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HARRIET J. G. DENNY
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JAHRBUCHER
DES
VEREINS VON ALTERTHUMSFREUNDEN
IM
EHEINLANDE.
HEFT XCV.
NOTE TQ THE READER
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inner margins are extremely narrow*
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utilinng the best means possible*
PLEASE HANDLE WITH CARE
GEDRÜCKT AUF K0S1
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1894.
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1
JAHRBÜCHER
DES
VEREINS VON ALTERTHUMSFREUNDEN
IM
EHEINLANDE.
HEFT XCV.
MIT 1 TAFELN UND 2 TEXTFIOVBEN.
GEDRUCKT AUF KOSTEN DES VEREINS.
BONN, BEI A. MABCVS.
1894.
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Inhalte - Verzeichniss.
Seite
I. Geschichte und Denkmäler.
1. Der Verkehr zwischen China und dem römischen Reiche. Vor-
trag zur Winekelmannsfeier am 9. Dezember 1893 in Bonn. Von
H. Nissen 1
2. Die römische Flottenexpedition zum Kimbernlande und die Hei-
math der Kimbern. Von J. F. Marcks 29
3. Die Kölner Aeneasgruppen. Von A. Brüning. (Hierzu Tafel I.) 49
4. Aus dem Bonner Provinzialmuseum. Von H. Dressel. (Hierzu
Tafel II.) 61
5. Zu HeftXCIII, Tafel VII. Von A. Furtwängler. (Hierzu eine
Textfigur.) 88
6. Römische Bronzereliefs aus Köln. Von H. L. Urlichs. (Hierzu
Tafel III.) 90
7. Vorläufige Mittheilung über ein römisches Mosaik bei Kreuznach.
Von Prof. 0. Kohl. (Hierzu Tafel IV und eine Textfigur.) . . 102
Weitere Mittheilung über das römische Mosaik bei Kreuznach.
Von Prof. 0. Kohl. (Hierzu der nach den inzwischen fortgesetzten
und vorläufig abgeschlossenen Ausgrabungen erweiterte Plan
auf Tafel VII.) 111
8. Die Königspfalzen der Merowinger und Karolinger. Von
Dr. Konrad Plath. I. Dispargum 121
9. Der sogen. „Dingstuhl^ auf dem Marktplatze zu Echternach. Von
Staatsarchitekt K. Arendt. (Hierzu Tafel V u. VI.) 181
10. Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. Von Carl
Meurer 185
IL L i 1 1 e r a t u r.
1. Edmund Meyer, Untersuchungen über die Schlacht imTeuto-
burger Walde. Besprochen von N. . ' 221
2. Edictum Diocletiani de pretiis renun venalium. Edidit T h. M o m m-
sen. Besprochen von M. Ihm 232
3. G. M. Rushforth, Latin hlstorical inscriptions illustrating the
history of the early empire. Besprochen von M. Ihm . . . . 233
4. Raymond Serrure, Essai de numismatique luxembourgoise.
Besprochen von F. van Vleuten 234
5. Ulisse Chevalier, Kepertorium hymnologicum. Besprochen
von Dr. Rauschen 234
IV Inhalts-Verzeichniss.
Seite
6. Neue Heidelberger Jahrbücher III, 1. Besprochen von Dr. C.
Mehlis • 235
7. Paul Giemen, Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Zweiter
Band. Besprochen von A. Wiedemann 236
8. A. Engel et R. Serrure: Traitc de numismatique du moyen-
Äge. Tome deuxifeme. Besprochen von F. van Vleuten . . 238
III. Miscellen.
1. Bonn. Münze des Erzbischofs Pilgrim. Von S 240
2. Köln. Münzenfund. Von C. Stedtfeld 240
3. Das Hochkreuz bei Godesberg. Von A. Wiedemann .... 244
4. Zur Limesforschung, das Castell Saalburg im Taunus betreffend.
Von C. Koenen 245
5. Nictrenses-Victorienses. Von A. Müller 248
6. Zwei römische Okulistenstempel. Von M. Ihm 250
7. Römische Spieltafel aus Afrika. Von M. Ihm 251
8. Ueber den Zweck der Contorniaten. Von M. Ihm 251
9. Zusatz zu der zweiten Mittheilung über das Kreuzuacher Mosaik.
Von 0. Kohl 252
10. Nachtrag zu S. 96 Anm. 18. Von Urlichs 255
11. Vierunddreissigste Plenarversammlung der historischen Com-
mission bei der kgl. bayer. Akademie der Wissenschaften . . . 255
rV. Berichte.
Die Winckelmannsfeier am 9. December 1892. Von H. Schaaff hau-
sen, t 258
General-Versammlung des Vereins am 16. Juni 1893 263
General-Versammlung des Vereins am 20. Juni 1894 265
V. Verzeichnisß der Mitglieder 269
L Geschichte und Denkmäler.
I. Der Verkehr zwischen China und dem RSmischen Reiche.
Vortrag zur Winckelmannsfeier am 9. December 1893 in Bonn.
Von
H. Nissen.
Am 9. December 1843, zwei Jahre nach seiner Gründung hat
der Verein von Alterthumsfreunden im Rheinland zum ersten Mal
diesen Geburtstag gefeiert-, A. W. v. Schlegel hielt die Fest-
rede tlber Winckelmanns Verdienste und Stellung zur Gegenwart.
Unserem früheren Vorsitzenden war es vergönnt wie den fünfzigsten
Stiftungstag so auch die fünfzigste Wiederkehr der Winckelmanns-
feier zu erleben. Seiner sei am heutigen Abend zunächst gedacht:
in dankbarer Treue gedenken wir des Mannes, der an Jahren ein
Greis die Geistesfrische eines Jünglings entfaltete, der mit seiner
warmen Liebe zur rheinischen Heimath, seiner Begeisterung fttr alles
Edle und Schöne, seiner Herzensgüte, seiner rastlosen Thätigkeit,
in jeder Fiber seines Wesens von wahrer christlicher Frömmigkeit
durchweht und getragen, ein Jahrzehnt lang unseren Verein geleitet,
gestützt, gehoben hat. Schaaffhausen pflegte die Gedenkfeier
mit einem Rückblick auf die Fortschritte der Forschung im abge-
laufenen Jahr einzuleiten ; besonders gern verweilte er bei den fried-
lichen Erobenmgen, die die Alterthumswissenschaft in feinen unbe-
kannten Ländern gemacht hatte. In der That ist der Verkehr unserer
Tage der mächtigste Hebel für die Förderung archäologischer Stu-
dien geworden, hat ihre Grenzen immer weiter vorgerückt. Wir
beheiTschen gegenwärtig ein Gebiet, von dessen Ausdehnung sich
Eduard Gerhard nicht hat träumen lassen, als er zu Nutz und
Frommen der Alterthumsfreunde die Gedenkfeier Winckelmanns
in Italien und Deutschland einbürgerte. Mit dem äusseren Umfang
Jahrb. d. Ver. v. AUerthsfr, im Rheiiil XCV. 1
S H. N i s 8 e n I
siud auch die Ziele der Altertliumsforschuiig stetig gewaebsen: sie
beschränkt sich nicht auf die Entwicklung der schönen Kunst, die
Kunst kann nur im Zusammenhang mit dem Gesammtleben der
Völker begriffen werden, sie fasst daher die ganze Cultur in's Auge,
dem archäologischen Spaten verdankt die Weltgeschichte die wich-
tigsten Aufschlüsse, die ihr im neunzehnten Jahrhundert zu Theil
geworden sind. Der weite Gesichtskreis bedingt es, dass die ver-
schiedensten Richtungen in der Gemeinde Winckelmanns zusammen
kommen und zusammen arbeiten, dass ein Naturforscher wie der
verewigte Schaaffhausen neben einem Philologen, ein Kunstge-
lehrter neben einem Historiker, kurz und gut, dass Alle, welche die
Gegenwart aus der Vergangenheit zu erklären, die heutigen Dinge
durch die Betrachtung ihres Entstehens und Fortgangs zu begreifen
suchen, in den Reihen der Alterthumsfreunde ihren Platz finden.
In diesem allgemeinen Sinne möchte ich mir erlauben, Ihre Auf-
merksamkeit auf den Zusammenhang hinzulenken, in dem unsere
archäologischen Studien mit der grössten Umwälzung der Neuzeit^
der Erschliessung Ostasiens und der Entdeckung Amerikas stehen.
Für den eifrigen Zeitungsleser bildet die Chinesenfrage seit
Jahren eine der brennenden Tagesfragen. Der Plantagenbau in
unserer ostafrikanischen Colonie wird mit chinesischen Kulis be-
trieben. Vor ein paar Jahren wurde in den Kreisen mecklenburgischer
Grossgrundbesitzer der Vorschlag laut, dieselben billigen Arbeits-
kräfte für die norddeutsche Gutswirthschaft einzuführen. Nach den
in Californien und Australien gemachten Erfahrungen kann man nur
dringend wünschen, dass unser Vaterland von derartigen Versuchen
verschont bleiben möge. ' Denn wo die unheimlichen Gäste sich ein-
nisten, wird man sie nicht wieder los: weder durch Gesetze noch
durch rohe Gewalt. Der weisse Arbeiter kann den Wettbewerb des
gelben nicht aushalten. Schlauheit, erbliches Geschick und vor allem
eine erstaunliche Genügsamkeit sichern dem Fremdling eine ent-
schiedene Ueberlegenheit. Weder Lust an Abenteuern, noch Ab-
neigung gegen die Heimath, vielmehr bittere Noth treibt die schlitz-
äugigen bezopften Söhne des himmlischen Reiches hinaus, bei den
Barbaren Verdienst zu suchen. Ein Reich von mehr als 360 Mil-
lionen ^ der grössten Menscheumasse, die je ein Staatswesen um-
schlossen hat, mit einer Dichtigkeit der Bevölkerung, die nur von
unseren Industriebezirken erreicht wird, vermag es seine Be-
wohner nicht genügend zu ernähren. So innig und fest auch die
Der Verkehr zwischen China und dem Römischen Reiche. 3
Familenbande sind, so sehr alles höhere sittliche Streben von
dem Gedanken beherrscht wird in den Nachkommen fortzuleben,
treiben doch viele Gegenden den Kindermord und die Obrigkeit
drückt ein Auge zu. Von Zeit zu Zeit bricht aus den nichtigsten
Ursachen ein Bürgerkrieg aus, dem Fieber vergleichbar, das unver-
sehens den Körper packt, versetzt das ruhige Volk in Raserei, liefert
Myriaden auf die Schlachtbank. Aber die Lücken füllen sich rasch
und die Volksmenge ist in augenscheinlicher Vermehrung begriffen.
Noch vor wenig Jahrzehnten war die Auswanderung zur See durch
Gesetz und Sitte verboten. Gegenwärtig leben bereits 3 Millionen Chi-
nesen in überseeischen Landein, während die Zahl der in China
wohnenden Weissen keine 10000 erreicht. Und da es sich bis jetzt nur
um den Anfang der Auswanderung handelt, geben die angeführten
Ziffern zu denken. Wie fernes Wetterleuchten das kommende Gewitter
ankündet, mögen wohl die Chinesenhetzen in San Francisco als Vor-
boten eines unabsehbaren Kampfes erscheinen, den einst die weisse
und die gelbe Race mit einander auskämpfen werden.
In titanenhaftem Aufschwung hat die europäische Cultur die
Weltherrschaft errungen. Der Osten Asiens rüstet sich, seinen An-
theil an der Erde Gutem einzufordern , langjährige schwere Unbill zu
rächen. Voller Hass und Verachtung schaut der gelbe Mann auf den
weissen, ungefähr mit den Gefühlen wie sie ein Burgherr, dessen Ahnen
unter Friedrich Barbarossa ins Feld zogen, gegenüber dem Wucherer
hegt, der ihm die Schlinge um den Hals wirft. Der Chinese verfolgt die
Geschichte seines Volkes mehr als vier Jahrtausende aufwärts, druckte
Bücher zu einer Zeit, als über unserem Erdtheil noch völlige Uu-
mssenheit ausgebreitet lag, kannte den Compass, der die Entdeckung
Amerikas ermöglichte, bald nach Christi Geburt. Seine Annalen
zeigen ihm einen bunten Wechsel in der Vergangenheit : Schmach,
Demüthigung, Fremdherrschaft — Glanz, Ruhm, Macht. Warum
sollte er nicht auf einen Umschlag des Glückes hoffen ? Sein Stolz
hat sich lange gegen das Geständniss gesträubt, dass die heimische
Technik von der fremden überflügelt sei. Aber neuerdings brechen
sich die Ideen der Gegenwart unwiderstehlich Bahn, die Erfindungen
des Westens treffen auf gelehrige Schüler, die Anlage eines grossen
Eisenbahnnetzes steht vor der Thür. Und da das Land neben der
unerschöpflichen Fruchtbarkeit seines Bodens, neben seinen Menschen-
massen, neben seiner uralten Cultur zugleich über die mächtigsten
Kohlenlager der Erde verfügt, mag es wohl zu einer glänzenderen
4 H. N 1 8 fi e n t
Rolle berufen sein, als ihm die Welthändel der Neuzeit bis jetzt
zugewiesen haben.
Ost und West, Gegensätze der Raee, Gegensätze des Glaubens,
Empfindens und Denkens! Zwei Jahrtausende sind seit ihrer ersten
Berührung verflossen. Die Geschichte der schwankenden Beziehungen
von den Reisen griechischer Kaufleute bis zu den Opiumkriegen der
Engländer füllt ein inhaltreiches Buch. Das Anfangskapitel wird
von der Alterthumsforschung geschrieben.
1. Chinesische Funde im Westen. In den 30er
Jahren wurden in ägyptischen Gräbern aus der Pharaonenzeit Por-
cellanfläschchen gefunden, die zweifellos aus China stammten, zum
Theil mit chinesischen Aufschriften versehen waren. Der Inhalt war
Schminke, die Waare ziemlich ordinär. Aber welch' ein grossartiger
Ausblick auf uralten Verkehr des Menschengeschlechts wurde uns
dargeboten, wenn Rosellini in einem uneröflFneten Grabe der
18. Dynastie ein solches Fläschchen auflFand, wenn also die Damen
am Nil um 1500 vor Christi Geburt die Schminke zum Färben ihrer
Augenlider vom Gelben Fluss bezogen *). Leider ist der schöne
Traum durch die unbarmherzige Kritik allmälich in sein Nichts auf-
gelöst worden. Die Sinologen erkannten in den Aufschriften Dichter-
sprüche des 11. und 12. Jahrhunderts n. Chr.*), die Erfindung des
Porcellans reicht überhaupt nicht über den Anfang des 7. zurück *),
endlich sind es gewöhnliche Schnupftabaksfläschchen und den Tabak
haben die Chinesen erst im 17. durch die Holländer kennen gelernt.
Ja unser Landsmann Hirth, ein ehemaliger Schüler Ritschis
1) Rosellini, Monumenti dell' Egitto, Pisa 1834. II 2 p. 337. Wil-
kinson, Manners and eustoms of the ancient Egyptians, London 1842,
IIP p. 106.
2) Pauthier in Revue arch^ologique II (1846) p. 745.
3) Während Stanislas Julien in seinem grundlegenden Werk
Histoire et fabrication de la porcellaine Chinoise; Paris 1856, die Erfindung
des Materials, das für die chinesische Kunst die gleiche Bedeutung ge-
habt hat wie der Marmor für die griechische, unter die Dynastie Han
(186 V. — 87 n. Chr.) ansetzte, wird solche von F. Hirth, Ancient Por-
celain, a study in Chinese medlaeval industry and trade, Journal of the
China brauch of the Royal Asiatic society XXII (1887) p. 129 f., bis zum
Anfang des 7. Jahrhunderts herabgerückt und mit den Versuchen, die
Bereitung des hochgeschätzten Glases der Mittelmeerländer zu entdecken,
in Verbindung gebracht.
Der Verkehr zwischen China und dem Römischen Reiche. 5
und Haupt S; schliesst aus der Arbeit, dass die Gefässe nach
1820 gemacht sind, mithin wenige Jahre alt waren, als Bie von den
pfiffigen Arabern in die ägyptischen Grabkammern hineingeschmug-
gelt wurden*). Ganz der nämliche Betrug ist in Assyrien bei den
erfolgreichen Ausgrabungen Layards 1845 fg. ins Werk gesetzt
worden %
2. Römische Münzfunde im Osten. Keinerlei Be-
denken unterliegt die Nachricht von der Auffindung römischer Kaiser-
münzen im nördlichen China. Ungefähr vor 60 Jahren kamen in der
Provinz Shansi 16 Münzen aus verschiedenen Regierungen von Ti-
berius bis Aurelian zu Tage und durch Ankauf in den Besitz eines
Bankiers von Shanghai. Die Sache blieb unbeachtet und ist erst
neuerdings an's Licht gezogen worden^). Begreiflicherweise ist es
als seltener Glücksfall anzusehen, wenn in so fernen, unserer wissen-
schaftlichen Polizei entrückten Gegenden derartige Thatsachen zur
Kenntniss gebildeter Europäer gelangen. Indessen steht jener chi-
nesische Fund keineswegs allein. In Cochinchina tauchte vor 30
Jahren ein Grosserz Maximins I. auf), bei Kalkutta ein grosser Schatz
von Goldmünzen aus der späteren Kaiserzeit®). Zahlreich kommen
dieselben auf Ceylon und an der Westküste Vorderindiens zum Vor-
schein^), urkundliche Zeugen von den alten Handelsverbindungen
der Römer, wie die im Umkreis der Ostsee gemachten Funde. Der
Luxus, die Verfeinerung der Sitten im Kaiserreich hatte nahezu
zwei Drittel der östlichen Erdhälfte ihren Zwecken dienstbar ge-
4) F. Hirth , die chinesische Porzellanindustrie im Mittelalter, Chines.
Stildien I p. 47, München und Leipzig 1890.
5) Layard, Ninive and Babylon p. 279, London 1853. Layard be-
handelte die Sache kaltblütig und wollte die Fläschchen frühestens arabi-
schem Import des 8. oder 9. Jahrhunderts zuweisen.
6) Mir nur bekannt durch die Notiz in The Academy 1886 no. 730
p. 3J6.
7) Revue numismatique N. S. IX (1864) p. 481.
8) Cunningham, Archeological survey of India XIII p. 72, Cal-
cutta 1871 f. vgl. II 148. 162.
9) Grosser Fund von Goldmünzen (Augustue bis Caracalla) bei Telii-
chery an der Malabarküste, Journal of the Asiatic society of Bengal XX
(1851) p. 371, Sitzungsber. der ph. bist. Gl. d. Wiener Ak. IX (1852) p. 573.
Andere Funde sind zusammengestellt von Mommsen, Rom. Münzwesen
p. 726, FriedlÄnder, Repertorium p. 388, Lassen, Ind. Alterthums-
kunde III p. 82.
6 H. Nissen:
macht. Die Händler zogen bis zum Polarkreis um die weichen
Daunen der Eidergänse ^^), nach Ostpreussen um Bernstein *^), nach
den Nilseen um Elfenbein zu holen ^*), zogen nach Indien und
schliesslich nach China.
3. Wege nach China ^*). Zwei Wege standen vom Mittel-
meer nach China offen: der Land- und der Seeweg. Der letztere
ist heutigen Tages der leichtere, im Alterthum der schwierigere.
Wenn unsere Dampfer die Reise von Suez nach Hongkong in 24
Tagen zurücklegen, so brauchte ein antikes SchiflF ebenso viel Mo-
nate wie der Dampfer Tage; noch im 13. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung war Marco Polo auf der Heimreise von China nach
Venedig 3 Jahre unterwegs. Viel eher Hess sich die Verbindung
zu Lande herstellen. Aber sie führt hunderte von Meilen durch die
centralasiatische Wüste, dm-ch unfnichtbare wasserarme Steppe, über
welche eisige Nordstürme fegen , wo . der schaurige Winter oft bis
Ende Juni anhält. Sesshaftes Leben ist hier vielfach ausgeschlossen.
Reiterhorden ziehen unstät umher. Dies ist die Heimath der Skythen,
Saken^ Hunnen, Mongolen, Türken, jener Horden, die in den ver-
schiedensten Epochen der Geschichte vernichtend in das Reich der
Gesittung eingebrochen sind. Das zweihöckrige baktrische Kameel,
das 10 — 14 Tage ohne Speise und Trank aushält, konnte den Rei-
senden allerdings durch die Wüste Gobi hindurch tragen, aber er
brauchte ausserdem einen starken Arm und einen klugen Kopf, um
sich vor den Wegelagerera zu schützen. Nur die Aussicht auf hohen
10) Plin. N H. X 54 IV 104.
11) Pliu. N. H. XXXVII 45.
12) Kürzlich ging die Nachricht durch die Zeitungen, dass bei Ma-
tadi am Coiigo, 150 km oberhalb der Mündung in 1 m Tide eine kleine
Silbermünze Traians gefunden worden sei. Wenn man sich vergegen-
wärtigt, dass die Kenntniss der Nilseen zur Kaiserzeit, wie sie auf den
Karten des Ptolemaeos vorliegt, von der neueren Forschung erst in den
sechsziger Jahi*en erreicht und übertroffen worden ist, so wird man Be-
denken tragen, der Nachricht von vornherein den Glauben zu versagen.
Warum sollte nicht in Folge des Elfenbeinhandels eine römische Münze
an den Congo gelangt sein kmmen?
13) F. V. Richthof en, China I p. 444 f. Berlin 1877. Ders. Ueber
den Seeverkehr nach und von China im Alterthum und Mittelalter, Verh.
d. Ges. f. Erdk., Berlin 1876, ITI p. 86. Ueber die centralasiatischen Seiden-
strassen, ebd. IV p. 96,
Der Verkehr zwischen China und dem Komischen Reiche. 7
Gewinn konnte zu einem Wagniss verlocken, dessen Grösse wir
leicht unterschätzen.
4. Seidenbau in China ^^). Der Verkehr z^vischen China
und dem Westen ist im Alterthum eingeleitet und unterhalten worden
wegen eines Artikels, in dessen Erzeugung China noch immer den
obereten Rang auf dem Weltmarkt behauptet, wegen der Seide *^).
Es giebt in China und Japan, wie in Indien und Vorderasien mehrere
Gattungen von Raupen, die bei ihrer Verpuppung ein Gespinnst her-
vorbringeu, das abgelöst und verwebt werden kann. Bei der hohen
Vollendung, zu welcher die Kunstweberei frühzeitig in Vorderasien
gelangte, ist man auf diesen Stoflf aufmerksam geworden; Aristoteles
im 4. Jahrhundert v. Chr. kennt eine blühende Industrie, die ihn
verarbeitet, auf Kos, einer griechischen Insel an der Küste Klein-
asiens ^^). Indessen kann sich das Gespinnst der auf Eiche, Esche,
Cypresse, Terpentinbaum lebenden Arten weder an Glanz noch an
Feinheit mit der auf dem Maulbeerbaume lebenden Raupe messen.
Letztere ist die eigentliche Seidenraupe, von ihr stammt die weisse
glänzende Seide. Freilich muss die Kunst eingreifen. Wenn man
den Schmetterling ausschlüpfen lässt, so zerreisst er die ihn um-
gebenden Hüllen, die Fäden können nicht mehr abgewickelt werden,
es bleibt nichts übrig, als die leeren Hüllen zu kämmen, zu spinnen
und so jenen minderwerthigen Stoflf zu erzielen, den die Franzosen
galette nennen, um die Cocons unversehrt zu erhalten, das Gespinnst
in ursprünglicher Feinheit und Schönheit abzuhaspeln, muss die
Puppe durch Anwendung starker Hitze getödtet werden. Dies hat
eine Kaiserin von China ausfindig gemacht, angeblich 2700 Jahre
vor Christi Geburt. Die dankbare Nachwelt versetzte sie unter die
Sterne und verehrt sie seitdem am Himmel unter dem Zeichen des
14) E. Pariset, Histoire de la soie, 2 v., Paris 1862 f. Der Ver-
fasser als ehemaliger Seidenfabrikant in Lyon redet mit seltener Sach-
kunde. J. Yates, Textrinum antiquorum, an account of the art of wea-
ving among the ancients I p. 160, London 1843. C. Bitter, Erdkunde
VIII p. 679.
15) Ueber Chinas Handelsverhältnisse s. Hirth, Studien I p. 102,
Die beiden wichtigsten Ausfuhrartikel sind Seide und Thee : der Werth
der 1891 ausgeführten Seide betrug 37, des Thees 31 Millionen Taels.
16) Arist. bist. anim. V 19, 6, daher Pliii. N. H. XI 76 vgl. IV 62.
Die Alten unterschieden vestes Coae, bombycinae und sericae, die an
zweiter Stelle genannte Seide stammt aus Assyrien und scheint gelb ge-
wesen zu sein, vgl. Marquardt, Privatleben der Homer p, 476 f,
8 H. Nissen:
Scorpion als Gehius der Maulbeerbäume und Seidenwtirmer. Die
Seidenzucht ist immer eifrig vom kaiserlichen Hofe betrieben worden,
auf seine Mitglieder beschränkt sich ursprünglich die seidene Tracht
und gewinnt langsam in den höheren Schichten der Gesellschaft
Aufnahme. Ihre Heimath ist der Norden des Landes, die Provinzen
nördlich vom Gelben Fluss. Sobald die Seide ausgeführt, von fremden
Völkern hoch geschätzt und theuer bezahlt wurde, nahm die Zucht
dauernd an Umfang und Bedeutung zu.
5. Einfuhr und Verbrauch der Seide*'). Wie früh
die Seide auf dem Wege des Tauschhandels nach Vorderasien ge-
langte, ist nicht zu sagen. Möglichenveise wird sie bereits im 6. Jahr-
hundert V. Chr. vom Propheten Ezechiel erwähnt **). Der erste
Grieche, der sie nennt, ist Nearchos, der Admiral Alexanders d. Gr. ;
in Indien war sie ihm unter ihrem heimischen Namen bekannt ge-
worden *^). Den Chinesen heisst Seide Sse mit dem gewöhnlichen
Affix ör Sser oder Ssir und dies Wort ist mit dem Gegenstand weit
gewandert *^). Die Griechen entlehnen oriQ in der Bedeutung Seiden-
wurm, leiten davon otjqmov für das Gespinnst ab und bilden einen
Volksnamen Zrjgeg, die Seidenmänner oder Seidenhändler, diejenige
17) Pardessus, Memoire sur le commerce de la soic chez les an-
ciens, Memoires de l'acad. des inscr. XV (1842) p. 1—47. M. Reinaud,
Relations politiqucs et commerciales de Tempire Romain avee TAsie Orien-
tale pendant les cinq premiers sieclcs de Vtre chretienne, Paris 1863: mit
grosser Vorsicht zu benutzen.
18) Ezech. 16, 10. 13 meschi, von den hebräischen Auslegern durch
Seide erklärt, in der Septiiaginta tgi^cuztov Haartuch tibersetzt: Kamp-
hausen (in Rieh ms Handwörterbuch des bibl. Alterth., Leipzig 1884 unter
Seide) weist darauf hin, das» letztere Bezeichnung, ähnlich wie seta, saeta
serica, auf Seide wegen deren unübertrefflicher Feinheit und Festigkeit
sehr gut passe und ist geneigt, diesen Stoff in der That als den vom
Propheten gemeinten zu betrachten. Die Erklärung der Herodot I 135,
Xen. Kyrop. VIU 1, 40 und somst erwähnten medischen Kleidung als
seidener wird vor Procop b. Pers. I 20, b. Vand. U 6 nicht ausdrücklich
ausgesprochen.
19) Nearch bei Strab. XV 693 (fr. 8 Müller). Der unerklärte Name
der Rohseide metaxa wird von Lucilius gebraucht Fest. 265 M. lini me-
taxa. Beim Untergang des Crassus führen die Parther seidene Fahnen,
Flor. I 46, 8, bei den Spielen Cäsars 46 v. Chr. werden seidene Sonnen-
segel aufgespannt, Dio XUII 24.
20) Klaproth, Sur les noms de la Chine, Mem. rel. k l'Asie HI
p. 257, Paris 1828. Ders. u. Remusat, Journal Asiatique II (1823) p. 243.
Der Verkehr zwischen China und dem Römischen Reiche. 9
Bezeichnung; welche flir die Chinesen im Alterthum bei Griechen
nnd Römern üblich geblieben ist. Die Züge Alexanders nach Indien
und zu den Steppen Centralasiens erschlossen dem Abendland eine
neue Welt, eröflneten dem Handel neue Wege, der Industrie neue
Bezugsquellen^^). Wie seitdem der indische Elephant zum regel-
mässigen Bestand der Armeen gehört, indische Droguen in die Apo-
theke, indische Gewürze in die Küche eindringen, so gewinnt die
Baumwolle Indiens und die Seide Chinas in der Manufactur eine
stetig zunehmende Verwendung. In den Städten Syiiens klein und
gross, vor allem dem altberühmten Tyros**), sodann in Aegypten
in dem rasch aufblühenden Alexandria**), des grossen Königs
zukunftsreicher Gründung schlägt Weberei, P^ärberei, Stickerei,
kurz und gut was wir Modeindustrie nennen, ihren Sitz auf. Hier
wird die feine weisse Seide Chinas verarbeitet. Der Transport ver-
theuerte sie in dem Masse, dass sie noch im 3. Jahrhundert unserer
Zeitrechnung mit Gold aufgewogen wurde**). Bei einem Preis, der
21) Polyb. III 59 iv Sh xoTg xaS^ fffiäg (xaigoig) t&v fiev xatä xrp^ 'Aalav
Sia jrjv ^AXß^dvÖQOv öwaoTelav iGfv Sh Xoin&v tdstcov Sia tfjv 'Pco/iaitov tmegoxffv
üxeddv üOtdvTOOv JtXancäv xou JioQevt&v ysyovototv,
22) Blüm n er, Die gewerbliche Thätigkeit der Völker d. klass.
Alterth., Leipzig 1869, p. 18 f. Tyros mit höheren Häusern als Rom hat
die berühmtesten Färbereien der Welt, Strab. XVT 756 f. Plin. N. H. V 76,
IX 136 f. Sidon. Ap. carm. V 47. Es unterhält Factoreien in Rom und
dem Haupthafen Italiens, Puteoli (Kaibel inscr. 830 CIL. X 1601). In
der um 350 verfassten expositio totius mundi c. 24 (Riese, Geogr. Lat.
min. p. 109) heisst es : Tyrus omnium negotium ferventer agens raagnifice
felix est; nulla enim forte civitas orientis est eius spissior in negotio;
et divites vires habens et potentes in omnibus. Ueber die Verbreitung
der syrischen Kaufleute im römischen Reich vgl. Friedländer, Sitten-
geschichte II ö p. 78, Mommsen R. G. V p. 467. Die Seidenmanufaktur
in Tyros wird durch das von Justinian eingeführte kaiserliche Monopol
zu Giomde gerichtet, Prokop bist. arc. 25 tfidzia rä ix fisrd^rjg h BijQvt^
fikv xai TvQO) JtoXsai rm^ ijri ^tvixijs Eqyd^ea^ax ix szaXaiov elto^ei, oX te zovxcov
iftJtOQol TS xai istidtjfiiovQyoi xai texvTtai evtair&a to dvexa^ev <pxow, ivdhrde te
ig yfjv avaoav tpigeadai to iftJidXfffia xovzo ^wsßatvev, istl 6h ' lovöuviavoi) ßaat-
XsvovTog ol ini xauif} xfj iQyaaiq h xe BvCavxlq) xai ndXeoi xalg äXlatg Svxeg
ditcox$Qav djteSiSovxo xrjv io^xa xavxrjv xxX. Uebrigens ist die Ableitung des
Wortes Seide ahd. stda vom Stadtnamen Sidon irrig, s. Diez, Etym.
Wörterbuch d. roman. Spr. u. Seta.
23) Uebei^dle berühmte Weberei und Buntwirkerei Alexandrias
Blümner a. 0. p. 15. Die Einfuhr seidener Gewebe und Garne bezeugt
der Periplus mar. erythr. 56, vgl. 39. 49. 64, ihre Verarbeitung Lucan X 141.
24) Vopisc. Aurelian 45; 5 vestem holosericam neque ipse in vestiario
10 H. Ni8sen:
mindestens das ftinfzigfache des heutigen betrug, dachten die Alten
nicht daran, die fertigen chinesischen Zeuge zu tragen, vorausgesetzt
dass sie überhaupt ihrem Geschmack zugesagt hätten. Sondern ent-
weder wurden Garne bezogen oder die fertigen Zeuge aufgetrennt,
gefllrbt und mit Leinen, Wolle, Baumwolle und anderen Stoffen neu
verwebt 2^). Leichte bunte Musseline und Gazen sind zu verstehen,
wenn die alten Schriftsteller von serischen seidenen Kleidern reden.
Diese Industrie erobert den Markt und beherrscht die Mode bis zum
Ausgang des Alterthums. Die fliessende durchseheinende Gewandung,
welche manche Statuen der römischen Epoche auszeichnet, gewährt
uns eine Anschauung von der gefalligen Anmuth, die der Mode inne-
wohnte. Natürlich werden auch in der Litteratur vielfache Klagen
laut über den unsinnigen Aufwand, den sie forderte. Unter den
höchsten Kostbarkeiten zählt die Offenbarung Johannis Purpur und
Seide neben Gold und Silber, Perlen und Edelsteinen auf*^). Mit
SUD habuit neque alteri uteudam dedit. et cum ab eo uxor sua peteret
ut unico pallio blatteo serico uteretur, ille respondit: „absit ut auro fila
pensentur". libra enim auri tunc libra serici fuit. Darnach kommt das
Gramm auf annähernd 3 Mk. Genauere Preise enthält der Maximaltarif
Diocietians 23. 24; darnach kostet das Pfund (327 gr) chinesische Roh-
seide 12 000 Denar 219 Mk., aber in bestem Purpm* gefllrbt /lexa^aßXdxrti
150 000 Denar 2740 Mk. Kaiser Justinian bestimmte das Pfund Rohseide
unter dem Einkaufspreis zu 8 Aurei lOlVa Mk., und ging nach Vernichtung
des Privathandels und Einführung des Monopols auf 72 Aurei 914 Mk., für
gefärbte Seide auf 4 Pfund Gold 3654 Mk. in die Höhe, Prokop bist,
arc. 25.
25) Das Auftrennen der chinesischen Zeuge wird erwähnt Lucan
X 141, Plin. N. H. VI 54, XI 76, vgl. Marquardt, Privatl. p. 480 A. 4,
ausserdem aber durch chinesische Berichte bestätigt. Nach der Ueber-
setzung Hirths (in der A. 51 augeführten Schrift) heisst es in dem vor
429 n. Chr. verfasstcn Bericht P. 45: further they were always anxious
to get Chinese silk for severing it in order to make hu-ling [foreign da-
mask, ganze?], for which reason they frequently trade by sea with the
countries of An-hsi [Parthia]. Damach in Q. 28: they always made profit
by obtaining the thick piain silk stuffs of China, which they split in order
to make foreign ling kan w6n [foreign damask-ling and purple dyed-kan-
mustered goods-wön-?], and they entertained a lively trade with the foreign
States of An-hsi [Parthia] by sea, vgl. Hirth a. 0. p. 257 f. Es ist nicht
recht ersichtlich, warum das Auftrennen von Blümnoii^ der Maximal-
tarif des Diocletian p. 162 (ohne die chinesischen Zeugnisse zu erwähnen)
und vorher von Oberst Yule, Cathay I Einl. p. 154 in Zweifel gezogen wird.
26) Apok. 18, 12 mit vollem Recht nach den Preisangaben A. 24.
Der Verkehr zwischen China und dem Römischen Reiche. 11
dem Verfall der Republik gi-eift der Luxus in Rom um sich. Die
Anhänger der alten einfachen Sitten mochten noch so heftig gegen
die neue Mode donnern, sie unanständig , schamlos schelten, die
bunte Halbseide gewinnt dem schlichten weissen Wollkleid unauf-
haltsam den Boden ab^^). Unter Kaiser Augustus wird sie hof-
fähig*®). Ja, die Männerwelt missgönnt den Frauen den alleinigen
Besitz der Seidenstoffe, bald kleiden sich auch die Stutzer von Rom
in Seide und das schien ein wahrer Scandal. Kaiser Tiberius er-
liess gegen solche Unsitte ein strenges Verbot, aber sein Nachfolger
Caligula legte selbst die verpönte Tracht an *^). Das Beispiel Roms
wurde von den übrigen Städten des Westens ^^), das Beispiel der
höheren Stände von den unteren nachgeahmt**). Derart steigert
sich die Nachfrage in erstaunlichem Masse und vermehrt die Ein-
fuhr aus China in einem Umfang, der bis dahin unerhört gewesen
war '*).
6. Erleichterung des Verkehrs. Verschiedene Um-
27) Seneca exe. controv. 11 7, Seneca Ep. 90, 20, Dial. XII 16, 4,
Benef. VII 9, 5, Plin. N. H. VI 54, XI 76 f., XII 2. 84, Martial VIII 68, 7,
Horaz Sat. I 2, 101, Solin 50, 3, Dio XLIII 24.
28) Die Inschrift Thymele Marcellae siricaria, die sich auf Agrippas
Gemahlin oder Schwägerin bezieht, CIL. VI 2, 9892 lehrt, dass die vor^
nehmen Damen eigene Beschliesserinnen für ihre seidene Garderobe
hatten. Vom Hofe wird das späterhin erwähnt Martial XI 8, 5, Capit.
M. Ant. Phil. 17, 4.
29) Tacit. Ann. II 33, Dio LVII 15, Plin. N. H. XI 78. - Dio LIX 26»
Suet. Cal. 52.
30) Am Ausgang des zweiten Jahrhunderts empfiehlt Galen X, 942
Kühn seinen ausserhalb Roms prakticir enden Collegen Ttageaxevda&co t<S>v
vrifidroDv n rtov arjQixcw dyofia^ofiivcav, syovöi yäg ai jiiovtuai ywaiksg avxa nok-
Xaxo&i trjg vno 'Pcjfiaioyv oiqx^Sj >tai fiaXiOxa h fieyaXaig Tiöieaiv h alg etat TfoXXcu,
uov TOtovTCOv ywaixcäv.
31) Am Ausgang des vierten Jahrhunderts schreibt Ammian XXIII
6, 67 neiitesque subtegmina conficiunt sericum ad usus antehac nobilium,
nunc etiam inümorum sine ulla discretione proficiens.
32) Als einen Anhalt für die Zunahme der Einfuhr dient der Um-
stand, dass ganzseidene Kleider erst im dritten Jahrhundert von den
Kaisern getragen wurden. Lamprid. Heliogabal 26, 1 primus Romanorum
holoserica veste usus fertur, cum iam subsericae in usu essent. Alex.
Sev. 40, 1 vestes sericas ipse raras habuit, olosericam numquam induit,
subsericam numquam donavit. üeber Aurelian A. 24. Vopisc. Tac. 10, 4
holosericam vestem viris onmibus interdixit, vgl. Gothofr. Cod. Theod,
XV 9, 1, Cod. Justin. XI 9,
12 H. Nissen:
stände trafen zusammen , nm seit Errichtung der Monarchie einen
Welthandel ins Leben zu rufen, dessen Grossartigkeit im ganzen
Mittelalter nicht wieder eiTcieht worden ist. Das Reich der Cäsaren
erstreckt sich von der Nordsee bis an die Sahara, vom Atlantischen
Ocean bis an den Euphrat: ein Gebiet von 70 — 80 000 deutschen
Quadratmeilen, gut geordnet, gut . verwaltet, der Segnungen des
Friedens froh. Der Kaiser von Rom ist der mächtigste Fürst auf
Erden: dies erkennen die anderen Könige widerstrebend an. Auch
der Nachbar am Euphrat, der König der Parther muss sich solchem
Geständniss bequemen.* Die Parther haben das alte Perserreich,
wenngleich in geschmälertem umfang, erneuert. Im Osten und
Norden vertheidigten sie ihren Besitzstand mühsam gegen Skythen
und Saken, jene Reitervölker der Steppe, deren ich früher gedachte:
ein Kampf der Gesittung gegen die Barbarei, ähnlich wie er von
China geführt wurde. Um 212 v. Chr. erbaute Kaiser Shi-hwang-ti
zum Schutze seines Reichs die grosse 2450 Kilometer lange Mauer,
das grösste Bauwerk auf Erden, die 1400 Jahre hindurch die
Einfalle der Mongolen abgewehrt hat. Die nachfolgenden Kaiser
dehnten ihre Herrschaft über das Tarymbecken, das ungeheure
Steppengebiet zwischen Kuen-lün und Thianschangebirge aus. Ihre
WaflFen drangen vorübergehend bis an's Kaspische Meer. So ar-
beiteten Parther und Chinesen einander in die Hände und es ent-
wickelt sich zwischen beiden Völkern ein reger und verhältniss-
mässig sicherer Verkehr. Baktra j. Balkh am Oxus j. Amu Darja
und Alexandria mit dem Beinamen das äusserste am Jaxartes j. Syr
Darja sind die Ausgangspunkte der Carawancn, die durch die Wüste
Gobi nach Nordchina ziehen, um dort Seide einzukaufen. Eine
directe Landverbindung zwischen dem Römerreich und China gibt
es nicht 3^): die Parther hatten die Vermittlung und vom Transit
der chinesischen Waare erklecklichen Nutzen.
7. Serika. Seit Emchtung der Monarchie wird der Name
der Seres oder Chinesen den Ohren der Römer geläufig 3*). Nicht
33) Um 568 sperrten die Perser die Seidendurchfuhr vollständig, die
Türken eröffneten eine directe Verbindung mit Byzanz, wahrscheinlich
nördlich vom Kaspischen Meer, die nach einigen Jahrzehnten mit dem
Verfall der türkischen Herrschaft wieder aufgegeben wurde, s. die an-
ziehenden Berichte Mcnander fr. 18—22, Theophanes 3 Dind. Theophy-
laktos VII 9.
34) Augustus, der wie der alte Cato haud sane detractator laudum
Der Verkehr zwischen China Und dem Römischen Reiche. 13
dass man in Rom etwas Gescheutes von ihnen zn erzählen gewusst
hätte. Sie wohnen, heisst es, an den Grenzen der Erde, werden
über 200 Jahre alt, haben rothe Haare, blaue Augen, eine längere
Statur als gewöhnliche Menschen: lauter Angaben, die auf reiner
Einbildung oder Missverständniss bemhen. Vereinzelt taucht die
richtige Ansicht auf, die Seide sei das Gespinnst einer Raupe '^);
suarum war, rühmt sich in seiner Grabschrift c. 31 öfters von Königen
Indiens Gesandte empfangen zu haben, was keinem römischen Beamten
vorher widerfahren sei, fügt auch noch unbestimmt c. 32 hinzu plurimaeque
aliae gentes expertae sunt populi Roniani fidem me principe, quibus autea
cum populo Romano nuUum extiterat legationum et amicitiae commercium.
Aber wenn höfische Dichter und Geschichtschreiber von Gesandtschaften
der Serer oder Kriegszügen gegen die Serer reden, so ist das lediglich
rhetorischer Bombast, der die Beschränktheit des hauptstädtischen Ge-
sichtskreises wiederspiegelt: Horaz Od. 1 12, 56, 11129,27, IV 15, 23, Properz
V 3, 8 (wo Sericus zu lesen sein wird, cod. Neap. Hericus), Lucan I 19,
Juvenal 6, 403, Flor. II 34, Vopisc. Aurel. 41, 10, Claudian 8, 258. Solche
Aeusserungen ernsthaft nehmen, heisst ihnen viel zu hohe Ehre erweisen.
Der Aufschwung des indischen Handels hat die halb verschollenen, mär-
chenhaften Länderbeschreibungen, die nach den Alexanderzügen in's
Kraut Schossen, den Zeitgenossen des Augustus in Erinnerung gebracht:
erwähnt werden Amometos, der unter dem ersten Ptolemäer schrieb (Plin.
N. H. VI 55, Susemi hl Gesch. d. gr. Litt. I 323) und Isigonos von Nikaea
älter als Varro (Plin. VII 27 Susemi hl I 480). Auf diese Gewähramänner
geht die Fabel von der Langlebigkeit der Seren (Strab. XV 701. 2 [Lu-
cian] Makr. 5, Eustath zu Dion. P. 752), die Beschreibung von dem schweig-
samen Handelsverkehr in der Wüste (Mela III 60, Plin. VI, 54) u. ähnl.
zurück. Als Diodor schrieb, gehörten die Seren noch nicht zum Aufputz
einer modischen Geschichtserzählung. In dem nächsten Menschenalter
nach Augustus wird die Kunde durch römische Kaufleute und indische
Gesandte erweitert (Plin. VI 88), ohne doch zu irgendwie genügenden
Vorstellungen durchzudringen. Der Name Serica wird auf das ganze
Centralasien nördlich vom Himalaya übertragen. Wenn Plinius XXXFV
145, XXXVII 204 (vgl. Oros. VI 13, 2) als Handelserzeugnisse desselben
neben Seide auch Felle und das beste Eisen der Welt aufführt, so ist
sonnenklar, dass der Carawanentransport chinesischen Eisens (aus den
Bergwerken von Shansi, wie man gemeint hat) zu den Römern in den
Bereich des Unmöglichen gehört. Einen bemerkenswerthen Fortschritt
der Kenntnisse vermögen wir erst für das zweite nachchristliche Jahr-
hundert nachzuweisen.
35) Pausanias, der um 173 schrieb, ist in den Besitz neuer, wenn
auch nicht durchaus richtiger, so doch der Wahrheit sich annähernder
Angaben über die Erzeugung der Seide gelangt, die er im Gegensatz
zur herrschenden Anschauung bekannt zu machen einen Anlass an den
14 H. Nissen:
allgemein wird sie für ein Produkt des Pflanzenreichs gehalten, wie
die Baumwolle; man lässt sie auf Bäumen wachsen, von den Bäumen
das herunterhängende Gespinust abgekämmt werden ^^). Freilich
darf ein ausgebreitetes und geläutertes Wissen von der Erde bei
lateinischen Schriftstellern nicht gesucht werden. Wie das Wort
Geographie der griechischen Sprache angehört, ist diese Wissen-
schaft das ganze Alterthum hindurch fast ausschliesslich von Griechen
gepflegt und betrieben worden. Die überraschende Fülle von Kennt-
nissen, welche der Welthandel der Kaiserzeit anhäufte, wurde von
griechischen Gelehrten im Morgenland theoretisch verarbeitet, unter
diesen leuchten zwei Männer hervor, welche auf die Neuzeit einen
starken Einfluss ausgeübt haben: Marinos von Tyros, ein Forscher
des ersten, und der auf dessen Schultern stehende Ptolemaeos von
Alexandria, ein Forscher des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts.
Beide haben Kartenwerke entworfen, Marinos ist zum Abschluss seiner
Arbeiten nicht gekommen ^'^), von seinem Nachfolger hat die neuere
Kartographie ihren Ausgang, ihr Muster und Vorbild genommen. Astro-
nomische Ortsbestimmungen lagen beiden Gelehrten nur in geringer
Haaren herbeizieht, VI 26, 6 f. Da Pausanias aus mündlichen Quellen
schöpft (§ 9) und keinen ausgedehnten Leserkreis erreicht hat, so begreift
man, dass seine Nachrichten sehr mit Unrecht in der Folge (abgesehen
von dem Aegypter PoUux VH 76) ganz unbeachtet geblieben sind. Der,
sei es mittelbare oder unmittelbare Gewährsmann erklärt Seria für eine
Insel, die ähnlich wie das Nildelta vom Fluss Ser gebildet wird, ist mithin
bis zum Mündungsgebiet des Jangtsekiang gelangt und zwar zur See. Ohne
Zweifel hängt diese Fahrt mit der direkten Seeverbindung zwischen China
und dem römischen Reiche zusammen, die nach den chinesischen Anualen
unter Marc Aurel eröffhet wurde (S. 24). Dass der Argwohn der chi-
nesischen Regierung den Fremden ein tieferes Eindringen in 's Land ver-
wehrt und das Geheimniss der Seidenzucht nach Kräften gehütet hat,
entspricht ihren Gepflogenheiten.
36) Verg. Georg. II 121, Strab. XV 693, Plin. VI 54, Sen, Trag. Herc.
Oet. 671, Phaedr. 397, Sil. It. VI 4, XIV 664, Dion. Perieg. 752 (über-
setzt Avien 936) Solin 50, 2, Ammian XXIII 6, 67, Auson. XXVII 9, 24,
Claudian I 179. Die Gespinnste wilder Seidenwürmer werden den Anlass
zu dieser Vorstellung gegeben haben.
37) VITir kennen ihn allein aus der eingebenden Würdigung durch
Ptolemaeos I 6—21. Für die von diesem rühmend anerkannte unermüd-
liche Sammlung und Bereicherung des Materials, die Marinos bethätigte,
ist der Umstand bezeichnend, dass er seine Erdkunde mehrfach umge-
arbeitet hat und der letzten Ausgabe eine Karte nicht mehr hat beigeben
können (c. 17, 1), was denn von Unberufenen sofort besorgt wurde (c. 18, 3).
Der Verkehr zwischen Chinn und dem Römischen Reiche. 16
Zahl vor, desshalb fielen die Karten nicht im heutigen Sinne genau
aus. Aber die Umrisse des Mittelmeeres und seiner Umgebungen
sind doch leidlich getroffen. Anders verhält es sich mit den Länder-
massen jenseits der römischen Grenze. Marinos stammte aus Tyros,
dem Hauptsitz der Seidenmanufactur. In dieser seiner Vaterstadt
konnte er von Kaufleuten über den fernen Osten Erkundigungen
einziehen. Er legte nun seiner Darstellung den Bericht eines mace*
donischen Händlers Maes Titianos zu Grunde und verlieh dessen
Angaben eine Tragweite, von der ihr Urheber sich schwerlich hat
träumen lassen ^^). MaSs hatte nämlich Agenten zum Einkauf von
Seide nach der Hauptstadt des Seidenlandes, damals Si-ngan-fu,
geschickt. Die Agenten reisten durch das Tarymbecken am Nord-
fuss* des Kuen-Iün hin und wollten auf der letzten Hauptstrecke 7
Monate unterwegs gewesen sein. Nach ihrem Itinerar berechnete
Marinos die Entfernung vom Euphrat bis zum Steinernen Thurm,
einer Ortschaft unbestimmter Lage, auf 26280 Stadien, 657 deutsche
Meilen, vom Steinenien Thurm bis zur Hauptstadt des Seidenlandes
auf 36200 Stadien, 905 d. M., mithin die ganze Entfernung von
der römischen Grenze bis zur Hauptstadt von China auf 62480
Stadien, 1562 deutsche Meilen. In Folge dessen setzte Marinos die
Ausdehnung der östlichen Halbkugel von der Insel Ferro am West-
rand Afrikas bis zum Ostrand Chinas zu 225^ an, während sie in
Wahrheit nur 130^ beträgt. Der lange beschwerliche Weg, den die
Seidencarawauen zurückzulegen hatten, führte derart zu einer ver-
hängnissvollen Ueberschätznng der Grösse Asiens. Zwar hat Ptole-
maeos mit nüchterner Kritik die 225 <* auf 180 » gekürzt, aber auch
dies war 50^ zu viel und zudem behielt der Ansatz des Marinos
38) Marinos selbst c. 11, 7 nährt berechtigte Zweifel an der Zuver-
lässigkeit der Kaufleute und erklärt die Angabe über die Zeitdauer der
chinesischen Heise für reinen Schwindel. Viele Bäthsel der antiken Erd-
kunde, an denen der Scharfsinn sich vergebens versucht hat, erhalten die
einfachste Lösung, wenn man die uralte und stets wiederholte List der
Händler im Auge behält, dass sie über unbekannte Länder und die Han-
delswege dorthin absichtlich unwahre Angaben verbreiten, um den Wett-
bewerb abzuschrecken oder auf falsche Fahrte zu locken. Aus diesem
Gesichtspunkt ist auch die Schweigsamkeit des Maßs Titianos in Betreff
der Carawanenstrasse nach China, über die Marinos sein Befremden äus-
sert, zu beurtheilen: sicherlich waren es Geschäftsrücksichten, die den
Kaufherrn davon abhielten, dem Gelehrten offen Rede und Antwort zu
stehen.
16 H. Nissen:
bei den arabischen Geographen des Mittelalters die gleiche Geltung.
Columbus hat bis an sein Lebensende anf dessen Richtigkeit ge-
schworen. Schon früher war der seit Erkenntniss der Kugelgestalt
der Erde naheliegende Gedanke ausgesprochen worden *^), man könne
von Europa nach Westen aussegelnd den Ostrand Asiens erreichen :
nach der Lehre des Marinos schien der Albstand halb so gross, als
er in Wirklichkeit war. Dieser Irrthum hat die Entdeckung Amerikas
1492 unmittelbar veranlasst.
Wohl hat die Seideneinfuhr und die Zahl der Carawanen nach
Ptolemaeos stetig zugenommen. Allein bei dem allgemeinen Verfall
des Alterthums fehlten die Männer, die daraus wissenschaftlichen
Gewinn eraielt hätten. Wir wissen nicht einmal, ob auf dem
Landwege und in welchem Jahrhundert Judenthum und Christen-
thum in China einzogen. Judengemeinden haben sich hier bis auf
die Gegenwart erhalten, freilich auch in der Vereinzelung den Zu-
sammenhang mit dem Glauben ihrer Väter und die Kenntniss der
heiligen Schriften eingebüsst. Durch den Handelsverkehr sind
mancherlei Ortsnamen aus Central- und Ostasien an Ptolemaeos ge-
langt und von ihm auf seinen Karten eingetragen worden. Indessen
gelingt es nur in seltenen Fällen die heutige Lage der Ortschaften
nachzuweisen ^^). Am meisten bedauern wir, dass keine eingehenden
Schilderungen über Leben und Sitten des damaligen China von den
Reisenden aufgezeichnet und von den Schriftstellern uns überliefert
worden sind. Nur eine kurze, aus leidlichen Quellen geschöpfte
Charakteristik liegt vor, deren wesentliche Züge auch heutigen
Tages zutreffen: „Die Seren — heisst es**) — meiden das Kriegs-
39) Der erste, bei dem er sich findet, Posidonios von Rhodos, nimmt
noch an, dass die Entfernung einen halben Erdumfang betrage Strab.
II 102.
40) Auf die Kenntniss der Grossen Mauer scheint Ammian XXIII
6, 64 hinzudeuten; ultra haec utriusque Scythiae loca contra orientalem
plagam in orbis speciem consertae celsorum aggerura summitates ambiunt
Seras ubertatc regionum et amplitudine circum spectos, ab occidentali
latere Scythis aduexos, a septentrione et orientali nivosae solitudini co-
haerentes : qua meridiem spectant ad usque Indiam porrectos et Gangen.
41) Solin 50, 2
aquarum aspergine inundatis fron-
dibus vellera arborum adminiculo
depectunt liquoris et lanuginis te-
neram subtilitatem humore domant
Ammian XXIII 6, 67
arborum fetus aquarum aspergini-
bus crebris velut quaedam vellera
molientes ex lanugine et liquore
mixtam subtilitatem tenerrimam pec-
Der Verkehr zwischen China und dem Üömisehen Reiche. It
Handwerk und den Krieg. Als gesetzte und höfliche Leute lieben
sie mit ihren Nachbaren Frieden zu halten. An Bedttrfnisslosigkeit
gibt es nicht ihres Gleichen, Der Gemeinschaft mit Fremden gehen
sie aus dem Wege. Wenn Reisende die Grenze tiberschritten haben,
um Seide einzuhandeln, wird das Geschäft stillschweigend abgemacht.
Die Einen legen ihr Geld-, die Anderen ihre Waare hin und werden
ohne Worte handelseinig. Die Seren führen ihre Produkte aus,
f&hren aber keine fremden Produkte ein: so sparsam sind sie."
8. Der indische Handel**). Die Durchgangszölle der
Parther vertheuerten die chinesische Waare. Gelegentlich, wenn die
friedlichen Beziehungen zwischen Parthem und Römern gestört
waren, blieb die Waare überhaupt aus. Es lag desshalb nahe,
andere Bezugsquellen der Seide aufzusuchen. Solche fanden die
Römer in Indien, das auf verschiedenen Landwegen mit China in
Verbindung stand. Der römische Handel mit Indien wurde von
Aegypten aus betrieben. So lange dies Land unabhängig war,
pflegten jährlich 20 Schifi'e nach Indien zu segeln, zehn Jahre nach
seiner Annexion durch Augustus war die Zahl der Schiflfe auf 120
gewachsen*^). Sie holten vor allem Gewürze, dann auch Perlen,
tunt, nentesque subte^mina confi-
ciunt sericum ad usus antehac no-
bilium nunc etiam infimorum sine
Ulla discretione proficiens.
ipsi praeter alios frugalissimi pa-
catioris vitae cultores vitantes reli-
quorum moi*talium coetus. cumquo
ad coemenda fila vel quaedam alia
fluvium transierint advenae, nulla
sermonuni vice propositarum rerum
pretia solis oculis aestimantur, et
ita sunt abstinentes ut apud se tra-
deutes gignentia nihil ipsi conparent
adventicium.
Die wörtliche Uebereinstimmung lehrt, dass beide Schriftsteller von
einem gemeinsamen Gewährsmann abhängen (vgl. Mommsen, Vorwort
zu Solin p. 24). Dieser ist jünger als Plinius und nach der Vergleichung
mit dessen Angaben VI 54. 88 im Besitze besserer Nachrichten gewesen.
An Pausanias reicht er freilich lange nicht heran und mag etwa das
Wissen der traianischen Epoche darstellen.
42) Lassen, Indische Alterthumskunde III p. 1 f., Leipzig 1868.
43) Strabo II 118, XV 686. 725, XVII 798. 815.
Jahrb. d. Ver. v. AUcrthafr. im Rheiiil. XCV. 2
ad obsequium. hoc illud est sericum
in usum publicum damno severitatis
admissum et quo ostendere potius
Corpora quam vestire primo feminis
nunc etiam viris luxuriae persuasit
libido. Seres ipsi quidem mites et
inter se quietissimi, alias vero reli-
quorum mortalium coetus refugiunt,
adeo ut ceterarum gentium commer-
cia abnuant. primum eorum fluvium
raercatores ipsi transeunt, in cuius
ripis nuUo inter partes linguae com-
mercio, sed depositarum rerum pre-
tia oculis aestimantibus sua tradunt,
nostra non emunt.
Id H. Missen:
Edelsteine und andere Gegenstände des Luxus. Für die Lebhaftig-
keit der Beziehungen spricht der Umstand^ dass Gesandtschaften
indischer Fürsten zu wiederholten Malen am Hof der Caesarea er-
blickt worden sind. In anschaulicher Weise unterrichtet uns über
den Handelsverkehr ein etwa 80 Jahre n. Chr. in gi-iechischer
Sprache abgefasstes Schriftstück, betitelt „Küstenbeschreibung des
Rothen Meeres d. h. des Indischen Oceans" **). Es zählt die ein-
zelnen Häfen auf, die von Aegypten aus besucht, sowie die Artikel,
die in denselben ein- und ausgeführt wurden. An der afrikanischen
Küste wird namentlich Elfenbein eingetauscht, die Händler segeln
bis Sansibar und noch weiter südlich vom Aequator, Die Fahrt
nach Indien hatte von den arabischen Piraten zu leiden; desshalb
sind die Schiffe in Convois vereinigt und führen zahlreiche Bogen-
schützen an Bord. Uebrigens sind es Lastschiffe mit grossem Lade-
raum, also für ihr Fortkommen durchaus vom Winde abhängig. Seit-
dem nun ein Capitän, Namens Hippalos, die Gesetze des Monsuns
erkundet hatte, bewegt sich der Verkehr nach festen Regeln und
mit verhältnissmässiger Schnelligkeit. Wenn der Hundstern aufgeht,
Mitte Juli, laufen die Schiffe mit dem Westmonsun aus, der sie in
40 Tagen von Aden an die indische Küste bringt; Ende December
oder Anfang Januar machen sie sich mit dem Ostmonsun auf den
Heimweg, so dass die Hin- und Herreise zwischen Aegypten und
Indien nicht länger als ein Jahr dauert. Als Gegenstände der Ein-
fuhr nennt unser Gewährsmann, der offenbar das Geschäft aus eigener
Anschauung kannte, Juwelen, Stickereien, Korallen, Glaswaaren,
Kupfer, Zinn, Blei, ein wenig Wein und grobes Leinen. Aber der
Werth der Einfuhr kommt dem Werth der Ausfuhr entfernt nicht
gleich; ein grosser oder gar der grösste Theil der einzukaufenden
Waaren muss baar bezahlt werden. Man kauft vor allem Pfeffer
und Gewür/e, dann sehr viel Perlen, ferner Hfenbein, chinesische
Seide, wohlriechende Oele, Diamanten und Saphire, endlich Schild-
patt*^). Dieser schwunghafte Handel war freilich geeignet, die Be-
sorgniss römischer Staatsmänner und den ünmuth römischer Patrioten
44) B. Fabricius, Der Periplus des erythraeischen Meeres von
einem Unbekannten, griechisch und deutsch, Leipzig 1883.
45) Eine Liste der an der römischen Grenze verzollten Einfuhr-
artikel aus dem J. 177-80 steht Dig. XXXIX 4, 16, 7. Sie enthält metaxa,
vestis serica vel subserica, nema sericutn, ferner ferrum Indicum, aber
kein f. Sericum, wovon Plinius (A. 34) fälschlich redet.
Der Verkehr zwischen China Und dem Römischen Reiche. 19
ZU erregen*^). Das Reich bezog ausschliesslich Gegenstände des
Luxus für Küche und Tafel, Kleidung und Toilette und musste mit
Edelmetallen zahlen. Nach Indien flössen alljährlich laut niedrigster
Schätzung 55 Millionen Sesterzen 12 Millionen Mark ab, über die
Ostgreuze insgesammt 100 Millionen Sesterzen 22 Millionen Mark *'^).
Nach unserer heutigen Bilanz erecheint die Summe von 22 Millionen
Mark recht unerheblich: die jährliche Metallausfuhr aus Europa nach
Indien und China betrug im 19. Jahrhundert das 10 — 12fache. Allein
den Römern kamen keine amerikanischen Silberminen, keine cali-
fornischen und australischen Goldfelder zu Gute; ihr Bergbau ver-
mochte den Ausfall nicht zu decken. Der Ausfall hatte auf Jahr-
zehnte hinaus nichts Erschreckendes; aber nachdem er ein paar
Jahrhunderte lang in steigendem Verhältniss angehalten hatte, führte
er den Staatsbankerott und jenen völligen Mangel an Edelmetallen
herbei, welcher die letzten Perioden der römischen Geschichte kenn-
zeichnet*®). Wo das römische Gold und Silber geblieben, zeigen
die oben erwähnten vergrabenen Schätze an, welche jenseits der
46) Tacitus Ann. III 62 f.
47) Piin. VI 101, Xn 84 mit dem ingrimmigen Zusatz: tanti nobis
deUciae et ferainae constant. Abgesehen von den Edelmetallen haben
mit der Zunahme des Verkehrs die syrischen und ägyptischen Fabriken
ihr Absatzgebiet im Osten ständig erweitert. Die chinesischen Quellen
führen an 60 Einfuhrartikel aus dem römischen Reich auf, darunter 17
Arten Gewebe, gefärbte Stoffe, bunte Teppiche, Glas in 10 verschiedenen
Farben, Metalle, Juwelen, Gemmen, Bernstein- und Korallenschmuck,
Droguen u. s. w., vgl. Hirth, Chin. Stud. T, p. 12 f.
48) Nach einer Vermuthung (C. v. Ernst, Wiener numism. Zeit-
schr. XII (1880) p. 46 f.) sollen unter Augustus die gefutterten Denare
ausschliesslich für den indischen Handel geschlagen worden sein, um die
ungünstige Bilanz zu verbessern. Dies erinnert an den zu Anfang der
sechsziger Jahre gemachten, von der italienischen Regierung wohlweislich
abgelehnten Vorschlag, falsche Napoleonsd'or zur Bestreitung der von den
Briganten für die Freiheit ihrer Gefangenen geforderten Lösegelder zu
prägen. Man kann den antiken Münzämtern derartige Schelmerei füglich
zutrauen (Akermann, Num. chronicle VI p. 57 f.), in Indien mag sie
vereinzelt versucht worden sein (Mommsen, Münzwesen p. 726). Immer-
hin blieb das Gold von der Fälschung unberührt und wenn selbst die
Germanen voll- und minderwerthiges Geld zu unterscheiden wussten
(Tacit. G. 5), so würde den geriebenen Orientalen ein plaumässiger Be-
trug nicht lange verborgen geblieben sein. In der That haben die Abend-
länder vielmehr durch unbedingte Ehrlichkeit im Verkehr sich die Aner-
kennung der Inder (Plin. N. H. VI 85) und der Chinesen (u. S. 24) erworben.
Öö a. Kißsent
Eeichsgrenzen durch den Zufall an's Licht gezogen werden, zeigen
die Münzen an, welche die Inder mit Vorliebe zur Ausstattung ihrer
To(}tenhügel verwandten.
9. China. Die Fahrt nach Indien hat die römischen Kauf-
leute auch nach China gebracht. Der Verfasser unserer Küstenbe-
schreibung ist bis Ceylon hinunter mit den indischen Häfen, ihrer
Lage und ihren Entfernungen gut yertraut. Er erwähnt weiter die
Mündung des Ganges und die Goldene Halbinsel, d. h. die Halb-
insel Malacca, die nach seiner Aussage das beste Schildpatt der Welt
liefert. Dies ist für ihn das äusserste Land im Osten. Aber er
weiss, dass hinter demselben nach Norden zu das Land Thinae
oder Sinae*^) liegt, von wo die Seidengame und Gespinnste zu
Lande nach Indien geschafft werden. Hier begegnet zum ersten
Mal der Name, mit dem wir das ferne Ostreich bezeichnen. Seinen
eigenen Bewohnern heisst es „das Reich der Mitte", „das Reich
der Blumen". Der Name China ist ihnen nicht bekannt. Die Er-
klärung wird bestritten. Gewöhnlich nimmt man an, er rühre von
der mächtigen Tsin-Dynastie her, deren Namen die Chinesen ge-
führt hätten. Einen eigentlichen Volksnamen nehmen die Chinesen
nämlich nicht für sich in Anspruch: dazu sind sie viel zu loyal.
Sie richten sich nach der regierenden Dynastie Hau, Tang, Ming
u. s. w. und nennen sich jeweilig Söhne von Hau, Tang, Ming,
gerade als ob wir Deutsche nach einander Salier-, Hohenstaufen-,
Habsburgerleute geheisscn hätten und gegenwärtig HohenzoUemleute
hiessen. Aber gegen die Ableitung des Namens China von der Tsin-
Dynastie hat V. Riehthofen Einspruch erhoben: die Tsin-Dynastie
war verhasst und wenn den Chinesen ehedem die Bezeichnung Tsin
für ihr eigenes Land geläufig gewesen wäre, so hätten sie dieselbe
unmöglich auf das römische Reich übertragen können, wie der Fall
ist. Vielmehr haben die seefahrenden Malaien den Namen Tshina,
den sie für die Küste von Südchina und Cochinchina brauchen, in Um-
lauf gebracht. Von ihnen haben Inder, Griechen, Perser, in der Neu-
zeit Portugiesen denselben übernommen und auf das Binnenland mit
angewandt. Der Verfasser unserer Küstenbeschreibung ist der einzige
antike Schriftsteller, welcher den Namen China mit der Herkunft
49) Beide Formen werden Ptol. VII 3, 6 gleich gesetzt. Der Name
kommt in klassischer Zeit nur vor Peripl. mar. er. 64 f., Ptol. I 7 f. und
in den aus Ptolemaeos abgeleiteten Abrissen.
Der Verkehr zwischen China und dem Komischen Reiche. 21
der Seide in Verbindung bringt, China und das Seidenland ftlr ein
und dasselbe Ding erklärt. Er hat es nieht selbst besucht. ^Nach
China zu gelangen," schreibt er, „ist nicht leicht; selten und nur
vereinzelt kommen Leute von dort. Es liegt aber unter dem Kleinen
Bären und soll an die Länder nördlich vom Schwarzen und Eas-
pischen Meer angrenzen." Sodann berichtet er eine wundersame
Geschichte von der Gewinnung eines geschätzten Heilmittels durch
die Chinesen, vermuthlich der Cassia, und beschliesst seine Auf-
zeichnung mit den Worten : „Die Gegenden, welche jenseit China
liegen, lassen sich wegen der heftigen Stürme und der hohen Kälte
oder auch weil die Macht der Götter es verhindert, nicht erforschen."
'In dem nächsten Jahrhundert sind die griechischen Seefahrer ein
gutes Stttck weiter gekommen. Während der äusserste Hafen Afrikas,
den die Küstenbeschreibung kennt, etwa unter 9® S. Br. zu suchen
ist, weiss Ptolemaeos mindestens bis zum 11.^, vielleicht 15.^ Be-
scheid. Von Hinterindien nennt er die Insel Java und den Golf von
Slam, aus China einen grossen Hafen Kattigara und einen Fluss
Kottiaris^^). Kattigara ist der entfernteste namhaft gemachte Platz,
den griechische Seefahrer erreichten. Gewöhnlich versteht man dar-
unter Canton oder irgend eine Stadt des eigentlichen China; v. Richt-
hof en behauptet, dass vielmehr an Hanoi in Tongking zu denken
sei : Tongking bildete in dieser Epoche eine Provinz des chinesischen
Reichs. Welchen Hafen der Gewährsmann des Ptolemaeos im Sinne
gehabt habe, wird sich schwerlich ermitteln lassen, üeberhaupt
wird diese viel erörterte Streitfrage an Bedeutung durch die That-
sache in den Schatten gestellt, dass die Abendländer kurz nach
dem Ableben des Ptolemaeos das chinesische Niederland am Jangtse-
kiang erreichten. Aber leider fehlte der Nachfolger, um die fort-
schreitende Kunde für die Wissenschaft zu verwerthen.
Ptolemaeos ist der letzte namhafte Vertreter griechischer Geo-
graphie und verfügt, mit seinen Vorgängern verglichen, über das
reichste geographische Wissen, welches der Welthandel des Alter-
thums zusammen brachte. Trotzdem hat er die Umrisse der öst-
lichen Halbkugel verzeichnet und aus den Meldungen der Kaufleute
nicht klug werden können. Ptolemaeos kannte das Seidenland aus
den Berichten der Carawanen, kannte China aus den Berichten der
50) Gleichfalls nur bei Ptolemaeos und seinem Abschreiber Mareif^nus
von Heraklea erwähnt.
22 H. Nissen:
Seefahrer, ward aber nicht gewahr, dass die beiderseitigen Berichte
sieh auf ein und dasselbe Land bezögen. Wie wenn Jemand durch
ein Stereoskop schaut, die beiden auf seiner Netzhaut sich spiegeln-
den Bilder nicht zusammen bringt, zwei Dinge flach, statt eines in
plastischer Erhabenheit vor Augen hat, so flössen dem Ptolemaeos
China und die Heimath der Seide aus einander. Ein theoretischer
Irrthum, in dem er befangen war, hat ihm des Weiteren den Blick
getrllbt. Nach seiner Auffassung des Erdganzen gab es keine offenen
Weltmeere, sondern nur geschlossene Binnenmeere. Zu letzteren
rechnet er den Indischen Ocean und lässt ihn als ein vergrössert^s
Abbild des Mittelländischen Meeres gestaltet sein. Auf den Ptole-
maeischen Karten setzt sich demnach unter dem südlichen Wende-'
kreis Afrika nach Osten hin fort und liegt China als Theil dieses
eingebildeten Continents in der Gegend von Australien. Bei dem
canonischen Ansehen, welches der grosse Gelehrte genoss, haben
seine Ansätze die ganze Folgezeit beherrscht und sind erst durch
James Cook's zweite Reise 1772 — 75 völlig beseitigt worden.
10. Chinesische Berichte^^). Es ergibt sich also, dass die
griechische Wissenschaft im Alterthum zu einer klaren deutlichen
Vorstellung von der Lage und Grösse Chinas nicht vorzudringen
vermochte. Noch weniger steht zu erwarten, dass die chinesischen
Schriftsteller über das Römische Reich gut unterrichtet gewesen
wären. Seit der Han-Dynastie vom Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr.
besitzt China regelmässig fortgeführte Reichs-Annalen. Sie sind aus
der Hofzeitung ausgezogen und umfassen nachgerade mehr als 3000
Bücher. Zum Glück wird die Benutzung dieser ungeheuren Masse
durch den Umstand erleichtert, dass die einzelnen Verfasser die auf
das Ausland bezüglichen Nachrichten in besonderen Abschnitten
vereinigt haben. Alles, was den Westen, d. h. das Römische Reich
und Europa bis zum 17. Jahrhundert betrifft, findet auf 60 massigen
Octavseiten Platz. Unser Landsmann Hirth in Shanghai hat diese
Abschnitte gesammelt, abgedruckt, mit einer vortrefflichen Ueber-
setzung und Erklärung versehen. Für abendländisches Denken und
Empfinden ist es krauses, wunderliches Zeug, was aus den Hof-
joumalen der Nachwelt überliefert wurde. Die ältesten Nachrichten
51) F. Hirth, China and the Roman Orient, researches into their
ancicnt and mediaeval relations as represented in cid Chinese records,
Leipzig and München, 1885.
Der Verkehr zwischen China und dem Römischen Reiche. 23
betreflfen Parthien um 100 v. Chr. „Als der Kaiser Wu-ti zum ersten
Mal eine Gesandtschaft nach Parthien schickte, befahl der König
einem General, sie mit 20000 Reitern an der Ostgrenze in Empfang
zu nehmen. Die Ostgrenze war ein paar tausend Kilometer (li) von
des Königs Hauptstadt entfenit. Nordwärts zu kam man durch
einige Dutzend Städte mit vielen Einwohnern, die mit dem Lande
verbfindet waren. Nach der Rückkehr der chinesischen Gesandt-
schaft schickten sie eine Gesandtschaft hinterher, um die Ausdehnung
und Grösse des chinesischen Reiches zu betrachten. Sie schenkten
dem chinesischen Hofe Strausseneier und fremde Gaukler, woran
Seine Majestät höchlichst Gefallen fand." Sodann begegnet im
ersten Jahrhundert. n. Chr. Ta-tsin, d. h. das Grosse Tsin oder Rö-
mische Reich, von dessen orientalischen Provinzen einige richtige
Angaben neben vielen fabelhaften gemacht werden : jede Einsicht in
den geographischen Zusammenhang fehlt und das begreift sich; denn
kein Chinese war damals noch bis auf römisches Gebiet gelangt.
Im Jahr 97 n. Chr., wird erzählt, schickt ein chinesischer General
einen Mann nach Ta-tsin aus, der kommt an die Küste der grossen
See. „Als er sich einschiffen will, sprechen die Seeleute von der
westlichen Grenze Parthiens zu ihm: die See ist weit und gross;
mit günstigen Winden ist es möglich, in 3 Monaten hinüber zu
kommen ; aber wenn Du träge Winde triffst, kannst Du auch 2 Jahre
brauchen. Aus diesem Grunde nehmen, die an Bord gehen, Lebens-
mittel für 3 Jahre mit. Da steckt etwas in der See, das geeignet
ist, einem Manne Heimweh zu verursachen und Manche haben davon
ihr Leben verloren. Als der Abgesandte dies hörte, machte er weis-
lich Halt." Aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. erhalten wir eine aus-
führliche Beschreibung des Römischen Reichs, aus der ich einige
Proben mittheile. „Sie machen Münzen von Gold und Silber. Zehn
Silberstücke sind werth ein Goldstück^*). Sie treiben Seehandel
52) Das Geldwesen des Abendlandes musste die Aufmerksamkeit der
Chinesen schon aus dem Grunde auf sich ziehen, als sie sich selber im
gewöhnlichen Verkehr mit Kupfer und Papier behelfen (erst 1890 wurde
eine Silbermünze nach europäischem Zuschnitt eröffnet), ihrem Kupfergeld
aber zu allen Zeiten die unzweckmässigste, wenn auch mehrfach ver-
tauschte Form gaben: vgl. das Verzeichniss des Britischen Museum von
Terrien de Lacouperie, Catalogue of Chinese coins from the Vllth Cen-
tury B. C. to A. D. 62Ii London 1892. Das römische Reich hat seit Nero
Goldwährung und das Monopol der Goldprägung in der bekannten Welt*
i>4 H. Nissen:
mit Parthien und Indien, der Handel wirft zehnfachen Gewinn ab.
Sie sind ehrlich im Geschäft, zweierlei Preise gibt es nicht. Ge-
treide ist immer wohlfeil. Das Budget beruht auf einem wohlge-
füllten Schatz. Wenn die Gesandtschaften benachbarter Länder an
ihre Grenze kommen, fahrt die Post sie nach der Hauptstadt und
sie erhalten Goldmünzen zum Geschenk. Ihre Könige wünschten
immer, Gesandtschaften nach China zu schicken, aber die Parther
begehrten den Handel in chinesischer Seide für sich zu behalten
und das ist die Ursache, warum sie von der Verbindung abge-
schnitten waren. Dies dauerte bis zum 9. Jahr der Yen-hsi Periode
(d. h. 166 n. Chr.), als der König von Ta-tsin An-tun (d. h. Anto-
ninus, der oflicielle Name des damals in Rom regierenden Marc
Aurel) eine Gesandtschaft schickte, die von der Grenze von Annam
herkam und Elfenbein, Rhinoceroshörner und Schildpatt darbrachte.
Von jener Zeit datiii; der directe Verkehr mit dem Lande. Die
Liste ihrer Geschenke enthielt gar keine Juwelen, das ist verdächtig."
Der chinesische Geschichtschreiber ist so unhöflich anzudeuten, die
römischen Gesandten möchten die Juwelen unterschlagen haben.
Unser Misstrauen wendet sich nach einer anderen Richtung. Dass
der römische Kaiser mit seinem Vetter im Seidenland Verbindungen
anzuknüpfen versucht hätte, lässt sich verstehen; aber allem römi-
schen Brauch und aller Wahrscheinlichkeit widerstreitet es, dass er
die Geschenke für den Vetter hätte in Indien ankaufen lassen sollen,
da doch die römische Industrie geeignetere Dinge liefern konnte,
als Elephantenzähne und Schildkrötenschalen. Offenbar sind es
pfitlfige Handelsleute gewesen, welche in Si-ngan-fu die Maske diplo-
matischer Agenten vornahmen. Im Übrigen verdient die Nachricht
allen Glauben, weil sie zu den bekannten Zeitverhältnissen vortreflF-
lich stimmt; denn gerade in diesen Jahren tobte zwischen Parthera
und Römern ein langer erbitterter Krieg, unterbrach die Zufuhr der
Seide auf dem Landweg, zwang die syrischen Fabrikanten, ihren
Bedarf zur vSee zu beschaflfeu. Und dass römische Seefahrer nach
China gelangten, wird ohnehin bezeugt. Die neuen Aufschlüsse über
Silber ist zur Scheidemünze herabgesunken und hat während der Kaiser-
zeit unseres Wissens besten Falles das Werthverhftltniss 1 : 12 zum Gold
erreicht. Aus der chinesischen Nachricht wird man schliesseu, dass es im
Osten besser stand und dass die abendländischen Kaufleute ihre Kunden
in dem Glauben bestärkt haben werden, 20 Denai^e seien ebenso gut wie
ein Aureus, ist begreiflich genug.
Der Verkehr zwischen China und dem Komischen Reiche. 25
die Entstehung der Seide, die Pausanias in den siebenziger Jahren
des zweiten Jahrhunderts erhalten hat, weisen klärlich auf die Zu-
nahme des Seeverkehrs hin. ünt^r dem J. 226 berichten die An-
naleU; dass ein fremder Kaufmann vor den Kaiser gefahrt und über
Ta-tsin ausgefragt wird. Der Kaiser gibt ihm einen Abgesandten
als Begleiter für die Heimreise mit und fügt als Merkwürdigkeit je
10 Zwerge männlichen und weiblichen Geschlechts bei. Indessen
starb der Gesandte unterwegs und der Kaufmann kehrte in seine
Heimath zurück.
Die Nachrichten über den Westen, die wir in den Reichsan-
nalen lesen, sind aus der chinesischen Hofzeitung geschöpft Wir
erfahren, dass die fremden Kaufleute bei der Ankunft zur See einem
scharfen Verhör unterworfen wurden. Aber wären sie auch die
wahrhaftigsten Menschen unter der Sonne gewesen, sie hätten doch
den chinesischen Beamten keine klare Anschauung von den West-
ländem beibringen können. Dazu war die Schwierigkeit des Ver-
ständnisses zu gross. Als Seesprache in der Levante diente dazu-
malen Griechisch ; im Indischen Ocean fehlte eine allgemein bekannte
lingua franca. Kam nun ein Schiff aus Aegypten nach Ceylon, so
nahm es hier einen des Griechischen kundigen Dohnetsch an Bord.
Fuhr es weiter nach Annam, so brauchte es einen zweiten Dolmetsch,
der sich mit dem Singhalesen verständigen konnte. Endlich in China
war ein dritter nöthig, um die Aussagen des Annamiten zu über-
setzen. Die Unterhaltung der chinesischen Hofbeamten mit den
römischen Kaufleuten war demnach recht umständlich, da Frage und
Antwort durch vier verschiedene Sprachen hindurch zu gehen hatten.
Was dabei an Sinn und Unsinn heraus kam, mag noch eine Probe
darthun: „Einige sagen, im Westen dieses Landes sei das seichte
Wasser und die Wüste nahe bei der Residenz der Königin-Mutter,
wo die Sonne untergeht. Das alte Geschichtsbuch sagt: von Ara-
bien westlich, wenn man über 200 Tage geht, ist man nahe dem
Ort, wo die Sonne untergeht; das stimmt nicht mit diesem Buch.
Keine chinesische Gesandtschaft ist bis Arabien gekommen, sie kehrten
Alle vorher um. Femer wird erzählt: das Römische Reich ist dicht
bevölkert. Jede 5 Kilometer (li) steht ein Meilenstein, jede 15 Kilo-
meter eine Posthalterei. Von Räubern hat man nichts zu fürchten,
aber die Strasse wird unsicher durch wilde Tiger und Löwen, welche
die Reisenden anfallen wollen und wenn diese nicht in Carawanen
von 100 Mann und mehr reisen oder durch miliölrische Bedeckung
26 H. Nissen:
sich schützen, so können sie von jenen Bestien verschlungen werden.
Sie sagen auch, da ist eine fliegende Brücke über 100 Kilometer (li)
lang, auf welcher einer zu den Ländern nördlich von der See hin-
über kann. Die Artikel aus seltenen kostbaren Steinen, die in diesem
Lande verfertigt werden, sind Kinkerlitzchen und meistens unächt,
weshalb sie hier übergangen werden."
11. Das Mittelalter^*). Der Seidenhandel nimmt ständig zu,
die Ausbreitung des Buddhismus befördert den Verkehr mit Indien.
Seit dem fünften Jahrhundert fahren die chinesischen Dschunken bis
Ceylon, ja bis zur Mündung des Euphrat. Sie sind trefflich gerüstet
und wissen die Piraten durch Feuerwaffen abzuwehren. Nach China
wändeni die Fremden in Masse ein, übertragen dorthin Erfindungen
des Mittelmeers, wie die Zubereitung von Glas, verbreiten daselbst
die Religionen des Mittelmeers, Judenthum, Christenthum, Islam.
Umgekehrt werden mancherlei Culturschätze für den Westen ge-
hoben, auch das Geheimniss der Seidenzucht, das China so lange
sorgsam gehütet, wird an die Fremden verrathen. Um 552 bringen
Mönche Eier des Spinners nach Byzanz, schon 568 kann Kaiser
Justin II. Gesandte der Türken durch die Erfolge der ihnen unbe-
kannten Zucht in Staunen setzen^*). Unter der Dynastie der Tang
(618 — 907) sind die Häfen den fremden Schiffen gastlich geöffnet.
Eine amtliche Zählung, die zum Zweck der Auflage einer Kopf-
steuer veranstaltet wurde, ergab nach arabischen Berichten die Ziffer
von 120000 oder gar 200000 Ausländern, Mohammedanern, Christen,
Juden, Parsen, die in Kanfu, dem damaligen Haupthafen Chinas
wohnten. Allein eine Empörung brach 878 aus, die Fremden wurden
insgesammt hingemetzelt, das Reich der Mitte verschloss vier Jahr-
hunderte hindurch wiederum seine Thore.
An diesem Austausch von Gaben und Gütern war Europa seit
der Völkerwanderung nicht mehr betheiligt. Den chinesischen An-
nalen heisst das fernste Westland nicht länger Ta-tsin, das Römer-
reich, sondern Fu-Iin, Konstantinopel ^^). Im Occident war eine tiefe
53) W. Heyd, Geschichte dos Levantehandels im Mittelalter, 2. B.
Stuttgart 1879, in verbesserter französischer Bearbeitung, Leipzig 1885.
0. Peschel, Geschichte des Zeitalters der Entdeckungen, Stuttgart 1858.
H. Yule, Cathay and the way thither 2v., London 1866.
54) Prokop, Gothenkrieg IV 17, Theophanes fr. 3 Dind.
55) Wie das türkische Istanbul als «V rrfv jzohv erklärt wird, so liegt
die Gleichung von Fu-liu und noXiy nahe. Jedoch wird sie bestritten:
Der Verkehr zwischen China und dem Römischen Reiche. 27
geistige Nacht eingebrochen. Die Träger seiner Bildung erklärten
die Kugelgestalt der Erde für einen schlechten Witz der heidnischen
Gelehrten und stritten höchstens darüber, ob sie eine viereckige oder
eine runde Seheibe darstelle. Aus der Geographie Asiens beschäftigte
sie die Frage nach dem Wohnsitze von Gog und Magog und der
Lage des Paradieses. Gog und Magog, die apokalyptischen Völker,
deren Anstunn das Ende der Welt ankünden sollte, wurden nach
Norden, das Paradies nach dem äussersten Osten, also nach China
verlegt. Damft war man am Ende. Erst die Kreuzzüge lenkten die
Blicke Europas auf die grossen Mächte Asiens nnd ihre Bedeutung
zurück. In dem Kampf wider den Islam suchte die Christenheit
die Bundesgenossenschaft der Mongolen, die im 13. Jahrhundert
China erobert und ein Reich gegründet hatten, das sich von Schlesien
nnd Ungarn bis zum japanischen Meer, von Sibirien bis nach Persien
erstreckte. Gesandte von Päpsten und christlichen Königen, Mis*
sionare, Kaufleute, Abenteurer aller Art sind in Menge an den Hof
des Grosschans gezogen. In Peking sass 1306 — 46 ein katholischer
Erzbischof. Allein die Dynastie der Ming stürzte 1368 die mon-
golische Herrachaft, rottete das Christenthum von Neuem aus —
abermals waren die zwischen Europa und China angeknüpften Be-
ziehungen zerrissen. Die Berichte der Reisenden schilderten in
leuchtenden Farben die Grösse und Cultur, die Volkszahl, den uner-
messlichen Reichthum des Ostens und entzündeten das brennende
Verlangen, den Verkehr mit jenem Wunderland wieder herzustellen.
Die Europäer hatten aus China den Compass mitgebracht, die un-
scheinbare Nadel, deren Nordweisung auf dem pfadlosen Meer die
Richtung der Fahrt bestimmen lehrt. Zu Anfang des 14. Jahr-
hunderts sehen wir die Magnetnadel bei den Italienern in praktischem
Gebrauch. Das Vordringen der Osmanen, das schrittweise das Chri-
stenthum im Morgenland vernichtete und den ganzen levantinischen
Handel unterband, zwang den Westen nach neuen Seewegen au8zu>
schauen. Durch Vermittlung der Araber, die bis dahin die Schätze
der griechischen Geographie gehütet, waren die Grundwahrheiten der-
selben bereits den grossen Scholastikern des 13. Jahrhunderts, einem
Albertus Magnus, Roger Bacon, Vincenz von Beauvais vertraut ge-
worden. Aber um das eingewurzelte Vorurtheil, dass der westliche
H i r t h p. 288 will nach dem früheren Lautwerth den Namen auf Beth-
lehem beziehen und seine Verbreitung den syrischen Christen zuweisen.
28 H. Nissen: Der Verkehr zwischen China und dem Bömischen Reiche.
Ocean nicht befahren werden könne *^), zu brechen hat es vieljäh-
riger tastender Versuche, unsäglicher Mühen und Anstrengungen
bedurft. Ptolemaeos wurde 1410 ins Lateinische übei*setzt. Mit
Heisshunger ergriffen die Geographen die von diesem bekämpfte
Lehre des Marinos von Tyros, dass unsere Halbkugel sich 225 ® von
Vi^est nach Ost erstrecke. Sie glaubten daran, weil die Zeit eine
Erneuerung der Verbindung mit Ostasien oder, wie man damals
sagte, mit Indien gebieterisch forderte. Andere Trugbilder kamen
hinzu, um das Wagniss des Columbns noch leichter erscheinen zu
lassen, als es nach jener Irrlehre ohnehin war. Trotz alledem wird
man weder die kühne That des Entdeckers, noch die Anregung,
die er dem Alterthum schuldete, nach Werth und Bedeutung unter-
schätzen.
Ein Funke muss in die geladene Mine fahren, auf dass sie
ihre schlummernde Kraft entfalte. Der geistige Funke, der eine neue
Epoche der Weltgeschichte ins Leben rief, entsprang der griechi-
schen VP'issenschaft. Das rastlose, überhastete Treiben des Tages
wird ungern an den inneren Zusammenhang menschlicher Dinge er-
innert. Die modische Bildung hält das Weltsystem des Pythagoras
für ein müssiges Hirngespinnst, ohne zu bedenken, dass Copernicus
nach eigener Aussage durch dasselbe zu dem seinigen angeregt
worden ist. Die modische Bildung mag mit der üeberlegenheit
heutigen Wissens auf die Irrgänge der alten Geographen herab-
blicken, die verzerrten Züge ihrer Kartengemälde mitleidig belächeln.
Die Jünger Winckelmanns sind bescheidener. Unser schöner
Strom gemahnt uns als ein Gleichniss daran, dass wir zu Berg
wandern müssen, bis zu den Gletschern und Firnen, die seine Quellen
speisen, um die Gesetze des Laufes zu begreifen. Unser Verein
wird dem Wahlspruch seiner Stifter treu bleiben, der jetzt den
Giebel des stattlichen von Provinz und Staat ihm bereiteten Heims
schmückt: Antiquitati Rhenanorum.
56) Vgl. Dante Inferno XXVI 90 f.
29
2. Die römische Flottenexpedition zum Kimbernlande und die
Heimath der Kimbern.
Von
J. F. Marcks«
Als Tiberius im Jahre 4 n. Chr. zum zweiten Male den Ober-
befehl in Germanien übernahm, ging er sofort mit Energie daran,
das Ansehen Roms, das durch den Aufstand der Cherusker und
Chauken im J. 2 in Frage gestellt war, wiederherzustellen. Noch
im ersten Jahre seines Oberbefehls unterwarf er die Cherusker wieder
und Hess dann sein Heer in Germanien selbst die Winterquartiere
beziehen; wie es scheint, war es das erste Mal, dass ein römisches
Heer dieses that*). Als Tiberius im folgenden Jahre den Feldzug
fortsetzte, nahm er den Plan seines Bruders Drusus wieder auf, bei
der Unterwerfung der SeestÄmme die Flotte heranzuziehen. Dieselbe
segelte an der Küste entlang über die Elbe hinaus nach Norden,
um auf der Halbinsel Jütland die römischen Waffen geltend zu machen
und von dort aus die Unternehmungen des Tiberius gegen die Eib-
anwohner zu unterstützen.
Die Fahrt der römischen Flotte ist nicht ohne Bedeutung.
Dieses Geschwader hat die deutsche Nordseeküste, soweit sie nicht
schon durch Drusus den Römern bekannt geworden war, entschleiert
und Ton einem Meere, das man bisher nicht einmal von Hörensagen
kannte, Kunde gebracht^). An der ganzen Inselreihe von Holland
bis Jütland fuhr es entlang und ermittelte die Zahl der Inseln'), die
auf 23 angegeben wii*d*). Diese Zahl ist flir jene Zeit offenkundig
richtig und muss auf genauer Erkundung beruhen ; denn auch heut-
zutage wird man, wenn man die ganz kleinen Inseln beiseite lässt,
ungefähr dieselbe Gesammtsumme herausbringen, wobei aber zu be-
1) Schiller GdRK I, 221. Mommsen RG V, 33.
2) Velleius 2, 106.
3) Dass die Nachricht darüber auf jene römische Expedition zurück-
geht, hat Müllenhoff DA n, 286 erkannt.
4) Plin. Nat. hist. 4 § 97.
30 J. P. Marcks:
denken ist, (}ass etliche seit der Zeit der Römer noch durch die
Fluth verkleinert oder weggespült, andere durch Theilung, wie die
Trümmer des alten Nordstrand, hinzugekommen sind. Wenn Oskar
Peschel in seinen bahnbrechenden 'Neuen Problemen der verglei-
chenden Erdkunde'-'^) behauptet, die Küsteninseln zwischen Texel
und Elbe hätten sich um den dritten Theil veimindert, so liegt dem
ein doppelter Irrthum zu Grunde: Die Zahl bei Plinius ist irrthümlich
auf 32 statt 23 angegeben und femer ist sie fälschlich statt auf
die ganze Inselreihe von Texel bis Fanö nur auf die Strecke von
Texel bis zur Elbe bezogen.
Bis in das Land der Kimbern kam das römißche Geschwader-,
wie Augustus selbst in seinem Rechenschaftsberichte angiebt^), soweit
wie noch kein Römer, weder zu Wasser noch zu Lande, vorge-
drungen war. Die Verhandlungen, welche der Führer des Geschwaders
mit jenem germanischen Volke anknüpfte und denen die Flotte selbst
den nöthigen Nachdruck gab, führten zu einer Annäherung dessel-
ben an Rom. Eine kimbrische Gesandtschaft ging nach der Reichs-
hauptstadt ab, um die römische Freundschaft zu erbitten, und sie
brachte dem Kaiser ihren heiligsten Kessel zum Geschenk^).
Als Endpunkt der Fahrt nennt Plinius das kimbrische Vorge-
birge®), das nur die Nordspitze von Jütland sein kann, das jetzige
Skagens Horn^). Noch heute wird dieses stuimumtobte Vorgebirge
vielen Schiffen verderblich, und man könnte daher auf die Ver-
muthung kommen, der römischen Flotte sei die ümsegelung jenes
Vorgebirges misslungen. Sei dem, wie ihm wolle ; die Theilnehmer
der Fahrt durften wenigsten» sagen, man habe das Meer jenseits
der jütischen Halbinsel von fem gesehen, und sie hatten als die
ersten Römer Kunde über die Ostsee eingezogen. Zwischen Jütland
5) 8. 112 der vierten Auflage.
6) Res gest. div. Aug. c. 26, wo die Lücke des lateinischen Textes
aus der griechischen Uebersetzung ergänzt wird (Mommsen Mon. Anc.^
104 f.). Die Ergänzung Müllenhoffs DA II, 285 A. wird durch den
griechischen Text der Stelle widerlegt.
7) RgdA a. a, 0. Strab o 7 p. 293.
8) Plin. N. h. 2 § 167 : Septentrionalis vero Oceanus maiore ex parte
navigatus est auspiciis divi Augusti Germaniam classe circumvecta ad
Cimbrorum promontoriuni et inde immenso mari prospecto aut fama co-
gnito Scythicam ad plagam et umore nimio rigentia.
9) Dies ergiebt sich mit voller Sicherheit durch Kombination der
l>eiden Pliniusstellen in Anm. 4 und 8.
Die röm. Flottenexpedition z. Kimbernlande u. d. Reimath d. Kimbern. 31
und Skandinavien, das die Römer für eine Ingel hielten, nicht etwa
aus ihrer unvollständigen Kenntniss des Landes heraus oder auf Grund
germanischer Erdichtung, sondern nach der Vorstellung, welche wahr-
scheinlich die alten Bewohner des Landes von ihrer Heimat hatten
und daher auch die Germanen gewannen ^^), wurde damals noch
die Existenz von kleinen Inseln ermittelt"); aber nur von Hören-
sagen erfuhr man davon ^*). Hier stehen wir an der Grenze, bis
zu der noch zu Tacitus' Zeit römische Forschung von Westen her
nach der Ostsee vorgedrungen war; die weitere Kenntniss des Nor-
dens wurde den Römern von Osten her vermittelt, wo sie zu Neros
Zeit direkten Verkehr nach 4ier Weichsel und dem Samland beka-
men und wo an der Weichsel sich der alte germanische Handels-
weg nach dem Norden anschloss ^'). Beutebeladen kehrte die römi*
sehe Flotte, nachdem sie noch bei vielen kleinen Stämmen ähnliche
Erfolge wie bei den Kimbern erlangt hatte '*), von ihrer Expedition
zur Elbe znrflck und schloss sich mit ihren Unternehmungen an das
Hauptheer an.
Auf die Erkundungen jener Flotte geht, wenn ich mich nicht
täusche, noch eine Tacitusstelle zurück, die einen Gewährsmann
voraussetzt, der die Heimath der Kimbern aus eigner Anschauung
kannte. Im 37. Kapitel der Germania lesen wir: Eundem Germa-
niae sinum proximi Oceano Cimbri tenent, parva nunc civitas, sed
gloria ingens. veterisque famae lata vestigia manent, utraque ripa
castra ac spatia, quorum ambitu nunc quoque metiaris moleni
10) Müllenhoff DA II, 357 f.
11) Plin. 4 % 96. Müllenhoff DAII, 285 f.
12) Ich kann Müllenhoff darin nicht folgen, dass er die Flotte bis
auf die Höhe von Samsö und Seeland fahren lässt. Denn wenn auch bei
Ptolemäus südlich der Inseln jede spezielle Kenntniss der Küstengestal*
tung aufhört, so hören doch die Angaben der Entfernungen nicht auf,
die er nicht aus der Luft greifen konnte. Darum muss für Ptolemäus
eine andere Quelle als der Bericht über die Fahrt der römischen Flotte
angenommen werden, und es liegt kein Grund vor, für das Endziel der
Fahrt jenes römischen Geschwaders über die Angabe des Plinius hinaus-
zugehen.
13) Müllenhoff DA III, 91.
14) V eil eins a. a. 0. spricht von einer victoria plurimarum gen-
tium. Wenn Augnstus ausser den Charuden die kleineren Stämme nicht
erwähnt, so spricht dies gleichwohl nicht gegen die Nachricht des Velle-
ius. Die Existenz von mehr Stämmen wird durch die folgende Stelle
aus Ptolemäus bewiesen.
32 J. F. Marcksi
mannsqne gentis et tarn magni exitus fidem. Die Stelle ist sachlich
nicht ohne Schwierigkeit. Dass der Stamm der Kimbern damals
nur klein gewesen sei im Vergleich zu seiner früheren Grösse,
stimmt zu dem, was Ptolemäus^^) berichtet, nach welchem ausser
ihnen, die im Norden Jütlands wohnten, wie wir schon oben sahen,
noch eine Reihe anderer Stämme die Halbinsel bewohnte ; es stimmt
femer zu dem Berichte desVelleius, eines Theilnehmers an jenem
Feldzuge des Tiherius, der die Flotte nach einem Siege über sehr
viele Völkerstämme an die Elbe zurückkehren lässt. Was den Wohn-
sitz der Kimbern angeht, so ei*wecken die Worte des Tacitus nicht
die Vorstellung von einer Halbinsel ak ihrer Heimath; selbst den
Ausdruck sinus kann man wegen des zugesetzten Pronomens — vor-
her ist von den Cheruskern und Fosen im Binnenlande die Bede
gewesen — nicht auf einen Meerbusen beziehen, sondern muss ihn,
wie oft bei Tacitus, in der allgemeinen Bedeutung Landstrich ver-
stehen. Und doch möchte man bei Tacitus die richtige Vorstellung
von der Lage und Gestalt des Kimbernlandes wohl voraussetzen
und darf es thun, nachdem mindestens schon der Gewährsmann des
älteren Plinius sie gehabt und zum Ausdruck gebracht hatte; wenn
Tacitus den Namen der Halbinsel nicht nennt, ja wenn er ihre
Existenz durch nichts andeutet, so spricht dies nicht dagegen, dass
ihm ihr Vorhandensein bekannt war; auch Skandinaviens gedenkt
er mit keinem Wort, und dennoch kennt und behandelt er die Be-
wohner des Landes.
Ganz ohne befriedigende Erklärung sind bis jetzt die Worte
utraque ripa castra ac spatia geblieben. Die castra ac spatia wer-
den als veteris famae lata vestigia bezeichnet: das können weit-
reichende Spuren des alten Ruhmes sein d. h. solche, die man bis
nach Gallien hin suchen muss; es sei dabei an die Aduatuker in
Belgien erinnert, welche Nachkommen der Kimbern und Teutonen
waren und, beim Vormarsch der Stämme nach Italien als Wache
bei dem überflüssigen Tross zurückgelassen, sich nach dem Unter-
gänge ihrer Landsleute Wohnsitze an der Maas erstritten hatten ^^).
Es können aber auch weitausgedehnte d. h. grosse Spuren ihrer
Existenz sein, und solche sind hier gemeint, auch wenn sie entfernt
liegen sollten; denn es waren castra ac spatia. Sind diese nun in
der Heimat der Kimbern oder in der Fremde zu suchen? Manche
15) Geogr. 2, 11, 11 f.
16) Caesar de beU. Gall. 2, 29.
Die röm. Klotteiiexpeditiou z. Kimbernhuide u. d. Heimatli d. Kimbern. ;i*]
Erklärer denken bei utraque ripa an die Ufer des Rheins und der
Donau, so auch Müllenhoff ^'); dann sind die castra also Lager,
welche die Kimbern auf ihren Zügen aufschlugen. Sprachlich
ist dagegen nichts einzuwenden, da auch in Kap. 17 und 23 proximi
ripae d. h. Anwohner von Rhein und Donau erwähnt werden, ohne
dass der Name eines Flusses vorher genannt wäre. Aber man darf
nicht weiter gehen, als dass man sagt: utraque ripa kann sich
auf das Ufer der beiden Grenzflüsse beziehen; nur muss es- nicht
so sein. Dem widerstreitet schon die Stelle des 28. Kapitels, wo
erörtert wird, es sei ungewiss, ob die Aravisken von den Germanen
nach Pannonien oder umgekehrt die Ösen von den Aravisken nach
Germanien eingewandert seien, und zur Begründung folgt: quia pari
olim inopia ac übertäte eadem utriusque ripae bona malaque erant;
hier wird man, wenn man nicht künstelt, utraque ripa nur von den
beiden Donauufern verstehen können. Sachlich steht es um die
genannte Erklärung um so bedenklicher: denn wer hat je gehört,
dass die Kimbern auf ihren Wanderzügen Lager aufgeschlagen
hätten, ähnlich wie die Römer es thatcn? Es müssten doch grosse
Verschanzungen gewesen sein, wenn man sie noch nach vielen Gene-
rationen sah, und des Tacitus Gewährsmann muss sie selbst gesehen
oder von einem Augenzeugen davon gehört haben. Auch von kei-
nem andern germanischen Stamme ist es bekannt, dass er solche
Lager gebaut hätte. Also dürfen wir denen, die jene Erklärung
geben oder annehmen, den Nachweis dafür zuschieben und, bis der-
selbe erbracht ist, uns gegen die Behauptung wehreu, dass es irgend-
wo UebeiTeste der Kimbern aus der Zeit ihrer Wanderung gegeben
hat, die ein Römer als Lager bezeichnen konnte. Damit wären
wir flir die Erklärung der castra auf die Heimat der Kimbern ver-
wiesen. Wenn Baumstark^®) dagegen geltend macht, 'dass das
Wort exitus, Auszug aus der Heimath, durchaus nöthigt, nicht an
solche Reste in der Heimath zu denken, sondeni in solchen Land-
strichen, durch welche sich diese Menschenmasse wälzte*, so ist das
nicht etwa ein fadenscheiniger, sondern überhaupt kein Grund. Der
Zusammenhang zeigt, was Tacitus meint: Die Grösse der üeber-
bleibsel ist ein Beweis für 'die Glaubhaftigkeit einer so grossen
17) DA n, 112.
18) Ausführliche Erläuterungen des besondern Theils der Germa-
nia. S. 108.
Jahrb. d. Ver. v. AUerthsfr. im Bheinl. XOV. S
34 J. P. Marcks:
Auswanderung*, wie sie in den römischen Berichten geschildert
wird. Von ihren Genossen, den Teutonen, wird erzählt, sechs Tage
habe ihr Vorbeimarsch am Lager des Marius mit dem gesammteu
Tross gedauert; die Angaben über ihre Kopfzahl gehen in die Hun-
derttausende. Castra nach Römerart kann man nun allerdings auch
auf der kimbrischen Halbinsel nicht finden, aber dort gab es wohl
etwas, was einem Römer den Eindruck von Ueberresten verschanz-
ter Lager machen konnte. Die Schilderung, die der ältere Plinius *^)
von denChauken giebt, die ungefähr zwischen Ems und Elbe wohn-
ten, lässt uns in ihnen oder wenigstens in denen, die von ihnen
nahe dem Meere wohnten, ein Fischer- und Schiffervolk erkennen,
das unter ähnlichen Bedingungen lebte, wie heutigen Tages die Be-
wohner der Halligen an der Westküste Schleswig-Holsteins. Ich
hebe hier aus ihrer Schilderung nur ihre Wohnstätten heraus: Auf
künstlichen Erdaufwürfen, Wurten oder Werften, wie man jetzt sagt,
standen ihre Hütten mit tief herabreichenden Dächern, und diese Er-
höhungen waren so hoch aufgeworfen, dass sie es auch mit sehr
mächtigen Fluthen aufnehmen konnten. Gerade so stehen noch heute
die Höfe der Halligen- und Marschbewohner in Holstein, und so
haben auch die Hütten ihrer Vorgänger in der Römerzeit gestanden,
wie wir aus dem Vergleich mit den gegenwärtigen Bewohnern und
mit den alten Chauken mit voller Wahrscheinlichkeit schliessen
dürfen; die natürlichen Verhältnisse des Landes, die Nähe des
Meeres und die Nothwendigkeit, sich gegen seinen Andrang zu
schützen, hat jene Anlage der Höfe schon damals hervorgerufen.
Diese üebereinstimmung in den Zuständen damals und jetzt ist dort
nicht befremdender, als wenn man die Befestigungsweise der Nervier,
wie sie Caesar schildert, noch jetzt in alten Landwehren bis an den
Ober- und Niederrhein verfolgen kann. Solehe dorf- oder gruppen-
weise zusammenliegenden Wurten, einander bald näher bald ferner,
durch die Meeresfluth theilweise zerstört, konnten die Römer wohl
an ihre verschanzten Lager erinnern. Damit kommen wir nun auch
zu einer, wie mir scheint, probabeln Erklärung von utraque ripa.
Nördlich der Elbe haben wir die Existenz verlassener Werfte als
annehmbar gefunden, westlich der Elbe werden bewohnte dm-ch
Plinius bezeugt; dass die römische Expedition auch verlassene dort
gefunden habe, ist also möglich. So beziehe ich denn utraque ripa
J9) N. h. 16 § 2-4.
Die röm. Flotten ex pedition z. Kimberniande u. d. Heiraath d. Kimbern. 36
auf die beiden Ufer der Elbe. An jenen Stellen des Taj^itus, wo
ripa ohne Zusatz eines Flussnaniens gebraucht ist, haben wir es
demnach mit der diesem Schriftsteller cigenthümlichen mangelhaften
Anschaulichkeit und Sorglosigkeit topographischer Darstellung zu
thun, wie sie z. B. bei seinen germanischen Schlachtberichten sich
findet, wo wir trotz unserer eignen genauen Ortskenntniss zu ge-
sicherten topographischen Ergebnissen nicht kommen können*^).
Die ausgewanderten Kimbern wohnten mithin mit aller Wahr-
scheinlichkeit, wie man längst angenommen, in Schleswig-Holstein,
während die zurückgebliebenen das dänische Jütland innehatten.
Wir würden damit für die Auswanderer gerade diejenige Gegend
als Wohnsitz bekommen, die auch in historischer Zeit durch die
Jahrhunderte hindurch bis in das unsrige hinein ganz anders als
der nördliche Theil der Halbinsel von Sturmfluthen heimgesucht
worden ist; ich erinnere nur an die unheilvolle Oktobemacht 1634,
in der die grosse Insel Nordstrand grossentheils vernichtet ward,
über 6000 Menschen, mehr als 50000 Stück Vieh ertrunken und
in ganz Nordfriesland gegen 10000, in den Marschländern Schles-
wig-Holsteins 15000 Menschen umgekommen sein sollen*^).
Die römische üeberlieferung, dass die Kimbern durch eine
grosse Fluth zur Auswanderung aus ihrer Heimat veranlasst worden
seien 2^), ist allerdings angefochten worden. Da nämlich Timagenes*^)
berichtet, nach der Lehre der Druiden sei ein Theil der Einwohner
Galliens durch Fluthen von den Inseln und dem Lande jenseits des
Rheines vertrieben worden und in ihre späteren Sitze eingewandert,
so nimmt Müllenhof f an, dass die Fluthsage, wie er die üeberliefe-
rung nennt, von Gallien her übertragen und zudem noch erst von
den Teutonen auf die Kimbern verschoben worden sei*^). Letzteres
ist, soweit ich sehe, eine blosse Behauptung, für die ich keinen
andern Beweis oder Grund habe finden können als die Annahme
Müllenhoffs, dass die alten Kimbern nicht Anwohner der Küste ge-
wesen seien-, ist diese Annahme begründet, was wir später unter-
suchen werden, so ist eine üebertragung der Fluthsage von den
Teutonen auf die Kimbern anzunehmen; andernfalls wäre sie noch
20) Mommsen RG V, 49 Anm.
21) Sach, die deutsche Heimath S. 222 ff.
22) Die Belege bei Müllen hoff DA II, 165.
28) Ammian. Marc. 15, 9, 2. 4. Müllen hoff DA I, 232. II, 166.
24) DA II, 2aS. I, 231 f.
36 3. P. Marcks:
ZU beweisen. Aber auch der ersten Annahme Mülleuhoffs kann
ich nicht beipflichten. Die Ueberlieferung der Druiden mag richtig
sein: Kelten wohnten ja ursprünglich auch im Norden auf dem
rechten Rheinufer und ostwärts über die Weser hinaus*''), und
unter den Grtinden, welche sie bewogen, über den Rhein abzuziehen,
kann bei den Ktistenbewohnern neben andern, besonders den vor-
drängenden Angriffen der Germanen, die Noth mitbestimmend ge-
wesen sein, in welche sie durch die Fluthen geriethen, die ihnen
ihre Häuser wegschwemmten und mehr Menschenverlust brachten
als der Krieg^^). Lassen wir demnach die Ansicht der Druiden
gelten, so sind wir damit ohne besondere Gründe noch nicht zu
der Annahme berechtigt, jene Angabe betreffs der Kimbern sei von
den Galliern ßllschlich auf sie tibertragen. Gleiche Ursache, gleiche
Wirkung. Gerade an unserer Nordseeküste können wir nachweisen,
wie dieselbe Natur auf Land und Menschen zu verschiedenen Zeiten
in gleicher Weise gewirkt hat. Zuider See, Dollart und Jadebusen
verdanken ihre jetzige Gestalt grossen Stunnfluthen: Der Zuider
See entstand im 13. Jahrhundert aus einem Binnensee^ den die Römer
Flevum nannten, indem das Meer die trennende Landmasse wegriss ;
in demselben Jahrhundert, in den Jahren 1277 und 1287, der Dollart; und
auch der Jadebusen geht nur bis ins Mittelalter zurück*^). Gerade
die Gleichartigkeit der Entstehung dieser Meerbusen unterstützt die
Ueberlieferung darüber, wenn es eines solchen Schutzes bedürfte.
Die vielen Inseln vor der Nordseeküste von Helder in Holland bis
Blaavands Huk in Jütland, Ueberbleibsel der alten Dühne und des
dahinter liegenden Marschlandes, weisen alle — abgesehen natürlich
von Helgoland — dieselbe Entstehung auf*^). Der oben^^) schon
erwähnte Bericht des Plinius über die Chauken zeigt uns ein Volk,
das wohnte und lebte wie noch jetzt die Halligbewohner: In unge-
heuerem Andrang, sagt er, treibt zweimal des Tages, unermesslich
weit ausgedehnt, der Ozean heran und bedeckt das ewig streitige
Grenzgebiet der Schöpfung, und zweifelhaft ist, ob es ein Theil
25) DA II, 204 ff. 207 ff. 236.
26) Ephorus bei Strab o 7 p. 293. 'Nur I1ir die Bewohner der Küsten
und Uferlandschaften von der Scheide- und Rlieinmündung an nordwärts
hat der merkwürdige Ausspruch des Ephonis einen Sinn'. DA I, 232.
27) Guthe-Wagner, Lehrbuch der Geographie IP, 537 ff.
28) Guthe-Wagner, II, 533 f.
29) Seite 34.
Die röm. FJottenexpedition z. Kiinbernlande u. d. Heimath d. Kimbern. 37
des Landes oder des Meeres ist. Doi-t hat jenes annselige Volk
auf Wurten seine Hütten-, Schiffern sind sie ähnlich, wenn die Ge-
wässer die Umgegend bedecken, Schiffbrüchigen aber, wenn dieselben
zurückgewichen sind. Auf die Fische, die mit dem Meere fliehen,
machen sie rings um ihre Hütten mit tief herabhängenden Dächern
Jagd. Sie können kein Vieh halten, sich nicht von Milch nähren
wie ihre Nachbarn, nicht einmal mit wilden Thieren kämpfen.
Aus Schilfgras und Binse flechten sie Seile, um Netze für die
Fische einzufassen, und indem sie mit den Händen zusammenge-
rafften Schmutz im Winde mehr als an der Sonne trocknen, wärmen
sie mit Erde d. h. mit Torf, die Speisen und ihre kältestarrenden
Eingeweide ; als Getränk haben sie nur Regenwasser, das in Gruben
im Vorhof des Hauses aufbewahrt wird. In dieser fast zwei Jahr-
tausende alten Schilderung wird kein Kundiger die Aehnlichkeit
mit dem Leben der heutigen Halligbewohner verkennen. Muss
man nun nicht bei solcher üebereinstimmung in dem Einfluss der
Natur auf Land und Leute, wie wir ihn nördlich und westlich
der Elbe nachgewiesen haben, die Möglichkeit zugeben, dass, wie
nach der Druidenlehre Gallier von der Nordseekäste westlich der
Weser, so auch Germanen östlich jenes Flusses sich zur Auswande-
rung genöthigt gesehen haben? Auf unsern Fall angewandt heisst
das: die Ueberlieferung, dass die Kimbern und Teutonen durch
Sturmfluthen aus ihrer Heimath verdrängt wurden, ist nur dann als
von den Galliern übertragen anzusehen, wenn dafür ganz bestimmte
Gründe angeführt werden können; die Thatsache ihrer üeberein-
stimmung mit jener gallischen Tradition genügt dafür nicht; sonst
ist dieselbe als historische, nicht als sagenhafte Ueberliefei-ung zu
betrachten. Mülle nh off hat diesen zwingenden Beweis nicht ge-
führt. Auch Mommsen^^j verhält sich gegenüber der Angabe
über die Ursache der kimbrischen Wanderung kritisch: er sagt.
Genaueres über die Ursache ihrer Heerfahrt hätten die Zeitgenossen
aufzuzeichnen versäumt, und fügt (in einer Anmerkung) ergänzend
hinzu, ob jener Bericht auf Ueberlieferung oder Vermuthung be-
ruhe, sei nicht zu entscheiden. Wer meiner obigen Ausführung
zustimmt, wird hier keine Widerlegung mehr fordeiii; auf eins sei
hingewiesen: Mommsen meint, Zeitgenossen hätten über die Ursache
der kimbrischen Wanderung nichts aufgezeichnet. Ich möchte den
30) ÜG 116, 170,
38 J. F. Marcks:
Satz nicht begründen müssen. Wir haben bekanntlich keine gleich-
zeitigen Quellen über den kimbrischen Krieg; aber Posidonius, der
nach Mtillenhoffs Vennuthung 'gegen oder um das Jahr 90 für seine
Bücher /Lierd üokvßiov sammelte und arbeitete' '*^), bekämpfte bereits die
vulgäre römische üeberlieferung, und da er dies auch schon in der
Schrift tuqI wxeavov that, wie Müllenhoff überzeugend nachge-
wiesen hat^*), und diese nach dem Jahre 90 liegt ^^), aber nicht
vor dem Geschichtswerk yeröflfentlicht wurde, so dürfen wir
die bekämpfte Ansicht mit einiger Zuversicht auf einen Zeitgenossen
des kimbrischen Krieges zurückführen-, jedenfalls ist ein gegen-
thciliger Schluss ex silentio hier unstatthaft. Materiell brauchen wir auf
die Einwände des Posidonius kaum einzugehen : er kannte nur die regel-
mässigen Gezeiten des Ozeans, in denen er die in der üeberlieferung
gegebene Ursache der kimbrischen Auswanderung fand, und da
diese täglich zweimal eintraten und auch die Zunahme der Fluth-
erscheinungen bei den Syzygien und Aequinoktien regelmässig
wiederkehrt, so klang es ihm begreiflicher Weise unglaublich, dass
die Anwohner des Meeres nicht einmal hätten bemerken sollen, dass
die Gezeiten unschädlich seien; daher sah er in der Raublust der
Kimbern die Ursache ihrer Auswanderung ^''). Wir kennen die Ge-
walt der Sturmfluthen an unserer Nordsee : wir brauchen nur an die
oben berührte Zerstörung des Festlandes durch das Meer, an die
gewaltigen Sturmfluthen, von denen friesische Chronisten erzählen,
erinnert zu werden, um es glaubhaft zu finden, dass auch jene
erste grosse Auswanderung germanischer Stämme durch ein solches
Ereigniss veranlasst worden sei. Dadurch ist der Polemik des Po-
sidonius gegen die Fluthtradition der Boden ganz entzogen,
31) DA II, 176. 128.
32) a. a. 0. 164.
83) a. a. 0. 128.
34) Strabo 7 p. 293, wozu noch 3 p. 173 f. zu vergleichen ist; 2p.
102 mit der Bemerkung Groskurds zu der Stelle und Müllenhoff DA
II, l«;3f.; ferner Erhardt in einer Anzeige der DA, die ich erst zu Ge-
sicht bekam, als dieser Aufsatz fertig war, Sybels HZ 69 (1892) 475 flF.
Krhardt schlägt für das verderbte ovy. dOofUiv 2 p. 102 vor oAf&oiav und
nimmt diese Stelle als Maassstab für die andere 7 p. 293. 'Das l.ob, das
Strabo hier dem Posidonius ertheilt', sagt er, 'kann sich nur auf die Zu-
rückweisung der Fabeln des p:phoros und Kleitarchos beziehen; was
Strabo dagegen vorher über gewöhnliche und aussergewöhnliche Fluthen
sagt, wird gegen niemand anders als gv^'cn Posidonius selbst gehen.
Die röm. Flottenexpedition z. Kimbernlahde u. d. Heimath d. Kimbern. 39
Nun ist aber Müllenhoff in der Kimbernfrage, wenn ich so
sagen soll, noch weiter gegangen, indem er behauptete, die Römer
hätten auf ihrer Flottenexpedition in Jütland gar keine wirklichen
Kimbei-n angetroffen, sondern nur willkttrlich die Stämme, die sie
dort vorfanden, Kimbern genannt^*); die wahren Kimbern hätten
in alter Zeit ihre Wohnsitze südlicher im Gebiete der mittleren
Elbe gehabt *^). Auch auf diese Ansicht müssen wir hier näher eingehen.
Das Alterthum kannte die Kimbern nur als Anwohner der
See. In solche Wohnsitze versetzt sie schon die üeberlieferung
über die Ursache ihrer Auswanderung, also eine Zeit, die vor Posi-
donius liegt. So lässt sie auch 'der alte Gewährsmann' des Pompo-
nius Mela wohnen, in einer Stelle seiner Chorographie, wo man die
Nordseeküste mit ihren Watten aufs klarste geschildert findet*'). •
Aber vor der Fahrt der römischen Flotte im J. 5 ist nirgends eine
Halbinsel als Heimath der Kimbern genannt. Wenn Strabo sie in
dem Auszuge aus Posidonius auf dieser Halbinsel voraussetzt und
ihre Gesandtschaft an Augustus erwähnt, so ist das eine wie das
andere aus eignem Wissen hinzugethan**). Alle späteren Zeugnisse
können unter dem Einflüsse der Augusteischen üeberliefening stehen.
Wie sollen nun die Römer dazu gekommen sein, die Kimbern
auf der jütischen Halbinsel zu fixiren, während sie die Teutonen
jenseits des von ihnen besuchten und erkundeten Landes, auf
Skandinavien und der gegenüber liegenden Küste wohnen Hessen*^)?
Posidonius war derjenige gewesen, welcher, auf bessere Kenntniss der
Flu thersch einungen gestützt, der falschen Ansicht entgegentrat, als ob die
gewöhnliche Fluth die Kimbern zum Aufbruch habe veranlassen können,
und statt dessen auf eine Sturmfluth hinwies'. Diese Ansicht ist gegen-
über den Darlegungen MüUenhoffs nicht haltbar. Man kann nicht die
erste, verderbte Stelle zur Grundlage für die zweite machen ; die Gründe,
weshalb Posidonius die Angaben des Ephorus und Kleitarch verwarf, sind
offenbar die von Strabo angeführten, aus denen sich für Posidonius nur
die Kenntniss der regelmässigen Gezeiten, nicht die der Sturmfluthen an
der germanischen Küste ergiebt. Es freut mich abei*, dass ich in der
Hauptsache, dem Grunde für die kimbrische Auswanderung, mitErhardt
übereinstimme.
35) DA m, 226. H, 117. 286. 288 f.
36) a. a. 0. 289. 300.
37) 3, 3, 31. Müllenhoff DAI, 489.
38) DA II, 284.
39) Mela 3, 6, 54. Für Plinius und Ptolemäus vergl. Müllenhoff
DA II, 287.
40 J. F. MarckH:
Warum haben denn die Römer zu Augustus' Zeit nicht auch
die Kimbera in die unbekannte Feme gertickt, da dort noch Raum
genug zur Verfügung stand? Was könnte sie zu dem Ansatz auf
der jütischen Halbinsel veranlasst haben? Einen stichhaltigen Grund
dafür veimag ich allerdings nicht zu finden. Müllenhoff denkt
an Augustus 'Bestreben, dem römischen Volke für Beleidigungen,
die seiner Majestät früher widerfahren waren, Genugthuung zu ver-
schaffen, wäre es auch nur zum Scheine**^); er erinnert dabei an
die Parther. Allein erstlich kann jenes Streben doch kaum im
Ernste als Grund hinreichen, eine unverdächtig überlieferte That-
sache anzufechten; zum andern hinkt der Parthervergleich ganz
bedenklich: den Parthera gegenüber hatte Augustus die Schmach
. einer grossen Niederlage noch zu rächen, während den Einfällen
der Kimbeni gegenüber die Siege des Marius als Genugthuung
wohl hinreichten und durch eine untenvürfig erscheinende Gesandt-
schaft kaum verstärkt werden konnten. Zum dritten tritt nirgend-
wo ein besonderer Stolz des Augustus auf die kimbrische Gesandt-
schaft zu Tage-, er erwähnt sie in seinem Rechenschaftsbericht in
schlichter Weise neben den übrigen. germanischen Gesandtschaften
ohne jede Hervorhebung, obwohl, wenn er auf sie besondern Werth
legte, eine Hindeutuug auf seine Befriedigung darüber nahelag.
Dass es nicht wirkliche Kimbern gewesen seien, welche die
Römer in Jütland trafen, hat Müllenhoff aus der Etymologie des
Namens geschlossen, durch die bewiesen werden soll, dass die
Kimbeni erst ausserhalb Germaniens ihren Namen bekommen haben.
Er leitet das Wort aus dem Keltischen ab; denn 'ein Wort kimbr
latro findet sich in keiner germanischen Sprache, noch ein Wort-
stamm, der auf diese Bedeutung führte'; ausserdem hält er es für
wahrecheinlicher, 'dass ein Gesammtname des angegebenen Sinnes
den hereinbrechenden Scharen von den Galliern beigelegt wurde
als den abziehenden von ihren Landsleuten oder nach eigener
Wahr^^). Hiergegen liegen verschieden'fe Bedenken vor. Es ist
nicht erwiesen noch erweisbar, dass erst zur Zeit der Auswande-
rung den Kimbern jener Name beigelegt worden ist. Warum soll
er nicht älter sein, gerade w^e der Teutonenname? Ist es glaubhaft,
dass der Suebenhäuptling Cimberius^*) von der gallischen Bezeich-
40) DA II, 28(). 41) DA IT, 117. 118.
42) Caesar de bell. Gnll. 1, 37. Zeuss, die Deutschen und ihre
Nachbarstäunne 141 Anm.
Die röm. Flotteuexpedition z. Kimbernlande u. d. Heimath d. Kimbern. 41
nung germanischer Scharen seinen Namen gehabt habe? Den
Namen Teutobod vertheidigt Müllen ho ff mit Recht als deutsch*');
schwindet damit aber nicht die Wahrscheinlichkeit keltischer Ab-
leitung des Teutonennamens**)? Und steht es mit dem Kimbern-
namen anders? Ist kimbr=:latro durchaus als Grundlage ftir die
Etymologie anzusehen? Ist die Möglichkeit der Erklärung aus einer
andern germanischen Wurzel auszuschliesen? Müllen hoff will
doch nur die Richtigkeit der Ableitung von dem einen germanischen
Worte kimbr abweisen. Dieser Sachlage gegenüber muss man
um so mehr festhalten, was mir für unumstösslich gilt: die Ety-
mologie kann man nicht als Beweis gegen eine beglaubigte That-
sache aus historisch heller Zeit anführen, wenn die Thatsache nicht
als solche durch andere Gründe widerlegt wird; sonst muss sich die
Etymologie nach der geschichtlichen Thatsache richten*^).
Eine Spur davon, dass es nach der Wanderung der Kimbern
in Germanien kein Volk des Namens mehr gab, glaubt Müllen-
h off in Tacitus Germania zu finden. Er behauptet, die Diathese,
welche jenem Schriftsteller vorlag, habe von Kimbeni nichts mehr
gewusst; Tacitus habe Kapitel 37 nur eingeschoben, 'um einen der
nächsten Absicht seiner Schrift entsprechenden geschichtlichen Exkurs
über die Gefährlichkeit der germanischen Kriege für die Römer an den
Namen der Kimbern zu knüpfen*; er habe sie 'nur deshalb ver-
muthungsweise als eine parva nunc civitas an den Ozean' ge*
setzt, 'weil die Diathese sie nicht kannte'*^). Wenn diese Hypo-
these Müllenhoffs richtig ist, so ist sie von sehr grosser Bedeu-
tung; in diesem Falle hätte ein alter Geograph den offiziellen
römischen Betrug mit den Wohnsitzen der Kimbern erkannt und
sich dagegen erklärt; denn dass der Gewährsmann des Tacitus
nicht etwa über die Zeiten des Augustus zurückliegt, bedarf keines
Beweises. Müllen hoff begründet seine Ansicht folgendermassen
— ich citire wörtlich, um ihm sein volles Recht zu lassen: Tacitus
43) DA II, 119 f.
44) Der Wortstamm ist unzweifelhaft deutsch, wie Müllenhoff
auch für Teutobod zugiebt. Wenn sich das Schwanken in der Endung
wie Teutoni und Teutones sonst nur bei gallischen, nie bei deutschen Namen
findet (DA II, 115), so kann sich für die Teutonen dies daraus erklären,
dass den Römern der Name des germanischen Volkes durch die Gallier
vermittelt wurde.
45) In gleichem Sinne spricht sich Erhard t in der oben erwähnten
Anzeige der DA aus. i6) DA II, 288,
42 J. F. Marcks:
'hat c. 36 die Cherusker an der mittleren Weser und Elbe und
vorher c. 35 die Chauken an der Nordsee bis zur Elbe besprochen.
Seiner Ordnung gemäss, indem er der Richtung des Rheines folgte
(c. 41), sollte nun der Raum zwischen den Cheruskern und Chauken
ausgefüllt, dann die Völker nördlich der Elbe längs der Nordsee
aufgeführt werden. Dies geschieht auch nach c. 37, indem Tacitus
c. 38. 39 von den suebischen Semnonen im Osten der Cherusker
ausgehend, c. 40 die Longobarden nördlich von den Cheruskern
und östlich von den Chauken und weiter Raudigni, Aviones (Insel-
bewohner), Anglii u. s. w. jenseit der Elbe nach Norden hin folgen
lässt, so dass der Raum über den Cheruskern vollständig ausgefüllt
wird und für die parva nunc civitas kein Platz bleibt. Man geräth
schon mit ihr In Verlegenheit, wenn es nach den Cheruskern von
c. 36 mit einem Male, aber sehr unbestimmt c. 37 heisst, die
Kimbern hätten eundem Germaniae sinum, denselben Winkel oder
dieselbe Strecke von Germanien proximi Oceano inne, da von den
Cheruskern bis zum Meere eine Lücke bleibt, die weder die parva
civitas ausfüllen, noch Tacitus nach der von ihm sonst beobachteten
Ordnung überspringen konnte*.
Wie steht es nun mit dieser Begründung? Mülle nhoffs
Ansicht kann auch nur als wahrscheinlich bloss dann angesehen
werden, wenn der Zusammenhang des Taciteischen Berichtes mit
Nothwendigkeit auf eine Durchbrechung durch Kap. 37 hinweist.
Eine Lücke ist aber in Wirklichkeit nicht vorhanden. Tacitus hat
bis Kap. 34 die westlichen Germanen aufgezählt. Er ist in der Richtung
des Rheines vorgegangen; nun schwenkt er nach rechts ab, um die nörd-
lichen Stämme zu schildern. Diese Veränderung in der Richtung bei der
Aufzählung ist durch den Anfang von Kap. 35 deutlich bezeichnet:
hac tenus in oceidentem Germaniam novimus; in scptentrionem ingenti
flexu redit. In Kap. 41 beweist die Hindeutung auf die früher befolgte
Ordnung : ut quomodo paullo ante Rhenum, sie nunc Danuvium sequar,
dass Tacitus nicht bis K. 40 einschliesslich die Richtung des Rheines
verfolgt haben wollte; sonst hätte er statt 'kurz vorher' (paullo ante)
sagen müssen 'bis jetzt' oder ähnlich. Man darf also nach der Er-
wähnung der Chauken in K. 35 nicht die Forderung stellen, dass
Tacitus jetzt zueret den Raum zwischen Cheruskern und Chauken
hätte ausfüllen und dann erst die Kimbern jenseits der Elbe an-
führen müssen. Mit Unrecht sieht daher Müllen hoff in K. 38
die richtige Fortsetzung von K. 36. Was fenier den Tadel betrifft,
Die röm. Flottenexpedition z. Kimbernlande u. d. Heimath d. Kimbern. 43
dass K. 36 von den Cheruskern bis zum Meere eine 'Lücke bleibt,
die weder die parva civitas ausfüllen, noch Tacitus nach der sonst
von ihm beobachteten Ordnung übei-springen konnte', so musste
Tacitus diese Lücke lassen; denn sonst hätte er später eine andere
Lücke eintreten lassen müssen, da er die Kimbern nicht zu den
Sueben zählt; er hätte seine zusammenhängende Schilderung der-
selben in zwei Theile zerlegen müssen und dadurch ohne Zweifel
eine viel schlimmere Unterbrechung seiner Darstellung hervorgerufen
und sicherlich noch mehr Tadel gefunden. Dass es fllr Römer ebenso
unmöglich gewesen ist wie fttr uns, aus den Angaben des Tacitus
sich eine richtige Vorstellung von der geographischen Lage des
Kimbemlandes zu machen, ist zuzugeben: diesen Mangel an klarer
geographischer Darstellung finden wir aber nicht bloss in der Germania,
sondern allgemein in Tacitus' Schriften, worauf oben bereits hinge-
wiesen wurde.
Das 37. Kapitel fttr ein Einschiebsel zu halten, sind wir also
nicht berechtigt, da die Nähte des alten Zusammenhanges, die
Müllen ho ff gesehen zu haben glaubte, auf einem Versehen be-
ruhen. Auf die Tendenz, welche nach Ansicht jenes Gelehrten
der Germania zu Grunde liegt, kann man sich natürlich nicht zur
Begründung jener Hypothese, sondeni nur zu ihrer Erläuterung
berufen, um klarzulegen, woher für Tacitus das Bedfirfniss nach
einem Einschub stamme. Mit der Annahme des Einschiebsels fällt
von selbst nun auch die Behauptung, der Schriftsteller habe nur
vermuthungsweise die Kimbern an den Ozean gesetzt, wofür
jeder Grund fehlt.
Für die Wohnsitze der Kimbern an der mittleren Elbe, wie
Müllenhoff sie annimmt, lässt sich ein Schriftstellerzeugniss durch-
aus nicht beibringen. Was Müllenhoff dafür anftthrt, z. B. den
Umstand, dass die Kimbern bei der Wanderung zuerst, dann erst
die Teutonen erscheinen, ist gegenüber der ausdrücklichen Ueber-
lieferung ohne Belang: über den Zug der Teutonen bis zu ihrem
Zusammentreffen mit den Kimbern sind wir zu wenig unterrichtet,
als dass sich daraus Schlüsse ziehen Hessen. Den Versuch Müllen-
hof fs*^) gegen Mommsen*^) die Anwesenheit der Teutonen schon
in der Schlacht bei Noreia zu erweisen, muss ich für misslungen
47) DA II, 290 fif.
48) RG IP, 182.
44 J. F. Marcks:
halten-, denn keiner der drei Gründe, welche diese Annahme auf
PoBidonius, Livius und Caesar zurückführen, ist beweiskräftig. Nicht
der für Posidonius: denn wenn dieser einen Soldaten des Marius,
während ihnen die Teutonen gegenüberstanden, fragen lässt, ob den
Marius das Schicksal des Carbo und des Caepio schrecke, über welche
die Feinde gesiegt hätten, so folgt daraus nicht die Anwesenheit
der Teutonen in der Schlacht bei Noreia; denn Kimbern und Teu-
tonen waren, seitdem sie sich vereinigt hatten, für die Römer e i n
Feind. Nicht besser der Beweis für Livius: die Anekdote von dem
Gesandten der Teutonen, der auf die Frage, wie hoch er den Werth
eines alten Kunstwerks, eines alten Hirten mit einem Stocke, schätze,
zur Antwort gab, den möge er nicht geschenkt, wenn er leibte und
lebte ; die Anekdote ist doch nichts mehr als eine Anekdote. Wer
sie erzählte und auch der sie uns überliefert, Plinius, dem kam es
darauf an, die Pointe zu treffen und nicht, wie Kent zu König
Lear von sich sagt, eine gute Geschichte durch Erzählen zu ver-
derben; ob der Gesandte der Teutonen historisch war, wird keinen
gekümmert haben. Der Schluss, dass bei der Kimberngesandtschaft
vom Jahre 109 auch Teutonen gewesen, ist also wohl recht gewagt.
Mit Caesar steht's nicht anders. Wenn er immer, bis auf eine Stelle,
beide Völker zusammen nennt, so ist darin nichts Auflfälliges, selbst
wenn erst nur das eine und später das andere Volk kam; keine
einzige Stelle giebt es, die eine Trennung der Namen nothwendig
gemacht hätte und die zu der Annahme zwingt, er müsse es 'gar
nicht anders gewusst haben, als dass beide Scharen mit einander
in Gallien eingefallen' wären.
Ich stehe am Ende meiner Erörterung und möchte wünschen,
es wäre mir der Nachweis gelungen, dass Müllenhoff für seine
Kimbernhypothese keinen durchschlagenden Beweis erbracht hat.
Wären wirklich, wie jener annimmt, die Kimbern kein in sich ge-
schlossenes Volk gewesen, wären sie zusammen mit den Teutonen
im Keltenlande erschienen und hätten sie dort erst ihren Namen be-
kommen, so würde es unerklärlich sein, wie es gekommen wäre,
dass sie anders als die Teutonen benannt und nicht mit ihnen unter
denselben Namen zjisammengefasst worden wären. Dass sich beide
Völkerscharen auf der Wanderung augenßlllig unterechieden, ist
leicht gesagt, aber schwer zu beweisen. Nach Körperbeschaflfenheit,
Lebensweise und Einrichtungen nicht: wenigstens deutet kein alter
Schriftsteller das an. Ob in der Sprache? Müllenhoff selbst
Die roin. l""*lottenexpcdition z. ttiiiibernlande u. d. Heimath d. Kimbern. 45
weist einmal darauf hin, dass die dialektischen Verschiedenheiten
innerhalb des Germanisehen 'um den Anfang unserer Zeitrechnung
und in den eraten ihm folgenden Jahrhunderten gewiss so gering'
waren, 'dass nicht nur die Westgermanen sich unter einander ohne
Mühe verständigten, sondern auch mit den Ostgennanen und umge-
kehrt. Nie ist auch von einer Mehrheit germanischer Sprachen
bei den Römern die Rede und noch im sechsten Jahrhundert sagt
Prokop, dass alle östlichen Völker, die Vandalen, Gepiden, Goten,
dieselbe Sprache redeten**^). Und wäre eine solche Verschiedenheit
wirklich vorhanden gewesen, wie hätte sie den Kelten zum Bewusst-
sein kommen können, da doch selbst das klassische Alterthum in
der Sprachvergleichung und in Folgerungen über Zusammengehörig-
keit von Völkern auf Grund ihrer Sprache auf niedrigster Stufe
stand ? Ein leuchtendes Beispiel, das nicht ferne liegt, giebt Taci-
tus Germ. 45, wo er die Sprache der Aestier fttr näher verwandt
mit dem Britannischen als mit dem Germanischen und jenes Volk
dennoch für Germanen erklärt.
So wird man denn dabei stehen bleiben müssen, dass die Kim-
bern wirklich ein gennanisches Volk, kein bunter Völkerschwarm
aus verschiedenen Stämmen gewesen sind und in Schleswig-Holstein
und Jtttland wohnten, dass ein Theil von ihnen im zweiten vorchrist-
lichen Jahrhundert auswanderte, ein anderer Theil zurückblieb, den
die römische Flotte im J. 5 n. Chr. noch vorfand. Später sind sie
verschwunden, wie so mancher andere germanische Stamm spurlos
verging.
Exkurs.
Die Herkulessäuleu in Tacitus^ Germania.
Im 34. Kapitel der Germania erwähnt Tacitus, wo er von den
Friesen handelt, dort hätten die Römer auch den Ozean zu befahren
versucht, und es gehe das Gerücht, dass es dort noch Herkules-
säulen gebe. Was hiermit gemeint sein soll, ist streitig. Jakob
Grimm führt einen Riesen Hugilaich an, dessen Gebeine auf einer
Insel im Rheine, wo er in den Ozean mündet, aufbewahrt und den
von fernher Kommenden als Wunder gezeigt wurden; er dachte, ob
vielleicht schon die Römer bei den Friesen von diesem Helden Kunde
49) DA III, 202.
46 J. F. Marcks:
*
bekommen hätten und darauf die Angabe des Tacitus über Herkules
und seine Säulen zurückgehe*). Rieger fasste die Herkulessäulen
als Irminsäulen auf *). Schweizer-Sidler (in seiner Ausgabe) denkt
an 'eine Schiflfersage, die ihren Anhalt, wenn ein solcher nothwen-
dig scheint, an Klippen, die man aus dem Meere hervorragen sah,
oder an Vorgebirgen, die man aus der Feme erblickte, haben
dürfte*. Allein, wo sind an unserer Nordseeküste Klippen, die aus
dem Meere hervorragen? Meines Wissens giebt es deren keine, und
auf den Felsen von Helgoland passt der Ausdruck auch nicht, eben-
so wenig der folgende Inhalt des Kapitels.
Die Erklärungsversuche aus der deutschen Sage halte ich für
verfehlt, wenn es nicht gelingt nachzuweisen, dass sich ein dem
Namen des römischen Herkules entsprechender germanischer Name
an eine für die Römer wichtige Oertlichkeit geknüpft hat. Denn
nur in diesem Falle ist es verständlich, was Tacitus anfUgt: dem
Drusus Germanicus habe es nicht an Muth gefehlt, jene Säulen des
Herkules aufzusuchen, aber, der Ozean selbst habe die Erforschung
gehindert. Niemand wird doch glauben, in jener Zeit der Kämpfe
zwischen Römern und Germanen habe sich ein römischer Feldherr
aus reiner Neugierde oder, edler gesprochen, aus blossem Wissens-
drang, um eine Felspartie kennen zu lernen, an die sich eine deut-
sche Sage knüpfte, auf eine Rekognoszirungsfahrt dorthin begeben.
Es handelt sich aber offenbar um ein Unternehmen des römischen
Feldherm, so gross oder klein man es sich vorstellen mag-, man
muss die Existenz von Hcrkulessäulen vor der Fahrt gekannt oder
durch sie kennen gelernt haben, aber nicht bis zu ihnen gekommen
sein. So haben mich denn meine Ei-wägungen zu römischen Vor-
stellungen und dabei auf eine von dem obigen Erklärungsversuche
abweichende Interpretation der Stelle geftlhrt.
Als Säulen des Herkules an der Meerenge von Gibraltar galten
meist die beiden Inseln Abila und Calpe. Es waren nicht etwa
hervorragende Felseninseln, noch konnte man deren in jener Enge
finden, so dass man aus diesem Grunde die Richtigkeit der Bezeich-
nung leugnete und sie nach Gades verlegte^). Aber Posidonius*)
betont hiergegen mit Recht, dass man Meerengen, hineinragende
Vorgebirge und Inseln als Grenzen gewisser Gegenden ausgewählt
1) Geschichte der deutschen Sprache S. 591.
2) ZfdAXI (1859), 183 f.
3) vergl. Posidonius bei Strabo 3 p. 170. 4) a. a. 0. p. 171.
\
Die röm. Flottenexpedition z. Kimbernlande u. d. Heimath d. Kimbern. 47
habe und diesen Vorgebirgen oder Inseln die Bezeichnung Säulen
zukomme gleichsam als Pfosten jenes Seelhores. Auch anderswo
kannten die Alten diese Benennung. Ephorus'^) erwähnt solche
Säulen, die kleine Inseln waren, südlich vom rothen Meere. Säulen
des Dionysos oder Säulen des Herkules nannten die Makedonier
auf Alexanders Kriegszug nach Indien gewisse Gegenden, wo sie
eine Erinnerung an jene zu finden meinten ^). Wie die Griechen bei
den Barbaren im fernen Osten, so glaubten die Römer auch im
Nordwesten Spuren des Herkules zu finden*^). Nicht unmöglich
scheint es mir daher^ dass nach Analogie der Herkulessäulen am
Eingang zum atlantischen Ozean auch der Zugang zur Ostsee als
Säulen des Herkules bezeichnet worden ist. Seit der Flottenexpe-
dition des Tiberius hatten die Römer Kunde von der Einfahrt in
die Ostsee. Dass es für sie ein wichtiger Punkt war, bedarf keines
Nachweises. Wir kennen das Unternehmen, das bis in die Nähe
der Einfahrt führte, und doch kam man an dieselbe nicht heran.
Nur mit dieser Erklärung von Herculis columnae wird die
Tacitusstelle verständlich und ein Zusammenhang des Satzes et
superesse adhuc Herculis columnas fama vulgavit mit dem vorher-
gebenden ipsum quin etiam Oceanum illa temptavimus und dem
folgenden Hinweis auf die Flottenexpedition hergestellt. Aber die
Erwähnung des Drusus Germanicus macht Schwierigkeiten. Es
kann damit nicht Germanicus gemeint sein, weil dieser nie so ge-
nannt wird; Drusus hingegen hatte nach Senatsbeschluss den Bei-
namen Germanicus erhalten®) und wurde damit auch genannt^).
Nimmt man aber an, dieser Drusus sei gemeint, so geräth man in
Widerspruch zu dem Satze mox nemo (Oceanum) temptavit; denn Tiberius
hat doch später seine Flotte auf die See hinausgeschickt und ebenso
Germanicus, während es ausgeschlossen ist, dass Tacitus die Fahrt
des Tiberius nicht gekannt habe. Dafür sei auf das erste Kapitel
der Germania verwiesen: der dort erwähnte Krieg muss die Flotten-
expedition des Tiberius einschliessen, durch die allein die lange
Inselreihe an der norddeutschen Küste ganz bekannt wurde; und im
37. Kapitel wird Tiberius neben Drusus und Germanicus nament-
5) PUn. Nat. hist. 6 § 199. Müllenhoff DA I, 89 Anm.
6) Strabo a. a. 0.
7) Germania 3. 9.
8) Flor. 4, 12, 28.
9) Strabo 5 p. 291. Tac. Hist. 5, 19.
48 J. P. Marcks: Die röm. Plottenexpedition.
lieh erwähnt. Ja Tacitiis hätte von allen Unternehmungen des
Germanicus auf der Nordsee nichts wissen müssen. Ich glaube
daher, dass in der üeberlieferung ein Irrthum liegt und zu schreiben
ist: nee defuit audentia Druso, Neroni (= Tiberio, cf. K. 37), 6er-
manico. Germanicus hatte bekanntlich wieder den Muth in See zu
gehen und hatte, als er abberufen wurde, vor, im J. 17 noch einmal
gegen die Germanen zu ziehen*®); ob zur See, wissen wir nicht;
aber er hatte das Werk des Tiberius weitergefllhrt, auch mit der
Flotte. So konnte Tacitus ihn den beiden Vorgängern anreihen.
Dann folgt richtig: mox nemo temptavit, und die fromme Phrase
am Schlüsse des Kapitels dient dazu, den wahren Grund, warum
die Rekognoszirungsfahrten an der germanischen Kttste nicht fort-
gesetzt wurden, zu verdecken.
Einen Einwand könnte man noch machen: Wie kommt Taci-
tus hier bei den Friesen dazu, der Versuche, die Einfahrt in die
Ostsee zu gewinnen, Erwähnung zu thun? Ist das nicht die unge-
eignetste Stelle? Dagegen frage ich zunächst: Warum spricht
Tacitus K. 37 bei den Kimbern von allen Kriegen, die Rom mit
Germanen geführt hat? Weil dieselben von den Kimbern ihren Aus-
gang nehmen und weil er bei den noch vorhandenen Kimbern, von
denen er wenig zu sagen hatte, länger verweilen wollte; durch den
Exkurs hielt er den Leser bei den Kimbern fest. Aehnlich ist es
K. 34. Jene Expedition nach der Ostsee hin nahm vom Lande der
Friesen ihren Ausgang. Ist auch der zweite Anlass hier massgebend
gewesen? Keinesfalls aber kann man, wenn man auf die Parallele
des Kimbernkapitels gesehen, daran Anstoss nehmen, dass sich der
Exkurs über die Herkulessäulen in dem Kapitel über die Friesen findet.
10) Tac. Ann. 2, 26.
3. Die Kölner Aeneasgruppen.
Von
A» Biünlng.
Hierzu Taf. I.
Max Ihm hat im 93. Hefte der Bonner Jahrbücher S. 66 ff.
eine 1884 am Chlodwigsplatze in Köln gefundene und im Wallraf-
Richartz- Museum befindliche Gruppe aus Jurakalk veröffentlicht,
welche Aeneas darstellt, wie er eilenden Schrittes seinen Vater auf
der linken Schulter davonträgt. Er glaubt, dieselbe sei als Relief
an einem Grabmale angebracht gewesen ^), und führt sie, sowie die
verwandten Monumente, welche dieselbe Composition zeigen, nach
dem Vorgange Heydemanns^) auf eine Statue des Aeneas zu-
rück, die nach den Worten Ovids^) auf dem forum Augustum ge-
standen hat.
Ende November 1892 kam an der Ecke der Händel- und
Richard- Wagner-Strasse in Köln eine ebenfalls aus Jurakalk gear-
beitete Gruppe zu Tage, die eine fast genaue Wiederholung des
eben erwähnten Bildwerkes ist, ausserdem aber noch den Torso
des Askanius bietet, den man dort vermisste. Sie wurde von dem
Bonner Provinzialmuseum erworben. Die Erhaltung derselben lässt
die Abbildung auf Taf. I erkennen. Aeneas trug auch in diesem
Exemplar den Helm, dessen Ansatz noch im Nacken sichtbar ist;
ein Metallpanzer, der die Muskulatur sorgfältig nachbildet, um-
schliesst die Brust. An der linken Seite trägt der Held an einem
1) A. a. O. S. 67.
2) Arch. Zeit. 1872. S. 120, Anmerk. 32.
3) Fast. V 563 ff.
Jahrb. d. Ver. v. Altertlisfr. im Rheiul. XCV.
50 A. ßrüningl
von der rechten Schulter herabhängenden Baude das Schwert; ein
Eiemen — nach A. Müller^) das einctorium der Legatenuniform —
der bei dem Kölner Exemplar fehlt, läuft um den Leib und ist
über dem Nabel festgeknotet. Da dieser Gurt plastisch nur schwach
angedeutet ist, so wird ihn der Künstler durch Bemalung hervor-
gehoben haben, die bei dieser, wie bei aller sorgfältig ausgeführten
rheinischen Kalksteinsculptur, in ausgedehntem Maass vorauszusetzen
ist. Anchises trägt die Tunica und einen weiten Mantel, der, wie
die Falten im Nacken zeigen, über das Haupt gezogen war, der
Knabe die gegürtete Tunika und den Mantel. Dieser wird wie bei
dem Vater durch eine Spange auf der rechten Schulter festgehalten.
Im rechten Arme hält der Kleine den Hirtenstab, der linke war
hoch erhoben. Doch hat der Vater den Knaben nicht an der Hand
gefasst, sondern wie in der pompejanischen Terracotte und ver-
wandten Monumenten ^) am Arm. Denn die Armhaltuug des Aeueas in
der Kölner Gruppe und der Ansatz des Arms des Askanius in Bonn
schliessen eine Berührung der Hände aus.
Bezeichnen wir das Kölner Exemplar mit A, das Bonner mit
B, so erscheint A frischer und lebendiger, B sorgfältiger in der
Ausführung, ein Eindruck, der dadurch gesteigert wird, dass die
Oberfläche von B besser erhalten ist als die von A. Auch in der
Composition ist A energischer, belebter. Aeneas fasst z. B. in dem
Kölner Exemplar mit festem Griif das Bein des Greises, während
er in dem Bonner seine Hand nur flach an dessen Unterschenkel
legt. Sowohl der Ausdruck der schnellen Bewegung, als auch der
der Belastung ist dort besser wiedergegeben. Der Kölner Aeneas
schreitet energisch mit dem rechten Beine aus. Dadurch erhält
sein OberköiT)er eine Neigung nach rechts und diese wird durch
das Gewicht auf der linken Schulter noch verstärkt. Bei der neu-
aufgefundenen Statue ist dagegen das linke Bein vorgesetzt, so dass
1) Siehe A. Müller. Das cingulum railitiae. Progr. d. Gymnas. zu
Ploen. 1873 S. 19 fT. Vgl. dazu Arch. Zeit. 1872 Taf. IV Nr. 1. Die Gürtung
über dem Panzer zeigen schon die pergamenischen Balustradenreliefs,
wo ein ganz ähnlicher vorn zusainniengeknoteter schmaler Lederriemen
um den Panzer läuft. Siehe Baumeister, Denkm. d. klass. Alterth.
Abb. 1432.
2) Vgl. Die pompejanische Terracotte abgeb. von Roh den, Die
Terrae, v. Pomp. Taf. XXXVII und Münzen des Antoninus Pius abg.
Stevenson, Diction. of Rom. coins. S. 16; Cohen, Descript. des mon.
imp^r. II Taf. 13. Nr. 751.
Die Kölner Aeneas^rtippeli. 61
die schräge Haltung, die der Oberkörper wegen der Belastung nach
rechts hin annehmen müsste, durch die entgegengesetzte Bewegung,
welche die Voranstellung des linken Beines zur Folge hat, wieder
aufgehoben wird. In Folge dessen erscheint Aeneas hier fast ganz
gerade aufgerichtet, im Vergleich zur Kölner Gruppe steif. Zu be-
merken ist noch, dass Askanius im Gegensatze zu seinem Vater das
rechte Bein vorstellt. Hierdurch wird eine wohlthuende Abwechs-
lung in die Gruppe gebracht, vielleicht auch angedeutet, dass der
Kleine, wie Vergil sagt^), sequitur patrem non passibus aequis.
In der Grösse stimmen A und B ziemlich ttberein. Der Knabe
ist halb so gross wie sein Vater 2).
Als ich nun im November v. J. bei einem Besuche des Wall-
raf-Richartz-Museums das Köhier Exemplar genauer betrachtete, fiel
mir ein in der Nähe am Fensterpfeiler befestigter Torso einer
kleinen Gewandfigur (Nr. 95 a) auf, die sich bei näherem Zusehen
als der verlorene Sohn herausstellte. Die Figur, welche mit dem
Bonner Askanius fast völlig übereinstimmt, zeigt auch eine ganz
ähnliche Verstümmelung*). Nur ist vom Halse ein kleines Stück
erhalten, welches zeigt, dass der Kopf etwas zur rechten Seite ge-
neigt war. Auch ist ein grösseres Stück vom Mantel übrig ge-
blieben. Die Beine sind schon oberhalb der Kniee abgebrochen.
Da der Torso in Material und Grösse (von der Halsgrube bis zum
Ende des Gewandes zwischen den Knieen 0,21 m) genau zu dem
Kölner Aeneas passt, und er zugleich mit dieser Statue auf dem
Ghlodwigsplatze ausgegraben wurde '^), so dürfte an der Zusammen-
gehörigkeit kein Zweifel möglich sein, zumal auch die Sohritt-
stellung des Knaben denselben Wechsel gegenüber der des Vaters
aufweist, wie die Bonner Gruppe.
1) Vergil. Aen. II 724. Vielleicht schwebte dem Dichter an dieser
Stelle eine derartige bildliche Composition vor Augen. Vgl. meine Ab-
handl. „Ueber die bildl. Vorlagen der ilischen Tafeln". Jahrb. d. Instit.
1894 Heft. 2.
2) Aeneas misst von der Halsgrube bis zum Rand der Tunica in A
0,42, in B 0,46, Askanius 0,23 m.
3) Düntzer (Verzeichniss der röm. Alterth. d. Mus, Wallraf-Richartz
in Köln 3. Aufl. 1885 S. 59) sieht in den Resten des Pedums ein über den
rechten Arm herabhängendes Gewandstück.
4) Die Funde auf dem Chlodwigsplatze sind verzeichnet bei Düntzer,
a. a. 0. S. 125, von Veith, Das römische Köln. Bonner Winckelmanns-
progr. 1885 S. 58 f.
hi A. ßrtiningi
Nun zeigt das Kölner Exemplar an der Statue des Aeneas^
dort, wo der Mantel auf den Unterkörper fallt, eine knaufaiiiige
Verdickung, die sich nach unten hin zu einer nindlichen Fortsetzung
verjüngt. Das linke Bein des Aeneas liegt fest an derselben an.
Auch die Figur des Askanius wird mit diesem Wulste verbunden
gewesen sein, da die demselben zugekehrte Seite aussergewöbnlich
stark und wenig ausgearbeitet erscheint. Ausserdem verband noch
eine Sttttze den Knaben mit dem Vater; der rechte Oberschenkel
des Aeneas zeigt noch die Ansatzstelle dafttr und auch bei der
Bonner Gruppe ist eine derartige Verbindung noch nachzuweisen.
Der Mittelknauf wird demnach wohl der Träger der ganzen Gruppe
gewesen sein, die also besonders gestützt und in ihren Theilen ver-
bunden erscheint.
Die Auffindung von zwei so ähnlichen Wiederholungen der-
selben Composition innerhalb Kölns legt die Vermuthung nahe, dass
diese decorativ verwendet zu werden pflegte. Genauere Auskunft
darüber, in welchem Zusammenhang dies vermuthlich geschehen ist,
bieten die gleichzeitig mit der Gruppe am Chlodwigsplatz gefundenen
Architekturreste. Abgesehen von einigen nicht genauer zu bestim-
menden Bruchstücken, sind es folgende Bauglieder, sämmtlich aus
Jurakalk gearbeitet: zunächst der untere Theil eines kannelirten
Eckpilasters (Nr. 32 b), 0,39 m breit, sowie vier Platten von mäch-
tigen, über Vi Meter ausladenden Gesimsen (72 a, 160 a — c), von
denen zwei, 72 a und 160 c, zusammengehören. Sie sind geschmückt
mit akanthusartigem Blattwerk und Consolen, deren Zwischenräume
Rosetten ausfüllen. Einmal tritt au die Stelle der Rosette ein Storch,
welcher den Schnabel zur Erde senkt. Sodann ist noch das Frag-
ment eines mit breiten Akanthus- und schmalen Schilfblättem ver-
zierten Pfeilerkapitäls (139 a) erhalten und endlich drei anscheinend
zusammengehörige Stücke eines pyramidenartig ansteigenden Deck-
steins (215 a), dessen Obei-fläcbe in schuppenförmige Schindeln ge-
gliedert ist. Die Höhe der Schindeln beträgt etwa 0,30, die Breite
etwa 0,20 m. Unter derselben Nummer befindet sich noch im Kölner
Museum ein viereckiger, mit kleineren Schuppen bedeckter, sich
leicht nach oben verjüngender Pfeiler. An bildlichen Skulpturen
kamen an derselben Stelle verschiedene Bruchstücke von Gestalten
in Lebensgrösse zu Tage: die Spitze eines beschuhten Fusses (54),
ein ebenfalls mit einem Schuh bekleideter Fuss, daneben ein Ge-
wandzipfel (54 a), ein nackter Fuss, der, wie aus seiner Stellung
Die, Kölner Aeneasgruppen, 53
nnd dem noch erhaltenen Gewandsaume ersichtlich ist^ wohl einer
Tänzerin angehört haben wird (65 a), der linke üntertheil einer
Gewandfigur (32 a) und eine Hand mit einem Stttck des umgebenden
Gewandes (104 b); die Hand, deren drei äussere Finger mit Ringen
besetzt sind, hält einen Zipfel des Gewandes. Dann ist noch des
Körpers einer kleineren Gewandfigur (95), der vom Halse bis zu
Knieen erhalten ist (Höhe 0,50 m), und des Obertheils einer weib-
lichen Flügelgestalt zu gedenken (28 a), welche in den gekreuzten
Armen Granatäpfel, Trauben, Aehren und andere Früchte trägt. (Höhe
von der Stirn bis zu den Unterarmen 0,60 m, Breite 0,50 m.) Sie
sollte vielleicht eine Pomona vorstellen.
Da alle diese Stücke ausserhalb des römischen Kölns an der
nach Bonn führenden Römerstrasse ^) gefunden sind, so werden wir
es mit den üeberresten grösserer Grabdenkmäler zu thun haben,
und zwar in Art jener zweistöckigen Grabthürme mit pyramidalem
Dache, wie sie uns besonders in Arlon, Igel und Neumagen entgegen
treten^). Dem von Pilastem (32 b) eingeschlossenen Hauptgeschosse
werden die erhaltenen Bruchstücke von Gewandfiguren in natürlicher
Grösse zuzusprechen sein, während die kleinere ReliefBgur (95)
etwa in einer Attika Platz finden könnte, die weibliche Flügelge-
stalt mit den Früchten in einem am Dache angebrachten Giebel-
1) Siehe den Plan in von Veith, Das röm. Köln.
2) Ladner (Picks Monatsschr. f. rhein.-westf. Geschichtsforsch. u.
AUerthumsk. Trier 1876 S. 346 f.) meint, dass die Familie der Seknndiner
nach den in Nordafrika entdeckten zweistöckigen Grabmonumenten mit
pyramidenförmigem Aufsatz, die sie auf ihren Reisen kennen gelernt,
die Igelcr Säule hätten errichten lassen. Wahrscheinlicher ist wohl, dass
die Muster solcher Bauten, deren Vorbild in kleinasiatischen Grabdenk-
mälern von der Gestalt des Mausoleums zu Halikarnass zu suchen ist,
ebenso wie die anderen griechischen Einflüsse in die Kunst der Rhein-
lande direkt von Kleinasien über Massilia in die Provence (das Julier-
denkmal zu St. Remy) und von da in das belgische Gallien und die
Rheinlande hergeleitet worden sind. Vgl. darüber den Festvortrag
Löschcke*s bei der Winckelmannsfeier in Bonn 1892 über: „Griech. Ele-
mente in der Kunst des Rheinlands." Berl. philol. Wochenschrift 1893
p. 283). Aus dem Mosellande führen uns dann Funde von Fragmenten
derartiger Pyramidendächer unter den Üeberresten der spätrömischen
Moselbrücke bei Coblenz (Bonn. Jahrb. 42 Taf. III, 1) und von der Kölner
Chaussee in Bonn (a. a. 0. 43, S. 221 flF.) geradenwegs nach Köln. Die
Monumente in Nordafrika repräsentiren eben einen andern Ableger der
kleinasiatischen Kunst.
B4 A. Brüning:
dreiecke. Die unter 215 a erhaltenen Fragmente sind Theile eine«
Schnppendachs^ wie es die Igeler Säule trägt.
Nach alledem wird der Gedanke^ dass auch die Aeneasgruppe
an einem derartigen Denkmal angebracht gewesen war, nicht abzu-
weisen sein. Da dieselbe, wie ausgeführt, lediglich von unten her,
hier aber sehr stark unterstützt ist, also an einem exponirten Ort
freistehend gedacht werden nmss, so wird sie wohl wie die Gany-
niedgruppe auf der Igeler Säule als Bekrönung eines solchen Grab-
thurmes gedient haben. Der Charakter des Bildwerks spricht nicht
dagegen. Mustern wir die figürlichen Aufsätze von Gebäuden, wie
sie die ionische Kunst zeigt, so sehen wir hauptsächlich Darstel-
lungen von Flügeldämonen (besonders herabschwebenden Niken),
Entführungsscenen, Viergespannen oder sonst in lebhafter Bewegung
begriflfenen Figuren ^) ; nur ganz vereinzelt finden sich Gompositionen,
welche Gestalten in ruhigem Beisammensein wiedergeben*). Der
Grund für eine solche Auswahl lässt sich nachfühlen. Die hoch
und frei in die Luft ragenden Gebäudespitzen luden nicht zu ruhigem
Aufenthalt und längerem Verweilen ein, nur dem flüchtig Weiter-
eileuden geben sie momentanen Ruhepunkt: wie der beschwingte
Vogel sich auf hoher Thuimesspitze zur kurzen Rast niederlässt.
Daher die Vorliebe für Gestalten, die wie in schnellem Flug an uns
vorüber eilen. Auch tmsere Gruppe könnte man den Gompositionen,
die eine Entführung zeigen, in gewissem Sinne beizählen, da es sich
ja auch hier um eine mit eiligem Schritte fortgetragene Gestalt
handelt. Gleich Flügeln, vom Winde gehoben, so bauscht und bläht
sich der Mantel des Aeneas hinter seinem Rücken auf und erinnert
an das ähnlich in weitem Bogen flatternde Gewand der Nike des
Paionios. Spricht doch Düntzer-') bei der ersten Beschreibung
des Bildwerks geradezu von einem „nach der Höhe schwebenden
Krieger."
Auch inhaltlich würde unsere Gruppe gut zu einem solchen
Grabmale passen. Findet doch in ihr, die uns den Stammvater des
Römervolkes vorführt, wie er in rührender Weise seine Pflichten
gegen Götter, Vaterland und Familie erfüllt, diejenige Tugend ihre
1) S. Arch. Zeit. 1882 S. 335 flf. Furtwaengler, Meisterwerke d.
gr. PI. S. 250 ff.
2) Z. B. Athena , die dem ruhenden Herakles einschenkt; abg.
Martha, Tart etrusque p. 324.
3) A. a. 0. S. 63.
Die Kölner Aeneasgruppen. 55
glanzvollste Verherrlichnng, die nach römischem Begriffe alle ttbrigeD
in sich begreift — die pictas.
Der Wunsch, anch änsserlieh zu bekunden, dass man selbst
in der Fremde als römischer Borger sich fbhle und lebe, könnte
leicht römische Familien, die in einem derartigen prächtigen Bau
sich ein stolzes Denkmal setzten, bestimmt haben, dies Bild des
echten Kömerthnms an hervorragender Stelle anzubringen , erinnerte
sie doch die Darstellung an ihr eigenes Los. Auch sie waren wie
einst der fromme Aeneas mit ihren Penaten ausgezogen aus der
Heimath, um sich in unbekannter Fremde ein neues Heim zu suchen.
Da auch die Gruppe des Bonner Museums in der Nähe einer
alten nach Jülich fahrenden Römerstrasse, der jetzigen Aachener
Strasse , wo auch sonst Grabfunde zu verzeichnen sind *) , zu Tage
gefördert wurde, so wird sie eine gleiche Verwendung gehabt haben.
Es erhebt sich nun die Frage nach dem Original der beiden
Gruppen. Um diese zu beantworten, bedarf es einer kurzen üeber-
sicht Ober die Bildwerke mit Darstellungen der Aeneasflucht.
Die ältesten bildlichen Wiedergaben der Flucht des Aeneas
aus Troja finden wir, abgesehen von einer Münze der Stadt Aineia*),
wo wir es mit einer vereinzelten lokalen Fassung zu thun haben,
auf schwarzfigurigen attischen Vasen*), Hierbei ist zu beachten,
dass Aeneas den Vater nicht, wie es bei flüchtiger Betrachtung
scheint, in der Art des Huckepacks auf dem Rücken trägt*), sondern
vielmehr unter dem rechten Arm*). Vgl. Gerhard A. V. B. 231, 3
und Overbeck Gallerie XXV 24.
Auf einer rothfigurigen nnattischen Amphora®) aus Nola sitzt
dagegen der Alte auf der linken Schulter^) des Aeneas. Dieser, unter
1) Vgl. die Fundkarte bei von Veith, Das röm. Köln.
2) Vgl. Robert, Arch. Zeit. 1879. S. 23 ff.
3) Siehe Overbeck, Heroengallerie S. 655 ff. Heydemann, Iliu-
persis, S. 31 Annierk. 1. Luckenbach, Neue Jahrb. f. Phil. Suppl. 11
S. 636 Anm. 1. Schneider, der troische Sagenkr. S. 174 Anm. 4.
4) Dieser Meinung ist Ihm, a. a. O. S. 72.
5) Eine Ausnahme bildet das Vaseiibild bei Overb. XXVII 8, wo
Anchises die Hüften des Sohnes mit den Kniecn zu umklammern scheint.
6) Overbeck, Heroeng-all. XXVII 12, Gerhard, Auserl. Vas.
III 217.
7) Diese Art, eine Person zu tragen, ist dem AUtag-sleben entnommen.
Eine Terracotta (Kekul6, Die ant. Terrae. II S. 23) zeigt uns eine Frau,
der ein Kind auf der linken Schulter sitzt. Auf Denaren des Münz-
56 A. Brüning:
der Last tief gebeugt, sttltzt sich auf zwei Speere. Askanins eilt
an der Hand Kreusas den Beiden vorauf.
Während aus der Zeit von 500 bis gegen 250 v. Chr. keine
Darstellung der Aeneasflucht vorhanden ist, so regte das Inter-
esse, das man in Italien an der Person des Aeneas nahm, von da
ab zu mehrfachen Darstellungen der Rettung des Troerhelden an.
Schon aus der Zeit gleich nach dem ersten punischen Kriege finden
wir auf Münzen von Segesta den Aeneas, seinen Vater auf der
linken Schulter, in der Rechten das Schwert 0. Eine Erklärung
dafttr geben uns die Worte Ciceros*): Segesta est oppidum pervetns
in Sicilia, quod ab Aenea fugiente e Troia atque in haec loca ve-
niente conditam esse demonstrant. Itaque Segestani non solum per-
petua societate atque amicitia, verum etiam cognatione se cum po-
pulo Romano coniunctos esse arbitrantur. Es scheint demnach in
diesem Münzbilde die Genugthuung über die Vereinigung der ver-
wandten Städte zum Ausdruck gekommen zu sein.
Vor allem aber treten die Darstellungen der Aeneasflucht her-
vor, als das julische Haus die Leitung des römischen Staatswesens
übernahm. Auf Münzen des Julius Caesar^), sowie der Stadt Se-
gesta*) erscheint Aeneas, der auch hier den Vater auf der linken
Schulter trägt, mit dem Palladium in der rechten Hand.
Eine andere Fassung bietet uns der bekannte pompejanische
Broncehelm mit Scenen aus der Iliupersis '»)• Er stellte den Gegen-
stand in der Weise dar, dass Aeneas mit hocherhobener Rechten
den in der bekannten Art dasitzenden Vater unterstützt. Da die-
selbe Composition auch auf einem Medaillon des Antoninus Pius^)
und zwar hier neben dem ruminalischen Feigenbaum zu sehen ist,
nieisters M. Herennius und des S. Pompeius (Babel ou, monn. de la republ.
Rom. I S. 539, II S. 353, 354, 582) tragen in gleicher Weise die beiden Brüder
Amphinomus und Anapias aus Cataua ihre Eltern, um sie vor dem Aus-
bruch des Aetna zu retten. Aehnlich findet sich auch der Leukippideu-
raub auf einer etrusk. Aschenkiste dargestellt. (Brunn, rel. etr. II 37,38.)
1) He ad, Historia Numorum. Oxford 1887 S. 146, Catal. of the Greek
coins in Brit. mus. Sicily. S. 137.
2) Verres IV 33.
3) Grässe, Handbuch d. alt. Numismatik XXII 6, 7. Babel on
monn. de la r6publ. Rom. II S. 11 und 578.
4) Catal. of the Greek c. in Brit. mus. Sicily, S. 137.
5) Heyderaann, Iliupersis III 1 ; Steinbüchel, Antiqu. Atlas XX.
' 6) Fröhner, les Medaill. de Temp. Rom. S. 59.
Die Kölner Aeneasgruppen. 57
dürfte vielleicht das Original in einer Statue auf dem Forum in
Rom zu Buchen sein^).
Ihren Abschlnss erhielt die Gruppe eret durch Zufügung des
Julus^ der als mythischer Stammvater des julischen Kaiserhauses
an der rechten Hand des Vaters erscheint und gleichsam der be-
lasteten linken Seite des Aeneas das Gleichgewicht hält. Die Monu-
mente, die uns diese Composition bieten, lassen sich in zwei Reihen
gliedern, je nachdem Anchises die Cista mit der linken gefasst hat,
mit der anderen Hand aber sich auf die rechte Schulter des Sohnes
stützt ^), oder der Greis mit beiden Händen das Kästchen auf dem
Schosse festhält»).
Betrachten wir die Monumente der ersten Gattung, so fällt
zunächst auf, dass sie alle die Gruppe nur in Vorderansicht und
zwar von demselben Gesichtspunkt aus vorführen, während dies bei
den Bildwerken der anderen Reihe durchaus nicht der Fall ist. So-
dann ist die eigenartige Schrittstellung der meisten dieser Darstel-
1) Vereinzelt steht eine Darstellung auf einer Münze Octavians
(Babel on, a. a. 0. S. 42), auf welcher Aeneas den Greis mit beiden
Händen hoch über der linken Schulter hält.
2) Zu dieser Reihe gehören: das Mittelbild der tabula Iliaca (Jahn,
Griech. Bilderchroniken I*), eine Thonlampe des Mus. Kircherianum (von
Rohden, Pomp. Terracotten I S. 48), die Fragmente zweier gleichen Grup-
pen, Mus. Nazionale in Neapel No. 8. 1874 und No. 4303), das Relief aus
Turin (0 verbeck, Gall. XXVII 16), Münzen des Antoninus Plus (Cohen,
med. imper. II, No. 288, 751 (abg. Taf. 13), 810, Stevenson, Diction. of
Rom. coins S. 16), sowie eine Menge von Gemmen (Stosch IV 119—122
Impronte gem. II 62, Gerhard' sehe Abgusssammlung im Bonner Kunst-
museum XVI 1141-43, 1145-47).
3) Die zweite Reihe wird ausser den Kölner Gruppen durch folgende
Monumente vertreten: Die Carricatur aus Herkulanum (v. Rohden,
Pomp. Terracotten S. 47, Miliin, gal. myth. 173, 607), sodann Münzen von
Dardanus (Gardner, Types of Greek coins XV 7), Ilion (0 verbeck, Gall.
XXVII 10), Patrae (Catal. of Gr. c. Peloponnes. VI 5). Von anderen Münzen,
die auch dieselbe Gruppe zeigen (Apamea, Catal. of Gr. c. Pontus etc.
S. 114, Berytus, Eckhel, doctr. num. vet. III S. ^59, Coela, Sabatier,
Descript. g^ner. des m6d. contorn. S. 94, Corinth, ebenda S. 93, Othrus,
Head, Hist. num. S. 567) standen mir leider keine Abbildungen zu Ge-
bote. — Ein Contorneat (Sabatier, a. a. O. XIV 10), auf welchem An-
chises seine rechte Hand erhebt imd nach rückwärts blickt, als schaue er
sich nach Kreusa um, und eine Thonlampe (Bartoli, lucernae III 10), wo
der Alte auf der rechten Schulter des Sohnes sitzt und seine Linke auf
dessen Helm legt, fallen aus diesen Reihen heraus.
58 A. Brüning:
lungen zu beachten. Die Knie des Aeneas sind nämlich in einer
Weise auseinandergesetzt, wie man es häufig auf Reliefs oder Ge-
mälden findet, wenn eine heftig ausschreitende Gestalt in Frontan-
sicht wiedergegeben werden soll. Diese gespreizte Stellung der Beine
scheint mir den Beweis zu liefern, dass sich in diesen Repliken ein
Gemälde oder Relief wiedei-spiegelt. Würden nämlich diese Monu-
mente auf eine Statuengruppe als Vorbild zurttckgehen, so massten
bei der Uebersetzung der Gruppe in den Flächenstil die Kniee des
ausschreitenden Aeneas nahe an einander gerückt sein. Wollte man
aber annehmen, dass diese Spreizstellung erst vom Kopisten einge-
führt worden sei, so Hesse sich nicht ersehen, wie sämmtliche Ko-
pisten darauf gekommen sein sollten, diese Umänderung in der
gleichen Weise vorzunehmen. Für ein Gemälde spricht der Umstand,
dass zu Rom, wo wir ja das Original suchen müssen, grössere Ge-
mäldecyklen mit Dai-stellungen aus dem troischen Sagenkreise zu
Anfang der Kaiserzeit vorhanden waren, in denen natürlich diese
Scene nicht fehlen durfte.
Ziehen wir die allen diesen Wiederholungen charakteristischen
Züge heraus, so ergibt sich folgendes Bild: Aeneas, bärtig'), und
unbedeckten Hauptes, schreitet stark nach rechts hin aus. Er ist
bekleidet mit Tunica, Panzer und hohen Stiefeln, ein langer Mantel
wallt von seinem Rücken herab. Während er mit der einen Hand
den linken ünterechenkel des Vaters umfasst, hält er den Sohn am
Arme fest. Der Kleine, mit phrygischer Mütze und gegürteter Tu-
nica angethan, scheint nur mühsam dem Vater folgen zu können,
so dass dieser sich besorgt umblickt und den zu ihm aufschauenden
Knaben ermuntert. Anchises, der in der Linken das Kästchen hält,
stützt sich mit der andern Hand auf die rechte Schulter des Sohnes,
um sich so auf seinem unbequemen Sitze besser halten zu können.
— Auf dem Mittelbilde der tabula Iliaca sehen wir ausser den er-
wähnten drei Pereonen über Askanius noch die undeutlichen Um-
risse einer Gestalt, in der Jahn 2) wohl richtig Kreusa vermuthet,
sowie den inschriftlith bezeichneten Hermes, der rechts von der
1) So zeigen ihn die Thonlampe und die Münzen des Antoninus
Pius (vgl. S. 57 Anm. 2), die wohl der Vorlage am nächsten stehen; ferner
von den Gemmen, soweit es kenntlich ist, folgende: Stos ch IV 121, 122.
Impronte gem. II 62, Gerhard' sehe Abgusssamml, XVI 1141. 1147.
2) Jahn, Griech. Bilderchr. S. 36.
Die Kölner Aeneasgruppen. 59
Hanptgruppe dem Aeneas den Weg zu zeigen sclieint. Vielleicht
gibt lins dieses Bild das Original in grösserer Ausführlichkeit
wieder.
Bei den Monumenten der zweiten Reihe ist, wie schon be-
merkt, beachtenswerth, dass sie die Gruppe von verschiedenen Ge-
sichtspunkten aus wiedergeben. Völlige Seitenansicht bietet die
Münze von Patras, mit der die Carricatur aus Herculanum besonders
in der Haltung der Köpfe des Aeneas und Anchises übereinstimmt;
von vorn gesehen zeigt sie die bei 0 verbeck abgebildete Münze
von Ilion. Von der Seite aus erscheint die Composition auch auf
der Münze von Dardanus; doch findet sich hier noch die Besonder-
heit, dass trotzdem der Körper des Greises in Vorderansicht dar-
gestellt ist. Bei allen diesen Repliken ist Anchises puppenhaft klein
gebildet. Er sieht gegenüber den lebhaft bewegten Gestalten des
Aeneas und Askanius fast wie eine Statuette aus, während auf den
Bildwerken der ereten Klasse der Körper des Gi^eises durch die
Verschiebung des Oberköi^pers nach der Seite und die dadurch ver-
änderte Lage der Gliedmassen grössere Lebendigkeit und gefällige
Natürlichkeit gewinnt.
Alle diese Eigenthümlichkeiten finden am besten ihre Erklärung,
wenn man annimmt, dass das Bildwerk, welches den genannten
Darstellungen als Vorlage diente, ein statuarisches Monument war,
das frei aufgestellt, von verschiedenen Seiten her betrachtet und
kopiert werden konnte. Die unnatürlich kleine Bildung des Greises
erklärt sich dadurch, dass aus technischen Rücksichten eine ge-
tragene Gestalt in schwer lastendem Material nicht über ein ge-
wisses Mass hinaus gebildet werden konnte.
Möglichei-weise ist das Original der zweiten Reihe, welches
den Aeneas unbärtig dargestellt zu haben scheint, nur eine Ueber-
tragung des Vorbildes der ersten Gattung in die Plastik. Das Zu-
sammenschrumpfen des Anchises hatte auch jene Veränderung des
Sitzmotivs zur Folge. Vielleicht gingen auch beide auf eine gemein-
same Quelle zurück. Die Bildwerke des statuarischen Typus aber
mit Heydemann und Ihm auf die von Ovid erwähnte Gruppe
zurückzuführen ist bei der Unbestimmtheit des Ausdruckes, womit
dieses Monument bezeichnet wird (Aenean oneratum pondere caro)
und der Mannigfaltigkeit der Fassungen, in denen uns die Scenc
der Aeneasflucht entgegentritt, nicht statthaft.
60 A. Brüll in g: Die Kölner Aeneasgruppen.
Da 8änimtliche aufgezählten Nachbildungen, auch die Mttnzen ^)^
erst aus der Kaiserzeit stammen, so wird diese Composition, in der
Julus der Gruppe eingegliedert erscheint, eine Erfindung aus der
Zeit der julischen Monarchie sein. Die beiden Kölner Repliken
aber wird man wegen der relativen Vortrefflichkeit ihrer Ausführung
kaum später als in den Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr.
setzen dürfen*).
1) Die bei Mionnet, Descript. des med. ant. II S. 658 No. 195, 196.
Suppl. 5. S. 557. No. 396—398 angeführten Autonommünzen von Ilion
sind nach gütiger Mittheilung von Herrn Dr. H. Dresse! ebenfalls in
die Kaiserzeit zu setzen.
2) Wie beliebt und bekannt auch später noch die Composition war^
zeigt ein Marmorrelief des dritten Jahrhunderts nach Chr. im Museo Na-
zionale in Neapel (Arch. Zeit. 1872 Taf. 54, 2. Vergl. S. 118), welches die
Landung des Aeneas auf Sizilien darstellt. Aeneas ist im Begriffe, das
Schiff zu verlassen. Askanius, vom Vater am linken Arme festgehalten,
eilt schon die Landungsbrücke herunter, die sein Vater gerade betreten
will. Der Alte, den Aeneas mit der Hand im Rücken unterstützt, legt
seine Rechte auf die Schulter des Sohnes. Alle drei zeigen eine auf-
fallende Aehnlichkeit mit den Gestalten unserer Gnippe. Der Oberkörper
des Aeneas entspricht in seinem Costüm — selbst das cinctorium fehlt
nicht — fast genau dem Bonner Torso. Auch Sohn und Vater, der sogar
noch seine sitzende Haltung bewahrt hat, erscheinen in derselben Tracht,
wie auf den angeführten Bildwerken. Es kann kein Zweifel sein, dass
der Reliefbildner seine Figuren unmittelbar einer Darstellung unserer
Composition entlehnt und die Gruppe für seine Zwecke in dieser Weise
aufgelöst hat.
4. Aus dem Bonner Provinzialmuseum.
Von
H. Dressel.
Hierzu Taf. IL
I. Beschlag einer römischen Schwertscheide.
Im Jahre 1886 kam ein an der HeisterbacherhoiBtrasse zu
Bonn gefundener Broncebeschlag in's Museum (Nr. 4320) , welcher
wohl verdient y der ihm bisher zu Theil gewordenen Vergessenheit
durch die Publication entzogen zu werden ^). Dieses Beschlagstück;
dem ich bei der Neuordnung des Museums einen Ehrenplatz ange-
wiesen habe, rührt, wie aus seiner Form und Ausschmückung un-
zweifelhaft hervorgeht, von der Schwertscheide eines römischen Of-
ficiers her und besteht aus einem seiner Bestimmung entsprechend
gebogenen Streifen Bronceblech (jetzt in zwei Stücke zerbrochen) '),
der auf der oberen Seite drei in Hochrelief getriebene Brustbilder
zeigt (Taf. II n. 1), während die schmucklose untere Seite nur mit
einem Namen versehen ist. Ob es zur Verzierung des Mundstückes
der Schwertscheide gedient hat oder, wie beim Schwert des Ti-
berius, unmittelbar unter dem Mundstück seinen Platz hatte, oder
ob es den zwischen den beiden Querbändern liegenden Raum der
Scheide ausfüllte'), dürfte wohl schwer zu entscheiden sein.
Die Darstellung der Schauseite ist durchaus symmetrisch an-
geordnet. In der Mitte das Brustbild einer Frau von vom, zu ihren
1) Nur mit sechs Worten wird er in diesen Jahrbüchern LXXXIV
(1887) S. 236 erwähnt.
2) Höhe 0,061, Breite 0,087.
3) Vgl. z. B. Lindenschmit Tracht und Bewaffnung des röm.
Heeres Taf. V, 2.
62 H. Dressel:
Seiten je eine jugendliehe männliche Büste, ebenfalls von vorn, aber
mit einer leichten Wendnng nach der Mittelfigur.
Die Frau hat gewelltes Haar mit einer über dem Scheitel
liegenden Flechte; über den Schultern sind ausserdem zwei hinten
frei herabfallende Haarlocken angedeutet. Sie ist bekleidet und hat
an ihrer linken Schulter einen Gewandtiberwurf.
Die beiden männlichen Brustbilder, beide nur wenig kleiner
als das der Frau, sind fast vollkommen gleich bebandelt; doch hat
der Künstler das Brustbild rechts durch die etwas grössere Kopf-
bildung als älter charakterisirt und durch eine ornamentale Zu-
that, welche bei dem andern fehlt, vielleicht auch besonders aus-
zeichnen wollen. Das Haar beider Jünglinge ist schlicht und ziem-
lich kurz; beide tragen den Panzer, der mit einer grossen Gorgonen-
maske geschmückt ist-, auf den linken Schultern liegt ein Gewand-
überwurf, während von den rechten Schultern schräg über den
Panzer das Bandelier geht. Bei dem Brustbilde links erscheint an
seiner rechten Schulter und Seite das sogenannte Schutzband; bei
dem anderen ist es nicht sichtbar, weil die Stelle dnrch den Ge-
wandüberwurf der Frau verdeckt ist. Den Abschluss beider Brust-
bilder bildet ein Gurt, welcher bei der Büste rechts breiter als bei
d«r anderen und durch eine ornamentale Wellenlinie verziert ist.
Unter den drei Bildnissen befindet sich, einen flachen Bogen
bildend, ein Ornament mit Wellenlinie, welches, da es keinen rechten
Abschinas hat, wohl auf dem nicht mehr erhaltenen anschliessenden
Theile des Beschlages seine Fortsetzung hatte.
Der Grund, aus dem sich die Relief bilder abheben, ist punk-
tirt und die ganze Vorderseite leicht versilbert.
Auf der anderen Seite des Beschlagstückes, welche keinerlei
Schmuck zeigt, befindet sich am unteren Rande die punktirte In-
schrift
VALIIRI
offenbar der Name des Officiers, dem einst das Schwert gehört hat.
Das Stück ist, abgesehen von einigen Quetschungen, welche
die Nasen und, bei dem ereten Brustbilde, die rechte Wange er-
litten haben, gut erhalten. Die Ausführung ist keineswegs fein,
kann aber auch nicht als roh bezeichnet werden. Auch die Grup-
pirung ist nicht tadellos; denn die enge Aneinanderschicbung der
Büsten, durch welche die Köpfe mehr als die Oberkörper zur
Geltung kommen und unverhältnissmässig gross ei-scheinen, ist ein
Aus dem Bonner Provinzialmliseum. 63
Fehler; der die Gesammtwirknng des Bildes sehr beeinträchtigt
und nur durch den ziemlich lebendigen Ausdruck der männlichen
Köpfe und ihre leichte Wendung nach der Mittelfigur einigermassen
gemildert wird.
Wen stellen nun diese drei Bildnisse vor? Es ist zunächst
klar, dass es eine Mutter mit ihren beiden Söhnen ist, sie eine Frau
in den dreissiger Jahren, die Söhne augenscheinlich eben dem Kna-
benalter entwachsen, also etwa im 14*'" bis 17'*" Jahre stehend,
Dass so jugendliche Söhne bereits den Soldatenrock tragen führt
uns ferner darauf, dass hier nicht etwa Familienangehörige des Of-
ficiers Valerius dargestellt sind, sondern Personen aus dem kaiser-
lichen Hause, bei denen derartige Anticipirungen nicht aufiällig und
auch nachweisbar sind^). Fügen wir noch hinzu, dass die Haar-
tracht, besonder der Frau, diese Personen nur in der allerersten
Kaiserzeit zu suchen gestattet und nicht allein die beiden Agrip-
piuen mit ihren Söhnen, sondern auch Antonia, des älteren Drusus
Gemahlin, mit ihren Söhnen Germanicus und Claudius ausschliesst ^),
so würden nur noch die beiden folgenden Gruppirungen hierbei in
Betracht kommen:
A. Livia, die Gemahlin des Augustus, mit ihren Söhnen aus
erster Ehe Tiberius (geb. 42 v. Chr.) und Drusus sen. (geb.
38 V. Chr.),
B. lulia, die Tochter des Augustus und Gemahlin des Agrippa,
mit ihren Söhnen Gaius (geb. 20 v. Chr.) und Lucius (geb.
17 V. Chr.).
Die Frage, welche von beiden Gi-uppen dargestellt sein könnte,
lässt sich durch Vergleiche auf die Porträtähnlichkeit hin leider
nicht beantworten. Denn einerseits ist unser Beschlagstück kein
Kunstwerk, das auf die Wiedergabe des Individuellen grosse Sorg-
falt verwendet und leidet überdies an jener Unbestimmtheit in Form
und Umriss, die fast allen getriebenen Arbeiten eigen zu sein pflegt;
andererseits ist das uns zur Verfügung stehende Vergleichsmaterial
nicht derart, dass es in unserem Falle mit Erfolg verwendet werden
könnte. Sicher beglaubigte Bildnisse der Livia und der lulia liegen
uns zwar in einer Reihe von Münzen vor; allein diese Münzbilder
1) So erhielt z. B. Tiberius die toga virilis bereits im Alter von
14^2 Jahren, Nero noch nicht 14 Jahre alt
2) Diese müssten auch schon wegen des Altersunterschiedes der
beiden Söhne (5 Jahre) ausgeschlossen werden.
64 fit. Dressel:
zeigen uns alle den Kopf im Profil und sind daher für den Ver-
gleich mit dem von vorn dargestellten Frauenkopfe unseres Be-
schlagstttcks ungeeignet. Dazu kommt der kleine Massstab, in wel-
chem diese Bilder ausgeführt sind. Aber auch der Vergleich mit
dem einzigen sicher beglaubigten Rundbilde der Li via, der in pro-
vinzialer Mittelmässigkeit ausgeführten Broncebttste von Neuilly-le-
R6aP), und mit dem aller Wahrscheinlichkeit nach die Livia dar-
stellenden Cameo von Petescia (im Berliner Museum) führt zu keinem
Ergebniss, das für die Aehnlichkeit der Gesichtszüge irgendwie aus-
schlaggebend wäre.
In noch höherem Masse, als für das Bildniss der Frau, gelten
die erwähnten Schwierigkeiten für die beiden Prinzen, welche in
einem Alter dargestellt sind, das die unterscheidenden Merkmale
noch nicht zur rechten Entwicklung gebracht hat; hier, so gut wie
auf den Münzen, sind es eben Knabengesichter, die zwar im Allge-
meinen dem Charakter der lulischen Zeit nicht widersprechen, aber
noch nichts entschieden Individuelles zeigen.
Es bleibt also nur übrig, in der eigenthümlichen Haartracht
der Frau einen Anhalt für die eine oder die andere Gruppe zu
suchen. Das Hauptmerkmal ihrer Haartracht, der über dem Scheitel
liegende Haarwulst oder Zopf, begegnet uns in den letzten Jahren
der römischen Republik und zu Anfang der Kaiserzeit bei den Köpfen
der Fulvia (der zweiten Frau des Antonius), der Octavia (der
Schwester des Augustus und dritten Frau des Antonius) und der
Livia*). Es sind hier wiederam die Münzen, welche uns das sichere
Material dafür liefeni und auf ihren Profilköpfen jene Eigenthüm-
lichkeit der Frisur deutlich erkennen lassen. Dass Livia im Laufe
ihres langen Lebens ihre Haartracht gewechselt hat •), ist für unsere
üntereuchung ohne Belang, denn wir haben es hier mit einer noch
jugendlichen Frau zu thun und aus den Münzen geht hervor, dass
Livia noch in den letzten Jahren des Augustus und sogar bis über
1) Abgebildet bei Fröhner mus^es de France Taf. II und bei
Ray et monuments de Tart antique II livr. VI pl. II.
2) Vgl. die ausführUche Behandlung dieses Gegenstandes durch
Heibig in den Mittheilungen des archäol. Instituts (röm. Abtheilung) II
(1887) S. 7 ff. und in den Monumeuti antichi pubblicati per cura della K.
Accademia dei Lincei I (1891) S. 573 ff., auch was Bernoulli röm. Ikono-
graphie II S. 110 f. darüber sagt.
3) Vgl. Heibig a. a. 0. S. 7. 8.
Aus dem Bonner Provinzialmusetim. 6ß
den Tod ihres Mannes hinaus die Scheitelflechte getragen hat; als
Beleg dafür die beiden auf Taf. II n. 2 und 4 abgebildeten Münzen,
von denen die erste in Alexandrien geprägte auf der Kehrseite das
39'*'' Regierungsjahr des AugustHs trägt, die zweite in Emerita unter
Tiberius geprägt ist und daher Livia als lulia Augusta bezeichnet ^).
Da ausser der Scheitelflechte auch das gewellte Haar bei Livia
gesichert ist (vgl. z. B. Taf. II n. 4) und selbst die beiden Schulter-
locken auf einigen Münzen (vgl. z. B. n. 3) und auf der oben er-
wähnten Broncebüste von Neuilly-le-Real sich bei ihr vorfinden, so
könnte die auf unserem Beschlagstücke dargestellte Frau der Haar-
tracht nach recht wohl Livia sein.
Aber sie könnte ebenso gut auch lulia, die Tochter des Au-
gustus, sein. Denn dass lulia ihr Haar im Wesentlichen nicht an-
ders getragen, als Livia und andere hohe Damen des Augusteischen
Zeitalters, konnte schon von vom herein als sicher angenommen
werden und wird bestätigt durch eine kleine pergamenische Kupfer-
münze mit den Köpfen der Livia und der lulia (Taf. II n. 3), die
mit feiner Anspielung auf ihre Charaktereigenschaften als Livia-Hera
und als lulia-Aphrodite bezeichnet werden. Die Frisuren beider
Frauen stimmen da in der Anordnung des Haares über der Stirn
und um das Gesicht ganz genau überein und die über dem Scheitel
liegende Flechte ist, wenn sie auch auf unserer Abbildung nicht
klar erscheint, auf der Münze vollkommen sicher; nur am Hinter-
kopfe ist ein Unterschied bemerkbar, denn lulia trägt einen kurzen
Zopf, Livia einen Knauf, auch fehlen bei lulia die Schulterloeken,
die bei Livia besonders deutlich sind.
Da die charakteristische Scheitelflcchte sich also für beide
Frauen nachweisen lässt, haben wir auch nach dieser Seite hin
zwischen Livia und lulia vollkommen freie Wahl. Ich glaube wenig-
stens nicht, dass die Schulterlocken unseres Bildnisses das Zünglein
der im Gleichgewicht schwebenden Waage noch im letzten Augen-
blicke zu Gunsten der Livia bewegen dürfen; kommt doch Livia
auf einigen Münzen auch ohne dieselben vor (z. B. auf den abge-
bildeten von Alexandria und Emerita) und ist doch nicht ausge-
schlossen, dass auch lulia einmal mit Schulterlocken vorkommen
kann.
1) Bekanntlich wurde Livia durch das Testament des Augustus in
das lulische Geschlecht aufgenommen und erhielt den Beinamen Augusta ;
vgl. Eck hei doctr. num. VI S. 147.
Jahrb. d. Ver, v. Alterthsfr. Im Rhelnl XCV. 5
66 ti. t)res8el:
Dagegen könute Jemand versucht seiu^ für die Deutung auf
lulia den Umstand in's Gewicht fallen zu lassen ^ dass auf einer
Münze des Augustus, ähnlich wie auf unserem Relief, lulia zwischen
Gaius und Lucius dargestellt ist *), während wir für Livia und ihre
Söhne eine derartige Gruppirung auf Münzen nicht haben; ferner
auch anführen^ dass der dreijährige Altersunterechied zwischen Gaius
und Lucius besser als der vierjährige zwischen Tiberius und Drusus
auf unsere Darstellung zu passen scheint, und schliesslich noch den
reicheren Gürtelschmuck des einen Prinzen als eine Andeutung auf
die notorische Bevoraugung des Gaius vor seinem jüngeren Bruder
ansehen. Ich habe geglaubt^ diese Einzelheiten nicht verschweigen
zu sollen, bin aber weit davon entfernt, dort wo Schein und Zufall
ihr Spiel treiben können, derartige Anhaltspunkte zu beweiskräftigen
Factoren anwachsen zu lassen, nur weil man eine Entscheidung
wünscht.
So wollen wir uns denn lieber bescheiden zu sagen, die drei
Bnistbilder des Bonner Beschlagstückes stellen entweder Livia
mit Tiberius und Drusus vor, oder lulia mit den gemini Caesarea
Gaius und Lucius.
IL Eine Amphora aus Spanien mit
lateinischen Inschriften.
Eines der unscheinbarsten Stücke des Museums ist die auf
dem Kessenicher Felde bei Bonn gefundene grosse kugelförmige
Amphore Nr. 8352, ein roh ausgeführtes Gefiiss, vielfach geborsten,
ohne Hals und ohne Henkel und dessen schlecht eingedrückte, halb
verwischte Fabrikmarke nahezu unleserlich ist. Auf diesem so wenig
erfreulichen Stücke befinden sich aber einige mit schwarzer Farbe
aufgezeichnete, trotz ihrer verhältnissmässig guten Erhaltung bisher
unbemerkt gebliebene Inschriften, die, wie aus dem Folgenden sich
ergeben wird, das GefUss* zu einem der merkwürdigsten Monumente
der Sammlung machen. Bevor ich auf ihren Inhalt eingehe, muss
ich, des besseren Verständnisses wegen, einige allgemeine Bemer-
kungen über diese Gattung von Amphoren imd ihre Aufschriften
vorausschicken.
Die Bonner Amphore gehört in die Klasse derjenigen Trans-
portgefiisse, welche in ungeheueren Massen aufgeschichtet den be-
1) Cohen I S. 186 ii. 1. 2 der zweiten Ausgabe.
Aus dem ßonner Provinzialmüsfetirri. 67
kannten Scherbenberg in Rom, den monte Testaccio, bilden, üeber
die Entstehung und die Bestandtheile dieses merkwürdigsten aller
Hügel habe ich in den Annalen des römischen Instituts (1878 S. 118 ff.)
ausführlich gehandelt; spätere Nachgrabungen haben dann die Richtig-
keit der von mir damals gewonnenen Ergebnisse in jeder Weise
bestätigt (vgl. Bullettino archeologico comunale 1892 S. 48 ff.) Dass
der Testaccio eine mit dem benachbarten Emporium und seinen aus-
gedehnten Speichen! in engstem Zusammenhang stehende Scherben-
ablagerung ist und dass diese Ablagerung keine tumultuarische,
durch irgend eine plötzliche Katastrophe bedingte war, sondern im
Laufe der Jahrhunderte allmälig und in durchaus geordneter Weise
entstanden ist, sei hier nur im Vorübergehen bemerkt. Von weit
grösserer Bedeutung ist fllr uns die Thatsache, dass der Testaccio
aus Bnichstücken von Amphoren besteht, die fast alle aus Spanien,
vornehmlich aus den Provinzen Baetica und Tarraconensis, zur Ver-
proviantirung der Hauptstadt während der römischen Kaiserzeit ver-
schickt worden sind. Andeutungen dafür hatten einige auf den
Amphoren aufgedrückte Fabrikstempel bereits früher geliefert, den
vollen Beweis erbrachten erst die auf diesen Gefllssen von mir ent-
deckten Aufschriften, welche in sehr vielen Fällen datirt sind und
bisher den Zeitraum vom Jahre 140 oder 144 bis 251 nach Chr.
umfassen. Diese fast durchgängig mit schwaraer Farbe aufgemalten
Inschriften, von denen mehr als tausend zu entziffern mir gelungen
ist^), haben uns ein Material geliefert, das, abgesehen von seiner
paläographischen Wichtigkeit, nicht allein für die römische Ver-
waltungsgeschichte werthvoll ist, sondern auch unsere Kenntnisse der
antiken Handelsverhältnisse wesentlich bereichert.
Während die sonst auf römischem Boden gefundenen Amphoren-
inschriften ausserordentlich mannigfaltig sind und, je nach der Form
des Gefilsses, bald die Weinsorte nennen (nicht selten mit einer auf
das Alter des Weins und das Datum der diffusio bezüglichen Notiz),
bald als ihren Inhalt das garum, das liquamen, die muria oder
auch Oel, Oliven und mancherlei andere Fruchtarten bezeichnen,
sind die Inschriften der auf dem Testaccio gesammelten Amphoren
spanischer Herkunft von einer geradezu stereotypen Gleichförmigkeit
1) Einige Beispiele davon finden sich in der oben erwähnten Unter-
suchung in den Annali dell' Inst. 1878; eine vollständige Zusammenstel-
lung im Corpus inscr. Lat. XV n. 3691 flf*.
6s fi. Üressel:
und auch nicht eine klärt uns darüber auf, was in diesen Gefassen
einst versandt worden ist. Dementsprechend ist auch die Fomi
dieser Amphoren immer dieselbe, fast kugelrund, mit kurzem Halse
und bogenförmig gekrümmten Henkeln, derb und fest gebaut, genau
so wie die Bonner Amphore ist, oder, richtiger gesagt, war*).
Auch in Bezug auf ihre räumliche Yertheilung und auf ihren
Inhalt herrscht bei den Amphoreninschriften des Testaccio strenge
Gleichmässigkeit. Unmittelbar unter dem Halsansatz ist eine Zahl
verzeichnet, einige Zoll darunter steht ein mit grossen Kapitalbuch-
staben voll ausgeschriebener Name im Genetiv, in welchem wir die
Firma des Fabrikanten oder Producenten des Gefilssinhaltes zu er-
kennen haben, und wiederum einige Zoll tiefer abermals eine Zahl.
Diese beiden Zahlen — über die Bedeutung der ersten wissen wir
nichts, die zweite bezeichnet das Gewicht des Amphoreninhalts in
römischen Pfunden ^) — sind ausnahmslos mit Ziffern von einer bisher
auf keinem andern Denkmal des Alterthums nachgewiesenen Form
geschrieben*) und tragen, gleichwie der Fabrikantenname, die deut-
lichsten Merkmale des Pinsels an sich, mit dem sie auf die Am-
phore gemalt worden sind; es war fast durchweg eine äusserst
schreibgeübte Hand, welche die feinsten und breitesten Linienzüge
flott dahin malte imd nicht selten an allerlei kalligraphischen Kün-
steleien und den kühnsten Schlussstricheu ihr Gefallen äusserte.
Mit dem dritten Jahrhundeii; tritt in der eben besprochenen
Inschrift in sofern eine Aenderung ein, als die Fabrikantenfirma
fast gänzlich verschwindet und dafür die Bezeichnung Fisci rationis
patrimoni provinciae Baeticae oder auch Find rationis patrimoni
provinciae Tarraconeiins gesetzt wird, während die beiden Zahlen
bleiben und dieselbe Stelle wie zuvor einnehmen. Die neue Be-
zeichnung sagt aus, dass die Amphoren dem fiscus (d. h. der Kasse)
des in der Provinz Baetica, beziehungsweise Tarraconensis, befind-
lichen kaiserlichen Patrimoniums {ratio patrimonii) gehören, und
lehrt uns, dass die früher von Privatpersonen betriebene Produc-
1) Vgl. die Abbildung nach einem römischen Exemplar in den An-
nali d. Inst. 1878 Taf. L n. 1.
2) Vgl. meine darüber angestellten metrologischen Untersuchungen
im BuUettino archeologico comunale 1879 S. 149 if.
3) Eine Zusammenstellung dieser Ziffern in den Annali d. Inst. 1878
Taf. M.
AüB dem Bonner Provinzialmuseum. 69
tion nunmehr der Verwaltung des kaiserlichen Patrimoniums unter-
stellt ist.
Neben der dreifach gegliederten ; mitten auf dem Bauche des
Getilsses angebrachten Aufschrift; die gleichsam die Etikette bildet,
mit welcher der Fabrikant oder Producent (und später das kaiser-
liche Patrimonium) seine Transportgefässe versieht, sind die Am-
phoren des Testaccio noch mit einer zweiten, gewöhnlich aus mehreren
Zeilen bestehenden Inschrift versehen, die stets dieselbe Stelle längs
des rechten Henkels einnimmt und, im Gegensatz zu der ersten, mit
kleiner Cursivschrift geschrieben ist.
Diese zweite Inschrift — ich werde sie im Folgenden die
Cursivinschrift nennen — besteht aus einer Anzahl von Notizen,
die, in ihrer Gesamratheit betrachtet, es unzweifelhaft machen, dass
sie in einem Verwaltungsbnreau niedergeschrieben wurden. Hier
einige Beispiele aus dem grossen Vorrathe des Testaccio, die zugleich
zur Erläuterung der folgenden Analyse dienen mögen:
I (= CLL. XV 4174)
R XXXV CCIIS
Attianum Pontiani, Phil(ero8)
acc(epit) Pitts, Orfito et Prisco cos.
II (= CLL. XV 3919)
» CCVI8
Orfito et Prisco cos.
Lautrese GalU, XV
Mode8t(us)y Veget(us).
III (= CLL. XV 3976)
R at Portu(m) CCXIIS
Silvini AA Septuminus
Orfito et Prisco cos.
IV (= CLL. XV 4111)
R Astigis arca ....
actus Agathephori et Memmia(ni), p(onderavit) Atimetio
Domino n(ostro) et Sacerdo(te) cos.
Da begegnen wir zunächst einem Zeichen, das ans einem hori-
zontal durchstrichenen R besteht (in Beispiel I, II, III, IV); ich
verrauthe darin das Wort r(ecognitum) oder r(ecognifa), d. h. die
70 H. Dressel:
Bezeichnnng, dass die Amphore nach ihrer Einlieferung in der vor-
geschriebenen Weise controlirt worden ist (vgl. C. I. L. XV S. 562).
— Sodann finden sich Städtenamen {PoHus in Beispiel III, Astigis
in IV), nur selten ausgeschrieben und dann im Nominativ oder im
Accusativ stehend; wir dürfen also wohl annehmen, dass hier immer
die Angabe vorliegt, wohin die Amphore zunächst zu senden ist.
Am häufigsten kommen Astigis, Hispalis und Corduba vor, mehr-
mals wird Portus genannt, in dem ich den Partus Gaditanus ver-
muthe (auch der Portus Ilipensis könnte gemeint sein, vgl. C. I.
L. II 1085), ein Mal erscheint Mcdaca, mithin lauter Städte der
Provinz Baetica, die theils am Meer, theils an der grossen Wasser-
strasse des Baetis gelegen, im Alterthum ohne Zweifel Stationen
oder Ausgangspunkte für den direkten Handelsverkehr mit Italien
waren ; von den Städten, deren Lesung weniger sicher ist, erwähne
ich Castuloy auch diese im Gebiet des Baetis gelegen, aber zur
Tan'aconensis gehörig. — Einen weiteren Bestandtheil der Cursivin-
schrift bilden Zahlen, die in vier verschiedene Gruppen zerfallen. Unter
ihnen erscheinen die beiden in der ersten Inschrift befindlichen Zahlen
wieder, und zwar ist derjenigen Zahl, welche der unter dem
Fabrikantennamen befindlichen entspricht, in der Cursivinschrift der
Buchstabe P, d. h. p(ondo)y vorgesetzt und damit ihre Bedeutung
als Gewichtsangabe vollkommen gesichert. Die Wiederholung dieser
Zahl in der Cursivinschrift aber erklärt sich so, dass das vom
Fabrikanten angegebene Gewicht nach der Einlieferung des Ge-
fösses an officieller Stelle nachgeprüft wurde. Was die übrigen
Zahlen bedeuten, lässt sich leider nicht mehr feststellen. Sicher
scheint nur, dass sie nicht alle Ordnungszahlen sind, weil sie nicht
selten Bruchzahlen enthalten; auch an Massangaben oder Preisbe-
zeichnungen kann nicht gedacht werden, wie ich das im C. I. L. XV
S. 562 näher begründet habe. — Unverständlich ist uns auch eine
andere in der Cursivinschrift vorkommende Zahlenangabe; sie besteht
gewöhnlich aus dem Zeichen AA (es findet sich auch AAA oder
AAAA), das bald allein steht (so in Beispiel III), bald von einer
niedrigen Zahl begleitet wird, die nicht selten Bruchzahlen enthält.
Allerlei Namen, welche die feraeren Bestandtheile der Cursiv-
inschrift bilden, sind an und für sich nicht unverständlich, ihre
Deutung jedoch ist zum Theil schwierig und unsicher. Zunächst
finden sich auf -ninn und auf -ense oder ese endigende Bezeich-
Aus dem Bonner Provinzialmuseum. 71
nungen (in Beispiel I, II), die bald von einem lateinischen Nomen oder
Cognomen abgeleitet sind (z. B. Aelianuniy Corndianumj Fulmanumy
Maxsimianum^ Säbinianum, Severianum) , bald von spanischen
Städtenamen herrühren wie Sacranese (von Sacrana im conventtus
Hispälensis) , Singiliese (von Singili im conventus Cordubensü),
Portense (vom Partus Gaditanus oder Ilicitanus), bald, wie es
scheint, auf Namen von Gehöften und Gründen und anderen Lo-
calitäten zurückzuführen sind (z. B. Castilleme, Frigidesey Tur-
reme), von denen einige wohl sicher keltiberischer Abstammung sind,
wie BcLganiese, Barcufiefise, Detaumdese. Ich habe die Vermuthung
ausgesprochen (C. I. L. XV S. 562 f.), dass hier Bezeichnungen
vorliegen, welche auf den Inhalt der Gefösse zu beziehen sind.
Wie wir gesehen haben, kamen die gefüllten Amphoren aus den
Ofßcinen der Lieferanten ohne jede Angabe dessen, was sie ent-
hielten; dass es Oel oder Wein oder das im Alterthum so vielfach
verwendete garum war, mochte ja durch irgend ein einfaches Zeichen
angegeben sein, das heute verschwunden ist oder uns entgeht. In
der fiscalischen Station jedoch, wo die Amphoren vor der Ver-
sendung nach ihrem Bestimmungsort revidirt und controlirt wurden,
wird man es für nöthig befunden haben, eine genauere Angabe über
die Herkunft der Gefässe zu geben, die wohl hauptsächlich für den
Beamten bestimmt war, der am Ankunftsort über die Sendung Buch
zu führen hatte. So mag z. B. Fulvianum das Oel bezeichnen, das aus
einem fundus Fulvianus eingeliefert, Portense das garum, welches
im Hafen von Gades hergestellt worden war. — Auf diese ädjec-
tivischen Bezeichnungen folgt nicht selten ein Personenname im
Genetiv (so in Beispiel I, II), der auch dann regelmässig, und zwar
zu Anfang einer Zeile, aufzutreten pflegt, wenn die adjectivische
Bezeichnung ausgelassen wird (wie in Beispiel III). Die Genannten
sind bald Liberten, bald Sklaven, zuweilen auch Frauen, und werden
höchst wahrscheinlich Actoren und Procuratoren der kaiserlichen
Krongüter sein^), welchen die Einsammlung der Amphoren und
ihre Ablieferung an die fiscalische Station oblag. Ihre Nennung in
der Cursivinschrift kann natürlich nur einen administrativen Grund
gehabt und wird ebenfalls lediglich zur Controle gedient haben. —
1) Dass auch Frauen hierbei Verwendung fanden, lehrt die aller-
dings späte Inschrift C. T. L. XI 1730, welche eine I*rastima Maximina
actrix c{onsularis?) domiis nennt,
72 H. Dressel:
Anderer Art sind die noch übrigen zwei Namen, welche in der
Cursivinschrift verzeichnet zu sein pflegen (in Beispiel I und II; in III
ist nur ein Name genannt); sie stehen im Nominativ und sind immer
Sklavennamen. Zur Erklärung dieser beiden Namen habe ich ein
bald acc oder act, bald accp abgekürztes Wort, das sich einige
Mal diesen Namen vorangestellt findet (so in Beispiel I), sowie ein
vereinzeltes P herangezogen, welches nur auf Amphoren der späteren
Zeit (3. Jahrhundert), ebenfalls vor dem Namen, steht (Beispiel IV).
In dem vereinzelten P vermuthe ich das Wort ponderavitj in dem
anderen, in verschiedener Abkürzung vorkommenden Worte das Ver-
bum accepit, mithin die Nennung zweier Beamten der fiscalischen
Station, des ponderator und des acceptor, die durch ihren Namen
den erfolgten Empfang und die erfolgte Wägung des Gefässes be-
stätigten. — lieber einige andere in der Cursivinschrift zuweilen
vorkommende Angaben, wie die Erwähnung einer Kasse (arca, vgl.
Beispiel IV) und die Nennung der Töpferei, aus welcher die Am-
phore stammt, kann ich kurz hinweggehen, da die letztere gewiss
nur eine wiederum mit der administrativen Controle in Zusammen-
hang stehende Massnahme ist, und arca ohne jeden weiteren Zusatz
(auf Inschriften des 3. Jahrhunderts) fttr uns unverständlich bleibt.
Das Wort actus dagegen, das erst auf Amphoren des 3. Jahrhunderts
erscheint und dann fast regelmässig vorkommt, verdient hier beson-
ders hervorgehoben zu werden. Da es immer mit einem im Genetiv
stehenden Namen verbunden auftritt (mitunter auch mit zwei Namen,
vgl. Beispiel IV), ist seine Bedeutung klar; mit actus illius wird
eben angegeben, welcher Beamte in der fiscalischen Station die vor-
geschriebene Behandlung des zu versendenden Gutes, also die Em-
pfangnahme und die Eintragung in das Register, besorgt hat, und
wir dürfen demnach annehmen, dass man im 3. Jahrhundert mit
actus illius im Wesentlichen dasselbe bezeichnete, was man in älterer
Zeit durch accepit ille auszudrücken pflegte. — Keiner besonderen
Erklärung bedarf endlich der für uns wichtigste Bestandtheil der
Cursivinschrift, die Datirung (in Beispiel I, II, III, IV). Die Zeit-
angabe ist eine allgemeine nach Jahren, die Namen der Consuln
sind fast regelmässig ausgeschrieben und lassen sich bisher nicht
vor dem Jahre 140 oder 144 n. Clir. nachweisen; die jüngste datirte
Amphore vom Testaccio ist aus dem Jahre 251 n. Chr.
Soviel über die Bestandtheile der Cursivinschrift, die in gar
mannigfacher Gruppirung weder in einer bestimmten Reihenfolge,
Aus dem Bonner Provinzialmuseum.
73
noch anch in (1ei*selben Vollständigkeit aaf den einzelnen Amphoren
vorzukommen pflegen.
Wer meiner bisherigen Auseinandersetzung über die Amphoren-
aufschriften des Testaccio gefolgt ist, wird die Inschriften des Bonner
Gefässes, zu denen ich nun übergehe, auch ohne Gommentar ver-
stehen.
Hier zunächst der Text der Inschriften mit den nöthigen Er-
gänzungen.
Mitten auf dem Banche des Gefässes :
(a) [ . . S]
(ß) C CONSI CARICI ET FILIORVM
(T) [CCXVS]
Längs des rechten Henkels die Cursivinschrift:
[R] LXX HISPALIM P CCXVS
[. .JILIANVM VERICVS TRYPHON
[AJCCPET EROS
Der oberste Theil der Hauptaufschrift, die sonst unmittelbar
unter dem Halsansatz befindliche Zahl (a), ist auf dem Bonner
iiillii
Geföss mit dem fehlenden Halse verloren gegangen; nur von der
letzten ZiflFer (S = Vg) hat sich das Ende der weit abwärts reichenden
74 H. Dressel:
Schlusslinie erhalten (es erscheint als schräger Strich in dem letzten
Worte der S. 73 im Facsimile wiedergegebenen Fabrikantenfirma). Da
indessen zwischen dieser und der unterhalb der Firma verzeichneten
Zahl (t) ein gewisses Verhältuiss zu bestehen pflegt, dürfen wir auf
Grund der Amphoren vom Testaccio annehmen, dass die verlorene
Zahl eine zwischen 78V2 und IO8V2 liegende war. Vielleicht war
die Zahl, wie wir in der Folge noch sehen werden, 105 Vg. Die
Bedeutung derselben ist uns, wie bereits gesagt, unbekannt.
Unterhalb der Bruchstelle befindet sich die S. 73 im Fascimilc
auf */3 verkleinert wiedergegebene Inschrift (ß) C. Consi Carici et
filiorum. Das ist die Firma des Fabrikanten oder Producenten der
einst in dem Gefäss enthaltenen Materie, und in sofern von besonderem
Interesse, als sie nicht, wie gewöhnlich, aus einem einzigen Namen
besteht, sondern uns als Inhaber mehrere Personen bezeichnet. Fttr
die Kenntniss des antiken Handelswesens sind diese Compagniefirmen
besonders lehrreich, da sie je nach ihrer Fassung einen Rückschluss
auf die gegenseitige Stellung der Inhaber zulassen. Wurde das Ge-
schäft von mehreren Mitgliedern derselben Familie betrieben (z. B.
von zwei oder mehreren Brüdern oder von Vater und Sohn) oder
auch von mehreren Personen aus verschiedenen Familien, und waren
alle in gleicher Weise an dem Gewinn des Geschäfts betheiligt,
80 wird das in der Firma dadurch zum Ausdruck gebracht, dass
jeder einzelne Theilhaber in vollkommen gleichartiger Weise nam-
haft gemacht wird. So z. B. allgemein Veinnorum^) (wahi-schein-
lich zwei oder mehrere Brüder), oder genauer MM. Claudiorum
Senecionum oder L, Vtbi Polyanthi et i. Fdbi Phoebi oder An-
t(oniae) Agathonices et Semp(roni) Epagathonis oder Z. Ocrati
Saturnini et Cassiorum Apol( ) et Art( ) oder, mit der ausdrück-
lichen Bezeichnung, dass die genannten Personen eine Soeietät
bilden, 8oeior(um) Hyac(inthi) Isidfori) PoUionis oder S(ociorum)
qu^attuor Ponip(eiorumf) Corneliani patris et fiUorum Marci(ani)
Epitync(ani) Cornd(iani) e^ . . . .; in letzterem Falle sind es fünf
Personen, welche das Compagniegeschäft bilden, nämlich Pomp(eius?)
Cornelianus der Vater nebst seinen drei Söhnen Marcianus, Epityn-
chanus, Cornelianus sowie eine fünfte Person, deren Namen zu ent-
ziflFern mir nicht gelungen ist. Ob dieselbe gleichberechtigte Stel-
1) Sämmtliche hier angeführte Beispiele sind den Amphorenauf-
gehriften des Testaccio entnommen.
Aus dein Bonner Provinzialmuseum. 75
luDg der . 6e8chäftsinhaber auch in solchen Fällen angenommen
werden darf, wo neben dem Vater als Theilnehmer einfach 'der
Sohn' oder 'die Söhne' genannt werden, wie in der Bonner Am-
phore C Consi Carici et filiorum und auf Amphoren des Testaccio
Vibianor(um) patHs et iunioris oder Duorum Segolatiorum ^) et
f(äiorum)y ist unsicher. Möglich wäre es, dass in diesen Fällen die
namentliche Aufführung der theilhabenden Söhne nicht nothwendig
war, weil diese dasselbe Nomen und Cognomen des Vatera führten;
es wäre aber auch recht wohl denkbar, dass mit der allgemeinen
Bezeichnung 'und Sohn', 'und Söhne' eine untergeordnete Geschäfts-
stellung angegeben wird, wie das sicher bei solchen Fiimen der
Fall gewesen ist, die, wie Caeciliorum et lib(ertorum), dem Namen
des Inhabers die allgemein gehaltene Bezeichnung 'und seine Li-
berten' beifügen. Denn hier kann es keinem Zweifel unterliegen,
dass die von dem Fabrikherrn als Geschäftstheilhaber angenommenen
Freigelassenen — als Sklaven waren sie offenbar seine Arbeiter
gewesen — eine nur untergeordnete und jedenfalls nicht gleichbe-
rechtigte Stellung gehabt haben luid daher in der Firma in der-
selben Weise anonym erwähnt werden, wie das heutzutage in ähn-
lichen Fällen durch die Formel '& Comp.' zu geschehen pflegt.
Abgesehen von ihrem allgemeinen Interesse gibt uns die Firma
C. Consi Carici et filiorum ein Mittel an die Hand, das Alter des
Gefösses ziemlich genau zu bestimmen. Auf den Amphoren des
Testaccio kommt derselbe Name zwar nicht vor, aber es finden sich
zu wiederholten Malen zwei Mitglieder derselben Familie, ein C.
Consius EucarpuH und ein C Consius Hermeros. Bei der Selten-
heit des Namens Consius liegt die Vermuthung nahe, dass diese
beiden auf spanischen Amphoren des Testaccio als Geschäftsinhaber
auftretenden Consier eben die ungenannten Söhne des C. Consius
Caricus sind, die auf der ebenfalls aus Spanien gekommenen Bonner
Amphore als Theilhaber der Firma erscheinen; sie müssten dann,
etwa nach dem Tode des Vatere, sich in das Geschäft getheilt haben
und dieses darauf ein jeder für sich selbständig weiter betrieben
haben ^). Die Amphoren des C. Consius Eucarpus sind, da sie in
1) Der Name Segolatius ist sicher keltischer Abstummung; vgl. G.
Phillips die Wohnsitze der Kelten auf der pyrenäischen Halbinsel in
den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 71 (1872) S. 708. 738.
2) Für ähnliche Geschäfts- und Betriebsveränderungen liefern auch
die Inschriften des Testaccio Beispiele. So begegnet uns auf Amphoren
76 H. Dressel:
nur lückenhaftem Znstande erhalten sind^ ohne Datnm; unter acht
Amphoren des C. Consius Hermeros sind zwei aus dem Jahre 149
n. Chr., eine aus dem Jahre 154, eine aus dem Jahre 161; mit-
hin würde, falls meine Vermuthung über den Zusammenhang dieser
Consier richtig ist, das Bonner Gefllss nicht lange vor 149 anzu-
setzen sein. Da ich auch ohne die eben angeführten Kriterien die
Amphore aus paläographischen Gründen und wegen gewisser anderer
Analogieen in die Mitte des zweiten Jahrhunderts gesetzt haben
würde, kann die vorgeschlagene Datirnng als vollkommen sicher
angesehen werden.
Von der unterhalb der Firma einst befindlichen Zahl (y), durch
welche das Gewicht des Gefassinhalts in römischen Pfunden ange-
geben wurde, sind nur noch ganz schwache Farbspuren vorhanden,
die sich jeder Deutung entziehen; wenn wir trotzdem mit voller
Sicherheit angeben können, dass diese Zahl 215^2 war, so verdanken
wir das der Wiederholimg derselben in der längs des Henkels be-
findlichen Cursivinschrift, die, wie oben auseinandergesetzt worden
ist, aus einer Reihe administrativer Angaben besteht, welche von
den mit dem Empfange und der weiteren Versendung der Amphoren
betrauten kaiserlichen Beamten herrühren.
Von der Cursivinschrift (das auf S, 77 wiedergegebene Fac-
simile ist auf '/j verkleinert) sind durch den Bruch des 6efS«ses
die Anfangsbuchstaben aller drei Zeilen verloren gegangen, doch
nicht mehr als jedesmal etwa zwei bis drei Buchstaben. Den An-
fang machte das von mir recognitum oder recognita gedeutete,
horizontal durchstiichene R (erhalten ist davon nur noch das Ende
des Horizontalstrichs), durch welches die erfolgte Controlirung im
Allgemeinen bezeichnet wurde. Darauf folgt die Zahl LXX, für
welche ich keine Deutung habe (vgl. S. 70). Dann ist mit Htspalim
die Stadt angegeben, wohin die Amphore von der Lieferungsstation
aus den Jahren 147 und 149 n. Chr. als Inhaber der Firma bald ein D.
Caecilius Hospitalis, bald ein D. Caecilius Maternus\ bald darauf müssen
beide Producenten (sie dürften Brüder gewesen sein) sich geschäftlich
verbunden haben, denn aus dem Jahre 154 besitzen wir Amphoren, die
mit DD. Caecüiorum Hospitalis et Materni gezeichnet sind. Eine Ge-
schäftsveränderung umgekehrter Art zeigt sich bei der Firma L. Mari
Phoebi et Vibiorum Viatfaris) et Rest(ituti)^ von der wir eine Menge Am-
phoren aus den Jahren 153 und 154 besitzen; denn da im J. 161 die Firma
nur noch L, Mari Phoebi lautet, müssen die beiden anderen Compagnons
aus dem Geschäft ausgeschieden oder gestorben sein.
Aus dem Bonner Provinzialmuseum, 77
atts zu senden war, um von dort die grosse Seereise anzutreten; die
Bonner Amphore stammt also sicher aus Baetica. Am Schluss der
ersten Zeile wird amtlich bestätigt, dass der Gefassinhalt 215 V2
römische Pfund wog, p(ondo) CCXV8.
Zu Anfang der zweiten Zeile steht eine jener adjectivischen
Bezeichnungen, über welche ich S. 71 gesprochen habe; wie . . . ilia-
num zu ergänzen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit ermitteln, es
könnte an Atilianum oder an Aemilianum gedacht werden, wofür
Aelianurrij Aemilianum, Sextilianum u. s. w. auf Amphoren des
Testaccio Analogieen bieten. Der folgende im Genetiv stehende
Name VeH dürfte nach meiner obigen Auseinandersetzung (S. 71)
als der Name desjenigen Aetor oder Procurator aufzufassen sein,
welcher mit der Einlieferung der Amphoren beauftragt war. Auf
Veri folgt eine dreiziflferige Zahl, deren Lesung zweifelhaft ist, da
4.
cc?n — - ff<vT
die beiden letzten undeutlichen Ziffern verschieden aufgefasst werden
können; die Zahl scheint CXI oder CXS zu sein (I und S = V«
unterscheiden sich in der Cursivschrift oft kaum von einander), doch
könnte auch an CVI oder CVS gedacht werden. Vielleicht ist CVS
die richtige; sie würde dann die Wiederholung derjenigen Zahl sein,
welche in der Hauptinschrift an erster Stelle (a) verzeichnet war,
jetzt aber bis auf einen Rest des letzten Zahlzeichens (S = V2) ver-
loren gegangen ist, und von der ich oben {S. 74) vermuthet hatte,
dass sie zwischen 78V2 ^^^ IO8V2 liegen müsste. Der am Schluss
der Zeile genannte Tryphon kann Niemand anders sein, als der-
jenige Beamte, der die Amphore gewogen hat und durch seinen
Namen für die Richtigkeit des Gewichts Bürgschaft leistet (vgl.
oben S. 72).
Die letzte Zeile der Inschrift besteht nur aus zwei Wörtern,
von denen das zweite der Name Eros ist, das erste, leider zu An-
78 . H. Dresselt
fang verstümmelte, zimächst einige Schwierigkeiten bereitet, üeber
die Lesung der drei letzten Buchstaben PET kann kein Zweifel
sein ; von den zwei vorhergehenden ist der erste ein sicheres C, der
folgende ein fast ebenso sicheres C, dessen unterer Ausläufer durch
eine kleine Verletzung der Amphore eine Unterbrechung erlitten hat.
Dass hier kein Personenname vorliegt, ist ganz sicher; denn die
Inschrift enthält bereits drei Namen und dass nicht mehr als drei
Personen in der Cursivinschrift vorkommen, wissen wir aus zahl-
reichen Beispielen vom Testaccio. Auch ein Stadtname kann es
nicht sein, weil ein solcher sich bereits in der ersten Zeile findet,
und mehr als eine Stadt wird nie genannt. Es kann also nur ein
Verbum sein; welches Verbum, deutet uns die Stellung vor dem
Namen Eros an. Eros kann nämlich, nachdem der actor (Verus)
und der ponderator (Tryphon) bereits erwähnt sind, nur der Name
des empfangenden Beamten sein; wir erwarten hier also accepitj
das ja, wie wir oben S. 72 gesehen haben, auf Amphoren des
Testaccio in der abgekOr/ten Form acCy acty accp vorkommt.
Hier erscheint es erfreulicherweise vollständig genug, um jeden
Zweifel, den man an der Auflösung jener Abkürzungen noch haben*
konnte, gänzlich zu beseitigen. Ich glaube wenigstens mit voller
Sicherheit annehmen zu können, dass [ajccpet zu ergänzen und dieses
nichts anderes als acc(e)pet ist. Auf der Cursivinschrift zweier Am-
phoren vom Testaccio (C. I. L. XV 3977. 3979) lautet die dritte
Zeile accp DionisuSy und das entspricht vollkommen der dritten
Zeile unserer Inschrift fajccpet Eros-^ nur hat der Schreiber hier
wie dort mitten im Worte einen Vocal unterschlagen, dafür aber
auch hier eine Flexionsform geliefert, über die wir uns nur freuen
können. Ich möchte wenigstens in accepet nicht einen Schreibfehler
für accepit erblicken; eine solche Annahme ist ja immer misslich,
und hier auch wirklich unnöthig, nachdem für die dritte Person des
Perfectums die Form auf -et sowohl im alten Latein, als auch für
die Spätzeit nachweisbar ist: fuet, dedet in dem Elogium des jün-
geren Scipio, vixet, recesset und andere auf christlichen Inschriften
(vgl. z. B. C. I. L. XII S. 953). Ein Beispiel für die mittlere Zeit
liefert uns nun die Bonner Amphore.
Zum Schlusd sei noch der Töpferstempel erwähnt, mit dem
unser Geföss versehen ist. Die schlechte Erhaltung des nur leicht
eingedrückten Stempels erschwert die Lesung nicht wenig; doch
scheint mir
Aus dem fionner Provinzialmuseutn. 79
PMN
einigermassen sieber zu sein. Dieselben drei Buchstaben kommen
auch in vielen Variationen (PNN, P N N, P 1/1 |/I u. s. w.) auf zahl-
reichen Amphoren des Testaccio vor (C. I. L. XV 3041 a — z).
Aus Hispalis in Baetica fuhr um das Jahr 149 n. Chr. eine
Anzahl von FrachtschiflFen, die mit Amphoren beladen waren, den
Strom hinab. An der Mündung des Baetis angelangt, nahmen die
meisten ihren Cure nach der Gaditanischcn Meerenge, denn ihr Ziel
war das Mündungsgebiet der Rhone und der Tiberfluss; die anderen
steuerten westwärts, um an den grossen französischen Strömen und
zuletzt an der Themse und am Rhein ihre Ladungen zu löschen.
Leichtere Fahrzeuge mögen dann, wo es nöthig war, den Transport
flussaufwärts bis tief ins Land hinein übernommen haben. So kam
unsere Amphore nach Bonn, und auf demselben Wege kamen auch
noch viele andere nach dem Rhein, nach Holland, nach England
und Frankreich, hier zumal in grosser Anzahl nach dem Rhonege-
biet bis Vienne hinauf. Dass alle auf deutschem, holländischem,
englischem und französischem Boden gefundene Amphoren, deren
Töpferstempel sich auf dem aus spanischen Transportgefössen be-
stehenden Testaccio nachweisen lassen, spanischer Herkunft sein
müssten, hatte ich bereits früher bei Gelegenheit meiner Unter-
suchung über den Testaccio ausgesprochen (Ann. deir Inst. 1878
S. 189 flF.); einen neuen Beweis flir die Richtigkeit meiner Behaup-
tung hat uns nun die Bonner Amphore mit ihrer unzweideutigen
Provenienzangabe geliefert *).
HL Ein Eassenschlüssel aus dem Römerlager
bei Neuss.
In diesen Jahrbüchern (LXXXX, 1891, S. 35) hat Klein einen
im Römerlager bei Grimmlinghausen gefundenen Bronceschlüssel
1} Fast alle in diesen Jahrbüchern von Klein herausgegebenen
Amphorenhenkelinschrlften des Bonner Provinzialmuseums sind spanischer
Herkunft, da sie auch auf dem Testaccio vorkommen (Jahrb. LXXXVIII
S. 112 f. n. 2 :-= C. I. L. XV 2575 d; n. 3 = XV 2804 b; n. 4 ^^ XV 2774 b;
n. 6 :^ XV 2736a; n. 7 ^ XV 2589 b; n. 9 := XV 2887; n. 10 vgl. XV
3167 p; n. 11 vgl. XV 3186; n. 14 ^ XV 2816 a. Jahrb. LXXXX S. 48
n. 1 — XV 2%6 b ; n. 2 = XV 2933 a). — Einen schriftlosen Henkel einer
sicher spanischen Amphore sah ich bei Herrn Gymnasialdirector Prof.
Dr. Vogt in Neuwied. Er gehört zu den in den B. j[ Heft LXXXX
80 B. Dresse 1:
(Nr. 5323) publicirt, dessen Handhabe auf xwei Seiten mit einer
punktiren Inschrift verschen ist. Diese Inschriften hat der Herans-
geber so gelesen:
faI s?G ""d ^RC////////
f^^^'"^'® CLAV//I/M///
ohne über die Bedeutung derselben etwas zu sagen. Nach meiner
Lesung lauten sie folgendermassen :
iDASSICKAVDI ^ ^ 1'^?''.^'^
liABhSIC . ^^ ^,^^^'^
OL A Vdi
Daraus ergiebt sich zunächst, dass die eine Inschrift im Wesent-
lichen nur die Wiederholung der anderen ist und damit haben wir
die sichere Ergänzung der wenigen durch Rost zerstörten Buch-
staben gewonnen. Wenn in der kürzer gefassten Inschrift der eine
Name Das^ Claudi lautet, in der volleren Wiederholung aber BasfsiJ
Clau[di] steht, so wird man keinen Augenblick Bedenken tragen,
Bassi fftr die richtige Form zu halten und das D entweder als einen
Fehler oder lieber noch als ein nachlässig gefonntes B anzusehen ^).
Fügen wir noch hinzu, dass SIG nicht etwa das Cognomen des L.
Fabius ist, sondern die conventioneile Abkürzung flir signifer, so
ist in den beiden Inschriften alles klar: sie bezeichnen den Schlüssel
als Eigenthum des in der Ccnturie des Bass^lus Claudius *) dienenden
Fahnenträgers L. Fabius.
Dass ein im Römerlager zu Neuss stationirter Soldat einen
Schlüssel besessen hat, ist nun allerdings nichts Merkwürdiges. Wenn
S. 206 beschriebenen Funden ans Heddesdorf. Die mitgefundenen Münzen
(Hadrian) und Scherben roth glasirter Gefässe (Medaillon mit dem Bild
eines Töpfers) stammen aus dem 2. Jahrhundert.
1) Da vor und unter dem D ein Oxydfleck ist, könnte man auch
denken, dass der jetzt wie D aussehende Buchstabe nur die obere Haltte
eines B ist; dann müsste allerdings dieser Buchstabe grösser gewesen sein
als die folgenden.
2) Claudius als Cognomen ist zwar sehr selten, aber bezeugt (z. B.
C. T. L. VIII 3894) ; sonst könnte der Name des Centurio auch Bassius
Claudus gewesen sein, obwohl dieses Cognomen nicht sicher bezeugt ist;
denkbar wäre auch Bassins Claudi (anus), und endlich nicht unwahrschein-
lich Bassus Claudius (vorang-estelltos Cognomen).
Aus dem Bonner Provinzialrnnseum. 81
ich trotzdem glaube, diesem Schlüssel eine besondere Bedeutung
beilegen zu müssen, so gehe ich dabei von dem Gedanken aus, dass
bei einem Gegenstande, der nicht zur Bewaffnung oder zur Aus-
rüstung eines Soldaten gehört, sondern zunächst als ein Geräth rein
privater Natur angesehen werden muss, eine so präcise und aus-
fbhrliche Besitzangabe weder üblich war noch begründet erscheint.
Die Fassung der Inschrift — Name und Charge des Besitzers und
dazu der Name des Officiers, in dessen Centurie er diente — ent-
spricht nun aber so vollkommen den sicherlich officiellen Besitzan-
gaben, mit denen einige bei Schaan (Liechtenstein) und bei Agram
im Flussbette der Sau gefundene Soldatenhelme versehen sind^),
dass ich kein Bedenken trage, dem Neusser Schlüssel den privaten
Charakter abzusprechen und ihm eine oilicielle Bedeutung beizulegen.
Wa« es fär ein Schlüssel war, lehrt uns die Charge seines einstigen
Besitzers. Denn aus Yegetius (2, 20) wissen wir, dass es in jeder
Legion aus den Donativen gebildete Cohorten-Sparkassen, sowie eine
aus kleineren Beiträgen der Legionsmannschaft bestehende Begräb-
nisskasse gab, und dass diese Kassen unter der Verwaltung der
Fahnenträger standen; et ideo, führt dann Yegetius weiter aus,
gigniferi non solum fideles sed eiiam lüterati hamines eUgebantuTy
qui et servare deposita et scirent singulis reddere rationem. Der
in Neuss gefundene Schlüssel des Fähnrichs L. Fabius ist also ein
ofScieller Kassenschlüssel.
IV. Gewandnadeln mit Fabrikmarke.
Mit der Fabrikmarke versehene Gewandnadeln gehören zu den
Seltenheiten. Aus Italien sind mir nicht mehr als drei solcher Fabrik-
stempel bekannt ^) ; nicht viel zahlreicher kommen sie in den nicht-
klassischen Ländern vor^). Um so bemerkenswerther sind die drei
1) C. I. L. III suppl. 12031, 3. 4. 5. 7, überall der Name des Sol-
daten und seines Centurio, ein Mal mit dem Zusatz der Cohorte ; besonders
interessant n. 7 mit den Angaben von vier auf einander gefolgten Be-
sitzern.
2) C. I. L. X 8072, 17 und 22 nebst Bull. d. Inst. 1831 S. 42. Q ar-
me ci sylloge n. 2271.
3) C. I. L. in 3219 und suppl. 12031, 18—20. 22 (doch bin ich bei
den letzteren nicht sicher, ob überall Fabrikstempel vorliegen, da die
nöthigen Angaben darüber fehlen); XII 5698, 15. 16. 17. 19; einige andere
dürfte der noch nicht erschienene XTII Band des Corpns bringen.
Jfthrb. d. Vor. v. Alterthsfr. Im Rhelnl. XOV. 6
82 H. Dressel:
folgenden Marken rheinischer Herkunft, die erste anf einer Fibula
mit verzierter Hülse — eine genau ebenso geformte Fibula, aber
ohne Fabrikmarke, wurde in einem Grabe aus Augusteischer Zeit
zu Andernach gefunden und befindet sich im Bonner Provinzial-
museum — , die beiden anderen auf sogenannten Militärfibeln.
Gewandnadeln der letzteren Fonn*) kommen, soweit meine
Kenntniss reicht, in Italien nicht vor; ihre Gestalt und Gliedei-ung
ist so aussergewöhnlich und eigenartig, dass eine Bemerkung dar-
über nicht übei-fltissig erscheint. Von der die Federung ümschlies-
senden Hülse geht ein breiter, wie ein leicht gewölbtes, geripptes
Band gestalteter Bügel aus, der zunächst in starker Krümmung sich
hebt und senkt, dann mitten durch eine grosse, horizontal liegende
Zierscheibe gleichsam durchgesteckt erscheint und an der unteren
Peripherie der Scheibe wieder zum Vorschein kommt; dieser Aus-
läufer des Bügels ist flach und nach unten zu mehr oder weniger
geschweift. Die Zierscheibe selbst ist einer Rosette sehr ähnlich
und besteht im Wesentlichen aus einer runden, flachen Platte, auf
welcher ein wulstfönniger Kranz von oniamentalen, zum Theil durch-
brochen gearbeiteten Blättern sich entwickelt, die vom Rande aus-
gehend nach der Mitte zu sich neigen. Auf dem oberen Theil der
Rosette befindet sich, parallel mit der Hülse und von dem Bügel
überwölbt, ein Stift, der an beiden Enden mit zierlichen Knöpfen
vereehen ist. Diese ebenso eigenthümliche wie complieirte Form
kann unmöglich eine zufallige, bedeutungslose sein. Ich glaube nicht
fehl zu gehen, wenn ich annehme, dass hier die künstlerische Um-
gestaltung einer im gewöhnlichen Leben sehr einfach aussehenden
Vorrichtung vorliegt, nämlich des Verschlusses mittelst eines durch
eine Schnalle hindurchgezogenen Lederriemens, wie er besonders an
Gürteln häufig vorkommen rausste; in der künstlerischen Umbildung
wurde die einfache Schnalle zur reich verzierten Rosette und an die
Stelle des nüchternen Riemens trat das fein gerippte Band als Bügel
der Gewandnadel.
Lindenschmit (a. a. 0.) und Dütschke (in diesen Jahr-
büchern LXIV S. 86) halten diese Gcwandnadcl für spätrömisch,
gewiss mit Unrecht. Letzterer beruft sich dabei auf ' die schon etwas
1) Abbildnil g'en bei Ho üben und Fiedler Denkmäler von CastTÄ
vetera Taf. XXTTI, 10, boi Lindonfichmit II Heft XII Taf. 3 n. 1. 4 und
in diesen Jahrbüchern LXIV (1878) Taf. V-VI n. 9.
Aus dem Bonner Provinzialmuseum. 83
rohe Art ihrer ganzen Construetion und Form', sowie auf einen An-
hängsel, mit dem ein Exemplar dieser Fibula versehen ist (n, 8 der
beigegebenen Tafel). Dieser Anhängsel, der aus einem an einer
Kette hängenden 'Imperatorenmedaillon' bestehen soll, beweist aber
nichts; denn welcher Art auch jene Münze sein mag — aus der
Abbildung ist nur ersichtlich, dass es kein Medaillon ist, sondern
nur eine ziemlich kleine Kaisermtinze — , Kette und Münze gehören
sicherlich nicht zur Fibula und sind nur die alberne Zuthat irgend
eines Antiquitätenhändlers. Roh ist aber diese Art von Gewand-
nadeln weder in ihrer Construetion noch in ihrer Foim; sie zeugt
vielmehr von geschmackvoller Erfindungsgabe und ist in der tech-
nischen Ausftihrnng von ungewöhnlicher Feinheit. Damit stimmt denn
auch vollkommen überein, dass sie in Andernach mehrfach in Gräbern
gefunden ward, die ihrem sonstigen Inhalt nach (Thongeschirr und
Münzen) der besten Kaiserzeit angehören, d. h. der Mitte des ersten
Jahrhunderts ^). Nebenbei bemerke ich, dass diese Gräber auch
sonst keinerlei Anhalt dafür geliefert haben, die willkürliche Be-
nennung *Militäi*fibula' irgendwie zu rechtfertigen ; richtiger, glaube
ich, würde man diese Gewandnadel gallische Schnallenfibula
benennen.
Broncefibula von besonderer Form und feiner Arbeit (Nr. 3756,
bei den Ausgrabungen zu Pommern an der Mosel gefunden) (Taf. II
n. 7). Auf der Hülse, welche die Federung umschliesst, ein un-
deutlich ausgeprägter Stempel mit erhabenen Buchstaben
B///DVA
Vor dem B scheint der Stempelrand zu sein, der Name dürfte
also links vollständig sein; ob auf A noch etwas folgte, lässt sich
nicht mehr feststellen. Zwischen B und D fehlt nur ein Buchstabe.
Wahrscheinlich ist B[o]dua(ais) zu lesen; vgl. C. I. L. XII 1231,8a.
Grosse Schnallenfibula (Nr. 4305, in Engers gefunden; aus der
1) Diese Grabfunde sind von Koenen veröffentlicht B. Jahrb.
LXXXVI S. 151 ff. — Nach einer dankenswerthen Mittheilung Professor
Hettners sind zwei im Trierer Museum befindliche sog. Militärfibeln
(beide mit dem Stempel C 0 N ; Inventar G 7 und P. M. 5805) in Gräbern
des ersten Jahrb. zu St. Paulin bei Trier gefunden; derselben Zeit ge-
hören an die bei Goch et Normandie souterraine p. 107 erwähnten Funde.
Auf ein noch höheres Alter der Schnallen fibel lässt ihr Vorkommen in
Bibracte schliessen (vgl. S. lleinach bei Daremberg et Saglio dict. des
antiquit6s S. 2009).
84 H. Dresse 1:
XVI. Kunstauction von P. Hanstein, Katalog n. 500). Auf der
unteren Fläche der Stempel
CON
mit erhabenen Buchstaben. Deraelbe Stempel befindet sich auf zwei
anderen^ grösseren und sorgfältiger gearbeiteten Fibeln derselben Form
(Nr. 8013 und 8014, gefunden bei Bertrich) (erstere Taf II n. 6). Auf
allen drei Exemplaren ist der Stempel auf der linken Seite nicht ganz
vollkommen ausgeprägt; der Name dürfte indessen vollständig sein,
also Con( ). Bemerkenswerth ist das mit einem Punkt in der Mitte
veraehene 0, das eine auf bestimmte Gegenden beschränkte Neben-
form zu sein scheint; auf griechischen Münzen erscheint es z. B. in
der Chersonesus Taurica, in Olbia, Tomi u. s. w. (vgl. den Berliner
Münzkatalog: Beschreibung der ant. Münzen I S. 7. 20. 21. 90. 91),
auf lateinischen Inschriften besonders in Gallien auf Töpferstempeln
(z. B.C. I. L. XII 5686, 43. 176. 363. 377. 386. 489. 599. 940).
Grosse, sehr fein gearbeitete Schnallenfibula (A. V. 1082, in
Bingen gefunden) (Taf. II n. 5). Auf der unteren Fläche der Stempel
//////IBIBI
mit erhabenen Buchstaben. Der Name ist links unvollständig aus-
geprägt, vor dem ersten B ist nur noch die Spur einer Hasta zu
sehen. War es [Amjbtbi (= Ambivi)?
V. Epigraphische Miscellen.
Achnliche Besitzangaben wie die auf dem oben besprochenen
Neusser Kassenschlüssel befindlichen stehen auch auf zwei im
Römerlager bei Neuss gefundenen Broncegegenständen (Nr. 6216
und 6600), die demnach beide als zur oflSciellen Ausrüstung römischer
Soldaten gehörig zu betrachten sind. Die Inschriften fehlen in der
von Klein in diesen Jahrbüchern gegebenen Zusammenstellung.
Nr. 6216. Täfelchen (tdbella ansata) aus sehr dünnem Bronce-
blech (0,029 hoch, 0,071 breit), links und rechts mit je einem Niet-
loch versehen. Darauf die punktirte Inschrift:
)CLO:::
LSEMPB
Alis dem Bonner Proviiizialmuseum. 85
Der Name des Centurio dürfte Clodius gewesen sein. (Gen-
turia) Clodi; L. Sempr(oni) Lucani,
Nr. 6600. Scheibe aus sehr dttunem Bronceblech (Dureh-
messer 0,042) mit schwach umgebogenem Rande und auf der unteren
Fläche mit einem nageliörmigen Zapfen versehen (Beschlagstück).
Auf der oberen Fläche eine punktirte Inschrift (im Kreise), die so
zu lauten scheint:
^FIR.MAX. A/IIM-RVF
Der Name des Centurio scheint mir sicher zu sein, Fir(mi)
Max(imi); der darauf folgende des Soldaten befriedigt mich nicht,
denn mit Avem vermag ich nichts anzufangen. Da UM sicher ist,
liegt die Schwierigkeit in dem wie eine Ligatur von A und V aus-
sehenden Buchstaben. Oder sollte hier eine durch irgend eine Zu-
fälligkeit bewirkte Entstellung vorliegen und das scheinbare A«^ ein-
fach A oder ein N sein? Dann könnte man an Aem(ili) Ruf (int?)
oder an Nem(oni) Ruf(ini?) denken.
Auf der Rückseite des von Klein in diesen Jahrbüchern
LXXXX (1891) S. 37 n. 12 publicirten geschweiften BroncegriJBTs
befindet sich die vom Herausgeber übersehene Vormerkung des auf
der oberen Seite eingegrabenen Namens )-TERENTI-ROMANI-
in folgender Weise:
)TIIRIINT|.
mit punktirten Buchstaben geschrieben. Der Name geht zum Theil
über ein ganz leicht eingeritztes graffito, das ich nicht habe lesen
können.
Das schöne, im Rheinbett zu Bonn gefundene eiserne Schwert
A. V. 1355, welches auch bildlich öfters publicirt worden ist und
zuletzt von Klein in diesen Jahrbüchern LXXXX S. 40 besprochen
ward, gilt als das Erzeugniss eines Fabrikanten Sabinus, weil auf
dem kantigen Griff (Angel) der Stempel
SABINI
eingeschlagen ist. Das ist nicht ganz richtig; denn auf der Klinge
desselben Schwertes, die, nebenbei bemerkt, sehr schön geflammt ist,
befindet sich ebenfalls ein Stempel, den trotz seiner vorzüglichen
86 R Dressel:
Erhaltung alle Herausgeber übersehen haben , und dieser zweite
Stempel lautet
SVLLA-I
Er ist reebtS; wie es scheint, nicht vollständig ausgeprägt, da
nach dem Punkt noch eine schwache Spur, wie von einer Hasta,
zu sehen ist, die z. B. ein schlecht ausgeprägtes F = fecit sein
könnte; die scheinbare Hasta könnte aber auch der Rand der Stempel-
umrahmung sein. Wie dem auch sein mag, fUr die Erklämng dieses
Stempels ist das Vorhandensein oder das Fehlen von f(ecit) gleich-
gültig; denn da dieser Name im Nominativ steht, jener andere im
Genetiv, kann nur Sullu als der Verfertiger des Schwerts an-
gesehen werden. Natürlich muss nun der andere Stempel Säbini
mit diesem in Verbindung gesetzt werden, und da steht es uns frei,
entweder Sulla Sabini (scilicet servus) zu lesen oder die beiden
Stempel so zu veretehen: (ex officina) Säbini, Sulla (fecit). In
beiden Fällen bleibt Sulla der Verfertiger des Schwerts, und Sabinus
(oder auch Sabinius) ist der Vorsteher der Waffenfabrik.
Dass Arbeiter und Fabrikherr sich verschiedener Stempel be-
dienen, ist nichts Neues. Denn wenn es auch Regel ist, dass, so-
bald beide sich nennen, beider Namen auf einem einzigen Stempel
verbunden stehen, wie das z. B. bei den Arretinischen Gefilssen,
bei den Amphoren, bei den Ziegeln der Fall ist, so giebt es doch
Ausnahmen davon ^), besonders zahlreiche bei den grossen irdenen
Dolien*). Ein Beispiel dafür hat auch das Römerlager bei Grimm-
linghausen geliefert, ein irdenes Ausgussgeföss (pelvis) mit den beiden
Stempeln G. Atis^ius und (rratus f{ecit), welche der Herausgeber
(Klein in diesen Jahrbüchern LXXXIX S. 59) zu dem einen Namen
G. Atisius Gratus f{edt) verbindet, während mir die Deutung auf
Fabrikherrn und Arbeiter (also G. Atisius y Chratus fecit) wahr-
scheinlicher scheint.
Für die Importation metallener Küchengeräthe aus Italien in
die Rheinlande lagen im Bonner Provinzialmuseum bereits Nach-
weise vor in den beiden Casserolen aus der Fabrik des P. Cipius
1) Für Ziegel und Amphoren z. B. C. I. L. XV 785. 1473. 2247. 2248;
2938. 3424. 3477.
2) Vgl. C. I. L. XV 2448. 2479. 2481. 2489. 2491-2493. 2500 u. 8. w.
Aus dem Bonner Provinzialmuseum. 87
Polyhiusy welche Klein in diesen Jahrbüchern LXXXX (1891)
S. 37. 38 veröffentlicht hat. Als weiteres Beispiel füge ich nun
die Fabrikmarke
/////HAPROD
hinzu, welche sich auf dem fragmentirten GriflF einer im Römer-
lager bei Grimralinghausen gefundenen broncenen Casserole befindet
(Nr. 7465). Links ist der Stempel im vollständig ausgeprägt; ob er
rechts vollständig ist, lässt sich nicht erkennen. Der Fabrikant
hiess L. Ansius Epaphroditus, Er pflegte seine Erzeugnisse bald
mit dem vollen Namen, bald nur mit seinem Cognomen zu stempeln *) ;
auf dem Bonner Griflf ist daher [Ep]haprod(iti) zu lesen. Die Fa-
briken des L. Ansius Epaphroditus sowie des P. Cipius Polybius
müssen ungeföhr in der Mitte des ereten Jahrhunderts n. Chr. thätig
gewesen sein, da mit diesen Namen versehene Gefässe in Pompei
vorkommen.
1) Vgl. C. I. L. X 8071, 28 und 29.
5. Zu Heft XCIII, Taf. VII.
Von
A. Fnrtw&ngler«
Als ich die Broncebüste eines Römers in Speier in diesen
Jahrbüchern veröffentlichte, konnte ich unter den erhaltenen Marmor-
köpfen, deren Vergleichung mir damals möglich war, kein Porträt
derselben Person nachweisen; ich konnte nur die Hoffnung aus-
sprechen, dass dies möglich sein werde, wenn erst einmal die vor-
handene Menge von Porträtköpfen besser durchgearbeitet und be-
kannt gemacht sei. Rascher als ich dachte hat sich dies erfüllt,
indem mir Paul Arndt ein Marmorporträt desselben Mannes nach-
weist, das, jetzt im Neapler Museum in der sala dei capolavori be-
findlich (Inv. No. 6068), 1888 in Pompeji gefunden worden ist^).
1) Giomale degliscavi di Pompeji, nuova serie I, Taf. 5, 2; S. 138 ff.
(de Petra). Bernoulli, römische Ikonographie Bd. I, S. 127, Fig. 17 (eine
kaum kenntliche Abbildung). Nach Arndt „im Wesentlichen intakt*'.
A. Furtwängler: Zu Heft XCIII, Taf. VIL 89
Es ißt eine vortrefflich erhaltene Büste von derselben Form wie die
zu Speier. Sie stand einst als Gegenstück eines Kopfes, den man
für Brutus zu erklären pflegt ^), im Hanse des Popidius zu Pompeji.
Man wollte früher Pompejus in ihr sehen, wogegen sich schon Ber-
noulli wandte: inzwischen ist diese Deutung durch den Nachweis
des wirklichen Porträts des Pompejus ganz unmöglich geworden;
eine neue ist bis jetzt nicht aufgestellt worden.
An der Identität der Person in der Speierer Bronce und dem
Marmor von Pompeji ist nicht zu zweifeln. Schädelform, Profillinie,
Bildung des Ohrs und das Haar mit dem charakteristischen Wisch
in der Mitte über der Stirae, die Form der breiten Stime, der Nase
mid des geschlossenen Mundes, alles stimmt überein. Nur sind alle
Formen im Marmor ein wenig runder und voller; namentlich er-
scheint die Nase fleischiger; nur die Lippen sind noch etwas dünner
als an der Bronce. Die Person macht in der Bronce einen mehr
jugendlichen, im Marmor einen älteren Eindruck.
Zur Bestimmung des Dargestellten hilft die Marmorbüste leider
nichts; sie kann nur dazu dienen, uns darin zu bestärken, dass kein
beliebiger Römer, sondern eine hervoiTagende Person dargestellt ist,
die am Bheine ebenso wie in Pompeji geehrt werden konnte. Und
femer kann aus der Thatsache, dass die Büste zusammen mit ihrem
Gegenstück ohne Postament auf dem Boden des Hauses in Pom-
peji gefunden worden ist*), geschlossen werden, dass man in Pom-
peji zur Zeit der Verschüttung kein Interesse mehr an der Person
nahm oder gar Grund hatte, ihr Porträt im Hause zu verbergen^).
1) Giornale d. scavi a. a. 0. Taf. 5, 1. B er noulli a. a. 0. S. 192,
Fig. 26.
2) S. de Petra a. a. 0. Die beiden Büsten wurden „air altozza di
un terzo piano, a 4 o 5 metri dal suolo, seiiza pilaatro o base*^ gefunden.
Die Benennung des Gegenstückes als Brutus ist, wie Bernoulli a. a. 0.
mit Becht bemerkt, eine sehr zweifelhafte.
3) Die Reproduktion des Bildwerkes über diesem Aufsatze ist mit
Erlaubniss der Verlagsanstalt Bruckmann zu München nachgebildet aus
Brunn-Arndt, Griechische und römische Porträts.
6. Rttmische Broncereliefs aus Kttin.
Von
U. L. Urlichs.
Hierzu Tat*. III.
Beim Ausschachten eines Fundaments in der Agrippastrasse
in Köln wurden 1892 Bruchstücke römischer Broncereliefs gefunden,
die in den Besitz des Bonner Provinzialmuseums tibergingen. Es
sind Reste von fünf oblongen Blechen erhalten, die ursprünglich in
Grösse, Fonn und Decoration einander vollständig glichen. Reste
von Nägeln und Nagellöcher beweisen, dass die papierdünnen Bleche
einst auf einer festeren Unterlage aufsassen und es ist die natür-
lichste Annahme, dass es ein wenigstens fünfseitiges Kästchen war,
das diese Zierbleche bekleideten. Taf. III 1 giebt uns diese Bleche
in natürlicher Grösse wieder; nicht wie sie erhalten sind (denn kein
Exemplar ist vollständig), sondern wie alle einst waren. Mittels
Stempel war jedes Blech in sechs oblonge Felder getheilt und jedes
mit einer figürlichen Darstellung gefüllt. Diese sind auf den ver-
schiedenen Exemplaren verschieden gut erhalten und waren wohl
von Anfang an bald flauer, bald schärfer ausgeprägt. Aus diesen
Gründen musste ein vollständiger und gewissermassen „stempel-
frischer" Abdruck in der Zeichnung reconstruirt werden.
Die Sitte, Beschlagbleche mit oblongen Bildern zu verzieren, ist
alt und weit verbreitet. Wir begegnen ihr bereits unter alter-
thümlichen griechischen Broncen aus Olympia, Boeotien und Athen ^)
und finden sie noch auf dem Bonner Kästchen mit alt christlichen
Darstellungen, das B. Jahrb. XIII Taf. V, VI abgebildet ist. Auch
1) Bull, de Corresp. Hell. XVI, 387,
H. L. U r 1 i c h s : Römische Broncereliefs aus Köln. 91
inhaltlich bieten die meisten Darstellungen nichts Ueberraschendes
und bedflrfen keiner Erklärung.
In den beiden untersten Feldern sehen wir zwei Amoretten
mit Traube und Schale^ wie sie ähnlich auf den Pilasterreliefs
römischer Grabmäler im Typus der Igeler Säule vorkommen, als
deren Vorbilder 6. Loeschcke (vgl. den Bericht über die Winckel-
mannsfeier 1892 in diesem Jahrbuch) auch Metallbeschläge ver-
muthet. In der obersten Reihe finden wir Mars von Victoria be-
kränzt, die im 1. Arm die Palme hält, und Mercur mit Beutel und
Heroldsstab, neben sich den Hahn, im Feld eine Strigilis aufgehängt.
In der zweiten Reihe fÄllt Diana sogleich ins Auge, im kurzen
Jagdgewand, die Brast entblösst. Sie hält in der Linken den Bogen
und holt mit der anderen Hand einen Pfeil aus dem Köcher; neben
ihr erscheinen ihr Jagdhund und ein Reh, im Hintergrund Bäume.
Die hier zur Darstellung der Götter gewählten Typen sind die auf
Denkmälern der römischen Provinzialkunst in Gallien und Germanien
geläufigen, mehr oder weniger übereinstimmend kehren sie z. B.
sämmtlich auf den 'Viergötteraltären' wieder*). Einzig das dritte
Bild fordert eine ausführlichere Erläuterung und rechtfertigt die
Publication des ganzen Denkmals.
Nach rechts schreitet ein kräftiger Jüngling, die Keule hoch
erhoben zum Schlage gegen ein Schlangenweib. Dieses hat mensch-
lichen Kopf und windet das Ende des Körpers um das linke Bein
des Gegners. Neun Schlangen, die die Stelle des Haars vertreten,
umgeben das Gesicht; mit fester Hand greift der Held in dieselben
hinein. Der starre Ausdruck des Gesichtes, die Stellung in Vorder-
ansicht deuten ebenso auf späte Zeit hin, wie die Figur des Her-
kules selbst. Denn so dürften wir, auch wenn der mit Pfeilen ge-
füllte Köcher, der im Hintergrund aufgehängt erscheint, nicht schon, die
äussere Bestätigung böte, den Gegner benennen, da die Scene auf Sar-
kophagen und Mosaiken, welche den Kyklus der Heraklesthaten dar-
stellen, an der zweiten Stelle, wo sonst die Hydra mit vielen Schlangen-
köpfen in üblicher Bildung erscheint, in einem mit unserer Relief-
darstellung gleichen Typus vorkommt"). Der Handwerker hat aus
2) Vgl. Westd. Zeitschr. X (1 891) 12 ff. (H a u g), z. B. Mars a. a. 0. Nr. 125,
128, Victoria Nr. 58, Mercur sehr häufig z. B. Nr. 3, 41, 42, 52, 131; Diana
Nr. 109, 148, 167.
3) Verhandlungen der Görlitzer Philologenversammlung, Leipzig
1890, 312 ff.} Sonderabdruck 1 ~19, nach dem im Folgenden citirt wird.
92 H. L. Urlichs:
dem ihm geläufigen Vorrath von Typen statt des. ruhig stehenden
Helden das jedem Beschauer bekannte Kampfschema gewählt^). Das
Ungethüm ist so gebildet, wie Hesiod und Herodot^) die Echidna^)
beschreiben, nur setzt sich die Schlange unmittelbar am menschlichen
Kopfe an, ein Anzeichen mehr dafür, dass das Relief in recht späte
Zeit gehört'). Wichtig ist vor allem die Thatsache, dass erst in
der römischen Kaiserzeit der neue Typus der Hydra sich nachweisen
lässt, während die gewöhnliche Darstellung, die seit alter Zeit üb-
lich ist, auch in der späteren Zeit in übei'wiegendem Masse beibe-
halten wird. Das Kölner Relief gibt die erwünschte Veranlassung,
das gesammelte Material zu berichtigen und zu ergänzen.
Auszuscheiden ist die Gemme in den Uffizien zu Florenz (S. 19
der Görlitzer Verhandlungen); eine Untersuchung des Originals, das
jetzt mit rother Nummer 53 bezeichnet ist, lehrt, dass die Abbildung
im Museum Florentinum, Gemmae Taf. XXXVH, VI ungenau
ist. Hydra ist nicht wie Echidna dargestellt. Dagegen sind fol-
gende Bildwerke einzureihen: 1. die vierseitige Basis im alten Ka-
pitolinischen Museum zu Rom, früher in Albano (Hei big, Führer
durch die öffentlichen Sammlungen I, Nr. 417). Auf den Seiten
4) So auch auf den Viergöttersteinen, Westdeutsche Zeitschrift X
(1891) Nr. 198, 204, vgl. das Verzeichniss S. 306 f.
5) Hesiod Theogonie 295 ff.:
"H'(Kallirrhoe) S* hex aXXo TrUojgoVy ä^rjxavoVy ovSh ioixog
^'tjToig dv&Qcojioig ov6^ d^avaToiai ^eoTöiy
ojt^i m yXa<pvQ<p, -^elrfv XQateQOfpgw "Extdvav
fjfjiiov fjLEv vvfx(priv kkixioTiida, xaXkinaQjjov ,
fjfiiav S^avxe yieXcoQOv oq)iv Öeivöv xs fAeyav je
Herodot 4, 9 : h^avxa (in H ylaia im Skythenlande) avz6y svgietv (wird
von Heixikles erzählt) ev ayT^ffj HL^ondg'&svov ztva sxiSvav ÖKpvsay zijg ra
fisv ävo) djtd icov ykovzsiov eivai yvvaixog j xd de eveg^e otpiog.
6) Ueber Echidna, die Mutter der Hydra, im Kreise der Herakles-
sage, vgl. was in den Görlitzer Verhandlungen 17 f. bemerkt ist. Uebrigens
ist bei Vergil Aeneis 8, 298 kein neues Zeugniss für den Echidna-
kämpf zu suchen, wie W e rn i e k e , Görlitzer Verhandlungen 284 Anm. 3
meint. Die Erwähnung des Kampfes mit Typhoeus bezieht M. Mayer
Giganten und Titanen 297 f. auf den Gigantenkampf, L a d e w i g z. d.
StöUe des Vergil auf die Begegnung in der Unterwelt bei der Herauf-
holung des Kerberos.
7) So beispielsweise auch auf der Terracottaform des Berliner
Antiquariums, abgebildet Görlitzer Verhandlungen 14.
Römische Broncereliefs aus Köln. 98
sind die Arbeiten des Herakles in einem archaisirenden Stile dar-
gestellt.
2. Der Vergessenheit entzogen und durch baldige VeröflFent-
lichung der Forschung zugänglich gemacht zu werden verdient ein
höchst merkwürdiges, leider sehr zerstörtes Stück in Athen, jetzt
im Polytechnion ; früher war es lange in der Sammlung des Kultus-
ministeriums aufbewahrt, Fundort und Herkunft Hessen sich nicht
ermitteln. Es trägt die Inventarnuramer 2624 a und die Auf-
schrift : diaxog ;|ja>lxoi;g xaxdmqov juErd tzcqi'&coqiov äQyvQov xal xaX-
XvfJLfxaxog ägyvQov^ q)iQOVtoQ ;^^vaoxoAAi7Tov^ Ttagaordoeig xcov äMcov
'HgaxXiovg^). Es hat das Ganze einen ninden gewölbten Deckel
im Durchmesser von 0,11 m gebildet und baut sich in drei jetzt
nicht mehr verbundenen Lagen auf: Zunächst aussen ein schmaler,
nur theilweise erhaltener Silberring, an diesen schliesst sich nach
Innen ein zweiter Silberring an, auf dem die Darstellung des Dode-
kathlos in der einen Hälfte zu sehen ist; in der anderen ist eine
jetzt grösstentheils unkenntliche, vielleicht bacchische Scene dar-
gestellt. Den grössten Theil der Wölbung nimmt eine reich
ornamentirte Fläche ein, in deren Mitte das Loch zur Anbringung
eines Knopfes erhalten ist. Der flache äussere Silberring hat auf
Bronce geruht, die zum Theil noch erhalten ist. Ob diese
aber selbst einen Ring oder eine Platte gebildet hat, ist nicht zu
entscheiden, erstere Annahme wahrscheinlicher. Das Ganze wird
wohl der Deckel eines dosenartigen Gefässes gewesen sein. Lei-
der haben auch erfahrene Kunstkenner eine Zeitbestimmung nicht
gewagt. Die Oraamente scheinen nicht griechisch zu sein, die Fi-
guren, eingeritzt und mit Gold ausgelegt, für späte Arbeit zu sprechen.
Eine nähere Festsetzung der Zeit ist nicht möglich. Trotzdem
verdient das Stück unserer Untersuchung eingereiht zu werden. Denn
der zweite Kampf scheint einen neuen Beitrag zu dem zu erörternden
Typus der Hydra zu geben. Es Hess sich aus dem sehr zerstörten
Original und der Photographie der jugendliche Held en face er-
kennen; er scheint das Schlangenweib am Hinterkopfe mit der linken
Hand zu fassen, mif'dem erhobenen rechten Anne holt er zum Schlage
mit der Keule aus. Seine Gegnerin hat menschlichen Oberkörper
8) Eine Photographie liegt vor; sie wird der gütigen Vermittlung
von Herrn Freier verdankt. Darnach ist Taf. III 2 in doppelter Grösse
die Gruppe des Herakles mit der Hydra abgebildet.
94 H. L. Urlichs:
und vielleicht Arme, die emporgehalten sind, der Kopf in Seitenan-
sicht, ist nach links etwas gesenkt. Am Kopfe Hessen sich keine
Schlangen erkennen. Der Unterkörper war, soweit ersichtlich, ein
Schlangenleib, der sich wohl um das linke Bein des Herakles ge-
wunden hat.
3. Wohl eine Münze ist in Li gor ios Papieren, Neapel Band VI,
413 mit Feder gezeichnet, ohne Legende, auch ohne handschriftliche
Erläuterung. Auf der folgenden Seite des Bandes befindet sich eine
Münze Col. lul. Alexandria. Daraus wird man wohl schliessen dürfen,
dass auch die erw^ähnte dahin gehört. Sie zeigt (Taf. III 3) den
Helden nach rechts ausschreitend, die Keule hoch erhoben, das Löwen-
fell über den Hinterkopf gezogen und im Rücken herabhängend; er
fasst mit der linken Hand eine der neun anscheinend aus dem Ober-
körper des Weibes sich hervorwindenden Schlangen. Menschlicher
Kopf und Brust, der Unterkörper um das linke Bein des Herakles
gewickelt. Unten ist ein Krebs gezeichnet. Es würde die ,Münze'
kaum einer Erwähnung werth sein, da erst eine systematische Durch-
sicht des numismatischen Materials, das in den Manuscripten des
Ligorio aufgehäuft ist, darüber wird entscheiden können, ob über-
haupt ächte Stücke darin gezeichnet sind^). Aber Beachtung ver-
dient sie deshalb, weil Ligorio unter allen Umständen in Erinnening
an ein oder mehrere antike Monumente die Zeichnung entworfen hat
und weil gerade auf Münzen von Alexaudria die Thaten des Helden
besonders häufig erscheinen. Aus Sarkophagen konnte übrigens Li-
gorio sein Muster bereits entnehmen (vgl. zum Beispiel die Görlitzer
Verhandlungen S. 10 unter IIL IV. angeftthrten Denkmäler).
Wenn wir die wenigen Monumente, die wir dem bereits ge-
sammelten Materiale beifügen konnten, im Zusammenhange mit
diesem betrachten, so lernen wir wenigstens etwas Neues : Die Neun-
zahl der Schlangen im Haare ist durch das Kölner Relief aufs Neue
gesichert und zeigt wieder, wie der Typus des Schlangenweibes
für Hydra kein ursprünglicher war, sondera nur übertragen wurde:
Die Schlangen, die sonst aus einem Körper hervorwachsen, sind
in derselben Anzahl an das Haar des weiblichen^Kopfes angefügt ^^).
Femer gleicht das Athenische Monument dem Relief in Villa Albani
(Görlitzer Verhandlungen 10, IV) ^^) darin, dass es auch mensch-
9) Vgl. Dessau, Berliner Akademieberichte 1883 (II) 1078 Anm. 3.
10) Vgl. auch, was Görlitzer Verhandlungen 16 angeführt ist.
11) Heydemann, Mittheilungen aus den Antikensammlungen in
Römische Broncereliefs aus Köln. 95
liehe Arme zeigt, freilich aber, wie es scheint, nur e i n Sehlangen-
ende als Unterkörper hat. Nunmehr darf als feststehend gelten :
Im Dodekathlos erscheint Hydra wie Echidna, meist Schlangen im
Haare, der obere Theil des Körpers menschlich, der untere eine
Schlange. Auf Grund dieser Feststellung ist auch die Deutung des
Würzburger Torsos (in Görlitzer Verhandlungen auf Doppeltafcl ab-
gebildet) und der Kapitolinischen Gruppe (H eibig Führer I, Nr. 403,
404) über allen Zweifel erhaben, da sie vollständig mit den ge-
sicherten Bildwerken übereinstimmen ^*).
Von besonderer Wichtigkeit ist eine Beobachtung von Wie-
seler, Nachrichten d. Gesellsch. der Wissenschaften zu Göttingen
1888, Nr. 16, 423 ff.: Er hat auf Münzen der späteren Kaiserzeit» 3)
hingewiesen, auf denen der Kaiser mit Kreuz und der auf einer
Kugel stehenden Victoria in den Händen, den rechten Fuss auf
eine Schlange mit menschlichem Kopf stellt, und vemiuthet, dass
dieses Schlangcnweib Hydra**) als Symbol des besiegten Feindes
sei. Schon die Umschrift Victoria Augg. gibt eine Bestätigung, die
noch bekräftigt wird durch den Hinweis auf eine Kupfermünze
Mark Aureis bei David, Museum de Florence V pl. LH Nr. 1: Der
Ober- und Mittclitaiien, Hallens. Winckelmaiinprogramm 1879,17 bemerkt
bei der Erwähnung der in Venedig an der Vorderseite von San Marco hoch
oben eingemauerten Reliefs, Herakles den Eber tragend mit Eurystheus
im Fass und Herakles und der Hirsch: ,,8ie gehörten ursprünglich — als
Nebenseiten vielleicht eines Sarkophags sind sie zu hoch — als Gegen-
stücke zusammen und gewiss zu einer Reihe von Heraklesthaten, für deren
Verwendung als Wandschmuck etwa auf die Reliefs im Palazzo Spada
verwiesen werden könnte* u. Anm. 30: „Dazu gehört vielleicht auch das
einstige Original des Reliefs der Villa Albani . . . vgl. Matz, Monats-
berichte der Berliner Akad. 1871, 464, 24 [im Cod. Coburg, gezeichnet]. Form
und Composition ermöglichen die Annahme*. Aber siehe was Dütschke,
Antike Bildwerke in Oberitalien V 157 f. zu Nr. 398 f. bemerkt.
12)Sworonos' Bedenken Ephcmeris archaiologike 1889, 106 erledigt
sich dadurch.
13) Cohen« VHI, 212 Nr. 19 Valentinian HI. — VIII, 220 Nr. 1
Petronius Mazimus — VIII 223 Nr. 1 mit Abbildung Maiorianus ~ VIII
227 f. Nr. 8 Severus HL Die Grossbronce, die Wiesel er 424 Anm. 1 be-
schreibt, scheint nicht sicher hierher zu gehören. Ein ähnlicher Typus
auch bei Cohen« VII 381 Nr. 139 Constantin II. d. Jüngere; er setzt den
Fuss auf einen hilfefloh enden Sarmaten, u. a. m.
14) Die Schlangen fehlen im Haar, wie in dem verschollenen, aber
im Codex Pighianus erhaltenen Sarkophagfragment (Görlitzer Verhand-
lungen 10, III).
96 H. L. Urlichs:
Kaiser mit Beinern Sohne Kommodus im Triumphwagen , an dessen
einer Seite Herakles im Kampf mit der vielköpfigen Hydra zu. sehen
ist. Es wird der Triumph, der nach glänzenden Siegen 176 n. Chr.
gefeiert wurde ^^), verherrlicht und Herakles bekämpft das ün-
gethüm, ebenso wie der Kaiser die feindlichen Völker überwältigt
hat. So findet auch die Darstellung auf einer in Mailand geschla-
genen Goldmünze Constantius 11.^^) eine befriedigende Erklärung:
Der Kaiser zu Pferde sprengt nach rechts, um eine Schlange zu
bekämpfen. Die Aufschrift lautet Debellator Hostium, ähnlich wie
eine Münze des Maximianus Herkules im Kampfe mit der viel-
köpfigen Hydra zeigt ") ; hier liest man Herculi Debellatori. Diese
Beispiele genügen, um die Gleichsetzung des Kaisers mit dem Ver-
treter der siegreichen Kraft, Herkules^*), darzuthun. Mehr findet
15) Auf der Vorderseite Büste des Kaisers und die Inschrift M. An-
tonius Aug. GeiTO. Sarm.; vgl. David a. a. 0. und siehe auch Schiller,
Rom. Xaisergeschichte I. 2 (1883) 649 Anm. 2.
16) Fröhner, Medaillons de TEmpire Romain 309; Cohen* VH,
443 Nr. 23. Hydra wird zuweilen wie eine einfache Schlange gebildet,
vgl. Furtwängler, Roschers Lexikon I. 2224 und meine Schrift 18.
17) Fröhner 255.
18) Dies Verhältniss scheint auch wichtig für die vielumstrittene Deu-
tung der Gigantensätden zu sein (vgl. zuletzt Hau g, Westdeutsche Zeitschrift
a. a. O. 325 fiP. und die Recension von Ihm in diesen Jahrbüchern 82
(1892) 255 f. Neuer Fund in Trier publicirt von Hettner Korrespondenz-
blatt X (1890) 71 ff.). Wie auf unserer Münze der Kaiser, gerüstet,
im geläufigen Typus zu Pferd anstatt des Herkules die Schlange be-
kämpft, so erscheint er auf jenen Säulen gegen den Giganten los-
stürmend an Stelle eines Gottes. — Uebrigens bedürfen einer erneuten
Prüfung diejenigen Stücke, welche weibliche Gegner zeigen. Hettner
hat das Verdienst, diese Gruppe zuerst herausgehoben zu haben (West-
deutsche Zeitschrift IV (1885) 379; vgl. Hang a. a. O. 331). Jedenfalls
leuchtet ein, dass die weiblichen Gegner demselben mythologischen Kreise
angehören müssen wie die weitaus zahlreicheren männlichen. Wenn wirk-
lich, wie Hang a. a. O. annimmt, das Mainzer £xemplar (Donner-
von Richter und Riese Heddernheimer Ausgrabungen Taf. V, 1—3)
Mann und Weib zusammen zeigen, so ist der monumentale Beleg gegeben.
Die angeblichen „Flossen^, die mehrfach bei der Beschreibung der Fi-
guren erwähnt werden, scheinen nicht vorhanden zu sein. Von den
Speyerer Exemplaren hat Herr H a r s t e r dies mir ausdrücklich versichert.
Stark hat in diesen Jahrbüchern 44 (1868) 29 an Typhon und Echidna ge-
dacht, die wohl bereits am Amykläischen Throne gemeinsam gebildet waren
(Paus. 3, 18, 7, M. Mayer, Giganten und Titanen 215 ff.). So Hesse sich das Auf-
ttömische fironcereliefs atts Köln. dt
man bei R. Peter, Roschers Lexikon I, 2980 S. der diese Beziehung
zum Gegenstände einer lehrreichen Untersuchnng gemacht hat.
So können diese Münzen unbedenklich zu dem behandelten
Typus gerechnet werden, aber auch sie gewähren keinen Anhalts-
punkt für ein früheres Auftreten desselben. Vielmehr^ führt kaum ein
Denkmal höher hinauf als in das zweite nachchristliche Jahrhundert
und die Stellen, die aus der Litteratur zu einer Zeitbestimmung
herangezogen worden sind, sind nicht beweisend. Preller, grie-
chische Mythologie* II, 216 verweist auf Ovid, Metamorphosen 9, 69.
Dort liest man freilich: Pars quota Lernaeae serpens eris unus
echidnae, ebenso wie Fasten 5, 405: Sanguine Centauri Ler-
naeae sanguis echidnae j mixtus, aber es ist klar, dass der Dichter
das Wort echidna nur deshalb gewählt hat, weil es einen bequemen
Yersschluss bildet. Auch Diodor 4, 38 hat für Hydra das Wort
ixiiva, aber nicht als Eigenname; denn 4, 11, 9 steht Aegvala vöga,
TJg iS ivdg ocofiaxog ixaxbv avxiveg Sxovzeg x€(paXäg dcpioyv dieivnovvto.
Wahrscheinlich aber bleibt auch ohne äusseres Zeugniss die Ent-
stehung des Typus in früherer Zeit schon deshalb, weil auch die
anderen. Kampfschemen im Wesentlichen aus Griechenland herttber-
genommen sind^^). Geringe Spuren führen vielleicht auch aus den
Monumenten darauf: Der Würzburger Torso ist eine gute römische
Kopistenarbeit. Die Köi-performen gleichen in auiSäUigcr Weise
denen der Stephanosfigur in Villa Albani, worauf Herr Arndt mich
aufmerksam gemacht hat. Dies kann freilich wohl auf Rechnung
eines archaisirenden Handwerkers oder Künstlers gesetzt werden, um
80 mehr, als in den Werken der archaischen Zeit die gewöhnliche
vielköpfige Schlange erscheint, doch die sorgfältig gearbeitete
Löwenhaut, die edlen Züge der todten Hydra werden am besten
eine Erklärung dadurch finden, dass die erste Entstehung dieses
Werkes in gut griechische oder mindestens gut römische Zeit
gehört. Von anderer Seite scheint diese Ansetzung eine Be-
treten des Paars wohl erklären, wenn auch möglich ist, dass in späterer
Zeit dem Giganten eine Genossin beigesellt wui*de. Die bedeutsame, aus
deni Monumenten sich ergebende Thatsache verdient gebührend hervor-
gehoben zu werden und erhöht das Interesse, das jener merkwürdigen
Denkmälerklasse entgegengebracht wird.
19) Vgl. im Allgemeinen Preller-Jordan, Römische Mytho-
logie» II, 298.
Jahrb. d. Ver. v. Altertbsfr. im Rheinl. XCV. 7
d8 B. L. Urlichs:
BtiltigUB^ zu finden: Die Gruppe des Eapitolinisclien Museums,
vor allein auch der ältliche weibliche Kopf, „der von Schmerz ver-
zerrt und dessen Mund zum Schreien geöfiPnet ist", führt auf die
Richtung der Kunst, die in der Zeit nach Alexander ihre höchste
Ausbildung erreicht hat. Aber diese Allgemeinheiten genügen nicht
Es bleibt ein Rätsel, wie die Hydra in Kunstdarstellungen mit
der Echidna vermengt wurde, und es kann nicht entschieden werden,
wann diese Vermischung stattgefunden hat, auch nicht, ob die Kunst
selbst Vorbild gewesen ist oder neue Sagenbildung etwa in ale-
xandrinischer Zeit entweder durch das Lied oder durch mythologische
Forschung gewirkt hat. Um so mehr ist es zu bedauern, dass das
von Robert in den „Homerischen Bechern" (50. Berliner Winckel-
mannsprogramm) 86 f. abgebildete Fragment gerade vom Hydrakampf
nur wenige Reste bietet. In der römischen Litteratur ist die ur-
i^rüngliche Vorstellung von der vielköpfigen Schlange beibehalten
und die neue in dieselbe nicht übergegangen.
Ausser Acht gelassen wurden bisher einige Münzen römischer
Kaiser, die mehrfach beigezogen **^) und theils auf Echidna, theils
auf Hydra, jüngst sogar auf einen Gigantenkampf bezogen wurden.
Da sie in der letzten Zeit wiederholt gelegentlich erwähnt worden
sind, das Material aber zerstreut ist, so wird eine Zusammenfassung
erwünscht sein.
a. Antoninus Pius. Alexandria. Zoßga, Numi Aegyptii 192,
Nr. 246 (mit Abbildung). Imhoof- Blumer, Monnaies grecqnes
1883, 458 Nr. 14 und 15. Eckhel, doetrina num. IV, 67. Im-
hoof-Blumer und Keller, Thier- und Pflanzenbilder auf Münzen
etc. 1889, Taf. XI Nr. 8, vgl. S. 65. Catalogue of Greek coins
of the British Museum. 16. Catalogue of Alexandria by
Reynald Stuart Poole London, 1892, 123 Nr. 1052 pl. VI.
b. Septimius Severus. Perinth in Thracien (Kolonie von Argos).
Pellerin, m^langes de diverses mMailles pour servir de supplem.
de tom. I. S. 75 R., darnach Raff ei, Osservazioni sopra un Basso-
rilievo della Villa Albani 47 ff. Vgl. Eckhel II, 41. Zo^ga,
Bassirilievi IT. 96 Anm. 3. Abgebildet neuerdings von Sworonos,
Ephemeris archaiologike 1889, Taf. 2, 18, vgl. S. 105 f., daraus
hier Taf. III 4 etwas vergrösscrt wiedergegeben.
c. Caracalla. Argos. Der Güte von Herrn Imhoof- Blnmer
20) Vgl. Görlitzer Verhandlungen 13, a und b.
Römische Broncereliefs aus Köln. M
wird der Nachweis und ein Abdruck aus der Sammlung Loebeoke
in Magdeburg verdankt.
Der Typus der Darstellung ist scharf von dem bisherigen zu
scheiden; er ist abgesehen von kleinen Verechiedenheiten feststehend
und macht durchaus den Eindruck der ürsprünglichkeit, nicht einer
üebertragung: Herakles, bärtig, mit Löwenfell über Hinterkopf und
Rücken, schreitet mit der erhobenen Keule auf die Gegnerin
los und fasst mit der einen Hand deren emporgehaltenen Arm.
DaB Schlangenweib hat menschlichen Oberkörper, im Haare keine
Schlangen, der untere Theil des Körpers endigt in zwei Schlangen
ähnlich wie bei den Giganten, die eine Hand ist an die Brust
gehalten, der andere Arm, mit einer Schlange umwunden"), bedroht
den Helden ebenso wie jene Thiere, die den Unterkörper bilden,
feindlich ihm sich nahem. Der Blick des Weibes ist auf den Gegner
gerichtet. Die sichere Grundlage für die Deutung fehlt, da der
Typus nicht an zweiter Stelle in den Schemen des Dodekathlos
vorkommt. Auch stimmt er weder mit sonstigen Bildwerken noch
mit Hesiods und Hcrodots Beschreibung der Echidna überein. Die
Bärtigkeit des Helden würde nicht gegen den Hydrakampf ent-
scheiden; denn so erscheint er auch auf den andern Münzen
Alexandriens, sogar in diesem Kampfe selbst (Zoega, Numi Aegyptii
Taf. XI, 12). Aber eben auf alexandrinischen Münzen des An-
toninus Pius ist derselbe Kampf gegen die mehrköpfige Schlange
nachgewiesen (Zoöga, Numi Taf. XI, 12), auch auf denen von
Argos zur Zeit des Hadrian (Imhoof-Blumer und Gardner, Nu-
mismat. Comment. on Pausanias Taf. M. Lema 1); dieses gleich-
zeitige Auftreten der beiden Typen scheint einer Gleichsetzung nicht
21) Für Giganten vgl. M. May er Giganten und Titanen 227. — Leider
ist die Bronce, ehemals im Besitze Baimund Fuggers, abgebildet bei
Apianus und Amantius, Inscriptiones . . . Ingolstadt 1&S4 im An-
hange S. 5, wie es scheint, verioren: Sie gleicht den eben behandelten
Münzen im Typus. Bursian hat das Verdienst, auf die Abbildung
aufinerksam gemacht zu haben; er hat für den Fall, dass die weiblichen
Brüste der Zeichnung wirklich vorhanden waren, an Echidna gedacht
(Berichte der Münchener Akademie, phiL^hist. Ciasse 1874, 2, 144 f.). Die
Benennung des Amantius, Imago filii Laoccoontis wird wohl durch die
Schlangen in den Händen veranlasst sein. Den die Schlangen würgenden
Herakles hat er ebenso getauft (Bursian 142). Die Beschreibung von
Bursian ist, wie eine Vergleichung der Inscriptiones gelehrt hat, richtig.
100 H. L. Urlichs:
gerade günstig zu sein. Die EntscbeidiiDg dürfte das Relief in Villa
Albani geben^ wenn dessen ursprünglicbe Verwendung sieb ermitteln
Hesse; denn mit ibm und an zweiter Stelle vielleicbt aueb mit dem
Atheniscben Monument**) haben die Mttuztypeu die grösste Ver-
wandtsebaft. Auf Eehidna ist man bei den Deutnngsversuebcn
mebrfaeb zurückgekommen, aber abgesehen davon, dass die Dar-
stellung nicht mit Hesiod und Herodot übereinstimmt^ der Zeitunter-
schied zwischen dem archaischen Porosrelief der Akropolis zu
Athen*') und den Eaisermünzen ist ein so grosser^ dass sichere Schlüsse
unmöglich sind. Endlich an eine „Gigantin" **) zu denken; wie Poole
a. a. 0. thut , ist seit der Feststellung der weiblichen Gegner auf
den Qigantensäulen nicht ausgeschlossen, aber bis jetzt ist diese
Erscheinung eine so vereinzelte, dass es gewagt ist, daraus Schlüsse
zu ziehen. Mit diesen Andeutungen muss man sich zur Zeit begnügen,
doch wesentlich fUr künftige Forschung ist die Ausscheidung der
Gruppe aus den sicher als Hydrakampf zu deutenden Bildwerken*^).
Wünschenswerth ist es vor allem, dass im Zusammenhange mit
anderen Heraklesthaten auch der einer sicheren Erklärung entbehrende
Kampf erscheint. Der Boden des Rheingebietes hat wie zu vielen
andern Sagen auch zu der des Herkules manchen schönen Beitrag
gespendet. Darum darf man der frohen Hoffnung Ausdruck ver-
leihen, dass bald ein glücklicher Fund Licht verbreiten möge, wie
der des Kölner Reliefs Veranlassung gegeben hat, bekannte Bild-
22) Siehe S. 94 f. und 93 f.
23) Brückner, Athenische Mittheilungen, 1889, 67 ff.
24) Ueber Herkules im Gigantenkampfe vgl. M. M a y e r a. a. O.
403, Furtwängler, Roschers Lexikon I, 2246, Hang Westdeutsche
Zeitschrift a. a. 0. 307.
25) Es sei erwähnt, dass möglicherweise auch die Besiegung eines
anderen Schlangenweibes zu erkennen ist ; so ist in der 5. Rede des Dio
Chrysostomos, im Aißvxog fiv&og berichtet, dass Herakles ein der Eehidna
und Hydra sehr ähnliches wildes Thier in Libyen überwältigt hat. Vgl
dazu Ernst Weber, de Dione Ohrysostomo (H^nicorum sectatore, Leip-
ziger Studien zur Philologie 10, 1887 ; 236—257 handelt de Antisthenis
Hercule, vgl. inbesondere was 253 Anmerkung 1 zusammengestellt ist
Seltene Darstellungen sind auf Münzen von Alexandrien öfters zu finden.
Das Abenteuer bei Syleus (Münz-Katalog des British Museum
pl. VI, Nr. 1056); die Aufnahme beim Kentauren Pholos (Zoöga Numi
Aegypt. Taf. XI, S. 176 Nr. 117 und Münz-Katalog d. Brit. Mus.
pl. VI, Nr. 1057).
Römische Broncereliefs aus Köln. 101
werke im ZuBammenhange mit demselben nochmals zn prüfen und
zu ordnen. Vielleicht ist noch manches Stück^ das hierher gehört,
besonders aus der Kleinkunst, unter den zahlreichen, nicht immer ge-
nügend katalogisierten Thonreliefs und Terracottalampen u. s. w. in den
Sammlungen oder im Privatbesitze verborgen. Mögen die anspruchs-
losen Bemerkungen, die der VcröflFentlichung beigegeben sind, zu
eifriger Nachforschung anregen!
München. Heinrich Ludwig ürlichs.
7. Vorläufige Mittheilung über ein römisches Mosaik
bei Kreuznach.
Von
Prof. 0. Kohl.
Hierzu Taf. IV.
Auf dem linken Ufer der Nahe bei Kreuznach zieht sich hinter
dem Schlossberg oder Kauzenberg in nordwestlicher Richtung nach
dem Hunsrticken zu der Agnesienberg, an dessen östlicher Seite
der Ellerbach zur Nahe fliesst, während in dem sanften Einschnitt
zwischen dem Agnesicnberg und dem Schlossberg, bezw. der Hardt
jetzt eine Chaussee nach Hüffelsheim führt. An dem östlichen Ab-
hang des Agnesienberges liegen zwei Ziegeleien, und neben der
entfernteren waren vor vier Jahren einige römische Grabumen von
grauschwarzer Art gefunden worden, sowie ein Stück eines grösseren
rothen Thongefässes mit dem Stempel CLEMENS FEC.
Im December des letzten Jahres sollte unterhalb der vorderen
Ziegelei neben der Hüffelsheimer Chaussee der Platz für ein Wohn-
haus ausgeschachtet werden. In gleicher Höhe mit der Chaussee
gleich jenseits des Grabens, wo das Terrain 2 und mehr Meter an-
steigt, fanden die Arbeiter die Reste einer der Chaussee nicht ganz
parallelen Mauer mit einigen Sandsteinquadem, alten Bauschutt mit
Säulchen aus runden rothen Backsteinen und entsprechenden Deck-
platten, sowie Mauer- oder Wandreste mit farbigem Verputz und
endlich hinter den Resten einer zweiten parallelen Mauer einen
Mosaikfussboden.
Die schweren Hacken waren zuerst in den Boden eingedrungen
und hatten einige der kleinen regelmässigen Steinwürfel losgelöst,
Prof. 0. Kohl: Vorläufige Mittlieilung über ein römisches Mosaik etc. 103
von denen je 11 einer Länge von 10 Centimetem entsprachen. Sie
waren in eine Betonschicht von etwa 10 ctm Dicke eingelassen,
die eine feste Unterlage von Sandstein brocken hatte, wie sie beim
Behanen der Quadern abgefallen sein mochten. Die schwarzen
Mosaikwürfel sind Natursteine, die rothen und weissen anscheinend
künstliche Steine. Nachdem die Arbeiter das Mosaik als solches
erkannt hatten, gingen sie sehr vorsichtig zu Werke, und von
dem Besitzer H. Aug. Henke wurden zwei Vorstandsmitglieder
des Antiquarisch - historischen Vereins, Herr Bauunternehmer J.
Henke und der Unterzeichnete von dem Funde freundlich be-
nachrichtigt. Das Ornamentmosaik von etwa 4 m Länge und
2,5 Breite schien ein in sieh abgeschlossener Fussboden zu sein,
und der Verein erhielt die gütige Erlaubniss, denselben wegzu-
nehmen mid in sein Museum zu bringen. Beim weiteren Aus-
schachten und DntersQchen aber ergab sich, dass diese Fläche nur
der Vorplatz oder Ausbau eines bedeutend grösseren Mosaiks ^ar.
Jetzt beschloss der Besitzer, das beabsichtigte Wohnhans an einer
andern Stelle zu errichten, den ganzen Mosaikfussboden bioszulegen,
mit einer Halle, wie in Nennig, zu überbauen und gegen Eintritts-
geld dem Publikum zum Betrachten zugiänglich zu machen. Dem-
entsprechend nahm auch der Verein das ihm überlassene Stück nicht
weg. Wegen des ungünstigen Wetters wurden die Nachgrabnngen
nur 3 Tage fortgesetzt, bis einige Bilder erkannt waren und die
ganze Ausdehnung sich bemessen Hess; dann wurde der möglichst
sauber gebüretete Boden photographirt und das Ganze unter Auf-
sieht der zwei Vorstandsmitglieder sorgfältig mit Tüchern, Stroh,
Brettern und Erde wieder zugedeckt; rundum wurde eine Bretter-
wand zur Absperrung aufgeschlagen.
Der Vorplatz a b c h misst 3,8 m auf 2,34 m, und innerhalb
der schwarzen Einfassung von meist 0,11 Breite folgen nach innen
zu rings ein grauer Rand von 0,12, ein weisser von 0,03 und ein
schwarzer von 0,02 m Breite, bis dann der so eingeschlossene mitt-
lere Raum £ f ^ d 3,2 ni auf 1,8 m in weissem Grunde 60 sog.
„Sichelräder", je 10 in 6 Reihen, wie sie die Figur Seite 3 zeigt,
d. h. ornamentale Weiterbildungen des uralten. Glück bringenden
Symbols des „Hakenkreuzes" (Svastica) enthält, je ein Kreuzband
mit rings vier asiatischen Schilden vereint, wie in Wilmowsky und
Hettner „Rom. Mosaiken aus Trier u. d. ü." Taf. VH 2 und HI 2.
Dass die Kombination eigentlich nicht ans asiatischen Schilden nnd
104 Prof. O. Kohl:
dem Kreuzband aneinander gesetzt ist; sondern ans zwei Doppel-
sicheln, über deren Mitte das Kreuzband eingelegt ist, lehrt meiner
Meinung nach das selbstständige Vorkommen dieser Form, wie z. B.
auf Taf. V jedes Sichelrad fttr sich in einem besonderen Viereck
eingeschlossen ist. Bei einer Zusammenstellnng mehrerer Sichelräder
sind die übrig bleibenden grösseren weissen Felder mit einem
farbigen Stern verziert. Die Stellung der Sichelräder, die Spitzen
nach links oder rechts gewendet, wechselt von links nach rechts
und von oben nach unten. Ebenso die Farbe, indem von Aussen
nach Innen zu die einen schwarz, dunkelroth, gelbroth, weiss, die
anderen schwarz, grünlich-grau, grau, weiss zeigen. Bei allen aber
sind die Zwickel roth und die Kreuze an den Enden schwarz.
In Bezug auf die Abwechslung der Farben und die Ausgestaltung
der Endspitzen und Sterne hält also das Kreuznacher Mosaik die Mitte
zwischen dem reicheren von Trier VII, 2 und dem einfacheren III, 2.
Eigenthümlich steht es mit der schwarzen Einfassung« An den
Schmalseiten ist sie 0,11 m breit, an der äusseren Seite a b a /3 nur
0,07 m, und es ist nicht wahrscheinlich, dass die jetzigen Arbeiter
beim Aufdecken und Abräumen genau 4 Centimeter abgestossen
hätten. Auch auf der entgegengesetzten Breitseite y d findet sich
eine Abweichung in der schwarzen Einfassung, welche das Auge
unangenehm berührt. Bei y ist nämlich der schwai-ze Rand 0,11,
bei d aber 0,13 m breit, und zwar offenbar desshalb, weil den rö-
mischen Mosaikarbeitern der jenseits liegende grosse Blumenfries
ungleich gerathen war, bei y oder c 0,48, bei h oder 6 nur 0,46.
Dem entsprechend misst auch der breite schwarze Rand, welcher
den grossen Mosaikboden umgibt, und in welchen sich der Vorplatz
in der Mitte 6 Centimeter weit einschiebt, bei c 0,17 und bei h 0,20.
Dass übrigens a b c h Vorplatz, bezw. Eingang gewesen ist,
könnte zweifelhaft sein nach der Angabe der Arbeiter, welche meinten,
Vorläufige Mittheilung über ein römisches Mosaik bei Kreuznach. 105
auf der Mauer habe sich keine Thürschwelle und keine Thürpfosten-
steine gezeigt; es lagen aber noch zwei Quadern da. Sicher be-
fanden sich zwischen b und c zwei Quadern ^ welche mit ihren
Einschnitten auf eine Thtlr schliessen lassen; es war dies die Ver-
bindungsthflre zwischen dem Mosaikvorplatz und dem Hypokaustum ;
ob in der Abschlussmauer nach der Chaussee zu Spuren auf eine
Thüre gewiesen ^ vermochten die Arbeiter nicht mehr zu sagen.
Auch ob die Säulchen des Hypokaustum ebenfalls zwischen b und der
Abschlussmauer, bezw. der Chaussee oder nur in der Ecke b c d
gefunden waren, liess sich nicht mehr ganz sicher feststellen. Ganz
nahe auf der Westseite wurde noch ein kurzer Kanal aufgedeckt,
welcher entweder hcisse Luft oder Wasser zuführte oder seitwäiis
Wasser ableitete. Die Mauer zwischen a und h zeigt auf der Seite
nach dem Mosaikvorplatz bunten Verputz, lieber den Kanal und
tlber die von a und b ausgehenden Mauern lässt sich im Frühjahr
Bestimmteres ermitteln.
Nun zurück zu dem grossen Mosaikfeld ! Jenseits der schwarzen
Einfassung war ein 0,46 oder 0,48 breites Band zum Vorschein
gekommen, welches auf beiden Seiten von aussen nach innen durch
einen weissen (0,03) und einen schwarzen (0,02) Streifen eingefasst
war imd in dem mittleren weissen Grunde Blumenranken in schwarzer,
rother und gelblicher Farbe zeigte. Jenseits der Mitte des Vor-
platzes war, wie es von ab aus schien, eine dreiblätterige Blume
als Mittelstück eingesetzt, von der die Ranken nach rechts und links
liefen; allein es ist, wenn man von dem Mittelstttck 0 aus blickt, ein
Kelch. Weiter jenseits dieses Blumenfrieses und einer Bandborte,
welche zwei in Bogen durch einander fortlaufende Bandstreifen
(schwarz, roth, gelblich-roth, weiss, schwarz, 0,11 m breit), wie auf
dem Trierer Mosaik III, 1 enthält, zeigten sich endlich in einem
von der Bandborte rechts und links begrenzten Rahmen (A 1,45 m
breit) zwei Beine und schliesslich zwei Gladiatoren. Der nach oben
in einen unvollständigen Halbkreis oder gedrückten Bogen endigende
Umfassungsrahmen von 0,19 Breite enthält in der Mitte ein schwarz-
roth-weiss-roth-schwarzes Band, 0,08 m zwischen je einem schwarzen
Zackenrand und aussen noch einen weissen Rand. Das Figurenfeld
nun ist unten 1,08 m breit und 0,92 m hoch und weist unten einen
schwarzen Rand als Fussboden auf, während das übrige aus weissen
Steinchen zusammengesetzt ist. Die zwei dastehenden Gladiatoren
(0,70 m hoch) erinnerten mich sofort lebhaft an die 2 Gladiatoren
106 Prof. 0. Kohl:
retiarius und secutor ^) in dem grössten Bilde des Nenniger Mosaiks.
Der Lanista aber in der Mitte fehlt, und die Personen sind von der
entgegengesetzten Seite, der eine von hinten, der andere von vorn,
dargestellt, aueh ist die Kleidung nicht ganz dieselbe; endlich ist
die Bewegung des Angreifers lebhafter und die ganze Seene, da die
beiden Kämpfer einander näher stehen, noch spannender. Wenn
die Kreuznacher Gladiatoren gedioingenere Proportionen haben als
die schlanken Nenniger in der W i 1 m o w s k y ' sehen Nachbildung,
so braucht dies nicht im Verhältniss zu den Originalen zu gelten
(Meyer und H e 1 1 n e r in der Westd. Zeitschr. I, 154). Der hiesige
retiarius ist um die Hüften besser bekleidet als der betreffende in
Nennig; sein linker Arm ist stark bandagirt, aus dem linken Schulter-
polster ragt ein gebogenes Blech von grünlicher Farbe, galerus,
hervor, hinter welchem er seinen Kopf verbirgt. Er wendet uns
den Rücken zu; die linke Hand ist links vorgestreckt, der rechte
nackte Oberarm nach rechts oben gestreckt, und die rechte Hand
hält eine Lanze, deren Schaftende rechts sichtbar ist. Das gewiss
dreizackige andere Ende vor der linken Hand und diese selbst ist
nicht mehr zu erkennen, weil da eine schwarz gefärbte Brandstelle
sich befindet, entstanden jedenfalls durch glühende Balken, welche
bei der Zeratörung herunter gefallen waren. Ebenso wenig kann
man erkennen, was der secutor in seiner nach rechts unten vorge-
streckten Hand hielt; kurz aber muss der Dolch oder das Sichel-
messer gewesen sein. Der secutor hat den rechten Arm und beide
Beine bekleidet und mit bunten Streifen umwickelt, auf dem Kopf
trägt er einen Helm. Die Brandstellen an demselben Hessen nicht
deutlich erkennen, welches die Fonn war, und ob etwa ein schwarzes
Netz darüber geworfen sein sollte. Letzteres ist allerdings nicht
wahrscheinlich, da die schwarzen Stellen von dem Helm aus nach
oben und nach den Seiten, aber nicht nach unten gehen. Seine
linke Seite schützt der secutor mit dem viereckigen, länglichen, ge-
bogeneu Schilde. Der retiarius aber will nicht, wie Wilmowsky
in seiner sonst so feinsinnigen Erklärung meint, den Schild des se-
cutor aufheben, um mit dem Dolche nachznstossen, sondern, da der
secutor oben durch den Schild gedeckt war, wollte er denselben
1) P. J. Meyer. Westd. Z. I, 160. Wilmowsky (Die Römische
Villa zu Nennig, Winckelmannprogramm 1865) nannte ihn noch mur-
miilo,
V ) rläufige Mittheilung über ein römisches Mosaik bei Kreuznach. 107
ins Knie stossen, aber rechtzeitig hat der secutor noeh seinen Schild
hemntergerUckt, so dass zwar seine Schulter frei wird, aber der
das Bein bedrohende Stoss doch aufgefangen ist. Im nächsten
Moment wird der secutor mit leichter Rechtsdrehung dem retiarius
seinen Dolch in die Seite oder den Rücken zu stossen versuchen.
Weiter als bis zum inneren Rande dieses Bildes wurde nicht
gegraben. Rechts und links des Mittelbildes waren einander gleiche
Trapeze (N. 3. 4. 1. 2) mit je zwei wiederkehrenden Mustern von Ara-
besken in schwarzer und rother Farbe auf weissem Grunde herausge-
kommen ; xmd hinter diesen je ein Rahmen gleich dem zuerst aufge-
deckten. In dem linken (H) zeigte sich rechts ein auf die Hinterfiisse
gesunkener Stier, aus dessen Rücken ein Speer herausragte und ein
Blntstrahl aufspritzte. Worauf er seine VorderfÖsse stützte, war
wegen einer Brandstelle nicht ganz klar. Mir schien es ein Schild
zu sein; denn dem entsprach die Haltung des vor dem Stiere ste-
henden bestiarius, welcher den linken Arm nach unten dem Stiere
zu gesenkt hatte, während er mit dem rechten ausholte zum letzten
Stoss. Mit welcher Waffe, ob mit einer zweiten Lanze oder mit
einem Dolch konnte nicht untersucht werden, da das überhängende
Erdreich nachzustürzen drohte. Im Rahmen rechts (B) wurden nur
noch 2 menschliche FtLsse sichtbar. Endlich wurden noch rechts
und links die in gleicher Basis mit dem mittleren Figurenbilde
stehenden Eckrahmen angebrochen; im linken (J) sah man den
Kopf eines Hirsches und eines wilden Thieres (Bären?), ähnlich
dem Löwen mit dem Eselskopf oder dem Tiger mit dem Waldesel
auf dem Nenniger Mosaik, und im rechten (K) sah man den Kopf
eines Panthers oder Leoparden. Der Rahmen des linken Fignren-
bildes H und des rechten B hat übrigens nach innen zu in schwarzem
Grunde ein eckiges Doppelmäanderband, dunkelgrau (oder grOngrau),
hellgrau, weiss und dunkelroth, hellroth (oder gelbroth), weiss, von
H et tu er das missverstandene Mäanderband genannt, ganz gleich
—7 dem Trierschen VII, 1, nach aussen in einem vier
_ UL Li Steinchen breiten Bande weisse Zacken in schwarzen
— ''''' Grund hinein (bezw. auch umgekehrt) und endlich,
wie der Rahmen von A den weissen Aussenrand.
Ein weiteres Bioslegen der Bilder war augenblicklich unthun-
lieh, weil schon die bisher erkannten Theile des Bildes nicht frei,
sondern in Höhlungen unter dem überhängenden Erdreich lagen, und
weil die Witterung ungünstig war. Inzwischen wurde von obeo
108 Prof. 0. Kohl:
Erdreich abgehoben und fortgefahren, so dass im Frühjahr die Weg-
ränmung der Decke leichter sein wird. Der Bauschutt lag etwa
einen halben Meter hoch, dann 2 — 3 Meter der vom Agnesienberg
in 13 — 15 Jahrhunderten nachgeratschte Lehmboden.
Auch auf die Durchziehung eines Orientirungsgrabens musste
aus den angeführten Gründen verzichtet werden, und die wissen-
schaftliche Neugier musste hinter der Sorge für die Erhaltung zurück-
treten. Die Maasse aber von den aufgedeckten Theilen, deren Auf-
nahme durch Regenwetter sehr erschwert wurde, erlaubten mir
doch einen Plan des ganzen Mosaikiussbodens zu entwerfen. Da
die Achsen der 3 Figurenbilder A, B, H in Winkeln von 45 Grad
zusammenlaufen, so müssen es im Ganzen 8 Figurenbilder ge-
wesen sein, und da B und H dieselben, von A abweichenden
Rahmenverzierungen haben, so gibt es wahrscheinlich rings herum
nur 2 Verzierungen, welche an den ungeraden und den geraden
Stellen wechseln. Die vom gefundenen 2 arabeskenartigen Aus-
füllungen der Trapeze, deren es 16 sein müssen, kehren wohl alle
wieder; möglicherweise könnte aber jede oder könnten zwei gegen-
überliegende Seiten eine besondere Füllung der Trapeze haben. Die
vier Eckbilder J, K, L, M müssen quadratisch und verhältnissmässig
klein angesetzt werden. Weder bis n, noch bis o ist gegraben
worden, aber es musste eine wunderbare Zerstörung stattgefunden
haben, wenn das bei d erscheinende Ende des Mosaiks nicht wirk-
lich das Ende in der Richtung g h c d sein sollte; auch würde
die Ausfüllung des das ganze Quadrat zum Oblong ergänzenden
Raumes niisslich gewesen sein ohne Schädigung des harmonischen
Aussehens. Der äussere Abschluss des Mittelstücks 0 muss rund sein.
Denn da überall die Bandborte zwischen den Bildern durchgeht,
muss sie auch über den rund abschliessenden Figurenrahmen hin-
gehen ; und wenn man die Wahl zwischen dreiseitigen Zwickeln hat,
welche zwei Bogenlinien und eine gerade Linie, und solchen, welche
drei einander &nt«prechende Bogenlinien haben sollen, kann die
Wahl weder für die damaligen Entwerfer des Mosaiks noch für die
heutigen Nachbildner zweifelhaft sein. Ob der äussere Kreisbogen
des Mittelfeldes auch von der Bandborte ausgefüllt ist, könnte eher
fraglich erscheinen. Innerhalb desselben kann ein Oktogon eingesetzt
gewesen sein. Zu einem kleinen Bassin mit Springbrunnen ist der
2,04 m im Durchmesser fassende Kreis nicht zu klein; auch das
Nenniger Quadrat, welches ein achteckiges Becken enthielt,
Vorläufige Mittheilung über ein rbmisches Mosaik bei Kreuznach. 109
misst nicht mehr als 2,2 Meter; ebensowohl kann aber wie bei
dem einen Trierer Mosaik (B. J. 1866) und dem Nenniger
ein grösseres Figurenhild die Mitte ausfüllen; ein blosses Orna-
ment, wie auf dem Kölnischen vom Griechenmarkt (B. J. 1866)
würde den belebten 12 Arenasccuen des Umkreises nicht genügen.
Nach der Art der aufgedeckten 5 Bilder müssen die andein 7
ähnlich sein, und es gehört unser Mosaik, wie das Neuniger, zu
dem Genre, welches die bei den Römern so beliebten Thier- und
Gladiatorenkämpfe darstellte. Dieser Geschmack stimmte zu einem
kleinen Gamisonorte, wie es Cruciniacum war, auch mehr als der,
welcher sich in den Musen- und Philosophenfriesen der grossen Kultur-
städte Trier und Köln ausspricht.
Jenseit der nördlichen Grenzlinie e f wird wohl ein Vorplatz,
wie an der südlichen Grenzlinie, angegrenzt haben; ob auch rechts
und links, seheint sehr zweifelhaft. Der Eingang hat, wenn die
jetzigen Arbeiter richtig die Südmauer beurtheilt haben, von Norden
aus herein geftihrt. Hierüber, sowie über die jenseits zur nächsten
Backsteinbrennerei sich hinziehende Villenanlage wird die Aus-
grabung des Frühjahrs Aufschlnss geben, die unter Leitung des ge-
nannten NeflFen des Besitzers erfolgt, welcher Vorstandsmitglied des
A.-H. Vereines ist und selbst eine werthvoUe Sammlung römischer
AlterthHmer sich zusammengestellt hat. Die Villa, zu der ein so
bedeutender Mosaikfassboden gehörte, muss selbst umfangreich und
die eines sehr wohlhabenden Mannes gewesen sein. Zwischen ihr
und der Nahe, jenseits deren das Kastell lag, befand sich nach-
weislich noch eine Villa am Kauzenberg und naheabwärts in etwas
weiterer Entfernung vom Flusse, auf der Höhe des ^hungrigen
Wolfes^, eine dritte bedeutende.
Die Aehnlichkeit des Krenznacher Mosaiks mit dem Nenniger
lässt eine Nachahmung oder ein verschiedenes Arbeiten nach einem
gemeinsamen italienischen Muster zu. Ich möchte annehmen, dass
das grössere Mosaik in der Nähe der grossen Stadt mit einem
kleineren Mosaik in der Nähe einer kleineren Garnisonstadt nach-
geahmt wurde. Wilmowskys frühe Ansetzung des Nenniger Mosaiks
fUr die Regierungszeit Trajans oder Hadrians ist von F. Hettner (Text-
heft zu Wilmowsky: Römische Mosaiken aus Trier u. d. ü. 1888)
treffend zurückgewiesen worden. Wenn Hettner das Nenniger
Mosaik in die Zeit 200 — 250 setzt, so würde das Kreuznacher Mo-
saik, welches die Kampfscenen des Nenniger nachahmt, in dieselbe
110 Prof. 0. Sohl: Vorläufige Mittheilung über ein römisches Mosaik etc.
oder eine etwas spätere Zeit zu rücken sein. Wenn Hettner
andererseits das Mosaik mit dem „missverstandenen Mäander^ YII^ 1
in die Zeit unter Constantin oder später setzt, so würde das Kreuz-
nacher Mosaik, welches dieselbe Randyerzierung enthält, auch so
spät fallen. Nun ist aber in der sonst so lehrreichen Schrift nicht
nachgewiesen, von wann bestimmt dieses „missverstandene Mäander-
band^ aufkommt, wenn auch diese verfehlte Umbildung offenbar
eine spätere ist. So möchte ich vorläufig eine gewisse Mitte ein-
halten und das Ereuznacher Mosaik der Zeit 250 — 300 zuweisen
und ans allgemeinen Gründen besonders an die Regierung des Gon-
stantius Chlorus und den Regierungsanfang seines Sohnes in Trier
denken. Die Zeit der Zerstörung werden hoffentlich Münzfnnde klar
stellen.
Der Raum, in welchem sich der Mosaikfussboden befand,
war gewiss ein Oesellschaftsraum, vielleicht auch Speisesaal flir den
Sommer. Die Seitenwände und das Dach müssen leicht gewesen
sein; denn der Bauschutt enthält keine Quadersteine, hat keine
starke 2^rstörung angerichtet und liegt nur einen halben Meter hoch.
Von den Balken des Daches zeugen die Brandstellen im Mosaik,
das, soweit ausgegraben, nur im Vorplatz einige Löcher zeigt. Das
Lateraner Mosaik in Rom aus den Thermen Caracallas mit Gladia-
toren umfasst 18 auf 10,6 Meter, das N^iniger 15 auf 10, bezw.
sein mittlerer Theil 11,2 auf 7,5, das Darmstädter ans Vilbel 7,1
auf 4,8, das Kreuznacher 11,48 oder 9,14 auf 6,8 und 3,8
Meter, bezw. das Quadrat allein 6,8 auf 6,8 und der mittlere Theil
mit der Bandborte 5,5 auf 5,5 Meter. Wenn also der verborgene
Theil des Mosaiks ebensogut erhalten ist, wie der bisher aufge-
deckte, so wird das römische Mosaik Kreussnachs zu den grösseren
gehören, bezw. das zweitgrösste in Deutschland sein.
Kreuznach, 5. Januar 1894.
Prof. 0. KohL
0. Kohl: Weitete Mittheilung über das römische Mosaik b. Kreuznach. 111
Weitere Mittheilung aber das römische Mosailc bei Kreuznach.
Hierzu der nach den inzwischen fortgesetzten und vorläufig ab-
geschlossenen Ausgrabungen erweiterte Plan auf Tafel Vll.
Nachdem die hohe Erdschicht, welche das Kreuziiacher Mosaik
deckte, nach Ostern dieses Jahres allmählich gleichmässig abgetragen
war, wurde das letztere selber vom 23. — 25. April nach Abschluss
des Druckes obigen Theiles dieser Arbeit blosgelegt und erfüllte
alle billigen Erwartungen, indem nur das runde Mittelfeld und ein
Bogenfeld zu einem Drittel, bez. zur Hälfte, zerstört, mehrere Bilder
wenig, manche gar nicht beschädigt waren und die Farben, wenn
auch nicht ganz lebhaft, so doch noch erkennbar sich zeigten.
Der grosse, von der Bandborte eingeschlossene Kaum mit den
E^kquadraten, den Bogenfeldem, den kleinen Trapezen und dem
grossen Kreis in der Mitte entsprach genau dem nach d^ ersten
Angrabung entworfenen Plane, bezw. dem grossen Quadrate ^»opftf. —
Die zwischen den Fignrenbildem eingeschobenen 16 Trapeze zeigen
jetzt 10 verschiedene Muster, und es ist anzuerkennen, mit welcher
Geschicklichkeit die Erfinder der Muster es verstanden haben, die
Figuren innerhalb der Trapeze, Blatt, Herz, Kelch, Leier u. a. mit
Blumen und Ranken, bez. Spiralen, symmetrisch zu gestalten und
doch durch einen besondem Ausläufer nach der einen Seite hin
der ungleichen Qestalt des Trapezes zu genügen. Als die römischen
Mosaikarbeiter in Kreuznach waren, standen ihnen wahrscheinlich 10
Schablonen zur Verfügung, und fttr die übrigen 6 Trapeze wiederholten
sie Muster der ersten 10; es ist nämlich 9 = 5, 10 = 6, 11 = 16,
12 = 15, 13 ==1, 14 = 2. Da das Rundbild in der Mitte von dem
Omamentvorplatz aus zu betrachten ist und die Haupteingänge im
Norden und Osten lagen, so hat man wohl zuerst 15. 16. 1 — 8
gelegt und dann die übrigen durch Wiederholung hergestellt. Doch
könnten die Trapeze auch fertig aus der Fabrik geschickt sein.
Die quadratischen Eckbilder unterscheiden sich dadurch von
den Rundbogenbildem, dass sie immer zwei Thiere im Kampf mit
einander darstellen. Die Ecken haben natürlich etwas gelitten und
so laasen sich die Figuren nicht mehr gut alle erkennen, wenigstens
bei einem ersten Prüfen nicht; der ganze Boden muss erst noch
einmal gründlich von allen anklebenden Erdtheilchen gereinigt wer-
112 0. Kohl:
den. In / ist ein Stück der Mitte ausgebrochen; deutlich aber
sieht man, wie ein Panther oder Leopard einen Hirsch mit 6 zacki-
gem Geweih durch einen Schlag mit der einen Tatze auf den Hin-
terschenkel zu Boden gedrückt hat und eben die andere Tatze und
die Zähne des Rachens nach dem Bug und Hals des Hirsches vor-
streckt. In K hat ein Panther oder Leopard mit erhobenem Schweif
seine Vordertatzen auf einen am Boden liegenden Esel gesetzt. In
L ist nur noch ein mit gesenktem Kopf stehender Stier zu erkennen,
an welchem vorn ein wildes Thier sich erhoben hat. In M ist ein
kleiner Leopard oder ein ähnliches Thier einem Wildschwein auf den
Rücken gesprungen. Die Bilder KL stehen beide auf der Linie
0 p, die M l auf der Linie n jw.
Während diese Quadrate nur Thiere mit Thieren im Kampfe
darstellen, zeigen sich in den Rundbogenrahmen Menschen im Kampfe
abwechselnd mit Thieren BDFH oder mit Menschen ACEG.
Die Gladiatoren bez. Bestiarii der erateren Reihe tragen keine Kopf-
bedeckung und lassen ein gelblichrothes, kurz gelocktes Haar sehen,
sind also als kriegsgefangene Germanen gedacht; sie haben den linken
Arm in einem Stulphandschuh, welcher bis auf die Schulter reicht
und mit einem Riemen um die Bnist unter der rechten Schulter her fest-
gebunden ist; an der linken Hand, die zum grösseren Theil blos erscheint,
hängt aus dem Stulphandschuh ein kurzes Stück Zeug herunter, viel-
leicht Andeutung des Tuches, welches sie den Thieren vorhielten;
weder Schild noch Beinschienen dienen als Schutz; um den Unter-
schenkel gehen bunte, blaue und rothe Bänder, die Füsse stecken in
Sandalen, deren gekreuzte schwarze Riemen deutlich gekennzeichnet
sind. Ihre Waffe ist die Lanze. Der Bestiarius auf B in Jacke
bis zur Hüfte und in Hosen bis unter die Knie tritt mit dem linken
Fusse vor und stösst mit wenig erhobener Lanze ein weiss-r5thlich-
graues, aufrecht stehendes Thier, welches durch die regelmässigen dun-
keln, aus 4 schwarzen Steinchen bestehenden Flecken als Leopard (Pan-
ther ?) gekennzeichnet ist, und welches die Tatzen und den Rachen nach
dem Menschen reckt, in den Hals, aus welchem die Blutstropfen zur
Erde fallen. Der Bestiarius auf Z> trägt eine weiss-grttnliche Jacke
(Conturen und Schatten grün) bis oberhalb der Hüfte, dann erscheint ein
weisser Querstreifen, nicht wie ein Gürtel, sondern wie ein Hemd,
und die gelben Hosen gehen darunter bis auf die Waden ; die Hosen-
beine sind eigenthümlich grün gestickt auf dem Oberschenkel, ein
O mit einem Punkt in der Mitte und vieren herum und darunter
Weitere Mittheilung über das römische Mosaik bei Kreuznach. 113
ein Quincnnx aus 5 Punkten. Er stösst nach links vortretend seine
Lanze in den Hals eines grauen Ebers, der eben auf die Hinter-
fttsse sinkt, seine borstige Mähne sträubt und den Rachen mit den
weissen Hauern gegen den Menschen öflfnet; aus der Wunde tropft
Blut. Der Bestiarius auf F dreht uns den Rücken zu; seine helle
Tricotjacke und -Hose ist mit bunten Würfelchen besetzt, um den
Leib trägt er einen Gürtel; dem aufgerichteten und plump auf ihn
zufallenden Bären, dessen Kopf gleiche Höhe mit seiner Schulter
hat, stösst er mit ruhiger Sicherheit die Lanze in den Hals, aus
dem die Blutstropfen zu Boden fallen. In H ist der Stier in der
rechten Ecke auf die Hinterflisse gesunken und hält die Vorderbeine
gehoben; der dunkle Streifen unter denselben ist nur der Schatten
(einen Schild führen die Bestiarii nicht); im blutenden Rücken
steckt die Lanze. Ob der Bestiarius in der zum Stoss oder Schlag
ausholenden Rechten einen Dolch hält oder die Rechte nur trium-
pbirend ausstreckt, ist nicht deutlich; an derselben hängen zwei
Zipfel, vielleicht des Tuches herunter, mit welchem er den Stier
reizte.
Auf dem Rundbogenrahmen AGJEG kämpfen Gladiatoren ge-
gen Gladiatoren. Wie auf A der secutor vom Spiesse des retiarius
bedroht wird, aber mit seinem Dolche jenen wohl gleich in die Seite
stossen wird, ist im vorigen Bericht ausführlich dargestellt. Das Bild
C zeigt uns den letzten Moment eines Kampfes zwischen zwei ziem-
lich gleich gerüsteten Gladiatoren. Beide haben einen Helm mit
vorstehender crista und Visir gleich dem Neapeler Gladiatorenhelm
des H. Bourguignon — der rechts ist allerdings nur von hinten zu
sehen — , einen Koller bis auf die Oberschenkel, um den ein breiter
Gürtel geht — bei dem rechts aus 2 Streifen, aus denen das Ende
herunterhängt — , darunter Hosen und Beinschienen — bei dem
rechts sind nackte Kniekehlen erkennbar — , endlich einen vier-
eckigen, rundgebogenen Schild mit rundem Schildbuckel und ein
kurzes Schwert. Der linke hat seinen röthlich-grauen Schild ver-
loren oder hinter sich geworfen; er knickt in den Knieen zusammen,
das Schwert in seiner vorgestreckten Linken (sie!) ist in der Mitte
umgebogen, also wohl beim Stoss auf den Schild des Gegners (Fried-
länder, Darst. II327 „Krumme sica"), sein rechter vorgestreckter Arm
spreizt die Finger mit erhobenem Daumen, um nach damaliger Sitte
um Gnade zu flehen. Der Gladiator rechts, welcher uns seinen
breiten Rücken zukehrt, hat, da sein Gegner wehrlos ist, seinen
Jahrb. d. Vor. v. Altcrthsfr. im Rheinl. XOV. y
114 0. Kohl:
linken Arm mit dem Schild (grau mit rothen Zacken von der Mitte
aus) hoch nach links über den Kopf des Gegners erhoben und will eben
von rechts aus mit dem Schwerte vorstossen, um jenem den Eest zu
geben. Es erinnert diese Scenelebhaft an ein Wandgemälde der Pompe-
janischen Arena (Overbeck 127, auch 129, 130; Baumeister 102);
nur mussten hier die beiden einander gegenübergestellt werden, und
dabei ist der r. bandagirte und der 1. nackte Arm des einen vei'wechselt
worden. Auf E fechten zwei sogenannte Thracier in unentschiedenem
Kampfe zusammen. Sie tragen runde Hüte mit breiter Krampe und,
wie es scheint, geschlossenem Visir, aus der obern Rundung ragen
je zwei blaue Streifen rechts und links wie Federn heraus. Jeder
ist in einen bis an den Ellenbogen und über die Oberschenkel
gehenden faltigen Kittel gekleidet, welcher um die Hüfte durch
einen nicht sichtbaren Gürtel gerafft ist — der linke in einen rothen,
der rechte in einen gi-ünen — und lange Hosen, wie es scheint. Jeder
hat einen kreisrunden Schild und ein kurzes Schwert. Der linke,
welcher ungefähr seine Vorderseite uns zuwendet, geht und stosst
mit dem quer vorgehaltenen Schwert frisch voran, der rechte, den
wir von hinten sehen, scheint lauernder und vorsichtiger sich zu
wehren und seinen Stoss vorzubereiten. Von Q ist nur der rechte
Gladiator erhalten, der uns den Rücken zukehrt. Derselbe trägt
einen roth und schwarzen Helm mit crista, wie der linke auf (7, hat
wenigstens am rechten Bein sichtbar eine Beinschiene und hält die
rechte Hand am letzten Drittel einer nach links oben gerichteten
Lanze, deren anderes Ende wie die linke Hand und der vordere
Theil dieses Mannes der Zerstörung anheimgefallen ist. Him gegen-
über müssen wir nach Analogie der anderen Bilder einen Gladiator
annehmen, sonst vielleicht einen Löwen wegen des Mittelbildes.
Das übrig bleibende Mittelstück ist ein Kreis von 2,44 Durch-
messer. Die von mir früher angenommene Bandborte läuft aber ausser-
halb desselben und verschlingt sich mit der um die Bogenrahmen lau-
fenden immer über den betr. Bogen zu einer einzigen. So entstehen
gleichseitige , nicht nur , wie auf dem Plan gezeichnet , gleich-
schenklige Zwickel, welche aus 3 äusseren schwarzen Dreiecken
und einem mittleren weissen Dreieck zusammengesetzt sind. Der
Rand des Kreises (22 cm) besteht von aussen nach innen gerechnet aus
einem weissen Streifen, einem schwai*zen runden Mäander (12 cm), einem
schwarzen und weissen ineinander greifenden Zackenrand von je
4 Steinchen Höhe und aus einem schwai*zen Streifen. Der nun
Weitere Mittheilung über das römische Mosaik bei Kreuznach. 115
übrig bleibende weisse Kreis von 2 ni Dnrchmesser enthält Thierc
ohne Kampf, aber nicht mit den Füssen auf dem Rand ringsherum,
so dass sie durch einen Umgang zu betrachten wären, wie die ihn
umgebenden Bilder, sondern sämmtlich von dem Ornamentvor-
platz her zu betrachten; leider ist gerade der mittlere Theil bis
zum oberen Rande vollständig zerstört. Unten springt nach links
ein Stier, nach rechts ein Wildschwein, über letzterem rechts steht
ein wildes Thier (Panther) mit langem auf der Erde ruhendem
Schweif; der nach links gerichtete Kopf ist nicht erhalten. Weiter
oben rechts steht ein Löwe nach rechts gerichtet, der seinen Kopf
nach der Mitte zurückdreht; erhalten ist nur dieses Vordertheil;
über diesem sieht man noch die Beine und das Kopfende eines nach
rechts springenden Hireches mit Bockbart. Links unten unmittelbar
über dem Stier sitzt ein Hirsch; weiter links oben steht nach links
ein Bär (Hund?), welcher den Kopf zur Mitte zurückwendet; über
diesem springt nach links ein Sechsender, dessen Vordertheil er-
halten ist; zwischen beiden die schlanken Hinterfüsse eines nach r.
springenden Hirsches oder Bockes. Ueber dem Sechsender links
oben im Rande ist eine offene, gespreizte menschliche Hand sicht-
bar, ebenso wie unten unmittelbar über dem Stier die 2 Füsse
eines etwas nach links gerichteten Menschen, der uns anblicken
würde. Das rechte Bein ist von unten bis zum Knie erhalten; an
die Fflsse dieses Menschen, wie an die der Thiere, sind nach rechts
(vom Beschauer aus) gehende Schatten angehängt. Da die Ent-
fernung zwischen den Füssen und der Hand (140 cm) sehr gross
ist im Verhältniss zu den hcnimstehenden Thieren, müssen wir wohl
2 hintereinander stehende Menschen annehmen; es sind die Wärter
der Thiere oder die Menschen, die sich demnächst im Kampfe zeigen
werden.
Während die Bilder rings herum eine Steigenmg des Affektes
hervorriefen durch Kämpfe zwischen Thieren, zwischen Menschen
und Thieren, bei denen die Menschen die kleinere oder grössere Ge-
fahr übei-winden, und zwischen Menschen und Menschen, wo ein Mensch
jedenfalls sein Leben verliert, bietet das Mittelbild mit einer Art
von Uebereicht entweder einen gewissermassen beruhigenden Ab-
schluss oder, wenn man es zuerst vom Ornamentvoi-platze aus be-
trachtet, gleichsam das Aushängeschild, bez. Thiere und Menschen vor
ihrem eigentlichen Auftreten im Kampfe, so dass der Besucher des
Saales nach diesem Erwartung erregenden Ueberblick dann die ein-
116 0. Kohl:
zelnen Scenen betrachten soll; schliesslich kehrt man auch wieder
zu diesem Bilde zurück.
Während nun der grosse Quadratraum mit den einzelnen Bil-
dern den im December entworfenen Plan rechtfertigt, ist allerdings
die Einfassung dieses Quadrates nicht, wie angenommen wurde,
gleichmässig herumgeführt. Die Nordostecke o d wai* zwar im
vorigen December zum Theil blosgelegt worden, allein der Boden
zeigte hier Verletzungen, so dass die an der Ecke eintretende Ver-
änderung der Einfassung nicht bemerklich war. (Auf dem December-
plan ist die Himmelsrichtung W. anstatt N. u. s. w. einzusetzen.)
Während im Osten und Westen die Einfassung 66 cm breit ist und
von der Mitte aus gerechnet wesentlich aus einem breiteren Blumen-
rankenstreifen (aber mit verschiedenem Mitteloniament im W. und 0.)
und einem schmäleren schwarzen Streifen besteht, ist im Norden und
Süden eine breitere Einfassung, nämlich von 83 cm Breite, an-
gelegt und nach Westen und Osten durchgezogen. Es sind also
auf dem neuen Plan die Grenzlinien de und gf nach Norden
und Süden entsprechend hinausgeschoben worden. Jene breitere
Einfassung zerfallt vom Rande der Bandborte aus nach aussen ge-
rechnet in 5 Streifen, 3 zu je 22 cm Breite, einen weissen von
3 cm und einen schwaraen von 14 cm Breite. Die 3 ersten Streifen
zerfallen in Quadrate von 22 cm Grundlinie und Höhe, und zwar
wechselt je ein weisses und ein schwaraes. Die weissen Quadrate
enthalten ein Bandkreuz von je 5 Farben, bez. 5 Steinchen Breite ;
und zwar zeigt das eine Bandkreuz von aussen nach innen die
Farben schwarz, dunkelgrün, gelblich-grün, weiss, schwarz, das
nächste die Farben schwara, roth, gelb, weiss, schwarz. Die schwar-
zen Quadrate zeigen eine sehr einfache, geschmacklose Veraierung,
indem eine quadratische Ecke, bez. ein Vierteil des ganzen Qua-
drates weiss gehalten ist. In der nach dem Figurenfelde zu
liegenden Reihe ist es, wenn man nach dieser hinblickt, die
Ecke rechts oben, in der mittleren Reihe die nach rechts unten, in
der äusseren Reihe ist es wieder die nach rechts oben, üebri-
gens sind die Durchschnittsmaasse von 22 cm und auch die gera-
den Linien ihrer Zeit von den Mosaikarbeitern gar nicht genau
eingehalten worden. Die ganze Einfassung ist also jedenfalls erst
hier am Orte ausgeführt worden.
Ausserhalb des Mosaikbodens sind rings die umfassenden Mauern
und noch 50 cm weiter der Boden freigelegt worden. Die Mauern waren
Weitere Mittheiluag über das römische Mosaik hei Kreuznach. 117
im Ganzen meist 30 bis 60 cm hoch erhalten und zeigten an der Innen-
seite in einzelnen Stückchen noch den im vorigen Bericht erwähnten
Verputz mit bunter, hauptsächlich blauer Farbe. Die Mauer g h ist
43 cm, a A 40 cm, c 6 50 cm stark, die Mauer b a mit ihrer Fortsetzung
bis zur Fortsetzmig von f g 50 cm stark. Der Boden des so gefun-
denen kleinen oblongen Raumes a A gf = II (184 auf 126 lichte Weite)
liegt 1 Meter tiefer als der Mosaikboden und ist nach innen etwas
stärker ummauert. Eine 61 cm breite Thüre (zwischen 35 nach W.
und 88 nach 0.) mit einer Stufe führt von Süden in diesen Raum,
von welchem aus der Mosaikfussboden und dessen ganzer Saal ge-
heizt wurden. Bei h ist nämlich die Innenecke quer zugemauert und
in dieser Quermauerung eine 38 cm breite und 70 cm hohe Oefifnung
gelassen, welche noch alten Russ enthält und in den hohlen Raum
unter dem Mosaikboden d e f g führt. Dieser hohle Raum ist unten
mit flachen Backsteinplatten belegt und trägt ungefilhr 132 (11 auf
12) Backsteinsäulchen; letztere sind aus 11 Rjindplatten von 18 cm
anfgemauert — nur eine Reihe besteht aus viereckigen Säulchen — und
tragen über sich quadratische Platten, eine kleinere und eine grössere,
letztere 4 cm dick und 40 cm im Geviert. Die Höhe bis dahin beträgt
58 cm, darüber liegen 5 cm starke Ziegelsteinplatten, 15 cm Beton-
schicht und 1 cm Mosaik. Die Centren der Säulchen stehen theils mehr,
theils weniger, ungeföhr 63 cm von einander entfernt, und so gross
sind auch die Platten; in der Mitte ist der Boden 62 auf 124 cm durch-
gebrochen und sind 3 Säulchen zerstört. Von dem Hohlraum gehen
kleine Luftschächte in der inneren Nord-, West- und Südwand des
Mosaiksaales in die Höhe, t x, X fi, v f . Diese bestehen aus den
üblichen Hohlziegeln mit kleiner nach dem Saale zu gehender
Oefifnung und liegen an der Südseite 112 und 334 cm von /*, an
der Westseite 24 cm von f und 14 cm von e, an der Nordseite 270 cm
von e und 182 cm von d.
Der Mosaikvorplatz aßyd ist nicht mit Heizung versehen.
Die Lage jener 6 Luftschächte ist zum Theil durch die Thüren
bedingt.
Der Haupteingang befand sich an der Nordseite, unmittelbar
am Nordwestende und misst 131 cm. In demselben liegt rechts und
links ein 30, bez. 36 cm breiter Sandstein mit einem Falz und
einer runden Vertiefung daran, in welcher offenbar die Pfosten der
Flügelthüre sieh drehten, während in dem Falz wohl noch eine
starke Holzverkleidung der Mauer eingelassen war. Ein zweiter
118 0. Kohl:
Eingang von 150 cm befand sich in der Nordostecke zwischen c und d
mit ebenso behaaenen Sandsteinen rechts und links. Dass an dem
Mosaikvorplatz b c oder a b eine Thür gewesen sei, verneinen die
Arbeiter entschieden; es ist auch, da noch 2 andere Thtlren, also
im ganzen 4 sicher sind, nicht eine fünfte wahrscheinlich, jeden-
falls hatten sich keine Thürsteine mehr gefunden. Dagegen ent-
hält die Südwand 2 Eingänge von zwei verechiedenen Räumen,
bez. Zugänge zu diesen. Von g geht nämlich eine 50 cm breite
Mauer nach Süden, es ist aber nicht die unmittelbare Fortsetzung
der Mauer h gr, sondern der Westrand der Mauer h g wird jetzt
Ostrand der neuen Mauer.
Die östliche Thüre der Wand f g führt 55 cm von g ent-
fernt in einer Breite von 75 cm in einen 62 cm tiefer liegenden
Raum IXj und zwar ist hier der Boden und die Aussenseite der 60 cm
starken Mauer g f mit den üblichen grossen und flachen Quadrat-
ziegeln verkleidet bis zur Höhe des Mosaikfussbodens, dann gingen
nach dem Seitenraum vorspringende Ilohlziegeb, eine unmittelbar
neben der andern in die Höhe. Der Verputz war hier weiss mit
rothen und schwarzen Linienverzierungen. Da fand sich auch eine
Kleinbronze von Gallien GALLIENVS AVG, Kopf mit Strahlenkrone;
auf der Rückseite scheint COSIII (?) zu stehen. Vor 255 also
ist die Villa nicht zerstört worden, ob vorher oder nachher ge-
baut, ist daraus nicht zu erschliessen. Der Thürweg ist schräg
geschnitten aus dem Saal nach Südwesten zu, und die Schwelle
ist in der Hälfte nach dem Saale zu mit einer 2 cm dicken jM!ar-
morplatte bedeckt. Auch in massiger Entfernung von f, 102 cm,
läuft eine 50 cm breite Mauer nach Süden, und zwischen dieser
und f ist noch eine 82 cm breite, ebenfalls schräg geschnittene Thür-
öfFnung wahrzunehmen, welche zu dem Räume VIII führt.
Die parallelen Mauern f g, cb und e d erstreckten sich nach
Osten, bis sie auf die querlaufende, 5,15 m von a b abliegende, 64 cm
dicke Abschlussmauer stiessen, welche beim Ausschachten im December
sogleich zum grössten Theile ausgehoben worden ist, und es wurden
also dort 2 längliche Räume gebildet, die durch die Verlänge-
rung von c b getrennt wurden, /F= r s x y mit 1,30 auf 7,50 m
lichter Weite, also nur Corridor, und III = t u v w mit 5,60
auf 5,15 m lichter Weite. Die 2 Thürsteine , welche nach mei-
nem früheren Bericht zwischen c und b gelegen hätten, lagen in
der östlichen Verlängerungsmauer unmittelbar jenseit b bei u und ent-
Weitere Mittheiluug über d&s römische Mosaik bei Ereuzuacb. 119
hielten die Verbindungsthüre der zwei länglichen Räume. Diesen
gegenüber in der östlichen Verlängerung von e d zwischen 8 und ;/
lagen nach Angabe der Arbeiter zwei andere Thürsteine. In dem
Raum III zwischen a b und der östlichen Abschlussmauer hatten
sich auch Backsteinsäulchen und Deckplatten gefunden; aber wie
und ob wirklich dieses Zimmer geheizt wurde, lässt sich nicht er-
kennen; die Ecke der Abschlussmauer bei v ist noch nicht blos-
gelegt, und südlich vor dem Heizraum X traf man auf Fels, so
dass also hier kein Zimmer, sondern ein freier Vorplatz anzunehmen
ist. Die Mauer g f läuft westlich über f hinaus, und ebenso die
60 cm starke Mauer f e nördlich über e hinaus. Da auf der West-
seite dieser Mauer wieder der blanke Felsboden zu Tage trat, wird
hier VII eine Veranda vor dem Mosaiksaal anzunehmen sein, und da
die Mauer 145 cm von e entfernt eine gerade abschliessende Lücke
zeigte, deren anderes Ende freilich nicht mehr erkennbar ist, und
Thürsteine fehlen, so scheinen hier, wie bei Nennig, Fenster bis
auf den Fussboden herabgegangen zu sein. Aus der Mauer d e
geht ganz nahe bei d eine 60 cm dicke Mauer nach N., enthält
aber auch gleich die Thüreteine zu der Verbindung der zwei durch
die Mauer getrennten und mit Beton belegten Zimmer VI und V.
Die Mauern sind zumeist aus grttnlichem Sandstein gebaut, die
Thürsteine bestehen aus gelblich-weissem, festerem Sandstein. Die
Chaussee, welche der Abschlussmauer ungefähr parallel läuft, fahrt
nicht nach Bosenheim, wie auf dem ersten Plane iiTthümlich be-
merkt ist, senden) nach Hüffelsheim.
Der Bauschutt über dem ganzen Mosaik war so hoch wie an
der im December freigelegten Stelle, gegen 50 cm, darüber bis
250 cm Lehm. In dem Bauschutte fanden sich noch einige Kno-
chenreste, namentlich ein Stück eines Unterschenkels und eines Un-
terkiefers von einem Pferde.
Der eigenthümlichste Fund war ein auf 30 cm hohem Bau-
schutt ttber dem unbeschädigten Bild C liegender gelblich-wcisscr
Sandsteinblock von ursprünglich 92 cm Breite und Länge, mit ab-
gestossenen Ecken, und 40 cm Höhe. Ueber der quadratischen Grund-
fläche war oben ein kleineres Quadrat parallel gehauen, aus dessen
Seiten fast halbkreisförmige Bogen bis nahe zum Rande der Grand-
fläche vorspringen. In der Mitte dieses kleineren Quadrates l)e-
flndet sich eine quadratische Vertiefung von 36 cm Breite und Länge
und 10 cm Tiefe. War dieser Block eine Säulenbasis oder Altar-
1 20 0. R o h 1 : Weitere Mittheilung über das römische Mosaik b. Kreuznach.
Untersatz? Und wie kommt er an diese Stelle? Als Altaruntersatz
wtlrde er am ersten in den westlichen Vorplatz passen, als Säulen-
basis in der Westwand zwischen zwei hohen Fenstern würde er
etwas in das Mosaik hineingeragt haben. In der Mitte des Mosaiks
ist eine Oeffnung von 62 auf 124 cm durchgebrochen oder von
Menschen durchgeschlagen; das letztere nahmen die Arbeiter nach
der Bruchfläche des Betons au; in dem Schutt unten im Hohl-
raum und darüber war kein schwerer Stein. Eine Säule zum Tragen
des Daches mit so schwerer und breiter Basis wird man nicht
auf die Mitte des Mosaiks, auf ein Bild gesetzt haben. Der
Block könnte, wenn nicht durch Naturgewalt, später, aber vor dem
Nachschub der Lehmschichten von Menschen aus einem anderen
Räume zum Bauen herübergewälzt und dann wieder liegen ge-
lassen" sein.
Bei dem jetzigen Messen der freigelegten Fläche ergab sich als
Ausdehnung des Mosaikbodens ohne Ornamentvorplatz von W nach 0
6,72 m (früher war ausgerechnet 6,80 m) und von N nach S 7,40 m
(früher war quadratisches Verhältniss angenommen), dazu der Oraament-
voi-platz 2,34 auf 3,80; im Ganzen also 9,06 auf 7,40, theilweise nur
3,80; überhaupt 58,62 qm. Bei dieser Ausdehnung und Bedeutung
des Mosaikbodens erscheint es wünschenswerth, dass die Provinz
oder der Staat in den Besitz der ganzen römischen Villa käme, so
dass das Kreuznacher Mosaik, wie das Nenniger, mit einem ein-
fachen Gebäude überdacht, hier am Fundorte, wo so manche an-
dere römische Alterthümer erhalten sind, etwa unter Aufsicht des
Ant.-hist. Vereins erhalten bliebe.
Kreuznach, 30. April 1894.
Prof, 0. Kohl.
8. Die Königspfalzen der Merowinger und Karolinger.
Von
Dr. Konrad Plath.
I. Dispargnm.
Als den ersten Pfalzort fränkischer Könige finden wir Dispar-
gnm geschichtlich bezeugt; Chlojos Herrschersitz. Die Randbemer-
kung einer Handschrift des Liber Historiae Francornm nennt Dis-
pargnm die „arbs prima et sides regia Francorum".
lieber die örtliche Ansetzung dieses berühmten Ausgangspunktes
der kühnen Eroberungszüge, die die Gründung des fränkischen
Weltreiches, der Grundlage der modenien europäischen Staaten, zur
Folge hatten, sind seit Jahrhunderten die Meinungen der Forseher
im Streit. Von den Abhängen des Thüringer Waldes bis hin zu
der Scheide, von der Yssel bis zum Neckar hat man Dispargnm
gesucht, und noch ist keine Einigung erzielt, ja die Möglichkeit
der Feststellung geradezu geleugnet worden. Die früheste Nachricht
über Dispargnm , auf der auch die Ortsbestimmung dieser Pfalz
hauptsächlich beruht, bietet eine Stelle der fränkischen Geschichte
Gregors von Tours (H, 9; M. G. pag. 77), auf die wir näher ein-
zugehen haben. Die sonstigen Erwähnungen der Pfalz gehen sämt-
lich auf Gregors Bericht zurück, kommen also erst in zweiter
Linie in Betracht. Wir teilen zunächst den Wortlaut der Stelle
Gregors in ihrem vollständigen Zusammenhange mit: „Hanc nobis
notitiam de Francis memorati historici reliquere regibus non no-
minatis. Tradunt enim multi, eosdem de Pannonia fuisse de-
gressus et primum quidem litora Rheni omnes incoluisse, dehinc,
transacto Rheno, Thoringiam transmeasse, ibique iuxta pagus vel
civitates regis crinitos super se creavisse de prima et, ut ita di-
cam, nobiliore suorum familia. Quod postea probatum Ghlodovechi
victuriae tradcdirunt itaque in sequenti digerimus. Nam et in Con-
122 Dr. Konrad Plath:
solaribus legimus, Theudomerem regem Francorum, filium Ricbimeris
quondam et Ascylam niatrem eius gladio interfectus. Fenint etiam
tunc Chlogionem^ utilem ac nobilissimum in gente sna^ regem fuisse
Francorum, qui apnd Dispargum eastrum babitabat, quod est in
temiinum Tboriugornm. In bis autem partibus, id est ad meridia-
nam plagam, babitabant Romaui usque Ligerem flavium. Ultra Li-
gerem vero Gothi dominabantur. Burgundiones quoque, Arrianorum
seetam scquentes; babitabant trans Rhodanum quod adiacit civitate
Lugduncnse. Ghlogio autem, missis exploratoribus ad nrbem Caniar
racum, perlustrata omnia, ipse secutus Romanos proteret, civitatcm
adpraehendit, in qua paucmu tempus resedens usque Summanam
fluvium occupavit. De huius stirpe quidam Merowechum regem
fuisse adserunt, cuius fuit filius Childericus."
Der mitgeteilte Abschnitt und besonders die auf Dispargum
bezttglicben Worte gehören zu den meistumstrittenen Stellen unserer
Geschichtsquellen. Eben die weit von einander abweichenden Deu-
tungen und Erläuterungen jener Worte hatten die verschiedenen
Ansetznngen unseres Pfalzortes zur Folge, und die Unsicherheit
wurde noch dadurch vermehrt, dass die übrigen Quellen, die
sich mit der Lage von Dispargum beschäftigen, und auf die wir
später zurückkommen werden, sich scheinbar in vollem Gegensatze
zu Gregor befinden.
Von der Erklärung der Stelle Gregors hat also die Unter-
suchung auszugehen. Gelingt es, Gregors Widersprüche und Un-
klarheiten zu tilgen, ja vielleicht sogar die Angaben der übrigen
Schriftsteller mit ihm in Einklang zu bringen, so ist damit die
Grandlagc zur Lösung der Dispargumfrage gewonnen.
Wir glauben in der That, im Folgenden die Lösung dieser
Frage darbieten zu können. Im Zusammenhange damit ergeben
sich dann zugleich auch, wie es scheint, wichtige neue Thatsachen
für die Urgeschichte der Franken und minderer Stämme.
Um den Standpunkt zur Beurteilung der Stelle Gregors zu
finden, müssen wir uns zunächst ihren allgemeinen Zusammenhang
vergegenwärtigen.
Gregors Kenntniss von der älteren Geschichte der Franken
ist überaus gering. Aber er trübt sich den Blick fQr die allge-
meinen Verhältnisse dieses Volkes ausserdem noch dadurch, dass
er sich von vornherein auf die Erörterung einer Einzelfrage einlässt,
die auf einen ziemlich gleichgültigen Wortstreit hinausläuft, und die
Dispargum. 123
er schliesslich nicht einmal zu einem klai*en Ergebniss zu führen
beföhigt ist.
Er beginnt seine Mitteilmigen über die Geschichte der Franken
nämlich mit der Bemerkung — deren thörichte Fonn recht be-
zeichnend f&r Gregor ist — dass „von vielen" (er gehört natürlich
selbst zu diesen!) nicht gewusst werde, wer der erste von den Kö-
nigen der Franken gewesen sei. Denn die Geschichtsschreiber Sul-
picius Alexander und Renatus Profuturus Frigeridus erwähnten nicht
reges, sondern der erstere nur duces dereelben. Was Gregor wissen
möchte, ist also, wann zuerst der Königstitel für die fränkischen
Führer in Anwendung gekommen sei; eine ziemlich nebensächliche
Frage, da es jenen mehr auf die Macht, als auf den Titel ankam,
der damals und .später auch ganz unbedeutenden Häuptlingen bei-
gelegt wm-de, zu deren Entscheidung aber auch, wenn wir sie im
streng wissenschaftlichen, verfassungsgeschichtlichen Sinne, als auf
die Entstehung des germanischen Königtums bei den Franken ge-
richtet, auffassen, die unsicheren Bezeichnungen der römischen Schrift-
steller, wie Gregor sie heranzieht, keine genügenden Anhaltspunkte
bieten. Nachdem Gregor dann gi'össere Abschnitte aus den Werken
der genannten beiden Geschichtsschreiber mitgeteilt , nimmt er mit
unserer Stelle den durch diese Auszüge unterbrochenen Faden seiner
Erörterung wieder auf. Auf diesen Zusammenhang deutet noch der
erste der von uns angeführten Sätze hin. Der eigentliche Zweck
nämlich, den Gregor in diesem Abschnitte verfolgt, ist ursprünglich
der, jenen Quellen gegenüber einzelne Zeugnisse anzuführen, in denen
fränkische reges genannt werden. Bei seiner Unfähigkeit, einen
bestimmten Gedanken ohne Abschweife und Nebenbemerkungen klar
und sauber auszuführen, hat er dann freilich andere Dinge, die die
üebersieht stören, damit verknüpft.
Der Fehler der Erklärer lag nun darin, dass man unsern Ab-
schnitt als ein einheitliches Ganze auffasste, während er doch that-
sächlich nur eine nachlässig aneinandergereihte Beispielsammlung in
lückenhafter Auswahl ist, die, um ihr den Schein des Zusammen-
hangs zu geben, mangelhaft und zum Theil sinnlos verbunden wurde.
Vor allem aber ist zu beachten, dass diese einzelnen Zeugnisse ganz
verschiedenen Ursprunges und Wertes sind. Gregor, der diese Zeug-
nisse nur als Beispiele für seinen Zweck sammelte, hatte zudem für
die selbständige Bedeutung dieser Nachrichten keinen Sinn.
Wir haben demnach das Gemisch in seine einzelnen Be-
124 Dr. Konrad Plath:
standteile aufzulösen, nnd jeden besonders und unabhängig zu be-
trachten. So schwinden dann, wie mir scheint, bei unbefangener
üebersetzung, alle Schwierigkeiten von selbst. Es sind, von dem
ersten Satze abgesehen, im ganzen acht Bestandteile, von denen
der zweite, ftinfte und siebente enger zusammengehören nnd eine
eigene Quelle von noch nicht genug erkannter und geschätzter
Wichtigkeit bilden. Wir geben jedesmal zuerst den Wortlaut der
einzelnen Abschnitte, dann seine Erklärung und die Besprechung
der Streitfragen, die sich an ihn knüpfen.
(Tradunt enim multi) eosdem de Pannonia fuisse degressus.
Nachdem Gregor vorher, im Anschluss an seine Vorlagen, viel
spätere Begebenheiten der fränkischen Geschichte behandelt hat,
geht er hier, wo es ihm darum zu thun ist, Zeugnisse ftlr das
Königthum bei den Franken zu sammeln, auf die frühesten Anßlnge
des Stammes zurück. Seine erste eben angeführte Nachricht frei-
lich spricht noch nicht von fränkischen Königen. Gregor berichtet
hier, die Urheimat der Franken sei Pannonien; dorther seien sie
gekommen. Er beruft sich dabei auf viele Gewährsmänner, ohne
jedoch auch nur einen zu nennen. Wir selbst kennen ihrer keinen.
Gregor ist der einzige, bei dem wir diese Angabe finden, denn der
viel später entstandene Liber historiae Francomm, der in ähnlichem
Zusammenhange ebenfalls Pannonien erwähnt, hat diesen Namen
offenbar nnr von Gregor entlehnt. Man braucht nun wohl auch auf
die angebliche Vielheit der Zeugen Gregore kein grosses Gewicht
zu legen. Jedenfalls wird man aber darauf gespannt sein, den
eigentlichen Ursprung dieser auffälligen Nachricht, die mit unserer
sonstigen Geschichtskenntniss völlig unvereinbar ist, zu erfahren.
Eine Gewissheit darüber ist bisher nicht erzielt.
Mehr als einmal ist Gregors Bericht mit der sogenannten
„Trojanerfabel" in Verbindung gebracht worden, jener merkwürdigen,
von verschiedenen Quellen in etwas abweichender Form überlieferten
Erzählung, nach der die Franken, troischen Ureprungs, nach der
Zerstörung Trojas die Vaterstadt verlassend, unter der Führung
eines oder mehrerer Könige aus dem alten ilischen Herrecherge-
schlecht (neben dem Könige Francus, Francio oder Franco, nach
dem das fahrende Volk den Namen erhielt, nennen einige Quellen
dessen Bruder Bassus oder Vassus) durch Europa nach Germanien
Dispargum 125
gezogen seien^ and dort eine Stadt, Sicambria, nach anderen Troja,
gegründet hätten. Gregor von Tours, so wird nun behauptet, habe
diese Einzahlung gekannt und seine Nachricht sei ein abgeschwächter
Nachklang derselben. Schon die ungenannten Verfasser der beiden
Ausgaben des Liber historiae Francorum waren dieser Meinung,
denn sie haben Gregors Nachricht in ihre Darstellung der Trojaner-
fabel verflochten. Von den Neueren haben Müller^) und VP'at-
t er ich 2) die Angabe Gregors auf die Trojanerfabel zurückgeführt,
und insbesondere LoebelP) hat es sich angelegen sein lassen,
wahrscheinlich zu machen, dass Gregor diese Sage kannte, dass sie
vor ihm bekannt war. Gregor habe etwa durch die Ableitung der
Franken aus Pannonien das Fabelhafte der troischen Abstammung
auf ein geringeres Maass beschränken wollen.
Dagegen hat schon Leibniz*) die Meinung geäussert, Gregor
kenne die Trojanerfabel noch nicht, und neuerdings hat sich Lüth-
gen^) bemüht, diese Ansicht mit bestimmten Gründen zu beweisen.
Wir wollen uns hier nicht auf eine eingehende Untersuchung
über den Ursprung von Gregors Nachricht — der bei Lüthgens An-
sicht allerdings völlig unerklärt bleibt — einlassen; denn fUr die
schliessliche Entscheidung der uns hier beschäftigenden Frage nach
der Lage von Dispargum würde diese Untersuchung doch ohne Bedeu-
tung sein. Da ihr Ergebniss indessen für unsere Anschauung von der
Arbeitsweise Gregors in dem ganzen uns vorliegenden Abschnitt doch
von Wichtigkeit ist, — wodurch auch unser Urteil über die Dispargum
betreffenden Sätze Gregors wenigstens mittelbar beeinflusst wird — ,
so möchten wir Lüthgen gegenüber, dessen Beweisführung uns nicht
überzeugend dünken will, doch bemerken, dass es keineswegs un-
möglich erscheint, dass die Erzählung von der troischen Herkunft
der Franken vor Gregors Bemerkung vorhanden und vielleicht
1) Müller, Der Lex Salica etc. Alter und Heimat, 1840, S. 131.
2) Watterich, die Germanen des Rheins u. s. w. S. 227.
3) L 0 e b e 1 r, Gregor von Tom-s, dritte Beilage. Ucber die Mei-
nungen vom Ursprung der Franken. S. 375, vgl. S. 336.
4) „Godfridi Guilelmi Leibnitii de origine Francorum disquisitio
curis posterioribus aucta et annotatiunculiß illustrata a lo. Georgio Ec-
cardo", hinter dessen „Leges Francorum Salicae et Rlpuariorum, 1720,
p. 247—264; darin p. 249—50 über die Trojanerfabel; L. sagt wenigstens,
Gregor erwJlhne nicht den troischen Ursprung.
5) Lüthgen, Die Quellen und der Werth der fränkischen Troja-
sage. Bonn 1876, bes. S. 8—12.
126 Dr. Konrad Plath:
diesem bekannt war. Denn die lateinische Uebersetzung der ur-
sprflnglich allerdings wohl griechisch verfassten Kosmographie
des Aethicus, — die nicht, wie die unmassgebliche üeberschrift will,
von dem heiligen Hieronymiis (331 — 420) herrührt, da ein fast
wortliches Citat ans dem zweiten Bache des Gedichtes „de original!
peccato" des AIcimus Avitus (ca. 460 — 525) darin enthalten ist,
dessen Name sogar dabei genannt wird, — ist, trotz der gegen-
teiligen Ansicht von Krusch^), nicht später als der Liber historiae
Francorum und Isidors Etymologien, und von beiden abhängig, son-
dern umgekehrt haben beide, wie eine genauere Untersuchung mir
zu beweisen scheint, aus der lateinischen Bearbeitung des Aethicus
geschöpft, wobei Isidor die so erhaltenen Nachrichten hauptsächlich
aus Solinus ergänzte. Ebenso wenig gewiss scheint mir die an-
gebliche Abhängigkeit des Aethicus von der verioren gegangenen
Gothcngeschichte des Cassiodor, die RtthP) erwiesen zu haben be-
hauptet. Betrachten wir nämlich die Stelle seiner früheren Schrift^),
auf die er verweist, so hat er dort vielmehr Trogus als die Urquelle
mancher Angaben des Aethicus hingestellt, und nur als eine ihm
wahrscheinlich dünkende Vermutung ausgesprochen, dass der Ver-
fasser der Kosmographie die auf Trogus zurückgehenden Nach-
richten durch die Vermittelung des Cassiodor überkommen habe,
aber einen Beweis daftlr nicht angetreten, geschweige denn erbracht.
So würde denn die Herstellung der lateinischen Bearbeitung des
Aethicus sicher in die Zeit vor der Abfassung der Etymologien des
Isidor (f 636) fallen; sie kann aber lange vor diesem Zeitpunkt
erfolgt sein und rührt vielleicht aus jener regen Uebersetzungs-
thätigkeit aus dem Griechischen ins Lateinische her, die wir zur Zeit
Cassiodors und unter seiner eifrigen Förderung bemerken. Gerade
er verwies ja auf die Notwendigkeit des geographischen Studiums
der Mönche. Die Trojanerfabel aber, die eben in jener lateinischen
Bearbeitung des Aethicus enthalten ist, war gewiss geraume Zeit
vor dieser vorhanden, und so scheint es sehr wohl nu")glich, dass
sie vor Gregor oder wenigstens diesem selbst bekannt war. Die
1) Mon. Germ. Scriptores renmi Merowingicarum. Tom. IT, p. 220,
cf. p. 242 n. 4. Vgl. Wattenbach D. G. Q. T, 111.
2) R ü h 1, Ein Anekdoton zur gothischen Urgeschichte. Jahrbücher
für Philologie 1880. (S. 564—566 über Aethicus.)
3) Rühl, Die Verbreitung des Justin im Mittelalter, Leipzig 1871.
S. 6-10.
Dispargum. 127
Historia Daretis Frigii de origine Francorum, aus der Fredegar
eine seiner Darstellungen der Trojanerfabel entnahm, mag in der
That, wie Krusch will, der Bearbeitung des Aetbicus gleichzeitig
sein, wenn auch der einzige von ihm angeführte, sprachliche Grund
nicht stichhaltig erscheint.
Nehmen wir nämlich an, dass Gregor bei seiner Nachricht
die Ti-ojaneifabel , wenn auch nur dunkel, im Sinne gehabt habe,
so würde sich wenigstens erklären, warum er hier, wo es ihm auf
Zeugnisse für das Königtum bei den Franken ankam, von jener
Herkunft aus dem fernen Osten sprach; denn die Trojanerfabel er-
wähnt eben, dass die Franken unter der Führung eines Königs
ihren Zug an die neuen Sitze vollendeten. Nur müsste man dann
freilich dem Gregor zutrauen, dass er bei seiner Nachricht gerade
die Pointe weggelassen habe!
Die Annahme, dass der Angabe Gregors die Trojanerfabel zu
Grunde liege, würde für uns wenigstens insofern Bedeutung haben,
als damit auch die erstere ohne weiteres als blosse Fabel gekenn-
zeichnet wäre, wodurch sieh dann von selbst ihre Verbindung mit
historischen Nachrichten verböte.
Aber mag nun ihr TJrspnmg sein, welcher er wolle, heutzutage
wii-d ohnehin Niemand mehr der Ansicht von Ducange, Raep-
saet^), Mo6t de la Forte-Maison^) folgen wollen, die es sich
haben angelegen sein lassen, die Herkunft der Franken aus Pan-
nonien als geschichtliche Thatsache zu erweisen ^). Die Franken sind
ebenso wenig aus Pannonien, wie aus Troja gekommen: ihre ge-
schichtliche Urheimat liegt, worauf wir noch zurückkommen, an der
Küste der Nordsee. Und so darf denn auch diese völlig unhistorische
Nachricht von dem Zuge der Franken aus dem fernen Osten nicht
mit geschichtlichen Nachrichten in Zusammenhang gebracht werden,
vor allem dürfen aus ihr nicht Schlösse gezogen werden auf die Rich-
tung thatsächlich erfolgter Züge des fränkischen Stammes, von denen
wir Kunde erhalten. Das wird im Folgenden noch klarer hervortreten.
1) Raepsaet, Oeuvres, Tom. III, p. 250 et suiv.
2) Moöt de la Forte-Maison, Les Francs, Icur origine et
leur histoirc dans la Pannonie, la Mesie, la Thrace, etc., etc., Paris 1868.
I, 1-185.
3) T ü r k , „Kritische Geschichte der Franken* in seinen „For-
schungen auf dem Gebiete der Geschichte** Heft III, S. 2—15, nahm sogar
die Herkunft aus Troja in Schutz.
128 Dr. Konrad Pia th:
II.
(Et) primum qnidem litora Rheni omncs (al: amnis) incolnisge
— dehinc, transacto Rheno^ Thoringiam transmeassc — ibique iuxta
pagus vel civitates regia crinitos snper se creavisse deprima et ut
ita dicam nobiliore suorum familia.
Wiewohl Gregor den vorliegenden Abschnitt mit dem oben
besprochenen dadurch, dass er beide in gleicher Weise von dem
„Tradunt enim multi" abhängig macht, als gleichen Uraprungs und
zusammengehörig, und zwar den zweiten Bericht als die unmittel-
bare Fortsetzung des ersten erscheinen lässt, so sind doch beide
scharf von einander zu trennen.
Hinsichtlich ihres Wertes ist das auch überall anerkannt.
Während man den Bericht Gregors von der pannonischen Herkunft
der Franken mit Recht überall als irrig verwirft, hat noch Niemand
an der völligen Glaubwürdigkeit der folgenden Angaben gezweifelt.
Schon dieser Umstand hätte aber zu dem weiteren Schlüsse
veranlassen sollen, dass die in ihrem Werte so verschiedenen Nach-
richten notwendig auch verschiedenen Ursprungs sein müssen. Sie
können unmöglich aus ein und derselben Quelle geflossen sein und
müssen demnach auch völlig gesondert und unabhängig von einander
betrachtet werden.
In der That zeigt sich dabei, dass sie keineswegs in dem von
Gregor angegebenen Verhältniss stehen. Es sind zwei verschiedene
Antworten verschiedenen ürspnmgs auf ein und dieselbe Frage, die
sich nicht ergänzen, sondern geradezu widei*sprechen. Mit grossem
Unverstand hat Gregor diese einander ausschliessenden Berichte zu
einem scheinbar einheitlichen zusammengcfasst.
Zur näheren Besprechung teilen wir den uns gegenwärtig be-
schäftigenden Abschnitt in der oben durch Gedankenstriche ange-
deuteten Weise in drei Teile, deren jeder einem besonderen ge-
schichtlichen Vorgang entspricht.
a) — primum quidem litora Rheni omnes (al. amnis) inco-
luissc.
War der vorhergehende Bericht über die Herkunft der Franken
aus Pannonien ein Versuch, die ältesten Sitze dieses Volkes festzu-
stellen, so wird in dem vorliegenden Abschnitt die gleiche Frage be-
handelt. Denn nachdem wir die Unabhängigkeit dieses Abschnittes
von dem vorigen erwiesen, haben wir auch das „primum'' absolut,
als atif die Urzeit der Franken bezüglich, zu nehmen. Aber war
der erste Bericht eine völlig haltlose Fabel, so erweist sich der
zweite als eine historische Quelle, deren Inhalt mit der Wirklich-
keit durchaus übereinstimmt. Freilich ist, bevor wir dies erkennen,
noch mancher Widersprach abzuweisen, doch zerreisst damit vor
unseren Blicken zugleich die Wolke, die das Auge der Forscher
umschleiernd bisher die Lage von Dispargum im Dunkel Hess.
Unser Bericht besagt, dass die Franken in der ältesten Zeit
die litora Rheni bewohnten. Was haben wir nun unter diesen li-
tora Rheni zu verstehen? Auf diese eine so einfache Frage spitzt
sich schliesslich unsere ganze Untersuchung zu.
Sehen wir zunächst, wie bisher die Gelehrten diese Frage be-
antworteten! Von der herrschenden Ansicht ausgehend, dass Gre-
gore Stelle ein einheitliches Ganze bilde, stellten sie sich natürlich
vor, dass der als thatsächlich angenommene, vermeintliche Zug der
Pranken aus Pannonien ohne jegliche Unterbrechung bis zum Rhein
gegangen sei. Da in dem auf unsere Stelle folgenden Abschnitt
von einem Rheinübergang berichtet wird, so nahmen sie die hier
erwähnte erste Ansiedelung der Franken vor jenem Rheinübergang,
die ihnen lediglich als der erste Ruhepunkt der grossen Völkerreise
vom fernen Osten her erscheinen musste, ohne irgend ein Bedenken
auf dem rechten Rheinufer an. Gregors Ausdruck: „litora Rheni",
sollte demnach „das rechte Rheinufer" bezeichnen. Nicht alle frei-
lich, die diese Vorstellung hegten, haben diese Deutung wirklich
ausgesprochen. Aber wir finden sie doch bei einer ganzen Reihe
von zum Teil namhaften Gelehrten, wie bei Dubos^), Müller*),
Moet de la Forte-Maison'), Ad. Gloöl*), selbst Richard
Schröder^) und Felix Dahn^) ausdrücklich anerkannt.
Man könnte nun, einmal misstrauisch geworden, sich zu dem
Einwand geneigt fühlen, dass das Wort litus nicht das Flussufer,
1) Dubos, Histoire critique de T^tablissement de la monarchie
fran^oise dans les Gaules. Nouvelle Edition, 1742, p. 275.
2) H. Müller, Der Lex Salica etc. Alter u. Heimat, S. 127.
3) Les Francs, leur origine etc. I, p. 887.
4) Gl 0^1, Zur Geschichte der alten Thüringer. Forsch, z. deutschen
Geschichte IV. S. 234.
5) R. Schröder, Die Herkunft der Franken, Sybels histor. Ztschr.
N. F. 7. Band, S. 38.
6) Felix Dahn, Deutsche Geschichte. Erster Band, zweite Hälfte,
^. 43. — Urgeschichte n. s. w. HI, S. 42 (1883).
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCV. 9
180 Dr. Konra^d Plath:
sondern die Meeresküste bezeichne , da litus in der klassischen
Sprache ausschliesslich, in der späteren Zeit vorwiegend, diese Be-
deutung hat, während zur Bezeichnung des Flussufers ripa dient:
litora Rheni wären dann etwa die Meeresgestade an den Rhein-
mflndungen. Aber wer den Sprachgebrauch Gregors in dieser Hin-
sicht näher verfolgt, wird zwar eine Menge von Beispielen finden,
wo litus nach klassischer Regel zur Bezeichnung der Meeresküste
angewandt ist, er wird jedoch etwa doppelt so viele Stellen nach-
weisen können, an denen Gregor dies Wort von einem Flussufer
gebraucht. Seine Zeit legt auf die strenge Unterscheidung der
Wortbegriffe, wie sie die klassische Sprache kennt, keinen Wert
mehr, ihr ist im Gegentheil die weitgehendste Begriffsvertauschung
eigen.
Indessen, wenn zugegeben ist, dass litus an unserer Stelle das
Flussufer bezeichnen kann (und wir nehmen diese Deutung, auf die
schon der Zusatz: ^Rheni" hinweist, als die unsrige an), bezeichnet
dann, wie jene wollen, der Plural litora allein das rechte Rheinufer?
Nicht etwa beide? In der That, beide! Und das ist die Lösung
der ganzen Frage! — Denn w^enn es auch mit Gregors grammati-
schen Kenntnissen, wie er selbst in Demut eingesteht, ziemlich
schwach bestellt war,. — so klug war er doch, dass er zwischen
Singular und Plural zu unterscheiden wusste. Solche Unkenntniss
würde man ihm vergeblich zutrauen!
Unser Bericht belehrt uns also, dass die alten Franken zu
beiden Seiten des Rheines ansässig waren. An welcher Stelle des
langen Rheinlaufs, ist damit noch nicht gesagt; doch liegt es am
nächsten, die Franken da zu suchen, wo wir sie in frühester Zeit
wirklich finden: also am Meere! Dort zu beiden Seiten des Rheins
ist die Urheimat der Franken, wie sie uns in den ältesten
Zeugnissen entgegentritt. Dort nennt sie Peutingers Karte und
die panegyrische Literatur der Zeit des Constantin. Von dort aus
haben sie ihre kühnen Streifzttge zur See unternommen zum Schrecken
der Römer. Von jenen Sitzen an der Salzflut der Nordsee haben
sie vielleicht den Namen der Salier, der Meeranwohner, erhalten, dort
am Meeresgestade spielt das Hausmärchen der Merowinger, das den
Ahnherrn des ruhmreichen Geschlechts von einem Meerwunder ab-
stammen lässt, das der erschrockenen Königin nahte, als sie zur
Sommerzeit badete; auch der Name des grossen Herrschergeschlechts
wurde, wie manche annehmen, vom Meere entlehnt.
Dispargtim. 131
So stimmt denn dieser Bericht mit unserer sonstigen geschicht-
lichen Kunde vollkommen überein, und wir dürfen auch seinen weite-
ren Angaben mit Recht unser Zutrauen schenken.
b) dehinc, transaeto Rheno, Thoringiam transmeasse.
Von diesen ältesten Sitzen am Meere aus vollzogen die Franken,
wie der Bericht weiter lautet, jenen schon oben erwähnten Rhein-
übergang, der sie nach dem Lande Thoringia führte.
Umstritten ist zunächst die Richtung dieses Rheinüberganges.
Geschah er vom rechten aufs linke Ufer, oder umgekehrt, vom linken
auf das rechte?
Die gewöhnliche Erklärung, die für diese Frage die fabelhafte
Herkunft der Franken aus Pannonien als Grundlage festhält, und
diesen Rheinübergang als die einfache Fortsetzung jenes angenom-
menen Zuges vom fernen Osten her auffasst, deutet natürlich den
Uebergang als westlich gerichtet und von dem rechten Rheinufer,
an dem sie ja die in den vorhergehenden Worten behandelten Sitze
der Franken annimmt, ausgehend. Unter diesen Voraussetzungen
unternimmt sie es dann, die Lage der Landschaft Thoringia zu be-
stimmen.
Als Vertreter dieser Ansicht seien nur R o sp a tt ^), A d. G 1 o 6 1 *),
Richard Schröder^) genannt. So sagtGloel zum Beispiel wört-
lich von den Franken: „Waren sie also auf ihrem Marsche von
Ungarn nach dem Rheine und während ihres Wohnens an demselben
auf dem rechten Rheinufer, so sind sie natürlich nach Ueberschrei-
tung des Flusses auf der linken Seite des Flusses.** Aber diese
Auffassung ist auch sonst allgemein verbreitet.
Nur Einer, Joseph Bender, hat es gewagt, wenn er auch
an den allseitig angenommenen Voraussetzungen festhielt, eine etwas
abweichende Deutung der Stelle Gregors betreffs des Rheinüber-
gangs zu geben. Er erkannte wohl die Schwierigkeiten, die sieh
bei diesen Voraussetzungen für die Erklänmg der folgenden Worte
Gregors — eben als natürliche Folge der irrigen Verknüpfung des
Berichtes über den Zug aus Pannonien mit dem über den Rhein-
übergang und der falschen Deutung der „litora Rheni" — ergaben.
1) Rospatt, Kritische Beiträge zur ältesten Geschichte der Franken,
S. 13-14.
2) GI06I, a. a. 0. S. 233 u. f. bes. S. 234.
3) Sybels H. Z., N. F. VIT, S. 40.
133 Dr. Itonrad t'lath:
Aber dass eben hier die Wurzeln des Uebels lagen, erkannte er
nieht. Hier schloss er sich vielmehr völlig der Vorstellung der
üebrigen an. Auch er zog unbedenklich den Marsch aus Pan-
nonien mit in Betracht , auch er nahm die Besiedelung der litora
Rheni als lediglich auf da« rechte Rheinufer bezüglich an; aber da
er dennoch der festen üeberzeugung war, auch die Landschaft Tho-
ringia könne nur auf dem rechten Rheinufer angesetzt werden, so
wusste er, um doch mit den damit im scheinbaren Widerspruch
stehenden Worten Gregors in Einklang zu bleiben, sich keinen
andern Ausweg, als indem er die kühne Behauptung aussprach,
es seien zweifellos zwei Rheinübergänge anzunehmen; einmal
jener bekannte, die Fortsetzung des pannonischen Zuges, der
die Franken von ihren Sitzen am rechten Rheinufer auf das linke
führte, dann aber ein zweiter, vom linken zurück auf das rechte,
den sie untemahmen, um zu der Landschaft Thoringia zu gelangen.
Und um für diesen zweiten Rheinübergang auch einen äusseren An-
halt zu haben, gab er an, Gregora Worte „transacto Rheno" be-
zögen sich in unserer Stelle eben auf diesen, während er den ersten
unerwähnt gelassen habe.
Gegen eine derartige Erklärung der Worte Gregore trat Georg
Waitz bei einer gelegentlichen Besprechung^) dieser Abhandlung,
die er für völlig der Berücksichtigung unwert erklärte, in schärf-
ster Weise auf, und ähnlich hat sich später Richter *) gegen diesen
Deutungsversuch ausgesprochen. Gewiss mit vollstem Recht, soweit
jene unglücklichen Folgerungen aus der Grundauschannng des Ver-
fassers dabei in Betracht kamen. Und doch kann man diese Ent-
gegnungen nicht ohne ein Gefühl des Bedauerns betrachten. Denn
thatsächlich war doch, trotz seiner Irrtümer, Joseph Bender^)
der Wahrheit am nächsten gekommen!
Wie werden wir nun unsere Entscheidung bezüglich dieses
Rheinübergangs treffen? Bender gegenüber müssen wir jedenfalls
daran festhalten, dass Gregors Worte nur auf einen Rheinübergang
in diesem Zusammenhange hinweisen, und dass der Vorwurf der
Lückenhaftigkeit seiner Darstellung hier nicht gemacht werden kann.
1) Göttinger gelehrte Anzeigen 1858, S. 628 u. f. hes, S. 631 n. f.
2) Richter, Annalen der deutschen Geschichte. I, S. 20.
3) Ueber Ursprung und Heimath der Franken. Von Dr. Joseph
B ender y Oberlehrer am Königlichen katholischen Gymnasium in Brauns-
berg. 1857.
Dispargutn. 133
Aber nach unserer Erklärung der vorausgehenden Worte Gregors
verliert nun überhaupt die Frage nach der Richtung des von Gregor
erwähnten Rheinübergangs jede Bedeutung. Aus den früheren An-
gaben Gregors geht eben nichts fttr seine Richtung hervor. Aus der
Richtung des angeblichen Zuges von Pannonien her nicht, denn
diese Nachricht fallt fftr uns völlig ausser Betracht. Aus der Lage
der fränkischen Sitze an den litora Rheni nicht, denn da diese Sitze
schon an und für sich zu beiden üfem des Rheines lagen, so musste,
mochte der Zug der Franken nun östlich oder westlich gerichtet
sein, auf alle Fälle ja ein Teil des Volkes zur gemeinsamen Fahrt
in die Fremde den zwischen den beiden besiedelten Ufern flutenden
Strom überschreiten ; meint aber Gregor, wie es an sich wahrschein-
licher ist, und wie wir es später noch deutlicher erkennen werden,
einen Rheinübergang der vereinigten Wandergenossen an einer an-
dern Stelle, als zwischen den alten Sitzen des Volkes, so ist voll-
ends aus den vorhergehenden Worten des Geschichtsschreibers —
da die Wanderung ebenso gut auf dem einen wie auf dem andern
der beiden Ufer beginnen konnte — die Richtung des üeberganges
in keiner Weise zu erkennen. Um diese Richtung zu bestimmen,
kommt es also nicht sowohl auf den ungewissen Ausgangspunkt,
als vielmehr auf das Ziel der Wanderung an. Unser Urteil über
die Richtung dieses Rheinüberganges der Franken hängt mit an-
deren Worten von der Bestimmung der Lage der Landschaft Tho-
ringia ab, deren Lage somit zunächst zu erörtern ist.
Die Anhänger der gewöhnlichen Deutung waren durch ihre
früheren Erklärungen freilich gezwungen, dieThoringia auf dem lin-
ken Rheinufer anzunehmen. Mit demselben Augenblick trat aber auch
die Schwäche ihrer Aufstellungen zu Tage. Mochte nämlich ihre
bisherige Deutung, wenn auch keineswegs mit der Geschichte, so
doch allenfalls — abgesehen von ihrer irrigen Deutung der litora
Rheni — mit dem Wortlaut Gregors vereinbar erscheinen, so be-
gannen nun die auffallendsten Schwierigkeiten und Widersprüche.
Denn während im Osten des Rheinstromes eine allbekannte Land-
schaft Thoringia vorlag, mussten diese Erklärer auf dem linken
Ufer eine Thoringia suchen, von der sonst keine Quelle wusste.
Einige wie Lecoy de la Marche*), die der ganzen Sache
femer standen, schoben die Unklarheit einfach auf Gregor. Dieser
1) De Tautorit^ de Qregoire de Tours, Paris 1861 p.
134 Dr. Konrad Pia th:
thöriühte Bischof von Tours habe offenbar von Geographie keine
Ähnung gehabt. Aber damit war für diejenigen, die ein bestimmtes
Ergebniss erreichen wollten, nichts gewonnen. Und so gab denn
Professor Watterich ^) die Losung aus: „Wir mögen also woUeu
oder nicht: es muss ein Toringen auf der linken Rheinseite ge-
funden werden!"
Freilich, davon überzeugte man sich bald: eine Gegend, die
geradezu den gesuchten Namen aufwies, war hier nirgends vor-
handen! Hatte es je eine solche gegeben, so war der Name völlig
verschollen. Selbst die geschichtlichen Quellen durchforschte man
umsonst. So suchte man denn wenigstens Spuren ihres früheren
Daseins, leise Anklänge an den ersehnten Namen beizubringen. Na-
men, wie der der Durotrigen, Truncinium, werden genannt; auf Turre,
Tourhout, zwei Oi*te Tongre in Brabant, machte man aufmerksam, be-
sonders auf die mit dur zusammengesetzten Ortsnamen setzte man
grosse Hoffnung ^), wogegen schon Watterich bemei'kte, dass diese
keltischen Wortbildungen über das ganze ehemalige Gebiet dieses
Stammes verbreitet, fttr unsere Frage also nicht beweiskräftig seien.
Schröder kam später auf sie zurück; während Müller Duurstede
bevorzugte, sprach ihn Dortrecht am meisten an^): dort, wo ein alter
Donarkultus bestanden haben sollte, war nach ihm die Thoringia der
Stammsage zu suchen, und er glaubte, diese vorgebliche Wahrheit
noch durch eine mythisch-mystische Darstellung zu stützen, nach
der die Franken die Hauptruhepunkte ihres siegreichen Vordringens
durch die Namen der drei Hauptgötter der Germanen bezeichnet
hätten. Er machte daneben zuerst auf jenes von Piot angeführte
„Thuringehem in pago Mempisco" aufmerksam, das ^^allenfalls Mittel-
punkt einer Landschaft Thoringia gewesen sein könnte", aber wegen
der entfernten Lage dieses Gaues, abgesehen von seiner wohl viel
späteren Entstehung, nicht in Betracht kommen kann. Selbst die
mittelhochdeutschen Gedichte blieben für diese Frage nicht ununter-
sucht. Im „König Rother" fand man eine Stelle, in der „Dorringeu
unde Brabant" neben „Sachsen unde Thuringe" genannt wurde.
Schon Bender hielt jedoch diese Lesart für falsch; er glaubte, es
sei statt „Dorringen" wohl Dornigen, die wirklich neben Brabant
1) Watterich, Die Gennanen des ßheins, 1872, S. 226.
2) Müller, Lex Salica p. 107.
3) Sybels Historische Ztschr. N. F. VH, S. 40 u. f.
Dispargiim. 135
gelegene Herrschaft Doornik zu setzen; eine spätere kritische Aus-
gabe des Gedichts ergab, dass ursprünglich „Lothringen unde Bra-
bant" stand. Wo übrigens der Name Dorriugen in mittelalterlichen
Quellen vorkommt, wird er fast regelmässig in unmittelbarer Ver-
bindung mit dem Lande Meissen genannt, und man sieht schon daraus
genugsam, wo er anzusetzen ist.
Da auf diesem Wege nichts zu gewinnen war, so Hess man nun
Begebenheiten, für deren Schauplatz jeder unbefangene die rechts-
rheinische Thoringia ansehen musste, mit veränderter Bühne auf dem
linken Rheinufer sich ereignen, um so das gesuchte Thoringia zu
erhalten. Befremdlich ist nur, dass selbst hervorragende Gelehrte
dies Verfahren für zulässig hielten. So stellte Waitz die Ansicht
auf, dass jene Landschaft Thoringia, über die der König Bisinus
herrschte, bei welchem Childerich nach seiner Absetzung Schutz
suchte, nicht jene ostrheinische, wie man sonst annahm, sondern am
Meere gelegen sei *). Ebenso sollten die Thoringer, gegen die nach
Gregors Angabe Chlodovech im zehnten Jahre seiner Herrschaft zu
Felde zog, von den ostrheinischen verschieden sein*). Gegen beide
Behauptungen hatte sich schon nachdrücklich Joseph Bender er-
klärt'); doch hatte Waitz für die zweite Ansicht Nachfolger in
Watterich*), Richter^), Junghans®) u, A. gefunden. Richard
Schröder hat das Verdienst, Benders richtiger TJebei-zeugung
wieder Geltung verschafft und damit diese Missgriffe hoffentlich für
immer beseitigt zu haben''). Krusch freilich führt sowohl in seiner
Anmerkung zur letztgenannten Stelle Gregors, wie in dem Ver-
zeichniss am Schlüsse seiner Ausgabe dieses Schriftstellers in den
MonumentaGermaniae^) noch ausdrücklich „linksrheinische Thoringer"
vor, ja Lamprecht spricht gelegentlich von ihnen mit einer Be-
1) Das alte Recht der salischen Franken. 1846. S. 49.
2) Ebenda; Waitz meint, Chlodovech sei von diesen noch durch alle
möglichen Herrschaften und Länder getrennt gewesen.
3) a. a. 0. S. 23.
4) a, a. 0. S. 225.
5) Richter, Annalen der deutschen Geschichte I, 35.
6) Junghans, Die Geschichte der fränkischen Könige Childerich
und Chlodovech. Göttingen 1857, 8. 11, 38.
7) R Schröder, Die Franken und ihr Recht. Zeitschrift der Sa-
vigny Stiftung II. Germanist. Abth. 1881. Zweiter Band S. 28. Er meint,
jene Annahme beruhe auf „vollkommener Kritiklosigkeit^.
8) Mon. Germ. pag. .89. A, 2; pag. 909,
136 Dr. Konrad Plath:
stimmtheit, als ob niemals der leiseste Zweifel an ihrem Vorhanden-
sein bestanden hätte ^).
Der letztere glaubte seine Berechtigung dazu erwiesen zu haben
durch die Darlegung*) einer Auffassung, die vor ihm schon derWttrz-
burger Professor H. Müller mit grosser Ausführlichkeit vorgetragen
hatte '). Beide traten daftlr ein, dass die in der Ueberschrift so-
genannte Lex Angliorum et Werinonim hoc est Thoringonim nicht,
wie man sonst glaubte *), den deutschen Thüringern, sondern einem
niederrheinischen Stamme zuzusprechen sei, welchen Müller am
östlichen, Lamprecht am westlichen Ufer des Flusses annahm:
War früher schon mehrfach diese Ansicht bekämpft worden^), so
dürfte auch hier Richard Schröder endgültig nachgewiesen ha-
ben, dass das Gesetz thatsächlich den deutschen Thüringern an-
gehört «).
Der Gau Turingasnes endlich, den man zu Gunsten einer west-
rheinischen Thoringia auf dem linken Ufer des Flusses anzusetzen
Neigung verspürte'), ist von Richthofen®) im Sinne von Eck-
hart, Bender, als ostrheinisch dargethan worden.
Da air das nichts fruchtete, so griff man zu einem andern
altbewährten Mittel, das noch leichter zu handhaben war. Wollte
die linksrheinische Thoringia, von der Gregor anscheinend sprach,
sich nirgends ausfindig machen lassen, — so änderte man den nun für
fehlerhaft erklärten Text. Statt der „Thoringia" habe ursprünglich
„Tongria'' oder „Tungria**, statt des später vorkommenden Wortes
1) KarlLaraprecht, Fränkische Ansiedelungen und Wanderungen
im Rheinland. Westdeutsche Zeitschrift I. S. 137.
2) Karl Lamp recht, Fränkische Wanderungen und Ansiede-
lungen Tornehmlich im Rheinland. Zeitschrift des Aachener Geschichts-
vereins. IV, 1882. S. 220-227.
3) H, Müller, der Lex Salica und der Lex Angliorum et Werinorum
Alter und Heimat, 1840, 8.107—135; vgl. dazu aber die Vorrede S.IV-IX,
bes. S. VIII !!
4) z. B. Qaupp, das alte Gesetz der Thüringer, bes. S. 286.
5) Waitz, Das alte Recht der salischen Franken, S. 50—51, will
sich über das Geltungsgebiet des Gesetzes nicht eutncheiden.
6) R. Schröder, Zur Kunde der deutschen Volksrechte. Zeitschr.
d, Savignystiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abt. VII. Bd. bes. S. 19—22.
7) Mulhuysen bei Waitz, Das alte Recht der salischen Franken
S. 51, Anm. 2; dieser stimmt ihm bei, hat aber später seine Meinung ge-
ändert; Gloei, a. a. O. S. 238.
8) Mon. Germ. Legum V, p. 109—114.
Dispargum. 187
Thoringorom — Tnngrorum gestanden; fand doch letztere Annahme
an der Lesart einiger Handschriften eine Sttitze^ die thatsächlich diese
Form aufweisen. Aber auch diese Vermutung verlor allen Halt, da
gerade die ältesten Ueberlieferungen ttbercinstimmend Thoringorum
zeigten ^). Ein Name^ wie Tungria, war vollends nirgends bezeugt. Die
Stadt Tongern, deren Gebiet man sich unter jenem Namen vorstellte,
führt bei Gregor den Namen Tungrus (für Tungii), der nur die Stadt, nie
die umherliegende Landschaft bezeichnet. Gregor konnte auch nicht
hier etwa irrttimlich Thoringia für den Namen dieser Stadt gesetzt
haben, da er die letztere kurz zuvor (p. 66, 67) ausdrücklich mit ihrem
richtigen Namen nennt. Ebenso wenig liess sich eine Aenderung in
Toxandria begründen. Ohne jeden Wert waren endlich die unge-
heuerlichen Vermutungen, die Müller*) wagte; ihm fiel zunächst
der Name der Stadt Toumai, „Tomacus", als ähnlich klingend ein,
und er war bemüht, von hier aus die Uebergangsformen zu dem
Worte Thoringia aufzustellen. Dann versuchte er sogar statt der
Thoringia eine — Merwingia einzuführen!! —
Selbst solche Anstrengungen führten nicht an das gewünschte
Ziel : so wenig wie alle früheren. So griif man denn schliesslich, da
mit wissenschaftlichen Beweisen nichts zu erreichen war, zu dem
letzten Mittel, einer geheimnissvollen Mystik. Watterich ^), der
die Lesart Tungria und Tungrorum zurückgewiesen hatte, glaubte
dennoch unter der Thoringia Gregors Tongern vermuten zu müssen,
dessen Name nur den Franken für den Königssitz des grossen Ghlojo
„viel zu prosaisch" vorgekommen sei, weshalb „eine kleine Berich-
tigung'' habe stattfinden müssen. Noch sonderbarer ist die Be-
gründung seiner Ansicht, dass Dispargum einfach die Uebersetzung
des alten Namens von Tongern, Aduatuca, sei und dass religiöse
Gründe die Franken zur Wahl dieses Namens für die Königsburg
bestinunt hätten. Richard Schröder, der soviel zur Widerlegung
der vermeintlichen Gründe und Beweise für die linksrheinische Tho-
ringia gethan, hielt*) nun doch an der Annahme einer solchen fest,
und beschwor den alten Donnergott Thor, dessen Namen in Dort-
1) Die Ausgabe Gregors in den Mon. Germ, nennt als abweichende
Lesart einer Hdschr. nur die Form „Thurignorura".
2) a. a. 0. S. 103-106, 132.
3) Watterich, Die Germanen des Rheins. 8. 226 u. f.
4) Die Herkunft der Franken, S y b e 1 s historische 2Seitschrift| Neue
Folge VII. 1880. S. 40 u. f.
138 Dr. Ronrad Plath:
recht, wo die Thüringer der Erzählung Gregors zu suchen seien,
nachzuklingen schien. So ergab sich ihm denn jenes wunderbare
Resultat, dass die drei von ihm angenommenen Etappen') der sa-
lischen Wanderung genau durch die Namen der drei höchsten Götter
der Germanen, Thor, Wodan und Zin bezeichnet waren.
Aber beider Ansichten, Watterichs und Schröders, sind
eben zu wunderbar, um auch nur Wahrscheinlichkeit beanspruchen
zu können. Auch ihr Bemühen, eine linksrheinische Thoringia nach-
zuweisen, muss als erfolglos bezeichnet werden.
Was blieb nach so verschiedenartigen vergeblichen Versuchen
schliesslich übrig, als sich zu der Ansicht Benders zu bekennen,
dass es zu allen Zeiten nur eine einzige Landschaft Thoringia ge-
geben habe, und zwar jene allbekannte auf der rechten Seite des
Rheins und dass Gregor in unserer Stelle auch nur diese meine?
Allein dieser Anschauung stand nun wieder der vermeintliche Sinn
der Worte Gregors entgegen! Denn wenn die Franken aus Pan-
nonieu kamen, und zuerst auf dem rechten Rheinufer sassen, wie
man ja annahm, wie hätte dann ein Rheinübergang, der doch ans
linke Ufer führte, sie in das rechtsrheinische Thüringen führen kön-
nen! Die einzige Rettung aus diesem Widerspruch wäre bei den
angenommeneu Voraussetzungen wirklich nur Benders kühne Ein-
fügung eines zweiten Rheinüberganges gewesen. Aber wer hätte
dazu wohl den Mut gehabt ! Indess gab es doch noch einen andern
Weg, und man hat nicht gezögert, ihn einzuschlagen. Hatten die
früher erwähnten Forscher „den Gedanken naheliegend gefunden, an
die Stelle von Thoringia einen andern Landesnamen zu setzen" —
so lag es wohl nicht minder nahe, statt des Rhenus einen andern
Flussnamen zu setzen. So wollte Hadrian Valesius für den Rhein
den Main, Moenns, einführen, durch dessen Ueberschreitung man ja
vonPaunonien her nach Thüringen gelangte. Eckhart glaubte alle
Schwierigkeiten zu lösen, und dabei dem Wortlaut Gregors noch
näher zu bleiben, wenn er den Rhenus als den Regen erklärte, den
die Franken, von Südosten kommend, überschritten hätten^). Müller
kam sogar für einen Augenblick auf den Gedanken, der übei-schrit-
tene Fluss sei die Merwe gewesen, „in den alten Sagen konnte der
1) Thuredrecht, Woensdrecht, Dispargum.
2) Anm. Eckharts zu Leibniz' Schrift „De origine Francorum*',
hinter Eckharts, „Leges Francorum salicae et Bipuariorum" p. 250.
Dispargum. 139
Rhein hier nicht genannt werden^. Er änderte, wenn doch geändert
werden sollte, lieber gleich beides, den Landes- und den Flussnamen,
diesen in die Merwe, jenen in Merwingia ^). —
Aber alle diese Besserungsvorschläge sind völlig unhaltbar, und
— noch dazu völlig unnötig. An Gregors Worten braucht kein
Buchstabe geändert zu werden!
Darin hatten freilich die letztgenannten Forscher (Müller aus-
genommen) Recht, dass sie unter der von Gregor genannten Tho-
ringia die ostrheinische Landschaft dieses Namens verstanden. Denn
zweifellos muse, allen widersprechenden Ansichten entgegen, Ben-
ders richtige Anschauung wieder zu Ehren gebracht und mit voll-
ster Entschiedenheit daran festgehalten werden, dass es zu allen
Zeiten immer nur eine, die ostrheinische Landschaft Thoringia ge-
geben hat. Und auch „Gregor von Tours" (so müssen wir mit
Bender sagen), „das muss jeder Vorurtheilsfreie zugeben, kennt
kein anderes Thüringen, als das allbekannte eine!'' Er kennt es
zudem so genau, dass jede Verwechselung, sowie jede ünkenntniss
seiner Lage seinerseits völlig ausgeschlossen ist. Stammte doch da-
her seine berühmte Zeitgenossin, die heilige Radegundis, die Gön-
nerin seines Freundes Venantius Fortunatus, des Säugers der Thü-
ringischen Geschichte, zu der er selbst in persönlichen Beziehungen
stand. Gregor spricht also auch an dieser Stelle, wo er die Land-
schaft Thoringia nennt, mit vollstem Bewusstsein von dem ostrheini-
schen Lande der deutschen Thüringer!
Dem steht auch der übrige Wortlaut der Stelle Gregors in
keiner Weise entgegen. Dass der fabelhafte Zug aus Pannonien
mit dem weiteren Bericht Gregors, dem eine ganz andere Quelle zu
Grande liegt, in keinem Zusammenhange steht, haben wir oben ge-
sehen. Aber gesetzt auch, diese Nachricht von der pannonischen
Herkunft der Franken wäre glaubwürdig und geschichtlich, sie
stammte aus derselben Quelle, wie die weiteren Angaben Gregors,
und stünde mit ihnen in dem von Gregor angedeuteten Zusammen-
hange — so würde das doch an unserer Erklärung nicht das ge-
ringste ändern! Die richtige Erkenntniss, dass „litora Rheni" beide
Rheinufer bezeichnet, hebt — selbst unter dieser Voraussetzung —
jede Schwierigkeit: Denn da die Franken nach ihrer Ankunft am
Rheine beide Ufer besetzt hatten, so musste bei einem späteren
1) a. a. 0. S. 106.
140 Dr. Ronrad Plath:
Zuge nach dem Thttringerlande auf jeden Fall ein Rheinttbergang;
sei es auch nur eines Teiles des Volkes stattfinden. Ja, B ender ,
der jene Erkenntniss nicht gehabt zu haben scheint , würde mit
seiner Annahme von zwei Rhein tLbergängen sogar insofern Recht
behalten; als in dem Ausdruck ^litora Rheni^, in der Besitznahme
beider Rheinufer, ja implicite schon ein Rheinübergang, der erste
der von ihm angenommenen, enthalten wäre, während der folgende
Ausdruck „transacto Rheno^ dann den zweiten, von ihm mit Recht
als Ostlich gerichtet beschriebenen Rheinübergang bezeichnete.
Uns, die wir uns von jenen Voraussetzungen frei gemacht haben,
stellt sich der Inhalt des uns vorliegenden Abschnittes Gregors nun
folgendennassen dar:
Die Franken, die in den ältesten Zeiten am Mündungsgebiet
des Rheins und zwar zu beiden Seiten des Flusses ansässig waren,
mit andern Worten „die salischen Franken", unternahmen einst einen
Zug nach dem Lande der ostrheinischen deutschen Thüringer, wo-
bei sie den Rhein überschritten. Dieser Rheinttbergang wird uns
nun auch, sobald wir die Karte zur Hand nehmen, in seiner Be-
deutung völlig klar. Er fand natürlich nicht zwischen den beiden
in der Urzeit von den Franken besiedelten Ufern statt, sondern an
einer analem Stelle, wo die gesammte Schaar des zum Zuge ver-
einigten Volkes den Fluss zu überschreiten hatte. Er muss weiter
stromaufwärts, etwa in der Nähe der Ruhrmündung erfolgt sein.
Dort führte ja in der That der Weg, der von den Rheinmttndnngen
in gerader Richtung zum Thüringerlande ging, über den Strom:
vom linken auf das rechte Ufer !
Dieser Zug der Franken nach dem Thüringerlande, das, wie
schon aus diesem Zusammenhange hervorgeht, damals eine viel
weitere Ausdehnung nach dem Rhein hin hatte, als später, war nun
gewiss kein friedlicher ! Schon Gregors Ausdruck „Thoringiam trans-
measse" deutet an, dass es ein Feldzug war, der tief in das feind-
liche Gebiet eindrang. Der Zug ist ein Eroberungszug, der erste
uns bekannte in der langen Reihe der Kriege, die die Franken
gegen die Thüringer geführt und durch die sie die westliche Grenze
der Herrschaft dieses Volkes immer weiter zurückgedrängt haben.
Die Thatsache dieses ersten Thüringerkrieges der
Franken ist der ersteGewinn, der sich aus der rich-
tigenErklärung der StelleGregors ergibt. Betrachten
wir nun seine weiteren Angaben !
Disparg^m. 141
c. ibique iuxta pagus vel civitates regis crinitoB super se crea-
vis8e de prima, et, nt ita dicam, nobiliore suornm familia.
Gaben uns die letztbesprochenen Worte Gregors von einem
erfolgreichen Feldzug der Franken ins Thüringerreich Kunde, so
lernen wir aus den vorliegenden, dass sich an dies glückliche
kriegerische unternehmen eine noch bedeutsamere Friedensthätigkeit
anschloss. Wir sehen zunächst, dass der Einfall nicht ein blosser
Beutezug von Wikingern war, die das Land nach der Plünderung
wieder verliessen; die besiegten Thüringer mussten vielmehr den
siegreichen Fremden Teile des eigenen Gebietes abtreten, auf denen
sich diese nun zu 'dauernder Ansiedelung niederliessen. Dies geht
aus dem ,ibique' Gregors hervor. Zu friedlicher Bewirtschaftung
des neuen Heimatbodens, so lenien wir weiter, gliederten sich die
Zugewanderten in bestimmte Gruppen, nach Gauen und Völker-
schaften sich teilend. Aber das wichtigste war, dass in Folge
dieses glücklich gelungenen Eroberungszuges die salischen Franken
in den neuen Sitzen östlich des Rheins zur Sicherung des Gewon-
nenen die Gründung einer festeren politischen Organisation unter-
nahmen. Hatten sie früher wohl eine mehr republikanische Ver-
fassung gehabt, so wählten sie nun, nach Gauen und Völker-
schaften, wie unsere Quelle besagt, Könige aus ihrem ersten und
edelsten Geschlecht.
Welches dies Geschlecht gewesen, kann wohl nicht zweifelhaft
sein. Es muss ein Geschlecht gewesen sein, das schon in der alten
Heimat Ehre und hohes Ansehen genoss, das dann vielleicht bei
dem Thüringerzuge eine führende Stellung eingenommen; und dem
das dankbare Volk nun die Herrschaft im neuen Reiche übertrug.
Die götterentstammten Merowinger sind es, das langgelockte Ge-
schlecht, von deren Bedeutung schon an den alten Sitzen des Volkes
ihre am Meeresstrand spielende Haussage zeugt, ebenso, wie ihr
Name selbst dorther kommen soll.
Aber welches ist nun das Reich, zu dessen Leitung sie jetzt
die Wahl des salischen Volkes berief? Aus seiner Lage muss es
hervorgehen. Oestlich des Rheins, aber nahe dem Fluss, deutet es
unsere Erzählung an, dort etwa, wo die Ruhr in den Rhein sich
ergiesst. Dort aber ist das Kemland des Königreiches, das wir
später unter dem Namen des ripuarischen kennen. Und so wollen
wir denn die Behauptung wagen : salische Franken sind es, die dies
ripuarische Reich gründeten, und seine Könige sind Merowinger!
142 Dr. Konrad Plath:
Von dieser Gründung des ripuarischen Reiches durch die Salier be-
richtet unsere Quelle! Wir treten damit in einen Streit ein, der
gerade in der letzten Zeit mit einiger Lebhaftigkeit gefuhrt worden
ist. Denn ganz ähnliche Behauptungen sind auch von anderen Seiten,
jedoch ohne Bezugnahme auf diese Stelle Gregors, kürzlich ausge-
sprochen worden.
Es handelt sich hierbei einmal um das Verhältniss der ripua-
rischen zu den salischen Franken, sodann um das Verhältniss des
ripuarischen zu dem salischen Königsgeschlecht. Beide Fragen hängen
natürlich eng mit einander zusammen.
Mit Rücksicht auf den Namen der Ripuarief, dessen Ursprung
schon Müller nachzuweisen versuchte, hatte schon Richter die Mei-
nung ausgesprochen, dass derselbe kein besonderes Volk bezeichne,
sondern nur Collektivbezeichnung der Uferfranken gegenüber den
Meerfranken sei. Zu demselben Ergebniss nun, dass Salier und
Ripuarier ein Volk seien, sind kürzlich auch Fahlbeck ^) und
Mayer*) gelangt: beide auf verschiedenen Wegen vorgehend und
mit verschiedenen Gründen ihre Anschauung stützend, mit der die
unserige, aus neuen Erwägungen hervorgehend, nun zusammentrifft.
Beide sprechen auch als ihre Ueberaeugung aus, dass die Könige
der salischen wie der ripuarischen Franken einem Geschlechte ent-
stammten, eben dem der Merowinger. Auch das stimmt, wie man
sieht, mit unserer Erklärung der Stelle Gregors! Ihre Gründe hier
mitzuteilen, würde uns zu sehr aufhalten. Trotz Schröders Wider-
spruch *) scheinen mir ihre Aufstellungen doch nicht so ohne weiteres
abzuweisen zu sein. Eine wichtige Bestätigung dieser Auffassung
wird sich uns übrigens noch im Folgenden selbst durch unsere Be-
stimmung der Lage von Dispargum, dem Königssitze des Mero-
wingers Chlojo, ergeben. Wir fahren zunächst in der Betrachtung
der Angaben Gregors fort.
IIL
Quod postea probatum Chlodovechi victuriae tradedirunt ita-
que in sequenti digerimus.
1) Fahlbeck, La royaute et le droit royal francs durant la pre-
miere periode de rcxistonce du royaume. 1883.
2) E. Mayer, Ziir Entstehung der Lex Ribuariorum. 1886.
3) Lehrbuch der deiitschen Rechtsgeschichte von Dr. Richard
Schröder. S. %-97. A. 16.
Dispargnm. 143
Die in ihren drei Abschnitten znletzt besprochene Geschichts-
quelle über die ürsitze der Franken, ihren ersten Thüringerkrieg
und die Erhebung der Merowinger zur fränkischen Königswtirde —
deren Fortsetzung Gregor erst später gibt — unterbrechend, knöpft
Gregor an ihre letzten Worte eine jener persönlichen Zwischenbe-
merkungen, in denen er so häufig in der Weise der Epiker den
späteren Verlauf der Dinge im Voraus ankündigt. So weist er hier
nach der Mitteilung, dass die fränkischen Könige aus dem ersten
und edelsten Geschlecht des Volkes gewählt seien, darauf hin, dieser
Adel des Geschlechts habe sich auch später in den Siegen des Chlodo-
wech bewährt, wovon im Folgenden die Rede sein werde. An sich
ziemlich nichtssagend, ist für uns diese Angabe doch insofern wichtig,
als auch sie ein Zeugniss dafUr bietet, dass der Salier Chlodovech
mit jenen ersten ostrheinischen ripuarischen Frankenkönigen eines
Geschlechts ist.
IV.
Nam et in Consolaribus legimus Theudomerem regem Franco-
rum filium Richimeris quondam et Ascylam matreni eins gladio inter-
fectus.
Wiederum ganz anderen Ursprungs, angeblich römischen Con-
suUisten entnommen, ist die hier von Gregor völlig zusammenhanglos,
wenn auch an chronologisch richtiger Stelle eingefügte, höchst ober-
flächlich mit einem nam eingeleitete Nachricht über den König Theu-
domer, die eben nur als ein neues Beispiel für das Königtum bei
den Franken von ihm gedacht ist. Auf ihren wichtigen, aus Fre-
degar zu ergänzenden Inhalt, dessen eigene Bedeutung bei Gregor
in keiner Weise zur Geltung kommt, können wir hier nicht eingehen.
V.
Fenint etiam tunc Chlogionem, utilem ac nobilissimum in gente
Bua, regem fnisse Francorum, qui apud Dispargum castmm habi-
tabat, quod est in terminum Thoringorum.
Erst hier nimmt Gregor den fallen gelassenen Faden seiner
vriichtigen Geschichtsquelle über die Gründung des ostrheinischen
Frankenreicfaes unter den Merowingem auf dem den Thüringern
abgewonnenen Gebiete wieder auf. Ganz unvermittelt, nur ober-
flächlich und noch dazu irrig als gleichzeitig mit der vorange-
gangenen Nachricht über Theudomer verknüpft, bietet er den Be-
richt über Chlojos Herrschersitz, der im besonderen Gegenstand
144 Dr. Koni^ad Plath:
unserer Untersuchung ist. Chlojo, so meldet die Quelle^ einer der
edelsten aus jenem Geschlechte der Merowinger, sei König der
Franken, das heisst des gesammten Franken volkes, sowohl der am
Meere zurückgebliebenen, wie der am Rhein wohnenden gewesen;
er habe in der Burg Dispargum geherrscht, und diese — das Fol-
gende ist mit Rücksicht auf das „esf^ vielleicht als Glosse Gregors
zu betrachten — liegt „in terminnm Thoringorum". Dies ist die
einzige unmittelbare Angabe, die wir über die Lage dieser Pfalz
haben; daher die Schwierigkeit ihrer Bestimmung. Obendrein ist
nun noch streitig, was eigentlich dieser Ausdnick Gregors bedeutet!
Zwar, dass die Thoringi, wie überall bei Gregor, und sonst, die
deutschen Thüringer, die Bewohner des in unserer Quelle früher
genannten Reiches Thoringia sind, darüber ist wohl kein Wort mehr
zu verlieren, lieber die Bedeutung des Wortes „teiminus" an dieser
Stelle herrscht Zwiespalt. Die Einen, so Sagittarius'), Hörn,
Raepsaet, Bender, Richter, Gloöl, übersetzen „in terminum
Thoringorum" (das natürlich für „in termino Th." steht) „an der
Grenze der Thüringer", die andern, Eckhart, Wenck, Müller,
Waitz, Watterich, Roth^), meinen, es heisse „im Gebiete"
dieses Volkes. Besonders hat Waitz wieder Bender bei der Be-
sprechung seiner Schrift wegen seiner Ansicht scharf getadelt*).
Er bemerkte sogar, „dass gerade umgekehrt ganz mit Recht neu-
lich ein Recensent einer französischen Uebersetzungdes Gregor dieser
vorwarf; sie habe, da sie von Grenzen sprach, den Ausdruck falsch
wiedergegeben." Er wies auf die von ihm gesammelten Stellen,
wo tcrminus bei Gregor für pagus vorkomme, hin*). Krusch hat
in seinem Glossar am Schluss der Ausgabe des Gregor in den Monu-
menta Gcrmaniac ^) gleichfalls eine Anzahl solcher Fälle zusammen-
gestellt. Indessen ist mit diesen Stelleu der Sprachgebrauch Gregors hin-
sichtlich dieses Wortes doch keineswegs erschöpft, und wenn Müller
behauptet, „ihm sei terminus in der Bedeutung ,Grenze^ im ganzen
Gregorius Turonensis nicht begegnet" — so beweist er auch hieiin
nur seine grenzenlose Oberflächlichkeit ! Zunächst kann kein Zweifel
1) Casparis Sagittarii Antiquitates Regni Thuringici. Jena 1685,
p. 124.
2) Roth, Geschichte des Beneficial Wesens, S. 53.
3) Göttinger gelehrte Anzeigen 1858, S. 633.
4) D. Verfassnngsgeschichte II, S. 277.
5) p. 962.
Dispargum. 146
sein; dass auch bei Gregor die Grundbedeatung des Wortes terminus
Grenze ist. Das beweisen genugsam Wendungen wie terminare
(Seite 54, 28; 373, 10), tenninum facere (324, 10) für unser „begren-
zen, ein Ende machen, eine Grenze setzen". So finden wir bei
Gregor auch: die Grenze des Lebens, terminus vitae (373, 22; 659, 3),
des Gesetzes Grenze, tei-minus legis (271, 7), auch causae terminus,
das Ende des Streites (693, 14), und in der eigentlichen Anwendung
bei Flächenräumen: terrae terminos (848, 18), teiminus prati, die
Grenze einer Wiese (353, 11); ja selbst neben dem Worte, dessen
Bedeutung für terminus in Anspruch genommen wird, zeigt sich
terminus als Grenze : tenninus pagi (520, 12), die Grenze des Gaues.
Selbst in den von Waitz und Krusch bezeichneten Fällen, wo
terminus im Sinne von pagus stehen soll, ist doch die Gnmdbe-
deutung noch deutlich erkennbar, ja meist lässt sie sich auch in
der üebereetzung noch ohne Schwierigkeiten festhalten, so, dass so-
gar diese Wiedergabe den Sinn der Worte treffender und sachlich
richtiger zu bezeichnen scheint, als ihre üebersetzung mit „Gau".
Denn bei dem Ausdruck „terminus urbis" (z. B. Turonicae) be-
zeichnet urbs nicht bloss die von den Stadtmauern begrenzte eigent-
liche Stadt, deren zugehöriges Aussengebiet dann durch terminus
bezeichnet würde, vielmehr bezeichnet urbs wie civitas schon das
ganze Stadtgebiet innerhalb und ausserhalb der Mauern, und ter-
minus, ganz im eigentlichen Sinne, dessen Grenze. Darauf weisen
schon deutlich die mit diesem Ausdruck verbundenen Präpositionen,
am häufigsten infra (statt intra), dann sub, apud, deren Anwendung
die Vorstellung' einer Grenzlinie zu Grunde liegt, hin. Dieselbe Vor-
stellung erkennt man, wo es sich um die Annäherung an die Grenze
des Stadtgebietes handelt: ad terminum urbis propinquare u. dgl.
Sehr schlagend beweist die Richtigkeit dieser Erklärung, die an
der Grundbedeutung des Wortes festhält, ein Beispiel, wo Gregor
terminos urbis, d. h. die Grenzen des Stadtgebietes, erwähnt (418, 24),
denn von mehreren „Gauen" ein und derselben Stadt kann doch nicht
die Rede sein ^) ! Völlig unzweifelhaft in der eigentlichen Bedeutung
„Grenze" braucht Gregor das Wort terminus da, wo er ausdrücklich
von einem terminus territurii Treverici (122, 14), Biturigi (355, 15)
1) Aehnlich ß69,12, uon solum ipsos Arverni terreturii terminoft verum
etiam vicinarum urbium fines adivit; wichtig auch die Stelle. 34.5, 26.
Jahrb. d. Ver. v. Altorthsfr. im Rliuinl XCV. IQ
146 Dr. KonradPlath:
spricht. Da nnn die Wendung „innerhalb der Grenze des Stadtgebiets"
für das einfache „im Stadtgebiet" gewiss eine recht weitschweifige
und unbequeme, wenn auch vielleicht anschaulichere ist; so sprach
denn Gregor bisweilen, den Namen der Stadt adjectivisch anwendend,
einfach von dem „territurium Turonicum", und so konnte es, begünstigt
durch den Gleichklang der Worte, leicht geschehen, dass er, aus dem
weitläuftigen terminus territurii Turonici nun andererseitjs das Wort
territurium fortlassend, „terminus Turonicus" zur Bezeichnung des inner-
halb der Grenze des Gebietes von Tours liegenden Landes machte.
In diesem einzigen Falle, wo terminus unmittelbar mit dem Adjectiv
eines Städtenamens verbunden ist, mag man den Sinn des Aus-
druckes nun durch das deutsche „Gebiet" in Kürze wiedergeben:
aber man muss sich gegenwärtig halten, dass diese Wendung eigent-
lich nur durch nicht ganz angemessene Kürzung einer längeren ent-
standen ist, in der das Wort terminus seine eigentliche Bedeutung
aufwies. Dieses „Gebiet", für das Gregor in der Regel territurium
gebraucht, nun geradezu als ^Gau", pagus, im politischen Sinne zu
bezeichnen, scheint schon zu weit gegangen. Denn es ist fraglich,
ob alle die Städte, deren Namen in dieser Weise vorkommen, wirk-
lich einen officiell mit ihrem Namen benannten Gau, wie wir etwa
den Kölngau, Bonngau, Speiergau u. s. w. kennen, aufwiesen.
Aber selbst, wenn wir es gelten Hessen, dass in allen diesen
Fällen terminus geradezu als gleichbedeutend mit pagus anzusehen
wäre, so gibt es doch andere Stellen bei Gregor, für die eine solche
Erklärung völlig unzulässig ist, wo vielmehr terminus mit voller
Deutlichkeit seine eigentliche Bedeutung „Grenze" zeigt. Es sind
die, in denen es nicht mit dem Namen einer einzelnen Stadt, son-
dern mit Länder- und Yölkernamen verbunden ist. Als Beispiele
der ersteren Art nenne ich von Stellen bei Gregor (nach der Seiten-
und Zeilenzahl der Monumenta- Ausgabe) :
341,15. Septimaniam quae adhuc infra Galliamm terminum
habetur.
351, 26. von Reccared: infra terminum Galliamm praedas egit.
411, 2. Adpropinquantes autem ad terminum Italiae.
437, 13. Gaballitanae regionis terminum est ingressns.
364, 25. Inter terminum utriusque regni.
665, 5. Tertium intra Alamanniae terminum monasterium lo-
caverunt.
Dispargrum. 147
Von Beispielen mit Völkernamen:
102, 3. ürbes illas a finibus Gothorum nsquc Burgundionum
terminum patris sui dieionibus subiugavit.
295, 21. Se iam ad terminum Gothorum esse propinquam.
343, 11. Quia indignum est, ut horrendorum Gothorum ter-
minus usque in Galliis sit extensns.
Und hierher gehört nun auch unsere Stelle (77, 10), in der von
dem terminus Thoringorum die Rede ist ! Trotz aller Widersprüche
bleibt es also dem Sprachgebrauche Gregors gemäss doch wahr,
wie Bender und seine Anhänger wollten, dass nach unserer Quelle
Dispargum „an der Grenze der Thüringer" gelegen ist. üebrigcns
ist insofern der Streitpunkt ziemlich belanglos, als Chlojos Hen'scher-
sitz, der zu seiner Zeit als fränkischer Königssitz natürlich im frän-
kischen Gebiete gelegen war^), doch wenigstens in dem ehemals
thüringischen Gebiet, das die Franken durch ihren Eroberungszug
gewonnen, lag.
Von den späteren, aber auf Gregor zurückgehenden Quellen
werden über die Lage von Dispargum folgende Angaben gemacht
(citirt nach der Seitenzahl in den Mon, Germ.):
Fredegar sagt (p. 95) : Substituetur filius eins Chlodeo in regno
utilissimus vir in gente sua qui apud Esbargium castrum resedebat
quod est in termino Thoringorum. Beide Redactioncn des Liber
historiae Francorum (p. 245) haben: habitabat .... in Disbargo
castello in finibus Thoringorum (in) regionem Ger-
maniae. Dieser letzte selbständige Zusatz wird in der zweiten
Redaction noch dadurch erläutert, dass ausdrücklich hervorge-
hoben wird, es sei das Germanien rechts des Rheins gemeint
(nicht die römischen Provinzen Germania I und 11 auf dem linken
Rheinufer). Das Chronicon universale (M. G. XIII, 8), die Gesta
episcoporum Cameracensium (I. 3; M. G. S. S. VIT, 403) folgen
dem Liber historiae Francorum, iftdcm sie die Lage angeben: „in
1) Darüber sehr verständig auch August von Wersebe in den
Anmerkungen (A. 4. S. 2) zur ersten Hälfte seiner Schrift über die Ver-
theilung Thüringens zwischen den alten Sachsen und Franken. Ham-
burg 1834 (in den Beiträgen zu der deutschen, besonders thüringischen
Geschichte des Mitteltalters, herausgegeben von Ludwig Friedrich Hesse,
Ersten Bandes erste Abthcilung).
148 Dr. Konrad Plath:
finibns Thoringorum in regione Gcrmaniae. Sigebert nennt bei
der Zweideutigkeit des Ausdrucks fines in seinen Vorlagen, das
allerdings sowohl Grenzen, als „Gebiet" bedeuten kann, Dispargum
sogar eine Burg der Thüringer (M. G, VI, 307, in Dispargo castello
Thoringorum aliquamdiu habitavit).
Mussten nun diese letzteren Quellen, die ausdrücklich die rechts-
rheinische Lage von Dispargum behaupteten, den Anhängern der
herrschenden Meinung mit der von ihnen angenommenen Deutung
der Worte Gregors völlig im Widersprach stehend eraehcinen, so
sehen wir nun, nachdem wir ihre Deutung als irrig erkannt haben,
dass vielmehr alle unsere Nachrichten über Dispargums Lage in bestem
Einklang stehen. Soviel ist also gewiss, dass wir esauf dem
rechten Rheinufer zu suchen habenl Aber bevor wir auf seine
Lage im einzelnen genauer eingehen, betrachten wir die noch fol-
genden Angaben Gregors und die mit ihnen in Beziehung stehenden
Nachrichten späterer Quellen, da sie für die Bestimmung von Dis-
pargum teilweise noch von Bedeutung sind.
VL
In bis autem partibns, id est ad meridianam plagam, habita-
baut Romani usque Ligerem fluvium. Ultra Ligerem vero Gothi
dominabantur. Burgundiones quoque, Arrianoram sectam sequentes,
habitabant trans Rhodanum quod adiacit civitate Lugdunense.
Den Bericht über Chlojo unterbrechend, bringt Gregor hier
einen Abschnitt von wiederum völlig anderem üraprung und Cha-
rakter, der nicht einmal chronologisch an diese Stelle gehört. Es
ist eine geographische üeberaicht über die Wohnsitze der deutschen
Stä,mme neben den Resten der römischen Herrschaft in Gallien nach
der Völkci-wanderung; — eine gallische Völkertafel. Gregor hat
sie hier eingefügt als Einleitung zu dem Bericht über Ghlojos Feld-
zug gegen die Römer. Insofern wäre wenigstens der erste Satz
dieses Abschnitts, der von den Sitzen der Römer handelt, hier ganz
wohl am Platze; aber was soll in diesem Zusammenhange die Be-
schreibung der Sitze der Gothen und Burgunder, mit denen Chlojo
nie etwas zu thun gehabt hat? Vor einer Schilderang der Feld-
züge Chlodovechs hätte eine solche Aufzählung einen Sinn! Das
beweist schon den fremdartigen ürsprang dieser Quelle.
Aber ihre Angaben gehören auch zeitlich nicht in diesen Zu-
sammenhang. Da Chlojos Zug gegen die Römer um das Jahr 430
Dispargum. 149
erfolgte, so müsste doch diese Uebei-sicht, wenn sie hier mit Recht
ihre Stelle finden sollte, die Verhältnisse so darstellen, wie sie kurz
vor dieser Zeit bestanden. Sie nennt uns die Burgunder als Arianer.
Die Burgunder sind aber erst nach der Mitte des fünften Jahr-
hunderts vom katholischen zum arianischen Bckenntniss übergetreten.
Diese Völkertafel, wenn wir sie so nennen wollen, kann also erst
in noch späterer Zeit, als dieser Glaubenswechsel stattfand, ent-
standen sein. Sie gehört mithin einer Zeit nach Chlojos Tode, den
man 448 ansetzt, nicht der Zeit vor seinem Eroberungszuge gegen
die Römer an. Ihr liegen also auch schon die Besitzverhältnisse,
wie sie eben durch diesen Eroberungszug Chlojos, der das frän-
kische Gebiet bis zur Somme ausdehnte, neu geschaffen waren, zu
Grunde. Erwägen wir dies, so bietet auch die Angabe der Völker-
tafel, dass das römische Gebiet südlich des fränkischen (ad meridia-
nam plagam) sich erstreckte, im Hinblick auf die Sommegrenze,
die Chlojo erreicht hatte, keinen Anlass mehr zu irgend welchen
Zweifeln und Irrtümern. So lange man nämlich früher die Völker-
tafel als gleichen Ursprungs mit dem Bericht über Chlojo und auf die
Verhältnisse vor dessen Römerkrieg bezüglich annahm, glaubte man,
dem scheinbar einheitlichen Znsammenhange der Angaben Gregors ent-
sprechend, die Sitze der Römer südlich der Gegend von Dispargum
und der Landschaft Thoringia, von denen Gregor zuletzt gesprochen,
annehmen, und daraus dann wieder die linksrheinische Lage beider
ableiten zu müssen*). Nun, da wir erkannt haben, dass dieser in
später Zeit entstandenen ethnographischen Uebersicht spätere Ver-
hältnisse zu Grunde liegen, und dass Gregor diese fremdartige Quelle
aus einem andern Zusammenhang mit Unrecht an dieser Stelle vor
dem Bericht über Chlojos Zug eingefügt hat, kann auch von einer
solchen Schlussfolgerung nicht mehr die Rede sein.
VII.
Chlogio autem missis exploratoribus ad urbem Camaracnm
perlustrata omnia ipse secutus, Romanos proteret, civitatem adprae-
hendit, in qua paucum tempus resedens usque Summanam fluvium
occupavit.
Hier erst fährt Gregor mit dem unterbrochenen Berichte über
Chlojo, den König der vereinigten Franken, fort, den wir zuletzt in
1) So z. B. W a i t z , Göttinger gelehrte Anzeigen 1858. S. 633.
150 Dr. Konrad Plath:
seiner Bui*g Dispargum, an der Grenze der Thüringer^ antrafen. Von
hier auS; so meldet unser Abschnitt, sandte Chlojo heimlich Kund-
schafter nach Cambrai an der Scheide, wo das eigentlich wichtige
Gebiet der Römer erst begann, während das dazwischen liegende
Land, sumpfig, waldig und öde^ so dass es später den Namen Bra-
bant, d. h. brachliegendes Land erhielt, damals wenig Bedeutung
hatte. Wegen dieser Verhältnisse eben war es nötig, Kundschafter
auszusenden, um bei der nicht geringen Entfernung den richtigen
Zeitpunkt für den Uebeifall zu treffen. Nachdem sie günstige Ge-
legenheit gemeldet, folgte er selbst mit dem Heere, schlug die Römer,
besetzte die Stadt und eroberte nach kurzer Rast daselbst alles Land
bis zur Somme. Wo er dann seinen Wohnsitz nahm, wird nicht
gesagt.
Von den späteren Quellen gibt Fredegar den Bericht Gregors
mit geringer Verktlrzung einfach wieder. Die Angaben des Liber
Historiae Francorum sind dagegen etwas ausführlicher im historischen
und topographischen Detail. In letzterer Hinsicht melden sie in der
richtigen Erwägung der Lage Dispargums auf der rechten Rhein-
seite, dass Chlojo auf seinem Zuge gegen Cambrai den Rhein über-
schritt^); sie geben weiter an, dass Chlojos Zug durch den Kohlen-
wald, die Silva Carbonaria, ging; was gleichfalls mit der Lage
von Dispargum, wie wir sehen werden, übereinstimmt. Wenn sie
indessen Chlojo auf seinem Wege erst nach Touruai, dann nach
Cambrai gelangen lassen, so scheinen sie darin zu irren. Das Chro-
nicon Moissiacense (M. G. S. 8. L 283) hat übrigens in dem be-
treffenden Bericht an Stelle des Wortes Tornacense eine Lücke!
VIIL
De huius stirpe quidam Merovechum regem fuisse adserunt,
cuius fuit filius Childericus.
Durch das „quidam adserunt". Gregors ist hier vielleicht eine
neue Quelle angedeutet, die die Genealogie der Merowinger von
Chlojo ab zum Gegenstande hat. Fredegar nennt den Merowech
sogar den Sohn der Gattin des Chlojo, des Römerbesiegers — sei
1) Es ist vielleicht nicht überflüssig, hervorzuheben, dass auch Ranke
Chlojo auf seinem Zuge den Rhein überschreiten lässt und eich dadurch
als Vertreter der Anschauung von der rechtsrheinischen Lage der Land-
schaft Thoringia und der Burg Dispargum bekundet. (Vgl. Weltgeschichte
IV, 419.)
Dispargum. 151
es von ihrem Manne; sei es von dem Meeruugeheuer der Geschlechts-
sage, die er wohl irrig in diese Zeit verlegt; während sie sich wahr-
scheinlich doch auf einen viel älteren Chlojo und Merowech in der Ur-
heimat des Geschlechtes und Volkes am Meere bezieht. Die Aus-
gaben des Liber Historiae Francorum folgen der allgemeineren An-
gabe Gregors, nach der Merowech nur als mit Chlojo verwandt be-
zeichnet wird; sie haben aber die wichtige Nachricht, dass Chlojo
zwanzig Jahre herrschte. Auf die Entstehung der Theilreiche und
der beiden Linien der Merowinger nach Chlojos Tode können wir
hier nicht eingehen; wir wenden uns nun vielmehr der genaueren
Bestimmung des Ortes Dispargum zu.
Wir geben zunächst eine Uebereicht der bisherigen Verauche,
die wir je nach der links- oder rechtsrheinischen Ansetzung des
Ortes — wie es schon Sagittarius that — in zwei Grappen
scheiden.
Im Hinblick darauf, dass alle unsere Geschichtsquellen die
rechtsrheinische Lage von Dispargum bezeugen, könnten wir nun
von der ersten Ginippe einfach absehen; es ist aber doch vielleicht
wertvoll, zu zeigen, wie alle Versuche, diesen oder jenen Ort auf
der linken Seite des Rheins als den Wohnsitz Chlojos vor seinem
Eroberungszuge nachzuweisen, an der ünhaltbarkeit der angeführten
Gründe von selbst gescheitert sind. Das trägt vielleicht mit dazu
bei, Zweifler von der Richtigkeit unserer Erklärung Gregors zu
überzeugen.
Tongern. Hier war Watterich^) bemüht, die Pfalz Chlojos
anzusetzen. Hatte er schon aus den Tongrem die angeblichen links-
rheinischen „Toringer'^, aus Tongrien die Landschaft Toringen durch
eine kleine „Berichtigung^ seitens der ruhmgierigen Franken, denen
der tiberlieferte Name „viel zu prosaisch, zu obscur vorkam", werden
lassen, so suchte er nun den Namen der „Residenz des grossen
Stammf&rsten Chlodio, des Erlauchten", Dispargum, in nächste Be-
ziehung zu dem alten Namen der Stadt Tongern „Aduatuca" zu
bringen. Der letztere, mythischen üreprungs, enthalte den Namen
der deutschen Göttin „Vatu" in sich: „die Stadt war der Vatuiae
genannten deutschen Göttin geweiht". So fanden die Franken die-
selbe . . . Die römische Benennung Tongern musste dem ehi*würdigen
1) Watterich, Die Germanen des Rheins, ihr Kampf mit Rom und
der Bundesgedanke, Leipzig. 1872. S. 222—35,
152 Dr. Konrad Plath:
Klange weichen! Aber die Sprache des fränkischen Kultus musste
gelten, der heilige Name ein fränkischer werden. So ist aus Adua-
tuca, der Stadt der Vatu-Göttinen eine heilige Frankenstadt, eine
Disi-Burg, eine Burg der Göttineu geworden!... So gilt denn
Watterich Dispargum als die fränkische üebersetzung von Adua-
tuca — und er hat die Genugthuung, dass ein und dei-selbe Ort,
Dispargum am Sehluss^ Aduatuca am Anfang seiner Abhandlung
steht !
Famars. Auf einem ziemlich ähnlichen Wege kam schon
früher H. Müller^) in Würzburg zu dem Ergcbniss, Dispargum sei
die fränkische üebersetzung von Fanum Martis, und demgemäss zu
Famars, einem Orte bei Valenciennes zu suchen! „Fragen wir nun,"
so meint er, „nach dem wahrscheinlichen Sitze Chlojos, nach der
berühmten Burg Disbarg ... so weisen uns zahlreiche (?) Beispiele
aus der Geschichte der Niederlassung deutscher Herrscher in dem
eroberten Gallien auf den Hauptort des jenseits Cambrai beginnenden
Gebietes, und dieser war in der letzten Zeit des Reiches Fanum
Martis, heute Famars oder Fan genannt. In ihm war gemäss der
Notitia utriusque imperii der Sitz des römischen praefectus Lae-
torum Nerviorum, nach ihm heisst noch im Mittelalter das um-
liegende Gebiet pagus Fanomartensis. Die Stadt Valenciennes war
im Mittelalter nur ein vicus in pago Fanomartcnsi. Dieses Fanum
Martis ist (!) Disbarg : Disbarg ist getreue üebersetzung von Fanum
Martis!" Nachdem er anderen Ansetzungen die Berechtigung abge-
sprochen, meint er: „Vor allem aber habe ich nachzuweisen, dass
wir Disbarg wirklich als eine üebci-setzung von Fanum Martis be-
trachten dürfen!" Er stellt die Behauptung auf, dass die Deutschen
bei der Eroberung fremder Gebiete die Oertlichkeiten des neuen
Vaterlandes auf verschiedene Weise benennen konnten, entweder,
sie erfanden neue Namen, oder sie behielten die alten bei, oder sie
übersetzten sie; letzteres sei in diesem Falle geschehen. Nachdem
er mit dieser Theorie, seiner Meinung nach, dargethan, dass eine
üebertragung hier statthaft (!) war, bleibt nur nachzuweisen, dass
Fanum Martis und Disbarg wirklich von gleicher Bedeutung sind.
Er hält zu diesem Zwecke, mit welchem Grunde wird nicht gesagt,
die Namenform „Diosberg" und „Diesbarg" für die richtigsten:
1) Hermann Müller, Der Lex Salica und der Lex Angliomm
et Werinorum Alter und Heimath. 1840. S. 32—46.
Dispargnm. 153
„Dis" sei Genitiv von Di = Diu = Tiu = Ziu = Mars ; wie „barg"
fannm Bei; wird nicht genauer auBgefUlirt.
Aber selbst, wenn wir die Annahme eines solchen üeber-
setznngsverfabrens f(ir statthaft, und Dispargum wirklich für gleich-
bedeutend mit den Worten „Fanum Martis" halten wollten, so liegt
doch Famare, wie schon Schröder i) bemerkt, viel zu südlich, als
dass es das Dispargum Chlojos sein könnte. Müller freilich än-
dert nun den pagus fanomartensis gleich in einen „Disbarggan'^,
während ein solcher Name doch nirgends vorkommt.
Asberg. Die Angabe von Miraeus*), Lecointe^), Rui-
nart*), Raepsaet^), Longnon^), Dispargum sei auch in Asberg am
Rhein anzusetzen versucht worden, beruht nur auf einem Missverständ-
niss der Stelle des historisch-geographischen Lexikons desOrtelius^),
in der er die Lage des aus Tacitus bekannten Asciburgium bespricht.
Gegen die Meinung des Beatus Rhenanus, dass Asciburgium in
dem heutigen Duisburg zu suchen sei, wendet nämlich Ortelius
ein, dass letzterer Ort von Ado Dysporum, von Gregor Dispargum
genannt werde, womit der Name Asciburgium nicht übereinstimme.
Dispargum gilt ihm also vielmehr für Duisburg.
Heinsberg. Der nördlich von Aachen im gleichnamigen
Regierungsbezirke der preussischen Rheinprovinz an einem kleinen
Nebenflusse der in die Maass mündenden Roer liegende Ort Heins-
berg wurde 1655 von Peter von Streithag(en) in einer Schrift®),
die schon Krem er vor 1772 sehr selten nennt und die heute
nicht mehr aufzutreiben ist , als das Dispargum Chlojos in An-
spruch genommen. In demselben Jahr äusserte sich Aegidius
Boucher*) beifllllig über diese Ansetzung, fand aber doch We n d e 1 i ns
abweichende Ansicht wahrscheinlicher. Später kamen Ewichius^^)
1) Sybels Historische Zeitschrift. N. F. VU. S. 44, A. 3.
2) Rerum belgicanim annales (1624) p. 121.
3) Annales ecclesiastici Francorum (1665) p. 59.
4) Gregorii Tur. opera omnia col. 63. Not. a.
5) Oeuvres III. 267.
6) Geographie de la Gaule au sixieme siecle. Pag. 619.
7) Thesaurus Geographicus (1611), unter dem Worte Asciburgium-
8) Heinsbergum vetus Hespargum alias Dispargum castrum in ter-
mino seu finibus Thoringorum etc. Bonnae 1655. 4.
9) Aegidii Buchorii, Belgii Romani üb. XV, cap. X, p. 475.
10) Vesalia sive civitatis Vesaliensis descriptio adornata per Herman-
num Ewichium, Vcsalicnsem; Vesaliae (1668), p. 12.
154 Dr. Konrad Plath:
und Sellius^) auf Heinsberg zurück : beide nehmen sonderbarerweise
zwei Merowiugerorte Dispargnm an, das eine auf der rechten (Duis-
burg), das andere auf der linken Rheinseite (Heinsberg); von diesem
sei der Zug Cblojos nach Cambrai ausgegangen. Sagittarius^),
Kremer^) haben diese Ansetzung erwähnt, ohne sie zu billigen.
Aber in der neueren Zeit hat sich Moät de la Forte-Maison*)
wieder für sie erklärt. Wie man sieht, wurde schon Streithagen
durq^ die in einigen Handschriften vorkommenden Namensformen
Hesbergim, Hesbargem, zu seiner Ansicht bewogen. Mo et meint,
das „berg^ in Heinsberg passe besser zu der überlieferten Namens-
form. Aber jene Lesarten können nur durch irrige Lesung ent-
standen sein, die ältere und in den Handschriften vorherrschende
Form ist Dispargum und hiermit lässt sich der erste Teil des
Wortes Heinsberg doch kaum vereinigen. Moöt deutet dann Gregors
„in termino Thoringorum" als „an der Ostgrenze der Tungrer",
aber Heinsberg liegt doch viel zu weit von Tongern entfernt, als dass
eine solche Bezeichnung möglich wäre, selbst wenn wir davon absehen
wollten, dass die Deutung der Thoringi als Tungri völlig unstatthaft
ist. Seine sonstigen topographischen Gründe, die Berücksichtigung
der Römerstrasse nach Cambrai, die übrigens schon Aegid ins Bu-
ch erius herangezogen hatte, sind anzuerkennen, aber sie gelten
ebenso gut, ja noch besser bei denjenigen Ort, den wir als das
alte Dispargum erkennen werden.
Di est an der Demmer, einem Nebenflusse der Dyle, kurz
unterhalb seiner Schiflfbarwerdung gelegen , wurde zuerst von
Chifflct^) als der Ort der Pfalz Chlojos angesprochen. Auch er
nahm die Lesart Tungromm füi* Thoringorum („in termino Th.")
in Gregors Stelle an, und hielt unter dieser Voraussetzung Diest als
passend. „Auf einem Hügel gelegen, hätte es mit Recht „Dis-
berga" oder „Disbargum" genannt werden können." Diese Möglich-
1) Johannis Nicolai ScUii Gymnasii Vesaliensis Rectoris Vesalia ob-
sequens sive Inaugnratio serenissimi potentisHimique principis . . . Friderici
Guilclmi ... Marchionis Brandenbtirgensis, Vesaliae (1669) p. 81. a. 4.
2) Antiquitates regni Thuringici, p. 126 u. f., bes. 145.
3) Kremer, Geschichte des rheinischen Franziens. S. 9.
4) M. Moüt de la Forte-Maison. Les Francs etc. I, p. 453.
5) Joannis Jacobi Chifletii ad Vindicias Hispanicas lumina
nova Salica (1647) in J.J. Chifletii opera politico-historica, Antwerpiae.
MDCL, Tom. I, pag. 222.
Dispargum. 155
keit kann uns natürlich nicht genügen. Noch in demselben Jahre
hatte dann Wendelin ^) diese Ansetznng ausführlicher zu begründen
vereucht. Er legt gleichfalls von vom herein die Lesart „quod
est in terniino Tongrorum" zu Grunde, wonach Dispargum in der
Diöcese von Tongern liege. Nachdem er deshalb Duisburg am
Rhein, Doesboreh an der Yssel, auch Duysbourg bei Brüssel ab-
gewiesen, meint er, es gäbe' noch ein viertes ,,Diesborch^, nämlich
„Diest". (Dies Dicsborch zu nennen, ist völlig unberechtigte Will-
kür.) Für diesen Ort führt er dann noch eine Reihe Gründe an;
einen etymologischen: „Dies" bedeute Berg, tumulus, Diest-tumu-
letum (diese Erklärung sollte wahrscheinlich den bei Diest vermissten
zweiten Teil des Wortes Dispargum herbeischaffen); einen topo^
graphischen: dort seien zwei Bargen, die Eattenburg und eine
zweite — eben die Dies-burch, auch die Umgegend passe gut flir
eine Pfalz; einen archäologischen: es seien dort Reste vorhanden
gewesen: noch nicht zweihundert Jahre seien es her, dass die Ge-
bäude zerstört seien, die die principes Diestenses vom Jahre 500 bis
1459 bewohnt hätten; einen historischen: Diest komme auch sehr
früh vor, von 1100 ab sei die Geschichte besser bekannt. Endlich
meint er, Gregors Völkertafel spreche dafür. — Wie wenig der
letzte Grund stichhält, haben wir bei der Betrachtung der Völker-
tafel gesehen; die anderen sind nicht besser. — Chifflet hatte
denn auch, trotz dieser Zustimmung, bald darauf seine erste Ansicht
widerrufen*): er habe geirrt, dort Dispargum zu suchen: der An-
gabe, dass die zweite Burg zu Diest „Disburg" genannt werde,
widersprächen die Einwohner von Diest selbst; sie hiesse bei ihnen
nur im allgemeinen: „Die Burg"; in Urkunden hiessen ihre Besitzer:
„de Burgo," niemals: „de Disburgo". Nach genauerer Erwägung
halte er jetzt Duysbourg bei Brüssel für das Dispargum Chlojos. —
Henschen hatte freilich 3) Chifflets eigenen Widerruf durch die
1) Leges salicae iUustratae : illarum natale solum demonstratum cum
Glossario Salico vocum Aduaticainim: Auetore Gottefrido Wendelino,
Taxandro-Salio, J. V. D. Canonico Condatensi et Officiale Tornacensi (die
Approbation des Censors p. XV ist 1647 unterschrieben) in J. J. Chif-
letii opera poiitico-historica. Tom. II, pag. 98 (caput XIV: De Dispargo
Castro, forsan Faramundi certe Chlodionis domicilio).
2) Anastasis Chiiderici I Francorum regia (1655) p. 6—9.
3) De tribus Dagobertis Francorum regibus diatriba Godefridi Hen-
sehen ii (1655) lib. IV, cap. VIII, pag. 243-250,
156 Dr. Konrad Plath:
Ausrede entkräften wollen, Diest selber habe ursprünglich, als der
Ort auf diese Burg sich beschränkte, Diestburgnm geheissen; beim
Anwachsen zu einer Stadt sei dann das „burgum" abgefallen;
eine völlig unei'weisliche Behauptung. Bucherius^) stimmte gleich-
falls für Diest, ebenso Mantelius*), Wastelain^), Ghesquifere*),
während Gelenius^), Fürstenberg^), Eckhart'), Bessel*) es
verwarfen. Huschberg ^) stellte die Ansetzung zn Diest wie-
der als über allen Zweifel erhaben hin — infolge zu geringer
Litteraturkenntniss! Müller ^*^) sprach sich bei Gelegenheit seiner
Ansetzung der Pfalz Chlojos in Famars etwas unbestimmt über Diest
aus : „Vor der fortschreitenden Geschichtsforschung haben die mei-
sten Annahmen sich zuiUckziehen müssen. Hier und da hört man
noch von Diest, dessen eine Burg wirklich den Namen Disburg
geführt haben soll." — Doch hatte kurz zuvor sich schon Schayes")
sehr nachdrücklich gegen diesen Ort erklärt, indem er, gegenüber
den Behauptungen von Wendelin und DesRoches von dem frühen
Vorhandensein Diests, zeigte, dass es erst verhältnissmässig spät in
der Geschichte auftrete. — Ganz zuletzt hat indessen Richard
Schrö der **) wieder eine gewisse Hinneigung zu Diest gezeigt, „falls
dort wirklich früher ein Schloss Disburg bestanden hat." Die An-
1) R. P. Aegidii Bucherii Atrebatis e societate Jesu Belgium Ro-
mauum ecclesiasticum et civile (1655) p. 475.
2) Mantelius, Historiao Losseusis Lib. I, c. IV, p. 9.
3) Wastelain, Description de la Gaule Belgique, 1788, p. 35.
4) Ghesquiöre, Acta Sanctorum Belgii I, (1783), 296, 303—304.
5) Hierotheca Engelbertina, p. 119.
6) Monumcnta Paderbornensia, 4. Aufl. (1714) p. 146—147.
7) Leges Francorum Salicae et Ripuariorum . . . illustratae (1720) p. 5.
8) Chronicon Gotwicense II, p, 469.
9) Huschberg, Geschichte der Allemannen und Franken, S. 449:
«Die vielfachen Deutungen, welchen ferner das obengenannte Castell Dis-
pargum unterworfen war, sind hier übrigens zu übergehen, da rücksicht-
lich der Lage derselben kein Zweifel mehr obwalten dürfte. Nordwestlich
von Tongern liegt die Stadt Distheim au der Demmer mit zwei alten Ca-
stellen, von welchen das eine noch zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
Disburg hiess."
10) Müller, Der Lex Salica etc. Alter und Heimat, 1840, S. 33.
11) A. G. B. Schayes, Les pays-bas avant et durant la domination
romaine. T. II, 1838, p. 443.
12) Schröder, die Herkunft der Franken. Sybels Hist. Zeitschr.
N. F. VII, 1880. S. 44, A. 3.
Dispargum. 157
gäbe Chifflets in seiner Anastasis^ der sich an Ort und Stelle
von der Unwahrheit dieser Behauptung überzeugte, haben jedoch
diese Ansetzung, als völlig willkürlich, ein für allemal aus der
Welt geschafft.
Duysbourg. Dieser belgische Ort zwischen Brüssel und
Löwen, östlich von Tervueren auf einer ansehnlichen Hochfläche ge-
legen, an einer wenig günstigen Stelle, da Wasser und Pflanzenwuchs
mangelt, und deshalb auch wenig bedeutend, wurde zuerst von
Wendel in bei Gelegenheit der Erörterung der Dispargumfrage er-
wähnt (vgl. S. 155, Anm. 1), aber wegen der unvorteilhaften Gegend,
die zur Anlage einer Pfalz nicht geeignet sei, von vornherein verworfen.
C h i f f I e t kam indess, nachdem er seine frühere Ansetzung zu Diest
widerrufen, auf diesen Ort zurück ^). Er bezog sich dabei auf die
Angabe Grammayes, nach der dort lebende vertrauenswürdige alte
Männer versicherten, Trümmer und Spuren der alten Burg gesehen
zu haben. Der Ortsgeistliche verbürge nach alten Zeugnissen,
zweihundert Jahre vor Fura (Tervueren) sei jenes Duysbourg eine
Burg der Herzöge von Brabant gewesen. — Jene angeblichen
Trümmer dürfte doch wohl jeder auf die Burg der Herzöge von
Brabant beziehen; für die Pfalz Chlojos an dieser Stelle beweisen
sie also nicht das geringste. — Ausserdem sei in der Nähe
eine Römerstrasse nach Tournai gegangen. Auch das kann zur
Ansetzung von Dispargum nicht genügen. — Noch in demselben
Jahre hatte sich denn auch Henschen*) gegen Chifflets Ansetzung
zu Duysbourg zu Gunsten von Diest ausgesprochen. Dagegen waren
für Duysbourg wieder Lecointe^) und Dubos*). In Deutschland
später Mannert^), dann der Verfasser einer Besprechung von Leos
Zwölf Büchern niederländischer Geschichte in der Hallischen Litte-
raturzeitung (1833, Nr. 19), und der auf die letzten beiden hinwei-
sende R 0 8 p a 1 1 ^). Gegen Duysbourg stimmten wiedenim Raepsaet,
1) Anastasis Childerici. I Francorum regia (1655), p. 7.
2) De tribus Dagobertis diatriba, pag. 248.
3) Anuales ecclesiastici Francorum auctore Carole Le Co inte . . .
(Paris 1665) p. 69.
4) Histoire critique de r^tablissement de la monarchie fran^oise dans
les Gaules par M. l'abbe Dubos, Nouvelle edition (1742), I p. 275-286.
5) Geographie der Griechen und Kömer IH, S. 566 (1792).
6) Kritiachc Beitrage zur ältesten Geschichte der Franken. S. 27.
158 Dr. Konrad Plath:
(Oeuvres III, 268), Müller (Lex Salica S. 34, 39), Waitz^) nnd
Leo*). Müller hielt es für zu weit von Cambrai entfernt, was
freilich ein sehr subjectiver Grund ist; auch sei der Name, den
er als „Mons fauni" erklärte, nicht mit Dispargum übereinstim-
mend. Waitz meinte, es liege „weder in termino Thoringorura,
noch Tongrorum" und Leo sprach sich ähnlich aus, obwohl
die Lage „vieles für sich habe". Der in der Nähe von Duys-
bourg schreibende Wauters*) erklärte sich wieder in einge-
hender Auseinandersetzung sehr entschieden für die dortige An-
setzung von Dispargum. Die Richtung des fränkischen Zuges nach
Cambrai spreche flir diesen Ort: indessen dieser Richtung ent-
sprechen auch eine ganze Reihe anderer Orte, in denen man Dis-
pargum gesucht hat. Es liege an der westlichen Grenze der Diö-
cese von Tongern oder Ltittich: also in terminum Tongi-orum;
aber mit dieser irrigen Lesart M\t auch das Argument, abgesehen
davon, dass der terminus Tongrorum und die Grenze der Lüttichcr
Diöcese als gleichbedeutend schwerlich zu erweisen wären. Die
Lage der Silva Carbonaria, auf die er sich beruft, stimmt nicht
nur zur Ansetzung in Duysbourg, sondern auch zu anderen, und
hier noch besser. Wendel in hatte die ungünstige wasser-, weide-
und waldlose Lage gegen Duysbourg geltend gemacht, und Wauters
hatte zu Anfang seiner Besprechung des Ortes diese ungünstige
Lage selbst sehr deutlich betont*), indessen glaubte er diesen
Einwand durch den Hinweis auf günstigere Verhältnisse in etwas
weiterer Entfernung entkräften zu können. Seine Angabe, dass be-
nachbai-te Orte in der karolingischen Zeit zum Königsgut gehörten,
scheint ihm selbst nicht als genügendes Zcugniss zu gelten, und mit
Recht. Ebenso wenig beweisen die von ihm erwähnten in der
Nähe liegenden Hügßl, der Vranksberg und der Huldenbergh, der
1) Waitz, Das alte Recht der salischen Franken S. 52. A. 1.
2) H. Leo, Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Volkes
und Reichs I (1854^. S. 297. Anm.
3) Wauters. Histoire des environs de Bruxclles. Tom. III, p. 420—432.
4) A Test de Tervueren commence un plateau assez 61ev6 dont le
point culminant est occupe par le village de Duysbourg. Aucun avantage
naturel, si ce n'est la fertilite du sol (?), n'expHque la naissance de
cette localit^ qui est 61oign(Se de tout cours d'eau. On ne peut Tattribuer
aux Gaulois ou aux Germains , ces peuplcs amoureux du voisinage des
ruisseaux. p. 420.
Dispargtiin. 159
übrigens bei der ersten Erwähnung Hildebergh heisst und deshalb
nicht etwa als Berg der Huldigung gedeutet werden kann. Sehr
entschieden hat sich auch Moöt de la Forte -Maison^) gegen Duys-
bourg erklärt. Dieser belgische Ort habe zur Zeit Chlojos noch
gar nicht bestanden : die ganze Gegend dort sei ein wttster Wald
gewesen. Longnon hielt diese Ansetzung für ebenso wertlos^ wie
alle ttbrigen^). und doch ist sie heute gang und gäbe, und ein
Schriftsteller schreibt sie immer getreulich und ohne Bedenken vom
andern ab. Des Snchens müdC; ist man stillschweigend überein-
gekommen, Dispargum dort „mit Wahrscheinlichkeit" anzunehmen.
So finden wirDuysbourg bei Arnold*), Gauchez*), Lamprecht ^),
Oesterley*), selbst Longnon^) hat sich neuerdings zu der früher
verworfenen Anschauung bequemt, auch Richard Schröder
begünstigt es®). Lamp recht hat dem Orte vor kurzem sogar
eine neue Namensform „Duesborg" verliehen^), die von der that-
sächlichen völlig verschieden ist.
Aber, wie man beiWauters sehen kann*^), wird Duysbourg,
was bei seiner ungünstigen Lage sehr erklärlich ist, im Jahre 1190
zum ersten Mal als ein ganz unbedeutender Ort, der, wie es scheint,
nicht einmal einen eigenen Geistlichen hat, erwähnt, und obendrein
— trägt es damals gar nicht den heutigen Namen, der dem Namen
der Pfalz des Chlojo ähnlich klingt, sondeni heisst noch auf lange
Zeit Dazenborch (in einer Urkunde von 1226; das Siegel des Ortes
von 1372 zeigt die Form Duseborch)-, damals erst erhielt es von
dem Herzog Heinrich I. dieselben Rechte, wie dus kleine Tei-vueren.
Die gewünschte üebereinstimmung des Namens mit dem gesuchten
fränkischen Dispargum, die doch der erste Anlass war, an diesen
1) Mo6t de la Forte-Maison. Les Francs, I, pag. 4G2.
2) Geographie de la Gaule au VK Bi^cie, p. 619.
3) Arnold, Deutsche Geschichte, I. (Die Urzeit) S. 150.
4) Topographie des voies romainee de la Gaule Belgique. Annales
de l'acadömie d'arch6ologie de Belgique XXXVIII. 1882, p. 368.
5) Lamp recht, Zeitschrift des Aachener Geschieh tsvereins, IV, 220;
Westdeutsche Zeitschrift, I, 186.
6) Oesterley, Histor.-geogr. Wörterbuch des deutschen Mittel-
alters (1883), S. 138.
7) Atlas historique de la France. 1885'-1889.
8) Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte. S. 96, A. 12.
9) Deutsche Geschichte (1891). J, S. 281.
10) Histoire des environs de Bruxelles III, pag. 426.
160 Dr. Konrad Platii:
Ort überhaupt zn denken, beBteht also nicht. Von fränkiBchen, wie
auch von römischen üeben-esten war zu Wauters Zeit noch nicht
das geringste entdeckt worden*); vor allem nicht Spuren des frän-
kischen Palastes, wie denn selbst die von jenen „glaubwürdigen
Greisen" bezeichneten Reste der angeblichen Burg der brabantischen
Herzöge am Orte nirgends nachzuweisen waren. Und in der That
war zur römischen und fränkischen Zeit die ganze Gegend dort, ein
weiter, unwirtlicher Wald, gewiss nicht geeignet zur Anlage eines
königlichen Herrschereitzes. Erst alhnählig haben später die Deutsehen
diese Wildniss gelichtet und angebaut^). Dann erst sind die frän-
kischen Ortsnamen, die besonder Schröder und Lamprecht nam-
haft machen, entstanden. Also auch diese Ansetzung von Dispargum
an einem linksrheinischen Orte erweist sich von selbst als unhaltbar,
ganz abgesehen davon, dass, wie oben gezeigt, unsere Quellen die
rechtsrheinische Lage dieses Ortes verbürgen. Wenden wir uns
nun den Ansetzungen auf der östlichen Seite des Rheines zu!
„Dietesburg im Buchenwalde". Freiherr Ferdinand
vonFürstenberg^), Sagittarius*), Bessel^), Kremer^), Türk'),
Rospatt ^) nennen als eine Ansetzung von Dispargum einen Ort
Dietesburg im Buchenwalde (Buchonia) oder „im Fuldaischen", als
deren Vertreter sie den Jesuiten Christophorus Brower an-
fuhren. Die drei ersten erklären sich entschieden gegen diese An-
setzung^); die übrigen erwähnen sie nur. Aber keiner von ihnen
allen hat bemerkt, dass es einen solchen Ort — überhaupt gar nicht
gibt. Weder die Karten, noch die geographischen Lexica (Ritter,
Rudolph, Neu mann) wissen von einem Orte dieses Namens ! und
1) Ebenda p. 428.
2) A. G. B. Schayes. Les pays-bas avant et durant la domination
romaine. T. II, 110—152, 415 u. f. stellt die Nachrichten über die völlige
Bewaldung und Versumpfung des ganzen Landes zusammen.
3) Monumenta Paderbomensia (vgl. S. 161, A. 2.), p. 147.
4) Casparis Sagittarii Antiquitates regni Thuringici p. 139.
5) Chronicon Gotwicense T. II, 469.
6) Geschichte des rheinischen Franziens S. 9. A. r.
7) „Kritische Geschichte der Franken bis zu Chlodwigs Tode", in
seinen Forschungen auf dem Gebiet der Geschichte, Heft III, S. 73.
8) Kritische Beiträge zur ältesten Geschichte der Franken S. 13.
9) Auch Wenck, Hessische Landesgeschichte TI, 1. 133. A. d. ist
dagegen.
Dispai*gum. 161
wenn wir nun auf Browers, übrigens sehr seltenes Buch^) zurück-
gehen — so zeigt sich, dass dieser gar nicht eine Vermutung über
die Lage von Dispargum ausgesprochen, sondern nur eine Etymo-
logie dieses Ortsnamens anzugeben beabsichtigt hat. Er deutet es
sprachlich als Dietes Pnrgns vel Burgus. Damit ist diese nur durch
Nachlässigkeit entstandene „Ansetzung" erledigt.
Desenberg. Für den an der Diemel, einem linken Neben-
flusse der Weser in Westfalen (im Regierungsbezirk Minden) gelege-
nen Desenberg, der auch Dessenberg genannt wird, und das in der
Nähe liegende Dorf Daseburg hatte sich Gelenius in seinem
früher sehr geschätzten, jetzt hier nicht mehr auftreibbaren Buche
„Hierotheca" pag. 119 erklärt. Ob auch aus andern Gründen, als
der sehr entfernten Namensähnlichkeit, die nichts beweist, ist mir
unbekannt. Ferdinand von Fürstenberg*), der eine Ansicht
des sehr steilen Berges, den eine Burgniine krönt, darbietet , hatte
sich unter Benifung auf Aimoin dagegen ausgesprochen, hier das
Dispargum Chlojos zu suchen. Ebenso ablehnend verhielten sich
Sagittarius, Eckhart, Bessel und alle andern. Es lässt sich
in der That kaum ein Grund fttr Gelenius Meinung anführen, und
so dürfen wir sie denn auf sich beruhen lassen.
Ein Duisburg an der Eller wird von Wenck, Kremer,
Tttrk als Ansetzung fQr Dispargum angeführt. An den drei mir
bekannten Gewässern Eller, Bächen bei Schesslitz, Paderborn, Göt-
tingen, habe ich einen Ort Duisburg nicht gefunden.
Hessberg an der Werra, ein Pfarrdorf in Sachsen-Meiningen,
1) Fuldensium Antiquitatum libri IUI. Auetore R. P. Christophoro
Brovvero — Societatis Jesu Presbytero. Antverpiae ex officina Plan-
tiniana. Apud Viduam et Filios Joannis Moreti MDCXII. Cum privilegiis
Caesareo et Principum Belgarum. Die Stelle findet sich im Lib. I, caput II.
Buchoniae veteris situs et regio. Darin p. 7. . . . Idem (Greg. Tur.) orien-
taiium sedes quoad äua aetate retro meminisse licuit, inuestigans, ponit
eas iuxta pagos et civitates in confinio Thuringiae; vetusque castrimi Dis-
pargum in limite Thoringorum Clodioni assignat nobilissimo Francorum
regi. Dazu die Randbemerkung: DiHpargum. adi OrteUi Synon. in Asci-
burgio coniecturae merae. Etymon probabile Dietes Purgus vel Burgus.
2) Fürstenbergius. Monumenta Paderbomensia ex historia Ro-
mana, Francica, Saxonica eruta etc. ac notis posthumis Ferdinandi Prin-
cipis Episcopi Paderbornensis et Monasteriensis etc. textui passim insertis
illustrata. Editio quarta prioribus correctior. Lemgoviae MDCCXIV,
p. 146. ~ Meyer, Der Desenberg b. Warburg, Westftll. Archiv I.
Jahrb. d. Ver v. Altorthsfr. im Rheinl. XCV. H
162 Dr. Konrad Plath:
Kreis Hildburghausen, nennt Türk als eine Ansetzung ftlr Dis-
pargnra. Es steht dies mit jeuer Anschauung im Zusammenbange;
die Chlojos Reich in den Mainfränkischen Gegenden sucht, und der
als terminus Thoringorum demgemäss der Thüringerwald gilt. Für
Hessberg mochten dann noch die Lesarten einiger Handschriften,
die für Dispargum die Formen Hesbergim, Hesbargem, Hesbargim
haben, angeführt werden. Aber da Chlojos Reich zweifellos am
Rheine lag, kann diese Ansetzung nicht aufrecht erhalten werden.
Wie sollte auch Chlojo auf den Gedanken gekommen sein, von hier
ans gerade auf Cambrai einen Angriff zu machen, mit einem Zuge
durch den Kohlenwald?
Die D i e s b n r g (Duisburg), eine Burgruine in Sachsen- Weimar,
Kreis Eisenach, Amt Kaltennordheim bei Wohlmuthhansen (so ist
die ofßcielle Bezeichnung bei Rudolph, die Angaben der Histo-
riker weichen von einander ab und verwirren daher leicht), wurde
zuerst von Wilhelm Dietmar (der Name wird in verschiedener
Schreibung angeflihrt) in einer besonderen 1709 erschienenen Schrift
als Chlojos Herrschersitz vor seinem Eroberungsznge in Anspruch
genommen. Eckhart, Heineccius*), Kremer, Wenek*), Wer-
sebe') erklärten sich für diese Ansicht und Türk sagt 1830, sie sei
die gewöhnlichste geworden, ohne dass er sie doch mit Entschiedenheit
vertritt. Indess hatte schon B es sei sich ausdrücklich gegen diese
Ansetzung erklärt, da die Diesburg viel zu weit von dem Schauplatze
der Thätigkeit Chlojos entfernt sei (Chronicon Gotwicense II, 469),
und wir müssen ihm darin völlig beistimmen.
Der Dilsberg am linken Neckarufer, gegenüber von Neckar-
steinach, wurde von Struve*) für den Sitz Chlojos gehalten. Da
sein Name mit Dispargum kaum eine Verwandtschaft zeigt, wurde
er irrig oft durch ähnlichere ersetzt. So nannte ihnBessel (Chron.
Gotwic. II, 470) Diesberg, Wenck*) Diesperg, Kremer (a. a. 0.
S. 9) Dilsperg, Türk (S. 73) Diesperg. Schon Bessel hat sich
gegen diese Ansetzung entschieden. Weder der Name noch die Lage
des Berges stimmt zu dem fränkischen Dispargum.
1) Praefatio zu Georgisch* Corpus iuris gerinanici, 1738, p. 15—16.
2) Wenck, Hessische Landesgeschichte, II, 1789, S. 131—134.
3) vgl. oben S. 147, Anra. 1.
4) Bnrcardi Gotthelffii Struvii Syntagma historiae Germanicae etc.
Jenae 1716; § 14, p. 11—12.
Dispargiim. 168
Dentz nennt nur Henschen*) als eine vereinzelte irrige
Ansetzung. Vielleicht liegt hier sogar ein Missvcrständniss zu Grunde-,
denn in dem fQr Dispargum gehaltenen Duisburg am Rhein suchten
einige auch das von Hieronymus genannte Densonis castrum, das
andere in Deutz annahmen. So konnte wohl eine Verwechselung
eintreten. Deutz heisst bei Gregor (155, 7) Divitia.
Doesburg an der Yssel, bei der Mttndung der alten Yssel
in der niederländischen Provinz Geldern, wurde zuerst von Wen-
delin bei der Besprechung der Lage von Dispargum erwähnt, aber
nicht anerkannt^). Dagegen erklärte sich V red ins ^) für diesen
Ort, ebenso Georg Hörn*). Der letztere meinte, Doesburg sei
eines der fünfzig Gastelle des Drusus: „nam Drusi conditoris sui
nomen refert". Unter den Franken sei es mit Fortfall des r (natür-
lich eine völlig willkürliche Behauptung!) D(r)u8burgum genannt,
dann Dispargum geschrieben. Dort sei Faramunds und Chlojos Sitz
gewesen, denn von der Yssel hätte die terra salica, hätten die Salier
selbst ihren Namen. Man ist von beiden Erklärungen jetzt zurück-
gekommen. Sagittarius hat denn auch gegen diese Ansetzung
sich ausgesprochen (p. 143) und Eckhart, Bessel, Schröder^),
haben in gleichem Sinne ihr Urteil abgegeben, der letztere, weil der
Ort chamawisch sei. Jedenfalls kann er gegen besser begründete
Ansprüche nicht in Betracht kommen.
Doesburg bei Ede in der Veluwe, nördlich von Wageningen
am Rhein, ebenfalls in der niederländischen Provinz Geldern — er-
wähnt nach Müllers Vorgang Schröder — wohl nur, um alle
ähnlich klingenden Namen zusammenzustellen, erklärt sich aber gleich
gegen eine Ansetzung von Dispargum dort, weil es chamawisch sei.
Wir dürfen mit Recht davon absehen.
Duisburg am Rhein, oder gegenwäi*tig genauer am Dickels-
1) De tribus Dagobertis Francorum regibus diatriba p. 243.
2) Leges Salicae illustratae, Auetore Gotefrido Wendelino in
J. J. Chifletii, Opera politico-historica II, p. 98—102.
3) Historiae Comitimi Flandriae Libri Prodromi duo. Quid comes?
QuidFlandria? auctore Olivario Vredio J.C.Brugensi, Brugifl. Anno MDCL,
in dem Abschnitt ,,qmd Flandria'' pag. 68. 80—82.
4} Georgii Hornii Dissertationes historicae et politicae, Lugd.
Bata verum MDCLV. Dissertatio VII. De urbe Drusi burgo quam Does-
burgum hodie vocant (pag. 40—46).
5) Sybels Hist. Ztschr. N. F. VII, 44, A. 3.
164 Dr. Kottrad Plath:
bach, einem kleinen linken Znflusse der in den Rhein mündenden
Eahr, im Regierungsbezirke Düsseldorf in der preussischen Rhein-
provinz gelegen^ bleibt uns schliesslich als Ansetzung zu besprechen.
Es ist. derjenige Ort^ auf den man am frühesten das von Gregor
als Chlojos Residenz genannte Dispargum bezog. Schon die Kanz-
leibeamten der Ottonen und Adam von Bremen nannten diesen
Ort Dispargum und auch die ersten wissenschaftlichen Betrachter
der Stelle Gregors in der Neuzeit erklärten sich für Duisburg. So
vielleicht schon Hermann von Nuenar und Walther Gymmius,
deren Werke noch im sechszehnten Jahrhundert Johannes Tybius,
der Duisburger, in sein lateinisches Gedicht Annalium sive Antiqni-
tatum Originisque veteris Duisborgi libri III (1579)*) verarbeitete.
Die VersC; in denen er Duisburg als das fränkische Dispargum schil-
dert (a. a. 0. p. 157), mögen hier folgen :
Franci has quaerentes Duispargi nomine sedes
Dixere: hie belli praesidiumque locant.
Scilicet et Clodius de crinibus ille Comati
Nomen qui meruit Francus, ab urbe prior
Hac vires sumpsit, 9,0 coeptam robore munit,
Hac sola Gallos vastat ab urbe leves.
Hie belli sedem robur firmumque locavit,
Quam Theodomirus rexerat ante pius.
Belgi hac Tornacum Cameracum coepit et urbes
Hac domitus Clodio Gallus obaudit iners.
Regia eis eadem hie quae quondam, maxime Tuiscon,
Prima tibi fuerat firma vetusque, fuit.
Für Duisburg stimmten weiterhin Ortelius (vgl. S. 153 A. 1),
Teschenmacher*) und Pontanus*). Ewich und Sellius (s.
S.153, A. 10, 154, A. 1), erklärten wenigstens den einen der von ihnen
angenommenen Merowingerorte Dispargum für Duisburg ^). Fttrsten-
berg (s. S. 161, A, 2), Sagittarius (s. S. 154, A.2), Hopp*),
1) in: W. Teschenmacheri Annales Cliviae etc., ed. Dithmar,
p. 152 u. f.
2) Job. Isaci Pontani Historiae Gelricae 1. II, p. 36.
3) Joh. Nie. Selii Panegyris sive Vesalia gratulans (1686) p. 13,
nennt nur Duisburg noch als Dispargum.
4) Egbert Hopp, Rurtze Beschreibung des Landes .... Cleve,
1655. S. 74.
Dispargum. 165
Gaguinus, Naukler, Gebwiler^), Bessel, Withof *), Weisse^),
Borheck*) Türk (s.S. 151, A. 7) Htillmann*), Raepsaet«),
Barthold'), Lacomblet®), Gengier ^) äusserten sich mehr
oder minder entschieden.
Gegen Duisburg haben sich ausgesprochen Wendel in, der
Dispargum in Diest suchend, meinte, wohl nur die Namensähnlich-
keit (die man gerade bei Diest nur allzusehr vermisste!) habe zur
Ansetzung in Duisburg am Rhein oder Doesburg an der Yssel ge-
führt, L e c o i n t e wegen der irrig berücksichtigten Völkertafel Gre-
gors ; S t r u V e „weil Duisburg auf dem linken Rheinufer liege" —
während es that«ächlich auf dem rechten liegt ; Müller, der an-
führte, Duisburg bedeute nicht Fanum Martis, sondern Mons faunl,
was jedem, selbst wenn er dieser Etymologie zustimmen wollte,
höchst gleichgültig und nichts beweisend erscheinen muss, der sich
nicht, wie Müller, darauf verschworen hat, Dispargum müsse
„die fränkische üebersetzung von Fanum Martis", nnd deshalb zu
Famars zu suchen sein; Georg Waitz, weil es nicht „in termino
Thoringorum" liege, ein Einwurf, mit dem wir uns später noch be-
schäftigen werden; Wauters, den seinLokalpatriotismus ohne Erfolg
für das belgische Duysbourg eintreten liess, obwohl er sonst von Duis-
burg noch am meisten hielt ; Mo6t de la Forte-Maison, der uner-
warteter Weise und ohne recht erkennbaren Grund, nachdem er ge-
1) Diese drei nennt Withof a. a. 0. Ihre Schriften sind mir un-
bekannt.
2) Withof, Pracmetium crucium criticarum praeeipue ex Seneca
tragico, praemittitur oratio de origine et antiquitate urbis Duisburgensis
ad Rhenum. Leiden 1749, p. 12-13.
3) Denkwürdigkeiten der Stadt Duisburg am Rliein aus alten und
mittleren Zeiten nebst dem Beweise , dass diese Stadt unter dem Namen
Dispargum die erste Hauptstadt des Fränkischen Reiches und die Resi-
denz des Königs Chlodions gewesen. Duisburg 1769. Meine Bemühungen,
diese Schrift zu erhalten, waren vergeblich; ich kenne sie nur aus Bor-
becks und Genglers Anführung.
4) Bor heck, Versuch einer Geschichte der Stadt Duisburg am Rhein,
S. 5—10, als Anhang zur Geschichte der Länder CIcve, Mark, u. s. w. IL 1800.
5) Geschichte d. Ursprungs der Stände, 2. Aufl., S. 27.
6) Oeuvres III, 269.
7) Geschichte der deutschen Städte I, (1850) S. 28, 236.
8) Archiv f. d. Gesch. d. Niederrheins, III, S. 11—16.
9) Codex iuris municipalis Germaniae I, (1863) S. 943—44.
166 Dr. Konrad Plath:
sagt, es sei eigentlich nur zwischen Duisburg am Rhein und Duysbourg
bei Brflssel zu wählen, plötzlich nach Heinsberg abschwenkte, das
ihm besser zu dem — unhaltbaren — temiinus Tongrorum zu passen
schien. Gegen Duisburg war auch L o n g n o n , der alle Ansetzungen
von Dispargum ftlr wertlos ausgab, um sich dann doch fftr Duys-
bourg zu erklären; Schröder, weil Duisburg ribuarisch sei*),
was, nachdem wir gesehen, dass das später so genannte ripuarische
Reich eben durch salische Franken begi-ündet wurde, mehr für, als
gegen diese Ansetzung spricht; ja schliesslich haben selbst Duis-
burger Gelehrte, Baumbach*) und Stiefel*), sich gegen ihre
Stadt entschieden, „weil es erwiesen sei, dass Dispargum auf dem
linken Rheinufer, nahe der Scheide in Belgien liege". Was es mit
diesem Beweis auf sich hat , haben wir oben hinreichend gesehen !
Keiner der Gegner Duisburgs konnte eben selbst etwas Endgültiges
bieten, da ihnen allen die richtige Deutung der Gregorstelle verbor-
gen blieb.
Aber freilich : Duisburgs Anhänger trifft dieser Vorwurf nicht
minder. Gerade sie haben eigentlich am wenigsten zur wissenschaft-
lichen Lösung der Frage beigetragen. Meist sie nur gelegentlich
mit ein paar Worten streifend, hat keiner der Genannten den gan-
zen Umfang der Schwierigkeiten, ihre eigentliche Wurzel, und die
Mittel zu ihrer Tilgung erkannt. Fast alle äussern sich auch nur
sehr unentschieden: Duisburg gilt ihnen als die wahrscheinlichere
Ansetzung. Selbst wo sie eine Begründung versuchen, werden die
Schwierigkeiten der ihnen unbequemen Gregorstelle mehr umgangen
als gehoben; keiner ist von Irrtümern bei ihrer Deutung frei.
Und da nun auf den ereten Blick gerade diese Hauptquelle
über Dispargum, die Stelle Gregors, ganz unzweifelhaft gegen das
rechtsrheinische Duisburg zu zeugen scheint, so ist es kein Wunder,
dass diese so mangelhaft verteidigte Ansicht schliesslich allgemein
aufgegeben wurde und heutzutage als endgültig widerlegt gilt.
Wenn wir diese Ansetzung nun doch wieder auf den Schild
erheben, indem wir behaupten : Duisburg am Rhein ist Chlo-
jos Königssitz, das Dispargum des von Gregor mit-
geteilten Berichtes, sogar mit der Hoffnung, ihr nun für im-
mer den Sieg erstritten zu haben, so ist das also nicht etwa nur
1) Sybels H. Z. N. F. VII, p. 44, A. 3.
2) Baumbach, Die Duisburger Münzen, 1881, S. 57.
3) Stiefel, Die Duisburger Stadtrechnung von 1417. 1883, S. 41.
Dispargum. 167
die blosse Wiederholung einer frtlher geäusserten, nur zeitweise in
Vergessenheit geratenen Meinung — und konnte es nicht sein; es
musste vielmehr, von neuen Grundlagen ausgehend, mit neuen Mitteln
geführt, ein völlig neuer, selbständiger Beweis gegeben werden, auf
den in der That die Aeusserungen der früheren Vertreter gar keinen
Einflnss geübt haben.
Zum ersten Mal wurden, um die Bausteine zur Durchführung
dieses Beweises zu gewinnen, alle einschlägigen Geschichtsquellen
gesammelt, und der Ursprung und Wert, die eigentliche Bedeutung
jeder ihrer Angaben untersucht; zum ersten Mal vor allem der Ab-
schnitt Gregors — gerade 1300 Jahre nach seinem Tode — in seine
Bestandteile aufgelöst und der uraprüugliche Zweck des Ganzen,
wie die Bedeutung der einzelnen Teile vor Augen gestellt.
Und eben das ist das Wesentliche, was bisher übersehen wurde :
Die Dispargumfrage ist nur zu lösen, wie es hier geschah, — durch
die vollständige Analyse des ganzen von uns mitgeteilten Ab-
schnittes Gregors. Die Erläuterung auch seiner nicht unmittelbar
von Dispargum handelnden Teile ist nicht etwa eine Abschweifung,
sondern die unumgänglich nötige Voraussetzung der Lösung! Jede
Auslassung würde dieselbe vereiteln, wie denn an der unvollständi-
gen Betrachtung der Stelle alle früheren Versuche gescheitert sind.
Nur so wurden die verschiedenen Punkte, die die Beweis-
führung berücksichtigen muss, — die litora Rheni, die Richtung des
Rheinübergangs, die Thoringia, die gallische Völkertafel — in ihrer
wahren Bedeutung erkannt, und es ergab sich daraus schliesslich
die Harmonie aller scheinbar im Widerspruch stehenden Berichte,
die in ihrer Gesammtheit die sichere Bestimmung Dispargums zulassen,
an deren Möglichkeit man zuletzt überhaupt verzweifelt hatte.
Wir wurden zu der Annahme Duisburgs nun schon durch die
Erwägung geführt, dass alle anderen Ansetzungen unhaltbar sind
und dass sich ihr keine triftigen Gründe entgegenstellen lassen. Wie
wir sehen werden, entspricht sie aber auch positiv allen Anforderungen.
. Zunächst stimmt der Name Duisburg, besonders in den über-
lieferten älteren Formen, sehr gut zu dem Dispargum Gregors. Noch
jetzt wird ja der Name Duisburg bekanntlich zweisilbig ausge-
sprochen, so dass die erste Silbe des heutigen Namens der jenes
ältesten überaus nahe kommt ^). Statt der zweiten Silbe „bürg"
1) Daniel, Handbuch der Geographie III. S. 877.
168 Dr. Konrad Plath:
findet sich im Mittelalter und in der Neuzeit bei unserem Orte die
Nebenfoi-m „berg" gebräuchlich, Dispergium *) , Duisberg*), die in
der Aussprache leicht geradezu zu „barg" *) wird, so dass dann der
Name Duisburgs mit dem bei Gregor tiberlieferten völlig sich deckt.
Duisburg wird auch noch in späterer Zeit mehr als einmal
geradezu Dispargum genannt, so dass die Identität schon äusserlich
urkundlich bezeugt ist. Eine Urkunde Ottos des Ersten (Mon. Germ.
Nr. 325) hat für Duisburg die Form Diuspargo in der Datumzeile ;
eine Urkunde Ottos des Zweiten (63) Diaspargo, vier Urkunden
Ottos des Dritten haben Dusparge (13), Dispargo (28), Diaspurgo
(115), Diaspurgo al. Diaspargo (116). Ebenso nennt es Adam von
Bremen ausdrücklich Dispargum *). Die Nebenform Dispergium haben
wir schon erwähnt *). Sogar die „Oude kronijk van Brabant" nennt
ganz bestimmt Duisburg als das alte Dispargum ^). Das alles be-
weist eine ununterbrochene lokale und nicht nur lokale Tradition,
deren Zeugniss von höchster Bedeutung ist.
Dazu kommt, dass Duisburg seiner Lage nach den Angaben
der Quellen über Dispargum, wie wir sie in ihrer Bedeutung nun
richtig erkannt haben, bestens entspricht. Es liegt auf dem rechten
Rheinufer, wie jene einstimmig fordern, in der Nähe des Rheins,
worauf der ganze Zusammenhang der Erzählung, wie schon Loebell
(p. 389) erkannte, deutlich hinweist. Gerade an jener Stelle, wo der
Zug der Franken von der Urheimat am Meere nach dem Thüringer-
lande den Rhein überschreiten musste, auch in späterer Zeit noch
ein berühmter Rheintibergangsort; und jener Ort musste ja auch nach
der Eroberung der wichtigste Punkt sein, deckte er doch die Ver-
bindung mit der alten Heimat! Hier gerade war denn auch das
Kemland des späteren ripuarischen Reiches, das durch jenen Er-
oberangszug gegen die Thüringer gegründet wurde: der um Duis-
burg liegende Ruhrgau hicss ja vorzugsweise der „Ripuariergau",
pagus Ripariorum, der auch vornehmlich zu dem Herzogtum Ri-
puarien (ducatus Ribuariorum) gehörte.
1) Fundatio monasterii Waldsassensis. M. G. S. S. XV. 1089, 15-16.
2) Borheck, a. a. 0. S. 3.
3) Vgl. C. Sagittarii Antiquitates Regni Thuringici, p. 127 und
H. Müller, Lex Salica, S. 38 gegen Longnon, Geogr. de la Gaule au
VI. siecle, p. 619.
4) Adaini Gesta Hammaburgensis eccl. M. G. S. S. VII, 346, 18.
5) Codex dipl. Neerlandicus, II. Serie, III. Deel, p. 31.
Dispar^m. 169
Duisbargs Lage pasöt aber auch vorzüglich zu den übrigen
Angaben unserer Quellen beim weiteren Fortgang der Erzählung.
Von hier aus überachreitet Chlojo thatsäehlich den Rhein zu seinem
Eroberungszuge gegen die Römer. Hier ist ihrn Cambrai, der erste
bedeutende Ort in der wichtigen Scheidegegend, jenseits der bra-
bantischen Oede, zur Römerzeit, durch die grosse Römerstrasse
Maastricht-Bavai, die von Duisburg nah und leicht zu erreichen ist,
als Ziel des Zuges geradezu vorgeschrieben. Von Duisburg aus ist
seine Aussendung von Kundschaftern vor dem eigenen Aufbruch bei
der nicht ganz unbeträchtlichen Entfernung sehr verständlich. Der
Kohlenwald, der allein von jener grossen Römerstrasse durchschnitten
wird, begünstigte, indem er den Zug deckte und verdeckte, nach
Wunsch die geplante üeberrumpelung der Römer, die denn auch
thatsäehlich glückte. So haben sich uns bisher alle Angaben der
Quellen bei Zugrundelegung von Duisburg aufs beste und einfachste
bestätigt! Wie steht es nun mit der Nachrieht, dass Dispargum
„in termino Thoringorum", „an der Grenze der Thüringer" gelegen
sei? — und, wenn wir es aus dem Zusammenhange hinzufügen
wollen, zugleich „im ehemaligen Gebiete der Thüringer"? Passt
auch das auf Duisburg ? W a i t z hatte ja ^) gegen Duisburg einge-
wandt, es läge weder in termino Tongrorum noch Thoringorum, Dem
gegenüber könnten wir nun den Spiess einfach umdrehend, mit Recht
wie Sagittarius sagen: „Und weil denn Duisburg am Rhein dieses
Dispargum gewesen, so erhellt von selbsten, dass, wie dieser Ort noch
thüringisch war, und zum Thüringischen Königreich gehöret, die Gren-
zen dieses Reichs sehr weit von dem jetzigen Thüringen entfernet, und
also das Thüringische Königreich sehr weit ausgebreitet gewesen"*)!
Meinte doch selbst Georg Hörn, der Dispargum in Doesburg an der
Yssel annahm, einfach, die Grenzen der Thüringer hätten sich eben
damals bis in die Nähe dieses Ortes erstreckt ^). In der That haben
wir über die Thüringische Geschichte im fünften Jahrhundert so we-
nige Nachrichten, dass wir ziemlich alles annehmen müssen, was uns
durch unsere Quellen geboten wird. Und da die vorliegende sich
als bestens glaubwürdig zeigt, so müssten wir ihr auch hierin folgen.
1) Das alte Recht der sal. Franken, 1846, S. 52 A. 1. Uebrigens nach
dem Vorgange von L. v. Ledebur; vgl. dessen Nordthüringeu und die
Hermundurer oder Thüringer. Zwei Vorträge. Berlin 1842. S. 47.
2) Casparis Sagittarii P. P. Antiquitates regni Thuringici p. 148.
3) Georgii Hornii Dissertationes historicae et politicae pag. 48—44.
170 Dr. Konrad Plath:
Zudem bietet sie ans nichts Unerhörtes. Wir wissen aus anderen
Zeugnisse»; dass sich die Grenzen des alten Reiches der Thüringer
im fünften Jahrhundert weit über das eigentliche Stammesgebiet
ausdehnten. Gleich von Anfang an^ das muss man sich stets ver-
gegenwärtigen, ist der Name der Thüringer nicht etwa nur eine
bloss sprachliche Abwandelung des Namens der Hermunduren, son-
dern er bezeichnet die politische Vereinigung mehrerer Stämme zu
einer Einheit. Er ist ein Bundesname, gerade wie die Namen der
Franken, Sachsen, Alemannen. Je nach den politischen Verhältnissen
konnten sich diese Bundesnamen durch freiwilligen oder erzwungenen
Zutritt anderer Stämme über die weitesten Gebiete ausdehnen, wäh-
rend nach Niederlagen und fremden Eroberungen ihr Geltungsbereich
wieder zusammenschrumpfte. Ethnologische Bedeutung haben diese
Bundesnamen nicht, sondern lediglich politische, mochte auch ur-
sprünglich der Name einem einzelnen Stamme angehört haben. So
umschliesst heute der Bundesuame der Preussen, ebenso nur ein
politischer Begriff, die verschiedenartigsten deutschen Stämme von
der Maas bis an die Memel, ja selbst Nichtdeutsche. Ausserdem
wird von Fremden häufig der Bundesname eines herrschenden Bundes
für Stämme gebraucht, die diesem Bunde nicht angehören, wenn nur
alle ein weiteres Band umschliesst. So nennt der Franzose jeden
Deutschen „Allemand" oder gar „Prussien", und wir nennen wohl
alle Unterthanen der Königin von Grossbritannien „Engländer^^ ob-
wohl z. B. jeder Schotte gegen diese Benennung Einspruch erheben
würde. Dieser Umstand ist auch für frühere Zeiten nicht ausser
Acht zu lassen.
Gerade im fünften Jahrhundert hat sich der Name der Thü-
ringer über ein Gebiet von gewaltiger Ausdehnung erstreckt. Gegen
Süden Sassen schon die Hermunduren, das Kernvolk des späteren
Thüringerbundes, bis zur Donau hin; und ebenso weit finden wir
später das Reich der Thüringer ausgedehnt: Naab und Regen
fliessen im Thüringischen Gebiet. Nach Südosten hin grenzt Thü-
. ringen sogar an Pannonien. Ganz Böhmen gehörte dazu, das Quell-
land der Elbe •, ja auch der Nordrand des Riesengebirges, Schlesien,
das später wieder von thüringischen Ansiedlem besetzt ward, sclieint
zum Bundesgebiet der Thüringer gerechnet worden zu sein. Und
nicht minder weit, als nach Osten und Nordosten, waren die Thü-
ringischen Grenzen nach Norden ausgedehnt. Bis zur Aller gehörte
4as Land den Thüringern, ja die Sage berichtet von einer Zeit^ da
Dispargum. 171
die Thüringer bis an die Küste der Nordsee wohnten und das Land
Hadeln, jene Landspitze zwischen der £lb- und Wesermündung, inne-
hatten, bevor die Sachsen (von Jütland her) dort landeten und dann
immer weiter nach Süden vordrangen. Markomannen und Heruler,
Angeln und Warnen gehörten somit zum thüringischen Völkerverein,.
fürwahr ein gewaltiges Reich, das auch nach Nordwesten hin die
späteren Grenzen weit überschritt. Ist es da unwahrscheinlich,
wenn wir hören, dass sich im fünften Jahrhundert dieses Bundes-
gebiet auch nach Westen hin weiter erstreckte, als wir sonst an-
nahmen? Wir sahen schon, dass Hörn und Sagittarins sich fUr
eine solche Ausdehnung der thüringischen Herrschaft aussprechen;
GI06I, Ledebur, Müller, Raepsaet, Lamprecht haben sogar
westrheinische Thüringer, zum Teil aus anderen Rücksichten ange-
nommen. Wenck, Wächter, Rettberg u. a. haben sich freilich
gegen eine westliche Ausdehnung der Thüringer erklärt, ohne indess
genügende Gründe für ihre Meinung anzugeben. Aber sie haben
eben unsere Stelle bei Gregor nicht berücksichtigt, die doch mit
aller Bestimmtheit die westliche Ausdehnung Thüringens bis zum
Rheine hin behauptet.
Diese Angabe hat schon dem ganzen Charakter der Quelle
gemäss, wie wir bereits bemerkten, grossen Anspruch auf Glaub-
würdigkeit, selbst wenn sie die einzige Nachricht über diese Ver-
hältnisse wäre. Sie wird indess auch durch andere Quellenstellen
völlig bestätigt.
Mehrere Zeugnisse berichten ausdrücklich, dass die Thüringer
die unmittelbaren östlichen Nachbaren der Rheinfranken waren.
So jene Stelle des Procopius von Cäsarea*), der die erste
1) Procopii de hello Gothico I, 11 : Ol Se ^Qdyyoi o^toi Fegfiavol ftev
to xaXaiov AroftdCayro, oyrtva de xqojkov xe «f ' ^QX^is xai cbtff wntffiepoi FMiaie
TB tußdxsvaav xal dtaxpoQot Fox&ois yeyenjvtatj sq&v egxofiat — I, 12: ... Iv
FaXloig dh äkXot jtaxafiol xcd 'PööavSs re xai 'Pfjvoc giovai. xovxoiv xipf 6dw r^v
havxlav äXXriXoiv ISvxoiv äxegos f^sv ixdidayaiv es xfjy TvQQtjvtxffv ^dXaaaaVf 'Pffvog
ÖS h xov mxsavav xas ixßoXas stouixat* Uftvat xe hxav&a^ ov örj Fegfiavol xb na-
Xcuhv q^HtjvxOy ßdgßoQoy e&yog^ ov jioXXov Xdyw xb xax dgxas Äfiw, o! vvv ^Qayyoi
xaXovvxat, xovxtav ixofievoi "ÄQßÖQVxoi «jSxovv, ot ^vv ndaji xfj äXXff FaXXiq xai firjy
xai 'loxavlq. 'Pwfjialwv xaxi^xooi ix :taXatov ^aar. fiexd dk avx(öv is xa stgog dvi-
axovxa ^Xtov BSgiyyot ßdgßaQoi^ dövxog AvyovaxoVf Ttgtoxov ßaoiXeto^^ Idgvaarxo, xai
avt&y Bov^ov^icoreg ov noXXcß cbto^ev Jigog v6xov äve/ior xexgafifiivoi ^xow^ Sovdßoi
xe (jxMQ Bogiyycov xai 'AXaftaroij laxvQa S&vtj. oörot avxiSvofioi änavxeg xavxji r^
arixaßev tdqvrxq.
172 Dr. Konrad Plath:
Erwähnang der Franken in seiner Schilderung des Gotbenkrieges
zam Anlass nimmt, im Rahmen einer etbnogeographischen Uebersieht
über die Länder Afrikas nnd Europas die ältesten Sitze dieses
Bundesvolkes zu beschreiben. Er gibt sie — der Geschichte und
unserer Erzählung bei Gregor völlig entsprechend, — als am Meere,
an den ßheiumttndungen gelegen an. Westlich oder vielleicht süd-
westlich von ihnen wohnen die Arborycher (eine Bezeichni)ng für
gallische Stämme, die noch unter römischer Herrschaft standen),
gegen Osten sind die Thüringer, d. h. die zum Thüringerbunde ge-
hörigen deutschen Stämme, die unmittelbaren Nachbarn jener Ur-
sitze der Franken.
Diese Angaben stimmen also auf das genaueste zu der Schil-
derung unserer bei Gregor erhaltenen Quelle über den Auszug von
Franken ans jenen Ursitzen, von ihrem Rheinübergang und ihrer
Gründung eines fränkischen Königreiches auf einem den Thüringern
abgerungenen Gebiete. Die Thüringer selbst grenzen südlich nach
jener Quelle Procops an die Sitze der Schwaben und Alemannen.
Auf diese Bestimmung kommen wir später noch zurück, wo wir
davon handeln, wie Procop zu der Angabe kommt, dass die Thü-
ringer von Augustus Wohnsitze erhalten hätten.
Eine weitere ausdrückliche Bestätigung dieser unmittelbaren
Nachbarschaft des fränkischen und des thüringischen Bundesgebiets
am Rhein erhalten wir aus dem Werke des Geographen von Ra-
venna*), jener unvollständig erhaltenen, etwa im siebenten Jahr-
1) p. 11. Prima ut hora noctis Germanorum est patria, quac modo
a Francis dominatur, ut superius dictum est (eine frühere Erwähnung ist
nicht vorhanden; dies beweist z. B. die Unvollständigkeit) cuius post terga
iufra Oceanum praedicta insula Britania, dum nimis est latissima in venitur . .
p. 226. Iterum ad frontem eiusdem Frigonum patria, quomodo verbi gratia
ut dicamus, ad terram spatiosam ponitur patria, quae antiquitua Gallia
Bclgia Alobritos (über dies Wort siehe Dederich, Annalen des bist. V.
f. d. Niederrhein I, 233; nach Gatterer „a Latinis^, nachDederich ^a
Arbitione", einem der öfter genannten Gewährsmänner des Sammlers,
nach Fr. Börsch „Atrebates^, vielleicht nur als „appellatur^ oder ähnlich
zu erklären) quam patriam plurimi descripserunt phiiosophi: ex quibus . . .
— . . . inferius dictas civitates praefatae Francorum patriae nominavi etc.:
Magnntia, Bingum, Bodorecas etc. . . . Sunt et aliae multae civitates ante
praefatam Maguntiam iuxta ipsum fluvium Renum sitae: sed dum ipse
Renus per Almanorum venit terram ideo non Francorum patriam nominavi.
trauseunt autem plurima flumiua, inter quue fluvius maximus qui dicitur
DispargTitn. 173
hundert verfertigten Zusammenstellung von geographisch -statistischen
Tabellen, besondere über die zu den einzehien Reichen gehörigen
Städte und Flösse. Diese Tabellen rühren, auch wo sie ein ein-
zelnes Land betreffen, oft aus verschiedenen Quellen her, und stellen
die Zustände aus verschiedenen Zeiten dar, ohne dass der Sammler
diese Verschiedenheit genügend beachtet und hervorgehoben hätte.
Aber sobald wir dies im Sinne behalten, sind die einzelnen Angaben
von unschätzbarem Werte und verdienen volles Vertrauen. Freilich
ist es oft nicht leicht, fttr fehlerhaft überlieferte Namensformen die
sichere Ortsbestimmung zu finden. — Der Geograph gibt auch für
die Franken eine Angabe ihrer Sitze in der alten Oallia Belgica
als Nachbarn der Friesen, teilt eine Tabelle über die Städte des
Frankenlandes am Rhein mit, die alle am linken Rheinnfer von
Mainz abwärts liegen; dann eine Reihe von Flnssnamen, die dem
Znsammenhange und der Mehrzahl der Erklärer nach ebenfalls auf
der westlichen Rheinseite zu suchen sind, und führt dann die Thü-
ringer als unmittelbare Nachbarn dieser Rheinfranken an. Wie bei
Procop, grenzen bei ihm die Thüringer nach Süden an die Schwaben-
Alamannen, die er nun behandelt. Die weitere Liste fränkischer
Städte, die dann nachträglich folgt, gehört einer späteren Zeit an.
Es sind Städte an der Maas, Mosel, Loire, Aisne. Die Stelle des
Jordan es ^), die in Uebereinstimmung mit diesen Zeugnissen die
Thüringer nördlich der Schwaben-Alamannen ansetzt, bestätigt damit
Renus, qui egreditur de loco, qui dicitur Rausa confitio ... in patria Fran-
corum supradicta sunt, id est: Logna, Nida, Dubra, Movit, Rura, Inda,
Arnetfa. Iterum desaper ipsam, quomodo ut dicamus, ad faciem patriae
Francorura Rinensium est patria, quae dicitur TuiTingia, quae antiquitus
Germania nuncupatur^ quae propinquatur cum patria Saxonum, quam
patriam secundum supra scriptum Anaridum philosophum designavimus ;
in qua patria . aliquanta castella fuisse legimus, per quam Turringorum
patriam transeunt plurima flumina, inter cetera, quae dicuntur Bac et
Reganiim, qui in Danubio merguntur. p. 230: Iterum propinqua ipsius
TuiTingiae ascribitur patria Suavorum, quae et Alamannorum patria
confinalis extitit Italiae.
1) Jordanis c. 55 (M. G. p. 130, 19) Thiodemir . . . emenso(que)
Danubio Suavis improvisus a tergo apparuit. nam regio illa SuaYorum
ab Oriente Baibaros habet, ab occidente Francos, a meridie Burgundzones,
a septentrione Thuringos, quibus Suavis tunc iuncti aderant etiam Ala-
manni ipsique Alpes erectos omnino regentes, unde nonnulla fluenta Da-
nubium influunt nimio cum sonu vergentia.
174 Dr. Konrad Plath:
gleichfalls; wenigstens indirekt, die unmittelbare Nachbarsebaft der
Rheinfranken und Thüringer.
Diese trotz ihrer verschiedenen Herkunft völlig übereinstim-
mendeu Zeugnisse beweisen wohl hinlänglich^ dass sich in der That
das Bundesgebiet der Thüringer vor den fränkischen und sächsischen
Eroberungen weithin bis zum Rhein nach Westen ausdehnte. Das
am Rhein gelegene Duisburg, das Dispargum Gregors (und der spä-
teren, wie Adams von Bremen), der Konigssitz Chlojos, konnte also
mit vollem Rechte, besonders vom Standpunkte Gregors aus, als an
der thüringischen Grenze des Frankenlandes zu Chlojos Zeit liegend,
bezeichnet werden. Denn das Ripuarische Reich umfasste auf dem
rechten Ufer des Rheins immer, auch in späterer Zeit, nur einen
schmalen Streifen Landes am Rhein entlang, der gerade im Norden,
in der Nähe von Duisburg, besonders schmal war, so dass Duis-
burg der Grenze sehr nahe lag. Also auch mit Rücksicht auf jene
Bestimmung, nach der Dispargum an der Grenze der Thüringer ge-
legen war, entspricht Duisburg, auf das alle anderen Anzeichen hin-
deuten, während die sämmtlichen übrigen Ansetzungen sich von selbst
als unhaltbar erweisen, völlig allen Anforderungen.
Wir könnten damit diese Untersuchung schliessen. Auf eines
möchten wir indessen noch ausdrücklich hinweisen. Wie ohne Wei-
teres ersichtlich, rechnen alle jene oben genannten Quellen mit
voller Bestimmtheit das ehemalige Land der Chatten (deren Name
eben zu dieser Zeit völlig verschollen ist), zum thüringischen Bundes-
gebiet !
Ueber diese Chatten aber und ihre Zuweisung an einen der
neuentstandenen Bundesnamen herrschte bis in die neueste Zeit
Zwiespalt. Noch letzthin haben manche die Chatten als Teilnehmer
am Frankenbunde von frühester Zeit an, ja sogar als die eigent-
lichen Urfranken, die auch unter Childerich und Chlodovech den
hauptsächlichen Kern der fränkischen Macht bildeten, hinstellen
wollen^); und aus dieser Anschauung erwuchs dann besonders auch
die Opposition gegen Duisburg. Begreiflicherweise; denn wenn man
die Chatten zu den Franken rechnete — und zwar schon zur Zeit
Chlojos — , und demgemäss das thüringische Bundesgebiet erst an
1) Vgl. Richard Schröder, Die Franken und ihr Recht. Zeit-
schrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgesolüchte. Germ. Abt. II, 1881,
S. 27. Lamprecht, Ztechr. d. Aach. Geschichtsvereins IV^, 1882, S. 216.
Dispargnin. 175
der Ostseite der Chatten beginnen Hess, dann war allerdings schwer
einzusehen, wie Duisburg an der Grenze der Thüringer liegen sollte.
Dann mochten in der That der Desenberg oder die Diesburg dieser
Bestimmung besser zu entsprechen scheinen, wiewohl sich bei dieser
Annahme die oben besprochenen, unlösbaren Schwierigkeiten be-
treffs des Zuges Chlojos von diesen Gegenden aus durch den Kohlen-
wald nach Cambrai und weiter bis zur Somme gegen die Römer
ergaben.
Aber jene Anschauung, dass die Chatten ürfranken gewesen
seien, ist eben unhaltbar ; sie ist eigentlich nur ein spätes Echo frühe-
rer Irrtümer hinsichtlieh des Ursprunges des Frankenbundes, den
mau in Mitteldeutschland — von der fränkischen Saale sollten die
Salier ihren Namen haben — entstanden dachte. Ob vielleicht
eine kleine Stammeseitelkeit hessischer Forscher, die gern ihre Ur-
ahnen von Anfang an an dem Ruhm der weltumgestaltenden
Thaten der Franken teilnehmen lassen wollten , dabei mit im
Spiele gewesen ist? Schliesslich werden doch alle Müllenhoffs
Urteil beistimmen müssen: „Nichts kann gewisser sein, als dass
die Hessen die nächsten Sippen der Thüringer sind, und durch
diese zu der grossen Gemeinschaft gehörten, aus der die hochdeutschen
Stämme hervorgegangen sind." Diese nahe Verwandtschaft beider
beweist schon der uralte Stammbaum der deutschen Völkerschaften,
der Chatten, Hermunduren, Sueven und Cherusker unter dem Namen
der Herminonen, als Söhne eines Vaters, des Irmino, znsammenfasst,
im Gegensatz zu den Ingaevonen und Istaevonen, zu denen diejenigen
Stämme gehörten, unter denen zuerst später der Frankenname
anfkara. Chatten und Hermunduren gehören dann gemeinsam zu
den Sueben, als der Name dieses Brudervolkes zum Bundesnamen
wird. In eigentümlichem Wechsel wird dann der Name der
Chatten allmählich zum Bnndesnamen, der alle einzelnen Binder-
Stämme der Herminonen umschliesst, so dass wir „Chatten" an der
Donau, an der Elbe, an der Aller, ja nördlich jenseits der Lippe
genannt finden. Und als dann der Chattenname für immer ver-
schwindet, tritt im gleichen Umfange der von dem Namen des dritten
Bmderstanunes, der Hermunduren, abgeleitete Bandesname der
Thüringer an seine Stelle, der dann, wie wir oben sahen, seine
Geltung noeh über weitere Gebiete, im Osten vor allem, ausdehnt.
Eben in dieser umfassenden Bedeutung, in der er auch das eigent-
liche Gebiet der ehemaligen Chatten; wie die nördlichen und nord-
1% Dr. Koni-ad Plath:
westlichen Gegenden, die wir als chattisch antrafen, nniBchliesst,
zeigen ihn die von uns angeftihrten Stellen ; und dieselbe Bedeutung
hat er auch in jener Stelle Gregors, nach der Dispargnm liegt „an
der Grenze der Thttringer"» Dass so der Name der Thüringer als
„Gesamnitname für suebisch-hemiinonische Völkerschaften" gegolten
habe, mulmasste übrigens schon Waitz mit Recht. In diesem
Sinne verstehen wir es auch sehr wohl, wenn der Geograph von
Ravenna sagt, dieses Thüringen habe einst Germanien geheissen!
Erstreckte sich doch in der That dieses Thüringische Bundesgebiet
fast über ganz Deutschland.
Ein recht schlagender Beweis, dass die ehemaligen Chatten
nach dem Verschwinden ihres Namens geradezu als Thüringer be-
zeichnet werden, liegt nun, abgesehen von der mehrfach angetroffenen
Bestimmung, dass die Thüringer nördlich der Schwaben sassen,
in der Angabe Procops, nach der Kaiser Augustus Thüringern
Wohnsitze angewiesen habe. Das ist natürlich nicht wörtlich zu
nehmen. ^Thüringer'' gab es überhaupt zur Zeit des Augustus noch
nicht, ihr Name tritt erst später auf; Hermunduren haben von
Augustus keine Sitze erhalten. Aber wenn wir näher zusehen, so
hat Augustus durch Agrippa den Chatten Wohnsitze zugewiesen,
wahrscheinlich im Gebiet der auf das linke Rheinufer ausgewan-
derten Ubier, die am Rhein zwischen Main und Lahn gesessen
hatten, wo wir später eben Thüringer, nördlich der Sueben^Ala-
mannen, genannt finden. Diese Ansiedelung der Chatten durch
Augustus dürfte wohl die Quelle des Procop im Sinne haben, wenn
sie von einer Ansiedelung der später dort genannten Thüringer, zu
denen jene Chatten gehörten, spricht ; sie würde damit handgreiflich
bezeugen, dass mit vollem Bewusstsein zu ihrer Zeit die Chatten
den Thüringern beigezählt wurden, zum Thtlringerbunde gehörten.
Mit dem Bundesnamen der „Franken" wurden diese mittel*
deutschen Stämme, und zwar nicht nur die ehemaligen Chatten,
sondern auch die übrigen Thüringer und die nördlichen Alamannen
am Main, die sogenannten Mainfranken, erst bezeichnet, als ihr
Gebiet durch die kriegerischen Eroberungen Chlodovechs und seiner
Nachfolger dem fränkischen Reiche einverleibt, der Thüringerbund
aufgehoben war. Dass der Name der Hessen erst im achten Jahr-
hundert und zwar nur als der eines einzelnen Gaues ganz im Norden
an der sächsischen Grenze auftaucht, ist bekannt. Der Franken-
name hat aber, wie überhaupt alle Bundesnamen, so besonders Hlr
Dispargum. 177
diese mitteldeutschen Stämme, selbstverständlich nur eine politische
Bedeutung: Franken sind sie, wie sie heute zum Teil Preussen
sind. Eine Verwandtschaft der so bezeichneten Stämme mit jenen,
bei denen zuerst der Frankenname aufkam, wird dadurch in keiner
Weise angezeigt. Jene sind Herminonen, diese Istävonen. — Die
Verkennung der lediglich politischen, nicht ethnographischen Be-
deutung dieser Bundesnamen ist der Hauptirrtum derer, die die
Chatten zu urverwandten der meeranwohnenden Salier stempeln
möchten.
Uebrigens darf man nicht verkennen, dass sich bei Richard
Sehröder, einem der Hauptvertreter dieser Ansicht, die ganze
Frage eigentlich um einen einzigen Punkt dreht: um den Krieg
Chlodovechs gegen die Thüringer, den Gregor erwähnt.
Von der Erwägung ausgehend, dass das Königreich Chlo-
dovechs zur Zeit jenes Krieges nicht an das deutsche Thüringerland
grenzte, also ein Kriegsfall zwischen beiden schwer erklärlich schien,
hatten frühere Erklärer, vor allen Waitz, geleugnet, dass unter
jenen „Thoringi", gegen welche Chlodovech zu Felde zog, die
deutschen Thüringer verstanden werden könnten. Sie hatten auch
hier an die fabelhaften linksrheinischen y,Thoringer" gedacht, mit
denen wir bei unserer Dispargumfrage Bekanntschaft gemacht haben,
deren Gebiet aber, wenn sie wirklich existirt hätten, Chlodovech
jedenfalls längst besass und nicht erst zu erobern brauchte. Schrö-
der bat; wie wir damals schon hervorhoben, das grosse Verdienst,
der alten unbefangenen Ansicht, dass, wie überall, so auch hier an
dieser Stelle Gregors die Thoringi keine andern als die Thüringer
sind, wieder Geltung verschafft zu haben.
Aber nun schien ihm, um diesen Krieg Chlodovechs mit den
Thüringern zu erklären, jenen Einwendungen gegenüber der Beweis
erforderlich, dass thatsächlich Chlodovechs Reich an das der Thü-
ringer grenzte. Für diesen Beweis eben sollten die Hypothesen hin-
sichtlich der Chatten eintreten.
So stellte Schröder denn erstens die Ansicht auf, dass die
Chatten „Urfranken", ja mit den salischen Frankenstämmen seit
ältester Zeit besonders nahe verwandt wären. Er zog dabei Tacitus
Nachricht von der chattischen Herkunft der Bataven heran, trotzdem
Mflllenhoff dieseAngabe als „vollkommen einen ebensolchen Unsinn,
wie der Ulixcs und die Trojaner am Niederrhein" seien, bezeichnete.
Wenn dann Schröder mit der Thatsache, dass später in den
Jahrb. d. Vcr. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCV. 12
178 Dr. Konrad Plath:
chattischen Gegenden das salische Gesetz Geltung hatte, die Urver-
wandtschaft der Chatten und Salier beweisen wollte, so zeigt doch
die blosse Erwägnng, dass die Hessen ebenso wie die Thüringer
vor der Einverleibung in den fränkischen Staatsverband kein eigenes
Gesetz besassen, also bei der Einverleibung, mochten sie nun
urverwandt sein oder nicht (bei den Thüringern nimmt das letztere
auch Schröder an), das fränkische Gesetz ohne irgend eine Wahl
selbstverständlich annehmen nmssten — die Erwägnng ferner, dass
nach S 0 hm s Untersuchungen, auf die sich Schröder selbst beruft,
das salische Gesetz alle andern Stammesrechte, selbst die aufgezeich-
neten der Alamannen und Baiem, verdrängte — dass seine Geltung
bei irgend einem Stamme nicht im geringsten einen Rflckschlnss
auf dessen Verwandtschaft mit den ^Saliern" zulässt. Dass über-
haupt bei einem Bundesnamen, wie dem der Franken, an eine Ver-
wandtschaft der darunter inbegriifenen Stämme zu denken, auf
einer irrigen Voraussetzung beruht, haben wir oben gesehen.
Aber mit dieser Annahme einer Verwandtschaft der Chatten
und der salischen Franken von Urzeiten her war doch für die Er-
klärung des Thüringerkrieges Chlodovechs eigentlich noch nicht das
geringste gewonnen. Schröder musste sich zu einer zweiten, nun
völlig aus der Luft gegriffenen Hypothese verstehen. Er stellte
nämlich die Behauptung auf, es müssten sich die Chatten gerade
kurz vor jenem Thüringerkriege an Chlodovech „angeschlossen"
haben. Aufweiche Weise sich Schröder die einzelnen Vorgänge
bei diesem „Anschluss" vorstellt, wer der Führer der Verhandlungen
von Seiten der Chatten war, ob die Chatten damals überhaupt
selbständig waren (nach dem Vorhergehenden gehörten sie zu dem
Thüringerbunde), und welche Rücksichten sie und Chlodovech be-
stimmten, diese Einigung einzugehen, darüber äussert er sich nun
freilich nicht; mit gutem Grunde, denn abgesehen davon, dass wir
von einem solchen Anschluss nicht das mindeste Zeugniss in den
Gcschichtsquellen haben, ist auch an sich dieser angebliche Vorgang
im höchsten Grade unwahrscheinlich. In Schröders Gedankengang
war die Hypothese allerdings ein notwendiges Zwischenglied. Id
nächstem Znsammenhange damit stand seine weitere Annahme, dass
auch die Moselstämme (sogenannte Moselfranken), die man sonst
als Unterthanen des ripuarisclien Frankenreichs betrachtet hatte,
chattisch-salischen Urspnings seien und sich demgemäss mit den
Chatten zusammen damals an Chlodovech angeschlossen hätten.
DispArgum. 179
So war auf diese Weise eine zusammenhängende Brücke
zwischen dem eigentlichen Reiche Chlodovechs und dem Thüringer-
reiche (das eben nur in jener engen Begrenzung gedacht wurde,
in der wir es später nach den fi'emden Erobenmgen kennen lernen),
geschlagen, und die Möglichkeit eines Krieges zwischen beiden
Reichen gezeigt. Es beduifte nunmehr nur noch einer einzigen
Hypothese — der nämlich, dass es eben die Chatten gewesen seien,
durch die Chlodovech in den Krieg mit den Thüringern verwickelt
wurde, dann schien alles völlig klar zu sein.
Aber es gibt meines Erachtens eine viel einfachere Erklärung
dieses Feldzuges Chlodovechs gegen die Thüringer, als diese zweifel-
hafte Hypothesenreihe. Wie wir aus den Quellen erfahren, ge-
hörten die chattischen Stämme zum thüringischen Bundesreich, das
unmittelbar an das ripuarische grenzte. Das Wahrscheinlichste ist
mm wohl, dass jener Krieg von 490 zwischen den Ripuariern und
Thüringern entbrannte und dass Chlodovech an demselben als Bun-
desgenosse des verwandten ripuarischen Königshauses theilnahm,
gerade wie ihm umgekehrt Ragnachar gegen Syagrius (Greg. Tur.
II, 27), später Chloderich, der Sohn eben des ripuarischen Königs
Sigibert auf dem Zuge gegen die Westgothen (Greg. Tur. II. 37),
half. Die Eroberungen, die bei jenem Thüringerkriege im Jahre 490
gemacht wurden, betrafen wahrscheinlich gerade die chattischen
Gebiete des Thüringerreichs, und dass sie dem ripuarischen Reiche
zufielen, geht vielleicht aus jener Nachricht hervor, dass der ripua-
rische König Sigibert vor seiner Eimordung in dem chattischen
Walde Buchonia jagte! Erst durch diese Ermordung Sigiberts und
die Einverleibung des ripuarischen Reiches fielen dann diese Ge-
genden dem Chlodovech zu. — Wurden damit ihre Bewohner im
politischen Sinne zu „Franken'', so ist doch das Bewusstsein der
thüringischen Verwandtschaft noch bis in späte Zeit hin nicht
erloschen; ich erinnere hinsichtlich der nördlichen Gebiete an jene
Angabe des Arbeo von Freising in seinem Leben des heiligen
Emmeram, nach der die Brukterer an der Lippe Nachbani der
Thüringer seien, für den Süden an die Stelle, die den Spessart als
die Grenze zwischen Thüringen und Baiem bezeichnet. Man denke
ferner an das Reich der thüringischen Herzöge mit ihren Residen-
zen zu Würzburg und Hammelburg ! Und jene „Mainfranken", die
lange Zeit gar als Urfranken gelten sollten, bezeichnen sich selbst
ja heute noch sehr mit Recht als „Thüringer".
180 Dr. Konrad Plath: Dispargum.
Wir sind auf alle diese Dinge hier etwas ansftthrlieher ein-
gegangen, um jeden Einwand, der von dieser Seite her etwa gegen
unsere Ansetzung erhoben werden könnte, schon vorher zu wider-
legen. Wie wir sahen, wird Duisburg, abgesehen von den andern
Anzeichen, die flir diesen Ort sprechen, auch jener einzigen be-
stimmten Quellenangabe, nach der Dispargum auf dem rechten
Rheinufer an der Grenze der Thüringer liegt, völlig gerecht. Duis-
burg, so dürfen wir wohl mit Bestimmtheit sagen, war Chlojos
Herrschersitz.
Die vorliegende Arbeit, 1891 geschrieben, bildet einen Teil
und bietet eine Probe des umfangreichen Unternehmens des Ver-
fassers, die sämmtlichen hundertundfünfzig Pfalzen der fränkischen
Könige in vergleichend - historisch - archäologischer Untersuchung zu
bebandeln. Über Plan, Methode und bisher erfolgte Ausführung des
Werkes giebt die 1892 im Verlage von R. Siebert, Berlin, erschie-
nene Schrift des Verfassers, „Die Königspfalzen der Merowinger und
Karolinger^, ferner die Abhandlung „Merowingische und karolingi-
sche Bauthätigkeit'', Februarheft der Deutschen Rundschau, 1894,
Verlag von Gebrüder Paetel, Berlin, Auskunft. Ein folgender Ab-
schnitt wird die Topographie und Archäologie Duisburgs enthalten«
9. Der sogen. ^^Dingstuhl^^ auf dem Marktplatze zu Echternach.
Von
Staatsarchitekt K« Arendt.
Hierzu Taf. V und VI.
Allbekannt ist das an der Sauer gelegene luxemburgische
Grenzstädtehen Echternach durch seine im VII. Jahrhundert vom
Friesenapostel St. Willibrordus gegrtlndete, besonders durch ihre
Pfeilerbasilika interessante ehemalige Benediktinerabtei geworden;
dann durch seine alte Pfarrkirche, bemerkenswerth durch ihre eigen-
thOmlich erhöhte Lage, ihre zwei romanischen ChorthOrme^) und
ihre schwere Maximiliansglocke, durch ihre Feld-Kapellen und ver-
schiedene öffentliche und Privatgebäude aus mittelalterlicher und der
Renaissance-Zeit.
Bei Weitem das merkwürdigste Profangebäude des Ortes ist
der am Ost-Ende des Marktplatzes neben dem Stadthause und gegen-
über dem ehemaligen Zunftgebäude ^) gelegene „Dingstuhl^S im
Volksmund „Dinselt'^ benannt. Dieses 10,70 m breite und 12,70 m
tiefe, muthmasslich Ende des XV. Jahrhunderts errichtete Gebäude,
bildet einen zu den anstossenden Häusern um 6 m resp. 8,25 m
sich abhebenden Vorbau, dessen freie Ecken in der Dachhöhe von
zwei keck ausgekragten runden Warte -Thflrmchen flankirt sind.
Den Sturz eines jeden der zwei offenen Fenster dieser Thürmchen
1) Im Mittelalter soll der eine dieser Thürme als Warte (beffroi) für
die mit Mauern und Halbthürmen (Reste noch vorhanden) umzogene
Stadt gedient haben.
2) In Folge des vom Besitzer unlängst vorgenommenen Umbaues
dieses auf Arkaden (im Volksmund „£nner den Steilen^) ruhenden mittel-
alterlichen Gebäudes, bleibt leider blos ein kleiner Ecktheil davon übrig.
182 K. Arendt:
ziert ein fein ausgemeigseltes Blendmasswerk in Doppel-Kleeblattforni.
Das Erdgcschoss des Vorbaues bildet eine gewölbte offene Halle
mit einem Mittel- und sieben Aussenpfeilem, welche letztere, nebst
zwei Wandlisenen mittelst acht profilirter Spitzbogenarkaden mit
einander verbunden sind. Die Pfeiler sind viereckig, haben eine
niedrige Plinthe, ein profilirtes Kapital und abgeschrägte Schaft-
kanten. Dicht an die auf zwei hohen Vorstufen (Stylobat) nihende
Halle lehnt sich ein ebenfalls gewölbter, später in zwei getheilter,
von der Halle her beleuchteter Raum (Pfandgewölbe). Die darüber
gelegenen zwei Etagen sind nach Aussen durch zwei profilirte Gurten
markirt, und sind letztere in ihrer Mitte und an den Ecken mit
Consolsteinen besetzt, die vielleicht zur Aufnahme von kleinen Sta-
tuen gedient haben mochten. Anstatt der jetzigen geschmacklosen
vier Renaissance-Fenster jeder Etage erhoben sich uraprünglich, den
Axeliuien der Erdgeschossarkaden entsprechend, acht elegante go-
thische Fenster mit profilirten Kreuzstockpfosten , Blendmasswerk *)
und zierlicher Bleiverglasung. Das dadurch von Haus aus übermässig
durchbrochene Gebäude musste bereits im vorigen Jahrhundert ziem-
lich baufällig geworden sein, da man sich zu dieser Einschränkung
der trotzdem ausreichenden Lichtöffnungen entschliessen zu müssen
glaubte. Gleichzeitig ersetzte man die schlanken Helme der ThOrm-
chen durch die jetzigen barocken Zwiebelkuppeln, vereinfachte die
Dachluken und leistete Verzicht auf die Helmbekrönung des östlich
anstossenden viereckigen Treppenthurmes *). — Ob schon damals
die Senkung, resp. Ausbiegung, des südlichen Eckpfeilers der Erd-
geschosshalle vor sich gegangen war, oder ob dieselbe durch die
in den vierziger Jahren behufs Einrichtung einer Wachtstube mit
Arrestlokal im Erdgeschosse ausgeführten baulichen Veränderungen
hervorgerufen wurde, ist unbestimmt. Man weiss nur, dass bei letz-
terer Gelegenheit ein schwerer eiserner Ringanker um den Vorbau
eingelassen werden musste.
Die in vorbenanntem Seitenthurm befindliche steineine Treppe
führt nicht nur zu den beiden Etagen und dem Speicherboden, son-
1) Von diesen ersten Fenstern sind im Mauerwerk Reste stehen ge-
blieben. Ein als Treppenpodest eingemauertes Blendmasswerk scheint
von einem Fenstersturz herzurühren.
2) Auf diesem Thurmhelni erhob sich ein eisernes Kreuz, das, wie
mau annimmt, die mittelbare Jurisdiction der Abtei bezeichnete (Publ. de
la soc. pour la recherche de la cons. des mon. bist., B. V. S. 70.
Der sog. „Dingstuhr auf dem Marktplatz zu Echteruach. 183
deru auch zu drei stockwerkartig über einander liegenden Verliessen;
dessen oberstes gewölbt ist, und noch den eisernen Wandring be-
wahrt Rat, an den, der Volkstradition zu Folge, die zum Tode oder
zur Folter verurtheilten Verbrecher festgekettet wurden. Sehr wahr-
scheinlich war das der „Stock", von dem alte Urkunden Meldung
geben ^). Im Volksmund heisst dieser Gebäudetheil „Folterthurm".
Am Fusse der Treppe gewahrt mau links eine zugemauerte, ehedem
in das Pfandgewölbe ffthrende Thür, an deren Sturz das in Stein
gemeisselte, von einem Kleeblattmasswerk umschlossene Wappen des
Abtes Robert von Montreal (gest. 1539) angebracht ist.
lieber die ursprüngliche Bestimmung des „Dingstuhls" geben
die Wort^Etymologie, die Volkstradition und historische Urkunden
Aufschluss. Zunächst erinnert die Bezeichnung „Ding" an den „Thing"
der alten Germanen und das „Jahrgeding^', von dem in den mittel-
alterlichen Gerichtsurtheilen und Schöffenweisthümem (rccords je
justice) die Rede ist. „Dingen" bedeutet im Altdeutschen „lautes,
öffentliches Verhandeln in Rechtssachen". Der Tradition zu Folge
Sassen die Ortsschöffen miter dem Vorsitz des vom Abte bestellten
Richters in der offenen Dingstuhlhalle zu Gericht, „um über leichte
Frevel und in Privatstreitsachen öffentlich zu verhandeln und Recht
zu sprechen, während dieselben im grossen neben den Kerkern ge-
legenen Saale der Belletage in Criminalsachen aburtheilten. Zur
Zeit der französischen Herrschaft war es das „tribunal d'arrondissc-
ment", welches im Dingstuhl seine Sitzungen hielt, und seither ist
bis auf den heutigen Tag das Cantonal-Fricdensgericht in dem ersten
Stockwerk untergebracht. Die zweite Etage scheint, wie heute, so
bereits vor Zeiten zu Dienstwohnungen verwendet gewesen zu sein.
Somit diente der Dingstuhl zu aller Zeit seit seinem Entstehen zu
Gerichtszwecken.
Hier, als Beleg, zwei von Brimmeyr citirte Auszüge aus einer
vom Jahr 1539 datirten, auf den Dingstuhl bezüglichen Urkunde
des Gemeinde- Archivs :
„So der Richter jemants dedig bekeme, soll der Richter
den menschen in den thurn zu Echteruach legen, und so der
mensch das leben verpuert hette, sollen des richters hotten in
1) Brimmeyr und Gommand irrten entschieden, als sie das Wort
,Stock'* als Pranger (pilori) deuteten.
184 K. Arendt: Der sog. „DiDgstuhl" auf dem Marktplatz zu Echternach.
fueren nf den markt in den ,stock'. Der stock uff den markt
soll auch durch den Abt in gebew gehalten werden, in welchen
der misdedig gesezt soll werden wann sein erkentnus von den
neun zennera ufgelesen wird, bis das er zu dem gericht gefurt
wii*t."
„Auch soll der Dingstull von dem Herrn Abt in gebew ge-
halten werden. Es sollen auch die Scheflfen über bürger güder
sigelen in und bussent der statt Echternach, und was „under"
den Dingstuhl gehört zu verthedigen. So jemants .... einem
herrn Abt oder Bürger schult schuldig wer, so sollen des Richters
boden die ,pfendt' daselbsten holen und zu Echteniach dragcn
an den Dingstull — und darnach verkaufen."
Dieselbe ürkimde enthält ausserdem einige vom Kaiser Maxi-
milian gelegentlich seiner Pilgerfahrt nach Echternach im Jahre 1512
erlassene Verfügungen.
In jüngster Zeit ergriflf der ftlr die Erhaltung unserer vater-
ländischen Denkmale hoch verdiente Staatsminister Ey sehen die
Initiative für die Restaurirung des Dingstuhles, indem er den Ver-
fasser mit der Ausarbeitung eines diesbezüglichen Projektes betraute.
Diesem zu Folge sollen die jetzigen Fenster in der Form der ur-
sprünglichen Fenster^) umgeändert werden, die Eckthürmchen und
der Seitenthurm ihre früheren Helmbekrönungen wieder erhalten und
auch die Dachlucken stylgerecht umgebaut werden. Vorher soll je-
doch mittelst behutsam auszuführender Konsolidirungsarbeiten, ins-
besondere des ausgewichenen Eckpfeilers, die Stabilität des Bau-
werkes gesichert werden. Laut summarischem Kostenanschlage
würden sich die Kosten der Ausführung dieses Entwurfes auf ca. 6000
Franken belaufen.
Luxemburg, 1893. K. Arendt.
1) Die Wiederherstellung der Fenster in ihrer ursprünglichen An-
zahl wäre nur mittelst eines kostspieligen gänzlichen Umbaues des leider
nicht mehr genügend festen Gebäudes möglich.
10. Aus der rheinischen EpigraphiJc des Jahres 1893.
Von
Carl Menrer«
Die folgenden Blätter sollen in erster Reihe den Mitgliedern
unseres Vereins, dann auch einem weiteren Kreise den Ueberblick
über die epigraphischen Funde des Jahres 1893 im Rheinstrom-
gebiete verschaffen. Nur flftr den ersten Theil ist Vollständigkeit
angestrebt; die andeiii geben dieses Mal nur das Wichtigste.
Im Allgemeinen ist der Rahmen des angegebenen Jahres iime-
gehalten worden ; doch habe ich die Ergebnisse der Herbstkampagne
in der Limesforschung, auch wenn diese erst in den 1894 erschie-
nenen Heften des Limesblattes zugänglich gemacht sind, schon jetzt
mit aufnehmen zu müssen geglaubt.
Die seltsame Art der Veröfifentlichung einer neuen Sammlung
der Augenarztstempel durch Esp^randieu in der Revue arch^olo-
gique verbot eine Berücksichtigung; sobald die Sammlung voll-
zählig ist, wird sie eine Würdigung in dieser Zeitschrift erfahren.
In das Register ist im Wesentlichen nur das die rheinische
Epigraphik betreffende aufgenommen.
I. NEUE FUNDE IM RHEINSTROMGEBIET.
1 Schwaderloch. (Canton Basel.) [Pick, Anzeiger für Schweiz.
Alterthum.sk. 1893 Nr. 4.] Daraus mit Zusätzen Mommsens Westdeutsche
Zeitschr. Korr.-Bl. XII, 100. Bauinschrift vom Jahre 371.
S]alvi8 ddd(ominis) nnn(ostri8) | Valentiniano [Va]lente et Gra-
tiano I victo]r(ibu8) senp(er) Aug(n8tis) burgum | aco confine
186 CarlMeurer:
6leg(io) octa[va f ] anensium fecit sub cur(a) | [Ianua?]ri
p(rae)p(ositi) con8u(libu8) d(omi)n(o) n(ostro) Gratiano II | [et Fl(avio)
P(robo) v(iro) c(lari88imo).
371 erbaute also die 8. Legion {Augtutt)anen8iuin? — so Mommsen;
regelrecht Augustancyrum; Pick dachte an Gratianensium — ein burgum
(das Neutrum auch CIL. VIII, 4799), das, noch ohne Namen, einfach als
in der Nähe einer Ortschaft acum liegend bezeichnet wird.
burgus dringt als deutsches Lehnwort schon im 2. Jahrhundert ins
Latein ein (CIL. VIII, 2494), ist zunächst wohl blosser burgtis spectikUofnttSj
später überhaupt Befestigung, an die sich dann Ortschaften anlehnen
können (CIL. III, 3653).
2 Spei er. Mitth. des bist. Vereins der Pfalz XVI, 190.
Amatori vitam semper.
Wohl zu ergänzen opto, und also gleichbedeutend mit dem häufigen
semper vivas oder mtUtis annis vivas (CIL. X, 8071, 1), vgl. auch salutem
ubique (CIL. IV, 201, 2163 und sonst).
Oefäss mit niederem Fuss, scharfkantigem Bauch und hohem Hals;
in der Mitte ist die Inschrift eingeritzt. Gefunden nördlich von der Lud-
wigsstrasse; jetzt im Museum zu Speier.
3 Katzeneck (Siidpfalz). C. Mehlis, Berliner phil. Wochenschrift
1893, Sp. 1219.
Julia
Das a vielleicht mit e ligirt.
Bruchstück einer Platte aus rothem Sandstein; Inschrift 30 cm lang,
18 cm breit.
4 Brunholdisstuhl bei Du rk heim. Mehlis, B. J. 94, 47 ff,, vgl. Zeit-
schrift für Ethnologie 1892, S. 564 u. 1893, S. 123.
a) Nantuasio oder wahrscheinlicher NantuasCius) l(ovi) o(ptimo).
b) I(ovi) o(ptimo) m(aximo) | Flavius I(ovi?) o(ptimo?).
Kritzeleien von Besuchern dieser Felswände; die erste Inschrift bedeu-
tend älter, als die zweite, die der späten Kaiserzeit (3. Jahrh.) anzugehören
scheint. Nantua8{iusf) wohl ein keltischer Name; das I. 0. wohl am
natürlichsten so zu deuten, wie ich es gethan; diese Buchstaben sind
von dem Namen durch Schnörkeleien und einen langen Mohnstengel
getrennt.
In der zweiten Inschrift kann man auch FliavitAs) Avius lesen;
hinter l vielleicht ein Punkt. Die Wiederholung des Götternamens nicht
aufTällig in solcher Kritzelei; über die Auslassung von m{aximo) s. Nr.6.
5 Heidenburg bei Kreimbach. Mehlis, Berl. phil. Wochenschrift
1893, Sp. 1164 ff., vgl. Mitth. des hist. Voreins der Pfalz XIII, 189; XIV, 150.
Grabschrift.
5 . . . c d 1 1 I . . iisoni 1 . . . \ et Apri|[li] defuncto|[8]ibi et
suis 8u|[p]eri8.
Mehlis las dii{s) mianibiisf) [Fr]ii8<mn [fiUi] et Apri defuncto [B\ibi
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1894. 187
et suis su[o] [lib]eris. Zang'emeister schlug B. ph. W. 1893, Sp. 1565
vor Äpri [patri oder fratri] und et suis . . . [postjeris.
Da nach defuncto nur ein s fehlt, lässt sich das Spatium nach
Mehlis' Abschrift berechnen und stimmt zu meiner Ergänzung. Der An-
fang entzieht sich noch einer Herstellung; etwa sä\cCtnim) d{is) i{nferis)
niianibus) P
Cippus 80 cm lang, 56 cm breit; jetzt im Museum zu Speier. Vgl.
Wd. Z. Korr. XII, 103.
6 Ebenda. Mehlis, B. ph. W. 1893, Sp. 1564. Juppiteraltar.
I(ovi) o(ptimo) | Gratia Vapo . . | . a . viva here[8].
/. 0. ohne maximus selten; Gratia z. B. CIL. V, 6079, 6685. Der
folgende Name nicht sicher herzustellen.
Gelber Sandstein ; Buchstaben 6 cm hoch. Inschrift jetzt im Museum
zu Speier.
7 Ebenda. Mehlis, B. ph. W. 1893, Sp. 1155.
.... US vo[tum?
Fragment eines Frieses ; 15 cm lang, 7 cm breit.
8 Ebenda. Mehlis, B. ph.W. 1893, Sp. 1563.
a) . . . velu ... I .... V
b) . . . ofn . . . .
c) r
Fragmente einer Inschrift; a) 30 cm breit, 28 cm dick; b) 20 cm
breit, 33 cm dick. Buchstaben bei a 6 —7 cm hoch, bei b 7,5 cm.
9 Ebenda. Mehlis am selben Ort.
. . . e A . . .
Buchstaben 7 cm hoch.
Vielleicht auch zu obiger Inschrift gehörig.
10 Ebenda. Mehlis, B. ph.W. 1893, Sp. 1564.
a) . . . li . . . . I . reo . . . . I . ece . . . I . t
b) I
Inschriftenfragment aus rothera Sandstein ; 30 cm hoch, 19 cm breit,
15 cm dick. Buchstaben 7 cm hoch.
11 Pachten (Kreis Saarlouis). Lehner, Wd. Z. Korr. XII, 398.
Domit?]ianu8.
Block einer roh eingespitzten Inschrift; nur Endung eines Na-
mens erhalten.
12 Trier. Lehner, Wd. Z. Korr. XII, 397.
. . . .\ I Oppili • I vidu[a?][d(e)] ß(uo) f(aciendum) c(uravit).
Sorgfältige Ausführung der Buchstaben weist die Inschrift in
ziemlich frühe Zeit.
Gefunden zwischen Museum und Kaiserpalast; jetzt im Museum zu
Trier. Marmorplatte.
13 Maar bei Trier. Lehner, Wd. Z. Korr. XII, 105.
Graffiti auf einem Thongefäss.
188 Carl Meurer:
a) Ein römisches Alphabet, in dem R für Q ans Versehen geschrieben
und Z etwa in der Form folgt, wie es CIL. III, S. 3, Nr. 11453 sich findet;
vgl. Sitsnngsber. der Wiener Akademie der Wiss. XIV, Taf. III.
Z auch noch CIL. HI, 2, p. 962.
b) Artus fututor | . Art(um) ligo Dercomogni fututor(em?).
Lehn er a. a. 0. deutete artus fututor artübiis) ligo Dercomogni
und verglich z. B. Tib. I, 8, 26 femori conseruvfse femur. Dercomogni
wäre dann der Name des Lieblings. Besser obige Deutung Bücheier s,
der bei L ebner a. a. 0. vorschlug Artus ligo Dercomogni (ßium)\ Artus
fututor (est), ligo in der Devotionsbedeutung, wie Bull. dell. Inst 1860,
S. 70; wohl auch auf den Bleitäfelchen in der Festschrift zum fünfzigj. Jubil.
dieses Vereins S. 132 von Bücheier richtig ergänzt, u.*0onst. Ob Derco-
mogni von fidutor(em) oder von Artu^ abhängt, muss dahingestellt bleiben.
Für die Wiederholung von Artus (z. B. CIL. III, 4376) und fututor vgl.
Catull 94.
Die Devotionstäfelchen hat Klein, Bonner Festschrift S. 131 zu-
sammengestellt; hinzu kommen zwei von Hadrumetum (Cagnat, L'anu^e
6pigr. 1893 Nr. 27 und 92).
c) Diese beiden Inschriften sind vor dem Brande in weichen Thon ein-
gedrückt; nach dem Brande ist dann — von einem spätem Besitzer —
mit Benutzung der Formen des Alphabetes hinter die zweite Inschrift noch
eine dritte eingeritzt:
Aprilis H S I ^
Die letzten Buchstaben entziehen sich einer Deutung.
Rundlicher Henkelkrug mit schmalem Hals aus gelbem Thon (17 cm
hoch), Inschrift a läuft über den Fuss; b u. c um den Bauch herum.
14 Mainz. Zangemeister, Wd. Z. Korr. XII, 119. Mithrasaltar.
D(eo) I i(nvieto) M(ithrae) | [q]ui v|ovit|, [8]o[Iv]lit l(uben8) •
^l(aetus) . . .
Z. 2 und 4 höchst unsicher; obige Deutung ist von Zangemeister;
Z. 2 steht 0 statt Q; Z. 4 fehlt s und für LV (liV der Vorlage nachZ.'s
Vermuthung) steht I N auf dem Stein. Mommsen vermuthet bei Zaug.
a. a. 0. in Z. 2 [Q] • V . . . . I den Namen des Dedikanten; doch
kann dieser auch fehlen.
Spuren von rother und weisser Bemalung sind sichtbar: diese mag
auch die Fehler der Steinmetzen verbessert haben.
Der untere Theil der Ära fehlt; das erhaltene Stück misst 35,5 cm.
Z. 1 steht auf einem Gesims. — Gefunden Sept. 1893 in der Altenauergasse.
15 Hedäernheim bei F r a n k f u r t. Q u i 1 1 i n g, Westd. Zeitschr. XU,
255 u. Taf. IV. Graffito.
Aquilo Martin(a)e coniugi salutem.
Dieser Stossseufzer eines Töpfers hat seine Analoga auf zahlreichen
pompejauischen Wandinschrii'tcn, Inschriften auf Gefässen und sonst. In
der Nähe von Heddernheim bei Dortelweil an der Nidda ist 1890 ein Ziegel
gefunden: .... mitet Mattose salutem, coiugi carissum(ä)e, et o[p]tat
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 189
[? eam ire aliquan]do usque at te^ womit Kiese (Wd. Z. Korr. X, (vgl 69) 161)
treffend Ovid Heroid. XIII, 1-2 vergleicht.
Vgl. immer noch Jahn, Ber. der Sachs. Gesellsch. derWiss. IX, 191;
auch F. D ü m m 1 e r, Mitth. des arch. Inst. Athen. Abth. XVIII, 36.
16 Kastell Biburg bei Pf örr in g. Fink, Limesbl. VI, Sp. 189 (vgl.
Hettner, Jahrb. d. A. Inst. Vm, 175.)
. . . iusima | .... cit K et Y | .... s genio.
?
Die mir undeutbare, dem Genius irgend jemandes geltende Inschrift
steht auf einem Plättchen, dessen eine Seite weggebrochen ist. Das Plätt-
chen selbst hängt an einem silbernen Armreif.
1 ^ Bürgert. Niederlassung am Kastell Pfünz bei E ic h s t ä d t. Hettner,
Jahrb. VIII, 184 (vgl. Winkel mann, Limesbl. II, Sp. 64 und III, Sp. 95
und Hettner, Jahrb. VII, 157).
Patru(ini?) Ma(n)8u[e]ti(i) Terti(i>.
Die Inschrift ist einpunktirt am Rande eines Bronceplättchens, des
Beschlages eines Lederpanzers ; auf dem Plättchen Adler und Schilde.
Gefunden mit Silberplättchen, die dieselbe Bestimmung gehabt haben,
vielen andern römischen Kleingegenständen und Münzen, von denen keine
jünger als Alexander Severus ist.
1^ Kastell Bürgle bei Unterb oebingen. Zangemeister, Limesbl.
III, Sp. 93 (vgl. Steimle ebenda. Hettner, Jahrb. VTI, 151); jetzt
auch Mommsen CIL. III S. f. 3 p. 1994. Militärdiplom.
Tafel n Innenseite, unten:
.... Stro .... I [descri]pt(ura) et recog[nit(um) ex tabula
aenea] |, quae fi]xa est Rom(ae) in [muro post tcmplum | divi] Aug(n8ti)
[ad Minervam].
Tafel II Aussenseite, unten:
• ■ . . 111 .... I ....ii.
Stro .... Mommsen a. a. 0.
Die Innenseite enthält die gewöhnliche Schlussformel ; nach der Ar-
chivstelle, an der das Original in Rom aufbewahrt ist, kann das Diplom
nicht vor 93 ausgestellt sein (Mommsen CIL. III p. 916). Z. 1 enthält
Name oder Heimat des Soldaten. Die Aussenseite zeigt noch Buch-
staben von den Namen zweier Zeugen.
Ein besser erhaltenes Militärdiplom s. unten Nr. 22.
In demselben Kastell ist noch ein Stein gefunden, in den die Zahl V
eingemeisselt ist, und ein vergoldeter Broncebuchstabe I.
19 Zwischenkastell bei Osterburken. Schumacher, Limesbl. II,
Sp. 42 (vgl. Hettner, Jahrb. VII, 153.) Weihinschrift.
I Oenio t(urmae) I[us]|ti At[ti]an[i] | lustius Atltianus d(eeurio) [
6 de suo pos(ait).
Die Ergänzung t{uTmae) ist von Mommsen; auch diese wurden
wie die Centurien nach ihrem Führer genannt.
190 Carl Mearer:
Ära aus rothem Sandstein; 32 cm breit, 39 cm hoch; spffter als
Basis benutzt; Buchstaben 4 cm hoch.
20 Zwischenkastell Beiburg bei Neckarburken. Schumacher, Li-
mesbl. m, Sp. 67 (vgl.Hettner, Jahrb. Vir, 153). Ehreninschrift an den
Kaiser Antoninus Pius.
Imp(eratori) Cae8(ari) Tit(o) Ael(io) Had(riano) Ant(onino)
Aug(u8to) Pio pon(tifici) max(imo) trib(unicia) pot(e8tate) co(n)8(uli)
IUI p(atri) I p(atriae) n(umeru8) Brit(tonum) Elant(. . . . ?).
Also zwischen 145 (Antoninus* 4. Consulatsjahr) und 161 ist das
Kastell von einer Abtheilung Brittone^ (über sie vgl. Mommsen, £ph.
Ep. IV, 178, CIL. III, 11996a) erbaut; denn darin stimme ich Schu-
macher bei, dass die auf einer fast 4 m langen Platte fortlaufende Inschrift
als Bauurkunde aufzufassen ist. — In Elant ; . . steckt eine örtliche Be-
zeichnung, wohl des Standquartiers (vgl. Mommsen Limcsbl. I, Sp. 7).
Nach Christs Vermuthung (Pfalz. Museum X, 6; so auch Hettner
a. a. 0. 154) lebt sie fort im Flüsschen Elz jener Gegend.
21 Ebenda. Hettner, Jahrbuch VII, 154. Ehreninschrift an den Kai-
ser Antoninus Pius.
[I]mp(eratori) [T. Ael(io) | Had(riano) A]nto(nino A[ug(u8to)
5 Pio f trib(uuicia) p]ot(estatc) co(n)8(uli) ....
Mit Rücksicht auf den Raum ergänzt; über Auslassung des Titels
Caesar in der Nomenklatur des Pius vgl. z. B. H u e b n e r zu CIL. VII, 584.
22 Kastell Beiburg beiNeckarburkcn. Zangemeist er, Limcsbl. III,
28. Militärdiplom des Hadrian.
Tafel L Vorderseite:
Im(perator) Caesar divi Traiani Parthici f(iliu8) divi | Nervae
nepos Traianus Hadrianus Aug(nstus) | pout(ifex) max(imus) tribConi-
eia) pote8t(ate) XVIII co(n)s(ul) III p(ater) p(atriae) |
5 equiti(bas) et peditib(us), qui militaver(nnt) in ala I et [ coh(ortibus)
XVy quae appell(aDtur)
iDdian(a) Gallor(um) et
I Flav(ia) | Dam(a8ceQornm) (railiaria) et
I German(onim) et
I Ligur(um) et Hi8p(anorum) et
I c(ivium) R(omanoruiii) et
I I Aquit(anoram) [veter(aDa)] et
I Bitur(igum) et
I Astur(nm) et
II Aag(nBta) Cyr(enaiea) | et
II Raet(orum) et
III Aquit(anorum) et
III Dalm(atarnm) et
Ans der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 191
IUI Aquit(anorum) | et
IUI Vmd(elicorum) et
V Dalm(atarum) et
VII Raetor(um)
10 et sunt in [ 6ennan(ia) snper(iore) snb Claudio Qnartino, qninjque
et vigint(i) stipend(iis) emerit(is) dimis8(is) ho|nest(a) mis8ion(c),
quorum nomin(a) sub8cript(a) | sunt, ipsis liber(i8) poBteri8qu(e) eorum
15 civitat(em) | dedit et eonub(ium) cum uxorib(u8), quas tune hafbuisscnt,
c(uui) est ciyitas iis data, aut äi | qui caelibes essent, cum iis
quas poBtea du|xi88(ent), dumtaxat singuli singulas.
16. Oct. a. d. XVII k. nov. | P. Licinio Pansa L-
134. [Att]io Macro co(n)8(ulibus).
Tafel I. Rückseite.
Imp(erator) Cae8(ar) divi Traiani [P]arthici f(ili) dpvi Nervae
nep(os)] I Traianus Hadrianus Aug(u8tu8) pon[tifex max(imu8) tri-
b[unieia)] | pot(estate) XVIII co(n)8(ul) III p(ater) p(atriae) |
equ(itibu8) et pe[d(itibus)], qui mil(itaverunt) in al(a) I et coh[(or-
5 tibus) XV], [quae app(ellantur) Ind(iana) f 6al[l(orum)] et I Fla(via)
Dam(a8cenorum) (miliaria) et I Lig(urum) et H[i]Bp[(anorum) et I
e(ivium) R(omanorum) et I Aquit(anorum) vet(erana)] | et I Genn(ano-
rum) et I Bit(urigum) et I Ast(urum) et II Aug(u8ta) C[yr(enaica)
et II Raet(orum) et III] | Aqu(itanorum) et III Dalm(atarum) et
IUI Aqu(itanorum) et IUI [Vindel(ieorum) et V Dalm(atarum)] | et
VII [Ra]et(orum)
et 8unt in 6emi(ania) sup[er(iore) sub Claudio] | Quartino,quinq(n)e
10 et vig(inti) 8ti[p(endii8) emerit(is) dim(i8si8) hon(e8ta)] f mis8(ione),
quor(um) nom(ina) sub8[c]r(ipta) 8un[t ip8(i8) lib(eriB) po8ter(i8)q(ue)]
[e]or(um) [c]iv(itatem) dcd(it) et con(ubium) cum ux(oribu8), qua[8
tnnc faabuissent] , | cum est civ(ita8) iis dat(a), aut si q(ni) cae-
[lib(es) essent, cum üb] | quas [p]oBt(ea) dux(]88ent), dumtax(at)
8ing[uli singulas].
Die Innenseite drängt die 17 Zeilen der äussern in 14 zusammen,
kürzt darum stärker ab; femer setzt sie die I Germanorum an fünfte
Stelle, während die andere Seite sie an zweiter bietet. Schliesslich ist
sie auch nachlässiger geschrieben ; zweimal steht T statt P (Z. 1 Tarthid,
Z. 13 tost), einmal statt L (Z. 6 Gatt); Z. 8 MET statt RAET und Z. 11
SORIN statt EORCIV.
Auf beiden Seiten ist miliaria durch das Tausendzeichen oo aus-
gedrückt (so auch bei derselben CohorteBrambaeh C.J.Rh. 1412 und 7;
ausgeschrieben £ph. £p. V, 652).
192 CarlMeurer:
Auf der Aussenseite steht falsch in dem Consulnamon Macro statt
Jlfocronc; derselbe Fehler auf einem andern Diplom (CIL. III, p. 878).
Es ist das 6. Militärdiplom für Obergermanien, das wir kennen
lernen. Zu den länger bekannten 4 (CIL. III p. 852, p. 870 und 871,
Eph. IV, 595, V, 652) sind vom Limes das Bruchstück vom 5. (oben Nr. 18)
und nun dieses getreten^).
Durch dies Diplom wird unsere Kenntniss der römischen Auxiliar-
truppen in 0. G. bis 134 gesichert; eine neue Cohorte finden wir nicht;
auch die Ala war längst bekannt; nur lernen wir aus ihrem Beinamen
GaUorunif dass sie sich aus Gallien rekrutirte, was übrigens schon Henzen,
B. J. 13, 77 vermuthet hatte; wohl «mag sie nach irgend einem Trevirer
Indtis (Tac. Ann. III. 42) benannt sein. — Ti. Claudius T. f. Pal(atina)
Quartinus (B o i s s i e u, Inscr. de Lyon p. 284) war vor seiner Versetzung
an den Rhein praetorischer Legat in der Tarraconensis (CIL. II, 2959). —
Aus den Fundumständen schliesst Zangemeister, dem ich überhaupt obige
Angaben entnehme, dass der Inhaber sein Diplom in dem Thesaurus des
Kastells (M o m m s e n, B. J. 68, 55) deponirt habe (?).
Broncene Tafel; 124 mm breit; heutige Höhe 102— 106 mm; unten
abgebrochen; der broncene Verschlussfaden zwischen den zwei, den Sie-
gelstreifen auf dem verlorenen Täfelchen entsprechenden Löchern ist noch
erhalten und nach der für Wachstafeln bezeugten Vorschrift dreimal herum-
geschlungen.
23 Niederlassung bei dem Kastell Grosskrotzenburg. Wolff,
Limesbl. V, Sp. 132, vgl. Hettner, Jahrb. VIII, 179. HerkulesalUr.
Herc[ulij . . .
Aufschrift eines Altargesimses; gefunden mit Resten von Mitbras-
altären.
24 . Ebenda. Wolff, a. a. 0, Sp. 133. Marsaltar.
I(n) h(onorem) d(omus) d(ivinae) | Marti L|[eu]cet(io) et
5Vi[c|t]oriae M.f..| S]everinu8 [p]|ro suis fil[i][8 Sperato e[t] Pupo
civ[ib(u8)] I [T]reveri8 . . .
Ueber Mars Leucetius s. Preller- Jordan, Rom. Myth. I, 188, 1,
334, 1 und sonst.
Zusammenstellung von Mars und Victoria häufig.
Ära aus Mainsandstein; Gesims beschädigt, der untere Theil der
Inschrift (2 Zeilen fehlen) und grössere Stücke der Basis sind weggeschla-
gen; die Inschriftfläche 60 cm hoch, 40 cm breit, die Buchstaben 43 mm hoch.
25 Ebenda. Wolff, a. a. 0. Sp. 134. Juppiteraltar.
In h(onorem) d(omus) d(ivinae) | I(ovi) o(ptimo) in(aximo) |
5 B^ortionius Dnbitatus pro se | et suis posi[t duobus Asipris co(n)s(uli-
bus); I v(otuin) 8(olvit l(uben8) l(aetU8) m(erito).
1) Alle Militärdiplome sind nun vereinigt CIL. III, S. f. 3, S. 1955 ff. ;
das obige steht ebenda S. 1979.
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 198
Jahr 212. posit für posivit {=pomü), sehr häufig. Die Namen eben-
falls geläufig.
Ära aus Sandstein, 54 cm hoch, 26 cm breit ; sie passt zu einem
Basaltsockel, auf dem die Weiheformel in grossen Buchstaben steht. Auf
der linken Schmalseite Blitz, auf der rechten Opfergeräthschaften.
26 Ebenda. Wolff, a. a. 0. Sp. 135. Marsaltar.
Mar]ti lucundius | [VJictorinus l(uben8) l(aetus) m(erito).
DTe Ergänzung Wolffs im Anfange wird durch den Raum ge-
sichert.
Darum gehört zu dieser Basis nicht das sonst zu ihr passende Relief,
das den Rumpf eines Gottes von der Brust bis zu den Knöcheln darstellt.
Denn da der Gott in der Rechten den Hammer trägt (die Linke hält
einen Stab oder eine Lanze) und mit der halbärmigen Tunika bekleidet
ist, ist er nicht Mars, wie Wolff wollte, sondern Vulcan zu nennen (so
auch Hettner, Jahrb. VIII, 180).
27 Kastell Grosskrotzenburg. Wolff, Limcsbl. VI, Sp. 168.
Mühlstein.
[utere] felix.
Aehnliche Aufschriften auf allen möglichen Gebrauchsgegenständen;
die Ergänzung selbstverständlich (so auch Hettner, Jahrb. VIII, 179).
28 Kastell bei Langen ha in (Hessen). Kofier, Limesbl. I, Sp. 22, vgl.
Hettner, Jahrb. VII, 115. Votivstein.
.... Bol?]vi[t?]|[I. 1.] m(erito).
29 Ebenda. Zangemeister, Limesbl. I, Sp. 13. Inschrift auf einem
Broncebeschlag.
Imp(eratore) Com(modo) V A(cilio) 6(labrione) [eo(n)8(ulibu8)]|
5 eoh(orte) L Bit(urigum) c(entnria) Primi|tivi • Ma8clioni(ns) f Primus.
Jahr 186. Die Ergänzung der ersten Zeile nach Momrosen;
Zangemeister glaubt, VAG sei verschrieben für AVG(usto). Die co-
hors 1 Biturigum auch in dem Militärdiplom (oben Nr. 22) von Oberger-
manien.
Masclionius bisher nicht nachgewiesene Weiterbildung von dem
häufigen Masclus mit geläufigen Suffixen, z. B. Masdio oft, Masdius
C. L Rh. 721, Masclinus B. J. 89, 23 u. sonst.
Bronceplättchen, 40 mm lang, 22 mm breit; auf der Rückseite mit
Oesen versehen, also Beschlag eines Rüstungsgegenstandes. Die Inschrift
ist einpunktirt.
30 Kastell Heidenkircbe am kleinen Feldberg. Jacobi, Limesbl. I,
Sp. 6. Vgl. Hettner, Jahrb. VII, 156, VIII, 181. Weihinschrift an lulia
Mamaea.
lüliae Mamejae Aug(ustae) matri | Severi Alexanldri Aug(nsti)
6ii(oßtri) casftrorum se|natUB patri|aeqne expl(oratio) Halic(en8ift ?)
10 Alexanldriana devof[t]a numini | eiius.
Der Stein ist zwischen 222 und 235 gestzt. Die Titulatur der lulia
Mam(a)ca ist die gewöhnliche (CIL. VIIT, 140G, 1429, 1484 und sonst).
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCV, 13
194 CarlMearer:
Ihn setzt eine exploratio, d. h. eine wohl seit Severus abgesonderte
Tmppenabtheilnng (meist Reiter?, nach Hygin de mnn. castr. 80 aus 300
Mann bestehend). Ueber sie vgl. Domaszewski Westd. Z. Korr. 1889,
Sp. 49 und besonders Mommsen bei Jacobi a. a. 0. Die expl. nennt
sich nach dem Kaiser Alexandriana, Halicensis nach ihrem Standquartier,
wie Mommsen durch die Sammlung von Analoga wahrscheinlich macht.
Für den Ortsnamen weist v. Oohausen (Annalen des Vereins für
Nassauische Alterthumskunde 1893, S. 28) auf die reichen Salzquellen der
Wetterau hin (vgl. darüber auch Hettner Jahrb. VII, 126). Siehe auch
unter Nr. 78.
Block 95 cm hoch, 66 cm breit, 56 cm tief; jetzt im Museum zu Wies-
baden (vgl. Annalen d. V. f. N. A. 1893, S. 72). Der Stein stand in einem zu
sakralem Brauch bestimmten Raum des Kastrums, war gekrönt von einem
Kapitell, auf dem einst eine grosse Broncestatue stand, wie eine Fuss-
und Gewandspur zeigen.
31 Ebenda. Jacobi, a. a. 0. Weihinschrift.
d[edi]c(avit)
[id(ibus) Au]g(usti8)
Aug[u8to in? co(n)8u(Ie)] Jahr 229?
Bruchstück eines Sockels aus Velbeler Sandstein, wahrscheinlich
zum Sockel der vorigen Inschrift gehörig und in dieser Hinsicht von
Mommsen a. a. 0. versuchsweise ergänzt.
32 Köln. Kisa, Westd. Z. Korr. XII, 45. Grabschrift.
D(i8) m(anibu8) | Aprilioni; qui vixit m(en8e8) XI | et dies VII
5 et Inno|centiae qui vixit anfnos VTI et dies XXXVIII | Verinius
loFriattiue | niiles et Apra | filis dulci88i|mis curavit faciund[am.
Z. 4. Innocentiae qui. Das Masculinum des Relativums hat schon
die Funktionen des Femininums mit übernommen ; auf spätem, besonders
christlichen Inschriften ist das äusserst häufig (Vgl. z. B. Hettner zu
Nr. 329 des Trierer Katalogs, Mommsen CIL. V Index, s. v. genera
permut ; auch Neue Heidelb. Jahrb. III, 194).
Z. 5 ist die letzte Zahl verhauen; auf dem Stein steht \ XXXVIII,
\ für L?
Z. 6. Friattius wird ein keltischer Name sein.
Z. 7. Äpra, Femininum zu Äper bisher wohl nicht nachgewiesen;
der Name des Sohnes Äprüio mag durch Volksetymologie aus dem der
Mutter abgeleitet sein. Ueber Ableitung aus dem Vaternamen vgl.
Mommsen, Westd. Zeitschr. Korr. XI, 56; sonst Hettner, Index zum
Trierer Katalog S. 291 ; CIL. III, 8364.
Z. 9. curavit. Der Singular (unregelmässig auch sonst, z. B. Hettner,
Trierer K. 325) kann absichtlich gesetzt sein, so dass et Apra für cum Apra
stellt, um die fremdem Stamme entsprossene contubemalis als neben-
sächlich zu bezeichnen. Vgl. die interessante Inschrift aus Cupria im
Morawathal, wo die Eltern Kindern ein Grabmal setzen und nach dem
posuenmt noch die Aurelia Rufina hriifes {^nurtts, die Gattin eines
der Söhne) nachklappt (Domaszewski, Neue Heidelb. Jahrb. III, 197).
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 195
Gefanden bei St. Severin in Köln Anfang 1893. Rechteckige Platte
aus Jurakalk, 0,59 m lang, 0,5 m breit, 0,09 m dick.
33 Köln. Kisa, Westd. Z. Korr. XII, 45. Weihinschrift.
Genio | hastiferum.
Der Charakter der hastiferi erhellt aus dem Zusatz sive pastores
in der Casteler Inschrift (Klein, B. J. 83, 251 ff.). |
Gefunden bei St. Severin. Statue aus Jurakalk, fast ganz zerstört;
auf der Basis (0,3 m breit, 0,007 m hoch) steht die Inschrift.
34 Köln. [Köln. Volkszeitung 1893 23. April.] Daraus Westd. Z. Korr.
69, besser Kraus-, Christi. Inschr. der Rheinl. II, 2. S. 346. Grabschrift.
In hoc I [tumjulo innocis virgo iacet | [no]mine Ursula vixit |
5 [ajnnibus octo[[m]eu8ibus duobus | [d]ieDs quatt[u]or.
innocis aus innoce(n)8, das häufig vorkommt, umgekehrt diens für
dies, innocis virgo iacet und nomine Ursula vixit wie Bruchstücke von
Versen. Z. 6 so statt des früheren mens ovat nach Klinkenberg bei
Kraus a. a. O. Gelesen auf einem Pfeiler in der Ursulakirche.
35 Köln. Ihm, B. J. 94, 169. Zangemeister, Westd. Z. Korr.
XII, 106 (vgl. S. 130), Weihinschrift.
Quadmlbis Domi|tia Lupu|Ia v(otum) s(olyit) I(ubeus) m(erito).
Gefunden April 1888 an der Ecke der Ehrenstrasse und Albertus-
strasse, was bei Ihm a. a. 0. nachzutragen ist. Jetzt im Museum Wallraff-
Richartz.
36 Köln. Kisa, Westd. Z. Korr. XII, 68.
Ausoni vivas.
Beschlag einer Schwertscheide: rechteckiges Silberplättchen, 8,5 cm
breit, in der Mitte von einem goldtauschirten Band durchzogen, auf dem
in schwarzem Niello die Inschrift steht.
37 Gleuel bei Köln. Klinkenberg, B. J. 94 151. Kisa, Westd.
Z. Korr. XII, 45. Grabschrift.
Aur(elio) Vin(icio?) | Euk(arpo?) de n(umero?).
Die Auflösung ist von Klinkenberg, der Schluss bedenklich und
ohne Beispiel. Kisa las
Iuhu[n]din{o).
Gruppe des Waffenträgers mit dem Schlachtross des Verstorbenen
ohne Reiter (so Kisa a. a. O. S. 100).
38 Ebenda. Klinkenberg, B. J. 94, 153. Kisa, a. a. 0. Votiv-
inschrift.
I(ovi) o(ptumo) m(axumo) | M. Ulpius Norciianus | v(otum)
B(olvit) Kibena) ni(erito).
Cognomen scheint neu, Praenomen und Nomen wohl durch Ver-
leihung des Bürgerrechts unter Trajan in die Familie gekommen.
Kalksteinplatte (?) 0,56 m hoch, 0,44 m breit.
39 Ebenda. Klinkenberg und K i s a a. a. 0. Votivinschrift.
196 CarlMenrer:
5 l(oyi) o(ptiino) in(aximo) | sacrnm | G. Innins | Frontinius f yissu
iu8Ba(8).
Derselbe Anlass zur Weihung häufig:; t^issu die richtige ältere Form
für visu.
Kalksteinblock 0,68 m breit, 0,88 m hoch, 0,65 m dick.
40 Ebenda. Klinkenberg und Kisa a. a. 0. Votivinschrift.
Ahveccannis | Avehae et Hellivesae | Sexti Val(eriu8) Pere-
5 grin(us) I et Val(eriuB) Felicio fratres"[ ex reditu ipsarum | l(ibenter)
p(osueruDt) | Muciauo et Fabiano co(n)s(ulibus).
Jahr 201. Z. 1. Aveha und Heivesa sind die beiden Ahveccannae ;
der erste Name und der Stamm des dritten wohl identisch. Ueber solche
Doppelgottheiten vgl. Ihm, B. J. 83, 54.
Z. 3. Sexti der Vorname gilt für beide Brüder, vielleicht Zwillinge.
Z. 5. ex reditu ipsarum, aus den Einkünften des Heiligthums selbst
(genau so CIL. XII, 5870).
Unterer Theil einer Ära aus rothem Sandstein, 0,88 m hoch, 0,705 m
breit, 0^ m dick.
41 Grinde-Ies-Tirlemont. Annuaire de la soci6t6 d* Archäologie
de Bruxellea IV, 1893, 22.
Concordi commun (?)
Inschrift auf goldenem Ring ; gefunden in Tumuli des 1. und 2. Jahr-
hunderts neben andern römischen Sachen. Ein Specialbericht steht noch aus.
42 Couvin bei Bavay. Schürmans, Annales de la soci^.t^ d'Ar-
ch^ologie de Namur XX, 145. Tafel I u. II. Glasbecher mit Darstellung
eines Wagenrennens.
Pyrame, va(le) • Eu[ti]c(h)e, va(le) Icrax, va(le) • Olympe va(le).
Diese Inschriften, von denen die erste und zweite, die dritte und
vierte durch eine Guirlande getrennt sind, stehen auf einem Streifen, der
um den oberen Rand des Glasgefässes herumläuft. Es sind Zurufe an die
vier aurigae, welche unten auf breitem Roliefstreifen, der den ganzen übrigen
Raum des Gefässes einnimmt, dargestellt sind.
Vier Bilder schildern das Wettrennen: auf dem ersten hält der
Lenker das Viergespann noch zurück, das ungeduldig durch die Porta
pompae hindurchrenuen möchte; auf dem zweiten eilt das Gespann
der Meta zu, die durch drei kleine Kegel markirt ist; das dritte zeigt
das Gespann im Galopp auf das Ziel losrennend. Auf dem vierten Bilde
ist es erreicht; ruhig schreiten die Pferde auf die Meta zu; der Lenker
hält in der vorgestreckten Rechten den Kranz, in der Linken den Palmzweig.
Es sind das die vier bedeutungsvollsten Momente des Wagenrennens,
die nach einander dargestellt sind.
Die Ergänzung des zweiten Namens von Schürmans wohl richtig;
seine Form (Euticus) bekannt. Die Abkürzung va{le) auf ähnlichen pöm-
pejanischen Inschriften und andern Auriga-Bechern (Proehner de la
verrerie antique S. 69, Hang, W. Z. K. VII, 1; CIL. VII, 1273). H]ierax
erscheint zum zweiten Male als Auriga auf einem rheinischen Glasgefäss
Aus 4er rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 197
(Westd. Z. Korr. VII, 1 slub Rottweil). Etäyches ist der Name eine« jüdi-
schen Anriga unter Oaligula (Sueton, Gaius 65, Josephus, Ant. Jud. XIX,
44) und eines spanischen (CIL. II, 4314). Pyramus und Olympus sind
bekannte Sklavennamen.
Zu den beiden oben angeführten rheinischen Auriga-Darstelluugen
tritt noch eine dritte, von Schürmans übersehene: eine Thonlampe aus
dem Bonner Museum (Klein, B. J. 88, 96).
Schürmans verbreitet sich in interessanten Ausführungen über Be-
stimmung, Herkunft u. a. der Wagenlenker und Gladiatorengefässe. Auf
die Einzelheiten konnte hier nicht eingegangen werden; vieles bleibt un-
sicher. Warnen vor Allem möchte ich vor einer allzuschnellen Identifici-
rung der Arenahelden aus der Litteratur und auf unseren Gefilssen
(vgl. S. 174 bei Schürmans). Die Namen sind typisch, sie bleiben, die
Personen wechseln; so damals, so heute.
Gefunden in Couvin in einem römischen Grab; heute im Museum
zu Namur. 0,065 m hoch, 0,085 m breit; seine Form abgebildet a. a. 0. Taf. 1.
43 Anderlues (Belgien). Annuaire de la soci^t6 d^Archöol. de Bruxel-
les 1894 S. 32. Aufschrift auf einer Grabume.
Claudius.
Der Name ist beigeschrieben (?) dem Profil einer Person, das auf
der Urne dargestellt war. Der Brauch ist mir unbekannt.
Gefunden mit 10 andern Urnen, Bruchstücke von Fibulae u. a. in
Gräbern 16. Nov. 1893.
Stempel and Marken.
1. LEGIONS- UND C0H0RTENZIE6EL.
Aus den von Wolff, Archiv für Frankfurts Geschichte und
Kunst, 3. Folge, Bd. IV, 212 flf., publizirten Nieder Ziegeln sind nur
die epigraphisch bemerkenswerthen herausgehoben: im Uebrigen
ist Vollständigkeit erstrebt.
44a) leg(io) I adi(atrix). Aus der Centralziegelei bei Nied. Wolff
a. a. O. S. 257.
b) leg(io) I ad(iutrix). Wie Nr. a.
198 C a r l M e u r e r :
c) leg(io) I aid(utrix). Wie Nr. a. S. 258. Mit falsch gestelltem I und
strichlosein A.
45a) leg(io) VIII Aug(U8ta). KastellHuneburg beiButzbach. Kofier,
Limesbl. 4 Sp. 111.
b) leg(io) VIII Aug(usta). Kastell Burg bei Neckarburken. Schu-
macher, Limesbl. 3, Sp. 68.
d) und e) Ziegel derselben Legion in Rottenburg (Herzog, Neue
Heidelberger Jahrb. III, 13, Anm. 46) und inHeddernheim (Quil-
ling, Mittheilungen über röm. Funde in Heddernheim I. 1894.
S. 12) gefunden.
46 Ziegel der XI. Legion, gef. bei Unterlinkhofen (Kanton Aargau).
Argovia XXIV p. VII und S. 12.
47 a) leg(io) XIIII wie Nr. 44 a. S. 262.
b) leg(io) XIIII c(emma). Ebenda S. 262— 63; c für g, wie oft.
c) leg(io) XIIII g(emina). Ebenda S. 263.
d) leg(io) g(e)m(ina). Ebenda S. 264.
e) leg(io) g(e)m(ina) v(ictrix). Ebenda.
f) und g). Ziegel derselben Legion, gef. Kastell Alteburg bei Kloster
Arnsburg (Kofier, Limesbl. 9, Sp. 269) und bei Heddern-
heim (Q u i 1 1 i n g a. a. O.).
48 a) leg(io) XXI r(apax). Wie Nr. 44 a. S. 259.
b) leg(io) XX r(apax). Ebenda S. 261. (2 Stempel).
c) leg(io) XX r(apax). Kastell Langenhain bei F r i e d b e r g. Zange-
meister, Limesbl. 1, Sp. 23.
Derselbe Fehler, wie in diesen Stempeln auch B r am b a ch, C. J. Rh. 511,
c, 4 und 1501, c.
d) Stempel dieser Legion gef. auch bei Unterlinkhofen. Argovia
XXIV p. VI und S. 12.
49a) leg(io) XXII c(enturia) Pri(mi?) Mon|tani. Kastell Osterbur-
ken. Schumacher, Limesbl. 2, Sp. 142. Legionsbaustein aus
rohem Kalkstein.
b) leg(io) XXII pr(imigema) p(ia) f(ideliB).
Inschrift auf einem als Fussboden dienenden Sandstein. Limeskastell
MarköbeL Wolff, Limesbl. 5, Sp. 131. Die beiden P sind nach
links gerichtet, das F auf den Kopf gestellt; also von einem un-
wissenden Steinmetzen schlechter Ziegel nachgebildet.
c) [Ie]g(io) XXII I pr(imigema) p(ia) f(idelis). Kastell bei Langen-
hain. Zangemeister, Limesbl. 1, Sp. 23. Zwischen p und fLöwe.
Vgl. Brambach, C. J. Rh. 1377 g, 36.
d) leg(io) [X]XII pr(imigenia) p(ia) [f(idelis)]. Ebenda.
e) leg(io) X[X]II p[r(imigeuia) p(ia) f(ideli8)]. „
f) [leg(io)] XXII p(rimigenia) p(ia) [f(ideli8)]. „
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 199
g) [leg(io) X]XII [p(riinigenia) p(ia) f(idelis)]. Ebenda.
h) leg(io) [XXII p(rimigenia) p(ia) f];idelis)]. Ebenda. Dieser Legion
weist den Stempel der Steinbock zu, von dem Reste zu erken-
nen sind.
50a) [legio XXII pKimigenia)] p(ia) f(idelis). Kastell Alteburg bei
Kloster Arnsburg. Haupt, Mittheil, des hess. Geschieh ts Vereins
N. F. IV, 107.
b) fleg(io)] XXII p(rimigema) p(ia) [f(ideli8)]. Ebenda.
c) leg(io) XX[II p(rimigenia) p(ia) f(ideli8)]. „
d) [l]eg(io) X[XII p(rimigenia) p(ia) f(idelis)]. „
e) [leg(io) XXII p(rimigenia)] p(ia) fid(eli8). „
f) [leg(io)] XXI[I p(rimigenia) p(ia) f(idelis)].
g) leg(io) XXII p(rimigenia p(ia).
h) [leg(io)] XX p(riinigenia) p(ia) f(ideli8) | [Semp]er(oniu8?) f(ecit).
XX statt XXII durch ein Versehen des Zieglers; die Ergänzung
von Haupt; derselbe Name auch unter Nr. 52 d; nach dem, was Wo l ff
Frankfurter Archiv 3, F. IV, 300 auseinandersetzt, sollte man
Semp(ronius) IV{ontimis) erwarten. Also entweder derselbe Fehler
hier und auf dem Nieder Exemplar oder, was doch auch möglich
ist, ein Semperonius als Ziegelbauer.
51 a) leg(io) XXII p(rimigema) pi)a) f(ideli8). Nieder Centralziegeloi.
Wolff a. a. O. S. 268.
b) leg(io) XXII pr(imigenia). Ebenda S. 269. P R auf dem Kopfe.
c) leg(io) XXII pir p(ia) f(ideli8). Ebenda S,210, pir für pri{migenia)
d) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia). „ „ 271.
e) leg(io) XXII p(ia) f(ideli8). „ » 274.
f) [leg(io) XXII pri(migenia)] CF. „ „ 276. FD vielleicht /(ide-
lis D{omitianä)?
Die Ergänzung des Mittelstückes lieferte ein Heddernheimer Stempel
aus dem Frankfurter und Wiesbadener Museum.
g) leg(io) XXII I pr(imigema) p(ia) f(ideli8). Ebenda S. 276 u.
h) leg(io) XXII I pri(migenia) p(ia) f(ideli8). „ „ 276.
i) leg(io) I XXII p(rimigenia) p(ia). „ „ 278.
k) leg(io) XXII I p(rimigema) p(ia) ((ideliö) Ant(oniniana). Ebenda S. 278.
1) leg(io) XXII I pri(migenia) pi(a) fi(delis). „ „ 280.
m) leg(io) XXII primigenia) p(ia) fl^idelis) im Kreise. „ „ 280.
n) le Ä g(io) XXII. , „ 284.
o) leg(io) XXII I pr(imigenia) p(ia) f(ideli8). Kreisstempel. „ „ 284.
p) leg(io) XX|II p(rimigenia) p(ia) f(ideli8). „ r, v 285.
2Q0 Carl Meurer:
q) leg(io) X pr(imigenia). Ebenda S. 287. Die Zahl und pr. stehen
^ auf dem Kopfe.
r) leg(io) X]XII priinig(enia) p(ia) fid(eli8). • Ebenda S. 287.
s) leg(io) XXII p(riniigenia) p(ia) fi(deli8). „ „ 290.
t) leg(io) XXII pr(iniigenia) p(ia). „ „ 291.
u) leg(io) I XXII I pr(imigenia) p(ia). „ „ 292.
In rundem Stempel ist das F (=fideli8) über leg. nachgetragen.
52 a) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) fl[idcli8) | M. St. M. f(ecit).
Ebenda S. 295.
b) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(idelis | C. C. Seeun(du8?) f(ecil).
Ebenda S. 296.
c) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(idelis) M. S. f(eeit). Ebenda S. 298.
X
d) Semp B ero (n? oder f(ecit) ?). „ „ 300.
(^ Auf andern Exemplaren aus Rückingen, Nied, Hofheim,
4^ Mainz, Mosbach steht Semp. Fron oder Sempr(oniu6)
^r» Front{inus). Danach oben zu corrigiren? vgl. Nr. 50h.
e) leg(io) XXII pr(iinigenia) p(ia} f(ideli8 | M. (?) Devat(u8 ?) f(ecit).
Ebenda S. 302.
f ) leg(io) XXII pr(imigenia) p(ia) f(idelis) | Mi . . [De?]vatu8 f(ecit).
Ebenda S. 302.
g) leg(io) XXII pr(imigema) p(ia) f(ideli8) | Didiu8 fe(cit). Ebenda. S. 302.
h) leg(io) XXII p(rimigeDia) p(ia) f(ideli8) | Jul(ius) Priums f(ecit).
Ebenda S. 303.
i) Icg(io) XXII pitimigenia) p(ia) f(ideli8) | Julius Augur fl[ecit).
Ebenda S. 305.
k) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(idelis) | Jul(iu8) Bellic(us) f(ecit).
Ebenda S. 306.
1) leg(io) XXII pr(iniigenia) p(ia) f(idelis) | Juliu8) Imniun(i8) f(ecit).
Ebenda S. 307.
m) leg(io)XXIIp(rimigema)p(ia)f(ideli8)lC.V.V.f(ecit). Ebenda S. 307.
n) [C?J Avit(iu8) Fort(i8) f(ecit) | leg(io) XX pr(imigcnia). Ebenda
S.308. sie!
o) lcg(io) XXII p(rimigcnia) p(ia) f(ideli8 | L. Ca (?) Sev(ei-U8?) f(ecit).
Ebenda S. 308.
p) leg(io)] XXII p(rimigeDia) p(ia) f^idelis) | . . . Sec?]und(us?).
Ebenda S. 308.
Aus der rheinischen Epij^raphik des Jahres 1893. 201
q) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(ideli8) | Hel(Yiu8) Gamul(u8).
Ebenda S. 309.
r) le[g(io) ?] 1 Ve . . . . Ebenda S. 309.
s) l(egio)|XXIIpr(inügenia) p(ia) | fljidelis) || L | Mart(m8) | Aer.(?)
f(ecit). Auf zwei Rhomboidfelder symmetrisch vertheilt. Ebenda
S. 310.
t) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(ideli8) | Helvius Montanus [f(ecit?)].
Ebenda S. 311. = Hettner, Katalog des Bonner Museums 155, 5.
u) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) «[idelis) | Cal (?) Strabo. Ebenda
S. 312.
v) [leg](io) XXII p(riniigenia) p(ia) f(ideli8) | Val(eriu8) Pri8c(?) [f ](ecit).
Ebenda S. 314.
w) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(ideli8) | Brigiemm (?). Ebenda S.3U.
x) Senti Sabel(li) | leg(io) XXII pr(imigenia) p(ia) f(idelis). Ebenda S. 314.
y) leg(io) XXII p(rimigenia) p(ia) f(ideli8) | C. Do(?) Senex f(ecit).
Ebenda S. 315.
^ Ausserdem sind Ziegel derselben Legion gefunden:
Kastell Marköbel. Wolff, Limesbl. 1, Sp. 32.
Kastell Huneburg. Kofier, Limesbl. 4, Sp. 111.
Kastell Oberflorstadt. Kofier, Limesbl. 7/8, Sp. 238.
Kastell Alteburg bei Arnsberg. Kofier, Limesbl. 9, Sp. 269.
Kastell Alteburg bei Heftrich. Hettner, Jahrbuch des Arch. In-
stituts VIII, 182.
Kastell am Maisei. Hettner ebenda, 184.
54 a) C0h(or8) I A[quit(anorum)]. Kastell A 1 1 e b u r g bei Kloster A r n s-
burg. Haupt, Mittheilungen der oberhess. Gesch. V. N. F. IV, 107.
b) coh[(ors) I Aquit(anorum)]. Ebenda. Haupt, a. a. 0.
e) [coh(or8)] I Aq[uit(anorum)]. „ „ „
d) [coh(or8) I] Aquit(anorum). ^ » »
e) [cohCora) I A]qnita(norum). » » »
f) [eo]h(ors) I Aqu[it(anonim)]. „ » »
g) [eoh(ors) I] Aq[uit(anorum)] | [coh(or8)] I Aqu[it(anoruni)]. Ebenda.
Durch einen Streifen von 2 cm Breite sind Zeile 1 und 2 getrennt,
h) Ziegel derselben Kohorte ebenda gef. Kofi er, Limesbl. 9, Sp. 269.
i) [coh I ? A]quita(norum). Gef. Kastell Huneburg bei Butzbach.
Kofi er, Limesbl. 4, Sp. 111. Identisch mit Ziegel e?
55 Ziegel der H. Aquitanischen Gehörte gef. Kastell Alteburg bei Arns-
bürg. Kofier, Limesbl. 9, Sp. 269.
56coh(or8) III Aq(uitanorum) [e]q(uitata) c(ivium) R(omanonim).
Kastell Burg bei Neckarburken. Schuma eher. Limesbl. 3,
Sp. 68. Ohne Zeilentrennung? vgl. B ram b ach. Gl Rh. 1728.
57coh(or8) I A8(turum). Gentralziegelei bei Nied. Wolff, a. a. 0. S. 254.
202 Carl Meurer:
58coh(ore) I B(e)l(ganim). Kastell Langenhain. Zaugemeißter,
Limesbl. 1 Sp. 23.
59c(ohors) III Br(ittonum). Kastell Thielenhof en. He t tner, Jahrb. VII J,
177. vgl. CIL. m, 11996 a.
60 a) ii(ameniB) Gatthar(enBium). Kastell Heidonkirche am kleinen
Feldberg. Jacob i, Limesbl. 1, Sp. 5.
b) ? Catthai"(enaiuin). Ebenda.
Nach Jacobi beidemal auch Catther(ensium).
c) Stempel derselben Abtheilung auch in Kastell Alteburg bei Hef trieb.
Hettner, Jahrb. VIII, 182.
61 coh(ore) I civ(ium) Rom(anoram). Kastell Alteburg bei Kloster
Arnsburg. Kofier, Limesbl. 9, Sp. 269.
62[coh(ors)] II c(ivium) Ro(manorum). Kastell Huneburg bei Butz-
bach. Kofier, Limesbl. 4, Sp. 111.
63[coh(ors)] II Au(gusta) Cyr(enaica). Ebenda.
Der Stempel ist missrathen; obige Auflösung scheint sicher (so auch
Hettner Jahrb. VIII, 181).
64[coh(orB)] III Raet(ornm). Ebenda.
65 Dachziegel der III. cohors Vindelicorum gef. Kastell Grosskrotzen-
burg. Wolff, Limesbl. 6, Sp. 168.
66 a) Zwei Stempel der IUI. cohors Vindelicorum. Ebenda Sp. 166.
b) coh(or8) II[II? Vinde]l(icorum). Kastell Langenhaiu. Zange-
meister, Limesbl. 1, Sp. 23.
c) Stempel derselben Kohorte Kastell Alteburg bei Hef trieb. Hettner,
Jahrb. VIII, 183.
d) und Zwischenkastell am Mai sei. Ebenda S. 184.
67 Ziegel der coh(ors) XXXII Voluntariorum. Kastell Ob er fl o r Stadt.
K 0 f 1 e r, Limesbl. 7/8, Sp. 238.
68Cohrepert? Kastell auf dem Schierenhofe. Steimle, Limesbl. 6,
^ Sp. 182. Auflösung zweifelhaft; etwa coh(ors) R(a)e(torum) Pret(io-
sus) f(ecit)? oder Co(rneli?) Repert^i) (so Hettner, Jahrb. VIII, 184).
69 Q. Val[er(iu8)] Sabe(lIio ?). M e d e 1 s h e i m bei S p e i e r. Mittheil, des
bist. Vereins der Pfalz. XVI, 191. Rom. Ziegel 42 cm lang, 35 cm breit,
5 cm hoch.
70 Secundin(as). Kastell auf dem Schierenhofe. Steimle, Limesbl. 6,
Sp. 182. Stempel auf Ziegelplatten.
71 ... . K(alendas) Semptembr(is). Kastell Burg bei Neckarburken.
Schumacher, Limesbl. 8, Sp. 68.
Ziegelfragment. Inschrift vor dem Brande eingeritzt, also Datum der
Fabrikation so zu ergänzen: . . fecit cos ] K(al.) Sep-
tembr. Die Auflösung rührt von Zangemeister her.
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893.
2. FABRIKANTENSTEMPEL.
72 Tbonlämpchen.
a) Eucarpi. Asberg, jetzt im Museum in Crefeld. Siebourg, Be-
richt des Crefelder Museumvereins 1893, S. 7.
b) Fortis. Niederrhein» jetzt im Museum der ' Stadt Düsseldorf.
B., Beiträge zur Geschichte des Niederrheins VII, 434.
c) RufuB f(ecit). Asberg. Siebourg, B. J. 94, 70.
d) Strobili. Wie b.
73 Töpferstempel.
Bei den Düsseldorfer Gefässen ist kein Material angegeben; sonst meist
terra sigillata. Die Speierer Stempel, welche in den Mittheil, des histor.
Vereins der Pfalz XVI, 189 veröfiTentlicht sind, fallen eigentlich aus
dem Rahmen dieses Berichtes heraus; doch da dort die Gesammt-
funde der letzten Jahre in Speier zusammengestellt sind, wollte ich
sie nicht ausschliessen.
Ueber die andern Speierer Funde ist auch ein [unvollständiger]
Bericht von Harster in Westd. Zeitschr. Korr. XII Nr. &8 gegeben.
1 Aete(mu8?] fl[ecit).
Mengen. Z ör lein, West. Z., 375.
i Albanns f(ecit).
Niederrhein; jetzt im Museum
zu Düsseldorf. B., Beiträge zur
Geschichte des Niederrheins VII,
434.
of(ficina) Albani. Ebenso,
s Albini ma(nn).
Kastell Alteburg bei Kloster
Arnsberg. Haupt, Mitthei-
lungen des oberhessischen Ge-
schichtsvereins. N. F. IV, 104.
4 Amabilis. Wie Nr, 2.
5 Anisatus f(ecit). „ „ 2.
6 Aper f(ecit) „ „ 2.
7 Aquit(iu8?). „ ,, 2.
8 Attici m(anu).
Gef. in römischen Villen in Entre-
Sambre-et-Meuse;Bequet,
Annales de la Soc. arch. de Na-
mur. XX, 21.
9 Attius. Wie Nr, 8.
10 a) Avitus f][ecit).
S p e i e r. Lud wigstra^se. Mi tth.
des bist. Vereins der Pfalz. XVI,
189.
b) Avitus. Wie Nr. 10 a.
c) Avitus fl[ecit). Wie Nr. 8.
d) Aviti ma(nu). „ „ 8.
11 Auei. „ „ 10 a.
18 Banilli. „ „ 10 a.
13 Bassi.
Asberg; jetzt im Museum zu
Crefeld. Siebourg, B. J. 94, 71.
u Bolsius. Wie Nr. 8.
15 Borl(?) f(ecit).
Mechtersheim, Mitth. des bist.
Vereins der Pfalz XVI, 193.
16 Bondus f(ecit). Wie Nr. 2.
Darunter eingeritzt X.
Bondns fl[ecit). Wie Nr. 2.
17 Gabia .... „ „10 a.
18 Cai of(ficina). „ „2/
b)of(ficina)Calvi. Wie Nr. 2.
204
Carl Meurer:
19 c) of(ficina) Calvi. Wie Nr. 2.
Eingeritzt S. V.
80 Candidus f(ecit). „ „ 2.
81 a — c)Cas8iu8f(ecit). „ „ 2.
88 Celad(u8) fl[ecit). „ „ lOa.
«3 a) offl[icina) Ce(l8i). „ „ 3.
b) oflF{icina)] Cetei. „ „ 3.
21 a) Cel8inu(8). „ „ 3.
b) Cetainus f(ecit). „ „ 13.
c) [Cel]8iii(us). „ „ 3.
85 Cen8or(inu8?). „ „ 2.
86 a) Cerealis. „ » lOa,
b) Cereali8 f(ecit). „ „10 a.
87 Cintugnatiu(8). „ „ 13.
Rother Teiler.
88 Cintugnatus. „ „ 2,
89 Clemens. „ „ 2.
30 Coci. „ „ 3.
Rothes Näpfchen.
31 a) Conati.
Speier. Mittheilungen XVII Sp.
169.
b) Conatius. Wie Nr. 10 a.
38 Cori80 fe(cit). „ „ 2.
83 Dagomarus f(ecit). „ „ 8.
34 Di8etu8. ,, ,^ 2.
35 Domitianus. „ „ 10.
36 Domitius f(ecit).
Spei er. Mittheil, des hist. Ver.
der Pfalz XVI, 191.
37 Festi. Wie Nr. 2.
38 Floreiit(inu8).
Fussgöhnheim bei Spei er. Mit-
theil, des hist. Vereins der
Pfalz XVI, 191.
39 a) [of(ficina F]u8c(i). Wie Nr. 3.
b) [of(fieina) Fu]8ci. „ „ 3.
c) of(ficina) Fu[sei]. „ „ 3.
S. 105.
40 Gaiu8 f(ecit).
Asberg. Siebourg, B.J. 94, 71.
41 off(icina) 6er(manici?). Wie
Nr. 2.
48 Geinin(u8). Wie Nr. 3.
43 Giamat(us?) f(ecit). „ „ 2.
44 Giamil fe(cit). „ „ 10.
Trinkbecher.
45 a) Gobio f(ecit). „ „ 10.
Teller.
b) Gobio f(ecit). „ „ 10.
Platte.
46 a) lannarius f(ecit).
Spei er. Mitth. d. hist. Ver. der
Pfalz XVII, 169. Schüssel.
b) Ianu(ariu8?) f(ecit).
Neupf otz bei S p e i e r. Mittb. XVI,
193. Thongeföss.
47 a) lassus f(ecit). Wie Nr. 2.
b) [I]assu(8) „ „ 10.
c) Ia88a8 f(ecit). „ „ 10.
48 of(ficina) Iucun(di). „ „ 2.
49 Iu](ius). „ „ 10.
50 a) lulianus. „ „ 10.
b) Iul(ianufl?). „ „ 10.
51 lollmas.
Kastell Heidenkirche am klei-
nen Feldberg. Jacobi, Li-
mesblatt 1 Sp. 8.
58 Iuma(n!i8?) f(ecit). Wie Nr. 2.
53 Ia8ti.
Rheinzabem. Mitth. d. hist. V.
der Pfalz XVI, 193. patera.
54 a) luvenis. Wie Nr. 2.
b) luvenis fe(cit).
Spei er. Mitth. d. hist. V. der
Pfalz XVII S. 169.
55 a) Lillus f(ecit).
S p e i e r. Ebenda. Becher.
b) Lillus. Wie Nr. 10.
c) Lillus.
Kastell Heidenkirche am klei-
nen Feld berg# Jacobi, Li-
mesbl. 1, Sp. 13.
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893.
205
56 a) Lucius. Wie Nr. 10.
66 [Lu]ciiis fl[ecit). Wie Nr. 10.
57 Locirni.
Couvin. Schürmans Ann.
de la Soc. arch. de Namur. XX.
S. 148.
58 Logim(i) m(anu). Ebenda.
69 MacumiC?). »
60 Maianus f(eeit). Wie Nr. 2.
61 Mariiaci(u8 f(ecit). „ „ 8.
62 Marinus f(ecit). „ „ lo.
6s Martin(u8) fe(cit). „ „ 2.
64 a) Materninus.
Spei er. Mitth. d. hist. Vereins
der Pfalz XVI, 169.
b) Mateminus. Wie Nr. 2.
65 Medcticus f][ecit).
CTellep. Siebourg, B. J. 94,
72.
66 Mediatas* Wie Nr. 2.
67 Micio f(ecit). „ ,, 2.
68 of(ficina) Mode8(ti).
Asberg. Siebourg, B. J. 94,
68.
69 Montanus. Wie Nr. 8.
70 M0S8U8 f(ecit). „ „ 8.
71 Natalis f(ecit). „ ,, 2.
72 Nieepbor(u8) f(ecit). „ „ 3.
73 Nivalis f(ecit). „ ,, 10,
74 Ocilius f(ecit).
KastellHeidenstock bei Ober-
es c h b a c h. Jacob], Li-
mesbl. 1, Sp. 3.
75 Onnio. Wie Nr. 2.
76 0piuim(?). „ ,, 8.
77 a) Patric(iu8). „ „ 2.
b) Patric(ius). „ „ 3.
78 Patrigianus.
Kasteil Heiden kirche am
kleinen Feldberg. Ja-
cob i, Limesbl. 1, Sp. 13; b für
c, wie oft.
79 Patruinns. Ebenda.
80 Par(iu8).
Couvin. Schürmans a.a.
0. S. 148.
81 a) Paullus f(ecit). Wie Nr. 3.
b) Paull[u8 f(ecit)]. „ „ 3.
c) [Paul?]lu8. „ „ 3.
8« Pridinnus. ,^ ^^ 2.
88 Primuli.
Couvin. Schürmans a. a. O.
148.
84 Priscianus. Wie Nr. 2.
85 Rahiaciva fl[ecit). „ „ 10.
86 a) Restitutus.WieNr.lO. patera
b) Re8[titutu8?]. Wie Nr. 10.
87 Roudus [f]e(cit).
Couvin. Schürmans a. a. 0.
E für F aus Versehen.
88 a) Sabinus.
A s b e r g. S i e b 0 u r g, B. J. 94,
72.
b) Sabinus. Ebenda.
89 Satumi{nas ?]. Wie Nr. 3.
Gefäss, mit Relief verziert. Dar-
unter in Reliefschrift Sutt(ici?)
oif(icina). Handwerker und Fa-
brikant zugleich genannt.
90 o(fficina)C(ai)Sauri | IIXIXII.
Wie Nr. 2.
91 Suobnili. Wie Nr. 8.
92 Taurus f(ecit). „ „ 2.
98 Ter(entiu8) f(ecit). „ „ 10.
Kleine Schüssel.
94 a) Triboccns. „ „ 10.
b) Tri[boecu8]. „ „ 10.
95 Uranarus f(ecit).
Mengen. Zörlein, WeiJtd. Z.
XII, 376.
96 Ursianus.
Worms. Hochstrasse in alter
Töpferei. K o e h 1, W. Z. XII,
387.
206
Carl Meurer:
97 Venicarös. Wie Nr. 10.
98 Verecund(U8) fl[ecit).
Mechtersheim bei Spei er.
Mitth. d. G.-V. d. Pf. XVI, 192.
99 Vicatus. Wie Nr. 3.
100 a) Victor. „ » 10. Schale.
b) Victor. „ „ 10. Trink-
becher.
c) Vic[tor]. „ „ 10.
101 Victorinus i^ecit).
Spei er. Mitth. XVII, 1G9.
102 Virtus f(ecit). Wie Nr. 2.
108 a) Vitalis f(ecit). „ „ 2.
b) u. c) of[ficina). Vita(li8). Wie
Nr. 3.
104 Vivous. Wie Nr. 8.
105 .. . XIIIXII. Wie Nr. 2.
106 Eine Reihe von nndeutbaren Bruchstücken von Stempelin-
schriften aus dem Düsseldorfer Museum veröffentlicht in Beitr. eur Ge-
sch. d. Niederrheins VII, 434 (darunter o]f(ficina) Fagi ?, C]iriac[i . . .] f(ecit).
L. Irsif. . . ?]) .und Kastell Altenburg bei Kloster Ar nsburg bei Haupt,
Mitth. des Oberrh. Geschichtsvereins, N. F. IV, 105 [darunter IICVN wohl
nicht verschrieben für lucun(di), sondern gleich S]ecun(di ?) aus Speier.
(Mitth. d. G.-V. d. Pfalz XVT, 189]. Ein . . . . ierus f(ecit) aus Wachtelhau
bei Sigmaringen. Knickenberg, Mitth. des Vereins f. Geschichte u.
Alterthumskunde för HohenzoUern XXVI, 51. ... isu oder . . . asi aus
Kastell Haselburg. Conrady, Limesbl. 5, Sp. 156. Terra sigillata mit
Stempel aus S eis (Mitth. d. Gesellsch. zur Erhaltung der geschichtl. Denkm.
im Elsass II, 16, 185). Töpferstempel aus Kastell Bürgle. Steimle,
Limesbl. 3, Sp. 93. Burg. Hämmerle, Limesbl. 4, Sp. 118. Sigillaten-
Stempel aus Rückingen, Sigillata mit Graffito ebendaher. WoIff> Li-
mesbl. 7/8, Sp. 248). Stempel aus Mainz. Westd. Z. XII, 393.
74 Fron[tini ?].
Köln. Westd. Zeitschr. Korr. XII, Nr. 68. Stempel auf dem Boden
einer gläsernen Kanne.
75 Stempel aus Speier [es scheinen die Stempel selbst zu sein?]. Mitth.
des bist Vereins der Pfalz XVI, 189.
1 Laitus.
s QuietuB f(ecit).
8 Venuß[tu8].
4 Victorinus f(ecit).
76 Graffiti auf Gefässen resp. eingeritzte Zeichen, die wohl von Besitzern
herrühren :
1) Aus Kastell Altenburg bei Kloster Arnsburg. Haupt, Mitth.
d. oberrh. Gesch.-Ver. N. F. IV. S. 106:
Tilea; .... mani ; . . . . anci; Sova . . . ; Verre . . ; Volticani.
?
2) Aus dem Düsseldorfer Museum. Beiträge z. G. d. Niederrheins
VII, 434:
. . . samm; erqi; Fidelis; XICXI, AX, All; ammi; tir.
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 207
II. NEUES ZU BEKANNTEN INSCHRIFTEN.
77 Die Gemeinde der Neckarschwaben im untern Neckarthal.
Eine Grabßchrift, gefunden bei Aubigny (Saöne-et-Loire),
jetzt im Museum der Soci6t6 d'hist. et d'arch. de Chalon sur-SaOne
(vgl. besonders Memoires dieser Gesellschaft III, 232. Taf. VI, 1)
lautet :
Di(s) mani(bus) | Tertiniae Flore|ntiniae cives Sueb|a Niereti(s)
5 vixit a[nn]|is XVII.
So nach neuer Vergleichung Hirschfelds. Die Auflösung in Z.
3 und 4 ist nicht sicher; cives =^ civis als Nominativ häufig; dazu Nicre-
ti(8?) im Gen. oder Dativ hinzugefügt. Zangemeister las Sueba(e).
Aus ihr erschliesst Zangemeister, Neue Heidelberger
Jahrbücher III, 1 ff. eine civitas Sueborum Nicretum, eine Ge-
meinde der Neckarschwaben, und identificirt diese mit Recht mit
der civitas ülpia S. N. der Leugensteine von Heidelberg (B. J. 76,
90) und der Meilensteine von Ladenburg fB. J. 76, 219); womit
endgültig diese räthselhaften Ghi£fren (siehe Mo mm sen, Rom. Ge-
schichte V, 146 Anm. 1) ihre Auflösung gefunden haben.
Ulpia heisst die civitas, weil sie von Trajan wiederhergestellt ist
(Eutrop. 8, 2).
Aber mit Unrecht (schon allein wegen Tac. Germ. 29, über
welche Stelle S. 5 willkürlich, gut S. 14 in anderer Richtung ge-
urtheilt wird) führt Zangemeister diese Ansiedlung bis auf Caesar
zurück.
Derselben Gemeinde weist er den Secundinius Verus, s(igni)f(er)
eqni(tum) sing(ularHim) natione Suaebus (Ephem. Epigr. IV, 935) zu.
Auch sonst treten specificirende Namen zu den umfassendem der
Sueben hinzu; z. B. Matres Suebae Euthungae (Rh. Mus. 1890, 689), Lutatiis
Suebis (I h m, Matronenkult 455) ; anderer Art ist der Beiname der vexil-
larii Sueborum Lon[govicianorum ?) aus der englischen Grafschaft Dnrham
(W. Z. Korr. XII, 97). Umgekehrt vgl. die matres Germanae Suebae aus
Köln (Ihm a. a. 0. 273).
78 Die Mainzer Veientoinschrift, publicirt von Keller, Westd.
Zeitschr. Korr. VI, 93, und Ihm, Rh. Mus., XLII, 488, undB.J. 84,
88 hat neuerdings M o m m s e n und Domaszewski beschäftigt.
Ersterer versucht Limesbl. I, 4 Restitution und Erklärung der
verzweifelten Zeilen 11 und 12, letzterer deutet Westd. Zeitschr. Korr.
XI, 121 die Zeilen 14—17.
206 Carl Meurer:
Danach gestaltet sich der mittlere Abschnitt der Aemterlauf-
bahn des Annianns so:
11 e ?]tiam . c(urator ?) . c(en8ibus) . civit(atium ?) adm(ini8trandi8 ?) . ,
li[mitis?) I [Germ]an(iae). Haliq(uensium) et ChdIitano(ram ?) . . . . | ,
18 . . . . V]I vir turm(arum) I eq(uitum?) Rom(anornm?) ad .... |
. . . .? N, praefljectus) fr(uraenti).dand(i) p[l]cb(i). Ro[m(anae),
i6cur(ator?] | [Vede? ?]nt(ium) etmissus . adv(er8us) . hh(o8tes) . pp(ubli-
cos) . in re[g(ionem) | Tran8p)ad(anam) tir(onibus) . legend(is) et ar-
17 m(is) fabr(icandi8) . in n[r(be)] | [Me]diol(anio).
Z. 11 sind nach Zangemeister und Hammeran die Buch-
staben sicher.
Z. 12 die 6 ersten Buchstaben zweifellos; der 7. wahrscheinlich Q;
'allenfalls könnte ein kleines V in ihm gestanden haben*.
Die 3 folgenden Buchstaben sind zerstört, das Gegebene nach
Zangemeister nur möglich; der 12. Buchstabe L, aber ohne Querhasta,
o
der 13. I; N, was nun folgt, ist sicher.
Z. 14—17: So richtig nach Domaszewski; nur in 14 kann der
drittletzte Buchstabe auch L sein, kein K.
Die durch die neuen Lesungen gesicherten Interpunctionszeichen
habe ich beigeschrieben.
Z. 11 ff. Das erste etiam ist sprachlich bedenklieh; sonst item
oder eodenique tempore. Das Folgende ist nur zweifelnd ergänzt;
censum administrare für agere ebenso wenig belegt, wie die an-
genommene Verbindung dieser Worte mit curator. Limes Germaniae
analog dem limes Raetiae der Arvalakten v. 213 gebildet.
Es wäre also Ammianus als Offizier zur provinzialen Schätzung
abkommandirt worden, was Mommsen durch zahlreiche Beispiele
belegt (vgl. Rom. Staatsr. II, 1093) und die ciyitas Haliquensinm
und Chalitanoram wären am Limes zu suchen; erstere würde ihren
Namen wieder der exploratio Halicensis (oben Nr. 30) gegeben
haben.
Neben dieser Erklärung geben Zangemeister und Momm-
sen noch eine andere, ebenfalls in Reserve:
pr(o) pr(aetore) Afrieae, ejtiam c(ensitor) c(ivium) civit(atium)
Adm(aedarensium), Lim[is(ensium)] | an(omm), Haliq(uatium)
et [Tha?] litano(runi).
Admacdara, Thala und die civitas Limisensium liegen nicht
weit von einander in der provincia Africa ; die der Haliquates weist
auch Mommsen nicht nach.
Z. 14 ff. Der Zusatz plebiRomanae findet sich in griecbischen
Aus der rheinisckeb fipigraphik des «tahres 1893. 209
Inschriften (Mommsen Staatsr. IV, 673. Gagnat, L'annee ^pigr.
1891 Nr. 136). Die AuflöBUng adversus hostes publicos sttttzt D.
auf seine und Dessaus (zu Inscript. Latinae 1140 geäusserte) Ver-
muthung, dass CIL. 11^ 4114
Tib(erio) Cl(audio) Candido cos leg. Aug(ustorum) pr.
pr. provinc(iae) H(i8paniae) c(iteriori8) et in ea duci terra niarique
adversus rebelles hh(o8te8) pp(ublico8)
h. b. p. p., nicht Hübners h. h. p. R(omani) zu erkennen sei,
was nachträglich Haverfield, Westd. Zeitschr. Korr. XII, 23
bestätigt.
Also gehörte Ammianus zu den vornehmen Beamten, welche
238 im Auftrage des Senates in Italien den Widerstand gegen den
anrückenden Kaiser Maximinus (Herodian 7, 11, 7. Vita Maximini
10, 1) organisirten. Vier Jahre später errichtete er dann als Le-
gionslegat in Mainz den Altar. Dieser Schluss Domaszewskis
erscheint mir durch den berechtigten Hinweis auf Vita Maximini 15,
2 und 20, 8 (auch 16) durchaus gesichert. ^
79 Zur Mainzer Veientoinschrift (Keller, Westd. Zeitschr.
Korr. m, 92, Mommsen ebenda 117, Keller, B. J. 85, S. 98,
Dessau, Inscr. Lat. 1010) trägt Mommsen W. Z. Korr. XII
nach, dass derselbe Veiento in Statins' Gedicht de hello Genuanico,
quod Domitianus egit (Georgius Valla zu Juvenal IV, 49, Buche-
1er, Rh. Mus. 39, 283) erwähnt wird, dass also Veiento sein drittes
Konsulat unter Domitian bekleidet hat*). Veiento hat danach zu-
gleich mit Vibius Crispus, consul III, und Acilius Glabrio 83 au
einer Berathung des Domitian wegen des ersten Chattenkrieges
Theil genommen (vgl. Asbach B. J. 79, 135. Westd. Zeitschr.
V, 370).
SODomitianische Truppenkörper.
E. Ritterling, Westd. Zeitschr. XII, 203 if. liest in der Bonner
Magiusinschrift (B. J. 57, 70) in üebereinstimmung mit Momm-
sen, Eph. Epigr. V, 202:
a) leg(ioni8) I F(laviae) M(inerviae) p(iae) f(ideli8) D(omitianae).
Vgl. 2 Bonner Ziegelstempel (Festschrift für den internationalen ar-
chäol. Congress zu Bonn. 1868. S. 26): leg(io) I F(lavia) M(inervia).
1) Die Erklärung des Verses Her memöres itnplerunt nomina fastos*
ist zweifellos richtig.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCV. 14
210 Carl M eurer:
b) Brambach*), CIRh. 1892:
Victorinus c(enturio) legCionis) VI Vic(tricis) p(iae) f(ideli8) D(o-
mitianae).
c) Brambach 651:
Vindex c(enturio) leg(ioni8) X G(eminae) p(iae) f(ideli8) D(omi-
tianae).
Vgl. Ziegelstempel zu Cleve (B. J, 61, 72 Nr. 12)
d) Brambach 673:
vet(eranu8) leg(ioni8) XXII p(rimigeniae) p(iae) f(ideli8) D(oini-
tianae).
und Brambach 1626:
leg(ioni8) XXII p(iae) f(idelis) D(omitianae).
Vgl. Ziegel aus Holland (Br. 140, d, 3,4) u. Mannheim (Baumann,
Rom. Inschr. . . . der ver. Samml. in Mannheim Nr. 125).
e) Brambach 684:
mi[l]es ex c(l)asse G[e]rmanica p(ia) f(ideli) D(omitiana).
f) Brambach 678:
im[a]ginif(er) coh(ortis) // II Asturum p(iae) f(ideli8) D(omitianae).
g) Brambach 676:
d(ecurio) coh(orti8) II c(ivium) R(omanorum) D(omitianae).
Durch die8e unzweifelhaft richtige Deutung de8 bisher strit-
tigen D, die Ritterling schon 1885 de legione Romanorum X.
Gemina S. 15 vorgetragen und für die er Billigung gefunden hat bei
Schilling, de legiouibus Romanorum I. Minervia et XXX. ülpia,
Leipz. Studien XIV S. 13, stützt er seine Vermuthung, da88 die
angegebenen Truppentheile den Beinamen pia fidelis von Domitian
für ihre Haltung bei dem Aufstände des Satuminus 89 erhalten
1) Abweichungen von Brambach gibt Ritterling theilweise nach
Zangemeisters Mittheilungen. Ich führe sie an:
b) Bindung von p. und f. sicher.
c) Hinter F sieht Ritterl. einen deutlichen Punkt; das ist aber ein
Loch, wie in dem D; ebenso hinter D ein Punkt, den R. weglässt.
d 2) „Auf der ganzen Inschrift kein Interpunktionszeichen^. Zange-
meister.
e) Ritterling: P F • D Und wirklich zwischen F und D Interpunk-
tionszeichen wahrscheinlicher, als Sprung; aber auch Interpunktion sicher
zwischen P und F.
f) Diese Lesung hat Zangem. nach Scheden auf der Darmstädter
Bibliothek festgestellt.
g) Unrichtig korrigirt Ritterling das D(ecurio) (so Hettner^ Bonner
Katalog 26) in C(enturio).
Ans der rheinischen £pigraphik des Jahres I8d3. 211
haben. Der Beiname D(omitiaüa) ist gleichzeitig mit den andern
von Domitian verliehen, nach dessen Tode wegen der damnatio me-
moriae des Kaisers wieder abgelegt worden.
Die Bonner I Minervia ist auf diese Weise zu einem doppelten
kaiserlichen Beinamen gekommen. Flavia hiess sie, weil ein Flavier
sie konstitnirt; wie die IV, von Vespasian gegründete, Domitiana
seit 89 (vgl. auch Schilling a. a. 0. S. 14).
Auf einer Grabschrift aus dem Jahre 87 (BuU. d. comm. commun.
di Roma 1886 Nr. 1105) heisst die leg. XXII pr. noch nicht p. f.
Mit Unrecht aber hat Ritterling Bramb. 677 hierhergezogen,
wo er Z. 5 CÜRPFIID die zwei Striche vor D, welche sicher ein
E darstellen, auf Verwitterung zurückfuhrt und p. f. D(omitjana)
liest. Zu lesen ist fed(elis) mit geläufiger Verdumpfung des I. Hin-
zuzufagen aber wäre noch ein Nieder Ziegel (oben Nr. 51 f.).
Auf die weiteren Ausführungen Ritterlings kann hier nur hin-
gewiesen werden. S. 211 ff. weist er einige Alen und Kohorten
mit dem Beinamen pia Melis nach und führt diesen ohne zwingende
Gründe ebenfalls auf Verleihung unter Domitian zurück.
S. 218 ff, verfolgt er den Aufstand des Satuminus, der nach
ihm an der Spitze der 4 obergermanischen Legionen etwa bei Re-
magen durch den „Statthalter von Niedergermanien" Appius Nor-
banus Mitte Januar 89 geschlagen wird. Dann soll die leg. XXII
89/90 nach Obergermanien, leg. XIV nach Pannonien abgegangen,
leg. XXI Rapax im Sarmatenkriege (Sueton Domitian 6) 92 ver-
nichtet worden sein. Doch ist diese ganze Auseinandersetzung
äusserst problematischer Natur.
In einem Anhange S. 234 ff. stellt er eine Berechnung über
den Bestand des untergermanischen Heeres in flavischer Zeit an;
er kommt mit Einrechnung der Flottenmannschaft auf ca. 35000
Mann. Die Besatzung von Obergermanien hatte Mommsen, Rom.
Gesch. V, 108 Anm. 1, auf 30000 berechnet.
&19 Carl Meürers
m. RHEINISCHES AUS ANDERN PROVINZEN.
81 Bei Annonana in Africa ist folgende Inschrift gefunden und
von Poulle, Reeneil de la Soc. arch. de Constantine 1893 S. 261
veröffentlicht, nach neuer Vergleichung abgedruckt von Cagnat,
L'annie epigr. 1893 Nr. 88, aus dem ich sie entnehme:
Q(uinto) Antistio Advente] | Q(uinti) f(ilio) Quir(ina tribu)
Postumio Aq[u]|ilino co(n)s(uli), saccrdoti fetia|li, leg(ato) Aug(usti)
6pr(o) pr(aetore) provinc(iae) Gerfmauiae inferioris, leg(ato) Aug(u8ti)l
at praetenturara Italiae et | Alpium expeditione Germa|nica, cura(tori)
operum locorumq(ue) | publicorum, Ieg(ato) Aug(u8ti) pr(o) pr(ae-
lotore) f provinc(iae) Arabiae, leg(ato) Aug(u8ti) leg(ioni8) | VI fer-
ratae et secundae ad|iutricis, translalo in eani exlpeditioue Par-
is thica qua do|natus est donis militaribus [ coronis niurali, vallari,
au|rea, hastis puris tribus, ve|xillis duobus; praetori, leg(ato) | pr(o)
pr(aetore) provinc(iae) Africae, tr(ibuno) pl(ebi8); selviro eq(uitum)
R(omanorum), q(uae8torl) pr{o) pr(aetore) provinc(iae) f Macedoniae,
20 tribuno mil(itum) | leg(ioni8) I Minerviae p(iae) f(ideli8), IUI vir(o)
I vianim curandarum |
Sex(tU8) Marcius Maximus ob inisignem eins in se beni-
25Volen[tiam 8(ua) p(ecunia) p(osuit). D(ecreto) d(ecurionum).
Eine interessante Laufbahn eines senatorischen Offiziers und
Beamten. Consulat und die Mitgliedschaft im CoUegium der Fe-
tialen steht voran; dann folgen die Aemter in umgekehrter chrono-
logischer Reihenfolge; einige kurze Bemerkungen über sie mögen
hier stehen:
1. Bekleidet er das Quattuorvirat viarum curandarum (Momm-
sen St. R. I', 554). In dieser Stellung wurde ihm schon eine In-
schrift gesetzt, die erst durch unsere Inschrift die richtige Ergän-
zung erhält (Eph. Epigr. V, 854).
Q(uinto) Antistio Q(uinti) f[(ilio) Quir(ina) (tribu)] | Advento
Po8tu[mio Aqui]lino IUI vir(o) viaru[ni cur(andaruni)].
2. War er tribunus militum der Bonner legio I. Minervia; es
ist der fünfzehnte, den wir kennen (siehe Schilling a.a.O. S. 90);
dieselbe Beförderung CIL. VI, 1517.
3 — 7. Weiterhin war er quaestor in Macedonien, sevir equitum
Romanorum (Mommsen R. Str. IP, 826), tribunus plebis und legatus
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 213
propraetore in Afriea; da mag er die Verbindung angeknüpft haben^
wegen der bedeutend später diese Inschrift gesetzt worden ist;
schliesslich erhält er die Praetur.
8. Er wurde dann als Legat in die leg. II. adiutrix versetzt.
Als solchem setzte ihm am 1. März 164 Q. Antistius Agatophus
die Inschrift Dessau 1091. Wohl in Furcht vor dem Kriege. Denn
mit jener Legion nahm erTheil am Kriege gegen die Parther (164/65.
vgl. Napp, De rebus imper. M. Aurelio Antonino in Oriente gestis,
S. 69 ff.); selbst die I. Minervia sollte ja in den Orient (CIL. VI,
1377), mag auch abgezogen sein (? Schi Hing a. a. 0. S. 69). In
diesem Kriege erhielt Antistius die üblichen Auszeichnungen, blieb
dann im Orient, indem er
9. Legat der syrischen Legion VI. ferrata und
10. Statthalter von Arabien wird. In dieser Eigenschaft wird
ihm die Inschrift (CIL. III, 92) aus Bostra in Arabien gesetzt:
Q.] Antistio Ad(vento), legato). Augg(ustorum) pr(o) pr(aetori).
co(n)s(uli) . des(ignato) . [optio|n]es leg(ionis) III Cyr(enaicae).
11 — 13. Er hat dann wohl das Consulat bekleidet, mag zu-
gleich fetialis geworden sein (vgl. z. B. CIL. VI, 1517), erhielt dann
das konsularische Amt eines curator operum locorumque publicorum
(Mommsen St. R. II», 1047 flf-).
14. Die Stellung, in die er darauf eintritt, scheint neu zu sein;
ich weiss wenigstens kein anderes Beispiel:
leg(atus) Aug(u8ti) at praetenturam Italiae et Alpium.
Die praetentura (über des Wortes spätere Bedeutung siehe Ammian.
Marcell. 14, 3, 2; 25, 4, 11) Italiae et Alpium scheint eine ausser-
ordentliche Grenzsperre gewesen zu sein, welche die EinfäUe der
Germanen in Italien während des Partherfeldzuges und im Beginne
des Markomannenkrieges nöthig gemacht hatten. Meilensteine einer
ebensolchen praetentura aus Mauretanien bei Cagnat L'annee^ ^pigr.
1892, 116; 1893, 105. Dies Amt mag Antistius 170 bekleidet
haben.
15. Nun wurde er Statthalter von üntergermanien und
schliesslich von Brittannien; letzteres nach der Setzung unserer In-
schrift, aber erwiesen durch CIL. VII, 440:
num(ini) Aug(usti) et gen(io) coh(ortis) I F(laviae) VarduUorum
c(ivium) R(omanorum) eq(uitatae) sub Antistio Advento leg(ato)
Aug(usti) pr(o) p(raetore) F(lavius) Titianus trib(unus) d, e. d(edi-
cavit?).
214 CarlMeurer:
82 Eine ßtadtrömische Inschrift (Bienkowski, Mittheil, des
deutsch, arch. Instituts, Rom. Abth. VII S. 197 ff. tav. VI).
L . Cornelio .L.f. | Gal(eria tribu)Pu8ioni | III[I vi]r(o) viar(um)
5 ourandar(um) | , tr(ibuno) mil(itum) leg(ionis) XIIII geminae f , quae-
stori, trib(uno) pKebis), pr(aetori), legat(o) | Augusti leg(ioni8) XVI [
M. Vibrius . Marcellus | c(enturio) leg(ionis) XVI.
weist uns einen Tribunus militum der XIV. Mainzer Legion (in Mainz
bis 43) und einen Legaten der XVI. obergermanischen Legion (auf-
gelöst durch Vespasian) auf. Es ist der zweite Legat dieser Legion,
den wir kennen (der andere Henzen 6795). Ritterling setzt die
Inschrift noch unter Tiberius (Westd. Zeitschr. Korr. XII, 80).
IV. AUS DER LITTERATÜR.
83 Ritterling, Zur röm. Legionsgeschichte am Rhein. Westd.
Zeitschr. XII, 105 ff. I. Zur Geschichte der Legio L Adintrix.
Nach Ausweis der Mainzer Grabsteine (ygl. M o m m s e n Her-
mes XIX, 1 ff . Doraaszewski Rh. Mus. 46, 602) hat die
grösstentheils aus pannonischen und dalmatischen Flottensoldaten
gebildete Legion spätestens 73 in Mainz gelegen. Die handschrift-
liche Lesung bei Tacit. Hist. IV, 68 sexta ac prima ex Hispania
accita sei richtig und beweise, dass die Legion 70 nach Germanien
geschickt worden sei (vgl. jetzt auch Wolff, Frankfurter Archiv
3. F. IV, 332).
84 Ritterling identificirt Westd. Zeitschr. Korr. XII, 51 das
Novia auf der Inschrift Wilma uns 1459;
'C Vesnio C. f] Stel(latina) Vindici trib(uno) mil(itum)
Ieg(ioni8) VIII Aug(ustae), quo militante, cum liberata esset Novia
obsidione, legio pia iidelis constans Commoda cognominata est*
mit dem Nobia in der Aufzählung der Moselstädtchen beim 6eo-
graphus Ravennas IV, 26, und dieses wieder mit Noviomagus-Neu-
magen, hält aber auch wegen CIL. VI, 3891 für möglich, dass in
jener Inschrift Novia Speier sei.
Die Ertheilung der Beinamen p. f. Commoda bezieht er auf
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 215
den Aufstand des Maiernas (Herodian I, 10 vgl. Vita Commodi 13, 5).
S. auch Riese, Das rhein. Germanien (I), VI, 60.
85 0. Schilling, Leipz. Studien XV, 1 ff. De legionibus I.
Minervia et XXX. ülpia spricht in dem I. und IL Kapitel über
Ursprung und Namen der beiden Legionen, kommt fllr die Bonner
zu denselben Resultaten, die Ritterling in seiner Dissertation
gefanden und jüngst weiter ausgeführt hat (vgl. oben Nr. 80), nur
dass er mit GlQck Ritterlings Datirung der Gründung dieser
Legion (83/84) zurückweist.
Die Xantener Legion lässt er 98 an Stelle der XXI Rapax,
die 92 im Sarmatenkrieg vernichtet wurde (so auch Ritterling
jetzt, s. o. Nr. 80), aufgestellt werden.
In der Feststellung der weiteren Schicksale der I Minervia
(Cap. III) schliesst er sich mit Recht an die Ausführungen Do-
maszewskis (Arch. epigr. Mittheilungen aus Oesterreich XV,
183 ff.) an; bemerkt dann richtig (Cap. IV), dass sie in den
Partherkrieg unter Marc Aurel wohl thatsächlich eintritt (vgl. oben
Nr. 8); der Zusammenhang, den er zwischen belgischen Münz-
funden und dem Abmarach der Legion (S. 61) statuirt, bestätigt,
was wir sonst über die Bewegungen der Geimanen unter Marc
Aurel wissen.
üeber die weiteren Schicksale der Legion, sowie über die
der XXX erfahren wir nichts Neues.
Cap. V und VI geben Verzeichnisse der bisher bekannten
Officiere und Soldaten der beiden Legionen; Ritterling, Westd.
Zeitschr. Korr. XII, 260) trägt schon 2 Legaten nach (Westd.
Zeitschr. XI, 279 und CIGr. 4029), einen neuen tribunus militum
der I. Minervia s. oben Nr. 81.
Ein Anhang (S. 85 ff.) gibt eine Sammlang der Inschriften,
in denen die beiden Legionen erwähnt werden.
86 Th. V. Grien her g er erklärt im Eranos Vindobonensis 1893
S. 253 ff., das h in den Endungen der Niederrheinischen Matronen-
namen: -ehae und -henae (inUebereinstimmungmitCorssen, üeber
Aussprache der lat. Sprache P, 111) für einen blossen Hiatusbuch-
staben, wie in mehe u. ähnl., identifizirt also die Endungen mit
den lateinischen Ableitungssuffixen -eus (eins, eiius) und -enus.
In der That erscheint auch zweimal nach ihm das reine Suffix
eus in den Endungen der Matronennamen (B. J. 87, 215 und Ihm,
215; aber die letztere Inschrift ist auch sonst verschrieben; und
216 Carl Monier:
sonst heissen die matres der zweiten Inschrift Vaccal(l)inehae (Ihm,
225 nnd 224).
Er sucht seine Hypothese zu stützen durch die Annahme, dass die
Namen auf ehae alle durch das „patronymische" Suffix eus von Volks-
oder Stammnamen hergeleitet sind, diese ihrerseits wieder z. Th. durch
das Suffix -in(u8) von Ortsnamen herkommen; die auf -enae führt
er direkt auf Ortsnamen zurück, die ihrerseits wieder von Flnss-
namen gebildet seien (S. 267). Eine Reihe von Beispielen erläutern
den Hypothesenbau, dessen Fundament übrigens nicht allzu stark
mir dünkt.
Sprachlich vor Allem bedenklich ist eben, dass das h niemals sich
in dies lateinische Suffix eingeschlichen hat, während es am Nieder-
rhein von vornherein sich festgesetzt und so gut wie ausschliess-
lich behauptet haben müsste.
87 Ebenderselbe leitet W.estd. Zeitschr. Korr. XII, 52 den Namen
der Nimpae Volpinae aus Tönnisstein (Klein B. J. 84, 63) von
dem fluvius Vulpis der tabula Peutingeriana II e ab, den er in der
Tinöe, einem Zuflüsse des Var wiederfindet.
In den Schriftzügen dieses Steins will er Ansätze zur deutschen
Runenschrift erkennen — letzteres wenigstens ohne allen Grund.
88 G. Wolff, Die römischen Ziegeleien v. Nied bei Höchst am
Main und ihre Stempel (Archiv fltr Frankfurter Geschichte. 3. F. IV
S. 312—346).
Die Kapitel I, II, III Orientiren über die Ausgrabungen, die
Anlage der Ziegelöfen, über Herkunft und HerbeischaflPnng des Ma-
terials in erschöpfender Weise. Kap. IV giebt eine äusserst sorg-
fältige Zusammenstellung der Nieder Ziegelstempel, denen die gleich-
artigen Typen aus dem benachbarten Museum beigegeben sind
(Epigraphisch wichtiges daraus oben Nr. 44 flf.). Anhangsweise sind
auch die bis dahin nicht berührten Namenstempel aus dem Mann-
heimer Museum (S. 316 flf.) angereiht. Die beigegebenen Tafeln III
bis IV zeigen die verschiedenen Formen der Stempeleinfassung und
ihrer Schrift. Kap. V verbreitet sich über die wissenschaftliche
Bedeutung der Funde.
Wolff hat hier eine der von ihm schon 1885 vermutheten
Centralziegeleien wirklich gefunden. Für die Geschichte der Fabri-
kation der Legionsziegel ergeben sich ihm etwa folgende Sätze:
Kurz vor 70 kommt am Rhein die Sitte auf, Militärziegel mit
dem Stempel der Truppentheile zu versehen (S. 339).
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893. 217
Zwei Gruppen scheiden sich; die ältere hilden die Ziegel der
1. und 21. Legion, sowie die der I. asturischen Kohorte. Sie gehören
sämmtlich dem ersten Jahrhundert an; zu ihnen treten die der 8.
Legion, die später ausserhalb des Bereiches der Nieder Ziegeleien
sich befindet und weiter südlich stationirt ist.
Eine Uebergangsgruppe stellen die Ziegel der 14. Legion dar,
welche wahrscheinlich länger, als die beiden oben genannten Le-
gionen, in Germanien blieb.
Die zweite, jüngere Gruppe wird ausschliesslich yon den Zie-
geln der 22. Legion gebildet, sie hatte eigentlich erst eine Central-
ziegelei in Nied, versandte von da aus in ihren ganzen Bereich ihre
Ziegel. Nur bei ihr treten die Namen der „Ziegelbrenner" hinzu —
eine, wie es scheint, spätere Erweiterung der Legende (S. 343).
Die Centralwerkstätte für den Ziegelbetrieb ist durch Wolffs
sorgfältige und meisterhafte Untersuchungen erwiesen; wichtige Ge-
sichtspunkte sind fllr die Forschung auf diesem bisher vernach-
lässigten Gebiete gewonnen. Aber unklar ist noch, wie Wolf f selbst
weiss (S. 343), das Verhältniss der Centralziegelei zu den Ziegeleien
der Kastelle, und gerade darum bleibt noch die Frage offen, welche
mir die wichtigste zu sein seheint: Sagt uns der Stempel wirklich
nur mehr, wer ihn hat brennen lassen, nicht zugleich auch noch,
wer ihn verbaut hat?
218
Carl Mcurer:
Register^).
I.
Die tria nomina.
Q. Antistius Adventus Q. f. Quir(ina
tribu) Postumius AquiHnu8 81.
C? Avitius Fortis 52 n.
Aurelhis Vin(icius ?) Eucarpus 37.
L. Ca Sev(eru8?) 52 o.
. Cal Strabo 52 u.
Claudius Quartinus 22.
L. Cornelius L. f. Galeria (tribu)
Pusio 82.
Domitia Lupula 35.
C. Do Senex 52 y.
Flavius Probus 1.
Fortionius Dubitatus 25.
GratiuK Vapo 6.
Helvius Camulus 52 q.
Helvius Montanus 52 t.
lucundius Victorinus 26.
lulius Auffur 52 i.
lulius Bellicus 52 k.
lulius TiumuniB 521.
lulis Primus 52 h.
C. lunius Frontinius 39.
Justius Attianus 19.
L. Martius Aer .... 52 s.
Masclionius Primus 29.
Mi [De?]vatus 52 f.
M Devatus 52 l.
Patruinius Mansuetius Tertius 17.
Primus Montanus 49 a.
M Severinus 24.
Sentius Sabellus 52 z.
Tertinia Fiorentinia 77.
M. Ulpius Noreiianus 38.
S. Valerius Felicio 40.
S. Valerius Peregrinus 40.
Valerius Prise 52 v.
Q. Valerius Sab(ell)i(o ?) 69.
Verinius Friattius 32,
C. V. V. 52 m.
II.
Die cognomina.
Adventus 81.
Aer. 52 s.
Apra 32.
Aprilis 13.
Aprilis? 5.
Aprilio 32.
Aquilinus 81.
Aquilo 15.
Artus 13.
Attianus 19.
Augur 52 i.
Bellicus 52 k.
Camulus 52 q.
Claudius 43.
Dercomognus? 13.
Didius 52 g.
Dubitatus 25.
Eukarpus? 37.
Eutices 42.
Felicio 40.
Flavius? 4.
Fiorentinia 77.
Fortis 52 n.
Friattius 32.
Frontinius 39.
lerax 42.
Immuuis 521.
Innocentia 32.
lulia? 3.
Lupula 35.
Martina 15.
Montanus 49 a.
Montanus 52 t.
Nantuasius 4.
Noreiianus 38.
Olympus 42.
Oppili .... 12.
Peregrinus 40.
Postumius 81.
Primus 29.
Primus 52 h.
Prise 52 V.
Pupus 24.
Pyramus 42.
Quartinus 22.
Sabellus 52 x.
Sabellio? 69.
Secundinus 70.
Secundus? 52 p.
Semperonius?? 52 d. 50 h.
Senex 52 y.
Severus 52 o.
1) Die Namen der Thonfabrikanten sind Nr. 73 alphabetisch ge-
ordnet und fehlen natürlich hier; ebenso sind die nach den Nummern
geordneten Truppentheile der Stempel nicht mit aufgeführt.
Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893!
219
Speratus 24.
Strabo 52 u.
Ursula 34.
Victorinus 26.
Vin(iciu8?) 37.
III.
Kaiser.
Imp. Caesar divi Traiani Parthlci f.
divi Nervae nepos Traianns Aug.
pont. max. trib. pot. XVIII cos.
III p. p. 22.
Imp. T. AeLHad. Anto. Aug. Pio trib.
pot. COS. 21.
Imp. Caes. Tit. Ael. Had. Ant. Aug.
Pio pon. max. trib. pot. cos. IIII
p. p. 20.
lulia Mamea Aug. mater Severi Ale-
xandri Aug. castrorum senatus
patriaeque 30.
Valentinianus ]
Valens [ddd. nnn. 1.
Gratianus J
IV.
Konsuln.
P. Licinio Pansa L. Attio Macro(ne)
COS. 134 22.
Antonino Pio cos. III 20.
Q. Antistius Adventus. 114 81.
Imp(eratore) Com(modo) V. A(cilio)
G(labrione) [cos] 186. 29.
Muciano et Fabian o cos. 201 40.
duobus Aspris cos. 212 25.
Gratiano IT et Flavio Probo 371 1.
V.
Honores.
curator [Vede?]ntium 78.
decurio 19.
legatus Aug. leg. XVI. 82.
missus adv. hh. pp. in regionem
Transpadanam 78.
leg. Aug. at praetenturam Italiae
et Alpium expeditione Germanica
81.
leg. Aug. provinciae Germaniae in-
ferioris 81.
Legat von Obergermanien 22.
praefectus frumenti dandi plebi Ro-
manae 78.
subcura .... praepositi 1.
tribunus miiitum leg. I. Minerviae
81.
tribunus miiitum leg. XIV. 82.
vir clarissimus' 1.
VI.
Gottheiten.
genius 16.
genius hastiferum 33.
genius turmae 19.
Hercules 23.
lovi optumo 4.
lovi optumo 6.
lovi optumo max im 0 4.
lovi optumo maxumo 25, 38.
lovi optumo maximo sacrum 39.
Marti 26.
Marti Leucetio 24.
Matres: Avehecannoae: 40.
Avehae \ .q
Hellivesae f *"'
Quadrubae 35.
Deo invicto Mtthrae 14.
Nimpae Volpinae 87.
Victoria 24.
VII.
Militärisches.
Ala Indiana Gallorum 22.
Centuria Primitivi coh. I. Bituri-
gum 29.
cxpl oratio Halicensls ? Alexandriana
legio I. Fiavia Minervia p. f. Do-
mitiana 83.
legio I. Minervia 84, 85.
legio I. adiutrix 83.
legio VIII Augusta p. f. Commoda
84.
leg. Vni Augustanensium ? 1.
leg. XXV centuria Primi Montani
49 a.
XXX Ulpia 85.
numerus Brittonum 20.
turma luli Attiani 19.
expeditio Germanica 81.
Militärdiplome 18; 22.
Namen von Truppenkörpern, die
vom Standquartier abgeleitet sind.
20. 30.
VIII.
Verschiedenes.
Formeln :
in honorem domus divinae 24. 25.
amatori vitam semper 2.
220 Carl Meurer: Aus der rhoiniacheu Epigraphik des Jahres 1893.
coniugi salutem 15.
vivas 36.
utere felix 27.
ex reditu ipsarum 40.
vissu iussus 39.
defuncto sibi et suis superis 5.
qui vovit, solvit 1. L? 14.
Korporationen:
aurigae 42.
hastiferi 33.
Geographisches :
templum divi Augusti ad Miner-
vam 18.
civitas Haliquensinm et Chalita-
noriim 78.
Germania superior 22.
limes Germaniae 78.
Novia = Noviomagus? 83.
civitas Ulpia Suebonini Nicretum
77.
cives Treveri 24.
Verwandtschaften :
coniux 15.
fratres 40.
vidua 12.
Namengebung :
Sextus Namen zweier Brüder. 40.
der Name des Sohnes abgeleitet
von dem der Mutter 32.
Rheinische Matronennamen 86.
Grammatisches :
annibus für annis 34.
cives für civis 77.
innocis für innocens, diens für dies
34.
qui statt quae 32.
curayit für curaverunt? 32.
c = g 47b.
gm = g(e)m(ina) 47d,e.
D B Domitiana 80.
va = vale 42.
Alphabet 13.
burgus 1.
Devotionsinschrift 13.
II. Litteratur.
1. £ dm. Meyer, Untersuchungen über die Schlacht im Teuto-
burger Walde. Berlin 1893. 232 SS. 8«.
Erklärlich war und ist das Verlangen der Deutschen und Ausländer,
der Geschichtskundigen und Laien, die erste grossartige Kundgebung
der sesshaften Germanen und zugleich den ersten erschütternden Schlag
auf das römische Kaiserreich — die Varusniederlage — genau beleuchtet zu
sehen und insonderheit Bestimmtes über ihre Oertlichkeit zu erfahren,
nachdem die Alten hierüber nur vage oder zweideutige Nachrichten
hinterlassen haben. Schon im Mittelalter nicht völlig übersehen, wurde
der Schauplatz des Weltereignisses da und dort, von Otto v. Frei-
singen*) sogar bei Augsburg gesucht, von den Humanisten*) zunächst
schlechthin in 's Cheruskerland ^ und dann einstimmig für immer nach
Westfalen verlegt. Nur der Schlachtort selbst, der saltus Teutoburgiensis
blieb strittig bis auf den heutigen Tag.
Spalatin (1539), Cuspinian (1540) und anderen Gelehrten lag er ein-
fach zwischen Ober-Ems und Lippe, wieder anderen wie Mol 1er us (1570)
enger begrenzt bei Delbrück und Gigas (1620) im Hügellande zwischen
Stromberg und Liesbom.
Daneben lenkten schon bald verschiedene Umstände, äusserst merk-
würdige Funde von römischen Alterthümern, die bedeutsam in die Wag-
schale fielen, und der Name des Fundortes „Winnfeld^ (bei Hörn) das
Augenmerk Hamelman*s 1566 (und jedenfalls auch Melanchthon*sl559)
auf ein östlicheres Revier, nämlich auf das Lippische Land. Diese Ansicht
fand dann^) bei den Lippischen und Paderbomer Gelehrten voUen Beifall,
1) Chronicon TU. c. 4.
2) Bei B. Wittius (c. 1620) Historia Westphaliae ed. 1778 p. 45, 46
findet sich über die Römerinvasion nur eine äusserst dürftige Vor-
stellung.
3) Fr. Irenicus (1518), Exegesis historiae German. Hanoviae 1728,
p. 223.
4) Das Castell Aliso musste besonders auf C luv er s (1616) scharfes
Andringen Wesel und andere westliche Standorte verlassen und ziuneist
laut Horrions Panegyricus (1616) die Lippe bis Elsen beziehungsweise
222 Ed m. Meyer, Untersuchungea über die Schlacht im Teutoburgerwalde.
durch diese weite Verbreitung und, nachdem sie von F. v. Fiirsten-
berg (1672) mit dem gelehrtesten Apparate bekräftigt war, erhob sie
sich zu allgemeiner Gültigkeit bis 1764. Nun wies der kritische GrupenM
auf das östliche Münsterland zurück, daneben auf die Senne bis Lipp-
stadt, Delbrück, Rietberg und das Osnabrückische Amt Reckenberg.
Im Stifte Osnabrück erregte alsbald auf der Tecklenburger Seite
der Name des Düteflusses Aufmerksamkeit^) und stachen dem alten
Moser 1768 in der „Osnabrückischen Geschichte* die Düstrupper Berge,
sowie E. Stüve (1789) geradeeu die Tecklenburger Grenzhöhen in's Auge.
Plötzlich wie hier das Schlachtfeld in den Norden des Landes, rückte es
1792 bei Mannert in den Süden der Lippe (bei Peterseli 1823 und bei
Hülsenbeck 1878), während Heinrich 1787 dem Münateriande wieder
den Vorzug gab.
Kaum hatten die Freiheitokriege auch die Varusschlacht wieder in
freudige Erinneriuig gebracht, da kamen die meisten Stimmen auf das
Lippiscbe Land^) zurück^) und dieser Annahme gab, wie einst Fürsten-
berg, so jetzt Clostermeier (1822) solchen Nachdruck, dass sie geraume
Zeit (selbst für Ledebur 1827) massgebend wurde.
Von schwachen Kundgebungen ^) abgesehen, entfachte sich der Orts-
Neuhaus aufwärts ziehen (cf. F. de Fürstenberg, Monum. Pader-
born. 1672 p. 9, 10), und diese Lage hatte gegenüber den seit 1764 stetig
gesteigerten Anfechtungen noch in unserem Jahrhunderte Anhänger oder
Vertheidiger an Müffiing, (Schmidt?), Giefers und Deppe.
1) Origg. Germaniae. Lemgov. p. 128.
2) Als wiederum G r u p e n 1. c. 1,93 für Aliso einen westlicheren Platz
vorschlug, trat Kleinsorgen 1779 mit wenig Worten und vielem An-
klänge (z. B. bei Ma nn ert 1792) für Liesborn-Cappel ein, wie
später Ledebur 1827 (mit ausgiebiger Begründung), Erhard, Schmidt?,
Peucker (1864) und Schneider.
3) Noch für die heutige Forschung werthvoU sind die während der
Fremdherrschaft von dem französischen Divisiona-General So kein ick i
mit Rücksicht auf vorfindliche Alterthümer angestellten Recherches sur
les lieux, oü p^ritVarus avec ses l^gions; extraites d*un Journal de vo-
yage fait en 1810 im Moniteur universel du 9. mai 1812.
4) Auch. Aliso erhielt neue Plätze, so 1823 zu Elaey a. d. Lenne^
1816 zu H a m m - N i e n b r ü g g e, worauf 1822 selbständig Schulz kam
(unter N i e b u h r s Zustimmung), und 1878 E s s e 1 1 e n alles Gewicht legte,
wie heute K n o k e u. A., welchen die Oertlichkeit gerade passte. —
Bardeleben versetzte es 1839 und Veit 1891 nach Haltern,
Hülsenbeck 1873 nach Lünen, wo er in Wirklichkeit ein römisches
Lager entdeckt hat. Der von Hölzermann aufgebrachte und neuest-
hin von Andern übernommene Standort wird im Texte noch vorkommen.
5) Darunter jene eines kühnen Federknappen (G. F. Koni g) von
1841 zu Gunsten des rechten Weser-Ufers bei H. Böttger, Hermann
der Cheruskerfürst 1874 S. 11; sie erinnert an die Deutung Lupia =
Hunte und Aliso = Hünteburg. Frühere Stimmen für Römstädt im Thü-
ringerwalde (1704), für das Zwischenland von Wesel und Rees (1793), für
Warendorf (1810), für Ratingen (1820) registrirt C. F. Petersen, Kirch-
sprengel Weitmar 1823, S. III.
Edm. Meyer, Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburgerwalde. 22S
streit erst wieder 1852, seitdem nämlich E s s e 1 1 e n mit D e d e r i c h (1854)
und R e i n k i n g (1855) die längst vergessenen Hügel des Münsterlandes
und zumal die Beckumer Anhöhen, ihre Funde und Denkmäler ernstlich
für das Schlachtfeld in Anspruch nahmen. Dagegen vertbeidigte seit 1855
Giefers die alte Lippländische Hypothese zwar unermüdlich, doch fast
jedes Mal nur mit beredten Gründen, insofern seine Gegner „mehr
Gewicht auf alte Gräben, Wälle u. dgl., als auf die Angaben der Schrift-
steller gelegt'' hatten.
Die Fehde schwebte im Anfange wesentlich unter westfälischen
Gelehrten, berührte jedoch allmählig auch auswärtige Forscher; ihr Ver-
lauf gab den Anlass zu einem bedeutenden Aufschwünge der Denkmäler-
forschung und namentlich zu den gründlichen Ortsuntersuchungen Hül-
senbecks (seit 1871).
Wie bekannt, erhob sich die jüngste litterarische Woge über den
Varianischen Kriegsschauplatz vorzüglich unter auswärtigen Forschem und
sie führte nochmals zu lehrreichen Ergebnissen, als Mommsen seit 1885
mit Andern plötzlich das Schlachtfeld im Anschlüsse an Münzfunde zu
Barenau hierher^), d. h. so fem in den Norden Westfalens verschob, als
bis dahin nur einmal von Sondermühlen(1875) versucht war. Sogleich
erfolgte Einspruch namentlich von V e 1 1 m a n n (1885) , der im Wesent-
lichen die Art, wie im vorliegenden Falle Münzfunde als Beweismittel
herangezogen waren, bekämpfte, indessNeubourg Quelleninterpretation
und römische Fundstücke wiederum für das Fürstenthum Lippe aufbot.
1887 (1889), rückte K n o k e den Schauplatz wieder südlicher in bekannte
Gebiete — in das Osnabrücker Bergland, genauer in die Tecklenburger
Grenzhöhen, und nachdem dann noch Zangemeister (1887) heftig
Mommsen's Hypothese verfochten hatte, verbanden Andere die Schlacht
von Neuem mit dem Lippischen Lande, Höfer (1888) mit umsichtiger
Begründung, einzelne. Militärpersonen nicht ohne Beihülfe der Phantasie^).
So nahmen sich im Allgemeinen die Oertlichkeiten^) der Varianischen
Niederlage in der Litteratur aus, da erschienen neuesthin M e y e r's Un-
tersuchungen gewiss zeitgemäss, und wie ihr Gesammtresultat ist, auch dan-
kenswerth. Sie behandeln zunächst zwei Fragen, welche bedeutsam in die
Varuskatastrophe hineinspielen: S. 5—66 das strittige Datum derselben
und S. 56—195 wie einen Schwerpunkt die besonders seit Ranke (W.-G.
1) Von hier bis Damme B ö c k e r 1887.
2) Vgl. über diese litterarische Bewegung H. Hartmann in den
Mittheilungen des historischen Vereins zu Osnabrück 1889, XIV, 1 ff. 41,
E. Hübner in den Bonner Jahrbüchern des Vereins von Alterthums-
ftreunden im Rheinlande 1889 H. 88, 66 ff. und Meyer passim.
3) Sofern eine davon mehrere Anhänger hatte, wichen diese wieder
von einander ab in der nächsten Ortsbestimmung, und zumal in dem An-
fangspunkte (vffl. Deppe, Bonner Jahrbücher 89, S. 72), oder im End-
punkte der ScUacht.
äö4 Edm. Meyör, Üntersüchttngfen über die Schlacht Im Teutobüi'getwalde.
1883, 3, 1, 25 f.) immer weiter getriebene Verdächtigung oder Verurthellting
des Schlachtberichts von Dio Cassius. Beide Male beruht die geschickte
Darstellung auf weiter historischer und litterarischer Umschau, auf kriti-
scher Prüfung der Quellen und strenger Sichtung der gegentheiligen
Lehren. Das Jahr 9 nach Christus erhält (S. 85) den Vorzug vor dem
J. 8, das Tagesdatum dreht sich um den 1. August und rückt möglicher
Weise noch über die Mitte des Monats vor. Dio Cassius erfährt eine
vollständige Ehrenrettung; sein Bericht ist in allen Punkten zuverlässig
und glaubwürdig bis auf einen Irrthum, der indess unter keinen Um-
ständen ausreicht, den Gesammtbericht zu verwerfen (S. 179). Kurzum
beide Untersuchungen sind darnach angethan, klärend und befruchtend
auf die künftige Auffassung und Behandlung der Varusschlacht einzu-
wirken. Die letzte Untersuchung über die Schlachtgegend (S. 196—232)
verwirft die Barenauer und die übrigen Hypothesen zu Gunsten des
Lippischen Landes und trifft hier selbständig eine nähere Ortsbestimmung.
So philologisch exakt auch die Ausführungen und die Polemik hinfliessen
— die Litteratur, die Funde und die landschaftlichen Zustände, welche
dabei eingreifen, lassen an Vollständigkeit und sicherer Gewähr zu wün-
schen übrig. So fällt vom saltus Teutoburgiensis das Eigenschaftswort
Toyt (Teut) S. 214 nur schwach ins Gewicht, weil in der geographischen
Verbreitung und sprachlichen Deutung nur mangelhaft ausgenutzt (vgl.
Hülsenbeck, Paderborner Gymnasial-Programm 1878, S. 37, 41); über-
haupt geniesst beim Verfasser (S. 210) die Ethnographie wenig Ansehen —
sie, welche doch stellenweise überraschende Aufschlüsse über ältere Zu-
stände gibt (Westf. Zeitschr. 29, I, 148) und längst als wesentliches Hülfs-
mittel bei der Erörterung der wichtigen Frage (vgl. Meyer S. 209 f. 200)
diente: wie ist der Wohnsitz der Ultimi (kleinen) Bructeri zwischen der
Ober- Ems und Lippe zu umgrenzen? (Zeitschr. f. Preuss. Gesch. u. Landes-
kunde 1883 Bd. XX, 193). Auch breitet sich die Senne nicht bloss im Süden
des Lippischen Waldes (Meyer S. 200) aus, sie nahm vielmehr von der
Lippe und zwar von Lippstadt als ungefährem Westpunkte ihren An-
fang, schweifte als sinethi um die Delbrücker und Wiedenbrücker Oase
zunächst nach Norden, um dann in nordwestlicher Richtung als Bruch-
zone zu enden, vormals, wie überall in Germanien die Einöde (Caesar
Bell. Gall. VI, 23; v. Peucker, Deutsches Kriegswesen der Urzeit H, 349),
eine Stammes- und Völkerscheide, später die Ostgrenze des Münsterlandes,
als welche also (mit Meyer S. 205) der Osning keinesfalls gelten darf
(Zeitschr. f. Preuss. Gesch. u. Landesk. XX, 195, 201). Sie war in der
Nähe des Lippischen Waldes wohl mit trägen Bächen und seichten Wassern
bedeckt (vgl. Westf. Zeitschr. XV, 371), indess niemals ganz Moorland,
dies aber sicher (vgl. Meyer S. 215^ 217) in der um 1760 entwässerten Mose
bei Mastholte (Westfäl. Zeitschr. 20 S. 288) und ebenso in der Umgebung
von Delbrück und Kietberg; dort und hier wurde bis in unsere Zeit Torf
fidm. Meyer, Üntefstictiuugen über die Schlacht im l'eutobul'gfei^walde. Ö2S
gegraben (das. 14, S. 106, 372) und hier 1123 das „Dreckslot" angelegt i).
Mit dieser Anlage begann die weitere Besiedelung und sie endigte erst
nach Jahrhunderten mit der Einrichtung der jetzt bestehenden Pfarreien
(vgl. das. 37, II, 34, 35; 44, II, 70, 96); die dürre, graue Decke empfing
die Senne weder zum kleinsten, noch „zum grössten Theile** mit dem
vom (östlichen) Gebirge herübergewehten Flugsande; dieser ist hier so
gut, wie auf den nordwestlichen Heiden die Ablagerung eines Inlandeises,
das im Wesentlichen von Nordwesten eingebrochen (West ho ff, in Natur
und Offenbarung 1892 B. 38, S. 84 ff). Zu den WaldbestUnden, welche
Meyer in Lippischer Nähe bekannt geworden, kommen ungefähr westlich
davon andere zu Westerloh, Westenholz und Mastholte ^), wie hier die
Ortsnamen, und noch weitere zu Rietberg, wie hier die beim Torfmachen
aus der Tiefe hervorgeholten Holzkloben beweisen. Dass ihren Strich
von Neuhaus bis an die Ravensberger Senne (Gütersloh) und namentlich
die Oase Delbrück allerhand Fundsachen, altes Pfahlwerk (Corresp.-Bl. f.
Anthropologie XX, 4), römische Münzen und Todtenurnen auszeichnen
(Westf. Zeitschr. XIV, 372; Schneider, Heer- und Handelswege IX, 8)
dass die römische Emsuferstrasse, streckenweisa noch in Wällen erhalten,
in südwestlicher Richtung über Wiedenbrück, Delbrück (Bonner Jahr-
bücher des Vereins von Alter thumsfreunden 69, S. 33) gen Paderborn,
eine andere bedeutende Verkehrsader von Wiedenbrück nach Lippstadt
(Hülsenbeck, Paderborn. Gymn. -Programm 1878 S. 7) die Senne durch-
schnitt, dass aus dem Westen von der Glenne her eine „Heidenstrasse^
(wenn Hölzermann zu trauen) südöstlich auf Lipperode und glaub-
würdig eine andere über Delbrück auf Haustenbeck und eine dritte ge-
rade gen Osten wahrscheinlich auf Hörn und von Delbrück jedenfalls ein
Abzweig in die Dörenschlucht ging (vgl. Meyer S. 223, 207), ja dass auf
deren uralte Strasse Funde von Urnen und allerlei Römermünzen der
Umgegend hindeuten (Corresp.-Bl. d. Gesammt- Vereins 1878 S. 25, Westf.
Zeitechr. XX, 296, 293) — davon verlautet bei Meyer Nichts. — Unter
den Plätzen, welche man seither für Aliso ausgab, berüclc sichtigt er
nur eine Mehrzahl und gibt er Hamm-Nienbrügge den Vorzug, obschon
doch seit Jahren ernste geographische Bedenken dagegen ausgesprochen
sind. (Kunst u. Gesch., Denkmäler d. Prov. Westfalen I, 56.)
Während er im Lippischen nach römischen Fortificationen und
zumal nach Altschieder ausschaut, kommen ihm dort von der ausser-
1) £ine Ortschaft Rehtbergi schon genannt in der Translatio s.
Alexandri. Mon. Germ. Hist. SS. II, 68.
2) Für jene, welche die Varusschlacht nach mittekilterlichen Kund-
gebungen mit der Gnitaheide in Verbindung bringen wollen, sei hier,
nachdem dieselbe Westf. Zeitschr. 46, II, 123 zwischen Boke und Hörn
oder bei Schötmar (Höfer, Zwei Schriltstücke 1898 S. 294) vermuthet ist,
bemerkt, dass dieselbe auch nach Ortsnamen zu Westenholz an der Boker
Heide gesucht wird.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCV. 15
226 £dm. Meyer, Ünteröuchungcn über die Schlacht im Teutoburgerwalde.
ordentlichen Menge römischer Münz-^) und anderer Funde (Schneider
H.- n. H.-Wege VIII, 5) beinahe nur Münzen in Rechnung — diese auch
nur stellenweise (S, 215) und nicht nach der nHchsten Fachlittcratur
(Veitmann, Neubourg), sondern nach einer abgeleiteten Niederschrift.
Wenn er dann die alten Römerfunde am Hermannsberge (Menke, Pyr-
mont und Umgegend 1840 S. 27) und die berühmten neuen Funde von
Pyrmont und schliesslich die uralten charakteristischen Ausgrabungen
vom Winnfelde bei Hörn — seit H a m e 1 m a u n stets ein Magnet der
Forschung -> mit Stillschweigen behandelt : heisst da nicht die Benutzung
vorfindlicher Römerspuren ungefähr so viel als Läuten mit einer Glocke,
welcher der Klöppel fehlt? Dagegen vermuthet Meyer S. 201 (ausser
Aliso) ein zweites von Germanicus errichtetes Lippe-Castell — zu Ring-
boke in jenen Erdwerken, welche von Hölzerm-ann für Aliso erklärt
sind. Und welche Bewandtniss hat es damit? Die des Nordufers erwiesen
sich längst als neuere Sandwehren (Westf. Zeitschr. 36, II, 214) und die
Beweismittel H ö 1 z e r m a n n's zu Gunsten des eigentlichen Ringwerkes
in der Hauptsache als Phantasien, wie seine Wege dahin auch (Picks
Monatsschrift IV, 145,* V, 441, VI, 408). Und sollten von einem Germanicus
die Gefahren und die starke Bevölkerung des Südufers unterschätzt
und gerade ein Punkt für die Feste ausersehen sein, von welchem beide
römische Uferstrassen längst nach Norden und Süden abgeschwenkt
hatten? (Schneider, Neue Beiträge z. Gesch. u. Geographie des Rhein-
landes 1878, Folge XI mit Karte, ders. H.- u. H.-Wege VIII, 5, 6, vgl.
Westf. Zeitschr. XVII, 64)*). Trotzdem sich sichere Spuren römischen
1) „Dass erhebliche Summen römischer Gelder damals im Besitze
der Deutschen waren, lässt sich z. B, aus der Nachricht entnehmen, dass
Armin jedem Ueberläufer einen täglichen Sold von 100 Sestertien ver-
sprechen liess, während der römische Legionär für das ganze Jahr nur
900 Sestertien erhielt. . . Wie gross muss demnach die Kriegskasse Ar-
min's gewesen sein, wenn er jedem Ueberläufer einen täglichen Sold
von 100 Sestertien, d. i. 25 Denare oder einen aureus geben wollte.^
Höfer, Varusschlacht 1888 S. 121.
2) Der Weo;e, geschweige denn deren von Zange meister Westd.
Zeitschr. 1887 S. 236 . behaupteten Knotenpunktes entbehrt auch das
Dorf Eisen an der Alme und muss es schon deshalb auf die Stätte Alisos,
wofür es da und dort noch ausgegeben wird (oben S. 173 N. 4) ver-
zichten; selbst Giefers hat an die „Römerarbeif" eines dortigen Stein-
hauses, welche er auf das Wort eines Paderborner „Baumeisters*' erst
„unbedenklich** angenommen hatte (Westf. Zeitschr. 1856 S. 64), später so
wenig wie irgend ein Sachverständiger, selbst mehr geglaubt (vgl. Hül-
senbeck, Castell Aliso 1873 S.26, Schneider, H.- u. H.-Wege VIII, 7),
wie denn auch von Nordhoff bereits 1873 in Holz- und Steinbau West-
falens S. 142, 143 dem Castell nach Frontins Aeusserungen der Cha-
rakter eines Steinbaues entschieden bestritten war. — Wenn Zange-
meister dennoch a. a. O. eine Untersuchung der Elsener Baureste in Vor-
schlag bringt, so hat er von jener Beurtheilung durch Schneider,
welcher doch „notorisch von den Römerbauten und zwar vor Allem auch
Edm. Meyer, Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburgerwaldo. 227
Steinbaues nur in ein paar Fundamenten von Flussbrücken und zwei
bis drei kurzen Wegestrecken vorfinden (Nordhoff, Das Westfalen-Land
1890 S. 5 N. 2), insst sich M e y e r (S. 228) noch auf Hölzer manns „förm-
liches Strassenpflaster* bei Neuenheerse ein, allerdings mit Zweifeln —
in der That gehört dasselbe, „wie jetzt erwiesen, keiner Römerstrasse an**
(Schneider, H. u. H. VITI, 5). Umstände genug macht sich Meyer
mit den Römerwegen, insofern ja wohl Heeresmassen von 20— 30,(XX) Mann
dieselben betraten (S. 218—221) — doch wie wir bereits wiederholt ver-
nahmen, mit wenig Glück. Dafür müssen ihm durchschnittlich die hei-
mischen Strassen Aushülfe leisten, gerade wie bei Hölzermann, der
trotz S c h n e i d e r's Winken (vgl. dessen neue Beiträge XI, 22) seine
Augen vor den römischen Dammstrassen verschlossen und darin nur
Landwehren erkannt hat (S c h n e i d e r das. XHI, 17, H.- u. H.-Wege VIII, 5).
Dass die Römer im Beginn ihrer Kriegsoperationen heimische Wege
nahmen oder vielmehr nehmen mussten, ist ja ebenso selbstredend, als
dass ihnen auf die Dauer die ältesten d. h. die Uferstrassen, die Richt-
wege (semitae) der Wälder (Caesar Bell. Gall. VT, K.- u. G.-D. d. Pr.
Westfalen I, 5, II, 7) und alle übrigen insgesammt wegen ihrer schlechten
Beschaffenheit oder gefährlichen Lage nicht behagen konnten. Ihre voll-
endete Strategie, die Nachricht über neu angelegte aggeres et limites
und die heutigen Funde bekunden einhellig, dass es das erfahrene Kriegs-
volk bei den ersten Schritten in die unwirthlichen Länder auf grosse
militärische Kunststrassen mit Seitenwehren, Wachthügeln und
Lagerstätten absah und dieselben im Vorrücken, d. h. je nachdem eine
Zone unterworfen war, anlegte, beziehungsweise verlängerte. Meyer
ist aber S. 222 eher für die Ausbesserung der vorfindlichen, als für den
Bau neuer Strassen gestimmt. Er erblickt auch offenbar in den Strassen
der Lippe (S. 202, 222) nichts Anderes, als heimische Uferstrassen, wie sein
Gewährsmann H ö f e r und dessen Bürge H ö 1 z e r m a n n. In Wahrheit
haben alle drei keine Ahnung davon, wie neben den heimischen die rö-
mischen Runststrassen noch in Dammresten vorliegen, Sie waren von
Schneider 1878 nachgewiesen und hätten auch Hölzermann (1870)
von denen in den Rheinlanden gründliche Kenntniss besitzt^, ebenso wenig
Notiz genommen, wie von den bezüglichen Aeusserungen früherer For-
scher und der Abbildung des fragl. Steinhauses bei T a p p e, Nachtrag zur
wahren Gegend . . . der Varusschlacht, Essen 1822 S. 9—13. Schmidt
lässt (Westf. Zeitschr. XX, 294) die Sache unentschieden, aber W i e t e r s -
heim sagt : „Ich habe die Oertlichkeit selbst untersucht und statt jenes
römischen Mauerwerks nur eine 200 bis 300 Jahre alte Kellermauer ge-
funden" (bei Essellen, Anhang zur Schrift: Gesch. der Sigambern
1871 S. 32), und Ess eilen setzt hinzu: „Das Mauerwerk ist nichts, als
ein Ueberrest der mittelalterlichen Burg der von Elsen**. Weni^ Zuver-
sicht offenbarte endlich eine sehr alte Stimme in Mallincrodts Neuestem
Magazin 1816 S. 368: „Doch sollen bei der Kirche zu Elsen noch vor
12 und mehreren Jahren grosse Stücke alter Mauerwerke entdeckt sein,
die man für Ueberbleibsel dieser römischen Stadt oder Veste gehalten hat."
228 Edttt. Meyer, Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburgerwalde.
bekannt sein können, nachdem sie bereits von Schmidt in der Nordufer-
strasse bis Dolberg verfolgt^) und seit 1859 publicirt waren. Allein die
Dammstrassen werden von Hölzcrmann (Local-Untersuchungen S. 62,
63), vereinzelt in Worten, aber nie thatsUchliclf anerkannt, und jene des
Südufers, ¥nie es scheint, im Ernste für Schutzwehren römischer Ufer-
gärten (!) gehalten. Wie idyllisch ! Man sollte meinen, auch die „bekannten
(Rück-) Wege" des Cäcina hätten sich näher bestimmen lassen, als bei
Meyer S. 212. Es führten doch von der Ems zum Kheine Strassenzüge
genug: einer von Warendorf (K.- u. G.-D. d. Pr. Westfalen II, 8) einer von
Telgte (Peucker III, 328), (einer von Greven), einer von Rheine und wahr-
scheinlich auch einer von Wiedenbrück aus, das als Verkehrspunkt eigens
hervorzuheben (Paderborner Gymnasial-Programm 1887, S. 7) ist. Die
Uferstrassen der Lippe und Ems kamen gar nicht, die Linie Rheine-
Xanten weil ohne Seitenmoräste gleichfalls (gegen Meyer S. 213) nicht
in Betracht, eher schon die Züge von Greven und von Telgte; denn sie
gingen auf Münster und berührten hier beinahe den Warendorfer Strang
(K.- u. G.-D. d. Pr. Westfalen II, 8); beide vereinten sich mit der Linie
Wiedenbrück nordwestlich von Dülmen zu jenem Dammworke^, das als
pontes longi das Merfelder Bruch, einen meilenweiten Sumpf, kreuzte
(Hülsenbeck, Paderborer Gymnasial-Programm 1871 S. 21, 23), und von
da erreichte eine stattliche Strasse über Borken bei Xanten und bei Rees
den Rhein. Die erwähnten Strassen sind bis auf den Zug Wiedenbrück -
Dülmen seit Langem Gemeingut der Oefifentlichkeit — mit ihnen noch
viele andere Strassenzüge und verschiedene Landwehren, welche beide
mit Begleitfunden über die Lippegebiete gen Süden in die Berge und
zahlreicher gen Norden durch die Bructerischen Landschaften zum Theile
über die Ems fortziehen.
So grossartig, wie einst ihr Bau war, so schwer und mühevoll ist
heute, nachdem fast zwei Jahrtausende an ihrer Zerstörung und Ver-
stümmelung gearbeitet haben, ihre Aufdeckung und treffende Zusammen-
setzung. — Dank den hochverdienten Männern, welche dafür unab-
lässig ausser körperlichen Anstrengungen ihre materieUen und geistigen
Kräfte eingesetzt haben, besonders einem Müffling, welcher schon die
römische Strasse als Dammwerk erkannt, einem Schmidt und einem
Schneider, welche die meisten und sehr belangreiche Strecken bloss-
gelegt, einem Uülsenbeck^), welcher meisterhaft die Funde, die Ethno-
1) Doch entsprach früher einmal der Lippelauf oberhalb der Stadt
Hamm nicht ganz dem heutigen. Näheres in K.- u. G.-Denkm. d. Prov.
Westfalen I, 29, 30.
2) Angustus is tramcs vastas inter paludes, et quondam a L. Do-
mitio aggeratus: cetera limosa, tenacia gravi coeno aut rivis incerta
erant; circum silvae, paullatim adclives. Tac. Ann. I, 63.
3) Ergänzt sind diese Forschungen im Lippereviere sowie im Südosten
des Landes namentlich durch Ess eilen und Hölzermann, im Norden
Edm. Meyer, Untersuchungen über die Schlacht im Tcutoburger wähle. 229
graphie und gerade die landeseigenthümlichcn Hülfsmittel mit den Schrift-
quellen zu einer durchschlagenden Forschungsmethode verquickt hat.
Je weiter die Bodenforschung das bunte Geflecht von römischen
Strassen, Wehren, Kleinwerken und Fundstücken verfolgt und vervollstän-
digt, um so mehr Licht wird davon ausgehen auf das Er oberungs verfahren
und die vornehmsten Operationspunkte ihrer Urheber; ja wenn einmal vom
Rheine nach Osten hin die römischen Erbtheile, so weit das heute noch
thunlich ist, d. h. vorsichtig und genau klargestellt und in die Karte
eingetragen sind, so muss sich im Osten irgendwo eine Grenzlinie mar-
kiren, hinter welcher plötzlich die aggeres et limites an Masse und Dich-
tigkeit abnehmen und diese Linie (von Norden nach Süden) wird dann
an dem Punkte, wo sie die Lippe trifft oder kreuzt, mit Bestimmtheit
den Standort des Castells Aliso bezeichnen; denn von Germanicus . . .
cuncta inter castellum Alisonem ac Ehenum novis limitibus aggeribusque
permunita (Tacitus Ann. II, c. 7), was offenbar jenseits, d. h. im Osten
des Castells nicht mehr geschehen ist.
Der Verfolg der urgeschichtlichen Denkmäler — dies wesentliche
und unschätzbare Forschungsideal unserer Zeit — verspricht näm-
lich ein gehaltreiches und zuverlässiges Urkundenbuch für die Ur-
geschichte, d. h. reale Beweismittel für die Aufhellung der dunkeln oder
grauen Vorzeit, ihrer Wandlungen, Ereignisse und Völkerzustände und
nebenbei auch Grundsteine für die Begebenheiten der historischen
Zeit; diese Beweismittel verleihen d em mili tär isc hen
Betracht einer Oertlichkeit wie den Ideen der For-
scher mässigende Haltepunkte, den Andeutungen und
Zeugnissen der Schriften festen Fuss, fassbare Ge-
stalt und allerhand Ergänzungen; sie wollen nur gehörig er-
forscht oder doch wenigstens ihre Fun db er 1 cht e für die Dar-
stellung möglichst vollständig ausgebeutet sein. Alle Seh ri f t-
qu eilen zusammen sind doch gegenüber den verschiedenen Zeiträumen
und Völkern, geschweige gegenüber der Summe der Ereignisse schmal
bemessen, und gerade im Punkte der Varusschlacht zu oft mit einer
Wachsnase behaftet, die sich je nach den Empfindungen des Benutzers
beliebig drehen und wenden lässt, so dass damit der Eine deren Schau-
platz im weiten Norden, der Andere ihn im Süden des Landes findet.
Dass Meyer der alten Denkmäler nicht achtet, dass er, falls ihre
Erforschung seine Sache nicht war, auch den publicirten Fundberichten
kaum halbwegs die gehörige Achtung schenkte , lässt sich im All-
gemeinen wohl so erklären, dass das Fundmaterial ihm auch für die Ur-
zeitjan Bedeutung den Schriftquellen noch nachsteht, wenigstens nicht
mit den Entdeckungen von Bohlenwegen und schönen Kleinfunden durch
Kohl, Alten und Hartmann. Die wissenschaftliche Behand-
lung der Denkmäler verbürgt allein deren richtige Schätzung, Pflege
und Ausbeute.
230 Edm. Meyer, Untersuchuugeu über die Schlacht im Teutoburgerwalde.
gleichkommt. Dessen Unterschätzung oder Vernachlässigung bei Orts-
schriftstellern und sogar bei Historikern, von denen man derlei nicht
erwartet hHtte, konnte einem sonst sa ausgezeichneten Forscher doch
eher zum Ansporne dienen, das entgegengesetzte Verfahren einzuschlagen.
Dass die Fundberichte bei ihrer Anzahl thatsächlich überaus zerstreut
vorliegen, gereicht ihm doch schwerlich mehr zur Entschuldigung, seit-
dem ihre Litteratur von Nord hoff, das Westfalen-Land und die ur-
geschichtliche Anthropologie (Römerspuren, Erd- und Stein denkmäl er
u. s. w.) 1890 1) von den ältesten Zeiten chronologisch (die römischen
S. 33—39) kurz zusammengestellt ist. Ein Fehler auf Forsch er scite be-
stärkt zu leicht die halbwüchsige Denkmälerkunde, welche der Wissen-
schaft thatsächlich mehr schadet als nützt und dennoch als die Dienerin
vorgefasster Meinungen noch Zuspruch, sogar Unterstützung findet.
Nun ja, es genügten Meyer, das merkt man überall, ausser gewissen
Fundberichten zweiter Hand vollauf die Materialien und Kundgebungen
bei Hölzermann Lo kalunteriTuchungen die Kriege der
Römer und Franken . . . betreffend. 1887. Dieses Werk über-
raschte nämlich ebenso sehr mit den flotten und entschiedenen Behaup-
tungen, wie mit den bestechenden und meistens schönen Aufnahmen fast
allgemein die Forschung, als ob darin ein InbegriflT oder gar ein Orakel
der westfälischen Alterthumskunde erschienen und neben demselben Be-
achtenswerthes kaum mehr geleistet sei. Bei Meyer (S. 230) erhält
noch in kritischer Fähigkeit und Thätigkeit der Verfasser den Vorzug
vor Hülsenbeck! Wie Rufe in der Wüste verhallten die Stimmen
sachkundiger Forscher theils gegen gewisse historische Auffassungen
Hölzerman n's , theils gegen einzelne Aufstellungen (vgl. Bonner
Jahrbb. 62, 130 f., Westf. Zeitschr. 36 II, 205, 214 K.- u. G.-D. d. Pr. West-
falen 1, 11) und — so unglaublich als wahr — sie werden noch heute über-
hört, obschon sie an Zahl stetig zunehmen. Bei H ö Iz er m an n er-
streckt sich das Forschungsgebiet nur auf einzelne Landstriche, wider-
sprechen sich die Karten einander in den wichtigsten Werken, zeigen
sich offenbar nach Hörensagen Denkmäler, die gar nicht oder doch in
anderen Zuständen vorliegen; auch seine Spezialaufnahmen und Beschrei-
bungen sind nicht für Jedermann ohne Weiteres probehaltig; den fliessen-
den Beschreibungen und Erörterungen gebricht es stellenweise an Tiefe
der Auffassung, an Vertrautheit mit verwandten Vergleichsdenkmälern,
und zumal mit der einschlägigen Orts- und Fachlitteratur. Diese kann zu-
dem vom Leser noch leicht um acht weitere Jahre gewünscht werden,
indem im Titel nur das Editionsjahr des Werkes 1878 und nicht das Ab-
schlussjahr 1870 vorkommt.
1) Daselbst ergeben sich auch leicht die der Kürze halber fort-
gelassenen Belege und Nachweise für die meisten Angaben dieser Rc-
cension, nachdem jene, welche ferner oder versteckter lagen, rechtorts
eingeschaltet sind.
Edxn. Meyer, Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburgerwalde. 231
Allein der Wahrheit und dem Verfasser die gebührende Ehre!
Hölzerniann*8 Werk ist nur ein halb fertiges, sicher kein vollendetes.
Der Verfasser wurde ihm 1870 6./8. durch den Heldentod und daher dem
Werke die letzte Hand entrissen. Nach 0. Preuss, der ihm anschei-
nend nahe stand, wollte der Verfasser in seinem Todesjahre die „Local-
Untersuchungen wieder aufnehmen und manche Zweifel durch weitere
Nachforschungen und Ausgrabungen aufklären.'' Man darf annehmen,
dass dann auch die Karten harmonisch gestaltet, der Text vielfach ver-
tieft und mindestens die Lücken desselben ausgefüllt wfiren. S. 91, 93
fehlen doch die Erläuterungen zu drei Tafeln gänelich, S. 122, 123 figurirt
noch ein „Verzeichnisse) derjenigen Heerlager und Burgen, deren Unter-
suchung noch nicht hat geschehen können^. Kurzum , hätte ihm der
Tod nicht den Stein in die Wege gewälzt, so wäre das Werk unzweifel-
haft im Ganzen und Einzelnen redactionell berichtigt, vielleicht auch
nach dem Stande der zeitigen Fachliteratur und Denkmälerforschung
mehrfach verbessert ans Licht gekommen, statt dass es nun bei diesen
Lesern seine Fehler und Halbheiten stets fortzeugend von Schrift zu
Schrift aushaucht und bei den andern nur zu häufig eine Zielscheibe der
Kritik und Correcturen bildet.
Es ist und bleibt immer ein heikeles Ding, wenn ein Werk ohne
Zustimmung und vollends ohne die letzte Hand des Verfassers in die
Welt ausgeht. So findet sich, um ein naheliegendes Beispiel anzuführen,
1) Dasselbe verstimmt den Leser wiederholt: So figurirt doch das
römische Lager bei Hunsel (Nr. 15) schon in Hölzermann's Lippe-
karto B, als wäre es genügend untersucht. Ueberhaupt erscheinen die
36 Werke des Verzeichnisses wie aufs Geradewohl zusammengewürfelt
und davon die 30 westfälischen wie ein geringfügiger Tlieilrest von den
Berg- und Thalfesten, welche massenhaft das ganze Land bis in den
Norden Oldenburgs bedecken. Von den genannten existirt das Lager
bei Recklinghausen (35), „angeblich römisch", gar nicht oder es müsste
die von Hülsenbeck, Castell Aliso 1873, S. 12? mit Karte, beschriebene
Malenburg bei Ahsen sein; das Lager am Mackenberge bei Oelde (36)
entspricht unstreitig dem einstigen Weinberge des Klosters Liesboru
(Nordhoff, Vormal. Weinbau in Norddeutschland 1877/83 S. 15), ebenso
die Hünenburg bei Vechta (9) Jedenfalls dort der „alten Burg**, d. h. der
Hoffeste des Grafen von Ravensberg — insofern ein urgeschichtliches
Werk dort sicher von Ni eher ding, Gesch. des Niederstifts I, 180, 79, 47
den zahlreichen Oldenburgischen Erdwerken eingereiht wäre, die H ö 1-
z e r m a n n entgangen sind. Die übrigen westfälischen „Heerlager" waren
im Editionsjahre des Werkes (1878), ja schon im Abschlussjahrc 1870,
grossen Theils bekannt, beschrieben oder abgebildet: so die Haskenau (34)
„neuerdings entdeckt" von Nord hoff, Holz- und Steiubau 1873 S. 139
Taf. in, die Ruhrburgen zu Freienohl (20). Neheim (24), Stockhausen (23),
Rumbeck (26) u. a. von Pieler in Wigand's Archiv 1838 VII, 13 f. ; die
Hohensyburg (27), die Werke auf dem Kaisberge (25), bei Limburg (28),
bei Oestrich (29)undDahle (30) u.a. vonBroksieper, die Ruine Hohen-
syburg 1853 S. 57 f., 137, die Hünenburgen bei Woclum und Meschede
(22/23) von Co hausen in der Zeitschrift für Preuss. Gesch. und Landes-
kunde 1866 S. 680.
232 Dr. M. Ihm: Edictum Diocletiaui de pretiis rerum venalium.
in den Localuntersuchungen des Obristlieutenants Schmidt (1831/41
Westfäl. Zeitschr. 20, 281), die bekanntlich auch nach seinem Tode 1859
herausgregeben sind, ein Bericht über einen „alten Weg^ von Ahlen nach
Bielefeld; dieser ist nämlich nichts anderes, als eine von ihm in die
Reymann'sche Karte gezeichnete Theilstrecke der damals projectirten
Elsenbahnlinie Köln-Minden. Der Irrthum stellte sich heute nicht so leicht
heraus, wenn man bei der Publikation unvorsichtiger Weise unterlassen
hätte, dessen Fundstelle, jene Karte nämlich, zu benennen; dennoch hat
sein bestimmter Ausdruck im Texte sogar Schneider (H.- u. H.-Wege IX,
23, 24) verführt, ihn für baare Münze zu nehmen.
Um die Leserwelt über die Zuverlässigkeit desHölzermaun'schen
Buches aufzuklären, hätten sich doch in Noten oder Anlagen die verdächti-
gen und wurmstichigen Stellen unschwer nach dem zeitigen Wissensstande
von tüchtigen Geschichts- und erfahrenen Bodenforschern, die offenkun*
digen Fehler und Widersprüche von Jedermann markiren lassen — aber
nein: da die beiden westfälischen Gelehrten Preuss uudGiefers, welche
sich um die Publication überhaupt bemühten, dieselbe sogleich mit ge-
wissen Bedenken oder Einsprüchen bezüglich der Form oder des Inhalts
begleiteten (vgl. oben S. 182), so mögen wohl auswärtige Autoritäten
oder Räthe den S. VI des Werkes beigegebenen Erlass befürwortet
haben :
„Der Herr Minister der geistlichen, Unterricht«- und Medicinal-
angelegenheiten Dr. Falk Excellenz hatte die Gewogenheit, zur Bestrei-
tung der Druckkosten für dieses Werk 2100 Mark aus Staatsmitteln zu
bewilligen, stellte aber die Bedingung, weder Veränderungen an Hol-
ze r m a n n's Arbeit vorzunehmen, noch Zusätze zu machen ^), um Lücken
in derselben auszufüllen.^
N.
2. Edictum Diocletiani de pretiis rerum venalium. Edidit
Th. Mommsen. — Der Maximaltarif des Diocletian. Erläutert
von H. Blümner. Berlin (Reimer) 1898. XIII und 206 S. 4«.
Eine stattliche Publikation, deren Vortrefflichkeit die Namen der
beiden Herausgeber verbürgen. Vielleicht würde Mancher im Interesse
der Billigkeit mit einem weniger stattlichen Gewände zufrieden gewesen
sein; denn nicht nur die Franzosen klagen darüber, dass die Bücher in
Deutschland sehr theuer seien.
Das von Blümner geschriebene Vorwort giebt die nöthige Aus-
kunft über die Auffindung, Anordnung, Orthographie u. s. w. der ver
schiedenen Bruchstücke des Edictum, deren bis heute 35 in lateinischer
1) Das Druckfertigmachen Seitens des Professors Giefers (Westf.
Zeitschr. 36 II, 204) bezieht sich daher wohl nur auf das Grammatische
und Formale.
Dr. M. Ihm: Q. M. Rushforth, Latin historical inscriptiong etc. 233
und griechischer Fassung bekannt geworden sind. Die beste Textrecen-
sion gab Th. Mommsen im Corpus inscriptionum Latinarum Bd. III
(Suppl.) Derselbe Text mit kritischem Apparat ist in der vorliegenden
Ausgabe zum Abdruck gekommen. (S. 1—50.) Den Uauptbestandtheil
des Buches bilden die darauf folgenden erklärenden Anmerkungen von
H. Blüm n er, die sehr ausführlich gehalten und mit zahlreichen Nachr
weisen aus andern Quellen versehen sind. Blümner gehört jedenfalls
zu denjenigen, die das einschlägige Material mit am besten beherrschen; er
hat durch seine Erläuterungen das Verständniss dieses wichtigen Denk*
mals der späteren Kaiserzeit erheblich gefördert. Vielleicht finden sich
nun auch unsere Nationalökonomen veranlasst, den Maximaltarif des Dio-
cletian in den Kreis ihrer Studien zu ziehen, da er genug des Inter*
essanten auch für sie bietet, nicht nur für den Philologen und Alterthums-
forscher.
Gar Manches hätte der Herausgeber übrigens für seine Zwecke
gewinnen können, wenn er ausser Vegetius (de mulomedicina) und den
Geoponika auch die Schriften der griechischen Thierärzte, sowie das
Büchlein des Pelagonius (ars veterinaria) zu Rathe gezogen hätte. Z. 6.
für die Kirchhoff *sche Coi\jectur IV 46 (vgl. S. 80, Anmerkung 5).
yaXa&TfvoO lässt sich anführen dtXfjp^xiw yaXa^v&r Hippiatr. p. 185 (ed. Gry-
naei), jj^oi^Mtoi^ yaXadffp^v Hipp. p. 31. Die Bezeichnung taurifia kommt
ausser im Edict Diocl. (S. 127) auch vor bei Pelagonius 437 {cortex ve-
tustae taurinae) u. a. m.
Beichhaltige Register bilden den Abschluss (I. Sachregister. II. In-
dex verborum, der lateinischen S. 186 f., der griechischen S. 197 f.). Er-
hebliche Druckfehler sind mir nicht aufgefallen.
M. Ihm.
3. G. M. Bushforth, Latin histori cal inscriptions illu-
strating the historj of the early empire. Oxford,
Clarendon Press. 1893. XXVII und 144 S. 8».
Ein gewisser Nutzen soll dem vorliegenden Buch nicht abgespro-
chen werden. Es mag sich für Unterrichtszwecke in England gut eignen,
bei uns dürfte es schwerlich grossen Anklang finden. Zweierlei bezweckt
der Verfasser. Einmal will er eine Art elementares Handbuch der Epi-
graphik liefern, und dann soll seine Sammlung behülflich sein, die histo-
rische Kenntnis der ersten Kaiserzeit zu ergänzen. ' Letzteres trifft zu,
ersteres nicht. In gewissem Sinn hat der Verfasser recht, wenn er sagt,
dass der gewöhnliche Student dem Corpus inscriptionum und selbst
einer Inschriftensammiung gegenüber, wie die vonWilmanns ist, etwas
rathlos dasteht. Um Epigraphik kümmert sich auch bei uns in Deutsch-
land der Durchschnittsphilologe herzlich wenig. Sache der Universitäts-
lehrer ist es, das Interesse zu wecken und zu fördern ; mit der Zeit wird
234 F. van VIeuten: Kaymoiid Serrurc, Essai de numismatiqiie etc.
es schon besser werden, zumal wenn ein wirklich brauchbares Handbuch
der Epigraphik geschaffen ist. Aus der kurzen Einleitung, in der R.
von epigraphischen Dingen handelt, lernt der Studierende auch nur
Bruchstücke, noch viel elementarer gehalten sind die kurzen Sätze über
römische Münzen. — Ausgewählt hat der Verfasser 100 der bemerkens-
werthesten Inschriften (auch einige Münzaufschriften) aus der Zeit von
Augustus bis Vespasian. Fast die Hälfte betrifft die Regierung des
Augustus. Die Inschriften begleitet ein ziemlich ausführlicher Com-
mentar, der die Belesenheit des Verfassers erkennen lässt. Benutzt sind
die besten Quellen, Litteratur ist reichlich angegeben, aber keineswegs
erschöpfend (zu S. 107 ff., wo R. von der Qrenze der beiden Germanien
spricht, vgl. u. a. Zangemeister im III. Bd. der Westdeutschen Zeit-
schrift). Druck und Axustattung sind vortrefflich.
M. Ihm.
4. Raymond Serrure: Essai de numismatique luxembour-
g e o i s e. Mit 222 Abbildungen im Text. Paris bei R. Serrure und
Gent bei C. Vyt. 1883. Gross Bfi. 223 S.
Der Verfasser, dessen erfolgreicher Thätigkeit auf dem Gebiete der
mittelalterlichen Numismatik wir an dieser Stelle schon mehrfach lobend
gedachten, gibt hier in einem gut ausgestatteten Bande diejenigen Auf-
sätze zusammengestellt, welche er in dem „Annttaire de la Sociü6 de Nur
misnuxtiqiie" in den Jahren 1892 und 1893 hatte erscheinen lassen. Wenn
er in bescheidener Weise die Arbeit einen Versuch nennt, so müssen wir
bekennen, dass dieser Versuch recht gut gelungen ist.
Serrure hat es verstanden, durch geschicktes Verweben der
historischen Schicksale des behandelten Landes in seinen Text und durch
die Mittheilung des urkundlichen Materials in der Originalsprache
sein Buch zu einem sehr brauchbaren Quellenwerk zu gestalten. Bei den
Wechselbeziehungen, welche zwischen Luxemburg und unserer Provinz
auch im Hinblick auf die Numismatik bestehen, wird dies Handbuch,
welches eine oft empfundene Lücke in der numismatischen Litteratur
ausfüllt, vielen Lesern dieser Jahrbücher recht willkommen sein.
Bonn. F. van VIeuten.
5. RepertoriumHymnologicum, Catalogue des chants,hymnes,
proses, söqucnces, tropes en usage dans T^glise latine depuis les
origines jusqu*ä nos jours par le chanoine Ulisse Chevalier,
tome I., Löwen 1892, 601 Seiten. Gr. 8<^.
Das Werk, auf zwei Bände berechnet, deren erster die mit den
Buchstaben A— K einschl. beginnenden Hymnen registrirt, erscheint in
den Analecta Bollandiana, wird aber auch separatim versendet. Es ist
eine wahre Fundgrube für die kirchliche Poesie und für den, der sich
Dr. Rauschen: Repcrtorium Hymnologicum. 235
mit lateinisch-kirchlicher Hymnologie in grösserem Umfange beschäftigen
will, geradezu unentbehrlich und, wie es scheint, zuverlässig, zugleich ein
Denkmal für den Sammelfleiss des Herausgebers, auf das er mit Recht
stolz sein kann; er fragt denn auch in der vorläufigen Vorrede — die
definitive Vorrede ist dem Abschlüsse des Gesammtwerkes vorbehalten — :
Ne pourrai-je pas dire un jour: exegi monumentum?
Auf einem verhältnissmässig kurzen Räume — der I. Bd. enthält
9935 Nummern — ist hier das gesammte Material für alle vorhandenen
lateinischen Gesänge kirchlichen Charakters, protestantische nicht aus-
geschlossen, zusammengestellt, ausgenommen nur den Text der Gesänge
selbst, in folgender Reihenfolge : Von jedem Hj^mnus werden die ersten
Worte soweit angegeben, dass der Rhythmus ersichtlich wird; es folgt
der Heilige oder das Fest, dem der Hymnus gilt, und die Stelle im Missale,
Brevier u. s. w., wo er vorkommt ; dann die Zahl der Strophen und Stro-
phenzeilen; dann der Name des bekannten oder vermuthlichen Verfassers
oder wenigstens die ungefähre Zeit desselben ; ferner bei vielen Hymnen,
besonders bei den wichtigern oder noch ungedruckten, die Zusammen-
stellung der ältesten Handschriften ; endlich die Ausgaben und zwar vor-
nehmlich einerseits die ältesten, andererseits die jüngsten und etwaige
kritische oder liturgische Bearbeitungen; bei den letzteren sind die
deutschen Arbeiten, auch die protestantischen^ gebührend gewürdigt und
zahlreich berücksichtigt, was mit besonderer Anerkennung hervorgehoben
zu werden verdient.
Bonn. Dr. Rauschen.
6. „Neue Heidelberger Jahrbücher** HI, 1. Heidelberg. G. Köster 1893.
Gross-Oktav. 189 S. u. 1 Tafel.
Diese vom strebsamen „historisch-philosophischen Verein* zu Hei-
delberg herausgegebenen Hefte (erschienen 5 Hefte) enthalten für das
Mittelrheinland und für weitere Kreise werthvolles Studienmaterial. Aus
dem letzten Hefte, das Beiträge von Zange meist er, Weech („Zur pfäl-
zischen Geschichte**), Pf lugk-Harttung („Schriften St. Patricks«), Duhn,
Heyck („Aeltestes germanisches Verfassungsleben**), Jellinek („Adam
in der Staatslehre**), Oechelhäuser („Manesse-Handschrift**) enthält,
heben wir hier die Aufsätze von Zangemeister und D u h n her-
vor. Ersterer bespricht in „Zur Geschichte der Neckarländer in römi-
scher Zeit** eine römische Inschrift von Aubigny bei Autun, worin als
Beiname einer Römerin „Sueba(e) Nicreti** vorkommt. Z. deutet dies
Ethnikon als „Suebin vom Neckar**. Da sie als civis erscheint, muss die
Sueba Nicres zu einer Civität am Neckar gehört haben und diese findet
Z. in der civitas Ulpia S. N. (= Sueborum Nicretum). Bei Symmachus
wird später die Gegend vom Lupodunum „regio Sueba Nicretensis** ge-
nannt. Dem Ref* scheint hierher auch der Volksname (= civitas) im Y^VQ^
23G Dr. C. M e h 1 i s : Neue Heidelberger Jahrbücher.
neier Provinzialverzeichniss zu gehören, wo von rechtsrheinischen Civi-
tates die Rede ist : Nictretnsium. Es ist ein Schreibfehler für Niere-
t e n s i u m und sind damit die Neckarsueben bezeichnet — Die Frage,
wann dies Neckargebiet zum römischen Reiche kam, behandelt der 2. Theil
der Abhandlung. Z. folgert aus mehreren Inschriften, dass Cornelius
Clemens als Statthalter Obergermaniens anno 74 wegen seiner Thaten in
Obergermanien die Ornamenta Triumphalia erhielt. Mit Beziehung hierauf
sowie aus anderen epigraphischen Thatsachen setzt Z. für 73/74 einen
Germanenfeldzug an, der die Einverleibung des unteren Neckargebietes
zur Folge hatte. Germania 29 „promotis praesidiis'^ bezieht sich dann
auf obiges Ereigniss.
D u h n bringt seinem Lehrer Heinrieh Brunn als Gabe dar : „Eine
Bronze der früheren Sammlung Ancona^. Diese stellt ein weibliches Bild-
niss dar (ca. 11 cm Höhe), welches in tiefer Trauer auf dem Boden sitzend,
den Kopf in die Rechte stützt. Das Hinterhaupt bedeckt der hinauf-
gezogene Mantel; den Unterkörper der geknüpfte Chiton. Am linken
Oberschenkel ruht eine Schlange, die aus einer Schale Nahrung nimmt.
In technischer Beziehung erklärt D. diese sonderbare Bronze
als Appendix für den Panzer einer Imperatorenstatue (vgl. B a u m e i s t e r*s
D. d. kl. A. F. 183). Gestaltung, Aussehen und Zugehörigkeit sprechen
für die Zuweisung dieser Bronze, die in Piemont von Ancona erwor-
ben ward, in die erste Kaiserzeit. Ort der Entstehung ist nach analogen
Arbeiten Piemont. — Nach D u h n's Annahme ist in der Stellung der
Bronze das Motiv einer altattischen Grabstatue aus dem 5. Jahrhundert
erhalten.
Die Frage, wen diese Figur darstelle, Kleopatra (wegen der
Schlange) oder eine Personification überwundener Lander und Völker,
lässt D. unentschieden.
Mit Rücksicht auf die Schlange weist der Ref. auf die H y g i e i a
hin (vgl. Baumeister's D. d. kl. A. S. 138— 140). Sollte die trauernde
H y g i e i a nicht an der Statue eines Germanicus oder Titus am Platze
gewesen sein? Auch an die capta Veleda könnte man denken, die sub
divo Vespasiano zu Rom im Triumphe aufgeführt wurde. Die Schlange
wÄre im letzteren Falle Attribut der Seherin und Priesterin mit chtho-
n i s c h e r Bedeutung. — Hoffen wir von Zangemeister, Duhn u. A.
auch in Zukunft so werthvolle Bereicherungen des archäologisch-
historischen Besitzstandes zu erhalten!
Neustadt a. d. Hart. Dr. C. M e h 1 i s.
7. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Zweiter Band.
IL DieKunstdenkmäler der Stadt Duisburg und derKreise
Mülheim a. d. Ruhr und Ruhrort. III. Die Kunstdenkmäler
der Stadt und des Kreises Essen. Im Auftrage des Provin-
A. Wiedema&n: t>ie Kunstdenkmäler der ftheinprovinK etc. ^S7
zialverbandes der Hheinproviuz herausgegeben von Paul Giemen.
Düsseldorf. L. Schwann. 1893. Gr. 8. VI und 85; VI und 120 S.
Preis 3 Mk. und 4,50 Mk.
Die Kreise, zu deren Behandlung das Kunstdenkmäier-Inventar
übergegangen ist, sind verhältnissinässig arm an verzeichnungswerthen
Ueberblelbseln der Vorzeit. Die technischen Betriebe, die Anlage von
Fabriken, Gruben, Eisenbahnen, das schnelle Anwachsen der Städte und
Ortschaften hat hier wie überall in Industriebezirken eine schnell er-
folgte Zerstörung älterer Bauten und Anlagen zur Folge gehabt, die
man bedauern muss, so selir sie auch in der Natur der Sache begründet ge-
wesen sein mag. Die Bereitwilligkeit, mit der die in Betracht kommenden
Stadtverordneten-Versammlungen und Kreisvertretungen zu den Kosten der
Publikation des Inventars beigetragen haben, lässt hoffen, dass nunmehr
wenigstens das hier Verzeichnete auch dauernd erhalten bleibe. Der
geringen Denkmälerzahl entsprechend, sind die vorliegenden Hefte des
Werkes, obwohl sie mehrere Kreise zusammenfassen, weniger umfang-
reich ausgefallen, als die früheren Lieferungen. -
Das erste mit 3 Tafeln und 28 Text-Ulustrationen behandelt zu-
nächst Duisburg, über dessen reiche Stadtgeschichte das litterarische Ma-
terial verzeichnet wird. Von Bauten ist ausser der unbedeutenden Mi-
noritenkirche nur die Salvatorkirche hervorzuheben, die trotz der durch den
Brand von 1613 verursachten Beschädigungen des Thurmes, dessen oberer
Theil 1682 nicht gerade stylvoll in Gestalt einer geschieferten Haube
wieder ergänzt wurde, noch immer ein imposantes Bauwerk darbietet. —
Im Kreise Mülheim a. d. Ruhr verdient ausser alterthümlichen Häusern
zu Mülheim selbst Schloss Broich Erwähnung, welches als eine der be-
deutendsten Hofburgen des Niederrheins den ganzen Bergrücken Mül-
heim gegenüber beherrschte und von dem trotz der Umbauten am Ende
des 18. Jahrhunderts noch zahlreiche alteXheile erhalten geblieben sind.
— Kreis Rubrort enthält vor Allem Dinslaken mit seiner katholischen
Pfarrkirche, die einen interessanten Cruzifixus von etwa 1400 in Holz-
schnitzerei und einen beachtenswerthen in Holzschnitzerei ausgeführten
mit von Bildern bedeckten Flügeln versehenen Hochaltar enthält. Dann sind
zu nennen die gothische Kirche von Hambom mit den Resten eines ro-
manischen Kreuzganges, die bei Gastrop und Hünxe auitretenden Wall-
burgen, der Bergerschulthof zu Hünxe, der ein lehrreiches Beispiel der
Anlage eines grossen Bauernhofes im westfälischen Style darbietet, und
der Ort Mehrum als Fundort der schönen römischen E^mer, welche Furt-
w ä n g 1 e r in der Festschrift des Alterthumsvereins von 1891 besprach.
In der Stadt Essen sind nur wenige ältere Bauwerke vorhanden,
und auch unter diesen bieten die meisten, wie die im 15. Jahrhundert
erbaute Johanniskirche und die um etwa dieselbe Zeit umgebaute, ur-
sprünglich romanische Marktkirche, geringes Interesse dar. Daneben be-
S38 A. WiedeniÄnn: Die Kiinstdcnkmäler der Rheinprovinz etc.
wahrt jedoch die Stndt ein Werk allerersten Ranges in ihren Mauern,
den Münster. Ueber die Bangeschichtc desselben hat in diesen Jahr-
büchern G. Hu mann Öfters gehandelt; sie findet sich im Inventar kurz
skizzirt und mit einer Schilderung des Baues selbst verbunden. Daran
schliesst sich eine Aufzählung der reichen Runstschätze, welche die
Kirche besitzt, vor allem der schönen Goldschmiedearbeiten, welche durch
mehrere Tafeln veranschaulicht werden, und der interessanten Decken-
gemälde, deren ausführliche Publikation gleich nach ihrer Auffindung
von dem Verein von Alterthumsfreunden in Aussicht genommen wurde,
bisher jedoch wegen technischer Schwierigkeiten noch nicht hat durch-
geführt werden können. — Im Kreise Essen fällt der Hauptantheil an Denk-
mälern der Stadt Werden mit ihrer Abteikirche zu. Letztere wird nach
Vorausschickung der nöthigen Litteraturangaben zunächst als Bauwerk
behandelt; dann werden aus ihrem Schatze eine Reihe von interessanten
Einzclstücken besprochen und publicirt, vor allem eine Elfenbeinpyxis des
6.-7. Jahrhunderts, der Reisekelch des h. Ludger und die Beintafeln
des 8. und 9. Jahrhunderts an einem Reliquienkasten.
A. Wiedemann.
8. A. Engel etR. Serrure: Trait6 de numismatique du moyen-
Äge. Tome deuxi^me, depuis la fin de T^poque Carolin-
gienne jusqu*Ä l'apparition du gros d*argent. 813 illustra-
tions dans le texte. Paris. Emest Leroux. 1894. 590 S. gr. 8.
Den ersten Band dieser werthvollen Schrift v. J. 1891 habe ich in
Heft 90 d. Jahrb. S. 183 besprochen; alles das, was ich an jener Stelle
über den ersten Band lobend erwähnt habe, triflFt auch für den vor-
liegenden zweiten zu, trotzdem für die jetzt behandelte Epoche die
Schwierigkeiten weit grösser waren, und die Fülle des Materials bei-
nahe erdrückend wirken musste. Entsprechend der Ueberschrift: y,bis zur
Einführung des Groschens'^, endet der Zeitpunkt der in diesem Bande
behandelten Münzgeschichte für die verschiedenen Länder früher oder
später, während er z. B. für Frankreich schon mit Ludwig IX. 1226—1270
abbricht, wird die Besprechung für Deutschland bis zu Ludwig dem
Baiern 1314—1347 weitergeführt.
Es verdient besonders hervorgehoben zu werden, dass bei der
grossen Menge von Einzelheiten die Klarheit und tlebersichtlichkeit des
Baches nicht gelitten hat; dies ist für die Brauchbarkeit desselben von
grösster Bedeutung.
Volle 257 Seiten sind der deutscheu Numismatik gewidmet; der
Verfasser folgt in der geographischen Anordnung dem Dannenbergschen
Werke. In einer besonderen Einleitung für dieses Land wird das Wlssens-
werthe über das Münzrecht, über die Münzsysteme und über die ver-
schiedenen Typen mitgetheilt, dabei wird der Einfluss ausländischer
P. van Vleutßn: Trait6 de numismatique du moyen-Age. etc. Ö39
Münzarten auf die deutsche Prägung in anschaulicher Weise besprochen,
und das Material der Archive vielseitig benutzt. Auch die Form der
Buchstaben und die Sprache finden Beachtung. Bei der Besprechung
der einzelnen Münzstätten sind die neuesten Publikationen schon berück-
sichtigt, es sind z. B. auf S. 591 die h\ Heft 90 d. Jahrb. von Joseph be-
sprochenen Veronadenare Heinrich's IL sclion erwähnt.
Vielleicht hätte der Abschnitt über die Brakteaten etwas ausführ-
licher behandelt werden können, aber wir Rheinländer werden diesen
kleinen Mangel am leichtesten verzeihen, denn in fast allen Pnvatsamm-
lungen unserer Gegend habe ich diese Münzart ausgeschlossen gefunden.
Fühlbarer macht sich das Fehlen eines alphabetischen Registers;
es ist dringend zu wünschen, dass ein solches bei einem späteren Bande
nachgeliefert werde.
Fasse ich mein Urtheil über das vorliegende Werk zusammen, so
kann ich sagen, dass es die bei weitem brauchbarste, alles umfassende
Arbeit über mittelalterliche Numismatik ist, die wir besitzen, dass es
durch die ausführlichen Litteraturangaben auch dem Speeialforscher oft
recht erwünschte Hülfe bieten wird, dem Sammler und Geschichtsfreund
aber unentbehrlich sein dürfte. Nach dem guten Erfolg dieses zweiten
Bandes darf man dem dritten mit Interesse entgegen sehen; die Verfasser
haben sich auch für die behandelte, so verwickelte Zeit als zuverlässige
Führer dargethan.
Druck und Ausstattung, auch besonders in Bezug auf die gefäl-
ligen und deutlichen Abbildungen, kann man nur loben.
Bonn, Mai 1894. F. vanVleuten.
IIL Miscellen.
1. Bonn. Münze des Erssbischofs Pilgrim. Ein in der AprU-
nummer der „Berliner Münzblätter^ (XV. 164 p. 1631 ff.) erschienener Auf-
satz von Menadier „Ein Bonner Pfennig des Erzbischofs Piligrim von Köln**
bringt ausser einer Anzahl eingehender Bemerkungen zur Bonner Münz-
geschichte auch eine werth volle Ergänzung zu dem Aufsatz von Joseph
über den Bonner Denarfund von 1890 (in diesen Jahrbüchern Heft 90),
auf welchen der Verfasser wiederholt Bezug nimmt. Dass der a. a. 0.
p. 144 beschriebene Denar Heinrichs II., ebenso wie der dort herbeige-
zogene Ottos (Dannenberg I. n. 1384) In der That Bonner Prägungen sind,
wird zur Gewissheit durch ein neues Stück, das aus Frankfurter Privat-
besitz in die Kgl. Münzsammlung in Berlin übergegangen ist, und, wie
Menadier vermuthet, wohl auch jenem Bonner Fund entstammen dürfte.
Es trägt auf der Vorderseite um ein Kreuz die Umschrift (PI)LIGRIM
C(piscopus) und auf der Rückseite den Namen (V)ERONA. Derselbe Erz-
bischof, mit dem die ununterbrochene Prägung erzbischöflicher Münzen
in Köln selbst anhebt, hat also, so bemerkt der Verfasser, ausserdem wie
in Andernach, so auch in Bonn das Münzrecht ausgeübt. Es ist somit
der Beweis erbracht, dass Bonn wie in merovingischer und karlingischer
Zeit, so auch unter den sächsischen Kaisern Münzstätte gewesen ist. Bezüg-
lich des Namens Verona schliesst sich der Verfasser der Auffassung Pohls
(Verona und Caesoriacum. Progr. Münstereifel 1886 und 1887) an, liest
aber auf dem Revers des von Joseph publizirten Denars nicht mit diesem
VIERONA, sondern VERONA, wie seine Abbildung allerdings auch zeigt
und die Darstellung Heft 90 Taf. IV Nr. 67 auch zu lesen gestattet. (Vgl.
jetzt auch Dannenberg, Die deutschen Münzen der sächsischen und
fränkischen Kaiserzeit II p. 594 Nr. 1535.) S.
2. Köln. Münzen-Fund. Oestlich vom Eingang zum ehema-
ligen Dominikanerklostor, der späteren Artillerie-Kaserne, etwa 8 Meter
von der Strassen-Flucht entfernt, wurde am 9. August 1893 beim Aus-
schachten der Anlagen vor dem neuen Postgebäude ein beträchtlicher
Fund von annähernd 200 Goldmünzen gemacht, welche ohne Gefäss lose
in der Erde lagen. Die Münzen sind fast sämmtlich sehr gut erhalten
und stellen einen reinen Goldwerth von etwa 40(X) Mark dar. (Aus dem
Fundbericht des Köln. Lokal-Anzeigers.)
Da der Fund auf dem Eigenthum der Postbehörde gemacht worden
Miscellen. 241
war, so wurde derselbe nach Berlin übergeführt. In dankenswerther
Weise überliess jedoch die Postverwaltnng der Stadt Köln je 1—3 Stück
der in dem Frinde enthaltenen Sorten, im Ganzen 10 Stück, welche sich
jetzt im Musenni Wallraf Richartz befinden. Alle übrigen sind Doubletten.
Wir geben im folgenden eine Beschreibung der einzelnen Stücke.
1. Schiffsnobel Eduard*8 III. von England (1327—1377).
Schauseite.
Der König steht mit Krone, blossem Schwert und Wappenschild in
einem Schiff.
Umscbritt (gotbisch).
EDWARD : DEI : GRA : REX ;
ANGL : DNS : HYB A» AQVT.
Rückseite.
Liiienkreuz, in dessen Winkeln je ein schreitender Löwe, das
Ganze von einem Achtpass eingefasst. In vier Bogen desselben be-
finden sich, den Löwen entsprechend, Kronen, in die übrigen vier Bogen
ragen die Enden des Kreuzes hinein. In den äusseren Ecken des Acht-
passes befinden sich Kleeblätter.
Umschrift (gotbisch).
IHC . (Jesus) AVTEM : TRANS-
lENS : PER ; MEDIV : ILL-
ORVM : IBAT ^
Grösse nach dem Cohen-Mionnet'schen Münzmesser 10.
Von dieser Münze wurden ungeföhr 150 Stück gefunden.
2. Dieselbe Münze, mit etwas abweichender Legende.
Schauseite.
EDWARD • DI • GRA . REX ♦
ANGL* • ^ • FRANC • DNS ♦
HIB ; ii( AQVIT
Rückseite.
IHC : AVTEM : TRANS-
lENS : PER : MEDTVM ;
ILLORVM : IBAT * ^
Gr. 972.
3. Dieselbe Münze wie Nr. 2, doch ist die Umschritt der Schau-
seite von FRANC ab unleserlich, da der Mast und die Segel des Schiffes
in die Schrift hineinragen. Gr. 9.
4. Halber Schiffsnobel Eduards III. von England.
Schauscite.
Darstellung wie bei Nr. 1.
Umschrift.
EDWARDVS ; DEI * G •
RFJL • ANGLD
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsftr. im Rheinl. XCV. Jß
242 Miscellen.
Der übrige Theil des Schriftbandes wird von der Krone des Königs
nnd dem Segel des Schiffes durchschnitten.
Rückseite.
Darstellung wie bei Nr. 1.
Umschrift
DOMINE • IN ♦ FV^RORE •
TVO ♦ ARG VAS IW * ^
Gr. 61/».
5. Viertel Schiffsnobel Eduard's III. von England.
Schauseite.
Das vereinigte Wapperf von England und Frankreich. 2 der 4
Felder zeigen Lilien, die beiden andern Löwen. Das Ganze ist von
einem Achtpass umschlossen, dessen Bögen in KleeblAttchen endigen.
Umschrift.
EDWARD : DEI • GRA ♦
REX : ANGL ^
Rückseite.
Lilienkreuz, in dessen Winkeln je ein schreitender Löwe (ohne
Krone). Das Ganze von einem Achtpass (ohne Blätter) eingefa.sst.
Umschrift.
EXALTABITVR : IN •
GLORIA ^
Gr. 4.
6. Chaise d'or Philipp's VI. von Frankreich 1328-1350.
Schauaeite.
Der König auf einem mit gothischen Fialen verzierten Thron
sitzend, auf dem Haupt die Krone, in der Rechten das Lilienwappen,
in der Linken ein blosses Schwert.
Umschrift.
PHILIPPVS • DEI • GRA •
FRANCORVM • REX ^
Rückseite.
Blätterkreuz von einem Vierpass umrahmt, in den äussern Winkeln
kleine Kleeblättchen.
Umschrift.
XP'C i (Christus)
VINCIT t XP'C t REGNAT I
XPC S IMPERAT ^
Von dieser Münze wurden etwa 20 Stück gefunden. Gr. 7^/4.
7. Doppel-Gondelamm Wilhelm*s V. von Holland 1356-1889.
Schauseite.
Gotteslamm mit Fahne, deren Spitze in ein Lilienkreuz ausläuft.
Miscellen. 243
Den Leib des Thieres bedeckt eine ranten förmige, aus Schuppen gebil-
dete Decke. Darunter die Inschrift: GVL. DVX.
Das Ganze ist von 20 Halbbögen eingefasst, die sich an einen
kreisförmigen Perlstab anlehnen.
Umschrift.
AGN o DEI o QVI o TOLL o
PEGA o MVDI o MICERERE c
Rückseite.
BlätterkreuZ) von einem Vierpass eingerahmt, dessen Bögen mit
spitzen Winkeln abwechseln. In den Ecken des Kreuzes befinden sich
4 grosse einköpfige Adler, in den äussern Winkeln des Vierpasses 8 kleine
doppelköpfige Adler.
Umschrift.
XFCf VINCIT^ XP'Cf
REGNAT ® XFC ^ IMPERAT ^
Gr. 10.
a Goldgulden Carlas V. von Frankreich 1364—1380.
Schauseite.
Der König, mit Scepter und Krone geschmückt, steht unter einem
mit Fialen verzierten gothischen Bogen.
Umschrift,
o KOL 3 REX o FRA' o COR «
Rückseite.
Lilienkreuz, von einem Vierpass umgeben. Die Spitzeln der Bögen
enden in BUtttchen. In den äusseren Winkeln des Vierpasses Kronen.
Umschrift.
XPR o VINCIT o XFR o REGNAT o
XPR o IMPERAT ^
Gr. 7.
9. Schiffsnobel Richard's II. von England 1377—1399.
Schauseite.
Der König steht mit Krone, blossem Schwert und Wappenschild
in einem Schiff.
Umschrift.
RICARD • DI ♦ GRA ♦ REX *
ANGL ♦ ^ FRANC ♦ DNS • HIB •
^ * AQ'.
Rückseite.
Lilienkreuz, in dessen Winkeln je ein schreitender Löwe u. s. w.
wie bei Nr. 1.
244 Miscellen.
Umschrift.
IHC : AVTEM : TRANS-
lENS ; PER * MEDIV ;
ILLORV • IBAT ^
Gr. 10.
10. Goldgulden Wilhelm's III. von Geldern 1393—1402.
Schauseite.
Der Herzog" mit Schwert und Buch unter einem gothischen Bogen
sitzend. Zu beiden Seiten des letzteren befinden sich Säulen, über denen
sich zinnengekrönte Thürmchen erheben. Unter dem Herzog sein Wappen
(Löwe).
Umschrift.
WILH DVX . GELR ^
COM A
Rückseite.
Zwei Wappenschilder, das eine mit dem Doppeladler, das andere
mit dem geldrischen Löwen. Das Ganze ist von einem Sechspass einge-
fasst, dessen Bogen mass werk artig durch DreipJlsse verziert sind. In
den Äusseren Wirk ein des Sechspasses Kleeblätter.
Umschrift.
BENEDICT : QVI I VENIT :
IN : NOMINE ^
Die späteste Münze ist die Wilhelm's IIT. von Geldern, die Ver-
grabung des Schatzes kann also frühestens um*s Jahr 1395 stattgefnnden
haben. Interessant ist es, dass die meisten Münzen von den beiden
Königen (Eduard III. von England und Philipp VI. von Frankreich)
stammen, unter deren Regierungen im Jahre 1339 der hundertjährige
Krieg zwischen den genannten Ländern ausbrach.
Köln. C. Stedtfeld.
3. Das Hochkreuz bei Godesberg. Das Errichtungsjahr des
Hochkreuzes zwischen Bonn und Godesberg ist ebenso unbekannt w^ie
seine ursprüngliche Bestimmung. Zwar erklären es eine Reihe von Sagen
für ein Sühnkreuz für einen Brudermord, doch sind dieselben insge-
sammt jungen Ursprunges. So kann die angeblich in einem „verlorenen
Missale^ der Dorfkirche zu Friesdorf verzeichnete^) Erzählung, die das
Denkmal von einem in Friesdorf ansässigen Edlen von Hochkirchen her-
rühren lässt, erst nach etwa 1650 entstanden sein. Erst Anfang des 17.
Jahrhunderts nämlich erwarben die von Hochkirchen in Friesdorf Besitz,
den Thurmhof, den sie dann 1674 wieder abgaben. Wenn eine zweite
1) So bereits (Eichhot), Hist. geogr. Beschr. des Erzstiftes Köln.
1783. S. 70.
Miscellen. 245
Version der Sage^) eiueu Ritter von Drachenfels als den Brudermörder
nennt, so mag dazu eine thatsächlichc Begebenheit, die sich freilich
nicht beim Hochkreuze abspielte^ die Veranlassung gegeben haben. 1493
erschlug Heinrich von Drachenfels seinen Bruder Claes und übernahm
zur Sühne u. a. die Verpflichtung, an der Mordstelle „zo Wintern up
dem Steine^ ein Kreuz mit Wappen und Inschrift, wie sich einem Ritter
wohl geziemt, aufzustellen 2).
Zuverlässiger als diese Sagen über den Errichtungsgrund ist für
die Errichtuugszeit die bekannte Angabe der KoelhofiTschen Chronik (in
Chroniken der niederrh. Städte. Köln. III S. 672; cf. II S. 38), dcrzufolge
dat steinen cruitz tuschen Gudesberch und Bunne von Bischof Walram
(1332—1349) oder von Bischof Wilhelm von Gennep (1349—1362) er-
richtet wäre. Wenn auch die Doppelangabe hier beweist, dass der
Autor seiner Sache nicht ganz sicher war, so muss doch das Denk-
mal seinem Stile nach etwa um die angeführte Zeit errichtet worden
sein. Urkundlich erwähnt findet es sich zum ersten Male 1445. Damals ^)
heisst es von dem der Abtei Heisterbach gehörigen CroifiFter Hove, d. h.
dem Kluchter Hof zwischen Friesdorf und Godesberg, er sei „gelegen
by Goedesberg entgeen de steynen crutze dat up der straissen steyt.^
A. Wiedemann.
4. Zur Limesforschung, das Castell Saalburg im Taunus
betreffend. Nachdem ich im Sommer des Jahres 1891 das vielbesuchte
und in der Regel als Lehrmodell einer römischen Castellanlage angesehene
Befestigungswerk gründlicher studiert hatte, als dieses durch Bücher
und Abbildungen möglich ist, gewann ich die Ueberzeugung, dass hier
zwar, wie bei allen Limescas teilen, die ihre ursprüngliche Form erhalten
haben, eine Uebereiustimmung mit dem Grundplane des römischen Le-
gio^slagers vorliegt, dass dazu aber die bisherige und auch von unseren
Limesforschern neuester Art beibehaltene Erklärung wenig befreundet.
Zunächst ist zu beachten, dass wie die Münzen, so auch die Ge-
fässscherben der Saalburg für die Zeit von Marcus Antonius bis
1) Weyden, Godesberg S. 8 ff.; Dick, Godesberg S. 42 ff. — Vgl.
ferner Trog, Rheinlands Wunderhorn X S. 158 ff. und das Drama von
Groote, Der Geist am Godesberg im Taschenbuch für Freunde altdeutscher
Zeit und Kunst für 1816.
2) Urkunden bei Strange, Beiträge zur Genealogie der adligen
Geschlechter V. S. 95 ff.
3) Urk. in Düsseldorf. Staats- Archiv. Heisterbach Nr. 144. — Es sei
bei dieser Gelegenheit darauf hingewiesen, dass die viel verbreitete An-
sicht, das Heisterbacher Kosterarchiv sei völlig verloren, irrthümlich ist.
Die Reste desselben — es hatte in der Truchsessischeii Fehde 1583, dann
1587, dann 1689 bei der Beschicssung Bonns, wohin es geflüchtet worden
war, stark gelitten — befinden sich mit über 600 Urkunden, ferner Copi-
aren, Akten, Handschriften im Staats-Archiv zu Düsseldorf.
246 Mtöcellen.
Claudius GothicuB bezeichnend sind. Wie aber die Geldetücke,
8o herrschen auch die Gefässe der Zeit von etwa Trajan bis GallienuB
vor. Geftisse späterer Zeit fehlen gänzlich, frühere gehören zu den
Seltenheiten. Nur einige wenige Scherben und Töpfe wurden angetroffen,
welche den Stempel der schlichten einheimischen Waare tragen, wie sie
sich bei den ältesten Römerstrassen Galliens und in Gräberfeldern findet,
die nach Münzen, welche mit zu Tage traten, in die vorchristliche Zeit-
epoche fallen und die damals errichteten Drususcastelle begleiten können.
Einige dieser Gefässe wurden, wie mir der lokalkundige Forscher, Bau-
meister Jakobi sagte, unter Umständen gefunden, welche auf die Zeit
der Benutzung des Castells Saalburg schliessen lassen.
Nun wird aber bekanntlich die Errichtung des römischen Grenz-
walles auf Domitian, Trajan und Hadrian zurück geführt. Es ist des-
halb nicht unwahrscheinlich, dass der Saalburg die von Drusus im Jahre
11 V, Chr. gegründete Taunusfeste zu Grunde lag. Jedenfalls wird
die Präexistenz der Saalburg vor Anlage des Limes
glaublich.
Zweifellos geht man nicht fehl, die Saalburg an und für sich, d. h.
ihrer inneren Einrichtung und strategischen Lage nach zu beurtheilou,
nicht ihre Orientirung nach Lage des vom Limes abgeschlossenen feind-
lichen Landes zu deuten.
Denken wir uns nun eine Linie von der Mitte des Ostthores nach
der Mitte des Westthores, dann haben wir den Cardo des Castells, auf
dem die Via principalis lag und zu den beiden Seitenthoren, der Porta
principalis dextra und der Porta principalis sincstra führte. Recht-
winkelig wurde der Cardo vom Decimanus durchschnitten, weicher die
Langseitc der Befestigung in zwei gleiche Breiten theilt, er führte durch
die Mitte der Porta praetoria und der Porta decimana. Vor dem
Schneidepunkt dieser beiden Linien, auf dem die
Groma stand, vermittelst welcher der Feldmesser den
rechten Winkel derHauptstrassen und Ausgänge be-
stimmte, lag der Eingang des Praetoriums (Hyginl Groma-
tici 12); er befand sich hier auf dem derLagerfront entgegen-
gesetzten Seite der Via principalis (Poly bius 6, 27. Hygin
a. a. 0. 12; 18; 56). Auf die vom Eingange des Praetoriums nach dem
Thor der Lagerfront gerichtete Linie des Decimanus führte der Feld-
messer die Via praetoria und benannte nach dieser dasdemEingange
des Praetoriums gegenüber errichtete Thor „Porta
praetoria* (Hygin a. a. 0. 12, 14). So liegt auch der Eingang zum
Praetorium des Neusser Legionslagers, so auch der Eingang zum Pra e-
torium von Carnuntum, so auch der Eingang zum Praetorium der
Saalburg und aller grösseren, wie auch der meisten kleineren Limcs-
castelle. Das dem Eingang des Saalburger Praetorium-
Miscellen. 247
Einganges gegenüber gelegene Südthor, bisher als
Porta decimana bezeichnet, ist somit die Porta prae*
toria. Entsprechend sind auch die übrigen Castellthore umzutaufen.
Dem Eingänge des Praetoriums zunächst lag der vordere Theil
des Praetoriums im weiteren Sinne, das Forum (Hygin a. a. 0. 18, 19);
an dieses schloss sich das Praetorium im engeren Sinne, das Haus des
Lagervorstehers an, das heisst dessen vordere Seite, die Rückseite, das
„Posticum praetorii^ schaute noch der Porta decimana (vgl. dazu A. v.
Domaszewski, Hygini Gromatici, Liber de munitionibus castrorum. S. 54
und 55). Dieser freie Platz, auf dem auch geopfert wurde (a. a. 0.),
liegt so auch im Neusser Legionslager, im Standlager von Camuutum
(vgl. Dr. J. W. Kubitschek und Dr. S. Frankfurter, Führer durch Car-
nuntum. Wien 1891), ebenso, in verkleinertem Massstabe,
in der Saalburg, wo er bisher als Schlesshalle galt. An derselben
Stelle finden wir diesen auch in den übrigen grösseren LimescastcUen.
Nach der Via praetoria hin mussten die Fahnen gerichtet werden
(Hygin a. a. O. 14); diese Strasse ist daher die des Abmarsches; denn
die Feldzeichen traten dem Truppenzuge, welcher sich zum Abmarsch
formirte, an die Spitze (Domaszewski a. a. 0. S. 57). Das schönste
und grösste der Saalburgthore, nämlich das doppelt
geöffnete Südthor, von dem jede Thüröffnung 3,59m im
Lichten Breite hat, diente deshalb dem Auszuge, nicht das
entgegengesetzt befindliche Nordthor, das nur 2,88m imLichten
breit ist.
Die eigentliche Front der Saalburg, das ist also der bisher als
Rückseite betrachtete Theil, beherrscht das weite Thal, welches sich vom
Fuss der Höhe, auf welcher die Feste liegt, nach Süden und Südosten
hin erweitert. Es bedurfte diese Oertlichkeit des Schutzes, sowohl wegen
etwaiger innerer Um-uhen, als auch besonders gegenüber der vor dem
Ereignisse des Jahres 9 n. Chr. gefahrdrohenden Machtstellung der swe-
bischen Völkergruppe. Erst später galt es, dem nördlich der Saalburg
herrschenden istwäischen Volke einen Damm zu bauen. Nach Süden
hin führt auch eine bedeutimgsvolle Römerstrasse und stellt die Verbin-
dung mit weiteren älteren Castellen her. Eine zweite, sogar 8 m breite
Strasse, geht von der wirklichen Porta praetoria aus und biegt sich um
die Südostecke der Castellfront, und durchbricht den Pfahlgraben,
augenscheinlich um die Marschlinie gegen einen nördlichen, ausserhalb
der Reichsgrenze hausenden Feind zu bahnen.
Besonders auffallend war es für mich, zu sehen, wie der Pfahl-
graben in der Linie Turm am Benner Pfad über Usinger Landstrasse
die nördliche Flanke der Saalburg berühren würde, hätte man hier nicht
dem Pfahlgraben einen ausspringenden Winkel gegeben. Das sieht so
aus, als sei der Pfahlgraben dort schon vor Anlage der Saalburg vor-
248 MiBcellen.
handeu gewesen und man habe erst nach Errichtung der Saalburg
(dieser gegenüber) den Pfahigrabou 254 m weiter nach Norden geschoben.
Oder aber das Castell hatte ursprünglich eine andere Lage oder Gestalt.
Das letztere nimmt v. Cohausen (Grenzwall II, 117) an. „In vier Schürf-
gräben", so sagt dieser treffliche Beobachter, „fanden wir vor der Böschung
(auf der Scheide von Praetentura und Retentura des Castells) den mit
Brandschutt gefüllten alten Graben." Professor Wolff (Das römische
Lager zu Kesselstadt bei Hanau. Hanau 1890. S. 93) gibt an, „der aus-
springende Winkel, den der Pfahlgraben vor der Porta praetoria (es ist
meine Porta decimana!) der Saalburg bildet, ist ein augenfälliger Beweis
der Präexistenz des Castells vor dem Grenz wall". — Ich habe mehr den
Eindruck gewonnen, dass der Pfahlgraben hier einer alteren
Marke folgt, an deren Grenze die Saalburg Ahnlich erbaut
wurde, wie die Schanzen entlang einer Grenzwehr des Mittel-
alters.
Ist nun aber das Castell Saalburg ein Werk des Drusus, dann
würde dem Pfahlgraben, d. h. dem sogenannten römischen Limes, dort ein
älteres Werk, vielleicht eine römische Grenz wehr der schon unter Agrippa
dem römischen Reiche einverleibten Mattiaken vorausgegangen sein.
C. Coeuen.
5. Nictrenses-Victorienses. In Heft 39 und 40 dieser Jahr-
bücher sucht Herr J. Becker nachzuweisen, dass die Römerstätt« bei
Niederbiber den Namen Victoria gehabt, die Bewohner derselben Victo-
rienses geheissen und identisch seien mit den Nictrenses, welche in der
Handschrift der Veroneser Capitularbibliothek i) genannt werden. So
scharfsinnig die Beweisführung des Herrn Verfassers erscheint, wird
doch zugegeben werden müssen, dass dieselbe, wenigstens in ihrem
letzten Theile, immerhin auf Hypothesen beruht, also ein strikter Beweis
nicht geliefert worden ist. Wahrscheinlichkeitsgründe liefern nie einen
strikten Beweis.
Nach der genannten Handschrift sollen die in derselben genannten
Völkerschaften auf der rechten Rheinseite bis zu einer Entfernung von
80 Leugen oder 24 Meilen von Mainz ansässig gewesen sein, also höchstens
bis zur Wupper, da von Mainz bis Köln 237» Meilen gerechnet werden,
und somit ist so ziemlich die Grenze angeg*eben, die wir bei Bestimmung
dieser Völkerschaften zu berücksichtigen haben. Die weiter nördlich ge-
legenen Völkerschaften kommen nicht in Betracht.
Befand sich nun auf der rechten Rheinseite nicht weit vom Rheine
(denn dass alle diese Völkerschaften unmittelbar am Rheine wohnten.
1) Gcogr. min. ed. Riese p. 129, 15: usiphtorum tunantum nictren-
sium nouariscari eqs.
Miscellen. 249
ist in der Urkunde nicht gesagt) entfernt und innerhalb des Bezirks von
80 Leugen von Mainz aus eine Völkerschaft, welche den Namen Nic-
trenses führte, so fällt die Hypothese, dass unter den Nictrenses der Hand-
schrift die Victorienses bei Niederbiber zu verstehen seien, weg.
Unter den Briefen an den h. Bonifatius befindet sich auch ein solcher
des Papstes Gregor HL (Bibi. rer. Germ. ed. JaiT6 HI p. 101 ; Migne, Pa-
trologiae Ser. II. vol. 89 p. 579), welcher an die Fürsten und Völker-
schaften gerichtet ist, die Bonifatius zuerst in Deutschland zum Christen-
thum bekehrt hatte und worin dieselben zum Gehorsam gegen den Bischof
Bonifatius und zum Festhalten am Glauben ermahnt werden. Unter
diesen Völkerschaften werden auch die Nistreses genannt (oflFenbar statt
Nistreuses, über dem mittleren e fehlt der Strich). Es hat also eine
Völkerschaft Nistrenses existirt. Aber wo war dieselbe ansässig? OfiTen-
bar im Flussgebiete der Nister, wovon sie auch den Namen hatte. Sie
wird mit den Hessen und den Bewohnern des Lahngaues genannt und
war denselben benachbart. In ihrem Gebiete, nahe bei Marienstatt, finden
sich die Ruinen der Burg Nistria, welche 1211 durch Heinrich von Sayn
zerstört wurde. Später hiess dieses Gebiet die Grafschaft Hachenburg,
jetzt nennt man dasselbe Oberwesterwald. Das Gebiet erstreckte sich
späterhin von dem Punkte, wo Haiger* und Eugeresgau mit dem Auel-
gau zusammentrafen, bis zur Sieg; hier beginnt die nördliche Grenze
mit dem Dorfe Hamm und geht dann die Sieg aufwärts. Es ist beson-
derer Berücksichtigung werth, dass die Sieg hier die Grenze zwischen
den Nistrensern und den Sigambern bildete. Wenn Cäsar, wie die wahr-
scheinlichste Hypothese angibt, bei Neuwied seine Brücke schlug, um in
das Gebiet der Sigamber einzufallen, so marschirte er ohne Zweifel über
Niederbiber in der Richtung von Altenkirchen und von dort nach der
Sieg; er griff also die Sigamber von Süden her d. h. vom Gebiete der
Nistrenser aus an.
Von Niederbiber gehen zwei uralte Strassen, die eine nach Hachen-
burg, die andere nach Altenkirchen. Von Niederbiber bezw. dem rö-
mischen Castoll in der Nähe ging die Strasse auf Anhauseu, dann weiter
in derselben Richtung auf Rüscheid; oberhalb Rüscheid theilte sie sich
in zwei Arme, wovon der eine südöstlich über Dierdorf, Marienhausen,
Freirachdorf und Altstadt nach Hachenburg, der andere östlich über
Urbach, Puderbach, Steimel und Lautzert nach Alteukirchen führt. Es
konnten also sowohl die Sigamber und Chatten nach geschehener Verab-
redung, die einen über Altenkirchen, die anderen über Hachenburg nach
dem Rheine hinziehen und sich bei Rüscheid vereinigen, um in die Rhein-
ebene einzufallen, als auch die Römer konnten diese Wege benutzen,
um sowohl in das Gebiet der Sigamber als der Chatten einzufallen. Die
Freundschaft der Nistrenser war also für beide Theile von grösster Wich-
tigkeit und die Römer werden gewiss nichts unversucht gelassen haben,
2Ö0 Miscellen.
sich dieselbe zu erwerben. Dass die Nistrenser zu den VölkerBchaften
gehören, welche auf der rechten Rheinseite am längsten zum römischen
Heicho gehörten, scheint zu beweisen, dass sie Freunde der Römer waren.
Aber es geht hieraus auch hervor, wie wichtig das Castell der
Römer bei Niederbiber war, und es darf uns nicht wundern, dass die
Nachgrabungen daselbst von so reichem Erfolge gekrönt wurden. Möge
man jedoch dabei nicht stehen bleiben, sondern die Forschungen auch
auf die eben genannten Strassen ausdehnen! Wir zweifeln nicht daran,
dass die Ergebnisse für die Züge der Römer auf der rechten Rheinseite
von grosser Wichtigkeit sein werden.
. MarienthaL A. Müller.
6. Zwei Römische Okulistenstempel.
I. In der Sammlung römischer Alterthümer des Museums zu Lausanne
befindet sich das Fragment eines römischen Okulistenstempels (das Material,
wie es scheint, Serpentin), als Fundort wird Boss^az angegeben. Nach der
Abschrift von Conrad Bruuner (Die Spuren der römischen Aerzte auf
dem Boden der Schweiz, Zürich 1893, S. 46) stehen auf den beiden Längs-
seiten die angeblich gut lesbaren Buchstaben
A5IINA ]
0V0X3SI
(
HJI TM
Die Inschrift b ist wohl falsch gelesen, der dritte Buchstabe wird ein Y
und folglich herzustellen sein:
[dia«]MYRN(es).
In a steckt offenbar die Abkürzung LIP-, man vgl. z. B. Grotefend, Stem-
pel der römischen Augenärzte, Nr. 78 (= Esp6randieu, Revue archdol. 3.
s6r. XXII S. 23 Nr. 73) Phranimi diasmym(es) post impet{um) lipipitu-
dinis) ex ov{o\ oder Grotefend Nr. 20 (= Esp6randieu S. 139 Nr. 95) dias-
mymes post imp, lipp, ex ovo. In der ersten Zeile könnte der Namen
des Arztes gestanden haben. Ich traue der Lesart nicht recht, der Stein
müsste aufs neue geprüft werden; vielleicht steckt auch hier diasmym.^
eine Vermuthung, welche in der Form des N (statt H) eine Stütze zu fin-
den scheint.
IL Dem Buch De Minicis' Le iscrizioni Fermane S. 221 Nr. 668 hat
Jos. Klein, Bonn. Jahrb. LV/LVI S. 127 Nr. 123, die Inschrift entnommen:
t SAMBLENE • STACTMOPOCROMELLoN
(ungenau Esperandieu a. 0. S. 18 Nr. 63). Den Fundort des Stempels kennt
man nicht Prof. Bormann hat ihn in Florenz im Jahre 1883 kopirt und
Miscellen. 251
einen Abdruck genommen. Die Inschrift vertheilt sich folgendermassen
auf die vier Seiten:
a MELLON tSAMP
h LENE
c STACTM OPO (V und M sind ligirt) .
d CRO
Die Abschrift De Minicis' ist also ziemlich korrekt. Die Längsseite a
enthält wohl den Namen des Okulisten Melloutius. MeUontius könnte ein
gallischer Name sein (vgl. Glück, Kclt. Namen bei Caesar S. 139; derselbe,
R^nos, Moinos und Mogonti&con 8. 20 f.). M. Ihm.
7. RömischeSpieltafel aus Afrika. Victor Waille veröflfent-
Hcht in den Comptes rendus de Tacademie des inscriptions 4 s6r. t. XXI
1893 S. 402 das Facsimile einer in Chcrchcl gefundenen Marmortafel (Grösse
1,45 X 0,60 m), welche oflTenbar einem Spiele diente. Sie weist 29 runde
Vertiefungen von verschiedener Grösse und in verschiedener Qruppirung
auf, der Gang und die Art des Spieles wird sich danach kaum feststellen
lassen, aber es darf wohl als sicher gelten, dass Kugeln dabei benutzt
wurden; „une sorte de billard" nennt daher der französische Herausgeber
die Tafel. Achnliche Gebilde sind auf dem Pflaster des Forums in Rom
und sonst noch mehrfach zu sehen, die römische Jugend mag dergleichen
Kugelspiele noch heute üben. Zu vergleichen sind Bruzza, Annali deir
Institute 1877 tav. d'agg. FG 26; A. Elter, Bulletino deir Institute 1884
S. 71; Chr. Hülsen, Mittheilungen des römischen Instituts 1891 S. 118.
Auf der Tafel steht ausserdem folgende Inschrift
SEPONE IVRIA
ET VENI LVDAMVS,
also eine Aufforderung zum Spiel und die Mahnung, Zänkereien {iuria
vulgäre Form für iurgiä) zu lassen. Aehnliches auf den von mir behan-
delten tabtUae lusoriae, vgl. z. B. Bonner Studien S. 231 Nr. 4 u. 8, S. 234
Nr. 30. M. I h m.
8« Ueber den Zweck der Conto rniaten. „A quoi ont servi
les contorniatos?'' betitelt Froehner einen kürzlich im Aunuaire de la
Societö de Numismatique (1894 p. 83—88) erschienenen kleinen Aufsatz,
auf den ich hier kurz hinweisen möchte, da die Beanwortung der ge-
stellten Frage Beachtung verdient und, wie ich glaube, die Zustimmung
Vieler flndea wird. Es ist viel über den Zweck der Contorniaten ge-
schrieben worden (vgl. u. a. Eckhel, Doctrina nummorum VIII p, 277 ff.;
Fran^^ois Lenormant, La monnaie dans rantiquit6 I p. 49 ff.; Stevenson,
Dictionary of Roman coins, London 1889, p. 271 ff.) und es sind die ver-
schiedenartigsten Erklärungen aufgestellt worden: man hat sie für Be-
252 Miäcellen.
lohuuugeii erklärt, die den Siegern im Wettrennen zugesprochen wurden,
für Talismans oder Amulette zur Abwehr des bösen Blicks, für Eintritts-
marken in den Circus. Für alle diese Erklärungen vermisst man Beweise.
Nach Froehner dienten die Contorniaten als Spielsteine (calculi) fürs
► Brettspiel („pions de damier"). Er beruft sich dafür hauptsächlich auf
die auch in den Bonner Jahrbüchern schon einige Male erwähnten SpLel-
tafeln {tabiUae lusoriae), deren Aufschriften in den Bonner Studien
p. 223—239 und den Mitheilungen des K. Deutschon Archaeologischen
Instituts, Römische Abtheilung, VI 1891 p. 208—220 zusammengestellt
sind (vgl. Bonn. Jahrb. LXXXX p. 186. LXXXXII p. 259 f.). Auf den
36 Feldern dieser tahvlae lusoriae konnte mit den Contorniaten gezogen
werden, die Steintafeln bieten hinreichend Platz, die Buchstaben oder
sonstigen Zeichen, welche die Felder markiren, stehen keineswegs ge-
drängt aneinander. Bekräftigt wird die Hypothese Froehners durch die
Aufschriften der Contorniaten und der Tabulae, die eine unverkennbare
Verwandtschaft aufweisen: Anspielungen auf die Spiele im Circus und
Siegcjszurufe. VICTOR VINCAS, EVGENI VINCAS heisst es auf den Tafeln
(Bonner Studien p. 233 Nr. 21 p. 236 Nr. 40); auf den Contorniaten AR-
TEMIVS VINCAS, VRSE VINCAS, EVTIMI VINCAS, MARGARITA VIN-
CAS, LAVRENTI NICA, OLYMPI NIKA, lOHANNES NICAS, PETRONI
PLACEAS und ähnlich (vgl. Eckhel und Stevenson a. a. O., die Auf-
schriften weisen auf späte Zeit, die tabulae gehören ebenfalls zum grössten
Theil den späteren Jahrhunderten an). Sodann sind als charakteristische
Zeichen der Contorniaten hervorzuheben verschiedenerlei Verzierungen
und Symbole: Sterne, Epheublätter, Palrazweige u. dergl. mehr, beson-
ders die noch nicht genügend erklärten Monogramme ^ und ß (z. B.
auf der Abbildung bei Stevenson a. a. 0. p. 271). Aehnliche Dinge
kehren als Verzierungen der Spieltafeln wieder, man vergl. Bonn. Studien
p. 232 Nr. 16. p. 235 Nr. 34. p. 237 Nr. 47. p. 238 Nr. 48. Rom. Mitthei-
lungen a. a. O. p. 210 Nr. 34. p. 211 Nr. 52. p.214 Nr. 61. p.216 Nr. 71— 74.
De Rossi, Roma sotterranea III p. 374 und für die angeführten Mono-
gramme (s. auch Sallets Zeitschr. f. Numismatik 1879 p. 267 ff.) Rom. Mit-
theil. a. a. 0. p. 215, 216, 217. Dass Münzen für derartige Spiele be-
nutzt wurden, ist ja nicht weiter wunderbar; noch heute kann man die
römische Jugend mit weltlichen oder ausrangirten päpstlichen Soldi auf
dem Pflaster im Freien „Mühle" spielen sehen.
M. Ihm.
9. Zusatz zu der II. Mittheilung über das Rveuznacher
Mosaik. 1. Der zusammenbrechende Gladiator des Bildes C ist nach
der Entwickeluug von P. J. Meier (Wcstd. Z. I 165—171) doch wohl als
Thraex scaeva (Linkwser) mit krummer sica aufzufassen; die Lampen des
Trierer Pr.-M. 2972 Nr. 4120 sowie die entsprechende Lampe des Wallraf-
Miscellen. 2&3
Richartz-Museum« stiminen mit dem Krenznacher Mosaik fast ganz tiber-
ein; der Helm auf diesen Lampen wird demnach wohl auch so gewesen
sein, wie der des Kreuznacher Gladiator, dessen Spitze (Busch, ursprüng-
lich wie in Pompeji?) wie die einer phrygischen Mütze nach vorn über-
neigt. (Ueber das linkshändige Fechten vgl. Buecheler Ind. Bonn. aest.
1877 u. Friediänder Sittengesch. 6 A. II, 382.) Da diese Darstellungen aber
wieder mit dem rechtskämpfenden Gladiator aus Pompeji übereinstimmen,
so ist es unentschieden, ob die erste Umzeichnung zu einem Linkser
aus Versehen oder aus Absicht geschehen ist. In letzterem Falle würde
man an die Zeit des Kaisers Commodus, der mit der Linken focht, den-
ken können.
Der Kreuznacher Thraex hat, wie jetzt erkennbar, Brust und r.
Arm bloss und unter dem Gürtel einen dreitheiligen Schurz, dann aber
blaugrüne, in der Mitte weisse Hosen und ebensolche Schuhe, aus denen
die fleischfarbenen Zehen hervorstehen. Der Gegner hat am linken Un-
tei-schenkel anstatt einer Metallschiene einen dicken Wulst vorgebunden^
wie der Retiarius des Nenniger Mosaiks.
2. Die beiden Kämpfer auf Bild E entsprechen im Wesentlichen
den zwei Kämpfern Matemus und Habilis auf dem in Madrid befindlichen
Mosaik aus dem Hause Massimi in Rom. £s sind die zwei auf dem
untern Bilde 198 in Winckelmanns Monumenti antichi I, bezw. in der
Nummer 399 von Hübners „Antiken Bildwerken in Madrid^. Auf der
von Winckelmann veröffentlichten Zeichnung, die wohl nicht ganz zuver-
lässig ist, hat nur der eine Gladiator zwei Flügel am Helm, und zwar
an einer Seite; sonst stimmen hutartiger Helm mit glattem Visir (wie
Gesichtsmaske), Schwert, Schild und Kittel. Die Madrider Gladiatoren
halten ihre Schwerter etwas anders und haben je einen Herold hinter
sich, während auf den beschränkten Flächen des Kreuznacher Mosaiks
immer nur 2 Personen und zwar eng an einander geschoben zur Dar-
stellung gelangen konnten. Die Kreuznacher haben auch die Beine nackt,
nicht in Hosen, wie es zuerst schien; die sockenartigen Halbstiefeln rei-
chen nur gerade bis über die Knöchel. Es sind Galli oder murmillones
(Meyer, De giadiatura Romana). Auf dem Augsburger Mosaik ist dem
Kreuznacher Paare fast ganz gleich das Paar „Aprius Aiax" (Gruter 336).
3. Das in 5 Streifen geordnete Borghesische Gladiatorenmosaik in
Rom (W. Henzen in Dissertazioni della pontif. accad. Rom. di archeol.
Xfl, 1852) bietet für die Erklärung des Kreuznacher Mosaiks einiges.
In den Kämpfen der dortigen 11 Paare, anscheinend immer Retiarius und
Samnis oder Secutor, wird ein Kämpfer von hinten durchbohrt, sonst
liegt immer ein Besiegter schon am Boden. Ob der siegreiche Talamo-
nius ein Linkser ist, wie Henzen annimmt, ist fraglich, da sein linker
Arm ganz nackt, sein rechter aber bandagirt ist und am Boden ein toter
Retiarius liegt. Von den Bestiarii kämpfen die meisten mit Panthern,
254 Miscellen.
von denen mehrere schon todt daliegen. Deutlich sieht man bei zweien
ein Tuch in der linken vorgestreckten Hand, wie auch Henzen annimmt.
Drei Panther werden gerade so, wie auf dem Kreuznacher Mosaik der
Panther und der Bär, mit der Lanze zwischen Hals und Brust getroffen
und fallen ebenso plump auf den barhäuptigen Bestiarius zu. Die Tracht
der letzteren, verzierte Tunica mit Aermeln über nackten Knieen, ist ganz
anders als die der Kreuznacher Bestiarii; die Hände aber sind nackt.
Auf dem mittleren Streifen sind Hyäne (?), Hirsch, Stier, Löwe, Steinbock
und Strauss vereinigt, aber alle in einer Richtung zusammen gegen 3
oder mehr Bestiarii.
Wie der eine Hirsch auf dem Borghesischen Mosaik von Henzen als
Elch aufgefasst wird, so ist es seinem Geweihe nach auch hier der gefleckte
Hirsch des Mittelfeldes links oben, und dem dort ganz erhaltenen Steinbock
gleicht hier das Stück Kopf mit Bocksbart so, dass auch hier wohl ein Stein-
bock dargestellt war. In dem Kopf mit langem Rüssel glaubte Henzen eine
Hyäne oder die ihr verwandte indische corocotta erkennen zu müssen;
aber die Bildung des langen Vorderkopfes entspricht mehr einem Wild-
schwein, vielleicht indischem Tapir. Diesem Borghesischen Thiere ist
das hiesige Wildschwein auf M sehr ähnlich. Der Bär des Mittelstückes
hat mit dem Maule einen kurzen Hakenstock gefasst. Die drei Thiere
unten, Hirsch, Stier und Eber, strömen nach unten Blut aus, der Hirsch
ist schon zusammengebrochen.
4. Bei Erwähnung des Lateraner Mosaiks in der L Mitth. mnss
es anstatt „mit Gladiatoren'^ heisseu „mit Athleten^ (Abgebildet in Secchi:
II musaico Antoniniano. Roma 1843).
5. In der Westmauer hat sich jetzt in gleicher Entfernung wie
von €, so auch von f aus ein Mauerabschnitt gezeigt, so dass die nach
der Veranda gehende OefPhung gleichmässig abgeschlossen ist. In
der Mitte hat wahrscheinlich ein Backsteinpfeiler gestanden, auf weichem
als Kapital der Steinblock ruhte. Dieser besteht nämlich nur zum Theil
aufi Stein, sonst aber aus Stuck, und die Fundstelle passt gerade, dass
dahin bei schrägem Sturz des Pfeilers das Kapital gesunken sein kann. Der
Zackenrand des Mosaiks an der Süd- and Nordseite findet sich auch
auf der Westseite p qu, und dafür ist der Rand mit Blumenranken
schmäler; endlich enthält der schwarze Streifen ef kleine weisse Muster
eingestreut. Die schwarzen Quadrate zwischen i und m haben ihr
weisses Viertel auf der linken Seite.
6. InÄCEO ist unten und oben, rechts und links je ein Querband
über die innen weisse Borde gelegt» selber innen weiss und nach den
Rändern zu dunkelfarbig, bez. grün und schwarz. Nach jedem solchen
Querband wechselt die- rothe oder, grüne Randschattii«ung der Borde
rechts und links des weissen Mittelstreifens.
7. In Ä wendet der Samnis oder Secutor dem Beschauer den Rücken
Miscellen. 255
und hält den Schild mit der Rechten, das durch den Körper verdeckte
Schwert in der Linken. Uebrigens ist er genau so gerüstet, wie der
rechts stehende Gladiator in C. Auf dem Kopf hat er einen einfachen
Yisirhelm, wie die Samniten des Borghesischen Mosaiks. Der Oberkörper
ist nackt mit Ausnahme des das Schwert führenden, bandagirten Armes,
der Schild zeigt Verzierungen wie der des Samniten in C, aber in grüner
Farbe, der Schurz geht oben etwas über den Gürtel hinaus, der Unterschen-
kel des vorgesetzten r. Beines ist dick bandagirt, den linken Fuss umschliesst
ein bis über den Knöchel reichender Halbstiefel. — Auch der Samnis
auf C trägt wohl nicht Tricot, wie es anfänglich schien, sondern hat
nackten Oberkörper ausser dem schwertführenden Arm, trägt einen ein-
streifigen Gürtel quer über dem den Gürtel überragenden Schurz und
hat am 1. Unterschenkel dicke Bandage, am rechten Fuss einen kurzen
Halbstiefel, ober- und unterhalb des r. Kniees ein Band und sonst die
Beine nackt. ~ Der Betiarius auf Ä hält unten in der 1. Hand einen
Dolch, der Dreizack seines Speeres ist nicht sichtbar.
8. In G ist jetzt der kleinere 1. Kämpfer theilweise sichtbar ge-
worden. Sein Helm endet in phrygischer Mützenform, um den Leib trägt
er einen Schurz, eine Lanze hat er offenbar nicht gehabt, also ein
Schwert. Der r. Kämpfer hat einen grünen Schurz, nackte Beine, hohe
Beinschiene jedenfalls am r. Bein, zweifelhaft ob auch am linken, endlich
den r. Arm bandagirt. Beide wenden dem Beschauer den Rücken.
9. Der Bestiarius in B trägt auf den Hosen ein grünes, bez. blaues
Hakenkreuz gestickt ; der in H auf der Brust ein rundes blaues Schild-
chen und in der r. Hand ein Tuch mit 2 Zipfeln. Was der Stier ausser
dem Schatten an den Vorderfüssen hat, ist undeutlich.
10. In / hat nicht ein Panther, sondern ein kleiner Bär den Hirsch
überfallen, und in L ein Löwe den Stier.
Alle Einzelheiten sind klar hervorgetreten, nachdem das Mosaik
durch kundige Arbeiter der bekannten Mettlacher Fabrik gereinigt
ist. Dasselbe ist inzwischen von dem H. Besitzer auch durch eine
Halle in Backsteinbau umschlossen und überdeckt worden, von deren
Rundgang aus sich ein überraschend schöner Ueberblick bietet.
Kreuznach, 12. Juli 1894. 0. Kohl.
10. Nachtrag zu S. 96 Anm. 18. Ueber die „Gigantensäulen''
vgl. neuestens F. Hang, Berliner philologische Wochenschrift 14 (1894)
Nr. 18. S. 564.
ürlichs.
11. Vierunddreissigste Plenarversaminlung der histori-
schen Commission bei der kgl. bayer. Akademie der Wissen-
^6 Miscelleti.
Schäften (München, 25. bis 26. Mai 1893). Seit der letzten Plenarver-
sammiung, Juni 1892, sind folgende Publikationen durch die Commission
erfolgt: 1) Allgemeine deutsche Biographie. Bd. XXXIV und XXXV. —
2. Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Bd. XXII: Dr. August
Hirsch, Geschichte der medicinischeu Wissenschaften in Deutschland.
Von den Hanse-Recessen steht das Erscheinen des 7. Bandes un-
mittelbar bevor. Der Text, der die Jahre 1419><1425 umfasst, fällt in
873 Nummern 613 Seiten. Orts- und Personen-Register sind im Druck
begriffen. Der Herausgeber, Dr. Koppmann, Stadtarchivar von Rostock,
ist mit dem 8. Band beschäftigt, der den Schluss des Werkes, die Jahre
1426 -- 1430, bringen soll. — Die Jahrbücher des deutschen Reichs unter
Heinrich IV. und V. sind in erfreulichem Fortgang begriffen. Der zweite
Band, der bis zum März 1077 reicht, ist von Professor Meyer von Knonau
fertig gestellt worden und deV Druck hat begonnen. Der Stadtarchivar
Dr. Uhlirz ist durch die Besserung seiner Gesundheit in Stand gesetzt
worden, die Arbeit für die Jahrbücher unter Otto II. und III. energisch
wieder aufzunehmen.
Von den Chroniken der deutschen Städte, unter Leitung des Pro-
fessors von Hegel, stehen zwei neue Bände in Aussicht: ein Band Augs-
burger Chroniken aus der Reformationszeit, und ein Band für die nieder-
rheinisch-westfälischen Städte, insbesondere Soest und Duisburg. Beide
Herausgeber, sowohl Dr. Roth als Dr. Ilgen, hoffen im Herbst dieses
Jahres den Druck beginnen zu können. Der erstere sah sich länger, als
er erwartet, durch die zeitraubenden Vorarbeiten aufgehalten, welche
Senders Chronik verursachte, die nicht bloss die Vergleichung zweier
verschiedener deutschen Redaktionen und einer in Wolfenbüttel be-
findlichen lateinischen Redaktion, sondern auch die Berücksichtigung
eines umfänglichen Werks von demselben Autor, betitelt Chrono-
graphie, in 12 Bänden, erforderte. Das letztere Werk befindet sich
in der bischöflichen Bibliothek zu Augsburg: das bischöfliche Ordinariat
gestattete bereitwillig die Benutzung desselben.
Die Geschichte der Wissenschaften in Deutschland hat durch das
Erscheinen der Geschichte der medizinischen Wissenschaften von Dr. Aug.
Hirsch wieder einen Schritt vorwärts und der Vollendung entgegen gc-
than. Zunächst haben wir nun die Geschichte der Geologie von Pro-
fessor von Zittcl zu erwarten.
Die Allgemeine deutsche Biographie schreitet regelmässig und un-
gestört fort. Der 35. Band ist erschienen, und die Herausgeber, Freiherr
von Liliencron und Geheimer Rath Wegele, hoffen im Laufe des Jahres,
wie gewöhnlich, zwei neue Bände herausgeben zu können.
Was die ältere Serie der deutschen Reichstagsakten betrifft, so hat
der Abschluss des zehnten Bandes gegen die Erwartung des Heraus-
gebers, Professors Quidde, noch nicht erfolgen können.
Miscelleü. ^5?
VüT die jüngere Serie der Reichstagsakten standen dem Professor
von Rluckhohn während des Jahres Dr. Wrede und, vier Monate lang,
Dr. Saftien zu Seite. Es handelte sich fast ausschliesslich um die Weiter-
führung des Drucks des ersten Bandes und um die Vollendung der
zweiten Hälfte des Manuscripts. Professor von Kluckhohn hat den Band,
an welchem nur noch Titel, Vorrede und Register fehlen, und der mit
diesen zusammen etwa 58 Bogen umfassen wird, nach München mit-
gebracht, um ihn der Commission vorzulegen, als ihn in München am
19. Mai der Tod ereilte.
Die ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Correspondenzen
soll mit dem 3. Band der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir abge-
schlossen werden. Professor von Bezold gedenkt die Vorarbeiten für
denselben im nächsten Herbst zu beenden, worauf der Druck beginnen
und etwa im Jahr 1895 vollendet werden kann.
Für die ältere Bayerische ebenso wie für die jüngere Bayerisch-
Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Correspondenzen sind die Vor-
bereitungen unter der Leitung der Professoren Lossen und Stieve eifrig
im Gange. Von ersterer soll der 4. (bis 1554 reichende), von letzterer der
6. und 7. Band (1608—1610) baldigst ersdieinen.
Jahrb. d. Ver. v. AUerthsfr. Im Rheinl. XCV. 17
IV. Berichte.
Die Winckelmann-Feier am 9. December 1892.
Am 9. December fand Abends 9 Uhr im Eley'scben Gastbof
unter zahlreicber Betbeiligung von Herren und Damen die diesjäh-
rige Feier statt. Der Vorsitzende des Vereins von Alterthumsfreun-
den im Rheinlande^ Geheimrath Schaaff bansen, bemerkte, dass
er am Gedächtnisstage Winckelmanns, des Begründers der neuem
Altertbumsforscbung, auf einzehie wichtige, im bald abgelaufenen
Jahre gemachte Funde aufmerksam zu machen pflege, und gerade
dieses Jahr sei reich daran gewesen. Eine Hauptquelle unseres
Wissens von der Vorzeit seien die Gräber, die uns das erhalten,
was über der Erde bald zerfällt und verachwindet. Ueberall seien
alte Gräber aufgedeckt worden, er wolle nur daran erinnern, dass
in Bendorf Erlenmey er das fränkische Grabfeld, das der Redner in
Heft 72 der Jahrbücher (S. 123) beschrieben, wieder aufgedeckt und dass
Prof. NoU über fränkische Gräber in St. Goar berichtet habe, die
bei den dortigen üferbauten blossgelegt wurden. Die Todten sind
mit Thonschieferplatten umstellt und ohne alle Beigaben bestattet.
Schon aus diesem Grunde muss man sie der ersten christlichen Zeit
zuschreiben, vielleicht jener, in der der h. Goar, der 575 starb, hier
lebte. Dass die Gräber 4 m tief liegen, ist wohl dadurch erklärt,
dass jede Hochfluth des Rheins den Begräbnissplatz überschwemmt,
und dies muss früher noch leichter -geschehen sein, da der Strom
höher floss. An dieser Stelle erstreckt sich quer durch das Fluss-
bett ein hartes, quarzhaltiges Gestein, die sogenannte Bank, welche
die Schifffahrt hier gefährlich machte und nach Grebel noch 1722
einen Wasserfall im Rhein von einigen Fuss Höhe bildete. Wäh-
rend in Boppard, Andernach und Neuwied nachweislieh das Rhein-
Die WinckelmÄim-f^eier ain ö. t>ecember 18&S. S&§
bett sich nm etwa Sm, in Mainz und Speier noch viel mehr durch
Anhäufung der Geschiebe seit der R<^nierzeit erhöht hat^ fliesst der
Strom bei St. 6oar und im Bingerloch über den nackten Felsen.
Die von Neil beschriebenen und gemessenen Schädel lassen keinen
Zweifel; dass diese Todten Franken waren.
Ein sehr merkwürdiger Fund wurde vor kurzem von Prof.
Mehlis bei Dürkheim in der Pfalz gemacht. An Felswänden des
Kastanienberges^ die unter dem Namen Brunholdisstuhl schon um
1360 erwähnt werden, entdeckte er das Bild eines Wagenlenkers,
der wie beim Wettrennen die Zügel des Rosses hält. Die Darstel-
lung gleicht genau der, welche auf gallischen Münzen vorkommt
und den Sonnengott vorstellt. Damit ist das Felsenbild als ein kel-
tischer üeberrest bezeichnet. Später wurde rechts daneben noch
ein zweites Ross, ein Adler und eine Schildkröte gefunden, links
ein freispringendes Pferd, auf zwei andern Wänden sind ähnliche
Zeichnungen eingehauen. Ein aufgefundenes Balkenloch beweist,
dass wir diese Bilder als Zierrat der Wände einer Wohnung oder
eines Saales zu betrachten haben ^). Der Redner legt Zeichnungen
und Photographien derselben vor. Ausser dem Mithrasbilde von
Schwarzerden im Kreise St. Wendel, der Darstellung eines Reiters
bei Schweinschied im Hessen-Homburgischen (Jahrb. 46 S. 269), den
Externsteinen sind solche Felsenbilder in unsem Gegenden nicht
bekannt. Man mag damit aber die in eine Lehmwand eingeritzte
Zeichnung eines Mannes und eines Mauhhieres vergleichen, die sich
in einem mit Bimsstein gefüllten, wahrscheinlich römischen Keller
bei Heddersdorf erhalten hat und die in den Verhandl. des Naturh.
Verlos 1879 S. 96 beschrieben ist.
lieber eine andere höchst wichtige Entdeckung in Welschbillig
bei Trier hat Dr. Hettner berichtet. Es wurde ein grosses römi-
sches Wasserbecken mit einem Springbrunnen in der Mitte bloss-
gelegt, das von einem steinernen Geländer umgeben war, auf dem
zaUreiehe Herm^ mit Portraitköpfen standen. Es sind dies aber
nicht bekannte Götterbilder oder Köpfe von Dichtern und Gelehrten,
s(Midem, wie es scheint, von Personen einer Familie. Es sind bis
jetzt mehr als 40 gefunden, von denen der Redner Photographien
vorlegt. Wie man in den farbigen Grabbildern vom Fayfim die
Bewohner von Nieder-Aegypten im 3. Jahrhundert unserer Zeit ken-
1) Vgl. Jahrb. 98 S. 43- ff.
S(>ö tHe Winckeimaiin-^eier atn 9. December 1893.
Den gelernt; so stellen uns diese Büsten die Trevirer in römisehet
Zeit dar. Wiewohl die Büsten die Farben, mit denen sie, wie
Sparen zeigen, bemalt waren, verloren haben, durch die sieh leieht
die blonden Germanen und die Gallier hätten erkennen lassen, so kann
man doch die Gesichtszüge der Germanen oder Kelten von denen
der Römer unterscheiden. Der rohe Galliertypus des sterbenden
Fechters findet sich nicht mehr darunter. H e 1 1 n e r will bei fünf
Köpfen die Familienähnlichkeit erkennen, vielleicht sind es mehr,
die sie zeigen. Doch ist zu berücksichtigen, dass auch dieselbe
Technik des Künstlers Aehnlichkeiten hervorbringt und dass eine
Untersuchung der Kopfform nicht viel lehren wird, da selbst heutige
Künstler hierauf nicht viel Rücksicht nehmen. Die dargestellten
Personen haben theils lockiges, theils glatt herabgekämmtes Haar, das
zuweilen bis auf die Schultern reicht und an das lange Haar der
spätem Franken erinnert. Mehrere tragen ein Halsband mit An-
hängsel, aber es sieht nicht aus wie der metallene Torques, doch
findet es sich nur bei den Galliern oder Germanen.
Herr Stadt-Bau-Inspektor Schnitze aus Köln berichtete unter
Vorzeigung von Plänen und Zeichnungen über die Ausgrabung der
Fundamente und Architekturstücke des römischen Stadtthores an der
Nordseite Kölns, dessen über der Erde stehenden Reste bei der Ab-
tragung der Domcurien zu Tage traten. Der Vorsitzende machte
dann auf einige zur Ansicht ausgelegte Alterthümer aufmerksam, es
waren römische Bronzen aus dem Wallrafschen Museum in Köln
und aus dem Bonner Provinzial-Museum, genaue Aufoahmen altger-
manischer Wallburgen aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf von
Herrn Dr. P. Giemen und zwei goldene Regenbogenschttssdchen
aus dem Siebengebirge.
Hierauf hielt Professor Dr. Löschcke den Festvortrag über
„Griechische Elemente in der Kunst des Rhein-
lands^
Anknüpfend an Winckelmanns bahnbrechende Erkenntniss, dass
griechische Sage und griechischer Mythus den Hauptinhalt des an-
tiken Kunstwerks bilden, die Römer aber nur das Verdienst haben,
die von den Griechen überkommenen Formen in decorativer Ver-
wendung zum Gemeingut der abendländischen Cultur gemacht zu
haben, zeigte der Vortragende, dass die römische Kunst im Rhein-
land so viel stärker als in anderen Provinzen mit griechischen Ele-
menten durchsetzt sei, dass man neben den durch Italien vermittelten
Die Winckelmann-Feicr am 9, December 1892. 261
Einflüssen noch eine directe Einwirkung griechischer Civilisation
auf Westdeutschland annehmen möchte. Nur in Gallien und im
Rheinland hat sich in der Keramik die griechische Technik der
Malerei mit schwarzer Firnissfarbe und aufgesetztem Weiss und Gelb
bis in die Kaiserzeit erhalten; auch die gallisch-rheinische Glas-
industrie knüpft in ihren Mustern und Färbungen nicht an italie-
nische, sondern an griechische Vorbilder an. Die keltisch - germa-
nischen „Matronen'^ haben ihre Erscheinungsform noch halb alter-
thümlicfaen grieehischerf Darstellungen der thronenden Göttermutter
entlehnt, ebenso wie die in Italien unbekannten, am Rhein nicht
seltenen thönernen Sitzbildchen der Minerva altgriechische Muster
festhalten. Für die Darstellung eines mit Jupiter identificirten ger-
manischen Gottes, der einen Schlangenfüssler niederreitet, diente die
altjonische Gruppe des berittenen Poseidon im Gigantenkampf als
Vorbild, und auch die Thatsache, dass auf den Grabsteinen die rö-
mischen Reiter meist im Gefecht, die Legionäre in Paradestellung
erseheinen, wird sieh vielleicht aus griechischem Kunstgebranch er-
klären.
Als Quelle, aus der zum Theil schon vor der Römerzeit diese
griechischen Strömungen abgeleitet sind, darf man mit grosser Wahr-
scheinlichkeit die kleinasiatische Colonie Massalia, das heutige Mar-
seille ansehen. Griechische und ctruskische Bronzen und bemalte
griechische Vasen treten in westdeutschen Grabfunden schon seit
dem 5. Jahrhundert v. Chr. nicht selten auf und Funde griechischer
Münzen sowie die Geschichte der Münzprägung bei den keltischen
Stämmen und der Charakter der gräco - keltischen La TSne Orna-
mentik lehren, dass die Einfuhr jener griechischen Waaren nicht
durch Vermittlung der Etrusker und nicht über die Alpen erfolgt
ist, sondern theils durch das Donauthal von der Balkanhalbinsel
her, namentlich aber von Massalia aus längs Rhone und Rhein. Die
Beziehungen zwischen den gräcisirten Umwohnern Massalias und
dem Rheinland scheinen nie abgebrochen worden zu sein, besonders
eng und fruchtbar gestalteten sie sich aber, als zur Zeit desAugu-
stus das römische Trier als Hauptstadt des belgischen Galliens ge-
gründet wurde. Die eigenartige Kunstblüthe, die sich während der
ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit an der Mosel entwickelte
und uns jetzt im Trierer Provincialmuseum so sprechend lebendig
in den Reliefs der von Hettner entdeckten Neumagener Grab-
denkmäler entgegentritt, lässt sich kaum anders erklären, als dass
262 Die Winckelmann-Feier am 9. December 1892.
sieb zugleich mit den römischen Beamten auch an griechischen
Mustern gebildete Steinmetzen aus Südfrankreich an der Mosel nie-
derliesseu und hier Schule machten. Die zweistöckigen Grabtbürme
mit pyramidalem Dach in Neumagen, Arlon und Igel stimmen in
den Hauptfonnen der Architektur mit provenzalischen Grabbauten,
wie dem schon im ersten Jahrhundert v. Chr. entstandenen Julier-
Denkmal in St. Remy überein. Das Julier-Denkmal aber schliesst
sich an ein auch in andern römischen Provinzen nachgeahmtes helle-
nisches Vorbild an, das im letzten Grund auf dickleinasiatischen Formen
des Mausoleums zurückfahrt. Und wie bei der Architektur, so lässt
sich auch an der Auswahl und Vertheilung des Bildschmueks, am
Stil und an der Technik des Reliefs der Zusammenhang zwischen
dem belgischen Gallien, der Provence und Kleinasien nachweisen«
Besondere Aufmerksamkeit verdient hierbei die immer wiederkeh-
rende Neigung, die Stirnflächen der Pfeiler mit einer Reihe über-
einander gestellter, oblong umrahmter bacc}iischer Figuren zu ver-
zieren, da sich diese Decorationsweise schon an einem kleinasiati-
schen Thonrelief aus der Zeit bald nach Alexander dem Grossen
beobachten lässt, das die in ihrem Tempel thronende Göttermutter
darstellt.
So bewährt der griechische Geist selbst noch in der Kaiser-
zeit und an der Peripherie der antiken Welt seine belebende Kraft.
Mit einer scharfen Wendung gegen die ,,Schul]'eform'S ii^^*
fern sie den bewährten Zusammenhang deutschen und griechischen
Geistes zu zeratören drohe, schloss der Redner seinen durch zahl-
reiche Originale und Abbildungen erläuterten Vortrag.
Den Absclüuss der Feier bildete ein Festmahl, an dem sich
auch Damen betheiligten.
H. Schaaffhausen.
General-Versammlung des Vereins am 16. Juni 1893.
Der Vice-Präßident des Vereins Prof. Dr. Klein eröffnet die
Sitzung, welche in den von der Provinzial- Verwaltung dem Vereine
ttbergebenen Ränmen im Bonner Provinzial-Museum stattfindet, und
gedenkt des am 25. Jan. d. J. erfolgten Hinscheidens unseres lang-
jährigen hochverdienten Präsidenten 6eh.-R. Prof. Dr. Schaaff-
hausen und ftthrt aus^ dass ein Nekrolog fftr die Jahrbücher vor-
bereitet sei^). Nach warmen Worten der Erinnerung ersucht der
Vorsitzende die Anwesenden, sich zur Ehrung des Verstorbenen von
ihren Sitzen zu erheben. Dies geschieht.
Dann berichtet der Vorsitzende, dass der Verein im Jahre
1892 18 Mitglieder verloren habe, während 7 neue Mitglieder im
Jahre 1893 gewonnen wurden; so dass heute die Mitgliederzahl
559 beträgt.
Heft 93 mit 10 Tafeln und 25Textfigm'en wurde im abgelau-
fenen Jahre ausgegeben; Heft 94, dessen Abschluss durch den Ver-
last, den der Verein erlitten hat, verzögert wurde, wird in Bälde
erscheinen.
Zur Jahresrechnung übergehend theilt Vorsitzender mit, dass
1892 die Qesammteinnahme sich auf 7468 Mk. 36 Pfg. stellt gegen
6561 Mk. 1891.
Die Ausgaben betrugen 1892 7191 Mk. gegen 6245 Mk. im
Jahre 1891.
Am 1. Jan. 1893 betrug der Kassenbestand 276 Mk. 14 Pfg.
Am heutigen Tage 1557 Mk.
Von den gewählten Revisoren ist Herr Dr. Hauptmann von
Bonn verzogen, der Vorstand hatHerm C.Henry ersucht, an seiner
1) Derselbe, von Herrn Professor Ranke in München verfasst, ist
seither im Heft 94 S. 1 ff* erschienen.
264 Qeneral-Versaminlung des Vereins am 16. Juni 1893.
Stelle die Revision vorzunehmen. Die General- Versammlung erklärt
sich mit dieser Wahl einverstanden. Die Revisoren haben die Rech-
nungen geprüft und beantragen die Ertheilung der Decharge. Diese
wird ausgesprochen.
Die Bibliothek hat sich durch den Schriftenaustausch mit
andern gelehrten Gesellschaften um etwa 100 Bände vermehrt; sie
hat ausserdem Geschenke erhalten von Herren Geheimrath Seh aaff-
hausen, Professor W^ieseler^ Professor Wiedemann, Dr. Gänsen
und verschiedenen Verlegern. Mit besonderem Danke gedenkt der
Vorsitzende endlich eines Geschenkes von ca. 200 Bänden aus dem
Nachlasse unseres verdienten Mitgliedes des Generals von Veith,
Werke, meist auf die Geschichte der Rheiolande in ROmerzeiten
bezüglich; grösstentheils doppelt werthvoll durch zahlreiche eigen*
händige Randbemerkungen und Kartenskizzen des Verewigten. Nach
Eröffnung des Museums werden filr die Benutzung der Bibliothek
und des Lesezimmers durch die Mitglieder regelmässige Besach-
stunden eingerichtet und wird darüber eine Bekanntmachung in den
Zeitungen erfolgen.
Sodann wird zur Neuwahl des Vorstandes übergegangen. Geh.-
Rath Prof. Httffer schlägt vor, den Herrn Geh.-Rath Prof. Dr. Bü-
cheier zum Präsidenten durch Zuruf zu wählen. Dies geschieht.
Herr Geh.-Rath Buch el er wird gewählt und nimmt die Wahl an.
Die übrigen Vorstandsmitglieder werden durch Zuruf wiedergewählt.
Herr Konen regt die Frage an, ob es nicht geeignet er-
scheine, eine Redactionscommission einzusetzen. Herr Prof. Löschcke
hält dies ftar eine Sache des Vorstandes, eine Ansicht, welche von
der Versammlung getheilt wird.
GeneralverMmmiung des Vereins am 20. Juni 1894.
Der Vorsitzende Oeh. Rath Prof. Dr. B liehe ler eröffnete um
ÖV4 Uhr Naehmittags die Versanimlnng und erstattete folgenden
Jahresbericht:
„Der Vorstand des Vereins von Alterthamsfrennden im Rhein*
lande hat nach Vorschrift der Statuten die heutige OeneraWersamm*
Inng berufen, und im Namen des Vorstandes heisse ich Sie, die Sie
hier erschienen sind, willkommen.
Schon die vorjährige Generalversammlung konnte in diesem
Räume stattfinden, kurz bevor das Bonner Provinzialmuseum
am 12. Juli eröffnet wurde; aber erst seitdem sind die auch aus
unserm Vereinsgut ausgestatteten Sammlungen des Provinzialmuseums
zugänglich, der Besuch und die Benutzung derselben, auf welche
der Verein ein vertragsmässiges Anrecht hat, geregelt und häufiger
geworden. Im December feierten wir dem Herkommen gemäss das
Winckelmannfest ; Hr. Nissen hielt den Festvortrag *), Hr. L 0 e s c h c k e
und der Hr. Vicepräsident hatten für Ausstellung neuester Fund- und
Erwerbstücke — ich erinnere an das Scepter der Aebte von Wer-
den — Sorge getragen, der Abend gab Qelegenheit auf die gegen-
wärtigen Aufgaben des Vereins hinzuweisen. Die Bitte um Aus-
breitung des Verständnisses und hilfreichen Wohlwollens fUr den
Verein und seine Bestrebungen in weitesten Kreisen kann, denk'
ich, nicht oft genug wiederholt werd^ und sei daher auch hier
ausgesprochen. Im Vordergmnd der Vereinsthätigkeit stehen zur
Zeit die Jahrbücher; von diesen ist Heft 94, dessen Redaktion im
vorigen Sommer abgeschlossen ward, noch 1893 zur Ausgabe ge-
langt; Heft 95, weldies unter Anderm den erstra genauen Bericht
über das in Ereuznaeh gefundene römische Mosaik bringt, ist nahezu
1) Gedruckt im Jahrbuch 95 8. 1 ff.
266 General- VersammluDg des Vereins am 20. Juni 1894.
fertig gedruckt, auch sind schon ftir weitere Hefte artistische Bei'
lagen beschafft und Vorbereitungen getroffen.
Mitglieder hat der Verein nach den seit Anfang 1893 uns zuge-
gangenen Nachrichten dreiunddreissig verloren; die Hälfte davon durch
den Tod. Unter diesen steht wie nach dem Todestag (25. Januar
1893) so wegen der Bedeutung für uns obenan der Präsident Hr.
Schaaff hausen, dessen Gedächtniss bereits in der letzten Oeneral-
versammhiDg durch den Nachruf des Hm. Vieepräsidenton und Ihre
Ehrenbezeugung gefeiert ward. Aus der Zahl der übrigen Todten
sei mir gestattet hervorzuheben die Herren: Leemans in Leiden,
Lttbke in Karlsruhe und Wieseler in Göttingen, femer die beiden
seiner Zeit zu Ehrenmitgliedern ernannten HH. Greiff in Berlin-
Pyrmont und Lind enschmit in Mainz. Wir bedauern den Verlust so
hervorragender, gelehrter und einflussreicher Genossen und Gönner
des Vereins, wir freuen uns hingegen, dass das Leben und die Liebe
zum Alterthum dem Verein doch auch einen stattlichen Zuwachs
gebracht hat, im Ganzen von demselben Zeitpunkt an gerechnet 28
neue Mitglieder, nämlich die Herren:
Oberbergrath Hasslacher in Bonn.
Bankier Dr. Eltzbacher in Cöln.
Buchhändler Fritz Cohen in Bonn.
Stud. phil. Freiherr von Bissing.
Stud. phil. Georg Karo.
Rechtsanwalt Dr. Carl Georgi.
Prof. Dr. Erich Bethe in Rostock.
Stud. phil. Job. Dragendorff in Bonn.
Stud. phil. Emil Krüger.
Privatdocent Dr. Aug. Brinkmann.
Oberfoibliothekar Dr. Rau.
Prof. Dr. Heinr. Dietzel.
Weingntsbesitzer Alex. Hoff mann.
Prof. Dr. Carl Seil.
Rentner Ferd. Schaefer.
Architekt P. Vosen.
Rentner Jos. Henrion.
Dr. Otto Scboetensack in Heidelberg.
Prof. Dr. Eugen Prjm in Bomi.
Hypothekenbewahrer Crohn.
Oberlehrer Dr. Gttlde.
General- Versammlung de» Vereins am 20. Juni 18d4. 267
Kaiserliclie Universität in Dorpat.
Geh. Rath Prof. Wilmanns in Bonn.
Fräulein S eh aaff hausen«
Oberlehrer Dr. Poppelreuter.
Privatdocent Dr. Felix Solmsen.
Cand. phil. Carl Meurer.
Holzhandlung Jos. Greven in Cöln.
Die vom Herrn Rendanten aufgestellte Rechnung ergibt fol-
gende Ziffern:
in 1893 in 1892
Gesammteinnahme Mk. 5746.41 Mk. 7468.36
Davon Beiträge der Mitglieder „ 5280.— „ 5440.—
„ 1200.-
ansserordentlicher Zuschuss seitens der Provinzialverwaltung*
Gesammtansgabe Mk. 4289.26 Mk. 7191.62
davon fttr Drucksachen „ 2107.— „ 2927.—
Photos u- 8. w. „ 332.— „ 616.—
Honorare „ 492.— „ 1762.—
Buchbinder „ 236-— „ 842.—
Bibliothek ^ 536.— „ 476.—
Kasse am 25. Mai 1894 am 28. Mai 1893
Mk. 1457.23. Mk. 276.74.
Die Rechnung sammt den zugehörigen Belegen liegt hier zu
Ihrer Einsieht offen« Die von der letzten Generalversammlung dafür
gev^ählten Herren Carl Henry und Oberstlieutenant Heyn haben
sich der Arbeit unterzogen, die Rechnung zu prüfen und haben sie
richtig befanden. Der Vorstand dankt den Herren fQr ihre Mühewal-
tung und trägt darauf an^ dass Sie die nach den Statuten der Ge-
neralversammlung zukommende Decharge der Jahresrechnung fttr
1893 ertheilen.
Die Bibliothek des Vereins hat sich im Vorjahr^ hauptsächlich
durch den Austausch mit andern Vereinen und Gesellschaften, um
etwa 200 Bände vermehrt. Dazu kam das von Veith'sche Ver-
mächtniss, dessen schon im vorigen Jahresbericht dankende Erwäh-
nung geschah. In Folge der jetzt ermöglichten übersichtlichen Auf-
stellung ist die Benutzung der Bibliothek bequemer geworden und
hat demgemäss auch zugenommen. Der Hr. Bibliothekar ist jeden
Samstag Nachmittag 3 — 5 Uhr zur Ausgabe von Büchern w die
268 General- Versammlung des Vereins am 20. Juni 1894.
Mitglieder bereit; etwaige Aenderung der Stunde wird durch die
Zeitung bekannt gemacht.
Ich schliesse diese Mittheilung mit dem Wunsche^ dass Sie
heute und immer helfen mögen^ das alte Ansehen unseres Vereins
zu behaupten und ihm neues dazu zu erwerben."
Die Versammlung ertheilte nunmehr dem Rendanten Herrn
Rechnungsrath Fricke die Entlastung und erwählte die Herren
OberstHeutenant Heyn und Rentner Carl Henry auch f&r das kom-
mende Jahr zu Revisoren. Beide Herren waren anwesend und nah-
men die Wahl an. Dann forderte der Vorsitzende zur Neuwahl
des Vorstandes auf. Der bisherige Vorstand ward auf Vorschlag
des Herrn Kammerpräsidenten Schorn durch Zuruf wiedergewählt.
Herr Professor Loeschcke regte die Frage an, ob nicht
das Leben des Vereins lebhafter gestaltet, die Beziehung der Mit-
glieder zu einander eine engere werden würde, wenn ausser dem
Winckelmannsfeste auch noch andere gemeinsame Zusammenkünfte
der Mitglieder veranstaltet würden, etwa im Sommer archäologische
Ausflüge, im Winter Vortragsabende. Herr Kammerpräsident Schorn
schliesst sich diesem Vorschlage an. Der Vorsitzende erklärte, er
seinerseits und, wie er glauben dürfe, der ganze Vorstand sei hiermit
völlig einverstanden und werde unter Zuziehung geeigneter Mit-
glieder des Vereins berathen, auf welche Weise der Gedanke sich
am besten verwirklichen lasse.
Einige Herren, besonders Herr Baumeister Forst aus Cöln,
zeigten nach Schluss der Verhandlungen von ihnen in letzter Zeit
neu erworbene Alterthümer; dann wurde unter Führung des Herrn
Professor Klein ein Rundgang durch das Provinzialmuseum unter-
nommen.
V. Verzeichiiiss der Mitglieder *)
im Jahre 1894,
aufgestellt am 20. Juni 1894.
Vorstand des Vereint von Juni 1804 bis 1895.
Geh. Rath Prof. Büc heier, Präsident,
Prof. J. Klein, Vicepräsident,
F. van Vleuten, 1 »«.cretäFi»
Prof. A. Wi e d e m a n n , 1 ö««»^«^»'«»
Dr. P. E. Sonnenburg, Bibliothekar.
Rendant: Rechnungsrath Fr icke in Bonn.
Ebren-Mitgliedor.
Diintzer, Dr., Professor und Bibliothekar in Cöln.
Falk, Dr., Excellenz, Staatsminister a. D. und Oberlandesgerichts-PrUsident
in Hamm.
Greiff, Dr., Excellenz, Wirkl. Geh. Ob.-Reg.-Rath und Ministerial-Director
in Berlin.
Hei big, Dr., Professor in Rom.
Philipp Krementz, Dr., Erzbischof von Cöln.
Schöne, Dr., Geh. Ober-Reg.-Rath und Geu.-Director der Königl. Museen
in Berlin.
Ordentliche Mitglieder.
Die Namen der auswärtigen Secretäre sind mit fetter Schrift gedruckt.
Achenbach, Dr. von. Exe, Staats- A n d r e a e, Professor und Historien-
min. a.D.u.Oberpräsid. inPotsdam. maier in Sinzig.
Achenbach, Berghauptmann in Antiquarisch-historischerVer-
Clausthal. ein in Kreuznach.
Adler, Geh. Ober-Baurath, Prof. Archiv der Stadt Aachen.
in Berlin. Archiv, Kgl. Staats-, in Düsseldorf.
Aldenkirchen, Domcapitular in Trier. Arndts, Max in Cöln.
Alterthums-Verein in Mannheim. Arnoldi, Dr., pract. Arzt in Win-
Alterthums-Verein in Worms. ningen a. d. Mosel.
Alterthums-Verein in Xanten. Asbach, Dr., Director in Prüm.
Alt mann, Bankdirector in Cöln. Bade Verwaltung in Bertrieb.
Andre ae, Dr. Hans, in Burgbrohl. Baedeker, Carl, Buchh. in Leipzig.
A n d r e a e , Otto, Fabrikbesitzer in B a 1 z e r , Regier.- u. Baurath in Cöln.
Mülheim a. Rhein. Baron, Dr., Professor in Bonn.
1) Der Vorstand ersucht, Unrichtigkeiten in den nachstehenden Ver-
Z6ichni3sen, Veränderungen in den Standesbezeichnungen und den Wohn-
orten gefälligst dem Rendanten, Herrn Rechnungsrath Fricke, schriftlich
mitzutheilen. Die seit Beginn dieses Jahres verstorbenen Mitglieder sind
mit einem * bezeichnet.
S7Ö
Verzeichniss der Mitglieder.
Beck, Dr., Schulrath, Seminar-
director in Brühl.
Becker, Dr., Archivrath u. Staats-
archivar in Coblenz.
Beger, Otto, Director in Ehrenfeld.
Beissel von Gymnich, Graf auf
Schloss Schmi^thein, Bifei.
Bemberg, von, Rittergutsbesitzer
in Flamersheim.
Berlepsch, Frhr. v.^ Staatsminister
in Berlin.
Bethe, Erich, Dr., Professor in
Rostock.
Bibliothek der Stadt Bannen.
Bibliothek der Universität Basel.
Bibliothek des akadem. Kunst-
museums in Bonn.
Bibliothek des Lyceums Hosiana
in Braunsberg.
Bibliothek, Ständ.Landes- LCassel.
Bibliothek der Stadt Cleve.
Bibliothek der Stadt Cöln.
Bibliothek der Stadt Crefeld.
Bibliothek, Fürstl. in Donau-
eschingen.
Bibliothek der Universität Dor-
pat.
Bibliothek der Stadt Düren.
Bibliothek der Stadt Düsseldorf.
Bibliothek der Stadt Duisburg.
Bibliothek der Stadt Emmerich.
Bibliothek der Stadtgemeinde
Bibliothekder Stadt Frankfurt a.M.
Bibliothek der Universität Frei-
burg i. B.
Bibliothek der Stadt M. Gladbach.
Bibliothek der Uni vera. Göttingen.
Bibliothek der Universität Halle
a. d. S.
Bibliothek der Stadt Hamburg.
Bibliothek der Universität Königs-
berg i. Pr.
Bibliothek der Universität Löwen.
Bibliothek der Universität Lüttich.
Bibliothek der Stadt Mainz.
Bibliothek, Gräfl. v. Mirbach*sche
zu Harif.
Bibliothek der Akademie in
Münster.
Bibliothek, Stifts- in Oehrfngen.
R. Bibliothek Palatina in Parma.
Bibliothek der Universität Prag.
Bibliothek der Stimmen aus Maria
Laach. Exaeten beiBaexem, Hol-
land. Limburg.
Bibliothek der Stadt Stralsund.
Bibliothek der SUdt Trier.
Bibliothek der Univ. Tübingen.
Bibliothek, Königl. in Wiesbaden.
Binz, Dr., Geh. Rath und Professor
in Bonn.
Bissing, Freiherr von, stud. phil.
in Bonn.
Blanchard-Surlet, Baron de,
SchlosB Lexhjr b. Texhe.
Blank, Emil, Kaufmann in Barmen.
Bl ank , Gust., Fabrikantin Elberfeld.
Blank, Willy, Rentner in Elberfeld.
Boch, von, ausw. Secret., Geh. Com-
merzienrath u. Fabrikbesitzer in
Mettlach.
Bock, Adam, Dr. jur. in Aachen.
B o e c k i n g , G. A., Hüttenbesitzer zu
Abenteuerhütte b. Birkenfeld.
Boecking,K. Ed., Hüttenbesitzer zu
Gräfenbacherhütte b. Kreuznach.
Boeddlnghaus, Wm. sr., Fabrik-
besitzer in Elberfeld.
Bone, Professor Dr., Gymn.-Oberl.
in Düsseldorf.
Borret, Dr. in Voeelensang.
Bracht, Eugen, Prof. der Kunst-
akademie in Berlin.
Brambach, Dr., Prof. und Ober-
bibliothekar in Karlsruhe.
Brinkmann, August, Dr., Privat-
docent in Bonn.
Brühl, Graf v., Landrath in Coblenz.
Brunn, von, Dr., Prof. in München.
Bücheier, Dr., Geh. Reg.-Rath,
Professor in Bonn,
Bürgers, V., Kaufmann in Plitters-
dorf.
Bürgerschule, Höhere in Düssel-
dorf.
Bürgerschule, Höh. in Hechhi^n.
Burkhardt, Dr., Pastor in Blösien.
Caesar, Aug., Dr., Landger .-Prä-
sident a. D. in Bonn.
Cahn, Carl, Bankier in Bonn.
Cappell,Landger.-Dir.i.Wie8baden.
Carnap, von, Rentner in Elberfeld.
C ar o n^lb. Heinrich, Gutabesitz. auf
HausHelsterber^ beiKönigswinter.
C a r s t a n j e n, Adolf v., in G odesberg.
Chrzescinski, Pastor in Cleve.
Civil -Casino in Coblenz.
Civll-Casino in Cöln.
Ciaer, Alex, von, Lieutenant a.D.
und Kentmeister in Bonn.
C 1 a e r , Eberhard, von, Gutsbesitzer,
Haushof in Vilich bei Bonn.
C 1 a e r , Ernst von, Major a. D.in Bonn.
Clemen, Dr. Paul in Bonn.'
Cohen, Friedr., Buehhdlr. in Bonn.
Conrady, Kreisrichter a. D. in
Miltenberg^
Vereeichniss der Mitgliedeir.
m
ConserVatorium d. Alterthämer,
GrosBherzogl.BadiBch. inCarlsrube.
Conze, Gottfried, Provinzial-Land-
tagfl-Abgeordneter in LaDgenbersr
(Rheinl).
CorneliUB, Dr., Prof. in München.
C o u r t h , Assessor a. D. in Düsseldorf.
Crohn, Herrn., Kgl. Hypotheken-
bewahrer in Bonn.
Cüppers, Conr., Dr., Real-Gymna-
siallehrer in Cöln.
Ouno, Regiemngs* nndBanrath in
Coblenz.
C u r t i u s , Dr., Geh.-R., Prof . in Berlin.
D a h m , Dr. GeorgCarl, Rentn.iBonn.
Deichmann, Theodor, Commer-
zlenrath in Cöln.
Deiters, Dr., Geh. Regiemngsrath
in Coblenz.
D e p p e , Angust, Dr. in Heidelberg.
Diergardt, Frhr. von, Morsbroich.
Dietzel, Heinrich, Professor, Dr. in
Bonn.
Dilthey, Dr., Prof. in Göttingen.
Dobbert, Dr., Prof. in Berlin.
D o e t s eh , OberbürgermeistinBonn.
Donsbach, cand. phil. inBoppard.
D ungern, Frhr. von, Präsid. der
Grossherz. Luxemburgischen Fi-
nanzkammer in Wiesbaden.
Dragendorff, Joh., stud. phil.
in Bonn.
Dutrenx, T., Rentn. in Luxemburg.
Eich hoff, Otto, in Sayn.
Eick , Carl Alfred, Rechnungsführer
iB Mechernich.
Elter, A., Dr., Professor in Bonn.
Elt«ster, von, In Coblenz.
Eltz, Graf, Excellenz in EltviHe.
Eltzbacher, Dr. Fritz, Bankier in
Cöln.
Engelskirchen, Architect in Bonn.
Erlenmeyer, Dr. Albr., Sanitäts-
rath in Bendorf am Rhein.
E s k e n s , Frl. Jos., Rentnerin in Bonn.
Esser, Dr., Kreisschulinspector in
Malmedv.
Evans, John zu Nash-Mills in Engl.
Eynern, Ernst von, Kaufmann in
Bannen.
Finkeinburg, Prof., Dr., Geh.
Rath in Godesberg.
Firmenich -Richartz, Frau, in
Bonn.
Flandern, Kgl. Hoheit Gräfin von,
in Brüssel.
Fleck eisen, Dr., Prof. in Dresden.
Flinsch, Major a. D. in Immen-
burg b. Bonn.
Follenius, Geh. Bergrath in Bonn.
Fonk, Landrath in Küdesheim.
Forst, W., Baumeister in Cöln.
Franks, Aug., Conser vator am
British-Museum in London.
Fricke, Rechnungsrath und Ober-
bergamtsrendant in Bonn.
Friederichs, Carl, Commerzien-
rath in Remscheid.
Friedlttnder, Dr., Professor, Geh.
Reg. Rath in Strassburg, Elsass.
Frings ,Frau, Commerzienr.Eduard,
auf Marienfels b. Remagen.
F r 0 w e i n , Aug., KaufYn. in Elberfeld.
Fr o wein, Landrath in Wesel.
Fröhlich, Stephan, Notar in Cöln.
Fuchs, Pet, Professor und Dom-
bildhauer in Cöln.
Fürstenberg, Graf von, Erbtruch-
sess auf Schloss Herdringen.
Fürstenberg-Stammheim, Graf
von, Stammheim b. Mülheim a. Rh.
Fuss, Dr., Gymn.-Dir. zu Strassburg
im Elsass.
Gaedechens, Hofrath, Dr., Pro-
fessor in Jena.
Gandtner, Dr., Curator, Geh. Ober-
Reg.-Rath in Bonn.
Georgi, Carl, Dr., Rechtsanwalt in
Bonn.
Gewerbeschule (Realschule) in
Saarbrücken.
Goebbels, Stiftsherr am Collegiat-
stift in Aachen.
Goebel, Dr., Gym.-Dir. in Fulda.
Gothein, Dr., Professor in Bonn.
Goldschmidt,Rob.,Bankieri.Bonn.
Goldschmidt, Walter, Bankier in
Bonn.
Gräfe, Dr., Professor in Bonn.
G r an d -Ry , von, Rittergutsbesitzer
in Bonn.
G r e V eil, Jos., Holzhandlung in Cöln.
*Grüneberg,Dr., Commerzienrath
in Cöln.
Guide, Oberlehrer, Dr. in Bonn.
Guilleaume, Frz., Fabrikbesitzer
in Bonn.
Gurlt, Dr. Adolf, in Bonn.
Gy m n a si um KaiserKarl in Aachen.
Gymnasium zu Birkenfekl.
Gymnasium in Bochum.
Gymnasium in Bonn.
Gymnasium in Bruchsal.
Gymnasium in Carlsruhe in Baden.
Gymnasium in Cassel.
Gymnasium in Cleve.
Gymnasium in Coblenz.
Gymnasium anStAposteln in Cöln.
m
Veraeichntfis der Mitgltedei^.
Gymnasiuin, Kaiser Wilhelm- in
Cöln.
Gymnasium an Marzeüen in Cöln.
Gymnasium in Düren.
Gymnasium in Düsseldorf.
Gymnasium in Duisburg.
Gymnasium in Elberfeld.
Gymnasium in Emmerich.
Gymnasium in E^sen.
G y m n a s i um in Freiburff in Baden.
Gymnasium in M. Gladbach.
Gymnasium in Höxter.
Gymnasium in Kempen (Rhein).
Gymnasium in Mannheim.
Gymnasium in Montabaur.
Gymnasium in Münstereifel.
Gymnasium in Neuss.
Gymnasium in Neuwied.
Gymnasium in Rheine.
Gymnasium in Rinteln.
Gymnasium in Saarbrücken.
Gymnasium in Sieffburg.
Gymnasium in Tauberbischofii-
heim.
Gymnasium in Trarbach.
Gymnasium in Trier.
Gymnasium in Wesel.
Gymnasium in Wetzlar.
H a a s s , Eberh., Apotheker in Viersen.
Hab et s, Jos., Reichsarchivar, Mitgl.
d. Königl. Akad. d.Wis8en8ch. in
Mastricht.
Hanstein, Peter, Buchhändler in
Bonn.
Hardt, A. W., Kaufhiann u. Fabrik-
besiteer in Lennep.
Hasslacher, Königl. Oberbergrath
in Bonn.
Haug, Ferd., Professor u. Gvmnasial-
Director, ausw.Secr., in Mannheim.
Hauptmann, Rentner in Bonn.
Hauptmann, Felix, Dr. in Bonn.
Heckmann, Fabrikant in Viersen.
Heereman, Frhr. von, Regierungs-
rath a. D. in Münster, Westf.
Heinsberg, von, Geh.Regierungs-
rath in Wevelinghoven.
Helmentag, Hauptmann a. D. in
Dresden.
Henrion, Jos*, Rentner in Bonn.
Henry, Rentner in Bonn.
Herder, August, Kaufmann in Eus-
kirchen.
Herder, Ernst, in Euskirchen.
Herfeld, Frau Josephine, geb.
Bourette in Andernach.
Herstatt, Eduard, Rentner in Cöln.
Hettner, Professor Dr., Director
des Proyinz.-Museums in Trier.
Heuser, Robert, SUdtrath in CÖb.
Heydinger, Pfarrer in Schleid-
weiler bei Anw, Reg.-Bez. Trier.
Hey dt, von der, Freiherr August,
Bankier in Elberfeld.
Hey dt, von der, Carl, Rentner in
Berlin.
Heyl, C. W., Freiherr von, Geh.
Commerzienrath in^Hermsheim b.
Worms.
Heyn, Oberstl. in Bonn.
Hilgers, Freih. von, General der
Infanterie z. D. in Darmstadt.
Hil legem, Sixvan, in Amsterdani.
Historischer Verein für Dortmund
und die Grafschaft Mark in Dort-
mund.
Historischer Verein für die Saar-
gegend in Saarbrücken.
Höstermann, Dr., Arzt in Ander-
nach.
Hoeting, Bernhard, Dr., Bischof
von Osnabrück.
Hopf n er, Dr., Geh. Regierungsrath
im Cultusministerium in Berlin.
H o f m an n , Alex., Weingutsbesiizer
in Bonn.
Homnesch, Graf Alfr. von, zu
Schloss Rurich.
Hübner, Dr., Professor in BerUn.
Hüff er, Dr., Professor u. Geh. Raih
in Bonn.
H ü t w o h 1 , J., in Steeg b. Bacharach.
Humbroich, Justizrath U.Rechts-
anwalt in Bonn.
Hupertz, Commerzienrath in Me-
chemich.
Huyssen, Dr., Wirkl. Geh. Rath,
ExceUenz in Bonn.
Huyssen, Ingenieur in Nieder-
breisifi".
Ihm, Max, Dr. phil., Privatdocent
in Halle a. Saale.
Isphording, Reg.-Baumeister in
Bonn.
J a e h n s , Max, Major im Gr. General-
stab in Berlin.
Jenny, Dr. Sam., in Hard b. Bre-
genz.
Joerres, Dr., Rector, in Ahrweiler.
Jörissen, Pastor in Alfter.
Joest, Frau August, in Cöln.
Isenbeck, Julius, Rentner in Wies-
baden.
Kahl, W., Dr., Professor in Bonn.
Karo, Georg, stud. phll. in Bonn.
Karsch, Paul, Königl. Eisenbahn-
Bau- u. Betriebs-Inspect, in Essen
(Ruhr).
Verzeichniss der Mitglieder.
273
KanfmanD, Oberbürgerm. a. D.
in Bonn.
Kaulen, Dr., Professor in Bonn.
Klein, Dr. Job., Professor in Bonn.
Klerings, Qastwirth in Bertrich.
Klingholz, Rentner in Bonn.
Knaben-Pensionat, kath., Kein-
perhof bei Coblenz.
Knebel, Landrath a. D., Geh. He-
gierungsrath in Cöln.
Koch, Dr. theol., MilitJlr- Ober-
pfarrer, in Frankfurt a. M.
Koenen, Constant., Archäologe in
Neuss.
K o enig, Fritz, Rentner in Dresden.
Koerte, Dr., Professorin Rostock.
Kohl, Dr., Professor u. Gymnasial-
Oberlehrer zu Kreuznach.
Kosh ab, Jos., Baurath in Cöln.
Koser, Reinhold, Professor in Bonn.
Kr äfft, Dr., Geh. Consistorialrath
und Prof. in Bonn.
Kram er, Franz, Rentner in Cöln.
Kraus, Dr., Professor in Freiburg
L B.
Kreis-AusschasB, Landkreis in
Bonn.
Kreis-Ausschuss, Landkreis in
Coblenz.
Kreis-Ausschuss, Landkreis in
Cöln.
Kreis-Ausschuss, Landkreis in
Crefeld.
Kreis-Ausschuss in Dann.
Kreis-Ausschuss, Landkreis in
Düsseldorf.
Kreis-Ausschuss, Landkreis in
Essen a. d. Ruhr.
Kreis-Ausschuss in Euskirchen.
Kreis-Ausschuss in Gummers-
bach.
Kreis-Ausschuss in Lennep.
Kreis-Ausschuss in Malmedy.
Kreis-Ausschuss in Meisenheim.
Kreis-Ausschuss in Merzig.
Kreis-Ausschuss in Mülheim
a. Rhein.
Kreis-Ausschuss in Mülheim
a. d. Ruhr.
Kreis-Ausschuss in Neuss.
Kreis-Ausschuss in Ruhrort.
Kreis-Ausschuss in Saarburg,
R.-B. Trier.
Kreis-Ausschuss in Saarlouis.
Kreis-Ausschuss in Schieiden.
Kreis-Ausschuss in Siegburg.
Kreis-Ausschuss Mettmann in
Vohwinkcl.
Kreis-Ausschuss in Wetzlar.
Jahrb. d. Ver. v. Altcrthsfr. im Rheinl.
Kreis-Ausschuss in Wittlich.
Krüger, Emil, stud. phil. in Bonn.
Krupp, Geh. Commerzieurath in
Essen.
K ü h I e n , B., Inhaber einer artistisch.
Anstalt in M.- Gladbach.
Kur-Commission in Bad Ems.
Landau, H., Commerzieurath in
Coblenz.
Landrathsamt,Königl. in Aachen.
Landrathsamt, Königl. in Adenau.
L an drathsamt,Königl. Ahrweiler.
Landrathsamt, Königl. in Alten-
kirchen.
Landrathsamt, Königl. in Er-
kelenz.
Landrathsamt, Königl. in Geilen-
kirchen.
Landrathsamt, Königl. in M.-
Gladbach.
Landrathsamt, Kön. in Greven-
broich.
Landrathsamt, Königl. in Heins-
berg.
Landrathsamt, Kön. in Kempen.
Landrathsamt, Königl. in Rheiu-
bach.
Landrathsamt, Kön. in Simmern.
Landrathsamt, Königl. in So-
lingen.
Landrathsamt, Königl. in Wessel.
Landsberg, Dr. Ernst, Professor
in Bonn.
Landsberg-Steinfurt, Freihr.
von, Engelbert, Gutsbes. in Dren-
steinfurt.
Landwehr, Dr., Rechtsanwalt in
Königswinter.
Langen, Eugen, Commerzienr. in
Cöln.
Lasaulx, von. Bürgermeister in
Remagen.
L a u t z , Geheimer Justizrath inBonn.
Lautz, Justizrath und Notar in El-
berfeld.
Leber, Gymnasiallehrer in Bonn.
Leiden, Hans, Consul in Cöln.
Lempertz, H.Söhne, Buchhdlg. in
Cöln.
Lennep, van, in Zeist.
Lese- und Erholungs-Gesell-
schaft in Bonn.
Leydel, J., Rentner in Bonn.
L e y e n von der, Emil, Rittergutsbes.,
Burg Miel bei Odendorf.
L i ebene w, Professor, Geh.Rechn.-
Rath in Berlin.
Liebieg, Angelica, Frau Baronin
von, in Gondorf a. M.
X ov. 18
274
Verzeichniss der Mitglieder.
Linden, Anton, in Düren.
Lindenschmidt, Carl^ Rechtsan-
walt in Elberfeld.
Li n t z , Jac, VerlagsbuchhUndler in
Trier.
Lo6, Frhr. von, Generaloberst in
Coblenz.
Loeschcke, Dr.,Profcfi.sor i. Bonn.
Loersch, Dr., Geh. Justizrath und
Professor in Bonn.
L o h a u s , Ober - Verwaltungsgo-
richtsrath in Berlin.
Märtens, Baurath in Bonn.
Marcus, Verlagsbuchhändler in
B.onn.
Martius, Goetz, Dr., Professor in
Bonn.
Mar X , Aug., Civil-Ingenieur inBonn.
MehliSy Dr. C, Prof., ausw. Secr.,
Gymnasiallehrer in Neustadt a.d.
Hardt.
Merkens, Franz, Kaufmann in
Cöln.
Mertz, Sebastian, Rentner in Cöln.
Meurer, Carl, cand. phil. in Sayn.
Mevissen, von, Dr., Geh. Commer-
zienrath in Cöln.
Meyer, Dr., Regierungsrath in Cöln.
Michaelis, Dr., Professor in Strass-
burg.
Michels, F., in Andernach.
Michels, G., Kaufmann in Cöln.
Mörner v. Morlande, Graf, in
Roisdorf.
Mommsen, Dr., Professor in Char-
lottenburg.
Mooren, Dr. Albert, Geheimer Me-
dicinalrath in Düsseldorf.
M Osler, Dr., Professor a. Seminar
in Trier.
Müllenmeister, Th., Kaufmann
in Nieukert.
Müller, Dr. med., SanitUtsrath in
Niedermendig.
Müller, Dr. Albert, Gymnasial-Di-
rector zu Flensburg in Schleswig.
Münz- und Antiken-Cabinet,
Kais. Königl. in Wien.
M u s 6 e royal d'Antiquites, d'Armu-
res et d*Artillerie in Brüssel.
Museen, die Königl. in Berlin.
Museum Wallraf-Richartz in Cöln.
Museum, Fürstlich Hohenzollern-
sches in Sigmaringen.
Museum, Gemeinde- in Nymwegen.
Museum, Reichs- in Nvmwegen.
Neil, von, Joh. Pet. Öutsbesitzer
in Trier.
Neil essen, Theodor, in Aachen.
Neufville, W.von, Rentn. in Bonn.
Neuhäuser, Dr., Geh. Reg. Rath
und Professor in Bonn.
Neuhoff, Dr. Robert, Chemikerin
Elberfeld.
Niessen, C. A., Bankier in Cöln.
Nissen, Dr. H., Prof. u. Geh. Rath
in Bonn.
Nitzsch, Dr., Gymn.-Dir. in Biele-
feld.
Nordhoff, Dr., aus w. Secr., Professor
in Münster i. W.
Norrenberg, Dr., Pfarrer in
Süchteln.
Oberbergamt, Kgl. in Bonn.
Oberschulrath, Grossherzoglich
Badischer, in Carlsruhe.
Oechelhäuser, von, Dr., Prof.
in Heidelberg.
Oidtmann, Heinrich, Dr., Inhaber
einer Glasmalerei in Linnich.
Oppenheim, Albert, Freiherr von,
k. Sachs. General-Consul in Cöln.
Oppenheim, Eduard, Freiherr von,
k. k. General-Consul in Cöln.
Ort, J. A., Rittmeister in Leiden.
Overbeck, Dr., ausw. Secr., Prof. in
Leipzig.
Papen, von, Prem.-Lieut. im T).
Ulanen-Regiment in Werl.
Pauls, E., Rentner in Düsseldorf.
Paulus, Prof. Dr., Conservator d. k.
Württ. Kunst- u. Alterthumsdenk-
male, ausw. Secr. in Stuttgart.
P au 1 y , Dr., Oberpfarrer in Montjoie.
Pflaume, Baurath in Cöln.
Pick, Rieh., Stadtarchivar in Aachen .
Plassmann, Landesrath a. D. zu
Münster i. W.
Pleyte, Dr. W., auswärt. Secr., Direc-
tor des Reichs-Museum der Al-
terth. in Leiden.
Polytechnicum in Aachen.
Poppelreuter, Dr., Oberlehrer
in Bonn.
Prieger, Dr., Rentner in Bonn.
Priester-Seminar, Bischöfliches
in Trier.
Proff-Irnich, Freiherr Dr. von,
Landgerichts-Rath a. D. in Bonn.
Progymnasium in Andernach.
Progymnasium in Dorsten.
Progymnasium in Eschweiler.
Progymnasium in Euskirchen.
Progymnasium in Malmedy.
Progymnasium in Rheinbach.
Progymnasium in Sobeniheim.
Progymnasium in St. Wendel.
Progymnasium in Wipperfürth.
Verzeichniss der Mitglieder.
276
Provinzial-Verwaltung in
DÜ8seldorf.
Prüfer, Theod., Architectin Berlin.
Ery in, Eugen, Prof., Dr. in Bonn.
Quack , Rechtsanwalt u. Bankdirec-
tor in M.-Gladbach.
Randow, von, Kaufm. in Crefeld.
Rath, Emil vom, Comm.-Rath in
Cöln.
Rath, vom, Frau Eugen, in Cöln.
Rau, Hermann, Dr., Ünivers.-Ober-
Bibliothekar in Bonn.
Rauten Strauch, Eugen, in Cöln.
Rau t er, Oskar, Director der rhei-
nischen Glashütte in Ehrenfeld.
Rautert, Oskar, in Düsseldorf.
Real-Gymnasium in Barmen.
Real-Gyninasium in Düsseldorf.
Real-Gymnasium in Elberfeld.
Real-Gvmnasium in Mülheim
a. d. R.
Real-Gymnasium in Ruhrort.
Real-Gymnasium in Trier.
Real-Progymnasium in Bonn.
Real-Progymnasium in Eupcn.
Real-Progymnasium in Saar-
louis.
Real-Progymnasium inSolingen.
Real-Progymnasium in Viersen.
Realschule in Aachen.
Realschule, Obere, in Cöln.
Realschule in Essen.
Recklinghausen, von, Wilh., in
Cöln.
Remy, Jul., in Neuwied.
Rennen, Geh. Rath, Eiscnbahn-Di-
rections-Prttsident in Cöln.
Reuleaux, Heinr., Techniker in
Remagen.
Reu seh, Gutsbesitzer, Gut Idylle
bei Kruft.
Rieth, Dr., Rechts-Anwalt in Cöln.
Rigal-Grunland, Frhr. von, in
Bonn.
Ritter- Akademie in Bedburg.
Roeber, Friedrich, Bankier in El-
berfeld.
Roettgen, Carl, Rentner in Bonn.
Rolffs, Commerzienrath in Bonn.
Rohlfs, Generalconsul, in Godes-
berg.
R o s b a c h , Professor, Gymn.-Lehrer
in Trier.
Saemisch, Dr., Geh. Rath und Pro-
fessor in Bonn.
Salm- Salm, Durchlaucht Fürst zu,
in Anholt.
San dt, von, Dr. juris, Landrath in
Bonn.
Sauppe, Dr., Geh. Reg.-Rath u.
Prof. in Göttiugen.
Schaaffhausen, Fräulein inBonn.
Scha äff hausen, Hubert, Land-
gerichtsrath in Cöln.
Schaefer, Ferdinand, Rentner in
Bonn.
Schallenberg, Pet. Jos., Bier-
brauereibesitzer in Cöln.
Schenk, Justizrath in Cöln.
Schi ekler, Ferd., in Berlin.
Schierenberg, O.A. B., Rentner
in Luzern.
Schlumberger, Jean, Fabrikbcs.
u. Präsid. d. Landesausschusses
f Elsass-Lothringon in Gebweiler.
Schmithals, Rentner in Bonn.
Schneider, Dr., ausw. Secr., Professor
in Cleve.
Schneider, Dr. R., Gymnas.-Di-
rector in Duisburg.
Schneider, Friedr. Dr., Domcapi-
tular in Mainz.
Schnock/ Heinrich, Pfarrer in
Aachen.
Schnütgen, Dr., Domherr in Cöln.
Schoetensack, Dr. Otto, in Hei-
delberg.
Sehern, Kammerpräs. a.D. in Bonn.
Sc ho eil er. Guido, Kaufmann in
Düren.
Schoeller, Edgar in Düren.
Schoeller, Julius, Frau, in Düren.
Schönaich-Carolath, Prinz,
Berghauptmann a. D. in Potsdam.
Schoeningh, Verlagsbuchhändler
in Münster i. Westf.
Schroers, J. H., Dr., Prof. in Bonn.
Schultz, Franz, Director in Deutz.
Schunck, Josef, Frau Bergwerks-
und Weinguts-Besitzerin in Bonn.
Schwan, städt. Bibliothekar in
Aachen.
Schwann, Dr., Sauitätsrath in Go-
desberg.
S e I i g m a n n , Moritz, Bankier i. Cöln.
Sels, Dr., Fabrikbesitzer in Neuss.
Seil, Carl, Professor, Dr. in Bonn.
Seminar in Boppard.
Seminar in Cornelimünster.
Seminar in Elten.
Seminar in Neuwied.
Seminar in Odenkirchen.
Seminar in Siegburg.
Sevffardt, Heinr., Kaufmann in
Crefeld.
Simrock, Dr., Francis in Bonn.
Sloet van de Beele, Baron, Dr.,
L. A. J. W., Mitglied der k, Akad.
276
Verzeichniss der Mitglieder.
der Wit$sensch. zu Amsterdam in
Arnheiui.
Solms, Durchlaucht, Prinz Albrecht
zu, in Braunfels.
S o 1 m s e n, Dr., Privatdozent in Bonn.
Sonnenbarg, Dr., Gymnasialleh-
rer in Bonn.
Spie8-Bülle8heim,Freih.Ed.von,
k. Kammerherr und Bürgermeister
auf Haus Hall.
Spitz, von, Generallieutenant, Di-
rector im Kriegs-Ministerium in
Berlin.
Springorum, Wilh., Director der
Vaterl. Feuer- Vers.-Aktienges. in
Elberfeld.
Stadtkreis Elberfeld.
Stadt (Oberbürgermeister amt) Cob-
leuz.
Stadt (Bürgermeisteramt) Ober-
hausen.
Stadt (Oberbürgermeisteramt) Rem-
scheid.
St ad er, Dr. juris, in Bonn.
Start z, Aug., Kaufmann in Aachen.
Statz, Baurath u. Diöc.-Archit. in
Cöln.
Stedtfeld, Carl, Kaufmann in
Cöln.
Stier, Hauptmann a. D. in Fürsten-
walde a. d. Spree.
Stinshoff, Pfarrer in Sargenroth
bei Gemündon, Reg.-Bez. Coblenz.
St oll, General z. D. in Bonn.
Straeter ,Gottfr.,8enr.,Gut8besitzer,
Haus Petersthal bei Niederdollen-
dorf.
Stremme, Heinrich, Kaufmann in
Crefeld.
Strubberg, von, General der In-
fanterie, Gen.-Inspect. des Militär-
Erziehungs- u. Bildungswesens in
Berlin.
Studien- An st alt in Speier.
S tu m m , Carl, Baron von, Geh. Com-
merzienrath, zu Schloss Hallberg
b. Saarbrücken.
Török, Dr. Aurel von, Prof. in
Budapest.
T 0 r n o w , Kaiserl. Regierungs-Bau-
rath in Metz.
Ueberfeldt, Dr., Rendant in
Essen.
Urlichs, Dr., H. L., K. Gymna-
siallehrer in München.
Usencr, Dr., Geh. Reg.-Rath, Pro-
fessor in Bonn.
Vahlen, Dr., Geheimrath und Pro-
fessor in Berlin.
Valette, de la, St. George, Frei-
herr Dr., Professor in Bonn.
Veit, von, Dr., Geh. Ober-Medi-
cinalrath u. Professor in Deyels-
dorf (Mecklenburg).
Verein für Alterthumskunde imFür-
stenthum Birkenfeld zu Birken-
feld.
Verein für Erdkunde in Metz.
Verein für Urgeschichte in Siegen.
Vleuten, van, Rentner in Bonn.
V 0 i g t e 1 , Geheim er Regierungsrat h
und Dombaumeiflter in Cöln.
Vosen, P., Architect in Bonn.
Voss , Theod., Geheimer Bergrath in
Düren.
W a 1 d e y e r , Carl, Realprogymna-
siallehrer zu Bonn.
Wandesieben, Friedr., Rentner
zu Bad Kreuznach.
Weckbekker, Fräul., in Düssel-
dorf.
Wegehaupt, Professor, Gymna-
sial-Director in Hamburg.
Weiss, Professor, Geh. Regierungs-
rath, Director d. kgl. Zeughauses
in Berlin.
Wendelstadt, Frau, Commerzien-
räthin in Godesberg.
Werner, H., Hauptmann u. Komp.-
Chef im l.Grossh. Hess. Inf.- (Leib-
garde) Rgt. 115 in Darmstadt.
Wied, zu, Durchlaucht, Fürst, in
Neuwied.
Wiedemann, Dr., Prof. in Bonn.
♦Wiethase, k. Baumeister in Cöln.
Wilde, Frau Wittwe, in Bonn.
Wilmanns, Dr., Geh. Rath., Prof.
in Bonn.
Wi n c k 1 e r , von, erster Staatsanwalt
in Köln.
Wings, Dr., Rentner in Aachen.
WMrtz, Hauptmann a. D. in Harlf.
Wiskott, Friedr., Bankier in Dort-
mund.
Wi 1 1 e n h a u 8, Dr., Direct. in Rheydt.
Wittgenstein, F. von, in Cöln.
Wol f , General-Major z. D. in Deutz.
Wo 1 fers, Jos., Rentner in Bonn.
Wolff, F. H., Kaufmann in Cöln.
Wülfing, Frau, Rittergutsbesitze-
rin auf Burg Kriegshoven.
Wulff, Oberst a. D., Oberkassel b.
Bonn.
Zangemeister, Hofrath, Prof. Dr., ausw.
Secr., Oberbibliothekar in Heidel-
berg.
♦Zartmann, Dr., Sanitätsr. i. Bonn.
Zitelmann, Dr., Prof. in Bonn.
Verzeichnis der Mitglieder.
277
Ausserordentliche Mitglieder.
Arendt, Dr. in Dielingcn.
Fiorelli, G., Senator del Regno,
Direttore generale deiMuöei e degli
Scavi in Kom.
Garaurrini, Francesco, in Florenz.
H e i d e r , k. k. Sectionsrath in Wien.
Hermes, Dr. med. in Remich.
Lanciani, lt., Professor in Rom.
Lucas, Charles, Architect, Sous-Insp.
des travaux de la ville in Paris.
M i c h e 1 a n t , Bibliothecaire au dept.
des Manuscrits de la Bibl. Im per.
in Paris.
Noüe, Dr. de, Arsfene, Rentner in
Malmedy.
R o s s i , J. B. de, Archäolog in Rom.
Schlad, Wilh., Buchbindermeister
in Boppard.
L. Tosti, D., Abt in Monte-Casino.
Verzeichniss
sämmtlicher Ehren-, ordentlichen und ausserordentlichen Mitglieder
nach den Wohnorten.
Aachen: Bock. Goebbels. Gymna-
sium. Landrathsamt. Neilessen.
Pick. Polytechnicum. Realschule.
Schnock. Stadtarchiv. Startz.
Wings.
Abenteuerhütte: Boecking.
Adenau: Landrathsamt.
Ahrweiler: Landrathsamt. Joerres.
Alfter: Jörissen.
Altenkirchen: Landrathsamt.
Amsterdam: van Hillegom.
Andernach: Frau Herfeld. Höster-
manu. Michels. Progymnasium.
Anholt: Fürst zu Salm.
Arnheim: Baron Sloet.
Sarmen: Blank. E. von Eynern.
Real-Gymnasium. Stadtbibliothek.
Basel: Universitäts-Bibliothek.
Bedburg: Ritter- Akademie.
Bendorf am Rhein: Erlenmeyer.
Berlin: Adler, v. Berlepsch. Bracht.
Curtius. Dobbert. Gen. -Verwalt.
der k. Museen. GreiflF. von der
Heydt. Höpftier. Hübner. Jaehns.
Liebenow. Lohaus. Prüfer. Schick-
ler. Schoene. v. Spitz, v. Strub-
berg. Yahlen. Weiss.
Ber trieb: Badeverwaltung. Kle-
rings.
Bielefeld: Nitzsch.
Birken feld: Gymnasium. Verein
für Alterthumskunde.
B 1 ö s j e n b. Merseburg : Burkhardt.
Bochum: Gymnasium.
Bonn: Baron. Bibliothek des
Kunstmuseums. Binz. Frhr. von
Bissing. Brinkmann. Bücheier.
Caesar. Cahn. Alexander von
Ciaer. Ernst von Ciaer. Giemen.
Cohen. Crohn. Dahm. Doetsch.
Dietzel. Dragendorff. Elter. En-
gelskirchen. Fräulein Eskens.
Frau Firmenich - Richartz. Pricke.
Follenius. Gandtner. Dr. Georgi.
R. Goldschmidt. W. Goldschmidt.
Gothein. von Grand -Ry. Gräfe.
Guide. Guilleaume. Gurlt. Gym-
nasium. Hanstein. Hasslacher.
P. Hauptmann. F. Hauptmann.
Henrion. Henry. Heyn. Hof-
mann. Herm. Hüffer. Humbroich.
Huyssen. Isphording. Kahl. Karo.
Kaufmann. Kaulen. Klein. Kling-
holz. Koser. Krafft. Krois-Aus-
schuss. Krüger. Landsberg. Lautz.
Leber. Lrse- und Erholungs-
Gesellschatt. Leydel. Loersch.
Loeschke. Märtens. Marcus. Mar-
tins. Marx, von Neufville. Neu-
häuser. Nissen. Oberbergamt.
Poppelreuter. Prieger. Prym.
V. Proff-Irnich. Rau. Realpro-
gymnasium, von Rigal. Roett-
fen. Rolffs. Saemisch. Dr. von
andt. Frl. SchaafPhausen. Schac-
fer. Schmithals. Schorn. Schroers.
Schunck. Seil. Simrock. Solmsen.
Sonnenburg. Stader. Stell. Use-
27Ö
Verzeichniss der Mitglieder.
ner. de la Valette St. George.
van Vleuton. Voscii. Waldeyer.
Wiedemann. Wilde. Wilmanns,
Wolfers. *Zartmann. Zitclmann.
B o p p a r d : Donsbacb . Seminar.
Schlad.
Braun f eis: Prinz Solms.
Brauns berg (Ostpr.): Bibliothek
des Lyceums Hosiana.
Bruchsal: Gvinnasium.
Brühl: Beck.'
Brüssel: Gräfin von Flandern.
Musee Royal.
Budapest: von Török.
Burgbrohl: Andreae.
Carlsruhe: Brambach. Conserva-
torium d. Alterth. Gymnasium.
Oberschulrath.
Gas sei: Stand. Landesbibliothek.
Charlottenburg: Mommsen.
Clausthal: Achenbach.
Cleve: Chrzescinski. Gymnasium.
Schneider. Stadtbibliothek.
C o b 1 e n z : Becker. Graf v. Brühl.
Civil-Casino. Cuno. Deiters, v. El-
tester. Gymnasium. Kreis-Aus-
schuss vom Landkreis. Landau.
von Loö. Stadt Coblenz.
Cöln: Altniann. Aposteln-Gymnas.
Arndts. Balzer. Civil - Casino.
Deichmann. Düntzer. Eltzbacher.
Forst. Fröhlich. Fuchs. Greven.
Ed. Herstatt. Robert Heuser.
Frau August Joest. Kaiser-
Wilhelm-Gymnas. Knebel. Kos-
bab. Kramer. Kreis- Ausschuss.
Krementz. Langen. Leiden. Lem-
ßertz. Marzellen - Gymnasium,
[erkens. Mertz. von Mevissen.
Meyer. Michels. Museum Wallraf-
Richartz. Niessen. Albert, Frhr. v.
Oppenheim. Eduard, Frhr. von Op-
penheim. Pflaume. Emil vom Rath.
Frau Eugen vom Rath. Eugen Rau-
tenstrauch. Ober-Realschule, von
Reckiinghausen. Rennen. Rieth.
Schaaifhausen. • Schallenberg.
Schenk. Schnütgen. Seligmann.
Stadtbibliothek. Statz. Stedtfeld.
Voigtel. *Wietha8e. von Winckler.
von Wittgenstein. Wolff.
Cornelimünster: Seminar.
Crefeld: Gymnasium. Kreis-Aus-
schuss vom Landkreis, von Ran-
dow. Seyffarth. Stadtbibliothek.
Stremme.
JD'a r m 8 1 a d t : von Hilgers. Werner.
D a u n : Kr eis- Ausschuss.
Peutz: Schultz. Wolf.
Deyelsdorf (Mecklenburg): von
Veit.
Dielingen: Arendt.
Donaueschingen: Fürstl. Biblio-
thek.
Dorpat: Bibliothek.
Dorsten: Progymnasium.
Dortmund: Hik. Verein. Wiskott.
Drensteinfurt: Frhr. v.Landsberg.
Dresden: Fleck eisen. Helmentag.
Koenig.
Düren: Stadt. Bibliothek. Gymna-
sium. Linden. E. Schöller. G.
Schoeller. Frau J. Schoeller. Voss.
Düsseldorf: Staats- Archiv. Bone.
Bürgerschule. Courth. Gymna-
sium. Kr eis- Ausschuss für den
Landkreis. Mooren. Pauls. Pro-
vinzial- Verwaltung. Rautert. Real-
Gymnasium. Stadtbibliothek. Frl.
Weckbekker.
Duisburg: Gvmnasium. Schneider.
Stadtbibliothek.
Bhrenfeld bei Cöln: Beger.
Rauter.
Elberfeld: Blank Gustav. Biau1(
Willy. Boeddinghaus. von Carnap.
Frowein. Gymnasium, von der
Heydt, Freiherr August. Lautz.
Lindenschmidt. NeuhofF. Real-
fymnasium. Roeber. Springorum.
tadtkreis.
Elten Regb. Düsseldorf: Seminar.
Eltville: Graf Eltz.
Emmerich: Gymnasium. Stadt-
bibliothek.
Ems (Bad): Kui*-Commission.
Erkelenz: Landrathsamt.
Eschweiler: Progymnasium.
Essen: Bibliothek d. Stadtgemeinde.
Gymnas. Karsch. Kreis- Ausschuss
vom Landkreis. Krupp. Realschule.
Ueberfeld.
Eupen: Real-Progymnasium.
E u s k i r c h e n : A. Herder. E. Herder.
Kreis- Ausschuss. Progymnasium.
Exaeten bei Baexem: Bibliothek
der Stimmen aus Maria Laach.
Flamersheim im Rheinland: von
Bemberg.
Flensburg in Schleswig: Müller.
Florenz: Gamurrini.
Frankfurt a. M.: Koch. Stadt-
bibliothek.
Fr ei bürg in Baden: Universitäts-
Bibliothek. Gymnasium. Kraus.
Fürstenwalde a. d. Spree: Stier.
Fulda: Goebel.
^ e b w e i 1 e r : Schlumberger.
Verzeichnißs der Mitglieder.
279
Geilenkirchen: Landrathsanit.
M.-Gladbach: Gymnasinni. Kühlen.
Landrathsamt. " Qnack. Stadtbib-
liothek.
Godesberg: von Carstanjen. Fin-
kelnburg. Rohlfs. Schwann. Wen-
delstadt.
Gondorf a. M.: von Liebieg.
Göttingen: Dilthey. Sauppe. Uni-
versitäts-Bibliothek.
Gräfenbacher Hütte: Boecking.
Grevenbroich: Landrathsamt.
Gummersbach: Kreis- Ausschuss.
Hall (Haus) b. Erkelenz: von Spies.
H a 11 b e r g (Schloss) b. Saarbrücken :
von Stumm.
Halle: Ihm. Universitäts-Bibliothek.
Hamburg: Stadtbibliothek. Wege-
haupt.
Hamm: Falk.
Hard b. Bregenz: Jenny.
Harff, Schloss, Kr. Bergheimr Bi-
bliothek von Mirbach. Wirtz.
Hec hingen: Höhere Bürgerschule.
Heidelberg: Deppe. vonOechel-
häuser. Schoetensack. Zango-
meister.
Heinsberg: Landrathsamt.
Haus Heisterberg bei Königs-
winter: Caron.
Herdringen (Kreis Arnsberg):
Graf Fürstenberg.
Herrnsheim bei Worms: Freiherr
von Heyl.
Höxter: Gymnasium.
Idylle, Gut bei Kruft: Keusch.
Immenburg: Flinsch.
Jena: Gaedechens.
Kempen (Rheinl.): Gymna.sium.
Landrathsamt.
Kemperhof b. Coblenz: Knaben-
Pensionat.
Königsberg i. Pr.: Universitäts-
Bibliothek.
KÖnigswiuter: Landwehr.
Kreuznach: An tiquarisch-histori-
scher Verein. Dr. Kohl. Wan-
desieben.
Kriegshoven bei Weilerswist:
Wülfing.
liangenberg (Rheinland): Conze.
Leiden: Ort. Pleyte.
Leipzig: Baedeker. 0 verbeck.
Lennep: Hardt. Kreis- Ausschuss.
L e X h y (Schloss) : de BlanchardSurlct.
Linnich R.-B. Aachen: Oidtmann.
Löwen: Universitäts-Bibliothek.
London: Franks.
L ü 1 1 i c h : Universitäts-Bibliothek.
Luxemburg: Dutreux.
Luzern: Schierenberg.
IH ai n z : Stadt. Bibliothek. Schneider.
Malmedy: Esser. Kreis- Ausschass.
de Noüe. Progymnasium.
Mannheim: Alterthums-Verein.
Gymnasium. Haug.
Mari eAf eis b.Remag.: Frau Frings.
Mastricht: Habets.
Mechernich: Eick. Hupertz.
Mayen: Kreis- Ausschuss.
Meisenheim: Kreis-Ausschuss.
Merz ig: Kreis-Ausschuss.
Mettlach: von Boch.
Metz: Tornow. Verein für Erd-
kunde.
Burg Miel: von der Leyen.
Miltenberg: Conrady.
Montabaur: Gymnasium.
Monte-Casino: Tosti.
Montjoie: Pauly.
Morsbroich, Poststation Schle-
busch: Frhr. von Diergardt.
Mülheim a. Rhein: Andreao. Kreis-
Ausschuss.
Mülheim a. d. R.: Kreis-Ausschuss.
Realgymnasium.
München: von Brunn. Cornelius.
Urlichs.
Münster: Bibliothek der Akademie,
von Heereman. Nordhoff. Piass-
mann. Schoeningh.
Münstereifel: Gymnasium.
Nash-Mils: Evans.
Neuss: Gymnasium. Koenen. Kreis-
Ausschuss. Sels.
Neustadt a. d. Hardt: Mehlis
Neuwied: Fürst zu Wied. Gym-
nasium. Bemy. Seminar.
Niederbreisig: Huyssen.
Niedermendig: Müller.
Nieukerk, Kr. Geldern: Müllen-
meister.
Nymwegen: Gemeinde - Museum,
Reichsmuseum.
Oberhausen: Stadt (Bürgermei-
steramt).
Oberkassel bei Bonn: Wulff.
Odenkirchen: Seminar.
Oehringen: Stiftsbibliothek.
Osnabrück: Hoeting.
Paris: Lucas. Michelant.
Parma: R.'Bibliothek Palatina.
Haus Peter st hal bei Niederdol-
lendorf: Straeter.
Plittersdorf: Bürgers.
Potsdam: von Achenbach. Prinz
Schoenaich.
Prag: Universitätsbibliothek.
280
Verzeichniss der Mitglieder.
Prüm: Asbach.
Remagen : von Lasaulx. Reuleaux.
Rem ich: Hermes.
Repi scheid: Friederichs. Stadt.
Rheinbach: Landrath samt. Pro-
gymnasium.
Rheine : Gymnasium.
Reydt. Reg.-Bezirk Düsseldorf:
Wittenhaus.
Rinteln: Gymnasium.
Roisdorf: Graf Moerner.
Rom: Fiorelli. Heibig. Lanciaui.
de Rossi.
Rostock in Mecklenburg: ßethe.
Koerte.
Rüdesheim: Fonk.
Ruhr ort: Kreis- Ausschuss. Real-
gymnasium.
Rurich (Schloss) bei Linnich: von
Hompesch.
Haarburg R.-B. Trier: Kreis- Aus-
schuss.
Saarbrücken: Gewerbeschule.
Gymnasium. Historischer Verein.
Saarlouis: Kreis- Ausschuss. Real-
Progymnasium.
Sargenroth b. Gemünden: Stins-
hoff.
Sayn: Eichhoff. Meurer.
Seh leiden: Kreis- Ausschuss.
Schieid weiler: Heydinger.
Schmidtheim (Schloss): Graf
Beissel.
Sieg bürg: Gymnasium. Kreis-Aus-
Bchuss.
Siegen: Verein für Urgeschichte.
Sigmar in gen: Museum.
S i ni m e r n : Landrathsamt.
Sin zig: Andreae,
S 0 b e r n h e i m : Progymnasium.
Solingen: Landrathsamt. Real-
Progymnasium.
Spei er: Studien- Anstalt.
Stammheim b. Mülheim a. Rhein:
Graf von Fürstenberg.
Steeg bei Bacharach: Hütwohl.
Stralsund: StAdtbibliothek.
Strassburg: FriedlHnder. Fürs.
Michaelis.
Stuttgart: Paulus.
Süchteln: Norrenberg.
Tauberbischofsheim: Gymna-
sium.
Trarbach: Gymnasium.
Trier: Aldenkirchen. Gymnasium.
Hettner. Lintz. von Neil. Priester-
Seminar. Real- Gymnasium. Ros-
bach. Stadtbiblio'thek.
Tübingen: Universit.-Bibliothek.
Viers en: Real - Progymnasium.
Haas. Heckmann.
Vi lieh bei Bonn: von Ciaer.
Vogelensang: Borret.
Vo h w i n k e 1 : Kreis- Ausschuss. Mett-
mann.
St. Wendel: Progymnasium.
Werl: von Papen.
Wesel: Frowein. Gymnas. Land-
rathsamt.
Wetzlar: Gymnasium. Kreis- Aus-
schuss.
Wevelinghoven: von Heinsberg.
Wien: Heider. K. k. Münz- uiä
Antik.-Cabinet.
Wiesbaden: Bibliothek. Capi>ell.
PVhr. V. Dungern. Lsenbeck.
Winningen a. d. Mosel: Arnoldi.
Wipperfürth: Progymnasium.
Wittlich: Kreis- Ausschuss.
Worms: AI terthums verein .
Xanten: Niederrhein. Alterthums-
verein.
Zeist: van Lennep.
Zülpich: van Endert.
UalversiUta-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.
iMitirli. ii. T>riTiii'j u. Jlltrrtliiiiiiafr. im illipiiiliiiili. Mt xcv.
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Jahrb. d. Vereins v, Alterthumsfr, im Rheinland. Heft XCV.
Tafel IV.
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Bosenhct^rn nach vonjireuzna^ck.
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UER DlNöSTUHL ZU ECHTEI^CH
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Pliototypie B. Külil»*n, M.iilaabacli.
Lialjrb. ii. Itertius u. 3llttrtliiiiiisfr. im iUitiiilanil, l^tft xc.v.
(Tafel VI.
paM^ 1 t 1..— I I L 1 1 L-^
3^^Jßj>4-
]]E1^ IINbSTUHL ZU ECHTERNADf
PESTAUT^TiONSPI^OJECT.
j3w^0f I » j f]
I'liütotyni«' B. Kiililrii, M.Gljiilhach.
jjffl Jtid, KouUaXk . iMqücuÄ zt/H^A^nvUcAefi^ TuCa^ Sei efitutA/ncun/
^ cf' . f , wM. ctr 4 :, 3, sirJi. cd m IstrM. ^/ivm Sis-jf.
E>
BOMEß JAHRBÜCHER.
JAHRBÜCHER
DES
VEREINS VON ALTERTHUMSFREUNDEN
IM
RHEINLANDE.
HEFT XCTI n. XCTII.
XIT 10 TAFELN UND 4S TEXTPIOUKEN.
GEDRUCKT AUF KOSTEN DES VEREINS.
BONN, RBI A. HARCU8.
1895.
Inhalts-Verzeichniss.
I. Geschichte und Denkmäler.
Seito
1. Rheinland in römischer Zeit. Hede zum Antritt des Rectorats am
18. October 1894 gehalten von H. Nissen 1
2. Terra sigillata. Ein Beitrag zur Geschichte der griechischen und
römischen Keramik. Von Hans Dragendorf f. (Hierzu
Tafel I~VI.) 18
Einleitung (Name, Gattung, Technik, Litteratur) 18
I. Calener Schalen , 23
IL Megarische Vasen 28
in. Vasen aus Olbia 32
IV. Die Vasen des C. Popilius 37
V. Die arretinischen Vasen 39
VI. Die campanischen Vasen 52
VII. Die Fabriken von Modena 53
VIII. Die puteolanischen Vasen 54
IX. Die ornamentirten Gefässe 55
X. Die Terra sigillata-Industrie in den Provinzen . . 81
XI. Terra sigillata Gefässe des I. nachchristlichen Jahr-
hunderts 84
XII. Terra sigillata der späteren Zeit. (c. 70-250 n. Chr.) 103
XIII. Das Ende der Terra sigillata-Industrie 139
Anhang 141
3. Kleinere Mittheilungen aus dem Provinzial-Museum zu Bonn.
Von Josef Klein 156
4. Domitian in Frontins Strategemata. Von H. Düntzer . . . 172
5. Römische Strassen, Landwehren und Erdwerke in Westfalen.
Von J. B. N o r d h of f und Fr. W e b t h o f f. (Hierzu Tafel VII.) 184
6. DasPilum. Von 0. Dahm, Oberstlieutenant a. D. (Hierzu Tafel
VIII und IX.) 226
7. Beiträge zur Alterthumskunde des Niederrheins. Von Max Sie-
b 0 u r g. (Hierzu Tafel X.) 249
8. Die Interpolationen des gr omatischen Corpus. VonTh. Mommsen 272
9. Die Freiherrlich von Zwierlein'sche Sammlung von Glasmalereien
zu Geisenheim a. Rh. Eine kunsthistorische Studie. Von F. W.
E. R 0 t h 293
10. Meister Eisenhuth. Von J. B. Nordhoff 804
IL Litteratur.
1. Dr. Mathaeus Much, die Kupferzeit in Europa und ihr Vet-
hältniss zur Kultur der Indogermanen. Mit 112 Abbildungen im
Text. Zweite vollständig umgearbeitete und bedeutend vermehrte
Auflage. Besprochen von A. Furtwängler 332
IV Inhalts-Vorzeichniss.
Seite
2. Konstantin Koenen, Gefässkunde der vorrömischen, römi-
schen und fränkischen Zeit in den Kheinlanden. Mit 590 Ab-
bildungen. Besprochen von S 333
3. C. Mchlis, Studien zur ältesten Geschichte der Rheinlande. Elfte
Abtheilung. Der Drachenfels bei Dürkheira a. d. H., I. Abth., mit
einem topographischen Plan des Drachenfels ■ . . 334
4. Ed. Piette, L'6poque ebuniöenne et les races humaines de la
periode glyptique 335
5. Die Moseila des Decimus Magnus Ausonius. Herausgegeben und
erklärt von Dr. Carl Hosius, Privatdozent. Anhang: Die
Moselgedichte des Venantius Fortunatus. Besprochen von M. S i e-
b o u r g . . . 335
6. J. A. Ort, OudheidkundigeMedcdeelingen. Besprochen von v. V. 337
7. Neue Beiträge zur Geschichte der Stadt Geseke. I. Theil. Aliso
und benachbarte Festungen der Römer von Adolf Viedenz.
Mit 3 Tafeln Zeichnungen 337
8. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Dritter Band. I. Die
Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Düsseldorf; IL Die
Kunstdenkmäler der Städte Barmen, Elberfeld, Remscheid und
der Kreise Lennep, Mettmann, Solingen. Im Auftrage des Pro-
vinzial Verbandes der Rheinprovinz herausgegeben von Paul
Giemen. Besprochen von A. Wiedemann 337
9. Bibliographie [der Geschichtswissenschaft] bearbeitet von Oscar
Masslow und Gustav Soramerfeldt 339
10. J. Schneider, Die alten Heer- und Handelswege der Germa-
nen, Römer und Franken im deutschen Reiche. 10. Heft. Das
römische Strassennetz in dem mittleren Theile der Rheinprovinz
und die römischen Itinerarien 340
III. Mi sc eilen.
1. Ein attisches Vasenfragraent in Erbach. Von Ed. Anthes . . 341
2. Köln. Funde römischer Alterthümer am Apostelnmarkt Nr. 25.
Von Eberlein 343
3. Kreuznach. Römische Funde. Von Kohl 345
4. Aufdeckung eines Hallstattgrabes im Mittelalter. Von S. . . . 346
5. Siegburg. Scherbenhügel. Von A. Wiedemann 347
6. Zur Richtigstellung. Von J. Schneider 350
7. Zum Verstau dniss der linksrheinischen römischen Grcnzschutz-
linie. Von Constantin Koenen 351
8. Karolingische Grenzfestungslinie zwischen Ost- und VTestlothringen.
Von Constantin Koenen 359
9. Fünfunddreissigste Plenarversammlung der historischen Kommis-
sion bei der königl. bayer. Akademie der Wissenschaften . . . 363
10. Grabfunde aus Bonn. Von Klein 365
11. Köln. Fragment einer Figur. Von Klein 368
12. Bliinkeuhoim. Römische Inschrift. Von Klein 370
I. Geschichte und Denkmäler.
i. Rheinland in römischer Zeit.
Rede zum Antritt des Rectorats am 18. October 1894 gehalten
von
H. Nisseu«
Hochansehnliche Versammlung! Unsere Universität heisst die
Rheinische und hat mit ihrem Namen zugleich die Pflicht über-
kommeu; die Geschichte Rheinlands zu erforschen. Denn nur aus
der Vergangenheit lernen wir die Gegenwart verstehen, die Eigen-
art dieser Provinz, ihre Sonderetellung anderen Theilen unseres
Staatswesens gegenüber begreifen. In früheren Zeiten ist solche
Aufgabe nicht mit gleicher Schärfe anerkannt und betont worden,
wie heutigen Tages geschieht. Als die Erfahrungswissenschaften
von der speculativen Philosophie beherrscht wurden, unterschied
man zwischen allgemeiner oder akademischer Geschichte auf der
einen, Stadt- und Provinzialgeschichte auf der anderen Seite. Jene
wurde fachmännisch von den Universitäten betrieben, die Pflege
der Heimathskunde blieb den Liebhabern und Localforschem, so zu
sagen dem historischen Landsturm Überlassen. Diese widersinnige
Trennung ist durch den nationalen Aufschwung von 1870 beseitigt
worden; denn die Werthschätzung der Vergangenheit hat bei unserem
wie bei anderen Völkern stets abgehangen von dem Selbstbewusst-
sein und dem Vertrauen, mit dem es in die Zukunft blickte. Heut
zu Tage kann der Vorwurf nicht mehr gegen deutsche Universitäten
erhoben werden, dass sie eine heimathliche Geschichte vernach-
lässigten, am wenigsten gegen die unsrige. Verschiedene Umstände
haben zusammen gewirkt, um eine Blüthe rheinischer Geschichts-
forschung zur Entfaltung zu bringen: einmal der Reichthum land-
schaftlicher Entwickelung, die sich an dem Strom einer Pulsader
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCVI. 1
2 H. Nissen:
Europa's vollzogen hat, vielleicht mehr noch der Hochsinn rheinischer
Bürger, der in der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, der
Stiftung Gustav v. Mevissen's, seinen sprechendsten Ausdi'uek
gefunden hat. Freilich haben wir auf Eine wesentliche Förderung
dieser Studien Verzicht leisten müssen, nachdem der Plan, eines
der grossen Staatsarchive nach Bonn zu verlegen, — ein Plan,
der gleicher Maassen zum Nutzen von Staat und Provinz, von
Wissenschaft und Universität gereicht hätte — gescheitert ist. Nur
für die älteste Epoche rheinischer Geschichte birgt unsere Stadt
ein Hauptarchiv in ihren Mauern. Es führt zwar den Namen Mu-
seum, seine Urkunden sind auch nicht auf Pergament und Papier,
sondern auf Stein und Thon geschrieben: der Sache nach kommt
das auf das Gleiche heraus. Am 12. Juli vorigen Jahres wurde das
Provinzialmuseum eingeweiht und den Lehrzwecken der Universität
zur freiesten Verftlgung gestellt. Die philosophische Facultät ernannte
damals die Spitzen der Pro vinzial Verwaltung , den Fürsten zu
Wied als Vorsitzenden des Landtags und den Landesdirector Klein
zu Ehrendoetoren, in dankbarer Anerkennung dafür, dass wir um ein
Unterrichtsmittel reicher geworden, desgleichen keine andere deutsche
Hochschule besitzt. Es gereicht mir zur persönlichen Freude, auf
seine Bedeutung hinweisen und an dies Museum die Rede anknüpfen
zu können, die der Rector herkömmlich beim Amtsantritt zu
halten hat.
Die überwiegende Masse der Sammlung gehört der römischen
Zeit an. In den 4 — 500 Jahren, die die Römerzeit umfasßt, hat es
sich, wenn auch unter wechselnden Formen, immer um die nämliche
Hauptfrage gehandelt, ob der Rhein Deutschlands Strom oder
Deutschlands Grenze sein sollte. Von Hause aus fioss er durch
keltische Gaue. Sein Name, wie so viele unserer Ortsnamen, An-
dernach, Neamagen, Remagen, Dormagen usw. sind keltisch. Kelten
bewohnten auch den Nordwesten und Süden unseres Vaterlandes,
die Schweiz und Deutsch-Oesterreich. Aber in den letzten Jahr-
hunderten vor Christi Geburt sind sie in andauerndem Weichen be-
griffen. Trotz ihrer vorgeschrittenen Cultur vermögen sie dem
Andrang der Germanen nicht Stand zu halten, weil die Gemeinde
vom Adel und Priesterthum unterdrückt war. Plebes paene ser-
vorum habetur loco, heisst es bei Caesar, das Volk kommt in
Gallien nicht in Betracht und steht fast mit Sklaven auf gleicher
Stufe. Immer und überall aber ist der freie Mann dem Knecht
Rheinland in römischer Zeit. 8
an kriegerischer Tüchtigkeit gewachsen gewesen. Die Germanen
erobern das ganze rechtsrheinische Land. In den sechsziger
Jahren vor Christo gründet Ariovist ein deutsches Königthum im
Elsass, am Unter- und Mittelrhein wie in der Schweiz schicken
die deutschen Stämme sich zum Einbruch an, die Völkerwan-
derung scheint anzuheben^ als Caesar ihr ein plötzliches Halt ge-
bietet. Aus der Darstellung, die Caesar von seinen neunjährigen
Kämpfen und der Unterwerfung Galliens giebt, haben wir Alle als
Knaben Latein gelernt. Der gereifte Mann wird gern zu dem
knappen, klaren^ anschauliehen Bericht zurückkehren, ohne sich zu
verhehlen, dass die für das geschichtliche Verständniss wichtigsten
Dinge darin fehlen.
Nach den Worten des Columbus ist Gold das Allervortrefflichste,
ein Schatz 7 dessen Besitzer alles was er auf dieser Welt wünscht,
sich verschaffen und Seelen dem Paradiese zuftlhren kann. Der
Durst nach Gold ist die Triebfeder der grossen Entdeckungen in
der Neuzeit gewesen, der Durst nach Gold hat die römischen
Waffen an den Rhein und die Nordsee geleitet. Der Gedanke liegt
uns fem, dass Mitteleuropa vorübergehend eine ähnliche Rolle gespielt
hat, wie Galifornien, Australien, Südafrika in der zweiten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts. Und doch war unser alternder Erdtheil
einst jungfräuliches Land, dessen Naturschätze der Verwerthung
harrten. In unvordenklichen Zeiten war die Kunde hiervon zu den
Anwohnern des Mittelmeeres gelangt. Sie fuhren zu den Inseln
der wilden Nordsee, um das leuchtende Harz, den Bernstein zu holen.
Sie zogen die Donau hinauf und über die Schneepässe der Alpen
in die Waldwüste hinein, ihre Saumthiere mit Erzgeräth und
Schmuck und dem Feuei-wein des Südens bepackt, und vertauschten
die Waare gegen rothes Gold. Der alte Herodot weiss bereits,
dass die köstlichsten und seltensten Dinge an den Enden der Welt,
in Indien und Aethiopien und Europa gefunden werden, vor allem
üeberfluss an Gold ^). Im Laufe der Jahrtausende ist der Vorrath nach-
gerade erschöpft worden*). Nach einer Berechnung des französischen
Geologen Daubröe liegen allerdings noch 140 Millionen Mark zwi*
sehen Basel und Mannheim im Rhein*). Aber die Ausbeute lohnt
seit der Gorrection überhaupt nicht, vorher kaum an einzelnen Orten*).
So hat die Münze von Karlsruhe in den 30 Jahren 1804 — 34 nicht
mehr als 282 Pfund Waschgold, etwa vier Fünftel der Gesammt-
erzeugung angekauft'^). Auch am Niederrhein bei Wesel wurde die
4 H. Nissen:
Wäscherei vor 100 Jahren betrieben®). Desgleichen ist das Vor-
kommen des edlen Metalls in Eder^), Diemel^)^ Elbe^) and an-
deren Flüssen^®), im Hunsrück") und im Moselgebirge**), in
Franken**) und Schlesien**) sicher bezeugt. Femer hören wir aus
alten Tagen, wo das Geld einen höheren Werth hatte als heute,
dass unsere Vorfahren ihm mit emsigem Fleiss nachspürten*^).
Freilich war dem Mittelalter nur eine dürftige Nachlese übrig ge-
blieben, die Ernte war lange vorher eingeheimst worden*®). Darüber
klärt uns die Münzgeschichte in befriedigender Weise auf *^). Wäh-
rend ursprünglich in Griechenland Eisen, in Italien Kupfer, sodann
im ganzen Umkreis des Mittelmeeres Silbergeld vorherrscht, gilt in
keltischen Landen Gold als Werthmesser*®). Das Gebiet der abend-
ländischen Goldwährung reicht von Loire und Seine über den Rhein
hinüber bis nach Böhmen. Die Prägung mag im dritten vorchrist-
lichen Jahrhundert begonnen haben, vielleicht bevor Rom Silbergeld
schlug, und ist lange fortgesetzt worden. Die Stempel sind roh,
nach griechischen Vorbildern geschnitten, ahmen besonders mace-
donische Eönigsmünzen nach. Hierher gehören die Goldstücke, die
der Volksglaube Regenbogenschüsselchen getauft hat *^). Sie kommen
in unserer Gegend gar nicht selten zum Vorschein, z. B« bei Stieldorf
am Siebengebirge *^). Der nördlichste Fund, 200 an der Zahl, wurde
1880 bei Marburg in Hessen gemacht. Viel reichere Schätze sind
an verschiedenen Orten Böhmens, Bayerns, der Pfalz gehoben worden.
Seit dem Erwerb der Weltherrschaft richten die Römer ihre
lüsternen Blicke auf das nordische Eldorado**). Um 150 v. Chr.
wurden bei Klagenfurt Goldfelder von solcher Mächtigkeit entdeckt
und im Laufe zweier Monate durch italische Goldgräber ein solcher
Gewinn erzielt, dass der Preis des Metalls gegen Silber um 33 Pro-
cent herunterschnellte. Schliesslich jagten die Kelten die fremden
Arbeiter zum Lande hinaus**), üngeföhr zur selben Zeit erzählte
man von der märchenhaften Pracht, die der König der Auvergne
entfaltete, wie er offene Tafel ftir Jedermann hielt und bei seinen
Ausfahrten durch die Städte mit vollen Händen Gold und Silber
unter die Menge streute*^). Im Jahre 106 plünderten die Römer
den Haupttempel von Toulouse und entnahmen ihm 15000 Talente,
d. h. 70 Millionen Mark nach unserem Gelde**). Fürwahr, ein
starker Magnet, der das römische Schwert anzog! Und die Männer,
die es führten, wollten Geld, weil Geld Macht war; mit dem
Verfall des Freistaats war die Anschauung zur Hen*schaft gelangt,
Rheinla d in römischer Zeit. 5
dasg jeder Beamte, der draussen im Parpunuantel die Majestät des
römischen Volkes verkörperte^ vor allen Dingen die eigene Tasche
ftUlen mttsste. Es hat nicht an wagehalsigen Statthaltern gefehlt,
die ihr Glück im Norden versuchten. Aber sie kehrten mit blutigen
Köpfen heim, vor Kimbern und Teutonen erzitterte die ganze ge-
bildete Welt. Die zunehmende Verwirrung, der Bürgerkrieg, der
wiederholt Italien zerfleischte, kam hinzu, um die Kelten ungeschoren
zu lassen; das römische Gebiet reichte im Süden nur bis an den
Fuss der Alpen, diesseits bis an die Rhone.
Im Jahre 58 v. Chr. wurde Caesar mit der Verwaltung beider
Länder, der Poebene und der Provence, betraut und konnte ver-
fassungsmässig unumschränkt ein Jahrzehnt lang nach Belieben
schalten. Er benutzte seine Machtfttlle, um das heutige Frankreich,
Belgien, die Kheinlande und die Schweiz dauernd zu erobern, um
ein Heer zu schulen, das ihm die Herrschaft des Erdkreises zu
Füssen legen sollte, um die Geldmittel zu beschaffen, die der Um-
sturz des republikanischen Regiments erforderte*^). Man bewundert
Caesar als Feldherm, als Staatsmann, als Schriftsteller, man hat
ganz vergessen, seine unvergleichliche Finanzkunst, eine Vorbedingung
des Erfolges, zu bewundern*«). Mit Schulden befttden zog er im
März 58 ab*^), nach Ablauf des Sommers Hess er dem Vater Zeus
gleich der schmachtenden Roma goldenen Segen in den Schooss
strömen**). Das Forum war zu klein, er kaufte Häuser an und riss
sie nieder. Die Baustelle für den Venustempel kam ihm auf 17^2
Millionen, der Quadratmeter auf 2000 Mark zu stehen *^). Er zahlte
über 10000 Mark fUr den Quadratmeter, um das Forum an der
Nordseite zu erweitem ^^). Wenn man die damalige Kaufkraft des
Geldes in Rechnung zieht, so sind ähnliche Bodenpreise kaum je in
den Weltstädten der Gegenwart erreicht worden. Caesar stellte das
Volksgebäude im Marsfeld aus Marmor her*^), schuf in der Vorstadt
Trastevere einen wundervollen Park**), baute Landhäuser in der
Umgegend 8*), unterhielt in Capua^) und Ravenna^s) grosse Fechter-
banden. Der Anwalt Cicero, der einen Theil der Geschäfte ver-
mittelte, hat einen hübschen Posten Gebühren eingestrichen*^).
Ueberhaupt konnte Jeder, der in Rom mitzusprechen hatte, auf den
Herrn von Gallien angemessene Wechsel ziehen und brauchte um
die Einlösung nicht weiter zu sorgen, vorausgesetzt dass er je nach
den Umständen redete oder stillschwieg*'). Unter den Beamten
des Jahres 60 erhielt der Consul Aemilius Paullus 7 Millionen Mark
6 H. Nissen:
für sein Schweigen 3®), der Volkstribun Curio 10 Vi Millionen Mark
für sein Reden *^). Wie der Meister, so die Gesellen. Eine Sehaar
hoffnungsvoller junger Leute aus der Hauptstadt fand im General-
stab Aufnahme. Sie wurden gar kleinlaut, als es zum ersten Schlagen
gegen die Germanen ging*®). Aber wer sich bewährte, konnte nach
wenigen Feldzügen sein Schäfchen aufs Trockene bringen*^). Titus
Labienus, der tüchtigste General Caesars, erbaute auf eigene Kosten
in der Mark Ancona eine ganze Stadt *^). Andere Nabobs zogen
nach Rom, um lächerlichen Aufwand zu treiben *^). Wie die Offiziere,
so die Gemeinen. Es kennzeichnet die Stimmung der Armee, dass
im Jahre 49 die Meinung in ihr verbreitet war, jedem Soldaten
sei fbr seine Beihülfe am Staatsstreich die Kleinigkeit von 70000
Mark versprochen worden^*). Das Milliardenfieber hatte die römische
Nation ergriffen und verzehrte mit seinem Feuer die Republik.
Die Eroberung Galliens bahnt den üebergang von der Silber-
zur Goldwährung im römischen Reich an. Der aureus gleich 2ö
Denaren oder 20 Mark wird die gewöhnliche Courantmünze. Wie
massenhaft sie geschlagen wurde, zeigt ein sechs Jahre nach
Caesars Tode vergrabener Schatz, der bei Brescello am Po auf-
tauchte: der Schatz enthielt 80000 aurei oder Zwanzigmarkstücke.
Der Zufluss von Gold trieb den Silberpreis um einige zwanzig Pro-
cent in die Höhe^^). Es ist daher begreiflich, dass Caesar sich
umthat, ein neues Silberland zu entdecken. Er vermuthete ein
solches in Britannien und fuhr mit Heeresmacht über den Canal.
In den Augen des Publicum ward durch den Zug ein neues Blatt
seinem Ruhmeskranz eingeflochten, die Eingeweihten sahen darin
eine verfehlte Speculation. Brühwarm theilt Cicero seinem befreun-
deten Bankier die aus dem Hauptquartier eingetroffene Kunde mit:
kein Gramm Silber sei auf der Insel vorhanden und keinerlei Aussicht
auf Beute ausser werthlosen Sklaven ^^). Britannien ist noch ein
Jahrhundert lang von der römischen Gier verschont geblieben.
In Caesars Denkwürdigkeiten steht von all diesen Thatsachen
nichts, ist auch nicht zu verlangen. Der heutige Leser wird wohl
thun, die Geschichte eines Cortez und Pizarro, Lord Clive's und
ähnlicher Conquistadoren sich zu vergegenwärtigen, um den rich-
tigen Standpunkt für ihre Würdigung zu gewinnen. Sicherlich
zählt Caesar zu den grössten Feldherren aller Zeiten, hat den Gang
der Weltereignisse bestimmt, wie Wenige vor und nach ihm. Aber
seine wahre Grösse wird auch nicht um Haaresbreite geschmälert,
Rheinland in römischer Zeit. 7
wenn wir die blinde Vergötterung durch nttchteme Abwägung von
Ursache und Wirkung ersetzen. Die Bömer verdankten ihre Siege
über Kelten und Germanen zum guten Theil der besseren Bewaff»
nung^^). Der Nordländer focht ohne anderen Schutz als den ein
breiter Schild bot, trag seine Narben mit gleich unbefangener
Heiterkeit zur Schau, wie mancher unserer Commilitonen^^). Aber
die Wucht nordischer Hiebe wurde durch den Helm und Panzer
des Römers abgeschwächt, derweil die geringste Blosse dem römi-
schen Kurzschwert zum tödtlichen Stoss genügte. Im Nahkampf
entschied weder Kraft noch Zahl, sondern Gewandtheit und Uebung.
Ein caesarischer Lieutenant erbot sich im Bürgerkrieg mit zehn
Mann einem feindlichen Bataillon Stand halten zu wollen: das war
keine Prahlerei, sondern entsprach den thatsächlichen Verhältnissen^^).
Die grosse Zahl der Besiegten, in deren Hervorhebung die römi-
schen Schriftsteller schwelgen, macht uns keinen Eindruck, wir
finden es ganz verständlich^ dass 40 — 50000 Mann Kemtruppen
zur Eroberung Galliens ausreichten. Wenn wir dagegen weiter
lesen, dass während dieser 9 Jahre 800 Oi*tschaften erstürmt, 300
Gaue bezwungen, in einigen 30 Schlachten eine Million erschlagen,
eine zweite Million Menschen in die Sklaverei verkauft wurden ^^),
wenn wir dabei bedenken, dass die Volksdichtigkeit in keltischen
Landen damals eiir Fünftel der gegenwärtigen betrug, so steigt der
Hintergrund des Bildes, das die Orgien des Siegers vorfahrt, in
lebendiger Anschaulichkeit vor dem geistigen Auge auf
Innere Zwietracht, die Eifersucht der Stämme, die Spannung
zwischen Kitter- und Priesterthnm, die Knechtschaft der Gemeinen
besiegelte das Joch der keltischen Nation. Als Werkzeug haben
auch unsere Vorfahren in der Hand des Siegers gedient. Keiner
hat ihrer Tapferkeit ein so glänzendes Zeugniss ausgestellt, wie
Caesar. In den Schlachten gegen die Kelten und später im Bürger-
krieg thaten deutsche Truppen sich rühmlichst hervor. Ihre Treue
war so verbürgt, dass sie als Leibwächter den Kaiserthron in Rom
umgaben, und wie die geheiligte Person des Monarchen, so hielten
sie die gefilhrdetste Grenze des Reichs in ihrer Hut. Die erste
Germanisirung des linken Rheinufers ist ein Ausfluss römischer
Staatskunst. Caesar überliess den Schaaren Ariovist's Unterelsass
und die bayrische Pfalz, Agrippa verpflanzte die Ubier nach dem
Regierungsbezirk Köln, Tiberius die Sigambem nach Xanten und
Cleve. Um Christi Geburt sprechen die Bauern, mit Ausschluss der
8 H. Nissen :
Strecke zwischen Brohl und Bingen, von der Strommündung auf-
wärts bis Colmar deutsch. Ihr Heerbann steht bereit, Ober die
Maas, an die Mosel, durch den Wasgenwald zu rücken, wenn die
Kelten unbotmässig werden wollen. Ihr Heerbann schützt den Strom
gegen den Einfall der eigenen Stammesgenossen. Und nicht bloss
dies. Wie unsere Geschichte kaum Einen grossen Krieg aufweist,
in dem nicht Deutsche gegen Deutsche gefochten hätten, so haben
die linksrheinischen Germanen den wirksamsten Beistand geleistet,
um die alte Heimath unseres Geschlechts, die vom Meer bis in die
Nähe des Mains, von der Weser bis zur Weichsel sich erstreckt,
unter Roms Allgewalt zu beugen.
Augustus hat noch grössere Eroberungen gemacht als sein
Vater Caesar. Er schob die Grenze vom Südfuss der Alpen bis
an die Donau vor und beherrschte diesen Fluss in ganzer Aus-
dehnung von den Quellen bis zur Mündung. Seine Flotten unter-
warfen die deutschen Küsten. Seine Heere durchzogen das Binnen-
land von Mainz und Wesel aus bis zur Elbe. Die germanischen
Kriege zeigen das römische Kriegswesen auf der höchsten Stufe
der Vollendung. Grosse Heeresmassen wirken mit grossen Flotten
zusammen, die besten Truppen, über die Eom jemals verfügt hat,
von hervorragenden Feldherren — Agrippa, Drusus, Tiberius, Ger-
manicus — gefthrt, alle Hülfsmittel einer entwidkelten Cultur wer-
den aufgeboten, die Steuerkraft Galliens, Spaniens, Italiens angespannt
im Kampf gegen ein rauhes Land und den Trotz seiner Bewohner.
Vom militärischen Gesichtspunkt aus betrachtet weist die römische
Kriegsgeschichte kein Blatt auf, das ähnliche Leistungen meldete,
vom allgemeinen Gesichtspunkt aus betrachtet fesselt kein Blatt
der römischen Kriegsgeschichte die Aufmerksamkeit in gleichem
Maasse. Jahrzehnte lang schien der Erfolg gewiss, was die
Waffen errungen, wurde durch kluge Staatskunst gesichert. Gross-
Gallien, die Eroberung Caesars, erhielt eine durchgreifende Ordnung
und in Lyon eine Hauptstadt: am Zusammenfluss von Rhone und
Saone stand der Altar des Augustus, an dem der Provinzial-Land-
tag, die Vertreter der 64 keltischen Gaue zusammen kamen. Für
Gross-Germanien, die Schöpfung des Augustus, ward auch der
Platz der Hauptstadt ausgewählt: auf der Insel am Hafen der
Ubier — Gross St. Martin bezeichnet den Ort — erhob sich der
Altar, an dem deutsche Fürstensöhne dienten und den Kaiser
als leibhaftigen Gott verehren lernten. Der Rhein hatte auf-
Bheinland in römischer Zeit. 9
gehört Germaniens Grenze zn sein^ er war Germauiens Strom ge*
worden.
Allein welche Ausdehnung die neue Provinz nach Osten hin
erlangen sollte^ blieb den leitenden Männern vorläufig unklar. Rom
streckt seine Fangarme in ungemessene Weiten aus. Im Jahre 2
V. Chr. dringt ein Heer von der Donau durch Thtiringen über die
Elbe bis in die Mark Brandenburg ; 6 n. Chr. segelt die Flotte bis
Skagens Riff, der Nordspitze Jütlands hinauf; im selben Jahr
marschieren zwei Heere in der Gesammtstärke von 120000 Mann^
das eine von Mainz, das andere von Wien aus, um vereint in Böh-
men zu schlagen. Da bricht in ihrem Rücken, an der mittleren
und unteren Donau ein ftirchtbarer Aufstand aus, der erst nach
dreijährigem heissen Ringen niedergeworfen werden kann. Am
3. August des J. 9 wurde der Sieg gefeiert, 5 Tage darauf traf
die Schreckensbotschaft aus dem Teutoburger Walde ein. Nach-
gerade waren 67 Jahre verflossen, seitdem derGermane zum ersten
Male die römische Zuchtrute gekostet. Er hatte dem Fremden
Manches abgesehen, auch dessen List und Tücke. Mit argen Listen
umgarnte er den argen Mann. Drei Legionen römischer Bürger,
N. 17, 18, 19, dazu an Hülfstruppen, vermuthlich Germanen vom
linken Rheinufer, 3 Reiterregimenter und 6 Cohorten, Alles in Allem
ungefähr 20000 Streiter wurden hingemetzelt. Schlimmer als die
Niederlage war der moralische Eindimck, den sie hervorrief. Deutsche
Prinzen, die am Kaiseraltar in Köln dienten, rissen die Priester*
binde von der Stirn und liefen in die Wälder, um an der Jagd auf
flüchtige Römer Theil zu nehmen. Augustus hat diesen Schlag
nicht verwunden. In der kurz vor seinem Tode verfassten Grab-
schrift, die seine Thaten und Verdienste preist, bezeichnet er die
Eibmündung als Grenze des Reichs; vertraulich warnte er vor neuen
Eroberungen. Nach dem Thronwechsel jedoch machte Germanicus
noch einen letzten Versuch, das abgefallene Binnenland zu be-
zwingen. Zu keiner Zeit ist die germanische Freiheit, der Fort-
bestand germanischen Volksthums schwerer bedroht gewesen, als
in den Jahren lö und 16. In mörderischen Schlachten bleiben die
Römer Sieger — da nahen die Götter der Heimath als Retter.
Auf ihrem breiten Nacken hatte die Nordsee den Feind ins Land
getragen. Bei der Rückfahrt bereitete sie ihm das Grab, bewies,
dass der Seemann nicht ohne Grund in grimmigem Wortspiel von
der Mordsee spricht. Als Kaiser Tiberius von den Verlusten
10 H. Nissen:
der 1000 Schiffe starken Aimada hörte^ rief er den kriegslustigen
Kronprinzen nach Rom ab, überliess die Germanen sich selbst nnd
ihren Fehden. Fürderhin beschränkt sich das Reich am ünterrhein
auf die Vertheidignng.
Im Zusammenhang damit werden nunmehr die Einrichtungen ge-
troffen, die lange fortwirken sollten. Wenn die rheinische Geschichte
bis zum Ausgang des vorigen Jahrhunderts sich um die drei Mittel-
punkte MainZ; Trier, Köln bewegt, so ist ihre Bahn von den Römern
vorgezeichnet worden. Obwohl alle drei römische Gründungen sind,
weichen sie doch ihrem Wesen nach völlig von einander ab. Die
innere Verwaltung des römischen Reichs gewährt den einzelnen
Gemeinden ein nicht geringes Maass bürgerlicher Selbstbestimmung.
Und zwar bilden Städte die eigentlichen Verwaltungskörper. Im
Norden ai*beiten die Römer unermüdlich darauf hin, die alte Gau-
verfassung durch eine städtische zu verdrängen. In Gallien gelangt
die Umbildung 12 v. Chr. zum Abschluss; die von Caesar unter-
worfenen Tres Galliae zerfallen fortan in 64 Stadtgebiete. Während
die Stadtkreise auf der italischen und spanischen Halbinsel durch-
weg klein sind, oft nicht grösser als 1 — 2 Quadratmeilen, umfassen
sie hier deren 100 und mehr. Aus der Grösse des Gebiets erklärt
sich das erstaunliche Wachsthum dieser gallischen Städte, die zähe
Lebenskraft, mit der sie die Stürme der Völkerwanderung über-
dauerten. Zu ihnen gehört Trier, das seine Entstehung nicht etwa
flüchtigen Trojanern, sondern der Weisheit des Kaisers Augustus
verdankt. Es hat im Laufe der Zeiten die alte Hauptstadt Galliens,
Lyon, überflügelt, seit Diocletian die erste Stelle im Occident ein-
genommen. Als der h. Hieronymus hier weilte, war die Volks-
sprache noch keltisch; die Denkmäler zeigen die Vermischung der
römischen Kunst mit gallischen Elementen, die Frankreich eigen-
thümlich ist. Sie führen uns den Weinbau der Mosel, die Pracht-
liebe des Adels vor Augen, aber auch die gedrückte Lage des
Landvolks, die mehr als einmal bedenkliche Aufstände hervor-
gerufen hat. Ganz anders sieht es bei den Germanen am
Rhein aus. Mainz ist von Drusus als Hauptwaffenplatz des
Nordens angelegt worden und ist, ohne Stadtrecht zu erlangen,
Festung geblieben. Am Oberrhein dehnt sich unter Vespasian die
römische Herrschaft über Baden und Württemberg aus. Gegen
dies durch keinen Strom geschützte Neuland richten die Ger-
manen seit Marc Aurel ihre Angriffe und hemmen die un-
Rheinland in römischer Zeit. 11
gestörte Entwicklung der Dinge, die sich am Niederrhein toU-
zieht.
Am Vinxtbach bei Brohl, der alten Diöcesangrenze von Trier
und Köln; beginnt die Germania inferior, die niederdeutsche Provinz,
die anfänglich 17 n. Chr. ein wunderliches Kartengebilde darstellt.
Sie begreift nämlich 6 deutsche Völkerschaften in sich : die Chanken
an der Küste zwischen Elbe und Weser, die Friesen in Ost- und
Westfriesland, die Canninefaten in Nordholland, die Bataver in Süd-
holland, die alten Sigambem unter dem Namen Cugemer im Her-
zogthum Cleve, endlich die Ubier von Neuss bis Brohl, landeinwärts
bis Jülich und Zülpich. Chauken und Friesen haben bald die
Fremdherrschaft abgeschüttelt, aber diesseits des Rheins standen
im Kölnischen und Clevischen 4 Liegionen, was ungefähr nach un-
seren heutigen Verhältnissen 4 Divisionen entspricht. Die Mann-
schaften stammen aus Italien und ziehen wie begreiflich eine Masse
von Handwerkern, Krämern und Tross aus der Heimath in ihre
Garnisonen nach sich. Hierin liegt der Qrund, warum die römische
Cultnr am Niederrhein weit unver^schter, italienischer auftritt, als
bei den Kelten an der Mosel. Ausserdem aber bewirkt die An-
wesenheit der Truppen mit ihrem bürgerlichen Anhang, dass die Bo-
manisirung unserer Gegend rasche Fortschritte macht. Zuerst wird der
südlichste Stamm für die römische Stadtverfassung reif. Die Ubier
hatten sich bereits rückhaltlos an Caesar angeschlossen, als sie am
rechten Flussufer wohnten. Auf das linke verpflanzt, verbleiben sie
eine feste Stütze der römischen Macht, erhalten 50 n. Chr. Stadt-
recht. Die colonia Agrippinensis ist die älteste deutsche Stadt.
Ihre Ringmauer umschliesst einen Flächeninhalt von 97 Heetaren,
zwar nur ein Viertel von dem, was Köln im Mittelalter als grösste
Stadt Deutschlands einnahm, immerhin ausreichend, um eine Ein-
wohnerschaft von 30000 Seelen zu beherbergen. Ein halbes Jahr-
hundert später erhält Xanten, der Hauptort der Cugemer, Stadt-
recht; Xanten wetteifert an Bedeutung mit Köln, ähnlich wie heu-
tigen Tages Düsseldorf. Beide Städte, um von den kleinen Ort-
schaften zu schweigen, verwälschen und üben ihren Einfluss auf
das platte Land im nämlichen Sinne aus. Durch eine strenge
Grenzsperre von dem freien Germanien abgeschlossen, stirbt das links-
rheinische Deutschthum langsam aus. Die Römer fahlen sich so
sicher, dass die Besatzung im zweiten Jahrhundert um die Hälfte
und mehr vermindert wird. Sie haben drei feste Brücken über
12 H. Nissen:
den Strom geschlagen, bei Mainz, Köln, Xanten, und befahren ihn
mit einer starken Flotte. Von den Quellen bis zur Mündung ist
der Rhein römisch und wird erst durch Franken und Alemannen
nach langen Kämpfen ein deutscher Fluss.
Unser Provinzialmuseum bietet fUr die Entwicklung, die ich
mit flüchtigen Strichen gezeichnet habe, im Einzelnen die urkund-
lichen Belege. So unscheinbar sein Inhalt bei oberflächlicher Be*
trachtung ist, wird er bei wiederholter und eingehender Betrachtung
eine reiche Fülle von Anregung und Belehrung spenden. Die hier
vereinigten Sammlungen gehören 3 Besitzern, Staat, Provinz und
Alterthumsverein an. Nachdem der Staat 60 Jahre lang den Denk-
mälern Rheinlands seine Fürsorge zugewandt, hat er diese Auf-
gabe an die Provinz abgetreten und durch Leistung eines jähr-
lichen Zuschusses gefördert. Indessen hat er leider noch immer nicht
auf das Besitzrecht an den auf seinem Grund und Boden gemach-
ten Funden verzichtet. So gehen wichtige Funde nach Berlin, um in
den Katakomben der hauptstädtischen Museen zu verschwinden oder
günstigen Falles einen verschwindenden Bruchtheil des Nutzens
zu stiften, den sie in der Umgebung, der sie angehören, stiften
könnten. Ich wage zu hoffen, dass diesem sinnwidrigen Zustand
endlich ein Ziel gesteckt werde. Ich wage ferner zu hoffen, dass
der Verein von Alterthumsfreunden im Rheinland, seit 53 Jahren
der wissenschaftliche Hüter der ältesten Vergangenheit unserer Pro-
vinz, noch tiefere Wurzeln schlagen als bisher, seine Bestrebungen
in immer weitere Kreise tragen möge. Wenn die Gunst der Mit-
bürger dem Museum im verdienten Umfang zu Theil wird, dann
dürften seine Säle bald zu klein werden fär die angehäuften Schätze.
Und wenn einst mein Nachfolger an dieser Stelle das römische
Rheinland schildern sollte, dann wird er die Umrisse fester ziehen,
reichere Farben auftragen können, als mir heute vergönnt war.
Rheinland in römischer Zeit. 18
Anmerkungen.
Der Vortrag ist, wie er gehalten wurde, unverändert abgedruckt
worden. Er war ursprünglich noch auf einen letzten Theil, der den Sturz
der Römerherrschaft schildern sollte, berechnet. Jedoch musste die Aus-
führung wegen der Kürze der dem Redner gesteckten Zeit unterbleiben
und wurde hier nicht nachgeholt. Dagegen schien es zweckmässig, einige
Anmerkungen beizufügen, sei es um die aufgestellten Ansichten zu be-
gründen, sei es zu weiteren Forschungen anzuregen.
1) Herodot IH. 106. 114. 115. iS iox&t^s S' <Sv [E^Qwmfg] S te xaaai-
tsQoc ^fiTv (poix^ xal 10 ijXextQov. ngog dk Sqxxov tffg EvQ€07n]e xoiXtp u nXsXatog
XQvcog fpaivetai icav. Wo dies märchenhafte Goldland zu suchen sei, ob
nördlich von den Alpen oder in Russland oder Centralasien, steht nach
den ethnographischen Ausführungen IV. 13. 32 fg. (vgl. Herodot's Zeit-
genossen Damastes bei Steph. Byz. 'Yjrsgßifgsot) freilich keineswegs fest.
2) Zur allgemeinen Einführung sei auf die anziehenden Vorträge
G. vom Rath's über das Gold verwiesen (Virchow-Holtzendorff XIV. Serie,
325. u. 26. Heft, Berlin 1879). Eine Arbeit, die der wichtigen Rolle ge-
recht würde, welche das Edelmetall in der früheren Geschichte unseres
Vaterlandes gespielt hat, würde äusserst dankenswerth sein. Einen all-
gemeinen üeberblick über das Vorkommen des Goldes daselbst giebt H.
V. Dechen, Die nutzbaren Mineralien und Gebirgsarten im Deutschen
Reiche, Berlin 1873, p. 658—63. Die hier vereinigten Nachweise schulde
ich grösstentheils der freundlichen Beihülfe meines Collegen Clemens
Schlüter.
3) Ueber den Goldgehalt des Oberrheins, der ihm durch die Aar
zugeführt wird, sowie der oberrheinischen Ebene, handelt grundlegend
Daubr^e, Memoire sur la distribution de Tor dans le gravier du Rhin, et
sur Textraction de ce m^tal in Bulletin de la societ^ g^ologique de France
ni p. 458—65. Paris 1846 ; derselbe in Description g6ologique et minera-
logique du döpartement du Bas-Rhin p. 308—325, Strasbourg 1852. Die
Goldgründe finden sich auf einer Strecke von 250 km zwischen Basel
und Mannheim und zwar nur im gi-obenRies. Die ergiebigsten enthalten
bei der geringen Tiefe von 15 cm Flimmer in winzigen Blättchen ab-
gelagert, von denen 17—18000 erst ein Gramm wiegen. Bei der Wäsche
entfällt auf den Cubikmeter Kies 1 gr bis hinab zu Vso ^ Gold. Daubr6e
schätzt den jährlichen Ertrag auf 40—45000 fr., der von etwa 500 Men-
schen durch Nebenarbeit gewonnen wird. Auch 10—12 km vom Fiuss
entfernt hat Daubr6e in verschiedenen Kiesbänken, wie auch in und an
der 111 schwachen Goldgehalt nachgewiesen, der freilich nirgends die Aus-
beute lohnen würde.
4) Nach Daubrde erzielen die Goldwäscher einen Taglohn von
1— 2 Jr., ausnahmsweise 10—15 fr. Nach den Erkundigungen Gothein's,
Wirthschaftsgeschichte des Schwarzwaldes I p. 612, bleibt der Tageser-
trag doch nicht unter 1 Mark heutigen Tages zurück.
14 H. Nissen:
5) Münzrath Kachel, Die Gol.dwa8cherei am Rhein (Badisches land-
wirthschaftliches Wochenblatt 1838 p. 181 fg., 193 fg.). Leonhard, Beiträge
zur miner. u. geogn. Kenntniss des Grossh. Baden III. p. 131, Stuttgart
1854, führt badische Münzen mit der Aufschrift ex sabulis Rheni an. Seit
1834 ist der Ertrag stetig zurück gegangen.
6) y. Dechen, Nutzbare Mineralien p. 660.
7) Karsten, Archiv f. Mineralogie u. s. w. VII. p. 149, 167, Berlin 1834.
8) Leonhard, Neues Jahrbuch für Mineralogie u. s. w., p. 675,
Bonn 18a5.
9) Georg Agricola, De re metallica p. 54, Basel 1561.
10) Aus dem Schwarzwald werden namentlich angeführt: Rench,
Kinzig, Mühlenbach, Elzach, Dreisam, Wise, Brig, Breg, Donau s. Qothein
a. a. O. I. p. 610. Amel. Jahrb. LXIX. p. 121. Desgleichen Isar, Inn, Salzach,
Donau in Bayern; Saale, Schwarza, Rauscha, Elster u. a. in Thüringen;
Göltsch, Mulde, Sebnitz u. a. in Sachsen s. v. Dechen a. a. O. p. 661 fg.
11) Nöggerath in 6chweigger*s Journal, Jahrbuch für Chemie und
Physik XXIV. p. 351, Halle 1828, vgl. Dunker, Beschreibung des Berg-
reviers Coblenz II, Bonn 1884, p. 45.
12) Nöggerath, Das Gebirge in Rheinland -Westphalen L p. 141,
Bonn 1822; Verhandlungen des naturhistorischen Vereins von Rheinland
und Westphalen XVIII. p. 93, Bonn 1861. Das grösste bekannte Stück
jaus Deutschland wird wohl das im Mühlbach bei Enkirch an der Mosel
unweit Bemkastel aufgelesene nahezu 4 Loth schwere Stück sein (Poggen-
dorf, Annalen X. p. 136), während der 1842 bei Minsk gefundene Klumpen
88 PfUnd wiegt.
13) Bothmer, Gesch. d. Goldkronacher Goldbergwerks, Leipzig 1786.
14) Ausführlich behandelt in G. A. Volkmanns Silesia subterranea,
p. 204—12, Leipzig 1720. Viele Gewässer Schlesiens sind goldhaltig; bei
Neisse sollen Klumpen von 37» ?, 9 Pfund Gewicht im 16. Jahrhundert
gefunden worden sein. Von neueren Gelehrten handelt v. Dechen (in
ELarsten, Archiv für Mineralogie u. s. w. IL p. 209—33) über das Vor-
kommen des Goldes in Niederschlesien; vgl. v. Buch, Geognostische Be-
obachtungen I. p. 128 fg., Berlin 1802. Nach Fiedler, Die Mineralien
Schlesiens p. 29, Breslau 1863, wurde auf der Hütte bei Reichenstein in
den Jahren 1858 fg. alljährlich Gold im Werthe von gegen 25000 Mark
aus den Abbränden der gerösteten Arsenikerze erzeugt. Nach Athanasius
Eircher, Mundus subterraneus p. 247, Amsterdam 1665, sind die gold-
haltigen Flüsse in Deutschland und Ungarn zahllos.
15) Gothein, Wirthschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der an-
grenzenden Landschaften I. p. 609—12, Strassburg 1891, erörtert die ein-
schlagenden rechtlichen Verhältnisse.
16) Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Diodor V^. 27 beschrie-
bene Goldwäscherei der Kelten auch am Rhein betrieben worden ist.
Das älteste ausdrückliche Zeugiiiss steht Nonuos Dionys. XLIII. 410 xQvaw
"IßrjQ :tdQe T^og. Angeblich verleiht Herzog Ethico 667 dem Kloster Eber-
münster das Recht, Gold zu waschen (Grandidier, Histoire de Töglise de
Strasbourg I. 4 p. 367). Dann erwähnt Otfried von Weissenburg das-
Rheinland in römischer Zeit. 15
selbe klärlieh nach eigener Anschauung: Krist I. 1, 72 ioh l^sent thar in
lÄnte g61d in iro sante. Die allmähliche Abnahme der Gründe veran-
schanlicht eine von Daubr6e Descr. p. 317 beigebrachte Notiz, nach der
die Stadt Strassburg auf einer Uferstrecke von 3 Lieues das Recht Gold zu.
waschen verpachtete:
1727 für 100 fr.,
1789 „ 140 „
1755 , 110 „
1760 « 80 „
das 1852 höchstens 40 fr. werth war. Es wird nach Daubr6e am linken
Rheinufer zugleich mit der Fischerei von den Gemeinden vergeben. Der
Goldwäscher zahlt an den Anpächter eine jährliche Abgabe von 2—3 fr.
für den Kopf.
R^aumur, Essai de Thistoire des rivi^res et des ruisseaux du ro-
yaume qui roulent des paillettes d'or, in M6m. de TAc. des Sciences 1718
p. 68—88, zählt zehn französische Wasserläufe, aus denen Gold gewonnen
wird, auf: an oberster Stelle den Rhein. Im Allgemeinen gilt das Ge-
setz, dass die Ergiebigkeit eines Flusses mit dem Alter der an seinen
Ufern blühenden Cultur abnimmt. Dasselbe wird durch die Ausführung
bei Tacitus Germ. 5 erläutert.
17) Mommsen, Geschichte des römischen Münzwesens p. 678. 688.
18) Polyb. IL 17,11. vnoQ^lg ys firjv ixaatotg ^y ^gSf^/mja xou ZQVOog dia
tof^orajavta xatii ras negiaidaeig Qadlwg ^aa^i jtarraxfl yteQiayayeir xai f^e^-
icxavcu xatä tae cdnmv Jigoaigiaetg, Diodor V. 27 xara yag tffv FaXatlav
OQyvQog fisy to avvokov ov yiystat, XQ^^^ ^^ JtoXijg, 8v zoZs iyxmgiotg i} (pvoig
&vev /jUToXXelae xai xaxoJia&$iae vjtovgyst
19) Streber, Abhandlungen d. bayr. Akad. München 1860 p. 165,
1863 p. 547.
20) van Vleuten, Jahrb. LXVni. p. 61. Schaaffhausen, Jahrb.
LXXXVI. p. 64.
21) Durch die siegreichen Feldzüge 225—22 v. Chr. gelangten die
Römer in den Besitz der Goldgruben am Südfnss der Alpen. Sie be-
festigten noch vor Hannibais Ankunft in der Gegend von Biella, wo Spuren
des ehemaligen Goldbaues vorhanden, den Marktplatz Victumulae und
verwertheten alsbald den Gewinn in der 218 begonnenen und dann für mehr
als anderthalb Jahrhunderte fallen gelassenen Goldprägung. Die Blüthe
des Ortes (Liv. XXI. 57, Diod. XXV. 17) und mehr noch die censorische
Vorschrift für die Grubenpächter, nicht über 5000 Arbeiter anzustellen (Plin.
XXXIII. 78) zeugt von der Ergiebigkeit der Lager. Doch gingen sie
rasch auf die Neige und waren zur Zeit des Augustus nicht mehr in Be-
trieb (Strab. V. 218). Aehnlich ist es mit der Wäscherei im Thale der Dora
Baltea gegangen (Strab. FV. 205). Sie ist an verschiedenen Alpenflüssen
Piemonts noch nicht ausgestorben, ohne nennenswerthen Nutzen abzu-
werfen. Man begreift ohne Weiteres, dass die römischen Unternehmer
durch die Minderung der Erträge getrieben wurden, nach neuen unbe-
rührten Goldquellen auszuschauen.
22) Anschaulich berichtet der Zeitgenosse Polybios bei Strabo IV. 208.
16 H. Nissen:
23) Posidonios bei Athen. IV. 152 d., vgl. Strab. IV. 191.
24) Posidonios bei Strabo IV. 188; Dio ftr. 90. Justin XXXII. 3, 10.
Oros. V. 15, 25. GeU. N. A. HL 9, 7. Qc. de deor. nat. UI. 74.
25) Dio XLII. 49. Jiolkä 9ccd Im ndofj Jtgoqfdoei xQ^f*^^fi yiaga naytojv,
&a3isQ xat nßiVf exXdycov . . . Tavta Sk ovx vno xaxlag ktolsij cLU' Su xcd iSajtdva
siafJUiXri'&fi xai dvdXcjotv noXv JtXeio} ig re tä atgatÖTnöa xcu ig xa huvlxia xd xs
äXXa ooa iXafutgvrexo jroii^asiv ifieXiev, x6 xs o'^pmav ebtsTr, xQrnxaxonoiog dvrjQ eyivexo,
6vo xe shai Xsyoyv xd xdg dwaaxsiag TgoQoaxevdCorxa xat <pvXdaaovxa xcu enav^cvxa^
axgaxKoxag xcu xQW^Ta, xal xadxa di^ dXXi^Xoov itwsaxijxivai' xfj xs ydg xQO<pfj xd axQa-
xevfMxa awixea^ai xal ixeivrjy ix xmv S^Xcdv ovXXiyea^r xav ddxegow SnoxsQovoCr
avtdiv ivSeeg jji >^<^ ^^ etegov avyxaxaXv^osa&ai, vgl. Sneton 54, Dio XL. 60.
26) Dio XLIV. 39. xd xe tÖia evoixdxaxog afia xcu evdcatavwxcnog iyeiftrOy
dxQtßrjg fiev &v ig x6 xd vjtdgxovxa SioQxcag (pvXd^ai, dayfiXrjg de ig x6 xd xßoai^'
xovxa dipetSoig dyaX<ooai. Vgl. Cicero an Att. XIII. 52, 1. Suet. 47.
27) Appian, Bürgerkr. II. 13, vgl. Cicero an Att. VI. 1, 25. Sueton 54.
28) Plutarch 20.
29) Sueton 26. Plin. N. H. XXXVI. 103. Die Fläche misst rund
9000 Quadratmeter.
30) Cicero an Att. IV. 16.8, vgl. Sueton Aug. 56.
31) Cicero an Att. IV. 16, 8, beendet durch Agrippa. Dio LIII. 28.
32) Cicero an Att. XV. 15, 2. Tacit. Ann. II. 41. Sueton 83. Plut.
Brut. 20 u. a.
33) acero an Att. VI. 1,25. Sueton 46; Sueton 83; SenecaEp. 51, 11.
34) Caesar, Bürgerkr. I. 14. Cicero an Att. VII. 14, 2.
35) Sueton 31.
36) Ausdrücklich spricht Cicero in seinem Briefwechsel nur von
einem Darlehen von 800000 Sesterzen, dessen Rückzahlung, wenn über-
haupt, jedenfalls spät erfolgt ist, an Atticus V. 1,2, 5,2; XII. 7,2, 8. In-
dessen können Aeusserungen an die Freunde I. 9, 12 fg., VII. 17, 2 kaum
anders als von unmittelbaren Vortheilen verstanden werden. Und dass
der Unterhändler von Geschäften^ wie den hier in Rede stehenden, seine
Procente bezog, versteht sich im Grunde genommen von selbst.
37) Drastisch schreibt Cicero am 9. December 50 an Atticus VII.
3, 11 age a Caelio mutuabimur. hoc tu tarnen consideres velim; puto
enim,' in senatu si quando praeclare pro re publica dixero, Tartessium
istum tuum (Caesars Bankier Baibus) mihi exeunti „iube sodes nummos
curari**. Sueton 27.
38) Plutarch 29. Appian II. 26. Cicero an Att. VI. 3,4.
39) Valer. Max. IX. 1, 6. Velleius II. 48, 4 centies sextertio £U ver-
bessern in sexcenties sestertio, vgl. Lucan IV. 820 Gallonim captus
spoliis et Caesaris auro.
40) Caesar Gall. Kr. 1. 39 mit köstlicher Ironie.
41) Cicero an seinen Bruder II. 14, 3, III. 9, 4.
42) Caesar Bürgerkrieg I. 15, vgl. Cicero an Att. VII. 7, 6.
43) CatuU 29. Plin. N. H. XXXVI. 48. Cicero an Att. VII. 7, 6.
Horaz Sat. I. 5, 37.
44) Sueton 33. ZiifVieden zu stellen waren Caesars Soldaten nicht,
Rheinland in römischer Zeit. 17
obwohl z. B. jeder beim Triumph 46 ein Geschenk von 4210 Mark erhielt
Sneton 38.
45) Nach Sueton 54 sank das normale Verhäitniss beider Metalle
von 1 : 11,9 vorübergehend auf 1 : 8,9 herab.
46) Cicero an Att. IV. 16, 7. Man hatte grosse Erwartungen gehegt.
Des Redners Binider Quintus, seine Schützlinge Trebatius, Trebonius,
Curtius, waren ausgezogen auf der unbekannten Insel ihr Glück zu
suchen, Caesars Bankier Baibus war ins Hauptquartier entboten worden.
Enttäuscht antwortet Cicero dem Bruder III 1,10 de Britannicis rebus
cognovi ex tuis litteris nihil esse nee quod metuamus nee quod gaude-
amus, ist aber durch eine spätere Botschaft, laut deren Baibus zum
Winter mit gefüllter Kasse nach Rom heimkehren werde (§ 12), getröstet
worden. — Eine Entstdlung des Sachverhalts ist es, wenn Caesar in der
Aussicht auf Perlen den Zug unternommen haben soll, Sueton 47 vgl.
Tacit. Agric. 12.
47) Caesar' erwähnt diesen für das historische Verständnis ent-
scheidenden Umstand nirgends, um den Eindruck seiner Thaten auf den Leser
nicht abzuschwächen. Die Folge davon ist, dass er auch von den neueren
Gelehrten nicht genügend betont wird. Dio, der ausser den Comroentarien
andere zeitgenössische Berichte benutzt hat, lässt Caesar vor dem Kampf
mit Ariovist seine Soldaten mit den Worten ermuthigen XXXVIII. 45
Tva yoQ xäXXa idofo, t6 nkrj&og ^ficäv t^v ^Xixiav rrjv ifinBigiav tä igya, ixsTrö ye
xkovxoISev, Sil ^fteU f*er xaxä näv ^* Sfwicoe ro owfjta cbTtklofjiF&a, ixstvoi de dtj
yvfivol %6 xXsi&Toy etai, xal ijfAeZs fiev xal loyuffMp xai xdi^si xQibiis^a^ sxsivoi Sk
öff ^fji<p xQog Ttayxa davvxaxxot tpsQorxcu] vgl. die Schlachtbeschreibung eb.
49,4. Ausführlich verbreitet sich über den Unterschied der Bewaffnung
der kriegskundige Polybios II. 30, III. 114 und in der livianischen Ueber-
setzung XXXVIII. 21. Andere Erwähnungen Diodor V. 30. Strabo IV.
196. Tacitus Ann. II. 21. Hißt. IL 22.
48) Liv. XXXVIII. 21 non tam patentibus plagis moventur; interdum
insecta cute, ubi latior quam altior plaga est, etiam gloriosius se pugnara
putant.
49) Africanischer Krieg 45.
50) Plutarch Caes. 15. Pomp. 67. Appian Kelt. I., Bürgerkrieg II.
150. Julian Caesares 321a; Plinius N. H. VII. 92 giebt 1192000, Velleius
IL 47 (vorschrieben?) nur 400000 getödtete Feinde an.
Jahrb. d. Ver. v. Attcrthsfr. Im Rheinl. XOVl.
2. Terra
Ein Beitrag zur Geschichte der griechischen und
römischen Keramik *)•
Von
Hans Dragendorff.
(Hierzu Tafel I-VI.)
Einleitung
(Name, Gattung, Technik, Litteratur).
Die Nothwendigkeit einer Geschichte der römischen Keramik
ist allgemein anerkannt. Handelt es sich dabei doch nicht nur
darum, die Entwicklung eines bltthenden Zweigs antiken Kunst-
gewerbes durch Jahrhunderte hindurch genauer zu verfolgen, als es
bisher geschehen ist, sondern es ist auch jede römische Scherbe, die
ausserhalb Italiens gefunden wird, ganz unmittelbar eine Urkunde zur
Kultur- und Handelsgeschichte. Die Verbreitung und Intensität der
römischen Civilisation innerhalb der einzelnen Provinzen, die Bezie-
hungen derselben unter einander und zu Italien, die eigenthümliche
Mischung römischen und einheimischen Wesens, die für die Provin-
zialkunst der Kaiserzeit charakteristisch ist, treten uns bei Durch«
musterung der keramischen Reste besonders anschaulich vor Augen.
Von welcher Bedeutung ftir die Datirung von Ruinen und Grabfun-
den, in denen Scherben selten fehlen, eine bis ins Einzelne festge-
stellte Vasenchronologie sein würde, bedarf keiner Ausführung.
*) Ein Theil dieser Arbeit, die der philosophischen Fakultät der Uni-
versität Bonn behiifs Erlangung der Doktorwürde vorgelegen hat, ist be-
reits in lateinischer Sprache unter dem Titel „de vasculis Romanorum
rubris capita selecta** Bonn 1894 als Dissertation erschienen. Doch sind
diese Capitel hier gänzlich umgearbeitet, sodass die Dissertation als anti-
quirt gelten muss.
Terra wgillatA. 19
Die folgende üntcrsuclmng beschränkt sich darauf, eine ge-
nauere Behandlung der wichtigsten Gattung römischer Vasen anzu-
bahnen: der roth glasirten..
Ich werde diese mit einem unantiken, aber weit verbreiteten
Namen als „Terra sigillata^^ bezeichnen, hingegen die häufig gleich-
werthig damit verwendete Benennung „Arretinische Vasen" nur für die
wirklich in Arretium gefertigten gebrauchen. Die in England beliebte
Bezeichnung der Terra sigillata als „Samische Vasen" sollte, weil
irreführend, aus der wissenschaftlichen Terminologie verschwinden.
Zur allgemeinen Charakteristik der Gattung können folgende
Merkmale dienen: feiner rother Thon, der aufs beste bearbeitet und
sehr hart gebrannt ist. Die Formen sind mannigfaltig und bezeugen
durch ihre meist eckigen und scharfen Profile die Nachahmung metalli- *
scher Vorbilder. Grössere Gef ässe sind häufig an der Aussenseite —
nie aber im Innern — mit Relief verziert. Nicht selten tragen die
Vasen den Namen ihres Verfertigers eingestempelt. Das Haupt-
merkmal aber, das die ganze Gattung zusammenhält, bleibt eine
feine Glasur von rother Farbe.
DieSchattirung des Roth, der Glanz und die Festigkeit der Glasur
sind natürlich bei den einzelnen Stücken verschieden. Im Prinzip
aber ist die Herstellung immer dieselbe, mag es sich um italische
oder provinziale, frühe oder späte Proben handeln. Dies beweisen
die Analysen verschiedener Terra sigillata-Scherben, die unter der
Leitung meines Vaters von Magister R. Lilien thal im pharmazeuti-
schen Institut der Universität Dorpat ausgeführt worden sind. Es
wurden folgende 5 Scherben untersucht:
I. Scherbe eines Gef&sses alter Form aus Tarquinii, wahr-
scheinlich noch aus republikanischer Zeit.
II. Scherbe einer sehr feinen Terra sigillata-Schale des I. Jahr-
hunderts n. Chr. Stark spiegelnde Glasur. Bonn.
HI. Scherbe eines Napfes (Fonn 27 der Formentafel II). Beste
Terra sigillata mit spiegelnder Glasur. Bonn.
IV. Seherbe hellrother, späterer Terra sigillata. IL — III. Jahr-
hundert. Bonn.
V. Scherbe von Terra agillata schlechtester Art Mehliger
Thon, weiche Glasur.
Jede dieser Scherben wurde zweimal untersucht, und zwar a)
der Thonkem allein, b) die Oberfläche mit der Glasur. Es ergab
sich dabei folgende Zusammensetzung:
20
Hans Dra^endorff:
Fragment
I
I]
"b"
mit
Bur
III
IV
V
a b
ohne mit
Glasur
a
ohne
Gla
- a" 1 b "
ohne 1 mit
Glasur
a 1 b
ohne ! mit
Glasur
a-^b
ohne| mit
Glasur
Kieselsäure
55,08
54,18
52,87
1
52,054 51,924
54,75 53,70
66,70
—
Thonerde
23,10
21,31
23,95
—
—
-
18,82 16,93
21,01
—
Eisenoxyd
14,13
15,00
4,78
—
13.966
12,168
14,48 14,70
5,89
—
Kalk
5,22
6,01
13,80
—
—
—
5,301 5,82
3,20
—
Magnesia
0,75
1,94
2,35 1 3,12
1,850
2,301
3,38 1 5,72
1,26
2,05
Kali
0,79
0,95
0,89
1,06
1,852
2,210
1,55
1,82
1,02
1,27
Natron
0,28
0,37
0,45
0,49
0,523
0,921
0,53
0,62
0,57
0,69
In allen Scherben fanden sich ausserdem Spuren von Mangan und
Schwefelsäure.
Alle Glasuren wurden mit negativem Erfolge auf Blei unter-
sueht. Wegen der geringen Menge des Materiales musste bei IIb
und Vb die Bestimmung von Kieselsäure, Thonerde, Eisenoxyd
und Kalk, bei III diejenige von Thonerde und Kalk unter-
bleiben. Es zeigt sich nun, wenn man a und b vergleicht, dass
der Hauptunterschied in dem Gehalte an Magnesia, Kali und Na-
tron liegt, und zwar sind diese in b, wo der Thon mit der Glasur
untersucht ist, durchgängig in grösserer Menge vorhanden als in a,
Sie sind also diejenigen Elemente, die der Oberfläche zugesetzt
wurden, um die Glasur zu Stande zu bringen. Wir haben es folg-
lich mit einer alkalischen Glasur zu thun, und zwar sind immer die
gleichen Materialien benutzt, während die verarbeiteten Thonsorten,
wie die Analysen zeigen, recht stark in ihrer Zusammensetzung von
einander abweichen. Die schöne rothe Färbung ist durch das Eisen-
oxyd hervorgerufen. Der Prozentsatz an Eisenoxyd ist bei den
verschiedenen Thonen sehr verschieden, dagegen ist der Gehalt in
a und b stets fast gleich, die geringe DiiFerenz kann durch Fehler
der Analyse entstanden sein. Man wird daraus schliessen, dass die
Töpfer schon eisenhaltigen Thon nahmen, ihm nicht Eisenoxyd
künstlich zusetzten, wie sie die Alkalien zusetzten. In welcher
Form die Alkalien zugesetzt vnirden, ist schwer zu entscheiden.
Keller, der eich bisher am eingehendsten mit der Frage nach
Terra sigillata. 21
der Technik der Sigillaten beschäftigt hat*), vermuthet, dass Borax
zum Hervormfen der Glasnr l^enutzt sei. Doch scheint dazu das
Verhältniss von Kali nnd Natron zu einander nicht zn stimmen.
Auch sehen die von Keller mit Borax glasirten Stücke, die ich
in Speicr zu untersuchen Gelegenheit hatte, durchaus nicht wie
römische Terra sigillata aus. —
In der Herstellung von Terra sigillata haben die römischen
Töpfer ihr Bestes geleistet. In Folge dessen hat diese Vasengattung
die gi'össte Verbreitung gefunden und die längste Dauer gehabt.
Man kann deutlich verfolgen, wie sie in Nachahmung und Weiter-
bildung hellenistischer Fabrikate entsteht. Im I. Jahrhundert v. Chr.
gelangt sie in Italien zur Blüthe; darauf wird die Technik in die
Provinzen übertragen, und hier begegnen wir Fabriken, die einen
an moderne Verhältnisse erinnernden Massenexport entwickeln. End-
lich nimmt mit dem Verfall der römischen Cultur das Können auch
auf diesem Gebiete ab und mit dem Zusammenbruch der Römer-
herrschaft verschwinden auch die rothen Vasen.
Ihrer Bedeutung entsprechend ist denn auch die Terra sigillata der
einzige Zweig römischer Keramik, über den schon eine umfassendere
Litteratur existirt. Doch sind, abgesehen von der summarischen Behand-
lung in den Handbüchern der Keramik*), nur spezielle Fragen bearbeitet.
Am besten sind wir Über die Fabrikstempel unterrichtet, die auf
den rothen Vasen vorkommen. Sie sind zuerst von Fröhner*),
dann von S c h u e r m a n s *) sorgfältig zusammengestellt. Das
ganze Material wird einst das Corpus der lateinischen Inschriften
zu umfassen suchen. Zunächst fehlen von diesem aber noch die
für uns wichtigsten Bände: Rom, Etrurien, die TresGalliae, Germanien
1) Die rothe römische Töpferwaare, Heidelberg 1876. Hier ist auch
die ältere Litteratur über diesen Gegenstand zusammengestellt.
2) B i r c h , Ancient Greek pottery p. 369 ff. B 1 ü m n e r , Tech-
nologie Bd. II, S. 104 ff. Brongniart, Les arts c6ramiques Bd. I,
p. 419 fif. Caumont, Course d'antiquites monumentales II, p. 185 flf.
Marquardt, Römische Privatalterthümer II, S. 639 ff. B a y e t et
C o 1 1 i g n 0 n , Histoire de l'art ceramique p. 354 flf. Smith, Collectanea
antiqua I, p. 150 ff. Daremberg-Saglio, Dictionaire des antiquit^es
8. V. figulus p. 2029 (Pottier).
3) Inscriptiones terrae coctae vasorum. Qöttingen 1857. (Suppl. zum
Philologus Bd. XII.)
4) Les sigles iigulins ; Bruxelle.s 1867 (in den Aunalcs de TAcad^mie
d*arch. de Belgi>|ue. Bd. XXIII). Im Folgenden citirt Seh.
22 HansDragendorff:
und iu allen diesen Bearbeitungen ist der Nachdruck so ausschliesslich
auf die epigraphiscbe Seite gelegt^ dass der Archäologe aus diesen
Stempelsamrolungen nur beschränkten Nutzen ziehen kann. Da An-
gaben über Technik und Verzierung fast ganz fehlen; ja nicht ein-
mal eine Formentafel beigegeben ist, so mangeln die festen Anhalts-
punkte für chronologische Bestimmungen; man kann nicht einmal
entscheiden, ob z. B. in Gallien und Deutschland gefundene Vasen,
die denselben Stempel tragen, von ein und demselben Töpfer ge-
fertigt sein können oder verschiedenen Männern gleichen Namens
zugeschrieben werden müssen.
Manche Gelehrte wiederum beschränkten ihre Arbeit auf die
an einem bestimmten Orte gefundenen Gefässe. So besitzen wir
über die in Arezzo gefundenen Vasen mehrere Monographien, vor
Allen die noch immer sehr nützliche Fabroni's, der eine fleissige
Zusammenstellung des litterarischen Materials über die arretinischen
Vasen bietet und eine Reihe der besten ornamentirten Gefässe ab-
bildet*). Gefolgt ist ihm hierin der hochverdiente Gamurrini*).
Ihm verdanken wir auch die meisten Nachrichten über in Arezzo auf-
gedeckte Töpfereien, sowie ein jetzt allerdings bedeutend zu erwei-
terndes Verzeichniss von Stempeln meist arretinischen Fundortes').
Eine für ihre Zeit vorzügliche und mit staunenswerther Litte-
raturkenntniss geschriebene Arbeit dieser Art, die namentlich die
auf den rothen Vasen sich findenden Typen zusammenstellt, ist der
Aufsatz vonHefner's über die Westerndorfer Töpferei *). Neuer-
dings hat in ähnlicher Weise Oskar Holder 5) eine gute
Vorarbeit geliefert, der alle in Rottweil vorkommenden Formen,
figürlichen Typen und Fabrikstempel in Zeichnungen veröffentlicht
hat. Leider laufen die einzelnen Beobachtungsreihen bei ihm un-
verbunden neben einander her. Man erfahrt z. B. nicht, welche
Stempel mit den einzelnen Formen zusammengehören, welche Deko-
rations-Typen gemeinsam vorkommen u. s. f.
1) F a b r 0 n i , Storia degli antichi vasi fittiU aretini. Arezzo 1841.
2) Namentlich in der Notizie degli scavi v. 1884. == Atti della R. Acca-
demia dei Lincei. Ser. IV, vol. 1, im Folgenden citirt A. d. L. IV 1. Ein-
zelne kleinere Arbeiten citire ich bei der speziellen Behandlung der arre-
tinischen Vasen.
3) Iscrizioni degli vasi flttili aretini. Arezzo 1859.
4) Oberbayrisches Archiv, Bd. XXII. Auch gesondert erschienen.
5) Oskar Holder, Die römischen Thongefässe der Alterthums-
sammlung in Kottwcil. Stuttgart 1889.
Terra sigillata. 28
Ein ernstlicher Versnch eine Geschichte der Terra sigillata-
Fabrikation zu geben^ ist bisher nicht gemacht. Und es erklärt sich
dies leicht ans der Seltenheit zuverlässiger Fundberichte und archäo-
logisch branchbarer Beschreibungen, aus der Zerstreuung der Origi-
nale in französischen, belgischen, holländischen, deutschen Liocal-
museen und der schweren Zugänglichkeit der ebenso massenhaften,
wie leider häufig werthlosen Notizen über diese Denkmälergattung,
die sich in Vereinspublicationen jener Länder verbergen. Auch ich
habe diese Schwierigkeiten nicht annähernd Übei*winden können!
Keineswegs einen völligen Aufbau, sondern höchstens die Grundlinien
einer geschichtlichen Betrachtung darf ich zu geben hoffen.
Den grössten Theil des Materiales für diese Arbeit habe ich
selbst in den Museen von Berlin, Köln, Bonn, Trier, Kreuznach,
Mainz, Homburg, Frankfurt a. M., Speier, Worms, Karlsruhe, Metz,
in Paris im Louvre und im Musee Guimet, endlich im Museum von
St. Germain gesammelt. Den Vorständen aller dieser Museen, die
ohne Ausnahme meine Arbeit durch ihr liebenswürdiges Entgegen-
kommen unterstützt haben, danke ich auch an dieser Stelle bestens.
Besonderen Dank möchte ich aber auch hier Herrn Prof. Loeschcke,
meinem hochverehrten Lehrer, sagen. Auf seine Anregung hin habe
ich diese Arbeit begonnen, und bei der Ausführung hat er mir st^ts
aufmunternd und rathend zur Seite gestanden.
Bevor ich auf mein eigentliches Thema eingehe, empfiehlt es
sich einige orientirende Bemerkungen über hellenistische Re-
liefvasen vorauszuschicken, da diese die Voretufen der römischen
Terra sigillata bilden ^). Zwei Thatsachen sind es, die der hel-
lenistischen Keramik ihr Gepräge geben: das Zurücktreten der
Malerei gegenüber der toreutische Arbeit imitirenden Reliefdecoration
und das Aufhören der ausschliesslichen Verwendung schwarzer
Fimissfarbe zum üeberzug der Gef&sse. Neben Schwarz treten jetzt
auch andere Farben, besonders das durch scharfes Brennen des
schwarzen Fimiss erzeugte Roth, ferner grüne und gelbe
Glasuren.
L Calener Schalen,
unter diesem Namen fasst man bekanntlich Vasen zusammen,
die vollständig mit glänzendem schwarzem Firniss überzogen und
l)Rayet-Conignon 1. c.p. 339ff, Dumont-Chaplain
168 c^ram. de la Gr^ce propre p. 392 ff.
24 Hans Dragendorff:
innen mit aus Formen gepressten Reliefs verziert sind. Sie tragen
oft lateinische Töpferstempel, in denen der Fabrikant sich als Ga-
lener bezeichnet^). Zwei Haaptaii;en sind zu scheiden:
1) Flache Schalen mit Omphalos, um den die Meistersigna-
turen zu laufen pflegen.
Diese nennen bisher folgende Finnen:
a) L. CANOL ElOS- L- F- FECIT- C ALENOS
b) L. GABINIO T- N. CALIINO
c) RETVS- GABINIO. C- S- C A LEBVS
d) GABINIVS- L- F- FIICIT«)
e) VIIGO-II^QIlLINOC-^-K.^llRPONIOCAIlIRFlICIl-
Oberhalb der Inschrift ist die innere Wandung mit Ornamenten
oder Figuren verziert,
2) GefäBse, theils Schalen, theils Teller, die mit einem Relief-
medaillon auf dem Boden geschmttckt sind. Bei diesen ist der
Fabrikstempel in das Reliefrund gesetzt. Es kommen vor C- GA-
BINIO, L. GABINIOS, K. A T I L I 0 S 3), folglich zum Theü die-
selben Fabriken, in denen die qpidXai |Li€c6fi(paXoi hergestellt wurden.
Die Reliefs scheiden sich in zwei Hauptgruppen. Entweder sind in
flachem Relief ganze Figuren dargestellt, oder Brustbilder in sehr
hohem Relief.
Man hat längst erkannt, dass alle diese calenischen Thon-
vasen billiges Surrogat far toreutisches Geschirr sind, und zwar
ahmen die Omphalosschalen Metallschalen nach, bei denen der Re-
liefschmuck direkt aus der Wandung herausgetrieben war, während
die zweite Klasse Vorbilder benutzte, bei denen das Relief gesondert
gearbeitet und wie bei den Spiegelkapseln als Emblem auf eine feste
Unterlage aufgesetzt war. So ist das Relief-Innenbild gesondert
hergestellt an der Silberschale von Bemay J. H. St. pl. 22. Isolirt
1) Bluemner, Technologie II S. 98 ff. Benndorf, Griech. u. sizil.
Vasenbilder S. 109 fF. Taf. LVIflF. Furtwaengler, Samml. Sabouroff zu
Taf. LXXIII. Atti d. L. IV 1, p. 259.
2) Zu den Inschriften vgl. R i t s c h 1^ de fictilibus litteratis latinorum
antiqulssimis. Bonnae 1853. Ephemeris epigrapbica 120, IV 246. Momm-
sen Staatsrecht III p. 428 Anm. 1.
3) Das Bull. d. J. 1874 p. 88 beschriebene Relief einer Atilius^Scbale
befindet sich jetzt im Bonner Provinzialmuseum.
Terra sigillata. 25
erhaltene Embleme von Metallschalen scheinen z. B. die Silber-
medaillons aus Syrien Gaz. arch. VI, pl. 23. 24 und das Relief M.
d. J. I Taf. XIV A zu sein.
Nach Ausweis der Inschriften ist ein Theil der „Calener"
Vasen wirklich in Cales hergestellt und zwar am Ende des III. oder
Anfang des II. Jahrhunderts v. Chr. Dass die Gattung aber in
Cales erfunden sei, ist wenig wahrscheinlich. Denn erstlich sehen
wir, dass dieselben Fabriken zwei Sorten von Schalen herstellen,
die sich in ihren Dekorationen wesentlich unterscheiden. Niemals
finden wir dieselben Figuren in den Omphalosschalen und auf den
Emblemen verwendet, jede Gattung hat ihren eigenen Typenschatz.
Daraus wird man schliessen dürfen, dass fRr die Canoleius und Ge-
nossen bereits eine Tradition vorlag und man sucht die Wurzel der-
selben natürlich auf griechischem Boden. Es ist kein Zufall, dass
die römische Thonindustrie zuerst an der Stelle aufblüht, wo am
frühesten die römische Kultur in direkte und dauernde Berührung
mit griechischer trat. Auf griechische Figurenstempel weist auch
deutlich ein verlorenes 13 OH 3 hin, das sich zwischen den Orna-
menten einer Calener Schale findet (Berlin 3881).
Man könnte danach geneigt sein, die „Calener Schalen" für
eine Erfindung unteritalisch-griechischer Töpfer zu halten. Aber so
sicher diese an der Herstellung von Beliefvasen solcher und ähnlicher
Art betheiligt gewesen sein werden — ich erinnere namentlich an
die Schalen mit dem Arethusakopf — das Vorkommen genau ent-
sprechender Gefasse in Griechenland, Kleinasien und Südrussland
macht es wahrscheinlich, dass die Erfindung der Gattung weiter
östlich zu suchen ist. Zwei Schalenböden dieser Art mit dem Bild
eines bärtigen Triton, die sich in Dodona gefunden haben ^), könnte man
nöthigenfalls noch für italischen Import erklären, aber ausgeschlossen
ist diese Möglichkeit gegenüber den Funden in Südrussland. Hier
finden wir beide Arten von Medaillonreliefs wieder, die mau bei
den Calener Schalen unterscheiden musste, die mit ganzen, aber
flachen Figuren und diejenige mit Brustbildern in Hochrelief^). Und
zwar sind die Reliefvasen sicher an Ort und Stelle gefertigt. Denn
Malm b er g hat aus einer in Kertsch gefundenen Töpferei mehrere
1) Carapanos, Dodone Taf. 61, 8, p. 111.
2) C(ompte) B(endu) 1869, Taf. IV, 21.
26
Hans Dr agendorf f :
Tbonformen publicirt, die zar Uerstellung derartiger Vasen bestimmt
waren ^).
In Unteritalien und in Südrussland wurden also Vasen der-
selben Foi-m, Technik und Decoration hergestellt. Dass ünteritalien
die Vorbilder geliefert, ist nicht denkbar. Die in Sttdrussland
gefundenen Sttlcke sind in der Ausführung den italischen weit über-
legen und stehen ihren Metallvorbildern viel näher. Denn auch
stilistisch scheinen mir das vonMalmberg a. a. 0. Taf. I, 1 publi-
cirte Stück und das obenerwähnte Silberrelief aus Syrien (Gaz.
arch. VI pl. 23) aufs nächste verwandt, während von den Calener
Reliefs sich nichts an Eleganz und Feinheit mit diesen messen kann.
Auch dass die Fabrikation ^r Vasen nach Art der „Calener'^
den umgekehrten Weg, von Südrussland nach Italien, genommen
habe, kann man nicht annehmen. Denn einmal bliebe dann immer
noch unerklärt, woher die zweite Gattung Calener Schalen, die Om-
phalos-Schalen, nach Italien gekommen, die sich in Südrussland
1) Die in russischer Sprache geschriebene Abhandlung findet sich
in den von der kaiserl. archäologischen Kommission herausgegebenen
Schale aus Olbia. Fig. la.
Vi Thonrelief aus Olbia. Fig. 1.
„Materialien zur Archäologie Russlands** Heft?. Petersburg 1892. Auf die Be-
ziehungen zu den unteritalischen Gefässen geht M a 1 m b e r g nicht ein. — Eine
ganze Schale dieser Art aus Olbia besitzt das Bonner Kunstmuseum. Das
Emblem zeigt in Hochrelief das Brustbild eines Satyrweibchens, beistehend
abgebildet nach B. J. LXXXX S. 7. Die Form entspricht genau manchen der
unteritalischen calener GefÄsse und der polychromen Kotyle im Louvre. Der
untere Theil der Aussenseiteist mit schwarzem Firniss überzogen, der ob^re
mit gelbroth gebrannten^.
Terra sigilUta. 21
nicht finden. Aasserdem aber kenne ich kein Beispiel dafür, dass
Erzeugnisse des Kunsthandwerkes vom Pontus nach Italien gebracht
worden sind: stets finden wir vielmehr, dass die südinissischen und die
süditalischen Colonien die gleichen Bezugsquellen gehabt haben. In
älterer Zeit ist es Jonien, dann kommt die Periode, wo Attika den
ganzen Kunstmarkt gewinnt, später scheint es wieder Kleinasien
zu sein, das in Menge seine Produkte in diesen Gegenden unter-
bringt^). So möchte man auch in diesem Falle eine gemeinsame
Bezugsquelle für beide Gebiete annehmen, und zwar am liebsten
einen der Orte, an denen eine reiche Metallindustrie in jener Zeit
blüht. Den Ort genauer zu bestimmen fehlt vorläufig das Material.
Dass aber in Kleinasien, an das man zunächst denken wird, der-
artige Vasen gemacht worden sind, beweisen dort gefundene Thon-
fonnen für ebensolche Relief bilder, die bei Fro ebner Coli Greau
pl. XCII abgebildet sind. Die eine stimmt ganz zu Stücken, wie Benn-
dorf Taf. LVII. 1, 9. Zu der anderen, die nur omamental aus
einer Amphora wachsende Ranken zeigt, mag man das Metallrund
Gaz. arch. VI 1880 pl. 24 vergleichen.
Auch verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung, dass eine
mit der Provenienznotiz „Griechenland" im Louvre befindliche „Ca-
lener" Schale (Emblem: weiblicher Kopf in Hochrelief) auf den
schwarzen Fimiss aufgemalt rosa mit Weiss aufgehöhte Lotosknospen
zeigt, die aus gelbbraunen Kelchblättern hervorwachsen. In dieser
Art der Polychromie erinnert das Stück an polychrome, allerdings
weissgrundige Vasen des II. Jahrhunderts, die sich ausser in Süd-
russland in Myrina finden. Vgl. unten S. 32 ff^. Es ist schwerlich
Zufall, dass seit dem V. Jahrhundert gerade Omphalosschalen in
verwandter Technik bemalt wurden. Salzmann, Camiros pl. 56.
1) Zwei besonders sichere Beispiele aus hellenistischer Zeit mögen
genügen, um gleiche Bezugsquellen für Südrussland und Italien zu er-
weisen. Mehrfach sind in Südrussland kleine feine graue Thonschälchen
gefunden, die aussen mit schuppenartigem Ornament verziert sind und
am Boden den Stempel M€NeMAXOY tragen (C. R. 1874, S. 110.
Malmberg a. a. 0. p. 27). Genau solch ein Gefäss desselben Töpfers
ist in Italien gefunden (B. d. J. 1866, p. 244 Anm. 4).
Eine schöne omamentirte Glasamphora ist publizirt Antiq. d. Bos-
phore Taf. 78. 1—4. Sie trägt den Stempel €NNlCON | |€TTOI€l auf
einem kleinen Tttfelchen. Genau dieselbe Aufschrift auf demselben Täfelchen
findet sich auf mehreren Glasvasen, die in Italien gefunden sind (A. d, J.
1844. Taf. Q. p. 161. B. d. J. 1875, p. 223).
23 Hans Dragendorf f:
IL Megarische Vasen.
Ich behalte den einmal eingebürgerten Namen bei, obgleich
die Vasen'), wie Robert zuletzt nachdrtlcklich betont hat, sichet
nicht in Megara gefertigt sind *). Wir verstehen unter diesem Na-
men halbkugelförmige dünnwandige Becher ohne Fass, — kotuXii
scheint nach Robertos Nachweis der attische Name dieser Form,
— die an der Aussenseite Verzierungen in flachem Relief tragen.
Diese sind bei einer Anzahl mit einem Stempel dem fertiggeformten,
noch weichen Gefäss aufgedrückt, die Inschriften dann eventuell
aus feinem Thonschlamm mittelst des Pinsels aufgetragen. Bei
andern ist eine vollständige Hohlform hergestellt durch Abformen
eines Modells. Die Verzierungen sind theils figürlich, theils oma-
mental. Oben ist meist ein ' glatter Rand gelassen, es folgt ein
Eierstab oder ein bandartiges Ornament, dann die figürliche Haupt-
decoration. Der Boden ist oft mit einer Rosette von Acanthus
oder mit einer Maske geschmückt, bisweilen ist hier auch der
Stempel des Töpfers eingepresst. Die Zusammenstellung der Orna-
mente erfolgte lediglich nach decorativen Gesichtspunkten, ohne
Rücksicht auf den Inhalt. Eine Ausnahme hiervon machen nur die
sog. homerischen Becher, die aber ihrer ganzen Technik nach nicht
von den megarischen getrennt werden können. Dass sie z. Th. in
denselben Töpfereien geformt sind wie megarische Vasen, zeigen
Stücke wie das von Furtwaengler a. a. 0. Taf. LXXIV. 2 publi-
zirte, das den Stempel des Dionysios trägt und sich dadurch neben
die in Anthedon gefundene homerische Kanne desselben Meisters stellt 3).
Während aber die „megarischen" Becher sich überall auf dem
Gebiete griechischer Kultur — in Griechenland *), Kleinasien 5), Süd-
russland*), Italien'') — finden, sind die homerischen Becher lokal be-
1) Im Allgemeinen sind zu vergleichen Benndorfa. a. 0. Furt-
w a e n g 1 e r , Sammlung Sabouroffzu Taf. LXXIII. Dumont-Cha-
p 1 a i n a. a. 0. p. 302 ff.
2) 50. Beri. Winkelmannsprogramtft S. 3 gegen Dumont p. 50,
Nr. 10 und BenndorfS. 118.
3) R 0 b e r t a. a. 0. S. 90 ff.
4) So die von B e n n d o r f a. a. 0. publizirten Stücke. Auch die
Fundnotiz S. B. d. Berl. Akad. 1872 S. 867 bezieht sich wohl nicht auf
„arretinißche", sondern auf „megarische" Vasen.
5) Aus Mj'rina stammen mehrere Exemplare im Louvre.
6) Z. B.: C. R. 1876. S. 184 u. 209 ff. Taf. Vi, 11 u. 12.
7) Z. B.: B. d. J. 1877 p. 35, 1868 p. 115. Aus der Sammlung Cam-
paoa sind mehrere Exemplare nach Paris gekommen.
Terra slgillata. 29
grenzt, also eine lokale Abart einer ursprünglich an anderem Orte
erfundenen und gepflegten Technik. Von den 21 homerischen
Becheni; die Robert aufzählt, sind 19 in Boeotieu gefunden, bei 2
ist der Fundoii; unbekannt. Uebersehen ist von Robert einvonRoss^)
erwähntes Stück, das in Ghalkis gefunden wurde. Bei dem Becher
des Dionysios lautet die Fundnotiz Kreta, bekanntlich eine sehr
unzuverlässige Provenienzangabe. Wir werden durch dieses Ergeb-
niss dazu geführt, die Fabrik der homerischen und damit eines
Theiles der megarischen Becher in Boeotien oder Ghalkis zu suchen.
Den Ort genau zu fixiren, fehlen noch die Mittel. Doch mag er-
wähnt werden, dass die einzige Stadt jener Gegend, deren Töpferei
im Alterthume sich eines Rufes erfreute, Aulis war^), und dass die
14 Becher, bei denen ein bestimmterer Fundort als nur „Boeotien^'
angegeben ist, gerade aus jenem Tbeil Boeotiens stammen, in dem
Aulis lag, nämlich 7 aus Anthedon, 6 aus Tanagra, 1 aus The-
ben. Als Nr. lö kommt das in Ghalkis gefundene Stück hinzu.
Leider können wir nicht controlliren, ob sich die Angabe des
Tansanias auf seine eigene Zeit bezieht, oder ob er sie aus seiner
hellenistischen Quelle übernonunen hat« Jedenfalls scheint aber
auf Grund der Fundthatsachen daran festzuhalten, dass das Fa-
brikationscentrum der homerischen Becher in dieser Gegend zu
suchen ist. Eine weitere Frage. ist, woher die in den Aufschriften
dieser Becher enthaltene Gelehrsamkeit in jene entlegene Gegend
gekommen. Man wird dazu geftlhrt, an Ghalkis zu denken, wo ge-
rade im UI. Jahrhundert — und diesem und dem Anfange des II. ge-
hören nach allen Indizien die homerischen Becher wie auch die
übrigen megarischen Vasen an") — ein reges geistiges Leben ge-
herrscht hat. Von dort stammt Lykophron^).
Kommen wir schon bei dieser speziellen Gruppe von megari-
schen Vasen zu keinem sichern Resultat über ihre Heimath, so ist
1) Arch. Aufs. I S. 60. „In Gräbern bei Ghalkis sah ich Scherben
kleiner Gefässe mit erhabenen Figuren; unter andern einen kämpfenden
Aiax mit Beischrift AlAC."" Vergl. Königsreisen II S. 125.
2) Paus. IX 19, 8.
8) Robert a. a. 0. S. 19 f. Dumont p. 393. Furtwaeng-
1 e r zu Samml. Sabouroflf Taf. LXXIII, K o e r t e , B. d. J. 1877, p. 35 (Ende
d. m. Jahrb.). Heibig, B. d. J. 1868 p. 115 (nicht später als IL Hälfte
d. IL Jahrhunderts).
4) Auf diese Möglichkeit bin ich durch Prof. Loeschcke hin-
gewiesen worden.
30 Hans Dragendorff:
dasselbe erst recht nicht der Fall bei den megarischen Vasen im Allge-
meinen. Dass es grosse Fabriken gegeben, die ihre Produkte weit
versandten, zeigen zwei fast ganz gleiche Becher, die gewiss der-
selben Werkstatt entstammen, nnd von denen der eine in Vnlci*),
der andere in Südrassland gefunden ist*).
Robert setzt die megarischen Vasen zn den im Alterthnm
so berühmten samischen in Beziehung ^). Dazu würde ihre Feinheit,
Wohlfeilheit, weite Verbreitung wohl passen. Anderes aber spricht
gegen die Identifizirung. Die samischen Vasen werden uns als Ess-
geschirr bezeichnet, ja Plinius*) setzt gerade Samos und Arretium
in Gegensatz zu anderen Städten, die nur durch ihre Becher be-
rühmt waren. Es waren sicher von samischen Vasen Teller und
alle möglichen anderen Formen im Gebrauch. Die megarischen
Vasen aber sind, abgesehen von der Kanne des Dionysios nnd
einer ähnlichen unsignirten aus Myrina, ausnahmslos Becher. Wir
wissen von den samischen Vasen trotz ihres hohen Rufes und
ihrer grossen Verbreitung herzlich wenig '^) und nichts, was uns ge-
stattete, sie mit einer der uns erhaltenen Vasengattungen zu iden-
tifiziren, obgleich man erwarten muss, dass samische Vasen unter
den uns erhaltenen sich befinden. Wir wissen nicht, ob sie ver-
ziert oder glatt waren. Aus Isidor hat man bisher geschlossen,
dass sie roth gewesen seien. Genauere Betrachtung der Stelle zeigt
aber, dass sie nichts beweist. Wir lesen dort^): fictilia vasa in Samo
insula prius inventa traduntnr, facta ex creta et indurata igne, unde
et samia vasa. Postea inventum est rubricam addere et ex rubra
creta fingere. Antiquiorem autem fuisse usum fictilium vasorum
quam fnndendi aeris aut argenti etc.'' Dies hat Isidorus deut-
lich ans Plin. N. H. 35, 152 f. abgeschrieben: Sunt qui in Samo
primos omnium plasticen invenisse Rhoecum et Theodoi-um tra-
dant . . . Butadis inventum est rubricam addere aut ex rubra
1) Mus. Gregor. Taf. CI 1.
2) C. R. 1880 p. 101. Beide stimmen in der Form und Decoration
(bis auf das obere Band) vollkommen überein.
3) A. a. O. S. 3.
4) N. H. XXXV, 160.
5) Plaut. Bacch. 202. Menaechm. 179 beziehen sich auf die Feinheit
und Zerbrechlichkeit, Plin. N. H. XXXV, 165, Martlal TU 81, Lueil. ap.
Non. 398, 33 f. auf ihre Härte und SchUrfe, Plaut. Stichus 693 f. auf ihre
Wohlfeilheit.
6) Orig. XX. 4. 3.
Terra sigillata. 31
creta fingere .... qno apparet antiquiorem banc fuisse scientiam
quam fnndendi aeris." Die Plinius-Stelle bezieht sieb also auf
ganz etwas anderes, nämlieb auf die sagenhafte Ei-findung der
Tbonbildnerei , und Isidor bat folglich Verschiedenartiges zu-
sammengeworfen. Ueberseben ist femer auch bei der Identiii-
zirung von samiscben und megariscben Vasen, dass alle megariscben
spätestens ins II. Jahrb. v. Cb. zu setzen sind, samische Vasen aber
noch zu Plinius' und Martials Zeit im Gebrauch waren. Wir mfissen
also, wenn wir den Begriff der samiscben Vasen nicht so weit fassen
wollen, dass er nahezu alle wichtigeren hellenistischen und römi-
schen Gattungen umscbliesst, die Fragen nach üreprung und Namen
der megariscben Vasen einstweilen noch offen lassen.
Anhangsweis, gleicbmässig zu den „caleniscben^^ und zu den
„megariscben^' Gef&ssen gehörend, mögen hier die Schalen mit dem als
Emblem verwendeten Relief köpf des Euripides besprochen werden. Es
sind bisher drei Exemplare nachweislich, alle drei in Athen gefun-
den und mit derselben Form hergestellt.
Am längsten bekannt ist das als Vermächtniss Welcker's
in's Akad. Kunstmuseum in Bonn übergegangene Exemplar. Unge-
nügend abgeb. W e 1 c k e r A. D. I. Taf. VII. Eine stark fragmen-
tirte Wiederholung sah Wiesel er in der Sammlung Rbusopulos
(Abb. d. Göttinger Ges. d. Wissenschaften. XIX, S. 100). Eine dritte vor-
züglich erhaltene Replik besitzt Herr Dr. Bulle in München, der
die Freundlichkeit hatte, sie im Interesse dieser Arbeit an Prof.
Loeschcke zur Ansicht zu senden. Dieser schreibt mir darüber !
„Das Exemplar von Dr. B. ist zweifellos ans derselben Form ge-
presst wie das Bonner. Doch war die Schale dünnwandiger. Das
Geiäss war an der Innen- und Aussenseite mit dünnflüssigem, schwar-
zem, metallisch glänzendem Fiiniss überzogen, den man durch schar-
fes Brennen absichtlich gelbroth gefärbt hat. An den tiefsten Punk-
ten des Reliefs (unter den Augen, in den Furchen der Stirn und
Wange u. s. w.), aber auch in den das Bild umgebenden Riefen,
ist der Fimiss dicker zusammengelaufen und hat in Folge dessen
trotz des Brandes seine schwärzliche Farbe bewabrt. Diese „Schat-
ten^' wirken günstig, sind aber nicht beabsichtigt. Der Fimiss ist
ganz ähnlich dem der „megariscben'^ und einiger südrussischer Ge-
fässe. Nach ihrer Technik stellen sich daher die Euripidesschalen
zu den „megariscben", während, wenn man die Decorationsweise
in's Auge fasst, sie mit Welcker den „cateniscben" zügezähR wer-
32 HansDragendorff:
den müBsen. Sie bilden eine dritte^ die beiden genannten Arten
mit einander verbindende Classe. Die Vermuthung, dass einst Vasen
existirten; wenn nicht in Thon so in Metall^ die im Innern das Bild
des Dichters trugen^ anf der AuBsenseite Scenen aus seineu Werken;
wie Robert's „euripideische" Becher, liegt nahe."
Bei der Betrachtung der calener Schalen haben wir gesehen,
dass diese ihrer Technik nach sich noch ganz an die alten griechi-
schen Vasen auschliessen, d. h. mit einem glänzenden schwarzen
Firniss überzogen sind. Nur wenige Ausnahmen gab es (ein Exem-
plar in Louvre, der obere Rand der Vase aus Olbia in Bonn, die
eben besprochenen Euripides-Schalen), wo der Firniss durch scharfes
Brennen absichtlich roth gefärbt war. Es ist das der Anfang
des üeberganges vom schwarzen zum rothen Geschirr, der
diese Periode kennzeichnet. Dasselbe Schwanken finden wir
nun auch bei den „megariscben" Bechern; theils sind sie schwarz
gefirnisst, wie z. B. die homerischen Becher, die nach Robert's
Ausführungen zu den ältesten der Gattung gezählt werden
müssen; bei anderen ist dieser Firniss ganz oder theilweise
durch scharfen Brand röthlich gefärbt. Andere endlich sollen
gar nicht gefärbt sein, sondern die Oberfläche sei fein ge-
schlemmt und zeige die natürlich rothe Farbe des Thones. Inter-
essant sind sowohl für diese Frage als überhaupt für die hellenistische
Keramik die Fundstücke aus einer bei Olbia entdeckten Nekro-
pole, die das Bonner Kunstmuseum besitzt, und auf die ich kurz
eingehen will.
III. Vasen ans Olbia.
üeber die ans Olbia in das Bonner Kunstmuseum gekommenen Va-
sen ist kurz von Loeschcke berichtet im Arch. Anz. VI. S. 19 ff.
Es lassen sich unter den Thongefassen mehrere Gattungen unter-
scheiden.
1. Deckel eines Thymiaterion aus rothem Thon mit einem
üeberzug von weissem Pfeifenthon, auf den mit matten Deckfarben
rothe und schwärzliche Ornamente gemalt sind *). Mehrere Gefässe
derselben Technik aus Olbia besitzt die Ermitage, einen Krater mit
1) Abgeb. Arch. Ans. VI, S. 18, n. 1.
Terra sigilUta. 83
fast senkrechter Wandung, nach Mittheilung von Prof. Loeschcke,
die Stadtbibliothek in Riga : hier sind mit Roth; Gelb und Blau auf
weissem Grund naturgetreu eine Melone und Araceenblttthen gemalt^).
Wegen des Fundorts, Myrina, ist aber besonders beachtenswerth eine
cylindrische Ciste, die ich im Louvre sah. Die Ciste, nach oben leicht
verjüngt, steht auf 3 Füssen und hat einen ziemlich hoch gewölbten
Deckel mit Knopf. Auf weissem Ueberzug sind mit bunten matten
Farben leichte Ornamente gemalt. Es folgen von oben nach unten
aufeinander: ein Streifen mit Punkten, aneinandergereihte Dreiecke,
die die Spitze nach oben kehren, in einem breiten Streifen Kreuze
in der Art der sog. Johanniter-Kreuze, alles dieses mit mattrother
Farbe auf den weissen Grund gesetzt. Der folgende Streifen ist
schwarz und mit einem Kranz von lorbeerartigen Blättern in hell-
bläulicher Farbe geschmückt. Dann folgt wieder ein weisser Strei-
fen, nach unten mit „laufendem Hund^ in roth abgeschlossen und
ein ebensolcher mit rothem Eierstab vei'ziert. Auf dem Deckel gehen
vom Knopf aus nach dem Rande zu lanzettförmige Blätter, theils
roth, theils zitronengelb, zwischen diesen feine schwarze Linien, deren
unteres Ende eine kleine Spirale bildet.
Femer gehören mit dieser Gattung schlanke Hydrien sehr ele-
ganter Form zusammen, die ans der Kyrenaika stammen und sich
gleichfalls im Louvre^) befinden. Hals und Fuss sind mit matter
grauschwarzer Farbe bemalt, der Bauch weiss. Die Dekoration be-
steht in einer mit mattrother Farbe aufgemalten Binde, die an den
beiden Seitenhenkeln angeknüpft scheint und im Bogen über den
Bauch des Gefösses fällt. Ans der weiten Verbreitung dieser Gefässe
ist wohl der Schluss zu ziehen, dass sie kein südrussisches Fabrikat sind.
2. An der Spitze einer andern in unserer Nekropole vertretenen
Gattung steht eine grosse Amphora gedrückter Form, schwarz
gefimisst, mit geriefeltem Bauch ^). Am Halse weisse Tänien mit
daran hängenden lehmfarbig aufgemalten Bommeln, auf der Schulter
ähnliche hängend^ Bogen. Derselben Werkstatt gehören kleine
schwarze Becher an. Von Henkel zu Henkel läuft ein weiss auf-
gemaltes Halsband mit Bommeln*). Auch hier ist der Fimiss bis-
1) Vergl. Jacobsthal, Araceenformen in <ier Flora des Ornaments.
Festschrift d. techn. Hochschule in Berlin 1884 S. 273 ff.
2) Saal M.
3) Abgeb. Arch. Anz. VI, 19. 2.
4) Z. B. Arch. Anz. VI, 19. 3.
Jahrb. d. Ver. v. AUerthsft-. im Rheiiil. XOVI. 3
34 Hans Dragendorff:
weilen dureh den Brand roth geworden. Wegen des schleehten
Firniss und der eigenthtimlichen, fast barbarischen Form der Am-
phora ist man geneigt sie für locale Arbeit zn halten. Diese Gat-
tung, von der übrigens auch Stücke ausKertsch im Louvre sind*),
gibt einen Anhalt zur Datirung der Nekropole. Denn eine genau
entsprechende Amphora fand sich in einem grossen auf der Halbinsel
Taman aufgedeckten Tumulus^), zusammen mit Goldmünzen des bospo-
ranischen Königs Paerisades IT. und des thrakischen Königs Lysima-
chos*). Paerisades regierte seit 284 v. Chr., Lysimachos bis 281
V. Chr. Ich glaube daher, dass Stephani*) die Gräber mit Recht
der zweiten Hälfte des III. Jahrhunderts zuschreibt. Auf denselben
Ansatz führt für unsere Nekropole auch das Vorkommen der weiss-jioly-
chromen Vasen in Myrina und die derselben Nekropole entstammende,
oben S. 26 abgebildete Schale in der Art der Calener Gefässe. Mag
nun auch die Benutzung der Nekropole sich über einen ziemlich langen
Zeitraum erstreckt haben, so liegt doch kein Grund vor die spätesten
Theile derselben unter das II. Jahrhundert herabzurücken.
3. Wir haben damit die Datirung einer dritten, und zwar der für uns
wichtig8tenVasengattunggewonnen,die in dieserNekropole von Olbia vor-
kommt : der rothen Teller und Näpfe, von denen ich Figg. 2 — 1 2 Proben
abbilde ^). Es ist dies Gebrauchsgeschirr aus feinem rothem Thon in
Fig. 2. Fig. 3.
ausgesprochenen Metallformen. Die Ränder setzen in scharfem Win-
kel an, der Thon ist sehr gut bearbeitet, sodass einzelne GefUsse
1) Saal M. Nr. 160.
2) Stephaui C. R. 1880. Tafel zu S. 12, Nr. 5, vcrgl. S. 5 ff.
3) A. a. 0. S. 15 u. 19, S. 17 n. 50.
4) A. a. 0. S. 24.
5) Andere Arch. Anz. VI, S. 19, 6. 7.
Terra sigillata.
36
dünn and leicht wie Papier sind. Die rothe Farbe des Thones ist
dnreb einen Ueberzug gehoben, der bei einzelnen sehr dünn und kör-
perlos, bei anderen dicker, fast schon an Terra sigillata erinnernd ist.
An einigen dieser Gefösse, und zwar nur an denen mit dem dünne-
ren Ueberzug, finden sich bisweilen noch schwärzliche Stellen, so
Fig. 4.
Fig. 5.
dass es auch hier scheint, als ob wie bei den megarischeu Vasen ein
Ueberzug angewendet sei, der je nach dem Hitzegrad, dem er aus-
gesetzt wurde, eine schwärzliche oder röthliche Färbung annimmt.
Wir sehen hier eine Vasengattung, der man mit Absicht eine rothe
Färbung und zum Theil schon eine Glasur giebt. Die rothe Glasur
ist also nicht erst eine Erfindung der Italiker, sondern kam schön
Fig. 7.
Fig. 8.
in griechischen Werkstätten zur Anwendung, wenn auch nicht in so
vollkommener Weise wie in Arezzo. Denn dass diese Gef&sse älter sind
als die arretinische Töpferei, beweist die für die ganze Nekropole
gewonnene Datirung, die sich noch durch weitere Beobachtungen stützen
läset. Unter den rothen Gefässen ragt ein zweihenkliger Becher heiTor,
mit feinen Linien und einer zierlichen Ranke geschmückt, die in
dicker weisser Farbe aufgemalt sind*). In ähnlicher Wdse aufge-
malte Ranken und Striche, die dann zum Theil vergoldet wurden,
finden sich häufig an schwarzgefimissten Geissen aus Attika und
Campanien, ferner an ähnlichen aus Myrina. Der N^crop. de Myrina
1) Abgebildet Arch. Anz. VT, S. 19. 7.
86 Hans Dragendorff:
p. 228, Fig. 28 abgebildete Napf ist auch in der Form die ge-
naueste Analogie zu dem südrussischen Gewisse, besonders auch
in der Bildung der Henkel. An Stelle der Masken, die die Henkel
Fig. 9.
Fig. 10.
des südrussischen Gef&sses schmücken, finden wir an dem Napf
aus Myrina einen kleinen Knopf angebracht. Wir werden also wieder
darauf gewiesen, die Nekropole von Olbia nicht später als die
von Myrina zu setzen. Dort fehlen nun arretinische Gefässe noch
ganz. Erwähnen aber möchte ich von den dortigen Geissen
V4
Fig. 11.
Fig. 12.
noch eine Thon-Ciste, auf die mich Herr E. Pottier aufmerksam
zu machen die Freundlichkeit hatte, und welche auf ähnlichem feinem
rothen Ueberzug, wie die südrussiscben ihn zeigen, leicht eingravirte
Ranken trägt. Es gehören hierher weiter die Vasen bei Stephani,
^ Vasensamml. d. Kais. Ermitage 2057—69, und
& 0 vielleicht ein Fragment, das Prof. Loeschcke
^^^ I in Oropus aufgelesen hat und das sowohl im
^""^ ■* Ueberzug als auch in derFoiin sich den Süd-
russischen Gefässen anzureihen scheint (Fig.
13. 1. Zum Vergleich habe ich als Nr. 2 u. 3
die Profile zweier der südrussischen Gefksse
Fig 13. daneben gestellt). Man beachte namentlich
die charakteristische Art und Weise, wie der etwas eingezogene
Rand mit einer Art Rinne an die Gef&sswandung ansetzt.
Aber nicht nur die rothe Färbung und die scharf profilirten For-
men verbinden die südrussiscben Gefässe mit den arretinischen.
Gemeinsam ist ihnen auch die Sitte, mitten auf dem innem Boden
einen Stempel mit dem Namen des Fabrikanten in kleinen Lettern
i
Terra si^llata. 37
einzudrücken; bo finden sieh die Stempel: OPHOY/ ANAPO,|
MAXOC, APTEMüCONOCi).
Bei den unteritalischen Vasen ist diese Sitte ganz unbe-
kannt. Dort findet sich bisweilen an dieser Stelle eine kleine Ro-
sette oder dergleichen als Dekoration, nie eine Fabrikmarke. Bei ande-
ren Vasen, z. B. den megarischen, sind die Namen zwischen die
Dekoration gesetzt und gleichsam ein Theil dieser selbst^).
Auch die Form des Stempels zeigt eine charakteristische Aehn-
lichkeit zwischen den Vasen aus Olbia und denen von Arezzo.
Nicht selten ist bei letzteren der Stempel in einen Rahmen
gesetzt, der die Form einer Sohle oder Sandale hat. Die Sohle
finden wir nun auch bei den russischen rothcn Gcfässen, und zwar
ist meist die Sohle allein eingedrückt^) (einmal auch doppelt) 4),
einmal ist aber auch schon, wie es dann in Arezzo Regel wird,
der Name in die Sohle gesetzt^). Wir werden darauf zurückkom-
men; zunächst genügt der Nachweis, dass sich in einer Nekropole
des III. oder II. Jahrh. v. Chr. in Südrussland ähnliche Formen,
Techniken und gleicher Werkstattsgebrauch finden, wie später in
Italien.
IV. Die Vasen des C. Popilius.
Interessant sind die megarischen Vasen auch deshalb, weil wir
sehr ähnliche Gefesse nachweisen können, die sicher in Italien fabri-
zirt sind. Auch bei ihnen finden sich theils rothe, theils schwarze
Exemplare. Die Geftsse tragen den Stempel C • P 0 P I L I in kleinen
Buchstaben an der Aussenseite zwischen den Ornamenten. Mehrere
sind publizirt Mus. Greg. II, CI 1. 2. 4; CII 2«), wo sie den
arretinischen zugezählt werden. Von diesen weichen sie aber
durch Form, Dekoration und, wie mir Fritz v. Bissing
1) Stephani, Vasensammlung 2057, 2068, 2069.
2) Z. B. auf dem Becher des Dionysios Furtwaengler, Samml.
Sabouroff Taf. LXXIV 2.
3) Stephani, Vasensammlung 2060, 2061, 2064, 2065, 2066,
2067, 2068.
4) Stephani a. a. 0. 2063.
5) S t e p h a n i a. a. 0. 2069.
6) Heibig, Führer II, S. 252 und 283. Ephemeris epigrapbica I,
p. 11, Nr. 18 u. 14.
38 Hans Dragendorff:
nach dem Augenschein mittheilt, auch in Qualität des Thones und
Ueberzuges ab. Zu den Exemplaren des Mus. Greg, kommen noch
3 Popilius-Becher in Corneto, und einer ebendort mit dem Stempel
V A P I . Die genauere Kenntniss auch dieser Exemplare verdanke
ich V. Bissing*).
Mus. Greg. 11, CI 1 hat keinen Stempel, ist aber mit den
Popiliusschalen zusammen gefunden und gehört nach der Deko-
ration dazu.
Die Popilins-Vasen sind Becher ohne Fnss und Henkel, wie
die megarischen. Abweichend ist nur die starke umgebogene Lippe,
während die megarischen einen sehr wenig ausladenden Rand
hal>en.
Die Dekoration stimmt mit der der megarischen Vasen völlig
fiberein, mag man die Gesammtanordnung oder die einzelnen Orna-
mente ins Auge fassen: Bukranien, Amazonensehilde, Delphine,
wappenartig gegen einander gestellten Böcke u. s. w. Auch die
technische Herstellung ist die gleiche. Nach epigraphischen Kri-
terien werden die Popilius-Schalen in den Anfang des II. Jahrh.*)
gesetzt, womit ihre Beziehung zu den megarischen Schalen einer-
seits, den an*etinischen andererseits gut zu vereinigen ist.
Ich bin auf diese Erzeugnisse hellenistischer Keramik genauer
eingegangen, weil man nur so zu einer richtigen Beurtheilung der
italisch-römischen kommen kann. Hier wie ttberall in der Kunst
zeigt es sich, dass die Italiker blos die Empfangenden sind und im
besten Falle Empfangenes weiter bilden. Schwarzgefimisste grie-
chische Reliefvaseu wurden zunächst, wahrscheinlich aas Kleinasien,
importirt und in Cales nachgeahmt. Als sodann in Griechenland das
Suchen nach neuen Formen, Dekorationsarten und Färbungen be-
gann und in Folge dessen ein Schwanken in der Technik merk-
lich wurde, zeigt sich dasselbe gleichmässig in Italien. Wie die
calenischen Vasen zu kleinasiatischen, so verhalten sich die Popilius-
schalen zu den ^^megarischen". Ja, die südrussischen Funde lehren, dass
selbst die Technik der roth tlberzogeneu Vasen, die man bisher ge-
neigt war fUr eine Erfindung der arretinischen Töpfer zu halten,
bereits den Griechen bekannt war, wenn sie auch erst in Italien
zur Vollendung gebracht worden ist.
1) Zwei davon sind erwähnt B. d. J. 1875 p. 176. B. d. J. 1881 p.93.
2) W i 1 m a n n s : Eph. epigr. I, p. 11.
^
Terra sigillata. 39
V. Die arretinischen Vasen.
Die arretioischen Vasen begegnen uns vielfach in der antiken
Litteratnr. Plinius nennt sie als Tafelgeschin* gleich nach den
samischen *). Aus I s i d o r *) erfahren wir, dass sie roth waren.
Weiteres lässt sich den litterarischen Erwähnungen nicht ent-
nehmen. Jeder kannte damals in Rom die vasa arretina. Daher
finden sich wohl Anspielungen auf sie, aber keine Beschreibungen.
Auch fQr die Zeit der arretinischen Industrie geben die Zeugnisse
nichts aus. Sie sind alle verhältnissmässig spät').
Welche der uns erhaltenen Vasengattungen mit der arretini-
schen zu identifiziren sei, ist längst erkannt. Schon seit dem Mittel-
alter sind in Arezzo Reste antiker Töpfereien entdeckt, in denen sich
neben allen zur Fabrikation nöthigen Werkzeugen, Formen u. s. w.
eine Menge der bekannten rothglasirten römischen Thonwaare ge-
funden hat.
Für die Bestimmung des Anfanges der arretinischen Industrie
ist von höchster Wichtigkeit die dortige Nekropole, über die in den
Annali d. J. 1872, p. 270 ff. von Gamurrini berichtet ist. Die
ältesten Gräber enthalten Bucchlsrovasen. Es folgt darauf eine
Nekropole mit Vasen aus rothem Thon,' die ganz wie das cam-
panische Geschilrr einen schwarzen Fimissüberaug haben. In Grä-
bern dieses Theiles der Nekropole fanden sich noch Münzen der
zweiten Hälfte des III. und ersten Hälfte des IL Jahrhunderts v. Chr.
Dann erst folgen die Gräber mit Terra sigillata-Gefässen.
Vergleichen wir damit die Funde aus der ältesten Nekropole
vom Esquilin^), die Dressel dem II. Jahrhundert v. Chr. zu-
schreibt, so sehen wir, dass auch in dieser die eigentlich arre-
tinische Waare noch fehlt. Wohl aber finden sich hier schon
einige den arretinischen Vasen ähnliche Stücke von rother Farbe
imd eine andere Gattung, die wie die campanische mit schwarzem
1) Plin. H. N. XXXV 160.
2) Orig. XX 4. Hier ist die Angabe glaubwürdig im Gegensatz
zu der über die samischen Vasen.
3) Martial I 53, 6. XIV 98. XIII 7, 1 (?). Pseudovergü. epigr.
Anthol. lat. Nr. 168 (Poet. lat. min. ed. Baehrens. IV, p. 157). Schol. Pers.
I 129.
4) A. d. J. 1880 p. 265 ff,
40 Hans Dr agendo r f f :
FirDiss überzogen ist, aber lateinische Stempel trägt. Die
Stempel Q • AF und C • V, die sich auf Vasen dies^* Art finden,
kommen nun auch auf r o t h e n arretinischen Schalen vor ^). Wir
haben daraus, wie Dressel richtig erkannt hat, folgende Schlüsse
zu ziehen:
1. Die arretinischen Fabriken haben Anfangs schwarze Ge-
fässe gleich den campanischen gefertigt; das bestätigen die
Funde in den ältesten arretinischen Töpfereien, wo sich gemischt,
und theilweise mit denselben Stempeln gezeichnet, rothe und schwarze
Scherben gefunden haben ^).
2. Der Uebergang von den schwarzen arretinischen zu den
rothen erfolgt gegen Ende des II. Jahrhunderts^).
3. Bevor die arretinischen Töpfer zu der Verfertigung rother
Vasen übergingen, waren ähnliche Gefässe schon in Italien im Ge-
brauch*).
1. Die Formen der arretinischen Vasen.
Auf Tafel I unter Nr. 1 — 14 sind die Formen zusammen-
gestellt, die ich mit Sicherheit für die arretinischen Fabriken ei*-
mitteln konnte. Die Zusammenstellung ist nicht erschöpfend, da
nur wenig' Material publicirt ist. Wo es mit einiger Sicher-
heit möglich war, habe ich den Durchschnitt des Gefftsses
1) B. d. J. 1837 p. 106. Gamurrini p. 67, Nr. 442. Fabroni
p. 46.
2) Gamurrini Atti d. L. 1890 p. 69. Wie Funghini in seiner
Schrift Degli antichi vasi fittili aretini 1893 p. 28 demgegenüber bestrei-
ten kann, dass rothe und schwarze Gofässe eine Zeitlang neben einander
hergehen und in denselben Töpfereien gefertigt sind, ist mir unver-
ständlich.
3) So datiren auch Fabroni, Gamurrini (ausser an den ange-
führten Stellen auch Gaz. Arch. 1879 p. 49), Rayet-Collignonl. c.
p. 354 ff. Auch die Menge der griechischen Sklavennamen, die sich auf
den Stempeln der arretinischen Vasen finden, weisen auf die Zeit
nach 146.
4) Dahin gehören die rothen Vasen der esquilinischenNekropole, ferner
einige mit etruskischen Stempeln 3 H A1>A , M3HAS>A, IM3HA1>A
(Gamurrini p. 13. Atti d. L. IV 1 p. 420) gefanden in Vulci, Clu-
sium, Volaterra und Orbetello, endlich ein von F u n g h i n i a. a. 0. p. 6
erwähntes, auf seiner Taf. als Nr. 1 abgebildetes Stück mit dem etruski-
schen Stempel GELE, von hellerer Farbe und weniger glänzend als die
arretinischen.
Terra sigillata. 41
gegeben, um auch den inneren Gontnr zu zeigen, der namentlich
bei den Tellern interessant ist. Dass die Zeichnungen einen Typus
geben sollen, nicht auf etwaige Unregelmässigkeiten eingehen,
brauche ich nicht hervorzuheben, ündekorirt sind die Gefässe 1 — 8.
In einzelnen Fällen tragen die Teller und auch der Napf 6 aussen an dem
senkrechten Theil der Wandung an 2 oder 4 gegenüberliegenden
Stellen je eine kleine Figur in Relief (Eros, Tänzerin, Maske, Sphinx,
Ziege, Delphin, Blatt, eine kleine Palmette od. dergl.). Auch eine
kleine Schlange kommt vor^). Das Innere des Gefässes hat nie
Reliefschmuck. Die Teller haben als weitere Verzierung im Innern
auf dem Boden oft ein fein schraffirtes Band (Taf. I la). In der-
selben Weise ist bei dem Napf 6 der Rand gesehmOckt. Dieses
Ornament wurde mit einem kleinen fein geriefelten Bädchen, das über
die betreffende Stelle gerollt wurde, hergestellt.
üeber die einzelnen Formen Genaueres zu sagen, scheint gegen-
über den Zeichnungen nicht nöthig. Dass sich die Formen an Me-
tallformen anlehnen, lehrt der erste Blick auf die scharfen und
eckigen Profile. Unmittelbar der Toreutik entlehnt ist auch der
Henkel an Form 14 2). Auffallend gegenüber den barocken und
künstlichen Formen der hellenistischen Keramik sind die einfachen,
fast etwas alterthümlichen Profile der arretinischen Vasen, die wie
eine Reaktion gegen jene aussehen.
Die S. 36 erwähnte Profilirung der südnissischen Vasen finden
wir wieder bei dem Napf 6. Auch die Neigung zu vollkommen senk-
rechtstehenden Wandungen haben beide Gattungen gemein, nur ist man
bei den arretinischen aus praktischen Rücksichten schon etwas wei-
ter gegangen und füllt, ähnlich wie bei den Wasserbauten, die
scharfe Ecke, die sich durch die rechtwincklig aufeinanderstossen-
den Flächen ergiebt und in die sich leicht Schmutz setzen konnte,
durch einen Wulst, das Viertel eines Rundstabes, aus. Es zeigt
dies wieder, wie die arretinischen Gefässe unmittelbar für den Ge-
brauch bestimmt waren. Auch das Vermeiden von Dekorationen
auf der inneren Fläche findet hierdurch seine Erklärung.
li^pTbroni, Taf. II, 2. 4. 6. 8. 9. 10; VI, 3. 5.
2) Die Vorstufe zu dieser Henkelform findet sich bereits in Mykenai
(Ath. Mitth. VIII Taf. 1). Ausgebildet liegt sie vor in den Kabirenvasen
(Ath. Mitth. XIII. S.415); besonders beliebt ist sie bei den hellenistischen gla-
sirten Vasen ausTharsos, Sniyrna (im Louvre), Kythnos (im Bonner Kunst-
museum) und den hellenistische Arbeiten copirenden römischen Silberge-
f ässen aus Bernay (Babelon, Gab. des medailles Taf. XIV u. LI).
48 Hans Dragendorff:
2. Die Fabrik-Stempel der arretinischen Töpfer.
Die meisten arretinischen Gefässe sind mit einem Fabrikstempel
versehen, und zwar sind entweder bestimmte Marken oder der Name
des Verfertigers aufgedrückt. Ersteres ist namentlich auf den schwär-
Ken und den ältesten mit ihnen zusammen gefundenen rothen Vasen
gebräuchlich. Solche Marken hat G a m u r r i n i zusammengestellt ^)
und aus seiner Uebersicfat erkennt man leicht , dass in einer Fa-
brik viele verschiedene Stempel im Gebrauch waren und beide Arten
zu signiren eine Zeitlang neben einander hergingen. Denn es haben
sich sowohl in denselben Schutthaufen bei den Resten der Töpfer-
öfen verschiedene Stempel gefunden, als auch 2 durch den starken
Brand zusammengeschmolzene Stücke, von denen das eine den Stem-
pel Äfo (Antiochus), das andere das Zeichen *Hh* trägt. Beide
Stücke sind also sicher gleichzeitig in den Ofen gekommen. Bei
den Stempeln, die den Verfertiger nennen, fällt es auf, dass neben
dem Namen des Fabrikherrn häufig auch derjenige des Sklaven er-
scheint, der das betreffende Stück geformt hat, z. B. Nicephorus
Marci Perenni. Es ist die Nennung des Sklaven so auffallend, dass
sie einen bestimmten praktischen Zweck gehabt haben rauss. Nicht
unwahrscheinlich scheint mir die Vermuthung von Prof. Loeschcke,
dass die einzelnen Arbeiter eine bestimmte Anzahl von Gefössen zu
liefern hatten, und die Stempel dazu dienten, die Arbeit zu control-
liren. So würde sich erklären, warum in älterer Zeit weniger das
Stempeln mit dem Namen als mit einer bestimmten Handmarke geübt
wurde. Dass neben dem Namen des Sklaven auch der des Herrn steht,
würde sich aus dem Firmencharakter der Inschrift erklären. Den
Zweck einer Empfehlung hat es sicher auch, wenn neben dem Na-
men noch der Zusatz Arretinus oder figulus arretinus sich findet.
Nicht ganz befriedigend erklären lässt sich, so weit ich sehe, auf
diese Weise, dass oft der Name des Herrn allein auf dem Ge-
fässe steht. Bei der Grösse des Betriebes, — wir kennen aus einer
Fabrik bisweilen über 20 Sklaven — , wird man doch wohl Beden-
ken tragen zu glauben, dass der Herr selber mit Hand ange-
legt habe.
Während bei den undekorirten Gefllssen der Fabrikstempel
1) Atti d. L. 1890 p. 69.
Terra sigillata. 48
mit kleinen Lettern im Innern angebracht ist, steht er bei den
versierten aussen zwischen den Figuren mit grössere Bnchstaben
und bildet hier gewissennassen einen Theil der Dekoration. In die-
sem Falle steht er häufig auf einem klraien verzierten Täfelcben ^).
Es kommt auch vor, dass grosse Buehstaben einzeln in Zwischenräumen
zwischen die Ornamente gesetzt sind, sodass der Name um das ganze
Gefäss umläuft. Dies ist namentlieh in der Fabrik des Perennius
gebFäuchlich. Auch hierin waren d^n arretinischen Töpfern die Griechen
vorangegangen^ speziell die Verfertiger der megarischen Schalen').
Die Stempel bieten die Megliehkeit, Erzeugnisse derselben Fa-
brik als solche sicher zu erkennen und damit den Umfang der
Fabrikation zu bestimmen. Zugleich belehren sie uns über die
Ausdehnung des Exportes arretiniseher Waare.
Das vollständigste Yerzeiohniss der arretinischen Stempel (das
sich jetzt aber natürlich bedeutend vermehren lässt) gibt G a m n r r i n i
in der oben citirten Schrift. Doch sind nicht alle von ihm angeführ-
ten Stempel sicher arretinischen Ursprunges. Gamurrini gibt leider
nicht in jedem Falle aU; ob es sich um einen in Arezzo selbst oder
anderswo gefundenen Stempel handelt. Weiter beweist ja auch ein
NamC; der ein oder zwei Mal in Arezzo vorkommt, noch nicht, dass
der betreffende Töpfer wirklich dort seine Werkstatt hatte. Bei einer
ganzen Anzahl von Töpfern aber ist diese in Arezzo wieder aufgefunden.
Ein Verzeicbniss aller sicher arretinischen Stempel mit allen
ihren Varianten zu geben^ wie es ursprünglich meine Absicht war,
unterlasse ich, da mit den bisherigen Mitteln Vollständigkeit nicht
zu erreichen ist und der betreffende Band des C. I. L. eine Menge
ganz neuen Materials und zahlreiche Berichtigungen des bisher publi-
zirten bringen wird. Als sicher an-etinisch kennen wir die Fabri-
ken des C. Amurius ^), C, L. und Sex. Annius *), L. Calidius Strigon *),
C. Caesius Clemens^), C. Cispius'), L., M. und P. Conielius *),
1) Z. B. Fabroni Taf. II 3.
2)Z. B. Furtwaengler, Samml. Sabouroflf Taf. LXXIV 2.
8) Piazza St. Agostino, Gamurrini p. 34.
4) Gefunden beim Bau des neuen Theaters. B. d. J. 1830 p. 238.
Gamurrini p. 28 f.
5) Ponte dei Carciarelle gef. 1484. Gamurrini p. 43.
6) Beim Orte Cincelli, nahe bei Arezzo. Gamurrini p. 49.
7) Ebendort. Gamurrini p. 47.
8) Ebendort. G[a m u r r i n i p. 50. Auch bei Ponte Buriano, Noti-
zie degli scavi 1894 p. 48.
a Hans Dragendorff:
Dömitius ^), C. Gavias»), C. und L. Gellins »), Hertoria*), L. Jegi-
dius^), C. Memmias^), C. Murrins^), M. Perennins Capito®), L. und
C. Petronius % der Pablicii *®), L. Rasrinias Pisanus"), T. Bafrenias
Rufio «), L. Saufeius ^»), C.SentiusFirmns"), C, A. und L. Sertorius »*),
P.Tellius»«), C.undL, Tettius"), A.,C., Cn.,L.und Sex. Titius"),A.,
C. und L. Vibins **), L. Umbricius **), C. und L. Volusius *0. Sicher
Bcheint die arretiniscbe Herkunft auch bei Cn. Ateius'*), A. und
L. AviUius**), P. Clodius Proculus»*), A. Maneius**), von denen
sehr zahbeiche Stempel in Arezzo gefunden sind und deren Ge-
wisse auch sonst ganz mit den sicher arretinischen übereinstimmen.
In der Form der Stempel^ der Abkürzung, Orthographie u. s. w.
herrscht willkürliches Schwanken. Ein wirklich vollzähliges Yer-
zeichniss aller Varianten wird kaum je gegeben werden können.
Im Allgemeinen ist über die Abfassung der Stempel Folgendes
zu bemerken:
1. Der Fabrikherr signirt bald mit den tria nomina, bald
mit praenomen und nomen, bald mit dem nomen allein. Häufig steht
1) Ponte dei Carciarelle. Gamurrini p. 47.
2) Beim Franciskanerkloster. Gamurrini p. 57.
3) Piazsa St. Agostino. Gamurrini p. 36.
4) Via Casentina. Gamurrini p. 28.
5) Ebendort. Gamurrini p. 24.
6) Via Guido Monaco. A. d. J. 1872 p. 293.
7) Via Casentina. Gamurrini p. 24 f.
8) Piaggia di Murello. Atti d. L. [II 11. 452 ff.
9) Via degli Albergotti. Atti d. L. IV 3. p. 438 f.
10) B. d. J. 1834, 102, Gamurrini p. 40 ff.
11) Beim neuen Theater. Gamurrini p. 30.
12) Piazza St. Agostino. Gamurrini p. 36 f.
13) Via Casentina. Gamurrini p. 25.
14) Beim neuen Theater. Gamurrini p. 33.
15) Ebendort. Gamurrini p. 33.
16) Ponte Buriano. Notizie 1893 p. 138.
17) Piazza St. Agostino. Gamurrini p. 37.
18) Via Casentina. Gamurrini p. 16 ff.
19) Bei St. Domenico. Gamurrini p.
20) Via Guido Monaco. A. d. J. 1872. p.
21) Beim Kloster d. St. Augustin. A. d.
r i n i p. 57.
22) Gamurrini p. 57.
' 23) Gamurrini p. 59.
24) G a m u r r i n i p. 35.
25) B. d. J. 1837. 105.
27.
Atti d.
L.
III 11.
452.
293.
J. 1872 p. 292.
Gamur-
Terra Bigillata. 45
von jedem der drei Namen nur der Anfangsbuchstabe. Beim
praenomen ist dies durchgängig der Fall; z. B. L- RASIN • PISANI,
LRASINI, RASINI, LRP, L-RPIS»).
2. Wo der Name ausgeschrieben ist, steht er im Genetiv,
z. B. SEXTIllANNM).
3. Dagegen steht der Sklavenname fast durchweg im Nomi-
natiV; z. B. Archelaus G. Anni '). Hier wird man ergänzen: feeit.
Immer ist dies der Fall bei allen Sklaven der Annii, Avillii, Calidii,
Cispii, Gellii; Jegidii, Manei, Murrii, Publicum Saufei, Vibii, ümbrieii,
Volusii. Und zwar wird der Name des Sklaven meist dem des Herrn
vorausgesetzt. Der Sklavenname im Genetiv kommt, so viel ich
weiss, nur in folgenden Fällen vor: P. Comeli Didali (1 mal)«),
Mem(mi) [H]ilari (1 mal) 6), M.Perenni Tigrani ^) (doch kann Tigrani
hier auch gekürzte Schreibweise für Tigranius sein), L. Ra8(ini)
Drauci ^), Qnarti Rasini »), Cn. Titii Luscuü »), Primi L. Titi »<>)
(wenn nicht Abkürzung von Primigenius), Gemelli Titi^^), Chry-
santi L. Titi (1 mal) ^2), Philositi Titi^»); die Fälle sind also sehr
wenig zahlreich, der Nominativ durchaus die Regel.
4. Die Worte of(ficina), f(ecit), manu stehen bei den sicher
arretinischen Stempeln nie dabei, im Gegensatz zu den späteren Si-
giUaten, bei denen der Zusatz sehr häufig ist. Man kann aus dem
Zusatz dieser Worte schon a priori auf jüngere Zeit sehliessen. Das
Fehlen derselben f&Ut um so mehr auf, als ja die ältesten latemischen
Stempel auf Vasen, die der calener Schalen, fast imm^ ^fecit'' hinzu-
setzen. Es wird daher bei den arretinischen Vasen wohl Anlehnung
an die griechische Stempelform vorliegen, wie sie auf den megarischen
1) Z. B. C. XII 5686. 739 oder Atti d. L. III 11. 325; C. X 8056.
300 a. C. VIII 10479. 48. C. X 8055. 36. C. XII 5686. 787 etc.
2) Atti d. L. IV 1. p. 156.
3) Z. B. B. d. J. 1830. 238. Gamurrini p. 28 Nr. 120.
4) C. II 4970. 146.
5) C. IX 6082. 52, Atti d. L. III 10. 174.
6) Z. B. Atti d. L. IV 1. 91. Gruppe 11.
7) C. II 6257. 162.
8) Atti d. L. IV 2. 441 (wenn nicht Abkürzung von Quartio).
9) C. XII 5686. 885.
10) Gamurrini p. 16 ff. Nr. 24, vergl. aber Bull, communale. II p.l97
PRIMIG||TITI • ST.
11) C. X 8056. 158.
12) Gamurrini p. 19 Nr. 34 u. 35.
13) C. X 8056. 265.
46 HansDra^endorff:
* Bechern yorkommt. Auch dort ist der Genetiv die Regel ^). Ebenso
signirt Popilias, der die megarischen Becher nachahmt, im Genetir.
5) Dagegen ist bisweilen der Znsatz figul(i).oder figul(i) Arre-
t(im) g^nacht und zwar kommt er vor bei A. Titius *), C. Titius *).
BeiSentius^)undSertorins^) findet sich der Znsatz fignlus, bei L. Titius
und Cn. Ateins je einmal nurM, wahrscheinlich „Anetini" aufeulOsen^).
Der Stempel ist entweder in ein kleines Rechteck eingeschrie-
ben oder er hat, wie bei den sttdrussischen Vasen, die Form einer
Sohle. .Yereineelt kommt auch Halbmond 7), Hufeisen und Ki^eis'),
Kleeblatt^), Kreuz">), Dreieck") vor. Wie man auf die Form der Sohle
verfallen, die, wie gesagt, weitaus am häufigsten vorkommt, habe ich
nicht sicher ermitteln können. Die bisherigen Erklärungen sind falsch.
Nach Gamurrini bedeutet sie den Besitz und komme deshalb nur vor,
wo der Name des Fabrikherm auf das Geiftss gestempelt ist. Aehnlich
erkl&rt^schon G o r i (Inscriptiones etrnscae p. 267) das Zeichen. Es be-
deutet nach ihm den Besitz von Immobilien, die Hand den vonMobilien.
Seine Beobachtungen beziehen sich aber auf Grabinschriften u.s.w.; damit
dürfen wir unsere Töpferstempel nicht ohne Weiteres zusammenwerfen.
Was sollte auch ein Zeichen ftlr den Besitz von Immobilien auf einer Vase!
Was Gamurrini's Beobachtung, dass die Sohle nur mit
dem Namen des Fabrikbenn vorkommt, betrifft, so ist sie im Grossen
und Ganzen richtig. Einige Ausnahmen kommen aber vor. So
finctet sich einmal der Stempel des Corinthius ^'), den wir als Sklaven
des A. Maneius kennen, in Sohlenfonn ; femer lesen wir auf einer
1) Z.B.M6N6MAX0V C. R1874S.110. GVBANOPOC Ephem.
Arch. 1892p. 191. AIONVCIOVFurtwaengler,Samml.Sab.Taf.LXXIV,
GPMOrENOV auf einer südnissischen Lampe, Arch. Anz. VI ö. 19, 8-
Daneben kommt auch der Nominativ ohne weiteren Zusatz gelegentlich
vor; z. B. HPAKAGIAHC B. d. J. 1868 p. 115.
2) Z. B. C. X 9056. 354. C. II 4970. 519.
3) C. IL 4970. 520.
4) Gamurrini p. 33 Nr. 143.
5) C. n 4970. 478. b.
6) B. d. J. 1883. 43 ff. Vergrl. auch Gamurrini Nr. 16. C. VIII
10479. 8.
7) C. X 8055. 24 p.
8) Cf. Funghini p. 21.
9) Z. B. C. II 4970. 51 c.
10) Z. B. C. II 4970. 51 g,
11) Z. B. C. n 4970. 55.
12) C. X 8056. 100.
Terra siglHata. 47
Sohle die Stempel ERASTICANI und C • ERASTICANP).
Dass wir es hier mit einem Sklavennamen zu thun haben, nieht mit
dem eines Fabrikherm, (wie Gamnrrini vermuthcte, der Cai Erasti-
cani las) zeigt C. I. L. II Suppl. 6257. 75, wo wir den Stempel
ER...VSC'ANNI haben. Wir müssen also lesen Erastus
G. Anni beziehungsweise G. Erastus G. Anni. Die Erklärung aber flQr
die von Gamurrini beobachtete Thatsache suche ich ganz wo anders.
Wenn der Name des Herrn und des Sklaven im Stempel steht, so ist
der Stempel zweizeilig, lässt sich also in dem schmalen Raum, den
die Sohlenform bietet, nieht unterbringen. Die wenigen Male, wo
ein Sklavenname in der Sohle steht, ist er ausnahmsweise in
einer Zeile geschrieben. Andereraeits steht auch der Stempel des
Fabrikherm, wenn er in 2 Zeilen geschrieben ist, nie in der Sohlen-
form, so z. B. bei Domitius, A. Titins figulus Arretinus u. s. w.
Weiter spricht gegen Gamnrrini 's Erklärung auch, dass dasselbe
Zeichen bei den südrussisehen Vasen oft allein, ohne Namensbei<
Schrift vorkommt^).
Eine andere Erklärung hat Fabroni gegeben, fttr den die
Sohle gleichsam ein Wahrzeichen der Töpfer ist, die mit den Füssen
den Lehm kneten und beständig den Abdruck ihrer Sohle im Lehm sahen.
Doch ist mir ein Analogen zu emem derartigen Zunftseichen nicht be-
kannt und es bleiben dann auch die anderen Stempelformen uner-
klärt. Den richtigen Weg scheint mir Prof. Loeschcke einge-
schlagen zu haben, der hinter dieser Stempelform einen Aber-
glauben sucht, wie ja auch der Halbmond, die ceXr^vi^, apotro-
paeische Bedeutung hat'). Wie der Halbmond als Form des Siegel-
ringes vorkommt, so wäre der Stempel auf den Gewissen nur ein
einfacher Siegelabdruck. Und in der Tbat lassen sich auch
Ringe nachweisen, deren Platte die Form einer Sohle hat^). Sie
stammen allerdings meist erst aus späterer Zeit, wie z. B. der B. J.
LXXXX S.39. 22 erwähnte Ring mit der Legende RVFI; doch habe ich
wenigstens einen gefunden, der sicher dem III. vorcbristlicben Jahr-
1) Gamurrini p. 60. Fabroni Taf. 9 Nr. 5 u. 118.
2) Vergl. oben S. 37.
3) Vergl. Otto Jahn in den Berichten der sächs. Oesellsch. d.
Wissenßch. Vü 1865 S. 42 Anm. 48. Arch. Z. 1884 Taf. 9, 7.
4) Ich habe diese Kenntniss durch die Gefälligkeit des Herrn'Dr.
Fr. Henkel in Darmstadt erlangt, der auf eine Anfrage Professor
Loeschcke*8 hin das betreifende Material aus seinen reichen Sammlun-
gen über antike Ringe zur Verfügung stellte.
48 Hans Dragendorff:
hundert angehört. Er ist pnblizirt im C. R. 1880 Taf. III Nr. 7
u. 8, S. 26 u. 76 ff. und trägt die Inschrift:
eCT;ilAOCijMAM||MIAI.
Neben dem Namen weisen die arretiniscben Stempel oft noch ein
* kleines Beizeichen anf^ z. B. einen kleinen Zweig, Delphin, Blnme^
einen kleinen Kranz, Stern u. A. Die Fabriken haben in dieser Bezie-
hung v^erschiedene Gebräuche. Während z. B. die unzähligen Stem-
pel der Titii immer ohne Beizeichen zu sein scheinen, heri*schte z. B.
bei den Fabrikaten des Ateius hierin eine sehr grosse Mannigfaltig-
keit. Bei den Stempeln des Domitius findet sich fast immet eine
Blume, bei denen des Sentius und Sertorius ein Zweig, worin Ga-
murrini (p. 33) eine Anspielung auf den Namen sieht
In vereinzelten Fällen, wenigstens lässt es sich nur selten nach-
weisen, scheint ein Sklave freigelassen zu sein. Am sichersten ist
esbeiC-MEMMIVS-C.LMAHE(s)i)C. Memmius Cai
Libertus Mahes, ferner bei Tigranius, von dem der Stempel M. Peren(ni)
Tigrani vorkommt. Dass Tigranius später selbstständig mit einem Skla-
ven arbeitet, zeigt der Stempel Bello Tigrani, der ebenfalls in Arezzo
vorkommt*). Da wir auch von Perennius einen Sklaven Bello kennen,
so fieheint es, dass Tigranius nach seiner Freilassung den Arbeiter Bello
des Perennius erworben hat. Sehr wahrscheinlich ist die Freilassung
auch bei dem eben erwähnten C. Erastus C. Anni. In allen Fällen, wo d^
Sklavenname ausnahmsweise im Genetiv steht und dem Namen des
Herrn nachgesetzt ist, z. B. P. Comelii Didali oder L. Titi Lnsculi,
ohne weiteres an einen Freigelassenen zu denken, der neben dem
Namen seines Herrn nach dem gewöhnlichen Brauch seinen Sklaven-
namen als Cognomen weiter ftlhrt, scheint mir nicht statthaft, da dem
ebenso viele Fälle gegenflbersteheu, wo der Sklavenname im Genetiv
voran steht, also au einen Freigelassenen nicht zu denken ist.
Die Sklaven sind, wie die Namen zeigen, zum grossen Theile
Griechen. Mit Recht hat dies Gamurrini f&r die Chrono-
logie verwerthet. Vor den Kriegen der Rdmer mit den Griechen,
vor 146 V. Chr. wäre dieses Ueberwiegen griechischer Sklaven kaum
denkbar. Neben griechischen Namen finden sich die gewöhnlichen
lateinischen Sklavennamen, wie Faustus, Felix, Jucnndus, Com-
munis, Optatus, Auctns, Suavis u. s.'w. oder von der Heimath, ans
der die Sklaven stammen, abgeleitete, z. B. Suriis, Corinthins,
1) Gamurrini p. 89 Nr. 195.
2) Atti d. L. III IL p. 4&S.
Terra sigillata. 49
TigraniaS; Bithys, Samus oder Samo, Samia, Tauriscus. Die Fabrik-
herren versahen sich uatttrlich gern mit kunstgettbten griechischen
Sklaven, und es ist wohl auch kein Zufall, dass 3 der Sklaven in
ihrem Namen einen Zusammenhang mit der Insel Samos verrathen.
Die schönen ornamentii-ten Stücke tragen fast durchweg griechische
Namen. — Neben den griechischen Namen kommen vereinzelt auch
etruskische vor, z. B. Mena Avili, Mama Calidi, Sasa Strigonis Galidi,
Citlus Saufei; Dama Saufei, Mona Saufei.
Ich erwähne noch einen Apollo C • A N N i und einen Her-
mes C • T I T I *). Ereterer Name ist Menschen überhaupt sehr
selten beigelegt (Meyersahm, Diss. de deor. nom. hominibus im*
positis, Eiliae 1891 p. 13 f.), und beide zählen zu den ältesten Bei-
spielen des Gebrauches eines Göttemamens als nomen proprium, die
überhaupt bekannt sind. Sie gehören wohl sicher noch vorchrist-
licher Zeit an, aus der Meyersahm (p. 24) nur 2 datirbare Bei-
spiele auf lateinischen Inschriften kennt. —
Die Stempel lehren, dass die Fabriken oft mehrere Generationen
hindurch in derselben Familie blieben, und mit den Fabriken auch*
ein Theil des Personales sich vererbte. So haben wir z. B. neben
einem Philo L. Comeli einen Philo P. Corneli, neben einem Phile-
ros C. Tetti einen Phileros L. Tetti.
Im einzelnen die Zeit jeder Fabrik und das zeitliche Verhält-
niss derselben unter einander zu bestimmen, dazu fehlt es an ge-
nügend chronologisch fixirtem Material. Etwa Folgendes lässt sich
festlegen: zu den ältesten Vasen gehören die mit Sigle Q-AF,
die des C. Cispius und C. Memmius, von denen schwarze
Gefasse vorkommen, L. T i t i u s , in dessen Stempeln noch alter-
thümliche Zeichen erscheinen und von dem ein Stück zusammen
mit republikanischen Münzen in Vulci gefunden ist*). Zu den älteren
Fabriken rechnet Gamurrini noch die des Vibius, Volusius und
Gavius.
Auch die Fabriken des Rasinius, Perennius und Tellius, aus
denen die schönsten omamentirten Gefasse hervorgingen, gehören
noch der ersten Hälfte des I. Jahrb. v, Chr. an. In den Scherben-
haufen des Rasinius haben sich viele republikanische Münzen gefun-
1) Gamurrini p. 28 Nr. 121. Atti d. L. IIT 5, p. 387.
2) B. d. J. 188.3. p. 45 ff.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthsfr. Im Rhelnl. XCVI. 4
60 HansDragendorff:
den^) and die Fände in Arezzo zeigen weiter, dass die Fabriken
des CispiuS; Perennius und Tellius später in die Hände des P. Corne-
lius übergingen. Denn in den Schutthaufen dieser drei Töpfereien
finden sich Scherben mit dem Stempel des Cornelius in der ober-
sten Schicht. Eine in Cincelli, in der Fabrik des Cornelius gefundene
Schale trägt unter ihren Ornamenten den Abdruck einer Münze mit
dem Kopf des jugendlichen Octavian und der Umschrift A VG VSTVS*).
Die Schale ist signii-t mit dem Namen des R 0 D V S. Dieser ist uns
als Sklave des Coiiielius bekannt, zu dessen sonstiger Dekorationsweise
auch dieses GefUss passt. Daraus ergibt sich, dass die Töpferei
des Cornelius noch in der Zeit des Augustus arbeitete und die an-
sprechende Vermuthung Gamurrini'S; dass er ein Freigelassener
des Sulla war und mit der cornelischen Colonie nach Arezzo kam,
steht hiermit nicht im Widerspruch^). Zu den älteren Fabriken,
d. h. in die erste Hälfte des I. vorchristlichen Jahrhunderts, ge-
hören auch die Töpfereien des Sentius und Domitius, von denen
Stempel neben anderen sicher arretinischen und vorrömisch-galli-
schen Scherben auf der Stätte des alten Bibracte gefunden sind,
die somit der Zeit vor der Zerstörung dieses Ortes durch Caesar
angehören 4). Späterer Zeit, wohl erst dem I. nachchristlichen Jahr-
hundert, gehört die Fabrik des Cn. Ateius an, die massenhaft in die
Provinzen exportirt und von der sich sogar ein Stück in Britannien
findet'^). Wir kommen damit auf die Verbreitung der arretinischen
Vasen.
3. Die Verbreitung der arretinischen Vasen.
Das durch die Fabrikstempel sicher als arretinisch zu bestim-
mende Fabrikat findet sich in Italien, in grosser Masse in Spanien,
in Afrika, vereinzelt auf den griechischen Inseln bis nach Klein-
1) Atti d. L. IV 3. p. 281.
2) F u n g h i n 1 p. 30. Taf.Nr. 62.
3) Wichtig sind für diese Verhältnisse die vorläufigen Berichte 0 a-
murrini's in den Notizie degli scavi 1893 p. 138 nnd 1894 p. 48.
4) Sie befinden sich jetzt im Mus. v. St. Germain, wo ich sie gesehen
habe. Es scheint mir keine Scherbe darunter, die man späterer Zeit zu-
schreiben müsste.
5) C. VII 1336. 96.
Terra sigillata. 51
asien hin ^). Auch in Gallia Narbonensis sind arretinische Vasen
noch sehr häufig, seltener wird ihr Vorkommen im übrigen Gallien,
obgleich auch dorthin, wie wir eben sahen, schon in vorrömischer
Zeit einzelne Stücke verschleppt wurden ^). Dagegen sind an*etinische
Vasen in Germanien, den Donanländern und Britannien so gut wie
nicht nachzuweisen, mit einziger Ausnahme der Vasen des Ateius,
von denen schon am Scblnss des vorigen Abschnittes die fiede war.
Ich kenne aus diesen Gegenden nur folgende sichere Beispiele:
AVCTVSMPVBLI und L • TITI auf 2 TeUeni, die auf einer
Insel im Bieler See gefunden sind »). T • R V F R E (nius) auf
einem Gefilss aus Windisch % L • G E L (1 i) auf einem aus Bilich-
gratz ^). Von diesen stammen die beiden ersten aus einem celtischen
Tumulus, gehören also sicher, wenn nicht in vorrömische Zeit, so
doch in die erste Zeit der römischen Besiedlung jener Gegenden ^).
Wir müssen uns aber hüten, aus dieser Thatsache den Schluss
zu ziehen, dass zur Zeit der Ausbreitung römischer Kultur in jenen a
Ländern die Thonindustrie in Arezzo bereits erloschen gewesen
sei. Wir werden vielmehr später sehen, dass schon im I. vorchrist-
lichen Jahrhundert an anderen näher gelegenen Orten Fabriken der
rothen Töpferwaare entstanden, die durch ihre günstigere Lage zu
den nördlichen Provinzen, den arretinischen Import in diese Gegenden
gänzlich verdrängten. Aus den oben angezogenen Stellen des P 1 i-
nius und M a r t i a 1 müssen wir den Schluss ziehen, dass die Fa- *-
brikation in Arezzo das ganze I. nachchristliche Jahrhundert hin-
durch fortgegangen ist, selbst wenn wir annehmen wollten, dass der
Name vasa arretina im Laufe der Zeit in ähnlicher Weise Gat- *
tungsbegriff geworden, wie vasa sanrta. Wie lange die Industrie in
1) Qae. arch. VI pl. 33, 2 stammt von Melos, 1 aus Parium in Klein-
asien.
2) Beste arretinische Waare ist u. A. das Fragment eines kleinen Kra«
ters der Form 11, geschmückt mit einer Fiügelfrau auf Ranken stehend,
wie sie häufig auf Campanareliefs vorkommt. Das Fragment habe ich
im Mus^e Carnavalet notirt. [ Es ist in Paris beim Hotel Dleu gefunden
und trägt den Stempel C 0 AA M V N I S , stammt also vielleicht ans der
Fabrik des Memmius, der einen Sklaven Communis hatte. C. XII 5686. 578.
3) Seh. 633, 5464.
4) Seh. 4788.
5) C. III 6010. 95.
6) B. J. V Taf. I 2a.
52 Hans Dragendorf f:
Arezzo dauerte; können wir mit dem uns heute zu Gebote stehenden
Material nicht entscheiden.
Aus der Erwähnung bei Isidor aber den Schluss zu ziehen,
dass die Fabrikation bis ins Vll.Jahrh. fortgesetzt worden sei, wie Fa-
hr o n i und neuerdings erst wieder F u n g h i n i thnn, ist ein Fehler.
In den Funden haben wir dafUr gar keinen Anhalt. Isidor hat
seine Kenntnisse aus litterarischen Quellen geschöpft, wie auch die
anderen Angaben in seiner Compilation. Seine Zuthat wird blos das
Zeugniss des S e d n 1 i u s sein, in dem r o t h e Vasen erwähnt wer-
den. Aber auch yon Sedulius, der im Anfang des Y. Jahr-
hunderts schreibt, steht es nicht fest, dass er speziell arretinisches
Fabrikat im Auge hatte.
Die Hanptbltlthe der arretinischen Töpferei liegt zweifellos
im ersten vorchristlichen Jahrhundert und zwar in der ersten Hälfte
desselben. Denn die Fabrik des Coiiielius, die, wie S. 50 gezeigt,
bis in ' augusteische Zeit arbeitet, zeigt in ihrer Dekoration schon
einen gewissen Verfall gegenüber ihren Vorgängern. Bevor wir
aber auf die omamentirten Gefösse näher eingehen, müssen wir
noch die anderen italischen Fabrikationscentren rother Vasen ins
Auge fassen.
VI. Die campanischen Vasen.
Dass in Campanien im I. vorchristlichen Jahrhundert Vasen
gefertigt und exportirt wurden, bezeugt Horaz^). Diese campanischen
Vasen glaubte Riccio nachweisen zu können in Gefässen, die in
Capua gefunden wurden, und die er in einer kleinen Monographie^)
publizirte. Ich kann den Beweis nicht für erbracht ansehen. Denn
die Stempel, die Riccio von seinen Vasen notirt, sind fast durch-
weg entweder arretinisch oder in ganz Italien so verbreitet, dass
kein Grund vorliegt, auf ihr Vorkommen in Capua hin, sie dort zu
localisiren. Die dekorirten Gef&sse, die er abbildet, gehören zu den
schönsten arretinischen; denn ihre figürlichen Typen lassen sich auf
arretinischen Gelassen nachweisen.
üebrigens sind R i c c i o 's Ausführungen sehr unklar. Er sagt,
es seien auch Formen fllr die Herstellung dieser Vasen gefunden.
1) Sat. I 6. 117 f., IT 3. 142 fF.
2) Riccio, Notizie degli scavamenti nel suolo dell' antica Capua.
Napoli ia55.
Terra sigillata. 53
Als charakteristisches Beispiel bildet er auf seiner Tafel VI eine Form
ab, die allerdings von den arretinisohen sehr verschieden ist, aber
auch mit den von Ricci o selbst vorher als campanisch abge-
bildeten Gefässen nicht das Mindeste zu thun hat. Mir ist die
Form verdächtig. — Wir können also einstweilen über die carapani-
sehen Vasen des Horaz nichts näheres sagen, ebenso wenig über
die von M a r t i a 1 und P 1 i n i u s erwähnten Becher von Sorrcnt *).
VII. Die Fabriken von Moden a.
Mutina war schon von Alters her durch seine Topfwaaren
berühmt und wird auch von Piinius unter den Städten, die durch
Töpferei bekannt waren, aufgezählt ^). Es sind dort mehrere antike
Töpfereien aufgedeckt, von denen die eine einem L. Aemilius Fortisp
gehörte. Dieser fertigte Ziegel, Lampen, Vasen aller Art, darunter
auch den arretinischen ähnliche^). Den Namen einer zweiten Offi-
cin in Mntina kennen wir nicht, doch ist diese von noch grösserer
Wichtigkeit, weil sie den üebergang von schwarzen zu rothen Ge-*
fassen sogar deutlicher zeigt als die arretinischen Töpfereien.
Es fanden sich dort erstens schwarze Vasen wie die griechisch- '
campanischen, in der Mitte bisweilen mit dem Abdruck einer Gemme
geschmückt, was ja auch bei campanischen Schalen vorkommt. Femer
„röthliche" Teller, die also offenbar keine eigentliche Glasur haben. ^'
Hiermit sind die Vasen des Popilius und einzelne vorarretinische in
der esquilinischen Nekropole zu vergleichen (vergl. oben S. 37 u. 39).
Ihr Boden ist mit kleinen im Kreise angeordneten Palraetten ver-
ziert, wie sie bei griechischen und unteritalischen Schalen, aber
auch bei schwarzen arretinischen vorkommen*). Endlich wurden
Vasen von der Art der arretinischen gefunden. Man sieht hier
deutlich, dass sich die ersten rothen Gefassc eng an die schwar-
zen anschliessen, und wird den üebergang in Mutina eher früher an-
setzen als in Arezzo.
1) Mart. XIV 102. XIII 110. Plin. XXXV 160.
2) N. H. XXXV 160, vergl. Livius XLI 14. 2 u. 18. 4.
3) B. d. J. 1837. p. 10 fF. 1875. p. 192 ff.
4) F a b r 0 n i Taf. I Nr. 1.
54 Hans Dr agendo r f f :
VIII. Die puteolanischen Vasen.
In Puteoli wurden 1874 grosse Töpfereien aufgedeckt, in denen
rothe Vasen von der Art der arrctinisehen gefertigt wurden. Es
wurden eine grosse Menge Bruchstücke von Vasen und Vasenformen
dort gefunden, die sich jetzt zum Theil im Berliner Museum be-
finden 1).
Bei den antiken Schriftsteilem haben wir keine Ei-wähnung
puteolanischer Vasen. Doch schon zu Tibulls Zeiten waren neben
samischem Geschirr die Vasen des Puteoli benachbarten Cumae be-
rühmt >). Auch PliniuB nennt diesen Ort in seiner Aufzählung der
berühmten Töpferstädte. Dass die cumanischen Vasen von rother Farbe
waren, erfahren wir aus MartiaP). Es scheint mir danach nicht
unwahrscheinlich, dass die in Puteoli gefundenen und gefertigten
^ Vasen in Zusammenhang mit den cumanischen zu bringen sind,
besonders da sich angeblich in Puteoli der Thon, ans dem die Vasen
gemacht sind^ nicht findet, es daher nicht glaublich scheint, dass
sich dort selbstständig eine Töpferindustrie entwickelt habe.
In dem Schutte der puteolanischen Töpfereien lassen sich eine
ganze Reihe von arretinischen Stempeln nachweisen*). Es wird
daraus zu schliessen sein, dass zur Zeit des Aufblühens der puteo-
lanischen Töpfereien Arretium schon so sehr den Markt beherrschte,
dass sich die puteolanischen Töpfer gezwungen sahen, auch mit
arretinischem Geschirr zu handeln, ähnlich wie unsere Porzellan-
fabriken neben eigenem Fabrikat das anderer Fabriken zu führen
pflegen. Dass die puteolanischen Töpfereien später sind als die
• ältesten arretinischen, wird sich unten auch aus dem Vergleiche
der Ornamente ergeben.
Die grösste der puteolanischen Fabriken, diejenige, von der
ich allein ornamentirte Gefässe kenne, ist die des Numerius Naevius
Hilarus*). 11 seiner Sklaven können wir nachweisen: Agatheme-
nis, Atticus, Garbo Cocco, Favor, Felix, Hermiscius, Primus, Specu-
lator, Tertius, Valens, Vitulus.
1) B. d. J. 1875. p. 242 flf.
2) TibuU. II 3. 47 f.
3) Martial XIV 114.
4) B. d. J. 1876 p. 251 ff.
5) Der volle Name ergiebt sich z. B. aus C. X 8056. 229. Häufig
sind die Gefässe nur N - N - H signirt.
Terra eigillata. 65
Eine zweite Fabrik ist die des Q. Pompeius Serenus^ eine
dritte die des Luc. Valerius Titos. Die puteolanischen Töpfer sig-
niren in derselben Weise, wie die arretinischen.
Bei ihren Fabrikaten können wir keine so weite Verbreitung
nachweisen. Fast alle sind in Süd-Italien oder Spanien gefunden
Ein Gefäss des Pompeius Screnus kenne ich aus Nemausus^, —
Sicher hat es noch an vielen anderen Orten Italiens Töpfe-
reien gegeben, in denen Terra sigillata gefertigt wurde. Doch
ist darüber vorab noch nichts sicheres bekannt. Ich gehe daher
auf die Betrachtung der Veraierung der Gefässe über.
IX. Die ornamentirten Gefässe.
1. Herstellung.
Kurz mnss ich hier auf die technische Herstellung der orna-
mentirten arretinischen Gefässe eingehen, indem ich bemerke, dass
das darüber Gesagte in allem Wesentlichen auch für die übrigen
dekorirten Terra sigillata-Gefässe gilt.
Die Töpfer besassen jedes einzelne Dekorationselement, sei
es nun figürlich oder omamental, als gesonderten convexen Stempel,
fein in Thon modellirt 2). Es wurde nun eine Schüssel mit ziemlich
dicken Wandungen gedreht, deren innerer Contoar der Form ent-
sprach, die das zu verfertigende Gefäss erhalten sollte. In die
noch weiche Wandung wurden die Stempel eingedrückt , sodass
also die Formschüssel alle Ornamente concav an der Innenseite
zeigte. Diese Schüssel wurde gebrannt und dann in ihr das eigent-
liche Gefäss geformt. Durch das Trocknen zieht sich dieses soweit
zusammen, dass es aus der Form genommen und dann gebrannt wer-
den kann. Stückformen, die aus mehreren Theilen zusammengesetzt
und nach der Herstellung des Gewisses wieder auseinandergenommen
1) C. Xn 5686. 696.
2) Ein Stempel aus Arezzo ist abgebildet bei Fabroni Taf. Y. 4.
y. Hefner (S. 25) spricht auch von der Möglichkeit, dass Metallstempel
verwendet seien. Beispiele führt er nicht an. Ich habe immer nur Stem-
pel aus Thon gesehen und für Arezzo erwähnt auchFunghini nurThon-
atempel (p. 19).
56 HansDrageudorff:
worden wären, Bind nicht nachweislicb. Alle heil erhaltenen Formen
* sind ans einem Stttek^).
Durch diese Art derHeretcllungistdieFoiin derGefässe in gewisser
Hinsicht bedingt. Der ornamentirte Theil darf sich nach oben zu nicht
^ verjüngen. Um dennoch grössere Mannigfaltigkeit der Form er-
0 zielen zu können, halfen sich die Töpfer dadurch, dass sie Fuss und
Rand des Gefässes ohne Form herstellten und an den ornamentirten
Theil ansetzten. Die Formschllsseln reichen daher immer nur bis
zu dem Ornament, das Bauch und Rand trennt.
Es sind leider noch sehr wenig ornamentirte aiTctinische Ge-
ßlsse abgebildet. Was ich an Formen ermitteln konnte, findet
sich auf der Formtafel I unter Nr. 9 — 14: Fragmente von solchen
Gefassen, an verschiedenen Orten gefunden, sind von Fabroni
auf den seiner Arbeit beigefügten Tafeln publizirt, einige andere
Gaz. Arch. VI pl. 33, Fragmente aus der Fabrik des Cornelius
bei Inghirami Mou. etr. V Taf. 1, aus der des Pereunius in
schönen Lichtdrucken bei Gamurrini Atti d. L, IV 1. Taf. 1 — 3,
wo auch noch andere Typen, zu Gruppen geordnet, im Text
beschrieben sind *). Dazu kommen noch 2 Geßlsse des Lonvre bei
Rayet und Collignon p. 357 und die von Riccio als campanisch
herausgegebenen. Ausserdem konnte ich Gipsabgüsse arretinischer
Fragmente der Sammlung Dressel benutzen, die sich jetzt im
Dresdener Museum befinden.
Von Erzeugnissen der puteolanischen Töpfereien ist noch nichts
veröffentlicht. Ich publizire deshalb auf Taf. IV, V und VI unter
Nr. 22 — 77 einen Theil der Foimen des Berliner Museums, die ich
nach einer von Furtwaengler für das Bonner Kunstmuseum ge-
troffenen Auswahl in öipsausgüssen benutzen konnte. Schon
ans dem bisher zugänglichen, höchst lückenhaften Material lässt
sich aber erkennen, dass keine freien Erfindungen der Töpfer vor-
V liegen, sondern dass bekannte Typen benutzt sind und ihre Kennt-
niss den Töpfern durch mehrere, selbstständig nebeneinander be-
stehende Mustersammlungen vermittelt worden ist.
Wie bei allen Relicfgefässen wird man auch bei den rothen a
priori auf toreutische Vorbilder schliessen. Im Einzelnen bestätigen
das auch die Formen der Vasen und die Vorlagen, die bei der Dekoration
1) Z. B. Fabroni Taf. VUI.
2) Ich citire diese nach Gamurrini*s Nummerirung.
Terra sigillata. 57
in Anwendung gekommen sind. Die besten arretiniBchen Vasen er-
innern in der Art, wie das Relief gleichsam aus dem Grund heraus- ^
wächst, wie der Kontur weich mit dem Grunde verschmilzt, in der
oft bewunderungswürdig feinen Ausführung des Details unmittelbar
an getriebene und nachciselirte Metallarbeiten. Bei den puteolani-
schen Gewissen ist diese sorgfältige Nachahmung des Stiles getrie-
bener toreutischer Arbeiten mehr ausser Acht gelassen. Hier
springt die Dekoration oft hart und unvermittelt aus dem «
Grund h^aus (z. B. bei der Eentaurenvase Taf. IV. 27 u. 28), so-
dass die Figuren wie aufgesetzt, nicht mehr wie von innen heraus-
getrieben scheinen. Aus dieser technischen EigenthOmlichkeit
Schlüsse auf die Art der toreutischen Vorbilder zu ziehen, etwa
anzunehmen, dass die puteolanischen Töpfer Metallgeräth mit em-
blemartig aufgehefteten Ornamenten imitirt hätten, die Arretiner
getriebene Arbeiten, scheint mir nicht statthaft. Denn wir werden
später sehen, dass die puteolanischen und ein Theil der arretini-«
sehen Töpfer die gleichen Vorlagen benutzen. Wenn wir die ganze
Compositionsweise betrachten, werden wir vielmehr zu dem Schlüsse
gedrängt, dass gerade diese II. Classe der ornamentirten Vasen mit
ihrer Vorliebe fUr raumfüllendes Beiwerk, dem starken Betonen der
Landschaft u. s. w. Metallarbeiten zum Vorbild genommen hat, bei
denen die Dekoration aus dem Grunde herausgetrieben war, dagegen *
die erste Classe, die ihre Figuren ohne verbindendes Beiwerk para-
taktisch anordnet, mehr dem Stile solcher toreutischer Arbeiten
entspricht, bei denen die einzelne Figur für sich gearbeitet und*
auf den Grund aufgeheftet wurde. Es mag das zum Theil an der
ähnlichen Herstellung der Thongefasse liegen. Doch ist es auch
möglich, dass die benutzten Muster wirklich zum Theil mit Emble-«
men verzierte Metallarbeiten waren.
Die Frage, ob alle arretinischen Fabriken auch Reliefgefasse
hergestellt haben, muss vorläufig offen gelassen werden. Ich
kenne bisher solche nur aus den Fabriken des G. Annius, L.
Annius, P. Cornelius, M. Perennius, L. Rasinius, Tettius und Vi- *
bienus *). Die GefUsse des Perennius und Cornelius übei-wiegen bei
Weitem. Doch kann dies Zufall sein, da wir über diese Fabriken
dank Gamurrini's sorgfältigen Untersuchungen am besten unter-
richtet sind.
1) Atti d. L. m 11. 462.
58 Hans Dragen dorf f :
2. Die Vasen der I. Klasse.
Als Vasen der ersten Klasse bezeichne ich diejenigen^ welche
mit einer umlaufenden Reihe gewöhnlich gleichartiger, immer aber
gleich grosser Figuren verziert sind. Das Terrain wird nicht an-
gegeben. Das Beiwerk ist auf das geringste Maass beschränkt. Wo
sich Kränze und Guirlanden finden, sind sie nur ganz scheraatisch
und conventionell angedeutet, ohne alle nähere Charakteristik oder
naturalistische Ausführung. Die zu dekorirende Fläche bildet einen
zusammenhängenden Streifen, der bisweilen eine vertikale Gliederung
durch Säulen, Hermen oder mit Statuen geschmflckte Pfeiler er<
hält, nie aber horizontal gegliedert ist.
E^ sind diese Gefässe in der Ausführung besonders fein und
stammen, soweit es sich kontroUiren lässt, alle aus der Fabrik des
Perennius. ^
Ich gehe die einzelnen Figurencyklen, die hier vorkommen,
durch. Es wird sich dabei zeigen, dass sie auch in der Wahl ihrer
Vorbilder eine geschlossene, von den anderen sich sondernde
Gruppe bilden.
a) Kalathiskostänzerinnen.
Auf zahlreichen Marmor- und Thonreliefs sieht man Tänze-
rinnen in kurzem, kaum bis an die Kniee reichendem, dorischem
Chiton, die auf dem Kopfe einen Kalathos tragen. Sie schreiten auf
den Zehen, die Arme rythmisch gehoben.
Alle diese Figuren lassen sich durch ihren Stil und ihr gemein-
* sames Vorkommen als Glieder eines aus wenigstens 1 1 gleichai-tigen
Gestalten bestehenden Cyklus erkennen. Auf arretinischen Gef&ssen
kommen 7 verschiedene Typen vor, 4 auf dem von Ricci o Taf. V
publizierten Gefilss, das nebenstehend (Fig. 14 u. 14a) wiederholt
wird, 2 auf einem der von Gamurrini herausgegebenen Frag-
mente*), die 7. wird ebendort im Text erwähnt. Zu welchem
Typus der Kopf einer Kalathiskostänzerin auf einem Fragment in
Sfevres gehört, lässt sich nicht bestimmen. Der Unterschied liegt
immer nur in der Armhaltung und der Drehung des Kopfes, wes-
halb ich nur diese in der Beschreibung erwähne.
%) Atti d. U IV 1. Taf. I 2.
TeiTa sigillata.
Ö9
Fig. 14.
1) Oberarme in Schtilterhöhe vorgestreckt, Unterarme senkrecht in
die Höhe gehoben (Riccio 1).
2) Bechter Arm schräg abwärts gestreckt, linker hinter dem Kopf
gehoben (Riccio 2).
3) Beide Hände auf die Brust gelegt, der Kopf ziu'ückgewandt
(Riccio 3).
4) Linker Arm wagerecht in Schulterhöhe vorgestreckt, rechter
gesenkt und in rechtem Winkel gebogen (Riccio 4).
5) =3, aber der Kopf vorwärts gewandt (Atti d. L. a. a.O. Taf.V2).
6) Rechter Arm auf die Brust gelegt, linker abwärts zurückgestreckt
(ebendort).
7) Rechter Arm vorgestreckt, linker auf die Brust gelegt (a. a. O.
p. 86 Gruppe V Nr. 3).
2 kehrt auf einer Marmorbasis und auf einem Pariser Relief*)
mit einem neuen Typus wieder:
8) Oberarme in Schulterhöhe nach beiden Seiten gestreckt, Unter-
arme gehoben.
Drei neue Typen gibt ein Kandelaberrelief, das Zoega publi-
zirt hat*):
9) Linke Hand an den Kopf gelegt, rechter Arm wie in 6 der linke
bewegt.
10) Sehr ähnUch 9, nur hält die linke Hand eine Schale mit Früch-
ten in die Höhe.
11) Beide Hände sind zum Klatschen gehoben.
1 und 4 kehren auf einem Campanarelief wieder *), 2 und 7
auf zwei Marmorreliefs im Berliner Museum*), 7 auch auf einer
1) Clarac pl. 167 u. 168.
2) Zoega, Bassi rilievi I Taf. XX.
3) Campana, Op. in plastica Taf. IV.
4) Arch. Anz. 1893 S. 76 u. 77 (Kekulö). Vergl. Furtwaeng-
1er M. W. S. 202.
60 Hans Dragendorff:
Münze von Abdera *), 4 und 5 auf einem neuattischen Relief*),
9 und 10 auf einem Marmorkrater, verbunden mit einer den Sieges-
trank kredenzenden Nike^), über die später noch zu handeln
sein wird.
Aus der verschiedenen Verbindung dieser Typen mit einander
erhellt, dass wir es ^it einem Cyclus derartiger Tänzerinnen zu
thun haben, der als Vorlage sowohl den arretini-
schen Töpfern als den Verfertigem neuattischer
und Campana-Reliefs zugänglich war. Von diesen
drei Denkmälerklassen steht fest, dass sie toreu-
tische Vorbilder bevorzugen. Auch das Original Fig. 14a.
der Kalathiskostänzerinnen wird seinem Stil nach ein Werk der
Toreutik gewesen sein.
Dieses dürfte von demselben Künstler oder doch jedenfalls
aus demselben Kunstkreis herrühren wie das Original der „schwär-
menden Maenaden": die Behandlung der Gewänder, die Propor-
ilonen des Körpers, die Stilisirnng der Haare ist in beiden Gyklen
nächst verwandt.
Nun hat allerdings Winter das Vorbild all unserer Maenaden-
Oreliefs in einem Marmorrelief vom Esquilin erhalten geglaubt, aber
Fnrtwaengler hat gegen diese Vermuthung berechtigten Einspruch
erhoben. Ob Furtwaengler's eigene Annahme (M.W.S. 202), dieKala-
thiskostänzerinnen der Reliefs seien den saltantes Lacaenae des Kalli-
machos nachgebildet, das Richtige trifft, würde eine eingehende Unter-
suchung erfordern, für die hier nicht der Ort ist. Es wäre nament-
lich zu erörtern, ob irgend etwas dafür spricht, dass die Tänzerinnen
•je statuarisch ausgeführt gewesen sind und nicht vielmehr fUr Re-
lief erfunden, ob man wahrscheinlich machen kann, dass die Ballet-
röckehen lakonische Tracht gewesen oder doch dafür gehal-
ten worden sind, ob wie der Kultbrauch, der dargestellt wird, nicht
auch Stil und Technik auf ein kleinasiatiscbes Vorbild hindeuten.
Die früheste und monumentalste Vertreterin dieses Stils bleibt die
Nike des Paionios.
1) Berl. Münzeabinet I Taf. IV 38.
2) Zoega, Bassi rilievi I 21.
3) Hauser, Neuatt. Reliefs. S. 96 Nr. 18.
Terra sigillata. 61
b. Figuren des dionysischen Thiasos.
I. Schwärmende Maenaden.
Atti d. L. a. a. O. Taf. III, 1.
1) Die Maenade hat den 1. Ami gesenkt, den rechten zurückge-
streckt. Das hinter ihrem Rücken sichtbare Tympanon hängt, wie oft
bei diesen Gefässen, an der Guirlande, da man es der Frau kaum in die
Hand geben kann, ohne ihren Arm gewaltsam zu verdrehen. Aehnlich
Hauser 32.
Zwei andere Maenaden finden sich auf dem Fi*agment Gaz.
arch. VI pl. 33 4, das in Arezzo gefunden und durch seinen
Stempel (BARGAE) als aus Perennius Fabrik stammend erwiesen ist.
Die eine
2) schlägt das Tympanon und entspricht in Kopf- und Armhaltung
Haus er 24, ist aber voller bekleidet. Sie kehrt wieder auf der Scherbe
Fabroni Taf. I 5. Die andere
3) hält in der vorgestreckten Linken den Thyrsus, die rechte Hand
fasst den Mantel und ist zurückgestreckt, wie Hauser 26.
Die kunstgeschichtliche Stellung der Maenaden wurde schon
bei Besprechung der Kalathiskos-Tänzerinnen berührt. Wo man Vor-
lagen ftir derartige Maenaden finden konnte^ zeigt das in Kleinasien
gefundene Kybelerelief der Sammlung Sabouroff , Taf. CXXXVII,r
auf dem die Anten des Tempels mit Metullreliefs verkleidet- er-
scheinen *).
n. Dionysisches Opfer.
Atti d. L. a. a. 0. p. 84 f., Gruppe II.
1) Nackter Satyr, mit einem Schlauch in der linken, einer Fackel
in der rechten Hand.
2) Nackter unbärtiger Satyr mit gesenkter Fackel. St. PERENN-
3) Weibliche Figur in langem Gewand, die ein Ferkel an den
Beinen hält.
4) Satyr, der knieend ein Ferkel schlachtet.
5) Frau in langem Gewand, trägt auf der Schulter einen Korb mit
Früchten. In der gesenkten Hand hält sie eine Oinochoe. (St. PILADES.)
6) Bärtiger Satyr mit Chiton. Auf dem Arme trägt er ein Rind.
7) Eine Figur (ob männlich oder weiblich, ist in der Beschreibung
nicht gesagt) in die Tunica gekleidet, den Kopf mit einem Gewandstück
verhüllt, beu^ sich über einen Altar, den sie .bekränzt.
in. Trinkende und tanzende Satyrn.
Atti d. L. a. a. O. p. 86, Gruppe HL
1) Bärtiger Satyr mit dem Pantherfell auf dem Kücken, in der einen
1) Vgl. B. J. XCV S.
62 Haue Dragendorff:
Hand eine Schale, in der anderen den Thyrsus, vor ihm steht ein grosser
Krater. Vgl. Hauser S. 98. 24 ff., S. 101. 32.
Eine ähnliche Figur auf einem Fragment in Dresden (Taf. IV 6).
2 u. 3) Ein alter und ein junger Satyr giessen aus Schläuchen,
die sie auf der Schulter tragen, Wein in eine grosse Amphora. Hinter 2 steht
4) Satyr mit Schale und Kranz in den Händen,
5) Satyr, bekränzt, hält in der Linken ein Pedum, in der Rechten
einen Becher.
Alle diese Figuren kommen zusammen vor. Mit 2 verbunden
6) flötenblasender Satyr mit dem Fell auf dem Rücken (Haus er 23),
er findet sich auch auf einem Dresdener Fragmente verbunden mit
7) nackter Satyr. Das um den Hais geknotete Fell hängt hinter-
dem Rücken herab. Er trägt einen Bock auf den Schultern (Taf. IV 2).
8) Ferner kommt mit 6 zusammen auf einem Dresdener Fragment
eine langgewandetc Maenade vor, langsam nach rechts schreitend, in
derL. hält sie den Thyrsus, in der gesenkten R. eine Oinochoe (Taf. IV 3).
Demselben Kreise gehört endlich ein Berliner Fragment an,
auf dem neben einer Muse mit Pedum und Rolle (s. unten S. 70)
sich 9 und 10 finden (Taf. IV 4).
9) Tanzender Satyr, das Fell über der L Schulter, Becken schlagend
(Hauser 19, Fabroni Taf. III 4) und
10) Rest eines bärtigen Satyrs nach rechts schreitend.
11) Auf neuattischen Reliefs, femer auf Gemmen (Arch. Jahrb. 1888
Taf. 10, 24) u. s. w. sehr häufig, ^in nach links springender Satyr, der
über den mit dem Kantharos vorgestreckten 1. Arm das Fell hängen hat,
und in der weit zurückgestreckten r. Hand den Thyrsus Schwingt. H aus er
S. 9Ä 27. Mus. Borb. II 28, 3. Clarac II 179, 170. Auch dieser kehrt
wieder auf einem Dresdener Fragment: Taf. FV 5.
IV. Satyrn bei der Weinlese.
Atti d. L. a. a. 0. p. 89, Gruppe VII.
1) Bärtiger naekter Satyr, nach r., tritt die am Boden Hegenden
Trauben aus. Von links kommt
2) ein jugendlicher Satyr heran, der in dem vor die Brust gehaltenen
Fell Trauben herzuträgt (Atti a. a. 0. Taf. III 3).
3) Bärtiger Satyr nach links, ganz entsprechend a, aber mit einem
kleinen Schurz bekleidet auf einem Dresdener Fragment, neben ihm
4) jugendlicher Satyr, der Trauben in das vor ^ie Brust gehaltene
Fell pflückt (Taf. IV 1).
Dieselben Figuren finden sieh atdf dem von Fnnghini anter
Nr. 64 abgebildeten GefUssc und sind auch auf neuattischen Reliefs
nachzuweisen. Vgl. Hauser S. 103; 35. Mus. Borb. II ^
ß
4
\n
Terra sigillatn. 63
V. Dionysos auf dem von Kentauren gesogenen Wagen
mit Gefolge.
Atti d. L. a. a. 0. p. 85, Gruppe IV,
Hierher gehört vor allem der Krater im Lonvre (Rayet-
ColHgnon p. 357) und ein Fragment in Dresden.
Wagen mit sitzendem Dionysos, neben dem Wagen schreitet
eine Frau. Vorgespannt sind 2 bärtige Kentauren, denen die Hände
auf den Rücken gefesselt sind. So auf dem Pariser und dem Dres-
dener Exemplar. Im Pariser werden sie von einem Jüngling in
kurzem Chiton, der eine Peitsche hält, geführt. Auf dem Dresdener
Exemplar (Taf. lY 8) steht ihnen zugewandt ein bärtiger Silen
mit einem Schurz bekleidet, der einen Schlauch auf dem Rücken
trägt und ihnen den Thyrsus entgegenstreckt. Vor ihm schreitet
ein Mädchen in dorischem Chiton (Taf. IV 8), das die Schild-
krötenleier spielt; vor dem Jüngling 2 Mädchen mit Cisten. Auf
dem Wagen raht bei einzelnen Exemplaren ein gelagerter Mann, in
anderen zügelt eine Frau die Kentauren. In der linken Hand hält
sie eine Schale. Es ist also wieder eine grössere Komposition •
die Vorlage, aus der willkürlich bald diese, bald jene Figuren aus-
gewählt und verwendet sind. Aehnliche Dai'stellungen kenne ich
von neuattischen Reliefs nicht, wohl aber kommen sie auf den
ihnen nahestehenden Sarkophagen vor.
c. Oeflfigelte Genien.
Zwei geflügelte weibliche Genien stehen einander zugekehrt.
Sie sind nackt bis anf einen Schurz. Die eine bläst die Doppel-
flöte, die andere spielt Leier. Getrennt sind sie durch ein Acanthus^
blatt (z. B. Atti d. L. a. a. 0. Taf. I. 3), oder ein Oraament mili
Aehren (auf einem Dresdener Fragment), auch ein Altar, eine Am-
phora, ein Dreifuss oder Candelaber kommt vor (Atti d. L. a. a. 0.
Gruppe I p. 83). Dieselben Genien kehren wieder auf einem Cam-
panarelief^).
Zwei andere weibliche Genien^ die einen Dreifnss bekränzen,
bietet Atti d. L. a. a. 0. Taf. III 6. Sie tragen einen durchsichti-
gen Chiton, ähnlich den Kalathiskosttozerinnen. Dass er nur bis
1) Campana, Op. in plastica Taf. CXI.
64 Hang Dragendorff :
an die Kniee reichte, zeigen ein Fragment, das ich v. Bissing ver-
danke, nnd die Stuckreliefs des römischen Hauses bei der Far-
nesina ^). In der Bewegung, der Arm- und Handhaltung stimmen
« diese ganz mit der auf den neuattischen Reliefs so häufigen Nike
überein, die aus der hocherhobenen Rechten den Siegestrank in die
Schale giesst^). Diese Nike kommt einmal sogar mit 2 Kalathiskos*
tänzerinnen vor, wodurch sie ganz an unsere Vorlagensammlung
angeschlossen wird^).
d. Hören.
Zu den schönsten arretinischen Gewissen gehört der von
Riccio fnr campanisch erklärte, beistehend nach seiner Abbil-
dung reproducirte Krater, den ich bereits oben (S. 52) den arre-
Fig. 15.
tinischen zugezählt habe. Dass dies berechtigt ist, habe ich
nachträglich aus einem Fragmente des Louvre gesehen, das wahr-
scheinlich wie andere dort befindliche Stücke aus Arezzo stanmit^
1) M. d. J. Suppl. Taf. XXXIV und XXXV.
2) Z. B. Zoega, Basal ril, Taf. LXX.
3} Michaelis, Anc. marbles p. 638 no. 66.
Terra si^llata. 65
imd das die eine der Hören erkennen lägst ^). Zu demselben Re-
sultat führt, wie wir gleich sehen werden, auch die De-
koration selbst. Die Hören schreiten in feierlichem Zuge hinter
einander her, jede durch ihre Gaben gekennzeichnet. Getrennt sind
sie durch Pfeiler, auf denen eine Pansmaske liegt, und die durch
Guirlanden verbunden sind ; nur vor der Winterhore steht statt dessen
ein grosser Candelaber. Der Winter trägt Jagdbeute. Ihm folgt
der Sommer mit Aehren und Kränzen, dann der Frühling mit
Blüthen, endlich, das Haupt mit einem Tuche bedeckt, die Höre des
Herbstes; auf der linken Hand hält sie einen Korb mit Früchten, die
rechte fasst die Vorderfüsse eines Ziegenböckleins) das vor ihr steht.
Sie blickt nicht wie die anderen gerade ans, sondern nach dem
Beschauer zu.
In diesen Hören sind Nachbildungen eines berühmten Kunst-
werkes erhalten, wie allein die grosse Zahl der Repliken lehrt, die *
von Robert zusammengestellt sind*). In Einzelheiten finden sich -
kleine Abweichungen. So hat z. B. die Herbsthore auf dem Altar-
relicf in Villa Albani^) und einem Campanarelief ^) kein Kopftuch,
blickt auf dem Campanarelief ausserdem nicht zurück und zieht
den Bock hinter sich her. In allen Einzelheiten aber stimmt mit
unserem'Gef&ss ein Sarkophagrelief überein ^). Doch sind hier ausser *
den Hören noch andere Figuren vorhanden. Auf der einen Seite
sitzen Braut und Bräutigam, und auf sie zu kommen in langem Zuge
die Gottheiten, die ihre Gaben darbringen, Vulcan, Minerva, die
4 Hören, Hymenaeus, Hesperus u.s.w. Von Wichtigkeit ist die Ver-
bindung der Hören mit Hymenaeus. Hymenaeus trägt kurzes Ge-
wand und Stiefel, auf der linken Schulter die Hochzeitsfackel, in der
gesenkten rechten Hand die Lutrophoros. In ähnlicher Weise treten
auf dem oben angeführten Campanarelief die Hören zu dem jungen
Paare. Hier sind sie von Herakles begleitet, der mit gewaltiger
1) No. 439.
2) Sarkophagreliefs II S. 1 fP. Sie kommen auf den rothen Vasen
auch noch einmal in kleinerem Maassstabe etwas modifiziert, offenbar nach
einer anderen Vorlage vor. So die Winterhore auf einem Fragment in
Berlin (Robert a. a. 0.), die Herbsthore auf einem von Funghini publi-
zierten Fragment (Nr. 32),
3) Zoega, Bassi ril, Taf. XCIV.
4) Campana, Op. in plastica Taf. LXII.
5) SarkophagreL II Taf. 1.
Jahrb. d. Ver. v. Altcrthsfr. Im Rheinl. XCVI. 5
66 Hans Dragendorfl:
Anstrengung einen Stier auf der Schulter herbeiträgt. Als drittes
Stück tritt eine vierseitige Glasflasche aus ^yzikos hinzu ^), deren
Seiten mit Reliefs geschmückt sind. Ausser Hermes finden wir hier
die Winterhore, Herakles mit dem Stier und Hymenaens. Damit
ist der Beweis geliefert, dass sowohl der Künstler, der den Sarko-
phag meisselte, wie der Töpfer, der das Thonrelief formte, und der
Glasarbeiter, aus dessen Händen die Flasche hervorging, ein und
dieselbe Sammlung von Vorlagen excerpierten. Dass aber auch dem
arretinischen Töpfer dasselbe Musterbuch vorlag, wird dadurch be-
wiesen, dass wir den Hymenaeus auf einem aiTetinischen Fragment
nachweisen können: Fabroni Taf. HI 3. Die 4 Hören gehören
zum Typenschatze der Verfertiger neuattischer Reliefs^), und wir
erinnern uns nun, dass wir auch bei den bisher aufgezählten Typen
stets Beziehungen zu den neuattischen Reliefs fanden, und zwar
ausschliesslich zu der von Hauser festgestellten zweiten Klasse
derselben, deren Typen sich scharf von denen der ersten Klasse
sondern. Diese Beziehungen zwischen neuattischen Reliefs und. ar-
retinischen Gefässen hatte Hauser schon bemerkt und kurz be-
sprochen^). Durch das neu hinzugekommene Material erhält seine
Ansicht ihre volle Bestätigung. Es ist unzweifelhaft, dass eine grosse,
in sich abgeschlossene Mustersammlung bestand, die ausser den neu-
attischen Künstlern der „zweiten Klasse" den arretinischen Töpfern,
speziell Perennius vorlag. Benutzt waren bei ihrer Zusammenstellung
toreutische Werke sehr verschiedener Zeit. Die Kalathiskostänzerinnen
und die Maenaden entstanden in der zweiten Hälfte des V. Jahrhunderts.
Dagegen ist die Schöpfung der 4 Hören sicher nicht vor den Anfang
des III. Jahrhunderts zu setzen. 4 Hören als Vertreterinnen, der 4
Jahreszeiten lassen sich zuei*st in dem Festzug des Ptolemaeus Phila-
delphus nachweisen*). Ebenso ist der stiertragende Herakles eine
Schöpfung hellenistischer Zeit ^). Es ist eine Uebcrtragung des alten
1) Robert a. a. 0. S. 5.
2) Hauser S. 103 f.
3) S. llOf, Durch den Nachweis der Hören auf arretinischen Vasen
wird auch Haus er 's aus dem Stil erschlossene Zuzählung der Hören zur
zweiten Klasse der neuattischen Reliefs voll gerechtfertigt.
4) Athenaeus V p. 198 A.
5) Roscher's Lexikon S. 2243 (Fnrtwängler).
Terra sigillata. 67
Typus des ebertragenden Herakles und auch ihr liegt sicher ein
bekanntes Original zu Grunde^ da sie sich mehrfach findet*).
H a u s e r ist geneigt, seine zweite Klasse neuattischer Reliefs
auf alexandrinische Vorbilder zurückzufahren*). Er folgt darin
den Ansichten Theodor Schreiber's, der neben Michaelis das
grosse Verdienst hat, innerhalb der hellenistischen Kunst der Kunst
Alexandrias ihre geschichtliche Stellung angewiesen und ihren Ein-
fluss auf die Kunst Italiens hervorgehoben zu haben. Wenn er aber
nahezu die ganze künstlerische Produktion Roms unter alexandrini-
schen Einfluss stellt'); so glaube ich, dass er zu weit geht. Mag dieser
auch der stärkere sein, in Unteritalien und im Rom der Kaisei*zeit
zur Herrschaft gelangen — für das nördliche Italien, flir das Rom
der Republik, namentlich im II. vorchristlichen Jahrhundert, ist er
sicher nicht der einzige. Hier lassen sich Strömungen nachweisen,
die von Kleinasien ausgehen. Dies im Einzelnen klar zu legen, muss
einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben. Nur wenige allge-
meinere Punkte mögen zur Bekräftigung des Gesagten hervorge-
hoben werden. Die Vorlagen der Campanareliefs sucht Schreiber
alle in alexandrinischer Kunst. Gerade hier aber ist neben vielem,
was ganz ausgesprochen alexandrinischen Charakter trägt, manches
was gegenständlich wie stilistisch an kleinasiatische Kunst anzu-
knüpfen scheint. Hierher gehören die Arimaspen, die zahlreichen
Greife, die mit ihnen kämpfend vorkommen, die Vorliebe für Ama-
zonenschlachten und anderes. Stilistisch scheinen die häufigen feinen .
Ornamente, die noch ganz den Charakter der Metallarbeiten gewahrt
haben, wie sie uns mit Figuren unseres Kreises gerade auch in den
Stuckreliefs des römischen Hauses bei der Famesina begegnen, die
aus ihnen herauswachsenden schmächtigen Thiere, namentlich Greife,
Steinböcke u. s. w. in ihrer omamentalen Ausgestaltung kleinasiati-
1) Z. ß. auf einer Gemme des Anteros Arch. Jahrb. III Taf. 10 no. 15
S. 323. Als Original möchte man am liebsten eine Einzelstatue vermuthen.
Der Stier ist jetzt, wo die Hören in gleicher Grösse als Maassstab daneben
schreiten, unnatürlich klein. Bei einer überlebensgrossen Statue da-
gegen würde gerade der im Verhaitniss zu Herakles kleine Stier das
Uebermenschliche in Herakles, das ja auch in der gewaltigen Wucht, mit
der er das Thier hebt, zum Ausdruck kommt, bedeutend steigern.
2) Neuattische Reliefs S. 136 ff.
3) Besonders Hellenistische Brunnenreliefs Anmerk. 95.
68 Hans Dragendörff:
scher Kunstweise näher zu stehen, als der realistischen alexandrini-
sehen, üeber die Vorlagen der Cauipanarcliefs wird man genauer
erst urtheilen können^ wenn H. v. Rohdens vollständige Samm-
lung des Materiales vorliegen wird. Soviel aber, meine ich, lässt
sich jetzt schon erkennen, dass wie ihre Fabrikation sich auf längere
Zeit erstreckt, so auch die Vorbilder, die sie benutzen, verschie-
denen Kunstrichtungen angehören.
Gerade auf den arretinischen Vasen und dei\jenigen Campanareliefs,
die mit ihnen zusammenhängen, kann ich von spezifisch alexandrini-
scher Geschmacksrichtung, wie Schreiber sie charakterisirt^), nichts
finden. Vergebens suchen wir hier jenen Hang zum Idyllischen,
jene Vorliebe für Scenen aus dem Leben, wie sie so ausgespro-
chen in den von Schreiber gesammelten Reliefbildern entgegen-
tritt, vollständig fehlt jener Sinn für malerische Gruppierung der
Figuren in der Landschaft, vollständig der Hang zu minutiösem
Realismus in der Ausführung des Kleinsten. In gleichmässiger Reihe
werden die Figuren aneinandergefügt. Die Andeutung des Lokals
beschränkt sich auf das Noth wendigste; gegenüber dem Realismus
der Alexandriner finden wir hier, namentlich in der Behandlung des
dekorativen Beiwerkes, einen gewissen Conventionellen Zug. Das
Beiwerk ist auf das Aeusserste beschränkt. Während bei den ale-
xandrinischen Reliefs alle Kränze, Blumen, Zweige sich nahezu bo-
tanisch bestimmen lassen, beschränken sich die Künstler der klein-
asiatischen Richtung auf die einfache Andeutung, dass Kränze, Guir-
landen u. s. w. vorhanden sind. Ein hervoretechender Zug alexandri-
nischer Kunstwerke ist femer die dekorative Zusammenhäufung von
„Stillleben", wie sie das Wiener Löwenrelief zeigt, wie auch die Silber-
vasen ans Herculaneum und Bemay, auf denen zwischen den Ken-
tauren Masken und allerhand Geräth aufgestellt sind. Nichts davon
findet sich auf unseren Vasen. Und endlich: welch' eine Menge
neuer, frisch erfundener Typen begegnet uwr auf den alexandrinischen
Kunstwerken. Dagegen sehen wir, dass die Kleinasiaten in alten
und zum Theil ausgetretenen Bahnen weiterwandeln. Sie erfinden
nichts neues, sondern kopiren berühmte Kunstwerke. Ein gewisser
klassizistischer Zug geht durch ihre Schöpfungen, auch in der An-
ordnung und Ausführung der Reliefs. Solche Richtung scheint
Alexandria fremd gewesen zu sein und weist vielmehr nach
1) Vgl. jetzt auch Alexandrinische Toreutik S. 145 ff.
Terra sigillata. 69
PergamoD. Die grossen pcrgamenischen Reliefs setzen gegenüber
den ^malerischen^ alexandrinischen die alte attische Reliefteehnik fort;
diC; auf Andeatnng des Lokals nnd auf alles Beiwerk verzichtend,
ihre Figuren schlicht aneinanderreiht, ohne zwischen Vorder- und
Hintergrund zu scheiden.
Ich sehe keinen Grund zu der Annahme, dass diese klein-
asiatische Stilrichtung etwa auf dem Umwege über Alexandria nach
Italien gelangt sei. In den ersten Kapiteln dieser Arbeit glaube ich
gezeigt zu haben, wie stark im Anfang des II. vorchristlichen Jahr-
hunderts das italische Handwerk unter dem Einflüsse des klein-
asiatischen steht, wie es für seine Bedürfnisse auf diesem Gebiete
die gleichen Quellen bat, wie Süd-Russland, das ja — abgesehen
von der Episode der attischen Vorherrschaft — auf künstlerischem
Gebiete stets von Kleinasien abhängig blieb. Sollten wir nun an-
nehmen, dass dieser Einfluss gerade in dem Momente aufhört, in welchem
Italien in direkte politische Beziehungen zum Osten tritt, in dem Perga-
mon ein Theil des römischen Reiches wird und in Rom die litte-
rarischen Studien sich unter pergaraenischem Einflüsse entwickeln ?
Es scheint mir vielmehr in hohem Grade wahrscheinlich, dass die
Mustersammlung, die Perennius, den nenattischen Künstlern von
Hauser 's „zweiter Klasse" und den mit ihnen zusammenhängenden
Verfertigem von Campanareliefs vorlag, sich an kleinasiatische
Toreutik anschloss. Dies Resultat wird noch grössere Wahrschein-
lichkeit erhalten, wenn es unten gelingen sollte, arretinische Vasen
nachzuweisen, die sicher alexandrinischer Kunstrichtung angehören,
von den eben behandelten sich dagegen scharf sondern. Nicht un-
erwähnt will ich hier lassen, dass auch die Namen der besten
Sklaven des Perennius, die sich besonders häufig auf den schönen
dekorirten Gcfässen finden, auf einen Zusammenhang mit dem Osten
weisen, z. B. Bargatus, Bithynius, Pharnaces, Tigranius.
Ausser den bisher aufgezählten Typen finden sich noch folgende
andere auf Gcfässen des Perennius, die der ganzen Anordnung nach
der I. Klasse angehören, deren direkte Zugehörigkeit zu dem eben
behandelten Kreise von Vorlagen sich aber vorläufig nicht nach-
weisen lässt.
e. Nike, den Stier opfernd.
Fragment in Berlin. Taf. IV 9. Nike kniet in dem bekann-
ten Schema auf dem zusammengebrochenen Stier, dem sie die Kehle
70 Hans Dragendorff:
durchsehneidet. Der Oberkörper ist nackt, der Unterkörper mit
einem Gewand umhüllt. Es ist die hellenistische Umbildung des im
^Y. Jahrhundert erfundenen Typus, den Petersen an der Nikeba-
lustrade nachgewiesen hat*, in späterer Zeit ist diese Figur sehr
gebräuchlich, kommt namentlich auf Campanareliefs oft vor, hier
nicht selten ganz ornamental verwendet und in Banken auslaufend.
Vgl. J. H. St. VII p. 275 (C. Smith).
f. Musen.
Atti d. L. a. a. 0, Taf. II 2 p. 91, Gruppe XI i).
Diese Musen sind einem Cyclus entnommen, in dem sie mit
Herakles vereinigt waren. Besonderes Interesse haben sie dadurch,
dass ihnen gegen die Gewohnheit der arretiuischen Reliefs Namen
beigeschrieben sind und zwar in griechischer Sprache*). Folgende
Typen sind erhalten:
1) KAHQ ganz in ihr Gewand gehüllt.
2) €YT€PnH mit Lyra und Plektron.
3) Muse mit dem offenen Diptychon in der Hand. Der Name ist
nicht erhalten.
4) OAAHA ohne Attribut, in den Mantel gehüllt.
5) TePVHKOPH mit einer Schriftrolle in der Hand.
6) KAAHOTTH mit dem Pedum. Diese ist schon oben erwähnt, da
sie sich einmal mit Satyrn zusammen findet. Taf. IV 4.
7) M€ATTOM€NH auf einem arretinischen Fragment, das in Pe-
rugia gefunden ist 3).
8)'HPAKAHCM0CC0N lorbeerbekränzt in Chiton, auf seine
Keule gestützt.
Diese Musen haben keinen Zusammenhang mit den Musenstatuen,
die Fulvius Nobilior 187 v. Chr. aus Ambrakia raubte und in Rom
dem Hercules Musarura weihte. Diese zeigen bekanntlich die Münzen
des Pomponius Musa. Der Hercules ist hier ganz anders gebildet ; er
schreitet Icierspielend vorwärts. Auch die Musen zeigen nicht mehr Ver-
wandtschaft, als bei Werken ungeföhr der gleichen Zeit natürlich ist.
1) Bie, Musen S. 43 f.
2) Ich kenne nur noch ein Beispiel einer Namensbeischrift auf arretini-
schen Gefässen. Auf einer mit Tigranes Perenni signirten Vase steht neben
einem Krieger, der die Lanze schwingt HECTOR. Atti d. L. III 11. 453.
3) B. d. J. 1884. p. 50.
Terra sigillata. 71
Mit der als Eaterpe bezeichneten Figur ist die ambrakiscbe Muse II
bei Bie zu vergleichen; der Muse mit dem Diptychon (3) ist ähnlich
die erste Muse von links auf dem Sarkophagrelief A. d. J. 1871 Taf.
D E b.
Durch die Beischriften wird wieder bewiesen, dass die arre-
tinischen Töpfereien nach griechischen Vorlagen arbeiten. AuflFallend ^
ist die Orthographie: für I ist immer H geschrieben. Es wurden
also beide Buchstaben gleich ausgesprochen. Das geschah in jener
Zeit (imil.— I. vorchristlichen Jahrhundert) nach Blass (Aussprache
S. 30) nur in Boeotien. Es war also entweder der Sklave des
PerenniuS; der das Gei^s fertigte, ein Boeoter (was nicht wahr-
scheinlich ist, da die Beischriften wohl zu den Typen gehörten,
nicht Zuthat des Töpfers waren) oder die künstlerische Vorlage
stammte aus Boeotien, und wir werden hierdurch daran erinnert,
dass wir oben bereits ein Centrum für Fabrikation von Reliefvasen,
die direkt von toreutischen Arbeiten abhängig waren, in Boeotien
constatiren konnten. Es scheint in jener Zeit die Toreutik dort in
Blüthe gestanden zu haben. Von Theben stammt der Erzgiesser
Myron, der im II. Jahrhundert in Pcrgamon thätig war. Auf ihn
geht die Figur der trunkenen alten Frau zurück, die in mehreren
Repliken auf uns gekommen ist^) und wenigstens erwähnt mag
in diesem Zusammenhange werden, dass die reliefgeschmückte
Kanne, die sie in der Hand hält, in der Form ganz mit der home-
rischen Kanne des Dionysios, also auch eines Boeoters, übereinstimmt.
g. Nereiden mit den Waffen des Achill.
Atti d. L. a. a, 0. Gruppe VIII. Taf. II 1 p. 90. Funghini no. 39.
a. Nereide auf einem Seepferd, mit dem Helm in der Hand.
b. Jugendlicher Triton, auf seine Lanze gelehnt, auf einem Delphin.
c. Seopferd mit Nereide.
d. Nereide auf einem Seepferd, trägt Beinschienen herbei.
e. Nereide auf einem Scepferd^ reitend, mit dem Schwert,
Die Typen erinnern an Sarkophagreliefs. Eine eingehende
Bearbeitung des Seethiasos steht bevor, bei der auch diese Figuren
ihre Besprechung finden werden.
1) Vgl. Ephem. arch. 1891 p. 143 (Weisshäuptl).
72 Hans Dragendorff:
h. Scenen beim Symposion, meist erotischen
Charakters.
Atti d. L. a. a. 0. Taf. III 2, 4, 5 p. 88. Gruppe VI.
Die Gruppen 1 — 7 zeigen je einen Jüngling und eine Hetäre,
die hinter oder neben einander auf der Kline gelagert sind.
1) Die Hetäre hält eine Leier in der L., der Jüngling ein Salbgefäss.
2) Das Mädchen stützt die Leier mit der R. gegen das Knie, in der
L. hält sie einen Kranz. Sie blickt sich nach dem Jüngling um, der sie
umarmt. Berlin, Taf. IV 11; unvollständiger, aber das Mädchen deutlicher
Atti d. L. a. a. 0. Taf. III 5. Eine männliche Herme, die in einen natu-
ralistisch gebildeten Fels eingelassen ist, trennt diese Gruppe von der
nächsten. An dem Exemplar in Arezzo bildet eine Weinguirlande, nicht
unähnüch denen an den sidonischen Sarkophagen, den Schmuck des obe-
ren Randes.
3) Das Mädchen hat sich nach dem Jüngling umgewendet, fasst ihn
liebkosend an's Kinn. Er zieht sie au sich, indem er ihren Nacken um-
schlingt und sie am Ann fasst. Dresden, Taf. IV 10.
4) Das Mädchen sitzt, scheinbar mit einem Salbgefäss (?) beschäftigt,
das sie in den Händen hält, kühl abgewendet vom Jüngling. Dieser be-
rührt mit der ausgestreckten Hand ihren Kopf. Attid. L. a.a.O. Taf. III 4.
5) Jüngling und Mädchen sich küssend; dabei steht ein nackter
Amor.
6) Nacktes liegendes Mädchen auf den 1. Arm gestützt, den'^Kopf
auf die Hand gelegt. Berlin.
7) Jüngling und Mädchen auf der Kline, der Jüngling ist mit über
den Kopf gelegtem r. Arm eingeschlafen. Funghini Nr. 28.
8) Erotisches Symplegma. Atti d. L. a. a. 0. Taf. III 2, ähnliches Frag-
ment in Dresden.
9) Sitzende Leierspielcrin.
10) Sitzende Kitharistria mit nacktem Oberkörper. Hinter ihr steht
ein nackter Jüngling, gleichfalls mit der Leier.
11) Halbnackter alter Flötenbläser, vor ihm ein nacktes ;Mädchen
mit Doppelfiöten.
12) Derselbe Flötenspieler. Neben ihm liegt auf der Kline ein
Mädchen, die L. auf die Leier gestützt.
Aehnliche Symposien-Scenen kommen auch auf den neuattischen
Reliefs der IL Klasse vor, wenn auch nicht ganz entsprechend
(Haus er a. a. 0. S. 94, 14; 111). Der Typus 8 findet sieh genau
entsprechend auf dem Fragment einer grüngelb glasirten Schale aus
Kleinasien im Louvre (Nr. 793), ein Hinweis auf die Heimat der
toreutischen Vorbilder.
Terra sigillata. 73
1. Jagdsceneu.
Atti d. L. a, a. 0. Taf, II 3 Gruppe X p. 90 und mehrere Fragmente in
Dresden und Berlin.
Folgende Elemente lassen sich als zugehörig nachweisen:
Ein Jüngling ist lilckwärts unter einem Baume ; niederge-
sunken. Mit Hand und Fuss sucht er einen Bären abzuwehren, der
sich auf ihn geworfen hat. Dem Genossen zu Hülfe eilt ein in
Kückenansicht dargestellter musculöser Mann mit hoch geschwun-
genem Beil. Die Chlamys ist ihm bei dem heftigen Angriff von
der Schulter geglitten und liegt über dem 1. Arm (2). Auf dem-
selben Fragment findet sich noch ein Mann (3) im Chiton, der mit
dem Speer einen von 1. herankommenden Eber angreift. Die Fi-
guren 1 — 3 sind vereinigt auf dem Fragment Atti d. L. a. a. 0.
Taf. II 3. Weitere Fragmente zeigen einen nackten laufenden
Jäger (4), der seinen Hund gegen ein Wild hetzt (Taf. IV 15) und
einen weit aussehreitenden Mann (5), nackt bis auf die nachflattemde
Chlamys. Er schwingt mit beiden Händen die Axt, vermuthlich
gegen ein besonders gefahrliches Kaubthier, das ihn oder einen seiner
Genossen bedroht (Taf. IV 13. 14) (5). Endlich hat sich ein Reiter (6)
erhalten (Taf. IV 16), in kurzem Chiton und Chlamys, der Kopf fehlt.
Er sprengt auf dem mit einem Fell gesattelten Pferde nach rechts
und führt mit der Lanze einen Stoss nach unten. Vor ihm ist noch
der Arm eines Liegenden erhalten. Hinter dem Ross der Rest eines
Raubthieres : der Reiter eilt also seinem zu Boden geworfenen Jagd-
genossen zu Hilfe. Der Reiter gleicht in seiner Haltung und Kleidung
sehr dem des messenischen Reliefs im Louvre^), das Loeschcke
auf Alexanders Rettung durch Krateros gedeutet hat. Auch die
Situation erinnert bis zu einem gewissen Grade an dasselbe, beide
sind eben abhängig von den Schöpfungen der lysippischen Schule.
In etwas anderer Brechung begegnen uns die Jagdmotive auf einem
arretinischen Gefilsse, das auf dem Esquilin gefunden ist *). Statuen
des Apoll und der Artemis trennen hier dekorativ die einzelnen
Gruppen.
Während die bisher betrachteten Kompositionen in fast oiiia-
mentaler Gleichförmigkeit einzelne Figuren au einander reihten, be-
gegnen wir bei den Jagdscenen einer lebensvollen Gruppirung präch-
1) Arch. Jahrb. III Taf. VII S. 189 ff. (Loeschcke).
2) Bull, communale I p. 308.
74 Hans Dragendorff:
tiger Gestalten, die schon an sich auf eine gute Vorlage zurück-
weisen. Dass ein berühmtes toreutisches Vorbild benutzt ist, zeigt
ein von Kluegmann publiziertes versilbertes Thongefass ^). Hier
kehren wieder der Jüngling, der unter dem Bär liegt, und der
Jäger, welcher den Hund hetzt. Getrennt sind sie durch Artemis
und Athena, beide lebhaft bewegt. In der Ausfühining steht dies
Gefäss aber hinter den arretinischen weit zurück und die Anordnung
der Typen ist gedankenlos; denn wie man auch die Darstellung
abtheilen mag, immer laufen entweder Athena oder der Jüngling mit
dem Hunde fort, statt dem Gefährten zu Hülfe zu eilen. Die Ausflihning
der versilberten Schale wird nicht früher als in das IL Jahrhundert
zu setzen sein, da das Gefäss innen glasirt ist. Die Frage, ob man
nicht das vorauszusetzende berühmte toreutische Original in den
mit Jagdscenen verzierten Bechern des Akragas suchen darf, muss
wenigstens aufgeworfen werden*).
1) A. d. J. 1871 Taf. Q. p. 195 ff. Ueber die versilberten Tliongc-
fässe im Allgemeinen ist zu vergleichen Kluegmann A. d. J. 1871 p. 1 ff.
Taf. ABC, M. d. J. IX Taf. 26. Hinzu kommen jetzt 3 Teller, die bei
Orbetello gefunden sind, (Atti d. L. TV 1 p. 420) und sicher aus derselben
Fabrik stammen. Der eine Teller stimmt im lunenbilde genau mit dem
M. d. J. a. a. 0. no. 5 publizierten überein. Ferner eine Amphora aus
Orvieto, jetzt in Berlin (Arch. Anz. 1893 S. 93 no. 11. Dort werden noch
weitere Repliken aufgezählt, darunter auch eine vergoldete. Vgl. auch
Furtwaengler Vasenkatalog 3896 ff.)
2) Plin. XXXIII 155. Akragas Zeit ergiebt sich wohl durch die Zu-
sammenstellung mit Boethos und seine Thätigkeit auf Rhodos. Was
neuerdings Theodor Reinach (Rev. arch. N. S. XXIV 1894 p. 170)
über Akragas scharfsinnig vermuthet hat, halte ich für verfehlt. Er
glaubt, dass ein Toreut Akragas nie existiert habe, sondern nur irrig er-
schlossen worden sei aus der Existenz von Schalen, bei denen als Em-
blem Münzen von Agrigent verwendet waren. Dass der Toreut Akragas
nur einmal In der Littcratur erwähnt wird, kann bei der lückenhaften
üeberlieferung kein Grund zur Verdächtigung sein. R. führt ferner an,
Akragas sei kein Personenname, giebt aber selbst zu, dass der Heros
eponymos der sizilischen Stadt Akragas hiess. War aber Akragas ein-
mal ein Heroenname, so konnte er auch jeder Zeit auf Menschen übertra-
gen werden. Vor allem ist aber zu beachten, dass bei den Gefässen, bei
denen sicher ein Münzabdruck zur Dekoration verwendet ist, dieser die ein-
zige Verzierung bildet, die als bequemer Ersatz für grössere Mcdaillon-
bilder gewählt wurde, wie sie die Calener Schalen tragen, und nicht etwa
eine selbständig der Torcutik entlehnte Dekorationsweise repräsentirt. Die
Werke des Akragas aber trugen Reliefschmuck, den man sich nur an
der Wandung angebracht denken kann*
Terra sigillata. 75
Was die Jagdbilder von den bisher behandelten Typen unter-
scheidety ist neben der einheitliehen Komposition die realistische
Ausfllhrung der Landschaft, die durch ziemlich naturgetreue Gras-
und Schilf büschel angedeutet wird. Auch das Terrain ist darge-
stellt, festes Land und Sumpf unterschieden, auf dem einen Frag-
ment sogar ein Versuch zu perspektivischer Dai'stellung gemacht.
Alles das mahnt an alexandrinische Reliefbilder, während die Ein-
heitlichkeit der Darstellung unsere Gefässe zu der I. Klasse der
Arretina zu stellen nöthigt, im Gegensatz zu der gleich zu be-
handehiden IL •
Zum Schluss will ich noch zwei kleine Fragmente hier an-
Bchliessen, die f&r*s erste vereinzelt stehen, aber ein gewisses gegen-
ständliches Interesse haben.
Taf. IV 20 sitzt eine verhtülte Gestalt, mit über den Kopf gezoge-
nem Mantel, das Haupt auf die linke Hand gestützt. Hinter ihr steht
ein nackter Jüngling, das Kinn auf die Hand gestützt, das r. Bein
ziemlich hoch aufgesetzt, ruhig beobachtend. Die Chlamys ist um
den 1. Arm geschlungen, ein Wehrgehenk zieht sich über die Schulter.
Man wird unwillkürlich an eine Darstellung des Iphigenienopfers
erinnert, wozu die Verhüllung der Figur trefflicl^. passen würde und
auch der ernste Ausdruck des Jünglings. Andererseits ist auch
an die Reliefs zu erinnern, auf denen sich Darstellungen bacchi-
scher Mysterien finden^).
Taf. IV 19 stellt offenbar den Raub der Proserpina dar. Er-
halten ist der Rand des Wagens, in dem ein kräftiger, bärtiger
Mann steht und eine vollbekleidete Frau gefasst hält, die sich heftig
sträubt und den 1. Arm mit dem Mantel hoch erhoben hat. Es ist
der gewöhnliche Typus, der namentlich oft auf Sarkophagen vor-
kommt *).
Der ersten Klasse gehört, wenn es wirklich, wie angegeben
wird, arretinisch ist, auch ein Fragment aus Taman in der Krim an.
Man sieht Orest, wie er über die schlafende Erinys wegsteigend
aus Delphi entkommt'). Auch diese Figur stimmt vollkommen mit
Sarkophagreliefs überein ^).
1) Bull, communale VIT Taf. III-V.
2) Auf den Sarkophagen II. Gattung I. Species I. Typus bei Förster
(Raub der Proserpina S. 157 ff.).
3) C. R. 1870 Taf. V 11.
4) Robert Sarkophagroliefs II Taf. LIVff. S. 166 ff.
76 Hans Dragendorff:
3. Die Vasen der II. Klasse.
Die Vorlagen, die dem Perennius zu Gebote standen, enthielten,
wie die in seiner Werkstatt gefertigten Vasen lehren, auch Stücke
mit rein omamentaler Dekoration. Durch diesen Mangel figürlichen
Schmuckes treten sie in deutlichen Gegensatz zu den bisher be-
sprochenen Vasen der I. Klasse. Hierhin sind die Gruppen XV und
XVII bei G a m u r r i n i zu zählen und einige Fragmente von Formen
aus Perennius' Fabrik, die ich der Freundlichkeit des Hm. G. Karo ver-
danke. Es treten hinzu die Gefasse des Cornelius*), der wie oben S. 49 f.
ausgeflihrt in späterer Zeit arbeitet als Perennius, und endlich die
grosse Menge der puteolanischen Scherben, von denen Proben auf
Taf. IV 22— VI 77 abgebildet sind. Ich fasse alle diese unter dem Na-
men der IL Klasse zusammen. Freilich können wir hier nicht .ein so
geschlossenes Musterbuch konstatiren, wie das mit Hülfe der um-
fassenden Vorarbeit Hauser's bei der I. Klasse möglich war. Immer-
hin aber wird Niemandem entgehen, dass die Geschmacksrichtung,
die sich in diesen Gelassen ausspricht, eine gleichartige ist, und im
Gegensatz steht zu der der I. Klasse. Bei flüchtiger Durchsicht
schon fällt die häufige Verwendung des Ornamentes gegenüber
den Figuren auf. Zwischen den Omamenten finden sich Figuren,
aber ganz ornamental, häufig in statuarischen Motiven, z. B. Taf.
V 34. 37. 38. 47. Wir sahen, dass die Figuren auf den Vasen der
I.Klasse auf einem Streifen angeordnet waren und alle gleiche Kopf höhe
hatten. In der II. Klasse werden Figuren ganz verschiedener Grösse
zusammengestellt. Der Raum ist mit Blättern, Kränzen, Mas-
ken, Bukranien, die durch Gnirlanden verbunden sind, ausgeftlllt.
Auf den Guirlanden sitzen Vögel, Amoretten laufen oder verfolgen
Schmetterlinge. Und wie anders sind die einzelnen Ornamente
stilisiert! Hier haben wir realistisch ausgeführte Blätter, Blüthen,
1) Gefasse des Cornelius sind z. B. Fabroni Taf. I. 6. Taf. VIII.
Inghirami, Mon. ctrusc. V Taf. I und bei Funghini nnter no. 2—42
abgebildet. Uebrigens ist F ii n g h i n i s Trennung der beiden Fabriken des
Cornelius und Perennius ganz unzuverlässig, Stücke wie 28, 32, 39 kenne
ich nur aus Perennius Fabrik, auf 28 und 23 ist sogar noch inFunghinis
Abbildung der Stempel dos Perennius zu erkennen, ebenso auf 31 der
des Tigranius, seines bekanntesten Arbeiters. Dagegen stammt 46, das
bei Funghini dem Perennius zugeschrieben wird, sicher von Cornelius;
es ist ein bei ihm sehr beliebter Typus, vgl. no. 25, Fabroni Taf. VIII.
Terra sigillata. 77
Früchte. Die Guirlanden sind ans wirklichen Blumen und Blättern
zusammengewunden, die sich botanisch bestimmen lassen; man be*
schränkt sich nicht auf die Andeutung eines Laubgewindes im all-
gemeinen; wie bei der I. Klasse. Die Ausführung der Ornamente
ist von grosser Feinheit. Sie hier einzeln aufzuführen ^ unterlasse
ich. Die Hauptsache lehrt ein Blick auf die beigegebenen Tafeln
besser als Worte es vermögen^ und um die Ornamente im einzelnen
kunstgeschichtlich zu verwerthen, fehlen noch die Vorarbeiten. Eine
genauere Bearbeitung der hellenistischen Ornamentik mit besonderer
Berücksichtigung der verachiedenen Stile ist eines der dringendsten
Bedürfnisse. Eingesetzt muss bei den pompejanischen Wanddekora-
tionen werden. Hier muss man scharf untersuchen, was wirklich
alexandriniseh; d. h. im Nillande neu erfunden und nach Italien
verpflanzt ist, was die Alexandriner schon aus der vor ihnen lie-
genden griechischen Kunst übeinommen und nur weiter entwickelt
haben, was sich etwa auf anderen, namentlich kleinasiatischen Ur-
sprung zurückführen lässt und erst auf italischem Boden mit den
alexandrinischen Elementen vermischt wurde. Damit hängt dann auch
die Frage zusammen, ob die Kunst, die von Alexandria nach Italien
gebracht wurde, hier selbständig weiter entwickelt ist, oder ob den
verschiedenen pompejanischen Stilen ebenso yiele alexandrinische
parallel gehen, der Stilwechsel in Pompeji also auf immer neuer
Anregung von Alexandria her beruht. Eis müssen umfassende
Sammlungen der Ornamente auf Wandmalereien, Keliefs, Gefässen
u. s. w. gemacht werden. Was einzelnen Kunstzweigen eigentbttm-
Hch ist, muss man herausheben und in seinen Umbildungen ver*
folgen.
Derartige Arbeiten sind aber um so mühsamer, als die Hand-
werker jener Zeit über eine sehr grosse Menge von Ornamenten
verfügten, die sie in der mannigfaltigsten und geschicktesten Weise
zusammen zu stellen verstanden, so dass immer wieder etwas schein-
bar Neues herauskam. Dies lässt sich gerade an den puteolanischen
Fragmenten besonders gut erkennen. Man findet hier keine zwei
Stücke, die gleich dekoriert sind. Bei genauerer Zergliederung der
Dekoration aber findet man überall dieselben constituirenden Elemente.
Die einzelnen Typen, die den Töpfern zu Gebote standen, waren sehr
klein. Jedes Dekorationselement bildet einen Stempel ftlr sich und
der Töpfer setzte diese Stempel, wie bewegliche Lettern, nach
eigenem Belieben zusammen. In dem Blattwerk, das die Gefässe
78 Hans Dragendorff:
umzieht, geben nirgends die Elemente, aus denen das Ornament ge-
bildet ist, in einander über, sondern es ist immer der Punkt
sichtbar, wo sie mechanisch neben einander gesetzt sind.
Die Muster der an-etinischen und puteolanischen Töpfer sind
im Wesentlichen die gleichen, wie die Wiederkehr dei*selben Orna-
mente und dekorativen Einzetfiguren in beiden Gruppen lehrt. So
haben wir auf Gefässen des Perennius in Arezzo tanzende Skelette
(G a m u r r i n i Gruppe XIII) : dieselbe Darstellung auf einem Frag-
ment aus Pnteoli im Mnsäe Guimet ^). Ebendort, auch aus Puteoli,
ein kleiner Eros, der auf dem Delphin reitet, wie ihn Gamurrini
a. a. 0. p. 94. 8, 9 aus Arezzo beschreibt. Die Figur bei Fa-
hr oni Taf. II 3 mit dem Stempel M * E REN I kehrt mit dem Stem-
pel A T T 1 0 V S 1 1 N A E V I auf einem Berliner Fragment aus Puteoli
wieder.
Könnte man schon wegen des Naturalismus der Ornamente
auf den Gedanken kommen, dass Alexandria die Vorbilder geliefert,
so lässt sich das durch einzelne figflrliche Typen, wie ich glaube,
beweisen. Es finden sich Männer mit grosser Hakennase, auf dem
Kopf eine Zipfelmütze. Ein Kopf dieser Art auf einer Scherbe
aus Puteoli ist abgebildet Taf. IV 22. Aehnliche Figuren kehren
wieder auf Campanareliefs, die sich durch ihre landschaftliche
Staffage mit Krokodilen u. s. w. als unzweifelhaft von alexan-
drinischen Vorbildern abhängig erweisen^. Ganz im Sinne alexan-
drinischer Karrikaturen^ist auch der Pan auf Taf. IV 23 auf-
gefaast, der in komischer Grazie, die linke Huid vorgestreckt,
die rechte auf die Brust gelegt, vorwärtsschreitet, und die musici-
renden Thiere auf zwei in Cypem gefundenen Beliefvasen, abge-
bildet CesDola, Salaminia S. 248, 272 und Cesnola, Gypem
Taf. XLI, 2.
Alexandrinische ReUefbilder glaubt man vor sich zu haben
bei einigen Fragmenten im Mus^e Guimet. Auf dem einen sieht
man einen knorrigen Baum mit naturalistisch ausgeführten Blättern,
an denen eine Ziege nagt. Hinter ihr steht als Httter ein kleiner
nackter Knabe, der in der rechten Hand einen Stab, in der linken
geschultert einen Zweig hält.
1) Bekannt ist das aus dem Puteoli benachbarten Kyme stammende
Stuckrelief mit tanzenden Skeletten. Vergl. Abh. d. Berl. Akad. 1830
Taf. IIL Treu, de osBium humanorum imaginibus p. 37.
2) Z. B. Campana, Op. in plast. Taf. CXV.
Terra sigillata. 79
Ein anderes Fragment ebendort zeigt perspectivisch einen von
Zinnen bekrönten Thurm, ans grossen Quadern erbaut.
Auch für das schönste Stück der puteolanischen Gefasse, die
Kentauren-Schale, die sich in mehreren Wiederholungen in Berlin
und im Musee Guimet findet, lässt sich eine alexandrinischc Vorlage
wahrscheinlich machen. Diese hat allerdings kaum Neues erfunden,
sondern sich eng an Werke des V. Jahrhunderts angeschlossen.
Die wilden Kämpfe zwischen Kentauren und Lapithen, wie sie jene
Zeit nicht müde geworden war zu schildern, treten in der hellenisti-
schen Periode bekanntlich zurück vor den Darstellungen der Ken-
tauren im dionysischen Thiasos und Bildern des idyllischen Fami-
lienlebens dieser Halbthiere, wie Zeuxis sie zuerst gewagt. Auf
dem puteolanischen Gefäss aber sind die Kentauren noch ganz die
wilden Gesellen, wie wir sie in Olympia, den Parthenon-Metopen und
im Fries von Phigalia sehen, die Feinde aller Ordnung und Sitte,
mit denen die Helden als Vertreter der Kultur zu kämpfen haben.
Fünf Kämpfergruppen 'finden sich:
1. Der Kentaur knickt unter der Last seines Gegners zusammen,
der ihn mit dem rechten Knie zu Boden drückt Mit der linken Hand packt
der Lapithe den Kentauren im Haar, mit der rechten holt er, das Schwert
über dem Kopf schwingend, zum Schlag aus. Vergl. Campana a. a, 0.
Taf. LXV. Abgeb. Taf. V 30. 31.
2. Die Gruppe ist der vorigen sehr ähnlich, nur streckt der Lapithe
das Schwert zurück und der Kentaur wird von vom von einem zweiten
Lapithen angegrififen. Abgeb. Taf. IV 27, V 30.
3. Der Kentaur ist in weitem Satz über einen am Boden liegenden
Verwundeten hinweggesprungen auf den vor ihm stehenden Lapithen los.
Dieser hat ihn ergriffen und würgt den Gegner, während die linke Hand,
des Kentauren nach dem Kopf seines Feindes greift. Hier scheint eine
Gruppe ähnlich der desPhigalia-Frieses Overbeck Plastik I Fig. 132, West. 8,
missverstandeu zu sein. Dort hat der Kentaur «den Lapithen ergriffen,
drückt seinen Kopf herab und beisst ihn thierisch in den Hals, während
der Lapith ihm das Schwert in die Brust stösst. Auf unserer Schale sind
die Rollen gleichsam vertauscht. Der Kopf des Lapithen neigt sich auf
den Nacken des Kentauren, dessen Kopf niedergedrückt wird. Aus dem
Arm des Lapithen, der den Todesstoss führte, ist hier, und zwar in nicht
verständUcher Haltung, der Arm des Kentauren geworden. Auch der
Sprung, bei dem der Kentaur mit den Hinterbeinen hoch ausschlägt, war
bei dem Vorbilde des Töpfers dem Fries viel ähnlicher. Der Töpfer hat
den Stempel falsch gestellt. Von dem urspi'ünglichen Terrain erkennt
man noch einen Rest unter den Füssen der beiden Ringenden. Taf. IV 28.
4. Der Kentaur wird von einem mit Schwert und Schild bewaffne-
80 HansDragendorff:
ten Lapithen angegriffen. Er ergreift dessen gehobenen rechten Arm
und schleudert mit der rechten einen Stein nach ihm. Abgeb. Taf. V 29.
5. Erhalten ist nur der Kopf des Kentauren und seine beideYi Arme,
die er zum Kopf erhoben hat. Abgeb. Taf. V 33.
Die Gruppe 1 kehrt fast ganz entsprechend mit einer 6. Gnippe
auf einem Silbergefässe in München ^) wieder und hier ist die landschaft-
liehe Staffage, der knorrige Baum und der überhängende Fels, ebenso
wie an dem Fragment Taf. V 30, ganz im Charakter der alexan-
drinischen Reliefbilder gehalten. Auch diese 6. Gruppe ist dem-
selben Vorbilderkreis entnommen, wie die anderen 5. Zu verglei-
chen ist damit die nur in Carrey's Zeichnung erhaltene Metope
des Parthenon, Michaelis III 11.^)
üeber die Herkunft einiger weiterer Typen, wie einer alten
Frau, die aufmerksam in eine Schale zu blicken scheint (abgeb.
Taf. IV 26, mehrfach aus Puteoli im Mus. Guimet) und die ver-
hüllte gebückte Gestalt, Taf. IV 24, aus einer bacchischen Mj^ste-
rienfeier, wie sie auf Campanareliefs öfters geschildert wird (a.a.O.
Taf. XLV), lässt sich Bestimmtes nicht vermuthen. Auch sie können
aber sehr gut aus alexandrinischem Kunstbereieh stammen. Die
Maske, die mit dem Rest einer Hand hinter dem Mysten erhalten
ist, gehörte einer Figur, die sich eine Maske vor das Gesicht hält,
wie sie in diesen Scenen häufig sind. Ein hockender Fan, der sich
die Maske vor's Gesicht hält, findet sich z. B. im Musee Guimet.
Alexandrinischen Geschmack verräth, wie Ornamente und
Figuren es thaten, endlich auch die ganze Compositionsweise.
Das felsige Terrain wird dargestellt, knorrige Bäume, Säulen mit
kleinen Götterbildern stehen zwischen den Figuren. Vor allen Din-
gen aber werden dem dekorativen Gesichtspunkte zu Liebe ver-
schiedenartige Gegenstände zusammengestellt, wie das oben S. 68 als
ein Charakteristikum der alexandrinischen Kunst hervorgehoben ist.
Zu vergleichen sind hierfür namentlich Taf. V 37, 46, 47, die
in schärfstem Gegensatze etwa zu der Tänzerinneuvase des Peren-
nius stehen. Haben wir dort ein strenges Festhalten an der durch
die Form des Gef ässes bedingten Einheitlichkeit des verzierten Rau-
mes, so wird hier der Raum nicht als etwas Einheitliches betrachtet,
sondern die Fläche in mannigfacher Weise ^Jurchbrochen. Es ist
1) Arneth, Gold- u. Silbermonumente d. k. k. Sammlungen S. 81
Taf. S. XI 1.
2) Ein Stück der Metope ist neuerdings von Malmberg nachge-
wiesen worden. Eph. arch. 1894 Taf. XL
TeiTa sigillata. 81
ein ähnlicher Vorgang, wie er sich etwa um dieselbe Zeit auch auf
den pompejanischen Wandmalereien vollzieht, wo die ältere archi-
tektonische Gliederung immer mehr durchbrochen, die Flächen immer
stärker aufgelöst werden und an Stelle der organischen Gliederung eine
phantastische tritt. Auch in der Stilisirung der Gnirlanden ist die
Entwickelung auf den Keliefvasen ähnlich wie in der Wandmalerei:
an Stelle streng stilisirter conventioneller Laubgewinde treten ganz
allmählig tippige, naturalistisch behandelte Fruchtgehänge.
Die figürlichen Typen treten, wie schon kurz bemerkt, auf
den Vasen der II. Classe sehr zurtlck. Einige möchte ich hier
noch anführen. Statuarische Vorbilder geben Taf. V 37, 38, 44,
47 wieder. 37 ist eine Kallipygos *). Auf 44 ist der Rest eines
ausruhenden Herakles erhalten, der sich auf einen Pfeiler lehnt.
Auf der gevmndenen Säule neben ihm steht eine kleine archai-
sirende „Spes". Herakles ist ttberhaupt mehrfach auf puteolani-
sehen Vasen zu erkennen. So findet sich auf Taf. V 39 neben
derselben „Spes" der kleine Herakles in dem bekannten Schema, wie
er die Schlangen würgt. Einen sitzenden bärtigen Herakles mit
der Keule im linken Arm zeigt Taf. V 40. Taf. V 41 erinnert in
der Bewegung an die Trierer Marmorfigur bei Hettner, Steindenk-
mäler in Trier 669, doch spricht die Haltung der r. Hand dafür, dass
die Figur einen leichten Gegenstand warf, etwa Nüsse*). Das Ge-
schlecht der Figur ist zweifelhaft.
Beliebt sind auch Mädchen, die Früchte und ähnliches tra-
gen, auf Taf. V 42 einen runden Korb auf beiden Händen, auf
Taf. V 46 einen Korb mit Fi-üchten auf der linken Hand. Das Mäd-
chen Taf. V 48 seh eint in der vorgestreckten linken Hand einen Kranz
von aufgereihten Feigen zu tragen. Diese Feigenkränze, wie sie
auch jetzt noch gebräuchlich sind, finden sich auch mehrfach oma-
mental verwendet, z. B. Taf. V 37, 46.
X. Die Terra sigillata-Industrie in den Provinzen.
Wir haben oben gesehen, wie sieh die arretinischen Töpfereien
entwickeln und ihre Produkte weit hin versenden, und wie neben
Arezzo noch andere Oiiie Italiens sich dieses Industriezweiges be-
mächtigen. Sehr zu bedauern ist es, dass genügendes Material fehlt,
1) Arch. Jahrb. II S. 125 (H e y d e m a n n).
2) Wie die Figur H e 1 b i g Führer I S. 586. Baumeister IT
S. 780.
Jahrb. d. Vor. v. Alterthsfr. im Rheiul. XCVI. $
82 HausDrageudorff:
um die Geschichte der italischen Terra sigillata-Fabrikation während
der Kaiserzeit zu verfolgen. Wir haben keine Fundberichte, son-
dern nichts als die Verzeichnisse von Stempeln in den Inschriften-
sammlungen. Für Griechenland und Kleinasien fehlen selbst diese.
Dass aber auch dort die rothen Gefässe im Gebrauche waren, zei-
gen neben den schon genannten arretinischen Stücken Scherben
der gewöhnlichen, jüngeren Sigillata im Bonner Kunstmuseum, die
Prof. Lo esc hcke gelegentlich in Athen, EleGsis, Rhamnus, Oropos,
Epidauros, Eretria, Arges, Delos, Troia aufgelesen hat, und ein
Fragment aus Alexandria, das Prof. Wie dem an n besitzt. Ausser-
dem hat Prof. Loeschcke ein Gefäss mit einem von ihm nicht
sicher gelesenen lateinischen Stempel im Museum von Dimitzana
(Arkadien) notirt und einen kleinen Teller ohne Stempel in Tschanak-
Kalessi (Dardanellen). In Olympia sind nach Für twaen gier (Olym-
pia IV S. 206) ebenfalls Scherben „arretinischer" Geisse gefunden.
Der einzige dort gefundene Stempel lautet nach Dr. Purgold's ge-
fälliger Mittheilung OCTSALVE. Ein paar kleine Näpfe aus Cy-
pern befinden sich im Museum von St. Germain. Endlich sollen
rothe Scherben, wie Dr. Boehlau freundlichst mittheilte, auch in
Pergamon ziemlich häufig vorkommen.
Bei dieser Sachlage können wir nur konstatiren, dass die
rothen Gefässe in der Kaiserzeit auch auf altgriechischem Boden
im Gebrauch waren und zwar, da die beiden einzigen mir bekann-
ten Stempel aus jenen Gegenden lateinisch sind, wohl aus Italien
importirt wurden.
Die folgende Untersuchung muss sich also fast ausschliess-
lich auf die in Gallien, Germanien und Britannien gefundenen
Vasen beschränken. Schnell waren diese Provinzen unter römischer
Herrschaft aufgeblüht, in kui-zer Zeit hatten sich zahlreiche italische
Ansiedler dort niedergelassen und waren unter dem Schutze der
römischen Macht dort heimisch geworden. Nach Möglichkeit strebte
man danach, sich in der neuen Heimatji behaglich einzurichten;
Händler brachten zunächst aus dem Süden das G^chirr, an das man
gewöhnt war, aber kein Wunder, dass man bald versuchte, dieses
an Ort und Stelle herzustellen, um den langen und für die zerbrech-
liche Waare gefährlichen Transport von Italien her zu ersparen. So
entstehen schon im I. nachchristlichen Jahrhundert z. B. in Gallien
eine Reihe von Töpfereien, die Terra sigillata-Gefässe fertigen und
in der Provinz vertreiben.
Terra sigillata. 83
Die litterarische Ueberlieferung weiss allerdings Nichts von
dieser Industrie. Die einzige Provinzial-Stadt , die unter den be-
rühmten Töpferstädten genannt wird, ist Sagunt^), und saguntiner
Vasen werden auch von Martial und Juvenal erwähnt*). Nirgends
aber werden sie genauer beschrieben. Auch die Aufdeckung anti-
ker Töpfereien in Sagunt hat die Frage nicht entschieden'). Denn
in ihnen sind Vasen verschiedener Art, darunter auch Terra sigillata,
gefunden, und es ist nicht zu bestimmen, welche von diesen mit der
von Plinius, Martial und Juvenal erwähnten Gattung zu identifi-
ziren ist.
Dass sehr viel Terra sigillata im südlichen Gallien, am Tarn
und in der Auvergne gefertigt wurde, haben die Funde bewiesen.
Töpfereien sind z. B. aufgedeckt in Arles *), Nimes ^), Montans (am
Tarn)^), ßanassac (Lozere)'), Lyon^), Clermont-Ferrand^), Chä-
telet^^), Lezoux (Auvergne) ^^), Bordeaux ^^), Paris ^3), Nancy").
Leider fehlen über diese wichtigen Ausgrabungen genauere
Berichte; wir können deshalb weder die Zeit der einzelnen Töpfe-
reien zuverlässig bestimmen, noch den Wohnsitz einzelner Töpfer.
Etwas ausführlicher ist einzig die Abhandlung von Plicquc
über die Töpfereien von Lezoux, der etwa 70 Werkstätten
mit 160 Oefen gefunden zu haben angibt. Aber auch sein Bericht
ist nur ein vorläufiger. Wichtig ist, dass sich der Beginn der dor-
tigen Industrie einigermassen datiren lässt. Es hat sich bei Lezoux
eine kleine isolirte, oflFenbar auf einmal angelegte Nekropole gefun-
1) PUn. H. N. XXXV 160.
2) Martial IV 46. VIII 6. XIV 108. Juven. V 29.
3) C. n Suppl. p, 1009.
4) Roach-Sraith, CoU. ant. VII p. 12 flF. Bulletin monumental XLI
p. 600. XLII p. 525.
5) Birch, Hlst. of anc. pott. p. 572.
6) Roach-Smith a. a* 0, Gazette Arch. 1877 p. 175 f.
7) Gaz. Arch. a. a. 0.
8) Birch a. a. 0.
9) Birch a. a. 0.
10) Caumont, Cours d'antiquitö II p. 211-
11) Brongniarti Trait6 des arts c<^ramiques I p. 444. A. E. Plicque,
£tade de ceramique arvern o-romaine, Cacn 1887.
12) Birch a. a. 0. Grivaud, Monuments Gauloises p. 138.
13) Grivaud a. a. 0.
14) Grivaud a. a. 0.
84 Hans Dragendor f f :
den, in der jede Aschenurne eine Münze Vespasians vom Jahre 76
enthielt. Die Gräber sind also nach 76 angelegt. Die Gefässe
nnn, die sich hier fanden, stimmen, vollkommen mit denen der unter-
sten Scherbenschicht bei den Töpferöfen überein. Danach wird
man mit Plicque schliesseU; dass die Töpfereien um das Jahr 76
zu arbeiten begonnen haben.
XL Terra sigillata-Gefässe des I. nachchristlichen
Jahrhunderts.
Das beste Material fQr das Studium der provinzialen Keramik
etwa bis zum Beginn der Flavierzeit bietet die frührömische Nekro-
pole von Andernach. Ihre sorgfältige Erforschung und Auf-
stellung im Bonner Provinzialmuseum ist das bleibende Verdienst
von Constantin Koenen. Sein genauer Bericht darüber findet
sich in den B. J. LXXXVI S. 148 ß. Auch seine Ausführungen
über Terra sigillata in der „Geßlsskunde der vorrömischen, römi-
schen und fränkischen Zeit in den Rheinlanden^ S. 87 ff. beruhen
in der Hauptsache auf den in Andernach gemachten Beobachtun-
gen^). Ausserdem kommen nur noch einige Grabfunde bei Xanten
in Betracht*) und die Scherben aus der ßrandschicht des Lagers
von Neuss, das im Jahre 70 n. Chr. zerstört wurde.
1. Terra sigillata italischer Art.
Die eigentlichen Sigillata-Gefllsse dieser Fundgruppen unterechei-
den sich in Form und Farbe nicht von den arretinischen und itali-
schen, und dass sie zum Theil aus Italien importirt sind, beweist das
Vorkommen gleicher Stempel auf Gef&ssen in Andernach und Xan-
ten einerseits, Italien andererseits. Hierhin gehören namentlich
die Stempel des Ateius^), Bassus^), Primus^), Xanthus^).
1) K 0 e n e n ' s Gefässkunde habe ich nur noch bei der Correctur
benutzen können. Mein Manuskript war vor Erscheinen derselben in den
Händen der Redaktion.
2) Houben u. Fiedler, Denkmäler v. Castra Vetera. Xanten 1839.
3) Z. B. C. X 8055, 4-9, 8056, 5, 46-52.
4) Atti d. L. IV 5. p. 188.
5) C. X 8066, 280 ff. C. V 8116. 97.
6) C. X 8056, 397.
Terra sigillata. 85
Die Hanptformen der Sigillata-Geßldse dieser Zeit habe ich
unter Nr. 15 — 30 zugammengestellt. Auffallend ist die Seltenheit
und Einförmigkeit der ornamentirten Vasen, nur 29 und 30*) pflegen
Reliefschmuck zu tragen.
Die arretinischen Formen fehlen unter den verzierten schon
ganz. Da die Formen 29 und 30 noch in den Limescastellen vor-
kommen, muss man schliessen, dass sie das ganze L nachchrist-
liche Jahrhundert im Gebrauch waren.
Die Dekoration wird später (Cap. XII 3 III) behandelt wer-
den; hier einige Bemerkungen zu den einzelnen Formen*).
Form 1 — 3. 15 — 17. Die alte schon in Arezzo gebräuch-
liche Tellerform kommt in Andernach und Xanten in mannigfach
variirten Gestalten vor, von denen ich nur einige skizzirt habe').
Auch in Pompeii ist sie nicht selten, wie mir Hermann
Schoene mittheilt. Aus den Limeskastellen kenne ich nur
ein Exemplar. Es ist auf der Saalburg gefunden und trägt den
Stempel B0LLV2FIC. Am Ende des I. nachchristlichen Jahrhun-
derts war die Form also im Verschwinden begriflfen. Die Grösse
wechselt. Es finden sich Stücke bis 0,40 m im Durchmesser, denen
der Stempel dann bisweilen 3 — 4 Mal eingedruckt ist. Ausser dem Stem-
pel trägt der Boden ofl auch den schraffirten Kreis wie Fig. 1 a*
An der Aussenseite des Randes befindet sich bisweilen ein kleines
Ornament, ähnlich dem an Form 25; es sieht wie das Rudiment
einer Henkels aus.
Form 18. Gefunden in Andernach mit einer Münze der Antonia
Augusta ^). In Este in Italien mit dem Stempel S E R R A E in einem
Grabe, dessen späteste Münze ein Augustus ist*). Die Form war
in denselben Töpfereien im Gebrauch, wie Form 1, da auf beiden
die gleichen Stempel vorkommen.
Aus der Form 18 entwickelt sich die spätere Hanptform des
1) B. J. LXXXVI Taf. VI 16, Taf. VII 18. Eine Form wie die von
Siebourg B. J. XCIV Taf. III hergesteUte kenne ich nicht und der Heraus-
geber ist jetzt selbst der Meinung, dass die Fragmente nicht zusammenge-
hören.
2) Die Stempel, die auf den einzelnen Formen vorkommen, sind im
Anhang I zusammengestellt.
3) Z. B. B. J. LXXXVI Taf. VII 37. 39. 41.
4) B. J. LXXXVI S.164 Taf. VII 43.
5) Atti d. L. IV 5, p. 74.
86 Hans Dragendorff:
Tellers 31. Der Rand steht etwas scbräg und ist leicht nach aussen
gerundet. Die Mitte des Bodens ist etwas erhoben. Bei den späte-
ren Exemplaren wird der Rand höher und steht schräger, der Theil
des Bodens vom Ansatz des Randes bis zum Fusse wird dadurch
kürzer, die Mitte des Bodens aber hoch herausgetrieben wie ein
Kegel. Ausser nach der Güte des Materials kann man schon hiemach
das relative Alter eines Stückes abschätzen.
Form 22 und 23, immer aus sehr gutem Material hergestellt,
scheinen auf das I. Jahrhundert beschränkt. In Arezzo waren sie
schon im Gebrauch *). Ein Stück mit dem Stempel L M V ist in
einem Grabe des I. Jahrhunderts gefunden 2). Die in Trier befind-
liehen Stücke sind ungestempelt.
Form 24 und 25. Gefunden in Castra Vetera mit Münzen
Caesars und Neros, gestempelt P R M V und 0 F P R ^ *). Andere
gute Exemplare befinden sich in den Museen von Köln, Trier, St.
Germain u. s. w. Die Form hält sich wohl bis ins II. Jahr-
hundert, da sie noch auf der Saalburg und in Heddemheim vor-
kommt. Der senkrechte Rand ist meist fein geriefelt. Bei einzel-
nen Exemplaren ist hier auch eine kleine Volute aufgesetzt (Form 25).
Form 26. Gefunden in Este in dem oben erwähnten Grabe
des I. Jahrhunderts, gestempelt mit einem kleinen Halbmond und
Stern*). Die frühe Zeit dieser Form bestätigen 2 Stücke des Köl-
ner Museums mit den Stempeln AT El und ^OIL, am sichersten
aber das Vorkommen in Bibracte*^). In Deutschland ist die Form selten,
was auch dafür spricht^ dass sie der älteren Gruppe angehört.
Form 27. Ob diese eigenthümliche Form schon in Arezzo
gebräuchlich war, weiss ich nicht. In Pompeii kommt sie jeden-
falls vor, und zwar auch in Glas^). Datirte Exemplare stammen
caus Xantener Gräbern mit Münzen des Augustus und des Domitian
vom Jahre 88'). Auch in der Andernacher Nekropole findet sich
die P^orm''). Die Näpfchen dieser Form haben stets die dunkle
1) Ich verdanke diese Auskunft v. Bissing.
2) Atti della societA di arch. di Torino IV p. 305. Taf. XXI 13 f.
3) Houben-Fiedler Taf. II 6. S. 45. Taf. XV 4.
4) Atti d. L. JV 5. p. 74.
5) Ein dort gefundenes Exemplar in St. Germain.
6) N i c c o 1 i n i , Gase e monumenti di Pompei, descrizione gene-
rale Taf. XLIII.
7) Houben-Fiedler Taf. XVIII 5.
8) B. J. LXXXyi Taf. VI 17.
Terra sigillata. 87
Glasnr der älteren Zeit; sodass man danach geneigt sein würde
sie sämmtlieh der früheren Periode zuzuschreiben, wenn sie nicht in
den Limescastellen sehr häufig wären. Sie waren also noch im II.
Jahrhundert im Gebranch. Nicht übersehen darf man dabei frei-
lich; dass diese Näpfchen ihrer geringen Grösse wegen weniger zer-
brechlich und leichter transportabel waren als z.B. die Teller, und
in Folge dessen mitunter lange im Gebrauch gewesen sein können.
2. BelgischeVasen.
a. Hellrothe Vasen.
Neben diesen aus Italien importirten Gefässen findet sich im
I. Jahrhundert in Gallien und Germanien auch noch eine andere
Gruppe rother Vasen, die sich von ihnen scharf unterscheidet. Die
Oberfläche ist hellroth und ohne den starken spiegelnden Glanz der
„echten" Sigillata. Diese Färbung beruht nach Hettner^) ledig-
lich auf feiner Glättung der Oberfläche, nicht auf einem Anstrich
oder einer Glasur. Zuerst hat diese Vasen von der dunklen itali-
schen Sigillata Constantin Koenen consequent unterschie-
den, der sie in seinem Bericht über die Andernacher Nekropole
„Orangeroth" nennt *).
Auch die Formen sind andere. Die Teller, abgeb. Taf. II
19. 20, sind schwerer, dickwandiger, weniger fein profilirt, der hohe
Fuss der italischen Teller ist durch einen ganz flachen Ringfuss
ersetzt. Der gleichartige Becher, Taf. II 28 (Varianten bei Koenen,
GefUsskunde Taf. XIII 3, 4), hat überhaupt keinen Fuss.
Während in echter Sigillata nur Teller und Näpfe verschie-
dener Grösse fabricirt worden sind, hat man in der hellrothen Tech-
nik auch grosse Becher und schlanke Urnen und zwar in durchaus
eigenartigen Formen (B.J.LXXXVI Taf. V 21, VI 4. 9. 10) und mit
charakteristischen Ornamenten hergestellt, die zugleich mit denen der
Terra nigi-a im folgenden Abschnitt besprochen werden. Die Gat-
tung findet sich in den ältesten römischen Gräbern der Ander-
nacher Nekropole, die etwa bis zum Jahre 60 n. Chr. reichen, femer
in der Nekropole von Morsbach, deren Fundstücke sich im Museum
von Metz befinden. In späterer Zeit kommen derartige Vasen nicht
mehr vor; immer aber finden sich mit ihnen zusammen GefUsse aus
Terra nigra.
1) Festschrift für 0 v o r b e c k. Leipzig 1893. S. 168.
2) B. J. LXXXVI S. 155.
88 Hans Dragendorff:
b. Terra nigra.
Unter Terra nigra -Gefässen verstehen wir streng genommen
Vasen aus einem feinen, hellen, bläulich-grauen Thon, dessen Ober-
fläche aufs sorgfältigste geglättet und mit einer schwarzen Politur
versehen ist. Die schwarze Färbung ist, ähnlich wie bei den etras-
kischen Buccherogefässen, durch Dämpfung in Rauchqualm und Ein-
reiben der Kohlenpartikelchen des Russes hervorgerufen, nicht durch
eine aufgestrichene Farbe. Von dem schwarzen Firniss, den wir so
häufig an den römischen Vasen des II. und III. Jahrhunderts finden,
ist sie ganz verschieden. Auch der Thon ist bei diesen ein völlig
anderer als bei der Ten-a nigra, dort rothgebrannt, hier hellgrau.
In weiterem Sinne aber müssen wir der Terra „nigra" auch die
grauen Vasen zuzählen, die mit ihr zusammen gefunden werden,
die gleichen Formen und Ornamente haben und sich von den schwarzen
nur dadurch unterscheiden, dass die Oberfläche die natürliche Farbe
des Thones zeigt, während jene künstlich gedunkelt worden sind. Be-
sonders deutlich wird dies durch die nicht seltenen Stücke, die nicht
vollständig geschwärzt wurden, sondern zum Theil grau gelassen sind.
Und dass auch die hellrothen Vasen von dieser Gruppe nicht zu
trennen sind, sondern mit den schwarzen und grauen eine Gattung
bilden, beweisen ausser den identischen Formen die gleichen Stempel,
die sich sowohl auf schwarzen als auf hellrothen Tellern und Näpfen
finden ^). Hellrothe und schwarze Vasen müssen also in denselben
Fabriken neben einander verfertigt sein. Diesen Schluss haben die
von Lehner gemachten Funde römischer Töpfereien in Trier be-
stätigt, wo neben grossen Massen von Terra nigra auch hellrothe
1) Z. B. C • I FW G A 3mal gestempelt auf grossem hellrothem Teller
in Andernach. C I R V G A auf einem schwarzen ebendort (B. J. LXXXVI
S. 155 und 160). — auf schwarzen und rothen Tellern (B. J.
VOCAR
ACVTI
LXXXVI S. 165, LXXXIX S. 55) ACV TO und auf schwar-
zen Tellern in Andernach (B. J. LXXXVI Taf V. 35 S. 164 and B. J. LXXXIX
S. 51) und in Trier (no. 3048), ACVTI OS auf hellrothem Teller in Speier.
DVRV DVRV
—77— TT— und - T/TTTT; ^^^ rothen Tellern in Andernach (B. J.
CVAVO CVAVO
DVRVC
LXXXVL 171). ;," ,^ auf schwarzem Teller in Trier.
7AVO
Terra ßigillata. 89
Scherben zum Vorschein gekommen sind. Für die liebeoBwürdige
Bereitwilligkeit; mit der es mir gestattet wurde^ diese Fände im
Provinzial-Mnseum in Trier zn stndiren, und überhaupt fllr die viel-
fache Unterstützung und Förderung meiner Arbeit^ die ich bei wieder-
holten Besuchen des Museums dort gefunden^ möchte ich den Herrn
Prof. Hettner und Dr. Lehn er auch hier meinen herzlichsten Dank
aussprechen.
Die ganze Vasenklasse weicht in ihren Formen von allem
Römischen stark ab. Besonders charakteristisch sind hohe schlanke
Urnen mit scharf umgebogenem, schräg stehendem Band und bauchi-
gere Urnen, bei denen der obere Theil der Wandung in einer scharfen
Kante eingezogen ist. Die sich in den Formen verrathende Nach-
ahmung von Metallgefässen wird noch augenfälliger durch die graue
und schwarze Färbung und die sorgfältige Glättung der Oberfläche.
Die Formen schliessen sich, wie Koenen zuerst ausgesprochen und
jetzt in der „Gefässkunde'' begründet hat, an die der späten La
TSnezeit an. Schon Lindenschmit hatte den Zusammenhang mit
der Yorrömischen Keramik bemerkt und nannte die Gefässe „romano-
germanische'^ Da sie aber mit germanischer Töpferei nichts zu
thun haben, hingegen in der keltischen La T6ne-Cultur wurzeln
und, wie wir sehen werden, in Gallia Narbonensis, ganz über-
wiegend aber in Gallia Belgica hergestellt worden sind, so schlage
ich als Gesammtname „belgische Vasen^ vor.
Geßtoe, die an die flaschenförmigen Urnen (z. B. B. J. LXXXYI
Taf. VI 5} und an die oben erwähnten bauchigen Urnen (B. J. a.
a. 0. Taf. VI 24, VII 35) erinnern, kommen schon in der vor-
römischen Nekropole von Nauheim vor, deren Funde sich im Frank-
furter Museum befinden *), ferner in den La Töne-Gräbern von Her-
meskeil») (Lehner Taf. III 1. 12, IV 11), endlich in Mühlbach, wo
Ziffer eine Münze von Nero gefunden ist, aber kein einziges römi-
sches Gefäss, und wo die den Todten mitgegebenen Schwerter be-
weisen, dass es sich nicht um Römer-, sondern um Barbarengräber
handelt'). Auch das Schwärzen der Gefässe ist bekanntlich eine
1) Kurzer Fundbericht Annal. d. Vereins f. NasHauische Altcrthums-
künde XIV S. 415.
2) Vgl. Lehn er, Jahresbericht der Gesellschaft für nützliche
Forschungen zu Trier von 1882—93. Trier 1894.
3) W. Z. IV S. 283 flF. Taf. 15-18. Vergleiche auch Much, Kunst-
histor. Atlas, herausgegeben v. d. k. k. Centralkommission I. Taf. 73 u. 93.
90 Hans Dragendorff:
in prähißtorischen Zeiten viel geabte Technik, für die wir uns
in der Zeit der Andemaeher Nekropole auf klasaiscbem Boden ver-
gebens nach einer Analogie nmsehen.
ünrömiscb, wie Form und Farbe, ist nan auch die Oma-
mentierung der Gef&sse. Sie ist nie in Relief ausgeführt und aus-
schliesslich linear. Die bei ihrer Ausführung gebrauchten Hand-
grifiFe sind verschieden. Am überaichtlichsten hat sie Hettner zu-
sammengestellt und erläutert in seinem ausgezeichneten Aufsatz über
römische Keramik in der Festschrift fftr 0 verbeck S. 170 f.
a) Mit einem scharfen Instrument ^sind Linien in den noch
weichen Thon geritzt. Je 2, 3 oder mehr Parallellinien sind zu
Gruppen verbunden, so dass man erkennt, dass ein mehrzinkiges
Werkzeug, ähnlich dem, das man zum Ziehen von Notenlinien ver-
wendet, bei ihrer Herstellung benutzt wurde. Diese Liniencomplexe
sind bald senkrecht neben einander gesetzt, bald kreuzen sie sich
netzförmig*).
b) Die Urnen sind mit schraffirten Bändern umgeben, die
mit einem umlaufenden Rädchen hergestellt sind^).
c) Die Streifen sind senkrecht oder schräg schraffirt oder
werden durch senkrechte Linien in kleine Vierecke zerlegt, die ab-
wechselnd von rechts nach links und von links nach rechts gestreift
sind, so dass eine Art Flechtmuster entsteht^).
d) In einen weniger geglätteten Streifen des Geßlsses, der in
Folge dessen sich in seiner Farbe von dem übrigen Gefässe abhebt,
sind mit einem glatten Holz- oder Hornstäbchen Linien eingeglättet,
die sich nur durch ihren Glanz von dem matten Untergrund ab-
heben*).
e) Die Gef&sse sind mit kleinen aufgeklebten Buckeln verziert,
eine Anlehnung an toreutische Vorbilder*). Diese Verzierungsarten
sind schon der vorrömischen Töpferei in unseren Gegenden geläufig^).
1) B. J. LXXXVI Taf. V 15. 36. Taf. VI 6. 9. Cleuziou Fig. 39.
Lindenschmit^ Alterthümer unserer heidnischen Vorzeit I 6. Taf. VI
1. 2. 4.
2) B. J. LXXXVI. Taf. V 19. 21, mit Münzen von Augustus bis
Nero. Cleuziou Fig. 60. 61.
3) Z. B. B. J. LXXXVI Taf. V 1 und 9.
4) Hettner a.a.O.S. 171. B.J. LXXXVI Taf. VII 14. 16. Cleuziou
Fig. 37. 38.
5) B. J. LXXXVI. Taf. VI 4.
6) Vgl. ausser I{ettner a. a. 0. auch Lehner a. a. O. S* XXIV.
Terra sigiilata. 91
ABdererseits »ind die Teller mit ihrem innen angebrachten
Wulst gewiss in Anlehnung an die römische Tellerform gemacht.
Die rothe Färbung einzelner Stücke erinnert an die Sigillata; wie
diese tragen die Näpfe und Teller häufig einen Stempel und letztere
auf dem Boden bisweilen auch den schraffirten Kreis. Wir haben
es also mit einer Thonindustrie zu thun, die direkt die voiTömisehe
fortsetzt^ aber stark beeinflusst ist von der italischen. In Andernach^
den frühsten Gräbern von Castra Vetera und den Gräbern von
Morsbach ^) sind die „belgischen" Vasen reichlich vertreten; auch im
Bonner Lagert und im Lager von Dalheim^) kommen sie vor. In Rott-
weil^ dessen Gründung wohl unter Vespasiau fällt, ist ein vereinzeltes
Stück eines Terra nigra-Tellers gefunden^). In England sind Terra
nigra-Teller selten^); in den Limescastellen fehlt die Gattung ganz-
Uch. Es spricht demnach nichts dafür^ dass die „belgischen" Vasen
länger als bis 60 n. Chr. hergestellt worden sind^
Eine andere Frage ist es aber, ob sich nicht einzelne an dieser
Gattung beobachtete technische Gewohnheiten und Fertigkeiten
noch länger in Uebung gehalten haben. Sicher ist dies der Fall —
und ich modificire damit^ was ich in meiner Dissertation p. 14 ge-
sagt — bei der Kunst ^ den Gefässen durch Dämpfung eine matt-
schwarze Färbung zu geben. Diese ist das ganze II. Jahrhundert
hindurch in Gebrauch geblieben und auch auf den „belgischen"
Vasen fremde Foimen, namentlich Trinkbecher, übertragen worden.
Daneben kam schon in der zweiten Hälfte des I. Jahrhunderts auch
diesseits der Alpen das Schwäi-zen durch einen glänzenden Fimiss-
überzug in Gebrauch. Beide Techniken gehen neben einander her
und werden an denselben Formen angewendet, so dass man jedes
Gefäss einzeln prüfen muss, ob Dämpfung oder Fimissüberzug vor-
hat. Der Firniss erhielt aber immer mehr die Oberhand über das
ältere Verfahren, genau wie zwei Jahrtausende früher die mykenische
Firnisstechnik die trojanische Technik verdrängt hatte. Denn die Vor-
züge der Firnissmalerei waren augenftlllig. Der schwarze Kohlettberzug
verträgt nur einen verhältnissmässig geringen Hitzegrad ; bei stärkerer
Gluth, wie sie zum Hartbrennen erforderlich, brennt die Kohle voll-
1) Münzen von Augustus, Agrippa und Vespasian.
2) Fragmente im Akad. Kunstmuseum.
3) Mon- bist, dans Luxembourg 1851/52 p. 121 ff.
4) Hoelder, Thongefässe von Rottweil. Stuttgart 1889 S. 8.
5) Smith, Coli. ant. vol. II p. 35,
92 Hans Dragendorff :
ständig zu Asche, verschwindet fttr das Auge, und der Thon
wird roth. Daher finden wir, dass der Thon aller Terra nigra- Vasen
schwach gebrannt ist und noch seine ursprüngliche hellgraue Farbe
behalten hat. Der Firniss dagegen hält einen weit stärkeren Hitze-
grad aus, daher sind die gefirnisstcn Becher härter, dünnwandiger
und zeigen im Bruch gerötheten Thon.
Ans diesen technischen Bedingungen erklärt es sich, dass z. B.
in Trier die schwarzen und die hellrothen GefÄsse in denselben
Töpfereien hergestellt wurden. Beide sind ja aus demselben Thon
hergestellt und die hellrothen nur schärfer gebrannt als die
grauen und schwarzen. Als Vermuthung möchte ich aber aus-
sprechen, dass die in der Asche an ihrer Oberfläche enthaltenen
Alealien dazu beigetragen haben, den hellrothen Vasen beim Brennen
jenen leichten sigillata-artigen Glanz zu geben, der diese Gefilsse
auszeichnet. Er ist wie eine ganz schwache Glasur und wir erinnern
uns, dass bei Herstellung der arretinischen Vasen im Wesentlichen
dasselbe Mittel, nur in weit stärkerem Maasse, angewandt wurde.
Wie die Färbung, so gehen auch einige der Dekorationsarten
weiter. Die Ritztechnik (a), das Einglätten der Linien (d) und die
Verzierung mit Buckeln (e) scheint mit den belgischen Vasen
aufzuhören. Dagegen findet sich die Rädchenverzierung (b) und das
Flechtband (c) auch später noch. Eratere ist häufig gerade auf den
älteren gefirnissten Bechern und kommt auf Sigillaten in den Limes-
castellen vor. Letztere taucht bei den letzten Ausläufern der Si-
gillata-Industrie wieder auf, wo sie schliesslich die einzige Dekora-
tion bildet und etwas modifizirt in die fränkische Keramik übergeht.
Vorläufig mag endlich erwähnt werden, dass sich auch die
Anfänge der Barbotine-Verzierung, über die unten (XII 3) genauer
gehandelt werden wird, auf den belgischen Vasen finden. Ich
habe sie unter die oben aufzählten Dekorationsweisen nicht auf-
genommen, weil sie auf La T^ne-GefUssen nicht vorkommt.
Es bleibt nun noch die Frage zu erledigen, inwief era der von
uns gebrauch te Name „ belgische" Vasen berechti gt ist. In Italien fehlen
sie ganz, in Britannien sind, wie oben erwähnt, ein paar Stücke ge-
funden'). Unter den spanischen Gefässstempeln findet sich ein einziger
(Q • AE)*) „in vasculo nigro". Ich vermuthe, dass dies ein schwarze«
1) C. VII 1336, 790.
2) C. II 4970, 11.
Terra sigillata. 93
arretinisches GefaBS ist, von denen uns ja der Stempel Q- AF
bekannt ist^). Die meisten stammen aus Gallien, besonders Gallia
Narbonensis') und dem Rheinlande. In Oesterreicb feblt die Gat-
tung wieder ganz'). Gallien und Rheinland sind also ihr Verbrei-
tungs- und damit wohl auch Fabrikationsgebiet. Das bestäti-
gen auch die Stempel. Diese sind zwar, soweit sie sich über-
haupt entziffern lassen, mit lateinischen Buchstaben geschrieben und
ergeben zum grossen Theil auch lateinische Namen. Daneben aber
kommen auch eine ganze Anzahl sicher unrömischer Namen vor,
z. B. SEVVO, VALLO, BVDBARVS (mit dem keltischen aspirirten
Dental) TORNOS, FARILOS (mit der keltischen Nominativendung
-08 statt -US). Nach Gallia Narbonensis ist viel arretinische und
italische Sigillata importirt, wie der Vergleich der Stempelliste
des XII. Corpusbandes mit italischen ergibt. Die Terra nigra-Teller
sind in ihren Formen, wie oben erwähnt, von diesen abhängig. Ein-
zelne Fabriken scheinen in ihrem Absatz ganz auf die Rhonegegend
beschränkt gewesen zu sein^). Man wird den Schluss ziehen, dasa
hier in Gallia Narbonensis, wo die römische Cultur so früh in
einem La TSne*6ebiet festen Fuss fasst, die Fabrikation schwai*zer
Teller begonnen habe. Dass aber hier das Hauptcentrum der
gallisch-römischen Thonindustrie überhaupt gewesen sei, bezweifle ich.
Die Fälle, wo wir wirklichen Import von schwarzer Waare aus
Gallia Narbonensis an den Rhein nachweisen können, sind sehr ver-
einzelt^). Die gallischen Töpfer haben die Eigenthümlichkeit, dass
sie fast ausnahmslos die Buchstaben ihres Stempels kreisförmig an-
ordnen. Das kommt nun auf in Germanien gefundenen Stücken
fast nie vor. Die in Gallien gefundenen Stempel zeigen fast immer
einen verständlichen Namen, die am Rhein gefundenen sind zu einem
grossen Theile unleserlich, und oft sind ganz augenscheinlich be-
liebige Striche und Bogen zu einer „Scheinschrift'' zusammen-
gestellt, die in äusserlicher Weise einen Stempel nachahmt. Wir
haben also zu schliessen, dass in der Zeit, aus der unsere Haupt-
1) A. d. J. 1880 p. 2^. Vergl. oben S. 40.
2) C. XII 5686 AI Im er, Inscriptions de Vienne IV p. 19 ff.
8) Nach einer Mittheilung Masners an Prof. Loeschcke.
4) Allmer, Inscr. de Vienne p. 20. C. XII 5686. 831.
6) Vgl. ATTALVS C. XII 5686, 95, ATTAi Andernach B. J.
LXXXIX S. 51. C. XII 5686. 594 und B. J. LXXXIX S. 54. C. XII 5686.
718 und B. J. LXXXIX S. 54.
94 jaans Dragendorff:
fände an „belgischen" Vasen stammen, es für unsere Gegend ein
anderes Fabrikationsecntrum dieser Gefössgattung gab. Wo dieses
lag, kann man meines Eraehtens genauer bestimmen. Das Maseum
von St. Germain besitzt in seinen reichen Sammlungen natürlich auch
eine Menge der „belgischen" Vasen. Soweit sich eine Provenienz-
angabe findet, stammen sie aber zum grössten Theile ans Deutsch-
land, Köln, Mainz (d. h. aus deutschem Kunsthandel), Zahlbach.
Daneben kommen als Fundstellen vor Bois Bernard (Pas de Calais),
Bethnne, Mortigny und Etaples (ebendort), Bavay (hart an der bel-
gischen Grenze), Bray-sur-Somme (am obem Lauf der Somme), Cheppe
und Auves (an der Marne), Compifegne, St. Denis, einige vereinzelte
Teller und Näpfe stammen aus Paris. Es ist also ein geographisch ganz
geschlossenes Gebiet. Man könnte das fllr Zufall halten. Ein anderer
Umstand aber weist uns in dieselbe Gegend. Es sind das die aus
willktlrlichen Zeichen zusammengestellten Stempel, die sich auf
schwarzen und rothen Tellern finden. Solche kenne ich nur vom
Rhein, der Mosel, aus Luxemburg, aus der Gegend von Namur*),
wo eine der Andemacher ähnliche Nekropole gefunden ist. In dieser
Gegend sind also die GefUsse zu Hause. Sucht man hier den Ort
noch genauer zu bestimmen, so wird man leicht dazu geführt, das
Land der Treverer als das Centmm zu betrachten, von wo aus das
übrige Gebiet mit Topfwaaren versorgt wurde. Dort wird ja be-
sonders früh römische Kultur heimisch und blüht das provinziale
Leben schnell auf. lieber Trier geht der alte natürliche Weg von
der Rhone an den Rhein; von Gallia Narbonensis aus war Trier
gegründet, in der Architektur und Sculptur sehen wir dort südgalliflche
Muster und Formen weiter leben'), es kann also nicht Wunder
nehmen, wenn anch auf dem Gebiet der Keramik hier die südgallische
Technik früh Fuss fasst. Von Trier aus kamen unsere Vasen mosel-
abwärts an den Rhein, moselaufwäii» nach Metz, Luxemburg und
weiter nach Frankreich hinein, die Maas herunter nach Namur und
nach Nordfrankreich. Dass diese Gegenden alle von demselben Orte
ihre Waaren bezogen, zeigen gleiche Stempel, die sowohl in der
Mosel- und Rheingegend, als auch in den westlich davon gelegenen
Landstrichen auf Terra nigra gefunden sind. Hierher gehören:
1) Annales de Namur IV p. 90.
2) B. J. XCV S. 261 (Loeschcke).
Terra sigillata. 95
ACVTO zweimal in Andernacb^), einmal in Trier*), ACVTIOS in
Speier auf einem hellrothen Teller,
OeANO j Andernach»);
ATT Ab Andernach*).
ATTALO Trier.
BEHLO Trier.
BE\ALO Köln*).
BOLLVS Morsbach nnd Compifegne*).
DVRV
Andernach (hellrothe Teller)').
1 Trier (schwarzer Teller).
CVAVO
DVRO
CVAVO
DVRVC
VAVO
INDVTIO Andernach»)
INDVHO Trier.
IVLIOS Andernach»),
IVLIoS Trier.
IVLIO [St. Germain].
LOSAF [Bonn, hellroth].
LOSSAFEC Trier.
OA22 02 Morsbach»»).
MEBDICF Andernach").
M E D I / Epinay - St. Beuve, Normandie ").
0 VIR VI Andernach»»).
1) B. J. LXXXVI. Taf. V 36. S. 164.
2) No. 3048.
3) B. J. LXXXIX. S. 61.
4) B. J. LXXXIX. S.^51.
6) L er seh, Centralmuseum I S. 63.
6) Musenm Metz and St. Germnin.
7) B. J. LXXXVI. 171 f.
8) B. J. LXXXIX. S. 68.
9) B. J. LXXXIX. S. 63.
10) Von mir in Metz notirt.
11) B. J. LXXXIX S. 54.
12) Cochet, Normandie souterraine p. 174.
13) B. J. LXXXVI S. 166.
96
Hans Dragendorff:
0W\ 1/11/
VIRVNI
TORNO
TORNOS
VOCARI
TORNOS
VOCAR
TORNO
TORNOS
VOCARA
VOCARA
VOCARAF
VOCATI
VOCARI
Trier.
Winniugen a./MoseP), Urne. Dies Stück beweist,
dass Urnen und Teller in denselben Fabriken
gemacht wurden.
Andernach *).
Trier.
Xanten^).
Köln^).
Paris s).
In Trier ist nun, wie schon oben erwähnt wurde, durch Lehner
eine Töpferei des I. Jahrhunderts aufgefunden, in der neben anderem
Geschirr auch schwarze, graue und hellrothe Teller gemacht wurden.
Endlich ist auf einem der in Trier gefundenen Teller der Stempel D V RO
erhalten, der doch gewiss mit r\/ k\/(\ ^^ Andernach zu verbinden
ist. Damit ist der Beweis erbracht, dass ein in Andernach gefundenes
Stück in Trier fabrizirt wurde. Wir werden nicht fehl gehen, wenn
wir das Ergebniss verallgemeinem und sagen: Stücke mit gleichen
Stempeln, die am Rhein und in Trier gefunden werden, sind in
Trier gemacht.
Ich fasse das Ergebniss der Untersuchung kurz zusammen.
Wir haben in den Gräbern des I. Jahrhunderts neben einander
italische TeiTa sigillata und ^belgische" Geisse. Erstere ist
wohl über Gallia Narbonensis an den «Rhein gekommen, da
1) Jetzt in Oiessen aus der Sammlung Arnoldi. Nach freundlicher
Mittheilung von Prof. Hettner.
2) B. J. LXXXIX S. 65. B. J. LXXXVI S. 165. B. J. LXXVII S 208.
3) Houben-Fiedler Taf. IV. 4.
4) L er 8 eh, Centralmus. I 63.
5) Von mir im Muh. Carnavalet notirt.
Terra sigillata. 97
sich manche der Stempel auch dort nachweisen lassen ^).
Die belgischen Vasen sind je nach der technischen Behandlung^
namentlich der Schärfe des Brandes^ grau, schwarz, hellroth. Sie
sind nach Technik und Form eine Fortsetzung der einheimischen
La T6ne-Keramik, die in Gallia Narbonensis Formen und Farbe
der römischen Sigillata nachzuahmen begann. Als Gallia Bei-
gica organisirt wurde, siedelten auch südgallische Töpfer in die
neue Provinz über und hier, namentlich in der Gegend von Trier,
seheint von der Zeit des Augustus bis zu den Flaviern die grosse
Menge der in Nordfrankreich und dem Rheinland gefundenen belgi-
schen Gefässe gemacht worden zu sein.
3. Gelbe Vasen mit rother Marmorirung.
An die Sigillaten der ersten Kaiserzeit schliesst sich durch
ihre Formen eine kleine Gruppe von Tellern und Näpfen aus rothem
Thon an, die mit einem gelben, lackartigen üeberzug versehen
sind, der mit Roth fein marmorirt ist. Die meisten dieser sel-
tenen Gefasse, 8 Stück, besitzt das Trierer Provinzial - Museum
aus einem Grabfund, der 1864 in Paulin gemacht wurde (luv.
105 ff.). Dieses Grab enthielt unter anderem auch 2 schöne zwei-
henkelige Bronzevasen, deren Henkel unten in Masken enden. Unter
den Gefassen sind 3 Teller feinster Art, der eine ähnlich Taf. 1 16,
die 2 anderen wie Taf. I 15. Alle 3 tragen den Stempel
BOLLV^FIC«).
ly^Tß. Basßus C. XII 5686, 121. Ateius C. XII 5686, 81 fF. Ge-
minus C. XII 5686, 383. Maccarius C. XII 5686, 509 if., Xanthus C. XII
6696. 962.
Aus Gallien sind nach Andernach auch die gallischen Schnallenfibcln
gekommen (D r e s s e 1 , B. J. XCV S. 81 flF.). Sie finden sich überall mit
den belgischen Vasen zusammen. So in Trier in einem Grabe (Inv.
875 ff.) mit hellrothem Teller und schwarzer Urne, bei F6camp in schwarzer
Urne (Co eh et, Normandie souterraine taf. V 48 p. 107). Es ist eine
spezifisch gallische Form, die in Italien fehlt. In Gallien war sie schon
vor der Römerzeit gebräuchlich, wie ihr Vorkommen in Bibracte beweist
(Daremberg-Saglio Dictionaire s. v. Fibula p. 2009). Andere Exem-
plare sind gefunden in Reims (C a y I u s , Receuil III Taf. 120. 1), ChÄtelet,
Bavay (Grivaud, Monum. antiques Taf. 30. 2), Reuen, Equiqueville, in
der Bourgognc (C o c h e t a. a. 0.), eines auch im südl. Britannien bei
Cambridge (Smith, Coli. ant. VII Taf. 21, p. 203 fF.). Vergl., wie ich bei
der Correktur hinzufüge, Westd. Korresp. Bl. XFV S. 25 (Schumacher).
2) H c 1 1 n e r a. a. O. S. 176.
Jahrb. d. Vor. v. Alterthsfr. im Bhcinl. XCVI. 7
96 Hans Dragendorff:
4 Näpfe haben die Form Taf. I 7, einer von ihnen den Stem-
pel PRIMI. Ein kleiner Napf (Taf. III 41) hat einen unleserlichen
Stempel. Ausser den Trierer Exemplaren waren bisher noch von
dieser Gattung bekannt: eine Schale mit steilem Rand, die sich in
Mannheim befindet (erwähnt bei H e 1 1 n e r a. a. 0.), und 2 Scher-
ben des Frankfurter Museums, die sehr ähnlich sind; davon stammt
die eine aus Heddernheim, wird also nicht vor der IL Hälfte des
I. Jahrhunderts gemacht sein. Dazu stimmt gut, dass der einzige
SigiUata-Teller alter Form, der sich auf der Saalburg gefunden hat,
desselben BoUus ^) Namen trägt.
Woher stammen diese Gefässe? In Lezoux unterscheidet
Plicque zwei Arten glasirter Thonwaare*). Die eine hat weissen
Thon und grüne, gelbe oder braune Glasur. Sie ist in Lezoux fabri-
zirt und trägt keine Töpferstempel. Diese Vasen stimmen genau
überein mit den auch im Rheinlande vorkommenden glasirten, auf
die wir später noch zurückkommen. Die zweite Gattung hat rothen
Thon, wie die hier besprochenen Trierer Vasen, mit rother, roth
und gelber und gelb und rother Glasur. Während die erste Gat-
tung ohne Stempel ist, hat die zweite Stempel, die Plicque leider
nicht angibt. Diese Vasen sind nicht in Lezoux fabrizirt, sondern
nach Plicque 's Vermuthung, der sich auf Angaben vonCir^s,
des Erforschers der Töpfereien in Gallia Narbonensis beruft, vermuth-
lich in Montans und Banassac, im südlichen Gallien. Diese Annahnie
lässt sich, glaube ich, zur grössten Wahrscheinlichkeit erheben.
In den römischen Töpfereien, die in Arles aufgedeckt sind,
haben sich neben vielen Terra sigillata-Gefkssen auch solche gefun-
den, zu deren Charasteristik angegeben wird: Terre jaune veinöe
de rouge. Auf diesen finden sich folgende Stempel: SIL VAN —
CELErOS — FELICEN.TE? — OFVTIALI (sie)»). Dass
diese Gattung in Süd-Gallien heimisch ist, zeigen die Funde. Wäh-
rend bei uns derartige Gefässe zu den grössten Seltenheiten ge-
1) Der Töpfer ist sicher derselbe, da auch bei dem Stempel von der
Saalburg das umgekehrte S sich findet.
2) Plicque, p. 18ff.
3) Bull, monumental XLI p. 600. Danach Smith, Coli. ant. VII
p. 13 f. Die Stücke sind sicher in den Arier Fabriken gefertigt. Der
Name Silvanus ist dort einer der häufigsten, auch der imverstttndlicho
Stempel FE L I CEN • TE kehrt auf Sigillata daselbst wieder. CELEROS
hat gallische Endung.
Terra sigillata. 99
hören, sah ich unter den Seherhen der Nekropole von Trion bei
Lyon, die ich im Mus^e Gnimet untersuchen konnte, eine ziemliche
Anzahl von Fragmenten solcher Vasen in verschiedener Foim*).
Ein Fragment war mit Barbotine verziert. Auch diese Nekropole
ist nach den Funden nicht vor die II. Hälfte des I. Jahrhunderts
zu datiren. Ebenso finden sich roth marmorirte Stücke unter den Scher-
ben von Vichy (AUier) in St. Germain, ebendort 2 Gefässe aus
Orange. Alle diese haben den rothen Thon der Sigillata-Gefösse, wie
die Trierer, im Gegensatz zu den mit ihnen zusammen gefundenen
weissthonigen mit grüner oder gelblicher Glasur.
Wir haben hier also wieder ein sicheres Beispiel dafür, dass
im ersten Jahrhundert feine Thonwaaren auf dem Handelswege von
Sttdfrankreich an die Mosel gebracht worden sind. Es lässt sich
aber noch ein wichtigeres Resultat diesen Vasen abgewinnen und
damit zugleich ihre Zeit genauer fixiren: genau entsprechende Vasen
sind sowohl in Sardinien und ünteritalien als auch in Pompeii ge-
funden und zwar stammen zwei von ihnen aus derselben Fabrik
wie das eine Näpfchen in Trier. Es sind folgende: 2 Gefässe des
Neapler Museums mit Stempel 0 F • P R I M I und 0 F • P R fM V ^// «) ;
2 ornamentirte Gefässe in Pompeii gefunden, gelb mit rother Mar-
morirung*); arretinum fulvum c. sig. Ä'VFI, in Neapel und in
Sassari gefunden*); VIVKFI? und RIC||TT? auf Stücken aus
Pompei»); APRIA auf einem Gefäss in Neapel ß); CASTYS-FE,
,vasculum gilvum cum venis rubris' in Cagliari gefunden'); eine
,piccolissima lagena a due manici con vernice gialla' gefunden in
Pompeii ®).
Daraus folgt, dass schon vor 79 n. Chr. die Töpferei in Süd-
Gallien so hoch entwickelt war, dass von dort Thonwaaren nach
Italien gebracht wurden. Man könnte den Einwand machen, dass
möglicher Weise die Technik in Italien erfunden sei und
1) Es kommen ausser den oben genannten noch die Formen Taf. II
18. 22. 27 in dieser Technik vor.
2) 0. X 8056. 283.
3) Mus. Borb. XII. t. 45. IX t. 44.
4) C. X 8056. 408.
5) C. X 8056. 624. 8055. 55.
6) C. X 8056. 41.
7) C. X 8056. 81.
8) Giornale degli scavi di Pompeii. N. S. II. Neapel 1870 p. 221.
100 Hans Dragendorff:
die Fabriken in Gallia Narbonensis sie vielleicht imitirt hätten, so
dass die Trierer Stücke aus Italien stammen könnten.
Dagegen, ist einzuwenden: die Trierer Gefässe sind alle in
demselben Grabe gefunden, daher wahrscheinlich auch gleichzeitig
und von demselben Lieferanten gekauft. Eines von ihnen trägt den
Namen PRIMI, stammt also aus derselben Fabrik wie die Pom-
peianischen Stücke. Ein anderes hat den Stempel B0LLV3FIC,
d. h. es ist, wie der unrömische Name lehii;, nicht in Italien ge-
macht, sondern in Gallien, wo sich der Name auch sonst nachweisen
lässt^). Daraus folgt, dass auct die in Italien gefundenen nicht in
Italien verfertigt sind. Der Name Castus, der auf dem einen Ge-
fäss aus Gagliari steht, ist in Arles gebräuchlich und findet sich
nicht weniger als 11 mal auf dortigen Sigillatcu. Ich möchte weiter
noch auf die eigenartige Schreibung F I C für F E C i t auf den Trierer
Gefässen aufmerksam machen. Dieselbe Form scheint nämlich ur-
sprünglich auch auf 2 Neapler Stempeln gestanden zu haben (AlVF-
und V I Vv F I , beide unleserlich, aber wohl aus derselben Fabrik),
wodurch abermals bekräftigt wird, dass die italischen und die
Trierer Stücke an einem Ort gemacht sind.
Wie man darauf gekommen ist, den Vasen diese eigenthüm-
liehe Färbung zu geben, weiss ich mit Sicherheit nicht zu sagen.
Vielleicht hat man versucht, bunte Glaswaare nachzuahmen, wie
sie in Pompeii und in Gallien sich häufig findet und ihrerseits Ge-
fässe aus kostbaren Steinen, Achat u. s. w. imitirt. Man könnte
daran erinnern, dass die Formen 7, 27, 28 auch bei Glas-
gefössen jener Zeit gebräuchlich sind und in Gallien die Glasindustrie
in Blüthe stände).
Dass bereits vor dem Jahre 79 n. Chr. Thongefasse von Gallien
nach Italien exportirt worden sind, ist ein Resultat, dessen Tragweite man
1) Zu vergleichen ist der Stempel, der sich auf Terra nigra, d. h.
B.O L L 0
wieder gallischem Fabrikat findet: in Trier, Inv. 5176 u. 3424.
Vgl. C. III 6010, 34. Auf einem hellrothen Napf, der in der früh-römischen
Nekropole von Morsbach gefunden ist, steht ebenfalls der Stempel BOLLVS»
Aus anderen Gründen halte ich diesen nicht Itir identisch mit unserem
Arier Töpfer, wohl aber kann er mit dem Fabrikanten der Terra nigra-
Vasen identisch sein.
2) Plin. N. H. XXXVI 194.
Terra sigillata. 101
leicht erfasst; es wirft ein helles Licht auf die immer wachsende
Bedeutung der Provinzen im wirthschaftlichen Leben des Römerreiches,
und von selbst drängt sich die Frage auf, ob nicht auch noch
andere in Pompeii gefundene Gegenstände aus Gallien stammen. Auf
diese Frage näher einzugehen ist hier nicht der Ort. Einen Punkt
nur möchte ich herausgreifen. In seinem Aufsatze über die Bronze-
eimer von Mehrum hat Furtwaengler bemerkt, dass ihre Form
keine griechisch-römische ist, sondern sich an die alten La Tgne-
Formen anschliesst. Diese Eimerform ist denn auch im Norden in
dieser Zeit die gebräuchlichere. Sie kommt aber auch in Pompeii
vor neben der eigentlich griechisch-römischen*). Wir haben also
in der II. Hälfte des I. Jahrhunderts Fabriken, welche Bronzeeimer
in der Form der nordisch-barbarischen fertigen und ihre Erzeugnisse
sowohl in Italien als jenseits der Alpen absetzen *). Der Schluss scheint
mir namentlich nach dem eben Ausgeführten naheliegend, dass diese
Fabriken in Gallien, nicht in Italien ihren Sitz hatten. Dass in
Gallien eine grosse Bronzeindustrie blühte, erfahren wir aus Caesar.
Auch in der Technik und der Stilisining der Oniamente an den
Eimern, namentlich der Köpfe, scheint mir manches zu liegen, was
schwer mit griechisch-italischer Kunstweise zu vereinigen ist. Es sind
griechische Ornamente, aber in eigenartiger barbarischer Stilisirung
(vgl. besonders die Sphinxe).
4. Ter ra sigillata-Schalen mit Tr in k sp r ü ch en.
In einem zweiten Falle scheint der Import einer Vase von
Südfrankreich nach ünteritalien noch sicherer. Es handelt sich um
die z. B. Mus. Borb. VII. 29 abgebildete Schale, die sich in Neapel
befindet und von den Herausgebern«) als in Pompeii gefunden be-
handeltVird. Die Fonn ist die der späteren oi-namentirtcn Sigillata-
Schalen (Taf. III 37). Der obere Rand ist wie bei diesen glatt.
Es' folgt ein Eierstab, dann 2 Omaraentstreifen. Im unteren sind
laufende Thiere dargestellt, im oberen mit grossen Buchstaben, die
von Blättern geschieden sind, anfgepresst BI-B-E'A-M-I'G-E-
1) Festschrift zum 50jRhr. Jubiläum des Vereins von Alterthums-
freunden im Rheinlande, Bonn 1891 S. 23 ff.
2) Dass unser Fund in diese Zeit zu setzen, beweisen ausserdem
auch die mit ihm gefundenen Sigillatateller bester Art, von denen der
eine den Stempel OFBASSI Co, der andere 0 F F • C A N I trägt.
Ersterer gehört nach den Formen seiner Gcfässe sicher dem 1. Jahrh. an.
3) So auch Overbeck, Pompeii S. 450.
102 Hans Dra gendor ff :
D • E vM • E • 0 ' Den Anfang des Spruches markirt ein bekränzter
Kopf, der vom unteren Streifen in den oberen hinttber reicht und
von einem Kranz umgeben ist.
Stammt dies Gefass in der That aus Pompeii, — und nach
dem im vorigen Abschnitt ausgeführten ist das nicht unwahr-
scheinlich — so steht es hier wie in Italien überhaupt ganz ver-
einzelt. In Menge aber finden sich gleichartige Geßlsse in Sttdfrankreich,
besonders in Ntmes, Orange^ Vieune, Montans und Banassac ^). An
letzteren Orten sind sie auch in den Töpfereien gefunden, also dort
gefertigt. Es ist wieder ein ganz geschlossenes Gebiet Gal-
liens, in dem sie gefunden werden und für dessen Gebrauch sie be-
stimmt waren. Das bestätigen in hübscher Weise die Inschriften,
in denen z. Th. Yolksstämme derselben Gegend genannt werden,
z. B. Gabalibus felicit(er), Remis feliciter, Lingonis (felici)ter, Sequa-
nis feliciter etc. Andere Inschriften sind dem Neapler Exemplare
ähnlicher, z. B. veni ad me amica, bonus puer, bona puella. In
derselben Weise wie bei dem Neapler werden auch hier die Buch-
staben durch Blätter oder andere Ornamente getrennt.
Die Sitte, Sprüche und dergl. auf das Geftlss zu schreiben,
wodurch dieses gleichsam redend auftritt, ist nicht italisch,
sondern griechisch. Zu vergleichen sind die Inschriften der atti-
schen Töpfer : KaX6c 6 iraTc, \axpe kqi irie und ähnliche*). Später ist
die Sitte in Gallien sehr gebräuchlich. Hierher gehören die bekann-
ten schwarzgefirnissten Becher mit weissen Ranken und Aufschriften
wie ave, vale, bibe, da merum u. s. w. ^), die besonders im Rhein-
lande so häufig sind und für die wir ebenfalls in Italien kein Analogon
haben. Ferner sind auch die Vasen zu vergleichen, deren Aussen-
seite mit einem Medaillonbilde vemert ist, das eine erklärende
Beischrift oder auch einen Wunsch oder eine Dedikation erhält^).
Auch diese sind zum Theil aus Terra sigillata. Sie sind in dem-
selben Gebiete heimisch, wie die mit Trinksprüchen veij&ierten;
1) Anatole de Barth61emy, Gaz. arch. III 1877 p. 172 ff.
2) Otto Jahn, Vasensamraluiig König Ludwigs S. CXI.
3) 0 1 1 o J a h n , B. J. XIII. S. 105 ff.
4) Gesammelt und erläutert von F r ö h n e r , Musee de France Taf.
XII ff. p. 52 ff. Nachträge von R o u 1 e z , Gaz. arch. 1877 p. 66 ff. Taf. XII
und H 6 r 0 n de Viliefosse, Gaz. arch. 1880 p. 178 ff. Hinzufügen kann
ich noch ein Stück im IJniversitätsmuseum in Genf, dessen Photographie
ich Professor Wiedemann verdanke. Dargestellt ist ein obscoenes Sym-
plegma mit der Beischrift Teneo te.
Terra sigillata. 103
die meisten sind in Orange gefunden. Der Zeit nach sind sie aber
wesentlich später, wie die geringere Ausführang und einzelne Dar-
stellungen zeigen. Auf einem Stück findet sich z. B. ein Bild des
Kaisers Geta.
XII. Terra sigillata der späteren Zeit.
(c. 70-250 n. Chr.)
Ein vollständig anderes Bild bieten die Funde vom Ende des
ersten Jahrhunderts und die aus dem zweiten. Fand sich in den
frtthrömischen Gräbern aus Italien importirte Sigillata und gallisch-
römische Waare, deren hellrothe Spielart als wenig geglückter Ver-
such Sigillata zu imitiren bezeichnet werden kann, so verschwindet
erstere jetzt so gut wie ganz, und an Stelle der ungeschickten
Nachahmung tritt eine provinzielle Fabrikation von Terra sigillata
mit vortrefflicher Technik und kttnstlerischer Selbstständigkeit.
Zur Erforschung der Sigillata des II. und III. Jahrhunderts
besitzen wir ein ziemlich reiches Material. Zunächst eine Reihe
gallischer Nekropolen. Es sind in erster Linie die von Juslen-
ville^) (Münzen von Vespasian bis Marc- Aurel), Waucennes^) (Nero bis
Marc Aurel), Flavion^) (Münzen von Claudius bis Commodus), Fi-
camp*) (Nero bis Faustina jun.), Neuville le PoUet^) (besonders Ha-
drian bis Commodus). Leider sind diese Nekropolen meist als ein ein-
heitliches Ganzes betrachtet worden, die einzelnen Gräber nicht ge-
trennt. Dazu kommen Funde aus der Villa von Houthem-St. Gcrlach^)
(Münzen von Traian bis Faustina diva), besonders aber die Funde
aus den Kastellen am germanischen Grenzwall und den zugehörigen
Civilniederlassungen. Einigermassen reichhaltig sind die Funde aus
den Kastellen im Taunus und am Main, über die auch eine Reihe
von Publikationen vorliegt, so namentlich Heddernheim, die Saal-
burg, Friedberg, Rückingen, Gross-Krotzenburg, Miltenberg, Kessel-
stadt Dazu kommt noch einiges aus Neuwied-Niederbieber, Oeh-
ringen, Zahlbach. Für die in Butzbach, Murrhardt und Unterböbingen
gefundenen Stempel konnte ich durch Prof. Hettners freundliche
1) Bull, de l'inst. arch. Lifegois IX p. 135 ff. p. 433 ff. X p. 73.
2) Annales de Namur XVI p. 363 ff.
3) Annales de Namur VII p. 1 ff.
4) Goch et, Normandie souterraine p. 97 ff.
5) ibid. p. 71 ff.
6) Pubiications de la soc. bist, et arch. de Luxembourg V p. 347 ff.
104 Hans Dragendorff:
Vermittelung die Korrekturbogen der Publikation der Reiehslimcs-
kommission eingehen "). Die Erbauung dieser Kastellinie wird ziem-
lich gleichzeitig erfolgt sein ; das liegt in der Natur der Sache. Unter-
gegangen sind sie sicher gleichzeitig.
Wo umfassendere Beobachtungen angestellt sind, gehen die
Münzfunde in diesen Kastellen nicht weit über die Mitte des III.
Jahrhunderts hinaus. Es ist kein Grund anzunehmen, dass nach
dem Verlust des rechtsrheinischen Obergermanien unter Kaiser
Gallien das römische Leben hier noch fortgedauert habe. Mit^dem
römischen Soldaten verlässt auch der Civilist diese Gegenden, das
Aufgeben der Grenzwehr bedingte auch das Aufgeben der in'ihrem
Schutze aufgeblühten Niederlassungen. Dies haben z. B. die Funde
in der Civilniederlassung der Saalburg bestätigt, die durchaus den
Kastell-Funden parallel gehen. An diesem Resultat ändert es nichts,
dass yereinzelte spätere Kaisermünzen sieh auch auf der irechten
Rheinseite finden. Römische Münzen finden sich ja auch in Gegenden,
wo nie ein Römer gewesen. Wohl aber kann man mit der That-
sache rechnen, dass keiner der Nachfolger des Gallien auf einer
rechtsrheinischen Inschrift vorkommt.
Wann der Grenzwall und die daran liegenden Kastelle gebaut
sind, wird die systematische Durchforschung der ganzen Anlage,
wie sie von Reichswegen in Angriff genommen ist, mit Sicherheit
lehren. Jedenfalls wird man die Erbauung nicht zu spät ansetzen
dürfen. Das scheinen mir schon jetzt die keramischen Funde zu
lehren, die sich mit denen aus den oben angeführten- belgischen
Nekropolen (c. 70 — 200 n. Chr.) vollständig decken. Nicht nur der
Formenschatz ist derselbe, es kehren auch eine Menge der Stempel,
die in den Kastellen sich finden, in den Nekropolen[[wieder. Münzen
der Flavier sind in den Limes-Kastellen häufig. Sollte aus histori-
schen Gründen die Anlage des Limes in die Flavierzeit gerückt
werden, so sehe ich von archäologischer Seite aus absolut nichts,
was einem solchen Ansätze widerspräche.
Ich stelle die Stempel, die sich in diese Zeit datiren lassen,
zusammen in Anhang II; sie können unter Umständen ein bequemes
Ilülfsmittel bieten für die Datirung eines Fundes.
1) Mittlerweile ist diese erste Lieferung der Publikation erschienen.
Terra sigillata. 105
1. Die Fabrikatiousorte.
Bei Darchsicht der Stempel fUllt zunächst auf, daBs die Funde
dieser Zeit, wenn sie auch local weit auseinander liegen, eine grosse
Uebereinstimmung aufweisen. Nicht nur in den verhältnissmässig nahe
zusammenliegenden Limes-Kastellen und den belgischen Nekropolen
finden sich dieselben Stempel, sondern die meisten kehren in Gal-
lien und Britannien, >aele auch in Spanien wieder. Es gab also
damals für die rothen feinen Gefässe ein Fabrikationscentrum, wel-
ches den Weltmarkt beheiTSchte. .
In Britannien scheinen mit Sicherheit Töpfereien, in denen
TeiTa sigillata fabrizirt worden ist, nicht nachgewiesen zu sein^).
Dazu stimmt, dass wir den weitaus grössten Theil der britannifichen
Stempel auch in anderen Provinzen nachweisen können. Für Bri-
tannien allein bleiben von ca. 675 verschiedenen Stempeln nur ca.
250 übrig, und von diesen sind noch ca. 60 unleserlich und unvoll-
ständig, sodass ihre Identifizirung schwer ftlllt. Auch darf man
nicht vergessen, dass wir ja noch keine vollständige Sammlung der
gallischen Stempel besitzen. Es würden sonst noch viel weniger
Töpfemamen für Britannien allein übrig bleiben.
In Germanien kennen w^ir einen grossen Töpferort: Kheinza-
bem*), einen andern in Vindelicia, bei dem heutigen Westerndorf*).
An beiden Orten wurden namentlich omamentirte Gef&sse hergestellt.
In wie weit die einfachen Teller und Näpfe dort gefertigt sind, ist
schwer zu sagen. Einzelne Stempel, wie GIINIALISF, SIICAVITI,
ABBOFEC, PROPF, A V C T V S F E C finden sich bei Rhein-
zabern auf unverziertem Geschirr so häufig, dass man sie für die
Stempel dortiger Fabriken halten wird. Aber genau jedem Fabri-
kationsort seine Stempel zuzuweisen, ist mit dem gegenwärtigen
Material noch nicht möglich.
Nichts spricht dafür, dass die Rheinzaberner Töpfereien vor
dem II. Jahrhundert bestanden hätten. Die von Westemdorf schei-
nen sogar erst nach der Mitte des II. Jahrhunderts entstanden
zu sein. Von hier kann also höchstens ein Theil der damals
verbreiteten Topfwaare stammen, weder aus Rheinzabem, noch gar
aus Westemdorf wird man nach Britannien und Spanien exportirt
1) Smith, Coli. ant. VI p. 70.
2) Brongnlart, Trait6 p. 429. Taf. 30. 7 abc.
3) V. Hefner, Oberbayr. Archiv 22.
106 Hans Dragendorff:
haben. Da nun aber diese Provinzen vieles aus denselben Töpfereien
bezogen haben wie Geiinanien, so entsteht die Frage, ob die
Hauptmasse der Terra sigillata dieser Zeit nicht in Gallien ge-
macht ist.
Es sprechen dafür namentlich folgende Gründe:
1. Viele Namen, die auf den Terra sigillata-Gefässen stehen^ sind
gallisch, z. B. Ardacus, Juliacus, Arvemicus, Biturix, Bonoxns, Bo-
rillus, Boudus, Belatullns, Caratillus, Mebdullus, Medillns, Cintucna-
tus, Criciro, Dacomarus, Maianus, Mebdicus, Melausus u. a.
2) Die Namen derjenigen Töpfer, deren Werkstätten in Gal-
lien aufgefunden worden sind, kehren auch in anderen Provinzen
wieder. Hierhin gehören Libertus, Albucus, Sennonus, Borillus,
Butrio, die in Lezoux heimisch sind^), und deren Stempel auch
anderwärts vorkommen*).
3) In den Stempeln finden sich gallische Schriftzeichen. Den
aspirirten Dental kenne ich in folgenden Namen: BVBBARVS,
OABBIRON-., MEBBICVS, MEBBILVS, MEBBIRIVS,
MEBBVLVS, MIVBBILO F»).
Das punktirte 0, das Gallien eigenthümlich zu sein scheint,
kommt vor in O0M*), A - P0 L • AVSTI »), 0F BASSM),
CER©T'||IM'), L0LLIM8), 0F NIGR«), PATIRATI 0MO),
OF.P0LIO"), S0LLVS F"), ©F C \A*»), VIR0NI-OF
und VIRONI-Opi*).
1) P I i c q u e a. a. O. p. 5 u. 9.
2) C. XII 5686. 815 f. 138. C. VII 1336. 1028, 166 if. 187. CHI 6010.
43. Seh. 5102-8, 847. 909 f. Orelli Inscr. Helv. 309. Grivaud, Antiq. gau-
loises Tafel VIII.
3) Zeuss, Grammatica celtica II. Aufl. S. 77. Becker b. Kuhn u.
Schleicher, Beiträge zur vergleichenden Sprachforsch. III S. 207 if.
4) Tarraco. C. II 4970. 356.
5) London. C. VII 1336. 72a.
6) Paris. Grivaud Taf. 8. 45.
7) London. C. VII 1336. 302.
8) Vienne, Äugst. C. XII 6686. 489. b. Seh. 3016.
9) London. C. VII 763c.
10) Althofen mit Münze der diva Faustiua C. III 6010. 160.
11) Narbonne. C. XII 5686. 695.
12) Le Mans. Seh. 5288.
13) Narbonne. C. XII 5686. 898.
14) London. C VII 1336. 1188 b. c.
Terra sigillata. 107
Diese Form des © kommt schon auf einer in Toulouse gefun-
denen Inschrift des Jahres 47 v. Ohr. vor ^).
Der gallische Diphtong OV findet sich mehrfach; z. B. in
BOVDVS, BOVTIVS«).
4) Häufig ist die gallische Nominativendung -os für -us und
zwar nicht nur in gallischen Namen, sondern auch in gut lateini-
schen, wie IVLIOS, PRISCOS.
5) Sehr häufig sind in den Stempeln dieser Zeit einzelne kur-
sive Schriftzeich^n, besonders A und A für A, II für E, K fUr L,
V fUr F. Diese kommen zwar alle schon in ganz alten Inschriften
vereinzelt vor. Ihr Gebrauch mehrt sich aber sehr stark erst im
II. nachchristl. Jahrhundert, und zwar gerade in gallischen und bri-
tannischen Inschriften, unter diesen wieder besonders in den Töpfer-
stempeln. Auf italischen SigiUaten habe ich fast keines dieser Zei-
chen gefunden.
Ich glaube aus diesen Gründen, dass weitaus der grösste Theil
der SigiUaten, die vom Ende des I. Jahrhunderts an in Germanien,
Belgien und Britannien benutzt wurden, in Gallien fabrizirt ist. Es
ergibt sich daraus, dass die gallischen Fabriken sehr ausgedehnt
waren und einen grossartigen Exporthandel besassen. Wir haben ge-
sehen, dass die grossen arretinischen Fabriken eine Menge Sklaven
beschäftigten und dass diese oft ihren Namen mit auf das Geiäss
setzten. Obgleich dies nun in der späteren Zeit nicht mehr ge-
schieht, so ist doch selbstverständlich, dass die Töpfer dieser Zeit
nicht alle Gefässe, die ihren Namen tragen, eigenhändig gedreht
haben, sondern dass auch sie Sklaven beschäftigten. Festzu-
halten aber ist, dass der Stempel den Herrn, nicht den Sklaven
nennt; denn fast alle Namen kommen auch mit dem Zusatz „ofß-
cina" vor.
Auch die mit fecit signirten Gefässe, z. B. Vitalis fecit, können
wegen der grossen Anzahl derselben kaum mit eigener Hand alle
vom Besitzer der Töpferei gefertigt sein; nur wenn zum Namen der
Zusatz „manu" oder „manu sua" gemacht ist, wird man dies anneh-
men müssen.
Jeder Töpfername kommt auf den Stempeln in allen möglichen
Abkürzungen vor, sowohl allein als kombinirt mit den Zusätzen
1) C. XII 5388.
2) Zeuss a. a. 0. S. 108 f. Becker a. a. 0. S. 191 ff.
108 Hans Dr^gendorff:
F, FE, FEC, FECIT, 0, OF, OFF, OFFIC, M, MAN, MS
u. 8. w. Es geht daraus hervor, dass in den Fabriken viele ver-
schiedene Stempel zum Zeichnen der Gefässe vorhanden waren.
Natdrlich mnss man immer die Möglichkeit offen lassen, dass
Erzeugnisse verschiedener gleichnamiger Fabrikanten vorliegen.
Den über den letzten Zweifel erhabenen Beweis flir wirkliche
Identität zu erbringen, wird nur in seltenen Fällen gelingen.
Keineswegs aber darf man aus einer abweichenden Fassung
des Stempels in jedem Falle auf eine andere Fabrik schliessen;
denn in manchen Fabriken ist der Gebrauch verschiedener Stempel
ganz zweifellos nachzuweisen, z. B. in der des Virilis. Dieser hat
die Eigenthttmlichkeit, seine Stempel mit kleinen Punkten zu ver-
zieren. Es kommen vor:
<•: oFicviRiLi :>y
XI \X
b. ::. OFLC-VIRIL«)
c. ::• OFLC-VI RIL. 3)
d. <.OFICVIRILI->^)
e. ////DFIC VI RIL-:: 5)
Wir sehen aus Stempel b und c, dass dieser Töpfer entgegen
der Sitte jener Zeit, bisweilen auch mit seinen drei Namen stem-
pelt. Es gehören also auch folgende Stempel, bei denen die Pünkt-
chen fehlen, demselben Töpfer:
f. OF-L-COS-VIRIL
g. F • L • C 0 S • Will
h. OF-LC-VIRIL
i. OFCLVIRIL^)
k. OFIC LVChCOSVIRIL')
1) Köln. Museum Napf-Form 27.
2) Flavion. Seh. 5791.
3) Tongres. Seh. 5792.
4) Rottweil. Holder S. 25.
5) Bonn. B. J. LXXXIX S. 45. 363 a.
6) C. VII. 1336. 346 a-i. h auch aus Vechten. Seh. 5790.
7) AUier. Seh. 5794.
Terra sigillata. 109
I. OFLCVIRILM)
m.OF-LCViRiLI
II. 0 F . L . C V I R I L «)
0. 0 F L • C . V I R I L M)
Wir finden also mindestens 14 verschiedene Stempelformen in
derselben Töpferei in Gebrancb. Zugleich bieten diese Stempel ein
gutes Beispiel für die weite Verbreitung der Eraeugnisse einer Officin.
Sie fanden sich in England, Holland; Belgien, Frankreich bis zur
Allier, Bonn, Friedberg und Rottweil.
Unsere Ansicht, dass die meisten im Kheinlande vom Ende
des I. Jahrhunderts an gebrauchten Sigillata -Vasen gallischen Ur-
sprungs seien, erhält eine Bestätigung dadurch, dass die wenigsten
Stempel derselben sich auf Stücken italischen Ursprungs wieder-
holen. Von den über 400 Stempeln, die ich dieser Zeit zuweisen
kann, kehren nur 41 auch in Italien wieder. Es sind folgende: Al-
banus, Ateius, Bassus, Bellus, Calvus, Caratillus, Cinnamus, Co-
lins, Communis, Crestus, Festus, Fidelis, Firmus, Fuscus, Germa-
nus, lueundus, lulius, lustus, Lucius, Macer, Marcius, Niger, Patri-
cius, Paullus, Primus, Priscus, Probus, Rufinus, Rufus, Saturninus,
Satumus, Secundus, Severus, Sextus, Silvanus, Silvius, Tertius, Tri-
tus, Victor, Vitalis, Utilis, Aus dieser Zahl sind 15 auszuschei-
den, wo sicher mehrere Fabrikanten gleichen Namens existir-
ten und daher die in Deutschland und in Italien gefundenen Stücke
nicht aus derselben Töpferei zu stammen brauchen. Es sind das
Albanus, Communis, Crestus, Festus, Fidelis, Firmus, Fuscus, lueun-
dus, lulius, Marcius, Paullus, Primus, Secundus, Severus, Sextus.
Zweifelhaft sind Colins, der einmal bei Schuermanns (Nr. 1522)
mit der unbestimmten Fundangabe „Italie", und Victor, der einmal
mit der Provenienz „Rome" vorkommt (a. a. 0. Nr. 5720). Von
den übrigen kommen Bellus, Calvus, Caratillus, Germanus, Macer,
Patricius, Probus, Rufinus, Sextus, Tritus, Vitalis, Utilis nur je
einmal in Italien vor, sehr oft in den Provinzen. Es bleiben also
14 übrig, und bei diesen stammen die in Italien gefundenen Exemplare
fast alle aus Gallia cisalpina, sodass man wenigstens vermutben
1) Tongres. Seh. 5799.
2) Bottweil. Holder S. 25.
3) Friedberg. Seh. 5080.
110 Hans Dragendorff:
kanii; dass ein Tbeil in Gallien gemacht und nach Norditalien impor-
tirt ist. Caratillus ist ausserdem ein gallischer Name, Vitalis sicher
ein gallischer Fabrikant, da er auch schwarze Gefasse gemacht hat.
Bis zum Beweis des Gegentheils wird man jedenfalls stets an-
nehmen müssen, dass in Belgien und Genuanien gefundene Terra
sigillata-Gefässe vom Ende des I. Jahrhunderts an nicht mehr aus
italischen, sondern aus proyinzialen Fabriken stammen.
2. Die Formen.
Wie in den Provinzen die Töpferei aufblühte, sehen wir be-
sonders auch daraus, dass neue Formen und neue Dekorationsarten
erscheinen, die in Italien unbekannt sind. Die Formen der späteren
Sigillaten habe ich Taf. II 31 — III 55 zusammengestellt. Von den
älteren Formen gehen 24, 25, 27 *) und kurze Zeit auch noch 29
und 30 weiter^). In und um Rheinzabern kommen sie aber fast
gar nicht mehr vor, was auch flir die späte Datirung der dortigen
Fabriken spricht. Aus Foim 18 entwickelt sich, wie schon erwähnt,
die gebräuchlichste Tellerform späterer Zeit (31). Daneben kommt
eine neue Tellerform, 32 auf, meist schon in ziemlich schlechter
Qualität ausgeführt. Fonn 33 ist die gebräuchlichste Napfform dieser
Periode. In Italien scheint sie, wie die Mehrzahl der folgenden
Formen, zu fehlen, würde also als gallisch gelten müssen. Doch
bleibt zu bedenken, dass unsere Kenntniss der späteren italischen
Sigillaten sehr lückenhaft ist.
34, mit 2 Henkeln, die an einem etwas aufwärts gebogenen,
schrägen Rande sitzen, kenne ich nur aus Banassac, von wo zahl-
reiche Stücke in's Museum von St. Germain gekommen sind^).
38 kenne ich auch nur aus den Provinzen. Der obere verti-
kale Rand ist bald höher, bald niedriger. Die Form ist eine der
wenigen La T6ne- Formen, die sich bis in späte Zeit halten.
Sie kommt bei schwarzen Gefässen schon in den Gräbern von Nau-
1) So auch Koeuen (Gefässkunde S. 93 m), der 27 bis an die Anto-
ninenzeit gehen läset, 24 und 25 (Gefässkunde S. 94 o) etwa bis zu der-
selben Zeit.
2) Koenen (Gefässkunde S. 88 c. 90 e). Vergl. unten S. 127.
3) Auch bei Koenen, der das deutsche Material in so umfassender
Weise kennt, finde ich sie nicht.
Terra sigillata. 111
heim und in Andernach vor^). Das älteste in Sigillata ausgeführte
Exemplar ist in Xanten mit einer Münze des Vitellius gefunden^). Der
dünne überhängende Kragen zeigt, dass die Form für Metall ge-
dacht ist; ein in Metall ausgeführtes Exemplar ist abgebildet Gaz.
arch. VI Taf. 1.
Verwandte Formen sind 43 — 45. 43 und 45 sind die ge-
bräuchlichsten Formen der sogenannten Reibschalen, deren innere
Wandung durch scharfe Quarzstückchen rauh gemacht ist. Sie
haben am oberen Rande einen breiten, flachen Ausguss, bisweilen
auch ein rundes Loch, dessen Mündung mit einem Löwenkopf ver-
kleidet ist. Sie finden sich sehr häufig in den Kastellen, dienten
also einem täglichen Bedürfuiss ; wahrscheinlich wurde das Brotmehl
in ihnen gerieben und geschlemmt.
Auch 39 und 42 sind direkte Nachbildungen von Metalltellem
mit breiten jBlechrändem. Sie kommen mehrfach in den Limes-
kastellen vor und die Stempel auf diesen Formen (Victor, Verus)
kehren dort auch auf andern Sigillaten wieder.
Form 40 begegnen wir schon unter den gelbglasirten Gefässen
in Trier').
47, 48, 49 sind jüngere Modifikationen der Tellerfoim 32 und
des Napfes 33. Sie haben einen starken Randwulst oder eine kleine
Lippe erhalten und sind aussen häufig mit der schon von den bel-
gischen Vasen her bekannten Rädchenverzierung geschmückt.
Form 50 kenne ich nur aus dem Museum von St. Germain.
Sie scheint nur in gallischen Töpfereien verwendet worden zu sein ;
bei Koenen finde ich sie nicht. Vergleiche zu diesen Bemerkun-
gen auch den Anhang I über die Verwendung einzelner Formen
durch einzelne Töpfereien.
3. Verzierungen der Vasen.
Während in älterer Zeit bei den Sigillata- Gewissen nur eine
Art zu verzieren gebräuchlich war, die mit ausgepresstem Relief,
kommen jetzt zwei weitere hinzu, die mit aufgesetzten Verzierungen,
namentlich Verzierungen en barbotine, und die mit eingekerbten Mustern.
1) Lindenschmit, Centralmuseum Taf. 32. 6. B. J. LXXXVI, Taf. VI
87. Taf. VTI 2.
2) Houben-Piedler Taf. XIX. Koenen datirt ihr Auftreten
in dieselbe Zeit (Gefässknnde S. 94 p u. 9).
3) Nicht erst in der späten Kaiserzeit, wie K o e n c u Gefassknnde
S. 112 f. annimmt.
112 Hans Dragendorfft
I. Ge fasse mit aufgesetzten Verzierungen.
Die Ornamente können auf dreierlei Art hergestellt sein:
1) aus freier Hand geformt und dann aufgeklebt,
2) en barbotine ausgeführt^), d. h. aus Thonschlamm hergestellt,
der mittelst eines hornförmigen Trichters oder eines Pinsels aufge-
tragen wurde, ähnlich wie der Conditor die Zuckerdekorationen auf
dem Kuchen anbringt,
3) mit einer Form ausgepresst und fertig auf das Getass
geklebt.
Zur ersten Art gehören Gefässe wie B. J. LXXXVI Taf. VI
29; VII 4 (gef. mit Münze des Caligula) mit ihren Schuppenvcr-
ziei-ungen, Cleuziou p. 258 Fig. 197, p. 213 Fig. 132, wo huf-
eisenförmige Wülstchen aufgeklebt sind. Einer ähnlichen Dekora-
tionsweise begegnen wir schon an schwarzgefirnissten Gefassen des
II. Jahrhunderts v. Chr. aus Olbia^); eine Vorstufe dereelben bilden
die schuppenartigen Blättchen, die in der „megarischen" Töpferei
so häufig die untere Hälfte der Schale überziehen und sich bereits
an gut gefimissten attischen Reliefvasen finden.
In römischer Zeit kommt diese Schuppen- oder Blättchen-
Ornamentik in Anderaach in den jungem Gräbern vor; häufig wird
sie an schwarz, braun und röthlich gcfirnissten Gefassen des II.
nachchristlichen Jahrhunderts gefunden. Im I. Jahrhundert begegnet
man dem Ornament auch an Gesichtsurnen. Auf Terra sigillata-Ge-
tässen kenne ich es nicht.
Viel wichtiger ist aber die Barbotine-Technik. Auf klassischem
Boden haben wir nichts Analoges, vergleichen aber mag man immer-
hin die Art. wie auf griechischen Vasen des V. und IV. Jahr-
hunderts mit feinem flüssigem Thonschlamm Ranken und allerlei
Ornamente aufgesetzt sind, als Unterlage für Vergoldung. Kleine
bogenförmig angeordnete Tüpfchen aus Thon sah ich auf zwei
Bechern ans feinem röthlichem Thon ohne Ueberzüg im Louvre.
1) Der Name ist, wie mir scheint, von v. Heftter in unsere Lite-
ratur eingeführt, der ihn a. a. 0. S. 51 aus Brongniart citirt (Trait^. I
p. 425). Ein solcher Trichter soll nach Brongniart in Lezoux ge-
funden sein.
2) Arch. Anz. VI S. 19. 9. Zur Datirung oben S. 34.
3) Z. B. Bonner Prov.-Mus. Inv. no. 11.
Terra sigillata. 113
Sie sind in Aigai in Klein-Asien gefunden und wohl aus hellenisti-
scher Zeit.
Die Anfänge der eigentlichen Barbotine-Dekoration kann man
in Andernach und sonst an den schwarzen und grauen Urnen beob-
achten, die mit Münzen von Claudius und Nero gefunden wurden.
Es sind hier mit hellgrauem sehr dünnem Thonschlamm Ringe oder aus
Punkten zusammengesetzte Ornamente aufgetragen^). Dieselben Orna-
mente kehren mit Braun aufgemalt bei den gelblichen Gesichtsumen
wieder. Es scheint bei der älteren Barbotine-Technik, im Gegensatz
zu der spätem Gewohnheit, beliebt gewesen zu sein, für das Orna-
ment eine andere Farbe zu wählen, als der Thongrund hatte. Die Ver-
zierung besteht in Ringen, die zu mehreren in einander gehängt
sind, wie Glieder einer Kette.
Auf einzelnen Andemacher GeiUssen finden wir aber auch schon
Ornamente in compakterer Barbotine*), und zwar sind es bereits
die später so häufigen spitzen Blätter. Auf Terra sigillata und auf
glasirten GeiUssen scheint Barbotine-Technik in der ersten Hälfte
des I. Jahrhunderts nicht vorzukommen ^). Gegen Ende des I. Jahr-
hunderts finden wir sie namentlich auf 3 Vasengattungen : auf ge-
fimissten Bechern, auf glasirten und auf Terra sigillata-Gefässcn.
a) Gefirnisste Gefässe.
Gefimisste Vasen fehlen in der frührömischen Andemacher Nekro-
pole noch. Sie sind das charakteristische Geschirr des IL Jahrhunderts,
gehen das ganze III. Jahrhundert hindurch und bis in's IV. hinein^). Der
Thon ist meist roth (doch kommt auch weisser vor), die Gefilsse sehr
dünnwandig und mit einem festen braunen oder schwarzen, oft metal-
lisch glänzenden Firaiss überzogen, der durch starkes Brennen leuch-
tend korallenroth wird und dann oft schwer von Terra sigillata zu
unterscheiden ist.
1) Z. B, B. J. LXXXVI Taf. VII 15. Taf. VI 7. Cleuziou p; 53 Flg. 35
u. 36 (aus Köln und Metz). Cleuziou p. 213 Fig. 131, auch Halbmonde.
2) B. J. LXXXVI Taf, VT 11, 13 (Münze v. Nero), Cleuziou p. 210
(dunkelgrau auf hellgrau) p. 211, (grau auf grau) p. 212.
3) NachKoenen kommen Sigillata-Gefässe mit Barbotine schon mit
Münzen v. Claudius vor. Ein Citat gibt er nicht.
4) Vgl. auch Koenen Gefässkunde S. 101 f.
Jahrb. d. Vor. v. Alterthsfr. im Rheinl. XCVI. g
114 Hans Dragendorff:
Die Barbotine-Ornamente sind hier bald von derselben Farbe,
wie das Gefäss, bald beben sie sieb davon ab.
Bei der ersten Art wird das Ornament auf das geformte Ge-
fäss gesetzt und dann erat dem Ganzen der Ueberzng gegeben. Bei-
spiele finden sich bei Cleuziou p* 241 Fig. 173, p. 242 Fig. 174.
Neben Blättern und Ranken kommen Thiere (Rebe, Hasen,
Hunde) und vereinzelt auch menschliche Figuren vor. Bisweilen ist
das Gefäss auch nur mit kleinen stachelartigen Warzen veraehen, oder
es ist grober Quarzsand aufgestreut, um dem Gefäss einen festeren
Halt in der Hand zu geben.
Bei der zweiten Gattung ist auf das fertig gefirnisste Gefäss
feiner weisser, bisweilen auch gelber Thonschlamm aufgetragen.
Hierher gehören vor allem die Trinkbecher mit Aufschriften, wie
sie sich am Niederrhein und auch in Frankreich so zahlreich
finden. Sie beginnen schon im II. Jahrhundert, wie ihr Vorkommen
auf der Saalburg lehrt und die Güte der Formen und des Firniss
bestätigen. Sie gehen dann das ganze III. Jahrhundert durch und
bis in's IV. Ein Kriterium für das Alter der einzelnen Exemplare
ist die Art des Barbotine-Reliefs, das bei den älteren Stücken rein
weiss oder gelb ist und in dicken Fäden aufsitzt, während es später
oft nur wie eine dünne Farbe erscheint, die den schwarzen Grund
nar unvollständig deckt. Neben den Inschriften treten als nahezu
einziges Ornament Weinranken und Beeren auf, zuerst naturalistisch
dargestellt, später immer mehr stilisirt. Grosse Massen dieser Gefässe
haben sich in den neu entdeckten Trierer Töpfereien gefunden, die
dem IL und Anfang des III. Jahrhunderts angehören. Aus dem
II. Jahrhundert stammt wohl auch ein in Trion gefundenes Frag-
ment im Mus6e Guimet, das auf schwarzem Fii*niss braunrothe
Barbotine-Ranken zeigt. Die von Loeschcke aufgeworfene Frage,
ob zwischen diesen Vasen und den Ausläufern der griechischen
Vasenmalerei in ünteritalien, die eine einigermassen ähnliche Technik
zeigen, ein historischer Zusammenhang bestehe, hat S. Rein ach
(Bronzes figur^s du Mus^e de St. Germain p. 21) mit Recht verneint.
b) Glasirte Öefässe.
Dass auch die Römer schon eine Glasur nach Art unserer
heutigen gekannt haben (denn der üeberzug der Sigillata-Gefässe
Terra sigillata. 115
ist immerhin von allen heute gebräuchlichen Glasuren noch sehr
verschieden), hat zuerst Mazard klar gezeigt^), der in seinem grund-
legenden Aufsatz auch eine reiche Materialsammlung gibt. Einen
guten üeberblick über die Verwendung der Glasur in Aegypten und
Kleinasien, das Aufleben der Technik in hellenistischer Zeit und die
Verwendung an römischen Gefössen hat bei Besprechung von Ge-
flissen mit Bleiglasur Masner gegeben*). Genaueres muss hier noch
vergleichendes Studium der in den verschiedenen Provinzen ge-
fundenen Stücke lehren. Die lokalen Unterschiede sind sehr grosse.
1) Die älteste Stufe vertreten Gefasse kleineren ümfangs, die
namentlich in Kleinasien und seiner Umgebung gefunden und, wie
es scheint, dort auch fabricirt worden sind. Proben aus Tarsos,
Myrina, Kyme, Smyrna u. s. w. besitzt der Louvre, Scherben eines
kleinen, gelbglasirten Bechers aus Kythnos das Bonner Kunstmuseum.
Die Farben sind lebhaft, einzelne Gefasse ganz bunt, andere mit
metallisch glänzender blaugrünlicher Glasur. Die Formen schliessen
sich eng an Metall an, namentlich durch ihre charakteristische Henkel-
fonii (Mazard Taf. XI), die auch die Bonner Vase iiat ^). In der
Schärfe der Mödellirung erinnern manche Reliefs an die besten Si-
gillaten. Von dieser kleinasiatischen Waare mit Bleiglasur sind Proben
nach Italien und sogar nach Gallien gekommen. Denn es sind dort
in Form, Decoration und Glasur ganz entsprechende Gefasse ge-
funden, die sich von den sonst in Italien und Gallien vorkommenden
scharf unterscheiden*). Nach Gallien kamen sie über Massilia, wo
Mazard Scherben sah, die mit den tarsischen neben allem
Anderen auch das gemeinsam haben, dass sie häufig aussen grün,
innen gelb sind. Zu diesen importirten Stücken gehört auch ein aus
Orange stammendes Fragment in St. Germain, das sich auch im
Ornament — Blätter und Beeren — vollständig mit einem klein-
asiatischen Fragment des Louvre deckt.
1) De la connaissance par les anciens des gIaQUres plotnbif&reS)
Mus^e arch^ologique 1879, II p. 373 ff.
2) Mittheilungen des k. k. österr. Museums für Kunst und Industrie.
N. F. 8. Jahrgang. Heft IX und X, S. 452 ff. Wien, 1893. Speziell über
römische glasirte Gefasse ist auch Hettner a. a. 0. S. 169 zu vergleichen;
Im Allgemeinen ist die Litteratur verzeichnet bei Daremberg-Saglio
Dictionaire 8. v. figulus p. 2031 f.
3) Vergl. auch oben S. 41 Anm. 2.
4) Mazard. a. a. 0. Taf. XL
116 Hans Dragendorff:
2) Eine zweite, gleichfalls nur vereinzelt in Gallia Narbonensis
auftretende Gattung hat eine blaugrünliche Glasur. Manche Exem-
plare schimmern perlmutterartig, so dass die Gefässe fast den Ein-
druck von irisirendem Glas machen. Auch die Formen — grosse
Urnen und Kannen -^ erinnern an dieses Material. Die Feinheit
der Technik nimmt mit wachsender Grösse ab, die Eeliefs sind oft
ziemlich roh. Als Fabrikationsort nimmt man Italien an. Eine An-
zahl Gefässe dieser Art aus Italien besitzt der Louvre.
Von diesen beiden Gattungen unterscheiden sich wesentlich
die eigentlichen gallischen glasirten Vasen, die ich auch allein in
den rheinischen Museen gefunden habe. Sie zerfallen wiederum in
zwei Arten.
3) Vasen aus hellem, weissgrauem Thon, der sehr hart ist und
fast steingutartig aussieht. Dieser ist mit einer gelben, gelblich-
grünen oder bräunlichen Glasur versehen. Die Ornamente — kleine
Blätter u. s. w. — sind mit Formen aufgepresst. Es kommen in
dieser Art kleine Henkelkannen, feldflaschenartige Vasen und
Becher vor. Jp St. Germain finden sich mehrere Stücke der Art
aus Vichy, andere sind in Trier und unter den Andernacher Funden ^).
Sie sind leider nicht fest datirt, Koenen setzt sie aber wohl mit
Eecht in die Mitte des I. Jahrhunderts.
Im Ganzen machen diese Gefässe keinen eleganten Eindruck.
Das Material ist für die kleinen Formen und Ornamente zu grob.
Wir werden es hier wohl mit Erzeugnissen gallischer Industrie zu thun
haben, wie auch Mazard vermuthet, da sich in Italien entsprechendes
nicht zu finden scheint. In Gallien ist diese Waare ziemlich häufig*).
Die Andemacher Stücke decken sich mit gallischen vollkommen.
Ein liegender Löwe, ganz entsprechend dem Andemacher^) und gewiss
aus dereelben Fabrik, ist im Museum von Rouen ; den kleinen Ander-
1) B. J. LXXXVI. Taf. V 55. VI 19. 20. 21. 22. Hierher gehören jedenfalls
auch die 2 Wiesbadener Kannen, von aus'm Weerth B. J. LXXIV S. 152
erwähnt und von von Cohauscn beschrieben als hellolivengrün, wenig
glänzend glasirt, u. 8. w.
2) Gallischen Fundortes sind auch Gefässe in St. Germain, die den-
selben schmutzig gelbweissen Thon zeigen, aber keine Glasur tragen,
auch wohl nie gehabt haben; 2 davon haben die Form und Ornamentik
der Sigillata-Schalen des ersten Jahrhunderts (29).
3) ß. J. LXXXVI. Taf. VI 23. *
Terra sigillata. 117
nacher Henkelkannen genau entsprechendes findet sich in der Nor-
mandie und an der AUier (Mazard p. 391 Fig. 7).
4) Die zweite specifisch gallische Gattung ist in Andernach
noch nicht vorhanden, also später, als die eben besprochene. Die
Vasen bestehen aus feinem weissem Thon mit malachitgrüner Glasur.
Dass solches Geschirr in Lezoux gefertigt worden ist, habe ich
schon oben ei-wähnt*). Auch dadurch werden wir in die zweite
Hälfte des I. Jahrhunderts gewiesen. Wie lange diese Fabrikation
gedauert hat, lässt sich vorab noch nicht bestimmen. Der Ansatz
von Plicque ( — 120 n. Chr.) ist jedenfalls zu niedrig bemessen, da
das schönste Stück, eine grosse Henkelkanne in Trier, mit einer
Münze des Hadrian zusammen gefunden ist. Ist die Angabe, dass
die B. J. LXXXIV S. 117 ff. publizirte Vase in einem grossen
Sarkophag >(d. h. doch wohl in einem Bestattungsgrab) gefunden sei,
richtig, so müsste man bis in's III. Jahrhundert hinunter gehen ^).
Diese Gefässe ahmen in ihren Formen oft unmittelbar Metall-
gefässe nach, so die Trierer Kanne und der oblonge Teller des
Bonner Provinzialmuseums^). Andere erinnern, wie Klein richtig
bemerkt, an Glasgefässe, so namentlich die gi-ossen Vasen der Samm-
lung Herstatt ^) und eine ähnliche des Wormser Museums.
Auf dieser letzten Ali; der glasirten Gefitsse — und nur auf ihr —
finden sich nun häufig auch Barbotine-Vei-zierungen. Bald sind es feine
aufgesetzte Fäden, bald die uns schon von den gefirnissten Gefössen her
bekannten Oniamente und Thiere^). Es stimmen die am Rhein ge-
fundenen Exemplare in der Technik und dem Thon mit den gal-
lischen so überein, dass man sie alle für Import halten möchte,
wenn dem nicht aus'm Weerth's und Kleines Angabe gegen-
überetände, dass in den Resten eines Töpferofens bei Bonn Tropfen
grüner Glasur gefunden seien ^). Ist diese Beobachtung, die
ich nicht kontroliren kann, richtig, so sind die gallischen Gefasse
1) Nach P 1 i c q u e p. 18 f.
2) Auch Koenen Gefässkunde S. 102 datirt sie im Wesentlichen in
die Zeit der Antonine.
3) B. J. LXXIV S. 149, womit die Metallschüssel Lindenschmit,
Centralmuseum XXV 28 zu vergleichen ist.
4) B. J. LXXXIV S. 117 flF. Taf. IV, zu vergleichen mit B. J. LXIV
Taf. X 3.
5) Vgl. ausser den citirten noch B. J. LXXIV Taf. VII.
6) B. J. LXXIV S. 152. LXXXIV S. 118.
118 Hans Drageudorff:
hier nachgemacht worden^). Dafür, dass die Technik im Westen
heimisch ist, spricht auch, dass die Gefasse aus Oesterreich, die
Masner mit Eecht zum grösstcn Theil für einheimisches halbbar-
barisches Fabrikat hält, von den unsrigen in Form und Glasur sehr
abweichen und mehr eine schlechte Nachahmung italischen Fabri-
kates iw sein scheinen.
c) Sigillata-Gefässe.
Am verbreitetsten sind Barbotinc- Verzierungen auf Terra sigil-
lata-Gefässen, und zwar finden wir auf ihnen nur die fertig ausge-
bildete Technik, nicht die Vorstufen, wie wir sie an Terra nigra-
ürnen kennen lernten. Schon damit werden wir darauf geführt,
die Sigillata-Gefässe mit Barbotine frühestens der zweiten Hälfte des
I. Jahrhunderts zuzuweisen. Das bestätigt sich auch durch andere
Beobachtungen. Zunächst fehlen sie in den Andernacher Gräbern.
2 Stücke sind dort in den Brandstätten gefunden, lassen sich also
nicht fest datiren*). Das Fehlen hat seinen guten Grund, denn die
Sigillata der Andernacher Gräber ist, wie wir oben sahen, theils
noch italisch, theils im engsten Anschluss an italische Fabrikate
gearbeitet. Nun kommt Barbotine-Technik in Italien zwar vor, aber
sehr selten, wie ein so ausgezeichneter Kenner wie H. Dresse 1
mitzutheilen die Freundlichkeit hatte. In Dresden sind einige in
Italien gefundene Barbotine-Scherben, im Louvre aus der Sammlung
Campana 2 Vasen 3), aber nach dem, was wir oben über den Import
gallischer Töpfe nach Italien ausgeführt haben, ist es gar nicht un-
möglich, dass die in Italien gefundenen Barbotine-Proben dorthin
im Alterthum importirt worden sind und Barbotine-Fabriken in Italien
nie existirt haben. Auf den alten arrctinischen Formen findet sich
diese Verzierungsweisc nie, sie ist vielmehr beschränkt auf die Formen
35. 36. 39. 42. 43. 44. 45. 50. 51. 52. 53. 54. 55, d. h. lauter
Formen, die erst mit der zweiten Hälfte des I. Jahrhunderts an-
fangen, mit der Zeit, wo allmählich die gallische Sigillata die ita-
1) Durch Prof. H ettncr werde, ich übrigens darauf aufmerksam
gemacht, dass grüne Glasur als Nebenprodukt in alten und neuen
Töpferöfen cutstehe. Ihr Vorkommen in Töpfereien würde also noch nicht
eine Lokalfabrik von grünglnsirten Vasen beweisen.
2) B. J. LXXXVl Taf. VII 46 S. 173.
3) Nr. 429 und 452.
Terra sigillata. 119
lische im Rheinland verdrängt. Bestätigt wird dieser Ansatz dnrch
die datirten ältesten Stücke : einen Teller in Trier mit Münzen des
Vespasian und Nerva^), einen ebensolchen aus Xanten, mit Münze
des Domitian*), einem dritten in Caves-Inn mit Münze des Nerva
gefunden^). — Geftsse mit Barbotiue- Verzierung sind ausser in Gallien
auch in Britannien und Germanien häufig. In den Töpfereien von
Rheinzabern sind sie sicher ebenfalls hergestellt worden^), ob auch in
Westerndorf, scheint mir fraglich. Zwar ist ein Gefilss mit Barbotine
dort gefunden*), doch sind solche Gefilsse in OesteiTcich so selten, dass
man kaum glauben wird, sie seien so weit östlich gemacht worden.
Im Hofmuseum in Wien sah Prof. Loeschcke nur 2 Stücke, von
denen das eine aus Camuntum stammt, das andere vielleicht gar
nicht in Oesterreich gefunden ist. Ein kleines Näpfchen der Form 35
ist neuerdings in einem Tumulus bei Anstetten gefunden^), wird
aber in dem Bericht so genau beschrieben, dass schon daraus her-
vorgeht, dass es sich um einen für jene Gegend ungewöhnlichen
Fund handelt.
Schon die Herstellungsart bedingt, dass die Ornamente wenig
reichhaltig sind; denn nicht Alles war geeignet, auf diese Weise
dargestellt zu werden. Die gebräuchlichsten Ornamente sind Ranken
und Blätter und zwar letztere entweder lanzcttftirmig oder epheuartig'),
ferner Thiere : Hasen, Hunde, Rehe, Hirsche, Löwen, Pfauen u. a. Vögel ;
auch Fische kommen vor*). Vereinzelt findet sich zwischen den
Thieren wohl auch ein Gladiator, Bestiarius oder Jäger.
Durch die Herstellung der Ornamente ist ihr Styl bedingt:
alles feinere Detail niuss wegfallen, die Umrisse werden weich,
Beine, Homer u. s. w, lang und dünn, fadenartig ausgezogen. Um
1) Inv. no. 3732.
2) Honben-Fiedler Taf. XVIII 2.
3) Smith, Coli. ant. I Taf. XVII p. 35.
4) Wie die zahlreichen und besonders guten Stücke in Speier
zeigen.
5) V. Hefner Taf. IV 12.
6) Milth. der praehist.-hist. Commission der Kais. Academie, Wien
1893 S. 171.
7) Z. B. Cleuziou p. 205 Fig. 124, p. 222 Fig. 148, p. 223. Fig. 149,
p. 303 Fig. 207. B. J. LXXl Taf. IIT 2. 3.
8) B. J. LXXI T. III 1. Lindcnschniit, Centralmuseum Taf.
XXV 8. 10.
120 Hans Dragendorff:
sich die Modellirung za erleichteiii, bat man bisweilen — nnd bier liegt
Einwirkung der IIL Art der aufgesetzten Verzierungen vor — auch
Formen benutzt; mit denen man die Thiere nnd Menschen zwischen
die aus freier Hand geformten Ranken setzte. Der rundliche Cha-
rakter des Körpers, der schmächtige der Extremitäten wird hierbei
festgehalten^ aber man erkennt bei genauerem Zusehen die auf diese
Weise hergestellten Figuren doch leicht an der besseren Gliederung,
der detaillirtereu Ausführung. Formen für Barbotine befinden sich in St.
Germain und Trier. Die an letzterem Ort in den Töpfereien an der
Stadtmauer gefundene Form zeigt einen Bock, ganz in der Art der
Barbotine-Böcke ; sie ist leicht gekrümmt, um sich bequem an die
Gefässrundnng anlegen zu lassen. Mit der Barbotine- Verzierung sind
oft, namentlich in späterer Zeit, auch Aufschriften in weiss ver-
bunden *).
Die meisten Barbotine-Gefässe sind ohne Fabrikmarke, doch
kommen auch hier Stempel vereinzelt vor. Ich kenne folgende:
A B B 0 F E 2)
AMMIVSF»)
AV////0.//*)
COBVNA (36)5)
COSTVTVS«)
EVRETVS (37)')
FRONTVNATVS»)
IVVENISFEC»)
M A R T I A L I S 10)
MINVTVSF (36)»)
PATRVINVS")
1) B. J. LXXI Taf. III.
2) Kölner Museum. Die Form B. J. LXXXIV Taf. 2. 1.
3) Gef. bei Juslenville. Bull. Liögois IX p. 151.
4) Bonn. Prov.-MuH. B. J. LXXXIX S. 4 uo. 29.
5) Juslenville. Bull. Liogois IX p. 433 ff.
6) Bonn. B. J. LXXXIX S. 11 uo. 91.
7) Speier. Museum.
8) B. J. LXI S. 123.
9) Gef. bei Bingerbrück.
10) Gef. bei Dahlheim. Mon. bist, dans Luxembourg 1851/52.
11) Köln. Museum.
12) B. J. LXXXIX S. 33.
Terra sigillata. 12J
QVARTINVSF (37)*)
SATVRIOF (37)«)
VICTORINVS (37)3)
In all diesen Fabriken sind auch unverzierte Vasen herge-
stellt worden.
Die Anfänge der Barbotine- Verzierungen haben wir auf den
grauen und schwarzen gallischen Vasen in Andernach kennen ge-
lernt. Die künstlerische Ausbildung dieses barbarischen Keims scheint
unter dem Einfluss der Glastechnik erfolgt zu sein, die bekanntlich
während der Kaiserzeit in Gallien in hoher Blüthe stand. Bei dieser
Annahme erklären sich die Ornamentformen der Blätter aufs beste:
die breite Blattfläche wäre aus den aufgeschmolzenen Glasklümpchen,
der lange dünne geschwungene Stiel aus dem Glasfaden hervorge-
gangen, der in die Länge gezogen wurde, bis er abriss. Die lanzett-
förmigen Blätter der Barbotine-Gefasse finden sich weiss auf blauen
Grund gesetzt ganz entsprechend auf einer wohl sicher alexandrinischen
Glasscherbe im Kunstgewerbe-Museum in Hamburg^), ähnlich auch
an pompejanischen Gläsern^). Den weissen und gelben Barbotine-
Omamenten auf den schwarzen Bechern sind die auf weisse Glas-
gefässe aufgeschmolzenen gelben und blauen Glasfäden und Klümp-
chen zu vergleichen^).
Weiter ist nicht ausser Acht zu laasen, dass sich Barbotine
gerade an solchen Gefässformen oft findet, die unmittelbar an Glas-
formen sich anlehnen, an Bechern, Kelchen, Flaschen, Kannen. Hier-
hin gehören z. B. die schönen Vasen des Speierer Museums ^), ferner
Cleuziou p. 195, 196, 258, 259, ein sehr feines, leider fragmen-
tirtes kelchartiges Gefilss der Bonner Universitätssammlung mit
braunen aufgesetzten Fäden auf weissem Thon. Auch die in Gräbern
des III. Jahrhundei-ts häufigen schwarzgefirnissten kugelförmigen
1) Köln. Museum.
2) Speier. Museum.
3) Speier. Museum.
4) Ausser diesen Blättern ist auf der Scherbe eine Maske erhalten.
Die Technik ist dieselbe wie bei den Karlsruher Seherben aus der Samm-
lung T hier seh bei Schreiber Relief bilder Taf. CIV.
6) Mus. Borb. V Taf. 13, 12, 73. Niccolini, Suppl. Taf. XXV, Descri-
zione generale Taf. 83.
6) Z. B. B. J. XXXIII Taf. 3. B. J. LXXI Taf. VI Nr. 1388,
7) Lindenschmit, Centralmuseum Taf. XXV 8.
122 Hans Dragondorff:
Flaschen mit trichterförmigem Ausguss, die weisse Barbotine-Orna-
mente tragen und in der Form genau übereinstimmen mit gleich-
zeitigen Glasflaschen *), müssen hier erwähnt werden. Auch sonst
erweist sich ja gerade in der römischen Provinzialkultur die Glas-
bläserei als die führende Kunst im Vergleich zur Keramik. Die
Nachahmung von Glasgefassen ist nicht auf die Barbotinegefilsse
beschränkt. Der Glastechnik ist es z. B. entlehnt, wenn das ganze
Gefass wie mit Stacheln besetzt ist *) ; von Glasgefassen stammt auch
die Sitte, die Wandungen der Trinkgefasse zu falten, wie es bei
den schwarzgefirnissten Bechern oft der Fall ist, um ihnen einen
festeren Halt in der Hand zu geben ^). Solche gefaltete Wandungen
kommen bereits an pompejanischen Gläsern vor^).
IL Gefässe mit eingekerbten Verzierungen.
Konnte bei den Barbotine- Vasen noch ein Zweifel über den
Creprung der Dekorationsart bleiben, so ist die Nachahmung von
Glasgefassen meines Erachtens sicher bei den Vasen mit einge-
kerbten Verziei-ungen. Sie ahmen Glasgefässe mit eingeschliffenen
Mustera nach. Eine Reihe derartiger Gefässe, die sich im Bonner
Provinzial-Museum befinden, hat Klein besprochen*). Man begegnet
ihnen so ziemlich in allen Rheinischen Museen, in Gallien und Bri-
tannien^). Die Dekorationen setzen sich zusammen aus Linien und
aus gerstenkorn- und olivenförmigen, scharf eingeschnittenen Orna-
menten, die in der mannigfachsten Weise, oft zu ganz natura-
listischen Blättern und Ranken zusammengestellt werden. Die Ränder
derselben sind auf das sorgfältigste geglättet. Der weiche Thon
1) B. J. LXXI Taf. V 1629. 1633. VH 1630.
2) B. J. LXXXVI Taf. VH 47. Cleuziou p. 216.
3) Cleuziou, p. 225, 244, 245. Dazu von Glasgefassen zu ver-
gleichen etwa B. J. LXXI Taf. V 1474. Taf. VII 1498, 1494, 1449 (?) (unterste
Reihe, 2. von rechts).
4) Mus. Borb. V Taf. XIII 14.
5) B. J. LXXXIV S. 109 Taf. II Nr. 2. 3. 4. 5. Cleuziou, p. 189 f.
aus Clermont-Ferrand (jetzt in St. Germain). Smith, Roman London
p. 93. V. Hefner Taf. IV 11. Cochet, Normandie souterraine Taf. II.
6) Ich kenne ausser den genannten solche in Köln, Trier, Homburg,
Speier, Wonns, St. Gennain (aus Henin Lietard [Pas de Calais], Vannes
[Morbihan], Vichy, St. Etienne au Tcmple [Marne], Conflans snr Seine,
Sceaux [Loiret], Auberive [Marne], Jonchery [Marne]). Auch in der Nekro-
pole von Trion finden sich Scherben.
Terra sigillata. 123
gibt, wenn man Einschnitte in ihn zu machen sucht, stets etwas
aufgeworfene Ränder, da das Material elastisch und klebrig ist.
Diese Dekoration muss daher ursprünglich für einen Stoff erfunden
sein, dem diese beiden Eigenschaften abgehen. Ein solcher Stoff
ist aber das Glas und zu allen Zeiten bis in die Gegenwart sind
für den Glasschliff Olive und Gerstemkorn die beliebtesten Dekora-
tionselemente gewesen^).
Als Bestätigung kommt hinzu, dass auch die Gefässformen der
Glasfabrikation entnommen sind: eine schöne Flasche der Wormser
Sammlung, eine Vase in Speier von derselben Form, wie die mit
Barbotine verzierte desselben Museums (53), und vor allen die häu-
figste, der kleine fusslose Napf (41) mit etwas ausladendem Bande.
Alle diese kommen in Glas vor.
Was die Datirung der Sigillaten mit eingeschnittenen Mustern
betrifft, so sind derartige Gefässe in der von Goch et publizirten
Nekropole von Neuville le PoUet gefunden, die durch die Mttnz-
funde in's IL Jahrhundert gerückt wird *), femer ein Stück auf der
Saalburg (das also rund zwischen 100 und 250 n. Chr. zu datiren
ist) ; eine grosse Reibschüssel mit Kerbverzierungen am Rande stammt
aus der Fabrik des Asiaticus in Lezoux, die Plicque etwa 240 — 268
setzt; mehrere Stücke schwarzer Gefässe mit gleichen Verzierungen
kamen in der Töpferei in Trier zum Vorschein, werden also wieder
in's II. oder den Anfang des IIL Jahrhunderts gehören^); ein Näpf-
chen stammt aus einem Remagener Grab (III. Jahrhundert)*). Es
gehört endlich noch hierher der Napf B. J. LXXXVI Taf. X 33, aus
einem der spätrömischen Gräber in Andernach ^). Alle diese Stücke
weisen also in spätere Zeit, keines ist älter als das IL Jahrhundert.
Wir werden daher der Angabe, das von Klein B. J. LXXIV
Taf. II 3 publizirte Stück sei mit einer Münze des Nero zusammen
gefunden, kein grosses Gewicht beilegen; denn die Nachricht ist
1) Froehner, Verrerie antique Taf. 22. 93. 94. B. J. LXXI Taf. V
1517, 1363, 1364, 1535. Taf. VI 1367.
2) Cochet, Normandie sout. Taf. II und III, p. 73 ff.
3) Auch in St. Germain habe ich schwarzgefirnisstc Gefässe mit der-
artigen Verzierungen gesehen.
4) B. J. LXXXIV S. 110 Nr. 5.
5) Auf der Tafel nicht gut abgebildet. Der Rand ist wagerecht.
Darauf ist eine feine Guirlande eingeschnitten,
124 Hans Dragendorff:
nicht sicher und die Münze würde ja auch nur einen terminns post
quem geben*).
Unsere Datierung lässt sich aber auch noch auf anderem Wege
rechtfertigen. Einmal kommt eben diese Napfform ohne Verzierungen
in den Gräbern des III. und IV. Jahrhunderts sehr oft vor, ferner
in eben derselben Zeit auch ihre Vorbilder in Glas. Endlich scheint
das Einschleifen von Verzierungen in Glas überhaupt erst in späterer
Zeit gebräuchlich oder doch beliebt geworden zu sein. Wir kommen
somit auf einen ziemlich späten Ansatz für diese Gefässklasse.
Im Einzelnen unterscheiden sich die Exemplare nach der Güte
der Ausführung recht erheblich von einander, so dass man sowohl
einen ziemlich grossen zeitlichen Unterschied als auch verschiedene
Fabriken annehmen muss. Das Näpfchen der Bonner Universitäts-
sammlung Nr. 484 z. B. ist von feinster Ausführung mit papierdünnen
Wänden, während andererseits das in Remagen gefundene ganz die
schlechte Sigillata der späten Zeit zeigt.
Dass solche Gefllsse in Lezoux und Trier fabrizirt wurden, ist
schon gesagt. Die in Rheinzabern gefundenen Stücke machen es
wahrscheinlich, dass das Verfahren auch den dortigen Töpfern nicht
unbekannt war. Stempel, nach denen allein man über die Frage, nach
der Herkunft abschliessend urtheilen könnte, tragen die Gefässe mit
eingekerbtem Muster nie.
III. Vasen mit ausgepresster Reliefverzierung,
a. Italische Vasen.
Es erübrigt nun noch, dass wir die weitaus grösste Gruppe
der dekorirten Gefasse betrachten, diejenigen, die ganz in der Weise
der arretinischcn und puteolanischen mittelst Formschtisseln herge-
stellt sind. Sehr zu bedauern ist, wie schon erwähnt wurde, dass
für diese spätere Zeit keinerlei genügendes Material aus Italien vor-
liegt. In den zahlreichen Publikationen, die ich durchgesehen habe,
fand ich von verzierten Sigillata-Schalen italischen Fundortes nur
ein paar unbedeutende Fragmente, die in Industria gefunden sind*)
1) Koenen scheint geneigt, sie sogar erst der späten Kaiserzeit zu-
zuschreiben (Gefässkunde S. 112 e).
2) Atti della soc. di archeol. di Torino III p. 112 ff. Taf. 28. 1 a. b.
2. 9 a— c.
Terra sigitlata. 125
und i^eiter nichts lehren, als dass eben auch dort ganz ebensolche
Gefösse im Gebrauch waren, wie in Gallien und Germanien. Ob
sie in Italien gefertigt oder erst durch Handel dorthin gekommen
sind, ist nicht zu entscheiden. Mehrere Fragmente aus Rom besitzt
das Bonner Kunstmuseum. Von diesen stimmen einige ganz mit den
provinzialen Schalen des I. Jahrhunderts überein. Ein paar andere
sind plumper in der Form und die Glasur ist ungewöhnlich dick.
Die Verzierung besteht aus grossen schlecht gezeichneten Figuren.
Bei dem einen Ge&sse sind diese durch schrafSrte Dreiecke ge-
trennt, ein geometrisches, zweifellos der gallischen Töpferei der
La Tgne*Zeit entlehntes Fttllornament, ftlr das es in italischer und
griechischer Kunst dieser Periode keine Parallele gibt. Auch unter
den provinzialen Geissen kenne ich nur ein Fragment, das sich
hiermit vergleichen Hesse; es befindet sich in Köln und zeigt neben
einer Löwin ein schraffirtes Dreieck oder Viereck*).
Vielfach sind an diesen rohen italischen Fragmenten auch Halb-
monde und Sterne als Schmuck verwendet. Die Gefässe machen einen
sehr unerfreulichen Eindruck. Zwei von ihnen tragen den Stempel
SEX -M- F. Dieser Stempel kommt oft in Pompeii und auch sonst vor ^),
wodurch wir das überraschende Resultat gewinnen, dass schon vor
dem Jahre 79 n. Chr. italische Sigillata- Vasen den gleichzeitigen, in
Gallien und Germanien gefundenen, an Qualität nachstehen. Ob das
durchgängig der Fall war oder nur in der Fabrik des Sextus, von
der zufällig Fragmente bekannt geworden sind, die man datiren kann,
lässt sich noch nicht entscheiden. Auf jeden Fall wirft die Thatsache
ein interessantes Licht auf die rasche und glückliche Entwickelung
der gallischen Industrie in jener Zeit.
Erwähnen will ich hier noch ein Fragment, das keinen
Stempel trägt, aber seiner Formgebung nach hierher gehört und
einen merkwürdigen figürlichen Schmuck aufweist. Es ist mit nackten
tanzenden Männern geschmückt, die hohe Mützen tragen, Haken-
1) In der Form weicht das Kölner Gefilss Von dem italischen be-
trächtlich ab und ist wohl jünger.
2) C. X 8055. 24 ff., 8056. 195 flF. C. V 8115. 65. C. II 4970. 279.
In Gallien ist kein Stück dieses Töpfers gefunden. Um jene Zeit
kam dorthin eben, wie im vorigen Abschnitt klar gemacht, keine italische
Sigillata mehr.
126 Hans Dragendorff:
nasen und lange Phalloi haben. Sie sind die direkten Naebkommen
der alexandrinisehen tp^XXoi, denen wir anf piiteolanischen Gefässen
und Canipanareliefs begegnet sind.
b. Provinziale Ge fasse.
1. Dekoration.
Aach bei den provinzialen omamentirten Gefässen müssen wir
aus vorläufig darauf beschränken, in allgemeinen umrissen die Ent-
wicklung zu skizziren. Die genauere Bearbeitung aller Einzelheiten
muss späterer Zeit vorbehalten bleiben. Es ist dazu vor allen Din-
gen eine möglichst vollständige Sammlung imd Ordnung der auf
den Sigillata-Gefässen vorkommenden Typen erforderlich, die ich
jetzt noch nicht geben kann. Auch bestimmte Eigen thümlichkeiten
einzelner Fabriken müssen noch mehr beachtet werden *).
Auffallend ist bei den omamentirten Gefässen, die aus den
Provinzen stammen, die geringe Auswahl der Formen, die den
TOpfeiTi zu Gebote stehen. In der frühen Kaiserzeit sind es die
Formen 29 und 30, über die schon oben S. 85 gesprochen ist.
Auch hier sind die ältesten Stücke die besten. Allmählich nimmt
die Schärfe des Reliefs, die feine Gliederung und Profilirnng ab.
Eine direkte Vorstufe für diese Formen kann ich in Arezzo und
Puteoli nicht nachweisen. Verwandt der Form 29 sind die oben er-
wähnten Schalen mit dem Stempel SEX-MVRR-FEC. Die Formen
29 und 30 waren in denselben Fabriken in Gebrauch. OFMSCLl
steht in einer Schale der Form 29, M A S C LV S auf 2 Näpfen der
Form 30, von denen der eine in Britannien, der andere letzthin in
Asberg gefunden ist*).
Die Stempel sind wie bei den undekorirten Gewissen innen
1) Die in Rottweil vorkommenden Typen sind zusammengestollt
von Holder in der angeführten Schrift, Taf. XVI— XX. Die Westerndor-
fer finden sich bei v. Hefner auf Taf. I— HI S. 28 flf. Eine Anzahl in
Paris gefundener hat Gri vaud, Antiq. gauioises Taf. X ff. publizirt. Scherben
aus dem Casteli Niederbieber gibt Dorow, Alterthümer von Neuwied Taf.
XXVI und XXVn. Einiges aus Lezoux ist bei P 1 i c q u e a. a. 0. abge-
bildet.
2) Die Kenntniss des Asberger Gefässes verdanke ich der freund*
liehen Mittheilung von Dr. 0x6 in Crefeld, eine Photographie desselben
Dr. Siebourg. Beide Näpfe sind sicher aus derselben Fabrik; gegen
den sonstigen Gebrauch ist bei beiden der Name aussen angebracht und
zwar sind die Buchstaben zwischen die Ornamente vertheilt.
Terra sigillata. 127
angebracht; also abweichend von der Sitte der arretinischen und
piiteolanischen Töpfer, die bei dekorirten Gefässen ihren Stempel
zwischen die Ornamente setzen. Gleichzeitig, etwa in der ersten
Hälfte des I. nachchristlichen Jahrhunderts scheinen beide Formen
aufzutreten und sich das ganze erate Jahrhundert hindurch zu halten.
Allmählich werden sie durch die spätere Form der dekorirten Schale
(37) verdrängt, welche im letzten Drittel des I. Jahrhunderts auf-
tritt Die Näpfe (30) scheinen sich etwas länger im Gebrauch er-
halten zu haben, wenngleich in stark vergröberter Form. Sie kom-
men noch in der Westerndorfer Fabrik vor, die kaum vor der Mitte
des IL Jahrhunderts ihre Arbeit beginnt*).
Wie sich Form und Profilirung der fiühprovinzialen Schalen
nicht direkt an die der puteolanischen anknüpfen lassen, so ist
auch die Dekoration bei manchen Aehnlichkeiten im Einzelnen doch
verschieden. Wir sahen, dass bei den puteolanischen Gefilssen
das figürliche Element in der Dekoration stark zurücktrat, ja dass
viele Stücke rein ornamental verziert waren. Dasselbe ist bei den
provinzialen der Fall. Hier fehlen Figuren zunächst ganz oder sind
beschränkt auf kleine Vögel, Hasen oder dergl., die rein dekorativ
zwischen die Sanken gesetzt werden. Während aber die puteolani-
schen Töpfer ihre Guirlanden nach eigenem Geschmack aus einzelnen
Blättern und Blüthen combinirten, sind in den Provinzen zur Her-
stellung der Formschüsseln Stempel benutzt, die schon die fertige
Guirlande zeigten und nebeneinander gesetzt die fortlaufende Deko-
ration ergaben*).
Die Elemente der Dekoration sind nur in wenigen Fällen den
puteolanischen und den provinzialen Vasen gemeinsam^), es klafft zur
Zeit zwischen den italischen und den" provinzialen Sigillaten eine
Lücke, die sich voraussichtlich schliessen würde, wenn wir den
Inhalt einer grösseren Zahl gallischer Gräber der cäsarischen und
augusteischen Zeit besässen.
Bei den schönsten provinzialen Ten-a sigillata- Schalen der
1) Vergl. auch K o e n e n Gefässkunde S. 88 ff,
2) Proben finden sich bei Smith, Collect, ant. I Taf. LIII.
8) Des gegenständlichen Interesses halber mag hier ein Becher des
Mus. V. Orleans erwähnt werden, auf dem 4 Skelette in hohem Relief
(wahrscheinlich aus einer Form gepresst und dann aufgeklebt) sich finden.
Mömoires des Antiquaires de France XXXI p. 160 (de Witte). Skelette
fanden sich auch schon auf arretinischen u. puteolanischen Vasen.
128
Hans Dragendorff:
Form 29 ist der untere Theil mit einer senkrechten zum Fusse
spitzzulaufenden Riefelung versehen (z.B. Trier, Inv. 2117. Fig. 16).
Hierzu finden wir die Anfänge schon bei puteolanischen Vasen.
Vergl. Taf. VI 57. Doch ist das Ornament dort noch mehr blatt-
\\>\\>wv.^'^\\\\\\v\vt\\V
Fig. 16.
artig, etwas gebogen, und dass wir es wirklich mit einem Blatt-
ornamente zu thun haben, zeigt z. B. Taf. V 37, wo sich dasselbe
Ornament zwischen anderem Blattwerk findet. Aus diesem Grunde
wird denn auch oft bei den provinzialen Schalen diese Riefelung mit
vegetabilischem Beiwerk verbunden. So wächst z. B. aus jedem
derartigen Ornament bei einem Mainzer Gefäss ein schmales Blatt,
bei einem Trierer Stück eine Eichel, bei einem Pariser ^) eine Blume.
An Stelle dieser Riefelung zeigt der untere Streifen der Scha-
len oft eine zweite umlaufende Ranke, so ein Exemplar im Museum
Fig. 17.
1) Grivaud Taf. X 8.
Tenra sigillata.
129
von St. Germain mit Stempel 0 F M S C L I aus Vienne. Selten
folgt unter der Riefelung noch ein Rankenstreifen, wie bei einem
Fragment der Bonner üniversitätssanimlung Nr. 555 (Vig. 17).
Dieses System wird nun in verschiedener Weise gewandelt,
immer aber bleibt die Zweitheilung der Dekoration gewahrt.
a. In die Halbkreise, welche die Ranke mit dem sie begren-
zenden Perlstabe bildet, werden kleine Thiere oder auch schuppen-
artig angeordnete Blätter gestellt (Fig. 18 und Hoelder Taf. XVI 3. 4).
^s^s^ssmsssss^r^^
iCdCjUCO
Fig. 18.
Fig. 19.
b. An Stelle der oberen Ranke tritt ein Fries von laufenden
Thieren (Fig. 19. Köln, Tnv. 222.S).
c. Der umlaufende Streifen wird in metopenartige Abschnitte
zerlegt (Fig. 20. Köln); Grivaud Taf. XVIII 1; Hoelder Taf.
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Fig. 20.
XXI 2. Häufig ist abwechselnd ein Abschnitt mit einer Figur und
der folgende mit Ornamenten gefallt. Letztere zeigen oft kreuz-
Jahrb. d. Ver. v. Alterthafr. im Rheinl. XCVI.
180
Hans Dragendorff:
weis gestellte Perlstäbe, deren Schnittpunkte durch kleine Blüm-
chen niarkirt werden und aus denen Blätter an gebogenen Stielen
herauswachsen, z. B. Fig. 21 (Köln) Hoelder Taf. XV 9. In dieser
Zerlegung der umlaufenden Friese in kleine Rechtecke spricht sich
bereits ein Schwinden des Verständnisses für die Congruenz von
Dekoration und Foi-m aus. Auch zeitlich sind die so verzierten Ge-
fösse später anzusetzen als die mit umlaufenden Friesen.
Fig. 21.
Meist sind sie plumper und die Profile stumpfer. Sehr gebräuchlich
ist diese Metopendekoration bei den Näpfen der Form 30, die, wie
oben bemerkt, erst etwas später aufzutreten scheinen.
Mit der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts tritt nun eine
neue Form der dekorirten Schale auf (37), die allmählich die ältere (29)
ganz verdrängt. Es sind einfache, etwa halbkugelige Schalen, oben
durch einen Rundstab abgeschlossen, mit niedrigem Ringfuss. Jede
weitere Profilirung fehlt. Die regelmässige Anordnung der Dekoration
ist die> dass oben ein breiter glatter Rand gelassen ist, auf diesen
ein Eierstab folgt, dann der eigentliche Omamentstreifen , nach
unten durch einen Blattkranz oder auch eine einfache Linie abge-
schlossen. Der Köi-per dieser Schalen ist aus einer Formschüssel
ausgepresst, der glatte Rand und der Fuss aus freier Hand dann
angesetzt. Die grösste Sammlung von Foimschüsseln befindet sich
im Museum in Speier; sie stammen aus Rheinzabem.
Diese Gefässe kommen mit dem Ende des I. Jahrhunderts iii
Gebrauch. Im Brandschutte des 70 n. Chr. zeratörten Lagers in
Terra sigillata. 131
Neuss fehlen sie noch ^). Bald darauf beginnen sie. Ein Stück ist
in der Andeniacher Nekropole gefunden 2). Es gehört zu den frühe-
sten und stimmt in der Dekoration (Banken mit darunter gesetzten
Thieren [a]) noch ganz mit den älteren Schalen tiberein. Aehnlich
das Gefäss der Bonner üniversitätssammlung Fig. 22. Wie bei den
Schalen älterer Form finden wir auch bei der Form 37 die Metopen-
einteilung (c), die wir dort als späteste Dekorationsstufe nachweisen
konnten und an's Ende des I. Jahrhunderts datiren mussten. Der-
Fig. 22.
selben Zeit lassen sich nun auch Schalen der späteren Fonn mit
Metopendekoration zuweisen, die in einem britannischen Grabe mit
einer Münze des NeiTa gefunden sind^).
Ein klares Bild von der Wandlung in der Dekoration ergiebt
sich auch, wenn man die Funde an den Hauptfabrikationsorten ver-
gleichend betrachtet. Dass die Form 29 in den südfranzösischen
Fabriken beliebt war, haben wir bei Besprechung der gelbglasirten
GefUsse gesehen. Unter den Stücken aus den Töpfereien von
Lezoux, die Plicque abbildet und die er nach 70 n. Chr. datirt,
finde ich kein Stück einer Schale von Form 29, wohl aber Schalen
37 der frühesten Art mit umlaufender Ranke. Diese Dekorations-
weise kommt unter den Formen, die in Rheinzabem gefunden sind,
nur ganz vereinzelt vor. Häufig ist hier die Metopeneintheilung, bei
der die einzelnen Figuren in von Perlstäben gebildete Rechtecke
eingeschlossen sind. Die Töpfereien von Rheinzabem beginnen kaum
vor dem Anfang des IL Jahrhunderts ihre Thätigkeit. Die letzte
Stufe der Dekoration ist die, bei der die Figuren entweder ganz
frei im Dekorationsstreifen vertheilt sind, oder in Medaillons oder
1) Ko e n e n , Gefässkunde S. 89.
2) B. J. LXXXVI Taf. VI. 15.
3) S m i t h , Coli. ant. I Taf. XVII p. 35.
132
Hans Dragendorff:
nischenartigen Umrahmungen eingeschlossen sind. Diese Art ist die
allein in Westerndorf gebräuchliche, wo alle Metopeneintheilung fehlt.
Es ist schon oben gesagt, dass die dortige römische Ansiedlung erst
von der zweiten Hälfte des II. Jahrhunderts an nachweisbar ist^.
Die Datirung für diesen Medaillonstil, wie ich ihn kurz nennen will,
bestätigt sich durch Fragmente dieser Art, die in einem Grabe bei
Springhead mit einer Münze des Sept. Severus gefunden sind*).
Dieselbe Geschmacksrichtung tritt uns ja auch bei den Näpfen ent-
gegen, die oben S. 102 kurz berührt sind und sich ebenfalls der
zweiten Hälfte des IL Jahrhunderts zuweisen Hessen. Wenn wir
die Entwicklung der Dekoration auf den beiden Formen 29 und
37 schematisch darstellen wollen, so erhalten wir etwa folgendes Bild :
Form 29.
Oben: Umlaufende Ranke,
unten: Riefelung.
F o r m 37.
Fehlt.
Zwei umlaufende Ranken (z. B.
in Andernach mit Münze des
Augußtus gefunden).
Fehlt.
Unter die Ranken sind Thiere
gesetzt.
Kommt vor in Andernach.
Vergl. auch Fig. 22. Auch in den
Fabriken von Lezoux
gebraucht.
Metopendekoration bis etwa
zum Jahre 100 n. Chr., wo die
Form verschwindet.
Gefunden mit Münzen des
Nerva. Gebräuchlich in den
Fabriken von Lezoux, Rhein-
zabem.
Fehlt.
Medaillondekoration.
Gebräuchlich in Lezoux, Rhein-
zabern, Westerndorf. In Spring-
head mit Münze von Septimus
Sevems gefunden.
Fehlt.
Der ganze Dekorationstreifen
ist regellos mit Thieren u. a.
Figuren besetzt. Rheinzabern.
Westerndorf.
Hand in Hand mit der geschilderten Wandlung in der Deko-
ration geht eine immer grössere Verrohung der einzelnen Darstcl-
lungen^ ein Absterben aller künstlerischen Erfindungsgabe. Auf die von
den Töpfern verwendeten Typen genauer einzugehen, muss, wie ge-
1) V. Hefner, Oberbayr. Archiv 22 S. 3.
2) Smith, Collect, antiq. I Taf. L, LI p. 110 ff.
Terra sigillata. 133
sagt^ einer späteren Untersnckung vorbehalten bleiben. Nur einige
allgemeinere Punkte mögen hier herausgegiiffen werden.
Auffallend ist zunächst der grosse unterschied zwischen der
Erfindung und der Ausführung der figürlichen Typen. Es begegnen
uns eine Menge vorzüglich erfundener, lebhaft bewegter Figui'en,
aber in so oberflächlicher, meist sogar roher und plumper Aus-
führung, dass die figürlichen Darstellungen unmöglich von den ein-
zelnen Töpfern erfunden sein können, sondern als Nachbildungen
älterer Muster angesehen werden müssen. Dies wird dadurch be-
stätigt, dass trotz der gallischen Nationalität der Töpfer doch fast alles
specifisch Gallische in dem' Typenschatze fehlt, unter etwa 120
Typen menschlicher Figuren kenne ich nur 2, die offenbar gallische
Erfindung sind. Der eine Typus, der mehrfach auf Westemdorfer
Gefässen vorkommt, stellt einen Mann in dem langen gallischen
Mantel mit Kapuze dar, der andere, auf einer Scherbe in Trier,
einen Jäger, ebenfalls mit Kapuze, der hinter seinen Hunden herläuft.
Die Darstellungen, die ich hier nicht annähernd vollständig
aufzählen kann, sind sehr mannichfaltig. Wir finden Götter,
andere mythologische Figuren, Menschen in den verschiedensten Thä-
tigkeiten (Krieger, Gladiatoren, Thierkämpfer, Jäger, Tänzer, einen
Töpfer bei der Arbeit u. s. w.), femer Thiere (neben Hausthieren
vor allem Löwen, Hireche, Hasen), allerhand Blätter und Zweige.
Von Göttern kenne ich folgende:
Jupiter, nackt, die Linke hoch aufs Scepter gestützt, auf
der Rechten den Adler haltend. (Aus Lezoux in St. Germain.)
Poseidon, nackt, die Rechte hoch auf den Dreizack gestützt.
(Köln.)
Apollo, Leyer spielend, sowohl sitzend als stehend, immer
nackt, in 4 verschiedenen Typen.
Dionysos, nackt, stehend, die Linke auf den Thyrsus ge-
stützt, in der gesenkten rechten Hand eine Kanne, zu seinen Füssen
liegt ein Panther. (Rheinzabem.)
Hep hast OS in der Exomis, mit Kappe und Stiefeln, im linken
Ann hält er die Zange, in der rechten Hand den Hammer.
Hermes, mit Kerykeion im Ann (Westemdorf). Die in den
arch.-epigi'. Mitth. aus Oesterreich VIII, Taf. 5 abgebildete und S. 228
für eine Replik des Hermes des Praxiteles erklärte Figur, der da-
nach mit einem langen Thyrsus in der rechten Hand ergänzt wer-
den soll, hält, wie viele andere Exemplare lehren, ein Schwert
134 Hans Dragendorff:
im linken Arm, nicht den Bacchusknaben. Vergl. z. B. Holder,
Taf. XVII, 1.
Derselbe, mit gesenktem Kerykeion in der Rechten, Beutel
in der Linken. Ein in späterer Zeit gerade auch in Gallien sehr
beliebter Typus. (Köln.)
Herakles, nackt, stehend, die rechte Hand auf den Rücken
gelegt, über den linken Ann ist das Löwenfell geschlagen, die linke
Hand hält die Keule. (Holder, Taf. XVII, 13. Speier.) Herakles
sitzend, trinkend, die Keule angelehnt. Hamburg (Gewerbemuseum)
aus Bacharach.
Aphrodite sind wohl manche der nackten weiblichen Figuren
zu benennen, die besonders häufig sich finden und in ihrer Haltung
an Venusstatuen erinnern.
Artemis, vorwärtssttirmend, in kurzem Gewand, mit dem
Bogen. Neben ihr ein Hund. (Holder, Taf. XVII, 5.)
Dieselbe, in langem Gewand, die rechte Hand hält einen
Hasen an den Vorderpfoten, die linke den Bogen.
Athena, mit viereckiger Aigis mit Gorgoneion, die Rechte
hoch auf die Lanze gestützt, auf dem runden Schild sitzt die Eule.
Dieselbe. Sie hat den Speer etwa in der Mitte des Schaftes
gefasst. (Abgeb. Fig. 23.)
Dieselbe, sitzend, den linken Arm auf den Speer gestützt,
die rechte Hand ruht auf dem Rande des neben ihr am Boden
stehenden Schildes. Sitzende Darstellungen der Athena gehören
in der Kaiserzeit zu den grössten Seltenheiten, sind aber im Rhein-
land unter den Terracotten ziemlich häufig. Der Typus dürfte ein
durch Massilia vermitteltes griechisches Erbe sein. Vergl. B. J.
LXXXXV S. 261.
Victoria, von vorn gesehen. Die Rechte hält den Kranz,
die Linke die Palme.
Dieselbe, von der Seite gesehen.
Einschenkende Nike in kurzem Gewand, im Typus der neu-
attischen Reliefs. (Heddemheim.)
Fortuna, sitzend, mit FüUhora.
Eroten kommen in zahlreichen verschiedenen Typen vor: eine
Traube oder Schale haltend, Hasen fangend u. s. w. Auch Pane
und Satyrn kehren oft wieder. Erwähnung verdient ein bärtiger
Satyr mit der Syrinx, der einer die Doppelflöte blasenden
Sirene (Vogel mit Frauenkopf) gegenübersteht. Die Gruppe findet
Terra sigillata.
Id5
sich sowohl auf einer Scherbe in Trier, als auch unter den Heddern-
heimer Funden und auf der Saalburg.
Amazone in kurzem Chiton, die linke Hand hoch auf den
Speer gestützt, die rechte fasst den Speer in der Mitte. (Western-
dorf, Köln, Rheinzabern, Lezoux.)
Gigant mit Schlangenfüssen, eine Keule schwingend. (Westcrn-
dorf, Paris, Speier, Lezoux, Vichy, Saalburg.)
Aus dem Seethiasos kommen vor:
eine nackte Nereide mit einem Kranz in der Hand, auf
einem Stier liegend. (Westerndorf.)
Erot auf einem Seestier reitend. (Lezoux.)
Triton mit Muschelhorn, auf einem Seepferd. (Westerndorf.)
Seepferd. (Paris, Rheinzabem.)
Seelöwe. (Speier, Heddernheim, Saalburg.)
Seepanther. (Vichy.)
Von anderen Fabelwesen finden sich der schreitende Greif
(Rheiuzabern, Heddeniheim) und die Sphinx in zwei Typen, a) liegend
(^Paris, Rheinzabern), b) sitzend, das rechte Vorderbein gehoben
(Paris, Rheinzabern.)
Sehr vereinzelt sind mythologische Szenen. Pygmaee mit
einem Kranich kämpfend, auf einer Scherbe aus Heddernheim. Der
Pygmaee hat einen Amazoneuschild.
Bellerophon, nach rechts eilend, den auf bäumenden Pegasus
am Zügel führend. (Lezoux.)
Dioskur, eine Leukippide raubend. (Köln. Abgeb. Figur 23.)
Fig. 23.
Toreutische Verwendung dieses Typus in hellenistischer Zeit bei
Schreiber, Reliefbilder Taf. XLIX.
186 Hans Dragend orf f :
Die römiscbe Wölfin mit Romulus und Remus (Rottweil;
Köln). Die von Foereter, Arch, Jahrb. IX, S. 44 ff. publizirte
und auf Laokoon gedeutete Darstellang möchte ich für den jugend-
lichen Herakles, der die Schlangen würgt, halten. Die Bewegung
der Arme und Beine scheint mir für diese Deutung zu sprechen.
2. Tüpferstempel.
Töpferstempel finden sich auch an den späteren Schalen. Doch
stehen sie hier, im Gegensatz zu den frühprovinzialen, wieder an
der Aussenseite, wie in Arezzo und Puteoli. Angebracht sind sie
in verschiedener Weise. Entweder ist ein Stempel mit concaven
Buchstaben in die Formschüssel gepresst, so dass also an der daraus
geformten Vase sich ein erhöhtes Siegel mit vertieften Buchstaben
befindet, oder es ist ein Stempel mit erhöhten Buchstaben in die
Form gedrückt, so dass der Name des Töpfers gleich den übrigen
Dekorationen erhaben an der Aussenseite des fertigen Gefässes steht.
Häufig finden sich an einer Vase 2, und zwar verschiedene
Stempel, selten mehr. Es fragt sich, wie man diese doppelte Stempe-
lung erklären soll. Die Lösung bietet der Vergleich von Rheinzaberner
mit Westerndoifer Stücken. Wir finden auf Rheinzaberner Schalen
combinirt:
I. IL
CERIALFE mit CONSTANT
COMITIALISFI „ lOVENTI
COMITIALISFI „ LATINNI
COMITIALISFI „ SECND^MANI (Secundiani?),
auf Westerndorfern ^) :
COMITIALISFE mit C-SS-EROT
COMITIALISF „ CSS-ER
COMITIALISF „ CSSMAIANVSF
SEDATVSF „ CSSER
CSSMAIANVS „ CSSER.
Weiter findet sich auf einer in Rheinzabem gefundenen Vase
der Stempel PRIMITIVOS, derselbe auf einem Westerndorfer
Stück, ebenso auf einem Rheinzaberner 0 E R I A L I S , derselbe auf
einer Formschüssel, die in Bregenz geftmden ist*).
1) Die Stempel aus Westerndorf sind zusammengestellt bei v. H einer
a. a. O. Jetzt auch 4m C. III 6010.
2) Vergl. den betr. Namen in C. III 6010.
Terra sigillata. 187
Wir sehen also, dass die Namen der ersten Columne, COMI-
TIALIS, CERIALIS, ebenso wie PRIMITIVOS, mehreren Fabriken
gemeinsam sind. Dagegen kommen die der IL Colnmne theils nur
in Rheinzabem, theils nnr in Westerndorf vor. Die Namen der
zweiten Columne haften also an der Fabrik.
Ausser diesen Namen der II. Columne kommen mit dem Zusatz
CSS in Westerndorf noch CSS BELATVLLVS und CSS VOLO-
GESVSF auf dekorirten Vasen vor. Alle diese sind fast immer auf
dem oberen glatten Rande des Gefässes angebracht, d. h. sie waren
nicht in die Formschüssel eingedrückt, wurden also nicht mit
den anderen Ornamenten abgeformt, sondern sind eret auf das fer-
tige Gefäss gestempelt. Der Zusatz der Buchstaben CSS findet sich
nur bei den Westemdorfer Geftesen ^). Ein einziges Mal steht der in
Westerndorf häufige Stempel CS- SERO (C. VII 1337. 23) auf
einem Stück aus Britannien. Dies scheint also sicher aus Westerndorf
auf irgend eine Weise nach Britannien gekommen zu sein. Dagegen
ist die Sitte, den einen Stempel auf den glatten Rand zu setzen, nicht
auf Westerndorf beschränkt, sondern findet sich auch bei gallischen
Stücken«). Die Stempel mit CSS, CSSELEN IVSF, CSSMAR-
CELLI. M, CSSSEDATVS, CSSVOLVGESVS finden sich
auch auf unverzierten Westemdorfer Geftssen.
Es folgt aus alledem, dass die Namen in der II. Columne den-
jenigen bezeichnen, der das Geftlss selbst geformt hat, sei es nun
in Rheinzabem oder in Westerndorf. Dann können die Namen der
ersten Columne, die gleichmässig in Westerndorf und Rheinzabem
wiederkehren, nur zu etwas gehören, was diesen beiden Fabriken
gemeinsam ist: das sind aber die figürlichen Typen, die zur Her-
stellung der Formschüssel verwendet wurden. Denn dass nicht mit
fertigen Formschüsseln Handel getrieben wurde, zeigt der Umstand,
dass bei den Rheinzabemer und vereinzelt auch bei den Westem-
dorfer Schalen beide Namen in die Formschtissel gepresst waren').
1) Wie sie zu ergänzen sind, ist mir noch nicht ganz klar. v. Hef-
ner S. 43 löst auf C. Septimius Secundianns und hält, dies für den Namen
des Fabrikherrn, was ja möglich wäre. Wir hätten dann in Westerndorf
wieder eine grössere Fabrik gegenüber dem offenbaren Kleinbetrieb in
den Provinzen.
2) BuUetin monumental XXV p. 692 ff.
3) Damit fäUt v. Hefner's Ansicht. Dieser hatte richtig erkannt,
dass 2 Arten von Stempeln zu scheiden seien. Er bezog aber diese auf
den Töpfer und den Verfertiger der Formschüssel.
138 Hans Dragendorff:
Unsere Annahme erhält eine Stütze dadurch, dass in der That ein
grosser Theil der verwendeten Typen sich sowohl in Rheinzabem
als auch in Westemdorf findet. Beide Orte hatten also eine gleiche
Bezugsquelle für die Typen, die sie bei der Verfertigung ihrer
Formschüsseln verwendeten, und weiter sehen wir, dass diese Typen
oft mit einem Stempel versehen waren ^). Comitialis, Cerialis, Primiti-
ves, Ginnamus sind demnach nicht Töpfer^ sondern Bildner, die Figuren-
Stempel foimten und in den Handel brachten. Damit stimmt, dass
ihre Namen nicht auf germanische Vasen beschränkt sind, sondern
auch auf gallischen und britannischen vorkommen, während die
eigentlichen Töpferstempel in der II. Columne sich auf Germanien be-
schränken. Wenn wir dagegen Gefässe, die in Köln gefunden sind, mit
denen von Rheinzabem oder Westerndorf vergleichen, so ist es auffal-
lend, wie wenig die Typen übereinstimmen. Wir müssen daraus schlies-
sen, dass die niederdeutschen Töpfer ihre Typen aus anderen Fabiiken
bezogen als die süddeutschen. Stempel fehlen leider auf den Kölner
Schalen fast vollständig. Sowohl die Kölner als auch die Rhein-
zaberner und Westerndorfer Typen aber kehren auf gallischen Stücken
wieder. Ein Analogon zu diesem Handel mit Typen haben wir
bei den Terracotten. Auch an Formen für Terracotten finden
wir oft 2 Stempel. Der eine steht concav im Innen» der Form,
also convex auf der Basis der fertigen Figur. Der andere ist aussen
in die Form vor ihrem Brande eingeritzt, fehlt also auf dem ge-
wonnenen Abdruck. Es hat also der Künstler eine Figur geformt
und als seine Erfindung mit seinem Namen signirt; der Töpfer kaufte
sie sich, fertigte danach seine Form, die er, um sie nicht zu ver-
lieren, aussen mit seinem Namen kennzeichnete. Daher ist hier auch
oft der Zusatz FORMA gemacht, z, B. AVOTI FORMA,
N AT T I FORMA«). Die Hauptfabriken für Terracotten lagen an
der Allier, im Gebiete der Arvemer. Dass sie einen guten Ruf hatten,
beweist, dass NATTVS seinem Namen den Zusatz ARVERNVS
gibt. Dort mögen auch manche der figürlichen Typen für die Terra
sigillata-Fabrikation hergestellt sein. Libertus, dessen Name an
mehreren erhaltenen Typen steht, ist sicher dort heimisch. Diese
1) Cleuziou p. 137, 140, 142 ff,
2) T u d 0 1 , Bull, monumental 1857 p. 355 ff. Smith, Coli. ant.
VI p. 69 ff. B 1 a n c h e t , M^m. de la soci^t6 des antiquaires de FraQce
J890 p. 65 ff.
Terra sigillata. 139
Frage wird sich erst genauer behandeln lassen, wenn wir voll-
ständigere Kenntniss der Töpfereien an der AUier haben. Für
jetzt haben wir aus der Untersuchung das Resultat gewonnen,
dasfi die Typen sich nicht auf eine Töpferei beschränken, son-
dern oft in vielen sich nachweisen lassen und dass mit ihnen ein
Handel getrieben wurde. Dass diese Typen bisweilen von den
Töpfern nachgeschnitten wurden, ist mir wahrscheinlich. Denn es
kommen, allerdings vereinzelt, Figuren in so unglaublich roher und
steifer Ausführung vor, dass man sich schwer denken kann, dass sie
auch in der Zeit grössten Verfalles einen Käufer gefunden hätten.
Auch sind es stets besonders häufige Typen, z, B. laufende Hunde
u. dergl.
XIU. Das Ende der Terra sigillata-Industrie.
Kurz müssen wir noch die letzten Ausläufer der Sigillata-
Industrie behandeln. Dass das Zeugniss des Isidor nicht für die
Dauer der Fabrikation zu verwenden sei, habe ich bereits oben
S. 52 gezeigt. Brongniart und Bi^ch lassen Sigillata-Gefässe
etwa bis 300 n. Ch. fabrizirt werden^), Gamurrini*) etwas länger, bis in
die Zeit der Constantine. Letzterer Ansatz ist richtiger. Es finden
sich Sigillaten bis ans Ende des IV. Jahrhunderts. Doch werden
sie*seltener und viel schlechter.
In den spätrömischen Bestattungsgräbem von Andernach, die
dem IV. Jahrhundert angehören (die letzte Münze ist von Maximus,
der bis 388 n. Chr. regiert) sind noch Sigillata-Gefilsse gefunden;
diese sind aber schlecht gebrannt und ohne allen Glanz. Die Haupt-
foimen sind 32, 33, 41, 47, 52, 54, 55. Die übrigen Formen ver-
schwinden. Die meisten rothen Gefässe dieser Gräber sind nicht
aus Terra sigillata, sondern mit einer matten rothen oder gelblichen
Farbe angestrichen, auf die weisse oder dunkle Ornamente gemalt
sind *).
Um dieselbe Zeit, am Ende des IV. Jahrhunderts, verschwinden
die feinen römischen Gefässe auch in den belgischen Gräbern ^). In
228 spätrömischen Gräbern bei Strassburg (letzte Münze von Con-
stantin II, gestorben 340) sind blos 3 Näpfchen aus Sigillata ge-
1) Brongniart, Trait6 p. 422. Birch. Hist. of anc. pott. p. 544.
2) Gazette arch. 1879 p. 49.
3) B. J. LXXXVI. Taf. X, 20, 25 u, s. w.
4) Annales de Namur XIX p. 447.
140 HansDragendorff:
funden (Form 33)*). Nur wenige Sigillata fand sich auch in den
bei Steinfnrt aufgedeckten Gräbern*), die Münzen von Claudius
Gotbicus bis Arcadius enthielten.
Töpferstempel fehlen auf diesen spätesten Sigillaten fast ganz.
Die omamentirten Schalen des II. und III. Jahrhunderts sind ver-
schwunden. Manche Gefösse tragen weisse Malerei, wie die schwarz-
gefirnissten Becher. Dann finden sich Schalen, die in ihrer Form
sich noch an die früheren ornaraentirten anschliessen. Ihre Deco-
ration besteht in flach aufgepressten Streifen mit geometrischer
Verzierung. Es sind stets mehrere Streifen untereinander gesetzt,
durch senkrechte Theilung in kleine Rechtecke zerlegt und diese
dann schraflSrt, oder mit Punkten, Sternchen u. s. w. geschmückt.
Als letzte Spur klassischer Ornamentik findet sich hier bisweilen
noch ein einzeln abgetrenntes Glied eines Eierstabes. Diese Orna-
mentirung führt uns direkt hinüber zu den sogenannten fränki-
schen Vasen, d. h. derjenigen Kultur, die die römische in den
Eheinlanden und Gallien ablöst. Beispiele dieser letzten römischen
Gefässe finden sich B. J. LXXXVI Taf. X. 60—63, mit denen man
die fränkischen Gefösse B. J. LXXXXII Taf. X vergleichen mag.
Dass diese Schalen zu den letzten Erzeugnissen römischer Keramik
gehören, zeigt der Umstand, dass sie vereinzelt sich noch in ger-
manischen Reihengräbern finden *) ; auch sind sie nicht mehr durch-
weg aus TeiTa sigillata verfertigt, sondern bisweilen aus weissem
Thon und mit rothem Anstrich versehen.
So sind wir an's Ende gelangt. Mit dem Untergang der
römischen Herrschaft schwindet auch die römische Kultur in den
Provinzen. An Stelle der römischen Keramik tritt wieder die bar-
barische. Die Technik, die wir fast 6 Jahrhunderte dauern sahen,
geht verloren. Sie vollständig wieder zu finden, ist bis heute noch
nicht gelungen.
1) Bull, des monuments historiques S. II vol. 11.
2) Publ. de Luxeuibourg V p. 45 ff.
3) W. Z. IX S. IGO. Taf. IX 48. Nach Rheinische Geschichtsblätter I
S. 194 sind auch in fränkischen Frauengräbern bei Nettcrshcim in der
Eifcl Gefässe aus Terra sigillata mit römischem Stempel gefunden; mög-
licher Weise hat man aber Gräber verschiedener Perioden nicht gehörig
unterschieden.
Terra sigillata. 141
Anhang.
Bemerkungen zn den Formtafeln I—lII.
Form 1—14.
In Arezzo gebräuchliche Formen. S. 40 f.
Form 15—17.
Tellerformen des I. nachchristlichen Jahrhunderts. S. 85. Auf
den Formen 1. 2. 3. 15 — 17 finden sich folgende StempeP):
OF AQVITAN [Bonn, Samml. d. üniv. no. 430].
OF AQViT [Trier, Prov.-Mus.].
OFAQVIAM [St. Germain].
ATEI Anderaach [Bonn] B. J. 86. 161.
A^IEVO Orange [St. Germain] ,Atei Euodus^
Andernach [Bonn] B. J. 89. 47. 374 u. B. J. 86.
XANT 164? 158. ,Xanthus Atci^
XAIII
X-A-N
lATM ? Andernach [Bonn] B. J. 86. 164. ,Gnae]i At[ei]
m[anu]' ?
OF BASSI [Trier, Prov.-Mus. no. 316]; Xanten Houben-
Fiedler S. 48 und sonst.
OFIC-BILTC [Trier, Prov.-Mus. no. 310 u. 5300] ,Bilicatus' vergl.
C. XII 5686. 129 f. C. VII 1336. 149.
B0LLV8FIC Saalburg [Homburg]; [Trier, Prov.-Mus.
no. 105 fF., gelb mit rother Marmorirung].
1) Wo nur der Aufbewahrungsort ohne Citat angegeben ist, habe
ich den Stempel selbst abgeschrieben. Manche von diesen können mit
schon publizirten Stempeln identisch sein. Bei der oft sehr unsicheren
Lesung ist die Identifizirung schwer. Es scheint mir nicht überflüssig bei
den einzelnen Formen die darauf vorkommenden Stempel zu notiren, da
die Formen schon einen gewissen Anhalt für die Datirung des betreffen-
den Töpfers geben.
142 Hans Dragendorff:
CABITON ? fSt. Germain].
CAESTI Andernach [Bonn] B. J. 86. 161.
OF CALV [St. Germain].
.OF CASt [St. Germain].
OF COCI [St. Germain].
CRESt Trier [Prov.-Mus. no. 4122].
ERTIVSI ? Orange [St. Germain].
OF FEICIS [Mainz] ,of. Felieis'.
IVN Vaison [St. Germain].
OF LABIO Vichy [St. Germain] ,of. Labionis' vergl. z. B. C. XII
5686. 473.
MACOARI [Benn, Samml. d. Univ. no. 447].
MODEST -F [St. Germain].
MONTANI [St. Germain].
OFPASSIENI (rückläufig) [Trier, ProT.-Mus. no. 18.312].
PASTORCE [Bonn]; [St. Germain].
PRIMVS [Trier, Prov.-Mns. no. 7097].
RECENI [Trier, Prov.-Mns. no. 11922].
REGENVS [Bonn, Samml. d. Univ. no. 545J.
TRVi'RE
RVi'ION
SALVE-TV [Trier, Prov.-Mus. no. 328].
SALV [St. Germain].
SCOTNVS [St. Germain] vergl. C. XII 5686. 796 und sonst.
SECVNDI [Trier, Prov.-Mus. no. 318].
SENICI [Trier, Prov.-Mus. no. 328] ,Senicio'. vergl. C. XII
5686.808. C.VII 1336. 1025. CHI 6010.204.
SRVIRATE? [St. Germain].
VAPVSVI ? Trier W. Z. Corr.-Bl. I 38. [Köln].
Form 181). g. §5.
OF AQVITAN [Köln Mus.]-, [St. Germain].
ARTIVS [St. Germain].
OF BASS RO [Mainz].
OFFCASTI [Bonn, no. 5602].
OF CASt Vaison [St. Germain].
CAVEATVS [St. Germain].
[St. Germain].
1) Die Form 18 geht allmählich in 31 über. Eine scharfe Scheidnng
zwischen beiden ist daher nicht möglich.
Terra sigillata. 143
COSIRV-FI Clermont-Feirand [St. Germain].
DAG0MARVSF Bonn [Samml. d. Univ.] B. J. 60. 85.
OFFAGE/// [Bonn] vergl. C. VII. 1336. 445. Seh. 2151.
©FRONtN [Bonn. no. 6040]; [Köln].
OF GEN JSt Germain].
GERMANI Orange [St. Germain].
lAPITVR ? Clermont-Ferrand [St. GermainJ.
OF ISCAA ? [St. Gerroain].
MACGARI Andernach [Bonn] B. J. 86. 165.
OFKMACOAR [Bonn].
OFMACCAR [Speier].
MARtlALFE [Mainz].
MARtAtSMA [Bonn no. 3405].
MEMORISM [Bonn no. 6468].
OF MOM Vaison [St. Germain].
OF PATRIC Saalbnrg [Homburg].
OF PATRC Saalbnrg [Homburg]; [Köln].
OFIC- PRIMI [Mainz].
OF PRIMI JSt. Germain].
SECVNDI [Trier, Prov.-Mus. no. 318]; [Bonn].
SECVNDVS Vaison [St. Germain].
SERRAE bei Este Atti d. L. III 13. 29.
OF SVLPICI Bonn [Samml. d. üniv. no. 460].
SVRDILISFE Mülhoven B. J. 72. 122.
TITVLLI-M Compifegne [St. Germain].
TOCCIVS Vienne [St. Germain].
OFVERF Milhan (Aveyron) [St. Germain].
Form 19—21.
Teller ans Terra nigra oder hellrothem Thon. I. Jahrhundert.
S. 87 flf.
Form 22 und 23.
Näpfe bester Zeit. Ohne Stempel. S. 86.
Form 24 und 25.
S. 86.
ARDACVS Juslenville Bull. Lifegeois IX p. 150.
CASTI Orange [St. Germain].
OME [St. Germain].
144 Hans Diagendorff:
COSOI? [Trier, Pi-ov.-Mus. no. 230].
PRM Xanten Lerseh, Centr.-Mus. IH 107 ,Primu8'.
QVART [Trier, Prov.-Mus.].
VIRTVSF [Trier, Prov.-Mus. 512].
VIRTV [Köln].
Form 26.
Napf. I. Jahrhundert. S. 86. In Deutschland selten.
ATEI [Köln].
^OIlL [Köln].
Form 27.
S. 86.
All" [Trier, Prov.-Mus. no. 11005]; [Bonn, Samml. d.
Univ. no. 519].
[0]F ALBAN [Mainz].
ALBV8 [Köln].
OF ANO Lyon [St. Germain].
AQVIT [Köln. 2 mal].
BASSIC [Trier, Prov.-Mus. no. 390].
BOVDVSF Saalburg [Homburg].
aVCCVS Saalburg [Homburg].
OFCALVI [Speier].
CASSIVSF [Bonn, Samml. d. üniv.].
CENSCJ Saalbnrg [Homburg] .Censorinus'.
COWICA Banassac 2 mal [St. Germain.]
[C]VPITVS Saalbnrg [Homburg 2 mal].
DOMETOSI Somme [St. Germain] ,Domitu8f' ?
DON /IC //IC Bonn [Samml. d. Univ.] B. J. 60. 77, dort
Donti ofic. gelesen. Vgl. B. J. 35. 45.
ERVIPINI ? Banassac [St. Germain].
FELIXSEV [Köln 3 mal].
SlOiaaiO [St. Germain] ,o. Felieis'?
OFRONTI Saalburg [Homburg] ,o. Frontini'.
lANVARIVS Saalburg [Homburg].
IVCVND Neuss B. J. 84. 263.
Terra sigillata. 145
OF-LVCCEI Bonn [Samml. d. ünir. no. 530] B. J. 60. 77.
OF-MACCAR Bonn [Samml. d. üniv. uo. 531].
MAIANV8-F [Trier, Prov.-Mus. no. 9536].
MARTI AL FE [Trier, Prov.-Mus. no. 361].
MARTIAL Bonn [Samml. d. üniv. no. 532].
OF MOI [Köln] ,Mode8ti'?
OF MOM Neuss B. J. 84. 263.
MONTANVS Saalburg [Homburg].
OF MORIN Andresy (Seine et Oise) [St. Germain].
NASSOISF Saalburg [Homburg].
OCÜL [Bonn, Samml. d. üniv. no. 454].
OENCV [Berlin, Antiquarium].
Ol VIA Andernach [Bonn] B. J. 86. 172 ,of. Via[toris]"f'
0MB Orange [St. Germain].
OSS? Saalburg [Homburg]; [Köln].
PASSIE Paris [Mus^e Camavalet].
PECVkUFE Saalburg [Homburg].
PECVLLFE Saalburg [Homburg].
PETRVLLVSFEC Saalburg [Homburg].
PLACIDVS [Bonn, Sammlung d. üniv. no. 455].
PLAC— DYS Saalburg [Homburg].
OF PRM [Bonn, Samml. d. üniv. no. 544].
PRM^M_ [Köln].
PRiM-MA Paris [Mns^e Camavalet].
OF-PRIMI Paris [Huste Camavalet].
PRM St. Beraard (Ain) [St. Germain].
QVINTIM Sufevres [St. Germain].
RVFNI [St. Germain] ,Rnfini'.
2V5I^O Vieille Toulouse 2 mal [St. Germain].
SABELLVSF Saalburg [Homburg].
SACERF Saalburg [Homburg].
SACRATV/ [Bonn, Samml. d. üniv. no. 547].
SAIT/// Saalburg [Homburg].
SATERNVS Saalburg [Homburg].
OF SA VF; Saalburg [Homburg].
SECVNDINI [Köln].
OF SEVER Paris [Muste Camavalet].
MI>M3ITVv Banassac [St. Germain], Cn.Ticini m."?
TOCC-^ Saalburg [Homburg].
Jahrb. d. Ver. v. Aiterthsfr. Im Rhelnl. XCVI. IQ
146 Hans Oragendorff:
TOCCA Limesthurm XI an der Tannuslinie [Homburg].
VERECVNDI [Speier].
•rOFICVIRILI:- [Köln].
OF VITA Saalburg [Homburg].
OF VITALI [Köln].
Form 28.
Napf aus Terra nigra oder bellrotbem Thon. I. Jahrbnndert.
S. 87 ff.
Form 29.
Dekorirte Schale des I. Jahrhunderts. In den sttdgalHschen
Fabriken verwandt. In Rheinzabem und Westerndorf nicht nach-
zuweisen. S. 85 u. 126 ff.
ACVTI MA Vichy [St. Germain].
lATEIF Vichy [St Germain].
BALBVSF Andernach [Bonn] B. J. 86. 162. Taf. VI. 16.
OF BASSICO [Trier, Prov.-Mus. no. 389].
On-CATI [St. Germain].
OF CRESfl Vichy [St. Germain].
OF CONSTIC? [St. Germain].
FELICISBß. Vichy [St. Germain].
GEMINVS Xanten Houben Fiedler Taf. 15. 9.
GERMNIOF [Trier, Prov.-Mus. no. 265] »Germani of.
IVCV-NDI Vichy [St. Germain].
OF MARC [St. Germain].
OF ]ÄASCLI Vienne [St. Germain].
OF MERC Vienne [St. Germain].
OF MODESfl [Bonn, Samml. d. üniv. no. 509].
PRIMV2FE Clermond Ferrand [St, Germain].
OFSILVANI Vichy [St. Germain].
Form 30.
Dekorirter Napf. I. u. II. Jahrhundert, wie das Vorkommen
in Andernach einerseits, Westerndorf andererseits zeigt S. 85 n.
126 ff.
M A SCLVS*F Britannien.
M A SCL VS Asberg.
Terra sigillata. 147
Form 31,
Tellerform seit Ende I. Jahrhanderts. S. 110. vergl. Form 18.
AENISATV Saalbnrg [Homburg].
AENICAly Saalburg [Homburg].
ALBVCIANI Paris [Musie Camavalet].
[A]MABILIS Saalburg [Homburg].
AMATVS Juslenville Bull. Liigeois IX 433 ff.
APERF [Köln].
ARVERNICVS [Köln],
ATTAI [Speier] ,Attalu8'? vergl.C.VII 1336. 104 f. Sch.525.
AVSTERINM Paris [Mns6e Camavalet],
BIGAFEC Juslenville Bull. Liigeois IX 433 ff,
MBILLICEDOFI Xanten [Bonn, Samml. d. üniv, no. 450J.
BOVDVS E Saalburg [Homburg].
BOVDVS F [Bonn, Samml. d. Univ. no. 432].
BVCCVS Saalbnrg [Homburg].
GAB////// Saalburg [Homburg]. »Cabrus'? vergl. Seh. 929 f.
C. VII 1336. 196. Trier [Prov.-Mus. no, 3255],
C^IVSr Saalburg [Homburg],
OF CALVI [Mainz].
CARATILLI Juslenville Bull. Liegeois IX 433 ff.
CELSINV Bonn [Prov.-Mus.].
CELSINF Saalbnrg [Homburg].
CELSINVS [Köln].
OF CEN [Bonn].
CINT [Bonn].
COMISILLF Saalburg [Homburg].
COSILVS Juslenville Bull. Liegeois IX 433 ff.
COSINS? Saalburg [Homburg].
CVNISSA [Speier].
CVRTIVS [Köln].
DRAPPVSF [Trier. Prov.-Mus.]; [Bonn].
ERICIM Juslenville Bull. Liegeois IX 433 ff.
FIISTVS F 1 ^**'**"'"g [Homburg] häufig.
FIOISIN? Saalburg [Homburg].
FLORIDVS Saalburg [Homburg],
OFIC-ICO? [Mainz],
L^TINVSI' [Köln].
148 Hans Dragendbrff:
LIOCCAFECIT Saalburg [Homburg] ; [Speier].
LIPPO; [Trier, Pror.-Mus.].
LIPVCAF JuslenviUe Bull. Liigeois IX 433 ff.
LOSSAFECIT [Bonn].
LVCIVSF [Bonn].
LVGETOFE [Bonn, Samml. d. Univ. no. 446].
LVPVS [Speier].
MA . . . AIFE ? [St. Germain].
MARCIANV [Trier, Proy.-Mua. no. 9545].
MAßflALFE [Trier, Prov.-Mus. no. 9539]; [Mainz].
Häufig auch auf der Saalburg.
]^BBIC-FE Saalburg [Homburg].
MEBDICE [Bonn, Samml. d. Univ. no. 533]; [Köln].
///BBVLF Saalburg [Homburg].
WICCFIV? [Mainz].
MICCIO-I [Bonn, Samml. d. Univ. no. 535].
MINVSOF [Trier, Prov.-Mus. no. 328 u. 329].
MONTANV [Köln].
MONT-^NVI Saalburg [Homburg].
MO[lß']ANV/ [Bonn, Samml. d. üniv. no. 464].
OFMONTO. Paria [Musie Camavalet].
MVS Abbeville [St. Germain].
NASSOFEC Saalburg [Homburg].
NOVIVW ? Xanten Houben-Fiedler S. 46.
OCCISO JuslenviUe Bull. Li^geois IX 433.
OCöj Saalburg [Homburg].
OIICMVSF [Bonn].
OF-PATE Paris [Mus. Camavalet].
OFPATRIC Saalburg [Homburg].
OF PATRC Saalburg [Homburg].
PETRVLIVEX Saalburg [Homburg].
PRIMITIVOSF [Speier].
PVBLIVS [Bonn, Samml. d. Univ. no. 456]
REQINVSF Saalbnrg [Homburg].
REGINVSF [Bonn, Samml. d. Univ. no. 457].
RRISVSF? [Bonn].
RVCCAV [Trier, Prov.-Mus. no. 331].
RVFINIM [Bonn].
e-MBE; [Bonn, Univ.-Samml. no. 458].
Terra sigilUta. 149
OFSARRVT [Mainz].
SIICAVITI [Speier, oft].
SEVERVS [Speier].
SEVEEVS-V-F [Speier].
SILVIN? Saalburg [Homburg].
20CC0^^ [Bonn, Samml. d. Dniv. no. 459].
OFSVLPICI [Bonn, Samml. d. Univ. no. 460].
SVOBNE Paris [Mus, Carnavalet].
[S]VEIANVSF Saalburg [Homburg].
TAVRVS 1 ro • 1
tavrvsf) [^p^'^'"^-
TERTIVS [Köln].
[T]OCCAF Saalburg [Homburg].
TOCCIVS Saalburg [Homburg].
TOCCIVSF [Mainz].
VERCVNDVS [Trier, Frov.-Mus.].
VERECVN Saalburg [Homburg].
VICTOR Saalburg [Homburg].
VICTORFE [Speier].
VICTORINVS [Speier].
VIDVCVS Köln.
VIMPVS Saalburg [Homburg].
OF VIRID Xanten Houben-Fiedler S. 48.
OF VITAL Xanten [Bonn, Samml. d. Dniv. no. 461].
VO : : MI F Compifegne [St. Germain].
VRBANVSF Saalburg [Homburg].
Form 32.
Tellerform II. Jabrbnnderts. Besonders in Rbeinzabem beliebt.
In späterer Zeit oft obne Stempel. S. 110.
ABBOFEC [mehrfach in Speier].
ARENtiNVS [Köln].
ATTIANVSF [Speier].
fS&°} -™ i"- «•™'«'«"-
ATTILLVSF [Speier].
AVGVSTALIS FEC [Speier].
AVITVSF [Speier].
BELATVLLVSF [S
150 Haus Dragendorff:
BELSVS Saalburg [Homburg].
BORIVSFEC [Trier, Prov.-Mus.].
OF CALVI Bonn [Samml. d. Univ. no. 433] B. J. 60. 77.
CAPITOLINVS Saalburg [Homburg]; [Speier].
CASTVSF [Bonn].
CENSORNI sie! Saalburg [Homburg].-
CINTVCNATV Saalburg [Homburg].
CONATIVSF [Speier].
CVXSVSF [Bonn].
DIVIXTVS [Speier].
DONATVSF [Speier].
FLAVIANVSFE Saalburg [Homburg].
FLORENTIN VS F Castell Hcftrich [Homburg] ; [Speier].
FL0RENTINV2F [Speier].
FLOREN? [Speier].
FLORIDVS [Mainz].
OF.QEMINI [Speier].
GIINIALIS F [Speier, sehr oft].
I'^NVi*RIVS [Speier].
IVCVNDVS [Speier].
IVLIVSFEC [Speier].
IVLIANVSF Feldberg [Homburg].
IVNIVSF [Speier].
IVNIVSF/// [Mainz].
IVVHNISCVCE [Köln].
IVVENISF [Speier].
LAVINVSF [Speier] ,Flavianu8'?
LAVRV2 [Mainz].
LILLYS"? [Speier. 2 mal].
LVCIVSF [Speier].
LVPVSF [Speier].
LVPVSFEC [Speier].
MARCVSF [Speier].
MARINVSF [Speier].
MARTINVSF [Mainz].
MARTHVSFEC [Mainz].
MATERNVS FECIT [Speier].
N0VANVS [Speier].
Terra sigillata. 161
OVvVvIOR? Saalbnrg [Homburg], etwa ,Onm of? vergl.
Scb. 4005, 4006.
OTONIVS/ [Speier].
PATERNVSF Saalburg [Homburg].
P*TEICI4^NVS Saalburg [Homburg].
PEPPOFEC [Speier].
PEPPOFECIT [Speier].
PIIßVINCVS Heftrich [Homburg].
PMVATVS [Speier]; Saalburg [Homburg].
PROCLINVSF [Speier].
PROPPIVSF [Speier].
QVARTIN/// [Speier].
QVARTINVS [Speier].
QVINTILIANVS Saalburg [Homburg].
REGINV8 FEC Saalburg [Homburg].
REGINVSF [Speier].
RESSINVSF [Speier].
RONT Paris [Mus. Caruavalet].
SIICAVITI [Speier] mehrfach.
SECVNDAVI [Speier].
SEVERINVI [Speier].
SIIVERIANVSF [Speier].
SOLINIOFI Paris [Mus. Camavaletj.
SOLLOFEC [Speier] mehrfach.
STABILISF [Speier] mehrfach.
STATVTVSF [Speier].
TEMP0RINV8 sie! [Speier].
TEMTORIN Saalburg [Homburg].
//TVNATVS [Bonn]. .Fortunatus'?
VERINVSFj [Speier].
VERVSFECIT [Speier].
VERVSF [Speier].
VICTOR F [Speier].
VICTORE [Speier].
VICTORINVS [Speier].
VRSIANVS FEC Rheinzabem [Mainz].
153 Hans Dragendorff:
Form 33.
Napf seit II. Jahrhundert, S. 110, oft ohne Stempel, besonders
in Rheinzabem.
ABBOFEC [Speier].
Alfl [Bonn, Samml. d. ünir. no. 519 u. 520].
AMMIVSF Saalburg [Homburg].
'^NIeo-^TVS [Trier, Prov.-Mua. no. 384].
ARVERNICI Juslenville Bull. Li^eois IX 433 flf.
ATILLVS [Speier].
ATTILLVSF [Bonn, Samml. d. Univ. no. 518|.
[ATTJILLVSE Juslenville Bull. Li^eois X p. 73.
AVGVSTINVS [Speier].
AVITVSFEC [Speier, oft].
FIG^\ Köln [St. Germain].
MDIN)3a? [St. Germain].
BORILLIOF Paris [Mus. Camavaletj.
BOVDVSF [Trier, ProT.-Mus. no. 3244].
CASSIVSF Juslenville Bull. Li^ois IX 135.
CATILO-F [Speier].
CERIAL// Paris [Mus. Camavalet].
CIVNI-RE? Saalbnrg [Homburg] ,C. lunius fecit'?
CIRIVNAI^ [Trier, Prov.-Mus. no. 16951].
COMESII/// Saalbnrg [Homburg].
CORISOFEC Bonn [Samml. d. Univ. no.524] B. J. 60. 77.
CORISOFECIT [Köln].
CRICIROOF Banassac [St. Germain].
DISETVSF Saalbnrg [Homburg].
DIVICATVS Compifegne [St. Germain].
DOLCCVS F Saalburg [Homburg].
DOMITVS F Banassac [St. Germain].
DOMITVS Banassac [St. Germain].
DRAPPVSF [Trier, Prov.-Mus. no. 385, 385 a, 10905].
ELVISSAF [Trier, Prov.-Mus. no. 18253].
EKVISSAF [Bonn, Samml. d. Univ. no. 526].
FIRMANVS [Speier].
FIRMVS-F Saalburg [Homburg].
GEMINIM- Paris [Mus. Camavalet].
Terra sigiUata. 163
6ENI4^LIS-M Oompi^gne [St. Germain].
GIAMATF [Bonn, Samml. d. Univ. no. 443].
6IIAMIKK? Banassac [St. Germain].
lASSVSFE Saalbnrg [Hombarg].
L^TINVS F [Trier, Prov.-Mus. no. 382 u. 10904].
MACCONO Saalbnrg [Homburg].
MACC0JI0I2 Saalburg [Homburg] vergl. Seh. 3152.
MACRIN AbbeviUe [St. Germain].
MAINIVS [Trier, Proy.-Mus. no. 338].
MARCVSF [Trier, Prov.-Mus. no. 5264].
MATERN Compifegne [St. Germain].
MEDBICVS [Trier, Prov.-Mus. Samml. Wendel no. 79].
MONTA[NVS] [Bonn, Samml. d. Univ. no. 453].
MOXSIVSF [Trier, Prov.-Mus., no. 389 702, 898, 3249,
3383, 7094 f. 12014].
NATALIS [Trier, Prov.-Mus. no. 391].
PACATVS [Speier].
OFPASSI Saalburg [Homburg].
PLACIDVS Saalburg [Homburg]; [Speier].
PRIVATIM Abbeville [St. Germain].
PROPF [Speier, mehrfach].
JIECAISIO? Sufevres (Loire) [St. Germain].
RESTITVTVS [Speier].
SARINVS Saalbnrg [Homburg].
SECCOF Saalbnrg [Homburg].
SOSA€ [Bonn].
TRITVSF [Speier].
VENICARV8 [Köln].
OFVITA [Köln].
Form 34.
Napf, mir nur ans Banassac bekannt. S. 110. Immer ohne
Stempel.
Form 35. 36. 42.
(Gefässe mit Barbotine.)
Seit dem Ende des I. Jahrb. Stempel sind selten. S. 118 ff.
ABBOFE [Köln].
154 Hans Dragendorff:
AMMIVS JaslenviUe Bull. Li^eois IX p. 433 ff.
^V///0? Bonn B. J. 89. 4 no. 29.
COBVNAFE Juslenville Bull. Liigeois IX p. 433 ff.
COSTVTVS Bonn B. J. 89. 11 no. 91.
EVRETVSF [Speier].
FRONTVNATVS Köln B. J. 61. 123.
IVVENISFEC Bingerbrüek.
MARTIAliSM Dalheim Mon.hiBt.dan8Luxemboiirg 1851/52.
MINVTVSF [Köln].
PATRVINVS [Bonn] B. J. 89. 33 no. 264.
QVARTINVSF [Köln].
SATVRIO [Speier].
VICTORINVS [Speier].
Form 37.
Ornamentirte Schale späterer Zeit. S. 136 ff.
Ein Verzeichniss der oft sehr schwer leslichen Stempel unter-
lasse ich hier.- Es sind bei diesen Stempeln Überdies verschiedene
Arten zu scheiden, wozu noch umfassendere Vorarbeiten nöthig sind.
Form 38.
Meist ohne Stempel. S. 110.
HIIHA5IA> Compiögne [St. Germain].
MACCALIM Pas de Calais [St. Germain].
PROBVS [Mainz].
Form 39.
ABBOFE Köln [Mus.].
VERVS^ [Bonn] B. J. 84 108.
VICTOR FE [Speier].
Form 40.
A8IATCIW Compifegne [St. Germain] ,Asiatieim'.
FAVDACI [Mainz].
CASIF [St. Germain].
ILLIOM Suivres [St. Germain].
MELAVSI/ [Speier].
VICTORINVS [Mainz].
Terra sigillata. 155
Form 41.
Napf mit eingeschnittenen Verzierungen. S. 122 flf. Stets ohne
Stempel.
Form 43. 45.
Reibeschalen. Fast immer ohne Stempel. Ist ein solcher vor-
handen, so steht er aussen am Rande. S. 111.
GEMINIMA Paris [Mus. Carnavalet].
Form 44.
Schale S. 111. Keine Stempel.
Form 46.
Napf späterer Form. Keine Stempel.
Form 47. 48.
Teller spätester Form. Keine Stempel. ^. 139.
Form 49.
Napf spätester Form. Keine Stempel. S. 139.
Form 50.
Becher. Mir nur ans Banassac bekannt. Keine Stempel.
Form 51.
Teller.
AVGVSTALIS FEC [Speier].
IVLIVS F Saalburg [HomburgJ.
LVCIVS [Speier].
PROPF [Speier].
Form 62—55.
Becher und Urnen aus Terra sigillata, bis in späteste Zeit
gebräuchlich. Keine Stempel. S. 139.
3. Kleinere Mittheilungen aus dem Provinzial-Museum zu Bonn.
Von
Josef Klein.
* 42.
Matronensteine aus Zingsheim.
Beim Dorfe Zingsheim in der Eifel sind in neuester Zeit bei
Feldarbeiten im Distrikt ^am Maulbeerbäumchen'^ Gräber aus spät-
römischer Zeit aufgedeckt worden, welche ziemlich nahe an der
Oberfläche der Erde und zwar fast alle in der Richtung von Westen
nach Osten lagen. Mit Erde im Laufe der Zeit voll geschwemmt,
da sie sämmtlich in einem Hange sich befinden, bargen sie jedes
Mal die üeberreste von nur einer Leiche. Beigaben fanden sich,
soweit auf die Aussage der Finder ein Verlass ist, keine. Indessen
die Untersuchung der Gräber ist keineswegs so sorgiUltig ausge-
führt worden, dass sich mit Bestimmtheit behaupten lässt, dass die
in ihnen Beigesetzten ohne jedwede Beigabe, sei es an Waffen oder
an Schmuckgegenständen in die Erde gebettet worden seien. Die
Gräber selbst waren aus einzelnen Platten von Sandstein in zwar
verschiedener aber annähernd gleicher Grösse und Dicke zusammen-
gesetzt und mit einer oder zwei Platten, je nach der Länge derselben,
zugedeckt. An zweien der Gräber fanden sich als Seitenstflcke
zwei Matronensteine benutzt, welche ähnlich wie bei den früher
aufgedeckten Grabstätten aus Zülpich und Floisdorf mit der In-
schriftseite nach Innen gekehrt waren.
Kleinere Mittheilung^en ans dem Provinzial-Museum zu Bonn. 157
Der erste ist ein Votivaltar ans rothem Eifeler Sandstein mit
Voluten an den Seiten und vom in der Mitte einem kleinen spitzen
Dache über dem Sims. Oben auf der Mitte der Bedachung liegt
ein Kranz. An den beiden Seitenflächen befindet sich je ein Lor-
beerbaum in Flachrelief. Der Altar, welcher jetzt oben und unten
sowie an der rechten Seite vom Beschauer stark zeretört ist, hat
eine Höhe von 44 cm, eine Breite von 49 cm und eine Dicke von
20 cm. Die Widmung, deren Buchstaben in den beiden ersten allein
vollständig erhaltenen Zeilen 6 cm hoch sind, lautet:
1:10.
Also: Miatronis) Fachinehils] . . Flavius Co[m]muni8 ei
G{aius)
Für die Ergänzung des M zu Anfang der ersten Zeile durch
M(atro7ds) verweise ich auf den Embkener Votivstein ^) der Matronae
Veteranehae.
Der Name der Matronen, Fc^hinehae ist meines Wissens bis-
her noch nicht bekannt gewesen. Er erinnert in seiner Bildung an
den gleichartigen GuchineJiae^), der von M. Ihm«) mit grösserer
Wahrscheinlichkeit auf das in unmittelbarer Nähe von Euskirchen
gelegene Cuchenheim als von Eick^) auf Geich bei Zfllpich bezogen
worden ist. Dass auch dieser neue Beiname der Matronen eine to-
pische Bedeutung hat, kann wohl kaum einem Zweifel unterliegen,
wenngleich es mir bisher auch nicht gelungen ist, den Ort nachzu-
weisen, von dem er hergeleitet sein könnte.
Die Erklärung des Restes der Inschrift bereitet keine grossen
1) C. I. Rhen. 575 -= I h m , Bonn. Jahrb. LXXXIII, S. 140 n. 1
2) C. I. Rhen. 641 =^ I h m a. a. O. S. 142 n. 255.
3) A. a. O. S. 28.
4) Rom. Wasserleitung S. 98.
158 JosefKlein:
Schwierigkeiten. Das Cognomen des Widmenden war Communis
und wenn in dem ersten der beiden theilweise zerstörten Zeichen
am Ende der dritten Zeile ein mit E zu einem Buchstaben verbun-
denes T, wie ich glaube, steckt, dann enthält das zweite Zeichen
den Vornamen eines zweiten Dedikanten : G(aiu8). Der erste Dedi-
kant unseres Denkmales scheint demnach, wofern nicht seine Charge
mit der des zweiten Widmenden zusammen hinter dem Namen
dieses Letzteren genannt war^ diesmal nicht ein dem Soldatenstande
angehöriger Mann, wie bei einem grossen Theil der am Khein ge-
fundenen Matronendenkmäler, sondeiii ein schlichter Einwohner und
zwar aus jener Gegend zu sein.
Graphisch ist noch das Zeichen -I statt H sowohl in dieser
als auch der folgenden Inschrift bemerkenswerth, welches sich all-
mählich zu einer selbständig neben H gebrauchten Buchstabenform*)
entwickelt hat. Eigenthümlicher Weise findet es sich häufig auf Ma-
tronensteinen *) angewandt.
Der zweite Matronenstein ist ebenfalls 'eine Ära mit einer
vorne über dem Sims befindlichen dachförmigen Bekrönung, deren
Giebelspitze theilweise abgebrochen ist. Dieselbe läuft auf beiden
Seiten in Schneckenrollen aus, die auf der Vorderseite mit Rosetten
verziert sind. Die rechte Volute vom Beschauer ist jetzt abge-
brochen. Auf der Mitte der Bedachung liegt ein Kranz. Unmittel-
bar unter dem vorspringenden Sims zieht sich ein Eierstaboma-
ment hin, ähnlich demjenigen, welches auf dem zu Lechenich
gefundenen, jetzt im Besitze unseres Vereines befindlichen Votiv-
stein ^) der Matronae Lanehiae zwischen dem Sims und der Bedachung
angebracht ist. Auf den beiden Sehmalseiten waren Bäume in
Flachrelief dargestellt, wovon noch schwache Reste vorhanden
sind. Der Altar, welcher aus dem rothen in der Eifel vorkommen-
den Sandstein gearbeitet ist, ist an der linken Seite vom Beschauer
sowie unten abgebrochen, weshalb die Anfangsbuchstaben der ein-
zelnen Zeilen mit Ausnahme der ersten und der Schlnss der Weih-
inschrift verloren gegangen sind. Er ist jetzt 50 cm hoch, 50 cm
1) So auf Inschriften der Narbonensis : C. I. L. XII, 8234. S242.
2) Vgl. C. I. Rhen.531. 545. 685. Bonn. Jahrb. LXXXIII, S. 137, 216.
LXXXIX, S. 231, I u. II. Diese Form des H mag noch auf anderen Ma-
tronensteinen sich wiederfinden, wenn dieselben einmal speziell mit Rück-
sicht darauf einer genaueren Prüfung unterzogen werden.
3) C. I. Rhen. 564 — I h m a. a. O. S. 144, 270.
Kleinere Mittheilungen aus dem Provinzial-Museum zu Bonn. 159
breit und 10 cm dick. Die Inschrift, deren Buchstaben eine Höhe
von 6 cm haben, lautet:
1 : 10
Im Anfang der zweiten Zeile kann der vor A stehende hori-
zontale Strich nur der Rest eines F sein, so dass dieser Altar den-
selben Matronen wie der erste gewidmet war. Im Beginn der
dritten Zeile fehlt ein Buchstabe, der wahrscheinlich den abge-
ktti-zten Vornamen des Widmenden bezeichnete. Da in der vierten
Zeile der vor V noch vorhandene Strich lediglich von T oder F
herrühren kann und ausserdem vorher nach Massgabe des Raumes
höchstens drei Buchstaben ausgefallen sind, so hat die Ergänzung eines
Cognomens wie Avittis oder Justus am meisten für sich. Der Schluss ist
zu ergänzen pro se, et suisy woran sich noch vielleicht die bekannte
Weihe-Formel v. s. l. w. angeschlossen hat. Die ganze Inschrift
wird demnach zu lesen sein:
Matronis Fachineihis . . Crispinius [. . . .]u8 pro se [et suis
v{otum) s{olvit) Uubens) m{erito)].
Im Anschlnss hieran theile ich mit, dass ausser diesen beiden
neuen Matronensteinen auch der von G. A. Eick zuerst in diesen
Jahrbüchern ^) veröflfentlichte Matronenstein aus Floisdorf bei Zülpich
jetzt in das Provinzial - Museum gelangt ist. Der Stein, welcher
oben in der linken Ecke vom Beschauer stark beschädigt ist, ist
82 cm hoch, 59 cm breit und jetzt bloss 12 cm dick, da die hin-
tere Hälfte des Steines abgeschlagen ist. Die Inschrift ist, wie eine
Vergleichung erwiesen hat, von Eick a. a. 0. ganz genau wieder-
1) Bd. XXIII, S. 73 == C. I. Rhen. 634.
160 JoßefKlein:
gegeben; nur ist die erste Hasta des H in der ersten Zeile von
dem übrigen Buchstaben getrennt (H), wofern nicht hier Textumeihis
wie oben Fachineihis zu lesen ist. Auf dieselben Muttergottheiten
möchte ich trotz des Widerspruches von M. Ihm^) die von Freuden-
berg bekannt gemachte Inschrift von Soller*) bei Zülpich beziehen
und mit Letzterem auch dort Textumei{8) ergänzen. Was die von
diesem und Ständer auf der Rückseite des Steines gelesenen Zeichen
o — ■^-~]^ — K V I V N I A anlangt, von denen Ihm nichts hat ent-
decken können, so befinden sich in der That in der Mitte der Rück-
seite, und zwar in der Richtung von unten nach oben laufend Zei-
chen sehr roh und flach eingehauen, die folgendermassen aussehen:
O — I — ij 1 KvIvnIa. Ob denselben die von Freu den berg
vorgeschlagene Deutung [obiit] k(al.) v lunias zu geben ist, das
zu entscheiden überlasse ich lieber Anderen.
Auch das von Freuden berg veröflFentlichte Bruchstück
eines Grabmonumentes*) aus Nettersheim mit einem Pilaster zur lin-
ken Seite vom Beschauer, auf dem Akanthus dargestellt ist, und mit
der Inschrift:
DEC*C/////////////////////////
CAPITONIAE////////
RAE*CON|VG^HE///////
in prachtvollen Buchstaben, welche in den beiden ersten Zeilen
8V2 cm, in der dritten 7^2 cm hoch sind, ist ganz neuerlich ins
hiesige Provinzial-Museum gelangt. Es ist jetzt 1,14 m breit, 44 cm
hoch und besteht aus rothem Sandstein.
43.
Grabmonumente aus Köln.
An der Aachener Strasse, deren Neubauten so manchen inter-
essanten Fund aus römischer Zeit geliefert haben, wui*den im Früh-
jahr des verflossenen Jahres in der Nähe der Restauration „Zorn
Karl des Grossen^' die Reste einer in mehrere Stücke zerbrochenen
beinahe quadratischen Tafel aus Kalkstein bei Fundamentinmgs-
arbeiten in einer Tiefe von etwa 2 Meter zu Tage gefördert. Die-
selbe, welche 59 cm hoch, 58 cm breit und 5 cm dick ist, hat auf
der Vorderseite eine Randleiste, welche das etwas vertiefte Inschriil-
1) Bonn. Jahrb. LXXXIII, S. 148.
2) A. a. O. XX, S. 91. . 3) A. a. 0. XLIX, S. 189.
Kleinere Mifctheilungen aus dem Provinzial-Museum zu Bonn. 161
feld umgibt. Die Inschrift selbst ergab nach der Zusammensetzung
der vorhandenen Theile den nachstehenden Wortlaut:
1:15
Die Höhe der Buchstaben, welche ein elegantes und regel-
mässiges Aussehen haben, beträgt in allen Zeilen 6 cm. Auf dem
an der vom Beschauer linken Seite des Steines jetzt fehlenden
Stück hat in jeder Zeile bloss ein Buchstabe gestanden. Die Lesung
ergibt sich ohne Schwierigkeit: D{i8) Mianibus). Jul{ia) Pris[c]a
Viva [8]ihi \f\ecit.
Zu bemerken ist die syllabare Interpunktion, welche nach einer
Beobachtung Huebner's^) hauptsächlich bei Grabinschriften von
Leuten niederen Standes in Gebrauch gewesen ist. Regelmässig ist
sie aber auf der Kölner Inschrift nicht durchgeführt. Ebenso wei-
chen die am Ende der Zeilen gesetzten Interpunktionszeichen von
der Regel ab.
Dieser Grabinschrift schliesst sich ein zweites ebenfalls im
Laufe dieses Sommers in Köln an der Brüsseler Strasse in unmittel-
barer Nähe der Niederlassung der Barmherzigen Brüder zum Vor-
schein gekommenes Sepulcraldenkmal an. Dasselbe besteht aus
einer 4 cm starken Tafel aus Muschelkalkstein, welche jetzt 48 cm
breit und ungefähr 90 cm hoch, an den beiden Seiten sowie oben
in der linken Ecke vom Beschauer starke Beschädigungen erlitten
hat. Das Erhaltene ist in zehn Stücke zertrümmert, welche, wenn
gleich sie nicht alle jetzt in den Brüchen ganz genau zusammen-
passen, doch durch die Gleichartigkeit des Steinmaterials und der
Schriftzüge sich als zusammen gehörig erweisen. Die Vorderseite
der Tafel ist in Gestalt eines Tempelchens behandelt, und zwar
1) Exempla Script, epigr. lat. p. LXXV^II.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthafr. im Rheinl. XCVI. H
162 JosefRlein:
unten ein schwach vorspringender Sockel, oberhalb der Inscbrift ein
zn beiden Seiten vortretendes Sims, auf dem ein Giebel ruht. In
dem jetzt zerstörten Felde desselben befand sich einstmals das Brust-
bild des Verstorbenen in einem Medaillon, von dessen Randeinfassung
sich augenblicklich nur noch ein unbedeutender Rest erhalten hat.
Die Grabschrift selbst, deren Buchstaben sehr flach eingehauen und
bei dem schadhaften stark verwitterten Zustand des Steines schlecht
zu lesen sind, lautet :
1:15
Z. 1. Die linke obere Ecke der Tafel ist abgebrochen und
mit ihr das zur Seite des Medaillons stehende D der Weiheformel D{i8)
M{anibu8) verloren gegangen. Das Zeichen M rechts vom Medail-
lon hat durch Bruch die Füsse der beiden Hasten eingebüsst.
Z. 2. Die beiden letzten Buchstaben, deren obere Hälfte durch
den Bruch des Steines jetzt fehlt, sind sicher LI, so dass das Wort
Aureli zu lesen ist.
Z. 3 ist der dritte Buchstabe I nur noch schwach erkenn-
bar, ebenso ist Z. 4 der zweite Buchstabe 0 durch den mitten
hindurchgehenden Bruch ziemlich undeutlich geworden, femer G im
Wort LEG zum Theil abgebrochen.
Z. o ist der erste Buchstabe I und der grösste Theil des S
am Ende der Zeile stark verwittert, während der dritte Buchstabe,
der A war, fehlt.
Die folgenden Zeilen 6 und 7 sind am schlimmsten mitge-
nommen. Z. 6 Anfang kann der erhaltene Schrägstrich nur der
Hinterschenkel eines A sein. Zwischen ihm und dem folgenden
Kleinere Mittheilnn^en ans dem Provinzial-Mnsenm zu Bonn. 163
Buchstaben ist eine Lücke von drei Buchstaben; ebenso am Ende
der Zeile eine solche von einem Buchstaben ; ich ergänze : A mT I D E «.
Z. 7 fehlt vor I ein Buchstabe und zwischen ihm und dem
folgenden Zeichen, das ein in seineu Umrissen eben noch schwach
durchschimmerndes S ist, zwei Buchstaben. Das folgende Wort
LEG, dessen G stark gelitten hat, gibt als Ergänaang für das erate
Wort m\le3 an die Hand.
Z. 8 haben zwar die vier ersten Buchstaben alle gelitten, aber
sie sind völlig sicher. Dann folgt eine Lücke mit dem Raum für
einen Buchstaben, der nur C gewesen sein kann: cOS. — Am Ende
der Zeile stand nach T ein Buchstabe mit verticaler Hasta, worauf
noch ein zweiter folgte, also PATRi. Die ganze Inschrift wird
demnach gelautet haben:
[D{is)] M{anibus). Aurelio Aristaeneto vet{eran6) legiionis)
primae M{inerviae) [A\ureUu^ A[ri8]tide[8 m]i [le]8 legiionis) primae
M(inerviae) b(ene)f{iciarius) co{n)s{ulari8) patr[i\.
Die fehlerhafte Construktion, wonach Aurelio Aristaeneto zur
Weiheformel Dis manibus coordinirt ist, ist eine auf Grabinschriften
der späteren Kaiserzeit, aus der auch diese Inschrift stammt, nicht
seltene Erscheinung. Mit dieser Zeit stimmen die griechischen Gog-
nomina von Vater und Sohn, vor Allem aber ihr Gentilicium Aure-
lius überein, das seit der Ertheilung des Bürgerrechts an alle
Unterthanen, durch die sogenannte constitutio Antoniniana des Ca-
racalla^) im Jahre 212 zahlreicher denn je in den Provinzen
des römischen Reiches, namentlich in Griechenland und Kleinasien,
auftritt.
44.
Nene Grabmonumente aus Köln.
Im Monat Juli des vergangenen Jahres 1894 Hess Herr Kauf-
mann Carl Heinz zu Köln auf einem zwischen der Händel- und
der Brüsselerstrasse liegenden Terrain ein grosses Wohnhaus mit
Lagergebäifden errichten. Beim Auswerfen der Fundamente stiess
man auf dem nach der Brüsselerstrasse hin gelegenen Theile des
Grundstücks auf zwei in unmittelbarer Nähe bei einander liegende
1) Digest. I, 5, 17. Nov. Just. 97, 5 ed. Zachariae v. Lingcnthal.
Vgl. Dittenberger ad. C. I. Att. III, 1177.
164 JosefRlein:
grosse Steinplatten, welche, nachdem sie mit vieler Mühe aus der
Grube gehoben und gereinigt worden waren, sich als Grabdenk-
mäler erwiesen.
Das erste besteht aus einer etwa 8 cm starken Kalksteinplatte
von 1,02 m Höhe und 60 cm Breite, deren linke Ecke vom Be-
schauer abgeschlagen und verloren gegangen ist. In dem über der
Inschrift befindlichen, in Gestalt einer viereckigen Nische gebildeten
42 cm hohen Felde, deren Ecken im Gegensatz zur sonstigen Ge-
pflogenheit solcher Denkmäler, keinen Blätterschmuck zur Füllung
aufweisen, befindet sich die Darstellung eines sogenannten Todten-
mahles. Das Relief zeigt die mit der den Körper bis auf die Füsse
bedeckenden Tunika bekleidete Veretorbene nicht wie dies gewöhn-
lich der Fall ist, auf einer Kline liegend, sondern auf einem hohen
mit halbkreisförmig construirter Rücklehne und Armlehnen ver-
sehenen, auf niedrigen Füssen ruhenden Sessel sitzend. Mit dem
am Körper anliegenden rechten Aime, an dessen Handgelenk man
einen Armreif gewahrt, hat sie ein auf ihrem Schoosse ruhendes
Körbchen (oder Schüssel) mit Früchten umfasst, während die feh-
lende Hand des im Ellenbogen gebeugten rechten Armes einen eben-
falls jetzt abgebrochenen Gegenstand hielt. Vor ihr steht ein drei-
beiniger runder, mit einem Tischtuch gedeckter Tisch, auf dem
eine ovale Schüssel mit drei Birnen steht, daneben eine vierseitige
Flasche mit kuraem engem Halse und einem breiten rechtwinkelig am
Flaschenkörper ansetzenden senkrechten Henkel. In der linken
Ecke der Nische sind noch die Füsse des bedienenden Sklaven er-
halten. Die Darstellung gehört also der Zeit nach Domitian^) an,
wo die Tische gedeckt wurden, während die ältere Sitte nur un-
gedeckte Tische kennt, die zwischen den einzelnen Gängen abge-
waschen wurden.
Unmittelbar unter der Nische steht die Inschrift*):
1) Vgl. Marquardt, Handb. der röm. Alterth. VIT, S. 303 f.
2) Diese und die folgende Inschrift, obgleich in Wirklichkeit erst
im Sommer 1894 aufgefunden, sind von A. Kisa bereits in der
Museographic für das Jahr 18 9 3 (Westd. Zeitschr. XIIT,- Sp. 312 f.)
ihrem Wortlaute nach mltgetheilt. Wenn dort die Richard-Wagnerstrasse
als Fundstelle angegeben wird, so ist dies nicht ganz genau^ denn das
Heinz'sche Bauterrain liegt zwischen der Händel- und der Brüsseler Strasse,
nicht aber an der Richard- Wagnerstrasse.
Kleinere Mittheilungen aus dem Provinaial-Museum zu Bonn. 165
1 :15.
D{i8) M{anibus) Liber{ä)e Liberalis fil{iae) pienti88im{a)e
obit{a)e pater fecit.
Die Punkte sind ziemlich leicht eiugehauen. Die Schriftzüge
noch gut und regelmässig und durchweg 4 cm hoch mit Ausnahme
der ersten Zeile, wo sie 5 cm hoch sind.
Auffallend ist, dass der Name des Vaters, welcher seiner Toch-
ter das Grabdenkmal gesetzt hat, nicht beigefügt ist, obgleich der
Stein noch sehr viel freien Raum für die Nennung desselben bietet.
Der zweite Grabstein ist eine 1,13 m hohe, 71 cm breite und
14 cm dicke Platte aus Kalkstein. Derselbe läuft nach unten in
einen 51 cm breiten Zapfen behufs Befestigung in eine Unterlage
bezw. Sockel aus, welchem Zwecke ausserdem die unten an den
beiden Schmalseiten befindlichen Klauimerlücher dienten.
In dem oberen Felde des Steines zwischen den 9 cm hohen
Buchstaben D M der Weihcformel an die Dii Manes befindet sich
innerhalb eines viereckigen vertieften Rahmens ein dreieckiges Gie-
belfeld, das mit einem Blätteromament geziert ist, während schnecken-
artige Bekrönungen die Zwickel des Rahmens füllen. Darunter hängt
eine Gnirlande, von der an beiden Enden je zwei Bänder herab-
reichen ; über derselben befindet sich in der Mitte eine nach links
umgefallene doppeltgehenkelte Vase, deren Inhalt an Früchten
166 JoscfKlein:
zum Theil herausgefallen ist. Die Mitte des Steines nimmt die In-
schrift ein, deren tief einfi^egrabene, 6 cm hohe Buchstaben höchst
elegant und regelmässig sind. Sie lautet:
1:15.
D{i8) M{anibus). Senecioni limocincto Geron filio piissimo.
Welchem Stande die in der Inschrift Genannten angehören,
zeigen schon abgesehen von anderen Indicien die Namen Geron und
Senecio an. Sie waren Sklaven, wie dies auch aus dem von dem
Sohn bekleideten Amte eines Umocinctus hervorgeht. Dieses Amt
begegnet uns auf Inschriften ^) sehr selten und im Rheinlande über-
haupt hier zum ersten Male. Den Namen Umocinctus hatten diese
Magistratsdiener von ihrer Tracht, dem Schurz {Jiimua) *), der ihren
Körper ab umbilico usque ad pedes prope ^) bedeckte. Auf Omnd
eines Grabsteines im Museum des Lateran, wo ein pubUcus in der
Toga ^) dargestellt ist, hat M o m m s e n ^) die Vermuthung ausgespro-
1) C. I. L. V, 3401. X, 2052. 3942 (farmlia limata).
2) 1 8 i d 0 r , orig. XIX, 33, 4 : limus est dncttis, quem publici hdbent
nervi, \^\. Gell. n. a. XII, 33. Die Lex Ursonensis (C. I. L. II supplem.
n. 5439) tab. I, 3, 17 erlaubt den Aedilen der Colonie, dass sie püblicos
cum cincto limo IUI haben.
3) Vgl. Serv. zuVerg. Aen. XII, 120.
4) Benndorf und Schöne, Lateran-Museum S. 21 n. 33 = C- I.
L. VI, 2365.
5) Rom. Staatsrecht 1» S. 310,
Kleinere Mittheiluugen aus dem Provinzial-Museum zu Bonn. 167
eben, dass späterhin ihnen wie überhaupt den Sklaven der Gemeinde
vielleicht das Recht eingeräumt worden sei; die Toga zu tragen.
Unterhalb der Inschrift ist in einer viereckigen Nische, welche
bei einer Höhe von 16 cm und einer Breite von 24 cm, eine Tiefe von
1^/4 cm hat, ein grosser Hand mit leicht nach rechts umgewandtem
Kopfe nach rechts schreitend dargestellt. Ob und welche Bedeu-
tung die auch sonst auf Grabmonumenten begegnende Darstellung
des Hundes für den Verstorbenen hat, vermag ich nicht zu sagen.
Auch die beiden Schmalseiten des Steines entbehren nicht des
bildnerischen Schmuckes. Auf der rechten vom Beschauer ist eine
Weinranke mit grossen Blättern und Trauben, auf der linken eine
Ranke mit Akanthusblättern dargestellt.
45,
Inschrift aus Bonn.
Im Beginne des letztvergangenen Sommers Hess ein hiesiger
Einwohner, Herr Johann Grahn, den hinter seinem Hause in der Wurst-
gasse Nr. 25 gelegenen baufälligen Schuppen niedeiTcissen, um ihn
durch einen Neubau zu ersetzen. Als bei dieser Gelegenheit die
zu dem Zweck erforderlichen Fundamentirungsarbciten vorgenommen
wurden, kamen etwa 1 Meter von der Grenze des dahinter liegen-
den zu einem Hause der Engelthalerstrasse gehörenden Grund-
stücks entfernt in einer Tiefe von 1,80 m die Trümmer einer in
gleicher Richtung mit der Wui*stgasse laufenden 80 cm starken
Mauer zum Vorschein, von welcher eine zweite von fast gleicher
Stärke im rechten Winkel abbog und sich in das Nachbarbesitzthnm
hinein fortsetzte. Soweit die spärlichen Reste ein Urtheil zuliessen,
scheint Tnfstein als Hauptmaterial verwendet worden zu sein. Leider
konnte eine Veimessung und Aufnahme des Mauerwerks nicht aus-
geführt werden, weil die Nachricht von dem Funde erst dem Museum
übermittelt wurde, als ilasselbe bereits zum grössten Theile von den
Arbeitern ausgebrochen worden war. Es ist indess Hoffnung vor-
handen, doch noch ein annäherndes Bild von dem Grundriss und
Charakter des Gebäudes, welches da gestanden hat, zu gewinnen,
sobald das anstossende Hintergebäude des Nachbarhauses einmal
abgebrochen wird. Es ist dies um so Wünschenswerther, als gerade
168 Josef Klein:
in jener Gegend der Stadt bereits zu wiederholten Malen üeber-
reste römischer Bauten zu Tage gefördert worden sind. Hier mag
es genügen darauf hinzuweisen, dass bei Erbauung des Hauses des
Herrn Prof. Koester in gleicher Entfernung von der Engelthaler-
strasse wie die jetzt blossgelegten Mauertrümmer römische Funda-
mente beobachtet worden sind. Ebenso sind bei den Aussehachtun-
gen für die Reiz'sche Dampfschreinerei Mauerreste aus römischer
Zeit aufgefunden worden. Alle liegen fast in gleicher Flucht-
linie. Von einer an jenen Gebäulichkeiten vorbeifahrenden Strasse
ist bis jetzt freilich, sei es aus Zufall, sei es aus Unachtsamkeit,
keine Spur entdeckt worden. Uebrigens will ich nicht unbemerkt
lassen, dass nach der Tradition einer alten Chronik ^) des ehemaligen
Frauen-Klosters Engelthal dort, wo jetzt das eben erwähnte Koester-
sche Haus steht, ein Tempel des Mars militaris sich beftmden hat,
von dessen Restauration im Jahre 295 n. Chr. eine jetzt im Museum
Wallraf-Richartz zu Köln aufbewahrte Inschrift*) berichtet, welche
nach einer ansprechenden Vermuthung Freudenberg's^) beim
Neubau des durch Brand zerstörten älteren Frauenklosters im J. 1345
ausgegraben worden ist. Alles dies würde jedoch allein nicht mass-
gebend sein, um eine Mittheilung über diese auf dem Grahn'schen
Hofraum aufgedeckten Fundamente zu rechtfertigen, wenn nicht
die ihre Auffindung begleitenden Umstände das Interesse an ihnen
in einem ganz besonderen Masse erhöhten. In der Entfernung von
wenigen Schritten, nämlich von der genannten Mauer, sind die
Bnichstücke einer einfach profilirten, 9 cm hohen runden Basis aus
feinkörnigem Kalkstein aus der Erde herausgehoben worden, welche
zusammen gesetzt einen Durchmesser von 57 cm hat. Unmittelbar
daneben, etwas näher der Mauer zu lag ein schwerer Block aus
Trachyt, welcher an beiden Seiten und unten abgebrochen ist. Er
hat jetzt eine Höhe von 38V2 cm, eine Breite von 46 cm und eine
Dicke von 18 cm. Die Vorderseite trug ehemals eine grössere In-
schrift, von der noch die Reste von drei Zeilen erhalten sind. Wie
gross ihr Umfang ursprünglich gewesen ist, entzieht sich deshalb
der Berechnung , weil nicht mit Sicherheit festgestellt werden
1) Müller, Geschichte der Stadt Bonn. S. 43.
2) C. 1. Rhen. 467. D ü n t z e r , Verzeichniss der röm. Alterth. des
Museums Wallraf-Richartz. Köln 1885. S. 30 n. 19.
3) Bonn. Jahrb. XXIX/XXX, S. 102.
Kleinere MittheilungeD aus dem Provinzial-Museuin zu Bonn. 169
kann, wie breit der Stein an beiden Seiten gewesen und wie
viele Zeilen er unten eingebtisst hat. Die Buchstaben, welche in
der ersten Zeile eine Höhe von 9^2 cm und in der zweiten eine
solche von 9 cm haben, weisen auf eiD bedeutendes Monument hin.
Das erhaltene lautet;
1 : 71/2.
Sie verrathen auf den ei*sten Blick eine ziemlich frühe Zeit.
Ihre Schlankheit, ihre Einfachheit und Schlichtheit spricht für die
erste Kaiserzeit, wenn auch nicht für den Anfang derselben. Denn
gegen die Augusteische Zeit räth nicht bloss der Wortlaut als auch
der Umstand, dass es im Bheiulande keine Denkmäler gibt, welche
zeitlich über das Grabmal des Caelius im hiesigen Provinzial-Museum
und über das auf des Kaisers Augustus Adoptivsohn Lucius von
Hettner wie es scheint richtig bezogene Inschriftfragment des Trierer
Provinzial-Museums hinaufreichen.
Dass wir es mit einer Kaiserinschrift zu thun haben, darüber
kann fllr den Kundigen kein Zweifel obwalten. Das zu Anfang der
ersten Zeile zum Theil erhaltene Zeichen kann seiner Gestalt nach
nur D gewesen sein, woraus sich für die Reste dieser Zeile die Er-
gänzung ciauDlWS CAesar ergibt. Ebenso unzweifelhaft ist
die zweite Zeile ^ONTI F- Mao; zu lesen. In der dritten Zeile
steckt in den beiden letzten Buchstaben die Abbreviatur C 0 « =
co{n)8{ul), Schwierigkeit dagegen bereitet der Rest des ersten
Zeichens. So wenig auch in demselben die Rundung eines P ver-
kannt werden kann, so unsicher ist die Ergänzung des Wortes,
welches ursprünglich dagestanden hat. P als Abkürzung von
170 Josef Klein:
p{ote«tate) statt der gewöhnlichen pot. oder potest. zu betrachten^
80 dass zu ergänzen wäre trib{uniciä) piotestate), geht bei einer
Inschrift mit offenbar offiziellem Charakter nicht gut an, wenngleich
die Stelle, welche die tribunicische Gewalt in der Reihenfolge der
kaiserlichen Amtstitel einnimmt, durchaus nichts Auffälliges hat.
Denn seit der Zeit des Caligula^) erscheint die Erwähnung der-
selben, welche unter Augastus stets hinter dem Consnlate ihren Platz
hat, in der kaiserlichen Titulatur zwischen dem Oberpontificat und
dem Consulate und die Ausnahmen Yon dieser Regel sind äusserst
selten. Andererseits erwartet man bei einer Inschrift wie diese ist,
dass die Ziffer der tribuuicischen Gewalt beigefügt sei. Aus dem-
selben Grunde möchte auch die Ergänzung des P. durch imp(erator)
abzuweisen sein. Demgemäss bleibt die einzige Möglichkeit P. als
Rest des Titels p{ater) piatriae) zu deuten, welcher ja regelmässig
80 abgekürzt wird. Damit stimmt sehr gut tiberein, dass die Kaiser
bis auf Titns einschliesslich diesen Titel vor da« Consulat zu setzen
pflegen, wie dies die Münzen beweisen. Das Fehlen jeglicher Zahlen-
angabe auf dem Steine lässt eine bestimmte Entscheidung, welcher
Kaiser auf unserem Steine gemeint ist, nicht zu. — Es bleibt die
Wahl zwischen Claudius und Nero offen, welche beide den Ge-
schlechtsnamen Claudius gef&hrt haben, entgegengesetzt der Sitte
der früheren Kaiserzeit, wonach die Herrscher sich des Gognomens
anstatt des Geschlechtnamens bedient haben. Ist Nero hier genannt,
so kann die Inschrift nur zwischen den Jahren 56 — 68 n. Chr. ge-
setzt sein, weil Nero erst gegen das Ende des Jahres 55 oder gleich
im Anfang von 56 den Titel pater patriae nach dem Ausweis der
Münzen ^) angenommen hat, den er früher mit Rücksicht auf seine
Jugend abgelehnt hatte. Ist die Inschrift aber auf Claudius zu beziehen,
so gibt uns der Titel pater patriae ebenfalls eine Handhabe ftlr ihre Zeit-
bestimmung. Denn auch Claudius hat denselben nicht sofort nach
seiner Thronbesteigung angenommen, sondern damit beinahe ein
ganzes Jahr gewartet. Da wir aus der Jahresfeier der Arvalbrüder-
schaft^) wissen, dass dies zwischen dem 5. und 13. Januar 42 ge-
schehen ist, so wäre das Monument frühestens im Anfange dieses
Jahres errichtet. Mit Rücksicht auf die Fassung der Inschrift im
1) Vgl. M 0 m m 8 e n , Rom. Staatsrecht II^, S. 759 f.
2) Sueton. Nero 8. E c k h e I , Doctr. numm. VI, 263.
3) Dio LX, 3. E c k h e 1 , 1. c. VI, 239. Acta Arv.; C. I. L. VI, 2082.
Kleinere Mittheilungen aus dem Provinzial-Museum zu Bonn. 171
Nominativ, welche die Person des Kaisers in unmittelbare Beziehung
zum Monumente bringt, und auf die durch die Ehrenbasis aus Marsal ^)
bezeugte Anwesenheit des Claudius in Gallien bei Gelegenheit seines
Zuges nach Britannien im Jahre 43, welche sich auch in der Für-
sorge fUr den Strassenbau am Rhein ^) kund gibt, dürfte vielleicht
dieser Kaiser gemeint und unser Denkmal in Folge seines damaligen
Aufenthaltes errichtet worden sein.
Welcher Art das in Rede stehende Denkmal gewesen und
welche Bestimmung es gehabt hat, lässt sich kaum mehr feststellen.
Anzunehmen, dass das Inschriftfragment zu der Basis, mit der
es zusammen gefunden worden ist, in irgend einer Verbindung ge-
standen habe, widerräth die Verschiedenheit des Materials. Am
ehesten möchte es, da es in unmittelbarer Nähe der früher erwähnten
Mauerreste gefunden worden ist, als Theil einer Baninschrift anzu-
sprechen sein, welche bestimmt war, in die Mauer eingefügt zu
werden, um von dem durch Claudius bewirkten Neubau oder um-
bau eines öffentlichen Gebäudes, vielleicht eines Tempels, der Nach-
welt Kunde zu geben.
1) H 6 n z 6 n , 6214.
2) Zangemeister, Westd. Zeitschr. III, 8. 311 f.
4. Domitian in Frontins Strategemata.
Von
H. Diintzer.
Vor sechs Jahren hat Herr Generalmajor Wolf, der sich durch
die Sorgfalt und Kenntniss, womit er sich den Aufgrabungen des
Deutzer und des Ältebnrger Kastells gewidmet hat, ein bedeutendes
Verdienst erworben, in unsem Jahrbttchem (LXXXV, 172 — 176)
Frontins Stellen über den Imperator Domitian eingehend besprochen.
Dabei ist er zu Ergebnissen gelangt, die nach meiner Ansicht vor
einer genauem Betrachtung nicht Stand halten, vielmehr die Einsicht
in die Kämpfe der Römer in Deutschland unter den Flavischen
Kaisem trttben, da sie auf Domitian bezügliche Stellen in seltsamer
Missdeutung von Germanicus, dem Sohne des Drusus, verstehen
wollen. Weil die Spitze dieser Erörterungen sich persönlich eben gegen
mich wandte, glaubte ich die Widerlegung dieser mit den Quellen
in Widerspruch tretenden Ansichten andern Forschern auf diesem
viel bearbeiteten Gebiete getrost überlassen zu dürfen; da aber
bisher Niemand darauf eingegangen ist, so scheint mir eine ruhige
Erörterung der Streitfragen geboten, die der Sache selbst förderlich
sein dürfte. In Bezug auf die von Herrn Wolf aufgeworfene Frage,
ob ich die Strategemata des Julius Frontinus wirklich gelesen, be-
darf es nur des Hinweises, dass der wunderliche Verdacht allein auf
der Bemerkung fusst, von den vielen Geschichten in II, 11 habe
Frontin keine einzige als Augenzeuge erlebt, was ich nur von den
sechs ersten zugeben kann; wie dies, wenn es wahr wäre, meine
Bemerkung, Frontin habe manches er/ählt, wovon er als Begleiter
des Domitian Augenzeuge gewesen, widerlegen und mich der Un-
kenjitniss des Strategemata überführen soll, sehe ich nicht; die
Schwere des Vonvurfs steht zu der Haltbarkeit der Begründung in
Domitian in Prontins Strategemata. 173
umgekehrtem Verhältniss. Im Vertrauen kann ich meinem werthen
Gegner versichern, dass ich zuerst vor fünfzig Jaliren die kleine
Schrift in sprachlicher und sachlicher Beziehung durchgenommen,
später hei besonderer Gelegenheit sie wiederholt gelesen, mit den
Untersuchungen von Wachsmuth, Wölflin u. a. mich eingehend
beschäftigt, auch jedesmal, wo von einer Stelle Frontins die Rede
war, auf die üeberlieferung des Textes zurückgegangen bin. Da-
gegen begnügt sich der Zweifler an meiner Bekanntschaft mit
Frontin bei der Ausgabe des Scriver, der fast vor 300 Jahren
(1607) den Text bearbeitet hat; dieser habe, meint er, „sich offenbar
genau der Handschrift angeschlossen". Als ob es nur eine, als
ob es eine wirklich fehlerfreie Handschrift gäbe! Wie übel es mit
der üeberlieferung des Textes bestellt ist, wie wir hier auf ziemlich
morschem Boden stehen, ahnt er nicht, und doch hängt davon die
Beurtheilung der Zuverlässigkeit wesentlich ab. Der beste zur Zeit
vorhandene Text war der von Dederich; hätte Wolf, wie es
recht war, dessen Ausgabe benutzt, so würde er die Unsicherheit
der üeberlieferung erkannt und sich nicht auf den Buchstaben
gesteift haben ; er hätte erfahren, dass in den Handschriften vielfach
Worte verschrieben, verdorben, ausgefallen, eingeschoben sind. Selbst
das hat er unbeachtet gelassen, dass Frontin, wie offen vorliegt,
mir drei Bücher geschrieben hat, das vierte, wahrscheinlich erst im
fünften oder sechsten Jahrhundert, untergeschoben wurde, und dann
auch die drei ersten Bücher Zusätze erhielten. Ohne Kenntniss
dieser Dinge sollte niemand sich auf die Benutzung Frontins ein-
lassen. Herr Wolf will es nicht Wort haben, dass er den Philo-
logen abgeneigt sei; und doch leugnet er nicht ab, dass er die
Aeusserung gethan: „Die alten Bücher sind nach allen Richtungen
durchwühlt, und wir werden aus ihnen kaum mehr erfahren, als wir
T)ereits wissen, wie gewaltige Schrauben wir ihnen auch anlegen."
Er übersieht also völlig, dass wir jetzt im Besitze zuverlässigerer
Texte sind, auf die wir fussen oder die Unsicherheit der üeber-
lieferung genau erkennen können, übersieht, dass wir in der Aus-
legungskunst weiter fortgeschritten sind, vor allem in Bezug auf die
Geschichte, in welcher besonders der Dilettantismus sehr lange
schädlich gewirkt hat, dass viele Entdeckungen unsem Gesichtskreis
gereinigt und erweitert haben, und wir durch alle diese Fortschritte
in Stand gesetzt sind und immer mehr in Stand gesetzt werden,
mit klaren Augen die schriftliche üeberlieferung anzuschauen und
174 H. Düntzer:
zu verstehen. Es gilt zunächst in allen Fragen die üeberlieferung
durch sprachliches und sachliches Verständniss festzustellen^ dann
die Tcrschiedenen Berichte gegen einander abzuwägen^ was nur bei
genauester Beurtheilung des Charakters der Berichterstatter und
ihrer Quellen gelingen kann; erst daraus wird sich ein lebendiges
Bild gestalten, sofern es bei dem Stande der üeberlieferung möglich
ist und dem Forscher ausreichende Kenntniss und besonnene Berück-
sichtigung aller Verhältnisse zu Gebote stehen. Die „alten Bttcher"
haben jetzt ein anderes Gesicht gewonnen und der wahre Philolog
zwingt ihnen nichts mit Schrauben ab, er vereteht ihre Sprache^
nicht bloss ihre Worte. Dass mehr als schriftliche üeberlieferung
sprechende Ueberbleibsel vermögen und planmässige Ausgrabungen
deshalb von höchstem Werthe sind, das hat kein denkender Philolog
seit unserm Jahrhundert geleugnet, und wenn es je verkannt wurde^
schon die erste Hälfte unseres Jahrhunderts, noch mehr die zweite,
und eben jetzt die Limesforschung haben es auf das glänzendste er-
wiesen. Aber dabei bleibt der kritischen Verwerthung der schrift-
lichen üeberlieferung ihr hoher Werth. Pflicht der Wissenschaft ist
es, jedes eigenwillige Gebaren ernst zurückzuweisen.
Wolf hat die fünf Stellen Frontins in durchaus willkürlicher
Folge behandelt; er beginnt mit der vierten, geht dann zur ersten
und zweiten über, springt darauf zur fünften in dem später geschrie-
benen vierten Buche über und endet mit der dritten. Auch fehlt es
an einer zu Grunde liegenden festen Ansicht von Domitians kriegeri-
schen Unternehmungen, wie sie Asbachs Aufsatz „Der Kaiser Domi-
tian und Traian am Rhein" vier Jahre vorher in der „Westdeutschen
Zeitschrift'^ gegeben hatte. Wolf fahrt freilich den Aufsatz an,
aber nur um Asbachs Vermuthung Sueborum zurückzuweisen, ohne
dessen sonstiger Beziehung der Frontinstellen zu gedenken. Wir folgen
zunächst der Folge Frontins, die freilich durch die Art der ange-
führten Strategemata bestimmt ist, aber da es uns vorab darauf an-
kommt, die Bezeichnung des Domitian zu beachten, so ist es von
Wichtigkeit, wie diese bei der ereten Erwähnung lautet. Gleich im
ersten Kapitel {de occultandis consüiis) finden wir Imperator
Caesar Domitianus Augustus Qermanicus, obgleich er damals noch
nicht den Namen Germanictts führte. Frontin nennt ihn als Kaiser
mit seinem vollen Namen, auch dem Ehrencognomen, das er als
Feldherr erhalten. Die Annahme, Germanicus sei hier ein Glossem,
wie sich andere, aber wohl kein ähnliches, in Frontin finden^ wird
Domitian in Frontins Strateg^emata. 175
dnrch nichts antersttttzt, auch nicht dadurch, dass unmittelbar darauf
folgt: cum Germanos . . . vellet opprimere. Ist es ja Frontins
Weise, unmittelbar nach dem Namen die Zeit zu bezeichnen, in
welcher die Geschichte stattgefunden. Im zweitfolgenden Kapitel
{de constituendo statu belli) wird an letzter Stelle Domitiauus
mit demselben Titel angeführt, nur folgt Germanicus nach Augustus,
an den sich unmittelbar die Zeitbestimmung auschliesst, cum Ger-
mani more suo . . impugnarent nostros. Leicht könnte man an-
nehmen, den Ausfall des Namens habe die Nachlässigkeit des
Schreiben veranlasst, der mehrfach ein Wbrt oder mehrere über-
sprungen. Aber Frontin setzte sich in diesem Falle keineswegs
Qleichmässigkeit vor. Der berühmte Julius Caesar heisst bei ihm
an vielen Stellen Caius Caesar oder einfach Caesar^ aber zweimal
(II, 8, 13. 13, 11) Divus Julius. Der Zerstörer Karthagos wird
an einer Stelle (I, 2, 1) Scipio Africanus, I, 3, 5 P, Sdpio^ dann
bloss ScipiOy I, 8, 10 wieder Scipio Africanus genannt, aber nach
wiederholtem Wechsel heisst er II, 3, 4 P. Cornelius Scipio, cui
postea Africano nomen fuit. Aber dennoch dürfte es wahrschein-
lich sein, dass die Auslassung des Germanicus von einem Abschreiber
kommt, da wir einem ganz ähnlichen unzweifelhaften üeberspringen
weiter begegnen. Denn wenn im zweiten Buche zweimal steht Im-
perator Caesar Augustus Germanicus, so muss, da diese Bezeich-
nung auf keinen einzigen Römer passt, ohne allen Zweifel das un-
entbehrliche Domitianus dnrch Schreibfehler weggeblieben sein, das
spätere Handschriften richtig hinzufügen. Der Schreibfehler hat
Wolf veranlasst, hier an den Germanicus, den Sohn des Drusus,
zu denken, und die Unmöglichkeit, dass dieser Augu«tus genannt
werde, geduldig auf sich zu nehmen. Wir kommen auf diese ün-
glaublichkeit weiter unten zurück. Die fUnfte Stelle findet sich im
spätem vierten Buche, wo wieder der volle Name steht. Freilich
lesen hier (3, 14) die bessern Handschriften: Auspiciis Imperatoris
Caesaris Domitiani Augusti Germanico beU^, quod Julius Civilis
in Gallia moverat, aber es ist dies einer der Fälle, wo in spätem
Handschriften das Richtige durch Vermuthung hergestellt ist. Wir
folgen hier der Lesart der spätem Handschriften, nicht, weil diese
urkundliche Bedeutung haben, sondem weil sie dem geforderten
Sinne entspricht. Frontin schrieb ohne allen Zweifel Germanid eo
belloy wie alle Handschriften II, 11, 7 bieten: Imperator Caesar
{Domitianus fügen nur spätere hinzu) Augustus Germanicus eo
176 H. Düntzefi
hello j quo victis hostibus cognomen Germanici meruit Die Un-
richtigkeit der tiberlieferten Lesart ergibt sich ans der nachfolgenden
Bestimmung des Krieges durch den Relativsatz, wie sie nach der Be-
zeichnung, gegen welches Volk der Krieg gerichtet war, nie folgt
und in diesem Falle auch völlig überflüssig war. Am wenigsten
würde sie auf Kosten der Vollständigkeit der Bezeichnung des
Kaisers eingetreten sein. Es ist recht bezeichnend, wie Frontin
den Namen des Kaisere, dem er einst im Kriege zur Seite stand,
immer in aller Vollständigkeit gibt. Dass er dieses auch bei Ger-
manicus, dem Sohne des Drusus, gethan haben würde, ist ganz un-
glaublich. Nennt er ja den Stiefsohn des Augustus, den spätem
Kaiser Tiberius, II, 1^ 15 einfach 71r'. Nero, Die in Rede stehende
Stelle des vierten Buches ist ganz eigenthümlich. Es heisst nach
jenem Eingange: Lingonum opulentissima civitasj quae ad CHviUm
desciverqt, cum adveniente exercitu Caesaris populationem timeret,
quod contra exspectationem inviolata nihil ex rebus suis amiserai,
ad obsequium redacta septuaginta milia armatorum tradidit mihi.
Das merkwürdige mihi, für das man ei veniiuthet hat, wird von
Wolf ganz übergangen. Freilich ist es hier durchaus nicht an der
Stelle, da von einem Berichterstatter keine Rede ist, und eben so
wenig ist das dafür vennuthete ei zu billigen, da kein Heei-fÜhrer
genannt ist, nur das Heer des Cäsar Domitianus, auch tradidit keiner
nahem Bestimmung bedarf. Aber wie ein so widersinniges Wort
sich eingeschlichen, ist schwer zu sagen. Man hat vermuthet, der
Pseudo-Frontin habe aus einem Geschichtswerke geschöpft. Sollte
vielleicht Frontins Werk de re militari zu Grunde liegen und er in
demselben von seiner Theilnahme am Kriege des Jahres 70 erzählt
haben, das mihi ein dort in einer Handschrift eingedrungenes Glossem
sein, das der späte Zusammenschreiber des vierten Buches mit her-
übergenommen hatte? Er stellte es unter die Beispiele de continentia,
weil der Heerführer die üebergabe der Lingonen annahm, ohne sie
wegen ihres Abfalles zu bestrafen. Wolf hat hier des Beinamens
Oermxtnicus sich dadurch erwehrt, dass er die Lesart Germanico
beibehalten, an zwei andern Stellen dadurch, dass er sie auf den
Sohn des Drasus bezieht. So ist glücklich dem Domitian der Nam.e
Germanicus nur an einer Stelle geblieben, bei der ersten Erwähnung
am Anfange des Feldzuges, nach dessen Beendigung er erst diesen
Beinamen erhielt. Der Name Augustus macht Wolf freilich einige
Schwierigkeit, oder vielmehr macht er sich dieselbe, da er meint,
Domitian in Frontins Strategemata. 177
zur Zeit habe Germanieus diesen schwerlich geführt, doch erleichtert
er sein Her/ durch die ans der Luft gehaschte Annahme, es sei
höfischer Brauch gewesen, auch die kaiserlichen Prinzen mit dem
Beinamen Augustus auszuzeichnen! Auffallend ist es, dass ihm der
Name Imperator kein Kopf brechen macht: denn dass dieser in
dem Titel nicht Heerführer bezeichnet, zeigt schon das Voran-
treten des Wortes, das in dieser Bedeutung immer nach dem Namen
steht, nur beim Kaisertitel voran. Domitian führte den Namen Au-
gustus mit demselben Rechte, mit welchem er sich Imperator nannte,
noch ehe er wirklich Kaiser war ; Germanieus hatte weder den einen,
noch den andern. Dafür dass Germanieus hier unmöglich gemeint
sein kann, werden wir noch einen entscheidenden Grund weiter
unten anführen.
Die vier Stellen, in welchen Frontin selbst in den Strate-
gemata von dem Imperator Caesar Domitianus Augustus Ger-
manieus berichtet, betreffen den Kattenkrieg seit dem Herbste des
Jahres 82. Vgl. Asbaeh, Westdeutsche Zeitschrift III, 5 f. 17 ff.
V, 369 ff. Jahrb. LXXIX, 137. Auf den Beginn des Krieges geht
die erste Stelle I, 1, 8, wo es nach der Gundermann'schen Aus-
gabe von Domitian heisst: Cum Germanos, qui in armis erant,
vellet opprimere, nee ignoraret maiore bellum molitione inituroSy
si adventum tanti dueis praesensissent, profectioni suae census oh-
texuit GalUarum: suh quibus inopinato bello adfusus eontusa
immanium ferocia nationum promneiis consuluit, Wolf hält sich
an seinen Scriver, nur hat sich der Druckfehler Gallianum statt
GalUarum bei ihm eingeschlichen. Die Abweichungen Gunder-
manns haben keinen Einfluss auf den Sinn, sie treffen nur den
Ausdruck. Das irrige sensus oder sensu ist schon von Modius in
eensus verbessert worden. Gundermann hat sub quibus y^ohl mit
Recht unangetastet gelassen, weder He reis subitus noch Dede-
richs subito hostibus für eine nöthige Verbessening gehalten. Nach
Frontin hatte Domitian, da die Katten sich erhoben, den Entschluss
gefasst, einen starken Schlag gegen sie zu führen und selbst gegen
sie zu ziehen, aber bei seiner Abreise von Rom diesen Plan ganz
geheim zu halten, vorgeblich des Census wegen sich nach Gallien
zu begeben, von da, wie es zur Zeit Geimanicus gethan, an den
Rhein zu ziehen, und so die Katten zu überraschen, die sich eines
so gewaltigen Angriffes unter des Kaisers eigener Führung nicht
versehen hatten. Wirklieh war dieser Zug weniger durch eine Be-
Jahrb. d. Ver. v. AUcrthsfr. im Rheiiil. XCVI. 12
178 H. Düntzer: ,
wegung der Katten veranlasst, sondern Domitian hatte den Ent-
schluss gefasst, in Germanien weiter einzudringen. Sueton sagt aus-
drücklich, er habe diesen Zug nicht necessario, sondern sponte
unteraouimen. Das stimmt auch zu der Aeusserung des Frontin, er
habe für die Ruhe der Provinzen dadurch gesorgt, dass er die Wild-
heit gewaltiger Nationen gebrochen. Contusa ferocia ist ein echt
römischer Ausdruck. Bei Vergil weissagt Juppiter von Rom po-
pulos feroces contundet, bei Horaz heisst es vom Triumphirenden
regum tumidas contudit minasy bei Livius rühmt sich Claudius Mar-
cellus, er sei derselbe , qui post Cannensem pttgnam ferocem tric-
toria Hannibalem contudisset, um anderer Stellen nicht zu gedenken.
Mit Recht hat schon Asbach die falsche Übereetzung Zwanzigers
zurückgewiesen, Domitian habe sich der Sorge für die Provinzen
hingegeben, nachdem (statt dadurch, dass) er den Trotz wilder
Völkerschaften gebrochen. Wenn Frontin den Domitian tantus dux
nennt, so kann diese Bezeichnung sich nur auf die kaiserliche Würde
beziehen, da Domitian noch keinen Feldzug selbst geführt hatte^
nur einer unter seinen Auspicien unternommen worden war.
II, 3, 23 ist von einem Strategema in der Schlachtordnung
{in acte ordinanda) während des Kattenkrieges die Rede. Domitian
heisst auch hier Germanicus, obgleich er diesen Namen erst nach
dem Kriege erhielt. Frontin schreibt : Cum sübinde Chatti equestre
proelium in Silvas refugiendo deducerent, iussit suos equites simul-
atque ad impedita ventum esset, equis desilire pedestrique pugna
confligere: quo gener e consecutus, ne quis locus victoriam mora-
retur. Wir sind hier der besten üeberlieferung gefolgt mit Ver-
besserung offenbarer Schreibfehler {equester, simul ufque, miraretur)
und Auslassung von non nach quis und von eius nach victoriam.
Non ist nach ne quis nicht statthaft, das dafür vergeachlagenen iam
so überflüssig als in dieser Wortstellung störend, das daneben ver-
muthete iniquus stimmt nicht wohl zu impedita und den Wäldern.
Ob ein est nach consecutus nöthig, entscheide ich nicht. Falsch ist
Wolfs diducerent statt deducerent, da hier nicht das Auseinander-
halten (des Reitergefechts), sondern dessen Abhalten erforderlich
ist. Ein arger sehr störender Druckfehler ist hei W oK impedimenta
statt impedita. Dass in dem Wolfischen Abdruck im Namen Do-
mitians Augustus weggeblieben ist, entstellt den Thatbestand der
von ihm angeregten Frage sachlicher Kritik, wenn es auch nur auf
einem Versehen beruht, da er ja an einer andeiii Stelle, die er gleich
Domitian in Frontins Stratcgemata. 179
dieser auf den Germanicus bezieht, sich durch das Augustus nicht
irre machen lülsst. Freilich fehlt es ihm auch an einem sonstigen
Grunde nicht, in unserer Stelle den Gennanicus zu verstehen. Man
höre! In den drei Beispielen, wo er den Domitian verstehen muss,
zeigten sich die den Domitian charakterisirenden Eigenschaften, Schlau-
heit, List und Vorsicht; „hier aber werden wir auf das Schlachtfeld
geführt, wir sehen den kriegsgeübten Feldherm, welcher an der
Spitze seiner Truppen sofort die zweckmässigen Anordnungen, um
die rasche Entscheidung herbeizuführen, trifft" — und so steht der
Sohn des Drusus leibhaft vor uns. Ich sehe von allem nichts, weder
den Heerführer auf dem Schlachtfeld, noch weniger an der Spitze
der Truppen. Nachdem mehrmals die Reiterei die Katten nicht
hatte in den Wald verfolgen können (denn subinde deutet bestimmt
auf mehrere Fälle), erliess Domitian jenen Befehl, wozu er sein Zelt
keinen Augenblick zu verlassen brauchte. Dass er auf dem Schlacht-
feld sonst erschienen und die Truppen angefeuert habe, glauben wir,
obgleich dies hier nicht ausdrücklich erwähnt wird, und wie steht
es mit den andern Fällen, wo Domitian nicht weggeleugnet werden
kann. In einem wird freilich der Krieg nur unter seinen Auspicien
geführt, aber in den beiden andern erscheint er nicht weniger als
thätiger Feldherr, ja die Anordnung, die er I, 3, 10 trifft, würde,
wenn man Wolfs Missvei-ständniss annähme, ihn noch thatkräftiger
auf dem Schlachtfelde zeigen als in unserer Stelle, aber auch nach
der richtigen Deutung bewährt sich hier sein strategischer Blick,
der vor der Schlacht, in und nach dieser (von dieser dreifachen
Thätigkeit handeln die beiden ersten Bücher) sich bewähren muss;
von dem persönlichen Eingreifen auf dem Schlachtfelde redet Frontin
überhaupt gar nicht besonders.
Den Germanicus, des Drusus Sohn, findet Wolf, wie schon
bemerkt, auch II, 11, 7. Die Stelle beginnt: Imperator Caesar
(Domitianus) Augustus Germanicus eo hello, quo victis hostibus
cognomen Germanici meruit. Ich wiederhole nicht, was oben tiber
die Unmöglichkeit dieser Annahme gesagt ist, aber auffallen muss,
dass Wolf tibersah, die Bestimmung: mctis hostibus cognomen Ger-
mxmici meruit (nach dem bei spätem Schriftstellern geläufigen, auch
bei Frontin stehenden Gebrauch von merere für consequi), schliesse
schon allein die Beziehung auf Germanicus aus. Domitian erhielt
den Ehrennamen Germanicus eret nach der Besiegung der Ger-
manen, der er sieh rühmte, Geimanicus aber fühi-te ihn erblich,
180 H. Düntzer:
seit der Senat nach dem Tode des Drusus diesem und dessen Nach-
kommen diesen Namen verliehen hatte, was Wolf selbst S. 171
erwähnt, ohne die Beweiskraft dieser Thatsache gegen sich zu ahnen,
vielmehr benutzt er es, um darin den Grund zu entdecken, weshalb
Frontin Germanicus nicht beim Namen setze, sondern die Wendung
gebrauche eo beUo, quo meruit — den Grund zu einer bloss auf Wolfs
Versehen beruhenden, unrichtigen Angabe. Den Ehrennamen Ger-
manicus fahrte der Sohn des Drusus, ehe er den Boden Germaniens
berührte; Tacitus und die übrigen Geschichtschreiber nennen ihn
regelmässig so, nirgends wird er als Imperator und Augustus be-
zeichnet. Die Zeiten des Augustus waren hierin viel zurückhaltender
als die der Flavier. Wolf beklagt sich, dass ich seine Deutung
missverstanden; er habe unter dem Imperator Caesar Augustus
nicht den Augustus, sondeni den Germanicus sich gedacht. Ich be-
daure, dass ich ihn falsch vei*standen, aber wie konnte ich es fQr
möglich halten, dass er dem Germanicus den Beinamen Augustus
zuschreibe, da er nur von „Befestigungen unter Augustus^ sprach!
Genug, es ist von allen Seiten die Beziehung auf den Sohn des
Drusus ein Missgriff.
Vom Imperator Caesar [Domitianus] Augustus Germanicus
heisst es nun im Kapitel de dubiorum animis in fide retinendis
II, 11, 7 nach der besten üeberlieferung : Cum finibus Cubiorum
castdla poneretj pro fructibus locorum, quae vaUo comprehendebat,
pretium solvi iussit: atque ita iustitiae fama omnium fidem
astrinxit. Ob vor finibus ein in einzuschieben sei, mag man be-
zweifeln; Frontin könnte finibus ohne in im Sinne an derGrenze
zur Unterscheidung von in finibus für im Lande gebraucht haben.
Statt ita haben die spätem Handschriften ea. Wolf folgt seinem
Scriver in der Schreibung übiorum, ohne zu bemerken, dass dies
eine blosse Vermuthung von Modius sei, die man als leicht sich
darbietend eben so leicht aufgenommen hat. Aber dass ein Schreiber
am Anfange eines Namens einen Buchstaben vorgeschoben habe, ist
eben nicht wahrscheinlich, eher Hess man Buchstaben weg, ver-
wechselte den Anfangsbuchstaben oder entstellte die Mitte. Die
Frage, ob hier fines Land oder Grenze bedeute, dürfte sich aus
dem Zwecke der castella entscheiden lassen; sie sollten gegen die
Germanen sichern, mussten also nicht im Lande der Provinzialen,
sondern an der Grenze des ^eimanischen Volkes erbaut werden,
und waren deshalb von dem Volke zu bezeichnen, gegen das sie
Doroitian in Frontins Stratcgemata. 181
gericlitet wurden. Das den Römern verbündete Volk wurde ent-
schädigt für den Ertrag des Bodens, den die ümwallung der Ka-
stelle in Anspruch nahm, und diese von den Römern geübte Ge-
rechtigkeit befestigte die Treue der Verbündeten. Demnach kann
unter dem Volke, auf dessen Grenze die Kastelle erbaut wurden, nur
ein freies gennanisches , nicht ein den Römern verbündetes ver-
standen werden. Mir ist es jetzt wahrscheinlicher, dass von den
manchen Versuchen der Herstellung der von Dederich Cattorum
das Rechte getroffen hat. In der Cursivschrift werden a und u
leicht vertauscht, wovon auch Frontin Beispiele liefert; bei der
jedenfalls bedeutenden Entstellung lässt sich auch ein vielleicht
allmähliches üebergehen von tt in hi wohl denken. Wolf las
aus der Stelle heraus, die Römer hätten den Ubiern für die
unter Augustus in ihrem Lande angelegten Kastelle das Terrain
baar bezahlt, was zeige, dass diese mit Gerechtigkeit und Schonung
von ihnen behandelt worden und bald nach ihrer Uebersiedelung in
geordnete Rechts- und Eigenthumsverhältnisse eingetreten seien. Dass
Frontin nur von den fructus des in der ümwallung eingeschlossenen
Landes spreche, bemerkt er nicht, und doch möchte man wissen,
wesshalb sie hur die fructus bezahlt und was darunter zu verstehen
sei. Gern wollte ich meinen ubischen Vorfahren, wie wenig ich
auch mit ihrem Verhalten gegen ihre geniianischen Stammgenossen
cinveretanden bin, diesen locus classicus gönnen, „steht aber doch
immer schief darum". Asbach schreibt pro limitibus locorum,
aber dass sie bloss die limites der umwallten Strecken bezahlt hätten,
verstehe ich nicht. Für Cuhiorum vermuthet er Sueborurriy was
den Buchstaben nach sehr leicht ist, und auch sachlich sich da-
durch erklären Hesse, dass die östlich vom limes wohnenden Her-
munduren wenigstens von Tacitus in der Germania zu den Sueben
gerechnet werden, und will man dies für einen Irrthum erklären,
wie neuerdings besonders Kossina gethan, so könnte man darauf
sich beziehen, dass auch die Katten noch in den Kämpfen des
Jahres 11 als Sueven erscheinen. Wolf erhebt dagegen Wider-
spruch, weil hier ein einzelner deutscher Stamm genannt sein müsse.
Als ob nicht der allgemeine Name Germani oft stände, wo von
einer besondern Völkerschaft die Rede ist, AVie Frontin die Katten
zuweilen Germanen nennt, auch der Sueve Ariovist rex Ger-
manorum heisst. Aber ich habe schon bemerkt, dass ich jetzt
Chattorum vomehen möchte.
182 H. Düntzer:
Das Kapitel de constituendo statu belli (I, 3) schliesst mit
dem Beispiel: Imperator Caesar Doniitianus Augustus, cum Ger-
mani more suo e saltibus et obscuris latebris subinde impugnarent
nostros tutumque regressutn in profunda silvarum haberent, mi-
litibus per centum viginti milia.passuum actis non mutavit tantum
statum belli, sed et subiecit dicioni suae hostes, quorum refugia
nudaverat, Dass hier im Namen Domitians Germanicus fehlt, das
wir zwei Kapitel vorher bei ganz gleichem Anfange fanden, kann
nur die Nachlässigkeit des Schreibers verschulden, der anderswo so-
gar im Titel den Namen Domitianus ausliess. Bei Wolf ist die
Stelle zweimal abgedruckt; beidemal steht viginta statt viginti (dank
dem folgenden millia), an zweiter Stelle fehlt et nach sed, Dass
militibus widersinnig sei, sah schon Scriver, dessen recetisio Wolf
benutzt, er schrieb, was jedem aufmerksamen Leser einfallen wird,
limitibus. Die Verwechslung von limite und milite in den Hand-
schriften ist schon von altern Philologen bemerkt worden, wie denn
die Versetzung von Konsonanten so ausserordentlich häufig ist. Wer
die Arten der Verwechslung verfolgt, dttrfte meinen, hier sei aucli
noch das folgende millia eine Veranlassung zum Fehler gewesen;
denn da der Abschreiber immer eine Anzahl Worte zusammen liest,
so begegnet es ihm wohl, dass er ein späteres Wort oder den An-
fang eines solchen schon an einer frühern Stelle setzt. Doch ab-
gesehen von der Leichtigkeit dieser Verbesserung ist die Noth-
wendigkeit derselben augenscheinlich. Wolf aber klagt die-
jenigen, welche das nothwendige Wort gesetzt, einer Fälschung der
Geschichte an. Er erklärt, Domitian sei ^nur 120 Meilen tief in
das Land [also auch in die saltus et obscurae latebrae] einge-
drungen und nicht weiter vorgerückt, sondern (?) habe seine Feinde,
deren Schlupfwinkel er blossgelegt hatte, zur Unterwerfung, ge-
zwungen". Das heisst doch der Sprache und der Sache Gewalt
anthun. Milites agere soll heissen eine Gegend mit Soldaten
besetzen, was doch hier ein höchst unbezeichneuder Ausdruck
wäre. Ich weiss wohl, dass man agere auch von einem agmen
militum braucht, aber dass man von dem Einrücken in Feindesland
je gesagt habe milites agere per, wer glaubt es ? Die mannigfachen
Ausdrücke, die den kriegerischen Römern für das Einrücken iu
ein fremdes Land zu Gebote stehen, kann jeder, der sie nicht kennt,
in einem guten deutsch-lateinischen Wörterbuch finden, und statt aller
dieser sollte Frontin einen solchen lahmen, ungebräuchlichen gewählt
Domitlan in Frontins Strategemata. 183
haben! Dagegen ist limites agere, wie jeder weiss, stehender Aus-
druck, und dabei allein kommt auch das per zu seiner Geltung.
Dass Doniitian sich in ein so gefährliches Land 120 Meilen hinein
gewagt, wäre sachlich eine unbegreifliche Tollkühnheit, ja das hier
erwähnte strategema zeigt, wie er seinen Zweck auf eine sicherere
Weise durch eine lange Grenzsperre erreichte, die nicht allein den
Germanen ihr plötzliches Einfallen mit raschem Zurückziehen un-
möglich machte {mutavit statum belli), sondern auch sie zur Unter-
werfung geneigt machte, da ihre ohscurae latebrae von ihm bloss-
gelegt und überwacht waren. Dass mit der Grenzsperre von 120
Meilen die von Lorch bis an die Kinzig gemeint sei, behauptet
Asbach mit Recht (Westdeutsche Zeitschrift III, 20. V, 371. Jahrb.
LXXXI, 29); zunächst mag nur die gegen die Katten gerichtete
gezogen worden sein. Wolf meint freilich, hier hätten die den
Römern ergebenen Mattiaker gewohnt, die keine Einfälle gemacht.
Worauf sich diese genaue Kenntniss zur Zeit des Kattenkrieges
gründet, weiss ich nicht; dagegen steht mir fest, dass unsere Stelle
ganz unzweifelhaft von einem 120 Meilen langen limes Domitians
gegen die Germanen, wahrscheinlich zunächst gegen die Katten,
spricht.
Es scheint mir eine bemerkenswerthe Thatsache, dass keines der
strategemata des Frontin später föllt als Domitians Kattenkrieg,
auf den allein sich vier beziehen. In die Zeit Vespasians gehört
nur eines der drei echten Bücher, eines in die des Titus. Dies
dürfte einen nähern Antheil Frontins am Kattenkriege mehr als
wahrscheinlich machen, und so ein Gewicht in die Wagschale legen
bei der von Asbach gegen Zwanzigers Einspruch besprochenen
Frage (Westdeutsche Zeitung V, 369), ob Frontin im Kattenkriege
ein Kommando gehabt. Fehlt auch jede bestimmte Angabe, so
widerspricht doch nichts der ganz von selbst sich aufdringenden
Annahme, vielmehr ist es wahrscheinlich, dass er als tüchtiger
Kriegsmann, wie ihn Tacitus nennt, dem Domitian auf seinem
ersten Kriegsznge zur Seite gestanden.
5. Römische Strassen, Landwehren und Erdwerke in Westfalen.
Von
J. B. Nordhoff und Fr. Westhoff.
Hierzu Tafol VII.
Nachdem die Schriftsteller und Gelehi-ten beinahe drei Jahr-
hunderte hiudui-ch lediglich an der Hand der Schriftquellen die ßömer-
kriege in Nordgeraianien bearbeitet und damit bezüglich der wich-
tigsten Ocrtlichkeiten zumal der Varus-Niederlage und der Castells
Aliso nicht viel mehr als Fragen und Gezänk heraus gebracht hatten,
stellte sich seit mehr als zwanzig Jahren immer deutlicher heraus,
dass, was nur nebenbei in Betracht gekommen war, den Schrift-
quellen erst Leben und Anwendungsfähigkeit eingehaucht werden
könne, wenn neben ihnen auch der Nachlass der römischen Werke
und Alterthümer erforscht und besondere für die Bestimmung der
zweifelhaften Operatiouspunkte ausgebeutet werde. Zu den einschlä-
gigen Arbeiten dieser Art zählen auch jene beiden, welche den
Gegenstand unserer nachstehenden Besprechung und Erörterung
bilden.
General von Veith fasste vor einigen Jahren an dieser Stelle 0
behufs näherer Beleuchtung ein unter den römischen Kriegsanlagen
Nordgermaniens betontes Stück ins Auge, nämlich den bisher wenig
beachteten Limes a Tiber io coeptus, welcher 14 nach Chr.
von Gcrnianicus bei einem Zuge durchbrochen und mit einem Lager be-
setzt wurde *). Nachdem Veith bis dahin die nordgermanischen Kriegs-
1) Bonner Jahrbücher des Vereins von Alterthuinsfreunden im Rhein-
lande 1887, H. 84, 1—27 mit grosser Karte.
2) Tacitus, Annales I, 50.
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 185
ztlge skizzirt und nach gewissen Haltepunkten deren ungefähre
Oertlichkeit in Westfalen angegeben, versuchte er, die nähere Be-
schaffenheit und mit dieser auch die engere Lage nach der vom
Geometer Aggenus herrührenden Erklärung eines limes festzu-
stellen :
Limes est, quodcumque in agro opera manuum factum est
ad observationem finium. Es geht ihm doch im Tiberius - limes
oder in den opera manuum Dicht ein von Geometeni vorgezeichnetes
Grenzwerk aus Dämmen, Gräben und anderen Stoffen, sondern eine
fast dreieckige meist wie von der Natur befestigte, doch auch durch
Kunst verstärkte Landschaft von 9 D km Flächenraum auf:
nämlich das ganze im Süden auf der Lippe basirte, heute durch-
weg aus Heide oder Wald bestehende Hügelrevier zwischen Bor-
ken und Schermbeck einer-, zwischen Borken und Plaltem anderer-
seits, auf den Seiten umgeben von der Lippe, Stcver, der Borkener
Aa, von Niederungen und Morästen, welche gerade auf der (östlichen)
Frontseite und zwar auf der Westniper Heide bei Haltern, an
den Borkenbergen und bei Haus Dülmen noch durch vorgeschobene
Erdwerke veratärkt seien. Das so ausgewählte und durch Kunst
verbesserte Terrain, welches zudem nach allen Seiten gute Wege
hatte, erscheint ihm als grosser Vertheidigungs-Abschnitt, d. h. als
ein sicherer Stütz- und Ausgangspunkt der römischen Kriegsopera-
tionen, mit anderen Worten: Veith macht aus einem Grenzwerke
ein defensives Binnenland, aus dem limes die castra nova diesseits
des Rheines, wie solche auch von den castra vetera jenseits des-
selben verlangt worden seien.
Diese Entdeckung kleidet sich zwar in möglichst zuversicht-
liche Ausdrücke und Aufstellungen, allein, näher betrachtet, wäre
sie nicht gemacht, wenn der General die bezüglichen Vorarbeiten
allseitiger herangezogen, und die Bodenforschung vorsichtiger bo-
trieben hätte, wie dann auch einzelne Berichte der Alten seltsam
behandelt*) und gewisse Ortsnamen geradezu naiv gedeutet sind^).
1) So wenn er den Terminus „limes" weder in kriegsrechtlicher noch
in bautechnischer Hinsicht mit dem sprachlichen und monumentalen Ver-
gleichsmaterial erläutert (vgl. unten S. 209), oder z. J. 779 (S. 6) dem
Dorfe Darup einen Mons Coesius andichtet.
2) So die, wenn auch nur muthmassliche, Zurückführung der Vele-
ner Aa auf Velia (S. 19) und der Stadt Borkon auf Burcteri oder Bructeri
(S. 21), indess der Flur „im Trier** „wahrscheinlich der korrumpirte Tiberius
zu Grunde liegt** (8. 22).
186 Nordhoff und Westhoff:
Wir wollen seine Darlegungen nicht nach allen Seiten, sondera nur
im Kerne, d. h. darauf hin prüfen, welche Bewandtniss es mit der
Bodenbeschaffenheit jenes fraglichen Terrains, mit den von ihm
bemerkten Erd werken und den einschlägigen von den Römern benutzten
und angelegten Wegen hat. Um unseren Vortrag zu veranschau-
lichen, haben wir von der fraglichen Limes-Gegend eine Aufnahme
(Taf.VlI) derBodeneigenthümlichkeiten und der bisher nachweisslichen
Strassen, Erdwerke und Alterthümer veranstaltet, und zwar, um den
Vergleich mit den gegen theiligen Aufstellungen von Veith zu erleich-
tern, in dem Massstabe, welcher auch seiner Karte zu Grunde liegt.
Der zuerst von ihm angeführte Weg von Vetera über
B r ü n e n nach Borken und von dort nach Münster wird von Veith
im Ganzen, wie schon, was ihm wohl nicht bekannt sein konnte, ein
Jahr früher von J. Schneider^) bestimmt — Veith verschiebt ihn
von Borken aus zumal in der Coesfelder Gegend zu viel nach Nor-
den, und vereint ihn dann zu früh mit der strata regia, nämlich
bereits zu Darup, da doch erst in der Gegend östlich von Schap-
detten sein dreitheiliges Wallwerk wieder auftaucht. Jedenfalls
irren beide Forscher in der Lage der ersten Strecke von Vetera
bis Borken. Indess sie mit bedenklichen Krümmungen und ohne
römische Seitenfunde verläuft, markirt sich auf ihrer Südwestflanke
die wirkliche Linie und zwar vom Rheine aus am „ Hagenfeld ^ zu
Krommert, dann neben Fundstätten von Römermünzen, dann bei
„Gohr" und „Lanwermann", endlich zu Westborken zwischen Beckmann
und Huskamp in einem geraden Damme *). Die durch diese Punkte
angezeigte Flucht bezeichnet eine gerade Linie und diese zeigt
auf Vetera.
Auch der Verfolg der Strasse 2 von Borken auf Merfeld
ruht auf schwacher Grundlage, trotzdem Veith es um so mehr daran
liegen musste, dieselben von A bis Z im Laufe, in jedem Reste
und Abzweige genau festzustellen, als die pontes longi nicht nur
seinen verdienten Vorarbeitern, sondern auch ihm selbst eine Theil-
strecke derselben ausmachen. Wie er sie erst von Borken und
zwar als Ast von 1 abschwenken lässt, verkennt er zunächst ihren
thatsächlichen Ausgangspunkt und damit schon ein Wesentliches ihrer
grossartigen Gesammtanlage.
1) Die alten Heer- und Handelswege der Germanen, Bömer und
Franken 1886, V. 13.
2) J. Brinkmann, Beiträge zur Geschichte Borkens 1690 S. 19.
Römische Landwehren, Strassen und Erdworke in Westfalen. 187
Sie nimmt am Rheine *) vom Reeser Eiland ihren Anfang, er-
reicht in sanfter Nordostschwenkung Bocholt und von hier in gerader
Flucht Borken; sie kommt Veith (vgl. seine Karte) nicht anders
als eine moderne Strasse in Sicht, zumal da ihm ihre Seitenfunde,
so mehrere zu Bocholt, die iudess auch einer andern Linie zu-
kommen mögen, Römermünzen und Steinwaffen im Osten und
Westen von Rhede, eine Warte zwischen diesem Orte und Borken
ebenso fremd sind, wie die Thatsache der Entdeckung selbst.
Schneider hat nämlich seit 1868 den Zug fast Glied ftlr Glied
aufgefunden und 1886 auch einen Ostlauf von Borken auf Dtllmen
angegeben«). Bei Veith figurirt dieser Ostlauf als Abzweig von
Strasse 1 und neigt zutreffender als bei Schneider, je näher Dül-
men, um so mehr nach Norden — die ganze Linie jedoch nm- ab
ein von den Römern benutzter und ausgebauter Strang — letz-
teres sicher mit Unrecht, wie ihr grossartiger Verlauf uns lehren wird.
Da sie von Borken bis Merfeld heute offenkundiger Spuren ent-
behrt, so folgt sie bei Veith wie bei Schneider, anscheinend indess
fälschlich, fast durchgehends der entsprechenden Landstrasse nach
Dülmen, deren niedrigen und zerstreuten Seitcnwälle aber kein urge-
schichtliches Gepräge vielmehr jüngeres Gepflänz ftthren und eher den
beiderseitigen Culturflächen als der Wegesstrecke gedient haben.
Dass diese höchst wahrscheinlich erst in der neueren d. h.
historischen Zeit entstanden ist, beweist vor Allem ihr mooriger
Untergrund. Der Boden, auf dem sie liegt, war vormals nämlich
und sieher noch in den Zeiten der Römer, wo die Höhen und
Abhänge einen üppigen Holzwuchs *) trugen, Sumpf und Moor. Erst
1) Uebrigcns schimmern auf unserer Karte die Anzeichen eines
andern, nämlich eines geraden Parallelstranges von Recs bis Wiekinghof
südwestlich von Borkon.
2) 1868 in den Neuen Beiträgen zur alten Geschichte und Geogra-
phie der Rheinlande II, 41 ff. bis Weerth, 1874 das. V, 7, 13 über Bocholt
ja über Rheede hinaus, 1886 in den alten Heer- und Handelswegeu V, 17
und auf der Karte bis Dülmen.
3) Welche Ausbreitung einst auf den Höhen und Flächen die Wäl-
der bei Heiden und Reken, überhaupt auf dem sogen. Tiberius • limes
hatten, bezeugen die Markonnameu Hülster, Brenner, Bann-Holt und Schma-
loh u. 8. w., die im weissen und schwarzen Venu im Moore und am West-
hange der Borkenberge unter Sandwehen begrabenen Baumstämme, die
noch vorhandenen Eichen- und Buchenbestände der hohen Mark und der
Lembecker Umgegend, endlich zersti-eute Holzpartien und Bäume, zumal
die Stechpalme, die stets das Wahrzeichen des Urwaldbodens ist. Vgl.
188 Nordhoff und Westhoff:
als mit dem 16. Jahrhandeii die Entwaldung mehr und mehr zu-
nahm und dem Sandboden der Höhen und Abhänge Kraft und Verhalt
entzog, konnten die von Westen wehenden Winde ihn in Bewegung
setzen und leicht, wie ein Schnee überzog der feine Sand die angren-
zenden Moorstriche mit einer Decke, die, als sie hoch genug ge-
worden, eine Verlegung des Weges gestattete.
Wenn, wie nicht anders zu veimuthen, die römische Bahn nicht
auf Moorgründen, in nassen oder dichten Holzangen, sondern auf trock-
nem lichtem Boden den Westpunkt der beträchtlichsten Moorenge des
Mcrfelder Bruches anstrebte, so wird sie zunächst die jetzige Land-
strasse auf der Südseite und zwar meistens den unteren Abhängen
der Heidener und Rekener Höhen entlang bis G r ö n i n g nordöst-
lich von Gr. Reken begleitet haben, ohne Frage, wie auch ihre
Oststrecken, meistentheils ausgebaut, aber nachgerade den (historischen)
Sandwehen und deren Entstellungen preisgegeben. Sind dadurch
ihre Erdglieder im Sande untergegangen, so markirt sich die Linie
doch wahrscheinlich heute noch im Norden von Gr. Reken unter
einer Reihe von Ansiedlungen ; denn diese danken ihre gerade Flucht
wie ihren ergiebigen Hausboden wohl keinem andern Umstände, als
einem verwtthlten römischen Dammbaue. Ihre Fortsetzimg hat
sich dann jedenfalls von Gröning nach Nordost bis gegen den
Heubach in einigen aufgereihten Dünen erhalten«
Um von hier wieder in östlicher Flucht das genannte Merfel-
derBruch zu überwinden, suchte die Strasse offenbar so wie nenst-
hin allerdings in anderer Richtung die Eisenbahn, den schmälsten
und untiefsten, nur 2^2—3 km langen Strich über das alte Venn und
den Heubach, dann über den Feldweg^) bis zur Hallape und zog
von hier in einem leicht nach Osten geneigten Damme bis zur Letter
Klüse. Etwa von diesem Punkte sandte sie einen Arm nordöstlich
gerade auf Warendorf und Bielefeld, einen südlichem gen Osten
auf Wiedenbrück ab. Beide Arme, wovon der Wiedenbrückcr am
Schlüsse genauer beschrieben wird, sind also zur Ems gezogen und
streckenweise wahre Muster römischer Dammstrassen, ja wie sie
gegenseits vom Osten her klar vor dem Merf eider Bruche znsammen-
kommen, bestätigen sie ihren vereinten Fortlauf über Borken bis
Fr. Westhoff im Jahresber. der botan. Sektion des westf. Provinzial-
Vereins 1891/92 S. 16 ff., 1892/93 S. 55 ff.
1) Er ist unter den modernen Culturen verschwunden, aber in den
Karten, leider Qhne nähere Angabe der Bauart, erhalten.
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 189
zum Rheine und besonders als ihr Glied und Theilstück den noch
unausgelöschten Damm im Merfelder Bruche.
Wir haben alle Ursache bei diesem Damme etwas zu verwei-
len, zumal da Veith ihn naöh anderweitigen Vorarbeiten mit nur
wenig Zeilen abthut und von seiner Fortsetzung nach Osten *)
nur eine dürftige oder unzutreffende Mittheilung macht.
Der Moordamm liegt noch heute offen zu Tage: in der Sohle
4—5 m breit, in der Krone, obwohl er unter dem leidigen Abpfaggen 3)
stetig sank, noch 0,75 bis 1 m hoch und mit Gewächsen bekleidet,
die der Boden beiderseits heute, geschweige denn vormals, nicht
kennt; bevor er der Stechpalme (Hex aquifolium), einigen Eichen-
knorren, dem Königsfarm (Osmunda regalis) und der Rauschbeere
(Vaccinium uliginosum) einen gedeihlichen Erd- und Nährgrund geben
koimte, muss eine geraume Zeit verstrichen oder mit andern Wor-
ten, er muss sehr alt sein.
Dasselbe folgt nur noch bestimmter aus folgender Thatsache:
Als 1316 die Häuser Lette (im Nordwesten) und Merfeld (im Südosten
des Dammes) über eine beiderseitige Ausnutzung der Merfelder und
Letter Bruch-Mark Verabredungen trafen, theilte beide Marken eine
„Schnat" (sneda) nordöstlich bis zu einem alten Wege (antiqua via
Wellethe') in der Bauerschaft Weite zu Dülmen; die recht-
liche Theilung mag früh oder spät vollzogen sein, die sneda, wo-
durch sie örtlich bewirkt war, reicht in die urgeschichtliche Zeit
hinab; die sneda aber ist unser Damm, der heute noch als „Grenz-
wall" die Gemeinden Merfeld und Lette auseinanderhält. Erscheint
er schon für eine mittelalterliche Anlage zu linear und zu dauer-
haft, so ist jener „alte Weg" der Bauerschaft Weite schlechthin
1) Nach L. Hölzermann, Lokaluntersuchungen, die Kriege der
Römer und Franken betrefFend 1878. Karte A und Westf. Zeitschritt
XX, 278 führt er sie auf Senden.
2) Wie er denn thatsächlich an den von starken Holzstämnien be-
schützten Stellen noch voller aufragt.
3) . . . quidquid de pecudibus nostris . . . currerit trans divisionem
marcarum dictarum . . . que d i vi s i o dicitur sneda vulgari nomine,
non debet capi ... Et hec divisio . . . incipit ab antiqua via Welletc (im
Osten) et extendit se juxta Wulvelo et capit finem juxta trabem dictam
Schuttebalcke in Brochusen (im Westen). Leider sind die Oertlichkeiten,
welche das Westende der Theilung (am sneda-Damme) bezeichnen, heute
verschollen. Urkunde bei V. Kindlinger, Münsterische Beiträge zur
Geschichte Deutschlands 1787, I, Nr. VIII.
190 Nordhoff und Westhoff:
eine Theilstrecke seines nordöstlichen Wegearmes, und wie der Damm
selbst dazu geschaffen, als erhöhter Erdkörper einer Strasse eine feste
Grundlage zu geben. Wenn fcnaer jener alte Weg Wellethe== Wall-
heide ausser seinem ümlande bis jetzt auch der Bauerschaft
Weite den Namen vermacht hat, so ging er dieser auch an Alter
voran, rückte also in die Urzeiten der politischen Verbindungen
Germanicns hinab — und mit ihm also auch sein Grundstock, der
Merfeldir' Moordamm.
Dieser ist also, das besagen unsere Erörterungen wohl unbe-
streitbar, die Theilstrecke einer R ö m e r b a h n , die sich
vom Rheine hinaufwand und nachdem sie mittelst des Dammes das
Merf eider Bruch passirt hatte, in zwei Arme spaltete; er ist, da
sein breiter und fauler Grund, offenbar ohne unsägliche Beschwer-
nisse den vollen Breitbau eines Römerweges nicht zugab, nur als
schmaler Damm hergestellt, so dass er statt der Manipelbreite nur
für etwa 5 Mann Raum bot *); es ist jener Weg, dessen schwache Bauart
und kriegsunsichere Umgebung auch einmal den Tacitus^) zu einer
nähern Schilderung desselben bewogen hat — eine Schilderung, die
daher auch auf keine andere Theilstrecke einer Römerlinie zwischen
dem Rheine und der Ems passt, wie auf den Merfelder Damm; es
ist wahrscheinlich fener von Domitius Ahenobarbus c. 6 vor Chr. ange-
schüttete, später 15 nach Chr. von Cäcina auf einem Rückzuge mit
allen Fährlichkeiten passirte enge Damm- und Moorstrang. Cae-
cina . . . monitus . . . pontes longos quam maturrime superare.
Augustus is trames vastas inter paludes; cetera (die
Umgegend) limosa (faulgrundig), teuacia (anklebend) gravi coeno
(Moor) aut rivis (Heubach, Halappe, Kettbach) incerta crant; cir-
cum Silva c (worüber unten Näheres), pauUatim adclives (die
hohe Mark, die Borken-Berge, im Osten die Velcner und Heidcner
Höhen und der Lünsberg im Westen). Kurzum, den Merfelder
Damm umgaben auf allen Seiten Höhen und diese waren meist be-
waldet.
Obwohl der enge Dammweg bis auf unsere Zeit unbekannt
und ungenannt war, beschäftigten seine „langen Brücken" *), die
1) Vgl. Dcppe in den Bonner Jahrb. H. 89, 99.
2) Annalcs I, G3.
3) Sämmtliche in der Mitte Westfalens aufgegrabene Strecken „der-
selben", auch der 1894 im weissen Venu „auf dem Hcidenkirchkofe" 4 km
nördlich von Gr. Reken in beiläufiger Länge von 60 Meter bIo.<^-
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 191
bei Cäcina's Rückmärsche bereits in Verfall gerathcn waren (rupti
vetustate pontes)^? stets die Phantasie der Gelehrten; sie mögen
nicht bloss über seine Durchlässe und Moorbäche geftihrt, sondern
ihn auch streckenweise, z. B. an der Südwestseite des Heubaches, wo
möglicherweise Dammreste fehlten, ersetzt haben.
Ihr heikeles Bauterrain gehörte einer grossen Heide-
und Sumpfniederung an, die ungefähr in nordwestlichem Zuge
den Südwestwinkel Westfalens von dem übrigen Lande abschneidet.
Sie nimmt an der Lippe in der Westi'upper Heide bei Haltern
ihren Anfang und schweift in nordwestlicher Richtung über die
Sythener Mark, das Lavesumer Bruch und Venn, das Hülster
Venu, das uns noch erinnerliche Merfelder und Letter Bruch, das
Rekensche und Heidener (schwarze und weisse) Venn, das Steveder
und Scholler Venn, über die grosse Tungerloher Mark und das
Lohner Bruch bis zur Grenze Hollands^ und trennt in einer Breite
von Vs — IV2 Meilen die südwestlichen Höhen, wovon wir gerade die
meisten anführten, von den nordöstlichen Baumbergen.
Wenn diese einsame Zone noch heute, nachdem Cnlturcn
und Entwässerungen daran verschwendet sind, beiderseits gegen
die wirthlichen Nachbaretriche absticht, so bildete sie im Urzustände
grell eine ethnographische Scheide und mit den Sumpfstrecken auch
einen militärischen Abschnitt, beinahe vergleichbar der grossen
Senne, welche von Lippstadt gleichfalls nach Nordost streicht*). Da-
her schied jene bis Holland einst die Völkerstämme, wie noch heute
die Dialekte^), und daher bot der Pass, den sie am Südende bei Hal-
tern gegen die Lippe beliess, den Römern den Hauptanlass zur Errich-
tung des Annenberger Lagers. Aber warum wählten diese von Borken
aus die östliche Wegeslinie gerade durch das bodenlose Merfelder
Bruch? Offenbar um die geradeste Verbindung mit der Ober-Ems
und den Osningpässen zu gewinnen — Punkte, welche von Borken
über Münster, geschweige über Rheine nur in weitem Umwege zu
erreichen waren.
gelegte Bohlenweg (Vgl. MünBterischer Anzeiger 1894 18/6 Nr. 161) be-
standen die Probe nicht. Letzterer ausserhalb jeder Wegeslinie g-elegen,
aus behauenen Bohlen zusammengesetzt und über unbehauene Stämme
gelagert, weicht auch im Einzelnen von den römischen Bohlenwegen
im Norden ab und entspricht eher einer Schleifbahn.
1) V. Veith kennt S. 21 deren 6—8.
2) N. in den Bonner Jahrbb. 1894, H. 95, S. 224 ff.
8) von Landsberg, Westf. Zeitschr. XX, 323 ff.
192 Nordhoff und Westhoff:
Nachdem die „langen Brücken" in der bezeichneten Lage be-
reits von General von Mü ffling(-Münster), dann (1838) vom
Oberst-Lieutenant F. W. Schmidt mehr gewittert als gefunden*)
waren, gelang ihr Nachweis 1871 ziemlich unwiderleglich dem
Oberlehrer Franz H ü 1 s e u b e c k (-Paderborn *). Das bestätigen
hoffentlich auch diese theils auf Ortsuntersuchung, theils auf weite-
ren üeberblick hiesiger Römerwerke gestützte Erörterungen.
Wir übergehen Veith's Lippestrassen („3 u. 4"), da sie voll-
ständig auf anderweitigen Forschungen beruhen, und wenden unsere
Blicke dem Wege „5" zu, den er nach Hölzermann's Karte aus der
Gegend von Schermbeck über Wulfen und Ontrup auf Dülmen zieht.
Obschoa derselbe in der Gegend von Lavesum Flankenwälle hat, er-
scheint er Veith als Römerweg doch nicht ganz zweifellos — und
das mit allem Fug, weil der Linie weder bis Dülmen noch im Fort-
gange bis Münster ein römischer oder auch nur ein prähistorischer
Fund zur Seite steht.
Die Strasse „6'* vom Steeger Burgwart a. d. Lippe über Raes-
feld nach Borken ist auch sonst als Römerweg anerkannt und zu-
mal durch seine Beschaffenheit und mehrere Seitenfunde als solcher
gesichert.
Bevor wir die weiteren Beweismitteli welche der General för
seinen Tiberius - limes auf den Plan bringt, nämlich die Erdwerke
prüfen, müssen wir wieder die betreffende Gegend näher ins Auge
fassen und zwar diesmal um zu sehen, ob jene Werke nicht viel
mehr der Natur, als dem Kriege ihren Ursprung verdanken. Die
ganze Landschaft von Haltern bis Borken besteht im Gnindstocke
aus einem zum unteraenonischen Kreidegebirge gehörigen, quarzigen
Gestein und gestaltet sich als ein Hügelland, dessen höchste Er-
hebung in der hohen Mark bei Lavesum und dessen Ende in dem
Tannenbülten- und im Lünsberge nördlich von Borken liegt. Nach
Norden hat sie einen ziemlich beträchtlichen Abfall, nach Süden eine
allmähliche Vei-flachung. Die Lehm- und Sandmassen, welche dieses
Kreidegebirge überlagern, entstammen grösstentheils der in der Gla-
zialzeit durch das Inlandeis zertrümmerten Bodenkruste, dessen heu-
tige Lagerung aber erst durch die Wasser des abschmelzenden Eis-
stockes, die hier Bodenmassen fortschwemmten und dort wieder zum
1) Westrni. Zeitschrift XX, 270, 278.
2) Paderborner Gymnasial-Programin. 1871. S. 21, 23.
Ilöiiiischß Landwehren, Strassen und ICrdwei'ke in Westfalen. 19ä
Absatz brachten^ herbeigeführt wurde. Die Konfiguration der Ober-
fläche entstand; als nach Ablauf der Gewässer der trockene und
leichtbewegliche Sandboden ein Spiel der Winde wurde, was so
lange dauerte, bis eine dichte Pflanzendecke ihn beschattete und
festhielt. In dieser postglazialen (also noch prähistorischen)
Zeit entstanden auch die mächtigen, oft langgezogenen Dünen-
ketten und schoben sich nach und nach, da die Sandmassen ge-
wöhnlich (wie heute noch) von Südwest verstöbert wurden, ain
nordöstlichen Rande gegen die breite Sumpf- und Moorniederung
vor, deren Feuchtigkeit sie fesselte und so ihren Weiterlauf zum
Stehen brachte. Aber noch einmal wurde der Sandboden in glei-
cher Richtung in Bewegung gesetzt, als nämlich seit dem Beginn
des 16. Jahrhunderts (d. i. in der historischen Zeit) die alten
Markenwälder fielen und die des Pflauzenwuchses entkleidete und
von den sengenden Sonnenstrahlen ausgedörrte Bodendecke wieder-
um dem Angriffe der Südwestwinde ausgesetzt war. Diese histori-
schen Sandgebilde, welche, wir oben S. 188 bereits angezogen
haben, ruhen häufig auf humusreichen Moor* und Waldgründ^i,
was bei den prähistorischen niemals der Fall ist; beide sind also
an ihren Lagerungsverhältnissen leicht zu unterscheiden.
Auch beherbergen letztere vielfach germanische Todtenurnen, wo-
durch sie ebenfalls vor ersteren ihren prähistorischen Charakter
beurkunden.
In der That sind auch die verschiedene Werke, womit der
General seine Limes-Landschaft versieht, so die Lagerreste bei
Thier (D), die Bollwerke und Schanzen am Langen-Berge (£), bei
Gröning (F), Wehling (G) und Hellermann (H) nicht« anderes, als
solche durch Sandwehen erzeugte prähistorischen Dünengebilde;
daran hat die Menschenhand nie Etwas zu fortificatorischen, höch-
stens wie bei der Schanze F zu wirthschaftlichen Zwecken gethan oder
gestaltet gleichwie sie ja auch, wo etwa ein Hof in oder an einer
Düuenbank angelegt war, deren Einsattelungen füllte und deren
Kuppen ebnete^).
Wer in den letzten Jahren beobachtete, wie unter den Culturen
1) Es macht einen missligen Eindruck, wenn so sonderbare Auf*
Stellungen, wie die Veith'schen, statt Zweifeln, wozu sie doch mindestens
Anlass geben, geschweige einer Nachprüfung zu begegnen, von vorn
herein glftubig aufgenommen oder gar mit Lob weitergetragen werden.
Jahrb. d. Vor. v. Alterthafr. im Rhciiil. XCVI. 13
194 ^Jordhoff und Westhoffi
von Maria Veen bei Gr. Reken solclie Düneiigcbildo abgetragen und
planirt wurden, konnte sich vollständig davon überzeugen, dass es
nicht etwa künstliche SandanschOttungen oder historische, nach der
Entwaldung entstandene, Sandhäufungen, sondern dass esNaturpro-
ducte d. h. geschichtete Sedimente postglacialer Sandwehen waren,
zumal da sie da und dort noch Stücke von germaniseben Urnen ent-
hielten. Schon die curiosen Figuren, welche darin beschrieben sind,
widei-sprechen einer künstlichen, geschweige einer römischen Anlage.
Nichts, gar Nichts war und ist an den Erdgebilden, was Rftmer-
plan und Römerarbcit entsprungen sein könnte ^). Und wenn
die Wallungen bei Thier die flüssigen Umrisse der Naturbiidung
wirklich verlassen (S. 22), so schlagen diese noch nicht entfernt
in das Gemessene und Regelmässige römischer Erdwerke ein.
Auf Veith machen ferner die Thaimulde bei Heiden (J) mit den
„Düvel^steinen und einer permanenten Wasserquelle, die flachge-
böschten Seitenhöhen, zumal „sie auf ihren Rücken deutlich 1 bis 2
Meter hohe Wallreste tragen", den Eindruck eines Lagerplatzes.
Nun, die Steine als Glieder eines alten Httnenbettes haben mit
den Römern Nichts zu thun, und die Wallreste wollten einem von
uns, der noch im vorigen Jahre Ortsbesichtigung hielt, gar nicht
zu Gesichte kommen. So sehr vermag übrigens die einsame, strup-
pige Umgegend die Phantasie zu entflammen, dass einem andern
„Forscher" jene Thalmulde gar wie ein circus maximus vorgekom-
men ist.
Was Veith sonst noch an Beweisstätten für seinen limes an*
führt (K bis N), fällt wegen schwacher Begründung wohl bei ihm
selbst nicht schwer ins Gewicht. Deshalb überschlagen wir sie
und um so mehr den Ort Borken, als hier die Römerspuren, womit
Veith nur eine unvollständige Bekanntschaft gemacht hat, mit dem
Knotenpunkte der Wege und der hervorragenden Bedeutung des Ortes
in der römischen Kriegsgeschichte und keinenfalls mit seiner
grossen Limes-Landschaft zusammenhängen. Gestattet sei nur noch
die Frage, ob bei Veith in die dortigen Wallreste nicht auch mittel-
alterliche Strecken hineinlaufen. Die dortige Stiidtzingel wenigstens
wird mit ihren Wällen schon von früh in den Urkunden genannt.
1) Auch verdecken jene bei Haus Dülmen, worin schon Dünzel*
mann (S. 114 der unten S. 196 benannten Abhandlung) Dünen erkannte,
nicht etwa, wie er einräumen möchte, ein römisches Lager.
tlömisi'ho Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 19ft
Und die Wallreste der Wcstrnper Heide, die Borken-Berge
und die Wälle bei Haus DlUinen (A B C)? Sic und ihr Territo-
rium Btanden, wie allerlei Funden zu entnehmen, mit den Römer-
kriegen in unmittelbarer Verbindung, doch vorab nur als Vor-
posten des Annenberges bei Halteni. Wenn Veith nun bei
der Beschi-eibung jener Punkte sagt (8. 13): ^Natürlich haben sieb
diese Dünen vor fast zwei Jahrtausenden aufgeschüttet, durch
Stürme und Niederschläge verändert, als wären sie nicht künstliche
sondern natürliche Zusammenwehungen, während der Niemenwall
hier die unzweifelhafte Erklärung gibt, dass jene Dünen das ge-
sammelte Material für seine Erbauung lieferten^, so mag das letztere
passen. Hätte er aber diese künstlichen Dünen und den Niemen-
wall einmal auf ihre Beschaffenheit untersucht, so wäre ihm klar
geworden, dass jene eine deutliche Schichtung, also eine natürliche
Entstehung zeigen, diesem aber jede Schichtung abgeht oder viel-
mehr jedes Merkmal einer künstlichen Aufrichtung zukommt.
Wie zu Borken entfallen sämmtliche Whnisehe Alterthümer,
welche etwa Veith's Aufstellungen bestätigen möchten, also Strassen,
Lager, Erdwerke und Kleinstücke nicht auf den Flächenraum oder
die angeMirten Erd werke, sondern auf die Saumgebiete des
fraglichen limes d/h. diese Denkmäler begleiten eben römische
Wege, und deren Anfangspunkte und Endziele richten sich in keiner
Weise nach dem „limes^^, dem also aller Einfluss auf die Fundstätte
abgeht, sondern sie gehen jedes Mal weit über den Bereich des-
selben hinaus — ebenso sonnenklar nach der Lippe, wie nach
den andern Seiten. Die römischen Münz- und andere Funde, welche
massenhaft von Haltern gen Norden auf der hohen Mark und weiter-
hin über Lavesum, also alle im Limes-Gebiete gemacht sind, grei-
fen sonderbar genug in Vcith's Beweisftihnmg gar nicht ein; wer
sie aber einmal dafür ausnützen möchte, hat zu erwägen, dass diese
Funde, zumal da sie am Annenberge anheben und gegen Norden
immer spärlicher auftreten, Streu Verluste der aus dem Annen-
berger Lager verjagten römischen Besatzung sind; denn diese
trat, wie die Lagertrttramer sofort darthaten, die Flucht in nörd-
licher Richtung ^), auf Lavesum an. Und woher sollten auch plötz-
1) Das Nähere bei S c h m i d t , in der westfäl. Zeitschrift XX, 2G7.
Das betreffende Fundmaterinl hat sich indess, seitdem Schmidt das Annen-
berger Lager entdeckt hat, bedeutend vermehrt.
196 Kordhoff und Westhoff:
lieh 80 reiche Funde in dem Südoststriche des „limcs" stanmicn,
indess sein sonst so weites Planum der römische» Alterthttmer
überhaupt völlig baar ist? Sicher kommen darin nur germanische
Urnen und auch diese^ noch ganz spärlich vor, so einmal bei Hei-,
den, an den Düvelsteinen und einige Mal in den Rekener und Bor-
kener Dünen; gleicher Art waren vermutlilich auch die von Veith
bemerkten Gefasse des Langen-Berges (wo ?), zumal da er sie selbst
nur mit der flauen Charakterisirung, „man sagt römische^ (S. 17),
verwerthet hat.
Auch wenn der General die von uns gestrichenen Erdwerke
und Funde für stichhaltige Belege seines limes hielt, wie konnte
er unterlassen, auf den Umstand hinzuweisen, dass der limes in
der Gegend von Kl. Reken jeden Fundes und jeder Wehr*
entbehrt, da doch sonst die Stärke der römischen Lager und
Castelle gerade im Centrum gipfelt? Warum befremdet es ihn
nicht, dass seinem Hmes jede Umfassung von Wall, Graben oder
Gebüsch abging? Oder gibt es im Rheinlande und in Nord-
germanien einen Parallelfall, dass eine Landschaft ohne irgend-
welche Umfassung den Römeni als Waifenplatz gedient hat?
Am Schlüsse (S. 24, 12) erwirbt sich Veith unsern Dank daftir,
dass er in der Borken- Raesfeld- und Schermbecker Strasse^ so viel
wir wissen, zuerst ein echt römisches Dammwerk entdeckt
hat. Sollte es ursprünglich nicht gar als eine Landwehr (limes)
geschaffen und später erst als Weg befahren sein, so lag sicher
ein ähnliches Werk in östlicher Nähe daneben, von dem Veitli
vielleicht noch nichts wissen konnte. £s zog ans der Gegend
von Südlohn 2 km östlich an Borken vorbei über das ^Lammers-
feld^ und den „Wallenkamp^ auf Rhade, dann in stldwestlicher
Schweifung am „Hilgenberge" vorbei auf und über die Lippe; leider
steht dahin, ob es römischen Ui*sprung8 ist. Die römischen Land-
und Grenzwehren wachsen gen Osten bis Lippstadt hin immer mehr
an Zahl und treffen oder kreuzen mehr oder weniger senkrecht
die Lippe.
Ein weit ausgedehnteres Feld der Untersuchung nahm £. Dfln-
zelmann für das „römische Strassennetz in Nord-
deutsch land" 1894*) mit drei Karten; es reicht von der Ems
1) Abdruck aus A. Fleck eisen 's Jahrbücher für dasslsche Philo-
logie. Supplementband XX, 83—141.
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 197
bis znr Weser und fflr einzelne Strassenzüge gar bis zur Elbe; im
Westen und Süden der Ems, also in der Provinz Westfalen begreift
es jedoch nur den Regierungsbezirk Münster; das Lipperevier und
den Haarstrang. Beim Verfolg der Strassen spielen nacbdrücklicb
oder gelegentlieh in die Erörterung germanische Völkersitze, römische
Kriegszüge, Castelle (Marschlagcr, Erdwerke), die Gegend der Va-
russchlacht, sodann, wie bei diesem Schriftsteller vorauszusehen, die
Bedeutung der Hunte und der Hunteburg (=Aliso), und was sonst noch
alles vermuthet oder behauptet wird.
Wir lassen hier die nebenläufigen Aeusserungen und den gröss-
ten Theil des auf einer Karte veranschaulichten Strassennetzes auf
sich beruhen; denn „die stattliche Anzahl" von Strassen, die Dünzel-
mann bis jetzt gefunden (S. 84) hat, würde uns in Gebiete führen,
denen sich sonst diese Zeitschrift verschloss, und uns ausserdem
eine äusserst umständliche Boden- und Ortsforschung auferlegen.
Diese könnte bei hinlänglicher Müsse und voller Anstrengung nach
den Erfahrungen, die wir bei der Strassenforschung gemacht haben,
vielleicht erst in Jahren zu erledigen sein; eine Gesammt-
prttfung der DUnzelmann 'sehen Arbeit möchte gar, fürchten wir,
schwerlich mehr mit dem Räume und den Zwecken einer Zeitschrift
überhaupt in Einklang stehen, insofern voraussichtlich wiederholt
zur Beurtheilung des Vorgetragenen auf die Elemente der urge-
schichtlichen Forschung und ihre wankenden und festen Ergebnisse
zurückznschauen und stellenweise eine unnütze Erörterung vorzu-
nehmen wäre; denn wieder und wieder frappiren uns kühne Ver-
muthnngen, Begründungen und Aussagen, ein leichtes Hinwegsetzen
über einschlägige Vorarbeiten, solche Querstellungen, um nicht zu
sagen, Verstösse gegen die errungenen Fundresultate und eine so
gemächliche Art der Ortsforschung, dass man versucht ist, da und
dort an dem Ernste der Auslassung zu zweifeln.
Daher beschränken wir uns einfach auf jene Strassen, welche
Dünzelmann der Provinz Westfalen zuerkennt. Hier hat
auch die Erforschung der römischen Landstrassen im engem Nord-
deutschland zuerst ihren Anfang gehabt und dann in den letzten
Jahrzehnten unter Schneider, Hülsenbeck u. A. solchen Aufschwung
genommen, dass bis jetzt erfreuliche Ergebnisse in einer ziemlich
reichhaltigen Literatur niedergelegt sind^). Leider haben wir von
1) Vgl. J. B. Nord hoff, das Westfalen-Land und die urgeschicht-
liehe Anthropologie 1890, S. 5, 34 ff., N. in Bonner Jahrbb. H. 95, 223 f,
198 Nordlioff und Westhoff:
voraherein zu erklären: Die hier von DüDzclinann der Beitherigen
Forschung bestrittenen Strassen sind vorbanden, die von ihm gefun-
denen sind etwa mit Ausnahme der Strecke Minden-Leese *) nicht
oder nur in gewissen Strecken vorhanden.
Es konnte nicht andei*s kommen, da Dünzolmann die wichtig-
sten Kriterien zur Bestimmung einer Römerstrasse abweist und die
von ihm als Maass genommenen durchaus nicht genügen.
Als westlichste Römerlinie giebt Dünzelmann der Provinz (S.
133, 117) eine Strasse von Xanten über (Brünen) Borken, Coes-
feld nach Rheine; Spuren davon gehen ihm von Borken südlicher
als bei v. Veith (oben S. 186) fest bis Coesfeld, dann noch ein-
mal in eineni „Postwege" von 2 km Ausdehnung nördlich von
Burgsteinfurt auf und diese kurzen Strecken genügen ihm völlig,
ohne Bedenken die Stunden langen Mittelstüeke durch Punktiruug
einzusetzen, sodass ein beträchtlicher Strassenzug herauskam.
Sein Anfang über Brünen bis Borken kann als punktirtc d. h.
als vemiuthliche Strecke nicht mehr ins Gewicht fallen, wie wir
vorhin nachwiesen; dagegen ist ihr Fortgang auf Coesfeld sicher
ein Glied einer grossen Römcriinie, deren Ostlauf durch den Süden
von Coesfeld auf Münster abzielt. Das beweisen hier Dammreste,
dort der Name „Königsstrasse" und zumal römische Fundstücke bei
Borken, Coesfeld (östlich) und Nottuln. Nichts davon bei Dünzelmann;
er betritt auch statt des Ostlaufes aus dem Westen von Coesfeld
einen Irrweg nach Rheine; denn diesem gehören weder Dämme, noch
nimische Seitenfunde an, und der kurze Postweg nördlich von Burg-
steinfurt, der als voller Eintrag der sonst nur punktirten Linie den
Stempel aufdrücken soll, befindet sich überhaupt in einer fund-
losen Gegend.
Jenseits Rheine ist daher die Strecke bis Hopsten nicht
mit Dünzelmann an diese Bahn zu setzen, sondern an die grosse
Bogenlinie Rheine, Ahaus, Borken; letztere ist von ihm zwar Verstössen
(S. 89), aber von ernsten Männern verfolgt, stellenweise mit Lager-
stätten und zu Stadtlohn, Nienborg und Rheine mit römischen und an
letzter Stelle mit sehr merkwürdigen Funden behaftet.
Von dem Strange Bentheim bis Osnabrück (S, 134)
1) Sie ist von uns nicht untersucht und daher hier von der Bespre-
chung ausgeschlossen, wie auf dem Westufer der Weser die zu Minden
zusammengehenden Endstrecken von nördlichen, nicht pro vinzialen Strassen,
zumal da diese von D. nur vermuthet werden.
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 199
hat sich die Westlinie bis Rheine durch kennzeichnende Funde zu
Ohne, Schtittorf und Bentlieim als römische erwiesen — der Üst-
lauf bis Osnabrück dagegen als eine Täuschung oder Entstellung.
Er wird nämlich von Dünzelmann in gerader Richtung auf Osna-
brück gelegt, also über den Osning — dagegen spaltet sich die
wirkliche Linie im Nordwesten des (icbirgcs vor Bevergern und
begleitet dann mit dem einen Anne im Norden über Ibbenbüren
und Lotte, mit dem andern im KSüdcn über Riesenbeck und Bissen
den Gebirgsfuss. Für die Echtheit der Südliuie sprechen wichtige
Funde zu Riesenbeck, Disseu und Halle.
Und wie steht es mit einem grossen Nordoststrange, den Dünzel-
mann (S. 133) von Xanten bis W u 1 f e n in Punkten und, nachdem
ihm zwischen Wulfen und Haus Dülmen eine leibhaftige Römerstrasse
erschienen, von hier bis Münster wieder in Punkten aber sonst ohne
umstände als römische Bahn ausgibt? Freilich ist es von Dülmen
westwärts ein gewöhnlicher Weg d. h. wie oben (Ö. 192) gesagt,
ohne, jegliche Spur römischer Funde und Benutzung. Seiue Fort-
setzung von Münster über Greven, Ladbergen nach Lengerich verdient
nicht in so unzweifelhaften Strecken, wie Dünzelmann sie zeichnet,
den Werth einer Römerstrasse, indem nicht einmal für ihren ur-
heimisehen Charakter irgendwo ein stichhaltiger Fund eintreten
will; der erste Theil eines Weges, den Dünzelmann von ihr aus
der Bauerschaft Sandrup über die „Schiflffahrt" der Ems und über
Ladbergen ziemlich gerade auf Osnabrück abzweigt, kann vollends
nur für ein Luftgebilde gelten, da auf dem Erdboden Nichts davon
zu sehen ist.
Nun Dünzelmann's grosse und zackige Linie Ünna-Hamm-
Drensteinfurt-Münster-B evergern: sie erscheint im Süden bis Dren-
stcinfurt als Vermuthung — durchaus mit Recht, denn diese auch
anderswo *) angenommene Römerlinie lässt sich wohl nicht mehr
festhalten, da die daran gefundene Römermünze bei Borgmühle
vielmehr einem nachträglich entdeckten Strange angehören wird,
der sich mit der Bauart und mit Münzfunden bei Werwe und
Bockom als Römerwerk dokumentirt. Er kommt von Kessebüren
und streicht ziemlich gerade auf Münster, ohne, wie Dünzelmann
(S. 133) wähnt, Albersloh, Drensteinfurt, geschweige Hamm zu be-
1) Kunst- und Geschieht s - Denkmäler der Provinz Westfalen, be-
arbeitet von J. B. Nordhoff. L Kreis Hamm 1880, S. 7.
200 N o r d h 0 f f xmd W r s t h o f f ;
rühren, und vereinigt auf sich im Norden der Lippe Danim-
strecken, Erdwerke, charakteristische Funde und Flurnamen.
Dieser Strang entlässt auch, doch nicht wie auf Dttnzel-
mann's Karte zu Drensteinfurt, sondern südwestlich davon, zu
Mersch einen Seitenarm auf Hamm, der sich vor Hamm auf dem
Nordufer der Lippe mit anderweitigen Strängen vereint oder
kreuzt. Dieser Umstand, Dammreste und auszeichnende Flurnamen
verleihen ihm die Gewähr der Echtheit, „Nördlich von Münster,
links vom Hause Havichorat zweigt von der Chaussee Münster-Len-
gerich ein Weg nach nGreven ab, die alte Römerstrasse", so heisst
es bei Dünzelmann S. 133 — ganz unzutreffend: der Zweig ver-
bindet nämlich in Wirklichkeit Münster und Greven in einer ziem-
lich geraden Flucht, die mit Havichoi-st Nichts zu thun hat, fällt
dann in Strecken bis Saerbeck mit der Dünzelmann'schen Linie
zusammen, doch auch nur soweit; während diese nämlich nach
Bevergern zielt, geht die thatsächlichc Fortsetzung von Saerbeck
auf Riesenbeck und Hopsten.
Die Reihe der Dünzelmann'schen Linien mit Nordrichtung
schliesst S. 139 im Osten der Provinz eine grosse Strasse von
M a r s b e r g über Paderborn, Bielefeld nach Osnabrück, und
zwar ist die Strecke zwischen den beiden letzteren Städten in
einer Ausdehnung von beiläufig 45 km hinzu gedacht, nachdem
das ganze Endstück von Bielefeld nach Süden als Römerwerk auf-
gebauscht war. Nun ja! über den Zug von Paderborn bis Mars-
berg bestehen nach den seit 1859 bekannten Untersuchungen des
Obei*st-Lieutenants Schmidt nirgendwo Bedenken; von Paderborn
nach Norden ging doch die zuverlässige Römeretrasse über Neu-
haus durch die Dörenschlucht ins Werrethal zur Weser ^), und nicht
auf Bielefeld. Eine gerade Verbindung hatten Paderborn und Biele-
feld von jeher lediglich in einem heimischen Sandwege, der am West-
fusse des lippischen Waldes längs der Senne verläuft und nur die-
sem entspricht die betreflTende Strecke bei Dünzelmann. Sobald
es auf eine gangbare Bahn und festen Fuss ankam, mnssten die
Römer ihre eigene noch in Dammstücken vorliegende *) Kunststrasse
mit einem gewissen Umschweife benutzen ; sie ffthrte von Pader-
1) F. Htilsenbeck , Die Gegend der Varusschlacht nach den
Quellen und Lokalforschungen. Programm des Gymnasiums zu Pader-
born 1878 S. 5.
2) Vgl. Bonner Jahrbücher 1894 H. 95. 225, 228.
Römische Landwehren, Strassen und Erd werke in Westfalen. 201
borii über Delbrück uud Wiedeubrück und von hier mit einer von
Westen heranziehenden Strasse durch die Bielefchler Schlucht.
In vorwiegend östlicher liichtung kommt bei Dtinzelmann
(S. 132, 130) nur eine einzige lange Heerstrasse in Sicht — von
Doreten über Recklinghausen, Dortmund, Unna über die Haar auf
Büren gezogen und von da plötzlich nach Nordosten auf Paderborn
abgebogen. Die Strecke von Dorsten bis zu der oben besprochenen
Linie Xanten-Wulfen und das Glied von Recklinghausen bis Unna
sind von Dünzelmann, da ^ihm jede Spur zu fehlen scheint^, in
die Linie hinein construirt, — entweder aus Irrthum oder aus Fahr-
lässigkeit, denn die Strecke westlich von Dorsten existirt überhaupt
nicht, und das genannte Bindeglied liegt vor und zwar bestimmter
durch Römerfunde bei Marl, Castrop, Kirchlinde bezeugt, als Dünzel-
mann's Haarweg ; ja das Stück Dortmund-Unna ist sogar ein Theil
des allbekannten grossen Hellweges, der sonst leider bei ihm keine
Gnade gefunden hat.
Der H a a r w e g erfreut sich dafür einer besondern Beachtung
(S. 89, 130), nur keiner genauen geographischen Festlegung. Er
hat auf Dünrelmann's Karte seinen Ausgang bei Unna, in der Wirk-
lichkeit aber östlicher in der Gegend von Werl bei Büderich ^), gewinnt
in einem mehr südlichen Laufe, als bei Dünzelmann, die Westgegend
von Büren und mag dann, wie auch die Generalstabskarte zeigt, mit
einem nordöstlichen Aste zu Paderborn verenden, kann aber laut Dünzel-
mann's Meinung mit einem südlichen Aste keinenfalls auf Knebling-
hausen gehen, weil dieser Ort selbst noch auf der Nordflanke seiner
unbestrittenen Linie liegt : es überschritt vielmehr nach der Beobach-
tung des zuverlässigsten Gewährsmannes*) der Haarweg aus der
Südwestgegend von Büren bei Siddinghausen die Alme unter dem
Namen „Königsweg", bei Leiberg die Afte, durchzog als „Hersweg,
Hirschweg, Hessweg" das Sindfeld, kreuzte dort die Strasse Mars-
berg-Padberg und ging über Meerhof weiter nach der Weser"
— also in einheitlicher Ostflucht, üebrigens verliert sich auch im
Westen mit dem Bogen oder mit dem Abschweife auf Büderich-
Werl höchstens sein Name, indem die Vermuthung Dünzelmann's,
dass er eine westliche Fortsetzung habe, längst als wahrscheinlich
und sogar mit genauer Ortsbestimmung ausgesprochen 3) ist. Von
1) Hülsenbeck a. a. O. S. 5, 30, 32.
2) H ü 1 s e n b e c k a. a. 0. S. 5. Derselbe, Aliso S. 174.
3) Kunst- und Geschichts-Denkmäler der Prov. Westfalen I, 6, 7.
202 Nordhoff und Westhoff:
dem Abschweifungspunkte bei Bremen geht nämlich eine alte West-
strasse den Haarrüeken entlang zwischen Gräbera und Alterthttmern
hindurch über W^iehagen und Bausenh«agcn, um bei Wickede jen-
seits Unna in den grossen Hellweg zu münden. Ist etwa die Haar-
strasse in ihrer beträchtlichen Länge als römische Anlage anzusehen
und den Namen ihrer westlichen Ortschaften Wiehagen und Bausen-
hagen zu entnehmen, dass sie in ihrem Vorderlaufe aus Däumien
bestand, in östlichem UOhengange aus einer Flachbahn?
Denken wir nun an das ÜUnzelmaunsche Strassennetz der Pro-
vinz zurück, so ergaben sich doch, auch wenn es probchaltiger
wäre, als es ist, nur einige Fäden des t hatsächl ichen Netzes:
es fehlen die mächtigsten Züge, die einst das Land oft in ge-
drängter Folge und massigem Baue kreuz und (|ucr überzogen, es fehlen
namentlich noch Strecken zwischen der Ems und mittleren Lippe M?
darunter eine gerade stolze Mittellinie, die Emsuferstrasse, sogar
die beiden üferstrassen der Lippe, die doch streckenweise mit
römischen Werken und Klcinfunden auf beiden Seiten besäet ist.
Da nun so wenig Strassen herauskommen und die gegebenen zum
Theile seltsame Zickzacks und tiefbusige Anschlüsse haben, so dien-
ten sie Dünzelmann bei der Beweisführung leicht dazu, diesen oder
jenen Kriegsmarsch im Sinne des Verfassers und zu Ungunsten
seiner Gegner zu deuten (S. 97, 105, 117).
Dafür verdichten sich ihm die Strassen im altwestfälischen
Nordgebiete der Hunte und Haase ganz auffällig, und man kann
den Gedanken nicht zurückwehren, es habe darauf auch die vom
Bearbeiter aufgestellte Lage des Castells Aliso und des Varianischen
Schlachtfeldes eingewirkt.
Man hört schon längst, wir tragen ganz andere Vor-
stellungen von der Lage und von der BeschaflFenheit der Römer-
strasse n wie Dünzelmann; ihm sind sie breite Flachbahnen (S. 90,
118, 134) von mehr als örtlicher Ausdehnung, möglichst gerade,
strichweise auch Gemeindescheiden, hin und wieder wohl noch mit
bedeutsamen Namen, wie „Postweg", „Folcweg" . . . belegt;
1) Nämlich ucben ,,dem einzigen Römerwege" Münster-Hamni bei
Dünzelmann S. 97. 1864 kannte von P e u c k e r , Das deutsche Kriegs-
wesen der Urzeiten III, 361 als Verbindung von Vetera und Aliso lediglich
den grossen Hellweg im Süden der Lippe, indem er annahm, dass „inner-
halb der Marschgegend zwischen Lippe imd Ems keine Spur von römi-
schen Bauwerken, Lagern, Strassen oder Wallinien aufzufinden" sei.
Römische Landwehren, Strassen und Erd werke in Westfalen. 203
eine kiinstmässige Zurichtung ist nicht ausgeschlossen (S. 93),
doch fehlen Wälle mit Gräben ganz und gar, die Hauptmerkmale
einer Römei'strasse.
Wie in der Charakteristik der Wege weicht Dünzel-
mann auch in ihrer Erforschung ganz von andern Gelehrten
ab; die Auffindung und Verfolgung vollzieht er in diesen Strecken
mittelst des Augenscheines, in jenen einfach mittelst eines Blickes
auf die Reymannschen und andere Hpecialkarten; S. 88 gesteht er
ganz oiFenherzig: „Sie alle (nämlich die Wege) in derselben Weise (wie
im Beginne der Forschung) zu begehen, würde so viel Zeit erfordern,
wie sie einem einzelnen nicht leicht zu Gebote steht, und tlber-
dies überflüssig sein. In vielen Fällen genügt, es, den
Anfang und das Ende eines jetzt noch völlig vorhandenen Weges
in Augenschein zu nehmen." So leicht geht das? Keinenfalls
existiren für ihn in Norddeutschland römische Dammwege und
warum nicht ? weil sonst „nur so verschwindend kümmerliche Reste
römischer Heerstrassen vorhanden" wären, „dass es sich kaum
lohnte, Zeit und Mühe auf ihre Erforschung hin zu verwenden"
(S. 90), das heisst doch nicht mehr und nicht weniger, als der
Wissenschaft zuzumuthen, die wirklichen Römeretrassen der Vergessen-
heit preiszugeben, weil ihre Aufdeckung zu schwierig ist, und daftilr
andere, nämlich falsche, zu erfinden, weil diese bequem zu haben sind.
Einzelne Merkmale der Dünzelmann 'sehen Römer-
strassen treffen freilich auch bei jenen Wegen zu, die wir für
Römerstrassen halten, doch geben sie geringern Ausschlag ftlr Römer-
linien als für altheimische Wegeszüge. Auch diese haben jetzt
noch oft einen weitgehenden Lauf wie eine beträchtliche Breite
und zwar aus dem einfachen Grunde, weil sie einst zumal in den
(ungetheilten) Marken und Gemeinheiten mit der einen Rille neben
der andern eine grosse, an gewissen Stellen vielleicht die Breite
einer halben Stunde hatten. Sie waren allen Culturanzeichen zu-
folge neben den Fusspfaden längst gebahnt, als die Römer ihren
ländergierigen Blick über den Rhein warfen, sie waren doch von
Haus aus Bedingung und Ergebniss der vorzeitlichen Völkerzüge,
die sich mit Vieh und fahrender Habe, wo die Zweckmässigkeit ge-
bot, von den üfenvegen allmählich auch durch dunkele Wälder und
lichte Heideflächen wälzten ^).
1) Vgl. Bonner Jahrbb. H. 95, 227.
204 Nordhoff und Westhoff:
Es lag ja in der Natur der Sache, dass die Römer, welche
unter Umstände gar Waidpfade betraten, beim Vordringen in Nord-
deutschland zunächst die v o r f i u d 1 i c h e n Wege nahmen und je
weiter ihr Kriegsfuss und ihre Aussichten gingen, die passenden
Strecken erbreiterten oder ausbesserten und schliesslich in den er-
gebenen Volksgebieten für die weitergehenden Kriegsziele besondere
Marscbstrassen durch Feld und Wald, wo die Flucht es wollte, über
Berg und Thal, durch Tief- und Fanlgrtiude anlegten, mit Lagern,
festen Punkten und andern Werken flankirten. Diese aus- oder
neugebauten Anlagen, nicht die ursprünglichen Wege des Landes
sind die Gegenstände unserer Untersuchung.
Was im Rbeingebiete schon Fiedler^) 1824 dfimraei-te und
F. W. Schmidt 2) 1828/29 einleuchtete, bestätigten der General
von M ti f f 1 i n g (-Münster) 1834 3), darauf wieder Schmidt und
spätere Forscher auch für Westfalen — nämlich dass die Römer-
strassen im Durchschnitte breite Damm Strassen mit schmalem
Fahrwalle sind, und dasselbe beobachten andere Forscher für
das südliche Deutschland*), selbst Bergier (1622), den Dünzel-
manh S, 92 bei der Beschreibung seiner Flachstrassen heranzieht,
fand die römische Dammstrasse auch im fernen Süden. Wenn dem
gegenüber Dünzelmann in W^estfalen •'^) noch ernstlich an Flaeh-
strassen festhält, wie mag er dann die Beobachtungsgabe und das
Bewusstsein jener ausgezeichneten Männer beurtheilen, die mit so
musterhaftem Aufwände von Geist, Kraft, Beharrlichkeit und Opfern
die alten Linien in Dämmen und andern Resten aufstöberten und
mit weitern Mitteln als römische Werke nachwiesen?
Wie bekannt, gehören die Römerstrassen in Westfalen
1) Gesch. u. Alterthümer I, 167 (Landwehren). Vgl. J. S c h n e i -
der, Neue Beitrage zur alten Geschichte und Geographie der Rhein-
lande (1868) III, 33.
2) Bonner Jahrbücher (1861) H. 31 p. IV, 6. v. P e u c k er a. a. 0.
III, 249.
3) Vgl. P 0 t e n in der Allgemeinen deutschen Biographie 22, 453.
4) Vgl. Schneider, Neue Beitrage (1876) VIII, 5, XIIT, 10, 11, 16, 17.
5) S. 91 citirt D. auch L. Hölzermann, Localuntersuchungen
die Kriege der Römer und Franken . . . betreffend 1878 S. 69, 63, 62 als
Gegner der Dammstrassen und vergibst dabei, dass H. bei seinen oft
anfechtbaren Forschungen (vgl. Bonner Jahrbb. 95, 2:K) ff.) dieselben offen-
bar anfangs übersehen, aber 1869 (Schneider, Neue Beiträge XIIT,
17) zugegeben und S. 5 seines Werkes : „Die Dammerhöhung der Nord-
uferstrasse der Lippe in zwei Strecken" anerkannt hat.
ftöinisclie Landwehren, Strassen und Krdwcrke in Westfalen. ÖÖ5
ZU den peinlichsten und nothwendigsten Sorgen der Wissenschaft
und wenn sie bei ihr auch fortab eifrige Pflege fänden, mögen doch
noch Generationen vergehen, bis sie in allen Bahnen aufgeklärt sind.
Denn da sie hier nur in geringfügigen und schlichtgestalteten
Strecken mit Steinen oder Kies gepflastert oder wie zu Essentho
in den Felsen geschlagen ^), vielmehr wie die Landwehren und
andere Befestigungen zwar in starken Gliedern, aber immerhin
nur aus Erde ausgeführt wurden, so liegen sie heute in einem
schwindsüchtigen und durchaus unkenntlichem Zustande vor. Und
weil die Alten über den Wegebau überhaupt *) und über die nähere
Bauart und Lage der hiesigen Römerstrassen nur unbedeutende
Worte verlieren, so musste und muss man zu ihrer Erforschung
ihre Reste und Spuren selbst auskundschaften und als redende Zeu-
gen behandeln.
In der That waren die hiesigen Heerstrassen •^), wie ihre üeber-
bleibsel schon anzeigen, weil für schwerbeladene Heerkörper be-
rechnet, kunstmässige Erdbauten ersten Ranges und von gewissen
Ausnahmen vorläufig abgesehen, zusammengesetzt aus einem Haupt-
und Wegedamm (agger viae), zwei schwächeren Seitenwällen ^und
vier Gräben, wovon zwei innere die Dämme schieden, zwei äussere
sie bewehrten — eine Gliederung, der sogar die drei hochgewölbten
Durchgänge römischer Triumpfthore entsprachen-; es sind also eigen-
artige Denkmäler, die sich, wenn sie mit den historischen Erdwerken
heute allesammt noch intakt vor uns lägen, von diesen und zwar
auch von den formverwandten leicht unterschieden. Besonders
zeichnet sie aus ihr Ausgang von dem einen oder andern Punkte
des Rheines und in den Hauptlinien der flotte, meist pfeilgerade
Zug oder bei etwaiger Abweichung die sanfte Curve, dann das
schöne Profil der Wälle und Gräben, und die erstaunliche Wucht
der gerundeten Dämme, kurzum in hohen und tiefen Gliedern
meistens ein so breites und massiges Werk, dass sie den Vergleich
1) Die Belege bei Hülsenbeck, Aliso S. 176. Schneider in
Picks Monatsschrift V, 618. N. in Bonner Jahrbb. H. 95; 227.
2) Vgl. Pauli 's Realencyklopädie S. 2547 ff.
3) Ueber die Strassen und Landwehren im Allgemeinen vgl.
Schneider a. a. 0. V, 513 fT. Ders. Neue Beiträge (1876) VIII, 1 ff. —
Einzelbelege, die des Raumes halber in Folgendem nur selten beige-
bracht sind, finden sich vielfach bei Nordhoff, K. u. Q. Denkm. d. Pr.
Westfalen I, 5 ff., II, 4 ff.
206 Nordhoff und Westhoff:
mit den heutigen Bahndämmen leieht bestanden hätten. Sie nähern
sich da und dort auch wohl bis auf eine halbe Stunde ^), lieben die
Höhen und Höhenrücken, bevorzugen nicht die wirthlichen vor den
unwirthlichen Strichen, die Ortschaften oder alten Verkehrspunkte
vor den Einsamkeiten oder liegen gar in den Besten anspruchslos
nahe neben den heutigen Wegen. Falls sie örtliche Verkehrspunkte
treffen oder streifen, so hing das ab von der Befolgung altheimi-
scher Linien, von dem geraden Gesammtlaufe oder von der Terrain-
beschaffenheit; treten sie als Grenzen oder Scheiden historischer
Gebiete auf, so fallen sie, wie an der Lippe mit Natnrgrenzen zu-
sammen, die zu allen Zeiten ihre Rechte wahrten, oder sie spielen
diese Rolle erst in jungem Zeiträumen und dann wiederum nur in
örtlichem oder landschaftlichem Belange. So schiessen sie oder doch die
Hauptzüge hier mitten oder quer durch die Bauerschaften, Ge-
meinden, Archidiaconate, Temtorien, wie das ihr westlicher oder
südlicher Ursprung und ihre fernen Zielpunkte nach dem Osten und
Norden erheischten; es sind nicht die Ziele des gemächlichen Land-
schaftsverkehrs, es sind die römischen Kriegsziele, die sich bis zur
Elbe und dem Nordmeere erstreckten 2). Mit andern Worten, die
Dammzüge unserer Untersuchung entstammen einer Zeit, welche
von der Gruppirung der spätem Tenitorien und Landschaften noch
keine Ahnung hatte.
Ueberschaut man die Geschichte bis in die Urzeit, so gibt es
hier kein Volk und keine Macht, der man so gewaltige Erdbauten
und in solcher Anzahl und Lage zuschreiben könnte, als den Rö-
mern. Gehörten sie der Neuzeit an, so liessen sich ihre Entstehung
und ihre Erbauer, was bis jetzt nicht vorkam, doch offenbar in der
einen oder andem Theilstrecke bestimmen.
Wären die Urvölker, germanische Stämme, Sachsen, Franken
deutsche Fürsten oder Landesherren ihre Urheber, so richteten sieh
die Damntzüge doch nicht nach Berg und Thal, viehnehr zunächst
nach dem landschaftlichen Verkehre, nach den Bauerschaften,
Kirchplätzen, Städten u. s. w., so gäben sie uns mit der Annähe-
rung gewisser Strecken auf engem Räume ebenso unlösbare Räthsel
auf, wie mit ihren grossartigen und zahlreichen Anlagen, ihrer elc-
1) Z. B. zwei bei Münster. Vgl. Bonner Jahrbb. 95, 228.
2) Th. Mommsen, Im neuen Reich (1871) I, 537 f., 546, 550 f.
V. Peuckcr a. a. 0. III, 247.
bömische Landwehren, Strassen und Erd werke in Westfalen. 20?
ganten Bauart im Laufe und Profile. Denn fast bis zur Gegenwart
hin hingen regellose Züge und Profile, knuflfige Auf- und Auswürfe
den anderweitigen Erdv/erken, sogar jenen sächsischen Burgen an,
wofar hiesige Römerlager zum Muster genommen waren ^).
Durchschnittlich gehören die W e g e zu den sehwachen Seiten
des Mittelalters; ihr mortaler Zustand war bis in die bessere
Frühzeit des 17. Jahrhunderts eine ständige Plage und Qual wie
für den durchgehenden, so für den kleinen Verkehr. Daher das
Verkürzen der Kirchgänge durch neue Pfarrgründungen 2), daher
die unsäglichen Beschwernisse kleiner Fahrten und Beisen ;
noch 1603 entschuldigen auswärtige Hanseaten ihr Fernbleiben
vom Hansetage zu Münster nicht minder mit den schlechten
Wegen ^) wie mit Kriegsunruhen. 1606 spottete die grosse Bre-
mer Handelsstrasse über Osnabrück und Münster nach Köln
von Dortmund bis Hagen allen Begriffen*), welche der Gegen-
wart noch von den schauderhaften Hohl- und Waldwegen vorschwe-
ben. Nach dem grossen Kriege begünstigte man bis in unser Jahr-
hundert im Geheimen und Offenen mehr die engen und schlechten,
als die guten Wege, um mit diesen nicht Soldaten und Fremdlinge
anzulocken. Daher hatte sich der Land- und Kaufmann für
schwere Fuhren überall auf jene Jahreszeiten zu vertrösten, worin
ihm entweder Hitze oder Frost den Weg härtete. Was dagegen ge-
schah, war in germanischer und sächsischer Zeit gewiss kaum nennens-
werth-, unter Karl d. Gr. wird das Schliessen der Brücken und
Floßstibergänge und das Auslöschen der Wege verboten, die Auf-
bessemng der letzteren oder die Ausfftllung ihrer morastigen
Strecken anbefohlen, jedoch von neuen Anlagen wenig gesagt. Und
1) Vgl. Hölzermann a. a. O. S. 50 fF., 76 f., 110, Taf. IV, XIX,
LXVII. . Wie das Wort „Strasse" in der römischen viastrata (v. Peucker
a. a. 0. III, 207), so entquillt unser Wall dem römischen vallum.
2) Vgl. Nordhoff, Das westfälische Pferd in Natur und Offen-
barung, Münster (1891) 37, S. 847. Derselbe, Holz- und Steinbau Westfalens
1873, S. 370. Weitere Belege aus deml4. Jahrh.beiLamey, Codex diplom.
Ravensbergensis p. 101 ff., aus der Zeit von 1700 noch in Münster. Ge-
schichtsquellen III, 275.
3) F. J. Pieler in der (westfälischen) Zeitschrift für Geschichte u.
Alterthumskunde XV, 238.
4) H. Brockens Reisebericht von J. S. Seibertz, Quellen der
westfäl. Geschichte II, 238.
2Ö8 Nordhoff und Westhoff:
wie damals die Pflege der Strassen den Beamten nnd Aebten*), so
oblag sie später den einzelnen Herren nnd Fürsten für ihr Gebiet,
also jedes Mal nur für kurze Strecken und die Ausführung selbst
den Anwohnern in der Landfolge *). In der Neuzeit sollte sich die
wichtige Angelegenheit durch eingehendere Verordnungen **), Hebung
von Wegegeldern*) und besondere Wegemeister ^) regeln und ver-
vollkommnen, schlug aber auch jetzt, wie uns vorhin die Thatsachen
bezeugten, auf grossen Strecken gerade ins Gegentheil um. Was
die Klöster und besonders die Cistercienser für den Bau und die
Besserung der Wege thaten, kam nur dem landwirthschaftlichen
Betriebe, also kaum dem weiteren Verkehre zu Oute und wenig
Nachfolge hatte sclieint s der Osnabrücker Bischof Benno (1068
bis 1088) — als hervorragender Landwirth, Baumeister und Inge-
nieur trocknete er Sümpfe, schuf er Verkehrstrassen und zog unter
persönlicher Leitung durch das im Sommer unpassirbare Wittefeld
zwischen Engter und Vörden einen kunstmässigen Wegedamm •).
Wenn einmal wie zu Nottuln 1297 statt des morastigen ein neuer
Weg eingerichtet), wenn da und dort ein anderer angeschüttet
ward, so handelte es sich immer nur um kurze Strecken, keinen-
falls um so propere und wuchtige Dammstrassen wie jene, die wir
den Römern zuerkennen müssen. Auf diese aus den zerfahrenen
Geleisen die Bahn zu verlegen, war vielmehr zu allen Zeiten und
überall, wo es eben passte, die sicherste Errettung aus der Noth.
Sondt haben die mächtigen Dammzüge mit dem Mittelalter Nichts
zu thun, als dass sie dessen Wege völlig in den Schatten stellen.
Auch in der Culturgeschichte stecken klare Beweis-
1) V. P e u c k e r a. a. 0. (1860) I, 359 ff.
2) N 0 r d h 0 f f a. a. 0. 37, 351 ff.
3) Das Master einer damaligen Wegebanordnung vom Jahre 1554
in Scotti's Sammlung der Gesetze u. Verordnungen. Cleve-M»rk I, 137;
dennoch soll nach H ö 1 z e r m a n n a. a. O. S.14, 15 die erste Wogoordnung
seit 1684 von Churköln ausgegangen sein.
4) Spormacher*s Chronik von Lünen ad ann. 1514 bei J. D.
von Steinen, Westphälische Geschichte IV, 1450.
5) Urkunde von 1575 bei A. Tibus, Weihbischöfe von Mün8t4>r
1862 S. 116.
6) Vita Bennonis C. 15. Thyen bemerkt in den Mittheilungen
des histor. Vereins zu Osnabrück (1870) IX, 69 : jetzt ist jenes Terrain
(des Wittefeldes) . . . eher eine Sandwüste, als eine Sumpfgegend.
7) Westmi. Urk. Buch III, Nr. 1571.
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 209
mittel dafilr; dass sie ttber die historischen Zeiträume tief
hinabgehen und daaselbe gilt auch von den den Strassen in
Stärke und Bauresten eng verwandten Landwehren der Römer.
Diese unterstützten das Vordringe des Kriegsvolkes von Anfang an
in der Stufenfolge, dass sie alle Mal ein erobertes Ländgebiet nach
der (feindlichen) Frontseite abschlössen oder besonders wichtige
Striche und feste Plätze auch auf andern Seiten und einzelne da-
von anscheinend wie ein Netzwerk umgaben; ja 16 naeh Chr. wur-
den zwischen dem Gastell Aliso und dem Rheine oder vielmehr auf
der Lippelinie, die ja die erste Obsorge der Römer war, die be-
stehenden mit neuen limites aggeresque vermehrt und
verstärkt^). Dass beiden Arten wenn auch in verschiedener Bau-
weise die Bestimmung des Abschliessens und Befestigens zukam,
verräth unwidersprechlich ihr gemeinsames Pi^dieat permonire. Dier
lim es bezeiehnete und deckte einen errungen Landbesitz^) und
da er einmal eine Grenze beziehungsweise einen geographischen
Abschnitt bedeutete, konnte auch ein schmaler Rain- oder Quer-
weg ^) seinen Namen annehmen. Agger aber ist bei Tacitus vorab
der starke Wehr- und Sperrwall : so erklärt zwischen zwei germani-
schen Völkern *) und deshalb sicherlieh auch zwischen einem ei*ober-
ten und einem anfechtbaren Rönergebiete.
Gegenüber den Strassensträngen besitzen die Land wehren
im allgemeinen eine geringere Längsdehnung und, in den grössten
Strecken mehr Biegung, einen, drei, in der Regel zwei, die stärk-
1) Tacitus, Aniiales If, 7. . /
2) Cf. Vellejus Paterculus, Historia Romana 11, 120 (a. llpost Chr.
Tiberins) nitro Rhenum cum exercitu transgreditur . . . penetrat interiu^,
aperit limites, vastat agros ... Taci tus 1. c. 1, 50 (a. 14 n. Chr.) : At Ro-
manus (Germanicus) agmine propero s i 1 v a m Caesiam I i m i t e m q u e
a Tiberio coeptum scindit, castra in I i m i t e eollocat, frontem ac
tergum vallo, latera concaedibus raunitus. Fl.Vopiscus, Tacitus c. 3:
Nam 1 i m i t e ra trlansrenanum Germani r u p i s s e dicuntur . . , occu-
passe urbes validas, nobiies, divites et potentes. Vgl. noch oben S. 185.
3) L. Pauli, Limesblatt 1894 Nr. 7, 8 p. 227. Vgl. besonders For-
cellini*s Lexion ed. Schneebergae s. vv. limes u. agger und die ganz ent-
gegengesetzten Lehren bei Dünzelraann S. 128, dem die von beiden
Arten noch vorhandenen Denkmäler oder Reste gar nicht zu existiren
oder der Beachtung würdig zu sein scheinen.
4) Tacitus 1. c. II, 19.
Jahrb. d. Ver. v. AUerthBftr. im Rheiiil. XCVI. 14
210 Nordhoff und Westhoff:
8ten gar vier Walle jedes Mal mit Grabengeleit ^). Der Mittelgrabcn
der zweidammigen Wehr gleieht, doch vielleicht nur streckenweise
d. h. dort, wo ein Weg durchschneidet*), einer tiefen und wo er
noch von dem Wallholze verdunkelt ward, einer unheimlichen Schlacht*'^).
Da die Landwehren wie die Heerstrassen mit ihren Endsträn-
gen, zumal wenn diese sich noch in Holz versteckten, dem volks-
tbftmlichen Auge im Fortstreichen fast gleichartig erschienen, so
theilten beide auch bei den Leuten, welche ihre Verschiedenheit
kaum merkten oder in Anschlag brachten, dieselbe Bezeichnung „Land-
wehr" und andere Namen, und übertrugen diese gern auf Fluren,
Höfe und Bauerschaften, womit sie sich in ihrer Flucht berührten.
So ist, um gleich ein schlagendes Beispiel anzufahren, der Wege-
strang, welcher vom Merfelder Bruche (bei Dülmen), südlich an
Münster vorbei^ auf Warendorf zieht entschieden der Pathe für
die von ihm gequerte Bauerschaft „Welte^ (Wallheide) zu Dül-
men^), für den anliegenden Hof „Wallgert" zu Everswinkel und
weiterhin für den Haupthof und die Bauerschaft Wallgarden zu
Freckenhorst geworden, die er im Norden begrenzt.
Die Bauerschaften datiren wohl von der Einkehr der Sachsen-
benrschaft, die Bauernhöfe wohl schon früher vom Anfange des 7.
Jahrhunderts^) und da beide den Bestand jener „Landwehren" vor-
aussetzen, so müssen diese mindestens über das 7. Jahr-
hundert und jedenfall noch tiefer in eine graue Vorzeit und in
1) So scheinbar mit Mittelgraben auch der Beckumer Laufgraben
(d. i. Laubgraben). F. W. Sc hm i dt in d. Westfäh ZeitRchr. 20, 286.
2) Wie an der Lemkerberger Kapelle zu Liesborn und in einem
Abzweige der Strömeder Landwehr zwischen Erwitte und Qeseke.
3) Bemerkenswerth ist die verschiedene Charakteristik der römischen
Landwehren bei Schneider, Neue Beiträge III, 18, XIII, 27; sie
lässt sich auch zur Zeit wohl kaum verschärfen, weil die Werke später
so vielen Verstümmelungen und Aenderungen unterlagen, dass heute
zweifellose Original- d. h. maassgebende Strecken nur unsicher mehr zu
finden sind. Erst wenn die römischen und sonstigen Dammlinien in mitt-
lerem Umfange kartographisch festgelegt sind, sticht die Verschiedenheit
beider Gattungen und innerhalb der römischen zwischen Strassen und
Landwehren deutlicher hervor. Vgl, auch die Charakteristik der Römer-
Strassen unten S. 213 f.
4) Vgl. Schmidt, Westfäl. Zeitschr. XX, 278.
5) Vgl. Wippermann, Bukkigau 1859. S. 152, 165. Nordhoff,
Haus, Hof, Mark und Gemeinde in Nordwestfalen 1889, S. 14 f., 26, vor-
her S. 206.
Röniischo Landwehren, Strassen und Ehrdwerke in Westfalen. 211
welche anders, als jene der Römerinvasion, zurückgreifen. Ihr ge-
meinsamer Name „Landwehr" *) erklingt heute zwar am Häufig-
sten % jedoch auf Baaemhöfe übertragen sehr selten, als wäre er
überhaupt erst spät, etwa angeregt von den mittelalterlichen Land-
und Stadtwehren, die gleichfalls holzbepflanzte Wälle mit Gräben
waren, in Brauch gekommen. Aelter erweisen sich ihre gemeinsamen
Namen Lette (= Letze?), dieser klebt den Dörfern (Bauerschaften)
Lette bei Coesfeld und Lette bei Herzebrock dort von einem be-
nachbarten Strassen-, hier von einem Wehr-Damme an, — älter so-
dann die Namen Gar (Gor, Gaor) Wall, Hagen *), (mit dem Haupt-
begriflfe des Holzbestandes) Damm (Scheide?) u. a.; vielfach verein-
ten sie sich mit den Namen verschiedener älterer Anliegenschaften,
so dass dabei oft sonderbare Lant- und Silbenverschiebungen heraus-
kamen. Also besäumen und kennzeichnen fast jeden Strang unserer
Forschung von Westen bis Lippstadt, vielleicht noch weiter gen
Osten, oder, so fem er verschwunden ist, seine einstige Flucht
die Hof- und Flurnamen Dämmer (bei der Westenholter Mühle),
Dämmerwald (westlich von Schermbeck), Hagemann(-Meier, -Mense),
u. s. w., Eickhiägc*) . . . Wallewic*) (Fallmeier, Valland zu
Dreinsteiufurt) . . . und viele andere mit diesem oder je- ■
nem Grundworte. Das Wort gar, (engl, care), endlich, dessen
schützende Bedeutung sich am geläufigsten in „Gerkammer" er-
halten hat, kommt ledig oder in Zusammensetzung der Bauer-
schaft Garbeck zu Balve an einem Süd-Nordstrange und den alten
Höfen Gar, Overgar und Pellengar zu Hinteler (bei Beckum) zii*).
Sie liegen an einem Sodoststrange und in dessen Flucht der Hage-
mann, vielleicht der jüngste von den Höfen.
1) Lau wer, Lender, Läufer, Lander, Lamber, Lämmer (so in Zu-
sammensetzungen wie Lammergraben bei Böckenförde, neben welchem
nördlich eine Wall-Landwelir fast parallel geht) —- Die Hofesnamen mit
Heit . . ., Heide . . . lansen sich wohl eher auf den Bodeneharakter als
auf Heide = paganus zurückführen.
2) Auffallend häufig dienten Landwehren als Rücklage der Vem-
gerichtsstätten.
3) Hiege, Hiäge, Hege. Ueber Wel(=WaU)te vgl. vorher S. 189.
4) W^ter mit Einzelbelegen bei N ordhof f a. a. O. S. 12 f.
5) Ein untergegangener Hof östlich von Beckum, Westfäl. Urk.-
Buch, Index Geographicus 1871 S. 28 s. v., an einem dort verwischten
Süd-Nordstrange.
6) L. Steub, Die oberdeutschen Familiennamen 1870 S. 20: „Kar,
ker, gar, ger (goor) bedeutet Speer" also die Handwehr.
212 Nordhoff und Westhoff:
Noch mehr; verschiedene Plöfe überkamen geradezu den Namen
Römer baar oder zusammengesetzt von unsern Wallsträugeu und
von diesen führen einige wieder in gewissen Strecken die Namen
^Romerstrasse^ oder „Römerg" (Römerweg), d. h. nicht nach
Büchern^ sondern nach einer lebendigen Tradition, welche also
keinerlei Völkerverschiebung zu verwischen vermochte*). Dasselbe
Alter nehmen auch die „Heidenstrassen^ auf fruchtbarem Boden in
Anspruch; denn welche „Heiden" hier gemeint ^ind, kann kaum
einem Zweifel unterliegen. Ein besonders lehrreiches Licht wirft
es auch auf unsere Wallinien oder deren ursprüngliche Flucht;
wenn sie, wie das wiederholt eintritt; Plätze oder verschwun-
dene Werke streifen, welche im Volksmunde mit den Römeni irgend-
wie in Verbindung standen oder einen mit „Römer" zusammenge-
setzten Namen tragen.
Genug nach ihren volksthümlichen Namen, nach ihrem ört-
lichen Laufe und den meist weitgesteckten Zielen; nach der Bauart,
der Ueberlieferung und den Forderungen der Culturgesehichte kann die
von uns ins Auge gefasste Dammstiasse keinem andern Volke ihren
Ursprung verdanken; als dem römischen. Sie liegt uns indess nur
mehr in Gedanken fertig vor; in ihrem gegenwärtigen Befunde
zeigt sie sich grösstentheils vergangen oder entstellt oder von Haus
aus mit gewissen Eigenthümlichkeiten behaftet, die fQg-
lich erst jetzt in Rede kommen; wo wir daran gehen, ihre Linie
wieder auf- oder zusammenzusuchen. So verliess diese wohl auch
die gerade Flucht, wie es scheint dann, wenn ihr ein Ueberschwem-
mungsland, Moräste oder unwegsame Holzdickichte entgegenstanden,
SO; erftihren wir (S. 189), war eine Theilstrecke im Merfe}der Bruche
nur ein einziger Damm und im Ganzen eine schmale BahU; und so
werden andere Strecken auf festem; wegsamen Boden nur in einem
Damme ^) oder; wie auf Heide- und Sandgründen anzutreffen, in
schwächeren, auf Faul-, Lehm- und Kleigi'ünden, die noch beute
dem schlichten Wandersmanne die Tritte so sauer machen, in stär-
keren Werken, als gewöhnlich, ausgebaut sein, — auf festem Bo-
den erfuhr der Dammbau wahrscheinlich eine vollständige Unter-
brechung, so dass zu solch einer ursprünglichen Lücke unter
1) Belege bei Nord hoff in der westfälischen Zeitschrift 89 1,
148 fP.
2) Schönes Beispiel bei Hülsenbeck, Aiiso S. 125 ff.
Römische Landwehren, Strassen tmd Erdwerke in Westfalen. 213
spätem Aendemngen noch neue kamen. Und gegenseits enthalten
einzelne Stränge, z. B. westlich von Telgte, südlich nnd nördlich
von Warendorf gar fünf Parallelwälle, sei es, dass der vierte und
fünft« als ursprüngliche Flankenwehren oder als spätere Zulagen
anzusehen sind. In diesem Falle kann das breite Werk hernach
als Zufluchtsstätte oder wer weist wozu sonst? benutzt sein.
Aerger als diese Unregelmässigkeiten belästigt den Nachweis
der römischen Dammlinien — also auch der Landwehren, der
misslichc, bröckelige Zustand, worin sie im Laufe von
nun fast 2000 Jahren geriethen. Die grössten Strecken völlig er-
loschen, sonst orts- oder strichweise nur Spuren oder Beste mehr,
welche für sich betrachtet Räthsel bedeuten, und nur da und dort
noch kenntliche doch meist kurze Torsos; die letzteren vorab friste-
ten dadurch ihr Dasein, dass sie von Dornen und anderm Holzbe-
stande mit den Wurzeln befestigt, mit Ast und Laubwerk geborgen,
dass sie in einsamen Lagen der Vergessenheit Übergeben oder spä-
ter als Grenzscheiden belassen und als solche namentlich in Stadt-
und andere Erdwehren eingeschaltet oder als Schutzgürtel für Ritter-
und Raubburgen unterhalten wurden, wie einzelne Römerlager als
deren Zingel *), Gewisse ein- bis mehrmalige Strecken lagen bis
in unsere Zeit als Curiositäten oder Räthsel herren- und steuerfrei,
gleichsam verwildert, inmitten von Privatgründen dahin; sie fielen
sogar dem Laien auf, der von ihrer Herkunft keine Vorstellung
hat, und die kräftigeren Torsos imponirten Jedermann.
Und wodurch ward das Schicksal der einst so stolzen
Wallstränge heraufbeschworen ? Theils durch die Unbilden der
Natur, theils durch das Planen und Schaffen der Menschheit.
Wo Gehölz, Gemeinheiten oder eine Grenzlage keine Schonung
verhiessen, wurden sie mit dem Spaten, der Hacke nnd Pflugschaar
zum Besten der Bodenwirthschaft, der Hausanlagen und anderer
Nutzung beschnitten, zerrissen, erniedrigt oder eingeebnet, sodass
stundenweit davon Nichts übrig blieb, als zerstreute Grabentiefen
(Sunk) oder Erdhöcker, auch wohl ein Dammstück, das als Wall-
hecke Gnade gefunden, oder ein mit Gras, Holz') oder kleinen
1) So die Mahlen bürg bei Recklinghausen. Vgl. Hülsenbeck, Das
römische Castell Aliso, 1873, S. 130.
2) Die „hölzerne" Strasse zu Wadersloh war Theilstrecke einer Süd-
Nordlandwehr.
214 Nordhoff und Westhoff:
Wohnungen bestandener Rain, dessen grader Trakt sofort in die
Augen springt.
Vollends verunstaltete das ursprüngliche Bild des Strassen-
zuges, wenn dieser, wie das ganz häufig vorkam, auf kürzere oder
längere Strecken Fuss- oder Fahrwege aufnehmen miisste; dann blie-
ben von den Gräben und Wällen nur schmale Tiefen, beschnittene
Wall- oder Erdstücke übrig oder es verflachte sich das ganze Werk
zu einer breiten Bahn, die stellenweise in eine l^rralicbe Wasser-
strasse ausartete. Doch auch in dieser Erniedrigung behauptet die
Linie noch häufig gegenüber ihrer Bodeuumgebung eine merkliche
Kronenhöhe, und beim Verlassen der geraden Flucht eine ungewöhn-
lich schöne Curve, aber selten mehr einen Schimmer vom ursprüng-
lichen Wall- und Grabenprofil.
Thiere, natürlicher Vergang und gewöhnliche üeberschwemmun-
gen vermochten dem wuchtigen Wallkörper kaum Etwas anzuhaben;
wohl aber versanken einzelne Strecken unter Sandwehen (S. 188) und
flachere Steinbahnen unter dem Erdboden *) oder es verloren beim
natürlichen Anwachsen des Bodens besonders in wässerigen Stri*
chen die Gräben an Tiefe, die Wälle an Höhe und Profilscbärfe,
und beide ihr markirtes Gepräge.
Wie die Lippe einst, als sie bei Hultrup ein nördlicheres Bett
suchte, gewaltsam ihre Nordnferstrasse durchbrach, so bat die
Werse einmal in Nordnähe von Handorf bei allmählicher Ost-
biegung die Emsuferstrasse mit dem Untergründe unterwühlt und
verschlungen.
So zerstttokelt, verdeckt, entstellt und unkenntlich prä-
sentiren sich dem Auge die einst so mächtigen Römerstrassen,
dass sie heute bis auf wenige Beste den sonstigen Damm- und Erd-
werken gleichen oder ähneln. Dahin gehören ^) als ein- oder mehr-
fache Dammlinien, gleichfalls von Gräben flankirt oder mit Holz
besetzt, die altgermanischen und sächsischen Langwälle, die Land-
gräben, die germanischen Völkerscheiden und namentlich die römi-
schen Landwehren, aus der mittleren und neuern Epoche die Land-,
Gemeinde- und Stadtwehren, Markenauf wflife, militärische Anlagen
aller Art, Zoll- und Wassersperren, Jagdgrenzen (westlich von
1) Beispiele bei Hülsenbecki Aliso S. 92 und Nor dh off, Das
Weatfalenland 1890 S. 5.
2) V. Peucker a. a. O. IIT, 404, 415. Nordhoff, Hole- und
Steinbau S. 124-130,
Römische Landwehren, Strassen und £rd werke in Westfalen. 215
Greffeo), die stärkeren Wallheckcn, die Dammwehren neben den
Wegen ^) und zumal j^e neben den Treibwegen^ wodurch das Vieh
von den Höfen zu den Gemeinweidcu wandelte.
Auch d i e » e Alterthttroer zeigen oft vermöge ihrer Bauart,
nachträglichen VerstOmmelongen und Zuthaten ein so verschwommenes
und formloses Aeossere, dass sie den entstellten und verkom-
menen Resten einer Römerstrasse vollständig gleichen oder doch
frappant ähneln. Bereitet es der Wissenschaft schon so mühselige
Aufgaben, jene Strassenreste mit ihren ursprünglichen und spätem
Lttcken aufzudecken, so verwirrt und erschwert sich die Boden-
forschung noch wesentlich dadurch, dass die Strassenreste von den
gleichförmigen Erdwerken anderer Art zu scheiden und auseinander
zu halten sind.
Ist es nun ein gewisser Argwohn, dass Römerstrassen unseres
Begriffs gar nicht existiren, oder es ist eine laienhafte Em-
pfindung, dass, falls sie da gewesen, ihre Erforschung und Be-
stimmung in dem dichten Netze von anderweitigen Wällen und Erd-
werken beute ein Ding der Unmöglichkeit sei, wenn sogar Gelehrte
und sogenannte Historiker den Tliatsachen wie dem seitherigen
Wissensstande zuwider im Stillen die dornenvollen Arbeiten der
Bodenforscher belächeln, vielleicht gar mit Hohn und Nachstellung
gen lohnen.
Wie löst sich denn das Knäuel von Nebeln, in welches sich
die mannigfaltigen Damm- und Erdwerke von Urzeiten her gehttllt
haben oder mit andern unsem Zwecken angemesseneren Worten: Wie
sondeiii und klären sich daraus') die wenigen Römerreste
und wie gliedern sie sich mit ihren ursprflnglichen und spätem
Lttcken unbestreitbar zu jenen grossen Dammwerken aneinander,
worauf es uns ankommt?
Die Wissenschaft ist heute so weit gediehen, dass sie eine
bestimmte Antwort geben kann und diese lautet:
„Zu dem erstrebten Zide ftlhren Studium, Ortsforschung und
Speculation, wenn dabei die Sachbegeisterang, allerhand An-
1) Nordhoff im Correspondenz-Blatte für Anthropologie, Ethno-
logie und Urgeschichte 1890 S. 108.
2) Ira Allgemeinen sind die nichtrömischen ungeschUichter im Durch-
schnitt, begrenzter im Lauf, die mittelalterlichen zudem schwächer an Breite
und Höhe und als solche auch leicht mit historischen Mitteln nachzu-
weisen ebenso wie einige urzeitliche nach den Völkerscbeiden*
216 Nordhoff und Westhoff:
streDgnngen und Opfer, bei haiidert vergeblichen Forschnngsver*
Bnchen die ünverdrossenfaeit and der günstige Zufall nicht fehlen/'
Niemand kann ernstlich und erfolgreich an das heikele Ge-
schäft der Strassensnche gehen, dem nicht anderweitige Unter-
weisung, die nothwendige Bekanntschaft mit der Fachlitterafnr und
praktische Vorübungen als Stütze dienen. Mit dieser wird er in Ab*
sieht auf einen umfassenderen Bezirk an einer Wallhecke oder gang-
baren Orabensenkung ebenso kaltblütig voiHbergeheu, wie der Jüger
an einem Sperling und bei jedem Erdwerke, das ihn anzieht^ zu-
nächst fragen, ob es auch künstlicher und nicht bloss natürlicher
Entstehung (Düne) sei. Findet er dann einen langen Wallzug, der
genau in eine sonst festgestellte Römerlinie passt, so darf er ihn
von vornherein als Theilstrecke derselben begrüssen, zumal wenn
sich daran sonst noch Merkmale fremdartiger Entstehung finden
sollten.
Funde dieser Art sind allerdings, wie nunmehr kaum zu be-
tonen ist, Ringeltauben; denn nicht leicht begegnet ihm m der
Folge so bald ein römischer Wallstumpf wieder und sollte ihm diese
Freude blühen, so kann sie sich schnell in Traurigkeit verwandeln,
weil in geraumer Zeit nach jenen beiden Richtungen^ wohin der neue
Fund zeigt, keine oder nur verkommene bis zweideutige Anschlüsse
auftauchen wollen, auch wenn er alle Mittel der Suche und Be-
stimmung versucht Die fraglichen Anschlüsse haben vielleicht in
Stunden und noch weiter erst Fortsetzungen und zwar lediglieh
in Erdhöckem und -Senkungen, die möglicherweise einer ehemali-
g^i Römerlinia, aber auch gerade so gut andern Dammwerken
angehören können, zumal wenn in der Nähe deren noch andere
voriiegen. Vorab ist jeder Fund, der einschlägige wie der zweifel-
hafte mit den Seitenfunden nach BcschalTenheit und Lage genau
zu beschreiben oder, sofern es angängig, abzubilden, da nur seine
Beschreibung als ständige Urkunde und namentlich dann, wenn der
Fund untergehen sollte, fortwirkt, wohingegen eine bloss kartogra-
phische Festlegung schwerlich alle Eigenthümlichkeiten so genau
wiederspiegelt, wie das Wort,
Um nun Ki&rheit über diese Trümmer und namentlich darüber
zu gewinnen, ob sie von einer Römerlinie stammen, trägt der For-
scher Pundstück für Fundstttck mit Linien in eine Karte ein, und
übersieht dann, ob die Einträge einen geraden oder doch regelmässi-
gen Zug und bei einer etwaigen Abweichung eine gefallige Curve
Römische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 217
machen oder nicht. Kommt eine ungelenke oder künstliche Linie
herauBy m ist die Untersuchung bis auf Weiteres aufzugeben und
höchstens der eine oder andere anscheinend bedeutsame Fundrest im
Auge zu bebalten. Kommt jedoch auf der Karte ein regelmässiger
Lauf zum Vorscheine, der sich zudem mit spätem 6ebietsgi*enzen
gar nicht oder nur streckenweise deckt, so lohnt sich schon eine
Sichtung der Funde und ein Ausscheiden jener, welche sich als
nichtrömisch darsteHen. Die übrigen, auch die zweideutigen Stücke
sind behufs weiterer und namentlich jener Prüfung festzuhalten, ob
auf ihre Flanken oder auf ihre Gesammtlinie römische Alterthümer
kommen oder bestimmte Kriterien römischen Ursprungs passen,
welche wir gleich besprechen wollen. Jene Stücke, welche die
Probe nicht bestehen, werden vorläufig ausgeschieden, nicht gänz-
lich verworfen, da sie bei der fortschreitenden Untersuchung immer
noch als Reste anderer Römerstränge oder Erdwerke ins Gewicht
fallen können; die übrigen, deren Echtheit bei der Probe sicher
oder wahrscheinlich hervortritt, bilden mit dem anerkannten Damm-
stumpfe eine römische Linie. Gehen dann Suche und Probe in der
beschriebenen Weise voran, so wächst hoffentlich nach beiden Seiten
die Linie Glied um Glied und in den meisten Fällen mit solcher
Gesetzmässigkeit, dass man mit Aussicht auf eine bejahende Ant-
wort brieflich bei Ortskundigen anfragen kann, ob nicht da und
dort noch ein Wall- oder Grabenrest in dieser oder jener Rich-
tung oder sonstige einschlägige Spuren erhalten seien. Ist dies der
Fall und zeigt der so gewonnene Zug auswärts zum Rheine oder setzt
er eine sonstwie unbezweifelte Römerstrasse fort, so walten kaum
noch wesentliche Bedenken, dass wirklich ein Römerweg ent-
deckt ist.
Die letzten Bedenken schwinden, je mehr*auf den Fund fol-
gende Kriterien passen : zunächst eine etwaige Bestätigung
durch die Berichte der Alten; schade nur, dass darin ausser
den Flüssen die wichtigsten Ortschaften und geographischen An-
haltspunkte, welche auf die Lage der Wege Licht zu werfen
vermöchten, so allgemein und vage auftreten, dass sie auf die
gegenwärtigen Ortsverhältnisse nur immer noch eine gezwungene,
also fragliche Anwendung und im Ganzen bei den Forschem nur
ein getheiltes Vertrauen finden. Die Ortschaften bei Ptolemäus
sprechen ja wohl zur Feststellung wichtiger Plätze, so bei
218 Nordhoff und Westhoff:
Hülsenbeck^) in betreff des Castells Aliso mit, doch kanm unbe-
stritten, geschweige denn fttr die Wissenschaft durchschlagend ^.
Höchst werthvoll sind charakteristische Funde auf
oder an einer fraglichen Linie zumal römische Alterthflmer: Mttn-
zen, Geräthe, Geschirre, Baumaterialien'), Lager, Wartehttgel und
wo die Oertlielikeit wie das Lippenfer es mit sich bringt, Hafen
und Erdanlagen ^). Die Kleinfunde allein wiegen so schwer, dass
wir nun nach langer Forschung und weiter Umschau behaupten
dürfen: sie gehören nur dem engern Flankenbereiche einer Römer-
linie an und erscheinen sie isolirt, so wächst über oder neben ihnen
unter der fortschreitenden Suche allmählich der Erdstrang ans.
Funde anderer Art bekunden anderweitigen Gebrauch vor oder
nach der Römerzeit.
Als äusserst willkommene Wegweiser leisten ihre Dienste
der Forschung wieder gewisse Haus-, Orts- oder Flurnamen*),
denn sie bezeichnen die Lage vorhandener oder vergangener Lang-
dämme und Erdwälle ganz zuverlässig, am häuiigstien und auf einer
Dammflucht am zahlreichsten die römischen Denkmäler dieser Art,
eben weil letztere entweder die längsten Linien oder die imposan*
testen Erdwerke ausmachten. Mit geringer Ausnahme gingen die
Namen mit andern Begriffen Verbindnngen ein allerdings oft so,
das» das eine oder andere Theilwort zumal in der platten Ueber-
lieferung einer vollständigen oder zweifellosen Deutung spottet.
Dahin gehören die früher bereits (S. 211) benutzten Namen Land*
1) Gasten Aliso S. 60, 135.
2) Vgl. über die ün Zuverlässigkeit des Ptolemäus W. Christ, Ge-
schichte der Griechischen Litteratur bis auf die Zeit JustiniaMS, 1889,
S. 506. Ortsbestimmungen nach Ptolemäus und den Annalen des Tacitus
bezüglich Urwestfalens versucht bekanntlich L. v. Ledebur, Das Land
und Volk der Bructerer (nebst 2 Karten) 1827, S. 320 ff., 306 ff. Es ist
ein Jammer zu sehen, wie der gelehrte und scharfsinnige Verfasser, so
gewandt er auch mit allen Handschrift-Matcrialen operirt, doch kaum
jenen Boden findet, den nur mehr die, damals noch fast ganz verkannten,
realen Quellen der Funde und Erdwerke schaffen konnten.
3) Wie der Eisenschub eines Stabes von der Lippebrücke bei Han-
sel zu Lippborg.
4) Bei Hülse nb eck a. a. 0. S. 93, 95 mit Karte.
5) Mehrere davon schon benutzt von F. W. Schmidt (1838/41) in
d. Westf . Zeitschr. 1859 S. 259 ff. von Hülsenbeck, Das Castell Aliso
8. 136, der auch die Zusammensetzung mit Castel (=:0a8tellum) anfoahm,
dann von Nordhof f, K.u, G. Penkm. d. Pr. Westfalen I 6 ff., II 7 ff.
Römiscbe Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 219
wehfy Rom, Römer (Römerweg; ^Römerg^, Röroerheide). Damm . . .
Wall . • . Hagen^ Heide( . . . nstrasse)^ Gar ; dazu kommen Heer
(Heres- . . . Hers . . . Hess . . ., Heerweg und wahrscheinlich dessen
Ablaut, Hellweg ^X König (Königsweg . . ., Königsberg mit dem
Lager bei Haltern), Postweg, Höchte- oder Heigte-Weg (von Cappel
zur Westenholter Mtthie) nnd an gewissen z. B.von einem Wege durch-
schnittenen Punkten der Linie Gat (Kat) Klinke *), Schling, Strick
(Hakstrick zu Wadersloh)/ endlich Baum, Bäumker (Bäumer, Baum-
höer), Schlater; denn oft sperrte später ein Baum den in einen
ZoUpass verwandelten Wegeeinschnitt und der Schlüter (Schliesser
oder der Bäumker) spielte den Baomhttter (Baumhöer). Aehnlich
wie Heide spricht das Wort Hun, Hflne^) Ar ein hohes Alter
des von ihm betroffenen Werkes. Den Namen Borg schliesslich
theilten nicht nur einheimische Ringwerke, wie jenes zu Kirch- und
Nordborchen, sondern auch römische Lager benachbarten Ortschaften
mit, 80 jene bei ,;Borken^' (vgl. oben S. 194), auf dem Heikenberge
bei „Bork'^ und bei Hnnsel zu „Lippborg^^ ^).
Dann und wann mögen dem Forscher neben den ttberliefbr-
ten Ortsnamen auch Volkstraditionen ^), naehdämmemde
Spukgestalten, selbst Prophezeihungen willkommene Winke
und Bestätigungen geben, insofern die letzteren widerwärtige Er-
innerungen an den Baa und die Benutzung der Römerwerke ver-
gegenwärtigen ^).
Stellen- und streckenweise macht sogar die Vegetation
1) Vorher S. 201 und von Peucker a. a. 0. III 207; andere Deu-
tungen bei N o r d h o f f , Kr. G. D. d. Pr. W. I 6.
2) Zusammensetzungen mit Schöär = Scharte scheinen gar nicht, mit
,,Sehei(=Scheide)mann" bis jetzt kaum an römischen, sondern nur an hei-
mischen Landwehren vorzukommen.
3) Hun = Schwellung, Höhe (vgl. Th. Lohmeyer in d. Verhand-
lungen des naturhistor. Vereins (Bonn) 1894. Verhandlungen 51 1, 46) an-
geblich bezeichnend bis zu Karls d. Qr. Zeit nach Schmidt, Bonner Jahrbb.
1845, VII, 122, 124.
4) Das Wort „Teufel" scheint ebensowenig wie „Var" im Sinne von
Vams den Denkmälern zuzukommen.
5) Ein schlagendes Beispiel bezüglich der Linie Merfelder Bmch
bis Warendorf in d. Westf. Zeitschr. 39 1, 149.
6) Z. B. bei H ü 1 s e n b e c k a. a. 0. S. 94, 95 und die Prophezei-
hungen ebenso im Paderborner GymnHsial-Programme 1878, S. 29. N o r d-
b off in der Westf, Zeitßchr. 39 I, 148.
220 Nordhoff und Westhoff:
den Wegweiser; denn abgesehen von beslimmteti Pflanzen, die man
wohl für Gefährtinnen der Römer angesprochen bat, entsprossen
der rerarbeiteten Dammerde leicht tippigere Gewächse, wie
einem dürren, müden Umlande und daher verräth noch hente ein
grüner grader Streifen in der Füchtorfer Heide den Lahf und ge-
wiss einigermaiiBsen auch die Breite eines eingeebneten Römer-
stranges.
Aach die Flora der alten Erddämme ist stellenweise der Um-
gegend gana fremd ( gewisse Pflanzen lieben ausserdem den rer-
arbeiteten Boden der Böschangen und folgen daher den Wallzttgen
meilenweit, so das Polypodinm Dryopteris und Pbegopteris von
Schapdetlen gen Osten bis in die BauerschaitMecklenbeck. Sie können
also an bestimmten Stellen leicht Wahrzeichen alter Dammzüge sein,
aneh wenn diese zerrissen oder gar vergangen sind.
Diese Kriterien gewähren der Forschung nicht nur einen
Prüfstein fllr ihre Errungenschaften, sondern auch eine wesentliche
Beihülfe in allen Stadien, insbesondere leiten die betreffenden
Ortsnamen und die Alterthümer leicht auf die Spur einer Linie,
und wo diese abbricht, helfen sie den Faden wieder aufhehmen
und weiterspinnen.
Wie sollen aber jene Alterthümer, welche den Inhalt der
Kriterien ausmachen, vor allem die Begleitnamen- und Funde sowie
ihre genauen Fundstellen zur Kunde und Ausbeute des For-
schers gelangen? Das ist in allen Haupttheilen, wie wir auch
bisher nicht anders voraussetzten, die mühsame, verantwort-
liche und wieder und wieder vergebliche Sache des Forschers
selbst gerade so, wie die wissenschaftliche Ausbeute auch. Da
unsere Wissenschaft erst eine Stufe erreicht hat, worauf ein kleiner
oder grosser Fund von Diesem so von Jenem wieder anders beur-
theilt werden kann, so hat der Forscher auch das, was etwa Orts-
k und ige, Schriften und Karten an Alterthumsftinden mittheilen,
an Ort und Stelle in Bezug auf Beschaffenheit und Lage nachzu-
prüfen, so lange über die Zuverlässigkeit der Mittheilung noch ein
Zweifel besteht, — und das gilt oft weniger von den schlichten
Berichten der Alterthumsfreunde, als von den lauten Behauptun-
gen laienhafter Schriftsteller.
Jedes Fundstück bedeutet eine Urkunde und ein Geschichts-
denkmal, und ist es einmal von Halbwissern oder Banausen völlig
verkannt, übergangen, falsch oder entstellt in die Oeffentlichkeit
Römische Landwebren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 221
geachleitderty so Terwirrt und venseitcht es^ wer weiss auf welche
Dauer^ die Wissenschaft und wenn es, wie heutigen Tages so sebneli
m beftlrchten, der Zerstöning^ Verstttnmieltng nnd dem Untergänge
anbeimfiiUt, bevor ihm eine volbtäBdige Aufnahme mid fachmätmische
BesehreibuDg angedieh, so ist der Schaden fllr die Wissenschaft
grösser, als wenn es ewig im Dunkel geblieben wäre^). In der
Wissenschaft ist nach Lessing „ein falscher Gmnd schlimmer als
gar kein Grund/ kann also der Laie wohl nützliche nnd noth-
wendige Handreichnng leisten — dartkber hinaus reicht sein Fo-
rum nicht*
Gewiss ist beim Sammein des Stoffes beständig Rüeksehäu
auf alle einschlägige Literatur, auf die antiquarischen Fundbe-
richte, Kataloge nnd die Etiketten der reichhaltigen sogar der priva-
ten Sammlungen und Ausstellnngen, anf die Jahresberichte der
Geschiebts- und Alterthums-Vereine, auf zutreffende Karten, auf
die nähere und entferntere Ortsliteratur, kurzum auf alle Ehruck- und
SehriftstOcke, welche sicher oder vermuth lieh Beiträge oder auch
nur Winke zur Kunde der fragliehen Alterthümer vasprecken. Auch
das ist mehr als eine Eintag»-Arbeit, indem sie sich selbst bei nicht
zu weit gesteckten Ortsgrenzen leicht auf eine kleine Bibliothek
erstreoken mag. Was Handschriften und Karten anbelangt,
so danken wir einem sehlichten gutsherrliohen Protokolle die erste
Notiz über eine völlig verschwundene Lippe-Laudwehi*, die nun
wohl in ganzer Ausdehnung aufgedeckt ist Ton den Karten
geben die ausgiebigste Ausbeute an WaUresten und Plui-namen viei-
leieht auch an Funden die i^liehen, die Sehlaebtenpläne der letzten
jAbrhufiderte, die Oeneralstab»- -und die Kataster-Karten. Die letz-
teren enthalten zwar gegentiber den nachweisbaren utid noch vor-
fiadlichen Dammwerkeh deren. vörkältnissmässig- nur ivenige, dafat-
entschädigen sie mit vielen ohaitahteristisehen Flnrtiamen, und er-
gänzen diesen oder jenen Mangel die (ursprünglichen) Handzeichnun-
gen. Reichhaltig sind in beiden Beziehungen, vornehmlich an
Dammwerken die Qeneralstabskarien r^ und hier vorab die mit
1) Das gilt.nicht bloss von den prähistoriachen, sondern ebenso sehr
von den archäologischen, historischen und künstlerischen Denkmälern
des Mittelalters und der Neuzeit; sind sie einmal der falschen Bearbei-
tung und dann der Vernichtung anheimgefallen, so wachsen sie dem
Historiker nicht wieder, wie dem Botaniker die Pflanze.
222 Nordhoff und Westhoff:
C. Fr. von MflfBing (vgl S. 204) bearbeiteten 22 Blätter des Gene-
rals K. L. von Leeocq aus dem Jahre 1805 ^).
Auf den französischen Schlachtplünen des siebenjährigen Krie-
ges endlich fignrirt offenbar ans militärischen Gründen wohl noch
die eine oder andere wncbtige „Landwehr^, die unserer Forechnng
zu Gute kommt.
Was nun die Mittheilnngen und Nachrichten von Alte r-
thamsfreunden und Ortskundigen anbelangt^ so sind dieselben
geradezu unentbehrlich und gehörig gesichtet und erprobt oft von ganz
weittragender Bedeutung^ obschon die Ortsansässigen in den selten-
sten Fällen einen Langwall weiter kennen, als sie ihn täglich sehen ;
es weiss doch der Einsiedler einer Heide über mancherlei Dinge
seines Gesichtskreises Auskunft zu ertheilen, die nie in eine Feder
gedrungen sind^ zumal in einer Wissenschaft, die noch zu wenig Ge-
meingut geworden. Und gerade wo es sich um verborgene Alter-
thümer beliebiger Art und eine langwierige Suche handelt, vermögen
aus diesem oder jenem Winkel die Forschung wesentlich zu be-
reichern jene Ein- und Anwohner, welche Lust und Liebe zur Sache
und gewisse Vorkenntnisse aus Schriften oder mündlichen Belehrungen
besitzen. Sie stehen ja zunächst einer bezüglichen Anfrage meist rathlos
oder gar betroffen gegenüber; wenn man sie dann mit Worten, Schriften,
bereits gewonnenen Fundbeispielen näher über die Gegenstände und
Endziele der Arbeit verständigt, oder auch eine einschlägige Wall-
strecke etwa mit Begleitalterthümem an Ort und Stelle, andernfalls
mit einem Kärtchen erläutert, so sparen sie dem Forscher leicht
und gern persönliche Anstrengungen und Ausgaben, indem sie den
einen gehaltvollen Berieht über Funde und Fnndkrilerien dem
andern folgen lassen oder gar ein&elne Entdeckungen mit alten Flur-
karten und neuen Photographien belegen. Ihnen geben zwar prä-
cise mit Erläuterungen versebene Fragebogen, welche nach allen
Richtungen des Forschungsgebietes vertheilt werden, die nächsten
Anhaltspunkte und tragen gehörig beantwortet dem Forseher aller-
hand Material zu: aber wie viele kehren ansgeftlllt zurück und
mit welchem Inhalt, wenn nicht die persönliche Ermunterung und
Unterweisung hinzukommt?
Nun gut: die dargelegte Methode der Auffindung und des
1) Vgl. P 0 1 e n in d. Allgemeinen deutschen Biographie 18, 108 —
22, 462 f.
Römische Landwehren, Strassen und Erd werke in Westfalen. 223
NacAwetees einer römiseben Strasse (und Landwehr) >) verlangt viel
mehr, als das Dünzelmann'sche Verfahren bethätigt, sie verbürgt
aber aneh zuverlässige und vollständige Resultate. Um dies zu
erproben und die Kernpunkte unserer Austtkbrungen zu belegen, ver-
folgen wir zuDfiSchlnsse die schöne Römeratrasse, die uns oben ge-
legentlich schon (S. 190) vom Rheine bis zum Merfelder Bruche
aufging nordwestlich von hier bis Wieden brück an die Ems.
Von dort gibt Schneider^) ihren Nordostlauf über Bielefeld und
Minden bis Hamburg, den Westlanf bis Mcrfeld jedoch regelmässig
ein oder mehrere km in südlicher Parallele neben der thatsäch-
liehen Linie.
Sie ist in den fruchtbaren Landstrichen meistentheils verwischt,
in verkehrslosen Sumpfstrecken offenbar später als Strasse befahren
oder verkommen und daher gerade in diesen Fluchten arm an Be-
gleitfunden und doch lässt sich ihre Linie noch sicher aufspüren.
Sie berührt keine Stadt, kaum ein Dorf nnd scheidet bei ihrer
Länge nur zwei Mal Gemeinden, obgleich sie deren ungefähr sechs-
zehn trifft — so unbekümmert nm alles Oertliche strebt sie ihrem
Ostziele zu. Ihr gerader Zug, ihre beschwerliche Anlage in Klei-
und Moorgebieten und einige stolze Dammreste machen es höchst
wahrscheinlich, dass sie als letztes und abkürzendes Glied ihrer
Gesammtlinie, wenn nicht überhaupt als letzter Römerbau anzu-
sehen ist
Sie geht an der Letter Klüse, deren Boden noch Römermün-
zen enthielt, in der Diagonale der von Schneider nndVeith (S. 187)
gemachten Irrzüge gerade nach Osten zunächst flach, dann merk-
lieb in Walltrümmeru, auf der Südflanke versehen mit den Funden
einer Steinwaffe, Urne und Römermünze bis zur Kreuzungsstelle
der Dortmund-Ensoheder Bahn; hier Hegen wieder Spuren der Wälle
1) Das ist also Sache unablässig ernster Anstrengung und hei dem
Mitreden so vieler Hülfswissenschaften lediglich Sache vielseitiger, gründ-
licher Durchbildung und langjähriger Uehung. Liehhaherei und Halb-
wisserei mögen ja leicht einen offenkundigen Fund anschreiben, ver-
messen und zeichneni aber das alles bedeutet, auch wenn noch soviel
Geld und Diiute vergeudet wird, keine wissenschaftliche Ausbeute,
keine feste Grundlage für eine richtige Weiterspekulation.
2) Die alten Heer- und Handelswege IX, 24, 25 mit Karte. Seine
daselbst IX, 24 nach anderweitiger Mittheilung gemachte Angabe, kann
sich nicht auf seine Linie beziehen, nämlich Nord hoff habe von Dülmen
aus die östliche Fortsetzung aufgefunden.
224 Nordhoff und West ho ff:
vor, womit sie einst im Norden von Dülmen als Glied der Stodt-
landwehr weiterging^ und bald darauf folgen in ihrer Ostflueht die
Nachbarbanerschaft „Deverhagen'^, weiterhin in Norduähe von Hid-
dingsel der Hof „Wallering", die Flurnamen „Langhegge'' und „üever-
hagen'^ Im SOden von ^Overhageu'' kommt sie mi^kurzem Damm
als Scheide der Gemeinden Senden und Lüdinghausen, später mit
Doppelwall als ^Langhegge^ am „Sehimmelbaum^, woran im Süd-
osten der Flucht das Haus „Wallbaum" ') schliesst, und mit einzel-
nen Sandhöhen im Nordosten von Ottmarsbocholt zum Vorscheine.
Nan V6rliei*t sich in der Ostflueht die offene Spur vor einem
ehemaligen Moorstriche der Davert; aber die vereteckte liegt jeden-
falls vor in der ersten Strecke eines breiten, jetzt stillen Weges,
der von Ottmarsbocholt in merkbarer Nordbiegung über einem
trockenen Erdsaume das weisse Venu und die grosse Wüste um-
geht. Im Osten passirte die Fortsetzung jedenfalls den ^Reh-
baum" im Süden, die „Ashegge" im Norden, dann erscheint in der
Flucht der Gesammtlinie ein Kilometer im Süden von Rinkerode
der ^Kuhlenbäumer", welcher hier einen Pass bewachte, daneben
ein langer Streifen Hochholzes, der schnurgerade südlich am Hause
Göttendorf vorbei ostwärts auf den 2 bis 3 Kilometer entfernten
Grenzwächter von Albersloh und Drensteinfnrt zeigt. Dies ist ein
plötzlich unter Strauchholz auf Lehmboden aufragendes breites Erd-
werk mit drei hohen und so schön gewölbten Wällen, wie sie nur
selten mehr den Forscher erfreuen. Es vergeht nur zu schnell
unter Culturen und Anbau. Doch bald spielt wieder ein „Wall-
haus", dann ein ,, Bäumer" den Verräther und mitten durch die
Gemeinde Sendenborst streicht als ^Landwehr" und ^Hagen" wieder
kühn das Dampiw.erk fort, und dass in solcher Länge, wie uns a«f
dieser Linie noch nicht begegnet ist. Die Nachbarschaft vertreten
zudem im Norden ein „Hagenholt", im Süden ein „Hagenkamp",
die Fundstätte eines römischen Geräths und endlieh wieder ein
„Wallbaum". Weiterhin tritt in einem gesegneten Erdreiche eine
lange Pause ein und erst 2 km im Osten des Beckumer Bahnhofes
erscheint zu Oelde auf dem „hohen Hagen" die ^Romerstraote" als
Dammwerk mit der Seitenflnr „Morgenhagen" und dem Hofe „Bäumer"
1) Die beiden Bäume bezeichnen ungefähr die Einmünduugsstelle
einer mächtigen Dammstrasse, die von Südwesten aufzog.
komische Landwehren, Strassen und Erdwerke in Westfalen. 22&
und dann weiset die Flucht dareh den Süden von Oelde neben
Römermttnzen vorbei auf den „Hangbäumker", dann zwischen ürnen-
funden hindurch über „Klesinanns Bauin" auf St. Vit. Hier mündet
sie in den breiten und geraden Landweg von Stromberg nach Wie-
denbrüek. Dieser erweist sich nicht undeutlicli als ein zerstörte«
oder vieiraehr zerfahrenes Theilstück des alten „HcUweges" von
Hamm über Beckum zur Bielefelder Schlucht ; es ist ausgezeichnet
durch die Lager von Steinwaifen auf beiden Seiten und durch den
Fund einer Römermünze auf der Südflanke.
Jahrb. d. Ver. v. Älterths^r. \m febelnl. )CCVl 16
6. Das Piium.
Von
0. Dahm, Oberstlieutenaiit a. D.
Hierzu Tafel VIII und IX.
Noch vor vierzig Jahren war die Construction des Pilums,
der vielgenannten NationalwaflFe der Römer, völlig unbekannt.
W. Rttstow, der geistreiche Verfasser von „Heerwesen und Krieg-
fahrung Caesars" hatte im Jahre 1855 in diesem Werke, nach miss-
verstandenen Angaben des Polybios und ohne die weiteren üeber-
lieferungen durch andere Schriftsteller und durch Monumente zu
Fig. 1.
beachten, eine wahrhaft ungeheuerliche Reconstruction dieser Waffe
veröffentlicht (S. vorstehende Fig.). Dieselbe bestand aus eineml332 mm
langen, 74 mm starken, vierkantigen, unten spitzen Schaft, mit dem
ein gleich langer, am oberen Ende zugespitzter Eisenstab in der
Weise verbunden war, dass man letzteren bis zur Hafte seiner Länge
in eine entsprechende Nute des Holzes einlegte und mit zwei Nägeln
befestigte.
War diese Constructit)n schon aus technischen Gründen —
und zwar wegen unzweckmässiger Anordnung der Spitze und fehler-
has Pilum. 227
hafter Schweii^nnktslage — tinwahrscheinlich, so war sie geradezu
unmöglich, weil ein derartiges, etwa 8 kg schweres, unhandliches,
„balkenartiges Geschoss", wie es von Linden seh mit treflfend
bezeichnet wird, ftir den Feldkrieg völlig ungeeignet war. Aber
Rüstow galt mit Recht als Autorität auf dem Gebiet des antiken
Militärwesens, und so ist es erklärlich, dass seine übereilte Recon-
stniction nicht nur in zahlreiche Lehrbücher etc. aufgenommen wurde
und deshalb noch heute in den Köpfen mancher Laien spukt, son-
dern dass dieselbe damals auch in Forecherkreiscn fast allgemeine
Zustimmung fand. Das Verdienst, diesen Irrthnm aufgeklärt und
gleichzeitig die Grundlage zu einer in den Hauptsachen richtigen
Reconstruction des Pilnms gelegt zu haben, gebdhrt in erster Linie
Lindenschmit*) und Koechly*), sodann dem Kaiser Napoleon IIT,
und zwar den erstgenannten durcli Auffindung der ersten Pila und
rationelle Sichtung des bezüglichen Forschungsmaterials, dem letz-
teren durch die von ihm veranlassten Ausgrabungen zu Alise Sainte-
Reine — dem alten Alesia — , die insofern von hervorragender
Wichtigkeit waren, als durch dieselben eine Anzahl Pila verschiede-
ner Constmetion zu Tage gefördert wurde, von denen der Zeit-
punkt ihres Gebrauches in der römischen Armee genau bekannt ist.
Durch Koechly und Lindensehmit wurde nicht nur dieCon-
struction des Pilnms in den wesentlichsten Punkten festgestellt, son-
dern auch die schwierige Frage der historischen Entwicklung dieser
WaflTe einer eingebenden Untersuchung unterzogen. Wenn es nicht
gelang, letztere wenigstens zu einem vorläufigen Abschluss zu brin-
gen, so ist dies in der Hauptsache dem Umstände zuzuschreiben,
dass die Ueberliefenmg, so verhältnissmässig reich dieselbe in die-
sem Falle auch ist, dennoch recht fühlbare Lücken aufweist, so
namentlich für die Zeit vom Ende des zweiten bis zum Ende
des vierten Jahrhunderts n. Chr.
Zur Ausfüllung dieser Lücken beizutragen, ist nun der Zweck
der vorliegenden Arbeit, die veranlasst wurde durch die im Herbste
1) a) Die vaterländischen Alterthümer der fürstlich hohenzollcrn-
sehen Sammlung zu Sigmaringen, b) Alterthümer unserer heidnischen
Vorzeit, c) Tracht und Bewaffnung des römischen Heeres während «ler
Kaiserzeit von L. Lindensehmit.
2) Koechly, Verhandlungen der 21. Philologen -Versammlung zu
Augsburg 1862 und der 24. Philologen-Versammhmg zu Heidelberg 1865.
ä28 0. t)ahmi
Y. J. erfolgte Auffindung eines eigenartig construirten Pilnms itt
dem 5 km nördlich von Ems gelegenen Limescastell Arzbach-Angst,
eines Pilums, welches, wie aus den Fundumständen *) mit Sicher-
heit geschlossen werden kann, um die Mitte des dritten Jahrhun-
derts n. Chr. bei der Besatzung dieses Castells im Gebrauch war.
Um den Fund an entsprechender Stelle in die Entwickelnngs-
geschichte dieser Waffe einzureihen, ist es nnerlässlich, letztere im
Zusammenhange zu behandeln, wobei sich dann gleichzeitig die will-
kommene Gelegenheit bieten wird, einzelne nicht völlig einwand-
freie, bisher unwidersprochen gebliebene Ansichten der mehrgenann-
ten Forscher einer näheren Besprechung zu unterziehen.
Die Geschichte des Pilums gliedert sich in 5 Zeitabschnitte:
L Die Pila des Polybios. Mitte des vierten bis in die
zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr.
Sallust lässt Caesar den Ausspruch thun, dass die Römer ihre
Bewaffnung von den Samnitem übernommen haben. Das mag zu-
treffend sein, sicher aber befand sich unter diesen Waffen nicht
das Pilum, obgleich Dionysius von Halikarnass in seiner Urgeschichte
der Römer (V, 46) erzählt, dass im Kriege mit den Sabinem —
503 V. Chr. — in einer Nacht die neben den Zelten in der Erde
steckenden römischen Wurfspiesse an den Spitzen kleine Flamm-
chen ausstrahlten, und dann ausdrücklich hinzugefügt:
„Es sind dies Wurfgeschosse der Römer, welche sie vor
^Beginn des Handgemenges schleudern, lange, handaosftlUeude
^Schafte mit wenigstens 3 Fuss (== 887 mm) langen eisernen
„Spitzen, die an dem einen Ende (des Schaftes nämlich) gerade
„heransstehen, Wurfspiessen von mittlerer Länge gleich."
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Dionys, der nicht Sach-
verständiger war und zur Regierungszeit des Kaisers Augustas, also
1) Das Pilum ^nirde am 18. September 1894 in dem eingeMscherten
östlichen Thurm der porta praetoria des Castells gefunden. £s lag in-
mitten zahlreicher anderer Fundstücke (Theile eines Geschütees, diverse
Beschläge; ganze und zertrümmerte ThongefHsse etc.) in einer starken,
Völlig unberührt geliehenen Brandschuttschicht und ist — bis auf eine
starke Verbiegung der Klinge ~ so wohlerhalten, dass nicht nur die
Construction, sondern auch die Abmessungen mit hinreichender Genauig*
keit festgestellt werden konnten.
Das Pilum. 229
ein halbes JahrtanBend nach den Sabinerkriegen schrieb, sich mit
dieser Erläuterung im Irrthum befand, denn nach Appian war das
Pilum sogar 150 Jahre später noch nicht in die römische Armee
eingeführt. Dieser Schriftsteller berichtet nämlich in seiner römisch-
keltischen Geschichte über den im Jahre 358 v. Chr. mit den Bo-
jern geführten Krieg,
,,da8s der Diktator Cajus Sulpicius sich, wie man en&ählt, folgen-
„der Kriegslist bedient habe: er befahl den im ersten Gliede
„Aufgestellten die Wurfspiesse alle zugleich zu werfen und dann
„schleunigst niederzufallen, bis das zweite, dritte und vierte Glied
„geworfen habe. Sobald dieses geschehen, sollten auch diese so-
„gleich niederfallen, damit sie nicht von den Spiessen der hinter
„ihnen Stehenden getroffen würden. Wenn endlich die Hin-
„terstcn geworfen hätten, so sollten alle zugleich aufspringen
„und mit Geschrei zum Handgemenge stürzen. So werde der
„Feind durch das Werfen so vieler Spiesse und den darauf fol-
„genden raschen Angriff in Bestürzung gebracht werden.
„Diese Wurfspiesse waren nicht ganz dasselbe, was die
„Schlenderlanzen waren, welche die Römer Pila nennen und
„welche halb ans einem viereckigen Schaft, halb aus gleichfalls
„viereckigem und, mit Ausnahme der Spitze, weichem Eisen be-
„stehen.
„So wurde in diesem Gefechte das ganze Heer der Bojer
„von den Römern aufgerieben.^
Aus diesem klaren Bericht ist mit Sicherheit zn schliessen,
dass Dionys an der angefahrten Stelle nicht den Wurfspiess be-
schreibt, welcher im Jahre 503 v. Chr. bei den Römern im Ge-
brauch war, sondern das Pilum seiner Zeit, also des ersten
Jahrhunderts v. Chr. — ebenso wie Appian das Pilum be-
schreibt, welches ihm aus eigener Anschauung bekannt war und
in dem unschwer die cäsarische Constiiiction zu erkennen ist, auf
die wir noch ausführlich zurückkommen. Appian schrieb zur Zeit
Hadrian's und des Antoninus Pius; aus seiner Erzählung geht also
die, wie wir sehen werden, auch durch andere Umstände beglau-
bigte Thatsache hervor, dass das cäsarische Pilum um die
Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. in der römi-
schen Armee noch im Gebrauch war.
Aber auch in anderer Hinsicht ist dieser Bericht von Wich-
tigkeit Appian bezeichnet die Angriffsweise, dass zuerst Pilum-
230 0. Dahm:
Salven abgegeben und daini so Bcbnell wie möglich zum Hand-
gemenge übergegangen wurde, als eine Kriegslist; das Verfahren, wel-
che^ später reglenientarisch wurde und die volle Wirkung des Pilumfi
in der Schlacht erst zur Geltung brachte, war also im Jahre 358
V. Chr. noch ein Ausnahmeverfahren. Es ist dies ein wichtiger
Fingerzeig für das Studium der Entwickelung der römischen Taktik
im Allgemeinen und des Pilums im Besondern, denn es ist einleuch-
tend, dass man nach den überaus günstigen Erfahrungen, die man
im Kampfe gegen die Bojer mit diesem Strategem gemacht hatte,
nunmehr darauf bedacht war, letzteres weiter zu erproben und zu
entwickeln. Zu diesem Zweck aber mussten in erster Linie die
Wurfspiesssalven mögliehst wirksam gemacht werden, was nur da-
durch geschehen konnte, dass man die bisherige, für diese specielle
Aufgabe nicht besonders construirte Waffe entsprechend änderte;
es liegt also nahe, dass die erwähnten Kämpfe den ersten Anstoss
zu einer durchgreifenden Verbesserung des Wurfspiesses gaben.
Mit den Fortschritten im Wafifenwesen geht es aber, wie die Er-
fahrung lehrt, für gewöhnlich recht langsam. Die Armbrust war
länger als 2 Jahrtausende fast ausschliesslich als Kleingewehr im
Gebrauch, ohne dass dieselbe eine erhebliche Verbesserung in ihrer
Wirkung erfuhr. Ebenso langsam entwickelten sich auch das antike
Geschtttzwesen und die modernen Feuerwaffen; die Wurfmaschinen
der Alten sind im Laufe eines Jahrtausends kaum nennenswerth
vervollkommnet worden und das Schiesspnlver hat Jahrhunderte hin-
durch nahezu die gleiche Beschaffenheit gehabt, die es noch vor
wenigen Jahren hatte.
Man wird deshalb kaum fehlgreifen, wenn man annimmt, dass
auch das Pilum eine lange Entwickelungsperiode durchmachte, be-
vor es diejenige Vollkommenheit erreichte, in der es uns überliefert
und, besonders von Caesar, in seiner verherenden Wirkung vor
Augen geführt wird. Aus diesem Grunde erscheint jeder Versuch,
einen bestimmten Zeitpunkt fUr die Einführung des Pilums in die
römische Armee zu ermitteln, aussichtslos und die von Koechly ver-
tretene Ansicht, dass der Krieg mit Pyrrhus, in welchem die Römer
zum ersten Mal der mit Handwaffen unangreifbaren makedonischen
Phalanx gegenüberstanden, diese eigenartige Waffe gezeitigt habe,
dürfte zum mindesten als gewagt zu bezeichnen sein, wenngleich
nicht in Abrede gestellt werden kann, dass gerade die misslichen
Erfahrungen bei Heraclea und Asculum geeignet waren, in inten-
Das Pilum. 231
siver Weise förclerud auf die weitere Verbesserung der damaligen
Wurfspiesse einzuwirken.
Die ältesten und zugleich wichtigsten Nachrichten über das
Pilum stammen von Polybios, der um die Mitte des zweiten Jahr-
hunderts V. Chr. Folgendes schrieb:
^Hierzu (nämlich zu den vorher aufgeführten Ausrüstungs-
„stücken des Legionars) kommen zwei Pileu, ein Helm und Bein-
„schienen von Erz. Von den Pilen sind die einen stark, die
„andern schwächer. Von den stärkeren haben die runden einen
„Durchmesser, die viereckigen eine Seite von 4 Daktylen
„(= 74 mm). Die schwächeren gleichen massigen Jagdspiessen
„und diese tragen sie neben den vorerwähnten. Von allen diesen
„hat der Schaft eine Länge von 3 Ellen (= 1332 mm). An jedem
„ist eine eiserne Spitze mit Widerhaken befestigt, welche gleiche
„Länge mit dem Schaft hat. Die Angel und die Zwinge der-
„selben befestigen sie so stark, indem sie den Schaft bis zur
„Mitte hineinstecken und mit vielen eisernen Bändern und Nieten
„versehen, so dass die Verbindung in der Zwinge nicht eher
„nachlässt, als bis das Eisen zerhauen wird, obwohl die Stärke
„des Spiesses an der Stelle, wo Schaft und Spitze zusammengefügt
„sind, nur IV« Daktylen (= 28 nmi) beträgt*). So viel Fürsorge
„venvendcn sie auf diesen Theil der Lanze."
Als Polybios diese Stelle niederschrieb, dachte er sicherlich
nicht an die Möglichkeit, dass dieselbe einst so ausgelegt werden
könnte, wie sie thatsächlich ausgelegt worden ist, insbesondere dass
man das von ihm beschriebene schwere Pilum jemals für das Feld-
pilum der römischen Armee halten würde. Wie bereits oben be-
merkt wurde, ist diese Interpretation durch Lindenschmit und
Koechly beseitigt worden und zwar in völliger üebereinstimmung
so gründlich beseitigt, dass es überflüssig erscheint, hier nochmals
näher darauf zurückzukommen. In Üebereinstimmung sind die
genannten Forscher auch darin, dass das leichte Pilum des Poly-
bios das Feldpilum der damaligen Armee war; auseinandergehend
aber sind ihre Ansichten betreffs der Unterbringung des schweren
1) Für die nachfolgenden Ausführungen ist es gleichgiltig, ob die
freie Uebersctzung dieser überaus schwierigen Stelle des Polybios völlig
smtreffend ist, oder nicht; die Hauptsachen — auf die es hier allein an-
kommt — sind nicht anders zu verstehen.
232 0. D a h m :
Pilums in der römischen Röstkanimer, eine Aufgabe, die um so
schwieriger ist, als von keinem andern Schriftsteller ein solches
oder ähnliches Ausrüstungsstück erwähnt wird. Während Lind cn-
schmit den von vorneherein zweifelhaften Weg der Emendation ein-
schlägt, hält Koechly an den von Polybios überlieferten Abmessun-
gen des schweren Pilums fest und erklärt letzteres für diejenige
Waffe, welche ausschliesslich bei der Vertheidigung befestigter Posi-
tionen, inbesondere des seit den Samniterkriegen reglementarisch
gewordenen Feldlagers, Venvendung fand. Vollkommen mit Recht
führt er diese Ansicht auf die Thatsache zurück, dass zur Zeit der
Samniterkriege ausschliesslich die Triarier, d. h. die aus den älte-
sten Jahrgängen formirte und in erster Linie zur Vertheidigung
des Lagers bestimmte Legionsrcserve, mit dem Piluni ausgerüstet
waren, wodurch die ui-sprüngliche Bestinjmung dieser Waffe ange-
zeigt und deren Schwere begründet sei ; ausserdem weist er darauf
hin, dass diese Annahme durch die eigentliche Bedeutung des Wor-
tes „pilum" unterstützt werde, womit man den mannshohen, schwe-
ren, hölzernen, mit Eisen beschlagenen Stämpfel bezeichnete, mit
dem man Getreide, Steine oder dergl. zermalmte — also ein Werk-
zeug, das lebhaft an die in Rede stehende Waffe erinnere.
So logisch diese Beweisfiihrung Koechly's ist, so wenig be-
gründet ist andererseits seine weitere Folgerung, dass, nachdem die
Römer das schwere Pilum des Polybios von den Samnitern übernommen
hätten, aus diesem dann, in Folge der Kämpfe mit Pyrrhus, das
leichte Pilum hervorgegangen sei. Wir meinen, die Vorgänge,
welche der Entstehung der beiden Pilumconstructionen zu Grunde
lagen, seien leicht zu erkennen. Es wurde bereits ei-wähnt, dass der
Krieg mit den Bojern im Jahre 358 v. Chr. besonders geeignet war, die
Aufmerksamkeit der Römer auf die Verbesserung ihres Wurfspiesses
zu lenken. Nichts liegt nun aus rein technischen Gründen näher, als
dass man, um letzteren fQr die Abgabe von Salven möglichst wirksam
zu gestalten, die Klinge möglichst eindringungsiUhig, also möglichst
dünn und lang machte, und es steht der Annahme nichts entgegen,
dass schon zur Zeit der Samniterkriege der alte Wurfspiess zum
Theil durch eine pilumähnliche Waffe ersetzt war. Dass um diese
Zeit bereits wesentlichen Neuerungen in der Construction und Ver-
wendung der Wurfspiesse eingetreten waren, bezeugt übrigens Livius
(VIII, 8)^ der bei Beschreibung^ der in diesen Kriegen zuerst auf-
Das Pilum. 233
tretenden Manipnlarlegionen erwähnt, dass die Leichtbewaffneten
der Hastati, also vernnithlich diejenige Truppenabtheilnng, welche
die erste Piluinsalve auf den Feind abzugeben hatte, mit Hasta und
Gaesum (dem langen, schweren Wurfspiess der Gallier) ausgerüstet
und dass die Principes, bei denen für gewöhnlich die Entscheidung
der Schlacht lag, mit „vorzugsweise ausgezeichneten Waffen** ver-
sehen waren; ausserdem berichtet dieser Schriftsteller an anderer
Stelle (IX, 19) bei einer Betrachtung die er darüber anstellt, wie
sich die Dinge gestaltet haben würden, wenn Alexander der Grosse
nach der Eroberung Asiens Italien angegriffen hätte: „Zu Waffen
„hatten jene (die Truppen Alexanders) den Rundschild und die
„Lanze, die Römer den langen, den Körper vollständiger decken-
„den Schild und das im Stoss und Wurf ungleich stärker als die
„Lanze wirkende Pilum" *) — wobei sicherlich nicht an das
schwere Pilum zu denken ist, welches damals — wie bereits be-
merkt — nur die Triarier fährten, sondern an einen pilumähnlichen
Wurfspiess der Hastati und Principes.
Je mehr Fortschritte nun die Römer in ihren Erorberungs-
kriegen machten und je weiter sie ihre Macht ausdehnten, um so
mehr traten naturgemäss die Kämpfe um befestigte Positionen und
feste Plätze in den Vordergrand und um so dringender musste sich
nothwendigerweise das Bedürfniss nach einer entsprechenden Aus-
rüstung für den Angriff und die Vertheidigung solcher Befestigun-
gen fühlbar machen. Da nun aber zur Zeit der Samniterkriege die
Römer nachweislich noch nicht mit dem Geschützwesen vertraut
waren, so ist es vollkommen erklärlich, dass man diesem Bedürf-
niss entsprechend, als das Nächstliegende einen möglichst schweren
Wurfspiess construirte, der, vom Wallgang, von der Mauer oder
von einem Thurm geworfen, im stände war, die Deckungen der an-
rückenden Sturmkolonnen zu durchschlagen — und diesen
Wurfspiess nannte man dann „Pilum", nach des Wortes
ursprünglicher Bedeutung. Dass man der Construction dieser Waffe
den Wurfspiess der Feldtruppen zu Grunde legte und dass auf
1) Man hat aus dieser Stelle gefolgert, dass das Pilura nicht ledig-
lich Wurfspiess gewesen sei, sondern auch als Stosslanzo gedient habe.
Auch diese irrthümliche Ansicht ist durch K o e c h 1 y und Linden-
s eh mit gänzlich abgethan, wenngleich nicht die Möglichkeit in Abrede
gestellt werden kann, dass zu Alexander d. Gr. Zeiten diese Waflfe noch
für beide Zwecke gebraucht wurde.
234 Ö. Dahni:
dieseu dann bald auch die Benenunug Pilum übertragen wurde, ist
wohl ebenso natürlich, wie die durch Polybios constatirte Tliat-
sache, dass die Legionen zu jener Zeit beide Pila mit ins Feld
führten.
Was nun die Construction dieser Waffen anbetrifft, so ist die-
selbe nach der Beschreibung dieses Schriftstellers in den Haupt-
sachen völlig klar (siehe Tafel VIII u. IX). Beide Pila sind voll-
kommen gleich bis auf die Stärke des Schaftes, welche bei dem
schweren Pilum 74 mm betrug, für das leichte zwar nicht ange-
geben ist, aber nach dem oben angeführten Bericht des Dionys und
und besonders nach den weiter unten noch zu erwähnenden Funden
mit Sicherheit auf 27 — 32 mm festgesetzt werden kann. Die ganze
Länge der Waffe betrug rund 2 m, wovon ^s ^.uf die schlanke,
eiserne, mit Widerhaken versehene Spitze, */g auf den runden oder
viereckigen Schaft entfielen. Dass die Spitze in der Längsachse
der Waffe lag, war aus technischen Gründen Erforderniss.
Weniger ausführlich beschrieben, weil von untergeordneter
Bedeutung, sind die Details der Verbindung von Eisen und Schaft;
soviel aber geht aus den betreffenden Angaben hervor, dajss diese
Verbindung, die sich bis zur halben Länge des Schaftes erstreckte,
überaus fest und sorgiUltig durch Zwinge sowie zahlreiche Bänder
und Niete hergestellt war und dass an der Stelle, wo Eisen und
Holz zusammenstiessen, der Durchmesser des letzteren 28 mm be-
tinig, woraus gefolgert werden muss, dass man den Schaft des
schweren Pilums durch Zuspitzen an seinem oberen Ende auf die
Schaftstärke des leichten Pilums gebracht hatte.
IL Das Verschwinden des schweren Pilums aus der
Armee und die Erleichterung des Feldpilums. Ende
des zweiten Jahrhunderts v. Chr.
Seit Polybios hat dann das Pilum naturgemäss verschiedene
Constructionsänderungen erfahren, über die wir — wenigstens für
einen Zeitraum von 3 Jahrhunderten — ziemlieh genau unter-
richtet sind, und es ist besonders interessant, die deutlich erkenn-
baren historischen und technischen GiUnde zu verfolgen, welche
diese Aenderungen veranlassten.
Da« Pilam. 235
Zunächst berichtet Plutarch (Mar. 25) luit Bezug auf die
Cimberaschhicht Folgendes :
„Für jene Schlacht soll Marina zuerst die bekannte Aende-
^rung mit den Pilen vorgenomuieu haben: bisher war nämlich der
^in das Eisen eingeschobene Theil des Schaftes durch zwei eiserne
„Niete befestigt gewesen; jetzt aber Hess Marius nur den einen
„Niet, wie er war, den andern aber Hess er entfernen und statt
„desselben einen leicht zerbrechlichen hölzernen Nagel einschla-
„gen in der Absicht, dass das in den feindlichen Schild cinge-
„drungene Pilum nicht in gerader Richtung stecken blieb, son-
„deni dass dann vielmehr der hölzerne Nagel zerbrach, auf diese
„Weise das Eisen mit dem Schaft einen Winkel bildete und so
„das Pilum, durch die Verbiegung der Spitze festgehalten, nach-
„geschleppt werden musste.^
Aus diesem Bericht geht hervor, dass man in dem kurzen
Zeitraum von Polybios bis zur Cimbemschlacht bereits eine erheb-
liche Erleichterung des Pilums vorgenommen hatte, denn von der
Zwinge und den zahlreichen Bändern und Nieten, mit denen man
früher die feste Verbindung zwischen Eisen und Holz hergestellt
hatte, waren nur noch 2 Nägel tlbrig geblieben; dementsprechend
musste auch die Angel verkttrat worden sein, die frtlher bis zur
halben Länge des Schaftes reichte. Die Gründe für diese Erleichterung
der Waffe liegen auf der Hand. Mit dem ersten punisehen Kriege
waren die Römer in den Kampf um die Weltherrschaft eingetreten
und fast ohne Unterbrechung wurden von ihnen in den nächsten
Jahrhunderten gewaltige Erobeningskriege nahezu auf dem ganzen
damals bekannten Erdkreis geführt. Die enormen Strapazen, welche
diese Feldzüge mit sich brachten, mnssten naturgemäss zu einer
möglichsten Erleichterung der Truppenausrüstung führen und so
wurde denn auch an den Waffen alles üebcrHüssige fortgelassen,
wozu in erster Linie die unnöthig schweren Beschläge der Pila ge-
hörten. Aus der gleichen Veranlassung verechwand damals ohne
Zweifel das schwere Pilum gänzlich aus der Armee; dasselbe war
überdies entbehrlich geworden, nachdem man in jener Zeit von den
Griechen die Geschütze übernommen und sehr bald im weitesten
Umfange zur Anwendung gebracht hatte*). So ist es denn auch
1) K o e c h i y \md R ü s t o w , Griechische Kriegsschriftsteller,
I, S. 189.
236 O. D a h m :
vollkommen erklärlich, dass wir seit Polybios nur noch einmal von
einer Waffe hören, die an das schwere Piluni desselben erinnert, und
zwar von Caesar (b. G. V, 40 und VII, 82), der dieselbe unter der
Benennung pilum murale in besonderen Fällen eigens f)tr die Yer-
theidigung befestigter Positionen im Felde anfertigen Hess.
III. Das Pilum des Marius. Ca. 100 v. Chr.
Die von Plutarch beschriebene Aenderung des Pilums durch
Marius hatte einen doppelten Zweck: einmal sollte der Gegner am
Gebrauch des Schildes behindert werden dadurch, dass das in letz-
teren eingedrungene und durch das Brechen des Holznagels in
einem Winkel geknickte Pilum nachgeschleift wurde, und ausser-
dem wollte man die Waffe nach dem Wurf vorübergehend unbrauch-
bar machen um zu verhindern, dass der weniger gut bewaifnete
Feind dieselbe aufnahm und gegen den Angreifer richtete. Diese
Absicht wurde jedoch zweifellos nur unvollkommen erreicht, denn
die abgeänderte Construction war technisch zu primitiv, um auch
nnr mit annähernder Sicherheit in der erwünschten Weise zu func-
tioniren. Sollte der hölzerne Nagel in jedem Falle brechen, so
musste man vor allen Dingen daftlr sorgen, dass die Kraft des
Stosses auf diesen allein und nicht gleichzeitig auf den eisernen
Niet wirkte, der widerstandsfähig genug war, um eine gleichzeitige
Beanspruchung des Holznagels über dessen Elastizitätsgrenze aus-
zusehliessen. Brechend wirkte bei dem in Rede stehenden Me-
chanismus nnr die verhältnissmässig geringe Schwere des Schaftes
und diese auch nur dann, wenn im Moment des Eindringens der
Waffe in den feindlichen Schild der Holznagel sich in horizontaler
Lage befand *, in den zahlreichen Fällen, in denen dieser eine andere
Stellung einnahm, versagte der Mechanismus, üeberdies aber war
diese Einrichtung auch insofeni wenig zweckmässig, als der ge-
brochene Holznagel ziemlich schwer aus dem Schaft zu entfernen,
die gebrauchsfähige Wiederherstellung der Waffe also umständlich
und zeitraubend war ^).
1) Koechly (Verhandlungen der 24. Philologen- Versammlung zu
Heidelberg 1866, pag. 204) glaubt das marianische Piium dahin vervoll-
ständigen zu sollen, dass er den Kopf des Schaftes pyramidenförmig zu-
t>as Piiam. 23^7
IV. Das eäsarische Piluni. Mitte des ersten Jahr-
hnnderts v. bis etwa Anfang des dritten Jahr-
hnndertsn. Chr.
Schon die technischen Mängel des marianischen Pilnms legen
die Vermuthnng nahe, dass dasselbe sich nicht lange in der Armee
halten konnte, und in der That war letztere kaum ein halbes Jahr-
hundert später mit einer WaflFe ausgerüstet, bei der die vorerwähnten
spitzt und auf denselben eine entsprechende lose Zwinge setzt, die beim
Wurf von selbst abfallen soll. Der Zweck dieser Einrichtung ist nicht
einzusehen. Noch weniger verständlich ist eine zweite Construction, die
darin bestobt, dass das Pilumeisen unten mit einer geschlitzten, conischen
Tülle versehen ist, die durch lose aufgezogene Ringe anf dem Schaft
festgehalten wird. Die Ringe sollen sich gleichfalls beim Wurf lösen und
die Verbindung zwischen Eisen und Schaft auflieben. Abgesehen daton,
dass letzteres niemals beabsichtigt gewesen sein kann, da durch eine
völlige Trennung von Eisen und Schaft nach dem Eindringen der Waffe
in den feindlichen Schild ein sehr wesentlicher Vortheil des Pilums -— die
Behinderung des Gegners im Gebrauch seines Schildes — verloren ge-
gangen wäre, so sind auch derartige loseTheile, wie sie die der Koech ly-
schen Abhandlung beigegebene Zeichnung veranschaulicht, bei Waffen
überhaupt nicht anwendbar, da sie erfahrungsmässig verloren gehen. Es
soll dabei keineswegs die Möglichkeit in Abrede gestellt werden, dass
ein derartiges Pilum bei den Römern thatsächlich im Gebrauch war;
in diesem Falle aber hatten die über die Tülle ge-
zogenen Ringe gerade den entgegengesetzten Zweck,
nämlich den, eine möglichst feste, und nicht — wie
Koechly annimmt — eine möglichst lockere Verbin-
dung von Eisen utid Schaft herzustellen. Tüllen mit ge-
schlossenen Wandungen, die über einen Stiel gezogen und mittelst eines
durchgehenden Nagels befestigt werden, lockern sich bekanntlich leicht
in Folge Eintrocknen des Holzes ; ist aber die Tülle geschlitzt und durch
Ringe auf dem Schaft befestigt, so erhält man eine ausserordentlich
starke Verbindung, die Überdies beim Schwinden des Holzes mit Leich-
tigkeit durch Auftreiben der Ringe auf den Conus beliebig nachgespannt
werden kann. Eine solche durchaus zweckmässige Befestigung wurde
bekanntlich bei den Angonen der Franken angewendet und wir neigen
sogar der Ansicht zu, dass die Germanen diese Waffe zur Zeit der Ala-
mannenkriege direkt von den Römern übernahmen und dass dieselbe bei
letzteren im zweiten Jahrhundert n. Chr. aus einem Pilum hervorgegan«
gen ist, wie es uns durch den Grabstein des C. V a 1. P r i s c u s zu
Wiesbaden und durch den Fund von H o f h e im überliefert ist, die weiter
unten noch besonders erwähnt werden.
iSS 0. Ö a h ni :
Zwecke in viel eiDfacherer Weise und mit möglichster Vollkommen-
heit dadurch erreicht wurden, dass man die Klinge aus weichem
Eisen schmiedete und nur die Spitze härtete. Drang ein solches
Pilum in den feindlichen Schild, so verbog sich in Folge der
Schwere des niedersinkenden Schaftes die Klinge und konnte diese
— wie praktisch ausgeftlhrte Versuche ergaben — nur mit grosser
Kraftanstrengung und unter erheblichem Zeitaufwand wieder von
dem Schild getrennt werden. Selbstverständlich musste man nun-
niehr, um das Verbiegen der Klinge zu sichern, die lockere maria-
nische Verbindung zwischen Eisen und Schaft aufgeben und man
kehrte, unter Festhaltung des Prinzips der möglichsten Erleichte-
rung, wieder zu der bereits erprobten solideren Verbindung des
Polybios mittelst Angel, Zwinge und Niete zurück, wodurch man
gleichzeitig den weiteren Vortheil erreichte, dass ein Abschlagen
der .Waffe von dem feindlichen Schild mit dem Schwerte unmög-
lich gemacht wurde.
Mit dieser Construetion — der cäsarischen — erreichte das
Pilum seinen Höhepunkt.
Caesar beschreibt diese Verbesserung zwar nicht, sie ist uns
aber hinlänglich bekannt durch die oben angeführten Angaben von
Dionys und Appian, vor allen Dingen aber durch die Funde von
Alise Sainte-Reiue, die auf Veranlassung des Kaisers Napoleon III.
durch seinen Ordonnanz-OflSzier Verchfere de Reffye, unter Beigabe
von Photographieen publizirt worden sind ^).
Bekanntlich fand man in dem Terrain, wo Caesar die Con-
travallation gegen die Festung Alesia anlegte, und zwar auf der
Sohle eines Grabens, der vermuthlich während der Belagerung mit
Wasser gefüllt wurde, eine grosse Anzahl Waffen jeder Art, darunter
auch viele Pila. Letztere waren zwar durch Rost stark angegriffen,
aber immerhin noch so wohlerhalten, dass eine vollständige Recon-
strnction derselben möglich war. Die normalen Klingen der Pila
liatten eine Länge von durchschnittlich 80 — 90 cm und waren
theils rund, theils viereckig mit Brechung der Kanten am oberen
Ende; die Spitzen Ovaren harpunenartig (mit 4 Widerhaken) oder
pyramidal gestaltet. Ausserdem aber fand sich eine Anzahl Klin-
gen von völlig abweichender Form vor, die Verchfere de Reffye
1^ Les armes d'AIise. Noticc avec photographies et gravures sür
bois par M. Verchere de Reffye.
t)a8 Pilum.
23d
zwar nebenher erwähnt, aber merkwürdiger Weise nicht besonders
bespricht. Es sind dies nämlich solche, die erheblich, zuweilen um
die Hälfte kürzer sind, als die vorigen, raid deren oberes Ende
nadeiförmig oder flach herzförmig zugespitzt ist, in keinem Fall
aber — nnd das ist besonders hervorzuheben — die erwähnte pyra-
midale oder harpunenartige Form aufweist. Schon die Photogra-
phieen lassen mit Sicherheit erkennen, dass wir in diesen Exem-
plaren Klingen vor uns haben, die im Felde gebrochen und dann
mit den vorhandenen Mitteln nothdttrftig reparirt worden sind ; die-
selben sind also hinsichtlich ihrer Länge und der Form der Spitze
abnormal und deshalb in diesen Beziehungen für die Reconstruction
der cäsarischen WaflFe auszuscheiden.
Ebenso verschiedenartig, wie die Klingen, war auch die Ver-
bindung zwischen Eisen und Holz; es konnten in den Hauptsachen
folgende 3 Befestigungsmanieren unterschieden werden:
I
11
Figur 2.
a) Das Eisen lief unten in eine etwa 15 cm lange Angel aus,
die in der Querrichtung behufs Aufnahme eines Nietes durchbohrt
war. Das obere Ende des Schaftes umschloss eine Zwinge, die
letzterem entsprechend entweder viereckig oder rund gestaltet war ;
die innern Durchmesser der Zwingen (und somit auch die Stärken
240 0. D a h m i
der Schafte) differirten xwischen 27 und 32 mm. Die Hirnfläche
am oberen Schaftende bedeckte eine mnde bez. viereckige eiserne
KopfplattCy die für die Klinge dnrchlocht war und den Zweck hatte,
letztere in ihrer centralen Stellung festzuhalten.
b) Das Eisen war unten zu einer flachen 28 mm breiten Zunge
ausgeschmiedet, die mit zwei Durchbohrungen versehen war, in
denen je ein Niet steckte, der an jedem Ende mit einem grossen
runden Kopf versehen war. Die Niete waren 28 mm lang. Dieser
Construction entsprechend musste der Schaft an seinem oberen Ende
quadratischen Querschnitt haben; sein Durchmesser ist durch die
angegebene Breite der Zunge bez. Auseinandcrstellung der Nietköpfe
bestimmt.
c) Das Eisen endete unten mit einer conischen Tülle, in die
das entsprechend zugespitzte Ende des Schaftes eingetrieben wurde.
Die Befestigung des Schaftes in der Tülle erfolgte durch einen Niet.
Auf den ersten Blick muss es aufl^allen, dass in dem Caesari-
schen Heer eine so weitgehende Verschiedenheit nicht nur in den
Abmessungen, sondern sogar in der Construction dieser wichtigsten
Waflfe der Armee vorhanden war; es erklärt sich dies jedoch in
einfachster Weise, wenn mau den damaligen Verhältnissen Rech-
nung trägt.
Die Wirkung des Pilums war in erster Linie von der physi-
schen Kraft des Soldaten abhängig und es ist einleuchtend, dass
eine volle Ausnutzung dieser Waffe nur dann möglieh war, wenn
man Körperkraft und Schwere der Waffe in Uebereinstimmung brachte.
War die Bewaffnung unifoim und etwa der Durchschnittskrafl des
Soldaten angepasst, so ging bei Abgabe der Salven ein grosser Theil
des möglichen maximalen Gesammteffects verloren, denn in der
Hand des schwächeren Mannes war die Waffe nahezu wirkungslos,
während der stärkere eine erheblich grössere Pereussionskraft mit
einer entsprechend schwereren Waffe erzielen konnte. Die Funde
von Alesia beweisen also, dass die correcten Römer den Vortheil
zu schätzen wussten, den sie dadurch erreichten, dass sie jedem
Manne ein seiner Muskelkraft entsprechendes Pilum Übergaben, wo-
durch gleichzeitig auch dicThatsache begreiflich wird, dass man
in den Museen bis jetzt keine Pila vorfindet, die
sich in jeder Beziehung vollkommen gleichen.
Was weiter die Vei*schiedenheiten in der Verbindung von
Eisen und Schaft anbetrifft, so sind auch diese leicht ku erklären.
t>a8 Piiiini. 241
Im Felde ist der Verbraaob an Waffen ein überaus grosser^ und die
natttrliehe Folge davon ist^ dass in langen Kriegsperioden oft auf
die ältesten^Bestände zurückgegriffen Ti^erden muss. So ist es heute
und so war es im Alterthnm. Es ist deshalb nicht zu verwundern,
dass man in den Retranohements von Alesia neben den vor Kur-
zem aus der Werkstatt hervorgegangenen Pilen auch solche fand,
die viele Jahre hindurch in den Magazinen gelagert hatten und zu
diesen gehörten offenbar die vorstehend anter b anfgefitfarten Exem-
plare, bei denen man unschwer die zu Marius' Zeiten im Gebrauch
gewesene und von Plntarch beschriebene Construction wieder-
erkennt.
Die Befestigung ad c, d. h. solche mittelst conisober Tülle, war
flOr die dainalige Zeit abnorm^, denn dieselbe kam bei dtn Fuaden von
Alesia nur bei Waffen mit verkürzter, nadelfOrmiger
Klinge vor. Ans diesem Umstände darf wohl gefolgert werden, dass
die betreffenden Pila eilig während des Feldzages hergestellt wurden,
was um so wahrscheinlicher ist^ als dieselben in dieser einfachen
Form aus jedem Eisenstück mit den einfachsten Mitteln auch von
ungeübten Haadwerkera gefertigt wei-den konnten.
Die ad a angegebene Befestigiingsmanier war demmach für die
damalige Zeit der oisarischeu Construction eigenthündicb. Fassen
wir nunmehr die charakteristischen Merkmale dieser Oonstructioa
zusammen, so waren diese: genügende Länge der KlmgQ, um Schild
and Sehildtl'äger zu durchbohren, starre Verbindung von Eisen und
Schaft, weich geschmiedete Klinge mit gehärteter Spitze. Was die
Gestalt der letzteren anbetrifft, so mussten die bisher gebräuchlichen
Widerhaken aufgegeben werden, weil derartijg' unregel-
mässig geformte Körper sich nicht gut härten
lassen. Anscheinend verauchte man es deshalb zunächst mit der
unter den Funden von Alesia vorhandenen, harpunenartig mit vier
Widerhaken versehenen Spitze, die offenbar den üebergang zu der
vierkantigen, pyramidalen Form bildete, die leicht zu härten war
und später au^cbliesslich angewendet wurde. Die pyrami-
dale Spitze kennzeichnet also die cäsarisohe Con-
struction.
Dass dieses caesarische Pilum (s. die beigefügte Zusammenstellung
auf Taf. VIII) in allen wesentlichen Theilen unverändert während
der erst^en zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit im Gebrauch war, geht
^hrb. d. Ver. v. Alterthsfr. Im Rhelnl XOVI. 16
2i2 0. DaKm!
mit Sicherheit nicht nar ans der obenangeftthrten Ueberlieferan^
des Appian hervor, sondern wird aach durch eahlreieh« Funde,
tbeils von WaiFen selbst, theils von plastischen Darstellungen der-
selben, bewiesen. So fand man %. ß. im Rhein bei Mainz zwei
wohlerhaltene Pila, die, bis auf eine geringe Gonicit&t der Zwinge
und Verbreiterung der Angel, genau den Funden voö Alise Sainte-
Reine ents^^rechen. Ebenso erkennt man diese Construction mit
Bestimmtheit auf zwei Qrabsteinen des Bonner Museums wieder, von
denen einer den Soldaten Q. Pe t i 1 i u s der Leg.. XV Pr. diarstellt, die
in der Zeit von 43 — 70 n. Ohr. am Niederrüein stand; Wenn diese
und andere Darstellungen auf Monumenten erhebliche Abweiebun-
gen in den Längen- und Stärkedimensioncn zeigen^ so !ist< darauf
selbslverständliich kein Gewicht bu lege», da es dem Bildbaner in
erster Linie auf eine künstlerische Auffassung und auf zweckmässige
Ausnutzung des gegebenen Raumes, weniger auf eine teehnisch ge-
nau richtige Wiedergabe der Waffe ankam«
Dm die Wende des ersten Jahrhundorts sohennt man dann
eine allerdings nebensächliche Aenderung des Pilnuis insofern vor-
genommen zu haben, als man die sorgdame polybiaiiidahe Verbin-
dung von Eisen und Schaft aufgab und dafür die einfacheve Be-
festigung ihittekt Ttllie einführte. Bin6> solche Btfestigung, und.
s^ar mitteilet einer oonisch geformten TttUe, zeigt der Grabstein
des Soldaten 0. Valerius Crispus zu Wiesbaden von der 8^ Le-
gion, die ^m Jahre 70 n. Chr« an den Rhein kam ^). Ferner fand
1) Der Bildhauer hat^ um seinem Crispus ein möglichst martiali-
sches Aussehen zu geben, mit künstlerischer Licenz das Pilum desselben
mit einer anverhältnissmässig starken Klinge resp. Tülle ausgestattet
Llndenschmit reconstruirt au» dieser Darstellung das von ihm viel-
gesuchte, schwere Pilum des Polybios, indem er den eisermeti Tbeil der
Waffe soweit verkürzt, das« i^us der Tülle eine ^stäropfdartige** Verstär-
kung des. Sehaftes entsteht^ die. er nun mit dem bez. Text dieses Schrift*
stellers in üebereinstimmung zu bringen sucht. (Vgl. Tracht und Bewaff-
nung des rbmisciien Heeres während der Kaiserzeit von Ludwig Llnden-
schmit S; 12 ff. und Taf. IV.) Könnte auch ohne Weiteres die Möglich-
keit zugegeben werden, dass man in der Nähe des Schwerpunktes der
Wam (vielleicht anstatt des Amentunis) einen kleinen Kna.u^ anbrachte,
um das schnelle £rgreifen des Pilums an richtiger Stelle zu ^ichei-n, der
Hand beim Wurf eine zweckmässige Anlehnung zu bieten oder das' Tra-
gen der Waffe während des Marsches zu erleichtem, so ist der Zweck
einer derartigen Verstärkung im Schaft, wie sie die Lindensehmit'sche
baB Pilum. ^
man in einem Canal des GasteUs Hof hei» im Taanis ein
Piliim mit 874 mm langer Klinge, vrelcheB onten in eine 186 mm
lange, yiereokig pyramidale TuUe endigte, die mit einer entspre-
chenden Dnrchbohrnng. stur Aufnahme eines Nieies versehen war.
Diese Waffe kann frühestens zu A^f^^g ^^ zweiten Jabrtton-
derts n. Chr. an den angegebenen Fundort gelangt sein, da das
Castell Hofheim^ obgleich eines der ältesten auf rechtsrheinischem
Ufer, vermuthlich erst Ende des ersten Jahrhunderts n. Chr. in
Mauerwerk aasgeba^t wurde. ,
V. Die Uebergangszeit zum Spicnlum. Drittes und
viertes Jahrh,undert n.-Chr»
Wie lange das cäsarische Pilum nach Antoninus Pius noch
im Gebrauch war und ob resp. welche Acnderungen dasselbe weiter
erfuhr, wissen; wir nicht, denn fUr die nächsten zwei Jahrhunderte
fehlte bis jetzt überhaupt jede Ueberlieferung. dieser Waffe. Erst
am Ende des vierten Jahrhunderts n. Cbn berichtet Vegeüos in
seiner Epitoma rei miUitaris (L 20):
„Von den Waffen der Alten:'
„Die Wmrftpiesse, mit denen das Fnsäheer ausgerOstet' war, Pilä
„genannt, bentanden aus einem fetnen, dreikantigen, 9 Zoll bis
Aecenstmction vorauflselztv völlig unerfindliob. Daas eine solelie Ver^
Stärkung in dQr Xh(^t nicht Yprhanden, war« bo)¥eist der Fund von Hof-
heim; überträe^t Qian dieses im Ganzen 1060 mm . lange Pilttmeisen auf
die genannte Beconstruction, so würde man eine WafTe von nicht weni-
ger als 8*/9m Länge erhaltenratoä eriit^ solche, die für den Wurf gänzlich
vngeeignel'war^.
Ebensq unpiotivirt 8in4< in ißji ZeicbuTingen der Oxabm^^ntimente
römischer Soldaten diePila des letzteren am unteren Ende oft mit spitzen,
eisernen Schuhen verschen. Solche Schuhe sind weder auf den Monu-
menten selbst angedeutet, noch sonst irgendwie nachzuweisen; dieseli)en
wären Überdies hS^chst tmzweckmäsMg gewesen, da siä b^m Gebraudh des
Pilüms die Mannachaftea der> rückwältigen Glieder gefährdet hätten.
/ Es. ist beda|ierU0b, wdpfijif^fier i^nd. immer wieder selbst eitfahrepe
und verdienatvelle Forscher sich verleiten lasspn, Fundstäcke mit ganz
willkürlichen Zuthaten zu versehen; man sollte für derartige Bepro-
ductionen ausschliesslich die Photographie anwenden und' es jedem Über*
hissen, sich delb^t dn' Bild von etwa vorzunehmenden Ergänzungen tu
ooMtcben.
ä44 O. bahm-
„1 Fugß (222 bis 296 mm) laB^en Eisen, \Telehc» naeh dein Eia-
^drtiigeii in den Schild nicht lesgerissen werden konnte und b^i
^geschicktem «nd kräftigen Wurf leicht den Flanatir durehdrang;
^eioe- Waffe, dfe bei uns schon sehr selten ist" —
mid'An anderer Stelle (II. 15):
„Wie die Legionen in Schlachtordnung' aiifzustelleil sind:
„Die Schwerbewaffneten hatten'' (ausser den vorhör aufge-
führten Waffön etc.) „zwei Wurfspiesse, einen grösseren mit drei-
„eckigem Eisen von 9 Zoll (222 mm) Länge und 5V2Füs9(1627mm)
„langem Schaft, damals Pilum, jetzt Spiculum genannt, dessen
„Wurf die Soldaten vorzugsweise übten und der, mit Geschick
„und Kraft 'geschlieudert, • oft sowohl Schild' tind Mann, als auch
„den gepanzerten Reiter durchbohrte ; efneri kleineren, mit einem
: „Eisen von 5 Zoll (123 mm) und einem, Schaft \m 3*/, Fuss
„(935 mm) Länge, früher Vericulum, j^tzt Verutum genannt"
Vegetlus ist bekanirtlicli aJs Quelle ziemlieh unbrauchbar
baaptsächlieh deswegen, weil 6f mit OonÄequenz die verschiedenen
Perioden ton der safeenhafteÄ Voraeit bis auf sein Zeitalter duneb-
einandei-wirft; das aber geht mit* voller Siehierbeit aus de^i ange-
führten Stellen hervor, dass am Ende des Tteiien Jahrhunderts n.
Qbi. das Piliua r— auch' dem Namen nabh ^^ «hs den vöraisDhen
Heei^ verschwunden war und einer wahrhaft klftglicbeH Waffe Platz
gemacht hatte, denn eine einfache Messung ergibt, dass die Klinge
des S^enlnms, selbst wenn dieselbe vollstllndig in den feindlichen
SelliM eindrang, kaum den Körper des Gegncrä erreichte, gc-
schwteige denn im stände war, diesen tu durchbohrend
Weiter darf aus den Ausfithrangen des Vc^etius wohl gefol-
gert werden, dass zu seiner Zeit diese Waffe bereits eine längere
Oeschichte Mtiter sieh hatte, dehn rttan kommt 'beim Lesen dieses
Schriftstellers fast auf den Gedanken, dass ihm selbst das cäsarisehe
Pilum nicht mehr bekannt war, da er weder dieses noch die älte-
ren Co^structionen erwähnt, vielmeju: ansdi'üeklicb dep 9 Zoll bis
1 Foss langen Spiess als das Pilum „der Atten^^ bezieii&hndt Und
mit dieser Polgierung steht itu* Einklang der Pftnd von Arz-
bach-Augst, der eitiiges Licht in die völlig duiikele Zeit des dritten
Jahrhunderts n. Chr. bringt uiid die ttberraschende Thatsache con-
$|atirt, das^ bereits um die Mitte dies^ Jahrhundert» eine spiculumr
ähnliche Waffe im Gebrauch war (siehe Taf. IX), Man war bei
Das Pilum. 245
derselben dem Fände von Hof beim gegenüber, welcher wohl daii
jttngste der aufgefundenen Pilen repräsentirt ^\ mit d^ Linge der
Klinge von 874 auf 190 mm und mit der Länge des ganzen Eisend
von 1060 auf 290 mm zarflckgegangen; das Gewicht des letzteren
beträgt nnr 145 g. Die cäsarische Constraction hatte man völlig
aufgegeben und war wieder za dem marianischen Prinzip (mit dem
Holznagel) znrückgekefart; wobei man allerdings die oben angefahrten
Fehler des letzteren in geschickter Weise vermieden hatte. Man
erreichte dies folgendermasso«: Das viereckige^ am oberen Ende
abgernndete mid mit zwei kleinen Widerhaken viersebeBe Eisen
endete unten mit einer Gabel, die Aber den vierkantigen Kopf des
Schaftes mit Spielraum so übergriff, dass die Mittelachse der Klinge
und des Schaftes eine gerade Linie bildeten. Der eiseriie Niet (s),
der die unlösliche Yerbindniig zwischen Eisen und Schaft herstoUte,
ging durch die beiden Enden der Gabel und das Hohs, durch letz*
teres aber nicht unmittelbar; sondern durch eine eiserne Bohre (r)^
die an entsprechender Stelle in den Schaft eingelassen uiid mit
diesem durch Kitten sorg^ltig und fest verbunden war. In dieser
Röhre hat der 5 mm starke Niet einen Spielraum von 5 mm; letz*
terer entsprach genau der Stärke des Holznagels (n), der nicht,
wie bei der marianischen Constmction^ Eisen und Holz durchdrang^
sondern durch das Loch eines flachen quadratischen Ansatzes (p)
an der KKnge und das coincidtrende Loch eines Hebels (x) ge*
steckt wurdC; dessen unteres Ende mit dem Schaft verbunden war.
War diese Verbindung von Klinge und Hebel mit-
telst des h ölzernen N agels hergestellt, das Pilum
also zum Wurf fertig, so lag der eiserne Niet (s) an
der Innenfläche der Röhre (r) und zwar oben nach
der Spitze zu fest an; die ganze Wucht des Stosises beim Auf ^
treffen der Waffe auf das Ziel wurde also zunächst von d^n hölzernen
l)Lindensc hm i t berichtet (Die Alterthtlmer unserer heidnischen
Vorzeit. 8. Heft. VI. 3) über einen Pilumfand iin Limescastell Orlen; ein
s<^cher würde mit dem Funde von Hofh^m hinsiehtlich des Alters con-
GUrriren. Der MuseumsverwaUung vou Wiesbaden, woselbBt das be-
treffende Pilum niedergelegt sein sol?, ist indess von einem solchen
Foiide nichts bekannt; wohl aber befindet sich in der dortigen fränki-
schen Abthellnng einAngon, der genau der von Lindenschmit gegebenen
Zeichnung des Pilums von Orien entspricht. Deninaoh darf wohl ange-
nonmieii weifden, dasB obige Angabe auf einem Irrthuin beruht» .
246 0. D a h in :
Nagel (n) allein aufgeftmgen, und erat nachdem dieser zerbrochen
war; Yon dem eisernen Niet (s), der in der Röhre soviel Spielraum
hatte, dass die Elasticitätsgrenze des Holznagels in jedem Falle
ttbersehritten werden miisste.
Um das rechtsoeitige Brechen dieses Nagels noch mehr zu
sichern, hatte man ausserdem dem Loche, durch das dereelbe ge-
steckt wurde, nicht eine runde, sondern eine halbkreisförmige Form
gegeben und zwar so, dass beim Wurf die geradlinige Seite des
Loches gewissermaseen schneidend auf den Nagel wirkte.
Wie der Hebel (x) beschaffen war, der den Holznagel auf-
nahm, ist aus dem aufgefundenen Eisen nicht ereichtlich; sicher ist
nur, dass er am oberen Ende einen Schlitz hatte, in den der qua-
dratische Ansatz (p) der Pilumklinge genau passte und dass er an
diesem Ende, dem Loch in dem genannten Ansatz entsprechend,
durchbohrt war. Auch darf angenommen werden, dass derselbe
aus Eisen, und nicht aus Holz gefertigt war, weil es behufs Siche-
rung des Brechens des Holznagels auf ein genaues Coincidiren der
Nageilöcher ankam, was bei Holz, in Folge leichter Abnutzung des-
selben, nicht zu erreichen war; überdies wurde bei Anwendung
von Eisen der Ersatz des Nagels dadurch erheblich erleichtert,
dass derselbe nach dem Brechen von selbst aus dem Loch herausfiel.
Die Untersuchung des Fundstttckes mittelst der Feile hat nicht
erkennen lassen, dass die Spitze härter war, als der übrige Theil
der Klinge, wie dies für die marianische Construetion sowie bei
Anwendung von Widerhaken auch als selbstverständlich vorauszu-
setzen war.
Was den Schaft anbetrifft, so ist die Stärke des oberen qua-
dratischen Theils desselben genau bestimmt durch die Länge der
erwähnten eisernen Röhre, welche 36 mm beträgt; im Hinblick
auf diesen verhältnissmässig grossen Durohmesser darf angenommen
werden, dass der quadratische Querschnitt sehr bald in einen run-
den überging und dass nach unten zu eine starke Verjüngung vor-
handen war. Ein eiserner Ring von 23 mm innerem Durehmesser,
welcher ganz nahe beim Pilum gefunden wurde, konnte sehr wohl
der Beschlag des unteren Endes der Waffe gewesen sein*), womit
1) Die Schwei8S8tel]e des Ringes hat sich durch die Einwirkung der
Hitze beim Niederbrennen des Turmes gelöst und auseinandergebogen;
der Durchmesser desselben erscheint deshalb auf der Zeichnung viel zu
gross, auch ist der Schaft an dieser Stelle irrthümiich au stark dargestellt
Das Pilum. 347
aber kehieswegs die Nothwendigkeit eines solcben Beschlages be-
hauptet werden soll um so weniger^ als dieser Bing eben so gut
auch anderweitigen Zwecken gedient haben konnte.
Der Fund von Ar/bach-Augst illustrirt in lebhafter Weise die
Klage des Vegetius, dass die Soldaten jener Zeit sich gegen die
bisherige schwere Ausrüstung auflehnten, indem derselbe uns eine
Waffe vorführt, die kaum noch an die klassische Nationalwaffe er-
innert, mit der die Römer einst die Welt eroberten. Welche Zucht-
losigkeit und Gorruption mnss damals alle Kreise des Staates durch-
drungen haben, welcher Geist muss in der Armee vorhanden ge-
wesen sein, wenn es möglich war, das» man angesichts der an
allen Grenzen des Reiches rüttelnden Feinde eine durch Jahrhun-
derte erprobte WaflFe aufgab und dafür ein Spielzeug einführte —
denn anderes ist der Fund von Ai-zbach-Augst nicht zu benennen;
wahrlieh — wäre der rapide Verfall der Kräfte des Reiches nicht
aus der Geschichte jener Zeit herauszulesen, so könnte man ihn
aus dieser Wafle folgern. Mit Recht kann man hier sagen: quippe
ita se res habet, ut plerumquc cujus fortunam mutaturus est deus,
consilia corrnmpat efficiatque, quod miserrimnm est, ut, quod acci-
dit, etiam merito accedisse Wdeatur et casus in culpam transeat —
und die gefahrlichsten Gegner Roms — die Germanen — wussten
sich dies zu nutze zu machen nicht am wenigsten dadurch, dass
sie die fallengelassene Waffe aufnahmen und gegen ihre früheren
Meister kehrten; es erstand aus dem Pilum der Angon ^), und in den
1) Angonen wurden in erheblicher Anzahl und zum Theil in schönen
Exemplaren in sogen. Frank engräbem gefunden; ausserdem beschreibt
dieselben Agathias (II, 5) wie folgt:
„Es sind die Agonen nicht sehr kurze, aber auch nicht gar zu
„lange Spiesse^ sondern in eiiiem Verhältniss, dass sie, wenn nöthig,
„eben so gut geworfen, als im Handgemenge zum Stosse verwendet
„werden; der grösste Theil von ihnen ist ringsum von Eisen eiuge-
„schlossen, so dass vom Holze nur ganz wenig nnd kaum der ganze
„Schuh sichtbar ist, oben aber um das Ende der Lanze ragen von bei-
„den Seiten gekrümmte Spitzen und zwar aus der Lanzenspitze selbst
„hervor, welche wie Angelhaken umgebogen sind und nach unten hin
„stehen. Es wirft nun der fränkische Krieger im Kampfe den Angon;
„trifft er einen Körper, so dringt die Spitze natürlich tief ein, und
„weder der Verwundete selbst noch ein Anderer kann den Spiess leicht
„herausziehen, denn die Widerhaken hindern es, welche tief im Fleisch
„haften und heftige Schmerzen verursachen, so dass der Feind, wenn
248 0. D a h m : Das Pilum.
Händen unserer Vorfahren trat die Waffe zum zweiten Mal ihren
weiten Siegeszug an.
„er auch nicht gerade eine tödtliche Wunde empfangen hat» doch daran
„zu Grunde gehen muss; ist aber der Angon in einen Schild gefahren,
„80 hängt er an demselben herab und muss mit dem Schilde herum-
„bewegt werden, indem das noch übrige Ende auf dem Boden nachge-
„schleift wird; der Getroffene aber kann diesen Spless weder heraus-
„ziehen wegen der eingedrungenen Widerhaken, noch mit dem Schwerdte
„durchhauen, weil er das Holz nicht erreicht, sondern das Eisen es
„rings umgibt. Sieht aber dieses der Franke, so springt er rasch zu,
„tritt mit dem Fuss auf den Schuh des Spiesses und zieht durch diese
„Belastung den Schild herab, so dass die Hand des Trägers nachgiebt
„und dadurch Kopf und Brust entblösst wird.^
Die Angabe, dass der Schaft der Angonen zum grossten Theii mit
Eisen beschlagen war, ist augenscheinlich übertrieben, denn — soviel uns
bekannt — hat man bis jetzt in keinem Grabe solche Beschlagstücke ge-
funden.
1
7. Beiträge zur Alterthumskunde des Niederrheins.
Von
Max Siebonrg.
Hierzu Taf. X.
I. Weihestein ans Nieukerk, Kreis Geldern.
CIRh. 2032 = B. J. XLI S. 178 gebe ich gestützt auf Ab-
klatsch; Abschrift und wiederholte Revision in berichtigter Lesung;
auch glaube ich zu der Erklärung und Ergänzung des bedeutsamen
Denkmals etwas beitragen zu können. Das Wesentliche der inter-
essanten Fundgeschichte steht jetzt bei Clemen^ Kunstdenkmäler
der RheinprovinZ; I. Band; II. Kreis Geldern S. 57 ff., beruhend
auf dem Schriftchen des verstorbenen Herrn Geometers B u y x in
Nieukerk: Auffindung eines römischen Yotiv- Altars in der St. Dio-
nisius-Kirche zu Nieukerk. (Druck von L. N. Schaffrath in Gel-
dern. 12 S. 12^.) Dasselbe ist nur ein Auszug aus einer hand-
schriftlichen Geschichte der Nieukerker Kirche, die, von demselben
Herrn Buyx verfasst und mit schönen Zeichnungen; Plänen und
Karten geschmückt; jetzt im Besitze der Wwe. Buyx ist und von
mir in Nieukerk eingesehen wurde.
Gefunden wurde der Stein anfangs der sechsziger Jahre bei
dem Erweiterungsbau der schönen; auffallend grossen gothischen
Kirche. Als man die beiden Seitenschiffe nach Osten verlängerte,
wurden zwei romanische Absiden ausgegraben; in der südlichen
(in Clements Grundriss S. 59 mit b bezeichnet) fand man beim
Abbruch des Altartisches innerhalb desselben noch den der früheren
^ romanischen Kirche erhalten. Er war, wie Buyx S. 7 schreibt;
* kastenförmig aus Tuffsteinen ausgeführt und das Innere mit Kiesel
und Mörtel ausgefbllt; nur an einer Seite vertrat unser Votivstein
250
Max Siebourg:
die Tuffsteine, der Art aber, dass die Inschrift nach innen gekehrt
äusserlich nicht sichtbar war und der Stein nnr als Baumaterial
war benutzt worden'. Buyx hat ihn abgezeichnet; die an der
Spitze der erwähnten handschriftlichen Geschichte der Kirche ste-
hende Zeichnung habe ich copirt. Darnach war es ein Weihestein
mit Basis, links und oben fast ganz, unten zum Theil abgebrochen,
rechts bis auf das obere Ende wohl erhalten. B. J. XLI S. 178
werden als Maasse, wohl nach Rein's Mittheihmgen, angegeben
Höhe 3^3^' (= 1,014m), Breite 2^2^^ (=0,676 m), Dicke 1' (== 0,314m).
Später wurde der Stein auf Veranlassung von Buyx in der süd-
lich an den Thurm der Kirche angebauten Kapelle in die Thnrmwand
eingemauert; dort ist er jetzt in einer Nische zu sehen. Grösse
des Steines so weit sichtbar 59x85 cm, der Nische 66X987« cm;
die Grösse der Buchstaben steht auf der hier folgenden Zeichnung
neben den Zeilen.
J.
A^ ftV'
coMM^DhANJTC N
4<e
I N Wp^
uG^A
- S L M 1
v^^
^/i-
OfOK
Hierzu bemerke ich im Einzelnen Folgendes:
Z. 1 ist das erste Zeichen wohl Rest eines L, nicht E wegen
der Länge der Querhasta im Vergleich zu den E Z. 8. Nach
Beiträge zur Alterthumskunde des NiederrheiDS. 251
dem V folgt ein 1^ der Querstrich ist Verletzung. Beim ersten An*
blick dachte ich I longa zu sehen, doch das ist Irrthum; dagegen
spricht auch das weitere Fehlen der I longa. Der im CIRh. und
in den B. J. nun folgende Punkt steht nicht auf dem Stein, auch
ist vor dem S kein besonderer Abstand. Es folgt ein klares I und
etwas weiter als gewöhnlich entfeiiit ein S; doch ist der grosse Ab-
stand im CIRh. und in den B. J. unrichtig und irrcftthi*end.
Z. 2 von P nur noch der Bogen erhalten ; die Zeichnung von
Buyx, auf dessen Lesung in minutiis kein Verlass ist^ hat das P
noch ganz.
Z. 3 sind die Buchstaben des ersten Namens ausgehauen bis
auf das I. Doch sind auf dem Abklatsch noch zwei M, ein D und
dazwischen Spuren eines kleinen 0 sichtbar.
Z. 4 vor dem G noch ein kleiner Rest des V erhalten; CIRh.
und B. J. lassen ihn falsch von links nach rechts laufen. Nach Q
deutlicher Punkt, der im CIRh. und B. J. fehlt. Nach P 1 1 sind
wieder etwa 6 Buchstaben ansradirt, doch ist der letzte mit ziem-
licher Sicherheit ein T gewesen, auf das ein Punkt folgt. Ich lege
keinen Werth darauf, dassBuyx das T vollständig hat. Nach den
nun kommenden, in späterer christlicher Zeit quer eingehauenen 3
Buchstaben, von denen das I z. B. die charakteristische Verjüngung
in der Mitte hat, folgt ein Zeichen, das ich nicht f&r ein römisches
I, sondern für die Bezeichnung der christliche Abkürzung STJ I ^
sancti halte; an den Rest eines H ist nicht zu denken. Vgl.
auch S. 7.
Z. 5 ist von dem G im Anfang, welches CIRh., B. J. und
Buyx haben, jetzt nichts mehr zu sehen; dagegen stehen deutliche
Punkte vor und nach I, nach N und dem letzten Zeichen, das sicher
ein F ist.
Zwischen Z. 5 und 7, etwa in der Mitte des Steines ein 0,06 m
tiefes, fast quadratisches Loch, das als aepulcrum rdiquiarum gedient
hat. Links davor in Z. 6 P, von der geraden hasta ist nur die
untere Hälfte erhalten; rechts daneben der Rest der Querhasta
eines T.
Z. 8 und 9 nach G jedesmal deutlicher Punkt.
unter Z. 9 schienen Herrn Prof. Zangemeister, dem ich
einen Abklatsch zugeschickt hatte, noch Spuren einer weiteren Zeile
in kleinerer Schrift dazustehen. Eine von mir daraufhin vorge-
nommene Revision ergab, dass es sich da nur um zufällige Ver
262 Max Siebourg:
letzungen des Steins handelt und nach Z. 9 niehts mehr gestan*
den bat.
Was nnn die Erklärung der Inschrift anbetrifft^ so haben wir
augenscheinlich in Z. 2, 3^ 4 die im Genetivus stehenden Namen des
Kaisers Commodns Im] pieratoris) Caesiarü). M. Au[r\ [Co\fnmodi.
Ant(m{ini) \ [Au]g(u8ti). Pii [Fel{icis)]. Nach der Ermordnng des
Tyrannen wurde auf Scnatsbeschluss sein Name an vielen Orten ge-
tilgt ^), allerdings bald darauf auf Veranlassung des Septimius Seve-
rus vielfach wiederhergestellt^). Das ist hier nicht der Fall, viel-
mehr hat man hier Commodus und Felix getilgt, wie CIL. XIV 2947^
Imp, Caes !!!!!! \ II! Antoninus \ Aug. Pius !!!I!\ Germ. Sarm. Brut.
Da der Kaisername im Genetivus steht, so muss irgend eine Weihe-
formel vorangegangen sein, wie Fortunae, genio, nwmini^ incolumi-
tatiy pro Salute in honorem n. ä. In Z. 4 ist Raum für höchstens
6 Buchstaben, deren letzter ein T war; was nach dem Punkt folgt,
ist meiner Ansicht nach christlich. Ich ergänze also FEL-ET-,
die mangelnde Ausfüllung der Zeile wird unten erklärt werden. Die
weiteren Zeilen bieten keine Schwierigkeiten: 5 [/eg^ioni«)] • I •
Mtn{ermae) -p(iae)f{ideli8); 6 Nomen undCognomen des (7) [le]g{atu8y
Augusti (8) \l]eg. eiusdem, des kaiserlichen Kommandanten der I.
Minervischen Legion *), der (9) [tiotum)] s{olvit) l{ibens) m(erito).
Das Nomen desselben kann AeUjms), Jul{iu8\ Val(eriu8) gcheissen
haben; das Gognomen beginnt mit P und endigt auf tinus. Die
Auswahl ist sehr beschränkt, Paeiinus oder Plotinu8, beides nicht
vulgäre, also dem hohen Offizier wohl eignende Beinamen. Ich
glaube mich mit Sicherheit für Plotinus entscheiden zu dürfen; für
AE ist kein Raum, wohl aber für Ijb., L mit eingeschriebenem klei-
nen O. Bücheier schreibt mir, er könne an diese Verkürzung
im Hauptnamen nur schwer glauben und würde eher noch ein nn*
bekanntes Petinu8, Pu-Patinus annehmen ; ich verweise aber auf das
in Z. 3 feststehende kleine O in Commodi. Dass ich nun als Nomen
1) Schiller, Römische Kaisergeschichte I S. 668; die indices von
CIL. III, V, VIII u. 8. w. CIRh. 1076.
2) So z. B. CIL. X 7237.
3) Brambach schreibt CIRh. 2042 add. falsch legiatus) Augusii
e t legionis eiusdem. Vgl. Dessau inscr. Lat. sei. I 996, 1016, 1026, 1036
leg. Äug. leg. V. Maced. \ leg. Aug. pr. pr. provinciae ludaeae u. a. B. J.
XLI p. 178 macht er den Dedikanten zum Kaiserlichen Statthalter in
Germania inferior; dann müsste pro ptaetore dabei stehen.
ßeitrUgo zur AlterthainBkiinde dea Niederrheins. ^
Aelius bevorzuge^ beruht darauf, dass seit langer Zeit die gens Aelia
anf dem Throne sass *).
Der Legat hat also diesen Stein fttr das Wohl des Kaisers
Commodas und seiner Legion geweiht, ähnlich wie der Mainzer
Stein CIRh. 1076 pro salute des Kaisers Commodus (auch hier ist
Commodas getilgt) und der Fortuna redux der legio XXILpr.p.f,
von einem ihrer Veteranen errichtet ward^). Was hat — das ist die
schwierigste Frage — in der ersten Zeile gestanden? Da an der
Lesung kein Zweifel ist, so glaube ich, dass in — Iwisis der Rest
eines im Dat. plur. siehenden barbarischen Götternamens erhalten
ist Zangemeister dachte an [SVL]£VIS, um dann mit Pro
Salute fortzufahren» Dem steht die klare Lesung entgegen. Vor«
zQgllch würden aber zu dem Fehlenden nnd Erhaltenen die deae
Malumae des Kölner Steins CIRh. 362 ^ B. J. 83, 447 stimmen:
In h(onorem) dJijomus) d(iuinae) \ diabus \ Maluims \ et Siluano \
Aur(elius) • Vere{cundus) \ ordi(ne) • Brita(num) \ u, s. l. m. Dann
mUsste noch die Wunschformel in die erste Zeile hineingebracht
werden. Raum ist ftlr drei Buchstaben. Ich weiss also keinen bessern
Ratb, als R • S- = pro salute zu schr-eiben, wenn ich auch nicht ver-
kenne, dass die Abkürzung nicht gerade gewöhnlich ist; zumal unser
Stein bietet Z. &MI1M, 7AVGVSTI ohne Abkäraung. Uebrigens
steht P • S • D. - D =3 pro aalute domus diuinae anf zwei Denkmälern
CIL. V 7865, 7866, die sonst nur wenig abkürzen. CIL. III 884, 1781
haben p. s. d. n, 3907 jpro 8. d, «. 4166 ß(iluano) - d(omestißo} •
8{acrum) \ p(ro) • 8{alute) . . . 1301a pro 8(alute) 3{ua) | suorumqus»
Vor dem P • S halte anf unserem Stein noch ein S(a€rum) Platz*
Die andeve auch zum Raum stimmende Formel I N • H{onorem) will
mir weniger nach dein ganzen Zusammenbang der Inschrift gefallen;
Unsicher bleibt, ob über der ersten Zeile noeh andei« gestanden
haben. Denkbar wäre z. B. I • 0 • M • ET • D £ A B V S. Demnach
würde die ganze Inschrift so zu lesen, sein:
? I [Maf] luisis [siaci'um) . p{ro) .e^alute)?] \ [iwi-j*
p{eratori8) Ca€8{ariis),M,Ati[r{elH)] \ [Co]mmodi . Antoniini) \ {Au\g *
Pii[Fel{Jcis),e\t, \ [leg{ionis)], I.Min{erviae).p{iae)f{idelis)\ [Ae?]L
1) Schilling, de legion. RomanorUiu I Min. et XXX Ulpia
(Leipziger Stndien XV) nennt ihn S. 76 L, I\anlli)nus Und setzt ihn gar
unter Antoninns Pius.
2) Dessan 1 342 ist pro salute des Kaisers, des Senates, des Le'
gaten und der legio III Angusta von einem sacerdos geweiht.
ä64 l^ax l^ieboüi'^:
F[lo]tinwt I [le]g . Augwü | [l]egiionis) . eiusdem \ [u(otufn] \ s{oluü)
l{iben8) m{erito).
Die Zeit wird durch die Kaigemamen bestimmt. Das Cogno-
men Felix führt Commodas seit dem Starz des Präfekteu Perennis,
seit 185 >); also fällt die Widmung zwischen 185 und 193. Auch
die Kölner Widmung an die deae Maluisiae ist wegen der Formel
in A. d. d. nicht vor dem letzten Viertel des IL christlichen Jahrh.
gemacht. Die Zeit wii'd noch dadurch beschränkt, dass wir den
Legaten der Legion aus dem Jahre 188 kennen *). Was die Legion oder
eine Abtheilung derselben in dieser Zeit in der Nieukerker Gegend
za thun gehabt hat, wissen wir nicht näher. Dass hier eine ent*
wickelte römische Kultur geherrscht hat, beweisen die StrassenzQge
und die zahh'eichen Grabfunde im Dorfe Nieukerk. Die Schrift*
steller berichten uns übereinstimmend, dass unter der Regierung
des Commodus mit Glück gegen die Germanen gekämpft worden
isi^). Da mag es den Kommandanten gedrängt haben, ftlr das
Wohl des Kaisers und seiner jedenfalls am Kampfe 1>etheiligten
Legion göttlichen Schutz anzurufen. Vielleicht war das gelegent-
lich der Expedition, die Clodius Albinus gegen die Friesen im
Jahre 186 zu unternehmen hatte ^).
Die deae Maluisiae gehlen in den weiten Kreis der weib-
lieben, segenspendenden Ortsgottheiten, die in den keltisch -germa-
nischen Provinzen von den Eingeborenen und niedrig stehenden
Leuten zahlreich verehrt worden sind und deren wichtigsten Theil
die Maires sive Matronae ausmachen. Wir kennen die Maluisiae
nur aus dem einen Kölner Stein; wie ihr Verhftltniss zu den Ma-
faponen ist, ob sie etwa nur einen Beinamen derselben darstellen,
bleibt unentschieden, DieDeutungO. Kelle r's^) : 'Wer sie schaut,
dem bekomtit es Abel', ist sicher falsch: solche Gottheiten ruft
man nicht zum Schutz an. Verbunden sind sie auch mit dem
segenspendenden Silvanus. Eher möchte ich darin einen lokalen
Beinamen erblicken nach Art der deae Lucretiae% den Schutz-
1) Schiller, Rom. Kaisergeschichte I p. 664. Dessau I 392 adnot.
2) B. J. L/LI S. 188 ; vgl. B. J. 73 8. 70, wo in der Liste der Le-
gaten unser Dedikant irreführend als L, P. inus erscheint.
3) Vgl. die Stellen bei Schilling de legionibus Roman. I Min. ot
XXX Ulpia p. 63.
4) Schiller RKI p. 665.
5) B. J. 88 p. 101.
6) B. J. 88, 449.
beitrage zur Alterthumftkunde des Kiederrheins. 265
göttinnen des Kölner uicus Lucreims CIRb.348. Man kann gegen
meine Ergänzung des Kienkerker Steins anftthren, dass die Anrnfong
der barbarischen Gk>tt]ieiten des niederen Volkes durch einen hohen
Oi&Kier auffallen muss. Darauf erwidere ich, dass er das für seine
Soldaten that; diese stammten entsprechend den seit Hadrian gel*
tenden Rekrutimngsgnmdsätzen, wie sie Mommsen im Hermes
Bd. XIX gelehrt hat, zma grössten Theil aus Niedergermanien, w^
die Legion stand, sie haben, wie wir wissen, besonders eifrig zu
den einheimischen Gottheiten gebetet. Grade so ist der Lyoncr
Stein B. J. 83, 394 zu erklären: hier weist ein Tribun der T: Mi-
nervischen Legion pro salute domini nostri L. Septimii Seueri
Aug^sti totiusque domüs eius den nitäerAienii^chQn'Matronae Aufa-
niae und den Moires Pannoniorum et Ddmatarum eine Ruhebank
und eine tabula — er thut dies im Sinne seiner vom Niederrhein
und aus Pannonien und. Dalmatien stammenden Soldaten.
Ein besonderes Interesse gewinnt der Nieukerker Stein noch
durch die an der rechten Seite quer eingehauene christliche Inaefarift
In K{alendfs) f Oet(o)b(ris) f dedicat(io) [aUari»oAet ecelesiae] SlÜi
(ßancti) DtonmL Zunächst ftusserlich* Was hat den christliohea
Steinmestzen veranlasst, die beschriebene 8eit6> nicht die leere
RtLc^Lwapd zu nehmen und dabei so.scfaanend mit den Buchstaben
umzugehen? Alterdings hat er ja in der Mitte das Sepulcrum re*
liquiarum ausgehauen, und bei der durch die Verwendung satr Altäre-
platte gebotenen Lage des Steins mit der Längsseite nach oben
steht ja die ohristlicfae Weiheinschrirt am Kopf ziemlich in der Mitte;
aber, bob^ ist nichts zerstört. Ja, meines Eraehtens beweist der
Anfwg der christlichen Buchstaben in Z. 4^ dass hier nach. 40m
T- nichts mehr gestanden hat, was ja bei der sonst durchgängigen
AusfilUung der Zeilen auffallen kann. Da die Endbuchstaben von
by &,,! imdeutUch geworden waren, so hatte der Steinmetz vo|
Z. 4 — 7 ziemlichen Raum. Sodann zeigt uns die christliche In*
Schrift, verbunden mit den Fundumständen des Steins, eine Auf^
einanderfolge von drei christlichen Kirchen zu Ehren des h. Dio-
nysius an einer Stelle, wo in römischer Zeit ein heidnisches Heilig*
thum gewesen war. An der uralten Hochstrasse, der jetzigen
Chaussee nach Q^dern, h^t dies gestanden. Als man dann nmdk
lange vpr dem 12. Jahrb.* in der Gegend, sei's nun in Nieukerk
oder Aldßkerk, eine chrifitlii^he Kapelle errichtete, da repwandtd
man bei dem Steinmangiel dort zu Lande gern das heidnische Desk-»
2&6
Max Siet)oUrgi
mal zur Altai-platte. Bei der im 12. Jahrh. erbauten grossen ro-
manischen Kirche wurde er zum blossen Baumaterial degradirt:
er bildete ein Stück der Wand des Altiu'kastens^ die Inschrift war
nach innen gekehrt. Das hat sie uns gerettet. Der Baumeister
endlich, der 1421 an die Stelle des romanischen Baues den gothischen
setzte, mauerte seinen Altar einfach um den romanischen faerom.
Die Erweiterungsarbeiten unsrer Tage brachten den heidnischen
Stein wieder an's Licht: dem historischen Sinn eines fleissigen
Sammlers verdankt er seine Erhaltung. Wenn je, so passt hier
das Wort der Schrift ol ii^oi xexQdSoyxai * die Steine werden reden'.
II. Ziegelstempel aus der Nähe von Gellep
(Gelduba).
Das zu besprechende Stück eines rothen Ziegels wurde 1893
nach Angabe des Verkäufers gefunden am Fürstenberg, etwa in
der Mitte zwischen Gellep und Langst. Der Punkt heisst auf der
Genendstabskarte Porstberg und liegt an dem Communalweg, wel-
cher von der von Neuss kommenden Landstrasse abzweigt und durch
Lank auf Nierst am Rhein zuläuft. Der stolze Name ftlr die nur
wenig aus dem Gelände sich erbebende Stelle entspricht dem
Sprachgebrauch der Gegend, der jede derartige Bodenanschwellnng
Berg nennt. Im vorigen Jahr ^vurde das Ziegelstück ftlr das Cre-
fdder Museum erworben.
Die Dicke beträgt an dem noch erhaltenen Handstfick ge^
messen 0,030 m. Fast unmittelbar an diesem Rand ist der Stempel
eingödrOckt, der nur an der rechten Seite verletzt ist. Ausserdem
seheint vor dem Brand auf den weichen Thon ein schweres Instru-
ment aus Unachtsam-
keit gelegt worden zu
sein, das in den untern
und Obern Rand, sowie
in die letzte Stempel-
zeife sich einji:edrückt
hat. Die kleinere Seite
des rechteckigen Stern-
pelrahmens ist 0,040 m
lang, von der grösseren
Seite sind etwa 0,080 m erhalten. Die Buchstabenhdhe beträgt in
den beiden ersten Zeilen 0,011, in der letzten 0,009 m.
Beiträge zur ÄlteHhumskutide des Niederrheins. ^t
Die Lesung steht in der Hauptsache fest. Z. 1. CASSIANO;
das erste A sehr breit, das erste S nicht ganz scharf, aber sicher.
A nach I ohne Querbalken, vulgäres N mit schräger erster hasta,
kleineres 0.
Z. 2. INCALCARIA; bei N beide Hasten schräg, parallel,
kein Punkt danach. L mit kurzem Querbalken, R mit grossem
Bogen und nach rechts schräger Hasta.
Z. 3 nach dem klaren Anfang M A (an dem A ist die untere
Hälfte der rechten Hasta unklar) folgt ein Zeichen, das ich für X
halte; allerdings treten die Hasten nur düun heraus, keine von beiden
bildet eine gerade Linie, am Schnittpunkt ist eine Lücke. Nun
folgt der schon erwähnte, vor dem Brand zußillig erfolgte Eindruck,
dann deutlich I M V, dann ein nicht klares, richtig stehendes ^) S
und darauf eine senkrechte Hasta, in deren Mitte noch der Ansatz
eines horizontalen Striches erkennbar ist, also h. Zwischen dem X
und I ist der Raum so gross, dass dort noch ein Zeichen gestanden
haben muss; also, da schwerlich anMAXIIMVS (= Maxemus) zu
denken ist, wohl ein S, welches durch den zufällig aufgelegten Gegen-
stand zerstört wurde. Die Schrift ist die der späteren Zeit, saufen
wir einmal 3. Jahrhundert.
Der Stempel ist, soweit ich sehe, seinem Wortlaut nach ein
Unikum nicht nur für die Rheinlande, sondern auch für die anderen
Provinzen. Zangemeister bestätigt mir das. Auszugehn ist von
Z. 2 und 3 in calcaria . . .? | Max[s]imu8 /{ecit); denn das letzte
Zeichen ist sicher wohl ein F. Bei dem in calcaria ist zunächst
nicht an den Ort Calcar im Kreise Eleve zu denken, das zwar von
Marjan von calcaria hergeleitet wird; dagegen spricht schon der
Fundort. Gemeint ist vielmehr ein Kalkofen, wie in der sprüch-
wörtliehen Redensart de calcaria in carbonariam peruenire, 'aus dem
Regen in die Traufe kommen'. Solche Kalköfen findet man noch
jetzt in der Nähe des Fundortes, z. B. bei Uerdingen am Rhein.
Nicht weit ab wird der Kalk noch heute gebrochen, auf der rech-
ten Rheinseite etwa zwei Stunden landeinwärts bei Ratingen. Die
letzte Zeile giebt uns dann den Ziegelbrenner und Töpfer Maad-
mu8, dessen Name auch sonst im Rheinland vorkommt. Was be-
deutet aber die erste Zeile? Im XV. Bande des Corpus kommen
am nächsten Stempel folgender Art: 15a Pont et Eufin cos \ ex fig
1) Ich hebe das hervor, weil Zangemeister auf einem Ton mir
ihm übersandten Gipsabguss ein umgekehrtes ^ zu lesen glaubte.
Jahrb. d. Ver. v. Alter thsfr. im Rhelol. XCVI. 17
2^8 Max Siebourgi
Auitian \ T. F Pri; auch in figUnis kommt vor, so .-$07 ('.
SatriniComminius \ infiglinis. Martianis\ 357 fecit in figlinis Ocea-
nis. Darnach hätte in der ersten Zeile de« Gelleper Stempels das Kon-
sulat gestanden; ein Cassianus, Statthalter von Numidien, war e{>s.
designatusa. 211/12 (CIL. VIII 2589), konnte also kurz darauf con-
sul suflfectus geworden sein. Zu cakarin wäre dann noch ein Bei-
name nöthig gewesen, wie Rhenana oder Octocaneha (im Hinblick
auf die nahebei gefundenen Matronae Octocanehae^); in der letzten
Zeile musste fecit znm mindesten ausgeschrieben sein. Dieser Er-
gänzungsversuch hat gewichtige Gründe gegen sich. Zunächst wer-
den, wie mir Zangemeister schreibt, in Germanien die Konsulate
nur mit den ordinarii bezeichnet; der einzige, welcher Cassianus
in seinem Namen hat, der des J. 126, i\ Eggius Ambibulus Pofn-
ponius Longinus Cassianus L, Maeeius Postumus hat als diakriti-
schen Namen Amhibulus und kann als Amfsgenosse des Veru« erst
an zweiter Stelle stehen. Sodann würde bei den in allen Zeilen
nothwendigen Ergänzungen der Stempel eine Ausdehnung in die
Breite gewinnen, die auffallen mtisste. Endlich ist der Anfang der
drei Zeilen zu beachten ; der erste ist weiter eingerückt als die bei-
den anderen, die zweite ist auch entsprechend länger. Nehmen wir
nun an, dass am Ende der Zeilen kein Buchstabe mehr fehlt und der
Symmetrie wegen der gleiche Abstand von der Umrahmung wie am
Anfang gewesen ist, so ist die Breite des ganzen Stempels nicht
mehr ungewöhnlich. Möglich wäre dann zunächst in Cassiano den
Dativus des Besitzers des Kalkofens zu sehen: 'für den Cassianns
hat Maximus den Ziegel gemacht'. Fttr wahrscheinlicher halte ich
aber die Erklärung des CassianOj die ich Zangemeister verdanke.
Er fasst Cctssiano als Lokativ auf, 'in Gassianum', das ein praedium
oder eine Ortschaft sein mag und vergleicht zu diesem der Volkssprache
angehörenden Lokativ das Casilino auf dem kampanischen Fcstver-
zeichniss vom J. 387 CIL, X 3792*), sowie die Unteracbrift actum
CaHlino auf dem interessanten Ziegelgraffito von S. Angelo in
Formis, den Zangemeister in den Notizie degli Scavi 1894 Agosto
S. 284 ff. herausgegeben hat. Eine Reihe von Beispielen des vul-
gären Lokativs giebt der Index von CIL. X S. 799. Demnach
lautet die ganze Ziegelinschrift:
1) B. J. 83 Nr. 321 ff.
2) Von Mommsen ausführlich erläutert in den Berichten der
Sachs. Qesellsch. der Wissenschaften 1850 p. 64 ff.
beitrage zur Aiterthumskundc des kiederrtieins. 259
Cassiano \ in calcaria \ Max[H\imu8 f{edt).
Zum Schtuss verweise ich noch auf die römischen Kalköfen,
die bei Mtinstereifel zwischen Iversheini und Arloff am Ufer der
Erft — wie bei Gellep am Ufer des Rheins — 1870 gefunden und
B. J. L/LI S. 182 f. beschrieben sind. Dort ist auch in dem Schutt
eines den Oefen der Pfannenbäcker ähnlichen Gebäudes der inter-
essante luschriftstein des Bonner Mnscums CfRh. 520 gefunden wor-
den, der uns meldet, dass im J. 202^), als Jolius Castinus Legat
der I. Minervischen Legion war, ein Detachement derselben unter
dem Kommando des Centuriouen Petronius Aquila einen furnus ar-
ualis, einen Feldofen, gebaut hat*).
IIL Thonbecher mit Graffito aus Asberg (Ascibnrgium)
bei Moers.
Gefunden wurde der Becher Februar 1894 in Asberg, west-
lich der Römerstrasse von dem Arbeiter Bremraenkamp, der planlos
auf dem Grundstück neben dem Hause der Wwe. Gores grub. Das
Crefelder Museum hat ihn erworben. — Der kleine kagelbanchige
Becher aus weissgelbem Thon ist 0,010 m hoch ; die Oeifnung oben hat
0,058, der Fuss 0,035 m im Durchmesser. Er war zweihenklig, ein FTen-
kel ist abgebrochen ; der erhaltene ist so klein und sitzt so hart an, dass
er zum Anfassen kaum zu verwenden ist. Die Henkel verbindet ein
von zwei Kreisen eingefasster Streifen, 0,011/0,012 m breit. In
diesen ist die nebenstehend faksimi- ^^
lirte Inschrift derartig eingeritzt, dass / /^""^-t— -tv """TT^^S^
der Henkel die Buchstaben von der ^^^^^^ClL^i/^ **'*^***
Zahl scheidet. Die Lesung macht
Schwierigkeiten. Das erste Zeichen ist ein I, es könnte bei der
vorkommenden Verkrüppelung der horizontalen Hasta auch ein
T sein. Dann folgt ein V; das dritte Zeichen kann 0 oder
L sein. Weiterhin zweifelloses I A , letzteres ohne Querstrich ,
bei der rechten Hasta ist der Griffel noch nach unten ausgeglitten.
Das sechste Zeichen scheint ein S zu sein, an dem der Griffel bei
dem Einritzen des mittleren Theiles nach oben ausgeglitten ist; eine
andere Möglichkeit der Deutung sehe ich nicht. Rechts vom Henkel
steht die klare Zahl V 1 1 1. Demnach wären folgende Lesungen
möglich :
1) So Schilling de legion. Romanor. I Min. et XXX Ülpia p. 65.
2) Vgl. Hettner, Katalog des Bonner Museums Nr. 120.
^60 kax Sieboürgi
TVCIAS VIII
TVLIAS VIII
IVCIAS VIII
IVLIAS VIII
Bei der Erwägung der ersten Möglichkeit dachte Bttcheler
an die latinisirte griechische Namensform Tvxtdg, wozu man die
Formen Tuche (CIL. X 2614) Tics (X 8249) = Tvxf] vergleichen möge.
Was die Zahl VIII anbetrifift, so ist meines Wissens noch nicht ge-
funden, was derartige auf römischen Gefässen häufiger vorkommende
Zahlenangaben bedeuten. Der Inhalt des Bechers beträgt 0,4.5 Ltr.
Möge die Deutung des Graflito einem Kundigeren gelingen.
IV. Neue Fabrikantenstempel aus Asberg.
Unter dieser Nummer fasse ich eine Anzahl von Fabrikstem-
peln zusammen, die auf Lampen und Terra sigillata stehen. Sie
stammen sämmtlicb aus Asberg und sind im Laufe des vorigen
Jahres in das Crefelder Museum gekommen.
1. Lämpchen (Koenen») Taf.XVIlI 30), 0,091 lang, roth,
Griff verletzt.
FORTIS
I
2. Lämpchen wie 1, 0,082 1., rot geftrbt
FORTIS
I
3. Teller (Koenen XIV 5), 0,175 Durchmesser. Fragraen-
tirt, vertiefter Omamentkreis im Innern. Stempel ohne Kreis.
OF APRhS ofificina) Aprüisf
Auf dem Fuss aussen in graffito
LV
4. Stück einer Tasse (Koenen XIV 10) 0,051 h. Stempel
mit vertieftem Kreis
BASSI BasH
Vgl. B. J. 94, 71. Asberg. Auf dem Fuss ausserdem ein-
geritzt
+
1) K. Koenen, Gefässkunde der vorrömischen, römischen und
fränkischen Zeit in den Rheinlanden. Bonn 1895.
Beiträge zur Alterthumsknnde des Niederrheins. 261
5. Teller (Koenen XIV 4) 0,185 Dnrchm. Ornamentkreis
im Innern.
CATVLLVSh CatuUus flecit)
Vgl. CIL. XII 5686, 206 a.
6. Fussscherbe eines Gewisses, Stempel mit Kreis
CATVSh Catus f{ecit) oder GAlVSh Gaius f\ecit)
7. Fassscherbe eines Tellers. Drei Omamentkreise. Stempel
mit Kreis rechts verletzt.
GABIXVS/ Gabiatus
8. Teller (Koenen XIV 4), 0,175 Dnrchm. Ornamentkreis.
Stempel ohne Kreis
I A N \A R I VS I- lanuarius f{ecit)
Vgl. B. J. 89 S. 18,146 b. S. 53,21. Bonn.
9. Grosser Teller (Koenen XIV 4), 0,268 Durchm. Frag-
mentirt. Strichelband. Stempel mit Kreis.
0 F AA 8 C L I N oflficinä) - MascUn{i)
Vgl. B. J. 89 S. 24. Bonn.
10. Cylindrischer Napf (Koenen XIII 10), mit schönem
Reliefschmnck von Ranken und Blättern. Höhe 0,120 m, Durch-
messer oben 0,146 m. Stempel auf der Aussenwand umgekehrt, die
Buchstaben durch das Ornament vertheilt.
d S A i'>i\fW Masdus fiecit)
Vgl. darüber das Nähere unter Nr. V S. 262 ff.
11. Fussscherbe eines Tellers. Stempel mit Kreis
KE B B V I F Meddul{u8) f{ecit)
Vgl. B. J. 89 S. 26, 205 a. Bonn.
12. Fussscherbe eines TeUers. Strichelband. Stempel mit
Kreis.
(J) SEVERI ofificina) Severi
Vgl. B. J. 89 S. 40,323 Grimlinghausen OSE VERL
Hier auch (F) ?
13. Teller (Koenen XIV 4), 0,166 Durchm., Verzierungg-
kreis schlecht gerathen. Stempel ohne Kreis.
T A R T V S F Tartus f{ecü)
Die Fabrik kann ich sonst nicht nachweisen.
14. Tässchen (Koenen XIV 10), 0,036 h. Stempel mit
Kreis. Anfang unleserlich.
//ABI Möglich wäre A\ A B I = Amabiilü)
262 Max Sieb ourg:
15. Tellei'; 0,170 Duichm. Ornamentkreis. Stempel ohne
Kreis, Anfang unleserlich.
^ I /// • S S A [Craci?]88a
Vgl. CIL. VII 357 ab CR AC ISS AF Cantabrigiae, Londinii.
C R A C I S A Londinii.
16. Scherbe eines Tellers. Ornamentkreis. Stempel ohne
Kreis, vorne zerstört.
////? RES.
Vgl. B. J. 89 S. 12 OF -CRES.
V. Unedirte Terra sigiUata Näpfe und Glas-
schalen aus Asberg und Xanten.
1. Auf Tafel X. 3 ist ein cyliudrischer Napf aus Terra si-
giUata abgebildet, dessen Höhe 0,120 m, dessen Durchmesser oben
0,146 m beträgt. Der Zufall hat die vorzügliche Erhaltung des
schönen Gewisses begünstigt. Es wurde im Juni des Jahres 1894
zusammen mit der hellgi'ünen, mit keulenartigen Rippen versehenen
Glasschale Taf. X. 2 in Asberg, westlich der Römerstrasse, von Hoeh-
jartz gefunden. Dieser Mann hatte den Tag über auf seinem Grund-
stück nach Kies gegraben. In der Nacht trat Regen ein, der schräg
fallend die beiden Gegenstände von der sie umgebenden Erde frei
wusch. Der erstaunte Finder konnte sie so am folgenden Tage un-
versehrt hervorholen. Er verkaufte sie an einen Ruhrorter Herrn,
der in Asberg die Jagd gepachtet hat. Von diesem erwarb sie das
Crefelder Museum, zusammen mit der Sammlung des Herrn Reindell,
der längere Zeit in Asberg Lehrer war und an 150 Asberger Gegen-
stände aus Thon, Glas und Metall gesammelt hatte. Die gestem-
pelten Stücke darunter sind unter No. IV veröflFentlicht.
Der Napf gehört den omamentirten provinzialen Sigillata-Ge-
ßlssen der frühen Kaiserzeit an, deren Typus Dragendorff auf Taf. II
Figur 30 abgebildet und an verschiedenen Stellen besprochen hat.
Vergl. S. 85, 126 ff. Er entstammt der Fabrik des MasdtM, der sei-
nen Stempel umgekehrt, nach links laufend auf der Anssenseite der Vase
so angebracht hat, dass die Buchstaben durch das Ornament aus-
einander gerissen werden. Vgl. S. 261, 10. Man beachte dabei
die Form des A und des V . Während sonst die Stempel im Innern
stehen, stimmt die Weise des Masclus hier überein mit der der
Arretiner und Futeolaner Töpfer, die bei dekorirten Gefössen die
Beiträge zur Alterthumskunde des Niederrheins. 263
Namen zwischen die Ornamente setzten. Sicherlich derselben Fa-
brik entstammt, wie schon D ragen dorff bemerkt hat, der cylin-
drische Sigillata-Napf ans London, den Charles Roach Smith in
den Illustrations of Roman London Taf. XX VII 6 abbildet. Der Typns
ist derselbe. Eine Blätter- Guirlande umzieht in Wellen die Wan-
dung. Im Berg steht ein pantherähnliches Thier, das in eine über
seinem Kopf an einem Baum hängende Traube beisst; das Thal
füllen zwei Blätter und zwei geriefelte Aehren derselben Art, wie
sie das Asberger GeiUss zeigt. Zur Füllung dienen Thiere (Hasen)
und Sterne. Der Stempel MASCLVSF ist wieder umgekehrt
aussen eingedrückt, die Buchstaben sind zwischen das Ornament
vertheilt. So wird die durch die Ucbereinstimmang der Stempel be-
dingte Möglichkeit gleicher Herkunft für die beiden Gefässe durch
mehrere UmstHnde fast zur Gewissheit erhoben. Wir fragen uns
daher, wo die Fabrik des Masclus gewesen sein mag, ob in Asberg,
in London oder anderswo. Erwägt man nun, dass der Name Mas-
clus nicht gerade allzu gewöhnlich ist, so ist es nicht unwahrschein-
lich, wenn wir überall da, wo wir der Marke begegnen, Erzengnisse
ein und derselben Fabrik annehmen. Auf dieser Annahme beruhen
die unten gezogenen Schlüsse. Von Masclus ist Masculus sicher nur
orthographisch verschieden. Der Vorsicht halber will ich aber in
den folgenden Zusammenstellungen die beiden Namensformen aus-
einanderhalten. In Tabelle I und II habe ich die mir bekanntge-
wordenen Stempel des Masclas-Masculus nach ihrer lokalen Verbrei-
tung geordnet; Tabelle III und IV geben die verschiedenen Formen
der Marke.
I.
IL
Deae
OF MASCL»)
Fins d'Anneey MASCy")
Vieflne
OF MSCLI»)
Vienne OFAASCVLJ«)
OF MASCLI»)
OF AASCVI»)
OF MSCl,*)
OF MASCVI«)
1) CIL. XII 6686, 560 b.
2) CIL. XII 5686, 560c M, 1 im Museum zu St. Gormain, vgl. S. 267.
3) CIL. XII 5686, 560 m, vasculum omaium [Parisiis aptid Char-
vetum].
4) CiL. XII 5686, 560 c.
5) CIL. XII 5686, 995 vas nigrum [Ännecy mus.].
6) CIL. XII 5686, 560 eii. 7) CIL. XII 5686, 56Q4.
8) CIL. XII 5686, 560 i,
264
Max Siebourg:
Vienne MASCLV///»)
MSCLI«)
St. Colombe /SClVS»)
Aoste OFMASCL*)
[St. Germain] /V^SCLVS. FE*)
St Colombe OF MYCVM»)
OF MSC»«)
Aoste OFM?CVN")
Le Ponzin OF MASCVLM»)
Poitiers
MASCLVS FECIT«)
Poiton
MASCVLI-M»»)
Limogea
OF MASCLP)
AUier
MASCVLVS»)
Tongres
OFMSCLI»)
Paris
AASCVLVS«)
Tarraco
MAS'CL»)
Ilici
A\SOLVSi«)
Garthago
MASOLIM")
London
M A SCLVS- F")
London
AASCVLVS")
A\SCLVS")
A\SOVLI»)
OF MSCLI")
ASGVLI")
AASCVLVS F»)
OF MSCVI")
Stansted (Essex) AASCVLVS")
GleTum
AASOVLVSF««)
1) CIL. XII 5686, 560 k. 2) CIL. XII 5686, 560 g.
3) CIL. XII 5686, 561 litteris prominentibtis [apud Chavassienum]
vas omaiwm; gladiatores pugnantes.
4) CIL. XII 5686, 560 s.
5) CIL. XII 5656, 560 v. [St Germain n. 10986 Parisiis emptum].
6) Sch(ürman8, Sigles figulines) 3390: 'ou MASCVLVS
FECir?
7) Seh. 3387. 8) Seh. 3386. 9) CIL. U 4970, 306 b.
10) CIL. II 6257, 113. Ob CIL. II 6275, 199 0 F T R A M S C V, der-
selben Herkunft, hierher gehört, wage ich nicht zu entscheiden.
11) CIL. II 6257, 114.
12) CIL. VII 1337,50; der Stempel umgekehrt; vgl. oben S. 14.
13) CIL. VII 1336, 667. 14) CIL. VII 1336, 668.
15) CIL. XII 5686, 560 n. 16) CIL. XII 5686, 560 p q.
17) CIL. XII 5686, 560 r N wohl für M =K
18) CIL. XII 5686, 560 1. 19) Seh. 3392. 20) Seh. 3394.
21) Seh. 3395. 22) CIL. VII 1336, 669 zweimal.
23) CIL. VII 1336,670 a. 24) CIL. VII 1336,670 b.
25) CIL. VII 1386,671 dreimal. 26) CIL. VII 1336,672 a.
27) CIL, VII 1336,672b. 28) CIL. VII 1336,671,
Beiträge zur AltertfamnBknnde des Niederrheins.
265
Isca
OF MASCVI«).
Flavion
OF MSCV.I»)
Rossam
OF MSCVW)
Voorbnrg
MASCVLVS")
Xanten
MASCVLVSF»«)
Andernach
1 . . ASCVIM»)
Mainz
AASCVLVS")
Xanten
Asberg
OF MASCLM)
MASCLVSF»)
Oc AASC»)
Bonn
MASCM)
Bonn
llllll^ou*)
WindiBch OF MASCLI»)
Oberwinterthur A^S C L I «)
Oberculm OFMASCL')
in.
OF MASCLI Vienne
OF A^SCLI
OF /^^SCLI
OF MSCb
OF MASCL
MASCLI M
Limoges
Xanten
Windisch
Vienne
Tongres
London
Vienne
Deae, Aoste,
Oberculm
Carthago
MASCLVSFECITPoitiers
IV
OF.MASCVLI
OF A^SCV- I
OF A\SCVLi
OF MASCVI
OF A^SCVI
OF MSCVI
OF A^^cvN
OF A^SCV
OF A^SC
Le Ponzin
Flavion
Vienne (2 X)
Vienne
Isca
Vienne
St. Colombe
London
Aoste
Rossnm
St. Colombe (2 X)
Mainz
1) Lorsch, Centralmnsenm III 107. 2) B.J. %, S. 13,10.
3) B. J. 60, 77.
4) B. J. 89, S. 24, 192. Terra sig. Teller.
5) Seh. 3887. 6) Seh. 3885. 7) Seh. 3384.
8) CJL. VII 1336,672 b.
9) Seh. 3393. 10) Seh. 3391. 11) Seh. 3394. 12) Seh. 3396.
13) B. J. 86 S. 175 Nr. 27. Koenen schreibt: . . Ascuii; es kann
wohl keinem Zweifel unterliegen, dass der Masculus gemeint ist.
14) Becker, Mainzer Katalog S. 105,123.
15) Becker a. a. 0. 124.
266
Max Si<
ab our g:
/V^SCLVS FE
[St. Geniiain]
MASCVLIM
Poitou
M A SCLVS-
F London
MASCVLVSF Xanten
M ASCk V S
• F Aßberg
AASCVLVS F
London (3X)
MASCLV
Vienne
Glevuni
A\SCLVS
Ilici, London
MASCVLVS
Allier
SCLVS
St. Colombe
Voorburg
AASCLI
Oberwinter-
A\SCVLVS
Paris
thur, Vienne
London (2 X)
////// SC LI
Bonn
Stansted
MASCL
Tarraco
Mainz
MASCI
Bonn
A\SCVLI
London
ASCVLI
London
. . ASCVII
Andernach
MASC\>
Fing d'Annecy
Gemäss Tabelle I und II finden sich also Erzeugnisse der Fa-
brik vor allem in Gallia Narbonensis, besondere in Vienne, dann
vereinzelt in dem übrigen Frankreich, in Spanien, England, hier
häufig in London, endlich in den beiden Germanien. Zunächst spricht
die lokale Verbreitung für die Identität des Masclus und Masculus;
an manchen Orten kommen beide vor. Sodann nöthigt uns die weite
Ausdehnung des Exports Hochachtung ab, selbst wenn wir moder-
nen Maassstab anlegen. Was die Frage nach dem Sitz der Fabrik
angeht, so ist es wohl angebracht, das sonstige Vorkommen des Na-
mens Mascius-Masculus zu berücksichtigen. Da ergiebt sich denn,
dass er am Rhein, in Britannien und Spanien gar nicht erecheint,
dagegen häufiger in Gallia Narbonensis ist — andere Gegen-
den, wie Noricum, Africa kommen hier nicht in Betracht. Ver-
gleicht man dazu Tabelle I und II, so muss man den Schluss ziehen,
dass Masclus in der Narbonensis ansässig war und etwa in Vienne
seine Fabrik hatte. Ich war erfreut später bei Dragendorff
S. 105 flF. zu lesen, dass er aus einer Reihe von Argumenten die
Ansicht gewinnt, dass das Centrum der provinziellen Fabrikation der
Terra sigillata in Gallien zu suchen sei. — Die Marken der Gefässe
des Masclus zeigen gemäss Tabelle III und IV die verschiedensten
Formen. Dass er selber Fabrikherr und nicht bloss Arbeiter war,
beweist das häufig vorangestellte ofificinä)] das gleichfalls vor-
kommende m{anu) zwingt aber auch zu der Annahme, dass
er selbst mitgearbeitet hat. Es ist wohl nicht erlaubt^ aus
Beiträge zur Alterthumskunde des Niederrheins. 267
der Zahl der yerschiedenen Stempelfonnen auf eine entspre-
chende Zahl von Arbeitern zu schliesBen: das Handwerkszeug
ist ja dem Verschleiss ausgesetzt. Bei der Frage nach der Zeit*
bestimmung unseres Fabrikanten gehen wir von der Annahme aus,
dass Masculus von Masclas nicht verschieden ist. Dann weist uns
zunächst das Vorkommen der Marke in Flavion in die Zeit von Clau-
dius bis Commodus; hier ist eine ununterbrochene Münzreihe gefun-
den worden, die mit Commodus plötzlich abbricht (D ragender ff
S. 103). Genaueres lehrt die Andemacher Scherbe mit dem
Stempel . . A S C V 1 1 ; sie entstammt einer Brandstätte des Mar-
tinsberges, ist von festgebrannter, glänzend tiefrother Sigillata,
gerade so wie der Asberger Napf und wird von Koenen^) in
die Zeit um Nero gesetzt. Damit ist in Verbindung zu bringen,
was Dragendorff S. 85, 110, 127 über den Typus 29 und 30
bemerkt Beide Formen scheinen ihm in der ersten Hälfte des I.
nachchristlichen Jahrhunderts aufzutreten und sich das ganze I. Jahr-
hundert zu halten, was ihr Vorkommen in den Limeskastellen be-
weist. Allmählich werden sie durch die spätere Form der deko-
rierten Schale (No. 37) verdrängt. Unser Typus kommt in gröberer
Gestalt noch in der Westemdorfer Fabrik vor, die kaum vor der
Mitte des II. Jahrh. ihre Arbeit beginnt. Eoenen bemerkt S. 90
seiner Gefösskunde, dass jene Form in der letzten Zeit der Flavier
zu verschwinden scheint und auf den Gräbern der Antoninenzeit
nicht mehr angetroffen wird. Wir' werden also wohl die Arbeit des
Masclus etwa in die Mitte des I. nachchristlichen Jahrhunderts zu
setzen haben.
Schon oben Seite 126 ist hervorgehoben worden, dass in der
Fabrik des Masclus Geftsse der Form 29 *) wie der Form 30 gefertigt
worden sind. Den weiteren Erzeugnissen nachzngehn ist bei der Art
der bisherigen Veröffentlichungen kaum möglich. Das Corpus be-
gnttgt sich meist mit der Angabe des Stempels. Es ist zu wttnschen,
dass fernerhin die Bearbeiter der Inschriften auf Thonwaaren immer
einen Verweis auf die Formentafeln von Dragendorff und Eoenen
hinzufügen. Zu dem Stempel aus St. Colombe ^) heisst es 'gladia-
1) B. J. LXXXVI S. 225 zu Tafel VII 49.
2) Gemeint ist das S. 263 Anm. 2 erwähnte^ oben S. 128 etwas ge-
nauer geschilderte Geföss. Das auf dem Asberger Napf verwandte
Herzblatt kehrt auch hier wieder; vgl. S. 269.
3) CIL. XII 5686, 561.
268 M a X S i e b 0 11 r g :
tores pugnantes. Gerade Gladiatorenkämpfe sind häufig auf den
ornamentirten Gefössen dargestellt. Aus Fins d'Annecy*) wird
ein 'vas nigrum' aufgeführt, eine Notiz, die in dieser Form wenig
nützt. Sollte damit allerdings sog. Terra nigra gemeint sein, so
wäre das für die Zeitbestimmung des Töpfers von Bedeutung^). In
Bonn ist ein Sigillata Teller mit der Marke //////S C L I gefunden
worden ').
Zum Schluss noch einige Worte über Form und Dekoration.
Die Formgebung ist bei unserem Typus sehr konstant. Den oberen
Abschluss bildet ein Rundstab, auf den ein freier, leicht gerundeter
Streifen folgt; er ist durch Rundstab und Hohlkehle von dem deko-
rirten Streifen getrennt. Diesen schliesst oben ein Eierstab ab,
über oder unter dem ein Perlstab läuft. Das Ornament wird auf
dem Asberger Gefäss auch unten durch Perlstab und Hohlkehle be-
grenzt; dann geht es zunächst scharf in rechtem Winkel, darauf in
sanfter Rundung zu dem breiten Fuss über, an dem sich das Spiel
von Rundstab und Hohlkehle fortsetzt. Die glatte Fläche im Innern
ist ebenfalls stets durch eine Hohlkehle unterbrochen. Das Asber-
ger GefUss zeigt nur eine leichte Verjüngung; der Umfang beträgt
oben 0,466, unten 0,415 m. Der Fuss hat einen Durchmesser von
0,093, während der Durchmesser oben 0,146 ni beträgt. Dieselbe
Form hat z. B. der bei Holder*) Taf. XXII 2 abgebildet« Napf.
Abweichungen davon betrefFen im wesentlichen nur das Maass der
Verjüngung und die Grösse des Fusses, sowie den Uebergang dazu,
der nicht immer rechtwinklig beginnt. Die bei Smith Roman
London Taf. XXVII 2, 3, 6, 8, 10 abgebildeten Gefässe zeigen
stärkere Verjüngung im Vergleich zu 7. Der Uebergang zu Dragen-
dorffs Form 29 bUdet Fig. 5 bei Smith. Der Napf bei Koenen
Taf. XIII 9 hat einen kleineren Fuss, der nicht in rechtem Verhält-
niss zu der Breite des Gefilsses steht. Der ganze Typus mit seiner
scharfen Profilirung geht unverkennbar auf toreutische Vorbilder
zurück. Eine direkte Vorstufe dafür kann Dragendorff in Arezzo
und Puteoli nicht nachweisen % Man hat die Form auch in
Glas hergestellt. Ich kenne bis jetzt zwei Abbildungen solcher Ge-
fässe; die eine steht bei Fro ebner, verrerie antique auf dem Titel-
1) CIL. XTI 5686,561. 2) Vgl. oben S. 88. 3) B. J. 89 S. 24.
4) O. Holder, Die röm. Thongefässe der Alterthumssanimlung in
Rottweil. Stuttgart 1889.
5) Vgl. oben S. 126.
j^eiträge zur Alterthumskunde des Niederrheins. ^6^
blatt nnd S. 67; die andere bei Esp^randieu, epigraphie Romaine
du Poitoa et de la Saintonge p. 363/4. Auf beiden sind kämpfende
Gladiatoren dargestellt, denen die Namen beigcBehrieben sind. Ein-
zelne Namen wie Spiculus Columbus Prüdes kommen auf beiden vor.
Die Dekoration der cylindrischen Näpfe stimmt im wesent-
lichen mit der der Gefösse Fig. 29 tiberein, welche oben S. 128 ff.
behandelt ist. Von der Fülle der Motive, die Pflanzen-, Thier-,
Menseben- und Götterwelt geliefert haben, vermögen die Tafeln XIII
bis XX bei Holder eine Anschauung zu geben. Dagegen lässt sich
die Anordnung und Gliederung der Muster auf nur wenige Formen
zurückfahren; ich meine die Gliederung des umlaufenden Streifens
durch wellenförmige Ranken, das Medaillonornament und die Zer-
legung in metopenaiiiige Felder. Wenn Holder S. 14 noch als be-
sonderen Typus das Festonornament aufführt, so gehört dasselbe
m. E. zu der Metopendekoration; denn die Säulen, Stäbe oder hän-
genden Quasten, an denen die halbrunden Kränze befestigt sind,
bedingen eine Einteilung in rechteckige Felder. Ist das Halbrund
oben aufgesetzt als Rundbogen, so entsteht die gerade bei den cy-
lindrischen Näpfen häufige Nische (Holder, Taf. XXII, 2). Selbst-
verständlich kommen diese Dekorationsarten nur selten für sich allein
vor; meist finden Kombinationen statt. Unser Asberger Gefäss zeigt
das Rankenomament in seiner ganzen Reinheit und ist wohl schon
darum den älteren seiner Gattung zuzurechnen. In drei Bergen und
drei Thälern, die nicht ganz gleich geraten sind, umläuft die Wellen-
linie den Streifen. Daraus wachsen an langen Stielen, deren An-
fang allemal durch Knötchen bezeichnet ist, in Berg und Thal ein
grosses und ein kleines Herzblatt hervor, welches häufiger ver-
wandt wird. Dasselbe Motiv zeigt z. B. der S. 267 erwähnte
Masclus - Napf der Form 29 sowie das oben S. 128 Fig. 17
abgebildete Bonner Fragment. Der Berg enthält dazu jedesmal
zwei geriefelte Aehren, das Thal eine solche Aehre und eine Traube,
nur in ein Thal hat sich eine zweite Aehre verirrt, die ganz muster«
widrig direkt aus der Welle beim Ansatz des Stieles des grossen
Blattes entspringt. Die geriefelte Aehre, die ich botanisch nicht ztt
bestimmen wage — am ersten möchte ich sie einer Eichel verglei-
chen — kommt sehr häufig vor; so auf dem Londoner Napf des*
selben Töpfers, ferner oben S. 128, Fig. 20. Alle Zweige des Bau*
raes enden darin, den Holder Taf. XX Fig. 5 abbildet. Er nennt
diese Figur und Fig. 22 derselben Tafel typisch ; letztere stellt einen
2?0 Max Sieböurg!
Banm dar, deren Zweige in Trauben endigen, die m. E. nicht y^t-
schieden sind von den Tranben des Asberger Napfes. Holder
meint S. 22, der Banm mit den Aehren stelle das Laabholz, wohl
die Buche, der mit den Trauben das Nadelholz vor; warum, weiss
ich nicht. Ich glaube die geriefelte Aehre bereits auf einigen der
in diesem Hefte abgebildeten Scherben aus Puteoli und Arezzo zu
erkennen; vgl. Taf IV 22, V 37, VI 53, 54, 59, 60, 63, 64, 76.
Als Probe der Medaillondekoration, die sich der Ranke ein-
fügt, ist auf Taf. X 4 nach einem Gipsabguss ein cylindrischer
Sigillata-Napf des Berliner Antiquariums aus Xanten abgebildet.
Er ist 0,119 m hoch, der Durchmesser oben beträgt 0,154 m. Statt
der einfachen Wellenlinie ist wie auf dem Londoner Masclns-Napf
eine Blätterguirlande in sehr exakter Führung alsKanke verwandt.
Ihren Windungen folgen die langen Stiele der Weinblätter und Früchte,
die in den Thälem stehen. Der Berg enthält ein kreisrundes Me-
daillon, darin der eilende Mercurius, mit der vorgestreckten R. den
Beutel, in der L. den caduceus haltend; der Reisehut (petasus) auf
dem Haupt, die Schuhe an den Füssen sind geflügelt. Im Winde
flattert die Chlamys ihm nach. Genau derselbe Merkur steht auf
einer Lampe aus Xanten bei Honben-Fiedler, Denkmäler von
Castra vetera, Taf. XXX Fig. 2; die kreisrunde Oberfläche der
Lam{)e entspricht dem Medaillon des Napfes. Der Lampen- und der
Töpferfabrikant haben sicherlich ihre Muster von demselben Formen-
schneider bezogen. Auf dem Berliner Napf dienen in Berg und Thal
Vögel als Füllung, die auf dem Asberger Gefiiss noch fehlen. —
Als Beispiel metopenartiger Verzierung sei der Rottweiler Napf bei
Holder, Taf. XXII 2 erwähnt; ähnliche Felder mit Medaillons
hat das Gefäss bei Smith Roman London Taf. XXVII 2. Das
Festonomament giebt die B. J. 94 Taf. III von mir veröffentlichte
Scherbe aus Asberg'), die noch darum besonderes Interesse hat,
weil in ungewöhnlicher Weise der zu vei-zierende Raum in zwei
Streifen zerlegt ist; den oberen schmückt Rankendekoration, den
unteren Festons mit Vögeln.
2. Auf Taf. X 1 U.2 sind zwei Glasschalen des Crefelder Mn-
fienms abgebildet, die aus Asberg stammen. Die hellgrüne (2) wurde,
1) Schon Dragendorff hat oben S. 85 bemerkt, dass die von mir
Versuchte Restitution nicht richtig sein kann und dass ich davon jetzt
selbst Überzeugt bin. Die Scherbe gehört vielmehr der hier besprochenen
Gattung von cylindrischen Näpfen, Typus 30, an.
ßei träge zur Aiterthumskunde des Kiederrheins. 2^1
wie erwälmt, ziisaniinen mit dem oben besprochenen Napf gefunden.
Sie ist 0,043 m hoch und hat einen Durchmesser von 0,148 m; ab-
gesehen von einem freien Rande ist sie aussen mit dicken keulenföp^
migen Rippen versehen, deren Enden in der Mitte des Bodens sich
treffen. Das Innere ist glatt, auf dem Boden ein grosser und ein kleiner
doppelter Ornamentkreis. Sic hat einen Si)rung, ist sonst aber vor-
züglich erhalten. Die dunkelblaue Schale, 0,045 m hoch, 0,155 m im
Durchmesser, wurde bei der Grabung auf einem Stück westlich der
Römerstrasse gefunden, die der Crefelder Museumsverein 1885 ver-
anstaltete; ein genauer Fundbericht liegt nicht vor. Die Schaleist
am Rande etwas verletzt und zeigt zwei Sprünge, die Wülste sind
dünner und bedecken nur die obere Hälfte der Wand. Das Innere
ist wie bei der grünen behandelt. Diese Art gerippter Glasschalen,
von denen völlig erhaltene Exemplare selten sind*), muss weit ver-
breitet gewesen sein. Houben-Fiedler bilden auf Taf. XXXVIII 7
ein grünes, höheres Stück aus Xanten ab; B. J. 41, Taf. IV steht
eine Schale von dunkelrothem durchscheinendem Glase mit zierlichem
Handgriff, gefunden 1865 in der Magnusstrasse zu Köln ; das Kölner Mu-
seum besitzt zwei grüne und eine braune Schale, das Bonner unter No. 864
einen schönen blauen Glaskumpen, gefunden zu Müden bei Carden a. d.
Mosel, sodann 6 hellgrüne Scherben aus dem Neusser Lager. In An-
dernach fanden sich Scherben. Fröhn er bildet in derverrerie antique
pl. XVIII 86 eine sehr schöne gerippte Schale ab. Smith Roman London
gibt pl. XXXI 2 eine grüne, pl. XXXII 1—6, 8 bunte Scherben aus
London, S. 123 ein ganzes Exemplar aus Takeley in Essex, S. 122
ein solches aus Ntraes (Nemausus). Selbst in Süd-Russland kommen
sie vor*). Verschiedene Umstände weisen nns in frühe Zeit. Die
Asberger giiine Schale wurde zusammen mit dem Sigillata-Napf
gefunden, den ^r in die Mitte des I. Jahrhundert« gesetzt haben.
Die Andernacher Scherben setzt Koenen in die Zeit nm Nero*).
Bei dem Bonner blauen Glaskumpen fanden sich laut Inventar Mün^
zen von Vespasian und Domitian. Die Schale aus Takeley stand in
einem Sigillata-Gefäss, das auch 3 Münzen von Vespasian enthielt, die,
wie es bei Smith Roman London S. 123 heisst, Vom Verkehr nicht
gelitten hatten'.
1) Z. B. enthalten die Taf. V— VII B. J. 71, Gläser der Sammlung
Disch, T. I, II B. J. 81, kein einziges Exemplar.
2) Antiqu. du Bosph. Cimm. Taf. 77,6; 78,5,6.
3) B. J. 86 S. 173, 1 nr. 10 verbunden mit Taf. VI 14 S. 223,
8. Die Interpolationen des gromatischen Corpus.
Von
Th. Mommsen.
Von den in unserem gromatischen Corpus vereinigten Schrift-
stücken gehören die grösseren, meistentheils mit gesicherten Autor-
namen versehenen, überwiegend der besseren Litteraturperiode an
und können mit den überall massgebenden Einschränkungen für
die sachliche Untersuchung als zuverlässige Quellen betrachtet wer-
den. Aber eine allerdings nicht sehr umfängliche Reihe anderer,
theils benannter; theils anonymer Schriftstücke sind diesen ungefilhr
mit demselben Recht beigesellt, wie das Buch Esther dem Penta-
teuch. Die ziemlich unterschiedslose Benutzung der gesammten uns
unter denselben Buchdeckeln vorliegenden Masse, wie sie zum Bei-
spiel in den sonst so trefflichen gromatischen Institutionen Rudorffs
durchgängig stattfindet, gereicht der Forschung zum Schaden, und
es ist der Zweck dieser Blätter, davor zu warnen. Den Philologen,
die sich eingehend mit den Oromatikem beschäftigt haben, werden
sie wenig Neue^ bringen, aber als zusammenfassende Uebersicht
doch vielleicht nicht ganz unnütz sein.
Es ist dabei auszugehen von dem Gisgensatz der beiden gro-
matischen Corpora, auf welchen unsere Ueberlieferung beruht: das
bessere ist überliefert durch die erste Klasse Lachmann -Blumes,
das heisst die Handschriften AB nebst den aus diesen vor dem spä-
teren Blattverlust geflossenen Abschriften J F, sowie durch die dritte
Klasse {E), da diese von der ersten sich wesentlich nur durch die ver-
änderte Ordnung unterscheidet; das geringere durch die zweite Klasse
der Ausgabe {PO^ welche letztere Handschrift aus der ersteren
jetzt defecten, damals noch vollständigen abgeschrieben zu sein
scheint). Um das Gesammtergebniss vorweg zu nehmen: das
t)ie Interpolationen des gromaiischen Corpus. 2fd
eratQ Corpus ist eine gromatisehe Gompilation aus der zweiten
Hälfte des fünften Jahrhunderts und im Grossen und Ganzen nicht
interpolirt; das zweite ist aus dem ereteren geflossen, aber in der
Weise yermehrt, dass, was dieses allein bietet, überwiegend als
Fälschung frühestens der zweiten Hälfte des sephsten Jalu'hjinderts
sich darstellt.
Die gromatisehe Sammlung, wie sie den Handschriften ABE
zu Grunde liegt, enthält oder enthielt die Schriften des Frontiii; des
Agennius, des Balbns, des Siculi^s Flaccus, die beiden dem Hygin
beigelegten, die Schrift über die Lagerachlagung, die unter den Namen
des Epapliroditus und des Vitruvius gehenden geometrischen Auf-
gaben, die Schrift des M. Junius Nipsus^ das mamilische Geseta,
endlich ausser einigen kleineren Pseudonymen oder anonymen Trac-
taten {de sepülchris p. 271. 272; üebersicht über die termini
p. 242,7 — ^243,17; agrorum quae sit inspecüo p. 281 — 284) das
italische Städte verzeichniss wesentlich in der Gestalt, wie es in der
Ausgabe als Über coloniarum prior vorliegt. Der Titel finium re-
gundorum des 438 publicirten theodosischen Codex fehlt in AB,
findet sich aber schon in E. Da alle auf uns gekommenen Hand-
schriften zerrüttet und verstümmelt sind, sind mehrere dieser Stücke
defect und können kleinere Bestaudtheile der Sammlung uns mög-
licher Weise ganz fehlen, üeberwiegend gehören die in dieser
Sammlung vereinigten Stücke der Fachlitteratnr der guten Kaiser-
zeit an. Indess ist dieselbe von Interpolationen nicht frei geblieben.
Abgesehen von den kleinen Tractat de sepülchris^ welcher durch
unvernünftige Zusätze am Anfang und am Sehluss in eine an die
Triumvim Octavian, Antonius und Lepidus adressirte Verordnung
des Kaisers Tiberius umgewandelt ist^ hat am meisten das Städte-
verzeichniss gelitten. Die Grundlage dieser Listen ist gut wd alt;
aber fast bei jeder Ortschaft zeigen sie die Spuren davon, dass sie
um 450 n. Chr. aus dem Bureau der stadtrömischen Fel4mes8er
überarbeitet hervorgegangen sind^ wofür ich auf meine Darlegungen
Feldm. 2, 176 fg. und Hermes 18, 173 fg. verweise. Es gibt uns
dies zugleich einen Anhalt für die Epoche der Redaction der ganzen
Sammlung. Für die weitere Entwickelung kommt in Betracht,
dass in den wenigen Abschnitten des Städteverzeichnisses, welche
der Text E vor dem Text A voraus hat (p. 239, 20—240,
15,) sich deutliche fipuren gesteigerter Interpolation zeigen; es
scheint jener einer etwas späteren Textgestaltung anzugehören.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthafr. im Rhcinl. XCVI. lg
074 •? h. kl o m m ß ^ n i
Im Ganzen aber hält die Textfälschnng sich in derReeension^jSJ^
in bescheidenen Grenzen.
Ein einziges diesem Coi*pu8 einverleibtes SchriftstQek scheidet
durch die barbarische Sprache wie dnrch die Nichtigkeit seines
Inhalts ans dieser Beihe werthvoUer Reste ans : dies sind die casae
litterarum (p. 327,4 — 331,7). So weit es nicht, sicher durch die
Schuld mehr des Concipienten als des Abschreibers, geradezu unver-
ständlich ist, stellt es sich dar als entnommen einer Art von Situa-
tionsplan, darstellend 25 mit den Buchstaben des Alphabets bezeich-
nete Häuser, dazwischen Wasserläufe, Berge und Wege. Bei
jedem Hause werden zunächst die fines angegeben» das heisst die
dazu gehörige Bodenfläche:
P finis ante se habentem
D.Q finis po8 se habentes oder poa se finem habet
R finis super se habentem
CT finis super se non habentes oder super se finem nihü
habentem
X finis in longo habentem
B.Y finis grandis habentes
M.S.V finis egregios habentes
G tortas fines habentis
N sinistram partem finis nihil habet
Z finis nihü habentes
Aus den Angaben über die Berge und die Wasserläufe setze
ich einige leidlich verständliche her:
V super se montem et casa in piano loco posita
N aisa in eampo posita
F (vgl. G.H.O) casa in monte posita
A super se montem habente
D super se mittit usque in balle montem de latus habentem
K super se montem habentem de latus baUem habentem
A sinistra partem aquam mvam significat
K et in vollem duas aquas vivas habentis
M dextra levaque aquam vivam significat
Q muUas aquas vivas transeunt de sinistram partem in
alias fines
S super se aquam vibam significat ^ de orientalibus partHms
rivum significat
Die Interpolationen des gromatischen Corpos. 2^5
V 8ub 86 rivum discindit et de leva parte rwus alter
Y habentem de latus in rinistris fontem super casa
duo rif>ara current
Z de sinistris partibus proximum fontanam habentem
M hoc casa (occasuf) aquam in curtem habentem.
Diese wirren Ansetznogen steigern sich in das Maasslose hin-
sichtlich der Angaben über Wege und sonstige von Menschenhand
herrührende Dinge : wir kommen anf die Einzelheiten, arca^ hoton-
tinuSy lavacrum, memoria^ trifimum^ limes sextaneus, weiterbin
zurück. Das Ganze macht den Eindruck eines Scbnlexercitiams
zu dem Zweck, den Schüler die auf dem Situationsplan ge-
gebenen Darstellungen in Wortbeschreibungen umsetzen zu lassen,
was an sich wohl für den gromatischen Unterricht passt, hier
aber in einer theoretisch wie praktisch gleich unbrauchbaren
und völlig barbarischen Exemplification auftritt. Das Merk-
würdigste an dem ganzen Stück ist, dass es, nach Zeit und Ort
hinreichend bestimmt, uns einen Maassstab gibt für den Tiefstand
der höheren Bildung in der Stadt Rom nach Alarich und vor
Theoderich.
Auch die jüngere Sammlung ist nach Ort und Zeit ungefilhr
bestimmbar. Sie ist so, wie sie vorliegt, im Laufe des 6. oder des
7. Jahrhunderts gestaltet worden. Unter den hinzugekommenen
Stücken sind für die Zeitbestimmung wichtig ein Abschnitt
der im J. 533 publicirten justinianischen Digesten und Aus-
züge aus den Origines Isidors (f 636). Da der Pandektentext die
vollen InscriptioneA und die griechischen Stellen im Original und
unverdorben hat und die Digesten nicht lange nach Jnstinian in
Italien ausser Gebrauch kamen, kann dessen Aufnahme in die Samm-
lung nicht wohl später als in die Mitte des 6. Jahrhunderts gesetzt
werden; wenn die isidorischen Excerpte nicht bloss durch spätere
Schreiberwillkür mit der Sammlung vereinigt worden sind, was
möglich ist, wenn auch nach ihrer Stellung in derselben nicht ge-
rade wahrscheinlich, so ist die Sammlung in ihrer gegenwärtigen
Gestalt mindestens ein Jahrhundert jünger. Eine letzte Grenze gibt
das Alter der im 10. Jahrhundert geschriebenen palatinisclien Hand>
Schrift. — Oertlich kann auch diese Sammlung nicht ausserhalb
Italiens entstanden sein, da das ihr eigen thümiiche Städteverzeichniss
ausschliesslich italienisch ist. Bestätigend tritt hinzu, dass in den
easae litterarum dieser Recension keine andei*e geographisch be-
2?6 th. Moiilin^ehi
Stimmte Localität gefunden wird^ als die sehr oft genannte Flaminia
und daBS für Fälle extra Italiam Ausnahmebestimmungen getroffen
werden (p. 335,7. 337,25). Es kann dagegen nicht geltend ge-
macht werden, dass in den hinzugekommenen Stücken von Messungen
in Constantinopel (p. 351,15, angeblich vom Kaiser Arcadius) und
Africa (p. 307,24. 344,4. 353,2.20) gehandelt wird, da das
Rom des siebenten Jahrhunderts dem byzantinischen Machtbereich
angehört. Wahrscheinlich ist, wie ich schon früher vermuthet habe
(Feldmesser 2, 166), die jüngere Recension in Dalmaticn entstanden.
Diese Landschaft, unter Theoderich ein Thcil seines Ilerrschaitsge-
biets^), ist auch unter dem byzantinischen Regiment bei Italien geblie-
ben; und es ist schwerlich zufällig, dasB in dieser zweiten Redac-
tion dem besseren Über colonim'um die Provinz Dalmaticn zugefügt
worden ist^).
Diese jüngere Sammlung ruht, wie gesagt, auf der ältere^n;
wenn mamAe der in dieser enthaltenen Stücke i» der jüngeren
Recension verstümmelt sind, insbesondere Frontinus und Kipsus,
so sind dies Schäden der Abschrift und hat der Redaetor allem
Anschein nach von den wesentlichen Bestandtheilen der älteren
Sammlung keinen geradezu weggelassen mit Ausnahme der Schrift über
die Lagerbeschreibung, die ihm ohne Zweifel für seine praktischen
Zwecke entbehrlich erschien. Für den Text ist sie selbständig und
sehr häufig werden Lücken der älteren Sammlung (zum Beispiel die
grossen im Siculus Flaceus p. 142,1—145,2. 148,19—165,24) und
Corrnptelen derselben durch die jüngere authentisch ergänzt oder-
gebessert. Auch von allgemeiner Interpolation der Texte (lält sich
die Sammlung frei. Aber einzelne Abschnitte sind in der jüngeren
Redaction in eine andere Foim gebi-acht oder hinzugefügt worden;
von diesen soll jetzt gehandelt werden.
1. Vor allem charakteristisch für die jüngere Recension ist
der nur in ihr auftretende Commentar zu den beiden Tractaten
des Frontinus de agrorum qtuilUate und de controversiis, welcher,
in der handschriftlichen Ueberlieferung dem echten Frontinus vor-
1) Neues Archiv für deutsche Geschichte 14,503; meine Caasiodor
Ausgabe im Index p. 503.
2) Constantin Porph. de them. 2 p. 57 Bonn : ^ Sk AaXfiaria rtj^ 'ha-
Xias iori x^Q^' J^^« Lydns (dem ich a. a. 0. Unrecht gethan habe) dt
mens, 4,60.
3) Auch die arcae und arcellae passen dazu (vgl. unten J9^ 290).
Die Interpolationen des gromatischen Corpus. 277
aufgebend und in derselben zu Unreebt dem Agennius Urbicas
beigelegt, als Untersatz zu jenen Traetaten bei Lacbmann p. 1 — 26
abgedruckt ist. Die Bescbaffenbeit dieser Schrift ^ obwohl von
Lachmann wohl erkannt, ist meines Wissens weder von ihm noch
von Späteren auseinander gesetzt worden. Nach der VoiTede ist
das Werk ein Schulbuch, bestimmt die jungen Leute, die nach Er-
ledigang des niederen Unterrichtes dem höheren (Utteriif seeundis
ac Itberalibus) sich ztiwenden, in diesen Theil desselben einzufahren.
Wir erfahren daraus, was meines Wissens sonst nicht bezeugt ist,
dass in der Jugendbildung dieser Epoche, wie wir sie im Allge-
meinen ans Augustinus, Macrobius, Boethius kennen, das höhere
Stadium auch die Feldmesskunst bis zu einem gewissen Grade
einschloss. Zu den eigentlichen vier oberen artes liberales: Geo-
metrie, Arithmetik, Musik, Astronomie, gehört allerdings die Gro-
roatik nicht, aber scharf war dieser Kreis schwerlich abgegrenzt
und sie konnte leicht an die Geometrie angeschlossen werden. —
Der Commentar, der uns hier vorliegt, besteht im Wesentlichen
darin, dass in die frontinische Schrift zwei andere ebenfalls in der
älteren Recension enthaltene gromatische Schriften oder Schrift-
theile hineingearbeitet sind, welche letztere desshalb aus der jüngeren
Sammlung beseitigt wurden: es sind dies die Schrift des Agen-
nius Urbicns über die agrarischen Controversen und der gleich-
artige Abschnitt des (sogenannten älteren) Hyginus.
a. Von der Schrift über die agrarischen Controversen (p. 59
— 90 der Ausgabe), welche die ältere Sammlung in der Subscrip-
tion dem Agennius Urbicus beilegt, ist in die zweite Sammlung in
der ursprünglichen Form nur ein einzelnes Blatt p. 73,28 — 74,10=
42, 21—43, 13^) gelangt, das ohne Zweifel in dem ihrem Sedactor
vorliegenden Exemplar der älteren Sammlung von seinem Platze
verschlagen worden war und darum nicht, wie das übrige Werk,
in der jüngeren wegblieb. Dagegen hat der Verfasser des Com-
mentars zum Frontin in denselben eine Reihe von Auszügen aus dem
1) Das Anhängsel 74,11 nam et — 14 ostendunt = 43, 14—17 ist
nicht zum Agennius zu ziehen schon der Zciclinungen wegen (auch
Fig. 34 gehört offenbar zu 74, 11, nicht zu 74, 10), die im Agennius nicht
vorkommen, kann aber auch nach dem Inhalt {trifinium!) zu diesem nicht ge-
hören. In den Handschriften PGj welche dieses Stück aufbewahrt haben,
steht es zwischen den Excerpten aus Faustus und Valerius p. 307. 308
und denen aus Latiuus p. 309, und hierher gehören offenbar auch jene
vier Zeilep,
278 Th. Mommsen:
Agennius aufgenommen; die erste derartige Stelle ist p. 79,13 et
sunt pUrumque — 17 ita esse =15, 10 — 19 und es folgen weitere
genan in der Folge bei Agennius bis zu der letzten p. 89,5 saus
ut puto genera controversiarum exposui — 90, 24 artifices cogun-
tur = 25, 4 — 26, 25, in welchen Epilog ausserdem einige bei Agen-
nius in der Einleitung stehende Brocken p. 68,16. 69,3.20. 70,1
eingelegt sind. Mit Rücksicht darauf, dass der Epilog des nur die
Controversen behandelnden Agennius von dem Commentator für sein
in der ersten Hälfte de agrorum queUitate handelndes Werk ver-
wendet wird, setzt er nach controversiarum hinzu vel primum
agri qualitatem. Was schon hiernach evident ist, dass nicht
Agennius aus dem Commentator, sondern der Commentator aus
Agennius geschöpft hat^), bestätigt die Vergleichung überall. Dass
derjenige Theil des agennischen Werkes, welcher in unseren Exem-
plaren der älteren Redaction unter dem unzweifelhaft echten Namen
des Agennius Urbicus mit In- und Subscription vorliegt (p. 77,20
— 90, 21), auch von dem Redactor der zweiten Sammlung unter
demselben Namen gelesen ward, wird dadurch ausser Zweifel ge-
setzt, dass er mit dem Epilog zugleich diesen Namen übernommen
und ihn als Inscription p. 1, 5 seinem ganzen Commentar vorgesetzt
hat. Der vorhergehende Abschnitt aber (p. 58 — 77, 18), der in
unseren Handschriften der ersten Recension lückenhaft und ver-
wirrt und ohne Verfassemamen überliefert ist, war wohl schon
zerrüttet, als die zweite Recension entstand, und ging unter dem
Namen des Frontinus, da der Verfasser des Frontincommentars
p. 10,19 eine Stelle daraus p. 68,6 als Worte des Frontinus an-
führt und die zweite Recension ihrem vorher erwähnten einzelnen
Agennius - Blatt die vermnthlich dem Uufenden Blatttitel entnom-
mene Ueberschrift gegeben hat ex libro Frontini secundo*). Aus
1) Dass Lachmann 2, 110 dies unentschieden lässt, ist nichts als ein
Uebersehen der nicht von ihm abgeschlossenen Untersuchung. Danach
kann es auch nicht zweifelhaft sein, dass der Name des Agennius Urbicus
vor der Controversenschrift zu Recht und vor dem Frontincommentar
zu Unrecht steht.
2) Diese Ueberschrift ex libro Frontini secundo ist von Lach-
mann ohne zureichenden Grund 26,3 eingesetzt worden; hier ist über-
haupt kein Abschnitt, da 25, 1 und 26, 5 deutlich zusammengehören. Meines
Erachtens kann als frontinisch nur p. 1—34,13 der Ausgabe betrachtet
werden, welche auch die In- und die Subscription der besseren Recension
dem Frontin beilegten. Die Ordnung war wohl dieselbe wie bei H7gin ;
Die Interpolationen des gromatischen Corpus. 279
inneren Grttuden aber kann dieser Abschnitt nmnöglich fron-'
tinisch sein; sicher richtig hat Lachmann darin die erste Hälfte
der Controversen des Agennius erkannt. — Das Yerhältniss
der Controversenschrift des Agennius zu derjenigen Frontins
über denselben Gegenstand kann hier unberührt bleiben; Lach-
manns Ansicht) dass Frontinus diesen Gegenstand zweimal be-
arbeitet und Agennius dessen zweite ausführlichere Bearbeitung
überarbeitet hat; scheint mir wenig wahrscheinlich. Auf alle Fälle
ist es rathsam, den überlieferten Text des Agennius p. 59 — 90
anstatt des von Lachmann daraus hergestellten nach ihm frontini-
schen p. 34^ 13 — 58^ 22 zu benutzen.
b. Weiter hat der Gommentator den letzten Abschnitt des hy-
ginischen Lehrbuchs von p. 123, 17 nunc de generibus conirover-
siarum perscribam bis zum Schluss p. 134 aus seinen Digesten
entfernt und dagegen sehr umfängliche Auszüge daraus seinem Fron-
tincommentar einverleibt.
Wenn zu diesen Excerpten noch eine einzelne Stelle aus Baibus
p. 4,28 — 5, 13 = 104,3 — 7 gefögt wird, so ist damit erschöpft,
was der Verfasser des Frontincommentars aus noch vorhandenen
Bestandtheilen des älteren Corpus entlehnt hat^). Aber er hat auch
Stücke gehabt, die uns fehlen, nicht eigentlich andere Quellen'),
aber wahrscheinlich die beiden oben angeführten jetzt stark ver-
stümmelten vollständiger als wir sie besitzen'). Zweimal p. 3,23. 28
de limitibus (p. 27, 13—34, 13) — de agrorum qucditate (p. 1—8) — de
controversiis (p. 9—26, 2). Der Abschnitt über solidum und cuUellatum
p. 26, 5—27, 12 scheint nicht am richtigen Platz zu stehen.
1) Die Stelle p. 11,24 kehrt zwar wieder im Städteverzeichniss
p. 220, 15, aber Lachmann 2, 141 hat sehr schön gezeigt, dass der Gom-
mentator sie nicht diesem entnommen hat, sondern dem Hyginus.
2) Lachmanns Vermuthiing 2, 108, dass der Verfasser des Fron-
tincommentars einen älteren gleichartigen benutzt hat, kann ich nicht
theilen. Was in den Stellen steht, auf die sich Lachmann beruft, dass
die richterliche Entscheidung nicht denMensoren zukommt, sondern dem
Statthalter (16, 20), und dass diese nur die Grenzen zu weisen haben, aber
Land zu adsigniren allein der Kaiser befugt ist (8, 26), dürfte, auch
abgesehen davon, dass dergleichen bei Hyginus oder Agennius gestanden
haben kann, der Verfasser des Commentars wohl aus eigenen Mitteln
haben beschaffen können.
3) Lachmann (2, 129) nimmt an, dass der Gommentator nicht bloss
für uns verlorene Blätter des Agennius benutzt, sondern auch in dem
anscheinend äusaerlich vollständigen Theil einen volleren, in unseren
280 Th. Momni sen:
führt er den Hygiiius au, wo unser Hygintext anscheinend versagt*);
eine Reihe anderer Stellen aus dem Commentar bat Lacbmann
Handschriften durch Schreiberwillkür gekürzten Text gehabt hat. Aber
die fraglichen Stellen scheinen mir nicht dem Agennius zu gehören. Es
handelt sich um die folgenden:
15. 10 nam ubi mons — 16 stringebantur (ergänzt im Agennius 79, 7—18, im
Frontin 48,9—16). Es ist dies lediglich Amplification der im Com-
mentar vorhergehenden Worte Frontins und kann füglich dem
Commentator gehören.
16, 16 sunt et aliae proprietates^ quae municipiis a principibus sunt
concessae (danach im Agennius 80, 9. 10, im Frontin 49, 12. 13). Dies
ist Umschreibung des Commentators für den Satz des Agennius:
alia beneficia etiatn qtiaedam municipia acceperunt
21.11 sunt silvae .... 14 peregrinis (danach im Agennius 86,4—7, im
Frontinus 55, 4—7). Da von der Holzlieferung in balnea eben vor-
her die Hede gewesen ist, so hat Agennius schwerlich die Lieferung*
in lavacra publica folgen lassen. Die Freigebung der pascua
quibuscumque m urbem venientibus peregrinis ist seltsam und
schwerlich jdem Agennius beizulegen.
21, 20 sunt autem loca publica coloniamim .... 28 casalia non utuntur
(danach bei Agennius 86, 16—25, bei Frontinus 55, 16—22). Was
hier über die praefecturae gesagt wird, hat der Commentator offen-
bar aus 16, 10 wiederholt. Warum die Bemerkung über die Tiber-
insel aus Agennius genommen sein soll, ist nicht ersichtlich.
22, 25 si enim loca sacra ... 23, 28 perspicimus (danach bei Agennius 88, 4 —
17, bei Frontinus p. 57, 5—20) ist sicher in dieser Gestalt nicht von
Agennius; die Worte des Commentators in Italia multi crescente
religione sacratissima Christiana lucos profanos sive templorum loca
occupaverunt et serunt sind vielmehr Umschreibung derjenigen des
Agennius: in Italia densitas possessorum multum improbe facit et
lucos sacros occupat, ebenso wie bei den folgenden: lucos fre-
quenter in tinfinia et quadrifinia invenimus, sicut in suburbanis
. . . perspicimtis die Stelle des Agennius benutzt ist: haec maxime
aut in loco urbis aut in suburbanis locis privatis detinentur.
23, 31 si aqua ... 24, 18 peritia finiendum (danach bei Agennius 89, 3—9,
bei Frontinus 58, 4, 10) passt in den Agennius nicht gut.
Wenn man erwägt, dass wir die handschriftlichen Quellen des Commen-
tators keineswegs vollständig besitzen und noch weniger zu ermessen
im Stande sind, was er aus seinem eigenen Vermögen hat hinzuthun
können, so empfiehlt es sich gewiss nicht, einen in der bezeichneten
Weise vermehrten Agennius-Text zu schaffen. Die Lachmannsche Aus-
gabe fordert sehr vorsichtigen Gebrauch. In einem neuen Abdrucke wäre
es dringend zu wünschen in dem Text des Commentars die sicheren und
die nur conjecturalen Entlehnungen durch verschiedene Schrift kenntlich
zu machen und auf die sämmtlichen Reconciunationen zu verzichten.
1) Der sogenannte jüngere Hygin hat entsprechende Stellen, aber
Die Interpolationen des gromatischen Corpus. 281
(2, 129 f. 139 f.) vcrmuthungsweise theils dem Agennius p. 67,12.
70, 11. 71, 11. 72,24. 73,5, theils dem (älteren) Hyginus p. 108—111.
113 — 115 zugewiesen. Dabei bleibt selbstverständlich das Einzelne
zweifelhaft; indess wird man im Wesentlichen dem grossen Sprach-
meister wenigstens hinsichtlich des Agennius beipflichten können.
Ob der Commentator den sogenannten älteren Hygin wirklich voll-
ständiger gehabt hat, ist minder sicher; was Lachmann auf diesen
znrQckgef&hrt hat, kann entweder auf freie Benutzung uns erhal-
tener Stellen zurückgehen (so auf 133,9 die schon durch die Be-
ziehung auf den augustischen Keichscensus bedenkliche Stelle 8,
18 — 22 = 111,3 — 7) oder auf die vielleicht von Lachmanu etwas
unterschätzte eigene Kunde des Verfassers.
2. Das Städteverzeichniss findet sich in der jüngeren Recension
in doppelter Gestalt, von denen die eine (in (? fehlende) im Ganzen
dem Über coloniarum I der Ausgabe entspricht, diejenige dagegen,
welche Lachmann p. 252 — 262 als Über coloniarum II heraus-
gegeben hat, der jüngeren Recension ausschliesslich eigen ist. Was
in dem Über coloniarum I die jüngere Recension allein hat, ist
durchaus minderwerthig. Unzweifelhaft gilt dies, wie ich schon früher
(Feldm.2, 157. 165) hervorgehoben habe, von einigen bei Picenum
gemachten kleineren Znsätzen und von der neu hinzutretenden pro-
vincia Dalmatia ; aber auch den Abschnitt über die überhaupt be-
denkliche provjincia Valeria p. 228,3 — 229,5 hätte ich strenger,
als a. a. 0. S. 167 geschehen ist, behandeln und mit den übrigen
Stücken der zweiten Recension auf eine Linie stellen sollen. Bei
einem neuen Abdruck der gromatischen Digesten wird es nothwen-
dig sein im Über coloniarum I die in -45 erhaltenen relativ reinen
Bestandtheile von den aus EP hinzutretenden sorgfältig zu schei-
den. Der gesammte Über coloniarum II aber charakterisirt sich
deutlich als verschlechternde Ueberarbeitung des über coloniarum /,
wie dies bereits früher (a. a. 0. S. 167 f.) von mir entwickelt wor-
den ist.
3. üeberarbeitet in den jüngeren Digesten ist auch der kleine
Abschnitt p. 242, 7 — 243, 17, eine Uebersicht der verschiedenen
Grenzsteiufonnen von Gracchus bis auf Traian, welche in den älteren
gromatischen Digesten unter den kleinen Schlussstücken steht, wäh-
sie stimmen im Wortlaut nicht und Benutzung dieser Schrift durch den
Commentator lässt sich nicht erweisen.
282 Th. Mommsen:
rend sie in den jüngeren nuter Verkürzung und Yerderbuug des
Anfangs an die Erwähnung der termini Augustei p. 228, 1 ange-
schlossen ist. In der Ausgabe steht sie nicht zweckmässig am
Schluss des Über coloniarum L Weiter erscheint die jüngere inter-
polatorisch verkürzte Foim im wesentlichen identisch in einem der
jüngeren ßecension eigenthümlichen Abschnitt (p. 347, 348) unter der
Ueberschrift Latinus et Mysrontius togati Augtistorum oMctores. Es
mögen hier die drei Texte stehen, um die interpolatorische Hand-
habung der zweiten ßecension zu verdeutlichen.
A p. 242,7
nxtio militiae (viel-
leicht limitum) adsig-
nationis prima {pri-
mae f) triumviralis la-
pides Graccani ro-
tundi columniaci, in
eapite diametrumped.
I et ped. 18, altus
ped, IUI et uns.
Item divi luli idem
sunt.
Item Augustei idem
sunt hoc rattone quod
Augustus eorum men-
suras recensiit et ubi
fuerunt lapides alias
constituit cet.
P p. 227, 16. 242, 11 PG p. 348, 1
et variis locis termi-
nos Augusteos ^), per
quorum cursusinPice-
no fines terminantur.
Item divi luli Augu-
stei pro hoc ratione
sunt, quod Augustus
eos recensivit et ubi
fuerunt lapides alias
constituit cet.
Nam in locis mon-
tanis terminos po-
suimus rotundos,quos
Augusteos vocamus,
pro hac ratione quod
Augustus eos recen-
sivit et ubi fuerunt
lapides alias consti-
tuit cet»
So geht es weiter mit Auslassungen, aber in wesentlicher Iden-
tität des jüngeren Textes mit dem älteren.
4. Analog behandelt werden die casae litterarum. Das in der
älteren Recension vorliegende Alphabet wiederholt in dieser bar-
barischen Gestalt in der jüngeren sich nicht; aber vier durchaus
analoge, zwei lateinische und zwei griechische, das zweite doppelt
1) Vgl. P bei Dalmatien p. 240,20: summa fnontiumy terminos
Augusteos, id est rotundos in efflgiem columnae.
Die Interpolationen des gromatischen Corpus. 283
(p.'SlO— 325. 331 — 338) treten daftlr ein, das erste nnter der üeber-
schrift ex libro XII Innocentius v. p. atictar de UtterU notis iuris
exponendisy das zweite ohne Ueberschrifl; das dritte in dem einen
Text ebenfalls ohne Ueberscbrift, in dem andern überschrieben ex-
positio litferarum finaliumy das vierte betitelt de casis litterarum
montium in ped. V fac. pede uno. Die Sprache ist minder roh
als in dem der älteren Sammlung einverleibten Exemplar^ die Dar-
legung aber künstlicher und oft unglaublich verzwickt, so dass die
bei jenem mögliche Annahme einer entsprechenden einfachen Zeich-
nung sich hier nicht mehr durchfuhren lässt. Im Wesentlichen gilt
sonst von diesen Verzeichnissen das von dem ältesten Gesagte.
Augenscheinlich haben wir gleichartige Schulexercitien vor unS; her-
rührend von einem grammatisch etwas weiter gediehenen, aber sonst
dem älteren gleichwerthigen Ludimagister, dem die Feder und der
GriiTel offenbar geläufiger waren als die Messstange.
5. Während in der älteren Sammlung der theodosische Codex
erst in der Recension E vertreten ist und die posttheodosiscben
Novellen ganz fehlen, haben von diesen drei in die jüngere p. 273
— 275 Aufnahme gefunden, aber in einer selbst in diesem Kreise
unerhört interpolirten Gestalt. Zwei derselben tit. 24 vom J. 443
und tit. 4 vom J. 438, die von den milites limitanei handeln, sind
hier dahin umgestaltet, dass den Mensoren die erste grössere Emolu-
mente, die zweite eine höhere Rangstufe beilegt; die dritte tit. 20
vom J. 440 ist nicht ganz so arg misshandelt, aber zwei rohe Ein-
lagen zeugen auch hier von der Absicht den Mensoren gegen die
bestehende Ordnung die rechtliche Entscheidung in Alluvionsstreitig-
keiten beizulegen.
6. Dazu tritt endlich eine der älteren Recension gänzlich un-
bekannte Masse von angeblichen Excerpten aus einer Menge von
Schriftstellern, auctores, wie sie hier heissen. Es sind dies die
etruskische Wahrsagerin Begoe (p. 348,17. 360,17), deren Brief an
den Aruns Velthymnus allerlei religiöse Merkwürdigkeiten enthält;
Mago (p. 348,46), doch wohl der alte karthagische Ackergelehrte;
der Kaiser Arcadius (p. 343,20. 351,12); Theodosius (p. 345,22),
auch wohl der Kaiser Theodosius II; dann die meistens als viri
perfectisfdmij zum Theil auch als togati (Advocaten) titnlirten
Auetoren Dolabella (p. 302); Faustus (p. 307, 21. 353,1); Gaius
(p. 307,1. 345,23); Innocentius (p. 310,2); Latinus (p. 305,1.
309, 1, 347, 1); Mysrontius (p. 347, 1); Valerius (p. 307, 22.
284 Th. Mommsen:
353,1); Vitalis (p. 307, 14. 343,20. 352,7), denen dann noch
eine Reihe kleiner, ohne Namen der Verfasser auftretender Abschnitte
beigefügt sind. Die Gesammtmasse macht den Eindiuck von Ex-
cerpten ans einem nach Art der justinianischen Digesten geord-
neten, vielleicht bloss gromatischen, vielleicht umfassenderen Sam-
melwerk, dessen zwölftes Buch zweimal angeführt wird, einmal
p. 310, 1 vor dem Auszug aus Innocentius und allgemein von
dem Kaiser Arcadius p. 351, 20 : sicut in Ubro XII auctores con-
stituerunt. Dass das, was uns vorliegt, in der That Excerpte
sind, findet eine Bestätigung darin, dass die zwei Stellen aus
Gaius und die drei aus Vitalis in verschiedener Vollständigkeit
auf eine gemeinschaftliche Quelle zurückgehen. Aber damit wird
die nicht abzuweisende Frage nach der Echtheit dieser Collectaneen
nur etwa um eine Stufe zurückgeschoben. Anderweitige Anleh-
nung finden diese Citate nirgends ausser in einem anderen der Zu-
satzstücke der zweiten Redaction, indem der liber coloniartim II
p. 253,24 mit den signa quae in libris auctorum leguntur (vgl.
255, 16) aufDolabella p. 303, 4 verweist, und allenfalls in den cas(»e
Utterarumy welche mehrfach (p. 313,12, 316,24. 317,14. 322,25)
auf die auctores verweisen. Kann einer Compilation des 6. Jahr-
hunderts n. Chr., deren Redaetor die Ueberschrift Balbi ad Celsum
umgewandelt hat in lulius Frontinus Celso^) und dessen Interpola-
tionen der theodosischen Novellen an Unverschämtheit ihres gleichen
suchen, diese Schaar sonst unbekannter Gromatiker in gutem Glau-
ben entnommen werden? Dass eines dieser Excerpte in der älteren
Sammlung anonym vorkommt, während es die jüngere Recension
in interpolirter Form dem Latinus beilegt ^), und dass eine Variation
der in der älteren Sammlung ebenfalls anonym auftretenden Hans-
alphabete hier dem Innocentius und dem zwölften Buch der Samm-
lung zugeschrieben wird, muss den Verdacht wesentlich steigern.
Dieser durch die äusserlichen Momente erweckte Verdacht gegen
die der jüngeren Sammlung eigenthttmlichen Abschnitte wird zur Ge-
wissheit, wenn dieselben auf ihren Inhalt geprüft und die darin auftre-
tenden üngehörigkeiten erwogen werden. Zwar in dem Frontincommcn-
1) Allerdings leitete ihn dabei die Subscription der Hlteren Samm-
lung p. 108,8: explicit liber Frontonis.
2) S. 282. Auch das dem Mago beigelegte Stück knüpft p. 348,19 in
bedenklicher Weise an den interpolirten Abschnitt der älteren Sammlung
de sepulcris p. 271, 11 an, sowie p. 349, 10 an die Interpolation der
theodosischen Verordnung.
t)ie Interpolationen des gtomatischen Corpus. 085
tar begegnen uns dieselben nicht, sei es, dass dieser in noch umfassen-
derem Grade, als jetzt angenommen wird, einen blossen Cento ans
älteren Schriften darstellt, sei es, was mehr Wahrscheinlichkeit hat,
dass er von anderer Hand herrührt als die übrigen der jüngeren
Redaction eigenthümlichen Stücke, die Umarbeitung des Über co-
loniarum, die Zusätze zu den theodosischen Verordnungen, die
casae littermmm , die Auszüge aus den gromatischen Digesten.
Durch alle diese geht, wie ich schon vor vielen Jahren in den
Feldmessern (2, 163. 164) erinnert habe, die Tendenz die Grenzmarken,
sowohl die natürlichen wie die von Menschenhand gesetzten Merkzei-
chen zu specialisiren, und an dieses Bestreben knüpfen sich eine Anzahl
gleichartiger Verkehrtheiten. Schon in der ältercti Kecension, so-
wohl in ihrem Städteverzeichniss wie vor allen Dingen in dem ihr
einverleibten schlechten Schulexercitium , den casae Wterarum,
zeigen sich davon die Anfänge, so dass wir den Ursprung dieser
Schwindeleien iii der Tradition des gromatischen Schulunterrichts zu
suchen haben werden; die jüngere wird ganz von ihnen beheirscht.
Es erscheint erfonlerlich, von diesen verwinten Ansetzungen die
wiclitigsten hervorzuheben. Dass auch sprachlich diese Stücke
gleichartig sind, zum Beisi)iel in dem Gcl)much von latitia für
latifudo und in der incoiTCCten Verwendung der Präposition de,
will icli nnr andeuten.
Das Limitationssystem der Römer kennt die Zählung der
kardines und decimaniy gibt aber der sechsten Stelle keine beson-
dere Bedeutung. Dagegen spielt der limes sextaneus^), welcher
in der älteren Sammlung nur in den casae und in dem Verzeiehrtiss
der nomina limitum p. 248, 15 auftritt, in der jüngeren eine het^
vorragende Rolle: er ei-scheint massenhaft in den casae, aber auch
bei Mago 350, 14 : limes sextaneus transit per limitem possessionis
und bei Vitalis 345, 18 « 352, 11 vgl. 342,25.
1) RutlorfP 2, 344 versteht darunter den kardo maximus ^ weil
dieser in horam sexfam trifft (p. 170, 8). Aber es kann auch der Schreiber
daran gedacht haben, dass der limes quintarius, insofern die Haupt-
h'öie mitgezählt wird, auch als Bechster geeählt werden kann (p. 11^,
91g. 174,17: hunc voliint esse guintum, qui est sextus). Die unlateinische
Endung auf -eus ist auch charakteristisch für diese halb by^ntinischen
Schriftstücke, die ebenso stets von dem limes oder terminus Auqustetts
sprechen, niemals lateinisch von Augustus oder Augustanus (einmal
Augustianus p. 237, 2).
iSA Th. Mommseni
Von dem limes GaUicus weiss die gute Litteratnr ebenfalls
nichts; in der älteren Sammlang begegnet er nur an einer
zweifellos interpolirten Stelle des Städteverzeichnisses p. 227,
11 : ager Falerionensis limitibtts maritimis et GaUids, quos diH-
mu8 decimanos et kardines; femer wie der sextaneus in den casae
p. 328,20: finis quadratos habentes limites maritimense GaUicu
intercidunt und in dem Namen verzeichniss 248, 10 : limites GaUici
hinter den limites maritimu In den jüngeren Stücken findet er
sich, abgesehen von der Wiederholung der Notiz über den ciger
Falerionensis p. 2ö6, 6, an folgenden Stellen :
lih. coL II p. 252,2: Adrianus ager limitibus maritimis et
GMicis, quos nos d. et k. appeUamus.
lib. col. II p. 256, 16 : Kamerinus «... ager eins limitibus
maritimis et Gallicis continetur.
casae p. 314, 30 : fines in quadro Habens : limes maritimus Galr
licum intercidet — offenbar Rectification der aus der älteren
Sammlung angeführten Stelle.
casae p. 334, 12 : per GaUicum limitem latitia ped. oo L.
Fausttts und Yalerius p. 308, 18 : circa urbem Babylonis Romas
maritimum fiet et GaUicum.
expositio limitum p. 359, 15 fg. : omnes limites maritimi out
Gallici una factura current, quoniam sanctior est, id est
iustior videtur maritimus limes frequentius solet rede studiri
. ... est GaUicus in sua consuetudine .... contra urbis
Babylonis Roma maritimi limites fient et GaUicus inpinget.
Handgreiflich ist hier aus den beiden Stellen der älteren Samm-
lung, die allem Anschein nach selbst nichts taugen, dieser Dop-
pelgänger des limes maritimus in eine Reihe von Angaben der
zweiten Recension hineingetragen worden.
Ein Hanptkriterium der späten Pseudogromatik ist, wie ge-
sagt, die Specialisirung der arcifinischen Grenzlinien durch zufällige
die Grenzsteine oder Grenzpfähle ergänzende Grenzmerkmale. Was
der Art bei den älteren Schriftstellern sich findet, ist ebenso spar-
sam wie sachgemäss : genannt werden in dieser Beziehung der
Fluss, der Graben, die Strasse, der Höhenzug {summa moniium iuga
oder ähnlich) und die Wasserscheide (divergia aquarum), die Tief-
linie der Bodensenkung {supercüium: p. 128, 15. 143,3), die Hecke,
der Steinhaufen {congeries lapidum, scorpio, attina), der freistehende
oder gezeichnete Baum. In der späteren Schriftmasse dagegen ver-
Die Interpolationen des gr omatischen Corpus. 28?
Behwinden die guten alten tecbnisehen Ausdrücke^ wie mpercilium
und divergium aquarum^ ganz oder fast ganz und treten in der neuen
Terniinologie Wortgruppen auf folgender Art :
p. 227, 15 arcae, ripae^ canabula, noverca . . . murij maceriae,
BCorofioneSf congerias, carbuncuü, fast ebenso 211,9.228,5-
262,3.256,8.
p. 259, 25 areaBy ripae, sepulturae, congeriae, carbuncuU, rwi,
supercüia et limites dscumani et kardines.
Dies ist nichts als ein wüstes Conglomerat halb oder nicht
yerstandener zum guten Theil synonymer oder gar in diese Verbin-
dung nicht gehöriger Ausdrücke; die den Grenzsteinen etwa unter-
legten Kohlen passen zu den sichtbaren Grenzmarken übel und gar
die decumani und Jcardines haben mit der arcifinischen Termination
nichts zu thun. Es soll dies weiter an einzelnen Beispielen dar-
gelegt werden.
Als arcifiniscbe Grenzmale begegnen in der guten gromatischen
Li tteratur Berge und Hügel nicht*), sondern nur der Höhenzug, die
summa montium iuga ; wo von montes in allgemeinen Angaben die
Bede ist (p. 5, 8. 41, 10), ist dieselbe Hochlinie gemeint. In der That
eignet die Anhöhe ohne nähere Determination sich ftir eine solche
Verwendung nicht, weil sie weder als Punkt noch als Linie hin-
reichend bestimmt ist. Zu den Kriterien der schlechten Masse
gehört dagegen der moTdicellus^ er begegnet häufig in den Auszü-
gen aus den gromatischen Digesten (p. 305 — 3&7) und in keines-
wegs vertranenei'weckender Weise. Die mit gelehrtem Herabsehen
anf die Ignoranten {qui nesciunt quid est in lectionibus) vor-
getragene Auseinandersetzung (p. 306, 9) , dass in Kriegszeiten
{in tempore quando milites occidebantur in bello püblico)
die Gefallenen regelmässig an den Trilinien und Quadrifinien*) bei-
gesetzt worden seien und zwar ein jeder unter besonderem Hügd,
ist hinreichende Warnung. Wenn nach einer mehrfach wiederholten
Notiz (307,17.345,15.352,8) der mitten auf der Grenze (lime^)
stehende Grenzstein {terminus), falls er nach einer Seite hin aus-
1) In dem Schema 19, 21 =s 114, 16 heisst es zwar: ex colle (Hdschr.
coUegio) qui appeUatur Hie ad f/umen iUuä, aber es gehört dies zu dön
nur im Frontincommentar enthaltenen vermuthungsweifle ron Lachmann
dem Hygin zugewiesenen Stücken, bei weleben die Wortfassung
keineswegs zuverlässig ist.
2) Was die centuriae hier bedeuten^ weiss ich nicht; vielleicht sind
die afrikanischen Steuerhufen (Marquardt Staatsverw. 2, 280) gemeinti ^
288 Th* Mommsent
gehöhlt ist^ auf drei Hügel hinweist (so scheint tres monticetlos
trarmt gemeint zu sein) und auf dem dritten Hügel am Bad eine
das Quadrifinium bezeichnende Steinkiste {arca) sich findet, so wird
es nicht gelingen diesen und ähnlichen Angaben eine bestimmte Vor-
stellung abzugewinnen. Verständlich ist es, dass nach einer an-
deren Notiz (p. 308,1) bei der africanischen Termination, um Grenz-
steine zu sparen^ dafür Erdhügel aufgeschüttet werden, sogenannte
hotontini. Es ist nichts im Wege darin eine africantsche Local-
gewohnheit und Bezeichnung zu erkennen, da alle die botofUini
behandehiden Stellen fttglich von africanischen Mensoren herrühren
können; für die allgemeine Groniatik ist eine derartige, nur durch
die Umgebung, in der sie auftritt, verdächtige Angabe auch dann
nicht verwendbar, wenn man sie gelten lässt.
Dass die Grabmäler bei der arcifinischen Termination gelegent-
lich erwähnt (19,28 = 114,23. 19,30 = 115,1. 347,5. 348, 14) und
namentlich in den casae Utterarum unter dem späten Namen memoria
häufig genannt werden, hat keine weitere Bedeutung; eine ge-
wisse Beachtung aber verdient die sepultura finalis (250,22. 341,
n. 361, 12. 405, 19; vergl. 243, 14. 271. 272), insofern die römfache
Sitte die Gräber längs der öffentlichen Wege, eventuell an der Grenze
des Privatackers anzulegen die Frage nahe legt, ob sie nicht bei
Grenzstreitigkeiten unter Umständen Berücksichtigung gefunden haben.
In der That sieht ein dem Dolabella beigelegtes Fragment^) dies
vor: um zu finden, nach welcher Seite hin das Grab an die Grenz-
linie stösst, soll fünf Fuss von demselben der Boden ausgehoben oder
aufgepflügt werden und ist die Grenze an derjenigen Seite, an wel-
cher Topfscherben oder ganze Töpfe zum Vorschein konunen. Irgend
welche monumentale Bestätigung dieser Angabe ist mir nicht bekannt
und bis eine solche sich finden sollte, verbietet die Unzaverlässig-
keit des Gewährsmannes ihr Glauben zu schenken.
Am auffallendsten unter den Grenzmalen ist die arca oder
arceUa, Die bessere gromatische Littcratur kennt die arca nicht;
selbst in dem Golonievei*zeichniss findet sie sich in der besten Hand-
schrift (Ä) nur an einer einzigen zweifellos in später Zeit eingescho-
benen Stelle^) und ebenso wenig erscheint das Wort in dieser Ver-
1) 308, 12 fg. Zu lesen iBtwoh] iuxta sepuUuram sive bustum {buxus
die Hdschr.) she etiam cineres {cineates die Hd8chr.)>
2) p. 227, 14 vgl. 2, 163. Die Worte p. 227, 5 gui in madum arceUae
facti sunt fehlen iui Arcerianus und sind Zusatz der jüngeren Recensioo.
Die Interpolationen des ^oiäatischen Corpus. 289
Wendung ausserhalb des gromatisehen Corpus. Dagegen begegnet
es überall in den nur in den geringeren Handschriften {PO) be-
wahrten Abschnitten des Colonialverzeichnisses ; femer sehr häufig
in den Auszügen aus Latinus und den gleichartigen Autoren; die
arca darf als das rechte Kennzeichen der Zugehörigkeit zu dieser
verdächtigen Masse angesehen werden. Auf die Frage, was sie
sei, fehlt die Antwort nicht: sie ist von Marmor (p. 334,25: arca
constituta marmorea. 363,28) und hohl (p. 308,25: terminua in
modum arcellae cavatus Claudianus dicitur; ähnlich p. 227,5). Die
Maasse giebt beispielsweise das Excei-pt aus Faustus und Valerius
p. 353,6 = 356,21: 30 Fuss lang, 15 Fuss breit, 7 Fuss hoch, also
3150 Fuss im Kubikinhalt, womit die Zeichnung (Fig. 288) über-
einstimmt. Aber die Zweckbestimmung bleibt fraglich. Da die
arca sehr häufig in Verbindung auftritt mit der aqua (z. B. 305, 8 :
ipsa aqua tiva in arca trifinii est] ähnlich 314,17.320,2) oder
mit dem alveus (312, 17: ipsa arca alveum significat] 317,33:
arca super ripa alvei constituta est; 319,10: sub alveo arca
constituta est pl[us] m[inus] ped, C de ripa alvei), auch mit dem
lavacrum (307, 19. 311,27. 319, 20. 352,9), könnte an einen Wasser-
behälter gedacht werden; aber diese Verbindung ist keineswegs
durchgehend und auch die quadratische Form, welche zum Wesen
der arca gehört, kann unmöglich als normale der Cisteme hin-
gestellt werden. Am nächsten liegt es immer bei der viereckigen
hohlen Steinkiste an den Sarkophag zu denken, der ja häufig arca
heisst; insbesondere wenn man sich an die Sitte der Spätzeit er-
innert, die Todten beizusetzen in mächtigen unter freiem Himmel
stehenden Steinsärgen, wie Cassiodor (var. 3, 19) die für die^carfa-
vera in supernis humata in Ravenna angefertigten arcae beschreibt
und wie sie uns der Soldatenfriedhof in Concordia und ähnliche
dalmatinische Sarkophagfelder ^) vor Augen ftihren. Dass der Grab-
stein, in diesem Spätlatein memoria, zuweilen mit der arca in Ver-
bindung gebracht wird (besonders 364, 28 : quia arcas — d. i. arcae
— aliquotiens circa sepulchrum sine dubio ponuntur et super ipsam
arcam memoriae constitutae . . . , ut in ipsa memoria ^consecra-
retur arca finalis, vgl, 315,27.324,2.329,7), lässt sich>it der
AuflFassung der arca als Sarkophag wohl vereinigen. Hirschfeld
1) Ich sah ein solches bei Spalato auf der Strasse nach Trau (C. I.
L. III p. 305).
Jahrb. d. Ver. v. Alterthifr. Im Rheinl. XOVI. 19
290 Th. Mommsenj
erinnert daran, dass die Bezeichnung arcell^ ausser bei unseren
Autoren allein auf einer dalmatiniscben Insclnift (C. I. L. III. 5
n- 9546) sich gefunden hat und dass die dalmatinischen Christen-
gräber nicht selten in eine sonst nicht vorkommende Verbindung
mit der piscina gebracht werden; da die Conipilatiou in Dahnatien
gemacht zu sein scheint (S.276), so bieten sich hier allerdings nach meh-
reren Seiten Anknüpfungspunkte. Aber andrerseits passen zu der
Auffassung der arca als Sarkophag die oben angegebenen Maasse
keineswegs, und vor allem bleibt es unerklärt, inwiefern die arca
als Sarkophag zugleich Grenzbezeichnung sein kann; daran aber ist
doch kein Zweifel. Sie heisst arca finalUi (241,2. 363,23. 364,32)
und es wird die arca in quadrißnio unter den termini aufge-
führt (341,16), auch sonst das quadrißnium (310,15.6 311,27.
312,8. 16. 352,10) wie das trißnium (325,9: arca in vionti'
cello posita, cui [d. h. iw quo] casales f= Dörfer] conveniunt; ideo
arca trißnium signißcat et territoria dividet; 313, 8. 315, 18. 352, 13.
360,22) durch die arca bezeichnet^). Richtig kann dies nicht
sein; gegenüber dem Schweigen der älteren und zuverlässigen
Zeugen und gegenüber dem Fehlen aller monumentalen Belege*)
erscheint die Bezeichnung der Trifinien und Quadriiinien durch Sar-
kophage ebenso widersinnig wie das Schreiben des Kaisers Tibcrius
an Octavian und dessen CoUegen im Triumvirat. Mir gilt die arca finalis,
wie die verrückte Schematisirung der Ebenen und der Gebirge nach dem
lateinischen und dem griechischen Alphabet, als dreiste Erfindung
nicht eines Feldmessers, sondern eines Schulmeisters, welchem die
Sarkophage der Gräberfelder im Sinne lagen und dem es beliebte in
die Planskizzen für seine Schulübungen dergleichen Kasten einzuzeich-
nen, unmöglich in der realen Feldmesserei, aber wohl geeignet
in dem verfallenden Unterricht dieser traurigen Jahrhunderte mitzu-
wirken bei der Verdummung der Jugend. Da die zufälligen Grenzmar-
ken dem ager arcißnius eigen sind und die späteren Schulmeister die
arca sprachlich mit diesem verknüpfen (367,4: arcam ab arcendo vo-
1) Dies hat Rudor£P 2, £64 richtig erkannt, aber irrig die arcn auf
das quadrifinium, die arcella auf das triflnium bezogen.
2) Den quadratischen Kern, der sich kürzlich in den sogenannten
Begleithügeln am obergermanischen Limes herausgestellt hat, könnte
man mit einigem guten Willen wohl arca nennen; aber an ihn kann
schon darum nicht gedacht werden, weil er zugeschüttet ward und die
Anlage dem Auge sich als Rundhügel darstellt.
Die Interpolationen des aromatischen Corpus. ^1
catam, fines enim agri custodit eosque adire prohibet : trifinium dictum
eo quod trium possessionum fines attingetj hinc et quadrifinium,
quod quattuor)j so mag die Lucubration des Stubengelehrten darauf
verfallen sein die Knickpunkte der arcifiuischen Termination
häufig durch eine arca zu illustriren. Die viereckige Form passte zu
dem quadrifinium', bei der arca am trifinium mag man sich vor-
gestellt haben entweder^ dass die eine Seite unbenutzt blieb oder
dass die arca selbst hier dreieckig geformt war (vgl. 306,16).
Das trifinium und das quadrifinium kennt die gute groma-
tische Litteratur natürlich sowohl in Beziehung auf die nachbar-
lichen Sacra ^) wie auch bei Grenzstreitigkeiten*); aber sie werden
nur beiläufig erwähnt, da die Limitationsordnung gar nichts mit ihnen
zu schaffen hat und auch die Termination; so viel wir wissen, keine
besonderen Zeichen und Regeln ftLi* die Fälle aufstellt, wo der Mark-
stein mehr als zwei Besitzungen scheidet. In der jüngeren Sammlung
hat sich nicht der Begriff verschoben ^), aber wohl die Himdhabung.
Die erate der Theodosius IL untergeschobenen Constitutionen spricht
dem Mensor, si fundo*) cui finem restituens in trifinii rationem
institerit et convenientiam trium centuriarum ibidem esse signaverit,
ein Honorar von drei Goldstücken zu, und dem entsprechend finden
sich die trifinia und quadrifinia, welche in der älteren Recension,
abgesehen von den co^ae (327, 25. 328,31. 329, 10. 330,7), gar
keine Rolle spielen, in der jüngeren vielfach und zwar in dem liber
coloniarum II einmal p. 252, 16 = 308, 26, in den casae an un-
zähligen Stellen und nicht minder häufig in allen Excerpten aus
den angeblichen gromatischen Digesten^). Die Vorstellung dabei ist
überwiegend wohl die eines auf drei, resp. vier Seiten markirten
Grenzsteines :
Latinus p. 306,16: terminus si in tres acies constitutum fueritj
tres lineas auctoris ostendit; si in quattuor acies j quadri-
finium facit.
1) Siculus p. 141,18. Agennius p. 88,14. Vgl. 3,4 = 110,11.
2) Frontinus p. 10,3 mit dem Commentar p. 10,9 = 39, 18 = 70,18.
3) Pseudo-TheodoBius p. 273, 5. Dolabella p. 302, 20. Anonymus
p. 367,5.
4) So, nicht fundi der Palatinus.
5) Die Stellen hier und weiterhin sind im Index der Ausgabe ver-
zeichnet.
29d Th. Moititnden: Die Interpolationen des gfomatischen Corpus.
Gains p. 307, 7 : terminus si una{m) acie{m) reproha(m) habuerit,
hoc est non aequalem aciem, . . . ponitur aliquando in tri-
finium, in quadrifinium autem . . . non ponitur nisi solidus
lapis. Vgl. 344, 13.
Aber es kommt auch Bezeichnung durch drei, resp. vier Steine
vor:
Fanstus und Valerius 308, 25 (ähnlich 227, 5): terminus in modum
arcellae cavatus Claudianus dicitur . . . et si tres fuerinty tri-
finium faciunt.
Gaius a. a. 0. : et quatfuor lapides in quadrifinium constituimus.
Bei mancherlei recht wunderlichen Einzelheiten, zum Beispiel
der festen Normirung der Intervalle theils zwischen Trifinien,
theils zwischen Quadrifinicn p. 343, 23. 34f), 24, verweile ich um so
weniger, als diesen Ansetzungeu wohl grösstentheils gar keine greif-
baren Vorstellungen zu Grunde liegen und sie vielfach den Eindruck
sinnlosen Wortgeklingels machen.
9. Die Freiherrlich von Zwierlein'sche Sammlung von Glas-
malereien zu Geisenheim a. Rh.')
Eine kansthistorischc Studie.
Von
F. W. E. Roth.
Freiherr Hans Carl v. Zwierlein zu Geisenheim a. Rh. be-
sass grosse Vorliebe fär ältere Erzeugnisse der Glasmalerei. Er
begründete die spätere reiche 188T versteigerte Sammlung dieser
Art zu Geisenheim. Die Zeitperiode 1820 — 1828 war fittr Anlage
einer derartigen Sammlung sehr günstig. Aufgehobene Klöster,
1) Besprochen i»t diese Sammlnng historisch und technisch von
Prof. aus*m Werth im Repertorinm für Kunstwissenschaft XI (1888) 3,
S. 262. Der Verfasser dieses Aufsatzes wohnte 1887 ein halbes Jahr im
y. Z wierl oi n 'sehen Hof zu Geisenheim und hatte zu dem unverschlossenen
Archiv Zutntt, machte jedoch von den vorhandenen reichen Akten keinen
Gebrauch und gab daher über die Herkunft der Gemälde nur Ver-
muthungen. Die nachstehende Darstellung weist aktengemäss Herkunft
und Preise der einzelnen Stücke nach und dürfte zunächst interessante
Schlaglichter auf wenig bekannte Kölner Sammlungen werfen, üeberall
habe ich die Nummern des Katalogs für die Versteigerung 1887 festge-
stellt. Der Titel ist: Die Freiherrlich von Z wierl ei naschen Sammlungen
von gebrannten Glasfenstern, Kunstsachen und Gemälden etc. etc. zu
Geisenhein. Versteigerung den 12. bis 15. September 1887. Köln. 1887.
Octavo. 1887 war aber die Sammlung nicht mehr intakt, daher fehlen
manche Nachweise der Nummern. 1872 wurde Manches versteigert,
Anderes zerschlug der geistig gestörte letzte Besitzer Hans v. Zwier-
lein, noch mehr verkam sonst. Die ganze Sammlung führt auf: Katalog
der Ende vor. Saecl. gesammelten Reich sfreiherrl. v. Zwierlein 'sehen
Glasgemälde; Beginn der Versteigerung am 19. Oktober 1872. (Folioblatt.) —
Alle hier gemachten Angaben beruhen auf den Akten des v. Zwier-
lein'sehen Archivs zu Geisenheim.
294 F. W. E. Roth:
Kirchen und Privathäuser entledigten sich ihrer Glasmalereien für
wenig Geld. Andere Sammler waren bereits gewesen, durch Todes-
fälle und andere Ereignisse kamen ihre gesammelten Stücke in
andere Hände. Mit dem direkten Erwerb aus Klöstern und Kirchen
scheint Herr v. Zwierlein nicht besonderes Glttck gehabt zu haben,
aber aus Privatsammlungen wusste er hervorragende Stücke zu er-
werben. Die erste dieser Sammlungen ist die des Optikers Wil-
helmDUssel zu Köln. Derselbe wohnte am Hof Nr. 7 und be-
schäftigte sich neben seinen Berufsgeschäften mit Sammeln von
Glasmalereien. Seine Sammlung war eine der reichsten und hervor-
ragendsten zu Köln. Im Jahre 1820 verkaufte er aus nicht fest-
stellbaren Gründen an den Freiherm v. Zwierlein folgende Stücke
seiner Sammlung:
1) Viereckigte sechs grosse Fenster, in Bley eingefasste Vor-
stellung aus der Kirchengeschichte. 50 Beiebsthaler.
2) Bund, zwei grosse Scheiben aus der Geschichte der St
Brigida, in Holz eingefasst. 16 Reichsthaler.
3) Bund, 1 altes Konversationsstück in Bley eingefasst mit
5 Figuren. 16 Beichsthaler. Nr. 78 des Geisenheimer Catalogs.
4) Bund, 1 dito in Bley, vorstellend ein Sterbender. 16 Reichs-
thaler. Nr. 83 des Geisenheimer Katalogs.
5) Viereckt, 2 grosse Wappen colorirt, in Bley. Jedes 4 Beichs-
thaler.
6) Rund, 1 grosse Scheibe, die Allgewalt der Liebe. 12
Reichsthaler.
7) Rund, 1 dito, die Weiber von Weinsberg. 8 Reichsthaler.
Nr. 98 des Geisenheimer Katalogs.
8) Rund, 1 dito> Christus am Krentz. 8 Beichsthaler. Nr. 74
des Geisenheimer Katalogs.
9) Rund, 1 dito, Moses und die Schlangen. 8 Beichsthaler.
Nr. 77 dqs Geisenheimer Katalogs.
10) Bund, 2 dito, Konversationsstücke. Jedes 6 Beichsthaler.
11) Rund, 1 dito, St. Ursula u. Comp. 4 Beichsthaler. Nr. 51
des Geisenheimer Katalogs.
12) Rund, 1 dito, Auferstehung Christi. 6 Reichsthaler. Nr. 86
des Geisenheimer Katalogs.
13) Rund, 1 dito, ebendasselbe. 4 Beichsthaler. Nr. 80 des
Geisenheimer Katalogs.
Die Freiherdlch v. Zwierlein*8che Sammlung von Glasmalereien etc. 295
14) Rund, 1 dito, St. Philippus apostol. 12 Reichsthaler. Nr.
107 des Geisenheimer Katalogs.
15) Halbrund, 3 dito, St. Henricus, ein St. Jacobus, ein St.
Ursula. Jedes 6 Reichsthaler.
16) Halbrund, 1 dito, St. Margaretha Enthauptung. 8 Reichs-
thaler. Nr. 48 des Geisenheimer Katalogs.
17) Oval, 1 dito, St. Johannes der Täufer. 8 Reichsthaler.
Nr. 40 des Geisenheimer Katalogs.
18) Viereckt, 2 dito colorirte Stücke. Jedes 12 Reichsthaler.
19) Viereckt, 1 grosses colorirtes Wappen in Bley.
20) Viereckt, 1 blaues Wappen in Bley.
21) 31 Seheiben, Wappen verschiedener Grösse, 19 grössere
38 Thaler, die 7 kleineren 4 Thaler 40 Sgr.
22) 23 Vögel verachiedener Grösse. 23 Thaler.
23) Viereckt, 2 Schmetterlinge, verschiedene Stücker far-
biges Glas.
Am 5. September 1820 quittirte Wilhelm Dussel über er-
haltene 200 Brabanter Cronthaler für diese 23 Nummern Glas-
malereien. Dussel sehrieb am 14. September 1820 an Freiherrn
V. Zwierlein wegen Ankaufs des Marienbildes aus dem Kölner
Dom, das Zimmermann besass und v. Zwierlein kaufen wollte.
Zimmermann forderte sechs Louisdor und wollte versuchen, sich
ein neues Bild zu machen. Die Dussel' sehen Glasmalereien
kosteten zusammen 540 Gulden. Der Schiffer Meier bekam
2 Gulden 42 Kr. und 1 Gulden 21 Kr. Trinkgeld für die Fracht,
Dussel erhielt noch für 2 Tafeln gelbes Glas nebst Verpackung
und Fuhrlohn am 7. September 1820 7 Reichsthaler 40 Groschen. —
Die zweite Kölner Sammlung, welche Glasmalereien in die v. Zwier-
lein'sche Sammlung zu Geisenheim lieferte, war die des Chr.
Geerling zu Köln. Geerling war von Beruf Weinhändler und
dabei leidenschaftlicher Kunstfreund. Er verkaufte im Juni 1823
verschiedene Glasmalereien an Hans Carl v. Zwierlein. Die
„Colonia" vom 13. März 1822 sagt über Geerlings Sammlung in
einem: „Kunstwanderungen durch Köln" überschriebenen Artikel:
„In Gesellschaft eines reisenden Freundes begab ich mich
an den Bach zu dem Herrn Geerling, einem jungen fleissigen
Sammler in dem Reiche der Kunst. Was er in dieser Hin-
sicht besitzt, ist vortrefflich und in seiner Art einzig zu nennen.
Das älteste, was vielleicht in dieser Kunst aufzuweisen ist, befindet
296 F. W. E. Roth;
sich in dieser Sammlung." Erwähnt werden Darstellungen der Ge-
schichte des hl. Laurentius aus dem zwölften Jahrhundert, Erweckung
des Lazarus 1340, die Aufopfenmg im Tempel 1340, St. Ursula
mit den Jungfrauen aus dem XV. Jahrhundert und weitere 15 Fenster
aus dem XIV. Jahrhundert.
Bereits im Februar 1823 schwebten Verhandlungen zwischen
Herrn v. Zwierlein und Geerling. Ein gewisser Elias Mumm
zu Köln besorgte den Ankauf der Glasmalereien. Geerling ver-
sprach am 18. April 1823, Anfangs Mai nach Geisenheim zu kommen,
die gekauften Fenster werde er dem Schiflfer Kiefer um diese
Zeit mitgeben. Nach dem Verkaufs verti'ag vom 11. Juni 1823 hatte
Freiherr v. Zwierlein gekauft drei gothische Fenster jedes von
acht Tafeln und drei Spitzen, den Ritter St. Georg, das bereits
gefasste Gegenstück dazu, sowie ein Fenster mit Wappen und ein
Bild Moses darstellend. Geerling hatte davon alle Spitzen zu den
drei erstgenannten Fenstern mit elf Tafeln bereits geliefert und ver-
sprach den Rest mit dreizehn Tafeln innerhalb vierzehn Tagen nach-
zuliefern. Nach Empfangnahme derselben zu Köln sollte Geerling
ein Stück Rtidesheimer Hinterhaus 1822 und ein Halbstück Rttdes-
heimer Berg 1818 sowie 6 Carolin baar und eine Tafel Glasmalerei
gegen ein von Geerling zu lieferndes Wappen erhalten. Geer-
ling erhielt noch aus der ersten Sendung für Kisten und Schnell-
wagen 31 Thaler 15 Sbgr. Er selbst hatte diesen Vertrag am
11. Juni 1823 zu Geisenheim unterzeichnet. Am 26. Juni 1823
liess er nach Geisenheim schreiben, dass die dreizehn Tafeln bis
zum 1. Juli in Köln zur Abholung durch den v. Z wi er lei naschen
Rentmeister Roth bereit seien. Der Rentmeister hatte nach einem
Bericht vom 4. Juli 1823 beim Abholen zu Köln noch verschiedene
Schwierigkeiten zu beseitigen, ehe Geerling sich von seinen ge-
liebten Fenstern trennte. Die Kosten dieses zweiten Transportes
betrugen nochmalige 35 Thaler. Die Geerling'schen Fenster
kosteten das Stück Wein 1822 zu 900, das Halbstück 1818 zu 200
Gulden gerechnet nebst Baarzahlung von 66 Gulden, Vei-packung
und Versandt 54 Gulden 15 Kreuzer, weitere Versandtkosten 20
und 26 Gulden zusammen 1266 Gulden 20 Kreuzer. Diese Geer-
ling'schen nach Geisenheim gelangten Glasschildereien bildeten
das Beste der si)äteni v. Zwierlein' sehen Sammlung imd zwar
deren Nummern 1 — 11, 12 — 22, 23 — 33, 34 und zwei weitere
Fenster. Geerling behielt den Rest seiner Sammlung und setzte
Die Freiherrlich v. Zwierlein'sehe Sammlung von Glasmalereien etc. 297
auf jeden Fall das Sammeln fort. Im Jahre 1827 gab er auf Snb*
scription herans: ^Sammlung von Ansichten alter enkaastischer
Glasgemälde, nebst erlänterndem Text. Heransgegeben von C. Geer-
ling. Köln, 1827. Gedruckt bei Fr. X. Schlösser. Quarto. Nebst
drei Heften colorirter Abbildungen folio. Am 10. Mai 1825 lud
er Freiherrn Hans Carl von Zwieriein zttr Snbsoription ein
und erbat sich am 25. September 1827 für das übersandte Exemplar
des Werkes 4 Thaler 16 Sgr. Bezahlung. In der vorgedruekten
Subscribentenliste ist auch Freiherr v. Zwieriein genannt Das
ans Geerlings Sammlung nach Geisenheim gelangte herrliche
Glasbild : St. Georg mit dem Lindwurm ist in dem Werk beschrieben
und in Farben abgebildet. — Die dritte Sammlung, welche Glas*
gemälde nach Geisenheim lieferte, war die des J. B. Hirn. Stand
und Lebensverhältnisse dieses Kölner Sammlers geben die Akten
nicht an. Er sammelte mit Vorliebe Glasmalereien, gerieth aber in
missliche Yermögensverhältnisse, so dass seine Sammlungen zwangs-
weise versteigert wurden. Der Versteigerungskatalog erschien in
Quarto mit dem Titel: „Verzeichniss einer theils aus guizen Kirehen-
fenstem, theils aus dnzelnen Scheiben bestehenden grossen Samm-
lung gebrannter GIftser aus verschiedenen aufeinander folgenden
Zeitaltem der Glasmalerei, welche am 3. Juni 1. J. in dem mit
Nro. 12 bezeichneten, im Filzergraben dahier gelegenen Hause zur
öffentlichen Ansicht aufgestellt und am 13. September 1. J. in dem-
selben Lokale öffentlich verateigert und gegen gleich baare Zahlung
dem Meistbietenden zugeschlagen werden soll. Köln. 1821. Ge-
druckt bei M. Du Mont-Schauberg." Der Inhalt kennzeichnet die
Sammlung als eine der hervorragendsten dieses Jahrhunderts in
Privatbesitz. Es waren vertreten ein „Christus in rothem Mantel^
aufm Regenbogen sitzend, an beiden Seiten des Haupts mit einer
geschmackvoll gezeichneten weissen Einfassung von Weinranken
umgeben. Unten: J. N. R. J. in altgotbiseher Schrift." Zwischen
1200 und 1300 entstanden. Haupt und Leib sowie Manches der
Zierrathen fehlten.
Die Sammlung enthielt noch eine Maria mit dem Kinde, den
Halbmond zu Füssen, im Gewölk, mit weisser Laubeinfassung, ans
der Zeit von 1300—1400. Dem Zeiträume 1400—1500 gehörte
eine grössere Anzahl Glasgemäldc (Nr. 14—27 des Versteigerungs-
katalogs) der Zeit von 1500 bis 1600 die Nummern 28 bis 48 an.
Die Herkunft aller dieser Glasgemälde ist unbekannt. Einen hervor-
298 F. W. E. Roth:
ragenden Cyclug bildeten die gebrannten Fenster der Abtei Alten-
berg in Rheinpreasscn , bekanntlich die älteste Gistercienserabtei
der Rheinlande und für die Verehrung des hl Bernhard von bohem
Werth. Ihre Herstellung währte über ein volles Jahrhundert, sie
begann Ende dos XV. Jahrhunderts und scbloss im XVII. Jahr-
hundert erst ab. Alle diese Scheiben stellten Seeuen aus dem Leben
des hl. Bernhard des Ordenspatrons vor. Die Ansicht, dass diese
Scheiben ans dem Eberbacher Klosterhofe zu Köln stammen, ist
Phantasie. Der Gyclns bildete die Nunimein 49 bis 103 einschliess-
lich des Hirn'schen Katalogs. Die Tbatsache ist interessant, dass
die historischen Details der Darstellungen auf Conrads Abts von
Eberbach legendenartiger Sammlung aus dem Gistercienserorden dem
exordium magnum heri'tthrcn, was fttr dessen Ansehen und Ver-
breitung spricht. Die Nummern 104 bis 113 des Hirn 'sehen Ver-
eeichnisses gehörten ebenfalls Altenberg an, die Nummern 114 bis
155 entstammten dem XVII. bis XVIII. Jahrhundert, einzelne
Seheiben bildeten die Nummern 156 bis 193, der Rest des Ver-
zeichnisses von 194 bis 247 bestand aus Bruchsttteken und £r-
gänzungsscheiben. Diese werthvoUe Sauunlung wurde in alle Welt
zerstreut, nur von einzelnen Stücken lässt sich jetzt noch der spätere
Verbleib bestimmt feststellen. Herr v. Zwierlein hat auch hier
seinen traffliehen Kuustgeschmack bewährt, indem er wohl das Kost-
barste erwarb und so erhielt. Was damals für Oeisenbeim erworben
wurde, lässt sich durch den handschriftlich mit Bemerkungen ver-
sehenen Hirn 'sehen Katalog (bei den Akten zu Geisenheim) leicht
feststellen. Gesteigert wurden Nr. 112 des Geisenheimer Katalogs :
Engel mit zwei Wappen (= Nr. 31 des Hirn' sehen Katalogs).
Dabei bemerkt der letztgenannte Katalog, dass drei fehlende oder
falsch ergänzte Stellen sich an dem Bilde befinden, welche Angabe
sich bewahrheitet. Erworben ward ferner Nr. 36 des Kölner oder
Nr. 147 des Geisenheimer Katalogs, wobei bemerkt, dass 20 fehlende
oder falsch ergänzte Stellen zu verzeichnen. Aus der Hirn 'sehen
Sammlung stammt auch ein Theil der Geisenheimer Bernhardus-
Scheiben, welche früher die Kirche zu Altenberg zierten. Nr. 51
des Kölner Katalogs entspricht Nr. 120 des Geisenheimer Katalogs
und befand sich ehedem ebenfalls zu Altenberg. Der Kölner Kata-
log gibt sogar das in der Unterschrift fehlende Stück als nicht vor-
handen an, was die Identität augenfällig nachweist. Nr. 56 des
Kölner Katalog acht Figuren mit fünf Defecten ist Nr, 116
Die Freiherrlich v. Zwlerleln*8che Sammlung von Glasmalereien etc. 299
des Geisenhehner Katalogs. Die Geiselnng Christi Nr. 15 des Kölner
Katalogs kostete 10 Tbaler 16 Sgr., Nr. 21: Christus vor Pilatus
6 Thlr. 1 Sgr., Nr. 31 : Engel mit Wappen 25 Tblr. 8 Sgr., Nr. 36:
Kreuztragung Christi 144 Thlr. 15 Sgr., Nr. 51 : hl. Bernhard auf
der Reise von einer Wittwe gespeist und versucht 11 Thaler,
Nr. 56: Bernhard auf dem Konzil zu Pisa 26 Thlr. 6 Sgr., Nr. 132:
Tobiasnacht 4 Thlr., Nr. 128: Apostel Petros 6 Thlr. 16 Sgr.,
Nr. 139: Apostel Mathias 5 Thlr. 2 Sgr., drei Stücke ans Nr. 159
kosteten 10 Thlr. 25 Sgr.. aus Nr. 164 zwei Sttlcke 15 Thlr. Die
fttr Geisenheim aus der Hirn' sehen Sammlung erworbenen Glas-
malereien kosteten zusammen 277 Thlr. 6 Sgr., wozu noch 10®/o
Zuschlagsgebühr mit 13 Thlr. 6 Sgr., Vergütung an den Baumeister
Weiser als Kommissionär wegen Nr. 36 10 Thlr. kamen und damit
die Gesammtsumme von 287 Thlr. 5 Sgr. entstand. Mit den 25
Thalem 10 Sgr. fttr die Reise des Rentmeisters Roth nach KOIb
entstanden 312 Thlr. 15 Sgr. Kosten. Die Rechnung gibt nebst
den Transportkosten 561 Gulden 45 Kreuzer an.
Die aus Köln bei Dussel, Geerling und Hirn erworbenen
Glasmaleraen sollten nicht allein dem Kunstgenuss des Herrn
T. Zwierlein, sondern kirchlichem Gebrauch dienen. Da die Ge-
mahlin des Hans Carl v. Zwierlein: Marie von Gülich katholisch
war, sollte der Familienhof zu Geisenheim eine Hauskapelle er-
halten und diese die erworbenen Gemälde aufnehmen. Ein grosser
Saal ward zur Kapelle zwar umgebaut, auch die Gemälde fanden
in den hergerichteten Spitzbogenfenstem ihren Platz, aus der Ein-
richtung der Kapelle ward aber nichts. Die Einsetzung der Fenster
geschah im Mai und Juni 1827 und kostete 526 Gulden 4 Kreuzer.
Als Gesammtpreis der nach Geisenheim gelangten Glasmalereien
stellte sich die Summe von 634 + 1266 Gulden 20 Kreuzer + 651
Gulden 45 Kreuzer heraus, was mit dem Einsetzen 3090 Gulden
57 Kreuzer ausmachte.
Die Pfarrkirche zu Lorch a. Rhein besass eine Anzahl ge-
brannter Fenster, welche Herr v. Zwierlein 1820 von dem Kirchen-
vorstande erkaufte. Am 31. Mai 1820 schrieb Johann Travers
(aus Lorch) von Winkel a. Rhein aus, der Kirchenvorstand zu
Lorch wolle die Kirchenfenster alle abgeben und die drei Carolin
Gewinn für Vorhänge an jene Fenster, woselbst Beichtstühle stän-
den, verwenden, um das anmuthige und vertrauliche Dunkel dort
zu erhalten. Auch die Fenster in dem Steinmasswerke und in den
300 F. W. E. Both:
Kleeblättern ständen zur Verfttgnng nnd konnten die Stellen mit
weissem Glas ersetzt werden. Der Kirehenvorstand sehe von ge-
zogenem sowie sechseckigem Lohrer Glas ab, wodurch sich die
Kosten 25 Gulden 30 Kreuzer billiger stellten. Am 8. Jani 1820
bescheinigte Jacob Altenkireh junior 33 Gulden durch den Bedien-
ten Weisel von Assmannshausen für die Scheiben von Herrn
V. Zwierlein erhalten zu haben. Diese Scheiben stammten möglicher-
weise aus der Lorcher Kirche, aber ebenso gut könnte Privatbesitz
angenommen werden. Ihre Stelle mit weissem Glas zu ersetzen,
kostete 9 Gulden 30 Kreuzer. Bestinmit Lorcher Kirchenfenster
waren es aber, welche für 10 Gulden 48 Kreuzer nach Geisenheim
wanderten; ihr Ersatz mit weissem Glas kostete 15 Golden. —
Aus'm Werth unterschätzte den Werth dieser Lorcher Fenster. Bis
jetzt lassen sich folgende Nummern des Geisenheimer Katalogs als
aus Loreh stammend nachweisen. Es sind dieses Nr. 37 (Wappen-
schild mit dem Mainzer Rad), Nr. 52, 72, 121 nnd 128 (mit drei
Heppen im Schilde als Wappen der Heppen von Heppenheft, eines
zu Lorch angesessenen Adelsgeschlechts) ').
Malten, Rheinreise 1849 ist jedenfalls im Irrthume, wenn
er angibt, es seien damals noch mehrere schöne Glasgemälde zu
Loreh auf der Ostseite der Kirche vorhanden gewesen, die besten
deraelben wären nach Geisenheim gekommen. Diese Scheiben sind
heute noch zu Lorch vorhanden. Mit mehr Recht gibt Lotz an,
Pfarrer Geiger von Lorch habe 1819 die Fenster des Chors und
des Hauptschiffs mit den Wappen des Loreher Adels entfernt'). Diese«
könnten die nach Geisenheim gelangten Scheiben sein, die Jahres-
zahl wäre nur zu ftühe angesetzt.
Auch aus Assmannshausen, unterhalb Rttdesheim a. Rhein, er-
warb Herr v. Zwierlein gebrannte Glasfenster. Aus'm Werth
1) Die Glaserrechnung des Peter Josef Stork» Lorch lOten Juni
1820 sagt: „Erstlich bei Jakob Altenkirch zu Lorch die geroahlte Schei-
ben aiiss den Fenster aussgebrochen und stad diesen geniahlde mit Neu
Glass und Blei wieder Ersetz laud akord 9 Gulden, Stens In der Kirch
zu Lorch 2 Gemahlto Fligell auss^ebrochen und aus 10 Stück Klebläter
die 2 Fligell wider hergestellt und gemacht und die 10 Stück Klebläter
mit Lohrer Glass wieder neu gemacht laud Akord 14 fl. 3tens Ein roth
getnahltes Klcblat aussgebrochen und eine Kunde Scheib das Kleblat und
die Scheib wider neu zu machen 1 Gulden 30 Kreuzer. In Summa 24
Gulden 30 Kreuzer."
2) Lotz, Baudenkmäler Nassau's S. 306.
Die Preiherrlich v. Zwierlein'sche SammlUDg^ von Glasmalereien etc. 801
erwähnt solche nicht. Am 25. April 1820 veräusserte Pfarrer KraflFt
zu Assmannshausen die Fenster dieser Kirche mit Genehmigung des
Kirchenvorstandes und des Nassauischen Amts gegen Ersatz mit
weissem Glas und bat zugleich um einen Beitrag zur Ausweissung
„der hiesigen ganz armen Kirche". Die Fenster zu Assmannshau-
sen kosteten 16 Gulden 12 Kreuzer. Welche Nummern des Geisen-
heimer Katalogs aus Assmannshausen stammten, steht nicht fest.
— HeiT V. Zwierlein kaufte auch in Freiburg (Baden) und Solo-
thum. Darüber sagt er in seinen Aufzeichnungen: „Im Sept. 1828
kaufte ich zu Solothum 23 Stück alte Glasmahlereien, worunter
mehrere defect aber auch viele sehr guth, för 224 Frank oder 101
Gulden 38 Kreuzer. Im Sept. 1828 kaufte ich zu Freiburg im
Breisgau bei den Gebrüdem Heimle von ihren neuen Glasmalereyen
a) eine Madonna mit dem Christus Kinde,
b) einen Johannes,
Für beide Stücke zusammen bezahlte ich 95 Gulden." Am
9. October 1828 sandten Gebrüder Heimle zu Freiburg beide Fenster
ab und am 9. September 1828 quittirte Jean Brunncr secretaire a
la chancellerie de Soleure über erhaltene 234 Francs. Die Auf-
zeichnungen sprechen auch von einem Ankaufe 1825 (zu Solo-
thum?): n April 1825 kaufte ich von Herrn Schreiber aus Basel
bei seiner Durchreise 3 Stücke:
a) die schwörenden Schweizer,
b) die Jungfrau mit dem Christuakinde und einem biscbof
(das Wappen ein Eichhörnchen und 2 Adler),
c) die Jungfrau mit dem Christuskinde und einem Geist-
lichen (von Hans Jacob Mensüger gestiftet).
Für selbige drei Stücke zahlte ich 60 Gulden.'' Gerade diese
kleinen in der Schweiz erworbenen Scheiben bildeten mit das Inter-
essanteste der Greisenheimer Sammlung.
Excurg.
In Vorstehendem ist die reiche Sammlung vön Glasmalereien
zu Geisenheim nach ihrem Ursprung besprochen, es dürfte aber als
Excurs des Themas am Platze sein, die Schritte des Sammlers Hans
Carl V. Zwierlein zu besprechen, welche zu keiner Bereicherung
der Sammlung führten, aber kunstgeschichtliches Interesse bieten.
T, Zwierlein suchte überall nach alten gemalten Glasscheiben.
802 P. W. E. ßothi
Sein Verwalter Krauss zu Wetzlar sehrieb ihm am 9. December
1819: „Wegen der Glasmalereien habe ich mich heute erkundigt,
allerdings sind noch mehrere sehr wohl erhaltene vorhanden, und
wäre mir von Ew. Hochwohlgebohren nur 14 Tage früher hierüber
ein Wunsch geäussert worden, so würde ich im Stande gewesen
seyn, ihn zu erfüllen, allein seitdem wurde auf Befehl der Königl.
Regierung im Kloster ein Inventar errichtet, und auch die Glas-
malereien verzeichnet, und ein Verkauf derselben durch die Franzis-
kaner ist daher nicht mehr ausführbar. Dagegen sagte mir eine in
Schwaben sehr wohl bekannte Pereon, dass man dort in Klöstern
noch viele Glasmalereien finde und deren Erhaltung nicht schwer
werden dürfte." (Wetzlar, 9. December 1819. Orig.-Schreiben.)
Die Wilhelmiterkirche oder das spätere Spital zu Limburg
a. d. Lahn besitzt in dem östlichen Chorfenster mit zwei Pfosten
und reichem Masswerk eine Reihe Darstellungen aus dem apostoli-
schen Glaubensbekenntniss in ziemlich derbijr Ausführung des XIV.
Jahrhunderts^). Ebenso befinden sich in der Kirche zu Kirberg,
Amts Limburg, spätgothische sehr durcheinandergeworfene Reste vcm
Glasmalereien : Christus am Kreuze, Maria und Joliannes, sowie die
Gregoriusmesse in zwei Darstellungen*). Auf diese Scheiben war
v. Zwierlein aufmerksam geworden und suchte solche zu erwer-
ben. Für erstere bot er 88, für letztere 44 Gulden. Jnstizrath
Grüsing zu Limburg schrieb am 28. Juni 1823 an v. Zwierlein,
er wolle ihm demnächst den Entschluss der Amtsarmeneommission
und des Hospitalprovisoriuras zu Limburg wegen des Ankaufs mit-
theilen. Da sich dieses verzögerte, wurde t* Zwierlein unge-
duldig und mahnte ain 20. Juli 1823 wegen des Entscheids, sonst
nehme er sein Gebot zurück. Am 25. August 1823 antwortete
Grüsing, die Nassauische Regierung habe beide Verkäufe abge-
lehnt. Auf v. Zwierlein 's Schreiben vom 16. October 1823 er-
folgte am 23. October die Antwort, die Hospitalverwaltung habe
den Verkauf auch einem Coblenzer Herrn gegenüber abgelehnt. Da
das herzogliche Amt zu Limburg den Verkauf genehmigt, bestand
V. Zwierlein auf demselben. Nach langen Schreibereien lehnte
der Herzog am 10. April 1824 die Sache ab.
Ebenso wenig glücklich war v. Zwierlein zu Partenheim in
Rheinhessem Dort hatte am 2. August 1819 PfaiTer Hacker mit
1) L 0 1 z a. a. 0. S 295.
8; Ebenda S. 268.
Die Freiherrlich v. Zwierlein'sche Sammlung von Glasmalereien etc. 303
dem Kirchenvorstand die gemalten Chorfenster gegen Ersatz mit
weissem Glass abgegeben. Die hessische Regierung gebot durch
den Bürgermeister zu Parteuheim Einhalt gegen den Verkauf^ da
solche Kunstdenkmäler nach der grossh. Verordnung vom 17. März
1818 nicht verkauft werden dürften. Der Kirchen vorstand bestand
auf dem Verkauf, v. Zwierlcin wandte sich an die Daruistädter
Regierung, die Fenster seien Stiftung des Orts- und Patronatsherrn
des Herrn v. Wallbrunn, seines Verwandten. (23. August 1819.)
Am 14. September 1819 beanspruchte das Oberbaucolleg die Fenster
für das grossh. Museum und wollte dem v. Zwierlcin die bereits
gefertigten neuen Fenster vergüten. Alle Vermittelungsvereuche des
Bauraths Möller, selbst ein Bittschreiben an den Orossherzog vom
28. September 1819, wenigstens eine Auswahl der Fenster als Er-
innerung an deren Stifter zu erhalten, war umsonst, es wurde dann
aber am 26. October 1819 die unentgeltliche Abgabe solcher Schei-
ben, die fllr das Museum werthlos, bewilligt. Trotzdem fanden
Qallerieinspeetor Müller und Baurath Moller alle Fenster für das
Museum geeignet, was v, Lichtenberg am 6. März 1820 dem
Herrn v. Zwierlcin mittbeilte. Am 25. Mai 1820 wurd^ die
alten Fenster beseitigt. Schleiermac her in Daimstadt erkläi'te
dieses am 29. März 1820 für Irrthnm. Museumsdiener Walther hatte
aber alle Fenster nach Darmstadt verbracht Man legte in dieser
peinlichen Verlegenheit die Sache so aus, als habe v. Zwierlein
dem Grossherzog die Fenster für das Museum überlassen (16. Mai
1820), wogegen derselbe am 25. Mai 1820 von Partenheim aus Ein-
sprache erhob. Damit endete diese Verkaufsangelegenheit, die Par-
tenheimer Fenster befinden sich zu Darmstadt im Museum.
10. Meister Eisenhuth.
Von
J. B. Nordhoff.
VIP).
Ich bin es den verehrlichen Alterthumsfreunden und meinen
günstigen Lesern schuldig, die seitherigen Mittheilungen über den
berühmten Künstler Eisenhuth noch um einige Zusätze und Nach-
träge, wie sie neue Funde und Literatur an die Hand geben, zu
erweitern. Das von ihm in Kupfer gestochene Portrait des Pader-
bomer Bisehofs Theodor von Fürstenberg, welches schon
1826 bekannt war*), hat sich nunmehr zu Coesfeld im Privatbesitze
des Herrn C. Freund in einem Exemplare wiedergefunden') — im
Ganzen ein vergrössertes Gegenstück von des Meisters Portrait des
L. Schrader aus dem J. 1689*). Das Blatt, dem die R&nder fehlen,
hält in der Breite SS*/» cm, in der Höhe 32 cm, das mittlere Oval
mit dem Bildnisse ebenso 18 cm und mit der in dasselbe herab-
hangenden Lünettenzier 20 cm. Der Bischof ist auf einem ge-
musterten Teppich dargestellt als Bruststück ohne ünteranne mit
Pelzmantel und Halskrause, das Haupt mit dem Barette bedeckt^
1) Vgl. Bonner Jahrbücher 87, 118-84, 169; 82, 136.
2) Vgl. Bonner Jahrb. H. 67, 139. Vgl. dagegen Phi. Bouttat's Stich.
3) Jetzt Eigenthum des Westfälischen Kunstvereins.
4) Jahrbücher 82, 136 if. Für die Wohlhäbigkeit der Ahnen des
Meisters spricht vielleicht auch folgende Urkunde des Staats- Archivs zu
Münster, Corvei Lehen 679a I fol. 10: Wilhelm von Haxthausen, Propst
to dem Rode bei Corvei, belehnt Johan Lovelman, Bürger zu Warburg
1465 ^Vi2 niit zwei Hufen Landes vor Warburg zum Behufe Metten Bren-
dekens, Tochter des Berthold, seiner Hausfrau, der Metten Isernhod,
des Berthold Brendekens Schwester und der Metten, Tochter des verstor-
benen Heinrich Brendekens.
Meister Eisenhuth. M
die Brust mit zwei Ketten, die untere Kette behangen mit dem Kreuze.
Das Antlitz wendet sich naeh links, streng und ernst für das da-
malige Alter des Verbildlichten, das volle Haar ist kurz, Knebelbart
und Kinnhaar klein, der Schnurrbart voll. An der untern Seite des
Ovals führt ein mit Engclkopf und Blattwerk belegtes Viereck, dessen
obere Ecken als Voluten ausbiegen, die Inschrift: D, G. Theödorus
a Furstenbergh Ecclesiae Pa \ derbornensia Episcopus S:Ry Im-
perij Prin \ ceps Etatis 44 <& 6 Mensinm *^ 1692, Von ihm bis
zum unteren Blattrande zieht sich meist in schöner Perspective die
eben ausgebaute*) Residenz Neuhaus*), ihre Gartenanlagen und
wirthschaftlichen Gebäude; darunter steht: Anthonius Eisenhoidt
Warburgensis Westphalus Aurifex fecit. 1692. \ — üeber dem
Hauptfelde prangt das seitlich von Blindflügeln und Fruchtgehängen
eingefasste ovale Wappen Fürstenberg unten mit Blatt- und Frucht-
schnüren, oben mit denselben Helmzierden (Kreuz, Mitra und den
beiden Reiherfedem) ausgestattet wie des Bischofs Bibliothekszeichen
von 1603 ') und der hier (H. 82, 140) besprochene Metallschnitt eines
Buches von 1592. Die Herleitung des letzteren von Eisenhuth ist somit
gerechtfertigt. — Die freien Seiten des Kupferstiches füllen die
bischöflichen Ahneuzeichen und zwar beiderseits von unten nach
oben verfolgt (links) Galen — (rechts) Rede, Bodelschwing — Her-
tinghausen, Hoberg — Bock zu Palsterkamp, Recke — Qwemheim,
Ermelen — Nesselrott, Galen — Papenheim, Plettenbergh — Hoi-de,
Furstenbergh — Westphal. — Die Zwickel unter dem Hauptbilde
neben dem Schriftschilde verziert links die Misericordia: ein be-
flügelter Genius mit erhobenen Augen hält das umgekehrte Schwert
und im Schilde ein freudestrahlendes Angesicht «) mit dem Blicke
nach oben; — rechts die Justitia^): derselbe Genius richtet hier
das Schwert und den Blick auf den Boden und zeigt im Schilde
die Waage. Der Schild nimmt jedes Mal die Form einer Cartoucbe
an. — üeber dem Hauptbilde liegen, den b^den unteren Allegorien
entsprechend, links die Parcimonia mit einem Schlosse und Schlüssel-
1) G. Pauli, Die Renaissancebauten Bremens 1890 S. 70.
2) Vgl. damit die Ansicht bei Merian, Topographia Westphaliae
zu p. 88.
3) Bei J. Lessing, Silberarbeiten von A. Eiscnhoit s. a. Bl. Ib.
4) Conf. Psalm. 30, 7; 39, 10; 58, 17; Eccli. 35, 25; 51, 37.
5) Misericordia et Justitiar Prov. 21, 3; 21, 21.
Jahrb. d. Vcr. v. Alterthsfr. im Rhcinl, XCVI. 20
SM J. fi. Nordhoffs
bnnde^ rechts die Liberalitas mit einem Pokale tind einer Kanne,
jede nach aussen gewandt und von drei Genien umspielt. Von die-
sen handhabt der auswärtige auf Pareinionia's Seite den Hirtenstab,
sein Gegenfdssler auf Liberalitas' Seite das Schwert. Alle Genien
des Bildes sind nackt, die Parcimonia und Liberalitas aber bis auf
einen kleinen Theil der Brust mit Kleidern umhüllt mächtige hoch-
gegürtete Weibsbilder mit riesigem Unterkörper, langen Beineu und
geäugelter Gewandung. Diese sowie die kurzen ünterbeine der Ge-
nien erinnern wieder^) zumeist an Aldegrever, dessen Stiche auf
den Warburger Meister den nachhaltigsten Einfluss gehabt haben.
Die wechselvolle Anordnung des Bildlichen, des Beiwerks
und des Ornaments, die weiche Behandlung der Halskrausen und
des Pelzwerks, die gothisircnden Blattarabesken, welche zumal auf
den Rändern als Helmzier um die Wappen ranken, verleihen dem
Bilde den Schein des Lebhaften und Malerischen, welches durch
die zarte Technik der Meisterhand und den gelblichen Grundtou
noch wesentlich veretärkt wird. Nur das Antlitz zeigt einen trock-
nen in einzelnen Zügen stumpfen und daher auch müden oder
strengen Ausdruck, als wäre die Mitte der Platte, noch bevor unser
Bild davon genommen war, häufiger abgedruckt worden, als die
Randpartien. Die Ktlnstler-Inschrift erlangt hier einen besondern Werth,
weil, was sonst nur einmal ^) in allen Berichten geschieht, £ i s e n -
huth hierund zwar von seiner eigenen Hand, als Goldschmied ')
charakterisirt wird. — 1891 erschienen aus der Feder des Gymnasial-
Directors J. Hense zu Warburg ^) eine ausführliche Beschreiboug
des uns bereits bekannten^) Warburger Schützenschildes mit der
Vorder- und Rückseite in Lichtdruck und ein paar kleinere Mitthei-
Inngen aus dem Stadtarchive über die Verzweigung der längst aus-
gestorbenen Familie Eisenhwth in der dortigen Alt- und Neustadt.
Die Altstadt wird als der Wohnsitz unseres Künstlers bezeichnet
und zwar nach dem an einem Hanse gefundenen Sturmhute von
1526, welcher schon früher zum Jahre 1524 unser Augenmerk
1) Vgl. B. Jahrb. H. 82, 141; 84, 172.
2) Lessing a. a. 0. S. 6.
3) ücber aiirifex - aurifaber. W. Wackernagel, Deutsche Glas-
malerei 1855, S. 135.
4) Jahresbericht über das dortige Gymnasium 1891, S, 7.
5) B. Jahrbb. 77, 148.
Meister fiisenhtith. 8Öt
Erregt hat^), die jetzige Bernlmrdi- (früher Wullenweber-) Strasse;
die Niederlassung in Warburg oder die Heimkehr von Italien soll
schon 1581 erfolgt sein, weil nun in einein Schriftstücke ein Thonius
Iserafaodt als Zinspflichtiger des Cyriakus-Hospitals verzeichnet steht;
ein anderes Blatt trägt den Vermerk: „Auszug aus der Camerarii
Bernd Ortwein und Anthon Isernhots Register de 1603". Eine ein-
gehende Erörterung über den Schtttzenschild führt Hense zu der
Erklärung, dass dei-selbe ohne Zweifel für eine Arbeit Eisenhuths zu
halten sei; mich dagegen bestimmen erneute Erwägungen, gewisse
Elemente der Decoration, den Adler, die beflügelten Putten, die
Maskarons, Köpfe und Halbmenschen des Kleinods — so wurde der
Schild schon 1591 in einem Schätzenbriefe genannt — als Zeich-
nungen des Meisters oder als Abglanz seiner Werke zuzugeben.
Das Lineare des Kernstückes, manches Ungelenke in Gontouren und
Stilformen, also Gesammt-Composition und Ausführung weisen eher
auf einen a n d e r n Metallküustler. Denn selbst während derEisen-
huthschen Schafl'ensjahre und um dieselben herum war ja bekannt-
lich in den grossen Städten Westfalens und wie nachfolgende An-
gaben beweisen, sogar in mehreren Kleinstädten an Goldschniieden
kein Mangel. So werden bekannt (nach Ahlemeyer, Rathsprotokolle)
1553 der Goldschmied Bore hart Wolff in dem blühenden 2)
War bürg, 1595 Peter Losse, 1595/98 Christoph D rau-
ber, 1599 Peter Busch zu Bielefeld, 1601 Casper
Höxer aus Wildungen, 1604 Henning Hans, 1610/16 die
Brüder Casper und Melchior Kohl zu Blomberg als
Münzmeister in Lippischen ^), (1565 und) 1572 Jasper Over-
1) B. Jahrbb. 84, 171.
2) 1587 vollendete zu Osnabrück der Vicar Jost Bodeker aus Warburg
wie im Wetteifer mit seinem einstigen Mitbürger Eisenliuth ein grossartiges
Uhrwerk für die dortige Domkirche und bereicherte dasselbe mit dem ersten
bekannten Centrifugalpendel in vollkommenster Gestalt (H. Veitmann, Osna-
brückische Mittheilungen XV, 232 fF.). Bodeker hat damit wohl auf den
Casseler Hofuhrmacher (seit 1579) Burg-i eingewirkt viclleich durch Ver-
mittelung Eisenhuth's, welcher ja ßurgi's Freund und Günstling war.
Bonner Jahrbb. 84, 170 Lessing S. 8. Aus Warburg, wo 1278 ein Glocken-,
giesser thätig war (Prüfer's Archiv (1884) VIII, 82), stammte Hinrik Scheg-
hest, welcher 1467 einen Springbrunnen für Loccum goss. Mithoff, Künst-
ler u. Werkmeister A^ S. 283.
3) Loitzmann in der Numismatischen Zeitung (1864) XXX, 181.
Ueber Münzmeister als Goldschmiede, vgl. z. B. Hüllmann, Stftdtewesen
des Mittelalters. II, 21. Augsb. Allgemeine Zeitung 1878 Nr. 82 ff.
808 3. fi. Kordhoff:
lacker zu Coesfeld*), 1568 Heinrich Sigcnhirt zugleich
Chronist zu Höxter*), 1570 Johan Schichtebrede zu
Warendorf»), 1574 Johan von der Borch zu Geseke*)
und CortLersse zu Ahaus, 1576 — 1602 Johan van Dut-
then zu Rheine*), zu Unna 1602 der Goldschmied Gerhard
von Olpe^), zu Höxter wiederum 1604 der Goldschmied Lud-
wig Fuchs'), zu Lichtenau gleichzeitig Otto Meier, von
dem sogleich noch besonders gehandelt wird, zu Bill erbeck 1614
ein Goldschmied Jobst...^), zu Steinfurt 1618 Peter van
Essen, welcher mit Berend Monster man zu Osnabrück
Pokale fllr Tecklenburg ausführte®), und zu Driugcnbcrg da-
mals schon der Meister des neuen Liborischreincs im Dom zu
PadcrboiTi 1627: Hans Krako^»), geboren 1587.
Was den Goldkelch zu Herdringen vom Jahre 1604 bc-
triflft, so haben handschriftliche Entdeckungen^*) des Grafen J. Asse-
burg in den Tagesnotizen Caspars von Fürstenberg, die nämlich
von Pieler ") nur ungenügend verwcrthet sind, meine Ansicht"), dass
Eiseuhuth daran nur einen geringen Antheil habe, bestätigt, jedoch
wider mein Erwarten als Meister einen Westfalen ans Licht gebracht.
Der kunstreiche, also auch im Emailliren bewanderte Meister ist
1) Staats - Archiv. Execut. Wilh. Valcke f 1572, Gilden u. Zünfte
13 a, p. 38.
2) Wigand, Corvey'ßche Gesch.-Quellen 1841, S. 09 ff. 185.
3) Copienbuch der Armen in Lamberting Ms. fol. 101.
4) Fahne, Bocholtz 1 II 104. Hofkammer 40.
5) Darpe's Mittheilung und Staats- Archiv Ms. VII, 801.
6) Fahne, Grafschaft und Reichsstadt Dortmund I, 213.
7) Dessen, Gesch. des Bisthums Paderborn II 120.
8) Staats-Archiv Gilden und Zünfte 13 a, p. 54b.
9) Staats - Archiv. Teckienburgcr Acten, üebor den Osnabrücker
Meister Monsterman vgl. Osnabr. Mittheilungen VII, 292. XV, 350. Zu
L i p p s t a d t bestellte man für Haus Geist bei Oelde 1544 einen Ring
und ein kostbares Silbergeschirr beim Goldschmied Hans Ressen (Staats-
Arch. Ms. VII, 1711) und sogar in dem Plätzchen Wildeshausen,
sass c. 1540 ein Goldschmied Johan Wilhelms. (Staats-Arch. Oldenburg.)
10) Ueber ihn und andere Metallarbeiter zu Dringenberg vgl. Mer-
tens, Der h. Liborius 1873 S. 104 und B. Jahrbb. 77, 168.
11) Zeitschr. für kirchl. Kunst. Köln. I, 378 ff.
12) Tagebücher Caspar's von Fürstenberg 1873, wo S. 164 auch ein
Goldschmied zu Meschede vorkommt.
13) B. Jahrbb. 70, 117.
Meister Eisenhnth. 809
der oben schon erwähnte Otto Meier ans der kleinen Stadt
Lichtenau bei Paderborn. Es hat nämlich Caspar dem Eisenhnth
1603 einen Goldkelch in Anftrag gegeben, ihm anch Edelmetall da-
für zngestellt — allein der Tod riss den Meister schon am 6. Decem-
ber desselben Jahres ans seiner glorreichen Künstlerbahn; dass er
an dem Kelche bereits etwas gethan hatte, erhellt daraus, dass der
Stifter, nachdem er von dessen Wittwe das Gold zurück gefordert
hatte, ihr auch eine kleine Summe auszahlte. Durch jene Tagesnotizen
wird also 1603 als Eisenhnth's Todesjahr festgestellt, nur leider
nichts Näheres über seine Frau ^) und Familie erbracht. Ihr Heraus-
geber lässt mit Grund die Eisenhnthschen Kleinodien nicht für Erb-
stücke, sondern für Geschenke des Paderbomer Bischofs Theodor
gelten, die er bei Lebzeiten seinem Stammhause zugewandt hätte.
Bau wie Ausstattung der Kapelle auf dem Schnellenberge war ja
vom Bischöfe Theodor bis 1600 glücklich vollendet*).
Otto Meier, der hiermit zuerst in die Kunstgeschichte ein-
rückt, hat etwa ein Jahr nach Eisenhuth's Tode den Goldkelch
nach dem neuen Fttrstenberger Sitze Schnellenberg befördert, dort
auch Silbersachen reparirt, für die Schlosskapelle zwei silberne
Kannen und für das Haus jedenfalls noch andere Kleinodien ge-
fertigt, die man nach der Stilweise des Herdringer Kelches be-
stimmen wird. Da er im Entwürfe und in der Technik ziemlich
selbständig dasteht, kann er nicht einmal zu den Nachahmern Eiscn-
hnth's zählen und hat dieser, wie der vorliegende Fall von Neuem *)
lehrt, keine Schüler gehabt oder doch so weit gebracht, dass sie
die besondere Kunstweise des Meister fortzusetzen vermochten.
Die Adern des reichen Bornes, woraus Eisenhuth seine Formen
schöpfte, entquollen den gothischcn Linienzügen und der realistischen
Bildncrei*) seines Vaterlandes, weiterhin der deutschen und zumal
der italienischen Renaissance und schliesslich den Früherecheinungen
den Barocks. In mehreren Kupferportraits und in der Kusstafel*)
(Pax) z. B. schliessen diese S t i 1 a r t e n fast alle zusammen, am
Kreuze und Rauchfasse überwiegt die Gothik dagegen in den
1) Dass. 70, 113 Nr. 1.
2) E. aus'm Werth in B. Jahrbb. 72, 108.
3) Das. 77, 152.
4) Die mit der Gothik nichts mehr zu thun hat. Vgl. A. Springer
in der Zeitschrift für bildende Kunst (1880) XV, 346.
5) B. Jahrbb. 77, 146; 72, 107 Taf. VII, VIII.
310 J. B. Nordhoff:
Bilberoen Buchdeckeln und Rundbildcben ^), am Weihkeßsel und
vorab am Kelche die Renaissance, welche natürlich den Grundton
angibt; ihr gehören nämlich noch die meisten Ornamente und Rah-
men, die Putten und gerundeten Knaben, die so elastisch an einen
Wappenrand geschmiegten Weibsgestalten ^), die im Mittelmaasse und
in fast reiner Gewandung entworfenen Kirchenväter (Buchdeckel)
und andererseits mehrere aussergewöhnliehe Körperlängen ^). Diese
mochten am Weihwedel vom Räume dictirt sein, bei gewissen bibli-
schen, allegorischen, heiligen und Engel-Gestalten und besonders bei
der Samariterin vor Christus (Weihkessel) recken sie sieh so mäch-
tig oder gar schmächtig, als hätten Aldegrever's Kupferstiche*)
darauf noch einen besondern Druck ausgeübt, wie offenkundig auf
die meisten Faltenbrüche •'^). Sie halten auf den Buchdeckeln noch
Maass, schweifen anderawo ins Unruhige oder wie bei der Liborius-
figur (Fax) und bei Christus am Brunnen so ins Runzelige aus,
als hätten sich noch italienische Renaissance - Motive unglücklich
hineingemischt.
Abschweifungen von der Natur oder Schönheitslinie offenbaren
wohl zumeist auf Eingebungen des Mittelalters bei verschiedenen
Gestalten die vortretenden Leiber und eingezogenen Gürtel, so-
1) B. Jahrbb. 77, 147. Scliöne kunstreiche Silbereinbande,
damals ein seltener Luxus, wurden dem Herzog Albrecht von Baiern
(t 1579) für seine RaritUtcn-Saunnlung zum Kaufe angeboten (J. Janssen,
Geschichte des deutschen Volkes VI, 122) und vom Herzoge Albrecht von
Preussen (1490—1568) als Silberbibliothek erworben nämlich 14 Folio-,
4 Quart- und 2 Octav-Bändeüetzt in Königsborg. Vgl. Tschak er t in den
Publikationen aus den Prcuss. Staats-Archiven 43, 236), mit getriebener,
mcistcntheils mit gravirter Belebung, stellenweise mit Vergoldung, Email,
und Niello, gefertigt von norddeutschen Goldschmieden ; nur zwei Silber-
deckel entfallen auf einen Meister der Stadt Nürnberg, wo nach 1550
kunstreiche MetallbelHge grossen Formats zuerst aufkamen. Vergl«
Schwenk e und Lange, Silberbibliothek des Herzogs Albrecht von
Preussen 1894 mit Tafeln.
2) Bei L es sing Taf. 5a.
3) Die italienischen Einflüsse B. Jahrbb. 67, 143; 77, 150 ff.
4) B. Jahrbb. 82, 139—141; ganz allgemein wurde und wird dieser
Einfluss verkannt.
o) Sowie auf den glatten, gelblichen Grundton der Ei senhuth 'sehen
Stiche und das perspectivische Zurücktreten der Architekturen, z. B. unten
auf Fürstenbergs Bildnisse,
Meister Eiaenhuth. 811
dann auf südliehe Anreize hin gewisse Körper- und Gliederla^en,
zumal die gespreizte Stellung des Spielbeines^ z. B. bei Moses im
Hintergrunde des Hohenpriesters (Buchdeckel), bei einigen Weibs-
bildern und selbst bei Gottvater, als er die ersten Menschen des
Paradieses verweist ^) (Crucifix), endlieh die gedunsenen Wand- und
Mundpai*tien einzelner Weibsbilder und die kurzen birnförmigen
Schienbeine der Putten und Knaben.
Im Reiche der Linien kommen bereits zwei verdächtige Bild-
einfassungen zum Vorscheine: nämlich das schwere Oval und ein
Langrahmen, der sich an den Schmalseiten nicht mehr ohne Mittel-
glieder verbinden will. AU' diese formalen Mängel sind Vorboten
des Barockstiles, baar der Schönheit der Renaissance wie der wahren
Charakteristik des Spätmittelalters; sie bezeichnen beinahe so grell
wie die Stilverhältnisse unter den seither beachteten oder näher
betrachteten Schöpfungen Eisenhnth's erstaunliche Unterschiede
und Abstände — deren Erklärung sowohl in den wandelbaren
Gnlturzuständen der Zeit, als auch in dem Bildungsgange und
der eigenartigen Veranlagung des Meisters zu suchen ist; denn
die Einzelwerke, worunter in der einen oder andern Hinsicht die
auffälligsten Gegensätze hervortreten, erscheinen, sofern sie nicht
durch Inschriften beglaubigt sind, bei näherer Prüfung wieder durch
verwandte Werke als Mittelglieder so nahe verbunden, dass sie, der
Warburger Schild etwa ausgenommen^), auf die Meisterhand oder
doch auf die Eingebung ein- und desselben Künstlers zurückweisen.
Die verschiedenen Stile kommen ja wohl alle an einem Werke, z. B.
dem Crucifixe und ebenso die Formen, z. B. auf den Buchdeckeln,
zusammen.
Einzelnes mag immerhin in dem formalen oder stilistischen
Bereiche von anderen Händen herrühren — doch dann eher von
Gehülfen oder anderweitigen Meistern als von Schülern. Von die-
sen verlautet nie Etwas; wie dagegen bei Eisenhuth's Ableben 0.
M e i e r zu Lichtenau den zweiten Herdringcr Kelch in Arbeit nahm ^),
so mögen schon früher benachbarte oder entferntere Kunstgenossen
auf Verlangen dem Meister bei diesem oder jenem Werke Aushülfe
geleistet haben. Unter den Gehülfen oder auswärtigen Meistern be-
1) Bei Leasing Taf. 7.
2) Siehe S. 306, Note 4 u. 5,
3) Siehe S. 309,
812 J. B. Nordhoff:
fand sich jedenfalls da nnd dort ein Nachbeter, wie jener, von wel-
chem das Soester Krenz ^) herrührt Die Wiederholung eines Por-
traits oder eines (vereinfachten) Ornaments im Holzschnitte, wie bei
dem Kupferbildnisse Schrader's nachzuweisen war *), erfolgte gewiss
ohne Zuthuen und Vorwissen des Urhebers.
Eisenhuth's Wirken ist meteorartig, kurz, glanzvoll ohne er-
hebliche Nachwirkung. Und welcher Künstler hätte ihm in der
mannigfaltigen Formen- und Stilwelt mit Glück zu folgen vermocht !
Die Nachwirkung macht sich, soweit bisher die vergleichende
Forschung reicht, nur vereinzelt in den Kleinkünsten, so in Pothof *8
Schilde der Münsterischen Goldschmiede 1613 geltend^), an dessen
Seiten sich eine Weibsgestalt ähnlich anschmiegt, wie auf dem
Eisenhuth'schen Vorlegeblatte an einen Wappenschild; bedeutsamer
erscheint sie in der monumentalen Steinplastik. Wie Hein-
rich Gruninger (Gronier) zu Paderborn die auf Wolken thro-
nende Gottesmutter für ein Epitaph *) — ebenso verwerthete er nach
1618 die kniende Papstfigur (beide auf den Silberdeckeln) für das
Grabbildniss *) des Bischofs Fürstenberg in der dortigen Domkirche.
Zu Münster wurde 1635/47 an einem Epitaph des Liebfrauen-
thuimes der Heiland zwischen einem Kriegsknechte und dem Hohen-
priester so componirt und mit denselben langen Gliedmassen, wie die
Gruppe am Knaufe des Herdringer Kreuzes auftritt, in Stein aus-
gehauen wahrecheinlich von dem Bildhauer Johan Mauriz
Gröninger; Gröninger's Anverwandter und Namensgenosse Gert
ist es*), welcher schon um 1630 am Letmathe- Altare des Domes
ganz nach Eisenhuth's Art die Putten, in den Reliefs die marki-
gen Körper und Körpertheilc anbrachte und über die Beine die
1) B. Jahrbb. 70, 118 If.
2) B. Jahrbb. 82, 138.
3) B. Jahrbb. 67, 40; 70, 126; 77, 159.
4) B. Jahrbb. 67, 144.
5) Und hiernach ist wieder das Bilduiss des Bischofs B. v. Galen
(t 1678) im Dome zu Münster gearbeitet.
6) Heinrich Gnmin^er als Bildhauer zu Paderborn, in Schriften
und Werken nachzuweisen von 1589—1631, ebenso zu Münster Gert Grönin-
ger von 1610—1631 und Joh. Mauriz Gröninger von 1645—1700; des letzteren
Sohn Johan Wilhelm Gröninger (1681—1729) errang mit der inviduellen
Gesichtsbildung, markigen Musculatur und (wohl kaum mehr nach Eisenhuth-
schen Erinnerungen) mit zackigen Gewandfalten in der Bildsäule und be-
sonders im Relief gewaltige Erfolge. Vgl. Westd, Zeitschr. III, 135,
Meister Eisenhuth. 313
Gewänder hingoss. Einst erinnerte auch in der Liebfranenkirche
ein Alabaster-Relief: Die Himmelfahrt Maria's, insonderheit die star-
ken nnd muskulösen Aposteln, und die Büekenpartie jenes, der im
Vordergründe stand, so lebhaft an das Mahl des jüdischen Oster*
lammes (Buchdeckel), dass der Künstler, unzweifelhaft einer von
den beiden Gröningem, sich tief in Eisenhuth's Formenwelt hinein-
gedacht haben muss.
Erwägt man, dass bei Lebzeiten Eisenhuth's zwischen ihm und
Mitteldeutschland mehr als geschäftliche, zwischen ihm und den Nie-
derlanden klarweg künstlerische Beziehungen^) bestanden, so
nehmen sich die vorgeführten Nachwirkungen durchaus vereinzelt
und örtlich begrenzt aus. Dabei überrascht aber, dass sowohl jener
Pothof, wie die Bildhauer von Paderborn und Münster, welche dem
Warburger Kunstvorgänger so gelehrig nachschauten, je in ihrer
Kunst auf der Höhe standen.
Es kümmerten sie also die formalen und stilistischen Gegen-
sätze Eisenhuth's so wenig, wie ihren Urheber selbst. Sie kommen
doch dem volksthümlichen Genüsse kaum zum Bewusstsein unter der
Schöne und Herrlichkeit, welche das gesammte Schaffen des grossen
Meisters umleuchten: die unverglciche Grösse, Erhabenheit und Ma-
lerei der Silberdeckel, die wunderbare Gestaltung gewisser Figuren
und ihre Anpassung an die Räume, die flotte Composition der Grup-
pen, der oft grossartige FIuss der Kleider, die reichen Landschaften*),
die elegant entworfenen und gegliederten Geräthe und Kleinwerke,
die reiche Oinamentik und Formenwelt, die feine Zeichnung, die
fertige Arbeit, die meisterhafte Technik, und die verschiedenen mit
einander so leicht vermählten Stilarten.
Wer, wie es seit dem Untergänge des Rococco geschiebt, nicht
bloss zur Schulung, sondern als ernsthafte Leistung in fremden Stilen
arbeitet, hat keinen Stil, nnd das Copiren ^ist das letzte Siegel des
künstlerischen Todes" ^). Bei Eisenhuth sind die Renaissance und
das Bai'ock ja so natürlich, wie bei andern Meistern, deren Wirken
auf eine Culturscheide stiess, zwei Stilarten; doch während bei die-
sen in der Regel die eine die andere verdrängt, wirken die ver-
schiedenen Stile bei Eisenhuth gleichzeitig, wenn auch nicht gleich-
1) B. Jahrbb. 70, 114; 77, 150; 82, 139; 84, 196.
2) B. Jahrbb. 84, 172, 175).
3) Vgl. L. V. Sybel, Weltgeschichte der Kunst 1888, S. 369.
814 J. B. Nordhoff:
massig; mit dem alteu Realismus blühte höchstens die Gothik in der
Architektar, sonst nirgendwo in einem Knnstzweige so frei nach,
wie in dem Linienreiche Eisenhuth's. Er denkt auch in den For-
men des späten Mittelalters, sonst hätte er sie an der Pax weit
voller gegeben^ und am Crucifixe nicht förmlich umgebildet — fem
vom historischen Copiren. Die Stile entsprangen seinem eigensten
Empfinden, Fühlen und Können und zwar in einer Zahl, wie es bei
keinem Künstler einer lebendigen Kunst stattfand und kaum statt-
finden konnte.
Unter und innerhalb der mannigfaltigen Schöpfungen unseres
grossen Künstlers ragen die malerischen Silberbilder, die mehrzähli-
gen und gleichzeitigen Stilformen in lebensvoller ücbuug wie
Ruhmestrophäen auf, welche so vereint wie bei ihm schwerlich die
Bahn einer anderen Grösse der Kunstgeschichte auszeichnen.
A 1 d e g r e V e r - A n 1 a g e.
Nachdem also jelzt und bei früheren') Anlässen Heinrich
Aldegrever in Erinnerung gebracht ist, mögen noch einige
Nachrichten über seine Familie und sein Leben Platz finden. Zu-
nächst sind aus der Umgegend seiner Vaterstadt Paderborn an
^Trippenmakere''* nachzuweisen zum Jahre 1445 ein Regenhard
„de eider" zu BrakeP), zum Jahre 1480 ein Lodewich, Richter zu
Salzkotten ^), zum Jahre 1523 ein Magnus, Rathsherr zu Geseke*).
War dieser Heinrich verwandt, so vermittelte er leicht des letzte-
ren früher erörterte'^) Verbindung mit dem Geseker Maler Gert
van Lon.
Die in den Jahrbüchern H. 87 S. 135 bcauszugte Urkunde von
1491 vermeldet von Hennan Trippenniaker, offenbar dem Vater
Heinrichs; das kann ein Gcriach Trippenmaker, der 1492 am (Casse-
1er) Spicringsthore zu Paderborn sein Wohnhaus hatte, nicht sein;
denn es stand ihm damals, also längst vor Heinrichs Geburt, nur
1) B. Jahrbb. (1886) H. 82. 141 flF.; H. 84, 172; H. 87, 135 Nr. 2.
2) Westf. Zeitschr. 40 II, 149.
3) Bonner Jahrbb. 87, 135.
4) Staats-Archiv Münster. Bödeken Urk. Nr. 243,
5) Bonner Jahrbb. 82, 127,
Meister Elsenhuth. 816
eine Tochter, Namens Katharina, zur Seite *). An demselben Thore
wurde 1471 der Krämer Johan Trippenmaker nnd Neze seine Frau
vom Domcapitel mit einem Hofe belehnt % und der Belehnte mag* mit
Fug für Gerlach's, vielleicht auch f ftr Hermans Vater anzusehen sein.
Wichtiger ist eine Nachricht von 1512, wonach Heinrich Geschwister
hatte; denn nun empfangen zu Paderborn gegen einen Goldgulden
Jahreszins vor dem Vicecurat Johan Voslo, der z. Z. den Dom-
kemener Johan von Valkenborch vertrat, Haermen Trippenmaker und
Katharina seine Ehefrau, Bürger zu Paderborn, vom Capitel zu Bus-
dorf für sich und „ere Kindere** eine Summe Geldes und erwerben
damit zu ihrem, ihrer Kinder und Erben Nutzen bei dem Minoriten-
kloster ein Haus vom Meister Jacob Weseman dem Gold-
schmiede^), möglicherweise demselben, bei dem Heinrich bald
in die Lehre trat, lieber die Namen, Zahl und die Geschicke sei-
ner Geschwister erfahren wir nichts und die Literatur weiss durch-
schnittlich von keinem andern Nachkommen Hermans etwas, als
von Heinrich, daher bis auf diesen Hermanns Kinder frtth verstor-
ben sein müssen, wie dann l«54o allem Anscheine nach unser Künst-
ler als alleiniger Erbe des Vaters auftritt. Der Künstler führte
nach heutiger Wissenschaft bestimmt den Namen Heinrich, nach der
früheren Literatur jedoch vereinzelt den Namen Albert, so zwar,
dass dann Albert auch für alle erwiesenen Arbeiten Heinrichs zu
Buche stand*); daneben kamen noch zwei Ktinfetler Aldegrever in
Rede, und in diesem Falle hiess der eine Albert, der andere Hein-
rich. Der entschiedenste Anwalt für dies Künstler-Paar ist der
Kölner Bibliograph Hart/heim % ein ebenso belesener wie bis in die
kleinsten Einzelnheiten auch zuverlässiger Gewährsmann. Seine Auf-
stellung ist daher reiflich zu prüfen und sicher nicht aufs Gradewohl
über Bord zu werfen; nach ihm theilen beide Meister bis etwa
auf zwei Jahre das Geburtsdatum, welches für Albert um 1500, für
Heinrich auf 1502 angesetzt wird, sie theilen den Wohnsitz (Soest),
1) St.-Archiv Ms. Fürstenthum Padorbom, Urk. 21öl.
2) St.-A. Ms. Domcapitel Paderborn Nr. 1970.
3) St.-A. Ms. I, V22 fol. 135 b. Nach einer Abdiiighofer Urkunde gab
es 1522 auch einen Syriacus Goltsmit.
4) So bei Sand rar t, beiVasari, Levite di piu eccellenti pittori . . .
ed. Milanesi V, 439, Nr. 3, und bei Förster in der deutschen Vasari-Aus-
gabe 1845, 311, 351.
5) Bibliotheca Colonieusis 1747, p. 10, 112.
816 J. B. Nordhoff:
in der Hauptsache das Feld der Kanstübang^ ebenso den Familien-
namen; denn weicht dieser aach in Hartzbeim's Buche flir den einen
nnd andern Meister etwas ab, so flgnriren sie doch beide am Schlüsse
(p. 369), nämlich im alphabetischen Künstlerverzeichnisse, unter ein«
und demselben „Aldegraeff^. Kurzum was Harzheim nicht ausspricht,
dürfen wir wohl erschliessen : dass nach seiner Anschauung beide
auch Anverwandte, wenn nicht Brüder gewesen seien.
Allerdings gehört von den Werken, die der Gewährsmann dem
Albert zumisst, der grösste und bedeutendste Theil thatsächlicli Hein-
rich an, und diejenigen, welche fttr Albert übrig bleiben, sind an
Zahl und Werth nicht der Art mehr, dass eine grosse künstlerische
Ausbeute zu erwarten wäre, zumal da dieser Rest nach einer andern
Quelle auch Heinrich zukommen kann. Fast vermuthet man, irgend
ein Irrthum, etwa eine unrichtige Deutung von Heinrichs Monogramm,
worin ja das A so klar hervortritt, habe den Gewährsmann ver-
leitet, diesem als Genossen der Kunst und des Hauptnamens einen
Albert an die Seite zu stellen. Und obgleich weiter bei Hartzheim
das Lebensende bezüglich beider Meister genau auseinander gehalten
wird, nimmt sich doch das Grabdenkmal Alberts bei Hartzheim
form verwandt mit jenem Heinrichs^) aus. Selbst Albert« Sterbeort Son-
tini könnte als Verderbniss für Susati in den Druck eingeschlichen
sein, zumal da man ihn nur gezwungen in dem niederländischen
Zanth wiederfindet. Die betreffende Stelle lautet:
(Albertus) Sontini (!) mortuus est et sepultus jacet sub cippo,
qui nomen viri famosum cum signis communibus ostentat.
Auf der andern Seite klingt sie in allen Theilen wiederum
so bestimmt, als wenn ihr Inhalt dem Augenscheine entflossen wäre,
zudem Hesse sich ja auch die Fonuverwandtschaft der beiderseitigen
Grabmäler erklären mit der Natur der Sache selbst. Dazu kommt,
dass der oben angedeutete Rest von Alberts Kunstwerken, welche
in Hartzheims Aufstellung mit jenem Heinrichs collidirt, eine aus-
erlesene Kunstart, nämlich Blätter mit wunderechönen Zier-
den und Schriften darstellt, gegen welche Heinrichs Alphabete*)
nur einen untergeordneten Werth haben wüi"den. Die bezügliche
und merkwürdige Stelle lautet: Noverat (Albertus) praeterea cha-
racteres et scripturas rara arte et admirabili ele-
1) Siehe Seite 320, Note 3.
2) Bei Bartsch, Le Peintre-graveur Nr. 206, 250,
Meister fiibenhttth. 817
gftntia formftre. Exemplaria aliquot cariori pretio etnpta ha«
buit . . . legatUB regia Sueciae D(om]nus) de Schiring. Dies war
nach der gleiehfolgenden Außsage van Manders der schwedische
Gesandte bei den Generalstaaten, nach anderweitiger und glaub-
hafter Angabe^) der schwedische Geschäftsträger^) Schering (= Rosen-
baum) zu Münster 1642—1645»), dann zu Paris 1645—1649. Er
sammelte nicht für sich, sondern fttr seine Königin Christine und
westfälische Gegenstände gewiss damals noch eher in Westfalen, als
anderswo.
Die andere Quelle för die Zierblätter ist nach Karel van Man-
der's Ausgabe 1764 I, 452 Sandrart, Academia artis pictoriae 1683,
dei-en Ausbeute hier nur nach dem Mander'schen Auszuge erfolgt,
weil mir von Sandrart augenblicklich nur die deutsche Ausgabe 1774
zu Gebote steht, welche die fragliche Stelle nicht enthält. Damach
kaufte der Gesandte Spiering (!) zu hohem Preise ein boekge
of veraameling van 100 of daar ombti-end blaadjeus, in't weelk deze
vermaarde meester zo veele tekeningen van zyne band gemaakd
had. Ohne Zweifel war sie Hai*tzheim, der sich ja zunächst auf
Sandrart beruft, bekannt und vielleicht auch die Veranlassung, dem
Albert irrthümlich ^) ein so bedeutendes Arbeitsfeld einzuräumen; denn
sie betrifft lediglieh Werke Heinrichs, insofern dieser bei Sandrart
stets den Namen Albert führt. Merkwürdig bleibt aber, dass sie
wesentlich von der Aussage Hartzheims abweicht; und hätte dieser
oder sein Berichterstatter andere Exemplare jener Blätter, als
Sandrart, vor Augen gehabt, so verliehe das seiner Aussage ein be
stimmtes Gewicht.
Eui-zum sollten einmal zu Rom unter den Schenkungen
der Königin Christine von Schweden jene exemplaria aliquot
wieder an den Tag kommen, so würden ohne Frage ihre Inschriften,
ihr Monogramm oder andere Beweismittel, z. B. der Stilvergleich
1) Freundliches Schreiben des schwedischen Reichs- Antiquars Dr.
Hans Hildebrand d. d. 23. I. 91.
2) Schering ist Taufname.
3) Seine Autobiographic sagt nach Hildebrand^s Schreiben :
„Ich muss bekennen, die vier Jahre, die ich in Münster verlebte, sind
mir die besten xmd angenehmsten meines ganzen Lebens gewesen."
4) Schon der Zeit wegen schwebt bei Hartz heim p. 11 s. v.
Albertus Aid. nach M a i 1 1 a i r e , Ann. Typogr. E* p. 740 in der Luft :
Ein boeck mit seer curieuse prenten vai\. Albert D e u r e r en A 1 d e -
g r e V e geppreden in folio anno 1500 s. 1. et typ. n.
818 i. B. Kordhoffs
mit Heinrichs anerkannten Werken unschwer für immer den Sach-
verhalt aufklären und die Entscheidung bringen^ ob bei Hartzbeim
eine Verwechselung vorgekommen ist, oder mit andern Worten, ob
jene schönen Stücke von Heinrich oder von einem Albert Alde-
grever herrühren. Dann würde erst mit Bestimmtheit Albert ent-
weder der Geschichte wieder gewonnen oder dereelben für immer
verwiesen werden, und in diesem Falle Heinrichs Arbeitsfeld und
Bedeutung noch zunehmen.
Heinrich Aldegrever *) (Aide Grave), Herr der Malerei, der Gold-
schmiede, des Kupferstiches und des Siegelschnittes, lernte zu Pader-
born vielleicht, wie oben schon bemerkt wurde*), bei dem Gold-
schmiede Jacob Weseman und vollendete seine Ausbildung unter
Dürers Einflüsse, d. h. entweder vor des Meisters Stichen und Holz-
schnitte^ oder in dessen Werkstütte: letzteres steht bei einigen
Schriftstellern ^) fest und ist eine ausgemachte Thatsacbe, falls Alde-
grever Schildereien zu Nürnberg und andei*swo hinterlassen und
einen Klappaltar des grossen Franken in der Petrikirche zu Soest
aufgestellt hat^). Hier fand er schon um 1528 Beschäftigung in der
Malerei % und richtete hier wohl bald darauf seine Werkstätte ein.
Soest war noch nngefilhr die reichste und grösste Stadt des Landes^),
in der reich verzweigten Kunstübung jedoch von der alten Höhe
herabgesunken und daher für Aldegrever seit Jürgen Marschalks
(1501 — 25) Ableben ') wohl ebenso wenig Concurrenz in der Malerei von
1) Vgl. Woltmann-Sc'hmidt im Allgemeinen Künstler-Lexikon s.v.,
(Gehrken) in Tross' Westphalia 1826 III 4—7. Fuhrmann das. III 193.
Gehrken in der westfal. Zeitschrift f. Geschichte und Alterthuni«kiinde
IV 150. Paßsavant, Le Peintre-graveur I, 227 f.
2) Oben S. 315.
3) z. B. bei Füe sslin, Allgemeines Künstler-Lexikon, Zürich 1779
I, 17 u. Karel van Man der 1. c. I, 151. Nach Ilg in Bucher's Ge-
schichte der technischen Künste II, 345 hat er sich erst zu Nürnberg der
Malerei und dem Kupferstiche zugewandt.
4) Gehrken in der Westfäl. Zeitschrift IV, 150.
5) Bonner Jahrbb. 82, 127. Zu Soest erscheint schon 1390 ein Con-
seko Trippennieker im städtischen Protokollbuche Fol. 28 b.
(3) H. Hamelmann, Opera Genealogica . . . Lemgoviae 1711,
p. 75. Soest hatte 1517 in der Pest beinahe 4000 Einwohner verloren.
B. Wittius, Historia Westphaliae. Monasterii 1778, p. G58.
7) Bonner Jahrbb. 82, 126. Es begegnet uns 1.501 ein Johan
plattenschlHger zu Soest, bei Mithoff, Künstler und Werkmeister, A'
I
Meister fitsenhüth. 819
dem eiDinal genämiten m eil er Thomas, als in der Goldschmiede
von einem Uinrik Dreigger zu befürchten, an dem ein anderer
Goldschmied Adam einen Bürgen fand. Die Reformation, deren
Regungen zu Paderborn 1527 erstickt waren*), gedieh seit 1529
ungestörter zu Soest*), und ihr hing Aldegrever an, von ihren Geg-
nern scharf verurtherlt, von seinen Anhängern so hoch gesehätzt,
dass er 1531 vom Rathe den Auftrag erhielt, zur Abfassung einer
kirchliehen Ordonnanz den Gerd Omeken von Lippstadt heranzu-
ziehen*). Zeitweise Freundschaft mit den Wiedertäufern schadete
ihm so wenig, dass er schon 1538 vom Soester Bürgermeister Albcii;
von der Helle ein schönes Kupfer-Portrait anfertigen durfte. Nach
einer glaubhaften Handschrift verkaufte er 1545 zu Paderbom sein
Vaterhaus an den dasigen Richter und hatte wegen des rückständigen
Kanfschillings, sicher wegen Gelder, Kleinodien und andeiii Nach-
lasses noch viele Briefe zu wechseln *). So anscheinend durch Eltern-
gut und reges Schaffen in behagliche Verhältnisse versetzt, genoss er
als Bürger und Künstler Ansehen und galt er 1547 als vollwich-
tiger Zeuge für einen Bernd Koip, nachdem dieser wegen nach-
theiliger Reden über die Stadt in Haft gebracht war-*^). Der künst-
lerische und halbwegs auch der religiöse Boden verband ihn zu ge-
meinsamen Reisen und beständiger Freundschaft mit dem Mfinste-
rischen Maler Ludger to Ring*') d. J., und dieser hinterliess jeden-
S. 75 ein Plattner Curdt Corner zu Minden 1587 tliätig für den Hof
zu Wolfcnbüttel , in einem GoldBclmiiede- Buche 1594 ein Lodcwig De-
gen er, WaflFen- und Steinschneider zu Münster also neben den Knops
(B. Jahrbb. 87, 157 ff., 165). An die altern westfÄlischen Panzerschmiede
zu Marsberg erinnert noch gern der Regen des Himmels, indem er dort
am Berghange feine Kettenstückchen von den Schlacken eutblösst.
1) G. V. Kleinsorgen, Kirchengeschichte von Westfalen II, 343;
über das Verhalten des alten Trippenniaker zu Paderborn, llamelmann,
p. 1329. Die 1522 von Soest an den Herzog von Jülich überreichte halffer-
des Kanne bezahlt mit 117 M. 3 st. 5V3 Pfg- war bereits in Köln bestellt.
Stadt.-A. Soest, Protoc. missivarum LI, 6.
2) Rademach er, Chronik der Stadt Soest Ms. fol. 64. lieber das
Ms. meine Denkwürdigkeiten aus dem Münster. Humanismus 1874, S. 190.
3) Dieser Auftrag sowie die erwähnten Künstler bei Daniel von
Soest herausgog. von Jostes 1888, S. 11, 20, 118.
4) Fuhrmann a. a. O. III, 193.
5) Rademacher a. a. 0. f. 72.
6) K. von Man der 1. c. I» 151. Prüfe r^s Archiv f. kirchl. Kunst
(1685) IX, 82.
32Ö J. B. Nordkoffs
falls in Soest Spuren seiner Malerei, wie Aldegrever solche der
Metallarbeit für Münster. Des letzeren Lebetage reichten vermuthlich
über 1556 hinans, ob noch bis in die Soester Pestjahre 1566—67 *),
ist unentschieden, ebenso ob er ohne Vermögen, Anverwandte und
Ortsfrennde hinstarb. Als nämlich einmal Ludger to Ring ihn in
Soest besuchen wollte, fand er ihn bereits dürftig bestattet im Grabe
angeblich *) auf St. Petri Kirchhofe „neben dem Leiden des Herrn"
und daher ehrte er dasselbe durch ein Denkmal mit dem Meister-
naroen und demselben Zeichen, welches Aldegrever auf seine
Werke setzte*). — Aldegrever galt noch bei Lebzeiten sogar bei
seinen Glaubensgegnem für einen mester grot und bei spätem Schrift-
stellern ftlr einen Maler und Kupferstecher, der in Deutschland seines-
gleichen nicht gehabt*). Dass von seiner Formenwelt und Technik
Verschiedenes bei Lorichs zu Flensburg und namentlich bei Eisen-
huth nachlebte und ausblühte, ist vielleicht sein köstlichster Lorbeer.
Nach ihm übte zu Soest den Kupferstich sein Gopist und vielleicht
sein Schüler AT 1569 — 70, die Malerei ein Mathias Knipping^)
1593, 1605, dessen Michel Angeleske Foimen an Lndger to King
d. J. erinnern, den Kupferetich wieder um 1600 ein Herr von Dael*').
Aldegrever hat im Kupferstiche, der wohl einst wie jetzt das
Schwergewicht unter seinen Werken war, auch die beiden Häupter
der Münsterischen Wiedertäufer verewigt, den König Jan von Lejdcn
imd dessen Schwertträger und Stadtvogt Bernhard Knippcrdölling; er
hat also unzweifelhaft mit ihnen zu Münster in einem längeren
Umgänge und Verkehre gestanden. Der Gedanke legt sich nahe,
der Meister sei zu diesem Kunstschaifcn von den nach Soest entbotenen
1) Rademac her 1. c. p. 84. Aldegrevers Ende 1558 nach J. Heller,
ZüRätze. zu Bartsch' Peintre-graveur 1854, p. 1; gegen 1560 nach Jani-
tschek, Gesch. der deutschen Malerei 1890, S. 529; 1562 nach Notices sur
les gravenrs 1807, I, 5.
2) Fuhrmann a. 0. III, 193.
3) K. van Mander a. O. I, 151.
4) Stangefol, Opus chron. . . circuli WestphaUci. Colon. 1651 lib.
IV, p. 20. Ueber sein Ansehen in Paris vergl. G. B. Depping im Westf.
Anzeiger 1806 Nr. 50 S. 794.
5) Prüfers Archiv X, 21 N. 3.
6) Hartzheim 1. c. p. 70. Das Soester Geschlecht dieses Namens
soll von Italien nach den Niederlanden gekommen, von da unter Alba's
Regiment nach Belgien, von hier nach Sachsen ausgewandert sein. Meh-
rere Glieder desselben kennt Fuhrmann, Miscellanea Susatensia Ms. p. ITC.
Meister j^isenhuth. 021
f ropheten des Königs bewogen worden. Diese erlitten zwar bald
wegen ihres Auftretens und ihrer Lehrneuerung ein schmähliches
Ende, doch nicht ohne dort einen versteckten Anhang zu hinter-
lassen^). Ihr Führer, der Prophet Johan Dusentschuer, war doch als
Goldschmied der nächste Kunstgenosse Aldegrevers ; stets muss seine
Thätigkeit für die Sache der Wiedertäufer, mit welchen Soest ja
nichts zu thun haben wollte, auflPallen, zumal wenn der Sage einige
Wahrheit zu Grunde liegt, er habe die beiden Häupter der Wieder-
täufer auch in Farbe „öfter'^ abgebildet.
Dass er thatsächlieh seine Kunst in ihren Dienst gestellt, er-
gibt sich offenbar aus zwei, oder wie wir später erörtern wollen,
vielleicht aus mehreren Kunstwerken, welche er entweder im Auf-
trage der Wiedertäufer oder auf eigenen Willensentschluss hin der
Mit- und Nachwelt beschcert hat. Denn jene beiden Kupferstiche
mit Knipperdölling und dem Könige Jan ^) sind nach den Inschriften
nicht zu Münster, sondern zu Soest 1536, also erst ein Jahr nach
dem Falle (1535 24./6) des neuen Sion gefertigt und zwar als „wahr-
haftige", d. h. historische „Conterfets" zweier denkwürdiger Grössen,
würdevoll in Haltung und Schmuck, ohne jeden Nebenton ; es sind
zudem mit dem Selbstportrait des Stechers') die beiden schönsten
und vollendetsten von allen Portraits, die von Aldegrevers Hand
vorliegen. Ihre historischen Distichen reden deutlich von unter-
1) Münster. Geschichtsquellen, herausg. von Cornelias II, 276, 881.
Hamelmann 1. c. p. 1114.
2) Vgl. die Beschreibungen bei Woltmann -Schmidt a. 0. I, 241,
248, Bartsch, Le Peintre-Graveur VIII, 378 Nr. 415, 416; noch lag auf
der Ausstellung zu Münster vor: ^Portrait auf Perlmutterschale in Kupfer-
stichmanier. 12, 5h. 6b: Johan von Leyden. Mit Monogramm des H.
Aldegrever. Sprechender Ausdruck, kräftige, sichere Handhabung der
Radirnadel — v. Frankenberg." Katalog zur Ausstellung westfäl. Alter-
thümer und Kunsterzeugnisse . . . 1879 zu Münster A ' S. 151 Nr. 1945.
3) Ebenso wie der König in der Natur: Nach Hamelmann 1. c.
p. 1196: Adolescens longae ac decorae staturae, plane imberbis (bei
Aldegrever und sonstwo bereits bärtig) cuius mentum vix pauca lanugo
attigebat, homo eleganti et mira . . . forma, in sua dictione et idiomate
valde facundus et delectabilis, mulierculis propter elegantem corporis
dispositionem, faciem formosam et jocuudos sermones eosque ad modum
blandos gratissimus et acceptissimus, qui se obsequio, humilitate et loquela
Omnibus accomodare noverat. Qui istis dein de dotibus addebat hoc,
quod miram prae se semper vidoretur ferre sanctitatem . . . Uebor des
Königs dramatische Vorbildung vgl. Kcrssenbrock a. a. 0. II, 52.
Jahrb. d. Ver. v. Altorthsfr. im Rheinl. XCVI. 21
322 J. B. Nordhoff:
gegangenen Grössen und anseheinend deren Anhängern und Wider-
sachern gegenüber unparteiisch:
Haec facies, hie c(v)ultus erat, dum sceptra tenerem
Rex avaßaiTTicTwv sed breve teinpus ego . . .
1^11 otuB nuUis Knippcrdollfngius oi'is
Talis eram sospes, cum mihi vita foret . . .
Die Portraits und die Verse zusammen verkündigen, besondei-s
gegenüber den schriftlichen und bildlichen Darstellungen der Sieger*),
eher etwas Rühmliches als Nachtheiliges für die Verbildlichten,
gerade so wie unter den zahlreichen Wiedertäufer-Münzen die
beiden schönsten und, wie sich unten zeigen wird, wohl gleich-
falls aus Aldegrevers Hand hervorgegangenen Stücke mit dem Bild-
nisse des Königs — jedenfalls aus diesem Grunde gilt der Künstler
sowohl bei Passavant, wie sicher mit Unrecht dessen Vater 2), bei
Heller') flir einen Parteimann der Wiedertäufer. Doch da die Verse
zumal für den König kein Wort des Mitleids oder der Anerkennung
haben, so mag den Meister immer noch keine religiöse Parteinahme,
vielmehr die Absicht geleitet haben, die Wiedertäuferbilder ohne
Tadel und ohne besonderes Lob möglichst objektiv oder unanstössig
zu halten und ihnen dadurch überall, wenn auch nicht bei den Be-
siegern, so doch bei den Taufgesinnten und allen Geschichtsfreunden,
welche sieh des abenteuerlichen Königs und Reiches Sion erinnerten,
einen möglichst grossen Absatz zu sichern. In welchem Maasse das
Münsterischc Wiedertäuferthum auch nach dem Untergange*) die
Hei*zen und die Phantasie seiner Freunde und Feinde bewegt hat,
1) z. B. das von Aldegrever ganz abweichende Portrait des Königs
auf einer bischöflichen Denkmünze von 1536 abgebildet bei Mieris,
Uistori der Nederlandsche Vorsten 1753, II, 415. Sonst haben die landes-
herrlichen Mtinzen jener Zeit z. B. eine grosse mit Hciligenbildnissen von
1535, auf das Wiedertäuferthum wohl keinen Bezug.
2) Vgl. Hamelmann 1. c. p. 1329.
3) a. 0. 1. Passavant 1. c. IV, 103.
4) 1537 in Tremonia fabricatae sunt tres sportae ferreae a magistro
Berthol do Smit (alias de Ludinckhusen dicto), in quibus su.spendendi
erant Rex Monasteriensis et Knipperdollinck et pastor in Gildehusen.
Regis sporta in libra XXXX wagen yserens min 13 punt; libra centnm
talenta. Anno 1536 his sportis innectuntur. Bertold fertigte für die Do-
minikanerkirche zu Dortmund auch einen Kandelaber vor dem Marien-
bilde. Chronicon Dominican. Tremon. der Königl. Bibliothek zu Berlin.
Meister Eifienhuth. 323
können uns die zahlreichen Bildnisse Jan's und Enipperdölling's
lehren, die auf Münzen, in Farben, Stichen, Holzschnitten und iu
Copien die Welt durchschwirrteu. 1536 beklagte schon der Ma-
gistrat zu Antwerpen dat eenighe printers, druckers, figuer-
stekers, schilders oft anderen hen vorderen dagelyx, soe lanck
so meer, diveree ketters, delinquanten ende malefacteurs (als eenen
genaempt Jan van Leyen . . .) met synen complicen ende
adherenten, die eensdeels tot Munster ende el der s geexecu teert
syn, te schilderen ende te contrefeyten, vrelcke figueren oick
eenige persoonen achter Straten te coope dragen oft ter venten
stellen, ende eenige andere binnen heuren huysen ende eiders
plecken ende voorstellen . . .^)
Man kann nicht leicht über den Gedanken hinweg, der aus-
gezeichnete Künstler, welcher im Bildnissfache für die Wiedertäufer
arbeitete und sonst in Zeichnung und Ausführung die Metallkünste
betrieb, habe diese auch irgendwie an andern Geschmeiden des
„königlichen** Hofes bethätigt, der gleichsam in Gold und Silber
schwamm.
Woher kam die Unmenge von Edelmetall'? Obschon Kirchen,
Klöster und Bürger ihre Kostbarkeiten oder doch die Hauptklei-
nodien zeitig geflüchtet oder geborgen hatten, Hessen sich von den
beiden ersteren noch beträchtliche Rückstände an Geld und Geräth
und stellenweise auch verborgene Schätze beitreiben *) ; anscheinend
reichlicher schaarte sich, nämlich unter der Parole der Gütergemein-
schaft, Geld, Gold, Silber und Edelgestein aus städtischen^) und
bürgerlichen Häusern, indem der König einmal selbst mit dem
„Gottes Willen" die Nachrede niederechlagen musste, er und sein
Hof trügen der Bürger Gold und Silber. Die „guten Christen" opfer-
ten im harmlosen Glauben Alles; die „Zweifler", welche nur einen
Theil ihrer Habe, und die „Gottlosen", welche Nichts anliefern
wollten, wurden allgemach durch Busspredigten oder radicale Mittel
1) Bei Chr. Sepp, Verboden lectuur. Een drietal indices librorum
prohibitorum. Leiden 1889 p. 3; von den nicht genannten Münzen sind
die medaillenförmigen nach G r o t e , Münzstudien I, 297 alle später
in HoUand gemacht.
2) Vgl. die Ordnung der WiderteufFer von 1535 in der Westfäl.
Zeitschr.XVII, 240ff. Münst. G. Q. I 332—334, Kerssenbrock a. 0. II, 510
524, 638 und über versteckte aber aufgestöberte Schätze (der Georgs-
Commende und des Klosters Niesink) das. II, 524 M. G. Q. II, 431. 432.
3) ex coramunibus aedibus (darunter gewiss auch die GildehUuser)
Hamelmann 1. c. p. 1238.
&U J. ß. Nofdhoff:
bekehrt. Welche Sehätze und Weithstücke^) lagerten am Ende wohl
zu den Füssen der Gewalthaber, wenn man in Betracht zieht, dass
Münster damals gerade die höchste Stufe der Blüthe, des Wohl-
standes oder gar des Reichthunis erstiegen hatte, und wenn man
hinzunimmt, wie viel Geld, Kleinodien und Geschmeide das neue
Reich umstrahlt hat. Als dasselbe bezwungen war, richteten sich
doch gleich Hans Roichers Schritte nach der königlichen Schatz-
kämmer und seine Hände nach den königlichen Tnsignien und Klei-
nodien; das Gerücht steigerte am Ende irrthümlich die Beute auf
fünf bis sechs Tonnen Goldes, indess sich für die Landsknechte nur
eine halbe Tonne mehr vorfand*).
Abgesehen von den an die Gläubigen vertheiltcn (Heller) Zei-
chen, bediente sich das neue Regiment massenhaft alter und neuer
Münzen und Medaillen, verschieden an Form und Stoff; aus curren-
ten Geldsorten bestanden die Schmuckgehänge der „Herzöge" und
„Lutenants", nämlich die werthvollen an Seidenschnttren aufgereihten
Gold- oder Silbermünzen, aus schlichteren und aus kunstvollen Stücken
der Neuschlag. Den Hofprunk machten namentlich die Silberketten
der Räthe'), die Fingerringe der Trabanten, 31 Pferde mit Gold-
satteln, Gold und andere Zierrathen, die mit Gold, Edelsteinen und
anderen Stoffen ausstaffirten Pferdezeuge, der silberne (weisse) Stab
des Hofmarschalls Tilbeck, der Pomp des Schwertträgers Knipper-
dölling und der ersten Königin, — des Königs goldiger Sattel, mit
Gold oder Silber durchwirkter Ornat, der vorn und an den Aermeln
mit goldenen Schleifen und andern Glanzstücken durchsetzte Seiden-
mantel, der Goldbelag (gülden stuck) des Königsthrones, die Gold-
tapeten und Decken des Schlafgemachs, die Königs- und eine Art
von Kaiser-Krone aus feinstem Golde mit Edelsteinen, die erstere mit
Thürmen ausgeziert, die Kaiserkrone ausserdem mit einem Kreuz-
baMachin überhöht und noch th eurer in der kunstvollen
Arbeit, als in den Stoffen, die goldene Halskette behangen mit
der goldenen (Wclt-)Kugel, durch weiche zwei umgekehrte Schwer-
ter gingen, eins aus Gold, eins aus Silber; zwischen ihren Griffe»
stand auf der Kugel ein goldenes Kreuz und um die Griffe wan-
den sich später zu mehrerem Glänze schwere von Edelsteinen fun-
1) Bald vom König selbst bewahrt. Niesert's M. Ürk.-Slg. I, 38, 30.
2) M. G. Q. III, 232 f. und Handschrift ; II, 32 f. 179, 372, 211, 212.
3) M. G. Q. II, 27, 184, 178.
Meister Eisenhuth. 82b
kelnde Ketten; das Kriegsschwert nnd dessen Seheide gerade so
von Gold wie die Reitsporen, am Knechtsdegen das „Ortband"
und die Besteck - „Huven'V das mit drei goldenen Reifen um-
gebene Königsscepter, und so \iele goldene mit Edelsteinen besetzte
Ringe, dass darin die Finger schier erstarrten; am Zeigefinger ein
Ring von eitelm Golde, oben prachtvoll mit Schwertern und Sentenz
ausgestattet, 22 rheinische Goldgulden schwer, derselbe, welcher
endlich an den Goldschmied David Knop kam ^).
Um diese Prachtstücke und Kunstwerke in so kura bemessener
Zeitspanne, als das Reich währte, zu entwerfen, zu bearbeiten und
zu vollenden, waren allerdings in Münster und selbst im Gefolge
des Königs Künstler genug 3) zur Hand, wie eine spätere Arbeit
näher darthun mag. Unter ihnen befand sich wohl auch der Kupfer-
steeher NicolausWilborn (1531 — 1537) ^), für dessen Heimath
man Münster allgemein ansieht. Er hat die Häupter der Wieder-
täufer in Kupfer gestochen, doch nicht nach eigener Aufnahme, son-
dern nach Aldegrever's Vorbildern *) ; dieser hatte also auf einen
der vorfindlichen Meister eher oder später Einfluss.
Sollte Aldegrever, als in Fülle die Aufträge fllr Medaillen,
Münzen, Insignien und Geschmeide des Königs und der Höflinge
zu vergeben waren, nicht mit Rathschlägen eingegriffen, mit Zeich-
nungen und Musteranweisungen ausgeholfen, sollte er nicht einzelne
Werke anzufertigen übernommen haben? Um seine Hand nachzu-
weisen, gebricht es Mangeis einschlägiger Nachrichten längst an
der unerlässlichen Vorbedingung, nämlich an jenen Cimelien und
Geschmeiden selbst, welche wir am Hofe oder im Schmucke des
Königs nachwiesen. Sogar die drei heute vorliegenden Goldketten ^)^
1) B. Jahrbb.84, 122. Hamelmann I. c. p. 1238 M. G. Q. II, 91 137,
Kersscnbrock a. 0.1,56— 58, Nieser t 1,35. Zeitschr. f. bild.Kunat X, 84 f.
2) Neben Aldegrever wurden bereits B. Jahrbb. 77, 15*5 Nr. 3 zwölf
Goldschmiede oder Münzmeister benannt. Vor ihnen wirkten zu Münster
laut Rechnungen des alten Domes Georg Trippenhover 1513, Johan
Menckeu 1520, nach den Amtsrechnungen Wolbeck Gort Kinsen 1523, laut
Landes-Archiv 37 Nr. 2 seit 1517 als bischöflicher Münzmeister Wilhelm
•van Acken. Als Wiedertäufer ündet hier noch besonders Platz der Gold-
schmied up der Trappe St.-Arch. Wiedertäufer D. 9.
3) V. Lützow, Geschichte des deutschen Kupferstichs u. Holzschnitts
1891, S. 194. Passavant a. O. IV, 139.
4) Woltraann-Schmidt a. 0. I, 248.
5) Während der Alterthums- Ausstellung zu Münster 1869 „lagen
826 J. B. Nordhoff:
die man aus dem Wiedertänferreicbe herleitet, entbehren der nähern
Beweise der Echtheit. Selbst das Mervelder Exemplar, welches
bestimmter für die Königskette ausgegeben wird ^), passt mit den
kleinen Gliedern und der schlichten Arbeit überhaupt weder zu den in
Aldegrever's Wiedertäufer-Sticlien dargestellten Ketten, noch zu den
sonstigen Prunkstücken des Hofes und entspricht bei seiner Länge eher
einem Schulter- oder Gürtelband, als der uns näher bekannten
Halskette des Königs; diese bestand nach dessen von Aldegrever
gegebenen Portrait aus grossen Rundringen und reichte nur bis auf
die Brust hinab; keinenfalls besitzt das Mervelder Stück eine künst-
lerische oder stilistische Eigenthümliehkeit, wie die von Aldegrever
verewigte Halskette.
Es kann sich vorerat nur um des Meisters Theilnahme an der
Herstellung*) derMünzen^) und Medaillen handeln, welche in nicht ge-
auch drei denkwürdige goldene Ketten : die Ketten des Wiedertäufer-
Königs Johann von Leiden im Besitze des Erbmarschalls Grafen Merveldt
und zwei andere mit einer Kugel von feinster, durchbrochener Arbeit ge-
schmückt, gleichfalls von den Wiedertäufern stammend, welche Frhr. von
Heeremann ausgestellt hatte". Vgl. den Bericht in der Westfftl.-Zeit«clir.
(1872) 30, 239 f.
1) Als solche allein und zuerst auf einer Ausstellung des Jahres
1836 in Wigand's Archiv f. Gesch. u. Alterthumsk. Westfalens VII. 278.
2) Eine nach Kerssenbrok verkürzte WicdcrtÄufergeschichte (Ms.)
mit dem Chronogramm 1529 (!) bringt aus späterer Feder folgendes Ge-
schichtchen: Diese originale stempeis von der wiederteuffer ihre
raünts hat meister Peter Av er feit schlosser. . . dem hern obristen Lam-
berto Friderico Corfey (1668—1733) von der artillerie zu Münster fol-
gender gestalt übergelassen. Der meister hat selbige stempeis g. h. obri-
sten vorgezeiget, dass selbige an ihme von raht (der Stadt) weren in be-
sahlunge gethaen in valore alsz alt eysen, wofür g. h. obrister ihme
Averfeit die valeur an gelt anpresentirt, welches acceptirt und folge stem-
peis an ihme h. obristen übergelassen. Vom diesseitigen Nachlasse Corfey's
ist keine Kunde mehr. Doch wurde nach der Numismatischen Zeitung
1866 Nr. 1 8. 3 damals im fürstlich Fürstenbergischen Palais zu Prag
ein aus zwei Theilen bestehender Prägstock gefunden, womit die Wieder-
täufer . . . 1534 . . eine Denkmünze in Thalergrösse prägten, nämlich
eins von jenen Stücken ohne Bildwerk und Zierrath. „Wie diese inter^
essante Antiquität nach Prag kam, ist gänzlich unbekannt". Diese Notiz
und andere Aufklärungen über Wiedertäufermünzen gab mir der hoch-
verdiente Münzforscher W. A. Wippo f 1892 22/^.
3) Vgl. ihre Anzahl nach den Literatur- Angaben bei P.BÄhlmann,
Westfäl. Zeitschr. (1893) 51, I, 171).
Meister Eisenbuth. 827
ringer Zahl von den Wiedertäufern auf uns gekommen sind. Von
diesen entbehrt die Mehrzahl der Zeichen und Merkmale, wonach
sie verschiedenen oder bestimmten Urhebern zugetheilt werden
könnten; nnr eine mit dem Zeichen K geht sicher auf einen
Münsterischen Bürger, auf den Münzmeister P. Koppelin (Koe-
pelin) zurück, der von 1521 sicher bis 1539 seines Amtes waltete ^).
Alle übrigen sind ohne Zeichen, ohne Bild und so schmuck-
los, dass sie sieh nur mit den Münzern oder mit den gewöhnlichen
Goldschmieden in Verbindung bringen lassen. Was kunstreiche Be-
handlung im Entwürfe und in der Ausführung anlangt, scheiden
aus der Gesammtzahl nur zwei bis drei Stücke aus, jedenfalls als
Werke Aldegrever's, und dies sowohl vermöge seiner oben
entwickelten Beziehung zu den Wiedertäufern, als veiinöge seiner
Meisterschaft in verochiedenen Zweigen der Metallkunst. Als kunst-
reicher Goldschmied und Ciselirer machte Aldegrever Vorzeichnungen
für Dolch - Messerscheiden, Wehrgehänge und sonstige Kleinwerke,
und namentlich rührt von seiner Hand, wie mir der verstorbene
Custos Franz Schestag zu Wien mitgetheilt hat, ein prachtvolles
Schwert im Besitze des dortigen Grafen Clary aus den 1530 er
Jahren; an demselben ist Griff wie Scheide von Silber, der erstere
durchaus, die letztere auf der Vorderseite getrieben, auf der Rück-
seite reizend gravirt. Mit eigener Hand fertigte Aldegrever Ringe
und Siegel, unter diesen noch 1552 zwei für seinen Herzog Wilhelm
von Gleve, und Münzen hat er schon 1537 und 1539 unter seine
Ornamente aufgenommen ^).
Unter den drei Denkmünzen nun (wovon eine gegossen)
führen die beiden grössten und schönsten'^) im Avers des Königs
Bildniss mit der Kette und anderm Schmucke, im Revers unter der
Krone die Weltkugel mit Kreuz, Schwertern und herabwallenden
Bändern, kurzum bis auf gewisse von der Münzfläche erheischte Aus-
lassungen gerade so, wie Aldegrever's Kupferportrait und die Schriften
uns die Iiisignien schildern, und zwar in ihrer Kunstart als echte
historische Denkmünzen nicht minder schön im Bildlichen und vor-
züglich in der Arbeit, wie das Portrait. Die eine datirt, wie dieses.
1) Staats- Arch. Münst. Landes- A. 37, 82 Vgl. Nordhoff, Kr. Warcn-
dorf 1886 S. 35.
2) In Obernetter's Facsimiles Bl. 17, 18.
3) Ab^ebUdet bei Mieriß 1. c. II, 41}.
828 f' B. Nordhoff:
von 1536, die andere gehört zwar noch dem Jahre der Vertreibung
der Wiedertäufer an, beruht aber offenbar auf derselben Portrait-
Zei chn u ng, die etwas später im Kupferstich und in der jungem Münze
zum Vorschein kommt. Diese herauszugeben, gab jedenfalls ein
massenhafter Absatz der erstem den Anstoss. Beide unterscheidet
fast unmerklich die Randzier hier ein Schnürchen, dort ein Blatt-
kranz. Hiernach ist auch das dritte Stück, eine Medaille *) oder Münze
oder vielmehr ihr wie aus Aldegrever's Stiche geschnittener Kopf
des Königs ohne Datum, oben jedoch wie zum Tragen mit einer
Oehse besetzt und gleichfalls elegant behandelt, sowohl eine
Schöpfung Aldegrever's wie ein Erinnerangszeichen an das Münste-
rische Sions-Reich *). Dass dieses nach dem Sturze noch Partei-
gänger und Verehrer hatte, bewegt uns nicht mehr so, wie die
Thatsache, dass die Kunst in schönsten Denkmälern den König und
seinen Schildknappen verherrlichte, welche so leidenschaftlich alte
Schönheitswerke zertrümmert hatten.
Dass bei Aldegrever „trotz der vorwiegenden Renaissance
gothische Formelemente sich nicht verbergen können" ^), ist mehr an
seinem Kupferstiche, worin das Scepter oben noch in eine Kreuzblume
ausläuft, als an dem Münzpaare zu beobachten : hier hallen nämlich
aus alter Zeit die Windelbänder der Kugel, das naturtreue Portrait
mit Costüm und Beiwerk nach; dagegen sind die Antiqua-Schrift,
die Schriftschilder und bei der einen Münze die Randschnur ent-
schiedener der altheimischen Weise abgewandt als der neuitalieni-
schen zugethan, die erklärt nur im Blattkranze der andern hervor-
bricht. Scepter, Schwertgriff und anderes liegen bei der einen wie
1) Abgebildet bei Micris IT, 411. Passavant 1. c. IV, 103 benennt
als Aldegrever - Arbeiten die Wiedertäufer-Portraits ainsi que (seltsamer
Weise) les matrices executees par Ini du thaler d'argent (!> que le roi
. . . aimait A distribuer k ses fideles. Vgl. jedoch Grote's Ansicht S. 323, N. 1.
2) Auf andere Meister gehen offenbar die sonstigen anabapti-
stischen Bildmünzen zurück; diese sind entweder, wie die genannte fürst-
bischöfliche mit dem Königsbildnisse von 15.35 und eine zweite mit
dem Bildnisse des Königs und Knipperdölling (bei Madai, Vollstän-
diges Thaler-Cabinet, Königsberg 1765 I Nr. 2362) vom wiedertäufe-
rischen Gegenpart ausgegeben, oder sie sind ohne Datum und überhaupt
ohne sichere Anzeichen wicdertäul'erischen Ursprungs und das nament-
lich zwei Stücke, welche Dr. Cappes neben S. 105 in einem Exemplare
von Niesert's Beiträgen zur Münzkunde 1838/41 ausführlich beschrie-
ben hat.
3) W. Schmidt in der Allgemeinen deutschen Biographie I, 336.
Meister Eiaenhuth. 329
der andern unentscbieden zwischen der alten und der nenen
Stilart.
Die bildlosen Mtlnzen haben einen schlichten Charakter
nnd daher schon von altheimischen Formen kanm mehr bewahrt,
als hier nnd da eine Rosette oder nnten am Schriftschilde eine spitz-
bogige Base. Das Weitere von der Schriftfonn bis zn den Rand-
sehnttren ist ein Ansflnss der Renaissance, aber noch unklarer, als
die Zierelemente der beiden Denkmünzen.
Wenn hiernach an den Wiedertäufer- Geschmeiden die Re-
naissance^) schön in unentwickelten Anfängen und die Gothik
nur mehr in den schwächsten Ausläufern vorkommt, während die
letztere in der Bildnerei und besonders in der Architektar doch die
Herrschaft oder doch die Oberhand hat, so hängt das nicht mit
den Religionsneuerungen, sondern lediglich damit zusammen, dass
die grossen Kttnste den Stilwechsel später eingingen, als die kkinen.
Abgesehen von dem Randkranze der einen Prachtmünze hält die
neue Stilweisse in sämmtlichen Wiedortäufer-Münzen jene Stilstnfe
inne, welche damals die Goldschmiede in sonstigen Kleinwerken
und namentlich im kunstreichen Siegelschnitte vertrat. Denn
wie ich schon früher bemerkte*), verliessen die Siegel, die techni-
schen Halbbrüder der Münzen und Medaillen, um 1510 mehr und
mehr den gotbischen Typus ^) und lenkten seit 1519*) (also
mit dem Bücherholzschnitt) bis 1532 immer bestimmter in die Re*
naissance über. Den Anlass zu der Neuerung boten der Gold-
1) lieber ihre Anfänge in der Malerei zu Soest um 1528 (Bonner
Jahrbb. 82, 126 fP.), zu Münster um 1537 (Prüfer's Archiv f. k. Kunst 1885
IX, 75,81) — in der monumentalen Architektur seit 1540 (Bonner Jahrbb.
93, 243 f.) — -, in der decorativen Architektur aber schon (vereinzelt) 1521
am Schade-Epitaph des Domes zu Münster (Prüfer's Archiv IX, 82. Bonner
Jahrbb. 93, 244); sie wirkt (nachhaltig) 1536 an der grossen Sakraments-
turris und 1544/57 an der Holztäfelung des Capitelsaales daselbst.
2) Bonner Jahrbb. 1873 8. 54, 24, Prüfer's Archiv IX, 82.
3) So hat das kleine Siegel des Bischofs Erich von Münster 1510
bloss römische Schrift und keine Kunstcharaktere, das des Herzogs Georg
von Sachsen 1512 mit derselben Schrift auch steif gewundene Arabes-
ken. Die Siegel des Klosters Scheda vertauschen seit 1518 die Minuskel
mit der Capitale.
4) Unter vielen Siegeln einer Urkunde von 1519, worin westfälisobe
Ritter sich zum Schutze ihrer Rechte verbinden, zeigt das des Grafen Arndt
von Bentheim-Steinfurt erklärte Renaissance-Arabesken.
830 J. B. Nordhoff!
schmiede offenbar kleine italienische Eindringlinge, so ein Siegel
des Cardinais Raimnndus von S. Maria Novella aus dem Jahre
1503 ^) nnd gleichzeitig erschienen andere Elemente des neuen
Stiles, Blattkranz und Grotesken, in einem illustrirten Ablassbriefe,
welcher von mehreren Gardinälen für Unna ausgestellt ist^).
Werfen wir nochmals einen Blick auf das schöne Denkmünzen-
Paar Jan's von Leyden, so ergaben sich für ihre Zurttckführnng
auf Aldegrever mehr oder weniger gewichtige Gründe in den zeiti-
gen Stilznständen und in seinen nahen Beziehungen zu Münster.
Auffallend, fast befremdlich ist dagegen die Thatsache, dnss das
Münzenpaar oder vielmehr seine Renaissance sich geradezu anspruchs-
los und rudimentär ausnimmt gegenüber jener schweren Drechsler-
Architektur des Stiles, welche sich an einem Altare der Wiesen-
kirche zu Soest schon um 1528 offenbart. Der Altar ist angeb-
lich von unserm Meister oder vielmehr, wie ich schon früher ein-
gestand^), doch unter seinem Beistande, und das gerade in den deco-
rativen Architekturen, gemalt. Man konnte ja sagen: Der Pinsel
und der Grabstichel behandeln je nach ihren Mitteln die Formen
in stärkerm oder schwächerm Ausdrucke — zwischen der Anferti-
gung des Altares und der betreffenden Münzen lagen mehrere Jahre,
die läuternd und bildend auf die Formen des Meisters einwirkten —
der üebergang von festgewurzelten Formen zu neuen vollzieht sich
nicht stets eben-, sondern auch sprungmässig — der Meister be-
thätigte an dem Altare die in der Fremde angenommene Stilweise
und mässigte diese dann nach dem Geschmacke der Heimath : auch
in diesem Falle überrascht noch, dass die Architekturen der Alde-
grever'schen Stiche so lange entweder mittelalterlichen oder doch
unausgeprägten Stilformen nachhangen und erst gegen 1553/54 ent-
schiedener die Renaissance vorkehren, wie damals die monumentale
Landesbaukunst auch *), Noch 1555 vertragen sich auf einem Blatte
1) Bonner Jahrbb. a. 0. S. 54. Das erste nach Wcistfalen gekom-
mene Sicg-cl der Renaissance (Schrift u. Architektur) hängt, leider defect,
au einer Urkunde des Cardinais Nicolaus vonCusad. d. 14515/7 im Staats-
Archiv Münster. Fürstenthum Minden Nr. 301.
2) Abbildung in Kunst- und Geschichts - Denkmälera der Provinss
Westfalen I zu S. 108. Weiteres bei Wi Im an 's in Pick 's Monatsschria
II, 67. Vollendete Renaissance erschien in dem grossen Siegel Karls V zu-
meist an Lehenbriefen 1521 vielleicht schon früher.
3) Bonner Jahrbb. 82, 126 ff.
4) Vgl. vorher S. 329, Note 1.
Meister Eisenhiith. Bdl
gothisirende Hallen, romanische Reminiscenzen und Kreuzstabfenster^).
Doch unsere Bedenken schwächen oder beheben sich im Hinblicke auf
Eisenhuth's gleichartige Stilbehandlung in noch späterer Zeit*) und
auf den entschiedenen Wandel, welchen auch das eigentliche Flächen-
ornament der Renaissance bei Aldegrever noch 1549 durchmachte').
Bezüglich der Hauptkleinodien des Wiedertäufer-Königs äussert
ein zeitgenössischer Zeuge*): De kröne und ander zirath ist dorch
de goltschmidt gemacket rayt der anhengener werlt an der
ketten . . . Der Künstler war also JohanDusentschuer aus
Warendorf; denn ihn verstand man damals meistens unter dem
„Propheten" und stets unter dem „Goldschmiede"*) (vgl. oben 8.321);
die betreffenden Stücke gothisiren bei Aldegrever.
Nun, neben Aldegrever und Dnsentschuer mögen wenig auswärtige
Künstler für die Wiedertäufer gearbeitet haben; denn wenn man
bedenkt, dass selbst jene wundervolle Holzverkleidung des Capitel-
saales (S. 329) auf die einheimischen Meister Johan Kumper (to
Camen) und Lambert von (oder to) Camen^) zurückgehen und da-
mals in Münster alle Kunstzweige in Werken und Meistern
hervorleuchteten, so neigt man mehr und mehr der Ansicht
zu, dass auch die kostbaren Gold- und Silbergeschmeide des
Königs und seines Hofes hauptsächlich Früchte Münsterischer
Werkstätten seien. Das um so mehr, als den Wiedertäufern ein
König erst während der Belagerung erstand, und diese, was die
Stadt betriflft, wenn nicht den Ausgang, so doch den Zugang bis
auf geheime Ausnahmsfälle gänzlich abschnitt.
T) Bartsch 1. c. VIII, Nr. 29.
2) Oben S. 313, 314.
3) A. Li cht war k im Jahrbuch© der Königl. Proussischcn Kuiiöt-
Sammlungen V, 89, 96.
4) Niesert a. 0. I, 54.
5) Gütige Mitthcihing; des Herrn Bibliothekars Dr. D e t m c r.
6) A. Krabbe in d. wcstf. Zeitschr. 24, 368, Prüfer's Archiv IX, 74;
Kunst- u. Gesch.-Denkm. d. Pr. Westfalen II, 80; Bonn. Jahrbb. 93, 295. „Camen
oder to Camen" war anscheinend längst MÜnstcrischer Familienname.
Nachtrag: Zwei Schweriner Bildnisse (des Fr. Floris?; vgl. Fr.
Schlie's grossherzogl. Gemälde-Gallerie zu Schwerin 1882 S. 524 f.), deren
Gleichzeitigkeit zweifelhaft ist, geben der Königin Krone und mehrere
Ketten aus Gold (vgl. S. 3*24), dem König zutreffend (Niesert I, 28) eine
Krone auf dem Barette, sonst ein gemeines Antlitz (vgl. S. 321), eine
schlichte Doppelkette (S. 326) und ein zweites Kreuz an einer Schnur (vgl.
S. 354) — afjes von Gold.
II. Litteratur,
1. Dr. Mathaeus Much, die Kupferzelt In Europa und ihr
VerhÄltnisö zur Kultur der Indogermanen. Mit 112 Ab-
bildungen im Text. Zweite vollständig umgearbeitete und bedeu-
tend verjnehrto Auflage. Jena, H. Costenoble. 1893. XU u. 376 S. 8^.
In dieser in der That völlig neuen Gestalt wird Much's Buch
über die Kupferaeit sich noch mehr Freunde erwerben, als in der frühei*en.
Das Werk gehört zu den gediegensten Arbeiten auf dem Gebiete der
europäischen Vorgeschichte, die wir besitzen.
Die erste Hälfte gibt einen geordneten Ueberblick über das Vor-
kommen, die Verbreitung und die Art der Kupferfunde. Das Material
wird nach den Fundorten geordnet vorgeführt. Die durchgehenden,
typischen Eigenschaften treten deutlich heraus, ebenso wie die relativ
nicht bedeutenden lokalen Abweichungen bemerkt werden. Eine tabel-
larische Uebersicht beschliesst diesen Theil.
Die zweite Hälfte des Buches untersucht zunächst das Alter der
Kupferfunde. Der Verf. beweist es zur Evidenz, dass sie im Ganzen
älter als die Bronzefunde sind und die Zeit des ersten Bekanntwerdens
der europäischen Menschheit mit den Metallen vergegenwärtigen. Der
innige Zusammenhang der Kupferfunde mit der jüngeren „Steinzeit"
wird ausführlich dargelegt. Der Verf. kommt zu dem Schlüsse: „Der
Besitz des Metalles ist am Ende der jüngeren Steinzeit, aber noch wäh-
rend ihrer vollen Herrschaft, in einem weitaus allgemeineren Umfange
verbreitet gewesen, als es je nachzuweisen möglich sein wird" (S. 221).
Von den Kupferfunden findet der Verf. dann den üebergang zu dtMi
ältesten Bronzefunden. Im Folgenden schildert er die Verarbeitung das
Kupfers. Diese geschah in Europa — zum Unterschiede von Amerika —
nicht durch blosses Hämmern, sondern bestand von Anfang au im
Schmelzen des Rohmetalles und Giesscn in eine wenngleich rohe Ge-
stalt, die dann durch Hämmern nur vollendet wurde. Durch Funde in
den Alpen gelingt es ihm, die ganze bergmännische C^winnung des
Kupfers in der urgeschichtlichen Zeit wieder zu rekonsti-uiren. Die
Funde in den österreichischen Alpen, besonders auch in den dortigen
Littetatuf; SÖd
t^fahlbauten bilden überhaupt das starke Fundament in den Untersu-
chungen des Verf.; denn jene sind ja sein eigenstes Gebiet. — Ein Ab-
schnitt „über die Entdeckung der Metalle und des Kupfers insbesondere"
gelangt zu dem Schlüsse, dass „die Möglichkeit dc-r selbständigen Ent-
deckung des Kupfers auf europMischem Boden" sich nicht bestreiten
lasse. Der enorme Spüreifer, mit dem in der jüngeren Steinzeit alle Ge-
steinsarten durchsucht wurden, scheint das Auffinden der Metalle herbei-
geführt zu haben.
Die letzten Kapitel sind allgemeineren kulturgeschichtlichen Inhalts
und handeln von der „Kultur und Rasse der mitteleuropäischen Steinzeit-
völker** und veranstalten eine „Prüfung der archäologischen Thatsachen
durch die vergleichende Sprachfonschung**. Die Vorstellungen von
einem „Nomadenleben" der vorgeschichtlichen Bevölkerung Europas und
von dem plötzlichen Eindringen einer mit dem Vollbesitz der Metalle aus-
gerüsteten neuen Rasse werden ebenso wie das konventionelle Herleiten
aller Kulturfortschritte aus dem Oriente gründlich abgethan. Hier wan-
delt der Verf. durchaus auf gesunder Bahn, so sehr auch Einzelnes —
besonders mangelhaft ist das letzte Kapitel „Zeitbestimmung** — noch
der Korrektur bedürftig scheint.
Der bleibende Werth des Werkes liegt in dem Herausschälen der
Kupferfixnde und dem Beweise, dass sie die älteste Verwendung der
Metalle in Europa darstellen; sein Hauptverdienst in dem vorurtheils-
losen durchaus selbständigen Verarbeiten des üeissig gesammelten Ma-
terials. Wir wünschten mehr derartige Werke über vorgeschichtliche
Dinge in deutscher Sprache zu besitzen.
A. Furtwängler.
2. Konstantin Koenen^ Gefässkunde der vorrömischen,
römischen und fränkischen Zeit in den Rheinlanden.
Mit 590 Abbildungen. Bonn, P. Hanstein 1895. 154 S. 8«.
Den Zweck des vorliegenden Buches bestimmt der Verfasser in
der Einleitung dahin, die rheinischen Thongefässe nach Wort und Bild
so vorzuführen, dass Jedermann, der ein Gefäss oder eine Scherbe findet,
beurtheilen kann, ob sein Fund vorrömisch, römisch oder fränkisch ist,
und in welche Epoche der genannten Zeiträume er gehört. Demgemäss
liegt denn auch sein Hauptwerth in den 21 Tafeln, die in vielen Hun-
derten von Abbildungen die Anschauung der verschiedenartigen Formen
der Gefässe, ihrer Verzierung, zum Theil auch der Beschaffenheit der
Gefässwände und des Randprofils geben. An ihrer Hand wird es in der
That in den meisten Fällen möglich sein, einen Fund mit den darge-
stellten Gelassen zu identlfiziren. Ein wesentlicher Mangel ist dabei
aber das Fehlen aller Massangaben, wofür die im Text gegebenen Be-
zeichnungen der einzelnen Gefässe nur geringen Ersatz bilden. Dieser
384 Litteratur.
^ibt sich nun nicht etwa als ein erklärendes Verzeichniss zu jenen Ab-
bildungen, sondern will auch eine geschichtliche Darstellung der fort-
schreitenden Entwicklung der Keramik, ihrer Beeinflussung von aussen,
ja vielleicht noch mehr sein. Dass sich die Beschreibung nach den drei
geschichtlichen Perioden ordnete, welche das Buch im Besonderen be-
handelt, war wohl unumgänglich, auch bei der reinlichen Scheidung,
welche für die römischen Gefässe möglich ist, unbedenklich, und für die
fränkischen Gefässe glaubt der Verfasser eine festere Grundlage für ein-
gehendere zeitliche Sonderung in einem früheren Aufsatz der Wd. Z.
gelegt zu haben, aber gelegentlich macht es sich geltend, dass für die
Beschaffung genauerer Perioden nicht von den Gefftssen selbst, ihrer
Form, Technik, Verzierung u. dergl. ausgegangen wird. Das triflft vor
Allem das schlüpfrige Gebiet der vorgeschichtlichen Zeit, wo z. B. die
von Naue für die oberbaierischen Funde aufgestellte Klassification für
das Rheinland übernommen wird. Ueberhaupt dürfte dieser Theil des
Buches in dem Sinne des Verfassers am allerschwersten zu benutzen
sein; es werden hier eine Menge Dinge zum Theil ausführlicher besprochen,
die den Gegenstand des Buches nur wenig berühren, ja sehr fern liegen.
So behandeln die 10 ersten Seiten Fragen der Anthropologie und Geo-
logie aus einem Zeitraum, der Gefässe überhaupt noch nicht kennt, und
dabei werden dem Leser weder Auseinandersetzungen über den Nean-
derthaler Mensch (sie) noch eine chemische Analyse des rheinischen Löss
und Angaben über die darin vorkommenden Spezies von Schnecken er-
spart. Am erfreulichsten ist dagegen der Abschnitt über die Geßlsse
der mittleren römischen Raiserzeit, wo der Verfasser durchweg klar und
sachlich ist und meist die Beziehungen der Gefässe zu den Formen der
früheren Raiserzeit klarstellt, wie auch Ausblicke auf die spätere Um-
gestaltung gibt, ohne dass die Uebersichtlichkeit darunter litte. — Als
erste zusammenfassende Darstellung des Gegenstandes wird das Buch
unentbehrlich sein, und die Hoffnung des Verfassers, dass es Gelegenheit
gebe, bei der Veröffentlichung eines Gefässes die betreffende Form da-
nach zu citiren, kann sich durch die zahlreichen Abbildungen leicht er-
füllen. — Der Druck ist recht fehlerhaft; das Verzeichniss der Fehler
enthält 33 Berichtigungen von Verweisungen auf die Figuren der Ta-
feln, und auf S. 28 ff. ist ausserdem fast regelmässig statt Taf. III ge
setzt Taf. IL S.
3. C. Mehlis, Studien zur ältesten Geschichte der Rhein-
lande. Elfte Abtheilung. Der Drachenfels bei Dürkheim a. d. H.,
t. Abth., mit einem topographischen Plan dos Drachenfels. Neustadt
a. d. H. 1894. 8. 32 S.
Der Verf. beginnt mit topographischen und geologischen Angaben
über den pfälzischen Drachenfels, der unter diesem Namen erst in einer
Litteratur. 835
Karte von 1799 erscheint. Die in der Umgebung der Höhe auftretenden
Namen Drachenkammer, Drachenhöble, Drachendelle, Sigfriedsbrunnen,
sind modernen Ursprungs und imAnschluss an den Namen des Drachen-
fels, in dem man den Dracbenfels der deutschen Sage suchte, gebildet.
An zweiter Stelle werden die auf dem Berge geraachten archäologischen
Funde an Stein- und Eisenwerk zeugen verzeichnet; auch eine Bronze-
münze des Kaisers Magnentius ward 1822 hier entdeckt. Ausföhrlich
werden femer die hier vorfindlichen Wallanlagen geschildert, welche der
Verf, für eine von den Römern um die Wende des 3. Jahrhunderts n. Chr.
für militärische Zwecke verwendete und z. Th. umgeänderte vorrömische
Befestigungsanlage erklärt. Eine AufTührung der alten Strassenzüge
in der Umgebung des Drachenfels und der an diesen Strassen gelegenen
Verschanzungen bildet das dritte Kapitel. Einige Bemerkungen über
die vermuthllche Besatzung der Drachenfels-Verschanzung zur Römer-
zeit, ihre Stammesangehörigkeit, Zahl u. s. f. beschliessen die Schrift.
4. Ed. PI et te, L'6poque eburn^enne et les races humaines de la
p6riode glyptique. Saint-Quentin. 1894. 8. 27 S.
Inder „glyptischen Periode" unterscheidet Piette zwei Epochen, die
„^burneenne", in der man Elfenbein, und die „tarandienne*, in der man
Rennthierknochen bearbeitet habe. Hypothesen über den Verlauf dieser
beiden Epochen, das Aussehen der in ihnen lebenden Menschen, ihre Be-
schäftigung u. s. f. werden in poetischer Ausmalung vorgeführt.
5. Die Mosella des Decimus Magnus Ausonius. Herausgege-
ben und erklärt von Dr. Carl Hosius, Privatdozent Anhang:
Die Moselgedichte des Venantius Fortunatus. Marburg, N. G. Elwert'-
sehe Verlagsbuchhandlung 1894. Mk. 1.40.
Die Mosellaner sind eigentlich dem Ausonius zu grossem Dank
verpflichtet; vielleicht werden sie ihn noch einmal in unserer denkmal*
frohen Zeit äusserlich verewigen, weil er ihre mores und ihr laetum
fronte serena ingenium gepriesen hat. Aber auch wer in sonnigen Tagen
zum Wanderstab gegriffen und das liebliche Moselthal durchzogen hat,
der wird sich gerne von dem liebenswürdigen Gallier vorplaudern lassen
von dem krystallhellen Wasser des Stroms, von den Fischen im Grund
und den stolzen Villen auf den Hügeln, von dem lustigen Burschen, der
den Berg hinankletternd den Juchzerruf hinausjubelt und den Wanderer
im Thal zur Antwort lockt, die des faulen Winzers spottet.
Wir danken C. Hosius dafür, dass er uns den Dichter in einer
hübschen Ausgabe zugängig macht, die bequem, handlich und billig ist
und den BedürAiissen sowohl des Gelehrten wie des Liebhabers gerecht
wird. Die Ausgabe mit deutschen Anmerkungen fällt aus dem Rahmen
der uns geläufigen Teubner*8chen oder Weidmännischen heraus —- nicht
3ä6 Liiteratüi».
zu ihrem Nachtheil. Gleich die Einleitung schreitet ohne das schwer^
Gerüst gelehrter Belege einher: sie schildert in fesselndem Essaystil
Leben und Werke des Dichters; man wird gerne die treffende Charakte-
ristik S. 4 und 17 lesen. Am Schhiss der Einleitung versucht Ilosius
die Abfassungszeit der Moseila neu zu bestimmen: er nimmt das Jahr 371
an. Gegen Seeck und den letzten Herausgeber de la Ville de Mir -
mont bezieht er mit Böcking V. 409 flF. auf den S. Petronius Probus
und deutet die Worte
Quique caput rerum, Romam, populumque patresque
Tantum non primo rexit sub nomine, quamvis
Par fuerit primis
auf das Consulat des Probus im J. 371 ; da war er der Amtsgenosse des
Kaisers Gratian, par primis. Aber das Perfectum rexit? Müsste das
nicht regit heissen, wenn der Dichter noch innerhalb des Consulatsjahres
geschrieben haben soll?
In den Anmerkungen hat sich Hosius eine doppelte Aufgabe ge-
stellt: einmal will er dem Freunde des Gedichtes die nöthigen sachlichen
Erklärungen bieten, mögen sie topographischer, historischer oder natur-
geschichtlicher Art sein; sodann hebt er die sprachlichen, stilistischen
und metrischen Eigentbümlichkeiten hervor und erläutert sie durch zahl-
reiche Parallelen. Den ersten Zweck hatte Böckings Ausgabe im
7. Bande dieser Jahrbücher vorzüglich erfüllt; was seitdem an neuen
Funden und Forschungen zugewachsen ist, hat der Verf. getreulich ver-
werthet. Unsere Jahrbücher mit ihren trefflichen indices erleichtern diese
Arbeit in dankenswerther Weise. Die zweite Aufgabe, sagen wir kurz
die grammatische Interpretation, ist fast neu für unsern Dichter: die
grosse Belesenheit, die Hosius in der lateinischen Poesie besitzt, hat
hier schöne, für den Forscher werth volle Sammlungen gebracht. Ich
stimme ihm durchaus darin bei, dass diese Behandlung der spätem
Dichter nicht nur für das Verständniss nöthig ist, sondern auch histo-
risclien Werth hat: sie zeigen uns, was jene Zeiten noch gelesen haben.
In interessanterweise erläutert uns z. B. Hosius, wie V. 77 AT. aus
Vergil, Ovid, Lukan zusammengestoppelt sind. Man darf derartiges
selbstverständlich nicht in modernem Geiste beurthellen. Das Alterthum
hat den Begriff des geistigen Eigenthums nicht gekannt, lieber das
Maass des zu Erläuternden werden die Meinungen auseinandergehen.
Für den Liebhaber hätte ich mitunter, so V. 55 ff., gerne noch mehr er-
klärt gesehen. Hosius sagt selbst mit Recht, dass das Verständniss der
Moseila nicht überall auf den ersten Blick gegeben ist.
Nach dem Vorgang Böckings hat Hosius der Moseila die drei
Moselgedichte des Venantius Fortunatus angehängt: der Freund der
Moeel wird gerne auch diese Erzeugnisse des 6. Jahrhunderts lesen. In
der Anmerkung zu dem ersten Gedicht über die Burg des Nicetlus, des
Littei-aitif. ^i
äischofs von Trier, verwirft Hoslus die Anidcht Böckings, der sie
auf den Bergkegel der Ehrenbarg setäsen wollte. Mit Bock in g ist er
gegen den Bischofstein zwischen Moselkem und Hatseport ntid glaubt
mit Recht, dass die Beschreibung des Venahtius nicht genau genug ist,
um eine sichere Fixirung zu ermöglichen.
Ich halte es nicht für angebracht, hier auf Einzelheiten einzugehen,
wie dass ich V. 29 der Mosella für potis eintrete, 54 figurae verlange
u. a. m. Ein Kärtchen der Mosel würde in einer zVeiten Ausgabe för-
derlich sein. Allen Freunden ünsrer rheinischen AlterthÜmer, insbeson-
dere allen frohgemuthen Moselwanderern, die ihr Latein noch nicht ver-
gessen haben, sei das Büchlein warm empföblen.
Crefeld. M. Si e b o u r g.
?. J, A. Ort^ Oudheidkundige Mededeelingen. sHertogen-
busch 1894.
J. A. Ort, MJEijor der Cävallerie, hat der Vereinsbibliothek obigen
i^eparatabdruck aus den „Handelingen u. s. w. in Noord-Brabant 1891—93"
überschiekt^ in welchem ein Vortrag abgedruckt ist, den der Verfasser
am 10, Nov. 1892 gehalten hat. In der Arbeit werden die archäologischen
Funde in N. Brabant in dankeii^werther Weise kurz "besprochen. Eine
Thon-Statuette der Diana yenatri\, welche in Veldhoven gefundien
wurde, dürfte die Leser dieser Zeitschrift am meisten interessireh.
'■■'■•■■■•"-■ ■ . . . • ^^
7. Keue Beiträge sbur Geschichte der Stadt Geseke. I. Theil.
* Aliso und benachbaHe Festungen der Rönber voh AdVlf
Viedenz. Mit 3 Tafeln Zeichnungen. Eberswalde. 1894. 8. 16 S.
Preis 60 Pf. •
Dem Verfasser ' erscheint es n{<^ht ausgeschlossen, dass dfe Stätte
des ehemaligen Aliso iii d^r Stadt Geseke zu suchen sei. Et' stellt bidl
diesem Anlasse die hier und in der I^ähe (Paderborn, Stöermede) gefun-
denen römischen oder für römisch gehaltenen Anlagen zUsamnien; 'be-
sonders iBefestigungen und die beiden Strassenzüge des Heiweg und
Haarweg', und die hiermit iii Zusammeiihang stehenden vereinzelten
Funde von Münzen und* Thongeschirr. '
8. Die Kunstdenkmäler der Hheinprovinzi Dritter Band.
I. Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises Düs^
seldorf; 11. Die Kunstdenkmäler der Städte l^armen, El-
berfeld, Remscheid und der Kreise Lennep, Mettmann,
Solingen. Im Auftrage des Provlnzialverbandes der Rheinpröv'inz
herausgegeben von Paul Yülemen. Düsseldorf. L. Schwann, 1894..
gr. 8. VI und 172: VI und 134 S. Preis 6 Mk. und 5 Mk.
Jahrb. d. Ver. r. AltertlisAr. im Bhelnl. XOVI. 22
3dS Liiterainl*.
. Düsseldorf, mit dem der dritte Band der Kunstdenkmäler anhebt,
verdankt seine kunstwissenschaftliche Bedeutung jetzt vor allem der
Kunstakademie, deren Behandlui;]^ dem Plane des Werkes zu Folge an
dieser Stelle fehlt, doch hat der Verfasser wenigstens, um diese noth-
gedrungene Lücke weniger fühlbar zu machen, die wichtigere Litteratur
auch über diese Anstalt und das neuere Düsseldorfer Kunstleben mit ver-
zeichnet Im Werke selbst spielt nur die Altere Düsseldorfer Kunst eine
Rolle und werden deren Ueberreste aufgezählt Darunter finden sich
gute Proben der Kunstrichtung, wie sie in Architektur und Plastik unter
den Düsseldorfer Kurfürsten im 17. und 18. Jahrhundert in Blüthe stand,
noch an Ort und Stelle, wie das bekannte Reiterstandbild des Kurfürsten
Johann Wilheln^ von Grupello auf dem Markte, welches zu einem der
Wahrzeichen der Stadt geworden ist Von den Bauwerken ist zwar das
vielumgebaute grosse Schloss durch den Brand von 1872 zerstört worden,
aber doch an andern Anlagen genug erhalten geblieben, um die Re-
konstruktion eines Bildes der alten Residenzstadt in den letzten Jahr-
huiiderten zu ermöglichen. In übersichtlicher Form werden nach dem in
den früheren Heften verwendeten Schema diese Bauten besprochen und
die wichtigeirnauch im Bilde vorgefiihrt Bei den Kirchen, besonders
der Andrejs- und Lambertus:Kirche werden die in ihnen erhaltenen
Kunstdenkmäler registrirt, bei letzterer ist leider die Abbildung der alle-
gorischen Figuren vom Grabmale Hers^og Wilhelms auf Taf. Itt wenig
klar, ausgefallen. Zahlreich sind in Düsseldorf die Kunst- und Alter-
thümersammlungen, an deren Spitze das Kunstgewerbe- und das Histo-
risch^ Museum stehen, während das Staatsarchiv und die Landesbiblioth^k
zal^l^elche kum^tgeschicbtlich wichtig^ Handschriften enthalten. Ihnen
zur .$eiie tritt eine längere Reihe von Privatsa^mlungen, über deren
Inhalt auf Grund von Notizen der jeweiligen Besitzer Uebersichtep ge-
gebe^i werden. Mit der Behandlung der Stadt Düsseldorf ist die der
an^tQpaenden Orte Bilk und Derendorf verbunden worden.
Im Kreis Düsseldorf ist von besonderer Bedeutung Gerresheim mit
seiner 1236 vollendete^ Stiftskirche^ welche sehr ausführlich behandelt
Y^rd; dann ^aiserswerth mit der viel umgebauten, vor etwa 20 Jahren
restaurirten Stiftskirche und den Resten der alten Burg; dann Ratingen
mit den Ueberresten seiner alten Mauerthürmei endlich Benrath mit dem
in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts errichteten Schlosse, wel-
ches seinen Qesammteindruck besser bewahrt hat, aijs das etwa gleich-
zeitige ächlöss Pempelfort (Jägerhof) zu Düsseldorf, dessen Front durch
ein Mitte dieses Jahrhunderts vorgesetztes Glashaus völlig entstellt wor-
den ist. Auch einige malerische und auch sonst beachtenswerthe Burg-
und Sciilossanlageh (Angermund, Heitorf, Hugenpoet, Kalkum, Lands-
berg — die Fahnenburg mit wichtiger Qemäldesammlung ist modernen
Ursprungs) , und frühmittelalterliche Befestigungsanlagen (bei Hain, Hilden,
Hubbelrath, Rath) befinden sich innerhalb des Kreises.
Ötadt and Kreis Düsaeldorf fttllon das erste Heft des Bandes, dlis
tweita betrKditlich dtnnere behandelt S Städte nnd 8 Kreise. Wir steilen
hier anf indnstriellem Boden, in dem die Entwickhing der Nenseit sich der
Erhaltung des Alten natnrgemttss feindlich erwies; ansserdem haben aber
aneh ungünstige geologische VerhSltkiisse hier der Entwickhing grösserer
kfinstlerischer Werke entgegengewirkt. In Barmen sind nnr einige Priva^-
banten des vorigen Jahrhunderts beschtenswerth« In Etberfield ansser awei
nahgelegenen Wallbargen und zwei unbedeutenden Kirchen des 17. und
18. Jahrhunderts gleichfalls PriTatbauten des 18. Jalirhundert«, dkruflter
ein reizendes Qartenhttuschen In der Kam^strassei Remscheid besitzt
nur eine 1726 neu erbaute Pfarrkirche.
Im Kreise Lennep knüpft sich das Hauptinteresse an das neuer-
dings restaurirte Sobloes Bui^ an der Wupper an, welches seit- der Mitte
des 12. Jahrhunderts einer der Hauptöitze der Grafen von Beong war.
In Plänen und Ansichten werden der Bau und die zugehörigen Kirchen-
anlagen erläutert^ besonders Tafel I zeichnet sich hier durch iluren an-
sprechend warmen Farbton aua. Zu nennen sind dann die Pfanridrehen
in Beyenbnrg, Lennepi Wermelskirchen (Thurm), das Schloss zu Hücke»*
wagten und Haus Lifaitenbeck zu Sonnborn, • Privatbaaten sn Häckeswagtttt
und der malerischeSWüstenhof bei Wermelskirchen. ^ Der Kaeis Mettmann
enthält eine erhebliche Zahl alter Wallbürgen, vor Allem die Altebmg
im NeaAderthal; auch Ton alten Land wehre» sind grössere Beste er«
halten geblieben. Unter den Kirchen waren die zu Dttssel und Oraiten
durch ihr Alter von Bedeutung, dieselben sind aber Umbauten, bez.
der Abtragung zum Opfer gefallen. Von Schlössern ist das Ende des
17. Jahrhunderts umgebaute Hardenberg zu nennen.
In der Stadt Solingen finden wir eine Reihe geschmackvoller Pri-
Tatbauten des vorigen Jahrhunderts. Im Kreise treten in Bürgel wich-
tige, in diesen Jahrbüchern öfters behandelte römische Ueberreste auf,
in Gräfrath eine im Innern malerische Barockkirche mit reichem Schatze,
in Monheim ein fester Thorthurm des 15. Jahrhunderts, in Rheindorf
eine ursprünglich romanische Kirche, in Vorst endlich eine grosse Schloss-
anlage, kleinerer Bauüberreste zu geschweigen.
9. Bibliographie [der Geschichtswissenschaft] bearbeitet von
Oscar Masslow und Gustav Sommerfeldt (Separat-Abdruck
aus der Deutschen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Bd. XI,
Heft 1 und Heft 2, Freiburg i. B. 1894).
Sorgfältige Zusammenstellung der historischen, einschliesslich der
kulturhistorischen Litteratnr des letzten bezw. der beiden letzten Jahre,
bei der für die politische Geschichte Deutschlands Vollständigkeit erstrebt
ist, während für die übrigen' Gebiete eine Auswahl getroffen ward. Die
Utteratur des Alterthums ist von Juli 1892 bis Ende März 1894, die der
JSa6 Ütterattiif.
Weltgesduohte seit Aufzug Mürz 13d$, die des Mittelaitera vou Anfang
Anglist, IBdd bis Mitte ApcU 1894, die der NeiueU von Mitte Aagust
)a93 Ins Ende Mal l&H gegeben« Berücksichtigt sind sowohl Bücher
and Zeitschriftßaufsatze wie auch wichtige Becensionen. Als .Wegweiser
djtirch.die ao^gedehple, für den Forseher oft fast unübersehbare Menge
wisaeqschaftUcher StudM^n Ist die selbstveriaugneiide,. aureriassige ut\d
tthersichttiche Arbeit der Verfasser von grosstem Werthe.
l(i J% Sehheider, Die alten Heer- und Han.del.swege
' der Germanen, Rom ^ r and Franken i.m deutschen
Reiche. 10. Heft. Das römische. St rassenneta in
• dem mittleren Theile der Rheinpir o vine und die
römischen 1 1 i u e r ^a r i e n. Frankfurt a. M. 18di. gr. 8.
/ 2dS. 2 Karten. Preis: 2 Mk.
IMe Sebrilt bespricht die RömeMtraasen (Haupt-,. Seiten- -und Ver
bindungsstvasMn)* des Geibietes,> welches etwa durch die Pumkle Maimedy,
Remagen^ Altenkiiroken, Sayn; <}obleiiLZ, WasserbiHig begranat wird; die
Kart» 'steigt dieselben dann* in scharfen Lilnieit eingeaeichnct. Bemer*
kungen übeb die 'Anlage der Römerstrassen, dieMUtel und Wege^ ihren
y erlauf durch lokale Forschung festzuiiCeUciki, sindder^^eassenschilderüng
aeibat ingefügti Dann werden jdf(ß Angaben der P^utinger'scfaen
Tafel' und des Aotoik Itinerar» behandelt^ and mit idem lokalen. Befunde
vetigUchenj*'
III. Hlscellen.
t .1. Ein atCiechefl Vasenfr agmenl in Erbach. In der
grä)i<^^ SaiOttluftg in fir^aeb im Odani^^liie wird die nuBtiehend ab-
gebtTdete rothfigariige- Vagenacherbe aofbewahrt ; ich bin ItiderL^i^r das
l£leine,*b4gher für y erschollen geltende Kunstwerk nach seiner Herkunft
mit annähernder Genauigkeit zu bestimmen, wenn auch der zwar über-
aus sorgfältige aber nach veralteten Grundsätzen aufgestellte handschrift-
liche Katalog der Sammlnng seiner nur mit wenigen Worten ge-
denkt. Der schöne Kopf ist zuerst abgebildet als Vignette von Tisch-
bein (Homer nach Antiken, Text S. 32) und dann bei Lenormant und
de Witte (Elite diram. I 29, 1). Die erstere Zeichnung zeigt den Cha-
rakter der Malerei besser alf* die leta^tgenannte , aber beide lassen
eine erneute Wiedergabe nicht Uberftüssig erscheinen, zumal sie nur
den Kopf darstellen, und der Text an keiner der beiden Stellen Aus-
kunft über Gestalt und Grösse der Scberb« gibt. Sie Ist aus dem Rande
eines grossen Gefäsees nut weiter Oeffl&ung, zweifellos eines Glockenkra-
ter, ausgebrochen, der oben {pit reicheid Pateettenoimament verziert war.
Die grösste Dicke des Rafides beträgt 1,7 cm« die t>icke der Bildfläche
0,7 cm. In der Gestalt, wie die Scherbe nach Etbach kam, findet sie
sich in dem genannten geschriebenen Katalog abgebildet; später wurde
der Kopf herausgesägt und in den Deckel einei^ flachen Dose eingelassen;
das übrig bleibende Stück mit ftitf Omamej^C wird jetzt in einem Schrank
aufbewahrt. > '
Als 1806 der handschriftliche Katalog der Sammlung angefertigt
wUrd^, war *das Fragment schon in Erbach. ' Als Ort seiner Herkunft
wird Locris in Calabrien genannt; nach Tischbein war '^ie „ehemals bey
deiri CaValiere Venutt äu Neapel auffcewahrt*. Nuii' war Graf Franz von
ErbÄch, der Gfründer der Sammlung, mit Riclolfinö Ventiti'in ftaH^n pei*-
söhltcii' bekannt 'gewordein und hatte sich seiner yermittlung bei verschie-
denen Ankäufen bedient, wie die vor 2 Jahren bei einem Brajidcf zu Grüri^^
342
Miscellen.
gegangenen Sammlungsakten beweisen, die mir noch vorgelegen haben.
Der Besitzer der Scherbe wird Ridolfinos Bruder Niccolo Marcello ge-
wesen sein, der im Auftrage des Infanten Don Carlos in den vierziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts die Ausgrabungen in Herculaneum
leitete. Da er eifriger Sammler war, hat -er wohl während seines län-
geren Aufenthaltes in oder bei Neapel die Scherbe erworben; durch
Vermittlung seines Bruders Bidolfino wird sie dann in den Besita dea
Olafen übergegangen sein. ,
Der Besc^reibuiig des Bildes bei Lenormant und de Witte ist wenig
zuzufügen. Dargestellt ist ßin schöner jugendlicher Frauenkopf in
Profil; palmettenforniige Ohrgehänge, und ein reichge^iertes Diadem
echpiücken den Kopf. Wichtig für die Bestimmung der dargesMltea
Miscellen. 848
Gottheit scheinen die beiden Flttgelpferde, die sich ttber der Stirn ans
dem Diadem erheben. Gleichen Stirnschmuck zeigt eine Athena bei
Millingen (Vas. gr., div. coli. pl. 49), und wenn anch Lenormant und de
Witte die Darstellung der Scherbe mit den EOpfen der Hera LaeSnia auf
Münzen von Kroton zusammenbringen wollen, so iät doch nach Furt-
wttngler^s Ausführungen über die Entwicklung des Typus der helmlosen
Athena nicht zu zweifeln, dass hier Pallas dargestellt ist. Furtwängler
selbst (a. a. 0. S. 26, A. 1) führt das Erbacher Fragment an, das ihm
aus Tischbein's Zeichnung bekannt war und bestimmt zugleich seine kunst-
geschichtliche Stellung, indem er es mit den Figuren der weissgrundigen
Berliner Euphronfosschale zusammenstellt Wir haben in der Vase nach
Technik, Stü und Dekoration eine vortreffücbe, bald nach den Perser-
kriegen entstandene attische Arbeit zu erkennen; das Ornament der
Scherbe kommt auf anderen Gefftssen gleichen Ursprungs vor, so in ge-
nauer Uebereinstimmung und gleicher Grösse auf einer .Volutenamphora
aus Bologna (Mon. d. J. X, 74 a), genau horizontal getheilt auf einem
Glockenkrater aus Orvieto (Mon. d. J. XT, 88, 39), ähnlich auf einer Yo-
lutenamphöra aus Bologna (Mon. XI, 14, 15) und etwas rescber ausge-
staltet bei Brunn-Lau (Omam. Taf. 24, 16). Ton der Darstellung auf der
Vase ist ausser dem Kopf der Athena leider nur das obere Ende eines Bozens
erhalten: vor Athena stand also wahrscheinlich Arteniis od^r Hierakles.
Darmstadt. £d: Anthes.
2. Köln. Funde römischer AI terthümer am Aposteln*
markt Nr. 25. Bei den Erdarbeiten zum Neubau des Herrn Georg
Bergfa gehörenden Hauses Apostelnkloster 25 wurden 'im Jakre 1894 'die
Baureste eines römischen Hauses aufgedeckt. Die aufgeftindenen Mauer-
reste decken sich etwa mit dem heutigen Grundstück. Ob das römisehis
Wohngebttude nach den beiden seitlichen Naehbarterrains noch mebfere
Ritume hatte, konnte nicht festgestellt werrden. Nach äei Strasse "zu
scheinen noch mehrere Räume gewesen zu sein, da die Maueransätz^
gefanden wurden. Die hinteren Grenzen des Gebäudes sind noch unauf-
gedeckt. Der Fussboden des Gebäudes, weicher ca. 8 m unter der Strassen-
kröne lag, bestand aus Estrich und war mit einer dicken Bnundschiebt;
ioirelelier sich grosse Stücke HohkoMen vorfanden, bededct. Ueberdiee^
Kohlenschicht lag eine ca. 1,(X)— 1,50 m hohe Schicht R<)mersehutt mit
BramdBlüdken vermischt. Die darüber befindliche Sohkiit war aufge-
sebütteter Boden afus späterer Zeit. XHeMauerreete* bestanden aUsGtau-
wacke ndt Ziegehi und ragten nur in geringer Höhe Über dem Esirldi
hervor; theü weise 'befand sich noch dor bMiaHeWandputa an diebe^
Mauerresien.
In dem voi^deren^der jetzigen SIrusse zugekehrtlsn Theile- wurden
mir rohe und mifid^rwerthige T«pf^ uud Toher g«lber' Wand^^uta gie^
344 Miscelleo.
fUnden. VollBtändig erhaltene Dachziegel, Hohlziegel, Heizungsrobre,
runde ThoD Scheiben, geschmolzene Eisentheile, geschmolzenes Ola^i, fan-
den sich im ganzen Gebäude zerstreu!; vor.
Die wichtigsten Funde wurden in den hintersten Büumen gemacht.
Dieselben waren durchgehend geglättet und fein bemalt in pompejani-
schem Roth. Auch verzierte bemalte Wandstücke fanden sich vor. Ausaer-
dem viele Scherben von reich ornamentirten Terra sigillata-Oefässen. In
einem dieser Räume, in der Nische der Mauer, stiess man anscheinend
auf eine Truhe oder Schrank in schräger Lage, umgeben von geschmol-
zenem Eisen. Hier wurden gefunden: verschiedene, sehr schöne, voll-
ständig erhaltene Töpfe von verschiedenen Formen^ zwei grössere
Schüsseln aus Terra sigillata, welche mit zwei kleineren zugedeckt
waren. Dieselben enthielten Speisen, Geflügelüberreste, Austernscha^
len etc. Mehrere sehr sehöne Gläser, worunter eine feine Glassehale und
ein Weinheber, fand man in diesem Schranke ebenfalls vor. Leider
waren die feineren und dünnen Gläser grösstentbeils zerbrochen, nur
einige dicke Gläser sind vollständig erhalten geblieben. In den dicken
Gläsern war vielfach noch der Inhalt vorhanden; auf einem Glase be-
findet sich uaten am Boden ein Stempel. Ein anderes Glas scheint be-
malt gewesen zu sein. Ausserdem befanden sich in dem Schrank Mün-
zen; zwei davon lagen fest aufeinander; die eine war eine ältere mit
der Umschrift Trajan und war vollständig abgegriffen. Die avdAre war
auf der Seite, wo sie auf der ersteren Münze lag, vollständig neu und
wie es schien, noch wenig im Gebrauch. Diese Münze zeigt auf der einen
Seite ein Jupiterbild mit der Siegesgöttin, unten einen Adler und einen
Gefangenen mit den Händen auf dem Rücken gebunden. Die Umschrift
lautet lOVI CX)NS£RV ATORI. Auf der anderen Seite ist ein Kopf mit
der Umschrift LICINIVS NOB. 0. (cf. Cohen, Licinius fils nr. 25). Eine
andere gut erhaltene Münze zeigt auf der einen Seite ein Thor mit der
Umschrift PROVIDENTIAE CAESS und unter dem Thore die Inschrift
ASIS, auf der anderen Seite ist ein Kopfbild mit der Umschrift CON-
STANTIVS (cf. Cohen, Constance II nr. 253 ff.). Weniger gut erhalten
ist eine Münze mit der Umschrift CONSTANTINVS (II), auf der Rück-
seite anscheinend römische Feldzeichen. Ausserdem fanden sieh noch
Müitten von den Kaisern Hadrian UAd Antoninus vor. Im ganacB war*
den ca. 8*— 10 Münaen gefunden.
In dem daneben gelegenen Baume fand man in einev Eoke über
dem. Estrich ein vollständiges ' im Lehmschutt steckendes Skelett Der
Schädel ist vollständig« erhalten. In. d^n der Strasse nahegelegenen
Nebenraome wurden ebenfalls über dem Estrichboden menschlfche Sebä^
delreste gefunden. In den Räumen an der Strasse selbst — iv^ahrsoheilk-
lieh Stille — fanden sich, sehr viele Thierlunocben^ welche theilweise ver-
brannt u^d tcblacketiaftig geschmolzen, varen, vqc. In 4er Tiefe von eineai
Mtscellen. 845
Meter unter dem Estrichboden 'dieses Hattses fand man noch zwei Stein-
sarkophage, den eines Erwachsenen und eines Kindes. In den Sarko-
phagen befanden sich sehr schöne, vollständig erhaltene Gfäser tind Ge-
fasse. Auf eincim Gefäss steht IMPLE.
Aus den gemachten Funden dürfte zu schliessen sein, dass dieses
Haus in seineu nach der heutigen Strasse zu liegenden Theilen zu
Oekonomiezwecken benutzt wurde, wegen der hier so viel vorgefun-
denen Thierknoeben, der primitiven Funde und des primitiven 'Wand-
putzes. Der Raum dahinter scheint ein Hof gewesen zu sein. Auf der
Mauer zwi^hen ihm und dem Durchgang standen wahrscheiriHch Holz-
sttulen. Reste von Steinsäulen waren nicht vorhanden. Hingegen deuten
die vielen 'Brandstücke und Holzkohlen auf viel Vernrendung voil Holz
bei diesem Gebäude. Die hinteren Räume waren entschieden die 'besse-
ren, was aus der besseren Ausstattung au Malerei und den vorgefundenen
Gegenständen - tu schliessen ist. Hier werden wir die Wohnräume des
ehemaligen Besitzers zu suchen haben.
üeber die Zerstörung des- Gebäudes können aus dem vorliegen-
den Material ziemlich bestimmte Schlüsse gezogen werden. Dass das
Gebäude gewaltsam' und zwar durch Brand zerstört worden ist, beweisen
die vielen 'Brandspuren, geschmolzenes Glas und Eisen, verbrannte Kno-
chen u. s. f. Die Zerstörung scheint auch eine plötzliche gewesen zu
sein, da das Vieh sich noch in den Ställen befand, femer noch Einwohner
in dem Hause waren, welche einen jähen Tod fanden. Nach den Mün-
zen, deren späteste aus der Zeit um 850 n. Chr. stammt, dürfte das Haus
um oder vor 350 n. Chr. durch die Einfälle der Franken zerstört wor-
den sein.
Eberlefn.
d. Kreuznach. Von der alten Niederlassung, welche sich an das
römische Kastell (jetzige Glashütte) ansdiloss, sind Jetzt weitergehende
Spuren an der Bosenhetraer Landstrasse in der Entfernung von 10 Minu-
ten zu Tage getreten. Beim Ausschachten für ein Gewächshaus der
Gärtnerei ^Hübsch und Bieuter^ fanden sich in einer Tiefe von 1— -1,60
Meteit ibests von römiscben grauschwarzen un^ guten rotfien Qefässen
«ftd Ziegeln, sowie kleine Broneecierfatfaen und eine Sehiebwagei Vorhan-
den ist da» eine Stück^ eine Bronceröhre Von 20 cm Länge und 2^ om
Durehmesser. In einem Ring am Ende hängt der Haken für die Waare,
ijb und.. 13 cm vom Ende entfernt befinden sich auf entgegengesetzten
Selten die .wohlerhalt^nen Hängerorricftitungen für schwerere und leicsh-
tere Waaren; das cylindrische Gewicht aus Blei mttBronceüberzug tribgi
3 Kilo. Leider ist der wahrsobeinlich eiserne WagetMtlken, an dem das
Gewicht hin und her geschoben wurde, und der nrspvünglicli tief in der
Broncevöbre steckte, nicht mit gefondea* worden* Die betreffenden
846 MlBceUen.
Qegenstttnde sind der Sanunlung des &atiqa.-bisioriacheii Vereins ein-
verleibt.
Bei dem Gladiatorenmoaaik an der Hüffelsheimer Landstrasse hat
sich eine römische Wasserleitung, Bohren von 12 cm Durchmesser und
1 m Länge, gefunden. Kohl.
4. Aufdeckung eines Hallstattgrabes in Mittelalter.
Unter den von Sacken (Das Grabfeld von Hailstatt. Wien 1868) abge-
bildeten Grabfunden des grossen oberösterreichischen Grabfeldes «von
Hallstatt befinden sich eine Anzahl (Taf. IV 4-8), bei denen nur die
l^liochen der Beine und des Beckens unversehrt erscheinen, wäbrraid
der Oberkörper verbrannt worden ist. Dass gelegentlich eine theilweiae
Verbrennung, auch in anderer Art, stattgefunden habe, constatirt der
Herausgeber ausdrücklich, bespricht lihnliche Vorkommnisse in anderen
Ländern und deutet die Möglichkeit an, dass eine dunkle religiöse Vor-
stellung die Zerstückelung des Leichnams und seine theilweise Verbren-
nung möge v^aulasst haben (S. 13—17). Unter den fränkischen Gräbern
in Meckenheim (B. J. d2 S. 179 f.) befanden sich auch awei, die imr die
Beine eines Skeletts enthielten, von dem einen heisst es im Fundbericbt:
der obere Theil des Skelettes war verwittert. Theilweise Verbrennung
bei rheinischen Funden erwähnt auch D o r o w (vgl. Konen, Gefüfls-
künde S. 28 f.). Wenn nun Hoernes (Urgeschichte des Menschen 8.
6)8) bemerkt, dass die ganse Sache vielleicht nur auf die partielle Zer-
störung alter Skelettgräber durch jüngere Brandgräber zurückBUführen
sei, eine Annahme, die zu den vorhandenen Verhältnissen nicht gerade
im Widerspruch steht, so dürfte es nicht unangemessen sein, darauf hin-
zuweisen, dass ein analoger Irrthum, wenn anders es einer ist, schon
vor vielen hundert Jahren begangen wurde. Caesarius von Heisterbach
berichtet nämlich (Dial. mirac IV 32, vol. I p. 193 Strange), wie ihm der
Schultheiss von Königswinter erzählt habe, dass er einst von einem frem*
den Geistlichen erfuhr, auf welche Weise der Himmel eine jähzornige
und zänkische Jungfrau eigenthümlich bestraft habe. Am Morgen nach
ihrem Begräbnisse sah man aus dem Grabe Rauch aufsteigen und fand
beim Nachgraben die obere Hälfte des Körpers von Feuer versehrt, die
untere wohl erbalten. Den Rauch und die Beziehung auf eine bekannte
Person der Zeit wird wohl der moralisirende Eifer des Ersählera dazu
getban haben, aber die merkwürdige Erklärung der eigenthümliehen
Strafe, die A. Kaufrnann in seiner Uebersetzung (Niederrh. Ann. XLVII
8. 151, wo die Sache ungenau nach Königswinter selbst verlegt ist) über-
ginge mag doch auch noch eine Stelle finden: vx)hiit deus in eins cor-
pore ostendere, quantum ei placeret virtus castimoniae, et qaantnm ab-
borreret Vitium iracundiae. quia virgo früt, castitatis gratia crura eins
MkceUen. 847
e«iD femovibas illaesa servayit, et quia irseunda erat nimis, fei, cor, )ln-
£^ain, manus cum suis sedibus ignis devorarit S.
5.6iegburg. Seherbenhtigel. Unweit der Aggerbrlleke zwi*
sehen Siegbarg und Troisdorf am iinken Ufer des Flüsschens nnd links
Yon der Chaussee erhebt sich ein umfangreidiery mit Buschwerk bestande-
ner künstlicher Hügel hoch aus dem Felde. Derselbe besteht aus. Scher-
ben und war vor Zeiten noch beträchtlich grösser, doch sind allmählich
zahllose seiner Scherben auf die umliegenden Aeeker verschleppt wor-
den. In seiner trefflichen Bearbeitung der Geschichte der Biegburger
Kunst-Töpfergilde (Ann. f.d.NiederrbeinXXV S. 10 f.) gedenkt Dornbusch
dieser Anhöhe und verzeichnet eine mündliche Ueberliefemng, der zufolge
der Seherbenberg etwa 1820 bei dem Hofe Ulrott abgetragen und hier,
einige hundert Schritte vom Hofe entfernt, wieder aufgeschüttet worden
wäre; er rühre von der wahrsclieinlich bei dem Hofe um 1600 in ziem-
licher Ausdehnung betriebenen Töpferei her; sein Name „Galgenberg^
sei erst in späterer Zeit von dem jetzt eingeebneten alten Qalgenberge,
der näher nach dem Driesch zu gelegenen Bichtstätte Siegburgs, auf
ihn übertragen worden. Von diesen Angaben erscheint nur die letzte
richtig. Die Annahme einer Töpferei zu Ulrott beruht nur darauf, dass
IMS sidi die Herren von Edelkirchen^) über den Verkauf des zu Gunsten
der Töpfer Johann und Hermann Flach mit 200 Goldgulden und 900
Thr. belasteten Hofes einigten. Die Fortschaffung eines Seherbenhügeb
von dem unfruchtbaren Boden bei dem Hofe auf fruchtbares Ackerland
ist im höchsten Grade unwahrscheinlich und, da es nur auf der Erinne*
rung alier Leute an etwa ein halbes Jahrhundert zurücktiegende angeb*
liehe Ereignisse beruht, wohl mythischer Natur. Was aber das wichtigste
und zugleich der Grund der Erwähnung des Hügels an dieser Stelle ist,
ist der Umstand, dass die ihn bildenden Scherben nicht der Zeit um 1600
entstammen, sondern der ältesten nachweisbaren Zeit Siegburger Töpfsrd
überhaupt. Sie entsprechen den Scherben, welche Dornbusch, der
offenbar keine Gelegenheit hatte, den betreffenden Hügel selbst zu unter*
rochen, sonst (a. a. 0. S. 56 f.) der Zeit vor 1800 zuschreiben will. Ob
diese Zahl so genau angegeben werden kann, ist ekie andere Frage,
sioher steht nur, dass die Herstellung der fbagUehea Gelasse zwischen die
Frankenzeit und den Beginn der Neuzeit zu setzen ist.
Der Thon, aus welchem die den Scberbenhügel bildenden steinhart
ten Topfreste gearbeitet waren, ist sehr ungleichartig; ehaarakteristiBeh
für ihn sind zahlreiche eingeba«keoe, äusserst kleine SteinstttekcheB^
1) Am 22. Aug. 1568 erschoss ein von Edelkirchen, Inhaber von
UJrott, den Jost von Eller, Amtmann von Lewenberg und Luisdorf (Fahne,
Köln. Qeschl II. S. 36).
848 MisceUen.
wdcbe den Bruehfläohen einen schillernden Glanz geben and wfM die
Festigkeit des Thones erhöhen sollten. Ein Thon, welcher die sandige,
körnige Beschaffenheit zeigt, welche für die Herstellung solcher Töpfe
nothwendig war, findet sich in der sumpfigen Niederung zwischen Sieg
und Agger etwas unterhalb des Hügels nicht selten, wfthrend der schöne
weisse, von Beimischung^) freiere Thon, wie er für die spätere weisse
Siegburger Waare nöthig war, u. a. etwas oberhalb von Ulrolt auftritt.
Die Färbung der Scherben ist gleichfalls efne ungleicfamässige, von
schmutaig weiss bis schmutzig schwarz schwankende; am häufigsten fin-
det sich ein dunkles Braun. Daneben treten etwas seltener Siegel- und
hellrothe Stücke auf, welche sorgsamer gearbeitet sind als die dunkler
geCärbteii. Au^ die eiftiz^lnen Stücke zeigen Farbenunterschiede, wie
Me bei ungenügenden Schutzvorrichtungen gegen das Htneinschlagen
der Stichflammen und des Rauches in den Ofen während des Brandes
aufzutreten pflegen. Meist fehlt eine wirkliche Glasur; wo sie auftritt,
ist sie- wenig sorgsam aufgetragen, vielfach abgeflossen und von wecfa-
ßeinder Dicke auf dem gleichen Stück. Dass sie an Ort und Stelle vor-
genommen ward, beweisen vor allem die in dem Hügel nicht seltenen
Bruchstücke der gebackenen Erde^ auf der die Töpfe während des
Brennens standen und auf .welche Glasur abgelaufen ist.
Die einzelnenTöpfe waren zumeist 12—20 cm hoch, doch kommen
auch kleinere und weit grössere, mit einem FussduK'hmesse^ von nahezu
20 cm vor. Ihre Formen entsprechen iiA Allgemeinen den der von Dorn-
busch, a. a. O. Taf. I, Fig. 1— & veröfl^ntKchten Stücken. Wo Henkel
auftreten, setst deren obere>s Ende zumeist wenige Millimeter unter dem
oberen Rande des Topfes an; der Henkel selbst pflegt an der Oberseite
durch eine oder zwei eingedrückte Linien in 2, bez. 3 Wülste zerlegt zu
sein. Die meisten Töpfe ' jedoch -waren henkellos; der obere Rand er-
weitert sich gewöhnfftch nach oben hin etwas, aber nur ganz schwach,
und s<^Ue8st meist, im Gegensatz zu den Dorn husch ^schen Töpfen,
nach oben mit einer scharfen Kante ab. Diese bildet gleichzeitig das
obere Ende eines Wulstes von meist dreic^ckigem Durchschnitt, der lült
scharfbr Aussenkante um das obere Gefäss herumläuft. Meist zeigt <er
dabei nur eine Aussenkante, seltener ist die Aussenseite breiter und shid
2 oder 3 Parallelkanten mit Hülfe eines spitzen Instrumentes, welches
etwa die Gestalt eines grossen Nagels gehabt habeil mu^s, in diesen
Halswvlst eingeschnitten. Die obere Oeffhung* pflegt kreisrund zn sein;
selten ist ein Ausguss dad^voh hergestellt, dass man an einer Stelle des
abcm Randes den noch wevchen Thon 'mit den Fingern zusammen drückte
— man legte dabei, wie die Fingereindrücke noch zeigen, Daumen und
MUtelfiinger aussjen, den Zeigpfinge;* zwischen ihi^en innen an — und so
eine kurze SchnauBe hetstellteJ
Der Fuss der Töpfe zeigt noch nicht die „Löckcben* ' dei* Si^g^-
Mi9cei]€fn. ä4d
iöwget BHithezei«, wohl abei» dferen Vorläufer. Der etwas rerdickfe,
nAoh der Beilie und' unten vorstehende Fuss-Wulst wurde von Aussen
mit an einander gereihten Fingerehidrttcken versehen, wodurch er eine
wellige Oberfläche ertiieK und eine sicherere Aufstellung des Topfes er-
m5gilehte, als es ein gliktterPusd vermocht" hÄtte. Ah der Innenseite der
FüssilUshen erkennt man noch detftlieh die spiraligen WIlTste, welche die
Drehmbelfoe hervorbrachte und die abzuglätten man nicht für ndthig ge-
halten hat
Der Bauch ist glatt oder mit einer Reihe von parallelen Horizontal-
WMsten verziert/ die sich am besten .ausgeführt auf zumeist rothen Ge-
fftssen des Typus bei Dornbusch Fig. 1 vorfinden. — Von den ge-
schilderten Formen abweichende Exemplare sind selten. Zu erwähnen
shid nur- ziemlich grosse eiförmige Töpfe, deren Unterende keinen Fiiss
zeigt, sondern rundlich zuläuft, die man also bei der Aufstellung in die
Erde stecken musste, und dann flache, Aledere Töpfe von etwa Ö cm
Durchmesser, defen oberer Rand .sich schnell einzieht, so dass sie den
m Odern en'Ifhitnin'ations topf eben ähneln; sie mögen den alten Siegbürgern
als Lampen gedient haben.
' Ausser den Wlilsten zeigen die Töpfe nxir wenige TerZiertingen,
die am obem Rande oder am obem ThdM des ßaTtthes an^ißbracht wer-
den, jeweils ahm* tirti den ganzen Topf lieruhilaüfch. Es sind zunäclisl
annähernd parallcte' mit' eiheW stumpfen Nagel eingegrabene" Linien ;
dättn Wellebtitiicn, die' mit einer Art vierzinkiger GaVel' eingegraben
werden. Meist tveVdön zwei Wellensysteme sbVerfeinigt, dasri däsWellen-
thal des einen unter den Wellenberg des andern zu stehen k omni t,' dfö
Zwischenstücke berühren sich oder de'ckeu'sich stli^^iiibar, 'kreuzen sich
aber nicht. Dann werden mit verhältnissnlässlg kleinen Stempeln —
häufig ist die Stelle, wo der Stempel neu aufgesetzt "wurd^*, 'noch'
klar erkennbar — Systeme von viereckigen vertieften tankten " einge-
drückt. Dieselben werden in jeweils 3 Horizontalreihen geordnet und'
sind entweder alle gleich gross und quadratisch % oder nur d\^. obere
und untere Reihe besteht aus Quadraten, während die mittlere aus zwar
ebenso breiten, aber etwa doppelt so hohen Rechtecken sich zusämmeti-
setzt. Endlich wird ein schmales Bandornäment dadurch gebildet, ddss sich
ein 8)iitz winkliges Dreieftk, dessen seitliche ßegrenzungslinien schwacK erhöht
sind, auf einer vertieften Linie nach dem Halse des t^efässes zu erhebt;
dann senkt sich ein eben solches Dreiectc von oben herab, dann erhebt sich
Wieder ein gleiches Dreieck u. s.f. Je* zwei Dreiecke werden durch einö
schräge erhöhte Linie von einander getrennt. £!rhHhte ' figui'lictie Dal"-
1) Vgl. die Omamentiruugeu der "Töpfe von MeckeMheim bei
£ 0 e n 6 n , Jahrb. 92. Taf. X z- o. nr. 19^ wo aber 4 Reihen Quadrat^
steh finden. ' • * >
S60 Üxficehm.
steUungen fehlen völlig, währe^d solche in Gestalt einer SoUaiige (vgt
Dornbusch Taf. I. 6), einer rohgearbeiteten Madonna mit dem Kinde,
mUnnlicher Köpfe, kleiner Rosetten n. s. f. anf in Haterial, Form nnd
Technik den Stücken vom Scberbenhügel gleichartigen Resten in den
Scberbenanhäufüngen in der Aalgasse bei Siegbarg nicht selten anftreten.
Allem Anscheine nach hat man allen diesen £igenthümliehkeiten der
Scherben zu Folge in dem Hügel an der Agger Ueberreste der iirlmitiv^-
sten Werkstätten der später zu hoher künstlerischer Entwicklang aaage-
stalteten Siegburger Thonindustrie vor sich.
A. Wiedemann.
6. Zur Richtigstellung. Bereits im Jahre 1871 hat der
Unterzeichnete eine alte Dammstrasse vom Rheine unweit Ruhrort in
östlicher Richtiug bis zur Provinz Westfalen beschrieben und gezeichnet
(Neue Beiträge etc., 3 F. S. 11). Später ist diese Strasse durch West-
falen über Ahlen und Bielefeld, und weiter nach Norden untersucht worden
(Die alten Heer- und Handelswege etc., 9. H. S. 24). Bei Ahlen, wo sich
mit ihr ein vom Rheine bei Rees kommender Arm vereinigt (Neue Bet-
träge etc., 2. F, S. 41, Die alten Heer- und Handelswege etc., 5.H. S.17),
tritt die Strasse an die Köln-MMPidener Blisenbahn, und folgt, ganz nahe
neben dieser Bahn, zum Theil links, dann rechts, deqi Laufe derselben
bis zur Bielefelder Schlucht. In einer hint^Iassenen Karte hat der Oberst-
lieutenant Schmidt diese Strasse in der letztgenani^ten Strecke durch eine
Linie jg^ezeichnet (Westf. Zeltschrift 20. Bd. S. 281) und ein Uakundiger,
der den Weg nicht aus eigener Anschauung kennt) kann (freilich nur bei
sehr oberflächlicher Betrachtung) auf den Gedanken kommen, die Schmid^
sehe Linie bezeichne die heutige Eisenbahn, neben welcher die Strasse
einherllluft. A her abgesehen von der Unwahrscheinlicbkeit, dass Schmidt
bei seinen Forschungen statt einer alten Strasse eine neue Eisenbahn in die
Karte gezeichnet, spricht der Umstand geradezu dagegen, dass die Reste
der alten Strasse, auf eine Strecke unter dem Namen „Kattenstroit^, neben
der Eisenbahn noch jetzt deutlich sichtbar sind, sowie nicht minder der
Umstand, dass die Schmidt 'sehe Linie sich bei Ahlen in zwei Arme
theilt, was die Eisenbahn nicht thut, wohl aber die alte Strasse (Die alten
Heer- und Handelswege etc., 9, H. S. 23 ff. u. d. Karte). Ausserdem
wendet sich jene Linie westlich von Brack wede in einem grossen Winkel
ganz von der Eisenbahn ab und läuft in westlicher Richtung dem Osnlng-
gebirge entlang, stimnit daher weder in dem nördlichen noch in dem
südlichen Ende mit dem, Laufe der Eisenbahn überein.
Vorstehende Mittheilungen sind veranlasst durch eine Bemerkung
in dem vorigen Hefte der Jahrbücher S. 231, 232, worin ein Unbekannter
die E<ttdecknng gemacht zu haben glaubt, dass die von Schmidt in die
Reymann'sche Karte gezeichnete und von dessen Bruder^ dem
Misteiien. %1
Migor^E. Schmidt geaau beschriebMie Linie nicht eine alte (Strasse, son-
dern ,,eine Theilttrecke der damals projectfrten Eisenbahnlinie Kttin-
ftfinden^ sei, und mit den Worten sohHesst» dassder „bestimmte Ansdrnclc
im Texte sogar Schneider (Heer- nnd Handelswege etc., IX, 23, 24)
y erführt, ihn für baare Münse %n halten*^ J. Schneider.
7. Znm Verständniss der linksrheinischen römischen
Grenz Schutzlinie.
(Römische Militär- und Privatbauten auf dem Reckberg bei Neuss.)
Eine Stande oberhalb der heutigen Stadt Neuss, aber nur eine
halbe Stunde oberhalb des Legionslagera von Novaosium, durchschneidet
die linksrheinisehe römisclie Uferstraase (vgl. J. Schneider, Bonner
Jahrb. U^ S. 1 ff.; Derselbe, Die alten Heer- und Handelswege, 8. Hett,
S.8ff0 die «Sandhügel desReckberges*^, von denen aus man die Um-
gebung weit Übersehen kann. Die Umwohner unterscheiden den nach
Neuss gerichteten, westlichen Tbeil als „Erster Reekberg*^ Ton dem
etwas höheren^ östlichen Tlieil, welcher „Zweiter Reckberg^ genannt
wir4. Die Ebene. westlich des Reckberges kennt man als „Taubenthai^,
4)e südöstliche trügt den Namen „Unter den Gnaden''. „Am Fahr''
h^isst die westlich Aeben dem «^Ersten Beck her g'* befindliche Nacheu'-
station für VoUmerswerth-Flehe.
Obg&eicb die Sandbügel des Re4kbetges sction seit Jahre» «bekannt
sind als ergiebige Fandstelle von römischen Altertfattmem^ ist; nie »der
Versuch gemacht worden, durch eine t^Btematische Grabung die Frage
nach der Bedeutung dieser Culiurreste »u beantworten; man grub 'Küt-
nach Rarittttchen und stiess man dabei anfällig < auf Mauerreste, sd< aog
man es vor, baldmöglichst wieder die für Altertbümersammler ergiebi-
gem Gräber aufzusuchen. Es schien mir, nachdem ich in den Bonnea'
Jahrbüchern cur Bestimmung der Zwischencastelle des linksrbeiaiachen
römischen Festungsgürtels angeregt (vgl. Bonner Jahrb. H. 98, S. 27i ff.),
wissenschaftlich dringend nothwendig, auch selbst mit • einem guten
Beispiele voranaugehen und wenigstem durch eine Giraibung, wenn
auch vorläufig nur bestimmend einsugreifen. Der Erfolg, welcher durch
Nachstehendes eine Veröffentlichung fiahdet, ist ein wertbvoUeP' Beitrag
zum Verständniss der linksrheinisohen römischen GrensBchutslinie.
Quineburg. Zunächst fand ich awischen dem Fähr und dem.
„Ersten Reckberg" Baufundamente. Da sie In einer Parcelle Uegen,
die den Namen „Quineburg'' führt, während historisch ein in derselben
Gemarkung oberhalb GrimUnghausen gdegener,. jetzt' Terechwundener
alter Pfarrort „Quinom, Quinem oder Quinfaeim" bekannt ist {rgh
Tue hing, Geschichte der Stadt Neuss S. 68 u. & 76)> au dem anchGritt«
linghausen gehörte (a. a. O.; Lacomblet, Urkundenbuch H» S. bS)» dürfte
36^ MiBceiletii
hier wohl eine feste Burg yon QuIimhu entdeckt worden -sein* Aber erst
eine yöUige Aufdeckung der Fundamente gibt sidieroD Anfschlitfis über
Bedeutung, Entstehung und Zerstörung des Bauwerkes. • Es liegt jeAe»-
falis noch kein Grund vort das Gebäude ohne Weiteres Ittr nullelalter*
lieh zu erklären.
Römische Rhein-Ueberfahrtstation. Gleich südöstlich neben
der Fundstelle führt der unter dem Namen „Düsseldorfer Pfad"* be-
kannte Arm einer voii Aachen über Jülich, Caster nach Grimlinghausen
und von da über Hoiterhoif, Düsseldorf, Grafenberg in das Bergische
führenden Hauptrömerstrasse bis dicht an den Rhein; auf der anderen
Rheinseite, dem Ende der Zweigstrasse gegenüber, leitet 'ehi^ Fortsetzung
desselben vocn Volmerswerth^Flehe über Unter-Biik in die Hai^tstrasae
(vgl J. Schneider, Bonner Jahrb. H. LXXIII, 8. 1 ff. u. LXXVI, 8.20fr.;
Derselbe, Jahrbuch IV des Düsseldorfer Qeschichtsrereins, 8. 1 ff.). So-
wohl zu beiden Seiten des linksrheinischen Theiies der 2weigstnisse, als
aAoh. im Vecfolge ihrer rechtsrbeiniscAien Foitseteung Mnd zahlreiche
Culturreste der erstea röraisch^in Kaiserzelt gefunden worden-, besonders
Gräber dieser Periode (vgl Ä'c'h n ei d e^r a. a. 0.). Solche ThatSai^hen
machen- es nicht Unwahrscheinlich, dass Hier -bereits zUr RöAierzeft dne
Ueberfabrks-Station bestand. - Eine derartige ESinriehlwig im 1>errftoriuM
desliegionsfefllung'vonNoVaesiKm'kanB Iman-'iMch ka€d ohne'besondete
militärische Bedeckung vorstellen.
... BöMisbhe V Waohlthufi «r. Ungefähr 1 Kilbmetef südöstikh dieser
SMIe 'entdeckte ioh auf* ^ dem Iköohsien Punkte des „Zweiten Reck-
berg^esi^i didUiam alten Bheinuferrahde, 48 Meter iiordöstifeh der Ihiks-
rbeinisoken.röMiscbeaUlbrstrasse Sandsteinstücke mit Möttelresten. Meine
damalige, aust einem alten Rafrier hergestellte, vonEÜglfche Sonde und
eine geringe KachseMnrfYmg ergaben ein Gemäuer, das nach seiner Grösse
und C^straction zweifellos auf den steinernen Unterbau eines römischen
Waekttkurtnes. deutete. Sicherheit gewann ich, afs a;nf meinen Vorschlag hin
Herr CR auter tun meinem Beisein durch einen Arbeiter die Römerwsrte
völtig aufideckte. Es ergrab sich der in Abbildung auf S. 358 wiedergegebene
quadratische unterbau* A'en c 4,W) m SeHe. Das Fundament ist aus gro-
bera> imit Xiakm rerbundenem« Geschiebe hergestellt und hat eine Breite
VOR' Itan-Auf diesem* ruht eiMe 1 cm dicke ' Lehmlagcf ufad auf
dieser der* avs mit' »Mörtel rierbundenem Liedberger Sandstein berge-
staute Unterbau < (vgl;- O.^ R a a t e r t , Heimathskunde, Jahtg. 1880, B. 1.
Nv. 13). Der ' «igentlieke Hochbau dürfte wohl aus fiolz bestanden
habeti. ....
• fUaeer Waohtthurm ist im Vergleich zu den bisher am Limes gefun-
denen Anlagen dieser A»rt nicht atifrallend. Beispielsweise hat der auf
der reckteii Bhniueeüie) in der Nähe von Heimbach und Weiss, aufge-
«
Miscelleti. 363
deckte römische Wachtthuriu fast dieselben Verhältnisse. Derselbe bildet
nach meinen Messungen ein Quadrat von 4,63 bis 4,70 m Seite. Das auf-
gehende Mauerwerk ist 0,90 m breit. Der Reckberger Wachtthurm hat
um so grösseres Interesse, da man bisher auf der linken Rheinseite
keinen steinernen Wachtthurm kannte. Wohl machte unser thatkräfti-
ger unermüdlicher Forscher, Professor
Dr. J. Schneider, ehe wir daran dach-
ten, zahlreiche „Warten und Grenz-
wehren und Heerstrassen^ bekannt
(P i c k ' s Monatsschrift für rheinisch-west-
fälisdien Geschichtsforschung undAlter-
thumskunde V, S. 434 flf.), aber sein Be-
weis, dass diese Erdhügel in jedem ein-
zelnen Falle römisch sind, würde wesent-
lich unterstützt werden durch die steiner-
nen Thurm- Fundamente. Freilich wird
man bei den, nur in der Frühzeit benutz-
ten römischen Warten, soweit sie wegen des vergeblich erwarteten
dauernden rechtsrheinischen römischen Erfolges als interimistische oder
provisorische Anlagen aufgegeben, schwerlich Steinfundamente finden.
Deshalb dürften vielleicht alle rechtsrheinischen, soweit sie ausserhalb
des späteren Limes liegen, gleich den daselbst errichteten Römerstrassen
einfache Erdwerke geblieben sein. Finden sich somit Erdhügel entlang
der Strassen und Grenzwehren in bestimmten, regelmässig wiederkehren-
den Abständen, wird man wohl mit genügender Sicherheit auch ohne
nachweisbaren Steinbau auf Warten schliessen dürfen, so wie dies durch
J. Schneider geschah.
Römisches Zwischencastell Reckberg. Meine fortgeführten
Untersuchungen zeigten ungefähr 140 m südlich des bestimmten Wacht-
thurmes, Flur B. ^Vn»> ^^^ ^^^ Ackeroberfläche liegende Bausteiustücke
mit Mörtelresten, die durch den Pflug zu Tage gefördert worden waren.
Die daraufhin durch mich veranlasste und geleitete Ausgrabung ergab
das nachstehende römische Zwischencastell, dass ich nach der Fundstelle
„Zwischencastell Reckberg" nenne.
Dasselbe hat den Grundriss eines fast regelmässigen Quadrates,
dessen Ecken abgerundet und mit je zwei nach dem Castellinnern reichen-
den, sich hier verschmälei*nden Mauerstreifen versehen sind. Es zeigt
an der Römerstrasse, mit der es parallel liegt, das Hauptthor, an der ent-
gegengesetzten, auf den Rhein blickenden Flanke nur eine schmale Mauer-
Unterbrechung. Rings um das Casteli führt ein Doppelspitzgraben. Die
Grabeneinschnitte allein trennen das Fort von der römischen Rheinufer-
strasse. Auf der entgegengesetzten Seite erreicht man in 40 m Entfernung
Jahrb. d. Ver. v. AUerthsfr. im Rbelnl. XCVI 23
864
Jiisc^lleH.
fa.as
6,SQ
^,7S
-S,fO-2aA */.#o
t'ig. 2*
Fig. 1.
das linke römische Rheinufer; das heutige Rheinufer liegt nahezu V/f
Kilometer nordöstlich.
Die Abbildung (mit eingezeichneten Maas8en)zeigtFig.l denOrundriss
des Castells und Fig. 2 ein Profil des Doppelspitzgrabens nebst Umfassungs-
mauer. Die Umfassungsmauer und Strebepfeiler sind sehr sorgfältig aus
sauber zugeschlagenen kleinen Grauwackensteinen mit gutem Mörtel
aufgebaut. Gleschickt hergestellt ist auch der Umfassungsgraben, wie
schon das scharf in den Sand des Urbodens eingeschnittene Profil zeigt.
Die Linie b bezeichnet die Stelle, wo der Querschnitt gemacht wurde
und ist zugleich die Oberfläche des Ackers, von der aus vorläufig die
Miscelien. ibk
Tiefen senkrecht gemessen wurden. Nur die aufgedeckten Oastelltheile sind
dunkel ausgesogen; an den nur durch SchrafArung oder durch Kurs-
strich markirten Stellen wurde nicht gegraben; Areilich ist der Doppel-
spitsgraben an allen vier Seiten durch Querschnitte festgestellt. Wie die
Einselheiten der Eingänge beschaffen waren, namentlich ob im Casteil-
mnem Fundamente^ etwa auch ein Brunnen, eine Latrine oder andere
Bauten vorhanden sind, das festsustellen bleibt einer völligen Auf-
deckung tiberlassen; mir fehlten dasu die Mittel, denn meine Unter-
suchung ging nicht vom Provinsialmuseum aus, sondern sie war rein
privater Natur.
Zur Hygin'schen Theorie eines Sommerlagers gegen-
über Castellbefund. Der Umfassungsgraben des Castells ist sweifel-
los die von Hygin (Liber de munitionibus castrorum. Ausgabe von
A. V. Domassewski. Leipzig 1887. c. 48; 49) kurz angefahrte fastigata,
welche oben breiter ist, deren schräge Wände sich verengen und am
Boden zusammenlaufen. Aber der vorgefandene Sandboden ist für einen
solchen scharfen Einschnitt ungünstig, weil die Wände leicht nachstürzten.
Hygin würde hier nach c. bS : „ Aggeribus autem ita fit vallum, si
„locus petrosus aut arenosus fuerit, qnod sine dubio aggere facto muni-
„tionem castris praebet" zweifellos an Stelle des Qrabens Dämme auf-
geworfen haben; das geschah aber nicht. Eigenthümlieh ist der aus
dem Profil zu erkennende, 10,25 m ausserhalb der Umfassungsmauer-
flauke, 8,75 m vor dem Graben vorgefundene, bis 1 m unter der Ober*
fläche reichende, 0,60 m breite Graben. Ich habe leider nicht feststellen
können, in welcher Länge er sich hinzieht und ob er an allen Castell-
selten vorhanden ist. Derselbe ist vielleicht mit dem sogenannten Limes-
Gräbchen zu vergleichen, das ich bei Adolfseck unweit Bad Schwalbach
in den harten Fels des Gebirges eingemeisselt vorfand. Dieses Gräb-
chen hat nach den Entdeckungen des Streckencommissars W. Kohl
(vergl. Limesblatt 10 S. 304) wenigstens am raetischen Limes sicher zur
Aufhahme eines Palissadenzaumes gedient. Auch unser Gräbchen
würde für eine Pallisadenwand passend erscheinen oder aber für eine
Hygin 'sehe Schutzmauer aus astreichen Baumstämmen (cervoli vgl.
a. a. O. c. 49, 51 und 52).
Unsere Aufmerksamkeit verdienen auch die in den abgerundeten
Ecken angebrachten Strebepfeiler. Wie die Abbildung zeigt, wurde der
nördliche der von der Ostecke des Castells ausgehenden Pfeiler völlig
aufgedeckt. Die Süd'ostseite ergab eine Tiefe von 2,30 m; die Nordostseite
hat 1,20 m Tiefe. Die Pfeilerbreite an der Ost49eite beträgt 1,90 m, wäh-
rend die Westseite 1,20 m breit ist. In der Regel pflegt man solche
Mauersüge, die oft rechtwinkelige Flügel haben oder nach der Innenseite
ganz geschlossen sind (vergl. die zahlreichen Beispiele u. a. bei v. Co-
hausen, Grenz wall), als Eckthürme zu bezeichnen. Aber gegonübef
366 Miscellbii:
dieser Auffasamig ist die Frage berechtigt : ob wir hier nicht zU br-
achten haben, was Hygin (a. a. 0; c. 58) sagt: ,,Meinini8se oportet in
;,hÜatico ascensus valli duplices et frequentes facere et tormentis tribu-
,,nalia extmere circiun portas, in coxis in loco tnrrium. Maxime in-
jyStruendum Mt yallum tormentis ab eo iatere, quo novercae, si vitari
i^on ^ottlerunt." Sollte man es hier nicht mit den in den Lagerecken
an der Stelle d^r Thttrme zu errichtenden GeschützbHnken zu thun
iiaWo?
Eine iNreitel-e Sache^ die in bezug auf unser Castell Keckberg zu
beachten ist, dürfte dessen Lage sein. Es wird nämlich von Nordwesten
aus durch die Höhe des 'Zweiten fieckberges' überragt. Von da aus
konnte man thatsächlich leicht einen Ueberfall ausführen oder erspähen,
was im Lager vorging. Aber eine solche Lage des Sommerlagers steht
mit Hygin in grobem Widerspruch: „Iniqua loca, sagt Hygin (a. a. O.
j^c, 57), quae a prioribus novercae appeliantur, omni modo vitari debent;
^,ne mous castris immineat, per quem supervenire bestes aut prospicere
,,possint, quid in castris agatur" u. s. w. Auch unsere modernen Stra-
tegen würden bedenklich den Kopf schütteln ob der Lage unseres Zwi-
schencastells. Aber so wohnte die Besatzung gegen den scharfen Nord-
westwind geschützt; zudem war jene Höhe durch den Wachtthurm be-
setzt. Eine solche, auf das Leibeswohl bedachte Intention scheint für
den schon nicht mehr Cäsarischen Römer ausschlaggebend gewesen zu sein.
Zum Abstand der römischen Wachtthürme. Aus
demselben Grunde, um nämlich das in der Ebene errichtete Castell
EU decken, wird es sich erklären, warum der auf dem Zweiten Reckberg
festgestellte Wachtthurm nur etwa 140 m nordwestlich des Castells liegt
und nicht in dem Abstände, dem man allgemein bei den Warten be-
gegnet, nämlich etwa 1000 Schritte. Allerdings wird noch festzustellen
sein, ob beide Anlagen gleich alt sind oder welche älter ist. Die von
mir im Castelle gefundenen Gefässscherben sind in die Flavier- und An-
toninen-Zeit zu setzen; einzelne reichen bis in die spätrömische Periode.
Die Münzen sind ein Mittelerz des Vespasian und eine Kleinbronze von
Valens.
Römischer Privatbau im Legionsterritorium. In nächster
Nähe südwestlich des Castells, auf der Südwestseite der römischen Rhein-
strasse, liegt das Fundament eines grösseren römischen Privatbaues mit
Brunnen und Wasserleitung. Dasselbe, schon im Jahre 1844 von Sanitäts-
rath Dr. Jäger angeschnitten (vgl. Bonner Jahrb. H, V u. VI, S. 406),
erinnert hier, im Territorium der Legion, an die in Begleitung der Limes-
castelle selten fehlende „römische Villa"*. Es ist zur Beurtheilung dieser
Bauten sehr zu beachten, dass schon in dem zwischen 70 und 120 be-
wohnten Legionslager von Novaesium der Centurio einen Raum inne
•hattCi der von den Mannschaftsräumen sich durch seine dem Grundrisse
Miscellen. 357
des römischen Hauses gleichende Anlage auszeichnet. Auch ist, während
das Contubemium (nebst arma und jumenta) eine Fläche ron 50 [^ m
einnimmt, das Haus des Centurio 300 Q m gross. Bei allen Kasernen
findet man diese Unterschiede, durch welche die Anfänge einer Ueb^-
tragung der Bequemlichkeit des Privatlebens auf die strenge Disciplin
des Lagers bezeichnet sind. Während das ältere Lager ausser der durch-
aus amtlichen Charakter tragenden Anlage des Prätoriums keinen ande-
ren Bau für den Commandanten kennt, erseheint bereits in der genann>
ten Festung Ton Novaeslum links neben dem Prätorium ein mit Bffosaik-
boden und Malerei kunstvoll ausgestatteter, mit Heiz- und Badeanlage
versehener Kolossalbau als Privatwohnung .des Legionsftthrers. Aber die
Badeanstalt liegt noch ausserhalb des Lagers vor der porta decimana.
Erst SeptimiusSeverus (193— 211) legte das Messer an die militärische Dis-
ciplin, als er den Soldaten gestattete ,,bei ihren Concnbinen zu wohuen'.
Daraus geht hervor, dass der römische Soldat schon während der Dienst-
zeit seinen Wohnsitz ausserhalb des Lagers haben konnte (vgl. A« Schul-
ten im Hermes B. 29, S . 509). Gewiss wird damals der Heerführer selbst,
welcher sich schon im J. 69 nächtlicher Weile ausserhalb der Mauern
wohler fühlte (vgl. Tacitus, Historien 5, 22) seine Villa in der Nähe des
Lagers errichtet haben, das selbst nunmehr zum Zufluchtsort in Kriegsgefahr
oder, wie nach ihren Fundamenten Bonna und Camuntum, zur halbmili-
tärischen Gamisonstadt heranwuchs. Daher kann unsere Villa im Lager«
bezirk von Novaesium, zu dem zweifellos die „Forts und Wachtthürme^
gehören (vgl. Schulten, a. a. O. S. 516), in nächster Nähe des Oastells
historisch nicht auffallen. Wir haben es offenbar mit der Privatwohnung
des Offiziers der Castellbesatzung zu thun.
Römisches Gräberfeld im Legionsterritorium. Ebenso
wenig befremdet ein in demselben Gebiet in allernächster Nähe der be-
schriebenen Bauten befindliches römisches Gräberfeld, das in die Zeit der
Existenz jener Militäranlagen gehört. Ich sah viele daher stammetide
Thongefässe. Das Meiste, was den Todten Wohnungen entnommen wurde,
besitzt das Historische Museum der Stadt Düsseldorf aus dem Nachlasse
Guntrums. Alles, was ich bisher beobachtete, scheint mit der Flavier- '
epoche anzusetzen und bis in die spätrömische Kaiserzeit zu reichen.
Aber es sind nur Brandgräber zu Tage gefördert worden; die n)it Oon>
stantin d. Gr. beginnenden Skeletgräber fehlen. Auch sind die von Dp.
Jäger diesem Gräberfelde entnommenen Münzen von Nero, Domitian,
Trajan, Hadrian, vier kleinere von Tetricus pater et filius, Julia Mammaen
und Constantinus (Bonner Jahrb. H. V u. VI, S. 414 u. 415). Bei diesen
Gräbern wurden frei im Saude vier eiserne Lanaenspitzen gefunden, wie
solche vielfach aus Soldatengräbern bekannt sind.
Principielie Bedeutung der Militäranlagen des Reck«*
berge s. Ich bin überzeug^ dass wegen der Billigkeit der dortigen
35)8 Miscellen.
Grundstttcke und der leichten Bodenbearbeitung, dort leicht auB-
fübrbare systematische archäologische Ausgrabungen, wenn sie mit der
erforderlichen Gründlichkeit geleitet, dem Gerippe, das ich hier entwarf,
Fleisch und Blut geben werden.
Die grosse principielle Bedeutung, welche die Entdeckung des
Zwischencastells Reckberg, der Warte, seiner Villa und seines Gräber-
feldes für die Erforschung des iinkrheinischen römischen Festungsgürteis
hat, berührte ich bereits in meiner Besprechung des Zwischencastells
Weerthausen (Bonner Jahrb. XCIII, S. 271 ff.). Schon damals (J. 1892)
führte ich letzteres Castell als eine Militäranlage auf, die sich mit den
Zwisebencastellen des deutschen Limes und dei^enigr^n desHadrian> und
Pius- Walles in Grossbritannien vergleichen lasse. Meine damalige Auf-
fassung wies auf die Möglichkeit, dass der Abstand von dem Fort zu
Weerthausen zu dem Alenlager Asciburgium, der eine halbe Stunde be-
trägt, zeige, wo die übrigen Zwischencastelle zu finden seien. Ich ver-
wies schpn damals auf die thatsächlich an der Rheinstrasse von V2 Stunde
zu Vs Stunde vorherrschenden römischen Culturstätten und Ortsbezeich-
nungen. Unter anderen Orten nannte ich vor drei Jahren auch bereits
den Vs Stunde oberhalb der Legionsfestung von Novaesium gelegenen
Reckberg als wahrscheinliche Stelle eines der Zwischencastelle (Bonner
Jahrb. a. a. O. S. 93). Diese Combination hat sich jetzt in so über-
raschender Weise bestätigt, dass ich nunmehr mit noch grösserer Wahr-
scheinlichkeit behaupten möchte, dass dem linksrheinischen römischen
Festungsgürtel dasselbe Princip zu Grunde liegt wie dem rechtsrheini-
schen, ja, dass der rechtsrheinische jedenfalls in dem älteren linksrheini-
schen sein System ergründete, sodass man erst die rechtsrheinischen,
späteren Anlagen verstehen wird, wenn man die älteren, consequenter
militärischer Disciplin entstammenden linksrheinischen kennt. — So gut
wie man den Grundriss von Carnuntum und Bon na. in deren auf uns
gelangten Architektur (die verschieden ist im Vergleiche zu der von No-
vaesium, weil sie in der Periode späterer Lagerentwicklung entstand),
unmöglich recht verstehen kann ohne Novaesium zu kennen, so wird
man auch den deutschen Limes erst dann endgültig beurtheilen können,
wenn die älteren unveränderten Anlagen des linksrheinischen Festungs-
gürtels gründlich erforscht sein werden.
Nachtrag. Zwischencastell Altwahlscheid. Soeben (5. Mai
1895) habe ich ca. 800 Meter nordöstlich des Castells Beckberg, gleich
westlich neben dem Alt-Wahlseheiderhof ein weiteres Zwischencastell ent-
deckt. Es. bildet ein Rechteck mit abgerundeten Ecken von ca. 40 Meter
Länge und ca. 30 Meter Breite, ist von einem ca. 10 Meter breiten Gra-
ben umgeben und hat auch im Innern Steinfundamente aufisuweisen. In
demselben Abstand unterhalb des Castells Reckberg liegen die Funda'
mente der ,^Quinebur9'^. Vielleicht stellen auch diese sich als römische«
Miscellen.
869
Zwischencastell heraus. Die Abstände dieser Anlagen stimmen mit den-
jenigen überein, die am Limes Deutschlands bei den ZwischencasteUen
beobachtet wurden, sodass also bei weiterer Verfolgung dieser Erschei-
nung die Gleichheit in der Anlage der linksrheinischen Festungslinie mit
der rechtsrheinischen noj[sh deutlicher würde.
Constantin Koenen.
8. Karolingische Grenzfestungslinie zwischen Ost- und
Westlothringen. Auf der Grenze zwischen holländisch Limburg und
Preussen sieht man in der Richtung von Brüggelchen und Zollhaus Bo-
denbach, also in der Linie von Südwest nach Nordost leitend, strecken-
weise noch wohl erhaltene Reste einer hochinteressanten Grenzschutz-
anlage. Auf Veranlassung und unter liebevollster ortskundiger Hülfe-
leistung der Herren Bürgermeister Nathan aus Heinsberg und Premier-
lieutenant Nathan untersuchte ich diese, bisher als räthselhaft betrach-
tete Anlage zunächst im Kreise Heinsberg, -unweit der Wolfshager Mühle
bei Karken, von wo aus dieselbe zur Chaussee nach Posterholt führt.
Wir sehen dort einen 2,60 m hohen Wall von 11 m Sohlenbreite, be-
gleitet von zwei, 3 m tiefen und oben 7, unten 2 m breiten Gräben. Man
erkennt deutlich, dass der Wall durch Aufwurf des beim Einschnitt der
Gräben gewonnenen Sandbodens entstand.
Im Verfolge dieses Grenzwalles sind Oasteile errichtet: Das best-
erhftlf€(ne, au3 vorßtehepder Abbildmig zu erkennende, liegt im Re^.-Bez,
360 Miscellen.
Aachen, Kreis Heinsberg, westlich von Brüggelcben, nördlich Waldfencht,
Flur 2 Vt^^, und führt den Namen „Im Cämpchen'*. Wir sehen hier, in
snmpflger Niederung aufgeworfen, einen mächtigen, oben horizontal ge-
ebneten und hier 25 m im Durchmesser breiten, kreisrunden Erdhügel,
dessen Böschungswinkel bei einer Hohe von 10 m 53^ zeigt. Am Fuss
des Hügels ist ein 1 m breiter Umgang angebracht, der sich nach Süden hin
zu einer 4 m breiten Rampe erweitert. Vor derselben erstreckt sich ein
rechtwinkliger mit abgerundeten Ecken versehener Vorplatz von 50 m Breite
und 44 m Tiefe. Letzterer sowohl als auch der Hügel sind von einem
6 m breiten verschlammten Graben umgeben , der beide Anlagen zu
einem einheitlichen Ganzen verbindet. Der östliche Theil des Gra-
bens ist in der Mitte des Vorplatzes von einem 3 m breiten Weg unter-
brochen, welcher augenscheinlich von jeher als Zugang diente. Die
Wasserversorgung des Grabens wurde durch einen schmalen Bach,
„Ritschbach^ genannt, vermittelt, indem dieser an der Südwestecke des
Vorplatzes in den Graben führt und an der Nord Westseite des Hügels
den Graben verlässt. — Ortskundige sprechen noch von einem ,drei-
eckigen^ Grabeneinschiuss, welcher vor der Südflanke des genannten
Vorplatzes gelegen habe; auch kennen sie einen „Laufgraben^, der vom
Gasten aus zu der ca. 400 Schritte westlicher gelegenen Grenzwehr
führte, die hier aus zwei, durch Gräben von einander getrennten Wällen
bestanden habe.
Ungefähr 100 m nordwestlich „In den Brüchen**, Flur 2, Nr. 246
liegen die Reste eines gleichartigen, jedoch etwas kleineren und weniger
gut erhaltenen Castells.
Ein drittes Castell, das dem erst beschriebenen noch ähnlicher ist
als das zuletzt angeführte, liegt bei der Wolfshager Mühle „Im Herren -
bend^, Flur 1 ||f . Ich sah den Hügel von der Krone aus bis zur Sohle
rund herum abgefahren, sodass nur der Mittelkern des Erdwerkes mit
senkrecht abgeschnittenen Seitenwänden dastand.
Die Frage, wann diese, an und für sich betrachtet so räthselhafte
Grenzschutzlinie entstand und welchen Zweck sie hatte, ist bedeutungs-
voll; erfolgte doch auf dem im Jahre 1868 in Bonn tagenden internationa-
len archäologischen Congress bei der Frage, durch welche Kennzeichen
sich ausserhalb des Limes die römischen Wälle von den germanischen
unterscheiden, keine Antwort! — Schneider (Neue Beiträge 1876,
S. 14) 'erklärt dieses „aus dem tiefen Standpunkt, den bis jetzt die Erfor-
schung, der alten Wallanlagen im Rheinlande noch immer einnehme^.
Mit Recht nennt Schneider die Bestimmung der Construction als
Mittel zur Altersbestimmung jener Erdwerke; allein es lässt sich die Zeit-
stellung dieser oder jener Bauart von Erdwerken erst durch die in Be-
gleitung derselben vorgefundenen chronolog'isch bestimmten GefHssscherben
ermittelet
Miscellen. . d61
So fanden sich auch bei der Wolfshager Mühle, in der an mehreren
Stellen von oben bis unten angeschnittenen Erdauschüttung des Walles
sowie auf der Oberfläche, die den Wall trägt, zahlreiche kleinere und
grössere Bruchstücke von Gefässen. Es lassen sich zwei Arten unter-
scheiden. Zunächst grössere und kleinere Stücke jener leicht gebackotien,
braun- oder röthlichschwarzen germanischen Urnen aus der Zeit um den
Anfang des ersten Jahrhunderts n. Chr. (vgl. R o e n e n , Gefässkunde
Taf. XrX, Fig. 1—7, dazu S. 116— 119). Dieselben rühren von einem bei
Anlage der Erdgräben angeschnittenen Hügelgräberfelde her; sie haben
deshalb nur insofern eine Bedeutung für die Chronologie des Walles, als
der Wall, in und unter dem diese Scherben lagen, jünger sein muss als jene
Scherben. Auf der Oberfläche des Walles und vereinzelt auch in dem
Wallboden selbst, lagen ausserdem nur jene steinharten dünnwandigen
blauschwarzen, grauen oder gelblichen spätkarolingischen Gefässreste
(vgl. Koenen, •„Gefässkunde", Taf. XX I, 3—13). Auch in der Sand-
niasse des Castells von Brüggelchen fand sich jene von zerstörten Urnen-
gräberu herrührende altgermanische Waare, wohingegen auf dem Hügel
zerstreut gefundene, zweifellos von dem Errichter und Benutzer des
Castells herrührende Scherben wiederum karolingisch waren, abgesehen
von vereinzelten der Neuzeit angehörenden Bruchstücken. In dem
Castell an der Wolfshager Mühle wurde dieselbe Beobachtung gemacht.
Hier sehen wir in der Höhe von 8 bis 9 m über der Sohle, bedeckt von
einer 1^/2 bis 2 m hohen Erdmasse, Brandreste, die vermischt sind mit
Erde und Feldsteinen sowie mit Stücken von roth angebranntem Lehm-
bewurf, der scharfe Abdrücke von Flechtwerkzweigen zeigt. Bereits vor
meiner Anwesenheit hatte Herr Bürgermeister Nathan der Brandschicht
mehrere jener blauschwarzen, steinhart gebackenen Kugeltöpfe spätkaro-
lingischer Zeit entnommen. Ich selbst schnitt aus der Brandschicht eine
grössere Anzahl von, Scherben derselben spätkarolingischen Waare. Dann
erzählten mir die Umwohner, Graf Mir bach habe im J. 1869 durch
Vermittlung des Herrn Rentmeisters Frischen auf Schloss Harf einen
in der Brandschicht gefundenen kleinen Metallbecher erhalten.
Zur Altersbestimmung ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Mittel-
kern des Castellhügels an der Wolfshager Mühle einen Durchschnitt der
Culturschichten in so vorzüglicher Weise zeigte, wie er nicht besser von
archäologischer Seite bei systematischer Grabung hätte gewonnen wer-
den können. Die Culturfläche nebst den Brandschuttmassen der Zerstö-
rung des Castells lagen da so sprechend, dass jede Möglichkeit eines Zu-
falls ausgeschlossen ist. Was ich hier fand, redet so sicher wie eine
Steiuinschrift oder Pergamentui'kunde. So setzen die gefundenen Feld-
steine nebst Lehmbewurfstücke mit Flechtwerkabdrücken einen hölzernen
Wachtthurm n)it aus Flechtwerk hergestelltem Hochbau voraus. Gegen
das Flechtwerk geworfener Lehm diente zu dichterem Verschlusse und
S69 MiflceUen.
gab eine der Wandarten, die wir noch heute bei dem deutschen Bauern-
haus finden. Die Einäscherung des Thurmes muss in spätkarolingischer
Zeit erfolgt sein; denn in diese Periode der Gefässent Wicklung gehören
die in der Brandschicht gefundenen Scherben und Kugeltöpfe (vgl.
K o e n e n , „Zur karlingischen Keraraik", Westd. Zeitschrift, Jahrg. VI,
H. 4, S.356 Nr. 4; Derselbe, „Gefässkunde", S. Hl). Ich habe sie schon
Yor Jahren als charakteristisch für die bei den Normannenzügen vom
J. 881 entstandenen Brandschichten bezeichnet ( vgl.Wd. Z, a. a. 0.). Dass da-
mals besonders auch die Maasgegend von den Normannen verwüstet
wurde, ersehen wir u. A. auch aus R e g i n o , Chronik ad ann. 881 u.
892. Jedenfalls muss am Ende des 9. Jahrhunderts die Grenz-
wehr mit ihren Schutzanlagen ihren Zweck gehabt haben
und benutzt worden sein, bis sie von den Feinden zerstört
wurde.
Die ältesten Gefässscherben, welche die Herren Bürgermeister
Nathan und Lieutenant Nathan sowie ich selbst auf der Grenzwehr
und auf dem schön erhaltenen Castellhügel bei Brüggelchen vorfanden,
haben die erste Spur von Wellen platte, steinharte blauschwarze oder
graue und auch gelbliche dünne Wände, welche zum Theil mit roth-
brauner Farbe gitterartig gestreift sind, kurz: es sind diese Scherben
stilistisch etwas jünger als die von 0. Rautert in der Meckenheimer
Brandschicht gefundenen Scherbenmassen aus der Zeit Karls d. Grossen,
aber älter, als die der Normannen- Brandschichten vom J. 881; sie tragen
allejeneEigenthümlichkeiten, die ich bereits in der Westd.Zeitschr.
(Jahrg. VI, H. 4, S.d55 unter 3 b und S.362, b sowie Gefässkunde S. 141,
la) in die Zeit „um den Anfang des 9. Jahrhunderts gesetzt
habe, sodass also damals die Erbauung erfolgt sein würde.
Damals, nach dem Tode Lothar s II (J. 868), war bekanntlich
Kaiser Ludwig, der älteste Bruder Lothars II, «rechtmässiger Erbe
des Reiches Lothringen, in dem unsere Grenzschutzwehr liegt. Nach dem
Versuch Karls des Kahlen, sich des Landes zu bemächtigen, nöthigt
Ludwig d. Deutsche letzteren im J. 870 (oder 873) durch den Ver
trag zu Mersen a. d. Maas, Lothringen in Os^ und Westlothringen zu
theilen. Ludwig d. D. erhielt damals den östlichen Theil des Maas-
gaues, Karl d. Kahle den westlichen. Diese Grenzscheide zwischen
Ost- und Westlothringen liegt in der That in der Linie unserer Grenz-
wehr: in der Mitte des Maasgaues. Noch heute bildet unsere Grenzwehr
auf langer Strecke die Grenzscheide zwischen der damals in den Besitz
Karls d. Kahlen gelangten holländischen Provinz Limburg und der
an Ludwig d. Deutschen abgetretenen preussischen Rheinprovinz.
Weil nun unsere Grenzcastelle östlich der das ostfränkische und das
westfränkische Reich theileuden Grenzwehr liegen, haben wir offenbar in
Ludwig d. Deutschen den Errichter der Castelle gefunden, der be-
MisceUen. 868
kanntlich mit seinem westlichen Nachbar Karl manche blutigen
Kämpfe auszutragen hatte. Da aber Ludwig d. Deutsche bereits
876 starb, fällt die Anlage in di e Zei t z wisch en 870 (bezw.
873) und 876.
Dieses Resultat wirft einen hellen Lichtschein in das Dunkel, wel-
ches bisher die Erdwerke ähnlicher Construction verhüllte; es liefert
einen willkommenen Beitrag zur Erforschung der alten Gaugrenzen
unserer Heimath; wir sind ferner um die Kenntniss eines grossartigen
militärischen Denkmals unserer vaterländischen Geschichte reicher ge-
worden. Wenn wir femer beobachten, wie unsere Grenzscbutalinie eine
grössere Anzahl kleinerer Wehren bald durchschneidet, bald verbindet,
dann verkennen wir auch die weitgehende Bedeutung nicht, welche dieser
chronologisch bestimmte Grenzwehrzug für die Beurtheilung eines ganzen
Systems ähnlicher Anlagen hat. Aber der ideale Werth, den dieses
Werk als erste Grenzvertheidigungsanlage Deutschlands
wider seinen westlichen Nachbar hat, rechtfertigt es allein
schon, wenigstens das noc)i in so vorzüglichem Zustande
befindliche Gasten von Brtiggelchen in allen Einzelheiten ar-
chäologisch zu untersuchen, zu reconstruiren und dauernd
zu erhalten«
Constantin Koenen.
9. Fünfunddreissigte Plenarversammlung der histori-
schen Kommission bei der königl. bayer. Akademie der
Wissenschaften am 17.— 19. Mai 1894. Seit der letzten Plenarver-
sammlung, Mai 1893, sind folgende Publikationen durch die Kommis-
sion erfolgt:
1. Allgemeine deutsche Biographie. Band XXXVI und Lieferung 1
des Bandes XXXVIL
2. Deutsche Reichstagsakten, jüngere Reihe. Band I: Die Reichs-
tagsakten unter Kaiser Karl V. I. Band.
3. Die Recesse und andere Akten der Hansetage von 1256—1430.
Band VII.
4. Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich IV. und Hein-
rich V. Band II.
Die Hanserecesse gehen ihrer Vollendung entgegen. An den
Jahrbüchern des deutschen Reiches wird rüstig weiter gearMitet >-
Von der Geschichte der Wissenschaften in Deutschland ist
zunächst die Geschichte der Geologie von Professor von Zittel zu er-
warten. Die Geschichte der Physik liegt in den Händen des Professors
Karsten. Die Vollendung der Geschichte der Rechtswissenschaften
364 MiscelleD.
von Professor Landsberg steht über einige Jahre in Aussicht. —
Von der Allgemeinen deutschen Biographie sollen im nächsten
Etatsjahr ausser den noch fehlenden Lieferungen des 37. Bandes zwei
weitere Bände erscheinen. — Von den Chroniken der deutschen
S t ä d t e I unter Leitung des Geheimen Rath von Hegel, ist Band XXIII,
der IV. Band der Chroniken der Stadt Augsburg, im Druck weit vorge-
schritten und wird demnächst erscheinen. — Die Druckausgabe des schon
im vorigen Jahr angekündigten neuen Bandes der westtUlisch-nieder-
rheinischen Chroniken, der eine Verfassungsgeschichte der Stadt Soest
von Archivar Dr. 1 1 g e n in Münster, chronikalische Aufzeichnungen
des Stadtrnths von Soest und eine Chronik von Duisburg bringen wird,
wird voraussichtlich im nächsten Herbst beginnen können.
Für die Reichstagsakten der älteren Serie sind die ge-
wohnten Arbeiten fortgesetzt worden. Der zehnte Band, bearbeitet von
Dr. Herre, kann voraussichtlich bereits im gegenwärtigen Sommer, der
elfte, bearbeitet von Dr. Bock mann, ein Jahr später fertig gestellt
werden. — Die Reichstagsakten der jüngeren Serie sind nach
dem Tode des Professors von KTuckhohn unter die Leitung des Dr.
W r e d e gestellt worden. Ausserdem ist Dr. B e r n a y s , seit dem 1.
Januar 1894 von Simancas nach Göttingen zurückgekehrt, vollständig in
den Dienst der Reichstagsakten getreten. Vorerst hat Dr. Wrede das
Regfister zu dem ersten Band abgefasst und im August diesen Band er-
scheinen lassen. Darauf wurde die Redaktion des zweiten Bandes in
Angriff genommen, der die Zeit von der Kaiserwahl bis zum Schluss
des Wormser Reichstags umfassen wird. Bis zum Herbste wird hoffent-
lich das ganze Manuscript des zweiten Bandes druckfertig sein. — Die
ältere Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Korrespon-
denzen erwartet ihren Abschluss und die Beendigung des Drucks des
dritten Bandes der Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir im Jahr 1896.
— Für die ältere Bayerische Abtheilung der Witteisbacher
Korrespondenzen, unter Leitung des Professors Loosen, hat der
Druck des vierten Bandes begonnen. — Die jüngere Bayrisch-
Pfälzische Abtheilung der Witteisbacher Korrespondenzen,
die Briefe und Akten zur Geschichte des dreissigjährigen
Kriegs, unter Leitung des Professors Stieve, verdankt dem halbjäh-
rigen Aufenthalt des Dr. Mayr-Deisinger in Simancas und der Güte
des Burggrafen Richard Friedrich zu Dohna-Schlobitten, der die
Papiere seines Familienarchivs zu Schlobitten mit hochherzigem Vertrauen
in die Hü&nde der Kommission gelegt hat, werthvolle Materialien.
Der Druck des sechsten Bandes der „Briefe und Akten", der den
Anfang der Jahre 1608—1610 enthält, hat im Februar 1894 begonnen und
wird seitdem rasch gefördert.
kiscellen. ^6^
io. Grabfunde aus Bonn. Im Nachstehenden gebe ich einen
kurzen Bericht über die hauptsächlichsten Grabfunde von Bonn aus dem
Jahre 1894, so weit sie zu meiner Kenntniss gelangt sind.
1. Im März vergangenen Jahres stiessen Arbeiter beim Lehmstechen
auf der Ziegelei des Herrn Rolef hier, welche von der Eisenbahn, der
Reuterstrasse und dem Kessernicherwege begrenzt wird, auf ein römi-
sches Gtab. Dasselbe enthielt: 1. Eine vertiefte Schüssel aus gewöhn-
lichem weissem Thon mit leicht nach innen gewölbtem Boden und am
äusseren Rande herumlaufenden furchenformigen Ringen verzieft,
Durchm.: HVs cm. 2. Zwei bauchige einhenkelige Krüge aus weissem
Thon mit kurzem Halse, der eine 21 cm hoch, der andere birnenförmig,
20 cm hoch. 3. Ein kleines un>enartiges Gefäss aus grauem Thon, OVsCm
hoch, mit weiter Mündung und etwas eingezogenem Rande. Auf dem
oberen Theile der Wandung läuft ein Ornamentband von aufgetragenen
Ringen ringsherum. 4. Zwei tiefe Teller aus Terra sigillata von ITVa cm
Durchm. auf niedrigem Fuss und mit schräg aufsteigender Wandung.
Beide hatten im Inneren des Bodens Stempel, von denen der eine
SACERIOF lautet, der andere jedoch jetzt bis zur völligen Unkenntlich-
keit abgerieben ist. 5. Ein kleines tiefes Schüsselchen aus Terra sigillata
mit einer Einschnürung in der oberen Hälfte des Halbrundes und einem
Rundstab als oberem Rand, welcher einen Durchmesser von I2V2 cm auf-
weist. Im Innern des Bodens, umgeben von einem Kreise, der Töpfer-
stempel: hCBDVI^*). 6. Eine kleine Lampe von 9 cm Länge aus feinem
weissem, ursprünglich braun überstrichenem Thon in der Gestalt eines
rechten Fusses. Derselbe steht auf einem Hypodema, welches mit Riemen
am Fusse befestigt und dessen untere Fläche mit Nägeln besetzt ist. Die
Abschnittsfläche über dem Knöchel ist bohl und bildet die FüUöffnung.
Die grosse Zehe verläuft in den Dochtansatz. Die massive Handhabe setzt
oberhalb der Ferse am Fusse an und ist nach unten mit einem kleinen
Loch zur Aufnahme einer Schnur versehen. Diese Gegenstände sind
sämmtlich ins Proviuzialmuseum gekommen. Endlich 7. fanden sich bei
diesen Gegenständen zwei Mittelerzmünzen, welche die Arbeiter ander-
wärts veräussert haben. Nach der Aussage des einen der Arbeiter, bei
denen ich Erkundigungen einzog, war die eine der beiden Münzen von
Grünspan ganz zerfressen und unleserlich, auf der anderen etwas
besser erhaltenen waren neben dem Kopfe deutlich die Buchstaben PAS
zu lesen. Dies würde uns auf Vespasian führen. Wir würden so einen
Anhaltspunkt für die Zeitbestimmung des Grabes gewinnen, mit der übri-
gens die gefundenen Gefässe übereinstimmen.
1) Nur das erste der beiden D ist gestrichen, es dient zur Bezeich-
nung der ceitischen Dentalaspiration.
ä6ä Miscellen.
2. Ein zweiter Grabfund wurde an den frostfreien Tagen des
Januar dieses Jahres auf derselben Ziegelei gemacbt. Auch er umfasste
meistens nur Thonsachen. Gefunden wurden: 1. Ein kleiner Becher aus
weissem, gelblichbraun überstrichenem Thon auf enger runder Fussplatte,
über der sich der Körper des Gefässes rasch erweitert, um sich langsam
nach einer kleinen Einschnürung hin unbedeutend zu verengen, von
welcher der Rand sich nur wenig ausladend abhebt; 67» cm hoch. 2. Ein
dem vorher beschriebenen ganz ähnlich gebildeter kleinerer Becher aus
weissem Thon, 6 cm hoch, welcher ebenfalls Spuren eines ursprünglichen
Ueberzuges von brauner Farbe an sich trägt 3. Ein fragmentirter ähn-
licher Becher aus weissem graubraun überstrichenen Thon, dessen Wan-
dung mit einem weissen griesartigen Ueberzug versehen ist; 9 cm hoch.
4. Das Bodenstück eines flachen Tellers aus weissem gelb überstrichenem
Thon von 14 cm Durchm. 5. Eine kleine einfache Lampe aus röthlichem
Thon mit durchbrochener, jetzt zerstörter Handhabe. Auf der vertieftoi
Vorderfläche das Füllloch, sowie vorne hinter dem Dochtansatz noch ein
kleines Loch zum Aufstochern des Dochtes; V/^cm lang, 6. Eine Lampe
aus weissem Thon in der Gestalt eines hingekauerten Kaninchens, dessen
emporgebogener Schwanz als Griff dient. Auf dem Kopf das Füllloch.
An dem jetzt abgebrochenen Vordertheil der Lampe war, nach der Ana-
logie ähnlicher Lampen zu urtheilen, das Dochtloch wie ein Füllloch ge-
bildet gewesen, an dem das Thier lecken zu wollen scheint. Jetzige
Länge: 7Vt cm. 7. Ein sog. Thränenfläschchen aus hellgrünem Glase
mit kurzem konischem Körper und langem röhrenförmigem Halse, dessen
Rand etwas ausladet; 10 cm hoch. 8. Ein rechteckiges 10 cm langes und
5^4 cm breites ornamentirtes Beschlagplättchen aus dünnem Bronzeblech,
welches an dem einen Ende einen hohlen, halbkreisförmigen Buckel auf-
weist, der an seiner Basis einen Durchmesser von 4^/4 cm hat. — Wenn
man nach den Gefässen Schluss auf die Zeit dieses Grabes ziehen
darf, so scheint auch dieses der früheren Kaiserzeit zugewiesen werden
zu müssen.
3. Bei den Grundarbeiten für den Neubau des Hauses Poststrasse
Nr. 34 fand sich ein frührömisches Leichbrandgrab , etwa iVs m unter
dem Strassenniveau. Es bestand aus einer hohen Thonurne von grau-
schwarzer Farbe, welche von den Findern anfangs verschleppt, dann aber
zurückgegeben und durch den Eigenthümer des Grundstückes, Kgl. Rent-
meister Herrn Alexander von Ciaer dem Museum überwiesen wurde.
Ob sie bloss Aschen reste, wie die Finder angaben, oder auch andere
Gegenstände wie Münzen und Gewandnadeln enthalten hat, muss da-
hin gestellt bleiben, da sie bei ihrer Auffindung leider von keinem Sach-
verständigen auf ihren Inhalt hat untersucht werden können.
4. Ein vierter Grabfund kam an einer von der Fundstätte des zu-
letzt beschriebenen Grabfundes nicht weit .entfernten Stelle von Bonn
Miscelien. ä6?
isam Vorschein. Wenngleich auch er keine Gegenstände von grossem
Werthe geliefert hat, so ist er doch insofern von Interesse, als er als
Ausgangspunkt dienen kann, sei es für neue Nachgrabungen, sei es um
die Grenzen des römischen Bonn genauer zu bestimmen, Diesmal ist es
die eigentliche Altstadt^ welche ihren Schooss geöfftaet bat und zwar an
einer Stelle, welche bisher noch fast gar keine Römerspuren gezeigt
hatte. Im Laufe des August des verflossenen Jahres Hess der Möbel-
und Sargfabrikant F. Lanser das bisher von ihm bewohnt« Haus auf
dem Dreieck Nr. 1 neben der Restauration „zum Hähnchen" niederlegen
um es dem heutigen Geschmack entsprechend wieder aufzubauen und
zugleich eine grössere Werkstätte zu gewinnen. Als man die Funda-
mente für die letztere aushob, fand man 3 m unter dem jetzigen Strassen-
niveau eine grosse in der Mitte durchgebrochene Aschenkiste aus Tuffstein
von 1,1b m Länge, 62 cm Breite und 47 cm Höhe, deren Hohlraum d2 cm
lang, 40 cm breit und 25 cm hoch ist und am Kopfende eine bankartige
Erhöhung hat. Sie war mit einem ebenfalls in Stücke gebrochenen
Deckel aus Tuffstein geschlossen, der ebenso lang wie die Kiste selbst,
aber nur 40 cm breit und 15 cm hoch ist. Im Innern lagen ausser den
Aschenresten des Verstorbenen die kaum nennenswerthen Splitter von
zwei gänzlich zerstörten Gefässen aus bräunlichem Glase, dann eine
kleine einfache, an der Handhabe und dem Dochtansatz beschädigte
Lampe aus gelbem Thon von 7 cm Länge, ein einhenkeliger 9 cm hoher
Krug aus gelblich weissem Thon mit abgeplattetem kugelförmigen Bauche,
kurzem Halse und am Rande zusammengekniffenem Ausguss, ein frag-
mentirter Napf aus gewöhnlichem weissem Thon mit scharf profilirter
Leibung und einer Einschnürung unterhalb des Halsrandes von 7 cm
Höhe, sowie ein zweiter mit schmalem Fuss und nach innen gebogenem
Rande, und endlich ein becherartiges 7 cm hohes Gefäss aus rothem,
glänzend schwarz gefirnisstem Thon mit ausgebauchtem, oben und unten
durch je zwei ringsumlaufende Reihen Strichelverzierungen abgegrenzt
tem Körper und sich allmähhch verjüngendem Halsrand. Neben und um
die Aschenkiste herum standen die nachfolgenden Gefässe. Nämlich ein
10 cm hohes Kännchen aus rauhem gelblich weissem Thon mit seitlich
angebrachtem Henkel und zugespitztem Ausguss, ein 19 cm hoher bauchig
ger Krug aus geschlemmtem weissem Thon mit kurzem Halse und
kleinem gerieftem Henkel, ein I5V9 cm hoher Krug aus gleichem Stoff,
mit stark ausgebauchtem, oben etwas abgeflachtem, in der Mitte mit
einer concentrischen Einschnürung versehenen Körper, kurzem Halse
und drei Henkeln, endlich eine 20 cm hohe Urne aus weissem, dunkel-
grau überstrichen em Thon, deren sich allmählich erweiternder Körper
sich unmittelbar unter dem eingeschnürten Halsrande wieder verengt.
Unter demselben läuft eine vertiefte wagerechte Doppellinie als Ver-
zierung herum. Hierzu würde noch ein hübscher Krug aus weissem
36ä ^tisceilcti.
Thon in Birnenform mit stark ausladendem Halsrande von 11 cm Höhe
hinzuzufügen sein, wenn es feststände, dass er mit jenen oben beschrie-
benen Geschirren zusammen in unmittelbarer Nfthe der Aschenkiste ge-
funden worden wäre. Indessen da die Aussagen der bei dem Funde be-
theiligten Arbeiter nicht mit einander übereinstimmen, ziehe ich es vor,
um nicht Sicheres mit Unsicherem zu vermischen, einfach die Thatsache
zu registriren, dass der Krug auf demselben Bauterrain zu- Tage geför-
dert worden ist, wiewohl an und für sich Nichts gegen seine Zugehörig-
keit zum ganzen Grabfunde spricht, welcher etwa dem zweiten Jahrhun-
dert u. Chr. anzugehören scheint.
5. Endlich sind beim Fundamentgraben für den an der Friedrich-
strasse Nr. 23 zu errichtenden Neubau des Bäckermeisters Jacobs in
einer Tiefe von 2 Metern zwei Steinsärge aus TuflTstein aufgedeckt wor-
den. Da dieselben zur Hälfte unter die Mauern des Nachbarhauses
Nr. 21 hinüberragten, so konnten sie ohne Schädigung des letzteren
nicht von ihrem Platze entfernt werden. Aus Neugierde wurden sie da-
her, so weit sie frei lagen, von den Arbeitern gewaltsam zerstört. Der
eine enthielt, wofern die Aussage der Arbeiter Glauben verdient, keine
Grabesbeigaben, sondern bloss Kuochenreste. In dem anderen fanden
sich ausser den Ueberresten des Verstorbenen eine vertiefte Schale aus
grünlichem Glase mit abgerundetem Boden, und niedrigem geradseitigem
Halsrand von 18 cm Durchm., ferner ein nach oben stark ausladender
Becher aus weissem Glas, auf dessen Wandung feine concentrische
Ringe als Verzierung eingeschliffen sind, von 8V2 cm Höhe und ein
kleiner kantiger unverzierter Ring aus Bronze von 1^/2 cm Durchm.
Wenn man erwägt, dass noch jedesmal bei der Ausführung von Erdarbeiten
in der genannten Strasse Gräber gefunden worden sind, welche sich
durch ihre reichen Beigaben an Thongeschirren au.sgezeichnet haben,
so wird es mindestens begründet sein, einen leisen Zweifel an der Rich-
tigkeit der Angaben, dass der erste Sarg inhaltslos und der zweite
bloss jene drei eben erwähnten Gegenstände enthalten habe, zu äussern.
Bonn. Klein.
11. Köln. Vor Kurzem wurde an der Händelstrasse zu Köln bei
den Ausschachtungen für einen Neubau ein Fragment einer Figur aus
weissem fein geschlemmtem Thon gefunden, welches in den Besitz des
hiesigen Provinzialrauseums gelangte. Es ist die inwendig hohle Sta-
tuette einer Fortuna auf einer viereckigen Basis. Die Göttin sitzt auf
einem auf gedrehten Stollen ruhenden Sessel ohne Lehne, bekleidet mit
einem hochgeschürzten Chiton und Himation, welches letztere hinten
um den Unterkörper geschlagen auf der linken Seite des Knies wulst-
artig aufliegt. Sie hat das linke Bein über das rechte gesetzt, welches
auf einer schemelartigen Erhöhung oberhalb des Postamentes ruht. Die
Miscellen. 969
Fasse sind mit Schuhen versehen. Der ganze Oberkörper mit dem
Kopfe und dem linken Arme fehlt jetzt, in Folge dessen die Figur bloss
10 cm hoch ist. An der rechten Seite neben der Figur unten erblickt
man die Kugel als Symbol ihres wandelbaren Wesens sowie den unteren
Theil des Steuerruders, welches ihr ja stets beigelegt wird, um sie als
Lenkerin der Geschicke zu kennzeichnen. Mit der rechten Hand hat
sie das Steuerruder erfasst, während die linke höchst wahrscheinlich ein
Füllhorn gehalten hat. Zu ihren Füssen steht links neben ihr auf einem
runden Schemel in. kleineren Dimensionen ein nackter Knabe in Vorder-
ansicht.
Was der Figur ein besonderes Interesse verleiht, ist der Umstand,
dass sie eine doppelte Aufschrift trägt, welche vor dem Brennen einge-
ritzt worden ist. Auf der bankartigen Erhöhung, auf der ihre Füsse
ruhen, liest man vorne AAF. Dieselbe Aufschrift, jedoch vollständiger,
kehrt auf der Kückseitc des Sessels wieder. Hier hat sie den folgenden
Wortlaut:
ALF
FE
Also: Älfius feidt).
Der Verfertiger dieses kleinen Götterbildnisses erscheint hier nicht
zum ersten Male. Denn er sowohl als seine Fabrik, welche vor dem
Hahnenthor an der linken Seite der Aachener Strasse gelegen hat, ist
in dem Firmenregister der alten Kölner Thonwaarenindustriellen aus
römischer Zeit wohl bekannt. Im Jahre 1885 sind nämlich zu Köln an der
eben genannten Strasse die Trümmer mehrerer neben einander liegen-
der eingestürzter Töpferöfen entdeckt worden, in welchen eine grosse
Menge von Bruchstücken von Thonfiguren aufgefunden wurden. Bei
der grossen Eile jedoch, mit welcher die Arbeiten an dem dort zu er-
richtenden Neubau betrieben wurden, ist leider mehr zerschlagen als ge-
rettet worden. Meinen in diesen Jahrbüchern*) gegebenen Bericht über
den Inhalt der Töpferöfen kann ich jetzt nach den Aussagen eines Augen-
zeugen, der den Fund damals verfolgt hat, vervollständigen. Ausser den
dort beschriebenen Gegenständen fand man kleine Büsten, namentlich
von Kindern und älteren Männern mit frazzenhaftcn Gesichtszügen, von
denen mehrere sich durch das beim Hin- und Herbewegen entstehende
Geräusch der eingeschlossenen Kieselsteinchen als Kinderrasseln kund-
gaben, ferner Figürchen von Thieren, wie z. ß. Pferdchen, Hahnen,
sitzende Hunde und Nüsse nagende Eichhörnchen, dann einen Eber und
zahlreiche Köpfe von weiblichen Figürchen der verschiedensten Art,
1) LXXIX S. 195.
Jahrb. d. Ver. v. Alterthafr. im Rheinl. XOVI. 24
870 Miscellen.
welche mit geringen Ausnahmen sammt und sonders wegen ihres be-
schädigten Zustandes von den Arbeitern auf den Schuttkarren geworfen
worden sind. Besser erhalten dagegen waren einzelne' Statuetten von
Gottheiten wie der Venus, der Diana, der sitzenden Minerva mit Schild
und Lanze, der Fortuna und der Muttergottheiten mit Fruchtkörbchen
auf dem Schooss, von welchen die weitaus grösste Zahl nach aussen
verschleppt worden und nur ein geringer Bruchtheil, wie ich bereits
a. a. O. erwähnt habe, theils in die Hände von Privatsammlern, theils
ins hiesige Provinzialmuseum gelangt ist. Die eine der ins hiesige Museum
gekommenen Figuren, nämlich die der Diana, trägt auf der Kückseite
der Basis die Inschrift^):
ALFIV
SFE
welche auch auf mehreren anderen daselbst gefundenen Bruchstücken
beobachtet worden ist. Sie nennt also denselben Mann als ihren Verfer-
tiger, dem wir jetzt die Figur der Fortuna verdanken. Die Thonwaaren-
fabrikation scheint demnach im römischen Köln in ziemlicher Blüthe ge-
standen zu haben, was nicht Wunder nehmen darf, wenn man bedenkt,
dass ganz in der Nähe der Stadt, bei Frechen, ergiebige Thonlager sich
befinden ; denn wir kennen ausser diesen Fabrikanten bereits zwei andere,
den Servandus, welcher ad cantunas novas zu Köln wohnte und den
Vindex, welcher ad forum hordiarium sein Geschäft betrieb.
Bonn. Klein.
12. Blankenheim in der Eifel. Die von mir im Heft LXXVI
S. 244 dieser Jahrbücher geäusserte Hoffnung, dass noch manches der
als verschollen geltenden Denkmäler, welche dereinst zum Bestände der
für ihre Zeit höchst bedeutenden Sammlung der Grafen von Blanken-
heim-Manderscheid auf Burg Blankenheim gehört haben, sich in den Ge-
bäuden daselbst im I^ufe der Zeit wiederfinden werde, hat sich in jüng-
ster Zeit aufs Neue erfüllt. Bei Restaui-ationsarbeiten, welche dort im
Herbst 1893 vorgenommen wurden, kam eine kleine, an den Ecken lei-
der mehrfach beschädigte Platte aus Trachyt von 21 Va cm Breite, 12Vs
cm Höhe und I6V2 cm Tiefe zu Tage, welche als Werkstück in eine
Mauer der Burg eingefügt war. Durch die Aufmerksamkeit des Herrn
Bürgermeisters Wassong, der sie in dankenswerther Weise dem hiesigen
Provinzialmuseum als Geschenk überwiesen hat, wurde sie vor der Zer-
störung gerettet. Es ist die von Brambach (C. I. Rhen. 390) abgedruckte
Inschrift, welche zuerst Gruter p. 44, 1 nach einer Mittheilung von
Arnold Mercator als im Besitz der Familie von Liskirchen in Köln be-
1) Hiernach ist die von mir a. a. 0. S. 196 gegebenen Lesung zu
berichtigen. Vgl. B. Jahrb. LXXXVH, 82.
Miscellen. 371
flndlich, dann nach ihm genauer Broelmann (Epideigma II, 1) und
Schannat (Eiflia illustr. Taf. XVII, 66 p. 565) herausgegeben haben. Die
Lesung der früheren Herausgeber
HERCVLI
lANVARlNlVS
MODERATCOL
EQVITVM-DD
wird hinsichtlich der Ligatur von N und I Z. 2 durch den Stein be-
stätigt. Dagegen für die beiden letzten Zeilen lässt er uns jetzt insofern
im Stich, als dieselben durch Beschädigungen, welche der Stein erfahren
hat, nur in verstümmeltem Zustande erhalten sind. Dieselben sehen jetzt
so aus
//V\ODERAT.CO^
//////0VIT///7///////
Leider ist gerade die interessanteste Stelle des Steines stark mitgenommen,
so dass sich nicht mit Sicherheit die Lesung des letzten Wortes der 3. Zeile
ermitteln lässt. Indessen glaube ich noch die Kopfenden zweier verti-
caler Hasten deutlich zu erkennen. Es wird demnach das Wort, wel-
ches da gestanden hat, eher COH als COL, wie die Herausgeber gegeben
haben, gelautet haben, wodurch das collegium equitum, oder gar der
Moderator collegii equitum Schannat's in ihr Nichts zurückfallen. Da-
gegen ist das von Brambach vor COH ergänzte Zeichen 1 für centurio
gewiss nicht vorhanden. Ob EQVITVM so, wie es alle Herausgeber an-
geben, voll ausgeschrieben war, lässt sich nicht mehr entscheiden. Zum
Schluss bemerke ich noch, dass die Buchstaben der 1. Zeile 20 mm, die
der übrigen 17 mm hoch sind.
Bonn. Klein.
(Jnfvcrgitttts-Buclulruckcrei von Carl Goorf^l In Bonn.
X
Jdhii. d. Yereins u. MtcHhumsfr. im Rheinland, Heß ZXXXM.
TafL
Icv.
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Formen römischer Terra-sigillata-Gefässe.
Jahii. d. Yerdnsü. JlterOiumsp: im Rheinland. Beß LXXXXYI.
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Formen römischer Terra-sigillata-Gefässe.
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Formen römischer Terra-sigillata-Gefässe.
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Moderner Ort \\ Feudite Niederung (Wiese ^ Su mpf^Moor), .^-. RömerrBcg. ^ . ^Maimt
Veiterlauf dcsselherL, Trähistori scher oder alterWrq, .^f^^Bohlenmeg, .^^ww^FmÄ/
Vallwerk (Lmidmehr). O Prä historische ffjermaiiLsche) WaÜbiirq, ^Triihisiorisdier ödtrahvr
^latz. ZZlTlömischer laqernlati, oWarte. ^ ^Menschliche SkelellreMe. B Urnen htd, g
^iedhof D QQ Stebihi.'iteugrah mit Urnen . ^^—cr^ Hüh n enqra h (Dtdrne) Q [Jj (nTmamdie B
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