. Gr. I. ©. 54.
62— 70, 80. Nur jenes einzige Mal, verfihert Einhard, als Karl die von ihm
auf Bertrada's Rath gechelichte Tochter des Defiderius verftieh, Fam es zu einer
Störung des Berhältniffes zwiſchen Mutter und Sohn, das fonft durch die größte
Pietät von Seiten Karls ausgezeichnet war (Vita Karoli c. 18: in magno apud
eum honore consenuit, colebat enim eam cum summa reverentia). Bertrada
farb im Jahre 783 und wurde im der Kirche zu ©. Denys an der Seite ihres
Gatten beigefetst (vgl. Abel ©. 874).
) Im Jahre 757 geboren, im ihrer Kindheit von zwei Herrſcherhäuſern
umfreit — denn ſchon bei Lebzeiten ihres Vaters Hatte der bizantinifce Kaiſer
(j. oben &. 397), gleich nach 768 aber Defiderius fie zu feiner Schwiegertochter
gerofinfcht (Cod. Carol. ep. 47. p. 163) —, wählte Gidia noch im jugendlichen
$ahren (a puellaribus annis: Einh. Vit. Kar. c. 18) den Schleier und Tebte,
als Aebtiffin des Kloſters Chelles bei Paris, bis zum Jahre 810; vgl. Bickel
K. 160* gegen Abel S. 374—375. Einhard verfidhert, daß Karl fie mit gleicher
BVietät twie die Mutter ehrte. Bon ihrem regen geiftigen Streben zeugt der leb ⸗
hafte briefliche und perfönfiche Verkehr, in welchem Alcuin mit ihr fand; f. deſſen
Briefe bei Migne, Patr. lat. C. n° 67. 126. 127. 138—140. 187. 232. col.
236. 362. 363. 377. 378. 460. 509. Zum Theil auf ihren Wunſch ſchrieb
Alcuin jeinen Commentar zum Johannesevangelium; venerabiles sanctorum
Patrum pande nobis sensus, fo hatte fie ihm geichrieben, ho« manna, quod
sine fastidio satiat . . . hujus cognitio omnibus saeculi divitiis praeferenda;
fie bedauert mur, quod tardius hujus optimi studii diligentiam habuimus
(Migne 1. c. col. 738—739).
®) BWenigftens ſchreibt Bapft Stephan II. ihnen felöft, daß fie ex praecep-
tione genitoris vestri in vehtinäßiger Ehe lebten, accipientes ... . ex ipsa
nobilissima Francorum gentae pulchrissimas conjuges: Cod. Carol, ep. 47.
p. 159; vgl. p. 160: Impium enim est... alias accipere uxores super eas,
quas primitus vos certum est accepisse; p. 168: nec vestras quoquo modo
conjunges audeatis dimittere. So ridjtig die Angabe Stephans aber auch in
Betreff Karlmanns, des jüngeren Bruders, it. fo begründet find doch die auf
Karl bezüglichen Zweifel Abels, Karl d. Gr. I. ©. 68—69.
+) Zu der oben S.421. N. 3 citirten urkundlichen Angabe f. noch Fred.
cont, c. 136: Sepelieruntque eum ... . in monasterio sancti Dionysii mar-
tyris, ut ipse volwit. Der codex Fossatensis der Ehronit Hugo’s von Fleury,
’ertz SS. IX. p. 372, hat den feitinmen Zufag: sepultusque est in eodem
monasterio prostrata facie.
°) Sickel K.1 vom 18. Januar 769: ubi domnus et genitor noster Pip-
pinus rex requiescere videtur et nos, si Deo placuerit, sepeliri cupimus.
Neunter aquit. Zug; Tapitular. Stephan III. Reichsthlg. Urkon. TodPippins. 427
darin der Schmerz um den erfittenen Verluft, die tiefe Anhänglichkeit
an den BVerftorbenen fund, deffen Thun ihm bis dahin Vorbild und
Kichtfehnur geweſen war, an deſſen Beifpiel er ſich auch jegt, nad)
Uebernahme der Negierung, aufs engfte anſchloß. Wir führen zum
Beweife deffen nicht die lange Reihe von Diplomen an, im denen er
Pippiniſche Urkunden erneuerte, wohl aber die fchon früher erwähnte
alfgemeine Beftimmung, durch welche fämmtliche Reichstags: und
Synodalbeſchluſſe des Vaters einfach bejtätigt würden. ) Und nicht
nur in fachlichen Maßnahmen, fondern auch in Perfonenfragen folgte
er dem Vorgange deſſelben gern; bezeugt doc; Eigil mit ausdrücklichen
Worten, vielleicht um damit das entgegengefette Verhalten Ludwigs
de8 Frommen zu geißeln, daß der junge König Karl alle die, melde
früher bei feinem Vater in Ehren geftanden, auch an feine Perſon
durch Gunftbezeigungen zu feſſeln gefucht Habe.?) Solche Züge aber
befunden nicht allein die Findliche Pietät Karls, jondern auch die per-
ſönliche Bedeutung Pippins, an den fein großer Sohn und Nachfolger
fi fo vertrauens- und verehrungsvolf anlehnen konnte.
Denn erft unter Karl gelangte die Literatur zu folder Pflege
und Entwidlung, daß ein biographifches Talent, wie das Einharde,
daraus hervorging, dem wir eim lichtvolles Lebensbild des großen
Kaifers zu verdanken haben. Dos Wefen Pippins dagegen — nicht
feine äußere Erſcheinung, über welche uns jede Andeutung fehlt, fon-
dern fein geiftiges Naturell — fpiegelt ſich uns nur in derfei vereinzelten
Kundgebungen Mitlebender und vor Allem in feinen Thaten wieder.
Diefe aber beftätigen die Eindrücke, welhe Karl empfangen. Wir
haben uns überzeugt, welche Förderung das fränfifche Reich ſowohl in
feiner innern Organifation, als auch in feiner äußeren Machtſtellung
durch „Pippin, nicht alfein unter ihm, erfuhr. Indem er einft die
Krone auf fein Haupt gefett, Hat er nicht eitler Herrſchſucht gefröhnt,
fondern im vollen Bewußtſein feines inneren Berufs und der über-
nommenen Pflichten das ſchwere Herrſcheramt angetreten. Er war,
fo fange er auf dem Throne faß, die leitende Kraft im Staate; was
nicht aus feiner Initiative hervorgegangen war, geſchah zum wenigſten
nicht ohne feine Mitwirkung; die Fäden der innern wie der äußern
Politik vereinigten fi in feiner Hand. In den zahlreichen Feldzügen,
welche während feiner Regierung unternommen wurden — zwölf von
den fiebzehn Jahren waren Kriegsjahre —, jtand er jedesmal an der
Spige feiner Heere; ebenfo nahm er an den dipfomatifchen Verhand⸗
lungen perfönlich theil. Die Reichsgeſetzgebung der 50er Jahre ging
von feiner Anregung aus und ftand felbft in Einzelnheiten unter feinem
Einfluß. Zu wiederhoften Malen fanden unter feinem Vorſitz Ges
richtstage ftatt, und er widmete aud ihren, Berathungen ein aufs
merffames Intereſſe. Bon den allgemeinen Reichs- und Weltfragen
) Capitulare a. 779 c. 12, Pertz LL. I. p. 37; f. oben ©. 258. 9. 1.
2) Vita 8. Sturmi c. 21, Pertz SS. II. p. 375; [. oben ©. 392, R. 7.
428 Capitel XXXI. 768.
ließ ſich fein Sinn bereitwillig zu den Privatangelegenheiten feiner
Unterthanen herab, und namentlich manches geiftlihe Stift Hatte ſich
feiner befonderen Sympathie zu erfreuen; die Fürforge für Kirche und
Kirchen bildete ja einen Hauptcharalterzug Pippins und feiner Monarchie.
So ftand er da, eine wahrhafte Herrfchernatur, umfaſſend,
ſchöpferiſch, erfolggefrönt; und wenngleich feine Perſönlichkeit ſchon in
Karolingifchen Tagen durch die glanzvolle Geftalt feines Sohnes in
Schatten geftellt wurde,*) fo hat fein Andenken doch zu Karls eigener
Zeit noch im ganzen Volke fortgelebt. Hören wir, mit welden Worten
ihn Alcuin feierte. Nachdem er erzäplt, daß der Friefenapoftel Willi-
brord, welcher Pippin getauft Hatte, von ihm geweiſſagt, er werde groß
und ruhmreich fein und alle früheren Herzoge der Franken überragen,
fährt er fort: „Und die Wahrheit diefer Prophezeiung hat fi in
unferen Tagen erwiefen, und es bedarf feines Beleges für das, was
im ganzen Königreich anerkannt ift; denn alles Volk weiß, durch welche
Zriumphe der berühmte Sieger verherrlicht ift, wie fehr er die Grenzen
unferer Herrſchaft erweitert, mit welcher Hingebung er dem chriſtlichen
Glauben in feinem Reiche eine Stätte bereitet, was er für den Schutz
der Kirche bei fremden Völkern gethan Hat.“ ?)
Der fränkiſche Staat war bei Pippins Ableben freilich nod) bei
weitem nicht zu feiner Vollendung gelangt. Die Grundlagen waren
gewonnen, die Principien feftgeftellt; aber e8 fehlte im Innern wie
nach Außen hin noch vielfah an der vollen Kraft und Umficht der
Ausführung. Manches Reichsgeſetz, das erlafjen worden war, wurde
rückſichtslos verlegt; manche Gemaltthat gefchah, felbft von Seiten vor»
gejegter Behörden, ohne daß dagegen eingefchritten wurde; die Be—
ſtechung wagte ſich bis in die höchſten Kreife. So war aud in den
auswärtigen Beziehungen Vieles nur angebahnt, was der Duchführung
harrte. Die Verbindung mit den Arabern jowohl Spaniens als aud)
Afiens war faum eingeleitet, im Sachfenlande hatten die Waffen Pippins
nur geringe Fortſchritte gemacht, die italienifchen Verhältniffe waren
manderlei Schwanfung unterworfen, und felbjt in Aquitanien ftand
der fränkiſchen Herrfchaft noch eine Erfehütterung bevor. Der Herzog
von Baiern hatte ſich von der Vaſſallenpflicht losgeſagt, ohne daß Pippin
ihn wieder unterwarf; einige Jahre lang war auch die galfifche Küfte
feeräuberifchen Angriffen ausgeſetzt, deren Bekämpfung, wie es fcheint,
nur durch angeljächfiiche Macht erfolgte. °)
) ®gl. Mon. Sangall. de Carolo Magno lib. II. c. 16: .. . vel belli-
cosissimi proatavi vestri Pippini junioris, de quibus propter iguaviam mo-
dernorum grande silentium est.
») Vita 8, Willibrordiguct. Aleuino c. 22, Migne Patr. lat. CI. col. 693 2q.
) Die einzige Andentung biefer Dinge findet fich in einem Schreiben des
Erzbifchofs Bregowin von Kent an Lull, Jaffe Bibl. II. ep. 113. p. 277, welches
im Eingange befagt, daß es wegen der vielen Unruhen auf britiicher und gal«
liſcher Seite (plurimae ac diversae inquietudines apud nos in Brittaniae vel
in Galliae partibus audiebantur existere), welde durch Einfälle Rudzlofer in
Neunter aqnit. Zug; Eapitufar. Stephan III. Reichsthlg. Urkon. Tod Pippins. 429
Karls des Großen langjähriger Regierung war es vorbehalten,
den Ausbau der fränkischen Monarchie zu vollenden. Als er mehr
als drei Decennien nad) feiner Königsfrönung den abendländifchen Kaifers
thron beftieg, konnte fein Blick fich eines in Frieden geeinigten Reiches
freuen, welches fein kräftiger Arm gleihmäßig gegen innere und. äußere
Störungen fügte. „Sole Furcht vor eurer Macht“, fehrieb ihm
Alcuin damals; „Hat die göttliche Gnade alfen Völkern ringsumher
eingeflößt, daß diejenigen, welche in früheren Tagen feiner Waffengewalt
fi) beugten, nun in freiwilliger Unterwerfung zu euch kommen.“ Es
war eine „Zeit der Heiterkeit und des Friedens, in welcher der friegerifche
Gürtel gelöft und das Volk in Ruhe um den Thron des Kaifers ver»
ſammelt war, um die Anordnungen zu vernehmen, welche feiner Aus
torität für einen Jeden zu treffen beliebte.“ t)
Ein ſolches Lob hätte Alcuin der Regierung Pippins nicht fpen=
den fünnen. Wir gedenken als einer der ſchönſten Leiftungen Karls
engliſches und galliſches Gebiet hervorgerufen worden (crebis infestinationibus
[infestationibus?] inproborum hominum in provinciis Anglorum sen Gal-
liae regionis), in den letzten Jahren (per hos, scilicet proxime decurrentes
priores, annog) nicht gelungen jei, einen Boten über das Meer zu fenden (prospe-
rum iter perveniendi ad beatitudinem vestram invenire); exft jett fei ihm
von den Fürften — ben angeljähfiichen aljo — allenthalben Frieden und Schug
jugefihert (nune vero pace ac tuitione nobis a principibus indubitanter un-
lique promissa). Bregowin hatte den Biſchofsſitz 759 angetreten und nahm ihn
wahrſcheinlich nur bis zum Jahre 762 ein. Vgl. The anglo-saxon Chronicle 759.
762, Monumenta hist. Brit. I. p. 333; aus der Angabe beim Jahre 759, daß
ex das Bisthum vier Jahre innegehabt, ift zu ſchließen, daB er erft gegen das
Ende des Jahres 762 geftorben. Im der That meldet die Chronik des Florenz
von Worcefter 762, Mon. I. p. 544: Br. arch. ecel. Cant, vitae finem dedit
IX. kal. Septembr. Andere Berichte dagegen beichränfen die Dauer feiner
Amtsführung auf drei Jahre; fo Wilhelm von Malmesbury, De gestis pontif,
Angl. lib. 1. (Sarile, Rer. Anglicarım scriptores p. 198): Huic [Cuthberto]
Breguinus 3 annis substitutus; Gervaftus von Canterbury, Act. pontif. Cant.
( jen, Historiae Anglicanae seriptores decem II. col. 1641): suscepit
pallium a Paulo papa, sedit annis tribus. Nur Simeon von Durham, Hist.
de gestis regum Anglorum (Mon. I. p. 663), giebt 765 als Bregowins Todes ·
jahr an. Es ift daher jedenfalls ein Irrthum Rettbergs, I. ©. 577, und Abels,
Karl d. Gr. I. ©. 161, den Brief Bregowins erft in die Zeit Karls des Großen
zu fegen; nicht minder ivrig ſcheint es mir, daß fie die angeführten Worte des
Biſchofs auf eine Feindichaft zwifchen England und dem fjranfenreiche deuten,
obwohl mir andererſeits die Quelle unbelannt geblieben ift, auf welcher Lappenberge
Angabe, Geich. von England I. ©. 208, beruht, daß Pippin die Freundſchaft des
northumbriichen Könige Eabbert fuchte und ihn mit toftbaren Geſdenten befandte.
Uebrigens hat Lappenberg den Brief Bregowins bereits, wie wir, auf jeeräuberiiche
Einfälle gedeutet umd dabei an die Normannen gedacht; a. a. DO. ©. 288 (N. 4).
4) Brief Aleuins, nad einer Pertz'ſchen Handſchrift, bei Waitz BG. II.
©. 192. N. 1. Der Brief ift jedoch keineswegẽ ungebrudt, ſondern findet, fi
ale Widmungsicreiben an der Spite der drei Bilder De fide sanctae et indi-
viduae Trinitatis in Aleuins Werfen, ed. Froben I. p. 708—704, ed. Migne
Patr. lat. CI. col. 11—12. Der handfchriftlichen Lesart bei Waitz, quid agen-
dum est vestro Deo devotissimae sollicitudinis tempore serenitatis et pacis,
ſcheint Hi der Editionen (vestrae Deo devotissimae sollicitudini) entſchieden
vorzuziehen.
— —
430 Capitel XXXI. 768.
noch des rafchen Aufſchwungs, welchen alle Geiftescultur in feiner Zeit
erlebte, fo übertrieben e8 auch ift, wenn behauptet wird, e8 habe vor
Karl in Gallien gar keine wiffenfchaftlihen Studien gegeben.t) Auch
in diefer wie in andern Beziehungen Tann das Zeitalter Pippins nur
als eine Vorſtufe gelten, welde dem höchſten Ziele näher führte.
Pippin ift der letzte jener ftattlichen Reihe von Mlängern, welche mit
immer fteigender Kraft die Wiederaufrichtung des geſunkenen Franken⸗
reiches erftrebten, bis endlich der hervorragendfte des Geſchlechis, Karl
der Große, die mweltgefchichtlichen Aufgaben deffelben zur Loſung brachte.
!) Ann. Lauriss. maj. 787, cod. XI.: Ante ipsum enim domnum re;
Carolum in Gallia nullum studium fuerat liberalium artium. u
Ercurſe.
Exeurs I
Zur Chronologie der italienifhen Ereig:
Obgleich, ſchon ältere, befonders itafieniiche, Forſcher für die
Feſtſtellung der itafienifepen Begebenheiten zur Zeit Pippins viel get
herrſcht doch unter den neueren Bearbeitern der Gefchichte jener Zeit
eine fo große Meinungsverfciedenheit, daß es nothwendig ſchien, üb
einfchlagenden Fragen auf Grund umfafjender Prüfung der Ouellen ei
Entfceidung zu verjuchen. Unter den Quellen aber gebührt für die
Urkunden der erfle Bla; und bei der befonderen Wichtigkeit, welc
Bardifcpen Urkunden für die vorliegende Unterfuchung hatten, gereich
theils die große Fülle derjelben, anderntheils ihre erichöpfende Zuſe
bei Troya zu weſentlicher Förderung. Wir waren dadurch in dem '
unter Ausſchließung aller unedten oder zweifelgaften Stüde,!) gar
Hülfe von Driginaldocnmenten und glaubwürdigen Abfchriften zu feft
zu gelangen. Dabei konnte die Webereinftimmung vieler Zeugniffe
größere Sicherheit gewähren; und es ſchien mütlich, dieſe Mebereinf
Einzeinen nachzuweiſen, da und mannigfache Erfahrung lehrt, daß
tirung alleinftehender Urkunden, und wären es jelbft Originale, fein
Urtheif gegründet werden kann. Es bedarf nur des Hinweiſes auf ſe
volle Chartularien, wie die von Fulda, Toric, Weißenburg, um die
Sehlerhaftigfeit joldher Sammlungen darzuthun, die übrigens um
iſt, als es fid) dabei ja meiſtens nur um eine ivrige Ziffer oder einen
ftaben Handelt. So müffen denn auch in dem Registrum Farfense,
Zroya fo viele Stücke mittheilt,?) gar manche Zeitany ngaben als_unvid
werden.) Aber ſeibſt Originafurkunden finden fih,“) deren Daten
find und entweder auf einem Schreibfehler oder einem andern Verſeh
beruhen. Nur eine Menge übereinfimmender Angaben konnte de
erſchůtterliche Grundlage dienen.
Faft jedes Diplom enthält drei für unfere Unterſuchung vol
reichende ‚Zeitbeftimmungen: das Regierungsjaht des Herrſchers,
und den Monatstag; nur die Eremonefer Urkunden geben auch N
an. Denn Jaff6®) bei den päpftfichen Briefen des 8. Safrfundert:
gewicht auf die Indiction legt und die Erwähnung der Taiferlichen Re
3) 3. ®. der Gremonefer Urkunden, obwohl fie in rgnotogiiger Balepune
aub eirret erelfen; nal Ken ein In ben Bätt, gt, Ana, 1 1500,
mit bem geregten erlangen nad; einer Veröffentlihung feined gelan
vot. and} Periz 88. 6 ° ki ——
3 2 Toyan do. 102. 108. 859--54. 810.
) 110, Troya 2° 696 und 744 (bee auß bem esifhöfichen Mshio zu }
*) Bibl, ir, p. 20; neuerdings auch in ben Forfhungen zur beutfchen
Dahrb. d. diſch. Seh, Delöner, König Pippin. &
434 Ereurs I.
nur als ein Zeichen der Ehrerbietung anficht, fo wird dieje Auffaffung, was den
exften Punkt betrifft, auch durch die Übrigen italienischen Urkunden jener Zeit ber
ſtatigt. Doc kann ic im der Angabe des Regierungsjahres, da wo wirkliche
Herrichaft geübt wurde, feine leere Form ſehen. Es hat ja nichts Ueberrajchendes,
zwei Angaben nebeneinander zur Bezeichnung des Jahres zu finden; giebt es doch
Urkunden genug mit game drei und vier derartigen Beftimmungen, deren Abficht
offenbar die ift, das Datum ficherer vor Fehlern zu ſchützen. Wirklich Liegt auch
der Irrthum unrichtig datirter Urkunden zuweilen ganz unzweifelhaft in der In«
dietion.!) Gleichwohl galt dieſe in der damaligen Praris offenbar als bie geläufigfte
Art der Zeitrechnung, jo fehr auch ihre urfprüngliche Bedeutung erloſchen war;
ihre Anwendung findet fich 3. B. in erzählenden Schriften;?) auch in Proceffen,
bei denen es ſich um die Priorität eines Beſitzes handelte, wurden bie Jahre der
mehrfachen Uebertragung defjelben durch die Inbiction beſtimmt, alſo z. B. Maji
mense qui praeterüt ind. XIII.®) Im den beneventaniiden Urkunden endlich
wird das Jahr gewöhnlih nur durch die Indiction bezeichnet. *)
Unfere Berechnungsmethode befteht num darin, daß mit Hülfe der Indictionen
für jedes Regierungsjahr eines Fürſien das entiprechende Jahr der chriſtlichen
Zeitreßinung, fomit and ein Anhaltspunkt für die Feftftellung des erſten Regie ⸗
rungsjahres gefunden, der Regierungsantritt aber durch Vergleihung der Monats-
und Tagesangaben ‘auf immer beftimmtere Zeitgrenzen zurüdgeführt wird.
Wir haben, ber Vollftändigfeit wegen, Regierungsanfang und Ende der
Könige Rachis, Aiſtulf, Defiderius, Adelchis und der gleichzeitigen Herzoge von
Spoleto und Benebent berechnet. Daran ſchließt fi die Chronologie der zwei
italienifchen Feldzuge Pippins, die auf urkundliche und Hiftorifche Notizen him im
die Jahre 754 und 756 geist werden. Zur beffern Ueberficht bedienen wir uns
bei unferer Zufammenftellung großentheils der tabelariihen Form; im gleicher
Abficht jei hier ein Verzeichnig der Imdictionen, foweit fie für uns in Betracht
Tommen, vorangeftellt:
1. September 743 — Imdiction 12 — 1. September 744.
744 1 „ „ 745.
” ” — 8—, " .
” Pr 745 — ” 14 —, 746.
746 — ” 15—,„ ” 747.
” ” 747 — " 1—-, ” 748.
” ” 748 — . 2—, " 749.
” „ 79 — — 83—. » 750.
”„ 750 — ” 4—, ” 751.
” 761 — 5 ” 752.
6 .
7
8
in ne 854 ind. III. ftatt VEIT. zu Tefen. — fen freilich (9. 8. 4
ER Yilrina, vl) AR ebenf —— vaß Beierunge — Yale angegeben; vgl
— yar ebenfo siweifeloß daß Negierungs)
m 3.
ag Ya 8 IL. 0.19. 28. 46.
») Troya no 768.
9 f. unten $ 6.
Zur Epronologie ber itafienifchen Ereigniſſe. 435
1. September 764 — Indiction 3 — 1. September 765.
765 766.
” ” ” . ”
J— "EEE 74
” ” 167 — ” 6—„ ” 768.
” ”» 768 — " Ton ” 769.
$1.
Die Regierungszeit des Röntgs Kadıis. ')
royal entnommen murggiQnble] Monat un Lug Golgerung.
1. Radis {A Rönig:
u|oe [Asche | & | 15 | mense Decembrio im Dee. 1u4.
EI Eu a ar Du ET Re am 15, Der. 744.
s| 05 | » „ | 8 | 15 | mense Octubrio im Det. 704.
3. Rasis in noch mit König:
-3| 2 | 14 |katondarac Martiarım am 1. März Ti
| 01 | Campiy | 2 | 14 | 4. mens. Marti. Pr
«| cr Femseliö]f 4] 1 | eb die aunta jdunm 9,9
| o0n | Gele) | 5 | 15 | ao 18. mensis Apr. Br.
a| oo | Wald | 8 | 16 Jseptima ats mense Julto PEN
s] sıo FW 8(18)| 15 | 5. die mensis Augusti m 5. Ruguft „
EIS TÄEIEIEL TE Lem.
al ma Te em —
Aus vorſtehender Tabelle hen wir, daß der Regierungsantritt des Königs
Rachis während der Zeit vom 8. Sept. bis |päteftens Ende October 744
erfolgt if. Seine lehte Urkunde ift vom 8. Sept. 748. batirt; doch bezeichnet
dieſes Datum keineswegs zugleich das Ende feiner Herrſchaft. Da vielmehr der
Negierungsantritt Aiftulfe, wie aus unferer zweiten Tabelle zu erjehen fein wird,
in den Anfang Juli 749 fällt umd ohne Zweifel diefelbe Revolution, vielleicht
derſelbe Tag den einen Bruder ftürgte und den andern auf den Thron erhob, jo
darf mit Beſtimmtheit angenommen werden, daß bie Herrſchaft de Rachis Ende
Juni 749 aufhörte. Halten wir dies mit einer Notiz des —8 Brixiense
aufammen, wonach Rachis vier Jahre und neun Monate König war,) fo gelangen
wir zu dem Ergebniß, daß die Thronbefteigung des Rachis in das Ende des
Monates September 744 fällt.
3) Unbenußs geslshen Anb Iuegen unäuseifenber Dattrung Tr. mo 577. 60. 000. 68. GT.
3 Degen Ratchis —— elletu La barforum sd. Bande V
u Lose 5,14, rologun; öletus Langohardorum sd. Baudi a Vorme,
— patr. monumenta T. VIII, 1855 ; ed. Fr. T: IV, 1868.
) Campi, Dei — ecciosiaslica di — "1681.
’# Ambrosian
0.
» Er able. sr.
) Lu N Brom.
Fl Brunettl, —
„gun —— —e — "(Gremona): 245, Aprilo, ind. 18, 1.1. Bachla,
rtz 88. III. p. 339; ebenfo chron. Salernitarum c. 1, baj. p. „er Toäprenb Anbrens
von Bergamo, al. p. 55h, uhdehimmter fagt: rognavit annos quingte
436 Ereurs I.
g2
Die Regierungszeit des Aönigs Aifulf. ’)
Be N 1272-7 7°°* 7 u 7
T7OJ2| entnommen aus —— Monat und Tag. Folgerung.
jahr. u
1. Aftutf ft König:
ums | Femme | & | 10 [As oiahn kalendan] um 35. Drtober 749.
"Barsocchinf
65 Orig)
8.| 685 Benin ” 7 | 9 |\mense Septembrio|‘ im September „
ig.)
a 097 n » |»
Assemanl?) 7
en] mense Augusti } im Ku u
[22793 !
7.| 687 — ‘|? mense Jullo im Juli .
s.| 00 FH a | e [releimg io mensi| am 20. Qui „
Fattescht) F
oo | Faith) | 8 | 4 | ate monsts Juut — 0.9
| 8. Aifturf if noch nicht König:
»|_9 BeR 1 | s | dig kalondarım am 1. März 749.
1. _. 5 7 non ” „ ”
Barsocchinil Sotavo Ale Infra
22] 675 Arie) “18 kal, April. Bm
Bronettt
8 Orig) 18
12] ers | ineditum 4 | 6 |} mense Aprilis im April 9
15.| 682 5 T
16.| 662 3
mense Junio im Juni .
17. 668 s
18] os 1 | 3 [menss Junlo, die ©| am 20. Juni „
Tnealtum
20] 66 ‚(Rog. Farf.)
Bertini
»0.| 685 t „Ir
Oele) ‚mense Julio im duli P
2ı.| 686 Aar „In
22.| 697 ” ” ” ”
1) Fehlerhaft oder mangelhaft batirte Urkunden, ſowie endlich folde, deren Monatsdatum
bom Juli allzuweit abliegt, jind außer Betracht geblieben.
#) Bertini, Memorle Lucchesi. 1818.
®) Assemani, Italieae historise scriptores. 1751.
4 Fatteschi, Memorie de’ duchi di Spoleto. 1801.
®) Io. Troya no 704 (Gremona): Regnante .. . Astulfo . . . die jonts oetavo juli . . .
regni ... a, octavo ind. nona,
9 Logs Ahistuli regis do anno L, prologus: Baudi di Vesme 1. c, Fr. Bluhmel. c.
7 Ablstulfi Leges de anno V., prologus.
*) Dal. Troya no 683 (Gremona): Regnante ... Alstulfo... a. regni eius quinto die
lunge ima mens. Magi indict. 7. — Die no 659 (originaturtunde aus Lucca) iR wegen
Bweifeldaftigteit der Monatangabe — kl. Martias bei Bertini, Maglas bei Barfordini —
nit aufgenommen torben.
“s
Zur Chronologie der italienijhen Ereigniffe. 437
a Eh die Feſtſellung von Aifutfs Regierungsanfang ergeben ſich ſonach fehr
venzen. Am 4. Juli 749 ſchon war er König, ımb doch nod nicht | hit
beit Beginne beffelben Monats, und zwar auch noch am 2. Juli nicht; denn
wären unfere Urkunden N° 19—22 grade am 1. Juli ausgeftellt, dann würde die
Datirung gewiß die kal. Jul. gelautet haben. Aiftulf hat alſo am 8. oder %
Zuli 749 den Throm beftiegen.!) Der Werth der entideidenden Urkunde N? 9
(Troya n° 645) ift um fo höher anzuſchlagen, da fie von Aiſlulf ſelbſt herrührt.
An ihrer chronologiſchen Zuverläifigkeit aber zu zweifeln, wie es Muratori und
Lupi thun, dazu würde uns ihre nur abſchriftliche Erhaltung im Registrum Far-
fense dann allein berechtigen, wenn fie mit andern glaubwirdigen Angaben in
Widerſpruch ftünde. x
Bas nun das Ende Aiftulfs betrifft, jo erfahren wir aus der oben N 1
angeführten Urkunde (Troya n° 705: a. Aist. VIIL, ind. X., Oct. 26), daß
derjelbe am 25. Det. 756 mod; am Leben war. Im Uebereinftimmung hiermit
lautet das Datum einer Urkunde des Klofters Farfa (Tr. n° 706) auf den Monat
Dctober feines 8. Regierungsjahres, aljo 756, wobei die Ind-XIL, wie oben er-
wähnt worben,?) ein offenbarer Irrthum iſt. Andererfeits bietet die Urkunde des
erſt nach Aiſtutſs Tode eingefehten Herzogs Albuin von Spoleto vom März 757,°)
ſowie die im Februar 757, während dev kurzen Zwiſchenregierung des Rachis
ausgeftellte Urkunde des Biſchofs Andreas von Pija*) einen ficheren Anhaltspunkt
dafür, daß der Tod Aiftulfs fpäteftens im Januar 757 erfolgt fein muß.
Da nun die Belagerung Roms durch Aiftulf, wie weiter unten nachgewiejen wird,
am 1. Januar 756 begann, fein Tod aber nad) Ausſage des Papſtes Stephan
gerade ein Jahr nad dem Aufbruche gegen Rom eintrat,°) fo ergiebt ſich,
daß Aiftulf das Jahr 756 nicht überlebt, fondern entweder im November
oder im December defielben ſein jähes Ende gefunden Hat. Aud) daß er auf
der Jagd farb, wie die Ouellen übereinftimmend erzähfen, weift auf die Herbfte
monate hin. Dazu Tommt endfich die doppelte Notiz der Chroniken, 1. daß Racis
nad feiner Rückehr aus dem Klofter den Thron vom December big zum März
innehatte,‘) 2. daß die Herrſchaft Aiſtulfs 7 Jahre und 5’Monate gedauert ;?) aus
beiden Angaben folgt, daß Aiftulf entweder Ende November oder Anfangs December
756 geftorben ift.
88.
Der Regierungsantritt des Aönigs Pefiderius.
Bei der großen Menge von Urkunden aus der Zeit des Defiderius®) ber
ſchränken wir ung auf eine enge Answahl, bemerken jedoch, daß feines der un«
beaditet gebliebenen Documente (die notoriſch fehlerhaften ausgenommen)) mit den
Angaben der nachfolgenden Tabelle in Widerſpruch fleht.
3) ®gt. chron. Brixiense 1 c.: Anno ... 749... aceepit regnum Langobardioae
gentis vir gloriosissimus Alstulphus rex in mense Julio, indictione II. Der Mind
Benebict von ©. Andrea am Soracte faht aljo unriftig: electus est rex in mense Junio,
indictione X; Benedicti sancti Andreas monachl chron. © 1, Pertz 88. IEI p. 708.
) ©. 434 (R. 1)
3) Troya ne 709: mense Martio per ind. X.
4) Troya no 707 nad Muratori, der fie bem Driginal entnommen; ben Wortlaut ber
Dutirungägeile 1. oben ©, 205. 4
a. Carol ep. 11. Dr 643 In ipsis ‚9ulppe Alebus, quibus hane Romanam urbom
devastandam profgotus est; post ann! spail ircnlum.
*) Chron. Brixiense 1. on onge post Alstulphns rex.obüt, gubernaritaue pala-
eium Tieinense Ratchis, glorlosus germanus ejus, dudum rex, tune autem
famulus, a Decembrio usque Martium.
”) Chr. Salernitanum c. 7, Pertz 88. IIT. p. 475: regnavit annos 7, menses 5. Andreas
von Bergamo brüdt fih wieber nur unbeiimmt aus: regnavit ennos’ooto, während bie
Chronica sancii Benedicti, haf, D. 300, gan Irig angieht: regmarit annla 3, mensibus 6.
Roc andere unrichtige Angaben Hat Jaffd, Bibl. IV. p. 9. n. 2, zufammengeieht,
) ‚in bie mo 110-008 Sei Troya.
9. ine 652 (asia), wo dur Ind” 4 1766) Hinzugefügt it: ned et temporibus Adrlani
papne, ———
438 Ercure I.
Gntnommen aub [unge dEDIE] Monat un za Folgerun
Tage Han. s %
f 1. Deferius war Rnig:
.
1] me — 7 |ı| 1.x ma. am 17. April 157.
5 | Broneiif
2. 809 — 11 | 5 | ae nono m. Apr. „on
Z s| 385 Bent 9 | 8 |prima die m. April „un.
arsocchini na dio anie EL
«| ou *7 s|» 35 BET
Muratort
5.| oo u 18 | 7 [sbdtelv.kLapr| „m „ „
oe) 4 | 15 | oet Kl. Aprilis PEN
Uaftei‘) & Yiceaima m
"| f”} * —A en Mu.
Bertini 15 | anni deeime EI.
2 985 >} * | Apr. — —
Lapi (duarto Ale_Tntranie]
2 954 Orig) 16 | 20 | mense Martio nenn
mo | Pe To | o | mense Martius mm.
——
u. | 7 | Marta min „
1] m. —— Ge | | 12 | mense Fehr. im Sebruar „
9. Defderius
Dei an n0g nit
Iquarto kl. Januarias] am 29. Der. 756.
—
1a| zoo | Merini ı | 21 |islondas Januaria| om 1. Januar 757.9
Bertini
1s.| 009 Du) ı|a 17. kL Febr. „16 5 ”
"Barsocchinf
16.| 510 mocch |» | mx. Febr. ET
ridle nonas Fe-
vom one) Daun eu m A Gebruar „
1.) z5 | Bertini & | 14 |nonas mensis Febr.
(Oi) 5
Brunetti . —
o 866 — 20 scdie 6. m Febr.
20.| 978 Sr) 16 11 | 4 id. mensis Febr. „10% ” ”
a| 75 » 6 | 2 | 10 Mares | . 1.0.
Bertint
| 0 mn | 22 | 6 fir. atozar Marti] „1 , „
Tneditam.
23.) 838
Eee Im
”
im Mir, .
Maße
— 6 | 2 | dem. Marcio
eh ® | «| ... Martise
3 Malle, Verona Mlutrata. 16
Tegni eorum [beb Defberius und Mbeldis]
B) an die befecte Urkunde de Seferih [eoR ung feiner Seht, — fie dab, 6.
— zu Brekci, Troya no TAT: ... mensia Jam Dei nomtne
U ‚Bar as ent ein Im Deiginat niät nicht — Ieertinen Bert, * —eS —
8* ſhen Urkunden en feltener
—X fo bürfte wohl cal. zu nen ji fein. er
Zur Chronologie der italieniſchen Ereigniffe. 439
Das Reſultat diefer Zufammenftellung if, daß Defiberius entweder im
Fehruar oder im März 757 König der Langobarden wurde. Gegen den Februar
und die allererften Tage des März ſprechen unſere Ne 23—26, dafür nur die
N° 11—12. Erwägt man nun, daß Defiderius, ſchon vor feiner allgemeinen
Anerfenung als König der Langobarden, in Tuscien, wofelbft ihn Aiftulf zum
Herzog, beftellt Katte,") als Gegenfönig des Rachis aufgetreten war, fo dann es
ung nicht wundern, daß ihm gerade in Pifa und Elufium, den Ausftellungsorten
der Iegterwähnten zwei Urkunden, bereits einige Tage früher als anderwärts könig -
Hide Ehren erwiefen worden find. In eben jenem Pifa galt noch im ar
Rachis als Furſt der Langobarden, ) jo daß zu vermnthen if, Defiderius ſei nach
längeren Unterhandlungen mit Rom erft im Februar öffentlich ale Thronbewerber
hervorgetreten, er gegen Rachis, nicht Rachis gegen ihn, wie der Biograph des
Bapftes Stephan es darftellt. Auch das oben angeführte anno regni ... ingrediente
mono... mense Martius®) deutet auf den Regierungsanfang des Defiderius im
Monat März hin. Mit aller Beſtimmtheit endlich verlegt die Thronik von Brescia
den Thronmechjel in dieſen Monat.‘) Erſt auf den 8. oder 4, März alfo fällt
höchſt wahrfcheinlich die Vefeitigung des Rachis umd mit ihe der Anfang der un⸗
beftrittenen Herrſchaft des letzten Königs der Langobarden.
s4
Adelchis, Bohn und Mitregent des Pefderius.
Dig)
|77JA| entnommen aus —— Wdronat un Tag. Folgerung.
T 1. Meigis wor Rönig:
9 ais kalm. Sept. am 1. Sept. 750.9)
|» 4. KL Sept. 29 Kuguft „
& | sopt. kl Sept BET
3 |nono cal. m. Sept. BE
3 | die ı0. kat. Sept. Be
s
m. Aug. im Auf „
u
a jrigesima qusria dio mau zul „
a| oo | medium) | 34 | 10 | menso Jul im Jutt ”
1] 79, | Brunetii A | 12 | mense Febr. „Gern
2) 6. oben ©. 284.
2) Bel. bie oben ©. 487 (MR. 4) erwähnte Urkunde des Biſchots bon Pife.
26.438. 9. 8.
) .
+) Nachde die Nonat ber 5id Märy nämlic, wie oben ©. 437 (9.6)
ara sahen fie ie December wi Lin, le oben 6 4 9 augetihet,
— deb Racyid bezeichnet Hat, I
Fognlam Längobardoram, vir —E Desiderius rex anno ine. Domini 757,
®) Bel. CH no 786. 770. 782. 998. 965.
3 Frist, le di Monza. 1794.
Troya Vo p. 767 (Nadtrag).
440 Ercurs I.
—
ν aus Junae- Yane] Wonat und Tag. Folgerung.
ab.
8 war nad nit”
J König:
1] 7 Barsocchini ve 2 | 18 | ot xı Aprilis am 25. März 759.1)
1s.| m Pi s|s m. Apr. dm aprit „»
Branetil -
lo | Baae 6 | 3 | oetato KL Junias am. Mi „
1s| rs ni s | 15 | 7.06) kl Junias | am 26. u. 27. Mai 189.9)
| 4)
16. si | ed 7 | ‘ 6. kal Jul am 26. Juni 739.)
1] om | Pranosi 5 | 3 Jäononomensesao|) ,„ 9.3ui ..m
1.| 8 9 | 6 [in ipan kL August . 1. ug „
.
1.| 308 R a | «| eetarg Jäns monse BR
Ohne die Urkunden N* 9. 10. 11 würde aus obiger ‚ufammenftelung un
zweifelhaft hervorgehen, daß Adelchis zwijchen dem 6. und 20. Auguft 759 von
feinem Bater Defiderins zum Mitregenten erhoben worden. Jene drei Urkunden
aber, die auf ein früheres Datum Hinweifen, dürften laum im Stande fein, da®
gewonnene Refultat zu erfchüttern. N° 9 wird durch die aus gleicher Gegend
(Zucca) Rammenden N° 18. 19 entträftet; N° 10 ift nur einer Abjchrift (dem Re-
gistr. Farf.) entnommen; der N° 11 endlich, in welder überdies die Ind. 12
offenbar in 13 verwandelt werden muß, fteht unter vielen andern Urkunden (f.
unfere N 12—17 nebft den dazu im den Noten angeführten Parallelfiellen) ber
fonders die N° 14 entgegen, bie Brumetti, wie jene, aus den Originalen von Monte
Amiata geſchöpft Hat.
6 6.
Bie Herzoge von Spoleto.
Das Kloſter Farfa, im Gebiete der Stadt Rieti gelegen, gehörte zum Her ·
zogtfum Spoleto. Das reihe Regifttum biefs Klofers fpiegelt im feinen Urkunden
die wechfelnden Schidjale wieder, denen Spoleto in den legten Jahrzehnten des
Langobardenreichs unterworfen war. Bald giebt e8 gar feinen ‚Herzog umd der
König nennt Rieti feine Stadt, bald giebt das Datum nur die Regierungszeit
des Herzogs an — ein Zeichen größerer Selbftändigfeit —, bald endlich, wenn bie
engeren Beziehungen . wieder Hergeftellt find, wie befonders während der Regie
zung des Königs Defiderius, fehlt im Datum weder des Könige noch des Herzogs
Name, wohl aber bei Iegterem, aufer im feinen eigenen Urkunden, die Angabe
feine Negierungsjahres, was für die chronologiſche Verwendung natürlich von
achthei if.
Die folgende Ueberficht legt das Material und die Refultate der Unterſuchung dar.
2) Bgl. nod Troya no 734. 780. 818
2) Bol. dal. no 761. 889. 901.
— ®gl. no 765. 81819. 836. 890--91.
* ——— no 822. 839. 85556.
9) Wehnlidh no 745. 766. 840. 868. 89298. 907-8.
Zur Chronologie der italieniſchen Ereigniſſe. 441
a. Herzog Rupo.!)
(Juli 745 bis April 761).
Troya ne Reehczun | Snbter Monat Folgerung.
1. Lupo war Herzog:
586 1 1
2| ⁊ 2 |} mense Decembr. {m December 746.
sl — 5 |
“| 58 ı 14 mense Nor.
5| m s 1 sec. die Nor.
©. ore 5 3 „ November „
7. 627 5 3 mense Nov.
8. 638 6 4
a1 m 2 ud } mense —* „ Detober „
10.| on s 4
1. 624 5 2 menge Juli „ Suli ”
8.290 war nog nicht gerio:
12. 64 6 4 mense Apr. im April 745.
| or 5 1 mense Janio „sun.
Der Amtsantritt Lupo's fällt jonad in den Juni oder Juli bes Jahres 745.°)
Sein Sturz erfolgte, wie der des Könige Rachis, durch Aiftulf, aber erft zwei
Jahre fpäter, wie e8 ſcheint durch Waffengewalt. Das fiegreiche Bordringen des
Königs im Erarchat brachte auch Lupo zu Falle, und zwar zwifchen April und Juli
TEL, twie aus der Vergleichung ber vorfehenden (12.) Urhunde des Herzogs vom
Aprit an und der nachfolgenden des Königs Aiftulf vom Juli deffelben Jahres
hervorgeht.
b. Spoleto unter der unmittelbaren Herrſchaft des Königs Aiſtulf.
ası-77).
laſte zu Ravenna beftätigte Aiftulf am 4. guli der vierten Indiction (751),
imi regni nostri IIL, dem Kloſter Zarfa, in finibus civitatis nostrae
Reatinae, vier Urfunden, emissa a Lupone qui fusit dux civitatis nostrae Spo-
letanae.°) Auch die neun übrigen Urkunden des Kloſters aus der Zeit Aftulfs, +)
die fich über die ganze Negierungszeit des Königs erſtrecken — die letten zwei find
vom April und October 756 —, tragen feinen Namen, und nur feinen Namen.®)
Nach feinem Tode jedod wählten die Spoletaner, unter Vippins und des Papftes
Zufimmung, einen neuen Herzog.*)
1) Bon feiner bereittoiligen Unterorbnung unter Radi8 jeugen Troya no 596. 602. 607. 628.
%) Die Urkunde Supo’s, Troya no 598, anno ducatus nostri primo, indietione 14
september 745 bis September 748), ift bei Troya daher mit Unredht bom 1. September 746
%) Troya
— Troya ne GRR. 681. 607. 616-7. 084. 698. 10. 706
Sin Seriog Gumnuiuß von Spoieto, befen in Pratilo'8 Ausgabe der Hist, princip.
N Camilli Poregrinii (Troya no 674) nad} einer angebliden Ürkunbe vom Jahre 78
Gealenung oe etgiet, IR jonac nur Sratiliihe yalfung Säm Gattehät, Memorle de’
ui U Apoloto m 36 Beet feine Seifen; Chenfe Lroya ĩ
en
442 Cs L
ec. Herzog Albuin.
A718).
Daß Albuin der obenerwähnte römifchgefinnte Herzog war, beweift ein Brief
des Bapftes Paul an Pippin, ‘) in welden von feiner Mißhandlung und Ein:
lerkerung durch Defiderius die Rede if. Nur vier Urkunden find ans feiner Zeit
vorhanden, ?) vom März und Mai ber zehnten, ſowie vom September und 17. October
der elften Indiction, alfo vom März bis October 757, temporibus domini
Albuini gloriosi et summi ducis gentis Langobardorum, anno ducatus ejus
in dei nomine primq. Sein Sturz erfolgte durch Defiderius, einige Zeit vor
dem bes beneventanifchen Herzogs Liutprand und der Einfegung des Äregis in
Benevent.?) Da nun Aregis bereits im Mai 758 urkundlich als Herzog er»
ſcheint,) fo Hat die Herrſchaft Albuins wohl kaum länger als ein Jahr gedauert.
d. Herzog Gifulf.’)
(April 769 bis Juli 761).
Aus dem auf Albuins Sturz näctfolgenden Jahre, in welchem Spoleto
wahrſcheinlich unmittelbar unter dem Sangobardenkönig fland, fehlen uns urkund-
liche Notizen. Für die Chronologie Stufe bieten fich folgende Anhaltspunkte: ©)
Troya ne |Meeisuungb- | Anbier Ronat. Folgerung.
| 1. Gifulf iR Heriog:
| 787 2 ri | m. Marti im Räry 760.
.| m 2 14 | mense Januario » Januer „
| 168 s u | m. Apr. „ Weil 780.
| I8. @ifutf in noch nit Gerzog:
—— “ } m. Apr. } in April 769.
| 0 2 Ir}
Die Einfegung Giſulfs erfolgte alfo unzweifelhaft im Laufe des Monats
April 759. Die legte ihn ermähnende Urkunde”) aus dem 6. zei, 3. Jahre
der Könige Defiderius und Adeldjis, sed et temporibus domni Gisulphi gloriosi
ducis ducatus Spoletani, mense Juli, 14, giebt zwar nicht das Rer
gierungsjaße Gifulfs an, beweiſt aber, daß derfelbe im Fuli 761 noch das Herzog-
thum innehatte.
Hierauf folgte abermals ein Interregnum von längerer Dauer: zwei Urkun ⸗
ben aus biejer Zeit, ) im Detober und am 17. December 762 ausgeftellt, zeigen
uns Spoleto al unmittelbar unter Defiderius ſtehend, ohne die Ziwiicheninftanz
eines Herzogs. Im folgenden Jahre aber Tomınt das Herzogtum an Theodicius,
der mit feinem Könige fteht und fällt.
?) Cod. Carol. ep. 17. p. 79; oben ©. 320.
3) Troya no 709. 711. 714 TIB. .
%) ©. bie vorftegenbe SR. 1.
4) Bol, unten 9 6: Die Hergoge von Benevent.
5 Freundſchaft mit Defiberius; vgl. Troya no 756. 764. 766.
9 ne 756. 758. 766 finb theil8 mangelhaft, theila ircig batirt.
7) Troya no 766.
*) Troya ne 788. 788.
Zur Chronologie der italieniſchen Ereigniffe. 443
e. Herzog Theodicius.
(6. Märy 788 [ober Sept. 7627) bin Ende 778).
Seine engen Beriehungen zum töniglihen Haufe laffen fi aus allen dem
gehfreichen Urkunden des Klofters Farfa erkennen, in denen die Jahre des Defiderius
und feines Sohnes ftets als Zeitbeflimmung dienen, während der Name des
Herzogs großentheils ohne Angabe feiner Regierungsjahre folgt. ') Nur feine
eignen Urkunden machen hiervon eine Ausnahme und ermöglichen fo eine Fefl-
ftellung der Zeit feines Amtsantrittes.
Troya re —8* —A Monat. Folgerung.
m] me ! m. Juui } fin Imi 768.
2|pron| man | m |
*] 7} | 10-7 4 | ji \ mIuno | . gun,
| su | s Is | Marto |. min,
| m | u wen | 1 fen | vor dem mam 7anı
s| om | u s | 6 | man | men. mm
Auf Grund der zuletzt angeführten Nummer würden wir den Regierungs-
anfang des Theodicius bereits in den September 762 jegen müfjen, zumel vom
feinen eigenen Urkunden feine diefer Annahme wide itet, wenn nicht bie zwei
oben *) citirten Xctenftüde Troya n° 783 und 788 anzunehmen nörbigten, daß
dag Hergogthum Spoleto ſowohl im Detober als auch im December 762 noch
unbejegt war. Es ift nicht mahefheinfi, daß ein Herzog wirklich eriftirte und
in der Urkunde doch eg blieb.
Die Tegten urlundlichen Spuren des Theobicius finden fi in den Monaten
März, Mai und September 773.°) Als aber Karl der Große die Elufen ein«
genommen hatte und Pavia belagerte, d. i. Ende 773, untertvarfen die Spoletaner
fi dem römischen Stuhl und erhielten vom Papfte auf ihren eigenen Wuuſch
den Hildeprand zum KHerzog.‘)
g6
Die Yerjoge von Benevent.
Die beneventanifchen Urkunden gelten zum großen ale den Klöftern des
Gebiets, 3. B. Montecafino, S. Bincenzo am Bolturno, ©. Benebict in Bene
vent, ©. Peter und S. Maria in Alfe, S. Sophia in Ponticello, zum Theil
am u 768) Zhesbieiub dem Alsfer sine Sihentung pro, meresde ot
rei Hi Pilsslnoram demlnorem ‚nostrorum regum; ee in.no —F 964.
Fo ei —— in, — Greigniflen bed Jahres 708 1. das Aähere den
Jahre 772 befand er Ben Gelansten, tmeihe Defberiuß bem Bapfıe
Savcian vr Brolicwint nfhung, (idee; ta Hadrlanl 66
— Spoletani.
3) Die er Snbitlon rei yo September 108 Hi September 164. Da aber Derek im
Wäry 168 Das fehente Jahr bes Defbertub Deginnt, {p muß diefe Hefunbe in Me Shonate Gepr
tember 762 Gik Yebruar 768 fallen.
96. 442. (9. 8).
yları ne SIB: 090. 084.
ta Hadriani 0. 82. 88; Abel, Karl der Große I. ©. 148. Cine ürkunbe Gilbepranbd,
jener ter beatissimi et coangeliei domini Adriani pontifcis et universalis papas,
un Lr
444 Ereurs I.
aber betreffen fie auch Angelegenheiten einzelner Privatperfonen, insbejondere die
‚lafjung von Sklaven. Ihre Zahl ift viel geringer als die des Herzogthums
;poleto, umd fie wird noch vermindert durch die, tray der Gläubigkeit Troya's
unzweifelgafte, Unechtheit einiger auf bie erftgenannten zwei Klöfter bezüglichen
Scentungs- und Beftätigungsbriefe. ') Eine ſtrenge Berechnung der einzelnen
Negierungsepochen verbietet ſich hier dadurch, daß, außer in dem Urkunden des
Aregis, das Amtsjahr des Herzogs gewöhnlich nicht angegeben, die Zeit der Aus-
fertigung vielmehr nur durch die Indiction bezeichnet üft. Denn auch die Negier
vungsjahre der Könige begegnen uns im dieſen Documenten nicht: ohme Zweifel
ein Beweis der größeren Selbftändigkeit des Herzogthums, die zum Theil mohl
als eine Folge der weiteren Entfernung von Pavia zu betrachten ift. Daß die
Beziehungen zum Königreich jedod; keineswegs gelöft waren, dafür liegen faft
aus jeder herzoglichen Regierung hinreichende Beweiſe vor.
8. Gijulf IL, der Sohn Romualds, der Verwandte und Schützling bes
Königs Lintprand, deſſen Namen er wohl aus diefem runde jeinem eigenen
Sohne gab, begann feine Regierung noch in der Zeit jenes glorreihen Königs;
von feiner Einfegung wird daher in der Langobardengeſchichte de8 Paulus Diatonus
«usführlich erzählt.) Seine Urkunden reihen vom September 742 bis in den
Anfang des Jahres 751, aus welchem fowohl vom Jauuar wie vom Februar
eine Nummer vorliegt.®)
b. Ihm folgte jein Sohn Lintprand, anfangs (wahrſcheinlich feiner Un«
milndigfeit wegen) in Gemeinſchaft mit Scauniberga, feiner verwittweten Mutter,
und aus bieier Zeit befigen wir drei Urkunden,*‘) von denen jedoch nur bie
mittlere ein zuberläjfiges Datum trägt (December 752). Nachher führte Liutprand
während der ganzen Regierungsdauer Aiftulis allein das Ruder, mie zwei Ur-
kunden vom Juni 756 und vom Februar 757 beweifen.°) Daß er dem Könige
untergeordnet war, erfehen wir aus der Schilderung eines damaligen Prozeffes,
im welchem Aiftulf als oberfter Gerichtsherr über Benevent erſcheint.e) Die Ber
neventaner unterflügten im Jahre 7566 den König bei der Belagerung Roms.
Nach dem Tode defjelben unterwarfen fie ſich dem Bapft und den Franken,“
ohme doch — toie fie immer treu zu ihren Herzogen hielten®) — den Zürften zu
wechſeln, der demnach ebenfalls der Macht der Thatſachen nachgegeben zu haben
ſcheint. Der neuen Ordnung der Dinge treu, weigert fidh Liuiprand dader, der
romfeindlichen Schwenkung des Defiderius im Jahre 758 zu folgen, fo daß diefer
nach fangem Zögern ihr endfid) abjegt und ihm den Aregis zum Nachfolger giebt. 1%)
©. Aregis,'t) Gemahl der Abelberga, einer Tochter des Defiderins, „durch
aus Eatholif und prächtig, der beim Verfall des Langobardenreichs die Trümmer
feines Stammes edel und ehrenvoll regierte.“ 1?) Zwei Urkunden vom Juni der
vierten und vom Mai der zwiiten Indiction (766 und 764), erſtere jeinem ueunten,
Tegtere, feinem fiebenten Regierungsjahre angehörig, '*) dienen als vollgüftiges
Zeugniß vafür, daß er in den Monaten Mai und Juni 758 bereits das
Herzogthum bejaß.’*) Gleich Theodicius von Spoleto, Hielt er feft an dem Bunde
nit Defivering, feinem Schwiegervater, überdauerte jedoch ihn umd jein Reich und
ftarb erſt 787 im Beſitze des Herzogthums Benevent, das auch ihm die von Paulus
1. Troya no 614—16. 773; no 619. 652—58. 664.
% Paul. Diac. hist. gentis Lang. lib. VI. c. 54. 57.
%) Troya nv 55854. 557—50. 668—83. 578. 651. 584. 592. 601. 625. 689. 642—43.
+) Troya no 668—70.
®, Troya nv 708. 708.
©) Troya no 857, vom Jahre 766,
7 &. oben S. 289.
% Dal. ©. 288.
®) Paul, Diac. hist. Lang lib. VI. c. 54.
%) ©. oben S. 820.
22) Reber die Schreibung feined Namens |. oben ©. 820. N. 4.
»2, Yuß bem Prolog au Adelchis principis capitula a. 866, von Baubi bi Vesme zum
exften Male gebruidt, Bluhme 1..e. p. 210.
"9, Troya no 857. 820.
1°) Biemtic übereinftimmenb Hiermit berichtet das chron. Balernitanum c. 17, er fei nad
29Ysjähriger Negierung im Auguft 787 geftorben,
Zur Ehronofogie der itafienifchen Greigniffe. 445
gerühnmte Treue bewahrt hatte, Sein Ende wird durch bie innigen Beziehungen
verklärt, im denen ber Geſchichtsſchreiber der Langobarden zu ihm umd feiner
Gemahlin geftanden.
87.
Die zwei italienifhen Ariege Pippins. ?)
Es empfiehlt ſich für die nachfolgende Unterſuchung, in umgefehrter Ordnung
erſt die Epoche des ziveiten Krieges, dann die des erften feftzuftellen; und jo fei
jun der Beweis angetreten, daß Pippin feinen zweiten Zug nad) Ztalien erft
im Jahre 756 unternommen hat.
a. Der Feldzug des Jahres 756.
Den wigtigften Auhaltspunft bieten einige Stellen des Coder Cavolinus, zu:
fammengehalten mit dem oben?) gewonnenen Reſultat über das Ende des Königs
Aiſtulf. Im einem feiner Briefe nämlich theilt Papft Stephan dem Könige
Pippin mit,°) Aftulf; Habe, durch göttlichen Schlag getroffen, fein ruchioſes Leben
geendet; „jetst aber“ jei von Gottes Vorfehung, durch die Hand des heil. Petrus
und den mächtigen Arm Pippins, Defiderius, ein milder Mann, zum Könige der
Langobarden eingefet worden und Habe in Gegenwart des Abtes Fulrad Rom
und dem Frankenreiche Treue gelobt. Die Zeit der Abfaffung diefes, wie ge
wohnlich, undatirten Briefe ift, wie aus der letzten Notiz Mar wird, der Monat
Februar oder März 757.°) Nun heißt es aber von Aiftulf weiter, er ſei „in eben
jenen Tagen, im denen er einft zur Verheerung Roms aufgebrochen, nad) Boll-
endung eines einjährigen Kreislaufs“ umgefonmen.°) Ebenjo wird, bei einem
Rückblick auf die Leiden Roms duch Aiftulf, bemerkt: „Im vergangenen Jahre,
um eben dieje Zeit, waren wir, durch dev Feinde verwüftenden Anprall und durd)
Einſchließung von allen Seiten, tief gebeugt; jegt aber, durch deine mächtige
Hülfe aus drohenden Gefahren errettet, jauchzen wir auf in unermehlicher Freude.” ®)
NRinumt man nun noch ein amderes Schreiben Stephans Hinzu, welches dieſer
während der Belagerung Roms auf dem Seewege an Pippin gelangen ließ md
worin erzählt ift, daß „grade am 1. Januar* das geſammte Heer der Lango-
Barden von der tuscijchen Seite her Rom erreicht und fein Lager um die Stadt
aufgeichlagen Habe,?) daß der Feind nunmehr ſchon 55 Tage die betrübte Stadt
von allen Seiten einſchließe und Tag und Nacht in heftigen Angriffen zu erobern
fuche®) —, jo ergiebt ſich als unzweifelhaft, daß Aiftulf am 1. Sanuar 756 mit
gabe Heeresmacht vor den Thoren Roms erihien, nachdem er in ben letzten
jomaten des Jahres 755 fich zu diefem entjceidenden Schlage gerüftet Hatte.
ga, der Anfang diefer Vorbereituugen reicht bis im den Auguft 755 zurüd.
Ein Untertyan Aiſtülfs nämlich, Gaiprand ans Griciano bei Lucca, bejhenft die
Kirche des heil. Fridian dafelbft, quia exereito ad Francia iteratus sum ambu-
inc EB die bortshenbe Ahanblung geffrissen Munde — bie fon im beren 1867 ber
Hiftorifgen Gommifflon vorlag —, war ber bierte Band von Jafjd’3 Bibliotheca, in beffen Eine
gang P. 8.8q. berfelße Gegenfland befprocen Üft, no nit erifienen. Sch freue mich daher,
nun conftatiren zu fönnen, ba unfere beiberfeitigen, völlig gleichzeitig ünb bon einander une
abbängig geführten, Unterfugungen zu gleigen Grgebniflen gelangt Anh,
\ ©.
" 2) Cod. Carol. ep. 11. p. 64.
4) &. oben ©. 489.
*) Cod. Carol. 1. ©: in ipsis quippe diebus, quibus hane Romanam urbem devastandam
profectus ost, post anni spatii eirculum,
%) Daf. p. 61: elapso anno, isto in tempore ... affligebamur; nune autern ... inmenso
exultamus gaudio.
) Cod. Carol. ep. 9. p. 50: In ipsis Januariarum kalendie cunctus ... Langobardorum
regis exereitus Tuscine partibus in hanc eivitatem Romanam conjunxerunt.
nern za P- 51; Quingusginta et quingne dies hanc adflictum Romanam civitatem
obsidentes.
446 Ereurs I,
landum. ?) Die Urkunde ift freilich, obgleich ein Original, fehlerhaft datirt:
Regnante dommo nostro Aistolf rege, anno regni ejus octavo, menge Augusto,
indictione octava; denn die achte Indiction (September 754 bie September 755)
ſtimmt nicht zum achten Regierungsjahre Aiftulfs, der erft im Juli 749 den Thron
beftieg. Ueber die Berbefferung des Fehlers aber kann kein Zweifel fein; ſchon
Troya corrigirt, nach Barſoechini's Vorgang, annus regni octavus in septimus;
da8 dafür entfcheidende Argument jebodh, fo nahe es auch Ing, ift ihm entgangen,
Die unmittelbar vorhergehende Urkunde n° 695 nämlich, ebenfalls eine Original
urtunde aus Lucca, regnante domno nostro Astolfu rege a. feliciss. regni ejus
septimo, mense Augusti, ind. VIII., ift an demfelben Orte (actum in Griciano)
and zu Bunften derſelben Kirche sancti Fridiani, in gleihem Sinne und zum
großen Theil in gleichem Wortlaut,*) offenbar von einem Bruder des Gaiprand
ansgeftelt.?) Daraus darf gewiß aud auf eine Uebereinftimmumg im Datum
geſchloffen und die correcte Faſſung der ne 695 daher auf n° 696 übertragen
werden. Die Urkunde des Rotchaldus ſcheint fogar einige Tage fpäter, nad) dem
Mufter von n° 696, ausgefertigt zu fein; demm im ihrer fürzeren Faſſung erſcheint
fie wie ein Auszug ans derfelben, umd während Rotchaldus unter den Zeugen
Saiprands (Rotcatdus) auftritt, fehlt des Letzteren Name in der Urkunde feines
Bruders, fo daß man wohl vermuthen darf, daß er bereits durch Ausübung
feiner Kriegepflicht verhindert war, gegenwärtig zu fein. Die Schenkung Gaiprands
erfolgte aljo ohne allen Zweifel im Augnft des Jahres 755; damals war es, wo
er im Begriff fand, fid im die Gefahren eines Krieges zu begeben, und durch
Darbringung irdiſchen Gutes die ewige Seligkeit zu erwerben wünfchte.
Das Ziel diefes Friegeriichen Auszugs kann ebenfalls nicht zweifelhaft fein.
Es Handelte fih um die Wieberaufnahine des Eroberungsplans, welcher den König
Aiſtulf bereits in den erften Jahren feiner Regierung nach den römiſchen Gebieten
Staliens geführt und ihn ſchon einmal, im Jahre 754, zu einem Maffengange
mit dem Frankenkdnige Pippin gezwungen hatte. Wiederum war er entichloffen,
fübwärts zu marjdiven, und zwar diesmal durch Toscana direct gegen Rom.
Aber er fagte ſich wohl, daß Pippin die Herausforderung, welde in ber Ber-
letzung des erften Friedensvertrages Ing, nicht unbeantwortet laffen würde, und
alle Langobarden fühlten, daß es abermals einen Kampf gegen die Franken galt.
In diefem Sinne erklärt fid) der Ausbrud „exercito ad Francia“, d. i. gegen
die Franken; ) aus biefem Grunde rüftete Aiſtulf fo früh umd gewiß aud in
») Troya no 696.
8 no 696.
Manifestus sum ego Gaiprand v.d. [b.i.
vir devotus oder discretus] quia exereito
ad Francia Iteratus sum ambulandum,
proinde consideratus sum Del timure et
merelde anime mee ...
ut de ipso
sanctorum faclat ot pro mea facinora Do-
minus deprecatur ...
no 695.
Manifestus sum ego Rotcanldo Allo qd.
(quondam] Cheldi habitator in Glieiano,
quia consideratus sum Dei timure et re-
medium anime mes...
ut [presbiter] pro mea facinora Dominus
'o monuseulo Iuminaria-
deprecare dignefur ...
Et hoc volo ut dum advivere meruero
volo, ut ipsa casa cum omni ad se perte-
mente in mea sit potestatem ....
Quam dotis meis pagine Sichipert amico
166 „toribere rogavi sub, stiptlatione et
‚sponsione solemni interposita.
Sie tamen volo, ut dum advivere meruero
volo, ut ipsa terra usufrutuandi in mes
sit Potestaiem
iro
—* griau
ferationis [usufrutionis?] mee Guldain no-
tario serivere rogaı
. wi.
3) Das geht aus ben Unterjepriften beiber Urkunden hervor, bie wir behalb mur neben -
einander zu Aellen brauden:
no 696.
Signum + ms. Galprand v. d. aucturl
8. Pine. Koteallo v. a. germani dj
. + me. va
testis, in
8. + ms. Gauspert v.d. similiter germanl
ejus, testis.
8. + ms. Johanni v. d,, testis.
no 695.
Sign. + ms, Rotchaldo v.d. qui hanc doti
pagina feri rogavit,
8. + me, Ferrueio v. v. [venorabllis] pre-
r de sancto Fridiano v. d., testis.
8. + ms. Jhoani Ai
clano v. d., testis
io qd. Panli de Gri-
8. «+ ms, Cospertu germano ipelus Rot-
v. d., testis.
+) Veniant nung Franci et eruant vos de manibus nostris! &o rufen angeslich bie
angobarben Högnenb den Römern gu; Cod. Carol, ep. 9. P. 51.
Zur Chronologie der italieniſchen Ereignifie 447
der umfafjendften Weiſe. Das Wort iteratus sum aber, fo viel bebeutenb wie
iterato jussus sum, fan uns bei dem ſchlechten Latein diefer Urkunde, neben
consideratus sum u. dgl. m., nicht befremben; e& beroeift,- daß Gaiprand aud)
fon im Zahre 754 zum Heecbann gehört hatte.')
Nach mehrmonatlichen Vorbereitungen aljo eröffnete das Heer der Langobarden
endlich am Neujahrstage 756 die Belagerung Roms. Der Hülferuf Stephans vom
24. Februar drang früheftens Mitte März zu Pippin, und die Belagerung der
Stadt dauerte gewiß noch diefen ganzen Monat hindurch, wie denn and der Bio-
graph Stephans ausdrüdiich von einer dreimonatlihen Belagerung ſpricht.)
Damit fteht es keineswegs in Widerſpruch, daß Aiftulf am 5. April eine
Urkunde für Farfa im Palaſte zu Pavia ausftelt.*) Der Abt Fuleoald hatte den
König, wie es ſcheint, während jeines Aufenthaltes im der Nähe von Spoleto und
Kieti, d. 5. mährend der Belagerung Roms, perfönlic um die Schenkung geber
ten;‘) ein Beamter des Königs war damals mit der Üebertragung an Ort unb
Stelle beauftragt worden, umd Hierauf nimmt Aiftulf in der Schenkungsurkunde
Bezug.) Pippin Hatte offenbar gleich nach Empfang der römifchen Botſchaft den
zweiten Feldzug befchloffen; wir hören nicht wieder, wie das erſte Mal, von
vorhergehenden dipfomatifchen Berhandlungen. Aus ber Anweſenheit Aiftulfs zu
Badia im Anfange des April dürfen wir folgern, daß er bereits ernſtlich auf die
Vertheidigung des eigenen Landes bedacht war, wie er ja vom vornherein fich
ſchwerlich über die Folgen feines neuen Angrifes auf Rom getäufcht hatte.
Wann aber zog Pippin aus? Cine feſie Grenze jeßt das Cap. 46 der Bio-
graphie Stephans, wonach Aiftulf durch die Belagerung Pavia's ſich gezwungen
fah, den in der nächftvorhergegangenen achten Inbiction (September 754--755) abge-
chloſſenen Bertrag von neuem zu beftätigen.‘) Der zweite Friedensſchluß erfolgte
alfo noch in der neunten Indiction, d. 5. vor dem September 756. Rechnet man
nun 3—4 Monate auf die Dauer des ganzen Unternehmens, fo wird es jehr mahr-
fdjeintich, daß der Aufbrud) der fränkifhen Armee etwa am 1. Mai geichab.
Dadurch fällt auf eime vielbefprodene Thatſache in der Geichichte Pippins
ein ganz neues Licht.
Die annales Petaviani berichten nämlic; zum Jahre 755: Venit Thasilo ad
Martis campo et mutaverunt Martis campum in menge Majo;”) vie ann.
Laureshamenses zu demſelben Jahre fürger: Venit Tassilo ad Marcis campum
in mense Madio. Aus dem Wortlaut der Petaviani nun hat man gewöhnlich
den Schluß gezogen,°) daß das Märzfeld durch ein förmliches Reichsgeſetz vom
Iahre 755 in ein Maifeld verwandelt worden fei.
Eine genauere Bergfeichung der Annalen jedoch, über welche wir in unſerem
XVI. Ereurs nähere Rechenſchaft ablegen, ergiebt, 1. daß die Lauresh. die gemein-
» Dos Berbum iterare einer) äft in der mittleren Zeit ebenfo wie in der claffifhen
ganz gebräudlic; fo 9. 9. erzählt eont, c. 121, daß Bippin dem Aiftulf nad dem
fiveiten Ariege vitam et rognum Bere Sondeasit. Knyul ifig feint e8, dad ort von
ter aßquleiten, ein wie ber Bäletus Rofharı € 94T und 355 bad Partiip Iteranios {m
6) deuzo —e ya 'anteriore, Mi per elapsam ind. VIIL. partes pro-
Yenerat; denn —— bgelaufene Jahe Beuten, gt.
Nie ben ©. 4b (R. 6) elite Stee vos Codex Caro
vor) Gut ebenfe ns ann. Mogeilaul 755; Tontı Dastio ad Marcis cam mata-
t Marcam in Madio; denn fiatt marcam fceint mir, einer f SEEN audger
Bei nen Gonjechur von Glehebschts 9miß, mar, cam. d. 1 märeis cam Iefen.
Die Mnbänggtet der Monellanl von ven Petavianl aber Jabe (4 unten, eu Xi, nähe
B8
main 86. II. 6. 49.9. 1.
448 Ercurs J.
ſame Duelle treuer wiedergeben, als die Petav.; 2. daß dieſe den Worten der
Duelle oft, wie zur Erläuterung, einen Zufag oder eine Umſchreibung geben, die
anf den Charakter einer felbftändigen Nachricht keinen Anfpruch machen Fann.
Indem wir diefe Beobachtungen auf die Nachricht des Jahres 755 anwenden,
gelangen wir zu folgenden Schlüffen: 1. Die ürſprüngliche Faſſung ift die der
ann. Lauresh., die der Petav. dagegen durch Einſchaltung der Worte et muta-
verunt Martis campum!) daraus entftanden. 2. Pie Worte et mutaverunt
Martis campum in mense Majo reichen daher nicht Hin, um die Einführung des
Maifeldes als einen Act der Gejeßgebung erſcheinen zu laſſen; ſchon der fubjectfofe
Plural des Verbums, wie er ſich jonft micht findet, hat etwas Unbeftimmtes, Un-
fidheres, und auf die allgemeine Reihsverfammfuug läßt er ſich darum nicht deuten,
weil grade die ann. Petav. ſolche Zufammenkünfte, ebenfo wie die Kriegsunter-
nehmungen, immer als eine perjönliche Sandtung es domnus Pipinus binftellen.?)
3. Die ſeit Pippin allerdings übliche Sitte des Maifeldes®) ſchien unjerem Anna-
fiften, bei feiner Neigung zur Combination, vieleicht am beften ſich uf einen Ber
ſchluß jener Märzverſammilung zurädführen zu laffen, welche durd; die Anweſen -
heit Taſſilo's ausgezeichnet und deren Abhaltung im Mai durch die ausdrüdliche
Angabe jeiner Duelle außer Zweifel geftellt war.
Wir glanten nad) alledem, daß in Wirklichkeit fein beftimmter Beſchluß,
fondern vielmehr nur Beftinnmte Präcedenzfälle dem jpäteren Gebrauche zu Grunde
lagen, und wagen nun die Vermuthung, daß ein folder Präcedenzfal in dem
zweiten italieniſchen Feldzuge zu fuchen jei, der, wie vorhin macjgewiefen worden,
ungefähr im Mai 756 feinen Anfang nahm. u
Obige Stelle der ann. Lauresh., Petav. und Mosell. aber darf, wie wir
meinen, au8 verſchiedenen Gründen auf das Jahr 756 und den zweiten langobar⸗
diſchen Krieg bezogen werden. Zunäct ift im Allgemeinen feftzuhalten, daß unter
fämmtlichen bei Perk gefammelten Anualen fid, bis auf eine einzige, unbedeutende
Ausnahme) feine der Regierung Pippins völlig gleichzeitige Aufzeichnung findet;
die Nachrichten find allefammt aus verloren gegangenen Duellen abgeichrieben,
daher im chronologiſcher Beziehung, bei der Leichtigkeit zu irren, nur wenig braudje
bar. Zu diefer Unfiht gelangen u. . auch jhon Hahn, bei Berechnung der
Krönungszeit Pippins,°) und S. Abel, wo er ſich mit umjerer Frage beichäftigt.‘)
Dazu kommt, daß die ann. Alamanniei’und Nazariani die der gleichen Duelle
nachgeſchriebene Notiz: Venit Dassilo ad Martis campum, zum Jahre 754 (nicht
755) bringen; daß ferner zwei Todices der Petaviani unter dem Jahre 765 auch
noch von dem zweiten Siege Pippins über die Sangobarden berichten, ”) der ja
unzweifelaft dem Jahre 756 angehört. Dürfen wir fomit aud, die Ankunft
Taffilo’8 in daB Jahr 756 fegen und mit dem itafienifpen Kriege in Verbindung
bringen, fo gewinnt fie eine Bedeutung, die ihren Plag in dem dürftigen Annalen
N Die Wahl bed Yußbruds erklärt fih auf einfachfte baburd, dab das Berbum mutare
in gan gleiem Sinne offenbar fon von ber uriprünglichen Quelle beim Jahre 759 gebraucht
worden ift: mutavit rex Pippinus nomen suum in filio suo ; bie Petav. (und Mosell.) Haben
bas Wort daraus —&X ‚für dieſes Jahr felbft, als auch für 755 entlehnt.
3, 3. 3.: domnus Pipinns placitum habuit, habuit domnus Plpinus rex convntum
magnum (a. 763. 764. 765).
®) Dot. daß hierüber oben Gap. XKL, 1 Gefagte. Mait, VG. MIT. &. 409. 9. 8, Reit bie
nod beim Fortſe her des Fredegar ansutreffenben Beifpiele von ber denmifchen Anwendung bed
Wortes, c. 125. 190. 181. 192 —— it dem darakteriftiihen Zufas: Campo Madio, sicut
— erät), zufammen, ebenfo citirt er bie Stellen derann. Lauresh. 777. 781: Habuit Carlus
eonventum Francorm. id est Magiscampum, fotie die Stelle 790: conventum rex habaft
non tamen Magiscampum. Daß man aud im März noch zuweilen in ben Krieg j0g, beweift
das Jahe 767, von welhem die Unnalen Berichten: Iterum Pippinus fuit in Wasconia In
mense Martio. Erwähnenstverth it aud nod, baß grade im Jahre 755 das concil. Vernense
befehtoß, ut bis in anno synodus flat, prima synodus mense primo, quod est
kalendas, ubi domno rex jusserit, ejus praesentia: eapit. Vern. e. 4.
*) Die ann. antiquissimi Fuldenses nämlid); vgl. unten Egcurd VI.
®ı Hahn, Jahrkiiher ©. 229.
°) Abel, Untergang des Langobardenreichs in Jtalien. S. 61.
?) Cod. A. B.: et Piplnus superavit Langobardos, cum magno munere reversus est
in regnum suum. Im cod. C, ſowie in dem don A. Mai herauögegebenen Text einer bati-
eantigen Ganbfgrift, Spleil, Rom. VI. (1841) p. 184, fehlt der Zulat.
Zur Chronologie der italienifchen Ereigniſſe. 449
erklärlich macht, bie Bedeutung eines militäriſchen Zuzuges nämlich, den der jugend»
liche Fürft zum erften Dale ſeit Uebernahme des Herzogtfums feinem Oheim leiftete.
Denn die vaſſallitiſche Huldigung auf dem Reichstag zu Compidgne, welche die
größeren Loricer Annalen mit fo großer Beftimmtheit in das Jahr 757 fetzen,
läßt fi unmöglich mit jenem Erfcheinen in der Maiverfammlung ibentificiven,
das nad) allen Zeugniffen dem zweiten italieniſchen Kriege voranfging. Sie fand
exft flatt, nadhbem Taffilo, dem Auigebote Pippins folgend, im Mai 756 jammt
feinen Mannen zu dem bverfammelten Franfenheere geftoßen und mit demielben in
den Kampf gegen die Langobarden gezogen war. An diejem Kampfe aber hat Taffilo
wirklich theilgenommen, das bezeugt dev Fortſetzer des Fredegar c, 121 mit den
Worten: Rex Pippinus cum nepote suo Tassilone Bajoariorum duce partibus
Italiae usque ad Tieinum iterum accessit.
Faſſen wir den Gang der vorſtehenden Unterfuhung nochmals kurz zufammen,
fo ergeben fich folgende Bunte:
1. König Xiftulf, der gieich mad; dem erſtmaligen Abzuge ber Franken aus
Italien den Entjcluß gefaßt hatte, den Bedingungen des Friedens nicht madgus
Teben, ) begann fon im Sommer 755 die Zurüftungen, vieleicht auch die Vor-
übungen zu einem neuen Angriffsfiege auf Rom, ber vorausfictlid mit einem
abermaligen Vertheidigungsfriege gegen die Franken verbunden war.
2. Die Belagerung Roms begann am 1. Januar 756 und dauerte drei Mo«
nate lang.
3. Bippin, von feinem Neffen Taffilo begleitet, brad; im Mai nad) Italien
auf und ftand fpäteftens Ende Auguft zum zweiten Male als Sieger vor Pavia.
b. Der Feldzug bes Jahres 754.
Papſt Stephan, fo erzählt deſſen Biograph, begab ſich am 14. October 753
über Pavia nad) Gallien zu König Pippin. Am 6. Janırar 754 traf er im Palaſte
zu Ponthion ein, verfebte den Winter aber in S. Denys. Nach vergeblichen
Unterhandlungen mit Aiftulf bejchlofien Pippin und feine Großen den Krieg, In
welchein Jahre und in welcher Jahreszeit hatte dieſer Feldzug ftatt?
Den Quellen nad) liegen drei Möglichkeiten vor: 1. daß derjelbe im Frühe
jahr 754, 2. daß er im Herbfle dieſes Sahres, 3. endlich, daß er im Frühjahr 755
unternommen wurde.
Einige Annalen, indem fie wie gewöhnlich ganz ohne nähere Veftimmung
das Jahr 754 angeben, ?) nöthigen zur Erwägung der erften Annahme Danach
würde der Aufenthalt des Papftes in Gallien mur etwa zwei Monate gedauert
haben. In diefe Zeit fiele feine ſchwere Erkrankung, die Salbung der königlichen
Familie, die Unterhandlung mit den Großen des Reichs, von denen einige befannt«
lid heftigen Widerſtand Leifteten, endlich die diplomatijche Intervention bei König
Aiftulf. Eine fo ſchnelle Entwicklung der Dinge aber wäre felbft in unferen Tagen
kaum denkbar, abgejehen davon, daß nad) wohlbeglaubigten Berichten, die Sal-
bungsfeierlichteit erft Ende Juli ftattfand.°) Daher hat auch Niemand, fo viel id)
fehe; das erftgenannte Datum aufrecht zu Halten verfucht. Bu
Die Entideidung ſchwankt demnach ziwiſchen den letzteren zwei Zeitpunkten;
und auf, beide paßt gleichermaßen die ſchon früher erwähnte Stelle der Vita
Stephani c. 46, wonad; der Friebe während der achten Indiction, d. i. zwiſchen
dem 1. September 754 und dem 81. Auguft 755 geichloffen wurde. Nach Abmä-
3) Cod. Carol. ep. 6. p. 35, ep. 7. p. 89: a.die illo, a quo ab invicem separati sumus,
nos affligere . .. conatus est,
3 Iorin iünen kenn au u. X. Bühmer, Regesta Karolorum p. 3 gefolgt if,
3) Zube Beiveifen bie Begebenhelien bei der Trandlation ded Vonifacius, daß abnis
Bippin während de8 Juni 754 in feinem Reid veriweilte; |. oben ©. 179.
Zahrb. d. diſch. Gef Deldner, Rönig Pippi, 29
450 Ereurs I.
gung aller Zeugniffe jedoch find wir mit Jaffs) gegen Abel?) der Anſicht, daß
— erſte Zug Pippins nad Stalien im Herbfte 754 flattgefunden hat.*)
Prüfen wir zunädjft die Urkunden. Zwei fränkiſche Documente fiegen aus dem
Jahre 755 vor, das capit. Vernense von 11. (14.) Juli und eine zu Compidgne
vollgogene Schenkung Pippins an S. Denys vom 29. Jufi.*) IA auch die
Sprade jenes Capitulars ber Art, daß daraus bie ‚perfönfiche Anweſenheit Bippins
nicht mit Beftimmtheit zu erfennen ift,®) fo beweift doch die Kloſterurkünde unum:
Mößfich, daß Piypin fich Ende Zufi bereite wieder in Gallien befand. Ebenſo
beftgen wir von Aiulf ein am 20. Juli 755 ausgefertigtes neätigungsbiptom
au Gunften einer Kirche bei Bergamo, vigisima die mensi Julii anno filicissimi
regni nostri in Dei nomine septimo per indict. octaba.°) Wir ermähnen
Beides, ohne davanf bejonderes Gewicht zu legen, dem ein im März begonnener
Krieg konnte im Juli ſehr wohl ſchon beendet jein, obgleich es, bei aller Unmefent-
Ticpfeit ftehender Formeln, doch etwas Auffallendes behäft, daß Aiftuf unmittelbar
nad) ſchwerer Niederlage feine Regierung eine „ehr glückliche” genannt haben follte.
Bemerfenswerther ift, daß das Diplom vom 29. Juli dem Kloftr S. Denys
gift, ubi Folleradus abba et custos praeesse dinoseitur, während Fultad zu
denen —J welche nach Abſchluß des Friedens den Papſt nach Rom zu geleiten
hatten.)
Euntſcheidender jedoch find zwei langobardiſche Urkunden vom Juli 754, beide
Qucca betreffend und im Original erhalten, beide mit dem Datum: regnante
Aistulfo anno quinto, mense Julio, per ind. septima. ®) In der einen, n° 686, 9)
verfügt Biſchof Walprand von Succa, Ania ex jussione domni nostri Aistul
regis directus sum in exercito ambulandum cum ipso, teſtamentariſch über fein
Beſitzthum für den Fall, si mihi occasio mortis obvenerit; et si Domino pla-
cuerit et hie sanus reversus fuero, hec decritionis [deeretionis] cartula ad
me revertatur et nullum rovorem habeat. Schon aus dem Borhandenfein des
Teftaments iſt daher zu fchliehen, daß ber Bifchof im Kriege umgefommen. Noch
erfichtlicher wird dies aus n° 685, deren Inhalt etwa folgender iſt. Herzog Al⸗
pert und Biſchof Walprand Hatten, jener im Auftrage Aiftulfs, diefer als Beaheter
feines Bisthums, königliches Kammergut und Kircheneigenthum miteinander aus-
getaufcht und zwei gleichlautende Documente darüber, für die curtis regia und
für die Martinskirche, ausfertigen laſſen; dies war im Juli 754 geichehen.
beide Actenſtüde num, offenbar nach dem Nriege, dom Könige beftätigt werden
follten, war das eine berfelben, welches für das Archiv der Kirche beftimmt geweſen,
nicht zu finden, eo quod in exercitus dom — ierat. So lautet ber unvollftän«
dige Satz, deſſen Subject ohne Zweifel Biſchof Walprand (domnus W. episcopus)
umd deſſen Prädicat entweder in abierat oder in obierat zu vervollffändigen ift.
Genug, Walprand Hatte inzwiſchen in Peredeus einen Nachfolger erhalten, und
auf deſſen Bericht hin giebt Aiftulf Befehl, die vermißte Urkunde durch eine
wortgetreue Abſchrift des in der Föniglicen Hofhaltung aufbewahrten Eremplars
zu erfeßen: dies geſchieht im 7. Zchierangeiahre Aiſtulis, im September der
neunten Indietion, alfo im September 7:
Iſt es num nit am natürfichften, an: chronologiſchen Verlauf des eben Er-
zählten fich fo zu denken, daß Walprand unmittelbar nad) Ausfertigung jener zwei
Actenftüde ſowie jeines Teftamentes, dem königlichen Rufe folgend, an den Hof
2) Jaffs, Regesta pontificum Romanorum p. 191; Bibl. IV. p.
9) Abel, Untergang bes —— Ri für 786; ihn zu fügen
fat Ari, De Sonationibus & Pippino et Karolo magno sedl sponlllene Tai, dlsor-
auguralis 1862, p. 58-56.
> Unter ben elle Yat her. Bereiß“ Lupi, Ood. dipl. Berg. I. p. 460 ag, das
Mtlos era, und mit Ggarfftn deriheibigt.
1.
—3 ©. — oben ©. 221 (N. 8).
ya no en — ‚Lupt Le. L p. 487 (Driginal).
6 ben ©. 204.
Hi Sa uni = im, Geihichte ber Gntfisfung und Ausbilbung bes girchenſtaata
Te von. Sugenbeim, ee “
(1854) &. 19, N. 86, nr leicher Beweisfügrung benut. u bung er
Zur Chronologie der itaftenif—hen Ereigniffe. 451
gegangen, daß dadurch jene Tauſchurkuude verforen worden und durch den Tod
des Biſchofs fur immer verſchwunden iſt? Von einem anderen damaligen Kriegs-
zuge Aiſtulfs aber, als dem gegen bie Franken, erzählen die Quellen nichts. Sollte
nun der Biſchof von Lucca ſchon im FJuli ins Feld gerufen und dahin abgegangen
fein, wenn der entfernte Feind erſt · im März des folgenden Jahres zum Kriege
anfbrah? Womit erflärte fi in diefem Falle die ungeordnete Eile Walprands,
welcher das Abhandenfommen jener Urfunde entweder zugefchrieben wird (wenn
wir abierat leſen) oder doch zuzufchreiben ift?
Segen wir den Krieg aber in das Spätjahr 754, fo Löfen ſich alle diefe Ber
denten. Wir nehmen an, die Umterhandlung Pippins mit den Großen feines
Reiches und mit Aiftulf habe fih bie im den Juli Kineingezogen, darauf habe der
Bapft zum Dante für das erwünſchte Reſultat die ganze königliche Familie geſalbt;
unmittelbar nachher, affo im Auguft, habe der Zug begonnen. iftulf mußte bem-
gemäß ſchon im Mai oder Juni die Forderungen Pippins abgewiefen haben; fein
abfehnender Beſcheid aber, das fagten ihm gewiß ſowohl die fränkiſchen als auch
die eigenen Gefandten, bedeutete Krieg. Daher das allgemeine Aufgebot, wonach
im Juli ein Jeder von Haufe aufzubrechen hatte.) Walprand follte während des
Krieges wahrſcheinlich in der nächften Umgebung des Königs bleiben; *) er begab
fich daher zuvörderft gewiß an den Hof zu Pavia, aber ſchon im September mochte
der Zufammenftoß in den Cluſen erfolgen. Denm gefeßt, Aiftulf hätte ſich über
die Kriegsgefahr getäufcht und, zu früh gerüftet, dev Feind erfi im März 755 den
Kampf begonnen: dann wäre ſicherlich Walprand in der Zwiſchenzeit nochmals
in fein Bisthum zurückgekehrt, während bie Urkunde n° 685 das Gegentheil bezeugt.
Wir wenden ung nun zu den hiſtoriſchen Berichten. Ein negatives Moment
verdient hierbei zuerft hervorgehoben zu werden: es müßte nämlich, wenn Stephan
bis zum Fruhjahr 755 im Frankenreiche vermeilte, ſehr auffallen, daß aus einem
fo langen Zeitraume, aufer der Erkrankung des Papftes und der Salbungsfeier,
nichts mitzutheifen gewefen wäre. Abel meint ſchon, „man könnte ſich daran ftoßen,
daß über ben langen Zwifchenraun vom 6. Januar 5is 28. Juli ung gar nichts
follte berichtet jein“,®) und doch erfahren wir wenigfiens, wo ber Bapft den Winter
zugebracht und daß er Iebensgefährlich erfrankt war. Weber die folgenden 7 Mo-
nete aber ſchweigen nicht mur der Fortſetzer des Fredegar und die Annalen, fon-
dern auch die römiſchen Ouellen; gleich dem erften Winteraufenthalt, hätte doc
zum mindeften auch der zweite angegeben werben müfjen. Dieſes Ausbleiben aller
Nachrichten ſcheint ein indirecter Verweis dafür, daß der Heereszug der Franken,
mit welchem der Papft ja feinen NRüctveg machte, ſchon im Herbft 754 nad Jtar
Tien gelangte.
An directen Zeitangaben fehlt es für den erften Feldzug faft ganz. Den
widerſpruchsvollen Meinen Annalen gegenüber verhalten wir ung aud) hier, wie
im der vorigen Unterfuchung und wie Abel jelbft, *) mißtrauiſch und ablehnend;
die päpfllichen Briefe ſowie das Leben Stephans bieten, aufer der obenerwähnten
Stelle,°) feinen Anhaltspunkt. Die Fortfegung des Fredegar allein enthält zwei
chronologiſche Notizen, auf welche Abel feine Beweiſe ftütt.
Das Cap. 121 nämlich, das vom zweiten italieniſchen Kriege Handelt, beginnt
mit den Worten: Sequenti anno Aistulfus rex Langobardorum fidem suam,
quam regi Pippino promiserat, peccatis facientibus fefellit. Iterum ad Ro-
mam cum exercitu suo veniens, finibus Romanorum pervagans ... Haec
2) ud ein Dftribert auß ber Nähe bon Lucca macht, ohne jebod) den Anlaß anzugeben, im
li 754 fein Bermägßtniß; und daß er bald naher geftorben, geht aus ben weiteren Wer«
gungen feiner rau vom September 755 herbor: Troya no 697.
in exereito ambulandum cum ipso; vielleicht gotteßbienfilicher gwece wegen, ähnlich
isie e im Sranfentelhe deldak: proptor Alvinum mißisterlum: miasagam seliest solemnie
‚adimplenda et sanctorum ia portanda (Karlomanni’prineipis capit. a. 742 c. 2).
Wait Hingegen, Baffalität &. 142, meint, er fei zur Unterftügung ded Königs an ber Spige
feiner Beute ausgejogen,
%) Untergang ©. 89.
4) Dal. €. 61.
*) Vita Stophani c. 48, f. oben ©. 440.
452 Ereurs L
Pippinus rex cum per internuntios audisset . . . commoto iterum omni exer-
eitu Francorum etc. Der Annafift, meint Abel, berichtet alfo ausdrũdlich, daß
der zweite Feldzug im folgenden Jahre nach dem erften ftattgefunden habe. „Wer
den erften Feldzug 754 jet, dürfte demnach ſchon destoegen feineamegs, wie Böh-
mer thut, dem zweiten erft 756 fegen“.') Whel überfieht aber, daf der Fortjeger
de8 Fredegar nur von dem Vertragsbruch Aiftulfs, nicht von dem zweiten Kriege-
zuge Pippins jagt, daß derſelbe sequenti anno erfolgte. Da nun Aiſtulf am
1. Sanuar 756 jhon vor den Mauern Roms fand, fo fielen die Anftalten zum
Kriege, ſowie die erften feindlichen Bewegungen nothwendig noch in das Jahr 755;
über die Nichterfüllung des Vertrages aber hatte der Papft ja von Anfang an zu
Hagen. Der Ehronift hätte, wenn Pippin erſt 755 im Stalien geweſen wäre,
eodem anno jhreiben ımüffen; scquenti anno paßt grade nur dann, wenm der
exfte Fricdensichluß in den Herbftmonaten des Jahres 754 erfolgt war.
Die zweite Stelle des Fred. cont. lautet (nachdem von der Ankunft des
Papftes, feiner Ueberfiedlung nad) S. Denys und von einer Geſandtſchaft Pippins
an Aiftulf die Rede gewejen): Cumque praedictus rex Pippinus, quod per le-
gatos suos petierat, non impetrasset et Aistulfus hoc facere contempsisset,
evoluto anno praefatus rex ad kalendas Martias amnes francos, sicut mos
Francorum cst, Bernaco villa publica ad se venire praecepit. Initoque con-
silio cum proceribus suis, eo tempore quo solent reges ad bella procedere,
cum Stephano papa et reliquae nationes, quae in suo regno commorabantur,
et Francorum agmina ad partes Langobardiae ... . pergentes etc.?) Aus
evoluto anno will Abel mit Recht feine weiteren Folgerungen ziehen, obwohl zu
feinen Gunften jpräche, daß der Berfafjer, wie aus c. 134 (evoluto igitur eo
anno ... mediante Februario) hervorgeht, da8 Jahr mit dem erften Januar, nicht
mit dem erften März beginnen läßt. Bei unbefangener Auffaſſung des Zuſam ⸗
menhanges jedoch erkennt man, daß das evoluto anno ſich dem sequenti anno
(753) des c. 118 anfdjließt, zu welchem alles in den Cap. 118—119 Exzählte
bis auf den Schlußjag beftens paßt; die Möglichkeit eines Mißverftändniffes rührt
nur von einer ſtiliſtiſchen Ungenauigfeit des Chroniften her. Abel räumt denn
auch ein, daß die Märpverfammlung zu Braisne nad der Darftellung der Chro-
mit ebenfowohl 754 wie 755 ftattgefunden haben tönne. Cr hält aber daran feft,
daß bier die ietzte Entſcheidung fiel, daß von hier aus ber Feldzug begonnen wurde.
Da nun Alles, was zwiſchen der Ankunft Stephans und dem Aufbrud; des fränkis
ſchen Heeres liegt, unmöglid) in die ziwei Monate Jannar und Februar 754 zu»
fammengedrängt werben Fönne, jo müffe der Feldzug am 1. März 755 eröffnet
worden fein. „Von einer Verfammlung ſämmtlicher Waffenpflichtigen im Herbft
ift_faft nichts befannt, und felbft abgejehen davon ift kaum denfbar, daß noch fo
fpät im Jahr ein Feldzug unternommen worden wäre. Der Chroniſt jelbft jagt
ausdrücklich der Krieg jet zu der Zeit begonnen, in welcher die Könige gewöhnlich
in den Aritg ziehen, d. h. im Frühjahr; aud) ſcheinen feine Worte feinen Ziveifel
darüber zu lafjen, daß eben von Bernacum aus der Feldzug eröffnet wurde, was
ja auch ganz dem fränkischen Gebrauche entfpricht.“ °)
Ich halte num zunächft den Zweifel am der Wahrſcheinlichkeit eines Herbft«
feldzuges für unbegründet. Aus der eigenen Zeit Pippins liegen Beifpiele eines
jolen vor. Im erften Jahre nad) dem Tode des Vaters unternahmen Karlmann
und Pippin erft einen Zug nad; Aquitanien, inde reversi circa tempus autumni
eodem anno iterum exercitum admoverunt ultra Rhenum.*) Zum Jahre 767
berichten die ann. S. Amandi: Iterum Pippinus fuit in Wasconia in mense
Martio et iterum in mense Augusto; die größeren Lorſcher Annalen aber: Et
in eodem anno in mense Augusto iterum perrexit partibus Aquitaniae, Bi-
turicam usque venit, ibi synodum fecit cum omnibus Franeis solito more in
campo et inde iter peragens etc. Die Anficht Abel's entbehrt demnach der
%) Untergang ©. 61. N. 1.
%) Fred, cont. c. 120,
58.
3) Abel, Untergang. ©.
4 Fred. cont. c. 111.
Zur Ehronologie der italienifchen Ereignifie. 453
thatſächlichen Grundlage: im Monat Auguſt, den wir ja als die Zeit des Aufe
brudjs nad} Italien bezeichnet haben, Hatte auch 767 „solito more“ eine kriegeriſche
Verfommlung fämmtlicher Franken ftatt.
Nach Abel wurde gleich von Braisne aus im min der Feldzug eröffnet. Dem
fönnte auch laum anders geweſen jein, wenn ber Krieg in das Jahr 755 geſetzt wird,
weil Pippin ia, vie wir oben gefehen haben, fpäteftens Ende Juli diefes Jahres
ſchon wieder in Compiögne war. Wozu dann aber bei dem Chroniften die ſeu⸗
ſame Zufammenftellung zweier Zeitbeftimmungen gleichen Inhalte: ad kal. Mar-
tias und eo tempore quo solent reges ad bella procedere? Seltjam immer
Hin, wird man einwenden, aber fönnen die letzteren Worte „nad; fränkiſchem
Sebraudye” anders als auf den März gedeutet werden? Doch! Nach Hincmars
Vita $. Remigii c. 31 verjammelte fi, quando reges ad bella solent procedere,
das Maifeld.) Freilich wäre ein italieniſcher Feldzug der Franken vom Mai bis
zum Juli undenkbar.
Aber wir gehen weiter: wie, wenn der ganze Satz, den wir foeben aus ber
Fortfegung des Fredegar und einem Werke Hinemars citirt, der aud in den
ann. Laureshamenses begegnet, *) nichts als biblifche Reminiscenz it? Schwacht
das feinen Werth nicht bedeutend ab und geflattet uns jedenfalls eine größere
Freiheit der, Anwendung ?
Die Bibel war unferem Autor, in dem wir daher mit Beſtimmtheit einen
Geiſtlichen zu erkennen haben, überhaupt recht geläufig; einige Belege ſcheinen,
ba bisher noch nie darauf Hingewiefen worden, Hier wohl am Plate.
Wir finden die Uebereinſtimmung ſchon in einzelnen Worten und Wendungen.
Die fiehende Eingangsformel bibliſcher Erzählungen, factum est aufem ut,
fteht bei dem Chroniften c. 125 ex., c. 127 med. . Nuntiatum est regi (c. 134)
erinnert an 2 Samuel 6: nuntiatumque est regi David, daf. 15: nuntiatum
est autem David, daf. 19: nuntiatum est autem Joab n. f. 1. Die bei Fred.
cont. fo üblichen Satanfänge: quod videntes (c. 118. 128), haec videns (129),
haec cernens (ec. 120. 121. 180) ober cernentes (120. 197), fehren ebenio oft
in der Bibel wieder, 5. ®. in 2 Sam. 10: videntes autem .. . videns igitur
« ;;, Videntes igitur. Die Wendung: dum haec agerentur (Fred. cont. c. 123.
128), findet fi 3. ®. 2 Sam. 11. Die Bezeichnung majores natu (c. 109
zweimal, c. 120. 181) ift gewiß; and, bibfifchen Urfprungs; ®) ebenfo das ‚miro
opere (Fred. cont. c. 129) vom Wiederaufbau eines art 8;*) endlich der Ge-
Kraus des Wortes gyrus . cont. c. 109. 125. 126).°
Ganze Sätze, die der Bibel entnommen find, weift die nachfolgende Zujam«
menftellung auf:
Richter 9. 5. 8:
Quievitque terra quadraginta annis.
Iofua 6:
Jericho autem clausa erat atque
munita timore filiorum Israel . .
et nullus egredi audebat aut ingredi.
Sam. 3:
Facta est ergo longa concertatio
inter domum David et inter domum
Saulis; David profieiens et semper
se ipso robustior, domus autem Saul
decrescens quotidie.
%) Migne Patr. lat. CXXY. col. 1156.
Fred. cont. c. 117. 121:
Et quievit terra a proeliis annis
duobus.
Daj. c. 126:
Circumsepsit urbem munitione for-
tissimam, ita ut nullus egredi ausus
fuisset aut ingredi potuisset.
Daf. c. 197:
Facta est autem longa altercatio
inter Pippinum regem Francorum et
Waifarium Aquitaniae prineipem. Pip-
pinus rex, Deo auxiliante, magis ac
magis crescens et semper in ge ipso
robnstior factus est, pars autem Wai-
farii et ejus tyrannitas decrescens
quotidie.
„3 Aus. Laurenl 101: Sie falt rex Carlus in Wormacis. ot fbl velebrarit pancha.
Et verkente uno, 60 tempore quo solent regen ad bella proceders, movit exereitum sunm.
>) Bol. — 3920; 3 Sam 17. 19; 3 Adnige B; 2 Rönide 10.
* Fr T Rön
9) gt. Jofun 28.
454 Ereurs I,
Am merkwürbdigften ift offenbar die zuletzt angeführte Entlehnung; denn weit
entfernt, ein gedankenloſer Abichreiber zu fein, hat der Chronift vielmehr, wie ich
glaube, geradezu der Vergleichung halber und um feine Leſer an David zu erinnern,
diefen Satz benutzt; der bibliſche Gründer einer neuen Dynaftie wurde in vorbild«
lichem Sinne neben den fränkischen geſtellt.) Es verdiente überhaupt einmal
umfafiender hervorgehoben zu werben, welchen Einfluß die bibliſchen Borftellungen,
durch die Vermittlung der Geiftlichkeit, auf die Anſchauungsweiſe der damaligen
Menfchen übten.
Um jedoch zu unferem Aiusgamgenuntte zurüdgufehten, fo wird jene Stelle:
eo tempore quo solent reges ad bella procedere, nunmehr wohl ohne Bedenken
ebenfalls als Bibelftelle anerkannt werden, wenn ſich eine folde von gleichem
Wortlaut findet. Das 11. Capitel des zweiten Buches Samuel aber beginnt im
Hebräif—en mit den Worten: DYINÖOT MRS NYI?) Manche Ueberfeger und Er-
Hlärer, unter den Neueften Bunfen, geben diefer Stelle, in Rüdficht auf den In-
haft des vorhergehenden Capitels, die Deutung: „Zur Zeit des Auszugs ber
Boten;“ Xuther dagegen überfegt: „Zur Zeit, wenn die Könige pflegen auszu -
ziehen.“ Dies ift demm auch die Auffaffung des Hieronymus, defien Bulgata dem
hriffigen Mittelalter ja belanntfic den Inhalt der Heiligen Schrift, vermittelte;
denn er überträgt jene Stelle ſowohl im zweiten Buche Samuel wie im erften
Buche der Chronik wörtlich folgendermaßen: eo tempore quo solent reges ad
bella procedere. Das alfo if die Duelle jenes Gages, fomohl für den Forte
ſetzer des Fredegar, als au für Hincmar und den borermäßnten Annaliften
geweſen.
Ic) glaube num keineswegs, daß unſer Chroniſt mit einem ſolchen Satze
feine beſtimmte Vorftellung verbunden habe. Aber das wird man wohl zugeben,
daß er dabei an fränkiſche Verhältniſſe wicht dachte, daß ihm bei jenen Worten
mehr eine Jahreszeit, als ein gewiſſer Monat oder gar ein bei den Franken ge
bräuchlicher Kriegsmonat vorſchwehie, daß er ganz allgemein mur die Zeit bezeich-
nen wollte, welde den Königen aller Orten, nicht den Königen der Franken allein,
für den Krieg geeignet ſcheint. Dies gilt aber vom Sommer und Herbſt ebenfo-
wohl wie vom Frühling. Hätte er den Monat März gemeint, dann würde er,
ic wieberhole «8, zwei gleichbebeutende Zeitangaben nicht aufeinander gehäuft
haben. Wenn wir daher den Anguft 754 als die Zeit des Auszuges der Franken
nad; Italien bezeichnen, fo ſteht bie mit der Fortjegung des Fredegar im feinerlei
Widber ſpruch.
Rechnen wir 3—4 Monate auf den ganzen Feldzug, ber ja nach allen Dar-
ſtellungen ſehr ſchnell verlief, fo exgiebt fich, daß der erſte Krieg Pippins gegen
die Langobarden vom Auguft bis zum November 754 gedauert hat.
3) Novus David nennen aud) bie Bäpfte oft pveifenb den Adı 5 9gE oben ©. 155.
Er ebenfo Gnuter der fang biefer 14 ln aut De on! en.
Exeurs IL
Zur Kritik der Gapitularien und Synodalftatuten
aus Pippins Königszeit.
$ı
Das capitulare Vermeriense.
Pertz LL. I. (1836) p. 22.
Die zwei Handfchriften, in denen ung die Beichlüffe der Synode von Ber-
berie erhalten find, eine Parifer ans dem 10. Jahrhundert‘) und ein jüngerer
Münchener Eoder,?) geben weder die Zeit noch den Ort der Synode an, noch
findet ſich endlich in ihnen auch nur die Andeutung, daß fie in die Regierungs-
jahre Pippins falle. Dasfelbe gilt vom der Meer Handſchrift, ) aus welcher zu-
exft Siemond,*) dann Baluze®) das Capitular herausgegeben Haben und die allem
Anſchein nach mit dem obeugenannten codex Parisiensis identiſch ift.*) Daher bei
Baluze das Bedenken, ob die Beſchlufſe der Synode als Reichegeje zu betrachten
feien.”) Denn ihr Inhalt ift allerdings ein ausſchließlich kirchlicher; die eherecht«
lichen Beftimmungen, welde den Hauptbeftandtheil bilden, tragen ja vorzugsweiſe
das Gepräge geiftlicer Fürjorge. J
Zum Glüde gingen dieſe Beſtimmungen großentheils in die Rechtsfamm-
Tungen der folgenden Jahrhunderte über: fie find, wenn wir von Benedietus
Levita abjehen,*) zuerft von Regino, dem Abt vom Prum, benußt, der im Ane
fang des 10. Jahrhunderts für die Geiftlichkeit des Erzbisthums Trier feine zwei
Bucher von den Synodalangelegenheiten und der Kirchenzucht zufammenftellte;
fobann in der Hundert Jahre fpäter veranfalteten Ranonenfammlung des Biſchofs
Burchard von Worms; endlich in den Werten des Ivo und des Gratian. In
3) Codex Parisiensis inter Supplomenta latina no 75, fol, sa0c. X.; beſchrieben von
Perg, LL. I. prasfatio p. XXXL
) Codex ecelesiae cathedr. Augustae Vindelieorum, nune bibl. regiae Monacensis
ne 169, membr. in 4%, snec. XL, für bie Monumente von Föringer verglihen; f. Pertz 1.0.
BT und ps,
%) Codex 8. Vincentli Mettensis,
9) Sirmondun, Ooneilia antiqua Galllas (Paris 1039) IL
ins, Capitularla Francorum (Paris 1677)
(Florentiae 1766), Appendix col. 115.
©) ®gl. Pertz 1. c. praef. p. XXXL
) Baluzius L.c. p-189; Hanst col. 1198.
ken *) Benedioti Levitas Capitularlum collectio (Pertz LL. II. B), wo die Muellenangaben
en,
Eprieı; nad fm Manst XII.
456 Ereurs II.
allen diefen mehr ober weniger ſyſtematiſch geordneten Sammlungen haben die
Berfaffer zu jeder einzelnen Vorſchrift die Duelle ergegeben, welcher fie entnom-
men iſt. So bemerkte denn aud) ſchon Sirmond, ’) daß einzelne Beftimmungen
unferes Capitulars von Burdard, Ivo und Gratian mit dem Zufage citict jeien,
daß fie von dem Coneil zu Verberie herrühtten, weldes „in den Zeiten des Kü-
nigs Pippin“ ftattgefunden habe.?) Sirmond kannte bag Wert Regino's noch nicht,
das erft nad ihm durch Hildebrand umd Baluze ans Licht gezogen wurde und
das ebenfo die Grundlage der Burchard'ſchen Arbeit bildet, wie auf dieſer die
Schriften Ivo's und Gratians beruhen.
Es genügt auf einige Stellen in beiden Werfen Binzumeifen, um barzuthun,
daß Burchard bei Anführungen aus dem Capitular von Berherie keine Original
handſchrift deffelben, fondern nur die Auszüge Regino's benußt hat. So ent
fpricht 3.8. Burdard IX. c. 41. 42 genau Regino II. c. 248. 244 (Wafferfchleben
244. 245),°) obgleich die Zufammenftellung der beiden Sätze fih nicht von ſelbſt
ergab; daffelbe gilt von Burdard IX. c. 46. 47 und Regino IL. c. 125. 126
(®. 124. 125), Burdard XVII c. 10 sq. und Regino IL. c. 213 (W. 214) sq.
Ich Hebe dies, zumal Burchard jelbft den Regino nicht unter feinen Quellen
nennt, bejonder8 darum hervor, um die Angabe deffelben zu entträften, daß König
ippin der Synode beigewohnt Habe. Regino wiederholt an drei Stellen‘) nur die eine
jatjache, daß das Concil von Verberie in den Zeiten des Könige Pippin ver-
fanmelt gewefen ſei.“) Während num Burdard diefe Notiz an einer Stelle wört-
Kid) wiedergiebt, e) an einer andern Stelle bedeutend Fürzer faßt,”) hat er an
einer dritten, ) man könnte faft fagen, feinem Sprachgebraude gemäß ftatt der
bfoßen Regierungszeit Pippins die perjönliche Unmefenheit deſſelben angedeutet; )
denn der Ausdrud cui interfuit . . . rex findet fic in feiner Sammlung mehr
als zwanzigmal, der ähnliche praesente . . . rege etiva zehnmal, die Bezeichnung
tempore . . . regis dagegen, neben bem obenermähnten temporibus Pippini regis
nur nod) einmal.!%) Ich kann daher nicht einräumen, was Sirmond und bie
fpäteren Herausgeber auf Grund der Burchard'ſchen Randbemerfung behauptet
haben, daß in dem ums vorliegenden Geſetz ein Capitular bes Könige Pippins
vorliege, zumal in dem Wortlaute der einzelnen Kanones ſich nicht die geringſte
Hinweifung darauf findet. *')
Eine Veftätigung diefer Anficht darf in der Anordnung der Capitulavien ges
funden werden, wie fie der obengenannte cod. Paris. inter Supplementa latina
n° 75, gleich, dem Werke des Regino eine Sammlung des 10. Jahrhunderts;
bietet.!?) Derfelbe beginnt nämlich mit den Beichlüffen von Berberie, ohne jede
Ueberichrift; darauf folgen die Shnodalacten von Compiegne und von Verneuil,
jene mit den Worten beginnend: Incipit decretum quod factum fuit ad Com-
pendium palatium publicum, diefe mit der Aufiheift: Incipit concilium quod
tum fuit ad palatium Vernis; dann erft fommt das Capitular von Goifjons
Fi Ex’ Coneiti Epnd Vermertam temporibus Pipini regis oder Ex concilio apud Ve
concilio apud Ver ober Ex coneilio apud Ver-
merlam, cul interfult Pipinus rex. Puc Ver
3) Die Capiteleintpeilung fimmt bei Baluze und Woflerfäleben nicht ganz überein; im
apeiten Buche, bad hier am meifen in Betrag Tommi, beginnen Bei cap. GL bie enten
Sötsantungen (Bat, 61. 62 = Wass. 61; B. 188. 169 — W. 167; B. 178 — W. 119, 117;
B. 179 = W. 178, 179), vie dann bet cap. 179 ihre Ausgleihung finden. Aber jhon B. 184
gerfällt bei W. wieder in zwei Gapitel, 184 und 185, und fo ifi benn auch in ber oBen anges
führten Stelle B. 243. 244 — W. 244. 245.
DIE & An ma. 208 (WB BI8 Ban, kemporibus Pippint
ex coneilio quod factum 'ermeriam temporibus rogis.
°) IX. 0. 41 nad Reg. IL c. 243 (W. 244). por ot
DI 0 4 nad Reg, IL. c. 118 (W. 11T): 0x oncilo apud Vermerlas,
®) IX. c. 28 = Reg. IL c. 119 (W. 118); die Ueberihrift ex eodem bei Regino bepicht
fi) auf das vorhergehende Gapitel 118 (W. 114) zurüd,
*) ex coneilio apıd Vermerlam, oul interfuit Pipinus rex, cap. 7.
0) ]. c. 289.
1) Bud) Sidel, Acta II.p. 211, fagt: „Bieleiit nur Goneilienbefiläffe; dap fie in Gegenwart
— Aunige gel morben Aid, He Sch fg mil Befümmthet armen? >
®) @gl. Perts LL. L praef. p. XXXI.
Zur Kritif der Capitularien und Synobalftatuten. 457
aus dem Jahre 744, in welchem Pippin ſelbſt redend auftritt: ego Pippinus dux
et princeps Francorum; hierauf endlich das capitulare incerti anni mit der
Ueberſchriſt: Ineipiunt capitula de alia sinodo sub ipso domno rege Pippino
facta. Die jheinbar planloje Anfeinanderfolge diefer Actenftüde erklärt ſich ein
fa) dadurd, daß der Verfaſſer des Codex, durch irgend eine Angabe der Drigie
male dazu veranlaft, ſich nur die letzten beiden als unter Mittoirkung des Herrſchers
entftanden dachte, die erſteren drei dagegen als bloße Synodalbefhlüffe der Geift-
lichkeit. betrachtete.
Die töniglicherfeits erfolgte Genehmigung diefer Symodalbeſchlüſſe und ihre
darauf gegründete geſetzliche Gültigkeit fteht gleichwohl außer Zweifel; den Beweis
dafür Hat großentheils fhon Baluze geführt, der freilich aud; den Biichof Burcherd
als Gewährsmann citirt.!) In dem Capitular Karls des Großen vom Jahre 779
nämlic) heißt e8 allgemein: Capitula vero, quae bonae memoriae genitor noster
in sua placita constituit et in synodis, conservare volumus.?) Die Synoben
find Hier offenbar den Neicheverfommlungen (placita)?) entgegengeftellt, die Be-
jchlüffe beider aber als Anordnungen Pippins bezeichnet. Auch im Einzelnen ſchärft
Karl ſolche Synodalbeſchlüſſe aus der Zeit feines Vaters von neuem ein, nament-
lid) die Cap. 7. 9. 14 des capitulare Vernense duplex,*) über deffen ſynodalen
Charakter wir weiter unten zu ſprechen Haben werden, indem er am der einen
Stelle noch ausbrüdfich hinzufügt: Sicut et bonae memoriae genitor meus in
suis synodalibus edietis mandavit.°) Daf aus unfern Synodalacten auch Ber
nedietus Levita für feine „Capitularienfammlung“ geihöpft, kann freilich nicht
gleichfalls, wie Baluze will, als Beleg für bie in Rebe ftehende Behauptung dienen,
da diefe Sammlung, welche faum zum vierten Theile wirklichen Capitularien ent»
lehnt ift, ihren Namen nur mit Unrecht trägt.) Dagegen verdient ein Wort
aus Pippins eigener Zeit, das ſich in einem Briefe des Bifſchofs Lullus von
Mainz findet, mit Nachdruck hervorgehoben zu werden. Indem diefer Bifchof ſich
nämlich auf „bie Heifigen und vorfchriftsmäßigen, durch die kanoniſche Autorität
geftügten, Anordnungen ſowohl unferer ehrwürdigen Biſchöfe als auch Pippins,
unferes koniglichen Herrn, und feiner Räthe“ beruft,?) hat er dabei doch ausfchlieh-
id) das Cap. 8 bes capitulare Vernense im Auge,®) eines, wie gejagt, nur
fmmodalen Status.
Der vierte Sat deſſelben Capitulars nun beſtimmt ausdrücklich, daß von
den zwei jährlich zu veranſtaltenden Synoden mur die erftere in Gegenwart des
Königs und da, wohin diefer fie berufen würde, die Herbftverfammlung dagegen
entweder zu Soiſſons oder an irgend einem andern Orte, über welchen die Biſchöfe
fih vorher verftändigt haben würden, ftattfinden follte.*) ine Berfammlung
der letzteren Art ſcheint denn aud das Eoncil von Verberie geweſen zu fein, um
das e8 ſich hier zunächſt Handelt und von weldem wir conftatirt haben, daß bie
Anweſenheit des Königs ſich in keiner Weiſe darthun laſſe. Dadurch freilich wird
ber Zeitpunkt der Zufammenkunft völlig ins Ungeroiffe gerüdt. Cs if feit Sir-
mond nämlich — immer unter ber Annahme, daß der König dem Concil beige-
wohnt habe — üblich geworden, in Rücficht auf die zu Berberie erlaffenen Diplome
Pippins, kal. Mart. a. 1. regni nogtri für ©. Denys, menge Majo die 28. anno II.
» Cap. 12; Ports LI.
Balg, 86. II.
+) Die erften Seiven im capit. Tieinense a. 801 c. 16-18, Ports LL. I. p. 85-86; bad
cap. 14 im capit. eceleslasticum a. 789 c. 80, Pertz 1. c. p. 66.
") Portz 1. 0. P.66.
®) ®gl_Rnuft bei Perg, LL. IT. B. p. 18.
7) Jaff6, BibL. III. ep. 114. p. 279: Sancta et regularla instituta, canonloa anctoritate
confirmata, tam episcoporum nostrorum venerabilium quam etiam domni nostri regis
Pippint consiliatorumgue &jus manifesta ratlone scimus conservanda. — Jaff6's Inter»
punckion {er fekt bad Komma nidt Hinter confrmata, fondern nad ejus) feint mir nit
den rigtigen Einn zu geben.
9) Das Nähere |. oben ©. 228.
9) 6. oben 6. 324: aut ad Seasionis vel allubi, ubl ... inter ipsos episcopos convenik,
458 Excurs II.
regni ipsius gloriosi regis für Utrecht, jene Synode in den Anfang ber
Konigsherrſchaft Pippins zu ſetzen. Sirmond und Baluze zogen das Jahr 752,
Böhmer!) und Per 758 vor; bie Leteren gingen dabei von der Vorausſetzung aus,
daß die Krönung Pippins zu Soiffons „am erften Sonntag nad) dem Beginn ber
jroßen Neicheverfammlung ftattgefunden habe, die damals noch am 1. März
jedes Jahres gehalten wurde,“ ?) alfo am 5. März 752, ſodaß danach jene beiden
Urkunden, vom 1. März des erften Regierungsjahres und vom 23. Mai des zweiten,
in dasfelbe Jahr 753 zu fegen wären und einen faft vierteljährlichen Aufenthalt
des Königs im Palafte zu Berberie vermuthen ließen. Aber abgejehen davon, daß
die Krönung Pippins jhon Ende 751 erfolgt ift, daf daher Gidel in den Acta
Karolinorum jene zwei Urkunden wieder um ein ganıes Jahr ängeinanderhält
umd die Synode nur hupothetiſch mit [752, mart. bezeichnet, finden wir Pippin
ja aud im feinem dritten Regierungsjahre (ohne Angabe des Tages), jowie am
10. Juni 760 in Berberie wieder.?) IA nun vollends die Gegenwart Pippins
bei der Synode, wie wir gejehen haben, durch nichts bewieſen, fo verliert der ur:
tundliche Nachweis von dem Aufenthalte des Königs zu Verberie alles Gewicht
und die gewöhnliche Datirung des Capitulars allen Auhalt.
Wir würden daher auf die Thatiade beichränft Bleiben, daß daſſelbe der
Königszeit Pippins feinen Urjprung verdanfe, wenn nicht zunäjft das capitulare
‚Compendiense einen anderweitigen Anfnüpfungspunft böte. In denjenigen Punkten
nämlich, wo die beiden Gapitularien ſich ihrem Inhalt nad) berühren, *) jchliehen
die Beftimmungen von Compidgne ſich, wenigftens zum Theil, au diejenigen von
Berberie an.°) Da num die Berfammlung zu Compidgne ohne allen Zweifel
in das Jahr 757 fällt,®) jo folgt daraus, daß das Concil bon Berberie vor
767 fattgefunden.
Ein weiterer Umftand aber weiſt auf das Jahr 756 Hin. Wenn man näm-
lich die Vorrede des capitulare Vernense vom Jahre 755 lieft, fo erhält man
den Eindrud, daß die Wiederherftellung der kanoniſchen Ordnung erft damit feier-
lich inaugurirt werden follte. „Die Vorichriften ber Väter“, Heißt es da, „würden
genügt haben, wenn ihre heiligen Satzungen unverletzt geblieben wären. Weil
aber durch bie Schuld ungünftiger Verhältniffe und unruhiger Zeiten Mangjerlei
davon außer Anwendung gefommen, jo hat der glorreiche und fromme König
Bippin faſt alle gelten Biihöfe im Palafte zu Vernenil zu einem Coneil ver—
einigt, von dem Wunjche befeelt, die kanoniſchen Inftitutionen einigermaßen wieder
herzuftelfen.“”) Das concilium Vernense erſcheint danach als das grundlegende
in der Geſetzgebung des neu errichteten Königthums,) und ba es mit voller
Beftimmtheit das Jahr 755 zum Datum Hat,°) fo fällt die Synode von Berberie,
indem fie zwiihen denen von Verneuil und Compiögne ihren Play erhält, mit
größter Wahricheinfichfeit in das Jahr 756.
och mancherlei Anderes fpricht für diefe neue Gruppirung der Pippinifchen
Gelege. Die Synode von Verneuil beſchäftigte ſich vor Allem mit den Anger
4) @ find 8 Stellen be& nen, 18 bed anbeten.
®) ©. oben Gap. XXL 3.
9) &. oben ©. 296.
D Porta LI. .p. 24. Gartmann un Pippin Hatten eint in ben Sapren 742 und 744 in igren
ieilerigen bie Publication ber erten Sprobalbeihtüfe, melde Im Franfenlanbe mad visten
— wiener srlafen worden waren, mit äynligen Morten eingelist; dot. belonbert
Gapik, a 242 0, 1 (Ports LI. ED. 10): Conelltum s£ arandum congregavi . . . ut mihl
— dedissent, auomodo lex, Dei et ecslesastica teligio recupereiur, ine In die
bus praeteritorum prineipum dissip: Data Gorralı
2,94 Mi Beattenötert$, baß baB Sentoto er ecfen in der Biße der Bynsten Zafnlot,
ofendaz in geh mung bed capitulare Vernense, einen ganı ägnligen Gingang Hat: 5
cum normam pı patrum yitam
Ben —— polım Seandere: famen propter Ära, Gemporum "üversa neces- —*
—— —— —
— —
©. oben S. 220.
Zur Kritif der Capitularien und Synobalftatuten. 459
legenheiten des Klerus, der Bisthümer und Klöſter; bie anderen beiden mit ben
Angelegenheiten der Laien, insbeſondere mit cherechtlichen Fragen. Ein folder Bor-
rang ber geiftlichen Angelegenheiten zeigt ſich aud) in den Eapitularien der 40er Jahre;
ex liegt gleichermeife den Sammlungen eines Anfegis und Regino zu Grunde.
Bei unſerer Auffaffung gewinnen ferner die Worte bes capit. Vern., welche
auf.bie eben angeführten folgen, einen beftimmteren Sinn. „Weil vorerft“, jo
fährt die Vorrede nämlich fort, „zu dem ganzen Werke noch feine Möglichteit
vorhanden, will ber König wenigſiens dasjenige verbeffert fehen, was ihm ber
Kirche Gottes am meiften zuwider ſcheint. Wenn ihm rubigere Zeiten vergönnt
fein werben, gedenkt er die Kanones ber Heiligen in ihrem vollen Umfange zu
beobachten.” Wir dfrfen in den Beiclüffen von Verberie und Compiögne wohl
mit Recht einen folhen Ausbau des unternommenen Werkes erkennen.
Das letzte und, wie mich dünkt, ſchlagendſte Argument endlich gewährt die
Betrachtung einiger Paragraphen in den uns vorliegenden brei Capitufarien. Unter
den 21 Capiteln von Verberie haben 18 das Ehereht zum Thema, nur drei be
ziehen ſich auf die Verhältniſſe des Klerus; ’) von den 21 Kapiteln von Compiègne
handelt Jogar nur. ein einziges bon einem Gegenflande der letzteren Art, ) alle
anderen Haben eherechtliche Verhältnife zum Inhalt. Diefe Einftreuung eines
ganz verihjiedenartigen Stoffes hat etwas Befremdendes, das jedem Leſer fofort
auffallen muß; und gewiß nur aus dieſem Grunde find jene drei Capitel des
capitulare Vermeriense von dem Schreiber des Münchener Coder weggelaſſen
worden. ®) Grade dieſe auffallenden Stellen aber gewinnen volles Licht und Ber-
fändniß, wenn die Synode von Verberie, wie wir annehmen, derjenigen von
Bernenil gefolgt if. Faſſen wir die einzelnen Säte ins Auge. Das 14. Eapitel
Tautet: „Durch Wanderbiſchöfe fol Leine Ordination von Prieſtern geichehen;
wenn die Priefter aber gut find, follen fie nochmals confecrirt werden." ') Diejer
Sag fließt fid) ganz offenbar an das c. 18 der Synode von Verneuil an:
De episcopis vacantibus qui parrochias non habent ... ut in alterius par-
rochia ministrare nec ulla ordinatione facere debeant non sine jussione
episcopi. Während nämlich Hier jede Ordination unterjagt ift, tritt zu Werberie .
eine Milderung des Verbotes ein, inſofern unter einer beftimmten Bedingung bie
einmal erfolgte Ordination gültig bleibt. — Das Cap. 15 von Berberie jet feft,
daß ein degradirter Priefter in ungmeifelhafter Noth, bei Todesgefahr, wenn fein
anderer anweſend ift, einen Kranken taufen darf.?) Vergleichen wir hiermit die
Eapitel 8 und 9 des capitulare Vernense, wonad; fein Briefter in einer Parochie
ohne Auftrag des Biſchofs eine Taufe vornehmen oder eine Mefie feiern darf,*)
ein begradirter Priefler aber, ber nach feiner Abſetzung noch irgend eine amtliche
Function verrichtet, mit Ercommunication beftvaft wird, ?) jo überzeugen wir ung,
daß die Synode, von Verberie auch bier wieder die Strenge des Befchluffes ,
mildert und eine Ausnahme geltend macht. — Im ganz ähnlicher Weife con»
flatirt auch das 12. Capitel de8 capitulare Compendiense nur einen Aus:
nahmefall von der im 6. Capitel von Verneuil aufgeftellten Regel; bemm es
wird darin eine Taufe felbft dann für gültig erklärt, wenn ein ungetaufter
Priefter fie vollzogen. Die Anrufung ber Dreieinigfeit wird, der allgemein herr-
ſchenden Anficht gemäß, als zur Gültigkeit hinreichend erfannt und nur die nade
frägtige Handauflegung von Seiten des Biſchoſs geforbert.*)
och ein Wort zur Erflärung des c. 16 des capitulare Vermeriense.
Es war im Jahre 756, wo Rom vom 1. Januar ab drei Monate lang bu
Fl gapıt Yermer.,c. 14 16. 16
e. 14.
%) ©. oben ©. 280 (9. 2).
+) Ut ab episcopis ambulantibus trias ordinatio presbiterorum non fiat. Si
autom boni sunt illl presbiterl, itorunt co *
*) Presbiter corta necessita cogente, pro 'porlculo mortis, si alius non
adest, potest Infrzmum bapı m rin
3 Capit Vern. ©.
460 Excurs II.
langobardiſche Heere eingefchloffen wurde. Ein fränkiſcher Abt Warnehar, fo ber
richtet Papft Stephan felbft unterm 24. Februar Pippin und den Franken, fand
Tag und Nacht im Panzer auf den Mauern Roms und betheiligte ſich mit allen
Kräften am der Vertheidigung der heiligen Stadt.‘) Wohl mander andere Kleriter
mochte gleich diejem Abt und gleich dem Pape jeloft für erlaubt. Halten, in bier
ſem außerordentlicen Falle zu den Waffen zu greifen und, jei es an den Kämpfen
um Rom, ſei e8 am dem Feldzuge Pippins, welcher in diefem Jahre flatthatte,
thätigen Antheil zu nehmen; von der Anwefenheit und der diplomatiſchen Mitwir-
tung fränkifcher Briefter wird ausdrücklich berichtet.?) Es wäre daher wohl denkbar,
daß «8 nad) beendigiem Kriege dem fräntiſchen Concil räthlich ſchien, das Berbot
des Waffentragens, wie es ja ſchon 742 und 744 erlafien worden war,®) noch-
mals zu erneuern. J
Aus allen den vorſtehend entwickelten Gründen hat unſere Darſtellung von
den überlieferten Meinungen abgehen und das capitulare Vermeriense der Zeit
nad hinter das capitulare Vernense ſetzen zu müffen geglaubt.
Ehe wir aber die übrigen Iegislatoriihen Denkmale aus der Zeit Pippins "
einer näheren Prüfung unterziehen, Tiegt ung noch ob, einiger irethümlichen Zus
fäge zu den Beſchlüſſen von Berberie, welche ſich bei Regino und Burchard fin-
den, mit kurzen Worten Erwähnung zu thun.
g2
Aeber einige Bufahartikel zum capitulare Vermeriense.
Der Abt Regino hat, nachdem er in den Capiteln II. e. 212—215
(Wafferichteben 218—216) die Eapitel 1. 2. 10—12 der Beihlüffe von Verberie
wiedergegeben, *) auch mehrere darauf folgende Nummern>) auf dafjelbe Concil
begogen®) und feine Nachfolger, Burchard, vo, Gratian, find ihm darin zum
Theil gefolgt. Im feiner Sammlung der fräntiſchen Capitularien fügte daher Baluze,
der Herausgeber des Regino, 9 Ramones als alia capitula synodi Vermeriensis
dem a — anfäsfich bei.?) Allein von jenen 9 Kanones finden
fih 7°) als Cap. 11. 18. 15. 17. 18. 21. 22 des Capitulars von Compidgne
wieder, und obmohl die Gorhanenen Abſchriften der Capitularien von Verberie
und Compidgne nicht älter als Regino, aljo auch nicht älter als bie von ihm
benugten Epemplave berieben find, fo if doc) vielmehr Per beiguftimmen, der
die fraglichen 7 Paragraphen ber Sonode von Compiögue beläßt,) ale mit
Baluze '%) und Wafferichleben!!) anzunehmen, daß fie urſprünglich zu den Kanones
von Berberie gehört, daß fich die Acten dieſes Concils aber nur unvollftändig er-
Halten Hätten, Daß Regino freilich durch einen bloßen Irrthum die beiden Ea-
pitularien miteinander verwechſelt habe, hält Baluze mit Recht nicht für denkbar,
zumal Regino oft genug auch das capitulare. Compendiense als Duelle an-
füge.) Wir glauben vielmehr, daß das Cremplar, welches ihm borgelegen,
allerdings auch ſchon jene Zufäge enthalten, ja, daß ein gleiches Exemplar viel-
Teicht aud) ſchon bei Abfaffung des c. 68 der Wormfer Synode vom Jahre 868
benutzt worden ift.'°) Wafferjchleben gründet feine Hypotheſe nämlich darauf, daß
2) Cod. Carol. ep. 8. 9. p. 48. 55. -
%) Fred. cont. o. 181.
3) Capil. a. 742 0. 2, 0. 744 c. 8.
+) ex "ooneilto ad Vermerlam femporibus Pippini.
*) Baluz. 216-224, Wass. 217—28:
*) ex eodem.
») Gapitolaria rogum Francorum I. 9. 165; Manal KIT, App col. 11.
*) Ba. 216-232, —238.
2) Porke Kr. TIL p. 28. not 1.
!°) Capitularia IT. p. 1026.
1) Beginonis br! "ano p. 801. not. m.
22) Lib. IN. Bal. c. 107. 135127. 345, W. c. 108. 186-138. 244.
”) Mansi XV. col. 879.
Zur Kritif der Capitulavien und Synodalſtatuten. 461
von den 5 Kanones, welche hier zu einem einzigen Capitel zufammengefaßt, aljo
wohl Einer Onelle entnommen feien, zwei dem capitulare Compendiense') und
drei dem Vermeriense?®) in ihrer bei Bert; vorliegenden Geftalt angehören. Das
ganze Synodalftatut freilich ift eine jo bunte Compilation älterer Acten, daß die
Zuſammenſetzung des c. 63 faum einer befonderen Erklärung bebürfte. Aber
jelbft das Vorhandenjein eines nach obiger Angabe erweiterten Exemplare ber
Bermerienfiicen Beicjlüffe würde nicht beweifen, daß dies die urfprüngliche Faffung
dee Capitulars gewejen jei. Solche Erweiterungen eines Capitulars durch Aus-
züge eines anderen aus derſelben Zeit finden fi nicht felten, und wir verfuchen
es weiter umten, biefe öfter wiederkehrende Erſcheinung zu erflären.*) Hier fei
nur noch erwähnt, daß das 21. Capitel von Conipiègne und das 9. von Verberie
ungefähr in einem folgen Verhäftniß zu einander flehen, wie die im vorigen
Paragraphen citirten Cap. 14 und 15 von Berberie zu den Cap. 8. 9. 13 von
Bernenil, daß das eine bie Berichtigung des andern ift, beide daher unmöglich
in ein und bafjelbe Gefet gehören.
Eine andere Reihe von Zufägen hat Manfi?) aus dem Werke Burchards zur
fammengeftellt, fie jedoch zum Theil felbft verworfen. So wird vor biefem 3. B.
das 8. Capitel von Compidgne irrigerweife als das 8. Capitel des concilium
Vermeriense bezeichnet; °) die Uebereinftimmung in der Zahl 8 macht e8 Bier zur
Gewißheit, daß bei Burchard mur eine Verwechſelung der Namen vorliegt.
Bon drei andern Stellen Burgards, die Manft demfelben Eoncil zugeichrieben
— II. c. 199, IV. c. 62, VI.c. 46 —, haben die erſten beiden in der zu Paris
1569 erjhjienenen Ausgabe des Werkes die Nandbemertung: ex concilio Vvormacie,
wofür allerdings leicht Vermerie gelefen werben konnte; die dritte Stelle aber, die
auch Foo?) mit Burhard als Cap. 98 des Concils von Berberie bezeichnet, findet
fih, ienigftens theilweife, bei Regino ®) als ex concilio Mogontiacensi.®)
Biel größere Schroierigkeiten mußten von den obengenannten 9 Stellen des
Regino die leisten zwei verurfadhen, !*) welche bei Baluze gleich den 10 vorhergehen-
den Kanones die Meberfhrift ex, eodem haben und jo auf das concilium ad
Vermeriam temporibus Pippini bezogen find. Diefelben finden fih nämlich,
weder in diefem noch in einem andern der uns erhaltenen Capitularien Pippins.
Pertz fand fich daher veranlafit, dieje zwei Güte wenigftens in einer Anmerkung
dem capitulare Vermeriense beizufügen. **) Seit dem Erſcheinen der Berg’ichen
Sammlung jedoch Hat Wafferichleben das Wert Regino’s in jeiner urfprünglichen
Seftalt edirt, welche ſowohl den Helmflädter, als aud den Parifer Cover, die
Grundlage des Baluziſchen Tertes, als interpolirt erjcheinen läßt. Hier heißt es
nun im der Quellenangabe zu jenen zwei Capiteln nicht: ex eodem, fondern: ex
eapitularibus,??) ein Yusbrud, unter welchem in der Mehrzahl der Fälle bie
Sammlungen des Anfegis und des Benedictus Levita verftanden find.
6.88 ex.
4) ©. oben S. 912.
*) Mansi XII col. 585-568.
s) Burchardi Decretum IX. ce. 27.
7) Ivonis Deeretum &. c. 171.
®) IL. Bal. c. 97, Wass. e. 96.
9) vom Jahre 851; vgl. Pertz LL. I. p. 414. e. 11.
2) [T. Bal. c. 223. 224, Wass. c. 224. 225.
”) Pertz LL. I. p. 23.n. 1. Der bort nit ganz vollſtändig mitgetheilte Wortlaut ders
Telben int: ©. 228 (224), Item de parricidis,
Si homo liber patrem aut matren, fratrem vel avunculum ocelderit, hereditatem
propriam amittat, et si quis moechatus fuerit cum matre et sorore et amita, hereditatam
perdat.
C. 224 (225). Item de incestis.
Ut episcopt incestuosos investigare studeant, et si poenitere noluerint, de ecclesia
expellantur, donee ad poenitentiam revertantur.” Quodsi obedire sacerdotibus noluerint,
opörtet co3 per secularem diseiplinam coörceri.
’2) Regino ed. Wasserschleben p. 302. In ähnlicher Weife hat au 5. ®. Bal. II.
€. 420 die Irrige Buffhrift ex. cone. Tolet. XL. c. 6, inährenb daffelbe Gnpiteei Baer
Ieen, II. e. 426. p. 979, ex capitularibus überfhrieben if.
462 Ereurs II.
Damit ift nun jede unmittelbare Beziehung auf unfer Capitular mit Einem
Schlage befeitigt; doch verlohnt e8 wohl der Mühe, jene beiden Paragraphen auf
ihren befimmteren Urſprung zurüdzuführen, zumal bie Sammlung Benedicts,
welche Regino bei jener Bezeichnung ex capitularibus nicht felten im Auge bat,
ja befanntlich auch Excerpte aus Pippins Capitufarien enthält, jene Aufſchrift
alfo die Möglichkeit nicht ausfchließt, daß die zwei geieglichen Beftimmungen in
Bippins Zeit fallen.
Denn dem Inhalt nach wäre dagegen faum ein Bedenken geltend zu machen;
man vergleiche nur die ganz ähnliche Beſtrafung des Inceſts mit Vermögenscon-
fiscation in cap. 1—3 des capitulare incerti anni. Stellt doch ſchon das alaman-
niſche Vollsrecht, wie es um das Jahr 620 von dem fränkiſchen Könige Lothar
redigirt worden ift, in cap. 39 und 40 auf ganz ähnliche Weife die nuptias
incestas und die patrieidia zufammen und fett auf beide den Verluft des Ver-
mögens, ?) eine Veftimmung, die aud im ripuariſchen echt, *) fowie in der Lex
Bajuvariorum ®) wiederfehrt, nad) dem Vorgange der Lex Pompeja, wie Merkel
meint, die auch bei den Römern die Todeaftrafe für den Vatermord in Einziehung
des Vermögens verwandelt bat. Ja, jchon im Jahre 596 heißt e8 in einem Decret
des Königs Childebert in Betreff des Incefis: omnes facultates suas parentibus
legitimis amittat, qui noluit sacerdotis sui medicamenta sustinere.‘)
Gleichwohl läßt fich für umfere zwei fraglichen apitel die fpätere Entfiehung
beftimmt nadweilen. Das Capitel De parricidis nämlich ift keineswegs, wie
Waſſerſchleben anmerkt,°) ein caput incertum, fondern den Zufägen Karla des
Großen zum ripuariſchen Geſetz dom Jahre 808 entnommen, wo es im cap. 14
folgendermaßen Heißt: Ut homo liber peccato imminente, quod absit, patrem
aut matrem, avunculum vel nepotem interfecerit, hereditatem propriam amittat.
Et si quis mechatus fuerit matrem, sororem, amitam aut neptam, similiter
hereditatem perdat.°) Die Ausdehnung des Geſetzes auf Neffen und Nichten ift
eine nur unmejentliche Abweihung. In den Büchern Regino's aber kehrt es
mehrfach wieder, daß er mit den Worten ex capitularibus, wie fonft auf Anſegis
oder Benedict, jo auch auf ein einzelnes, originales Capitular hinweiſt; z. B. II. B.
805. W. 309, B. 329. W. 343.°)
Wis nun das Capitel De incestis betrifit, jo läßt ſich auch dies nicht ans
Benedict herleiten, da in deffen fonft ſehr analogem Capitel De incestuosis®) der
letzte Cat: Quodsi obedire sacerdotibus noluerint, oportet eos per secularem
disciplinam coörceri, fehlt. In keinem Falle aber ftanımt daffelbe aus den Jahren,
mit welchen wir uns hier beichäftigen, fondern ebenfalls aus Karls des Großen.
Regierungszeit, und zwar läßt fi jeine Entſtehung und Entwidlung, wie ſchon
Wafferfchleben zum Theil angedeutet hat, J genau folgen,
As Karl nämlich im Jahre 818 fünf galifche Synoden zu gleicher Zeit
berufen Hatte, weldje die Berbefferung der kirchüchen Zuftände berathen folften, ’°)
da ſiellte zunächſt das Mainzer Eoncil in feinem 53. Kanon!!) genau dieſelben
Worte auf, welche Benebict in ber oben angeführten Stelle De incestuosis (I. c.
165) mittheilt umd offenbar den Mainzer Acten entnommen hat, wie ſämmtliche
Copitel 143—168 feines erſten Buches. **) Die gleichzeitige Synode von Tours’)
fprach in ihrem Cap. 41 ebenfalls von incestuosi, parrieidae, homicidae, deren
viele im Lande anzutreffen wären; aber einige, fo bemerkt fie, wollen den Ermaf-
facultates amittat: Lex Alamann. ed. Merkel, Portz LL. III p. 45.
») Lex Rip. LXIX, 3.
%) Lex Bajuv. VII, 1-8.
+) Pertz LL. 1. p. 9. c. 2.
*) Regino II. c. 234, p. 302. not. m.
LL. 121.
;en_ p- 338. not. x, p. 345. not. h.
*) Bonedictl Ab. L c. 108, Ports Li. IL B. P. 64-
„ 0 II. 0. 225, p. 808. not. n.
» —— —S dis.
22) Mansi
3) Bat Ana bel Berp, Li. IL B. p. 20
Dr B. p. 2.
Zur Kritit der Eapitularien und Synodalftatuten. 463
nungen der Priefter fein Gehör geben und müſſen daher durch die Mittel der welt-
lichen Gewalt von jo frevelhaftem Gebahren zurüdgebradht werden. Die Synode
bittet deshalb den Raifer, zu befcließen, was mit ihmen weiter zu thum jei.!)
Auf dem noch in demfelben Jahre folgenden Reichstage zu Aachen?) arbeiteten die
Biſchöfe auf Grund ihrer fünffachen Synodalberathungen eine Concordantia epi-
scoporum au8,°) in deren 25. Kanon fie auf denjelben Gegenftand zurücklommen
und fi den Beſchluß von Tours infofern aneignen, als fie gegen Verbrecher jener
Art die Laiferliche Unterftügung erbiiten.“) Karl nahm nunmehr in jein Aachener
Copitular einen Auszug jener biihöflichen Kanone auf, und hier heißt e8 im
Cap. 8: De incestuosis omnino investigandum, ut ab ecclesia expellentur,
nisi penitentiam egerint.°) Das gewünjchte Einfchreiten der weltlichen Gewalt
fagt er nicht ausdrudlich zu.°) Exft im Jahre 847 giebt das Coneil I Mainz
unter dem Erzbiſchof Rabanus dem, was zu Tours unter dem Eindrud beftimmter
Thatfagen nur als Antrag ausgefprodren worden, eine gejeglihe Form und Ger
ftalt. Das Cap. 28 diejes Concils nämlich lautet folgendermaßen: Ut episcopi
incestuosog penitus investigare studeant, omnino decrevimus: qui si poenitere
noluerint, de ecclesia expellantur, donec ad poenitentiam revertantur. Quodsi
sacerdotum noluerint admonitionibus aurem accommodare, volentes in pristioig
perdurare eriminibus, oportet eos per saecularis potentiae diseiplinam a tam
prava consuetudine coerceri.?) Dieſem Capitel des Mainzer Eoncils ift offen
bar die Stelle des Regino entnommen, die jomit wohl für immer ans den Con
eilienbeſchlüſſen von Verberie geftrichen iſt.
s3.
Die Originalität des capitulare incerti anni.
Pertz LL. I. p. 30.
Zu den vielen chronologiſchen Schwierigkeiten, mit denen eine annaliftifche
Darftellung der Lebensgeſchichte Pippins zu fämpfen hat, gehört, wie bereits ein
Beiſpiel beiviefen, die Unficherheit in Vetreff der Entftehungszeit und jomit bes
inneren Zufammenhanges feiner Capitularien. Wir Haben im erften Abſchnitt
diejer Unterſuchungen die Ueberzeugung gewonnen, daß felbft die anſcheinend feft-
ftehende Datirung des Capitulars von Verberie nur auf unhaltbaren Voraus -
fegungen beruhfe und eine Berichtigung erforderlich machte. Hier haben wir es
num mit einem Gefege zu thun, für welches nad) der Meinung aller Herausgeber
ſich weder die Zeit noch der Ort feiner Abfafjung beftimmen Täßt. Nur ganz
vermuthungsweile verlegten es ältere Forfcher nad Meg‘) und in die Mitte der
50er Jahre, während Berk die Meinung Hatte, daß es vielleicht don der Synode
zu Atigmy im Jahre 765 erlaffen worden fei.?)
j Sed aliqui ex illis sacerdotum nolunt admonitionibus aurem accomodare ...
quos oportet per saecularis potentiae diseiplinam a tam prava consuetudine coörcerl,
qui per salutifera sacerdotum monita noluerunt revocari. Quorum aliquos jam excom-
municavimus. Sed illi hoe parvi pendentes in eisdem perdurarunt eriminibus. Quam-
obrem vestra decernat mansuetudo, quid de talibus deinceps agendum sit.
%) Einhardi annales 818.
») Pertz LL. IV. p. 550 (Addenda).
+) De eriminosis et Incestuosis et ceteris hujusmodi Bestibun ita nobis placuit, sieut
in Turonensi deeretum est conventu; ita dumtaxat, ut domni imperatoris erga
sicnt et In omnibus, adjutorium praebeatur. .
%) Pertz LL. III. p. 189.
) Bel. jedoch ſchon das capit. Aquisgranense a. 802 c. 33: Si autem judieium epi-
scopi ad suam emendationem consentire noluerit, tune ad nostra praesentia perducantur,
memores exemplo, quod de incestis factum est, quod Frieco perpetravit in sanctimoniall
Dei; Pertz LL. I.
%) Mansi XIV. .
®; Daher hier und ba der Name capitulare Mettense.
») Pertz 1. e., praefatio.
464 Ereurs II.
Wir werden im fünften Paragraphen biefes Ercurfes verjuchen, zu einem
feſteren Ergebniß zu gelangen; hier erörtern wir zunãchſt eine weſentliche Vorfrage.
Wir gehen von der itfache aus, daß ſammtliche 7 Capitel des vorliegen
den Capitulars ſich in den Handſchriften noch einmal in Verbindung mit anderen
Geſetzen wiederfinden. J
Nachdem unſer Capitular zuerſt von Pierre Pithou) ohne nähere Quellen-
angabe herausgegeben worden, haben es Sirmond und Baluze im codex 8.
Vincentii Mettensis, Perg im codex Parisiensis inter Supplementa latina
n° 75 wiebergefunden.?) Im allen darauf gegründeten Editionen hat e8 diejelbe
Geſtalt, und nad) der Anficht des legten Herausgebers wäre die Duelle fogar eine
allen gemeinfame. Nur ganz willfürlih haben Sirmond und Baluze zwei Car
pitel des Benebictus Pevita, von denen im vierten Abſchnitt die Rede fein wird,
als viertes und fünftes Capitel hier eingefchaltet, und da fie außerdem das 7. Gar
pitel in zwei Nummern trennten, fo befteht da8 Capitular bei ihnen, ftatt aus 7,
vielmehr aus 10 Paragraphen, von denen 1—-8 = Perg 1-38, 6—10 aber gleich
Berg 4—7 find.
Beiläufig fei hier angeführt, daß auch die Kanones von Compidgne bei den
früheren Editoren anders als bei Perg numerirt find, indem bei ihnen Berk
1-3 = 1, daher Berk 4-6 = 24, ferner Berg 7 und 8 — 5, daher end«
id) Berg 9-21 = 6—18 find.
Bon den 7 Eapiteln des capitulare incerti anni finden fi num
L die Cap. 1—8 De incestis auch am Schluffe des decretum Compen-
diense a. 757 nad) cap. 21 bzw. 18: Si quis propter faidam etc. und zwar
a) in den beiden von Pertz benutten Codices, dein Parisiensis inter Suppl.
lat. n° 75 und dem Monacensis;
b) in dem vorgenannten codex S. Vincentii Mettensis;°)
©) in einem von Labbe benugten palatinifchen Coder des Vaticans.‘) — Nur
Sirmond, der erfie Herausgeber des Capitulars, ſchließt mit c. 18, ohne
jenen Zufag aufzunehmen; Baluze und Per dagegen haben ihn als c. 19—21
(Pertg 22—24) Hinzugefügt. &o finden ſig denn jene drei Baragrapfen De
incestis, ebenfo wie in den Quellen, aud in den Ausgaben an doppelter
Stelle vor, und e8 twird zu eutſcheiden jein, wohin fie eigentlid, gehören.
1. Die Cap. 4—7 (früher 6—10) des capitulare incerti anni begegnen
uns mod einmal am Ende des capitulare Vernense duplex, nad) dem 25. Car
pitel: Ut nullus episcopus nec abbas etc., womit dasjelbe in den Ausgaben
gervöhnlich fließt. Bon den Codiees des Vernenſiſchen Geſetzes weiſen bie drei
ſchon erwähnten, der Mettensis, der Pal.-Vat. und der Parisiensis, jene 4 Zu-
jäge auf;°) fie fehlen dagegen in dent cod. Bellovacensis saec. X. Deshalb
haben auch Sirmond und Pertz fie weggelaffen, während Baluze fie als Cap. 26--30
in das capitulare Vernense aufgenommen hat.*) Auch über diejes doppelte Bor-
Tommen einiger Gejegesbeftimmungen müffen wir eine beftimmte Anficht zu ges
winnen juchen.
Um an biefem Orte die Schtwierigfeiten gleicher Art erichöpfend zufammen-
zuſtellen, fei endlich
II. noch hervorgehoben, "daß das Eapitular von Compidgne hinter jenen ſchon
zufäglicen drei Beitimmungen De incestis in einigen Handiriften außerdem
3) Petrus Pithoeus, + 1598; feine Ausgabe ift mir nicht zugänglich gewefen.
2) Eine andere, in den Ausgaben unbenugt gebliebene, Abfchrift enthält der von bem
Brüdern Ballerini, De antiquis collectionibus et collectoribus canonum P. II. cap. 10.
$ 1. no 8 und $ 3 ‚Gallandius, De vostutis canonum collectionibus dissertationum syl
loge I. p. 411. 420), beigriebene codex Palatinus 574 der baticanifhen Bibliothef,
am Schtuffe befindlichen Notiz zufolge früher dem Nlofter Lorih gehörig, dal. Fr.
Bibliotheca Latina juris canoniei manuseripta I., Wiener Sigungsberihte LI. (1867)
©. 402. Aus den Mitteilungen der Balerini ift nur fo viel erfihtlich, daß aud ber Xert
dieſer ger jrift weder eine Zeits noch eine Ortsangabe aufweiſt.
») Bet. Sirmondus, Concilin Galliae IL. p. 680.
) Betrefie a De 'p 1080: In 8
*) Betreffö der erften ai0e moſchriften vgl. p. 1080; I
ref der Briten Dorta Dle I RM Bock © “r
©) 'Baluzlus, Capitalaria I p. 175; Mansl XII, Append. col. 135.
- Zur Kritik der Capitufarien und Synobalftatuten. 465
auch den Sonntagsfanon der Vernenſiſchen Synode!) aufweiſt. Es find wiederum
jene drei ſchon öfter genannten codices Parisiensis,°) Mettensis®) und Palat.-
Vaticanus, *) während bie für Perg durchgeſehene Münchener Handfhrift dieſen
Zufag nicht hat. Der cod. Parisiensis hat baher im Capitular von Verneuil
ſelbſt, ftatt jenes 14. Kanon, nur die Worte: de die dominico requiretur in illo
synodo,®) welche offenbar auf das gleichlautende Schlufcapitel von Compidgne
hinweiſen jollen, da dieſes Capitular in der Handſchrift dem Vernenſiſchen unmitiel
bar vorhergeht.) Daß nicht auf gleiche Weiſe im capitulare incerti anni ftatt
der Wiederholung jener brei Capitel De incestis nur auf das Gejeg von Com⸗
piögne verwiefen wird, erklärt fi daraus, daß diefe beiden Urkunden in jener
Handſchrift durch die Decrete von Verneuil und von Soiſſons allzumweit von ein-
ander getrennt find. ?)
Die eigenthümliche Thatfache, daß der gefammte Inhalt eines Geſetzes ſich
in zwei anderen Wort für Wort wiederfindet, ift verſchiedener Auslegung fähig.
Sie könnte beſonders damit erflärt werden, daß das Ganze nichts weniger als
ein officielleg Actenftüd, daß es vielmehr die Compilation irgend eines Einzelnen
fei, der nad; Willfür aus einigen Capiteln zweier ihm vorliegenden Geſetze ein
drittes zufammengeftellt. Diejer Möglichkeit gegenüber ſoll hier verſucht werden,
die Originalität des fraglichen Capitulars darzuthun.
Die Compilation, wie wir fie joeben als möglid angenonimen, müßte jeben-
falle, wenngleich der codex Parisiensis erft im 10. Jahrhundert geſchrieben worden,
jchon um 840 vorhanden gewejen fein; denn Benedicius Sevita, welcher feine Ca-
pitularienfammlung in den bierziger Jahren des 9. Jahrhunderts angefertigt und
im erften Buche feines Werkes, c. 9—12, unfere drei Capitel De incestis ercerpirt
hat, ſchließt ſich dabei nicht nur im 2. und 3. Capitel, wie ſchon Knuft erkannt, °)
fondern aud im erften dem unbeftimnten Capitular und nicht demjenigen von
Compiogne an.?) Es genügt die Eingangsmworte zu vergleichen; dieſelben Lauten
im capitulare Compendiense: Si homo incestum commigerit de matre sua
aut cum matrina; im capitulare incerti anni: Si homo incestum commiserit
de istis causis, de Deo sacrata, aut commatre sua, aut cum matrina; bei
Benedict endlich: '%) Si homo incestum commiserit cum Deo sacrata aut cum
matre sua etc., jodaß es ſich jogar empfiehlt, im Texte des Capitulars ſtatt der
Worte commatre sus mit Benedict cum matre sua zu leſen.
Während Regino, welcher im Anfange des 10. Jahrhunderts ſchrieb, ſchou
ein erweitertes Exemplar der Compendienfichen Geſetze benußte, da fein Capitel
De incestis*?) daraus entnommen ift, hat Benedict aljo, wie foeben gezeigt worden,
jenen Beftimmungen De incestis bem capitulare Compendiense nicht entlehnt.
Da feine Belanntichaft mit diefem aber durch die Aufnahme mehrerer Capitel
deſſelben erwiefen iſt, ) jo ift man dadurch wohl zu dem weiteren Schluffe bes
rechtigt, daß das Eremplar der Compendienſiſchen Synodalacten, welches Benedict -
vorgelegen, jene drei fraglichen Beſtimmungen überhaupt nicht enthalten hat.
Auf die innere Unähnlichkeit diefer drei Schlußcapitel und der übrigen Para⸗
?) Capit. Vernense a. 755 c. 14, Pertz LL. I. p. 26.
%) Pertz LL. I. p. 29. not. i.
3) Birmondus, Conc. II. p. 680.
.) Porta LL-’T.p. 39, mo. J; im eodd.L. [Parie].ot Palatino (oT gieteidt Heiben:
Monacensi?]. Der sei Mansi XII. col. 585 angeführte cod. ms. Pal.-Vat. entpält ben
IL.
Zufeg, nigt; sol. au Balnzias, Capitnlaria IL.p. 1083: non Iegebamus exstare in codem
Codice Pal
%) Portz LL. I. p. 26. not. n; fo aud) ber cod. 8. Vincentil Mettensis, vgl. Balnzius,
Capitalarla II_p. 1029, too biefer' Hinweiß irrigermaßen auf bie twirtlige Duelle bes Ranons,
bie Spmobe zu Diidand vom Jahre 588, beyogen wirb.
°) Pertz LL. 1. p. 5 dgl. oben ©. 456.
?) ©. bie borhergehenbe Note, Cine Agnlige Bewandtniß Bat es mit den vier Schluß:
capiteln be8 unbeftimmten Gapitulars, bie ber Gober ebenfalls jhon einmal am Schtuffe des
capitulare Vernense tiebergegeben hat
®) Pertz LL. II. B. p. 19.
®) Au gen, Jahrbůcher ©. 197, hat bied bemerft.
»0) Lib. 1. c. 9.
42) Lib. II. Bal. c. 232, Wass. c. 223.
») Bgl. muft bei Perg, LL. IL. B. p. 19.
Zahrb. d. bij. Geld. Deldner, König Pippin. 30
466 Ereurs D.
graphen von Compiögne ift ebenfalls ſchon früher kurz hingebentet worden. *) In
ihnen ift von Handhabung weltliche Strafgewalt, von Eonfiscation des Bermö-
gens, von Bußzahlungen an die königliche Kaffe, von Prügelſtrafen die Rede, während
ſammiliche 21 vorangehenden Capitel nur von Maßregeln kirchlicher Disciplin
handeln. So erſcheinen jene drei Säge, zumal fie am Schluſſe ftehen, nur als
fremdartige Zuthat, die ohne Zweifel dem Original nicht angehört hat.
In noch evidenterer Weije ergiebt eine Beirachtung ber Cap. 47 des un-
beftimmten Capitulars, daß fie in einigen Handichriften mit Unrecht dem Bernen-
fiſchen Capitular angehängt find. Man vergleiche fie nur äußerlich mit den
Paragraphen 18—25 bes letzteren. Der 7. Sat De justieia facienda tlingt an
die Cap. 18. 23. 25 am, welche fi gleichfalls mit der Rechtspflege beichäftigen;
wir ftellen ferner zujammen:
Capitulare incerti anni Capitulare Vernense duplex
c. 4. .6. 22.
. et peregrinos similiter constitu- De peregrinis, qui propter Deum
us qui propter Deum ad Romam vadunt, ut ipsis teloneos non tollant.
vel alicubi vadunt, —X . . . nee
ullum theloneum eis tollatis.
o. 6. c. 19.
Vt emunitates conservatae int. De inmunitatibus, ut omnes inmu-
nitates per universas ecclesiag con-
servatae sint.
Es ift undenkbar, daß diefe Sätze gleichen Inhaltes, ja zum Theil gleichen
Wortlautes in einem und demfelben Documente aufeinander gefolgt fein follten, wie
dies noch bei Baluze in den 30 Paragraphen feines capitulare Vernense wir-
fi zu finden, von Sirmond und Per aber mit Recht vermieden worden ift.
Auf welche Weife diefe ganz unzweifelhafte Interpolation entftanden fein mag,
ift etwa jo zu erflären. Von den Mitgliedern der Synoden, bie ja vorſchrifts-
mäßig eine Copie der Beſchluſſe zur Verkündigung im ihren Kreifen mitnehmen
mußten, mochte mandjer einem unter feiner Mitwirkung zu Stande gelommenen
Gejete dies oder jenes verwandte oder ihm wichtig ſcheinende Bruchſtück anderer
VBeichlüffe derſelben Zeit für feine Privatzwede hinzugefügt haben. Aus einem fo
beſchaffenen Original hat dann der Sammler unſeres Coder geſchöpft.
Indem nun aber die Säge 4—7 des unbeftimmten Capitulars nicht andere
als echt und urfprünglich fein Lönnen, gewinnen wir auch für die vorhergehenden
drei Capitel De incestis einen neuen Beweis ihrer vollen Authenticität; denn
von fpäterer Hand wurden ſolche Zufäte wohl cher dem Ende eines Originals
angehängt, als an die Spige eines ſolchen geftellt.
Auch zeigt fih zwiſchen 1—3 und 4—7 mande Achnligjkeit in Form und
Inhalt. So 3. B. fließt fih an c. 3 (De presbyteris et clericis sic or-
dinamus) der Anfang des c. 4 (De theloneis vero sic ordinamus) genau an.
Die Worte in sacellum regis veniant ehren in c. 3 und 4 wieder; ebenfo findet
ſich das vapulari in 1—2 und in 7. In 2 und 7 werden die ecclesiastici ber
fonder8 hervorgehoben; die Unterfcheibung der bona persona von den minores in
c. 2 endiich entfpridht der major persons in c. 7.
Damit wäre denn die Junegrität des capitulare incerti anni dargethan.
Bir gehen weiter, indem wir behaupten, daß uns im demſelben ein wirklich
Lönigliches Ediet vorliegt, nicht, wie allem Anſchein nad in den Acten von Ber-
berie und Compiogne, nur die Beſchlüſſe bifhöflicher Concilien.
Die Parifer Handichrift bei Perg nämlich giebt demfelben, übereinftimmend
mit dem befannten codex 8. Vincentii Mettensis, folgende Ueberfchrift: Incipiunt
capitula de alia sinodo sub ipso domno rege Pippino facta. Diefe Barte
find aber nicht jo zu verftehen, daß jene Synode „zur Zeit“ des Königs Pippin
oder „umter feiner Regierung” flattgefunden; fie bedeuten vielmehe bie Anwvefen-
heit des Königs und feine perjönliche Mitwirkung bei den Beichlüffen. Denn unfere
2) S. dahn, Jahrbücher ©. 198.
Zur Kritif der Capitularien und Synobalftatuten. 467
Handſchrift giebt, wie ſchon früher erwähnt tmorden,!) das eapitulare incerti
anni unmittelbar nad) dem Capitular von Soiſſons (744), weldes Bipnin be
kanntlich in eigener Perſon publicirt hat; jene Infcription alſo will, Gegen:
ſatze zu den ſchon vorher mitgetheilten Coneilienbeſchluſf en von Berberie, Compiegne
und Bernenil, fagen, daß num aud; noch die Capitel einer zweiten, ebenfalls unter
Pippins eigener Leitung verfammelten, Synode feigen, Diefe Worte aber find höchſt
wahrſcheinlich nur der Auszug aus einer urfprüngligien Einleitung gleichen Inhalts,
welche dem Gefege bei feiner Publication vorangefdict worden war und welche
der Schreiber bes Coder ganz weggelaffen hat.
Der Inhalt beftätigt unfere Meinung. Von ben weltlichen Strafarten, die
darin vorkommen, ift ſchon gefprodyen worden; die Beftimmungen über Zölle,
Münze und Rechtspflege gehören außerficchlichen Gebieten an; endlich aber läßt
die wiederholte Zorm der Anrede in Cap. 4 kaum einen Zweifel übrig, daß wir es
bier mit einer Föniglichen Anweiſung an die Berwaltungsbehörden des Reichs, die
Comites und ihre Unterbeamten, zu thun Haben.?) Es ıft, von dem capitulare
Aquitanicum des Jahres 768 abgefehen, das nur als eine Provinzialverordnung
jelten fanın,®) das einzige Capitular aus Pippins Königszeit, dem dieſer Name
im vollen Sinne gebührt.‘
84.
Ueber zwei angebliche Capitel des capitulare incerti anni.
Bir haben nunmehr von zwei Einfchaltungen des unbeftimmten Capitulars
zu fpredien, welche Berg zwar aus bem Texte entfernt und in eine Anmerkung
verroiefen, °) nach ihm jedoch Hahn wieder aufrecht zu Halten verſucht Hat.*) Diefelben
finden fih in feiner andern Duelle als der Sammlung des Benedictus Levita;?)
und nicht etwa auf befien ausdrüdlice Angabe in, fondern nur auf eine Com
bination geftüßt, hat Sirmond diefelben unferem Capitular einverleibt. Weil
nämlich die Cap. 1—3-den Eap. I. 9—12 de8 Benedict zur Duelle gedient, die
Cap. 6 und 7 aber bei Benedict I. c. 15—17 wiederfehren, fo folgerte man, daß
auch die dazwifchenftehenden Cap. I. 13 und 14 bes Benedict aus Demjelben Capi-
tular_ genommen, aljo urſprünglich darin enthalten gewefen fein müßten.
Diefe Berveisführung jedoch Hat nichts Ueberzeugendes. Denn daß Benedict
nicht ſtreng dem Faden feiner Duelle folgt, ihm vielmehr gerne durch Einſchie-
dungen unterbricht, beweifen 3. B. im demfelben Buche feiner Sammlung die
Cap. 4—5 und 61.°) Andererſeits ift es ſehr begreiflich, daß er ſtatt der wirffi»
hen Cap. 4 und 5 des unbeſtimmten Capitulars, welde von den Zöllen und
der Münze handelten umd, obwohl jonft vielbeachtet, ihm nicht intereffirten, Lieber
zwei fremde Paragraphen unterſchob, welche feiner hierarchiſchen Tendenz entfpra-
hen. Die Erwähnung von Vernenil, die Worte illos vicos,?) auch die Strafe
”) ©. oben ©. 457.
„Cap. &: ut iNoß por nullam oeeaslonem ad pontes ot ad exelusas ant marigio non
tonoatis, noc_propter achirpam suam ullo perogrino calumpnlam facatis, nec ull
loneum eis tol
3 Bere LE. IL p. 18: £ oben & af.
PETE Fr un.
p. 81. wi, 2
9 Saprbider SPiosrise,
PEN = 18. 14: Pertz LL. T. II. B.
3 39 Rnuft über be fonten Bonodictt: Ports LI. IL. B. p
%) Sufammengefalten mit Similiter et de illos vicos im capi Bi Vorn. 0. 20.— a Ru)
bagegen auf das fu Beiben Chen bes Wenebichuß wicherfebrenbe, Wort episcopiamaufmerte
faın, bad um die Mitte des 8. Jahrhunderts fi fonft weder in Geſehen nah in‘ riefen wieder⸗
eh während € ed feit dem Anfange bed 9. Jahrhunberis (uerft capit. a. 802 c. 9, Pertz
episcopia et monasteria) in immer häufigeren Gebraud tommt. Unter ben
— 5188 —— Berußtc mat einen ver Kntenne nal (Via 8 Bonkgaii
—S— — Injuneio sibl episcoplo in urbe quae vocatur Trehai),
een Se Vita 8. Galli Bie weibtihe Yormı hat: ade’ ci urbis Oonnankae eplacoplanı
(ertz 88.IL 9.10, In römifgen Srifitäden begeanei hab Sort wohl {don im Shfange bes
— Liber dtur-
. 468 . Ereurs I.
beftimmungen über Bermögensperluft und Geldbuße von 60 Scillingen begründen
wohl ſcheinbar einigen Zufammenhang; aber «8 wird doch nicht gelingen, bie
Decimen und Nonen auch fonft ſchon im der vorkaroliniſchen Zeit nachzuweiſen,!)
und was die Pflicht zur Reſtauration der Kirchen betrifft, fo ift in dem aquitani-
ſchen Capitular des Jahres 768, ®) durch welches Pippin den im Kriege verwüſteten
Sotteshäufern des eroberten Landes eine Gunft erweijen wollte, vielleicht die erfte
Spur biefer im der Folge zur Regel gewordenen Verpflichtung zu erkennen.
Schon Knuft hatte daher auf die Synode zu Meaur vom Yahre 845 hinge
wiefen,°) alfo auf Ereigniffe aus Benebicts eigener Zeit, wo im der That eine
umfaffende Säcularifation des Kirchengutes vorgenommen worden war. Schon
im December 844 hatte Karl II. zu Verneuil ein Concil veranftaltet;*) von ven
Beſchluſſen der darauf folgenden Verfammlungen zu Dieaur und Paris?) eignete
fi Karl auf der Zufammenkunft zu Epernay im Juni 846 u. A. das Cap. 62
an, weldyes folgenden Inhalt hatte: Hi vero qui ex rebus ecelesiasticis nonas
et decimas persolvere et sarta tecta ecclesiae secundum antiquam auctoritatem
et consuetudinem restaurare debent et hoc non solum neglegunt, verum et
per contemptum dimittunt . . . quod si iterum iteraverint, post excommuni-
cationis satisfactionem regia potestate compulsi, juxta legale et antiquum
dietum, qui neglegit censum, perdat agrum.®). Cine Bergfeichung diefer Stelle
mit den fraglichen zwei Einſchaltungen des capitulare incerti anni berechtigt
wohl, mit Knuft anzunehmen, daß der Urjprung der letzteren in dem bierziger
Jahren des 9. Jahrhunderts zu fuchen ift.
85.
Das capitulare Vernense duplex und fein Yerhältniki zum capitulare incerti anni.
In welche Zeit ift das fogenannte capitulare incerti anni zu fegen ? welcher
Zufammenhang namentlich zwiichen ihm und dem capitulare Vernense vom
Jahre 756 zu erkennen?
Bergegenwärtigen wir uns zu diefem Zwecke zunächſt, in welder Geftalt das
letztere uns überliefert ift. Von den brei Handſchriften, in benen das Protokoll
ber Synode von Verneuil ſich findet, enthält der, vieleicht uod dem achten Jahı-
Hundert angehörige, pfälziſche Coder des Vatikans) nur 12 Capitel, ein viel
jüngerer vaticanifcher Coder dagegen®) 25, ein Parifer des 10. Jahrhunderts
ım pontifieum e. V._tit. 10: De recondendis reliquiis intra episcoplum.
if, 80. II. ©. 36. %. —
®) Capit, Aguit. c. 1 (Pertz LL. II. p. 18): Vt illas eclesias Dei qui deserti aunt restan-
rentur tam episcopi quam abates vel illi laici homines, qui exinde benefieium habent.
») ©. Anmerkung 8 ber vorhergehenden Seite.
+) Pertz LL. I. p. 383; f. befonberö e. 12.
*) Mansi XIV. col. 811 2q.; Hefele IV. ©. 109-114.
*) Pertz LL. 1. p. 892, 0. 62. — Die antiqua auctoritas et consuetudo betreffend, vol.
eone. Moguntiscum a. 813 c. 42 (Mansi XIV. col. 74): Quicunque benefieium ecelesiasti-
eum habent, ad tecta ecclesise restauranda vel ipsas ecelesias emendandas omnino ad-
Juvent, et nonam et decimam reddant; äfnlid cone. Turonense a. 818 c. 41 (Mansi XIV.
'col. 89); befonderd aber bie Concordia episcoporum befielben Jahres, ce. 21 (Pertz LL. IL.
. 550): De instauratione ecelesiarum et reddendis deeimis ‘et nonis ita observandum
per) (ad bi, ‚Vatloanae —— 20 5er, sacc. VL. exenntis vel IX. inenntis:
. 1... 24 (praefatio); dgl. für. Attere beutiche Geihichtäfunbe V. &. 303—805.
*) Cod. Vaticanus no 3827 saec. X1, olim 8. Petri Bollovanensie.
Zur Kritif der Eapitularien und Synobalftatuten. 469
endlich, *) mit welchem der von Sirmond und Baluze benukte codex 8. Vincentii
Mettensis wahrſcheinlich identiſch ift, fogar 29. Gewiß mit Recht Hat Perk die
12 allen Handichriften gemeinfamen Capitel anf Grund jener älteften Form der
Ueberlieferung als ein Ganzes für ſich bingeftellt; denn am Schluffe berfefben,
womit aud der Schluß der ganzen gewigeit, zufammenfällt, heißt e& in jenem
vaticauiſchen Coder: Deo gratias, finit,?) ein Beweis, daß ber Verfaſſer
die Abfcjrift beendet, nicht Sure abgebrochen hat, And) trägt bie Fortfegung,
welche fi in dem anderen zwei Codices findet, die bejondere Ueberſchrift: Petitio
episcoporum,®) ift alſo ſchon deshalb, irotz der fortlaufenden Numerirung ber
Eapitel, als ein felbftändiges Ganze zu hetrachten.
Eine Vergleihung mit dem capitulare incerti anni aber wird uns noch
andere Beweiſe dafür an die Hand geben. Daffelbe Enüpft ganz ummittelbar an
jene erften 12 Paragraphen der Bernenfilhen Synode an. Die Beftimmungen
über den Inceft dienen uns hierin als hauptſächlichſter Anhaltspunft. Denn and
icon zu Vernenil war von der Behandlung diejes Verbrechens die Rede geweſen; *)
danach ſollten ſowohl Kleriker als Laien in foldem Falle zunächft vom Biſchof
zurechigewieſen, im Wiederholungsfalle ercommunicirt, endlich aber, wenn alle
geiftlicen Mittel fruchtlos geblieben, durch Löniglichen Spruch zum Eril ver»
urtheilt werden. Im dem unbeftimmten Capituler num wird im Anſchluß an
die legte Beftimmung ein ausführliches Strafgejeg gegen den Inceft erlaffen und
dabei ebenfalls ſowohi von Laien als von Geiftlichen geſprochen. Die Strafe der
Verbannung aber, die offenbar einen älteren und außerfräntiichen Urfprung hatte,°)
wird hier nicht wiederholt, umd es tritt an ihre Stelle theils Vermögensverluft
oder begrenztere Gelöftvafe, theils die Züchtigung. Bei diefer Abänderung, welche
den Kern der ganzen Verordnung bildet, ift es dann aud) unter Karl dem Großen
geblieben. So heißt es 3. B, im capitulare Langobardicum des Jahres 779:
t si de ipsis incestuosis aliquis post judicium episcopi in ipso incestu se
iterum miserit, si alodem habuerit, ipso fisco regis recipiat.°) Wie jehr
dies eine beronfte Zeränderung ber Beftimmungen von Berneuil war, geht in
höchſt begeichnender Weiſe aus dem capitulare Ticinense vom Jahre 801 hervor,
wo das ganze Cap. 9 des Vernenſiſchen Capitulars Say für Sat und Wort
für Wort wiederholt wird, im Schlußfage jedodh (Quod si aliquis ista omnia
contempserit, et episcopus minime emendare potuerit, regis juditio damnetur)
das Wort exilio ausgelaffen ift.’)
Indem das unbeftimmte Capitular aljo in feinen erſten drei Paragraphen
fi unmittelbar an die Bejchlüffe der Yufi-Berfammlung vom Jahre 755 an-
ſchließt und fie modificirt, ift dafür ein ſicherer hronologiicher Anhaltspunkt ge-
wonnen. An feine weiteren Beftimmungen aber fnüpft wieberum, wie alsbald
dargethan werden fol, die Petitio episcoporum an; daraus wird fich ergeben,
daß biefe dem eigentlichen capitulare Vernense nicht gleichzeitig fein kann.
Schon ihr Cap. 21 weift darauf hin. Daffelbe fordert, daß alle Presbyterate,
welche gefetlich zu einem Bisthum gehören, dem betreffenden Biſchof untergeben
fein folen. Wir fönnen darin nur eine Wiederholung des erften Gates von
cap. 8 erfennen: Ut omnes presbyteri, qui in parrochia sunt, sub potestate
episcopi esse debeant de eorum ordine; und wenn cap. 21 Binzufügt: sieut antea
in alia synodo dixistis, fo ſcheint uns mit diefer früheren Synode feine andere als
die JuficBerfammlung von Verneuil gemeint, deren Beſchlüſſe ohne Zweiſel einer
Vorlage entſprachen, mit welcher Pippin ihre Berathungen eröffnet Hatte.®)
3 Der, otterwäßnte codex Parlsienais Inter Supplemente Iatina no 75, sasc. X.
®) Pertz LL. I. p. 26. not. 1; Acht V. ©. 304-308
3) Porta LL. I r 578 (Addenda).
+) Capit. Vern. 6. 9.
3 Dal. bie oben 6. 21.2.5 angeflgens Stel aus Gregoril III. Excerptum ex Patrum
) Dal. p. 85-88, 0. 17.
9) Beber folge Borlagen Seitens der Regierung dgl. Wait, BO. II. ©. 488; Sefomerß
au bie bier angeführten orte Ginemard in feiner Gärift De ordine palati
quasi sine causa convocari viderentur .. . auctoritate regia per dei Yordminate” ot ordi-
nata capitula .. . eis ad Sonferendum vei ad oonsidorandem patefacta sunt,
470 Ereurs IL
Auch cap. 20 kann zum Beweiſe dafür dienen, daß bie Petitio episcoporum
vom Bernenfiichen Capitular zu trennen fei. Denn wenn die 12 Paragraphen
von Bernewil aud nicht ausdrucllich von ſolchem Rechenſchaftsbericht der Klöfter
handeln, wie er in cap. 20 unter Berufung auf eine „andere Gynode* gefordert
wird, ) fo gehen fie doch fo genau auf das Kiofterleben ein, daß fie zu der Vor⸗
ausfegung berechtigen, der uns verloren gegangene Wortlaut der Töniglichen Bor-
lage habe vielleicht eine ähnliche Beftimmung enthalten. Das Cap. 6 aber ſcheint
in der That anf eine folhe Bezug zu nehmen, 3. B. in den Worten: Et si
necesse est, de eorum necessitate ad domnum regem vel ad synodum ali-
quid suggerere, und: Et si aliqua monasteria sunt, qui eorum ordine propter
Paupertatem adimplere non potuerint, hoc ille episcopus de veritate prae-
videat et hoc domno rege innotescat. Man vergleiche ferner die Anfangsworte
des cap. 5: Ut monasteria, tam virorum quam puellarum, secundum or-
dinem regulariter vivant, mit den Worten des cap. 20: illa monasteria ubi
regulariter monachi aut monachas vixerant.
Das capitulare incerti anni aber erſcheint als die königliche Vorlage für
die Verhandlungen jener zweiten Berfammfung, aus welder die Petitio epi-
scoporum hervorgegangen ift. Wir gewinnen diefe Anficht vor Allem ans dem
cap. 22 der Petitio. Die dort enthaltene Beftimmung über die Zollfreiheit der
Pilger wird bier nämlich von den Bifchöfen fait wörtlich excerpirt und in Betreff
der anderen Zollvorſchriflen die Meinung des Königs, nicht ohne darakterififchen
Borbehalt,*) befätigt: sicut vos perdonastis, ita fiat. Hier fehlen die Worte
„antea“ und „in alia synodo“, welche fi in den vorhergehenden zwei Kapiteln
finden;?) die Königliche Erklärung über diefen Gegenftand ift aljo nicht andy ſchon
früher, fondern eben erft in der gegenwärtigen Synode gegeben worden. Das
berechtigt ung, den Zufammenhang zwiſchen bem capitulare incerti anni und
ver Petitio episcoporum mit aller Beftimmtheit fo zu fafien, daß das erftere als
Berathungsbafis für diejenige Berfammlung gedient hat, deren Beichlüffe uns in
dem letzteren Document aufbewahrt find.*)
Für den inneren Zufammenhang der beiden Actenftüce führen wir noch
einige Argumente an. Die Weifung des Könige, ut emunitates conservatae
sint,>) wird von den Bifhöfen mit Nachdrud acceptirt.°) Auf bie Beftimmungen
bes Königs gegen den Ineeſt) empfehlen die Biſchöfe das allerdings jehr wirk-
fame Präfervativ der Verpflichtung aller Laien zur öffentlichen Heirath.*) Den
TLöniglichen Vorſchriften endlich über Handhabung und Schub, der Rechtspflege?) fügt
das bifpöfliche Schriftftüd ergänzende Beftimmungen hinzu, 1%) weiche als Bedingung
einer georbneten Rechtspflege die Pflichttreue ber Richter fordern. 1!)
So werben wir daher in der Petitio episcoporum fortan, unbeiret durch
bie Numerirung der Capitel in ben Godiceg,!?) ein felbftändiges Actenftüc zu
erfennen haben, weiches von den Beſchlüſſen der Synode von Verneuil durch das
ihm unmittelbar voraufgehende fogenannte capitulare incerti anni getrennt wird.
3) In alla synodo nobis perdonastis: capit. Vern. c. 20.
9) ©. oben &. 251 (R. 9).
3) Auf bie Faflung be8 Barifer Gober, ber fih überhaupt eine freiere Behandlung des
Tertes erlaubt hat, barf hierbei nit Rüdfiht genommen werben.
@ie Sutbrüe potitio opiscoporum „und perdonatio (promisalo) role finden fh auch
fpäter als techniſche Begeihnungen, 5. 8. im Jahre 829 (Pertz LL. I. p. 338), 877 ales Ber-
land 8075 LET. 0. Bub) 889 (DL- 1. po olbr-ae0) IBBBB
®) Capit. incerti anni c. 6. .
*) ut omnes inmunltates per universas occlesias conservatae sint: capit. Vern. c. 10.
?) Capit. ine, anni . 1-8.
*) Ut omnes homines lalci publicas nuptias faclant: capit. Vern. c. 15.
*) Capit. ine. anni c. 7.
) Capit. Vern. c. 18. 23. 25.
22) Die nähere Ausführung f. oben ©. 248.
#3) Gin analoged ®eifpiel bieten die 80 Ranoned bed bereitß oben S, 468 angeführten
ım Meldense bar, welde trog der gemeinfamen Meberfhrift und fortlaufenden Zählung
dog gleichfa08 auf wel Spnoben entftanben, zu Meaug nämlich im Juni 845 begonnen und
du Barid {m Yebruar 848 fortgefept und bolienbet worben find. Dal. Hefele IV. ©. 109.
Zur Kritif der Capitularien und Spnodalftatuten. 471
56
Aeber die Gapitel 15 und 20 des capitulare Compendiense.
In den Briefen der Biſchöfe Hinemar von Reims (F nach 882) und Fulbert
von Chartres (F 1029) begegnen ung zwei Vorſchriften des capitulare Compen-
diense, die eine (c. 15) genan in ihrem Wortlaut, die andere (c. 20) in eiwas
veränderter Fafjung, beide jedoch auffallenderweife der zur Zeit des Bonifacius
abgehaltenen Synode von Leftines beigemeffen.
Die Worte Fulberts lauten: Placuit excellentiae vestrae [Senonensium
archiepiscopo Leutherico] seiscitari a nobis, quid agendum sit de guodam
viro, qui filium suum tenendo ad confirmationem ... Nos vero quod sancti
patres de tali causa statuerunt, id censemus esse tenendum. Invenitur ergo
statutum in concilio Leptinensi cap. 7 sub Zacharia papa, sub principe
Carlomagno hoc modo: „Si quis filiastram aut filiastram suam ante epi-
scopum ad confirmationem tenuerit, separetur ab uxore et alteram non
accipiat. Simili modo et mulier alterum non aceipiat“ [= capit. Comp.
c. 15, nur ohne den Bufas: Georgius congensit]. Item in eodeı
proprium filium vel filiam de fonte baptismatis suscipiat nec fili
matrem ducat uxorem nec illam cujus filium vel filiam ad confirmationem
tenuerit. Ubi aufem factum fuerit, separentur.“ ')
Hincmar aber jagt in feinem Briefe am die Erzbifhdfe von Bourges und
Bordeaug, De nuptiis Stephani et filiae Regimundi comitis: Et in synodo
apud Liptinas habita, cui sub Carlomanno principe Georgius episcopus et
Joannes sacellarius ac sanctus Bonifacius ex praecepto Zacharise papae
praesederunt, legitur, ut si vir mulieri desponsatae, dotatae ac publieis
— ductae secundum apostolum debitum conjugale non potuerit reddere
et hoc aut amborum confessione aut certa qualibet approbatione fuerit
manifestum, ut separentur; et mulier, si continere nequiverit, alteri viro
legaliter nubat. ?)
Während auf die Ietere Notiz ſchon von Philipp Labbe in feiner Eoncilien-
fammlung hingewieſen worben,®) hat Manſi zuerſt auf den Brief Fulberts auf⸗
mertſam gemacht, *) in der Meinung, die angeblich nur fragmentariih erhaltenen
Aeten ber Synode von Leſtines damit zu ergänzen. Im menefter Zeit ift Hahn
dieſer Anficht beigetreten.) und fomit folgerichtig zu dem Reſultat gelangt, daß
da8 Eoncil von Compiegne mehrere Veichlüffe des Eoncils von Leſtines aufe
genommen habe.°)
Diefe Behauptung joll Hier mit einigen Worten widerlegt und jenen zwei
Eapiteln des Capitufars von Compiögne ihre Urjprünglichkeit vindicirt werben.
Schon die einleitenden Worte Hincmars müffen ernftes Bedenken erregen.
Danach follen der Biſchof Georgins und der Sacellarius Johannes in den Tagen
des Karimann und des Bonifacius im Auftrage des Papftes Zacharias am
fränfifchen Hofe geweſen fein. Zwei Männer völlig gleichen Namens und Ranges
aber erfcheinen ganz authentiſcher Nachricht zufolge im Jahre 757 wiederum in
rankreich, diesmal im Auftrag Stephans II. am Hofe des Königs Pippin.”)
iefes doppelte Auftreten derjelben zwei päpftlihen Botſchafter bei einer Zwiſchen-
zeit von mehr als 10 Jahren ift unmahrjceinlich und macht die durchaus allein-
ſtehende Nachricht Hincmars ſehr zweifelhaft; was aber Hahn zur Begründung
anfühet,®) ift mir, nicht Mar geworden. Zudem würde jene dreifache Vertretung
3) Fulberti_episcopi Carnotensis epist- ed. Migne Patrol. lat. OXXZXI. ep. 77.
(olim 38) col. 238.
%) Hincmari epist. ed. Migne Pafr. lat. OXXVI. ep. 39. col. 143.
’ Labbe, Coneilia T. VI, Paris 1671, p. 1588.
*) Mansi XIL col. 371—372.
2) gain Jainbüce, Grund XIV, ©. 102-20.
u} . .
7) Cod. Carol. ep. 11. p. 66; vgl. oben &. 298.
dahn ©. 199-200.
472 Ereurs IL.
des Papftes bei der Synode durch Georgius, Sohannes und Bonifacius mit dem
Briefe des Zacharias vom 1. Mai 748 im Widerſpruch ſtehen; ) danach hatte
einſt Bonifacius ſelbſt um die Abordnung eines päpftlichen Prieſters zur Leitung
der fränfifchen Eoncilien Fa Zacharias aber eine ſolche Maßnahme bei Lebr
zeiten des Bonifacius abgelehnt.*)
Beruht demnach ſchon bie einleitende Angabe Hinemars auf einem Irrthum,
fo wird fich daffelbe auch von der daran gefnüpften Herleitung der erwähnten Ge»
ſetzesſtelle nachweiſen laffen; und zwar entipringen beide Fehler aus einer und
derjelben Mifdentung der Duelle. ALS biefe aber erfcheint unverfennbar die Ca—
pitufarienfammlung der Benedietus Levita. Das erfte Bud; diefer Sammlung
nämlich giebt, nachdem im erften Capitel eine Aufforderung des Papſtes Zacharias
am bie Franken zur Abhaltung jährlicher Synoden vorangeihidt ift,*) im zweiten
und britten Capitel den vollftändigen Wortlaut der befannten zwei Synoden Karf«
mann‘) Don den Motiven biejes Verfahrens giebt die Vorrede des ganzen
Werkes Rechenſchaft: Est in fronte primi libelli posita, fo Heißt es dajelbft,
Zachariae papae epistola . Quam secuntur duo synodales conventus, quos
smnetae Romanae et apostolicae ecelesiae legatus Bonifacius, memoratae
Mogont, ‚eccles. archiepiscopus, vice supradicti Zachariae papae una cum
'arlomanno Francorum prineipe canonice tenuit: ut agnoscant omnes haec
en prineipum [e8 war vorher von Pippin, Karl dem Großen und
dudwig dem Frommen bie Jede] maxime apostolica auctoritate fore firmata. )
Nady diefen Worten Heißt e8 dann in der Borvede weiter: Post ista quoque quae
secuntur eadem auctoritate maxima ut diximus ex parte et omnium Franco-
rum utriusque ordinis virorum assensu sunt roborata.°) Dieje jo unbeftimmt
gehaltene Angabe ber Vorrede war ganz dazu angethan, die Leſer des Werkes irre
zu führen, zumal Benedict bei den meiften folgenden Capiteln die Duellen zu
eitiren umterließ. Man konnte dadurch leicht auf-den Gedanken kommen, auch
das Folgende gehöre noch jener zuerfti genannten Synode von Leſtines an; ja ein
ſolches Mipverftändniß war von Benediet vieleicht beabſichtigt, damit ber päpft«
liche Einfluß bei der fränkiſchen Geſetzgebung als ein recht umfaffender erſcheine.
Darum hat er e8 auch bei Anführung einzelner Beihlüfe von Compiegne für
weniger wichtig gehalten, die Synode felbſt zu nennen, als vielmehr die Witwir-
tung der päpftlichen Abgeſandten Georgius und Johannes hervorzuheben; ’) und
es barf vielleicht felbft darin Abficht gefunden werden, baß er ftatt des Wortes
eonsentire das Wort sentire wählt, die Ausſprüche der Gefandten aljo nicht nur
als zuftimmend, fondern als maßgebend Hinftellt. Wer nun durch die Schuld
Benedict8 in den Fehler fiel, nicht allein im lib. I. c. 3, ſondern auch noch in
ben folgenden Capitelm der Sammlung Synodalacten von Leflines- zu erfennen,
tonnte dadurch leicht zu ber weiteren Vorausiegung gelangen, Bonifacius habe zu
Leſtines die Bertretung des Papftes und den Vorfig der Synode mit jenen anderen
zwei Männern Georgius und Johannes getheilt.
Auch ber befannten epistola Carisiaca vom Jahre 858, in welder Hincmar
und feine Genoffen auf den die Reftitution des Kirchenguts betreffenden Para-
üirigatur In partibns Franeias ot Galline ad concilia celebranda. Bed dum Deo pro»
io fus sanctias muperstis exitit, qui sedie apostalicae et nostram illie praesentat
'Vicem, alium illie dirigere nocessarlum non es
*) Bened. li. 1.c.1 Parts Lk. II. B.p- 45: Eplstola Zacharlae papae Francis et
Gain dircta; «8 fi Jats BibL. TIL ep. 62?" Der Brief flieht mit ven Worten: Ad syno-
dum namque omni anno convenite
modus gum actibus suls, Jussione apostolicn a, santio
sub Karlomanno duce halle 742; lib. I. c. 3: Item
is a0 prineipo apostollea auctoritate kal. Mart. Lyp-
®) Bened. praefat. 1. e. p. 40.
ver honmit IR reii nur baß erfte Buß) gemeint, benn ber Verſa er fährt fort: Becundo
Bened. lid. I. c. 6.7.8.
Zur Kritit der Copitularien und Synodalſtatuten. 473
graphen der Synode von Leftines mit ähnlichen Worten Bezug nehmen, *) Tiegt ohne
Zioeifel die Benugung der Benedict’i—en Sommfung zu Grunde; auf fe ie chen
ſich die Worte: nam et synodum ipsam habemus, und: sicut in libro capitu-
lorum regum habetur; und die Erwähnung der nonae ac decimae ad restau-
rationes tectorum, von denen im Karlmann'ſchen Capitular wiederum gar feine
Rede ift, erklärt fih am einfachften als Einſchaltung aus dem oben?) befprodenen
dreizehnten Capitel des Benedict.
Auf gleiche Weije erfennen wir in ber Eingangs citirten Stelle des Hinc-
mar’fchen Briefes an die aquitaniſchen Metropolitane, welche dem cap. 20 bes
eapit. Compend. jo ähnlich ift, nur ein Egcerpt aus Benebicts Sammlung. Es
iR ein Serthum, wenn Hahn meint, daß fie bei diefem nicht vorfomme.*) Sie
findet ſich vielmehr fogar zweimal: lib. II. c. 55 und c. 91.*) Wie aber Bene
Diet feinerjeits hier die Stelle des capit. Compend. etwas feier behandelt Hat,°)
ebenfo verfährt auch Hincmar wiederum mit der Stelle Benedicts, zumal er fi
der indirectem Redeform bedient. Statt der Eingangsworte 5. B., Si vir et mulier
eonjunzerint se in matrimonium, wiederholt er die aud) ſchon vorher von ihm
angeführten‘) Yusbrüde Leo's I: si vir mulieri desponsatae, dotatae ac publicis
nuptiis ductae etc.;?) ftatt: si ea poterit probare quod verum sit, jagt er: si hoc
aut amborum eonfessione aut corta qualibet approhatione fuerit Mani stum.
Um fo genauer iſt die Uebereinfiimmung zwiſchen Benediet lib. IT. c. 91:
quod juxta apostolum ®) non potuit illi reddere vir suus debitum, und Sine
mar: "si vir mulieri .. . secundum apostolum debitum conjugale non po-
tuerit reddere.
Auch Fulbert hat einmal Anlaß, bei einer Auskunft über denſelben eherecht⸗
lichen auf dieſelbe Geſetzesſtelle zu verweiſen, und er citirt bei dieſer
Gelegenheit ausdrucklich das Capitei Benedicts lib. II. c. De causa unde sim-
plicitatem nostram consulere voluistis, in gexto libro capitulorum nonagesimo
primo ita scriptum invenimus: „Si vir et mulier conjunzerint se in matri-
monio etc. bis vir suus debitum.“ ®)
Ganz ebenfo nun hat Fulbert auch die oben angeführte Stelle feines Briefes
an den Erzbiſchof Lruthericus keineswegs etwa aus den Originalacten der Synode
von Leftines geihöpft, fondern aus der, wie wir foeben gefehen haben, ihm wohl—
befannten Benediet ſchen Capitularienfammlung; und die Forın feines Citates er«
klärt fi, wie bei Hincmar, aus einer Mifdeutung Benedicts, welche ihn verleitete,
die fpäteren Capitel der Sammlung ebenfalls nur als Fortſetzung der Beſchlüſſe
von Leſtines zu betrachten. Schon harakteriftifch ift es daher, daß er als 7. Ea-
pitel dieſer Symode bezeichnet, was in Wirklichkeit das 7. Capitel Benediets iſt.
Auch bier irrt Hahn, wenn er meint, da8 zweite Citat Fulberts (Idem in eodem etc )
ſei bei Benediet nicht vorhanden; 1%) denn es ir ganz wörtlich bei Benedict lib. I.
.) Den au Hier wieb Yan der Gpnabe gefagt: cul praefult erm saneto Bonifacle
legatus apostolicae sedis, Georgins nom!
2) 8 4 biejeß Ercurfes, ©. 467.
3) Sahn, Jahrbüger 6. 100.
+) Pertz LL. II. B. p. 76. 78.
*) Anuft freilich ‚Seignet ai8 Enene Meneiet nistunge ——
esaurus
‚novus anecdotorum I dem liber poenitent. Zgeobors von Ganter-
Burp vertan, Sn ber Zhat findet — äisen Werten bie Stele Bone, 1b IL
gang wörtlic; (vgl. Martene 1. c. p. 38; Theodori Cantuar. capitula bei Waflericleben, "die
Bußorbnungen ber ‚abenbtännifehen Rice, — ©. 216). Dagegen — doch in beiden der
— Senebits, Ib. IE c. 91; 60 gnod Juxta apostolum non porait ill Toddere rir suus
1. — Bafierfchteben flieht ih der Meinung Anuf? an, Buforbnungen ©. 37.
2 ——ã in Bemfeiben Irß 1. c. col. 187, bir ®orte: Quod ita esse, praefatus Leo de-
iam suam viro habenti concubinam in matrimonium de-
derit, non, it ji —A est, quasi eam conjugato dederit, nisi forte illa mulier et
ingenus facta ot legitime dotata et publicis nuptlis honestata videatur.“
*) Dater er Butap 1. €. col. 143: Videlieet qula secundum difitionem sanctl Leo-
nis papae ot tradiiunen superius domonstratam dulam non cst ei
®) 1 Gorinth. 7, 3: Uxorl vir debitum reddat.
®) Migne 1. c. ep. 53. p. 227.
’0) Hahn, Jahrbüder ©. 199.
474 Ereurs I.
c. 167 zu leſen;) und Fulbert hat die beiden Stellen nur ihrer Verwandtſchaft
ugen, (0 nahe zujammengerüct, wie ſchon vor ihm Burdard*) und nad ihm
v0.
Jene zwei Capitel 15 und 20 des capit. Compend. verdanken alfo, ganz
wie e8 die echte Meberlieferung uns lehrt, erit der Synode von 757 ihren Urjprung,
und nur duch die unlautere Vermittlung Benediets hindurch find fie ſpäter irr-
thümficherweife unter die Bejchlüffe von Leftines hineingerathen.
87.
Aeber einige Bufatartikel zum capitulare Compendiense.
Die Sammlungen des Burchard, Ivo und Oratian bezeichnen noch einige,
im capitulare Compendiense nicht anzutreffende, Vorſchriften als ex con-
cilio apud Compendium, die Manfi denn aud; als Canones additi ad Com-
pendiense concilium zujammengeftelt hat.) Wenn man jedoch bedenkt, mie
häufig Burchard — die Angaben bei Ivo und Gratian aber find aus feinem
Buche abgeleitet — bei den Stellen, die er aus Regino entnommen, das Quellen
eitat verändert hat,®) jo wird man auch da, wo ihm ter Irrthum oder die Will-
für nicht grade nachgetviejen werden kann, feinen Anführungen nur fehr geringen
Glauben ſchenken. Bon obigen Stellen num läßt ſich allerdings nur eine‘) auf Regino
aueüctführen;?) aber dieſe dann zugleich ols Probe von dem willtürlichen Verfahren
Burchards dienen. Statt jeines ex concilio apud Compendium c. 5 nämlich)
hat Regino die Worte unde supra, die auf nicht weniger als auf eine Synode
von Compiegne zurüdweifen. Ueberdies ift grade hier die wirkliche Duelle nicht
zweifelhaft, fie findet fi in Rarlmanns Capitula apud Vernis palatium a. 884
c. 8.%) Wo e8 mit Burchards Ouellenangaben alſo eine ſolche Bewandtniß hat,
würden wir die echte Weberlieferung nur leichtfertig zu entftellen glauben, wenn
wir auf feine Autorität hin den Inhalt unferes Capitulars nod) erweitern wollten.
s8
Ueber den Zeitpunkt des Conventus Attiniacensis.
Portz LL. Ip. 29.
Da von den Beſchlüſſen der Synode zu Attiguy, obwohl diefelbe pro causa
religionis et salute animarum zufammengetreten war, nur bie Gründung des
Todtenbundes inter cetera salubriter sapienterque definita befannt geblieben
iſt, ſo bietet die chronologiſche Einordnung derjelben fein ſolches Intereſſe dar,
wie die foeben abgeſchloſſene Unterfucung über die Capitularien, deren haupt-
ſachlicher Zwed ja darin beftand, den inneren Gang und Zufammenhang der
Pippiniſchen Gefegebung feſtzuſtellen. Wir dürfen uns jedoch auch bier nicht
der Pflicht entziehen, die Herfömamliche Annahme, da_fie uns Zweifel erregt, einer
Prüfung zu unterwerfen und nad) einem möglichft ficheren Rejultat zu ſüchen.
Grade im neuerer Zeit pflegt e8 als ausgemachte Thatſache zu gelten, daß
jene Synode im Jahre 765 ftattgefunden; fo wird z. B. gegen die Identität des
2) Pertz LL. II. B. p. 54.
») Burchardi Deeret. XVIL c. 22. 25.
%) Ivonis Deeret. ©. 80. 89.
3 on sorgte Befonbers Mafferfgteben's Knmert feiner Ausgabe des Regi
„ m vergleiche beſonders ſerſchleben's Anmerkungen zu feiner Ausgat ino.
hard Deere XL 18. ie u
+) Burcl . 0 18.
7 nis lib. II. Bal. c. 291, Wass. c. 292.
*) Peris LL. I. p. 558.
Zur Kritif der Eapitularien und Spnobalftatuten. 475
Abtes Baldebert von Murbach mit dem gleichnamigen Biſchof von Baſel befon«
ders das angeführt, daß jener ſchon 762 geftorben, diefer dagegen 765 in Aktigut)
gewefen fei.?) Und doch beruht diefe Datirung durchaus auf feiner Quellenangabe.
Nur weil der Convent in Attigny flattgefunden,?) ebendafelbft aber den Annalen
zufolge im Jahre 765 die allgemeine Reichsverſammlung abgehalten worden, ?)
glaubte man fidh berechtigt, die beiden Convente zufammenzulegen. fein die
Bundesurkumde bezeichnet die Zufammenkunft der Biihöfe und Aebte ausbrüdtid
nur als eine Kirhenverfammlung, ohne im Cntfernteften bie gleichzeitige An-
weſenheit, ſei es der weltlichen Großen, fei es des Königs anzudeuten; und felbft
die Gegenwart des Königs vorausgeſetzt, gehört Attigny gerade zu denjenigen
Orten, telde Pippin am häufigften zum Aufenthalte dienten. Stuht ſich die
Annahme des Jahres 765 alfo nur auf ein fehr ſchwaches Berveismittel, fo laſſen
ſich gegen diefelbe auch noch zwei pofitive Momente geltend machen.
Unter den Aebten des Bundes erfcheinen zwei, welche dem Herzog von Baiern
unterthan waren: Eborſindus von Altaih und Fabigaudus von Weſſobrunn;
ihre Anweſenheit aber würbe jeit dem, was im Jahre 763 zwiſchen Pippin und
Zaffilo vorgefallen, unmöglich geweſen jein.
Biſchof Folerieus von Lüttich (Tongern), ebenfalls ein Mitglied des Todten-
bundes, ftarb ſchon Ende 762. Denn gegen die Angabe der annales Lobienses, *)
daß fein Tod und die Nachfolge des Agilfred erft in das Jahr 769 fallen, fpricht
das Zeugniß des durchaus glaubroiicdigen, obwohl erſt bem 13. Jahrhundert am
gehörigen Gilles d’Orval,°) dem zufolge Folcricus der Lütticher Kirche nur 15
Jahre vorftand.*) Do jein Vorgänger Florebert nämlich bis 747 Tebte,’) Folc-
rieus auch vwirkic ſchon unter dem fränkifhen Biſchöfen erſcheint, welchen Bapft
Zacharias am 1. Mai 748 für die charta conscripta vere atque orthodoxae
professionis et catholicae unitatis feinen Danf ausiprict,®) jo fällt jein fünfe
zehmjähriges Episcopat von Ende 747 bis Ende 762; und e& ift vielleicht nur
einer Namensverwirrung zuzuſchreiben, daß die annales S. Bavonis Gandensis
ftatt feiner ſchon feinen Nachfolger Agitfved im Jahre 762 ſterben Lafien.*) Die
Theilnahme des Folcricus fpricht alfo ebenfalls gegen das Jahr 765 als Grün-
dungejahr des Todtenbundee. 1%)
AUS ein weiteres Argument endlich, darf doch auch der Umftand gelten, daß
unter den Aebten der Verſammlung derjenige von Lorſch fehlt. Das Kofler war
unter Chrodegangs Mitwirkung 763 gegründet worden, 765 hatte Gunbeland, der
Bruder Ehrobegangs, ohne Zweifel bereits die Leitung desſelben übernommen; !!)
er würde einem Wunde, an deffen Spitze fein Bruder ftand, ficerlich beigetreten
fein, wenn derjelbe exft im Jahre 765 geftiftet worden wäre,
Iſt ſomit die bisher übliche Datirung als unhaltbar erwiefen, fo fragt es
fich num, welchem Jahre die Synode zuzuweiſen ſei.
Eine der Unterihriften des Actenftüdes ſchien uns auf 755 hinzuweiſen, die des
2) Gallia christiana XV. col. 438; Sickel P. 21.*
») apud villam publicam Attiniacum . .. congegrati.
3) ©. oben &. 908.
+) Pertz 88. IL. p. 195.
*) Aogidii a Leodio Aurese-Vallis religiosi ad Harigerum et Anselmum additiones,
Sei Chapeauville, Varli auctores de gestis epp. Tungrensium I. p. 147; dgl. über ihn
BWattenbad, —s———— (1866) ©. 489.
%) Praefult Leod. ocelesiae annis quindecim, temporibus Stephani papae II. et
Pauli I. fratris eJusdem, sub imperio Constantin! et Leonis imperatorum. Unter dem
Yrpelum 2eo’3 IV. ift feine bon uns bereitd oben nad zwei aeitgenäffiigen Actenftüden,
. 186 (R. 8) und ©. 287. I. 4 Ne 4, erwähnte Mitregentfgaft mit feinem Water Gonftantin,
welcher erft 775 ftarb, zu verftehen, wie es aud von Sayr Paul L, der 767 flarb, in feiner
Vita c. 2 eißt: Fult autem temporibus Constantini et Leonis imperatorum. Daß Xegi-
din aber unter den Wäpften nicht au Stephan LEI. nennt, welder jhon im Auguft 768 ben
apotetifgen Stuhl betieg, ift ein weitered Argument gegen 769.
erg L ©.
7 .
2,97. P- 198: Fulorlco Tangriensi eplscopo; dal. ep. 06. p. 100.
— Jaffe Bibl. IN
°) Pertz 88. II. .
20) Bet. {ion Pagtus, Critica in ann. Baronii T. III. p. 916; Eckhart, Francis orient.
I. p. 577; dagegen Rettberg I. ©. 562-568.
3) ©. oben ©. 378-379.
476 Excurs I,
Bischofs von Rouen nämlich: Remedius vocatus episcopus civitas Rodoma.
Denn der Ausdruck vocatus ließe ſich vecht wohl im Sinne von electus, „jo eben
erwäglt“, verftehen. Man vergleiche die Vocatoria de8 Liber. diurnus Romano-
rum pontificum, cap. III. tit. 2: simulque vocato ill. episcopo. &o erideint
auch in der synodus Bellovacensis vom April des Jahres 845 unter ben erz-
biſchöflichen Vertretern des Reichsepiscopats in letzter Reihe Hinemar presbiter
et vocatus archiepiscopus, ') und feine Berufung nad Reims war wirklich eben
erſt erfolgt. Ein ähnliches Beiſpiel bringen wir in dem Ereurs über die Chrono
Togie der S. Gallifcjen Begebenheiten. Allein noch häufiger erjcheint das Wort doch
nur als ein Ausdrud der Beſcheidenheit und Demuth. So nennt fi) Eddo von
Straßburg noch 762 im der Urkunde für Ettenheimmünfter Kddo peccator, vo-
catus Argentinensis urbis episcopus,?) wie er e8 ſchon 749 in der Urkunde für
Arnolfsau (Schwarzach) getan hatte.?) Auch die Urkunde Chrodegangs für Gorze
vom Jahre 757 unterzeichnen Folerieus von Lüttich und Bulfrannus von Meaur
mit dem gleichen Zufage: Ego Fulcharius vocatus indignus episcopus, Vul-
frannus vocatus episcopus;*) und e8 läge darin eine doppelte Wiederfegung
unferes eigenen, von dem Worte vocatus hergeleiteten, Arguments, wenn wir die
Gründung des Bundes, dem auch jene zwei Biſchöfe beitraten, jhon in das Jahr
755 ſetzen wollten. Folericus war überdies, wie vorhin erwähnt, ſchon 748
Bilchof.
Die Annahme des Jahres 755 ift demnach, wie bie des Jahres 765, unbe»
gründet ; ja, fie wird wie dieſe durch zwei Gegenbeweije unmöglich gemacht und
der einfachere Sinn des vocatus auch bei Remedius dadurch aufer Zweifel ge-
ſtellt. Erſtens nämlich heißt der Biſchof von Angers zu Attigny bereits Mau-
riolus, während zu Compiegne im Jahre 757 noch fein Vorgänger Sadrius unter«
ſchreibt.“) Zweitens weift das Berzeichniß der Bundesmitglieder auch den Biſchof
Sohannes von Eonftanz auf, befien Vorgänger Sidonius erft am 4. Juli 760
geftorben ift.°) Der Iegterwähnte Umftand befeitigt zugleich jede Möglichkeit, den
Eomvent von Attiguy mit den am 10. Auguft 757 und im Juni 760 nachweis⸗
baren Aufenthalt Pippins an dieſem Orte?) in Verbindung zu bringen.
Der Zeitraum, in welden der Conveni zu jegen wäre, rüdt fomit auf immer
engere Grenzen zufammen. Daß er vor der zweiten Hälfte des Jahres 760 ftatt-
gefunden hätte, dagegen zeugt nicht nur bie Unteririft Zohanns von Conftanz,
fondern auch die des Remedius von Rouen, welcher in der erften Hälfte befjelben
Jahres im Auftrage feines königlichen Bruders in Italien verweilte.) Gegen
eine Anfegung nad) 762 Hinwiederum fpricht vor allem der im Jahre 768 erfol⸗
gende Abfall Taſſilo's, ſodann die Unterſchrift des Folerieus wegen feines nad
762 eingetretenen Todes, endlich die des Abtes Droctegang von Sumidges, tel
her Ende 762 ober Anfangs 763 als Gefandter Pippins in Italien war. %) Der
Convent muß demnach in den zwei Jahren zwwilchen Herbft 760 und Heröt 762
zuſammengetreten fein. Was iſt num natürlicher, als innerhalb dieſer Grenzen
fid) für denjenigen Zeitpunkt zu enticheiden, in welchem wir jede Mitglieder dee
Todtenbundes auch aus anberweitigem Anlaß beifammen finden ? Die große
Scenkungsurkunde Pippins für Prüm nämlich vom 18. Anguft 762 unterzeichnen
unter vielen anderen Vornehmen die Biſchöfe Genebaudus von Laon, Gautlenus
) Pertz LL. I.
2) Mlgme Date. It KÖVL. ol 1848; ebenfo — Se} Unterieiämung ber ekunbe
cal. 1888: Tigo In Dei noming Kddo peccator per misoricordiam Dei vocatus episcopus.
») Mij ‚Patr. lat. LXXXVIIL Bien 1814: Heddo gratia Dei eoclesiaeque matris in
Stradburgo eivitate vocatus EN bie Unterfhrift col. 1817 lautet ber in ber vorher⸗
— Rote angeeten mög gleis,
Migne LÄXKIX. col. 184° Gtenfo fagt Telo von Chur 168 in feinem Tefamente
für Rlofee Dilntis: 0g0 Indignus Teile vocakıs oplscopus, bie gel naher? og Tello
Peccator ordinatus episcopus (Migne XOVI. coL. 1585).
®) ©. oben ©. 873. No 27.
%) ©. oben &. 344.
9) S. oben ©. 390-381.
Zur Kritit der Capitularien und Synodalſtatuten. 477
von Le Mans, Fulcharieus von Lüttich, Adalfredus von Noyon, Vulfrannus von
Meaur, Megingandus von Würzburg. ?) Drei andere Biſchöfe, deren Namen uoch
folgen, die don Cöln, Speier und Trier, begegnen uns unter den Bundesgliedern
allerdings nicht wieder; allein der Ausftellungsort dieſes Diploms ift ja auch nicht
Attigny, fondern das unbekannte Trisgodros; «8 kann daher nichts Auffallendes
haben, daß von den neun Biſchöfen, welche fi am 13. Auguſt zu Trisgodros
in der Umgebung des Königs befanden, drei aus irgendwelichen Gründen die
Weiterreiſe nach Attigny unterliegen. Denn daß die Berathungen des Convents
erſt nachher. begannen, ſchließen wir wohl mit Recht ans der Borjchrift des Jahres
755: Ut bis in anno synodus fiat; prima . . . Martias kalendas, ubi dumno
rex jusserit, ejus praesentia; secunda synodus kalendas Octubris aut ad
Sessionis vel aliubi, ubi ad Martias kalendas inter ipsos episcopos convenit;
et illi episcopi ibidem conveniant, quos modo vicem metropolitanorum con-
stituimus; et alii episcopi vel abbates seu presbiteri, quos ipsi metropolitani
aput se venire jusserint, ibidem in ipsa secunda synodo convenire faciant.?)
Die annales Laureshamenses und Mosellani berichten, daß Erzbiſchof Chrode-
gang im Jahre 762 von fanerer Krankheit heimgeſucht worden fei;®) derfelbe
Chrodegang von Met, defien Name an der Spike des Bundesverzeichniſſes von
Attigny ſteht. Dies Zufammentreffen der Daten erklärt ums vielleicht die Ent-
ſtehung des Bundes überhaupt; dem es legt die Vermutung nahe, daß zwiſchen
den beiden Faeten ein caufaler Zuſammenhang eriflitt, daß die glüclich überftan-
dene Krankheit dem Erzbiſchof ein Anlaß war, die Gründung des Bündniffes in
Anregung zu bringen. Noch in demielben Jahre gab dann das Ableben der
Biſchöfe Baldebertus von Bafel und folcricus von Lüttich ben Bundesbrüdern
zweifache Gelegenheit, den Verabredungen von Attigny nachjukommen.
Chronologiſche Ueberſicht.
Das qronologiſche Ergebniß der vorſtehenden Unterſuchungen über die Ca-
pitularien des Königs Pippin wäre etiva folgendes:
1. Mit dem capitulare Vernense vom Jufi 755, cap. 1—12, beginnt die
gejeßgebende Thätigfeit Pippins und feiner Großen.
2. Der naͤchſten Reichsverſammlung, wahrſcheinlich im October 755, legte
Pippin das fog. capitulare incerti anni vor.
8. Die Petitio episcoporum, welche aus den Berathungen dieſer Berfamm-
Tung hervorging, fällt ſonach ebenfalls in den Herbft des Jahres 765.
„4. Dem Jahre 756, wahriceinlich ber zweiten Hälfte deffelben, gehört das
capitulare Vermeriense an.
5. An diefes ſchlietzt ſich das capitulare Compendiense, welches aus ander-
weitigen Gründen mit Beftimmtheit in das Jahr 757 fällt.
‚Die gefammte Geſetzgebuug Pippins und feiner Reichsverſammlungen drängt
ſich ſonach im die Jahre 755—757 zufammen. Man wird dies nicht befremdend,
noch unwahrſcheinlich finden. In Zeiten ſtaatlicher Reorganiſation pflegt auch
fonft der legislatoriſche Eifer nicht zur Ruhe zu gelangen, bevor er feine Aufgaben
erichöpft zu haben glaubt.
») Bickel P. 20; f. oben ©. 368.
#) Capit. Vern. c. 4; |. oben ©. 224.
9) 6. oben 6. 861 (1).
Excurs III
Ueber die fogenannte Divifio des Kirhenguts dur
die Hausmaier Karlmann und Pippin.
Bir fchiden unferer Erörterung die drei Gefegesftellen voraus, um welche es
ſich im diejer Angelegenheit hauptjächlich handelt:
1. Karlomanni prineipis capitulare a. 742,') 21. Apr., c. 1: Et fraudatas
pecunias ecclesiarum ecelesiis restituimus et reddidimus. Falsos presbiteros
et adulteros vel fornicatores diaconos et clericos de pecuniis ecclesiarum
abstulimus et degradavimus et ad poenitentiam coegimus
2. Karlomanni prineipis capitulare Liftinense i. a., 1. Mart., c. 2: Sta-
tuimus quoque cum consilio servorum Dei et populi christiani propter in-
minentia bella et persecutiones ceterarum gentium, quae in circuitu nostro
sunt: ut sub precario et censu aliquam partem ecclesialis pecuniae in adju-
torium exereitus nostri cum indulgentia Dei aliquanto tempore retineamus; ea
eonditione, ut annis singulis de unaquaque casata solidus, id est duodecim
denarii, ad ecclesiam vel monasterium reddatur: eo modo, ut si moriatur
ille, cui pecunia commodata®) fuit, ecclesia cum propria pecunia revestita
sit. Et iterum, si necessitas cogat, ut princeps jubeat, precarium renovetur °)
et rescribatur novum. Et omnino observetur, ut ecelesiae vel monasteria
penuriam et paupertatem non patiantur, quorum pecunia in precario prae-
stita sit; sed, si paupertas cogat, ecclesiae et domui Dei reddatur integra
posgessio.
3. Pippini principis capitulare Suessionense a. 744, 3. Mart., c. 8: Et
de rebus ecclesiasticis subtraditis monachi vel ancillas Dei consolentur,
usque ad illorum necessitati satisfaciant; et quod superaverit, census levetur.
2) Mafleibe (R nur alß Seanbtfeit ve caplt TÄfin. auf uns gelommen, daher Sei Jafi,
Bibl, TIL. 7—180, mit diejem u einem Nctenftüde vereint
3) Bait, 6.10. 8.88. Bl vermtget —e— I Heißt das Wort au in dem
Mindener nber der Bonifacifggen Briefe, |. Jaflö p. 180. not. e.
aT16® Wußgade giebt ber Hanbfirificen Sränrt removetur ben Vorzug. Jn feiner
— Abanblung, Zur Opronologie der Bonifacifhen Briefe und Spnoven, Gerfhungen
aur beutfcpen Befchicte. X. „kr, © B91i, motibirt er bi näger (©, 414. 8.1), inbem er remo-
8 den Sag nicht auf da8 burd ben Tob bed jeittweiligen Ber
Moers an Die Singe zurlegefalene Gut Gele, fonbern vatın Die algemeine Schimmung fich,
daß auf Befeßl bed Fürften unter Vernichtung der alten und Ausftelung einer neuen Urkunde
daS Gut dem Einen entzogen und dem Anbern verliehen werben fonnte. — Da mir forwohl diefe
Abhandlung, ald aud Hahn’s Recenfion ber Düngelmann’fhen Schrift über bie erften unter
Aacimann Kup Bippn Sehattenen Gonctien, Oött get. Snyeigen 1810, © 1125 fr erf währe
wenb bed Drueß tugetommen, {o bemerte id bier nachträglich, daß beibe Aritifer die oben
S. 8. 9. 8 Geraterifizten Aufftellungen jener Schrift übereinftimmenb werwerfen; Jafle
Ei sarn 6
Ueber die ſogenannte Divifio des Kirchenguts. 479
Paul Roth, Gejchichte des Beneficiafwejens 1850, legte die in vorſtehenden
Paragraphen enthaltenen Beftimmungen fo aus, als jei durch die Söhne Karl
Mortels das gefammte Kirchengut eingegogen und nur jo viel übrig gelafjen wor-
den, als zum Unterhalt der Firchlichen Inftitute unumgänglid nöthig war. ') Wegen
ſolcher Theilung zwiſchen Kirche und Staat, folder „gleichmäßigen Einziehung
eines Theils de3 gefammten Kirchenguts“,*) bezeichnet er diefe angebliche -Säcu-
Iarifation beftimmter mit dem Worte divisio, das in den karolingiſchen Zeiten in
der That, freilich in anderer Bedeutung, wie wir unten fehen werden, fait wie
ein techniſcher Ausdruck gebraucht wird. Während diefe neue Auffafjung mancherlei
Zuftimmung fand, 3. B. von Seiten Walter, Giejebrechts, Labands,°) ſprach
ſich Waitz ſchon 1856 in feiner Abhandlung über die Anfänge der Vafjallität,*)
fodann im dritten Bande feiner Verfafjungsgefdichte (1860)°) entichieden gegen
diefelbe aus. Er erkannte in den gefeglichen Beftimmungen der beiden Hausmaier
nicht eine Einziehung, fondern im Gegentheil eine Reftitution, welcher unter den
früheren Negierungen eine Art Säcularifation vorangegangen jei. Da die Zu-
rüderftattung der Güter aber feine vollftändige, fondern vielmehr eine durch das
Geſetz beichränfte war, jo acceptirte auch er das Wort divisio, nur nicht im
Sinne eines gegen die Kirche geführten Streiches, fondern zur Bezeichnung eines
Abkommens mit der Geiftlichkeit, welches die Tage der Kirche verbefierte. ®) Im
feiner zweiten Schrift, Feudalität und Unterthanenverband 1863, bemühte ſich nun
Roth, wie in andern Punkten, fo auch in diefem feine Anficht nochmals zu begrün«
den.’) Im demjelben Jahre ericienen Hahn’ Jahrbücher 741—752, zu deren
eindringendften Abichnitten unftreitig der Treurs XI über die vermeintliche Säeu ·
„Tarifation zur Zeit Pippins gehört.*) Ohne anf den hier erfahrenen Widerſpruch
einzugehen, hat Roth -1865, in feiner Abhandlung über die Säcularijation des
Kirhengutes unter den Rarofingern,?) ſich abermals zu den Anfichten bekannt,
welche er 15 Jahre früher vorgetragen hatte. Ein gleichzeitig erichienener Aufſatz
von Wait, Die Anfänge des Lehnmejens, !) zumeift gegen das zweite Buch Roth’
gerichtet, enthielt über deſſen jüngften Aufjag nur nod in einer kurzen Schluß.
bemerkung ein diffentivendes Wort.
Auch wir haben bei Darftelung des Jahres 752 im diefer Streitfrage Partei
ergreifen müffen, und nachdem wir bereits im Tert unfere Auffaffung dargelegt,
ſcheint es nicht überflüffig, an diejer Stelle, über den uns zugemefjenen Zeitraum
hinausgreifend, die oben verzeichneten drei Veftimmungen aus den Capitularien
der 40er Jahre noch einmal einer Prüfung zu unterziehen.
51.
Die Gefehe Zarlmanns.
Es ift nöthig, vor Allem den inneren Zuſammenhang der beiten Capitularien
Karlmanns Mar zu machen, auf den auch die Urkunde felbft, welche, wie gejagt,
beide zufammenfaßt, durch bie Uebergangsworte: Modo autem in hoc synodali
conventu, qui congregatus est ad kalendas Martias in loco qui dieitur Liftinas,
deutlich hinweiſt. Diefer innere Zufanmenhang aber beftcht keineswegs nur darin,
2) Roth, BB. S. 39.
2) Daf. ©. 385.
3) Walter, beutfeje Rehtögeffichte S. 68; Giefebteht, Gef. ber beutfgen Raiferzeit I.
S. 123; Laband im Liter. Gentralblatt 1863, No 46, ©. 1098,
2 pt, befonbers ©, 188 fi
9 36. TIL ©. 16 fi, ©. 85 ff, ©. 64; dazu IV. ©. 156 ff.
9) Bait, Voflalität ©. 136.
?) Bel Abiänitt II: Die Säcularifation, S. 70—128,
9 Sühn, Sabrbüger ©, 118-108
») Nündener hiftorifhes Sahrbud; für 1805, ©. 277-298.
%0) 5. Spbels Hiftorifhe Zeltfgrift XII. &, 90-111.
480 Ereurs II.
baß omnes venerabiles sacerdotes Dei et comites et praefecti prioris synodus
decreta consentientes firmaverunt, ſondern auch in einer Ergänzung und Berich-
tigung der vorangegangenen Beſchlüſſe. Wenn 5.8. 742 den Biihöfen und Grafen
zur Pflicht gemacht worden, dafür Sorge zu tragen, ut populus Dei. paga-
nias non faciat, ') fo tritt zu Reftines die —A— einer früheren Vorſchrift
hinzu, ut, qui paganas observationes in aliqua re fecerit, multetur et dam-
netur quindeeim solidis.?) Im Sabre 742 hieß «8: Falsos presbiteros et
adulteros vel fornicatores diaconos et clericos de pecuniis ecclesiarum abstuli-
mus et degradavimus et ad poenitentiam coegimus;®) ferner: post hanc
aynodum, quae fuit 11. kalendas Majas, ut quisquis servorum Dei vel an-
cillarum Christi in crimen fornicationis lapsus fuerit, quod in carcere poeni-
tentiam faciat in pane et aqua.*‘) Den Klerifer alfo, welder das crimen for-
nicationis nad) dem 21: Fe 742 beging, folkte außer Abjegung und Buße noch
Kerterſtrafe treffen. Zu Leftines dagegen wurde der Termin weiter hinausgeſchoben,
indem bis zum Zeitpunkt dieſer Synode nur Abjegung und Buße gelten, die
firengere Strafe erft von da ab eintreten jollte: et si post hanc diffinitionem in
erimen fornicationis vel adulterii ceeiderint, prioris synodi judieium sustineant.*)
Ganz ebenfo num verhält es ſich mit den zwei Beſtimmungen über das
Kirhengut, und es iſt ein Irrthum, wenn Roth feinen Zufammenhang beftreitet
und fraudatas pecunias auf die falsi presbiteri bezieht.‘) Es hanbelte fi in
beiden Berfammlungen um das den Kirchen früher entfeemdete Gut. Im Jahre 742,
wo Karlmann, wie e8 ſcheint, nur von Biihöfen und Prieftern berathen war, 7)
wurde den Kirchen ihr vechtmäßiges Eigenthum einfach wieder zugeſprochen (resti-
tuimus et reddidimus), auf dem darauffolgenden Reichstage dagegen unter allge-
meiner Zuſtimmung, aud) der Geiftligkeit, aus Rüdfiht auf die bevorftehenden
Kriege eine Einſchränkung jener Maßregel zu Gunften des Heeres beſchioſſen.
Danach follten bie im Befige von Kirchengut befindlichen Laien®) einen Theil
deffelben, unter Anerkennung des kirchlichen Eigenthumsrechtes, noch eine Zeit lang
weiter behalten, der Kirche jelbft aber jedenfalls fo viel Herausgegeben werden, ala
zur Beftreitung ihrer Vedürfniffe erforderlich, war.
Diefem Zuſammenhange entipricht das vielerörterte Wort retineamus aufs
genauefte; es bedentet eben, daß nicht Alles zurüdgegeben werben jollte, wie 742
beabfichtigt eben, fondern ein Theil noch zurückbehalten wurde. Roth freilich
erkennt biefen Sinn des Wortes nicht an, ihm bedeutet es die Einziehung des
feiner Meinung nad) bis dahin unangefochtenen Vermögens der Kirchen: retinere,
fagt er, exiheint, tie im der claifiigen Zeit, fo aud im Mittelafter häufig
als gleichbedeutend mit tenere.) Wait Kat zur Widerlegung auf den Gegeijag
hingewieſen, der im den Schlußworten fiegt: sed si paupertas cogat, eccle-
sise vel domui Dei reddatur integra possessio, wonad) im —X der Noth
nichts zurucbehalten, ſondern Alles wiedererſtattet werden jollte.') Sehen wir
» Capit. 2. Tan 05.
2 Capit LIR.
» Cap. *
+) Dal. c. 6.
it Lift. c
“Hot, gear ©. 98.
”) Bgl. capit. a, 742 c. 1: episcopos, qui in zegng ı meo Sunt, cum presbiteris et a
gillam ei synodum, pro tImore Ei
tten gefommen Üft.
IL, p. ise, anno 1. Pip
eceles;
th, Feudalität
”) .) Olten Beten €. €. ı01.
Ueber die fogenanmte Divifio des Kirchenguts. 481
jedoch auch die Bedeutung des Wortes retineamus ins Klare,) zumal Roth
felbR das größte Gewicht darauf Iegt, die gegneriſche Anficht als eine Eon-
jectur bezeichnet, die feinen weiteren Beweis für fi habe, als die Auslegung
des einzigen Wortes retineamus.*) Geſeht jelbf, retinere wäre al8 tenere zu
faffen, was iſt damit gewonnen? Hätte Karlmann von einer Einziehung ſpre
wollen, ex hätte ſicherlich auch nicht teneamus gefagt; retinere würde dann nicht
nur für tenere, fondern für occupare oder vindicare ftehen. Es hätte den Ber
griff einer Veränderung beftehender Berhältniffe, während ihm grade der Begriff
der Fortdauer innewohnt. Wenn es in den Proceffen jemer Beit fo oft heißt,
daß die eine Partei das Streitobjeft malo ordine retineret injuste, fo ift damit
nit eine gewalfame Befigergreifung gemeint, fonderm die beharrliche Borenthal-
tung des von der andern Partei beanipruchten oder ihr gebührenden Gutes. &o
heißt e8 denn auch in der Anwendung auf ein ganz anderes Verhältniß: nos
[Pippinus rex] gratanti animo ipsum [S. abbatem] et congregationem ejus
in nostro mundeburde suscepimus et retinemus;?) retinere bezeichnet hier alio
das Fortbeftehen des durch ein vorhergegangenes suscipere begründeten Schutzes.
Seine Auslegung des Wortes, meint Roth,*) made nichts deutlicher als eine
Stelle in Hinemars Briefen: tenuit retinet vel tenebit. Aber grade dieſe Stelle
ipricht gegen ihn; denn dem retinet geht ja eben ein tenuit voran, und es bes
zeichnet alfo in durchaus charakteriſtiſcher Weiſe ein Behalten des ſchon vorher
Iunegehabten. In diefem Sinne allein wird das Wort daher auch in unjerem
Tapitular zu verfiehen jein.
Es ift fomit in den Quellen fein Anlaß gegeben, von einer „förmlichen Ein«
ziehung des Kirchengutes,“ vollends „in allen Theilen des Reiches,“ zu fpredhen.®)
Wäre das Verfahren wirklich ein fo allgemeines geweſen, dann hätte der Sat:
et omnino observetur, ut ecelesia vel monasteria penuriam et paupertatem
non patiantur, nicht noch den Zuja erhalten Fönnen: quorum pecunia in pre-
cario praestita sit; denn bieg war alsdann ja das Schichal aller geiſtlichen
Infitute. Jener Zuſatz hatte aljo nur Sinn, wenn es auch Kirchen und öfter
‚gab, deren Befig nicht in precario war. Die ganze Verordnung betraf daher mur
diejenige Stifter, deren Vermögen vorher unvechtmäßiger Weife verkürzt worden
war, und nur auf dieſen verloren gegangenen Theil ihrer Beſitzungen, die frau-
datas pecunias ecclesiarum, bezog ſich einestheils die Reftitution, anderntgeils
die weitere BVergabung in Form von Precarien. Auf alle diejenigen Kirchen,
welche früher feine Beraubung erfahren hatten, fand die Mafiregel durchaus feine
Anwendung.
Man könnte gegen den von uns behaupteten Zufammenhang der beiden Vor ⸗
ſchriften Karlmanns einwenden: wenn doch ſchon im Jahre 742 das entfrembete
Gut zurücgegeben wurde (restituimus et reddidimus), wie war es fpäter noch
möglich, einen Theil davon zurüdzubehakten? Wenn Waig in jenen Worten, et
fraudatas pecunias ete., nur ein „unbedingtes Verſprechen der Rüdyabe“ geſehen
hatte,°) fo wollte Roth dies aud wirklich nicht gelten laſſen, weil „der Sa eine
vollgogene Maßregel conftatire, nicht eine fünftine, erſt in Ausficht geftellte.“") Dem
int jedoch keineswegs fo. Jenes restituimus et reddidimus bedeutet nur, daß dem
Kirchen ihr Befik, vieleicht fogar ſchon im Einzelnen, zuerfannt, aber nicht audi,
daß er bereits förmlich übergeben war. Auch ein Schenfungsact war mit der
eigentlichen Veſtitur nicht identifch, und manches Ti je Präcept Hatte wirklich
-Teine factifche Webertragung zur Folge.“) Eine wichtige Urkunde Pippins läßt
N) jahrbücher &. 182, brüdt fi Hierüber nur zweifelnd aus und feinen Ein«
wamn· Nhi Fe inemara 5 Bepribäelion bes Ohneheibehgtufeh. 7 1
4 Roth, Feubalität 6. 99.
Roth, ©. 359.
*) Wait, 86. III. ©. 35. Nad Düngelmann S. 59 wäre damit nur ber Munich des
Bonifag und der Geiftien auögebrüdt.
) Roth, Feubalität_S. 98.
9) Bol. 5. 8. oben ©. 438. ö
Dahrb. d. diſch. Gef. Deläner, König Pippin. 8
482 Exeurs IM.
uns in den Verlauf folder Rechtsgefchäfte einen genauen Einblick thun. Es ift
jenes Reftitutiongedict, durch welches er dem Klofter S. Denys im der legten Zeit
feines Majordomats, denn Fulrad war bereit Abt des Kiofters, eine große
Reihe von Ortſchaften, die e8 verloren Hatte, wiederverſchafft.) Nachdem die
monachi vel agentes des Kloſters ihr Befißrecht in palatio nostro ante nos vel
proceres seu ducibus nostris urtundlich nachzuweiſen gewußt Hatten, erfaunte
Pippin nad) dent Ausſpruche feiner Beiſitzer dem Kloſier die Befigungen zu:
ubicumque. eorum justicia invinimus ... ipsas res .. . eis reddidimus.
Daß dies nur ein Zuerfennen war, beweift der weitere Inhalt der Urkunde,
bie alfo fortfährt: Et missus nostros Guichingo et Chlodione ad eorum peti-
tione per diversos pagos una cum ipsa strumenta ad hoc inquirendum vel
investigandum direximus, ut, ubicumque eorum justicia invenissent . ... eis
reddere deberent, quod ita et fecerunt, ſodaß das Kloſter erft damit in den
vollen Befig der Güter trat, ja erſt ab hodiernum diem, d. i. durch Empfang
der Urkunde, gegen weitere Anfechtungen gejchütt war.
8:2
Das capitulare Suessionense vom Jahre 744.
Im der oben angeführten Stelle diejes Capitulars findet Roth eine noch
weiter gehende Säcularijation ausgeſprochen, infofern danach den Kföftern nur
ihr Bedarf gelaffen werden follte, während das Webrige der Verwendung durch den
Staat verfiel.?) Ich vermiffe Hier zunächſt noch mehr als in Auftrafien einen
fürmlichen Beſchluß der Verſammlung über die Einziehung. Wenn in Karlmanns
Eapitular ein folder wenigftens durch eine fünftliche Deutung des Wortes retineamus
gefunden werben fonnte, jo ift es hier das einzige Wort subtraditis, ein Particip,
aus dem er herausgelefen werden müßte. Nun kann es feine Frage fein, daß die
Berathungen zu Soiffons der exfte gefeßneberifche Act Pipping feit Antritt feines
Majordomats waren. Auf diefer Verſammlung mußte daher, wenn wirklich eine
gefetlich fanctionirte Einziehung erfolgte, der dahin lautende Beihluß gefaßt und
durch einen vollen, bündigen Sag ausgeſprochen werden. Statt defien wird wohl
von ber Behandlung des entfrembeten Kirchenvermögens geredet, der Zurüderftattung
des einen, der zinsbaren Weiterverleihung des andern Theils; woher man aber zu
ſolcher Verfügung über Kichengut komme, wird offenbar als von früher her bes
tannt vorausgefeßt, indem nur in der Participialform von vergabten Befitungen
ber Kirche die Rede ift.
Es lann aber auch das nicht eingeräumt werden, daß die zu Soiſſons ge-
troffene Beſtimmung fih von der auſtraſiſchen Maßregel weientlich unterſcheide;
viefmehr fcheint fie nichts ais eine Nadahmung derfelben zu fein. Es ift hierfür
wichtig, das Verhältnig der beiden Urkunden zu einander zu erfennen. Schon
Hahn hat in dem Capitular des Jahres 742 die Grundlage der neuſtriſchen Ber
fhfüffe gefehen.*) Den von ihm angeführten Parallelftellen ließen fid noch mehr
fat), Säbe aus beiden Neienfüden hinzufügen, 3. ®. 742, 2. 7744, 3; 742,
4—744, 5; 742, 6744, 6; 742, 7— 744, 8.4) Worauf e8 ung jet aber an»
tommt, ift, zu beweifen, daß dem Capitular von Goiffons auch dasjenige von
Seftines zu Grunde liegt,°) wodurch freitic ſowohi Hahn's Behauptung, daß diefes
weite ConcilKarlmanns erſt 745 ftattgefunden,*) als aud Dünzelmann’s Annahme,
— II. n> 608. p 418; mol. oben ©, 4. 7. — Migne, Patr. lat LIXEVIL
coL 1079-1818, flieht feine Sammlung merowingifher Urkunden jhon mit dem Jahre 748.
2) Roth, BB. ©. 336-837; Müngener hiftorifges Jahrbud ©. 282.
®) Hahn, Jahrbüger &. 58 (N. 2).
9) Bol. Dünzelmann a. a. D. ©. 29-38.
*) Diefelbe Anfiht Aufert Jaff6 in der oben ©. 478. N. 8 erwähnten Abhandlung über
Shronologie ber Bonifacifen Briefe und proben ©. 418.
°) Jahrbücher, Ercurh XIV, ©. 192-200.
die
Ueber die fogenannte Divifio des Kirchenguts. 483 -
wonach dafjelbe zugleich mit dem Concil von Soiffons im Jahre 744 abgehalten
worden, ') in fi) zufammenfiele.?) Schon daß die Beihlüffe beider Synoden nur
in Einem zufammenhängenden Schriftftüde vorhanden find, Läht baranf icließen,
daß fie von jeher in eins zufammengefaßt waren und in gleicher Form auch ber
reits der Verſammlung von Soifjons vorgelegen haben. Zudem entſpricht der
ganze Charakter des meuftriichen Edict$ mehr den capit. Liftinense als dem bes
Jahres 742. In beiden ift von gemeinfamen Beſchlüſſen der weltlichen und geift-
chen Großen die Hede,*) in beiden von weltlicher Beftrafung der Uebertretungen. *)
Aud im Einzelnen ſtellt fih manche Webereinftimmung heraus. Dem die Laien
betreffenden cap. 8 des capit. Lift.®) entipricht offenbar capit. Suess. c. 4,°)
ſowie das ausgeführtere cap. 9 defjelben Capitnlars. Im gleicher Weiſe num
jcheint mir die dag Kirchengut betreffende Beſtimmung des Jahres 744 nichts ale
ein Auszug aus capit. Lift. c.2. Denn obwohi die Beſchlüſſe der neuſtriſchen Synode
in manden Beziehungen ausführlicher als die der auſiraſiſchen find, ”) ja fogar
manches Neue hinzufügen, ®) jo find doch andere Veftimmungen hinwiederum fürzer
zufammengefaßt, jo 3. B. diejenigen, welche vom Lebenswandel der Geiftlichen und
don Unterdrüdung heidnifcher Gebräuche handeln.“) Dieſer Kategorie gehört denn
auch die Stelle vom Kirdengut an. Auch Waitz findet, daß damit ohne Zweifel
dafjelbe gemeint ſei, wie mit capit. Lift. c. 2,'%) und in ber That enthalten die
wenigen Worte den Kern des auftrafiichen Beſchluſſes: man fam davon zurüd,
den Stiftern alles Verlorene wiederzuerftatten, hielt ſich vornehmlich für verpflichtet,
biefelben vor Entbehrungen zu ihüßen, umd beicjränkte fi) in Betreff des noch)
zurüdbehaltenen Kirchengutes auf die Leiftung eines Zinſes, die weientlichfte Seite
des Precarienverhäftnifies.*') Daß in Soifjons die Höhe des Zinſes nicht aus-
drüdlich feftgeftellt wurde, hatte vieleicht in den darüber noch Ichwebenden Ver—
Handlungen feinen Grund, von denen Bapft Zacharias nad; einer Mittheilung des
Bonifacius fpricht. 1?) Die res ecclesiasticae subtraditae aber find nichts An-
dere, als die fraudatae pecuniae ecclesiarum der auftrafiichen Synode; es liegt
darin vielleicht, in Rüdficht auf die Urheber dieſer Zuftände, eine abfichtliche Mile
derung des Ausdrucks. Das Verfahren in beiden Keichstheilen alfo, weit entfernt,
eine Einziehung kirchlichen Gutes zu fein, verſchaffte den geiftlichen Iuftituten viele
mehr theils den Befit ihres verlorenen Wermögens wieder, theils wenigftens die
ſtaatliche Anerkennung ihres rechtmäßigen Anſpruchs auf dafjelbe. Es mar, Alles
in Allem genommen, eine Reftitution, Feine Säcularifation.
1) Düngelman &. 60.
#) Jaffe, ber in ber Bibliotheca bei Datirung bed Capitulars nod zwiſchen 743 und 744
{wantte, weift es in der Mbhanblung, ©. 409, entf—hieben dem Jahre 748 zu.
®) ®gl. capit. Lift. c. 1: omnes wenerabiles sacerdotes Dei et comites et praefecti
prioris synodus decreta consentientes firmaverunt; capit. Buess. c. 10: hane decretam
Pippino vel obtimatibus Francorum gonsllie constituerant
*
: qui pas
et damneiur quindeeim solidis; capit. Buens.
judicatus sit
t.
7) Bgl. 3. 8. capit. 742 c. 7 und 744 c. 8; capit. Lift. c. 3 und Buoss, c. 9.
9) 3. 8. capit Bauens. c. &. 6. 7. r
9) Bgl. capit. 742 c. 2. 5. 6 und capit. 744 c. 1. 6.
484 Secure IM.
88
Heber den Begciff des Wortes divisio.
Iſt ſonach auf die Mafregeln der Söhne Karl Martells dennoch die Bezeichnung
divigio anwendbar? Denn daß biefer allerdings häufig vorfommende, faft tech-
niſche Ausdrud etwas Kirchenfeindfiches bezeichnet bat; daß in den Reichdacten vom
einer divisio aut jactura, ij von magnum scandalum et divisio rerum ecelesia-
sticarum, *) von einem divisor aut oppressor®) die Rede ift; daß Papft Hadrian
von divisio vel violentia jchreibt;*) daß in den Urkunden von einem dividere
et distrahere, von einem imminuere oder disrumpere per divisiones verlautet,®)
hebt Roth mit Recht nachdrüdlic hervor und bemerkt daher gegen Waitz: „Ber
fand die divisio in der theilweiſen Ritdgabe des in der Hand des Staates befind-
lichen Kirchengutes, jo ift es unerklärlich, vie fih die Kirche eine feierliche Ver-
ſicherung dagegen ausftellen laſſen, wie fie fich gegen die NRüdgabe des in der Hand
des Staates befindlichen Kirchengutes verwahren konnte.“ 9 Waig kann nur
fagen, daß nad) dem Zeugniß der Quellen die erſte divisio den Charakter einer
Rüdgabe für die Kirchen hatte, alfo damals eine Wohlthat war, während fie fpäter
allerdings gefürchtet und nad; Kräften abgewehrt wurde.) Ich meine dagegen,
daß Beide, ſowohl Waitz als Roth, unter dem Worte divisio mit Unveht eine
Theilung des Kirchengutes verftchen, während es vielmehr eine Vertheilung ber
deutet, jo daß namentlich Wait für das von ihm fo richtig erfanute Verfahren
Karkmanns und Pippins ſich dieſes Wortes nicht bedienen durfte. Vergieichen
wir 3.8. das vorhin erwähnte Schreiben des Papftes Hadrian an Erzbiſchof Tilpin
von Reims.®) Hier unterfagt der Papft: Et nullus per ullum unguam tempus
tibi vel Rhemensi ecclesiae de rebus ad illam debite pertinentibus divisionem
vel violentiam, sicut antea factum fuit, facere praesumat.?) Worin beftand
aber ‚die angedeutete frühere divisio? er jagt es felbft mit den Worten: et res
ecclesiae de illo episcopatu sunt ablatae et per Iaicos divisae sunt;°) «8 war
alfo keine Theilung des Vermögens zwiſchen Kirche und Staat, jondern eine Aus-
theilung an Laien. Im gleicher Weife erzählt ein Reimjer Eoder, daf gerade dort
tempore Adriani papae ... laici homines volebant dividere episcopia et
monasteria ad illorum opus et non remansisset ulli episcopo nec abbati nec
abbatissae nisi tantum, ut velut canonici et monachi viverent. !') In der ber
Yannten Epistola synodi Carisiacensis jagt Hinemar von Karl Martell: qui
primug .. . res ecelesiarum ab eis separavit atque divisit ... res abstulit
atque divisit.'*) Es läge in feinen Worten beide Male eine Tautologie, wenn
dividere der gewöhnlichen Annahme nad, nichts Anderes hieße, als mit der Kirche
theilen; Heißt es dagegen: das ber Kirche genommene Gut am Andere vergeben,
dann fchfieft 8 fidh ganz Iogifch den anderen zwei Werben an. Wohl findet fi
Hin und wieber das Wort aud in ber erfteren Bedeutung; als Beiipiel wäre her»
vorzuheben: post illam divisionem quam b. m. genitor vester inter episcopatum
et comitatum fieri praecepit; !?) allein es ift bezeichnend, daß gerade hier die
theifenden Parteien ausbrüdfih genannt werden, während ſich fonft gewöhnlich
ein folder Zufat nicht findet. Im Allgemeinen wird das Wort daher, ſowen e&
auf Kirchengůter bezogen ift, eine Bertheilung derjelben an Laien zu bedeuten Haben
und auf die hier im Rede flehenden Ereigniffe feine Anwendung finden.
3) Capit. Aqulsgr. 817 c. 1, Pertz LL. I. p. 206.
3) Cone. Meldenso 845 (Mans XIV) c. 44
») Divisio imperil 817 c. 10, Pertz LL. I. p. 199.
+) Epist. ad Tilpinum archlepiscopum Rhemensem, Migne Patr. lat. XOVI. col. 1914.
38,
21) Baig, BO. IV. ©. 188. 9. 2.
32) Bouquet V. p. 659.
2) S. Bait, 86. IV. ©. 156. R. 3.
Ueber die fogenannte Divifio des Kirchenguts. 485
Eine Beranlaffung zur Wahl des Namens divisio gaben offenbar die annales
Murbacenses durch ihre vielgedeutete Notiz zum Jahre 751: res ecclesiarum
deseriptas atque divisas, zu welcher Roth bemerkt: „Der Ausdrud divisas ſcheint
niggt wiflfütfic gewählt, da er in officiellen Documenten als tedjnijche Bezeichnung
der Säcularifation widerholt vorfommt.“*) Wir haben ung im Terie bereits über
den Sinn diefer Worte des Näheren ausgefprochen;?) hier heben wir, unbekummert
um die Frage nach den Urhebern ober dem Umfang der Thatjache, nur das Eine
hervor, daß für das Wort divisas aud) in diefem Satze Teine Auslegung natür-
ticher iſt al8 die, daß die Beſitzungen verzeichnet umd unter Laien vertheilt worden
find. Einen ſchlagenden Beleg dafür bietet Einhard im 33. Capitel jeiner Vita
Karoli, weldjes die teftamentarifche Verfügung Karls des Großen über die Ber:
theilung feines Schates enthält. Die Urkunde nämlich bedient fich genau derfelben
Worte, wie unfere Annalen: Deseriptio atque divisio . . . quam [Karolus] pia
et prudenti consideratione facere decrevit et Domino annuente perfecit de
thesauris suis atque pecunia, quae in illa die in camera ajus inventa est.’)
Es ergibt fid) aus alledem, daß der Name divisio mc auf eine wirkfice
Einziehung des Kircengutes zum Zwecke der Vertheilung paßt. Wo es ſich aber,
wie in unferem alle, theils um eine Reftitution deffelben, theils nur um bie
Fortdauer ſchon beftehender Bergabungen handelt, muß die Bezeichnung entſchieden
aufgegeben werden.
3) Roth, Feubalität S. 82.
2) 6. oben ©. 10.
?) Wan erteht aus biefer Stee zugleich daß deseriptas weber Wermelung nad Ber
Reuerung, wie Han ©. 185 meint, fonbern nur bie Anlegung eines Berjeipnified bedeutet.
Excurs IV.
Das Geburtsjahr Karla des Großen.
Die Frage nad) dem Geburtsjahre Karla des Großen tritt zu verſchiedenen
Malen in dieſem Bude an uns heran, und ich möchte mid; dem unbeftimmten
Reſultate der Unterfuhungen Hahn’s!) nicht auch anjchließen, wie es Abel thut.*)
Die befannten Worte Einhards in der Vita Karoli c. 4: De cujus nativitate
atque infantia vel etiam pueritia, quia nec scriptis usquam aliquid declaratum
est nec quisguam modo superesse invenitur, qui horum se dicat habere
notitiam, seribere ineptum, laffen fid) unmöglich, wie es bei Hahn gefchieht,*)
auch auf das Geburtsjahr des Kaifers deuten, da Einhard in demielben Werke ihn
als einen septuagenarius im 72. Jahre feines Lebens, in feinen Annalen im
71. Lebensjahre ſterben läßt. Diefe Zeuguiffe Einhards aber, denen zufolge Karl
im Anfange der 40er Jahre geboren iſt, wiegen ſowohl das der annales Petaviani
(end. Petav.) als auch das der fogenannten Translatio 8. Germani auf, welche
eiderjeits auf 747 hinweiſen; denn fpäteren Datums find fie kaum — die Trans-
latio nennt Karl gloriosissimum imperatorem —, und wenn der Gewährsmann
der Petaviani der töniglichen Familie nahe ftand, fo läßt ſich dies wahrlich auch
von Einhard fagen. Wenn ferner Pippin das Kofter Anifola, wie er e8 752
unter feinen alleinigen Schug genommen,*) im Juni 760 zugleidh unter ben
Schuß feines Sohnes Karl ftellt (illustris viri Karoli filii nostri, qui causas
ipsius abbatis vel monasterii habet receptas, cui nos hoc gratanti animo
praestitisse . . . cognoseite),°) ſodaß Proceſſe des Kloſters in zweiter Inftanz
vor dieſen zu bringen und von ihm endgültig zu entſcheiden find, fo begreift ſich
dies wohl von einem 18jährigen Thronfolger, aber nicht von einem Knaben von
13 Jahren. Ziehen wir endlich die im Tert erzählte Miffion Karls an dem
Papft im December 753 in Betracht,) erwägen wir, daß Karl umd der (den ann.
Petaviani zufolge erft dreijährigel) Bruder defjelben, Karlmann, 754 an der
promissio Carisiaca betfeiligt find,’) daß Stephan in demfelben Jahre Beide
frönt, an Beide im Jahre 755 feine Hüfferufe richtet — Momente, die mit dem
erften Kinderjahren ſich nicht vertragen —, fo kommen wir wohl mit Recht zu
dem Schluffe, daf an der gewöhnlichen, and annaliſtiſch beglaubigten Meinung
feftzubalten fei, wonach Karl der Große im Iahre 742 geboren ift.
%) Sur le lien de nalssance de Charlemagne (M6moire prösents A Tacad6mie royale
de Belgique, T. XI. des M6moires couronnds et anfres) p. B1äy.; Jahrbüder S.240--245.
®) Abel, Karl ber Große I. ©. 9-11.
®) Sur lo lien de nalssance p. 109; Jahrbilder ©. 245.
*) Bickel P. 8; f. oben &. 10-12.
®) Bickel P. 18; f. oben ©. 342.
*) ©. oben ©. 127.
”) S. oben ©. 129-130.
Excurs V.
Die Bulle des Papſtes Zacharias für Fulda, ihre
Handſchriften und Drucke.
Jaffe, Bibl. III. n° 82. p. 228.
Bis in die neuere Zeit kannte man das Privilegium des Zacharias für Fulda
nur aus der Vita S. Bonifacii des Othlon,') der befanntlih um die Mitte des
11. Jahrhunderts gelebt und viele Stüde einer Bonifaciſchen Briefiammlung in
fein Werk aufgenommen Hat; aus diefer Vita ift das Privilegium auch bei Würbt-
wein und @iles entlehnt. Dagegen veröffentlichte es Dronke 1847 aus einer
100 Jahre älteren Duelle, einer Copialurlunde des 10. Jahrhunderts.“) Dem-
felben Jahrhundert gehören auch die drei äfteften handfheiftlihen Sammlungen
der Bonifaciihen Briefe an, der Mainzer (jet Miündjener), der Carlsruher und
der Wiener Eoder.?) Nur in dem Ietteren fehlt das Privilegium, während die
beiden andern e8 enthalten. W. Arndt, der bieje beiden Codices benutzen durfte, *)
publicirte es aus der Carlsruher Handfchrift; doch überjah er die Dronke'ſche Edi⸗
tion, indem ex fagte, die Urkunde fei „bis jest als zum erften Male vorliegend
in der von Othlon überarbeiteten Rebensbeichreibung des heil. Bonifacius erichienen.“®)
Aus dem Mainzer Coder ift einft, wie ſchon oben angedeutet, *) zwiſchen
fol. 53 und 54 nad) Jafje, ein Blatt herausgeſchnitten worden; das Ende des
vorhergehenden und ber Anfang des folgenden Blattes beweiſen, daß auf den beiden
fehlenden Seiten die päpftlihen Privilegien für Bonifaz in Betreff des Erzbis -
thums Mainz umd des Klofters Fulda geftanden hatten; denn bon dem einen be»
finden fid) dort die erften Worte, von dem andern Bier die letzten.“) Die Ber-
nichtung des Blattes muß ſchon in den mittleren Jahrhunderten erfolgt fein;
denn ein ehemals Imgolftädter Coder vom Jahre 1497, der nur eine Abjchrift
des Mainzer ift, enthält die Urkunden ebenfalls nicht und Hat ſelbſt die beiden
Fragmente ganz übergangen ;®) daher fie auch bei Serarius fehlen, deſſen Ausgabe
auf der Wiener und Ingofftädter Handichrift beruht.
In zwei andern jüngern Brieffammlungen dagegen hat das Fuldaer Privi-
legium in aller Bollftändigkeit feinen Pla behauptet, und zwar genau mit den
3) Mabillon Acta 88. II. 2. p. 80.
®) Dronke, Codex diplomaticus Fuldensis n° 4* p. 2,
») ®ot. Jatt6 BibL III. p. 9-11.
+) 2eben des heil. Bonifazius von Wiliba u. f. , nad) den Ausgaben der Monumenta
ılae überfegt vom Dr. Wilgelm Nenbt, Berlin 1869.
*) Daf., Beilage TIL, ©. 138.
9) ©. oben ©. 38. 9. 8.
?) Wal. die Angaben bei Jaff6, BibL. III. p. 297. not. a. unb p. 239. not. a.
*) Bgl. Kent ©. 180, Jad6 p. 9.
488 Ercurs V.
Schlußworten, die der Mainzer Eoder uns aufbervahrt hat und die fi von dem
Wortlaut bei Othlon, bei Dronfe und in der Carleruher Handſchrift ein wenig
unterfeiden. Die zwei Sammlungen find: 1) ein vaticanifdher Coder,*) von
Antonius Carafa im zweiten Bande der epistolae decretales summorum ponti-
ficum (Romae 1591) benutt, in welchem Bande au das Fuldaer Privilegium
p- 698 zu finden iſt; 2) ein Parifer oder, der Giles vorgelegen ?) und deſſen
Barianten diefer in den Notae et variae lectiones feiner Ausgabe öfter angegeben
bat; ſowohl das Mainzer als auch das Fuldaer Privilegium ftehen in diefem
Coder,®) von letzterem theilt Giles den Schluß mit.*)
Gleichwohl hat Arndt das Fragment des Mainzer Coder, das er mittheilt,
nicht als den Schlußſatz der fihen Bulle erkannt) obſchon die Stelle bereits
bei Carafa, Giles, Seiters ) gebrudt vorlag, überdies auch wörtlich mit der
Formel eines Privilegium monasterii im Liber diurnus pontificum Roma-
norum übereinftimmt. Erſt Sidel hat auf die große Achnlichkeit des Privilegiums
mit biefer römischen Femme Singeefen,*) tie anbererfeits Jafje zuerft den
alten römiſchen Abdrud deſſelben bei Carafa zur Wergleihung herangezogen Hat. °)
Der Barifer Coder ift and vom ihm nicht beachtet worden. Jafje nimmt wohl
mit Recht an, daß die Mainzer Handfchrift, wie im Schlußſatze, jo au im
ganzen Wortlaut der Bulle mit ber vömifchen Ausgabe übereingeftimmt haben
wird; die Faſſung ift eine kürzere als die des Carlsruher Coder und mit der
Formel des Liber diurnus völlig identiſch. So unmefentlih aud der Unterſchied
der beiden uns überlieferten Formen des Privilegs ift, fo würde doc gewiß auch
Sidel die kürzere Faffung, wenn er fie beachtet hätte, als die urſprünglichere
angejehen haben. Der Haupizufat der erweiterten Form locis et rebus tam eis
quas moderno tempore tenet vel possidet, quam que futuris temporibus in
jure ipsius monasterii divina pietas voluerit augere ex donis et oblationibus
decimisque fidelium, absque ullius personae contradictione firmitate perpetus
perfruatur — ift fiherlich erſt aus Pippins Befätigungsurkunde von Späteren
in das päpftlihe Document Hinübergenommen worden. ®)
2) Jaff6 p. 19-14
») Giles, Opera 8. Bonifscil (1844) I. p. 3, IL. p. 190.
186. 187.
2) Bat. Eitel a. a. D. ©. 624: ‚Die daſſung von locis et rebus an erinnert graben an
die in den Lönigligen trfunsen übliche.“
Excurs VL
Das Todesjahr des Bonifaz.
Die hiftorifche Forſchung Bat von jeher eine ganze Reihe chronologiſch dunkler
Punkte aus der Geſchichte Pippins in den Bereich ihnen Unterfudungen gezogen;
bei folder Wiederaufnahme gear, Controverſen gab fi dann im der Regel der
allgemeine Fortſchritt der Wiſſenſchaft fund, infofern er bie Erweiterung und
kritiſche Sichtung des Duellenftoffes betraf. Wenn wir in der hier vorfiegenden
Frage das vor faum 25 Jahren ausgeſprochene Refultat eines umierer beften Fors
fer !) nicht mehr gelten laffen können, fo hat dies zum Theil allerdings in mehr-
fachen Irrihumern defjelben feinen Grund, zum Theil jedoch auch in neugemwonne-
nem Material; und wie ſchon Sidel in feinem vierten Beitrage zur Diplomatif, ?)
ehren wir gleichfalls zu dem Ergebniß der älteren Forſchung, freilich nur zum
geringen Theil auch zw ihren Argumenten zurüd.
[Me Nachrichten, welche das Jahr 755 ale das Todesjahr des Bonifaz bezeichnen,
denen daher auch Rettberg vorzugsweife gefolgt ift, laſſen fich auf einen einigen,
allerdings fehr gewichtigen Gewährsmann zurüdführen, auf Biſchof Lull nämlich,
ben Nachfolger des Bonifaz.
Als diefer, offenbar behufs Erlangung der erzbiſchöflichen Würde, ein ſchrift ·
liches Glaubensbefenntmiß ablegte, batirte er daffelbe vom 12. Jahre der Regierung
Karls und dem 25. feines eigenen Pontificats.°) Erſt im Jahre 1841 veröffente
licht,) wurde dieſes Schriftftüd von Reitberg mit Recht als Stütze feiner Anficht
benußt, da der Amtsantritt Lulls nach dieſer feiner eigenen Angabe nicht anders
als in das Jahr 755 geſetzt werden kann.
Eine zweite Ueberlieferung nennt dieſes Jahr ganz ausdrüdfich als das Tobes-
jahr, es ift die Vita S. Bonifacii von Willibald. Foigendes ift der Wortlaut der
betreffenden Stelle: laudantes glorificabant Deum, qui suum dignatus est servum
vl imo peregrinationis ejus anno revoluto glorificare, qui et incarna-
tionis Domini septingentesimus et quinguagesimus quintus annus, cum indictione
octava, computatur. Sedit autem in episcopatu annos 86, menses sex et dies
sex, et sic ordine supradicto die nonarum Junii martyrii triumpho remune-
ratus migravit ad Dominum.*) Bekanntlich verdankte Willibald feine Nachrichten
befonders den beiden Biſchöfen Lull und Megingoz, in deren Auftrag er ja fein
Werk ſchrieb.) Daher dürfen wir and; diefe chronologiſche Notiz auf die Auior ·
1) Rettberg L ©. 896-399.
9 Xnno du6dene rogn! domiet, nostrl Carl} rogis glorlosiasimt, pontifcatus mel
anno XXV; vol. Abel, Karl der Grofe I. ©. 2 8 u
+) Aus einem $ı = Gopialbuce deb 15. Jahrhunderts: Faldenheiner, Geſchichte heſſtſcher
Stäbte und Stifter IL. ©. 168.
®) Willibaldi Vita 8. Bonifacli c. VIII, Jaffö BibL IIL. p. 469.
*) Prologus 1. c. p. 429.
490 Ereurs VI.
ſWaft Lulls zurüdführen, zumal dieſem, einer glaubwürdigen Nadricht zufolge,
die fertige Arbeit, vor ihrer Abſchrift auf Pergament, in Wachstafeln zur Pru⸗-
fung borgelegen. ')
Die dritte Quelle für 755 ift eine annaliſtiſche. Die tleineren Lorſcher Annalen
nämlid, melden: Bonifacius archiepiscopus, evangelizans genti Fresonum ver-
bum Dei, martyrio coronatur anno 755, qui sedit in episcopatu annos 18,
post quem Lullus episcopus annos 32.°) "ie mun einerfeits diefen im Klofter
Lori entftandenen Jahrbücern®) ein Eremplar der größeren annales Laurissenses
zur Onelle gedient, fo ſcheint der Verfaſſer doch auch die Schrift des Mainzifchen
Priefers Wilibafd‘) benußt zu haben, die ihm bei der Nähe der Stadt und bei
der Angehörigfeit des Kloſters zum Mainzer Bistum gewiß leicht zugänglich war.
Eine Bergleihung der Parallefftellen ſoll dies näher beweiſen. Schon die erſten
Notizen anno 5. und 6. Pippini lafien fich in allen ihren Theifen auf Wilibatd
zurüdführen, fo insbeſondere die Bezeichnung des Bonifaz als vir sanctus, welche
in der Vitafaft ftereottp ift, fo die Notiz von der Belehrung der Thüringer und
Heffen,°) von der Einfegung der Bifhöfe Burdard und Willibald, *) der Ein—
ſetzung des Bonifaeius in Mainz;?) felbft Ausbrüde, wie ad fidem rectam et
christianam relegionem a qua diu aberraverant convertit,®) evangelizans
verbum Dei,) martyrio coronatur, :%) bejondere auch qui sedit in episcopatu, "')
wobei der Annalift die annos 86 mit Rüdficht auf feine eigene Angabe unter
a. 5. Pippini in annos 13 verwandeln mußte. Hierher gehört eudlich vieleicht
auch, daß der Friefenherzog Radbod ſowohl bei Willibald wie bei unferem Anna-
iften ais König bezeichnet wird.'*) ft c8 fomit wahricheinfic) gemacht, daß die
hierher begügfichen Angaben der annales Laurissenses minores auf Willibalds
Vita 8. Bonifacii beruhen, fo erklärt ſich daraus auch die fonft nur felten wieder»
kehrende Anführung des Incarnationsjahres an diefer Stelle. Da die andre Duelle
nämfid) (tie ann. Laurissenses majores) das Martyrium in das Jahr 754 ſetzte,
fo,hob. ber Lorſcher Annalift, wie zum Gegenjage, die Angabe dee Willibald Her
u die ihm die glaubwürdigere ſchien. So ftügt fi denn auch dieſe annaliſtiſche
Notiz mittelbar auf die Autorität des Biſchofs Full von Mainz.
So großes Gewicht nun aber diejer Autorität beigelegt erden muß, fo it
doch zunächft zu beachten, daß wir es troß alledem mit Teiner gleichzeitigen Aufe
zeichnung von feiner Seite zu thun Haben. Das Glaubensbekenntnih ftammt
aus dem Jahre 780, die annales Laurissenses minores find noch jüngeren Da-
tums; !®) was endlich die Arbeit des Willibald betrifft, jo liegt durchaus kein evi-
denter Beweis für die von Simfon, 4) Arndt, “) Zaffe’°) aufgeftellte Vermuthung
vor, daß dieſelbe noch bei Lebzeiten Pippins entftanden ſei. Denn wie für diefen
%) Passio 8. Bonifacil, Jaas Bibl. TIL. p. 481.
%) Ann. Laurise. min. a. 17. Pippinl.
®) Bel. a. 26. Pippini: in monaaterio nostro Lauresham.
“ Der Verfaſſer ber Vita 8. Bonifacii tar nänlid nicht der Biihof Bilibald von Eis
ot, fonberm ein Pieter gieihen Namens an ver ine bes Heil. Bieter zu Maing; Dal.
jaft, Bibl. III. p. 432 not. 8.
} Vita 8, Bbnif e ED. 44 0 VIL p. a.
* Dat o. VIIL p-
D» En
2 Sal, © VIL 46: Tore Adel ae relogionia sasramenta renovarit
®) Ann. 17. Pilot vgl. Vita ‚praedicans et evangelizans verbum Dei.
2) Ann. 17 Bißbinit zit Via. Yil martyril triımpho renmneratus.
22, Ann. 17. Pippini; vgl. Vita c. VIIL p. 469: Bedit autem in episcopatu annos 36 ete.
Diefe Uebereinfimmung If um fo begeichnenber, je weniger der Nusbrud die Sache trifft, da
5 nu ja uk. don dem Befige eined wirklichen Bisthums, nicht von bem ber Biſchofswürbe ges
rauden läßt.
‚% Ann. i. Karali Martell!; congreditur adverans Ratbodum regem Fresonum; Yita
6. IV. p. 441: hostilis exorta dissensio inter Carlum ,. . et Raatbodum re;
num, 0. Y. p. 446: audita Raatbodi Fresonum regis morte. — Der Fortfeger
(e. 106) — ie nur dux. Dagegen findet ſich Rathbedus rex allerdings ru fe on. ei
hist. eccl. gentis Anglorum lib. V. c. 10 (Monumenta hist. Britannica I. p. 28T).
#2) ®gl. ann. 17. Pippini: post quem (Bonifaelum] Lullus opiscopus annos 88,
”) 8. ©. Simfon, Wikibald’s Lehen ded Heil. Bonifackud, Berlin 1868, ©. 4.
1 Merat, Beben bes Get, Bonifaciut von Bilibald u. 1. m, Bertin 1868, ©. XV.
1) Jaffö, Bibl. ILL. p. 488. not. 1
Das Tobesjahr des Bonifaz. 491
der Ausdrud gloriosus rex gebraucht wird, ‘) jo heißt auch Karl Martell dux
gloriosus, ?) ebenfo Karlmann, der Bruder Pippins;®) der 744 verjtorbene Lango«
bardenkönig Lintprand endlich wird optimus, honorandus genannt‘) Auf einen
fpäteren Urfprung ber Vita deutet vielmehr der Umftand, daß der Verfaſſer ohne
Zweifel feinen Helden perſönlich nicht gefannt hat,“) fodann auch) die Nachricht von
der Aufrichtung eines Dammes und der noch fpäter folgenden Erbauung einer
Kirche an der Stelle, wo Bonifacius geftorben war.) Das Datum 755 beruft
daher wahrſcheinlich nur auf einer ziemlich fpäten Reminiscenz des Biſchofs Luü.
Denn daß Willibald oder fein Gewährsmann es nicht einer ihm vorliegenden
ſchriftlichen Ueberlieferung aus den Tagen des Ereignifjes elbſt entnommen, daß
er e8 vielmehr erſt durch Berechnung ermittelt hat, wobei ein Irrthum ja fo leicht
möglich üft, darauf weifen recht deutlich die Worte hin: qui et incarnat. Dom.
gepting. et quinguag. quintus annus cum indictione octava computatur.”) Es
ift ja befannt, wie wenig im Frankenreiche während des 8. Jahrhunderts fei es
nad) Incarnationsjahren oder nad) Indictionen batirt zu werden pflegte; ebenfo
ungewöhnlich war die Zählung nad) den Pontificatsjahren der Biichöfe-
Gehen wir nunmehr zu den Zeugniffen für das Jahr 754 über.
Ein Bericht über die am 1. November 819 erfolgte Einweihung der Fuldaer
Kiche bemerkt, daß feit dem Martyrium des Bonifaz dis zu jenem Momente, wo
die Gebeine defielben im die neue Kirche übertragen wurden, 65 Jahre, 4 Monate
und 26 Tage verftricen feien. Daraus ergibt ſich der 5. Juni 754 als Todes-
tag. Schon Edhart Hat fich daher auf diefes Zeugniß berufen“) umd Rettberg
es nicht zu entlräften vermocht.
Einen nod älteren Beleg bietet Eigils Vita 8. Sturmi.?) Da Eigil mehr
als 20 Jahre lang unter der Leitung des 779 verfiorbenen Abtes Sturm von
Fulda geftanden, jo war er vielleicht ſchon beim Tode des Bonifaz, in jedem
Falle nicht lange nachher, ein Angehöriger des Kfofters, und feine Ausjagen ver-
dienen daher vollen Glauben. Auch beruht e8 gewiß auf einer im Kioſier vor-
gefundenen feitfiden Notiz, wenn er une erzäflt, daß Sturm im Safe 744,
am 12. Tage des erften Monats, d. i. am 12. März’) zwei Monate fpäter fo-
dann auch Bonifaz den zum Kloſter beftimmten Ort betreten Habe. *') Nun aber
berichtet er weiter, Bonifaz habe im 10. Jahre nad; der Gründung des Kloſters
feine erfte, das Jahr darauf die zweite, mit feiner Ermordung endende Reife nad)
Friesland angetreten. ’%) Im biefer Stelle erlannte daer fon Echart mit Rechi
einen wejentlihen Beleg für feine Anſicht; ) dennoch begeht Rettberg den Fehler,
fih auch feinerfeits auf diefe Notiz zu berufen, indem er anno deeimo postquam
überſetzt „zehn Jahre nachher“, ftatt „im 10. Jahre nachdem“.!“) Das 10. Jahr
nad) dem Mai 744 aber begann mit dem Mai 753, nicht 754.
3) Cap. VIII. p. 468, c. I. p. 470.
%) Cap. IV. p. däl, c. V. p. 447, Sp, 4
Cap Yil. p, 438: Mn obarlomanno et 10 6r Bippino gloriosie ducibus.
—
*) Cap. IX. P.
sirachara Cujasdam Tumuli
R.
okhart, Eraneia orientalis I. p. 541. — Nur_toenig hunger it Bas „Beugniß Since
art, ep. 30.6.0 si metropolitano), Migne Patr. lat. CXXVI. col. ci,
in Friala yerbum Doralnl prasdicante, anno inc. dom. 154 martyrio coronato.
ertz
20) Dal Nettberg ——
—e 8, Sturmi c. 18.
N. 3.
. 370-871: auno incarn. Christi septingentesimo quadra-
quario, regnantibus in hac gente Francorum duobus fratribus Karlomanno
Seine Pifpino, Indlälone 13, mense prime, dnodeeimo die mensis ejnsdemn
#9) Dal. c. 16. p. 372: Anno deeimo „Poitquam ad sanctumı commigravit locum .
seguonti Yero anno Iterum ad aquosa Frosohum pervenerat arva.
©. D. BA.
16) Sarg benfeiben Geber, ie Retierg, macht Simfon, Bilisaina Sehenpss Het. Bontfachut
&.76. R. 5, Beide, mie e8 {&eint, verleitet durch bie bei Perg, p. 373. lin. 16, a
—* — Goa hung melde Do ofenbas = man bergläihe Die Ueberfgrif der nädfien
seite — dad Tobesjahr bed Bonifaz bezeichnet werden follte.
492 Ercurs VL
Die Autorität Eigils alfo, auf welche Rettberg ſich fütt, zeugt wider ihn.
Dem entſpricht auch die Stelle, wo von dem Ueberfall Fulda’s dur die Sachfen
im Jahre 778 die Rede if.) Damals rettete man die Leiche des Märtyrers aus
dem Kfofter, und Eigil bemerkt dazu, daß diejelbe feit 24 Jahren in dem Grabe
jelegen. Diefe Berechnung flimmt nur zu der Annahme, daß die Beifegung der
jebeine im Juli 754 erfolgt ſei; Rettberg's entgegengeſetzte Deutung aber ift eine
gezwungene.
Nächft Eigil zeugen auch ſämmtliche fränkiſchen Annalen jener Zeit, mit Aus
nahme der oben angeführten von Lorſch, für 754; und es ift ein Irrthum, die
ganze Reihe devjelben nur für Eine Stimme gelten zu laffen, welder das ab-
weichende Datum des Lorſcher Annaliften gleich gewichtig gegenüberftehe.°) Die
Laurissenses majores, die Laureshamenses ſammt den Petaviani und Mosellani,
die Familie der Murbacher Annalen, die Jahrbücher von S. Gallen und von
Salzburg ftehen im Ganzen unabhängig von einander da, obwohl freilich feines
diefer Denkmäler feine Entſtehung bis in die Zeiten Pippins zurüdjührt.
Dank jharfblidender Forihung aber haben wir nunmehr auch ſolche Anna -
len aufzuweiſen, welde in der That während der Regierung Pippins entftanden
find: e8 find die annales antiquissimi Fuldenses,°) als deren Driginathandfehrift
Sidel den codex hist, prof. 612 der Wiener Bibliothek erkanut hat.‘) Diefe
teider ſehr befchädigte Handidrift enthält auf S. 2. 3. 4°) die älteften Oftertafeln
und annaliftifcgen Aufzeichnungen, welche aus Deutſchland fid) erhalten haben.
Zene deei Oftertafeln nämlich, 741—759, 760-778, 779-797, find einander
fo überwiegend ähnlich, daß fie unbedenklich einem und demſelben Verfaſſer zuge
fchrieben werden können, der bei dem praktiſchen Zwecke folcher Arbeit jedenfal
noch während des erfien Cyelus, alfo vor 760, die Zafeln entworfen haben muß.
Da nun die Schrift der Annalen bis 780 ganz dieſelbe wie die der Oftertafeln
iR, fo find aud) die Hiftoriichen Notizen ſpäteſtens von 760 an als gleichzeitig ein
getragen zu beirachten. Wir gehen aber gewiß nicht zu weit, wenn wir aud) ſchon
die näcjftvorhergehende Angabe des Jahres 754, alfo des 14. im erſten Cyclus,
als eine gleichzeitige anjehen, zumal fie in der von Sickel geſchilderten Weiſe ſich
fo auf zwei Zeilen verteilt, daß die letzte Hälfte nicht im der folgenden Zeile,
jondeen im der vorhergehenden beim Jahre 753 fteht, obwohl die nächften Jahre
ohne Randbemerkung geblieben find. Die Notiz aber lautet: passio beati Boni-
ii. So befiten wir denn eine Angabe über den Tod des Bonijacius, melde
in Fulda felbft, der Begräbnißſtätte des Märtyrer, ummittelbar nad; den Ereig-
niß niedergefchrieben worden, eine Angabe aljo, gegen welche fein Zweifel gilt,
auf deren Grund allein daher Sidel fich mit Recht für 754 enticyeidet.)
Bir glauben fir diejes Datuın nod; einige indirecte Argumente beibringen
zu Lönnen; zuvöderſt die Notiz der Meinen Loricer Annalen, daß Lull 32 Jahre
Bifchof geivefen.”) Das Todesjaht Lulis aber erfolgte nad) dem Zeugniß unferer
Fuldaer Annalen 785.%) Da fein Todestag auf den 16. October fält,") fo hatte
er nad) unjerer Berechnung in der That am d. Juni 785 bereits fein 32. Pon-
tificatsjahr begonnen, und unfer Annalift redet von vollen 32 Jahren in ähn-
licher Weife, wie er vom 5. bis zum 17. Jahre Pippins 18 Jahre des Boni-
facius zäflt.
Noch eine zweite Bemerkung knupft ſich an den Namen Lulls. Derfelbe war
zur gleichen Stunde, wie die Leiche des Märtyvers, in Mainz eingetroffen ?°) und
ı) Vita 8. Sturmi c. 28. p. 376.
2) Rettberg L 6. 398,
3 SERIE, Weber Die Space ber Kegkerunt Fippins, neder bie Driginalganbfeheift
3 SIE, ae Bir Bande Kr Mekrung Biyins, Beige: Heer Se Beigiatge
ber annales antiquissimi Füldenses, Sorihunger zur beutigen Geigicte IV. iss) ©. 454
®) Bon Gidel ©. 455 irrig als 1. 9, 8 bezeichnet.
*) ©. oben ©. 489. N. 2.
2 Bere BL 9 26, Bidet D. ©. 459. Donad zu berichtigen Rettderg,
LP 16, Bidet g. a. D. ©. 480. Da en
1 6. 578; Abel, Karl 8 Große I. ©. 445. ” “
— Hetberg um Abel a. 0. D;
0) Willibaldi Vita 8. Bonifaeli e. VIII. p.468: velnd sub uno eodemgue hore momento.
Das Tobesjahr bes Bonifaz. 493
wohnte ſowohl ihrer Ueberführung nach Fulda ale auqh ihrer Beifegung daſelbſt
am 5. Juli bei.) Am 11. oder 14. Juli 755 aber wurde bie Synode zu Verneuil
bereits geichloffen; denn bon dieſem Tage iſt das Schlußprotofoll derjelben datirt.*)
Die Berathungen der Synode würden baher,! wenn wir ben Tod des Bonifaz in
das Jahr 755 ſetzten, den Leichenfeierlichteiten völlig gleichzeitig, und Lull unmög-
lich am beiden zugleich betheiligt geweien fein. Und doch ift es faum denkbar, daß
der Biſchof von Mainz bei jenem wichtigen Concil gefehlt haben follte, er, der fi
fpäter einmal in Ausübung feiner Amtsgewalt ausdrüdlich auf einen Paragraphen
der Bernenfiicen Synobalbeichlüffe bezieht.)
Eine weitere Beftäti ung Inden wir in der durch ihre glaubwürbigen Nach -
richten fo werthvollen . Gregorii abbatis Trajectensis von Findger.‘)
Ihrem Berichte zufolge empfing Gregor nad dem Tode feines Meifters das Predigt
amt in Friesland aus den Händen des Papfte Stephan und des Königs Pippin.)
Wir wiſſen überdies, daß er kurze Zeit vor feinem Abgange nad) Friesland mit
Zufl vereinigt war,*) daß dieſen aber die Nadjridht vom Tode des Bonifaz am
Hoflager des Königs traf.) Indem twir nun das Creigniß in das Jahr 754
fegen, alfo in die Zeit, wo Papft Stephan IL. ſich in Frantkreich aufhielt, ge-
winnen jene Worte der Vita Gregorü ihre einfachfte Erklärung dadurd, daß
Gregor, der ſich gleich feinem Freunde Lull in der Umgebung des Königs und
des Papftes befand, zu gleiher Zeit vom Kirchen und vom Staatsoberhaupte die
Berufung zur frieſiſchen Milfton erhielt.
Wir werden Hier zu umferer ietzten Bemerkung Hinübergeführt. Trotz der
mehr als Halbjährigen Anweſenheit Stephans in Gallien (vom Januar bie zum
Auguft 754) verlautet in glaubwürdigen Berichten nicht von der geringften ‚pers
fönlichen Berührung zwiſchen dem Papfte und feinem germanifchen Legaten. Cine
fo_auffallende Erſcheinung wäre unerklärlih, wenn Bonifaz, wenigitens in ben
erften 3—4 Monaten, fich gleichzeitig mit Stephan im Innern des Reiches auf ·
gehalten und zum erften Male im Jahre 754 die friefifche Reife angetreten Hätte.
Denn wer unter allen weltlichen und geiſtlichen Großen des Reiches ftand dem
römijchen Biſchof näher als er? Zudem befand ſich unter den Begleitern Stephans
mancher intime Freund des VBonifaz, wie uns fein Vriefmechiel belehrt.) Was
aber die Passio S. Bonifacii, das Werk eines Mainzer Kanonikus aus dem 11.
Sahrhundert, über einen Streit zwijchen beiden Kirchenhäuptern zu erzählen weiß,“)
wird ja wohl Niemand ernftlich für ein geicichtlices Facıum Halten. Bonifaz
fol danach der Erhebung Ehrodegangs zum Biſchof — müßte heißen: Erzbiſchof
— von Metz ſich twiderfegt haben: es ftehe dem Papfte nicht zu, habe er behauptet,
feinen Sit zu verlaffen und ohne die Zuftimmung des Oberhauptes der Didcefe
— als ob Met; unter Mainz geftanden hätte — einen Bifchof zu ordiniven; erſt
Pippin habe Iwiſchen ihnen den Frieden geſtiftet, und nad; Empfang des „päpftfichen
Segens fei Vonifacius adgereift. An diefer ganzen Erzählung ift eben nur dies
1) Eigil, Vita 8. Sturmi e. 15. m: ‚Postera die Lullus episcopus cum clerieis et
—— urba, cum qua venerat, inde migravi
‚oben ©. 220 (N. 2).
En ER Bibl. III. e; H% 114. 4 mas F oben S. 228.
3 Dal. p. 399: Dont mariyrem sanct! magistri.. 1 b. Gregorl
*) Dat 2: martyrium sanı istri . . . Ipse quoque jregorius &
Btophans nbostolleaf wedis prasanle et ab illusert ei zeilpiono rose Pippino Tnustepit
auctoritatem seminandi verbum Dei in Fresonia.
*) Jaff6 IIT. ep. 111. (Lulli) p. 971: Conperto autem prosı eperitatin tuae successu,
gger anlmus utrumgne egit: gaudebat do ascensione carl sodall, ed contrissahatar d&
BHR —R Vita 8. Bonffacht e. VIIL, Jaff6 IIT. ID 468: supradictus D ‚Domint antistes
ar esali lo in tempore praenons erat palatio itatem [Magon-
— — 11,8, 2%, Vigmoll I ———
sine sacordotibus ve —* archidiaconum, Pardum et Gemmulum
Glnconos eie, Under ben Benlfcligen Brieen uber Sehnben RR Sareiben de3 Theo-
Bar chidlsconus sancise sedis spontollee (Jaf6, II. ep. 68. p. 108, ep- 18. P
16). (mie jel Sgreiben de$ Gemmulns dlacon (nposiollede Top. D&.
'ep. 54. P. 158), nme an Vonifaz gerigten, one ae arte Sich Reteren an Jam-
Tmulus’ archiinconus (ep: 100. D. 2007
®) Passlo 8. Bonifaeil, Jaf6 TIL. p. 479.
494 Ereurs VI.
Eine richtig, daß Stephan während feines Aufenthaltes in Gallien dem Biſchof
Ehrodegang das Pallium ertheilte.‘) Bonifacius, dev fih in den 40er Jahren
wegen ber Pallien dreier galliſchen Biſchöfe fo viel bemüht hatte, würde auch der
Erhebung Ehrodegangs ſicherlich nicht widerfprochen haben, wenn er bei derſelben
zugegen geweſen wäre. Er aber war damals vielmehr im Frieſenlande oder viel:
feiht gar nicht mehr unter den Lebenden. Nur dadurch erflärt ſich die fonft un-
begreifliche Thatſache, daß Bonifaz, ber in fo regem Verkehr mit Rom geflanden
hatte, von dem wir doch wenigſtens zwei auch an Papft Stephan gerichtete Briefe
befigen, bei deſſen Anweſenheit im Fontenreiche durchaus Teinerlei nachweisbare
Verbindung mit ihm unterhalten hat.?)
'
3) 6. oben ©. 154.
2) Rod) zwei anbere Beweife für daB Jahr 754 ald Tobesjahe bes Bonifaz find oben ©. 170
G. 3) und S. 182 (R. 5) beigebradt worben.
Exeurs VI.
Die Ehe Pippins.
Eine Stelle des Codex Carolinus Hat vielfad Anlaß gegeben, auf eine Trü—
bung des Verhäftniffes poiicen Pippin und feiner Gemahlin Bertrada, ja auf
die vorübergehende Abftcht einer Trennung der Ehe zu ichliehen. Papft Stephan TIL.
nämilich ſchreibt kurz nad) dem Tode Pippins an deffen Söhne: Mementote hoc,
praecellentissimi filii — Karl erfuhr davon alfo nicht erft jet, wie Hahn
meint —,') quod sanctae recordationis praedecessor noster domnus Stephanus
papa excellentissimae memoriae genitorem vestrum obtestavit, ut nequaquam
Praesumpsisset dimittere dominam et genetricem vestram; etipse, sicut revera
christianissimus rex, ejus salutiferis obtemperavit monitis.?) Da die Stelle
zwiſchen zwei anderen fteht, in denen Reminiscengen aus dem Jahre 754 enthalten
find: Recordamini et considerate — Nam et illud excellentiam vestram opor-
tet meminere, jo beredtigt die8 zu der oben ©. 160 (N. 5) ausgeiprodenen
Annahme über den Zeitpunft der an Pippin gerichteten päpftfihen Ermahnung.
Dazu kommt, daß Stephan II. hödft wahrfceinlic, jener Salbungsfeierlichteit
perfönlich beigewohnt hat. Schon Bapft Zacharias hatte ihm zum presbyter tituli
8. Caeciliae conjecrirt, quem tamen pro ejus castitatis modestia in suo officio
in Lateranis detinuit; sed et reliqui, scilicet domnus Stephanus et Päulus
beatissimi pontifices, eundem sanetissimum Stephanum pro ejus piis con-
versationibus in suo servitio similiter detinuerunt.°) Ohne Zweifel war alfo
jener PBriefter Stephanus, welcher ſich 754 im Neifegefolge Stephan II. befand, *)
fein Anderer als der nachmalige Papft Stephan III, und aus eigener Anſchauung
ruft diefer daher nad 15 Jahren no: O quantum laborem sustinuit isdem
praeeipuus ac beatissimus pontifex, qui, ita imbeeillis existens, tanto se ex-
hibuit: prolixi_ itineris periculo.°) Kam mun jene Anmahnung zur ehelichen
Treue, deren Stephan IM. in demjelben Briefe gedenkt, wirklich nur in der An
tebe vor, welche Stephan II. in dev feierlichen Stunde der Salbung an den König
richtete, fo brauchte ihr keineswegs eine wirklich vorhandene Gefahr der Scheidung
zu Grunde zu liegen. In der That ift überall, mo Bertrada’s Erwähnung ge-
ſchieht — und der Stellen find micht wenige —, das günftigfte Verhältniß zwiſchen
ihr und dem Könige erfennbar. Was davon aus der Zeit nad) der päpftlichen
Salbung vorliegt, hat größtentgeils ſchon Hahn zufammengeftellt;*) vor 754 ift
3) Jahrbüder ©. 6. N. 3.
3) Cod. Carol.
Leonem, Phllippum, Georgium et Stophanım presbyieros.
496 Erxeurs VII.
auf die gemeinfame Krönung vom Jahre 751, auf die gemeinfame Gründung des
Kloſters Prüm, insbefondere auf das Diplom für Prüm vom 27. Mai 752 hin-
zuweiſen, worin Pippin wunſcht, ut nostra memoria et conjugis nostre Ber-
trade a presentibus vel succedentibus monachis, quos ibi instituimus, peren-
niter habeatur.!) — Die Erzählung von Agfa, der Gemahlin eines Theodardus,
die mit Pippin im ehebrecheriſchem Verhältniß gelebt und von ihm das Klofter
Beſua erhalten haben fol, beruht, wie ſchon Roth bemerkt, ) auf einer fal-
ſchen Auslegung des chronicon Besuense,?) weldes alle jene Dinge von Re-
migius (Remebius), dem Bruder Pippins, nicht von ihm felbft berichtet. — Eine
Stelle des Cod. Carol. endlich, in welcher Hahn ©. 6. N, 3, allerdings durch
einen fehlerhaften Tert verleitet, eine Beſtätigung der Scheidungspläne zu fehen
fcheint, *) ift im Gegentheil geeignet, fie als völlig grundlos zu erweiſen. Diejelbe
finden fi in einem Briefe Stephans II. vom Februar 756 und lautet: Non
nos patiaris perire ... . nec a tuo nog separes auxilio; sic non sis alienus
aregno Dei et vi separatus a tua dulcissima conjuge excellentissima regina,
spiritali nostra commatre. Die ungetrübte Verbindung” mit Bertrada wird dem
Könige demnach, ebenfo wie die Freude an feinen Rindern, wie die Erhörung feiner
Gebete, als göttliche Belohnung für den ausharrenden Schutz der Kirche verheißen;
denn der Papſt fährt fort: Non nos amplius anxiari .. .. permittas, sic non
superveniat tibi luctus de tuis meisque duleissimis filiis domno Carolo et
Carolomanno excellentissimis regibus et patritiis; non obdures aurem tuam ad
audiendum nos ... sic non obduret Dominus aurem suam tuas ad exau-
diendum preces.
1) Sickel P. 4; f. oben ©. 19-90.
3) DM. ©. 30. R. 106.
3) DiAchery, Spiclleg. T. p. 508.
+) Ood. Carol. op.
Excurs VIIL
Ueber das Fantuzzi'ſche Fragment‘)
Die verlorenen Schentungsurkunden, welde Pippin und Karl der Große zu
Gunften der römiſchen Kirche erlaſſen, hat ein Fäljcher durch fingirte Documente
zu erſetzen gefucht. Die einzige Abjchrift feines Machwertes jedoch, die ſich in dem
von Fantuzzi benutzten Coder Trevifanus findet,*) enthält nur das Pippiniſche
Document, dem der Eopift die Ueberſchrift „Pactum sive promissio facta per
Pipinum patritium Stephano secundo pontificis. Pipinus Gregorio pontifici“
gab und das nad; Beendigung des eigentlichen Contertes mit den Worten sic et
sic et cetera abbricht; wahrſcheinlich war zuletzt Ouierzy als Ausftellungsort
angegeben unb die Unterichrift Pippins, feiner Söhne und Großen beigefügt.
Aus den darauf folgenden Schlußworten des Fragments: Et deinde, sub qua
ratione hoc renovaret pactum, ift zu erkennen, daß der Schreiber auch ein Ber
Hätigungsbiplom Karls vor ſich gehabt und «8 urſprünglich ebenfalls in feinen
Coder aufzunehmen gedacht Bat. ’
Die Pippinijge Urkunde nun erzählt erft ausführlich von der Bedrängniß
Stephan durch die Langobardien, und wie diefer untewZuftimmung des griechiſchen
Kaifers im Frankenreiche Hülfe gefucht, wie Pippin, nad) vergeblichen Unterhand»
lungen mit Aiftulf und nad) der Wiedergenefung des erkrankten Papftes, in der
Woche nach Ofteen fih mit ben Großen feines Reiches berathen und den Aufbruch,
des Heeres nach Sangebarien auf den 29. Aprif feſtgeſetzt, zugleich bem heiligen
Petrus durd) feinen Stellvertreter Stephan verſprochen, im Falle des Sieges ihm
die von den Feinden ujurpirten, duch kaiſerliche Schenkungen feit langer Zeit
päpftlihen Befigungen innerhalb beftimmter Grenzen für ewige Zeit zu übergeben,
dabei fich felbit nur bie Fürbitte im Gebet und den Titel eines Patricius der Rö«
mer vorbehalten habe; mit dem Verzeichniß dev eidlich zugefagten Landſchaften
amd Orte fließt dann das Actenftüd.
&8 Teuchtet gleich auf den erften Blic ein, daf; jenes Verzeichniß der gefchent-
ten Landſchaften mit dem des Cap. 42 der Vita Hadriani®) ſich nahe berührt.
Man vergleiche nur den Anfang : Incipientes ab insula Corsica eamdem insu-
lam integriter, deinde a civitate Pistoria, inde a Lunis, deinde in Luca,
deinde per monasterium $. Viviani in monte Pastoris [Bardonis?], inde in
Parma, deinde in Regio, inde in Mantua etc.; dem designatum confinium sicut
in eadem donatione contineri monstratur der Vita entipricht hier: quod specia-
liter inferius per adnotatos fines fuerit declaratum. Daher Bat denn auch
3) So genannt, weil Fantusji, Monumenti Ravennati VI. p. 264, es zum erften Male
Veraubgegeben bat; nad ıjm Zeosa, IV. p. 508 sa,
®) Die Sehlerhaftigteit be Tertes bürfte jebenfals eher auf Rechnung des Abſqhreibers,
als auf bie des Driginald zu fegen fein.
2) ©. oben S. 111. R. 5.
Yahıb. d. diſch. Brig. Deläner, König Pippin. 32
498 Gxurs VII.
Troya, p. 528, dns Fragment für die Duelle des Papſtbuches und bie Angaben
der Vita als einen Auszug aus der Urkunde angefehen. Auch Janus, Der Sant
und das Concil S. 147—150, betrachtet das Document als die Grundlage ber
umfaffenden Schenkung Karls vom Jahre 774, nur mit dem weientlichen Unter-
ichiede, daß Troya die Urkunde für echt hält, Janus dagegen für erdichtet, um
dem Könige Karl vorgelegt zu werden, der dadurch im ber hat verleitet worden
jei, ein Berfprechen zu geben, welches er dann unausführbar fand.
Die Fälihung kann in Wirklichteit faum zweifelhaft fein; nicht einmal ein
echter Kern der Vichtung wird ſich annehmen laffen. Faſſen wir zunächſt die
fachlichen Fehler ins Auge. Pippin, ber fi) nur patritius Romanorum, nicht
auch rex Francorum nennt, richtet das Schreiben an einen Papſt Gregor, der
während feiner Regierungszeit nicht eriftirt hat; er redet von einem griechiſchen
KRaifer Leo, obmwohl diefer bereits 741 geftorben war. Es fteht ferner mit den
echten Duellen in Widerſpruch, daf der Papſt Stephan von Byzanz aus ermäch-
tigt worden fei, den Schu Pippins anzurufen. Wenn gefagt wird, ber König
habe die comites tribuni et duces ac marchiones zur Berathung verfammelt,
fo gehört der Ausdrud tribuni nicht dem fränkiſchen Kanzleiftil, fondern dem
tömifen, der Titel marchio aber erſt den nachpippiniſchen Zeit an.!) Daß der
Aufbruch des Heeres aber auf den 29. April angeſetzt, aljo an dieſem Tag auch
erfolgt wäre — statuimus cum consensu et elamore omnium, ut tertio kalendas
Majarum in Christi nomine hostilitatem Longombardiam adissemus [hostiliter
in L. abissemus] —, ift unter allen Umfländen unmöglich, man mag den erften
itafienifchen Feldzug num in das Jahr 784 oder 755 verlegen. *)
Das Actenftüd zeigt fich uns weiter als eine Compilation aus nachweisbaren
Quellen. So if vor Allem der Vita Stephani die hiſtoriſche Einleitung ent
nommen, von der Reife des Papftes,°) von feiner Ankunft am fränfifchen 553
von feinem Winteraufenthalte dafelbft,°) von den Verhandlungen mit Aiftulf,
von der Krankheit Stephans,”) von jeiner ſchnellen Heilung,*) von dem eidlichen
Verſprechen, insbefonbere des Crarchats;) auch der Name des biyantinifchen Ger
fandten, Marinus, ſcheint dem Papftbuch entlehnt. !e) An die Chronik von Moiffac
erinnert die dem Aiſtulf angeblid; zugefagte Summe von 12000 Scillingen; '')
vieleicht darf aud) da® Eonftantinifche Schenkungsebict auf Grund einiger nicht
gewöhnlicher Ausdrüde, welche in beiden Urkunden vorfommen, *) unter die Bor
.
1) Bgt. befondert Bait, 86. DIL ©. 315. 9. 1.
2) ©. oben Ercurd I. $ Tb.
3) Vita c. 24: nitebatur nequissimus rex Alstulphus ab hoc cum deviare itinere;
Pactum: itinere tamen illius post nostras preces malignans obviare volult.
*) Vita c. 24: cum nimia celerltate ad Francorum conjunzit clusas, c.25: [Pippinus]
cum magna humilitate terra prostratus una cuın sua conjuge, Allis et optimatibus auls
Papam’ susepit: Pactum: a Roma usque ad regnum nostrum pariter cum missis nostris
accelerans, a filiis nostris et a nobis cum omni humilitate seu devotione susceptus est.
) Vita 0.7: quia tempus hiemalo imminebat; Pactum: totım hiomalo tompus
nobiscum in Francia moratus est
legatos . . . Longombardorum regi direximus, deposeentes pacem.
”) Vita c. 28: aegrotavit ita, ut etiam omnes ... de vita illius desperarent: Pactum:
®) Vita c. 26: Jurejurando spondens .... exarchatum Ravennae seu cetera loca;
Pactum: spondemus ... omnes elvitates atque ducata sen castra © insimul cum
— Ravenmatuım necnon ot omnia , „sub hujuscomodi Jurejurando. Bei Kufs
aöblung der einzelnen Gebiete Heißt es natürlid nodmals: deinde in Ravenna cum Ipso
exarchatu sine diminutione,
2m) Bl 2. Dölinger, Bapfiabein 5, 70. 1.
'on. Moiss,, Pertz 88. I. p. 93: hoc tibi mandat Pippinus, quod ... dabit tibl
*
duodecim millia solldorum; Haistmiphus, his omnibus spretis, ogatos abenne ullis pe-
eificis verbis ahsolvit. Pactum: misimus ... ut viginti septem millia solldos in argento
et duodecim millin in auro ... reeipere a nobis dignarefur .. . Ille ... nullum pacis
dare vo:ult responsun.
'2) Eälotum (Migno Patr. lat. CXXX. col. 248): eligentes nobis Ipsum pri
apostolorum wel ejus vicarios Airmos apnd Deum esse patronos et dofensores (über biefe
Ueber das Fantuzziſche Fragment. 499
Hagen des Wälfcjers gerechnet werden. Doch möchte id; auf dieſe Tehteren zwei
Quellen weniger Gewicht legen, als auf eine vierte, die uns das auffallende Vor⸗
tommen der Namen Gregor’s und Leo's erklärt. Obwohl nämfic in dem Text
der Urkunde nur von Papſt Stephan, von feiner Ankunft im Frankenlande und
den ihm gemachten Verſprechungen die Rede ift, richtet ſich die Infcription derfel-
ben au den Apoftelfürften Petrus et per eum sancto in Christo patri Gregorio,
apostolica sublimitate fulgente, ejusque successoribus usque in, finem seculi,
jest alfo voraus, daß neben dem in Gallien abwefenden Stephan ein anderer
Bapft, Gregor, den römischen Stuhl innegehabt habe. Vergleichen wir damit num
die folgende Stelle aus der chronologiſch fo verworrenen Chronographie des Griechen
Theophanes (ex rec. J. Classen 1. p. 621):')
Zripavog BL 6 manas 'Paung mpooepvyer eig Tobg Dodyyovs.
Pouns Zmıoxömov Tienyopiov Erog d.
Tovro ro krcı Hobaro 6 dvaoeßhs Bacıkeds Aday vng zard vav
dyiov xal oenrav eixdvav xadaıploens Adyov moiodau al
uad Toöro Tienyöpiog 5 manag Poaung . . . ypdılas npdg
Alovra &nıoroAtv doyuarızıv ...
fo. finden wir zwiſchen beiden Stellen eine jo vollftändige Uebereinftimmung der
Irrthümer, daß wir die Worte des Pactums wohl mit Recht aus Theophanes
herleiten zu bürfen glauben. ®)
Dies zugeftanden, ergiebi fi, da des Theophanes Werk um 815 geichrieben
wurde, aud für die Entftehung des Pactums feine frühere als etwa die Regie-
rungseit Ludwigs des Frommen. Damit wiberlegt ſich die Vermuthung, daß es
um 774 zur Taͤuſchung Karls des Großen angefertigt worden fei, und die Herz
feitung des Cap. 42 der Vita Hadriani aus demfelben verliert alle Wahrfceinfich-
feit. Daß das Verhältniß vielmehr ein umgefehrtes fei, wird noch durch Folgen -
des beftätigt. Die Vita Hadr. c. 43 erzählt, daf Karl nach vollbrachter Schenfung,
ropria sus manu ipse . . . eam corroborang, univergos episcopos, abbates,
luces et grafiones in ea adscribi fecit, nachdem fie in cap. 41 Achnliches vom
der Pippinif—en Promiffion gefagt. Auch das Pactum nun wird per consen-
zum et voluntatem omnium imperatorum [offenbar: episcoporum], abbatum,
ducum, comitum Francorum vollzogen; jollte diefen Worten nicht der obenan-
führte Satz des Papfbudjes zu Grunde liegen, im dem der Berfaffer nur befferen
Gerfäntmiffee halber das deutjche grafiones in comites ummandelte?
Hieraus folgt weiter, daß der Zwed der Fälſchung nicht in dem darin ange ·
gebenen Umfange der Schenkung gejucht werden barf. In der Vita Hadr. war
ja ziemfich dafjelbe Gebiet bereits dem päpflihen Stuhle vindicirt, und bezeichnen«
dermweije haben auch die fpäteren Anfprüche fid; immer nur auf biefe, niemals auf das
Pactum geftütt.®) Die Abficht des Verfaſſers jcheint mir vielmehr in den Worten
enthalten: nullam nobis nostrisque successoribus infra ipsas terminationes
potestatem reservatam, nisi solummodo, ut orationibus et animae requiem
profiteamur et a vobis populoque vestro patritii Romanorum vocemur. Das
Scriftftüd follte dem Papfitfum, um uns der im IX. Capitel unſeres Tertes
gebrauchten Ausbrüde zu bedienen, nicht in quantitative, fondern in qualitativer
Beziehung nützlich werden. *) Vielleicht als es fid) einmal darum handelte, die
Sehart vet. u. Dinger, Papffabeln ©; 08.0. 4); Pactum; per, patronatum defenslonem-
que nominis nostrl. Im Edietum, col. 251, ivird bie römifde Rice al® christianao rel-
gionis caput bezeichnet; Ähnlich fagt dad Pactum: quae capıt et origo totlus christianae
religlonis non ambigitur.
3) Borher, p. 619620, ift bereit ausführlicher von Aiftuliß Uebelthaten gegen Stephan,
von befien Flut zu den iranten, ber Abfegung bei Iepten Meromwingerd, ber Krönung Pippind
enäptt.
D Auch einen Merinub im Dienfe 2eo' tennt Züeonhanch, p 605. 60, fo hab ber logatns
Amperatoris nemine Marinus im Bactum, oben ©. 498 (#. 10), vielleißit barauß zu erflären ift.
9) Bol. Gider, Forfhungen zur Reich und Rectägeifichte Italiens II. S. 329. 9. 1.
Aehnuqh urtheilte ſchon Abel, Untergang bed Sangobardenreihe ©. 39. N. 4.
500 Ereurs VIII.
taiſerliche Autorität in Rom kräftiger zu handhaben, erfand man das Document,
dem zufolge Pippin einſt für ſich jelbft und feine Nachfolger ſich an dem Ehren-
titel eine® Patricius der Römer hatte genügen lafjen. ine ſolche Krifis fand,
wie Fider Har gemacht Hat, ?) im Jahre 824 wirklich flatt. Damals wurden bie
noch aus ber Zeit des Patriciats ſtammenden Veftimmungen des Pactums von
817 im Sutereffe der kaiferlichen Rechte durchgreifend umgeftaltet; das Wort Bac-
tum galt damals als techniſcher Ausbrud für die Regelung der Beziehungen zwi -
chen Rom und den fräntiſchen Herrigern.?), In jene Jahre glauben wir daher
den Urfprung des fragmentum Fantuzzianum verlegen zu Büren.
3 efäungen 1. ©. 360-851.
»].dal. Einhardi an. 817, Ports SB. 1. D. 209; TPaschalis papa] missa (imperatori]
one, pactum, quod cnm’praecessoribus suldffactnm erat, etiam sacum feri ot Ar-
mari rogaı 5
Exeurs IX.
Ueber die fogenannte Historia translationis
8. Germani.
Wir Inüpfen an die beſonders von Wattenbach, Deutfchlands Geſchichtsquellen
(2. Aufl.) ©. 103. N. 2, angegriffenen Worte der Translatio am, welche wie
folgt Yauten: Qualiter illud [negotium Pippinus] expleverit, licet ipse non
viderim, tamen multis qui haec viderunt narrantibus agnovi; ex quibus om-
nibus unum mihi in hoc opere excellentissimum auctorem ponere placuit,
domnum videlicet Karolum gloriosissimum imperatorem, qui tunc puer sep-
tennis operi pii genitoris interfuit et ea quae ibi vidit admiranda memoris,
retinebat et admiranda facundia fatebatur . . . ajebat namque, ut verbis
ipsius eloquar, ad omnem circumstantium multitudinem stans ante altare 5,
Crueis et s. Stephani etc.) Daß bie num folgende Rede Kaiſer Karls in ihrem
Wortlaut mehr als rhetorifche Fiction fei, wird wohl Niemand behaupten wollen.
Im Uebrigen aber dürfen jene Bumdergefhicten, zumal der Autor fie multis qui
haec viderunt narrantibus erfahren haben will, doc; vieleicht als Kloftertradition
angefehen werden; ja felbft daß Karl, zumal wo e8 fi) um Erlebniffe der Kinder-
jahre handelt, in dem Wunderälauben des Zeitalters befangen gewefen wäre, hätte
nichts Befremdendes. Beachtenswerth ift_ die Uebereinftimmung der Translatio
mit Eigils um biefelbe Zeit geſchriebener Vita Sturmi in dem Wunder, daß der
Sarg des Germanus wie der des Bonifacius ſich plötzlich troß aller Anftrengung
nicht emporheben Tief. Ob zwiſchen den beiden Erzählungen jedoch ein Zufammen-
Bang befteht und welcher von ihnen alsdann die Priorität zufommen mag, wird
fid) faum entjcheiden Iaffen, obgleich; die Translatio Karl fagen läßt: libet mihi
narrare vobis, vidisse me ibi tria miracula, qualia postea nec vidi nec an-
teriori tempore de aliquo Sanctorum facta relegi. Wie man aber aud; über
die Erzählungen der Translatio denken mag, felbft wenn man fie weder für Re—
miniscenzen aus Karla Jugendgeit, noch für Möfterfiche Ueberlieferung, fondern für
bloße Erdichtung des Verfafſers Hält, fo wird man doc ſchwerlich mit Wattenbach
die Schenkung von Palaiseau als daS Motiv der Erfindung betrachten bilvfen.
Man müßte denn darthun können, daß diefer Beſitz im Anfange des 9. Jahr
hunderts dem Kloſter ftreitig gemadjt worden; das Polypticum Irminonis bemeift
aber gerade das Gegentheil, und die Infchrift bei Bonillart beftätigt zudem das
Factum der Schenkung jelbft. *)
Nicht als Tendenzichrift, fondern als fromme Legende erſcheint die fogenannte
Translatio, und ihr Zwed ift, die Wunderthaten des Heifigen zu verherrlichen.
Darum heißt e8 c. 1: Operae pretium reor nequaquam silentio praeterire,
3) Mabillon Acta 88. III. 2. p. 95. c. 8.
9) ©. über Beibes oben ©. 285 (R. 4-7).
502 Ercurs IX.
qualiter beatissimus Germanus venerabilem sui ris transpositionem prae-
euntibus voluit signis ostendere; c. 7: Hactenus digesta serenissimo caesare
domno Karolo narrante comperimus, nunc ad sequentia competenti disputa-
tione vertatur articulus; c. 11: His breviter praelibatis plurimisque a reve-
rendissimis viris auditu cognitis praetermissis, ad ea quae coram positi ipsi
vidimus vertamus articulum; c. 15: Quantum enim properamus volentes finem
adtingere, tanto semper nobis se objiciunt virtutum insignia. Die Schrift
trägt daher nur irethümlicherweife, und zwar durch des Surius Schuld, den
Zitel Historia translationis. Wie Surius namlich auch jonft vielfach die Heiligen-
leben nur auszugeweife mitgetheilt hat, fo Hat er von umferer Schrift nur das
veröffentlicht, was fid auf die Translation bezog, und dieſem Theile allerdings
ganz mit Recht jene üeberſchrift gegeben.) Mabillon und Henſchen jedoch, die
das vollftändige Werk lieferten — der Erſtere nennt feine Ausgabe daher auctior
et correctior ex codieibus mss., macht aud am Ende von cap. 6 die Randbe-
merfung: hucusque Surius — behielten mit Unrecht den von Surius gewählten
Titel bei; denn ihre neum Bufatscapitel, c. 7—15, die größere Hälfte des Ganzen,
handeln von fpäteren Wundergefchichten, die mit der Translation in keinerlei Zus
fammenhang ftehen, denen daher eine jüngere Hand folgerichtigerweife noch andere
miracula hinzugefügt.) Sa, es fteht zu vermuthen, daß in den Handjdjriften auch bem
Anfange, wie er im den Druden vorliegt, noch Mancherlei vorausgegangen ift,
wenn nit ganze Erzählungen, fo doch wenigfiens ein Prolcg, in welchem der
Berfaffer ſich über den Zwect feines Buches verbreitete, Jedenfalls wird ber bie:
herige Name der Schrift zu verwerfen und nad} dem Beijpiele des Aimoin'ſchen Wertes
etioa in Miracula S. Germani umzuwandeln fein.®)
Auffallenderweiſe bat Aimoin, ber in der zweiten Hälfte defielben Jahrhun⸗
derts von den Kloſterwundern feiner Zeit meldet, unfere Schrift offenbar nicht
gefannt, da er in feinem Prologe fonft nicht hätte fagen können: Plura ac stu-
Honda dignaque relatu Deus per eundem b. antististem praeteritis nostrisque
lignatus est patrare temporibus, quae ob inertiam silentio sunt pressa atque
per incuriam scriptorum omissa.‘) Dagegen liegt diefelbe den im 11. Sahe-
hundert geſchriebenen annales S. Germani Parisiensis®) zu Grunde; man vgl.
a. 760 (Hoc anno unguitur Pipinus in regem a Stephano papa; sequenti
etiam anno corpus beati Germani translatum est in majorem ecclesiam a
porticu oratorii sancti Symphoriani, ubi ducentis annis jacuerat humatum
et eo amplius) mit cap. 2 der Translatio (Cum ducentis circiter vel amplius
annis in porticu ecelesiae b. Vincentii ... corpus jacuisset humatum .. .
anno sequenti, ex quo... Stephanus pontifex .. . Pippini, quem idem
unzit in regem, expetivit auxilium etc.)
%) Surkus, Vitae Sanctorum, Colon. 1618, Julius, p. 302-803.
#) Mabillon c. 16-23; Henschen, Aeta B8. Mai. T. VI. p. 795, giebt bazu auch noch
ie non Mabilon übergangenen alla complara miracula brevitor notase,
.) Sinen dan) analogen Kal bietet bie Grit Banbalberih von rim, De miracnlis
8. Gosris (Mabillon Acta 88. IL p. 288), in weißer bie Grjäflung De translatione cor-
poris 8. Gosris bad erfte Gapitel bil,
*) Mabillon III. 9. p. 106. ö
*) Pertz 88. III. p. 166.
Excurs X
Das Translationsjahr des heil. Germanus.
Man bat bei Darftellung der Translation des heil. Gemanne vielfach zwiſchen
754 und 755 geſchwankt, fo noch Abel, Karl d. Gr. I. ©. 15; gleichwohl find
die Bedenken gegen 755 ungegründet. Der fogen. Translatio S. Germani zufolge
gefchah Die Vegebenfeit anno sequenti, ex quo apostolicae sedis Stephanus
pontifex ingressus Gallias excellentissimi Pippini, quem idem unxit in
regem, expetivit auxilium, d. h. im nächften Jahre, nachdem Stephan die Hülfe
ippins angerufen hatte. So faßt denn auch Abel ©. 15. N. 4, feinen eigenen
(„das Jahr, nachdem Stefan IT. nach Gallien gelommen war, um bei Pippin
Hülfe zu fuchhen“) berichtigend, die Worte auf; ebenfo Henichen, Acta SS. Boll.
Mai. VI. p. 790, Anders dagegen Mabillon, der zu den Morten ber Translatio
erffärend bemerkt: id est anno 754, nam Stephanus papa superiori anno in
Galliam venerat. Nun hatte der Bapft allerdings noch Ende 758 den Boden
Galliens betreten; allein erſt am 6. Januar 754 erſchien er vor dem Könige, erſt
im Sommer diefes Jahres erfolgte Krönung und Hülfeleiftung, und eine ſchlichte
Interpretation ber Stelle kann in anno sequenti daher nur 755 fehen.
Dazu fommt, daß, wiederum der Translatio zufolge, Pippin, bevor er die
Binfee des Abtes Lantfreb genehmigte, auvor ben Rath der verfammelten Biſchofe
des Reiche einholte, convocatis univereis regni sui praesulibus . .dualitor
tantum perficere negotium debuisset, sollerti ab eis indagine perquisivit atque
tractavit (c. 3), ſowie daß er bei der feier felbft vom dem Biſchöfen und Großen
der Monarchie umgeben war (c. 4). jenngleich daher der Autor behauptet, ber
König Habe den hohen Klerus eigens zum Zwede diefer Berathung einberufen,
vermuthen wir wohl mit Recht, daß der GSegenftand Feiner andern als der Ber-
nenfifchen Synode vorgelegen; daraus ergäbe ſich die unmittelbare Aufeinanderfolge
der Keidsverjammmlung vom Juli 755 und der Vorgänge zu S. Germain.
Es ift ferner jehr vichtig hervorgehoben worden, daß, wenn die Translation
im Jahre 754 flattgefunden hätte, der damals in S. Denys anweſende Bapft
Stephan ſchwerlich bei der Feierlichteit gefehlt haben würde. Man hat daranf er«
wibert, daß Stephan vielleicht durch feine Krankheit davon zurüdgehalten worden fei.
So fagt 3. B. Pagi: aegrotabat eo ipso translationis tempore Btephanus papa
(Critica IH. p. 2b); auch Abel a. a. D. N. 3 neigt zu diefer Meinung hin. Dabei
hat man jedoch überfehen, daß die Salbung der Töniglien Familie durch Stephan
nur drei Tage nad) der Translation, am 28. Zuli, ftatthatte.
Die Abweſenheit des Papftes und die beiden Stellen der Translatio bilden daher
fo triftige Argumente für 755, daß ihmen gegenüber der aus den Worten puer
septennis bergeleitete Grgenberveis, damit freilich aud) eine Hauptſtütze für die
Annahme von 747 als Geburtsjahr Karls des Großen, hinfällig werden muß.
Exeurs XI
Ueber den Zufammenhang der ep. 8—10 des Codex
Carolinus. ')
Die ep. 8 und 9 des Codex Carolinus ftimmen in ihrem Wortlaut fo genau
überein, daß ohne Zweifel ein Brief die Abſchrift des andern if. Ich glaube
nun, daf das Original nicht in ep. 8, fondern in ep. 9 zu erfennen ift, ſodaß
bei Anordnung ber Briefe diefer voranzuftellen geweien wäre. Dafür ſpricht vor
Ale der muthmahlice Sachverhalt. Im Pippins Hände gelangten beide Briefe,
vor die Reicheverfammlung nur der für diefe beftimmte. Melden Zweck und
Werth konnte alfo, wenn letzterer der Hauptbrief war, eine bloße Abichrift
für den König, faſi nur mit veränderter Adreſſe, noch Haben? Dagegen ift es
umgekehrt wohl denkbar, daß der Papft aus feinem eigenen Schreiben an den
König einen beinahe gleichlautenden Auszug machen ließ, der als Hülferuf des
römischen Volles an das fränkiiche dienen konnte. Im der That ericheint ep. 8
auch nur wie ein fehr ausführliches Excerpt aus ep. 9. Einige für den Gefammts
brief nicht vertvendbare Stellen find darin weggelaſſen und keineswegs etwa als Ein-
ſchaitungen der ep. 9 zu betrachten, wo fie überall in ungezwungenen Zufammen-
ange ftehen; 3. B. p. 49: utinam Dominus ... excellentiam tuam vel unius
horae momento praesentem fecisset, daf. saepius bonitati tuae innotescere
videmur licet, p. 5l: utinam praestaret nobis Dominus, ut, qua hora nostram
luctuosam adhortationem legeris, in praesentia tua per omnem litteram
sanguine plena lacrima flueret; vgl. befonders auch p. 52 die Wunſche für
Pippins Famifienglüd und p. 53: Ö quanta fiducia in nostro inerat corde,
quando vestrum melliluum conspicere meruimus vultum. Aud, fonft ift in
ep. 8 durch Uebergehung unmejentlicher Redewendungen bier und da eine Kürzung
bewirkt, während biejelben, al8 Erweiterung eines urfprüngfich kürzeren Tertes
gedacht, eben zu unweſentlich erichienen; vgl. p. 43 und 49, p. 46 und 52 bzw.
53. Einmal entficht durch folche Weglafjung eine gradezu zweckloſe Tautologie
(p. 44: etiam quia nullum augmentum nobis factum est), die nur durch den in
ep. 9 darauffolgenden Zufag (p. 49-50) Sinn befommt. Cs ift ferner hervor⸗
zubeben, daß in der Copie oft unvorſichtigerweiſe ein Wort ftehen geblieben ift,
das nur im das papſtliche Schreiben gehört, jo 3. B. p. 45: peto vos et tanquam
prasseneialiter adsistens conjuro, p. 47: et conjuro vos, baj.: Georgium
atrem et coöpiscopum nostrum; während im ep. 9 nur einmal, p. 49, in der
Arede ber Plural fteht, o filii excellent; i et christianissimi, ein Ausbrud,
der übrigens nur bei Männern von königlichem Range gebräuchlich war und wor
") ©. oben S. 361 (N. 5).
Ueber den Zuſammenhang der ep. 810 des Codex Carolinus. 505
bei Stephan offenbar Pippin und feine beiten Söhne im Sinne Hatte. Endlich if,
was in ep. 9, p.54—55, noch als Poftferiptum oder Embolium nach dem üblichen
Schluſſe des Briefes ſtehi, in ep. 8 bereits in ben Text des Schreibens aufge
nommen, fo daß das Ganze mit Bene valete fdjließt. Was hätte im umgefehr-
ten Zalle die Heraushebung des Embolum bezweden jolfen?
Was ep. 10 betrifft, fo vermuthe ich, daß dieſes Schreiben völlig gleichzeitig
mit den amderen beiden von Rom abging. Der Inhalt freilich bietet Leinen
weiteren Anhaltspunkt als den, daß e8 auch noch in den Tagen der Belagerung
geicgrieben wurde, und man Fönnte allenfalls hervorheben, v5 die Situation noch
völlig unverändert erſcheint, ſowie daf die Adreſſe des Schreibens derjenigen in
ep. 8 fat auf Wort gleicht. Aber entfcheidender ſcheint mir die Erwägung, daß
diefes Schreiben des Apoftels, für fi allein aukommend, einen ebenſo fonderbaren,
ja komiſchen Eindrud machen mußte, wie es, mit den beiden anderen vereinigt,
gewiß von großer Wirkung war.
Excurs XI.
Charakter und Zeitpunkt der VBerfammlung zu
Aſchheim.
Seit Aventin die erſten Mittheilungen über die Zuſammenkunft zu Aſchheim
gegeben!) und Froben Forfter das Protokoll derſelben veröffentlicht hat,?) iſt diefe
Berfommlung der Gegenftand mannigfacher Erörterungen geworden.
Es handelt fich erftens um die Frage, ob fie ein ſogenanntes Concilium
mixtum oder eine rein kirchliche Synode geweſen: eine Frage, welche, ſoweit wir
die Acten kennen, im Iegterem Sinne entfdieden werden muß. Denn die Ber-
fammlung bezeichnet fi in dem Schreiben, welches fie an Zaffilo richtet, aus -
drüdfich als congregatio sacerdotum, und unter diefen Prieftern find wieberum
nur die Biſchöfe zu verftehen, wie aus dem praecipimus in cap. 1 und aus
al den Paragraphen zu erfehen ift, im welchen es ſich um die Wahrung der
bifgöffichen Autorität handelt.) Offenbar von der kirchiichen Diöcefaneintheilung
des Landes ausgehend, redet das Schrifftüd daher de missis vestris per cir-
euitu_ diocenum.*)
Daß aber an einigen Stellen auch von nicht kirchlichen Dingen geſprochen
wird, entzieht dem Document keineswegs den Charakter eines Shnodalftatuts. Auch
die Petitio der frantiſchen Biicöfe®) mimmt fich der Rechtspflege im Reiche, for
wie alfer Hülflofen an. Weberdies hatte das Schreiben der bairijchen Biſchöfe eine
Aufflellung von Regierungsmarimen zum Zweck, die dem felbftändig gewordenen
Zaffilo, zur Anleitung dienen follte, und fo lag es nahe, bie Wittwen, die Waiſen,
die Armen, ja das ganze Volk im weiteften Sinne‘) wie es audı ſchon nad da-
maligen Begriffen auf den Schutz des Herrſchers Anſpruch hatte,’) der Obhut des
jugendlichen Fürften zu empfehlen.
Dies führt ung auf den anderen vielerörterten Streitpunkt, welcher die Zeit ber Ab ⸗
haltung jener Synode betrifft. Die Meinungen gehen hierin um ein ganzes Bierteljahr-
hundert auseinander; fo hat ſich 3. B. Aventin für das Todesjahr Opdilo’s,*) Forfter
»P.
Soneilio:
y&04.8.029.8.6.8.9.
+) Cap. 14. *
®) Capit. Vern. duplex c. 18-85; f. oben S. 248 und 470.
©) Cap. 12: De reliquo promiscno vulgo.
?) Bait, 80. IL. ©. 279, IV. &. 200; vgl oben 6. 91. R 4
*) Wofür ex freilich daß Jahr 765 hält: Aventinus 1. c. p. 801.
Charakter und Zeitpunkt der Verſammlung zu Aſchheim. 507
für 763,°) Winter für 754) erklärt; im neuerer Zeit gaben Rettberg") und Hefele*)
der Anficht Forſter's den Vorzug, Büdinger ift geneigt, pe Jahr 773 anzuneh-
men,?) während Merkel zwiſchen ben Jahren 755 und 760 fdwantt. ©)
Zuvörderft muß daran fefgehalten werben, daß in dem Protokoll der Synode
einerjeit vom dem zarten Alter des Herzogs, andererſeits jedod zugleich von feiner
reifen Kenntniß der Heil. Schrift die Rede iſt.) Verbietet der leztere Umftand,
ihn in den Tagen jener Zufammenkunft als ſechejähtiges Kind zu denken, diefe
alfo in das Jahr 748 zu fegen, fo paßt die erftere Angabe unmöglid noch auf
einen mehr al® 20° oder gar SOjährigen Fürften, ja felbft um das Jahr 760 durfte
man ihn wohl faum pt; in aetate tenerulus nennen.
Dazu kommen nun bie vielfachen Anklänge an das capitulare Vernense
Auplex) wie in den Einfeitungsworten,°) fo aud) in den Eapiteln 6,1%) 8,1) 9,19)
10,1) 11,1%) 18.12) Eine foldhe Uchereinftimmung mit den allgemein feänfiiden
Synodalbeſchluſſen vom Sommer und Herbft 755°) kann nur damit erklärt wer-
den, daß die baieriſche Verſammlung auf jene Berathungen folgte, und zwar ſich
ihnen ganz unmittelbar, d. h. wohl ſchon 756, anſchloß; daß, vieleicht einige
baieriſche Prälaten den Verhandlungen des Jahres 755 beigewoßnt und die Be-
ſchluſffe in die Heimat mitgebracht Haben. J
Man hat aus der Nichterwahnung des Königs Pippin den Schluß gezogen,
daß die Synode erft nad) dem während des aquitanifhen Krieges erfolgten Ab-
falle Taſſiio's ftattgefunden babe. Allein mit Unrecht; denn jener Umftand
bemeift nur, daß die fränkiſche Hegemonie nicht auch die innere Selbſtändigkeit
des Herzogtfums beeinträchtigt. Mit viel größerem Rechte darf vielmehr umge
kehrt behauptet werden, daß nach geſchehenem Bruce mit den Franken die Biſchöfe
Baierns ſich gewiß am wenigften veranfaßt gefunden haben würden, die fränkiſchen
Statuten nad; Inhalt und Form zum Mufter zu nehmen.
Man hat auf die Capitel 2 und 13 hingewieſen, um darzuthun, daß das
Conen von Aheim nicht in den Anfang von Taffiio’s Regierungszeit geiegt
werben bürfe. In dem einen biefer apitel ift nämlich von Kirchen die Rede, die
zu feiner Zeit gegründet worben feien,??) in dem andern von einem früheren, eben⸗
jalls zu Äſchheim erlafjenen Decrete,') Allein es darf nicht vergefien werden,
daß, wenngleich Zaffilo erft feit 754, dem Todesjahre feiner Mutter, ganz felb-
fändig die Regierung in Händen hatte, er doch ſchon feit dem im Jahre 748 er-
folgten Tode feines Vaters Odilo die Herzogswürde beſaß. Jene Kirchen konnten
2) Korfter a. a. D.; ebenfo Rubharbt, Keltefte Gefhichte Bayerns (1841) ©. 290.
%) inter, Die brel großen Spnoben ber. agtlolfingifgen ‚Beriobe ju Miateim, Dingelfing
. Behandlungen ber Zönigl. baleriigen Mlab. b. Mifl, 1807, ©. 1-14);
9560.
») Bübinger, Defterreigiiäe Befdtäte I. ©; 49091; frei nit mit ganzer Gntfälenen-
ie Beit nad Taffilo'8 Ab-
fal vom fräntilßen Reiche (&, 116).
%) Lex Bajuwariorum ed. Merkel, Pertz LL. III. p. 239.
”) Prolog: si in aetate tenerulus, in sensu sanctae scripturae precessoribus tuis ma-
turior appareris.
®) Binter, a. a. D. ©. 29, bemerkt dagegen mit Unrecht: „Bo Liegt benn ber Beweis, baf
ber aldbeimiiße Rirhenrath dem Vernenſiſchen etwas abborgte?" is ob bad Gegentheil
entbar wäre
*) Sufficit enim christianis eto. Bol. oben ©. 298. R. 1.
?) ®gl. capit. Vern. dupl. e. 8. 8.
2) Dal. c. 5.
”) Daf. ©. 11.
22) Daf. 6. 23.
”) Dal. c. 25.
2) Capit. incerti anni e. 1: De incestis,
26) Bubem geht in dem einzig vorhandenen Freifinger Cober den capitula synodi Aschai-
mmensis FH eapitulare Vernense unmittelbar voran; dgl. Forfter a. a. D. ©. 55, Merkel
0. p. 230.
N ecelesias a priscorum antecessorum vestrorum aut vestris temporibus fundatas.
3) vestro consequamini decreto, quo in presente villa puplica noncupante Ascheim
eonstituere recordamini.
508 Ercurs XII.
daher fehr wohl als in den Zeiten Taffilo’s gegründet gelten, wenn ihre Erbauung
nme nach dem Jahre 748 flattgefunden Hatte, und es ſcheint recht abfichtlich might
a vobis, fondern im Gegenſatze zu a priscorum antecessorum vestrorum der Aus ·
drud aut vestris temporibus geſetzt zu fein. Ebenfo fällt jenes frühere Decretum
Taſfilols gewißz noch in die Zeit der mütterlichen Vormundſchaft, wie aus dem Worte
recordamini fich zu ergeben ſcheint. Denn nur, indem die Biihöfe auf eine in
den Jahren der Unmünbigleit exfaffene Verordnung verweifen, konnten fie hinzu -
fügen: „deren ihr euch erinnert.“
Wenn von Rettberg eeiest wird, ) Zaffilo werde von der Verſammlung der
Große genannt, fo kann dies nur auf einem Mißverftändniß der Eingangsworte
Domino gloriosissimo duce nostro Tassiloni maxime congregatio etc. beruhen;
denn maxime als maximo zu deuten, ift fein Grund vorhanden, zumal dies Ad«
verb in dem Däreiben häufiger vorfommt;?) wie würde aud) maximo zu in
aetate tenerulo pafien?
Das ganze Xctenftücd, wir wieberholen es, macht den Eindrud einer Petitio
»episcoporum, mit welcher der jugendliche Herzog Furze Zeit nach dem Antritt
feiner felbftändigen Regierung, doch nicht vor Veröffentlichung des fränfifchen
capitulare Vernense duplex, von feinem Klerus begrüßt worden if. Alle Um-
Rände treffen zufammen, die Synode von Aſchheim dem Jahr 756, dem fünfe
zehnten Lebensjahre des Herzogs, zuzuweiſen.
3) —[ un
. 224. 9. 10. Chenfo t {don Winter mſerm Serie
art 8 See, „gerler ©. a1; „oem Großmidtigen Zaflo", " ®
Excurs XII.
Die Stellung des Nloſters S. Gallen bis zum
Jahre 760.
Die Frage iſt: war S. Gallen fhon vor dem Jahre 760, wie nachher faſt
100 Jahre lang, ein bijchöftiches Kloſter oder nicht? Daß es in Fanonifcher Ber
siehung zum Bisthum Conſianz gehörte, ift von Niemand begweijelt worden. Ob
die Bifhöfe aber neben dem geiſilichen Aufſichtsrecht auch ein Beſitzrecht au das
Stift Hatten, das ift die Eontroverfe, die, neuerdings von Sickel angeregt,’) den
Gegenftand der nachfolgenden Erörterung bilden foll.
Unfere Erzähfung von den Vorgängen in ©. Gallen?) ging von der Voraus
fehung aus, daß das Mlofter bes heil. Gallus bie 760 von Conftanz unabhängig
geivefen und exit in dieſem Jahre unter bie Botmäßigkeit des dortigen Bijhofs
gelommen fei. Da dieſe Anficht den Exgebniffen Sickel's widerftreitet, iR es unfere
Bflicht, fie hier näher zu begründen.?)
Sidel jpricht zwar nicht pofitiv die Behauptung aus, daß das Stift von jer
her unter biſchöflicher Leitung geflanden ; doch erklärt er die entgegenftehende klöſter ·
liche Tradition für unglaubwürdig, weil. parteiiſch, weil ferner die fpäteren Königs ·
urkunden mit feinem Worte auf die von den Ehroniften behauptete ehemalige Uns
abhängigfeit hinweiſen, endlich weil man für die im Jahre 760 eingetretene Wand ·
fung der Berhältniffe Teinen glaubhaften Grund entveden kann.
Es ift gewiß vollfommen richtig, das urkundliche Material als eine wichtige
Srumdlage aller geſchichtlichen Darftelung anzufehen. Im unferem Falle jedoch
fehlt e8 am gleichzeitigen Urfunden ganz, und die fpäteren ftehen der Annahme,
daß das Lioſter uͤrſprunglich felbftändig geweſen, zum wenigſien nicht entgegen.
Ja, das Diplom König dudwigs vom 22. Juli 854°) enthält geradezu, eine Ber
Rätigung derſelben. Denn es heißt darin: „wiſchen den Biihöfen von Conftanz
umd den Aebten des Kloſters habe in früheren Zeiten ftets Zwieſpalt beftanden,
weil die Biſchöfe das Kloſter ans Bistum reißen woliten, die Mönche mit ihren
Aebten aber, diefem Plane widerftehend, bei den Herrſchern ihr Recht fuchten.”®)
Hier iſt alfo mit beftimmten Worten ausgefprochen, daß die Bifchöfe der angreifende
1,20. Side ©, Guten unter ben schen Ratolingern; Sittbeilungen sur naterlänbifgen
Gerqlate, Yeraudgegegen vom Hitzriigen Berein in &. Gallen, & Set, 1005,
en Cap. 328
4 Son bel, Karl ber Große Te. men. 3, 277. R. 2, 978. 9.1, hat bie Ausfüße
zungen Sidel’8 beftritten, biejer jebod) in ben Acta Karollnorum, II. p. 252, an benfelben
jalten.
*) Bartmann, Urkundenbud IL Re 438.
*) Episcopi praefatae elvitatis praeseriptum monasterlum ad partem episcopatus
yindicare voluerunt, eldem ralioni monachl cum proprils abbatibus resistentes ad aram
atqne genitorem nostrum se reclamaveruni B
510 Ercurs XI.
Theil waren, daß die Freiheit des Kloſters urſprünglich zu Recht beftand, daß bie
Mönde nur ihre alte Stellung vertheidigten. Klarer drüdt felbft die Kloſier ·
tradition den Sachverhalt nicht aus, wie ihr 3. B. Walafrid in den Worten Aus-
drud giebt: Pontifex ... monasterium ingressus, fratres opprimere et eundem
locum episcopii rel ibicere molitus est;') oder Hermannus Contractus,
indem er fagt, daß Sidonius cellam sancti Galli ambiens ... abbatiam ...
temerario ausu invasisset.*)
Daß aber die Mönche in,den Verhandlungen der fpäteren Zeit fid, niemals
auf ihre_chemalige Selbftändigkeit berufen haben, erflärt fih einfach aus ber
neuen Situation, welde das Jahr 760 geicaffen. Damals nämlich waren
Bischof Sidonius und Abt Johannes in jriftlihem Vertrage miteinander über
eingefommen, daß das Klofter fortan dem Bisthum untergeben fein follte.?) Die
Vergangenheit war damit befeitigt, die Mönche an die neue Berfafjung gebunden.
Nach 20 Jahren konnte Karl daber mit Recht fagen: monasthirium sancti Gallone,
qui aspicit ad ecelesiam sanctae Mariae urbis Constantiae,*) eine Bezeichnung
der materiellen Zugehörigfeit, die in dem Jahreszins de ipso monasthirio par-
tibus sanctae Mariae ejusquae pontificibus ihren vollen Ausbrud fand.
Die Uebereinkunft des Jahres 760 wird freilich von Sicel anders aufgefaßt.
Während wir in der Bewilligung des jährlichen Zinfes das Ende der Unabhängige
teit und das principielle Zugeftändniß eines, tern and; minder drückenden, biſchöf⸗
lichen Beſitzrechtes erkennen, faßt Sidel bie Urkunde als eine Conceffion bes
Biſchofs an das Kloſter „Wie die Biſchöfe fo häufig“, fagt er (©. 2), „bald
aus eigenem Antriebe, bald auf Bitten der Mönche, bald auf Wunſch oder Geheiß
der Fürften gethan haben, fo hatte auch hier Bifchof Sidonius, um das klöſterliche
"eben fich frei entfalten zu laſſen, auf birecte Eingriffe in die Verwaltung des
feiner Kirche gehörigen Kloſters, auf bie potestas dominandi verzichtet und hatte
fpeciel auch die Erirägniſſe des Koftergutes dem Abt und den Mönchen zuerkannt.“
Diefer Auffaffung nad war Bifhof Sidonius den Mönchen freundlich gefinnt,
fodaß man eiwa meinen könnte, ex habe fie durch eine ſolche VBegünftigung für die
Verluſte entihädigen wollen, welche fie von Seiten der Grafen des Landes erlitten
Hatten. Allein wie verträgt fi damit das fonftige Verhalten des Biſchofs? denn
fo weit wird ıman doch in der Verwerfung der Mlöfterlichen Weberlieferungen nicht
gehen wollen, zu behaupten, daß alle Berichte über die Feindfeligkeiten des Sidoniue
gegen das Mfofter und feinen bt aus der Luft gegriffen wären. Wenn Conftanz
ſchon vor dem Jahre 760 ein Befigrecht aui S. Gallen befaß, dann war ja Si-⸗
denius durch die Beranbungen, welde das Kloſter von den Grafen erfuhr, nicht
minder geſchãdigt als Otmar, der Abt defielben; dann hätte er Hand in Hand
mit dem Abt die Grafen befämpfen, nicht mit ihnen gemeinfchaftliche Sache gegen
den Abt machen müffen, der ihr Mißiallen ja nur durch die ftandhafte Verthei -
digung des Kloftereigenthums erregt hatte. Die Haltug des Biſchofs beweift alfo,
daß er dem Klofter feind war, daß er die Beeinträchtigung feines Beſitzthums
bilfigte, daß die Intereſſen veffelben ihm fremd, mit einem Worte, daß es bie zum
Jahre 760 von ihm unabhängig war.
Nun eine Bemerkung über die von Sickel fo ungünftig beurtheilten Kloſter -
nachrichten. Ich jehe von Ratpert ab, den namentlich im der Darftellung des
fpäter Gefchehenen mit Recht der Vorwurf ber Ungenawigfeit trifft. Für die. Zeit,
welche uns hier befchäftigt, berufen feine in tage fommenden Angaben, bis auf
die Stelle von der Freiheit der Abtswahl,“) zum Theil wörtlich auf den Schriften
») Yita 8. Galli lib. II. c. 16, Pertz 88. IT. p. 24.
on? Herta 88. Y. p- Au; wahefgeintig auf Grund eines Reicennuer WbtBTatalogt, nal.
ertz 88. IL. p. 87.
%) Bel. Bartmann Ne 92: superna gratia inspirante vir venerabilis Sedonius atquao
Johannis abba per consensum Haeddone episcopo salubri consilio inter se acceperunt ...
Quibus praedictis viris venerabilibus ita aptificantibus eorum manu roboratas uno
t&nore conseriptas nobls ostenderunt relegendas.
*) Bartmann Ro 92 (780, 8. März).
*) Batperti Casus 8. Galli c. 2, Pertz 88. IL p. 63: ut monachi ejasdem loci dein-
cops potestatem haberent abbatem’eligere sibl.
Die Stelung des Kloſters S. Gallen bis zum Jahre’ 760. 511
feiner Vorgänger. Denn auch von einem privilegium emunitatis ſpricht, was
Sigel überjehen, ſchon Walafrid in der Vita S. Galli.) Wir Haben e8 aljo nur
mit den beiden, von Walafrid Strabo überarbeiteten, Lebensbeſchreibungen der bi.
Gallus und Dtmar von Gozbert zu thun. Sicdel behauptet nun, indem er bie
Mönche theils parteiifch, theils Teichtgläubig nennt: „So wenig Glauben verbient,
was uns Ratpert von den Streitigkeiten feit 760 berichtet, fo wenig verdient
Glauben, was er und feine Vorgänger von den früheren Berhältniffen erzählen“
(&. 21). Allein für diefen Nadfag vermiffen wir den Berveis. Zunächft if doc)
zu beachten, daß wohl Ratpert eine Kloſtergeſchichte, die anderen Weiden aber, Goz⸗
bert und Walafrid, Heiligenieben ſchrieben, daß es Jenem allerdings um eine
Darftellung der äußeren Conflicte, dieſen aber nur um fromme Zwede zu thun
war. Wir. dürfen Walafrid daher gerne glauben, wenn er verfiert: quantum
ad nos attinet, veritatis lineam servare studebimus, neque per amorem falsi
aliquidde nostro inserentes, neque per invidiam veri quippiam ex votocelantes.?)
Den Wundern ihrer Heiligen gegewüber bewieſen Beide allerdings große Leicht-
gläubigkeit; indem fie für den Wunderglauben aber einmal empfänglic waren,
gingen fie doch auch hier mit firenger Prüfung der Nachrichten zu Werke. Goz⸗
bert hatte in beiden Büchern, welche er fchrieb, die Namen der Zeugen verzeichnet,
anf deren Ausfagen feine Mittheilungen ſich ftügten.?) Da er 837, alſo kaum
70 Jahre nad) Otmar, ftarb, fo fonnte wohl mander feiner Gewährsmänner ihm
als Augenzeuge des Erzählten gelten. Daffelbe läßt fi von jeinem Freunde Wala-
feid fagen, der nur 12 Jahre fpäter farb und der fich auch ſeinerfeits noch auf
die mündlidje relatio veracium virorum ftüßte,‘) oder, wie Yſo es ausdrüdt,’)
seniorum in coenobio sancti Galli conversantium relationibus.) Wir finden
denn auch wirklich für fo viele ihrer Mittheilungen urkundliche Beftätigung, daß
fie in den ſtreitigen Punkten gleichfalls Vertrauen verdienen. Was z. B. die Ger
maltthaten der Grafen betrifft, fo fuchte nicht nur Waring Sohn, Graf Ianbard,”)
jondern auch viel jpäter nod König Konrad J., ut filius carnificum illorum,
ferner der welfiiche Graf Rudolph nebft einen Söhnen Welfhart und Heinrich,
cum ejusdem quidem prosapiae fuerit, das einft begangene Unrecht zu fühnen.‘)
Selbſt den nur von Natpert erzählten Verluſt des Ortes Ugnach?) beftätigt eine
Urkunde. Roifer Lubrwige vom Jahre 821,19) indem fie die Wiedererflattung des—
felben befiehlt. Die Ueberlaffung einiger tributarii dur Pippin, von welcher die
Vita 8. Galli erzäßlt,**) beftätigt derfelbe Kaifer in feiner Urkunde vom 12. Kebruar
828 mit den Worten: quod avus noster Pippinus quondam rex aliquos liberos
'homines in pago Brisichaus, quorum nomina sunt [folgen 21 Namen], ad eundem
monasterium concessisset, eo scilicetmodo, ut idem liberi homines et posteritas
eorum censum, quod ad fiscum persolvi solebant, parti praedicti monasterii
exhiberent atque persolverent.'*) Die Einfegung des Johannes als Abt, noch
vor feiner Erhebung auf ben biſchöflichen Stuhl von Conftanz, ift ebenſowohl aus den
ı) Vita 8. Galli lib. II. c. 12. p. 28.
3} Daf. c. 10. p. 28.
3) Dal; und 8. Otmarl Vita, prologus, p 41.
+) Vita 8. Gall lib. IT. c. 10. p. 2%.
2) Koonla De miraculis &. Otmarl prastatio, Berta Sb. IE. Bet.
nz ebenjo gründet aud in ben Königägerichten bie Entſcheidung ftreitiger Fragen
oft ad pas? minntla® Seugıh ber Dagonape loch Kdhibiie bie, uulhus Inter ec» malte
fides habebatur; Wartmann No 268 (821, 15. Februar). Bl. befonderd Bartmann No 318
(828, 13. Jebruar): Sed quia super hac concessione praeceptum avi nostri Pippini regis
Sonseriptum non habebant, jussimus . .. comitl hanc causam . .. inquirero; qul jaxta
veritatis et aequitatis ordinem diligenter perserutatam renunciavit nobls: qula sicut per
illos pagenses et voraces homines per sacramentum inveniro potult, Ita esse verum,
sicut superlüs conpraehensum est.
?)_Bgl. befonders defien Schenkung an ©. Gallen vom 29. Mai 806 (Bartmann Ne 190),
oben ©. 334. R. 1-5.
*) Ekkehardi IV. Casus 8. Galli, Pertz 88. II. p. 85. 87.
*) Ratporti Casus 8. Galll 1. c. p. 63.
»%) Bartmann L Re 263; |. oben 5. 335. 0. 7.
1) Lib. IL e 11. p 28.
44) Bartmann Pe 312
512 Ereurs XII.
Urkunden erfichtlic,") wie von Gozbert ausdrüdlich berichtet.) So verdienen denn
auch die Worte, weiche er unmittelbar darauf folgen läßt, und welde die bie-
berige Unabhängigkeit des Kloſters vom Bisthum conflatiren,®) unferen vollen
Glauben.
Was aber das angebliche Immunitätsprivilegium Pippine betrifft, von welchem
Gozbert und Ratpert der urkundlichen Weberlieferung zuwider erzählen, fo giebt
Sicel ja ſelbſt ums die fiherfte Anleitung zum richtigen Verftändniß ihrer Worte.
„Es Tommt vereinzelt ſchon unter Ludwig, häufiger unter feinen Nachfolgern vor“,
fagt ex, „daß defensio geraden für emunitas (in einzelnen Fällen auch umge
fehrt immunitas für defensio im engeren Sinne) geſetzt wird.“*) Die
währung des Konigsſchutzes haben auch unfere Verichterftatter unzweifelhaft im
Sinn, indem fie von einem praeceptum immunitatis fprehen, und keineswegs
die Bewilligung eines Immumnitätsprivifegiums {m firengeren Ginne des Wortes,
wie e8 erft von Kaiſer Ludwig dem Kloſter im Jahre BIB verliehen worden if.°)
Denn in ber Vita S. Galli beginnt das 12. Eapitel des 2. Buches mit den Worten:
Praemissa narratione, qua comprehensum satis vere credimus, quomodo sacer
locus emunitatis privilegium meruerit etc.*) Dieſe praemissa narratio aber,
welche fi im 11. Capitel findet, erwähnt nur jener diuturnae firmitatis epi-
stola, wonad) deinceps tam ipse qui aderat [Otmar], quam successores ejus
idem monasterium per regiam obtinerent aucforitatem, et nullius violentia
pressi solis rerum principibus subjacerent. Damit kann nur gemeint fein,
daß ©. Gallen fortan als königliches Kloſter gelten follte; unter deu soli rerum
prineipes aber ſcheint der Verfaſſer nicht den Landesheren allein, fondern auch die
Bertreter der Stantsgewalt in den Provinzen, alfo die Grafen verftanden zu Haben.
In der That fonnten Warin und Rudhart nur gegen ein ihnen vollfommen unter
gebenes Stift jo eigenmächtig falten, und nur aus diefer Stellung des Kloſters
erfärt e8 fich, daß Otmar jeine Zuflucht zum Könige nahm.
Es fragt fih nur noch: welcher Grund lag vor, das königliche Kloſter in ein
bifchöfliches zu verwandeln? Daß dabei an Niederhaltung nationaler Regungen
gegen die fränkifche Herrſchaft nicht zu denfen fei, hat ſchon Sickel gegen Rettberg”)
dargethan. Die Ertlärung für al” die Vorgänge in &. Gallen ift ganz allein
in der felbftändigen Stellung der Grafen zu fuchen, welche damals noch von jener
regelmäßigen Controle frei waren, bie Karl der Große einzuführen für nöthig fand,
und welde daher, noch wie in den merowingiſchen Zeiten,‘) als die eigentlichen
Fürften ihres Gebietes ihre große Gewalt oft willfürlid und ungeftraft zum eigenen
Bortheil ausbeuteten. Nachdem Otmar glücklich befeitigt war, mußte e8 den beiden
Grafen am meiften darauf ankommen, einen gefügigeren Nachfolger für denfelben
zu finden. Der Mönch Johannes von Reichenau, ein Untergebener bes Biſchofs
Sidonius, da dieſer ja zugleich Abt jenes Klofters war, gab ſich, ohne Zweifel
auf den Rath feines Vorgefeßten, dazu Her, für den Preis der Abtei die Gewait ⸗
thaten der zwei habſüchtigen alamannifchen Grafen gutzuheißen. Sidonius felbft
aber war dadurd; gewonnen worden, daß ihm jener Jahreszins des Klofters, alſo
dem Princip nad ein Vefitreht an das Kloftergut, wenn auch nicht das volle
BVerfügungsreht eingeräumt wurde.
2) Bel BWartmann Ro 25 und 92.
9) Vita 8. Gall 1ib. I. c. 16. D. 24: Hoo [Otmaro) itaque ita rebus humanla sub-
praedicti comites .... Johannom quendam monachum de prozimo monasterio
in ejus locum subrogaverunt.
%) Die vorftehend angeführte Stelle lautet weiter: ac deinde, nt suas tyrannidis crimen
augmentarent, Bidonium Constantiensis ocelesiae praesulem’ instigarunt, ut idem mo-
nasterium episcopil partibus subicere studeret.
*) Sieel, Beiträge jur Diplomatit IT. ©. 348.
*) Hartmann No 234.
*) Portz 88. IL. p. 39.
?) Rettberg, I. © 107. 114; mit ipm Hält auf no Abel, a. a. D. ©. 975. R. 8, an der
Anſicht jet, dab das Nlofter S. Gallen einen Mittelpunkt nationaler Dppofition gebilbet habe.
*) Dgl. Bait, BG. IL ©. 896. 598.
&ren XIV.
Zur Chronologie der S. Galliſchen Begebenheiten.
Ueber die Vorgänge in ©. Gallen befiten wir nur zwei aus fpäter Zeit
ſtammende, annaliſtiſche Aufzeichnungen, die eine in den annales Sangallenses
majores aus ber Mitte des 10. Jahrhunderts, ') bie zweite in der Chronik Her«
mann von Reichenau aus der Mitte des 11. Jahrhunderts?) Ihre Zeitans
geben aber ftehen zudem miteinander im Widerſpruch, indem der erfteren
achricht zufolge die Gefangennahme umd der Tod des Abtes Otmar im Jahre
760, nad; Hermannus Contractus dagegen im Jahre 759 erfolgte, demgemäß auch
die Translation Otmars bei dem einen Autor zum Jahre 770, bei dem anderen zum
Jahre 769 gemeldet wird. Während für die Zeitangaben Hermanns feine ältere
Duelle nachweisbar ift, läßt fich dagegen die Nachricht der S. Galler Annalen
mit Beftintmtheit auf die Berechnungen des im Jahre 871 verftorbenen Magiftere
jo zurüdführen,®) da darin die Thatjache jelbft ebenfalls dem Buche Yſo's wört«
ich nacherzählt ift.*) Die Entfeeidung ift aljo zwifhen Hermann und Yſo zu
treffen, und wir werden zu diefem Zwecke die Urkunden des Klofters nicht erfolg-
108 zu Rathe ziehen.
Bir bemerken vorerſt, daß die verſchiedenen Nekrologien ans jener Gegend,
nad der gewöhnlichen Art folder Todtenregifter, nur die Sterbetage der darin
verzeichneten Perfonen, nicht auch ihr Todesjahr angeben. Ihnen gemäß confla-
tiren wir daher zunächſt bie uns iniereſſirenden Todestage des Abtes Otmar und
des Biſchofs Sidonius von Conftanz. Zwar laffen ung bie Excerpta ex vetustis
necrologiis monasterii 8. Galli bei Edhart,°) fowie das Calendarium necrolo-
gieum Constantiense aus dem Ende des 18. Zahrhunderts®) über beide Perſonen
ohne Nachricht; doch hat Goldaft unter dem Titel Ephemerides monasterii S.
Galli ein Nekrologium veröffentlicht, ?) in welchem zum 16. kal. Dec., d. i. zum
16. Nov., der Name Othmari confessoris verzeichnet ift; andererſeits nennt ein
„altes Nekrologium des Klofters Reichenau“®) unter IV. Non. Jul, d. i. zum
4. Zuli, den Biſchof Sivonius. Als Todestag Dtmars bezeichnet übrigens ſchon
Balafrid Strabo, wahrfceinlih der Gewährsmann jenes Nefrologiums, den
2) Perts 88. I. p. 78.
%) Portz 88. V. p. 70.
2) Hoonie De miraonlis 8. Otmari U Lo. & Berts 88. IL Di 4.
+) Dot. die Worte: plenus dierum, plenus otiam sanctitate meritorum, de angustiis
hujus yitag eripitur.
* t. do rebus Franciao orient. IL. p. 932.
2) Bitgeibeit von Böhmer: Geigihtäfeeund XII. (Ginfebein 1087) S. 281.
7) Gol Scriptores rerum Alamannicarum IIL (ed. ., 1780) p. 9.
Sub ber Mitte be.0, Sakrhundent, Heraudgegeben von Aller: rteheitungen der anti
auarijchen Gefelidaft in Züri VI. (1849) 6. 87.
Sapeb. d. diih. Gejh. Delsner, Rönig Pippin. 38
.
514 Ereurs XIV.
16. November.‘) Die Angabe des 28. November bei Wartmann?) beruht daher
nur auf einem von ihm jelbft nachträglich, berichtigen Berjehen, ®) nicht auf einer
Berechnung, wie Abel annimmt. *)
ie die Feſtſtellung des Todesjahres beider Männer find wir, wie gejagt,
auf die Urkunden angewiejen. Wartmanı hat hierfür N? 27 feiner Sammlung
benugt.°) Indem darin nämlich Johannes, der Nachfolger Otmars und des
Sidonius, bereits am 27. März 761 als Abt und Bilchof erfcjeint, ergiebt
fh, daß Sidonius fon am 4. Juli 760, Otmar affo am 16. November
759 geftorben jein muß. Allein bei folder Datirung der Urkunde — das Datum
Tautet wörtlich: anno septimo Pippino rege — wird die Salbung Pippins duch
Papſt Stephan als, der Anfang feiner Regierungszeit angenommen, und diefe
Berehnungsart ſcheint mir fo wenig zuläifig, daß ic in all’ dem dog immer-
hin ziemlich vereinzelten Fällen, wo Wartmann vom 28. Juli 754 oder gar
vom Jahre 754 fchlechthin ausgeht, weit eher an einen Fehler der Urkunde, als
am die Richtigleit diefes Verfahrens zu glauben geneigt bin.
Wir Halten uns daher an andere drei Urkunden des S. Galler Stifts, N°26,
N° 28 und N° 86.°)
Um mit N3 28 zu Beginnen, fo trägt diefe das Datum: Notavi diem domi-
nicum, V. nonas Majas, regnante domno nostro Pippino rege Francorum. Das
Regierungsjahr Pippins ift nicht angegeben: eine Beftätigung des Sapes, daß mar
in den Kanzleien auf das Kalenderdatum größeren Werth Iegte, als auf das Re—
gierungsdatum. Die Zeitangabe der Urkunde aber paßt auf 761 und 767. Da
nun von demjelben Schreiber Waringis nur aus den Fahren 61 und 62 Urkunden
vorhanden find, ſo 3. B. ſchon N° 29, von Montag dem 11. Mai 761, fo verweiſt
Wortmann mit vollem Rechte auch N° 28 in diefes Jahr; und weil darin Johannes
bereits Biſchof genannt wird, fo ergiebt ſich, daß der To des Sibonins ſchon am
4. Zuli 760 erfolgt if.
In N° 26, deren Datum auch Wartmann von 752 an rechnet, erſcheint
Johannes bereits am 20. Auguft 760 als Abt und Biſchof zugleich.
Aus demjelben Monat defjelben Jahres aber, vom 18. Auguft 760 nämlich —
vorausgeſetzt, daß wir der gewöhnlichen Berechnungsweiſe treu bleiben und nicht,
wie es Wartmann nad) Analogie von N° 27 thut, vom Salbungstage des Königs
ausgehen, — datirt N° 36, eine Urkunde des Johannes felbft, beginnend: Ego
Johannis ac si peccator vocatus episcopus sive abbas. Beſonders beachtens ·
werth fcheint hier das Wort vocatus, das, wie wir in Ercurs II. $ 8 an einigen
Beifpielen gezeigt haben, ”) zuweilen auf bie eben erfolgte Berufung zu deuten ift.
In der That kehrt der gleiche Ausdrud in den übrigen 7 Urkunden Johann's
N° 32. 55. 79. 80. 87.91. 98, nicht wieder; denn Dei dono vocans in N 87
bedeutet nur fo viel als: heißend, genannt; derſelbe Sinn liegt in der veränderten
Wortfolge der N° 98: Johannis episcopus, gratia Dei abba vocatus. Unſere
Deutung des Ansdrudes in N° 36 trifft aber vollkommen zu, wenn der Vorgänger
Sidonius am 4. Juli 760 farb, die Ernennung Johann's aljo erft ganz kurze
Zeit vor Austellung jener Urkunde erfolgt fein lonnte.
Faffen wir aber ſchließlich die obenerwähnten Angaben Yfo’s näher ins Auge.
Zwei Incarnationsjahre dienen ihm als Ausgangs» und Endpunkt feiner Rechnung,
754 al® Krönungsjahr Pippins und 864 ale das Jahr der Translation Otmars
nad) der Kicche des heil. Gallus. Es war dies bereit bie dritte Translation der
Leiche; denn zuerſt war biefelbe von ber Rheininſel bei Stein nach dem Kloſter
3 ya 8. Otmar ©, Perkz 88 TI. p. 44: 18. kalondarum Decembrlum die.
%) Bartmann I, Anmer
) BL Britgeilungen zur Belkin Gefääte, heraubgegeben vom Hiftorfcen Berein
in 6, Selen, ‚ee Bolge, Heft 1
9 Yöel, Rarl der Orade L
*) Bartmann I. ©, 81 Krmertung.
*) Re 36, wieber abgebrudt ®b. IL. ©. 881, welde wilden bie Tobedtage von Dimar und
Giontub Inden muß, mel Jahanned mus She un na migt, Bilhcf Hei. iR, unbatin,
Anbererieitß twieberum iR Ne 39, Montag ben 11. Mai 761 auögefelt, file unfere Biete nicht
2. * Yin, neh ja häufig geidieht, der Name des Abtes fehlt.
oben 6. 41
Zur Chronofogie der S. Galliſchen Begebenheiten. 515
übertragen und Hier rechts vom Altare Johannes, des Täufers beigeſetzt worden;
fpäter erfolgte bie Uebertragung nal dem Oratorium Petri; im 85. Jehre nad)
diefer,!) genaner 34 Jahre und 194 Tage fpäter,?) erfolgte jene dritte Translation,
als deren Tag Yfo zugleid; ausbrüdtich den 25. October 864 bezeichnet. 9) Daraus
exgiebt ſich als die Zeit der zweiten Uebertragung die Mitte Aprils 830; und da
die erfte nicht weniger als 60 Jahre Fe ON —V volle 10 Yahre nad
dem Tode Otmars ftattgefunden Hatte,°) fo ſtellt ſich bei Yio ſelbſt, durch Sub»
traction diefer vollen 70 Jahre vom 15. April 830, das Ende des Jahres 759
als die Todeszeit Otmars heraus. Seine entgegenſtehenden Angaben beruhen
offenbar_auf irgend einem Rechenfehler, der ihn ftatt der Jahre 769, 759 die
Jahre 770, 760 ſetzen ließ. Dies ergab für ihn dann, im’ natürlichen Berfolge
feines Ierthumg, das 7. Jahr Pippins als Otmars Todesjaht.
Während ſonach die Angabe des Hermannus Eontractus in den Urkunden
ihre volle Beſtãtigung findet, erweiſt fih ums bie einzige ihr entgegenftehende
Dot des Yo als nichtig, und es unterliegt daher, die Zuberfäffigteit der Nekro -
Togien vorausgeſetzt. nicht dem geringften Zweifel, daß Otmar am 16. November
), Sidonius von Conftanz am 4. Yuli 760 geftorben ift.
3 Ten 1. ©.C.5. B. 30: Post haco 25. anno, inoarnationis antem Dominl, oetingen
tasimo sexagesimo quarto, inalctione 18 . , « mih 8 kalendarım Novembrium di
ET post altarlım sancti Petri honorifice sepultus, annis m
q
3 7 * 00% Interpos er minus sexaginta 17. kal Maji .
io 6.6. p- D0% io non ans, 17. kalendar.
Ganetl Bei! Opdue
Excurs XV.
Die Verbannungszeit des Abtes Sturm von Fulda.
Die weientlihen Gefihtspunkte für die Beantwortung dieſer chronologiſchen
Frage hat fon Sickel Aufammengeeüt.') Da Eigil nur von der zweijährigen
Dauer des Erxils fpricht,?) fonft aber in feiner Weiſe der Zeitpunkt deffelben ber
zeichnet wird, fo müffen wir vor Allem die Urkunden zu Rathe ziehen. Nun
fommt zwar in bem Diplom Pippins vom Juli 766,°) die Schenkung von Um ⸗
ſtadt betreffend, der Name Sturms nicht vor; allein wir wiſſen doch durch feinen
Biographen, daß diefe Schenkung nad feiner Begnadigung und unter feinem Ein»
fluß erfolgt ift.‘) Im Juli 766 war demnach die Zeit der Verbannung ſchon
vorüber; damit ift Mettberg twiderlegt, der diefelbe in die Jahre 765—767 jeßt.*)
Eine carta pagensis aber vom Jahre 765, sub die V. idus Majas anno 5
regnante ... . Pippino,°) wendet fi ſowohl in den Eingangsworten als aud)
im weiteren Verlaufe des Zertes — wie um feine Anweſenheit recht hervorzuheben
— direct an Sturm, fo in den Säßen: ubi tu presenti tempore abbas preesse
videris.... ut tu abba Sturmi suprascriptam rem et successores tui habeant.
Diefe Urfunde beweift aljo, daß die Rücktehr des Abtes ſchon vor dem 11. Mai
765, vielleicht exit ganz kurze Zeit vorher, erfolgt war. Aus den früheren Jahren
befigen wir nur noch eine einzige Urkunde, welche von einer Webergabe in manum
Styrmes abbatis redet;”) fie giebt nicht den Tag, nod auch den Monat, wohl
aber das Jahr ihrer Ausftellung, anno XII. regnante ... Pippino, an, das ziem-
lich genau mit dem Jahre 768 zufammenfält. Die zweijährige Verbannung
Sturms kann daher fehr wohl im die Zeit zwiſchen ber Ausfertigung jener zwei
Urkunden, d. 5. in bie Jahre 763765, gefegt werben. Diefe Annahme wird
durd einen Kaufvertrag beftätigt, weldhen der Biſchof Lull im Namen des Klofters
mit dem Grafen Leidrat abſchiießt und welcher vom 28. Auguft des Jahres 763
datirt iſt) Auch ein anderes ganz ähnliches Kaufgeſchäft zwiſchen denſelben zwei
Perſonenꝰ) ſetzen wir mit Sickel, durch Emendation von anno II in anno XU,
im diefelbe Zeit. Daß diefe beiden Urkunden aber fih auf Fulda beziehen, kanu
nicht zweifelhaft fein; denn abgefehen davon, daß fie in ben Chartularien des
Kloſters ftehen, forvie daß in den Summarien des Abtes Eberhard, cap. 3. n° 42.
2) Siaet, Zeitzhge zur Diplamalit IV. 094. 0 2,
9 Eigilis Vita 8. Sturm ©. 16, Pertz 88. IL. p. 873: ibi per bienniam exsulabat.
Sickel P. 34; nben &. 408.
% il 1. e. c. 21. p. 375.
3) Reitberg I, ©. 612,
5} Dronke, Cod. dipl. Fuld. no 29.
Die Verbannungszeit des Abtes Sturm von Fulda. 517
43,!) der Verkauf mit den Worten verzeichnet ift: Leiderat com. dedit sco. Bon.
per manum Lulli episcopi ete.,*) erfolgte die Zahlung des Kaufpreifes ausbrüd-
lid) de pretio sancti Bonifatii martyris., Im Auguſt 768 alfo beſaß Lull das
Dominium des Klofters, und zwar ſcheint damals noch fein ihm untergebener
Abt vorhanden gewejen zu fein. So war es aber gleich nad) dem Sturze Sturms
und vor der Einfegung des Marcus. Die Verbannung ift daher mit ziemlicher
Gewißheit in die Zeit vom Sommer 763 bis zum Frühjahr 765 zu ſetzen
Ic) möchte noch ein Moment geltend machen, das, wenn e8 gleich auf feine
beftimmte Jahreszahl hinführt, doch wenigftens die Nöthigung enthält, die Zeit
des Exils möglicft weit hinauszuſchieben, was bei unferer Annahme in der That
geſchieht. Den Prezzold nämlich, twelcher während Sturms Abweſenheit von den
Brüdern zum Abt ermählt wurde, Begeichnet Eigil als einen Mönd, quem ab
infantia sua beatus Sturmi edocuit.®) Diefer Unterricht kann ſchwerlich andere”
wo als in Fulda ertheilt worden fein. Wenn er daher felbft unmittelbar nad
ber Gründung des Klofters begonnen, fo ftand Prezzold doch im Jahre 744 noch
in jeiner Kindheit, Hatte alfo kaum das 30. Lebensjahr erreicht, als er der äuferften
Berechnung nad) am die Spitze des Kloſters trat.
3) Dronke, Traditiones Fuldenses p. 7.
%) Für Scpentungen fteht regelmäßig ber Ausdrue tradidit.
3) Eigil e. 17. p. 374.
Excurs XVL
Beiträge zur Annalenkunde.
$ı
Bur Aritik der annales Xantenses.
(Pertz 88. IL p. 21739)
Die von Berk zum erften Male Heransgegebenen annales Xantenses berichten
zum Jahre 753, p. 222: Terremotus tam terribilis factus est, quo urbes alie
quidem ex toto, aliae ex parte subversae sint. Hier ift alfo, ohne Bezeichnung
der Gegend, von einem Erddeben die Rebe, welches einige Städte ganz und gar,
andere zum Theil zerftört hat; und da der Bericht uns in derjenigen Schriftgröße
entgegentritt, die in den Monumenten fonft nur jelbftändigen Nachrichten vorbe-
haften ift, jo liegt die Verſuchung nahe, auf diefe niederrheimiſche Duelle hin an-
zunehmen, daß jenes gewaltige Naturereigniß in Deutfchland oder doch in Europa
fattgefunden habe.
Der Schauplatz deffelben jedoch — und deshalb haben wir es in der Dar-
Relung des Jahres 753 übergangen — war Syrien, wie ſchou Benther') und
nad ihm unter Anderen v. Hoff?) richtig angegeben Haben. Mit den Morten der
ann. Xant, aber hat e8 folgendes Bewandtniß. J
Der Bygantiner Theophanes, welcher um das Jahr 818 ſtarb, berichtet in
feiner von uns öfter erwähnten, bis zum Jahr 818 veichenden Chronographie,
ed. Bonn. I. p. 657: &v dt 6 nörh xpov@ yeyove veouds Ev Zegia
za) ueyaAn za Boßep& nrwor, 6Dev ai ulv Tüv molar ÖAo-
aAnpas Apaviodncav, ai IL long mag, Erepaı BL amd ray, dpewör
eig Ta bmoxsineva media adv * way reıylov xal Tv oixnudrav
— dhoxdipug uerlornoav oda ds dd wihloo EE 7 za wixpdv
moög.
Das griechiſche Werk des Theophanes nun diente bem päpſtlichen Bibliothekar
Anaftafius (F um 886) bei Ausarbeitung feiner Historia ecelesiastica®) als
toichtigfte Grundlage; denn außer einigen Stüden des Nicephorus und Syncellus,
%) Benther, Compendium terrao mofuum, Strassburg 1601: „Anno Gheifi 750. IR
abermagis in Styria entftanben ein fchredligie8 Gxbbibem, weldes ettife Stebte gant, etliche
dum Yalben tpeit ingeworffen Hat, eiliäe aber inbt mit allen Gebewen ganz van ben Bergen
über Hügeln {nd flache Sand einen meiten weg bortgejeft worben.“
#) von Hoff, Ghtonif ber Gräbeben I. (1840) ©. 196.
# Oebruct in Thoophanis Chronographia ed. Bonn. II. p. 1—284.
Veiträge zur Aunalenkunde. 519
weldje den Anfang bilden, ift das ganze Buch nichts als ein zufammenhängender
Auszug aus Theophanes.‘) Die Schrift des Anaftafius hinwiederum ging, zum
großen Theil, umd zwar Wort für Wort, in die Historia miscella über,?) ein
Werk, das, feiner Entftehungszeit nad; unbefannt und mit einiger Wahrſcheinlich -
feit einem Landolfus Sagay zugefchrieben, in feinen erften 17 Büchern die Historia
Romana des Paulus Diofonus mit mehrfachen Interpolationen, in den folgenden
9 Büchern dagegen die Schrift des Anaftafius reprodueict,?) jodaß beide, gleich der
Chronographie des Theophanes, mit bem Jahre 813 fließen. Im beiden Werfen
findet fi daher auch die oben angeführte Nachricht des Theophanes vom ſyriſchen
Erdbeben gleichlantend mit folgenden Worten wieder: Anno vero eodem factus
est terrae motus in Syria et ingens ac terribilis casus, unde civitatum aliae
quidem penitus exterminatae sunt, aliae vero mediocriter, aliae autem a mon-
tanis ad subjecta campestria cum muris et habitationibus suis integrae mi-
graverunt et salvae quasi ad miliaria sex vel etiam modicum quid ultra.‘)
Der Historia miscella aber, diefer im Mittelalter vielverbreiteten Compilation,
entnahm die Chronik Sigebertg von Gembloug (F 1112), gleich vielen anderen
Notizen,?) auch die in Rede ftehende und wies fie dem Jahre 753 zu. Sie lautet
dafelbft: Hoc tempore terremotus terribilis factus, quo urbes aliae quidem ex
toto, aliae ex parte subversae sunt, aliae autem a montanis ad subjecta
campestria cum muris et habitationibus suis integrae et salvae aim quam
ultra sex miliaria transmigraverunt. Hier finden wir aljo die Erwähnung
Syriens nicht mehr, und in diefer allgemeinen Faſſung ging bie Nachricht denn
endfid) auch in die annales Xantenses 758 über. Die Weglaffung des Gates,
aliae autem ete., madjt e8 unzweifelhaft, daß die Entfehnung in ber von uns
eben bezeichneten Weiſe ftattgefunden, nicht umgefehrt Sigebert aus den Xantenges
geichöpft hat: eine BVeftätigung der fon von Bonnell befonders für die Jahre
640—741 aufgeftellten Anfict.‘) Damit fiimmt e8 überein, daß der erfte Ab-
ſchnitt der Xantenses bis zum Jahr 790 erft von einem Mönch des 12. Jahr-
hunderts in den fonft älteren Coder eingetragen worden ift;”) jener Mönch war
eben der Autor bes vor ihm überhaupt mod) nicht vorhandenen Stüdes.
Einen weiteren Beleg für das ſoeben harakterifirte Verhältniß der ann. Xan-
tenses zur Chronik Sigeberts liefert die umter dem Jahre 768 gegebene Notiz
über eine andere ungewöhnliche Naturericheinung, die oben ©. 383 (N. 2) er-
mähnte Kälte nämlich. Auch diefe Nachricht ftammte aus Theophanes umd machte
denjelben Weg, den wir geſchildert. Wenn es bei Teophanes heißt: TE 0’
adrh krcı dm’ Apxis Tod Oxtofplov unvds yiyove pbos ueya
xal nız6rarov ... dare vhv dparday Tod novrov napaAlar
im Exardv uihıa vd mehayos anolıdudäva Ex Tod xpboug, ‘)
dann erzählt wird, wie im Februar die Eisdede des Meeres gebrochen und die
Schollen durch die Gewalt des Windes berghoch aufgethürmt worden feien,?) end»
lich Hinzugefügt wird: z@ ’adra Era unvi Moprip dorrepeg &Dpöng
ix zoö odpavod nimtovres GpDdnoav, bg mavras vobg Öpärrag
Tiv Tod mapdvrog aiövos inolaußaver eva vuvrehsen,”)
fo geben Anaftafius und die Historia miscella den Bericht folgendermaßen wieder:
') Zgl. praofatio p. 6. Beiläufig ſei erwähnt, daß auch bie Stele über Pippins König
nung D. 2, maß Fabrotuß überfehen (vgl. bie Anmerkung jener Seite), aber fhen Goms
er
2.
») Dipl. baß Werselgmiß ber Duellen Sigebert In ber Mortebe beB Geraußgeber, Perte BO.
5, fotoie bie Unführungen am Bande bed Xerted.
9 9. ©. Bonnel, Die Unfänge des Tarolingifgen Haufe ©. 149.
2) Bortz 88. IL p. 318, pracfatio.
520 Ercurs XVI.
Eodem quoque anno a kalendis Octobris factum est gelu magnum et ama-
rissimum . . . ita ut pelagus Ponti usque ad centum miliaria prae glaciei
rigore in lapidis duritiem fuerit versum ... Februario vero mense gelu in
multas ac diversas in speciem montium factas concisiones diviso hae prae
vi ventorum in Daphnusiam et Hieron descendentes ... mense Martio
stellae de caelo repente cadentes apparuerunt, ita ut omnes qui hoc viderunt
instantis saeculi consummationem esse putarent.!) Sigebert aber ſchreibt nur,
a. 763 p. 833: Gelu magnum a kalendis Oetobris usque ad Februarium —
hierauf folgen zwei politiſche Nachrichten über Waifar und den Bulgaren Sabinus,
dann fährt er fort: — Stellae subito visae de coelo cecidisse ita omnes ex-
terruerunt, ut putarent finem mundi imminere. Die ann. Xant. endlich ziehen
diefe Worte Sigberts noch enger zufammen, indem fe ſich auf die Naturerfcheinungen
beichränten, a. 768 p. 222: Gelu magnum a kal. Decemb. usque ad Februar.
Stellae subito visae de coelo cecidisse ita omnes exterruerunt, ut putarent
finem mundi imminere. Wiederum alfo, wie in dem erften Falke, die Weg ⸗
laſſung mancher Angabe, welche der Annaliſt in ſeiner Vorlage vorfand. Noch
ebidenter aber beweiſi der Schreibfehler der Xantenses „December“ ftatt „October“,
daß Sigebert feine Nachricht nicht den Xantenses, fondern ber Historia miscella
entnommen hat.
. 82.
Zur Rritik der annales Laureshamenses, Petavianl, Mosellani.
Eoru 88, I. p. 3. 19, XVI. p. 491)
Ulfe drei bier zu vergleichenden Annalenwerke weifen in ihren Mittheilungen
aus den 60er Jahren auf Ehrodegang und feine Diöcefe zurüd, wie aus nadj«
folgender Zufammenftellung Mar hervorgeht:
Laureshamenses. Petaviani. Mosellani.
761. J
transmisit domnus Hro- In isto transacto anno
degangus suos monachos transmisitdomnusChroth-
de Gorcia ad monasterio gangus suos monachos de
Hrodhardi .. . Gorzia ad monasterium
EtdomnusHrod u Chrof
u. lomnus. legan- vr. et tgangus
‚gus archiepiscopus — archiepiscopus egrotavit
Brit magna 764, magna infirmitate.
... Et Chancor vir in- ... Et Chancar vir illu-
luster comis dedit domno ster comis dedit domno
Chrodegangoarchiepisco- archiepiscopo et suos mo-
po et suos monachos mo- nachos monasterium qui
nasterio qui vocatur Lau- vocatur Laurisham in
rishaim in pago Rininse, 766, pago Rininse.
venerunt corpora sanc- veneruntque corpora venerunt ora BANC-
torum Gorgonüi, Naboris sanetorum ab urbe Roma torum Gorgonü, Naboris
et Nazarli in @orcia mo- in Franciam, Gorgenii, et Nazarli in Gorza mo-
nasterio id. Mad., et 5.id. Naboris, Nazarii . nasterio.
Jul. advenit preciosum
corpus sancti Nazarii in
monasterio Laurishaim.
') Anastasius p. 233-284, Hist. miscella p. 547-548.
Beiträge zur Annalenkunde. 521°
‚Laureshamenses. Petaviani. Mosellani.
gummsiit domnus Hrode- ... et eodemanno dom- transiit Rothgangus ar-
gangus archiepiscopus nus Frotgandus episcopus chiepiscopus.
Pridie non. obüt.
769.
Positum estcorpussancti ... etcorpussancti Gor- Positum est corpus 8.
Gorgonii in basilica que gonii positum fuit Gorzia Gorgonii in basilica, que
est constructa in Gorcia monasterio, est constructa in Gorzia
monasterio ... monssterio . . .
One Ztoeifel waren zu Metz oder Gorze in jenen Jahren annaliſtiſche Auf⸗
zeichnungen gemadt umd diefe fpäter in bie obigen Quellenſchriften aufgenommen
worden. Die Frage ift, im welcher berfelben ung jegt die urfprüngliche Faffung
jener Aufzeichnungen am reinften vorliegt.
W. Giefebrecht fagt:?) „Die annales Petaviani haben nicht, wie man bisher
angenommen, aus ben annales Laureshamenses, fondern beide gemeinfam aus
jener älteren Duelle [alten alamannifhen Annalen mit einer in Gorze entflan«
denen Fortfegung] geicjöpft, die uns in wenig getrübter Reinheit jet mod) in
den gleichfall® aus ihr abgeleiteten fogenannten annales Mosellani fließt.” Diejer
Anfiht gegenüber glaube ich den Laureshamenses die größere Autorität vindi⸗
ciren zu müffen.
Sie Haben zumäcft bie ſechs oben angeführten Nachrichten in gleicher Boll-
fändigfeit, wie bie Mosellani. Berverheben ne aber ift die Gleihmäßigkeit,
mit weldjer fie Ehrodegang ſtets als domnus Hrodı egangus gus archiepiscopus he ·
geichnen, eine Öleihmäßigkeit, die ſich bei den Mosellani ebenfowenig wie eine
richtige Schreibung des Hildnficen Namens findet. Noch, wichtiger erſcheinen bie
genaueren chronologifhen Angaben, welche fih nur in den Laur 1enses finden,
foroßl was die Translation dev drei Heiligen im Jahre 765, als au; was den
Todestag Chrodegangs im Jahre 766 betrifft. Ze richtiger es ift, daß die Laures-
hamenses in Lorſch rebigirt worben, defto undenkbarer wird es, daß jene Zeitan-
gaben erft Hier hinzugefommen feien, im der Meter oder Gorzer Duelle dagegen
Gefehtt haben follten. Biel egeifiße iſt es, daß dieſe Daten ſchon hier geftanden
hatten und gleichlautend in die Laureshamenses Aufnahme fanden, während bie
Mosellani, ans Gfeichgültigkeit gegen die Thatſachen. ihre genauere Datirung fort-
ließen, wie ja die Petaviani fogar einen Theil der Facta jelbft Übergangen haben.
Daraus würde ſich ergeben, dal N die Laureshamenges unter allen drei abgeleiteten
Schriften die Worte der gemeinfamen Duelle am genaneften twiebergeben; und
diefe Annahme wird durch einen weiteren Umftand beflätigt. Wenn eine in Lorſch
verfaßte Schrift von „einem Kloſter im NAheingeu, welches Lorſch heiße“, redet, )
jo läßt fi dies nur dadurch erfläven, daß der Autor dieſe Worte einer anderen
Duelle nachgeſchrieben Hat, die fern von Lorſch entftanden war; mit anderen
orten, daß diejer Ausbrud ber Laureshamenses wörtlich aus der Meer Duelle
flammt. Das aber berechtigt ums zu der weitern Folgerung, daß die Laures-
hamenses aud) in ihrem übrigen Wortlaut der Urſchrift am nächften ſtehen.
Wie — dies von den Petaviani gelten Tann, zeigt nicht allein die oben
angebeutete Weglafjung einiger Localnachrichten, fondern vor Allem auch der ver-
jemeinernde Ausbrud in Franciam ftatt in Gorcia monasterium beim Jahre
; ich kann daher and; nicht einräumen, daß die Entftehung ber Petaviani nad)
Gorze zu fegen fei.®)
2) Ri iRorifheß Jahr 926-227. — Battenbad, Geihicts
(1886) ©. FEN —X — —— dur beutfcien Gedichte ve de Helfen
an.
fi} biefer Meinung
®) Annales Läureihamen enses T64: monasterio ‚qui vooatu: Laurishat in pago Binin
*) ®. Giefebreät a. ie toeitere Berbreitung, welde —
Kiez und, a imele e ve 7 Se Gorieeh Zeugniß gen, tommt für und nit
ine nur, ade D. ©. 101. 9. 1 Berborges
hoben, ba} Bomanı eb yemalß, corbejenfiden, jeht
vaticanifgen — oben ©. 448. 9. 7) Leinen en Zuiite enthält. Au) jei ig 5
522 &rus XVI.
Es ift bereits oben ausgeſprochen worden, ") daß bie Nachricht unferer Annalen
(755) über das Maifeld fid) night in den Petaviani, fondern in den Lauresha-
menses in ihrer urfprüngligen Faſſung finde. Die Begründung biefer Anficht
glauben wir im Vorfiehenden gegeben zu Haben; Hier fragen wir nur noch: Wie
erklärt fid die Webereinftimmung des Wortlauts diejer Stelle in den Petaviani
und Mosellani, da derjelbe ſich unferer Meinung nad) nicht ſchon in der Original«
quelle fand? Wir glauben die Erllärung darin zu finden, daß dem Berfaffer der
— außer jener Originalquelle auch zugleich die Petaviani als Vorlage ge
dient haben.
Zum Beweiſe gehen wir von der Compilationsmethode der Petaviani bei
Darftellung der 40er Jahre aus. Dem Annaliften war außer der Gorzer Duelle
anerfanntermaßen auch noch dad Driginal der annales S. Amandi zus Hand,
und e8 fam ihm offenbar daranf an, mit Hillfe beider Vorlagen jedes Jahr mit
einer Notiz zu verjehen. Nun fehlten in der einen Duelle, toie noch jest in deu
ureshamenges, die Jahre 748, 744, 749; in der andern, wie nod; jet in den
ann. 8. Amandi, die Jahre 744, 748. Bas tun bie Petaviani aljo? Sie ent-
nehmen 742 und 743 der letzteren Duelle:
ann. 8. Amandi. « ann. Petaviani.
742
Karlomannus duxit exereitum contra Carolomannus perrexit in Wasconiam.
Chunaldum
743
Karlomannus bellum init contra vastavit Karolomannus Alamanniam ®)
jajoarios.
Zur Ausfülung des Jahres 744 benuten fie fodann die in den Lauresh.
742 gegebene Notiz: Carlomannus et Odilone hostem in Saxonia; denn die Ber-
wandtfdaft dieſes Satzes mit dem der Petaviani 744 (pax inter Karolomannum
et Odilonem; et hostes in Saxonia) wird niemand verfennen.
Genau diefer Anordnung entfprechend, lauten num auch bie Worte der Mosel-
lani in ben Jahren 742—744 folgendermaßen:
742. Karlomännus in Wasconia et in Alamannia.
743. vastatio Karlomanni in Alamannia.
744. pax inter Carlomanno et Hodilone facta. Hostilitas in Saxonia.
Diefelbe Erſcheinung wiederholt ſich bei den Jahren 748 und 749. Da für
daß erftere nämlich in den ann. 8. Amandi, für da® andere in den Lau
menses eine Angabe fehlt, fo ſchreiben bie Petaviani zum Jahre 748, den Worten
der Laureshamenses (Crifico fugit in Saxonia) entipredjend: Grippo fugit in
Saxoniam, und da nun die ann. S. Amandi 749 fagen: Grippo fuit in exilio,
fo machen "die Petaviani daraus: quando Grippo reversus est de exilio.
Die Mosellani aber melden:
748. Grifo fugit in Saxonia.
749. reversus est Grifo de Saxonia.
Nichts war natürlicher, als daß fie das Wort exilium als Saxonia auf-
faßten. Diefe Stelle madjt es zugleich unmöglich, anzunehmen, daß die Notizen
ber ann. 8, Amandi mittefft der Mosellani in die Petaviani, flatt umgekehrt
mittelft der Petaviani in die Mosellani, übergegangen feien; wie wäre fonft der
Berfaffer der Petaviani auf das Wort exilium gekommen? Webrigens bedarf e8
biefes Naqweiſes keineswegs, um ben richtigen Zufammenhang zu erfennen; denn
die Entleßnungen aus den ann. S. Amandi (vefp. ihrer Duelle) begegnen ja auch
fonft vielfady in den Petaviani, in den Mosellani dagegen nicht weiter.
nt Sa, bi im vodex Maselense Beim Jahre 18 eff Eng san bez anlepttnden
Karlmann, welche Perg erft im 8. Bande der Beriptores, Fr 169, aus ber Mafjaier
gene felöft unb war ald einen Bufap zu dem im 1. Bande nad Sabbe wicbergegebenen
Em Fi — aboruc, N dog aug Iaen in Sabbch Ausgabe, Nova bibliotheca mser.
8* wet
3 Se — —E in_Wasconle eb fo it aud ber
2) Bie 742 contra di um, buch In Wasconlam umfdriehen IR, To if an
mäcfte Gag (148) nur eine Umfreibung der Morte bellum wit contra Bajonrios.
Excurs XVI.
Die Reistheilung des Jahres 768.
.
Der Theilungsplon Pippins ift vielfach der Gegenftand eing:jender Unter:
ſuchungen gewefen.!) Die zwei Hauptberichte dariiber, von Einhard umd dem Fort»
ſetzer des Fredegar, lauten folgendermaßen:
Franci, facto solemniter generali conventu, ambos [Karlum et Karlo-
mannum] sibi reges constituunt, ea conditione praemissa: ut totum regni
corpus ex aequo partirentur; et Karolus eam partem, quam pater eorum
Pippinus tenuerat, Karlomannus vero eam, cui patruus eorum Karlomannus
praeerat, regendi gratia susciperet. inhardi Vita Karoli c. 8.
[Pippinus] una cum consensu Francorum et procerum suorum seu et
episcoporum regnum Francorum, quod ipse tenuerat, aequali sorte inter filios
suos Karolum et Karlomannum, dum adhuc ipse viveret, inter eos divisit,
id est, Austrasiorum regnum Karolo seniori filio regem instituit, Karlomanno
vero juniori filio regnum Burgundia Provincia Gotthia Alesacis et Alemannia
tradidit; Aquitaniam, quam ipse rex adquisierat, inter eos divisit.
Fred, cont. c. 186.
Da dieſe beiden Berichte weder übereinftimmend noch vollftändig find, jo hat
man aus dem gleichzeitigen Urkunden der föniglichen Brüder größere Veftimmtheit
zu gewinnen gefucht, indem man verglich, am weichen Orten ſich jeder von Beiden
aufgehalten, welche Orte er mit Privilegien oder Schenkungen ausgeftattet, auf
weiche Gegenden ſich ſolche Schenkungen bezogen haben. Dieſe Methode jedoch
beruht größtentheile auf fehr umficheren Borausjegungen, wie denn ſchon Waitz
am einigen Beifpielen,*) ebenfo Abel*) und Sidel‘) das Schlagende einer ſolchen
Beweisführung beftvitten haben. Es Handelt fi beſonders um bie Frage, ob
KRarlmann einen Antheil an Neuftrien und an Auftrafien gehabt hat. Allein daß
ein Fürft ſich vorübergehend an einem Orte aufhält oder dort eine Urkunde aus—
fteltt, ift durchaus kein gültiger Beweis für feine Herrichaft über denfelben. ferner
lonnte Karlmann eine oder die andere Billa in Neuftrien befigen und verſchenken,
ohne der Souverän der Landſchaft zu fein. Ebenjo brauchten Klöfter, die er ber
ſchenkte, nicht nothwendig innerhalb feines Machtgebietes zu liegen; und daß er
die Immunität von ©. Denys beftätigte, erklärt ſich daraus, daß dies neuſtriſche
Kloſter, defjen Abt Fulrad ein elfäffiicher Grundherr war, Befigungen in Ale
) Ports 88. I. p. 147 not.; Kröber, Partage du royaume des Franc entre Charle-
‚et Carloman, B!bliothöque de l&cole des chartes, 4. sörle, IL. (186) p- 341 8q.:
S, 315 Mich, Raıl der Große I. ©, 18-28; Sidi, u, 6. ub-sn.
* —*
— 21.
+) Sidel ©. 945. 9. 4 und S. 247.
524 Ercurs XVI.
mannien erworben hatte.) Wir erinnern uns, daß in ähnlicher Weiſe fränkiſche
Kirchen in Aquitanien begütert waren, und daß Waifar von Pippin darum an:
gegangen wurde, ihre Immunität anzuerkennen.
Biel maßgebender iſt die Datirung der Privaturkunden nad) den Regierungs-
jahren des einen oder des anderen Könige. Da begegnen uns num zumächft zwei
Urkunden mit Nennung beider Namen: die eine aus Neuftrien vom 5. Juni 769,
anum primum regnate sub domno Carlo et Carlomanno regis gloriosisim —;*)
die andere eine Schenkung des Grafen Eancor für Lorſch vom 1. Juni 770, anno
secundo regnantibus gloriosissimis regibus Carlo et Carlomanno.?) Gegenüber
der Menge anderer Urkunden aber, in welden immer nur einer ber Brüder ger
nannt wird, Können diefe vereinzelten Beiſpiele kein genügender Grund fein, eine
gemeinfame Herrſchaft Beider anzunehmen. Zudem fällt die neuſtriſche Urkunde
grade in bie Zeit, wo die beiden Brüder wegen des aquitanifchen Krieges, wie es
ſcheint, ganz in der Nähe des Ausftellungsortes, zu Duasdives, eine Zufammen-
iunft haiten.“) Sonft wird in neuſtriſchen Privaturfunden immer nur Karls Res
gierungszeit angegeben, wobei freilich unerwieſen bleibt, welches Jahr, ob 768 oder
771, als der Anfangspunft feiner Herrſchaft gedacht if; und was Auſtraſien bes
trifft, fo nennt nur eine echte auftrafiiche Urkunde Karlmann als König.’) Dieſe
ericheimt daher als das einzige Document, das auf einen Antheil bes jüngeren
Bruders an Auftvafien fchfiege ließe, dem aber, der ausdrücklichen Angabe ber
Fortfegung Fredegars gegenüber, Tein Gewicht beizulegen if.
Verſuchen wir in Betreff des Theilungsplans auf anderem Wege zu einem
fefteren Ergebniß zu gelangen: unter Zugrumbelegung nämlich eines ehr authen-
tischen Berichtes, den Karl der Große ſelbſt uns hinterlaſſen und ber bisher mehr
‚oder weniger unbenutzt geblieben ift.‘) Ich meine die Divisio Imperii vom Jahre
806,7) in welcher Karl der Große das fränkiſche Reich unter feine drei Söhne
Karl, Pippin und Sudwig theilt, trina portione totum regni corpus dividentes
non ut confuse atque inordinate vel sub totius regni denominatione jurgü
vel litis controversiam eis relinquamus . .. ut aua quisque portione conten-
tus... et fines regni sul... nitatur defendere et pacem atque caritatem
cum fratre custodire. Die Theile find im Großen und Ganzen etwa jo be
meffen, daß Ludwig Aquitanien, Septimanien, die Provence umd Burgund aus»
ſchließlich des norböftfichen Stüces zwiſchen Sadne und Rhöne; Pippin Italien
und alles im Süden der Donau gelegene baieriſche und alamanniſche Land ein»
ſchließlich der Oſtſchweiz; Karl, ber ältefte Sohn, endlich die aneinanderfioßenben
übrigen Theile von Burgund, Mamannien und Baiern, dazu die ebenfo zuſammen -
härtgenden norddeutſchen, nieberländifchen und nordfranzöftfchen Provinzen (Austriam,
Niustriem, Turingiam, Saxoniam, Frigiam) erhielt. Es leuchtet ein, daß außer
der Südhälfte Frankreichs, bie Ludwig bekam, Alles, was im Jahre 768 zum
fränfifchen Reiche gehört hatte, bei diefer Theilung des Jahres 806 dem älteften
Sohne Karl zufiel.
2) ————
fi) darum, den burc bie Gabgier ber Stantöbeamten verminderten Befud bed Markted bon
Seiten ber necuelantes vel omnes naciones, qui ad ipso marcado advenire solebant, wieder
u heben. Daher fonnte e8 nur von upen fein, nigt nur ben Grafen von Paris, fondern
:n Beamten bed gefammten fantenceichd, jept alfo beiver Reicätheile, eine Beläftigung ber
Marttbefuher zu unterlagen. Das iNsbenn au, mas Ratlmann nad bem Belfpiele (eined Waters
borgugätoeife tut, Inbem er erflärt: denuo iterum concessimus, ut ab hac die nullus er
Judiciaria poteatate nec In ipao marcado neo per corum agros nec porfus nec de homines
orum nec eorum negociantes nee de omnes naciones quascungue, qul ad jam dieto mar-
cado adveniunt .. . nullo telloneo .. . exigere non praesumatis.
*) Bihliothögue de 16cole des chartes, 3. sörle, IL. 1845-46) p. 73: in villa Pociollus
in pago Pinclacinse (le Pincernais ou pays de Polssy, bel. p. 71) aotum est — do (Meo-
dun, Menden? p. 73. n. 3) vigo publigo at ecclesie sanct! Martini in minse junlum
quot focit dis quinque.
20. Lanreshämensis dipl.I.p. 38; bon Abel (8.541) und bon @idel (6,347) überehen.
al. Abel S. 31-85.
„) Prexaria Grinberti 8. Madalveo episcopo Yirdunensi oblata, über res las in
Virdnnenst . ». quas go Ipso ... ad hanlicam vostram sancto Vitono condonarl
‚Baluzlus, Capitularla regum Francorum II. col. 824.
*) Erteäßnt bon Baip ©. 90. R. 8, von Abel 6. 38. N. 2.
”) Perts LL. I. p 161.
Die Reichstheilung des Jahres 768. 525
vero illam em accipiat, quam nos in illa portione suscepimus.
Durch diefe Stelle widerlegt ſich zunächſt die Annahme, daß bei der Theilung
des Jahres 768 für jene Stammgebiete der fränkifchen Herrſchaft, Auftrafien und
Neuftrien, eine gewifje Gemeinjchaft beabfichtigt worden fei. Sowohl Waitz als
auch Abel‘) neigen zu dieſer Meinung, obwohl fie die angeführte Stelle der Divisio
nicht überjehen haben und Abel namentlich die aus Einharde Worten regni socius
und societas gezogenen Folgerungen abgelehnt hat.) Aber wie Karl in der Ein-
feitung zu feinem Theilungsplan von 806 fi ausbrüdlich für firenge Schei ⸗
dung der einzelnen Gebiete ausſpricht, fo wollte er ſicherlich auch die weiteren
Thellungen in Todesfällen ſtreng durchgeführt und jede Gemeinſchaft ausgeſchloſſen
fehen. Wenn er dabei alſo den Vorgang des Jahres 768 als Rictfchnur hinftellt,
fo iſt — das ſcheint mir unumſtößlich — aud) damals von einer gemeinſchaftlichen
Regierung irgend welches Landestheils nicht die Rede geweſen.
Welches aber waren nun die zwei Hälften, die beim Ableben des älteren
Bruders Karl an die jüngeren zwei Söhne des Kaifers fallen jollten? Die Ant
wort ift: jeder ber beiden Erben bekam alsdann diejenige Hälfte, welde an jein
Theilkönigreich ftieß. Denn daß Karl der Große fein Reich nur im compacte
Stuppen zerlegen wollte, ſcheint aus der Umgrenzung berjelben unzweifelhaft.
Ferner wird für den Fall, daf einer der anderen zwei Söhne fterben follte, die
Bertheilung feines Gebietes ganz deutlich nach dem Princip angeordnet, daß jedem
der erbenden Brüder ein ihm benachbartes Stüd zugedacht if. So jollte 3. B.,
wenn Ludwig ftarb, Karl das an Neuſtrien floßende Aquitanien, Pippin das an
Stolienägrenzende Burgund nebſt der Provence und Septimanien belommen. Wenn
alfo Karls Antheil bei jeinem Tode an feine Brüder vertheilt werden follte, jo
befam Ludwig ohne Zweifel dasjenige Stüd, welches an jein aquitanifd-burgun«
diſches Gebiet grenzte, d. i. Aufitafien und Neuftvien; Pippin dagegen nad) dem
gleichen Princip das Land zwiſchen Rhein und Donan, ſowie wahrſcheinlich auch
Alles, was zwiſchen Rhein, Rhone und Saöne lag.
Danach beftimmen fi denn, unter Hinzuziegung der Angaben des Fred.
cont., die Theile, im welche das fränkiſche Reich im Jahre 768 getheilt worden
if. Der ältefte Sohn Karl erhielt jomwohl Auftrafien als Neuftvien. Wenn Fred.
cont. als den Antheil Karls nur das regnum Austrasiorum bezeichnet und
Neuftrien ganz übergeht, jo muß darin entweder eine Ungenauigleit erfannt oder
mit früherern Erklärern angenommen werden, daß der Verfaffer mit diefem Aus-
drude das ganzen Francien, das eigentliche regnum Francorum habe bezeichnen
wollen, obwohl für dieje Bedeutung des Wortes Austrasia feine Analogie ſich findet.
Au Karimann, der ſchon Buͤrgundien und die ganze Mittelmeerküfte erhielt,
fiel dazu laut Fred. cont. Ylamannier und Ela; wir müffen dies Gebiet mod)
dahin ermeitern, daß auch das heififch-thüringiiche Land ihm zu Theil wurde, deſſen
Uebergehung bei dem gegen vechtscheinifche Dinge gleichgültigen Chroniften nicht
auffallen kann.
Nur wenn wir, wie hier aqehen, ganz Veuſtrien und Auſtraſien Karl zu-
erkennen, ftellt ſich zwiſchen den Machtgebieten beider Brüder jene Gleichheit her,
Er fowohl nad) Einhard als auch nad) dem Fortſetzer des Fredegar ausbrüd-
lich beabfihtigt wurde. Diefer wefentliche Gefichtspunft fcheint mir von denen
ganz aufer Adıt gelaffen, welche annehmen, Karl habe Neuftrien oder fogar Aue
ftrafien und Neuftvien mit Karlmann theilen müſſen; denn Karlmann, der dazu
noch unbezweifeltermaßen den ganzen Süboften Frankreichs, Elſaß und Homannim
befam, hätte dann wenigſtens zwei Drittheile des Ganzen beſeſſen.
Auch findet der vielangefochtene Bericht Einhards über die Theilung — Abel
2) Bait, ©. 91, Abel S. 51.
Abel ©. 23.0. 3.
526 Exeurs XVII.
nennt ihm von Anfang bis zu Ende unglaubwürdig — bei unferer Auffaffung
der Sache eimige Rechtfertigung, infofern, ganz allgemein betrachtet, Karimann,
wie einft fein Oheim gleichen Namens im Jahre 741, das öſtliche Land erhielt,
der Antheil Karls dagegen, wie eimft der feines Vaters, mehr im Weften lag; auf
Genauigkeit im Detail kam es Einhard Hier ebenfo wie an vielen anderen Stellen,
feines Werkes nicht an.
Eine Ausnahme bildete Soiffons. Diefe neuſtriſche Stadt nämlich ſcheint
allerdings zum Beſitze Karlmanns gehört zu haben, und zwar als feine Reftdenz,
da der Fortſetzer des Fredegar Nohon und Soiſſons ausdrüdlih als propriam
sedem regni- eorum (nämlid; Karls und Karlmanns) bezeichnet.) Es war aber
von jeher bei dem Theilungen des Frankenreichs Grundfag geweſen, daß die Refi-
denzen der Könige, wie weit auch von ihren Reichen entfernt, in Neuftrien neben-
einander lagen. So hatten eimf bie Söhne Chlodwigs I. und Chlothars I. ihren
Sig in Paris, Soiffons, Orleans mad Reims;?) fo war der Sit Theodorichs II.
von Burgund in Orleane. ®)
%) Fred. cont. c. 187.
u r. Turon. bist. Franeorum lb. IV. c. 22.
®) Fredeg. chron. c. 16.
Verzeichniß
der in abgekürzter Form citirten Werke.
Abel, ©., Yahrbüder des ftantiſchen Reiches unter Karl, dem Oroßen, I. 768
big 788, Berfin 1366, 8%.
Acta Sanctorum quotquot toto orbe coluntur collegit digessit notis illu-
stravit J. Bollandus (et socii), Antverp. 1643 sq., fol.
Beyer, Urkundenbuch zur Geſchichte der jetst die preußiſchen Regierungsbezirke
Eoblenz und Trier bildenden mörteteeimüfchen Territorien, Coblenz 1860 ff., 8°.
Bouquet, Rerum Gallicarum et Francicarum seriptores (Recueil des histo-
* riens des Ganles et de Ia France), Paris 1738 sq., fol.
Burchardi Wormatiensis ecclesiae episcopi Decretorum libri XX. Die
erſte Aus br, erichien zu Cöln, 1548, fol.; mir fland die nächſtfolgende,
Paris 1549 8°, zur Benutun ung.
Codex Carolinus f. Jaffe Bibliotheca IV.
Codex prineipis olim Laureshamensis abbatiae diplomaticus ed. Aca-
demia Theodoro-Palatina, Mannh. 1768, 4°.
Dionysii Exigui (f c. 550) Codex canonum ecclesiae universae: Migne
Patr. lat. T. LXVII, 8°.
Gallia christiana ed. Sammarthani, Par. 1716 sq,, fol.
Gratiani Deeretum (um 1150 vollendet): Migne Patr. lat. T. CLXXXVII, 8°.
Hahn, Heinrich, Jahrbücher des fränkiichen Reiche Ta T02, Berlin 1863, 8°.
Hefele, Eonciliengeichichte, Seeibun im Br. 1855 ff.
Teidori Hispalensis (r 686) Collectio (Liber) oma: Migne Patr. lat.
T. LXXXIV, 8%
Ivonis Carnotensis episcopi (f 1125) opera omnia ed. Migne, Patr. lat.
T. CLXI, 8° (nad) Fronto, Par. 1647):
a) Decretum, libris vu digestum, col. 47—1086;
b) Panormiae libri VIII, col. 10411344.
Jaffe, Bibliotheca rerum Germanicarum III, auch unter dem Titel: Monu-
menta Moguntina, Berol. 1866, 8°; enthält befonders (p. 8—816):
8. Bonifacii et Lulli epistolae.
Jaffe, Bibliotheca rerum Germanicarum IV, a. u. d. &.: Monumenta Ca-
rolina, Berol. 1867, 8°; —* — befonders (p. 1—806):
Codieis Carolini epistolae.
Liber pontificalis, seu Vitae pontificum Romanorum ed. J. Vignolius,
Romae 1724 sq., 4.
Mabillon, Acta Sanctorum ordinis 8. Benedieti, Par. 1668 sq., fol.
Mansi, Sncrerum conciliorum nova et amplissima collectio, Florentiae
1759 sq., fol.
Migne, Patrologiae cursus completus, Parisiis 1844 sq., 8°:
a) Series latina;
b) Series graeca.
528 Verzeichniß der im abgefürzter Form citirten Werte,
Pardessus, Diplomata, chartae, epistolae, leges aliaque instrumenta ad
res Gallo-Francicas spectantia, Par. 1848 sq,, fol.
Pertz, Monumenta Germaniae historica, Hannov. 1826 sq,, fol.:
a) Seriptor, 1826 sq.;
b) Leges, 1885 sq.
Roginonis ab! Prumiensis Libri duo de synodalibus causis et die
sciplinis ecelesiastieis, zuerft herausgegeben von Joachim Hildebrand aus
einem ehemals Helmftäbter, jetzt Wolfenbüttler Coder des 10. oder 11. Jahr-
Hunderts (Helms. 1659, 4°); nur zwölf Jahre fpäter, unter Mitbenugung
einer Parifer Handſchrift des 11. Jahrhunderts, von Baluze (Par. 1671, 8%).
Im neuerer Zeit aber hat Waſſerſchleben, vornehmlich auf Grund zweier
Handfeeiften des 10. Jafefunderts, welche ſich in Trier und Gotha befinden,
-den Zert des Werkes in feiner urſprünglichen Geftalt veröffentlicht (Lipsiae
1840, 8°). Der Abdrud bei Migne, Patr. lat. T. CXXXII (Par. 1858),
folgt der Baluziihen Edition.
Rettberg, Kirchengeſchichte Deutſchlands, Göttingen 1846 ff. 8°.
Roth, Paul, Geſchichte des Beneftzialw ſens von den älteſien Zeiten bis ins
10. Jahrhundert, Erlangen 1850, 8%.
Roth, Paul, Feudalität und Unterthanenverbanb, Weimar 1863, 8°,
Sickel, Acta regum et imperatorum Karolinorum digesta et enarrata,
Wien 1867,
Erfter EN it Urkundenlehre.
Zweiter — Urkundenregeften 751—840 (Acta genuina nebſt An-
merfungen, Acta deperdita und Acta spuria),
Nach des Berfaffers eigenem Beifpiel haben wir die Diplome Pippins (P.),
Karlmanns (C.), Karls des Großen (K.) und Ludrwige des Frommen (L.)
ſtets mit der in den Megeften ihnen beigegebenen Nummer citirt und auf
die Anmerkungen Sidels durch Anführung des einzelnen Stückes mit
beigefügtem Sterndjen, hin und wieder auch wohl durch Angabe der ber
treffenden Seite des zweiten Bandes verwie ſen.
Sidel, Beiträge zur Diplomatit I—V: Sitzungsberichte der phil. hiſtor. Claſſe
der Mademie der Wiffenfchaften in Wien, Bd. 86. 39. 47. 49, Wien 1861 ff., 8°.
Troya, Codice diplomatico Longobardo dal 558 al 774, Napoli 1852 sq., 8°.
Parte IV. enthäft no 535 (König Sutpram) Bi bie no 724 (a. 758),
» Van 725 (a. 759) bis no 851 (a. 7.
„ Vbn0 852 (a. 766) bis no 998 (a. Tr.
Vignoli, f. Liber pontificalis,
Waig, Deutiche Verfaffungsgefchichte, Kiel 1844 ff. 8°.
Waitz, Ueber die Anfänge der Vaſſallität: Abhandlungen der föniglichen, Gefell-
ſchaft der Wiffenichaften zu Göttingen Bd. VII, Göttingen 186 5
Bartmann, Urkundenbuch der Abtei S. Gallen, Zürich 1863. ff.,
Battenbah, Deutſchlands Geichichtsquellen im Mittelalter bis ee ie des
13. Jahrhunderts, 2. Auflage, Berlin 1866, 8°.
Regifter.
Abkürzungen: A. — Abt, 8. = Biſchof, E = rien, &. =
8 — König, A.
a.
Aachner Regel 206. 217.
Abaciacum, Billa, 13.
Abba, Gr. 181.
Abd Exrahman 340. 395.
Abel, E. von Reims 9. 62.
Abtswahl 17. 343. 352.
Abusl- Abbas 395.
Acerragio 203.
Actiones 142.
Actores 93. 142,
Actus episcopales 63.
Adalardus, * v. Chalon 384.
Adalbertus 2
Aalfeed, Er von Noyon 315. 858.
363. 366.
Adalgarius 343,
Abalharb von Corvei 425—426.
Adalhart, Gr. 329.
Abalfinda 237.
Adda |. Eddo.
Adelchis, K. d. Langob. 289. 439-440.
Abelperga v. Benevent 93. 444.
Aberulfus 325,
Adheleid, Tochter Pippins 425.
Aominiculator 141.
Adola, Aebtiffin von Pfalzel 103,
Adotbertus 348.
Adulterium 279.
Aemilia 110. 202. 268.
Aefium, |. Iefi.
Aethelheri (Adalarius) 170. 178.
Aetherius, B. v. Tours 371.
Aethilbald, K. v. Mercia 86. 75.
Jethilbert, E. v. Kent 44.
Aganus 408.
Agaunum, ſ. S. Maurice.
Dahrb. d. diſch. Geſch. Deläner, Rönig Pippin.
Graf,
| Agde 340,
Agen 403.
Agilolf, 8. v. Eöln 76.
Agiluff, 8. d. dangob. 268.
Adult, Biſchof von Aurerre. 8.
©. Aignan d'Orléans, Kl. 359.
Aimarus, E. v. Bourges, 341.
Aiftulf 84 ff. 92. 115 ff. 124—195.
137. 148. 162. 193 ff. 254 ff.
282 ff. 436. 441.
Aamanrien 9. 96. 106.
Albano, B. v. 409.
Adert, X. von Echternach 21. 359.
Aboin, 8. d. Langob. 194.
Alboin in), derzog von Spoleto
289. 320. 44
Aldy 407.
Aleuin 98. 100. 108. 426. 428. 429.
Aldebert, Irrlehrer 101. 104 ff.
Adhelm, *. v. Malmesbury 102.
Aldherius, A.
Mdricus, 8. v. Le Mans 869.
Aerander II., Papft 274.
Aezanderioier (Leberau) 394.
Aerandrien 186. 408. 406.
Alpen 125.
Allaich, Nieder- 362. 368. 364.
Alttip, Zelle 20. 852.
Altfadhien 43. 76.
Amalarins 208.
S. Amand, gl. 860.
Amanugus, Gr. v. Poitiers 884.
Ambrofius, Primicerius 125.
©. Ambrofius 100.
Amieus, A. dv. Murbach 22.
Amiens 359.
Amormuni 396,
34
}
Amtsadel, römischer 141.
Anakafine, Pairiarch v. Eonftantinopel
Ancona 286. 321.
Andelfingen 385.
Andolsheim 424.
Andreas 358.
Angelfachien 43. 60. 67. 101. 159. 275.
Angers 19. 316. 362. 363.
Angila 378.
Angifcam, ®. v. Metz 217. 859.
Angla 496.
Angouleme 841. 353. 403.
Anifiacus, Billa 8.
Anifola, Ki. 15. 342. 860.
ui, Gemahlin des Defiderius 284.
6.
Anscaufus, B. von Forlimpopoli 291
bie 292.
Anfelm, A. dv. Nonantola 120. 283.
Anfelperga, Tochter des Defiderius 284.
Anjemundus 340.
Ansfrid, B. v. Siena 120.
Ansfrid 82.
Anthi, Spatarius 396. 397.
Antiodhia 186. 405.
Antipoben 176—177.
S. Antonin, Kl. 407.
Apocrifiarius 18. 38,
Aquileja, Patr. v. 115.
Aquitanien 6. 78. 234. 296. 338—343.
348 — 374. 379— 386. 398 bie
399. 402—403. 407—408. 410 bie
413. 415—118.
Araber 112. 895—396.
Arbon 329.
Arbona (Arbuna) ſ. Narbonne.
Arcarius 141.
Archidiakon 213. 242.
Ardipresbnter 421.
Archib der römijhen Kirche 55. 138.
Ardennengau 17. 352.
Ardobert, E. v. Sens 62.
Arduenna silva 126,
Aregis, Herzog v. Benevent 320. 444.
Argengau 329.
Argenteuil, 81. 422.
Argenton 885.
Arianismus 92. .
Arimanni 95.
Ariminum ſ. Rimini.
Aripert, 8. d. Langob. 180.
Yemen, Bi Fürforge für die 801. 400.
4
Artahitten, "Kaifer 127.
Arverna (Auvergne) 342. 343. 348.
349. 408.
—
530 Regiſter.
Asceten 232. 800.
Afchheim 296 ff.
afnarius, A. v. Novaleje 198. 368.
76.
Affuer, A. v. Prüm 19. 393.
Athalbertus, A. v. Pfäffers 863.
Artigng 65. 857 ff. 398.
Audaldovilfare (Audalsweiler) i. S.
Hippolyte.
Audo, B. 316.
Auguftinus, €. v. Dover 43. 44. 102.
©. Auguftinus 176. 177. 274.
Auripert, Maler 98.
Auftvaldus, Gr. 384.
Aufruf, A. dv. ©. Bandrille 23-24.
Autchar, Herzog 121. 124. 344.
Autgarius, Richter 1
Authari, 8. d. — 98. 111. 268.
Automadus |. Wiemadus.
Autun 234. 348. 349. 362. 363. 399.
Augerre 3. 225. 348. 399. 408.
Avarien 96. 112. 880,
Aveyron 408.
Aifind, Billa 7.
©. Abold (Hilariacum) 395.
avunculus 385. 425.
Baddilo, Kanzler 51. 324.
Bagdad 396.
Baiern 96. 100. 106. 296.
Balbebenh 2, v. Aufl und A. v. Mur-
bad, 22. 363.
—E 28.
Bannbuße 241. 242. 248.
Banner 408.
Barifis, Villa 360.
Bafel 362. 363.
Bafınus, B. v. Speyer 358.
Bangolf, A. v. Fulda 64.
Baugulfus, Richter 73. 357.
S. Bavon, Kl. 208.
Bayeuz 362. 368.
Beauvais 859.
Beda 48. 103. 175.
Veichte 214—215.
Benebict, A. von Honau 324.
Benedict, Prieſter 257.
Benediet, Vicedominus 38.
Benedictinerregel 206. 210 ff.
Benedictus Levita 242. 250.
Beneficien 304—3805. 312. 416.
Benevent 96. 110. 111. 119. 139. 141.
162. 259. 264. 288. 320. 821 - 822.
854. 448-—445.
Regifter
©. Benott, Kl. Fleury.
Berchtoltsbaar 829.
Bereihelmus (Berthelinus), B. v. Cöln
Bergamo 257.
Beringarius, Gr. 411.
Bernhard, Bruder Pippins 425.
S. Bernhard (Mons Jovis) 125.
Bernwolf, B. v. Würzburg 64.
Bertellan, 8. v. Bourges 341. 342.
Berterieus, B. v. Bienne 407.
Berthgit 172.
Bertinns, U. dv. ©. Hilaire 418.
Bertrada ober Berta 18.
Bertrada, Königin 17. 160. 163. 194.
850. 352—353. 366. 408. 412. a.
419. 426. 495—496.
Befangon 316. 862. 363.
Böziers 840.
Bibel 75. 131. 157—159. 175—176.
177. 272. 297. 299. 301. 384. 405.
3—454.
Bibliothefarius 141.
Bidgau 17. 352.
Bilderftreit 81. 185—192. 404. 413.
©. Bilt ſ. S. Hippolgte.
Birresborn 852,
Biſchofsamt 62. 225 ff. 248-249.
299. 817. 387.
Biſchofsberg 57.
Bladeenen, Vorſtadt v. Eonftantinopel
Blandinus, Gr. v. Arverna 342. 348.
349—350. 399.
Bobium ſ. Galeata.
Bochonia 58. 59. 182.
Bodman, Schloß 332.
Bologna 286. 321.
Bonifacius_6. 28 fi. 43. 46. 56 fi.
63. 65. 74 ff. 77. 101. 103 fj. 138.
165—184. 190 ff. 205. 222. 223.
228. 234. 275. 308. 314. 358. 364 |
887. 394. 402. 489—494.
Bonifaciustag 182—183.
Bonn, Eaftell 77. 126.
Boornfluß 168. 169.
Bofa 170.
Bourbon, Caſtell 349.
Bourges 341. 348. 348. 351.
399. 408. 410—411.
Bregowin, E, v. Kent 428429.
Breisgau 829. 333. 836. 857.
Brescia 284. 356.
‚Bretagne 79.
Bretigny, Kl. 149—150.
Buraburg
—E 8. vr Worms 279.
385.
531
Burdard, B. v. Würzburg 54. 77. 172.
Bürger v. Straßburg 318.
Burgund 77. 236. 264. 348. 410,
Vnpantinifches Reid; 80 ff. 184. 148.
345. 354. 396 ff. 408—407.
€.
©. Eaccilia 261.
Cagli (Cales) 203.
Cahors 879.
S. Calais ſ. Auiſola.
caleiaticum 215.
Cambrai 359.
Sampanien 109. 141.
Eancor, Gr. d. Rheingaus 377. 396.
Capellan 13. 38. 866. 403. 421.
Capelle 390. 421.
Eapitel 211.
Capitufare 86.
Capraſius Mons 196.
Caracalla, Kaiſer 127.
caritas 223.
Cartellarius 279.
Eartularii 141.
Ceccano, Eaftell, 118.
Eentulum, RL, |. S. Riquier.
Eentumcellae (Eivitavecdhia) 142,
Ceſena 208.
Ehälon fur Saöne 265. 348.
Chancaro, Gr. 329.
Chantelle, Caſtell, 349.
Charasgau 352.
Chardobachius 316.
Eharibert 18.
Charichardus, Richter 14.
Eharoald, K. d. Langobarden 81.
Chartres 422.
Chätillon 237.
Cheitmar 380.
Chelles, KL. 426.
ebert I. 15. 283.
ꝛebert III. 8. 28. 67 fi. 148. 341,
ebrandus, Gr. 79.
Childerad, ©r. 411.
Thilderich IL. 23. 69. 80.
Childerich III. 161.
Chilperich I. 15.
Chitperi II. 8. 18. 428.
Chilpingus, Gr. v. Arverna 384.
Chiftrudis, Mutter Taffilo’s 264. 296.
Chlodocharius 69.
Chlodwig II. 45. 69. 428.
Chlodwig III. 23. 69.
Chlothar I. 51 ff.
Chlothar II. 28.
Chorbiſchof 36. 39, 54. 65.
532
Chriſtophorus, Primicerius 126. 285.
397. 413—414.
Chradardus Gr. 857. 364. 377.
(Hrodegang), B. v. Met
. 126. 154. 206 fi. 295.
'.861. 864.877. 394—895.
‚ Richter 14. 78. 327.
Ranzler 16—17.
12.
72.
362. 363. 372—373.
Al. 362. 363.
0.
weicher 101. 108.
‚ Bapft 122.
6
errand 849.
161. 863.
197 ff. 265. 266.
(Chur) 372.
v. Mercin 103.
2
%. 50. 54 fi. 358. 372.
:, Rt. 362. 368.
a 102.
'Somiachum) 208. 268.
uli 284.
1.
ı Rom) 141.
ion 303.
298.
um 212.
h
362.
in der Rononifer 208 ff
Hr. 168.
Patriarch von Conſtan—
IL, vapſt 406. 418—415.
V. Copronymus 118. 185 ff.
). 820. 346. 397. 404 ff.
ſche Schenkung 127. 182,
18, Dur 141.
16. 331. 362. 363.
in Rom) 141.
. 21. 28. 861. 363. 426.
36.
9
zatriarch v. Afegandrien 405.
lb. ©. Gallen 885.
iv. 829.
us 141.
Regifter.
Eudberht, E. v. Rent 62. 107. 165.
171. 176. 190 ff. 230.
enpidus 1.
»
Dadinus 343.
Dagobert I. 67. 325. 359. 879.
Dagobert III. 28. 50. 53.
Dalfinus, A. v. ©. Denys 69.
Daniel, B. v. Windefter 43. 223.
Dante 86.
David, B.d. Speier und A. v. Weißen-
burg, 858. 359.
Decapolis 208.
Defenfores (im Rom) 141. 143. 855.
898. 407.
Degradation 227. 229. 242. 382.
deliiosi 97.
Deneard 172.
©. Denys 3. 4. 7. 12. 45. 51. 6778.
128. 148. 149. 286 ff. 287. 825.
341. 361. 363. 403. 419. 421—424.
426.
©. Deodat, Kl. 368.
Deodatus, B. v. Beauvais 359.
Deofridus, B. v. Paris 316. 359.
Deotmarus, B. 316.
Defiderius, X. d. Langob . 98. 138—139.
141. 145. 197. 257. 283 fi. 344 ff.
358 fi. 418--414. 426. 437—489.
Dethinbad; 18.
Digoin 399.
©. Dionyfius 45. 67. 100. 154. 155.
291. 303. 325.
Dionyfius Eriguus 63. 220.
Difentis, Ki. 378.
Disputation, theologifche 398. 408—404.
Divifio 484—485.
Dochnchirica 182.
Dodo, Gr. 358. 407.
Doltum 169. 181.
domus 210.
Donatus 859.
Droco, Gr. 857.
Droctegang (Druhtgangus), A. v. Sur
ı _ miögee121. 123. 869. 374. 381.388.
| Droge, Richter 73.
| Drohn 20.
| Dubanus, X. v. Honau 328.
Duces (in Rom) 141.
Düren 328. 348.
Duringa (Theuringen) 835.
Eadbert, K. v. Northumberland 429.
Endburg 175. *
Regifter.
Eangyth 174.
Eberhard, Gr. 21-22.
Ehersheimmünfter (Novientum) 365.
Eborfind (Eberswind), A. v. Altaich
363. 376.
Ebroin, Hausmaier 3. 148.
Echeräit, €. v. York 175.
ecelesia reipublicae Romanorum 182. |
147.
ecclesiasticus 241. 244.
Schternad), Kl. 20. 126. 859.
Evdo (Heddo, Adda, Eddanus), B. v.
Straßburg 318: 336. 361. 363. 364.
Evebol-Wald 412.
Edietus Langobardorum 84.
©. Egbert 169.
Egburg 173. 174.
Sbins, Mönd v. Beim, 19.
Egilfeid, B. v. Lüttich) 208.
Ehe 75. 150—151. 251. 271 fi. 306 ff.
Eichſtadt 362. 363. 370.
Eid 88.
Eifel 126.
Eifelgan 352.
Eitherius 348.
Ejus, Kanzler 72. 826.
Eleutherius 234.
Ems 76. 322.
Engi 385.
Enraed 228.
an 54. 65. m 178.
eſus, B. v. 186.
Epilur 176.
Epiphanius, Pe 101.
episcopium 467—468,
Equalina Silva 236. 422.
Ercomwald, B. v. Eſſer 45.
Erembert, A. v. Weißenburg u. B. v.
Worms 868. 359. 879.
Erfurt 46.
Erinenricus, Gr. 408.
Eroberungsredht 181. 851.
Erpingus d. S. Goarzelle 398.
Ettenheimmünfter, KL. 318. 364.
Eugerius, B. v. Orleans 2.
Eudo, Herzog v. Aquitanien 100. 889.385.
©. Eugendus 362.
Eugubium |. Gubbio.
Eufebia 234.
Eufebius von Caeſarea 42. 189.
Eufebius, Biſchof von Tours 316. 363.
371.
Erſechius Dur 142.
Evreur 862. 868.
©. Evroult (Utieum) 362. 868.
Exrarchat 114. 117. 138. 188. 146.
267. 268. 285. 291.
533
exartum 252.
Ercommunication 228. 227. 231. 332,
exercitalis 199.
exereitus Romanorum 140.
ı Exona, Villa 7. 408.
|
®
| Faberola, Billa 422.
Tabigaudus, A. v. Wefjobrunn 368.376.
Faden (Symbol) 391.
dam 286. 287.
aida 33
ano
ne Kl. 17. 119. 142. 265. 289.344.
©. Zaren, Kl. 19. 365.
Fedancius, A. von S. Antonin 407.
Felig, Gefandter 854.
Selig, Grammatiker 98.
Ferrara 286. 287.
erridres, Kl. 158.
idelitas, fides 144.
Figene, 81. 162—158.
Firmelung 807.
ischbad) 329.
iſcherei 20.
i8cus 68 ff. 330.
Flavianus 98. 114,
Seavignn, F 194. 362. 863.
Fleurh, KL. 360. 422.
Fli 48. 168.
Folericus (Fulharius), B. v. Lüttich
315. 858. 363.
orli 208.
jorlimpopofi 208.
Fortunus, B. 316.
Francien 96. 106. 236.
Kg 2. v. Le Mans 26. 369.
frauen 89—90. 172 fj. 230—232.
Freigelaffene 279.
riaul 113. 115.
riedrih, Gr. im Jura 78.
viesland 43. 48 fi. 68. 166.
Friglar 37.
rodosnus, A. v. Novaleſe 876.
rodoinus 148,
ulcoald, A. v. Farfa 266.
da, Fluß 58. 59.
Fulda, RL. 32. 51. 56. 58 fi. 64 ff.
181. 182, 842. 3859. 386 fi.
487—488.
Fulcad, A. v. ©. Dem 7. 18—14.
. 88. 138. 149. 154. 19
j. 256—257. 258. 264.
. fi. 357. 368. 373. 394.
421. 423—424. -
Füßen 334.
——
534
Gabbifriſio 7.
Gasta 356.
Gaidulf von Ravenna 8. 208.
Gaiprand 258.
Gairefred, Gr. v. Paris 70 ff.
Gairehard, Gr. v. Paris 71. 857.
Gairin, Gr. v. Paris 69 ff.
Galeata (Bobium) 203. 204.
Galemanius, Gr. 384.
Galgenftrafe 360. 411.
©. Gallen, Kl. 106. 328 ff. 364.
509—512. 518—515.
Garrinod, Herzog 286.
Gaugraffhaft 68. 242 ff. 330.
Gaugulfus, Gr. 857.
Gauziofenus (Gaucilenus, Gautlenus),
B. v. Le Mans 8. 25. 358. 363. 869.
Gavello 287.
Savienus, B. v. Tours
Sayroin, A. v. Flavigny Mi. 375.
Gebetzeiten 211.
Geifelftellung 202. 821.
Genebaudus (Genbaudus), B. dv. Laon
358. 863. 366.
Genf 265.
Sentilly 403—404.
Geoleobus 107.
Geometrie 347.
Georg, B. v. Oſtia 261. 264. 287. 298.
307. 321. 343.
Georg, B. v. Pränefte 409.
Georgius, by. Gel. 265° ff- 320.
345—346.
Georgius, Vorſteher d. römifhen Sän-
gerichule 346.
Gerard, Gr. v. Paris 325—826,
Geraus, A. d. Resles 363.
Gerbert, A. 355.
Gerhardus, Gr. 357.
Sericteuskunden 14.
©. Germain des Tale, Kl. 8. 238 ff.
34. 361. 363. 422.
&. Germanus 238. 808. 508.
Germanus, Patriarch d. Eonftant. 185.
Germund 26.
Gerold, Gr. 331.
Geruntus 148.
Gervoldus, B. v. Evreur 366.
Geſang, gallicaniſcher 847.
römiſcher 346—347.
Gevaudan 407.
Ghiſelar, Gr. v. Bourges 411.
Giaveno 266.
Giſeltrude, Gem. Aiſtulfs 288.
Giela 160. 318—819. 397. 425. 426.
Regiſter.
Gisfaramnus 237.
Hisleharius, Richter 78. 327.
Gisfeharius, Bafjall 360.
Gislemar 13—14.
si II., Herzog v. Benevent 92. 119.
sitat, Herzog dv. Spoleto 320. 442.
Glanfenil, Ki. 8. 203.
Glocke (Geihent) 168. 179.
S. Goarsjelle 858. 398.
Godo, B. v. Toul 368.
Godobertus, U. v. Rebais 868.
Godſchalt, Herzog v. Benevent 110.
Gordinis Caſtrum 408.
S. Gorgonius 394.
Gorze, Kl. 206. 207. 209. 218. 295.
315 ff. 365 fi. 379. 395. 402,
Gothen 68. 80. 159. 340. 417.
Gotzbert 338.
Grammatit 347.
gratia Dei 157.
Gregor I. Papft 48. 44. 100. 101. 118.
158. 275.
Gregor II. Papſt 48. 56. 75. 82. 107.
108. 111. 122. 183. 134. 240. 274.
275. 277. 290. 297. 807. 314.
Gregor IIL, Bapft 29. 83. 107. 109.
111. 112. 122. 127. 240. 275. 280.
290. 297. 814. 864.
Gregor v. Utrecht 50. 56. 166. 172 bis
173. 228.
Gregorins, B. v. Neocäfaren 187.
Grimo, A. v. Corbie 28.
Grimo, €. v. Rouen 866.
Grimoald, Haugmeier 8. 69 f 148,
Grimoald, langob. Gef. u
Grimoald, 8. d. Langob.
— 70. 78. Te Zu 162. 194.
4. 889.
Seufenkeim 424.
Gubbio (Eugubium) 203.
Suemar 424.
Gunbertus, Gr. 357.
Gumdaecer 170.
Gumdeland, A. v. Lorſch 379.
Gunderieus 353.
Guntaldus 148.
H .
Hadda 170.
Habellinda 334.
Hado, U. dv. Corbie 2
Sabrie I, Bapft — "182. 142. 148.
N Sagenkeim, Billa 378.
Halmmarf 14.
egiſter.
Hamund 170.
Handelsverkehr 68. 88.
Haribert, U. v. Murbad) 22. 407. 409.
Harifeus (Heriveus, Herväus) B. v.
Befangon 315. 363. 371.
Harisliz 304.
Harivius 369.
Hartbert, B. v. Sens 365.
Hathowff 170."
Hatto, A. v. Fulda 64.
‚Hebbo f. Eddo.
Heidenheim, Kl. 370.
Heiligengräber 99.
‚Heiligenleben 347.
Heimbad; 336.
Heimerich 378.
Heinrich J. König 52.
Heinrich, Welf 334.
Heirath, öffentliche 251.
Helejeus, B. v. Noyon 866.
Helmengaubus, Richter 14. 73. 827.
Herloinns, Gr. 857.
Hermelinda 119.
‚Hermenaldus, Gr. 411.
Hermengaudus, U. 237.
Herminarins, B. v. Bourges 341.
Herowicus 412.
Herflal 18.
lee 16. in Baiern 302.
erzogswürde 7
Iiberäntiea Pr
Hiddo, 2. d. Autun 868. 368.
Hierin 186.
Sieranymus, Bruder Pippins 194. 204.
S. Hieronymus 311.
Hierufalem, % f. Rebais.
Hilariacum, RL, ſ. S. Avold.
©. Hilarius 100. 204. 291.
Hildebertus, A. dv. ©. Bavon 267.
Hildegar, B. v. Eöln 54. 76.
Hildegar, Richter 78.
Hildigangus, ®. v. Soiſſons 363.
Hildolfus, A. v. Ettenheimmünfter 864.
an A. v. ©. Denys 156.
holyte — 804. 424.
Si , Ranzler 51.
Hochheim 181.
Holzkirchen, RI. 66.
Honan, RI. 323. 859.
Honighandel 68.
Hormisda, Papſt 2
Sornbad ( — St. 167. 862.
Pa (Rocgo) 66.
Hrunzolfus (Mantulfus) 66.
Hugbaldus 855.
535
Hugo, A. v. ©. Wandrille 23.
Hunnulfus 441.
Hunold, Herzog d. Aquitanien 284.
Hyltibrant 171.
Hyſpanica (Septimanien) 67.
3
Jacob, A. v. HZunbach und B. v. Toul
816. 363. 3
Yurg, ac ".
Hurg, RI. 76.
©. Joa 426.
Jeruſalem 100. 186. 370. 371. 405.
Iefi (Uefium) 203.
Illehere 170.
Hung, A. v. Weſſobrunn 376.
Immunität 21. 143. 241. 243. 249.
257.
Imola 286. 321.
Juaslario 19.
Iucet 2m 210 fi. 251. 271 fi. 300.
Yncrepatien 223. 228.
Iufibelität 389.
inluster vir 15.
Joba 18.
Sohann VI, Bapft 108.
Johann VIL, Papft 130.
Johannes 148.
! Johannes dv. Benevent 321.
Zohanines, biz. Gei. 121. 265 ff. 290.
Johannes, A. v. S. Gallen und B. v.
Conftanz 334. 363. 514.
Johannes, päpftl. Gej. 124. 287. 293.
Sobanne, vom. Subdiafon u. U. 398.
7.
Zohannes der Täufer 408,
Johannis, A. v. ©. Eloud 363.
Irmino, A. v. ©. Germain 235.
Mambard, Gr. 329.
Hidor v. Sevilla 63. 220.
Hondun 899,
Nitrien 189.
Iherius, U. v. Tours 372.
Jubicarien 98.
judices palatini 141.
Judices, Tangob., 85. 98 ff.
Julius, Jude in Pavia 98.
Jumtöges (Sumebica, Gemeticum), Rt.
862. 363. 374. 388.
Jura, Geb. 78.
jus proelüi 181. 851.
Sufinus, B. 407.
Juſtitia Sancti Petri 131.
536
Juſuf Ibn Abd Errahman 396.
Jveline, Wald v., ſ. Equalina.
Io, B. v. Chartres 279.
Kanones, apoſtol. 225. 227.
Ranoniter 205 fi.
tanoniſch (opp. regular) 210.
tanoniſches Recht 62.
Karantanen 380.
Karl der Große 11. 50. 52. 64. 66.
127. 129. 130. 132. 185—137. 139.
. 160. 174. 197. 234. 235. 243,
. 252—253. 266. 289. 303. 305.
. 330. 837. 341. 342. 347. 349.
. 358. 855. 358. 364. 369. 379.
. 386. 389. 392. 394. 396. 403.
. 414. 415. 417. 419. 422. 425.
426. 427. 430. 486.
Karl der Kahle 8. 143.
Karmann, Hausmaier 4. 28. 50. 54.
57. 58. 62. 77.106. 117. 162—163.
194. 224. 284. 828. 408.
Rarlmann, König 72. 130. 160. 234.
303. 851. 353. 355. 879. 381: 412.
414. 419. 426.
Karl Martell 3. 23: 43. 46. 48. 50.
56. 70 ff. 107. 109. 111. 112. 120.
145. 234. 238. 378. 401. 410. 423.
Kellermeiſter (in Met) 218.
Leßling, Kl. 350. 352.
Kirchen · und Kloſtergut 1—11. 46. 65.
298. 317. 341. 416. 478—485.
Aieingen 180.
Meph, K. d. Sangobarden 268.
Klerus, Organifation des, 152.205—206.
221 fi. 282. 248 ff. 280—281.
Kröfter, — der, 229 ff. 249.
aan, als 2 haupt der Kirche 225.
age Santzeichen 823.
tönigliche Klöſter 17. 21. 23. 249,
318. 837. 352. 509—512.
Königeboten 417.
Königsgeriht 12. 67. 69.
Königsihug 16—17. 21.
Königthum, beiden n Sangobarbend1—08.
Rontad I, 52. 834.
Ropffteuer 70.
Koran 396.
KRrapphandel 68.
KRreuzurtheil 277.
Kriegsdienft, Fi den Langobarden 95.
Runinkpert, K. der Langob. 98.
Regiſter.
8%
Laetantius 176. 177.
Ladenburg 379.
Laien 205. 271. 318.
Lambertus 408.
Landericus, B. v. Paris 3.
Lande, U. dv. ©. Banbritie 23.
Lanfrid, A. v. Mazayı
gangobarben Pal 5 or 81. 83—98.
— 8.
Lantfred, A. v. S. Germain 284. 363.378.
antpern Mönd) 331 ff.
Laon 8. 361. 368.
Laubad) (Lauwers, Lagbeli) 48. 168.
Launus 408.
Leberau 394.
Lector 213.
Lemennis, Curtis 258.
Lendenaus, B. 316.
Leo 1., Papft 133. 251. 314.
Leo III, Bapft 146.
eo II., Kaifer, 81 fj. 108. 111. 122.
133. 185.
Leo IV., Kaifer 186.
Leo, E. v. Ravenna 137.
Leodegarius (Leodharius), A. v. Eorbie
23. 368.
©. Leodegarius 22.
Leodeningus, B. v. Bayeur 363.
Keutfredus, Nichter 73.
2er Salica 241. 242. 248. 326. 417.
— (imanfin) 350. 353. 379.
Linzgau
u Gehe) Aebtiffin v. Biſchofs⸗
em 1
Liudger, inter 36. 166. 182.
Liutfridus 6
Liutprand, — v. Beuevent 119.
168. 264. 266. 288. 820. 444.
Liuiprand R. d. dangob. 85 ff. 89.
93. 109. 112—114. 115. 119. 127.
181. 133. 288.
Lobbes, Kl. 362. 368.
Lobdengau 357.
London 101.
Lorich, R. 377. 395. 402,
Lothar, Kaiſer 51. 334.
Löwenkampf Pippins 158.
Succa 258.
Zuceoli 208.
Ludwig der Deutſche 51. 52. 881. 837.
Ludwig der Fromme 11. 50. 51. 52. 74.
156. 248. 318. 331. 884. 335. 387.
368. 869. 408. 427.
Regifter.
Ludwig das Kind 331.
Lull, 2. v. Mainz 32. 36 ff. 46. 57
bis 58. 65. 167. 172. 179 ff. 190.
223. 228. 249. 318. 358. 360. 861.
363. 365. 367. 388. 886 ff. 428.
Lupo, Herzog von Spoleto 117.119. 441.
Lupus, N. v. Ferrires 182.
Lupus, 8. 316. 365.
Lupus, B. v. Gens, 815. 868. 865.
geh (Zongern) 32. 315. 862. 368.
Luzern, Rt. 22.
yon 194. 384.
mM.
Macrinus, Raifer 127.
Madalvens, B. v. Berdun 217. 341.
863. 870.
Marie 13.
Madrin, Billa 7.
Maganarins, Richter 73.
Magingoz Mesinga), 2. v. Würzburg,
65.223.312.316.358.363. 866—367.
magister census urbis Romae 141.
Magifterium, biſchöfliches 228.
Maquelonne 340,
Maifeld 264. 298 ff. 348. 447448.
Mailly 348.
Main 181.
Mainz 31 ff. 61. 179. 862. 868.
Malftatt 248.
Danafle, A.
Maucio, aquit. Gr. 884.
Le Mans 8. 13. 1. 19. 25. 78. 362.
363. 369.
Manfur 395. 411—412.
Marcus, X. v. Fulda 890.
S. Marino 208.
Marinus, Priefter 345—346.
Marktreht 67 ff.
Marttzoll 68 fi. 235—286.
Marfeille 266. 411—412.
lavignh 863. 375.
Marjoupe 287.
©. Martinus 100. 308. 418—419.
Maſua 343.
Matricularien 211.
©. Maur des Foſſés, Kl. 860. 422.
©. Maur fur Loire, 8. 203.
S. Maurice, RI. 24. 125. 362. 363. 395.
Maurienne 78. 195 fi. 268.
Maurinus, B. v. Evreur 868.
Mauriofus, ®. v. Angers 869. 873.
©. Mauritius 124.
Manziacum (Mazaye), RI.
Meaur 19.815. 362.358. 00.8 361. 368.
Mehring 20. 852.
Mellere, Wald 852.
Meric) 852.
537
Meta 89.
Metlad, Ri. 358.
Metropolitanwirde 62. 107. 222. 227.
229.
Meg 126. 205 fi. 359. 862. 363.
1412. 425.
Mir 143.
S. Michaelis de Elufa, Kl. 196.
S. Michaelsberg 237—238.
militia 140.
Milo, B. v. Reims 2. 9.
Milo, Richter 14. 73. 327.
Milo, Vogt v. S. Gallen 335.
Milcet, B. v. Worcefter 188.
Minores 88.
Monophyfitismus 187.
Mons (t) 411.
Mons Lucati 208.
Montcenis 78. 194. 196. 265.
Montecafino 57.117. 121.162. 360. 370.
Montefeltri 208.
Morgengabe 89.
Mormacum, Kl. 407.
Meortenau 423.
Mofelgau 20. 852.
Moutiers ©. Jean, A. 092 363.
Münzfund zu Imphy 2
Müngvorfäriften Hoi 244247.
Murbach, gb 22
Nurbad, Kl. 21.
Murbach, Ort 22.
S. Nabor Br
Nantua, I. 8
Narbonne 143. —X 340. 884. 407.
Narni 208. 259.
Narſes 80.
naufragus, naufragare 88.
©. Na Barlue 39.
Peabel” 133. 321. 856.
nec gleich ne-quidem 63.
Nedarau 20.
Nectarius, A. v. Anifola 842.
Reſtorianismus 187. 404.
Neumagen 20.
Nevers 349. 879. 398.
Nibelgan 329.
Nibelungus, Gr. 79.
Nicolaus I, Papft 311.
Nismes 340.
Nitfadus, Richter 73. >
Nithard 178. .
N
538
Nivelles, Kl. 361.
nobiles (ignobiles) 252.
Nomenculator 141.
Nonantola, Kl. 120.
nonnanes 231.
Normannen 429.
Noronte 422,
Notarii 141. 148.
Nothelm, €. v. Kent 275.
Novaleie, K..198. 362. 363.
Novientum f. Ebersheimmünfter.
Noyon 315. 858. 361. 363.
O.
oblationes et decimae 65.
Ddilo, Herzog v. Baiern 264. 296. 364.
Offe_von Effer 108.
©. Omer, Kl. 161. 388.
Oppofition, nationale 63,105. 123. 402.
Optatus, X. v. Montecafino, 57. 162 big
163. 860.
Optimaten (Roms) 141.
ordo 225.
Ordo Romanus 127. 208.
Drefte (Soracte) 162. 164.
Orgel (Geichent) 290.
DOrldans 359. 402. 411.
Drthographie 347.
Oſimo 110. 286. 321.
Ofſtrachia 168.
Dswin, 8. 102.
Dtmar, A. v. S. Gallen 328 fj.513- 515.
Otpert 180.
Otranto 320. 321.
Duche 862.
Palaifean 285.
Balatinın 280.
Ballien 107. 220.
Bampitus 398.
Pando, Bürger von Rieti 289.
vapſtthum 43 fi. 60. 81 fi. 98—109.
222—223. 295. 387. 402. 409.
Paris 45. 316. 359.
Parteien in Rom 418.
Haſchalis 409.
Baicalis I, Bapft 261.
Paſeilus S. Martini 67.
Bajfivus 409. 414.
Vatriciat 133. 144—145. 160.
Patriciat Petri 144. 146.
Bateimonien, päpftliche 120. 130—131.
Pauf I., Bapft 100. 126. 143. 154.
164. 285. 290. 292. 319. 321 fi.
8324. 348 ff. 358 ff.
Paulus Diaconus 84. 92. 98. 112. 114.
Regifter.
Paulus, röm. Herzog 141.
Pavia 85. 93. 114. 117. 124. 194.
201. 265 fi. 282. 285. 345.
Beiruce 408.
Pemmo, Herzog von Friaul 115.
Pentapolis (maritima, mediterranen)
110. 141. 202. 268. 320. 321. 354.
355.
per deprecationem 70.
per fortia 70.
Perathgotzus, Mönch 332.
Berge, 8. von 186.
Verigueur (PErigord) 403. 408.
Berugia 114. 141.
Belaro 208.
Petitio episcoporum 221. 247 ff.
469—470.
©. Petronella 154. 291. 319. .
©. Petrus 29. 42 ff. 98. 102. 104.
113. 175. 200. 201. 68. 262 —263.
267. 291.
Vetrus, Defenfor 365. 407.
Petrus, B. v. Pavia 84.
Vetens v. Pin 9. -
Bfärfers, al 862. 363. -
Bfahzel, RL. 108. 173.
Pfalggraf 18. 14. 78. 327.
vhilippus, Priefter 142.
Pincenza 118.
Pieta 106.
Pippin, König:
I. Stinerar Pippins.
751. November, Soiffons (Krönung) 1.
752. März 1., Berberie 13.
„ April 25., Herftal 14.
„ Mei 27., Bereftein [Heriftal?] 19.
[?] Iuni 6., Berberie 23.
— —, Bretagne [?] 79.
m Mai 23, Berberie 49.
» Juni, Attigny 65.
Juli, —, 72—78.
Sahkagaf, Sachſenkrieg 76—77.
„ Ende SuguR sie Ende December,
Thionville 1:
754. Januar 6., gonihion 128.
„©. Denys 128.
» März 1., Braisne 148.
„ April 14. (Oftern), Duier 129.
m — —, Berberie 148—149.
Juli 28, ©. Denye 155.
» Anfangs "Auguft, nad) Italien 194.
October, Friedensihluß 201.
755. Anfangs Juli, Verneuil 221.
„Juii 24.--26., ©. Germain 233.
29., Compiögne 238. 237.
Regifter.
756. Anfang Mai bis Ende Auguft,
ital. Krieg 264.
767. Mai, Compiögne 318.
» Auguft, Attigny 318.
„ Weihnachten, Corbeny 318.
758. April2.(Oftern), Corbeny 318.323.
„ bi Yuguft, Sadjfentrieg 328.
„ Sept. 15., Düren 328.
759. October 23.—80., Compitgne 325.
„Weihnachten, —* 827.
760. April 6. (She), Zupille 342.
„ Juni, Attigny 3
„ uni 10., Yerdnie 342.
”„ vom get an, 1. Zug nad) Aquit.
Weihnachten, Ouierzy 348.
. März 29. (Oftern), Ouierzy 848.
„ Reichsverfammlung, Düren 348.
„ Zuni-Gept.,2. Zug nach Aquit.850.
Weihnachten, Ouierzy 850.
762. April 18. (Oftern), Query 350.
„ Ende April bis Anf. Juli, 3. Zug
nad) Aquitanien-250.
>» Juli 10., Sinzig, 350. 852.
Auguſt 18., Trisgodros 850. 852.
Weihnachten, Gentilly 379.
768. April 3. (Oftern), Gentily 879.
” Kreisverfammhung, Worms 379.
„ 4. Zug n. Aquit. 879—880.
” Auguf 3., Inaslario 379.
BVeifnachten, Longlier 385.
764. März 25. (Oftern), Tonglier 385.
» Beiepoerfammfung, Duierzy 385.
Weihnachten Qulerzy, 3983.
. April 14. (Oftern), Ouierzy 808.
„Reichsverſammlung, Attigny 393.
» —, 5. Zug n. Anuit. 398899.
„ Weihnachten, Aachen 401.
. April 6. (Oftern), Aachen 401.
„ Iuli, Orleans 402.
» — 6. Zug n. Aquit. 402-- 408.
„ Weihnachten, Samoucy 408.
767. Januar-Februar, Gentilly 403.
„ März, 7. Zug n. Yquit. 408. 407.
„ März 31, ©. Antonin 407.
” u 19, (Oftern), Vienne 408.
®
» Auguſt, 8. Zugn. Aquit. 407—408.
767/68. Winter, Bourges 410.
788. vom März an, 9. Zug nad) Aquit.
11.
» April 10. (Oftern), Selles 412.
» Yuni, Saintes 413.
Juli, Boitiers, Tours 418.
September, S. Denys, 419. 422.
Sept. 23., ©. Denys 422—423.
Sept. 24. A) e €. Denys 424.
ser
539
U. Urkunden Pippins.
a) für (11) Bisthümer und Kirchen.
Angers 1) 873.
Augsburg 2) 376.
Cambrai 3) 359.
Chartres, grientirche zu 4) 422.
Paris 5) 35:
Poitiers, Beier zu 6) 422.
Speier 7) 358.
Trier 8) 358. 9) 368.
Berdun 10) 371.
Worms 11) 379. 12) 379.
Würzburg 13) 367.
b) für Einzelperſonen:
Fulcad, U. v. Denys 14) 428.
c) für (36) Klöfter:
©. yaignen 15) 859. 408. 16) 359.
©. man 17) 860. 18) 360.
©. Antonin 19) 407. 20) 407.
Argentenif 21) 422.
©. Aubin 22) 373.
©. Calais 23) 15—17. 869. 24) 342
bie 348. 369.
Dee 25) 422.
©. Denye 26) 13—14. 27) 67. 72
bis 73. 28) 286 fi. 29) 51. 408.
80) 422. 31) 422. 32) 45. 422.
Ebersheimmünfter 33) 8
Echternach 34) 20—21.
Fleur) 36) 360. 36) 360. 37) 860.
38) 360. 422.
Fulda 39) 65. 40) 842. 41) BI.
58. 392. 402. 42) 408.
&. Gallen 43) 830.
©. Germain d’Aurerre 44) 343.
©. Germain des Prés 45) 235.
46) 235—236. 47) 236. 422.
Granfelden 48) 865.
©. Hilaire zu Poitiers 49) 418.
Honau 50) 323. 359. 51) 323. 359.
Hornbach 52) 368. 53) 368.
Jumiöges 54) 874.
Reßling 65) 350. 352.
©. Marcel bei Chalon 56) 368.
S. Martinin Tours 57) 418. 58)418.
©. Maur des Fofjes 59) 360.
60) 360. 422.
S. Michael zu Chaͤtillon 61) 239.
Montierender 62) 376.
Murbach 63) 21—22. 64) 22. 65) 22.
Nantua 66) 318. 860.
Novalefe 67) 198. 375.
Prüm 68) 19—20. 69) 20. 70) 20.
71) 850. 852. 72), 78) u. 74) 352.
N. 8. 9. 75) 879. 76) 379.
540
Solignac 77) 408.
Tegernfee 78) 376.
Utret 79) 49 fi.
©. Victor zu Marjeille 80) 412.
©. Wandrille 81) 28—25.
Weißenburg 82) 359.
Pippin der Mittlere 21. 43. 48. 49 ff.
Bippin von Aquitanien 148.
Pippinus brevis, parvus, pius, vetulus
Birmin 21-22. 187. 167. 181. [11.
Bifa, 8. v. 285.
Plinius 176. 177.
Poitiers 358. 418. 422.
Ponthion 126 ff.
Poppo, Herzog der Friefen 48.
populus et exercitus Romanorum 140.
Vorto, B. von 409.
Votentes 88.
praefectus 66.
Bräfes (in Rätien) 372.
Precarie 3. 5. 25—26. 148. 216. 424.
Prezgold, A. v. Fulda 390. 817.
Wriefterehe 272—273.
primates ecclesiae An,
Primicerius (in Meg) 2)
Primicerius (Rom) 125. ia. 285. 413.
Probatus, U. v. Farfa 142.
proceres ecclesine 141.
Procekverfahren 243—244.
Protoferiniarius 141.
Provencia 67. 236.
Prüm, Fluß 18.
Prüm, 81.17—20. 26. 126. 239. 850.
362—353. 857.859. 879. 889. 898.
Prüm, Billa 17.
Prunicho 335.
publicani 2.
publicus 225. 301.
pueri (clientes) 170.
Bulfatorium 281.
Vyrchiriauus, Mons 196.
O.
Quellen und Quellenangaben, Bemer⸗
kungen über,
Anastasius, Historia ecelesiastiea
518-520.
Annales antiquissimi Fuld. 35. 492.
» Aquitaniei 340.
„ Laureshamenses447— 448.
2.
» Lauriss. majores 88. 85.
minores 33. 85.
159. 490.
Regifter.
Annales Mettenses 78. 79. 322.
” Mosellani 447—448. 520
is 6.
Petaviani 350. 447—448.
520—522.
Xantenses 518-520.
Bonifacii et Lulli epistolae 40. 75.
77.101. 190—191. 223. 360. 365.
Eapitularien u. Synodalftatuten 415
bis 416. 455—477. 479—483.
Clausula 33. 155.
Codex Carolinus 109. 182. 819. 320.
344. 347. 356. 381. 504—505.
Codex Laureshamensis 378.
Eigilis Vita 8. Sturmi 178 fi.
387 fi. 427 ff. 491.
Einhardi Vita Karoli 161. 425.
528 fi.
Erchamberti breviarium 161.
Fragmentum Fantuzzianum 180.
147. 497 fi.
Fredegarius continuatus 33. 79.
194. 195-196. 282—283. 851.
412. 453—454. 528 fi.
Gestaabb. Fontanellensium24—25.
Historia miscella 519—520.
Hist. translat. S. Germani 501 —502.
Liber diurnus Romanorum ponti-
ficum 60. 488.
Passio S. Bonifacii 128. 498—494.
Sigeberti Gembl. chron. 519—520.
Theophanis Chronographia 161.
883. 499. 518-520.
Vita 8. Galli 511—512,
VitaHadrianil. 135—138.497—499.
Vita 8. Otmari 511—512.
Vita Stephani II. 195.
Willibaldi Vita S. Bonifacii 35.
89. 166. 169. 181—182. 184.
214. 228. 367. 489491.
YsonisMiracula 8.Otmari618—515.
3
Rabanus Maurus 64. 182.
Rabigaudus (Fabigaudus?), A. 316.
Rachait 115.
Kuhimburgen 243-244.
Radis, R. d. aangob. 8 Fr er fi. 141.
244. 283. 284 fi. 485. 489.
Radulfus, Or. 867.
Raetien 96.
Naganfred, Hausmaier 3.
Nagingarius, A. v. S. Evroult 863.
Rantulfus ſ. Hrunzolfus.
Ratbertus 354.
Ratbod 48.
Regiſter. 641
Rateisi vinea 117.
Natperga 115.
Raucho, Gr. 7.
Raulco, Richter 73. 827.
Ravenna 81. 83. 96. 117. 118. 120.
134. 137. 142. 146. 202—203. 267.
268. 291—292. 321. 354. 355.
Rebais (Hierufalem), Kl. 361. 363.
Recht, Tangob. 86.
Recht, röm. 86. ar.
Recht, falifches, ſ. Salica.
Rechte, —A Verföntichen87. 417.
Refectorium 212.
Neferendarins 401.
Negeberhtus 66.
Neginfrid, B. v. Rouen 366.
Negino, X. v. Prüm 278. 309. 811.
Regionarii (in Rom) 141. 287. 298.
Regularen, die 210. 229.
Nehme 76—77.
Reichenau, KI. 167. 831. 864.
Reims 2. 9. 359.
Reifen, Dauer der 67. 121.
Religioſen, die 232. 300.
Reliquienenlt 99. 894.
Reliquiendiebftahl 261.
Remedius (Remigius), B. v. Rouen,
Bruder Pippins 8. 844. BA6—847.
363. 366. 425.
Remiften 384. 410—411.
juerilla 299.
residere 126.
retinere 481.
Revin 852.
Rheinbach 852.
Rheingau 377.
Ribeauville (Rappolsweiler) 424.
Rieolf, B. v. Mainz 64.
Rieti 119. 289. 414.
Rimberhtus, B. v. Amiens 359.
Rimini 208.
Ripwariergau 352.
©. Riquier (Eentulum), Kl. 361. 368.
Roego ſ. Hroggo.
Roddertus 285. 321.
Nobegarius 325.
Rodez 407.
Rom 24. 42 fi. 58 ff. 81.96. 108. 114.
117. 118. 120. 138. 134. 191. 203.
207 fi. 259 ff. 321—822. 854. 394,
409. 413—415.
Romainmoutier, Kl. 122. 126.
Romanus, B. v. Meaur 19. 862. 360.865.
Romilda 89.
Rommersheim 382.
Romteifen 100. 103. 105. 106. 121.
230. 231. 269. 356. 370. 381. 894.
Notgarius, Richter 14.
Rothaid, Aebtifftn 425.
Rothaid, Toter Pippins 425.
Nothar, Gr. 2.
Nothard, Herzog
Rothardus Fr ‘ Chrodhardus.
Rothari, K. d. Langob. 85.
Rouen 19. 68. 844. 362. 863.
Rousrgue 408.
Audhart (Chrodardus), Gr. 364. 377.
Nudhart, Gr. in Alamannien 9. 329 ff.
Rudolf, Welf 334.
Rupert, Gr. 877.
Sacellarius 141. 287. 298.
Sachſen 74 ff. 322—328. 425,
Sateherins, ©. 316.
Sadrins, B. v. Angers 816. 378.
Saintes 341. 353. 411. 412. 413.
415. 418.
Saresborf 852.
Sarmaten 82.
Saxonia antiqua 75.
Saxonia transmarina 75.
Scarra 378.
Scauniperga 119. 264. 444.
scholae (in Rom) 141.
Schwarzad 365 ff.
Schweih 20. 862.
Scirbald 170.
scola (bei den Langobarden) 98.
Scoraille 408. eng
scuvies 267.
Secundicerius 141.
Seeräuber 428—429.
Selleg 411.
Senat, römifcher 140.
Seneca 176.
Senior 812.
Sens 315. 362. 368. 865.
Septetus 82,
septiformis spiritus 160.
Stptimanien 68. 339-341. 417.
Sequentes 88.
Sergius, E. v. Ravenna 291—292. 354.
Sergius L, Bapft 43. 45. 48. 814.
Sergius, Sohn des Ehriftophorug 414.
Serra 208.
Siagrius, A. dv. Nantun 318.
Sibriacum, Billa 18.
Sicilien 321. 346.
Sidonius, B. von Eonftanz 816. 331 ff.
513—515.
igibald, 8. von Meg 895.
Sigibandus, B. 237.
542
Sigismund, R. 128.
Sigobald, A. v. Anifola 16.
Simeon, Sangmeifter 346347.
Simonie 248. 389.
Sineftus 396—898.
Sinigaglia 203. 345.
Sintfal 48.
Sinleus 402.
Sinzig 850.
Sitnia 322.
Stlaven 90—91. 151. 242. 278 ff. 366.
Stiavenhandel 142. 271.
Smaragbus, U. 287.
Soiſſons 219. u 226. 361. 363. 526.
Solignac, Kl.
Sonntagsfeier 26%
Soracte (Orefte) 58. 117.
Speyer 32. 358.
Spoleto 96. 110. 111. 116. 117. 119.
139. 203. 259. 288—289. 320.
354. 414. 440448.
Sporteln, Gerichts · 248.
Stabtroald bei Pavia 282.
Statut Chrodegangs 209 ff.
Stein bei Schaffhaujen 838.
Stephan II., Bapft 24. 39. 55. 98.
106. 115fj. 141.142. 148. 148164.
185—186. 193 ff. 209. 254 fi. 277.
285 fj. 308. 810. 314. 819.
Stephan IIL, Bapft 86. 88. 122. 286.
290. 821. 418—415. 495.
Stoifer 176.
Straßburg 362. 868. 364.
strator 127.
Studien (bei den Franken) 37. 186.
175. 218. 347. 401. 423—424. 480.
Studien (bei den Langobarden) 92.
Sturm, U. v. Fulda 172. 179. 182.
386 fi. 403. 516—517.
Subregulus 145.
Sueton 425.
Suitha, Aebtiffin 281.
Suleiman 340.
Suncampus, Billa 860.
Sundhofen 424.
Superifta 141.
Sufa 196 fi. 265.
„Schlacht bei 200.
Suffubium 208.
Sutri 110—111. 184.
Stoanahilde 70 ff. 77.
S. Symphorianus 284.
Synode v. Aſchheim 296 ff. 506—508.
» .» Atiguy 858 fi. 474 fi.
» » Compiögne 223. 293 fi.
471 fi. 474 ff.
" » Conflantinopel 185 fi.
Begifter.
Synode engliſche 188. 190 ff.
„v. Gentilly 408—404.
nm Nicia 187. 405.
m» Reims 245.
tömifde v. 9. 781 88.
nn 748 114.
» „ 745 101. 105.
107.
” n".n.m 769 416.
pr von Berberie 270 ff. 455.
460
fi-
» Berneuil 6. 63. 105.
206. 207. 218. 219 fi. 331. 468 fi
Synoden der 40er Jahre 6. 62. 105.107.
207. 224. 245. 247. 251. 271.
479—483.
T.
Taberniacum, Billa 3. 5. 7. 148. 257.
Zacitus 175.
Taſſia 114. 116-117.
Taſſilo, Herzog dv. Baiern 264. 289.
293. 296 ff. 371. 372. 376. 880 fi.
386. 398. 448—449. 506—508,
Zaufe 151—152. 280—281. 313.
Tebaldus 345.
Zecla 172.
Tedecharius 816,
Tedoad 348,
Tegernſee, KL. 376.
Tello, B. v. Chur 336. 368. 372—873.
ZTerritorialität des langob. Rechts 87.
Teudbertus 7. 149.
Zeutfind, A. v. S. Wandrille 2. 9. 875.
Zhebaifche Legion 125.
Shelung des Reiche 419—421. 528.
Xheodebert IL. 51 ff.
Theodelbildis 19.
Theodicius, Herzog v. Spoleto 320.
414. 448.
Theodo, Gr. v. Bienne 78.
Theodo, Herzog v. Baiern 100. 297.
Theodor, B. dv. Bavia 114. 133. 308.
Theodor zöm. Herzog 141.
Tzderich Sohn Chllderichs IIL 161.
Theodorich TIL, 15. 23. 69. 824. 843.
Theodorich IV. 21. 22. 45. 198. 428.
Theo I, I, Patriarch von Antiochia
Wigdorue I, L, Patriarch v. Jeruſalem
—— A. v. Lobbes 868. 867 bie
—E— ¶ actus) 88. 292.
543
Regifter. ,
Theudrlinde, K. v. Langob. 98.
Theudericus, Richter 78.
Theuringen f. Duringa.
inge, Bitte 342.
Thionpille 126.
Zhomaricus 261.
Xhonars 351.
Throandus 66. 357.
Thurgau 829 ff.
Thürhüter (Meb) 212. 218.
Thurinchert 378.
Thüringen 87. 48. 77.
Ziberiacum, Caſtrum 287.
Tiberius 83.
Tiſch (Geſchenk ‚Bippine) 347.
Tivoli (Fibur) 1
Todi 345.
Todtenbund 815. 857 fi. 474—477.
Tongern ſ. Lüttich.
Zorhthelm, B. v. Leiceſter 75.
Toto, röm. Herzog 409. 414.
Toul 816.
Toulouſe 407.
Tours 297. 884.
trans- (mittere etc.) 166.
Trafamund, Herzog v. Spoleto 111.
Zribuni (in Rom) 141.
Trier 9. 331. 858.
Trinitätslehre 404,
Trisgodros 19. 350.
Zroanus, Gr. 357.
©. Zrond, Kl. 359.
Troyes 343. 349. 399. 408.
Zupno 348.
Zurenne 408.
Zuscien 141. 284. 354.
u.
uhr (päpſtl. Geſchent) 347.
Umana 286.
Umſtadt, Billa 392. 402.
Unibertus, Gr. v. Bourges 348. 351.
11,
Unterricht 37. 174.
Urbino 808.
Uticum . &. Evroult.
Utrecht 32. 48 ff. 178. 374.
uznach 335.
2
Balentis Caſtrum 345.
Vannes (Benedi) 79.
Vaſſallitat 302 fi. 312. 399.
Benedig 81. 189. 142. 354.
venna 20.
Verbannungsftvafe 227. 241.
Verberie 270.
Sadın 237. 841. 862. 868.
Verneuil 219,
Vverwandtenheirath 273 fi. 300. 306 ff.
Sermendtiäeft, geiflide 151. 241.
Befterarius 141.
Beftiarii, Prior 143.
Via Francorum 265.
Vie (Duentovicus) 68.
vicedominus 141.
Victor, Cr. v. Chur 328329. 372.
©. Victorsflofter zu Marfeille 412.
Bienne 9. 78, 125. 168. 194. 407.
Bigilins, B. v. Chur 378.
Bilfrid 102.
Zina 335.
©. Bincenyo, Kl. 119. 121.
Birgilius Maro 175. 176.
Birgiius, 2. v. Salzburg 176—177.
Bivarius-Peregrinorum (Murbad) 21.
vocatus 476. 514.
Vogesus, saltus 895.
Volvic, Kl. 405.
Vorlagen, königl. 240.
Sulfart, A. d. Tours 819. 872. 381.
Bulfarius, Richter 7
Bulframnus, B. v. kirenur 19. 815.
862. 358.
Wacchar 170.
Wachs 884.
Waßfentragen ber Geiſtlichen 260. 281.
Waifar, Herzog v. Aquit. 11. 78. 304.
338—343. 348—353. 384885.
398—899. 408. 410—418.
Wala, U. v. Eorvei 425—426.
Waldipertus 414.
Waldo, A. dv. Moutiers S. Jean 363.
Waltarius, ©r. 357.
Waltharius, Richter 78.
BWaltheri 170.
Baltpurg 172. 370.
Wanderbiicöfe 250—251. 280.
Wando, U. v. S. Wandrille, 866. 874.
Wandregiſil 28.
S. Wandrille 2. 8. 23—25. 161.341.
362. 363. 366. 874. 388.
Waratto 413.
Warinus, Gr. in Alamanien 9. 10.
329 ff. 367.
Warinus, Gr. des Lobdengaus 857. 395.
Barneharius, A. 259. 260. 261.
Wein-Production und Handel 68. 399.
Diiieeso, Google