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Full text of "Jahrbücher des Vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande"

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Harvard  College 
Library 


raOM  THE  rOMD  OF 

HARRIET  J.  G.  DENNY 

OF  BOSTON 


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JAHRBUCHER 


DES 


VEREINS  VON  ALTERTHUMSFREUNDEN 


IM 


EHEINLANDE. 


HEFT  XCV. 


NOTE  TQ  THE  READER 

The  paper  in  this  volume  is  brittle  or  the 
inner  margins  are  extremely  narrow* 

We  have  bound  or  rebound  the  volume 
utilinng  the  best  means  possible* 

PLEASE  HANDLE  WITH  CARE 


GEDRÜCKT  AUF  K0S1 

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1894. 


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1 


JAHRBÜCHER 


DES 


VEREINS  VON  ALTERTHUMSFREUNDEN 


IM 


EHEINLANDE. 


HEFT  XCV. 


MIT  1  TAFELN  UND  2  TEXTFIOVBEN. 


GEDRUCKT  AUF  KOSTEN  DES  VEREINS. 

BONN,  BEI  A.  MABCVS. 

1894. 


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^■^^'yt^rv^yJUA^-n.ciL . 


Inhalte  -  Verzeichniss. 

Seite 

I.    Geschichte   und   Denkmäler. 

1.  Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  römischen  Reiche.    Vor- 
trag zur  Winekelmannsfeier  am  9.  Dezember  1893  in  Bonn.  Von 

H.  Nissen 1 

2.  Die  römische  Flottenexpedition  zum  Kimbernlande  und  die  Hei- 
math der  Kimbern.    Von  J.  F.  Marcks 29 

3.  Die  Kölner  Aeneasgruppen.    Von  A.  Brüning.    (Hierzu  Tafel  I.)      49 

4.  Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum.    Von  H.  Dressel.    (Hierzu 
Tafel  II.) 61 

5.  Zu  HeftXCIII,  Tafel  VII.    Von  A.  Furtwängler.   (Hierzu  eine 
Textfigur.) 88 

6.  Römische  Bronzereliefs  aus  Köln.   Von  H.  L.  Urlichs.   (Hierzu 
Tafel  III.) 90 

7.  Vorläufige  Mittheilung  über  ein  römisches  Mosaik  bei  Kreuznach. 
Von  Prof.  0.  Kohl.   (Hierzu  Tafel  IV  und  eine  Textfigur.)    .    .    102 
Weitere  Mittheilung   über  das  römische  Mosaik   bei  Kreuznach. 
Von  Prof.  0.  Kohl.   (Hierzu  der  nach  den  inzwischen  fortgesetzten 
und   vorläufig   abgeschlossenen  Ausgrabungen   erweiterte  Plan 

auf  Tafel  VII.) 111 

8.  Die    Königspfalzen    der    Merowinger    und    Karolinger.      Von 

Dr.  Konrad  Plath.    I.  Dispargum 121 

9.  Der  sogen.  „Dingstuhl^  auf  dem  Marktplatze  zu  Echternach.  Von 
Staatsarchitekt  K.  Arendt.   (Hierzu  Tafel  V  u.  VI.) 181 

10.   Aus   der  rheinischen   Epigraphik    des  Jahres    1893.    Von    Carl 

Meurer 185 

IL    L  i  1 1  e  r  a  t  u  r. 

1.  Edmund  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  imTeuto- 
burger  Walde.    Besprochen  von  N.      .   ' 221 

2.  Edictum  Diocletiani  de  pretiis  renun  venalium.  Edidit  T  h.  M  o  m  m- 
sen.    Besprochen  von  M.  Ihm 232 

3.  G.  M.  Rushforth,  Latin  hlstorical  inscriptions  illustrating  the 
history  of  the  early  empire.    Besprochen  von  M.  Ihm    .    .     .     .    233 

4.  Raymond  Serrure,  Essai  de  numismatique   luxembourgoise. 
Besprochen  von  F.  van  Vleuten 234 

5.  Ulisse   Chevalier,    Kepertorium  hymnologicum.     Besprochen 
von  Dr.  Rauschen 234 


IV  Inhalts-Verzeichniss. 

Seite 

6.  Neue  Heidelberger   Jahrbücher  III,   1.    Besprochen   von  Dr.  C. 
Mehlis • 235 

7.  Paul  Giemen,  Die  Kunstdenkmäler  der  Rheinprovinz.    Zweiter 
Band.    Besprochen  von  A.  Wiedemann 236 

8.  A.  Engel  et  R.  Serrure:   Traitc  de  numismatique  du  moyen- 
Äge.    Tome  deuxifeme.    Besprochen  von  F.  van  Vleuten     .    .    238 

III.   Miscellen. 

1.  Bonn.    Münze  des  Erzbischofs  Pilgrim.    Von  S 240 

2.  Köln.    Münzenfund.    Von  C.  Stedtfeld 240 

3.  Das  Hochkreuz  bei  Godesberg.    Von  A.  Wiedemann  ....  244 

4.  Zur  Limesforschung,  das  Castell  Saalburg  im  Taunus  betreffend. 
Von  C.  Koenen 245 

5.  Nictrenses-Victorienses.    Von  A.  Müller 248 

6.  Zwei  römische  Okulistenstempel.    Von  M.  Ihm 250 

7.  Römische  Spieltafel  aus  Afrika.    Von  M.  Ihm 251 

8.  Ueber  den  Zweck  der  Contorniaten.    Von  M.  Ihm 251 

9.  Zusatz  zu  der  zweiten  Mittheilung  über  das  Kreuzuacher  Mosaik. 
Von  0.  Kohl 252 

10.  Nachtrag  zu  S.  96  Anm.  18.    Von  Urlichs 255 

11.  Vierunddreissigste    Plenarversammlung    der   historischen    Com- 
mission  bei  der  kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften .    .    .    255 

rV.   Berichte. 
Die  Winckelmannsfeier  am  9.  December  1892.    Von  H.  Schaaff hau- 
sen, t 258 

General-Versammlung  des  Vereins  am  16.  Juni  1893 263 

General-Versammlung  des  Vereins  am  20.  Juni  1894 265 

V.   Verzeichnisß  der  Mitglieder 269 


L  Geschichte  und  Denkmäler. 
I.  Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  RSmischen  Reiche. 

Vortrag  zur  Winckelmannsfeier  am  9.  December  1893  in  Bonn. 

Von 
H.  Nissen. 


Am  9.  December  1843,  zwei  Jahre  nach  seiner  Gründung  hat 
der  Verein  von  Alterthumsfreunden  im  Rheinland  zum  ersten  Mal 
diesen  Geburtstag  gefeiert-,  A.  W.  v.  Schlegel  hielt  die  Fest- 
rede tlber  Winckelmanns  Verdienste  und  Stellung  zur  Gegenwart. 
Unserem  früheren  Vorsitzenden  war  es  vergönnt  wie  den  fünfzigsten 
Stiftungstag  so  auch  die  fünfzigste  Wiederkehr  der  Winckelmanns- 
feier zu  erleben.  Seiner  sei  am  heutigen  Abend  zunächst  gedacht: 
in  dankbarer  Treue  gedenken  wir  des  Mannes,  der  an  Jahren  ein 
Greis  die  Geistesfrische  eines  Jünglings  entfaltete,  der  mit  seiner 
warmen  Liebe  zur  rheinischen  Heimath,  seiner  Begeisterung  fttr  alles 
Edle  und  Schöne,  seiner  Herzensgüte,  seiner  rastlosen  Thätigkeit, 
in  jeder  Fiber  seines  Wesens  von  wahrer  christlicher  Frömmigkeit 
durchweht  und  getragen,  ein  Jahrzehnt  lang  unseren  Verein  geleitet, 
gestützt,  gehoben  hat.  Schaaffhausen  pflegte  die  Gedenkfeier 
mit  einem  Rückblick  auf  die  Fortschritte  der  Forschung  im  abge- 
laufenen Jahr  einzuleiten ;  besonders  gern  verweilte  er  bei  den  fried- 
lichen Erobenmgen,  die  die  Alterthumswissenschaft  in  feinen  unbe- 
kannten Ländern  gemacht  hatte.  In  der  That  ist  der  Verkehr  unserer 
Tage  der  mächtigste  Hebel  für  die  Förderung  archäologischer  Stu- 
dien geworden,  hat  ihre  Grenzen  immer  weiter  vorgerückt.  Wir 
beheiTschen  gegenwärtig  ein  Gebiet,  von  dessen  Ausdehnung  sich 
Eduard  Gerhard  nicht  hat  träumen  lassen,  als  er  zu  Nutz  und 
Frommen  der  Alterthumsfreunde  die  Gedenkfeier  Winckelmanns 
in  Italien  und  Deutschland  einbürgerte.     Mit  dem  äusseren  Umfang 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUerthsfr,  im  Rheiiil    XCV.  1 


S  H.   N  i  s  8  e  n  I 

siud  auch  die  Ziele  der  Altertliumsforschuiig  stetig  gewaebsen:  sie 
beschränkt  sich  nicht  auf  die  Entwicklung  der  schönen  Kunst,   die 
Kunst   kann   nur   im    Zusammenhang   mit   dem    Gesammtleben    der 
Völker  begriffen  werden,  sie  fasst  daher  die  ganze  Cultur  in's  Auge, 
dem  archäologischen  Spaten  verdankt  die  Weltgeschichte  die  wich- 
tigsten Aufschlüsse,   die   ihr   im  neunzehnten  Jahrhundert  zu  Theil 
geworden  sind.     Der  weite  Gesichtskreis  bedingt  es,   dass  die  ver- 
schiedensten Richtungen  in  der  Gemeinde  Winckelmanns  zusammen 
kommen   und   zusammen  arbeiten,   dass   ein  Naturforscher   wie  der 
verewigte  Schaaffhausen   neben  einem  Philologen,   ein  Kunstge- 
lehrter neben  einem  Historiker,  kurz  und  gut,  dass  Alle,  welche  die 
Gegenwart  aus  der  Vergangenheit  zu  erklären,    die  heutigen  Dinge 
durch  die  Betrachtung  ihres  Entstehens  und  Fortgangs  zu  begreifen 
suchen,   in   den  Reihen   der  Alterthumsfreunde    ihren  Platz   finden. 
In  diesem  allgemeinen  Sinne   möchte  ich   mir   erlauben,   Ihre  Auf- 
merksamkeit  auf  den  Zusammenhang  hinzulenken,   in   dem  unsere 
archäologischen  Studien   mit   der  grössten  Umwälzung  der  Neuzeit^ 
der  Erschliessung  Ostasiens  und   der  Entdeckung  Amerikas  stehen. 
Für   den  eifrigen  Zeitungsleser   bildet   die  Chinesenfrage   seit 
Jahren    eine   der  brennenden   Tagesfragen.     Der  Plantagenbau   in 
unserer  ostafrikanischen    Colonie   wird   mit   chinesischen  Kulis   be- 
trieben. Vor  ein  paar  Jahren  wurde  in  den  Kreisen  mecklenburgischer 
Grossgrundbesitzer   der  Vorschlag   laut,   dieselben   billigen  Arbeits- 
kräfte für  die  norddeutsche  Gutswirthschaft  einzuführen.    Nach  den 
in  Californien  und  Australien  gemachten  Erfahrungen  kann  man  nur 
dringend  wünschen,  dass  unser  Vaterland  von  derartigen  Versuchen 
verschont  bleiben  möge. '  Denn  wo  die  unheimlichen  Gäste  sich  ein- 
nisten,  wird  man  sie  nicht  wieder  los:  weder  durch  Gesetze  noch 
durch  rohe  Gewalt.  Der  weisse  Arbeiter  kann  den  Wettbewerb  des 
gelben  nicht  aushalten.    Schlauheit,  erbliches  Geschick  und  vor  allem 
eine   erstaunliche  Genügsamkeit   sichern   dem  Fremdling  eine   ent- 
schiedene Ueberlegenheit.     Weder  Lust  an  Abenteuern,   noch   Ab- 
neigung gegen  die  Heimath,  vielmehr  bittere  Noth  treibt  die  schlitz- 
äugigen bezopften  Söhne  des  himmlischen  Reiches  hinaus,   bei  den 
Barbaren  Verdienst  zu  suchen.     Ein  Reich   von  mehr  als  360  Mil- 
lionen ^   der  grössten  Menscheumasse,   die  je   ein  Staatswesen  um- 
schlossen hat,  mit  einer  Dichtigkeit  der  Bevölkerung,   die  nur  von 
unseren    Industriebezirken    erreicht    wird,    vermag    es    seine    Be- 
wohner  nicht  genügend   zu  ernähren.     So  innig   und  fest  auch  die 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Römischen  Reiche.  3 

Familenbande  sind,  so  sehr  alles  höhere  sittliche  Streben  von 
dem  Gedanken  beherrscht  wird  in  den  Nachkommen  fortzuleben, 
treiben  doch  viele  Gegenden  den  Kindermord  und  die  Obrigkeit 
drückt  ein  Auge  zu.  Von  Zeit  zu  Zeit  bricht  aus  den  nichtigsten 
Ursachen  ein  Bürgerkrieg  aus,  dem  Fieber  vergleichbar,  das  unver- 
sehens den  Körper  packt,  versetzt  das  ruhige  Volk  in  Raserei,  liefert 
Myriaden  auf  die  Schlachtbank.  Aber  die  Lücken  füllen  sich  rasch 
und  die  Volksmenge  ist  in  augenscheinlicher  Vermehrung  begriffen. 
Noch  vor  wenig  Jahrzehnten  war  die  Auswanderung  zur  See  durch 
Gesetz  und  Sitte  verboten.  Gegenwärtig  leben  bereits  3  Millionen  Chi- 
nesen in  überseeischen  Landein,  während  die  Zahl  der  in  China 
wohnenden  Weissen  keine  10000  erreicht.  Und  da  es  sich  bis  jetzt  nur 
um  den  Anfang  der  Auswanderung  handelt,  geben  die  angeführten 
Ziffern  zu  denken.  Wie  fernes  Wetterleuchten  das  kommende  Gewitter 
ankündet,  mögen  wohl  die  Chinesenhetzen  in  San  Francisco  als  Vor- 
boten eines  unabsehbaren  Kampfes  erscheinen,  den  einst  die  weisse 
und  die  gelbe  Race  mit  einander  auskämpfen  werden. 

In  titanenhaftem  Aufschwung  hat  die  europäische  Cultur  die 
Weltherrschaft  errungen.  Der  Osten  Asiens  rüstet  sich,  seinen  An- 
theil  an  der  Erde  Gutem  einzufordern ,  langjährige  schwere  Unbill  zu 
rächen.  Voller  Hass  und  Verachtung  schaut  der  gelbe  Mann  auf  den 
weissen,  ungefähr  mit  den  Gefühlen  wie  sie  ein  Burgherr,  dessen  Ahnen 
unter  Friedrich  Barbarossa  ins  Feld  zogen,  gegenüber  dem  Wucherer 
hegt,  der  ihm  die  Schlinge  um  den  Hals  wirft.  Der  Chinese  verfolgt  die 
Geschichte  seines  Volkes  mehr  als  vier  Jahrtausende  aufwärts,  druckte 
Bücher  zu  einer  Zeit,  als  über  unserem  Erdtheil  noch  völlige  Uu- 
mssenheit  ausgebreitet  lag,  kannte  den  Compass,  der  die  Entdeckung 
Amerikas  ermöglichte,  bald  nach  Christi  Geburt.  Seine  Annalen 
zeigen  ihm  einen  bunten  Wechsel  in  der  Vergangenheit :  Schmach, 
Demüthigung,  Fremdherrschaft  —  Glanz,  Ruhm,  Macht.  Warum 
sollte  er  nicht  auf  einen  Umschlag  des  Glückes  hoffen  ?  Sein  Stolz 
hat  sich  lange  gegen  das  Geständniss  gesträubt,  dass  die  heimische 
Technik  von  der  fremden  überflügelt  sei.  Aber  neuerdings  brechen 
sich  die  Ideen  der  Gegenwart  unwiderstehlich  Bahn,  die  Erfindungen 
des  Westens  treffen  auf  gelehrige  Schüler,  die  Anlage  eines  grossen 
Eisenbahnnetzes  steht  vor  der  Thür.  Und  da  das  Land  neben  der 
unerschöpflichen  Fruchtbarkeit  seines  Bodens,  neben  seinen  Menschen- 
massen, neben  seiner  uralten  Cultur  zugleich  über  die  mächtigsten 
Kohlenlager  der  Erde  verfügt,    mag  es  wohl  zu  einer  glänzenderen 


4  H.   N 1 8  fi  e  n  t 

Rolle  berufen   sein,   als   ihm    die  Welthändel  der  Neuzeit  bis  jetzt 
zugewiesen  haben. 

Ost  und  West,  Gegensätze  der  Raee,  Gegensätze  des  Glaubens, 
Empfindens  und  Denkens!  Zwei  Jahrtausende  sind  seit  ihrer  ersten 
Berührung  verflossen.  Die  Geschichte  der  schwankenden  Beziehungen 
von  den  Reisen  griechischer  Kaufleute  bis  zu  den  Opiumkriegen  der 
Engländer  füllt  ein  inhaltreiches  Buch.  Das  Anfangskapitel  wird 
von  der  Alterthumsforschung  geschrieben. 


1.  Chinesische  Funde  im  Westen.  In  den  30er 
Jahren  wurden  in  ägyptischen  Gräbern  aus  der  Pharaonenzeit  Por- 
cellanfläschchen  gefunden,  die  zweifellos  aus  China  stammten,  zum 
Theil  mit  chinesischen  Aufschriften  versehen  waren.  Der  Inhalt  war 
Schminke,  die  Waare  ziemlich  ordinär.  Aber  welch'  ein  grossartiger 
Ausblick  auf  uralten  Verkehr  des  Menschengeschlechts  wurde  uns 
dargeboten,  wenn  Rosellini  in  einem  uneröflFneten  Grabe  der 
18.  Dynastie  ein  solches  Fläschchen  auflFand,  wenn  also  die  Damen 
am  Nil  um  1500  vor  Christi  Geburt  die  Schminke  zum  Färben  ihrer 
Augenlider  vom  Gelben  Fluss  bezogen  *).  Leider  ist  der  schöne 
Traum  durch  die  unbarmherzige  Kritik  allmälich  in  sein  Nichts  auf- 
gelöst worden.  Die  Sinologen  erkannten  in  den  Aufschriften  Dichter- 
sprüche des  11.  und  12.  Jahrhunderts  n.  Chr.*),  die  Erfindung  des 
Porcellans  reicht  überhaupt  nicht  über  den  Anfang  des  7.  zurück  *), 
endlich  sind  es  gewöhnliche  Schnupftabaksfläschchen  und  den  Tabak 
haben  die  Chinesen  erst  im  17.  durch  die  Holländer  kennen  gelernt. 
Ja  unser  Landsmann  Hirth,  ein  ehemaliger   Schüler   Ritschis 


1)  Rosellini,  Monumenti  dell'  Egitto,  Pisa  1834.  II  2  p.  337.  Wil- 
kinson,  Manners  and  eustoms  of  the  ancient  Egyptians,  London  1842, 
IIP  p.  106. 

2)  Pauthier  in  Revue  arch^ologique  II  (1846)  p.  745. 

3)  Während  Stanislas  Julien  in  seinem  grundlegenden  Werk 
Histoire  et  fabrication  de  la  porcellaine  Chinoise;  Paris  1856,  die  Erfindung 
des  Materials,  das  für  die  chinesische  Kunst  die  gleiche  Bedeutung  ge- 
habt hat  wie  der  Marmor  für  die  griechische,  unter  die  Dynastie  Han 
(186  V.  —  87  n.  Chr.)  ansetzte,  wird  solche  von  F.  Hirth,  Ancient  Por- 
celain,  a  study  in  Chinese  medlaeval  industry  and  trade,  Journal  of  the 
China  brauch  of  the  Royal  Asiatic  society  XXII  (1887)  p.  129  f.,  bis  zum 
Anfang  des  7.  Jahrhunderts  herabgerückt  und  mit  den  Versuchen,  die 
Bereitung  des  hochgeschätzten  Glases  der  Mittelmeerländer  zu  entdecken, 
in  Verbindung  gebracht. 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Römischen  Reiche.  5 

und  Haupt S;  schliesst  aus  der  Arbeit,  dass  die  Gefässe  nach 
1820  gemacht  sind,  mithin  wenige  Jahre  alt  waren,  als  Bie  von  den 
pfiffigen  Arabern  in  die  ägyptischen  Grabkammern  hineingeschmug- 
gelt wurden*).  Ganz  der  nämliche  Betrug  ist  in  Assyrien  bei  den 
erfolgreichen  Ausgrabungen  Layards  1845  fg.  ins  Werk  gesetzt 
worden  % 

2.  Römische  Münzfunde  im  Osten.  Keinerlei  Be- 
denken unterliegt  die  Nachricht  von  der  Auffindung  römischer  Kaiser- 
münzen im  nördlichen  China.  Ungefähr  vor  60  Jahren  kamen  in  der 
Provinz  Shansi  16  Münzen  aus  verschiedenen  Regierungen  von  Ti- 
berius  bis  Aurelian  zu  Tage  und  durch  Ankauf  in  den  Besitz  eines 
Bankiers  von  Shanghai.  Die  Sache  blieb  unbeachtet  und  ist  erst 
neuerdings  an's  Licht  gezogen  worden^).  Begreiflicherweise  ist  es 
als  seltener  Glücksfall  anzusehen,  wenn  in  so  fernen,  unserer  wissen- 
schaftlichen Polizei  entrückten  Gegenden  derartige  Thatsachen  zur 
Kenntniss  gebildeter  Europäer  gelangen.  Indessen  steht  jener  chi- 
nesische Fund  keineswegs  allein.  In  Cochinchina  tauchte  vor  30 
Jahren  ein  Grosserz  Maximins  I.  auf),  bei  Kalkutta  ein  grosser  Schatz 
von  Goldmünzen  aus  der  späteren  Kaiserzeit®).  Zahlreich  kommen 
dieselben  auf  Ceylon  und  an  der  Westküste  Vorderindiens  zum  Vor- 
schein^), urkundliche  Zeugen  von  den  alten  Handelsverbindungen 
der  Römer,  wie  die  im  Umkreis  der  Ostsee  gemachten  Funde.  Der 
Luxus,  die  Verfeinerung  der  Sitten  im  Kaiserreich  hatte  nahezu 
zwei  Drittel   der  östlichen  Erdhälfte   ihren  Zwecken   dienstbar  ge- 


4)  F.  Hirth  ,  die  chinesische  Porzellanindustrie  im  Mittelalter,  Chines. 
Stildien  I  p.  47,  München  und  Leipzig  1890. 

5)  Layard,  Ninive  and  Babylon  p.  279,  London  1853.  Layard  be- 
handelte die  Sache  kaltblütig  und  wollte  die  Fläschchen  frühestens  arabi- 
schem Import  des  8.  oder  9.  Jahrhunderts  zuweisen. 

6)  Mir  nur  bekannt  durch  die  Notiz  in  The  Academy  1886  no.  730 
p.  3J6. 

7)  Revue  numismatique  N.  S.  IX  (1864)  p.  481. 

8)  Cunningham,  Archeological  survey  of  India  XIII  p.  72,  Cal- 
cutta  1871  f.  vgl.  II  148.  162. 

9)  Grosser  Fund  von  Goldmünzen  (Augustue  bis  Caracalla)  bei  Telii- 
chery  an  der  Malabarküste,  Journal  of  the  Asiatic  society  of  Bengal  XX 
(1851)  p.  371,  Sitzungsber.  der  ph.  bist.  Gl.  d.  Wiener  Ak.  IX  (1852)  p.  573. 
Andere  Funde  sind  zusammengestellt  von  Mommsen,  Rom.  Münzwesen 
p.  726,  FriedlÄnder,  Repertorium  p.  388,  Lassen,  Ind.  Alterthums- 
kunde  III  p.  82. 


6  H.    Nissen: 

macht.  Die  Händler  zogen  bis  zum  Polarkreis  um  die  weichen 
Daunen  der  Eidergänse  ^^),  nach  Ostpreussen  um  Bernstein  *^),  nach 
den  Nilseen  um  Elfenbein  zu  holen  ^*),  zogen  nach  Indien  und 
schliesslich  nach  China. 

3.  Wege  nach  China ^*).  Zwei  Wege  standen  vom  Mittel- 
meer nach  China  offen:  der  Land-  und  der  Seeweg.  Der  letztere 
ist  heutigen  Tages  der  leichtere,  im  Alterthum  der  schwierigere. 
Wenn  unsere  Dampfer  die  Reise  von  Suez  nach  Hongkong  in  24 
Tagen  zurücklegen,  so  brauchte  ein  antikes  SchiflF  ebenso  viel  Mo- 
nate wie  der  Dampfer  Tage;  noch  im  13.  Jahrhundert  unserer 
Zeitrechnung  war  Marco  Polo  auf  der  Heimreise  von  China  nach 
Venedig  3  Jahre  unterwegs.  Viel  eher  Hess  sich  die  Verbindung 
zu  Lande  herstellen.  Aber  sie  führt  hunderte  von  Meilen  durch  die 
centralasiatische  Wüste,  dm-ch  unfnichtbare  wasserarme  Steppe,  über 
welche  eisige  Nordstürme  fegen ,  wo .  der  schaurige  Winter  oft  bis 
Ende  Juni  anhält.  Sesshaftes  Leben  ist  hier  vielfach  ausgeschlossen. 
Reiterhorden  ziehen  unstät  umher.  Dies  ist  die  Heimath  der  Skythen, 
Saken^  Hunnen,  Mongolen,  Türken,  jener  Horden,  die  in  den  ver- 
schiedensten Epochen  der  Geschichte  vernichtend  in  das  Reich  der 
Gesittung  eingebrochen  sind.  Das  zweihöckrige  baktrische  Kameel, 
das  10 — 14  Tage  ohne  Speise  und  Trank  aushält,  konnte  den  Rei- 
senden allerdings  durch  die  Wüste  Gobi  hindurch  tragen,  aber  er 
brauchte  ausserdem  einen  starken  Arm  und  einen  klugen  Kopf,  um 
sich  vor  den  Wegelagerera  zu  schützen.  Nur  die  Aussicht  auf  hohen 


10)  Plin.  N   H.  X  54  IV  104. 

11)  Pliu.  N.  H.  XXXVII  45. 

12)  Kürzlich  ging  die  Nachricht  durch  die  Zeitungen,  dass  bei  Ma- 
tadi  am  Coiigo,  150  km  oberhalb  der  Mündung  in  1  m  Tide  eine  kleine 
Silbermünze  Traians  gefunden  worden  sei.  Wenn  man  sich  vergegen- 
wärtigt, dass  die  Kenntniss  der  Nilseen  zur  Kaiserzeit,  wie  sie  auf  den 
Karten  des  Ptolemaeos  vorliegt,  von  der  neueren  Forschung  erst  in  den 
sechsziger  Jahi*en  erreicht  und  übertroffen  worden  ist,  so  wird  man  Be- 
denken tragen,  der  Nachricht  von  vornherein  den  Glauben  zu  versagen. 
Warum  sollte  nicht  in  Folge  des  Elfenbeinhandels  eine  römische  Münze 
an  den  Congo  gelangt  sein  kmmen? 

13)  F.  V.  Richthof en,  China  I  p.  444  f.  Berlin  1877.  Ders.  Ueber 
den  Seeverkehr  nach  und  von  China  im  Alterthum  und  Mittelalter,  Verh. 
d.  Ges.  f.  Erdk.,  Berlin  1876,  ITI  p.  86.  Ueber  die  centralasiatischen  Seiden- 
strassen, ebd.  IV  p.  96, 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Komischen  Reiche.  7 

Gewinn   konnte  zu  einem  Wagniss   verlocken,   dessen   Grösse  wir 
leicht  unterschätzen. 

4.  Seidenbau  in  China  ^^).  Der  Verkehr  z^vischen  China 
und  dem  Westen  ist  im  Alterthum  eingeleitet  und  unterhalten  worden 
wegen  eines  Artikels,  in  dessen  Erzeugung  China  noch  immer  den 
obereten  Rang  auf  dem  Weltmarkt  behauptet,  wegen  der  Seide  *^). 
Es  giebt  in  China  und  Japan,  wie  in  Indien  und  Vorderasien  mehrere 
Gattungen  von  Raupen,  die  bei  ihrer  Verpuppung  ein  Gespinnst  her- 
vorbringeu,  das  abgelöst  und  verwebt  werden  kann.  Bei  der  hohen 
Vollendung,  zu  welcher  die  Kunstweberei  frühzeitig  in  Vorderasien 
gelangte,  ist  man  auf  diesen  Stoflf  aufmerksam  geworden;  Aristoteles 
im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  kennt  eine  blühende  Industrie,  die  ihn 
verarbeitet,  auf  Kos,  einer  griechischen  Insel  an  der  Küste  Klein- 
asiens ^^).  Indessen  kann  sich  das  Gespinnst  der  auf  Eiche,  Esche, 
Cypresse,  Terpentinbaum  lebenden  Arten  weder  an  Glanz  noch  an 
Feinheit  mit  der  auf  dem  Maulbeerbaume  lebenden  Raupe  messen. 
Letztere  ist  die  eigentliche  Seidenraupe,  von  ihr  stammt  die  weisse 
glänzende  Seide.  Freilich  muss  die  Kunst  eingreifen.  Wenn  man 
den  Schmetterling  ausschlüpfen  lässt,  so  zerreisst  er  die  ihn  um- 
gebenden Hüllen,  die  Fäden  können  nicht  mehr  abgewickelt  werden, 
es  bleibt  nichts  übrig,  als  die  leeren  Hüllen  zu  kämmen,  zu  spinnen 
und  so  jenen  minderwerthigen  Stoflf  zu  erzielen,  den  die  Franzosen 
galette  nennen,  um  die  Cocons  unversehrt  zu  erhalten,  das  Gespinnst 
in  ursprünglicher  Feinheit  und  Schönheit  abzuhaspeln,  muss  die 
Puppe  durch  Anwendung  starker  Hitze  getödtet  werden.  Dies  hat 
eine  Kaiserin  von  China  ausfindig  gemacht,  angeblich  2700  Jahre 
vor  Christi  Geburt.  Die  dankbare  Nachwelt  versetzte  sie  unter  die 
Sterne  und  verehrt  sie  seitdem  am  Himmel  unter  dem  Zeichen  des 


14)  E.  Pariset,  Histoire  de  la  soie,  2  v.,  Paris  1862  f.  Der  Ver- 
fasser als  ehemaliger  Seidenfabrikant  in  Lyon  redet  mit  seltener  Sach- 
kunde. J.  Yates,  Textrinum  antiquorum,  an  account  of  the  art  of  wea- 
ving  among  the  ancients  I  p.  160,  London  1843.  C.  Bitter,  Erdkunde 
VIII  p.  679. 

15)  Ueber  Chinas  Handelsverhältnisse  s.  Hirth,  Studien  I  p.  102, 
Die  beiden  wichtigsten  Ausfuhrartikel  sind  Seide  und  Thee :  der  Werth 
der  1891  ausgeführten  Seide  betrug  37,  des  Thees  31  Millionen  Taels. 

16)  Arist.  bist.  anim.  V  19,  6,  daher  Pliii.  N.  H.  XI  76  vgl.  IV  62. 
Die  Alten  unterschieden  vestes  Coae,  bombycinae  und  sericae,  die  an 
zweiter  Stelle  genannte  Seide  stammt  aus  Assyrien  und  scheint  gelb  ge- 
wesen zu  sein,  vgl.  Marquardt,  Privatleben  der  Homer  p,  476  f, 


8  H.   Nissen: 

Scorpion  als  Gehius  der  Maulbeerbäume  und  Seidenwtirmer.  Die 
Seidenzucht  ist  immer  eifrig  vom  kaiserlichen  Hofe  betrieben  worden, 
auf  seine  Mitglieder  beschränkt  sich  ursprünglich  die  seidene  Tracht 
und  gewinnt  langsam  in  den  höheren  Schichten  der  Gesellschaft 
Aufnahme.  Ihre  Heimath  ist  der  Norden  des  Landes,  die  Provinzen 
nördlich  vom  Gelben  Fluss.  Sobald  die  Seide  ausgeführt,  von  fremden 
Völkern  hoch  geschätzt  und  theuer  bezahlt  wurde,  nahm  die  Zucht 
dauernd  an  Umfang  und  Bedeutung  zu. 

5.  Einfuhr  und  Verbrauch  der  Seide*').  Wie  früh 
die  Seide  auf  dem  Wege  des  Tauschhandels  nach  Vorderasien  ge- 
langte, ist  nicht  zu  sagen.  Möglichenveise  wird  sie  bereits  im  6.  Jahr- 
hundert V.  Chr.  vom  Propheten  Ezechiel  erwähnt  **).  Der  erste 
Grieche,  der  sie  nennt,  ist  Nearchos,  der  Admiral  Alexanders  d.  Gr. ; 
in  Indien  war  sie  ihm  unter  ihrem  heimischen  Namen  bekannt  ge- 
worden *^).  Den  Chinesen  heisst  Seide  Sse  mit  dem  gewöhnlichen 
Affix  ör  Sser  oder  Ssir  und  dies  Wort  ist  mit  dem  Gegenstand  weit 
gewandert  *^).  Die  Griechen  entlehnen  oriQ  in  der  Bedeutung  Seiden- 
wurm, leiten  davon  otjqmov  für  das  Gespinnst  ab  und  bilden  einen 
Volksnamen  Zrjgeg,  die  Seidenmänner  oder  Seidenhändler,  diejenige 


17)  Pardessus,  Memoire  sur  le  commerce  de  la  soic  chez  les  an- 
ciens,  Memoires  de  l'acad.  des  inscr.  XV  (1842)  p.  1—47.  M.  Reinaud, 
Relations  politiqucs  et  commerciales  de  Tempire  Romain  avee  TAsie  Orien- 
tale pendant  les  cinq  premiers  sieclcs  de  Vtre  chretienne,  Paris  1863:  mit 
grosser  Vorsicht  zu  benutzen. 

18)  Ezech.  16,  10.  13  meschi,  von  den  hebräischen  Auslegern  durch 
Seide  erklärt,  in  der  Septiiaginta  tgi^cuztov  Haartuch  tibersetzt:  Kamp- 
hausen (in  Rieh  ms  Handwörterbuch  des  bibl.  Alterth.,  Leipzig  1884  unter 
Seide)  weist  darauf  hin,  das»  letztere  Bezeichnung,  ähnlich  wie  seta,  saeta 
serica,  auf  Seide  wegen  deren  unübertrefflicher  Feinheit  und  Festigkeit 
sehr  gut  passe  und  ist  geneigt,  diesen  Stoff  in  der  That  als  den  vom 
Propheten  gemeinten  zu  betrachten.  Die  Erklärung  der  Herodot  I  135, 
Xen.  Kyrop.  VIU  1,  40  und  somst  erwähnten  medischen  Kleidung  als 
seidener  wird  vor  Procop  b.  Pers.  I  20,  b.  Vand.  U  6  nicht  ausdrücklich 
ausgesprochen. 

19)  Nearch  bei  Strab.  XV  693  (fr.  8  Müller).  Der  unerklärte  Name 
der  Rohseide  metaxa  wird  von  Lucilius  gebraucht  Fest.  265  M.  lini  me- 
taxa.  Beim  Untergang  des  Crassus  führen  die  Parther  seidene  Fahnen, 
Flor.  I  46,  8,  bei  den  Spielen  Cäsars  46  v.  Chr.  werden  seidene  Sonnen- 
segel aufgespannt,  Dio  XUII  24. 

20)  Klaproth,  Sur  les  noms  de  la  Chine,  Mem.  rel.  k  l'Asie  HI 
p.  257,  Paris  1828.   Ders.  u.  Remusat,  Journal  Asiatique  II  (1823)  p.  243. 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Römischen  Reiche.  9 

Bezeichnung;  welche  flir  die  Chinesen  im  Alterthum  bei  Griechen 
nnd  Römern  üblich  geblieben  ist.  Die  Züge  Alexanders  nach  Indien 
und  zu  den  Steppen  Centralasiens  erschlossen  dem  Abendland  eine 
neue  Welt,  eröflneten  dem  Handel  neue  Wege,  der  Industrie  neue 
Bezugsquellen^^).  Wie  seitdem  der  indische  Elephant  zum  regel- 
mässigen Bestand  der  Armeen  gehört,  indische  Droguen  in  die  Apo- 
theke, indische  Gewürze  in  die  Küche  eindringen,  so  gewinnt  die 
Baumwolle  Indiens  und  die  Seide  Chinas  in  der  Manufactur  eine 
stetig  zunehmende  Verwendung.  In  den  Städten  Syiiens  klein  und 
gross,  vor  allem  dem  altberühmten  Tyros**),  sodann  in  Aegypten 
in  dem  rasch  aufblühenden  Alexandria**),  des  grossen  Königs 
zukunftsreicher  Gründung  schlägt  Weberei,  P^ärberei,  Stickerei, 
kurz  und  gut  was  wir  Modeindustrie  nennen,  ihren  Sitz  auf.  Hier 
wird  die  feine  weisse  Seide  Chinas  verarbeitet.  Der  Transport  ver- 
theuerte  sie  in  dem  Masse,  dass  sie  noch  im  3.  Jahrhundert  unserer 
Zeitrechnung  mit  Gold  aufgewogen  wurde**).  Bei  einem  Preis,  der 

21)  Polyb.  III  59  iv  Sh  xoTg  xaS^  fffiäg  (xaigoig)  t&v  fiev  xatä  xrp^  'Aalav 
Sia  jrjv  ^AXß^dvÖQOv  öwaoTelav  iGfv  Sh  Xoin&v  tdstcov  Sia  tfjv  'Pco/iaitov  tmegoxffv 
üxeddv  üOtdvTOOv  JtXancäv  xou  JioQevt&v  ysyovototv, 

22)  Blüm n er,  Die  gewerbliche  Thätigkeit  der  Völker  d.  klass. 
Alterth.,  Leipzig  1869,  p.  18  f.  Tyros  mit  höheren  Häusern  als  Rom  hat 
die  berühmtesten  Färbereien  der  Welt,  Strab.  XVT  756  f.  Plin.  N.  H.  V  76, 
IX  136  f.  Sidon.  Ap.  carm.  V  47.  Es  unterhält  Factoreien  in  Rom  und 
dem  Haupthafen  Italiens,  Puteoli  (Kaibel  inscr.  830  CIL.  X  1601).  In 
der  um  350  verfassten  expositio  totius  mundi  c.  24  (Riese,  Geogr.  Lat. 
min.  p.  109)  heisst  es :  Tyrus  omnium  negotium  ferventer  agens  raagnifice 
felix  est;  nulla  enim  forte  civitas  orientis  est  eius  spissior  in  negotio; 
et  divites  vires  habens  et  potentes  in  omnibus.  Ueber  die  Verbreitung 
der  syrischen  Kaufleute  im  römischen  Reich  vgl.  Friedländer,  Sitten- 
geschichte II ö  p.  78,  Mommsen  R.  G.  V  p.  467.  Die  Seidenmanufaktur 
in  Tyros  wird  durch  das  von  Justinian  eingeführte  kaiserliche  Monopol 
zu  Giomde  gerichtet,  Prokop  bist.  arc.  25  tfidzia  rä  ix  fisrd^rjg  h  BijQvt^ 
fikv  xai  TvQO)  JtoXsai  rm^  ijri  ^tvixijs  Eqyd^ea^ax  ix  szaXaiov  elto^ei,  oX  te  zovxcov 
iftJtOQol  TS  xai  istidtjfiiovQyoi  xai  texvTtai  evtair&a  to  dvexa^ev  <pxow,  ivdhrde  te 
ig  yfjv  avaoav  tpigeadai  to  iftJidXfffia  xovzo  ^wsßatvev,  istl  6h  ' lovöuviavoi)  ßaat- 
XsvovTog  ol  ini  xauif}  xfj  iQyaaiq  h  xe  BvCavxlq)  xai  ndXeoi  xalg  äXlatg  Svxeg 
ditcox$Qav  djteSiSovxo  xrjv  io^xa  xavxrjv  xxX.  Uebrigens  ist  die  Ableitung  des 
Wortes  Seide  ahd.  stda  vom  Stadtnamen  Sidon  irrig,  s.  Diez,  Etym. 
Wörterbuch  d.  roman.  Spr.  u.  Seta. 

23)  Uebei^dle  berühmte  Weberei  und  Buntwirkerei  Alexandrias 
Blümner  a.  0.  p.  15.  Die  Einfuhr  seidener  Gewebe  und  Garne  bezeugt 
der  Periplus  mar.  erythr.  56,  vgl.  39.  49.  64,  ihre  Verarbeitung  Lucan  X  141. 

24)  Vopisc.  Aurelian  45;  5  vestem  holosericam  neque  ipse  in  vestiario 


10  H.  Ni8sen: 

mindestens  das  ftinfzigfache  des  heutigen  betrug,  dachten  die  Alten 
nicht  daran,  die  fertigen  chinesischen  Zeuge  zu  tragen,  vorausgesetzt 
dass  sie  überhaupt  ihrem  Geschmack  zugesagt  hätten.  Sondern  ent- 
weder wurden  Garne  bezogen  oder  die  fertigen  Zeuge  aufgetrennt, 
gefllrbt  und  mit  Leinen,  Wolle,  Baumwolle  und  anderen  Stoffen  neu 
verwebt  2^).  Leichte  bunte  Musseline  und  Gazen  sind  zu  verstehen, 
wenn  die  alten  Schriftsteller  von  serischen  seidenen  Kleidern  reden. 
Diese  Industrie  erobert  den  Markt  und  beherrscht  die  Mode  bis  zum 
Ausgang  des  Alterthums.  Die  fliessende  durchseheinende  Gewandung, 
welche  manche  Statuen  der  römischen  Epoche  auszeichnet,  gewährt 
uns  eine  Anschauung  von  der  gefalligen  Anmuth,  die  der  Mode  inne- 
wohnte. Natürlich  werden  auch  in  der  Litteratur  vielfache  Klagen 
laut  über  den  unsinnigen  Aufwand,  den  sie  forderte.  Unter  den 
höchsten  Kostbarkeiten  zählt  die  Offenbarung  Johannis  Purpur  und 
Seide  neben  Gold  und  Silber,   Perlen  und  Edelsteinen  auf*^).    Mit 


SUD  habuit  neque  alteri  uteudam  dedit.  et  cum  ab  eo  uxor  sua  peteret 
ut  unico  pallio  blatteo  serico  uteretur,  ille  respondit:  „absit  ut  auro  fila 
pensentur".  libra  enim  auri  tunc  libra  serici  fuit.  Darnach  kommt  das 
Gramm  auf  annähernd  3  Mk.  Genauere  Preise  enthält  der  Maximaltarif 
Diocietians  23.  24;  darnach  kostet  das  Pfund  (327  gr)  chinesische  Roh- 
seide 12  000  Denar  219  Mk.,  aber  in  bestem  Purpm*  gefllrbt  /lexa^aßXdxrti 
150  000  Denar  2740  Mk.  Kaiser  Justinian  bestimmte  das  Pfund  Rohseide 
unter  dem  Einkaufspreis  zu  8  Aurei  lOlVa  Mk.,  und  ging  nach  Vernichtung 
des  Privathandels  und  Einführung  des  Monopols  auf  72  Aurei  914  Mk.,  für 
gefärbte  Seide  auf  4  Pfund  Gold  3654  Mk.  in  die  Höhe,  Prokop  bist, 
arc.  25. 

25)  Das  Auftrennen  der  chinesischen  Zeuge  wird  erwähnt  Lucan 
X  141,  Plin.  N.  H.  VI  54,  XI  76,  vgl.  Marquardt,  Privatl.  p.  480  A.  4, 
ausserdem  aber  durch  chinesische  Berichte  bestätigt.  Nach  der  Ueber- 
setzung  Hirths  (in  der  A.  51  augeführten  Schrift)  heisst  es  in  dem  vor 
429  n.  Chr.  verfasstcn  Bericht  P.  45:  further  they  were  always  anxious 
to  get  Chinese  silk  for  severing  it  in  order  to  make  hu-ling  [foreign  da- 
mask,  ganze?],  for  which  reason  they  frequently  trade  by  sea  with  the 
countries  of  An-hsi  [Parthia].  Damach  in  Q.  28:  they  always  made  profit 
by  obtaining  the  thick  piain  silk  stuffs  of  China,  which  they  split  in  order 
to  make  foreign  ling  kan  w6n  [foreign  damask-ling  and  purple  dyed-kan- 
mustered  goods-wön-?],  and  they  entertained  a  lively  trade  with  the  foreign 
States  of  An-hsi  [Parthia]  by  sea,  vgl.  Hirth  a.  0.  p.  257  f.  Es  ist  nicht 
recht  ersichtlich,  warum  das  Auftrennen  von  Blümnoii^  der  Maximal- 
tarif des  Diocletian  p.  162  (ohne  die  chinesischen  Zeugnisse  zu  erwähnen) 
und  vorher  von  Oberst  Yule,  Cathay  I  Einl.  p.  154  in  Zweifel  gezogen  wird. 

26)  Apok.  18,  12  mit  vollem  Recht  nach  den  Preisangaben  A.  24. 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Römischen  Reiche.  11 

dem  Verfall  der  Republik  gi-eift  der  Luxus  in  Rom  um  sich.  Die 
Anhänger  der  alten  einfachen  Sitten  mochten  noch  so  heftig  gegen 
die  neue  Mode  donnern,  sie  unanständig ,  schamlos  schelten,  die 
bunte  Halbseide  gewinnt  dem  schlichten  weissen  Wollkleid  unauf- 
haltsam den  Boden  ab^^).  Unter  Kaiser  Augustus  wird  sie  hof- 
fähig*®). Ja,  die  Männerwelt  missgönnt  den  Frauen  den  alleinigen 
Besitz  der  Seidenstoffe,  bald  kleiden  sich  auch  die  Stutzer  von  Rom 
in  Seide  und  das  schien  ein  wahrer  Scandal.  Kaiser  Tiberius  er- 
liess  gegen  solche  Unsitte  ein  strenges  Verbot,  aber  sein  Nachfolger 
Caligula  legte  selbst  die  verpönte  Tracht  an  *^).  Das  Beispiel  Roms 
wurde  von  den  übrigen  Städten  des  Westens  ^^),  das  Beispiel  der 
höheren  Stände  von  den  unteren  nachgeahmt**).  Derart  steigert 
sich  die  Nachfrage  in  erstaunlichem  Masse  und  vermehrt  die  Ein- 
fuhr aus  China  in  einem  Umfang,  der  bis  dahin  unerhört  gewesen 
war  '*). 

6.   Erleichterung  des  Verkehrs.     Verschiedene  Um- 


27)  Seneca  exe.  controv.  11  7,  Seneca  Ep.  90,  20,  Dial.  XII  16,  4, 
Benef.  VII  9,  5,  Plin.  N.  H.  VI  54,  XI  76  f.,  XII  2.  84,  Martial  VIII  68,  7, 
Horaz  Sat.  I  2,  101,  Solin  50,  3,  Dio  XLIII  24. 

28)  Die  Inschrift  Thymele  Marcellae  siricaria,  die  sich  auf  Agrippas 
Gemahlin  oder  Schwägerin  bezieht,  CIL.  VI  2,  9892  lehrt,  dass  die  vor^ 
nehmen  Damen  eigene  Beschliesserinnen  für  ihre  seidene  Garderobe 
hatten.  Vom  Hofe  wird  das  späterhin  erwähnt  Martial  XI  8,  5,  Capit. 
M.  Ant.  Phil.  17,  4. 

29)  Tacit.  Ann.  II  33,  Dio  LVII  15,  Plin.  N.  H.  XI  78.  -  Dio  LIX  26» 
Suet.  Cal.  52. 

30)  Am  Ausgang  des  zweiten  Jahrhunderts  empfiehlt  Galen  X,  942 
Kühn  seinen  ausserhalb  Roms  prakticir enden  Collegen  Ttageaxevda&co  t<S>v 
vrifidroDv  n  rtov  arjQixcw  dyofia^ofiivcav,  syovöi  yäg  ai  jiiovtuai  ywaiksg  avxa  nok- 
Xaxo&i  trjg  vno  'Pcjfiaioyv  oiqx^Sj  >tai  fiaXiOxa  h  fieyaXaig  Tiöieaiv  h  alg  etat  TfoXXcu, 
uov  TOtovTCOv  ywaixcäv. 

31)  Am  Ausgang  des  vierten  Jahrhunderts  schreibt  Ammian  XXIII 
6,  67  neiitesque  subtegmina  conficiunt  sericum  ad  usus  antehac  nobilium, 
nunc  etiam  inümorum  sine  ulla  discretione  proficiens. 

32)  Als  einen  Anhalt  für  die  Zunahme  der  Einfuhr  dient  der  Um- 
stand, dass  ganzseidene  Kleider  erst  im  dritten  Jahrhundert  von  den 
Kaisern  getragen  wurden.  Lamprid.  Heliogabal  26,  1  primus  Romanorum 
holoserica  veste  usus  fertur,  cum  iam  subsericae  in  usu  essent.  Alex. 
Sev.  40,  1  vestes  sericas  ipse  raras  habuit,  olosericam  numquam  induit, 
subsericam  numquam  donavit.  üeber  Aurelian  A.  24.  Vopisc.  Tac.  10,  4 
holosericam  vestem  viris  onmibus  interdixit,  vgl.  Gothofr.  Cod.  Theod, 
XV  9,  1,  Cod.  Justin.  XI  9, 


12  H.   Nissen: 

stände  trafen  zusammen ,  nm  seit  Errichtung  der  Monarchie  einen 
Welthandel  ins  Leben  zu  rufen,  dessen  Grossartigkeit  im  ganzen 
Mittelalter  nicht  wieder  eiTcieht  worden  ist.  Das  Reich  der  Cäsaren 
erstreckt  sich  von  der  Nordsee  bis  an  die  Sahara,  vom  Atlantischen 
Ocean  bis  an  den  Euphrat:  ein  Gebiet  von  70 — 80  000  deutschen 
Quadratmeilen,  gut  geordnet,  gut .  verwaltet,  der  Segnungen  des 
Friedens  froh.  Der  Kaiser  von  Rom  ist  der  mächtigste  Fürst  auf 
Erden:  dies  erkennen  die  anderen  Könige  widerstrebend  an.  Auch 
der  Nachbar  am  Euphrat,  der  König  der  Parther  muss  sich  solchem 
Geständniss  bequemen.*  Die  Parther  haben  das  alte  Perserreich, 
wenngleich  in  geschmälertem  umfang,  erneuert.  Im  Osten  und 
Norden  vertheidigten  sie  ihren  Besitzstand  mühsam  gegen  Skythen 
und  Saken,  jene  Reitervölker  der  Steppe,  deren  ich  früher  gedachte: 
ein  Kampf  der  Gesittung  gegen  die  Barbarei,  ähnlich  wie  er  von 
China  geführt  wurde.  Um  212  v.  Chr.  erbaute  Kaiser  Shi-hwang-ti 
zum  Schutze  seines  Reichs  die  grosse  2450  Kilometer  lange  Mauer, 
das  grösste  Bauwerk  auf  Erden,  die  1400  Jahre  hindurch  die 
Einfalle  der  Mongolen  abgewehrt  hat.  Die  nachfolgenden  Kaiser 
dehnten  ihre  Herrschaft  über  das  Tarymbecken,  das  ungeheure 
Steppengebiet  zwischen  Kuen-lün  und  Thianschangebirge  aus.  Ihre 
WaflFen  drangen  vorübergehend  bis  an's  Kaspische  Meer.  So  ar- 
beiteten Parther  und  Chinesen  einander  in  die  Hände  und  es  ent- 
wickelt sich  zwischen  beiden  Völkern  ein  reger  und  verhältniss- 
mässig  sicherer  Verkehr.  Baktra  j.  Balkh  am  Oxus  j.  Amu  Darja 
und  Alexandria  mit  dem  Beinamen  das  äusserste  am  Jaxartes  j.  Syr 
Darja  sind  die  Ausgangspunkte  der  Carawancn,  die  durch  die  Wüste 
Gobi  nach  Nordchina  ziehen,  um  dort  Seide  einzukaufen.  Eine 
directe  Landverbindung  zwischen  dem  Römerreich  und  China  gibt 
es  nicht  3^):  die  Parther  hatten  die  Vermittlung  und  vom  Transit 
der  chinesischen  Waare  erklecklichen  Nutzen. 

7.   Serika.    Seit  Emchtung  der  Monarchie  wird  der  Name 
der  Seres  oder  Chinesen  den  Ohren  der  Römer   geläufig  3*).    Nicht 


33)  Um  568  sperrten  die  Perser  die  Seidendurchfuhr  vollständig,  die 
Türken  eröffneten  eine  directe  Verbindung  mit  Byzanz,  wahrscheinlich 
nördlich  vom  Kaspischen  Meer,  die  nach  einigen  Jahrzehnten  mit  dem 
Verfall  der  türkischen  Herrschaft  wieder  aufgegeben  wurde,  s.  die  an- 
ziehenden Berichte  Mcnander  fr.  18—22,  Theophanes  3  Dind.  Theophy- 
laktos  VII  9. 

34)  Augustus,  der  wie  der  alte  Cato  haud  sane  detractator  laudum 


Der  Verkehr  zwischen  China  Und  dem  Römischen  Reiche.  13 

dass  man  in  Rom  etwas  Gescheutes  von  ihnen  zn  erzählen  gewusst 
hätte.  Sie  wohnen,  heisst  es,  an  den  Grenzen  der  Erde,  werden 
über  200  Jahre  alt,  haben  rothe  Haare,  blaue  Augen,  eine  längere 
Statur  als  gewöhnliche  Menschen:  lauter  Angaben,  die  auf  reiner 
Einbildung  oder  Missverständniss  bemhen.  Vereinzelt  taucht  die 
richtige  Ansicht  auf,  die  Seide   sei  das  Gespinnst  einer  Raupe '^); 


suarum  war,  rühmt  sich  in  seiner  Grabschrift  c.  31  öfters  von  Königen 
Indiens  Gesandte  empfangen  zu  haben,  was  keinem  römischen  Beamten 
vorher  widerfahren  sei,  fügt  auch  noch  unbestimmt  c.  32  hinzu  plurimaeque 
aliae  gentes  expertae  sunt  populi  Roniani  fidem  me  principe,  quibus  autea 
cum  populo  Romano  nuUum  extiterat  legationum  et  amicitiae  commercium. 
Aber  wenn  höfische  Dichter  und  Geschichtschreiber  von  Gesandtschaften 
der  Serer  oder  Kriegszügen  gegen  die  Serer  reden,  so  ist  das  lediglich 
rhetorischer  Bombast,  der  die  Beschränktheit  des  hauptstädtischen  Ge- 
sichtskreises wiederspiegelt:  Horaz  Od.  1 12, 56,  11129,27,  IV  15, 23,  Properz 
V  3,  8  (wo  Sericus  zu  lesen  sein  wird,  cod.  Neap.  Hericus),  Lucan  I  19, 
Juvenal  6,  403,  Flor.  II  34,  Vopisc.  Aurel.  41,  10,  Claudian  8,  258.  Solche 
Aeusserungen  ernsthaft  nehmen,  heisst  ihnen  viel  zu  hohe  Ehre  erweisen. 
Der  Aufschwung  des  indischen  Handels  hat  die  halb  verschollenen,  mär- 
chenhaften Länderbeschreibungen,  die  nach  den  Alexanderzügen  in's 
Kraut  Schossen,  den  Zeitgenossen  des  Augustus  in  Erinnerung  gebracht: 
erwähnt  werden  Amometos,  der  unter  dem  ersten  Ptolemäer  schrieb  (Plin. 
N.  H.  VI  55,  Susemi  hl  Gesch.  d.  gr.  Litt.  I  323)  und  Isigonos  von  Nikaea 
älter  als  Varro  (Plin.  VII  27  Susemi  hl  I  480).  Auf  diese  Gewähramänner 
geht  die  Fabel  von  der  Langlebigkeit  der  Seren  (Strab.  XV  701.  2  [Lu- 
cian]  Makr.  5,  Eustath  zu  Dion.  P.  752),  die  Beschreibung  von  dem  schweig- 
samen Handelsverkehr  in  der  Wüste  (Mela  III  60,  Plin.  VI,  54)  u.  ähnl. 
zurück.  Als  Diodor  schrieb,  gehörten  die  Seren  noch  nicht  zum  Aufputz 
einer  modischen  Geschichtserzählung.  In  dem  nächsten  Menschenalter 
nach  Augustus  wird  die  Kunde  durch  römische  Kaufleute  und  indische 
Gesandte  erweitert  (Plin.  VI  88),  ohne  doch  zu  irgendwie  genügenden 
Vorstellungen  durchzudringen.  Der  Name  Serica  wird  auf  das  ganze 
Centralasien  nördlich  vom  Himalaya  übertragen.  Wenn  Plinius  XXXFV 
145,  XXXVII  204  (vgl.  Oros.  VI  13,  2)  als  Handelserzeugnisse  desselben 
neben  Seide  auch  Felle  und  das  beste  Eisen  der  Welt  aufführt,  so  ist 
sonnenklar,  dass  der  Carawanentransport  chinesischen  Eisens  (aus  den 
Bergwerken  von  Shansi,  wie  man  gemeint  hat)  zu  den  Römern  in  den 
Bereich  des  Unmöglichen  gehört.  Einen  bemerkenswerthen  Fortschritt 
der  Kenntnisse  vermögen  wir  erst  für  das  zweite  nachchristliche  Jahr- 
hundert nachzuweisen. 

35)  Pausanias,  der  um  173  schrieb,  ist  in  den  Besitz  neuer,  wenn 
auch  nicht  durchaus  richtiger,  so  doch  der  Wahrheit  sich  annähernder 
Angaben  über  die  Erzeugung  der  Seide  gelangt,  die  er  im  Gegensatz 
zur  herrschenden  Anschauung  bekannt  zu  machen    einen  Anlass  an  den 


14  H.  Nissen: 

allgemein  wird  sie  für  ein  Produkt  des  Pflanzenreichs  gehalten,  wie 
die  Baumwolle;  man  lässt  sie  auf  Bäumen  wachsen,  von  den  Bäumen 
das  herunterhängende  Gespinust  abgekämmt  werden  ^^).  Freilich 
darf  ein  ausgebreitetes  und  geläutertes  Wissen  von  der  Erde  bei 
lateinischen  Schriftstellern  nicht  gesucht  werden.  Wie  das  Wort 
Geographie  der  griechischen  Sprache  angehört,  ist  diese  Wissen- 
schaft das  ganze  Alterthum  hindurch  fast  ausschliesslich  von  Griechen 
gepflegt  und  betrieben  worden.  Die  überraschende  Fülle  von  Kennt- 
nissen, welche  der  Welthandel  der  Kaiserzeit  anhäufte,  wurde  von 
griechischen  Gelehrten  im  Morgenland  theoretisch  verarbeitet,  unter 
diesen  leuchten  zwei  Männer  hervor,  welche  auf  die  Neuzeit  einen 
starken  Einfluss  ausgeübt  haben:  Marinos  von  Tyros,  ein  Forscher 
des  ersten,  und  der  auf  dessen  Schultern  stehende  Ptolemaeos  von 
Alexandria,  ein  Forscher  des  zweiten  nachchristlichen  Jahrhunderts. 
Beide  haben  Kartenwerke  entworfen,  Marinos  ist  zum  Abschluss  seiner 
Arbeiten  nicht  gekommen  ^'^),  von  seinem  Nachfolger  hat  die  neuere 
Kartographie  ihren  Ausgang,  ihr  Muster  und  Vorbild  genommen.  Astro- 
nomische Ortsbestimmungen  lagen  beiden  Gelehrten  nur  in  geringer 


Haaren  herbeizieht,  VI  26,  6  f.  Da  Pausanias  aus  mündlichen  Quellen 
schöpft  (§  9)  und  keinen  ausgedehnten  Leserkreis  erreicht  hat,  so  begreift 
man,  dass  seine  Nachrichten  sehr  mit  Unrecht  in  der  Folge  (abgesehen 
von  dem  Aegypter  PoUux  VH  76)  ganz  unbeachtet  geblieben  sind.  Der, 
sei  es  mittelbare  oder  unmittelbare  Gewährsmann  erklärt  Seria  für  eine 
Insel,  die  ähnlich  wie  das  Nildelta  vom  Fluss  Ser  gebildet  wird,  ist  mithin 
bis  zum  Mündungsgebiet  des  Jangtsekiang  gelangt  und  zwar  zur  See.  Ohne 
Zweifel  hängt  diese  Fahrt  mit  der  direkten  Seeverbindung  zwischen  China 
und  dem  römischen  Reiche  zusammen,  die  nach  den  chinesischen  Anualen 
unter  Marc  Aurel  eröffhet  wurde  (S.  24).  Dass  der  Argwohn  der  chi- 
nesischen Regierung  den  Fremden  ein  tieferes  Eindringen  in 's  Land  ver- 
wehrt und  das  Geheimniss  der  Seidenzucht  nach  Kräften  gehütet  hat, 
entspricht  ihren  Gepflogenheiten. 

36)  Verg.  Georg.  II  121,  Strab.  XV  693,  Plin.  VI  54,  Sen,  Trag.  Herc. 
Oet.  671,  Phaedr.  397,  Sil.  It.  VI  4,  XIV  664,  Dion.  Perieg.  752  (über- 
setzt Avien  936)  Solin  50,  2,  Ammian  XXIII  6,  67,  Auson.  XXVII  9,  24, 
Claudian  I  179.  Die  Gespinnste  wilder  Seidenwürmer  werden  den  Anlass 
zu  dieser  Vorstellung  gegeben  haben. 

37)  VITir  kennen  ihn  allein  aus  der  eingebenden  Würdigung  durch 
Ptolemaeos  I  6—21.  Für  die  von  diesem  rühmend  anerkannte  unermüd- 
liche Sammlung  und  Bereicherung  des  Materials,  die  Marinos  bethätigte, 
ist  der  Umstand  bezeichnend,  dass  er  seine  Erdkunde  mehrfach  umge- 
arbeitet hat  und  der  letzten  Ausgabe  eine  Karte  nicht  mehr  hat  beigeben 
können  (c.  17,  1),  was  denn  von  Unberufenen  sofort  besorgt  wurde  (c.  18, 3). 


Der  Verkehr  zwischen  Chinn  und  dem  Römischen  Reiche.  16 

Zahl  vor,  desshalb  fielen  die  Karten  nicht  im  heutigen  Sinne  genau 
aus.  Aber  die  Umrisse  des  Mittelmeeres  und  seiner  Umgebungen 
sind  doch  leidlich  getroffen.  Anders  verhält  es  sich  mit  den  Länder- 
massen jenseits  der  römischen  Grenze.  Marinos  stammte  aus  Tyros, 
dem  Hauptsitz  der  Seidenmanufactur.  In  dieser  seiner  Vaterstadt 
konnte  er  von  Kaufleuten  über  den  fernen  Osten  Erkundigungen 
einziehen.  Er  legte  nun  seiner  Darstellung  den  Bericht  eines  mace* 
donischen  Händlers  Maes  Titianos  zu  Grunde  und  verlieh  dessen 
Angaben  eine  Tragweite,  von  der  ihr  Urheber  sich  schwerlich  hat 
träumen  lassen  ^^).  MaSs  hatte  nämlich  Agenten  zum  Einkauf  von 
Seide  nach  der  Hauptstadt  des  Seidenlandes,  damals  Si-ngan-fu, 
geschickt.  Die  Agenten  reisten  durch  das  Tarymbecken  am  Nord- 
fuss*  des  Kuen-Iün  hin  und  wollten  auf  der  letzten  Hauptstrecke  7 
Monate  unterwegs  gewesen  sein.  Nach  ihrem  Itinerar  berechnete 
Marinos  die  Entfernung  vom  Euphrat  bis  zum  Steinernen  Thurm, 
einer  Ortschaft  unbestimmter  Lage,  auf  26280  Stadien,  657  deutsche 
Meilen,  vom  Steinenien  Thurm  bis  zur  Hauptstadt  des  Seidenlandes 
auf  36200  Stadien,  905  d.  M.,  mithin  die  ganze  Entfernung  von 
der  römischen  Grenze  bis  zur  Hauptstadt  von  China  auf  62480 
Stadien,  1562  deutsche  Meilen.  In  Folge  dessen  setzte  Marinos  die 
Ausdehnung  der  östlichen  Halbkugel  von  der  Insel  Ferro  am  West- 
rand Afrikas  bis  zum  Ostrand  Chinas  zu  225^  an,  während  sie  in 
Wahrheit  nur  130^  beträgt.  Der  lange  beschwerliche  Weg,  den  die 
Seidencarawauen  zurückzulegen  hatten,  führte  derart  zu  einer  ver- 
hängnissvollen Ueberschätznng  der  Grösse  Asiens.  Zwar  hat  Ptole- 
maeos  mit  nüchterner  Kritik  die  225  <*  auf  180 »  gekürzt,  aber  auch 
dies  war  50^  zu  viel   und   zudem   behielt   der  Ansatz  des  Marinos 


38)  Marinos  selbst  c.  11,  7  nährt  berechtigte  Zweifel  an  der  Zuver- 
lässigkeit der  Kaufleute  und  erklärt  die  Angabe  über  die  Zeitdauer  der 
chinesischen  Heise  für  reinen  Schwindel.  Viele  Bäthsel  der  antiken  Erd- 
kunde, an  denen  der  Scharfsinn  sich  vergebens  versucht  hat,  erhalten  die 
einfachste  Lösung,  wenn  man  die  uralte  und  stets  wiederholte  List  der 
Händler  im  Auge  behält,  dass  sie  über  unbekannte  Länder  und  die  Han- 
delswege  dorthin  absichtlich  unwahre  Angaben  verbreiten,  um  den  Wett- 
bewerb abzuschrecken  oder  auf  falsche  Fahrte  zu  locken.  Aus  diesem 
Gesichtspunkt  ist  auch  die  Schweigsamkeit  des  Maßs  Titianos  in  Betreff 
der  Carawanenstrasse  nach  China,  über  die  Marinos  sein  Befremden  äus- 
sert, zu  beurtheilen:  sicherlich  waren  es  Geschäftsrücksichten,  die  den 
Kaufherrn  davon  abhielten,  dem  Gelehrten  offen  Rede  und  Antwort  zu 
stehen. 


16  H.  Nissen: 

bei  den  arabischen  Geographen  des  Mittelalters  die  gleiche  Geltung. 
Columbus  hat  bis  an  sein  Lebensende  anf  dessen  Richtigkeit  ge- 
schworen. Schon  früher  war  der  seit  Erkenntniss  der  Kugelgestalt 
der  Erde  naheliegende  Gedanke  ausgesprochen  worden  *^),  man  könne 
von  Europa  nach  Westen  aussegelnd  den  Ostrand  Asiens  erreichen : 
nach  der  Lehre  des  Marinos  schien  der  Albstand  halb  so  gross,  als 
er  in  Wirklichkeit  war.  Dieser  Irrthum  hat  die  Entdeckung  Amerikas 
1492  unmittelbar  veranlasst. 

Wohl  hat  die  Seideneinfuhr  und  die  Zahl  der  Carawanen  nach 
Ptolemaeos  stetig  zugenommen.  Allein  bei  dem  allgemeinen  Verfall 
des  Alterthums  fehlten  die  Männer,  die  daraus  wissenschaftlichen 
Gewinn  eraielt  hätten.  Wir  wissen  nicht  einmal,  ob  auf  dem 
Landwege  und  in  welchem  Jahrhundert  Judenthum  und  Christen- 
thum  in  China  einzogen.  Judengemeinden  haben  sich  hier  bis  auf 
die  Gegenwart  erhalten,  freilich  auch  in  der  Vereinzelung  den  Zu- 
sammenhang mit  dem  Glauben  ihrer  Väter  und  die  Kenntniss  der 
heiligen  Schriften  eingebüsst.  Durch  den  Handelsverkehr  sind 
mancherlei  Ortsnamen  aus  Central-  und  Ostasien  an  Ptolemaeos  ge- 
langt und  von  ihm  auf  seinen  Karten  eingetragen  worden.  Indessen 
gelingt  es  nur  in  seltenen  Fällen  die  heutige  Lage  der  Ortschaften 
nachzuweisen  ^^).  Am  meisten  bedauern  wir,  dass  keine  eingehenden 
Schilderungen  über  Leben  und  Sitten  des  damaligen  China  von  den 
Reisenden  aufgezeichnet  und  von  den  Schriftstellern  uns  überliefert 
worden  sind.  Nur  eine  kurze,  aus  leidlichen  Quellen  geschöpfte 
Charakteristik  liegt  vor,  deren  wesentliche  Züge  auch  heutigen 
Tages  zutreffen:  „Die  Seren  —  heisst  es**)  —  meiden  das  Kriegs- 


39)  Der  erste,  bei  dem  er  sich  findet,  Posidonios  von  Rhodos,  nimmt 
noch  an,  dass  die  Entfernung  einen  halben  Erdumfang  betrage  Strab. 
II  102. 

40)  Auf  die  Kenntniss  der  Grossen  Mauer  scheint  Ammian  XXIII 
6,  64  hinzudeuten;  ultra  haec  utriusque  Scythiae  loca  contra  orientalem 
plagam  in  orbis  speciem  consertae  celsorum  aggerura  summitates  ambiunt 
Seras  ubertatc  regionum  et  amplitudine  circum spectos,  ab  occidentali 
latere  Scythis  aduexos,  a  septentrione  et  orientali  nivosae  solitudini  co- 
haerentes :  qua  meridiem  spectant  ad  usque  Indiam  porrectos  et  Gangen. 


41)       Solin  50,  2 
aquarum  aspergine  inundatis  fron- 
dibus  vellera   arborum   adminiculo 
depectunt  liquoris  et  lanuginis  te- 
neram  subtilitatem  humore  domant 


Ammian  XXIII  6,  67 
arborum  fetus  aquarum  aspergini- 
bus  crebris  velut   quaedam   vellera 
molientes    ex   lanugine    et   liquore 
mixtam  subtilitatem  tenerrimam  pec- 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Üömisehen  Reiche.  It 

Handwerk  und  den  Krieg.  Als  gesetzte  und  höfliche  Leute  lieben 
sie  mit  ihren  Nachbaren  Frieden  zu  halten.  An  Bedttrfnisslosigkeit 
gibt  es  nicht  ihres  Gleichen,  Der  Gemeinschaft  mit  Fremden  gehen 
sie  aus  dem  Wege.  Wenn  Reisende  die  Grenze  tiberschritten  haben, 
um  Seide  einzuhandeln,  wird  das  Geschäft  stillschweigend  abgemacht. 
Die  Einen  legen  ihr  Geld-,  die  Anderen  ihre  Waare  hin  und  werden 
ohne  Worte  handelseinig.  Die  Seren  führen  ihre  Produkte  aus, 
f&hren  aber  keine  fremden  Produkte  ein:  so  sparsam  sind  sie." 

8.  Der  indische  Handel**).  Die  Durchgangszölle  der 
Parther  vertheuerten  die  chinesische  Waare.  Gelegentlich,  wenn  die 
friedlichen  Beziehungen  zwischen  Parthem  und  Römern  gestört 
waren,  blieb  die  Waare  überhaupt  aus.  Es  lag  desshalb  nahe, 
andere  Bezugsquellen  der  Seide  aufzusuchen.  Solche  fanden  die 
Römer  in  Indien,  das  auf  verschiedenen  Landwegen  mit  China  in 
Verbindung  stand.  Der  römische  Handel  mit  Indien  wurde  von 
Aegypten  aus  betrieben.  So  lange  dies  Land  unabhängig  war, 
pflegten  jährlich  20  Schifi'e  nach  Indien  zu  segeln,  zehn  Jahre  nach 
seiner  Annexion  durch  Augustus  war  die  Zahl  der  Schiflfe  auf  120 
gewachsen*^).     Sie  holten    vor  allem  Gewürze,   dann  auch  Perlen, 


tunt,  nentesque  subte^mina  confi- 
ciunt  sericum  ad  usus  antehac  no- 
bilium  nunc  etiam  infimorum  sine 
Ulla  discretione  proficiens. 

ipsi  praeter  alios  frugalissimi  pa- 
catioris  vitae  cultores  vitantes  reli- 
quorum  moi*talium  coetus.  cumquo 
ad  coemenda  fila  vel  quaedam  alia 
fluvium  transierint  advenae,  nulla 
sermonuni  vice  propositarum  rerum 
pretia  solis  oculis  aestimantur,  et 
ita  sunt  abstinentes  ut  apud  se  tra- 
deutes  gignentia  nihil  ipsi  conparent 
adventicium. 

Die  wörtliche  Uebereinstimmung  lehrt,  dass  beide  Schriftsteller  von 
einem  gemeinsamen  Gewährsmann  abhängen  (vgl.  Mommsen,  Vorwort 
zu  Solin  p.  24).  Dieser  ist  jünger  als  Plinius  und  nach  der  Vergleichung 
mit  dessen  Angaben  VI  54.  88  im  Besitze  besserer  Nachrichten  gewesen. 
An  Pausanias  reicht  er  freilich  lange  nicht  heran  und  mag  etwa  das 
Wissen  der  traianischen  Epoche  darstellen. 

42)  Lassen,   Indische  Alterthumskunde  III  p.  1  f.,   Leipzig  1868. 

43)  Strabo  II  118,  XV  686.  725,  XVII  798.  815. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUcrthafr.  im  Rheiiil.  XCV.  2 


ad  obsequium.  hoc  illud  est  sericum 
in  usum  publicum  damno  severitatis 
admissum  et  quo  ostendere  potius 
Corpora  quam  vestire  primo  feminis 
nunc  etiam  viris  luxuriae  persuasit 
libido.  Seres  ipsi  quidem  mites  et 
inter  se  quietissimi,  alias  vero  reli- 
quorum  mortalium  coetus  refugiunt, 
adeo  ut  ceterarum  gentium  commer- 
cia  abnuant.  primum  eorum  fluvium 
raercatores  ipsi  transeunt,  in  cuius 
ripis  nuUo  inter  partes  linguae  com- 
mercio,  sed  depositarum  rerum  pre- 
tia oculis  aestimantibus  sua  tradunt, 
nostra  non  emunt. 


Id  H.  Missen: 

Edelsteine  und  andere  Gegenstände  des  Luxus.  Für  die  Lebhaftig- 
keit der  Beziehungen  spricht  der  Umstand^  dass  Gesandtschaften 
indischer  Fürsten  zu  wiederholten  Malen  am  Hof  der  Caesarea  er- 
blickt worden  sind.  In  anschaulicher  Weise  unterrichtet  uns  über 
den  Handelsverkehr  ein  etwa  80  Jahre  n.  Chr.  in  gi-iechischer 
Sprache  abgefasstes  Schriftstück,  betitelt  „Küstenbeschreibung  des 
Rothen  Meeres  d.  h.  des  Indischen  Oceans"  **).  Es  zählt  die  ein- 
zelnen Häfen  auf,  die  von  Aegypten  aus  besucht,  sowie  die  Artikel, 
die  in  denselben  ein-  und  ausgeführt  wurden.  An  der  afrikanischen 
Küste  wird  namentlich  Elfenbein  eingetauscht,  die  Händler  segeln 
bis  Sansibar  und  noch  weiter  südlich  vom  Aequator,  Die  Fahrt 
nach  Indien  hatte  von  den  arabischen  Piraten  zu  leiden;  desshalb 
sind  die  Schiffe  in  Convois  vereinigt  und  führen  zahlreiche  Bogen- 
schützen an  Bord.  Uebrigens  sind  es  Lastschiffe  mit  grossem  Lade- 
raum, also  für  ihr  Fortkommen  durchaus  vom  Winde  abhängig.  Seit- 
dem nun  ein  Capitän,  Namens  Hippalos,  die  Gesetze  des  Monsuns 
erkundet  hatte,  bewegt  sich  der  Verkehr  nach  festen  Regeln  und 
mit  verhältnissmässiger  Schnelligkeit.  Wenn  der  Hundstern  aufgeht, 
Mitte  Juli,  laufen  die  Schiffe  mit  dem  Westmonsun  aus,  der  sie  in 
40  Tagen  von  Aden  an  die  indische  Küste  bringt;  Ende  December 
oder  Anfang  Januar  machen  sie  sich  mit  dem  Ostmonsun  auf  den 
Heimweg,  so  dass  die  Hin-  und  Herreise  zwischen  Aegypten  und 
Indien  nicht  länger  als  ein  Jahr  dauert.  Als  Gegenstände  der  Ein- 
fuhr nennt  unser  Gewährsmann,  der  offenbar  das  Geschäft  aus  eigener 
Anschauung  kannte,  Juwelen,  Stickereien,  Korallen,  Glaswaaren, 
Kupfer,  Zinn,  Blei,  ein  wenig  Wein  und  grobes  Leinen.  Aber  der 
Werth  der  Einfuhr  kommt  dem  Werth  der  Ausfuhr  entfernt  nicht 
gleich;  ein  grosser  oder  gar  der  grösste  Theil  der  einzukaufenden 
Waaren  muss  baar  bezahlt  werden.  Man  kauft  vor  allem  Pfeffer 
und  Gewür/e,  dann  sehr  viel  Perlen,  ferner  Hfenbein,  chinesische 
Seide,  wohlriechende  Oele,  Diamanten  und  Saphire,  endlich  Schild- 
patt*^). Dieser  schwunghafte  Handel  war  freilich  geeignet,  die  Be- 
sorgniss  römischer  Staatsmänner  und  den  ünmuth  römischer  Patrioten 


44)  B.  Fabricius,  Der  Periplus  des  erythraeischen  Meeres  von 
einem  Unbekannten,  griechisch  und  deutsch,  Leipzig  1883. 

45)  Eine  Liste  der  an  der  römischen  Grenze  verzollten  Einfuhr- 
artikel aus  dem  J.  177-80  steht  Dig.  XXXIX  4, 16,  7.  Sie  enthält  metaxa, 
vestis  serica  vel  subserica,  nema  sericutn,  ferner  ferrum  Indicum,  aber 
kein  f.  Sericum,  wovon  Plinius  (A.  34)  fälschlich  redet. 


Der  Verkehr  zwischen  China  Und  dem  Römischen  Reiche.  19 

ZU  erregen*^).  Das  Reich  bezog  ausschliesslich  Gegenstände  des 
Luxus  für  Küche  und  Tafel,  Kleidung  und  Toilette  und  musste  mit 
Edelmetallen  zahlen.  Nach  Indien  flössen  alljährlich  laut  niedrigster 
Schätzung  55  Millionen  Sesterzen  12  Millionen  Mark  ab,  über  die 
Ostgreuze  insgesammt  100  Millionen  Sesterzen  22  Millionen  Mark  *'^). 
Nach  unserer  heutigen  Bilanz  erecheint  die  Summe  von  22  Millionen 
Mark  recht  unerheblich:  die  jährliche  Metallausfuhr  aus  Europa  nach 
Indien  und  China  betrug  im  19.  Jahrhundert  das  10 — 12fache.  Allein 
den  Römern  kamen  keine  amerikanischen  Silberminen,  keine  cali- 
fornischen  und  australischen  Goldfelder  zu  Gute;  ihr  Bergbau  ver- 
mochte den  Ausfall  nicht  zu  decken.  Der  Ausfall  hatte  auf  Jahr- 
zehnte hinaus  nichts  Erschreckendes;  aber  nachdem  er  ein  paar 
Jahrhunderte  lang  in  steigendem  Verhältniss  angehalten  hatte,  führte 
er  den  Staatsbankerott  und  jenen  völligen  Mangel  an  Edelmetallen 
herbei,  welcher  die  letzten  Perioden  der  römischen  Geschichte  kenn- 
zeichnet*®). Wo  das  römische  Gold  und  Silber  geblieben,  zeigen 
die   oben  erwähnten  vergrabenen  Schätze  an,  welche  jenseits  der 


46)  Tacitus  Ann.  III  62  f. 

47)  Piin.  VI  101,  Xn  84  mit  dem  ingrimmigen  Zusatz:  tanti  nobis 
deUciae  et  ferainae  constant.  Abgesehen  von  den  Edelmetallen  haben 
mit  der  Zunahme  des  Verkehrs  die  syrischen  und  ägyptischen  Fabriken 
ihr  Absatzgebiet  im  Osten  ständig  erweitert.  Die  chinesischen  Quellen 
führen  an  60  Einfuhrartikel  aus  dem  römischen  Reich  auf,  darunter  17 
Arten  Gewebe,  gefärbte  Stoffe,  bunte  Teppiche,  Glas  in  10  verschiedenen 
Farben,  Metalle,  Juwelen,  Gemmen,  Bernstein-  und  Korallenschmuck, 
Droguen  u.  s.  w.,  vgl.  Hirth,  Chin.  Stud.  T,  p.  12  f. 

48)  Nach  einer  Vermuthung  (C.  v.  Ernst,  Wiener  numism.  Zeit- 
schr.  XII  (1880)  p.  46  f.)  sollen  unter  Augustus  die  gefutterten  Denare 
ausschliesslich  für  den  indischen  Handel  geschlagen  worden  sein,  um  die 
ungünstige  Bilanz  zu  verbessern.  Dies  erinnert  an  den  zu  Anfang  der 
sechsziger  Jahre  gemachten,  von  der  italienischen  Regierung  wohlweislich 
abgelehnten  Vorschlag,  falsche  Napoleonsd'or  zur  Bestreitung  der  von  den 
Briganten  für  die  Freiheit  ihrer  Gefangenen  geforderten  Lösegelder  zu 
prägen.  Man  kann  den  antiken  Münzämtern  derartige  Schelmerei  füglich 
zutrauen  (Akermann,  Num.  chronicle  VI  p.  57  f.),  in  Indien  mag  sie 
vereinzelt  versucht  worden  sein  (Mommsen,  Münzwesen  p.  726).  Immer- 
hin blieb  das  Gold  von  der  Fälschung  unberührt  und  wenn  selbst  die 
Germanen  voll-  und  minderwerthiges  Geld  zu  unterscheiden  wussten 
(Tacit.  G.  5),  so  würde  den  geriebenen  Orientalen  ein  plaumässiger  Be- 
trug nicht  lange  verborgen  geblieben  sein.  In  der  That  haben  die  Abend- 
länder vielmehr  durch  unbedingte  Ehrlichkeit  im  Verkehr  sich  die  Aner- 
kennung der  Inder  (Plin.  N.  H.  VI  85)  und  der  Chinesen  (u.  S.  24)  erworben. 


Öö  a.  Kißsent 

Eeichsgrenzen  durch  den  Zufall  an's  Licht  gezogen  werden,  zeigen 
die  Münzen  an,  welche  die  Inder  mit  Vorliebe  zur  Ausstattung  ihrer 
To(}tenhügel  verwandten. 

9.  China.  Die  Fahrt  nach  Indien  hat  die  römischen  Kauf- 
leute auch  nach  China  gebracht.  Der  Verfasser  unserer  Küstenbe- 
schreibung ist  bis  Ceylon  hinunter  mit  den  indischen  Häfen,  ihrer 
Lage  und  ihren  Entfernungen  gut  yertraut.  Er  erwähnt  weiter  die 
Mündung  des  Ganges  und  die  Goldene  Halbinsel,  d.  h.  die  Halb- 
insel Malacca,  die  nach  seiner  Aussage  das  beste  Schildpatt  der  Welt 
liefert.  Dies  ist  für  ihn  das  äusserste  Land  im  Osten.  Aber  er 
weiss,  dass  hinter  demselben  nach  Norden  zu  das  Land  Thinae 
oder  Sinae*^)  liegt,  von  wo  die  Seidengame  und  Gespinnste  zu 
Lande  nach  Indien  geschafft  werden.  Hier  begegnet  zum  ersten 
Mal  der  Name,  mit  dem  wir  das  ferne  Ostreich  bezeichnen.  Seinen 
eigenen  Bewohnern  heisst  es  „das  Reich  der  Mitte",  „das  Reich 
der  Blumen".  Der  Name  China  ist  ihnen  nicht  bekannt.  Die  Er- 
klärung wird  bestritten.  Gewöhnlich  nimmt  man  an,  er  rühre  von 
der  mächtigen  Tsin-Dynastie  her,  deren  Namen  die  Chinesen  ge- 
führt hätten.  Einen  eigentlichen  Volksnamen  nehmen  die  Chinesen 
nämlich  nicht  für  sich  in  Anspruch:  dazu  sind  sie  viel  zu  loyal. 
Sie  richten  sich  nach  der  regierenden  Dynastie  Hau,  Tang,  Ming 
u.  s.  w.  und  nennen  sich  jeweilig  Söhne  von  Hau,  Tang,  Ming, 
gerade  als  ob  wir  Deutsche  nach  einander  Salier-,  Hohenstaufen-, 
Habsburgerleute  geheisscn  hätten  und  gegenwärtig  HohenzoUemleute 
hiessen.  Aber  gegen  die  Ableitung  des  Namens  China  von  der  Tsin- 
Dynastie  hat  V.  Riehthofen  Einspruch  erhoben:  die  Tsin-Dynastie 
war  verhasst  und  wenn  den  Chinesen  ehedem  die  Bezeichnung  Tsin 
für  ihr  eigenes  Land  geläufig  gewesen  wäre,  so  hätten  sie  dieselbe 
unmöglich  auf  das  römische  Reich  übertragen  können,  wie  der  Fall 
ist.  Vielmehr  haben  die  seefahrenden  Malaien  den  Namen  Tshina, 
den  sie  für  die  Küste  von  Südchina  und  Cochinchina  brauchen,  in  Um- 
lauf gebracht.  Von  ihnen  haben  Inder,  Griechen,  Perser,  in  der  Neu- 
zeit Portugiesen  denselben  übernommen  und  auf  das  Binnenland  mit 
angewandt.  Der  Verfasser  unserer  Küstenbeschreibung  ist  der  einzige 
antike  Schriftsteller,   welcher   den  Namen  China   mit  der  Herkunft 


49)  Beide  Formen  werden  Ptol.  VII  3,  6  gleich  gesetzt.  Der  Name 
kommt  in  klassischer  Zeit  nur  vor  Peripl.  mar.  er.  64  f.,  Ptol.  I  7  f.  und 
in  den  aus  Ptolemaeos  abgeleiteten  Abrissen. 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Komischen  Reiche.  21 

der  Seide  in  Verbindung  bringt,  China  und  das  Seidenland  ftlr  ein 
und  dasselbe  Ding  erklärt.  Er  hat  es  nieht  selbst  besucht.  ^Nach 
China  zu  gelangen,"  schreibt  er,  „ist  nicht  leicht;  selten  und  nur 
vereinzelt  kommen  Leute  von  dort.  Es  liegt  aber  unter  dem  Kleinen 
Bären  und  soll  an  die  Länder  nördlich  vom  Schwarzen  und  Eas- 
pischen  Meer  angrenzen."  Sodann  berichtet  er  eine  wundersame 
Geschichte  von  der  Gewinnung  eines  geschätzten  Heilmittels  durch 
die  Chinesen,  vermuthlich  der  Cassia,  und  beschliesst  seine  Auf- 
zeichnung mit  den  Worten :  „Die  Gegenden,  welche  jenseit  China 
liegen,  lassen  sich  wegen  der  heftigen  Stürme  und  der  hohen  Kälte 
oder  auch  weil  die  Macht  der  Götter  es  verhindert,  nicht  erforschen." 
'In  dem  nächsten  Jahrhundert  sind  die  griechischen  Seefahrer  ein 
gutes  Stttck  weiter  gekommen.  Während  der  äusserste  Hafen  Afrikas, 
den  die  Küstenbeschreibung  kennt,  etwa  unter  9®  S.  Br.  zu  suchen 
ist,  weiss  Ptolemaeos  mindestens  bis  zum  11.^,  vielleicht  15.^  Be- 
scheid. Von  Hinterindien  nennt  er  die  Insel  Java  und  den  Golf  von 
Slam,  aus  China  einen  grossen  Hafen  Kattigara  und  einen  Fluss 
Kottiaris^^).  Kattigara  ist  der  entfernteste  namhaft  gemachte  Platz, 
den  griechische  Seefahrer  erreichten.  Gewöhnlich  versteht  man  dar- 
unter Canton  oder  irgend  eine  Stadt  des  eigentlichen  China;  v.  Richt- 
hof en  behauptet,  dass  vielmehr  an  Hanoi  in  Tongking  zu  denken 
sei :  Tongking  bildete  in  dieser  Epoche  eine  Provinz  des  chinesischen 
Reichs.  Welchen  Hafen  der  Gewährsmann  des  Ptolemaeos  im  Sinne 
gehabt  habe,  wird  sich  schwerlich  ermitteln  lassen,  üeberhaupt 
wird  diese  viel  erörterte  Streitfrage  an  Bedeutung  durch  die  That- 
sache  in  den  Schatten  gestellt,  dass  die  Abendländer  kurz  nach 
dem  Ableben  des  Ptolemaeos  das  chinesische  Niederland  am  Jangtse- 
kiang  erreichten.  Aber  leider  fehlte  der  Nachfolger,  um  die  fort- 
schreitende Kunde  für  die  Wissenschaft  zu  verwerthen. 

Ptolemaeos  ist  der  letzte  namhafte  Vertreter  griechischer  Geo- 
graphie und  verfügt,  mit  seinen  Vorgängern  verglichen,  über  das 
reichste  geographische  Wissen,  welches  der  Welthandel  des  Alter- 
thums  zusammen  brachte.  Trotzdem  hat  er  die  Umrisse  der  öst- 
lichen Halbkugel  verzeichnet  und  aus  den  Meldungen  der  Kaufleute 
nicht  klug  werden  können.  Ptolemaeos  kannte  das  Seidenland  aus 
den  Berichten  der  Carawanen,  kannte  China  aus  den  Berichten  der 


50)  Gleichfalls  nur  bei  Ptolemaeos  und  seinem  Abschreiber  Mareif^nus 
von  Heraklea  erwähnt. 


22  H.  Nissen: 

Seefahrer,  ward  aber  nicht  gewahr,  dass  die  beiderseitigen  Berichte 
sieh  auf  ein  und  dasselbe  Land  bezögen.  Wie  wenn  Jemand  durch 
ein  Stereoskop  schaut,  die  beiden  auf  seiner  Netzhaut  sich  spiegeln- 
den Bilder  nicht  zusammen  bringt,  zwei  Dinge  flach,  statt  eines  in 
plastischer  Erhabenheit  vor  Augen  hat,  so  flössen  dem  Ptolemaeos 
China  und  die  Heimath  der  Seide  aus  einander.  Ein  theoretischer 
Irrthum,  in  dem  er  befangen  war,  hat  ihm  des  Weiteren  den  Blick 
getrllbt.  Nach  seiner  Auffassung  des  Erdganzen  gab  es  keine  offenen 
Weltmeere,  sondern  nur  geschlossene  Binnenmeere.  Zu  letzteren 
rechnet  er  den  Indischen  Ocean  und  lässt  ihn  als  ein  vergrössert^s 
Abbild  des  Mittelländischen  Meeres  gestaltet  sein.  Auf  den  Ptole- 
maeischen  Karten  setzt  sich  demnach  unter  dem  südlichen  Wende-' 
kreis  Afrika  nach  Osten  hin  fort  und  liegt  China  als  Theil  dieses 
eingebildeten  Continents  in  der  Gegend  von  Australien.  Bei  dem 
canonischen  Ansehen,  welches  der  grosse  Gelehrte  genoss,  haben 
seine  Ansätze  die  ganze  Folgezeit  beherrscht  und  sind  erst  durch 
James  Cook's  zweite  Reise  1772 — 75  völlig  beseitigt  worden. 

10.  Chinesische  Berichte^^).  Es  ergibt  sich  also,  dass  die 
griechische  Wissenschaft  im  Alterthum  zu  einer  klaren  deutlichen 
Vorstellung  von  der  Lage  und  Grösse  Chinas  nicht  vorzudringen 
vermochte.  Noch  weniger  steht  zu  erwarten,  dass  die  chinesischen 
Schriftsteller  über  das  Römische  Reich  gut  unterrichtet  gewesen 
wären.  Seit  der  Han-Dynastie  vom  Ende  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr. 
besitzt  China  regelmässig  fortgeführte  Reichs-Annalen.  Sie  sind  aus 
der  Hofzeitung  ausgezogen  und  umfassen  nachgerade  mehr  als  3000 
Bücher.  Zum  Glück  wird  die  Benutzung  dieser  ungeheuren  Masse 
durch  den  Umstand  erleichtert,  dass  die  einzelnen  Verfasser  die  auf 
das  Ausland  bezüglichen  Nachrichten  in  besonderen  Abschnitten 
vereinigt  haben.  Alles,  was  den  Westen,  d.  h.  das  Römische  Reich 
und  Europa  bis  zum  17.  Jahrhundert  betrifft,  findet  auf  60  massigen 
Octavseiten  Platz.  Unser  Landsmann  Hirth  in  Shanghai  hat  diese 
Abschnitte  gesammelt,  abgedruckt,  mit  einer  vortrefflichen  Ueber- 
setzung  und  Erklärung  versehen.  Für  abendländisches  Denken  und 
Empfinden  ist  es  krauses,  wunderliches  Zeug,  was  aus  den  Hof- 
joumalen  der  Nachwelt  überliefert  wurde.    Die  ältesten  Nachrichten 


51)  F.  Hirth,  China  and  the  Roman  Orient,  researches  into  their 
ancicnt  and  mediaeval  relations  as  represented  in  cid  Chinese  records, 
Leipzig  and  München,  1885. 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Römischen  Reiche.  23 

betreflfen  Parthien  um  100  v.  Chr.  „Als  der  Kaiser  Wu-ti  zum  ersten 
Mal  eine  Gesandtschaft  nach  Parthien  schickte,  befahl  der  König 
einem  General,  sie  mit  20000  Reitern  an  der  Ostgrenze  in  Empfang 
zu  nehmen.  Die  Ostgrenze  war  ein  paar  tausend  Kilometer  (li)  von 
des  Königs  Hauptstadt  entfenit.  Nordwärts  zu  kam  man  durch 
einige  Dutzend  Städte  mit  vielen  Einwohnern,  die  mit  dem  Lande 
verbfindet  waren.  Nach  der  Rückkehr  der  chinesischen  Gesandt- 
schaft schickten  sie  eine  Gesandtschaft  hinterher,  um  die  Ausdehnung 
und  Grösse  des  chinesischen  Reiches  zu  betrachten.  Sie  schenkten 
dem  chinesischen  Hofe  Strausseneier  und  fremde  Gaukler,  woran 
Seine  Majestät  höchlichst  Gefallen  fand."  Sodann  begegnet  im 
ersten  Jahrhundert. n.  Chr.  Ta-tsin,  d.  h.  das  Grosse  Tsin  oder  Rö- 
mische Reich,  von  dessen  orientalischen  Provinzen  einige  richtige 
Angaben  neben  vielen  fabelhaften  gemacht  werden :  jede  Einsicht  in 
den  geographischen  Zusammenhang  fehlt  und  das  begreift  sich;  denn 
kein  Chinese  war  damals  noch  bis  auf  römisches  Gebiet  gelangt. 
Im  Jahr  97  n.  Chr.,  wird  erzählt,  schickt  ein  chinesischer  General 
einen  Mann  nach  Ta-tsin  aus,  der  kommt  an  die  Küste  der  grossen 
See.  „Als  er  sich  einschiffen  will,  sprechen  die  Seeleute  von  der 
westlichen  Grenze  Parthiens  zu  ihm:  die  See  ist  weit  und  gross; 
mit  günstigen  Winden  ist  es  möglich,  in  3  Monaten  hinüber  zu 
kommen ;  aber  wenn  Du  träge  Winde  triffst,  kannst  Du  auch  2  Jahre 
brauchen.  Aus  diesem  Grunde  nehmen,  die  an  Bord  gehen,  Lebens- 
mittel für  3  Jahre  mit.  Da  steckt  etwas  in  der  See,  das  geeignet 
ist,  einem  Manne  Heimweh  zu  verursachen  und  Manche  haben  davon 
ihr  Leben  verloren.  Als  der  Abgesandte  dies  hörte,  machte  er  weis- 
lich Halt."  Aus  dem  2.  Jahrhundert  n.  Chr.  erhalten  wir  eine  aus- 
führliche Beschreibung  des  Römischen  Reichs,  aus  der  ich  einige 
Proben  mittheile.  „Sie  machen  Münzen  von  Gold  und  Silber.  Zehn 
Silberstücke  sind   werth   ein  Goldstück^*).    Sie   treiben  Seehandel 


52)  Das  Geldwesen  des  Abendlandes  musste  die  Aufmerksamkeit  der 
Chinesen  schon  aus  dem  Grunde  auf  sich  ziehen,  als  sie  sich  selber  im 
gewöhnlichen  Verkehr  mit  Kupfer  und  Papier  behelfen  (erst  1890  wurde 
eine  Silbermünze  nach  europäischem  Zuschnitt  eröffnet),  ihrem  Kupfergeld 
aber  zu  allen  Zeiten  die  unzweckmässigste,  wenn  auch  mehrfach  ver- 
tauschte Form  gaben:  vgl.  das  Verzeichniss  des  Britischen  Museum  von 
Terrien  de  Lacouperie,  Catalogue  of  Chinese  coins  from  the  Vllth  Cen- 
tury B.  C.  to  A.  D.  62Ii  London  1892.  Das  römische  Reich  hat  seit  Nero 
Goldwährung  und  das  Monopol  der  Goldprägung  in  der  bekannten  Welt* 


i>4  H.  Nissen: 

mit  Parthien  und  Indien,  der  Handel  wirft  zehnfachen  Gewinn  ab. 
Sie  sind  ehrlich  im  Geschäft,  zweierlei  Preise  gibt  es  nicht.  Ge- 
treide ist  immer  wohlfeil.  Das  Budget  beruht  auf  einem  wohlge- 
füllten Schatz.  Wenn  die  Gesandtschaften  benachbarter  Länder  an 
ihre  Grenze  kommen,  fahrt  die  Post  sie  nach  der  Hauptstadt  und 
sie  erhalten  Goldmünzen  zum  Geschenk.  Ihre  Könige  wünschten 
immer,  Gesandtschaften  nach  China  zu  schicken,  aber  die  Parther 
begehrten  den  Handel  in  chinesischer  Seide  für  sich  zu  behalten 
und  das  ist  die  Ursache,  warum  sie  von  der  Verbindung  abge- 
schnitten waren.  Dies  dauerte  bis  zum  9.  Jahr  der  Yen-hsi  Periode 
(d.  h.  166  n.  Chr.),  als  der  König  von  Ta-tsin  An-tun  (d.  h.  Anto- 
ninus,  der  oflicielle  Name  des  damals  in  Rom  regierenden  Marc 
Aurel)  eine  Gesandtschaft  schickte,  die  von  der  Grenze  von  Annam 
herkam  und  Elfenbein,  Rhinoceroshörner  und  Schildpatt  darbrachte. 
Von  jener  Zeit  datiii;  der  directe  Verkehr  mit  dem  Lande.  Die 
Liste  ihrer  Geschenke  enthielt  gar  keine  Juwelen,  das  ist  verdächtig." 
Der  chinesische  Geschichtschreiber  ist  so  unhöflich  anzudeuten,  die 
römischen  Gesandten  möchten  die  Juwelen  unterschlagen  haben. 
Unser  Misstrauen  wendet  sich  nach  einer  anderen  Richtung.  Dass 
der  römische  Kaiser  mit  seinem  Vetter  im  Seidenland  Verbindungen 
anzuknüpfen  versucht  hätte,  lässt  sich  verstehen;  aber  allem  römi- 
schen Brauch  und  aller  Wahrscheinlichkeit  widerstreitet  es,  dass  er 
die  Geschenke  für  den  Vetter  hätte  in  Indien  ankaufen  lassen  sollen, 
da  doch  die  römische  Industrie  geeignetere  Dinge  liefern  konnte, 
als  Elephantenzähne  und  Schildkrötenschalen.  Offenbar  sind  es 
pfitlfige  Handelsleute  gewesen,  welche  in  Si-ngan-fu  die  Maske  diplo- 
matischer Agenten  vornahmen.  Im  Übrigen  verdient  die  Nachricht 
allen  Glauben,  weil  sie  zu  den  bekannten  Zeitverhältnissen  vortreflF- 
lich  stimmt;  denn  gerade  in  diesen  Jahren  tobte  zwischen  Parthera 
und  Römern  ein  langer  erbitterter  Krieg,  unterbrach  die  Zufuhr  der 
Seide  auf  dem  Landweg,  zwang  die  syrischen  Fabrikanten,  ihren 
Bedarf  zur  vSee  zu  beschaflfeu.  Und  dass  römische  Seefahrer  nach 
China  gelangten,  wird  ohnehin  bezeugt.   Die  neuen  Aufschlüsse  über 


Silber  ist  zur  Scheidemünze  herabgesunken  und  hat  während  der  Kaiser- 
zeit unseres  Wissens  besten  Falles  das  Werthverhftltniss  1  :  12  zum  Gold 
erreicht.  Aus  der  chinesischen  Nachricht  wird  man  schliesseu,  dass  es  im 
Osten  besser  stand  und  dass  die  abendländischen  Kaufleute  ihre  Kunden 
in  dem  Glauben  bestärkt  haben  werden,  20  Denai^e  seien  ebenso  gut  wie 
ein  Aureus,  ist  begreiflich  genug. 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Komischen  Reiche.         25 

die  Entstehung  der  Seide,  die  Pausanias  in  den  siebenziger  Jahren 
des  zweiten  Jahrhunderts  erhalten  hat,  weisen  klärlich  auf  die  Zu- 
nahme des  Seeverkehrs  hin.  ünt^r  dem  J.  226  berichten  die  An- 
naleU;  dass  ein  fremder  Kaufmann  vor  den  Kaiser  gefahrt  und  über 
Ta-tsin  ausgefragt  wird.  Der  Kaiser  gibt  ihm  einen  Abgesandten 
als  Begleiter  für  die  Heimreise  mit  und  fügt  als  Merkwürdigkeit  je 
10  Zwerge  männlichen  und  weiblichen  Geschlechts  bei.  Indessen 
starb  der  Gesandte  unterwegs  und  der  Kaufmann  kehrte  in  seine 
Heimath  zurück. 

Die  Nachrichten  über  den  Westen,  die  wir  in  den  Reichsan- 
nalen  lesen,  sind  aus  der  chinesischen  Hofzeitung  geschöpft  Wir 
erfahren,  dass  die  fremden  Kaufleute  bei  der  Ankunft  zur  See  einem 
scharfen  Verhör  unterworfen  wurden.  Aber  wären  sie  auch  die 
wahrhaftigsten  Menschen  unter  der  Sonne  gewesen,  sie  hätten  doch 
den  chinesischen  Beamten  keine  klare  Anschauung  von  den  West- 
ländem  beibringen  können.  Dazu  war  die  Schwierigkeit  des  Ver- 
ständnisses zu  gross.  Als  Seesprache  in  der  Levante  diente  dazu- 
malen  Griechisch ;  im  Indischen  Ocean  fehlte  eine  allgemein  bekannte 
lingua  franca.  Kam  nun  ein  Schiff  aus  Aegypten  nach  Ceylon,  so 
nahm  es  hier  einen  des  Griechischen  kundigen  Dohnetsch  an  Bord. 
Fuhr  es  weiter  nach  Annam,  so  brauchte  es  einen  zweiten  Dolmetsch, 
der  sich  mit  dem  Singhalesen  verständigen  konnte.  Endlich  in  China 
war  ein  dritter  nöthig,  um  die  Aussagen  des  Annamiten  zu  über- 
setzen. Die  Unterhaltung  der  chinesischen  Hofbeamten  mit  den 
römischen  Kaufleuten  war  demnach  recht  umständlich,  da  Frage  und 
Antwort  durch  vier  verschiedene  Sprachen  hindurch  zu  gehen  hatten. 
Was  dabei  an  Sinn  und  Unsinn  heraus  kam,  mag  noch  eine  Probe 
darthun:  „Einige  sagen,  im  Westen  dieses  Landes  sei  das  seichte 
Wasser  und  die  Wüste  nahe  bei  der  Residenz  der  Königin-Mutter, 
wo  die  Sonne  untergeht.  Das  alte  Geschichtsbuch  sagt:  von  Ara- 
bien westlich,  wenn  man  über  200  Tage  geht,  ist  man  nahe  dem 
Ort,  wo  die  Sonne  untergeht;  das  stimmt  nicht  mit  diesem  Buch. 
Keine  chinesische  Gesandtschaft  ist  bis  Arabien  gekommen,  sie  kehrten 
Alle  vorher  um.  Femer  wird  erzählt:  das  Römische  Reich  ist  dicht 
bevölkert.  Jede  5  Kilometer  (li)  steht  ein  Meilenstein,  jede  15  Kilo- 
meter eine  Posthalterei.  Von  Räubern  hat  man  nichts  zu  fürchten, 
aber  die  Strasse  wird  unsicher  durch  wilde  Tiger  und  Löwen,  welche 
die  Reisenden  anfallen  wollen  und  wenn  diese  nicht  in  Carawanen 
von  100  Mann  und  mehr  reisen  oder  durch  miliölrische  Bedeckung 


26  H.  Nissen: 

sich  schützen,  so  können  sie  von  jenen  Bestien  verschlungen  werden. 
Sie  sagen  auch,  da  ist  eine  fliegende  Brücke  über  100  Kilometer  (li) 
lang,  auf  welcher  einer  zu  den  Ländern  nördlich  von  der  See  hin- 
über kann.  Die  Artikel  aus  seltenen  kostbaren  Steinen,  die  in  diesem 
Lande  verfertigt  werden,  sind  Kinkerlitzchen  und  meistens  unächt, 
weshalb  sie  hier  übergangen  werden." 

11.  Das  Mittelalter^*).  Der  Seidenhandel  nimmt  ständig  zu, 
die  Ausbreitung  des  Buddhismus  befördert  den  Verkehr  mit  Indien. 
Seit  dem  fünften  Jahrhundert  fahren  die  chinesischen  Dschunken  bis 
Ceylon,  ja  bis  zur  Mündung  des  Euphrat.  Sie  sind  trefflich  gerüstet 
und  wissen  die  Piraten  durch  Feuerwaffen  abzuwehren.  Nach  China 
wändeni  die  Fremden  in  Masse  ein,  übertragen  dorthin  Erfindungen 
des  Mittelmeers,  wie  die  Zubereitung  von  Glas,  verbreiten  daselbst 
die  Religionen  des  Mittelmeers,  Judenthum,  Christenthum,  Islam. 
Umgekehrt  werden  mancherlei  Culturschätze  für  den  Westen  ge- 
hoben, auch  das  Geheimniss  der  Seidenzucht,  das  China  so  lange 
sorgsam  gehütet,  wird  an  die  Fremden  verrathen.  Um  552  bringen 
Mönche  Eier  des  Spinners  nach  Byzanz,  schon  568  kann  Kaiser 
Justin  II.  Gesandte  der  Türken  durch  die  Erfolge  der  ihnen  unbe- 
kannten Zucht  in  Staunen  setzen^*).  Unter  der  Dynastie  der  Tang 
(618 — 907)  sind  die  Häfen  den  fremden  Schiffen  gastlich  geöffnet. 
Eine  amtliche  Zählung,  die  zum  Zweck  der  Auflage  einer  Kopf- 
steuer veranstaltet  wurde,  ergab  nach  arabischen  Berichten  die  Ziffer 
von  120000  oder  gar  200000  Ausländern,  Mohammedanern,  Christen, 
Juden,  Parsen,  die  in  Kanfu,  dem  damaligen  Haupthafen  Chinas 
wohnten.  Allein  eine  Empörung  brach  878  aus,  die  Fremden  wurden 
insgesammt  hingemetzelt,  das  Reich  der  Mitte  verschloss  vier  Jahr- 
hunderte hindurch  wiederum  seine  Thore. 

An  diesem  Austausch  von  Gaben  und  Gütern  war  Europa  seit 
der  Völkerwanderung  nicht  mehr  betheiligt.  Den  chinesischen  An- 
nalen  heisst  das  fernste  Westland  nicht  länger  Ta-tsin,  das  Römer- 
reich, sondern  Fu-Iin,  Konstantinopel  ^^).    Im  Occident  war  eine  tiefe 


53)  W.  Heyd,  Geschichte  dos  Levantehandels  im  Mittelalter,  2.  B. 
Stuttgart  1879,  in  verbesserter  französischer  Bearbeitung,  Leipzig  1885. 
0.  Peschel,  Geschichte  des  Zeitalters  der  Entdeckungen,  Stuttgart  1858. 
H.  Yule,  Cathay  and  the  way  thither  2v.,  London  1866. 

54)  Prokop,  Gothenkrieg  IV  17,  Theophanes  fr.  3  Dind. 

55)  Wie  das  türkische  Istanbul  als  «V  rrfv  jzohv  erklärt  wird,  so  liegt 
die  Gleichung  von  Fu-liu  und  noXiy  nahe.    Jedoch   wird   sie  bestritten: 


Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Römischen  Reiche.  27 

geistige  Nacht  eingebrochen.  Die  Träger  seiner  Bildung  erklärten 
die  Kugelgestalt  der  Erde  für  einen  schlechten  Witz  der  heidnischen 
Gelehrten  und  stritten  höchstens  darüber,  ob  sie  eine  viereckige  oder 
eine  runde  Seheibe  darstelle.  Aus  der  Geographie  Asiens  beschäftigte 
sie  die  Frage  nach  dem  Wohnsitze  von  Gog  und  Magog  und  der 
Lage  des  Paradieses.  Gog  und  Magog,  die  apokalyptischen  Völker, 
deren  Anstunn  das  Ende  der  Welt  ankünden  sollte,  wurden  nach 
Norden,  das  Paradies  nach  dem  äussersten  Osten,  also  nach  China 
verlegt.  Damft  war  man  am  Ende.  Erst  die  Kreuzzüge  lenkten  die 
Blicke  Europas  auf  die  grossen  Mächte  Asiens  nnd  ihre  Bedeutung 
zurück.  In  dem  Kampf  wider  den  Islam  suchte  die  Christenheit 
die  Bundesgenossenschaft  der  Mongolen,  die  im  13.  Jahrhundert 
China  erobert  und  ein  Reich  gegründet  hatten,  das  sich  von  Schlesien 
nnd  Ungarn  bis  zum  japanischen  Meer,  von  Sibirien  bis  nach  Persien 
erstreckte.  Gesandte  von  Päpsten  und  christlichen  Königen,  Mis* 
sionare,  Kaufleute,  Abenteurer  aller  Art  sind  in  Menge  an  den  Hof 
des  Grosschans  gezogen.  In  Peking  sass  1306 — 46  ein  katholischer 
Erzbischof.  Allein  die  Dynastie  der  Ming  stürzte  1368  die  mon- 
golische Herrachaft,  rottete  das  Christenthum  von  Neuem  aus  — 
abermals  waren  die  zwischen  Europa  und  China  angeknüpften  Be- 
ziehungen zerrissen.  Die  Berichte  der  Reisenden  schilderten  in 
leuchtenden  Farben  die  Grösse  und  Cultur,  die  Volkszahl,  den  uner- 
messlichen  Reichthum  des  Ostens  und  entzündeten  das  brennende 
Verlangen,  den  Verkehr  mit  jenem  Wunderland  wieder  herzustellen. 
Die  Europäer  hatten  aus  China  den  Compass  mitgebracht,  die  un- 
scheinbare Nadel,  deren  Nordweisung  auf  dem  pfadlosen  Meer  die 
Richtung  der  Fahrt  bestimmen  lehrt.  Zu  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts sehen  wir  die  Magnetnadel  bei  den  Italienern  in  praktischem 
Gebrauch.  Das  Vordringen  der  Osmanen,  das  schrittweise  das  Chri- 
stenthum im  Morgenland  vernichtete  und  den  ganzen  levantinischen 
Handel  unterband,  zwang  den  Westen  nach  neuen  Seewegen  au8zu> 
schauen.  Durch  Vermittlung  der  Araber,  die  bis  dahin  die  Schätze 
der  griechischen  Geographie  gehütet,  waren  die  Grundwahrheiten  der- 
selben bereits  den  grossen  Scholastikern  des  13.  Jahrhunderts,  einem 
Albertus  Magnus,  Roger  Bacon,  Vincenz  von  Beauvais  vertraut  ge- 
worden.   Aber  um  das  eingewurzelte  Vorurtheil,  dass  der  westliche 


H  i  r  t  h   p.  288  will  nach  dem  früheren  Lautwerth    den  Namen  auf  Beth- 
lehem beziehen  und  seine  Verbreitung   den  syrischen  Christen  zuweisen. 


28    H.  Nissen:  Der  Verkehr  zwischen  China  und  dem  Bömischen  Reiche. 

Ocean  nicht  befahren  werden  könne  *^),  zu  brechen  hat  es  vieljäh- 
riger tastender  Versuche,  unsäglicher  Mühen  und  Anstrengungen 
bedurft.  Ptolemaeos  wurde  1410  ins  Lateinische  übei*setzt.  Mit 
Heisshunger  ergriffen  die  Geographen  die  von  diesem  bekämpfte 
Lehre  des  Marinos  von  Tyros,  dass  unsere  Halbkugel  sich  225  ®  von 
Vi^est  nach  Ost  erstrecke.  Sie  glaubten  daran,  weil  die  Zeit  eine 
Erneuerung  der  Verbindung  mit  Ostasien  oder,  wie  man  damals 
sagte,  mit  Indien  gebieterisch  forderte.  Andere  Trugbilder  kamen 
hinzu,  um  das  Wagniss  des  Columbns  noch  leichter  erscheinen  zu 
lassen,  als  es  nach  jener  Irrlehre  ohnehin  war.  Trotz  alledem  wird 
man  weder  die  kühne  That  des  Entdeckers,  noch  die  Anregung, 
die  er  dem  Alterthum  schuldete,  nach  Werth  und  Bedeutung  unter- 
schätzen. 

Ein  Funke  muss  in  die  geladene  Mine  fahren,  auf  dass  sie 
ihre  schlummernde  Kraft  entfalte.  Der  geistige  Funke,  der  eine  neue 
Epoche  der  Weltgeschichte  ins  Leben  rief,  entsprang  der  griechi- 
schen VP'issenschaft.  Das  rastlose,  überhastete  Treiben  des  Tages 
wird  ungern  an  den  inneren  Zusammenhang  menschlicher  Dinge  er- 
innert. Die  modische  Bildung  hält  das  Weltsystem  des  Pythagoras 
für  ein  müssiges  Hirngespinnst,  ohne  zu  bedenken,  dass  Copernicus 
nach  eigener  Aussage  durch  dasselbe  zu  dem  seinigen  angeregt 
worden  ist.  Die  modische  Bildung  mag  mit  der  üeberlegenheit 
heutigen  Wissens  auf  die  Irrgänge  der  alten  Geographen  herab- 
blicken, die  verzerrten  Züge  ihrer  Kartengemälde  mitleidig  belächeln. 
Die  Jünger  Winckelmanns  sind  bescheidener.  Unser  schöner 
Strom  gemahnt  uns  als  ein  Gleichniss  daran,  dass  wir  zu  Berg 
wandern  müssen,  bis  zu  den  Gletschern  und  Firnen,  die  seine  Quellen 
speisen,  um  die  Gesetze  des  Laufes  zu  begreifen.  Unser  Verein 
wird  dem  Wahlspruch  seiner  Stifter  treu  bleiben,  der  jetzt  den 
Giebel  des  stattlichen  von  Provinz  und  Staat  ihm  bereiteten  Heims 
schmückt:    Antiquitati   Rhenanorum. 


56)  Vgl.  Dante  Inferno  XXVI  90  f. 


29 


2.  Die  römische  Flottenexpedition  zum  Kimbernlande  und  die 
Heimath  der  Kimbern. 


Von 
J.  F.  Marcks« 


Als  Tiberius  im  Jahre  4  n.  Chr.  zum  zweiten  Male  den  Ober- 
befehl in  Germanien  übernahm,  ging  er  sofort  mit  Energie  daran, 
das  Ansehen  Roms,  das  durch  den  Aufstand  der  Cherusker  und 
Chauken  im  J.  2  in  Frage  gestellt  war,  wiederherzustellen.  Noch 
im  ersten  Jahre  seines  Oberbefehls  unterwarf  er  die  Cherusker  wieder 
und  Hess  dann  sein  Heer  in  Germanien  selbst  die  Winterquartiere 
beziehen;  wie  es  scheint,  war  es  das  erste  Mal,  dass  ein  römisches 
Heer  dieses  that*).  Als  Tiberius  im  folgenden  Jahre  den  Feldzug 
fortsetzte,  nahm  er  den  Plan  seines  Bruders  Drusus  wieder  auf,  bei 
der  Unterwerfung  der  SeestÄmme  die  Flotte  heranzuziehen.  Dieselbe 
segelte  an  der  Küste  entlang  über  die  Elbe  hinaus  nach  Norden, 
um  auf  der  Halbinsel  Jütland  die  römischen  Waffen  geltend  zu  machen 
und  von  dort  aus  die  Unternehmungen  des  Tiberius  gegen  die  Eib- 
anwohner zu  unterstützen. 

Die  Fahrt  der  römischen  Flotte  ist  nicht  ohne  Bedeutung. 
Dieses  Geschwader  hat  die  deutsche  Nordseeküste,  soweit  sie  nicht 
schon  durch  Drusus  den  Römern  bekannt  geworden  war,  entschleiert 
und  Ton  einem  Meere,  das  man  bisher  nicht  einmal  von  Hörensagen 
kannte,  Kunde  gebracht^).  An  der  ganzen  Inselreihe  von  Holland 
bis  Jütland  fuhr  es  entlang  und  ermittelte  die  Zahl  der  Inseln'),  die 
auf  23  angegeben  wii*d*).  Diese  Zahl  ist  flir  jene  Zeit  offenkundig 
richtig  und  muss  auf  genauer  Erkundung  beruhen ;  denn  auch  heut- 
zutage wird  man,  wenn  man  die  ganz  kleinen  Inseln  beiseite  lässt, 
ungefähr  dieselbe  Gesammtsumme  herausbringen,  wobei  aber  zu  be- 


1)  Schiller  GdRK  I,  221.    Mommsen  RG  V,  33. 

2)  Velleius  2,  106. 

3)  Dass  die  Nachricht  darüber  auf  jene  römische  Expedition  zurück- 
geht, hat  Müllenhoff  DA  n,  286  erkannt. 

4)  Plin.  Nat.  hist.  4  §  97. 


30  J.  P.  Marcks: 

denken  ist,  (}ass  etliche  seit  der  Zeit  der  Römer  noch  durch  die 
Fluth  verkleinert  oder  weggespült,  andere  durch  Theilung,  wie  die 
Trümmer  des  alten  Nordstrand,  hinzugekommen  sind.  Wenn  Oskar 
Peschel  in  seinen  bahnbrechenden  'Neuen  Problemen  der  verglei- 
chenden Erdkunde'-'^)  behauptet,  die  Küsteninseln  zwischen  Texel 
und  Elbe  hätten  sich  um  den  dritten  Theil  veimindert,  so  liegt  dem 
ein  doppelter  Irrthum  zu  Grunde:  Die  Zahl  bei  Plinius  ist  irrthümlich 
auf  32  statt  23  angegeben  und  femer  ist  sie  fälschlich  statt  auf 
die  ganze  Inselreihe  von  Texel  bis  Fanö  nur  auf  die  Strecke  von 
Texel  bis  zur  Elbe  bezogen. 

Bis  in  das  Land  der  Kimbern  kam  das  römißche  Geschwader-, 
wie  Augustus  selbst  in  seinem  Rechenschaftsberichte  angiebt^),  soweit 
wie  noch  kein  Römer,  weder  zu  Wasser  noch  zu  Lande,  vorge- 
drungen war.  Die  Verhandlungen,  welche  der  Führer  des  Geschwaders 
mit  jenem  germanischen  Volke  anknüpfte  und  denen  die  Flotte  selbst 
den  nöthigen  Nachdruck  gab,  führten  zu  einer  Annäherung  dessel- 
ben an  Rom.  Eine  kimbrische  Gesandtschaft  ging  nach  der  Reichs- 
hauptstadt ab,  um  die  römische  Freundschaft  zu  erbitten,  und  sie 
brachte  dem  Kaiser  ihren  heiligsten  Kessel  zum  Geschenk^). 

Als  Endpunkt  der  Fahrt  nennt  Plinius  das  kimbrische  Vorge- 
birge®), das  nur  die  Nordspitze  von  Jütland  sein  kann,  das  jetzige 
Skagens  Horn^).  Noch  heute  wird  dieses  stuimumtobte  Vorgebirge 
vielen  Schiffen  verderblich,  und  man  könnte  daher  auf  die  Ver- 
muthung  kommen,  der  römischen  Flotte  sei  die  ümsegelung  jenes 
Vorgebirges  misslungen.  Sei  dem,  wie  ihm  wolle ;  die  Theilnehmer 
der  Fahrt  durften  wenigsten»  sagen,  man  habe  das  Meer  jenseits 
der  jütischen  Halbinsel  von  fem  gesehen,  und  sie  hatten  als  die 
ersten  Römer  Kunde  über  die  Ostsee  eingezogen.     Zwischen  Jütland 


5)  8.  112  der  vierten  Auflage. 

6)  Res  gest.  div.  Aug.  c.  26,  wo  die  Lücke  des  lateinischen  Textes 
aus  der  griechischen  Uebersetzung  ergänzt  wird  (Mommsen  Mon.  Anc.^ 
104 f.).  Die  Ergänzung  Müllenhoffs  DA  II,  285  A.  wird  durch  den 
griechischen  Text  der  Stelle  widerlegt. 

7)  RgdA  a.  a,  0.    Strab o  7  p.  293. 

8)  Plin.  N.  h.  2  §  167 :  Septentrionalis  vero  Oceanus  maiore  ex  parte 
navigatus  est  auspiciis  divi  Augusti  Germaniam  classe  circumvecta  ad 
Cimbrorum  promontoriuni  et  inde  immenso  mari  prospecto  aut  fama  co- 
gnito  Scythicam  ad  plagam  et  umore  nimio  rigentia. 

9)  Dies  ergiebt  sich  mit  voller  Sicherheit  durch  Kombination  der 
l>eiden  Pliniusstellen  in  Anm.  4  und  8. 


Die  röm.  Flottenexpedition  z.  Kimbernlande  u.  d.  Reimath  d.  Kimbern.      31 

und  Skandinavien,  das  die  Römer  für  eine  Ingel  hielten,  nicht  etwa 
aus  ihrer  unvollständigen  Kenntniss  des  Landes  heraus  oder  auf  Grund 
germanischer  Erdichtung,  sondern  nach  der  Vorstellung,  welche  wahr- 
scheinlich die  alten  Bewohner  des  Landes  von  ihrer  Heimat  hatten 
und  daher  auch  die  Germanen  gewannen  ^^),  wurde  damals  noch 
die  Existenz  von  kleinen  Inseln  ermittelt");  aber  nur  von  Hören- 
sagen erfuhr  man  davon  ^*).  Hier  stehen  wir  an  der  Grenze,  bis 
zu  der  noch  zu  Tacitus'  Zeit  römische  Forschung  von  Westen  her 
nach  der  Ostsee  vorgedrungen  war;  die  weitere  Kenntniss  des  Nor- 
dens wurde  den  Römern  von  Osten  her  vermittelt,  wo  sie  zu  Neros 
Zeit  direkten  Verkehr  nach  4ier  Weichsel  und  dem  Samland  beka- 
men und  wo  an  der  Weichsel  sich  der  alte  germanische  Handels- 
weg nach  dem  Norden  anschloss  ^').  Beutebeladen  kehrte  die  römi* 
sehe  Flotte,  nachdem  sie  noch  bei  vielen  kleinen  Stämmen  ähnliche 
Erfolge  wie  bei  den  Kimbern  erlangt  hatte  '*),  von  ihrer  Expedition 
zur  Elbe  znrflck  und  schloss  sich  mit  ihren  Unternehmungen  an  das 
Hauptheer  an. 

Auf  die  Erkundungen  jener  Flotte  geht,  wenn  ich  mich  nicht 
täusche,  noch  eine  Tacitusstelle  zurück,  die  einen  Gewährsmann 
voraussetzt,  der  die  Heimath  der  Kimbern  aus  eigner  Anschauung 
kannte.  Im  37.  Kapitel  der  Germania  lesen  wir:  Eundem  Germa- 
niae  sinum  proximi  Oceano  Cimbri  tenent,  parva  nunc  civitas,  sed 
gloria  ingens.  veterisque  famae  lata  vestigia  manent,  utraque  ripa 
castra   ac   spatia,    quorum   ambitu  nunc   quoque  metiaris  moleni 


10)  Müllenhoff  DA  II,  357  f. 

11)  Plin.  4  %  96.    Müllenhoff  DAII,  285 f. 

12)  Ich  kann  Müllenhoff  darin  nicht  folgen,  dass  er  die  Flotte  bis 
auf  die  Höhe  von  Samsö  und  Seeland  fahren  lässt.  Denn  wenn  auch  bei 
Ptolemäus  südlich  der  Inseln  jede  spezielle  Kenntniss  der  Küstengestal* 
tung  aufhört,  so  hören  doch  die  Angaben  der  Entfernungen  nicht  auf, 
die  er  nicht  aus  der  Luft  greifen  konnte.  Darum  muss  für  Ptolemäus 
eine  andere  Quelle  als  der  Bericht  über  die  Fahrt  der  römischen  Flotte 
angenommen  werden,  und  es  liegt  kein  Grund  vor,  für  das  Endziel  der 
Fahrt  jenes  römischen  Geschwaders  über  die  Angabe  des  Plinius  hinaus- 
zugehen. 

13)  Müllenhoff  DA  III,  91. 

14)  V  eil  eins  a.  a.  0.  spricht  von  einer  victoria  plurimarum  gen- 
tium. Wenn  Augnstus  ausser  den  Charuden  die  kleineren  Stämme  nicht 
erwähnt,  so  spricht  dies  gleichwohl  nicht  gegen  die  Nachricht  des  Velle- 
ius.  Die  Existenz  von  mehr  Stämmen  wird  durch  die  folgende  Stelle 
aus  Ptolemäus  bewiesen. 


32  J.  F.  Marcksi 

mannsqne  gentis  et  tarn  magni  exitus  fidem.  Die  Stelle  ist  sachlich 
nicht  ohne  Schwierigkeit.  Dass  der  Stamm  der  Kimbern  damals 
nur  klein  gewesen  sei  im  Vergleich  zu  seiner  früheren  Grösse, 
stimmt  zu  dem,  was  Ptolemäus^^)  berichtet,  nach  welchem  ausser 
ihnen,  die  im  Norden  Jütlands  wohnten,  wie  wir  schon  oben  sahen, 
noch  eine  Reihe  anderer  Stämme  die  Halbinsel  bewohnte ;  es  stimmt 
femer  zu  dem  Berichte  desVelleius,  eines  Theilnehmers  an  jenem 
Feldzuge  des  Tiherius,  der  die  Flotte  nach  einem  Siege  über  sehr 
viele  Völkerstämme  an  die  Elbe  zurückkehren  lässt.  Was  den  Wohn- 
sitz der  Kimbern  angeht,  so  ei*wecken  die  Worte  des  Tacitus  nicht 
die  Vorstellung  von  einer  Halbinsel  ak  ihrer  Heimath;  selbst  den 
Ausdruck  sinus  kann  man  wegen  des  zugesetzten  Pronomens  —  vor- 
her ist  von  den  Cheruskern  und  Fosen  im  Binnenlande  die  Bede 
gewesen  —  nicht  auf  einen  Meerbusen  beziehen,  sondern  muss  ihn, 
wie  oft  bei  Tacitus,  in  der  allgemeinen  Bedeutung  Landstrich  ver- 
stehen. Und  doch  möchte  man  bei  Tacitus  die  richtige  Vorstellung 
von  der  Lage  und  Gestalt  des  Kimbernlandes  wohl  voraussetzen 
und  darf  es  thun,  nachdem  mindestens  schon  der  Gewährsmann  des 
älteren  Plinius  sie  gehabt  und  zum  Ausdruck  gebracht  hatte;  wenn 
Tacitus  den  Namen  der  Halbinsel  nicht  nennt,  ja  wenn  er  ihre 
Existenz  durch  nichts  andeutet,  so  spricht  dies  nicht  dagegen,  dass 
ihm  ihr  Vorhandensein  bekannt  war;  auch  Skandinaviens  gedenkt 
er  mit  keinem  Wort,  und  dennoch  kennt  und  behandelt  er  die  Be- 
wohner des  Landes. 

Ganz  ohne  befriedigende  Erklärung  sind  bis  jetzt  die  Worte 
utraque  ripa  castra  ac  spatia  geblieben.  Die  castra  ac  spatia  wer- 
den als  veteris  famae  lata  vestigia  bezeichnet:  das  können  weit- 
reichende Spuren  des  alten  Ruhmes  sein  d.  h.  solche,  die  man  bis 
nach  Gallien  hin  suchen  muss;  es  sei  dabei  an  die  Aduatuker  in 
Belgien  erinnert,  welche  Nachkommen  der  Kimbern  und  Teutonen 
waren  und,  beim  Vormarsch  der  Stämme  nach  Italien  als  Wache 
bei  dem  überflüssigen  Tross  zurückgelassen,  sich  nach  dem  Unter- 
gänge ihrer  Landsleute  Wohnsitze  an  der  Maas  erstritten  hatten  ^^). 
Es  können  aber  auch  weitausgedehnte  d.  h.  grosse  Spuren  ihrer 
Existenz  sein,  und  solche  sind  hier  gemeint,  auch  wenn  sie  entfernt 
liegen  sollten;  denn  es  waren  castra  ac  spatia.  Sind  diese  nun  in 
der  Heimat  der  Kimbern  oder  in  der  Fremde  zu  suchen?    Manche 

15)  Geogr.  2,  11,  11  f. 

16)  Caesar  de  beU.  Gall.  2,  29. 


Die  röm.  Klotteiiexpeditiou  z.  Kimbernhuide  u.  d.  Heimatli  d.  Kimbern.    ;i*] 

Erklärer  denken  bei  utraque  ripa  an  die  Ufer  des  Rheins  und  der 
Donau,  so  auch  Müllenhoff  ^');  dann  sind  die  castra  also  Lager, 
welche  die  Kimbern  auf  ihren  Zügen  aufschlugen.  Sprachlich 
ist  dagegen  nichts  einzuwenden,  da  auch  in  Kap.  17  und  23  proximi 
ripae  d.  h.  Anwohner  von  Rhein  und  Donau  erwähnt  werden,  ohne 
dass  der  Name  eines  Flusses  vorher  genannt  wäre.  Aber  man  darf 
nicht  weiter  gehen,  als  dass  man  sagt:  utraque  ripa  kann  sich 
auf  das  Ufer  der  beiden  Grenzflüsse  beziehen;  nur  muss  es- nicht 
so  sein.  Dem  widerstreitet  schon  die  Stelle  des  28.  Kapitels,  wo 
erörtert  wird,  es  sei  ungewiss,  ob  die  Aravisken  von  den  Germanen 
nach  Pannonien  oder  umgekehrt  die  Ösen  von  den  Aravisken  nach 
Germanien  eingewandert  seien,  und  zur  Begründung  folgt:  quia  pari 
olim  inopia  ac  übertäte  eadem  utriusque  ripae  bona  malaque  erant; 
hier  wird  man,  wenn  man  nicht  künstelt,  utraque  ripa  nur  von  den 
beiden  Donauufern  verstehen  können.  Sachlich  steht  es  um  die 
genannte  Erklärung  um  so  bedenklicher:  denn  wer  hat  je  gehört, 
dass  die  Kimbern  auf  ihren  Wanderzügen  Lager  aufgeschlagen 
hätten,  ähnlich  wie  die  Römer  es  thatcn?  Es  müssten  doch  grosse 
Verschanzungen  gewesen  sein,  wenn  man  sie  noch  nach  vielen  Gene- 
rationen sah,  und  des  Tacitus  Gewährsmann  muss  sie  selbst  gesehen 
oder  von  einem  Augenzeugen  davon  gehört  haben.  Auch  von  kei- 
nem andern  germanischen  Stamme  ist  es  bekannt,  dass  er  solche 
Lager  gebaut  hätte.  Also  dürfen  wir  denen,  die  jene  Erklärung 
geben  oder  annehmen,  den  Nachweis  dafür  zuschieben  und,  bis  der- 
selbe erbracht  ist,  uns  gegen  die  Behauptung  wehreu,  dass  es  irgend- 
wo UebeiTeste  der  Kimbern  aus  der  Zeit  ihrer  Wanderung  gegeben 
hat,  die  ein  Römer  als  Lager  bezeichnen  konnte.  Damit  wären 
wir  flir  die  Erklärung  der  castra  auf  die  Heimat  der  Kimbern  ver- 
wiesen. Wenn  Baumstark^®)  dagegen  geltend  macht,  'dass  das 
Wort  exitus,  Auszug  aus  der  Heimath,  durchaus  nöthigt,  nicht  an 
solche  Reste  in  der  Heimath  zu  denken,  sondeni  in  solchen  Land- 
strichen, durch  welche  sich  diese  Menschenmasse  wälzte*,  so  ist  das 
nicht  etwa  ein  fadenscheiniger,  sondern  überhaupt  kein  Grund.  Der 
Zusammenhang  zeigt,  was  Tacitus  meint:  Die  Grösse  der  üeber- 
bleibsel   ist   ein  Beweis   für   'die  Glaubhaftigkeit   einer  so  grossen 


17)  DA  n,  112. 

18)  Ausführliche  Erläuterungen   des  besondern  Theils  der  Germa- 
nia.   S.  108. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUerthsfr.  im  Bheinl.  XOV.  S 


34  J.  P.  Marcks: 

Auswanderung*,  wie  sie  in  den  römischen  Berichten  geschildert 
wird.  Von  ihren  Genossen,  den  Teutonen,  wird  erzählt,  sechs  Tage 
habe  ihr  Vorbeimarsch  am  Lager  des  Marius  mit  dem  gesammteu 
Tross  gedauert;  die  Angaben  über  ihre  Kopfzahl  gehen  in  die  Hun- 
derttausende. Castra  nach  Römerart  kann  man  nun  allerdings  auch 
auf  der  kimbrischen  Halbinsel  nicht  finden,  aber  dort  gab  es  wohl 
etwas,  was  einem  Römer  den  Eindruck  von  Ueberresten  verschanz- 
ter Lager  machen  konnte.  Die  Schilderung,  die  der  ältere  Plinius  *^) 
von  denChauken  giebt,  die  ungefähr  zwischen  Ems  und  Elbe  wohn- 
ten, lässt  uns  in  ihnen  oder  wenigstens  in  denen,  die  von  ihnen 
nahe  dem  Meere  wohnten,  ein  Fischer-  und  Schiffervolk  erkennen, 
das  unter  ähnlichen  Bedingungen  lebte,  wie  heutigen  Tages  die  Be- 
wohner der  Halligen  an  der  Westküste  Schleswig-Holsteins.  Ich 
hebe  hier  aus  ihrer  Schilderung  nur  ihre  Wohnstätten  heraus:  Auf 
künstlichen  Erdaufwürfen,  Wurten  oder  Werften,  wie  man  jetzt  sagt, 
standen  ihre  Hütten  mit  tief  herabreichenden  Dächern,  und  diese  Er- 
höhungen waren  so  hoch  aufgeworfen,  dass  sie  es  auch  mit  sehr 
mächtigen  Fluthen  aufnehmen  konnten.  Gerade  so  stehen  noch  heute 
die  Höfe  der  Halligen-  und  Marschbewohner  in  Holstein,  und  so 
haben  auch  die  Hütten  ihrer  Vorgänger  in  der  Römerzeit  gestanden, 
wie  wir  aus  dem  Vergleich  mit  den  gegenwärtigen  Bewohnern  und 
mit  den  alten  Chauken  mit  voller  Wahrscheinlichkeit  schliessen 
dürfen;  die  natürlichen  Verhältnisse  des  Landes,  die  Nähe  des 
Meeres  und  die  Nothwendigkeit,  sich  gegen  seinen  Andrang  zu 
schützen,  hat  jene  Anlage  der  Höfe  schon  damals  hervorgerufen. 
Diese  üebereinstimmung  in  den  Zuständen  damals  und  jetzt  ist  dort 
nicht  befremdender,  als  wenn  man  die  Befestigungsweise  der  Nervier, 
wie  sie  Caesar  schildert,  noch  jetzt  in  alten  Landwehren  bis  an  den 
Ober-  und  Niederrhein  verfolgen  kann.  Solehe  dorf-  oder  gruppen- 
weise zusammenliegenden  Wurten,  einander  bald  näher  bald  ferner, 
durch  die  Meeresfluth  theilweise  zerstört,  konnten  die  Römer  wohl 
an  ihre  verschanzten  Lager  erinnern.  Damit  kommen  wir  nun  auch 
zu  einer,  wie  mir  scheint,  probabeln  Erklärung  von  utraque  ripa. 
Nördlich  der  Elbe  haben  wir  die  Existenz  verlassener  Werfte  als 
annehmbar  gefunden,  westlich  der  Elbe  werden  bewohnte  dm-ch 
Plinius  bezeugt;  dass  die  römische  Expedition  auch  verlassene  dort 
gefunden  habe,  ist  also  möglich.     So  beziehe  ich  denn  utraque  ripa 


J9)  N.  h.  16  §  2-4. 


Die  röm.  Flotten  ex pedition  z.  Kimberniande  u.  d.  Heiraath  d.  Kimbern.    36 

auf  die  beiden  Ufer  der  Elbe.  An  jenen  Stellen  des  Taj^itus,  wo 
ripa  ohne  Zusatz  eines  Flussnaniens  gebraucht  ist,  haben  wir  es 
demnach  mit  der  diesem  Schriftsteller  cigenthümlichen  mangelhaften 
Anschaulichkeit  und  Sorglosigkeit  topographischer  Darstellung  zu 
thun,  wie  sie  z.  B.  bei  seinen  germanischen  Schlachtberichten  sich 
findet,  wo  wir  trotz  unserer  eignen  genauen  Ortskenntniss  zu  ge- 
sicherten topographischen  Ergebnissen  nicht  kommen  können*^). 

Die  ausgewanderten  Kimbern  wohnten  mithin  mit  aller  Wahr- 
scheinlichkeit, wie  man  längst  angenommen,  in  Schleswig-Holstein, 
während  die  zurückgebliebenen  das  dänische  Jütland  innehatten. 
Wir  würden  damit  für  die  Auswanderer  gerade  diejenige  Gegend 
als  Wohnsitz  bekommen,  die  auch  in  historischer  Zeit  durch  die 
Jahrhunderte  hindurch  bis  in  das  unsrige  hinein  ganz  anders  als 
der  nördliche  Theil  der  Halbinsel  von  Sturmfluthen  heimgesucht 
worden  ist;  ich  erinnere  nur  an  die  unheilvolle  Oktobemacht  1634, 
in  der  die  grosse  Insel  Nordstrand  grossentheils  vernichtet  ward, 
über  6000  Menschen,  mehr  als  50000  Stück  Vieh  ertrunken  und 
in  ganz  Nordfriesland  gegen  10000,  in  den  Marschländern  Schles- 
wig-Holsteins 15000  Menschen  umgekommen  sein  sollen*^). 

Die  römische  üeberlieferung,  dass  die  Kimbern  durch  eine 
grosse  Fluth  zur  Auswanderung  aus  ihrer  Heimat  veranlasst  worden 
seien 2^),  ist  allerdings  angefochten  worden.  Da  nämlich  Timagenes*^) 
berichtet,  nach  der  Lehre  der  Druiden  sei  ein  Theil  der  Einwohner 
Galliens  durch  Fluthen  von  den  Inseln  und  dem  Lande  jenseits  des 
Rheines  vertrieben  worden  und  in  ihre  späteren  Sitze  eingewandert, 
so  nimmt  Müllenhof f  an,  dass  die  Fluthsage,  wie  er  die  üeberliefe- 
rung nennt,  von  Gallien  her  übertragen  und  zudem  noch  erst  von 
den  Teutonen  auf  die  Kimbern  verschoben  worden  sei*^).  Letzteres 
ist,  soweit  ich  sehe,  eine  blosse  Behauptung,  für  die  ich  keinen 
andern  Beweis  oder  Grund  habe  finden  können  als  die  Annahme 
Müllenhoffs,  dass  die  alten  Kimbern  nicht  Anwohner  der  Küste  ge- 
wesen seien-,  ist  diese  Annahme  begründet,  was  wir  später  unter- 
suchen werden,  so  ist  eine  üebertragung  der  Fluthsage  von  den 
Teutonen  auf  die  Kimbern  anzunehmen;    andernfalls  wäre  sie  noch 


20)  Mommsen  RG  V,  49  Anm. 

21)  Sach,  die  deutsche  Heimath  S.  222  ff. 

22)  Die  Belege  bei  Müllen  hoff  DA  II,  165. 

28)  Ammian.  Marc.  15,  9,  2.  4.    Müllen  hoff  DA  I,  232.  II,  166. 
24)  DA  II,  2aS.  I,  231  f. 


36  3.  P.  Marcks: 

ZU  beweisen.  Aber  auch  der  ersten  Annahme  Mülleuhoffs  kann 
ich  nicht  beipflichten.  Die  Ueberlieferung  der  Druiden  mag  richtig 
sein:  Kelten  wohnten  ja  ursprünglich  auch  im  Norden  auf  dem 
rechten  Rheinufer  und  ostwärts  über  die  Weser  hinaus*''),  und 
unter  den  Grtinden,  welche  sie  bewogen,  über  den  Rhein  abzuziehen, 
kann  bei  den  Ktistenbewohnern  neben  andern,  besonders  den  vor- 
drängenden Angriffen  der  Germanen,  die  Noth  mitbestimmend  ge- 
wesen sein,  in  welche  sie  durch  die  Fluthen  geriethen,  die  ihnen 
ihre  Häuser  wegschwemmten  und  mehr  Menschenverlust  brachten 
als  der  Krieg^^).  Lassen  wir  demnach  die  Ansicht  der  Druiden 
gelten,  so  sind  wir  damit  ohne  besondere  Gründe  noch  nicht  zu 
der  Annahme  berechtigt,  jene  Angabe  betreffs  der  Kimbern  sei  von 
den  Galliern  ßllschlich  auf  sie  tibertragen.  Gleiche  Ursache,  gleiche 
Wirkung.  Gerade  an  unserer  Nordseeküste  können  wir  nachweisen, 
wie  dieselbe  Natur  auf  Land  und  Menschen  zu  verschiedenen  Zeiten 
in  gleicher  Weise  gewirkt  hat.  Zuider  See,  Dollart  und  Jadebusen 
verdanken  ihre  jetzige  Gestalt  grossen  Stunnfluthen:  Der  Zuider 
See  entstand  im  13.  Jahrhundert  aus  einem  Binnensee^  den  die  Römer 
Flevum  nannten,  indem  das  Meer  die  trennende  Landmasse  wegriss ; 
in  demselben  Jahrhundert,  in  den  Jahren  1277  und  1287,  der  Dollart;  und 
auch  der  Jadebusen  geht  nur  bis  ins  Mittelalter  zurück*^).  Gerade 
die  Gleichartigkeit  der  Entstehung  dieser  Meerbusen  unterstützt  die 
Ueberlieferung  darüber,  wenn  es  eines  solchen  Schutzes  bedürfte. 
Die  vielen  Inseln  vor  der  Nordseeküste  von  Helder  in  Holland  bis 
Blaavands  Huk  in  Jütland,  Ueberbleibsel  der  alten  Dühne  und  des 
dahinter  liegenden  Marschlandes,  weisen  alle  —  abgesehen  natürlich 
von  Helgoland  —  dieselbe  Entstehung  auf*^).  Der  oben^^)  schon 
erwähnte  Bericht  des  Plinius  über  die  Chauken  zeigt  uns  ein  Volk, 
das  wohnte  und  lebte  wie  noch  jetzt  die  Halligbewohner:  In  unge- 
heuerem Andrang,  sagt  er,  treibt  zweimal  des  Tages,  unermesslich 
weit  ausgedehnt,  der  Ozean  heran  und  bedeckt  das  ewig  streitige 
Grenzgebiet   der  Schöpfung,   und   zweifelhaft   ist,   ob   es  ein  Theil 


25)  DA  II,  204  ff.  207  ff.  236. 

26)  Ephorus  bei  Strab  o  7  p.  293.  'Nur  I1ir  die  Bewohner  der  Küsten 
und  Uferlandschaften  von  der  Scheide-  und  Rlieinmündung  an  nordwärts 
hat  der  merkwürdige  Ausspruch  des  Ephonis  einen  Sinn'.    DA  I,  232. 

27)  Guthe-Wagner,  Lehrbuch  der  Geographie  IP,  537  ff. 

28)  Guthe-Wagner,  II,  533  f. 

29)  Seite  34. 


Die  röm.  FJottenexpedition  z.  Kiinbernlande  u.  d.  Heimath  d.  Kimbern.    37 

des  Landes  oder  des  Meeres  ist.  Doi-t  hat  jenes  annselige  Volk 
auf  Wurten  seine  Hütten-,  Schiffern  sind  sie  ähnlich,  wenn  die  Ge- 
wässer die  Umgegend  bedecken,  Schiffbrüchigen  aber,  wenn  dieselben 
zurückgewichen  sind.  Auf  die  Fische,  die  mit  dem  Meere  fliehen, 
machen  sie  rings  um  ihre  Hütten  mit  tief  herabhängenden  Dächern 
Jagd.  Sie  können  kein  Vieh  halten,  sich  nicht  von  Milch  nähren 
wie  ihre  Nachbarn,  nicht  einmal  mit  wilden  Thieren  kämpfen. 
Aus  Schilfgras  und  Binse  flechten  sie  Seile,  um  Netze  für  die 
Fische  einzufassen,  und  indem  sie  mit  den  Händen  zusammenge- 
rafften Schmutz  im  Winde  mehr  als  an  der  Sonne  trocknen,  wärmen 
sie  mit  Erde  d.  h.  mit  Torf,  die  Speisen  und  ihre  kältestarrenden 
Eingeweide ;  als  Getränk  haben  sie  nur  Regenwasser,  das  in  Gruben 
im  Vorhof  des  Hauses  aufbewahrt  wird.  In  dieser  fast  zwei  Jahr- 
tausende alten  Schilderung  wird  kein  Kundiger  die  Aehnlichkeit 
mit  dem  Leben  der  heutigen  Halligbewohner  verkennen.  Muss 
man  nun  nicht  bei  solcher  üebereinstimmung  in  dem  Einfluss  der 
Natur  auf  Land  und  Leute,  wie  wir  ihn  nördlich  und  westlich 
der  Elbe  nachgewiesen  haben,  die  Möglichkeit  zugeben,  dass,  wie 
nach  der  Druidenlehre  Gallier  von  der  Nordseekäste  westlich  der 
Weser,  so  auch  Germanen  östlich  jenes  Flusses  sich  zur  Auswande- 
rung genöthigt  gesehen  haben?  Auf  unsern  Fall  angewandt  heisst 
das:  die  Ueberlieferung,  dass  die  Kimbern  und  Teutonen  durch 
Sturmfluthen  aus  ihrer  Heimath  verdrängt  wurden,  ist  nur  dann  als 
von  den  Galliern  übertragen  anzusehen,  wenn  dafür  ganz  bestimmte 
Gründe  angeführt  werden  können;  die  Thatsache  ihrer  üeberein- 
stimmung mit  jener  gallischen  Tradition  genügt  dafür  nicht;  sonst 
ist  dieselbe  als  historische,  nicht  als  sagenhafte  Ueberliefei-ung  zu 
betrachten.  Mülle nh off  hat  diesen  zwingenden  Beweis  nicht  ge- 
führt. Auch  Mommsen^^j  verhält  sich  gegenüber  der  Angabe 
über  die  Ursache  der  kimbrischen  Wanderung  kritisch:  er  sagt. 
Genaueres  über  die  Ursache  ihrer  Heerfahrt  hätten  die  Zeitgenossen 
aufzuzeichnen  versäumt,  und  fügt  (in  einer  Anmerkung)  ergänzend 
hinzu,  ob  jener  Bericht  auf  Ueberlieferung  oder  Vermuthung  be- 
ruhe, sei  nicht  zu  entscheiden.  Wer  meiner  obigen  Ausführung 
zustimmt,  wird  hier  keine  Widerlegung  mehr  fordeiii;  auf  eins  sei 
hingewiesen:  Mommsen  meint,  Zeitgenossen  hätten  über  die  Ursache 
der  kimbrischen  Wanderung  nichts  aufgezeichnet.     Ich  möchte  den 


30)  ÜG  116,  170, 


38  J.  F.  Marcks: 

Satz  nicht  begründen  müssen.  Wir  haben  bekanntlich  keine  gleich- 
zeitigen Quellen  über  den  kimbrischen  Krieg;  aber  Posidonius,  der 
nach  Mtillenhoffs  Vennuthung  'gegen  oder  um  das  Jahr  90  für  seine 
Bücher  /Lierd  üokvßiov  sammelte  und  arbeitete'  '*^),  bekämpfte  bereits  die 
vulgäre  römische  üeberlieferung,  und  da  er  dies  auch  schon  in  der 
Schrift  tuqI  wxeavov  that,  wie  Müllenhoff  überzeugend  nachge- 
wiesen hat^*),  und  diese  nach  dem  Jahre  90  liegt  ^^),  aber  nicht 
vor  dem  Geschichtswerk  yeröflfentlicht  wurde,  so  dürfen  wir 
die  bekämpfte  Ansicht  mit  einiger  Zuversicht  auf  einen  Zeitgenossen 
des  kimbrischen  Krieges  zurückführen-,  jedenfalls  ist  ein  gegen- 
thciliger  Schluss  ex  silentio  hier  unstatthaft.  Materiell  brauchen  wir  auf 
die  Einwände  des  Posidonius  kaum  einzugehen :  er  kannte  nur  die  regel- 
mässigen Gezeiten  des  Ozeans,  in  denen  er  die  in  der  üeberlieferung 
gegebene  Ursache  der  kimbrischen  Auswanderung  fand,  und  da 
diese  täglich  zweimal  eintraten  und  auch  die  Zunahme  der  Fluth- 
erscheinungen  bei  den  Syzygien  und  Aequinoktien  regelmässig 
wiederkehrt,  so  klang  es  ihm  begreiflicher  Weise  unglaublich,  dass 
die  Anwohner  des  Meeres  nicht  einmal  hätten  bemerken  sollen,  dass 
die  Gezeiten  unschädlich  seien;  daher  sah  er  in  der  Raublust  der 
Kimbern  die  Ursache  ihrer  Auswanderung  ^'').  Wir  kennen  die  Ge- 
walt der  Sturmfluthen  an  unserer  Nordsee :  wir  brauchen  nur  an  die 
oben  berührte  Zerstörung  des  Festlandes  durch  das  Meer,  an  die 
gewaltigen  Sturmfluthen,  von  denen  friesische  Chronisten  erzählen, 
erinnert  zu  werden,  um  es  glaubhaft  zu  finden,  dass  auch  jene 
erste  grosse  Auswanderung  germanischer  Stämme  durch  ein  solches 
Ereigniss  veranlasst  worden  sei.  Dadurch  ist  der  Polemik  des  Po- 
sidonius gegen  die  Fluthtradition  der  Boden  ganz  entzogen, 

31)  DA  II,  176.  128. 

32)  a.  a.  0.  164. 
83)  a.  a.  0.  128. 

34)  Strabo  7  p.  293,  wozu  noch  3  p.  173 f.  zu  vergleichen  ist;  2p. 
102  mit  der  Bemerkung  Groskurds  zu  der  Stelle  und  Müllenhoff  DA 
II,  l«;3f.;  ferner  Erhardt  in  einer  Anzeige  der  DA,  die  ich  erst  zu  Ge- 
sicht bekam,  als  dieser  Aufsatz  fertig  war,  Sybels  HZ  69  (1892)  475  flF. 
Krhardt  schlägt  für  das  verderbte  ovy.  dOofUiv  2  p.  102  vor  oAf&oiav  und 
nimmt  diese  Stelle  als  Maassstab  für  die  andere  7  p.  293.  'Das  l.ob,  das 
Strabo  hier  dem  Posidonius  ertheilt',  sagt  er,  'kann  sich  nur  auf  die  Zu- 
rückweisung der  Fabeln  des  p:phoros  und  Kleitarchos  beziehen;  was 
Strabo  dagegen  vorher  über  gewöhnliche  und  aussergewöhnliche  Fluthen 
sagt,   wird   gegen    niemand   anders   als  gv^'cn  Posidonius   selbst   gehen. 


Die  röm.  Flottenexpedition  z.  Kimbernlahde  u.  d.  Heimath  d.  Kimbern.    39 

Nun  ist  aber  Müllenhoff  in  der  Kimbernfrage,  wenn  ich  so 
sagen  soll,  noch  weiter  gegangen,  indem  er  behauptete,  die  Römer 
hätten  auf  ihrer  Flottenexpedition  in  Jütland  gar  keine  wirklichen 
Kimbei-n  angetroffen,  sondern  nur  willkttrlich  die  Stämme,  die  sie 
dort  vorfanden,  Kimbern  genannt^*);  die  wahren  Kimbern  hätten 
in  alter  Zeit  ihre  Wohnsitze  südlicher  im  Gebiete  der  mittleren 
Elbe  gehabt  *^).   Auch  auf  diese  Ansicht  müssen  wir  hier  näher  eingehen. 

Das  Alterthum  kannte  die  Kimbern  nur  als  Anwohner  der 
See.  In  solche  Wohnsitze  versetzt  sie  schon  die  üeberlieferung 
über  die  Ursache  ihrer  Auswanderung,  also  eine  Zeit,  die  vor  Posi- 
donius  liegt.  So  lässt  sie  auch  'der  alte  Gewährsmann'  des  Pompo- 
nius  Mela  wohnen,  in  einer  Stelle  seiner  Chorographie,  wo  man  die 
Nordseeküste  mit  ihren  Watten  aufs  klarste  geschildert  findet*').  • 
Aber  vor  der  Fahrt  der  römischen  Flotte  im  J.  5  ist  nirgends  eine 
Halbinsel  als  Heimath  der  Kimbern  genannt.  Wenn  Strabo  sie  in 
dem  Auszuge  aus  Posidonius  auf  dieser  Halbinsel  voraussetzt  und 
ihre  Gesandtschaft  an  Augustus  erwähnt,  so  ist  das  eine  wie  das 
andere  aus  eignem  Wissen  hinzugethan**).  Alle  späteren  Zeugnisse 
können  unter  dem  Einflüsse  der  Augusteischen  üeberliefening  stehen. 

Wie  sollen  nun  die  Römer  dazu  gekommen  sein,  die  Kimbern 
auf  der  jütischen  Halbinsel  zu  fixiren,  während  sie  die  Teutonen 
jenseits  des  von  ihnen  besuchten  und  erkundeten  Landes,  auf 
Skandinavien  und  der  gegenüber  liegenden  Küste  wohnen  Hessen*^)? 


Posidonius  war  derjenige  gewesen,  welcher,  auf  bessere  Kenntniss  der 
Flu thersch einungen  gestützt,  der  falschen  Ansicht  entgegentrat,  als  ob  die 
gewöhnliche  Fluth  die  Kimbern  zum  Aufbruch  habe  veranlassen  können, 
und  statt  dessen  auf  eine  Sturmfluth  hinwies'.  Diese  Ansicht  ist  gegen- 
über den  Darlegungen  MüUenhoffs  nicht  haltbar.  Man  kann  nicht  die 
erste,  verderbte  Stelle  zur  Grundlage  für  die  zweite  machen ;  die  Gründe, 
weshalb  Posidonius  die  Angaben  des  Ephorus  und  Kleitarch  verwarf,  sind 
offenbar  die  von  Strabo  angeführten,  aus  denen  sich  für  Posidonius  nur 
die  Kenntniss  der  regelmässigen  Gezeiten,  nicht  die  der  Sturmfluthen  an 
der  germanischen  Küste  ergiebt.  Es  freut  mich  abei*,  dass  ich  in  der 
Hauptsache,  dem  Grunde  für  die  kimbrische  Auswanderung,  mitErhardt 
übereinstimme. 

35)  DA  m,  226.  H,  117.  286.  288  f. 

36)  a.  a.  0.  289.  300. 

37)  3,  3,  31.    Müllenhoff  DAI,  489. 

38)  DA  II,  284. 

39)  Mela  3,  6,  54.    Für  Plinius  und  Ptolemäus  vergl.  Müllenhoff 
DA  II,  287. 


40  J.  F.  MarckH: 

Warum  haben  denn  die  Römer  zu  Augustus'  Zeit  nicht  auch 
die  Kimbera  in  die  unbekannte  Feme  gertickt,  da  dort  noch  Raum 
genug  zur  Verfügung  stand?  Was  könnte  sie  zu  dem  Ansatz  auf 
der  jütischen  Halbinsel  veranlasst  haben?  Einen  stichhaltigen  Grund 
dafür  veimag  ich  allerdings  nicht  zu  finden.  Müllenhoff  denkt 
an  Augustus  'Bestreben,  dem  römischen  Volke  für  Beleidigungen, 
die  seiner  Majestät  früher  widerfahren  waren,  Genugthuung  zu  ver- 
schaffen, wäre  es  auch  nur  zum  Scheine**^);  er  erinnert  dabei  an 
die  Parther.  Allein  erstlich  kann  jenes  Streben  doch  kaum  im 
Ernste  als  Grund  hinreichen,  eine  unverdächtig  überlieferte  That- 
sache  anzufechten;  zum  andern  hinkt  der  Parthervergleich  ganz 
bedenklich:  den  Parthera  gegenüber  hatte  Augustus  die  Schmach 
.  einer  grossen  Niederlage  noch  zu  rächen,  während  den  Einfällen 
der  Kimbeni  gegenüber  die  Siege  des  Marius  als  Genugthuung 
wohl  hinreichten  und  durch  eine  untenvürfig  erscheinende  Gesandt- 
schaft kaum  verstärkt  werden  konnten.  Zum  dritten  tritt  nirgend- 
wo ein  besonderer  Stolz  des  Augustus  auf  die  kimbrische  Gesandt- 
schaft zu  Tage-,  er  erwähnt  sie  in  seinem  Rechenschaftsbericht  in 
schlichter  Weise  neben  den  übrigen. germanischen  Gesandtschaften 
ohne  jede  Hervorhebung,  obwohl,  wenn  er  auf  sie  besondern  Werth 
legte,  eine  Hindeutuug  auf  seine  Befriedigung  darüber  nahelag. 

Dass  es  nicht  wirkliche  Kimbern  gewesen  seien,  welche  die 
Römer  in  Jütland  trafen,  hat  Müllenhoff  aus  der  Etymologie  des 
Namens  geschlossen,  durch  die  bewiesen  werden  soll,  dass  die 
Kimbeni  erst  ausserhalb  Germaniens  ihren  Namen  bekommen  haben. 
Er  leitet  das  Wort  aus  dem  Keltischen  ab;  denn  'ein  Wort  kimbr 
latro  findet  sich  in  keiner  germanischen  Sprache,  noch  ein  Wort- 
stamm, der  auf  diese  Bedeutung  führte';  ausserdem  hält  er  es  für 
wahrecheinlicher,  'dass  ein  Gesammtname  des  angegebenen  Sinnes 
den  hereinbrechenden  Scharen  von  den  Galliern  beigelegt  wurde 
als  den  abziehenden  von  ihren  Landsleuten  oder  nach  eigener 
Wahr^^).  Hiergegen  liegen  verschieden'fe  Bedenken  vor.  Es  ist 
nicht  erwiesen  noch  erweisbar,  dass  erst  zur  Zeit  der  Auswande- 
rung den  Kimbern  jener  Name  beigelegt  worden  ist.  Warum  soll 
er  nicht  älter  sein,  gerade  w^e  der  Teutonenname?  Ist  es  glaubhaft, 
dass  der  Suebenhäuptling  Cimberius^*)   von  der  gallischen  Bezeich- 

40)  DA  II,  28().  41)  DA  IT,  117.  118. 

42)  Caesar  de  bell.  Gnll.  1,  37.  Zeuss,  die  Deutschen  und  ihre 
Nachbarstäunne  141  Anm. 


Die  röm.  Flotteuexpedition  z.  Kimbernlande  u.  d.  Heimath  d.  Kimbern.    41 

nung  germanischer  Scharen  seinen  Namen  gehabt  habe?  Den 
Namen  Teutobod  vertheidigt  Müllen  ho  ff  mit  Recht  als  deutsch*'); 
schwindet  damit  aber  nicht  die  Wahrscheinlichkeit  keltischer  Ab- 
leitung des  Teutonennamens**)?  Und  steht  es  mit  dem  Kimbern- 
namen anders?  Ist  kimbr=:latro  durchaus  als  Grundlage  ftir  die 
Etymologie  anzusehen?  Ist  die  Möglichkeit  der  Erklärung  aus  einer 
andern  germanischen  Wurzel  auszuschliesen?  Müllen  hoff  will 
doch  nur  die  Richtigkeit  der  Ableitung  von  dem  einen  germanischen 
Worte  kimbr  abweisen.  Dieser  Sachlage  gegenüber  muss  man 
um  so  mehr  festhalten,  was  mir  für  unumstösslich  gilt:  die  Ety- 
mologie kann  man  nicht  als  Beweis  gegen  eine  beglaubigte  That- 
sache  aus  historisch  heller  Zeit  anführen,  wenn  die  Thatsache  nicht 
als  solche  durch  andere  Gründe  widerlegt  wird;  sonst  muss  sich  die 
Etymologie  nach  der  geschichtlichen  Thatsache  richten*^). 

Eine  Spur  davon,  dass  es  nach  der  Wanderung  der  Kimbern 
in  Germanien  kein  Volk  des  Namens  mehr  gab,  glaubt  Müllen- 
h off  in  Tacitus  Germania  zu  finden.  Er  behauptet,  die  Diathese, 
welche  jenem  Schriftsteller  vorlag,  habe  von  Kimbeni  nichts  mehr 
gewusst;  Tacitus  habe  Kapitel  37  nur  eingeschoben,  'um  einen  der 
nächsten  Absicht  seiner  Schrift  entsprechenden  geschichtlichen  Exkurs 
über  die  Gefährlichkeit  der  germanischen  Kriege  für  die  Römer  an  den 
Namen  der  Kimbern  zu  knüpfen*;  er  habe  sie  'nur  deshalb  ver- 
muthungsweise  als  eine  parva  nunc  civitas  an  den  Ozean'  ge* 
setzt,  'weil  die  Diathese  sie  nicht  kannte'*^).  Wenn  diese  Hypo- 
these Müllenhoffs  richtig  ist,  so  ist  sie  von  sehr  grosser  Bedeu- 
tung; in  diesem  Falle  hätte  ein  alter  Geograph  den  offiziellen 
römischen  Betrug  mit  den  Wohnsitzen  der  Kimbern  erkannt  und 
sich  dagegen  erklärt;  denn  dass  der  Gewährsmann  des  Tacitus 
nicht  etwa  über  die  Zeiten  des  Augustus  zurückliegt,  bedarf  keines 
Beweises.  Müllen  hoff  begründet  seine  Ansicht  folgendermassen 
—  ich  citire  wörtlich,  um  ihm  sein  volles  Recht  zu  lassen:  Tacitus 


43)  DA  II,  119  f. 

44)  Der  Wortstamm  ist  unzweifelhaft  deutsch,  wie  Müllenhoff 
auch  für  Teutobod  zugiebt.  Wenn  sich  das  Schwanken  in  der  Endung 
wie  Teutoni  und  Teutones  sonst  nur  bei  gallischen,  nie  bei  deutschen  Namen 
findet  (DA  II,  115),  so  kann  sich  für  die  Teutonen  dies  daraus  erklären, 
dass  den  Römern  der  Name  des  germanischen  Volkes  durch  die  Gallier 
vermittelt  wurde. 

45)  In  gleichem  Sinne  spricht  sich  Erhard t  in  der  oben  erwähnten 
Anzeige  der  DA  aus.  i6)  DA  II,  288, 


42  J.  F.  Marcks: 

'hat  c.  36  die  Cherusker  an  der  mittleren  Weser  und  Elbe  und 
vorher  c.  35  die  Chauken  an  der  Nordsee  bis  zur  Elbe  besprochen. 
Seiner  Ordnung  gemäss,  indem  er  der  Richtung  des  Rheines  folgte 
(c.  41),  sollte  nun  der  Raum  zwischen  den  Cheruskern  und  Chauken 
ausgefüllt,  dann  die  Völker  nördlich  der  Elbe  längs  der  Nordsee 
aufgeführt  werden.  Dies  geschieht  auch  nach  c.  37,  indem  Tacitus 
c.  38.  39  von  den  suebischen  Semnonen  im  Osten  der  Cherusker 
ausgehend,  c.  40  die  Longobarden  nördlich  von  den  Cheruskern 
und  östlich  von  den  Chauken  und  weiter  Raudigni,  Aviones  (Insel- 
bewohner), Anglii  u.  s.  w.  jenseit  der  Elbe  nach  Norden  hin  folgen 
lässt,  so  dass  der  Raum  über  den  Cheruskern  vollständig  ausgefüllt 
wird  und  für  die  parva  nunc  civitas  kein  Platz  bleibt.  Man  geräth 
schon  mit  ihr  In  Verlegenheit,  wenn  es  nach  den  Cheruskern  von 
c.  36  mit  einem  Male,  aber  sehr  unbestimmt  c.  37  heisst,  die 
Kimbern  hätten  eundem  Germaniae  sinum,  denselben  Winkel  oder 
dieselbe  Strecke  von  Germanien  proximi  Oceano  inne,  da  von  den 
Cheruskern  bis  zum  Meere  eine  Lücke  bleibt,  die  weder  die  parva 
civitas  ausfüllen,  noch  Tacitus  nach  der  von  ihm  sonst  beobachteten 
Ordnung  überspringen  konnte*. 

Wie  steht  es  nun  mit  dieser  Begründung?  Mülle nhoffs 
Ansicht  kann  auch  nur  als  wahrscheinlich  bloss  dann  angesehen 
werden,  wenn  der  Zusammenhang  des  Taciteischen  Berichtes  mit 
Nothwendigkeit  auf  eine  Durchbrechung  durch  Kap.  37  hinweist. 
Eine  Lücke  ist  aber  in  Wirklichkeit  nicht  vorhanden.  Tacitus  hat 
bis  Kap.  34  die  westlichen  Germanen  aufgezählt.  Er  ist  in  der  Richtung 
des  Rheines  vorgegangen;  nun  schwenkt  er  nach  rechts  ab,  um  die  nörd- 
lichen Stämme  zu  schildern.  Diese  Veränderung  in  der  Richtung  bei  der 
Aufzählung  ist  durch  den  Anfang  von  Kap.  35  deutlich  bezeichnet: 
hac  tenus  in  oceidentem  Germaniam  novimus;  in  scptentrionem  ingenti 
flexu  redit.  In  Kap.  41  beweist  die  Hindeutung  auf  die  früher  befolgte 
Ordnung :  ut  quomodo  paullo  ante  Rhenum,  sie  nunc  Danuvium  sequar, 
dass  Tacitus  nicht  bis  K.  40  einschliesslich  die  Richtung  des  Rheines 
verfolgt  haben  wollte;  sonst  hätte  er  statt  'kurz  vorher'  (paullo  ante) 
sagen  müssen  'bis  jetzt'  oder  ähnlich.  Man  darf  also  nach  der  Er- 
wähnung der  Chauken  in  K.  35  nicht  die  Forderung  stellen,  dass 
Tacitus  jetzt  zueret  den  Raum  zwischen  Cheruskern  und  Chauken 
hätte  ausfüllen  und  dann  erst  die  Kimbern  jenseits  der  Elbe  an- 
führen müssen.  Mit  Unrecht  sieht  daher  Müllen  hoff  in  K.  38 
die  richtige  Fortsetzung  von  K.  36.    Was  fenier  den  Tadel  betrifft, 


Die  röm.  Flottenexpedition  z.  Kimbernlande  u.  d.  Heimath  d.  Kimbern.    43 

dass  K.  36  von  den  Cheruskern  bis  zum  Meere  eine  'Lücke  bleibt, 
die  weder  die  parva  civitas  ausfüllen,  noch  Tacitus  nach  der  sonst 
von  ihm  beobachteten  Ordnung  übei-springen  konnte',  so  musste 
Tacitus  diese  Lücke  lassen;  denn  sonst  hätte  er  später  eine  andere 
Lücke  eintreten  lassen  müssen,  da  er  die  Kimbern  nicht  zu  den 
Sueben  zählt;  er  hätte  seine  zusammenhängende  Schilderung  der- 
selben in  zwei  Theile  zerlegen  müssen  und  dadurch  ohne  Zweifel 
eine  viel  schlimmere  Unterbrechung  seiner  Darstellung  hervorgerufen 
und  sicherlich  noch  mehr  Tadel  gefunden.  Dass  es  fllr  Römer  ebenso 
unmöglich  gewesen  ist  wie  fttr  uns,  aus  den  Angaben  des  Tacitus 
sich  eine  richtige  Vorstellung  von  der  geographischen  Lage  des 
Kimbemlandes  zu  machen,  ist  zuzugeben:  diesen  Mangel  an  klarer 
geographischer  Darstellung  finden  wir  aber  nicht  bloss  in  der  Germania, 
sondern  allgemein  in  Tacitus'  Schriften,  worauf  oben  bereits  hinge- 
wiesen wurde. 

Das  37.  Kapitel  fttr  ein  Einschiebsel  zu  halten,  sind  wir  also 
nicht  berechtigt,  da  die  Nähte  des  alten  Zusammenhanges,  die 
Müllen  ho  ff  gesehen  zu  haben  glaubte,  auf  einem  Versehen  be- 
ruhen. Auf  die  Tendenz,  welche  nach  Ansicht  jenes  Gelehrten 
der  Germania  zu  Grunde  liegt,  kann  man  sich  natürlich  nicht  zur 
Begründung  jener  Hypothese,  sondeni  nur  zu  ihrer  Erläuterung 
berufen,  um  klarzulegen,  woher  für  Tacitus  das  Bedfirfniss  nach 
einem  Einschub  stamme.  Mit  der  Annahme  des  Einschiebsels  fällt 
von  selbst  nun  auch  die  Behauptung,  der  Schriftsteller  habe  nur 
vermuthungsweise  die  Kimbern  an  den  Ozean  gesetzt,  wofür 
jeder  Grund  fehlt. 

Für  die  Wohnsitze  der  Kimbern  an  der  mittleren  Elbe,  wie 
Müllenhoff  sie  annimmt,  lässt  sich  ein  Schriftstellerzeugniss  durch- 
aus nicht  beibringen.  Was  Müllenhoff  dafür  anftthrt,  z.  B.  den 
Umstand,  dass  die  Kimbern  bei  der  Wanderung  zuerst,  dann  erst 
die  Teutonen  erscheinen,  ist  gegenüber  der  ausdrücklichen  Ueber- 
lieferung  ohne  Belang:  über  den  Zug  der  Teutonen  bis  zu  ihrem 
Zusammentreffen  mit  den  Kimbern  sind  wir  zu  wenig  unterrichtet, 
als  dass  sich  daraus  Schlüsse  ziehen  Hessen.  Den  Versuch  Müllen- 
hof fs*^)  gegen  Mommsen*^)  die  Anwesenheit  der  Teutonen  schon 
in   der  Schlacht   bei  Noreia   zu  erweisen,    muss  ich  für  misslungen 


47)  DA  II,  290  fif. 

48)  RG  IP,  182. 


44  J.  F.  Marcks: 

halten-,  denn  keiner  der  drei  Gründe,  welche  diese  Annahme  auf 
PoBidonius,  Livius  und  Caesar  zurückführen,  ist  beweiskräftig.  Nicht 
der  für  Posidonius:  denn  wenn  dieser  einen  Soldaten  des  Marius, 
während  ihnen  die  Teutonen  gegenüberstanden,  fragen  lässt,  ob  den 
Marius  das  Schicksal  des  Carbo  und  des  Caepio  schrecke,  über  welche 
die  Feinde  gesiegt  hätten,  so  folgt  daraus  nicht  die  Anwesenheit 
der  Teutonen  in  der  Schlacht  bei  Noreia;  denn  Kimbern  und  Teu- 
tonen waren,  seitdem  sie  sich  vereinigt  hatten,  für  die  Römer  e  i  n 
Feind.  Nicht  besser  der  Beweis  für  Livius:  die  Anekdote  von  dem 
Gesandten  der  Teutonen,  der  auf  die  Frage,  wie  hoch  er  den  Werth 
eines  alten  Kunstwerks,  eines  alten  Hirten  mit  einem  Stocke,  schätze, 
zur  Antwort  gab,  den  möge  er  nicht  geschenkt,  wenn  er  leibte  und 
lebte ;  die  Anekdote  ist  doch  nichts  mehr  als  eine  Anekdote.  Wer 
sie  erzählte  und  auch  der  sie  uns  überliefert,  Plinius,  dem  kam  es 
darauf  an,  die  Pointe  zu  treffen  und  nicht,  wie  Kent  zu  König 
Lear  von  sich  sagt,  eine  gute  Geschichte  durch  Erzählen  zu  ver- 
derben; ob  der  Gesandte  der  Teutonen  historisch  war,  wird  keinen 
gekümmert  haben.  Der  Schluss,  dass  bei  der  Kimberngesandtschaft 
vom  Jahre  109  auch  Teutonen  gewesen,  ist  also  wohl  recht  gewagt. 
Mit  Caesar  steht's  nicht  anders.  Wenn  er  immer,  bis  auf  eine  Stelle, 
beide  Völker  zusammen  nennt,  so  ist  darin  nichts  Auflfälliges,  selbst 
wenn  erst  nur  das  eine  und  später  das  andere  Volk  kam;  keine 
einzige  Stelle  giebt  es,  die  eine  Trennung  der  Namen  nothwendig 
gemacht  hätte  und  die  zu  der  Annahme  zwingt,  er  müsse  es  'gar 
nicht  anders  gewusst  haben,  als  dass  beide  Scharen  mit  einander 
in  Gallien  eingefallen'  wären. 

Ich  stehe  am  Ende  meiner  Erörterung  und  möchte  wünschen, 
es  wäre  mir  der  Nachweis  gelungen,  dass  Müllenhoff  für  seine 
Kimbernhypothese  keinen  durchschlagenden  Beweis  erbracht  hat. 
Wären  wirklich,  wie  jener  annimmt,  die  Kimbern  kein  in  sich  ge- 
schlossenes Volk  gewesen,  wären  sie  zusammen  mit  den  Teutonen 
im  Keltenlande  erschienen  und  hätten  sie  dort  erst  ihren  Namen  be- 
kommen, so  würde  es  unerklärlich  sein,  wie  es  gekommen  wäre, 
dass  sie  anders  als  die  Teutonen  benannt  und  nicht  mit  ihnen  unter 
denselben  Namen  zjisammengefasst  worden  wären.  Dass  sich  beide 
Völkerscharen  auf  der  Wanderung  augenßlllig  unterechieden,  ist 
leicht  gesagt,  aber  schwer  zu  beweisen.  Nach  Körperbeschaflfenheit, 
Lebensweise  und  Einrichtungen  nicht:  wenigstens  deutet  kein  alter 
Schriftsteller  das  an.    Ob   in  der  Sprache?    Müllenhoff  selbst 


Die  roin.  l""*lottenexpcdition  z.  ttiiiibernlande  u.  d.  Heimath  d.  Kimbern.    45 

weist  einmal  darauf  hin,  dass  die  dialektischen  Verschiedenheiten 
innerhalb  des  Germanisehen  'um  den  Anfang  unserer  Zeitrechnung 
und  in  den  eraten  ihm  folgenden  Jahrhunderten  gewiss  so  gering' 
waren,  'dass  nicht  nur  die  Westgermanen  sich  unter  einander  ohne 
Mühe  verständigten,  sondern  auch  mit  den  Ostgennanen  und  umge- 
kehrt. Nie  ist  auch  von  einer  Mehrheit  germanischer  Sprachen 
bei  den  Römern  die  Rede  und  noch  im  sechsten  Jahrhundert  sagt 
Prokop,  dass  alle  östlichen  Völker,  die  Vandalen,  Gepiden,  Goten, 
dieselbe  Sprache  redeten**^).  Und  wäre  eine  solche  Verschiedenheit 
wirklich  vorhanden  gewesen,  wie  hätte  sie  den  Kelten  zum  Bewusst- 
sein  kommen  können,  da  doch  selbst  das  klassische  Alterthum  in 
der  Sprachvergleichung  und  in  Folgerungen  über  Zusammengehörig- 
keit von  Völkern  auf  Grund  ihrer  Sprache  auf  niedrigster  Stufe 
stand  ?  Ein  leuchtendes  Beispiel,  das  nicht  ferne  liegt,  giebt  Taci- 
tus  Germ.  45,  wo  er  die  Sprache  der  Aestier  fttr  näher  verwandt 
mit  dem  Britannischen  als  mit  dem  Germanischen  und  jenes  Volk 
dennoch  für  Germanen  erklärt. 

So  wird  man  denn  dabei  stehen  bleiben  müssen,  dass  die  Kim- 
bern wirklich  ein  gennanisches  Volk,  kein  bunter  Völkerschwarm 
aus  verschiedenen  Stämmen  gewesen  sind  und  in  Schleswig-Holstein 
und  Jtttland  wohnten,  dass  ein  Theil  von  ihnen  im  zweiten  vorchrist- 
lichen Jahrhundert  auswanderte,  ein  anderer  Theil  zurückblieb,  den 
die  römische  Flotte  im  J.  5  n.  Chr.  noch  vorfand.  Später  sind  sie 
verschwunden,  wie  so  mancher  andere  germanische  Stamm  spurlos 
verging. 

Exkurs. 

Die  Herkulessäuleu  in  Tacitus^  Germania. 
Im  34.  Kapitel  der  Germania  erwähnt  Tacitus,  wo  er  von  den 
Friesen  handelt,  dort  hätten  die  Römer  auch  den  Ozean  zu  befahren 
versucht,  und  es  gehe  das  Gerücht,  dass  es  dort  noch  Herkules- 
säulen gebe.  Was  hiermit  gemeint  sein  soll,  ist  streitig.  Jakob 
Grimm  führt  einen  Riesen  Hugilaich  an,  dessen  Gebeine  auf  einer 
Insel  im  Rheine,  wo  er  in  den  Ozean  mündet,  aufbewahrt  und  den 
von  fernher  Kommenden  als  Wunder  gezeigt  wurden;  er  dachte,  ob 
vielleicht  schon  die  Römer  bei  den  Friesen  von  diesem  Helden  Kunde 


49)  DA  III,  202. 


46  J.  F.  Marcks: 

* 
bekommen  hätten  und  darauf  die  Angabe  des  Tacitus  über  Herkules 
und  seine  Säulen  zurückgehe*).  Rieger  fasste  die  Herkulessäulen 
als  Irminsäulen  auf *).  Schweizer-Sidler  (in  seiner  Ausgabe)  denkt 
an  'eine  Schiflfersage,  die  ihren  Anhalt,  wenn  ein  solcher  nothwen- 
dig  scheint,  an  Klippen,  die  man  aus  dem  Meere  hervorragen  sah, 
oder  an  Vorgebirgen,  die  man  aus  der  Feme  erblickte,  haben 
dürfte*.  Allein,  wo  sind  an  unserer  Nordseeküste  Klippen,  die  aus 
dem  Meere  hervorragen?  Meines  Wissens  giebt  es  deren  keine,  und 
auf  den  Felsen  von  Helgoland  passt  der  Ausdruck  auch  nicht,  eben- 
so wenig  der  folgende  Inhalt  des  Kapitels. 

Die  Erklärungsversuche  aus  der  deutschen  Sage  halte  ich  für 
verfehlt,  wenn  es  nicht  gelingt  nachzuweisen,  dass  sich  ein  dem 
Namen  des  römischen  Herkules  entsprechender  germanischer  Name 
an  eine  für  die  Römer  wichtige  Oertlichkeit  geknüpft  hat.  Denn 
nur  in  diesem  Falle  ist  es  verständlich,  was  Tacitus  anfUgt:  dem 
Drusus  Germanicus  habe  es  nicht  an  Muth  gefehlt,  jene  Säulen  des 
Herkules  aufzusuchen,  aber,  der  Ozean  selbst  habe  die  Erforschung 
gehindert.  Niemand  wird  doch  glauben,  in  jener  Zeit  der  Kämpfe 
zwischen  Römern  und  Germanen  habe  sich  ein  römischer  Feldherr 
aus  reiner  Neugierde  oder,  edler  gesprochen,  aus  blossem  Wissens- 
drang, um  eine  Felspartie  kennen  zu  lernen,  an  die  sich  eine  deut- 
sche Sage  knüpfte,  auf  eine  Rekognoszirungsfahrt  dorthin  begeben. 
Es  handelt  sich  aber  offenbar  um  ein  Unternehmen  des  römischen 
Feldherm,  so  gross  oder  klein  man  es  sich  vorstellen  mag-,  man 
muss  die  Existenz  von  Hcrkulessäulen  vor  der  Fahrt  gekannt  oder 
durch  sie  kennen  gelernt  haben,  aber  nicht  bis  zu  ihnen  gekommen 
sein.  So  haben  mich  denn  meine  Ei-wägungen  zu  römischen  Vor- 
stellungen und  dabei  auf  eine  von  dem  obigen  Erklärungsversuche 
abweichende  Interpretation  der  Stelle  geftlhrt. 

Als  Säulen  des  Herkules  an  der  Meerenge  von  Gibraltar  galten 
meist  die  beiden  Inseln  Abila  und  Calpe.  Es  waren  nicht  etwa 
hervorragende  Felseninseln,  noch  konnte  man  deren  in  jener  Enge 
finden,  so  dass  man  aus  diesem  Grunde  die  Richtigkeit  der  Bezeich- 
nung leugnete  und  sie  nach  Gades  verlegte^).  Aber  Posidonius*) 
betont  hiergegen  mit  Recht,  dass  man  Meerengen,  hineinragende 
Vorgebirge   und  Inseln  als  Grenzen  gewisser  Gegenden  ausgewählt 

1)  Geschichte  der  deutschen  Sprache  S.  591. 

2)  ZfdAXI  (1859),  183  f. 

3)  vergl.  Posidonius  bei  Strabo  3  p.  170.  4)  a.  a.  0.  p.  171. 


\ 


Die  röm.  Flottenexpedition  z.  Kimbernlande  u.  d.  Heimath  d.  Kimbern.    47 

habe  und  diesen  Vorgebirgen  oder  Inseln  die  Bezeichnung  Säulen 
zukomme  gleichsam  als  Pfosten  jenes  Seelhores.  Auch  anderswo 
kannten  die  Alten  diese  Benennung.  Ephorus'^)  erwähnt  solche 
Säulen,  die  kleine  Inseln  waren,  südlich  vom  rothen  Meere.  Säulen 
des  Dionysos  oder  Säulen  des  Herkules  nannten  die  Makedonier 
auf  Alexanders  Kriegszug  nach  Indien  gewisse  Gegenden,  wo  sie 
eine  Erinnerung  an  jene  zu  finden  meinten  ^).  Wie  die  Griechen  bei 
den  Barbaren  im  fernen  Osten,  so  glaubten  die  Römer  auch  im 
Nordwesten  Spuren  des  Herkules  zu  finden*^).  Nicht  unmöglich 
scheint  es  mir  daher^  dass  nach  Analogie  der  Herkulessäulen  am 
Eingang  zum  atlantischen  Ozean  auch  der  Zugang  zur  Ostsee  als 
Säulen  des  Herkules  bezeichnet  worden  ist.  Seit  der  Flottenexpe- 
dition des  Tiberius  hatten  die  Römer  Kunde  von  der  Einfahrt  in 
die  Ostsee.  Dass  es  für  sie  ein  wichtiger  Punkt  war,  bedarf  keines 
Nachweises.  Wir  kennen  das  Unternehmen,  das  bis  in  die  Nähe 
der  Einfahrt  führte,  und  doch  kam  man  an  dieselbe  nicht  heran. 

Nur  mit  dieser  Erklärung  von  Herculis  columnae  wird  die 
Tacitusstelle  verständlich  und  ein  Zusammenhang  des  Satzes  et 
superesse  adhuc  Herculis  columnas  fama  vulgavit  mit  dem  vorher- 
gebenden ipsum  quin  etiam  Oceanum  illa  temptavimus  und  dem 
folgenden  Hinweis  auf  die  Flottenexpedition  hergestellt.  Aber  die 
Erwähnung  des  Drusus  Germanicus  macht  Schwierigkeiten.  Es 
kann  damit  nicht  Germanicus  gemeint  sein,  weil  dieser  nie  so  ge- 
nannt wird;  Drusus  hingegen  hatte  nach  Senatsbeschluss  den  Bei- 
namen Germanicus  erhalten®)  und  wurde  damit  auch  genannt^). 
Nimmt  man  aber  an,  dieser  Drusus  sei  gemeint,  so  geräth  man  in 
Widerspruch  zu  dem  Satze  mox  nemo  (Oceanum)  temptavit;  denn  Tiberius 
hat  doch  später  seine  Flotte  auf  die  See  hinausgeschickt  und  ebenso 
Germanicus,  während  es  ausgeschlossen  ist,  dass  Tacitus  die  Fahrt 
des  Tiberius  nicht  gekannt  habe.  Dafür  sei  auf  das  erste  Kapitel 
der  Germania  verwiesen:  der  dort  erwähnte  Krieg  muss  die  Flotten- 
expedition des  Tiberius  einschliessen,  durch  die  allein  die  lange 
Inselreihe  an  der  norddeutschen  Küste  ganz  bekannt  wurde;  und  im 
37.  Kapitel   wird  Tiberius   neben  Drusus  und  Germanicus  nament- 


5)  PUn.  Nat.  hist.  6  §  199.    Müllenhoff  DA  I,  89  Anm. 

6)  Strabo  a.  a.  0. 

7)  Germania  3.  9. 

8)  Flor.  4,  12,  28. 

9)  Strabo  5  p.  291.    Tac.  Hist.  5,  19. 


48  J.  P.  Marcks:  Die  röm.  Plottenexpedition. 

lieh  erwähnt.  Ja  Tacitiis  hätte  von  allen  Unternehmungen  des 
Germanicus  auf  der  Nordsee  nichts  wissen  müssen.  Ich  glaube 
daher,  dass  in  der  üeberlieferung  ein  Irrthum  liegt  und  zu  schreiben 
ist:  nee  defuit  audentia  Druso,  Neroni  (=  Tiberio,  cf.  K.  37),  6er- 
manico.  Germanicus  hatte  bekanntlich  wieder  den  Muth  in  See  zu 
gehen  und  hatte,  als  er  abberufen  wurde,  vor,  im  J.  17  noch  einmal 
gegen  die  Germanen  zu  ziehen*®);  ob  zur  See,  wissen  wir  nicht; 
aber  er  hatte  das  Werk  des  Tiberius  weitergefllhrt,  auch  mit  der 
Flotte.  So  konnte  Tacitus  ihn  den  beiden  Vorgängern  anreihen. 
Dann  folgt  richtig:  mox  nemo  temptavit,  und  die  fromme  Phrase 
am  Schlüsse  des  Kapitels  dient  dazu,  den  wahren  Grund,  warum 
die  Rekognoszirungsfahrten  an  der  germanischen  Kttste  nicht  fort- 
gesetzt wurden,  zu  verdecken. 

Einen  Einwand  könnte  man  noch  machen:  Wie  kommt  Taci- 
tus hier  bei  den  Friesen  dazu,  der  Versuche,  die  Einfahrt  in  die 
Ostsee  zu  gewinnen,  Erwähnung  zu  thun?  Ist  das  nicht  die  unge- 
eignetste Stelle?  Dagegen  frage  ich  zunächst:  Warum  spricht 
Tacitus  K.  37  bei  den  Kimbern  von  allen  Kriegen,  die  Rom  mit 
Germanen  geführt  hat?  Weil  dieselben  von  den  Kimbern  ihren  Aus- 
gang nehmen  und  weil  er  bei  den  noch  vorhandenen  Kimbern,  von 
denen  er  wenig  zu  sagen  hatte,  länger  verweilen  wollte;  durch  den 
Exkurs  hielt  er  den  Leser  bei  den  Kimbern  fest.  Aehnlich  ist  es 
K.  34.  Jene  Expedition  nach  der  Ostsee  hin  nahm  vom  Lande  der 
Friesen  ihren  Ausgang.  Ist  auch  der  zweite  Anlass  hier  massgebend 
gewesen?  Keinesfalls  aber  kann  man,  wenn  man  auf  die  Parallele 
des  Kimbernkapitels  gesehen,  daran  Anstoss  nehmen,  dass  sich  der 
Exkurs  über  die  Herkulessäulen  in  dem  Kapitel  über  die  Friesen  findet. 


10)  Tac.  Ann.  2,  26. 


3.  Die  Kölner  Aeneasgruppen. 

Von 
A»   Biünlng. 


Hierzu  Taf.  I. 


Max  Ihm  hat  im  93.  Hefte  der  Bonner  Jahrbücher  S.  66  ff. 
eine  1884  am  Chlodwigsplatze  in  Köln  gefundene  und  im  Wallraf- 
Richartz- Museum  befindliche  Gruppe  aus  Jurakalk  veröffentlicht, 
welche  Aeneas  darstellt,  wie  er  eilenden  Schrittes  seinen  Vater  auf 
der  linken  Schulter  davonträgt.  Er  glaubt,  dieselbe  sei  als  Relief 
an  einem  Grabmale  angebracht  gewesen  ^),  und  führt  sie,  sowie  die 
verwandten  Monumente,  welche  dieselbe  Composition  zeigen,  nach 
dem  Vorgange  Heydemanns^)  auf  eine  Statue  des  Aeneas  zu- 
rück, die  nach  den  Worten  Ovids^)  auf  dem  forum  Augustum  ge- 
standen hat. 

Ende  November  1892  kam  an  der  Ecke  der  Händel-  und 
Richard- Wagner-Strasse  in  Köln  eine  ebenfalls  aus  Jurakalk  gear- 
beitete Gruppe  zu  Tage,  die  eine  fast  genaue  Wiederholung  des 
eben  erwähnten  Bildwerkes  ist,  ausserdem  aber  noch  den  Torso 
des  Askanius  bietet,  den  man  dort  vermisste.  Sie  wurde  von  dem 
Bonner  Provinzialmuseum  erworben.  Die  Erhaltung  derselben  lässt 
die  Abbildung  auf  Taf.  I  erkennen.  Aeneas  trug  auch  in  diesem 
Exemplar  den  Helm,  dessen  Ansatz  noch  im  Nacken  sichtbar  ist; 
ein  Metallpanzer,  der  die  Muskulatur  sorgfältig  nachbildet,  um- 
schliesst  die  Brust.    An  der  linken  Seite  trägt  der  Held  an  einem 


1)  A.  a.  O.  S.  67. 

2)  Arch.  Zeit.  1872.  S.  120,  Anmerk.  32. 

3)  Fast.  V  563  ff. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Altertlisfr.  im  Rheiul.  XCV. 


50  A.  ßrüningl 

von  der  rechten  Schulter  herabhängenden  Baude  das  Schwert;  ein 
Eiemen  —  nach  A.  Müller^)  das  einctorium  der  Legatenuniform  — 
der  bei  dem  Kölner  Exemplar  fehlt,  läuft  um  den  Leib  und  ist 
über  dem  Nabel  festgeknotet.  Da  dieser  Gurt  plastisch  nur  schwach 
angedeutet  ist,  so  wird  ihn  der  Künstler  durch  Bemalung  hervor- 
gehoben haben,  die  bei  dieser,  wie  bei  aller  sorgfältig  ausgeführten 
rheinischen  Kalksteinsculptur,  in  ausgedehntem  Maass  vorauszusetzen 
ist.  Anchises  trägt  die  Tunica  und  einen  weiten  Mantel,  der,  wie 
die  Falten  im  Nacken  zeigen,  über  das  Haupt  gezogen  war,  der 
Knabe  die  gegürtete  Tunika  und  den  Mantel.  Dieser  wird  wie  bei 
dem  Vater  durch  eine  Spange  auf  der  rechten  Schulter  festgehalten. 
Im  rechten  Arme  hält  der  Kleine  den  Hirtenstab,  der  linke  war 
hoch  erhoben.  Doch  hat  der  Vater  den  Knaben  nicht  an  der  Hand 
gefasst,  sondern  wie  in  der  pompejanischen  Terracotte  und  ver- 
wandten Monumenten  ^)  am  Arm.  Denn  die  Armhaltuug  des  Aeueas  in 
der  Kölner  Gruppe  und  der  Ansatz  des  Arms  des  Askanius  in  Bonn 
schliessen  eine  Berührung  der  Hände  aus. 

Bezeichnen  wir  das  Kölner  Exemplar  mit  A,  das  Bonner  mit 
B,  so  erscheint  A  frischer  und  lebendiger,  B  sorgfältiger  in  der 
Ausführung,  ein  Eindruck,  der  dadurch  gesteigert  wird,  dass  die 
Oberfläche  von  B  besser  erhalten  ist  als  die  von  A.  Auch  in  der 
Composition  ist  A  energischer,  belebter.  Aeneas  fasst  z.  B.  in  dem 
Kölner  Exemplar  mit  festem  Griif  das  Bein  des  Greises,  während 
er  in  dem  Bonner  seine  Hand  nur  flach  an  dessen  Unterschenkel 
legt.  Sowohl  der  Ausdruck  der  schnellen  Bewegung,  als  auch  der 
der  Belastung  ist  dort  besser  wiedergegeben.  Der  Kölner  Aeneas 
schreitet  energisch  mit  dem  rechten  Beine  aus.  Dadurch  erhält 
sein  OberköiT)er  eine  Neigung  nach  rechts  und  diese  wird  durch 
das  Gewicht  auf  der  linken  Schulter  noch  verstärkt.  Bei  der  neu- 
aufgefundenen Statue  ist  dagegen  das  linke  Bein  vorgesetzt,  so  dass 


1)  Siehe  A.  Müller.  Das  cingulum  railitiae.  Progr.  d.  Gymnas.  zu 
Ploen.  1873  S.  19  fT.  Vgl.  dazu  Arch.  Zeit.  1872  Taf.  IV  Nr.  1.  Die  Gürtung 
über  dem  Panzer  zeigen  schon  die  pergamenischen  Balustradenreliefs, 
wo  ein  ganz  ähnlicher  vorn  zusainniengeknoteter  schmaler  Lederriemen 
um  den  Panzer  läuft.  Siehe  Baumeister,  Denkm.  d.  klass.  Alterth. 
Abb.  1432. 

2)  Vgl.  Die  pompejanische  Terracotte  abgeb.  von  Roh  den,  Die 
Terrae,  v.  Pomp.  Taf.  XXXVII  und  Münzen  des  Antoninus  Pius  abg. 
Stevenson,  Diction.  of  Rom.  coins.  S.  16;  Cohen,  Descript.  des  mon. 
imp^r.  II  Taf.  13.  Nr.  751. 


Die  Kölner  Aeneas^rtippeli.  61 

die  schräge  Haltung,  die  der  Oberkörper  wegen  der  Belastung  nach 
rechts  hin  annehmen  müsste,  durch  die  entgegengesetzte  Bewegung, 
welche  die  Voranstellung  des  linken  Beines  zur  Folge  hat,  wieder 
aufgehoben  wird.  In  Folge  dessen  erscheint  Aeneas  hier  fast  ganz 
gerade  aufgerichtet,  im  Vergleich  zur  Kölner  Gruppe  steif.  Zu  be- 
merken ist  noch,  dass  Askanius  im  Gegensatze  zu  seinem  Vater  das 
rechte  Bein  vorstellt.  Hierdurch  wird  eine  wohlthuende  Abwechs- 
lung in  die  Gruppe  gebracht,  vielleicht  auch  angedeutet,  dass  der 
Kleine,  wie  Vergil  sagt^),  sequitur  patrem  non  passibus  aequis. 

In  der  Grösse  stimmen  A  und  B  ziemlich  ttberein.  Der  Knabe 
ist  halb  so  gross  wie  sein  Vater  2). 

Als  ich  nun  im  November  v.  J.  bei  einem  Besuche  des  Wall- 
raf-Richartz-Museums  das  Köhier  Exemplar  genauer  betrachtete,  fiel 
mir  ein  in  der  Nähe  am  Fensterpfeiler  befestigter  Torso  einer 
kleinen  Gewandfigur  (Nr.  95  a)  auf,  die  sich  bei  näherem  Zusehen 
als  der  verlorene  Sohn  herausstellte.  Die  Figur,  welche  mit  dem 
Bonner  Askanius  fast  völlig  übereinstimmt,  zeigt  auch  eine  ganz 
ähnliche  Verstümmelung*).  Nur  ist  vom  Halse  ein  kleines  Stück 
erhalten,  welches  zeigt,  dass  der  Kopf  etwas  zur  rechten  Seite  ge- 
neigt war.  Auch  ist  ein  grösseres  Stück  vom  Mantel  übrig  ge- 
blieben. Die  Beine  sind  schon  oberhalb  der  Kniee  abgebrochen. 
Da  der  Torso  in  Material  und  Grösse  (von  der  Halsgrube  bis  zum 
Ende  des  Gewandes  zwischen  den  Knieen  0,21  m)  genau  zu  dem 
Kölner  Aeneas  passt,  und  er  zugleich  mit  dieser  Statue  auf  dem 
Ghlodwigsplatze  ausgegraben  wurde '^),  so  dürfte  an  der  Zusammen- 
gehörigkeit kein  Zweifel  möglich  sein,  zumal  auch  die  Sohritt- 
stellung  des  Knaben  denselben  Wechsel  gegenüber  der  des  Vaters 
aufweist,  wie  die  Bonner  Gruppe. 


1)  Vergil.  Aen.  II  724.  Vielleicht  schwebte  dem  Dichter  an  dieser 
Stelle  eine  derartige  bildliche  Composition  vor  Augen.  Vgl.  meine  Ab- 
handl.  „Ueber  die  bildl.  Vorlagen  der  ilischen  Tafeln".  Jahrb.  d.  Instit. 
1894  Heft.  2. 

2)  Aeneas  misst  von  der  Halsgrube  bis  zum  Rand  der  Tunica  in  A 
0,42,  in  B  0,46,  Askanius  0,23  m. 

3)  Düntzer  (Verzeichniss  der  röm.  Alterth.  d.  Mus,  Wallraf-Richartz 
in  Köln  3.  Aufl.  1885  S.  59)  sieht  in  den  Resten  des  Pedums  ein  über  den 
rechten  Arm  herabhängendes  Gewandstück. 

4)  Die  Funde  auf  dem  Chlodwigsplatze  sind  verzeichnet  bei  Düntzer, 
a.  a.  0.  S.  125,  von  Veith,  Das  römische  Köln.  Bonner  Winckelmanns- 
progr.  1885  S.  58  f. 


hi  A.  ßrtiningi 

Nun  zeigt  das  Kölner  Exemplar  an  der  Statue  des  Aeneas^ 
dort,  wo  der  Mantel  auf  den  Unterkörper  fallt,  eine  knaufaiiiige 
Verdickung,  die  sich  nach  unten  hin  zu  einer  nindlichen  Fortsetzung 
verjüngt.  Das  linke  Bein  des  Aeneas  liegt  fest  an  derselben  an. 
Auch  die  Figur  des  Askanius  wird  mit  diesem  Wulste  verbunden 
gewesen  sein,  da  die  demselben  zugekehrte  Seite  aussergewöbnlich 
stark  und  wenig  ausgearbeitet  erscheint.  Ausserdem  verband  noch 
eine  Sttttze  den  Knaben  mit  dem  Vater;  der  rechte  Oberschenkel 
des  Aeneas  zeigt  noch  die  Ansatzstelle  dafttr  und  auch  bei  der 
Bonner  Gruppe  ist  eine  derartige  Verbindung  noch  nachzuweisen. 
Der  Mittelknauf  wird  demnach  wohl  der  Träger  der  ganzen  Gruppe 
gewesen  sein,  die  also  besonders  gestützt  und  in  ihren  Theilen  ver- 
bunden erscheint. 

Die  Auffindung  von  zwei  so  ähnlichen  Wiederholungen  der- 
selben Composition  innerhalb  Kölns  legt  die  Vermuthung  nahe,  dass 
diese  decorativ  verwendet  zu  werden  pflegte.  Genauere  Auskunft 
darüber,  in  welchem  Zusammenhang  dies  vermuthlich  geschehen  ist, 
bieten  die  gleichzeitig  mit  der  Gruppe  am  Chlodwigsplatz  gefundenen 
Architekturreste.  Abgesehen  von  einigen  nicht  genauer  zu  bestim- 
menden Bruchstücken,  sind  es  folgende  Bauglieder,  sämmtlich  aus 
Jurakalk  gearbeitet:  zunächst  der  untere  Theil  eines  kannelirten 
Eckpilasters  (Nr.  32  b),  0,39  m  breit,  sowie  vier  Platten  von  mäch- 
tigen, über  Vi  Meter  ausladenden  Gesimsen  (72  a,  160  a — c),  von 
denen  zwei,  72  a  und  160  c,  zusammengehören.  Sie  sind  geschmückt 
mit  akanthusartigem  Blattwerk  und  Consolen,  deren  Zwischenräume 
Rosetten  ausfüllen.  Einmal  tritt  au  die  Stelle  der  Rosette  ein  Storch, 
welcher  den  Schnabel  zur  Erde  senkt.  Sodann  ist  noch  das  Frag- 
ment eines  mit  breiten  Akanthus-  und  schmalen  Schilfblättem  ver- 
zierten Pfeilerkapitäls  (139  a)  erhalten  und  endlich  drei  anscheinend 
zusammengehörige  Stücke  eines  pyramidenartig  ansteigenden  Deck- 
steins (215  a),  dessen  Obei-fläcbe  in  schuppenförmige  Schindeln  ge- 
gliedert ist.  Die  Höhe  der  Schindeln  beträgt  etwa  0,30,  die  Breite 
etwa  0,20  m.  Unter  derselben  Nummer  befindet  sich  noch  im  Kölner 
Museum  ein  viereckiger,  mit  kleineren  Schuppen  bedeckter,  sich 
leicht  nach  oben  verjüngender  Pfeiler.  An  bildlichen  Skulpturen 
kamen  an  derselben  Stelle  verschiedene  Bruchstücke  von  Gestalten 
in  Lebensgrösse  zu  Tage:  die  Spitze  eines  beschuhten  Fusses  (54), 
ein  ebenfalls  mit  einem  Schuh  bekleideter  Fuss,  daneben  ein  Ge- 
wandzipfel (54  a),  ein  nackter  Fuss,   der,    wie  aus  seiner  Stellung 


Die, Kölner  Aeneasgruppen,  53 

nnd  dem  noch  erhaltenen  Gewandsaume  ersichtlich  ist^  wohl  einer 
Tänzerin  angehört  haben  wird  (65  a),  der  linke  üntertheil  einer 
Gewandfigur  (32  a)  und  eine  Hand  mit  einem  Stttck  des  umgebenden 
Gewandes  (104  b);  die  Hand,  deren  drei  äussere  Finger  mit  Ringen 
besetzt  sind,  hält  einen  Zipfel  des  Gewandes.  Dann  ist  noch  des 
Körpers  einer  kleineren  Gewandfigur  (95),  der  vom  Halse  bis  zu 
Knieen  erhalten  ist  (Höhe  0,50  m),  und  des  Obertheils  einer  weib- 
lichen Flügelgestalt  zu  gedenken  (28  a),  welche  in  den  gekreuzten 
Armen  Granatäpfel,  Trauben,  Aehren  und  andere  Früchte  trägt.  (Höhe 
von  der  Stirn  bis  zu  den  Unterarmen  0,60  m,  Breite  0,50  m.)  Sie 
sollte  vielleicht  eine  Pomona  vorstellen. 

Da  alle  diese  Stücke  ausserhalb  des  römischen  Kölns  an  der 
nach  Bonn  führenden  Römerstrasse  ^)  gefunden  sind,  so  werden  wir 
es  mit  den  üeberresten  grösserer  Grabdenkmäler  zu  thun  haben, 
und  zwar  in  Art  jener  zweistöckigen  Grabthürme  mit  pyramidalem 
Dache,  wie  sie  uns  besonders  in  Arlon,  Igel  und  Neumagen  entgegen 
treten^).  Dem  von  Pilastem  (32  b)  eingeschlossenen  Hauptgeschosse 
werden  die  erhaltenen  Bruchstücke  von  Gewandfiguren  in  natürlicher 
Grösse  zuzusprechen  sein,  während  die  kleinere  ReliefBgur  (95) 
etwa  in  einer  Attika  Platz  finden  könnte,  die  weibliche  Flügelge- 
stalt mit  den  Früchten   in  einem   am  Dache  angebrachten  Giebel- 


1)  Siehe  den  Plan  in  von  Veith,  Das  röm.  Köln. 

2)  Ladner  (Picks  Monatsschr.  f.  rhein.-westf.  Geschichtsforsch.  u. 
AUerthumsk.  Trier  1876  S.  346  f.)  meint,  dass  die  Familie  der  Seknndiner 
nach  den  in  Nordafrika  entdeckten  zweistöckigen  Grabmonumenten  mit 
pyramidenförmigem  Aufsatz,  die  sie  auf  ihren  Reisen  kennen  gelernt, 
die  Igelcr  Säule  hätten  errichten  lassen.  Wahrscheinlicher  ist  wohl,  dass 
die  Muster  solcher  Bauten,  deren  Vorbild  in  kleinasiatischen  Grabdenk- 
mälern von  der  Gestalt  des  Mausoleums  zu  Halikarnass  zu  suchen  ist, 
ebenso  wie  die  anderen  griechischen  Einflüsse  in  die  Kunst  der  Rhein- 
lande direkt  von  Kleinasien  über  Massilia  in  die  Provence  (das  Julier- 
denkmal zu  St.  Remy)  und  von  da  in  das  belgische  Gallien  und  die 
Rheinlande  hergeleitet  worden  sind.  Vgl.  darüber  den  Festvortrag 
Löschcke*s  bei  der  Winckelmannsfeier  in  Bonn  1892  über:  „Griech.  Ele- 
mente in  der  Kunst  des  Rheinlands."  Berl.  philol.  Wochenschrift  1893 
p.  283).  Aus  dem  Mosellande  führen  uns  dann  Funde  von  Fragmenten 
derartiger  Pyramidendächer  unter  den  Üeberresten  der  spätrömischen 
Moselbrücke  bei  Coblenz  (Bonn.  Jahrb.  42  Taf.  III,  1)  und  von  der  Kölner 
Chaussee  in  Bonn  (a.  a.  0.  43,  S.  221  flF.)  geradenwegs  nach  Köln.  Die 
Monumente  in  Nordafrika  repräsentiren  eben  einen  andern  Ableger  der 
kleinasiatischen  Kunst. 


B4  A.   Brüning: 

dreiecke.  Die  unter  215  a  erhaltenen  Fragmente  sind  Theile  eine« 
Schnppendachs^  wie  es  die  Igeler  Säule  trägt. 

Nach  alledem  wird  der  Gedanke^  dass  auch  die  Aeneasgruppe 
an  einem  derartigen  Denkmal  angebracht  gewesen  war,  nicht  abzu- 
weisen sein.  Da  dieselbe,  wie  ausgeführt,  lediglich  von  unten  her, 
hier  aber  sehr  stark  unterstützt  ist,  also  an  einem  exponirten  Ort 
freistehend  gedacht  werden  nmss,  so  wird  sie  wohl  wie  die  Gany- 
niedgruppe  auf  der  Igeler  Säule  als  Bekrönung  eines  solchen  Grab- 
thurmes  gedient  haben.  Der  Charakter  des  Bildwerks  spricht  nicht 
dagegen.  Mustern  wir  die  figürlichen  Aufsätze  von  Gebäuden,  wie 
sie  die  ionische  Kunst  zeigt,  so  sehen  wir  hauptsächlich  Darstel- 
lungen von  Flügeldämonen  (besonders  herabschwebenden  Niken), 
Entführungsscenen,  Viergespannen  oder  sonst  in  lebhafter  Bewegung 
begriflfenen  Figuren  ^) ;  nur  ganz  vereinzelt  finden  sich  Gompositionen, 
welche  Gestalten  in  ruhigem  Beisammensein  wiedergeben*).  Der 
Grund  für  eine  solche  Auswahl  lässt  sich  nachfühlen.  Die  hoch 
und  frei  in  die  Luft  ragenden  Gebäudespitzen  luden  nicht  zu  ruhigem 
Aufenthalt  und  längerem  Verweilen  ein,  nur  dem  flüchtig  Weiter- 
eileuden  geben  sie  momentanen  Ruhepunkt:  wie  der  beschwingte 
Vogel  sich  auf  hoher  Thuimesspitze  zur  kurzen  Rast  niederlässt. 
Daher  die  Vorliebe  für  Gestalten,  die  wie  in  schnellem  Flug  an  uns 
vorüber  eilen.  Auch  tmsere  Gruppe  könnte  man  den  Gompositionen, 
die  eine  Entführung  zeigen,  in  gewissem  Sinne  beizählen,  da  es  sich 
ja  auch  hier  um  eine  mit  eiligem  Schritte  fortgetragene  Gestalt 
handelt.  Gleich  Flügeln,  vom  Winde  gehoben,  so  bauscht  und  bläht 
sich  der  Mantel  des  Aeneas  hinter  seinem  Rücken  auf  und  erinnert 
an  das  ähnlich  in  weitem  Bogen  flatternde  Gewand  der  Nike  des 
Paionios.  Spricht  doch  Düntzer-')  bei  der  ersten  Beschreibung 
des  Bildwerks  geradezu  von  einem  „nach  der  Höhe  schwebenden 
Krieger." 

Auch  inhaltlich  würde  unsere  Gruppe  gut  zu  einem  solchen 
Grabmale  passen.  Findet  doch  in  ihr,  die  uns  den  Stammvater  des 
Römervolkes  vorführt,  wie  er  in  rührender  Weise  seine  Pflichten 
gegen  Götter,  Vaterland  und  Familie  erfüllt,  diejenige  Tugend  ihre 

1)  S.  Arch.  Zeit.  1882  S.  335  flf.  Furtwaengler,  Meisterwerke  d. 
gr.  PI.  S.  250  ff. 

2)  Z.  B.  Athena ,  die  dem  ruhenden  Herakles  einschenkt;  abg. 
Martha,  Tart  etrusque  p.  324. 

3)  A.  a.  0.  S.  63. 


Die  Kölner  Aeneasgruppen.  55 

glanzvollste  Verherrlichnng,  die  nach  römischem  Begriffe  alle  ttbrigeD 
in  sich  begreift  —  die  pictas. 

Der  Wunsch,  anch  änsserlieh  zu  bekunden,  dass  man  selbst 
in  der  Fremde  als  römischer  Borger  sich  fbhle  und  lebe,  könnte 
leicht  römische  Familien,  die  in  einem  derartigen  prächtigen  Bau 
sich  ein  stolzes  Denkmal  setzten,  bestimmt  haben,  dies  Bild  des 
echten  Kömerthnms  an  hervorragender  Stelle  anzubringen ,  erinnerte 
sie  doch  die  Darstellung  an  ihr  eigenes  Los.  Auch  sie  waren  wie 
einst  der  fromme  Aeneas  mit  ihren  Penaten  ausgezogen  aus  der 
Heimath,  um  sich  in  unbekannter  Fremde  ein  neues  Heim  zu  suchen. 

Da  auch  die  Gruppe  des  Bonner  Museums  in  der  Nähe  einer 
alten  nach  Jülich  fahrenden  Römerstrasse,  der  jetzigen  Aachener 
Strasse ,  wo  auch  sonst  Grabfunde  zu  verzeichnen  sind  *) ,  zu  Tage 
gefördert  wurde,  so  wird  sie  eine  gleiche  Verwendung  gehabt  haben. 

Es  erhebt  sich  nun  die  Frage  nach  dem  Original  der  beiden 
Gruppen.  Um  diese  zu  beantworten,  bedarf  es  einer  kurzen  üeber- 
sicht  Ober  die  Bildwerke  mit  Darstellungen  der  Aeneasflucht. 

Die  ältesten  bildlichen  Wiedergaben  der  Flucht  des  Aeneas 
aus  Troja  finden  wir,  abgesehen  von  einer  Münze  der  Stadt  Aineia*), 
wo  wir  es  mit  einer  vereinzelten  lokalen  Fassung  zu  thun  haben, 
auf  schwarzfigurigen  attischen  Vasen*),  Hierbei  ist  zu  beachten, 
dass  Aeneas  den  Vater  nicht,  wie  es  bei  flüchtiger  Betrachtung 
scheint,  in  der  Art  des  Huckepacks  auf  dem  Rücken  trägt*),  sondern 
vielmehr  unter  dem  rechten  Arm*).  Vgl.  Gerhard  A.  V.  B.  231,  3 
und  Overbeck  Gallerie  XXV  24. 

Auf  einer  rothfigurigen  nnattischen  Amphora®)  aus  Nola  sitzt 
dagegen  der  Alte  auf  der  linken  Schulter^)  des  Aeneas.   Dieser,  unter 


1)  Vgl.  die  Fundkarte  bei  von  Veith,  Das  röm.  Köln. 

2)  Vgl.  Robert,  Arch.  Zeit.  1879.  S.  23  ff. 

3)  Siehe  Overbeck,  Heroengallerie  S.  655  ff.  Heydemann,  Iliu- 
persis,  S.  31  Annierk.  1.  Luckenbach,  Neue  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  11 
S.  636  Anm.  1.    Schneider,  der  troische  Sagenkr.  S.  174  Anm.  4. 

4)  Dieser  Meinung  ist  Ihm,  a.  a.  O.  S.  72. 

5)  Eine  Ausnahme  bildet  das  Vaseiibild  bei  Overb.  XXVII  8,  wo 
Anchises  die  Hüften  des  Sohnes  mit  den  Kniecn  zu  umklammern  scheint. 

6)  Overbeck,  Heroeng-all.  XXVII  12,  Gerhard,  Auserl.  Vas. 
III  217. 

7)  Diese  Art,  eine  Person  zu  tragen,  ist  dem  AUtag-sleben  entnommen. 
Eine  Terracotta  (Kekul6,  Die  ant.  Terrae.  II  S.  23)  zeigt  uns  eine  Frau, 
der  ein  Kind   auf  der   linken  Schulter    sitzt.    Auf  Denaren   des   Münz- 


56  A.  Brüning: 

der  Last  tief  gebeugt,  sttltzt  sich  auf  zwei  Speere.  Askanins  eilt 
an  der  Hand  Kreusas  den  Beiden  vorauf. 

Während  aus  der  Zeit  von  500  bis  gegen  250  v.  Chr.  keine 
Darstellung  der  Aeneasflucht  vorhanden  ist,  so  regte  das  Inter- 
esse, das  man  in  Italien  an  der  Person  des  Aeneas  nahm,  von  da 
ab  zu  mehrfachen  Darstellungen  der  Rettung  des  Troerhelden  an. 
Schon  aus  der  Zeit  gleich  nach  dem  ersten  punischen  Kriege  finden 
wir  auf  Münzen  von  Segesta  den  Aeneas,  seinen  Vater  auf  der 
linken  Schulter,  in  der  Rechten  das  Schwert  0.  Eine  Erklärung 
dafttr  geben  uns  die  Worte  Ciceros*):  Segesta  est  oppidum  pervetns 
in  Sicilia,  quod  ab  Aenea  fugiente  e  Troia  atque  in  haec  loca  ve- 
niente  conditam  esse  demonstrant.  Itaque  Segestani  non  solum  per- 
petua  societate  atque  amicitia,  verum  etiam  cognatione  se  cum  po- 
pulo  Romano  coniunctos  esse  arbitrantur.  Es  scheint  demnach  in 
diesem  Münzbilde  die  Genugthuung  über  die  Vereinigung  der  ver- 
wandten Städte  zum  Ausdruck  gekommen  zu  sein. 

Vor  allem  aber  treten  die  Darstellungen  der  Aeneasflucht  her- 
vor, als  das  julische  Haus  die  Leitung  des  römischen  Staatswesens 
übernahm.  Auf  Münzen  des  Julius  Caesar^),  sowie  der  Stadt  Se- 
gesta*) erscheint  Aeneas,  der  auch  hier  den  Vater  auf  der  linken 
Schulter  trägt,  mit  dem  Palladium  in  der  rechten  Hand. 

Eine  andere  Fassung  bietet  uns  der  bekannte  pompejanische 
Broncehelm  mit  Scenen  aus  der  Iliupersis  '»)•  Er  stellte  den  Gegen- 
stand in  der  Weise  dar,  dass  Aeneas  mit  hocherhobener  Rechten 
den  in  der  bekannten  Art  dasitzenden  Vater  unterstützt.  Da  die- 
selbe Composition  auch  auf  einem  Medaillon  des  Antoninus  Pius^) 
und  zwar  hier  neben   dem  ruminalischen  Feigenbaum  zu  sehen  ist, 


nieisters  M.  Herennius  und  des  S.  Pompeius  (Babel ou,  monn.  de  la  republ. 
Rom.  I  S.  539,  II  S.  353,  354,  582)  tragen  in  gleicher  Weise  die  beiden  Brüder 
Amphinomus  und  Anapias  aus  Cataua  ihre  Eltern,  um  sie  vor  dem  Aus- 
bruch des  Aetna  zu  retten.  Aehnlich  findet  sich  auch  der  Leukippideu- 
raub  auf  einer  etrusk.  Aschenkiste  dargestellt.  (Brunn,  rel.  etr.  II  37,38.) 

1)  He  ad,  Historia  Numorum.  Oxford  1887  S.  146,  Catal.  of  the  Greek 
coins  in  Brit.  mus.  Sicily.  S.  137. 

2)  Verres  IV  33. 

3)  Grässe,   Handbuch    d.  alt.  Numismatik  XXII  6,  7.    Babel on 
monn.  de  la  r6publ.  Rom.  II  S.  11  und  578. 

4)  Catal.  of  the  Greek  c.  in  Brit.  mus.  Sicily,  S.  137. 

5)  Heyderaann,  Iliupersis  III 1 ;  Steinbüchel,  Antiqu.  Atlas  XX. 
'    6)  Fröhner,  les  Medaill.  de  Temp.  Rom.  S.  59. 


Die  Kölner  Aeneasgruppen.  57 

dürfte  vielleicht  das  Original  in  einer  Statue  auf  dem  Forum  in 
Rom  zu  Buchen  sein^). 

Ihren  Abschlnss  erhielt  die  Gruppe  eret  durch  Zufügung  des 
Julus^  der  als  mythischer  Stammvater  des  julischen  Kaiserhauses 
an  der  rechten  Hand  des  Vaters  erscheint  und  gleichsam  der  be- 
lasteten linken  Seite  des  Aeneas  das  Gleichgewicht  hält.  Die  Monu- 
mente,  die  uns  diese  Composition  bieten,  lassen  sich  in  zwei  Reihen 
gliedern,  je  nachdem  Anchises  die  Cista  mit  der  linken  gefasst  hat, 
mit  der  anderen  Hand  aber  sich  auf  die  rechte  Schulter  des  Sohnes 
stützt  ^),  oder  der  Greis  mit  beiden  Händen  das  Kästchen  auf  dem 
Schosse  festhält»). 

Betrachten  wir  die  Monumente  der  ersten  Gattung,  so  fällt 
zunächst  auf,  dass  sie  alle  die  Gruppe  nur  in  Vorderansicht  und 
zwar  von  demselben  Gesichtspunkt  aus  vorführen,  während  dies  bei 
den  Bildwerken  der  anderen  Reihe  durchaus  nicht  der  Fall  ist.  So- 
dann ist  die  eigenartige  Schrittstellung  der  meisten  dieser  Darstel- 


1)  Vereinzelt  steht  eine  Darstellung  auf  einer  Münze  Octavians 
(Babel on,  a.  a.  0.  S.  42),  auf  welcher  Aeneas  den  Greis  mit  beiden 
Händen  hoch  über  der  linken  Schulter  hält. 

2)  Zu  dieser  Reihe  gehören:  das  Mittelbild  der  tabula  Iliaca  (Jahn, 
Griech.  Bilderchroniken  I*),  eine  Thonlampe  des  Mus.  Kircherianum  (von 
Rohden,  Pomp.  Terracotten  I  S.  48),  die  Fragmente  zweier  gleichen  Grup- 
pen, Mus.  Nazionale  in  Neapel  No.  8.  1874  und  No.  4303),  das  Relief  aus 
Turin  (0  verbeck,  Gall.  XXVII 16),  Münzen  des  Antoninus  Plus  (Cohen, 
med.  imper.  II,  No.  288,  751  (abg.  Taf.  13),  810,  Stevenson,  Diction.  of 
Rom.  coins  S.  16),  sowie  eine  Menge  von  Gemmen  (Stosch  IV  119—122 
Impronte  gem.  II  62,  Gerhard' sehe  Abgusssammlung  im  Bonner  Kunst- 
museum XVI  1141-43,  1145-47). 

3)  Die  zweite  Reihe  wird  ausser  den  Kölner  Gruppen  durch  folgende 
Monumente  vertreten:  Die  Carricatur  aus  Herkulanum  (v.  Rohden, 
Pomp.  Terracotten  S.  47,  Miliin,  gal.  myth.  173,  607),  sodann  Münzen  von 
Dardanus  (Gardner,  Types  of  Greek  coins  XV  7),  Ilion  (0 verbeck,  Gall. 
XXVII 10),  Patrae  (Catal.  of  Gr.  c.  Peloponnes.  VI  5).  Von  anderen  Münzen, 
die  auch  dieselbe  Gruppe  zeigen  (Apamea,  Catal.  of  Gr.  c.  Pontus  etc. 
S.  114,  Berytus,  Eckhel,  doctr.  num.  vet.  III  S.  ^59,  Coela,  Sabatier, 
Descript.  g^ner.  des  m6d.  contorn.  S.  94,  Corinth,  ebenda  S.  93,  Othrus, 
Head,  Hist.  num.  S.  567)  standen  mir  leider  keine  Abbildungen  zu  Ge- 
bote. —  Ein  Contorneat  (Sabatier,  a.  a.  O.  XIV  10),  auf  welchem  An- 
chises seine  rechte  Hand  erhebt  imd  nach  rückwärts  blickt,  als  schaue  er 
sich  nach  Kreusa  um,  und  eine  Thonlampe  (Bartoli,  lucernae  III  10),  wo 
der  Alte  auf  der  rechten  Schulter  des  Sohnes  sitzt  und  seine  Linke  auf 
dessen  Helm  legt,  fallen  aus  diesen  Reihen  heraus. 


58  A.  Brüning: 

lungen  zu  beachten.  Die  Knie  des  Aeneas  sind  nämlich  in  einer 
Weise  auseinandergesetzt,  wie  man  es  häufig  auf  Reliefs  oder  Ge- 
mälden findet,  wenn  eine  heftig  ausschreitende  Gestalt  in  Frontan- 
sicht wiedergegeben  werden  soll.  Diese  gespreizte  Stellung  der  Beine 
scheint  mir  den  Beweis  zu  liefern,  dass  sich  in  diesen  Repliken  ein 
Gemälde  oder  Relief  wiedei-spiegelt.  Würden  nämlich  diese  Monu- 
mente auf  eine  Statuengruppe  als  Vorbild  zurttckgehen,  so  massten 
bei  der  Uebersetzung  der  Gruppe  in  den  Flächenstil  die  Kniee  des 
ausschreitenden  Aeneas  nahe  an  einander  gerückt  sein.  Wollte  man 
aber  annehmen,  dass  diese  Spreizstellung  erst  vom  Kopisten  einge- 
führt worden  sei,  so  Hesse  sich  nicht  ersehen,  wie  sämmtliche  Ko- 
pisten darauf  gekommen  sein  sollten,  diese  Umänderung  in  der 
gleichen  Weise  vorzunehmen.  Für  ein  Gemälde  spricht  der  Umstand, 
dass  zu  Rom,  wo  wir  ja  das  Original  suchen  müssen,  grössere  Ge- 
mäldecyklen  mit  Dai-stellungen  aus  dem  troischen  Sagenkreise  zu 
Anfang  der  Kaiserzeit  vorhanden  waren,  in  denen  natürlich  diese 
Scene  nicht  fehlen  durfte. 

Ziehen  wir  die  allen  diesen  Wiederholungen  charakteristischen 
Züge  heraus,  so  ergibt  sich  folgendes  Bild:  Aeneas,  bärtig'),  und 
unbedeckten  Hauptes,  schreitet  stark  nach  rechts  hin  aus.  Er  ist 
bekleidet  mit  Tunica,  Panzer  und  hohen  Stiefeln,  ein  langer  Mantel 
wallt  von  seinem  Rücken  herab.  Während  er  mit  der  einen  Hand 
den  linken  ünterechenkel  des  Vaters  umfasst,  hält  er  den  Sohn  am 
Arme  fest.  Der  Kleine,  mit  phrygischer  Mütze  und  gegürteter  Tu- 
nica angethan,  scheint  nur  mühsam  dem  Vater  folgen  zu  können, 
so  dass  dieser  sich  besorgt  umblickt  und  den  zu  ihm  aufschauenden 
Knaben  ermuntert.  Anchises,  der  in  der  Linken  das  Kästchen  hält, 
stützt  sich  mit  der  andern  Hand  auf  die  rechte  Schulter  des  Sohnes, 
um  sich  so  auf  seinem  unbequemen  Sitze  besser  halten  zu  können. 
—  Auf  dem  Mittelbilde  der  tabula  Iliaca  sehen  wir  ausser  den  er- 
wähnten drei  Pereonen  über  Askanius  noch  die  undeutlichen  Um- 
risse einer  Gestalt,  in  der  Jahn  2)  wohl  richtig  Kreusa  vermuthet, 
sowie   den   inschriftlith  bezeichneten  Hermes,   der  rechts  von  der 


1)  So  zeigen  ihn  die  Thonlampe  und  die  Münzen  des  Antoninus 
Pius  (vgl.  S.  57  Anm.  2),  die  wohl  der  Vorlage  am  nächsten  stehen;  ferner 
von  den  Gemmen,  soweit  es  kenntlich  ist,  folgende:  Stos  ch  IV  121,  122. 
Impronte   gem.  II  62,   Gerhard' sehe  Abgusssamml,  XVI  1141.  1147. 

2)  Jahn,   Griech.  Bilderchr.  S.  36. 


Die  Kölner  Aeneasgruppen.  59 

Hanptgruppe  dem  Aeneas  den  Weg  zu  zeigen  sclieint.  Vielleicht 
gibt  lins  dieses  Bild  das  Original  in  grösserer  Ausführlichkeit 
wieder. 

Bei  den  Monumenten  der  zweiten  Reihe  ist,  wie  schon  be- 
merkt, beachtenswerth,  dass  sie  die  Gruppe  von  verschiedenen  Ge- 
sichtspunkten aus  wiedergeben.  Völlige  Seitenansicht  bietet  die 
Münze  von  Patras,  mit  der  die  Carricatur  aus  Herculanum  besonders 
in  der  Haltung  der  Köpfe  des  Aeneas  und  Anchises  übereinstimmt; 
von  vorn  gesehen  zeigt  sie  die  bei  0 verbeck  abgebildete  Münze 
von  Ilion.  Von  der  Seite  aus  erscheint  die  Composition  auch  auf 
der  Münze  von  Dardanus;  doch  findet  sich  hier  noch  die  Besonder- 
heit, dass  trotzdem  der  Körper  des  Greises  in  Vorderansicht  dar- 
gestellt ist.  Bei  allen  diesen  Repliken  ist  Anchises  puppenhaft  klein 
gebildet.  Er  sieht  gegenüber  den  lebhaft  bewegten  Gestalten  des 
Aeneas  und  Askanius  fast  wie  eine  Statuette  aus,  während  auf  den 
Bildwerken  der  ereten  Klasse  der  Körper  des  Gi^eises  durch  die 
Verschiebung  des  Oberköi^pers  nach  der  Seite  und  die  dadurch  ver- 
änderte Lage  der  Gliedmassen  grössere  Lebendigkeit  und  gefällige 
Natürlichkeit  gewinnt. 

Alle  diese  Eigenthümlichkeiten  finden  am  besten  ihre  Erklärung, 
wenn  man  annimmt,  dass  das  Bildwerk,  welches  den  genannten 
Darstellungen  als  Vorlage  diente,  ein  statuarisches  Monument  war, 
das  frei  aufgestellt,  von  verschiedenen  Seiten  her  betrachtet  und 
kopiert  werden  konnte.  Die  unnatürlich  kleine  Bildung  des  Greises 
erklärt  sich  dadurch,  dass  aus  technischen  Rücksichten  eine  ge- 
tragene Gestalt  in  schwer  lastendem  Material  nicht  über  ein  ge- 
wisses Mass  hinaus  gebildet  werden  konnte. 

Möglichei-weise  ist  das  Original  der  zweiten  Reihe,  welches 
den  Aeneas  unbärtig  dargestellt  zu  haben  scheint,  nur  eine  Ueber- 
tragung  des  Vorbildes  der  ersten  Gattung  in  die  Plastik.  Das  Zu- 
sammenschrumpfen des  Anchises  hatte  auch  jene  Veränderung  des 
Sitzmotivs  zur  Folge.  Vielleicht  gingen  auch  beide  auf  eine  gemein- 
same Quelle  zurück.  Die  Bildwerke  des  statuarischen  Typus  aber 
mit  Heydemann  und  Ihm  auf  die  von  Ovid  erwähnte  Gruppe 
zurückzuführen  ist  bei  der  Unbestimmtheit  des  Ausdruckes,  womit 
dieses  Monument  bezeichnet  wird  (Aenean  oneratum  pondere  caro) 
und  der  Mannigfaltigkeit  der  Fassungen,  in  denen  uns  die  Scenc 
der  Aeneasflucht  entgegentritt,  nicht  statthaft. 


60  A.   Brüll  in  g:  Die  Kölner  Aeneasgruppen. 

Da  8änimtliche  aufgezählten  Nachbildungen,  auch  die  Mttnzen  ^)^ 
erst  aus  der  Kaiserzeit  stammen,  so  wird  diese  Composition,  in  der 
Julus  der  Gruppe  eingegliedert  erscheint,  eine  Erfindung  aus  der 
Zeit  der  julischen  Monarchie  sein.  Die  beiden  Kölner  Repliken 
aber  wird  man  wegen  der  relativen  Vortrefflichkeit  ihrer  Ausführung 
kaum  später  als  in  den  Anfang  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr. 
setzen  dürfen*). 


1)  Die  bei  Mionnet,  Descript.  des  med.  ant.  II  S.  658  No.  195,  196. 
Suppl.  5.  S.  557.  No.  396—398  angeführten  Autonommünzen  von  Ilion 
sind  nach  gütiger  Mittheilung  von  Herrn  Dr.  H.  Dresse!  ebenfalls  in 
die  Kaiserzeit  zu  setzen. 

2)  Wie  beliebt  und  bekannt  auch  später  noch  die  Composition  war^ 
zeigt  ein  Marmorrelief  des  dritten  Jahrhunderts  nach  Chr.  im  Museo  Na- 
zionale  in  Neapel  (Arch.  Zeit.  1872  Taf.  54,  2.  Vergl.  S.  118),  welches  die 
Landung  des  Aeneas  auf  Sizilien  darstellt.  Aeneas  ist  im  Begriffe,  das 
Schiff  zu  verlassen.  Askanius,  vom  Vater  am  linken  Arme  festgehalten, 
eilt  schon  die  Landungsbrücke  herunter,  die  sein  Vater  gerade  betreten 
will.  Der  Alte,  den  Aeneas  mit  der  Hand  im  Rücken  unterstützt,  legt 
seine  Rechte  auf  die  Schulter  des  Sohnes.  Alle  drei  zeigen  eine  auf- 
fallende Aehnlichkeit  mit  den  Gestalten  unserer  Gnippe.  Der  Oberkörper 
des  Aeneas  entspricht  in  seinem  Costüm  —  selbst  das  cinctorium  fehlt 
nicht  —  fast  genau  dem  Bonner  Torso.  Auch  Sohn  und  Vater,  der  sogar 
noch  seine  sitzende  Haltung  bewahrt  hat,  erscheinen  in  derselben  Tracht, 
wie  auf  den  angeführten  Bildwerken.  Es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass 
der  Reliefbildner  seine  Figuren  unmittelbar  einer  Darstellung  unserer 
Composition  entlehnt  und  die  Gruppe  für  seine  Zwecke  in  dieser  Weise 
aufgelöst  hat. 


4.  Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum. 

Von 
H.  Dressel. 


Hierzu  Taf.  IL 


I.  Beschlag  einer  römischen  Schwertscheide. 

Im  Jahre  1886  kam  ein  an  der  HeisterbacherhoiBtrasse  zu 
Bonn  gefundener  Broncebeschlag  in's  Museum  (Nr.  4320) ,  welcher 
wohl  verdient  y  der  ihm  bisher  zu  Theil  gewordenen  Vergessenheit 
durch  die  Publication  entzogen  zu  werden  ^).  Dieses  Beschlagstück; 
dem  ich  bei  der  Neuordnung  des  Museums  einen  Ehrenplatz  ange- 
wiesen habe,  rührt,  wie  aus  seiner  Form  und  Ausschmückung  un- 
zweifelhaft hervorgeht,  von  der  Schwertscheide  eines  römischen  Of- 
ficiers  her  und  besteht  aus  einem  seiner  Bestimmung  entsprechend 
gebogenen  Streifen  Bronceblech  (jetzt  in  zwei  Stücke  zerbrochen) '), 
der  auf  der  oberen  Seite  drei  in  Hochrelief  getriebene  Brustbilder 
zeigt  (Taf.  II  n.  1),  während  die  schmucklose  untere  Seite  nur  mit 
einem  Namen  versehen  ist.  Ob  es  zur  Verzierung  des  Mundstückes 
der  Schwertscheide  gedient  hat  oder,  wie  beim  Schwert  des  Ti- 
berius,  unmittelbar  unter  dem  Mundstück  seinen  Platz  hatte,  oder 
ob  es  den  zwischen  den  beiden  Querbändern  liegenden  Raum  der 
Scheide  ausfüllte'),  dürfte  wohl  schwer  zu  entscheiden  sein. 

Die  Darstellung  der  Schauseite  ist  durchaus  symmetrisch  an- 
geordnet.   In  der  Mitte  das  Brustbild  einer  Frau  von  vom,  zu  ihren 


1)  Nur  mit  sechs  Worten  wird  er  in  diesen  Jahrbüchern  LXXXIV 
(1887)  S.  236  erwähnt. 

2)  Höhe  0,061,  Breite  0,087. 

3)  Vgl.  z.  B.  Lindenschmit  Tracht  und  Bewaffnung  des  röm. 
Heeres  Taf.  V,  2. 


62  H.  Dressel: 

Seiten  je  eine  jugendliehe  männliche  Büste,  ebenfalls  von  vorn,  aber 
mit  einer  leichten  Wendnng  nach  der  Mittelfigur. 

Die  Frau  hat  gewelltes  Haar  mit  einer  über  dem  Scheitel 
liegenden  Flechte;  über  den  Schultern  sind  ausserdem  zwei  hinten 
frei  herabfallende  Haarlocken  angedeutet.  Sie  ist  bekleidet  und  hat 
an  ihrer  linken  Schulter  einen  Gewandtiberwurf. 

Die  beiden  männlichen  Brustbilder,  beide  nur  wenig  kleiner 
als  das  der  Frau,  sind  fast  vollkommen  gleich  bebandelt;  doch  hat 
der  Künstler  das  Brustbild  rechts  durch  die  etwas  grössere  Kopf- 
bildung als  älter  charakterisirt  und  durch  eine  ornamentale  Zu- 
that,  welche  bei  dem  andern  fehlt,  vielleicht  auch  besonders  aus- 
zeichnen wollen.  Das  Haar  beider  Jünglinge  ist  schlicht  und  ziem- 
lich kurz;  beide  tragen  den  Panzer,  der  mit  einer  grossen  Gorgonen- 
maske  geschmückt  ist-,  auf  den  linken  Schultern  liegt  ein  Gewand- 
überwurf, während  von  den  rechten  Schultern  schräg  über  den 
Panzer  das  Bandelier  geht.  Bei  dem  Brustbilde  links  erscheint  an 
seiner  rechten  Schulter  und  Seite  das  sogenannte  Schutzband;  bei 
dem  anderen  ist  es  nicht  sichtbar,  weil  die  Stelle  dnrch  den  Ge- 
wandüberwurf der  Frau  verdeckt  ist.  Den  Abschluss  beider  Brust- 
bilder bildet  ein  Gurt,  welcher  bei  der  Büste  rechts  breiter  als  bei 
d«r  anderen  und  durch  eine  ornamentale  Wellenlinie  verziert  ist. 

Unter  den  drei  Bildnissen  befindet  sich,  einen  flachen  Bogen 
bildend,  ein  Ornament  mit  Wellenlinie,  welches,  da  es  keinen  rechten 
Abschinas  hat,  wohl  auf  dem  nicht  mehr  erhaltenen  anschliessenden 
Theile  des  Beschlages  seine  Fortsetzung  hatte. 

Der  Grund,  aus  dem  sich  die  Relief bilder  abheben,  ist  punk- 
tirt  und  die  ganze  Vorderseite  leicht  versilbert. 

Auf  der  anderen  Seite  des  Beschlagstückes,  welche  keinerlei 
Schmuck  zeigt,  befindet  sich  am  unteren  Rande  die  punktirte  In- 
schrift 

VALIIRI 

offenbar  der  Name  des  Officiers,  dem  einst  das  Schwert  gehört  hat. 
Das  Stück  ist,  abgesehen  von  einigen  Quetschungen,  welche 
die  Nasen  und,  bei  dem  ereten  Brustbilde,  die  rechte  Wange  er- 
litten haben,  gut  erhalten.  Die  Ausführung  ist  keineswegs  fein, 
kann  aber  auch  nicht  als  roh  bezeichnet  werden.  Auch  die  Grup- 
pirung  ist  nicht  tadellos;  denn  die  enge  Aneinanderschicbung  der 
Büsten,  durch  welche  die  Köpfe  mehr  als  die  Oberkörper  zur 
Geltung  kommen  und  unverhältnissmässig  gross  ei-scheinen,   ist  ein 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmliseum.  63 

Fehler;  der  die  Gesammtwirknng  des  Bildes  sehr  beeinträchtigt 
und  nur  durch  den  ziemlich  lebendigen  Ausdruck  der  männlichen 
Köpfe  und  ihre  leichte  Wendung  nach  der  Mittelfigur  einigermassen 
gemildert  wird. 

Wen  stellen  nun  diese  drei  Bildnisse  vor?  Es  ist  zunächst 
klar,  dass  es  eine  Mutter  mit  ihren  beiden  Söhnen  ist,  sie  eine  Frau 
in  den  dreissiger  Jahren,  die  Söhne  augenscheinlich  eben  dem  Kna- 
benalter entwachsen,  also  etwa  im  14*'"  bis  17'*"  Jahre  stehend, 
Dass  so  jugendliche  Söhne  bereits  den  Soldatenrock  tragen  führt 
uns  ferner  darauf,  dass  hier  nicht  etwa  Familienangehörige  des  Of- 
ficiers  Valerius  dargestellt  sind,  sondern  Personen  aus  dem  kaiser- 
lichen Hause,  bei  denen  derartige  Anticipirungen  nicht  aufiällig  und 
auch  nachweisbar  sind^).  Fügen  wir  noch  hinzu,  dass  die  Haar- 
tracht, besonder  der  Frau,  diese  Personen  nur  in  der  allerersten 
Kaiserzeit  zu  suchen  gestattet  und  nicht  allein  die  beiden  Agrip- 
piuen  mit  ihren  Söhnen,  sondern  auch  Antonia,  des  älteren  Drusus 
Gemahlin,  mit  ihren  Söhnen  Germanicus  und  Claudius  ausschliesst  ^), 
so  würden  nur  noch  die  beiden  folgenden  Gruppirungen  hierbei  in 
Betracht  kommen: 

A.  Livia,  die  Gemahlin  des  Augustus,  mit  ihren  Söhnen  aus 
erster  Ehe  Tiberius  (geb.  42  v.  Chr.)  und  Drusus  sen.  (geb. 
38  V.  Chr.), 

B.  lulia,  die  Tochter  des  Augustus  und  Gemahlin  des  Agrippa, 
mit  ihren  Söhnen  Gaius  (geb.  20  v.  Chr.)  und  Lucius  (geb. 
17  V.  Chr.). 

Die  Frage,  welche  von  beiden  Gi-uppen  dargestellt  sein  könnte, 
lässt  sich  durch  Vergleiche  auf  die  Porträtähnlichkeit  hin  leider 
nicht  beantworten.  Denn  einerseits  ist  unser  Beschlagstück  kein 
Kunstwerk,  das  auf  die  Wiedergabe  des  Individuellen  grosse  Sorg- 
falt verwendet  und  leidet  überdies  an  jener  Unbestimmtheit  in  Form 
und  Umriss,  die  fast  allen  getriebenen  Arbeiten  eigen  zu  sein  pflegt; 
andererseits  ist  das  uns  zur  Verfügung  stehende  Vergleichsmaterial 
nicht  derart,  dass  es  in  unserem  Falle  mit  Erfolg  verwendet  werden 
könnte.  Sicher  beglaubigte  Bildnisse  der  Livia  und  der  lulia  liegen 
uns  zwar  in  einer  Reihe  von  Münzen  vor;   allein   diese  Münzbilder 


1)  So  erhielt  z.  B.  Tiberius  die  toga  virilis  bereits  im  Alter  von 
14^2  Jahren,  Nero  noch  nicht  14  Jahre  alt 

2)  Diese   müssten   auch   schon   wegen   des  Altersunterschiedes  der 
beiden  Söhne  (5  Jahre)  ausgeschlossen  werden. 


64  fit.  Dressel: 

zeigen  uns  alle  den  Kopf  im  Profil  und  sind  daher  für  den  Ver- 
gleich mit  dem  von  vorn  dargestellten  Frauenkopfe  unseres  Be- 
schlagstttcks  ungeeignet.  Dazu  kommt  der  kleine  Massstab,  in  wel- 
chem diese  Bilder  ausgeführt  sind.  Aber  auch  der  Vergleich  mit 
dem  einzigen  sicher  beglaubigten  Rundbilde  der  Li  via,  der  in  pro- 
vinzialer  Mittelmässigkeit  ausgeführten  Broncebttste  von  Neuilly-le- 
R6aP),  und  mit  dem  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Livia  dar- 
stellenden Cameo  von  Petescia  (im  Berliner  Museum)  führt  zu  keinem 
Ergebniss,  das  für  die  Aehnlichkeit  der  Gesichtszüge  irgendwie  aus- 
schlaggebend wäre. 

In  noch  höherem  Masse,  als  für  das  Bildniss  der  Frau,  gelten 
die  erwähnten  Schwierigkeiten  für  die  beiden  Prinzen,  welche  in 
einem  Alter  dargestellt  sind,  das  die  unterscheidenden  Merkmale 
noch  nicht  zur  rechten  Entwicklung  gebracht  hat;  hier,  so  gut  wie 
auf  den  Münzen,  sind  es  eben  Knabengesichter,  die  zwar  im  Allge- 
meinen dem  Charakter  der  lulischen  Zeit  nicht  widersprechen,  aber 
noch  nichts  entschieden  Individuelles  zeigen. 

Es  bleibt  also  nur  übrig,  in  der  eigenthümlichen  Haartracht 
der  Frau  einen  Anhalt  für  die  eine  oder  die  andere  Gruppe  zu 
suchen.  Das  Hauptmerkmal  ihrer  Haartracht,  der  über  dem  Scheitel 
liegende  Haarwulst  oder  Zopf,  begegnet  uns  in  den  letzten  Jahren 
der  römischen  Republik  und  zu  Anfang  der  Kaiserzeit  bei  den  Köpfen 
der  Fulvia  (der  zweiten  Frau  des  Antonius),  der  Octavia  (der 
Schwester  des  Augustus  und  dritten  Frau  des  Antonius)  und  der 
Livia*).  Es  sind  hier  wiederam  die  Münzen,  welche  uns  das  sichere 
Material  dafür  liefeni  und  auf  ihren  Profilköpfen  jene  Eigenthüm- 
lichkeit  der  Frisur  deutlich  erkennen  lassen.  Dass  Livia  im  Laufe 
ihres  langen  Lebens  ihre  Haartracht  gewechselt  hat  •),  ist  für  unsere 
üntereuchung  ohne  Belang,  denn  wir  haben  es  hier  mit  einer  noch 
jugendlichen  Frau  zu  thun  und  aus  den  Münzen  geht  hervor,  dass 
Livia  noch  in  den  letzten  Jahren  des  Augustus  und  sogar  bis  über 


1)  Abgebildet  bei  Fröhner  mus^es  de  France  Taf.  II  und  bei 
Ray  et  monuments  de  Tart  antique  II  livr.  VI  pl.  II. 

2)  Vgl.  die  ausführUche  Behandlung  dieses  Gegenstandes  durch 
Heibig  in  den  Mittheilungen  des  archäol.  Instituts  (röm.  Abtheilung)  II 
(1887)  S.  7  ff.  und  in  den  Monumeuti  antichi  pubblicati  per  cura  della  K. 
Accademia  dei  Lincei  I  (1891)  S.  573  ff.,  auch  was  Bernoulli  röm.  Ikono- 
graphie II  S.  110  f.  darüber  sagt. 

3)  Vgl.  Heibig  a.  a.  0.  S.  7.  8. 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmusetim.  6ß 

den  Tod  ihres  Mannes  hinaus  die  Scheitelflechte  getragen  hat;  als 
Beleg  dafür  die  beiden  auf  Taf.  II  n.  2  und  4  abgebildeten  Münzen, 
von  denen  die  erste  in  Alexandrien  geprägte  auf  der  Kehrseite  das 
39'*''  Regierungsjahr  des  AugustHs  trägt,  die  zweite  in  Emerita  unter 
Tiberius  geprägt  ist  und  daher  Livia  als  lulia  Augusta  bezeichnet  ^). 

Da  ausser  der  Scheitelflechte  auch  das  gewellte  Haar  bei  Livia 
gesichert  ist  (vgl.  z.  B.  Taf.  II  n.  4)  und  selbst  die  beiden  Schulter- 
locken auf  einigen  Münzen  (vgl.  z.  B.  n.  3)  und  auf  der  oben  er- 
wähnten Broncebüste  von  Neuilly-le-Real  sich  bei  ihr  vorfinden,  so 
könnte  die  auf  unserem  Beschlagstücke  dargestellte  Frau  der  Haar- 
tracht  nach  recht  wohl  Livia  sein. 

Aber  sie  könnte  ebenso  gut  auch  lulia,  die  Tochter  des  Au- 
gustus,  sein.  Denn  dass  lulia  ihr  Haar  im  Wesentlichen  nicht  an- 
ders getragen,  als  Livia  und  andere  hohe  Damen  des  Augusteischen 
Zeitalters,  konnte  schon  von  vom  herein  als  sicher  angenommen 
werden  und  wird  bestätigt  durch  eine  kleine  pergamenische  Kupfer- 
münze mit  den  Köpfen  der  Livia  und  der  lulia  (Taf.  II  n.  3),  die 
mit  feiner  Anspielung  auf  ihre  Charaktereigenschaften  als  Livia-Hera 
und  als  lulia-Aphrodite  bezeichnet  werden.  Die  Frisuren  beider 
Frauen  stimmen  da  in  der  Anordnung  des  Haares  über  der  Stirn 
und  um  das  Gesicht  ganz  genau  überein  und  die  über  dem  Scheitel 
liegende  Flechte  ist,  wenn  sie  auch  auf  unserer  Abbildung  nicht 
klar  erscheint,  auf  der  Münze  vollkommen  sicher;  nur  am  Hinter- 
kopfe ist  ein  Unterschied  bemerkbar,  denn  lulia  trägt  einen  kurzen 
Zopf,  Livia  einen  Knauf,  auch  fehlen  bei  lulia  die  Schulterloeken, 
die  bei  Livia  besonders  deutlich  sind. 

Da  die  charakteristische  Scheitelflcchte  sich  also  für  beide 
Frauen  nachweisen  lässt,  haben  wir  auch  nach  dieser  Seite  hin 
zwischen  Livia  und  lulia  vollkommen  freie  Wahl.  Ich  glaube  wenig- 
stens nicht,  dass  die  Schulterlocken  unseres  Bildnisses  das  Zünglein 
der  im  Gleichgewicht  schwebenden  Waage  noch  im  letzten  Augen- 
blicke zu  Gunsten  der  Livia  bewegen  dürfen;  kommt  doch  Livia 
auf  einigen  Münzen  auch  ohne  dieselben  vor  (z.  B.  auf  den  abge- 
bildeten von  Alexandria  und  Emerita)  und  ist  doch  nicht  ausge- 
schlossen, dass  auch  lulia  einmal  mit  Schulterlocken  vorkommen 
kann. 

1)  Bekanntlich  wurde  Livia  durch  das  Testament  des  Augustus  in 
das  lulische  Geschlecht  aufgenommen  und  erhielt  den  Beinamen  Augusta ; 
vgl.  Eck  hei  doctr.  num.  VI  S.  147. 

Jahrb.  d.  Ver,  v.  Alterthsfr.  Im  Rhelnl   XCV.  5 


66  ti.  t)res8el: 

Dagegen  könute  Jemand  versucht  seiu^  für  die  Deutung  auf 
lulia  den  Umstand  in's  Gewicht  fallen  zu  lassen ^  dass  auf  einer 
Münze  des  Augustus,  ähnlich  wie  auf  unserem  Relief,  lulia  zwischen 
Gaius  und  Lucius  dargestellt  ist  *),  während  wir  für  Livia  und  ihre 
Söhne  eine  derartige  Gruppirung  auf  Münzen  nicht  haben;  ferner 
auch  anführen^  dass  der  dreijährige  Altersunterechied  zwischen  Gaius 
und  Lucius  besser  als  der  vierjährige  zwischen  Tiberius  und  Drusus 
auf  unsere  Darstellung  zu  passen  scheint,  und  schliesslich  noch  den 
reicheren  Gürtelschmuck  des  einen  Prinzen  als  eine  Andeutung  auf 
die  notorische  Bevoraugung  des  Gaius  vor  seinem  jüngeren  Bruder 
ansehen.  Ich  habe  geglaubt^  diese  Einzelheiten  nicht  verschweigen 
zu  sollen,  bin  aber  weit  davon  entfernt,  dort  wo  Schein  und  Zufall 
ihr  Spiel  treiben  können,  derartige  Anhaltspunkte  zu  beweiskräftigen 
Factoren  anwachsen  zu  lassen,  nur  weil  man  eine  Entscheidung 
wünscht. 

So  wollen  wir  uns  denn  lieber  bescheiden  zu  sagen,  die  drei 
Bnistbilder  des  Bonner  Beschlagstückes  stellen  entweder  Livia 
mit  Tiberius  und  Drusus  vor,  oder  lulia  mit  den  gemini  Caesarea 
Gaius  und  Lucius. 

IL   Eine   Amphora   aus   Spanien  mit 
lateinischen    Inschriften. 

Eines  der  unscheinbarsten  Stücke  des  Museums  ist  die  auf 
dem  Kessenicher  Felde  bei  Bonn  gefundene  grosse  kugelförmige 
Amphore  Nr.  8352,  ein  roh  ausgeführtes  Gefiiss,  vielfach  geborsten, 
ohne  Hals  und  ohne  Henkel  und  dessen  schlecht  eingedrückte,  halb 
verwischte  Fabrikmarke  nahezu  unleserlich  ist.  Auf  diesem  so  wenig 
erfreulichen  Stücke  befinden  sich  aber  einige  mit  schwarzer  Farbe 
aufgezeichnete,  trotz  ihrer  verhältnissmässig  guten  Erhaltung  bisher 
unbemerkt  gebliebene  Inschriften,  die,  wie  aus  dem  Folgenden  sich 
ergeben  wird,  das  GefUss*  zu  einem  der  merkwürdigsten  Monumente 
der  Sammlung  machen.  Bevor  ich  auf  ihren  Inhalt  eingehe,  muss 
ich,  des  besseren  Verständnisses  wegen,  einige  allgemeine  Bemer- 
kungen über  diese  Gattung  von  Amphoren  imd  ihre  Aufschriften 
vorausschicken. 

Die  Bonner  Amphore  gehört  in  die  Klasse  derjenigen  Trans- 
portgefiisse,   welche   in  ungeheueren  Massen  aufgeschichtet  den  be- 


1)  Cohen  I  S.  186  ii.  1.  2  der  zweiten  Ausgabe. 


Aus  dem  ßonner  Provinzialmüsfetirri.  67 

kannten  Scherbenberg  in  Rom,  den  monte  Testaccio,  bilden,  üeber 
die  Entstehung  und  die  Bestandtheile  dieses  merkwürdigsten  aller 
Hügel  habe  ich  in  den  Annalen  des  römischen  Instituts  (1878  S.  118  ff.) 
ausführlich  gehandelt;  spätere  Nachgrabungen  haben  dann  die  Richtig- 
keit der  von  mir  damals  gewonnenen  Ergebnisse  in  jeder  Weise 
bestätigt  (vgl.  Bullettino  archeologico  comunale  1892  S.  48  ff.)  Dass 
der  Testaccio  eine  mit  dem  benachbarten  Emporium  und  seinen  aus- 
gedehnten Speichen!  in  engstem  Zusammenhang  stehende  Scherben- 
ablagerung ist  und  dass  diese  Ablagerung  keine  tumultuarische, 
durch  irgend  eine  plötzliche  Katastrophe  bedingte  war,  sondern  im 
Laufe  der  Jahrhunderte  allmälig  und  in  durchaus  geordneter  Weise 
entstanden  ist,  sei  hier  nur  im  Vorübergehen  bemerkt.  Von  weit 
grösserer  Bedeutung  ist  fllr  uns  die  Thatsache,  dass  der  Testaccio 
aus  Bnichstücken  von  Amphoren  besteht,  die  fast  alle  aus  Spanien, 
vornehmlich  aus  den  Provinzen  Baetica  und  Tarraconensis,  zur  Ver- 
proviantirung  der  Hauptstadt  während  der  römischen  Kaiserzeit  ver- 
schickt worden  sind.  Andeutungen  dafür  hatten  einige  auf  den 
Amphoren  aufgedrückte  Fabrikstempel  bereits  früher  geliefert,  den 
vollen  Beweis  erbrachten  erst  die  auf  diesen  Gefllssen  von  mir  ent- 
deckten Aufschriften,  welche  in  sehr  vielen  Fällen  datirt  sind  und 
bisher  den  Zeitraum  vom  Jahre  140  oder  144  bis  251  nach  Chr. 
umfassen.  Diese  fast  durchgängig  mit  schwaraer  Farbe  aufgemalten 
Inschriften,  von  denen  mehr  als  tausend  zu  entziffern  mir  gelungen 
ist^),  haben  uns  ein  Material  geliefert,  das,  abgesehen  von  seiner 
paläographischen  Wichtigkeit,  nicht  allein  für  die  römische  Ver- 
waltungsgeschichte werthvoll  ist,  sondern  auch  unsere  Kenntnisse  der 
antiken  Handelsverhältnisse  wesentlich  bereichert. 

Während  die  sonst  auf  römischem  Boden  gefundenen  Amphoren- 
inschriften ausserordentlich  mannigfaltig  sind  und,  je  nach  der  Form 
des  Gefilsses,  bald  die  Weinsorte  nennen  (nicht  selten  mit  einer  auf 
das  Alter  des  Weins  und  das  Datum  der  diffusio  bezüglichen  Notiz), 
bald  als  ihren  Inhalt  das  garum,  das  liquamen,  die  muria  oder 
auch  Oel,  Oliven  und  mancherlei  andere  Fruchtarten  bezeichnen, 
sind  die  Inschriften  der  auf  dem  Testaccio  gesammelten  Amphoren 
spanischer  Herkunft  von  einer  geradezu  stereotypen  Gleichförmigkeit 


1)  Einige  Beispiele  davon  finden  sich  in  der  oben  erwähnten  Unter- 
suchung in  den  Annali  dell'  Inst.  1878;  eine  vollständige  Zusammenstel- 
lung im  Corpus  inscr.  Lat.  XV  n.  3691  flf*. 


6s  fi.  Üressel: 

und  auch  nicht  eine  klärt  uns  darüber  auf,  was  in  diesen  Gefassen 
einst  versandt  worden  ist.  Dementsprechend  ist  auch  die  Fomi 
dieser  Amphoren  immer  dieselbe,  fast  kugelrund,  mit  kurzem  Halse 
und  bogenförmig  gekrümmten  Henkeln,  derb  und  fest  gebaut,  genau 
so  wie  die  Bonner  Amphore  ist,  oder,  richtiger  gesagt,  war*). 

Auch  in  Bezug  auf  ihre  räumliche  Yertheilung  und  auf  ihren 
Inhalt  herrscht  bei  den  Amphoreninschriften  des  Testaccio  strenge 
Gleichmässigkeit.  Unmittelbar  unter  dem  Halsansatz  ist  eine  Zahl 
verzeichnet,  einige  Zoll  darunter  steht  ein  mit  grossen  Kapitalbuch- 
staben voll  ausgeschriebener  Name  im  Genetiv,  in  welchem  wir  die 
Firma  des  Fabrikanten  oder  Producenten  des  Gefilssinhaltes  zu  er- 
kennen haben,  und  wiederum  einige  Zoll  tiefer  abermals  eine  Zahl. 
Diese  beiden  Zahlen  —  über  die  Bedeutung  der  ersten  wissen  wir 
nichts,  die  zweite  bezeichnet  das  Gewicht  des  Amphoreninhalts  in 
römischen  Pfunden  ^)  —  sind  ausnahmslos  mit  Ziffern  von  einer  bisher 
auf  keinem  andern  Denkmal  des  Alterthums  nachgewiesenen  Form 
geschrieben*)  und  tragen,  gleichwie  der  Fabrikantenname,  die  deut- 
lichsten Merkmale  des  Pinsels  an  sich,  mit  dem  sie  auf  die  Am- 
phore gemalt  worden  sind;  es  war  fast  durchweg  eine  äusserst 
schreibgeübte  Hand,  welche  die  feinsten  und  breitesten  Linienzüge 
flott  dahin  malte  imd  nicht  selten  an  allerlei  kalligraphischen  Kün- 
steleien und  den  kühnsten  Schlussstricheu  ihr  Gefallen  äusserte. 

Mit  dem  dritten  Jahrhundeii;  tritt  in  der  eben  besprochenen 
Inschrift  in  sofern  eine  Aenderung  ein,  als  die  Fabrikantenfirma 
fast  gänzlich  verschwindet  und  dafür  die  Bezeichnung  Fisci  rationis 
patrimoni  provinciae  Baeticae  oder  auch  Find  rationis  patrimoni 
provinciae  Tarraconeiins  gesetzt  wird,  während  die  beiden  Zahlen 
bleiben  und  dieselbe  Stelle  wie  zuvor  einnehmen.  Die  neue  Be- 
zeichnung sagt  aus,  dass  die  Amphoren  dem  fiscus  (d.  h.  der  Kasse) 
des  in  der  Provinz  Baetica,  beziehungsweise  Tarraconensis,  befind- 
lichen kaiserlichen  Patrimoniums  {ratio  patrimonii)  gehören,  und 
lehrt  uns,   dass   die   früher   von  Privatpersonen  betriebene  Produc- 


1)  Vgl.  die  Abbildung  nach  einem  römischen  Exemplar  in  den  An- 
nali d.  Inst.  1878  Taf.  L  n.  1. 

2)  Vgl.  meine  darüber  angestellten  metrologischen  Untersuchungen 
im  BuUettino  archeologico  comunale  1879  S.  149  if. 

3)  Eine  Zusammenstellung  dieser  Ziffern  in  den  Annali  d.  Inst.  1878 
Taf.  M. 


AüB  dem  Bonner  Provinzialmuseum.  69 

tion  nunmehr  der  Verwaltung  des  kaiserlichen  Patrimoniums  unter- 
stellt ist. 

Neben  der  dreifach  gegliederten ;  mitten  auf  dem  Bauche  des 
Getilsses  angebrachten  Aufschrift;  die  gleichsam  die  Etikette  bildet, 
mit  welcher  der  Fabrikant  oder  Producent  (und  später  das  kaiser- 
liche Patrimonium)  seine  Transportgefässe  versieht,  sind  die  Am- 
phoren des  Testaccio  noch  mit  einer  zweiten,  gewöhnlich  aus  mehreren 
Zeilen  bestehenden  Inschrift  versehen,  die  stets  dieselbe  Stelle  längs 
des  rechten  Henkels  einnimmt  und,  im  Gegensatz  zu  der  ersten,  mit 
kleiner  Cursivschrift  geschrieben  ist. 

Diese  zweite  Inschrift  —  ich  werde  sie  im  Folgenden  die 
Cursivinschrift  nennen  —  besteht  aus  einer  Anzahl  von  Notizen, 
die,  in  ihrer  Gesamratheit  betrachtet,  es  unzweifelhaft  machen,  dass 
sie  in  einem  Verwaltungsbnreau  niedergeschrieben  wurden.  Hier 
einige  Beispiele  aus  dem  grossen  Vorrathe  des  Testaccio,  die  zugleich 
zur  Erläuterung  der  folgenden  Analyse  dienen  mögen: 

I  (=  CLL. XV  4174) 
R      XXXV      CCIIS 

Attianum  Pontiani,  Phil(ero8) 
acc(epit)  Pitts,  Orfito  et  Prisco  cos. 

II  (=  CLL. XV  3919) 

»        CCVI8 
Orfito  et  Prisco  cos. 
Lautrese    GalU,    XV 
Mode8t(us)y  Veget(us). 

III  (=  CLL. XV  3976) 
R    at   Portu(m)    CCXIIS 

Silvini  AA  Septuminus 
Orfito  et  Prisco  cos. 

IV  (=  CLL. XV  4111) 
R   Astigis   arca    .... 

actus  Agathephori  et  Memmia(ni),  p(onderavit)  Atimetio 
Domino  n(ostro)  et  Sacerdo(te)  cos. 

Da  begegnen  wir  zunächst  einem  Zeichen,  das  ans  einem  hori- 
zontal durchstrichenen  R  besteht  (in  Beispiel  I,  II,  III,  IV);  ich 
verrauthe  darin  das  Wort  r(ecognitum)  oder  r(ecognifa),  d.  h.  die 


70  H.  Dressel: 

Bezeichnnng,  dass  die  Amphore  nach  ihrer  Einlieferung  in  der  vor- 
geschriebenen Weise  controlirt  worden  ist  (vgl.  C.  I.  L.  XV  S.  562). 
—  Sodann  finden  sich  Städtenamen  {PoHus  in  Beispiel  III,  Astigis 
in  IV),  nur  selten  ausgeschrieben  und  dann  im  Nominativ  oder  im 
Accusativ  stehend;  wir  dürfen  also  wohl  annehmen,  dass  hier  immer 
die  Angabe  vorliegt,  wohin  die  Amphore  zunächst  zu  senden  ist. 
Am  häufigsten  kommen  Astigis,  Hispalis  und  Corduba  vor,  mehr- 
mals wird  Portus  genannt,  in  dem  ich  den  Partus  Gaditanus  ver- 
muthe  (auch  der  Portus  Ilipensis  könnte  gemeint  sein,  vgl.  C.  I. 
L.  II  1085),  ein  Mal  erscheint  Mcdaca,  mithin  lauter  Städte  der 
Provinz  Baetica,  die  theils  am  Meer,  theils  an  der  grossen  Wasser- 
strasse des  Baetis  gelegen,  im  Alterthum  ohne  Zweifel  Stationen 
oder  Ausgangspunkte  für  den  direkten  Handelsverkehr  mit  Italien 
waren ;  von  den  Städten,  deren  Lesung  weniger  sicher  ist,  erwähne 
ich  Castuloy  auch  diese  im  Gebiet  des  Baetis  gelegen,  aber  zur 
Tan'aconensis  gehörig.  —  Einen  weiteren  Bestandtheil  der  Cursivin- 
schrift  bilden  Zahlen,  die  in  vier  verschiedene  Gruppen  zerfallen.  Unter 
ihnen  erscheinen  die  beiden  in  der  ersten  Inschrift  befindlichen  Zahlen 
wieder,  und  zwar  ist  derjenigen  Zahl,  welche  der  unter  dem 
Fabrikantennamen  befindlichen  entspricht,  in  der  Cursivinschrift  der 
Buchstabe  P,  d.  h.  p(ondo)y  vorgesetzt  und  damit  ihre  Bedeutung 
als  Gewichtsangabe  vollkommen  gesichert.  Die  Wiederholung  dieser 
Zahl  in  der  Cursivinschrift  aber  erklärt  sich  so,  dass  das  vom 
Fabrikanten  angegebene  Gewicht  nach  der  Einlieferung  des  Ge- 
fösses  an  officieller  Stelle  nachgeprüft  wurde.  Was  die  übrigen 
Zahlen  bedeuten,  lässt  sich  leider  nicht  mehr  feststellen.  Sicher 
scheint  nur,  dass  sie  nicht  alle  Ordnungszahlen  sind,  weil  sie  nicht 
selten  Bruchzahlen  enthalten;  auch  an  Massangaben  oder  Preisbe- 
zeichnungen kann  nicht  gedacht  werden,  wie  ich  das  im  C.  I.  L.  XV 
S.  562  näher  begründet  habe.  —  Unverständlich  ist  uns  auch  eine 
andere  in  der  Cursivinschrift  vorkommende  Zahlenangabe;  sie  besteht 

gewöhnlich   aus  dem  Zeichen   AA    (es  findet  sich  auch  AAA  oder 

AAAA),  das  bald  allein  steht  (so  in  Beispiel  III),  bald  von  einer 
niedrigen  Zahl  begleitet  wird,  die  nicht  selten  Bruchzahlen  enthält. 
Allerlei  Namen,  welche  die  feraeren  Bestandtheile  der  Cursiv- 
inschrift bilden,  sind  an  und  für  sich  nicht  unverständlich,  ihre 
Deutung  jedoch  ist  zum  Theil  schwierig  und  unsicher.  Zunächst 
finden  sich   auf  -ninn  und  auf  -ense  oder   ese  endigende  Bezeich- 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum.  71 

nungen  (in  Beispiel  I,  II),  die  bald  von  einem  lateinischen  Nomen  oder 
Cognomen  abgeleitet  sind  (z.  B.  Aelianuniy  Corndianumj  Fulmanumy 
Maxsimianum^  Säbinianum,  Severianum) ,  bald  von  spanischen 
Städtenamen  herrühren  wie  Sacranese  (von  Sacrana  im  conventtus 
Hispälensis) ,  Singiliese  (von  Singili  im  conventus  Cordubensü), 
Portense  (vom  Partus  Gaditanus  oder  Ilicitanus),  bald,  wie  es 
scheint,  auf  Namen  von  Gehöften  und  Gründen  und  anderen  Lo- 
calitäten  zurückzuführen  sind  (z.  B.  Castilleme,  Frigidesey  Tur- 
reme),  von  denen  einige  wohl  sicher  keltiberischer  Abstammung  sind, 
wie  BcLganiese,  Barcufiefise,  Detaumdese.  Ich  habe  die  Vermuthung 
ausgesprochen  (C.  I.  L.  XV  S.  562  f.),  dass  hier  Bezeichnungen 
vorliegen,  welche  auf  den  Inhalt  der  Gefösse  zu  beziehen  sind. 
Wie  wir  gesehen  haben,  kamen  die  gefüllten  Amphoren  aus  den 
Ofßcinen  der  Lieferanten  ohne  jede  Angabe  dessen,  was  sie  ent- 
hielten; dass  es  Oel  oder  Wein  oder  das  im  Alterthum  so  vielfach 
verwendete  garum  war,  mochte  ja  durch  irgend  ein  einfaches  Zeichen 
angegeben  sein,  das  heute  verschwunden  ist  oder  uns  entgeht.  In 
der  fiscalischen  Station  jedoch,  wo  die  Amphoren  vor  der  Ver- 
sendung nach  ihrem  Bestimmungsort  revidirt  und  controlirt  wurden, 
wird  man  es  für  nöthig  befunden  haben,  eine  genauere  Angabe  über 
die  Herkunft  der  Gefässe  zu  geben,  die  wohl  hauptsächlich  für  den 
Beamten  bestimmt  war,  der  am  Ankunftsort  über  die  Sendung  Buch 
zu  führen  hatte.  So  mag  z.  B.  Fulvianum  das  Oel  bezeichnen,  das  aus 
einem  fundus  Fulvianus  eingeliefert,  Portense  das  garum,  welches 
im  Hafen  von  Gades  hergestellt  worden  war.  —  Auf  diese  ädjec- 
tivischen  Bezeichnungen  folgt  nicht  selten  ein  Personenname  im 
Genetiv  (so  in  Beispiel  I,  II),  der  auch  dann  regelmässig,  und  zwar 
zu  Anfang  einer  Zeile,  aufzutreten  pflegt,  wenn  die  adjectivische 
Bezeichnung  ausgelassen  wird  (wie  in  Beispiel  III).  Die  Genannten 
sind  bald  Liberten,  bald  Sklaven,  zuweilen  auch  Frauen,  und  werden 
höchst  wahrscheinlich  Actoren  und  Procuratoren  der  kaiserlichen 
Krongüter  sein^),  welchen  die  Einsammlung  der  Amphoren  und 
ihre  Ablieferung  an  die  fiscalische  Station  oblag.  Ihre  Nennung  in 
der  Cursivinschrift  kann  natürlich  nur  einen  administrativen  Grund 
gehabt  und  wird  ebenfalls  lediglich  zur  Controle  gedient  haben.  — 


1)  Dass  auch  Frauen  hierbei  Verwendung  fanden,  lehrt  die  aller- 
dings späte  Inschrift  C.  T.  L.  XI 1730,  welche  eine  I*rastima  Maximina 
actrix  c{onsularis?)  domiis  nennt, 


72  H.   Dressel: 

Anderer  Art  sind  die  noch  übrigen  zwei  Namen,  welche  in  der 
Cursivinschrift  verzeichnet  zu  sein  pflegen  (in  Beispiel  I  und  II;  in  III 
ist  nur  ein  Name  genannt);  sie  stehen  im  Nominativ  und  sind  immer 
Sklavennamen.  Zur  Erklärung  dieser  beiden  Namen  habe  ich  ein 
bald  acc  oder  act,  bald  accp  abgekürztes  Wort,  das  sich  einige 
Mal  diesen  Namen  vorangestellt  findet  (so  in  Beispiel  I),  sowie  ein 
vereinzeltes  P  herangezogen,  welches  nur  auf  Amphoren  der  späteren 
Zeit  (3.  Jahrhundert),  ebenfalls  vor  dem  Namen,  steht  (Beispiel  IV). 
In  dem  vereinzelten  P  vermuthe  ich  das  Wort  ponderavitj  in  dem 
anderen,  in  verschiedener  Abkürzung  vorkommenden  Worte  das  Ver- 
bum  accepit,  mithin  die  Nennung  zweier  Beamten  der  fiscalischen 
Station,  des  ponderator  und  des  acceptor,  die  durch  ihren  Namen 
den  erfolgten  Empfang  und  die  erfolgte  Wägung  des  Gefässes  be- 
stätigten. —  lieber  einige  andere  in  der  Cursivinschrift  zuweilen 
vorkommende  Angaben,  wie  die  Erwähnung  einer  Kasse  (arca,  vgl. 
Beispiel  IV)  und  die  Nennung  der  Töpferei,  aus  welcher  die  Am- 
phore stammt,  kann  ich  kurz  hinweggehen,  da  die  letztere  gewiss 
nur  eine  wiederum  mit  der  administrativen  Controle  in  Zusammen- 
hang stehende  Massnahme  ist,  und  arca  ohne  jeden  weiteren  Zusatz 
(auf  Inschriften  des  3.  Jahrhunderts)  fttr  uns  unverständlich  bleibt. 
Das  Wort  actus  dagegen,  das  erst  auf  Amphoren  des  3.  Jahrhunderts 
erscheint  und  dann  fast  regelmässig  vorkommt,  verdient  hier  beson- 
ders hervorgehoben  zu  werden.  Da  es  immer  mit  einem  im  Genetiv 
stehenden  Namen  verbunden  auftritt  (mitunter  auch  mit  zwei  Namen, 
vgl.  Beispiel  IV),  ist  seine  Bedeutung  klar;  mit  actus  illius  wird 
eben  angegeben,  welcher  Beamte  in  der  fiscalischen  Station  die  vor- 
geschriebene Behandlung  des  zu  versendenden  Gutes,  also  die  Em- 
pfangnahme und  die  Eintragung  in  das  Register,  besorgt  hat,  und 
wir  dürfen  demnach  annehmen,  dass  man  im  3.  Jahrhundert  mit 
actus  illius  im  Wesentlichen  dasselbe  bezeichnete,  was  man  in  älterer 
Zeit  durch  accepit  ille  auszudrücken  pflegte.  —  Keiner  besonderen 
Erklärung  bedarf  endlich  der  für  uns  wichtigste  Bestandtheil  der 
Cursivinschrift,  die  Datirung  (in  Beispiel  I,  II,  III,  IV).  Die  Zeit- 
angabe ist  eine  allgemeine  nach  Jahren,  die  Namen  der  Consuln 
sind  fast  regelmässig  ausgeschrieben  und  lassen  sich  bisher  nicht 
vor  dem  Jahre  140  oder  144  n.  Clir.  nachweisen;  die  jüngste  datirte 
Amphore  vom  Testaccio  ist  aus  dem  Jahre  251  n.  Chr. 

Soviel  über  die  Bestandtheile  der  Cursivinschrift,   die   in  gar 
mannigfacher  Gruppirung   weder   in   einer  bestimmten  Reihenfolge, 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum. 


73 


noch  anch  in  (1ei*selben  Vollständigkeit  aaf  den  einzelnen  Amphoren 
vorzukommen  pflegen. 

Wer  meiner  bisherigen  Auseinandersetzung  über  die  Amphoren- 
aufschriften des  Testaccio  gefolgt  ist,  wird  die  Inschriften  des  Bonner 
Gefässes,  zu  denen  ich  nun  übergehe,  auch  ohne  Gommentar  ver- 
stehen. 

Hier  zunächst  der  Text  der  Inschriften  mit  den  nöthigen  Er- 
gänzungen. 

Mitten  auf  dem  Banche  des  Gefässes : 

(a)  [  .  .  S] 

(ß)  C  CONSI  CARICI  ET  FILIORVM 

(T)  [CCXVS] 

Längs  des  rechten  Henkels  die  Cursivinschrift: 
[R]    LXX    HISPALIM    P    CCXVS 
[.  .JILIANVM   VERICVS  TRYPHON 
[AJCCPET  EROS 

Der  oberste  Theil  der  Hauptaufschrift,  die  sonst  unmittelbar 
unter  dem   Halsansatz  befindliche  Zahl   (a),   ist   auf  dem   Bonner 


iiillii 


Geföss   mit  dem  fehlenden  Halse  verloren  gegangen;  nur  von   der 
letzten  ZiflFer  (S  =  Vg)  hat  sich  das  Ende  der  weit  abwärts  reichenden 


74  H.   Dressel: 

Schlusslinie  erhalten  (es  erscheint  als  schräger  Strich  in  dem  letzten 
Worte  der  S.  73  im  Facsimile  wiedergegebenen  Fabrikantenfirma).  Da 
indessen  zwischen  dieser  und  der  unterhalb  der  Firma  verzeichneten 
Zahl  (t)  ein  gewisses  Verhältuiss  zu  bestehen  pflegt,  dürfen  wir  auf 
Grund  der  Amphoren  vom  Testaccio  annehmen,  dass  die  verlorene 
Zahl  eine  zwischen  78V2  und  IO8V2  liegende  war.  Vielleicht  war 
die  Zahl,  wie  wir  in  der  Folge  noch  sehen  werden,  105 Vg.  Die 
Bedeutung  derselben  ist  uns,  wie  bereits  gesagt,  unbekannt. 

Unterhalb  der  Bruchstelle  befindet  sich  die  S.  73  im  Fascimilc 
auf  */3  verkleinert  wiedergegebene  Inschrift  (ß)  C.  Consi  Carici  et 
filiorum.  Das  ist  die  Firma  des  Fabrikanten  oder  Producenten  der 
einst  in  dem  Gefäss  enthaltenen  Materie,  und  in  sofern  von  besonderem 
Interesse,  als  sie  nicht,  wie  gewöhnlich,  aus  einem  einzigen  Namen 
besteht,  sondern  uns  als  Inhaber  mehrere  Personen  bezeichnet.  Fttr 
die  Kenntniss  des  antiken  Handelswesens  sind  diese  Compagniefirmen 
besonders  lehrreich,  da  sie  je  nach  ihrer  Fassung  einen  Rückschluss 
auf  die  gegenseitige  Stellung  der  Inhaber  zulassen.  Wurde  das  Ge- 
schäft von  mehreren  Mitgliedern  derselben  Familie  betrieben  (z.  B. 
von  zwei  oder  mehreren  Brüdern  oder  von  Vater  und  Sohn)  oder 
auch  von  mehreren  Personen  aus  verschiedenen  Familien,  und  waren 
alle  in  gleicher  Weise  an  dem  Gewinn  des  Geschäfts  betheiligt, 
80  wird  das  in  der  Firma  dadurch  zum  Ausdruck  gebracht,  dass 
jeder  einzelne  Theilhaber  in  vollkommen  gleichartiger  Weise  nam- 
haft gemacht  wird.  So  z.  B.  allgemein  Veinnorum^)  (wahi-schein- 
lich  zwei  oder  mehrere  Brüder),  oder  genauer  MM.  Claudiorum 
Senecionum  oder  L,  Vtbi  Polyanthi  et  i.  Fdbi  Phoebi  oder  An- 
t(oniae)  Agathonices  et  Semp(roni)  Epagathonis  oder  Z.  Ocrati 
Saturnini  et  Cassiorum  Apol(  )  et  Art(  )  oder,  mit  der  ausdrück- 
lichen Bezeichnung,  dass  die  genannten  Personen  eine  Soeietät 
bilden,  8oeior(um)  Hyac(inthi)  Isidfori)  PoUionis  oder  S(ociorum) 
qu^attuor  Ponip(eiorumf)  Corneliani  patris  et  fiUorum  Marci(ani) 
Epitync(ani)  Cornd(iani)  e^  .  .  .  .;  in  letzterem  Falle  sind  es  fünf 
Personen,  welche  das  Compagniegeschäft  bilden,  nämlich  Pomp(eius?) 
Cornelianus  der  Vater  nebst  seinen  drei  Söhnen  Marcianus,  Epityn- 
chanus,  Cornelianus  sowie  eine  fünfte  Person,  deren  Namen  zu  ent- 
ziflFern  mir  nicht  gelungen  ist.     Ob  dieselbe  gleichberechtigte  Stel- 


1)   Sämmtliche   hier   angeführte  Beispiele   sind    den  Amphorenauf- 
gehriften  des  Testaccio  entnommen. 


Aus  dein  Bonner  Provinzialmuseum.  75 

luDg  der .  6e8chäftsinhaber  auch  in  solchen  Fällen  angenommen 
werden  darf,  wo  neben  dem  Vater  als  Theilnehmer  einfach  'der 
Sohn'  oder  'die  Söhne'  genannt  werden,  wie  in  der  Bonner  Am- 
phore C  Consi  Carici  et  filiorum  und  auf  Amphoren  des  Testaccio 
Vibianor(um)  patHs  et  iunioris  oder  Duorum  Segolatiorum  ^)  et 
f(äiorum)y  ist  unsicher.  Möglich  wäre  es,  dass  in  diesen  Fällen  die 
namentliche  Aufführung  der  theilhabenden  Söhne  nicht  nothwendig 
war,  weil  diese  dasselbe  Nomen  und  Cognomen  des  Vatera  führten; 
es  wäre  aber  auch  recht  wohl  denkbar,  dass  mit  der  allgemeinen 
Bezeichnung  'und  Sohn',  'und  Söhne'  eine  untergeordnete  Geschäfts- 
stellung angegeben  wird,  wie  das  sicher  bei  solchen  Fiimen  der 
Fall  gewesen  ist,  die,  wie  Caeciliorum  et  lib(ertorum),  dem  Namen 
des  Inhabers  die  allgemein  gehaltene  Bezeichnung  'und  seine  Li- 
berten'  beifügen.  Denn  hier  kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen, 
dass  die  von  dem  Fabrikherrn  als  Geschäftstheilhaber  angenommenen 
Freigelassenen  —  als  Sklaven  waren  sie  offenbar  seine  Arbeiter 
gewesen  —  eine  nur  untergeordnete  und  jedenfalls  nicht  gleichbe- 
rechtigte Stellung  gehabt  haben  luid  daher  in  der  Firma  in  der- 
selben Weise  anonym  erwähnt  werden,  wie  das  heutzutage  in  ähn- 
lichen Fällen  durch  die  Formel  '&  Comp.'  zu  geschehen  pflegt. 

Abgesehen  von  ihrem  allgemeinen  Interesse  gibt  uns  die  Firma 
C.  Consi  Carici  et  filiorum  ein  Mittel  an  die  Hand,  das  Alter  des 
Gefösses  ziemlich  genau  zu  bestimmen.  Auf  den  Amphoren  des 
Testaccio  kommt  derselbe  Name  zwar  nicht  vor,  aber  es  finden  sich 
zu  wiederholten  Malen  zwei  Mitglieder  derselben  Familie,  ein  C. 
Consius  EucarpuH  und  ein  C  Consius  Hermeros.  Bei  der  Selten- 
heit des  Namens  Consius  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  diese 
beiden  auf  spanischen  Amphoren  des  Testaccio  als  Geschäftsinhaber 
auftretenden  Consier  eben  die  ungenannten  Söhne  des  C.  Consius 
Caricus  sind,  die  auf  der  ebenfalls  aus  Spanien  gekommenen  Bonner 
Amphore  als  Theilhaber  der  Firma  erscheinen;  sie  müssten  dann, 
etwa  nach  dem  Tode  des  Vatere,  sich  in  das  Geschäft  getheilt  haben 
und  dieses  darauf  ein  jeder  für  sich  selbständig  weiter  betrieben 
haben  ^).    Die  Amphoren  des  C.  Consius  Eucarpus   sind,   da  sie  in 


1)  Der  Name  Segolatius  ist  sicher  keltischer  Abstummung;  vgl.  G. 
Phillips  die  Wohnsitze  der  Kelten  auf  der  pyrenäischen  Halbinsel  in 
den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie  71  (1872)  S.  708.  738. 

2)  Für  ähnliche  Geschäfts-  und  Betriebsveränderungen  liefern  auch 
die  Inschriften  des  Testaccio  Beispiele.    So  begegnet  uns  auf  Amphoren 


76  H.   Dressel: 

nur  lückenhaftem  Znstande  erhalten  sind^  ohne  Datnm;  unter  acht 
Amphoren  des  C.  Consius  Hermeros  sind  zwei  aus  dem  Jahre  149 
n.  Chr.,  eine  aus  dem  Jahre  154,  eine  aus  dem  Jahre  161;  mit- 
hin würde,  falls  meine  Vermuthung  über  den  Zusammenhang  dieser 
Consier  richtig  ist,  das  Bonner  Gefllss  nicht  lange  vor  149  anzu- 
setzen sein.  Da  ich  auch  ohne  die  eben  angeführten  Kriterien  die 
Amphore  aus  paläographischen  Gründen  und  wegen  gewisser  anderer 
Analogieen  in  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  gesetzt  haben 
würde,  kann  die  vorgeschlagene  Datirnng  als  vollkommen  sicher 
angesehen  werden. 

Von  der  unterhalb  der  Firma  einst  befindlichen  Zahl  (y),  durch 
welche  das  Gewicht  des  Gefassinhalts  in  römischen  Pfunden  ange- 
geben wurde,  sind  nur  noch  ganz  schwache  Farbspuren  vorhanden, 
die  sich  jeder  Deutung  entziehen;  wenn  wir  trotzdem  mit  voller 
Sicherheit  angeben  können,  dass  diese  Zahl  215^2  war,  so  verdanken 
wir  das  der  Wiederholimg  derselben  in  der  längs  des  Henkels  be- 
findlichen Cursivinschrift,  die,  wie  oben  auseinandergesetzt  worden 
ist,  aus  einer  Reihe  administrativer  Angaben  besteht,  welche  von 
den  mit  dem  Empfange  und  der  weiteren  Versendung  der  Amphoren 
betrauten  kaiserlichen  Beamten  herrühren. 

Von  der  Cursivinschrift  (das  auf  S,  77  wiedergegebene  Fac- 
simile  ist  auf  '/j  verkleinert)  sind  durch  den  Bruch  des  6efS«ses 
die  Anfangsbuchstaben  aller  drei  Zeilen  verloren  gegangen,  doch 
nicht  mehr  als  jedesmal  etwa  zwei  bis  drei  Buchstaben.  Den  An- 
fang machte  das  von  mir  recognitum  oder  recognita  gedeutete, 
horizontal  durchstiichene  R  (erhalten  ist  davon  nur  noch  das  Ende 
des  Horizontalstrichs),  durch  welches  die  erfolgte  Controlirung  im 
Allgemeinen  bezeichnet  wurde.  Darauf  folgt  die  Zahl  LXX,  für 
welche  ich  keine  Deutung  habe  (vgl.  S.  70).  Dann  ist  mit  Htspalim 
die  Stadt  angegeben,  wohin  die  Amphore  von  der  Lieferungsstation 


aus  den  Jahren  147  und  149  n.  Chr.  als  Inhaber  der  Firma  bald  ein  D. 
Caecilius  Hospitalis,  bald  ein  D.  Caecilius  Maternus\  bald  darauf  müssen 
beide  Producenten  (sie  dürften  Brüder  gewesen  sein)  sich  geschäftlich 
verbunden  haben,  denn  aus  dem  Jahre  154  besitzen  wir  Amphoren,  die 
mit  DD.  Caecüiorum  Hospitalis  et  Materni  gezeichnet  sind.  Eine  Ge- 
schäftsveränderung umgekehrter  Art  zeigt  sich  bei  der  Firma  L.  Mari 
Phoebi  et  Vibiorum  Viatfaris)  et  Rest(ituti)^  von  der  wir  eine  Menge  Am- 
phoren aus  den  Jahren  153  und  154  besitzen;  denn  da  im  J.  161  die  Firma 
nur  noch  L,  Mari  Phoebi  lautet,  müssen  die  beiden  anderen  Compagnons 
aus  dem  Geschäft  ausgeschieden  oder  gestorben  sein. 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum,  77 

atts  zu  senden  war,  um  von  dort  die  grosse  Seereise  anzutreten;  die 
Bonner  Amphore  stammt  also  sicher  aus  Baetica.  Am  Schluss  der 
ersten  Zeile  wird  amtlich  bestätigt,  dass  der  Gefassinhalt  215 V2 
römische  Pfund  wog,  p(ondo)  CCXV8. 

Zu  Anfang  der  zweiten  Zeile  steht  eine  jener  adjectivischen 
Bezeichnungen,  über  welche  ich  S.  71  gesprochen  habe;  wie  . . .  ilia- 
num  zu  ergänzen  ist,  lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  ermitteln,  es 
könnte  an  Atilianum  oder  an  Aemilianum  gedacht  werden,  wofür 
Aelianurrij  Aemilianum,  Sextilianum  u.  s.  w.  auf  Amphoren  des 
Testaccio  Analogieen  bieten.  Der  folgende  im  Genetiv  stehende 
Name  VeH  dürfte  nach  meiner  obigen  Auseinandersetzung  (S.  71) 
als  der  Name  desjenigen  Aetor  oder  Procurator  aufzufassen  sein, 
welcher  mit  der  Einlieferung  der  Amphoren  beauftragt  war.  Auf 
Veri  folgt  eine  dreiziflferige  Zahl,  deren  Lesung  zweifelhaft  ist,  da 


4. 


cc?n — -  ff<vT 

die  beiden  letzten  undeutlichen  Ziffern  verschieden  aufgefasst  werden 
können;  die  Zahl  scheint  CXI  oder  CXS  zu  sein  (I  und  S  =  V« 
unterscheiden  sich  in  der  Cursivschrift  oft  kaum  von  einander),  doch 
könnte  auch  an  CVI  oder  CVS  gedacht  werden.  Vielleicht  ist  CVS 
die  richtige;  sie  würde  dann  die  Wiederholung  derjenigen  Zahl  sein, 
welche  in  der  Hauptinschrift  an  erster  Stelle  (a)  verzeichnet  war, 
jetzt  aber  bis  auf  einen  Rest  des  letzten  Zahlzeichens  (S  =  V2)  ver- 
loren gegangen  ist,  und  von  der  ich  oben  {S.  74)  vermuthet  hatte, 
dass  sie  zwischen  78V2  ^^^  IO8V2  liegen  müsste.  Der  am  Schluss 
der  Zeile  genannte  Tryphon  kann  Niemand  anders  sein,  als  der- 
jenige Beamte,  der  die  Amphore  gewogen  hat  und  durch  seinen 
Namen  für  die  Richtigkeit  des  Gewichts  Bürgschaft  leistet  (vgl. 
oben  S.  72). 

Die  letzte  Zeile  der  Inschrift  besteht   nur   aus  zwei  Wörtern, 
von  denen  das  zweite  der  Name  Eros  ist,  das  erste,  leider  zu  An- 


78  .  H.   Dresselt 

fang  verstümmelte,  zimächst  einige  Schwierigkeiten  bereitet,  üeber 
die  Lesung  der  drei  letzten  Buchstaben  PET  kann  kein  Zweifel 
sein ;  von  den  zwei  vorhergehenden  ist  der  erste  ein  sicheres  C,  der 
folgende  ein  fast  ebenso  sicheres  C,  dessen  unterer  Ausläufer  durch 
eine  kleine  Verletzung  der  Amphore  eine  Unterbrechung  erlitten  hat. 
Dass  hier  kein  Personenname  vorliegt,  ist  ganz  sicher;  denn  die 
Inschrift  enthält  bereits  drei  Namen  und  dass  nicht  mehr  als  drei 
Personen  in  der  Cursivinschrift  vorkommen,  wissen  wir  aus  zahl- 
reichen Beispielen  vom  Testaccio.  Auch  ein  Stadtname  kann  es 
nicht  sein,  weil  ein  solcher  sich  bereits  in  der  ersten  Zeile  findet, 
und  mehr  als  eine  Stadt  wird  nie  genannt.  Es  kann  also  nur  ein 
Verbum  sein;  welches  Verbum,  deutet  uns  die  Stellung  vor  dem 
Namen  Eros  an.  Eros  kann  nämlich,  nachdem  der  actor  (Verus) 
und  der  ponderator  (Tryphon)  bereits  erwähnt  sind,  nur  der  Name 
des  empfangenden  Beamten  sein;  wir  erwarten  hier  also  accepitj 
das  ja,  wie  wir  oben  S.  72  gesehen  haben,  auf  Amphoren  des 
Testaccio  in  der  abgekOr/ten  Form  acCy  acty  accp  vorkommt. 
Hier  erscheint  es  erfreulicherweise  vollständig  genug,  um  jeden 
Zweifel,  den  man  an  der  Auflösung  jener  Abkürzungen  noch  haben* 
konnte,  gänzlich  zu  beseitigen.  Ich  glaube  wenigstens  mit  voller 
Sicherheit  annehmen  zu  können,  dass  [ajccpet  zu  ergänzen  und  dieses 
nichts  anderes  als  acc(e)pet  ist.  Auf  der  Cursivinschrift  zweier  Am- 
phoren vom  Testaccio  (C.  I.  L.  XV  3977.  3979)  lautet  die  dritte 
Zeile  accp  DionisuSy  und  das  entspricht  vollkommen  der  dritten 
Zeile  unserer  Inschrift  fajccpet  Eros-^  nur  hat  der  Schreiber  hier 
wie  dort  mitten  im  Worte  einen  Vocal  unterschlagen,  dafür  aber 
auch  hier  eine  Flexionsform  geliefert,  über  die  wir  uns  nur  freuen 
können.  Ich  möchte  wenigstens  in  accepet  nicht  einen  Schreibfehler 
für  accepit  erblicken;  eine  solche  Annahme  ist  ja  immer  misslich, 
und  hier  auch  wirklich  unnöthig,  nachdem  für  die  dritte  Person  des 
Perfectums  die  Form  auf  -et  sowohl  im  alten  Latein,  als  auch  für 
die  Spätzeit  nachweisbar  ist:  fuet,  dedet  in  dem  Elogium  des  jün- 
geren Scipio,  vixet,  recesset  und  andere  auf  christlichen  Inschriften 
(vgl.  z.  B.  C.  I.  L.  XII  S.  953).  Ein  Beispiel  für  die  mittlere  Zeit 
liefert  uns  nun  die  Bonner  Amphore. 

Zum  Schlusd  sei  noch  der  Töpferstempel  erwähnt,  mit  dem 
unser  Geföss  versehen  ist.  Die  schlechte  Erhaltung  des  nur  leicht 
eingedrückten  Stempels  erschwert  die  Lesung  nicht  wenig;  doch 
scheint  mir 


Aus  dem  fionner  Provinzialmuseutn.  79 

PMN 
einigermassen  sieber  zu  sein.     Dieselben  drei  Buchstaben  kommen 
auch  in  vielen  Variationen  (PNN,  P  N  N,    P  1/1  |/I  u.  s.  w.)  auf  zahl- 
reichen Amphoren  des  Testaccio  vor  (C.  I.  L.  XV  3041  a — z). 

Aus  Hispalis  in  Baetica  fuhr  um  das  Jahr  149  n.  Chr.  eine 
Anzahl  von  FrachtschiflFen,  die  mit  Amphoren  beladen  waren,  den 
Strom  hinab.  An  der  Mündung  des  Baetis  angelangt,  nahmen  die 
meisten  ihren  Cure  nach  der  Gaditanischcn  Meerenge,  denn  ihr  Ziel 
war  das  Mündungsgebiet  der  Rhone  und  der  Tiberfluss;  die  anderen 
steuerten  westwärts,  um  an  den  grossen  französischen  Strömen  und 
zuletzt  an  der  Themse  und  am  Rhein  ihre  Ladungen  zu  löschen. 
Leichtere  Fahrzeuge  mögen  dann,  wo  es  nöthig  war,  den  Transport 
flussaufwärts  bis  tief  ins  Land  hinein  übernommen  haben.  So  kam 
unsere  Amphore  nach  Bonn,  und  auf  demselben  Wege  kamen  auch 
noch  viele  andere  nach  dem  Rhein,  nach  Holland,  nach  England 
und  Frankreich,  hier  zumal  in  grosser  Anzahl  nach  dem  Rhonege- 
biet bis  Vienne  hinauf.  Dass  alle  auf  deutschem,  holländischem, 
englischem  und  französischem  Boden  gefundene  Amphoren,  deren 
Töpferstempel  sich  auf  dem  aus  spanischen  Transportgefössen  be- 
stehenden Testaccio  nachweisen  lassen,  spanischer  Herkunft  sein 
müssten,  hatte  ich  bereits  früher  bei  Gelegenheit  meiner  Unter- 
suchung über  den  Testaccio  ausgesprochen  (Ann.  deir  Inst.  1878 
S.  189  flF.);  einen  neuen  Beweis  flir  die  Richtigkeit  meiner  Behaup- 
tung hat  uns  nun  die  Bonner  Amphore  mit  ihrer  unzweideutigen 
Provenienzangabe  geliefert  *). 

HL   Ein   Eassenschlüssel   aus   dem   Römerlager 
bei  Neuss. 

In  diesen  Jahrbüchern  (LXXXX,  1891,  S.  35)  hat  Klein  einen 
im   Römerlager    bei    Grimmlinghausen    gefundenen    Bronceschlüssel 


1}  Fast  alle  in  diesen  Jahrbüchern  von  Klein  herausgegebenen 
Amphorenhenkelinschrlften  des  Bonner  Provinzialmuseums  sind  spanischer 
Herkunft,  da  sie  auch  auf  dem  Testaccio  vorkommen  (Jahrb.  LXXXVIII 
S.  112  f.  n.  2  :-=  C.  I.  L.  XV  2575 d;  n.  3  =  XV  2804  b;  n.  4  ^^  XV  2774  b; 
n.  6  :^  XV  2736a;  n.  7  ^  XV  2589  b;  n.  9  :=  XV  2887;  n.  10  vgl.  XV 
3167  p;  n.  11  vgl.  XV  3186;  n.  14  ^  XV  2816  a.  Jahrb.  LXXXX  S.  48 
n.  1  —  XV  2%6  b ;  n.  2  =  XV  2933  a).  —  Einen  schriftlosen  Henkel  einer 
sicher  spanischen  Amphore  sah  ich  bei  Herrn  Gymnasialdirector  Prof. 
Dr.  Vogt   in  Neuwied.    Er   gehört   zu    den  in  den    B.  j[  Heft  LXXXX 


80  B.   Dresse  1: 

(Nr.  5323)  publicirt,  dessen  Handhabe  auf  xwei  Seiten  mit  einer 
punktiren  Inschrift  verschen  ist.  Diese  Inschriften  hat  der  Herans- 
geber so  gelesen: 

faI    s?G  ""d     ^RC//////// 

f^^^'"^'®  CLAV//I/M/// 

ohne  über  die  Bedeutung  derselben  etwas  zu  sagen.  Nach  meiner 
Lesung  lauten  sie  folgendermassen : 

iDASSICKAVDI  ^       ^   1'^?''.^'^ 

liABhSIC  .       ^^      ^,^^^'^ 

OL  A  Vdi 

Daraus  ergiebt  sich  zunächst,  dass  die  eine  Inschrift  im  Wesent- 
lichen nur  die  Wiederholung  der  anderen  ist  und  damit  haben  wir 
die  sichere  Ergänzung  der  wenigen  durch  Rost  zerstörten  Buch- 
staben gewonnen.  Wenn  in  der  kürzer  gefassten  Inschrift  der  eine 
Name  Das^  Claudi  lautet,  in  der  volleren  Wiederholung  aber  BasfsiJ 
Clau[di]  steht,  so  wird  man  keinen  Augenblick  Bedenken  tragen, 
Bassi  fftr  die  richtige  Form  zu  halten  und  das  D  entweder  als  einen 
Fehler  oder  lieber  noch  als  ein  nachlässig  gefonntes  B  anzusehen  ^). 
Fügen  wir  noch  hinzu,  dass  SIG  nicht  etwa  das  Cognomen  des  L. 
Fabius  ist,  sondern  die  conventioneile  Abkürzung  flir  signifer,  so 
ist  in  den  beiden  Inschriften  alles  klar:  sie  bezeichnen  den  Schlüssel 
als  Eigenthum  des  in  der  Ccnturie  des  Bass^lus  Claudius  *)  dienenden 
Fahnenträgers  L.  Fabius. 

Dass  ein  im  Römerlager  zu  Neuss  stationirter  Soldat  einen 
Schlüssel  besessen  hat,  ist  nun  allerdings  nichts  Merkwürdiges.  Wenn 


S.  206  beschriebenen  Funden  ans  Heddesdorf.  Die  mitgefundenen  Münzen 
(Hadrian)  und  Scherben  roth  glasirter  Gefässe  (Medaillon  mit  dem  Bild 
eines  Töpfers)  stammen  aus  dem  2.  Jahrhundert. 

1)  Da  vor  und  unter  dem  D  ein  Oxydfleck  ist,  könnte  man  auch 
denken,  dass  der  jetzt  wie  D  aussehende  Buchstabe  nur  die  obere  Haltte 
eines  B  ist;  dann  müsste  allerdings  dieser  Buchstabe  grösser  gewesen  sein 
als  die  folgenden. 

2)  Claudius  als  Cognomen  ist  zwar  sehr  selten,  aber  bezeugt  (z.  B. 
C.  T.  L.  VIII  3894) ;  sonst  könnte  der  Name  des  Centurio  auch  Bassius 
Claudus  gewesen  sein,  obwohl  dieses  Cognomen  nicht  sicher  bezeugt  ist; 
denkbar  wäre  auch  Bassins  Claudi (anus),  und  endlich  nicht  unwahrschein- 
lich Bassus  Claudius  (vorang-estelltos  Cognomen). 


Aus  dem  Bonner  Provinzialrnnseum.  81 

ich  trotzdem  glaube,  diesem  Schlüssel  eine  besondere  Bedeutung 
beilegen  zu  müssen,  so  gehe  ich  dabei  von  dem  Gedanken  aus,  dass 
bei  einem  Gegenstande,  der  nicht  zur  Bewaffnung  oder  zur  Aus- 
rüstung eines  Soldaten  gehört,  sondern  zunächst  als  ein  Geräth  rein 
privater  Natur  angesehen  werden  muss,  eine  so  präcise  und  aus- 
fbhrliche  Besitzangabe  weder  üblich  war  noch  begründet  erscheint. 
Die  Fassung  der  Inschrift  —  Name  und  Charge  des  Besitzers  und 
dazu  der  Name  des  Officiers,  in  dessen  Centurie  er  diente  —  ent- 
spricht nun  aber  so  vollkommen  den  sicherlich  officiellen  Besitzan- 
gaben, mit  denen  einige  bei  Schaan  (Liechtenstein)  und  bei  Agram 
im  Flussbette  der  Sau  gefundene  Soldatenhelme  versehen  sind^), 
dass  ich  kein  Bedenken  trage,  dem  Neusser  Schlüssel  den  privaten 
Charakter  abzusprechen  und  ihm  eine  oilicielle  Bedeutung  beizulegen. 
Wa«  es  fär  ein  Schlüssel  war,  lehrt  uns  die  Charge  seines  einstigen 
Besitzers.  Denn  aus  Yegetius  (2,  20)  wissen  wir,  dass  es  in  jeder 
Legion  aus  den  Donativen  gebildete  Cohorten-Sparkassen,  sowie  eine 
aus  kleineren  Beiträgen  der  Legionsmannschaft  bestehende  Begräb- 
nisskasse gab,  und  dass  diese  Kassen  unter  der  Verwaltung  der 
Fahnenträger  standen;  et  ideo,  führt  dann  Yegetius  weiter  aus, 
gigniferi  non  solum  fideles  sed  eiiam  lüterati  hamines  eUgebantuTy 
qui  et  servare  deposita  et  scirent  singulis  reddere  rationem.  Der 
in  Neuss  gefundene  Schlüssel  des  Fähnrichs  L.  Fabius  ist  also  ein 
ofScieller  Kassenschlüssel. 

IV.  Gewandnadeln  mit  Fabrikmarke. 

Mit  der  Fabrikmarke  versehene  Gewandnadeln  gehören  zu  den 
Seltenheiten.  Aus  Italien  sind  mir  nicht  mehr  als  drei  solcher  Fabrik- 
stempel bekannt  ^) ;  nicht  viel  zahlreicher  kommen  sie  in  den  nicht- 
klassischen Ländern  vor^).    Um  so  bemerkenswerther  sind  die  drei 


1)  C.  I.  L.  III  suppl.  12031,  3.  4.  5.  7,  überall  der  Name  des  Sol- 
daten und  seines  Centurio,  ein  Mal  mit  dem  Zusatz  der  Cohorte ;  besonders 
interessant  n.  7  mit  den  Angaben  von  vier  auf  einander  gefolgten  Be- 
sitzern. 

2)  C.  I.  L.  X  8072,  17  und  22  nebst  Bull.  d.  Inst.  1831  S.  42.  Q ar- 
me ci  sylloge  n.  2271. 

3)  C.  I.  L.  in  3219  und  suppl.  12031,  18—20.  22  (doch  bin  ich  bei 
den  letzteren  nicht  sicher,  ob  überall  Fabrikstempel  vorliegen,  da  die 
nöthigen  Angaben  darüber  fehlen);  XII  5698, 15.  16.  17.  19;  einige  andere 
dürfte  der  noch  nicht  erschienene  XTII  Band  des  Corpns  bringen. 

Jfthrb.  d.  Vor.  v.  Alterthsfr.  Im  Rhelnl.  XOV.  6 


82  H.  Dressel: 

folgenden  Marken  rheinischer  Herkunft,  die  erste  anf  einer  Fibula 
mit  verzierter  Hülse  —  eine  genau  ebenso  geformte  Fibula,  aber 
ohne  Fabrikmarke,  wurde  in  einem  Grabe  aus  Augusteischer  Zeit 
zu  Andernach  gefunden  und  befindet  sich  im  Bonner  Provinzial- 
museum  — ,  die  beiden  anderen  auf  sogenannten  Militärfibeln. 

Gewandnadeln  der  letzteren  Fonn*)  kommen,  soweit  meine 
Kenntniss  reicht,  in  Italien  nicht  vor;  ihre  Gestalt  und  Gliedei-ung 
ist  so  aussergewöhnlich  und  eigenartig,  dass  eine  Bemerkung  dar- 
über nicht  übei-fltissig  erscheint.  Von  der  die  Federung  ümschlies- 
senden  Hülse  geht  ein  breiter,  wie  ein  leicht  gewölbtes,  geripptes 
Band  gestalteter  Bügel  aus,  der  zunächst  in  starker  Krümmung  sich 
hebt  und  senkt,  dann  mitten  durch  eine  grosse,  horizontal  liegende 
Zierscheibe  gleichsam  durchgesteckt  erscheint  und  an  der  unteren 
Peripherie  der  Scheibe  wieder  zum  Vorschein  kommt;  dieser  Aus- 
läufer des  Bügels  ist  flach  und  nach  unten  zu  mehr  oder  weniger 
geschweift.  Die  Zierscheibe  selbst  ist  einer  Rosette  sehr  ähnlich 
und  besteht  im  Wesentlichen  aus  einer  runden,  flachen  Platte,  auf 
welcher  ein  wulstfönniger  Kranz  von  oniamentalen,  zum  Theil  durch- 
brochen gearbeiteten  Blättern  sich  entwickelt,  die  vom  Rande  aus- 
gehend nach  der  Mitte  zu  sich  neigen.  Auf  dem  oberen  Theil  der 
Rosette  befindet  sich,  parallel  mit  der  Hülse  und  von  dem  Bügel 
überwölbt,  ein  Stift,  der  an  beiden  Enden  mit  zierlichen  Knöpfen 
vereehen  ist.  Diese  ebenso  eigenthümliche  wie  complieirte  Form 
kann  unmöglich  eine  zufallige,  bedeutungslose  sein.  Ich  glaube  nicht 
fehl  zu  gehen,  wenn  ich  annehme,  dass  hier  die  künstlerische  Um- 
gestaltung einer  im  gewöhnlichen  Leben  sehr  einfach  aussehenden 
Vorrichtung  vorliegt,  nämlich  des  Verschlusses  mittelst  eines  durch 
eine  Schnalle  hindurchgezogenen  Lederriemens,  wie  er  besonders  an 
Gürteln  häufig  vorkommen  rausste;  in  der  künstlerischen  Umbildung 
wurde  die  einfache  Schnalle  zur  reich  verzierten  Rosette  und  an  die 
Stelle  des  nüchternen  Riemens  trat  das  fein  gerippte  Band  als  Bügel 
der  Gewandnadel. 

Lindenschmit  (a.  a.  0.)  und  Dütschke  (in  diesen  Jahr- 
büchern LXIV  S.  86)  halten  diese  Gcwandnadcl  für  spätrömisch, 
gewiss  mit  Unrecht.   Letzterer  beruft  sich  dabei  auf  '  die  schon  etwas 


1)  Abbildnil  g'en  bei  Ho  üben  und  Fiedler  Denkmäler  von  CastTÄ 
vetera  Taf.  XXTTI,  10,  boi  Lindonfichmit  II  Heft  XII  Taf.  3  n.  1.  4  und 
in  diesen  Jahrbüchern  LXIV  (1878)  Taf.  V-VI  n.  9. 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum.  83 

rohe  Art  ihrer  ganzen  Construetion  und  Form',  sowie  auf  einen  An- 
hängsel, mit  dem  ein  Exemplar  dieser  Fibula  versehen  ist  (n,  8  der 
beigegebenen  Tafel).  Dieser  Anhängsel,  der  aus  einem  an  einer 
Kette  hängenden  'Imperatorenmedaillon'  bestehen  soll,  beweist  aber 
nichts;  denn  welcher  Art  auch  jene  Münze  sein  mag  —  aus  der 
Abbildung  ist  nur  ersichtlich,  dass  es  kein  Medaillon  ist,  sondern 
nur  eine  ziemlich  kleine  Kaisermtinze  — ,  Kette  und  Münze  gehören 
sicherlich  nicht  zur  Fibula  und  sind  nur  die  alberne  Zuthat  irgend 
eines  Antiquitätenhändlers.  Roh  ist  aber  diese  Art  von  Gewand- 
nadeln weder  in  ihrer  Construetion  noch  in  ihrer  Foim;  sie  zeugt 
vielmehr  von  geschmackvoller  Erfindungsgabe  und  ist  in  der  tech- 
nischen Ausftihrnng  von  ungewöhnlicher  Feinheit.  Damit  stimmt  denn 
auch  vollkommen  überein,  dass  sie  in  Andernach  mehrfach  in  Gräbern 
gefunden  ward,  die  ihrem  sonstigen  Inhalt  nach  (Thongeschirr  und 
Münzen)  der  besten  Kaiserzeit  angehören,  d.  h.  der  Mitte  des  ersten 
Jahrhunderts  ^).  Nebenbei  bemerke  ich,  dass  diese  Gräber  auch 
sonst  keinerlei  Anhalt  dafür  geliefert  haben,  die  willkürliche  Be- 
nennung *Militäi*fibula'  irgendwie  zu  rechtfertigen ;  richtiger,  glaube 
ich,  würde  man  diese  Gewandnadel  gallische  Schnallenfibula 
benennen. 

Broncefibula  von  besonderer  Form  und  feiner  Arbeit  (Nr.  3756, 
bei  den  Ausgrabungen  zu  Pommern  an  der  Mosel  gefunden)  (Taf.  II 
n.  7).  Auf  der  Hülse,  welche  die  Federung  umschliesst,  ein  un- 
deutlich ausgeprägter  Stempel  mit  erhabenen  Buchstaben 

B///DVA 

Vor  dem  B  scheint  der  Stempelrand  zu  sein,  der  Name  dürfte 
also  links  vollständig  sein;  ob  auf  A  noch  etwas  folgte,  lässt  sich 
nicht  mehr  feststellen.  Zwischen  B  und  D  fehlt  nur  ein  Buchstabe. 
Wahrscheinlich  ist  B[o]dua(ais)  zu  lesen;  vgl.  C.  I.  L.  XII  1231,8a. 
Grosse  Schnallenfibula  (Nr.  4305,  in  Engers  gefunden;  aus  der 


1)  Diese  Grabfunde  sind  von  Koenen  veröffentlicht  B.  Jahrb. 
LXXXVI  S.  151  ff.  —  Nach  einer  dankenswerthen  Mittheilung  Professor 
Hettners  sind  zwei  im  Trierer  Museum  befindliche  sog.  Militärfibeln 
(beide  mit  dem  Stempel  C  0  N ;  Inventar  G  7  und  P.  M.  5805)  in  Gräbern 
des  ersten  Jahrb.  zu  St.  Paulin  bei  Trier  gefunden;  derselben  Zeit  ge- 
hören an  die  bei  Goch  et  Normandie  souterraine  p.  107  erwähnten  Funde. 
Auf  ein  noch  höheres  Alter  der  Schnallen fibel  lässt  ihr  Vorkommen  in 
Bibracte  schliessen  (vgl.  S.  lleinach  bei  Daremberg  et  Saglio  dict.  des 
antiquit6s  S.  2009). 


84  H.   Dresse  1: 

XVI.  Kunstauction   von  P.  Hanstein,  Katalog  n.  500).     Auf  der 
unteren  Fläche  der  Stempel 

CON 

mit  erhabenen  Buchstaben.  Deraelbe  Stempel  befindet  sich  auf  zwei 
anderen^  grösseren  und  sorgfältiger  gearbeiteten  Fibeln  derselben  Form 
(Nr.  8013  und  8014,  gefunden  bei  Bertrich)  (erstere  Taf  II  n.  6).  Auf 
allen  drei  Exemplaren  ist  der  Stempel  auf  der  linken  Seite  nicht  ganz 
vollkommen  ausgeprägt;  der  Name  dürfte  indessen  vollständig  sein, 
also  Con(  ).  Bemerkenswerth  ist  das  mit  einem  Punkt  in  der  Mitte 
veraehene  0,  das  eine  auf  bestimmte  Gegenden  beschränkte  Neben- 
form zu  sein  scheint;  auf  griechischen  Münzen  erscheint  es  z.  B.  in 
der  Chersonesus  Taurica,  in  Olbia,  Tomi  u.  s.  w.  (vgl.  den  Berliner 
Münzkatalog:  Beschreibung  der  ant.  Münzen  I  S.  7.  20.  21.  90.  91), 
auf  lateinischen  Inschriften  besonders  in  Gallien  auf  Töpferstempeln 
(z.  B.C.  I.  L.  XII  5686,  43.  176.  363.  377.  386.  489.  599.  940). 
Grosse,  sehr  fein  gearbeitete  Schnallenfibula  (A.  V.  1082,  in 
Bingen  gefunden)  (Taf.  II  n.  5).    Auf  der  unteren  Fläche  der  Stempel 

//////IBIBI 

mit  erhabenen  Buchstaben.  Der  Name  ist  links  unvollständig  aus- 
geprägt, vor  dem  ersten  B  ist  nur  noch  die  Spur  einer  Hasta  zu 
sehen.     War  es  [Amjbtbi  (=  Ambivi)? 

V.   Epigraphische   Miscellen. 

Achnliche  Besitzangaben  wie  die  auf  dem  oben  besprochenen 
Neusser  Kassenschlüssel  befindlichen  stehen  auch  auf  zwei  im 
Römerlager  bei  Neuss  gefundenen  Broncegegenständen  (Nr.  6216 
und  6600),  die  demnach  beide  als  zur  oflSciellen  Ausrüstung  römischer 
Soldaten  gehörig  zu  betrachten  sind.  Die  Inschriften  fehlen  in  der 
von  Klein  in  diesen  Jahrbüchern  gegebenen  Zusammenstellung. 

Nr.  6216.  Täfelchen  (tdbella  ansata)  aus  sehr  dünnem  Bronce- 
blech  (0,029  hoch,  0,071  breit),  links  und  rechts  mit  je  einem  Niet- 
loch versehen.     Darauf  die  punktirte  Inschrift: 

)CLO::: 
LSEMPB 


Alis  dem  Bonner  Proviiizialmuseum.  85 

Der  Name  des  Centurio  dürfte  Clodius  gewesen  sein.  (Gen- 
turia)  Clodi;  L.  Sempr(oni)  Lucani, 

Nr.  6600.  Scheibe  aus  sehr  dttunem  Bronceblech  (Dureh- 
messer 0,042)  mit  schwach  umgebogenem  Rande  und  auf  der  unteren 
Fläche  mit  einem  nageliörmigen  Zapfen  versehen  (Beschlagstück). 
Auf  der  oberen  Fläche  eine  punktirte  Inschrift  (im  Kreise),  die  so 
zu  lauten  scheint: 

^FIR.MAX.  A/IIM-RVF 

Der  Name  des  Centurio  scheint  mir  sicher  zu  sein,  Fir(mi) 
Max(imi);  der  darauf  folgende  des  Soldaten  befriedigt  mich  nicht, 
denn  mit  Avem  vermag  ich  nichts  anzufangen.  Da  UM  sicher  ist, 
liegt  die  Schwierigkeit  in  dem  wie  eine  Ligatur  von  A  und  V  aus- 
sehenden Buchstaben.  Oder  sollte  hier  eine  durch  irgend  eine  Zu- 
fälligkeit bewirkte  Entstellung  vorliegen  und  das  scheinbare  A«^  ein- 
fach A  oder  ein  N  sein?  Dann  könnte  man  an  Aem(ili)  Ruf  (int?) 
oder  an  Nem(oni)  Ruf(ini?)  denken. 

Auf  der  Rückseite  des  von  Klein  in  diesen  Jahrbüchern 
LXXXX  (1891)  S.  37  n.  12  publicirten  geschweiften  BroncegriJBTs 
befindet  sich  die  vom  Herausgeber  übersehene  Vormerkung  des  auf 
der  oberen  Seite  eingegrabenen  Namens  )-TERENTI-ROMANI- 
in  folgender  Weise: 

)TIIRIINT|. 

mit  punktirten  Buchstaben  geschrieben.  Der  Name  geht  zum  Theil 
über  ein  ganz  leicht  eingeritztes  graffito,  das  ich  nicht  habe  lesen 
können. 

Das  schöne,  im  Rheinbett  zu  Bonn  gefundene  eiserne  Schwert 
A.  V.  1355,  welches  auch  bildlich  öfters  publicirt  worden  ist  und 
zuletzt  von  Klein  in  diesen  Jahrbüchern  LXXXX  S.  40  besprochen 
ward,  gilt  als  das  Erzeugniss  eines  Fabrikanten  Sabinus,  weil  auf 
dem  kantigen  Griff  (Angel)  der  Stempel 

SABINI 

eingeschlagen  ist.  Das  ist  nicht  ganz  richtig;  denn  auf  der  Klinge 
desselben  Schwertes,  die,  nebenbei  bemerkt,  sehr  schön  geflammt  ist, 
befindet  sich  ebenfalls  ein  Stempel,   den   trotz   seiner  vorzüglichen 


86  R  Dressel: 

Erhaltung  alle  Herausgeber  übersehen  haben ,  und  dieser  zweite 
Stempel  lautet 

SVLLA-I 

Er  ist  reebtS;  wie  es  scheint,  nicht  vollständig  ausgeprägt,  da 
nach  dem  Punkt  noch  eine  schwache  Spur,  wie  von  einer  Hasta, 
zu  sehen  ist,  die  z.  B.  ein  schlecht  ausgeprägtes  F  =  fecit  sein 
könnte;  die  scheinbare  Hasta  könnte  aber  auch  der  Rand  der  Stempel- 
umrahmung sein.  Wie  dem  auch  sein  mag,  fUr  die  Erklämng  dieses 
Stempels  ist  das  Vorhandensein  oder  das  Fehlen  von  f(ecit)  gleich- 
gültig; denn  da  dieser  Name  im  Nominativ  steht,  jener  andere  im 
Genetiv,  kann  nur  Sullu  als  der  Verfertiger  des  Schwerts  an- 
gesehen werden.  Natürlich  muss  nun  der  andere  Stempel  Säbini 
mit  diesem  in  Verbindung  gesetzt  werden,  und  da  steht  es  uns  frei, 
entweder  Sulla  Sabini  (scilicet  servus)  zu  lesen  oder  die  beiden 
Stempel  so  zu  veretehen:  (ex  officina)  Säbini,  Sulla  (fecit).  In 
beiden  Fällen  bleibt  Sulla  der  Verfertiger  des  Schwerts,  und  Sabinus 
(oder  auch  Sabinius)  ist  der  Vorsteher  der  Waffenfabrik. 

Dass  Arbeiter  und  Fabrikherr  sich  verschiedener  Stempel  be- 
dienen, ist  nichts  Neues.  Denn  wenn  es  auch  Regel  ist,  dass,  so- 
bald beide  sich  nennen,  beider  Namen  auf  einem  einzigen  Stempel 
verbunden  stehen,  wie  das  z.  B.  bei  den  Arretinischen  Gefilssen, 
bei  den  Amphoren,  bei  den  Ziegeln  der  Fall  ist,  so  giebt  es  doch 
Ausnahmen  davon  ^),  besonders  zahlreiche  bei  den  grossen  irdenen 
Dolien*).  Ein  Beispiel  dafür  hat  auch  das  Römerlager  bei  Grimm- 
linghausen geliefert,  ein  irdenes  Ausgussgeföss  (pelvis)  mit  den  beiden 
Stempeln  G.  Atis^ius  und  (rratus  f{ecit),  welche  der  Herausgeber 
(Klein  in  diesen  Jahrbüchern  LXXXIX  S.  59)  zu  dem  einen  Namen 
G.  Atisius  Gratus  f{edt)  verbindet,  während  mir  die  Deutung  auf 
Fabrikherrn  und  Arbeiter  (also  G.  Atisius  y  Chratus  fecit)  wahr- 
scheinlicher scheint. 

Für  die  Importation  metallener  Küchengeräthe  aus  Italien  in 
die  Rheinlande  lagen  im  Bonner  Provinzialmuseum  bereits  Nach- 
weise vor  in  den  beiden  Casserolen  aus  der  Fabrik   des  P.  Cipius 


1)  Für  Ziegel  und  Amphoren  z.  B.  C.  I.  L.  XV  785.  1473.  2247.  2248; 
2938.  3424.  3477. 

2)  Vgl.  C.  I.  L.  XV  2448.  2479.  2481.  2489.  2491-2493.  2500  u.  8.  w. 


Aus  dem  Bonner  Provinzialmuseum.  87 

Polyhiusy  welche  Klein  in  diesen  Jahrbüchern  LXXXX  (1891) 
S.  37.  38  veröffentlicht  hat.  Als  weiteres  Beispiel  füge  ich  nun 
die  Fabrikmarke 

/////HAPROD 

hinzu,  welche  sich  auf  dem  fragmentirten  GriflF  einer  im  Römer- 
lager bei  Grimralinghausen  gefundenen  broncenen  Casserole  befindet 
(Nr.  7465).  Links  ist  der  Stempel  im  vollständig  ausgeprägt;  ob  er 
rechts  vollständig  ist,  lässt  sich  nicht  erkennen.  Der  Fabrikant 
hiess  L.  Ansius  Epaphroditus,  Er  pflegte  seine  Erzeugnisse  bald 
mit  dem  vollen  Namen,  bald  nur  mit  seinem  Cognomen  zu  stempeln  *) ; 
auf  dem  Bonner  Griflf  ist  daher  [Ep]haprod(iti)  zu  lesen.  Die  Fa- 
briken des  L.  Ansius  Epaphroditus  sowie  des  P.  Cipius  Polybius 
müssen  ungeföhr  in  der  Mitte  des  ereten  Jahrhunderts  n.  Chr.  thätig 
gewesen  sein,  da  mit  diesen  Namen  versehene  Gefässe  in  Pompei 
vorkommen. 


1)  Vgl.  C.  I.  L.  X  8071,  28  und  29. 


5.  Zu  Heft  XCIII,  Taf.  VII. 

Von 
A.  Fnrtw&ngler« 


Als  ich  die  Broncebüste  eines  Römers  in  Speier  in  diesen 
Jahrbüchern  veröffentlichte,  konnte  ich  unter  den  erhaltenen  Marmor- 
köpfen, deren  Vergleichung  mir  damals  möglich  war,  kein  Porträt 
derselben  Person  nachweisen;  ich  konnte  nur  die  Hoffnung  aus- 
sprechen, dass  dies  möglich  sein  werde,  wenn  erst  einmal  die  vor- 
handene Menge  von  Porträtköpfen  besser  durchgearbeitet  und  be- 
kannt gemacht  sei.  Rascher  als  ich  dachte  hat  sich  dies  erfüllt, 
indem  mir  Paul  Arndt  ein  Marmorporträt  desselben  Mannes  nach- 
weist, das,  jetzt  im  Neapler  Museum  in  der  sala  dei  capolavori  be- 
findlich (Inv.  No.  6068),   1888   in  Pompeji  gefunden  worden  ist^). 


1)  Giomale  degliscavi  di  Pompeji,  nuova  serie  I,  Taf.  5,  2;  S.  138  ff. 
(de  Petra).  Bernoulli,  römische  Ikonographie  Bd.  I,  S.  127,  Fig.  17  (eine 
kaum  kenntliche  Abbildung).    Nach  Arndt  „im  Wesentlichen  intakt*'. 


A.  Furtwängler:   Zu  Heft  XCIII,  Taf.  VIL  89 

Es  ißt  eine  vortrefflich  erhaltene  Büste  von  derselben  Form  wie  die 
zu  Speier.  Sie  stand  einst  als  Gegenstück  eines  Kopfes,  den  man 
für  Brutus  zu  erklären  pflegt  ^),  im  Hanse  des  Popidius  zu  Pompeji. 
Man  wollte  früher  Pompejus  in  ihr  sehen,  wogegen  sich  schon  Ber- 
noulli  wandte:  inzwischen  ist  diese  Deutung  durch  den  Nachweis 
des  wirklichen  Porträts  des  Pompejus  ganz  unmöglich  geworden; 
eine  neue  ist  bis  jetzt  nicht  aufgestellt  worden. 

An  der  Identität  der  Person  in  der  Speierer  Bronce  und  dem 
Marmor  von  Pompeji  ist  nicht  zu  zweifeln.  Schädelform,  Profillinie, 
Bildung  des  Ohrs  und  das  Haar  mit  dem  charakteristischen  Wisch 
in  der  Mitte  über  der  Stirae,  die  Form  der  breiten  Stime,  der  Nase 
mid  des  geschlossenen  Mundes,  alles  stimmt  überein.  Nur  sind  alle 
Formen  im  Marmor  ein  wenig  runder  und  voller;  namentlich  er- 
scheint die  Nase  fleischiger;  nur  die  Lippen  sind  noch  etwas  dünner 
als  an  der  Bronce.  Die  Person  macht  in  der  Bronce  einen  mehr 
jugendlichen,  im  Marmor  einen  älteren  Eindruck. 

Zur  Bestimmung  des  Dargestellten  hilft  die  Marmorbüste  leider 
nichts;  sie  kann  nur  dazu  dienen,  uns  darin  zu  bestärken,  dass  kein 
beliebiger  Römer,  sondern  eine  hervoiTagende  Person  dargestellt  ist, 
die  am  Bheine  ebenso  wie  in  Pompeji  geehrt  werden  konnte.  Und 
femer  kann  aus  der  Thatsache,  dass  die  Büste  zusammen  mit  ihrem 
Gegenstück  ohne  Postament  auf  dem  Boden  des  Hauses  in  Pom- 
peji gefunden  worden  ist*),  geschlossen  werden,  dass  man  in  Pom- 
peji zur  Zeit  der  Verschüttung  kein  Interesse  mehr  an  der  Person 
nahm  oder  gar  Grund  hatte,  ihr  Porträt  im  Hause  zu  verbergen^). 


1)  Giornale  d.  scavi  a.  a.  0.  Taf.  5,  1.  B  er  noulli  a.  a.  0.  S.  192, 
Fig.  26. 

2)  S.  de  Petra  a.  a.  0.  Die  beiden  Büsten  wurden  „air  altozza  di 
un  terzo  piano,  a  4  o  5  metri  dal  suolo,  seiiza  pilaatro  o  base*^  gefunden. 
Die  Benennung  des  Gegenstückes  als  Brutus  ist,  wie  Bernoulli  a.  a.  0. 
mit  Becht  bemerkt,  eine  sehr  zweifelhafte. 

3)  Die  Reproduktion  des  Bildwerkes  über  diesem  Aufsatze  ist  mit 
Erlaubniss  der  Verlagsanstalt  Bruckmann  zu  München  nachgebildet  aus 
Brunn-Arndt,  Griechische  und  römische  Porträts. 


6.  Rttmische  Broncereliefs  aus  Kttin. 

Von 
U.  L.  Urlichs. 


Hierzu  Tat*.  III. 

Beim  Ausschachten  eines  Fundaments  in  der  Agrippastrasse 
in  Köln  wurden  1892  Bruchstücke  römischer  Broncereliefs  gefunden, 
die  in  den  Besitz  des  Bonner  Provinzialmuseums  tibergingen.  Es 
sind  Reste  von  fünf  oblongen  Blechen  erhalten,  die  ursprünglich  in 
Grösse,  Fonn  und  Decoration  einander  vollständig  glichen.  Reste 
von  Nägeln  und  Nagellöcher  beweisen,  dass  die  papierdünnen  Bleche 
einst  auf  einer  festeren  Unterlage  aufsassen  und  es  ist  die  natür- 
lichste Annahme,  dass  es  ein  wenigstens  fünfseitiges  Kästchen  war, 
das  diese  Zierbleche  bekleideten.  Taf.  III  1  giebt  uns  diese  Bleche 
in  natürlicher  Grösse  wieder;  nicht  wie  sie  erhalten  sind  (denn  kein 
Exemplar  ist  vollständig),  sondern  wie  alle  einst  waren.  Mittels 
Stempel  war  jedes  Blech  in  sechs  oblonge  Felder  getheilt  und  jedes 
mit  einer  figürlichen  Darstellung  gefüllt.  Diese  sind  auf  den  ver- 
schiedenen Exemplaren  verschieden  gut  erhalten  und  waren  wohl 
von  Anfang  an  bald  flauer,  bald  schärfer  ausgeprägt.  Aus  diesen 
Gründen  musste  ein  vollständiger  und  gewissermassen  „stempel- 
frischer" Abdruck  in  der  Zeichnung  reconstruirt  werden. 

Die  Sitte,  Beschlagbleche  mit  oblongen  Bildern  zu  verzieren,  ist 
alt  und  weit  verbreitet.  Wir  begegnen  ihr  bereits  unter  alter- 
thümlichen  griechischen  Broncen  aus  Olympia,  Boeotien  und  Athen  ^) 
und  finden  sie  noch  auf  dem  Bonner  Kästchen  mit  alt  christlichen 
Darstellungen,  das  B.  Jahrb.  XIII  Taf.  V,  VI  abgebildet  ist.    Auch 


1)  Bull,  de  Corresp.  Hell.  XVI,  387, 


H.   L.   U  r  1  i  c  h  s :   Römische  Broncereliefs  aus  Köln.  91 

inhaltlich  bieten  die  meisten  Darstellungen  nichts  Ueberraschendes 
und  bedflrfen  keiner  Erklärung. 

In  den  beiden  untersten  Feldern  sehen  wir  zwei  Amoretten 
mit  Traube  und  Schale^  wie  sie  ähnlich  auf  den  Pilasterreliefs 
römischer  Grabmäler  im  Typus  der  Igeler  Säule  vorkommen,  als 
deren  Vorbilder  6.  Loeschcke  (vgl.  den  Bericht  über  die  Winckel- 
mannsfeier  1892  in  diesem  Jahrbuch)  auch  Metallbeschläge  ver- 
muthet.  In  der  obersten  Reihe  finden  wir  Mars  von  Victoria  be- 
kränzt, die  im  1.  Arm  die  Palme  hält,  und  Mercur  mit  Beutel  und 
Heroldsstab,  neben  sich  den  Hahn,  im  Feld  eine  Strigilis  aufgehängt. 
In  der  zweiten  Reihe  fÄllt  Diana  sogleich  ins  Auge,  im  kurzen 
Jagdgewand,  die  Brast  entblösst.  Sie  hält  in  der  Linken  den  Bogen 
und  holt  mit  der  anderen  Hand  einen  Pfeil  aus  dem  Köcher;  neben 
ihr  erscheinen  ihr  Jagdhund  und  ein  Reh,  im  Hintergrund  Bäume. 
Die  hier  zur  Darstellung  der  Götter  gewählten  Typen  sind  die  auf 
Denkmälern  der  römischen  Provinzialkunst  in  Gallien  und  Germanien 
geläufigen,  mehr  oder  weniger  übereinstimmend  kehren  sie  z.  B. 
sämmtlich  auf  den  'Viergötteraltären'  wieder*).  Einzig  das  dritte 
Bild  fordert  eine  ausführlichere  Erläuterung  und  rechtfertigt  die 
Publication  des  ganzen  Denkmals. 

Nach  rechts  schreitet  ein  kräftiger  Jüngling,  die  Keule  hoch 
erhoben  zum  Schlage  gegen  ein  Schlangenweib.  Dieses  hat  mensch- 
lichen Kopf  und  windet  das  Ende  des  Körpers  um  das  linke  Bein 
des  Gegners.  Neun  Schlangen,  die  die  Stelle  des  Haars  vertreten, 
umgeben  das  Gesicht;  mit  fester  Hand  greift  der  Held  in  dieselben 
hinein.  Der  starre  Ausdruck  des  Gesichtes,  die  Stellung  in  Vorder- 
ansicht deuten  ebenso  auf  späte  Zeit  hin,  wie  die  Figur  des  Her- 
kules selbst.  Denn  so  dürften  wir,  auch  wenn  der  mit  Pfeilen  ge- 
füllte Köcher,  der  im  Hintergrund  aufgehängt  erscheint,  nicht  schon,  die 
äussere  Bestätigung  böte,  den  Gegner  benennen,  da  die  Scene  auf  Sar- 
kophagen und  Mosaiken,  welche  den  Kyklus  der  Heraklesthaten  dar- 
stellen, an  der  zweiten  Stelle,  wo  sonst  die  Hydra  mit  vielen  Schlangen- 
köpfen in  üblicher  Bildung  erscheint,  in  einem  mit  unserer  Relief- 
darstellung gleichen  Typus  vorkommt").     Der  Handwerker  hat  aus 


2)  Vgl.  Westd.  Zeitschr.  X  (1 891)  12  ff.  (H  a  u  g),  z.  B.  Mars  a.  a.  0.  Nr.  125, 
128,  Victoria  Nr.  58,  Mercur  sehr  häufig  z.  B.  Nr.  3,  41,  42,  52,  131;  Diana 
Nr.  109,  148,  167. 

3)  Verhandlungen  der  Görlitzer  Philologenversammlung,  Leipzig 
1890,  312  ff.}  Sonderabdruck  1  ~19,   nach    dem  im  Folgenden  citirt  wird. 


92  H.   L.    Urlichs: 

dem  ihm  geläufigen  Vorrath  von  Typen  statt  des.  ruhig  stehenden 
Helden  das  jedem  Beschauer  bekannte  Kampfschema  gewählt^).  Das 
Ungethüm  ist  so  gebildet,  wie  Hesiod  und  Herodot^)  die  Echidna^) 
beschreiben,  nur  setzt  sich  die  Schlange  unmittelbar  am  menschlichen 
Kopfe  an,  ein  Anzeichen  mehr  dafür,  dass  das  Relief  in  recht  späte 
Zeit  gehört').  Wichtig  ist  vor  allem  die  Thatsache,  dass  erst  in 
der  römischen  Kaiserzeit  der  neue  Typus  der  Hydra  sich  nachweisen 
lässt,  während  die  gewöhnliche  Darstellung,  die  seit  alter  Zeit  üb- 
lich ist,  auch  in  der  späteren  Zeit  in  übei'wiegendem  Masse  beibe- 
halten wird.  Das  Kölner  Relief  gibt  die  erwünschte  Veranlassung, 
das  gesammelte  Material  zu  berichtigen  und  zu  ergänzen. 

Auszuscheiden  ist  die  Gemme  in  den  Uffizien  zu  Florenz  (S.  19 
der  Görlitzer  Verhandlungen);  eine  Untersuchung  des  Originals,  das 
jetzt  mit  rother  Nummer  53  bezeichnet  ist,  lehrt,  dass  die  Abbildung 
im  Museum  Florentinum,  Gemmae  Taf.  XXXVH,  VI  ungenau 
ist.  Hydra  ist  nicht  wie  Echidna  dargestellt.  Dagegen  sind  fol- 
gende Bildwerke  einzureihen:  1.  die  vierseitige  Basis  im  alten  Ka- 
pitolinischen Museum  zu  Rom,  früher  in  Albano  (Hei big,  Führer 
durch   die  öffentlichen  Sammlungen  I,   Nr.  417).    Auf  den   Seiten 


4)  So  auch  auf  den  Viergöttersteinen,  Westdeutsche  Zeitschrift  X 
(1891)  Nr.  198,  204,  vgl.  das  Verzeichniss  S.  306  f. 

5)  Hesiod  Theogonie  295  ff.: 

"H'(Kallirrhoe)  S*  hex    aXXo  TrUojgoVy  ä^rjxavoVy  ovSh  ioixog 
^'tjToig  dv&Qcojioig  ov6^   d^avaToiai  ^eoTöiy 
ojt^i  m  yXa<pvQ<p,  -^elrfv  XQateQOfpgw  "Extdvav 
fjfjiiov   fjLEv   vvfx(priv   kkixioTiida,    xaXkinaQjjov , 
fjfiiav    S^avxe    yieXcoQOv    oq)iv    Öeivöv    xs  fAeyav  je 

Herodot  4,  9 :  h^avxa  (in  H ylaia  im  Skythenlande)  avz6y  svgietv  (wird 
von  Heixikles  erzählt)  ev  ayT^ffj  HL^ondg'&svov  ztva  sxiSvav  ÖKpvsay  zijg  ra 
fisv  ävo)  djtd    icov  ykovzsiov  eivai  yvvaixog j  xd  de  eveg^e  otpiog. 

6)  Ueber  Echidna,  die  Mutter  der  Hydra,  im  Kreise  der  Herakles- 
sage, vgl.  was  in  den  Görlitzer  Verhandlungen  17  f.  bemerkt  ist.  Uebrigens 
ist  bei  Vergil  Aeneis  8,  298  kein  neues  Zeugniss  für  den  Echidna- 
kämpf  zu  suchen,  wie  W  e  rn  i  e  k  e ,  Görlitzer  Verhandlungen  284  Anm.  3 
meint.  Die  Erwähnung  des  Kampfes  mit  Typhoeus  bezieht  M.  Mayer 
Giganten  und  Titanen  297  f.  auf  den  Gigantenkampf,  L  a  d  e  w  i  g  z.  d. 
StöUe  des  Vergil  auf  die  Begegnung  in  der  Unterwelt  bei  der  Herauf- 
holung des  Kerberos. 

7)  So  beispielsweise  auch  auf  der  Terracottaform  des  Berliner 
Antiquariums,  abgebildet  Görlitzer  Verhandlungen  14. 


Römische  Broncereliefs  aus  Köln.  98 

sind  die  Arbeiten  des  Herakles  in  einem    archaisirenden  Stile  dar- 
gestellt. 

2.  Der  Vergessenheit  entzogen  und  durch  baldige  VeröflFent- 
lichung  der  Forschung  zugänglich  gemacht  zu  werden  verdient  ein 
höchst  merkwürdiges,  leider  sehr  zerstörtes  Stück  in  Athen,  jetzt 
im  Polytechnion ;  früher  war  es  lange  in  der  Sammlung  des  Kultus- 
ministeriums aufbewahrt,  Fundort  und  Herkunft  Hessen  sich  nicht 
ermitteln.  Es  trägt  die  Inventarnuramer  2624  a  und  die  Auf- 
schrift :  diaxog  ;|ja>lxoi;g  xaxdmqov  juErd  tzcqi'&coqiov  äQyvQov  xal  xaX- 
XvfJLfxaxog  ägyvQov^  q)iQOVtoQ  ;^^vaoxoAAi7Tov^  Ttagaordoeig  xcov  äMcov 
'HgaxXiovg^).  Es  hat  das  Ganze  einen  ninden  gewölbten  Deckel 
im  Durchmesser  von  0,11  m  gebildet  und  baut  sich  in  drei  jetzt 
nicht  mehr  verbundenen  Lagen  auf:  Zunächst  aussen  ein  schmaler, 
nur  theilweise  erhaltener  Silberring,  an  diesen  schliesst  sich  nach 
Innen  ein  zweiter  Silberring  an,  auf  dem  die  Darstellung  des  Dode- 
kathlos  in  der  einen  Hälfte  zu  sehen  ist;  in  der  anderen  ist  eine 
jetzt  grösstentheils  unkenntliche,  vielleicht  bacchische  Scene  dar- 
gestellt. Den  grössten  Theil  der  Wölbung  nimmt  eine  reich 
ornamentirte  Fläche  ein,  in  deren  Mitte  das  Loch  zur  Anbringung 
eines  Knopfes  erhalten  ist.  Der  flache  äussere  Silberring  hat  auf 
Bronce  geruht,  die  zum  Theil  noch  erhalten  ist.  Ob  diese 
aber  selbst  einen  Ring  oder  eine  Platte  gebildet  hat,  ist  nicht  zu 
entscheiden,  erstere  Annahme  wahrscheinlicher.  Das  Ganze  wird 
wohl  der  Deckel  eines  dosenartigen  Gefässes  gewesen  sein.  Lei- 
der haben  auch  erfahrene  Kunstkenner  eine  Zeitbestimmung  nicht 
gewagt.  Die  Oraamente  scheinen  nicht  griechisch  zu  sein,  die  Fi- 
guren, eingeritzt  und  mit  Gold  ausgelegt,  für  späte  Arbeit  zu  sprechen. 
Eine  nähere  Festsetzung  der  Zeit  ist  nicht  möglich.  Trotzdem 
verdient  das  Stück  unserer  Untersuchung  eingereiht  zu  werden.  Denn 
der  zweite  Kampf  scheint  einen  neuen  Beitrag  zu  dem  zu  erörternden 
Typus  der  Hydra  zu  geben.  Es  Hess  sich  aus  dem  sehr  zerstörten 
Original  und  der  Photographie  der  jugendliche  Held  en  face  er- 
kennen; er  scheint  das  Schlangenweib  am  Hinterkopfe  mit  der  linken 
Hand  zu  fassen,  mif'dem  erhobenen  rechten  Anne  holt  er  zum  Schlage 
mit  der  Keule  aus.     Seine  Gegnerin   hat   menschlichen    Oberkörper 


8)  Eine  Photographie  liegt  vor;  sie  wird  der  gütigen  Vermittlung 
von  Herrn  Freier  verdankt.  Darnach  ist  Taf.  III  2  in  doppelter  Grösse 
die  Gruppe  des  Herakles  mit  der  Hydra  abgebildet. 


94  H.  L.   Urlichs: 

und  vielleicht  Arme,  die  emporgehalten  sind,  der  Kopf  in  Seitenan- 
sicht, ist  nach  links  etwas  gesenkt.  Am  Kopfe  Hessen  sich  keine 
Schlangen  erkennen.  Der  Unterkörper  war,  soweit  ersichtlich,  ein 
Schlangenleib,  der  sich  wohl  um  das  linke  Bein  des  Herakles  ge- 
wunden hat. 

3.  Wohl  eine  Münze  ist  in  Li  gor  ios  Papieren,  Neapel  Band  VI, 
413  mit  Feder  gezeichnet,  ohne  Legende,  auch  ohne  handschriftliche 
Erläuterung.  Auf  der  folgenden  Seite  des  Bandes  befindet  sich  eine 
Münze  Col.  lul.  Alexandria.  Daraus  wird  man  wohl  schliessen  dürfen, 
dass  auch  die  erw^ähnte  dahin  gehört.  Sie  zeigt  (Taf.  III  3)  den 
Helden  nach  rechts  ausschreitend,  die  Keule  hoch  erhoben,  das  Löwen- 
fell über  den  Hinterkopf  gezogen  und  im  Rücken  herabhängend;  er 
fasst  mit  der  linken  Hand  eine  der  neun  anscheinend  aus  dem  Ober- 
körper des  Weibes  sich  hervorwindenden  Schlangen.  Menschlicher 
Kopf  und  Brust,  der  Unterkörper  um  das  linke  Bein  des  Herakles 
gewickelt.  Unten  ist  ein  Krebs  gezeichnet.  Es  würde  die  ,Münze' 
kaum  einer  Erwähnung  werth  sein,  da  erst  eine  systematische  Durch- 
sicht des  numismatischen  Materials,  das  in  den  Manuscripten  des 
Ligorio  aufgehäuft  ist,  darüber  wird  entscheiden  können,  ob  über- 
haupt ächte  Stücke  darin  gezeichnet  sind^).  Aber  Beachtung  ver- 
dient sie  deshalb,  weil  Ligorio  unter  allen  Umständen  in  Erinnening 
an  ein  oder  mehrere  antike  Monumente  die  Zeichnung  entworfen  hat 
und  weil  gerade  auf  Münzen  von  Alexaudria  die  Thaten  des  Helden 
besonders  häufig  erscheinen.  Aus  Sarkophagen  konnte  übrigens  Li- 
gorio sein  Muster  bereits  entnehmen  (vgl.  zum  Beispiel  die  Görlitzer 
Verhandlungen  S.  10  unter  IIL  IV.  angeftthrten  Denkmäler). 

Wenn  wir  die  wenigen  Monumente,  die  wir  dem  bereits  ge- 
sammelten Materiale  beifügen  konnten,  im  Zusammenhange  mit 
diesem  betrachten,  so  lernen  wir  wenigstens  etwas  Neues :  Die  Neun- 
zahl der  Schlangen  im  Haare  ist  durch  das  Kölner  Relief  aufs  Neue 
gesichert  und  zeigt  wieder,  wie  der  Typus  des  Schlangenweibes 
für  Hydra  kein  ursprünglicher  war,  sondera  nur  übertragen  wurde: 
Die  Schlangen,  die  sonst  aus  einem  Körper  hervorwachsen,  sind 
in  derselben  Anzahl  an  das  Haar  des  weiblichen^Kopfes  angefügt  ^^). 
Femer  gleicht  das  Athenische  Monument  dem  Relief  in  Villa  Albani 
(Görlitzer  Verhandlungen  10,  IV)  ^^)  darin,   dass    es   auch   mensch- 

9)  Vgl.  Dessau,  Berliner  Akademieberichte  1883  (II)  1078  Anm.  3. 

10)  Vgl.  auch,  was  Görlitzer  Verhandlungen  16  angeführt  ist. 

11)  Heydemann,  Mittheilungen  aus  den   Antikensammlungen  in 


Römische  Broncereliefs  aus  Köln.  95 

liehe  Arme  zeigt,  freilich  aber,  wie  es  scheint,  nur  e  i  n  Sehlangen- 
ende  als  Unterkörper  hat.  Nunmehr  darf  als  feststehend  gelten : 
Im  Dodekathlos  erscheint  Hydra  wie  Echidna,  meist  Schlangen  im 
Haare,  der  obere  Theil  des  Körpers  menschlich,  der  untere  eine 
Schlange.  Auf  Grund  dieser  Feststellung  ist  auch  die  Deutung  des 
Würzburger  Torsos  (in  Görlitzer  Verhandlungen  auf  Doppeltafcl  ab- 
gebildet) und  der  Kapitolinischen  Gruppe  (H  eibig  Führer  I,  Nr.  403, 
404)  über  allen  Zweifel  erhaben,  da  sie  vollständig  mit  den  ge- 
sicherten Bildwerken  übereinstimmen  ^*). 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  eine  Beobachtung  von  Wie- 
seler, Nachrichten  d.  Gesellsch.  der  Wissenschaften  zu  Göttingen 
1888,  Nr.  16,  423  ff.:  Er  hat  auf  Münzen  der  späteren  Kaiserzeit» 3) 
hingewiesen,  auf  denen  der  Kaiser  mit  Kreuz  und  der  auf  einer 
Kugel  stehenden  Victoria  in  den  Händen,  den  rechten  Fuss  auf 
eine  Schlange  mit  menschlichem  Kopf  stellt,  und  vemiuthet,  dass 
dieses  Schlangcnweib  Hydra**)  als  Symbol  des  besiegten  Feindes 
sei.  Schon  die  Umschrift  Victoria  Augg.  gibt  eine  Bestätigung,  die 
noch  bekräftigt  wird  durch  den  Hinweis  auf  eine  Kupfermünze 
Mark  Aureis  bei  David,  Museum  de  Florence  V  pl.  LH  Nr.  1:  Der 


Ober-  und  Mittclitaiien,  Hallens.  Winckelmaiinprogramm  1879,17  bemerkt 
bei  der  Erwähnung  der  in  Venedig  an  der  Vorderseite  von  San  Marco  hoch 
oben  eingemauerten  Reliefs,  Herakles  den  Eber  tragend  mit  Eurystheus 
im  Fass  und  Herakles  und  der  Hirsch:  ,,8ie  gehörten  ursprünglich  —  als 
Nebenseiten  vielleicht  eines  Sarkophags  sind  sie  zu  hoch  —  als  Gegen- 
stücke zusammen  und  gewiss  zu  einer  Reihe  von  Heraklesthaten,  für  deren 
Verwendung  als  Wandschmuck  etwa  auf  die  Reliefs  im  Palazzo  Spada 
verwiesen  werden  könnte*  u.  Anm.  30:  „Dazu  gehört  vielleicht  auch  das 
einstige  Original  des  Reliefs  der  Villa  Albani  .  .  .  vgl.  Matz,  Monats- 
berichte der  Berliner  Akad.  1871, 464, 24  [im  Cod.  Coburg,  gezeichnet].  Form 
und  Composition  ermöglichen  die  Annahme*.  Aber  siehe  was  Dütschke, 
Antike  Bildwerke  in  Oberitalien  V  157  f.  zu  Nr.  398  f.  bemerkt. 

12)Sworonos'  Bedenken  Ephcmeris  archaiologike  1889, 106  erledigt 
sich  dadurch. 

13)  Cohen«  VHI,  212  Nr.  19  Valentinian  HI.  —  VIII,  220  Nr.  1 
Petronius  Mazimus  —  VIII  223  Nr.  1  mit  Abbildung  Maiorianus  ~  VIII 
227  f.  Nr.  8  Severus  HL  Die  Grossbronce,  die  Wiesel  er  424  Anm.  1  be- 
schreibt, scheint  nicht  sicher  hierher  zu  gehören.  Ein  ähnlicher  Typus 
auch  bei  Cohen«  VII  381  Nr.  139  Constantin  II.  d.  Jüngere;  er  setzt  den 
Fuss  auf  einen  hilfefloh  enden  Sarmaten,  u.  a.  m. 

14)  Die  Schlangen  fehlen  im  Haar,  wie  in  dem  verschollenen,  aber 
im  Codex  Pighianus  erhaltenen  Sarkophagfragment  (Görlitzer  Verhand- 
lungen 10,  III). 


96  H.   L.   Urlichs: 

Kaiser  mit  Beinern  Sohne  Kommodus  im  Triumphwagen ,  an  dessen 
einer  Seite  Herakles  im  Kampf  mit  der  vielköpfigen  Hydra  zu.  sehen 
ist.  Es  wird  der  Triumph,  der  nach  glänzenden  Siegen  176  n.  Chr. 
gefeiert  wurde  ^^),  verherrlicht  und  Herakles  bekämpft  das  ün- 
gethüm,  ebenso  wie  der  Kaiser  die  feindlichen  Völker  überwältigt 
hat.  So  findet  auch  die  Darstellung  auf  einer  in  Mailand  geschla- 
genen Goldmünze  Constantius  11.^^)  eine  befriedigende  Erklärung: 
Der  Kaiser  zu  Pferde  sprengt  nach  rechts,  um  eine  Schlange  zu 
bekämpfen.  Die  Aufschrift  lautet  Debellator  Hostium,  ähnlich  wie 
eine  Münze  des  Maximianus  Herkules  im  Kampfe  mit  der  viel- 
köpfigen Hydra  zeigt ") ;  hier  liest  man  Herculi  Debellatori.  Diese 
Beispiele  genügen,  um  die  Gleichsetzung  des  Kaisers  mit  dem  Ver- 
treter der  siegreichen  Kraft,  Herkules^*),  darzuthun.    Mehr  findet 


15)  Auf  der  Vorderseite  Büste  des  Kaisers  und  die  Inschrift  M.  An- 
tonius Aug.  GeiTO.  Sarm.;  vgl.  David  a.  a.  0.  und  siehe  auch  Schiller, 
Rom.  Xaisergeschichte  I.  2  (1883)  649  Anm.  2. 

16)  Fröhner,  Medaillons  de  TEmpire  Romain  309;  Cohen*  VH, 
443  Nr.  23.  Hydra  wird  zuweilen  wie  eine  einfache  Schlange  gebildet, 
vgl.  Furtwängler,  Roschers  Lexikon  I.  2224  und  meine  Schrift  18. 

17)  Fröhner  255. 

18)  Dies  Verhältniss  scheint  auch  wichtig  für  die  vielumstrittene  Deu- 
tung der  Gigantensätden  zu  sein  (vgl.  zuletzt  Hau g,  Westdeutsche  Zeitschrift 
a.  a.  O.  325  fiP.  und  die  Recension  von  Ihm  in  diesen  Jahrbüchern  82 
(1892)  255  f.  Neuer  Fund  in  Trier  publicirt  von  Hettner  Korrespondenz- 
blatt X  (1890)  71  ff.).  Wie  auf  unserer  Münze  der  Kaiser,  gerüstet, 
im  geläufigen  Typus  zu  Pferd  anstatt  des  Herkules  die  Schlange  be- 
kämpft, so  erscheint  er  auf  jenen  Säulen  gegen  den  Giganten  los- 
stürmend an  Stelle  eines  Gottes.  —  Uebrigens  bedürfen  einer  erneuten 
Prüfung  diejenigen  Stücke,  welche  weibliche  Gegner  zeigen.  Hettner 
hat  das  Verdienst,  diese  Gruppe  zuerst  herausgehoben  zu  haben  (West- 
deutsche Zeitschrift  IV  (1885)  379;  vgl.  Hang  a.  a.  O.  331).  Jedenfalls 
leuchtet  ein,  dass  die  weiblichen  Gegner  demselben  mythologischen  Kreise 
angehören  müssen  wie  die  weitaus  zahlreicheren  männlichen.  Wenn  wirk- 
lich, wie  Hang  a.  a.  O.  annimmt,  das  Mainzer  £xemplar  (Donner- 
von  Richter  und  Riese  Heddernheimer  Ausgrabungen  Taf.  V,  1—3) 
Mann  und  Weib  zusammen  zeigen,  so  ist  der  monumentale  Beleg  gegeben. 
Die  angeblichen  „Flossen^,  die  mehrfach  bei  der  Beschreibung  der  Fi- 
guren erwähnt  werden,  scheinen  nicht  vorhanden  zu  sein.  Von  den 
Speyerer  Exemplaren  hat  Herr  H  a  r  s  t  e  r  dies  mir  ausdrücklich  versichert. 
Stark  hat  in  diesen  Jahrbüchern  44  (1868)  29  an  Typhon  und  Echidna  ge- 
dacht, die  wohl  bereits  am  Amykläischen  Throne  gemeinsam  gebildet  waren 
(Paus. 3, 18, 7,  M.  Mayer,  Giganten  und  Titanen  215  ff.).  So  Hesse  sich  das  Auf- 


ttömische  fironcereliefs  atts  Köln.  dt 

man  bei  R.  Peter,  Roschers  Lexikon  I,  2980  S.  der  diese  Beziehung 
zum  Gegenstände  einer  lehrreichen  Untersuchnng  gemacht  hat. 

So  können  diese  Münzen  unbedenklich  zu  dem  behandelten 
Typus  gerechnet  werden,  aber  auch  sie  gewähren  keinen  Anhalts- 
punkt für  ein  früheres  Auftreten  desselben.  Vielmehr^  führt  kaum  ein 
Denkmal  höher  hinauf  als  in  das  zweite  nachchristliche  Jahrhundert 
und  die  Stellen,  die  aus  der  Litteratur  zu  einer  Zeitbestimmung 
herangezogen  worden  sind,  sind  nicht  beweisend.  Preller,  grie- 
chische Mythologie*  II,  216  verweist  auf  Ovid,  Metamorphosen  9,  69. 
Dort  liest  man  freilich:  Pars  quota  Lernaeae  serpens  eris  unus 
echidnae,  ebenso  wie  Fasten  5,  405:  Sanguine  Centauri  Ler- 
naeae sanguis  echidnae  j  mixtus,  aber  es  ist  klar,  dass  der  Dichter 
das  Wort  echidna  nur  deshalb  gewählt  hat,  weil  es  einen  bequemen 
Yersschluss  bildet.  Auch  Diodor  4,  38  hat  für  Hydra  das  Wort 
ixiiva,  aber  nicht  als  Eigenname;  denn  4, 11,  9  steht  Aegvala  vöga, 
TJg  iS  ivdg  ocofiaxog  ixaxbv  avxiveg  Sxovzeg  x€(paXäg  dcpioyv  dieivnovvto. 
Wahrscheinlich  aber  bleibt  auch  ohne  äusseres  Zeugniss  die  Ent- 
stehung des  Typus  in  früherer  Zeit  schon  deshalb,  weil  auch  die 
anderen.  Kampfschemen  im  Wesentlichen  aus  Griechenland  herttber- 
genommen  sind^^).  Geringe  Spuren  führen  vielleicht  auch  aus  den 
Monumenten  darauf:  Der  Würzburger  Torso  ist  eine  gute  römische 
Kopistenarbeit.  Die  Köi-performen  gleichen  in  auiSäUigcr  Weise 
denen  der  Stephanosfigur  in  Villa  Albani,  worauf  Herr  Arndt  mich 
aufmerksam  gemacht  hat.  Dies  kann  freilich  wohl  auf  Rechnung 
eines  archaisirenden  Handwerkers  oder  Künstlers  gesetzt  werden,  um 
80  mehr,  als  in  den  Werken  der  archaischen  Zeit  die  gewöhnliche 
vielköpfige  Schlange  erscheint,  doch  die  sorgfältig  gearbeitete 
Löwenhaut,  die  edlen  Züge  der  todten  Hydra  werden  am  besten 
eine  Erklärung  dadurch  finden,  dass  die  erste  Entstehung  dieses 
Werkes  in  gut  griechische  oder  mindestens  gut  römische  Zeit 
gehört.      Von    anderer    Seite    scheint    diese   Ansetzung    eine    Be- 


treten des  Paars  wohl  erklären,  wenn  auch  möglich  ist,  dass  in  späterer 
Zeit  dem  Giganten  eine  Genossin  beigesellt  wui*de.  Die  bedeutsame,  aus 
deni  Monumenten  sich  ergebende  Thatsache  verdient  gebührend  hervor- 
gehoben zu  werden  und  erhöht  das  Interesse,  das  jener  merkwürdigen 
Denkmälerklasse  entgegengebracht  wird. 

19)   Vgl.   im   Allgemeinen   Preller-Jordan,  Römische   Mytho- 
logie» II,  298. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Altertbsfr.  im  Rheinl.  XCV.  7 


d8  B.  L.  Urlichs: 

BtiltigUB^  zu  finden:  Die  Gruppe  des  Eapitolinisclien  Museums, 
vor  allein  auch  der  ältliche  weibliche  Kopf,  „der  von  Schmerz  ver- 
zerrt und  dessen  Mund  zum  Schreien  geöfiPnet  ist",  führt  auf  die 
Richtung  der  Kunst,  die  in  der  Zeit  nach  Alexander  ihre  höchste 
Ausbildung  erreicht  hat.  Aber  diese  Allgemeinheiten  genügen  nicht 
Es  bleibt  ein  Rätsel,  wie  die  Hydra  in  Kunstdarstellungen  mit 
der  Echidna  vermengt  wurde,  und  es  kann  nicht  entschieden  werden, 
wann  diese  Vermischung  stattgefunden  hat,  auch  nicht,  ob  die  Kunst 
selbst  Vorbild  gewesen  ist  oder  neue  Sagenbildung  etwa  in  ale- 
xandrinischer  Zeit  entweder  durch  das  Lied  oder  durch  mythologische 
Forschung  gewirkt  hat.  Um  so  mehr  ist  es  zu  bedauern,  dass  das 
von  Robert  in  den  „Homerischen  Bechern"  (50.  Berliner  Winckel- 
mannsprogramm)  86  f.  abgebildete  Fragment  gerade  vom  Hydrakampf 
nur  wenige  Reste  bietet.  In  der  römischen  Litteratur  ist  die  ur- 
i^rüngliche  Vorstellung  von  der  vielköpfigen  Schlange  beibehalten 
und  die  neue  in  dieselbe  nicht  übergegangen. 

Ausser  Acht  gelassen  wurden  bisher  einige  Münzen  römischer 
Kaiser,  die  mehrfach  beigezogen  **^)  und  theils  auf  Echidna,  theils 
auf  Hydra,  jüngst  sogar  auf  einen  Gigantenkampf  bezogen  wurden. 
Da  sie  in  der  letzten  Zeit  wiederholt  gelegentlich  erwähnt  worden 
sind,  das  Material  aber  zerstreut  ist,  so  wird  eine  Zusammenfassung 
erwünscht  sein. 

a.  Antoninus  Pius.  Alexandria.  Zoßga,  Numi  Aegyptii  192, 
Nr.  246  (mit  Abbildung).  Imhoof- Blumer,  Monnaies  grecqnes 
1883,  458  Nr.  14  und  15.  Eckhel,  doetrina  num.  IV,  67.  Im- 
hoof-Blumer  und  Keller,  Thier-  und  Pflanzenbilder  auf  Münzen 
etc.  1889,  Taf.  XI  Nr.  8,  vgl.  S.  65.  Catalogue  of  Greek  coins 
of  the  British  Museum.  16.  Catalogue  of  Alexandria  by 
Reynald  Stuart  Poole  London,  1892,  123  Nr.  1052  pl.  VI. 

b.  Septimius  Severus.  Perinth  in  Thracien  (Kolonie  von  Argos). 
Pellerin,  m^langes  de  diverses  mMailles  pour  servir  de  supplem. 
de  tom.  I.  S.  75  R.,  darnach  Raff  ei,  Osservazioni  sopra  un  Basso- 
rilievo  della  Villa  Albani  47  ff.  Vgl.  Eckhel  II,  41.  Zo^ga, 
Bassirilievi  IT.  96  Anm.  3.  Abgebildet  neuerdings  von  Sworonos, 
Ephemeris  archaiologike  1889,  Taf.  2,  18,  vgl.  S.  105  f.,  daraus 
hier  Taf.  III  4  etwas  vergrösscrt  wiedergegeben. 

c.  Caracalla.  Argos.     Der  Güte  von  Herrn  Imhoof- Blnmer 


20)  Vgl.  Görlitzer  Verhandlungen  13,  a  und  b. 


Römische  Broncereliefs  aus  Köln.  M 

wird  der  Nachweis  und  ein  Abdruck  aus  der  Sammlung  Loebeoke 
in  Magdeburg  verdankt. 

Der  Typus  der  Darstellung  ist  scharf  von  dem  bisherigen  zu 
scheiden;  er  ist  abgesehen  von  kleinen  Verechiedenheiten  feststehend 
und  macht  durchaus  den  Eindruck  der  ürsprünglichkeit,  nicht  einer 
üebertragung:  Herakles,  bärtig,  mit  Löwenfell  über  Hinterkopf  und 
Rücken,  schreitet  mit  der  erhobenen  Keule  auf  die  Gegnerin 
los  und  fasst  mit  der  einen  Hand  deren  emporgehaltenen  Arm. 
DaB  Schlangenweib  hat  menschlichen  Oberkörper,  im  Haare  keine 
Schlangen,  der  untere  Theil  des  Körpers  endigt  in  zwei  Schlangen 
ähnlich  wie  bei  den  Giganten,  die  eine  Hand  ist  an  die  Brust 
gehalten,  der  andere  Arm,  mit  einer  Schlange  umwunden"),  bedroht 
den  Helden  ebenso  wie  jene  Thiere,  die  den  Unterkörper  bilden, 
feindlich  ihm  sich  nahem.  Der  Blick  des  Weibes  ist  auf  den  Gegner 
gerichtet.  Die  sichere  Grundlage  für  die  Deutung  fehlt,  da  der 
Typus  nicht  an  zweiter  Stelle  in  den  Schemen  des  Dodekathlos 
vorkommt.  Auch  stimmt  er  weder  mit  sonstigen  Bildwerken  noch 
mit  Hesiods  und  Hcrodots  Beschreibung  der  Echidna  überein.  Die 
Bärtigkeit  des  Helden  würde  nicht  gegen  den  Hydrakampf  ent- 
scheiden; denn  so  erscheint  er  auch  auf  den  andern  Münzen 
Alexandriens,  sogar  in  diesem  Kampfe  selbst  (Zoega,  Numi  Aegyptii 
Taf.  XI,  12).  Aber  eben  auf  alexandrinischen  Münzen  des  An- 
toninus  Pius  ist  derselbe  Kampf  gegen  die  mehrköpfige  Schlange 
nachgewiesen  (Zoöga,  Numi  Taf.  XI,  12),  auch  auf  denen  von 
Argos  zur  Zeit  des  Hadrian  (Imhoof-Blumer  und  Gardner,  Nu- 
mismat.  Comment.  on  Pausanias  Taf.  M.  Lema  1);  dieses  gleich- 
zeitige Auftreten  der  beiden  Typen  scheint  einer  Gleichsetzung  nicht 


21)  Für  Giganten  vgl.  M.  May  er  Giganten  und  Titanen  227.  —  Leider 
ist  die  Bronce,  ehemals  im  Besitze  Baimund  Fuggers,  abgebildet  bei 
Apianus  und  Amantius,  Inscriptiones  .  .  .  Ingolstadt  1&S4  im  An- 
hange S.  5,  wie  es  scheint,  verioren:  Sie  gleicht  den  eben  behandelten 
Münzen  im  Typus.  Bursian  hat  das  Verdienst,  auf  die  Abbildung 
aufinerksam  gemacht  zu  haben;  er  hat  für  den  Fall,  dass  die  weiblichen 
Brüste  der  Zeichnung  wirklich  vorhanden  waren,  an  Echidna  gedacht 
(Berichte  der  Münchener  Akademie,  phiL^hist.  Ciasse  1874,  2,  144  f.).  Die 
Benennung  des  Amantius,  Imago  filii  Laoccoontis  wird  wohl  durch  die 
Schlangen  in  den  Händen  veranlasst  sein.  Den  die  Schlangen  würgenden 
Herakles  hat  er  ebenso  getauft  (Bursian  142).  Die  Beschreibung  von 
Bursian  ist,  wie  eine  Vergleichung  der  Inscriptiones  gelehrt  hat,  richtig. 


100  H.  L.   Urlichs: 

gerade  günstig  zu  sein.  Die  EntscbeidiiDg  dürfte  das  Relief  in  Villa 
Albani  geben^  wenn  dessen  ursprünglicbe  Verwendung  sieb  ermitteln 
Hesse;  denn  mit  ibm  und  an  zweiter  Stelle  vielleicbt  aueb  mit  dem 
Atheniscben  Monument**)  haben  die  Mttuztypeu  die  grösste  Ver- 
wandtsebaft.  Auf  Eehidna  ist  man  bei  den  Deutnngsversuebcn 
mebrfaeb  zurückgekommen,  aber  abgesehen  davon,  dass  die  Dar- 
stellung nicht  mit  Hesiod  und  Herodot  übereinstimmt^  der  Zeitunter- 
schied zwischen  dem  archaischen  Porosrelief  der  Akropolis  zu 
Athen*')  und  den  Eaisermünzen  ist  ein  so  grosser^  dass  sichere  Schlüsse 
unmöglich  sind.  Endlich  an  eine  „Gigantin"  **)  zu  denken;  wie  Poole 
a.  a.  0.  thut ,  ist  seit  der  Feststellung  der  weiblichen  Gegner  auf 
den  Qigantensäulen  nicht  ausgeschlossen,  aber  bis  jetzt  ist  diese 
Erscheinung  eine  so  vereinzelte,  dass  es  gewagt  ist,  daraus  Schlüsse 
zu  ziehen.  Mit  diesen  Andeutungen  muss  man  sich  zur  Zeit  begnügen, 
doch  wesentlich  fUr  künftige  Forschung  ist  die  Ausscheidung  der 
Gruppe  aus  den  sicher  als  Hydrakampf  zu  deutenden  Bildwerken*^). 
Wünschenswerth  ist  es  vor  allem,  dass  im  Zusammenhange  mit 
anderen  Heraklesthaten  auch  der  einer  sicheren  Erklärung  entbehrende 
Kampf  erscheint.  Der  Boden  des  Rheingebietes  hat  wie  zu  vielen 
andern  Sagen  auch  zu  der  des  Herkules  manchen  schönen  Beitrag 
gespendet.  Darum  darf  man  der  frohen  Hoffnung  Ausdruck  ver- 
leihen, dass  bald  ein  glücklicher  Fund  Licht  verbreiten  möge,  wie 
der  des  Kölner  Reliefs  Veranlassung  gegeben  hat,   bekannte  Bild- 


22)  Siehe  S.  94  f.  und  93  f. 

23)  Brückner,  Athenische  Mittheilungen,  1889,  67  ff. 

24)  Ueber  Herkules  im  Gigantenkampfe  vgl.  M.  M  a  y  e  r  a.  a.  O. 
403,  Furtwängler,  Roschers  Lexikon  I,  2246,  Hang  Westdeutsche 
Zeitschrift  a.  a.  0.  307. 

25)  Es  sei  erwähnt,  dass  möglicherweise  auch  die  Besiegung  eines 
anderen  Schlangenweibes  zu  erkennen  ist ;  so  ist  in  der  5.  Rede  des  Dio 
Chrysostomos,  im  Aißvxog  fiv&og  berichtet,  dass  Herakles  ein  der  Eehidna 
und  Hydra  sehr  ähnliches  wildes  Thier  in  Libyen  überwältigt  hat.  Vgl 
dazu  Ernst  Weber,  de  Dione  Ohrysostomo  (H^nicorum  sectatore,  Leip- 
ziger Studien  zur  Philologie  10,  1887 ;  236—257  handelt  de  Antisthenis 
Hercule,  vgl.  inbesondere  was  253  Anmerkung  1  zusammengestellt  ist 
Seltene  Darstellungen  sind  auf  Münzen  von  Alexandrien  öfters  zu  finden. 
Das  Abenteuer  bei  Syleus  (Münz-Katalog  des  British  Museum 
pl.  VI,  Nr.  1056);  die  Aufnahme  beim  Kentauren  Pholos  (Zoöga  Numi 
Aegypt.  Taf.  XI,  S.  176  Nr.  117  und  Münz-Katalog  d.  Brit.  Mus. 
pl.  VI,  Nr.  1057). 


Römische  Broncereliefs  aus  Köln.  101 

werke  im  ZuBammenhange  mit  demselben  nochmals  zn  prüfen  und 
zu  ordnen.  Vielleicht  ist  noch  manches  Stück^  das  hierher  gehört, 
besonders  aus  der  Kleinkunst,  unter  den  zahlreichen,  nicht  immer  ge- 
nügend katalogisierten  Thonreliefs  und  Terracottalampen  u.  s.  w.  in  den 
Sammlungen  oder  im  Privatbesitze  verborgen.  Mögen  die  anspruchs- 
losen Bemerkungen,  die  der  VcröflFentlichung  beigegeben  sind,  zu 
eifriger  Nachforschung  anregen! 

München.  Heinrich  Ludwig  ürlichs. 


7.   Vorläufige  Mittheilung  über  ein  römisches  Mosaik 
bei  Kreuznach. 


Von 
Prof.  0.  Kohl. 


Hierzu  Taf.  IV. 


Auf  dem  linken  Ufer  der  Nahe  bei  Kreuznach  zieht  sich  hinter 
dem  Schlossberg  oder  Kauzenberg  in  nordwestlicher  Richtung  nach 
dem  Hunsrticken  zu  der  Agnesienberg,  an  dessen  östlicher  Seite 
der  Ellerbach  zur  Nahe  fliesst,  während  in  dem  sanften  Einschnitt 
zwischen  dem  Agnesicnberg  und  dem  Schlossberg,  bezw.  der  Hardt 
jetzt  eine  Chaussee  nach  Hüffelsheim  führt.  An  dem  östlichen  Ab- 
hang des  Agnesienberges  liegen  zwei  Ziegeleien,  und  neben  der 
entfernteren  waren  vor  vier  Jahren  einige  römische  Grabumen  von 
grauschwarzer  Art  gefunden  worden,  sowie  ein  Stück  eines  grösseren 
rothen  Thongefässes  mit  dem  Stempel  CLEMENS  FEC. 

Im  December  des  letzten  Jahres  sollte  unterhalb  der  vorderen 
Ziegelei  neben  der  Hüffelsheimer  Chaussee  der  Platz  für  ein  Wohn- 
haus ausgeschachtet  werden.  In  gleicher  Höhe  mit  der  Chaussee 
gleich  jenseits  des  Grabens,  wo  das  Terrain  2  und  mehr  Meter  an- 
steigt, fanden  die  Arbeiter  die  Reste  einer  der  Chaussee  nicht  ganz 
parallelen  Mauer  mit  einigen  Sandsteinquadem,  alten  Bauschutt  mit 
Säulchen  aus  runden  rothen  Backsteinen  und  entsprechenden  Deck- 
platten, sowie  Mauer-  oder  Wandreste  mit  farbigem  Verputz  und 
endlich  hinter  den  Resten  einer  zweiten  parallelen  Mauer  einen 
Mosaikfussboden. 

Die  schweren  Hacken  waren  zuerst  in  den  Boden  eingedrungen 
und  hatten   einige  der  kleinen   regelmässigen  Steinwürfel  losgelöst, 


Prof.  0.  Kohl:  Vorläufige  Mittlieilung  über  ein  römisches  Mosaik  etc.  103 

von  denen  je  11  einer  Länge  von  10  Centimetem  entsprachen.  Sie 
waren  in  eine  Betonschicht  von  etwa  10  ctm  Dicke  eingelassen, 
die  eine  feste  Unterlage  von  Sandstein  brocken  hatte,  wie  sie  beim 
Behanen  der  Quadern  abgefallen  sein  mochten.  Die  schwarzen 
Mosaikwürfel  sind  Natursteine,  die  rothen  und  weissen  anscheinend 
künstliche  Steine.  Nachdem  die  Arbeiter  das  Mosaik  als  solches 
erkannt  hatten,  gingen  sie  sehr  vorsichtig  zu  Werke,  und  von 
dem  Besitzer  H.  Aug.  Henke  wurden  zwei  Vorstandsmitglieder 
des  Antiquarisch  -  historischen  Vereins,  Herr  Bauunternehmer  J. 
Henke  und  der  Unterzeichnete  von  dem  Funde  freundlich  be- 
nachrichtigt. Das  Ornamentmosaik  von  etwa  4  m  Länge  und 
2,5  Breite  schien  ein  in  sieh  abgeschlossener  Fussboden  zu  sein, 
und  der  Verein  erhielt  die  gütige  Erlaubniss,  denselben  wegzu- 
nehmen mid  in  sein  Museum  zu  bringen.  Beim  weiteren  Aus- 
schachten und  DntersQchen  aber  ergab  sich,  dass  diese  Fläche  nur 
der  Vorplatz  oder  Ausbau  eines  bedeutend  grösseren  Mosaiks  ^ar. 
Jetzt  beschloss  der  Besitzer,  das  beabsichtigte  Wohnhans  an  einer 
andern  Stelle  zu  errichten,  den  ganzen  Mosaikfussboden  bioszulegen, 
mit  einer  Halle,  wie  in  Nennig,  zu  überbauen  und  gegen  Eintritts- 
geld dem  Publikum  zum  Betrachten  zugiänglich  zu  machen.  Dem- 
entsprechend nahm  auch  der  Verein  das  ihm  überlassene  Stück  nicht 
weg.  Wegen  des  ungünstigen  Wetters  wurden  die  Nachgrabnngen 
nur  3  Tage  fortgesetzt,  bis  einige  Bilder  erkannt  waren  und  die 
ganze  Ausdehnung  sich  bemessen  Hess;  dann  wurde  der  möglichst 
sauber  gebüretete  Boden  photographirt  und  das  Ganze  unter  Auf- 
sieht der  zwei  Vorstandsmitglieder  sorgfältig  mit  Tüchern,  Stroh, 
Brettern  und  Erde  wieder  zugedeckt;  rundum  wurde  eine  Bretter- 
wand zur  Absperrung  aufgeschlagen. 

Der  Vorplatz  a  b  c  h  misst  3,8  m  auf  2,34  m,  und  innerhalb 
der  schwarzen  Einfassung  von  meist  0,11  Breite  folgen  nach  innen 
zu  rings  ein  grauer  Rand  von  0,12,  ein  weisser  von  0,03  und  ein 
schwarzer  von  0,02  m  Breite,  bis  dann  der  so  eingeschlossene  mitt- 
lere Raum  £  f  ^  d  3,2  ni  auf  1,8  m  in  weissem  Grunde  60  sog. 
„Sichelräder",  je  10  in  6  Reihen,  wie  sie  die  Figur  Seite  3  zeigt, 
d.  h.  ornamentale  Weiterbildungen  des  uralten.  Glück  bringenden 
Symbols  des  „Hakenkreuzes"  (Svastica)  enthält,  je  ein  Kreuzband 
mit  rings  vier  asiatischen  Schilden  vereint,  wie  in  Wilmowsky  und 
Hettner  „Rom.  Mosaiken  aus  Trier  u.  d.  ü."  Taf.  VH  2  und  HI  2. 
Dass  die  Kombination  eigentlich  nicht  ans  asiatischen  Schilden  nnd 


104  Prof.   O.  Kohl: 

dem  Kreuzband  aneinander  gesetzt  ist;  sondern  ans  zwei  Doppel- 
sicheln, über  deren  Mitte  das  Kreuzband  eingelegt  ist,  lehrt  meiner 
Meinung  nach  das  selbstständige  Vorkommen  dieser  Form,  wie  z.  B. 
auf  Taf.  V  jedes  Sichelrad  fttr  sich  in  einem  besonderen  Viereck 
eingeschlossen  ist.  Bei  einer  Zusammenstellnng  mehrerer  Sichelräder 
sind  die  übrig  bleibenden  grösseren  weissen  Felder  mit  einem 
farbigen  Stern  verziert.  Die  Stellung  der  Sichelräder,  die  Spitzen 
nach  links  oder  rechts  gewendet,  wechselt  von  links  nach  rechts 
und  von  oben  nach  unten.  Ebenso  die  Farbe,  indem  von  Aussen 
nach  Innen  zu  die  einen  schwarz,  dunkelroth,  gelbroth,  weiss,  die 
anderen  schwarz,  grünlich-grau,  grau,  weiss  zeigen.  Bei  allen  aber 
sind  die  Zwickel  roth  und  die  Kreuze  an  den  Enden  schwarz. 
In  Bezug  auf  die  Abwechslung  der  Farben  und  die  Ausgestaltung 
der  Endspitzen  und  Sterne  hält  also  das  Kreuznacher  Mosaik  die  Mitte 
zwischen  dem  reicheren  von  Trier  VII,  2  und  dem  einfacheren  III,  2. 
Eigenthümlich  steht  es  mit  der  schwarzen  Einfassung«  An  den 
Schmalseiten  ist  sie  0,11  m  breit,  an  der  äusseren  Seite  a  b  a  /3  nur 
0,07  m,  und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dass  die  jetzigen  Arbeiter 
beim  Aufdecken  und  Abräumen  genau  4  Centimeter  abgestossen 
hätten.  Auch  auf  der  entgegengesetzten  Breitseite  y  d  findet  sich 
eine  Abweichung  in  der  schwarzen  Einfassung,  welche  das  Auge 
unangenehm  berührt.  Bei  y  ist  nämlich  der  schwai-ze  Rand  0,11, 
bei  d  aber  0,13  m  breit,  und  zwar  offenbar  desshalb,  weil  den  rö- 
mischen Mosaikarbeitern  der  jenseits  liegende  grosse  Blumenfries 
ungleich  gerathen  war,  bei  y  oder  c  0,48,  bei  h  oder  6  nur  0,46. 
Dem  entsprechend  misst  auch  der  breite  schwarze  Rand,  welcher 
den  grossen  Mosaikboden  umgibt,  und  in  welchen  sich  der  Vorplatz 
in  der  Mitte  6  Centimeter  weit  einschiebt,  bei  c  0,17  und  bei  h  0,20. 


Dass   übrigens   a  b  c  h  Vorplatz,   bezw.  Eingang  gewesen  ist, 
könnte  zweifelhaft  sein  nach  der  Angabe  der  Arbeiter,  welche  meinten, 


Vorläufige  Mittheilung  über  ein  römisches  Mosaik  bei  Kreuznach.  105 

auf  der  Mauer  habe  sich  keine  Thürschwelle  und  keine  Thürpfosten- 
steine  gezeigt;  es  lagen  aber  noch  zwei  Quadern  da.  Sicher  be- 
fanden sich  zwischen  b  und  c  zwei  Quadern  ^  welche  mit  ihren 
Einschnitten  auf  eine  Thtlr  schliessen  lassen;  es  war  dies  die  Ver- 
bindungsthflre  zwischen  dem  Mosaikvorplatz  und  dem  Hypokaustum ; 
ob  in  der  Abschlussmauer  nach  der  Chaussee  zu  Spuren  auf  eine 
Thüre  gewiesen  ^  vermochten  die  Arbeiter  nicht  mehr  zu  sagen. 
Auch  ob  die  Säulchen  des  Hypokaustum  ebenfalls  zwischen  b  und  der 
Abschlussmauer,  bezw.  der  Chaussee  oder  nur  in  der  Ecke  b  c  d 
gefunden  waren,  liess  sich  nicht  mehr  ganz  sicher  feststellen.  Ganz 
nahe  auf  der  Westseite  wurde  noch  ein  kurzer  Kanal  aufgedeckt, 
welcher  entweder  hcisse  Luft  oder  Wasser  zuführte  oder  seitwäiis 
Wasser  ableitete.  Die  Mauer  zwischen  a  und  h  zeigt  auf  der  Seite 
nach  dem  Mosaikvorplatz  bunten  Verputz,  lieber  den  Kanal  und 
tlber  die  von  a  und  b  ausgehenden  Mauern  lässt  sich  im  Frühjahr 
Bestimmteres  ermitteln. 

Nun  zurück  zu  dem  grossen  Mosaikfeld !  Jenseits  der  schwarzen 
Einfassung  war  ein  0,46  oder  0,48  breites  Band  zum  Vorschein 
gekommen,  welches  auf  beiden  Seiten  von  aussen  nach  innen  durch 
einen  weissen  (0,03)  und  einen  schwarzen  (0,02)  Streifen  eingefasst 
war  imd  in  dem  mittleren  weissen  Grunde  Blumenranken  in  schwarzer, 
rother  und  gelblicher  Farbe  zeigte.  Jenseits  der  Mitte  des  Vor- 
platzes war,  wie  es  von  ab  aus  schien,  eine  dreiblätterige  Blume 
als  Mittelstück  eingesetzt,  von  der  die  Ranken  nach  rechts  und  links 
liefen;  allein  es  ist,  wenn  man  von  dem  Mittelstttck  0  aus  blickt,  ein 
Kelch.  Weiter  jenseits  dieses  Blumenfrieses  und  einer  Bandborte, 
welche  zwei  in  Bogen  durch  einander  fortlaufende  Bandstreifen 
(schwarz,  roth,  gelblich-roth,  weiss,  schwarz,  0,11  m  breit),  wie  auf 
dem  Trierer  Mosaik  III,  1  enthält,  zeigten  sich  endlich  in  einem 
von  der  Bandborte  rechts  und  links  begrenzten  Rahmen  (A  1,45  m 
breit)  zwei  Beine  und  schliesslich  zwei  Gladiatoren.  Der  nach  oben 
in  einen  unvollständigen  Halbkreis  oder  gedrückten  Bogen  endigende 
Umfassungsrahmen  von  0,19  Breite  enthält  in  der  Mitte  ein  schwarz- 
roth-weiss-roth-schwarzes  Band,  0,08  m  zwischen  je  einem  schwarzen 
Zackenrand  und  aussen  noch  einen  weissen  Rand.  Das  Figurenfeld 
nun  ist  unten  1,08  m  breit  und  0,92  m  hoch  und  weist  unten  einen 
schwarzen  Rand  als  Fussboden  auf,  während  das  übrige  aus  weissen 
Steinchen  zusammengesetzt  ist.  Die  zwei  dastehenden  Gladiatoren 
(0,70  m  hoch)  erinnerten  mich  sofort  lebhaft   an  die  2  Gladiatoren 


106  Prof.   0.    Kohl: 

retiarius  und  secutor  ^)  in  dem  grössten  Bilde  des  Nenniger  Mosaiks. 
Der  Lanista  aber  in  der  Mitte  fehlt,  und  die  Personen  sind  von  der 
entgegengesetzten  Seite,  der  eine  von  hinten,  der  andere  von  vorn, 
dargestellt,  aueh  ist  die  Kleidung  nicht  ganz  dieselbe;  endlich  ist 
die  Bewegung  des  Angreifers  lebhafter  und  die  ganze  Seene,  da  die 
beiden  Kämpfer  einander  näher  stehen,  noch  spannender.  Wenn 
die  Kreuznacher  Gladiatoren  gedioingenere  Proportionen  haben  als 
die  schlanken  Nenniger  in  der  W  i  1  m  o  w  s  k  y '  sehen  Nachbildung, 
so  braucht  dies  nicht  im  Verhältniss  zu  den  Originalen  zu  gelten 
(Meyer  und  H  e  1 1  n  e  r  in  der  Westd.  Zeitschr.  I,  154).  Der  hiesige 
retiarius  ist  um  die  Hüften  besser  bekleidet  als  der  betreffende  in 
Nennig;  sein  linker  Arm  ist  stark  bandagirt,  aus  dem  linken  Schulter- 
polster ragt  ein  gebogenes  Blech  von  grünlicher  Farbe,  galerus, 
hervor,  hinter  welchem  er  seinen  Kopf  verbirgt.  Er  wendet  uns 
den  Rücken  zu;  die  linke  Hand  ist  links  vorgestreckt,  der  rechte 
nackte  Oberarm  nach  rechts  oben  gestreckt,  und  die  rechte  Hand 
hält  eine  Lanze,  deren  Schaftende  rechts  sichtbar  ist.  Das  gewiss 
dreizackige  andere  Ende  vor  der  linken  Hand  und  diese  selbst  ist 
nicht  mehr  zu  erkennen,  weil  da  eine  schwarz  gefärbte  Brandstelle 
sich  befindet,  entstanden  jedenfalls  durch  glühende  Balken,  welche 
bei  der  Zeratörung  herunter  gefallen  waren.  Ebenso  wenig  kann 
man  erkennen,  was  der  secutor  in  seiner  nach  rechts  unten  vorge- 
streckten Hand  hielt;  kurz  aber  muss  der  Dolch  oder  das  Sichel- 
messer gewesen  sein.  Der  secutor  hat  den  rechten  Arm  und  beide 
Beine  bekleidet  und  mit  bunten  Streifen  umwickelt,  auf  dem  Kopf 
trägt  er  einen  Helm.  Die  Brandstellen  an  demselben  Hessen  nicht 
deutlich  erkennen,  welches  die  Fonn  war,  und  ob  etwa  ein  schwarzes 
Netz  darüber  geworfen  sein  sollte.  Letzteres  ist  allerdings  nicht 
wahrscheinlich,  da  die  schwarzen  Stellen  von  dem  Helm  aus  nach 
oben  und  nach  den  Seiten,  aber  nicht  nach  unten  gehen.  Seine 
linke  Seite  schützt  der  secutor  mit  dem  viereckigen,  länglichen,  ge- 
bogeneu Schilde.  Der  retiarius  aber  will  nicht,  wie  Wilmowsky 
in  seiner  sonst  so  feinsinnigen  Erklärung  meint,  den  Schild  des  se- 
cutor aufheben,  um  mit  dem  Dolche  nachznstossen,  sondern,  da  der 
secutor   oben   durch  den   Schild  gedeckt  war,   wollte  er  denselben 


1)  P.  J.  Meyer.  Westd.  Z.  I,  160.  Wilmowsky  (Die  Römische 
Villa  zu  Nennig,  Winckelmannprogramm  1865)  nannte  ihn  noch  mur- 
miilo, 


V )     rläufige  Mittheilung  über  ein  römisches  Mosaik  bei  Kreuznach.  107 

ins  Knie  stossen,  aber  rechtzeitig  hat  der  secutor  noeh  seinen  Schild 
hemntergerUckt,  so  dass  zwar  seine  Schulter  frei  wird,  aber  der 
das  Bein  bedrohende  Stoss  doch  aufgefangen  ist.  Im  nächsten 
Moment  wird  der  secutor  mit  leichter  Rechtsdrehung  dem  retiarius 
seinen  Dolch  in  die  Seite  oder  den  Rücken  zu  stossen  versuchen. 
Weiter  als  bis  zum  inneren  Rande  dieses  Bildes  wurde  nicht 
gegraben.  Rechts  und  links  des  Mittelbildes  waren  einander  gleiche 
Trapeze  (N.  3. 4. 1. 2)  mit  je  zwei  wiederkehrenden  Mustern  von  Ara- 
besken in  schwarzer  und  rother  Farbe  auf  weissem  Grunde  herausge- 
kommen ;  xmd  hinter  diesen  je  ein  Rahmen  gleich  dem  zuerst  aufge- 
deckten. In  dem  linken  (H)  zeigte  sich  rechts  ein  auf  die  Hinterfiisse 
gesunkener  Stier,  aus  dessen  Rücken  ein  Speer  herausragte  und  ein 
Blntstrahl  aufspritzte.  Worauf  er  seine  VorderfÖsse  stützte,  war 
wegen  einer  Brandstelle  nicht  ganz  klar.  Mir  schien  es  ein  Schild 
zu  sein;  denn  dem  entsprach  die  Haltung  des  vor  dem  Stiere  ste- 
henden bestiarius,  welcher  den  linken  Arm  nach  unten  dem  Stiere 
zu  gesenkt  hatte,  während  er  mit  dem  rechten  ausholte  zum  letzten 
Stoss.  Mit  welcher  Waffe,  ob  mit  einer  zweiten  Lanze  oder  mit 
einem  Dolch  konnte  nicht  untersucht  werden,  da  das  überhängende 
Erdreich  nachzustürzen  drohte.  Im  Rahmen  rechts  (B)  wurden  nur 
noch  2  menschliche  FtLsse  sichtbar.  Endlich  wurden  noch  rechts 
und  links  die  in  gleicher  Basis  mit  dem  mittleren  Figurenbilde 
stehenden  Eckrahmen  angebrochen;  im  linken  (J)  sah  man  den 
Kopf  eines  Hirsches  und  eines  wilden  Thieres  (Bären?),  ähnlich 
dem  Löwen  mit  dem  Eselskopf  oder  dem  Tiger  mit  dem  Waldesel 
auf  dem  Nenniger  Mosaik,  und  im  rechten  (K)  sah  man  den  Kopf 
eines  Panthers  oder  Leoparden.  Der  Rahmen  des  linken  Fignren- 
bildes  H  und  des  rechten  B  hat  übrigens  nach  innen  zu  in  schwarzem 
Grunde  ein  eckiges  Doppelmäanderband,  dunkelgrau  (oder  grOngrau), 
hellgrau,  weiss  und  dunkelroth,  hellroth  (oder  gelbroth),  weiss,  von 
H  et  tu  er  das  missverstandene  Mäanderband  genannt,  ganz  gleich 
—7  dem  Trierschen  VII,  1,  nach   aussen  in  einem  vier 

_  UL  Li  Steinchen  breiten  Bande  weisse  Zacken  in  schwarzen 
—  '''''  Grund  hinein  (bezw.  auch  umgekehrt)  und  endlich, 
wie  der  Rahmen  von  A  den  weissen  Aussenrand. 

Ein  weiteres  Bioslegen  der  Bilder  war  augenblicklich  unthun- 
lieh,  weil  schon  die  bisher  erkannten  Theile  des  Bildes  nicht  frei, 
sondern  in  Höhlungen  unter  dem  überhängenden  Erdreich  lagen,  und 
weil  die  Witterung  ungünstig  war.    Inzwischen  wurde  von  obeo 


108  Prof.   0.   Kohl: 

Erdreich  abgehoben  und  fortgefahren,  so  dass  im  Frühjahr  die  Weg- 
ränmung  der  Decke  leichter  sein  wird.  Der  Bauschutt  lag  etwa 
einen  halben  Meter  hoch,  dann  2 — 3  Meter  der  vom  Agnesienberg 
in  13 — 15  Jahrhunderten  nachgeratschte  Lehmboden. 

Auch  auf  die  Durchziehung  eines  Orientirungsgrabens  musste 
aus  den  angeführten  Gründen  verzichtet  werden,  und  die  wissen- 
schaftliche Neugier  musste  hinter  der  Sorge  für  die  Erhaltung  zurück- 
treten. Die  Maasse  aber  von  den  aufgedeckten  Theilen,  deren  Auf- 
nahme durch  Regenwetter  sehr  erschwert  wurde,  erlaubten  mir 
doch  einen  Plan  des  ganzen  Mosaikiussbodens  zu  entwerfen.  Da 
die  Achsen  der  3  Figurenbilder  A,  B,  H  in  Winkeln  von  45  Grad 
zusammenlaufen,  so  müssen  es  im  Ganzen  8  Figurenbilder  ge- 
wesen sein,  und  da  B  und  H  dieselben,  von  A  abweichenden 
Rahmenverzierungen  haben,  so  gibt  es  wahrscheinlich  rings  herum 
nur  2  Verzierungen,  welche  an  den  ungeraden  und  den  geraden 
Stellen  wechseln.  Die  vom  gefundenen  2  arabeskenartigen  Aus- 
füllungen der  Trapeze,  deren  es  16  sein  müssen,  kehren  wohl  alle 
wieder;  möglicherweise  könnte  aber  jede  oder  könnten  zwei  gegen- 
überliegende Seiten  eine  besondere  Füllung  der  Trapeze  haben.  Die 
vier  Eckbilder  J,  K,  L,  M  müssen  quadratisch  und  verhältnissmässig 
klein  angesetzt  werden.  Weder  bis  n,  noch  bis  o  ist  gegraben 
worden,  aber  es  musste  eine  wunderbare  Zerstörung  stattgefunden 
haben,  wenn  das  bei  d  erscheinende  Ende  des  Mosaiks  nicht  wirk- 
lich das  Ende  in  der  Richtung  g  h  c  d  sein  sollte;  auch  würde 
die  Ausfüllung  des  das  ganze  Quadrat  zum  Oblong  ergänzenden 
Raumes  niisslich  gewesen  sein  ohne  Schädigung  des  harmonischen 
Aussehens.  Der  äussere  Abschluss  des  Mittelstücks  0  muss  rund  sein. 
Denn  da  überall  die  Bandborte  zwischen  den  Bildern  durchgeht, 
muss  sie  auch  über  den  rund  abschliessenden  Figurenrahmen  hin- 
gehen ;  und  wenn  man  die  Wahl  zwischen  dreiseitigen  Zwickeln  hat, 
welche  zwei  Bogenlinien  und  eine  gerade  Linie,  und  solchen,  welche 
drei  einander  &nt«prechende  Bogenlinien  haben  sollen,  kann  die 
Wahl  weder  für  die  damaligen  Entwerfer  des  Mosaiks  noch  für  die 
heutigen  Nachbildner  zweifelhaft  sein.  Ob  der  äussere  Kreisbogen 
des  Mittelfeldes  auch  von  der  Bandborte  ausgefüllt  ist,  könnte  eher 
fraglich  erscheinen.  Innerhalb  desselben  kann  ein  Oktogon  eingesetzt 
gewesen  sein.  Zu  einem  kleinen  Bassin  mit  Springbrunnen  ist  der 
2,04  m  im  Durchmesser  fassende  Kreis  nicht  zu  klein;  auch  das 
Nenniger    Quadrat,    welches    ein    achteckiges    Becken     enthielt, 


Vorläufige  Mittheilung  über  ein  rbmisches  Mosaik  bei  Kreuznach.   109 

misst  nicht  mehr  als  2,2  Meter;  ebensowohl  kann  aber  wie  bei 
dem  einen  Trierer  Mosaik  (B.  J.  1866)  und  dem  Nenniger 
ein  grösseres  Figurenhild  die  Mitte  ausfüllen;  ein  blosses  Orna- 
ment, wie  auf  dem  Kölnischen  vom  Griechenmarkt  (B.  J.  1866) 
würde  den  belebten  12  Arenasccuen  des  Umkreises  nicht  genügen. 
Nach  der  Art  der  aufgedeckten  5  Bilder  müssen  die  andein  7 
ähnlich  sein,  und  es  gehört  unser  Mosaik,  wie  das  Neuniger,  zu 
dem  Genre,  welches  die  bei  den  Römern  so  beliebten  Thier-  und 
Gladiatorenkämpfe  darstellte.  Dieser  Geschmack  stimmte  zu  einem 
kleinen  Gamisonorte,  wie  es  Cruciniacum  war,  auch  mehr  als  der, 
welcher  sich  in  den  Musen-  und  Philosophenfriesen  der  grossen  Kultur- 
städte  Trier  und   Köln  ausspricht. 

Jenseit  der  nördlichen  Grenzlinie  e  f  wird  wohl  ein  Vorplatz, 
wie  an  der  südlichen  Grenzlinie,  angegrenzt  haben;  ob  auch  rechts 
und  links,  seheint  sehr  zweifelhaft.  Der  Eingang  hat,  wenn  die 
jetzigen  Arbeiter  richtig  die  Südmauer  beurtheilt  haben,  von  Norden 
aus  herein  geftihrt.  Hierüber,  sowie  über  die  jenseits  zur  nächsten 
Backsteinbrennerei  sich  hinziehende  Villenanlage  wird  die  Aus- 
grabung des  Frühjahrs  Aufschlnss  geben,  die  unter  Leitung  des  ge- 
nannten NeflFen  des  Besitzers  erfolgt,  welcher  Vorstandsmitglied  des 
A.-H.  Vereines  ist  und  selbst  eine  werthvoUe  Sammlung  römischer 
AlterthHmer  sich  zusammengestellt  hat.  Die  Villa,  zu  der  ein  so 
bedeutender  Mosaikfassboden  gehörte,  muss  selbst  umfangreich  und 
die  eines  sehr  wohlhabenden  Mannes  gewesen  sein.  Zwischen  ihr 
und  der  Nahe,  jenseits  deren  das  Kastell  lag,  befand  sich  nach- 
weislich noch  eine  Villa  am  Kauzenberg  und  naheabwärts  in  etwas 
weiterer  Entfernung  vom  Flusse,  auf  der  Höhe  des  ^hungrigen 
Wolfes^,  eine  dritte  bedeutende. 

Die  Aehnlichkeit  des  Krenznacher  Mosaiks  mit  dem  Nenniger 
lässt  eine  Nachahmung  oder  ein  verschiedenes  Arbeiten  nach  einem 
gemeinsamen  italienischen  Muster  zu.  Ich  möchte  annehmen,  dass 
das  grössere  Mosaik  in  der  Nähe  der  grossen  Stadt  mit  einem 
kleineren  Mosaik  in  der  Nähe  einer  kleineren  Garnisonstadt  nach- 
geahmt wurde.  Wilmowskys  frühe  Ansetzung  des  Nenniger  Mosaiks 
fUr  die  Regierungszeit  Trajans  oder  Hadrians  ist  von  F.  Hettner  (Text- 
heft zu  Wilmowsky:  Römische  Mosaiken  aus  Trier  u.  d.  ü.  1888) 
treffend  zurückgewiesen  worden.  Wenn  Hettner  das  Nenniger 
Mosaik  in  die  Zeit  200 — 250  setzt,  so  würde  das  Kreuznacher  Mo- 
saik, welches  die  Kampfscenen  des  Nenniger  nachahmt,  in  dieselbe 


110  Prof.  0.  Sohl:  Vorläufige  Mittheilung  über  ein  römisches  Mosaik  etc. 

oder  eine  etwas  spätere  Zeit  zu  rücken  sein.  Wenn  Hettner 
andererseits  das  Mosaik  mit  dem  „missverstandenen  Mäander^  YII^  1 
in  die  Zeit  unter  Constantin  oder  später  setzt,  so  würde  das  Kreuz- 
nacher Mosaik,  welches  dieselbe  Randyerzierung  enthält,  auch  so 
spät  fallen.  Nun  ist  aber  in  der  sonst  so  lehrreichen  Schrift  nicht 
nachgewiesen,  von  wann  bestimmt  dieses  „missverstandene  Mäander- 
band^  aufkommt,  wenn  auch  diese  verfehlte  Umbildung  offenbar 
eine  spätere  ist.  So  möchte  ich  vorläufig  eine  gewisse  Mitte  ein- 
halten und  das  Ereuznacher  Mosaik  der  Zeit  250 — 300  zuweisen 
und  ans  allgemeinen  Gründen  besonders  an  die  Regierung  des  Gon- 
stantius  Chlorus  und  den  Regierungsanfang  seines  Sohnes  in  Trier 
denken.  Die  Zeit  der  Zerstörung  werden  hoffentlich  Münzfnnde  klar 
stellen. 

Der  Raum,  in  welchem  sich  der  Mosaikfussboden  befand, 
war  gewiss  ein  Oesellschaftsraum,  vielleicht  auch  Speisesaal  flir  den 
Sommer.  Die  Seitenwände  und  das  Dach  müssen  leicht  gewesen 
sein;  denn  der  Bauschutt  enthält  keine  Quadersteine,  hat  keine 
starke  2^rstörung  angerichtet  und  liegt  nur  einen  halben  Meter  hoch. 
Von  den  Balken  des  Daches  zeugen  die  Brandstellen  im  Mosaik, 
das,  soweit  ausgegraben,  nur  im  Vorplatz  einige  Löcher  zeigt.  Das 
Lateraner  Mosaik  in  Rom  aus  den  Thermen  Caracallas  mit  Gladia- 
toren umfasst  18  auf  10,6  Meter,  das  N^iniger  15  auf  10,  bezw. 
sein  mittlerer  Theil  11,2  auf  7,5,  das  Darmstädter  ans  Vilbel  7,1 
auf  4,8,  das  Kreuznacher  11,48  oder  9,14  auf  6,8  und  3,8 
Meter,  bezw.  das  Quadrat  allein  6,8  auf  6,8  und  der  mittlere  Theil 
mit  der  Bandborte  5,5  auf  5,5  Meter.  Wenn  also  der  verborgene 
Theil  des  Mosaiks  ebensogut  erhalten  ist,  wie  der  bisher  aufge- 
deckte, so  wird  das  römische  Mosaik  Kreussnachs  zu  den  grösseren 
gehören,  bezw.  das  zweitgrösste  in  Deutschland  sein. 

Kreuznach,  5.  Januar  1894. 

Prof.   0.   KohL 


0.  Kohl:  Weitete  Mittheilung  über  das  römische  Mosaik  b.  Kreuznach.  111 


Weitere  Mittheilung  aber  das  römische  Mosailc  bei  Kreuznach. 

Hierzu  der  nach  den  inzwischen  fortgesetzten  und  vorläufig  ab- 
geschlossenen Ausgrabungen  erweiterte  Plan  auf  Tafel  Vll. 

Nachdem  die  hohe  Erdschicht,  welche  das  Kreuziiacher  Mosaik 
deckte,  nach  Ostern  dieses  Jahres  allmählich  gleichmässig  abgetragen 
war,  wurde  das  letztere  selber  vom  23. — 25.  April  nach  Abschluss 
des  Druckes  obigen  Theiles  dieser  Arbeit  blosgelegt  und  erfüllte 
alle  billigen  Erwartungen,  indem  nur  das  runde  Mittelfeld  und  ein 
Bogenfeld  zu  einem  Drittel,  bez.  zur  Hälfte,  zerstört,  mehrere  Bilder 
wenig,  manche  gar  nicht  beschädigt  waren  und  die  Farben,  wenn 
auch  nicht  ganz  lebhaft,  so  doch  noch  erkennbar  sich  zeigten. 

Der  grosse,  von  der  Bandborte  eingeschlossene  Kaum  mit  den 
E^kquadraten,  den  Bogenfeldem,  den  kleinen  Trapezen  und  dem 
grossen  Kreis  in  der  Mitte  entsprach  genau  dem  nach  d^  ersten 
Angrabung  entworfenen  Plane,  bezw.  dem  grossen  Quadrate  ^»opftf.  — 
Die  zwischen  den  Fignrenbildem  eingeschobenen  16  Trapeze  zeigen 
jetzt  10  verschiedene  Muster,  und  es  ist  anzuerkennen,  mit  welcher 
Geschicklichkeit  die  Erfinder  der  Muster  es  verstanden  haben,  die 
Figuren  innerhalb  der  Trapeze,  Blatt,  Herz,  Kelch,  Leier  u.  a.  mit 
Blumen  und  Ranken,  bez.  Spiralen,  symmetrisch  zu  gestalten  und 
doch  durch  einen  besondem  Ausläufer  nach  der  einen  Seite  hin 
der  ungleichen  Qestalt  des  Trapezes  zu  genügen.  Als  die  römischen 
Mosaikarbeiter  in  Kreuznach  waren,  standen  ihnen  wahrscheinlich  10 
Schablonen  zur  Verfügung,  und  fttr  die  übrigen  6  Trapeze  wiederholten 
sie  Muster  der  ersten  10;  es  ist  nämlich  9  =  5,  10  =  6,  11  =  16, 
12  =  15,  13  ==1,  14  =  2.  Da  das  Rundbild  in  der  Mitte  von  dem 
Omamentvorplatz  aus  zu  betrachten  ist  und  die  Haupteingänge  im 
Norden  und  Osten  lagen,  so  hat  man  wohl  zuerst  15.  16.  1 — 8 
gelegt  und  dann  die  übrigen  durch  Wiederholung  hergestellt.  Doch 
könnten  die  Trapeze  auch  fertig  aus  der  Fabrik  geschickt  sein. 

Die  quadratischen  Eckbilder  unterscheiden  sich  dadurch  von 
den  Rundbogenbildem,  dass  sie  immer  zwei  Thiere  im  Kampf  mit 
einander  darstellen.  Die  Ecken  haben  natürlich  etwas  gelitten  und 
so  laasen  sich  die  Figuren  nicht  mehr  gut  alle  erkennen,  wenigstens 
bei  einem  ersten  Prüfen  nicht;  der  ganze  Boden  muss  erst  noch 
einmal  gründlich  von  allen  anklebenden  Erdtheilchen  gereinigt  wer- 


112  0.  Kohl: 

den.  In  /  ist  ein  Stück  der  Mitte  ausgebrochen;  deutlich  aber 
sieht  man,  wie  ein  Panther  oder  Leopard  einen  Hirsch  mit  6  zacki- 
gem Geweih  durch  einen  Schlag  mit  der  einen  Tatze  auf  den  Hin- 
terschenkel zu  Boden  gedrückt  hat  und  eben  die  andere  Tatze  und 
die  Zähne  des  Rachens  nach  dem  Bug  und  Hals  des  Hirsches  vor- 
streckt. In  K  hat  ein  Panther  oder  Leopard  mit  erhobenem  Schweif 
seine  Vordertatzen  auf  einen  am  Boden  liegenden  Esel  gesetzt.  In 
L  ist  nur  noch  ein  mit  gesenktem  Kopf  stehender  Stier  zu  erkennen, 
an  welchem  vorn  ein  wildes  Thier  sich  erhoben  hat.  In  M  ist  ein 
kleiner  Leopard  oder  ein  ähnliches  Thier  einem  Wildschwein  auf  den 
Rücken  gesprungen.  Die  Bilder  KL  stehen  beide  auf  der  Linie 
0  p,  die  M  l  auf  der  Linie  n  jw. 

Während  diese  Quadrate  nur  Thiere  mit  Thieren  im  Kampfe 
darstellen,  zeigen  sich  in  den  Rundbogenrahmen  Menschen  im  Kampfe 
abwechselnd  mit  Thieren  BDFH  oder  mit  Menschen  ACEG. 
Die  Gladiatoren  bez.  Bestiarii  der  erateren  Reihe  tragen  keine  Kopf- 
bedeckung und  lassen  ein  gelblichrothes,  kurz  gelocktes  Haar  sehen, 
sind  also  als  kriegsgefangene  Germanen  gedacht;  sie  haben  den  linken 
Arm  in  einem  Stulphandschuh,  welcher  bis  auf  die  Schulter  reicht 
und  mit  einem  Riemen  um  die  Bnist  unter  der  rechten  Schulter  her  fest- 
gebunden ist;  an  der  linken  Hand,  die  zum  grösseren  Theil  blos  erscheint, 
hängt  aus  dem  Stulphandschuh  ein  kurzes  Stück  Zeug  herunter,  viel- 
leicht Andeutung  des  Tuches,  welches  sie  den  Thieren  vorhielten; 
weder  Schild  noch  Beinschienen  dienen  als  Schutz;  um  den  Unter- 
schenkel gehen  bunte,  blaue  und  rothe  Bänder,  die  Füsse  stecken  in 
Sandalen,  deren  gekreuzte  schwarze  Riemen  deutlich  gekennzeichnet 
sind.  Ihre  Waffe  ist  die  Lanze.  Der  Bestiarius  auf  B  in  Jacke 
bis  zur  Hüfte  und  in  Hosen  bis  unter  die  Knie  tritt  mit  dem  linken 
Fusse  vor  und  stösst  mit  wenig  erhobener  Lanze  ein  weiss-r5thlich- 
graues,  aufrecht  stehendes  Thier,  welches  durch  die  regelmässigen  dun- 
keln, aus  4  schwarzen  Steinchen  bestehenden  Flecken  als  Leopard  (Pan- 
ther ?)  gekennzeichnet  ist,  und  welches  die  Tatzen  und  den  Rachen  nach 
dem  Menschen  reckt,  in  den  Hals,  aus  welchem  die  Blutstropfen  zur 
Erde  fallen.  Der  Bestiarius  auf  Z>  trägt  eine  weiss-grttnliche  Jacke 
(Conturen  und  Schatten  grün)  bis  oberhalb  der  Hüfte,  dann  erscheint  ein 
weisser  Querstreifen,  nicht  wie  ein  Gürtel,  sondern  wie  ein  Hemd, 
und  die  gelben  Hosen  gehen  darunter  bis  auf  die  Waden ;  die  Hosen- 
beine sind  eigenthümlich  grün  gestickt  auf  dem  Oberschenkel,  ein 
O  mit  einem  Punkt   in  der  Mitte  und  vieren   herum   und  darunter 


Weitere  Mittheilung  über  das  römische  Mosaik  bei  Kreuznach.      113 

ein  Quincnnx  aus  5  Punkten.  Er  stösst  nach  links  vortretend  seine 
Lanze  in  den  Hals  eines  grauen  Ebers,  der  eben  auf  die  Hinter- 
fttsse  sinkt,  seine  borstige  Mähne  sträubt  und  den  Rachen  mit  den 
weissen  Hauern  gegen  den  Menschen  öflfnet;  aus  der  Wunde  tropft 
Blut.  Der  Bestiarius  auf  F  dreht  uns  den  Rücken  zu;  seine  helle 
Tricotjacke  und  -Hose  ist  mit  bunten  Würfelchen  besetzt,  um  den 
Leib  trägt  er  einen  Gürtel;  dem  aufgerichteten  und  plump  auf  ihn 
zufallenden  Bären,  dessen  Kopf  gleiche  Höhe  mit  seiner  Schulter 
hat,  stösst  er  mit  ruhiger  Sicherheit  die  Lanze  in  den  Hals,  aus 
dem  die  Blutstropfen  zu  Boden  fallen.  In  H  ist  der  Stier  in  der 
rechten  Ecke  auf  die  Hinterflisse  gesunken  und  hält  die  Vorderbeine 
gehoben;  der  dunkle  Streifen  unter  denselben  ist  nur  der  Schatten 
(einen  Schild  führen  die  Bestiarii  nicht);  im  blutenden  Rücken 
steckt  die  Lanze.  Ob  der  Bestiarius  in  der  zum  Stoss  oder  Schlag 
ausholenden  Rechten  einen  Dolch  hält  oder  die  Rechte  nur  trium- 
pbirend  ausstreckt,  ist  nicht  deutlich;  an  derselben  hängen  zwei 
Zipfel,  vielleicht  des  Tuches  herunter,  mit  welchem  er  den  Stier 
reizte. 

Auf  dem  Rundbogenrahmen  AGJEG  kämpfen  Gladiatoren  ge- 
gen Gladiatoren.  Wie  auf  A  der  secutor  vom  Spiesse  des  retiarius 
bedroht  wird,  aber  mit  seinem  Dolche  jenen  wohl  gleich  in  die  Seite 
stossen  wird,  ist  im  vorigen  Bericht  ausführlich  dargestellt.  Das  Bild 
C  zeigt  uns  den  letzten  Moment  eines  Kampfes  zwischen  zwei  ziem- 
lich gleich  gerüsteten  Gladiatoren.  Beide  haben  einen  Helm  mit 
vorstehender  crista  und  Visir  gleich  dem  Neapeler  Gladiatorenhelm 
des  H.  Bourguignon  —  der  rechts  ist  allerdings  nur  von  hinten  zu 
sehen  — ,  einen  Koller  bis  auf  die  Oberschenkel,  um  den  ein  breiter 
Gürtel  geht  —  bei  dem  rechts  aus  2  Streifen,  aus  denen  das  Ende 
herunterhängt  — ,  darunter  Hosen  und  Beinschienen  —  bei  dem 
rechts  sind  nackte  Kniekehlen  erkennbar  — ,  endlich  einen  vier- 
eckigen, rundgebogenen  Schild  mit  rundem  Schildbuckel  und  ein 
kurzes  Schwert.  Der  linke  hat  seinen  röthlich-grauen  Schild  ver- 
loren oder  hinter  sich  geworfen;  er  knickt  in  den  Knieen  zusammen, 
das  Schwert  in  seiner  vorgestreckten  Linken  (sie!)  ist  in  der  Mitte 
umgebogen,  also  wohl  beim  Stoss  auf  den  Schild  des  Gegners  (Fried- 
länder, Darst.  II327  „Krumme  sica"),  sein  rechter  vorgestreckter  Arm 
spreizt  die  Finger  mit  erhobenem  Daumen,  um  nach  damaliger  Sitte 
um  Gnade  zu  flehen.  Der  Gladiator  rechts,  welcher  uns  seinen 
breiten  Rücken   zukehrt,  hat,    da   sein  Gegner   wehrlos  ist,    seinen 

Jahrb.  d.  Vor.  v.  Altcrthsfr.  im  Rheinl.  XOV.  y 


114  0.  Kohl: 

linken  Arm  mit  dem  Schild  (grau  mit  rothen  Zacken  von  der  Mitte 
aus)  hoch  nach  links  über  den  Kopf  des  Gegners  erhoben  und  will  eben 
von  rechts  aus  mit  dem  Schwerte  vorstossen,  um  jenem  den  Eest  zu 
geben.  Es  erinnert  diese  Scenelebhaft  an  ein  Wandgemälde  der  Pompe- 
janischen  Arena  (Overbeck  127,  auch  129, 130;  Baumeister  102); 
nur  mussten  hier  die  beiden  einander  gegenübergestellt  werden,  und 
dabei  ist  der  r.  bandagirte  und  der  1.  nackte  Arm  des  einen  vei'wechselt 
worden.  Auf  E  fechten  zwei  sogenannte  Thracier  in  unentschiedenem 
Kampfe  zusammen.  Sie  tragen  runde  Hüte  mit  breiter  Krampe  und, 
wie  es  scheint,  geschlossenem  Visir,  aus  der  obern  Rundung  ragen 
je  zwei  blaue  Streifen  rechts  und  links  wie  Federn  heraus.  Jeder 
ist  in  einen  bis  an  den  Ellenbogen  und  über  die  Oberschenkel 
gehenden  faltigen  Kittel  gekleidet,  welcher  um  die  Hüfte  durch 
einen  nicht  sichtbaren  Gürtel  gerafft  ist  —  der  linke  in  einen  rothen, 
der  rechte  in  einen  gi-ünen  —  und  lange  Hosen,  wie  es  scheint.  Jeder 
hat  einen  kreisrunden  Schild  und  ein  kurzes  Schwert.  Der  linke, 
welcher  ungefähr  seine  Vorderseite  uns  zuwendet,  geht  und  stosst 
mit  dem  quer  vorgehaltenen  Schwert  frisch  voran,  der  rechte,  den 
wir  von  hinten  sehen,  scheint  lauernder  und  vorsichtiger  sich  zu 
wehren  und  seinen  Stoss  vorzubereiten.  Von  Q  ist  nur  der  rechte 
Gladiator  erhalten,  der  uns  den  Rücken  zukehrt.  Derselbe  trägt 
einen  roth  und  schwarzen  Helm  mit  crista,  wie  der  linke  auf  (7,  hat 
wenigstens  am  rechten  Bein  sichtbar  eine  Beinschiene  und  hält  die 
rechte  Hand  am  letzten  Drittel  einer  nach  links  oben  gerichteten 
Lanze,  deren  anderes  Ende  wie  die  linke  Hand  und  der  vordere 
Theil  dieses  Mannes  der  Zerstörung  anheimgefallen  ist.  Him  gegen- 
über müssen  wir  nach  Analogie  der  anderen  Bilder  einen  Gladiator 
annehmen,  sonst  vielleicht  einen  Löwen  wegen  des  Mittelbildes. 

Das  übrig  bleibende  Mittelstück  ist  ein  Kreis  von  2,44  Durch- 
messer. Die  von  mir  früher  angenommene  Bandborte  läuft  aber  ausser- 
halb desselben  und  verschlingt  sich  mit  der  um  die  Bogenrahmen  lau- 
fenden immer  über  den  betr.  Bogen  zu  einer  einzigen.  So  entstehen 
gleichseitige ,  nicht  nur ,  wie  auf  dem  Plan  gezeichnet ,  gleich- 
schenklige Zwickel,  welche  aus  3  äusseren  schwarzen  Dreiecken 
und  einem  mittleren  weissen  Dreieck  zusammengesetzt  sind.  Der 
Rand  des  Kreises  (22  cm)  besteht  von  aussen  nach  innen  gerechnet  aus 
einem  weissen  Streifen,  einem  schwai*zen  runden  Mäander  (12  cm),  einem 
schwarzen  und  weissen  ineinander  greifenden  Zackenrand  von  je 
4  Steinchen  Höhe   und   aus   einem   schwai*zen  Streifen.     Der   nun 


Weitere  Mittheilung  über  das  römische  Mosaik  bei  Kreuznach.      115 

übrig  bleibende  weisse  Kreis  von  2  ni  Dnrchmesser  enthält  Thierc 
ohne  Kampf,  aber  nicht  mit  den  Füssen  auf  dem  Rand  ringsherum, 
so  dass  sie  durch  einen  Umgang  zu  betrachten  wären,  wie  die  ihn 
umgebenden  Bilder,  sondern  sämmtlich  von  dem  Ornamentvor- 
platz her  zu  betrachten;  leider  ist  gerade  der  mittlere  Theil  bis 
zum  oberen  Rande  vollständig  zerstört.  Unten  springt  nach  links 
ein  Stier,  nach  rechts  ein  Wildschwein,  über  letzterem  rechts  steht 
ein  wildes  Thier  (Panther)  mit  langem  auf  der  Erde  ruhendem 
Schweif;  der  nach  links  gerichtete  Kopf  ist  nicht  erhalten.  Weiter 
oben  rechts  steht  ein  Löwe  nach  rechts  gerichtet,  der  seinen  Kopf 
nach  der  Mitte  zurückdreht;  erhalten  ist  nur  dieses  Vordertheil; 
über  diesem  sieht  man  noch  die  Beine  und  das  Kopfende  eines  nach 
rechts  springenden  Hireches  mit  Bockbart.  Links  unten  unmittelbar 
über  dem  Stier  sitzt  ein  Hirsch;  weiter  links  oben  steht  nach  links 
ein  Bär  (Hund?),  welcher  den  Kopf  zur  Mitte  zurückwendet;  über 
diesem  springt  nach  links  ein  Sechsender,  dessen  Vordertheil  er- 
halten ist;  zwischen  beiden  die  schlanken  Hinterfüsse  eines  nach  r. 
springenden  Hirsches  oder  Bockes.  Ueber  dem  Sechsender  links 
oben  im  Rande  ist  eine  offene,  gespreizte  menschliche  Hand  sicht- 
bar, ebenso  wie  unten  unmittelbar  über  dem  Stier  die  2  Füsse 
eines  etwas  nach  links  gerichteten  Menschen,  der  uns  anblicken 
würde.  Das  rechte  Bein  ist  von  unten  bis  zum  Knie  erhalten;  an 
die  Fflsse  dieses  Menschen,  wie  an  die  der  Thiere,  sind  nach  rechts 
(vom  Beschauer  aus)  gehende  Schatten  angehängt.  Da  die  Ent- 
fernung zwischen  den  Füssen  und  der  Hand  (140  cm)  sehr  gross 
ist  im  Verhältniss  zu  den  hcnimstehenden  Thieren,  müssen  wir  wohl 
2  hintereinander  stehende  Menschen  annehmen;  es  sind  die  Wärter 
der  Thiere  oder  die  Menschen,  die  sich  demnächst  im  Kampfe  zeigen 
werden. 

Während  die  Bilder  rings  herum  eine  Steigenmg  des  Affektes 
hervorriefen  durch  Kämpfe  zwischen  Thieren,  zwischen  Menschen 
und  Thieren,  bei  denen  die  Menschen  die  kleinere  oder  grössere  Ge- 
fahr übei-winden,  und  zwischen  Menschen  und  Menschen,  wo  ein  Mensch 
jedenfalls  sein  Leben  verliert,  bietet  das  Mittelbild  mit  einer  Art 
von  Uebereicht  entweder  einen  gewissermassen  beruhigenden  Ab- 
schluss  oder,  wenn  man  es  zuerst  vom  Ornamentvoi-platze  aus  be- 
trachtet, gleichsam  das  Aushängeschild,  bez.  Thiere  und  Menschen  vor 
ihrem  eigentlichen  Auftreten  im  Kampfe,  so  dass  der  Besucher  des 
Saales  nach  diesem  Erwartung  erregenden  Ueberblick  dann  die  ein- 


116  0.  Kohl: 

zelnen  Scenen  betrachten  soll;   schliesslich  kehrt  man  auch  wieder 
zu  diesem  Bilde  zurück. 

Während  nun  der  grosse  Quadratraum  mit  den  einzelnen  Bil- 
dern den  im  December  entworfenen  Plan  rechtfertigt,  ist  allerdings 
die  Einfassung  dieses  Quadrates  nicht,  wie  angenommen  wurde, 
gleichmässig  herumgeführt.  Die  Nordostecke  o  d  wai*  zwar  im 
vorigen  December  zum  Theil  blosgelegt  worden,  allein  der  Boden 
zeigte  hier  Verletzungen,  so  dass  die  an  der  Ecke  eintretende  Ver- 
änderung der  Einfassung  nicht  bemerklich  war.  (Auf  dem  December- 
plan  ist  die  Himmelsrichtung  W.  anstatt  N.  u.  s.  w.  einzusetzen.) 
Während  im  Osten  und  Westen  die  Einfassung  66  cm  breit  ist  und 
von  der  Mitte  aus  gerechnet  wesentlich  aus  einem  breiteren  Blumen- 
rankenstreifen  (aber  mit  verschiedenem  Mitteloniament  im  W.  und  0.) 
und  einem  schmäleren  schwarzen  Streifen  besteht,  ist  im  Norden  und 
Süden  eine  breitere  Einfassung,  nämlich  von  83  cm  Breite,  an- 
gelegt und  nach  Westen  und  Osten  durchgezogen.  Es  sind  also 
auf  dem  neuen  Plan  die  Grenzlinien  de  und  gf  nach  Norden 
und  Süden  entsprechend  hinausgeschoben  worden.  Jene  breitere 
Einfassung  zerfallt  vom  Rande  der  Bandborte  aus  nach  aussen  ge- 
rechnet in  5  Streifen,  3  zu  je  22  cm  Breite,  einen  weissen  von 
3  cm  und  einen  schwaraen  von  14  cm  Breite.  Die  3  ersten  Streifen 
zerfallen  in  Quadrate  von  22  cm  Grundlinie  und  Höhe,  und  zwar 
wechselt  je  ein  weisses  und  ein  schwaraes.  Die  weissen  Quadrate 
enthalten  ein  Bandkreuz  von  je  5  Farben,  bez.  5  Steinchen  Breite ; 
und  zwar  zeigt  das  eine  Bandkreuz  von  aussen  nach  innen  die 
Farben  schwarz,  dunkelgrün,  gelblich-grün,  weiss,  schwarz,  das 
nächste  die  Farben  schwara,  roth,  gelb,  weiss,  schwarz.  Die  schwar- 
zen Quadrate  zeigen  eine  sehr  einfache,  geschmacklose  Veraierung, 
indem  eine  quadratische  Ecke,  bez.  ein  Vierteil  des  ganzen  Qua- 
drates weiss  gehalten  ist.  In  der  nach  dem  Figurenfelde  zu 
liegenden  Reihe  ist  es,  wenn  man  nach  dieser  hinblickt,  die 
Ecke  rechts  oben,  in  der  mittleren  Reihe  die  nach  rechts  unten,  in 
der  äusseren  Reihe  ist  es  wieder  die  nach  rechts  oben,  üebri- 
gens  sind  die  Durchschnittsmaasse  von  22  cm  und  auch  die  gera- 
den Linien  ihrer  Zeit  von  den  Mosaikarbeitern  gar  nicht  genau 
eingehalten  worden.  Die  ganze  Einfassung  ist  also  jedenfalls  erst 
hier  am  Orte  ausgeführt  worden. 

Ausserhalb  des  Mosaikbodens  sind  rings  die  umfassenden  Mauern 
und  noch  50  cm  weiter  der  Boden  freigelegt  worden.  Die  Mauern  waren 


Weitere  Mittheiluag  über  das  römische  Mosaik  hei  Kreuznach.      117 

im  Ganzen  meist  30  bis  60  cm  hoch  erhalten  und  zeigten  an  der  Innen- 
seite in  einzelnen  Stückchen  noch  den  im  vorigen  Bericht  erwähnten 
Verputz  mit  bunter,  hauptsächlich  blauer  Farbe.  Die  Mauer  g  h  ist 
43  cm,  a  A  40  cm,  c  6  50  cm  stark,  die  Mauer  b  a  mit  ihrer  Fortsetzung 
bis  zur  Fortsetzmig  von  f  g  50  cm  stark.  Der  Boden  des  so  gefun- 
denen kleinen  oblongen  Raumes  a  A  gf  =  II  (184  auf  126  lichte  Weite) 
liegt  1  Meter  tiefer  als  der  Mosaikboden  und  ist  nach  innen  etwas 
stärker  ummauert.  Eine  61  cm  breite  Thüre  (zwischen  35  nach  W. 
und  88  nach  0.)  mit  einer  Stufe  führt  von  Süden  in  diesen  Raum, 
von  welchem  aus  der  Mosaikfussboden  und  dessen  ganzer  Saal  ge- 
heizt wurden.  Bei  h  ist  nämlich  die  Innenecke  quer  zugemauert  und 
in  dieser  Quermauerung  eine  38  cm  breite  und  70  cm  hohe  Oefifnung 
gelassen,  welche  noch  alten  Russ  enthält  und  in  den  hohlen  Raum 
unter  dem  Mosaikboden  d  e  f  g  führt.  Dieser  hohle  Raum  ist  unten 
mit  flachen  Backsteinplatten  belegt  und  trägt  ungefilhr  132  (11  auf 
12)  Backsteinsäulchen;  letztere  sind  aus  11  Rjindplatten  von  18  cm 
anfgemauert  —  nur  eine  Reihe  besteht  aus  viereckigen  Säulchen  —  und 
tragen  über  sich  quadratische  Platten,  eine  kleinere  und  eine  grössere, 
letztere  4  cm  dick  und  40  cm  im  Geviert.  Die  Höhe  bis  dahin  beträgt 
58  cm,  darüber  liegen  5  cm  starke  Ziegelsteinplatten,  15  cm  Beton- 
schicht und  1  cm  Mosaik.  Die  Centren  der  Säulchen  stehen  theils  mehr, 
theils  weniger,  ungeföhr  63  cm  von  einander  entfernt,  und  so  gross 
sind  auch  die  Platten;  in  der  Mitte  ist  der  Boden  62  auf  124  cm  durch- 
gebrochen und  sind  3  Säulchen  zerstört.  Von  dem  Hohlraum  gehen 
kleine  Luftschächte  in  der  inneren  Nord-,  West-  und  Südwand  des 
Mosaiksaales  in  die  Höhe,  t  x,  X  fi,  v  f .  Diese  bestehen  aus  den 
üblichen  Hohlziegeln  mit  kleiner  nach  dem  Saale  zu  gehender 
Oefifnung  und  liegen  an  der  Südseite  112  und  334  cm  von  /*,  an 
der  Westseite  24  cm  von  f  und  14  cm  von  e,  an  der  Nordseite  270  cm 
von  e  und  182  cm  von  d. 

Der  Mosaikvorplatz  aßyd  ist  nicht  mit  Heizung  versehen. 
Die  Lage  jener  6  Luftschächte  ist  zum  Theil  durch  die  Thüren 
bedingt. 

Der  Haupteingang  befand  sich  an  der  Nordseite,  unmittelbar 
am  Nordwestende  und  misst  131  cm.  In  demselben  liegt  rechts  und 
links  ein  30,  bez.  36  cm  breiter  Sandstein  mit  einem  Falz  und 
einer  runden  Vertiefung  daran,  in  welcher  offenbar  die  Pfosten  der 
Flügelthüre  sieh  drehten,  während  in  dem  Falz  wohl  noch  eine 
starke   Holzverkleidung   der  Mauer    eingelassen   war.     Ein   zweiter 


118  0.  Kohl: 

Eingang  von  150  cm  befand  sich  in  der  Nordostecke  zwischen  c  und  d 
mit  ebenso  behaaenen  Sandsteinen  rechts  und  links.  Dass  an  dem 
Mosaikvorplatz  b  c  oder  a  b  eine  Thür  gewesen  sei,  verneinen  die 
Arbeiter  entschieden;  es  ist  auch,  da  noch  2  andere  Thtlren,  also 
im  ganzen  4  sicher  sind,  nicht  eine  fünfte  wahrscheinlich,  jeden- 
falls hatten  sich  keine  Thürsteine  mehr  gefunden.  Dagegen  ent- 
hält die  Südwand  2  Eingänge  von  zwei  verechiedenen  Räumen, 
bez.  Zugänge  zu  diesen.  Von  g  geht  nämlich  eine  50  cm  breite 
Mauer  nach  Süden,  es  ist  aber  nicht  die  unmittelbare  Fortsetzung 
der  Mauer  h  gr,  sondern  der  Westrand  der  Mauer  h  g  wird  jetzt 
Ostrand  der  neuen  Mauer. 

Die  östliche  Thüre  der  Wand  f  g  führt  55  cm  von  g  ent- 
fernt in  einer  Breite  von  75  cm  in  einen  62  cm  tiefer  liegenden 
Raum  IXj  und  zwar  ist  hier  der  Boden  und  die  Aussenseite  der  60  cm 
starken  Mauer  g  f  mit  den  üblichen  grossen  und  flachen  Quadrat- 
ziegeln verkleidet  bis  zur  Höhe  des  Mosaikfussbodens,  dann  gingen 
nach  dem  Seitenraum  vorspringende  Ilohlziegeb,  eine  unmittelbar 
neben  der  andern  in  die  Höhe.  Der  Verputz  war  hier  weiss  mit 
rothen  und  schwarzen  Linienverzierungen.  Da  fand  sich  auch  eine 
Kleinbronze  von  Gallien  GALLIENVS  AVG,  Kopf  mit  Strahlenkrone; 
auf  der  Rückseite  scheint  COSIII  (?)  zu  stehen.  Vor  255  also 
ist  die  Villa  nicht  zerstört  worden,  ob  vorher  oder  nachher  ge- 
baut, ist  daraus  nicht  zu  erschliessen.  Der  Thürweg  ist  schräg 
geschnitten  aus  dem  Saal  nach  Südwesten  zu,  und  die  Schwelle 
ist  in  der  Hälfte  nach  dem  Saale  zu  mit  einer  2  cm  dicken  jM!ar- 
morplatte  bedeckt.  Auch  in  massiger  Entfernung  von  f,  102  cm, 
läuft  eine  50  cm  breite  Mauer  nach  Süden,  und  zwischen  dieser 
und  f  ist  noch  eine  82  cm  breite,  ebenfalls  schräg  geschnittene  Thür- 
öfFnung  wahrzunehmen,  welche  zu  dem  Räume  VIII  führt. 

Die  parallelen  Mauern  f  g,  cb  und  e  d  erstreckten  sich  nach 
Osten,  bis  sie  auf  die  querlaufende,  5,15  m  von  a  b  abliegende,  64  cm 
dicke  Abschlussmauer  stiessen,  welche  beim  Ausschachten  im  December 
sogleich  zum  grössten  Theile  ausgehoben  worden  ist,  und  es  wurden 
also  dort  2  längliche  Räume  gebildet,  die  durch  die  Verlänge- 
rung von  c  b  getrennt  wurden,  /F=  r  s  x  y  mit  1,30  auf  7,50  m 
lichter  Weite,  also  nur  Corridor,  und  III  =  t  u  v  w  mit  5,60 
auf  5,15  m  lichter  Weite.  Die  2  Thürsteine ,  welche  nach  mei- 
nem früheren  Bericht  zwischen  c  und  b  gelegen  hätten,  lagen  in 
der  östlichen  Verlängerungsmauer  unmittelbar  jenseit  b  bei  u  und  ent- 


Weitere  Mittheiluug  über  d&s  römische  Mosaik  bei  Ereuzuacb.    119 

hielten  die  Verbindungsthüre  der  zwei  länglichen  Räume.  Diesen 
gegenüber  in  der  östlichen  Verlängerung  von  e  d  zwischen  8  und  ;/ 
lagen  nach  Angabe  der  Arbeiter  zwei  andere  Thürsteine.  In  dem 
Raum  III  zwischen  a  b  und  der  östlichen  Abschlussmauer  hatten 
sich  auch  Backsteinsäulchen  und  Deckplatten  gefunden;  aber  wie 
und  ob  wirklich  dieses  Zimmer  geheizt  wurde,  lässt  sich  nicht  er- 
kennen; die  Ecke  der  Abschlussmauer  bei  v  ist  noch  nicht  blos- 
gelegt,  und  südlich  vor  dem  Heizraum  X  traf  man  auf  Fels,  so 
dass  also  hier  kein  Zimmer,  sondern  ein  freier  Vorplatz  anzunehmen 
ist.  Die  Mauer  g  f  läuft  westlich  über  f  hinaus,  und  ebenso  die 
60  cm  starke  Mauer  f  e  nördlich  über  e  hinaus.  Da  auf  der  West- 
seite dieser  Mauer  wieder  der  blanke  Felsboden  zu  Tage  trat,  wird 
hier  VII  eine  Veranda  vor  dem  Mosaiksaal  anzunehmen  sein,  und  da 
die  Mauer  145  cm  von  e  entfernt  eine  gerade  abschliessende  Lücke 
zeigte,  deren  anderes  Ende  freilich  nicht  mehr  erkennbar  ist,  und 
Thürsteine  fehlen,  so  scheinen  hier,  wie  bei  Nennig,  Fenster  bis 
auf  den  Fussboden  herabgegangen  zu  sein.  Aus  der  Mauer  d  e 
geht  ganz  nahe  bei  d  eine  60  cm  dicke  Mauer  nach  N.,  enthält 
aber  auch  gleich  die  Thüreteine  zu  der  Verbindung  der  zwei  durch 
die  Mauer  getrennten  und  mit  Beton  belegten  Zimmer  VI  und  V. 
Die  Mauern  sind  zumeist  aus  grttnlichem  Sandstein  gebaut,  die 
Thürsteine  bestehen  aus  gelblich-weissem,  festerem  Sandstein.  Die 
Chaussee,  welche  der  Abschlussmauer  ungefähr  parallel  läuft,  fahrt 
nicht  nach  Bosenheim,  wie  auf  dem  ersten  Plane  iiTthümlich  be- 
merkt ist,  senden)  nach  Hüffelsheim. 

Der  Bauschutt  über  dem  ganzen  Mosaik  war  so  hoch  wie  an 
der  im  December  freigelegten  Stelle,  gegen  50  cm,  darüber  bis 
250  cm  Lehm.  In  dem  Bauschutte  fanden  sich  noch  einige  Kno- 
chenreste, namentlich  ein  Stück  eines  Unterschenkels  und  eines  Un- 
terkiefers von  einem  Pferde. 

Der  eigenthümlichste  Fund  war  ein  auf  30  cm  hohem  Bau- 
schutt ttber  dem  unbeschädigten  Bild  C  liegender  gelblich-wcisscr 
Sandsteinblock  von  ursprünglich  92  cm  Breite  und  Länge,  mit  ab- 
gestossenen  Ecken,  und  40  cm  Höhe.  Ueber  der  quadratischen  Grund- 
fläche war  oben  ein  kleineres  Quadrat  parallel  gehauen,  aus  dessen 
Seiten  fast  halbkreisförmige  Bogen  bis  nahe  zum  Rande  der  Grand- 
fläche vorspringen.  In  der  Mitte  dieses  kleineren  Quadrates  l)e- 
flndet  sich  eine  quadratische  Vertiefung  von  36  cm  Breite  und  Länge 
und  10  cm  Tiefe.    War  dieser  Block  eine  Säulenbasis  oder  Altar- 


1 20    0.  R  o  h  1 :  Weitere  Mittheilung  über  das  römische  Mosaik  b.  Kreuznach. 

Untersatz?  Und  wie  kommt  er  an  diese  Stelle?  Als  Altaruntersatz 
wtlrde  er  am  ersten  in  den  westlichen  Vorplatz  passen,  als  Säulen- 
basis in  der  Westwand  zwischen  zwei  hohen  Fenstern  würde  er 
etwas  in  das  Mosaik  hineingeragt  haben.  In  der  Mitte  des  Mosaiks 
ist  eine  Oeffnung  von  62  auf  124  cm  durchgebrochen  oder  von 
Menschen  durchgeschlagen;  das  letztere  nahmen  die  Arbeiter  nach 
der  Bruchfläche  des  Betons  au;  in  dem  Schutt  unten  im  Hohl- 
raum und  darüber  war  kein  schwerer  Stein.  Eine  Säule  zum  Tragen 
des  Daches  mit  so  schwerer  und  breiter  Basis  wird  man  nicht 
auf  die  Mitte  des  Mosaiks,  auf  ein  Bild  gesetzt  haben.  Der 
Block  könnte,  wenn  nicht  durch  Naturgewalt,  später,  aber  vor  dem 
Nachschub  der  Lehmschichten  von  Menschen  aus  einem  anderen 
Räume  zum  Bauen  herübergewälzt  und  dann  wieder  liegen  ge- 
lassen" sein. 

Bei  dem  jetzigen  Messen  der  freigelegten  Fläche  ergab  sich  als 
Ausdehnung  des  Mosaikbodens  ohne  Ornamentvorplatz  von  W  nach  0 
6,72  m  (früher  war  ausgerechnet  6,80  m)  und  von  N  nach  S  7,40  m 
(früher  war  quadratisches  Verhältniss  angenommen),  dazu  der  Oraament- 
voi-platz  2,34  auf  3,80;  im  Ganzen  also  9,06  auf  7,40,  theilweise  nur 
3,80;  überhaupt  58,62  qm.  Bei  dieser  Ausdehnung  und  Bedeutung 
des  Mosaikbodens  erscheint  es  wünschenswerth,  dass  die  Provinz 
oder  der  Staat  in  den  Besitz  der  ganzen  römischen  Villa  käme,  so 
dass  das  Kreuznacher  Mosaik,  wie  das  Nenniger,  mit  einem  ein- 
fachen Gebäude  überdacht,  hier  am  Fundorte,  wo  so  manche  an- 
dere römische  Alterthümer  erhalten  sind,  etwa  unter  Aufsicht  des 
Ant.-hist.  Vereins  erhalten  bliebe. 

Kreuznach,  30.  April  1894. 

Prof,  0.  Kohl. 


8.   Die  Königspfalzen  der  Merowinger  und  Karolinger. 

Von 
Dr.  Konrad  Plath. 

I.  Dispargnm. 


Als  den  ersten  Pfalzort  fränkischer  Könige  finden  wir  Dispar- 
gnm geschichtlich  bezeugt;  Chlojos  Herrschersitz.  Die  Randbemer- 
kung einer  Handschrift  des  Liber  Historiae  Francornm  nennt  Dis- 
pargnm die  „arbs  prima  et  sides  regia  Francorum". 

lieber  die  örtliche  Ansetzung  dieses  berühmten  Ausgangspunktes 
der  kühnen  Eroberungszüge,  die  die  Gründung  des  fränkischen 
Weltreiches,  der  Grundlage  der  modenien  europäischen  Staaten,  zur 
Folge  hatten,  sind  seit  Jahrhunderten  die  Meinungen  der  Forseher 
im  Streit.  Von  den  Abhängen  des  Thüringer  Waldes  bis  hin  zu 
der  Scheide,  von  der  Yssel  bis  zum  Neckar  hat  man  Dispargnm 
gesucht,  und  noch  ist  keine  Einigung  erzielt,  ja  die  Möglichkeit 
der  Feststellung  geradezu  geleugnet  worden.  Die  früheste  Nachricht 
über  Dispargnm ,  auf  der  auch  die  Ortsbestimmung  dieser  Pfalz 
hauptsächlich  beruht,  bietet  eine  Stelle  der  fränkischen  Geschichte 
Gregors  von  Tours  (H,  9;  M.  G.  pag.  77),  auf  die  wir  näher  ein- 
zugehen haben.  Die  sonstigen  Erwähnungen  der  Pfalz  gehen  sämt- 
lich auf  Gregors  Bericht  zurück,  kommen  also  erst  in  zweiter 
Linie  in  Betracht.  Wir  teilen  zunächst  den  Wortlaut  der  Stelle 
Gregors  in  ihrem  vollständigen  Zusammenhange  mit:  „Hanc  nobis 
notitiam  de  Francis  memorati  historici  reliquere  regibus  non  no- 
minatis.  Tradunt  enim  multi,  eosdem  de  Pannonia  fuisse  de- 
gressus  et  primum  quidem  litora  Rheni  omnes  incoluisse,  dehinc, 
transacto  Rheno,  Thoringiam  transmeasse,  ibique  iuxta  pagus  vel 
civitates  regis  crinitos  super  se  creavisse  de  prima  et,  ut  ita  di- 
cam,  nobiliore  suorum  familia.  Quod  postea  probatum  Ghlodovechi 
victuriae  tradcdirunt  itaque  in  sequenti  digerimus.    Nam  et  in  Con- 


122  Dr.   Konrad   Plath: 

solaribus  legimus,  Theudomerem  regem  Francorum,  filium  Ricbimeris 
quondam  et  Ascylam  niatrem  eius  gladio  interfectus.  Fenint  etiam 
tunc  Chlogionem^  utilem  ac  nobilissimum  in  gente  sna^  regem  fuisse 
Francorum,  qui  apnd  Dispargum  eastrum  babitabat,  quod  est  in 
temiinum  Tboriugornm.  In  bis  autem  partibus,  id  est  ad  meridia- 
nam  plagam,  babitabant  Romaui  usque  Ligerem  flavium.  Ultra  Li- 
gerem  vero  Gothi  dominabantur.  Burgundiones  quoque,  Arrianorum 
seetam  scquentes;  babitabant  trans  Rhodanum  quod  adiacit  civitate 
Lugduncnse.  Ghlogio  autem,  missis  exploratoribus  ad  nrbem  Caniar 
racum,  perlustrata  omnia,  ipse  secutus  Romanos  proteret,  civitatcm 
adpraehendit,  in  qua  paucmu  tempus  resedens  usque  Summanam 
fluvium  occupavit.  De  huius  stirpe  quidam  Merowechum  regem 
fuisse  adserunt,  cuius  fuit  filius  Childericus." 

Der  mitgeteilte  Abschnitt  und  besonders  die  auf  Dispargum 
bezttglicben  Worte  gehören  zu  den  meistumstrittenen  Stellen  unserer 
Geschichtsquellen.  Eben  die  weit  von  einander  abweichenden  Deu- 
tungen und  Erläuterungen  jener  Worte  hatten  die  verschiedenen 
Ansetznngen  unseres  Pfalzortes  zur  Folge,  und  die  Unsicherheit 
wurde  noch  dadurch  vermehrt,  dass  die  übrigen  Quellen,  die 
sich  mit  der  Lage  von  Dispargum  beschäftigen,  und  auf  die  wir 
später  zurückkommen  werden,  sich  scheinbar  in  vollem  Gegensatze 
zu  Gregor  befinden. 

Von  der  Erklärung  der  Stelle  Gregors  hat  also  die  Unter- 
suchung auszugehen.  Gelingt  es,  Gregors  Widersprüche  und  Un- 
klarheiten zu  tilgen,  ja  vielleicht  sogar  die  Angaben  der  übrigen 
Schriftsteller  mit  ihm  in  Einklang  zu  bringen,  so  ist  damit  die 
Grandlagc  zur  Lösung  der  Dispargumfrage  gewonnen. 

Wir  glauben  in  der  That,  im  Folgenden  die  Lösung  dieser 
Frage  darbieten  zu  können.  Im  Zusammenhange  damit  ergeben 
sich  dann  zugleich  auch,  wie  es  scheint,  wichtige  neue  Thatsachen 
für  die  Urgeschichte  der  Franken  und  minderer  Stämme. 

Um  den  Standpunkt  zur  Beurteilung  der  Stelle  Gregors  zu 
finden,  müssen  wir  uns  zunächst  ihren  allgemeinen  Zusammenhang 
vergegenwärtigen. 

Gregors  Kenntniss  von  der  älteren  Geschichte  der  Franken 
ist  überaus  gering.  Aber  er  trübt  sich  den  Blick  fQr  die  allge- 
meinen Verhältnisse  dieses  Volkes  ausserdem  noch  dadurch,  dass 
er  sich  von  vornherein  auf  die  Erörterung  einer  Einzelfrage  einlässt, 
die  auf  einen  ziemlich  gleichgültigen  Wortstreit  hinausläuft,  und  die 


Dispargum.  123 

er  schliesslich  nicht  einmal  zu  einem  klai*en  Ergebniss  zu  führen 
beföhigt  ist. 

Er  beginnt  seine  Mitteilmigen  über  die  Geschichte  der  Franken 
nämlich  mit  der  Bemerkung  —  deren  thörichte  Fonn  recht  be- 
zeichnend f&r  Gregor  ist  —  dass  „von  vielen"  (er  gehört  natürlich 
selbst  zu  diesen!)  nicht  gewusst  werde,  wer  der  erste  von  den  Kö- 
nigen der  Franken  gewesen  sei.  Denn  die  Geschichtsschreiber  Sul- 
picius  Alexander  und  Renatus  Profuturus  Frigeridus  erwähnten  nicht 
reges,  sondern  der  erstere  nur  duces  dereelben.  Was  Gregor  wissen 
möchte,  ist  also,  wann  zuerst  der  Königstitel  für  die  fränkischen 
Führer  in  Anwendung  gekommen  sei;  eine  ziemlich  nebensächliche 
Frage,  da  es  jenen  mehr  auf  die  Macht,  als  auf  den  Titel  ankam, 
der  damals  und  .später  auch  ganz  unbedeutenden  Häuptlingen  bei- 
gelegt wm-de,  zu  deren  Entscheidung  aber  auch,  wenn  wir  sie  im 
streng  wissenschaftlichen,  verfassungsgeschichtlichen  Sinne,  als  auf 
die  Entstehung  des  germanischen  Königtums  bei  den  Franken  ge- 
richtet, auffassen,  die  unsicheren  Bezeichnungen  der  römischen  Schrift- 
steller, wie  Gregor  sie  heranzieht,  keine  genügenden  Anhaltspunkte 
bieten.  Nachdem  Gregor  dann  gi'össere  Abschnitte  aus  den  Werken 
der  genannten  beiden  Geschichtsschreiber  mitgeteilt ,  nimmt  er  mit 
unserer  Stelle  den  durch  diese  Auszüge  unterbrochenen  Faden  seiner 
Erörterung  wieder  auf.  Auf  diesen  Zusammenhang  deutet  noch  der 
erste  der  von  uns  angeführten  Sätze  hin.  Der  eigentliche  Zweck 
nämlich,  den  Gregor  in  diesem  Abschnitte  verfolgt,  ist  ursprünglich 
der,  jenen  Quellen  gegenüber  einzelne  Zeugnisse  anzuführen,  in  denen 
fränkische  reges  genannt  werden.  Bei  seiner  Unfähigkeit,  einen 
bestimmten  Gedanken  ohne  Abschweife  und  Nebenbemerkungen  klar 
und  sauber  auszuführen,  hat  er  dann  freilich  andere  Dinge,  die  die 
üebersieht  stören,  damit  verknüpft. 

Der  Fehler  der  Erklärer  lag  nun  darin,  dass  man  unsern  Ab- 
schnitt als  ein  einheitliches  Ganze  auffasste,  während  er  doch  that- 
sächlich  nur  eine  nachlässig  aneinandergereihte  Beispielsammlung  in 
lückenhafter  Auswahl  ist,  die,  um  ihr  den  Schein  des  Zusammen- 
hangs zu  geben,  mangelhaft  und  zum  Theil  sinnlos  verbunden  wurde. 
Vor  allem  aber  ist  zu  beachten,  dass  diese  einzelnen  Zeugnisse  ganz 
verschiedenen  Ursprunges  und  Wertes  sind.  Gregor,  der  diese  Zeug- 
nisse nur  als  Beispiele  für  seinen  Zweck  sammelte,  hatte  zudem  für 
die  selbständige  Bedeutung  dieser  Nachrichten  keinen  Sinn. 

Wir   haben   demnach   das   Gemisch    in   seine   einzelnen   Be- 


124  Dr.    Konrad  Plath: 

standteile  aufzulösen,  nnd  jeden  besonders  und  unabhängig  zu  be- 
trachten. So  schwinden  dann,  wie  mir  scheint,  bei  unbefangener 
üebersetzung,  alle  Schwierigkeiten  von  selbst.  Es  sind,  von  dem 
ersten  Satze  abgesehen,  im  ganzen  acht  Bestandteile,  von  denen 
der  zweite,  ftinfte  und  siebente  enger  zusammengehören  nnd  eine 
eigene  Quelle  von  noch  nicht  genug  erkannter  und  geschätzter 
Wichtigkeit  bilden.  Wir  geben  jedesmal  zuerst  den  Wortlaut  der 
einzelnen  Abschnitte,  dann  seine  Erklärung  und  die  Besprechung 
der  Streitfragen,  die  sich  an  ihn  knüpfen. 


(Tradunt  enim  multi)  eosdem  de  Pannonia  fuisse  degressus. 

Nachdem  Gregor  vorher,  im  Anschluss  an  seine  Vorlagen,  viel 
spätere  Begebenheiten  der  fränkischen  Geschichte  behandelt  hat, 
geht  er  hier,  wo  es  ihm  darum  zu  thun  ist,  Zeugnisse  ftlr  das 
Königthum  bei  den  Franken  zu  sammeln,  auf  die  frühesten  Anßlnge 
des  Stammes  zurück.  Seine  erste  eben  angeführte  Nachricht  frei- 
lich spricht  noch  nicht  von  fränkischen  Königen.  Gregor  berichtet 
hier,  die  Urheimat  der  Franken  sei  Pannonien;  dorther  seien  sie 
gekommen.  Er  beruft  sich  dabei  auf  viele  Gewährsmänner,  ohne 
jedoch  auch  nur  einen  zu  nennen.  Wir  selbst  kennen  ihrer  keinen. 
Gregor  ist  der  einzige,  bei  dem  wir  diese  Angabe  finden,  denn  der 
viel  später  entstandene  Liber  historiae  Francomm,  der  in  ähnlichem 
Zusammenhange  ebenfalls  Pannonien  erwähnt,  hat  diesen  Namen 
offenbar  nnr  von  Gregor  entlehnt.  Man  braucht  nun  wohl  auch  auf 
die  angebliche  Vielheit  der  Zeugen  Gregore  kein  grosses  Gewicht 
zu  legen.  Jedenfalls  wird  man  aber  darauf  gespannt  sein,  den 
eigentlichen  Ursprung  dieser  auffälligen  Nachricht,  die  mit  unserer 
sonstigen  Geschichtskenntniss  völlig  unvereinbar  ist,  zu  erfahren. 
Eine  Gewissheit  darüber  ist  bisher  nicht  erzielt. 

Mehr  als  einmal  ist  Gregors  Bericht  mit  der  sogenannten 
„Trojanerfabel"  in  Verbindung  gebracht  worden,  jener  merkwürdigen, 
von  verschiedenen  Quellen  in  etwas  abweichender  Form  überlieferten 
Erzählung,  nach  der  die  Franken,  troischen  Ureprungs,  nach  der 
Zerstörung  Trojas  die  Vaterstadt  verlassend,  unter  der  Führung 
eines  oder  mehrerer  Könige  aus  dem  alten  ilischen  Herrecherge- 
schlecht  (neben  dem  Könige  Francus,  Francio  oder  Franco,  nach 
dem  das  fahrende  Volk  den  Namen  erhielt,  nennen  einige  Quellen 
dessen  Bruder  Bassus  oder  Vassus)   durch  Europa  nach  Germanien 


Dispargum  125 

gezogen  seien^  and  dort  eine  Stadt,  Sicambria,  nach  anderen  Troja, 
gegründet  hätten.  Gregor  von  Tours,  so  wird  nun  behauptet,  habe 
diese  Einzahlung  gekannt  und  seine  Nachricht  sei  ein  abgeschwächter 
Nachklang  derselben.  Schon  die  ungenannten  Verfasser  der  beiden 
Ausgaben  des  Liber  historiae  Francorum  waren  dieser  Meinung, 
denn  sie  haben  Gregors  Nachricht  in  ihre  Darstellung  der  Trojaner- 
fabel verflochten.  Von  den  Neueren  haben  Müller^)  und  VP'at- 
t  er  ich  2)  die  Angabe  Gregors  auf  die  Trojanerfabel  zurückgeführt, 
und  insbesondere  LoebelP)  hat  es  sich  angelegen  sein  lassen, 
wahrscheinlich  zu  machen,  dass  Gregor  diese  Sage  kannte,  dass  sie 
vor  ihm  bekannt  war.  Gregor  habe  etwa  durch  die  Ableitung  der 
Franken  aus  Pannonien  das  Fabelhafte  der  troischen  Abstammung 
auf  ein  geringeres  Maass  beschränken  wollen. 

Dagegen  hat  schon  Leibniz*)  die  Meinung  geäussert,  Gregor 
kenne  die  Trojanerfabel  noch  nicht,  und  neuerdings  hat  sich  Lüth- 
gen^)  bemüht,  diese  Ansicht  mit  bestimmten  Gründen  zu  beweisen. 

Wir  wollen  uns  hier  nicht  auf  eine  eingehende  Untersuchung 
über  den  Ursprung  von  Gregors  Nachricht  —  der  bei  Lüthgens  An- 
sicht allerdings  völlig  unerklärt  bleibt  —  einlassen;  denn  fUr  die 
schliessliche  Entscheidung  der  uns  hier  beschäftigenden  Frage  nach 
der  Lage  von  Dispargum  würde  diese  Untersuchung  doch  ohne  Bedeu- 
tung sein.  Da  ihr  Ergebniss  indessen  für  unsere  Anschauung  von  der 
Arbeitsweise  Gregors  in  dem  ganzen  uns  vorliegenden  Abschnitt  doch 
von  Wichtigkeit  ist,  —  wodurch  auch  unser  Urteil  über  die  Dispargum 
betreffenden  Sätze  Gregors  wenigstens  mittelbar  beeinflusst  wird  — , 
so  möchten  wir  Lüthgen  gegenüber,  dessen  Beweisführung  uns  nicht 
überzeugend  dünken  will,  doch  bemerken,  dass  es  keineswegs  un- 
möglich erscheint,  dass  die  Erzählung  von  der  troischen  Herkunft 
der   Franken   vor   Gregors   Bemerkung    vorhanden    und    vielleicht 


1)  Müller,   Der  Lex  Salica  etc.  Alter  und  Heimat,  1840,  S.  131. 

2)  Watterich,    die  Germanen  des  Rheins  u.  s.  w.    S.  227. 

3)  L  0  e  b  e  1  r,  Gregor  von  Tom-s,  dritte  Beilage.  Ucber  die  Mei- 
nungen vom  Ursprung  der  Franken.    S.  375,  vgl.  S.  336. 

4)  „Godfridi  Guilelmi  Leibnitii  de  origine  Francorum  disquisitio 
curis  posterioribus  aucta  et  annotatiunculiß  illustrata  a  lo.  Georgio  Ec- 
cardo",  hinter  dessen  „Leges  Francorum  Salicae  et  Rlpuariorum,  1720, 
p.  247—264;  darin  p.  249—50  über  die  Trojanerfabel;  L.  sagt  wenigstens, 
Gregor  erwJlhne  nicht  den  troischen  Ursprung. 

5)  Lüthgen,  Die  Quellen  und  der  Werth  der  fränkischen  Troja- 
sage.    Bonn  1876,  bes.  S.  8—12. 


126  Dr.   Konrad   Plath: 

diesem  bekannt  war.  Denn  die  lateinische  Uebersetzung  der  ur- 
sprflnglich  allerdings  wohl  griechisch  verfassten  Kosmographie 
des  Aethicus,  —  die  nicht,  wie  die  unmassgebliche  üeberschrift  will, 
von  dem  heiligen  Hieronymiis  (331 — 420)  herrührt,  da  ein  fast 
wortliches  Citat  ans  dem  zweiten  Bache  des  Gedichtes  „de  original! 
peccato"  des  AIcimus  Avitus  (ca.  460 — 525)  darin  enthalten  ist, 
dessen  Name  sogar  dabei  genannt  wird,  —  ist,  trotz  der  gegen- 
teiligen Ansicht  von  Krusch^),  nicht  später  als  der  Liber  historiae 
Francorum  und  Isidors  Etymologien,  und  von  beiden  abhängig,  son- 
dern umgekehrt  haben  beide,  wie  eine  genauere  Untersuchung  mir 
zu  beweisen  scheint,  aus  der  lateinischen  Bearbeitung  des  Aethicus 
geschöpft,  wobei  Isidor  die  so  erhaltenen  Nachrichten  hauptsächlich 
aus  Solinus  ergänzte.  Ebenso  wenig  gewiss  scheint  mir  die  an- 
gebliche Abhängigkeit  des  Aethicus  von  der  verioren  gegangenen 
Gothcngeschichte  des  Cassiodor,  die  RtthP)  erwiesen  zu  haben  be- 
hauptet. Betrachten  wir  nämlich  die  Stelle  seiner  früheren  Schrift^), 
auf  die  er  verweist,  so  hat  er  dort  vielmehr  Trogus  als  die  Urquelle 
mancher  Angaben  des  Aethicus  hingestellt,  und  nur  als  eine  ihm 
wahrscheinlich  dünkende  Vermutung  ausgesprochen,  dass  der  Ver- 
fasser der  Kosmographie  die  auf  Trogus  zurückgehenden  Nach- 
richten durch  die  Vermittelung  des  Cassiodor  überkommen  habe, 
aber  einen  Beweis  daftlr  nicht  angetreten,  geschweige  denn  erbracht. 
So  würde  denn  die  Herstellung  der  lateinischen  Bearbeitung  des 
Aethicus  sicher  in  die  Zeit  vor  der  Abfassung  der  Etymologien  des 
Isidor  (f  636)  fallen;  sie  kann  aber  lange  vor  diesem  Zeitpunkt 
erfolgt  sein  und  rührt  vielleicht  aus  jener  regen  Uebersetzungs- 
thätigkeit  aus  dem  Griechischen  ins  Lateinische  her,  die  wir  zur  Zeit 
Cassiodors  und  unter  seiner  eifrigen  Förderung  bemerken.  Gerade 
er  verwies  ja  auf  die  Notwendigkeit  des  geographischen  Studiums 
der  Mönche.  Die  Trojanerfabel  aber,  die  eben  in  jener  lateinischen 
Bearbeitung  des  Aethicus  enthalten  ist,  war  gewiss  geraume  Zeit 
vor  dieser  vorhanden,  und  so  scheint  es  sehr  wohl  nu")glich,  dass 
sie  vor  Gregor  oder   wenigstens   diesem   selbst  bekannt  war.     Die 


1)  Mon.  Germ.  Scriptores  renmi  Merowingicarum.   Tom.  IT,  p.  220, 
cf.  p.  242  n.  4.    Vgl.  Wattenbach  D.  G.  Q.  T,  111. 

2)  R  ü  h  1,  Ein  Anekdoton  zur  gothischen  Urgeschichte.   Jahrbücher 
für  Philologie  1880.    (S.  564—566  über  Aethicus.) 

3)  Rühl,  Die  Verbreitung  des  Justin  im  Mittelalter,  Leipzig  1871. 
S.  6-10. 


Dispargum.  127 

Historia  Daretis  Frigii  de  origine  Francorum,  aus  der  Fredegar 
eine  seiner  Darstellungen  der  Trojanerfabel  entnahm,  mag  in  der 
That,  wie  Krusch  will,  der  Bearbeitung  des  Aetbicus  gleichzeitig 
sein,  wenn  auch  der  einzige  von  ihm  angeführte,  sprachliche  Grund 
nicht  stichhaltig  erscheint. 

Nehmen  wir  nämlich  an,  dass  Gregor  bei  seiner  Nachricht 
die  Ti-ojaneifabel ,  wenn  auch  nur  dunkel,  im  Sinne  gehabt  habe, 
so  würde  sich  wenigstens  erklären,  warum  er  hier,  wo  es  ihm  auf 
Zeugnisse  für  das  Königtum  bei  den  Franken  ankam,  von  jener 
Herkunft  aus  dem  fernen  Osten  sprach;  denn  die  Trojanerfabel  er- 
wähnt eben,  dass  die  Franken  unter  der  Führung  eines  Königs 
ihren  Zug  an  die  neuen  Sitze  vollendeten.  Nur  müsste  man  dann 
freilich  dem  Gregor  zutrauen,  dass  er  bei  seiner  Nachricht  gerade 
die  Pointe  weggelassen  habe! 

Die  Annahme,  dass  der  Angabe  Gregors  die  Trojanerfabel  zu 
Grunde  liege,  würde  für  uns  wenigstens  insofern  Bedeutung  haben, 
als  damit  auch  die  erstere  ohne  weiteres  als  blosse  Fabel  gekenn- 
zeichnet wäre,  wodurch  sieh  dann  von  selbst  ihre  Verbindung  mit 
historischen  Nachrichten  verböte. 

Aber  mag  nun  ihr  TJrspnmg  sein,  welcher  er  wolle,  heutzutage 
wii-d  ohnehin  Niemand  mehr  der  Ansicht  von  Ducange,  Raep- 
saet^),  Mo6t  de  la  Forte-Maison^)  folgen  wollen,  die  es  sich 
haben  angelegen  sein  lassen,  die  Herkunft  der  Franken  aus  Pan- 
nonien  als  geschichtliche  Thatsache  zu  erweisen  ^).  Die  Franken  sind 
ebenso  wenig  aus  Pannonien,  wie  aus  Troja  gekommen:  ihre  ge- 
schichtliche Urheimat  liegt,  worauf  wir  noch  zurückkommen,  an  der 
Küste  der  Nordsee.  Und  so  darf  denn  auch  diese  völlig  unhistorische 
Nachricht  von  dem  Zuge  der  Franken  aus  dem  fernen  Osten  nicht 
mit  geschichtlichen  Nachrichten  in  Zusammenhang  gebracht  werden, 
vor  allem  dürfen  aus  ihr  nicht  Schlösse  gezogen  werden  auf  die  Rich- 
tung thatsächlich  erfolgter  Züge  des  fränkischen  Stammes,  von  denen 
wir  Kunde  erhalten.  Das  wird  im  Folgenden  noch  klarer  hervortreten. 


1)  Raepsaet,  Oeuvres,  Tom.  III,  p.  250  et  suiv. 

2)  Moöt  de  la  Forte-Maison,  Les  Francs,  Icur  origine  et 
leur  histoirc  dans  la  Pannonie,  la  Mesie,  la  Thrace,  etc.,  etc.,  Paris  1868. 
I,  1-185. 

3)  T  ü  r  k ,  „Kritische  Geschichte  der  Franken*  in  seinen  „For- 
schungen auf  dem  Gebiete  der  Geschichte**  Heft  III,  S.  2—15,  nahm  sogar 
die  Herkunft  aus  Troja  in  Schutz. 


128  Dr.   Konrad   Pia  th: 

II. 

(Et)  primum  qnidem  litora  Rheni  omncs  (al:  amnis)  incolnisge 
—  dehinc,  transacto  Rheno^  Thoringiam  transmeassc  —  ibique  iuxta 
pagus  vel  civitates  regia  crinitos  snper  se  creavisse  deprima  et  ut 
ita  dicam  nobiliore  suorum  familia. 

Wiewohl  Gregor  den  vorliegenden  Abschnitt  mit  dem  oben 
besprochenen  dadurch,  dass  er  beide  in  gleicher  Weise  von  dem 
„Tradunt  enim  multi"  abhängig  macht,  als  gleichen  Uraprungs  und 
zusammengehörig,  und  zwar  den  zweiten  Bericht  als  die  unmittel- 
bare Fortsetzung  des  ersten  erscheinen  lässt,  so  sind  doch  beide 
scharf  von  einander  zu  trennen. 

Hinsichtlich  ihres  Wertes  ist  das  auch  überall  anerkannt. 
Während  man  den  Bericht  Gregors  von  der  pannonischen  Herkunft 
der  Franken  mit  Recht  überall  als  irrig  verwirft,  hat  noch  Niemand 
an  der  völligen  Glaubwürdigkeit  der  folgenden  Angaben  gezweifelt. 

Schon  dieser  Umstand  hätte  aber  zu  dem  weiteren  Schlüsse 
veranlassen  sollen,  dass  die  in  ihrem  Werte  so  verschiedenen  Nach- 
richten notwendig  auch  verschiedenen  Ursprungs  sein  müssen.  Sie 
können  unmöglich  aus  ein  und  derselben  Quelle  geflossen  sein  und 
müssen  demnach  auch  völlig  gesondert  und  unabhängig  von  einander 
betrachtet  werden. 

In  der  That  zeigt  sich  dabei,  dass  sie  keineswegs  in  dem  von 
Gregor  angegebenen  Verhältniss  stehen.  Es  sind  zwei  verschiedene 
Antworten  verschiedenen  ürspnmgs  auf  ein  und  dieselbe  Frage,  die 
sich  nicht  ergänzen,  sondern  geradezu  widei*sprechen.  Mit  grossem 
Unverstand  hat  Gregor  diese  einander  ausschliessenden  Berichte  zu 
einem  scheinbar  einheitlichen  zusammengcfasst. 

Zur  näheren  Besprechung  teilen  wir  den  uns  gegenwärtig  be- 
schäftigenden Abschnitt  in  der  oben  durch  Gedankenstriche  ange- 
deuteten Weise  in  drei  Teile,  deren  jeder  einem  besonderen  ge- 
schichtlichen Vorgang  entspricht. 

a)  —  primum  quidem  litora  Rheni  omnes  (al.  amnis)  inco- 
luissc. 

War  der  vorhergehende  Bericht  über  die  Herkunft  der  Franken 
aus  Pannonien  ein  Versuch,  die  ältesten  Sitze  dieses  Volkes  festzu- 
stellen, so  wird  in  dem  vorliegenden  Abschnitt  die  gleiche  Frage  be- 
handelt. Denn  nachdem  wir  die  Unabhängigkeit  dieses  Abschnittes 
von  dem  vorigen  erwiesen,    haben  wir  auch  das  „primum''  absolut, 


als  atif  die  Urzeit  der  Franken  bezüglich,  zu  nehmen.  Aber  war 
der  erste  Bericht  eine  völlig  haltlose  Fabel,  so  erweist  sich  der 
zweite  als  eine  historische  Quelle,  deren  Inhalt  mit  der  Wirklich- 
keit durchaus  übereinstimmt.  Freilich  ist,  bevor  wir  dies  erkennen, 
noch  mancher  Widersprach  abzuweisen,  doch  zerreisst  damit  vor 
unseren  Blicken  zugleich  die  Wolke,  die  das  Auge  der  Forscher 
umschleiernd  bisher  die  Lage  von  Dispargum  im  Dunkel  Hess. 

Unser  Bericht  besagt,  dass  die  Franken  in  der  ältesten  Zeit 
die  litora  Rheni  bewohnten.  Was  haben  wir  nun  unter  diesen  li- 
tora  Rheni  zu  verstehen?  Auf  diese  eine  so  einfache  Frage  spitzt 
sich  schliesslich  unsere  ganze  Untersuchung  zu. 

Sehen  wir  zunächst,  wie  bisher  die  Gelehrten  diese  Frage  be- 
antworteten! Von  der  herrschenden  Ansicht  ausgehend,  dass  Gre- 
gore Stelle  ein  einheitliches  Ganze  bilde,  stellten  sie  sich  natürlich 
vor,  dass  der  als  thatsächlich  angenommene,  vermeintliche  Zug  der 
Pranken  aus  Pannonien  ohne  jegliche  Unterbrechung  bis  zum  Rhein 
gegangen  sei.  Da  in  dem  auf  unsere  Stelle  folgenden  Abschnitt 
von  einem  Rheinübergang  berichtet  wird,  so  nahmen  sie  die  hier 
erwähnte  erste  Ansiedelung  der  Franken  vor  jenem  Rheinübergang, 
die  ihnen  lediglich  als  der  erste  Ruhepunkt  der  grossen  Völkerreise 
vom  fernen  Osten  her  erscheinen  musste,  ohne  irgend  ein  Bedenken 
auf  dem  rechten  Rheinufer  an.  Gregors  Ausdruck:  „litora  Rheni", 
sollte  demnach  „das  rechte  Rheinufer"  bezeichnen.  Nicht  alle  frei- 
lich, die  diese  Vorstellung  hegten,  haben  diese  Deutung  wirklich 
ausgesprochen.  Aber  wir  finden  sie  doch  bei  einer  ganzen  Reihe 
von  zum  Teil  namhaften  Gelehrten,  wie  bei  Dubos^),  Müller*), 
Moet  de  la  Forte-Maison'),  Ad.  Gloöl*),  selbst  Richard 
Schröder^)  und  Felix  Dahn^)  ausdrücklich  anerkannt. 

Man  könnte  nun,  einmal  misstrauisch  geworden,  sich  zu  dem 
Einwand  geneigt  fühlen,  dass   das  Wort  litus  nicht  das  Flussufer, 

1)  Dubos,  Histoire  critique  de  T^tablissement  de  la  monarchie 
fran^oise  dans  les  Gaules.  Nouvelle  Edition,  1742,  p.  275. 

2)  H.  Müller,  Der  Lex  Salica  etc.  Alter  u.  Heimat,  S.  127. 

3)  Les  Francs,  leur  origine  etc.  I,  p.  887. 

4)  Gl 0^1,  Zur  Geschichte  der  alten  Thüringer.  Forsch,  z.  deutschen 
Geschichte  IV.  S.  234. 

5)  R.  Schröder,  Die  Herkunft  der  Franken,  Sybels  histor.  Ztschr. 
N.  F.  7.  Band,  S.  38. 

6)  Felix  Dahn,  Deutsche  Geschichte.  Erster  Band,  zweite  Hälfte, 
^.  43.  —  Urgeschichte  n.  s.  w.  HI,  S.  42  (1883). 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCV.  9 


180  Dr.   Konra^d   Plath: 

sondern  die  Meeresküste  bezeichne ,  da  litus  in  der  klassischen 
Sprache  ausschliesslich,  in  der  späteren  Zeit  vorwiegend,  diese  Be- 
deutung hat,  während  zur  Bezeichnung  des  Flussufers  ripa  dient: 
litora  Rheni  wären  dann  etwa  die  Meeresgestade  an  den  Rhein- 
mflndungen.  Aber  wer  den  Sprachgebrauch  Gregors  in  dieser  Hin- 
sicht näher  verfolgt,  wird  zwar  eine  Menge  von  Beispielen  finden, 
wo  litus  nach  klassischer  Regel  zur  Bezeichnung  der  Meeresküste 
angewandt  ist,  er  wird  jedoch  etwa  doppelt  so  viele  Stellen  nach- 
weisen können,  an  denen  Gregor  dies  Wort  von  einem  Flussufer 
gebraucht.  Seine  Zeit  legt  auf  die  strenge  Unterscheidung  der 
Wortbegriffe,  wie  sie  die  klassische  Sprache  kennt,  keinen  Wert 
mehr,  ihr  ist  im  Gegentheil  die  weitgehendste  Begriffsvertauschung 
eigen. 

Indessen,  wenn  zugegeben  ist,  dass  litus  an  unserer  Stelle  das 
Flussufer  bezeichnen  kann  (und  wir  nehmen  diese  Deutung,  auf  die 
schon  der  Zusatz:  ^Rheni"  hinweist,  als  die  unsrige  an),  bezeichnet 
dann,  wie  jene  wollen,  der  Plural  litora  allein  das  rechte  Rheinufer? 
Nicht  etwa  beide?  In  der  That,  beide!  Und  das  ist  die  Lösung 
der  ganzen  Frage!  —  Denn  w^enn  es  auch  mit  Gregors  grammati- 
schen Kenntnissen,  wie  er  selbst  in  Demut  eingesteht,  ziemlich 
schwach  bestellt  war,.  —  so  klug  war  er  doch,  dass  er  zwischen 
Singular  und  Plural  zu  unterscheiden  wusste.  Solche  Unkenntniss 
würde  man  ihm  vergeblich  zutrauen! 

Unser  Bericht  belehrt  uns  also,  dass  die  alten  Franken  zu 
beiden  Seiten  des  Rheines  ansässig  waren.  An  welcher  Stelle  des 
langen  Rheinlaufs,  ist  damit  noch  nicht  gesagt;  doch  liegt  es  am 
nächsten,  die  Franken  da  zu  suchen,  wo  wir  sie  in  frühester  Zeit 
wirklich  finden:  also  am  Meere!  Dort  zu  beiden  Seiten  des  Rheins 
ist  die  Urheimat  der  Franken,  wie  sie  uns  in  den  ältesten 
Zeugnissen  entgegentritt.  Dort  nennt  sie  Peutingers  Karte  und 
die  panegyrische  Literatur  der  Zeit  des  Constantin.  Von  dort  aus 
haben  sie  ihre  kühnen  Streifzttge  zur  See  unternommen  zum  Schrecken 
der  Römer.  Von  jenen  Sitzen  an  der  Salzflut  der  Nordsee  haben 
sie  vielleicht  den  Namen  der  Salier,  der  Meeranwohner,  erhalten,  dort 
am  Meeresgestade  spielt  das  Hausmärchen  der  Merowinger,  das  den 
Ahnherrn  des  ruhmreichen  Geschlechts  von  einem  Meerwunder  ab- 
stammen lässt,  das  der  erschrockenen  Königin  nahte,  als  sie  zur 
Sommerzeit  badete;  auch  der  Name  des  grossen  Herrschergeschlechts 
wurde,  wie  manche  annehmen,  vom  Meere  entlehnt. 


Dispargtim.  131 

So  stimmt  denn  dieser  Bericht  mit  unserer  sonstigen  geschicht- 
lichen Kunde  vollkommen  überein,  und  wir  dürfen  auch  seinen  weite- 
ren Angaben  mit  Recht  unser  Zutrauen  schenken. 

b)  dehinc,  transaeto  Rheno,  Thoringiam  transmeasse. 

Von  diesen  ältesten  Sitzen  am  Meere  aus  vollzogen  die  Franken, 
wie  der  Bericht  weiter  lautet,  jenen  schon  oben  erwähnten  Rhein- 
übergang, der  sie  nach  dem  Lande  Thoringia  führte. 

Umstritten  ist  zunächst  die  Richtung  dieses  Rheinüberganges. 
Geschah  er  vom  rechten  aufs  linke  Ufer,  oder  umgekehrt,  vom  linken 
auf  das  rechte? 

Die  gewöhnliche  Erklärung,  die  für  diese  Frage  die  fabelhafte 
Herkunft  der  Franken  aus  Pannonien  als  Grundlage  festhält,  und 
diesen  Rheinübergang  als  die  einfache  Fortsetzung  jenes  angenom- 
menen Zuges  vom  fernen  Osten  her  auffasst,  deutet  natürlich  den 
Uebergang  als  westlich  gerichtet  und  von  dem  rechten  Rheinufer, 
an  dem  sie  ja  die  in  den  vorhergehenden  Worten  behandelten  Sitze 
der  Franken  annimmt,  ausgehend.  Unter  diesen  Voraussetzungen 
unternimmt  sie  es  dann,  die  Lage  der  Landschaft  Thoringia  zu  be- 
stimmen. 

Als  Vertreter  dieser  Ansicht  seien  nur  R  o  sp  a  tt  ^),  A  d.  G 1  o  6 1  *), 
Richard  Schröder^)  genannt.  So  sagtGloel  zum  Beispiel  wört- 
lich von  den  Franken:  „Waren  sie  also  auf  ihrem  Marsche  von 
Ungarn  nach  dem  Rheine  und  während  ihres  Wohnens  an  demselben 
auf  dem  rechten  Rheinufer,  so  sind  sie  natürlich  nach  Ueberschrei- 
tung  des  Flusses  auf  der  linken  Seite  des  Flusses.**  Aber  diese 
Auffassung  ist  auch  sonst  allgemein  verbreitet. 

Nur  Einer,  Joseph  Bender,  hat  es  gewagt,  wenn  er  auch 
an  den  allseitig  angenommenen  Voraussetzungen  festhielt,  eine  etwas 
abweichende  Deutung  der  Stelle  Gregors  betreffs  des  Rheinüber- 
gangs zu  geben.  Er  erkannte  wohl  die  Schwierigkeiten,  die  sieh 
bei  diesen  Voraussetzungen  für  die  Erklänmg  der  folgenden  Worte 
Gregors  —  eben  als  natürliche  Folge  der  irrigen  Verknüpfung  des 
Berichtes  über  den  Zug  aus  Pannonien  mit  dem  über  den  Rhein- 
übergang und  der  falschen  Deutung  der  „litora  Rheni"  —  ergaben. 


1)  Rospatt,  Kritische  Beiträge  zur  ältesten  Geschichte  der  Franken, 
S.  13-14. 

2)  GI06I,  a.  a.  0.  S.  233  u.  f.  bes.  S.  234. 

3)  Sybels  H.  Z.,  N.  F.  VIT,  S.  40. 


133  Dr.  Itonrad  t'lath: 

Aber  dass  eben  hier  die  Wurzeln  des  Uebels  lagen,  erkannte  er 
nieht.  Hier  schloss  er  sich  vielmehr  völlig  der  Vorstellung  der 
üebrigen  an.  Auch  er  zog  unbedenklich  den  Marsch  aus  Pan- 
nonien  mit  in  Betracht ,  auch  er  nahm  die  Besiedelung  der  litora 
Rheni  als  lediglich  auf  da«  rechte  Rheinufer  bezüglich  an;  aber  da 
er  dennoch  der  festen  üeberzeugung  war,  auch  die  Landschaft  Tho- 
ringia  könne  nur  auf  dem  rechten  Rheinufer  angesetzt  werden,  so 
wusste  er,  um  doch  mit  den  damit  im  scheinbaren  Widerspruch 
stehenden  Worten  Gregors  in  Einklang  zu  bleiben,  sich  keinen 
andern  Ausweg,  als  indem  er  die  kühne  Behauptung  aussprach, 
es  seien  zweifellos  zwei  Rheinübergänge  anzunehmen;  einmal 
jener  bekannte,  die  Fortsetzung  des  pannonischen  Zuges,  der 
die  Franken  von  ihren  Sitzen  am  rechten  Rheinufer  auf  das  linke 
führte,  dann  aber  ein  zweiter,  vom  linken  zurück  auf  das  rechte, 
den  sie  untemahmen,  um  zu  der  Landschaft  Thoringia  zu  gelangen. 
Und  um  für  diesen  zweiten  Rheinübergang  auch  einen  äusseren  An- 
halt zu  haben,  gab  er  an,  Gregora  Worte  „transacto  Rheno"  be- 
zögen sich  in  unserer  Stelle  eben  auf  diesen,  während  er  den  ersten 
unerwähnt  gelassen  habe. 

Gegen  eine  derartige  Erklärung  der  Worte  Gregore  trat  Georg 
Waitz  bei  einer  gelegentlichen  Besprechung^)  dieser  Abhandlung, 
die  er  für  völlig  der  Berücksichtigung  unwert  erklärte,  in  schärf- 
ster Weise  auf,  und  ähnlich  hat  sich  später  Richter  *)  gegen  diesen 
Deutungsversuch  ausgesprochen.  Gewiss  mit  vollstem  Recht,  soweit 
jene  unglücklichen  Folgerungen  aus  der  Grundauschannng  des  Ver- 
fassers dabei  in  Betracht  kamen.  Und  doch  kann  man  diese  Ent- 
gegnungen nicht  ohne  ein  Gefühl  des  Bedauerns  betrachten.  Denn 
thatsächlich  war  doch,  trotz  seiner  Irrtümer,  Joseph  Bender^) 
der  Wahrheit  am  nächsten  gekommen! 

Wie  werden  wir  nun  unsere  Entscheidung  bezüglich  dieses 
Rheinübergangs  treffen?  Bender  gegenüber  müssen  wir  jedenfalls 
daran  festhalten,  dass  Gregors  Worte  nur  auf  einen  Rheinübergang 
in  diesem  Zusammenhange  hinweisen,  und  dass  der  Vorwurf  der 
Lückenhaftigkeit  seiner  Darstellung  hier  nicht  gemacht  werden  kann. 

1)  Göttinger  gelehrte  Anzeigen  1858,  S.  628  u.  f.  hes,  S.  631  n.  f. 

2)  Richter,  Annalen  der  deutschen  Geschichte.    I,  S.  20. 

3)  Ueber  Ursprung  und  Heimath  der  Franken.  Von  Dr.  Joseph 
B ender y  Oberlehrer  am  Königlichen  katholischen  Gymnasium  in  Brauns- 
berg. 1857. 


Dispargutn.  133 

Aber  nach  unserer  Erklärung  der  vorausgehenden  Worte  Gregors 
verliert  nun  überhaupt  die  Frage  nach  der  Richtung  des  von  Gregor 
erwähnten  Rheinübergangs  jede  Bedeutung.  Aus  den  früheren  An- 
gaben Gregors  geht  eben  nichts  fttr  seine  Richtung  hervor.  Aus  der 
Richtung  des  angeblichen  Zuges  von  Pannonien  her  nicht,  denn 
diese  Nachricht  fallt  fftr  uns  völlig  ausser  Betracht.  Aus  der  Lage 
der  fränkischen  Sitze  an  den  litora  Rheni  nicht,  denn  da  diese  Sitze 
schon  an  und  für  sich  zu  beiden  üfem  des  Rheines  lagen,  so  musste, 
mochte  der  Zug  der  Franken  nun  östlich  oder  westlich  gerichtet 
sein,  auf  alle  Fälle  ja  ein  Teil  des  Volkes  zur  gemeinsamen  Fahrt 
in  die  Fremde  den  zwischen  den  beiden  besiedelten  Ufern  flutenden 
Strom  überschreiten ;  meint  aber  Gregor,  wie  es  an  sich  wahrschein- 
licher ist,  und  wie  wir  es  später  noch  deutlicher  erkennen  werden, 
einen  Rheinübergang  der  vereinigten  Wandergenossen  an  einer  an- 
dern Stelle,  als  zwischen  den  alten  Sitzen  des  Volkes,  so  ist  voll- 
ends aus  den  vorhergehenden  Worten  des  Geschichtsschreibers  — 
da  die  Wanderung  ebenso  gut  auf  dem  einen  wie  auf  dem  andern 
der  beiden  Ufer  beginnen  konnte  —  die  Richtung  des  üeberganges 
in  keiner  Weise  zu  erkennen.  Um  diese  Richtung  zu  bestimmen, 
kommt  es  also  nicht  sowohl  auf  den  ungewissen  Ausgangspunkt, 
als  vielmehr  auf  das  Ziel  der  Wanderung  an.  Unser  Urteil  über 
die  Richtung  dieses  Rheinüberganges  der  Franken  hängt  mit  an- 
deren Worten  von  der  Bestimmung  der  Lage  der  Landschaft  Tho- 
ringia  ab,  deren  Lage  somit  zunächst  zu  erörtern  ist. 

Die  Anhänger  der  gewöhnlichen  Deutung  waren  durch  ihre 
früheren  Erklärungen  freilich  gezwungen,  dieThoringia  auf  dem  lin- 
ken Rheinufer  anzunehmen.  Mit  demselben  Augenblick  trat  aber  auch 
die  Schwäche  ihrer  Aufstellungen  zu  Tage.  Mochte  nämlich  ihre 
bisherige  Deutung,  wenn  auch  keineswegs  mit  der  Geschichte,  so 
doch  allenfalls  —  abgesehen  von  ihrer  irrigen  Deutung  der  litora 
Rheni  —  mit  dem  Wortlaut  Gregors  vereinbar  erscheinen,  so  be- 
gannen nun  die  auffallendsten  Schwierigkeiten  und  Widersprüche. 
Denn  während  im  Osten  des  Rheinstromes  eine  allbekannte  Land- 
schaft Thoringia  vorlag,  mussten  diese  Erklärer  auf  dem  linken 
Ufer  eine  Thoringia  suchen,  von  der  sonst  keine  Quelle  wusste. 

Einige  wie  Lecoy  de  la  Marche*),  die  der  ganzen  Sache 
femer  standen,  schoben  die  Unklarheit  einfach  auf  Gregor.    Dieser 


1)  De  Tautorit^  de  Qregoire  de  Tours,  Paris  1861  p. 


134  Dr.   Konrad   Pia th: 

thöriühte  Bischof  von  Tours  habe  offenbar  von  Geographie  keine 
Ähnung  gehabt.  Aber  damit  war  für  diejenigen,  die  ein  bestimmtes 
Ergebniss  erreichen  wollten,  nichts  gewonnen.  Und  so  gab  denn 
Professor  Watterich  ^)  die  Losung  aus:  „Wir  mögen  also  woUeu 
oder  nicht:  es  muss  ein  Toringen  auf  der  linken  Rheinseite  ge- 
funden werden!" 

Freilich,  davon  überzeugte  man  sich  bald:  eine  Gegend,  die 
geradezu  den  gesuchten  Namen  aufwies,  war  hier  nirgends  vor- 
handen! Hatte  es  je  eine  solche  gegeben,  so  war  der  Name  völlig 
verschollen.  Selbst  die  geschichtlichen  Quellen  durchforschte  man 
umsonst.  So  suchte  man  denn  wenigstens  Spuren  ihres  früheren 
Daseins,  leise  Anklänge  an  den  ersehnten  Namen  beizubringen.  Na- 
men, wie  der  der  Durotrigen,  Truncinium,  werden  genannt;  auf  Turre, 
Tourhout,  zwei  Oi*te  Tongre  in  Brabant,  machte  man  aufmerksam,  be- 
sonders auf  die  mit  dur  zusammengesetzten  Ortsnamen  setzte  man 
grosse  Hoffnung ^),  wogegen  schon  Watterich  bemei'kte,  dass  diese 
keltischen  Wortbildungen  über  das  ganze  ehemalige  Gebiet  dieses 
Stammes  verbreitet,  fttr  unsere  Frage  also  nicht  beweiskräftig  seien. 
Schröder  kam  später  auf  sie  zurück;  während  Müller  Duurstede 
bevorzugte,  sprach  ihn  Dortrecht  am  meisten  an^):  dort,  wo  ein  alter 
Donarkultus  bestanden  haben  sollte,  war  nach  ihm  die  Thoringia  der 
Stammsage  zu  suchen,  und  er  glaubte,  diese  vorgebliche  Wahrheit 
noch  durch  eine  mythisch-mystische  Darstellung  zu  stützen,  nach 
der  die  Franken  die  Hauptruhepunkte  ihres  siegreichen  Vordringens 
durch  die  Namen  der  drei  Hauptgötter  der  Germanen  bezeichnet 
hätten.  Er  machte  daneben  zuerst  auf  jenes  von  Piot  angeführte 
„Thuringehem  in  pago  Mempisco"  aufmerksam,  das  ^^allenfalls  Mittel- 
punkt einer  Landschaft  Thoringia  gewesen  sein  könnte",  aber  wegen 
der  entfernten  Lage  dieses  Gaues,  abgesehen  von  seiner  wohl  viel 
späteren  Entstehung,  nicht  in  Betracht  kommen  kann.  Selbst  die 
mittelhochdeutschen  Gedichte  blieben  für  diese  Frage  nicht  ununter- 
sucht.  Im  „König  Rother"  fand  man  eine  Stelle,  in  der  „Dorringeu 
unde  Brabant"  neben  „Sachsen  unde  Thuringe"  genannt  wurde. 
Schon  Bender  hielt  jedoch  diese  Lesart  für  falsch;  er  glaubte,  es 
sei  statt  „Dorringen"  wohl  Dornigen,   die   wirklich  neben  Brabant 

1)  Watterich,  Die  Gennanen  des  ßheins,  1872,  S.  226. 

2)  Müller,  Lex  Salica  p.  107. 

3)  Sybels  Historische  Ztschr.  N.  F.  VH,  S.  40  u.  f. 


Dispargiim.  135 

gelegene  Herrschaft  Doornik  zu  setzen;  eine  spätere  kritische  Aus- 
gabe des  Gedichts  ergab,  dass  ursprünglich  „Lothringen  unde  Bra- 
bant"  stand.  Wo  übrigens  der  Name  Dorriugen  in  mittelalterlichen 
Quellen  vorkommt,  wird  er  fast  regelmässig  in  unmittelbarer  Ver- 
bindung mit  dem  Lande  Meissen  genannt,  und  man  sieht  schon  daraus 
genugsam,  wo  er  anzusetzen  ist. 

Da  auf  diesem  Wege  nichts  zu  gewinnen  war,  so  Hess  man  nun 
Begebenheiten,  für  deren  Schauplatz  jeder  unbefangene  die  rechts- 
rheinische Thoringia  ansehen  musste,  mit  veränderter  Bühne  auf  dem 
linken  Rheinufer  sich  ereignen,  um  so  das  gesuchte  Thoringia  zu 
erhalten.  Befremdlich  ist  nur,  dass  selbst  hervorragende  Gelehrte 
dies  Verfahren  für  zulässig  hielten.  So  stellte  Waitz  die  Ansicht 
auf,  dass  jene  Landschaft  Thoringia,  über  die  der  König  Bisinus 
herrschte,  bei  welchem  Childerich  nach  seiner  Absetzung  Schutz 
suchte,  nicht  jene  ostrheinische,  wie  man  sonst  annahm,  sondern  am 
Meere  gelegen  sei  *).  Ebenso  sollten  die  Thoringer,  gegen  die  nach 
Gregors  Angabe  Chlodovech  im  zehnten  Jahre  seiner  Herrschaft  zu 
Felde  zog,  von  den  ostrheinischen  verschieden  sein*).  Gegen  beide 
Behauptungen  hatte  sich  schon  nachdrücklich  Joseph  Bender  er- 
klärt'); doch  hatte  Waitz  für  die  zweite  Ansicht  Nachfolger  in 
Watterich*),  Richter^),  Junghans®)  u,  A.  gefunden.  Richard 
Schröder  hat  das  Verdienst,  Benders  richtiger  TJebei-zeugung 
wieder  Geltung  verschafft  und  damit  diese  Missgriffe  hoffentlich  für 
immer  beseitigt  zu  haben'').  Krusch  freilich  führt  sowohl  in  seiner 
Anmerkung  zur  letztgenannten  Stelle  Gregors,  wie  in  dem  Ver- 
zeichniss  am  Schlüsse  seiner  Ausgabe  dieses  Schriftstellers  in  den 
MonumentaGermaniae^)  noch  ausdrücklich  „linksrheinische  Thoringer" 
vor,  ja  Lamprecht  spricht  gelegentlich  von  ihnen  mit  einer  Be- 


1)  Das  alte  Recht  der  salischen  Franken.  1846.  S.  49. 

2)  Ebenda;  Waitz  meint,  Chlodovech  sei  von  diesen  noch  durch  alle 
möglichen  Herrschaften  und  Länder  getrennt  gewesen. 

3)  a.  a.  0.  S.  23. 

4)  a,  a.  0.  S.  225. 

5)  Richter,  Annalen   der  deutschen  Geschichte  I,  35. 

6)  Junghans,  Die  Geschichte  der  fränkischen  Könige  Childerich 
und  Chlodovech.   Göttingen  1857,  8.  11,  38. 

7)  R  Schröder,  Die  Franken  und  ihr  Recht.  Zeitschrift  der  Sa- 
vigny Stiftung  II.  Germanist.  Abth.  1881.  Zweiter  Band  S.  28.  Er  meint, 
jene  Annahme  beruhe  auf  „vollkommener  Kritiklosigkeit^. 

8)  Mon.  Germ.  pag.  .89.  A,  2;  pag.  909, 


136  Dr.  Konrad  Plath: 

stimmtheit,  als  ob  niemals  der  leiseste  Zweifel  an  ihrem  Vorhanden- 
sein bestanden  hätte  ^). 

Der  letztere  glaubte  seine  Berechtigung  dazu  erwiesen  zu  haben 
durch  die  Darlegung*)  einer  Auffassung,  die  vor  ihm  schon  derWttrz- 
burger  Professor  H.  Müller  mit  grosser  Ausführlichkeit  vorgetragen 
hatte ').  Beide  traten  daftlr  ein,  dass  die  in  der  Ueberschrift  so- 
genannte Lex  Angliorum  et  Werinonim  hoc  est  Thoringonim  nicht, 
wie  man  sonst  glaubte  *),  den  deutschen  Thüringern,  sondern  einem 
niederrheinischen  Stamme  zuzusprechen  sei,  welchen  Müller  am 
östlichen,  Lamprecht  am  westlichen  Ufer  des  Flusses  annahm: 
War  früher  schon  mehrfach  diese  Ansicht  bekämpft  worden^),  so 
dürfte  auch  hier  Richard  Schröder  endgültig  nachgewiesen  ha- 
ben, dass  das  Gesetz  thatsächlich  den  deutschen  Thüringern  an- 
gehört «). 

Der  Gau  Turingasnes  endlich,  den  man  zu  Gunsten  einer  west- 
rheinischen Thoringia  auf  dem  linken  Ufer  des  Flusses  anzusetzen 
Neigung  verspürte'),  ist  von  Richthofen®)  im  Sinne  von  Eck- 
hart, Bender,  als  ostrheinisch  dargethan  worden. 

Da  air  das  nichts  fruchtete,  so  griff  man  zu  einem  andern 
altbewährten  Mittel,  das  noch  leichter  zu  handhaben  war.  Wollte 
die  linksrheinische  Thoringia,  von  der  Gregor  anscheinend  sprach, 
sich  nirgends  ausfindig  machen  lassen,  —  so  änderte  man  den  nun  für 
fehlerhaft  erklärten  Text.  Statt  der  „Thoringia"  habe  ursprünglich 
„Tongria''  oder  „Tungria**,  statt  des  später  vorkommenden  Wortes 


1)  KarlLaraprecht,  Fränkische  Ansiedelungen  und  Wanderungen 
im  Rheinland.    Westdeutsche  Zeitschrift  I.  S.  137. 

2)  Karl  Lamp recht,  Fränkische  Wanderungen  und  Ansiede- 
lungen Tornehmlich  im  Rheinland.  Zeitschrift  des  Aachener  Geschichts- 
vereins. IV,  1882.  S.  220-227. 

3)  H,  Müller,  der  Lex  Salica  und  der  Lex  Angliorum  et  Werinorum 
Alter  und  Heimat,  1840,  8.107—135;  vgl.  dazu  aber  die  Vorrede  S.IV-IX, 
bes.  S.  VIII !! 

4)  z.  B.  Qaupp,  das  alte  Gesetz  der  Thüringer,  bes.  S.  286. 

5)  Waitz,  Das  alte  Recht  der  salischen  Franken,  S.  50—51,  will 
sich  über  das  Geltungsgebiet  des  Gesetzes  nicht  eutncheiden. 

6)  R.  Schröder,  Zur  Kunde  der  deutschen  Volksrechte.  Zeitschr. 
d,  Savignystiftung  f.  Rechtsgesch.  Germ.  Abt.  VII.  Bd.  bes.  S.  19—22. 

7)  Mulhuysen  bei  Waitz,  Das  alte  Recht  der  salischen  Franken 
S.  51,  Anm.  2;  dieser  stimmt  ihm  bei,  hat  aber  später  seine  Meinung  ge- 
ändert; Gloei,  a.  a.  O.  S.  238. 

8)  Mon.  Germ.  Legum  V,  p.  109—114. 


Dispargum.  187 

Thoringorom  —  Tnngrorum  gestanden;  fand  doch  letztere  Annahme 
an  der  Lesart  einiger  Handschriften  eine  Sttitze^  die  thatsächlich  diese 
Form  aufweisen.  Aber  auch  diese  Vermutung  verlor  allen  Halt,  da 
gerade  die  ältesten  Ueberlieferungen  ttbercinstimmend  Thoringorum 
zeigten  ^).  Ein  Name^  wie  Tungria,  war  vollends  nirgends  bezeugt.  Die 
Stadt  Tongern,  deren  Gebiet  man  sich  unter  jenem  Namen  vorstellte, 
führt  bei  Gregor  den  Namen  Tungrus  (für  Tungii),  der  nur  die  Stadt,  nie 
die  umherliegende  Landschaft  bezeichnet.  Gregor  konnte  auch  nicht 
hier  etwa  irrttimlich  Thoringia  für  den  Namen  dieser  Stadt  gesetzt 
haben,  da  er  die  letztere  kurz  zuvor  (p.  66,  67)  ausdrücklich  mit  ihrem 
richtigen  Namen  nennt.  Ebenso  wenig  liess  sich  eine  Aenderung  in 
Toxandria  begründen.  Ohne  jeden  Wert  waren  endlich  die  unge- 
heuerlichen Vermutungen,  die  Müller*)  wagte;  ihm  fiel  zunächst 
der  Name  der  Stadt  Toumai,  „Tomacus",  als  ähnlich  klingend  ein, 
und  er  war  bemüht,  von  hier  aus  die  Uebergangsformen  zu  dem 
Worte  Thoringia  aufzustellen.  Dann  versuchte  er  sogar  statt  der 
Thoringia  eine  —  Merwingia  einzuführen!!  — 

Selbst  solche  Anstrengungen  führten  nicht  an  das  gewünschte 
Ziel :  so  wenig  wie  alle  früheren.  So  griif  man  denn  schliesslich,  da 
mit  wissenschaftlichen  Beweisen  nichts  zu  erreichen  war,  zu  dem 
letzten  Mittel,  einer  geheimnissvollen  Mystik.  Watterich ^),  der 
die  Lesart  Tungria  und  Tungrorum  zurückgewiesen  hatte,  glaubte 
dennoch  unter  der  Thoringia  Gregors  Tongern  vermuten  zu  müssen, 
dessen  Name  nur  den  Franken  für  den  Königssitz  des  grossen  Ghlojo 
„viel  zu  prosaisch"  vorgekommen  sei,  weshalb  „eine  kleine  Berich- 
tigung'' habe  stattfinden  müssen.  Noch  sonderbarer  ist  die  Be- 
gründung  seiner  Ansicht,  dass  Dispargum  einfach  die  Uebersetzung 
des  alten  Namens  von  Tongern,  Aduatuca,  sei  und  dass  religiöse 
Gründe  die  Franken  zur  Wahl  dieses  Namens  für  die  Königsburg 
bestinunt  hätten.  Richard  Schröder,  der  soviel  zur  Widerlegung 
der  vermeintlichen  Gründe  und  Beweise  für  die  linksrheinische  Tho- 
ringia gethan,  hielt*)  nun  doch  an  der  Annahme  einer  solchen  fest, 
und  beschwor  den  alten  Donnergott  Thor,  dessen  Namen  in  Dort- 


1)  Die  Ausgabe  Gregors  in  den  Mon.  Germ,  nennt  als  abweichende 
Lesart  einer  Hdschr.  nur  die  Form  „Thurignorura". 

2)  a.  a.  0.  S.  103-106,  132. 

3)  Watterich,  Die  Germanen  des  Rheins.  8.  226  u.  f. 

4)  Die  Herkunft  der  Franken,  S  y  b  e  1  s  historische  2Seitschrift|  Neue 
Folge  VII.  1880.  S.  40  u.  f. 


138  Dr.   Ronrad  Plath: 

recht,  wo  die  Thüringer  der  Erzählung  Gregors  zu  suchen  seien, 
nachzuklingen  schien.  So  ergab  sich  ihm  denn  jenes  wunderbare 
Resultat,  dass  die  drei  von  ihm  angenommenen  Etappen')  der  sa- 
lischen  Wanderung  genau  durch  die  Namen  der  drei  höchsten  Götter 
der  Germanen,  Thor,  Wodan  und  Zin  bezeichnet  waren. 

Aber  beider  Ansichten,  Watterichs  und  Schröders,  sind 
eben  zu  wunderbar,  um  auch  nur  Wahrscheinlichkeit  beanspruchen 
zu  können.  Auch  ihr  Bemühen,  eine  linksrheinische  Thoringia  nach- 
zuweisen, muss  als  erfolglos  bezeichnet  werden. 

Was  blieb  nach  so  verschiedenartigen  vergeblichen  Versuchen 
schliesslich  übrig,  als  sich  zu  der  Ansicht  Benders  zu  bekennen, 
dass  es  zu  allen  Zeiten  nur  eine  einzige  Landschaft  Thoringia  ge- 
geben habe,  und  zwar  jene  allbekannte  auf  der  rechten  Seite  des 
Rheins  und  dass  Gregor  in  unserer  Stelle  auch  nur  diese  meine? 
Allein  dieser  Anschauung  stand  nun  wieder  der  vermeintliche  Sinn 
der  Worte  Gregors  entgegen!  Denn  wenn  die  Franken  aus  Pan- 
nonieu  kamen,  und  zuerst  auf  dem  rechten  Rheinufer  sassen,  wie 
man  ja  annahm,  wie  hätte  dann  ein  Rheinübergang,  der  doch  ans 
linke  Ufer  führte,  sie  in  das  rechtsrheinische  Thüringen  führen  kön- 
nen! Die  einzige  Rettung  aus  diesem  Widerspruch  wäre  bei  den 
angenommeneu  Voraussetzungen  wirklich  nur  Benders  kühne  Ein- 
fügung eines  zweiten  Rheinüberganges  gewesen.  Aber  wer  hätte 
dazu  wohl  den  Mut  gehabt !  Indess  gab  es  doch  noch  einen  andern 
Weg,  und  man  hat  nicht  gezögert,  ihn  einzuschlagen.  Hatten  die 
früher  erwähnten  Forscher  „den  Gedanken  naheliegend  gefunden,  an 
die  Stelle  von  Thoringia  einen  andern  Landesnamen  zu  setzen"  — 
so  lag  es  wohl  nicht  minder  nahe,  statt  des  Rhenus  einen  andern 
Flussnamen  zu  setzen.  So  wollte  Hadrian  Valesius  für  den  Rhein 
den  Main,  Moenns,  einführen,  durch  dessen  Ueberschreitung  man  ja 
vonPaunonien  her  nach  Thüringen  gelangte.  Eckhart  glaubte  alle 
Schwierigkeiten  zu  lösen,  und  dabei  dem  Wortlaut  Gregors  noch 
näher  zu  bleiben,  wenn  er  den  Rhenus  als  den  Regen  erklärte,  den 
die  Franken,  von  Südosten  kommend,  überschritten  hätten^).  Müller 
kam  sogar  für  einen  Augenblick  auf  den  Gedanken,  der  übei-schrit- 
tene  Fluss  sei  die  Merwe  gewesen,  „in  den  alten  Sagen  konnte  der 


1)  Thuredrecht,  Woensdrecht,  Dispargum. 

2)  Anm.  Eckharts  zu  Leibniz'  Schrift  „De  origine  Francorum*', 
hinter  Eckharts,  „Leges  Francorum  salicae  et  Bipuariorum"  p.  250. 


Dispargum.  139 

Rhein  hier  nicht  genannt  werden^.  Er  änderte,  wenn  doch  geändert 
werden  sollte,  lieber  gleich  beides,  den  Landes-  und  den  Flussnamen, 
diesen  in  die  Merwe,  jenen  in  Merwingia  ^).  — 

Aber  alle  diese  Besserungsvorschläge  sind  völlig  unhaltbar,  und 
—  noch  dazu  völlig  unnötig.  An  Gregors  Worten  braucht  kein 
Buchstabe  geändert  zu  werden! 

Darin  hatten  freilich  die  letztgenannten  Forscher  (Müller  aus- 
genommen) Recht,  dass  sie  unter  der  von  Gregor  genannten  Tho- 
ringia  die  ostrheinische  Landschaft  dieses  Namens  verstanden.  Denn 
zweifellos  muse,  allen  widersprechenden  Ansichten  entgegen,  Ben- 
ders richtige  Anschauung  wieder  zu  Ehren  gebracht  und  mit  voll- 
ster Entschiedenheit  daran  festgehalten  werden,  dass  es  zu  allen 
Zeiten  immer  nur  eine,  die  ostrheinische  Landschaft  Thoringia  ge- 
geben hat.  Und  auch  „Gregor  von  Tours"  (so  müssen  wir  mit 
Bender  sagen),  „das  muss  jeder  Vorurtheilsfreie  zugeben,  kennt 
kein  anderes  Thüringen,  als  das  allbekannte  eine!''  Er  kennt  es 
zudem  so  genau,  dass  jede  Verwechselung,  sowie  jede  ünkenntniss 
seiner  Lage  seinerseits  völlig  ausgeschlossen  ist.  Stammte  doch  da- 
her seine  berühmte  Zeitgenossin,  die  heilige  Radegundis,  die  Gön- 
nerin seines  Freundes  Venantius  Fortunatus,  des  Säugers  der  Thü- 
ringischen Geschichte,  zu  der  er  selbst  in  persönlichen  Beziehungen 
stand.  Gregor  spricht  also  auch  an  dieser  Stelle,  wo  er  die  Land- 
schaft Thoringia  nennt,  mit  vollstem  Bewusstsein  von  dem  ostrheini- 
schen Lande  der  deutschen  Thüringer! 

Dem  steht  auch  der  übrige  Wortlaut  der  Stelle  Gregors  in 
keiner  Weise  entgegen.  Dass  der  fabelhafte  Zug  aus  Pannonien 
mit  dem  weiteren  Bericht  Gregors,  dem  eine  ganz  andere  Quelle  zu 
Grande  liegt,  in  keinem  Zusammenhange  steht,  haben  wir  oben  ge- 
sehen. Aber  gesetzt  auch,  diese  Nachricht  von  der  pannonischen 
Herkunft  der  Franken  wäre  glaubwürdig  und  geschichtlich,  sie 
stammte  aus  derselben  Quelle,  wie  die  weiteren  Angaben  Gregors, 
und  stünde  mit  ihnen  in  dem  von  Gregor  angedeuteten  Zusammen- 
hange  —  so  würde  das  doch  an  unserer  Erklärung  nicht  das  ge- 
ringste ändern!  Die  richtige  Erkenntniss,  dass  „litora  Rheni"  beide 
Rheinufer  bezeichnet,  hebt  —  selbst  unter  dieser  Voraussetzung  — 
jede  Schwierigkeit:  Denn  da  die  Franken  nach  ihrer  Ankunft  am 
Rheine  beide  Ufer  besetzt  hatten,   so   musste  bei   einem   späteren 


1)  a.  a.  0.  S.  106. 


140  Dr.   Ronrad   Plath: 

Zuge  nach  dem  Thttringerlande  auf  jeden  Fall  ein  Rheinttbergang; 
sei  es  auch  nur  eines  Teiles  des  Volkes  stattfinden.  Ja,  B ender , 
der  jene  Erkenntniss  nicht  gehabt  zu  haben  scheint ,  würde  mit 
seiner  Annahme  von  zwei  Rhein tLbergängen  sogar  insofern  Recht 
behalten;  als  in  dem  Ausdruck  ^litora  Rheni^,  in  der  Besitznahme 
beider  Rheinufer,  ja  implicite  schon  ein  Rheinübergang,  der  erste 
der  von  ihm  angenommenen,  enthalten  wäre,  während  der  folgende 
Ausdruck  „transacto  Rheno^  dann  den  zweiten,  von  ihm  mit  Recht 
als  Ostlich  gerichtet  beschriebenen  Rheinübergang  bezeichnete. 

Uns,  die  wir  uns  von  jenen  Voraussetzungen  frei  gemacht  haben, 
stellt  sich  der  Inhalt  des  uns  vorliegenden  Abschnittes  Gregors  nun 
folgendennassen  dar: 

Die  Franken,  die  in  den  ältesten  Zeiten  am  Mündungsgebiet 
des  Rheins  und  zwar  zu  beiden  Seiten  des  Flusses  ansässig  waren, 
mit  andern  Worten  „die  salischen  Franken",  unternahmen  einst  einen 
Zug  nach  dem  Lande  der  ostrheinischen  deutschen  Thüringer,  wo- 
bei sie  den  Rhein  überschritten.  Dieser  Rheinttbergang  wird  uns 
nun  auch,  sobald  wir  die  Karte  zur  Hand  nehmen,  in  seiner  Be- 
deutung völlig  klar.  Er  fand  natürlich  nicht  zwischen  den  beiden 
in  der  Urzeit  von  den  Franken  besiedelten  Ufern  statt,  sondern  an 
einer  analem  Stelle,  wo  die  gesammte  Schaar  des  zum  Zuge  ver- 
einigten Volkes  den  Fluss  zu  überschreiten  hatte.  Er  muss  weiter 
stromaufwärts,  etwa  in  der  Nähe  der  Ruhrmündung  erfolgt  sein. 
Dort  führte  ja  in  der  That  der  Weg,  der  von  den  Rheinmttndnngen 
in  gerader  Richtung  zum  Thüringerlande  ging,  über  den  Strom: 
vom  linken  auf  das  rechte  Ufer ! 

Dieser  Zug  der  Franken  nach  dem  Thüringerlande,  das,  wie 
schon  aus  diesem  Zusammenhange  hervorgeht,  damals  eine  viel 
weitere  Ausdehnung  nach  dem  Rhein  hin  hatte,  als  später,  war  nun 
gewiss  kein  friedlicher !  Schon  Gregors  Ausdruck  „Thoringiam  trans- 
measse"  deutet  an,  dass  es  ein  Feldzug  war,  der  tief  in  das  feind- 
liche Gebiet  eindrang.  Der  Zug  ist  ein  Eroberungszug,  der  erste 
uns  bekannte  in  der  langen  Reihe  der  Kriege,  die  die  Franken 
gegen  die  Thüringer  geführt  und  durch  die  sie  die  westliche  Grenze 
der  Herrschaft  dieses  Volkes  immer  weiter  zurückgedrängt  haben. 
Die  Thatsache  dieses  ersten  Thüringerkrieges  der 
Franken  ist  der  ersteGewinn,  der  sich  aus  der  rich- 
tigenErklärung  der  StelleGregors  ergibt.  Betrachten 
wir  nun  seine  weiteren  Angaben ! 


Disparg^m.  141 

c.  ibique  iuxta  pagus  vel  civitates  regis  crinitoB  super  se  crea- 
vis8e  de  prima,  et,  nt  ita  dicam,  nobiliore  suornm  familia. 

Gaben  uns  die  letztbesprochenen  Worte  Gregors  von  einem 
erfolgreichen  Feldzug  der  Franken  ins  Thüringerreich  Kunde,  so 
lernen  wir  aus  den  vorliegenden,  dass  sich  an  dies  glückliche 
kriegerische  unternehmen  eine  noch  bedeutsamere  Friedensthätigkeit 
anschloss.  Wir  sehen  zunächst,  dass  der  Einfall  nicht  ein  blosser 
Beutezug  von  Wikingern  war,  die  das  Land  nach  der  Plünderung 
wieder  verliessen;  die  besiegten  Thüringer  mussten  vielmehr  den 
siegreichen  Fremden  Teile  des  eigenen  Gebietes  abtreten,  auf  denen 
sich  diese  nun  zu 'dauernder  Ansiedelung  niederliessen.  Dies  geht 
aus  dem  ,ibique'  Gregors  hervor.  Zu  friedlicher  Bewirtschaftung 
des  neuen  Heimatbodens,  so  lenien  wir  weiter,  gliederten  sich  die 
Zugewanderten  in  bestimmte  Gruppen,  nach  Gauen  und  Völker- 
schaften sich  teilend.  Aber  das  wichtigste  war,  dass  in  Folge 
dieses  glücklich  gelungenen  Eroberungszuges  die  salischen  Franken 
in  den  neuen  Sitzen  östlich  des  Rheins  zur  Sicherung  des  Gewon- 
nenen die  Gründung  einer  festeren  politischen  Organisation  unter- 
nahmen. Hatten  sie  früher  wohl  eine  mehr  republikanische  Ver- 
fassung gehabt,  so  wählten  sie  nun,  nach  Gauen  und  Völker- 
schaften, wie  unsere  Quelle  besagt,  Könige  aus  ihrem  ersten  und 
edelsten  Geschlecht. 

Welches  dies  Geschlecht  gewesen,  kann  wohl  nicht  zweifelhaft 
sein.  Es  muss  ein  Geschlecht  gewesen  sein,  das  schon  in  der  alten 
Heimat  Ehre  und  hohes  Ansehen  genoss,  das  dann  vielleicht  bei 
dem  Thüringerzuge  eine  führende  Stellung  eingenommen;  und  dem 
das  dankbare  Volk  nun  die  Herrschaft  im  neuen  Reiche  übertrug. 
Die  götterentstammten  Merowinger  sind  es,  das  langgelockte  Ge- 
schlecht, von  deren  Bedeutung  schon  an  den  alten  Sitzen  des  Volkes 
ihre  am  Meeresstrand  spielende  Haussage  zeugt,  ebenso,  wie  ihr 
Name  selbst  dorther  kommen  soll. 

Aber  welches  ist  nun  das  Reich,  zu  dessen  Leitung  sie  jetzt 
die  Wahl  des  salischen  Volkes  berief?  Aus  seiner  Lage  muss  es 
hervorgehen.  Oestlich  des  Rheins,  aber  nahe  dem  Fluss,  deutet  es 
unsere  Erzählung  an,  dort  etwa,  wo  die  Ruhr  in  den  Rhein  sich 
ergiesst.  Dort  aber  ist  das  Kemland  des  Königreiches,  das  wir 
später  unter  dem  Namen  des  ripuarischen  kennen.  Und  so  wollen 
wir  denn  die  Behauptung  wagen :  salische  Franken  sind  es,  die  dies 
ripuarische  Reich  gründeten,   und   seine  Könige  sind    Merowinger! 


142  Dr.   Konrad   Plath: 

Von  dieser  Gründung  des  ripuarischen  Reiches  durch  die  Salier  be- 
richtet unsere  Quelle!  Wir  treten  damit  in  einen  Streit  ein,  der 
gerade  in  der  letzten  Zeit  mit  einiger  Lebhaftigkeit  gefuhrt  worden 
ist.  Denn  ganz  ähnliche  Behauptungen  sind  auch  von  anderen  Seiten, 
jedoch  ohne  Bezugnahme  auf  diese  Stelle  Gregors,  kürzlich  ausge- 
sprochen worden. 

Es  handelt  sich  hierbei  einmal  um  das  Verhältniss  der  ripua- 
rischen zu  den  salischen  Franken,  sodann  um  das  Verhältniss  des 
ripuarischen  zu  dem  salischen  Königsgeschlecht.  Beide  Fragen  hängen 
natürlich  eng  mit  einander  zusammen. 

Mit  Rücksicht  auf  den  Namen  der  Ripuarief,  dessen  Ursprung 
schon  Müller  nachzuweisen  versuchte,  hatte  schon  Richter  die  Mei- 
nung ausgesprochen,  dass  derselbe  kein  besonderes  Volk  bezeichne, 
sondern  nur  Collektivbezeichnung  der  Uferfranken  gegenüber  den 
Meerfranken  sei.  Zu  demselben  Ergebniss  nun,  dass  Salier  und 
Ripuarier  ein  Volk  seien,  sind  kürzlich  auch  Fahlbeck  ^)  und 
Mayer*)  gelangt:  beide  auf  verschiedenen  Wegen  vorgehend  und 
mit  verschiedenen  Gründen  ihre  Anschauung  stützend,  mit  der  die 
unserige,  aus  neuen  Erwägungen  hervorgehend,  nun  zusammentrifft. 
Beide  sprechen  auch  als  ihre  Ueberaeugung  aus,  dass  die  Könige 
der  salischen  wie  der  ripuarischen  Franken  einem  Geschlechte  ent- 
stammten, eben  dem  der  Merowinger.  Auch  das  stimmt,  wie  man 
sieht,  mit  unserer  Erklärung  der  Stelle  Gregors!  Ihre  Gründe  hier 
mitzuteilen,  würde  uns  zu  sehr  aufhalten.  Trotz  Schröders  Wider- 
spruch *)  scheinen  mir  ihre  Aufstellungen  doch  nicht  so  ohne  weiteres 
abzuweisen  zu  sein.  Eine  wichtige  Bestätigung  dieser  Auffassung 
wird  sich  uns  übrigens  noch  im  Folgenden  selbst  durch  unsere  Be- 
stimmung der  Lage  von  Dispargum,  dem  Königssitze  des  Mero- 
wingers  Chlojo,  ergeben.  Wir  fahren  zunächst  in  der  Betrachtung 
der  Angaben  Gregors  fort. 

IIL 
Quod  postea  probatum  Chlodovechi    victuriae   tradedirunt  ita- 
que  in  sequenti  digerimus. 


1)  Fahlbeck,   La  royaute  et  le  droit  royal  francs  durant  la  pre- 
miere  periode  de  rcxistonce  du  royaume.  1883. 

2)  E.  Mayer,  Ziir  Entstehung  der  Lex  Ribuariorum.  1886. 

3)  Lehrbuch     der   deiitschen   Rechtsgeschichte    von   Dr.    Richard 
Schröder.    S.  %-97.    A.  16. 


Dispargnm.  143 

Die  in  ihren  drei  Abschnitten  znletzt  besprochene  Geschichts- 
quelle  über  die  ürsitze  der  Franken,  ihren  ersten  Thüringerkrieg 
und  die  Erhebung  der  Merowinger  zur  fränkischen  Königswtirde  — 
deren  Fortsetzung  Gregor  erst  später  gibt  —  unterbrechend,  knöpft 
Gregor  an  ihre  letzten  Worte  eine  jener  persönlichen  Zwischenbe- 
merkungen, in  denen  er  so  häufig  in  der  Weise  der  Epiker  den 
späteren  Verlauf  der  Dinge  im  Voraus  ankündigt.  So  weist  er  hier 
nach  der  Mitteilung,  dass  die  fränkischen  Könige  aus  dem  ersten 
und  edelsten  Geschlecht  des  Volkes  gewählt  seien,  darauf  hin,  dieser 
Adel  des  Geschlechts  habe  sich  auch  später  in  den  Siegen  des  Chlodo- 
wech  bewährt,  wovon  im  Folgenden  die  Rede  sein  werde.  An  sich 
ziemlich  nichtssagend,  ist  für  uns  diese  Angabe  doch  insofern  wichtig, 
als  auch  sie  ein  Zeugniss  dafUr  bietet,  dass  der  Salier  Chlodovech 
mit  jenen  ersten  ostrheinischen  ripuarischen  Frankenkönigen  eines 
Geschlechts  ist. 

IV. 

Nam  et  in  Consolaribus  legimus  Theudomerem  regem  Franco- 
rum  filium  Richimeris  quondam  et  Ascylam  matreni  eins  gladio  inter- 
fectus. 

Wiederum  ganz  anderen  Ursprungs,  angeblich  römischen  Con- 
suUisten  entnommen,  ist  die  hier  von  Gregor  völlig  zusammenhanglos, 
wenn  auch  an  chronologisch  richtiger  Stelle  eingefügte,  höchst  ober- 
flächlich mit  einem  nam  eingeleitete  Nachricht  über  den  König  Theu- 
domer,  die  eben  nur  als  ein  neues  Beispiel  für  das  Königtum  bei 
den  Franken  von  ihm  gedacht  ist.  Auf  ihren  wichtigen,  aus  Fre- 
degar zu  ergänzenden  Inhalt,  dessen  eigene  Bedeutung  bei  Gregor 
in  keiner  Weise  zur  Geltung  kommt,  können  wir  hier  nicht  eingehen. 

V. 

Fenint  etiam  tunc  Chlogionem,  utilem  ac  nobilissimum  in  gente 
Bua,  regem  fnisse  Francorum,  qui  apud  Dispargum  castmm  habi- 
tabat,  quod  est  in  terminum  Thoringorum. 

Erst  hier  nimmt  Gregor  den  fallen  gelassenen  Faden  seiner 
vriichtigen  Geschichtsquelle  über  die  Gründung  des  ostrheinischen 
Frankenreicfaes  unter  den  Merowingem  auf  dem  den  Thüringern 
abgewonnenen  Gebiete  wieder  auf.  Ganz  unvermittelt,  nur  ober- 
flächlich und  noch  dazu  irrig  als  gleichzeitig  mit  der  vorange- 
gangenen Nachricht  über  Theudomer  verknüpft,  bietet  er  den  Be- 
richt  über   Chlojos  Herrschersitz,   der  im   besonderen   Gegenstand 


144  Dr.  Koni^ad  Plath: 

unserer  Untersuchung  ist.  Chlojo,  so  meldet  die  Quelle^  einer  der 
edelsten  aus  jenem  Geschlechte  der  Merowinger,  sei  König  der 
Franken,  das  heisst  des  gesammten  Franken volkes,  sowohl  der  am 
Meere  zurückgebliebenen,  wie  der  am  Rhein  wohnenden  gewesen; 
er  habe  in  der  Burg  Dispargum  geherrscht,  und  diese  —  das  Fol- 
gende ist  mit  Rücksicht  auf  das  „esf^  vielleicht  als  Glosse  Gregors 
zu  betrachten  —  liegt  „in  terminnm  Thoringorum".  Dies  ist  die 
einzige  unmittelbare  Angabe,  die  wir  über  die  Lage  dieser  Pfalz 
haben;  daher  die  Schwierigkeit  ihrer  Bestimmung.  Obendrein  ist 
nun  noch  streitig,  was  eigentlich  dieser  Ausdnick  Gregors  bedeutet! 
Zwar,  dass  die  Thoringi,  wie  überall  bei  Gregor,  und  sonst,  die 
deutschen  Thüringer,  die  Bewohner  des  in  unserer  Quelle  früher 
genannten  Reiches  Thoringia  sind,  darüber  ist  wohl  kein  Wort  mehr 
zu  verlieren,  lieber  die  Bedeutung  des  Wortes  „teiminus"  an  dieser 
Stelle  herrscht  Zwiespalt.  Die  Einen,  so  Sagittarius'),  Hörn, 
Raepsaet,  Bender,  Richter,  Gloöl,  übersetzen  „in  terminum 
Thoringorum"  (das  natürlich  für  „in  termino  Th."  steht)  „an  der 
Grenze  der  Thüringer",  die  andern,  Eckhart,  Wenck,  Müller, 
Waitz,  Watterich,  Roth^),  meinen,  es  heisse  „im  Gebiete" 
dieses  Volkes.  Besonders  hat  Waitz  wieder  Bender  bei  der  Be- 
sprechung seiner  Schrift  wegen  seiner  Ansicht  scharf  getadelt*). 
Er  bemerkte  sogar,  „dass  gerade  umgekehrt  ganz  mit  Recht  neu- 
lich ein  Recensent  einer  französischen  Uebersetzungdes  Gregor  dieser 
vorwarf;  sie  habe,  da  sie  von  Grenzen  sprach,  den  Ausdruck  falsch 
wiedergegeben."  Er  wies  auf  die  von  ihm  gesammelten  Stellen, 
wo  tcrminus  bei  Gregor  für  pagus  vorkomme,  hin*).  Krusch  hat 
in  seinem  Glossar  am  Schluss  der  Ausgabe  des  Gregor  in  den  Monu- 
menta  Gcrmaniac  ^)  gleichfalls  eine  Anzahl  solcher  Fälle  zusammen- 
gestellt. Indessen  ist  mit  diesen  Stelleu  der  Sprachgebrauch  Gregors  hin- 
sichtlich dieses  Wortes  doch  keineswegs  erschöpft,  und  wenn  Müller 
behauptet,  „ihm  sei  terminus  in  der  Bedeutung  ,Grenze^  im  ganzen 
Gregorius  Turonensis  nicht  begegnet"  —  so  beweist  er  auch  hieiin 
nur  seine  grenzenlose  Oberflächlichkeit !  Zunächst  kann  kein  Zweifel 


1)  Casparis  Sagittarii  Antiquitates  Regni  Thuringici.     Jena  1685, 
p.  124. 

2)  Roth,  Geschichte  des  Beneficial Wesens,  S.  53. 

3)  Göttinger  gelehrte  Anzeigen  1858,  S.  633. 

4)  D.  Verfassnngsgeschichte  II,  S.  277. 

5)  p.  962. 


Dispargum.  146 

sein;  dass  auch  bei  Gregor  die  Grundbedeatung  des  Wortes  terminus 
Grenze  ist.  Das  beweisen  genugsam  Wendungen  wie  terminare 
(Seite  54,  28;  373,  10),  tenninum  facere  (324,  10)  für  unser  „begren- 
zen, ein  Ende  machen,  eine  Grenze  setzen".  So  finden  wir  bei 
Gregor  auch:  die  Grenze  des  Lebens,  terminus  vitae  (373,  22;  659,  3), 
des  Gesetzes  Grenze,  tei-minus  legis  (271,  7),  auch  causae  terminus, 
das  Ende  des  Streites  (693, 14),  und  in  der  eigentlichen  Anwendung 
bei  Flächenräumen:  terrae  terminos  (848,  18),  teiminus  prati,  die 
Grenze  einer  Wiese  (353,  11);  ja  selbst  neben  dem  Worte,  dessen 
Bedeutung  für  terminus  in  Anspruch  genommen  wird,  zeigt  sich 
terminus  als  Grenze :  tenninus  pagi  (520, 12),  die  Grenze  des  Gaues. 
Selbst  in  den  von  Waitz  und  Krusch  bezeichneten  Fällen,  wo 
terminus  im  Sinne  von  pagus  stehen  soll,  ist  doch  die  Gnmdbe- 
deutung  noch  deutlich  erkennbar,  ja  meist  lässt  sie  sich  auch  in 
der  üebereetzung  noch  ohne  Schwierigkeiten  festhalten,  so,  dass  so- 
gar diese  Wiedergabe  den  Sinn  der  Worte  treffender  und  sachlich 
richtiger  zu  bezeichnen  scheint,  als  ihre  üebersetzung  mit  „Gau". 
Denn  bei  dem  Ausdruck  „terminus  urbis"  (z.  B.  Turonicae)  be- 
zeichnet urbs  nicht  bloss  die  von  den  Stadtmauern  begrenzte  eigent- 
liche Stadt,  deren  zugehöriges  Aussengebiet  dann  durch  terminus 
bezeichnet  würde,  vielmehr  bezeichnet  urbs  wie  civitas  schon  das 
ganze  Stadtgebiet  innerhalb  und  ausserhalb  der  Mauern,  und  ter- 
minus, ganz  im  eigentlichen  Sinne,  dessen  Grenze.  Darauf  weisen 
schon  deutlich  die  mit  diesem  Ausdruck  verbundenen  Präpositionen, 
am  häufigsten  infra  (statt  intra),  dann  sub,  apud,  deren  Anwendung 
die  Vorstellung'  einer  Grenzlinie  zu  Grunde  liegt,  hin.  Dieselbe  Vor- 
stellung erkennt  man,  wo  es  sich  um  die  Annäherung  an  die  Grenze 
des  Stadtgebietes  handelt:  ad  terminum  urbis  propinquare  u.  dgl. 
Sehr  schlagend  beweist  die  Richtigkeit  dieser  Erklärung,  die  an 
der  Grundbedeutung  des  Wortes  festhält,  ein  Beispiel,  wo  Gregor 
terminos  urbis,  d.  h.  die  Grenzen  des  Stadtgebietes,  erwähnt  (418,  24), 
denn  von  mehreren  „Gauen"  ein  und  derselben  Stadt  kann  doch  nicht 
die  Rede  sein  ^) !  Völlig  unzweifelhaft  in  der  eigentlichen  Bedeutung 
„Grenze"  braucht  Gregor  das  Wort  terminus  da,  wo  er  ausdrücklich 
von  einem  terminus  territurii  Treverici  (122,  14),  Biturigi  (355,  15) 


1)  Aehnlich  ß69,12,  uon  solum  ipsos  Arverni  terreturii  terminoft  verum 
etiam  vicinarum  urbium  fines  adivit;  wichtig  auch  die  Stelle.  34.5,  26. 
Jahrb.  d.  Ver.  v.  Altorthsfr.  im  Rliuinl   XCV.  IQ 


146  Dr.   KonradPlath: 

spricht.  Da  nnn  die  Wendung  „innerhalb  der  Grenze  des  Stadtgebiets" 
für  das  einfache  „im  Stadtgebiet"  gewiss  eine  recht  weitschweifige 
und  unbequeme,  wenn  auch  vielleicht  anschaulichere  ist;  so  sprach 
denn  Gregor  bisweilen,  den  Namen  der  Stadt  adjectivisch  anwendend, 
einfach  von  dem  „territurium  Turonicum",  und  so  konnte  es,  begünstigt 
durch  den  Gleichklang  der  Worte,  leicht  geschehen,  dass  er,  aus  dem 
weitläuftigen  terminus  territurii  Turonici  nun  andererseitjs  das  Wort 
territurium  fortlassend,  „terminus  Turonicus"  zur  Bezeichnung  des  inner- 
halb der  Grenze  des  Gebietes  von  Tours  liegenden  Landes  machte. 
In  diesem  einzigen  Falle,  wo  terminus  unmittelbar  mit  dem  Adjectiv 
eines  Städtenamens  verbunden  ist,  mag  man  den  Sinn  des  Aus- 
druckes nun  durch  das  deutsche  „Gebiet"  in  Kürze  wiedergeben: 
aber  man  muss  sich  gegenwärtig  halten,  dass  diese  Wendung  eigent- 
lich nur  durch  nicht  ganz  angemessene  Kürzung  einer  längeren  ent- 
standen ist,  in  der  das  Wort  terminus  seine  eigentliche  Bedeutung 
aufwies.  Dieses  „Gebiet",  für  das  Gregor  in  der  Regel  territurium 
gebraucht,  nun  geradezu  als  ^Gau",  pagus,  im  politischen  Sinne  zu 
bezeichnen,  scheint  schon  zu  weit  gegangen.  Denn  es  ist  fraglich, 
ob  alle  die  Städte,  deren  Namen  in  dieser  Weise  vorkommen,  wirk- 
lich einen  officiell  mit  ihrem  Namen  benannten  Gau,  wie  wir  etwa 
den  Kölngau,  Bonngau,  Speiergau  u.  s.  w.  kennen,  aufwiesen. 

Aber  selbst,  wenn  wir  es  gelten  Hessen,  dass  in  allen  diesen 
Fällen  terminus  geradezu  als  gleichbedeutend  mit  pagus  anzusehen 
wäre,  so  gibt  es  doch  andere  Stellen  bei  Gregor,  für  die  eine  solche 
Erklärung  völlig  unzulässig  ist,  wo  vielmehr  terminus  mit  voller 
Deutlichkeit  seine  eigentliche  Bedeutung  „Grenze"  zeigt.  Es  sind 
die,  in  denen  es  nicht  mit  dem  Namen  einer  einzelnen  Stadt,  son- 
dern mit  Länder-  und  Yölkernamen  verbunden  ist.  Als  Beispiele 
der  ersteren  Art  nenne  ich  von  Stellen  bei  Gregor  (nach  der  Seiten- 
und  Zeilenzahl  der  Monumenta- Ausgabe) : 

341,15.    Septimaniam   quae  adhuc   infra  Galliamm  terminum 

habetur. 
351,  26.  von  Reccared:  infra  terminum  Galliamm  praedas  egit. 
411,  2.     Adpropinquantes  autem  ad  terminum  Italiae. 
437,  13.  Gaballitanae  regionis  terminum  est  ingressns. 
364,  25.  Inter  terminum  utriusque  regni. 
665,  5.     Tertium  intra  Alamanniae  terminum  monasterium  lo- 

caverunt. 


Dispargrum.  147 

Von  Beispielen  mit  Völkernamen: 

102,  3.  ürbes  illas  a  finibus  Gothorum  nsquc  Burgundionum 
terminum  patris  sui  dieionibus  subiugavit. 

295,  21.  Se  iam  ad  terminum  Gothorum  esse  propinquam. 

343,  11.  Quia  indignum  est,  ut  horrendorum  Gothorum  ter- 
minus  usque  in  Galliis  sit  extensns. 

Und  hierher  gehört  nun  auch  unsere  Stelle  (77,  10),  in  der  von 
dem  terminus  Thoringorum  die  Rede  ist !  Trotz  aller  Widersprüche 
bleibt  es  also  dem  Sprachgebrauche  Gregors  gemäss  doch  wahr, 
wie  Bender  und  seine  Anhänger  wollten,  dass  nach  unserer  Quelle 
Dispargum  „an  der  Grenze  der  Thüringer"  gelegen  ist.  üebrigcns 
ist  insofern  der  Streitpunkt  ziemlich  belanglos,  als  Chlojos  Hen'scher- 
sitz,  der  zu  seiner  Zeit  als  fränkischer  Königssitz  natürlich  im  frän- 
kischen Gebiete  gelegen  war^),  doch  wenigstens  in  dem  ehemals 
thüringischen  Gebiet,  das  die  Franken  durch  ihren  Eroberungszug 
gewonnen,  lag. 

Von  den  späteren,  aber  auf  Gregor  zurückgehenden  Quellen 
werden  über  die  Lage  von  Dispargum  folgende  Angaben  gemacht 
(citirt  nach  der  Seitenzahl  in  den  Mon,  Germ.): 

Fredegar  sagt  (p.  95) :  Substituetur  filius  eins  Chlodeo  in  regno 
utilissimus  vir  in  gente  sua  qui  apud  Esbargium  castrum  resedebat 
quod  est  in  termino  Thoringorum.  Beide  Redactioncn  des  Liber 
historiae  Francorum  (p.  245)  haben:  habitabat  ....  in  Disbargo 
castello  in  finibus  Thoringorum  (in)  regionem  Ger- 
maniae.  Dieser  letzte  selbständige  Zusatz  wird  in  der  zweiten 
Redaction  noch  dadurch  erläutert,  dass  ausdrücklich  hervorge- 
hoben wird,  es  sei  das  Germanien  rechts  des  Rheins  gemeint 
(nicht  die  römischen  Provinzen  Germania  I  und  11  auf  dem  linken 
Rheinufer).  Das  Chronicon  universale  (M.  G.  XIII,  8),  die  Gesta 
episcoporum  Cameracensium  (I.  3;  M.  G.  S.  S.  VIT,  403)  folgen 
dem  Liber  historiae  Francorum,  iftdcm  sie  die  Lage  angeben:   „in 


1)  Darüber  sehr  verständig  auch  August  von  Wersebe  in  den 
Anmerkungen  (A.  4.  S.  2)  zur  ersten  Hälfte  seiner  Schrift  über  die  Ver- 
theilung  Thüringens  zwischen  den  alten  Sachsen  und  Franken.  Ham- 
burg 1834  (in  den  Beiträgen  zu  der  deutschen,  besonders  thüringischen 
Geschichte  des  Mitteltalters,  herausgegeben  von  Ludwig  Friedrich  Hesse, 
Ersten  Bandes  erste  Abthcilung). 


148  Dr.  Konrad   Plath: 

finibns  Thoringorum  in  regione  Gcrmaniae.  Sigebert  nennt  bei 
der  Zweideutigkeit  des  Ausdrucks  fines  in  seinen  Vorlagen,  das 
allerdings  sowohl  Grenzen,  als  „Gebiet"  bedeuten  kann,  Dispargum 
sogar  eine  Burg  der  Thüringer  (M.  G,  VI,  307,  in  Dispargo  castello 
Thoringorum  aliquamdiu  habitavit). 

Mussten  nun  diese  letzteren  Quellen,  die  ausdrücklich  die  rechts- 
rheinische Lage  von  Dispargum  behaupteten,  den  Anhängern  der 
herrschenden  Meinung  mit  der  von  ihnen  angenommenen  Deutung 
der  Worte  Gregors  völlig  im  Widersprach  stehend  eraehcinen,  so 
sehen  wir  nun,  nachdem  wir  ihre  Deutung  als  irrig  erkannt  haben, 
dass  vielmehr  alle  unsere  Nachrichten  über  Dispargums  Lage  in  bestem 
Einklang  stehen.  Soviel  ist  also  gewiss,  dass  wir  esauf  dem 
rechten  Rheinufer  zu  suchen  habenl  Aber  bevor  wir  auf  seine 
Lage  im  einzelnen  genauer  eingehen,  betrachten  wir  die  noch  fol- 
genden Angaben  Gregors  und  die  mit  ihnen  in  Beziehung  stehenden 
Nachrichten  späterer  Quellen,  da  sie  für  die  Bestimmung  von  Dis- 
pargum teilweise  noch  von  Bedeutung  sind. 

VL 

In  bis  autem  partibns,  id  est  ad  meridianam  plagam,  habita- 
baut  Romani  usque  Ligerem  fluvium.  Ultra  Ligerem  vero  Gothi 
dominabantur.  Burgundiones  quoque,  Arrianoram  sectam  sequentes, 
habitabant  trans  Rhodanum  quod  adiacit  civitate  Lugdunense. 

Den  Bericht  über  Chlojo  unterbrechend,  bringt  Gregor  hier 
einen  Abschnitt  von  wiederum  völlig  anderem  üraprung  und  Cha- 
rakter, der  nicht  einmal  chronologisch  an  diese  Stelle  gehört.  Es 
ist  eine  geographische  üeberaicht  über  die  Wohnsitze  der  deutschen 
Stä,mme  neben  den  Resten  der  römischen  Herrschaft  in  Gallien  nach 
der  Völkci-wanderung;  —  eine  gallische  Völkertafel.  Gregor  hat 
sie  hier  eingefügt  als  Einleitung  zu  dem  Bericht  über  Ghlojos  Feld- 
zug gegen  die  Römer.  Insofern  wäre  wenigstens  der  erste  Satz 
dieses  Abschnitts,  der  von  den  Sitzen  der  Römer  handelt,  hier  ganz 
wohl  am  Platze;  aber  was  soll  in  diesem  Zusammenhange  die  Be- 
schreibung der  Sitze  der  Gothen  und  Burgunder,  mit  denen  Chlojo 
nie  etwas  zu  thun  gehabt  hat?  Vor  einer  Schilderang  der  Feld- 
züge Chlodovechs  hätte  eine  solche  Aufzählung  einen  Sinn!  Das 
beweist  schon  den  fremdartigen  ürsprang  dieser  Quelle. 

Aber  ihre  Angaben  gehören  auch  zeitlich  nicht  in  diesen  Zu- 
sammenhang.   Da  Chlojos  Zug  gegen  die  Römer  um  das  Jahr  430 


Dispargum.  149 

erfolgte,  so  müsste  doch  diese  Uebei-sicht,  wenn  sie  hier  mit  Recht 
ihre  Stelle  finden  sollte,  die  Verhältnisse  so  darstellen,  wie  sie  kurz 
vor  dieser  Zeit  bestanden.  Sie  nennt  uns  die  Burgunder  als  Arianer. 
Die  Burgunder  sind  aber  erst  nach  der  Mitte  des  fünften  Jahr- 
hunderts vom  katholischen  zum  arianischen  Bckenntniss  übergetreten. 
Diese  Völkertafel,  wenn  wir  sie  so  nennen  wollen,  kann  also  erst 
in  noch  späterer  Zeit,  als  dieser  Glaubenswechsel  stattfand,  ent- 
standen sein.  Sie  gehört  mithin  einer  Zeit  nach  Chlojos  Tode,  den 
man  448  ansetzt,  nicht  der  Zeit  vor  seinem  Eroberungszuge  gegen 
die  Römer  an.  Ihr  liegen  also  auch  schon  die  Besitzverhältnisse, 
wie  sie  eben  durch  diesen  Eroberungszug  Chlojos,  der  das  frän- 
kische Gebiet  bis  zur  Somme  ausdehnte,  neu  geschaffen  waren,  zu 
Grunde.  Erwägen  wir  dies,  so  bietet  auch  die  Angabe  der  Völker- 
tafel, dass  das  römische  Gebiet  südlich  des  fränkischen  (ad  meridia- 
nam  plagam)  sich  erstreckte,  im  Hinblick  auf  die  Sommegrenze, 
die  Chlojo  erreicht  hatte,  keinen  Anlass  mehr  zu  irgend  welchen 
Zweifeln  und  Irrtümern.  So  lange  man  nämlich  früher  die  Völker- 
tafel als  gleichen  Ursprungs  mit  dem  Bericht  über  Chlojo  und  auf  die 
Verhältnisse  vor  dessen  Römerkrieg  bezüglich  annahm,  glaubte  man, 
dem  scheinbar  einheitlichen  Znsammenhange  der  Angaben  Gregors  ent- 
sprechend, die  Sitze  der  Römer  südlich  der  Gegend  von  Dispargum 
und  der  Landschaft  Thoringia,  von  denen  Gregor  zuletzt  gesprochen, 
annehmen,  und  daraus  dann  wieder  die  linksrheinische  Lage  beider 
ableiten  zu  müssen*).  Nun,  da  wir  erkannt  haben,  dass  dieser  in 
später  Zeit  entstandenen  ethnographischen  Uebersicht  spätere  Ver- 
hältnisse zu  Grunde  liegen,  und  dass  Gregor  diese  fremdartige  Quelle 
aus  einem  andern  Zusammenhang  mit  Unrecht  an  dieser  Stelle  vor 
dem  Bericht  über  Chlojos  Zug  eingefügt  hat,  kann  auch  von  einer 
solchen  Schlussfolgerung  nicht  mehr  die  Rede  sein. 

VII. 

Chlogio  autem  missis  exploratoribus  ad  urbem  Camaracnm 
perlustrata  omnia  ipse  secutus,  Romanos  proteret,  civitatem  adprae- 
hendit,  in  qua  paucum  tempus  resedens  usque  Summanam  fluvium 
occupavit. 

Hier  erst  fährt  Gregor  mit  dem  unterbrochenen  Berichte  über 
Chlojo,  den  König  der  vereinigten  Franken,  fort,  den  wir  zuletzt  in 


1)  So  z.  B.  W  a  i  t  z ,  Göttinger  gelehrte  Anzeigen  1858.  S.  633. 


150  Dr.  Konrad  Plath: 

seiner  Bui*g  Dispargum,  an  der  Grenze  der  Thüringer^  antrafen.  Von 
hier  auS;  so  meldet  unser  Abschnitt,  sandte  Chlojo  heimlich  Kund- 
schafter nach  Cambrai  an  der  Scheide,  wo  das  eigentlich  wichtige 
Gebiet  der  Römer  erst  begann,  während  das  dazwischen  liegende 
Land,  sumpfig,  waldig  und  öde^  so  dass  es  später  den  Namen  Bra- 
bant,  d.  h.  brachliegendes  Land  erhielt,  damals  wenig  Bedeutung 
hatte.  Wegen  dieser  Verhältnisse  eben  war  es  nötig,  Kundschafter 
auszusenden,  um  bei  der  nicht  geringen  Entfernung  den  richtigen 
Zeitpunkt  für  den  Uebeifall  zu  treffen.  Nachdem  sie  günstige  Ge- 
legenheit gemeldet,  folgte  er  selbst  mit  dem  Heere,  schlug  die  Römer, 
besetzte  die  Stadt  und  eroberte  nach  kurzer  Rast  daselbst  alles  Land 
bis  zur  Somme.  Wo  er  dann  seinen  Wohnsitz  nahm,  wird  nicht 
gesagt. 

Von  den  späteren  Quellen  gibt  Fredegar  den  Bericht  Gregors 
mit  geringer  Verktlrzung  einfach  wieder.  Die  Angaben  des  Liber 
Historiae  Francorum  sind  dagegen  etwas  ausführlicher  im  historischen 
und  topographischen  Detail.  In  letzterer  Hinsicht  melden  sie  in  der 
richtigen  Erwägung  der  Lage  Dispargums  auf  der  rechten  Rhein- 
seite, dass  Chlojo  auf  seinem  Zuge  gegen  Cambrai  den  Rhein  über- 
schritt^); sie  geben  weiter  an,  dass  Chlojos  Zug  durch  den  Kohlen- 
wald, die  Silva  Carbonaria,  ging;  was  gleichfalls  mit  der  Lage 
von  Dispargum,  wie  wir  sehen  werden,  übereinstimmt.  Wenn  sie 
indessen  Chlojo  auf  seinem  Wege  erst  nach  Touruai,  dann  nach 
Cambrai  gelangen  lassen,  so  scheinen  sie  darin  zu  irren.  Das  Chro- 
nicon  Moissiacense  (M.  G.  S.  8.  L  283)  hat  übrigens  in  dem  be- 
treffenden Bericht  an  Stelle  des  Wortes  Tornacense  eine  Lücke! 

VIIL 

De  huius  stirpe  quidam  Merovechum  regem  fuisse  adserunt, 
cuius  fuit  filius  Childericus. 

Durch  das  „quidam  adserunt".  Gregors  ist  hier  vielleicht  eine 
neue  Quelle  angedeutet,  die  die  Genealogie  der  Merowinger  von 
Chlojo  ab  zum  Gegenstande  hat.  Fredegar  nennt  den  Merowech 
sogar  den  Sohn  der  Gattin  des   Chlojo,  des  Römerbesiegers  —  sei 


1)  Es  ist  vielleicht  nicht  überflüssig,  hervorzuheben,  dass  auch  Ranke 
Chlojo  auf  seinem  Zuge  den  Rhein  überschreiten  lässt  und  eich  dadurch 
als  Vertreter  der  Anschauung  von  der  rechtsrheinischen  Lage  der  Land- 
schaft Thoringia  und  der  Burg  Dispargum  bekundet.  (Vgl.  Weltgeschichte 
IV,  419.) 


Dispargum.  151 

es  von  ihrem  Manne;  sei  es  von  dem  Meeruugeheuer  der  Geschlechts- 
sage, die  er  wohl  irrig  in  diese  Zeit  verlegt;  während  sie  sich  wahr- 
scheinlich doch  auf  einen  viel  älteren  Chlojo  und  Merowech  in  der  Ur- 
heimat des  Geschlechtes  und  Volkes  am  Meere  bezieht.  Die  Aus- 
gaben des  Liber  Historiae  Francorum  folgen  der  allgemeineren  An- 
gabe Gregors,  nach  der  Merowech  nur  als  mit  Chlojo  verwandt  be- 
zeichnet wird;  sie  haben  aber  die  wichtige  Nachricht,  dass  Chlojo 
zwanzig  Jahre  herrschte.  Auf  die  Entstehung  der  Theilreiche  und 
der  beiden  Linien  der  Merowinger  nach  Chlojos  Tode  können  wir 
hier  nicht  eingehen;  wir  wenden  uns  nun  vielmehr  der  genaueren 
Bestimmung  des  Ortes  Dispargum  zu. 

Wir  geben  zunächst  eine  Uebereicht  der  bisherigen  Verauche, 
die  wir  je  nach  der  links-  oder  rechtsrheinischen  Ansetzung  des 
Ortes  —  wie  es  schon  Sagittarius  that  —  in  zwei  Grappen 
scheiden. 

Im  Hinblick  darauf,  dass  alle  unsere  Geschichtsquellen  die 
rechtsrheinische  Lage  von  Dispargum  bezeugen,  könnten  wir  nun 
von  der  ersten  Ginippe  einfach  absehen;  es  ist  aber  doch  vielleicht 
wertvoll,  zu  zeigen,  wie  alle  Versuche,  diesen  oder  jenen  Ort  auf 
der  linken  Seite  des  Rheins  als  den  Wohnsitz  Chlojos  vor  seinem 
Eroberungszuge  nachzuweisen,  an  der  ünhaltbarkeit  der  angeführten 
Gründe  von  selbst  gescheitert  sind.  Das  trägt  vielleicht  mit  dazu 
bei,  Zweifler  von  der  Richtigkeit  unserer  Erklärung  Gregors  zu 
überzeugen. 

Tongern.  Hier  war  Watterich^)  bemüht,  die  Pfalz  Chlojos 
anzusetzen.  Hatte  er  schon  aus  den  Tongrem  die  angeblichen  links- 
rheinischen „Toringer'^,  aus  Tongrien  die  Landschaft  Toringen  durch 
eine  kleine  „Berichtigung^  seitens  der  ruhmgierigen  Franken,  denen 
der  tiberlieferte  Name  „viel  zu  prosaisch,  zu  obscur  vorkam",  werden 
lassen,  so  suchte  er  nun  den  Namen  der  „Residenz  des  grossen 
Stammf&rsten  Chlodio,  des  Erlauchten",  Dispargum,  in  nächste  Be- 
ziehung zu  dem  alten  Namen  der  Stadt  Tongern  „Aduatuca"  zu 
bringen.  Der  letztere,  mythischen  üreprungs,  enthalte  den  Namen 
der  deutschen  Göttin  „Vatu"  in  sich:  „die  Stadt  war  der  Vatuiae 
genannten  deutschen  Göttin  geweiht".  So  fanden  die  Franken  die- 
selbe .  . .  Die  römische  Benennung  Tongern  musste  dem  ehi*würdigen 


1)  Watterich,  Die  Germanen  des  Rheins,  ihr  Kampf  mit  Rom  und 
der  Bundesgedanke,    Leipzig.    1872.    S.  222—35, 


152  Dr.  Konrad  Plath: 

Klange  weichen!  Aber  die  Sprache  des  fränkischen  Kultus  musste 
gelten,  der  heilige  Name  ein  fränkischer  werden.  So  ist  aus  Adua- 
tuca,  der  Stadt  der  Vatu-Göttinen  eine  heilige  Frankenstadt,  eine 
Disi-Burg,  eine  Burg  der  Göttineu  geworden!...  So  gilt  denn 
Watterich  Dispargum  als  die  fränkische  üebersetzung  von  Adua- 
tuca  —  und  er  hat  die  Genugthuung,  dass  ein  und  dei-selbe  Ort, 
Dispargum  am  Sehluss^  Aduatuca  am  Anfang  seiner  Abhandlung 
steht ! 

Famars.  Auf  einem  ziemlich  ähnlichen  Wege  kam  schon 
früher  H.  Müller^)  in  Würzburg  zu  dem  Ergcbniss,  Dispargum  sei 
die  fränkische  üebersetzung  von  Fanum  Martis,  und  demgemäss  zu 
Famars,  einem  Orte  bei  Valenciennes  zu  suchen!  „Fragen  wir  nun," 
so  meint  er,  „nach  dem  wahrscheinlichen  Sitze  Chlojos,  nach  der 
berühmten  Burg  Disbarg  ...  so  weisen  uns  zahlreiche  (?)  Beispiele 
aus  der  Geschichte  der  Niederlassung  deutscher  Herrscher  in  dem 
eroberten  Gallien  auf  den  Hauptort  des  jenseits  Cambrai  beginnenden 
Gebietes,  und  dieser  war  in  der  letzten  Zeit  des  Reiches  Fanum 
Martis,  heute  Famars  oder  Fan  genannt.  In  ihm  war  gemäss  der 
Notitia  utriusque  imperii  der  Sitz  des  römischen  praefectus  Lae- 
torum  Nerviorum,  nach  ihm  heisst  noch  im  Mittelalter  das  um- 
liegende Gebiet  pagus  Fanomartensis.  Die  Stadt  Valenciennes  war 
im  Mittelalter  nur  ein  vicus  in  pago  Fanomartcnsi.  Dieses  Fanum 
Martis  ist  (!)  Disbarg :  Disbarg  ist  getreue  üebersetzung  von  Fanum 
Martis!"  Nachdem  er  anderen  Ansetzungen  die  Berechtigung  abge- 
sprochen, meint  er:  „Vor  allem  aber  habe  ich  nachzuweisen,  dass 
wir  Disbarg  wirklich  als  eine  üebci-setzung  von  Fanum  Martis  be- 
trachten dürfen!"  Er  stellt  die  Behauptung  auf,  dass  die  Deutschen 
bei  der  Eroberung  fremder  Gebiete  die  Oertlichkeiten  des  neuen 
Vaterlandes  auf  verschiedene  Weise  benennen  konnten,  entweder, 
sie  erfanden  neue  Namen,  oder  sie  behielten  die  alten  bei,  oder  sie 
übersetzten  sie;  letzteres  sei  in  diesem  Falle  geschehen.  Nachdem 
er  mit  dieser  Theorie,  seiner  Meinung  nach,  dargethan,  dass  eine 
üebertragung  hier  statthaft  (!)  war,  bleibt  nur  nachzuweisen,  dass 
Fanum  Martis  und  Disbarg  wirklich  von  gleicher  Bedeutung  sind. 
Er  hält  zu  diesem  Zwecke,  mit  welchem  Grunde  wird  nicht  gesagt, 
die   Namenform    „Diosberg"    und    „Diesbarg"    für   die    richtigsten: 

1)  Hermann  Müller,  Der  Lex  Salica  und  der  Lex  Angliomm 
et  Werinorum  Alter  und  Heimath.     1840.    S.  32—46. 


Dispargnm.  153 

„Dis"  sei  Genitiv  von  Di  =  Diu  =  Tiu  =  Ziu  =  Mars ;  wie  „barg" 
fannm  Bei;  wird  nicht  genauer  auBgefUlirt. 

Aber  selbst,  wenn  wir  die  Annahme  eines  solchen  üeber- 
setznngsverfabrens  f(ir  statthaft,  und  Dispargum  wirklich  für  gleich- 
bedeutend mit  den  Worten  „Fanum  Martis"  halten  wollten,  so  liegt 
doch  Famare,  wie  schon  Schröder  i)  bemerkt,  viel  zu  südlich,  als 
dass  es  das  Dispargum  Chlojos  sein  könnte.  Müller  freilich  än- 
dert nun  den  pagus  fanomartensis  gleich  in  einen  „Disbarggan'^, 
während  ein  solcher  Name  doch  nirgends  vorkommt. 

Asberg.  Die  Angabe  von  Miraeus*),  Lecointe^),  Rui- 
nart*), Raepsaet^),  Longnon^),  Dispargum  sei  auch  in  Asberg  am 
Rhein  anzusetzen  versucht  worden,  beruht  nur  auf  einem  Missverständ- 
niss  der  Stelle  des  historisch-geographischen  Lexikons  desOrtelius^), 
in  der  er  die  Lage  des  aus  Tacitus  bekannten  Asciburgium  bespricht. 
Gegen  die  Meinung  des  Beatus  Rhenanus,  dass  Asciburgium  in 
dem  heutigen  Duisburg  zu  suchen  sei,  wendet  nämlich  Ortelius 
ein,  dass  letzterer  Ort  von  Ado  Dysporum,  von  Gregor  Dispargum 
genannt  werde,  womit  der  Name  Asciburgium  nicht  übereinstimme. 
Dispargum  gilt  ihm  also  vielmehr  für  Duisburg. 

Heinsberg.  Der  nördlich  von  Aachen  im  gleichnamigen 
Regierungsbezirke  der  preussischen  Rheinprovinz  an  einem  kleinen 
Nebenflusse  der  in  die  Maass  mündenden  Roer  liegende  Ort  Heins- 
berg wurde  1655  von  Peter  von  Streithag(en)  in  einer  Schrift®), 
die  schon  Krem  er  vor  1772  sehr  selten  nennt  und  die  heute 
nicht  mehr  aufzutreiben  ist ,  als  das  Dispargum  Chlojos  in  An- 
spruch genommen.  In  demselben  Jahr  äusserte  sich  Aegidius 
Boucher*)  beifllllig  über  diese  Ansetzung,  fand  aber  doch  We n d e  1  i ns 
abweichende  Ansicht  wahrscheinlicher.    Später  kamen  Ewichius^^) 


1)  Sybels  Historische  Zeitschrift.  N.  F.  VU.  S.  44,  A.  3. 

2)  Rerum  belgicanim  annales  (1624)  p.  121. 

3)  Annales  ecclesiastici  Francorum  (1665)  p.  59. 

4)  Gregorii  Tur.  opera  omnia  col.  63.  Not.  a. 

5)  Oeuvres  III.  267. 

6)  Geographie  de  la  Gaule  au  sixieme  siecle.     Pag.  619. 

7)  Thesaurus  Geographicus  (1611),   unter   dem  Worte  Asciburgium- 

8)  Heinsbergum  vetus  Hespargum  alias  Dispargum  castrum  in  ter- 
mino  seu  finibus  Thoringorum  etc.    Bonnae  1655.  4. 

9)  Aegidii  Buchorii,  Belgii  Romani  üb.  XV,  cap.  X,  p.  475. 
10)  Vesalia  sive  civitatis  Vesaliensis  descriptio  adornata  per  Herman- 

num  Ewichium,  Vcsalicnsem;  Vesaliae  (1668),  p.  12. 


154  Dr.   Konrad  Plath: 

und  Sellius^)  auf  Heinsberg  zurück  :  beide  nehmen  sonderbarerweise 
zwei  Merowiugerorte  Dispargnm  an,  das  eine  auf  der  rechten  (Duis- 
burg), das  andere  auf  der  linken  Rheinseite  (Heinsberg);  von  diesem 
sei  der  Zug  Cblojos  nach  Cambrai  ausgegangen.  Sagittarius^), 
Kremer^)  haben  diese  Ansetzung  erwähnt,  ohne  sie  zu  billigen. 
Aber  in  der  neueren  Zeit  hat  sich  Moät  de  la  Forte-Maison*) 
wieder  für  sie  erklärt.  Wie  man  sieht,  wurde  schon  Streithagen 
durq^  die  in  einigen  Handschriften  vorkommenden  Namensformen 
Hesbergim,  Hesbargem,  zu  seiner  Ansicht  bewogen.  Mo  et  meint, 
das  „berg^  in  Heinsberg  passe  besser  zu  der  überlieferten  Namens- 
form. Aber  jene  Lesarten  können  nur  durch  irrige  Lesung  ent- 
standen sein,  die  ältere  und  in  den  Handschriften  vorherrschende 
Form  ist  Dispargum  und  hiermit  lässt  sich  der  erste  Teil  des 
Wortes  Heinsberg  doch  kaum  vereinigen.  Moöt  deutet  dann  Gregors 
„in  termino  Thoringorum"  als  „an  der  Ostgrenze  der  Tungrer", 
aber  Heinsberg  liegt  doch  viel  zu  weit  von  Tongern  entfernt,  als  dass 
eine  solche  Bezeichnung  möglich  wäre,  selbst  wenn  wir  davon  absehen 
wollten,  dass  die  Deutung  der  Thoringi  als  Tungri  völlig  unstatthaft 
ist.  Seine  sonstigen  topographischen  Gründe,  die  Berücksichtigung 
der  Römerstrasse  nach  Cambrai,  die  übrigens  schon  Aegid ins  Bu- 
ch erius  herangezogen  hatte,  sind  anzuerkennen,  aber  sie  gelten 
ebenso  gut,  ja  noch  besser  bei  denjenigen  Ort,  den  wir  als  das 
alte  Dispargum  erkennen  werden. 

Di  est  an  der  Demmer,  einem  Nebenflusse  der  Dyle,  kurz 
unterhalb  seiner  Schiflfbarwerdung  gelegen ,  wurde  zuerst  von 
Chifflct^)  als  der  Ort  der  Pfalz  Chlojos  angesprochen.  Auch  er 
nahm  die  Lesart  Tungromm  füi*  Thoringorum  („in  termino  Th.") 
in  Gregors  Stelle  an,  und  hielt  unter  dieser  Voraussetzung  Diest  als 
passend.  „Auf  einem  Hügel  gelegen,  hätte  es  mit  Recht  „Dis- 
berga"  oder  „Disbargum"  genannt  werden  können."    Diese  Möglich- 


1)  Johannis  Nicolai  ScUii  Gymnasii  Vesaliensis  Rectoris  Vesalia  ob- 
sequens  sive  Inaugnratio  serenissimi  potentisHimique  principis . . .  Friderici 
Guilclmi  ...  Marchionis  Brandenbtirgensis,  Vesaliae  (1669)  p.  81.  a.  4. 

2)  Antiquitates  regni  Thuringici,  p.  126  u.  f.,  bes.  145. 

3)  Kremer,  Geschichte  des  rheinischen  Franziens.    S.  9. 

4)  M.  Moüt  de  la  Forte-Maison.  Les  Francs  etc.  I,  p.  453. 

5)  Joannis  Jacobi  Chifletii  ad  Vindicias  Hispanicas  lumina 
nova  Salica  (1647)  in  J.J.  Chifletii  opera  politico-historica,  Antwerpiae. 
MDCL,  Tom.  I,  pag.  222. 


Dispargum.  155 

keit  kann  uns  natürlich  nicht  genügen.  Noch  in  demselben  Jahre 
hatte  dann  Wendelin  ^)  diese  Ansetznng  ausführlicher  zu  begründen 
vereucht.  Er  legt  gleichfalls  von  vom  herein  die  Lesart  „quod 
est  in  terniino  Tongrorum"  zu  Grunde,  wonach  Dispargum  in  der 
Diöcese  von  Tongern  liege.  Nachdem  er  deshalb  Duisburg  am 
Rhein,  Doesboreh  an  der  Yssel,  auch  Duysbourg  bei  Brüssel  ab- 
gewiesen, meint  er,  es  gäbe' noch  ein  viertes  ,,Diesborch^,  nämlich 
„Diest".  (Dies  Dicsborch  zu  nennen,  ist  völlig  unberechtigte  Will- 
kür.) Für  diesen  Ort  führt  er  dann  noch  eine  Reihe  Gründe  an; 
einen  etymologischen:  „Dies"  bedeute  Berg,  tumulus,  Diest-tumu- 
letum  (diese  Erklärung  sollte  wahrscheinlich  den  bei  Diest  vermissten 
zweiten  Teil  des  Wortes  Dispargum  herbeischaffen);  einen  topo^ 
graphischen:  dort  seien  zwei  Bargen,  die  Eattenburg  und  eine 
zweite  —  eben  die  Dies-burch,  auch  die  Umgegend  passe  gut  flir 
eine  Pfalz;  einen  archäologischen:  es  seien  dort  Reste  vorhanden 
gewesen:  noch  nicht  zweihundert  Jahre  seien  es  her,  dass  die  Ge- 
bäude zerstört  seien,  die  die  principes  Diestenses  vom  Jahre  500  bis 
1459  bewohnt  hätten;  einen  historischen:  Diest  komme  auch  sehr 
früh  vor,  von  1100  ab  sei  die  Geschichte  besser  bekannt.  Endlich 
meint  er,  Gregors  Völkertafel  spreche  dafür.  —  Wie  wenig  der 
letzte  Grund  stichhält,  haben  wir  bei  der  Betrachtung  der  Völker- 
tafel gesehen;  die  anderen  sind  nicht  besser.  —  Chifflet  hatte 
denn  auch,  trotz  dieser  Zustimmung,  bald  darauf  seine  erste  Ansicht 
widerrufen*):  er  habe  geirrt,  dort  Dispargum  zu  suchen:  der  An- 
gabe, dass  die  zweite  Burg  zu  Diest  „Disburg"  genannt  werde, 
widersprächen  die  Einwohner  von  Diest  selbst;  sie  hiesse  bei  ihnen 
nur  im  allgemeinen:  „Die  Burg";  in  Urkunden  hiessen  ihre  Besitzer: 
„de  Burgo,"  niemals:  „de  Disburgo".  Nach  genauerer  Erwägung 
halte  er  jetzt  Duysbourg  bei  Brüssel  für  das  Dispargum  Chlojos.  — 
Henschen  hatte  freilich  3)  Chifflets  eigenen  Widerruf  durch  die 


1)  Leges  salicae  iUustratae :  illarum  natale  solum  demonstratum  cum 
Glossario  Salico  vocum  Aduaticainim:  Auetore  Gottefrido  Wendelino, 
Taxandro-Salio,  J.  V.  D.  Canonico  Condatensi  et  Officiale  Tornacensi  (die 
Approbation  des  Censors  p.  XV  ist  1647  unterschrieben)  in  J.  J.  Chif- 
letii  opera  poiitico-historica.  Tom.  II,  pag.  98  (caput  XIV:  De  Dispargo 
Castro,  forsan  Faramundi  certe  Chlodionis  domicilio). 

2)  Anastasis  Chiiderici  I  Francorum  regia  (1655)  p.  6—9. 

3)  De  tribus  Dagobertis  Francorum  regibus  diatriba  Godefridi  Hen- 
sehen ii  (1655)  lib.  IV,  cap.  VIII,  pag.  243-250, 


156  Dr.  Konrad  Plath: 

Ausrede  entkräften  wollen,  Diest  selber  habe  ursprünglich,  als  der 
Ort  auf  diese  Burg  sich  beschränkte,  Diestburgnm  geheissen;  beim 
Anwachsen  zu  einer  Stadt  sei  dann  das  „burgum"  abgefallen; 
eine  völlig  unei'weisliche  Behauptung.  Bucherius^)  stimmte  gleich- 
falls für  Diest,  ebenso  Mantelius*),  Wastelain^),  Ghesquifere*), 
während  Gelenius^),  Fürstenberg^),  Eckhart'),  Bessel*)  es 
verwarfen.  Huschberg ^)  stellte  die  Ansetzung  zn  Diest  wie- 
der als  über  allen  Zweifel  erhaben  hin  —  infolge  zu  geringer 
Litteraturkenntniss!  Müller ^*^)  sprach  sich  bei  Gelegenheit  seiner 
Ansetzung  der  Pfalz  Chlojos  in  Famars  etwas  unbestimmt  über  Diest 
aus :  „Vor  der  fortschreitenden  Geschichtsforschung  haben  die  mei- 
sten Annahmen  sich  zuiUckziehen  müssen.  Hier  und  da  hört  man 
noch  von  Diest,  dessen  eine  Burg  wirklich  den  Namen  Disburg 
geführt  haben  soll."  —  Doch  hatte  kurz  zuvor  sich  schon  Schayes") 
sehr  nachdrücklich  gegen  diesen  Ort  erklärt,  indem  er,  gegenüber 
den  Behauptungen  von  Wendelin  und  DesRoches  von  dem  frühen 
Vorhandensein  Diests,  zeigte,  dass  es  erst  verhältnissmässig  spät  in 
der  Geschichte  auftrete.  —  Ganz  zuletzt  hat  indessen  Richard 
Schrö  der  **)  wieder  eine  gewisse  Hinneigung  zu  Diest  gezeigt,  „falls 
dort  wirklich  früher  ein  Schloss  Disburg  bestanden  hat."     Die  An- 


1)  R.  P.  Aegidii  Bucherii  Atrebatis  e  societate  Jesu  Belgium  Ro- 
mauum  ecclesiasticum  et  civile  (1655)  p.  475. 

2)  Mantelius,  Historiao  Losseusis  Lib.  I,  c.  IV,  p.  9. 

3)  Wastelain,  Description  de  la  Gaule  Belgique,  1788,  p.  35. 

4)  Ghesquiöre,  Acta  Sanctorum  Belgii  I,  (1783),  296,  303—304. 

5)  Hierotheca  Engelbertina,  p.  119. 

6)  Monumcnta  Paderbornensia,  4.  Aufl.  (1714)  p.  146—147. 

7)  Leges  Francorum  Salicae  et  Ripuariorum  .  .  .  illustratae  (1720)  p.  5. 

8)  Chronicon  Gotwicense  II,  p,  469. 

9)  Huschberg,  Geschichte  der  Allemannen  und  Franken,  S.  449: 
«Die  vielfachen  Deutungen,  welchen  ferner  das  obengenannte  Castell  Dis- 
pargum  unterworfen  war,  sind  hier  übrigens  zu  übergehen,  da  rücksicht- 
lich der  Lage  derselben  kein  Zweifel  mehr  obwalten  dürfte.  Nordwestlich 
von  Tongern  liegt  die  Stadt  Distheim  au  der  Demmer  mit  zwei  alten  Ca- 
stellen,  von  welchen  das  eine  noch  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts 
Disburg  hiess." 

10)  Müller,  Der  Lex  Salica  etc.  Alter  und  Heimat,  1840,  S.  33. 

11)  A.  G.  B.  Schayes,   Les  pays-bas  avant  et  durant  la  domination 
romaine.  T.  II,  1838,  p.  443. 

12)  Schröder,   die  Herkunft   der  Franken.    Sybels   Hist.  Zeitschr. 
N.  F.  VII,  1880.    S.  44,  A.  3. 


Dispargum.  157 

gäbe  Chifflets  in  seiner  Anastasis^  der  sich  an  Ort  und  Stelle 
von  der  Unwahrheit  dieser  Behauptung  überzeugte,  haben  jedoch 
diese  Ansetzung,  als  völlig  willkürlich,  ein  für  allemal  aus  der 
Welt  geschafft. 

Duysbourg.  Dieser  belgische  Ort  zwischen  Brüssel  und 
Löwen,  östlich  von  Tervueren  auf  einer  ansehnlichen  Hochfläche  ge- 
legen, an  einer  wenig  günstigen  Stelle,  da  Wasser  und  Pflanzenwuchs 
mangelt,  und  deshalb  auch  wenig  bedeutend,  wurde  zuerst  von 
Wendel  in  bei  Gelegenheit  der  Erörterung  der  Dispargumfrage  er- 
wähnt (vgl.  S.  155,  Anm.  1),  aber  wegen  der  unvorteilhaften  Gegend, 
die  zur  Anlage  einer  Pfalz  nicht  geeignet  sei,  von  vornherein  verworfen. 
C  h  i  f  f  I  e  t  kam  indess,  nachdem  er  seine  frühere  Ansetzung  zu  Diest 
widerrufen,  auf  diesen  Ort  zurück  ^).  Er  bezog  sich  dabei  auf  die 
Angabe  Grammayes,  nach  der  dort  lebende  vertrauenswürdige  alte 
Männer  versicherten,  Trümmer  und  Spuren  der  alten  Burg  gesehen 
zu  haben.  Der  Ortsgeistliche  verbürge  nach  alten  Zeugnissen, 
zweihundert  Jahre  vor  Fura  (Tervueren)  sei  jenes  Duysbourg  eine 
Burg  der  Herzöge  von  Brabant  gewesen.  —  Jene  angeblichen 
Trümmer  dürfte  doch  wohl  jeder  auf  die  Burg  der  Herzöge  von 
Brabant  beziehen;  für  die  Pfalz  Chlojos  an  dieser  Stelle  beweisen 
sie  also  nicht  das  geringste.  —  Ausserdem  sei  in  der  Nähe 
eine  Römerstrasse  nach  Tournai  gegangen.  Auch  das  kann  zur 
Ansetzung  von  Dispargum  nicht  genügen.  —  Noch  in  demselben 
Jahre  hatte  sich  denn  auch  Henschen*)  gegen  Chifflets  Ansetzung 
zu  Duysbourg  zu  Gunsten  von  Diest  ausgesprochen.  Dagegen  waren 
für  Duysbourg  wieder  Lecointe^)  und  Dubos*).  In  Deutschland 
später  Mannert^),  dann  der  Verfasser  einer  Besprechung  von  Leos 
Zwölf  Büchern  niederländischer  Geschichte  in  der  Hallischen  Litte- 
raturzeitung  (1833,  Nr.  19),  und  der  auf  die  letzten  beiden  hinwei- 
sende R 0 8 p a 1 1  ^).    Gegen  Duysbourg  stimmten  wiedenim  Raepsaet, 


1)  Anastasis  Childerici.  I  Francorum  regia  (1655),  p.  7. 

2)  De  tribus  Dagobertis  diatriba,  pag.  248. 

3)  Anuales  ecclesiastici  Francorum  auctore  Carole  Le  Co  inte  .  .  . 
(Paris  1665)  p.  69. 

4)  Histoire  critique  de  r^tablissement  de  la  monarchie  fran^oise  dans 
les  Gaules  par  M.  l'abbe  Dubos,  Nouvelle  edition  (1742),  I  p.  275-286. 

5)  Geographie  der  Griechen  und  Kömer  IH,  S.  566  (1792). 

6)  Kritiachc  Beitrage  zur  ältesten  Geschichte  der  Franken.  S.  27. 


158  Dr.  Konrad  Plath: 

(Oeuvres III,  268),  Müller  (Lex  Salica  S.  34,  39),  Waitz^)  nnd 
Leo*).  Müller  hielt  es  für  zu  weit  von  Cambrai  entfernt,  was 
freilich  ein  sehr  subjectiver  Grund  ist;  auch  sei  der  Name,  den 
er  als  „Mons  fauni"  erklärte,  nicht  mit  Dispargum  übereinstim- 
mend. Waitz  meinte,  es  liege  „weder  in  termino  Thoringorura, 
noch  Tongrorum"  und  Leo  sprach  sich  ähnlich  aus,  obwohl 
die  Lage  „vieles  für  sich  habe".  Der  in  der  Nähe  von  Duys- 
bourg  schreibende  Wauters*)  erklärte  sich  wieder  in  einge- 
hender Auseinandersetzung  sehr  entschieden  für  die  dortige  An- 
setzung  von  Dispargum.  Die  Richtung  des  fränkischen  Zuges  nach 
Cambrai  spreche  flir  diesen  Ort:  indessen  dieser  Richtung  ent- 
sprechen auch  eine  ganze  Reihe  anderer  Orte,  in  denen  man  Dis- 
pargum gesucht  hat.  Es  liege  an  der  westlichen  Grenze  der  Diö- 
cese  von  Tongern  oder  Ltittich:  also  in  terminum  Tongi-orum; 
aber  mit  dieser  irrigen  Lesart  M\t  auch  das  Argument,  abgesehen 
davon,  dass  der  terminus  Tongrorum  und  die  Grenze  der  Lüttichcr 
Diöcese  als  gleichbedeutend  schwerlich  zu  erweisen  wären.  Die 
Lage  der  Silva  Carbonaria,  auf  die  er  sich  beruft,  stimmt  nicht 
nur  zur  Ansetzung  in  Duysbourg,  sondern  auch  zu  anderen,  und 
hier  noch  besser.  Wendel  in  hatte  die  ungünstige  wasser-,  weide- 
und  waldlose  Lage  gegen  Duysbourg  geltend  gemacht,  und  Wauters 
hatte  zu  Anfang  seiner  Besprechung  des  Ortes  diese  ungünstige 
Lage  selbst  sehr  deutlich  betont*),  indessen  glaubte  er  diesen 
Einwand  durch  den  Hinweis  auf  günstigere  Verhältnisse  in  etwas 
weiterer  Entfernung  entkräften  zu  können.  Seine  Angabe,  dass  be- 
nachbai-te  Orte  in  der  karolingischen  Zeit  zum  Königsgut  gehörten, 
scheint  ihm  selbst  nicht  als  genügendes  Zcugniss  zu  gelten,  und  mit 
Recht.  Ebenso  wenig  beweisen  die  von  ihm  erwähnten  in  der 
Nähe  liegenden  Hügßl,   der  Vranksberg  und  der  Huldenbergh,   der 


1)  Waitz,  Das  alte  Recht  der  salischen  Franken  S.  52.  A.  1. 

2)  H.  Leo,  Vorlesungen  über  die  Geschichte  des  deutschen  Volkes 
und  Reichs  I  (1854^.    S.  297.    Anm. 

3)  Wauters.  Histoire  des  environs  de  Bruxclles.  Tom.  III,  p.  420—432. 

4)  A  Test  de  Tervueren  commence  un  plateau  assez  61ev6  dont  le 
point  culminant  est  occupe  par  le  village  de  Duysbourg.  Aucun  avantage 
naturel,  si  ce  n'est  la  fertilite  du  sol  (?),  n'expHque  la  naissance  de 
cette  localit^  qui  est  61oign(Se  de  tout  cours  d'eau.  On  ne  peut  Tattribuer 
aux  Gaulois  ou  aux  Germains ,  ces  peuplcs  amoureux  du  voisinage  des 
ruisseaux.  p.  420. 


Dispargtiin.  159 

übrigens  bei  der  ersten  Erwähnung  Hildebergh  heisst  und  deshalb 
nicht  etwa  als  Berg  der  Huldigung  gedeutet  werden  kann.  Sehr 
entschieden  hat  sich  auch  Moöt  de  la  Forte -Maison^)  gegen  Duys- 
bourg  erklärt.  Dieser  belgische  Ort  habe  zur  Zeit  Chlojos  noch 
gar  nicht  bestanden :  die  ganze  Gegend  dort  sei  ein  wttster  Wald 
gewesen.  Longnon  hielt  diese  Ansetzung  für  ebenso  wertlos^  wie 
alle  ttbrigen^).  und  doch  ist  sie  heute  gang  und  gäbe,  und  ein 
Schriftsteller  schreibt  sie  immer  getreulich  und  ohne  Bedenken  vom 
andern  ab.  Des  Snchens  müdC;  ist  man  stillschweigend  überein- 
gekommen, Dispargum  dort  „mit  Wahrscheinlichkeit"  anzunehmen. 
So  finden  wirDuysbourg  bei  Arnold*),  Gauchez*),  Lamprecht ^), 
Oesterley*),  selbst  Longnon^)  hat  sich  neuerdings  zu  der  früher 
verworfenen  Anschauung  bequemt,  auch  Richard  Schröder 
begünstigt  es®).  Lamp recht  hat  dem  Orte  vor  kurzem  sogar 
eine  neue  Namensform  „Duesborg"  verliehen^),  die  von  der  that- 
sächlichen  völlig  verschieden  ist. 

Aber,  wie  man  beiWauters  sehen  kann*^),  wird  Duysbourg, 
was  bei  seiner  ungünstigen  Lage  sehr  erklärlich  ist,  im  Jahre  1190 
zum  ersten  Mal  als  ein  ganz  unbedeutender  Ort,  der,  wie  es  scheint, 
nicht  einmal  einen  eigenen  Geistlichen  hat,  erwähnt,  und  obendrein 
—  trägt  es  damals  gar  nicht  den  heutigen  Namen,  der  dem  Namen 
der  Pfalz  des  Chlojo  ähnlich  klingt,  sondeni  heisst  noch  auf  lange 
Zeit  Dazenborch  (in  einer  Urkunde  von  1226;  das  Siegel  des  Ortes 
von  1372  zeigt  die  Form  Duseborch)-,  damals  erst  erhielt  es  von 
dem  Herzog  Heinrich  I.  dieselben  Rechte,  wie  dus  kleine  Tei-vueren. 
Die  gewünschte  üebereinstimmung  des  Namens  mit  dem  gesuchten 
fränkischen  Dispargum,   die  doch  der  erste  Anlass  war,   an   diesen 

1)  Mo6t  de  la  Forte-Maison.    Les  Francs,  I,  pag.  4G2. 

2)  Geographie  de  la  Gaule  au  VK  Bi^cie,  p.  619. 

3)  Arnold,  Deutsche  Geschichte,  I.  (Die  Urzeit)  S.  150. 

4)  Topographie  des  voies  romainee  de  la  Gaule  Belgique.  Annales 
de  l'acadömie  d'arch6ologie  de  Belgique  XXXVIII.  1882,  p.  368. 

5)  Lamp  recht,  Zeitschrift  des  Aachener  Geschieh  tsvereins,  IV,  220; 
Westdeutsche  Zeitschrift,  I,  186. 

6)  Oesterley,  Histor.-geogr.  Wörterbuch  des  deutschen  Mittel- 
alters (1883),  S.  138. 

7)  Atlas  historique  de  la  France.  1885'-1889. 

8)  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte.  S.  96,  A.  12. 

9)  Deutsche  Geschichte  (1891).  J,  S.  281. 

10)  Histoire  des  environs  de  Bruxelles  III,  pag.  426. 


160  Dr.  Konrad  Platii: 

Ort  überhaupt  zn  denken,  beBteht  also  nicht.  Von  fränkiBchen,  wie 
auch  von  römischen  üeben-esten  war  zu  Wauters  Zeit  noch  nicht 
das  geringste  entdeckt  worden*);  vor  allem  nicht  Spuren  des  frän- 
kischen Palastes,  wie  denn  selbst  die  von  jenen  „glaubwürdigen 
Greisen"  bezeichneten  Reste  der  angeblichen  Burg  der  brabantischen 
Herzöge  am  Orte  nirgends  nachzuweisen  waren.  Und  in  der  That 
war  zur  römischen  und  fränkischen  Zeit  die  ganze  Gegend  dort,  ein 
weiter,  unwirtlicher  Wald,  gewiss  nicht  geeignet  zur  Anlage  eines 
königlichen  Herrschereitzes.  Erst  alhnählig  haben  später  die  Deutsehen 
diese  Wildniss  gelichtet  und  angebaut^).  Dann  erst  sind  die  frän- 
kischen Ortsnamen,  die  besonder  Schröder  und  Lamprecht  nam- 
haft machen,  entstanden.  Also  auch  diese  Ansetzung  von  Dispargum 
an  einem  linksrheinischen  Orte  erweist  sich  von  selbst  als  unhaltbar, 
ganz  abgesehen  davon,  dass,  wie  oben  gezeigt,  unsere  Quellen  die 
rechtsrheinische  Lage  dieses  Ortes  verbürgen.  Wenden  wir  uns 
nun  den  Ansetzungen  auf  der  östlichen  Seite  des  Rheines  zu! 

„Dietesburg  im  Buchenwalde".  Freiherr  Ferdinand 
vonFürstenberg^),  Sagittarius*),  Bessel^),  Kremer^),  Türk'), 
Rospatt ^)  nennen  als  eine  Ansetzung  von  Dispargum  einen  Ort 
Dietesburg  im  Buchenwalde  (Buchonia)  oder  „im  Fuldaischen",  als 
deren  Vertreter  sie  den  Jesuiten  Christophorus  Brower  an- 
fuhren. Die  drei  ersten  erklären  sich  entschieden  gegen  diese  An- 
setzung^); die  übrigen  erwähnen  sie  nur.  Aber  keiner  von  ihnen 
allen  hat  bemerkt,  dass  es  einen  solchen  Ort  —  überhaupt  gar  nicht 
gibt.  Weder  die  Karten,  noch  die  geographischen  Lexica  (Ritter, 
Rudolph,  Neu  mann)  wissen  von  einem  Orte  dieses  Namens !  und 


1)  Ebenda  p.  428. 

2)  A.  G.  B.  Schayes.  Les  pays-bas  avant  et  durant  la  domination 
romaine.  T.  II,  110—152,  415  u.  f.  stellt  die  Nachrichten  über  die  völlige 
Bewaldung  und  Versumpfung  des  ganzen  Landes  zusammen. 

3)  Monumenta  Paderbomensia  (vgl.  S.  161,  A.  2.),  p.  147. 

4)  Casparis  Sagittarii  Antiquitates  regni  Thuringici  p.  139. 

5)  Chronicon  Gotwicense  T.  II,  469. 

6)  Geschichte  des  rheinischen  Franziens  S.  9.  A.  r. 

7)  „Kritische  Geschichte  der  Franken  bis  zu  Chlodwigs  Tode",  in 
seinen  Forschungen  auf  dem  Gebiet  der  Geschichte,    Heft  III,  S.  73. 

8)  Kritische  Beiträge  zur  ältesten  Geschichte  der  Franken  S.  13. 

9)  Auch  Wenck,  Hessische  Landesgeschichte  TI,  1.  133.  A.  d.  ist 
dagegen. 


Dispai*gum.  161 

wenn  wir  nun  auf  Browers,  übrigens  sehr  seltenes  Buch^)  zurück- 
gehen —  so  zeigt  sich,  dass  dieser  gar  nicht  eine  Vermutung  über 
die  Lage  von  Dispargum  ausgesprochen,  sondern  nur  eine  Etymo- 
logie dieses  Ortsnamens  anzugeben  beabsichtigt  hat.  Er  deutet  es 
sprachlich  als  Dietes  Pnrgns  vel  Burgus.  Damit  ist  diese  nur  durch 
Nachlässigkeit  entstandene  „Ansetzung"  erledigt. 

Desenberg.  Für  den  an  der  Diemel,  einem  linken  Neben- 
flusse der  Weser  in  Westfalen  (im  Regierungsbezirk  Minden)  gelege- 
nen Desenberg,  der  auch  Dessenberg  genannt  wird,  und  das  in  der 
Nähe  liegende  Dorf  Daseburg  hatte  sich  Gelenius  in  seinem 
früher  sehr  geschätzten,  jetzt  hier  nicht  mehr  auftreibbaren  Buche 
„Hierotheca"  pag.  119  erklärt.  Ob  auch  aus  andern  Gründen,  als 
der  sehr  entfernten  Namensähnlichkeit,  die  nichts  beweist,  ist  mir 
unbekannt.  Ferdinand  von  Fürstenberg*),  der  eine  Ansicht 
des  sehr  steilen  Berges,  den  eine  Burgniine  krönt,  darbietet ,  hatte 
sich  unter  Benifung  auf  Aimoin  dagegen  ausgesprochen,  hier  das 
Dispargum  Chlojos  zu  suchen.  Ebenso  ablehnend  verhielten  sich 
Sagittarius,  Eckhart,  Bessel  und  alle  andern.  Es  lässt  sich 
in  der  That  kaum  ein  Grund  fttr  Gelenius  Meinung  anführen,  und 
so  dürfen  wir  sie  denn  auf  sich  beruhen  lassen. 

Ein  Duisburg  an  der  Eller  wird  von  Wenck,  Kremer, 
Tttrk  als  Ansetzung  fQr  Dispargum  angeführt.  An  den  drei  mir 
bekannten  Gewässern  Eller,  Bächen  bei  Schesslitz,  Paderborn,  Göt- 
tingen, habe  ich  einen  Ort  Duisburg  nicht  gefunden. 

Hessberg  an  der  Werra,  ein  Pfarrdorf  in  Sachsen-Meiningen, 


1)  Fuldensium  Antiquitatum  libri  IUI.  Auetore  R.  P.  Christophoro 
Brovvero  —  Societatis  Jesu  Presbytero.  Antverpiae  ex  officina  Plan- 
tiniana.  Apud  Viduam  et  Filios  Joannis  Moreti  MDCXII.  Cum  privilegiis 
Caesareo  et  Principum  Belgarum.  Die  Stelle  findet  sich  im  Lib.  I,  caput  II. 
Buchoniae  veteris  situs  et  regio.  Darin  p.  7. . . .  Idem  (Greg.  Tur.)  orien- 
taiium  sedes  quoad  äua  aetate  retro  meminisse  licuit,  inuestigans,  ponit 
eas  iuxta  pagos  et  civitates  in  confinio  Thuringiae;  vetusque  castrimi  Dis- 
pargum in  limite  Thoringorum  Clodioni  assignat  nobilissimo  Francorum 
regi.  Dazu  die  Randbemerkung:  DiHpargum.  adi  OrteUi  Synon.  in  Asci- 
burgio  coniecturae  merae.    Etymon  probabile  Dietes  Purgus  vel  Burgus. 

2)  Fürstenbergius.  Monumenta  Paderbomensia  ex  historia  Ro- 
mana, Francica,  Saxonica  eruta  etc.  ac  notis  posthumis  Ferdinandi  Prin- 
cipis  Episcopi  Paderbornensis  et  Monasteriensis  etc.  textui  passim  insertis 
illustrata.  Editio  quarta  prioribus  correctior.  Lemgoviae  MDCCXIV, 
p.  146.  ~  Meyer,  Der  Desenberg  b.  Warburg,  Westftll.  Archiv  I. 

Jahrb.  d.  Ver  v.  Altorthsfr.  im  Rheinl.  XCV.  H 


162  Dr.  Konrad  Plath: 

Kreis  Hildburghausen,  nennt  Türk  als  eine  Ansetzung  ftlr  Dis- 
pargnra.  Es  steht  dies  mit  jeuer  Anschauung  im  Zusammenbange; 
die  Chlojos  Reich  in  den  Mainfränkischen  Gegenden  sucht,  und  der 
als  terminus  Thoringorum  demgemäss  der  Thüringerwald  gilt.  Für 
Hessberg  mochten  dann  noch  die  Lesarten  einiger  Handschriften, 
die  für  Dispargum  die  Formen  Hesbergim,  Hesbargem,  Hesbargim 
haben,  angeführt  werden.  Aber  da  Chlojos  Reich  zweifellos  am 
Rheine  lag,  kann  diese  Ansetzung  nicht  aufrecht  erhalten  werden. 
Wie  sollte  auch  Chlojo  auf  den  Gedanken  gekommen  sein,  von  hier 
ans  gerade  auf  Cambrai  einen  Angriff  zu  machen,  mit  einem  Zuge 
durch  den  Kohlenwald? 

Die  D  i  e  s  b  n  r  g  (Duisburg),  eine  Burgruine  in  Sachsen- Weimar, 
Kreis  Eisenach,  Amt  Kaltennordheim  bei  Wohlmuthhansen  (so  ist 
die  ofßcielle  Bezeichnung  bei  Rudolph,  die  Angaben  der  Histo- 
riker weichen  von  einander  ab  und  verwirren  daher  leicht),  wurde 
zuerst  von  Wilhelm  Dietmar  (der  Name  wird  in  verschiedener 
Schreibung  angeflihrt)  in  einer  besonderen  1709  erschienenen  Schrift 
als  Chlojos  Herrschersitz  vor  seinem  Eroberungsznge  in  Anspruch 
genommen.  Eckhart,  Heineccius*),  Kremer,  Wenek*),  Wer- 
sebe')  erklärten  sich  für  diese  Ansicht  und  Türk  sagt  1830,  sie  sei 
die  gewöhnlichste  geworden,  ohne  dass  er  sie  doch  mit  Entschiedenheit 
vertritt.  Indess  hatte  schon  B  es  sei  sich  ausdrücklich  gegen  diese 
Ansetzung  erklärt,  da  die  Diesburg  viel  zu  weit  von  dem  Schauplatze 
der  Thätigkeit  Chlojos  entfernt  sei  (Chronicon  Gotwicense  II,  469), 
und  wir  müssen  ihm  darin  völlig  beistimmen. 

Der  Dilsberg  am  linken  Neckarufer,  gegenüber  von  Neckar- 
steinach, wurde  von  Struve*)  für  den  Sitz  Chlojos  gehalten.  Da 
sein  Name  mit  Dispargum  kaum  eine  Verwandtschaft  zeigt,  wurde 
er  irrig  oft  durch  ähnlichere  ersetzt.  So  nannte  ihnBessel  (Chron. 
Gotwic.  II,  470)  Diesberg,  Wenck*)  Diesperg,  Kremer  (a.  a.  0. 
S.  9)  Dilsperg,  Türk  (S.  73)  Diesperg.  Schon  Bessel  hat  sich 
gegen  diese  Ansetzung  entschieden.  Weder  der  Name  noch  die  Lage 
des  Berges  stimmt  zu  dem  fränkischen  Dispargum. 


1)  Praefatio  zu  Georgisch*  Corpus  iuris  gerinanici,   1738,  p.  15—16. 

2)  Wenck,  Hessische  Landesgeschichte,  II,  1789,  S.  131—134. 

3)  vgl.  oben  S.  147,  Anra.  1. 

4)  Bnrcardi  Gotthelffii  Struvii  Syntagma  historiae Germanicae  etc. 
Jenae  1716;  §  14,  p.  11—12. 


Dispargiim.  168 

Dentz  nennt  nur  Henschen*)  als  eine  vereinzelte  irrige 
Ansetzung.  Vielleicht  liegt  hier  sogar  ein  Missvcrständniss  zu  Grunde-, 
denn  in  dem  fQr  Dispargum  gehaltenen  Duisburg  am  Rhein  suchten 
einige  auch  das  von  Hieronymus  genannte  Densonis  castrum,  das 
andere  in  Deutz  annahmen.  So  konnte  wohl  eine  Verwechselung 
eintreten.    Deutz  heisst  bei  Gregor  (155,  7)  Divitia. 

Doesburg  an  der  Yssel,  bei  der  Mttndung  der  alten  Yssel 
in  der  niederländischen  Provinz  Geldern,  wurde  zuerst  von  Wen- 
delin bei  der  Besprechung  der  Lage  von  Dispargum  erwähnt,  aber 
nicht  anerkannt^).  Dagegen  erklärte  sich  V  red  ins  ^)  für  diesen 
Ort,  ebenso  Georg  Hörn*).  Der  letztere  meinte,  Doesburg  sei 
eines  der  fünfzig  Gastelle  des  Drusus:  „nam  Drusi  conditoris  sui 
nomen  refert".  Unter  den  Franken  sei  es  mit  Fortfall  des  r  (natür- 
lich eine  völlig  willkürliche  Behauptung!)  D(r)u8burgum  genannt, 
dann  Dispargum  geschrieben.  Dort  sei  Faramunds  und  Chlojos  Sitz 
gewesen,  denn  von  der  Yssel  hätte  die  terra  salica,  hätten  die  Salier 
selbst  ihren  Namen.  Man  ist  von  beiden  Erklärungen  jetzt  zurück- 
gekommen. Sagittarius  hat  denn  auch  gegen  diese  Ansetzung 
sich  ausgesprochen  (p.  143)  und  Eckhart,  Bessel,  Schröder^), 
haben  in  gleichem  Sinne  ihr  Urteil  abgegeben,  der  letztere,  weil  der 
Ort  chamawisch  sei.  Jedenfalls  kann  er  gegen  besser  begründete 
Ansprüche  nicht  in  Betracht  kommen. 

Doesburg  bei  Ede  in  der  Veluwe,  nördlich  von  Wageningen 
am  Rhein,  ebenfalls  in  der  niederländischen  Provinz  Geldern  —  er- 
wähnt nach  Müllers  Vorgang  Schröder  —  wohl  nur,  um  alle 
ähnlich  klingenden  Namen  zusammenzustellen,  erklärt  sich  aber  gleich 
gegen  eine  Ansetzung  von  Dispargum  dort,  weil  es  chamawisch  sei. 
Wir  dürfen  mit  Recht  davon  absehen. 

Duisburg  am  Rhein,  oder  gegenwäi*tig  genauer  am  Dickels- 


1)  De  tribus  Dagobertis  Francorum  regibus  diatriba  p.  243. 

2)  Leges  Salicae  illustratae,  Auetore  Gotefrido  Wendelino  in 
J.  J.  Chifletii,  Opera  politico-historica  II,  p.  98—102. 

3)  Historiae  Comitimi  Flandriae  Libri  Prodromi  duo.  Quid  comes? 
QuidFlandria?  auctore  Olivario  Vredio  J.C.Brugensi,  Brugifl.  Anno  MDCL, 
in  dem  Abschnitt  ,,qmd  Flandria''  pag.  68.  80—82. 

4}  Georgii  Hornii  Dissertationes  historicae  et  politicae,  Lugd. 
Bata verum  MDCLV.  Dissertatio  VII.  De  urbe  Drusi burgo  quam  Does- 
burgum   hodie   vocant  (pag.  40—46). 

5)  Sybels  Hist.  Ztschr.  N.  F.  VII,  44,  A.  3. 


164  Dr.  Kottrad  Plath: 

bach,  einem  kleinen  linken  Znflusse  der  in  den  Rhein  mündenden 
Eahr,  im  Regierungsbezirke  Düsseldorf  in  der  preussischen  Rhein- 
provinz gelegen^  bleibt  uns  schliesslich  als  Ansetzung  zu  besprechen. 
Es  ist.  derjenige  Ort^  auf  den  man  am  frühesten  das  von  Gregor 
als  Chlojos  Residenz  genannte  Dispargum  bezog.  Schon  die  Kanz- 
leibeamten der  Ottonen  und  Adam  von  Bremen  nannten  diesen 
Ort  Dispargum  und  auch  die  ersten  wissenschaftlichen  Betrachter 
der  Stelle  Gregors  in  der  Neuzeit  erklärten  sich  für  Duisburg.  So 
vielleicht  schon  Hermann  von  Nuenar  und  Walther  Gymmius, 
deren  Werke  noch  im  sechszehnten  Jahrhundert  Johannes  Tybius, 
der  Duisburger,  in  sein  lateinisches  Gedicht  Annalium  sive  Antiqni- 
tatum  Originisque  veteris  Duisborgi  libri  III  (1579)*)  verarbeitete. 
Die  VersC;  in  denen  er  Duisburg  als  das  fränkische  Dispargum  schil- 
dert (a.  a.  0.  p.  157),  mögen  hier  folgen : 

Franci  has  quaerentes  Duispargi  nomine  sedes 

Dixere:  hie  belli  praesidiumque  locant. 

Scilicet  et  Clodius  de  crinibus  ille  Comati 

Nomen  qui  meruit  Francus,  ab  urbe  prior 

Hac  vires  sumpsit,  9,0  coeptam  robore  munit, 

Hac  sola  Gallos  vastat  ab  urbe  leves. 

Hie  belli  sedem  robur  firmumque  locavit, 

Quam  Theodomirus  rexerat  ante  pius. 

Belgi  hac  Tornacum  Cameracum  coepit  et  urbes 

Hac  domitus  Clodio  Gallus  obaudit  iners. 

Regia  eis  eadem  hie  quae  quondam,  maxime  Tuiscon, 

Prima  tibi  fuerat  firma  vetusque,  fuit. 

Für  Duisburg  stimmten  weiterhin  Ortelius  (vgl.  S.  153  A.  1), 
Teschenmacher*)  und  Pontanus*).  Ewich  und  Sellius  (s. 
S.153,  A.  10,  154,  A.  1),  erklärten  wenigstens  den  einen  der  von  ihnen 
angenommenen  Merowingerorte  Dispargum  für  Duisburg  ^).  Fttrsten- 
berg  (s.  S.  161,  A,  2),    Sagittarius  (s.  S.  154,  A.2),  Hopp*), 


1)  in:   W.  Teschenmacheri  Annales  Cliviae  etc.,   ed.  Dithmar, 
p.  152  u.  f. 

2)  Job.  Isaci  Pontani  Historiae  Gelricae  1.  II,  p.  36. 

3)  Joh.  Nie.   Selii   Panegyris   sive  Vesalia   gratulans  (1686)   p.  13, 
nennt  nur  Duisburg  noch  als  Dispargum. 

4)  Egbert  Hopp,  Rurtze   Beschreibung   des  Landes  ....   Cleve, 
1655.  S.  74. 


Dispargum.  165 

Gaguinus,  Naukler,  Gebwiler^),  Bessel,  Withof  *),  Weisse^), 
Borheck*)  Türk  (s.S.  151,  A.  7)  Htillmann*),  Raepsaet«), 
Barthold'),  Lacomblet®),  Gengier ^)  äusserten  sich  mehr 
oder  minder  entschieden. 

Gegen  Duisburg  haben  sich  ausgesprochen  Wendel  in,  der 
Dispargum  in  Diest  suchend,  meinte,  wohl  nur  die  Namensähnlich- 
keit (die  man  gerade  bei  Diest  nur  allzusehr  vermisste!)  habe  zur 
Ansetzung  in  Duisburg  am  Rhein  oder  Doesburg  an  der  Yssel  ge- 
führt,  L  e  c  o  i  n  t  e  wegen  der  irrig  berücksichtigten  Völkertafel  Gre- 
gors ;  S  t  r  u  V  e  „weil  Duisburg  auf  dem  linken  Rheinufer  liege"  — 
während  es  that«ächlich  auf  dem  rechten  liegt ;  Müller,  der  an- 
führte, Duisburg  bedeute  nicht  Fanum  Martis,  sondern  Mons  faunl, 
was  jedem,  selbst  wenn  er  dieser  Etymologie  zustimmen  wollte, 
höchst  gleichgültig  und  nichts  beweisend  erscheinen  muss,  der  sich 
nicht,  wie  Müller,  darauf  verschworen  hat,  Dispargum  müsse 
„die  fränkische  üebersetzung  von  Fanum  Martis",  nnd  deshalb  zu 
Famars  zu  suchen  sein;  Georg  Waitz,  weil  es  nicht  „in  termino 
Thoringorum"  liege,  ein  Einwurf,  mit  dem  wir  uns  später  noch  be- 
schäftigen werden;  Wauters,  den  seinLokalpatriotismus  ohne  Erfolg 
für  das  belgische  Duysbourg  eintreten  liess,  obwohl  er  sonst  von  Duis- 
burg noch  am  meisten  hielt ;  Mo6t  de  la  Forte-Maison,  der  uner- 
warteter Weise  und  ohne  recht  erkennbaren  Grund,  nachdem  er  ge- 


1)  Diese  drei  nennt  Withof  a.  a.  0.  Ihre  Schriften  sind  mir  un- 
bekannt. 

2)  Withof,  Pracmetium  crucium  criticarum  praeeipue  ex  Seneca 
tragico,  praemittitur  oratio  de  origine  et  antiquitate  urbis  Duisburgensis 
ad  Rhenum.    Leiden  1749,  p.  12-13. 

3)  Denkwürdigkeiten  der  Stadt  Duisburg  am  Rliein  aus  alten  und 
mittleren  Zeiten  nebst  dem  Beweise ,  dass  diese  Stadt  unter  dem  Namen 
Dispargum  die  erste  Hauptstadt  des  Fränkischen  Reiches  und  die  Resi- 
denz des  Königs  Chlodions  gewesen.  Duisburg  1769.  Meine  Bemühungen, 
diese  Schrift  zu  erhalten,  waren  vergeblich;  ich  kenne  sie  nur  aus  Bor- 
becks und  Genglers  Anführung. 

4)  Bor  heck,  Versuch  einer  Geschichte  der  Stadt  Duisburg  am  Rhein, 
S.  5—10,  als  Anhang  zur  Geschichte  der  Länder  CIcve,  Mark,  u.  s.  w.  IL  1800. 

5)  Geschichte  d.  Ursprungs  der  Stände,  2.  Aufl.,  S.  27. 

6)  Oeuvres  III,  269. 

7)  Geschichte  der  deutschen  Städte  I,  (1850)  S.  28,  236. 

8)  Archiv  f.  d.  Gesch.  d.  Niederrheins,  III,  S.  11—16. 

9)  Codex  iuris  municipalis  Germaniae  I,  (1863)  S.  943—44. 


166  Dr.   Konrad  Plath: 

sagt,  es  sei  eigentlich  nur  zwischen  Duisburg  am  Rhein  und  Duysbourg 
bei  Brflssel  zu  wählen,  plötzlich  nach  Heinsberg  abschwenkte,  das 
ihm  besser  zu  dem  —  unhaltbaren  —  temiinus  Tongrorum  zu  passen 
schien.  Gegen  Duisburg  war  auch  L  o  n  g  n  o  n ,  der  alle  Ansetzungen 
von  Dispargum  ftlr  wertlos  ausgab,  um  sich  dann  doch  fftr  Duys- 
bourg zu  erklären;  Schröder,  weil  Duisburg  ribuarisch  sei*), 
was,  nachdem  wir  gesehen,  dass  das  später  so  genannte  ripuarische 
Reich  eben  durch  salische  Franken  begi-ündet  wurde,  mehr  für,  als 
gegen  diese  Ansetzung  spricht;  ja  schliesslich  haben  selbst  Duis- 
burger Gelehrte,  Baumbach*)  und  Stiefel*),  sich  gegen  ihre 
Stadt  entschieden,  „weil  es  erwiesen  sei,  dass  Dispargum  auf  dem 
linken  Rheinufer,  nahe  der  Scheide  in  Belgien  liege".  Was  es  mit 
diesem  Beweis  auf  sich  hat ,  haben  wir  oben  hinreichend  gesehen ! 
Keiner  der  Gegner  Duisburgs  konnte  eben  selbst  etwas  Endgültiges 
bieten,  da  ihnen  allen  die  richtige  Deutung  der  Gregorstelle  verbor- 
gen blieb. 

Aber  freilich :  Duisburgs  Anhänger  trifft  dieser  Vorwurf  nicht 
minder.  Gerade  sie  haben  eigentlich  am  wenigsten  zur  wissenschaft- 
lichen Lösung  der  Frage  beigetragen.  Meist  sie  nur  gelegentlich 
mit  ein  paar  Worten  streifend,  hat  keiner  der  Genannten  den  gan- 
zen Umfang  der  Schwierigkeiten,  ihre  eigentliche  Wurzel,  und  die 
Mittel  zu  ihrer  Tilgung  erkannt.  Fast  alle  äussern  sich  auch  nur 
sehr  unentschieden:  Duisburg  gilt  ihnen  als  die  wahrscheinlichere 
Ansetzung.  Selbst  wo  sie  eine  Begründung  versuchen,  werden  die 
Schwierigkeiten  der  ihnen  unbequemen  Gregorstelle  mehr  umgangen 
als  gehoben;  keiner  ist  von  Irrtümern  bei  ihrer  Deutung  frei. 

Und  da  nun  auf  den  ereten  Blick  gerade  diese  Hauptquelle 
über  Dispargum,  die  Stelle  Gregors,  ganz  unzweifelhaft  gegen  das 
rechtsrheinische  Duisburg  zu  zeugen  scheint,  so  ist  es  kein  Wunder, 
dass  diese  so  mangelhaft  verteidigte  Ansicht  schliesslich  allgemein 
aufgegeben  wurde  und  heutzutage  als  endgültig  widerlegt  gilt. 

Wenn  wir  diese  Ansetzung  nun  doch  wieder  auf  den  Schild 
erheben,  indem  wir  behaupten :  Duisburg  am  Rhein  ist  Chlo- 
jos  Königssitz,  das  Dispargum  des  von  Gregor  mit- 
geteilten Berichtes,  sogar  mit  der  Hoffnung,  ihr  nun  für  im- 
mer den  Sieg  erstritten   zu   haben,   so   ist  das  also  nicht  etwa  nur 

1)  Sybels  H.  Z.  N.  F.  VII,  p.  44,  A.  3. 

2)  Baumbach,  Die  Duisburger  Münzen,  1881,  S.  57. 

3)  Stiefel,  Die  Duisburger  Stadtrechnung  von  1417.  1883,  S.  41. 


Dispargum.  167 

die  blosse  Wiederholung  einer  frtlher  geäusserten,  nur  zeitweise  in 
Vergessenheit  geratenen  Meinung  —  und  konnte  es  nicht  sein;  es 
musste  vielmehr,  von  neuen  Grundlagen  ausgehend,  mit  neuen  Mitteln 
geführt,  ein  völlig  neuer,  selbständiger  Beweis  gegeben  werden,  auf 
den  in  der  That  die  Aeusserungen  der  früheren  Vertreter  gar  keinen 
Einflnss  geübt  haben. 

Zum  ersten  Mal  wurden,  um  die  Bausteine  zur  Durchführung 
dieses  Beweises  zu  gewinnen,  alle  einschlägigen  Geschichtsquellen 
gesammelt,  und  der  Ursprung  und  Wert,  die  eigentliche  Bedeutung 
jeder  ihrer  Angaben  untersucht;  zum  ersten  Mal  vor  allem  der  Ab- 
schnitt Gregors  —  gerade  1300  Jahre  nach  seinem  Tode  —  in  seine 
Bestandteile  aufgelöst  und  der  uraprüugliche  Zweck  des  Ganzen, 
wie  die  Bedeutung  der  einzelnen  Teile  vor  Augen  gestellt. 

Und  eben  das  ist  das  Wesentliche,  was  bisher  übersehen  wurde  : 
Die  Dispargumfrage  ist  nur  zu  lösen,  wie  es  hier  geschah,  —  durch 
die  vollständige  Analyse  des  ganzen  von  uns  mitgeteilten  Ab- 
schnittes Gregors.  Die  Erläuterung  auch  seiner  nicht  unmittelbar 
von  Dispargum  handelnden  Teile  ist  nicht  etwa  eine  Abschweifung, 
sondern  die  unumgänglich  nötige  Voraussetzung  der  Lösung!  Jede 
Auslassung  würde  dieselbe  vereiteln,  wie  denn  an  der  unvollständi- 
gen Betrachtung  der  Stelle  alle  früheren  Versuche  gescheitert  sind. 

Nur  so  wurden  die  verschiedenen  Punkte,  die  die  Beweis- 
führung berücksichtigen  muss,  —  die  litora  Rheni,  die  Richtung  des 
Rheinübergangs,  die  Thoringia,  die  gallische  Völkertafel  —  in  ihrer 
wahren  Bedeutung  erkannt,  und  es  ergab  sich  daraus  schliesslich 
die  Harmonie  aller  scheinbar  im  Widerspruch  stehenden  Berichte, 
die  in  ihrer  Gesammtheit  die  sichere  Bestimmung  Dispargums  zulassen, 
an  deren  Möglichkeit  man  zuletzt  überhaupt  verzweifelt  hatte. 

Wir  wurden  zu  der  Annahme  Duisburgs  nun  schon  durch  die 
Erwägung  geführt,  dass  alle  anderen  Ansetzungen  unhaltbar  sind 
und  dass  sich  ihr  keine  triftigen  Gründe  entgegenstellen  lassen.  Wie 
wir  sehen  werden,  entspricht  sie  aber  auch  positiv  allen  Anforderungen. 
.  Zunächst  stimmt  der  Name  Duisburg,  besonders  in  den  über- 
lieferten älteren  Formen,  sehr  gut  zu  dem  Dispargum  Gregors.  Noch 
jetzt  wird  ja  der  Name  Duisburg  bekanntlich  zweisilbig  ausge- 
sprochen, so  dass  die  erste  Silbe  des  heutigen  Namens  der  jenes 
ältesten   überaus  nahe  kommt  ^).     Statt   der   zweiten  Silbe   „bürg" 


1)  Daniel,  Handbuch  der  Geographie  III.  S.  877. 


168  Dr.  Konrad   Plath: 

findet  sich  im  Mittelalter  und  in  der  Neuzeit  bei  unserem  Orte  die 
Nebenfoi-m  „berg"  gebräuchlich,  Dispergium  *) ,  Duisberg*),  die  in 
der  Aussprache  leicht  geradezu  zu  „barg"  *)  wird,  so  dass  dann  der 
Name  Duisburgs  mit  dem  bei  Gregor  tiberlieferten  völlig  sich  deckt. 

Duisburg  wird  auch  noch  in  späterer  Zeit  mehr  als  einmal 
geradezu  Dispargum  genannt,  so  dass  die  Identität  schon  äusserlich 
urkundlich  bezeugt  ist.  Eine  Urkunde  Ottos  des  Ersten  (Mon.  Germ. 
Nr.  325)  hat  für  Duisburg  die  Form  Diuspargo  in  der  Datumzeile ; 
eine  Urkunde  Ottos  des  Zweiten  (63)  Diaspargo,  vier  Urkunden 
Ottos  des  Dritten  haben  Dusparge  (13),  Dispargo  (28),  Diaspurgo 
(115),  Diaspurgo  al.  Diaspargo  (116).  Ebenso  nennt  es  Adam  von 
Bremen  ausdrücklich  Dispargum  *).  Die  Nebenform  Dispergium  haben 
wir  schon  erwähnt  *).  Sogar  die  „Oude  kronijk  van  Brabant"  nennt 
ganz  bestimmt  Duisburg  als  das  alte  Dispargum  ^).  Das  alles  be- 
weist eine  ununterbrochene  lokale  und  nicht  nur  lokale  Tradition, 
deren  Zeugniss  von  höchster  Bedeutung  ist. 

Dazu  kommt,  dass  Duisburg  seiner  Lage  nach  den  Angaben 
der  Quellen  über  Dispargum,  wie  wir  sie  in  ihrer  Bedeutung  nun 
richtig  erkannt  haben,  bestens  entspricht.  Es  liegt  auf  dem  rechten 
Rheinufer,  wie  jene  einstimmig  fordern,  in  der  Nähe  des  Rheins, 
worauf  der  ganze  Zusammenhang  der  Erzählung,  wie  schon  Loebell 
(p.  389)  erkannte,  deutlich  hinweist.  Gerade  an  jener  Stelle,  wo  der 
Zug  der  Franken  von  der  Urheimat  am  Meere  nach  dem  Thüringer- 
lande den  Rhein  überschreiten  musste,  auch  in  späterer  Zeit  noch 
ein  berühmter  Rheintibergangsort;  und  jener  Ort  musste  ja  auch  nach 
der  Eroberung  der  wichtigste  Punkt  sein,  deckte  er  doch  die  Ver- 
bindung mit  der  alten  Heimat!  Hier  gerade  war  denn  auch  das 
Kemland  des  späteren  ripuarischen  Reiches,  das  durch  jenen  Er- 
oberangszug  gegen  die  Thüringer  gegründet  wurde:  der  um  Duis- 
burg liegende  Ruhrgau  hicss  ja  vorzugsweise  der  „Ripuariergau", 
pagus  Ripariorum,  der  auch  vornehmlich  zu  dem  Herzogtum  Ri- 
puarien  (ducatus  Ribuariorum)  gehörte. 


1)  Fundatio  monasterii  Waldsassensis.  M.  G.  S.  S.  XV.  1089,  15-16. 

2)  Borheck,  a.  a.  0.  S.  3. 

3)  Vgl.  C.  Sagittarii  Antiquitates  Regni  Thuringici,  p.  127  und 
H.  Müller,  Lex  Salica,  S.  38  gegen  Longnon,  Geogr.  de  la  Gaule  au 
VI.  siecle,  p.  619. 

4)  Adaini  Gesta  Hammaburgensis  eccl.  M.  G.  S.  S.  VII,  346,  18. 

5)  Codex  dipl.  Neerlandicus,  II.  Serie,  III.  Deel,  p.  31. 


Dispar^m.  169 

Duisbargs  Lage  pasöt  aber  auch  vorzüglich  zu  den  übrigen 
Angaben  unserer  Quellen  beim  weiteren  Fortgang  der  Erzählung. 
Von  hier  aus  überachreitet  Chlojo  thatsäehlich  den  Rhein  zu  seinem 
Eroberungszuge  gegen  die  Römer.  Hier  ist  ihrn  Cambrai,  der  erste 
bedeutende  Ort  in  der  wichtigen  Scheidegegend,  jenseits  der  bra- 
bantischen  Oede,  zur  Römerzeit,  durch  die  grosse  Römerstrasse 
Maastricht-Bavai,  die  von  Duisburg  nah  und  leicht  zu  erreichen  ist, 
als  Ziel  des  Zuges  geradezu  vorgeschrieben.  Von  Duisburg  aus  ist 
seine  Aussendung  von  Kundschaftern  vor  dem  eigenen  Aufbruch  bei 
der  nicht  ganz  unbeträchtlichen  Entfernung  sehr  verständlich.  Der 
Kohlenwald,  der  allein  von  jener  grossen  Römerstrasse  durchschnitten 
wird,  begünstigte,  indem  er  den  Zug  deckte  und  verdeckte,  nach 
Wunsch  die  geplante  üeberrumpelung  der  Römer,  die  denn  auch 
thatsäehlich  glückte.  So  haben  sich  uns  bisher  alle  Angaben  der 
Quellen  bei  Zugrundelegung  von  Duisburg  aufs  beste  und  einfachste 
bestätigt!  Wie  steht  es  nun  mit  der  Nachrieht,  dass  Dispargum 
„in  termino  Thoringorum",  „an  der  Grenze  der  Thüringer"  gelegen 
sei?  —  und,  wenn  wir  es  aus  dem  Zusammenhange  hinzufügen 
wollen,  zugleich  „im  ehemaligen  Gebiete  der  Thüringer"?  Passt 
auch  das  auf  Duisburg  ?  W  a  i  t  z  hatte  ja  ^)  gegen  Duisburg  einge- 
wandt, es  läge  weder  in  termino  Tongrorum  noch  Thoringorum,  Dem 
gegenüber  könnten  wir  nun  den  Spiess  einfach  umdrehend,  mit  Recht 
wie  Sagittarius  sagen:  „Und  weil  denn  Duisburg  am  Rhein  dieses 
Dispargum  gewesen,  so  erhellt  von  selbsten,  dass,  wie  dieser  Ort  noch 
thüringisch  war,  und  zum  Thüringischen  Königreich  gehöret,  die  Gren- 
zen dieses  Reichs  sehr  weit  von  dem  jetzigen  Thüringen  entfernet,  und 
also  das  Thüringische  Königreich  sehr  weit  ausgebreitet  gewesen"*)! 
Meinte  doch  selbst  Georg  Hörn,  der  Dispargum  in  Doesburg  an  der 
Yssel  annahm,  einfach,  die  Grenzen  der  Thüringer  hätten  sich  eben 
damals  bis  in  die  Nähe  dieses  Ortes  erstreckt  ^).  In  der  That  haben 
wir  über  die  Thüringische  Geschichte  im  fünften  Jahrhundert  so  we- 
nige Nachrichten,  dass  wir  ziemlich  alles  annehmen  müssen,  was  uns 
durch  unsere  Quellen  geboten  wird.  Und  da  die  vorliegende  sich 
als  bestens  glaubwürdig  zeigt,  so  müssten  wir  ihr  auch  hierin  folgen. 

1)  Das  alte  Recht  der  sal.  Franken,  1846,  S.  52  A.  1.  Uebrigens  nach 
dem  Vorgange  von  L.  v.  Ledebur;  vgl.  dessen  Nordthüringeu  und  die 
Hermundurer  oder  Thüringer.     Zwei  Vorträge.    Berlin  1842.    S.  47. 

2)  Casparis  Sagittarii  P.  P.  Antiquitates  regni  Thuringici  p.  148. 

3)  Georgii  Hornii  Dissertationes  historicae  et  politicae  pag.  48—44. 


170  Dr.  Konrad  Plath: 

Zudem  bietet  sie  ans  nichts  Unerhörtes.  Wir  wissen  aus  anderen 
Zeugnisse»;  dass  sich  die  Grenzen  des  alten  Reiches  der  Thüringer 
im  fünften  Jahrhundert  weit  über  das  eigentliche  Stammesgebiet 
ausdehnten.  Gleich  von  Anfang  an^  das  muss  man  sich  stets  ver- 
gegenwärtigen, ist  der  Name  der  Thüringer  nicht  etwa  nur  eine 
bloss  sprachliche  Abwandelung  des  Namens  der  Hermunduren,  son- 
dern er  bezeichnet  die  politische  Vereinigung  mehrerer  Stämme  zu 
einer  Einheit.  Er  ist  ein  Bundesname,  gerade  wie  die  Namen  der 
Franken,  Sachsen,  Alemannen.  Je  nach  den  politischen  Verhältnissen 
konnten  sich  diese  Bundesnamen  durch  freiwilligen  oder  erzwungenen 
Zutritt  anderer  Stämme  über  die  weitesten  Gebiete  ausdehnen,  wäh- 
rend nach  Niederlagen  und  fremden  Eroberungen  ihr  Geltungsbereich 
wieder  zusammenschrumpfte.  Ethnologische  Bedeutung  haben  diese 
Bundesnamen  nicht,  sondern  lediglich  politische,  mochte  auch  ur- 
sprünglich der  Name  einem  einzelnen  Stamme  angehört  haben.  So 
umschliesst  heute  der  Bundesuame  der  Preussen,  ebenso  nur  ein 
politischer  Begriff,  die  verschiedenartigsten  deutschen  Stämme  von 
der  Maas  bis  an  die  Memel,  ja  selbst  Nichtdeutsche.  Ausserdem 
wird  von  Fremden  häufig  der  Bundesname  eines  herrschenden  Bundes 
für  Stämme  gebraucht,  die  diesem  Bunde  nicht  angehören,  wenn  nur 
alle  ein  weiteres  Band  umschliesst.  So  nennt  der  Franzose  jeden 
Deutschen  „Allemand"  oder  gar  „Prussien",  und  wir  nennen  wohl 
alle  Unterthanen  der  Königin  von  Grossbritannien  „Engländer^^  ob- 
wohl z.  B.  jeder  Schotte  gegen  diese  Benennung  Einspruch  erheben 
würde.  Dieser  Umstand  ist  auch  für  frühere  Zeiten  nicht  ausser 
Acht  zu  lassen. 

Gerade  im  fünften  Jahrhundert  hat  sich  der  Name  der  Thü- 
ringer über  ein  Gebiet  von  gewaltiger  Ausdehnung  erstreckt.  Gegen 
Süden  Sassen  schon  die  Hermunduren,  das  Kernvolk  des  späteren 
Thüringerbundes,  bis  zur  Donau  hin;  und  ebenso  weit  finden  wir 
später  das  Reich  der  Thüringer  ausgedehnt:  Naab  und  Regen 
fliessen  im  Thüringischen  Gebiet.  Nach  Südosten  hin  grenzt  Thü- 
.  ringen  sogar  an  Pannonien.  Ganz  Böhmen  gehörte  dazu,  das  Quell- 
land der  Elbe  •,  ja  auch  der  Nordrand  des  Riesengebirges,  Schlesien, 
das  später  wieder  von  thüringischen  Ansiedlem  besetzt  ward,  sclieint 
zum  Bundesgebiet  der  Thüringer  gerechnet  worden  zu  sein.  Und 
nicht  minder  weit,  als  nach  Osten  und  Nordosten,  waren  die  Thü- 
ringischen Grenzen  nach  Norden  ausgedehnt.  Bis  zur  Aller  gehörte 
4as  Land  den  Thüringern,  ja  die  Sage  berichtet  von  einer  Zeit^  da 


Dispargum.  171 

die  Thüringer  bis  an  die  Küste  der  Nordsee  wohnten  und  das  Land 
Hadeln,  jene  Landspitze  zwischen  der  £lb-  und  Wesermündung,  inne- 
hatten,  bevor  die  Sachsen  (von  Jütland  her)  dort  landeten  und  dann 
immer  weiter  nach  Süden  vordrangen.  Markomannen  und  Heruler, 
Angeln  und  Warnen  gehörten  somit  zum  thüringischen  Völkerverein,. 
fürwahr  ein  gewaltiges  Reich,  das  auch  nach  Nordwesten  hin  die 
späteren  Grenzen  weit  überschritt.  Ist  es  da  unwahrscheinlich, 
wenn  wir  hören,  dass  sich  im  fünften  Jahrhundert  dieses  Bundes- 
gebiet auch  nach  Westen  hin  weiter  erstreckte,  als  wir  sonst  an- 
nahmen? Wir  sahen  schon,  dass  Hörn  und  Sagittarins  sich  fUr 
eine  solche  Ausdehnung  der  thüringischen  Herrschaft  aussprechen; 
GI06I,  Ledebur,  Müller,  Raepsaet,  Lamprecht  haben  sogar 
westrheinische  Thüringer,  zum  Teil  aus  anderen  Rücksichten  ange- 
nommen. Wenck,  Wächter,  Rettberg  u.  a.  haben  sich  freilich 
gegen  eine  westliche  Ausdehnung  der  Thüringer  erklärt,  ohne  indess 
genügende  Gründe  für  ihre  Meinung  anzugeben.  Aber  sie  haben 
eben  unsere  Stelle  bei  Gregor  nicht  berücksichtigt,  die  doch  mit 
aller  Bestimmtheit  die  westliche  Ausdehnung  Thüringens  bis  zum 
Rheine  hin  behauptet. 

Diese  Angabe  hat  schon  dem  ganzen  Charakter  der  Quelle 
gemäss,  wie  wir  bereits  bemerkten,  grossen  Anspruch  auf  Glaub- 
würdigkeit, selbst  wenn  sie  die  einzige  Nachricht  über  diese  Ver- 
hältnisse wäre.  Sie  wird  indess  auch  durch  andere  Quellenstellen 
völlig  bestätigt. 

Mehrere  Zeugnisse  berichten  ausdrücklich,  dass  die  Thüringer 
die  unmittelbaren  östlichen  Nachbaren  der  Rheinfranken  waren. 

So  jene  Stelle   des  Procopius   von  Cäsarea*),   der  die   erste 


1)  Procopii  de  hello  Gothico  I,  11 :  Ol  Se  ^Qdyyoi  o^toi  Fegfiavol  ftev 
to  xaXaiov  AroftdCayro,  oyrtva  de  xqojkov  xe  «f '  ^QX^is  xai  cbtff  wntffiepoi  FMiaie 
TB  tußdxsvaav  xal  dtaxpoQot  Fox&ois  yeyenjvtatj  sq&v  egxofiat  —  I,  12:  ...  Iv 
FaXloig  dh  äkXot  jtaxafiol  xcd  'PööavSs  re  xai  'Pfjvoc  giovai.  xovxoiv  xipf  6dw  r^v 
havxlav  äXXriXoiv  ISvxoiv  äxegos  f^sv  ixdidayaiv  es  xfjy  TvQQtjvtxffv  ^dXaaaaVf  'Pffvog 
ÖS  h  xov  mxsavav  xas  ixßoXas  stouixat*  Uftvat  xe  hxav&a^  ov  örj  Fegfiavol  xb  na- 
Xcuhv  q^HtjvxOy  ßdgßoQoy  e&yog^  ov  jioXXov  Xdyw  xb  xax  dgxas  Äfiw,  o!  vvv  ^Qayyoi 
xaXovvxat,  xovxtav  ixofievoi  "ÄQßÖQVxoi  «jSxovv,  ot  ^vv  ndaji  xfj  äXXff  FaXXiq  xai  firjy 
xai  'loxavlq.  'Pwfjialwv  xaxi^xooi  ix  :taXatov  ^aar.  fiexd  dk  avx(öv  is  xa  stgog  dvi- 
axovxa  ^Xtov  BSgiyyot  ßdgßaQoi^  dövxog  AvyovaxoVf  Ttgtoxov  ßaoiXeto^^  Idgvaarxo,  xai 
avt&y  Bov^ov^icoreg  ov  noXXcß  cbto^ev  Jigog  v6xov  äve/ior  xexgafifiivoi  ^xow^  Sovdßoi 
xe  (jxMQ  Bogiyycov  xai  'AXaftaroij  laxvQa  S&vtj.  oörot  avxiSvofioi  änavxeg  xavxji  r^ 
arixaßev  tdqvrxq. 


172  Dr.  Konrad  Plath: 

Erwähnang  der  Franken  in  seiner  Schilderung  des  Gotbenkrieges 
zam  Anlass  nimmt,  im  Rahmen  einer  etbnogeographischen  Uebersieht 
über  die  Länder  Afrikas  nnd  Europas  die  ältesten  Sitze  dieses 
Bundesvolkes  zu  beschreiben.  Er  gibt  sie  —  der  Geschichte  und 
unserer  Erzählung  bei  Gregor  völlig  entsprechend,  —  als  am  Meere, 
an  den  ßheiumttndungen  gelegen  an.  Westlich  oder  vielleicht  süd- 
westlich von  ihnen  wohnen  die  Arborycher  (eine  Bezeichni)ng  für 
gallische  Stämme,  die  noch  unter  römischer  Herrschaft  standen), 
gegen  Osten  sind  die  Thüringer,  d.  h.  die  zum  Thüringerbunde  ge- 
hörigen deutschen  Stämme,  die  unmittelbaren  Nachbarn  jener  Ur- 
sitze  der  Franken. 

Diese  Angaben  stimmen  also  auf  das  genaueste  zu  der  Schil- 
derung unserer  bei  Gregor  erhaltenen  Quelle  über  den  Auszug  von 
Franken  ans  jenen  Ursitzen,  von  ihrem  Rheinübergang  und  ihrer 
Gründung  eines  fränkischen  Königreiches  auf  einem  den  Thüringern 
abgerungenen  Gebiete.  Die  Thüringer  selbst  grenzen  südlich  nach 
jener  Quelle  Procops  an  die  Sitze  der  Schwaben  und  Alemannen. 
Auf  diese  Bestimmung  kommen  wir  später  noch  zurück,  wo  wir 
davon  handeln,  wie  Procop  zu  der  Angabe  kommt,  dass  die  Thü- 
ringer von  Augustus  Wohnsitze  erhalten  hätten. 

Eine  weitere  ausdrückliche  Bestätigung  dieser  unmittelbaren 
Nachbarschaft  des  fränkischen  und  des  thüringischen  Bundesgebiets 
am  Rhein  erhalten  wir  aus  dem  Werke  des  Geographen  von  Ra- 
venna*),  jener   unvollständig   erhaltenen,   etwa  im  siebenten  Jahr- 


1)  p.  11.  Prima  ut  hora  noctis  Germanorum  est  patria,  quac  modo 
a  Francis  dominatur,  ut  superius  dictum  est  (eine  frühere  Erwähnung  ist 
nicht  vorhanden;  dies  beweist  z.  B.  die  Unvollständigkeit)  cuius  post  terga 
iufra  Oceanum  praedicta  insula  Britania,  dum  nimis  est  latissima  in venitur . . 
p.  226.  Iterum  ad  frontem  eiusdem  Frigonum  patria,  quomodo  verbi  gratia 
ut  dicamus,  ad  terram  spatiosam  ponitur  patria,  quae  antiquitua  Gallia 
Bclgia  Alobritos  (über  dies  Wort  siehe  Dederich,  Annalen  des  bist.  V. 
f.  d.  Niederrhein  I,  233;  nach  Gatterer  „a  Latinis^,  nachDederich  ^a 
Arbitione",  einem  der  öfter  genannten  Gewährsmänner  des  Sammlers, 
nach  Fr.  Börsch  „Atrebates^,  vielleicht  nur  als  „appellatur^  oder  ähnlich 
zu  erklären)  quam  patriam  plurimi  descripserunt  phiiosophi:  ex  quibus  .  . . 
—  . . .  inferius  dictas  civitates  praefatae  Francorum  patriae  nominavi  etc.: 
Magnntia,  Bingum,  Bodorecas  etc. . .  .  Sunt  et  aliae  multae  civitates  ante 
praefatam  Maguntiam  iuxta  ipsum  fluvium  Renum  sitae:  sed  dum  ipse 
Renus  per  Almanorum  venit  terram  ideo  non  Francorum  patriam  nominavi. 
trauseunt  autem  plurima  flumiua,  inter  quue  fluvius  maximus  qui  dicitur 


DispargTitn.  173 

hundert  verfertigten  Zusammenstellung  von  geographisch -statistischen 
Tabellen,  besondere  über  die  zu  den  einzehien  Reichen  gehörigen 
Städte  und  Flösse.  Diese  Tabellen  rühren,  auch  wo  sie  ein  ein- 
zelnes Land  betreffen,  oft  aus  verschiedenen  Quellen  her,  und  stellen 
die  Zustände  aus  verschiedenen  Zeiten  dar,  ohne  dass  der  Sammler 
diese  Verschiedenheit  genügend  beachtet  und  hervorgehoben  hätte. 
Aber  sobald  wir  dies  im  Sinne  behalten,  sind  die  einzelnen  Angaben 
von  unschätzbarem  Werte  und  verdienen  volles  Vertrauen.  Freilich 
ist  es  oft  nicht  leicht,  fttr  fehlerhaft  überlieferte  Namensformen  die 
sichere  Ortsbestimmung  zu  finden.  —  Der  Geograph  gibt  auch  für 
die  Franken  eine  Angabe  ihrer  Sitze  in  der  alten  Oallia  Belgica 
als  Nachbarn  der  Friesen,  teilt  eine  Tabelle  über  die  Städte  des 
Frankenlandes  am  Rhein  mit,  die  alle  am  linken  Rheinnfer  von 
Mainz  abwärts  liegen;  dann  eine  Reihe  von  Flnssnamen,  die  dem 
Znsammenhange  und  der  Mehrzahl  der  Erklärer  nach  ebenfalls  auf 
der  westlichen  Rheinseite  zu  suchen  sind,  und  führt  dann  die  Thü- 
ringer als  unmittelbare  Nachbarn  dieser  Rheinfranken  an.  Wie  bei 
Procop,  grenzen  bei  ihm  die  Thüringer  nach  Süden  an  die  Schwaben- 
Alamannen,  die  er  nun  behandelt.  Die  weitere  Liste  fränkischer 
Städte,  die  dann  nachträglich  folgt,  gehört  einer  späteren  Zeit  an. 
Es  sind  Städte  an  der  Maas,  Mosel,  Loire,  Aisne.  Die  Stelle  des 
Jordan  es  ^),  die  in  Uebereinstimmung  mit  diesen  Zeugnissen  die 
Thüringer  nördlich  der  Schwaben-Alamannen  ansetzt,  bestätigt  damit 


Renus,  qui  egreditur  de  loco,  qui  dicitur  Rausa  confitio  ...  in  patria  Fran- 
corum  supradicta  sunt,  id  est:  Logna,  Nida,  Dubra,  Movit,  Rura,  Inda, 
Arnetfa.  Iterum  desaper  ipsam,  quomodo  ut  dicamus,  ad  faciem  patriae 
Francorura  Rinensium  est  patria,  quae  dicitur  TuiTingia,  quae  antiquitus 
Germania  nuncupatur^  quae  propinquatur  cum  patria  Saxonum,  quam 
patriam  secundum  supra  scriptum  Anaridum  philosophum  designavimus ; 
in  qua  patria .  aliquanta  castella  fuisse  legimus,  per  quam  Turringorum 
patriam  transeunt  plurima  flumina,  inter  cetera,  quae  dicuntur  Bac  et 
Reganiim,  qui  in  Danubio  merguntur.  p.  230:  Iterum  propinqua  ipsius 
TuiTingiae  ascribitur  patria  Suavorum,  quae  et  Alamannorum  patria 
confinalis  extitit  Italiae. 

1)  Jordanis  c.  55  (M.  G.  p.  130,  19)  Thiodemir  . . .  emenso(que) 
Danubio  Suavis  improvisus  a  tergo  apparuit.  nam  regio  illa  SuaYorum 
ab  Oriente  Baibaros  habet,  ab  occidente  Francos,  a  meridie  Burgundzones, 
a  septentrione  Thuringos,  quibus  Suavis  tunc  iuncti  aderant  etiam  Ala- 
manni  ipsique  Alpes  erectos  omnino  regentes,  unde  nonnulla  fluenta  Da- 
nubium  influunt  nimio  cum  sonu  vergentia. 


174  Dr.  Konrad  Plath: 

gleichfalls;  wenigstens  indirekt,  die  unmittelbare  Nachbarsebaft  der 
Rheinfranken  und  Thüringer. 

Diese  trotz  ihrer  verschiedenen  Herkunft  völlig  übereinstim- 
mendeu  Zeugnisse  beweisen  wohl  hinlänglich^  dass  sich  in  der  That 
das  Bundesgebiet  der  Thüringer  vor  den  fränkischen  und  sächsischen 
Eroberungen  weithin  bis  zum  Rhein  nach  Westen  ausdehnte.  Das 
am  Rhein  gelegene  Duisburg,  das  Dispargum  Gregors  (und  der  spä- 
teren, wie  Adams  von  Bremen),  der  Konigssitz  Chlojos,  konnte  also 
mit  vollem  Rechte,  besonders  vom  Standpunkte  Gregors  aus,  als  an 
der  thüringischen  Grenze  des  Frankenlandes  zu  Chlojos  Zeit  liegend, 
bezeichnet  werden.  Denn  das  Ripuarische  Reich  umfasste  auf  dem 
rechten  Ufer  des  Rheins  immer,  auch  in  späterer  Zeit,  nur  einen 
schmalen  Streifen  Landes  am  Rhein  entlang,  der  gerade  im  Norden, 
in  der  Nähe  von  Duisburg,  besonders  schmal  war,  so  dass  Duis- 
burg der  Grenze  sehr  nahe  lag.  Also  auch  mit  Rücksicht  auf  jene 
Bestimmung,  nach  der  Dispargum  an  der  Grenze  der  Thüringer  ge- 
legen war,  entspricht  Duisburg,  auf  das  alle  anderen  Anzeichen  hin- 
deuten, während  die  sämmtlichen  übrigen  Ansetzungen  sich  von  selbst 
als  unhaltbar  erweisen,  völlig  allen  Anforderungen. 

Wir  könnten  damit  diese  Untersuchung  schliessen.  Auf  eines 
möchten  wir  indessen  noch  ausdrücklich  hinweisen.  Wie  ohne  Wei- 
teres ersichtlich,  rechnen  alle  jene  oben  genannten  Quellen  mit 
voller  Bestimmtheit  das  ehemalige  Land  der  Chatten  (deren  Name 
eben  zu  dieser  Zeit  völlig  verschollen  ist),  zum  thüringischen  Bundes- 
gebiet ! 

Ueber  diese  Chatten  aber  und  ihre  Zuweisung  an  einen  der 
neuentstandenen  Bundesnamen  herrschte  bis  in  die  neueste  Zeit 
Zwiespalt.  Noch  letzthin  haben  manche  die  Chatten  als  Teilnehmer 
am  Frankenbunde  von  frühester  Zeit  an,  ja  sogar  als  die  eigent- 
lichen Urfranken,  die  auch  unter  Childerich  und  Chlodovech  den 
hauptsächlichen  Kern  der  fränkischen  Macht  bildeten,  hinstellen 
wollen^);  und  aus  dieser  Anschauung  erwuchs  dann  besonders  auch 
die  Opposition  gegen  Duisburg.  Begreiflicherweise;  denn  wenn  man 
die  Chatten  zu  den  Franken  rechnete  —  und  zwar  schon  zur  Zeit 
Chlojos  — ,  und  demgemäss  das  thüringische  Bundesgebiet  erst  an 


1)  Vgl.  Richard  Schröder,  Die  Franken  und  ihr  Recht.  Zeit- 
schrift der  Savigny-Stiftung  für  Rechtsgesolüchte.  Germ.  Abt.  II,  1881, 
S.  27.    Lamprecht,  Ztechr.  d.  Aach.  Geschichtsvereins  IV^,  1882,  S.  216. 


Dispargnin.  175 

der  Ostseite  der  Chatten  beginnen  Hess,  dann  war  allerdings  schwer 
einzusehen,  wie  Duisburg  an  der  Grenze  der  Thüringer  liegen  sollte. 
Dann  mochten  in  der  That  der  Desenberg  oder  die  Diesburg  dieser 
Bestimmung  besser  zu  entsprechen  scheinen,  wiewohl  sich  bei  dieser 
Annahme  die  oben  besprochenen,  unlösbaren  Schwierigkeiten  be- 
treffs des  Zuges  Chlojos  von  diesen  Gegenden  aus  durch  den  Kohlen- 
wald nach  Cambrai  und  weiter  bis  zur  Somme  gegen  die  Römer 
ergaben. 

Aber  jene  Anschauung,  dass  die  Chatten  ürfranken  gewesen 
seien,  ist  eben  unhaltbar ;  sie  ist  eigentlich  nur  ein  spätes  Echo  frühe- 
rer Irrtümer  hinsichtlieh  des  Ursprunges  des  Frankenbundes,  den 
mau  in  Mitteldeutschland  —  von  der  fränkischen  Saale  sollten  die 
Salier  ihren  Namen  haben  —  entstanden  dachte.  Ob  vielleicht 
eine  kleine  Stammeseitelkeit  hessischer  Forscher,  die  gern  ihre  Ur- 
ahnen von  Anfang  an  an  dem  Ruhm  der  weltumgestaltenden 
Thaten  der  Franken  teilnehmen  lassen  wollten ,  dabei  mit  im 
Spiele  gewesen  ist?  Schliesslich  werden  doch  alle  Müllenhoffs 
Urteil  beistimmen  müssen:  „Nichts  kann  gewisser  sein,  als  dass 
die  Hessen  die  nächsten  Sippen  der  Thüringer  sind,  und  durch 
diese  zu  der  grossen  Gemeinschaft  gehörten,  aus  der  die  hochdeutschen 
Stämme  hervorgegangen  sind."  Diese  nahe  Verwandtschaft  beider 
beweist  schon  der  uralte  Stammbaum  der  deutschen  Völkerschaften, 
der  Chatten,  Hermunduren,  Sueven  und  Cherusker  unter  dem  Namen 
der  Herminonen,  als  Söhne  eines  Vaters,  des  Irmino,  znsammenfasst, 
im  Gegensatz  zu  den  Ingaevonen  und  Istaevonen,  zu  denen  diejenigen 
Stämme  gehörten,  unter  denen  zuerst  später  der  Frankenname 
anfkara.  Chatten  und  Hermunduren  gehören  dann  gemeinsam  zu 
den  Sueben,  als  der  Name  dieses  Brudervolkes  zum  Bundesnamen 
wird.  In  eigentümlichem  Wechsel  wird  dann  der  Name  der 
Chatten  allmählich  zum  Bnndesnamen,  der  alle  einzelnen  Binder- 
Stämme  der  Herminonen  umschliesst,  so  dass  wir  „Chatten"  an  der 
Donau,  an  der  Elbe,  an  der  Aller,  ja  nördlich  jenseits  der  Lippe 
genannt  finden.  Und  als  dann  der  Chattenname  für  immer  ver- 
schwindet, tritt  im  gleichen  Umfange  der  von  dem  Namen  des  dritten 
Bmderstanunes,  der  Hermunduren,  abgeleitete  Bandesname  der 
Thüringer  an  seine  Stelle,  der  dann,  wie  wir  oben  sahen,  seine 
Geltung  noeh  über  weitere  Gebiete,  im  Osten  vor  allem,  ausdehnt. 
Eben  in  dieser  umfassenden  Bedeutung,  in  der  er  auch  das  eigent- 
liche Gebiet  der  ehemaligen  Chatten;  wie  die  nördlichen  und  nord- 


1%  Dr.  Koni-ad  Plath: 

westlichen  Gegenden,  die  wir  als  chattisch  antrafen,  nniBchliesst, 
zeigen  ihn  die  von  uns  angeftihrten  Stellen ;  und  dieselbe  Bedeutung 
hat  er  auch  in  jener  Stelle  Gregors,  nach  der  Dispargnm  liegt  „an 
der  Grenze  der  Thttringer"»  Dass  so  der  Name  der  Thüringer  als 
„Gesamnitname  für  suebisch-hemiinonische  Völkerschaften"  gegolten 
habe,  mulmasste  übrigens  schon  Waitz  mit  Recht.  In  diesem 
Sinne  verstehen  wir  es  auch  sehr  wohl,  wenn  der  Geograph  von 
Ravenna  sagt,  dieses  Thüringen  habe  einst  Germanien  geheissen! 
Erstreckte  sich  doch  in  der  That  dieses  Thüringische  Bundesgebiet 
fast  über  ganz  Deutschland. 

Ein  recht  schlagender  Beweis,  dass  die  ehemaligen  Chatten 
nach  dem  Verschwinden  ihres  Namens  geradezu  als  Thüringer  be- 
zeichnet werden,  liegt  nun,  abgesehen  von  der  mehrfach  angetroffenen 
Bestimmung,  dass  die  Thüringer  nördlich  der  Schwaben  sassen, 
in  der  Angabe  Procops,  nach  der  Kaiser  Augustus  Thüringern 
Wohnsitze  angewiesen  habe.  Das  ist  natürlich  nicht  wörtlich  zu 
nehmen.  ^Thüringer''  gab  es  überhaupt  zur  Zeit  des  Augustus  noch 
nicht,  ihr  Name  tritt  erst  später  auf;  Hermunduren  haben  von 
Augustus  keine  Sitze  erhalten.  Aber  wenn  wir  näher  zusehen,  so 
hat  Augustus  durch  Agrippa  den  Chatten  Wohnsitze  zugewiesen, 
wahrscheinlich  im  Gebiet  der  auf  das  linke  Rheinufer  ausgewan- 
derten Ubier,  die  am  Rhein  zwischen  Main  und  Lahn  gesessen 
hatten,  wo  wir  später  eben  Thüringer,  nördlich  der  Sueben^Ala- 
mannen,  genannt  finden.  Diese  Ansiedelung  der  Chatten  durch 
Augustus  dürfte  wohl  die  Quelle  des  Procop  im  Sinne  haben,  wenn 
sie  von  einer  Ansiedelung  der  später  dort  genannten  Thüringer,  zu 
denen  jene  Chatten  gehörten,  spricht ;  sie  würde  damit  handgreiflich 
bezeugen,  dass  mit  vollem  Bewusstsein  zu  ihrer  Zeit  die  Chatten 
den  Thüringern  beigezählt  wurden,  zum  Thtlringerbunde  gehörten. 

Mit  dem  Bundesnamen  der  „Franken"  wurden  diese  mittel* 
deutschen  Stämme,  und  zwar  nicht  nur  die  ehemaligen  Chatten, 
sondern  auch  die  übrigen  Thüringer  und  die  nördlichen  Alamannen 
am  Main,  die  sogenannten  Mainfranken,  erst  bezeichnet,  als  ihr 
Gebiet  durch  die  kriegerischen  Eroberungen  Chlodovechs  und  seiner 
Nachfolger  dem  fränkischen  Reiche  einverleibt,  der  Thüringerbund 
aufgehoben  war.  Dass  der  Name  der  Hessen  erst  im  achten  Jahr- 
hundert und  zwar  nur  als  der  eines  einzelnen  Gaues  ganz  im  Norden 
an  der  sächsischen  Grenze  auftaucht,  ist  bekannt.  Der  Franken- 
name hat  aber,  wie  überhaupt  alle  Bundesnamen,  so  besonders  Hlr 


Dispargum.  177 

diese  mitteldeutschen  Stämme,  selbstverständlich  nur  eine  politische 
Bedeutung:  Franken  sind  sie,  wie  sie  heute  zum  Teil  Preussen 
sind.  Eine  Verwandtschaft  der  so  bezeichneten  Stämme  mit  jenen, 
bei  denen  zuerst  der  Frankenname  aufkam,  wird  dadurch  in  keiner 
Weise  angezeigt.  Jene  sind  Herminonen,  diese  Istävonen.  —  Die 
Verkennung  der  lediglich  politischen,  nicht  ethnographischen  Be- 
deutung dieser  Bundesnamen  ist  der  Hauptirrtum  derer,  die  die 
Chatten  zu  urverwandten  der  meeranwohnenden  Salier  stempeln 
möchten. 

Uebrigens  darf  man  nicht  verkennen,  dass  sich  bei  Richard 
Sehröder,  einem  der  Hauptvertreter  dieser  Ansicht,  die  ganze 
Frage  eigentlich  um  einen  einzigen  Punkt  dreht:  um  den  Krieg 
Chlodovechs  gegen  die  Thüringer,  den  Gregor  erwähnt. 

Von  der  Erwägung  ausgehend,  dass  das  Königreich  Chlo- 
dovechs zur  Zeit  jenes  Krieges  nicht  an  das  deutsche  Thüringerland 
grenzte,  also  ein  Kriegsfall  zwischen  beiden  schwer  erklärlich  schien, 
hatten  frühere  Erklärer,  vor  allen  Waitz,  geleugnet,  dass  unter 
jenen  „Thoringi",  gegen  welche  Chlodovech  zu  Felde  zog,  die 
deutschen  Thüringer  verstanden  werden  könnten.  Sie  hatten  auch 
hier  an  die  fabelhaften  linksrheinischen  y,Thoringer"  gedacht,  mit 
denen  wir  bei  unserer  Dispargumfrage  Bekanntschaft  gemacht  haben, 
deren  Gebiet  aber,  wenn  sie  wirklich  existirt  hätten,  Chlodovech 
jedenfalls  längst  besass  und  nicht  erst  zu  erobern  brauchte.  Schrö- 
der bat;  wie  wir  damals  schon  hervorhoben,  das  grosse  Verdienst, 
der  alten  unbefangenen  Ansicht,  dass,  wie  überall,  so  auch  hier  an 
dieser  Stelle  Gregors  die  Thoringi  keine  andern  als  die  Thüringer 
sind,  wieder  Geltung  verschafft  zu  haben. 

Aber  nun  schien  ihm,  um  diesen  Krieg  Chlodovechs  mit  den 
Thüringern  zu  erklären,  jenen  Einwendungen  gegenüber  der  Beweis 
erforderlich,  dass  thatsächlich  Chlodovechs  Reich  an  das  der  Thü- 
ringer grenzte.  Für  diesen  Beweis  eben  sollten  die  Hypothesen  hin- 
sichtlich der  Chatten  eintreten. 

So  stellte  Schröder  denn  erstens  die  Ansicht  auf,  dass  die 
Chatten  „Urfranken",  ja  mit  den  salischen  Frankenstämmen  seit 
ältester  Zeit  besonders  nahe  verwandt  wären.  Er  zog  dabei  Tacitus 
Nachricht  von  der  chattischen  Herkunft  der  Bataven  heran,  trotzdem 
Mflllenhoff  dieseAngabe  als  „vollkommen  einen  ebensolchen  Unsinn, 
wie  der  Ulixcs  und  die  Trojaner  am  Niederrhein"  seien,  bezeichnete. 
Wenn   dann   Schröder    mit   der   Thatsache,   dass  später   in   den 

Jahrb.  d.  Vcr.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCV.  12 


178  Dr.  Konrad  Plath: 

chattischen  Gegenden  das  salische  Gesetz  Geltung  hatte,  die  Urver- 
wandtschaft der  Chatten  und  Salier  beweisen  wollte,  so  zeigt  doch 
die  blosse  Erwägnng,  dass  die  Hessen  ebenso  wie  die  Thüringer 
vor  der  Einverleibung  in  den  fränkischen  Staatsverband  kein  eigenes 
Gesetz  besassen,  also  bei  der  Einverleibung,  mochten  sie  nun 
urverwandt  sein  oder  nicht  (bei  den  Thüringern  nimmt  das  letztere 
auch  Schröder  an),  das  fränkische  Gesetz  ohne  irgend  eine  Wahl 
selbstverständlich  annehmen  nmssten  —  die  Erwägnng  ferner,  dass 
nach  S 0 hm s  Untersuchungen,  auf  die  sich  Schröder  selbst  beruft, 
das  salische  Gesetz  alle  andern  Stammesrechte,  selbst  die  aufgezeich- 
neten der  Alamannen  und  Baiem,  verdrängte  —  dass  seine  Geltung 
bei  irgend  einem  Stamme  nicht  im  geringsten  einen  Rflckschlnss 
auf  dessen  Verwandtschaft  mit  den  ^Saliern"  zulässt.  Dass  über- 
haupt bei  einem  Bundesnamen,  wie  dem  der  Franken,  an  eine  Ver- 
wandtschaft der  darunter  inbegriifenen  Stämme  zu  denken,  auf 
einer  irrigen  Voraussetzung  beruht,  haben  wir  oben  gesehen. 

Aber  mit  dieser  Annahme  einer  Verwandtschaft  der  Chatten 
und  der  salischen  Franken  von  Urzeiten  her  war  doch  für  die  Er- 
klärung des  Thüringerkrieges  Chlodovechs  eigentlich  noch  nicht  das 
geringste  gewonnen.  Schröder  musste  sich  zu  einer  zweiten,  nun 
völlig  aus  der  Luft  gegriffenen  Hypothese  verstehen.  Er  stellte 
nämlich  die  Behauptung  auf,  es  müssten  sich  die  Chatten  gerade 
kurz  vor  jenem  Thüringerkriege  an  Chlodovech  „angeschlossen" 
haben.  Aufweiche  Weise  sich  Schröder  die  einzelnen  Vorgänge 
bei  diesem  „Anschluss"  vorstellt,  wer  der  Führer  der  Verhandlungen 
von  Seiten  der  Chatten  war,  ob  die  Chatten  damals  überhaupt 
selbständig  waren  (nach  dem  Vorhergehenden  gehörten  sie  zu  dem 
Thüringerbunde),  und  welche  Rücksichten  sie  und  Chlodovech  be- 
stimmten, diese  Einigung  einzugehen,  darüber  äussert  er  sich  nun 
freilich  nicht;  mit  gutem  Grunde,  denn  abgesehen  davon,  dass  wir 
von  einem  solchen  Anschluss  nicht  das  mindeste  Zeugniss  in  den 
Gcschichtsquellen  haben,  ist  auch  an  sich  dieser  angebliche  Vorgang 
im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich.  In  Schröders  Gedankengang 
war  die  Hypothese  allerdings  ein  notwendiges  Zwischenglied.  Id 
nächstem  Znsammenhange  damit  stand  seine  weitere  Annahme,  dass 
auch  die  Moselstämme  (sogenannte  Moselfranken),  die  man  sonst 
als  Unterthanen  des  ripuarisclien  Frankenreichs  betrachtet  hatte, 
chattisch-salischen  Urspnings  seien  und  sich  demgemäss  mit  den 
Chatten  zusammen  damals  an  Chlodovech  angeschlossen  hätten. 


DispArgum.  179 

So  war  auf  diese  Weise  eine  zusammenhängende  Brücke 
zwischen  dem  eigentlichen  Reiche  Chlodovechs  und  dem  Thüringer- 
reiche  (das  eben  nur  in  jener  engen  Begrenzung  gedacht  wurde, 
in  der  wir  es  später  nach  den  fi'emden  Erobenmgen  kennen  lernen), 
geschlagen,  und  die  Möglichkeit  eines  Krieges  zwischen  beiden 
Reichen  gezeigt.  Es  beduifte  nunmehr  nur  noch  einer  einzigen 
Hypothese  —  der  nämlich,  dass  es  eben  die  Chatten  gewesen  seien, 
durch  die  Chlodovech  in  den  Krieg  mit  den  Thüringern  verwickelt 
wurde,  dann  schien  alles  völlig  klar  zu  sein. 

Aber  es  gibt  meines  Erachtens  eine  viel  einfachere  Erklärung 
dieses  Feldzuges  Chlodovechs  gegen  die  Thüringer,  als  diese  zweifel- 
hafte Hypothesenreihe.  Wie  wir  aus  den  Quellen  erfahren,  ge- 
hörten die  chattischen  Stämme  zum  thüringischen  Bundesreich,  das 
unmittelbar  an  das  ripuarische  grenzte.  Das  Wahrscheinlichste  ist 
mm  wohl,  dass  jener  Krieg  von  490  zwischen  den  Ripuariern  und 
Thüringern  entbrannte  und  dass  Chlodovech  an  demselben  als  Bun- 
desgenosse des  verwandten  ripuarischen  Königshauses  theilnahm, 
gerade  wie  ihm  umgekehrt  Ragnachar  gegen  Syagrius  (Greg.  Tur. 
II,  27),  später  Chloderich,  der  Sohn  eben  des  ripuarischen  Königs 
Sigibert  auf  dem  Zuge  gegen  die  Westgothen  (Greg.  Tur.  II.  37), 
half.  Die  Eroberungen,  die  bei  jenem  Thüringerkriege  im  Jahre  490 
gemacht  wurden,  betrafen  wahrscheinlich  gerade  die  chattischen 
Gebiete  des  Thüringerreichs,  und  dass  sie  dem  ripuarischen  Reiche 
zufielen,  geht  vielleicht  aus  jener  Nachricht  hervor,  dass  der  ripua- 
rische König  Sigibert  vor  seiner  Eimordung  in  dem  chattischen 
Walde  Buchonia  jagte!  Erst  durch  diese  Ermordung  Sigiberts  und 
die  Einverleibung  des  ripuarischen  Reiches  fielen  dann  diese  Ge- 
genden dem  Chlodovech  zu.  —  Wurden  damit  ihre  Bewohner  im 
politischen  Sinne  zu  „Franken'',  so  ist  doch  das  Bewusstsein  der 
thüringischen  Verwandtschaft  noch  bis  in  späte  Zeit  hin  nicht 
erloschen;  ich  erinnere  hinsichtlich  der  nördlichen  Gebiete  an  jene 
Angabe  des  Arbeo  von  Freising  in  seinem  Leben  des  heiligen 
Emmeram,  nach  der  die  Brukterer  an  der  Lippe  Nachbani  der 
Thüringer  seien,  für  den  Süden  an  die  Stelle,  die  den  Spessart  als 
die  Grenze  zwischen  Thüringen  und  Baiem  bezeichnet.  Man  denke 
ferner  an  das  Reich  der  thüringischen  Herzöge  mit  ihren  Residen- 
zen zu  Würzburg  und  Hammelburg !  Und  jene  „Mainfranken",  die 
lange  Zeit  gar  als  Urfranken  gelten  sollten,  bezeichnen  sich  selbst 
ja  heute  noch  sehr  mit  Recht  als  „Thüringer". 


180  Dr.   Konrad    Plath:   Dispargum. 

Wir  sind  auf  alle  diese  Dinge  hier  etwas  ansftthrlieher  ein- 
gegangen,  um  jeden  Einwand,  der  von  dieser  Seite  her  etwa  gegen 
unsere  Ansetzung  erhoben  werden  könnte,  schon  vorher  zu  wider- 
legen. Wie  wir  sahen,  wird  Duisburg,  abgesehen  von  den  andern 
Anzeichen,  die  flir  diesen  Ort  sprechen,  auch  jener  einzigen  be- 
stimmten Quellenangabe,  nach  der  Dispargum  auf  dem  rechten 
Rheinufer  an  der  Grenze  der  Thüringer  liegt,  völlig  gerecht.  Duis- 
burg, so  dürfen  wir  wohl  mit  Bestimmtheit  sagen,  war  Chlojos 
Herrschersitz. 


Die  vorliegende  Arbeit,  1891  geschrieben,  bildet  einen  Teil 
und  bietet  eine  Probe  des  umfangreichen  Unternehmens  des  Ver- 
fassers, die  sämmtlichen  hundertundfünfzig  Pfalzen  der  fränkischen 
Könige  in  vergleichend  -  historisch  -  archäologischer  Untersuchung  zu 
bebandeln.  Über  Plan,  Methode  und  bisher  erfolgte  Ausführung  des 
Werkes  giebt  die  1892  im  Verlage  von  R.  Siebert,  Berlin,  erschie- 
nene Schrift  des  Verfassers,  „Die  Königspfalzen  der  Merowinger  und 
Karolinger^,  ferner  die  Abhandlung  „Merowingische  und  karolingi- 
sche  Bauthätigkeit'',  Februarheft  der  Deutschen  Rundschau,  1894, 
Verlag  von  Gebrüder  Paetel,  Berlin,  Auskunft.  Ein  folgender  Ab- 
schnitt wird  die  Topographie  und  Archäologie  Duisburgs  enthalten« 


9.  Der  sogen.  ^^Dingstuhl^^  auf  dem  Marktplatze  zu  Echternach. 

Von 
Staatsarchitekt  K«  Arendt. 


Hierzu  Taf.  V  und  VI. 


Allbekannt  ist  das  an  der  Sauer  gelegene  luxemburgische 
Grenzstädtehen  Echternach  durch  seine  im  VII.  Jahrhundert  vom 
Friesenapostel  St.  Willibrordus  gegrtlndete,  besonders  durch  ihre 
Pfeilerbasilika  interessante  ehemalige  Benediktinerabtei  geworden; 
dann  durch  seine  alte  Pfarrkirche,  bemerkenswerth  durch  ihre  eigen- 
thOmlich  erhöhte  Lage,  ihre  zwei  romanischen  ChorthOrme^)  und 
ihre  schwere  Maximiliansglocke,  durch  ihre  Feld-Kapellen  und  ver- 
schiedene öffentliche  und  Privatgebäude  aus  mittelalterlicher  und  der 
Renaissance-Zeit. 

Bei  Weitem  das  merkwürdigste  Profangebäude  des  Ortes  ist 
der  am  Ost-Ende  des  Marktplatzes  neben  dem  Stadthause  und  gegen- 
über dem  ehemaligen  Zunftgebäude  ^)  gelegene  „Dingstuhl^S  im 
Volksmund  „Dinselt'^  benannt.  Dieses  10,70  m  breite  und  12,70  m 
tiefe,  muthmasslich  Ende  des  XV.  Jahrhunderts  errichtete  Gebäude, 
bildet  einen  zu  den  anstossenden  Häusern  um  6  m  resp.  8,25  m 
sich  abhebenden  Vorbau,  dessen  freie  Ecken  in  der  Dachhöhe  von 
zwei  keck  ausgekragten  runden  Warte -Thflrmchen  flankirt  sind. 
Den  Sturz  eines  jeden   der  zwei  offenen  Fenster  dieser  Thürmchen 


1)  Im  Mittelalter  soll  der  eine  dieser  Thürme  als  Warte  (beffroi)  für 
die  mit  Mauern  und  Halbthürmen  (Reste  noch  vorhanden)  umzogene 
Stadt  gedient  haben. 

2)  In  Folge  des  vom  Besitzer  unlängst  vorgenommenen  Umbaues 
dieses  auf  Arkaden  (im  Volksmund  „£nner  den  Steilen^)  ruhenden  mittel- 
alterlichen Gebäudes,  bleibt  leider  blos  ein  kleiner  Ecktheil  davon  übrig. 


182  K.  Arendt: 

ziert  ein  fein  ausgemeigseltes  Blendmasswerk  in  Doppel-Kleeblattforni. 
Das  Erdgcschoss  des  Vorbaues  bildet  eine  gewölbte  offene  Halle 
mit  einem  Mittel-  und  sieben  Aussenpfeilem,  welche  letztere,  nebst 
zwei  Wandlisenen  mittelst  acht  profilirter  Spitzbogenarkaden  mit 
einander  verbunden  sind.  Die  Pfeiler  sind  viereckig,  haben  eine 
niedrige  Plinthe,  ein  profilirtes  Kapital  und  abgeschrägte  Schaft- 
kanten. Dicht  an  die  auf  zwei  hohen  Vorstufen  (Stylobat)  nihende 
Halle  lehnt  sich  ein  ebenfalls  gewölbter,  später  in  zwei  getheilter, 
von  der  Halle  her  beleuchteter  Raum  (Pfandgewölbe).  Die  darüber 
gelegenen  zwei  Etagen  sind  nach  Aussen  durch  zwei  profilirte  Gurten 
markirt,  und  sind  letztere  in  ihrer  Mitte  und  an  den  Ecken  mit 
Consolsteinen  besetzt,  die  vielleicht  zur  Aufnahme  von  kleinen  Sta- 
tuen gedient  haben  mochten.  Anstatt  der  jetzigen  geschmacklosen 
vier  Renaissance-Fenster  jeder  Etage  erhoben  sich  uraprünglich,  den 
Axeliuien  der  Erdgeschossarkaden  entsprechend,  acht  elegante  go- 
thische  Fenster  mit  profilirten  Kreuzstockpfosten ,  Blendmasswerk  *) 
und  zierlicher  Bleiverglasung.  Das  dadurch  von  Haus  aus  übermässig 
durchbrochene  Gebäude  musste  bereits  im  vorigen  Jahrhundert  ziem- 
lich baufällig  geworden  sein,  da  man  sich  zu  dieser  Einschränkung 
der  trotzdem  ausreichenden  Lichtöffnungen  entschliessen  zu  müssen 
glaubte.  Gleichzeitig  ersetzte  man  die  schlanken  Helme  der  ThOrm- 
chen  durch  die  jetzigen  barocken  Zwiebelkuppeln,  vereinfachte  die 
Dachluken  und  leistete  Verzicht  auf  die  Helmbekrönung  des  östlich 
anstossenden  viereckigen  Treppenthurmes  *).  —  Ob  schon  damals 
die  Senkung,  resp.  Ausbiegung,  des  südlichen  Eckpfeilers  der  Erd- 
geschosshalle vor  sich  gegangen  war,  oder  ob  dieselbe  durch  die 
in  den  vierziger  Jahren  behufs  Einrichtung  einer  Wachtstube  mit 
Arrestlokal  im  Erdgeschosse  ausgeführten  baulichen  Veränderungen 
hervorgerufen  wurde,  ist  unbestimmt.  Man  weiss  nur,  dass  bei  letz- 
terer Gelegenheit  ein  schwerer  eiserner  Ringanker  um  den  Vorbau 
eingelassen  werden  musste. 

Die  in  vorbenanntem  Seitenthurm  befindliche  steineine  Treppe 
führt  nicht  nur  zu  den  beiden  Etagen  und  dem  Speicherboden,  son- 


1)  Von  diesen  ersten  Fenstern  sind  im  Mauerwerk  Reste  stehen  ge- 
blieben. Ein  als  Treppenpodest  eingemauertes  Blendmasswerk  scheint 
von  einem  Fenstersturz  herzurühren. 

2)  Auf  diesem  Thurmhelni  erhob  sich  ein  eisernes  Kreuz,  das,  wie 
mau  annimmt,  die  mittelbare  Jurisdiction  der  Abtei  bezeichnete  (Publ.  de 
la  soc.  pour  la  recherche  de  la  cons.  des  mon.  bist.,  B.  V.  S.  70. 


Der  sog.  „Dingstuhr  auf  dem  Marktplatz  zu  Echteruach.  183 

deru  auch  zu  drei  stockwerkartig  über  einander  liegenden  Verliessen; 
dessen  oberstes  gewölbt  ist,  und  noch  den  eisernen  Wandring  be- 
wahrt Rat,  an  den,  der  Volkstradition  zu  Folge,  die  zum  Tode  oder 
zur  Folter  verurtheilten  Verbrecher  festgekettet  wurden.  Sehr  wahr- 
scheinlich war  das  der  „Stock",  von  dem  alte  Urkunden  Meldung 
geben  ^).  Im  Volksmund  heisst  dieser  Gebäudetheil  „Folterthurm". 
Am  Fusse  der  Treppe  gewahrt  mau  links  eine  zugemauerte,  ehedem 
in  das  Pfandgewölbe  ffthrende  Thür,  an  deren  Sturz  das  in  Stein 
gemeisselte,  von  einem  Kleeblattmasswerk  umschlossene  Wappen  des 
Abtes  Robert  von  Montreal  (gest.  1539)  angebracht  ist. 

lieber  die  ursprüngliche  Bestimmung  des  „Dingstuhls"  geben 
die  Wort^Etymologie,  die  Volkstradition  und  historische  Urkunden 
Aufschluss.  Zunächst  erinnert  die  Bezeichnung  „Ding"  an  den  „Thing" 
der  alten  Germanen  und  das  „Jahrgeding^',  von  dem  in  den  mittel- 
alterlichen Gerichtsurtheilen  und  Schöffenweisthümem  (rccords  je 
justice)  die  Rede  ist.  „Dingen"  bedeutet  im  Altdeutschen  „lautes, 
öffentliches  Verhandeln  in  Rechtssachen".  Der  Tradition  zu  Folge 
Sassen  die  Ortsschöffen  miter  dem  Vorsitz  des  vom  Abte  bestellten 
Richters  in  der  offenen  Dingstuhlhalle  zu  Gericht,  „um  über  leichte 
Frevel  und  in  Privatstreitsachen  öffentlich  zu  verhandeln  und  Recht 
zu  sprechen,  während  dieselben  im  grossen  neben  den  Kerkern  ge- 
legenen Saale  der  Belletage  in  Criminalsachen  aburtheilten.  Zur 
Zeit  der  französischen  Herrschaft  war  es  das  „tribunal  d'arrondissc- 
ment",  welches  im  Dingstuhl  seine  Sitzungen  hielt,  und  seither  ist 
bis  auf  den  heutigen  Tag  das  Cantonal-Fricdensgericht  in  dem  ersten 
Stockwerk  untergebracht.  Die  zweite  Etage  scheint,  wie  heute,  so 
bereits  vor  Zeiten  zu  Dienstwohnungen  verwendet  gewesen  zu  sein. 
Somit  diente  der  Dingstuhl  zu  aller  Zeit  seit  seinem  Entstehen  zu 
Gerichtszwecken. 

Hier,  als  Beleg,  zwei  von  Brimmeyr  citirte  Auszüge  aus  einer 
vom  Jahr  1539  datirten,  auf  den  Dingstuhl  bezüglichen  Urkunde 
des  Gemeinde- Archivs : 

„So  der  Richter  jemants  dedig  bekeme,  soll  der  Richter 
den  menschen  in  den  thurn  zu  Echteruach  legen,  und  so  der 
mensch  das  leben  verpuert  hette,   sollen   des   richters  hotten  in 


1)  Brimmeyr  und  Gommand  irrten  entschieden,  als  sie  das  Wort 
,Stock'*  als  Pranger  (pilori)  deuteten. 


184  K.  Arendt:  Der  sog.  „DiDgstuhl"  auf  dem  Marktplatz  zu  Echternach. 

fueren  nf  den  markt  in  den  ,stock'.  Der  stock  uff  den  markt 
soll  auch  durch  den  Abt  in  gebew  gehalten  werden,  in  welchen 
der  misdedig  gesezt  soll  werden  wann  sein  erkentnus  von  den 
neun  zennera  ufgelesen  wird,  bis  das  er  zu  dem  gericht  gefurt 
wii*t." 

„Auch  soll  der  Dingstull  von  dem  Herrn  Abt  in  gebew  ge- 
halten werden.    Es  sollen  auch  die  Scheflfen  über  bürger  güder 
sigelen  in  und  bussent   der  statt  Echternach,   und  was  „under" 
den  Dingstuhl   gehört  zu  verthedigen.     So  jemants  ....  einem 
herrn  Abt  oder  Bürger  schult  schuldig  wer,  so  sollen  des  Richters 
boden  die  ,pfendt'  daselbsten  holen   und   zu  Echteniach  dragcn 
an  den  Dingstull  —  und  darnach  verkaufen." 
Dieselbe  ürkimde  enthält  ausserdem  einige  vom  Kaiser  Maxi- 
milian gelegentlich  seiner  Pilgerfahrt  nach  Echternach  im  Jahre  1512 
erlassene  Verfügungen. 

In  jüngster  Zeit  ergriflf  der  ftlr  die  Erhaltung  unserer  vater- 
ländischen Denkmale  hoch  verdiente  Staatsminister  Ey sehen  die 
Initiative  für  die  Restaurirung  des  Dingstuhles,  indem  er  den  Ver- 
fasser mit  der  Ausarbeitung  eines  diesbezüglichen  Projektes  betraute. 
Diesem  zu  Folge  sollen  die  jetzigen  Fenster  in  der  Form  der  ur- 
sprünglichen Fenster^)  umgeändert  werden,  die  Eckthürmchen  und 
der  Seitenthurm  ihre  früheren  Helmbekrönungen  wieder  erhalten  und 
auch  die  Dachlucken  stylgerecht  umgebaut  werden.  Vorher  soll  je- 
doch mittelst  behutsam  auszuführender  Konsolidirungsarbeiten,  ins- 
besondere des  ausgewichenen  Eckpfeilers,  die  Stabilität  des  Bau- 
werkes gesichert  werden.  Laut  summarischem  Kostenanschlage 
würden  sich  die  Kosten  der  Ausführung  dieses  Entwurfes  auf  ca.  6000 
Franken  belaufen. 

Luxemburg,  1893.  K.  Arendt. 


1)  Die  Wiederherstellung  der  Fenster  in  ihrer  ursprünglichen  An- 
zahl wäre  nur  mittelst  eines  kostspieligen  gänzlichen  Umbaues  des  leider 
nicht  mehr  genügend  festen  Gebäudes  möglich. 


10.   Aus  der  rheinischen  EpigraphiJc  des  Jahres  1893. 

Von 
Carl  Menrer« 


Die  folgenden  Blätter  sollen  in  erster  Reihe  den  Mitgliedern 
unseres  Vereins,  dann  auch  einem  weiteren  Kreise  den  Ueberblick 
über  die  epigraphischen  Funde  des  Jahres  1893  im  Rheinstrom- 
gebiete verschaffen.  Nur  flftr  den  ersten  Theil  ist  Vollständigkeit 
angestrebt;  die  andeiii  geben  dieses  Mal  nur  das  Wichtigste. 

Im  Allgemeinen  ist  der  Rahmen  des  angegebenen  Jahres  iime- 
gehalten  worden ;  doch  habe  ich  die  Ergebnisse  der  Herbstkampagne 
in  der  Limesforschung,  auch  wenn  diese  erst  in  den  1894  erschie- 
nenen Heften  des  Limesblattes  zugänglich  gemacht  sind,  schon  jetzt 
mit  aufnehmen  zu  müssen  geglaubt. 

Die  seltsame  Art  der  Veröfifentlichung  einer  neuen  Sammlung 
der  Augenarztstempel  durch  Esp^randieu  in  der  Revue  arch^olo- 
gique  verbot  eine  Berücksichtigung;  sobald  die  Sammlung  voll- 
zählig ist,   wird  sie  eine  Würdigung  in   dieser  Zeitschrift  erfahren. 

In  das  Register  ist  im  Wesentlichen  nur  das  die  rheinische 
Epigraphik  betreffende  aufgenommen. 


I.    NEUE  FUNDE  IM  RHEINSTROMGEBIET. 

1  Schwaderloch.   (Canton   Basel.)    [Pick,  Anzeiger   für  Schweiz. 

Alterthum.sk.  1893  Nr.  4.]   Daraus  mit  Zusätzen  Mommsens  Westdeutsche 
Zeitschr.  Korr.-Bl.  XII,  100.    Bauinschrift  vom  Jahre  371. 

S]alvi8  ddd(ominis)  nnn(ostri8)  |  Valentiniano  [Va]lente  et  Gra- 
tiano  I  victo]r(ibu8)  senp(er)  Aug(n8tis)  burgum  | aco  confine 


186  CarlMeurer: 

6leg(io)    octa[va  f ]    anensium   fecit  sub  cur(a)    |   [Ianua?]ri 

p(rae)p(ositi)  con8u(libu8)  d(omi)n(o)  n(ostro)  Gratiano  II  |  [et  Fl(avio) 
P(robo)  v(iro)  c(lari88imo). 

371  erbaute  also  die  8.  Legion  {Augtutt)anen8iuin?  —  so  Mommsen; 
regelrecht  Augustancyrum;  Pick  dachte  an  Gratianensium  —  ein  burgum 
(das  Neutrum  auch  CIL.  VIII,  4799),  das,  noch  ohne  Namen,  einfach  als 
in  der  Nähe  einer  Ortschaft acum  liegend  bezeichnet  wird. 

burgus  dringt  als  deutsches  Lehnwort  schon  im  2.  Jahrhundert  ins 
Latein  ein  (CIL.  VIII,  2494),  ist  zunächst  wohl  blosser  burgtis  spectikUofnttSj 
später  überhaupt  Befestigung,  an  die  sich  dann  Ortschaften  anlehnen 
können  (CIL.  III,  3653). 

2  Spei  er.    Mitth.  des  bist.  Vereins  der  Pfalz  XVI,  190. 
Amatori  vitam  semper. 

Wohl  zu  ergänzen  opto,  und  also  gleichbedeutend  mit  dem  häufigen 
semper  vivas  oder  mtUtis  annis  vivas  (CIL.  X,  8071, 1),  vgl.  auch  salutem 
ubique  (CIL.  IV,  201,  2163  und  sonst). 

Oefäss  mit  niederem  Fuss,  scharfkantigem  Bauch  und  hohem  Hals; 
in  der  Mitte  ist  die  Inschrift  eingeritzt.  Gefunden  nördlich  von  der  Lud- 
wigsstrasse; jetzt  im  Museum  zu  Speier. 

3  Katzeneck  (Siidpfalz).    C.  Mehlis,  Berliner  phil. Wochenschrift 
1893,  Sp.  1219. 

Julia 

Das  a  vielleicht  mit  e  ligirt. 

Bruchstück  einer  Platte  aus  rothem  Sandstein;  Inschrift  30  cm  lang, 
18  cm  breit. 

4  Brunholdisstuhl  bei  Du rk heim.   Mehlis,  B.  J.  94,  47  ff,,  vgl.  Zeit- 
schrift für  Ethnologie  1892,  S.  564  u.  1893,  S.  123. 

a)  Nantuasio  oder  wahrscheinlicher  NantuasCius)  l(ovi)  o(ptimo). 

b)  I(ovi)  o(ptimo)  m(aximo)  |  Flavius  I(ovi?)  o(ptimo?). 

Kritzeleien  von  Besuchern  dieser  Felswände;  die  erste  Inschrift  bedeu- 
tend älter,  als  die  zweite,  die  der  späten  Kaiserzeit  (3.  Jahrh.)  anzugehören 
scheint.  Nantua8{iusf)  wohl  ein  keltischer  Name;  das  I.  0.  wohl  am 
natürlichsten  so  zu  deuten,  wie  ich  es  gethan;  diese  Buchstaben  sind 
von  dem  Namen  durch  Schnörkeleien  und  einen  langen  Mohnstengel 
getrennt. 

In  der  zweiten  Inschrift  kann  man  auch  FliavitAs)  Avius  lesen; 
hinter  l  vielleicht  ein  Punkt.  Die  Wiederholung  des  Götternamens  nicht 
aufTällig  in  solcher  Kritzelei;  über  die  Auslassung  von  m{aximo)  s.  Nr.6. 

5  Heidenburg   bei  Kreimbach.    Mehlis,   Berl.    phil.  Wochenschrift 
1893,  Sp.  1164  ff.,  vgl.  Mitth.  des  hist.  Voreins  der  Pfalz  XIII,  189;  XIV,  150. 

Grabschrift. 
5  .  .  .  c  d  1 1  I  .  .  iisoni  1  .  .  .  \   et  Apri|[li]  defuncto|[8]ibi   et 

suis  8u|[p]eri8. 

Mehlis  las  dii{s)  mianibiisf)  [Fr]ii8<mn  [fiUi]  et  Apri  defuncto  [B\ibi 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1894.  187 

et  suis  su[o]  [lib]eris.  Zang'emeister  schlug  B.  ph.  W.  1893,  Sp.  1565 
vor  Äpri  [patri  oder  fratri]  und  et  suis  .  .  .  [postjeris. 

Da  nach  defuncto  nur  ein  s  fehlt,  lässt  sich  das  Spatium  nach 
Mehlis'  Abschrift  berechnen  und  stimmt  zu  meiner  Ergänzung.  Der  An- 
fang entzieht  sich  noch  einer  Herstellung;  etwa  sä\cCtnim)  d{is)  i{nferis) 
niianibus)  P 

Cippus  80  cm  lang,  56  cm  breit;  jetzt  im  Museum  zu  Speier.  Vgl. 
Wd.  Z.  Korr.  XII,  103. 

6  Ebenda.   Mehlis,  B.  ph.  W.  1893,  Sp.  1564.    Juppiteraltar. 
I(ovi)  o(ptimo)  |  Gratia  Vapo  .  .  |  .  a  .  viva  here[8]. 

/.  0.  ohne  maximus  selten;  Gratia  z.  B.  CIL.  V,  6079,  6685.  Der 
folgende  Name  nicht  sicher  herzustellen. 

Gelber  Sandstein ;  Buchstaben  6  cm  hoch.  Inschrift  jetzt  im  Museum 
zu  Speier. 

7  Ebenda.   Mehlis,  B.  ph.  W.  1893,  Sp.  1155. 
....  US  vo[tum? 

Fragment  eines  Frieses ;  15  cm  lang,  7  cm  breit. 

8  Ebenda.  Mehlis,  B.  ph.W.  1893,    Sp.  1563. 

a)  .  .  .  velu  ...  I  ....  V 

b)  .  .  .  ofn  .  .  .  . 

c)  r 

Fragmente  einer  Inschrift;  a)  30  cm  breit,  28  cm  dick;  b)  20  cm 
breit,  33  cm  dick.    Buchstaben  bei  a  6  —7  cm  hoch,  bei  b  7,5  cm. 

9  Ebenda.    Mehlis  am  selben  Ort. 
.  .  .  e    A  .  .  . 
Buchstaben  7  cm  hoch. 

Vielleicht  auch  zu  obiger  Inschrift  gehörig. 

10  Ebenda.   Mehlis,  B.  ph.W.  1893,  Sp.  1564. 

a)  .  .  .  li  .  .  .  .  I  .  reo  .  .  .  .  I  .  ece  .  .  .  I  .  t 

b)  I 

Inschriftenfragment  aus  rothera  Sandstein ;  30  cm  hoch,  19  cm  breit, 
15  cm  dick.    Buchstaben  7  cm  hoch. 

11  Pachten  (Kreis  Saarlouis).   Lehner,  Wd.  Z.  Korr.  XII,  398. 
Domit?]ianu8. 

Block  einer  roh  eingespitzten  Inschrift;  nur  Endung  eines  Na- 
mens erhalten. 

12  Trier.    Lehner,  Wd.  Z.  Korr.  XII,  397. 

.  .  .  .\  I  Oppili  •  I  vidu[a?][d(e)]  ß(uo)  f(aciendum)  c(uravit). 

Sorgfältige  Ausführung  der  Buchstaben  weist  die  Inschrift  in 
ziemlich  frühe  Zeit. 

Gefunden  zwischen  Museum  und  Kaiserpalast;  jetzt  im  Museum  zu 
Trier.    Marmorplatte. 

13  Maar  bei  Trier.   Lehner,  Wd.  Z.  Korr.  XII,  105. 
Graffiti  auf  einem  Thongefäss. 


188  Carl  Meurer: 

a)  Ein  römisches  Alphabet,  in  dem  R  für  Q  ans  Versehen  geschrieben 
und  Z  etwa  in  der  Form  folgt,  wie  es  CIL.  III,  S.  3,  Nr.  11453  sich  findet; 
vgl.  Sitsnngsber.  der  Wiener  Akademie  der  Wiss.  XIV,  Taf.  III. 

Z  auch  noch  CIL.  HI,  2,  p.  962. 

b)  Artus  fututor  |  .  Art(um)  ligo  Dercomogni  fututor(em?). 
Lehn  er  a.  a.  0.  deutete   artus  fututor  artübiis)  ligo  Dercomogni 

und  verglich  z.  B.  Tib.  I,  8,  26  femori  conseruvfse  femur.  Dercomogni 
wäre  dann  der  Name  des  Lieblings.  Besser  obige  Deutung  Bücheier s, 
der  bei  L ebner  a.  a.  0.  vorschlug  Artus  ligo  Dercomogni  (ßium)\  Artus 
fututor  (est),  ligo  in  der  Devotionsbedeutung,  wie  Bull.  dell.  Inst  1860, 
S.  70;  wohl  auch  auf  den  Bleitäfelchen  in  der  Festschrift  zum  fünfzigj.  Jubil. 
dieses  Vereins  S.  132  von  Bücheier  richtig  ergänzt,  u.*0onst.  Ob  Derco- 
mogni von  fidutor(em)  oder  von  Artu^  abhängt,  muss  dahingestellt  bleiben. 
Für  die  Wiederholung  von  Artus  (z.  B.  CIL.  III,  4376)  und  fututor  vgl. 
Catull  94. 

Die  Devotionstäfelchen  hat  Klein,  Bonner  Festschrift  S.  131  zu- 
sammengestellt; hinzu  kommen  zwei  von  Hadrumetum  (Cagnat,  L'anu^e 
6pigr.  1893  Nr.  27  und  92). 

c)  Diese  beiden  Inschriften  sind  vor  dem  Brande  in  weichen  Thon  ein- 
gedrückt; nach  dem  Brande  ist  dann  —  von  einem  spätem  Besitzer  — 
mit  Benutzung  der  Formen  des  Alphabetes  hinter  die  zweite  Inschrift  noch 
eine  dritte  eingeritzt: 

Aprilis  H  S  I  ^ 

Die  letzten  Buchstaben  entziehen  sich  einer  Deutung. 
Rundlicher  Henkelkrug  mit  schmalem  Hals  aus  gelbem  Thon  (17  cm 
hoch),  Inschrift  a  läuft  über  den  Fuss;  b  u.  c  um  den  Bauch  herum. 

14  Mainz.    Zangemeister,  Wd.  Z.  Korr.  XII,  119.    Mithrasaltar. 
D(eo)  I  i(nvieto)    M(ithrae)  |  [q]ui    v|ovit|,    [8]o[Iv]lit   l(uben8)  • 

^l(aetus)  .  .  . 

Z.  2  und  4  höchst  unsicher;  obige  Deutung  ist  von  Zangemeister; 
Z.  2  steht  0  statt  Q;  Z.  4  fehlt  s  und  für  LV  (liV  der  Vorlage  nachZ.'s 
Vermuthung)  steht  I  N  auf  dem  Stein.     Mommsen  vermuthet  bei  Zaug. 

a.  a.  0.  in  Z.  2  [Q]  •  V  .  .  .  .  I den  Namen  des  Dedikanten;  doch 

kann  dieser  auch  fehlen. 

Spuren  von  rother  und  weisser  Bemalung  sind  sichtbar:  diese  mag 
auch  die  Fehler  der  Steinmetzen  verbessert  haben. 

Der  untere  Theil  der  Ära  fehlt;  das  erhaltene  Stück  misst  35,5  cm. 
Z.  1  steht  auf  einem  Gesims.  —  Gefunden  Sept.  1893  in  der  Altenauergasse. 

15  Hedäernheim  bei  F  r  a  n  k  f  u  r  t.   Q  u  i  1 1  i  n  g,  Westd.  Zeitschr.  XU, 
255  u.  Taf.  IV.     Graffito. 

Aquilo  Martin(a)e  coniugi  salutem. 

Dieser  Stossseufzer  eines  Töpfers  hat  seine  Analoga  auf  zahlreichen 
pompejauischen  Wandinschrii'tcn,  Inschriften  auf  Gefässen  und  sonst.  In 
der  Nähe  von  Heddernheim  bei  Dortelweil  an  der  Nidda  ist  1890  ein  Ziegel 
gefunden:  ....  mitet  Mattose  salutem,   coiugi   carissum(ä)e,    et   o[p]tat 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  189 

[?  eam  ire  aliquan]do  usque  at  te^  womit  Kiese  (Wd.  Z.  Korr.  X,  (vgl  69)  161) 

treffend  Ovid  Heroid.  XIII,  1-2  vergleicht. 

Vgl.  immer  noch  Jahn,  Ber.  der  Sachs.  Gesellsch.  derWiss.  IX,  191; 

auch  F.  D  ü  m  m  1  e  r,  Mitth.  des  arch.  Inst.  Athen.  Abth.  XVIII,  36. 

16  Kastell  Biburg  bei  Pf  örr  in  g.    Fink,  Limesbl.  VI,    Sp.  189   (vgl. 

Hettner,  Jahrb.  d.  A.  Inst.  Vm,  175.) 

.  .  .  iusima  |  ....  cit  K  et  Y  |  ....  s  genio. 
? 

Die  mir  undeutbare,  dem  Genius  irgend  jemandes  geltende  Inschrift 
steht  auf  einem  Plättchen,  dessen  eine  Seite  weggebrochen  ist.    Das  Plätt- 
chen selbst  hängt  an  einem  silbernen  Armreif. 
1  ^  Bürgert.  Niederlassung  am  Kastell  Pfünz  bei  E  ic  h  s  t  ä  d  t.  Hettner, 

Jahrb.  VIII,  184  (vgl.  Winkel  mann,  Limesbl.  II,  Sp.  64  und  III,  Sp.  95 
und  Hettner,  Jahrb.  VII,  157). 

Patru(ini?)  Ma(n)8u[e]ti(i)  Terti(i>. 

Die  Inschrift  ist  einpunktirt  am  Rande  eines  Bronceplättchens,  des 
Beschlages  eines  Lederpanzers ;  auf  dem  Plättchen  Adler  und  Schilde. 

Gefunden  mit  Silberplättchen,  die  dieselbe  Bestimmung  gehabt  haben, 
vielen  andern  römischen  Kleingegenständen  und  Münzen,  von  denen  keine 
jünger  als  Alexander  Severus  ist. 
1^  Kastell  Bürgle  bei  Unterb  oebingen.    Zangemeister,  Limesbl. 

III,  Sp.  93   (vgl.  Steimle  ebenda.      Hettner,    Jahrb.  VTI,  151);  jetzt 
auch  Mommsen  CIL.  III  S.  f.  3  p.  1994.    Militärdiplom. 

Tafel  n  Innenseite,  unten: 

....  Stro  ....  I  [descri]pt(ura)  et  recog[nit(um)  ex  tabula 
aenea]  |,  quae  fi]xa  est  Rom(ae)  in  [muro  post  tcmplum  |  divi]  Aug(n8ti) 
[ad  Minervam]. 

Tafel  II  Aussenseite,  unten: 

•  ■  .  .  111  ....  I  ....ii. 

Stro  ....  Mommsen  a.  a.  0. 

Die  Innenseite  enthält  die  gewöhnliche  Schlussformel ;  nach  der  Ar- 
chivstelle, an  der  das  Original  in  Rom  aufbewahrt  ist,  kann  das  Diplom 
nicht  vor  93  ausgestellt  sein  (Mommsen  CIL.  III  p.  916).  Z.  1  enthält 
Name  oder  Heimat  des  Soldaten.  Die  Aussenseite  zeigt  noch  Buch- 
staben von  den  Namen  zweier  Zeugen. 

Ein  besser  erhaltenes  Militärdiplom  s.  unten  Nr.  22. 

In  demselben  Kastell  ist  noch  ein  Stein  gefunden,  in  den  die  Zahl  V 
eingemeisselt  ist,  und  ein  vergoldeter  Broncebuchstabe  I. 
19  Zwischenkastell  bei  Osterburken.    Schumacher,  Limesbl.  II, 

Sp.  42  (vgl.  Hettner,  Jahrb.  VII,  153.)    Weihinschrift. 

I  Oenio  t(urmae)  I[us]|ti  At[ti]an[i]  |  lustius  Atltianus  d(eeurio)  [ 
6  de  suo  pos(ait). 

Die  Ergänzung  t{uTmae)  ist  von  Mommsen;  auch  diese  wurden 
wie  die  Centurien  nach  ihrem  Führer  genannt. 


190  Carl  Mearer: 

Ära  aus  rothem  Sandstein;  32  cm  breit,  39  cm  hoch;  spffter  als 
Basis  benutzt;  Buchstaben  4  cm  hoch. 

20  Zwischenkastell  Beiburg  bei  Neckarburken.  Schumacher,  Li- 
mesbl.  m,  Sp.  67  (vgl.Hettner,  Jahrb.  Vir,  153).  Ehreninschrift  an  den 
Kaiser  Antoninus  Pius. 

Imp(eratori)  Cae8(ari)  Tit(o)  Ael(io)  Had(riano)  Ant(onino) 
Aug(u8to)  Pio  pon(tifici)  max(imo)  trib(unicia)  pot(e8tate)  co(n)8(uli) 
IUI  p(atri)  I  p(atriae)  n(umeru8)  Brit(tonum)  Elant(.  .  .  .  ?). 

Also  zwischen  145  (Antoninus*  4.  Consulatsjahr)  und  161  ist  das 
Kastell  von  einer  Abtheilung  Brittone^  (über  sie  vgl.  Mommsen,  £ph. 
Ep.  IV,  178,  CIL.  III,  11996a)  erbaut;  denn  darin  stimme  ich  Schu- 
macher bei,  dass  die  auf  einer  fast  4  m  langen  Platte  fortlaufende  Inschrift 
als  Bauurkunde  aufzufassen  ist.  —  In  Elant  ;  .  .  steckt  eine  örtliche  Be- 
zeichnung, wohl  des  Standquartiers  (vgl.  Mommsen  Limcsbl.  I,  Sp.  7). 
Nach  Christs  Vermuthung  (Pfalz.  Museum  X,  6;  so  auch  Hettner 
a.  a.  0.  154)  lebt  sie  fort  im  Flüsschen  Elz  jener  Gegend. 

21  Ebenda.  Hettner,  Jahrbuch  VII,  154.  Ehreninschrift  an  den  Kai- 
ser Antoninus  Pius. 

[I]mp(eratori)    [T.    Ael(io)  |  Had(riano)    A]nto(nino    A[ug(u8to) 
5  Pio  f  trib(uuicia)  p]ot(estatc)  co(n)8(uli)  .... 

Mit  Rücksicht  auf  den  Raum  ergänzt;  über  Auslassung  des  Titels 
Caesar  in  der  Nomenklatur  des  Pius  vgl.  z.  B.  H  u  e  b  n  e  r  zu  CIL.  VII,  584. 

22  Kastell  Beiburg  beiNeckarburkcn.  Zangemeist  er,  Limcsbl.  III, 
28.    Militärdiplom  des  Hadrian. 

Tafel  L    Vorderseite: 

Im(perator)  Caesar  divi  Traiani  Parthici  f(iliu8)  divi  |  Nervae 
nepos  Traianus  Hadrianus  Aug(nstus)  |  pout(ifex)  max(imus)  tribConi- 
eia)  pote8t(ate)  XVIII  co(n)s(ul)  III  p(ater)  p(atriae)  | 
5  equiti(bas)  et  peditib(us),  qui  militaver(nnt)  in  ala  I  et  [  coh(ortibus) 
XVy  quae  appell(aDtur) 

iDdian(a)  Gallor(um)  et 
I  Flav(ia)  |  Dam(a8ceQornm)  (railiaria)  et 
I  German(onim)  et 
I  Ligur(um)  et  Hi8p(anorum)  et 
I  c(ivium)  R(omanoruiii)  et 
I  I  Aquit(anoram)  [veter(aDa)]  et 
I  Bitur(igum)  et 
I  Astur(nm)  et 

II  Aag(nBta)  Cyr(enaiea)  |  et 
II  Raet(orum)  et 
III  Aquit(anorum)  et 
III  Dalm(atarnm)  et 


Ans  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  191 

IUI  Aquit(anorum)  |  et 

IUI  Vmd(elicorum)  et 
V  Dalm(atarum)  et 

VII  Raetor(um) 
10  et  sunt  in  [  6ennan(ia)  snper(iore)  snb  Claudio  Qnartino,  qninjque 
et  vigint(i)  stipend(iis)  emerit(is)  dimis8(is)  ho|nest(a)  mis8ion(c), 
quorum  nomin(a)  sub8cript(a)  |  sunt,  ipsis  liber(i8)  poBteri8qu(e)  eorum 
15  civitat(em)  |  dedit  et  eonub(ium)  cum  uxorib(u8),  quas  tune  hafbuisscnt, 
c(uui)  est  ciyitas  iis  data,  aut  äi  |  qui  caelibes  essent,  cum  iis 
quas  poBtea  du|xi88(ent),  dumtaxat  singuli  singulas. 

16.  Oct.  a.  d.  XVII  k.  nov.  |  P.   Licinio  Pansa  L- 

134.  [Att]io  Macro  co(n)8(ulibus). 

Tafel  I.    Rückseite. 

Imp(erator)  Cae8(ar)  divi  Traiani  [P]arthici  f(ili)  dpvi  Nervae 
nep(os)]  I  Traianus  Hadrianus  Aug(u8tu8)  pon[tifex  max(imu8)  tri- 
b[unieia)]  |  pot(estate)   XVIII  co(n)8(ul)  III  p(ater)  p(atriae)  | 

equ(itibu8)  et  pe[d(itibus)],  qui  mil(itaverunt)  in  al(a)  I  et  coh[(or- 
5  tibus)  XV],  [quae  app(ellantur)  Ind(iana)  f  6al[l(orum)]  et  I  Fla(via) 
Dam(a8cenorum)  (miliaria)  et  I  Lig(urum)  et  H[i]Bp[(anorum)  et  I 
e(ivium)  R(omanorum)  et  I  Aquit(anorum)  vet(erana)]  |  et  I  Genn(ano- 
rum)  et  I  Bit(urigum)  et  I  Ast(urum)  et  II  Aug(u8ta)  C[yr(enaica) 
et  II  Raet(orum)  et  III]  |  Aqu(itanorum)  et  III  Dalm(atarum)  et 
IUI  Aqu(itanorum)  et  IUI  [Vindel(ieorum)  et  V  Dalm(atarum)]  |  et 
VII  [Ra]et(orum) 

et  8unt  in  6emi(ania)  sup[er(iore)  sub  Claudio]  |  Quartino,quinq(n)e 
10  et  vig(inti)  8ti[p(endii8)  emerit(is)  dim(i8si8)  hon(e8ta)]  f  mis8(ione), 
quor(um)  nom(ina)  sub8[c]r(ipta)  8un[t  ip8(i8)  lib(eriB)  po8ter(i8)q(ue)] 
[e]or(um)  [c]iv(itatem)  dcd(it)  et  con(ubium)  cum  ux(oribu8),  qua[8 
tnnc  faabuissent] ,  |  cum  est  civ(ita8)  iis  dat(a),  aut  si  q(ni)  cae- 
[lib(es)  essent,  cum  üb]  |  quas  [p]oBt(ea)  dux(]88ent),  dumtax(at) 
8ing[uli  singulas]. 

Die  Innenseite  drängt  die  17  Zeilen  der  äussern  in  14  zusammen, 
kürzt  darum  stärker  ab;  femer  setzt  sie  die  I  Germanorum  an  fünfte 
Stelle,  während  die  andere  Seite  sie  an  zweiter  bietet.  Schliesslich  ist 
sie  auch  nachlässiger  geschrieben ;  zweimal  steht  T  statt  P  (Z.  1  Tarthid, 
Z.  13  tost),  einmal  statt  L  (Z.  6 Gatt);  Z.  8  MET  statt  RAET  und  Z.  11 
SORIN  statt  EORCIV. 

Auf  beiden  Seiten  ist  miliaria  durch  das  Tausendzeichen  oo  aus- 
gedrückt (so  auch  bei  derselben  CohorteBrambaeh  C.J.Rh.  1412  und  7; 
ausgeschrieben  £ph.  £p.  V,  652). 


192  CarlMeurer: 

Auf  der  Aussenseite  steht  falsch  in  dem  Consulnamon  Macro  statt 
Jlfocronc;  derselbe  Fehler  auf  einem  andern  Diplom  (CIL.  III,  p.  878). 

Es  ist  das  6.  Militärdiplom  für  Obergermanien,  das  wir  kennen 
lernen.  Zu  den  länger  bekannten  4  (CIL.  III  p.  852,  p.  870  und  871, 
Eph.  IV,  595,  V,  652)  sind  vom  Limes  das  Bruchstück  vom  5.  (oben  Nr.  18) 
und  nun  dieses  getreten^). 

Durch  dies  Diplom  wird  unsere  Kenntniss  der  römischen  Auxiliar- 
truppen  in  0.  G.  bis  134  gesichert;  eine  neue  Cohorte  finden  wir  nicht; 
auch  die  Ala  war  längst  bekannt;  nur  lernen  wir  aus  ihrem  Beinamen 
GaUorunif  dass  sie  sich  aus  Gallien  rekrutirte,  was  übrigens  schon  Henzen, 
B.  J.  13,  77  vermuthet  hatte;  wohl  «mag  sie  nach  irgend  einem  Trevirer 
Indtis  (Tac.  Ann.  III.  42)  benannt  sein.  —  Ti.  Claudius  T.  f.  Pal(atina) 
Quartinus  (B  o  i  s  s  i  e  u,  Inscr.  de  Lyon  p.  284)  war  vor  seiner  Versetzung 
an  den  Rhein  praetorischer  Legat  in  der  Tarraconensis  (CIL.  II,  2959).  — 
Aus  den  Fundumständen  schliesst  Zangemeister,  dem  ich  überhaupt  obige 
Angaben  entnehme,  dass  der  Inhaber  sein  Diplom  in  dem  Thesaurus  des 
Kastells  (M  o  m  m  s  e  n,  B.  J.  68,  55)  deponirt  habe  (?). 

Broncene  Tafel;  124  mm  breit;  heutige  Höhe  102— 106  mm;  unten 
abgebrochen;  der  broncene  Verschlussfaden  zwischen  den  zwei,  den  Sie- 
gelstreifen auf  dem  verlorenen  Täfelchen  entsprechenden  Löchern  ist  noch 
erhalten  und  nach  der  für  Wachstafeln  bezeugten  Vorschrift  dreimal  herum- 
geschlungen. 

23  Niederlassung  bei    dem  Kastell    Grosskrotzenburg.      Wolff, 
Limesbl.  V,  Sp.   132,  vgl.  Hettner,   Jahrb.  VIII,  179.    HerkulesalUr. 

Herc[ulij  .  .  . 

Aufschrift  eines  Altargesimses;  gefunden  mit  Resten  von  Mitbras- 
altären. 

24  .  Ebenda.    Wolff,  a.  a.  0,  Sp.  133.    Marsaltar. 

I(n)  h(onorem)  d(omus)  d(ivinae)  |  Marti  L|[eu]cet(io)  et 
5Vi[c|t]oriae  M.f..|  S]everinu8  [p]|ro  suis  fil[i][8  Sperato  e[t]  Pupo 
civ[ib(u8)]  I  [T]reveri8  .  .  . 

Ueber  Mars  Leucetius  s.  Preller- Jordan,  Rom.  Myth.  I,  188,  1, 
334,  1  und  sonst. 

Zusammenstellung  von  Mars  und  Victoria  häufig. 

Ära  aus  Mainsandstein;  Gesims  beschädigt,  der  untere  Theil  der 
Inschrift  (2  Zeilen  fehlen)  und  grössere  Stücke  der  Basis  sind  weggeschla- 
gen; die  Inschriftfläche  60  cm  hoch,  40  cm  breit,  die  Buchstaben  43  mm  hoch. 

25  Ebenda.  Wolff,  a.  a.  0.  Sp.  134.     Juppiteraltar. 

In   h(onorem)    d(omus)   d(ivinae)  |  I(ovi)   o(ptimo)    in(aximo)  | 
5  B^ortionius  Dnbitatus  pro  se  |  et  suis  posi[t  duobus  Asipris  co(n)s(uli- 
bus);  I  v(otuin)  8(olvit  l(uben8)  l(aetU8)  m(erito). 


1)  Alle  Militärdiplome  sind  nun  vereinigt  CIL.  III,  S.  f.  3,  S.  1955  ff. ; 
das  obige  steht  ebenda  S.  1979. 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  198 

Jahr  212.  posit  für  posivit  {=pomü),  sehr  häufig.  Die  Namen  eben- 
falls geläufig. 

Ära  aus  Sandstein,  54  cm  hoch,  26  cm  breit ;  sie  passt  zu  einem 
Basaltsockel,  auf  dem  die  Weiheformel  in  grossen  Buchstaben  steht.  Auf 
der  linken  Schmalseite  Blitz,  auf  der  rechten  Opfergeräthschaften. 

26  Ebenda.   Wolff,  a.  a.  0.  Sp.  135.    Marsaltar. 

Mar]ti  lucundius  |  [VJictorinus  l(uben8)  l(aetus)  m(erito). 

DTe  Ergänzung  Wolffs  im  Anfange  wird  durch  den  Raum  ge- 
sichert. 

Darum  gehört  zu  dieser  Basis  nicht  das  sonst  zu  ihr  passende  Relief, 
das  den  Rumpf  eines  Gottes  von  der  Brust  bis  zu  den  Knöcheln  darstellt. 
Denn  da  der  Gott  in  der  Rechten  den  Hammer  trägt  (die  Linke  hält 
einen  Stab  oder  eine  Lanze)  und  mit  der  halbärmigen  Tunika  bekleidet 
ist,  ist  er  nicht  Mars,  wie  Wolff  wollte,  sondern  Vulcan  zu  nennen  (so 
auch  Hettner,  Jahrb.  VIII,  180). 

27  Kastell  Grosskrotzenburg.  Wolff,  Limcsbl.  VI,  Sp.  168. 
Mühlstein. 

[utere]  felix. 

Aehnliche  Aufschriften  auf  allen  möglichen  Gebrauchsgegenständen; 
die  Ergänzung  selbstverständlich  (so  auch  Hettner,   Jahrb.  VIII,  179). 

28  Kastell  bei  Langen  ha  in  (Hessen).  Kofier,  Limesbl.  I,  Sp.  22,  vgl. 
Hettner,  Jahrb.  VII,  115.    Votivstein. 

....  Bol?]vi[t?]|[I.  1.]  m(erito). 

29  Ebenda.  Zangemeister,  Limesbl.  I,  Sp.  13.  Inschrift  auf  einem 
Broncebeschlag. 

Imp(eratore)  Com(modo)  V  A(cilio)  6(labrione)  [eo(n)8(ulibu8)]| 
5  eoh(orte)  L  Bit(urigum)  c(entnria)  Primi|tivi  •  Ma8clioni(ns)  f  Primus. 

Jahr  186.  Die  Ergänzung  der  ersten  Zeile  nach  Momrosen; 
Zangemeister  glaubt,  VAG  sei  verschrieben  für  AVG(usto).  Die  co- 
hors  1  Biturigum  auch  in  dem  Militärdiplom  (oben  Nr.  22)  von  Oberger- 
manien. 

Masclionius  bisher  nicht  nachgewiesene  Weiterbildung  von  dem 
häufigen  Masclus  mit  geläufigen  Suffixen,  z.  B.  Masdio  oft,  Masdius 
C.  L  Rh.  721,  Masclinus  B.  J.  89,  23  u.  sonst. 

Bronceplättchen,  40  mm  lang,  22  mm  breit;  auf  der  Rückseite  mit 
Oesen  versehen,  also  Beschlag  eines  Rüstungsgegenstandes.  Die  Inschrift 
ist  einpunktirt. 

30  Kastell  Heidenkircbe  am  kleinen  Feldberg.  Jacobi,  Limesbl.  I, 
Sp.  6.  Vgl.  Hettner,  Jahrb.  VII,  156,  VIII,  181.  Weihinschrift  an  lulia 
Mamaea. 

lüliae  Mamejae  Aug(ustae)  matri  |  Severi  Alexanldri  Aug(nsti) 
6ii(oßtri)    casftrorum    se|natUB    patri|aeqne    expl(oratio)    Halic(en8ift  ?) 
10  Alexanldriana  devof[t]a  numini  |  eiius. 

Der  Stein  ist  zwischen  222  und  235  gestzt.    Die  Titulatur  der  lulia 
Mam(a)ca    ist    die    gewöhnliche    (CIL.  VIIT,  140G,  1429,    1484  und  sonst). 
Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCV,  13 


194  CarlMearer: 

Ihn  setzt  eine  exploratio,  d.  h.  eine  wohl  seit  Severus  abgesonderte 
Tmppenabtheilnng  (meist  Reiter?,  nach  Hygin  de  mnn.  castr.  80  aus  300 
Mann  bestehend).  Ueber  sie  vgl.  Domaszewski  Westd.  Z.  Korr.  1889, 
Sp.  49  und  besonders  Mommsen  bei  Jacobi  a.  a.  0.  Die  expl.  nennt 
sich  nach  dem  Kaiser  Alexandriana,  Halicensis  nach  ihrem  Standquartier, 
wie  Mommsen  durch  die  Sammlung  von  Analoga  wahrscheinlich  macht. 

Für  den  Ortsnamen  weist  v.  Oohausen  (Annalen  des  Vereins  für 
Nassauische  Alterthumskunde  1893,  S.  28)  auf  die  reichen  Salzquellen  der 
Wetterau  hin  (vgl.  darüber  auch  Hettner  Jahrb.  VII,  126).  Siehe  auch 
unter  Nr.  78. 

Block  95  cm  hoch,  66  cm  breit,  56  cm  tief;  jetzt  im  Museum  zu  Wies- 
baden (vgl.  Annalen  d.  V.  f.  N.  A.  1893,  S.  72).  Der  Stein  stand  in  einem  zu 
sakralem  Brauch  bestimmten  Raum  des  Kastrums,  war  gekrönt  von  einem 
Kapitell,  auf  dem  einst  eine  grosse  Broncestatue  stand,  wie  eine  Fuss- 
und  Gewandspur  zeigen. 

31  Ebenda.   Jacobi,  a.  a.  0.    Weihinschrift. 

d[edi]c(avit) 
[id(ibus)  Au]g(usti8) 
Aug[u8to  in?  co(n)8u(Ie)]     Jahr  229? 
Bruchstück   eines   Sockels   aus  Velbeler   Sandstein,   wahrscheinlich 

zum  Sockel  der   vorigen  Inschrift  gehörig  und   in   dieser  Hinsicht    von 

Mommsen  a.  a.  0.  versuchsweise  ergänzt. 

32  Köln.    Kisa,  Westd.  Z.  Korr.  XII,  45.    Grabschrift. 

D(i8)  m(anibu8)  |  Aprilioni;  qui  vixit  m(en8e8)  XI  |  et  dies  VII 
5  et  Inno|centiae  qui  vixit  anfnos  VTI  et  dies  XXXVIII  |  Verinius 
loFriattiue  |  niiles  et  Apra  |  filis  dulci88i|mis  curavit  faciund[am. 

Z.  4.  Innocentiae  qui.  Das  Masculinum  des  Relativums  hat  schon 
die  Funktionen  des  Femininums  mit  übernommen ;  auf  spätem,  besonders 
christlichen  Inschriften  ist  das  äusserst  häufig  (Vgl.  z.  B.  Hettner  zu 
Nr.  329  des  Trierer  Katalogs,  Mommsen  CIL.  V  Index,  s.  v.  genera 
permut ;  auch  Neue  Heidelb.  Jahrb.  III,  194). 

Z.  5  ist  die  letzte  Zahl  verhauen;  auf  dem  Stein  steht  \ XXXVIII, 
\  für    L? 

Z.  6.    Friattius  wird  ein  keltischer  Name  sein. 

Z.  7.  Äpra,  Femininum  zu  Äper  bisher  wohl  nicht  nachgewiesen; 
der  Name  des  Sohnes  Äprüio  mag  durch  Volksetymologie  aus  dem  der 
Mutter  abgeleitet  sein.  Ueber  Ableitung  aus  dem  Vaternamen  vgl. 
Mommsen,  Westd.  Zeitschr.  Korr.  XI,  56;  sonst  Hettner,  Index  zum 
Trierer  Katalog  S.  291 ;  CIL.  III,  8364. 

Z.  9.  curavit.  Der  Singular  (unregelmässig  auch  sonst,  z.  B.  Hettner, 
Trierer  K.  325)  kann  absichtlich  gesetzt  sein,  so  dass  et  Apra  für  cum  Apra 
stellt,  um  die  fremdem  Stamme  entsprossene  contubemalis  als  neben- 
sächlich zu  bezeichnen.  Vgl.  die  interessante  Inschrift  aus  Cupria  im 
Morawathal,  wo  die  Eltern  Kindern  ein  Grabmal  setzen  und  nach  dem 
posuenmt  noch  die  Aurelia  Rufina  hriifes  {^nurtts,  die  Gattin  eines 
der  Söhne)  nachklappt  (Domaszewski,   Neue  Heidelb.   Jahrb.  III,  197). 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  195 

Gefanden  bei  St.  Severin  in  Köln  Anfang  1893.  Rechteckige  Platte 
aus  Jurakalk,  0,59  m  lang,  0,5  m  breit,  0,09  m  dick. 

33  Köln.    Kisa,  Westd.  Z.  Korr.  XII,  45.   Weihinschrift. 
Genio  |  hastiferum. 

Der  Charakter  der  hastiferi  erhellt  aus  dem  Zusatz  sive  pastores 
in  der  Casteler  Inschrift  (Klein,  B.  J.  83,  251  ff.).  | 

Gefunden  bei  St.  Severin.  Statue  aus  Jurakalk,  fast  ganz  zerstört; 
auf  der  Basis  (0,3  m  breit,  0,007  m  hoch)  steht  die  Inschrift. 

34  Köln.    [Köln.  Volkszeitung  1893  23.  April.]   Daraus  Westd.  Z.  Korr. 
69,  besser  Kraus-,  Christi.  Inschr.  der  Rheinl.  II,  2.  S.  346.    Grabschrift. 

In  hoc  I  [tumjulo  innocis  virgo  iacet  |  [no]mine  Ursula  vixit  | 
5  [ajnnibus  octo[[m]eu8ibus  duobus  |  [d]ieDs  quatt[u]or. 

innocis  aus  innoce(n)8,  das  häufig  vorkommt,  umgekehrt  diens  für 
dies,  innocis  virgo  iacet  und  nomine  Ursula  vixit  wie  Bruchstücke  von 
Versen.  Z.  6  so  statt  des  früheren  mens  ovat  nach  Klinkenberg  bei 
Kraus  a.  a.  O.    Gelesen  auf  einem  Pfeiler  in  der  Ursulakirche. 

35  Köln.     Ihm,   B.  J.  94,    169.      Zangemeister,   Westd.   Z.  Korr. 
XII,  106  (vgl.  S.  130),    Weihinschrift. 

Quadmlbis  Domi|tia  Lupu|Ia  v(otum)  s(olyit)  I(ubeus)  m(erito). 

Gefunden  April  1888  an  der  Ecke  der  Ehrenstrasse  und  Albertus- 
strasse, was  bei  Ihm  a.  a.  0.  nachzutragen  ist.  Jetzt  im  Museum  Wallraff- 
Richartz. 

36  Köln.    Kisa,  Westd.  Z.  Korr.  XII,  68. 
Ausoni  vivas. 

Beschlag  einer  Schwertscheide:  rechteckiges  Silberplättchen,  8,5  cm 
breit,  in  der  Mitte  von  einem  goldtauschirten  Band  durchzogen,  auf  dem 
in  schwarzem  Niello  die  Inschrift  steht. 

37  Gleuel   bei    Köln.    Klinkenberg,   B.  J.  94   151.     Kisa,    Westd. 
Z.  Korr.  XII,  45.    Grabschrift. 

Aur(elio)  Vin(icio?)  |  Euk(arpo?)  de  n(umero?). 
Die  Auflösung   ist   von  Klinkenberg,    der  Schluss   bedenklich   und 
ohne  Beispiel.    Kisa  las 

Iuhu[n]din{o). 

Gruppe  des  Waffenträgers  mit  dem  Schlachtross  des  Verstorbenen 
ohne  Reiter  (so  Kisa  a.  a.  O.  S.  100). 

38  Ebenda.     Klinkenberg,   B.  J.    94,   153.    Kisa,   a.   a.  0.     Votiv- 
inschrift. 

I(ovi)  o(ptumo)  m(axumo)  |  M.  Ulpius  Norciianus  |  v(otum) 
B(olvit)  Kibena)  ni(erito). 

Cognomen  scheint  neu,  Praenomen  und  Nomen  wohl  durch  Ver- 
leihung des  Bürgerrechts  unter  Trajan  in  die  Familie  gekommen. 

Kalksteinplatte  (?)  0,56  m  hoch,  0,44  m  breit. 

39  Ebenda.    Klinkenberg  und  K  i  s  a  a.  a.  0.    Votivinschrift. 


196  CarlMenrer: 

5  l(oyi)  o(ptiino)  in(aximo)  |  sacrnm  |  G.  Innins  |  Frontinius  f  yissu 

iu8Ba(8). 

Derselbe  Anlass  zur  Weihung  häufig:;  t^issu  die  richtige  ältere  Form 
für  visu. 

Kalksteinblock  0,68  m  breit,  0,88  m  hoch,  0,65  m  dick. 

40  Ebenda.    Klinkenberg  und  Kisa  a.  a.  0.    Votivinschrift. 
Ahveccannis  |   Avehae   et  Hellivesae  |  Sexti  Val(eriu8)    Pere- 

5  grin(us)  I  et  Val(eriuB)  Felicio  fratres"[  ex  reditu  ipsarum  |  l(ibenter) 
p(osueruDt)  |  Muciauo  et  Fabiano  co(n)s(ulibus). 

Jahr  201.  Z.  1.  Aveha  und  Heivesa  sind  die  beiden  Ahveccannae ; 
der  erste  Name  und  der  Stamm  des  dritten  wohl  identisch.  Ueber  solche 
Doppelgottheiten  vgl.  Ihm,  B.  J.  83,  54. 

Z.  3.    Sexti  der  Vorname  gilt  für  beide  Brüder,  vielleicht  Zwillinge. 

Z.  5.  ex  reditu  ipsarum,  aus  den  Einkünften  des  Heiligthums  selbst 
(genau  so  CIL.  XII,  5870). 

Unterer  Theil  einer  Ära  aus  rothem  Sandstein,  0,88  m  hoch,  0,705  m 
breit,  0^  m  dick. 

41  Grinde-Ies-Tirlemont.  Annuaire  de  la  soci6t6  d* Archäologie 
de  Bruxellea  IV,  1893,  22. 

Concordi  commun  (?) 

Inschrift  auf  goldenem  Ring ;  gefunden  in  Tumuli  des  1.  und  2.  Jahr- 
hunderts neben  andern  römischen  Sachen.  Ein  Specialbericht  steht  noch  aus. 

42  Couvin  bei  Bavay.  Schürmans,  Annales  de  la  soci^.t^  d'Ar- 
ch^ologie  de  Namur  XX,  145.  Tafel  I  u.  II.  Glasbecher  mit  Darstellung 
eines  Wagenrennens. 

Pyrame,  va(le)  •  Eu[ti]c(h)e,  va(le)  Icrax,  va(le)  •  Olympe  va(le). 

Diese  Inschriften,  von  denen  die  erste  und  zweite,  die  dritte  und 
vierte  durch  eine  Guirlande  getrennt  sind,  stehen  auf  einem  Streifen,  der 
um  den  oberen  Rand  des  Glasgefässes  herumläuft.  Es  sind  Zurufe  an  die 
vier  aurigae,  welche  unten  auf  breitem  Roliefstreifen,  der  den  ganzen  übrigen 
Raum  des  Gefässes  einnimmt,  dargestellt  sind. 

Vier  Bilder  schildern  das  Wettrennen:  auf  dem  ersten  hält  der 
Lenker  das  Viergespann  noch  zurück,  das  ungeduldig  durch  die  Porta 
pompae  hindurchrenuen  möchte;  auf  dem  zweiten  eilt  das  Gespann 
der  Meta  zu,  die  durch  drei  kleine  Kegel  markirt  ist;  das  dritte  zeigt 
das  Gespann  im  Galopp  auf  das  Ziel  losrennend.  Auf  dem  vierten  Bilde 
ist  es  erreicht;  ruhig  schreiten  die  Pferde  auf  die  Meta  zu;  der  Lenker 
hält  in  der  vorgestreckten  Rechten  den  Kranz,  in  der  Linken  den  Palmzweig. 

Es  sind  das  die  vier  bedeutungsvollsten  Momente  des  Wagenrennens, 
die  nach  einander  dargestellt  sind. 

Die  Ergänzung  des  zweiten  Namens  von  Schürmans  wohl  richtig; 
seine  Form  (Euticus)  bekannt.  Die  Abkürzung  va{le)  auf  ähnlichen  pöm- 
pejanischen  Inschriften  und  andern  Auriga-Bechern  (Proehner  de  la 
verrerie  antique  S.  69,  Hang,  W.  Z.  K.  VII,  1;  CIL.  VII,  1273).  H]ierax 
erscheint  zum  zweiten  Male  als  Auriga  auf  einem  rheinischen  Glasgefäss 


Aus  4er  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  197 

(Westd.  Z.  Korr.  VII,  1  slub  Rottweil).  Etäyches  ist  der  Name  eine«  jüdi- 
schen Anriga  unter  Oaligula  (Sueton,  Gaius  65,  Josephus,  Ant.  Jud.  XIX, 
44)  und  eines  spanischen  (CIL.  II,  4314).  Pyramus  und  Olympus  sind 
bekannte  Sklavennamen. 

Zu  den  beiden  oben  angeführten  rheinischen  Auriga-Darstelluugen 
tritt  noch  eine  dritte,  von  Schürmans  übersehene:  eine  Thonlampe  aus 
dem  Bonner  Museum  (Klein,  B.  J.  88,  96). 

Schürmans  verbreitet  sich  in  interessanten  Ausführungen  über  Be- 
stimmung, Herkunft  u.  a.  der  Wagenlenker  und  Gladiatorengefässe.  Auf 
die  Einzelheiten  konnte  hier  nicht  eingegangen  werden;  vieles  bleibt  un- 
sicher. Warnen  vor  Allem  möchte  ich  vor  einer  allzuschnellen  Identifici- 
rung  der  Arenahelden  aus  der  Litteratur  und  auf  unseren  Gefilssen 
(vgl.  S.  174  bei  Schürmans).  Die  Namen  sind  typisch,  sie  bleiben,  die 
Personen  wechseln;  so  damals,  so  heute. 

Gefunden  in  Couvin  in  einem  römischen  Grab;  heute  im  Museum 
zu  Namur.  0,065  m  hoch,  0,085  m  breit;  seine  Form  abgebildet  a.  a.  0.  Taf.  1. 
43  Anderlues  (Belgien).   Annuaire  de  la  soci^t6  d^Archöol.  de  Bruxel- 

les  1894  S.  32.     Aufschrift  auf  einer  Grabume. 

Claudius. 

Der  Name  ist  beigeschrieben  (?)  dem  Profil  einer  Person,  das  auf 
der  Urne  dargestellt  war.    Der  Brauch  ist  mir  unbekannt. 

Gefunden  mit  10  andern  Urnen,  Bruchstücke  von  Fibulae  u.  a.  in 
Gräbern  16.  Nov.  1893. 


Stempel  and  Marken. 


1.   LEGIONS-   UND  C0H0RTENZIE6EL. 

Aus  den  von  Wolff,  Archiv  für  Frankfurts  Geschichte  und 
Kunst,  3.  Folge,  Bd.  IV,  212  flf.,  publizirten  Nieder  Ziegeln  sind  nur 
die  epigraphisch  bemerkenswerthen  herausgehoben:  im  Uebrigen 
ist  Vollständigkeit  erstrebt. 

44a)  leg(io)   I  adi(atrix).     Aus    der   Centralziegelei   bei   Nied.     Wolff 
a.  a.  O.  S.  257. 
b)  leg(io)  I  ad(iutrix).    Wie  Nr.  a. 


198  C  a  r  l  M  e  u  r  e  r  : 

c)  leg(io)  I  aid(utrix).    Wie  Nr.  a.   S.  258.    Mit  falsch  gestelltem  I  und 

strichlosein  A. 
45a)  leg(io)  VIII  Aug(U8ta).  KastellHuneburg beiButzbach.  Kofier, 
Limesbl.  4  Sp.  111. 
b)  leg(io)  VIII  Aug(usta).   Kastell  Burg  bei  Neckarburken.   Schu- 
macher, Limesbl.  3,  Sp.  68. 

d)  und   e)    Ziegel   derselben  Legion  in  Rottenburg  (Herzog,   Neue 

Heidelberger  Jahrb.  III,  13,  Anm.  46)  und  inHeddernheim  (Quil- 
ling,   Mittheilungen    über    röm.  Funde   in   Heddernheim    I.    1894. 
S.  12)  gefunden. 
46 Ziegel  der  XI.  Legion,   gef.   bei  Unterlinkhofen    (Kanton  Aargau). 
Argovia  XXIV  p.  VII  und  S.  12. 

47  a)  leg(io)  XIIII  wie  Nr.  44  a.  S.  262. 

b)  leg(io)  XIIII  c(emma).     Ebenda  S.  262— 63;  c  für  g,   wie  oft. 

c)  leg(io)  XIIII  g(emina).     Ebenda  S.  263. 

d)  leg(io)  g(e)m(ina).     Ebenda  S.  264. 

e)  leg(io)  g(e)m(ina)  v(ictrix).     Ebenda. 

f)  und  g).    Ziegel  derselben  Legion,    gef.  Kastell  Alteburg    bei  Kloster 

Arnsburg   (Kofier,   Limesbl.  9,  Sp.  269)  und   bei  Heddern- 
heim (Q  u  i  1 1  i  n  g  a.  a.  O.). 

48  a)  leg(io)  XXI  r(apax).     Wie  Nr.  44  a.  S.  259. 

b)  leg(io)  XX  r(apax).     Ebenda  S.  261.   (2  Stempel). 

c)  leg(io)  XX  r(apax).   Kastell  Langenhain  bei  F  r  i  e  d  b  e  r  g.  Zange- 

meister, Limesbl.  1,  Sp.  23. 
Derselbe  Fehler,  wie  in  diesen  Stempeln  auch  B  r  am  b  a  ch,  C.  J.  Rh.  511, 
c,  4  und  1501,  c. 

d)  Stempel   dieser  Legion  gef.  auch  bei  Unterlinkhofen.    Argovia 

XXIV  p.  VI  und  S.  12. 

49a)  leg(io)  XXII  c(enturia)  Pri(mi?)  Mon|tani.  Kastell  Osterbur- 
ken. Schumacher,  Limesbl.  2,  Sp.  142.  Legionsbaustein  aus 
rohem  Kalkstein. 

b)  leg(io)  XXII  pr(imigema)  p(ia)  f(ideliB). 

Inschrift  auf  einem  als  Fussboden  dienenden  Sandstein.  Limeskastell 
MarköbeL  Wolff,  Limesbl. 5,  Sp.  131.  Die  beiden  P  sind  nach 
links  gerichtet,  das  F  auf  den  Kopf  gestellt;  also  von  einem  un- 
wissenden Steinmetzen  schlechter  Ziegel  nachgebildet. 

c)  [Ie]g(io)  XXII  I  pr(imigema)  p(ia)  f(idelis).     Kastell  bei  Langen- 

hain.  Zangemeister,  Limesbl.  1,  Sp.  23.  Zwischen  p  und  fLöwe. 
Vgl.  Brambach,  C.  J.  Rh.  1377  g,  36. 

d)  leg(io)  [X]XII  pr(imigenia)  p(ia)  [f(idelis)].    Ebenda. 

e)  leg(io)  X[X]II  p[r(imigeuia)  p(ia)  f(ideli8)].  „ 

f)  [leg(io)]  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  [f(ideli8)].  „ 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  199 

g)  [leg(io)  X]XII  [p(riinigenia)  p(ia)  f(idelis)].     Ebenda. 

h)  leg(io)  [XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f];idelis)].  Ebenda.  Dieser  Legion 
weist  den  Stempel  der  Steinbock  zu,  von  dem  Reste  zu  erken- 
nen sind. 
50a)  [legio  XXII  pKimigenia)]  p(ia)  f(idelis).  Kastell  Alteburg  bei 
Kloster  Arnsburg.  Haupt,  Mittheil,  des  hess.  Geschieh ts Vereins 
N.  F.  IV,  107. 

b)  fleg(io)]  XXII  p(rimigema)  p(ia)  [f(ideli8)].  Ebenda. 

c)  leg(io)  XX[II  p(rimigenia)  p(ia)  f(ideli8)].  „ 

d)  [l]eg(io)  X[XII  p(rimigenia)  p(ia)  f(idelis)].  „ 

e)  [leg(io)  XXII  p(rimigenia)]  p(ia)  fid(eli8).  „ 

f)  [leg(io)]  XXI[I  p(rimigenia)  p(ia)  f(idelis)]. 

g)  leg(io)  XXII  p(rimigenia  p(ia). 

h)  [leg(io)]  XX  p(riinigenia)  p(ia)  f(ideli8)  |  [Semp]er(oniu8?)  f(ecit). 
XX  statt  XXII  durch  ein  Versehen  des  Zieglers;  die  Ergänzung 
von  Haupt;  derselbe  Name  auch  unter  Nr.  52 d;  nach  dem,  was  Wo  l  ff 
Frankfurter  Archiv  3,  F.  IV,  300  auseinandersetzt,  sollte  man 
Semp(ronius)  IV{ontimis)  erwarten.  Also  entweder  derselbe  Fehler 
hier  und  auf  dem  Nieder  Exemplar  oder,  was  doch  auch  möglich 
ist,  ein  Semperonius  als  Ziegelbauer. 

51  a)  leg(io)  XXII  p(rimigema)  pi)a)  f(ideli8).     Nieder  Centralziegeloi. 
Wolff  a.  a.  O.  S.  268. 

b)  leg(io)  XXII  pr(imigenia).    Ebenda  S.  269.  P  R  auf  dem  Kopfe. 

c)  leg(io)  XXII  pir  p(ia)  f(ideli8).  Ebenda S,210, pir  für pri{migenia) 

d)  leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia).  „      „  271. 

e)  leg(io)  XXII  p(ia)  f(ideli8).  „      »  274. 

f)  [leg(io)  XXII  pri(migenia)]  CF.  „      „  276.  FD  vielleicht /(ide- 

lis  D{omitianä)? 
Die  Ergänzung  des  Mittelstückes  lieferte  ein  Heddernheimer  Stempel 
aus  dem  Frankfurter  und  Wiesbadener  Museum. 

g)  leg(io)  XXII  I  pr(imigema)  p(ia)  f(ideli8).  Ebenda  S.  276  u. 
h)   leg(io)  XXII  I  pri(migenia)  p(ia)  f(ideli8).  „       „  276. 

i)    leg(io)  I  XXII  p(rimigenia)  p(ia).  „       „  278. 

k)  leg(io)  XXII I  p(rimigema)  p(ia)  ((ideliö)  Ant(oniniana).  Ebenda  S.  278. 
1)    leg(io)  XXII  I  pri(migenia)  pi(a)  fi(delis).  „       „  280. 

m)  leg(io)  XXII  primigenia)  p(ia)  fl^idelis)  im  Kreise.         „      „  280. 

n)   le    Ä  g(io)  XXII.  ,      „  284. 

o)    leg(io)  XXII  I  pr(imigenia)  p(ia)  f(ideli8).  Kreisstempel.     „       „  284. 
p)    leg(io)  XX|II  p(rimigenia)  p(ia)  f(ideli8).  „  r,       v  285. 


2Q0  Carl  Meurer: 


q)    leg(io)  X    pr(imigenia).     Ebenda  S.  287.    Die  Zahl   und   pr.    stehen 
^  auf  dem  Kopfe. 

r)    leg(io)  X]XII  priinig(enia)  p(ia)  fid(eli8).       •      Ebenda  S.  287. 
s)    leg(io)  XXII  p(riniigenia)  p(ia)  fi(deli8).  „      „  290. 

t)    leg(io)  XXII  pr(iniigenia)  p(ia).  „      „  291. 

u)    leg(io)  I  XXII  I  pr(imigenia)  p(ia).  „      „  292. 

In  rundem  Stempel  ist  das  F  (=fideli8)  über  leg.  nachgetragen. 
52  a)    leg(io)    XXII   p(rimigenia)    p(ia)    fl[idcli8)  |  M.    St.    M.    f(ecit). 
Ebenda  S.  295. 

b)  leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f(idelis  |  C.  C.  Seeun(du8?)  f(ecil). 

Ebenda  S.  296. 

c)  leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f(idelis)  M.  S.  f(eeit).  Ebenda  S.  298. 

X 

d)  Semp      B    ero  (n?  oder  f(ecit)  ?).  „       „  300. 

(^  Auf  andern  Exemplaren  aus  Rückingen,  Nied,  Hofheim, 
4^  Mainz,  Mosbach  steht  Semp.  Fron  oder  Sempr(oniu6) 
^r»        Front{inus).    Danach  oben  zu  corrigiren?  vgl.  Nr.  50h. 

e)  leg(io)  XXII  pr(iinigenia)  p(ia}  f(ideli8  |  M.  (?)  Devat(u8  ?)  f(ecit). 

Ebenda  S.  302. 

f )  leg(io)  XXII  pr(imigenia)  p(ia)  f(idelis)  |  Mi . .  [De?]vatu8  f(ecit). 

Ebenda  S.  302. 

g)  leg(io)  XXII  pr(imigema)  p(ia)  f(ideli8)  |  Didiu8  fe(cit).  Ebenda.  S.  302. 
h)   leg(io)  XXII  p(rimigeDia)  p(ia)  f(ideli8)  |  Jul(ius)  Priums  f(ecit). 

Ebenda  S.  303. 
i)    Icg(io)  XXII    pitimigenia)    p(ia)   f(ideli8)  |  Julius  Augur    fl[ecit). 

Ebenda  S.  305. 
k)  leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f(idelis)  |  Jul(iu8)  Bellic(us)  f(ecit). 

Ebenda  S.  306. 
1)    leg(io)  XXII  pr(iniigenia)  p(ia)  f(idelis)  |  Juliu8)  Imniun(i8)  f(ecit). 

Ebenda  S.  307. 
m)  leg(io)XXIIp(rimigema)p(ia)f(ideli8)lC.V.V.f(ecit).  Ebenda  S.  307. 
n)    [C?J  Avit(iu8)  Fort(i8)  f(ecit)  |  leg(io)  XX  pr(imigcnia).     Ebenda 

S.308.    sie! 
o)   lcg(io)  XXII  p(rimigcnia)  p(ia)  f(ideli8  |  L.  Ca  (?)  Sev(ei-U8?)  f(ecit). 

Ebenda  S.  308. 
p)  leg(io)]    XXII    p(rimigeDia)    p(ia)    f^idelis)  |  .  .  .  Sec?]und(us?). 

Ebenda  S.  308. 


Aus  der  rheinischen  Epij^raphik  des  Jahres  1893.  201 

q)  leg(io)    XXII  p(rimigenia)   p(ia)  f(ideli8)  |  Hel(Yiu8)   Gamul(u8). 

Ebenda  S.  309. 

r)    le[g(io)     ?] 1  Ve  .  .  .  .     Ebenda  S.  309. 

s)    l(egio)|XXIIpr(inügenia)  p(ia)  |  fljidelis)  ||  L  |  Mart(m8)  |  Aer.(?) 

f(ecit).      Auf  zwei  Rhomboidfelder  symmetrisch  vertheilt.    Ebenda 

S.  310. 
t)    leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f(ideli8)  |  Helvius  Montanus  [f(ecit?)]. 

Ebenda  S.  311.  =  Hettner,   Katalog  des  Bonner  Museums  155,  5. 
u)   leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  «[idelis)  |  Cal  (?)  Strabo.    Ebenda 

S.  312. 
v)   [leg](io) XXII  p(riniigenia)  p(ia)  f(ideli8)  |  Val(eriu8)  Pri8c(?)  [f ](ecit). 

Ebenda  S.  314. 
w)  leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f(ideli8)  |  Brigiemm  (?).  Ebenda  S.3U. 

x)   Senti  Sabel(li)  |  leg(io)  XXII  pr(imigenia)  p(ia)  f(idelis).  Ebenda  S.  314. 

y)   leg(io)  XXII  p(rimigenia)  p(ia)  f(ideli8)  |  C.  Do(?)  Senex  f(ecit). 
Ebenda  S.  315. 
^  Ausserdem  sind  Ziegel  derselben  Legion  gefunden: 

Kastell  Marköbel.    Wolff,  Limesbl.  1,  Sp.  32. 

Kastell  Huneburg.    Kofier,  Limesbl.  4,  Sp.  111. 

Kastell  Oberflorstadt.    Kofier,  Limesbl.  7/8,  Sp.  238. 

Kastell  Alteburg  bei  Arnsberg.    Kofier,  Limesbl.  9,  Sp.  269. 

Kastell  Alteburg  bei  Heftrich.   Hettner,  Jahrbuch  des  Arch.  In- 
stituts VIII,  182. 

Kastell  am  Maisei.    Hettner  ebenda,  184. 
54  a)    C0h(or8)  I  A[quit(anorum)].     Kastell  A 1 1  e  b  u  r  g  bei  Kloster  A  r  n  s- 
burg.    Haupt,  Mittheilungen  der  oberhess.  Gesch.  V.  N.  F.  IV,  107. 

b)    coh[(ors)  I  Aquit(anorum)].     Ebenda.    Haupt,  a.  a.  0. 

e)    [coh(or8)]  I  Aq[uit(anorum)].       „  „  „ 

d)  [coh(or8)  I]  Aquit(anorum).  ^  »  » 

e)  [cohCora)  I  A]qnita(norum).  »  »  » 

f)  [eo]h(ors)  I  Aqu[it(anonim)].        „  »  » 

g)  [eoh(ors)  I]  Aq[uit(anorum)]  |  [coh(or8)]  I  Aqu[it(anoruni)].  Ebenda. 

Durch  einen  Streifen  von  2  cm  Breite  sind  Zeile  1  und  2  getrennt, 
h)   Ziegel  derselben  Kohorte  ebenda  gef.    Kofi  er,    Limesbl.  9,  Sp.  269. 
i)     [coh  I ?  A]quita(norum).    Gef.  Kastell  Huneburg   bei  Butzbach. 

Kofi  er,  Limesbl.  4,  Sp.  111.    Identisch  mit  Ziegel  e? 
55 Ziegel  der  H.  Aquitanischen  Gehörte  gef.  Kastell  Alteburg  bei  Arns- 

bürg.    Kofier,  Limesbl.  9,  Sp.  269. 
56coh(or8)     III     Aq(uitanorum)     [e]q(uitata)    c(ivium)     R(omanonim). 

Kastell  Burg   bei   Neckarburken.    Schuma  eher.  Limesbl.  3, 

Sp.  68.    Ohne  Zeilentrennung?   vgl.   B  ram  b  ach.  Gl  Rh.  1728. 
57coh(or8)  I  A8(turum).     Gentralziegelei  bei  Nied.  Wolff,  a.  a.  0.  S.  254. 


202  Carl  Meurer: 

58coh(ore)  I  B(e)l(ganim).   Kastell  Langenhain.    Zaugemeißter, 

Limesbl.  1  Sp.  23. 
59c(ohors)  III  Br(ittonum).   Kastell  Thielenhof  en.  He  t  tner,  Jahrb.  VII J, 

177.    vgl.  CIL.  m,  11996  a. 
60 a)    ii(ameniB)  Gatthar(enBium).     Kastell   Heidonkirche  am  kleinen 

Feldberg.    Jacob i,  Limesbl.  1,  Sp.  5. 

b)  ?  Catthai"(enaiuin).     Ebenda. 

Nach  Jacobi  beidemal  auch  Catther(ensium). 

c)  Stempel  derselben  Abtheilung  auch  in  Kastell  Alteburg  bei  Hef  trieb. 

Hettner,  Jahrb.  VIII,  182. 

61  coh(ore)  I  civ(ium)  Rom(anoram).      Kastell  Alteburg  bei  Kloster 
Arnsburg.    Kofier,  Limesbl.  9,  Sp.  269. 

62[coh(ors)]  II  c(ivium)  Ro(manorum).    Kastell  Huneburg  bei  Butz- 
bach.   Kofier,  Limesbl.  4,  Sp.  111. 

63[coh(ors)]  II  Au(gusta)  Cyr(enaica).    Ebenda. 

Der  Stempel  ist  missrathen;  obige  Auflösung  scheint  sicher  (so  auch 
Hettner  Jahrb.  VIII,  181). 

64[coh(orB)]  III  Raet(ornm).    Ebenda. 

65 Dachziegel  der  III.  cohors  Vindelicorum  gef.  Kastell  Grosskrotzen- 
burg.    Wolff,  Limesbl.  6,  Sp.  168. 

66  a)    Zwei  Stempel  der  IUI.  cohors  Vindelicorum.   Ebenda  Sp.  166. 

b)  coh(or8)  II[II?  Vinde]l(icorum).     Kastell    Langenhaiu.     Zange- 

meister, Limesbl.  1,  Sp.  23. 

c)  Stempel  derselben  Kohorte  Kastell  Alteburg  bei  Hef  trieb.  Hettner, 

Jahrb.  VIII,  183. 

d)  und  Zwischenkastell  am  Mai  sei.    Ebenda  S.  184. 

67  Ziegel   der   coh(ors)   XXXII  Voluntariorum.     Kastell  Ob  er  fl  o  r  Stadt. 

K  0  f  1  e  r,  Limesbl.  7/8,  Sp.  238. 
68Cohrepert?     Kastell    auf    dem   Schierenhofe.  Steimle,  Limesbl.   6, 
^ Sp.  182.    Auflösung  zweifelhaft;  etwa  coh(ors)  R(a)e(torum)  Pret(io- 

sus)  f(ecit)?  oder  Co(rneli?)  Repert^i)  (so  Hettner,  Jahrb.  VIII,  184). 
69  Q.  Val[er(iu8)]  Sabe(lIio  ?).     M  e  d  e  1  s  h  e  i  m  bei  S  p  e  i  e  r.    Mittheil,  des 

bist.  Vereins  der  Pfalz.  XVI,  191.  Rom.  Ziegel  42  cm  lang,  35  cm  breit, 

5  cm  hoch. 
70 Secundin(as).    Kastell    auf  dem  Schierenhofe.    Steimle,  Limesbl.  6, 

Sp.  182.    Stempel  auf  Ziegelplatten. 
71  ...  .  K(alendas)  Semptembr(is).      Kastell  Burg  bei  Neckarburken. 
Schumacher,  Limesbl.  8,  Sp.  68. 
Ziegelfragment.    Inschrift  vor  dem  Brande  eingeritzt,  also  Datum  der 

Fabrikation   so   zu  ergänzen:     .  .  fecit  cos ]  K(al.)    Sep- 

tembr.    Die  Auflösung  rührt  von  Zangemeister  her. 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893. 


2.    FABRIKANTENSTEMPEL. 

72  Tbonlämpchen. 

a)  Eucarpi.    Asberg,  jetzt  im  Museum   in  Crefeld.    Siebourg,  Be- 

richt des  Crefelder  Museumvereins  1893,  S.  7. 

b)  Fortis.      Niederrhein»  jetzt  im  Museum   der  ' Stadt  Düsseldorf. 

B.,  Beiträge  zur  Geschichte  des  Niederrheins  VII,  434. 

c)  RufuB  f(ecit).    Asberg.    Siebourg,  B.  J.  94,  70. 

d)  Strobili.     Wie  b. 

73  Töpferstempel. 

Bei  den  Düsseldorfer  Gefässen  ist  kein  Material  angegeben;  sonst  meist 
terra  sigillata.  Die  Speierer  Stempel,  welche  in  den  Mittheil,  des  histor. 
Vereins  der  Pfalz  XVI,  189  veröfiTentlicht  sind,  fallen  eigentlich  aus 
dem  Rahmen  dieses  Berichtes  heraus;  doch  da  dort  die  Gesammt- 
funde  der  letzten  Jahre  in  Speier  zusammengestellt  sind,  wollte  ich 
sie  nicht  ausschliessen. 

Ueber  die   andern  Speierer  Funde  ist   auch  ein  [unvollständiger] 
Bericht  von  Harster   in  Westd.  Zeitschr.  Korr.  XII  Nr.  &8  gegeben. 


1  Aete(mu8?]  fl[ecit). 

Mengen.  Z ör lein,  West. Z., 375. 
i  Albanns  f(ecit). 
Niederrhein;  jetzt  im  Museum 
zu  Düsseldorf.  B.,  Beiträge  zur 
Geschichte  des  Niederrheins  VII, 
434. 
of(ficina)   Albani.    Ebenso, 
s  Albini  ma(nn). 
Kastell  Alteburg  bei  Kloster 
Arnsberg.    Haupt,    Mitthei- 
lungen des  oberhessischen  Ge- 
schichtsvereins. N.  F.  IV,  104. 

4  Amabilis.  Wie  Nr,  2. 

5  Anisatus  f(ecit).        „     „    2. 

6  Aper  f(ecit)  „      „    2. 

7  Aquit(iu8?).  „      ,,    2. 

8  Attici  m(anu). 

Gef.  in  römischen  Villen  in  Entre- 
Sambre-et-Meuse;Bequet, 
Annales  de  la  Soc.  arch.  de  Na- 
mur.  XX,  21. 

9  Attius.     Wie  Nr,  8. 


10  a)  Avitus  f][ecit). 

S  p  e  i  e  r.  Lud wigstra^se.  Mi tth. 
des  bist.  Vereins  der  Pfalz.  XVI, 
189. 

b)  Avitus.     Wie  Nr.  10  a. 

c)  Avitus  fl[ecit).     Wie  Nr.  8. 

d)  Aviti  ma(nu).        „     „    8. 

11  Auei.  „  „  10  a. 
18  Banilli.  „  „  10  a. 
13  Bassi. 

Asberg;   jetzt  im   Museum   zu 
Crefeld.  Siebourg,  B.  J.  94,  71. 
u  Bolsius.     Wie  Nr.  8. 

15  Borl(?)  f(ecit). 
Mechtersheim,  Mitth.  des  bist. 

Vereins  der  Pfalz  XVI,  193. 

16  Bondus  f(ecit).     Wie  Nr.  2. 
Darunter  eingeritzt  X. 
Bondns  fl[ecit).        Wie  Nr.  2. 

17  Gabia  ....  „      „10  a. 

18  Cai  of(ficina).  „      „2/ 
b)of(ficina)Calvi.  Wie  Nr.  2. 


204 


Carl  Meurer: 


19  c)  of(ficina)  Calvi.  Wie  Nr.  2. 
Eingeritzt  S.  V. 

80  Candidus  f(ecit).        „     „    2. 

81  a — c)Cas8iu8f(ecit).    „      „    2. 
88  Celad(u8)  fl[ecit).        „      „  lOa. 
«3  a)  offl[icina)  Ce(l8i).   „     „    3. 

b)  oflF{icina)]  Cetei.     „      „    3. 
21  a)  Cel8inu(8).  „      „    3. 

b)  Cetainus  f(ecit).     „     „  13. 

c)  [Cel]8iii(us).  „     „    3. 

85  Cen8or(inu8?).  „     „    2. 

86  a)  Cerealis.  „      » lOa, 
b)  Cereali8  f(ecit).     „     „10  a. 

87  Cintugnatiu(8).  „     „  13. 
Rother  Teiler. 

88  Cintugnatus.  „      „    2, 

89  Clemens.  „     „    2. 

30  Coci.  „      „    3. 
Rothes  Näpfchen. 

31  a)  Conati. 

Speier.    Mittheilungen  XVII  Sp. 
169. 

b)  Conatius.  Wie  Nr.  10  a. 

38  Cori80  fe(cit).  „     „    2. 

83  Dagomarus  f(ecit).  „      „    8. 

34  Di8etu8.  ,,     ,^    2. 

35  Domitianus.  „     „  10. 

36  Domitius  f(ecit). 

Spei  er.   Mittheil,  des  hist.  Ver. 
der  Pfalz  XVI,  191. 

37  Festi.     Wie  Nr.  2. 

38  Floreiit(inu8). 
Fussgöhnheim  bei  Spei  er.  Mit- 
theil,   des   hist.    Vereins    der 
Pfalz  XVI,  191. 

39  a)  [of(ficina  F]u8c(i).  Wie  Nr.  3. 

b)  [of(fieina)  Fu]8ci.  „     „    3. 

c)  of(ficina)  Fu[sei].  „      „    3. 
S.  105. 

40  Gaiu8  f(ecit). 

Asberg.  Siebourg,  B.J.  94,  71. 


41  off(icina)  6er(manici?).      Wie 

Nr.  2. 
48  Geinin(u8).  Wie  Nr.  3. 

43  Giamat(us?)  f(ecit).     „     „    2. 

44  Giamil  fe(cit).  „     „  10. 
Trinkbecher. 

45  a)  Gobio  f(ecit).         „     „  10. 
Teller. 

b)  Gobio  f(ecit).         „     „  10. 
Platte. 

46  a)  lannarius  f(ecit). 

Spei  er.  Mitth.  d.  hist.  Ver.  der 
Pfalz  XVII,  169.    Schüssel. 

b)  Ianu(ariu8?)  f(ecit). 

Neupf otz  bei  S  p  e  i  e  r.  Mittb.  XVI, 
193.    Thongeföss. 

47  a)  lassus  f(ecit).       Wie  Nr.  2. 

b)  [I]assu(8)  „      „  10. 

c)  Ia88a8  f(ecit).         „      „  10. 

48  of(ficina)  Iucun(di).     „      „    2. 

49  Iu](ius).  „      „  10. 

50  a)  lulianus.  „      „  10. 
b)  Iul(ianufl?).  „     „  10. 

51  lollmas. 

Kastell  Heidenkirche  am  klei- 
nen Feldberg.   Jacobi,  Li- 
mesblatt 1  Sp.  8. 
58  Iuma(n!i8?)  f(ecit).  Wie  Nr.  2. 

53  Ia8ti. 

Rheinzabem.  Mitth.  d.  hist.  V. 
der  Pfalz  XVI,  193.    patera. 

54  a)  luvenis.     Wie  Nr.  2. 
b)  luvenis  fe(cit). 

Spei  er.  Mitth.  d.  hist.  V.  der 
Pfalz  XVII  S.  169. 

55  a)  Lillus  f(ecit). 

S  p  e  i  e  r.    Ebenda.    Becher. 

b)  Lillus.     Wie  Nr.  10. 

c)  Lillus. 

Kastell  Heidenkirche  am  klei- 
nen Feld  berg#  Jacobi,  Li- 
mesbl.  1,  Sp.  13. 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893. 


205 


56  a)  Lucius.     Wie  Nr.  10. 

66  [Lu]ciiis  fl[ecit).      Wie  Nr.  10. 

57  Locirni. 

Couvin.  Schürmans  Ann. 
de  la  Soc.  arch.  de  Namur.  XX. 
S.  148. 

58  Logim(i)  m(anu).     Ebenda. 
69  MacumiC?).  » 

60  Maianus  f(eeit).     Wie  Nr.  2. 

61  Mariiaci(u8  f(ecit).    „     „    8. 

62  Marinus  f(ecit).        „     „  lo. 
6s  Martin(u8)  fe(cit).     „     „    2. 

64  a)  Materninus. 

Spei  er.    Mitth.  d.  hist.  Vereins 

der  Pfalz  XVI,  169. 
b)  Mateminus.    Wie  Nr.  2. 

65  Medcticus  f][ecit). 

CTellep.  Siebourg,  B.  J.  94, 
72. 

66  Mediatas*  Wie  Nr.  2. 

67  Micio  f(ecit).  „      ,,    2. 

68  of(ficina)  Mode8(ti). 
Asberg.    Siebourg,  B.  J.  94, 

68. 

69  Montanus.  Wie  Nr.  8. 

70  M0S8U8  f(ecit).  „     „    8. 

71  Natalis  f(ecit).         „     ,,    2. 

72  Nieepbor(u8)  f(ecit).  „     „    3. 

73  Nivalis  f(ecit).         „     ,,  10, 

74  Ocilius  f(ecit). 
KastellHeidenstock  bei  Ober- 
es c  h  b  a  c  h.     Jacob],    Li- 
mesbl.  1,  Sp.  3. 

75  Onnio.  Wie  Nr.  2. 

76  0piuim(?).  „      ,,    8. 

77  a)  Patric(iu8).    „      „    2. 
b)  Patric(ius).    „      „    3. 

78  Patrigianus. 

Kasteil  Heiden  kirche  am 
kleinen  Feldberg.  Ja- 
cob i,  Limesbl.  1,  Sp.  13;  b  für 
c,  wie  oft. 


79  Patruinns.     Ebenda. 

80  Par(iu8). 

Couvin.    Schürmans  a.a. 
0.  S.  148. 

81  a)  Paullus  f(ecit).     Wie  Nr.  3. 

b)  Paull[u8  f(ecit)].  „  „  3. 

c)  [Paul?]lu8.  „  „  3. 

8«  Pridinnus.  ,^  ^^  2. 

88  Primuli. 

Couvin.    Schürmans  a.  a.  O. 
148. 

84  Priscianus.  Wie  Nr.  2. 

85  Rahiaciva  fl[ecit).     „     „  10. 

86  a)  Restitutus.WieNr.lO.  patera 
b)  Re8[titutu8?].     Wie  Nr.  10. 

87  Roudus  [f]e(cit). 

Couvin.  Schürmans  a.  a.  0. 
E  für  F  aus  Versehen. 

88  a)  Sabinus. 

A  s  b  e  r  g.  S  i  e  b  0  u  r  g,  B.  J.  94, 
72. 

b)  Sabinus.     Ebenda. 

89  Satumi{nas  ?].     Wie  Nr.  3. 
Gefäss,  mit  Relief  verziert.  Dar- 
unter in  Reliefschrift  Sutt(ici?) 
oif(icina).  Handwerker  und  Fa- 
brikant zugleich  genannt. 

90  o(fficina)C(ai)Sauri  |  IIXIXII. 
Wie  Nr.  2. 

91  Suobnili.  Wie  Nr.  8. 

92  Taurus  f(ecit).  „     „    2. 
98  Ter(entiu8)  f(ecit).    „     „  10. 

Kleine  Schüssel. 

94  a)  Triboccns.  „     „  10. 
b)  Tri[boecu8].          „     „  10. 

95  Uranarus  f(ecit). 
Mengen.  Zörlein,  WeiJtd. Z. 

XII,  376. 

96  Ursianus. 

Worms.  Hochstrasse  in  alter 
Töpferei.  K  o  e  h  1,  W.  Z.  XII, 
387. 


206 


Carl  Meurer: 


97  Venicarös.     Wie  Nr.  10. 

98  Verecund(U8)  fl[ecit). 
Mechtersheim    bei    Spei  er. 

Mitth.  d.  G.-V.  d.  Pf.  XVI,  192. 

99  Vicatus.     Wie  Nr.  3. 

100  a)  Victor.     „     »  10.     Schale. 

b)  Victor.     „      „  10.        Trink- 
becher. 

c)  Vic[tor].  „      „  10. 


101  Victorinus  i^ecit). 

Spei  er.   Mitth.  XVII,  1G9. 

102  Virtus  f(ecit).     Wie  Nr.  2. 
108  a)  Vitalis  f(ecit).  „     „    2. 

b)  u.  c)  of[ficina).  Vita(li8).    Wie 
Nr.  3. 

104  Vivous.     Wie  Nr.  8. 

105  ..  .  XIIIXII.     Wie  Nr.  2. 


106  Eine  Reihe  von  nndeutbaren  Bruchstücken  von  Stempelin- 
schriften aus  dem  Düsseldorfer  Museum  veröffentlicht  in  Beitr.  eur  Ge- 
sch. d.  Niederrheins  VII,  434  (darunter  o]f(ficina)  Fagi  ?,  C]iriac[i . . .]  f(ecit). 
L.  Irsif. . .  ?])  .und  Kastell  Altenburg  bei  Kloster  Ar  nsburg  bei  Haupt, 
Mitth.  des  Oberrh.  Geschichtsvereins,  N.  F.  IV,  105  [darunter  IICVN  wohl 
nicht  verschrieben  für  lucun(di),  sondern  gleich  S]ecun(di  ?)  aus  Speier. 
(Mitth.  d.  G.-V.  d.  Pfalz  XVT,  189].  Ein  . . . .  ierus  f(ecit)  aus  Wachtelhau 
bei  Sigmaringen.  Knickenberg,  Mitth.  des  Vereins  f.  Geschichte  u. 
Alterthumskunde  för  HohenzoUern  XXVI,  51.  ...  isu  oder  . . .  asi  aus 
Kastell  Haselburg.  Conrady,  Limesbl.  5,  Sp.  156.  Terra  sigillata  mit 
Stempel  aus  S  eis  (Mitth.  d.  Gesellsch.  zur  Erhaltung  der  geschichtl.  Denkm. 
im  Elsass  II,  16,  185).  Töpferstempel  aus  Kastell  Bürgle.  Steimle, 
Limesbl.  3,  Sp.  93.  Burg.  Hämmerle,  Limesbl.  4,  Sp.  118.  Sigillaten- 
Stempel  aus  Rückingen,  Sigillata  mit  Graffito  ebendaher.  WoIff>  Li- 
mesbl. 7/8,  Sp.  248).    Stempel  aus  Mainz.  Westd.  Z.  XII,  393. 

74  Fron[tini  ?]. 

Köln.  Westd.  Zeitschr.  Korr.  XII,  Nr.  68.  Stempel  auf  dem  Boden 
einer  gläsernen  Kanne. 

75  Stempel  aus  Speier  [es  scheinen  die  Stempel  selbst  zu  sein?].  Mitth. 
des  bist  Vereins  der  Pfalz  XVI,  189. 

1  Laitus. 

s  QuietuB  f(ecit). 

8  Venuß[tu8]. 

4  Victorinus  f(ecit). 

76  Graffiti  auf  Gefässen  resp.  eingeritzte  Zeichen,  die  wohl  von  Besitzern 
herrühren : 

1)  Aus  Kastell  Altenburg  bei  Kloster  Arnsburg.  Haupt,  Mitth. 
d.  oberrh.  Gesch.-Ver.  N.  F.  IV.  S.  106: 

Tilea;    ....  mani ;   . . . .  anci;  Sova  . . . ;  Verre  . . ;  Volticani. 

? 

2)  Aus  dem  Düsseldorfer  Museum.  Beiträge  z.  G.  d.  Niederrheins 
VII,  434: 

.  .  .  samm;  erqi;  Fidelis;  XICXI,  AX,  All;  ammi;  tir. 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  207 


II.   NEUES  ZU  BEKANNTEN  INSCHRIFTEN. 

77 Die  Gemeinde  der  Neckarschwaben  im  untern  Neckarthal. 

Eine  Grabßchrift,  gefunden  bei  Aubigny  (Saöne-et-Loire), 
jetzt  im  Museum  der  Soci6t6  d'hist.  et  d'arch.  de  Chalon  sur-SaOne 
(vgl.  besonders  Memoires  dieser  Gesellschaft  III,  232.  Taf.  VI,  1) 
lautet  : 

Di(s)  mani(bus)  |  Tertiniae  Flore|ntiniae   cives   Sueb|a   Niereti(s) 
5  vixit  a[nn]|is  XVII. 

So  nach  neuer Vergleichung  Hirschfelds.  Die  Auflösung  in  Z. 
3  und  4  ist  nicht  sicher;  cives  =^  civis  als  Nominativ  häufig;  dazu  Nicre- 
ti(8?)  im  Gen.  oder  Dativ  hinzugefügt.  Zangemeister  las  Sueba(e). 

Aus  ihr  erschliesst  Zangemeister,  Neue  Heidelberger 
Jahrbücher  III,  1  ff.  eine  civitas  Sueborum  Nicretum,  eine  Ge- 
meinde der  Neckarschwaben,  und  identificirt  diese  mit  Recht  mit 
der  civitas  ülpia  S.  N.  der  Leugensteine  von  Heidelberg  (B.  J.  76, 
90)  und  der  Meilensteine  von  Ladenburg  fB.  J.  76,  219);  womit 
endgültig  diese  räthselhaften  Ghi£fren  (siehe  Mo  mm  sen,  Rom.  Ge- 
schichte V,  146  Anm.  1)  ihre  Auflösung  gefunden  haben. 

Ulpia  heisst  die  civitas,  weil  sie  von  Trajan  wiederhergestellt  ist 
(Eutrop.  8,  2). 

Aber  mit  Unrecht  (schon  allein  wegen  Tac.  Germ.  29,  über 
welche  Stelle  S.  5  willkürlich,  gut  S.  14  in  anderer  Richtung  ge- 
urtheilt  wird)  führt  Zangemeister  diese  Ansiedlung  bis  auf  Caesar 
zurück. 

Derselben  Gemeinde  weist  er  den  Secundinius  Verus,  s(igni)f(er) 
eqni(tum)  sing(ularHim)  natione  Suaebus  (Ephem.  Epigr.  IV,  935)  zu. 

Auch  sonst  treten  specificirende  Namen  zu  den  umfassendem  der 
Sueben  hinzu;  z.  B.  Matres  Suebae  Euthungae  (Rh.  Mus.  1890,  689),  Lutatiis 
Suebis  (I  h  m,  Matronenkult  455) ;  anderer  Art  ist  der  Beiname  der  vexil- 
larii  Sueborum  Lon[govicianorum  ?)  aus  der  englischen  Grafschaft  Dnrham 
(W.  Z.  Korr.  XII,  97).  Umgekehrt  vgl.  die  matres  Germanae  Suebae  aus 
Köln  (Ihm  a.  a.  0.  273). 
78  Die  Mainzer  Veientoinschrift,  publicirt  von  Keller,  Westd. 

Zeitschr.  Korr.  VI,  93,  und  Ihm,  Rh.  Mus., XLII,  488,  undB.J.  84, 
88  hat  neuerdings  M o m m s e n  und  Domaszewski  beschäftigt. 

Ersterer  versucht  Limesbl.  I,  4  Restitution  und  Erklärung  der 
verzweifelten  Zeilen  11  und  12,  letzterer  deutet  Westd.  Zeitschr.  Korr. 
XI,  121  die  Zeilen  14—17. 


206  Carl  Meurer: 

Danach   gestaltet  sich   der  mittlere  Abschnitt  der  Aemterlauf- 

bahn  des  Annianns  so: 

11  e  ?]tiam .  c(urator  ?) .  c(en8ibus) .  civit(atium  ?)  adm(ini8trandi8  ?) . , 

li[mitis?)  I  [Germ]an(iae).  Haliq(uensium)  et  ChdIitano(ram  ?)  .  .  .  .  |  , 

18  .  .  .  .  V]I  vir  turm(arum)  I  eq(uitum?)  Rom(anornm?)  ad  ....  | 

.  .  .  .?  N, praefljectus)  fr(uraenti).dand(i)  p[l]cb(i).  Ro[m(anae), 

i6cur(ator?]  |  [Vede?  ?]nt(ium)  etmissus  .  adv(er8us)  .  hh(o8tes) .  pp(ubli- 

cos)  .  in  re[g(ionem)  |  Tran8p)ad(anam)  tir(onibus)  .  legend(is)  et   ar- 

17  m(is)  fabr(icandi8)  .  in  n[r(be)]  |  [Me]diol(anio). 

Z.  11  sind  nach  Zangemeister  und  Hammeran  die  Buch- 
staben sicher. 

Z.  12  die  6  ersten  Buchstaben  zweifellos;  der  7.  wahrscheinlich  Q; 
'allenfalls  könnte  ein  kleines  V  in  ihm  gestanden  haben*. 

Die  3  folgenden  Buchstaben  sind  zerstört,  das  Gegebene  nach 
Zangemeister  nur  möglich;  der  12.  Buchstabe  L,  aber  ohne Querhasta, 

o 

der  13.  I;  N,  was  nun  folgt,  ist  sicher. 

Z.  14—17:  So  richtig  nach  Domaszewski;  nur  in  14  kann  der 
drittletzte  Buchstabe  auch  L  sein,  kein  K. 

Die  durch  die  neuen  Lesungen  gesicherten  Interpunctionszeichen 
habe  ich  beigeschrieben. 

Z.  11  ff.  Das  erste  etiam  ist  sprachlich  bedenklieh;  sonst  item 
oder  eodenique  tempore.  Das  Folgende  ist  nur  zweifelnd  ergänzt; 
censum  administrare  für  agere  ebenso  wenig  belegt,  wie  die  an- 
genommene Verbindung  dieser  Worte  mit  curator.  Limes  Germaniae 
analog  dem  limes  Raetiae  der  Arvalakten  v.  213  gebildet. 

Es  wäre  also  Ammianus  als  Offizier  zur  provinzialen  Schätzung 
abkommandirt  worden,  was  Mommsen  durch  zahlreiche  Beispiele 
belegt  (vgl.  Rom.  Staatsr.  II,  1093)  und  die  ciyitas  Haliquensinm 
und  Chalitanoram  wären  am  Limes  zu  suchen;  erstere  würde  ihren 
Namen  wieder  der  exploratio  Halicensis  (oben  Nr.  30)  gegeben 
haben. 

Neben  dieser  Erklärung  geben  Zangemeister  und  Momm- 
sen noch  eine  andere,  ebenfalls  in  Reserve: 

pr(o)  pr(aetore)  Afrieae,  ejtiam  c(ensitor)  c(ivium)  civit(atium) 

Adm(aedarensium),  Lim[is(ensium)]  | an(omm),  Haliq(uatium) 

et  [Tha?]  litano(runi). 

Admacdara,  Thala  und  die  civitas  Limisensium  liegen  nicht 
weit  von  einander  in  der  provincia  Africa ;  die  der  Haliquates  weist 
auch  Mommsen  nicht  nach. 

Z.  14  ff.  Der  Zusatz  plebiRomanae  findet  sich  in  griecbischen 


Aus  der  rheinisckeb  fipigraphik  des  «tahres  1893.  209 

Inschriften  (Mommsen  Staatsr.  IV,  673.  Gagnat,  L'annee  ^pigr. 
1891  Nr.  136).  Die  AuflöBUng  adversus  hostes  publicos  sttttzt  D. 
auf  seine  und  Dessaus  (zu  Inscript.  Latinae  1140  geäusserte)  Ver- 
muthung,  dass  CIL.  11^  4114 

Tib(erio)  Cl(audio)  Candido  cos leg.  Aug(ustorum)  pr. 

pr.  provinc(iae)  H(i8paniae)  c(iteriori8)  et  in  ea  duci  terra  niarique 

adversus  rebelles  hh(o8te8)  pp(ublico8) 

h.  b.  p.  p.,   nicht  Hübners  h.  h.  p.  R(omani)   zu   erkennen   sei, 

was   nachträglich  Haverfield,    Westd.    Zeitschr.  Korr.  XII,    23 

bestätigt. 

Also  gehörte  Ammianus  zu  den  vornehmen  Beamten,  welche 
238  im  Auftrage  des  Senates  in  Italien  den  Widerstand  gegen  den 
anrückenden  Kaiser  Maximinus  (Herodian  7,  11,  7.  Vita  Maximini 
10,  1)  organisirten.  Vier  Jahre  später  errichtete  er  dann  als  Le- 
gionslegat in  Mainz  den  Altar.  Dieser  Schluss  Domaszewskis 
erscheint  mir  durch  den  berechtigten  Hinweis  auf  Vita  Maximini  15, 
2  und  20,  8  (auch  16)  durchaus  gesichert.  ^ 
79  Zur   Mainzer   Veientoinschrift   (Keller,    Westd.    Zeitschr. 

Korr.  m,  92,  Mommsen  ebenda  117,  Keller,  B.  J.  85,  S.  98, 
Dessau,  Inscr.  Lat.  1010)  trägt  Mommsen  W.  Z.  Korr.  XII 
nach,  dass  derselbe  Veiento  in  Statins'  Gedicht  de  hello  Genuanico, 
quod  Domitianus  egit  (Georgius  Valla  zu  Juvenal  IV,  49,  Buche- 
1er,  Rh.  Mus.  39,  283)  erwähnt  wird,  dass  also  Veiento  sein  drittes 
Konsulat  unter  Domitian  bekleidet  hat*).  Veiento  hat  danach  zu- 
gleich mit  Vibius  Crispus,  consul  III,  und  Acilius  Glabrio  83  au 
einer  Berathung  des  Domitian  wegen  des  ersten  Chattenkrieges 
Theil  genommen  (vgl.  Asbach  B.  J.  79,  135.  Westd.  Zeitschr. 
V,  370). 

SODomitianische  Truppenkörper. 

E.  Ritterling,  Westd.  Zeitschr.  XII,  203  if.  liest  in  der  Bonner 
Magiusinschrift  (B.  J.  57,  70)  in  üebereinstimmung  mit  Momm- 
sen, Eph.  Epigr.  V,  202: 
a)   leg(ioni8)  I  F(laviae)  M(inerviae)  p(iae)  f(ideli8)  D(omitianae). 

Vgl.  2  Bonner  Ziegelstempel  (Festschrift  für  den  internationalen  ar- 
chäol.  Congress  zu  Bonn.  1868.  S.  26):  leg(io)  I  F(lavia)  M(inervia). 


1)  Die  Erklärung  des  Verses  Her  memöres  itnplerunt  nomina  fastos* 
ist  zweifellos  richtig. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCV.  14 


210  Carl  M eurer: 

b)  Brambach*),  CIRh.  1892: 

Victorinus  c(enturio)  legCionis)  VI  Vic(tricis)  p(iae)  f(ideli8)  D(o- 
mitianae). 

c)  Brambach  651: 

Vindex  c(enturio)  leg(ioni8)  X  G(eminae)  p(iae)  f(ideli8)  D(omi- 
tianae). 
Vgl.  Ziegelstempel  zu  Cleve  (B.  J,  61,  72  Nr.  12) 

d)  Brambach  673: 

vet(eranu8)  leg(ioni8)  XXII  p(rimigeniae)  p(iae)  f(ideli8)  D(oini- 
tianae). 

und  Brambach  1626: 

leg(ioni8)  XXII  p(iae)  f(idelis)  D(omitianae). 

Vgl.  Ziegel  aus  Holland  (Br.  140,  d,  3,4)  u.  Mannheim  (Baumann, 
Rom.  Inschr.  .  .  .  der  ver.  Samml.  in  Mannheim  Nr.  125). 

e)  Brambach  684: 

mi[l]es  ex  c(l)asse  G[e]rmanica  p(ia)  f(ideli)  D(omitiana). 

f)  Brambach  678: 

im[a]ginif(er)  coh(ortis)  //  II  Asturum  p(iae)  f(ideli8)  D(omitianae). 

g)  Brambach  676: 

d(ecurio)  coh(orti8)  II  c(ivium)  R(omanorum)  D(omitianae). 
Durch  die8e  unzweifelhaft  richtige  Deutung  de8  bisher  strit- 
tigen D,  die  Ritterling  schon  1885  de  legione  Romanorum  X. 
Gemina  S.  15  vorgetragen  und  für  die  er  Billigung  gefunden  hat  bei 
Schilling,  de  legiouibus  Romanorum  I.  Minervia  et  XXX.  ülpia, 
Leipz.  Studien  XIV  S.  13,  stützt  er  seine  Vermuthung,  da88  die 
angegebenen  Truppentheile  den  Beinamen  pia  fidelis  von  Domitian 
für  ihre   Haltung   bei   dem  Aufstände   des   Satuminus  89   erhalten 


1)  Abweichungen  von  Brambach  gibt  Ritterling  theilweise  nach 
Zangemeisters  Mittheilungen.    Ich  führe  sie  an: 

b)  Bindung  von  p.  und  f.  sicher. 

c)  Hinter  F  sieht  Ritterl.  einen  deutlichen  Punkt;  das  ist  aber  ein 
Loch,  wie  in  dem  D;  ebenso  hinter  D  ein  Punkt,  den  R.  weglässt. 

d  2)  „Auf  der  ganzen  Inschrift  kein  Interpunktionszeichen^.  Zange- 
meister. 

e)  Ritterling:  P  F  •  D  Und  wirklich  zwischen  F  und  D  Interpunk- 
tionszeichen wahrscheinlicher,  als  Sprung;  aber  auch  Interpunktion  sicher 
zwischen  P  und  F. 

f)  Diese  Lesung  hat  Zangem.  nach  Scheden  auf  der  Darmstädter 
Bibliothek  festgestellt. 

g)  Unrichtig  korrigirt  Ritterling  das  D(ecurio)  (so  Hettner^  Bonner 
Katalog  26)  in  C(enturio). 


Ans  der  rheinischen  £pigraphik  des  Jahres  I8d3.  211 

haben.  Der  Beiname  D(omitiaüa)  ist  gleichzeitig  mit  den  andern 
von  Domitian  verliehen,  nach  dessen  Tode  wegen  der  damnatio  me- 
moriae  des  Kaisers  wieder  abgelegt  worden. 

Die  Bonner  I  Minervia  ist  auf  diese  Weise  zu  einem  doppelten 
kaiserlichen  Beinamen  gekommen.  Flavia  hiess  sie,  weil  ein  Flavier 
sie  konstitnirt;  wie  die  IV,  von  Vespasian  gegründete,  Domitiana 
seit  89  (vgl.  auch  Schilling  a.  a.  0.  S.  14). 

Auf  einer  Grabschrift  aus  dem  Jahre  87  (BuU.  d.  comm.  commun. 
di  Roma  1886  Nr.  1105)  heisst  die  leg.  XXII  pr.  noch  nicht  p.  f. 

Mit  Unrecht  aber  hat  Ritterling  Bramb.  677  hierhergezogen, 
wo  er  Z.  5  CÜRPFIID  die  zwei  Striche  vor  D,  welche  sicher  ein 
E  darstellen,  auf  Verwitterung  zurückfuhrt  und  p.  f.  D(omitjana) 
liest.  Zu  lesen  ist  fed(elis)  mit  geläufiger  Verdumpfung  des  I.  Hin- 
zuzufagen aber  wäre  noch  ein  Nieder  Ziegel  (oben  Nr.  51  f.). 

Auf  die  weiteren  Ausführungen  Ritterlings  kann  hier  nur  hin- 
gewiesen werden.  S.  211  ff.  weist  er  einige  Alen  und  Kohorten 
mit  dem  Beinamen  pia  Melis  nach  und  führt  diesen  ohne  zwingende 
Gründe  ebenfalls  auf  Verleihung  unter  Domitian  zurück. 

S.  218  ff,  verfolgt  er  den  Aufstand  des  Satuminus,  der  nach 
ihm  an  der  Spitze  der  4  obergermanischen  Legionen  etwa  bei  Re- 
magen durch  den  „Statthalter  von  Niedergermanien"  Appius  Nor- 
banus  Mitte  Januar  89  geschlagen  wird.  Dann  soll  die  leg.  XXII 
89/90  nach  Obergermanien,  leg.  XIV  nach  Pannonien  abgegangen, 
leg.  XXI  Rapax  im  Sarmatenkriege  (Sueton  Domitian  6)  92  ver- 
nichtet worden  sein.  Doch  ist  diese  ganze  Auseinandersetzung 
äusserst  problematischer  Natur. 

In  einem  Anhange  S.  234  ff.  stellt  er  eine  Berechnung  über 
den  Bestand  des  untergermanischen  Heeres  in  flavischer  Zeit  an; 
er  kommt  mit  Einrechnung  der  Flottenmannschaft  auf  ca.  35000 
Mann.  Die  Besatzung  von  Obergermanien  hatte  Mommsen,  Rom. 
Gesch.  V,  108  Anm.  1,  auf  30000  berechnet. 


&19  Carl  Meürers 


m.    RHEINISCHES  AUS  ANDERN  PROVINZEN. 

81  Bei  Annonana  in  Africa  ist  folgende  Inschrift  gefunden  und 

von  Poulle,  Reeneil  de  la  Soc.  arch.  de  Constantine  1893  S.  261 
veröffentlicht,  nach  neuer  Vergleichung  abgedruckt  von  Cagnat, 
L'annie  epigr.  1893  Nr.  88,  aus  dem  ich  sie  entnehme: 

Q(uinto)    Antistio    Advente]    |    Q(uinti)  f(ilio)   Quir(ina  tribu) 
Postumio   Aq[u]|ilino  co(n)s(uli),  saccrdoti  fetia|li,  leg(ato)   Aug(usti) 
6pr(o)  pr(aetore)  provinc(iae)  Gerfmauiae  inferioris,  leg(ato)  Aug(u8ti)l 
at  praetenturara  Italiae  et  |  Alpium  expeditione  Germa|nica,  cura(tori) 
operum    locorumq(ue)   |  publicorum,    Ieg(ato)  Aug(u8ti)  pr(o)   pr(ae- 
lotore)  f  provinc(iae)  Arabiae,  leg(ato)  Aug(u8ti)   leg(ioni8)  |  VI    fer- 
ratae    et  secundae   ad|iutricis,  translalo    in  eani    exlpeditioue   Par- 
is thica    qua  do|natus    est  donis    militaribus  [  coronis  niurali,    vallari, 
au|rea,   hastis  puris  tribus,  ve|xillis  duobus;  praetori,  leg(ato)  |  pr(o) 
pr(aetore)    provinc(iae)  Africae,  tr(ibuno)  pl(ebi8);    selviro  eq(uitum) 
R(omanorum),  q(uae8torl)  pr{o)  pr(aetore)  provinc(iae)  f  Macedoniae, 
20  tribuno  mil(itum)  |  leg(ioni8)  I  Minerviae  p(iae)  f(ideli8),  IUI  vir(o) 
I  vianim  curandarum  | 

Sex(tU8)    Marcius    Maximus  ob    inisignem    eins    in    se   beni- 
25Volen[tiam  8(ua)  p(ecunia)  p(osuit).  D(ecreto)  d(ecurionum). 

Eine  interessante  Laufbahn  eines  senatorischen  Offiziers  und 
Beamten.  Consulat  und  die  Mitgliedschaft  im  CoUegium  der  Fe- 
tialen  steht  voran;  dann  folgen  die  Aemter  in  umgekehrter  chrono- 
logischer Reihenfolge;  einige  kurze  Bemerkungen  über  sie  mögen 
hier  stehen: 

1.  Bekleidet  er  das  Quattuorvirat  viarum  curandarum  (Momm- 
sen  St.  R.  I',  554).  In  dieser  Stellung  wurde  ihm  schon  eine  In- 
schrift gesetzt,  die  erst  durch  unsere  Inschrift  die  richtige  Ergän- 
zung erhält  (Eph.  Epigr.  V,  854). 

Q(uinto)  Antistio  Q(uinti)  f[(ilio)  Quir(ina)  (tribu)]  |  Advento 
Po8tu[mio  Aqui]lino  IUI  vir(o)  viaru[ni  cur(andaruni)]. 

2.  War  er  tribunus  militum  der  Bonner  legio  I.  Minervia;  es 
ist  der  fünfzehnte,  den  wir  kennen  (siehe  Schilling  a.a.O.  S. 90); 
dieselbe  Beförderung  CIL.  VI,  1517. 

3 — 7.  Weiterhin  war  er  quaestor  in  Macedonien,  sevir  equitum 
Romanorum  (Mommsen  R.  Str.  IP,  826),  tribunus  plebis  und  legatus 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  213 

propraetore  in  Afriea;  da  mag  er  die  Verbindung  angeknüpft  haben^ 
wegen  der  bedeutend  später  diese  Inschrift  gesetzt  worden  ist; 
schliesslich  erhält  er  die  Praetur. 

8.  Er  wurde  dann  als  Legat  in  die  leg.  II.  adiutrix  versetzt. 
Als  solchem  setzte  ihm  am  1.  März  164  Q.  Antistius  Agatophus 

die  Inschrift  Dessau  1091.  Wohl  in  Furcht  vor  dem  Kriege.  Denn 
mit  jener  Legion  nahm  erTheil  am  Kriege  gegen  die  Parther  (164/65. 
vgl.  Napp,  De  rebus  imper.  M.  Aurelio  Antonino  in  Oriente  gestis, 
S.  69  ff.);  selbst  die  I.  Minervia  sollte  ja  in  den  Orient  (CIL.  VI, 
1377),  mag  auch  abgezogen  sein  (?  Schi  Hing  a.  a.  0.  S.  69).  In 
diesem  Kriege  erhielt  Antistius  die  üblichen  Auszeichnungen,  blieb 
dann  im  Orient,  indem  er 

9.  Legat  der  syrischen  Legion  VI.  ferrata  und 

10.  Statthalter  von  Arabien  wird.    In  dieser  Eigenschaft  wird 
ihm  die  Inschrift  (CIL.  III,  92)  aus  Bostra  in  Arabien  gesetzt: 
Q.]  Antistio  Ad(vento),  legato).  Augg(ustorum)  pr(o)  pr(aetori). 
co(n)s(uli) .  des(ignato) .  [optio|n]es  leg(ionis)  III  Cyr(enaicae). 
11 — 13.   Er  hat  dann  wohl  das  Consulat  bekleidet,    mag   zu- 
gleich fetialis  geworden  sein  (vgl.  z.  B.  CIL.  VI,  1517),  erhielt  dann 
das  konsularische  Amt  eines  curator  operum  locorumque  publicorum 
(Mommsen  St.  R.  II»,  1047  flf-). 

14.  Die  Stellung,  in  die  er  darauf  eintritt,  scheint  neu  zu  sein; 
ich  weiss  wenigstens  kein  anderes  Beispiel: 

leg(atus)  Aug(u8ti)  at  praetenturam  Italiae  et  Alpium. 
Die  praetentura  (über  des  Wortes  spätere  Bedeutung  siehe  Ammian. 
Marcell.  14,  3,  2;  25,  4,  11)  Italiae  et  Alpium  scheint  eine  ausser- 
ordentliche Grenzsperre  gewesen  zu  sein,  welche  die  EinfäUe  der 
Germanen  in  Italien  während  des  Partherfeldzuges  und  im  Beginne 
des  Markomannenkrieges  nöthig  gemacht  hatten.  Meilensteine  einer 
ebensolchen  praetentura  aus  Mauretanien  bei  Cagnat  L'annee^  ^pigr. 
1892,  116;  1893,  105.  Dies  Amt  mag  Antistius  170  bekleidet 
haben. 

15.  Nun  wurde  er  Statthalter  von  üntergermanien  und 
schliesslich  von  Brittannien;  letzteres  nach  der  Setzung  unserer  In- 
schrift, aber  erwiesen  durch  CIL.  VII,  440: 

num(ini)  Aug(usti)  et  gen(io)  coh(ortis)  I  F(laviae)  VarduUorum 
c(ivium)  R(omanorum)  eq(uitatae)  sub  Antistio  Advento  leg(ato) 
Aug(usti)  pr(o)  p(raetore)  F(lavius)  Titianus  trib(unus)  d,  e.  d(edi- 
cavit?). 


214  CarlMeurer: 

82  Eine   ßtadtrömische   Inschrift   (Bienkowski,    Mittheil,   des 

deutsch,  arch.  Instituts,  Rom.  Abth.  VII  S.  197  ff.  tav.  VI). 

L  .  Cornelio  .L.f.  |  Gal(eria  tribu)Pu8ioni  |  III[I  vi]r(o)  viar(um) 
5  ourandar(um)  |  ,  tr(ibuno)  mil(itum)  leg(ionis)  XIIII  geminae  f ,  quae- 
stori,  trib(uno)  pKebis),  pr(aetori),  legat(o)  |  Augusti  leg(ioni8)  XVI  [ 
M.  Vibrius  .  Marcellus  |  c(enturio)  leg(ionis)  XVI. 
weist  uns  einen  Tribunus  militum  der  XIV.  Mainzer  Legion  (in  Mainz 
bis  43)  und  einen  Legaten  der  XVI.  obergermanischen  Legion  (auf- 
gelöst durch  Vespasian)  auf.  Es  ist  der  zweite  Legat  dieser  Legion, 
den  wir  kennen  (der  andere  Henzen  6795).  Ritterling  setzt  die 
Inschrift  noch  unter  Tiberius  (Westd.  Zeitschr.  Korr.  XII,  80). 


IV.   AUS  DER  LITTERATÜR. 

83  Ritterling,  Zur  röm.  Legionsgeschichte  am  Rhein.    Westd. 
Zeitschr.  XII,  105  ff.     I.  Zur  Geschichte  der  Legio  L  Adintrix. 

Nach  Ausweis  der  Mainzer  Grabsteine  (ygl.  M  o  m  m  s  e  n  Her- 
mes XIX,  1  ff .  Doraaszewski  Rh.  Mus.  46,  602)  hat  die 
grösstentheils  aus  pannonischen  und  dalmatischen  Flottensoldaten 
gebildete  Legion  spätestens  73  in  Mainz  gelegen.  Die  handschrift- 
liche Lesung  bei  Tacit.  Hist.  IV,  68  sexta  ac  prima  ex  Hispania 
accita  sei  richtig  und  beweise,  dass  die  Legion  70  nach  Germanien 
geschickt  worden  sei  (vgl.  jetzt  auch  Wolff,  Frankfurter  Archiv 
3.  F.  IV,  332). 

84  Ritterling   identificirt  Westd.  Zeitschr.  Korr.  XII,  51  das 
Novia  auf  der  Inschrift  Wilma  uns  1459; 

'C  Vesnio  C.  f]  Stel(latina)    Vindici trib(uno)    mil(itum) 

Ieg(ioni8)  VIII  Aug(ustae),  quo  militante,  cum  liberata  esset  Novia 
obsidione,  legio  pia  iidelis  constans  Commoda  cognominata  est* 
mit  dem  Nobia  in  der  Aufzählung  der  Moselstädtchen  beim  6eo- 
graphus  Ravennas  IV,  26,  und  dieses  wieder  mit  Noviomagus-Neu- 
magen,  hält  aber  auch  wegen  CIL.  VI,  3891  für  möglich,  dass  in 
jener  Inschrift  Novia  Speier  sei. 

Die  Ertheilung  der  Beinamen  p.  f.  Commoda   bezieht  er  auf 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  215 

den  Aufstand  des  Maiernas  (Herodian  I,  10  vgl.  Vita  Commodi  13, 5). 
S.  auch  Riese,  Das  rhein.  Germanien  (I),  VI,  60. 

85  0.  Schilling,  Leipz.  Studien  XV,  1  ff.  De  legionibus  I. 
Minervia  et  XXX.  ülpia  spricht  in  dem  I.  und  IL  Kapitel  über 
Ursprung  und  Namen  der  beiden  Legionen,  kommt  fllr  die  Bonner 
zu  denselben  Resultaten,  die  Ritterling  in  seiner  Dissertation 
gefanden  und  jüngst  weiter  ausgeführt  hat  (vgl.  oben  Nr.  80),  nur 
dass  er  mit  GlQck  Ritterlings  Datirung  der  Gründung  dieser 
Legion  (83/84)  zurückweist. 

Die  Xantener  Legion  lässt  er  98  an  Stelle  der  XXI  Rapax, 
die  92  im  Sarmatenkrieg  vernichtet  wurde  (so  auch  Ritterling 
jetzt,  s.  o.  Nr.  80),  aufgestellt  werden. 

In  der  Feststellung  der  weiteren  Schicksale  der  I  Minervia 
(Cap.  III)  schliesst  er  sich  mit  Recht  an  die  Ausführungen  Do- 
maszewskis  (Arch.  epigr.  Mittheilungen  aus  Oesterreich  XV, 
183  ff.)  an;  bemerkt  dann  richtig  (Cap.  IV),  dass  sie  in  den 
Partherkrieg  unter  Marc  Aurel  wohl  thatsächlich  eintritt  (vgl.  oben 
Nr.  8);  der  Zusammenhang,  den  er  zwischen  belgischen  Münz- 
funden und  dem  Abmarach  der  Legion  (S.  61)  statuirt,  bestätigt, 
was  wir  sonst  über  die  Bewegungen  der  Geimanen  unter  Marc 
Aurel  wissen. 

üeber  die  weiteren  Schicksale  der  Legion,  sowie  über  die 
der  XXX  erfahren  wir  nichts  Neues. 

Cap.  V  und  VI  geben  Verzeichnisse  der  bisher  bekannten 
Officiere  und  Soldaten  der  beiden  Legionen;  Ritterling,  Westd. 
Zeitschr.  Korr.  XII,  260)  trägt  schon  2  Legaten  nach  (Westd. 
Zeitschr.  XI,  279  und  CIGr.  4029),  einen  neuen  tribunus  militum 
der  I.  Minervia  s.  oben  Nr.  81. 

Ein  Anhang  (S.  85  ff.)  gibt  eine  Sammlang  der  Inschriften, 
in  denen  die  beiden  Legionen  erwähnt  werden. 

86  Th.  V.  Grien  her  g  er  erklärt  im  Eranos  Vindobonensis  1893 
S.  253  ff.,  das  h  in  den  Endungen  der  Niederrheinischen  Matronen- 
namen: -ehae  und  -henae  (inUebereinstimmungmitCorssen,  üeber 
Aussprache  der  lat.  Sprache  P,  111)  für  einen  blossen  Hiatusbuch- 
staben, wie  in  mehe  u.  ähnl.,  identifizirt  also  die  Endungen  mit 
den  lateinischen  Ableitungssuffixen  -eus  (eins,  eiius)  und  -enus. 

In  der  That  erscheint  auch  zweimal  nach  ihm  das  reine  Suffix 
eus  in  den  Endungen  der  Matronennamen  (B.  J.  87,  215  und  Ihm, 
215;   aber  die  letztere  Inschrift  ist  auch  sonst  verschrieben;   und 


216  Carl  Monier: 

sonst  heissen  die  matres  der  zweiten  Inschrift  Vaccal(l)inehae  (Ihm, 
225  nnd  224). 

Er  sucht  seine  Hypothese  zu  stützen  durch  die  Annahme,  dass  die 
Namen  auf  ehae  alle  durch  das  „patronymische"  Suffix  eus  von  Volks- 
oder Stammnamen  hergeleitet  sind,  diese  ihrerseits  wieder  z.  Th.  durch 
das  Suffix  -in(u8)  von  Ortsnamen  herkommen;  die  auf  -enae  führt 
er  direkt  auf  Ortsnamen  zurück,  die  ihrerseits  wieder  von  Flnss- 
namen  gebildet  seien  (S.  267).  Eine  Reihe  von  Beispielen  erläutern 
den  Hypothesenbau,  dessen  Fundament  übrigens  nicht  allzu  stark 
mir  dünkt. 

Sprachlich  vor  Allem  bedenklich  ist  eben,  dass  das  h  niemals  sich 
in  dies  lateinische  Suffix  eingeschlichen  hat,  während  es  am  Nieder- 
rhein von  vornherein  sich  festgesetzt  und  so  gut  wie  ausschliess- 
lich behauptet  haben  müsste. 

87  Ebenderselbe  leitet  W.estd.  Zeitschr.  Korr.  XII,  52  den  Namen 
der  Nimpae  Volpinae  aus  Tönnisstein  (Klein  B.  J.  84,  63)  von 
dem  fluvius  Vulpis  der  tabula  Peutingeriana  II  e  ab,  den  er  in  der 
Tinöe,  einem  Zuflüsse  des  Var  wiederfindet. 

In  den  Schriftzügen  dieses  Steins  will  er  Ansätze  zur  deutschen 
Runenschrift  erkennen  —  letzteres  wenigstens  ohne  allen  Grund. 

88  G.  Wolff,  Die  römischen  Ziegeleien  v.  Nied  bei  Höchst  am 
Main  und  ihre  Stempel  (Archiv  fltr  Frankfurter  Geschichte.  3.  F.  IV 
S.  312—346). 

Die  Kapitel  I,  II,  III  Orientiren  über  die  Ausgrabungen,  die 
Anlage  der  Ziegelöfen,  über  Herkunft  und  HerbeischaflPnng  des  Ma- 
terials in  erschöpfender  Weise.  Kap.  IV  giebt  eine  äusserst  sorg- 
fältige Zusammenstellung  der  Nieder  Ziegelstempel,  denen  die  gleich- 
artigen Typen  aus  dem  benachbarten  Museum  beigegeben  sind 
(Epigraphisch  wichtiges  daraus  oben  Nr.  44  flf.).  Anhangsweise  sind 
auch  die  bis  dahin  nicht  berührten  Namenstempel  aus  dem  Mann- 
heimer Museum  (S.  316  flf.)  angereiht.  Die  beigegebenen  Tafeln  III 
bis  IV  zeigen  die  verschiedenen  Formen  der  Stempeleinfassung  und 
ihrer  Schrift.  Kap.  V  verbreitet  sich  über  die  wissenschaftliche 
Bedeutung  der  Funde. 

Wolff  hat  hier  eine  der  von  ihm  schon  1885  vermutheten 
Centralziegeleien  wirklich  gefunden.  Für  die  Geschichte  der  Fabri- 
kation der  Legionsziegel  ergeben  sich  ihm  etwa  folgende  Sätze: 

Kurz  vor  70  kommt  am  Rhein  die  Sitte  auf,  Militärziegel  mit 
dem  Stempel  der  Truppentheile  zu  versehen  (S.  339). 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893.  217 

Zwei  Gruppen  scheiden  sich;  die  ältere  hilden  die  Ziegel  der 
1.  und  21.  Legion,  sowie  die  der  I.  asturischen  Kohorte.  Sie  gehören 
sämmtlich  dem  ersten  Jahrhundert  an;  zu  ihnen  treten  die  der  8. 
Legion,  die  später  ausserhalb  des  Bereiches  der  Nieder  Ziegeleien 
sich  befindet  und  weiter  südlich  stationirt  ist. 

Eine  Uebergangsgruppe  stellen  die  Ziegel  der  14.  Legion  dar, 
welche  wahrscheinlich  länger,  als  die  beiden  oben  genannten  Le- 
gionen, in  Germanien  blieb. 

Die  zweite,  jüngere  Gruppe  wird  ausschliesslich  yon  den  Zie- 
geln der  22.  Legion  gebildet,  sie  hatte  eigentlich  erst  eine  Central- 
ziegelei  in  Nied,  versandte  von  da  aus  in  ihren  ganzen  Bereich  ihre 
Ziegel.  Nur  bei  ihr  treten  die  Namen  der  „Ziegelbrenner"  hinzu  — 
eine,  wie  es  scheint,  spätere  Erweiterung  der  Legende  (S.  343). 

Die  Centralwerkstätte  für  den  Ziegelbetrieb  ist  durch  Wolffs 
sorgfältige  und  meisterhafte  Untersuchungen  erwiesen;  wichtige  Ge- 
sichtspunkte sind  fllr  die  Forschung  auf  diesem  bisher  vernach- 
lässigten Gebiete  gewonnen.  Aber  unklar  ist  noch,  wie  Wolf f  selbst 
weiss  (S.  343),  das  Verhältniss  der  Centralziegelei  zu  den  Ziegeleien 
der  Kastelle,  und  gerade  darum  bleibt  noch  die  Frage  offen,  welche 
mir  die  wichtigste  zu  sein  seheint:  Sagt  uns  der  Stempel  wirklich 
nur  mehr,  wer  ihn  hat  brennen  lassen,  nicht  zugleich  auch  noch, 
wer  ihn  verbaut  hat? 


218 


Carl  Mcurer: 


Register^). 


I. 

Die  tria  nomina. 


Q.  Antistius  Adventus  Q.  f.  Quir(ina 
tribu)  Postumius  AquiHnu8  81. 

C?  Avitius  Fortis  52  n. 

Aurelhis  Vin(icius  ?)  Eucarpus  37. 

L.  Ca Sev(eru8?)  52  o. 

.     Cal Strabo  52  u. 

Claudius  Quartinus  22. 
L.  Cornelius    L.   f.   Galeria   (tribu) 
Pusio  82. 

Domitia  Lupula  35. 
C.  Do Senex  52  y. 

Flavius  Probus  1. 

Fortionius  Dubitatus  25. 

GratiuK  Vapo 6. 

Helvius  Camulus  52  q. 

Helvius  Montanus  52  t. 

lucundius  Victorinus  26. 

lulius  Auffur  52  i. 

lulius  Bellicus  52  k. 

lulius  TiumuniB  521. 

lulis  Primus  52  h. 
C.  lunius  Frontinius  39. 

Justius  Attianus  19. 
L.  Martius  Aer  ....  52  s. 

Masclionius  Primus  29. 

Mi [De?]vatus  52  f. 

M Devatus  52  l. 

Patruinius  Mansuetius  Tertius  17. 

Primus  Montanus  49  a. 

M Severinus  24. 

Sentius  Sabellus  52  z. 

Tertinia  Fiorentinia  77. 
M.  Ulpius  Noreiianus  38. 
S.  Valerius  Felicio  40. 
S.  Valerius  Peregrinus  40. 

Valerius  Prise 52  v. 

Q.  Valerius  Sab(ell)i(o  ?)  69. 

Verinius  Friattius  32, 
C.  V.      V.      52  m. 

II. 
Die  cognomina. 

Adventus  81. 
Aer.  52  s. 
Apra  32. 


Aprilis  13. 
Aprilis?  5. 
Aprilio  32. 
Aquilinus  81. 
Aquilo  15. 
Artus  13. 
Attianus  19. 
Augur  52  i. 
Bellicus  52  k. 
Camulus  52  q. 
Claudius  43. 
Dercomognus?  13. 
Didius  52  g. 
Dubitatus  25. 
Eukarpus?  37. 
Eutices  42. 
Felicio  40. 
Flavius?  4. 
Fiorentinia  77. 
Fortis  52  n. 
Friattius  32. 
Frontinius  39. 
lerax  42. 
Immuuis  521. 
Innocentia  32. 
lulia?  3. 
Lupula  35. 
Martina  15. 
Montanus  49  a. 
Montanus  52  t. 
Nantuasius  4. 
Noreiianus  38. 
Olympus  42. 
Oppili  ....  12. 
Peregrinus  40. 
Postumius  81. 
Primus  29. 
Primus  52  h. 

Prise 52  V. 

Pupus  24. 
Pyramus  42. 
Quartinus  22. 
Sabellus  52  x. 
Sabellio?  69. 
Secundinus  70. 
Secundus?  52  p. 
Semperonius??  52  d.  50  h. 
Senex  52  y. 
Severus  52  o. 


1)  Die  Namen  der  Thonfabrikanten  sind  Nr.  73  alphabetisch  ge- 
ordnet und  fehlen  natürlich  hier;  ebenso  sind  die  nach  den  Nummern 
geordneten  Truppentheile  der  Stempel  nicht  mit  aufgeführt. 


Aus  der  rheinischen  Epigraphik  des  Jahres  1893! 


219 


Speratus  24. 
Strabo  52  u. 
Ursula  34. 
Victorinus  26. 
Vin(iciu8?)  37. 

III. 
Kaiser. 

Imp.  Caesar  divi  Traiani  Parthlci  f. 

divi  Nervae  nepos  Traianns  Aug. 

pont.  max.  trib.  pot.   XVIII   cos. 

III  p.  p.  22. 
Imp.  T.  AeLHad.  Anto.  Aug.  Pio  trib. 

pot.  COS.  21. 
Imp.  Caes.  Tit.  Ael.  Had.  Ant.  Aug. 

Pio  pon.  max.  trib.  pot.  cos.  IIII 

p.  p.  20. 
lulia  Mamea  Aug.  mater  Severi  Ale- 

xandri   Aug.   castrorum    senatus 

patriaeque  30. 
Valentinianus  ] 
Valens  [ddd.  nnn.  1. 

Gratianus        J 


IV. 
Konsuln. 

P.  Licinio  Pansa  L.  Attio  Macro(ne) 

COS.  134  22. 
Antonino  Pio  cos.  III  20. 
Q.  Antistius  Adventus.  114  81. 
Imp(eratore)  Com(modo)  V.   A(cilio) 

G(labrione)  [cos]  186.    29. 
Muciano  et  Fabian  o  cos.  201  40. 
duobus  Aspris  cos.  212  25. 
Gratiano  IT  et  Flavio  Probo  371  1. 

V. 

Honores. 

curator  [Vede?]ntium  78. 

decurio  19. 

legatus  Aug.  leg.  XVI.  82. 

missus   adv.   hh.   pp.    in    regionem 

Transpadanam  78. 
leg.  Aug.   at  praetenturam  Italiae 

et  Alpium  expeditione  Germanica 

81. 
leg.  Aug.  provinciae  Germaniae  in- 

ferioris  81. 
Legat  von  Obergermanien  22. 
praefectus  frumenti  dandi  plebi  Ro- 

manae  78. 
subcura  ....  praepositi  1. 
tribunus  miiitum  leg.  I.   Minerviae 

81. 


tribunus  miiitum  leg.  XIV.  82. 
vir  clarissimus'  1. 


VI. 
Gottheiten. 

genius  16. 

genius  hastiferum  33. 

genius  turmae  19. 

Hercules  23. 

lovi  optumo  4. 

lovi  optumo  6. 

lovi  optumo  max  im  0  4. 

lovi  optumo  maxumo  25,  38. 

lovi  optumo  maximo  sacrum  39. 

Marti  26. 

Marti  Leucetio  24. 

Matres:  Avehecannoae:  40. 

Avehae       \  .q 

Hellivesae  f  *"' 
Quadrubae  35. 
Deo  invicto  Mtthrae  14. 
Nimpae  Volpinae  87. 
Victoria  24. 

VII. 
Militärisches. 

Ala  Indiana  Gallorum  22. 
Centuria    Primitivi  coh.  I.    Bituri- 

gum  29. 
cxpl  oratio  Halicensls  ?  Alexandriana 

legio    I.    Fiavia  Minervia    p.  f.  Do- 

mitiana  83. 
legio  I.  Minervia  84,  85. 
legio  I.  adiutrix  83. 
legio  VIII  Augusta  p.  f.  Commoda 

84. 
leg.  Vni  Augustanensium  ?  1. 
leg.  XXV  centuria   Primi    Montani 

49  a. 
XXX  Ulpia  85. 
numerus  Brittonum  20. 
turma  luli  Attiani  19. 
expeditio  Germanica  81. 
Militärdiplome  18;  22. 
Namen   von   Truppenkörpern,    die 

vom  Standquartier  abgeleitet  sind. 

20.  30. 


VIII. 
Verschiedenes. 
Formeln : 
in  honorem  domus  divinae  24. 25. 
amatori  vitam  semper  2. 


220    Carl  Meurer:   Aus  der  rhoiniacheu  Epigraphik  des  Jahres  1893. 


coniugi  salutem  15. 

vivas  36. 

utere  felix  27. 

ex  reditu  ipsarum  40. 

vissu  iussus  39. 

defuncto  sibi  et  suis  superis  5. 

qui  vovit,  solvit  1.  L?  14. 
Korporationen: 

aurigae  42. 

hastiferi  33. 
Geographisches : 

templum  divi  Augusti  ad  Miner- 
vam  18. 

civitas   Haliquensinm    et  Chalita- 
noriim  78. 

Germania  superior  22. 

limes  Germaniae  78. 

Novia  =  Noviomagus?  83. 

civitas  Ulpia  Suebonini  Nicretum 
77. 

cives  Treveri  24. 
Verwandtschaften : 

coniux  15. 


fratres  40. 

vidua  12. 
Namengebung : 

Sextus  Namen  zweier  Brüder.  40. 

der  Name  des  Sohnes  abgeleitet 

von  dem  der  Mutter  32. 
Rheinische  Matronennamen  86. 

Grammatisches : 

annibus  für  annis  34. 

cives  für  civis  77. 

innocis  für  innocens,  diens  für  dies 
34. 

qui  statt  quae  32. 

curayit  für  curaverunt?  32. 

c  =  g  47b. 

gm  =  g(e)m(ina)  47d,e. 

D  B  Domitiana  80. 

va  =  vale  42. 
Alphabet  13. 
burgus  1. 
Devotionsinschrift  13. 


II.  Litteratur. 


1.  £  dm.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  im  Teuto- 
burger  Walde.  Berlin  1893.  232  SS.  8«. 
Erklärlich  war  und  ist  das  Verlangen  der  Deutschen  und  Ausländer, 
der  Geschichtskundigen  und  Laien,  die  erste  grossartige  Kundgebung 
der  sesshaften  Germanen  und  zugleich  den  ersten  erschütternden  Schlag 
auf  das  römische  Kaiserreich  —  die  Varusniederlage  —  genau  beleuchtet  zu 
sehen  und  insonderheit  Bestimmtes  über  ihre  Oertlichkeit  zu  erfahren, 
nachdem  die  Alten  hierüber  nur  vage  oder  zweideutige  Nachrichten 
hinterlassen  haben.  Schon  im  Mittelalter  nicht  völlig  übersehen,  wurde 
der  Schauplatz  des  Weltereignisses  da  und  dort,  von  Otto  v.  Frei- 
singen*) sogar  bei  Augsburg  gesucht,  von  den  Humanisten*)  zunächst 
schlechthin  in 's  Cheruskerland  ^  und  dann  einstimmig  für  immer  nach 
Westfalen  verlegt.  Nur  der  Schlachtort  selbst,  der  saltus  Teutoburgiensis 
blieb  strittig  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

Spalatin  (1539),  Cuspinian  (1540)  und  anderen  Gelehrten  lag  er  ein- 
fach zwischen  Ober-Ems  und  Lippe,  wieder  anderen  wie  Mol  1er us  (1570) 
enger  begrenzt  bei  Delbrück  und  Gigas  (1620)  im  Hügellande  zwischen 
Stromberg  und  Liesbom. 

Daneben  lenkten  schon  bald  verschiedene  Umstände,  äusserst  merk- 
würdige Funde  von  römischen  Alterthümern,  die  bedeutsam  in  die  Wag- 
schale fielen,  und  der  Name  des  Fundortes  „Winnfeld^  (bei  Hörn)  das 
Augenmerk  Hamelman*s  1566  (und  jedenfalls  auch  Melanchthon*sl559) 
auf  ein  östlicheres  Revier,  nämlich  auf  das  Lippische  Land.  Diese  Ansicht 
fand  dann^)  bei  den  Lippischen  und  Paderbomer  Gelehrten  voUen  Beifall, 


1)  Chronicon  TU.  c.  4. 

2)  Bei  B.  Wittius  (c.  1620)  Historia  Westphaliae  ed.  1778  p.  45,  46 
findet  sich  über  die  Römerinvasion  nur  eine  äusserst  dürftige  Vor- 
stellung. 

3)  Fr.  Irenicus  (1518),  Exegesis  historiae  German.  Hanoviae  1728, 
p.  223. 

4)  Das  Castell  Aliso  musste  besonders  auf  C  luv  er  s  (1616)  scharfes 
Andringen  Wesel  und  andere  westliche  Standorte  verlassen  und  ziuneist 
laut  Horrions  Panegyricus  (1616)  die  Lippe  bis  Elsen  beziehungsweise 


222     Ed  m.  Meyer,  Untersuchungea  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwalde. 

durch  diese  weite  Verbreitung  und,  nachdem  sie  von  F.  v.  Fiirsten- 
berg  (1672)  mit  dem  gelehrtesten  Apparate  bekräftigt  war,  erhob  sie 
sich  zu  allgemeiner  Gültigkeit  bis  1764.  Nun  wies  der  kritische  GrupenM 
auf  das  östliche  Münsterland  zurück,  daneben  auf  die  Senne  bis  Lipp- 
stadt, Delbrück,  Rietberg  und  das  Osnabrückische  Amt  Reckenberg. 

Im  Stifte  Osnabrück  erregte  alsbald  auf  der  Tecklenburger  Seite 
der  Name  des  Düteflusses  Aufmerksamkeit^)  und  stachen  dem  alten 
Moser  1768  in  der  „Osnabrückischen  Geschichte*  die  Düstrupper  Berge, 
sowie  E.  Stüve  (1789)  geradeeu  die  Tecklenburger  Grenzhöhen  in's  Auge. 
Plötzlich  wie  hier  das  Schlachtfeld  in  den  Norden  des  Landes,  rückte  es 
1792  bei  Mannert  in  den  Süden  der  Lippe  (bei  Peterseli  1823  und  bei 
Hülsenbeck  1878),  während  Heinrich  1787  dem  Münateriande  wieder 
den  Vorzug  gab. 

Kaum  hatten  die  Freiheitokriege  auch  die  Varusschlacht  wieder  in 
freudige  Erinneriuig  gebracht,  da  kamen  die  meisten  Stimmen  auf  das 
Lippiscbe  Land^)  zurück^)  und  dieser  Annahme  gab,  wie  einst  Fürsten- 
berg, so  jetzt  Clostermeier  (1822)  solchen  Nachdruck,  dass  sie  geraume 
Zeit  (selbst  für  Ledebur  1827)  massgebend  wurde. 

Von  schwachen  Kundgebungen  ^)  abgesehen,  entfachte  sich  der  Orts- 


Neuhaus  aufwärts  ziehen  (cf.  F.  de  Fürstenberg,  Monum.  Pader- 
born. 1672  p.  9,  10),  und  diese  Lage  hatte  gegenüber  den  seit  1764  stetig 
gesteigerten  Anfechtungen  noch  in  unserem  Jahrhunderte  Anhänger  oder 
Vertheidiger  an  Müffiing,  (Schmidt?),  Giefers  und  Deppe. 

1)  Origg.  Germaniae.  Lemgov.  p.  128. 

2)  Als  wiederum  G  r  u  p  e  n  1.  c.  1,93  für  Aliso  einen  westlicheren  Platz 
vorschlug,  trat  Kleinsorgen  1779  mit  wenig  Worten  und  vielem  An- 
klänge (z.  B.  bei  Ma nn ert  1792)  für  Liesborn-Cappel  ein,  wie 
später  Ledebur  1827  (mit  ausgiebiger  Begründung),  Erhard,  Schmidt?, 
Peucker  (1864)  und  Schneider. 

3)  Noch  für  die  heutige  Forschung  werthvoU  sind  die  während  der 
Fremdherrschaft  von  dem  französischen  Divisiona-General  So  kein  ick  i 
mit  Rücksicht  auf  vorfindliche  Alterthümer  angestellten  Recherches  sur 
les  lieux,  oü  p^ritVarus  avec  ses  l^gions;  extraites  d*un  Journal  de  vo- 
yage  fait  en  1810  im  Moniteur  universel  du  9.  mai  1812. 

4)  Auch.  Aliso  erhielt  neue  Plätze,  so  1823  zu  Elaey  a.  d.  Lenne^ 
1816  zu  H  a  m  m  -  N  i  e  n  b  r  ü  g  g  e,  worauf  1822  selbständig  Schulz  kam 
(unter  N  i  e  b  u  h  r  s  Zustimmung),  und  1878  E  s  s  e  1 1  e  n  alles  Gewicht  legte, 
wie  heute  K  n  o  k  e  u.  A.,  welchen  die  Oertlichkeit  gerade  passte.  — 
Bardeleben  versetzte  es  1839  und  Veit  1891  nach  Haltern, 
Hülsenbeck  1873  nach  Lünen,  wo  er  in  Wirklichkeit  ein  römisches 
Lager  entdeckt  hat.  Der  von  Hölzermann  aufgebrachte  und  neuest- 
hin  von  Andern  übernommene  Standort  wird  im  Texte  noch  vorkommen. 

5)  Darunter  jene  eines  kühnen  Federknappen  (G.  F.  Koni  g)  von 
1841  zu  Gunsten  des  rechten  Weser-Ufers  bei  H.  Böttger,  Hermann 
der  Cheruskerfürst  1874  S.  11;  sie  erinnert  an  die  Deutung  Lupia  = 
Hunte  und  Aliso  =  Hünteburg.  Frühere  Stimmen  für  Römstädt  im  Thü- 
ringerwalde (1704),  für  das  Zwischenland  von  Wesel  und  Rees  (1793),  für 
Warendorf  (1810),  für  Ratingen  (1820)  registrirt  C.  F.  Petersen,  Kirch- 
sprengel Weitmar  1823,  S.  III. 


Edm.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwalde.     22S 

streit  erst  wieder  1852,  seitdem  nämlich  E  s  s  e  1 1  e  n  mit  D  e  d  e  r  i  c  h  (1854) 
und  R  e  i  n  k  i  n  g  (1855)  die  längst  vergessenen  Hügel  des  Münsterlandes 
und  zumal  die  Beckumer  Anhöhen,  ihre  Funde  und  Denkmäler  ernstlich 
für  das  Schlachtfeld  in  Anspruch  nahmen.  Dagegen  vertbeidigte  seit  1855 
Giefers  die  alte  Lippländische Hypothese  zwar  unermüdlich,  doch  fast 
jedes  Mal  nur  mit  beredten  Gründen,  insofern  seine  Gegner  „mehr 
Gewicht  auf  alte  Gräben,  Wälle  u.  dgl.,  als  auf  die  Angaben  der  Schrift- 
steller gelegt''  hatten. 

Die  Fehde  schwebte  im  Anfange  wesentlich  unter  westfälischen 
Gelehrten,  berührte  jedoch  allmählig  auch  auswärtige  Forscher;  ihr  Ver- 
lauf gab  den  Anlass  zu  einem  bedeutenden  Aufschwünge  der  Denkmäler- 
forschung und  namentlich  zu  den  gründlichen  Ortsuntersuchungen  Hül- 
senbecks (seit  1871). 

Wie  bekannt,  erhob  sich  die  jüngste  litterarische  Woge  über  den 
Varianischen  Kriegsschauplatz  vorzüglich  unter  auswärtigen  Forschem  und 
sie  führte  nochmals  zu  lehrreichen  Ergebnissen,  als  Mommsen  seit  1885 
mit  Andern  plötzlich  das  Schlachtfeld  im  Anschlüsse  an  Münzfunde  zu 
Barenau  hierher^),  d.  h.  so  fem  in  den  Norden  Westfalens  verschob,  als 
bis  dahin  nur  einmal  von  Sondermühlen(1875)  versucht  war.  Sogleich 
erfolgte  Einspruch  namentlich  von  V  e  1 1  m  a  n  n  (1885) ,  der  im  Wesent- 
lichen die  Art,  wie  im  vorliegenden  Falle  Münzfunde  als  Beweismittel 
herangezogen  waren,  bekämpfte,  indessNeubourg  Quelleninterpretation 
und  römische  Fundstücke  wiederum  für  das  Fürstenthum  Lippe  aufbot. 
1887  (1889),  rückte  K  n  o  k  e  den  Schauplatz  wieder  südlicher  in  bekannte 
Gebiete  —  in  das  Osnabrücker  Bergland,  genauer  in  die  Tecklenburger 
Grenzhöhen,  und  nachdem  dann  noch  Zangemeister  (1887)  heftig 
Mommsen's  Hypothese  verfochten  hatte,  verbanden  Andere  die  Schlacht 
von  Neuem  mit  dem  Lippischen  Lande,  Höfer  (1888)  mit  umsichtiger 
Begründung,  einzelne. Militärpersonen  nicht  ohne  Beihülfe  der  Phantasie^). 

So  nahmen  sich  im  Allgemeinen  die  Oertlichkeiten^)  der  Varianischen 
Niederlage  in  der  Litteratur  aus,  da  erschienen  neuesthin  M  e  y  e  r's  Un- 
tersuchungen gewiss  zeitgemäss,  und  wie  ihr  Gesammtresultat  ist,  auch  dan- 
kenswerth.  Sie  behandeln  zunächst  zwei  Fragen,  welche  bedeutsam  in  die 
Varuskatastrophe  hineinspielen:  S.  5—66  das  strittige  Datum  derselben 
und  S.  56—195  wie  einen  Schwerpunkt  die  besonders  seit  Ranke  (W.-G. 


1)  Von  hier  bis  Damme  B  ö  c  k  e  r  1887. 

2)  Vgl.  über  diese  litterarische  Bewegung  H.  Hartmann  in  den 
Mittheilungen  des  historischen  Vereins  zu  Osnabrück  1889,  XIV,  1  ff.  41, 
E.  Hübner  in  den  Bonner  Jahrbüchern  des  Vereins  von  Alterthums- 
ftreunden  im  Rheinlande  1889  H.  88,  66  ff.  und  Meyer  passim. 

3)  Sofern  eine  davon  mehrere  Anhänger  hatte,  wichen  diese  wieder 
von  einander  ab  in  der  nächsten  Ortsbestimmung,  und  zumal  in  dem  An- 
fangspunkte (vffl.  Deppe,  Bonner  Jahrbücher  89,  S.  72),  oder  im  End- 
punkte der  ScUacht. 


äö4    Edm.  Meyör,  Üntersüchttngfen  über  die  Schlacht  Im  Teutobüi'getwalde. 

1883,  3, 1,  25  f.)  immer  weiter  getriebene  Verdächtigung  oder  Verurthellting 
des  Schlachtberichts  von  Dio  Cassius.  Beide  Male  beruht  die  geschickte 
Darstellung  auf  weiter  historischer  und  litterarischer  Umschau,  auf  kriti- 
scher Prüfung  der  Quellen  und  strenger  Sichtung  der  gegentheiligen 
Lehren.  Das  Jahr  9  nach  Christus  erhält  (S.  85)  den  Vorzug  vor  dem 
J.  8,  das  Tagesdatum  dreht  sich  um  den  1.  August  und  rückt  möglicher 
Weise  noch  über  die  Mitte  des  Monats  vor.  Dio  Cassius  erfährt  eine 
vollständige  Ehrenrettung;  sein  Bericht  ist  in  allen  Punkten  zuverlässig 
und  glaubwürdig  bis  auf  einen  Irrthum,  der  indess  unter  keinen  Um- 
ständen ausreicht,  den  Gesammtbericht  zu  verwerfen  (S.  179).  Kurzum 
beide  Untersuchungen  sind  darnach  angethan,  klärend  und  befruchtend 
auf  die  künftige  Auffassung  und  Behandlung  der  Varusschlacht  einzu- 
wirken. Die  letzte  Untersuchung  über  die  Schlachtgegend  (S.  196—232) 
verwirft  die  Barenauer  und  die  übrigen  Hypothesen  zu  Gunsten  des 
Lippischen  Landes  und  trifft  hier  selbständig  eine  nähere  Ortsbestimmung. 
So  philologisch  exakt  auch  die  Ausführungen  und  die  Polemik  hinfliessen 
—  die  Litteratur,  die  Funde  und  die  landschaftlichen  Zustände,  welche 
dabei  eingreifen,  lassen  an  Vollständigkeit  und  sicherer  Gewähr  zu  wün- 
schen übrig.  So  fällt  vom  saltus  Teutoburgiensis  das  Eigenschaftswort 
Toyt  (Teut)  S.  214  nur  schwach  ins  Gewicht,  weil  in  der  geographischen 
Verbreitung  und  sprachlichen  Deutung  nur  mangelhaft  ausgenutzt  (vgl. 
Hülsenbeck,  Paderborner  Gymnasial-Programm  1878,  S.  37,  41);  über- 
haupt geniesst  beim  Verfasser  (S.  210)  die  Ethnographie  wenig  Ansehen  — 
sie,  welche  doch  stellenweise  überraschende  Aufschlüsse  über  ältere  Zu- 
stände gibt  (Westf.  Zeitschr.  29,  I,  148)  und  längst  als  wesentliches  Hülfs- 
mittel  bei  der  Erörterung  der  wichtigen  Frage  (vgl.  Meyer  S.  209  f.  200) 
diente:  wie  ist  der  Wohnsitz  der  Ultimi  (kleinen)  Bructeri  zwischen  der 
Ober- Ems  und  Lippe  zu  umgrenzen?  (Zeitschr.  f.  Preuss.  Gesch.  u.  Landes- 
kunde 1883  Bd.  XX,  193).  Auch  breitet  sich  die  Senne  nicht  bloss  im  Süden 
des  Lippischen  Waldes  (Meyer  S.  200)  aus,  sie  nahm  vielmehr  von  der 
Lippe  und  zwar  von  Lippstadt  als  ungefährem  Westpunkte  ihren  An- 
fang, schweifte  als  sinethi  um  die  Delbrücker  und  Wiedenbrücker  Oase 
zunächst  nach  Norden,  um  dann  in  nordwestlicher  Richtung  als  Bruch- 
zone zu  enden,  vormals,  wie  überall  in  Germanien  die  Einöde  (Caesar 
Bell.  Gall.  VI,  23;  v.  Peucker,  Deutsches  Kriegswesen  der  Urzeit  H,  349), 
eine  Stammes-  und  Völkerscheide,  später  die  Ostgrenze  des  Münsterlandes, 
als  welche  also  (mit  Meyer  S.  205)  der  Osning  keinesfalls  gelten  darf 
(Zeitschr.  f.  Preuss.  Gesch.  u.  Landesk.  XX,  195,  201).  Sie  war  in  der 
Nähe  des  Lippischen  Waldes  wohl  mit  trägen  Bächen  und  seichten  Wassern 
bedeckt  (vgl.  Westf.  Zeitschr.  XV,  371),  indess  niemals  ganz  Moorland, 
dies  aber  sicher  (vgl.  Meyer  S.  215^  217)  in  der  um  1760  entwässerten  Mose 
bei  Mastholte  (Westfäl.  Zeitschr.  20  S.  288)  und  ebenso  in  der  Umgebung 
von  Delbrück  und  Kietberg;  dort  und  hier  wurde  bis  in  unsere  Zeit  Torf 


fidm.  Meyer,  Üntefstictiuugen  über  die  Schlacht  im  l'eutobul'gfei^walde.    Ö2S 

gegraben  (das.  14,  S.  106,  372)  und  hier  1123  das  „Dreckslot"  angelegt  i). 
Mit  dieser  Anlage  begann  die  weitere  Besiedelung  und  sie  endigte  erst 
nach  Jahrhunderten  mit  der  Einrichtung  der  jetzt  bestehenden  Pfarreien 
(vgl.  das.  37,  II,  34,  35;  44,  II,  70,  96);  die  dürre,  graue  Decke  empfing 
die  Senne  weder  zum  kleinsten,  noch  „zum  grössten  Theile**  mit  dem 
vom  (östlichen)  Gebirge  herübergewehten  Flugsande;  dieser  ist  hier  so 
gut,  wie  auf  den  nordwestlichen  Heiden  die  Ablagerung  eines  Inlandeises, 
das  im  Wesentlichen  von  Nordwesten  eingebrochen  (West  ho  ff,  in  Natur 
und  Offenbarung  1892  B.  38,  S.  84  ff).  Zu  den  WaldbestUnden,  welche 
Meyer  in  Lippischer  Nähe  bekannt  geworden,  kommen  ungefähr  westlich 
davon  andere  zu  Westerloh,  Westenholz  und  Mastholte  ^),  wie  hier  die 
Ortsnamen,  und  noch  weitere  zu  Rietberg,  wie  hier  die  beim  Torfmachen 
aus  der  Tiefe  hervorgeholten  Holzkloben  beweisen.  Dass  ihren  Strich 
von  Neuhaus  bis  an  die  Ravensberger  Senne  (Gütersloh)  und  namentlich 
die  Oase  Delbrück  allerhand  Fundsachen,  altes  Pfahlwerk  (Corresp.-Bl.  f. 
Anthropologie  XX,  4),  römische  Münzen  und  Todtenurnen  auszeichnen 
(Westf.  Zeitschr.  XIV,  372;  Schneider,  Heer-  und  Handelswege  IX,  8) 
dass  die  römische  Emsuferstrasse,  streckenweisa  noch  in  Wällen  erhalten, 
in  südwestlicher  Richtung  über  Wiedenbrück,  Delbrück  (Bonner  Jahr- 
bücher des  Vereins  von  Alter thumsfreunden  69,  S.  33)  gen  Paderborn, 
eine  andere  bedeutende  Verkehrsader  von  Wiedenbrück  nach  Lippstadt 
(Hülsenbeck,  Paderborn.  Gymn. -Programm  1878  S.  7)  die  Senne  durch- 
schnitt, dass  aus  dem  Westen  von  der  Glenne  her  eine  „Heidenstrasse^ 
(wenn  Hölzermann  zu  trauen)  südöstlich  auf  Lipperode  und  glaub- 
würdig eine  andere  über  Delbrück  auf  Haustenbeck  und  eine  dritte  ge- 
rade gen  Osten  wahrscheinlich  auf  Hörn  und  von  Delbrück  jedenfalls  ein 
Abzweig  in  die  Dörenschlucht  ging  (vgl.  Meyer  S.  223,  207),  ja  dass  auf 
deren  uralte  Strasse  Funde  von  Urnen  und  allerlei  Römermünzen  der 
Umgegend  hindeuten  (Corresp.-Bl.  d.  Gesammt- Vereins  1878  S.  25,  Westf. 
Zeitechr.  XX,  296,  293)  —  davon  verlautet  bei  Meyer  Nichts.  —  Unter 
den  Plätzen,  welche  man  seither  für  Aliso  ausgab,  berüclc sichtigt  er 
nur  eine  Mehrzahl  und  gibt  er  Hamm-Nienbrügge  den  Vorzug,  obschon 
doch  seit  Jahren  ernste  geographische  Bedenken  dagegen  ausgesprochen 
sind.    (Kunst  u.  Gesch.,  Denkmäler  d.  Prov.  Westfalen  I,  56.) 

Während   er   im   Lippischen   nach   römischen  Fortificationen   und 
zumal  nach  Altschieder   ausschaut,   kommen  ihm   dort  von  der  ausser- 


1)  £ine  Ortschaft  Rehtbergi  schon  genannt  in  der  Translatio  s. 
Alexandri.  Mon.  Germ.  Hist.  SS.  II,  68. 

2)  Für  jene,  welche  die  Varusschlacht  nach  mittekilterlichen  Kund- 
gebungen mit  der  Gnitaheide  in  Verbindung  bringen  wollen,  sei  hier, 
nachdem  dieselbe  Westf.  Zeitschr.  46,  II,  123  zwischen  Boke  und  Hörn 
oder  bei  Schötmar  (Höfer,  Zwei  Schriltstücke  1898  S.  294)  vermuthet  ist, 
bemerkt,  dass  dieselbe  auch  nach  Ortsnamen  zu  Westenholz  an  der  Boker 
Heide  gesucht  wird. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCV.  15 


226     £dm.  Meyer,  Ünteröuchungcn  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwalde. 

ordentlichen  Menge  römischer  Münz-^)  und  anderer  Funde  (Schneider 
H.-  n.  H.-Wege  VIII,  5)  beinahe  nur  Münzen  in  Rechnung  —  diese  auch 
nur  stellenweise  (S,  215)  und  nicht  nach  der  nHchsten  Fachlittcratur 
(Veitmann,  Neubourg),  sondern  nach  einer  abgeleiteten  Niederschrift. 
Wenn  er  dann  die  alten  Römerfunde  am  Hermannsberge  (Menke,  Pyr- 
mont und  Umgegend  1840  S.  27)  und  die  berühmten  neuen  Funde  von 
Pyrmont  und  schliesslich  die  uralten  charakteristischen  Ausgrabungen 
vom  Winnfelde  bei  Hörn  —  seit  H  a  m  e  1  m  a  u  n  stets  ein  Magnet  der 
Forschung  ->  mit  Stillschweigen  behandelt :  heisst  da  nicht  die  Benutzung 
vorfindlicher  Römerspuren  ungefähr  so  viel  als  Läuten  mit  einer  Glocke, 
welcher  der  Klöppel  fehlt?  Dagegen  vermuthet  Meyer  S.  201  (ausser 
Aliso)  ein  zweites  von  Germanicus  errichtetes  Lippe-Castell  —  zu  Ring- 
boke  in  jenen  Erdwerken,  welche  von  Hölzerm-ann  für  Aliso  erklärt 
sind.  Und  welche  Bewandtniss  hat  es  damit?  Die  des  Nordufers  erwiesen 
sich  längst  als  neuere  Sandwehren  (Westf.  Zeitschr.  36,  II,  214)  und  die 
Beweismittel  H  ö  1  z  e  r  m  a  n  n's  zu  Gunsten  des  eigentlichen  Ringwerkes 
in  der  Hauptsache  als  Phantasien,  wie  seine  Wege  dahin  auch  (Picks 
Monatsschrift  IV,  145,*  V,  441,  VI,  408).  Und  sollten  von  einem  Germanicus 
die  Gefahren  und  die  starke  Bevölkerung  des  Südufers  unterschätzt 
und  gerade  ein  Punkt  für  die  Feste  ausersehen  sein,  von  welchem  beide 
römische  Uferstrassen  längst  nach  Norden  und  Süden  abgeschwenkt 
hatten?  (Schneider,  Neue  Beiträge  z.  Gesch.  u.  Geographie  des  Rhein- 
landes 1878,  Folge  XI  mit  Karte,  ders.  H.-  u.  H.-Wege  VIII,  5,  6,  vgl. 
Westf.    Zeitschr.  XVII,  64)*).    Trotzdem   sich   sichere  Spuren   römischen 


1)  „Dass  erhebliche  Summen  römischer  Gelder  damals  im  Besitze 
der  Deutschen  waren,  lässt  sich  z.  B,  aus  der  Nachricht  entnehmen,  dass 
Armin  jedem  Ueberläufer  einen  täglichen  Sold  von  100  Sestertien  ver- 
sprechen liess,  während  der  römische  Legionär  für  das  ganze  Jahr  nur 
900  Sestertien  erhielt.  .  .  Wie  gross  muss  demnach  die  Kriegskasse  Ar- 
min's  gewesen  sein,  wenn  er  jedem  Ueberläufer  einen  täglichen  Sold 
von  100  Sestertien,  d.  i.  25  Denare  oder  einen  aureus  geben  wollte.^ 
Höfer,  Varusschlacht  1888  S.  121. 

2)  Der  Weo;e,  geschweige  denn  deren  von  Zange meister  Westd. 
Zeitschr.  1887  S.  236 .  behaupteten  Knotenpunktes  entbehrt  auch  das 
Dorf  Eisen  an  der  Alme  und  muss  es  schon  deshalb  auf  die  Stätte  Alisos, 
wofür  es  da  und  dort  noch  ausgegeben  wird  (oben  S.  173  N.  4)  ver- 
zichten; selbst  Giefers  hat  an  die  „Römerarbeif"  eines  dortigen  Stein- 
hauses, welche  er  auf  das  Wort  eines  Paderborner  „Baumeisters*'  erst 
„unbedenklich**  angenommen  hatte  (Westf.  Zeitschr.  1856  S.  64),  später  so 
wenig  wie  irgend  ein  Sachverständiger,  selbst  mehr  geglaubt  (vgl.  Hül- 
senbeck, Castell  Aliso  1873  S.26,  Schneider,  H.-  u.  H.-Wege  VIII,  7), 
wie  denn  auch  von  Nordhoff  bereits  1873  in  Holz-  und  Steinbau  West- 
falens S.  142,  143  dem  Castell  nach  Frontins  Aeusserungen  der  Cha- 
rakter eines  Steinbaues  entschieden  bestritten  war.  —  Wenn  Zange- 
meister dennoch  a.  a.  O.  eine  Untersuchung  der  Elsener  Baureste  in  Vor- 
schlag bringt,  so  hat  er  von  jener  Beurtheilung  durch  Schneider, 
welcher  doch  „notorisch  von  den  Römerbauten  und  zwar  vor  Allem  auch 


Edm.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwaldo.     227 

Steinbaues  nur  in  ein  paar  Fundamenten  von  Flussbrücken  und  zwei 
bis  drei  kurzen  Wegestrecken  vorfinden  (Nordhoff,  Das  Westfalen-Land 
1890  S.  5  N.  2),  insst  sich  M  e  y  e  r  (S.  228)  noch  auf  Hölzer  manns  „förm- 
liches Strassenpflaster*  bei  Neuenheerse  ein,  allerdings  mit  Zweifeln  — 
in  der  That  gehört  dasselbe,  „wie  jetzt  erwiesen,  keiner  Römerstrasse  an** 
(Schneider,  H.  u.  H.  VITI,  5).  Umstände  genug  macht  sich  Meyer 
mit  den  Römerwegen,  insofern  ja  wohl  Heeresmassen  von  20— 30,(XX)  Mann 
dieselben  betraten  (S.  218—221)  —  doch  wie  wir  bereits  wiederholt  ver- 
nahmen, mit  wenig  Glück.  Dafür  müssen  ihm  durchschnittlich  die  hei- 
mischen Strassen  Aushülfe  leisten,  gerade  wie  bei  Hölzermann,  der 
trotz  S  c  h  n  e  i  d  e  r's  Winken  (vgl.  dessen  neue  Beiträge  XI,  22)  seine 
Augen  vor  den  römischen  Dammstrassen  verschlossen  und  darin  nur 
Landwehren  erkannt  hat  (S  c h  n  e i  d  e r  das.  XHI,  17,  H.-  u.  H.-Wege  VIII,  5). 
Dass  die  Römer  im  Beginn  ihrer  Kriegsoperationen  heimische  Wege 
nahmen  oder  vielmehr  nehmen  mussten,  ist  ja  ebenso  selbstredend,  als 
dass  ihnen  auf  die  Dauer  die  ältesten  d.  h.  die  Uferstrassen,  die  Richt- 
wege (semitae)  der  Wälder  (Caesar  Bell.  Gall.  VT,  K.-  u.  G.-D.  d.  Pr. 
Westfalen  I,  5,  II,  7)  und  alle  übrigen  insgesammt  wegen  ihrer  schlechten 
Beschaffenheit  oder  gefährlichen  Lage  nicht  behagen  konnten.  Ihre  voll- 
endete Strategie,  die  Nachricht  über  neu  angelegte  aggeres  et  limites 
und  die  heutigen  Funde  bekunden  einhellig,  dass  es  das  erfahrene  Kriegs- 
volk bei  den  ersten  Schritten  in  die  unwirthlichen  Länder  auf  grosse 
militärische  Kunststrassen  mit  Seitenwehren,  Wachthügeln  und 
Lagerstätten  absah  und  dieselben  im  Vorrücken,  d.  h.  je  nachdem  eine 
Zone  unterworfen  war,  anlegte,  beziehungsweise  verlängerte.  Meyer 
ist  aber  S.  222  eher  für  die  Ausbesserung  der  vorfindlichen,  als  für  den 
Bau  neuer  Strassen  gestimmt.  Er  erblickt  auch  offenbar  in  den  Strassen 
der  Lippe  (S.  202,  222)  nichts  Anderes,  als  heimische  Uferstrassen,  wie  sein 
Gewährsmann  H  ö  f  e  r  und  dessen  Bürge  H  ö  1  z  e  r  m  a  n  n.  In  Wahrheit 
haben  alle  drei  keine  Ahnung  davon,  wie  neben  den  heimischen  die  rö- 
mischen Runststrassen  noch  in  Dammresten  vorliegen,  Sie  waren  von 
Schneider  1878  nachgewiesen  und  hätten  auch  Hölzermann  (1870) 


von  denen  in  den  Rheinlanden  gründliche  Kenntniss  besitzt^,  ebenso  wenig 
Notiz  genommen,  wie  von  den  bezüglichen  Aeusserungen  früherer  For- 
scher und  der  Abbildung  des  fragl.  Steinhauses  bei  T  a  p  p  e,  Nachtrag  zur 
wahren  Gegend  .  .  .  der  Varusschlacht,  Essen  1822  S.  9—13.  Schmidt 
lässt  (Westf.  Zeitschr.  XX,  294)  die  Sache  unentschieden,  aber  W  i  e  t  e  r  s  - 
heim  sagt :  „Ich  habe  die  Oertlichkeit  selbst  untersucht  und  statt  jenes 
römischen  Mauerwerks  nur  eine  200  bis  300  Jahre  alte  Kellermauer  ge- 
funden" (bei  Essellen,  Anhang  zur  Schrift:  Gesch.  der  Sigambern 
1871  S.  32),  und  Ess  eilen  setzt  hinzu:  „Das  Mauerwerk  ist  nichts,  als 
ein  Ueberrest  der  mittelalterlichen  Burg  der  von  Elsen**.  Weni^  Zuver- 
sicht offenbarte  endlich  eine  sehr  alte  Stimme  in  Mallincrodts  Neuestem 
Magazin  1816  S.  368:  „Doch  sollen  bei  der  Kirche  zu  Elsen  noch  vor 
12  und  mehreren  Jahren  grosse  Stücke  alter  Mauerwerke  entdeckt  sein, 
die  man  für  Ueberbleibsel  dieser  römischen  Stadt  oder  Veste  gehalten  hat." 


228    Edttt.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwalde. 

bekannt  sein  können,  nachdem  sie  bereits  von  Schmidt  in  der  Nordufer- 
strasse bis  Dolberg  verfolgt^)  und  seit  1859  publicirt  waren.  Allein  die 
Dammstrassen  werden  von  Hölzcrmann  (Local-Untersuchungen  S.  62, 
63),  vereinzelt  in  Worten,  aber  nie  thatsUchliclf  anerkannt,  und  jene  des 
Südufers,  ¥nie  es  scheint,  im  Ernste  für  Schutzwehren  römischer  Ufer- 
gärten (!)  gehalten.  Wie  idyllisch !  Man  sollte  meinen,  auch  die  „bekannten 
(Rück-)  Wege"  des  Cäcina  hätten  sich  näher  bestimmen  lassen,  als  bei 
Meyer  S.  212.  Es  führten  doch  von  der  Ems  zum  Kheine  Strassenzüge 
genug:  einer  von  Warendorf  (K.- u.  G.-D.  d.  Pr.  Westfalen  II,  8)  einer  von 
Telgte  (Peucker  III,  328),  (einer  von  Greven),  einer  von  Rheine  und  wahr- 
scheinlich auch  einer  von  Wiedenbrück  aus,  das  als  Verkehrspunkt  eigens 
hervorzuheben  (Paderborner  Gymnasial-Programm  1887,  S.  7)  ist.  Die 
Uferstrassen  der  Lippe  und  Ems  kamen  gar  nicht,  die  Linie  Rheine- 
Xanten  weil  ohne  Seitenmoräste  gleichfalls  (gegen  Meyer  S.  213)  nicht 
in  Betracht,  eher  schon  die  Züge  von  Greven  und  von  Telgte;  denn  sie 
gingen  auf  Münster  und  berührten  hier  beinahe  den  Warendorfer  Strang 
(K.-  u.  G.-D.  d.  Pr.  Westfalen  II,  8);  beide  vereinten  sich  mit  der  Linie 
Wiedenbrück  nordwestlich  von  Dülmen  zu  jenem  Dammworke^,  das  als 
pontes  longi  das  Merfelder  Bruch,  einen  meilenweiten  Sumpf,  kreuzte 
(Hülsenbeck,  Paderborer  Gymnasial-Programm  1871  S.  21,  23),  und  von 
da  erreichte  eine  stattliche  Strasse  über  Borken  bei  Xanten  und  bei  Rees 
den  Rhein.  Die  erwähnten  Strassen  sind  bis  auf  den  Zug  Wiedenbrück - 
Dülmen  seit  Langem  Gemeingut  der  Oefifentlichkeit  —  mit  ihnen  noch 
viele  andere  Strassenzüge  und  verschiedene  Landwehren,  welche  beide 
mit  Begleitfunden  über  die  Lippegebiete  gen  Süden  in  die  Berge  und 
zahlreicher  gen  Norden  durch  die  Bructerischen  Landschaften  zum  Theile 
über  die  Ems  fortziehen. 

So  grossartig,  wie  einst  ihr  Bau  war,  so  schwer  und  mühevoll  ist 
heute,  nachdem  fast  zwei  Jahrtausende  an  ihrer  Zerstörung  und  Ver- 
stümmelung gearbeitet  haben,  ihre  Aufdeckung  und  treffende  Zusammen- 
setzung. —  Dank  den  hochverdienten  Männern,  welche  dafür  unab- 
lässig ausser  körperlichen  Anstrengungen  ihre  materieUen  und  geistigen 
Kräfte  eingesetzt  haben,  besonders  einem  Müffling,  welcher  schon  die 
römische  Strasse  als  Dammwerk  erkannt,  einem  Schmidt  und  einem 
Schneider,  welche  die  meisten  und  sehr  belangreiche  Strecken  bloss- 
gelegt,  einem  Uülsenbeck^),  welcher  meisterhaft  die  Funde,  die  Ethno- 


1)  Doch  entsprach  früher  einmal  der  Lippelauf  oberhalb  der  Stadt 
Hamm  nicht  ganz  dem  heutigen.  Näheres  in  K.-  u.  G.-Denkm.  d.  Prov. 
Westfalen  I,  29,  30. 

2)  Angustus  is  tramcs  vastas  inter  paludes,  et  quondam  a  L.  Do- 
mitio  aggeratus:  cetera  limosa,  tenacia  gravi  coeno  aut  rivis  incerta 
erant;  circum  silvae,  paullatim  adclives.    Tac.  Ann.  I,  63. 

3)  Ergänzt  sind  diese  Forschungen  im  Lippereviere  sowie  im  Südosten 
des  Landes  namentlich   durch  Ess eilen  und  Hölzermann,  im  Norden 


Edm.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  im  Tcutoburger wähle.    229 

graphie  und  gerade  die  landeseigenthümlichcn  Hülfsmittel  mit  den  Schrift- 
quellen   zu  einer   durchschlagenden  Forschungsmethode   verquickt   hat. 

Je  weiter  die  Bodenforschung  das  bunte  Geflecht  von  römischen 
Strassen,  Wehren,  Kleinwerken  und  Fundstücken  verfolgt  und  vervollstän- 
digt, um  so  mehr  Licht  wird  davon  ausgehen  auf  das  Er oberungs verfahren 
und  die  vornehmsten  Operationspunkte  ihrer  Urheber;  ja  wenn  einmal  vom 
Rheine  nach  Osten  hin  die  römischen  Erbtheile,  so  weit  das  heute  noch 
thunlich  ist,  d.  h.  vorsichtig  und  genau  klargestellt  und  in  die  Karte 
eingetragen  sind,  so  muss  sich  im  Osten  irgendwo  eine  Grenzlinie  mar- 
kiren,  hinter  welcher  plötzlich  die  aggeres  et  limites  an  Masse  und  Dich- 
tigkeit abnehmen  und  diese  Linie  (von  Norden  nach  Süden)  wird  dann 
an  dem  Punkte,  wo  sie  die  Lippe  trifft  oder  kreuzt,  mit  Bestimmtheit 
den  Standort  des  Castells  Aliso  bezeichnen;  denn  von  Germanicus  .  .  . 
cuncta  inter  castellum  Alisonem  ac  Ehenum  novis  limitibus  aggeribusque 
permunita  (Tacitus  Ann.  II,  c.  7),  was  offenbar  jenseits,  d.  h.  im  Osten 
des  Castells  nicht  mehr  geschehen  ist. 

Der  Verfolg  der  urgeschichtlichen  Denkmäler  —  dies  wesentliche 
und  unschätzbare  Forschungsideal  unserer  Zeit  —  verspricht  näm- 
lich ein  gehaltreiches  und  zuverlässiges  Urkundenbuch  für  die  Ur- 
geschichte, d.  h.  reale  Beweismittel  für  die  Aufhellung  der  dunkeln  oder 
grauen  Vorzeit,  ihrer  Wandlungen,  Ereignisse  und  Völkerzustände  und 
nebenbei  auch  Grundsteine  für  die  Begebenheiten  der  historischen 
Zeit;  diese  Beweismittel  verleihen  d  em  mili  tär  isc  hen 
Betracht  einer  Oertlichkeit  wie  den  Ideen  der  For- 
scher mässigende  Haltepunkte,  den  Andeutungen  und 
Zeugnissen  der  Schriften  festen  Fuss,  fassbare  Ge- 
stalt und  allerhand  Ergänzungen;  sie  wollen  nur  gehörig  er- 
forscht oder  doch  wenigstens  ihre  Fun  db  er  1  cht  e  für  die  Dar- 
stellung möglichst  vollständig  ausgebeutet  sein.  Alle  Seh ri f t- 
qu eilen  zusammen  sind  doch  gegenüber  den  verschiedenen  Zeiträumen 
und  Völkern,  geschweige  gegenüber  der  Summe  der  Ereignisse  schmal 
bemessen,  und  gerade  im  Punkte  der  Varusschlacht  zu  oft  mit  einer 
Wachsnase  behaftet,  die  sich  je  nach  den  Empfindungen  des  Benutzers 
beliebig  drehen  und  wenden  lässt,  so  dass  damit  der  Eine  deren  Schau- 
platz im  weiten  Norden,  der  Andere  ihn  im  Süden  des  Landes  findet. 

Dass  Meyer  der  alten  Denkmäler  nicht  achtet,  dass  er,  falls  ihre 
Erforschung  seine  Sache  nicht  war,  auch  den  publicirten  Fundberichten 
kaum  halbwegs  die  gehörige  Achtung  schenkte ,  lässt  sich  im  All- 
gemeinen wohl  so  erklären,  dass  das  Fundmaterial  ihm  auch  für  die  Ur- 
zeitjan Bedeutung  den  Schriftquellen    noch  nachsteht,   wenigstens   nicht 

mit  den  Entdeckungen  von  Bohlenwegen  und  schönen  Kleinfunden  durch 
Kohl,  Alten  und  Hartmann.  Die  wissenschaftliche  Behand- 
lung der  Denkmäler  verbürgt  allein  deren  richtige  Schätzung,  Pflege 
und  Ausbeute. 


230     Edm.  Meyer,  Untersuchuugeu  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwalde. 

gleichkommt.  Dessen  Unterschätzung  oder  Vernachlässigung  bei  Orts- 
schriftstellern und  sogar  bei  Historikern,  von  denen  man  derlei  nicht 
erwartet  hHtte,  konnte  einem  sonst  sa  ausgezeichneten  Forscher  doch 
eher  zum  Ansporne  dienen,  das  entgegengesetzte  Verfahren  einzuschlagen. 
Dass  die  Fundberichte  bei  ihrer  Anzahl  thatsächlich  überaus  zerstreut 
vorliegen,  gereicht  ihm  doch  schwerlich  mehr  zur  Entschuldigung,  seit- 
dem ihre  Litteratur  von  Nord  hoff,  das  Westfalen-Land  und  die  ur- 
geschichtliche Anthropologie  (Römerspuren,  Erd-  und  Stein denkmäl er 
u.  s.  w.)  1890 1)  von  den  ältesten  Zeiten  chronologisch  (die  römischen 
S.  33—39)  kurz  zusammengestellt  ist.  Ein  Fehler  auf  Forsch  er  scite  be- 
stärkt zu  leicht  die  halbwüchsige  Denkmälerkunde,  welche  der  Wissen- 
schaft thatsächlich  mehr  schadet  als  nützt  und  dennoch  als  die  Dienerin 
vorgefasster  Meinungen  noch  Zuspruch,  sogar  Unterstützung  findet. 

Nun  ja,  es  genügten  Meyer,  das  merkt  man  überall,  ausser  gewissen 
Fundberichten  zweiter  Hand  vollauf  die  Materialien  und  Kundgebungen 
bei  Hölzermann  Lo  kalunteriTuchungen  die  Kriege  der 
Römer  und  Franken  .  .  .  betreffend.  1887.  Dieses  Werk  über- 
raschte nämlich  ebenso  sehr  mit  den  flotten  und  entschiedenen  Behaup- 
tungen, wie  mit  den  bestechenden  und  meistens  schönen  Aufnahmen  fast 
allgemein  die  Forschung,  als  ob  darin  ein  InbegriflT  oder  gar  ein  Orakel 
der  westfälischen  Alterthumskunde  erschienen  und  neben  demselben  Be- 
achtenswerthes  kaum  mehr  geleistet  sei.  Bei  Meyer  (S.  230)  erhält 
noch  in  kritischer  Fähigkeit  und  Thätigkeit  der  Verfasser  den  Vorzug 
vor  Hülsenbeck!  Wie  Rufe  in  der  Wüste  verhallten  die  Stimmen 
sachkundiger  Forscher  theils  gegen  gewisse  historische  Auffassungen 
Hölzerman  n's ,  theils  gegen  einzelne  Aufstellungen  (vgl.  Bonner 
Jahrbb.  62, 130  f.,  Westf.  Zeitschr.  36  II,  205,  214  K.-  u.  G.-D.  d.  Pr.  West- 
falen 1, 11)  und  —  so  unglaublich  als  wahr  —  sie  werden  noch  heute  über- 
hört, obschon  sie  an  Zahl  stetig  zunehmen.  Bei  H  ö  Iz  er  m  an n  er- 
streckt sich  das  Forschungsgebiet  nur  auf  einzelne  Landstriche,  wider- 
sprechen sich  die  Karten  einander  in  den  wichtigsten  Werken,  zeigen 
sich  offenbar  nach  Hörensagen  Denkmäler,  die  gar  nicht  oder  doch  in 
anderen  Zuständen  vorliegen;  auch  seine  Spezialaufnahmen  und  Beschrei- 
bungen sind  nicht  für  Jedermann  ohne  Weiteres  probehaltig;  den  fliessen- 
den Beschreibungen  und  Erörterungen  gebricht  es  stellenweise  an  Tiefe 
der  Auffassung,  an  Vertrautheit  mit  verwandten  Vergleichsdenkmälern, 
und  zumal  mit  der  einschlägigen  Orts-  und  Fachlitteratur.  Diese  kann  zu- 
dem vom  Leser  noch  leicht  um  acht  weitere  Jahre  gewünscht  werden, 
indem  im  Titel  nur  das  Editionsjahr  des  Werkes  1878  und  nicht  das  Ab- 
schlussjahr 1870  vorkommt. 

1)  Daselbst  ergeben  sich  auch  leicht  die  der  Kürze  halber  fort- 
gelassenen Belege  und  Nachweise  für  die  meisten  Angaben  dieser  Rc- 
cension,  nachdem  jene,  welche  ferner  oder  versteckter  lagen,  rechtorts 
eingeschaltet  sind. 


Edxn.  Meyer,  Untersuchungen  über  die  Schlacht  im  Teutoburgerwalde.    231 

Allein  der  Wahrheit  und  dem  Verfasser  die  gebührende  Ehre! 
Hölzerniann*8  Werk  ist  nur  ein  halb  fertiges,  sicher  kein  vollendetes. 
Der  Verfasser  wurde  ihm  1870  6./8.  durch  den  Heldentod  und  daher  dem 
Werke  die  letzte  Hand  entrissen.  Nach  0.  Preuss,  der  ihm  anschei- 
nend nahe  stand,  wollte  der  Verfasser  in  seinem  Todesjahre  die  „Local- 
Untersuchungen  wieder  aufnehmen  und  manche  Zweifel  durch  weitere 
Nachforschungen  und  Ausgrabungen  aufklären.''  Man  darf  annehmen, 
dass  dann  auch  die  Karten  harmonisch  gestaltet,  der  Text  vielfach  ver- 
tieft und  mindestens  die  Lücken  desselben  ausgefüllt  wfiren.  S.  91,  93 
fehlen  doch  die  Erläuterungen  zu  drei  Tafeln  gänelich,  S.  122, 123  figurirt 
noch  ein  „Verzeichnisse)  derjenigen  Heerlager  und  Burgen,  deren  Unter- 
suchung noch  nicht  hat  geschehen  können^.  Kurzum ,  hätte  ihm  der 
Tod  nicht  den  Stein  in  die  Wege  gewälzt,  so  wäre  das  Werk  unzweifel- 
haft im  Ganzen  und  Einzelnen  redactionell  berichtigt,  vielleicht  auch 
nach  dem  Stande  der  zeitigen  Fachliteratur  und  Denkmälerforschung 
mehrfach  verbessert  ans  Licht  gekommen,  statt  dass  es  nun  bei  diesen 
Lesern  seine  Fehler  und  Halbheiten  stets  fortzeugend  von  Schrift  zu 
Schrift  aushaucht  und  bei  den  andern  nur  zu  häufig  eine  Zielscheibe  der 
Kritik  und  Correcturen  bildet. 

Es  ist  und  bleibt  immer  ein  heikeles  Ding,  wenn  ein  Werk  ohne 
Zustimmung  und  vollends  ohne  die  letzte  Hand  des  Verfassers  in  die 
Welt  ausgeht.    So  findet  sich,  um  ein  naheliegendes  Beispiel  anzuführen, 


1)  Dasselbe  verstimmt  den  Leser  wiederholt:  So  figurirt  doch  das 
römische  Lager  bei  Hunsel  (Nr.  15)  schon  in  Hölzermann's  Lippe- 
karto  B,  als  wäre  es  genügend  untersucht.  Ueberhaupt  erscheinen  die 
36  Werke  des  Verzeichnisses  wie  aufs  Geradewohl  zusammengewürfelt 
und  davon  die  30  westfälischen  wie  ein  geringfügiger  Tlieilrest  von  den 
Berg-  und  Thalfesten,  welche  massenhaft  das  ganze  Land  bis  in  den 
Norden  Oldenburgs  bedecken.  Von  den  genannten  existirt  das  Lager 
bei  Recklinghausen  (35),  „angeblich  römisch",  gar  nicht  oder  es  müsste 
die  von  Hülsenbeck,  Castell  Aliso  1873,  S.  12?  mit  Karte,  beschriebene 
Malenburg  bei  Ahsen  sein;  das  Lager  am  Mackenberge  bei  Oelde  (36) 
entspricht  unstreitig  dem  einstigen  Weinberge  des  Klosters  Liesboru 
(Nordhoff,  Vormal.  Weinbau  in  Norddeutschland  1877/83  S.  15),  ebenso 
die  Hünenburg  bei  Vechta  (9)  Jedenfalls  dort  der  „alten  Burg**,  d.  h.  der 
Hoffeste  des  Grafen  von  Ravensberg  —  insofern  ein  urgeschichtliches 
Werk  dort  sicher  von  Ni  eher  ding,  Gesch.  des  Niederstifts  I,  180,  79,  47 
den  zahlreichen  Oldenburgischen  Erdwerken  eingereiht  wäre,  die  H  ö  1- 
z  e  r  m  a  n  n  entgangen  sind.  Die  übrigen  westfälischen  „Heerlager"  waren 
im  Editionsjahre  des  Werkes  (1878),  ja  schon  im  Abschlussjahrc  1870, 
grossen  Theils  bekannt,  beschrieben  oder  abgebildet:  so  die  Haskenau  (34) 
„neuerdings  entdeckt"  von  Nord  hoff,  Holz-  und  Steiubau  1873  S.  139 
Taf.  in,  die  Ruhrburgen  zu  Freienohl  (20).  Neheim  (24),  Stockhausen  (23), 
Rumbeck  (26)  u.  a.  von  Pieler  in  Wigand's  Archiv  1838  VII,  13  f. ;  die 
Hohensyburg  (27),  die  Werke  auf  dem  Kaisberge  (25),  bei  Limburg  (28), 
bei  Oestrich  (29)undDahle  (30)  u.a.  vonBroksieper,  die  Ruine  Hohen- 
syburg 1853  S.  57  f.,  137,  die  Hünenburgen  bei  Woclum  und  Meschede 
(22/23)  von  Co  hausen  in  der  Zeitschrift  für  Preuss.  Gesch.  und  Landes- 
kunde 1866  S.  680. 


232      Dr.  M.  Ihm:  Edictum  Diocletiaui  de  pretiis  rerum  venalium. 

in  den  Localuntersuchungen  des  Obristlieutenants  Schmidt  (1831/41 
Westfäl.  Zeitschr.  20,  281),  die  bekanntlich  auch  nach  seinem  Tode  1859 
herausgregeben  sind,  ein  Bericht  über  einen  „alten  Weg^  von  Ahlen  nach 
Bielefeld;  dieser  ist  nämlich  nichts  anderes,  als  eine  von  ihm  in  die 
Reymann'sche  Karte  gezeichnete  Theilstrecke  der  damals  projectirten 
Elsenbahnlinie  Köln-Minden.  Der  Irrthum  stellte  sich  heute  nicht  so  leicht 
heraus,  wenn  man  bei  der  Publikation  unvorsichtiger  Weise  unterlassen 
hätte,  dessen  Fundstelle,  jene  Karte  nämlich,  zu  benennen;  dennoch  hat 
sein  bestimmter  Ausdruck  im  Texte  sogar  Schneider  (H.-  u.  H.-Wege  IX, 
23,  24)  verführt,  ihn  für  baare  Münze  zu  nehmen. 

Um  die  Leserwelt  über  die  Zuverlässigkeit  desHölzermaun'schen 
Buches  aufzuklären,  hätten  sich  doch  in  Noten  oder  Anlagen  die  verdächti- 
gen und  wurmstichigen  Stellen  unschwer  nach  dem  zeitigen  Wissensstande 
von  tüchtigen  Geschichts-  und  erfahrenen  Bodenforschern,  die  offenkun* 
digen  Fehler  und  Widersprüche  von  Jedermann  markiren  lassen  —  aber 
nein:  da  die  beiden  westfälischen  Gelehrten  Preuss  uudGiefers,  welche 
sich  um  die  Publication  überhaupt  bemühten,  dieselbe  sogleich  mit  ge- 
wissen Bedenken  oder  Einsprüchen  bezüglich  der  Form  oder  des  Inhalts 
begleiteten  (vgl.  oben  S.  182),  so  mögen  wohl  auswärtige  Autoritäten 
oder  Räthe  den  S.  VI  des  Werkes  beigegebenen  Erlass  befürwortet 
haben : 

„Der  Herr  Minister  der  geistlichen,  Unterricht«-  und  Medicinal- 
angelegenheiten  Dr.  Falk  Excellenz  hatte  die  Gewogenheit,  zur  Bestrei- 
tung der  Druckkosten  für  dieses  Werk  2100  Mark  aus  Staatsmitteln  zu 
bewilligen,  stellte  aber  die  Bedingung,  weder  Veränderungen  an  Hol- 
ze r  m  a  n  n's  Arbeit  vorzunehmen,  noch  Zusätze  zu  machen  ^),  um  Lücken 
in  derselben  auszufüllen.^ 

N. 

2.   Edictum  Diocletiani    de  pretiis   rerum   venalium.    Edidit 

Th.    Mommsen.  —  Der   Maximaltarif  des   Diocletian.    Erläutert 

von  H.  Blümner.    Berlin  (Reimer)  1898.  XIII  und  206  S.    4«. 

Eine   stattliche  Publikation,    deren  Vortrefflichkeit   die  Namen   der 

beiden  Herausgeber  verbürgen.    Vielleicht   würde  Mancher  im  Interesse 

der  Billigkeit  mit  einem  weniger  stattlichen  Gewände  zufrieden  gewesen 

sein;  denn  nicht  nur  die  Franzosen  klagen  darüber,   dass  die  Bücher  in 

Deutschland  sehr  theuer  seien. 

Das  von  Blümner  geschriebene  Vorwort  giebt  die  nöthige  Aus- 
kunft über  die  Auffindung,  Anordnung,  Orthographie  u.  s.  w.  der  ver 
schiedenen  Bruchstücke   des  Edictum,  deren  bis  heute  35  in  lateinischer 


1)  Das  Druckfertigmachen  Seitens  des  Professors  Giefers  (Westf. 
Zeitschr.  36  II,  204)  bezieht  sich  daher  wohl  nur  auf  das  Grammatische 
und  Formale. 


Dr.  M.  Ihm:  Q.  M.  Rushforth,  Latin  historical  inscriptiong  etc.     233 

und  griechischer  Fassung  bekannt  geworden  sind.  Die  beste  Textrecen- 
sion  gab  Th.  Mommsen  im  Corpus  inscriptionum  Latinarum  Bd.  III 
(Suppl.)  Derselbe  Text  mit  kritischem  Apparat  ist  in  der  vorliegenden 
Ausgabe  zum  Abdruck  gekommen.  (S.  1—50.)  Den  Uauptbestandtheil 
des  Buches  bilden  die  darauf  folgenden  erklärenden  Anmerkungen  von 
H.  Blüm n er,  die  sehr  ausführlich  gehalten  und  mit  zahlreichen  Nachr 
weisen  aus  andern  Quellen  versehen  sind.  Blümner  gehört  jedenfalls 
zu  denjenigen,  die  das  einschlägige  Material  mit  am  besten  beherrschen;  er 
hat  durch  seine  Erläuterungen  das  Verständniss  dieses  wichtigen  Denk* 
mals  der  späteren  Kaiserzeit  erheblich  gefördert.  Vielleicht  finden  sich 
nun  auch  unsere  Nationalökonomen  veranlasst,  den  Maximaltarif  des  Dio- 
cletian  in  den  Kreis  ihrer  Studien  zu  ziehen,  da  er  genug  des  Inter* 
essanten  auch  für  sie  bietet,  nicht  nur  für  den  Philologen  und  Alterthums- 
forscher. 

Gar  Manches  hätte  der  Herausgeber  übrigens  für  seine  Zwecke 
gewinnen  können,  wenn  er  ausser  Vegetius  (de  mulomedicina)  und  den 
Geoponika  auch  die  Schriften  der  griechischen  Thierärzte,  sowie  das 
Büchlein  des  Pelagonius  (ars  veterinaria)  zu  Rathe  gezogen  hätte.  Z.  6. 
für  die  Kirchhoff  *sche  Coi\jectur  IV  46  (vgl.  S.  80,  Anmerkung  5). 
yaXa&TfvoO  lässt  sich  anführen  dtXfjp^xiw  yaXa^v&r  Hippiatr.  p.  185  (ed.  Gry- 
naei),  jj^oi^Mtoi^  yaXadffp^v  Hipp.  p.  31.  Die  Bezeichnung  taurifia  kommt 
ausser  im  Edict  Diocl.  (S.  127)  auch  vor  bei  Pelagonius  437  {cortex  ve- 
tustae  taurinae)  u.  a.  m. 

Beichhaltige  Register  bilden  den  Abschluss  (I.  Sachregister.  II.  In- 
dex verborum,  der  lateinischen  S.  186  f.,  der  griechischen  S.  197  f.).  Er- 
hebliche Druckfehler  sind  mir  nicht  aufgefallen. 

M.  Ihm. 

3.   G.  M.  Bushforth,   Latin  histori  cal   inscriptions    illu- 
strating   the   historj    of  the   early    empire.    Oxford, 
Clarendon  Press.    1893.    XXVII  und  144  S.    8». 
Ein  gewisser  Nutzen  soll  dem  vorliegenden  Buch   nicht  abgespro- 
chen werden.   Es  mag  sich  für  Unterrichtszwecke  in  England  gut  eignen, 
bei  uns  dürfte  es  schwerlich  grossen  Anklang  finden.   Zweierlei  bezweckt 
der  Verfasser.    Einmal  will  er  eine  Art   elementares  Handbuch  der  Epi- 
graphik  liefern,  und  dann  soll  seine  Sammlung  behülflich  sein,  die  histo- 
rische Kenntnis  der  ersten  Kaiserzeit  zu  ergänzen. '  Letzteres  trifft  zu, 
ersteres  nicht.    In  gewissem  Sinn  hat  der  Verfasser  recht,  wenn  er  sagt, 
dass   der   gewöhnliche  Student   dem  Corpus   inscriptionum    und   selbst 
einer  Inschriftensammiung  gegenüber,  wie  die  vonWilmanns  ist,  etwas 
rathlos  dasteht.    Um  Epigraphik  kümmert  sich  auch  bei  uns  in  Deutsch- 
land der  Durchschnittsphilologe  herzlich  wenig.    Sache  der  Universitäts- 
lehrer ist  es,  das  Interesse  zu  wecken  und  zu  fördern ;  mit  der  Zeit  wird 


234    F.  van  VIeuten:  Kaymoiid  Serrurc,  Essai  de  numismatiqiie  etc. 

es  schon  besser  werden,  zumal  wenn  ein  wirklich  brauchbares  Handbuch 
der  Epigraphik  geschaffen  ist.  Aus  der  kurzen  Einleitung,  in  der  R. 
von  epigraphischen  Dingen  handelt,  lernt  der  Studierende  auch  nur 
Bruchstücke,  noch  viel  elementarer  gehalten  sind  die  kurzen  Sätze  über 
römische  Münzen.  —  Ausgewählt  hat  der  Verfasser  100  der  bemerkens- 
werthesten  Inschriften  (auch  einige  Münzaufschriften)  aus  der  Zeit  von 
Augustus  bis  Vespasian.  Fast  die  Hälfte  betrifft  die  Regierung  des 
Augustus.  Die  Inschriften  begleitet  ein  ziemlich  ausführlicher  Com- 
mentar,  der  die  Belesenheit  des  Verfassers  erkennen  lässt.  Benutzt  sind 
die  besten  Quellen,  Litteratur  ist  reichlich  angegeben,  aber  keineswegs 
erschöpfend  (zu  S.  107  ff.,  wo  R.  von  der  Qrenze  der  beiden  Germanien 
spricht,  vgl.  u.  a.  Zangemeister  im  III.  Bd.  der  Westdeutschen  Zeit- 
schrift).   Druck  und  Axustattung  sind  vortrefflich. 

M.    Ihm. 

4.  Raymond  Serrure:  Essai  de  numismatique  luxembour- 
g  e  o  i  s  e.  Mit  222  Abbildungen  im  Text.  Paris  bei  R.  Serrure  und 
Gent  bei  C.  Vyt.  1883.   Gross  Bfi.  223  S. 

Der  Verfasser,  dessen  erfolgreicher  Thätigkeit  auf  dem  Gebiete  der 
mittelalterlichen  Numismatik  wir  an  dieser  Stelle  schon  mehrfach  lobend 
gedachten,  gibt  hier  in  einem  gut  ausgestatteten  Bande  diejenigen  Auf- 
sätze zusammengestellt,  welche  er  in  dem  „Annttaire  de  la  Sociü6  de  Nur 
misnuxtiqiie"  in  den  Jahren  1892  und  1893  hatte  erscheinen  lassen.  Wenn 
er  in  bescheidener  Weise  die  Arbeit  einen  Versuch  nennt,  so  müssen  wir 
bekennen,  dass  dieser  Versuch  recht  gut  gelungen  ist. 

Serrure  hat  es  verstanden,  durch  geschicktes  Verweben  der 
historischen  Schicksale  des  behandelten  Landes  in  seinen  Text  und  durch 
die  Mittheilung  des  urkundlichen  Materials  in  der  Originalsprache 
sein  Buch  zu  einem  sehr  brauchbaren  Quellenwerk  zu  gestalten.  Bei  den 
Wechselbeziehungen,  welche  zwischen  Luxemburg  und  unserer  Provinz 
auch  im  Hinblick  auf  die  Numismatik  bestehen,  wird  dies  Handbuch, 
welches  eine  oft  empfundene  Lücke  in  der  numismatischen  Litteratur 
ausfüllt,  vielen  Lesern  dieser  Jahrbücher  recht  willkommen  sein. 

Bonn.  F.   van  VIeuten. 

5.  RepertoriumHymnologicum,  Catalogue  des  chants,hymnes, 
proses,  söqucnces,  tropes  en  usage  dans  T^glise  latine  depuis  les 
origines  jusqu*ä  nos  jours  par  le  chanoine  Ulisse  Chevalier, 
tome  I.,  Löwen  1892,  601  Seiten.    Gr.  8<^. 

Das  Werk,  auf  zwei  Bände  berechnet,  deren  erster  die  mit  den 
Buchstaben  A— K  einschl.  beginnenden  Hymnen  registrirt,  erscheint  in 
den  Analecta  Bollandiana,  wird  aber  auch  separatim  versendet.  Es  ist 
eine  wahre  Fundgrube  für  die  kirchliche  Poesie  und   für  den,   der  sich 


Dr.  Rauschen:    Repcrtorium  Hymnologicum.  235 

mit  lateinisch-kirchlicher  Hymnologie  in  grösserem  Umfange  beschäftigen 
will,  geradezu  unentbehrlich  und,  wie  es  scheint,  zuverlässig,  zugleich  ein 
Denkmal  für  den  Sammelfleiss  des  Herausgebers,  auf  das  er  mit  Recht 
stolz  sein  kann;  er  fragt  denn  auch  in  der  vorläufigen  Vorrede  —  die 
definitive  Vorrede  ist  dem  Abschlüsse  des  Gesammtwerkes  vorbehalten  — : 
Ne  pourrai-je  pas  dire  un  jour:  exegi  monumentum? 

Auf  einem  verhältnissmässig  kurzen  Räume  —  der  I.  Bd.  enthält 
9935  Nummern  —  ist  hier  das  gesammte  Material  für  alle  vorhandenen 
lateinischen  Gesänge  kirchlichen  Charakters,  protestantische  nicht  aus- 
geschlossen, zusammengestellt,  ausgenommen  nur  den  Text  der  Gesänge 
selbst,  in  folgender  Reihenfolge :  Von  jedem  Hj^mnus  werden  die  ersten 
Worte  soweit  angegeben,  dass  der  Rhythmus  ersichtlich  wird;  es  folgt 
der  Heilige  oder  das  Fest,  dem  der  Hymnus  gilt,  und  die  Stelle  im  Missale, 
Brevier  u.  s.  w.,  wo  er  vorkommt ;  dann  die  Zahl  der  Strophen  und  Stro- 
phenzeilen; dann  der  Name  des  bekannten  oder  vermuthlichen  Verfassers 
oder  wenigstens  die  ungefähre  Zeit  desselben ;  ferner  bei  vielen  Hymnen, 
besonders  bei  den  wichtigern  oder  noch  ungedruckten,  die  Zusammen- 
stellung der  ältesten  Handschriften ;  endlich  die  Ausgaben  und  zwar  vor- 
nehmlich einerseits  die  ältesten,  andererseits  die  jüngsten  und  etwaige 
kritische  oder  liturgische  Bearbeitungen;  bei  den  letzteren  sind  die 
deutschen  Arbeiten,  auch  die  protestantischen^  gebührend  gewürdigt  und 
zahlreich  berücksichtigt,  was  mit  besonderer  Anerkennung  hervorgehoben 
zu  werden  verdient. 

Bonn.  Dr.  Rauschen. 

6.    „Neue  Heidelberger  Jahrbücher**  HI,  1.   Heidelberg.   G.  Köster  1893. 
Gross-Oktav.    189  S.  u.  1  Tafel. 

Diese  vom  strebsamen  „historisch-philosophischen  Verein*  zu  Hei- 
delberg herausgegebenen  Hefte  (erschienen  5  Hefte)  enthalten  für  das 
Mittelrheinland  und  für  weitere  Kreise  werthvolles  Studienmaterial.  Aus 
dem  letzten  Hefte,  das  Beiträge  von  Zange  meist  er,  Weech  („Zur  pfäl- 
zischen Geschichte**),  Pf  lugk-Harttung  („Schriften  St.  Patricks«),  Duhn, 
Heyck  („Aeltestes  germanisches  Verfassungsleben**),  Jellinek  („Adam 
in  der  Staatslehre**),  Oechelhäuser  („Manesse-Handschrift**)  enthält, 
heben  wir  hier  die  Aufsätze  von  Zangemeister  und  D u h n  her- 
vor. Ersterer  bespricht  in  „Zur  Geschichte  der  Neckarländer  in  römi- 
scher Zeit**  eine  römische  Inschrift  von  Aubigny  bei  Autun,  worin  als 
Beiname  einer  Römerin  „Sueba(e)  Nicreti**  vorkommt.  Z.  deutet  dies 
Ethnikon  als  „Suebin  vom  Neckar**.  Da  sie  als  civis  erscheint,  muss  die 
Sueba  Nicres  zu  einer  Civität  am  Neckar  gehört  haben  und  diese  findet 
Z.  in  der  civitas  Ulpia  S.  N.  (=  Sueborum  Nicretum).  Bei  Symmachus 
wird  später  die  Gegend  vom  Lupodunum  „regio  Sueba  Nicretensis**  ge- 
nannt. Dem  Ref*  scheint  hierher  auch  der  Volksname  (=  civitas)  im  Y^VQ^ 


23G  Dr.  C.  M  e  h  1  i  s  :   Neue  Heidelberger  Jahrbücher. 

neier  Provinzialverzeichniss  zu  gehören,  wo  von  rechtsrheinischen  Civi- 
tates  die  Rede  ist :  Nictretnsium.  Es  ist  ein  Schreibfehler  für  Niere- 
t  e  n  s  i  u  m  und  sind  damit  die  Neckarsueben  bezeichnet  —  Die  Frage, 
wann  dies  Neckargebiet  zum  römischen  Reiche  kam,  behandelt  der  2.  Theil 
der  Abhandlung.  Z.  folgert  aus  mehreren  Inschriften,  dass  Cornelius 
Clemens  als  Statthalter  Obergermaniens  anno  74  wegen  seiner  Thaten  in 
Obergermanien  die  Ornamenta  Triumphalia  erhielt.  Mit  Beziehung  hierauf 
sowie  aus  anderen  epigraphischen  Thatsachen  setzt  Z.  für  73/74  einen 
Germanenfeldzug  an,  der  die  Einverleibung  des  unteren  Neckargebietes 
zur  Folge  hatte.  Germania  29  „promotis  praesidiis'^  bezieht  sich  dann 
auf  obiges  Ereigniss. 

D  u  h  n  bringt  seinem  Lehrer  Heinrieh  Brunn  als  Gabe  dar :  „Eine 
Bronze  der  früheren  Sammlung  Ancona^.  Diese  stellt  ein  weibliches  Bild- 
niss  dar  (ca.  11  cm  Höhe),  welches  in  tiefer  Trauer  auf  dem  Boden  sitzend, 
den  Kopf  in  die  Rechte  stützt.  Das  Hinterhaupt  bedeckt  der  hinauf- 
gezogene Mantel;  den  Unterkörper  der  geknüpfte  Chiton.  Am  linken 
Oberschenkel  ruht   eine  Schlange,   die  aus  einer  Schale  Nahrung  nimmt. 

In  technischer  Beziehung  erklärt  D.  diese  sonderbare  Bronze 
als  Appendix  für  den  Panzer  einer  Imperatorenstatue  (vgl.  B  a  u  m  e  i  s  t e  r*s 
D.  d.  kl.  A.  F.  183).  Gestaltung,  Aussehen  und  Zugehörigkeit  sprechen 
für  die  Zuweisung  dieser  Bronze,  die  in  Piemont  von  Ancona  erwor- 
ben ward,  in  die  erste  Kaiserzeit.  Ort  der  Entstehung  ist  nach  analogen 
Arbeiten  Piemont.  —  Nach  D  u  h  n's  Annahme  ist  in  der  Stellung  der 
Bronze  das  Motiv  einer  altattischen  Grabstatue  aus  dem  5.  Jahrhundert 
erhalten. 

Die  Frage,  wen  diese  Figur  darstelle,  Kleopatra  (wegen  der 
Schlange)  oder  eine  Personification  überwundener  Lander  und  Völker, 
lässt  D.  unentschieden. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Schlange  weist  der  Ref.  auf  die  H  y  g  i  e  i  a 
hin  (vgl.  Baumeister's  D.  d.  kl.  A. S.  138— 140).  Sollte  die  trauernde 
H  y  g  i  e  i  a  nicht  an  der  Statue  eines  Germanicus  oder  Titus  am  Platze 
gewesen  sein?  Auch  an  die  capta  Veleda  könnte  man  denken,  die  sub 
divo  Vespasiano  zu  Rom  im  Triumphe  aufgeführt  wurde.  Die  Schlange 
wÄre  im  letzteren  Falle  Attribut  der  Seherin  und  Priesterin  mit  chtho- 
n  i  s  c  h  e  r  Bedeutung.  —  Hoffen  wir  von  Zangemeister,  Duhn  u.  A. 
auch  in  Zukunft  so  werthvolle  Bereicherungen  des  archäologisch- 
historischen Besitzstandes  zu  erhalten! 

Neustadt  a.  d.  Hart.  Dr.  C.  M  e  h  1  i  s. 

7.  Die  Kunstdenkmäler  der  Rheinprovinz.  Zweiter  Band. 
IL  DieKunstdenkmäler  der  Stadt  Duisburg  und  derKreise 
Mülheim  a.  d.  Ruhr  und  Ruhrort.  III.  Die  Kunstdenkmäler 
der  Stadt  und   des  Kreises  Essen.    Im  Auftrage   des  Provin- 


A.  Wiedema&n:  t>ie  Kunstdenkmäler  der  ftheinprovinK  etc.    ^S7 

zialverbandes  der  Hheinproviuz  herausgegeben  von  Paul  Giemen. 

Düsseldorf.    L.   Schwann.    1893.    Gr.  8.    VI  und  85;    VI  und  120  S. 

Preis  3  Mk.  und  4,50  Mk. 

Die  Kreise,  zu  deren  Behandlung  das  Kunstdenkmäier-Inventar 
übergegangen  ist,  sind  verhältnissinässig  arm  an  verzeichnungswerthen 
Ueberblelbseln  der  Vorzeit.  Die  technischen  Betriebe,  die  Anlage  von 
Fabriken,  Gruben,  Eisenbahnen,  das  schnelle  Anwachsen  der  Städte  und 
Ortschaften  hat  hier  wie  überall  in  Industriebezirken  eine  schnell  er- 
folgte Zerstörung  älterer  Bauten  und  Anlagen  zur  Folge  gehabt,  die 
man  bedauern  muss,  so  selir  sie  auch  in  der  Natur  der  Sache  begründet  ge- 
wesen sein  mag.  Die  Bereitwilligkeit,  mit  der  die  in  Betracht  kommenden 
Stadtverordneten-Versammlungen  und  Kreisvertretungen  zu  den  Kosten  der 
Publikation  des  Inventars  beigetragen  haben,  lässt  hoffen,  dass  nunmehr 
wenigstens  das  hier  Verzeichnete  auch  dauernd  erhalten  bleibe.  Der 
geringen  Denkmälerzahl  entsprechend,  sind  die  vorliegenden  Hefte  des 
Werkes,  obwohl  sie  mehrere  Kreise  zusammenfassen,  weniger  umfang- 
reich ausgefallen,  als  die  früheren  Lieferungen.  - 

Das  erste  mit  3  Tafeln  und  28  Text-Ulustrationen  behandelt  zu- 
nächst Duisburg,  über  dessen  reiche  Stadtgeschichte  das  litterarische  Ma- 
terial verzeichnet  wird.  Von  Bauten  ist  ausser  der  unbedeutenden  Mi- 
noritenkirche  nur  die  Salvatorkirche  hervorzuheben,  die  trotz  der  durch  den 
Brand  von  1613  verursachten  Beschädigungen  des  Thurmes,  dessen  oberer 
Theil  1682  nicht  gerade  stylvoll  in  Gestalt  einer  geschieferten  Haube 
wieder  ergänzt  wurde,  noch  immer  ein  imposantes  Bauwerk  darbietet.  — 
Im  Kreise  Mülheim  a.  d.  Ruhr  verdient  ausser  alterthümlichen  Häusern 
zu  Mülheim  selbst  Schloss  Broich  Erwähnung,  welches  als  eine  der  be- 
deutendsten Hofburgen  des  Niederrheins  den  ganzen  Bergrücken  Mül- 
heim gegenüber  beherrschte  und  von  dem  trotz  der  Umbauten  am  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  noch  zahlreiche  alteXheile  erhalten  geblieben  sind. 
—  Kreis  Rubrort  enthält  vor  Allem  Dinslaken  mit  seiner  katholischen 
Pfarrkirche,  die  einen  interessanten  Cruzifixus  von  etwa  1400  in  Holz- 
schnitzerei und  einen  beachtenswerthen  in  Holzschnitzerei  ausgeführten 
mit  von  Bildern  bedeckten  Flügeln  versehenen  Hochaltar  enthält.  Dann  sind 
zu  nennen  die  gothische  Kirche  von  Hambom  mit  den  Resten  eines  ro- 
manischen Kreuzganges,  die  bei  Gastrop  und  Hünxe  auitretenden  Wall- 
burgen, der  Bergerschulthof  zu  Hünxe,  der  ein  lehrreiches  Beispiel  der 
Anlage  eines  grossen  Bauernhofes  im  westfälischen  Style  darbietet,  und 
der  Ort  Mehrum  als  Fundort  der  schönen  römischen  E^mer,  welche  Furt- 
w  ä  n  g  1  e  r  in  der  Festschrift  des  Alterthumsvereins  von  1891  besprach. 
In  der  Stadt  Essen  sind  nur  wenige  ältere  Bauwerke  vorhanden, 
und  auch  unter  diesen  bieten  die  meisten,  wie  die  im  15.  Jahrhundert 
erbaute  Johanniskirche  und  die  um  etwa  dieselbe  Zeit  umgebaute,  ur- 
sprünglich romanische  Marktkirche,  geringes  Interesse  dar.  Daneben  be- 


S38    A.  WiedeniÄnn:   Die  Kiinstdcnkmäler  der  Rheinprovinz  etc. 

wahrt  jedoch  die  Stndt  ein  Werk  allerersten  Ranges  in  ihren  Mauern, 
den  Münster.  Ueber  die  Bangeschichtc  desselben  hat  in  diesen  Jahr- 
büchern G.  Hu  mann  Öfters  gehandelt;  sie  findet  sich  im  Inventar  kurz 
skizzirt  und  mit  einer  Schilderung  des  Baues  selbst  verbunden.  Daran 
schliesst  sich  eine  Aufzählung  der  reichen  Runstschätze,  welche  die 
Kirche  besitzt,  vor  allem  der  schönen  Goldschmiedearbeiten,  welche  durch 
mehrere  Tafeln  veranschaulicht  werden,  und  der  interessanten  Decken- 
gemälde, deren  ausführliche  Publikation  gleich  nach  ihrer  Auffindung 
von  dem  Verein  von  Alterthumsfreunden  in  Aussicht  genommen  wurde, 
bisher  jedoch  wegen  technischer  Schwierigkeiten  noch  nicht  hat  durch- 
geführt werden  können.  —  Im  Kreise  Essen  fällt  der  Hauptantheil  an  Denk- 
mälern der  Stadt  Werden  mit  ihrer  Abteikirche  zu.  Letztere  wird  nach 
Vorausschickung  der  nöthigen  Litteraturangaben  zunächst  als  Bauwerk 
behandelt;  dann  werden  aus  ihrem  Schatze  eine  Reihe  von  interessanten 
Einzclstücken  besprochen  und  publicirt,  vor  allem  eine  Elfenbeinpyxis  des 
6.-7.  Jahrhunderts,  der  Reisekelch  des  h.  Ludger  und  die  Beintafeln 
des  8.  und  9.  Jahrhunderts  an  einem  Reliquienkasten. 

A.  Wiedemann. 

8.   A.  Engel  etR.  Serrure:  Trait6  de  numismatique  du  moyen- 
Äge.    Tome  deuxi^me,  depuis  la  fin   de  T^poque  Carolin- 
gienne  jusqu*Ä  l'apparition  du  gros  d*argent.    813  illustra- 
tions  dans  le  texte.   Paris.   Emest  Leroux.   1894.  590  S.  gr.  8. 
Den  ersten  Band  dieser  werthvollen  Schrift  v.  J.  1891  habe  ich  in 
Heft  90  d.  Jahrb.  S.  183  besprochen;   alles  das,   was  ich  an  jener  Stelle 
über   den   ersten  Band  lobend   erwähnt  habe,   triflFt  auch  für  den  vor- 
liegenden  zweiten    zu,    trotzdem    für   die  jetzt   behandelte  Epoche  die 
Schwierigkeiten    weit   grösser  waren,   und  die  Fülle   des  Materials   bei- 
nahe erdrückend  wirken  musste.   Entsprechend  der  Ueberschrift:  y,bis  zur 
Einführung  des  Groschens'^,   endet  der  Zeitpunkt   der  in  diesem  Bande 
behandelten  Münzgeschichte  für  die  verschiedenen  Länder   früher  oder 
später,  während  er  z.  B.  für  Frankreich  schon  mit  Ludwig  IX.  1226—1270 
abbricht,    wird    die  Besprechung   für  Deutschland   bis   zu  Ludwig  dem 
Baiern  1314—1347  weitergeführt. 

Es  verdient  besonders  hervorgehoben  zu  werden,  dass  bei  der 
grossen  Menge  von  Einzelheiten  die  Klarheit  und  tlebersichtlichkeit  des 
Baches  nicht  gelitten  hat;  dies  ist  für  die  Brauchbarkeit  desselben  von 
grösster  Bedeutung. 

Volle  257  Seiten  sind  der  deutscheu  Numismatik  gewidmet;  der 
Verfasser  folgt  in  der  geographischen  Anordnung  dem  Dannenbergschen 
Werke.  In  einer  besonderen  Einleitung  für  dieses  Land  wird  das  Wlssens- 
werthe  über  das  Münzrecht,  über  die  Münzsysteme  und  über  die  ver- 
schiedenen  Typen    mitgetheilt,    dabei    wird    der    Einfluss    ausländischer 


P.  van  Vleutßn:   Trait6  de  numismatique  du  moyen-Age.    etc.       Ö39 

Münzarten  auf  die  deutsche  Prägung  in  anschaulicher  Weise  besprochen, 
und  das  Material  der  Archive  vielseitig  benutzt.  Auch  die  Form  der 
Buchstaben  und  die  Sprache  finden  Beachtung.  Bei  der  Besprechung 
der  einzelnen  Münzstätten  sind  die  neuesten  Publikationen  schon  berück- 
sichtigt, es  sind  z.  B.  auf  S.  591  die  h\  Heft  90  d.  Jahrb.  von  Joseph  be- 
sprochenen Veronadenare  Heinrich's  IL  sclion  erwähnt. 

Vielleicht  hätte  der  Abschnitt  über  die  Brakteaten  etwas  ausführ- 
licher behandelt  werden  können,  aber  wir  Rheinländer  werden  diesen 
kleinen  Mangel  am  leichtesten  verzeihen,  denn  in  fast  allen  Pnvatsamm- 
lungen  unserer  Gegend  habe  ich  diese  Münzart  ausgeschlossen  gefunden. 

Fühlbarer  macht  sich  das  Fehlen  eines  alphabetischen  Registers; 
es  ist  dringend  zu  wünschen,  dass  ein  solches  bei  einem  späteren  Bande 
nachgeliefert  werde. 

Fasse  ich  mein  Urtheil  über  das  vorliegende  Werk  zusammen,  so 
kann  ich  sagen,  dass  es  die  bei  weitem  brauchbarste,  alles  umfassende 
Arbeit  über  mittelalterliche  Numismatik  ist,  die  wir  besitzen,  dass  es 
durch  die  ausführlichen  Litteraturangaben  auch  dem  Speeialforscher  oft 
recht  erwünschte  Hülfe  bieten  wird,  dem  Sammler  und  Geschichtsfreund 
aber  unentbehrlich  sein  dürfte.  Nach  dem  guten  Erfolg  dieses  zweiten 
Bandes  darf  man  dem  dritten  mit  Interesse  entgegen  sehen;  die  Verfasser 
haben  sich  auch  für  die  behandelte,  so  verwickelte  Zeit  als  zuverlässige 
Führer  dargethan. 

Druck  und  Ausstattung,  auch  besonders  in  Bezug  auf  die  gefäl- 
ligen und  deutlichen  Abbildungen,  kann  man  nur  loben. 

Bonn,  Mai  1894.  F.  vanVleuten. 


IIL  Miscellen. 


1.  Bonn.  Münze  des  Erssbischofs  Pilgrim.  Ein  in  der  AprU- 
nummer  der  „Berliner  Münzblätter^  (XV.  164  p.  1631  ff.)  erschienener  Auf- 
satz von  Menadier  „Ein  Bonner  Pfennig  des  Erzbischofs  Piligrim  von  Köln** 
bringt  ausser  einer  Anzahl  eingehender  Bemerkungen  zur  Bonner  Münz- 
geschichte auch  eine  werth volle  Ergänzung  zu  dem  Aufsatz  von  Joseph 
über  den  Bonner  Denarfund  von  1890  (in  diesen  Jahrbüchern  Heft  90), 
auf  welchen  der  Verfasser  wiederholt  Bezug  nimmt.  Dass  der  a.  a.  0. 
p.  144  beschriebene  Denar  Heinrichs  II.,  ebenso  wie  der  dort  herbeige- 
zogene Ottos  (Dannenberg  I.  n.  1384)  In  der  That  Bonner  Prägungen  sind, 
wird  zur  Gewissheit  durch  ein  neues  Stück,  das  aus  Frankfurter  Privat- 
besitz in  die  Kgl.  Münzsammlung  in  Berlin  übergegangen  ist,  und,  wie 
Menadier  vermuthet,  wohl  auch  jenem  Bonner  Fund  entstammen  dürfte. 
Es  trägt  auf  der  Vorderseite  um  ein  Kreuz  die  Umschrift  (PI)LIGRIM 
C(piscopus)  und  auf  der  Rückseite  den  Namen  (V)ERONA.  Derselbe  Erz- 
bischof, mit  dem  die  ununterbrochene  Prägung  erzbischöflicher  Münzen 
in  Köln  selbst  anhebt,  hat  also,  so  bemerkt  der  Verfasser,  ausserdem  wie 
in  Andernach,  so  auch  in  Bonn  das  Münzrecht  ausgeübt.  Es  ist  somit 
der  Beweis  erbracht,  dass  Bonn  wie  in  merovingischer  und  karlingischer 
Zeit,  so  auch  unter  den  sächsischen  Kaisern  Münzstätte  gewesen  ist.  Bezüg- 
lich des  Namens  Verona  schliesst  sich  der  Verfasser  der  Auffassung  Pohls 
(Verona  und  Caesoriacum.  Progr.  Münstereifel  1886  und  1887)  an,  liest 
aber  auf  dem  Revers  des  von  Joseph  publizirten  Denars  nicht  mit  diesem 
VIERONA,  sondern  VERONA,  wie  seine  Abbildung  allerdings  auch  zeigt 
und  die  Darstellung  Heft  90  Taf.  IV  Nr.  67  auch  zu  lesen  gestattet.  (Vgl. 
jetzt  auch  Dannenberg,  Die  deutschen  Münzen  der  sächsischen  und 
fränkischen  Kaiserzeit  II  p.  594  Nr.  1535.)  S. 

2.  Köln.  Münzen-Fund.  Oestlich  vom  Eingang  zum  ehema- 
ligen Dominikanerklostor,  der  späteren  Artillerie-Kaserne,  etwa  8  Meter 
von  der  Strassen-Flucht  entfernt,  wurde  am  9.  August  1893  beim  Aus- 
schachten der  Anlagen  vor  dem  neuen  Postgebäude  ein  beträchtlicher 
Fund  von  annähernd  200  Goldmünzen  gemacht,  welche  ohne  Gefäss  lose 
in  der  Erde  lagen.  Die  Münzen  sind  fast  sämmtlich  sehr  gut  erhalten 
und  stellen  einen  reinen  Goldwerth  von  etwa  40(X)  Mark  dar.  (Aus  dem 
Fundbericht  des  Köln.  Lokal-Anzeigers.) 

Da  der  Fund  auf  dem  Eigenthum  der  Postbehörde  gemacht  worden 


Miscellen.  241 

war,  so  wurde  derselbe  nach  Berlin  übergeführt.  In  dankenswerther 
Weise  überliess  jedoch  die  Postverwaltnng  der  Stadt  Köln  je  1—3  Stück 
der  in  dem  Frinde  enthaltenen  Sorten,  im  Ganzen  10  Stück,  welche  sich 
jetzt  im  Musenni  Wallraf  Richartz  befinden.  Alle  übrigen  sind  Doubletten. 
Wir  geben  im  folgenden  eine  Beschreibung  der  einzelnen  Stücke. 

1.  Schiffsnobel  Eduard*8  III.  von  England  (1327—1377). 

Schauseite. 
Der  König  steht  mit  Krone,  blossem  Schwert  und  Wappenschild  in 
einem  Schiff. 

Umscbritt  (gotbisch). 
EDWARD  :  DEI  :  GRA  :  REX  ; 
ANGL  :  DNS  :  HYB  A»  AQVT. 
Rückseite. 
Liiienkreuz,    in    dessen  Winkeln    je   ein   schreitender   Löwe,    das 
Ganze   von   einem  Achtpass   eingefasst.    In    vier   Bogen   desselben   be- 
finden sich,  den  Löwen  entsprechend,  Kronen,  in  die  übrigen  vier  Bogen 
ragen  die  Enden  des  Kreuzes  hinein.    In  den  äusseren  Ecken  des  Acht- 
passes befinden  sich  Kleeblätter. 

Umschrift  (gotbisch). 
IHC  .  (Jesus)  AVTEM  :  TRANS- 
lENS  :  PER  ;  MEDIV  :  ILL- 
ORVM  :  IBAT  ^ 
Grösse  nach  dem  Cohen-Mionnet'schen  Münzmesser  10. 
Von  dieser  Münze  wurden  ungeföhr  150  Stück  gefunden. 

2.  Dieselbe  Münze,  mit  etwas  abweichender  Legende. 

Schauseite. 
EDWARD  •  DI  •  GRA  .  REX  ♦ 
ANGL*  •  ^  •  FRANC  •  DNS  ♦ 
HIB  ;  ii(  AQVIT 

Rückseite. 
IHC  :  AVTEM  :  TRANS- 
lENS  :  PER  :  MEDTVM  ; 
ILLORVM  :  IBAT  *  ^ 
Gr.  972. 

3.  Dieselbe  Münze  wie  Nr.  2,  doch  ist  die  Umschritt  der  Schau- 
seite von  FRANC  ab  unleserlich,  da  der  Mast  und  die  Segel  des  Schiffes 
in  die  Schrift  hineinragen.    Gr.  9. 

4.  Halber  Schiffsnobel  Eduards  III.  von  England. 

Schauscite. 
Darstellung  wie  bei  Nr.  1. 
Umschrift. 
EDWARDVS  ;  DEI  *  G  • 
RFJL  •  ANGLD 
Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsftr.  im  Rheinl.  XCV.  Jß 


242  Miscellen. 

Der  übrige  Theil  des  Schriftbandes  wird  von  der  Krone  des  Königs 
nnd  dem  Segel  des  Schiffes  durchschnitten. 

Rückseite. 
Darstellung  wie  bei  Nr.  1. 

Umschrift 
DOMINE  •  IN  ♦  FV^RORE  • 
TVO  ♦  ARG  VAS  IW  *  ^ 
Gr.  61/». 

5.  Viertel  Schiffsnobel  Eduard's  III.  von  England. 

Schauseite. 
Das   vereinigte  Wapperf  von   England   und   Frankreich.    2  der  4 
Felder   zeigen    Lilien,    die   beiden   andern   Löwen.    Das  Ganze   ist   von 
einem  Achtpass  umschlossen,  dessen  Bögen  in  KleeblAttchen  endigen. 

Umschrift. 
EDWARD  :  DEI  •  GRA  ♦ 
REX  :  ANGL  ^ 

Rückseite. 
Lilienkreuz,   in    dessen  Winkeln  je   ein   schreitender  Löwe   (ohne 
Krone).  Das  Ganze  von  einem  Achtpass  (ohne  Blätter)  eingefa.sst. 

Umschrift. 
EXALTABITVR  :  IN  • 
GLORIA  ^ 
Gr.  4. 

6.  Chaise  d'or  Philipp's  VI.  von  Frankreich  1328-1350. 

Schauaeite. 
Der   König    auf    einem    mit   gothischen    Fialen   verzierten   Thron 
sitzend,  auf  dem   Haupt    die  Krone,  in   der  Rechten   das  Lilienwappen, 
in  der  Linken  ein  blosses  Schwert. 

Umschrift. 
PHILIPPVS  •  DEI  •  GRA  • 
FRANCORVM  •  REX  ^ 
Rückseite. 
Blätterkreuz  von  einem  Vierpass  umrahmt,  in  den  äussern  Winkeln 
kleine  Kleeblättchen. 

Umschrift. 
XP'C  i  (Christus) 
VINCIT  t  XP'C  t  REGNAT  I 
XPC  S IMPERAT  ^ 
Von  dieser  Münze  wurden  etwa  20  Stück  gefunden.    Gr.  7^/4. 

7.  Doppel-Gondelamm  Wilhelm*s  V.  von  Holland  1356-1889. 

Schauseite. 
Gotteslamm   mit  Fahne,   deren  Spitze   in  ein  Lilienkreuz  ausläuft. 


Miscellen.  243 

Den  Leib  des  Thieres  bedeckt  eine  ranten förmige,  aus  Schuppen  gebil- 
dete Decke.    Darunter  die  Inschrift:  GVL.  DVX. 

Das  Ganze   ist   von  20  Halbbögen  eingefasst,   die   sich   an   einen 
kreisförmigen  Perlstab  anlehnen. 

Umschrift. 
AGN  o  DEI  o  QVI  o  TOLL  o 
PEGA  o  MVDI  o  MICERERE  c 

Rückseite. 
BlätterkreuZ)    von   einem  Vierpass   eingerahmt,   dessen  Bögen  mit 
spitzen  Winkeln   abwechseln.    In  den  Ecken  des  Kreuzes  befinden  sich 
4  grosse  einköpfige  Adler,  in  den  äussern  Winkeln  des  Vierpasses  8  kleine 
doppelköpfige  Adler. 

Umschrift. 

XFCf  VINCIT^  XP'Cf 

REGNAT  ®  XFC  ^  IMPERAT  ^ 
Gr.  10. 

a    Goldgulden  Carlas  V.  von  Frankreich  1364—1380. 

Schauseite. 
Der  König,  mit  Scepter  und  Krone  geschmückt,  steht  unter  einem 
mit  Fialen  verzierten  gothischen  Bogen. 

Umschrift, 
o  KOL  3  REX  o  FRA'  o  COR  « 
Rückseite. 
Lilienkreuz,  von  einem  Vierpass  umgeben.    Die  Spitzeln  der  Bögen 
enden  in  BUtttchen.    In  den  äusseren  Winkeln  des  Vierpasses  Kronen. 

Umschrift. 
XPR  o  VINCIT  o  XFR  o  REGNAT  o 
XPR  o  IMPERAT  ^ 
Gr.  7. 

9.    Schiffsnobel  Richard's  II.  von  England  1377—1399. 

Schauseite. 
Der  König   steht  mit  Krone,   blossem   Schwert   und  Wappenschild 
in  einem  Schiff. 

Umschrift. 
RICARD  •  DI  ♦  GRA  ♦  REX  * 
ANGL  ♦  ^  FRANC  ♦  DNS  •  HIB  • 
^  *  AQ'. 

Rückseite. 
Lilienkreuz,  in  dessen  Winkeln  je  ein  schreitender  Löwe  u.  s.  w. 
wie  bei  Nr.  1. 


244  Miscellen. 

Umschrift. 
IHC  :  AVTEM  :  TRANS- 
lENS  ;  PER  *  MEDIV  ; 
ILLORV  •  IBAT  ^ 
Gr.  10. 
10.    Goldgulden  Wilhelm's  III.  von  Geldern  1393—1402. 

Schauseite. 
Der  Herzog"  mit  Schwert  und  Buch  unter  einem  gothischen  Bogen 
sitzend.    Zu  beiden  Seiten  des  letzteren  befinden  sich  Säulen,  über  denen 
sich  zinnengekrönte  Thürmchen  erheben.   Unter  dem  Herzog  sein  Wappen 
(Löwe). 

Umschrift. 
WILH   DVX  .  GELR  ^ 
COM  A 

Rückseite. 
Zwei  Wappenschilder,   das  eine  mit  dem  Doppeladler,   das   andere 
mit  dem  geldrischen  Löwen.    Das  Ganze  ist  von  einem  Sechspass  einge- 
fasst,   dessen  Bogen   mass  werk  artig   durch   DreipJlsse  verziert  sind.    In 
den  Äusseren  Wirk  ein  des  Sechspasses  Kleeblätter. 

Umschrift. 
BENEDICT  :  QVI I VENIT : 
IN :  NOMINE  ^ 
Die  späteste  Münze   ist   die  Wilhelm's  IIT.   von  Geldern,   die  Ver- 
grabung  des  Schatzes  kann  also  frühestens  um*s  Jahr  1395  stattgefnnden 
haben.    Interessant   ist   es,   dass    die   meisten  Münzen    von   den   beiden 
Königen    (Eduard  III.    von   England    und    Philipp  VI.   von   Frankreich) 
stammen,   unter  deren   Regierungen  im  Jahre  1339  der  hundertjährige 
Krieg  zwischen  den  genannten  Ländern  ausbrach. 

Köln.  C.  Stedtfeld. 

3.  Das  Hochkreuz  bei  Godesberg.  Das  Errichtungsjahr  des 
Hochkreuzes  zwischen  Bonn  und  Godesberg  ist  ebenso  unbekannt  w^ie 
seine  ursprüngliche  Bestimmung.  Zwar  erklären  es  eine  Reihe  von  Sagen 
für  ein  Sühnkreuz  für  einen  Brudermord,  doch  sind  dieselben  insge- 
sammt  jungen  Ursprunges.  So  kann  die  angeblich  in  einem  „verlorenen 
Missale^  der  Dorfkirche  zu  Friesdorf  verzeichnete^)  Erzählung,  die  das 
Denkmal  von  einem  in  Friesdorf  ansässigen  Edlen  von  Hochkirchen  her- 
rühren lässt,  erst  nach  etwa  1650  entstanden  sein.  Erst  Anfang  des  17. 
Jahrhunderts  nämlich  erwarben  die  von  Hochkirchen  in  Friesdorf  Besitz, 
den  Thurmhof,   den  sie   dann  1674   wieder  abgaben.    Wenn  eine  zweite 


1)  So    bereits   (Eichhot),   Hist.  geogr.  Beschr.   des  Erzstiftes  Köln. 
1783.  S.  70. 


Miscellen.  245 

Version  der  Sage^)  eiueu  Ritter  von  Drachenfels  als  den  Brudermörder 
nennt,  so  mag  dazu  eine  thatsächlichc  Begebenheit,  die  sich  freilich 
nicht  beim  Hochkreuze  abspielte^  die  Veranlassung  gegeben  haben.  1493 
erschlug  Heinrich  von  Drachenfels  seinen  Bruder  Claes  und  übernahm 
zur  Sühne  u.  a.  die  Verpflichtung,  an  der  Mordstelle  „zo  Wintern  up 
dem  Steine^  ein  Kreuz  mit  Wappen  und  Inschrift,  wie  sich  einem  Ritter 
wohl  geziemt,  aufzustellen  2). 

Zuverlässiger  als  diese  Sagen  über  den  Errichtungsgrund  ist  für 
die  Errichtuugszeit  die  bekannte  Angabe  der  KoelhofiTschen  Chronik  (in 
Chroniken  der  niederrh.  Städte.  Köln.  III  S.  672;  cf.  II  S.  38),  dcrzufolge 
dat  steinen  cruitz  tuschen  Gudesberch  und  Bunne  von  Bischof  Walram 
(1332—1349)  oder  von  Bischof  Wilhelm  von  Gennep  (1349—1362)  er- 
richtet wäre.  Wenn  auch  die  Doppelangabe  hier  beweist,  dass  der 
Autor  seiner  Sache  nicht  ganz  sicher  war,  so  muss  doch  das  Denk- 
mal seinem  Stile  nach  etwa  um  die  angeführte  Zeit  errichtet  worden 
sein.  Urkundlich  erwähnt  findet  es  sich  zum  ersten  Male  1445.  Damals  ^) 
heisst  es  von  dem  der  Abtei  Heisterbach  gehörigen  CroifiFter  Hove,  d.  h. 
dem  Kluchter  Hof  zwischen  Friesdorf  und  Godesberg,  er  sei  „gelegen 
by  Goedesberg  entgeen  de  steynen  crutze  dat  up  der  straissen  steyt.^ 

A.  Wiedemann. 

4.  Zur  Limesforschung,  das  Castell  Saalburg  im  Taunus 
betreffend.  Nachdem  ich  im  Sommer  des  Jahres  1891  das  vielbesuchte 
und  in  der  Regel  als  Lehrmodell  einer  römischen  Castellanlage  angesehene 
Befestigungswerk  gründlicher  studiert  hatte,  als  dieses  durch  Bücher 
und  Abbildungen  möglich  ist,  gewann  ich  die  Ueberzeugung,  dass  hier 
zwar,  wie  bei  allen  Limescas teilen,  die  ihre  ursprüngliche  Form  erhalten 
haben,  eine  Uebereiustimmung  mit  dem  Grundplane  des  römischen  Le- 
gio^slagers  vorliegt,  dass  dazu  aber  die  bisherige  und  auch  von  unseren 
Limesforschern  neuester  Art  beibehaltene  Erklärung  wenig  befreundet. 

Zunächst  ist  zu  beachten,  dass  wie  die  Münzen,  so  auch  die  Ge- 
fässscherben  der  Saalburg   für  die  Zeit  von  Marcus  Antonius  bis 


1)  Weyden,  Godesberg  S.  8 ff.;  Dick,  Godesberg  S.  42 ff.  —  Vgl. 
ferner  Trog,  Rheinlands  Wunderhorn  X  S.  158  ff.  und  das  Drama  von 
Groote,  Der  Geist  am  Godesberg  im  Taschenbuch  für  Freunde  altdeutscher 
Zeit  und  Kunst  für  1816. 

2)  Urkunden  bei  Strange,  Beiträge  zur  Genealogie  der  adligen 
Geschlechter  V.  S.  95  ff. 

3)  Urk.  in  Düsseldorf.  Staats- Archiv.  Heisterbach  Nr.  144.  —  Es  sei 
bei  dieser  Gelegenheit  darauf  hingewiesen,  dass  die  viel  verbreitete  An- 
sicht, das  Heisterbacher  Kosterarchiv  sei  völlig  verloren,  irrthümlich  ist. 
Die  Reste  desselben  —  es  hatte  in  der  Truchsessischeii  Fehde  1583,  dann 
1587,  dann  1689  bei  der  Beschicssung  Bonns,  wohin  es  geflüchtet  worden 
war,  stark  gelitten  —  befinden  sich  mit  über  600  Urkunden,  ferner  Copi- 
aren,  Akten,  Handschriften  im  Staats-Archiv  zu  Düsseldorf. 


246  Mtöcellen. 

Claudius  GothicuB  bezeichnend  sind.  Wie  aber  die  Geldetücke, 
8o  herrschen  auch  die  Gefässe  der  Zeit  von  etwa  Trajan  bis  GallienuB 
vor.  Geftisse  späterer  Zeit  fehlen  gänzlich,  frühere  gehören  zu  den 
Seltenheiten.  Nur  einige  wenige  Scherben  und  Töpfe  wurden  angetroffen, 
welche  den  Stempel  der  schlichten  einheimischen  Waare  tragen,  wie  sie 
sich  bei  den  ältesten  Römerstrassen  Galliens  und  in  Gräberfeldern  findet, 
die  nach  Münzen,  welche  mit  zu  Tage  traten,  in  die  vorchristliche  Zeit- 
epoche fallen  und  die  damals  errichteten  Drususcastelle  begleiten  können. 
Einige  dieser  Gefässe  wurden,  wie  mir  der  lokalkundige  Forscher,  Bau- 
meister Jakobi  sagte,  unter  Umständen  gefunden,  welche  auf  die  Zeit 
der  Benutzung  des  Castells  Saalburg  schliessen  lassen. 

Nun  wird  aber  bekanntlich  die  Errichtung  des  römischen  Grenz- 
walles auf  Domitian,  Trajan  und  Hadrian  zurück  geführt.  Es  ist  des- 
halb nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Saalburg  die  von  Drusus  im  Jahre 
11  V,  Chr.  gegründete  Taunusfeste  zu  Grunde  lag.  Jedenfalls  wird 
die  Präexistenz  der  Saalburg  vor  Anlage  des  Limes 
glaublich. 

Zweifellos  geht  man  nicht  fehl,  die  Saalburg  an  und  für  sich,  d.  h. 
ihrer  inneren  Einrichtung  und  strategischen  Lage  nach  zu  beurtheilou, 
nicht  ihre  Orientirung  nach  Lage  des  vom  Limes  abgeschlossenen  feind- 
lichen Landes  zu  deuten. 

Denken  wir  uns  nun  eine  Linie  von  der  Mitte  des  Ostthores  nach 
der  Mitte  des  Westthores,  dann  haben  wir  den  Cardo  des  Castells,  auf 
dem  die  Via  principalis  lag  und  zu  den  beiden  Seitenthoren,  der  Porta 
principalis  dextra  und  der  Porta  principalis  sincstra  führte.  Recht- 
winkelig wurde  der  Cardo  vom  Decimanus  durchschnitten,  weicher  die 
Langseitc  der  Befestigung  in  zwei  gleiche  Breiten  theilt,  er  führte  durch 
die  Mitte  der  Porta  praetoria  und  der  Porta  decimana.  Vor  dem 
Schneidepunkt  dieser  beiden  Linien,  auf  dem  die 
Groma  stand,  vermittelst  welcher  der  Feldmesser  den 
rechten  Winkel  derHauptstrassen  und  Ausgänge  be- 
stimmte, lag  der  Eingang  des  Praetoriums  (Hyginl  Groma- 
tici  12);  er  befand  sich  hier  auf  dem  derLagerfront  entgegen- 
gesetzten Seite  der  Via  principalis  (Poly bius  6,  27.  Hygin 
a.  a.  0.  12;  18;  56).  Auf  die  vom  Eingange  des  Praetoriums  nach  dem 
Thor  der  Lagerfront  gerichtete  Linie  des  Decimanus  führte  der  Feld- 
messer die  Via  praetoria  und  benannte  nach  dieser  dasdemEingange 
des  Praetoriums  gegenüber  errichtete  Thor  „Porta 
praetoria*  (Hygin  a.  a.  0.  12,  14).  So  liegt  auch  der  Eingang  zum 
Praetorium  des  Neusser  Legionslagers,  so  auch  der  Eingang  zum  Pra  e- 
torium  von  Carnuntum,  so  auch  der  Eingang  zum  Praetorium  der 
Saalburg  und  aller  grösseren,  wie  auch  der  meisten  kleineren  Limcs- 
castelle.     Das  dem  Eingang  des  Saalburger  Praetorium- 


Miscellen.  247 

Einganges  gegenüber  gelegene  Südthor,  bisher  als 
Porta  decimana  bezeichnet,  ist  somit  die  Porta  prae* 
toria.    Entsprechend  sind  auch  die  übrigen  Castellthore  umzutaufen. 

Dem  Eingänge  des  Praetoriums  zunächst  lag  der  vordere  Theil 
des  Praetoriums  im  weiteren  Sinne,  das  Forum  (Hygin  a.  a.  0.  18,  19); 
an  dieses  schloss  sich  das  Praetorium  im  engeren  Sinne,  das  Haus  des 
Lagervorstehers  an,  das  heisst  dessen  vordere  Seite,  die  Rückseite,  das 
„Posticum  praetorii^  schaute  noch  der  Porta  decimana  (vgl.  dazu  A.  v. 
Domaszewski,  Hygini  Gromatici,  Liber  de  munitionibus  castrorum.  S.  54 
und  55).  Dieser  freie  Platz,  auf  dem  auch  geopfert  wurde  (a.  a.  0.), 
liegt  so  auch  im  Neusser  Legionslager,  im  Standlager  von  Camuutum 
(vgl.  Dr.  J.  W.  Kubitschek  und  Dr.  S.  Frankfurter,  Führer  durch  Car- 
nuntum.  Wien  1891),  ebenso,  in  verkleinertem  Massstabe, 
in  der  Saalburg,  wo  er  bisher  als  Schlesshalle  galt.  An  derselben 
Stelle  finden  wir  diesen  auch  in  den  übrigen  grösseren  LimescastcUen. 

Nach  der  Via  praetoria  hin  mussten  die  Fahnen  gerichtet  werden 
(Hygin  a.  a.  O.  14);  diese  Strasse  ist  daher  die  des  Abmarsches;  denn 
die  Feldzeichen  traten  dem  Truppenzuge,  welcher  sich  zum  Abmarsch 
formirte,  an  die  Spitze  (Domaszewski  a.  a.  0.  S.  57).  Das  schönste 
und  grösste  der  Saalburgthore,  nämlich  das  doppelt 
geöffnete  Südthor,  von  dem  jede  Thüröffnung  3,59m  im 
Lichten  Breite  hat,  diente  deshalb  dem  Auszuge,  nicht  das 
entgegengesetzt  befindliche  Nordthor,  das  nur  2,88m  imLichten 
breit  ist. 

Die  eigentliche  Front  der  Saalburg,  das  ist  also  der  bisher  als 
Rückseite  betrachtete  Theil,  beherrscht  das  weite  Thal,  welches  sich  vom 
Fuss  der  Höhe,  auf  welcher  die  Feste  liegt,  nach  Süden  und  Südosten 
hin  erweitert.  Es  bedurfte  diese  Oertlichkeit  des  Schutzes,  sowohl  wegen 
etwaiger  innerer  Um-uhen,  als  auch  besonders  gegenüber  der  vor  dem 
Ereignisse  des  Jahres  9  n.  Chr.  gefahrdrohenden  Machtstellung  der  swe- 
bischen  Völkergruppe.  Erst  später  galt  es,  dem  nördlich  der  Saalburg 
herrschenden  istwäischen  Volke  einen  Damm  zu  bauen.  Nach  Süden 
hin  führt  auch  eine  bedeutimgsvolle  Römerstrasse  und  stellt  die  Verbin- 
dung mit  weiteren  älteren  Castellen  her.  Eine  zweite,  sogar  8  m  breite 
Strasse,  geht  von  der  wirklichen  Porta  praetoria  aus  und  biegt  sich  um 
die  Südostecke  der  Castellfront,  und  durchbricht  den  Pfahlgraben, 
augenscheinlich  um  die  Marschlinie  gegen  einen  nördlichen,  ausserhalb 
der  Reichsgrenze  hausenden  Feind  zu  bahnen. 

Besonders  auffallend  war  es  für  mich,  zu  sehen,  wie  der  Pfahl- 
graben in  der  Linie  Turm  am  Benner  Pfad  über  Usinger  Landstrasse 
die  nördliche  Flanke  der  Saalburg  berühren  würde,  hätte  man  hier  nicht 
dem  Pfahlgraben  einen  ausspringenden  Winkel  gegeben.  Das  sieht  so 
aus,   als  sei  der  Pfahlgraben  dort  schon  vor  Anlage  der  Saalburg  vor- 


248  MiBcellen. 

handeu  gewesen  und  man  habe  erst  nach  Errichtung  der  Saalburg 
(dieser  gegenüber)  den  Pfahigrabou  254  m  weiter  nach  Norden  geschoben. 
Oder  aber  das  Castell  hatte  ursprünglich  eine  andere  Lage  oder  Gestalt. 
Das  letztere  nimmt  v.  Cohausen  (Grenzwall  II,  117)  an.  „In  vier  Schürf- 
gräben",  so  sagt  dieser  treffliche  Beobachter,  „fanden  wir  vor  der  Böschung 
(auf  der  Scheide  von  Praetentura  und  Retentura  des  Castells)  den  mit 
Brandschutt  gefüllten  alten  Graben."  Professor  Wolff  (Das  römische 
Lager  zu  Kesselstadt  bei  Hanau.  Hanau  1890.  S.  93)  gibt  an,  „der  aus- 
springende Winkel,  den  der  Pfahlgraben  vor  der  Porta  praetoria  (es  ist 
meine  Porta  decimana!)  der  Saalburg  bildet,  ist  ein  augenfälliger  Beweis 
der  Präexistenz  des  Castells  vor  dem  Grenz  wall".  —  Ich  habe  mehr  den 
Eindruck  gewonnen,  dass  der  Pfahlgraben  hier  einer  alteren 
Marke  folgt,  an  deren  Grenze  die  Saalburg  Ahnlich  erbaut 
wurde,  wie  die  Schanzen  entlang  einer  Grenzwehr  des  Mittel- 
alters. 

Ist  nun  aber  das  Castell  Saalburg  ein  Werk  des  Drusus,  dann 
würde  dem  Pfahlgraben,  d.  h.  dem  sogenannten  römischen  Limes,  dort  ein 
älteres  Werk,  vielleicht  eine  römische  Grenz  wehr  der  schon  unter  Agrippa 
dem  römischen  Reiche  einverleibten  Mattiaken  vorausgegangen  sein. 

C.  Coeuen. 

5.  Nictrenses-Victorienses.  In  Heft  39  und  40  dieser  Jahr- 
bücher sucht  Herr  J.  Becker  nachzuweisen,  dass  die  Römerstätt«  bei 
Niederbiber  den  Namen  Victoria  gehabt,  die  Bewohner  derselben  Victo- 
rienses  geheissen  und  identisch  seien  mit  den  Nictrenses,  welche  in  der 
Handschrift  der  Veroneser  Capitularbibliothek  i)  genannt  werden.  So 
scharfsinnig  die  Beweisführung  des  Herrn  Verfassers  erscheint,  wird 
doch  zugegeben  werden  müssen,  dass  dieselbe,  wenigstens  in  ihrem 
letzten  Theile,  immerhin  auf  Hypothesen  beruht,  also  ein  strikter  Beweis 
nicht  geliefert  worden  ist.  Wahrscheinlichkeitsgründe  liefern  nie  einen 
strikten  Beweis. 

Nach  der  genannten  Handschrift  sollen  die  in  derselben  genannten 
Völkerschaften  auf  der  rechten  Rheinseite  bis  zu  einer  Entfernung  von 
80  Leugen  oder  24  Meilen  von  Mainz  ansässig  gewesen  sein,  also  höchstens 
bis  zur  Wupper,  da  von  Mainz  bis  Köln  237»  Meilen  gerechnet  werden, 
und  somit  ist  so  ziemlich  die  Grenze  angeg*eben,  die  wir  bei  Bestimmung 
dieser  Völkerschaften  zu  berücksichtigen  haben.  Die  weiter  nördlich  ge- 
legenen Völkerschaften  kommen  nicht  in  Betracht. 

Befand  sich  nun  auf  der  rechten  Rheinseite  nicht  weit  vom  Rheine 
(denn  dass  alle  diese  Völkerschaften  unmittelbar  am  Rheine  wohnten. 


1)  Gcogr.  min.  ed.  Riese  p.  129,  15:  usiphtorum  tunantum  nictren- 
sium  nouariscari  eqs. 


Miscellen.  249 

ist  in  der  Urkunde  nicht  gesagt)  entfernt  und  innerhalb  des  Bezirks  von 
80  Leugen  von  Mainz  aus  eine  Völkerschaft,  welche  den  Namen  Nic- 
trenses  führte,  so  fällt  die  Hypothese,  dass  unter  den  Nictrenses  der  Hand- 
schrift die  Victorienses  bei  Niederbiber  zu  verstehen  seien,  weg. 

Unter  den  Briefen  an  den  h.  Bonifatius  befindet  sich  auch  ein  solcher 
des  Papstes  Gregor  HL  (Bibi.  rer.  Germ.  ed.  JaiT6  HI  p.  101 ;  Migne,  Pa- 
trologiae  Ser.  II.  vol.  89  p.  579),  welcher  an  die  Fürsten  und  Völker- 
schaften gerichtet  ist,  die  Bonifatius  zuerst  in  Deutschland  zum  Christen- 
thum  bekehrt  hatte  und  worin  dieselben  zum  Gehorsam  gegen  den  Bischof 
Bonifatius  und  zum  Festhalten  am  Glauben  ermahnt  werden.  Unter 
diesen  Völkerschaften  werden  auch  die  Nistreses  genannt  (oflFenbar  statt 
Nistreuses,  über  dem  mittleren  e  fehlt  der  Strich).  Es  hat  also  eine 
Völkerschaft  Nistrenses  existirt.  Aber  wo  war  dieselbe  ansässig?  OfiTen- 
bar  im  Flussgebiete  der  Nister,  wovon  sie  auch  den  Namen  hatte.  Sie 
wird  mit  den  Hessen  und  den  Bewohnern  des  Lahngaues  genannt  und 
war  denselben  benachbart.  In  ihrem  Gebiete,  nahe  bei  Marienstatt,  finden 
sich  die  Ruinen  der  Burg  Nistria,  welche  1211  durch  Heinrich  von  Sayn 
zerstört  wurde.  Später  hiess  dieses  Gebiet  die  Grafschaft  Hachenburg, 
jetzt  nennt  man  dasselbe  Oberwesterwald.  Das  Gebiet  erstreckte  sich 
späterhin  von  dem  Punkte,  wo  Haiger*  und  Eugeresgau  mit  dem  Auel- 
gau  zusammentrafen,  bis  zur  Sieg;  hier  beginnt  die  nördliche  Grenze 
mit  dem  Dorfe  Hamm  und  geht  dann  die  Sieg  aufwärts.  Es  ist  beson- 
derer Berücksichtigung  werth,  dass  die  Sieg  hier  die  Grenze  zwischen 
den  Nistrensern  und  den  Sigambern  bildete.  Wenn  Cäsar,  wie  die  wahr- 
scheinlichste Hypothese  angibt,  bei  Neuwied  seine  Brücke  schlug,  um  in 
das  Gebiet  der  Sigamber  einzufallen,  so  marschirte  er  ohne  Zweifel  über 
Niederbiber  in  der  Richtung  von  Altenkirchen  und  von  dort  nach  der 
Sieg;  er  griff  also  die  Sigamber  von  Süden  her  d.  h.  vom  Gebiete  der 
Nistrenser  aus  an. 

Von  Niederbiber  gehen  zwei  uralte  Strassen,  die  eine  nach  Hachen- 
burg, die  andere  nach  Altenkirchen.  Von  Niederbiber  bezw.  dem  rö- 
mischen Castoll  in  der  Nähe  ging  die  Strasse  auf  Anhauseu,  dann  weiter 
in  derselben  Richtung  auf  Rüscheid;  oberhalb  Rüscheid  theilte  sie  sich 
in  zwei  Arme,  wovon  der  eine  südöstlich  über  Dierdorf,  Marienhausen, 
Freirachdorf  und  Altstadt  nach  Hachenburg,  der  andere  östlich  über 
Urbach,  Puderbach,  Steimel  und  Lautzert  nach  Alteukirchen  führt.  Es 
konnten  also  sowohl  die  Sigamber  und  Chatten  nach  geschehener  Verab- 
redung, die  einen  über  Altenkirchen,  die  anderen  über  Hachenburg  nach 
dem  Rheine  hinziehen  und  sich  bei  Rüscheid  vereinigen,  um  in  die  Rhein- 
ebene  einzufallen,  als  auch  die  Römer  konnten  diese  Wege  benutzen, 
um  sowohl  in  das  Gebiet  der  Sigamber  als  der  Chatten  einzufallen.  Die 
Freundschaft  der  Nistrenser  war  also  für  beide  Theile  von  grösster  Wich- 
tigkeit und  die  Römer  werden  gewiss  nichts  unversucht  gelassen  haben, 


2Ö0  Miscellen. 

sich  dieselbe  zu  erwerben.  Dass  die  Nistrenser  zu  den  VölkerBchaften 
gehören,  welche  auf  der  rechten  Rheinseite  am  längsten  zum  römischen 
Heicho  gehörten,  scheint  zu  beweisen,  dass  sie  Freunde  der  Römer  waren. 
Aber  es  geht  hieraus  auch  hervor,  wie  wichtig  das  Castell  der 
Römer  bei  Niederbiber  war,  und  es  darf  uns  nicht  wundern,  dass  die 
Nachgrabungen  daselbst  von  so  reichem  Erfolge  gekrönt  wurden.  Möge 
man  jedoch  dabei  nicht  stehen  bleiben,  sondern  die  Forschungen  auch 
auf  die  eben  genannten  Strassen  ausdehnen!  Wir  zweifeln  nicht  daran, 
dass  die  Ergebnisse  für  die  Züge  der  Römer  auf  der  rechten  Rheinseite 
von  grosser  Wichtigkeit  sein  werden. 

.    MarienthaL  A.  Müller. 

6.    Zwei  Römische  Okulistenstempel. 

I.  In  der  Sammlung  römischer  Alterthümer  des  Museums  zu  Lausanne 
befindet  sich  das  Fragment  eines  römischen  Okulistenstempels  (das  Material, 
wie  es  scheint,  Serpentin),  als  Fundort  wird  Boss^az  angegeben.  Nach  der 
Abschrift  von  Conrad  Bruuner  (Die  Spuren  der  römischen  Aerzte  auf 
dem  Boden  der  Schweiz,  Zürich  1893,  S.  46)  stehen  auf  den  beiden  Längs- 
seiten die  angeblich  gut  lesbaren  Buchstaben 


A5IINA  ] 

0V0X3SI 


( 


HJI  TM 


Die  Inschrift  b  ist  wohl  falsch  gelesen,   der  dritte  Buchstabe  wird  ein  Y 
und  folglich  herzustellen  sein: 

[dia«]MYRN(es). 
In  a  steckt  offenbar  die  Abkürzung  LIP-,  man  vgl.  z.  B.  Grotefend,  Stem- 
pel der  römischen  Augenärzte,  Nr.  78  (=  Esp6randieu,  Revue  archdol.  3. 
s6r.  XXII  S.  23  Nr.  73)  Phranimi  diasmym(es)  post  impet{um)  lipipitu- 
dinis)  ex  ov{o\  oder  Grotefend  Nr.  20  (=  Esp6randieu  S.  139  Nr.  95)  dias- 
mymes  post  imp,  lipp,  ex  ovo.  In  der  ersten  Zeile  könnte  der  Namen 
des  Arztes  gestanden  haben.  Ich  traue  der  Lesart  nicht  recht,  der  Stein 
müsste  aufs  neue  geprüft  werden;  vielleicht  steckt  auch  hier  diasmym.^ 
eine  Vermuthung,  welche  in  der  Form  des  N  (statt  H)  eine  Stütze  zu  fin- 
den scheint. 

IL    Dem  Buch  De  Minicis'  Le  iscrizioni  Fermane  S.  221  Nr.  668  hat 
Jos.  Klein,  Bonn.  Jahrb.  LV/LVI  S.  127  Nr.  123,  die  Inschrift  entnommen: 

t  SAMBLENE  •  STACTMOPOCROMELLoN 
(ungenau  Esperandieu  a.  0.  S.  18  Nr.  63).   Den  Fundort  des  Stempels  kennt 
man  nicht    Prof.  Bormann  hat  ihn  in  Florenz  im  Jahre  1883  kopirt  und 


Miscellen.  251 

einen  Abdruck  genommen.  Die  Inschrift  vertheilt  sich  folgendermassen 
auf  die  vier  Seiten: 

a        MELLON  tSAMP 

h        LENE 

c        STACTM  OPO  (V  und  M  sind  ligirt) . 

d        CRO 

Die  Abschrift  De  Minicis'  ist  also  ziemlich  korrekt.  Die  Längsseite  a 
enthält  wohl  den  Namen  des  Okulisten  Melloutius.  MeUontius  könnte  ein 
gallischer  Name  sein  (vgl.  Glück,  Kclt.  Namen  bei  Caesar  S.  139;  derselbe, 
R^nos,  Moinos  und  Mogonti&con  8.  20 f.).  M.  Ihm. 

7.  RömischeSpieltafel  aus  Afrika.  Victor  Waille  veröflfent- 
Hcht  in  den  Comptes  rendus  de  Tacademie  des  inscriptions  4  s6r.  t.  XXI 
1893  S.  402  das  Facsimile  einer  in  Chcrchcl  gefundenen  Marmortafel  (Grösse 
1,45  X  0,60  m),  welche  oflTenbar  einem  Spiele  diente.  Sie  weist  29  runde 
Vertiefungen  von  verschiedener  Grösse  und  in  verschiedener  Qruppirung 
auf,  der  Gang  und  die  Art  des  Spieles  wird  sich  danach  kaum  feststellen 
lassen,  aber  es  darf  wohl  als  sicher  gelten,  dass  Kugeln  dabei  benutzt 
wurden;  „une  sorte  de  billard"  nennt  daher  der  französische  Herausgeber 
die  Tafel.  Achnliche  Gebilde  sind  auf  dem  Pflaster  des  Forums  in  Rom 
und  sonst  noch  mehrfach  zu  sehen,  die  römische  Jugend  mag  dergleichen 
Kugelspiele  noch  heute  üben.  Zu  vergleichen  sind  Bruzza,  Annali  deir 
Institute  1877  tav.  d'agg.  FG  26;  A.  Elter,  Bulletino  deir  Institute  1884 
S.  71;  Chr.  Hülsen,  Mittheilungen  des  römischen  Instituts  1891  S.  118. 
Auf  der  Tafel  steht  ausserdem  folgende  Inschrift 
SEPONE  IVRIA 
ET  VENI  LVDAMVS, 
also  eine  Aufforderung  zum  Spiel  und  die  Mahnung,  Zänkereien  {iuria 
vulgäre  Form  für  iurgiä)  zu  lassen.  Aehnliches  auf  den  von  mir  behan- 
delten tabtUae  lusoriae,  vgl.  z.  B.  Bonner  Studien  S.  231  Nr.  4  u.  8,  S.  234 
Nr.  30.  M.  I  h  m. 

8«  Ueber  den  Zweck  der  Conto rniaten.  „A  quoi  ont  servi 
les  contorniatos?''  betitelt  Froehner  einen  kürzlich  im  Aunuaire  de  la 
Societö  de  Numismatique  (1894  p.  83—88)  erschienenen  kleinen  Aufsatz, 
auf  den  ich  hier  kurz  hinweisen  möchte,  da  die  Beanwortung  der  ge- 
stellten Frage  Beachtung  verdient  und,  wie  ich  glaube,  die  Zustimmung 
Vieler  flndea  wird.  Es  ist  viel  über  den  Zweck  der  Contorniaten  ge- 
schrieben worden  (vgl.  u.  a.  Eckhel,  Doctrina  nummorum  VIII  p,  277  ff.; 
Fran^^ois  Lenormant,  La  monnaie  dans  rantiquit6  I  p.  49  ff.;  Stevenson, 
Dictionary  of  Roman  coins,  London  1889,  p.  271  ff.)  und  es  sind  die  ver- 
schiedenartigsten Erklärungen  aufgestellt  worden:  man  hat  sie  für  Be- 


252  Miäcellen. 

lohuuugeii  erklärt,  die  den  Siegern  im  Wettrennen  zugesprochen  wurden, 
für  Talismans  oder  Amulette  zur  Abwehr  des  bösen  Blicks,  für  Eintritts- 
marken in  den  Circus.  Für  alle  diese  Erklärungen  vermisst  man  Beweise. 
Nach  Froehner  dienten  die  Contorniaten  als  Spielsteine  (calculi)  fürs 
►  Brettspiel  („pions  de  damier").  Er  beruft  sich  dafür  hauptsächlich  auf 
die  auch  in  den  Bonner  Jahrbüchern  schon  einige  Male  erwähnten  SpLel- 
tafeln  {tabiUae  lusoriae),  deren  Aufschriften  in  den  Bonner  Studien 
p.  223—239  und  den  Mitheilungen  des  K.  Deutschon  Archaeologischen 
Instituts,  Römische  Abtheilung,  VI  1891  p.  208—220  zusammengestellt 
sind  (vgl.  Bonn.  Jahrb.  LXXXX  p.  186.  LXXXXII  p.  259  f.).  Auf  den 
36  Feldern  dieser  tahvlae  lusoriae  konnte  mit  den  Contorniaten  gezogen 
werden,  die  Steintafeln  bieten  hinreichend  Platz,  die  Buchstaben  oder 
sonstigen  Zeichen,  welche  die  Felder  markiren,  stehen  keineswegs  ge- 
drängt aneinander.  Bekräftigt  wird  die  Hypothese  Froehners  durch  die 
Aufschriften  der  Contorniaten  und  der  Tabulae,  die  eine  unverkennbare 
Verwandtschaft  aufweisen:  Anspielungen  auf  die  Spiele  im  Circus  und 
Siegcjszurufe.  VICTOR  VINCAS,  EVGENI  VINCAS  heisst  es  auf  den  Tafeln 
(Bonner  Studien  p.  233  Nr.  21  p.  236  Nr.  40);  auf  den  Contorniaten  AR- 
TEMIVS  VINCAS,  VRSE  VINCAS,  EVTIMI  VINCAS,  MARGARITA  VIN- 
CAS, LAVRENTI  NICA,  OLYMPI  NIKA,  lOHANNES  NICAS,  PETRONI 
PLACEAS  und  ähnlich  (vgl.  Eckhel  und  Stevenson  a.  a.  O.,  die  Auf- 
schriften weisen  auf  späte  Zeit,  die  tabulae  gehören  ebenfalls  zum  grössten 
Theil  den  späteren  Jahrhunderten  an).  Sodann  sind  als  charakteristische 
Zeichen  der  Contorniaten  hervorzuheben  verschiedenerlei  Verzierungen 
und  Symbole:  Sterne,  Epheublätter,  Palrazweige  u.  dergl.  mehr,  beson- 
ders die  noch  nicht  genügend  erklärten  Monogramme  ^  und  ß  (z.  B. 
auf  der  Abbildung  bei  Stevenson  a.  a.  0.  p.  271).  Aehnliche  Dinge 
kehren  als  Verzierungen  der  Spieltafeln  wieder,  man  vergl.  Bonn.  Studien 
p.  232  Nr.  16.  p.  235  Nr.  34.  p.  237  Nr.  47.  p.  238  Nr.  48.  Rom.  Mitthei- 
lungen a.  a.  O.  p.  210  Nr.  34.  p.  211  Nr.  52.  p.214  Nr.  61.  p.216  Nr.  71— 74. 
De  Rossi,  Roma  sotterranea  III  p.  374  und  für  die  angeführten  Mono- 
gramme (s.  auch  Sallets  Zeitschr.  f.  Numismatik  1879  p.  267  ff.)  Rom.  Mit- 
theil.  a.  a.  0.  p.  215,  216,  217.  Dass  Münzen  für  derartige  Spiele  be- 
nutzt wurden,  ist  ja  nicht  weiter  wunderbar;  noch  heute  kann  man  die 
römische  Jugend  mit  weltlichen  oder  ausrangirten  päpstlichen  Soldi  auf 
dem  Pflaster  im  Freien  „Mühle"  spielen  sehen. 

M.  Ihm. 

9.  Zusatz  zu  der  II.  Mittheilung  über  das  Rveuznacher 
Mosaik.  1.  Der  zusammenbrechende  Gladiator  des  Bildes  C  ist  nach 
der  Entwickeluug  von  P.  J.  Meier  (Wcstd.  Z.  I  165—171)  doch  wohl  als 
Thraex  scaeva  (Linkwser)  mit  krummer  sica  aufzufassen;  die  Lampen  des 
Trierer  Pr.-M.  2972  Nr.  4120  sowie  die  entsprechende  Lampe  des  Wallraf- 


Miscellen.  2&3 

Richartz-Museum«  stiminen  mit  dem  Krenznacher  Mosaik  fast  ganz  tiber- 
ein; der  Helm  auf  diesen  Lampen  wird  demnach  wohl  auch  so  gewesen 
sein,  wie  der  des  Kreuznacher  Gladiator,  dessen  Spitze  (Busch,  ursprüng- 
lich wie  in  Pompeji?)  wie  die  einer  phrygischen  Mütze  nach  vorn  über- 
neigt. (Ueber  das  linkshändige  Fechten  vgl.  Buecheler  Ind.  Bonn.  aest. 
1877  u.  Friediänder  Sittengesch.  6  A.  II,  382.)  Da  diese  Darstellungen  aber 
wieder  mit  dem  rechtskämpfenden  Gladiator  aus  Pompeji  übereinstimmen, 
so  ist  es  unentschieden,  ob  die  erste  Umzeichnung  zu  einem  Linkser 
aus  Versehen  oder  aus  Absicht  geschehen  ist.  In  letzterem  Falle  würde 
man  an  die  Zeit  des  Kaisers  Commodus,  der  mit  der  Linken  focht,  den- 
ken können. 

Der  Kreuznacher  Thraex  hat,  wie  jetzt  erkennbar,  Brust  und  r. 
Arm  bloss  und  unter  dem  Gürtel  einen  dreitheiligen  Schurz,  dann  aber 
blaugrüne,  in  der  Mitte  weisse  Hosen  und  ebensolche  Schuhe,  aus  denen 
die  fleischfarbenen  Zehen  hervorstehen.  Der  Gegner  hat  am  linken  Un- 
tei-schenkel  anstatt  einer  Metallschiene  einen  dicken  Wulst  vorgebunden^ 
wie  der  Retiarius  des  Nenniger  Mosaiks. 

2.  Die  beiden  Kämpfer  auf  Bild  E  entsprechen  im  Wesentlichen 
den  zwei  Kämpfern  Matemus  und  Habilis  auf  dem  in  Madrid  befindlichen 
Mosaik  aus  dem  Hause  Massimi  in  Rom.  £s  sind  die  zwei  auf  dem 
untern  Bilde  198  in  Winckelmanns  Monumenti  antichi  I,  bezw.  in  der 
Nummer  399  von  Hübners  „Antiken  Bildwerken  in  Madrid^.  Auf  der 
von  Winckelmann  veröffentlichten  Zeichnung,  die  wohl  nicht  ganz  zuver- 
lässig ist,  hat  nur  der  eine  Gladiator  zwei  Flügel  am  Helm,  und  zwar 
an  einer  Seite;  sonst  stimmen  hutartiger  Helm  mit  glattem  Visir  (wie 
Gesichtsmaske),  Schwert,  Schild  und  Kittel.  Die  Madrider  Gladiatoren 
halten  ihre  Schwerter  etwas  anders  und  haben  je  einen  Herold  hinter 
sich,  während  auf  den  beschränkten  Flächen  des  Kreuznacher  Mosaiks 
immer  nur  2  Personen  und  zwar  eng  an  einander  geschoben  zur  Dar- 
stellung gelangen  konnten.  Die  Kreuznacher  haben  auch  die  Beine  nackt, 
nicht  in  Hosen,  wie  es  zuerst  schien;  die  sockenartigen  Halbstiefeln  rei- 
chen nur  gerade  bis  über  die  Knöchel.  Es  sind  Galli  oder  murmillones 
(Meyer,  De  giadiatura  Romana).  Auf  dem  Augsburger  Mosaik  ist  dem 
Kreuznacher  Paare  fast  ganz  gleich  das  Paar  „Aprius  Aiax"  (Gruter  336). 

3.  Das  in  5  Streifen  geordnete  Borghesische  Gladiatorenmosaik  in 
Rom  (W.  Henzen  in  Dissertazioni  della  pontif.  accad.  Rom.  di  archeol. 
Xfl,  1852)  bietet  für  die  Erklärung  des  Kreuznacher  Mosaiks  einiges. 
In  den  Kämpfen  der  dortigen  11  Paare,  anscheinend  immer  Retiarius  und 
Samnis  oder  Secutor,  wird  ein  Kämpfer  von  hinten  durchbohrt,  sonst 
liegt  immer  ein  Besiegter  schon  am  Boden.  Ob  der  siegreiche  Talamo- 
nius  ein  Linkser  ist,  wie  Henzen  annimmt,  ist  fraglich,  da  sein  linker 
Arm  ganz  nackt,  sein  rechter  aber  bandagirt  ist  und  am  Boden  ein  toter 
Retiarius   liegt.    Von  den  Bestiarii   kämpfen   die  meisten  mit  Panthern, 


254  Miscellen. 

von  denen  mehrere  schon  todt  daliegen.  Deutlich  sieht  man  bei  zweien 
ein  Tuch  in  der  linken  vorgestreckten  Hand,  wie  auch  Henzen  annimmt. 
Drei  Panther  werden  gerade  so,  wie  auf  dem  Kreuznacher  Mosaik  der 
Panther  und  der  Bär,  mit  der  Lanze  zwischen  Hals  und  Brust  getroffen 
und  fallen  ebenso  plump  auf  den  barhäuptigen  Bestiarius  zu.  Die  Tracht 
der  letzteren,  verzierte  Tunica  mit  Aermeln  über  nackten  Knieen,  ist  ganz 
anders  als  die  der  Kreuznacher  Bestiarii;  die  Hände  aber  sind  nackt. 
Auf  dem  mittleren  Streifen  sind  Hyäne  (?),  Hirsch,  Stier,  Löwe,  Steinbock 
und  Strauss  vereinigt,  aber  alle  in  einer  Richtung  zusammen  gegen  3 
oder  mehr  Bestiarii. 

Wie  der  eine  Hirsch  auf  dem  Borghesischen  Mosaik  von  Henzen  als 
Elch  aufgefasst  wird,  so  ist  es  seinem  Geweihe  nach  auch  hier  der  gefleckte 
Hirsch  des  Mittelfeldes  links  oben,  und  dem  dort  ganz  erhaltenen  Steinbock 
gleicht  hier  das  Stück  Kopf  mit  Bocksbart  so,  dass  auch  hier  wohl  ein  Stein- 
bock dargestellt  war.  In  dem  Kopf  mit  langem  Rüssel  glaubte  Henzen  eine 
Hyäne  oder  die  ihr  verwandte  indische  corocotta  erkennen  zu  müssen; 
aber  die  Bildung  des  langen  Vorderkopfes  entspricht  mehr  einem  Wild- 
schwein, vielleicht  indischem  Tapir.  Diesem  Borghesischen  Thiere  ist 
das  hiesige  Wildschwein  auf  M  sehr  ähnlich.  Der  Bär  des  Mittelstückes 
hat  mit  dem  Maule  einen  kurzen  Hakenstock  gefasst.  Die  drei  Thiere 
unten,  Hirsch,  Stier  und  Eber,  strömen  nach  unten  Blut  aus,  der  Hirsch 
ist  schon  zusammengebrochen. 

4.  Bei  Erwähnung  des  Lateraner  Mosaiks  in  der  L  Mitth.  mnss 
es  anstatt  „mit  Gladiatoren'^  heisseu  „mit  Athleten^  (Abgebildet  in  Secchi: 
II  musaico  Antoniniano.  Roma  1843). 

5.  In  der  Westmauer  hat  sich  jetzt  in  gleicher  Entfernung  wie 
von  €,  so  auch  von  f  aus  ein  Mauerabschnitt  gezeigt,  so  dass  die  nach 
der  Veranda  gehende  OefPhung  gleichmässig  abgeschlossen  ist.  In 
der  Mitte  hat  wahrscheinlich  ein  Backsteinpfeiler  gestanden,  auf  weichem 
als  Kapital  der  Steinblock  ruhte.  Dieser  besteht  nämlich  nur  zum  Theil 
aufi  Stein,  sonst  aber  aus  Stuck,  und  die  Fundstelle  passt  gerade,  dass 
dahin  bei  schrägem  Sturz  des  Pfeilers  das  Kapital  gesunken  sein  kann.  Der 
Zackenrand  des  Mosaiks  an  der  Süd-  and  Nordseite  findet  sich  auch 
auf  der  Westseite  p  qu,  und  dafür  ist  der  Rand  mit  Blumenranken 
schmäler;  endlich  enthält  der  schwarze  Streifen  ef  kleine  weisse  Muster 
eingestreut.  Die  schwarzen  Quadrate  zwischen  i  und  m  haben  ihr 
weisses  Viertel  auf  der  linken  Seite. 

6.  InÄCEO  ist  unten  und  oben,  rechts  und  links  je  ein  Querband 
über  die  innen  weisse  Borde  gelegt»  selber  innen  weiss  und  nach  den 
Rändern  zu  dunkelfarbig,  bez.  grün  und  schwarz.  Nach  jedem  solchen 
Querband  wechselt  die-  rothe  oder,  grüne  Randschattii«ung  der  Borde 
rechts  und  links  des  weissen  Mittelstreifens. 

7.  In  Ä  wendet  der  Samnis  oder  Secutor  dem  Beschauer  den  Rücken 


Miscellen.  255 

und  hält  den  Schild  mit  der  Rechten,  das  durch  den  Körper  verdeckte 
Schwert  in  der  Linken.  Uebrigens  ist  er  genau  so  gerüstet,  wie  der 
rechts  stehende  Gladiator  in  C.  Auf  dem  Kopf  hat  er  einen  einfachen 
Yisirhelm,  wie  die  Samniten  des  Borghesischen  Mosaiks.  Der  Oberkörper 
ist  nackt  mit  Ausnahme  des  das  Schwert  führenden,  bandagirten  Armes, 
der  Schild  zeigt  Verzierungen  wie  der  des  Samniten  in  C,  aber  in  grüner 
Farbe,  der  Schurz  geht  oben  etwas  über  den  Gürtel  hinaus,  der  Unterschen- 
kel des  vorgesetzten  r.  Beines  ist  dick  bandagirt,  den  linken  Fuss  umschliesst 
ein  bis  über  den  Knöchel  reichender  Halbstiefel.  —  Auch  der  Samnis 
auf  C  trägt  wohl  nicht  Tricot,  wie  es  anfänglich  schien,  sondern  hat 
nackten  Oberkörper  ausser  dem  schwertführenden  Arm,  trägt  einen  ein- 
streifigen Gürtel  quer  über  dem  den  Gürtel  überragenden  Schurz  und 
hat  am  1.  Unterschenkel  dicke  Bandage,  am  rechten  Fuss  einen  kurzen 
Halbstiefel,  ober-  und  unterhalb  des  r.  Kniees  ein  Band  und  sonst  die 
Beine  nackt.  ~  Der  Betiarius  auf  Ä  hält  unten  in  der  1.  Hand  einen 
Dolch,  der  Dreizack  seines  Speeres  ist  nicht  sichtbar. 

8.  In  G  ist  jetzt  der  kleinere  1.  Kämpfer  theilweise  sichtbar  ge- 
worden. Sein  Helm  endet  in  phrygischer  Mützenform,  um  den  Leib  trägt 
er  einen  Schurz,  eine  Lanze  hat  er  offenbar  nicht  gehabt,  also  ein 
Schwert.  Der  r.  Kämpfer  hat  einen  grünen  Schurz,  nackte  Beine,  hohe 
Beinschiene  jedenfalls  am  r.  Bein,  zweifelhaft  ob  auch  am  linken,  endlich 
den  r.  Arm  bandagirt.    Beide  wenden  dem  Beschauer  den  Rücken. 

9.  Der  Bestiarius  in  B  trägt  auf  den  Hosen  ein  grünes,  bez.  blaues 
Hakenkreuz  gestickt ;  der  in  H  auf  der  Brust  ein  rundes  blaues  Schild- 
chen und  in  der  r.  Hand  ein  Tuch  mit  2  Zipfeln.  Was  der  Stier  ausser 
dem  Schatten  an  den  Vorderfüssen  hat,  ist  undeutlich. 

10.  In  /  hat  nicht  ein  Panther,  sondern  ein  kleiner  Bär  den  Hirsch 
überfallen,    und  in  L  ein  Löwe   den  Stier. 

Alle  Einzelheiten  sind  klar  hervorgetreten,  nachdem  das  Mosaik 
durch  kundige  Arbeiter  der  bekannten  Mettlacher  Fabrik  gereinigt 
ist.  Dasselbe  ist  inzwischen  von  dem  H.  Besitzer  auch  durch  eine 
Halle  in  Backsteinbau  umschlossen  und  überdeckt  worden,  von  deren 
Rundgang  aus  sich  ein  überraschend  schöner  Ueberblick  bietet. 

Kreuznach,  12.  Juli  1894.  0.  Kohl. 

10.  Nachtrag  zu  S.  96  Anm.  18.  Ueber  die  „Gigantensäulen'' 
vgl.  neuestens  F.  Hang,  Berliner  philologische  Wochenschrift  14  (1894) 
Nr.  18.  S.  564. 

ürlichs. 

11.  Vierunddreissigste  Plenarversaminlung  der  histori- 
schen Commission  bei  der  kgl.  bayer.  Akademie  der  Wissen- 


^6  Miscelleti. 

Schäften  (München,  25.  bis  26.  Mai  1893).  Seit  der  letzten  Plenarver- 
sammiung,  Juni  1892,  sind  folgende  Publikationen  durch  die  Commission 
erfolgt:  1)  Allgemeine  deutsche  Biographie.  Bd.  XXXIV  und  XXXV.  — 
2.  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland.  Bd.  XXII:  Dr.  August 
Hirsch,  Geschichte  der  medicinischeu  Wissenschaften  in  Deutschland. 

Von  den  Hanse-Recessen  steht  das  Erscheinen  des  7.  Bandes  un- 
mittelbar bevor.  Der  Text,  der  die  Jahre  1419><1425  umfasst,  fällt  in 
873  Nummern  613  Seiten.  Orts-  und  Personen-Register  sind  im  Druck 
begriffen.  Der  Herausgeber,  Dr.  Koppmann,  Stadtarchivar  von  Rostock, 
ist  mit  dem  8.  Band  beschäftigt,  der  den  Schluss  des  Werkes,  die  Jahre 
1426 -- 1430,  bringen  soll.  —  Die  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter 
Heinrich  IV.  und  V.  sind  in  erfreulichem  Fortgang  begriffen.  Der  zweite 
Band,  der  bis  zum  März  1077  reicht,  ist  von  Professor  Meyer  von  Knonau 
fertig  gestellt  worden  und  deV  Druck  hat  begonnen.  Der  Stadtarchivar 
Dr.  Uhlirz  ist  durch  die  Besserung  seiner  Gesundheit  in  Stand  gesetzt 
worden,  die  Arbeit  für  die  Jahrbücher  unter  Otto  II.  und  III.  energisch 
wieder  aufzunehmen. 

Von  den  Chroniken  der  deutschen  Städte,  unter  Leitung  des  Pro- 
fessors von  Hegel,  stehen  zwei  neue  Bände  in  Aussicht:  ein  Band  Augs- 
burger Chroniken  aus  der  Reformationszeit,  und  ein  Band  für  die  nieder- 
rheinisch-westfälischen  Städte,  insbesondere  Soest  und  Duisburg.  Beide 
Herausgeber,  sowohl  Dr.  Roth  als  Dr.  Ilgen,  hoffen  im  Herbst  dieses 
Jahres  den  Druck  beginnen  zu  können.  Der  erstere  sah  sich  länger,  als 
er  erwartet,  durch  die  zeitraubenden  Vorarbeiten  aufgehalten,  welche 
Senders  Chronik  verursachte,  die  nicht  bloss  die  Vergleichung  zweier 
verschiedener  deutschen  Redaktionen  und  einer  in  Wolfenbüttel  be- 
findlichen lateinischen  Redaktion,  sondern  auch  die  Berücksichtigung 
eines  umfänglichen  Werks  von  demselben  Autor,  betitelt  Chrono- 
graphie, in  12  Bänden,  erforderte.  Das  letztere  Werk  befindet  sich 
in  der  bischöflichen  Bibliothek  zu  Augsburg:  das  bischöfliche  Ordinariat 
gestattete  bereitwillig  die  Benutzung  desselben. 

Die  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland  hat  durch  das 
Erscheinen  der  Geschichte  der  medizinischen  Wissenschaften  von  Dr.  Aug. 
Hirsch  wieder  einen  Schritt  vorwärts  und  der  Vollendung  entgegen  gc- 
than.  Zunächst  haben  wir  nun  die  Geschichte  der  Geologie  von  Pro- 
fessor von  Zittcl  zu  erwarten. 

Die  Allgemeine  deutsche  Biographie  schreitet  regelmässig  und  un- 
gestört fort.  Der  35.  Band  ist  erschienen,  und  die  Herausgeber,  Freiherr 
von  Liliencron  und  Geheimer  Rath  Wegele,  hoffen  im  Laufe  des  Jahres, 
wie  gewöhnlich,  zwei  neue  Bände  herausgeben  zu  können. 

Was  die  ältere  Serie  der  deutschen  Reichstagsakten  betrifft,  so  hat 
der  Abschluss  des  zehnten  Bandes  gegen  die  Erwartung  des  Heraus- 
gebers, Professors  Quidde,  noch  nicht  erfolgen  können. 


Miscelleü.  ^5? 

VüT  die  jüngere  Serie  der  Reichstagsakten  standen  dem  Professor 
von  Rluckhohn  während  des  Jahres  Dr.  Wrede  und,  vier  Monate  lang, 
Dr.  Saftien  zu  Seite.  Es  handelte  sich  fast  ausschliesslich  um  die  Weiter- 
führung des  Drucks  des  ersten  Bandes  und  um  die  Vollendung  der 
zweiten  Hälfte  des  Manuscripts.  Professor  von  Kluckhohn  hat  den  Band, 
an  welchem  nur  noch  Titel,  Vorrede  und  Register  fehlen,  und  der  mit 
diesen  zusammen  etwa  58  Bogen  umfassen  wird,  nach  München  mit- 
gebracht, um  ihn  der  Commission  vorzulegen,  als  ihn  in  München  am 
19.  Mai  der  Tod  ereilte. 

Die  ältere  Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Correspondenzen 
soll  mit  dem  3.  Band  der  Briefe  des  Pfalzgrafen  Johann  Casimir  abge- 
schlossen werden.  Professor  von  Bezold  gedenkt  die  Vorarbeiten  für 
denselben  im  nächsten  Herbst  zu  beenden,  worauf  der  Druck  beginnen 
und  etwa  im  Jahr  1895  vollendet  werden  kann. 

Für  die  ältere  Bayerische  ebenso  wie  für  die  jüngere  Bayerisch- 
Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Correspondenzen  sind  die  Vor- 
bereitungen unter  der  Leitung  der  Professoren  Lossen  und  Stieve  eifrig 
im  Gange.  Von  ersterer  soll  der  4.  (bis  1554  reichende),  von  letzterer  der 
6.  und  7.  Band  (1608—1610)  baldigst  ersdieinen. 


Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUerthsfr.  Im  Rheinl.  XCV.  17 


IV.    Berichte. 


Die  Winckelmann-Feier  am  9.  December  1892. 


Am  9.  December  fand  Abends  9  Uhr  im  Eley'scben  Gastbof 
unter  zahlreicber  Betbeiligung  von  Herren  und  Damen  die  diesjäh- 
rige Feier  statt.  Der  Vorsitzende  des  Vereins  von  Alterthumsfreun- 
den  im  Rheinlande^  Geheimrath  Schaaff bansen,  bemerkte,  dass 
er  am  Gedächtnisstage  Winckelmanns,  des  Begründers  der  neuem 
Altertbumsforscbung,  auf  einzehie  wichtige,  im  bald  abgelaufenen 
Jahre  gemachte  Funde  aufmerksam  zu  machen  pflege,  und  gerade 
dieses  Jahr  sei  reich  daran  gewesen.  Eine  Hauptquelle  unseres 
Wissens  von  der  Vorzeit  seien  die  Gräber,  die  uns  das  erhalten, 
was  über  der  Erde  bald  zerfällt  und  verachwindet.  Ueberall  seien 
alte  Gräber  aufgedeckt  worden,  er  wolle  nur  daran  erinnern,  dass 
in  Bendorf  Erlenmey  er  das  fränkische  Grabfeld,  das  der  Redner  in 
Heft  72  der  Jahrbücher  (S.  123)  beschrieben,  wieder  aufgedeckt  und  dass 
Prof.  NoU  über  fränkische  Gräber  in  St.  Goar  berichtet  habe,  die 
bei  den  dortigen  üferbauten  blossgelegt  wurden.  Die  Todten  sind 
mit  Thonschieferplatten  umstellt  und  ohne  alle  Beigaben  bestattet. 
Schon  aus  diesem  Grunde  muss  man  sie  der  ersten  christlichen  Zeit 
zuschreiben,  vielleicht  jener,  in  der  der  h.  Goar,  der  575  starb,  hier 
lebte.  Dass  die  Gräber  4  m  tief  liegen,  ist  wohl  dadurch  erklärt, 
dass  jede  Hochfluth  des  Rheins  den  Begräbnissplatz  überschwemmt, 
und  dies  muss  früher  noch  leichter  -geschehen  sein,  da  der  Strom 
höher  floss.  An  dieser  Stelle  erstreckt  sich  quer  durch  das  Fluss- 
bett ein  hartes,  quarzhaltiges  Gestein,  die  sogenannte  Bank,  welche 
die  Schifffahrt  hier  gefährlich  machte  und  nach  Grebel  noch  1722 
einen  Wasserfall  im  Rhein  von  einigen  Fuss  Höhe  bildete.  Wäh- 
rend in  Boppard,  Andernach  und  Neuwied  nachweislieh  das  Rhein- 


Die  WinckelmÄim-f^eier  ain  ö.  t>ecember  18&S.  S&§ 

bett  sich  nm  etwa  Sm,  in  Mainz  und  Speier  noch  viel  mehr  durch 
Anhäufung  der  Geschiebe  seit  der  R<^nierzeit  erhöht  hat^  fliesst  der 
Strom  bei  St.  6oar  und  im  Bingerloch  über  den  nackten  Felsen. 
Die  von  Neil  beschriebenen  und  gemessenen  Schädel  lassen  keinen 
Zweifel;  dass  diese  Todten  Franken  waren. 

Ein  sehr  merkwürdiger  Fund  wurde  vor  kurzem  von  Prof. 
Mehlis  bei  Dürkheim  in  der  Pfalz  gemacht.  An  Felswänden  des 
Kastanienberges^  die  unter  dem  Namen  Brunholdisstuhl  schon  um 
1360  erwähnt  werden,  entdeckte  er  das  Bild  eines  Wagenlenkers, 
der  wie  beim  Wettrennen  die  Zügel  des  Rosses  hält.  Die  Darstel- 
lung gleicht  genau  der,  welche  auf  gallischen  Münzen  vorkommt 
und  den  Sonnengott  vorstellt.  Damit  ist  das  Felsenbild  als  ein  kel- 
tischer üeberrest  bezeichnet.  Später  wurde  rechts  daneben  noch 
ein  zweites  Ross,  ein  Adler  und  eine  Schildkröte  gefunden,  links 
ein  freispringendes  Pferd,  auf  zwei  andern  Wänden  sind  ähnliche 
Zeichnungen  eingehauen.  Ein  aufgefundenes  Balkenloch  beweist, 
dass  wir  diese  Bilder  als  Zierrat  der  Wände  einer  Wohnung  oder 
eines  Saales  zu  betrachten  haben  ^).  Der  Redner  legt  Zeichnungen 
und  Photographien  derselben  vor.  Ausser  dem  Mithrasbilde  von 
Schwarzerden  im  Kreise  St.  Wendel,  der  Darstellung  eines  Reiters 
bei  Schweinschied  im  Hessen-Homburgischen  (Jahrb.  46  S.  269),  den 
Externsteinen  sind  solche  Felsenbilder  in  unsem  Gegenden  nicht 
bekannt.  Man  mag  damit  aber  die  in  eine  Lehmwand  eingeritzte 
Zeichnung  eines  Mannes  und  eines  Mauhhieres  vergleichen,  die  sich 
in  einem  mit  Bimsstein  gefüllten,  wahrscheinlich  römischen  Keller 
bei  Heddersdorf  erhalten  hat  und  die  in  den  Verhandl.  des  Naturh. 
Verlos  1879  S.  96  beschrieben  ist. 

lieber  eine  andere  höchst  wichtige  Entdeckung  in  Welschbillig 
bei  Trier  hat  Dr.  Hettner  berichtet.  Es  wurde  ein  grosses  römi- 
sches Wasserbecken  mit  einem  Springbrunnen  in  der  Mitte  bloss- 
gelegt,  das  von  einem  steinernen  Geländer  umgeben  war,  auf  dem 
zaUreiehe  Herm^  mit  Portraitköpfen  standen.  Es  sind  dies  aber 
nicht  bekannte  Götterbilder  oder  Köpfe  von  Dichtern  und  Gelehrten, 
s(Midem,  wie  es  scheint,  von  Personen  einer  Familie.  Es  sind  bis 
jetzt  mehr  als  40  gefunden,  von  denen  der  Redner  Photographien 
vorlegt.  Wie  man  in  den  farbigen  Grabbildern  vom  Fayfim  die 
Bewohner  von  Nieder-Aegypten  im  3.  Jahrhundert  unserer  Zeit  ken- 


1)  Vgl.  Jahrb.  98  S.  43-  ff. 


S(>ö  tHe  Winckeimaiin-^eier  atn  9.  December  1893. 

Den  gelernt;  so  stellen  uns  diese  Büsten  die  Trevirer  in  römisehet 
Zeit  dar.  Wiewohl  die  Büsten  die  Farben,  mit  denen  sie,  wie 
Sparen  zeigen,  bemalt  waren,  verloren  haben,  durch  die  sieh  leieht 
die  blonden  Germanen  und  die  Gallier  hätten  erkennen  lassen,  so  kann 
man  doch  die  Gesichtszüge  der  Germanen  oder  Kelten  von  denen 
der  Römer  unterscheiden.  Der  rohe  Galliertypus  des  sterbenden 
Fechters  findet  sich  nicht  mehr  darunter.  H  e  1 1  n  e  r  will  bei  fünf 
Köpfen  die  Familienähnlichkeit  erkennen,  vielleicht  sind  es  mehr, 
die  sie  zeigen.  Doch  ist  zu  berücksichtigen,  dass  auch  dieselbe 
Technik  des  Künstlers  Aehnlichkeiten  hervorbringt  und  dass  eine 
Untersuchung  der  Kopfform  nicht  viel  lehren  wird,  da  selbst  heutige 
Künstler  hierauf  nicht  viel  Rücksicht  nehmen.  Die  dargestellten 
Personen  haben  theils  lockiges,  theils  glatt  herabgekämmtes  Haar,  das 
zuweilen  bis  auf  die  Schultern  reicht  und  an  das  lange  Haar  der 
spätem  Franken  erinnert.  Mehrere  tragen  ein  Halsband  mit  An- 
hängsel, aber  es  sieht  nicht  aus  wie  der  metallene  Torques,  doch 
findet  es  sich  nur  bei  den  Galliern  oder  Germanen. 

Herr  Stadt-Bau-Inspektor  Schnitze  aus  Köln  berichtete  unter 
Vorzeigung  von  Plänen  und  Zeichnungen  über  die  Ausgrabung  der 
Fundamente  und  Architekturstücke  des  römischen  Stadtthores  an  der 
Nordseite  Kölns,  dessen  über  der  Erde  stehenden  Reste  bei  der  Ab- 
tragung der  Domcurien  zu  Tage  traten.  Der  Vorsitzende  machte 
dann  auf  einige  zur  Ansicht  ausgelegte  Alterthümer  aufmerksam,  es 
waren  römische  Bronzen  aus  dem  Wallrafschen  Museum  in  Köln 
und  aus  dem  Bonner  Provinzial-Museum,  genaue  Aufoahmen  altger- 
manischer Wallburgen  aus  dem  Regierungsbezirk  Düsseldorf  von 
Herrn  Dr.  P.  Giemen  und  zwei  goldene  Regenbogenschttssdchen 
aus  dem  Siebengebirge. 

Hierauf  hielt  Professor  Dr.  Löschcke  den  Festvortrag  über 
„Griechische  Elemente  in  der  Kunst  des  Rhein- 
lands^ 

Anknüpfend  an  Winckelmanns  bahnbrechende  Erkenntniss,  dass 
griechische  Sage  und  griechischer  Mythus  den  Hauptinhalt  des  an- 
tiken Kunstwerks  bilden,  die  Römer  aber  nur  das  Verdienst  haben, 
die  von  den  Griechen  überkommenen  Formen  in  decorativer  Ver- 
wendung zum  Gemeingut  der  abendländischen  Cultur  gemacht  zu 
haben,  zeigte  der  Vortragende,  dass  die  römische  Kunst  im  Rhein- 
land so  viel  stärker  als  in  anderen  Provinzen  mit  griechischen  Ele- 
menten durchsetzt  sei,  dass  man  neben  den  durch  Italien  vermittelten 


Die  Winckelmann-Feicr  am  9,  December  1892.  261 

Einflüssen  noch  eine  directe  Einwirkung  griechischer  Civilisation 
auf  Westdeutschland  annehmen  möchte.  Nur  in  Gallien  und  im 
Rheinland  hat  sich  in  der  Keramik  die  griechische  Technik  der 
Malerei  mit  schwarzer  Firnissfarbe  und  aufgesetztem  Weiss  und  Gelb 
bis  in  die  Kaiserzeit  erhalten;  auch  die  gallisch-rheinische  Glas- 
industrie knüpft  in  ihren  Mustern  und  Färbungen  nicht  an  italie- 
nische, sondern  an  griechische  Vorbilder  an.  Die  keltisch  -  germa- 
nischen „Matronen'^  haben  ihre  Erscheinungsform  noch  halb  alter- 
thümlicfaen  grieehischerf  Darstellungen  der  thronenden  Göttermutter 
entlehnt,  ebenso  wie  die  in  Italien  unbekannten,  am  Rhein  nicht 
seltenen  thönernen  Sitzbildchen  der  Minerva  altgriechische  Muster 
festhalten.  Für  die  Darstellung  eines  mit  Jupiter  identificirten  ger- 
manischen Gottes,  der  einen  Schlangenfüssler  niederreitet,  diente  die 
altjonische  Gruppe  des  berittenen  Poseidon  im  Gigantenkampf  als 
Vorbild,  und  auch  die  Thatsache,  dass  auf  den  Grabsteinen  die  rö- 
mischen Reiter  meist  im  Gefecht,  die  Legionäre  in  Paradestellung 
erseheinen,  wird  sieh  vielleicht  aus  griechischem  Kunstgebranch  er- 
klären. 

Als  Quelle,  aus  der  zum  Theil  schon  vor  der  Römerzeit  diese 
griechischen  Strömungen  abgeleitet  sind,  darf  man  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit die  kleinasiatische  Colonie  Massalia,  das  heutige  Mar- 
seille ansehen.  Griechische  und  ctruskische  Bronzen  und  bemalte 
griechische  Vasen  treten  in  westdeutschen  Grabfunden  schon  seit 
dem  5.  Jahrhundert  v.  Chr.  nicht  selten  auf  und  Funde  griechischer 
Münzen  sowie  die  Geschichte  der  Münzprägung  bei  den  keltischen 
Stämmen  und  der  Charakter  der  gräco  -  keltischen  La  TSne  Orna- 
mentik lehren,  dass  die  Einfuhr  jener  griechischen  Waaren  nicht 
durch  Vermittlung  der  Etrusker  und  nicht  über  die  Alpen  erfolgt 
ist,  sondern  theils  durch  das  Donauthal  von  der  Balkanhalbinsel 
her,  namentlich  aber  von  Massalia  aus  längs  Rhone  und  Rhein.  Die 
Beziehungen  zwischen  den  gräcisirten  Umwohnern  Massalias  und 
dem  Rheinland  scheinen  nie  abgebrochen  worden  zu  sein,  besonders 
eng  und  fruchtbar  gestalteten  sie  sich  aber,  als  zur  Zeit  desAugu- 
stus  das  römische  Trier  als  Hauptstadt  des  belgischen  Galliens  ge- 
gründet wurde.  Die  eigenartige  Kunstblüthe,  die  sich  während  der 
ersten  zwei  Jahrhunderte  der  Kaiserzeit  an  der  Mosel  entwickelte 
und  uns  jetzt  im  Trierer  Provincialmuseum  so  sprechend  lebendig 
in  den  Reliefs  der  von  Hettner  entdeckten  Neumagener  Grab- 
denkmäler entgegentritt,  lässt  sich  kaum  anders  erklären,   als  dass 


262  Die  Winckelmann-Feier  am  9.  December  1892. 

sieb  zugleich  mit  den  römischen  Beamten  auch  an  griechischen 
Mustern  gebildete  Steinmetzen  aus  Südfrankreich  an  der  Mosel  nie- 
derliesseu  und  hier  Schule  machten.  Die  zweistöckigen  Grabtbürme 
mit  pyramidalem  Dach  in  Neumagen,  Arlon  und  Igel  stimmen  in 
den  Hauptfonnen  der  Architektur  mit  provenzalischen  Grabbauten, 
wie  dem  schon  im  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  entstandenen  Julier- 
Denkmal  in  St.  Remy  überein.  Das  Julier-Denkmal  aber  schliesst 
sich  an  ein  auch  in  andern  römischen  Provinzen  nachgeahmtes  helle- 
nisches Vorbild  an,  das  im  letzten  Grund  auf  dickleinasiatischen  Formen 
des  Mausoleums  zurückfahrt.  Und  wie  bei  der  Architektur,  so  lässt 
sich  auch  an  der  Auswahl  und  Vertheilung  des  Bildschmueks,  am 
Stil  und  an  der  Technik  des  Reliefs  der  Zusammenhang  zwischen 
dem  belgischen  Gallien,  der  Provence  und  Kleinasien  nachweisen« 
Besondere  Aufmerksamkeit  verdient  hierbei  die  immer  wiederkeh- 
rende Neigung,  die  Stirnflächen  der  Pfeiler  mit  einer  Reihe  über- 
einander gestellter,  oblong  umrahmter  bacc}iischer  Figuren  zu  ver- 
zieren, da  sich  diese  Decorationsweise  schon  an  einem  kleinasiati- 
schen Thonrelief  aus  der  Zeit  bald  nach  Alexander  dem  Grossen 
beobachten  lässt,  das  die  in  ihrem  Tempel  thronende  Göttermutter 
darstellt. 

So  bewährt  der  griechische  Geist  selbst  noch  in  der  Kaiser- 
zeit und  an  der  Peripherie  der  antiken  Welt  seine  belebende  Kraft. 

Mit  einer  scharfen  Wendung  gegen  die  ,,Schul]'eform'S  ii^^* 
fern  sie  den  bewährten  Zusammenhang  deutschen  und  griechischen 
Geistes  zu  zeratören  drohe,  schloss  der  Redner  seinen  durch  zahl- 
reiche Originale  und  Abbildungen  erläuterten  Vortrag. 

Den  Absclüuss  der  Feier  bildete  ein  Festmahl,  an  dem  sich 
auch  Damen  betheiligten. 

H.  Schaaffhausen. 


General-Versammlung  des  Vereins  am  16.  Juni  1893. 


Der  Vice-Präßident  des  Vereins  Prof.  Dr.  Klein  eröffnet  die 
Sitzung,  welche  in  den  von  der  Provinzial- Verwaltung  dem  Vereine 
ttbergebenen  Ränmen  im  Bonner  Provinzial-Museum  stattfindet,  und 
gedenkt  des  am  25.  Jan.  d.  J.  erfolgten  Hinscheidens  unseres  lang- 
jährigen hochverdienten  Präsidenten  6eh.-R.  Prof.  Dr.  Schaaff- 
hausen  und  ftthrt  aus^  dass  ein  Nekrolog  fftr  die  Jahrbücher  vor- 
bereitet sei^).  Nach  warmen  Worten  der  Erinnerung  ersucht  der 
Vorsitzende  die  Anwesenden,  sich  zur  Ehrung  des  Verstorbenen  von 
ihren  Sitzen  zu  erheben.    Dies  geschieht. 

Dann  berichtet  der  Vorsitzende,  dass  der  Verein  im  Jahre 
1892  18  Mitglieder  verloren  habe,  während  7  neue  Mitglieder  im 
Jahre  1893  gewonnen  wurden;  so  dass  heute  die  Mitgliederzahl 
559  beträgt. 

Heft  93  mit  10  Tafeln  und  25Textfigm'en  wurde  im  abgelau- 
fenen Jahre  ausgegeben;  Heft  94,  dessen  Abschluss  durch  den  Ver- 
last, den  der  Verein  erlitten  hat,  verzögert  wurde,  wird  in  Bälde 
erscheinen. 

Zur  Jahresrechnung  übergehend  theilt  Vorsitzender  mit,  dass 
1892  die  Qesammteinnahme  sich  auf  7468  Mk.  36  Pfg.  stellt  gegen 
6561  Mk.  1891. 

Die  Ausgaben  betrugen  1892  7191  Mk.  gegen  6245  Mk.  im 
Jahre  1891. 

Am  1.  Jan.  1893  betrug  der  Kassenbestand  276  Mk.  14  Pfg. 
Am  heutigen  Tage  1557  Mk. 

Von  den  gewählten  Revisoren  ist  Herr  Dr.  Hauptmann  von 
Bonn  verzogen,  der  Vorstand  hatHerm  C.Henry  ersucht,  an  seiner 


1)  Derselbe,   von  Herrn  Professor  Ranke  in  München  verfasst,  ist 
seither  im  Heft  94  S.  1  ff*  erschienen. 


264  Qeneral-Versaminlung  des  Vereins  am  16.  Juni  1893. 

Stelle  die  Revision  vorzunehmen.  Die  General- Versammlung  erklärt 
sich  mit  dieser  Wahl  einverstanden.  Die  Revisoren  haben  die  Rech- 
nungen geprüft  und  beantragen  die  Ertheilung  der  Decharge.  Diese 
wird  ausgesprochen. 

Die  Bibliothek  hat  sich  durch  den  Schriftenaustausch  mit 
andern  gelehrten  Gesellschaften  um  etwa  100  Bände  vermehrt;  sie 
hat  ausserdem  Geschenke  erhalten  von  Herren  Geheimrath  Seh aaff- 
hausen,  Professor  W^ieseler^  Professor  Wiedemann,  Dr. Gänsen 
und  verschiedenen  Verlegern.  Mit  besonderem  Danke  gedenkt  der 
Vorsitzende  endlich  eines  Geschenkes  von  ca.  200  Bänden  aus  dem 
Nachlasse  unseres  verdienten  Mitgliedes  des  Generals  von  Veith, 
Werke,  meist  auf  die  Geschichte  der  Rheiolande  in  ROmerzeiten 
bezüglich;  grösstentheils  doppelt  werthvoll  durch  zahlreiche  eigen* 
händige  Randbemerkungen  und  Kartenskizzen  des  Verewigten.  Nach 
Eröffnung  des  Museums  werden  filr  die  Benutzung  der  Bibliothek 
und  des  Lesezimmers  durch  die  Mitglieder  regelmässige  Besach- 
stunden  eingerichtet  und  wird  darüber  eine  Bekanntmachung  in  den 
Zeitungen  erfolgen. 

Sodann  wird  zur  Neuwahl  des  Vorstandes  übergegangen.  Geh.- 
Rath  Prof.  Httffer  schlägt  vor,  den  Herrn  Geh.-Rath  Prof.  Dr.  Bü- 
cheier zum  Präsidenten  durch  Zuruf  zu  wählen.  Dies  geschieht. 
Herr  Geh.-Rath  Buch el er  wird  gewählt  und  nimmt  die  Wahl  an. 
Die  übrigen  Vorstandsmitglieder  werden  durch  Zuruf  wiedergewählt. 

Herr  Konen  regt  die  Frage  an,  ob  es  nicht  geeignet  er- 
scheine, eine  Redactionscommission  einzusetzen.  Herr  Prof.  Löschcke 
hält  dies  ftar  eine  Sache  des  Vorstandes,  eine  Ansicht,  welche  von 
der  Versammlung  getheilt  wird. 


GeneralverMmmiung  des  Vereins  am  20.  Juni  1894. 


Der  Vorsitzende  Oeh.  Rath  Prof.  Dr.  B  liehe ler  eröffnete  um 
ÖV4  Uhr  Naehmittags  die  Versanimlnng  und  erstattete  folgenden 
Jahresbericht: 

„Der  Vorstand  des  Vereins  von  Alterthamsfrennden  im  Rhein* 
lande  hat  nach  Vorschrift  der  Statuten  die  heutige  OeneraWersamm* 
Inng  berufen,  und  im  Namen  des  Vorstandes  heisse  ich  Sie,  die  Sie 
hier  erschienen  sind,  willkommen. 

Schon  die  vorjährige  Generalversammlung  konnte  in  diesem 
Räume  stattfinden,  kurz  bevor  das  Bonner  Provinzialmuseum 
am  12.  Juli  eröffnet  wurde;  aber  erst  seitdem  sind  die  auch  aus 
unserm  Vereinsgut  ausgestatteten  Sammlungen  des  Provinzialmuseums 
zugänglich,  der  Besuch  und  die  Benutzung  derselben,  auf  welche 
der  Verein  ein  vertragsmässiges  Anrecht  hat,  geregelt  und  häufiger 
geworden.  Im  December  feierten  wir  dem  Herkommen  gemäss  das 
Winckelmannfest ;  Hr.  Nissen  hielt  den  Festvortrag  *),  Hr.  L  0  e  s  c  h  c  k  e 
und  der  Hr.  Vicepräsident  hatten  für  Ausstellung  neuester  Fund-  und 
Erwerbstücke  —  ich  erinnere  an  das  Scepter  der  Aebte  von  Wer- 
den —  Sorge  getragen,  der  Abend  gab  Qelegenheit  auf  die  gegen- 
wärtigen Aufgaben  des  Vereins  hinzuweisen.  Die  Bitte  um  Aus- 
breitung des  Verständnisses  und  hilfreichen  Wohlwollens  fUr  den 
Verein  und  seine  Bestrebungen  in  weitesten  Kreisen  kann,  denk' 
ich,  nicht  oft  genug  wiederholt  werd^  und  sei  daher  auch  hier 
ausgesprochen.  Im  Vordergmnd  der  Vereinsthätigkeit  stehen  zur 
Zeit  die  Jahrbücher;  von  diesen  ist  Heft  94,  dessen  Redaktion  im 
vorigen  Sommer  abgeschlossen  ward,  noch  1893  zur  Ausgabe  ge- 
langt; Heft  95,  weldies  unter  Anderm  den  erstra  genauen  Bericht 
über  das  in  Ereuznaeh  gefundene  römische  Mosaik  bringt,  ist  nahezu 


1)  Gedruckt  im  Jahrbuch  95  8.  1  ff. 


266  General- VersammluDg  des  Vereins  am  20.  Juni  1894. 

fertig  gedruckt,  auch  sind  schon  ftir  weitere  Hefte  artistische  Bei' 
lagen  beschafft  und  Vorbereitungen  getroffen. 

Mitglieder  hat  der  Verein  nach  den  seit  Anfang  1893  uns  zuge- 
gangenen Nachrichten  dreiunddreissig  verloren;  die  Hälfte  davon  durch 
den  Tod.  Unter  diesen  steht  wie  nach  dem  Todestag  (25.  Januar 
1893)  so  wegen  der  Bedeutung  für  uns  obenan  der  Präsident  Hr. 
Schaaff hausen,  dessen  Gedächtniss  bereits  in  der  letzten  Oeneral- 
versammhiDg  durch  den  Nachruf  des  Hm.  Vieepräsidenton  und  Ihre 
Ehrenbezeugung  gefeiert  ward.  Aus  der  Zahl  der  übrigen  Todten 
sei  mir  gestattet  hervorzuheben  die  Herren:  Leemans  in  Leiden, 
Lttbke  in  Karlsruhe  und  Wieseler  in  Göttingen,  femer  die  beiden 
seiner  Zeit  zu  Ehrenmitgliedern  ernannten  HH.  Greiff  in  Berlin- 
Pyrmont  und  Lind  enschmit  in  Mainz.  Wir  bedauern  den  Verlust  so 
hervorragender,  gelehrter  und  einflussreicher  Genossen  und  Gönner 
des  Vereins,  wir  freuen  uns  hingegen,  dass  das  Leben  und  die  Liebe 
zum  Alterthum  dem  Verein  doch  auch  einen  stattlichen  Zuwachs 
gebracht  hat,  im  Ganzen  von  demselben  Zeitpunkt  an  gerechnet  28 
neue  Mitglieder,  nämlich  die  Herren: 

Oberbergrath   Hasslacher  in  Bonn. 

Bankier  Dr.  Eltzbacher  in  Cöln. 

Buchhändler  Fritz  Cohen  in  Bonn. 

Stud.  phil.  Freiherr  von  Bissing. 

Stud.  phil.  Georg  Karo. 

Rechtsanwalt  Dr.  Carl  Georgi. 

Prof.  Dr.  Erich  Bethe  in  Rostock. 

Stud.  phil.  Job.  Dragendorff  in  Bonn. 

Stud.  phil.  Emil  Krüger. 

Privatdocent  Dr.  Aug.  Brinkmann. 

Oberfoibliothekar  Dr.  Rau. 

Prof.  Dr.  Heinr.  Dietzel. 

Weingntsbesitzer  Alex.  Hoff  mann. 

Prof.  Dr.  Carl  Seil. 

Rentner  Ferd.  Schaefer. 

Architekt  P.  Vosen. 

Rentner  Jos.  Henrion. 

Dr.  Otto  Scboetensack  in  Heidelberg. 

Prof.  Dr.  Eugen  Prjm  in  Bomi. 

Hypothekenbewahrer  Crohn. 

Oberlehrer  Dr.  Gttlde. 


General- Versammlung  de»  Vereins  am  20.  Juni  18d4.  267 

Kaiserliclie  Universität  in  Dorpat. 
Geh.  Rath  Prof.  Wilmanns  in  Bonn. 
Fräulein  S eh aaff hausen« 
Oberlehrer  Dr.  Poppelreuter. 
Privatdocent  Dr.  Felix  Solmsen. 
Cand.  phil.  Carl  Meurer. 
Holzhandlung  Jos.  Greven  in  Cöln. 
Die  vom  Herrn  Rendanten  aufgestellte  Rechnung  ergibt  fol- 
gende Ziffern: 

in  1893  in  1892 

Gesammteinnahme  Mk.  5746.41  Mk.  7468.36 

Davon  Beiträge  der  Mitglieder     „    5280.—  „    5440.— 

„    1200.- 
ansserordentlicher  Zuschuss  seitens  der  Provinzialverwaltung* 

Gesammtansgabe  Mk.  4289.26  Mk.  7191.62 

davon  fttr  Drucksachen  „     2107.—  „    2927.— 

Photos  u-  8.  w.  „      332.—  „      616.— 

Honorare         „      492.—  „     1762.— 

Buchbinder     „      236-—  „      842.— 

Bibliothek       ^      536.—  „      476.— 

Kasse  am  25.  Mai  1894  am  28.  Mai  1893 

Mk.  1457.23.  Mk.  276.74. 

Die  Rechnung  sammt  den  zugehörigen  Belegen  liegt  hier  zu 
Ihrer  Einsieht  offen«  Die  von  der  letzten  Generalversammlung  dafür 
gev^ählten  Herren  Carl  Henry  und  Oberstlieutenant  Heyn  haben 
sich  der  Arbeit  unterzogen,  die  Rechnung  zu  prüfen  und  haben  sie 
richtig  befanden.  Der  Vorstand  dankt  den  Herren  fQr  ihre  Mühewal- 
tung und  trägt  darauf  an^  dass  Sie  die  nach  den  Statuten  der  Ge- 
neralversammlung zukommende  Decharge  der  Jahresrechnung  fttr 
1893  ertheilen. 

Die  Bibliothek  des  Vereins  hat  sich  im  Vorjahr^  hauptsächlich 
durch  den  Austausch  mit  andern  Vereinen  und  Gesellschaften,  um 
etwa  200  Bände  vermehrt.  Dazu  kam  das  von  Veith'sche  Ver- 
mächtniss,  dessen  schon  im  vorigen  Jahresbericht  dankende  Erwäh- 
nung geschah.  In  Folge  der  jetzt  ermöglichten  übersichtlichen  Auf- 
stellung ist  die  Benutzung  der  Bibliothek  bequemer  geworden  und 
hat  demgemäss  auch  zugenommen.  Der  Hr.  Bibliothekar  ist  jeden 
Samstag  Nachmittag  3 — 5  Uhr  zur  Ausgabe   von  Büchern   w  die 


268  General- Versammlung  des  Vereins  am  20.  Juni  1894. 

Mitglieder  bereit;  etwaige  Aenderung  der  Stunde  wird  durch  die 
Zeitung  bekannt  gemacht. 

Ich  schliesse  diese  Mittheilung  mit  dem  Wunsche^  dass  Sie 
heute  und  immer  helfen  mögen^  das  alte  Ansehen  unseres  Vereins 
zu  behaupten  und  ihm  neues  dazu  zu  erwerben." 

Die  Versammlung  ertheilte  nunmehr  dem  Rendanten  Herrn 
Rechnungsrath  Fricke  die  Entlastung  und  erwählte  die  Herren 
OberstHeutenant  Heyn  und  Rentner  Carl  Henry  auch  f&r  das  kom- 
mende Jahr  zu  Revisoren.  Beide  Herren  waren  anwesend  und  nah- 
men die  Wahl  an.  Dann  forderte  der  Vorsitzende  zur  Neuwahl 
des  Vorstandes  auf.  Der  bisherige  Vorstand  ward  auf  Vorschlag 
des  Herrn  Kammerpräsidenten  Schorn  durch  Zuruf  wiedergewählt. 

Herr  Professor  Loeschcke  regte  die  Frage  an,  ob  nicht 
das  Leben  des  Vereins  lebhafter  gestaltet,  die  Beziehung  der  Mit- 
glieder zu  einander  eine  engere  werden  würde,  wenn  ausser  dem 
Winckelmannsfeste  auch  noch  andere  gemeinsame  Zusammenkünfte 
der  Mitglieder  veranstaltet  würden,  etwa  im  Sommer  archäologische 
Ausflüge,  im  Winter  Vortragsabende.  Herr  Kammerpräsident  Schorn 
schliesst  sich  diesem  Vorschlage  an.  Der  Vorsitzende  erklärte,  er 
seinerseits  und,  wie  er  glauben  dürfe,  der  ganze  Vorstand  sei  hiermit 
völlig  einverstanden  und  werde  unter  Zuziehung  geeigneter  Mit- 
glieder des  Vereins  berathen,  auf  welche  Weise  der  Gedanke  sich 
am  besten  verwirklichen  lasse. 

Einige  Herren,  besonders  Herr  Baumeister  Forst  aus  Cöln, 
zeigten  nach  Schluss  der  Verhandlungen  von  ihnen  in  letzter  Zeit 
neu  erworbene  Alterthümer;  dann  wurde  unter  Führung  des  Herrn 
Professor  Klein  ein  Rundgang  durch  das  Provinzialmuseum  unter- 
nommen. 


V.  Verzeichiiiss  der  Mitglieder  *) 

im  Jahre  1894, 

aufgestellt  am  20.  Juni  1894. 


Vorstand  des  Vereint  von  Juni  1804  bis  1895. 

Geh.  Rath  Prof.  Büc heier,  Präsident, 
Prof.  J.  Klein,  Vicepräsident, 
F.  van  Vleuten,         1  »«.cretäFi» 
Prof.  A.  Wi  e  d  e  m  a  n  n ,  1  ö««»^«^»'«» 
Dr.  P.  E.  Sonnenburg,  Bibliothekar. 


Rendant:  Rechnungsrath  Fr  icke  in  Bonn. 


Ebren-Mitgliedor. 

Diintzer,  Dr.,  Professor  und  Bibliothekar  in  Cöln. 

Falk,  Dr., Excellenz,  Staatsminister  a.  D.  und  Oberlandesgerichts-PrUsident 

in  Hamm. 
Greiff,  Dr.,  Excellenz,  Wirkl.  Geh.  Ob.-Reg.-Rath  und  Ministerial-Director 

in  Berlin. 
Hei  big,  Dr.,  Professor  in  Rom. 
Philipp  Krementz,  Dr.,  Erzbischof  von  Cöln. 
Schöne,  Dr.,  Geh.  Ober-Reg.-Rath  und  Geu.-Director  der  Königl.  Museen 

in  Berlin.  

Ordentliche  Mitglieder. 
Die  Namen  der  auswärtigen  Secretäre  sind  mit  fetter  Schrift  gedruckt. 

Achenbach,  Dr.  von.  Exe,  Staats-  A n d r e a e,  Professor  und  Historien- 

min.  a.D.u.Oberpräsid.  inPotsdam.  maier  in  Sinzig. 

Achenbach,    Berghauptmann    in  Antiquarisch-historischerVer- 

Clausthal.  ein  in  Kreuznach. 

Adler,   Geh.  Ober-Baurath,   Prof.  Archiv  der  Stadt  Aachen. 

in  Berlin.  Archiv,  Kgl.  Staats-,  in  Düsseldorf. 

Aldenkirchen,  Domcapitular  in  Trier.  Arndts,  Max  in  Cöln. 

Alterthums-Verein  in  Mannheim.  Arnoldi,  Dr.,  pract.  Arzt  in  Win- 

Alterthums-Verein  in  Worms.  ningen  a.  d.  Mosel. 

Alterthums-Verein  in  Xanten.  Asbach,  Dr.,  Director  in  Prüm. 

Alt  mann,  Bankdirector  in  Cöln.  Bade  Verwaltung  in  Bertrieb. 

Andre ae,  Dr.  Hans,  in  Burgbrohl.  Baedeker,  Carl,  Buchh.  in  Leipzig. 

A  n  d  r  e  a  e ,  Otto,  Fabrikbesitzer  in  B  a  1  z  e  r ,  Regier.-  u.  Baurath  in  Cöln. 

Mülheim  a.  Rhein.  Baron,  Dr.,  Professor  in  Bonn. 

1)  Der  Vorstand  ersucht,  Unrichtigkeiten  in  den  nachstehenden  Ver- 
Z6ichni3sen,  Veränderungen  in  den  Standesbezeichnungen  und  den  Wohn- 
orten gefälligst  dem  Rendanten,  Herrn  Rechnungsrath  Fricke,  schriftlich 
mitzutheilen.  Die  seit  Beginn  dieses  Jahres  verstorbenen  Mitglieder  sind 
mit  einem  *  bezeichnet. 


S7Ö 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


Beck,  Dr.,  Schulrath,  Seminar- 
director  in  Brühl. 

Becker,  Dr.,  Archivrath  u.  Staats- 
archivar in  Coblenz. 

Beger,  Otto,  Director  in  Ehrenfeld. 

Beissel  von  Gymnich,  Graf  auf 
Schloss  Schmi^thein,  Bifei. 

Bemberg,  von,  Rittergutsbesitzer 
in  Flamersheim. 

Berlepsch,  Frhr.  v.^  Staatsminister 
in  Berlin. 

Bethe,  Erich,  Dr.,  Professor  in 
Rostock. 

Bibliothek  der  Stadt  Bannen. 

Bibliothek  der  Universität  Basel. 

Bibliothek  des  akadem.  Kunst- 
museums in  Bonn. 

Bibliothek  des  Lyceums  Hosiana 
in  Braunsberg. 

Bibliothek,  Ständ.Landes-  LCassel. 

Bibliothek  der  Stadt  Cleve. 

Bibliothek  der  Stadt  Cöln. 

Bibliothek  der  Stadt  Crefeld. 

Bibliothek,  Fürstl.  in  Donau- 
eschingen. 

Bibliothek  der  Universität  Dor- 
pat. 

Bibliothek  der  Stadt  Düren. 

Bibliothek    der  Stadt  Düsseldorf. 

Bibliothek  der  Stadt  Duisburg. 

Bibliothek  der  Stadt  Emmerich. 

Bibliothek     der     Stadtgemeinde 

Bibliothekder  Stadt  Frankfurt  a.M. 

Bibliothek  der  Universität  Frei- 
burg i.  B. 

Bibliothek  der  Stadt  M.  Gladbach. 

Bibliothek  der  Uni vera.  Göttingen. 

Bibliothek  der  Universität  Halle 
a.  d.  S. 

Bibliothek  der  Stadt  Hamburg. 

Bibliothek  der  Universität  Königs- 
berg i.  Pr. 

Bibliothek  der  Universität  Löwen. 

Bibliothek  der  Universität  Lüttich. 

Bibliothek  der  Stadt  Mainz. 

Bibliothek,  Gräfl.  v.  Mirbach*sche 
zu  Harif. 

Bibliothek  der  Akademie  in 
Münster. 

Bibliothek,  Stifts-   in  Oehrfngen. 

R. Bibliothek  Palatina  in  Parma. 

Bibliothek  der  Universität  Prag. 

Bibliothek  der  Stimmen  aus  Maria 
Laach.  Exaeten  beiBaexem,  Hol- 
land. Limburg. 

Bibliothek  der  Stadt  Stralsund. 

Bibliothek  der  SUdt  Trier. 

Bibliothek  der  Univ.  Tübingen. 


Bibliothek,  Königl.  in  Wiesbaden. 

Binz,  Dr.,  Geh.  Rath  und  Professor 
in  Bonn. 

Bissing,  Freiherr  von,  stud.  phil. 
in  Bonn. 

Blanchard-Surlet,  Baron  de, 
SchlosB  Lexhjr  b.  Texhe. 

Blank,  Emil,  Kaufmann  in  Barmen. 

Bl  ank ,  Gust., Fabrikantin Elberfeld. 

Blank,  Willy,  Rentner  in  Elberfeld. 

Boch,  von,  ausw.  Secret.,  Geh.  Com- 
merzienrath  u.  Fabrikbesitzer  in 
Mettlach. 

Bock,  Adam,  Dr.  jur.  in  Aachen. 

B  o  e  c  k  i  n  g ,  G.  A.,  Hüttenbesitzer  zu 
Abenteuerhütte  b.  Birkenfeld. 

Boecking,K.  Ed.,  Hüttenbesitzer  zu 
Gräfenbacherhütte  b.  Kreuznach. 

Boeddlnghaus,  Wm.  sr.,  Fabrik- 
besitzer in  Elberfeld. 

Bone,  Professor  Dr.,  Gymn.-Oberl. 
in  Düsseldorf. 

Borret,  Dr.  in  Voeelensang. 

Bracht,  Eugen,  Prof.  der  Kunst- 
akademie in  Berlin. 

Brambach,  Dr.,  Prof.  und  Ober- 
bibliothekar in  Karlsruhe. 

Brinkmann,  August,  Dr.,  Privat- 
docent  in  Bonn. 

Brühl,  Graf  v.,  Landrath  in  Coblenz. 

Brunn,  von,  Dr.,  Prof.  in  München. 

Bücheier,  Dr.,  Geh.  Reg.-Rath, 
Professor  in  Bonn, 

Bürgers, V., Kaufmann  in  Plitters- 
dorf. 

Bürgerschule,  Höhere  in  Düssel- 
dorf. 

Bürgerschule,  Höh.  in  Hechhi^n. 

Burkhardt,  Dr.,  Pastor  in  Blösien. 

Caesar,  Aug.,  Dr.,  Landger  .-Prä- 
sident a.  D.  in  Bonn. 

Cahn,  Carl,  Bankier  in  Bonn. 

Cappell,Landger.-Dir.i.Wie8baden. 

Carnap,  von,  Rentner  in  Elberfeld. 

C  ar  o  n^lb.  Heinrich,  Gutabesitz.  auf 
HausHelsterber^  beiKönigswinter. 

C a r  s  t  a  n j  e  n,  Adolf  v.,  in  G odesberg. 

Chrzescinski,  Pastor  in  Cleve. 

Civil -Casino  in  Coblenz. 

Civll-Casino  in  Cöln. 

Ciaer,  Alex,  von,  Lieutenant  a.D. 
und  Kentmeister  in  Bonn. 

C 1  a  e  r ,  Eberhard,  von,  Gutsbesitzer, 
Haushof  in  Vilich  bei  Bonn. 

C 1  a  e  r ,  Ernst  von,  Major  a.  D.in  Bonn. 

Clemen,  Dr.  Paul  in  Bonn.' 

Cohen,  Friedr.,  Buehhdlr.  in  Bonn. 

Conrady,  Kreisrichter  a.  D.  in 
Miltenberg^ 


Vereeichniss  der  Mitgliedeir. 


m 


ConserVatorium  d.  Alterthämer, 

GrosBherzogl.BadiBch.  inCarlsrube. 
Conze,  Gottfried,  Provinzial-Land- 

tagfl-Abgeordneter  in  LaDgenbersr 

(Rheinl). 
CorneliUB,  Dr.,  Prof.  in  München. 
C  o  u  r  t  h ,  Assessor  a.  D.  in  Düsseldorf. 
Crohn,  Herrn.,   Kgl.  Hypotheken- 
bewahrer  in  Bonn. 
Cüppers,  Conr.,  Dr.,  Real-Gymna- 

siallehrer  in  Cöln. 
Ouno,  Regiemngs*  nndBanrath  in 

Coblenz. 
C  u  r  t  i  u  s ,  Dr.,  Geh.-R.,  Prof . in  Berlin. 
D  a  h  m ,  Dr.  GeorgCarl,  Rentn.iBonn. 
Deichmann,    Theodor,    Commer- 

zlenrath  in  Cöln. 
Deiters,  Dr.,  Geh.  Regiemngsrath 

in  Coblenz. 
D  e  p  p  e ,  Angust,  Dr.  in  Heidelberg. 
Diergardt,  Frhr.  von,  Morsbroich. 
Dietzel,  Heinrich,  Professor,  Dr.  in 

Bonn. 
Dilthey,  Dr.,  Prof.  in  Göttingen. 
Dobbert,  Dr.,  Prof.  in  Berlin. 
D  o  e  t  s  eh ,  OberbürgermeistinBonn. 
Donsbach,  cand.  phil.  inBoppard. 
D  ungern,  Frhr.  von,   Präsid.  der 

Grossherz.   Luxemburgischen  Fi- 

nanzkammer  in  Wiesbaden. 
Dragendorff,     Joh.,    stud.    phil. 

in  Bonn. 
Dutrenx,  T.,  Rentn.  in  Luxemburg. 
Eich  hoff,  Otto,  in  Sayn. 
Eick ,  Carl  Alfred,  Rechnungsführer 

iB  Mechernich. 
Elter,  A.,  Dr.,  Professor  in  Bonn. 
Elt«ster,  von,  In  Coblenz. 
Eltz,  Graf,  Excellenz  in  EltviHe. 
Eltzbacher,  Dr.  Fritz,  Bankier  in 

Cöln. 
Engelskirchen,  Architect  in  Bonn. 
Erlenmeyer,  Dr.  Albr.,   Sanitäts- 

rath  in  Bendorf  am  Rhein. 
E  s  k  e  n  s ,  Frl.  Jos.,  Rentnerin  in  Bonn. 
Esser,  Dr.,  Kreisschulinspector  in 

Malmedv. 
Evans,  John  zu  Nash-Mills  in  Engl. 
Eynern,  Ernst  von,  Kaufmann  in 

Bannen. 
Finkeinburg,    Prof.,    Dr.,    Geh. 

Rath  in  Godesberg. 
Firmenich -Richartz,   Frau,    in 

Bonn. 
Flandern,  Kgl.  Hoheit  Gräfin  von, 

in  Brüssel. 
Fleck  eisen,  Dr.,  Prof.  in  Dresden. 
Flinsch,   Major   a.  D.  in    Immen- 
burg b.  Bonn. 


Follenius,  Geh.  Bergrath  in  Bonn. 
Fonk,  Landrath  in  Küdesheim. 
Forst,  W.,  Baumeister  in  Cöln. 
Franks,    Aug.,     Conser vator    am 

British-Museum  in  London. 
Fricke,  Rechnungsrath  und  Ober- 

bergamtsrendant  in  Bonn. 
Friederichs,    Carl,    Commerzien- 

rath  in  Remscheid. 
Friedlttnder,  Dr.,  Professor,  Geh. 

Reg.  Rath  in  Strassburg,  Elsass. 
Frings  ,Frau,  Commerzienr.Eduard, 

auf  Marienfels  b.  Remagen. 
F  r  0  w  e  i  n ,  Aug.,  KaufYn.  in  Elberfeld. 
Fr o wein,  Landrath  in  Wesel. 
Fröhlich,  Stephan,  Notar  in  Cöln. 
Fuchs,   Pet,    Professor  und  Dom- 

bildhauer  in  Cöln. 
Fürstenberg,  Graf  von,  Erbtruch- 

sess  auf  Schloss  Herdringen. 
Fürstenberg-Stammheim,  Graf 

von,  Stammheim  b.  Mülheim  a.  Rh. 
Fuss,  Dr.,  Gymn.-Dir.  zu  Strassburg 

im  Elsass. 
Gaedechens,    Hofrath,    Dr.,   Pro- 
fessor in  Jena. 
Gandtner,  Dr.,  Curator,  Geh.  Ober- 

Reg.-Rath  in  Bonn. 
Georgi,  Carl,  Dr.,  Rechtsanwalt  in 

Bonn. 
Gewerbeschule    (Realschule)    in 

Saarbrücken. 
Goebbels,  Stiftsherr  am  Collegiat- 

stift  in  Aachen. 
Goebel,  Dr.,  Gym.-Dir.  in  Fulda. 
Gothein,  Dr.,  Professor  in  Bonn. 
Goldschmidt,Rob.,Bankieri.Bonn. 
Goldschmidt,  Walter,  Bankier  in 

Bonn. 
Gräfe,  Dr.,  Professor  in  Bonn. 
G  r  an  d  -Ry ,  von,  Rittergutsbesitzer 

in  Bonn. 
G  r  e  V  eil,  Jos.,  Holzhandlung  in  Cöln. 
*Grüneberg,Dr.,  Commerzienrath 

in  Cöln. 
Guide,  Oberlehrer,  Dr.  in  Bonn. 
Guilleaume,  Frz.,  Fabrikbesitzer 

in  Bonn. 
Gurlt,  Dr.  Adolf,  in  Bonn. 
Gy  m  n  a  si um  KaiserKarl  in  Aachen. 
Gymnasium  zu  Birkenfekl. 
Gymnasium  in  Bochum. 
Gymnasium  in  Bonn. 
Gymnasium  in  Bruchsal. 
Gymnasium  in  Carlsruhe  in  Baden. 
Gymnasium  in  Cassel. 
Gymnasium  in  Cleve. 
Gymnasium  in  Coblenz. 
Gymnasium  anStAposteln  in  Cöln. 


m 


Veraeichntfis  der  Mitgltedei^. 


Gymnasiuin,   Kaiser  Wilhelm-  in 

Cöln. 
Gymnasium  an  Marzeüen  in  Cöln. 
Gymnasium  in  Düren. 
Gymnasium  in  Düsseldorf. 
Gymnasium  in  Duisburg. 
Gymnasium  in  Elberfeld. 
Gymnasium  in  Emmerich. 
Gymnasium  in  E^sen. 
G  y  m  n  a  s  i  um  in  Freiburff  in  Baden. 
Gymnasium  in  M.  Gladbach. 
Gymnasium  in  Höxter. 
Gymnasium  in  Kempen  (Rhein). 
Gymnasium  in  Mannheim. 
Gymnasium  in  Montabaur. 
Gymnasium  in  Münstereifel. 
Gymnasium  in  Neuss. 
Gymnasium  in  Neuwied. 
Gymnasium  in  Rheine. 
Gymnasium  in  Rinteln. 
Gymnasium  in  Saarbrücken. 
Gymnasium  in  Sieffburg. 
Gymnasium    in    Tauberbischofii- 

heim. 
Gymnasium  in  Trarbach. 
Gymnasium  in  Trier. 
Gymnasium  in  Wesel. 
Gymnasium  in  Wetzlar. 
H  a  a  s  s ,  Eberh.,  Apotheker  in  Viersen. 
Hab  et s,  Jos.,  Reichsarchivar, Mitgl. 

d.  Königl.  Akad.  d.Wis8en8ch.  in 

Mastricht. 
Hanstein,  Peter,   Buchhändler  in 

Bonn. 
Hardt,  A.  W.,  Kaufhiann  u.  Fabrik- 

besiteer  in  Lennep. 
Hasslacher,  Königl.  Oberbergrath 

in  Bonn. 
Haug,  Ferd.,  Professor  u.  Gvmnasial- 

Director,  ausw.Secr.,  in  Mannheim. 
Hauptmann,  Rentner  in  Bonn. 
Hauptmann,   Felix,  Dr.  in  Bonn. 
Heckmann,  Fabrikant  in  Viersen. 
Heereman,  Frhr.  von,  Regierungs- 

rath  a.  D.  in  Münster,  Westf. 
Heinsberg,  von,  Geh.Regierungs- 

rath  in  Wevelinghoven. 
Helmentag,   Hauptmann  a.  D.  in 

Dresden. 
Henrion,  Jos*,  Rentner  in  Bonn. 
Henry,  Rentner  in  Bonn. 
Herder,  August,  Kaufmann  in  Eus- 
kirchen. 
Herder,  Ernst,  in  Euskirchen. 
Herfeld,    Frau    Josephine,    geb. 

Bourette  in  Andernach. 
Herstatt,  Eduard,  Rentner  in  Cöln. 
Hettner,   Professor  Dr.,   Director 

des  Proyinz.-Museums  in  Trier. 


Heuser,  Robert,  SUdtrath  in  CÖb. 

Heydinger,  Pfarrer  in  Schleid- 
weiler  bei  Anw,   Reg.-Bez.  Trier. 

Hey  dt,  von  der,  Freiherr  August, 
Bankier  in  Elberfeld. 

Hey  dt,  von  der,  Carl,  Rentner  in 
Berlin. 

Heyl,  C.  W.,  Freiherr  von,  Geh. 
Commerzienrath  in^Hermsheim  b. 
Worms. 

Heyn,  Oberstl.  in  Bonn. 

Hilgers,  Freih.  von,  General  der 
Infanterie  z.  D.  in  Darmstadt. 

Hil legem,  Sixvan,  in  Amsterdani. 

Historischer  Verein  für  Dortmund 
und  die  Grafschaft  Mark  in  Dort- 
mund. 

Historischer  Verein  für  die  Saar- 
gegend in  Saarbrücken. 

Höstermann,  Dr.,  Arzt  in  Ander- 
nach. 

Hoeting,  Bernhard,  Dr.,  Bischof 
von  Osnabrück. 

Hopf n er,  Dr.,  Geh.  Regierungsrath 
im  Cultusministerium  in  Berlin. 

H  o f m  an n ,  Alex.,  Weingutsbesiizer 
in  Bonn. 

Homnesch,  Graf  Alfr.  von,  zu 
Schloss  Rurich. 

Hübner,  Dr.,  Professor  in  BerUn. 

Hüff  er,  Dr.,  Professor  u.  Geh.  Raih 
in  Bonn. 

H  ü  t  w  o  h  1 ,  J.,  in  Steeg  b.  Bacharach. 

Humbroich,  Justizrath  U.Rechts- 
anwalt in  Bonn. 

Hupertz,  Commerzienrath  in  Me- 
chemich. 

Huyssen,  Dr.,  Wirkl.  Geh.  Rath, 
ExceUenz  in  Bonn. 

Huyssen,  Ingenieur  in  Nieder- 
breisifi". 

Ihm,  Max,  Dr.  phil.,  Privatdocent 
in  Halle  a.  Saale. 

Isphording,  Reg.-Baumeister  in 
Bonn. 

J  a  e  h  n  s ,  Max,  Major  im  Gr.  General- 
stab in  Berlin. 

Jenny,  Dr.  Sam.,  in  Hard  b.  Bre- 
genz. 

Joerres,  Dr.,  Rector,  in  Ahrweiler. 

Jörissen,  Pastor  in  Alfter. 

Joest,  Frau  August,  in  Cöln. 

Isenbeck,  Julius,  Rentner  in  Wies- 
baden. 

Kahl,  W.,  Dr.,  Professor  in  Bonn. 

Karo,   Georg,   stud.  phll.  in  Bonn. 

Karsch,  Paul,  Königl.  Eisenbahn- 
Bau-  u.  Betriebs-Inspect,  in  Essen 
(Ruhr). 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


273 


KanfmanD,    Oberbürgerm.   a.   D. 

in  Bonn. 
Kaulen,  Dr.,  Professor  in  Bonn. 
Klein,  Dr.  Job.,  Professor  in  Bonn. 
Klerings,  Qastwirth  in  Bertrich. 
Klingholz,  Rentner  in  Bonn. 
Knaben-Pensionat,  kath.,  Kein- 

perhof  bei  Coblenz. 
Knebel,  Landrath  a.  D.,  Geh.  He- 

gierungsrath  in  Cöln. 
Koch,     Dr.    theol.,     MilitJlr- Ober- 
pfarrer, in  Frankfurt  a.  M. 
Koenen,  Constant.,  Archäologe  in 

Neuss. 
K  o  enig,  Fritz,  Rentner  in  Dresden. 
Koerte,  Dr.,  Professorin  Rostock. 
Kohl,  Dr.,  Professor  u.  Gymnasial- 

Oberlehrer  zu  Kreuznach. 
Kosh  ab,  Jos.,  Baurath  in  Cöln. 
Koser,  Reinhold,  Professor  in  Bonn. 
Kr  äfft,  Dr.,   Geh.  Consistorialrath 

und  Prof.  in  Bonn. 
Kram  er,  Franz,  Rentner  in  Cöln. 
Kraus,  Dr.,  Professor  in  Freiburg 

L  B. 
Kreis-AusschasB,    Landkreis   in 

Bonn. 
Kreis-Ausschuss,    Landkreis  in 

Coblenz. 
Kreis-Ausschuss,   Landkreis   in 

Cöln. 
Kreis-Ausschuss,    Landkreis   in 

Crefeld. 
Kreis-Ausschuss  in  Dann. 
Kreis-Ausschuss,  Landkreis  in 

Düsseldorf. 
Kreis-Ausschuss,   Landkreis   in 

Essen  a.  d.  Ruhr. 
Kreis-Ausschuss  in  Euskirchen. 
Kreis-Ausschuss    in    Gummers- 
bach. 
Kreis-Ausschuss  in  Lennep. 
Kreis-Ausschuss  in  Malmedy. 
Kreis-Ausschuss  in  Meisenheim. 
Kreis-Ausschuss  in  Merzig. 
Kreis-Ausschuss     in    Mülheim 

a.  Rhein. 
Kreis-Ausschuss      in     Mülheim 

a.  d.  Ruhr. 
Kreis-Ausschuss  in  Neuss. 
Kreis-Ausschuss  in  Ruhrort. 
Kreis-Ausschuss    in    Saarburg, 

R.-B.  Trier. 
Kreis-Ausschuss  in  Saarlouis. 
Kreis-Ausschuss  in  Schieiden. 
Kreis-Ausschuss  in  Siegburg. 
Kreis-Ausschuss    Mettmann    in 

Vohwinkcl. 
Kreis-Ausschuss  in  Wetzlar. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Altcrthsfr.  im  Rheinl. 


Kreis-Ausschuss  in  Wittlich. 

Krüger,  Emil,  stud.  phil.  in  Bonn. 

Krupp,  Geh.  Commerzieurath  in 
Essen. 

K  ü  h  I  e  n ,  B.,  Inhaber  einer  artistisch. 
Anstalt  in  M.- Gladbach. 

Kur-Commission  in  Bad  Ems. 

Landau,  H.,  Commerzieurath  in 
Coblenz. 

Landrathsamt,Königl.  in  Aachen. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Adenau. 

L  an  drathsamt,Königl.  Ahrweiler. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Alten- 
kirchen. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Er- 
kelenz. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Geilen- 
kirchen. 

Landrathsamt,  Königl.  in  M.- 
Gladbach. 

Landrathsamt,  Kön.  in  Greven- 
broich. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Heins- 
berg. 

Landrathsamt,  Kön.  in  Kempen. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Rheiu- 
bach. 

Landrathsamt,  Kön.  in  Simmern. 

Landrathsamt,  Königl.  in  So- 
lingen. 

Landrathsamt,  Königl.  in  Wessel. 

Landsberg,  Dr.  Ernst,  Professor 
in  Bonn. 

Landsberg-Steinfurt,  Freihr. 
von,  Engelbert,  Gutsbes.  in  Dren- 
steinfurt. 

Landwehr,  Dr.,  Rechtsanwalt  in 
Königswinter. 

Langen,  Eugen,  Commerzienr.  in 
Cöln. 

Lasaulx,  von.  Bürgermeister  in 
Remagen. 

L  a  u  t  z ,  Geheimer  Justizrath  inBonn. 

Lautz,  Justizrath  und  Notar  in  El- 
berfeld. 

Leber,  Gymnasiallehrer  in  Bonn. 

Leiden,  Hans,  Consul  in  Cöln. 

Lempertz,  H.Söhne,  Buchhdlg.  in 
Cöln. 

Lennep,  van,  in  Zeist. 

Lese-  und  Erholungs-Gesell- 
schaft in  Bonn. 

Leydel,  J.,  Rentner  in  Bonn. 

L  e  y  e  n  von  der,  Emil,  Rittergutsbes., 
Burg  Miel  bei  Odendorf. 

L i ebene w,  Professor,  Geh.Rechn.- 
Rath  in  Berlin. 

Liebieg,  Angelica,  Frau  Baronin 
von,  in  Gondorf  a.  M. 

X  ov.  18 


274 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


Linden,  Anton,  in  Düren. 
Lindenschmidt,   Carl^  Rechtsan- 
walt in  Elberfeld. 
Li n  t z ,  Jac,  VerlagsbuchhUndler  in 

Trier. 
Lo6,    Frhr.  von,    Generaloberst  in 

Coblenz. 
Loeschcke,  Dr.,Profcfi.sor  i. Bonn. 
Loersch,  Dr.,  Geh.  Justizrath  und 

Professor  in  Bonn. 
L  o  h  a  u  s  ,       Ober  -  Verwaltungsgo- 

richtsrath  in  Berlin. 
Märtens,  Baurath  in  Bonn. 
Marcus,    Verlagsbuchhändler     in 

B.onn. 
Martius,  Goetz,  Dr.,  Professor  in 

Bonn. 
Mar  X ,  Aug.,  Civil-Ingenieur  inBonn. 
MehliSy    Dr.  C,   Prof.,    ausw.  Secr., 

Gymnasiallehrer  in  Neustadt  a.d. 

Hardt. 
Merkens,    Franz,    Kaufmann    in 

Cöln. 
Mertz,  Sebastian,  Rentner  in  Cöln. 
Meurer,  Carl,  cand.  phil.  in  Sayn. 
Mevissen,  von,  Dr.,  Geh.  Commer- 

zienrath  in  Cöln. 
Meyer,  Dr.,  Regierungsrath  in  Cöln. 
Michaelis,  Dr.,  Professor  in  Strass- 

burg. 
Michels,  F.,  in  Andernach. 
Michels,  G.,  Kaufmann  in  Cöln. 
Mörner    v.  Morlande,    Graf,    in 

Roisdorf. 
Mommsen,  Dr.,  Professor  in  Char- 
lottenburg. 
Mooren,  Dr.  Albert,  Geheimer Me- 

dicinalrath  in  Düsseldorf. 
M Osler,  Dr.,  Professor  a.  Seminar 

in  Trier. 
Müllenmeister,    Th.,    Kaufmann 

in  Nieukert. 
Müller,   Dr.  med.,  SanitUtsrath  in 

Niedermendig. 
Müller,  Dr.  Albert,  Gymnasial-Di- 

rector  zu  Flensburg  in  Schleswig. 
Münz-    und  Antiken-Cabinet, 

Kais.  Königl.  in  Wien. 
M  u  s  6  e  royal  d'Antiquites,  d'Armu- 

res  et  d*Artillerie  in  Brüssel. 
Museen,  die  Königl.  in  Berlin. 
Museum  Wallraf-Richartz  in  Cöln. 
Museum,   Fürstlich   Hohenzollern- 

sches  in  Sigmaringen. 
Museum,  Gemeinde-  in  Nymwegen. 
Museum,  Reichs-  in  Nvmwegen. 
Neil,  von,  Joh.  Pet.  Öutsbesitzer 

in  Trier. 
Neil  essen,  Theodor,  in  Aachen. 


Neufville,  W.von,  Rentn.  in  Bonn. 
Neuhäuser,   Dr.,   Geh.  Reg.  Rath 

und  Professor  in  Bonn. 
Neuhoff,  Dr.  Robert,  Chemikerin 

Elberfeld. 
Niessen,  C.  A.,  Bankier  in  Cöln. 
Nissen,  Dr.  H.,  Prof.  u.  Geh.  Rath 

in  Bonn. 
Nitzsch,  Dr.,  Gymn.-Dir.  in  Biele- 
feld. 
Nordhoff,  Dr.,  aus w.  Secr.,  Professor 

in  Münster  i.  W. 
Norrenberg,     Dr.,     Pfarrer     in 

Süchteln. 
Oberbergamt,  Kgl.  in  Bonn. 
Oberschulrath,   Grossherzoglich 

Badischer,  in  Carlsruhe. 
Oechelhäuser,    von,   Dr.,    Prof. 

in  Heidelberg. 
Oidtmann,  Heinrich,  Dr.,  Inhaber 

einer  Glasmalerei  in  Linnich. 
Oppenheim,  Albert,  Freiherr  von, 

k.  Sachs.  General-Consul  in  Cöln. 
Oppenheim,  Eduard,  Freiherr  von, 

k.  k.  General-Consul  in  Cöln. 
Ort,  J.  A.,  Rittmeister  in  Leiden. 
Overbeck,   Dr.,   ausw.  Secr.,  Prof.  in 

Leipzig. 
Papen,    von,    Prem.-Lieut.    im    T). 

Ulanen-Regiment  in  Werl. 
Pauls,  E.,   Rentner  in  Düsseldorf. 
Paulus,  Prof.  Dr.,  Conservator  d.  k. 

Württ.  Kunst-  u.  Alterthumsdenk- 

male,  ausw.  Secr.  in  Stuttgart. 
P au  1  y  , Dr., Oberpfarrer  in Montjoie. 
Pflaume,  Baurath  in  Cöln. 
Pick,  Rieh.,  Stadtarchivar  in  Aachen . 
Plassmann,   Landesrath  a.  D.  zu 

Münster  i.  W. 
Pleyte,  Dr.  W.,  auswärt.  Secr.,  Direc- 

tor   des   Reichs-Museum    der  Al- 

terth.  in  Leiden. 
Polytechnicum  in  Aachen. 
Poppelreuter,    Dr.,    Oberlehrer 

in  Bonn. 
Prieger,  Dr.,  Rentner  in  Bonn. 
Priester-Seminar,  Bischöfliches 

in  Trier. 
Proff-Irnich,    Freiherr  Dr.   von, 

Landgerichts-Rath  a.  D.  in  Bonn. 
Progymnasium  in  Andernach. 
Progymnasium  in  Dorsten. 
Progymnasium   in  Eschweiler. 
Progymnasium  in  Euskirchen. 
Progymnasium  in  Malmedy. 
Progymnasium  in  Rheinbach. 
Progymnasium  in  Sobeniheim. 
Progymnasium  in  St.  Wendel. 
Progymnasium  in  Wipperfürth. 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


276 


Provinzial-Verwaltung  in 
DÜ8seldorf. 

Prüfer,  Theod.,  Architectin  Berlin. 

Ery  in,  Eugen,  Prof.,  Dr.  in  Bonn. 

Quack ,  Rechtsanwalt  u.  Bankdirec- 
tor  in  M.-Gladbach. 

Randow,  von,  Kaufm.  in  Crefeld. 

Rath,  Emil  vom,  Comm.-Rath  in 
Cöln. 

Rath,  vom,  Frau  Eugen,  in  Cöln. 

Rau,  Hermann,  Dr.,  Ünivers.-Ober- 
Bibliothekar  in  Bonn. 

Rauten  Strauch,  Eugen,  in  Cöln. 

Rau t er,  Oskar,  Director  der  rhei- 
nischen Glashütte  in  Ehrenfeld. 

Rautert,  Oskar,  in  Düsseldorf. 

Real-Gymnasium  in  Barmen. 

Real-Gyninasium  in  Düsseldorf. 

Real-Gymnasium  in  Elberfeld. 

Real-Gvmnasium  in  Mülheim 
a.  d.  R. 

Real-Gymnasium  in  Ruhrort. 

Real-Gymnasium  in  Trier. 

Real-Progymnasium  in  Bonn. 

Real-Progymnasium   in  Eupcn. 

Real-Progymnasium  in  Saar- 
louis. 

Real-Progymnasium  inSolingen. 

Real-Progymnasium  in  Viersen. 

Realschule  in  Aachen. 

Realschule,  Obere,  in  Cöln. 

Realschule  in  Essen. 

Recklinghausen,  von,  Wilh.,  in 
Cöln. 

Remy,  Jul.,  in  Neuwied. 

Rennen,  Geh.  Rath,  Eiscnbahn-Di- 
rections-Prttsident  in  Cöln. 

Reuleaux,  Heinr.,  Techniker  in 
Remagen. 

Reu  seh,  Gutsbesitzer,  Gut  Idylle 
bei  Kruft. 

Rieth,  Dr.,  Rechts-Anwalt  in  Cöln. 

Rigal-Grunland,  Frhr.  von,  in 
Bonn. 

Ritter- Akademie  in  Bedburg. 

Roeber,  Friedrich,  Bankier  in  El- 
berfeld. 

Roettgen,  Carl,  Rentner  in  Bonn. 

Rolffs,  Commerzienrath  in  Bonn. 

Rohlfs,  Generalconsul,  in  Godes- 
berg. 

R  o  s  b  a  c  h ,  Professor,  Gymn.-Lehrer 
in  Trier. 

Saemisch,  Dr.,  Geh.  Rath  und  Pro- 
fessor in  Bonn. 

Salm- Salm,  Durchlaucht  Fürst  zu, 
in  Anholt. 

San  dt,  von,  Dr.  juris,  Landrath  in 
Bonn. 


Sauppe,  Dr.,  Geh.  Reg.-Rath  u. 
Prof.  in  Göttiugen. 

Schaaffhausen,  Fräulein  inBonn. 

Scha  äff  hausen,  Hubert,  Land- 
gerichtsrath  in  Cöln. 

Schaefer,  Ferdinand,  Rentner  in 
Bonn. 

Schallenberg,  Pet.  Jos.,  Bier- 
brauereibesitzer in  Cöln. 

Schenk,  Justizrath  in  Cöln. 

Schi  ekler,  Ferd.,  in  Berlin. 

Schierenberg,  O.A.  B.,  Rentner 
in  Luzern. 

Schlumberger,  Jean,  Fabrikbcs. 
u.  Präsid.  d.  Landesausschusses 
f  Elsass-Lothringon  in  Gebweiler. 

Schmithals,  Rentner  in  Bonn. 

Schneider,  Dr.,  ausw.  Secr.,  Professor 
in  Cleve. 

Schneider,  Dr.  R.,  Gymnas.-Di- 
rector  in  Duisburg. 

Schneider,  Friedr.  Dr.,  Domcapi- 
tular  in  Mainz. 

Schnock/  Heinrich,  Pfarrer  in 
Aachen. 

Schnütgen,  Dr.,  Domherr  in  Cöln. 

Schoetensack,  Dr.  Otto,  in  Hei- 
delberg. 

Sehern,  Kammerpräs.  a.D.  in  Bonn. 

Sc  ho  eil  er.  Guido,  Kaufmann  in 
Düren. 

Schoeller,  Edgar  in  Düren. 

Schoeller,  Julius,  Frau,  in  Düren. 

Schönaich-Carolath,  Prinz, 
Berghauptmann  a.  D.  in  Potsdam. 

Schoeningh,  Verlagsbuchhändler 
in  Münster  i.  Westf. 

Schroers,  J.  H.,  Dr.,  Prof.  in  Bonn. 

Schultz,  Franz,  Director  in  Deutz. 

Schunck,  Josef,  Frau  Bergwerks- 
und Weinguts-Besitzerin  in  Bonn. 

Schwan,  städt.  Bibliothekar  in 
Aachen. 

Schwann,  Dr.,  Sauitätsrath  in  Go- 
desberg. 

S  e  I  i  g  m  a n  n ,  Moritz,  Bankier  i.  Cöln. 

Sels,  Dr.,  Fabrikbesitzer  in  Neuss. 

Seil,  Carl,  Professor,  Dr.  in  Bonn. 

Seminar  in  Boppard. 

Seminar  in  Cornelimünster. 

Seminar  in  Elten. 

Seminar  in  Neuwied. 

Seminar  in  Odenkirchen. 

Seminar  in  Siegburg. 

Sevffardt,  Heinr.,  Kaufmann  in 
Crefeld. 

Simrock,  Dr.,  Francis  in  Bonn. 

Sloet  van  de  Beele,  Baron,  Dr., 
L.  A.  J.  W.,  Mitglied  der  k,  Akad. 


276 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


der  Wit$sensch.  zu  Amsterdam  in 
Arnheiui. 

Solms,  Durchlaucht,  Prinz  Albrecht 
zu,  in  Braunfels. 

S  o  1  m  s  e  n,  Dr.,  Privatdozent  in  Bonn. 

Sonnenbarg,  Dr.,  Gymnasialleh- 
rer in  Bonn. 

Spie8-Bülle8heim,Freih.Ed.von, 
k.  Kammerherr  und  Bürgermeister 
auf  Haus  Hall. 

Spitz,  von,  Generallieutenant,  Di- 
rector  im  Kriegs-Ministerium  in 
Berlin. 

Springorum,  Wilh.,  Director  der 
Vaterl.  Feuer- Vers.-Aktienges.  in 
Elberfeld. 

Stadtkreis  Elberfeld. 

Stadt  (Oberbürgermeister amt)  Cob- 
leuz. 

Stadt  (Bürgermeisteramt)  Ober- 
hausen. 

Stadt  (Oberbürgermeisteramt)  Rem- 
scheid. 

St  ad  er,  Dr.  juris,  in  Bonn. 

Start  z,  Aug.,  Kaufmann  in  Aachen. 

Statz,  Baurath  u.  Diöc.-Archit.  in 
Cöln. 

Stedtfeld,  Carl,  Kaufmann  in 
Cöln. 

Stier,  Hauptmann  a.  D.  in  Fürsten- 
walde a.  d.  Spree. 

Stinshoff,  Pfarrer  in  Sargenroth 
bei  Gemündon,  Reg.-Bez.  Coblenz. 

St  oll,  General  z.  D.  in  Bonn. 

Straeter  ,Gottfr.,8enr.,Gut8besitzer, 
Haus  Petersthal  bei  Niederdollen- 
dorf. 

Stremme,  Heinrich,  Kaufmann  in 
Crefeld. 

Strubberg,  von,  General  der  In- 
fanterie, Gen.-Inspect.  des  Militär- 
Erziehungs-  u.  Bildungswesens  in 
Berlin. 

Studien- An  st  alt  in  Speier. 

S  tu  m  m ,  Carl,  Baron  von,  Geh.  Com- 
merzienrath,  zu  Schloss  Hallberg 
b.  Saarbrücken. 

Török,  Dr.  Aurel  von,  Prof.  in 
Budapest. 

T  0  r  n  o  w ,  Kaiserl.  Regierungs-Bau- 
rath  in  Metz. 

Ueberfeldt,  Dr.,  Rendant  in 
Essen. 

Urlichs,  Dr.,  H.  L.,  K.  Gymna- 
siallehrer in  München. 

Usencr,  Dr.,  Geh.  Reg.-Rath,  Pro- 
fessor in  Bonn. 

Vahlen,  Dr.,  Geheimrath  und  Pro- 
fessor in  Berlin. 


Valette,  de  la,  St.  George,  Frei- 
herr Dr.,  Professor  in  Bonn. 

Veit,  von,  Dr.,  Geh.  Ober-Medi- 
cinalrath  u.  Professor  in  Deyels- 
dorf  (Mecklenburg). 

Verein  für Alterthumskunde imFür- 
stenthum  Birkenfeld  zu  Birken- 
feld. 

Verein  für  Erdkunde  in  Metz. 

Verein  für  Urgeschichte  in  Siegen. 

Vleuten,  van,  Rentner  in  Bonn. 

V  0  i  g  t  e  1 ,  Geheim  er  Regierungsrat  h 
und  Dombaumeiflter  in  Cöln. 

Vosen,  P.,  Architect  in  Bonn. 

Voss ,  Theod.,  Geheimer  Bergrath  in 
Düren. 

W  a  1  d  e  y  e  r ,  Carl,  Realprogymna- 
siallehrer zu  Bonn. 

Wandesieben,  Friedr.,  Rentner 
zu  Bad  Kreuznach. 

Weckbekker,  Fräul.,  in  Düssel- 
dorf. 

Wegehaupt,  Professor,  Gymna- 
sial-Director  in  Hamburg. 

Weiss,  Professor,  Geh.  Regierungs- 
rath,  Director  d.  kgl.  Zeughauses 
in  Berlin. 

Wendelstadt,  Frau,  Commerzien- 
räthin  in  Godesberg. 

Werner,  H.,  Hauptmann  u.  Komp.- 
Chef  im  l.Grossh.  Hess.  Inf.-  (Leib- 
garde) Rgt.  115  in  Darmstadt. 

Wied,  zu,  Durchlaucht,  Fürst,  in 
Neuwied. 

Wiedemann,  Dr.,  Prof.  in  Bonn. 

♦Wiethase,  k.  Baumeister  in  Cöln. 

Wilde,  Frau  Wittwe,  in  Bonn. 

Wilmanns,  Dr.,  Geh.  Rath.,  Prof. 
in  Bonn. 

Wi  n  c  k  1  e  r ,  von,  erster  Staatsanwalt 
in  Köln. 

Wings,  Dr.,  Rentner  in  Aachen. 

WMrtz,  Hauptmann  a.  D.  in  Harlf. 

Wiskott,  Friedr.,  Bankier  in  Dort- 
mund. 

Wi  1 1  e  n  h  a  u  8,  Dr.,  Direct.  in  Rheydt. 

Wittgenstein,  F.  von,  in  Cöln. 

Wol  f ,  General-Major  z.  D.  in  Deutz. 

Wo  1  fers,  Jos.,  Rentner  in  Bonn. 

Wolff,  F.  H.,  Kaufmann  in  Cöln. 

Wülfing,  Frau,  Rittergutsbesitze- 
rin auf  Burg  Kriegshoven. 

Wulff,  Oberst  a.  D.,  Oberkassel  b. 
Bonn. 

Zangemeister,  Hofrath,  Prof.  Dr.,  ausw. 
Secr.,  Oberbibliothekar  in  Heidel- 
berg. 

♦Zartmann,  Dr.,  Sanitätsr.  i. Bonn. 

Zitelmann,  Dr.,  Prof.  in  Bonn. 


Verzeichnis  der  Mitglieder. 


277 


Ausserordentliche  Mitglieder. 


Arendt,  Dr.  in  Dielingcn. 
Fiorelli,    G.,   Senator  del  Regno, 

Direttore  generale  deiMuöei  e  degli 

Scavi  in  Kom. 
Garaurrini,  Francesco,  in  Florenz. 
H  e  i  d  e  r ,  k.  k.  Sectionsrath  in  Wien. 
Hermes,  Dr.  med.  in  Remich. 
Lanciani,  lt.,  Professor  in  Rom. 
Lucas,  Charles,  Architect,  Sous-Insp. 

des  travaux  de  la  ville  in  Paris. 


M  i  c  h  e  1  a  n  t ,  Bibliothecaire  au  dept. 

des  Manuscrits  de  la  Bibl.  Im  per. 

in  Paris. 
Noüe,  Dr.  de,  Arsfene,   Rentner  in 

Malmedy. 
R  o  s  s  i ,  J.  B.  de,  Archäolog  in  Rom. 
Schlad,  Wilh.,   Buchbindermeister 

in  Boppard. 
L.  Tosti,  D.,  Abt  in  Monte-Casino. 


Verzeichniss 

sämmtlicher  Ehren-,  ordentlichen  und  ausserordentlichen  Mitglieder 
nach  den  Wohnorten. 


Aachen:  Bock.  Goebbels.  Gymna- 
sium. Landrathsamt.  Neilessen. 
Pick.  Polytechnicum.  Realschule. 
Schnock.  Stadtarchiv.  Startz. 
Wings. 

Abenteuerhütte:  Boecking. 

Adenau:  Landrathsamt. 

Ahrweiler:  Landrathsamt.  Joerres. 

Alfter:  Jörissen. 

Altenkirchen:  Landrathsamt. 

Amsterdam:  van  Hillegom. 

Andernach:  Frau  Herfeld.  Höster- 
manu.  Michels.  Progymnasium. 

Anholt:  Fürst  zu  Salm. 

Arnheim:  Baron  Sloet. 

Sarmen:  Blank.  E.  von  Eynern. 
Real-Gymnasium.  Stadtbibliothek. 

Basel:  Universitäts-Bibliothek. 

Bedburg:  Ritter- Akademie. 

Bendorf  am  Rhein:  Erlenmeyer. 

Berlin:  Adler,  v.  Berlepsch.  Bracht. 
Curtius.  Dobbert.  Gen.  -Verwalt. 
der  k.  Museen.  GreiflF.  von  der 
Heydt.  Höpftier.  Hübner.  Jaehns. 
Liebenow.  Lohaus.  Prüfer.  Schick- 
ler. Schoene.  v.  Spitz,  v.  Strub- 
berg.  Yahlen.  Weiss. 

Ber trieb:  Badeverwaltung.  Kle- 
rings. 

Bielefeld:  Nitzsch. 

Birken feld:  Gymnasium.  Verein 
für  Alterthumskunde. 

B 1  ö  s  j  e  n  b.  Merseburg :  Burkhardt. 

Bochum:  Gymnasium. 


Bonn:  Baron.  Bibliothek  des 
Kunstmuseums.  Binz.  Frhr.  von 
Bissing.  Brinkmann.  Bücheier. 
Caesar.  Cahn.  Alexander  von 
Ciaer.  Ernst  von  Ciaer.  Giemen. 
Cohen.  Crohn.  Dahm.  Doetsch. 
Dietzel.  Dragendorff.  Elter.  En- 
gelskirchen. Fräulein  Eskens. 
Frau  Firmenich  -  Richartz.  Pricke. 
Follenius.  Gandtner.  Dr.  Georgi. 
R.  Goldschmidt.  W.  Goldschmidt. 
Gothein.  von  Grand -Ry.  Gräfe. 
Guide.  Guilleaume.  Gurlt.  Gym- 
nasium. Hanstein.  Hasslacher. 
P.  Hauptmann.  F.  Hauptmann. 
Henrion.  Henry.  Heyn.  Hof- 
mann. Herm.  Hüffer.  Humbroich. 
Huyssen.  Isphording.  Kahl.  Karo. 
Kaufmann.  Kaulen.  Klein.  Kling- 
holz. Koser.  Krafft.  Krois-Aus- 
schuss.  Krüger.  Landsberg.  Lautz. 
Leber.  Lrse-  und  Erholungs- 
Gesellschatt.  Leydel.  Loersch. 
Loeschke.  Märtens.  Marcus.  Mar- 
tins. Marx,  von  Neufville.  Neu- 
häuser. Nissen.  Oberbergamt. 
Poppelreuter.  Prieger.  Prym. 
V.  Proff-Irnich.  Rau.  Realpro- 
gymnasium, von  Rigal.  Roett- 
fen.  Rolffs.  Saemisch.  Dr.  von 
andt.  Frl.  SchaafPhausen.  Schac- 
fer.  Schmithals.  Schorn.  Schroers. 
Schunck.  Seil.  Simrock.  Solmsen. 
Sonnenburg.   Stader.    Stell.   Use- 


27Ö 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


ner.    de    la   Valette    St.   George. 

van  Vleuton.     Voscii.    Waldeyer. 

Wiedemann.     Wilde.     Wilmanns, 

Wolfers.    *Zartmann.    Zitclmann. 
B  o  p  p  a  r  d :     Donsbacb .    Seminar. 

Schlad. 
Braun f eis:  Prinz  Solms. 
Brauns berg   (Ostpr.):   Bibliothek 

des  Lyceums  Hosiana. 
Bruchsal:  Gvinnasium. 
Brühl:  Beck.' 
Brüssel:     Gräfin    von    Flandern. 

Musee  Royal. 
Budapest:  von  Török. 
Burgbrohl:  Andreae. 
Carlsruhe:  Brambach.  Conserva- 

torium    d.   Alterth.    Gymnasium. 

Oberschulrath. 
Gas  sei:  Stand.  Landesbibliothek. 
Charlottenburg:  Mommsen. 
Clausthal:  Achenbach. 
Cleve:    Chrzescinski.  Gymnasium. 

Schneider.  Stadtbibliothek. 
C  o  b  1  e  n  z :   Becker.     Graf  v.  Brühl. 

Civil-Casino.  Cuno.  Deiters,  v.  El- 
tester.    Gymnasium.     Kreis-Aus- 

schuss  vom  Landkreis.    Landau. 

von  Loö.  Stadt  Coblenz. 
Cöln:   Altniann.  Aposteln-Gymnas. 

Arndts.      Balzer.       Civil  -  Casino. 

Deichmann.  Düntzer.  Eltzbacher. 

Forst.    Fröhlich.    Fuchs.  Greven. 

Ed.     Herstatt.      Robert    Heuser. 

Frau     August      Joest.       Kaiser- 

Wilhelm-Gymnas.     Knebel.     Kos- 

bab.     Kramer.     Kreis- Ausschuss. 

Krementz.  Langen.  Leiden.  Lem- 

ßertz.  Marzellen  -  Gymnasium, 
[erkens.  Mertz.  von  Mevissen. 
Meyer.  Michels.  Museum  Wallraf- 
Richartz.  Niessen.  Albert,  Frhr.  v. 
Oppenheim.  Eduard,  Frhr. von  Op- 
penheim. Pflaume.  Emil  vom  Rath. 
Frau  Eugen  vom  Rath.  Eugen  Rau- 
tenstrauch. Ober-Realschule,  von 
Reckiinghausen.  Rennen.  Rieth. 
Schaaifhausen.  •  Schallenberg. 

Schenk.  Schnütgen.  Seligmann. 
Stadtbibliothek.  Statz.  Stedtfeld. 
Voigtel.  *Wietha8e.  von  Winckler. 
von  Wittgenstein.    Wolff. 

Cornelimünster:  Seminar. 

Crefeld:  Gymnasium.  Kreis-Aus- 
schuss  vom  Landkreis,  von  Ran- 
dow. Seyffarth.  Stadtbibliothek. 
Stremme. 

JD'a  r  m  8 1  a  d  t :  von  Hilgers.  Werner. 

D  a  u  n :  Kr  eis- Ausschuss. 

Peutz:  Schultz.  Wolf. 


Deyelsdorf  (Mecklenburg):  von 
Veit. 

Dielingen:  Arendt. 

Donaueschingen:  Fürstl.  Biblio- 
thek. 

Dorpat:  Bibliothek. 

Dorsten:  Progymnasium. 

Dortmund:  Hik.  Verein.  Wiskott. 

Drensteinfurt:  Frhr.  v.Landsberg. 

Dresden:  Fleck  eisen.  Helmentag. 
Koenig. 

Düren:  Stadt.  Bibliothek.  Gymna- 
sium. Linden.  E.  Schöller.  G. 
Schoeller.  Frau  J.  Schoeller.  Voss. 

Düsseldorf:  Staats- Archiv.  Bone. 
Bürgerschule.  Courth.  Gymna- 
sium. Kr  eis- Ausschuss  für  den 
Landkreis.  Mooren.  Pauls.  Pro- 
vinzial- Verwaltung.  Rautert.  Real- 
Gymnasium.  Stadtbibliothek.  Frl. 
Weckbekker. 

Duisburg:  Gvmnasium.  Schneider. 
Stadtbibliothek. 

Bhrenfeld  bei  Cöln:  Beger. 
Rauter. 

Elberfeld:  Blank  Gustav.  Biau1( 
Willy.  Boeddinghaus.  von  Carnap. 
Frowein.  Gymnasium,  von  der 
Heydt,  Freiherr  August.  Lautz. 
Lindenschmidt.      NeuhofF.      Real- 

fymnasium.  Roeber.  Springorum. 
tadtkreis. 

Elten  Regb.  Düsseldorf:  Seminar. 

Eltville:  Graf  Eltz. 

Emmerich:  Gymnasium.  Stadt- 
bibliothek. 

Ems  (Bad):  Kui*-Commission. 

Erkelenz:  Landrathsamt. 

Eschweiler:  Progymnasium. 

Essen:  Bibliothek  d.  Stadtgemeinde. 
Gymnas.  Karsch.  Kreis- Ausschuss 
vom  Landkreis.  Krupp.  Realschule. 
Ueberfeld. 

Eupen:  Real-Progymnasium. 

E  u  s  k  i  r  c  h  e  n :  A.  Herder.  E.  Herder. 
Kreis- Ausschuss.    Progymnasium. 

Exaeten  bei  Baexem:  Bibliothek 
der  Stimmen  aus  Maria  Laach. 

Flamersheim  im  Rheinland:  von 
Bemberg. 

Flensburg  in  Schleswig:  Müller. 

Florenz:  Gamurrini. 

Frankfurt  a.  M.:  Koch.  Stadt- 
bibliothek. 

Fr  ei  bürg  in  Baden:  Universitäts- 
Bibliothek.    Gymnasium.     Kraus. 

Fürstenwalde  a.  d.  Spree:  Stier. 

Fulda:  Goebel. 

^  e  b  w  e  i  1  e  r :  Schlumberger. 


Verzeichnißs  der  Mitglieder. 


279 


Geilenkirchen:  Landrathsanit. 

M.-Gladbach:  Gymnasinni.  Kühlen. 
Landrathsamt. "  Qnack.  Stadtbib- 
liothek. 

Godesberg:  von  Carstanjen.  Fin- 
kelnburg.  Rohlfs.  Schwann.  Wen- 
delstadt. 

Gondorf  a.  M.:  von  Liebieg. 

Göttingen:  Dilthey.  Sauppe.  Uni- 
versitäts-Bibliothek. 

Gräfenbacher  Hütte:  Boecking. 

Grevenbroich:  Landrathsamt. 

Gummersbach:  Kreis- Ausschuss. 

Hall  (Haus)  b.  Erkelenz:  von  Spies. 

H  a  11  b  e  r  g  (Schloss)  b.  Saarbrücken : 
von  Stumm. 

Halle:  Ihm.  Universitäts-Bibliothek. 

Hamburg:  Stadtbibliothek.  Wege- 
haupt. 

Hamm:  Falk. 

Hard  b.  Bregenz:  Jenny. 

Harff,  Schloss,  Kr.  Bergheimr  Bi- 
bliothek von  Mirbach.    Wirtz. 

Hec hingen: Höhere  Bürgerschule. 

Heidelberg:  Deppe.  vonOechel- 
häuser.  Schoetensack.  Zango- 
meister. 

Heinsberg:  Landrathsamt. 

Haus  Heisterberg  bei  Königs- 
winter: Caron. 

Herdringen  (Kreis  Arnsberg): 
Graf  Fürstenberg. 

Herrnsheim  bei  Worms:  Freiherr 
von  Heyl. 

Höxter:  Gymnasium. 

Idylle,  Gut  bei  Kruft:  Keusch. 

Immenburg:  Flinsch. 

Jena:  Gaedechens. 

Kempen  (Rheinl.):  Gymna.sium. 
Landrathsamt. 

Kemperhof  b.  Coblenz:  Knaben- 
Pensionat. 

Königsberg  i.  Pr.:  Universitäts- 
Bibliothek. 

KÖnigswiuter:  Landwehr. 

Kreuznach:  An  tiquarisch-histori- 
scher  Verein.  Dr.  Kohl.  Wan- 
desieben. 

Kriegshoven  bei  Weilerswist: 
Wülfing. 

liangenberg  (Rheinland):  Conze. 

Leiden:    Ort.    Pleyte. 

Leipzig:  Baedeker.    0 verbeck. 

Lennep:  Hardt.    Kreis- Ausschuss. 

L  e  X  h  y  (Schloss) :  de  BlanchardSurlct. 

Linnich  R.-B.  Aachen:  Oidtmann. 

Löwen:  Universitäts-Bibliothek. 

London:  Franks. 

L  ü  1 1  i  c  h :  Universitäts-Bibliothek. 


Luxemburg:  Dutreux. 

Luzern:  Schierenberg. 

IH  ai  n  z :  Stadt.  Bibliothek.  Schneider. 

Malmedy:  Esser.  Kreis- Ausschass. 
de  Noüe.    Progymnasium. 

Mannheim:  Alterthums-Verein. 
Gymnasium.    Haug. 

Mari  eAf  eis  b.Remag.:  Frau  Frings. 

Mastricht:  Habets. 

Mechernich:  Eick.    Hupertz. 

Mayen:  Kreis- Ausschuss. 

Meisenheim:  Kreis-Ausschuss. 

Merz  ig:  Kreis-Ausschuss. 

Mettlach:  von  Boch. 

Metz:  Tornow.  Verein  für  Erd- 
kunde. 

Burg  Miel:  von  der  Leyen. 

Miltenberg:  Conrady. 

Montabaur:  Gymnasium. 

Monte-Casino:  Tosti. 

Montjoie:  Pauly. 

Morsbroich,  Poststation  Schle- 
busch:  Frhr.  von  Diergardt. 

Mülheim  a.  Rhein:  Andreao.  Kreis- 
Ausschuss. 

Mülheim  a.  d.  R.:  Kreis-Ausschuss. 
Realgymnasium. 

München:  von  Brunn.  Cornelius. 
Urlichs. 

Münster:  Bibliothek  der  Akademie, 
von  Heereman.  Nordhoff.  Piass- 
mann.    Schoeningh. 

Münstereifel:  Gymnasium. 

Nash-Mils:  Evans. 

Neuss:  Gymnasium.  Koenen.  Kreis- 
Ausschuss.    Sels. 

Neustadt  a.  d.  Hardt:  Mehlis 

Neuwied:  Fürst  zu  Wied.  Gym- 
nasium.    Bemy.    Seminar. 

Niederbreisig:  Huyssen. 

Niedermendig:  Müller. 

Nieukerk,  Kr.  Geldern:  Müllen- 
meister. 

Nymwegen:  Gemeinde  -  Museum, 
Reichsmuseum. 

Oberhausen:  Stadt  (Bürgermei- 
steramt). 

Oberkassel  bei  Bonn:  Wulff. 

Odenkirchen:  Seminar. 

Oehringen:  Stiftsbibliothek. 

Osnabrück:  Hoeting. 

Paris:  Lucas.    Michelant. 

Parma:  R.'Bibliothek  Palatina. 

Haus  Peter  st  hal  bei  Niederdol- 
lendorf:  Straeter. 

Plittersdorf:  Bürgers. 

Potsdam:  von  Achenbach.  Prinz 
Schoenaich. 

Prag:  Universitätsbibliothek. 


280 


Verzeichniss  der  Mitglieder. 


Prüm:  Asbach. 

Remagen :  von  Lasaulx.  Reuleaux. 

Rem  ich:  Hermes. 

Repi scheid:  Friederichs.     Stadt. 

Rheinbach:   Landrath samt.     Pro- 

gymnasium. 
Rheine :  Gymnasium. 
Reydt.     Reg.-Bezirk     Düsseldorf: 

Wittenhaus. 
Rinteln:  Gymnasium. 
Roisdorf:  Graf  Moerner. 
Rom:   Fiorelli.     Heibig.     Lanciaui. 

de  Rossi. 
Rostock   in    Mecklenburg:  ßethe. 

Koerte. 
Rüdesheim:  Fonk. 
Ruhr  ort:   Kreis- Ausschuss.      Real- 
gymnasium. 
Rurich  (Schloss)  bei  Linnich:  von 

Hompesch. 
Haarburg  R.-B.  Trier:  Kreis- Aus- 

schuss. 
Saarbrücken:        Gewerbeschule. 

Gymnasium.    Historischer  Verein. 
Saarlouis:  Kreis- Ausschuss.   Real- 

Progymnasium. 
Sargenroth  b.  Gemünden:  Stins- 

hoff. 
Sayn:  Eichhoff.    Meurer. 
Seh  leiden:  Kreis- Ausschuss. 
Schieid weiler:  Heydinger. 
Schmidtheim       (Schloss):       Graf 

Beissel. 
Sieg  bürg:  Gymnasium.  Kreis-Aus- 

Bchuss. 
Siegen:  Verein  für  Urgeschichte. 
Sigmar  in  gen:  Museum. 
S  i  ni  m  e  r  n :  Landrathsamt. 
Sin  zig:  Andreae, 
S  0  b  e  r  n  h  e  i  m :  Progymnasium. 
Solingen:    Landrathsamt.     Real- 

Progymnasium. 


Spei  er:  Studien- Anstalt. 

Stammheim  b.  Mülheim  a.  Rhein: 
Graf  von  Fürstenberg. 

Steeg  bei  Bacharach:  Hütwohl. 

Stralsund:  StAdtbibliothek. 

Strassburg:  FriedlHnder.  Fürs. 
Michaelis. 

Stuttgart:  Paulus. 

Süchteln:  Norrenberg. 

Tauberbischofsheim:  Gymna- 
sium. 

Trarbach:  Gymnasium. 

Trier:  Aldenkirchen.  Gymnasium. 
Hettner.  Lintz.  von  Neil.  Priester- 
Seminar.  Real- Gymnasium.  Ros- 
bach. Stadtbiblio'thek. 

Tübingen:     Universit.-Bibliothek. 

Viers  en:  Real  -  Progymnasium. 
Haas.    Heckmann. 

Vi  lieh  bei  Bonn:  von  Ciaer. 

Vogelensang:  Borret. 

Vo  h  w  i  n  k  e  1 :  Kreis- Ausschuss.  Mett- 
mann. 

St.  Wendel:  Progymnasium. 

Werl:  von  Papen. 

Wesel:  Frowein.  Gymnas.  Land- 
rathsamt. 

Wetzlar:  Gymnasium.  Kreis- Aus- 
schuss. 

Wevelinghoven:  von  Heinsberg. 

Wien:  Heider.  K.  k.  Münz-  uiä 
Antik.-Cabinet. 

Wiesbaden:  Bibliothek.  Capi>ell. 
PVhr.  V.  Dungern.    Lsenbeck. 

Winningen  a.  d.  Mosel:    Arnoldi. 

Wipperfürth:  Progymnasium. 

Wittlich:  Kreis- Ausschuss. 

Worms:  AI  terthums verein . 

Xanten:  Niederrhein.  Alterthums- 
verein. 

Zeist:  van  Lennep. 

Zülpich:  van  Endert. 


UalversiUta-Buchdruckerei  von  Carl  Georgi  in  Bonn. 


iMitirli.  ii.  T>riTiii'j  u.  Jlltrrtliiiiiiafr.  im  illipiiiliiiili.  Mt  xcv. 


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Jahrb.  d.   Vereins  v,  Alterthumsfr,  im  Rheinland.    Heft  XCV. 


Tafel  IV. 


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derAufdeckung. 


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Bosenhct^rn  nach  vonjireuzna^ck. 


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UER  DlNöSTUHL  ZU  ECHTEI^CH 


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Pliototypie  B.  Külil»*n,  M.iilaabacli. 


Lialjrb.  ii.  Itertius  u.  3llttrtliiiiiisfr.  im  iUitiiilanil,  l^tft  xc.v. 


(Tafel  VI. 


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]]E1^  IINbSTUHL  ZU  ECHTERNADf 


PESTAUT^TiONSPI^OJECT. 


j3w^0f  I         »  j  f] 


I'liütotyni«'  B.  Kiililrii,  M.Gljiilhach. 


jjffl  Jtid,  KouUaXk .     iMqücuÄ zt/H^A^nvUcAefi^  TuCa^  Sei efitutA/ncun/ 


^  cf' .  f ,  wM.  ctr  4 :,  3,  sirJi.    cd  m  IstrM.     ^/ivm  Sis-jf. 


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BOMEß  JAHRBÜCHER. 


JAHRBÜCHER 


DES 


VEREINS  VON  ALTERTHUMSFREUNDEN 


IM 


RHEINLANDE. 


HEFT  XCTI  n.  XCTII. 


XIT  10  TAFELN  UND  4S  TEXTPIOUKEN. 


GEDRUCKT  AUF  KOSTEN  DES  VEREINS. 

BONN,  RBI  A.  HARCU8. 

1895. 


Inhalts-Verzeichniss. 


I.  Geschichte  und  Denkmäler. 

Seito 

1.  Rheinland  in  römischer  Zeit.   Hede  zum  Antritt  des  Rectorats  am 

18.  October  1894  gehalten  von  H.  Nissen 1 

2.  Terra  sigillata.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  griechischen  und 
römischen  Keramik.  Von  Hans  Dragendorf  f.  (Hierzu 
Tafel  I~VI.) 18 

Einleitung  (Name,  Gattung,  Technik,  Litteratur) 18 

I.  Calener  Schalen , 23 

IL  Megarische  Vasen 28 

in.  Vasen  aus  Olbia 32 

IV.  Die  Vasen  des  C.  Popilius 37 

V.  Die  arretinischen  Vasen 39 

VI.  Die  campanischen  Vasen 52 

VII.  Die  Fabriken  von  Modena 53 

VIII.  Die  puteolanischen  Vasen 54 

IX.  Die  ornamentirten  Gefässe 55 

X.  Die  Terra  sigillata-Industrie  in  den  Provinzen    .         .  81 
XI.   Terra   sigillata  Gefässe   des   I.  nachchristlichen   Jahr- 
hunderts     84 

XII.  Terra  sigillata  der  späteren  Zeit.     (c.  70-250  n.  Chr.)  103 

XIII.  Das  Ende  der  Terra  sigillata-Industrie 139 

Anhang 141 

3.  Kleinere  Mittheilungen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn. 
Von  Josef  Klein 156 

4.  Domitian  in  Frontins  Strategemata.    Von  H.  Düntzer    .    .    .  172 

5.  Römische  Strassen,  Landwehren  und  Erdwerke  in  Westfalen. 
Von  J.  B.  N  o  r  d  h  of  f  und  Fr.  W  e b  t  h  o  f  f.    (Hierzu  Tafel  VII.)  184 

6.  DasPilum.  Von  0.  Dahm,  Oberstlieutenant a. D.  (Hierzu Tafel 
VIII  und  IX.) 226 

7.  Beiträge  zur  Alterthumskunde  des  Niederrheins.   Von  Max  Sie- 

b  0  u  r  g.    (Hierzu  Tafel  X.) 249 

8.  Die  Interpolationen  des  gr omatischen  Corpus.  VonTh.  Mommsen  272 

9.  Die  Freiherrlich  von  Zwierlein'sche  Sammlung  von  Glasmalereien 
zu  Geisenheim  a.  Rh.    Eine  kunsthistorische  Studie.    Von  F.  W. 

E.  R  0  t  h 293 

10.  Meister  Eisenhuth.    Von  J.  B.  Nordhoff 804 

IL  Litteratur. 

1.  Dr.  Mathaeus  Much,  die  Kupferzeit  in  Europa  und  ihr  Vet- 
hältniss  zur  Kultur  der  Indogermanen.  Mit  112  Abbildungen  im 
Text.  Zweite  vollständig  umgearbeitete  und  bedeutend  vermehrte 
Auflage.    Besprochen  von  A.  Furtwängler 332 


IV  Inhalts-Vorzeichniss. 

Seite 

2.  Konstantin  Koenen,  Gefässkunde  der  vorrömischen,  römi- 
schen und  fränkischen  Zeit  in  den  Kheinlanden.  Mit  590  Ab- 
bildungen.   Besprochen  von  S 333 

3.  C.  Mchlis,  Studien  zur  ältesten  Geschichte  der  Rheinlande.  Elfte 
Abtheilung.  Der  Drachenfels  bei  Dürkheira  a.  d.  H.,  I.  Abth.,  mit 
einem  topographischen  Plan  des  Drachenfels ■    .    .    334 

4.  Ed.  Piette,  L'6poque  ebuniöenne  et  les  races  humaines  de  la 
periode  glyptique 335 

5.  Die  Moseila  des  Decimus  Magnus  Ausonius.  Herausgegeben  und 
erklärt  von  Dr.  Carl  Hosius,  Privatdozent.  Anhang:  Die 
Moselgedichte  des  Venantius  Fortunatus.    Besprochen  von  M.  S  i  e- 

b  o  u  r  g    .    .     . 335 

6.  J.  A.  Ort,  OudheidkundigeMedcdeelingen.    Besprochen  von  v.  V.    337 

7.  Neue  Beiträge  zur  Geschichte  der  Stadt  Geseke.  I.  Theil.  Aliso 
und   benachbarte  Festungen    der  Römer   von  Adolf  Viedenz. 

Mit  3  Tafeln  Zeichnungen 337 

8.  Die  Kunstdenkmäler  der  Rheinprovinz.  Dritter  Band.  I.  Die 
Kunstdenkmäler  der  Stadt  und  des  Kreises  Düsseldorf;  IL  Die 
Kunstdenkmäler  der  Städte  Barmen,  Elberfeld,  Remscheid  und 
der  Kreise  Lennep,  Mettmann,  Solingen.  Im  Auftrage  des  Pro- 
vinzial Verbandes  der  Rheinprovinz  herausgegeben  von  Paul 
Giemen.    Besprochen  von  A.  Wiedemann 337 

9.  Bibliographie  [der Geschichtswissenschaft]  bearbeitet  von  Oscar 
Masslow  und  Gustav  Soramerfeldt 339 

10.  J.  Schneider,  Die  alten  Heer-  und  Handelswege  der  Germa- 
nen, Römer  und  Franken  im  deutschen  Reiche.  10.  Heft.  Das 
römische  Strassennetz  in  dem  mittleren  Theile  der  Rheinprovinz 
und  die  römischen  Itinerarien 340 

III.  Mi  sc  eilen. 

1.  Ein  attisches  Vasenfragraent  in  Erbach.    Von  Ed.  Anthes     .    .    341 

2.  Köln.  Funde  römischer  Alterthümer  am  Apostelnmarkt  Nr.  25. 
Von  Eberlein 343 

3.  Kreuznach.    Römische  Funde.    Von  Kohl 345 

4.  Aufdeckung  eines  Hallstattgrabes  im  Mittelalter.    Von  S.    .    .     .    346 

5.  Siegburg.    Scherbenhügel.    Von  A.  Wiedemann       347 

6.  Zur  Richtigstellung.    Von  J.  Schneider 350 

7.  Zum  Verstau dniss  der  linksrheinischen  römischen  Grcnzschutz- 
linie.    Von  Constantin  Koenen 351 

8.  Karolingische  Grenzfestungslinie  zwischen  Ost-  und  VTestlothringen. 
Von  Constantin  Koenen 359 

9.  Fünfunddreissigste  Plenarversammlung  der  historischen  Kommis- 
sion bei  der  königl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften  .    .    .    363 

10.  Grabfunde  aus  Bonn.    Von  Klein       365 

11.  Köln.    Fragment  einer  Figur.    Von  Klein 368 

12.  Bliinkeuhoim.    Römische  Inschrift.    Von  Klein 370 


I.  Geschichte  und  Denkmäler. 


i.  Rheinland  in  römischer  Zeit. 

Rede  zum  Antritt  des  Rectorats  am  18.  October  1894  gehalten 

von 
H.  Nisseu« 


Hochansehnliche  Versammlung!  Unsere  Universität  heisst  die 
Rheinische  und  hat  mit  ihrem  Namen  zugleich  die  Pflicht  über- 
kommeu;  die  Geschichte  Rheinlands  zu  erforschen.  Denn  nur  aus 
der  Vergangenheit  lernen  wir  die  Gegenwart  verstehen,  die  Eigen- 
art dieser  Provinz,  ihre  Sonderetellung  anderen  Theilen  unseres 
Staatswesens  gegenüber  begreifen.  In  früheren  Zeiten  ist  solche 
Aufgabe  nicht  mit  gleicher  Schärfe  anerkannt  und  betont  worden, 
wie  heutigen  Tages  geschieht.  Als  die  Erfahrungswissenschaften 
von  der  speculativen  Philosophie  beherrscht  wurden,  unterschied 
man  zwischen  allgemeiner  oder  akademischer  Geschichte  auf  der 
einen,  Stadt-  und  Provinzialgeschichte  auf  der  anderen  Seite.  Jene 
wurde  fachmännisch  von  den  Universitäten  betrieben,  die  Pflege 
der  Heimathskunde  blieb  den  Liebhabern  und  Localforschem,  so  zu 
sagen  dem  historischen  Landsturm  Überlassen.  Diese  widersinnige 
Trennung  ist  durch  den  nationalen  Aufschwung  von  1870  beseitigt 
worden;  denn  die  Werthschätzung  der  Vergangenheit  hat  bei  unserem 
wie  bei  anderen  Völkern  stets  abgehangen  von  dem  Selbstbewusst- 
sein  und  dem  Vertrauen,  mit  dem  es  in  die  Zukunft  blickte.  Heut 
zu  Tage  kann  der  Vorwurf  nicht  mehr  gegen  deutsche  Universitäten 
erhoben  werden,  dass  sie  eine  heimathliche  Geschichte  vernach- 
lässigten, am  wenigsten  gegen  die  unsrige.  Verschiedene  Umstände 
haben  zusammen  gewirkt,  um  eine  Blüthe  rheinischer  Geschichts- 
forschung zur  Entfaltung  zu  bringen:  einmal  der  Reichthum  land- 
schaftlicher Entwickelung,    die  sich  an   dem  Strom  einer  Pulsader 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCVI.  1 


2  H.  Nissen: 

Europa's  vollzogen  hat,  vielleicht  mehr  noch  der  Hochsinn  rheinischer 
Bürger,  der  in  der  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde,  der 
Stiftung  Gustav  v.  Mevissen's,  seinen  sprechendsten  Ausdi'uek 
gefunden  hat.  Freilich  haben  wir  auf  Eine  wesentliche  Förderung 
dieser  Studien  Verzicht  leisten  müssen,  nachdem  der  Plan,  eines 
der  grossen  Staatsarchive  nach  Bonn  zu  verlegen,  —  ein  Plan, 
der  gleicher  Maassen  zum  Nutzen  von  Staat  und  Provinz,  von 
Wissenschaft  und  Universität  gereicht  hätte  —  gescheitert  ist.  Nur 
für  die  älteste  Epoche  rheinischer  Geschichte  birgt  unsere  Stadt 
ein  Hauptarchiv  in  ihren  Mauern.  Es  führt  zwar  den  Namen  Mu- 
seum, seine  Urkunden  sind  auch  nicht  auf  Pergament  und  Papier, 
sondern  auf  Stein  und  Thon  geschrieben:  der  Sache  nach  kommt 
das  auf  das  Gleiche  heraus.  Am  12.  Juli  vorigen  Jahres  wurde  das 
Provinzialmuseum  eingeweiht  und  den  Lehrzwecken  der  Universität 
zur  freiesten  Verftlgung  gestellt.  Die  philosophische  Facultät  ernannte 
damals  die  Spitzen  der  Pro vinzial Verwaltung ,  den  Fürsten  zu 
Wied  als  Vorsitzenden  des  Landtags  und  den  Landesdirector  Klein 
zu  Ehrendoetoren,  in  dankbarer  Anerkennung  dafür,  dass  wir  um  ein 
Unterrichtsmittel  reicher  geworden,  desgleichen  keine  andere  deutsche 
Hochschule  besitzt.  Es  gereicht  mir  zur  persönlichen  Freude,  auf 
seine  Bedeutung  hinweisen  und  an  dies  Museum  die  Rede  anknüpfen 
zu  können,  die  der  Rector  herkömmlich  beim  Amtsantritt  zu 
halten  hat. 

Die  überwiegende  Masse  der  Sammlung  gehört  der  römischen 
Zeit  an.  In  den  4 — 500  Jahren,  die  die  Römerzeit  umfasßt,  hat  es 
sich,  wenn  auch  unter  wechselnden  Formen,  immer  um  die  nämliche 
Hauptfrage  gehandelt,  ob  der  Rhein  Deutschlands  Strom  oder 
Deutschlands  Grenze  sein  sollte.  Von  Hause  aus  fioss  er  durch 
keltische  Gaue.  Sein  Name,  wie  so  viele  unserer  Ortsnamen,  An- 
dernach, Neamagen,  Remagen,  Dormagen  usw.  sind  keltisch.  Kelten 
bewohnten  auch  den  Nordwesten  und  Süden  unseres  Vaterlandes, 
die  Schweiz  und  Deutsch-Oesterreich.  Aber  in  den  letzten  Jahr- 
hunderten vor  Christi  Geburt  sind  sie  in  andauerndem  Weichen  be- 
griffen. Trotz  ihrer  vorgeschrittenen  Cultur  vermögen  sie  dem 
Andrang  der  Germanen  nicht  Stand  zu  halten,  weil  die  Gemeinde 
vom  Adel  und  Priesterthum  unterdrückt  war.  Plebes  paene  ser- 
vorum  habetur  loco,  heisst  es  bei  Caesar,  das  Volk  kommt  in 
Gallien  nicht  in  Betracht  und  steht  fast  mit  Sklaven  auf  gleicher 
Stufe.     Immer   und    überall   aber   ist   der  freie  Mann  dem  Knecht 


Rheinland  in  römischer  Zeit.  8 

an  kriegerischer  Tüchtigkeit  gewachsen  gewesen.  Die  Germanen 
erobern  das  ganze  rechtsrheinische  Land.  In  den  sechsziger 
Jahren  vor  Christo  gründet  Ariovist  ein  deutsches  Königthum  im 
Elsass,  am  Unter-  und  Mittelrhein  wie  in  der  Schweiz  schicken 
die  deutschen  Stämme  sich  zum  Einbruch  an,  die  Völkerwan- 
derung scheint  anzuheben^  als  Caesar  ihr  ein  plötzliches  Halt  ge- 
bietet. Aus  der  Darstellung,  die  Caesar  von  seinen  neunjährigen 
Kämpfen  und  der  Unterwerfung  Galliens  giebt,  haben  wir  Alle  als 
Knaben  Latein  gelernt.  Der  gereifte  Mann  wird  gern  zu  dem 
knappen,  klaren^  anschauliehen  Bericht  zurückkehren,  ohne  sich  zu 
verhehlen,  dass  die  für  das  geschichtliche  Verständniss  wichtigsten 
Dinge  darin  fehlen. 

Nach  den  Worten  des  Columbus  ist  Gold  das  Allervortrefflichste, 
ein  Schatz  7  dessen  Besitzer  alles  was  er  auf  dieser  Welt  wünscht, 
sich  verschaffen  und  Seelen  dem  Paradiese  zuftlhren  kann.  Der 
Durst  nach  Gold  ist  die  Triebfeder  der  grossen  Entdeckungen  in 
der  Neuzeit  gewesen,  der  Durst  nach  Gold  hat  die  römischen 
Waffen  an  den  Rhein  und  die  Nordsee  geleitet.  Der  Gedanke  liegt 
uns  fem,  dass  Mitteleuropa  vorübergehend  eine  ähnliche  Rolle  gespielt 
hat,  wie  Galifornien,  Australien,  Südafrika  in  der  zweiten  Hälfte  des 
neunzehnten  Jahrhunderts.  Und  doch  war  unser  alternder  Erdtheil 
einst  jungfräuliches  Land,  dessen  Naturschätze  der  Verwerthung 
harrten.  In  unvordenklichen  Zeiten  war  die  Kunde  hiervon  zu  den 
Anwohnern  des  Mittelmeeres  gelangt.  Sie  fuhren  zu  den  Inseln 
der  wilden  Nordsee,  um  das  leuchtende  Harz,  den  Bernstein  zu  holen. 
Sie  zogen  die  Donau  hinauf  und  über  die  Schneepässe  der  Alpen 
in  die  Waldwüste  hinein,  ihre  Saumthiere  mit  Erzgeräth  und 
Schmuck  und  dem  Feuei-wein  des  Südens  bepackt,  und  vertauschten 
die  Waare  gegen  rothes  Gold.  Der  alte  Herodot  weiss  bereits, 
dass  die  köstlichsten  und  seltensten  Dinge  an  den  Enden  der  Welt, 
in  Indien  und  Aethiopien  und  Europa  gefunden  werden,  vor  allem 
üeberfluss  an  Gold  ^).  Im  Laufe  der  Jahrtausende  ist  der  Vorrath  nach- 
gerade erschöpft  worden*).  Nach  einer  Berechnung  des  französischen 
Geologen  Daubröe  liegen  allerdings  noch  140  Millionen  Mark  zwi* 
sehen  Basel  und  Mannheim  im  Rhein*).  Aber  die  Ausbeute  lohnt 
seit  der  Gorrection  überhaupt  nicht,  vorher  kaum  an  einzelnen  Orten*). 
So  hat  die  Münze  von  Karlsruhe  in  den  30  Jahren  1804 — 34  nicht 
mehr  als  282  Pfund  Waschgold,  etwa  vier  Fünftel  der  Gesammt- 
erzeugung  angekauft'^).    Auch  am  Niederrhein  bei  Wesel  wurde  die 


4  H.  Nissen: 

Wäscherei  vor  100  Jahren  betrieben®).  Desgleichen  ist  das  Vor- 
kommen des  edlen  Metalls  in  Eder^),  Diemel^)^  Elbe^)  and  an- 
deren Flüssen^®),  im  Hunsrück")  und  im  Moselgebirge**),  in 
Franken**)  und  Schlesien**)  sicher  bezeugt.  Femer  hören  wir  aus 
alten  Tagen,  wo  das  Geld  einen  höheren  Werth  hatte  als  heute, 
dass  unsere  Vorfahren  ihm  mit  emsigem  Fleiss  nachspürten*^). 
Freilich  war  dem  Mittelalter  nur  eine  dürftige  Nachlese  übrig  ge- 
blieben, die  Ernte  war  lange  vorher  eingeheimst  worden*®).  Darüber 
klärt  uns  die  Münzgeschichte  in  befriedigender  Weise  auf  *^).  Wäh- 
rend ursprünglich  in  Griechenland  Eisen,  in  Italien  Kupfer,  sodann 
im  ganzen  Umkreis  des  Mittelmeeres  Silbergeld  vorherrscht,  gilt  in 
keltischen  Landen  Gold  als  Werthmesser*®).  Das  Gebiet  der  abend- 
ländischen Goldwährung  reicht  von  Loire  und  Seine  über  den  Rhein 
hinüber  bis  nach  Böhmen.  Die  Prägung  mag  im  dritten  vorchrist- 
lichen Jahrhundert  begonnen  haben,  vielleicht  bevor  Rom  Silbergeld 
schlug,  und  ist  lange  fortgesetzt  worden.  Die  Stempel  sind  roh, 
nach  griechischen  Vorbildern  geschnitten,  ahmen  besonders  mace- 
donische  Eönigsmünzen  nach.  Hierher  gehören  die  Goldstücke,  die 
der  Volksglaube  Regenbogenschüsselchen  getauft  hat  *^).  Sie  kommen 
in  unserer  Gegend  gar  nicht  selten  zum  Vorschein,  z.  B«  bei  Stieldorf 
am  Siebengebirge  *^).  Der  nördlichste  Fund,  200  an  der  Zahl,  wurde 
1880  bei  Marburg  in  Hessen  gemacht.  Viel  reichere  Schätze  sind 
an  verschiedenen  Orten  Böhmens,  Bayerns,  der  Pfalz  gehoben  worden. 
Seit  dem  Erwerb  der  Weltherrschaft  richten  die  Römer  ihre 
lüsternen  Blicke  auf  das  nordische  Eldorado**).  Um  150  v.  Chr. 
wurden  bei  Klagenfurt  Goldfelder  von  solcher  Mächtigkeit  entdeckt 
und  im  Laufe  zweier  Monate  durch  italische  Goldgräber  ein  solcher 
Gewinn  erzielt,  dass  der  Preis  des  Metalls  gegen  Silber  um  33  Pro- 
cent herunterschnellte.  Schliesslich  jagten  die  Kelten  die  fremden 
Arbeiter  zum  Lande  hinaus**),  üngeföhr  zur  selben  Zeit  erzählte 
man  von  der  märchenhaften  Pracht,  die  der  König  der  Auvergne 
entfaltete,  wie  er  offene  Tafel  ftir  Jedermann  hielt  und  bei  seinen 
Ausfahrten  durch  die  Städte  mit  vollen  Händen  Gold  und  Silber 
unter  die  Menge  streute*^).  Im  Jahre  106  plünderten  die  Römer 
den  Haupttempel  von  Toulouse  und  entnahmen  ihm  15000  Talente, 
d.  h.  70  Millionen  Mark  nach  unserem  Gelde**).  Fürwahr,  ein 
starker  Magnet,  der  das  römische  Schwert  anzog!  Und  die  Männer, 
die  es  führten,  wollten  Geld,  weil  Geld  Macht  war;  mit  dem 
Verfall  des  Freistaats  war  die  Anschauung  zur  Hen*schaft  gelangt, 


Rheinla  d  in  römischer  Zeit.  5 

dasg  jeder  Beamte,  der  draussen  im  Parpunuantel  die  Majestät  des 
römischen  Volkes  verkörperte^  vor  allen  Dingen  die  eigene  Tasche 
ftUlen  mttsste.  Es  hat  nicht  an  wagehalsigen  Statthaltern  gefehlt, 
die  ihr  Glück  im  Norden  versuchten.  Aber  sie  kehrten  mit  blutigen 
Köpfen  heim,  vor  Kimbern  und  Teutonen  erzitterte  die  ganze  ge- 
bildete Welt.  Die  zunehmende  Verwirrung,  der  Bürgerkrieg,  der 
wiederholt  Italien  zerfleischte,  kam  hinzu,  um  die  Kelten  ungeschoren 
zu  lassen;  das  römische  Gebiet  reichte  im  Süden  nur  bis  an  den 
Fuss  der  Alpen,  diesseits  bis  an  die  Rhone. 

Im  Jahre  58  v.  Chr.  wurde  Caesar  mit  der  Verwaltung  beider 
Länder,  der  Poebene  und  der  Provence,  betraut  und  konnte  ver- 
fassungsmässig unumschränkt  ein  Jahrzehnt  lang  nach  Belieben 
schalten.  Er  benutzte  seine  Machtfttlle,  um  das  heutige  Frankreich, 
Belgien,  die  Kheinlande  und  die  Schweiz  dauernd  zu  erobern,  um 
ein  Heer  zu  schulen,  das  ihm  die  Herrschaft  des  Erdkreises  zu 
Füssen  legen  sollte,  um  die  Geldmittel  zu  beschaffen,  die  der  Um- 
sturz des  republikanischen  Regiments  erforderte*^).  Man  bewundert 
Caesar  als  Feldherm,  als  Staatsmann,  als  Schriftsteller,  man  hat 
ganz  vergessen,  seine  unvergleichliche  Finanzkunst,  eine  Vorbedingung 
des  Erfolges,  zu  bewundern*«).  Mit  Schulden  befttden  zog  er  im 
März  58  ab*^),  nach  Ablauf  des  Sommers  Hess  er  dem  Vater  Zeus 
gleich  der  schmachtenden  Roma  goldenen  Segen  in  den  Schooss 
strömen**).  Das  Forum  war  zu  klein,  er  kaufte  Häuser  an  und  riss 
sie  nieder.  Die  Baustelle  für  den  Venustempel  kam  ihm  auf  17^2 
Millionen,  der  Quadratmeter  auf  2000  Mark  zu  stehen  *^).  Er  zahlte 
über  10000  Mark  fUr  den  Quadratmeter,  um  das  Forum  an  der 
Nordseite  zu  erweitem  ^^).  Wenn  man  die  damalige  Kaufkraft  des 
Geldes  in  Rechnung  zieht,  so  sind  ähnliche  Bodenpreise  kaum  je  in 
den  Weltstädten  der  Gegenwart  erreicht  worden.  Caesar  stellte  das 
Volksgebäude  im  Marsfeld  aus  Marmor  her*^),  schuf  in  der  Vorstadt 
Trastevere  einen  wundervollen  Park**),  baute  Landhäuser  in  der 
Umgegend  8*),  unterhielt  in  Capua^)  und  Ravenna^s)  grosse  Fechter- 
banden. Der  Anwalt  Cicero,  der  einen  Theil  der  Geschäfte  ver- 
mittelte, hat  einen  hübschen  Posten  Gebühren  eingestrichen*^). 
Ueberhaupt  konnte  Jeder,  der  in  Rom  mitzusprechen  hatte,  auf  den 
Herrn  von  Gallien  angemessene  Wechsel  ziehen  und  brauchte  um 
die  Einlösung  nicht  weiter  zu  sorgen,  vorausgesetzt  dass  er  je  nach 
den  Umständen  redete  oder  stillschwieg*').  Unter  den  Beamten 
des  Jahres  60  erhielt  der  Consul  Aemilius  Paullus  7  Millionen  Mark 


6  H.  Nissen: 

für  sein  Schweigen  3®),  der  Volkstribun  Curio  10 Vi  Millionen  Mark 
für  sein  Reden  *^).  Wie  der  Meister,  so  die  Gesellen.  Eine  Sehaar 
hoffnungsvoller  junger  Leute  aus  der  Hauptstadt  fand  im  General- 
stab Aufnahme.  Sie  wurden  gar  kleinlaut,  als  es  zum  ersten  Schlagen 
gegen  die  Germanen  ging*®).  Aber  wer  sich  bewährte,  konnte  nach 
wenigen  Feldzügen  sein  Schäfchen  aufs  Trockene  bringen*^).  Titus 
Labienus,  der  tüchtigste  General  Caesars,  erbaute  auf  eigene  Kosten 
in  der  Mark  Ancona  eine  ganze  Stadt  *^).  Andere  Nabobs  zogen 
nach  Rom,  um  lächerlichen  Aufwand  zu  treiben  *^).  Wie  die  Offiziere, 
so  die  Gemeinen.  Es  kennzeichnet  die  Stimmung  der  Armee,  dass 
im  Jahre  49  die  Meinung  in  ihr  verbreitet  war,  jedem  Soldaten 
sei  fbr  seine  Beihülfe  am  Staatsstreich  die  Kleinigkeit  von  70000 
Mark  versprochen  worden^*).  Das  Milliardenfieber  hatte  die  römische 
Nation  ergriffen  und  verzehrte  mit  seinem  Feuer  die  Republik. 

Die  Eroberung  Galliens  bahnt  den  üebergang  von  der  Silber- 
zur  Goldwährung  im  römischen  Reich  an.  Der  aureus  gleich  2ö 
Denaren  oder  20  Mark  wird  die  gewöhnliche  Courantmünze.  Wie 
massenhaft  sie  geschlagen  wurde,  zeigt  ein  sechs  Jahre  nach 
Caesars  Tode  vergrabener  Schatz,  der  bei  Brescello  am  Po  auf- 
tauchte: der  Schatz  enthielt  80000  aurei  oder  Zwanzigmarkstücke. 
Der  Zufluss  von  Gold  trieb  den  Silberpreis  um  einige  zwanzig  Pro- 
cent in  die  Höhe^^).  Es  ist  daher  begreiflich,  dass  Caesar  sich 
umthat,  ein  neues  Silberland  zu  entdecken.  Er  vermuthete  ein 
solches  in  Britannien  und  fuhr  mit  Heeresmacht  über  den  Canal. 
In  den  Augen  des  Publicum  ward  durch  den  Zug  ein  neues  Blatt 
seinem  Ruhmeskranz  eingeflochten,  die  Eingeweihten  sahen  darin 
eine  verfehlte  Speculation.  Brühwarm  theilt  Cicero  seinem  befreun- 
deten Bankier  die  aus  dem  Hauptquartier  eingetroffene  Kunde  mit: 
kein  Gramm  Silber  sei  auf  der  Insel  vorhanden  und  keinerlei  Aussicht 
auf  Beute  ausser  werthlosen  Sklaven  ^^).  Britannien  ist  noch  ein 
Jahrhundert  lang  von  der  römischen  Gier  verschont  geblieben. 

In  Caesars  Denkwürdigkeiten  steht  von  all  diesen  Thatsachen 
nichts,  ist  auch  nicht  zu  verlangen.  Der  heutige  Leser  wird  wohl 
thun,  die  Geschichte  eines  Cortez  und  Pizarro,  Lord  Clive's  und 
ähnlicher  Conquistadoren  sich  zu  vergegenwärtigen,  um  den  rich- 
tigen Standpunkt  für  ihre  Würdigung  zu  gewinnen.  Sicherlich 
zählt  Caesar  zu  den  grössten  Feldherren  aller  Zeiten,  hat  den  Gang 
der  Weltereignisse  bestimmt,  wie  Wenige  vor  und  nach  ihm.  Aber 
seine  wahre  Grösse   wird  auch  nicht  um  Haaresbreite  geschmälert, 


Rheinland  in  römischer  Zeit.  7 

wenn  wir  die  blinde  Vergötterung  durch  nttchteme  Abwägung  von 
Ursache  und  Wirkung  ersetzen.  Die  Bömer  verdankten  ihre  Siege 
über  Kelten  und  Germanen  zum  guten  Theil  der  besseren  Bewaff» 
nung^^).  Der  Nordländer  focht  ohne  anderen  Schutz  als  den  ein 
breiter  Schild  bot,  trag  seine  Narben  mit  gleich  unbefangener 
Heiterkeit  zur  Schau,  wie  mancher  unserer  Commilitonen^^).  Aber 
die  Wucht  nordischer  Hiebe  wurde  durch  den  Helm  und  Panzer 
des  Römers  abgeschwächt,  derweil  die  geringste  Blosse  dem  römi- 
schen Kurzschwert  zum  tödtlichen  Stoss  genügte.  Im  Nahkampf 
entschied  weder  Kraft  noch  Zahl,  sondern  Gewandtheit  und  Uebung. 
Ein  caesarischer  Lieutenant  erbot  sich  im  Bürgerkrieg  mit  zehn 
Mann  einem  feindlichen  Bataillon  Stand  halten  zu  wollen:  das  war 
keine  Prahlerei,  sondern  entsprach  den  thatsächlichen  Verhältnissen^^). 
Die  grosse  Zahl  der  Besiegten,  in  deren  Hervorhebung  die  römi- 
schen Schriftsteller  schwelgen,  macht  uns  keinen  Eindruck,  wir 
finden  es  ganz  verständlich^  dass  40 — 50000  Mann  Kemtruppen 
zur  Eroberung  Galliens  ausreichten.  Wenn  wir  dagegen  weiter 
lesen,  dass  während  dieser  9  Jahre  800  Oi*tschaften  erstürmt,  300 
Gaue  bezwungen,  in  einigen  30  Schlachten  eine  Million  erschlagen, 
eine  zweite  Million  Menschen  in  die  Sklaverei  verkauft  wurden  ^^), 
wenn  wir  dabei  bedenken,  dass  die  Volksdichtigkeit  in  keltischen 
Landen  damals  eiir  Fünftel  der  gegenwärtigen  betrug,  so  steigt  der 
Hintergrund  des  Bildes,  das  die  Orgien  des  Siegers  vorfahrt,  in 
lebendiger  Anschaulichkeit  vor  dem  geistigen  Auge  auf 

Innere  Zwietracht,  die  Eifersucht  der  Stämme,  die  Spannung 
zwischen  Kitter-  und  Priesterthnm,  die  Knechtschaft  der  Gemeinen 
besiegelte  das  Joch  der  keltischen  Nation.  Als  Werkzeug  haben 
auch  unsere  Vorfahren  in  der  Hand  des  Siegers  gedient.  Keiner 
hat  ihrer  Tapferkeit  ein  so  glänzendes  Zeugniss  ausgestellt,  wie 
Caesar.  In  den  Schlachten  gegen  die  Kelten  und  später  im  Bürger- 
krieg thaten  deutsche  Truppen  sich  rühmlichst  hervor.  Ihre  Treue 
war  so  verbürgt,  dass  sie  als  Leibwächter  den  Kaiserthron  in  Rom 
umgaben,  und  wie  die  geheiligte  Person  des  Monarchen,  so  hielten 
sie  die  gefilhrdetste  Grenze  des  Reichs  in  ihrer  Hut.  Die  erste 
Germanisirung  des  linken  Rheinufers  ist  ein  Ausfluss  römischer 
Staatskunst.  Caesar  überliess  den  Schaaren  Ariovist's  Unterelsass 
und  die  bayrische  Pfalz,  Agrippa  verpflanzte  die  Ubier  nach  dem 
Regierungsbezirk  Köln,  Tiberius  die  Sigambem  nach  Xanten  und 
Cleve.    Um  Christi  Geburt  sprechen  die  Bauern,  mit  Ausschluss  der 


8  H.  Nissen : 

Strecke  zwischen  Brohl  und  Bingen,  von  der  Strommündung  auf- 
wärts bis  Colmar  deutsch.  Ihr  Heerbann  steht  bereit,  Ober  die 
Maas,  an  die  Mosel,  durch  den  Wasgenwald  zu  rücken,  wenn  die 
Kelten  unbotmässig  werden  wollen.  Ihr  Heerbann  schützt  den  Strom 
gegen  den  Einfall  der  eigenen  Stammesgenossen.  Und  nicht  bloss 
dies.  Wie  unsere  Geschichte  kaum  Einen  grossen  Krieg  aufweist, 
in  dem  nicht  Deutsche  gegen  Deutsche  gefochten  hätten,  so  haben 
die  linksrheinischen  Germanen  den  wirksamsten  Beistand  geleistet, 
um  die  alte  Heimath  unseres  Geschlechts,  die  vom  Meer  bis  in  die 
Nähe  des  Mains,  von  der  Weser  bis  zur  Weichsel  sich  erstreckt, 
unter  Roms  Allgewalt  zu  beugen. 

Augustus  hat  noch  grössere  Eroberungen  gemacht  als  sein 
Vater  Caesar.  Er  schob  die  Grenze  vom  Südfuss  der  Alpen  bis 
an  die  Donau  vor  und  beherrschte  diesen  Fluss  in  ganzer  Aus- 
dehnung von  den  Quellen  bis  zur  Mündung.  Seine  Flotten  unter- 
warfen die  deutschen  Küsten.  Seine  Heere  durchzogen  das  Binnen- 
land von  Mainz  und  Wesel  aus  bis  zur  Elbe.  Die  germanischen 
Kriege  zeigen  das  römische  Kriegswesen  auf  der  höchsten  Stufe 
der  Vollendung.  Grosse  Heeresmassen  wirken  mit  grossen  Flotten 
zusammen,  die  besten  Truppen,  über  die  Eom  jemals  verfügt  hat, 
von  hervorragenden  Feldherren  —  Agrippa,  Drusus,  Tiberius,  Ger- 
manicus  —  gefthrt,  alle  Hülfsmittel  einer  entwidkelten  Cultur  wer- 
den aufgeboten,  die  Steuerkraft  Galliens,  Spaniens,  Italiens  angespannt 
im  Kampf  gegen  ein  rauhes  Land  und  den  Trotz  seiner  Bewohner. 
Vom  militärischen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet  weist  die  römische 
Kriegsgeschichte  kein  Blatt  auf,  das  ähnliche  Leistungen  meldete, 
vom  allgemeinen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet  fesselt  kein  Blatt 
der  römischen  Kriegsgeschichte  die  Aufmerksamkeit  in  gleichem 
Maasse.  Jahrzehnte  lang  schien  der  Erfolg  gewiss,  was  die 
Waffen  errungen,  wurde  durch  kluge  Staatskunst  gesichert.  Gross- 
Gallien,  die  Eroberung  Caesars,  erhielt  eine  durchgreifende  Ordnung 
und  in  Lyon  eine  Hauptstadt:  am  Zusammenfluss  von  Rhone  und 
Saone  stand  der  Altar  des  Augustus,  an  dem  der  Provinzial-Land- 
tag,  die  Vertreter  der  64  keltischen  Gaue  zusammen  kamen.  Für 
Gross-Germanien,  die  Schöpfung  des  Augustus,  ward  auch  der 
Platz  der  Hauptstadt  ausgewählt:  auf  der  Insel  am  Hafen  der 
Ubier  —  Gross  St.  Martin  bezeichnet  den  Ort  —  erhob  sich  der 
Altar,  an  dem  deutsche  Fürstensöhne  dienten  und  den  Kaiser 
als   leibhaftigen  Gott    verehren    lernten.     Der  Rhein     hatte    auf- 


Bheinland  in  römischer  Zeit.  9 

gehört  Germaniens   Grenze   zn  sein^    er  war  Germauiens  Strom  ge* 
worden. 

Allein  welche  Ausdehnung  die  neue  Provinz  nach  Osten  hin 
erlangen  sollte^  blieb  den  leitenden  Männern  vorläufig  unklar.  Rom 
streckt  seine  Fangarme  in  ungemessene  Weiten  aus.  Im  Jahre  2 
V.  Chr.  dringt  ein  Heer  von  der  Donau  durch  Thtiringen  über  die 
Elbe  bis  in  die  Mark  Brandenburg ;  6  n.  Chr.  segelt  die  Flotte  bis 
Skagens  Riff,  der  Nordspitze  Jütlands  hinauf;  im  selben  Jahr 
marschieren  zwei  Heere  in  der  Gesammtstärke  von  120000  Mann^ 
das  eine  von  Mainz,  das  andere  von  Wien  aus,  um  vereint  in  Böh- 
men zu  schlagen.  Da  bricht  in  ihrem  Rücken,  an  der  mittleren 
und  unteren  Donau  ein  ftirchtbarer  Aufstand  aus,  der  erst  nach 
dreijährigem  heissen  Ringen  niedergeworfen  werden  kann.  Am 
3.  August  des  J.  9  wurde  der  Sieg  gefeiert,  5  Tage  darauf  traf 
die  Schreckensbotschaft  aus  dem  Teutoburger  Walde  ein.  Nach- 
gerade waren  67  Jahre  verflossen,  seitdem  derGermane  zum  ersten 
Male  die  römische  Zuchtrute  gekostet.  Er  hatte  dem  Fremden 
Manches  abgesehen,  auch  dessen  List  und  Tücke.  Mit  argen  Listen 
umgarnte  er  den  argen  Mann.  Drei  Legionen  römischer  Bürger, 
N.  17,  18,  19,  dazu  an  Hülfstruppen,  vermuthlich  Germanen  vom 
linken  Rheinufer,  3  Reiterregimenter  und  6  Cohorten,  Alles  in  Allem 
ungefähr  20000  Streiter  wurden  hingemetzelt.  Schlimmer  als  die 
Niederlage  war  der  moralische  Eindimck,  den  sie  hervorrief.  Deutsche 
Prinzen,  die  am  Kaiseraltar  in  Köln  dienten,  rissen  die  Priester* 
binde  von  der  Stirn  und  liefen  in  die  Wälder,  um  an  der  Jagd  auf 
flüchtige  Römer  Theil  zu  nehmen.  Augustus  hat  diesen  Schlag 
nicht  verwunden.  In  der  kurz  vor  seinem  Tode  verfassten  Grab- 
schrift, die  seine  Thaten  und  Verdienste  preist,  bezeichnet  er  die 
Eibmündung  als  Grenze  des  Reichs;  vertraulich  warnte  er  vor  neuen 
Eroberungen.  Nach  dem  Thronwechsel  jedoch  machte  Germanicus 
noch  einen  letzten  Versuch,  das  abgefallene  Binnenland  zu  be- 
zwingen. Zu  keiner  Zeit  ist  die  germanische  Freiheit,  der  Fort- 
bestand germanischen  Volksthums  schwerer  bedroht  gewesen,  als 
in  den  Jahren  lö  und  16.  In  mörderischen  Schlachten  bleiben  die 
Römer  Sieger  —  da  nahen  die  Götter  der  Heimath  als  Retter. 
Auf  ihrem  breiten  Nacken  hatte  die  Nordsee  den  Feind  ins  Land 
getragen.  Bei  der  Rückfahrt  bereitete  sie  ihm  das  Grab,  bewies, 
dass  der  Seemann  nicht  ohne  Grund  in  grimmigem  Wortspiel  von 
der   Mordsee    spricht.     Als   Kaiser    Tiberius    von   den    Verlusten 


10  H.  Nissen: 

der  1000  Schiffe  starken  Aimada  hörte^  rief  er  den  kriegslustigen 
Kronprinzen  nach  Rom  ab,  überliess  die  Germanen  sich  selbst  nnd 
ihren  Fehden.  Fürderhin  beschränkt  sich  das  Reich  am  ünterrhein 
auf  die  Vertheidignng. 

Im  Zusammenhang  damit  werden  nunmehr  die  Einrichtungen  ge- 
troffen, die  lange  fortwirken  sollten.  Wenn  die  rheinische  Geschichte 
bis  zum  Ausgang  des  vorigen  Jahrhunderts  sich  um  die  drei  Mittel- 
punkte MainZ;  Trier,  Köln  bewegt,  so  ist  ihre  Bahn  von  den  Römern 
vorgezeichnet  worden.  Obwohl  alle  drei  römische  Gründungen  sind, 
weichen  sie  doch  ihrem  Wesen  nach  völlig  von  einander  ab.  Die 
innere  Verwaltung  des  römischen  Reichs  gewährt  den  einzelnen 
Gemeinden  ein  nicht  geringes  Maass  bürgerlicher  Selbstbestimmung. 
Und  zwar  bilden  Städte  die  eigentlichen  Verwaltungskörper.  Im 
Norden  ai*beiten  die  Römer  unermüdlich  darauf  hin,  die  alte  Gau- 
verfassung durch  eine  städtische  zu  verdrängen.  In  Gallien  gelangt 
die  Umbildung  12  v.  Chr.  zum  Abschluss;  die  von  Caesar  unter- 
worfenen Tres  Galliae  zerfallen  fortan  in  64  Stadtgebiete.  Während 
die  Stadtkreise  auf  der  italischen  und  spanischen  Halbinsel  durch- 
weg klein  sind,  oft  nicht  grösser  als  1 — 2  Quadratmeilen,  umfassen 
sie  hier  deren  100  und  mehr.  Aus  der  Grösse  des  Gebiets  erklärt 
sich  das  erstaunliche  Wachsthum  dieser  gallischen  Städte,  die  zähe 
Lebenskraft,  mit  der  sie  die  Stürme  der  Völkerwanderung  über- 
dauerten. Zu  ihnen  gehört  Trier,  das  seine  Entstehung  nicht  etwa 
flüchtigen  Trojanern,  sondern  der  Weisheit  des  Kaisers  Augustus 
verdankt.  Es  hat  im  Laufe  der  Zeiten  die  alte  Hauptstadt  Galliens, 
Lyon,  überflügelt,  seit  Diocletian  die  erste  Stelle  im  Occident  ein- 
genommen. Als  der  h.  Hieronymus  hier  weilte,  war  die  Volks- 
sprache noch  keltisch;  die  Denkmäler  zeigen  die  Vermischung  der 
römischen  Kunst  mit  gallischen  Elementen,  die  Frankreich  eigen- 
thümlich  ist.  Sie  führen  uns  den  Weinbau  der  Mosel,  die  Pracht- 
liebe des  Adels  vor  Augen,  aber  auch  die  gedrückte  Lage  des 
Landvolks,  die  mehr  als  einmal  bedenkliche  Aufstände  hervor- 
gerufen hat.  Ganz  anders  sieht  es  bei  den  Germanen  am 
Rhein  aus.  Mainz  ist  von  Drusus  als  Hauptwaffenplatz  des 
Nordens  angelegt  worden  und  ist,  ohne  Stadtrecht  zu  erlangen, 
Festung  geblieben.  Am  Oberrhein  dehnt  sich  unter  Vespasian  die 
römische  Herrschaft  über  Baden  und  Württemberg  aus.  Gegen 
dies  durch  keinen  Strom  geschützte  Neuland  richten  die  Ger- 
manen   seit    Marc    Aurel    ihre  Angriffe    und    hemmen    die    un- 


Rheinland  in  römischer  Zeit.  11 

gestörte  Entwicklung  der  Dinge,   die  sich  am   Niederrhein  toU- 
zieht. 

Am  Vinxtbach  bei  Brohl,  der  alten  Diöcesangrenze  von  Trier 
und  Köln;  beginnt  die  Germania  inferior,  die  niederdeutsche  Provinz, 
die  anfänglich  17  n.  Chr.  ein  wunderliches  Kartengebilde  darstellt. 
Sie  begreift  nämlich  6  deutsche  Völkerschaften  in  sich :  die  Chanken 
an  der  Küste  zwischen  Elbe  und  Weser,  die  Friesen  in  Ost-  und 
Westfriesland,  die  Canninefaten  in  Nordholland,  die  Bataver  in  Süd- 
holland, die  alten  Sigambem  unter  dem  Namen  Cugemer  im  Her- 
zogthum  Cleve,  endlich  die  Ubier  von  Neuss  bis  Brohl,  landeinwärts 
bis  Jülich  und  Zülpich.  Chauken  und  Friesen  haben  bald  die 
Fremdherrschaft  abgeschüttelt,  aber  diesseits  des  Rheins  standen 
im  Kölnischen  und  Clevischen  4  Liegionen,  was  ungefähr  nach  un- 
seren heutigen  Verhältnissen  4  Divisionen  entspricht.  Die  Mann- 
schaften stammen  aus  Italien  und  ziehen  wie  begreiflich  eine  Masse 
von  Handwerkern,  Krämern  und  Tross  aus  der  Heimath  in  ihre 
Garnisonen  nach  sich.  Hierin  liegt  der  Qrund,  warum  die  römische 
Cultnr  am  Niederrhein  weit  unver^schter,  italienischer  auftritt,  als 
bei  den  Kelten  an  der  Mosel.  Ausserdem  aber  bewirkt  die  An- 
wesenheit der  Truppen  mit  ihrem  bürgerlichen  Anhang,  dass  die  Bo- 
manisirung  unserer  Gegend  rasche  Fortschritte  macht.  Zuerst  wird  der 
südlichste  Stamm  für  die  römische  Stadtverfassung  reif.  Die  Ubier 
hatten  sich  bereits  rückhaltlos  an  Caesar  angeschlossen,  als  sie  am 
rechten  Flussufer  wohnten.  Auf  das  linke  verpflanzt,  verbleiben  sie 
eine  feste  Stütze  der  römischen  Macht,  erhalten  50  n.  Chr.  Stadt- 
recht. Die  colonia  Agrippinensis  ist  die  älteste  deutsche  Stadt. 
Ihre  Ringmauer  umschliesst  einen  Flächeninhalt  von  97  Heetaren, 
zwar  nur  ein  Viertel  von  dem,  was  Köln  im  Mittelalter  als  grösste 
Stadt  Deutschlands  einnahm,  immerhin  ausreichend,  um  eine  Ein- 
wohnerschaft von  30000  Seelen  zu  beherbergen.  Ein  halbes  Jahr- 
hundert später  erhält  Xanten,  der  Hauptort  der  Cugemer,  Stadt- 
recht; Xanten  wetteifert  an  Bedeutung  mit  Köln,  ähnlich  wie  heu- 
tigen Tages  Düsseldorf.  Beide  Städte,  um  von  den  kleinen  Ort- 
schaften zu  schweigen,  verwälschen  und  üben  ihren  Einfluss  auf 
das  platte  Land  im  nämlichen  Sinne  aus.  Durch  eine  strenge 
Grenzsperre  von  dem  freien  Germanien  abgeschlossen,  stirbt  das  links- 
rheinische Deutschthum  langsam  aus.  Die  Römer  fahlen  sich  so 
sicher,  dass  die  Besatzung  im  zweiten  Jahrhundert  um  die  Hälfte 
und  mehr   vermindert  wird.    Sie   haben   drei  feste  Brücken   über 


12  H.  Nissen: 

den  Strom  geschlagen,  bei  Mainz,  Köln,  Xanten,  und  befahren  ihn 
mit  einer  starken  Flotte.  Von  den  Quellen  bis  zur  Mündung  ist 
der  Rhein  römisch  und  wird  erst  durch  Franken  und  Alemannen 
nach  langen  Kämpfen  ein  deutscher  Fluss. 

Unser  Provinzialmuseum  bietet  fUr  die  Entwicklung,  die  ich 
mit  flüchtigen  Strichen  gezeichnet  habe,  im  Einzelnen  die  urkund- 
lichen Belege.  So  unscheinbar  sein  Inhalt  bei  oberflächlicher  Be* 
trachtung  ist,  wird  er  bei  wiederholter  und  eingehender  Betrachtung 
eine  reiche  Fülle  von  Anregung  und  Belehrung  spenden.  Die  hier 
vereinigten  Sammlungen  gehören  3  Besitzern,  Staat,  Provinz  und 
Alterthumsverein  an.  Nachdem  der  Staat  60  Jahre  lang  den  Denk- 
mälern Rheinlands  seine  Fürsorge  zugewandt,  hat  er  diese  Auf- 
gabe an  die  Provinz  abgetreten  und  durch  Leistung  eines  jähr- 
lichen Zuschusses  gefördert.  Indessen  hat  er  leider  noch  immer  nicht 
auf  das  Besitzrecht  an  den  auf  seinem  Grund  und  Boden  gemach- 
ten Funden  verzichtet.  So  gehen  wichtige  Funde  nach  Berlin,  um  in 
den  Katakomben  der  hauptstädtischen  Museen  zu  verschwinden  oder 
günstigen  Falles  einen  verschwindenden  Bruchtheil  des  Nutzens 
zu  stiften,  den  sie  in  der  Umgebung,  der  sie  angehören,  stiften 
könnten.  Ich  wage  zu  hoffen,  dass  diesem  sinnwidrigen  Zustand 
endlich  ein  Ziel  gesteckt  werde.  Ich  wage  ferner  zu  hoffen,  dass 
der  Verein  von  Alterthumsfreunden  im  Rheinland,  seit  53  Jahren 
der  wissenschaftliche  Hüter  der  ältesten  Vergangenheit  unserer  Pro- 
vinz, noch  tiefere  Wurzeln  schlagen  als  bisher,  seine  Bestrebungen 
in  immer  weitere  Kreise  tragen  möge.  Wenn  die  Gunst  der  Mit- 
bürger dem  Museum  im  verdienten  Umfang  zu  Theil  wird,  dann 
dürften  seine  Säle  bald  zu  klein  werden  fär  die  angehäuften  Schätze. 
Und  wenn  einst  mein  Nachfolger  an  dieser  Stelle  das  römische 
Rheinland  schildern  sollte,  dann  wird  er  die  Umrisse  fester  ziehen, 
reichere  Farben  auftragen  können,  als  mir  heute  vergönnt  war. 


Rheinland  in  römischer  Zeit.  18 


Anmerkungen. 

Der  Vortrag  ist,  wie  er  gehalten  wurde,  unverändert  abgedruckt 
worden.  Er  war  ursprünglich  noch  auf  einen  letzten  Theil,  der  den  Sturz 
der  Römerherrschaft  schildern  sollte,  berechnet.  Jedoch  musste  die  Aus- 
führung wegen  der  Kürze  der  dem  Redner  gesteckten  Zeit  unterbleiben 
und  wurde  hier  nicht  nachgeholt.  Dagegen  schien  es  zweckmässig,  einige 
Anmerkungen  beizufügen,  sei  es  um  die  aufgestellten  Ansichten  zu  be- 
gründen, sei  es  zu  weiteren  Forschungen  anzuregen. 

1)  Herodot  IH.  106.  114.  115.  iS  iox&t^s  S'  <Sv  [E^Qwmfg]  S  te  xaaai- 
tsQoc  ^fiTv  (poix^  xal  10  ijXextQov.  ngog  dk  Sqxxov  tffg  EvQ€07n]e  xoiXtp  u  nXsXatog 
XQvcog  fpaivetai  icav.  Wo  dies  märchenhafte  Goldland  zu  suchen  sei,  ob 
nördlich  von  den  Alpen  oder  in  Russland  oder  Centralasien,  steht  nach 
den  ethnographischen  Ausführungen  IV.  13.  32  fg.  (vgl.  Herodot's  Zeit- 
genossen Damastes  bei  Steph.  Byz.  'Yjrsgßifgsot)  freilich  keineswegs  fest. 

2)  Zur  allgemeinen  Einführung  sei  auf  die  anziehenden  Vorträge 
G.  vom  Rath's  über  das  Gold  verwiesen  (Virchow-Holtzendorff  XIV.  Serie, 
325.  u.  26.  Heft,  Berlin  1879).  Eine  Arbeit,  die  der  wichtigen  Rolle  ge- 
recht würde,  welche  das  Edelmetall  in  der  früheren  Geschichte  unseres 
Vaterlandes  gespielt  hat,  würde  äusserst  dankenswerth  sein.  Einen  all- 
gemeinen üeberblick  über  das  Vorkommen  des  Goldes  daselbst  giebt  H. 
V.  Dechen,  Die  nutzbaren  Mineralien  und  Gebirgsarten  im  Deutschen 
Reiche,  Berlin  1873,  p.  658—63.  Die  hier  vereinigten  Nachweise  schulde 
ich  grösstentheils  der  freundlichen  Beihülfe  meines  Collegen  Clemens 
Schlüter. 

3)  Ueber  den  Goldgehalt  des  Oberrheins,  der  ihm  durch  die  Aar 
zugeführt  wird,  sowie  der  oberrheinischen  Ebene,  handelt  grundlegend 
Daubr^e,  Memoire  sur  la  distribution  de  Tor  dans  le  gravier  du  Rhin,  et 
sur  Textraction  de  ce  m^tal  in  Bulletin  de  la  societ^  g^ologique  de  France 
ni  p.  458—65.  Paris  1846 ;  derselbe  in  Description  g6ologique  et  minera- 
logique  du  döpartement  du  Bas-Rhin  p.  308—325,  Strasbourg  1852.  Die 
Goldgründe  finden  sich  auf  einer  Strecke  von  250  km  zwischen  Basel 
und  Mannheim  und  zwar  nur  im  gi-obenRies.  Die  ergiebigsten  enthalten 
bei  der  geringen  Tiefe  von  15  cm  Flimmer  in  winzigen  Blättchen  ab- 
gelagert, von  denen  17—18000  erst  ein  Gramm  wiegen.  Bei  der  Wäsche 
entfällt  auf  den  Cubikmeter  Kies  1  gr  bis  hinab  zu  Vso  ^  Gold.  Daubr6e 
schätzt  den  jährlichen  Ertrag  auf  40—45000  fr.,  der  von  etwa  500  Men- 
schen durch  Nebenarbeit  gewonnen  wird.  Auch  10—12  km  vom  Fiuss 
entfernt  hat  Daubr6e  in  verschiedenen  Kiesbänken,  wie  auch  in  und  an 
der  111  schwachen  Goldgehalt  nachgewiesen,  der  freilich  nirgends  die  Aus- 
beute lohnen  würde. 

4)  Nach  Daubrde  erzielen  die  Goldwäscher  einen  Taglohn  von 
1— 2  Jr.,  ausnahmsweise  10—15  fr.  Nach  den  Erkundigungen  Gothein's, 
Wirthschaftsgeschichte  des  Schwarzwaldes  I  p.  612,  bleibt  der  Tageser- 
trag doch  nicht  unter  1  Mark  heutigen  Tages  zurück. 


14  H.  Nissen: 

5)  Münzrath  Kachel,  Die  Gol.dwa8cherei  am  Rhein  (Badisches  land- 
wirthschaftliches  Wochenblatt  1838  p.  181  fg.,  193  fg.).  Leonhard,  Beiträge 
zur  miner.  u.  geogn.  Kenntniss  des  Grossh.  Baden  III.  p.  131,  Stuttgart 
1854,  führt  badische  Münzen  mit  der  Aufschrift  ex  sabulis  Rheni  an.  Seit 
1834  ist  der  Ertrag  stetig  zurück  gegangen. 

6)  y.  Dechen,  Nutzbare  Mineralien  p.  660. 

7)  Karsten,  Archiv  f.  Mineralogie  u.  s.  w.  VII.  p.  149, 167,  Berlin  1834. 

8)  Leonhard,  Neues  Jahrbuch  für  Mineralogie  u.  s.  w.,  p.  675, 
Bonn  18a5. 

9)  Georg  Agricola,  De  re  metallica  p.  54,  Basel  1561. 

10)  Aus  dem  Schwarzwald  werden  namentlich  angeführt:  Rench, 
Kinzig,  Mühlenbach,  Elzach,  Dreisam,  Wise,  Brig,  Breg,  Donau  s.  Qothein 
a.  a.  O.  I.  p.  610.  Amel.  Jahrb.  LXIX.  p.  121.  Desgleichen  Isar,  Inn,  Salzach, 
Donau  in  Bayern;  Saale,  Schwarza,  Rauscha,  Elster  u.  a.  in  Thüringen; 
Göltsch,  Mulde,   Sebnitz  u.  a.  in  Sachsen  s.  v.  Dechen  a.  a.  O.  p.  661  fg. 

11)  Nöggerath  in  6chweigger*s  Journal,  Jahrbuch  für  Chemie  und 
Physik  XXIV.  p.  351,  Halle  1828,  vgl.  Dunker,  Beschreibung  des  Berg- 
reviers Coblenz  II,  Bonn  1884,  p.  45. 

12)  Nöggerath,  Das  Gebirge  in  Rheinland -Westphalen  L  p.  141, 
Bonn  1822;  Verhandlungen  des  naturhistorischen  Vereins  von  Rheinland 
und  Westphalen  XVIII.  p.  93,  Bonn  1861.  Das  grösste  bekannte  Stück 
jaus  Deutschland  wird  wohl  das  im  Mühlbach  bei  Enkirch  an  der  Mosel 
unweit  Bemkastel  aufgelesene  nahezu  4  Loth  schwere  Stück  sein  (Poggen- 
dorf,  Annalen  X.  p.  136),  während  der  1842  bei  Minsk  gefundene  Klumpen 
88  PfUnd  wiegt. 

13)  Bothmer,  Gesch.  d.  Goldkronacher  Goldbergwerks,  Leipzig  1786. 

14)  Ausführlich  behandelt  in  G.  A.  Volkmanns  Silesia  subterranea, 
p.  204—12,  Leipzig  1720.  Viele  Gewässer  Schlesiens  sind  goldhaltig;  bei 
Neisse  sollen  Klumpen  von  37»  ?,  9  Pfund  Gewicht  im  16.  Jahrhundert 
gefunden  worden  sein.  Von  neueren  Gelehrten  handelt  v.  Dechen  (in 
ELarsten,  Archiv  für  Mineralogie  u.  s.  w.  IL  p.  209—33)  über  das  Vor- 
kommen des  Goldes  in  Niederschlesien;  vgl.  v.  Buch,  Geognostische  Be- 
obachtungen I.  p.  128  fg.,  Berlin  1802.  Nach  Fiedler,  Die  Mineralien 
Schlesiens  p.  29,  Breslau  1863,  wurde  auf  der  Hütte  bei  Reichenstein  in 
den  Jahren  1858  fg.  alljährlich  Gold  im  Werthe  von  gegen  25000  Mark 
aus  den  Abbränden  der  gerösteten  Arsenikerze  erzeugt.  Nach  Athanasius 
Eircher,  Mundus  subterraneus  p.  247,  Amsterdam  1665,  sind  die  gold- 
haltigen Flüsse  in  Deutschland  und  Ungarn  zahllos. 

15)  Gothein,  Wirthschaftsgeschichte  des  Schwarzwaldes  und  der  an- 
grenzenden Landschaften  I.  p.  609—12,  Strassburg  1891,  erörtert  die  ein- 
schlagenden rechtlichen  Verhältnisse. 

16)  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  Diodor  V^.  27  beschrie- 
bene Goldwäscherei  der  Kelten  auch  am  Rhein  betrieben  worden  ist. 
Das  älteste  ausdrückliche  Zeugiiiss  steht  Nonuos  Dionys.  XLIII.  410  xQvaw 
"IßrjQ  :tdQe  T^og.  Angeblich  verleiht  Herzog  Ethico  667  dem  Kloster  Eber- 
münster das  Recht,  Gold  zu  waschen  (Grandidier,  Histoire  de  Töglise  de 
Strasbourg   I.  4  p.  367).    Dann   erwähnt   Otfried   von    Weissenburg   das- 


Rheinland  in  römischer  Zeit.  15 

selbe  klärlieh  nach  eigener  Anschauung:  Krist  I.  1,  72  ioh  l^sent  thar  in 
lÄnte  g61d  in  iro  sante.  Die  allmähliche  Abnahme  der  Gründe  veran- 
schanlicht  eine  von  Daubr6e  Descr.  p.  317  beigebrachte  Notiz,  nach  der 
die  Stadt  Strassburg  auf  einer  Uferstrecke  von  3  Lieues  das  Recht  Gold  zu. 
waschen  verpachtete: 

1727   für  100  fr., 

1789     „    140   „ 

1755     ,    110   „ 

1760     «      80    „ 
das  1852   höchstens  40  fr.  werth    war.    Es  wird  nach  Daubr6e  am  linken 
Rheinufer  zugleich  mit  der  Fischerei  von  den  Gemeinden  vergeben.    Der 
Goldwäscher  zahlt  an  den  Anpächter  eine  jährliche  Abgabe  von  2—3  fr. 
für  den  Kopf. 

R^aumur,  Essai  de  Thistoire  des  rivi^res  et  des  ruisseaux  du  ro- 
yaume  qui  roulent  des  paillettes  d'or,  in  M6m.  de  TAc.  des  Sciences  1718 
p.  68—88,  zählt  zehn  französische  Wasserläufe,  aus  denen  Gold  gewonnen 
wird,  auf:  an  oberster  Stelle  den  Rhein.  Im  Allgemeinen  gilt  das  Ge- 
setz, dass  die  Ergiebigkeit  eines  Flusses  mit  dem  Alter  der  an  seinen 
Ufern  blühenden  Cultur  abnimmt.  Dasselbe  wird  durch  die  Ausführung 
bei  Tacitus  Germ.  5  erläutert. 

17)  Mommsen,  Geschichte  des  römischen  Münzwesens  p.  678.  688. 

18)  Polyb.  IL  17,11.  vnoQ^lg  ys  firjv  ixaatotg  ^y  ^gSf^/mja  xou  ZQVOog  dia 
tof^orajavta  xatii  ras  negiaidaeig  Qadlwg  ^aa^i  jtarraxfl  yteQiayayeir  xai  f^e^- 
icxavcu  xatä  tae  cdnmv  Jigoaigiaetg,  Diodor  V.  27  xara  yag  tffv  FaXatlav 
OQyvQog  fisy  to  avvokov  ov  yiystat,  XQ^^^  ^^  JtoXijg,  8v  zoZs  iyxmgiotg  i}  (pvoig 
&vev  /jUToXXelae  xai  xaxoJia&$iae  vjtovgyst 

19)  Streber,  Abhandlungen  d.  bayr.  Akad.  München  1860  p.  165, 
1863  p.  547. 

20)  van  Vleuten,  Jahrb.  LXVni.  p.  61.  Schaaffhausen,  Jahrb. 
LXXXVI.  p.  64. 

21)  Durch  die  siegreichen  Feldzüge  225—22  v.  Chr.  gelangten  die 
Römer  in  den  Besitz  der  Goldgruben  am  Südfnss  der  Alpen.  Sie  be- 
festigten noch  vor  Hannibais  Ankunft  in  der  Gegend  von  Biella,  wo  Spuren 
des  ehemaligen  Goldbaues  vorhanden,  den  Marktplatz  Victumulae  und 
verwertheten  alsbald  den  Gewinn  in  der  218  begonnenen  und  dann  für  mehr 
als  anderthalb  Jahrhunderte  fallen  gelassenen  Goldprägung.  Die  Blüthe 
des  Ortes  (Liv.  XXI.  57,  Diod.  XXV.  17)  und  mehr  noch  die  censorische 
Vorschrift  für  die  Grubenpächter,  nicht  über  5000  Arbeiter  anzustellen  (Plin. 
XXXIII.  78)  zeugt  von  der  Ergiebigkeit  der  Lager.  Doch  gingen  sie 
rasch  auf  die  Neige  und  waren  zur  Zeit  des  Augustus  nicht  mehr  in  Be- 
trieb (Strab.  V.  218).  Aehnlich  ist  es  mit  der  Wäscherei  im  Thale  der  Dora 
Baltea  gegangen  (Strab.  FV.  205).  Sie  ist  an  verschiedenen  Alpenflüssen 
Piemonts  noch  nicht  ausgestorben,  ohne  nennenswerthen  Nutzen  abzu- 
werfen. Man  begreift  ohne  Weiteres,  dass  die  römischen  Unternehmer 
durch  die  Minderung  der  Erträge  getrieben  wurden,  nach  neuen  unbe- 
rührten Goldquellen   auszuschauen. 

22)  Anschaulich  berichtet  der  Zeitgenosse  Polybios  bei  Strabo  IV.  208. 


16  H.  Nissen: 

23)  Posidonios  bei  Athen.  IV.  152  d.,  vgl.  Strab.  IV.  191. 

24)  Posidonios  bei  Strabo  IV.  188;  Dio  ftr.  90.  Justin  XXXII.  3,  10. 
Oros.  V.  15,  25.    GeU.  N.  A.  HL  9,  7.    Qc.  de  deor.  nat.  UI.  74. 

25)  Dio  XLII.  49.  Jiolkä  9ccd  Im  ndofj  Jtgoqfdoei  xQ^f*^^fi  yiaga  naytojv, 
&a3isQ  xat  nßiVf  exXdycov  .  .  .  Tavta  Sk  ovx  vno  xaxlag  ktolsij  cLU'  Su  xcd  iSajtdva 
siafJUiXri'&fi  xai  dvdXcjotv  noXv  JtXeio}  ig  re  tä  atgatÖTnöa  xcu  ig  xa  huvlxia  xd  xs 
äXXa  ooa  iXafutgvrexo  jroii^asiv  ifieXiev,  x6  xs  o'^pmav  ebtsTr,  xQrnxaxonoiog  dvrjQ  eyivexo, 
6vo  xe  shai  Xsyoyv  xd  xdg  dwaaxsiag  TgoQoaxevdCorxa  xat  <pvXdaaovxa  xcu  enav^cvxa^ 
axgaxKoxag  xcu  xQW^Ta,  xal  xadxa  di^  dXXi^Xoov  itwsaxijxivai'  xfj  xs  ydg  xQO<pfj  xd  axQa- 
xevfMxa  awixea^ai  xal  ixeivrjy  ix  xmv  S^Xcdv  ovXXiyea^r  xav  ddxegow  SnoxsQovoCr 
avtdiv  ivSeeg  jji  >^<^  ^^  etegov   avyxaxaXv^osa&ai,  vgl.  Sneton  54,  Dio  XL.  60. 

26)  Dio  XLIV.  39.  xd  xe  tÖia  evoixdxaxog  afia  xcu  evdcatavwxcnog  iyeiftrOy 
dxQtßrjg  fiev  &v  ig  x6  xd  vjtdgxovxa  SioQxcag  (pvXd^ai,  dayfiXrjg  de  ig  x6  xd  xßoai^' 
xovxa  dipetSoig  dyaX<ooai.   Vgl.  Cicero  an  Att.  XIII.  52,  1.    Suet.  47. 

27)  Appian,  Bürgerkr.  II.  13,  vgl.  Cicero  an  Att.  VI.  1,  25.  Sueton  54. 

28)  Plutarch  20. 

29)  Sueton  26.  Plin.  N.  H.  XXXVI.  103.  Die  Fläche  misst  rund 
9000  Quadratmeter. 

30)  Cicero  an  Att.  IV.  16.8,  vgl.  Sueton  Aug.  56. 

31)  Cicero  an  Att.  IV.  16,  8,  beendet    durch  Agrippa.    Dio  LIII.  28. 

32)  Cicero  an  Att.  XV.  15, 2.  Tacit.  Ann.  II.  41.  Sueton  83.  Plut. 
Brut.  20  u.  a. 

33)  acero  an  Att.  VI.  1,25.   Sueton  46;  Sueton  83;  SenecaEp.  51, 11. 

34)  Caesar,  Bürgerkr.  I.  14.    Cicero  an  Att.  VII.  14,  2. 

35)  Sueton  31. 

36)  Ausdrücklich  spricht  Cicero  in  seinem  Briefwechsel  nur  von 
einem  Darlehen  von  800000  Sesterzen,  dessen  Rückzahlung,  wenn  über- 
haupt, jedenfalls  spät  erfolgt  ist,  an  Atticus  V.  1,2,  5,2;  XII.  7,2,  8.  In- 
dessen können  Aeusserungen  an  die  Freunde  I.  9, 12  fg.,  VII.  17, 2  kaum 
anders  als  von  unmittelbaren  Vortheilen  verstanden  werden.  Und  dass 
der  Unterhändler  von  Geschäften^  wie  den  hier  in  Rede  stehenden,  seine 
Procente  bezog,  versteht  sich  im  Grunde  genommen  von  selbst. 

37)  Drastisch  schreibt  Cicero  am  9.  December  50  an  Atticus  VII. 
3, 11  age  a  Caelio  mutuabimur.  hoc  tu  tarnen  consideres  velim;  puto 
enim,'  in  senatu  si  quando  praeclare  pro  re  publica  dixero,  Tartessium 
istum  tuum  (Caesars  Bankier  Baibus)  mihi  exeunti  „iube  sodes  nummos 
curari**.    Sueton  27. 

38)  Plutarch  29.    Appian  II.  26.     Cicero  an  Att.  VI.  3,4. 

39)  Valer.  Max.  IX.  1, 6.  Velleius  II.  48, 4  centies  sextertio  £U  ver- 
bessern in  sexcenties  sestertio,  vgl.  Lucan  IV.  820  Gallonim  captus 
spoliis  et  Caesaris  auro. 

40)  Caesar  Gall.  Kr.  1.  39  mit  köstlicher  Ironie. 

41)  Cicero  an  seinen  Bruder  II.  14,  3,  III.  9, 4. 

42)  Caesar  Bürgerkrieg  I.  15,  vgl.  Cicero  an  Att.  VII.  7,  6. 

43)  CatuU  29.  Plin.  N.  H.  XXXVI.  48.  Cicero  an  Att.  VII.  7,  6. 
Horaz  Sat.  I.  5,  37. 

44)  Sueton  33.    ZiifVieden  zu  stellen  waren  Caesars  Soldaten  nicht, 


Rheinland  in  römischer  Zeit.  17 

obwohl  z.  B.  jeder  beim  Triumph  46  ein  Geschenk  von  4210  Mark  erhielt 
Sneton  38. 

45)  Nach  Sueton  54  sank  das  normale  Verhäitniss  beider  Metalle 
von  1 :  11,9  vorübergehend  auf  1 : 8,9  herab. 

46)  Cicero  an  Att.  IV.  16,  7.  Man  hatte  grosse  Erwartungen  gehegt. 
Des  Redners  Binider  Quintus,  seine  Schützlinge  Trebatius,  Trebonius, 
Curtius,  waren  ausgezogen  auf  der  unbekannten  Insel  ihr  Glück  zu 
suchen,  Caesars  Bankier  Baibus  war  ins  Hauptquartier  entboten  worden. 
Enttäuscht  antwortet  Cicero  dem  Bruder  III  1,10  de  Britannicis  rebus 
cognovi  ex  tuis  litteris  nihil  esse  nee  quod  metuamus  nee  quod  gaude- 
amus,  ist  aber  durch  eine  spätere  Botschaft,  laut  deren  Baibus  zum 
Winter  mit  gefüllter  Kasse  nach  Rom  heimkehren  werde  (§  12),  getröstet 
worden.  —  Eine  Entstdlung  des  Sachverhalts  ist  es,  wenn  Caesar  in  der 
Aussicht  auf  Perlen  den  Zug  unternommen  haben  soll,  Sueton  47  vgl. 
Tacit.  Agric.  12. 

47)  Caesar'  erwähnt  diesen  für  das  historische  Verständnis  ent- 
scheidenden Umstand  nirgends,  um  den  Eindruck  seiner  Thaten  auf  den  Leser 
nicht  abzuschwächen.  Die  Folge  davon  ist,  dass  er  auch  von  den  neueren 
Gelehrten  nicht  genügend  betont  wird.  Dio,  der  ausser  den  Comroentarien 
andere  zeitgenössische  Berichte  benutzt  hat,  lässt  Caesar  vor  dem  Kampf 
mit  Ariovist  seine  Soldaten  mit  den  Worten  ermuthigen  XXXVIII.  45 
Tva  yoQ  xäXXa  idofo,  t6  nkrj&og  ^ficäv  t^v  ^Xixiav  rrjv  ifinBigiav  tä  igya,  ixsTrö  ye 
xkovxoISev,  Sil  ^fteU  f*er  xaxä  näv  ^*  Sfwicoe  ro  owfjta  cbTtklofjiF&a,  ixstvoi  de  dtj 
yvfivol  %6  xXsi&Toy  etai,  xal  ijfAeZs  fiev  xal  loyuffMp  xai  xdi^si  xQibiis^a^  sxsivoi  Sk 
öff  ^fji<p  xQog  Ttayxa  davvxaxxot  tpsQorxcu]  vgl.  die  Schlachtbeschreibung  eb. 
49,4.  Ausführlich  verbreitet  sich  über  den  Unterschied  der  Bewaffnung 
der  kriegskundige  Polybios  II.  30,  III.  114  und  in  der  livianischen  Ueber- 
setzung  XXXVIII.  21.  Andere  Erwähnungen  Diodor  V.  30.  Strabo  IV. 
196.    Tacitus  Ann.  II.  21.    Hißt.  IL  22. 

48)  Liv.  XXXVIII.  21  non  tam  patentibus  plagis  moventur;  interdum 
insecta  cute,  ubi  latior  quam  altior  plaga  est,  etiam  gloriosius  se  pugnara 
putant. 

49)  Africanischer  Krieg  45. 

50)  Plutarch  Caes.  15.  Pomp.  67.  Appian  Kelt.  I.,  Bürgerkrieg  II. 
150.  Julian  Caesares  321a;  Plinius  N.  H.  VII.  92  giebt  1192000,  Velleius 
IL  47  (vorschrieben?)  nur  400000  getödtete  Feinde  an. 


Jahrb.  d.  Ver.  v.  Attcrthsfr.  Im  Rheinl.  XOVl. 


2.  Terra 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte   der  griechischen  und 
römischen  Keramik *)• 

Von 
Hans  Dragendorff. 


(Hierzu  Tafel  I-VI.) 


Einleitung 

(Name,  Gattung,  Technik,  Litteratur). 

Die  Nothwendigkeit  einer  Geschichte  der  römischen  Keramik 
ist  allgemein  anerkannt.  Handelt  es  sich  dabei  doch  nicht  nur 
darum,  die  Entwicklung  eines  bltthenden  Zweigs  antiken  Kunst- 
gewerbes durch  Jahrhunderte  hindurch  genauer  zu  verfolgen,  als  es 
bisher  geschehen  ist,  sondern  es  ist  auch  jede  römische  Scherbe,  die 
ausserhalb  Italiens  gefunden  wird,  ganz  unmittelbar  eine  Urkunde  zur 
Kultur-  und  Handelsgeschichte.  Die  Verbreitung  und  Intensität  der 
römischen  Civilisation  innerhalb  der  einzelnen  Provinzen,  die  Bezie- 
hungen derselben  unter  einander  und  zu  Italien,  die  eigenthümliche 
Mischung  römischen  und  einheimischen  Wesens,  die  für  die  Provin- 
zialkunst  der  Kaiserzeit  charakteristisch  ist,  treten  uns  bei  Durch« 
musterung  der  keramischen  Reste  besonders  anschaulich  vor  Augen. 
Von  welcher  Bedeutung  ftir  die  Datirung  von  Ruinen  und  Grabfun- 
den, in  denen  Scherben  selten  fehlen,  eine  bis  ins  Einzelne  festge- 
stellte Vasenchronologie  sein  würde,  bedarf  keiner  Ausführung. 


*)  Ein  Theil  dieser  Arbeit,  die  der  philosophischen  Fakultät  der  Uni- 
versität Bonn  behiifs  Erlangung  der  Doktorwürde  vorgelegen  hat,  ist  be- 
reits in  lateinischer  Sprache  unter  dem  Titel  „de  vasculis  Romanorum 
rubris  capita  selecta**  Bonn  1894  als  Dissertation  erschienen.  Doch  sind 
diese  Capitel  hier  gänzlich  umgearbeitet,  sodass  die  Dissertation  als  anti- 
quirt  gelten  muss. 


Terra  wgillatA.  19 

Die  folgende  üntcrsuclmng  beschränkt  sich  darauf,  eine  ge- 
nauere Behandlung  der  wichtigsten  Gattung  römischer  Vasen  anzu- 
bahnen: der  roth  glasirten.. 

Ich  werde  diese  mit  einem  unantiken,  aber  weit  verbreiteten 
Namen  als  „Terra  sigillata^^  bezeichnen,  hingegen  die  häufig  gleich- 
werthig  damit  verwendete  Benennung  „Arretinische  Vasen"  nur  für  die 
wirklich  in  Arretium  gefertigten  gebrauchen.  Die  in  England  beliebte 
Bezeichnung  der  Terra  sigillata  als  „Samische  Vasen"  sollte,  weil 
irreführend,  aus  der  wissenschaftlichen  Terminologie  verschwinden. 

Zur  allgemeinen  Charakteristik  der  Gattung  können  folgende 
Merkmale  dienen:  feiner  rother  Thon,  der  aufs  beste  bearbeitet  und 
sehr  hart  gebrannt  ist.  Die  Formen  sind  mannigfaltig  und  bezeugen 
durch  ihre  meist  eckigen  und  scharfen  Profile  die  Nachahmung  metalli-  * 
scher  Vorbilder.  Grössere  Gef  ässe  sind  häufig  an  der  Aussenseite  — 
nie  aber  im  Innern  —  mit  Relief  verziert.  Nicht  selten  tragen  die 
Vasen  den  Namen  ihres  Verfertigers  eingestempelt.  Das  Haupt- 
merkmal aber,  das  die  ganze  Gattung  zusammenhält,  bleibt  eine 
feine  Glasur  von  rother  Farbe. 

DieSchattirung  des  Roth,  der  Glanz  und  die  Festigkeit  der  Glasur 
sind  natürlich  bei  den  einzelnen  Stücken  verschieden.  Im  Prinzip 
aber  ist  die  Herstellung  immer  dieselbe,  mag  es  sich  um  italische 
oder  provinziale,  frühe  oder  späte  Proben  handeln.  Dies  beweisen 
die  Analysen  verschiedener  Terra  sigillata-Scherben,  die  unter  der 
Leitung  meines  Vaters  von  Magister  R.  Lilien thal  im  pharmazeuti- 
schen Institut  der  Universität  Dorpat  ausgeführt  worden  sind.  Es 
wurden  folgende  5  Scherben  untersucht: 

I.  Scherbe  eines  Gef&sses  alter  Form  aus  Tarquinii,  wahr- 
scheinlich noch  aus  republikanischer  Zeit. 

II.  Scherbe  einer  sehr  feinen  Terra  sigillata-Schale  des  I.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.    Stark  spiegelnde  Glasur.    Bonn. 

HI.  Scherbe  eines  Napfes  (Fonn  27  der  Formentafel  II).  Beste 
Terra  sigillata  mit  spiegelnder  Glasur.   Bonn. 

IV.  Seherbe  hellrother,  späterer  Terra  sigillata.  IL — III.  Jahr- 
hundert.   Bonn. 

V.  Scherbe  von  Terra  agillata  schlechtester  Art  Mehliger 
Thon,  weiche  Glasur. 

Jede  dieser  Scherben  wurde  zweimal  untersucht,  und  zwar  a) 
der  Thonkem  allein,  b)  die  Oberfläche  mit  der  Glasur.  Es  ergab 
sich  dabei  folgende  Zusammensetzung: 


20 


Hans  Dra^endorff: 


Fragment 

I 

I] 

"b" 
mit 
Bur 

III 

IV 

V 

a         b 

ohne     mit 

Glasur 

a 
ohne 
Gla 

-  a"  1     b   " 

ohne  1   mit 

Glasur 

a    1     b 

ohne  !  mit 

Glasur 

a-^b 

ohne|  mit 

Glasur 

Kieselsäure 

55,08 

54,18 

52,87 



1 
52,054  51,924 

54,75   53,70 

66,70 

— 

Thonerde 

23,10 

21,31 

23,95 

— 

— 

- 

18,82   16,93 

21,01 

— 

Eisenoxyd 

14,13 

15,00 

4,78 

— 

13.966 

12,168 

14,48   14,70 

5,89 

— 

Kalk 

5,22 

6,01 

13,80 

— 

— 

— 

5,301   5,82 

3,20 

— 

Magnesia 

0,75 

1,94 

2,35  1   3,12 

1,850 

2,301 

3,38  1   5,72 

1,26 

2,05 

Kali 

0,79 

0,95 

0,89 

1,06 

1,852 

2,210 

1,55 

1,82 

1,02 

1,27 

Natron 

0,28 

0,37 

0,45 

0,49 

0,523 

0,921 

0,53 

0,62 

0,57 

0,69 

In  allen  Scherben  fanden  sich  ausserdem  Spuren  von  Mangan  und 
Schwefelsäure. 


Alle  Glasuren  wurden  mit  negativem  Erfolge  auf  Blei  unter- 
sueht.  Wegen  der  geringen  Menge  des  Materiales  musste  bei  IIb 
und  Vb  die  Bestimmung  von  Kieselsäure,  Thonerde,  Eisenoxyd 
und  Kalk,  bei  III  diejenige  von  Thonerde  und  Kalk  unter- 
bleiben. Es  zeigt  sich  nun,  wenn  man  a  und  b  vergleicht,  dass 
der  Hauptunterschied  in  dem  Gehalte  an  Magnesia,  Kali  und  Na- 
tron liegt,  und  zwar  sind  diese  in  b,  wo  der  Thon  mit  der  Glasur 
untersucht  ist,  durchgängig  in  grösserer  Menge  vorhanden  als  in  a, 
Sie  sind  also  diejenigen  Elemente,  die  der  Oberfläche  zugesetzt 
wurden,  um  die  Glasur  zu  Stande  zu  bringen.  Wir  haben  es  folg- 
lich mit  einer  alkalischen  Glasur  zu  thun,  und  zwar  sind  immer  die 
gleichen  Materialien  benutzt,  während  die  verarbeiteten  Thonsorten, 
wie  die  Analysen  zeigen,  recht  stark  in  ihrer  Zusammensetzung  von 
einander  abweichen.  Die  schöne  rothe  Färbung  ist  durch  das  Eisen- 
oxyd hervorgerufen.  Der  Prozentsatz  an  Eisenoxyd  ist  bei  den 
verschiedenen  Thonen  sehr  verschieden,  dagegen  ist  der  Gehalt  in 
a  und  b  stets  fast  gleich,  die  geringe  DiiFerenz  kann  durch  Fehler 
der  Analyse  entstanden  sein.  Man  wird  daraus  schliessen,  dass  die 
Töpfer  schon  eisenhaltigen  Thon  nahmen,  ihm  nicht  Eisenoxyd 
künstlich  zusetzten,  wie  sie  die  Alkalien  zusetzten.  In  welcher 
Form  die  Alkalien  zugesetzt  vnirden,  ist  schwer  zu  entscheiden. 
Keller,   der  eich   bisher  am   eingehendsten  mit  der  Frage  nach 


Terra  sigillata.  21 

der  Technik  der  Sigillaten  beschäftigt  hat*),  vermuthet,  dass  Borax 
zum  Hervormfen  der  Glasnr  l^enutzt  sei.  Doch  scheint  dazu  das 
Verhältniss  von  Kali  nnd  Natron  zu  einander  nicht  zn  stimmen. 
Auch  sehen  die  von  Keller  mit  Borax  glasirten  Stücke,  die  ich 
in  Speicr  zu  untersuchen  Gelegenheit  hatte,  durchaus  nicht  wie 
römische  Terra  sigillata  aus.  — 

In  der  Herstellung  von  Terra  sigillata  haben  die  römischen 
Töpfer  ihr  Bestes  geleistet.  In  Folge  dessen  hat  diese  Vasengattung 
die  gi'össte  Verbreitung  gefunden  und  die  längste  Dauer  gehabt. 
Man  kann  deutlich  verfolgen,  wie  sie  in  Nachahmung  und  Weiter- 
bildung hellenistischer  Fabrikate  entsteht.  Im  I.  Jahrhundert  v.  Chr. 
gelangt  sie  in  Italien  zur  Blüthe;  darauf  wird  die  Technik  in  die 
Provinzen  übertragen,  und  hier  begegnen  wir  Fabriken,  die  einen 
an  moderne  Verhältnisse  erinnernden  Massenexport  entwickeln.  End- 
lich nimmt  mit  dem  Verfall  der  römischen  Cultur  das  Können  auch 
auf  diesem  Gebiete  ab  und  mit  dem  Zusammenbruch  der  Römer- 
herrschaft verschwinden  auch  die  rothen  Vasen. 

Ihrer  Bedeutung  entsprechend  ist  denn  auch  die  Terra  sigillata  der 
einzige  Zweig  römischer  Keramik,  über  den  schon  eine  umfassendere 
Litteratur  existirt.  Doch  sind,  abgesehen  von  der  summarischen  Behand- 
lung in  den  Handbüchern  der  Keramik*),  nur  spezielle  Fragen  bearbeitet. 
Am  besten  sind  wir  Über  die  Fabrikstempel  unterrichtet,  die  auf 
den  rothen  Vasen  vorkommen.  Sie  sind  zuerst  von  Fröhner*), 
dann  von  S  c  h  u  e  r  m  a  n  s  *)  sorgfältig  zusammengestellt.  Das 
ganze  Material  wird  einst  das  Corpus  der  lateinischen  Inschriften 
zu  umfassen  suchen.  Zunächst  fehlen  von  diesem  aber  noch  die 
für  uns  wichtigsten  Bände:  Rom,  Etrurien,  die  TresGalliae,  Germanien 


1)  Die  rothe  römische  Töpferwaare,  Heidelberg  1876.  Hier  ist  auch 
die  ältere  Litteratur  über  diesen  Gegenstand  zusammengestellt. 

2)  B  i  r  c  h ,  Ancient  Greek  pottery  p.  369  ff.  B  1  ü  m  n  e  r ,  Tech- 
nologie Bd.  II,  S.  104  ff.  Brongniart,  Les  arts  c6ramiques  Bd.  I, 
p.  419  fif.  Caumont,  Course  d'antiquites  monumentales  II,  p.  185  flf. 
Marquardt,  Römische  Privatalterthümer  II,  S.  639  ff.  B a y e t  et 
C  o  1 1  i  g  n  0  n ,  Histoire  de  l'art  ceramique  p.  354  flf.  Smith,  Collectanea 
antiqua  I,  p.  150  ff.  Daremberg-Saglio,  Dictionaire  des  antiquit^es 
8.  V.  figulus  p.  2029  (Pottier). 

3)  Inscriptiones  terrae  coctae  vasorum.  Qöttingen  1857.  (Suppl.  zum 
Philologus  Bd.  XII.) 

4)  Les  sigles  iigulins ;  Bruxelle.s  1867  (in  den  Aunalcs  de  TAcad^mie 
d*arch.  de  Belgi>|ue.    Bd.  XXIII).    Im  Folgenden  citirt  Seh. 


22  HansDragendorff: 

und  iu  allen  diesen  Bearbeitungen  ist  der  Nachdruck  so  ausschliesslich 
auf  die  epigraphiscbe  Seite  gelegt^  dass  der  Archäologe  aus  diesen 
Stempelsamrolungen  nur  beschränkten  Nutzen  ziehen  kann.  Da  An- 
gaben über  Technik  und  Verzierung  fast  ganz  fehlen;  ja  nicht  ein- 
mal eine  Formentafel  beigegeben  ist,  so  mangeln  die  festen  Anhalts- 
punkte für  chronologische  Bestimmungen;  man  kann  nicht  einmal 
entscheiden,  ob  z.  B.  in  Gallien  und  Deutschland  gefundene  Vasen, 
die  denselben  Stempel  tragen,  von  ein  und  demselben  Töpfer  ge- 
fertigt sein  können  oder  verschiedenen  Männern  gleichen  Namens 
zugeschrieben  werden  müssen. 

Manche  Gelehrte  wiederum  beschränkten  ihre  Arbeit  auf  die 
an  einem  bestimmten  Orte  gefundenen  Gefässe.  So  besitzen  wir 
über  die  in  Arezzo  gefundenen  Vasen  mehrere  Monographien,  vor 
Allen  die  noch  immer  sehr  nützliche  Fabroni's,  der  eine  fleissige 
Zusammenstellung  des  litterarischen  Materials  über  die  arretinischen 
Vasen  bietet  und  eine  Reihe  der  besten  ornamentirten  Gefässe  ab- 
bildet*). Gefolgt  ist  ihm  hierin  der  hochverdiente  Gamurrini*). 
Ihm  verdanken  wir  auch  die  meisten  Nachrichten  über  in  Arezzo  auf- 
gedeckte Töpfereien,  sowie  ein  jetzt  allerdings  bedeutend  zu  erwei- 
terndes Verzeichniss  von  Stempeln  meist  arretinischen  Fundortes'). 

Eine  für  ihre  Zeit  vorzügliche  und  mit  staunenswerther  Litte- 
raturkenntniss  geschriebene  Arbeit  dieser  Art,  die  namentlich  die 
auf  den  rothen  Vasen  sich  findenden  Typen  zusammenstellt,  ist  der 
Aufsatz  vonHefner's  über  die  Westerndorfer  Töpferei *).  Neuer- 
dings hat  in  ähnlicher  Weise  Oskar  Holder 5)  eine  gute 
Vorarbeit  geliefert,  der  alle  in  Rottweil  vorkommenden  Formen, 
figürlichen  Typen  und  Fabrikstempel  in  Zeichnungen  veröffentlicht 
hat.  Leider  laufen  die  einzelnen  Beobachtungsreihen  bei  ihm  un- 
verbunden  neben  einander  her.  Man  erfahrt  z.  B.  nicht,  welche 
Stempel  mit  den  einzelnen  Formen  zusammengehören,  welche  Deko- 
rations-Typen gemeinsam  vorkommen  u.  s.  f. 


1)  F  a  b  r  0  n  i ,  Storia  degli  antichi  vasi  fittiU  aretini.    Arezzo  1841. 

2)  Namentlich  in  der  Notizie  degli  scavi  v.  1884.  ==  Atti  della  R.  Acca- 
demia  dei  Lincei.  Ser.  IV,  vol.  1,  im  Folgenden  citirt  A.  d.  L.  IV  1.  Ein- 
zelne kleinere  Arbeiten  citire  ich  bei  der  speziellen  Behandlung  der  arre- 
tinischen Vasen. 

3)  Iscrizioni  degli  vasi  flttili  aretini.    Arezzo  1859. 

4)  Oberbayrisches  Archiv,  Bd.  XXII.    Auch  gesondert  erschienen. 

5)  Oskar  Holder,  Die  römischen  Thongefässe  der  Alterthums- 
sammlung  in  Kottwcil.    Stuttgart  1889. 


Terra  sigillata.  28 

Ein  ernstlicher  Versnch  eine  Geschichte  der  Terra  sigillata- 
Fabrikation  zu  geben^  ist  bisher  nicht  gemacht.  Und  es  erklärt  sich 
dies  leicht  ans  der  Seltenheit  zuverlässiger  Fundberichte  und  archäo- 
logisch branchbarer  Beschreibungen,  aus  der  Zerstreuung  der  Origi- 
nale in  französischen,  belgischen,  holländischen,  deutschen  Liocal- 
museen  und  der  schweren  Zugänglichkeit  der  ebenso  massenhaften, 
wie  leider  häufig  werthlosen  Notizen  über  diese  Denkmälergattung, 
die  sich  in  Vereinspublicationen  jener  Länder  verbergen.  Auch  ich 
habe  diese  Schwierigkeiten  nicht  annähernd  Übei*winden  können! 
Keineswegs  einen  völligen  Aufbau,  sondern  höchstens  die  Grundlinien 
einer  geschichtlichen  Betrachtung  darf  ich  zu  geben  hoffen. 

Den  grössten  Theil  des  Materiales  für  diese  Arbeit  habe  ich 
selbst  in  den  Museen  von  Berlin,  Köln,  Bonn,  Trier,  Kreuznach, 
Mainz,  Homburg,  Frankfurt  a.  M.,  Speier,  Worms,  Karlsruhe,  Metz, 
in  Paris  im  Louvre  und  im  Musee  Guimet,  endlich  im  Museum  von 
St.  Germain  gesammelt.  Den  Vorständen  aller  dieser  Museen,  die 
ohne  Ausnahme  meine  Arbeit  durch  ihr  liebenswürdiges  Entgegen- 
kommen unterstützt  haben,  danke  ich  auch  an  dieser  Stelle  bestens. 
Besonderen  Dank  möchte  ich  aber  auch  hier  Herrn  Prof.  Loeschcke, 
meinem  hochverehrten  Lehrer,  sagen.  Auf  seine  Anregung  hin  habe 
ich  diese  Arbeit  begonnen,  und  bei  der  Ausführung  hat  er  mir  st^ts 
aufmunternd  und  rathend  zur  Seite  gestanden. 

Bevor  ich  auf  mein  eigentliches  Thema  eingehe,  empfiehlt  es 
sich  einige  orientirende  Bemerkungen  über  hellenistische  Re- 
liefvasen vorauszuschicken,  da  diese  die  Voretufen  der  römischen 
Terra  sigillata  bilden  ^).  Zwei  Thatsachen  sind  es,  die  der  hel- 
lenistischen Keramik  ihr  Gepräge  geben:  das  Zurücktreten  der 
Malerei  gegenüber  der  toreutische  Arbeit  imitirenden  Reliefdecoration 
und  das  Aufhören  der  ausschliesslichen  Verwendung  schwarzer 
Fimissfarbe  zum  üeberzug  der  Gef&sse.  Neben  Schwarz  treten  jetzt 
auch  andere  Farben,  besonders  das  durch  scharfes  Brennen  des 
schwarzen  Fimiss  erzeugte  Roth,  ferner  grüne  und  gelbe 
Glasuren. 

L  Calener  Schalen, 
unter  diesem  Namen  fasst  man  bekanntlich  Vasen  zusammen, 
die   vollständig   mit   glänzendem  schwarzem  Firniss  überzogen   und 


l)Rayet-Conignon    1.  c.p.  339ff,    Dumont-Chaplain 
168  c^ram.  de  la  Gr^ce  propre  p.  392  ff. 


24  Hans  Dragendorff: 

innen  mit  aus  Formen  gepressten  Reliefs  verziert  sind.  Sie  tragen 
oft  lateinische  Töpferstempel,  in  denen  der  Fabrikant  sich  als  Ga- 
lener  bezeichnet^).    Zwei  Haaptaii;en  sind  zu  scheiden: 

1)  Flache  Schalen  mit  Omphalos,  um  den  die  Meistersigna- 
turen zu  laufen  pflegen. 

Diese  nennen  bisher  folgende  Finnen: 

a)  L.   CANOL  ElOS-  L-  F-  FECIT-  C  ALENOS 

b)  L.  GABINIO  T-    N.   CALIINO 

c)  RETVS-   GABINIO.  C-  S-  C  A  LEBVS 

d)  GABINIVS-  L-  F-  FIICIT«) 

e)  VIIGO-II^QIlLINOC-^-K.^llRPONIOCAIlIRFlICIl- 

Oberhalb  der  Inschrift  ist  die  innere  Wandung  mit  Ornamenten 
oder  Figuren  verziert, 

2)  GefäBse,  theils  Schalen,  theils  Teller,  die  mit  einem  Relief- 
medaillon auf  dem  Boden  geschmttckt  sind.  Bei  diesen  ist  der 
Fabrikstempel  in  das  Reliefrund  gesetzt.  Es  kommen  vor  C-  GA- 
BINIO, L.  GABINIOS,  K.  A  T I L I  0  S  3),  folglich  zum  Theü  die- 
selben Fabriken,  in  denen  die  qpidXai  |Li€c6fi(paXoi  hergestellt  wurden. 
Die  Reliefs  scheiden  sich  in  zwei  Hauptgruppen.  Entweder  sind  in 
flachem  Relief  ganze  Figuren  dargestellt,  oder  Brustbilder  in  sehr 
hohem  Relief. 

Man  hat  längst  erkannt,  dass  alle  diese  calenischen  Thon- 
vasen  billiges  Surrogat  far  toreutisches  Geschirr  sind,  und  zwar 
ahmen  die  Omphalosschalen  Metallschalen  nach,  bei  denen  der  Re- 
liefschmuck direkt  aus  der  Wandung  herausgetrieben  war,  während 
die  zweite  Klasse  Vorbilder  benutzte,  bei  denen  das  Relief  gesondert 
gearbeitet  und  wie  bei  den  Spiegelkapseln  als  Emblem  auf  eine  feste 
Unterlage  aufgesetzt  war.  So  ist  das  Relief-Innenbild  gesondert 
hergestellt  an   der  Silberschale   von  Bemay  J.  H.  St.  pl.  22.    Isolirt 


1)  Bluemner,  Technologie  II  S.  98  ff.  Benndorf,  Griech.  u.  sizil. 
Vasenbilder S.  109 fF.  Taf.  LVIflF.  Furtwaengler,  Samml.  Sabouroff  zu 
Taf.  LXXIII.   Atti  d.  L.  IV  1,  p.  259. 

2)  Zu  den  Inschriften  vgl.  R  i  t  s  c  h  1^  de  fictilibus  litteratis  latinorum 
antiqulssimis.  Bonnae  1853.  Ephemeris  epigrapbica  120,  IV  246.  Momm- 
sen  Staatsrecht  III  p.  428  Anm.  1. 

3)  Das  Bull.  d.  J.  1874  p.  88  beschriebene  Relief  einer  Atilius^Scbale 
befindet  sich  jetzt  im  Bonner  Provinzialmuseum. 


Terra  sigillata.  25 

erhaltene  Embleme  von  Metallschalen  scheinen  z.  B.  die  Silber- 
medaillons  aus  Syrien  Gaz.  arch.  VI,  pl.  23.  24  und  das  Relief  M. 
d.  J.  I  Taf.  XIV  A  zu  sein. 

Nach  Ausweis  der  Inschriften  ist  ein  Theil  der  „Calener" 
Vasen  wirklich  in  Cales  hergestellt  und  zwar  am  Ende  des  III.  oder 
Anfang  des  II.  Jahrhunderts  v.  Chr.  Dass  die  Gattung  aber  in 
Cales  erfunden  sei,  ist  wenig  wahrscheinlich.  Denn  erstlich  sehen 
wir,  dass  dieselben  Fabriken  zwei  Sorten  von  Schalen  herstellen, 
die  sich  in  ihren  Dekorationen  wesentlich  unterscheiden.  Niemals 
finden  wir  dieselben  Figuren  in  den  Omphalosschalen  und  auf  den 
Emblemen  verwendet,  jede  Gattung  hat  ihren  eigenen  Typenschatz. 
Daraus  wird  man  schliessen  dürfen,  dass  fRr  die  Canoleius  und  Ge- 
nossen bereits  eine  Tradition  vorlag  und  man  sucht  die  Wurzel  der- 
selben natürlich  auf  griechischem  Boden.  Es  ist  kein  Zufall,  dass 
die  römische  Thonindustrie  zuerst  an  der  Stelle  aufblüht,  wo  am 
frühesten  die  römische  Kultur  in  direkte  und  dauernde  Berührung 
mit  griechischer  trat.  Auf  griechische  Figurenstempel  weist  auch 
deutlich  ein  verlorenes  13 OH 3  hin,  das  sich  zwischen  den  Orna- 
menten einer  Calener  Schale  findet  (Berlin  3881). 

Man  könnte  danach  geneigt  sein,  die  „Calener  Schalen"  für 
eine  Erfindung  unteritalisch-griechischer  Töpfer  zu  halten.  Aber  so 
sicher  diese  an  der  Herstellung  von  Beliefvasen  solcher  und  ähnlicher 
Art  betheiligt  gewesen  sein  werden  —  ich  erinnere  namentlich  an 
die  Schalen  mit  dem  Arethusakopf  —  das  Vorkommen  genau  ent- 
sprechender Gefasse  in  Griechenland,  Kleinasien  und  Südrussland 
macht  es  wahrscheinlich,  dass  die  Erfindung  der  Gattung  weiter 
östlich  zu  suchen  ist.  Zwei  Schalenböden  dieser  Art  mit  dem  Bild 
eines  bärtigen  Triton,  die  sich  in  Dodona  gefunden  haben  ^),  könnte  man 
nöthigenfalls  noch  für  italischen  Import  erklären,  aber  ausgeschlossen 
ist  diese  Möglichkeit  gegenüber  den  Funden  in  Südrussland.  Hier 
finden  wir  beide  Arten  von  Medaillonreliefs  wieder,  die  mau  bei 
den  Calener  Schalen  unterscheiden  musste,  die  mit  ganzen,  aber 
flachen  Figuren  und  diejenige  mit  Brustbildern  in  Hochrelief^).  Und 
zwar  sind  die  Reliefvasen  sicher  an  Ort  und  Stelle  gefertigt.  Denn 
Malm b er g  hat  aus  einer  in  Kertsch  gefundenen  Töpferei  mehrere 


1)  Carapanos,  Dodone  Taf.  61,  8,  p.  111. 

2)  C(ompte)  B(endu)  1869,  Taf.  IV,  21. 


26 


Hans  Dr agendorf f : 


Tbonformen  publicirt,  die  zar  Uerstellung  derartiger  Vasen  bestimmt 
waren  ^). 

In  Unteritalien  und  in  Südrussland  wurden  also  Vasen  der- 
selben Foi-m,  Technik  und  Decoration  hergestellt.  Dass  ünteritalien 
die  Vorbilder  geliefert,  ist  nicht  denkbar.  Die  in  Sttdrussland 
gefundenen  Sttlcke  sind  in  der  Ausführung  den  italischen  weit  über- 
legen und  stehen  ihren  Metallvorbildern  viel  näher.  Denn  auch 
stilistisch  scheinen  mir  das  vonMalmberg  a.  a.  0.  Taf.  I,  1  publi- 
cirte  Stück  und  das  obenerwähnte  Silberrelief  aus  Syrien  (Gaz. 
arch.  VI  pl.  23)  aufs  nächste  verwandt,  während  von  den  Calener 
Reliefs  sich  nichts  an  Eleganz  und  Feinheit  mit  diesen  messen  kann. 

Auch  dass  die  Fabrikation  ^r  Vasen  nach  Art  der  „Calener'^ 
den  umgekehrten  Weg,  von  Südrussland  nach  Italien,  genommen 
habe,  kann  man  nicht  annehmen.  Denn  einmal  bliebe  dann  immer 
noch  unerklärt,  woher  die  zweite  Gattung  Calener  Schalen,  die  Om- 
phalos-Schalen,   nach   Italien  gekommen,   die  sich    in  Südrussland 


1)  Die  in  russischer  Sprache  geschriebene  Abhandlung   findet  sich 
in    den   von   der   kaiserl.  archäologischen  Kommission   herausgegebenen 


Schale  aus  Olbia.  Fig.  la. 
Vi  Thonrelief  aus  Olbia.  Fig.  1. 
„Materialien  zur  Archäologie  Russlands**  Heft?.  Petersburg  1892.  Auf  die  Be- 
ziehungen zu  den  unteritalischen  Gefässen  geht  M  a  1  m  b  e  r  g  nicht  ein.  —  Eine 
ganze  Schale  dieser  Art  aus  Olbia  besitzt  das  Bonner  Kunstmuseum.  Das 
Emblem  zeigt  in  Hochrelief  das  Brustbild  eines  Satyrweibchens,  beistehend 
abgebildet  nach  B.  J.  LXXXX  S.  7.  Die  Form  entspricht  genau  manchen  der 
unteritalischen  calener  GefÄsse  und  der  polychromen  Kotyle  im  Louvre.  Der 
untere  Theil  der  Aussenseiteist  mit  schwarzem  Firniss  überzogen,  der  ob^re 
mit  gelbroth  gebrannten^. 


Terra  sigilUta.  21 

nicht  finden.  Aasserdem  aber  kenne  ich  kein  Beispiel  dafür,  dass 
Erzeugnisse  des  Kunsthandwerkes  vom  Pontus  nach  Italien  gebracht 
worden  sind:  stets  finden  wir  vielmehr,  dass  die  südinissischen  und  die 
süditalischen  Colonien  die  gleichen  Bezugsquellen  gehabt  haben.  In 
älterer  Zeit  ist  es  Jonien,  dann  kommt  die  Periode,  wo  Attika  den 
ganzen  Kunstmarkt  gewinnt,  später  scheint  es  wieder  Kleinasien 
zu  sein,  das  in  Menge  seine  Produkte  in  diesen  Gegenden  unter- 
bringt^). So  möchte  man  auch  in  diesem  Falle  eine  gemeinsame 
Bezugsquelle  für  beide  Gebiete  annehmen,  und  zwar  am  liebsten 
einen  der  Orte,  an  denen  eine  reiche  Metallindustrie  in  jener  Zeit 
blüht.  Den  Ort  genauer  zu  bestimmen  fehlt  vorläufig  das  Material. 
Dass  aber  in  Kleinasien,  an  das  man  zunächst  denken  wird,  der- 
artige Vasen  gemacht  worden  sind,  beweisen  dort  gefundene  Thon- 
fonnen  für  ebensolche  Relief bilder,  die  bei  Fro ebner  Coli  Greau 
pl.  XCII  abgebildet  sind.  Die  eine  stimmt  ganz  zu  Stücken,  wie  Benn- 
dorf  Taf.  LVII.  1,  9.  Zu  der  anderen,  die  nur  omamental  aus 
einer  Amphora  wachsende  Ranken  zeigt,  mag  man  das  Metallrund 
Gaz.  arch.  VI  1880  pl.  24  vergleichen. 

Auch  verdient  in  diesem  Zusammenhang  Erwähnung,  dass  eine 
mit  der  Provenienznotiz  „Griechenland"  im  Louvre  befindliche  „Ca- 
lener"  Schale  (Emblem:  weiblicher  Kopf  in  Hochrelief)  auf  den 
schwarzen  Fimiss  aufgemalt  rosa  mit  Weiss  aufgehöhte  Lotosknospen 
zeigt,  die  aus  gelbbraunen  Kelchblättern  hervorwachsen.  In  dieser 
Art  der  Polychromie  erinnert  das  Stück  an  polychrome,  allerdings 
weissgrundige  Vasen  des  II.  Jahrhunderts,  die  sich  ausser  in  Süd- 
russland in  Myrina  finden.  Vgl.  unten  S.  32  ff^.  Es  ist  schwerlich 
Zufall,  dass  seit  dem  V.  Jahrhundert  gerade  Omphalosschalen  in 
verwandter  Technik  bemalt  wurden.     Salzmann,  Camiros  pl.  56. 


1)  Zwei  besonders  sichere  Beispiele  aus  hellenistischer  Zeit  mögen 
genügen,  um  gleiche  Bezugsquellen  für  Südrussland  und  Italien  zu  er- 
weisen. Mehrfach  sind  in  Südrussland  kleine  feine  graue  Thonschälchen 
gefunden,  die  aussen  mit  schuppenartigem  Ornament  verziert  sind  und 
am  Boden  den  Stempel  M€NeMAXOY  tragen  (C.  R.  1874,  S.  110. 
Malmberg  a.  a.  0.  p.  27).  Genau  solch  ein  Gefäss  desselben  Töpfers 
ist  in  Italien  gefunden  (B.  d.  J.  1866,  p.  244  Anm.  4). 

Eine  schöne  omamentirte  Glasamphora  ist  publizirt  Antiq.  d.  Bos- 
phore  Taf.  78.  1—4.  Sie  trägt  den  Stempel  €NNlCON  |  |€TTOI€l  auf 
einem  kleinen  Tttfelchen.  Genau  dieselbe  Aufschrift  auf  demselben  Täfelchen 
findet  sich  auf  mehreren  Glasvasen,  die  in  Italien  gefunden  sind  (A.  d,  J. 
1844.  Taf.  Q.  p.  161.  B.  d.  J.  1875,  p.  223). 


23  Hans  Dragendorf f: 

IL  Megarische  Vasen. 

Ich  behalte  den  einmal  eingebürgerten  Namen  bei,  obgleich 
die  Vasen'),  wie  Robert  zuletzt  nachdrtlcklich  betont  hat,  sichet 
nicht  in  Megara  gefertigt  sind  *).  Wir  verstehen  unter  diesem  Na- 
men halbkugelförmige  dünnwandige  Becher  ohne  Fass,  —  kotuXii 
scheint  nach  Robertos  Nachweis  der  attische  Name  dieser  Form, 
—  die  an  der  Aussenseite  Verzierungen  in  flachem  Relief  tragen. 
Diese  sind  bei  einer  Anzahl  mit  einem  Stempel  dem  fertiggeformten, 
noch  weichen  Gefäss  aufgedrückt,  die  Inschriften  dann  eventuell 
aus  feinem  Thonschlamm  mittelst  des  Pinsels  aufgetragen.  Bei 
andern  ist  eine  vollständige  Hohlform  hergestellt  durch  Abformen 
eines  Modells.  Die  Verzierungen  sind  theils  figürlich,  theils  oma- 
mental. Oben  ist  meist  ein '  glatter  Rand  gelassen,  es  folgt  ein 
Eierstab  oder  ein  bandartiges  Ornament,  dann  die  figürliche  Haupt- 
decoration. Der  Boden  ist  oft  mit  einer  Rosette  von  Acanthus 
oder  mit  einer  Maske  geschmückt,  bisweilen  ist  hier  auch  der 
Stempel  des  Töpfers  eingepresst.  Die  Zusammenstellung  der  Orna- 
mente erfolgte  lediglich  nach  decorativen  Gesichtspunkten,  ohne 
Rücksicht  auf  den  Inhalt.  Eine  Ausnahme  hiervon  machen  nur  die 
sog.  homerischen  Becher,  die  aber  ihrer  ganzen  Technik  nach  nicht 
von  den  megarischen  getrennt  werden  können.  Dass  sie  z.  Th.  in 
denselben  Töpfereien  geformt  sind  wie  megarische  Vasen,  zeigen 
Stücke  wie  das  von  Furtwaengler  a.  a.  0.  Taf.  LXXIV.  2  publi- 
zirte,  das  den  Stempel  des  Dionysios  trägt  und  sich  dadurch  neben 
die  in  Anthedon  gefundene  homerische  Kanne  desselben  Meisters  stellt  3). 

Während  aber  die  „megarischen"  Becher  sich  überall  auf  dem 
Gebiete  griechischer  Kultur  —  in  Griechenland  *),  Kleinasien  5),  Süd- 
russland*), Italien'')  —  finden,  sind  die  homerischen  Becher  lokal  be- 

1)  Im  Allgemeinen  sind  zu  vergleichen  Benndorfa.  a.  0.  Furt- 
w a e n g  1  e r ,  Sammlung Sabouroffzu Taf. LXXIII.  Dumont-Cha- 
p  1  a  i  n  a.  a.  0.  p.  302  ff. 

2)  50.  Beri.  Winkelmannsprogramtft  S.  3  gegen  Dumont  p.  50, 
Nr.  10  und  BenndorfS.  118. 

3)  R  0  b  e  r  t  a.  a.  0.  S.  90  ff. 

4)  So  die  von  B  e  n  n  d  o  r  f  a.  a.  0.  publizirten  Stücke.  Auch  die 
Fundnotiz  S.  B.  d.  Berl.  Akad.  1872  S.  867  bezieht  sich  wohl  nicht  auf 
„arretinißche",  sondern  auf  „megarische"  Vasen. 

5)  Aus  Mj'rina  stammen  mehrere  Exemplare  im  Louvre. 

6)  Z.  B.:  C.  R.  1876.    S.  184  u.  209  ff.    Taf.  Vi,  11  u.  12. 

7)  Z.  B.:  B.  d.  J.  1877  p.  35,  1868  p.  115.  Aus  der  Sammlung  Cam- 
paoa  sind  mehrere  Exemplare  nach  Paris  gekommen. 


Terra  slgillata.  29 

grenzt,  also  eine  lokale  Abart  einer  ursprünglich  an  anderem  Orte 
erfundenen  und  gepflegten  Technik.  Von  den  21  homerischen 
Becheni;  die  Robert  aufzählt,  sind  19  in  Boeotieu  gefunden,  bei  2 
ist  der  Fundoii;  unbekannt.  Uebersehen  ist  von  Robert  einvonRoss^) 
erwähntes  Stück,  das  in  Ghalkis  gefunden  wurde.  Bei  dem  Becher 
des  Dionysios  lautet  die  Fundnotiz  Kreta,  bekanntlich  eine  sehr 
unzuverlässige  Provenienzangabe.  Wir  werden  durch  dieses  Ergeb- 
niss  dazu  geführt,  die  Fabrik  der  homerischen  und  damit  eines 
Theiles  der  megarischen  Becher  in  Boeotien  oder  Ghalkis  zu  suchen. 
Den  Ort  genau  zu  fixiren,  fehlen  noch  die  Mittel.  Doch  mag  er- 
wähnt werden,  dass  die  einzige  Stadt  jener  Gegend,  deren  Töpferei 
im  Alterthume  sich  eines  Rufes  erfreute,  Aulis  war^),  und  dass  die 
14  Becher,  bei  denen  ein  bestimmterer  Fundort  als  nur  „Boeotien^' 
angegeben  ist,  gerade  aus  jenem  Tbeil  Boeotiens  stammen,  in  dem 
Aulis  lag,  nämlich  7  aus  Anthedon,  6  aus  Tanagra,  1  aus  The- 
ben. Als  Nr.  lö  kommt  das  in  Ghalkis  gefundene  Stück  hinzu. 
Leider  können  wir  nicht  controlliren,  ob  sich  die  Angabe  des 
Tansanias  auf  seine  eigene  Zeit  bezieht,  oder  ob  er  sie  aus  seiner 
hellenistischen  Quelle  übernonunen  hat«  Jedenfalls  scheint  aber 
auf  Grund  der  Fundthatsachen  daran  festzuhalten,  dass  das  Fa- 
brikationscentrum der  homerischen  Becher  in  dieser  Gegend  zu 
suchen  ist.  Eine  weitere  Frage. ist,  woher  die  in  den  Aufschriften 
dieser  Becher  enthaltene  Gelehrsamkeit  in  jene  entlegene  Gegend 
gekommen.  Man  wird  dazu  geftlhrt,  an  Ghalkis  zu  denken,  wo  ge- 
rade im  UI.  Jahrhundert  —  und  diesem  und  dem  Anfange  des  II.  ge- 
hören nach  allen  Indizien  die  homerischen  Becher  wie  auch  die 
übrigen  megarischen  Vasen  an")  —  ein  reges  geistiges  Leben  ge- 
herrscht hat.    Von  dort  stammt  Lykophron^). 

Kommen  wir  schon  bei  dieser  speziellen  Gruppe  von  megari- 
schen Vasen  zu  keinem  sichern  Resultat  über  ihre  Heimath,  so  ist 

1)  Arch.  Aufs.  I  S.  60.  „In  Gräbern  bei  Ghalkis  sah  ich  Scherben 
kleiner  Gefässe  mit  erhabenen  Figuren;  unter  andern  einen  kämpfenden 

Aiax  mit  Beischrift  AlAC.""    Vergl.  Königsreisen  II  S.  125. 

2)  Paus.  IX  19,  8. 

8)  Robert  a.  a.  0.  S.  19  f.  Dumont  p.  393.  Furtwaeng- 
1  e  r  zu  Samml.  Sabouroflf  Taf.  LXXIII,  K  o  e  r  t  e ,  B.  d.  J.  1877,  p.  35  (Ende 
d.  m.  Jahrb.).  Heibig,  B.  d.  J.  1868  p.  115  (nicht  später  als  IL  Hälfte 
d.  IL  Jahrhunderts). 

4)  Auf  diese  Möglichkeit  bin  ich  durch  Prof.  Loeschcke  hin- 
gewiesen worden. 


30  Hans   Dragendorff: 

dasselbe  erst  recht  nicht  der  Fall  bei  den  megarischen  Vasen  im  Allge- 
meinen. Dass  es  grosse  Fabriken  gegeben,  die  ihre  Produkte  weit 
versandten,  zeigen  zwei  fast  ganz  gleiche  Becher,  die  gewiss  der- 
selben Werkstatt  entstammen,  nnd  von  denen  der  eine  in  Vnlci*), 
der  andere  in  Südrassland  gefunden  ist*). 

Robert  setzt  die  megarischen  Vasen  zn  den  im  Alterthnm 
so  berühmten  samischen  in  Beziehung  ^).  Dazu  würde  ihre  Feinheit, 
Wohlfeilheit,  weite  Verbreitung  wohl  passen.  Anderes  aber  spricht 
gegen  die  Identifizirung.  Die  samischen  Vasen  werden  uns  als  Ess- 
geschirr bezeichnet,  ja  Plinius*)  setzt  gerade  Samos  und  Arretium 
in  Gegensatz  zu  anderen  Städten,  die  nur  durch  ihre  Becher  be- 
rühmt waren.  Es  waren  sicher  von  samischen  Vasen  Teller  und 
alle  möglichen  anderen  Formen  im  Gebrauch.  Die  megarischen 
Vasen  aber  sind,  abgesehen  von  der  Kanne  des  Dionysios  nnd 
einer  ähnlichen  unsignirten  aus  Myrina,  ausnahmslos  Becher.  Wir 
wissen  von  den  samischen  Vasen  trotz  ihres  hohen  Rufes  und 
ihrer  grossen  Verbreitung  herzlich  wenig '^)  und  nichts,  was  uns  ge- 
stattete, sie  mit  einer  der  uns  erhaltenen  Vasengattungen  zu  iden- 
tifiziren,  obgleich  man  erwarten  muss,  dass  samische  Vasen  unter 
den  uns  erhaltenen  sich  befinden.  Wir  wissen  nicht,  ob  sie  ver- 
ziert oder  glatt  waren.  Aus  Isidor  hat  man  bisher  geschlossen, 
dass  sie  roth  gewesen  seien.  Genauere  Betrachtung  der  Stelle  zeigt 
aber,  dass  sie  nichts  beweist.  Wir  lesen  dort^):  fictilia  vasa  in  Samo 
insula  prius  inventa  traduntnr,  facta  ex  creta  et  indurata  igne,  unde 
et  samia  vasa.  Postea  inventum  est  rubricam  addere  et  ex  rubra 
creta  fingere.  Antiquiorem  autem  fuisse  usum  fictilium  vasorum 
quam  fnndendi  aeris  aut  argenti  etc.''  Dies  hat  Isidorus  deut- 
lich ans  Plin.  N.  H.  35,  152  f.  abgeschrieben:  Sunt  qui  in  Samo 
primos  omnium  plasticen  invenisse  Rhoecum  et  Theodoi-um  tra- 
dant  .  .  .    Butadis  inventum   est   rubricam   addere    aut   ex   rubra 


1)  Mus.  Gregor.    Taf.  CI  1. 

2)  C.  R.  1880  p.  101.  Beide  stimmen  in  der  Form  und  Decoration 
(bis  auf  das  obere  Band)  vollkommen  überein. 

3)  A.  a.  O.  S.  3. 

4)  N.  H.  XXXV,  160. 

5)  Plaut.  Bacch.  202.  Menaechm.  179  beziehen  sich  auf  die  Feinheit 
und  Zerbrechlichkeit,  Plin.  N.  H.  XXXV,  165,  Martlal  TU  81,  Lueil.  ap. 
Non.  398,  33  f.  auf  ihre  Härte  und  SchUrfe,  Plaut.  Stichus  693  f.  auf  ihre 
Wohlfeilheit. 

6)  Orig.  XX.  4.  3. 


Terra  sigillata.  31 

creta  fingere  ....  qno  apparet  antiquiorem  banc  fuisse  scientiam 
quam  fnndendi  aeris."  Die  Plinius-Stelle  bezieht  sieb  also  auf 
ganz  etwas  anderes,  nämlieb  auf  die  sagenhafte  Ei-findung  der 
Tbonbildnerei ,  und  Isidor  bat  folglich  Verschiedenartiges  zu- 
sammengeworfen. Ueberseben  ist  femer  auch  bei  der  Identiii- 
zirung  von  samiscben  und  megariscben  Vasen,  dass  alle  megariscben 
spätestens  ins  II.  Jahrb.  v.  Cb.  zu  setzen  sind,  samische  Vasen  aber 
noch  zu  Plinius'  und  Martials  Zeit  im  Gebrauch  waren.  Wir  mfissen 
also,  wenn  wir  den  Begriff  der  samiscben  Vasen  nicht  so  weit  fassen 
wollen,  dass  er  nahezu  alle  wichtigeren  hellenistischen  und  römi- 
schen Gattungen  umscbliesst,  die  Fragen  nach  üreprung  und  Namen 
der  megariscben  Vasen  einstweilen  noch  offen  lassen. 

Anhangsweis,  gleicbmässig  zu  den  „caleniscben^^  und  zu  den 
„megariscben^'  Gef&ssen  gehörend,  mögen  hier  die  Schalen  mit  dem  als 
Emblem  verwendeten  Relief  köpf  des  Euripides  besprochen  werden.  Es 
sind  bisher  drei  Exemplare  nachweislich,  alle  drei  in  Athen  gefun- 
den und  mit  derselben  Form  hergestellt. 

Am  längsten  bekannt  ist  das  als  Vermächtniss  Welcker's 
in's  Akad.  Kunstmuseum  in  Bonn  übergegangene  Exemplar.  Unge- 
nügend abgeb.  W  e  1  c  k  e  r  A.  D.  I.  Taf.  VII.  Eine  stark  fragmen- 
tirte  Wiederholung  sah  Wiesel  er  in  der  Sammlung  Rbusopulos 
(Abb.  d.  Göttinger  Ges.  d.  Wissenschaften.  XIX,  S.  100).  Eine  dritte  vor- 
züglich erhaltene  Replik  besitzt  Herr  Dr.  Bulle  in  München,  der 
die  Freundlichkeit  hatte,  sie  im  Interesse  dieser  Arbeit  an  Prof. 
Loeschcke  zur  Ansicht  zu  senden.  Dieser  schreibt  mir  darüber ! 
„Das  Exemplar  von  Dr.  B.  ist  zweifellos  ans  derselben  Form  ge- 
presst  wie  das  Bonner.  Doch  war  die  Schale  dünnwandiger.  Das 
Geiäss  war  an  der  Innen-  und  Aussenseite  mit  dünnflüssigem,  schwar- 
zem, metallisch  glänzendem  Fiiniss  überzogen,  den  man  durch  schar- 
fes Brennen  absichtlich  gelbroth  gefärbt  hat.  An  den  tiefsten  Punk- 
ten des  Reliefs  (unter  den  Augen,  in  den  Furchen  der  Stirn  und 
Wange  u.  s.  w.),  aber  auch  in  den  das  Bild  umgebenden  Riefen, 
ist  der  Fimiss  dicker  zusammengelaufen  und  hat  in  Folge  dessen 
trotz  des  Brandes  seine  schwärzliche  Farbe  bewabrt.  Diese  „Schat- 
ten^'  wirken  günstig,  sind  aber  nicht  beabsichtigt.  Der  Fimiss  ist 
ganz  ähnlich  dem  der  „megariscben'^  und  einiger  südrussischer  Ge- 
fässe.  Nach  ihrer  Technik  stellen  sich  daher  die  Euripidesschalen 
zu  den  „megariscben",  während,  wenn  man  die  Decorationsweise 
in's  Auge  fasst,  sie  mit  Welcker  den  „cateniscben"  zügezähR  wer- 


32  HansDragendorff: 

den  müBsen.  Sie  bilden  eine  dritte^  die  beiden  genannten  Arten 
mit  einander  verbindende  Classe.  Die  Vermuthung,  dass  einst  Vasen 
existirten;  wenn  nicht  in  Thon  so  in  Metall^  die  im  Innern  das  Bild 
des  Dichters  trugen^  anf  der  AuBsenseite  Scenen  aus  seineu  Werken; 
wie  Robert's  „euripideische"  Becher,  liegt  nahe." 

Bei  der  Betrachtung  der  calener  Schalen  haben  wir  gesehen, 
dass  diese  ihrer  Technik  nach  sich  noch  ganz  an  die  alten  griechi- 
schen Vasen  auschliessen,  d.  h.  mit  einem  glänzenden  schwarzen 
Firniss  überzogen  sind.  Nur  wenige  Ausnahmen  gab  es  (ein  Exem- 
plar in  Louvre,  der  obere  Rand  der  Vase  aus  Olbia  in  Bonn,  die 
eben  besprochenen  Euripides-Schalen),  wo  der  Firniss  durch  scharfes 
Brennen  absichtlich  roth  gefärbt  war.  Es  ist  das  der  Anfang 
des  üeberganges  vom  schwarzen  zum  rothen  Geschirr,  der 
diese  Periode  kennzeichnet.  Dasselbe  Schwanken  finden  wir 
nun  auch  bei  den  „megariscben"  Bechern;  theils  sind  sie  schwarz 
gefirnisst,  wie  z.  B.  die  homerischen  Becher,  die  nach  Robert's 
Ausführungen  zu  den  ältesten  der  Gattung  gezählt  werden 
müssen;  bei  anderen  ist  dieser  Firniss  ganz  oder  theilweise 
durch  scharfen  Brand  röthlich  gefärbt.  Andere  endlich  sollen 
gar  nicht  gefärbt  sein,  sondern  die  Oberfläche  sei  fein  ge- 
schlemmt und  zeige  die  natürlich  rothe  Farbe  des  Thones.  Inter- 
essant sind  sowohl  für  diese  Frage  als  überhaupt  für  die  hellenistische 
Keramik  die  Fundstücke  aus  einer  bei  Olbia  entdeckten  Nekro- 
pole,  die  das  Bonner  Kunstmuseum  besitzt,  und  auf  die  ich  kurz 
eingehen  will. 


III.   Vasen  ans  Olbia. 

üeber  die  ans  Olbia  in  das  Bonner  Kunstmuseum  gekommenen  Va- 
sen ist  kurz  von  Loeschcke  berichtet  im Arch.  Anz.  VI.  S.  19 ff. 
Es  lassen  sich  unter  den  Thongefassen  mehrere  Gattungen  unter- 
scheiden. 

1.  Deckel  eines  Thymiaterion  aus  rothem  Thon  mit  einem 
üeberzug  von  weissem  Pfeifenthon,  auf  den  mit  matten  Deckfarben 
rothe  und  schwärzliche  Ornamente  gemalt  sind  *).  Mehrere  Gefässe 
derselben  Technik  aus  Olbia  besitzt  die  Ermitage,  einen  Krater  mit 


1)  Abgeb.  Arch.  Ans.  VI,  S.  18,  n.  1. 


Terra  sigilUta.  83 

fast  senkrechter  Wandung,  nach  Mittheilung  von  Prof.  Loeschcke, 
die  Stadtbibliothek  in  Riga :  hier  sind  mit  Roth;  Gelb  und  Blau  auf 
weissem  Grund  naturgetreu  eine  Melone  und  Araceenblttthen  gemalt^). 
Wegen  des  Fundorts,  Myrina,  ist  aber  besonders  beachtenswerth  eine 
cylindrische  Ciste,  die  ich  im  Louvre  sah.  Die  Ciste,  nach  oben  leicht 
verjüngt,  steht  auf  3  Füssen  und  hat  einen  ziemlich  hoch  gewölbten 
Deckel  mit  Knopf.  Auf  weissem  Ueberzug  sind  mit  bunten  matten 
Farben  leichte  Ornamente  gemalt.  Es  folgen  von  oben  nach  unten 
aufeinander:  ein  Streifen  mit  Punkten,  aneinandergereihte  Dreiecke, 
die  die  Spitze  nach  oben  kehren,  in  einem  breiten  Streifen  Kreuze 
in  der  Art  der  sog.  Johanniter-Kreuze,  alles  dieses  mit  mattrother 
Farbe  auf  den  weissen  Grund  gesetzt.  Der  folgende  Streifen  ist 
schwarz  und  mit  einem  Kranz  von  lorbeerartigen  Blättern  in  hell- 
bläulicher Farbe  geschmückt.  Dann  folgt  wieder  ein  weisser  Strei- 
fen, nach  unten  mit  „laufendem  Hund^  in  roth  abgeschlossen  und 
ein  ebensolcher  mit  rothem  Eierstab  vei'ziert.  Auf  dem  Deckel  gehen 
vom  Knopf  aus  nach  dem  Rande  zu  lanzettförmige  Blätter,  theils 
roth,  theils  zitronengelb,  zwischen  diesen  feine  schwarze  Linien,  deren 
unteres  Ende  eine  kleine  Spirale  bildet. 

Femer  gehören  mit  dieser  Gattung  schlanke  Hydrien  sehr  ele- 
ganter Form  zusammen,  die  ans  der  Kyrenaika  stammen  und  sich 
gleichfalls  im  Louvre^)  befinden.  Hals  und  Fuss  sind  mit  matter 
grauschwarzer  Farbe  bemalt,  der  Bauch  weiss.  Die  Dekoration  be- 
steht in  einer  mit  mattrother  Farbe  aufgemalten  Binde,  die  an  den 
beiden  Seitenhenkeln  angeknüpft  scheint  und  im  Bogen  über  den 
Bauch  des  Gefösses  fällt.  Ans  der  weiten  Verbreitung  dieser  Gefässe 
ist  wohl  der  Schluss  zu  ziehen,  dass  sie  kein  südrussisches  Fabrikat  sind. 

2.  An  der  Spitze  einer  andern  in  unserer  Nekropole  vertretenen 
Gattung  steht  eine  grosse  Amphora  gedrückter  Form,  schwarz 
gefimisst,  mit  geriefeltem  Bauch  ^).  Am  Halse  weisse  Tänien  mit 
daran  hängenden  lehmfarbig  aufgemalten  Bommeln,  auf  der  Schulter 
ähnliche  hängend^  Bogen.  Derselben  Werkstatt  gehören  kleine 
schwarze  Becher  an.  Von  Henkel  zu  Henkel  läuft  ein  weiss  auf- 
gemaltes Halsband  mit  Bommeln*).    Auch  hier  ist   der  Fimiss  bis- 


1)  Vergl.  Jacobsthal,   Araceenformen   in  <ier  Flora   des  Ornaments. 
Festschrift  d.  techn.  Hochschule  in  Berlin  1884  S.  273  ff. 

2)  Saal  M. 

3)  Abgeb.  Arch.  Anz.  VI,  19.  2. 

4)  Z.  B.  Arch.  Anz.  VI,  19.  3. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUerthsft-.  im  Rheiiil.  XOVI.  3 


34  Hans  Dragendorff: 

weilen  dureh  den  Brand  roth  geworden.  Wegen  des  schleehten 
Firniss  und  der  eigenthtimlichen,  fast  barbarischen  Form  der  Am- 
phora ist  man  geneigt  sie  für  locale  Arbeit  zn  halten.  Diese  Gat- 
tung, von  der  übrigens  auch  Stücke  ausKertsch  im  Louvre  sind*), 
gibt  einen  Anhalt  zur  Datirung  der  Nekropole.  Denn  eine  genau 
entsprechende  Amphora  fand  sich  in  einem  grossen  auf  der  Halbinsel 
Taman  aufgedeckten  Tumulus^),  zusammen  mit  Goldmünzen  des  bospo- 
ranischen  Königs  Paerisades  IT.  und  des  thrakischen  Königs  Lysima- 
chos*).  Paerisades  regierte  seit  284  v.  Chr.,  Lysimachos  bis  281 
V.  Chr.  Ich  glaube  daher,  dass  Stephani*)  die  Gräber  mit  Recht 
der  zweiten  Hälfte  des  III.  Jahrhunderts  zuschreibt.  Auf  denselben 
Ansatz  führt  für  unsere  Nekropole  auch  das  Vorkommen  der  weiss-jioly- 
chromen  Vasen  in  Myrina  und  die  derselben  Nekropole  entstammende, 
oben  S.  26  abgebildete  Schale  in  der  Art  der  Calener  Gefässe.  Mag 
nun  auch  die  Benutzung  der  Nekropole  sich  über  einen  ziemlich  langen 
Zeitraum  erstreckt  haben,  so  liegt  doch  kein  Grund  vor  die  spätesten 
Theile  derselben  unter  das  II.  Jahrhundert  herabzurücken. 

3.  Wir  haben  damit  die  Datirung  einer  dritten,  und  zwar  der  für  uns 
wichtig8tenVasengattunggewonnen,die  in  dieserNekropole  von  Olbia  vor- 
kommt :  der  rothen  Teller  und  Näpfe,  von  denen  ich  Figg.  2 — 1 2  Proben 
abbilde  ^).    Es  ist  dies  Gebrauchsgeschirr  aus  feinem  rothem  Thon  in 


Fig.  2.  Fig.  3. 

ausgesprochenen  Metallformen.    Die  Ränder  setzen  in  scharfem  Win- 
kel an,    der  Thon   ist  sehr  gut  bearbeitet,  sodass  einzelne  GefUsse 

1)  Saal  M.  Nr.  160. 

2)  Stephaui  C.  R.  1880.  Tafel  zu  S.  12,  Nr.  5,  vcrgl.  S.  5  ff. 

3)  A.  a.  0.  S.  15  u.  19,  S.  17  n.  50. 

4)  A.  a.  0.  S.  24. 

5)  Andere  Arch.  Anz.  VI,  S.  19,  6.  7. 


Terra  sigillata. 


36 


dünn  and  leicht  wie  Papier  sind.  Die  rothe  Farbe  des  Thones  ist 
dnreb  einen  Ueberzug  gehoben,  der  bei  einzelnen  sehr  dünn  und  kör- 
perlos, bei  anderen  dicker,  fast  schon  an  Terra  sigillata  erinnernd  ist. 
An  einigen  dieser  Gefösse,  und  zwar  nur  an  denen  mit  dem  dünne- 
ren Ueberzug,    finden  sich  bisweilen   noch  schwärzliche  Stellen,    so 


Fig.  4. 


Fig.  5. 


dass  es  auch  hier  scheint,  als  ob  wie  bei  den  megarischeu  Vasen  ein 
Ueberzug  angewendet  sei,  der  je  nach  dem  Hitzegrad,  dem  er  aus- 
gesetzt wurde,  eine  schwärzliche  oder  röthliche  Färbung  annimmt. 
Wir  sehen  hier  eine  Vasengattung,  der  man  mit  Absicht  eine  rothe 
Färbung  und  zum  Theil  schon  eine  Glasur  giebt.  Die  rothe  Glasur 
ist  also  nicht  erst   eine  Erfindung  der  Italiker,  sondern  kam  schön 


Fig.  7. 


Fig.  8. 


in  griechischen  Werkstätten  zur  Anwendung,  wenn  auch  nicht  in  so 
vollkommener  Weise  wie  in  Arezzo.  Denn  dass  diese  Gef&sse  älter  sind 
als  die  arretinische  Töpferei,  beweist  die  für  die  ganze  Nekropole 
gewonnene  Datirung,  die  sich  noch  durch  weitere  Beobachtungen  stützen 
läset.  Unter  den  rothen  Gefässen  ragt  ein  zweihenkliger  Becher  heiTor, 
mit  feinen  Linien  und  einer  zierlichen  Ranke  geschmückt,  die  in 
dicker  weisser  Farbe  aufgemalt  sind*).  In  ähnlicher  Wdse  aufge- 
malte Ranken  und  Striche,  die  dann  zum  Theil  vergoldet  wurden, 
finden  sich  häufig  an  schwarzgefimissten  Geissen  aus  Attika  und 
Campanien,  ferner  an  ähnlichen  aus  Myrina.  Der  N^crop.  de  Myrina 

1)  Abgebildet  Arch.  Anz.  VT,  S.  19.  7. 


86  Hans  Dragendorff: 

p.  228,  Fig.  28  abgebildete  Napf  ist  auch  in  der  Form  die  ge- 
naueste Analogie  zu  dem  südrussischen  Gewisse,  besonders  auch 
in  der  Bildung  der  Henkel.   An  Stelle  der  Masken,  die  die  Henkel 


Fig.  9. 


Fig.  10. 


des  südrussischen  Gef&sses  schmücken,  finden  wir  an  dem  Napf 
aus  Myrina  einen  kleinen  Knopf  angebracht.  Wir  werden  also  wieder 
darauf  gewiesen,  die  Nekropole  von  Olbia  nicht  später  als  die 
von  Myrina  zu  setzen.  Dort  fehlen  nun  arretinische  Gefässe  noch 
ganz.     Erwähnen   aber    möchte   ich    von    den   dortigen   Geissen 


V4 


Fig.  11. 


Fig.  12. 


noch  eine  Thon-Ciste,  auf  die  mich  Herr  E.  Pottier  aufmerksam 
zu  machen  die  Freundlichkeit  hatte,  und  welche  auf  ähnlichem  feinem 
rothen  Ueberzug,  wie  die  südrussiscben  ihn  zeigen,  leicht  eingravirte 
Ranken  trägt.  Es  gehören  hierher  weiter  die  Vasen  bei  Stephani, 
^  Vasensamml.  d.  Kais.  Ermitage  2057—69,  und 

&  0         vielleicht  ein  Fragment,  das  Prof.  Loeschcke 

^^^  I         in  Oropus  aufgelesen  hat  und  das  sowohl  im 

^""^        ■*      Ueberzug  als  auch  in  derFoiin  sich  den  Süd- 
russischen  Gefässen  anzureihen  scheint  (Fig. 
13.  1.   Zum  Vergleich  habe  ich  als  Nr.  2  u.  3 
die  Profile  zweier  der  südrussischen  Gefksse 
Fig  13.  daneben  gestellt).    Man  beachte  namentlich 

die   charakteristische  Art  und  Weise,  wie   der   etwas   eingezogene 
Rand   mit  einer  Art  Rinne  an  die  Gef&sswandung  ansetzt. 

Aber  nicht  nur  die  rothe  Färbung  und  die  scharf  profilirten  For- 
men verbinden  die  südrussiscben  Gefässe  mit  den  arretinischen. 
Gemeinsam  ist  ihnen  auch  die  Sitte,  mitten  auf  dem  innem  Boden 
einen  Stempel  mit  dem  Namen  des  Fabrikanten  in  kleinen  Lettern 


i 


Terra  si^llata.  37 

einzudrücken;  bo  finden  sieh  die  Stempel:  OPHOY/  ANAPO,| 
MAXOC,   APTEMüCONOCi). 

Bei  den  unteritalischen  Vasen  ist  diese  Sitte  ganz  unbe- 
kannt. Dort  findet  sich  bisweilen  an  dieser  Stelle  eine  kleine  Ro- 
sette oder  dergleichen  als  Dekoration,  nie  eine  Fabrikmarke.  Bei  ande- 
ren Vasen,  z.  B.  den  megarischen,  sind  die  Namen  zwischen  die 
Dekoration  gesetzt  und  gleichsam  ein  Theil  dieser  selbst^). 

Auch  die  Form  des  Stempels  zeigt  eine  charakteristische  Aehn- 
lichkeit  zwischen  den  Vasen  aus  Olbia  und  denen  von  Arezzo. 

Nicht  selten  ist  bei  letzteren  der  Stempel  in  einen  Rahmen 
gesetzt,  der  die  Form  einer  Sohle  oder  Sandale  hat.  Die  Sohle 
finden  wir  nun  auch  bei  den  russischen  rothcn  Gcfässen,  und  zwar 
ist  meist  die  Sohle  allein  eingedrückt^)  (einmal  auch  doppelt) 4), 
einmal  ist  aber  auch  schon,  wie  es  dann  in  Arezzo  Regel  wird, 
der  Name  in  die  Sohle  gesetzt^).  Wir  werden  darauf  zurückkom- 
men; zunächst  genügt  der  Nachweis,  dass  sich  in  einer  Nekropole 
des  III.  oder  II.  Jahrh.  v.  Chr.  in  Südrussland  ähnliche  Formen, 
Techniken  und  gleicher  Werkstattsgebrauch  finden,  wie  später  in 
Italien. 


IV.  Die  Vasen  des   C.  Popilius. 

Interessant  sind  die  megarischen  Vasen  auch  deshalb,  weil  wir 
sehr  ähnliche  Gefesse  nachweisen  können,  die  sicher  in  Italien  fabri- 
zirt  sind.  Auch  bei  ihnen  finden  sich  theils  rothe,  theils  schwarze 
Exemplare.  Die  Geftsse  tragen  den  Stempel  C  •  P  0  P  I  L  I  in  kleinen 
Buchstaben  an  der  Aussenseite  zwischen  den  Ornamenten.  Mehrere 
sind  publizirt  Mus.  Greg.  II,  CI  1.  2.  4;  CII  2«),  wo  sie  den 
arretinischen  zugezählt  werden.  Von  diesen  weichen  sie  aber 
durch    Form,    Dekoration  und,    wie    mir   Fritz  v.  Bissing 


1)  Stephani,  Vasensammlung  2057,  2068,  2069. 

2)  Z.  B.  auf  dem  Becher  des  Dionysios  Furtwaengler,   Samml. 
Sabouroff  Taf.  LXXIV  2. 

3)  Stephani,    Vasensammlung    2060,    2061,    2064,    2065,    2066, 
2067,  2068. 

4)  Stephani   a.  a.  0.  2063. 

5)  S  t  e  p  h  a  n  i   a.  a.  0.  2069. 

6)  Heibig,  Führer  II,   S.  252  und  283.    Ephemeris  epigrapbica  I, 
p.  11,  Nr.  18  u.  14. 


38  Hans  Dragendorff: 

nach  dem  Augenschein  mittheilt,  auch  in  Qualität  des  Thones  und 
Ueberzuges  ab.  Zu  den  Exemplaren  des  Mus.  Greg,  kommen  noch 
3  Popilius-Becher  in  Corneto,  und  einer  ebendort  mit  dem  Stempel 
V  A  P I .  Die  genauere  Kenntniss  auch  dieser  Exemplare  verdanke 
ich  V.  Bissing*). 

Mus.  Greg.  11,  CI  1  hat  keinen  Stempel,  ist  aber  mit  den 
Popiliusschalen  zusammen  gefunden  und  gehört  nach  der  Deko- 
ration dazu. 

Die  Popilins-Vasen  sind  Becher  ohne  Fnss  und  Henkel,  wie 
die  megarischen.  Abweichend  ist  nur  die  starke  umgebogene  Lippe, 
während  die  megarischen  einen  sehr  wenig  ausladenden  Rand 
hal>en. 

Die  Dekoration  stimmt  mit  der  der  megarischen  Vasen  völlig 
fiberein,  mag  man  die  Gesammtanordnung  oder  die  einzelnen  Orna- 
mente ins  Auge  fassen:  Bukranien,  Amazonensehilde,  Delphine, 
wappenartig  gegen  einander  gestellten  Böcke  u.  s.  w.  Auch  die 
technische  Herstellung  ist  die  gleiche.  Nach  epigraphischen  Kri- 
terien werden  die  Popilius-Schalen  in  den  Anfang  des  II.  Jahrh.*) 
gesetzt,  womit  ihre  Beziehung  zu  den  megarischen  Schalen  einer- 
seits,   den   an*etinischen  andererseits  gut  zu  vereinigen  ist. 

Ich  bin  auf  diese  Erzeugnisse  hellenistischer  Keramik  genauer 
eingegangen,  weil  man  nur  so  zu  einer  richtigen  Beurtheilung  der 
italisch-römischen  kommen  kann.  Hier  wie  ttberall  in  der  Kunst 
zeigt  es  sich,  dass  die  Italiker  blos  die  Empfangenden  sind  und  im 
besten  Falle  Empfangenes  weiter  bilden.  Schwarzgefimisste  grie- 
chische Reliefvaseu  wurden  zunächst,  wahrscheinlich  aas  Kleinasien, 
importirt  und  in  Cales  nachgeahmt.  Als  sodann  in  Griechenland  das 
Suchen  nach  neuen  Formen,  Dekorationsarten  und  Färbungen  be- 
gann und  in  Folge  dessen  ein  Schwanken  in  der  Technik  merk- 
lich wurde,  zeigt  sich  dasselbe  gleichmässig  in  Italien.  Wie  die 
calenischen  Vasen  zu  kleinasiatischen,  so  verhalten  sich  die  Popilius- 
schalen zu  den  ^^megarischen".  Ja,  die  südrussischen  Funde  lehren,  dass 
selbst  die  Technik  der  roth  tlberzogeneu  Vasen,  die  man  bisher  ge- 
neigt war  fUr  eine  Erfindung  der  arretinischen  Töpfer  zu  halten, 
bereits  den  Griechen  bekannt  war,  wenn  sie  auch  erst  in  Italien 
zur  Vollendung  gebracht  worden  ist. 


1)  Zwei  davon  sind  erwähnt  B.  d.  J.  1875  p.  176.    B.  d.  J.  1881  p.93. 

2)  W  i  1  m  a  n  n  s :  Eph.  epigr.  I,  p.  11. 


^ 


Terra  sigillata.  39 


V.   Die   arretinischen   Vasen. 


Die  arretioischen  Vasen  begegnen  uns  vielfach  in  der  antiken 
Litteratnr.  Plinius  nennt  sie  als  Tafelgeschin*  gleich  nach  den 
samischen  *).  Aus  I  s  i  d  o  r  *)  erfahren  wir,  dass  sie  roth  waren. 
Weiteres  lässt  sich  den  litterarischen  Erwähnungen  nicht  ent- 
nehmen. Jeder  kannte  damals  in  Rom  die  vasa  arretina.  Daher 
finden  sich  wohl  Anspielungen  auf  sie,  aber  keine  Beschreibungen. 
Auch  fQr  die  Zeit  der  arretinischen  Industrie  geben  die  Zeugnisse 
nichts  aus.    Sie  sind  alle  verhältnissmässig  spät'). 

Welche  der  uns  erhaltenen  Vasengattungen  mit  der  arretini- 
schen zu  identifiziren  sei,  ist  längst  erkannt.  Schon  seit  dem  Mittel- 
alter sind  in  Arezzo  Reste  antiker  Töpfereien  entdeckt,  in  denen  sich 
neben  allen  zur  Fabrikation  nöthigen  Werkzeugen,  Formen  u.  s.  w. 
eine  Menge  der  bekannten  rothglasirten  römischen  Thonwaare  ge- 
funden hat. 

Für  die  Bestimmung  des  Anfanges  der  arretinischen  Industrie 
ist  von  höchster  Wichtigkeit  die  dortige  Nekropole,  über  die  in  den 
Annali  d.  J.  1872,  p.  270  ff.  von  Gamurrini  berichtet  ist.  Die 
ältesten  Gräber  enthalten  Bucchlsrovasen.  Es  folgt  darauf  eine 
Nekropole  mit  Vasen  aus  rothem  Thon,'  die  ganz  wie  das  cam- 
panische Geschilrr  einen  schwarzen  Fimissüberaug  haben.  In  Grä- 
bern dieses  Theiles  der  Nekropole  fanden  sich  noch  Münzen  der 
zweiten  Hälfte  des  III.  und  ersten  Hälfte  des  IL  Jahrhunderts  v.  Chr. 
Dann  erst  folgen  die  Gräber  mit  Terra  sigillata-Gefässen. 

Vergleichen  wir  damit  die  Funde  aus  der  ältesten  Nekropole 
vom  Esquilin^),  die  Dressel  dem  II.  Jahrhundert  v.  Chr.  zu- 
schreibt, so  sehen  wir,  dass  auch  in  dieser  die  eigentlich  arre- 
tinische  Waare  noch  fehlt.  Wohl  aber  finden  sich  hier  schon 
einige  den  arretinischen  Vasen  ähnliche  Stücke  von  rother  Farbe 
imd  eine  andere  Gattung,  die  wie  die  campanische  mit  schwarzem 


1)  Plin.  H.  N.  XXXV  160. 

2)  Orig.  XX  4.  Hier  ist  die  Angabe  glaubwürdig  im  Gegensatz 
zu  der  über  die  samischen  Vasen. 

3)  Martial  I  53,  6.  XIV  98.  XIII  7,  1  (?).  Pseudovergü.  epigr. 
Anthol.  lat.  Nr.  168  (Poet.  lat.  min.  ed.  Baehrens.  IV,  p.  157).  Schol.  Pers. 
I  129. 

4)  A.  d.  J.  1880  p.  265  ff, 


40  Hans  Dr  agendo  r  f  f : 

FirDiss  überzogen  ist,  aber  lateinische  Stempel  trägt.  Die 
Stempel  Q  •  AF  und  C  •  V,  die  sich  auf  Vasen  dies^*  Art  finden, 
kommen  nun  auch  auf  r  o  t  h  e  n  arretinischen  Schalen  vor  ^).  Wir 
haben  daraus,  wie  Dressel  richtig  erkannt  hat,  folgende  Schlüsse 
zu  ziehen: 

1.  Die  arretinischen  Fabriken  haben  Anfangs  schwarze  Ge- 
fässe  gleich  den  campanischen  gefertigt;  das  bestätigen  die 
Funde  in  den  ältesten  arretinischen  Töpfereien,  wo  sich  gemischt, 
und  theilweise  mit  denselben  Stempeln  gezeichnet,  rothe  und  schwarze 
Scherben  gefunden  haben  ^). 

2.  Der  Uebergang  von  den  schwarzen  arretinischen  zu  den 
rothen  erfolgt  gegen  Ende  des  II.  Jahrhunderts^). 

3.  Bevor  die  arretinischen  Töpfer  zu  der  Verfertigung  rother 
Vasen  übergingen,  waren  ähnliche  Gefässe  schon  in  Italien  im  Ge- 
brauch*). 

1.  Die  Formen  der  arretinischen  Vasen. 

Auf  Tafel  I  unter  Nr.  1 — 14  sind  die  Formen  zusammen- 
gestellt, die  ich  mit  Sicherheit  für  die  arretinischen  Fabriken  ei*- 
mitteln  konnte.  Die  Zusammenstellung  ist  nicht  erschöpfend,  da 
nur  wenig'  Material  publicirt  ist.  Wo  es  mit  einiger  Sicher- 
heit   möglich    war,    habe    ich     den    Durchschnitt    des    Gefftsses 


1)  B.  d.  J.  1837  p.  106.  Gamurrini  p.  67,  Nr.  442.  Fabroni 
p.  46. 

2)  Gamurrini  Atti  d.  L.  1890  p.  69.  Wie  Funghini  in  seiner 
Schrift  Degli  antichi  vasi  fittili  aretini  1893  p.  28  demgegenüber  bestrei- 
ten kann,  dass  rothe  und  schwarze  Gofässe  eine  Zeitlang  neben  einander 
hergehen  und  in  denselben  Töpfereien  gefertigt  sind,  ist  mir  unver- 
ständlich. 

3)  So  datiren  auch  Fabroni,  Gamurrini  (ausser  an  den  ange- 
führten Stellen  auch  Gaz.  Arch.  1879  p.  49),  Rayet-Collignonl.  c. 
p.  354  ff.  Auch  die  Menge  der  griechischen  Sklavennamen,  die  sich  auf 
den  Stempeln  der  arretinischen  Vasen  finden,  weisen  auf  die  Zeit 
nach  146. 

4)  Dahin  gehören  die  rothen  Vasen  der  esquilinischenNekropole,  ferner 
einige  mit  etruskischen  Stempeln 3 H A1>A  ,  M3HAS>A,  IM3HA1>A 
(Gamurrini  p.  13.  Atti  d.  L.  IV  1  p.  420)  gefanden  in  Vulci,  Clu- 
sium,  Volaterra  und  Orbetello,  endlich  ein  von  F  u  n  g  h  i  n  i  a.  a.  0.  p.  6 
erwähntes,  auf  seiner  Taf.  als  Nr.  1  abgebildetes  Stück  mit  dem  etruski- 
schen Stempel  GELE,  von  hellerer  Farbe  und  weniger  glänzend  als  die 
arretinischen. 


Terra  sigillata.  41 

gegeben,  um  auch  den  inneren  Gontnr  zu  zeigen,  der  namentlich 
bei  den  Tellern  interessant  ist.  Dass  die  Zeichnungen  einen  Typus 
geben  sollen,  nicht  auf  etwaige  Unregelmässigkeiten  eingehen, 
brauche  ich  nicht  hervorzuheben,  ündekorirt  sind  die  Gefässe  1 — 8. 
In  einzelnen  Fällen  tragen  die  Teller  und  auch  der  Napf  6  aussen  an  dem 
senkrechten  Theil  der  Wandung  an  2  oder  4  gegenüberliegenden 
Stellen  je  eine  kleine  Figur  in  Relief  (Eros,  Tänzerin,  Maske,  Sphinx, 
Ziege,  Delphin,  Blatt,  eine  kleine  Palmette  od.  dergl.).  Auch  eine 
kleine  Schlange  kommt  vor^).  Das  Innere  des  Gefässes  hat  nie 
Reliefschmuck.  Die  Teller  haben  als  weitere  Verzierung  im  Innern 
auf  dem  Boden  oft  ein  fein  schraffirtes  Band  (Taf.  I  la).  In  der- 
selben Weise  ist  bei  dem  Napf  6  der  Rand  gesehmOckt.  Dieses 
Ornament  wurde  mit  einem  kleinen  fein  geriefelten  Bädchen,  das  über 
die  betreffende  Stelle  gerollt  wurde,  hergestellt. 

üeber  die  einzelnen  Formen  Genaueres  zu  sagen,  scheint  gegen- 
über den  Zeichnungen  nicht  nöthig.  Dass  sich  die  Formen  an  Me- 
tallformen anlehnen,  lehrt  der  erste  Blick  auf  die  scharfen  und 
eckigen  Profile.  Unmittelbar  der  Toreutik  entlehnt  ist  auch  der 
Henkel  an  Form  14  2).  Auffallend  gegenüber  den  barocken  und 
künstlichen  Formen  der  hellenistischen  Keramik  sind  die  einfachen, 
fast  etwas  alterthümlichen  Profile  der  arretinischen  Vasen,  die  wie 
eine  Reaktion  gegen  jene  aussehen. 

Die  S.  36  erwähnte  Profilirung  der  südnissischen  Vasen  finden 
wir  wieder  bei  dem  Napf  6.  Auch  die  Neigung  zu  vollkommen  senk- 
rechtstehenden Wandungen  haben  beide  Gattungen  gemein,  nur  ist  man 
bei  den  arretinischen  aus  praktischen  Rücksichten  schon  etwas  wei- 
ter gegangen  und  füllt,  ähnlich  wie  bei  den  Wasserbauten,  die 
scharfe  Ecke,  die  sich  durch  die  rechtwincklig  aufeinanderstossen- 
den  Flächen  ergiebt  und  in  die  sich  leicht  Schmutz  setzen  konnte, 
durch  einen  Wulst,  das  Viertel  eines  Rundstabes,  aus.  Es  zeigt 
dies  wieder,  wie  die  arretinischen  Gefässe  unmittelbar  für  den  Ge- 
brauch bestimmt  waren.  Auch  das  Vermeiden  von  Dekorationen 
auf  der  inneren  Fläche  findet  hierdurch  seine  Erklärung. 

li^pTbroni,  Taf.  II,  2.  4.  6.  8.  9.  10;  VI,  3.  5. 

2)  Die  Vorstufe  zu  dieser  Henkelform  findet  sich  bereits  in  Mykenai 
(Ath.  Mitth.  VIII  Taf.  1).  Ausgebildet  liegt  sie  vor  in  den  Kabirenvasen 
(Ath.  Mitth.  XIII.  S.415);  besonders  beliebt  ist  sie  bei  den  hellenistischen  gla- 
sirten  Vasen  ausTharsos,  Sniyrna  (im  Louvre),  Kythnos  (im  Bonner  Kunst- 
museum) und  den  hellenistische  Arbeiten  copirenden  römischen  Silberge- 
f  ässen  aus  Bernay  (Babelon,  Gab.  des  medailles  Taf.  XIV  u.  LI). 


48  Hans  Dragendorff: 

2.   Die  Fabrik-Stempel   der   arretinischen  Töpfer. 

Die  meisten  arretinischen  Gefässe  sind  mit  einem  Fabrikstempel 
versehen,  und  zwar  sind  entweder  bestimmte  Marken  oder  der  Name 
des  Verfertigers  aufgedrückt.  Ersteres  ist  namentlich  auf  den  schwär- 
Ken  und  den  ältesten  mit  ihnen  zusammen  gefundenen  rothen  Vasen 
gebräuchlich.  Solche  Marken  hat  G  a  m  u  r  r  i  n  i  zusammengestellt  ^) 
und  aus  seiner  Uebersicfat  erkennt  man  leicht ,  dass  in  einer  Fa- 
brik viele  verschiedene  Stempel  im  Gebrauch  waren  und  beide  Arten 
zu  signiren  eine  Zeitlang  neben  einander  hergingen.  Denn  es  haben 
sich  sowohl  in  denselben  Schutthaufen  bei  den  Resten  der  Töpfer- 
öfen verschiedene  Stempel  gefunden,  als  auch  2  durch  den  starken 
Brand  zusammengeschmolzene  Stücke,  von  denen  das  eine  den  Stem- 
pel Äfo    (Antiochus),   das  andere  das  Zeichen  *Hh*    trägt.    Beide 

Stücke  sind  also  sicher  gleichzeitig  in  den  Ofen  gekommen.  Bei 
den  Stempeln,  die  den  Verfertiger  nennen,  fällt  es  auf,  dass  neben 
dem  Namen  des  Fabrikherrn  häufig  auch  derjenige  des  Sklaven  er- 
scheint, der  das  betreffende  Stück  geformt  hat,  z.  B.  Nicephorus 
Marci  Perenni.  Es  ist  die  Nennung  des  Sklaven  so  auffallend,  dass 
sie  einen  bestimmten  praktischen  Zweck  gehabt  haben  rauss.  Nicht 
unwahrscheinlich  scheint  mir  die  Vermuthung  von  Prof.  Loeschcke, 
dass  die  einzelnen  Arbeiter  eine  bestimmte  Anzahl  von  Gefössen  zu 
liefern  hatten,  und  die  Stempel  dazu  dienten,  die  Arbeit  zu  control- 
liren.  So  würde  sich  erklären,  warum  in  älterer  Zeit  weniger  das 
Stempeln  mit  dem  Namen  als  mit  einer  bestimmten  Handmarke  geübt 
wurde.  Dass  neben  dem  Namen  des  Sklaven  auch  der  des  Herrn  steht, 
würde  sich  aus  dem  Firmencharakter  der  Inschrift  erklären.  Den 
Zweck  einer  Empfehlung  hat  es  sicher  auch,  wenn  neben  dem  Na- 
men noch  der  Zusatz  Arretinus  oder  figulus  arretinus  sich  findet. 
Nicht  ganz  befriedigend  erklären  lässt  sich,  so  weit  ich  sehe,  auf 
diese  Weise,  dass  oft  der  Name  des  Herrn  allein  auf  dem  Ge- 
fässe  steht.  Bei  der  Grösse  des  Betriebes,  —  wir  kennen  aus  einer 
Fabrik  bisweilen  über  20  Sklaven  — ,  wird  man  doch  wohl  Beden- 
ken tragen  zu  glauben,  dass  der  Herr  selber  mit  Hand  ange- 
legt habe. 

Während   bei  den  undekorirten   Gefllssen   der  Fabrikstempel 


1)  Atti  d.  L.  1890  p.  69. 


Terra  sigillata.  48 

mit  kleinen  Lettern  im  Innern  angebracht  ist,  steht  er  bei  den 
versierten  aussen  zwischen  den  Figuren  mit  grössere  Bnchstaben 
und  bildet  hier  gewissennassen  einen  Theil  der  Dekoration.  In  die- 
sem Falle  steht  er  häufig  auf  einem  klraien  verzierten  Täfelcben  ^). 
Es  kommt  auch  vor,  dass  grosse  Buehstaben  einzeln  in  Zwischenräumen 
zwischen  die  Ornamente  gesetzt  sind,  sodass  der  Name  um  das  ganze 
Gefäss  umläuft.  Dies  ist  namentlieh  in  der  Fabrik  des  Perennius 
gebFäuchlich.  Auch  hierin  waren  d^n  arretinischen  Töpfern  die  Griechen 
vorangegangen^  speziell  die  Verfertiger  der  megarischen  Schalen'). 

Die  Stempel  bieten  die  Megliehkeit,  Erzeugnisse  derselben  Fa- 
brik als  solche  sicher  zu  erkennen  und  damit  den  Umfang  der 
Fabrikation  zu  bestimmen.  Zugleich  belehren  sie  uns  über  die 
Ausdehnung  des  Exportes  arretiniseher  Waare. 

Das  vollständigste  Yerzeiohniss  der  arretinischen  Stempel  (das 
sich  jetzt  aber  natürlich  bedeutend  vermehren  lässt)  gibt  G  a  m  n  r  r  i  n  i 
in  der  oben  citirten  Schrift.  Doch  sind  nicht  alle  von  ihm  angeführ- 
ten Stempel  sicher  arretinischen  Ursprunges.  Gamurrini  gibt  leider 
nicht  in  jedem  Falle  aU;  ob  es  sich  um  einen  in  Arezzo  selbst  oder 
anderswo  gefundenen  Stempel  handelt.  Weiter  beweist  ja  auch  ein 
NamC;  der  ein  oder  zwei  Mal  in  Arezzo  vorkommt,  noch  nicht,  dass 
der  betreffende  Töpfer  wirklich  dort  seine  Werkstatt  hatte.  Bei  einer 
ganzen  Anzahl  von  Töpfern  aber  ist  diese  in  Arezzo  wieder  aufgefunden. 

Ein  Verzeicbniss  aller  sicher  arretinischen  Stempel  mit  allen 
ihren  Varianten  zu  geben^  wie  es  ursprünglich  meine  Absicht  war, 
unterlasse  ich,  da  mit  den  bisherigen  Mitteln  Vollständigkeit  nicht 
zu  erreichen  ist  und  der  betreffende  Band  des  C.  I.  L.  eine  Menge 
ganz  neuen  Materials  und  zahlreiche  Berichtigungen  des  bisher  publi- 
zirten  bringen  wird.  Als  sicher  an-etinisch  kennen  wir  die  Fabri- 
ken des  C.  Amurius  ^),  C,  L.  und  Sex.  Annius  *),  L.  Calidius  Strigon  *), 
C.  Caesius   Clemens^),    C.  Cispius'),    L.,   M.   und  P.  Conielius *), 


1)  Z.  B.  Fabroni  Taf.  II  3. 

2)Z.  B.  Furtwaengler,  Samml.  Sabouroflf  Taf.  LXXIV  2. 

8)  Piazza  St.  Agostino,  Gamurrini  p.  34. 

4)  Gefunden  beim  Bau   des  neuen  Theaters.    B.  d.  J.  1830  p.  238. 
Gamurrini  p.  28  f. 

5)  Ponte  dei  Carciarelle  gef.  1484.    Gamurrini  p.  43. 

6)  Beim  Orte  Cincelli,  nahe  bei  Arezzo.    Gamurrini  p.  49. 

7)  Ebendort.    Gamurrini  p.  47. 

8)  Ebendort.    G[a  m  u  r  r  i  n  i  p.  50.    Auch  bei  Ponte  Buriano,  Noti- 
zie  degli  scavi  1894  p.  48. 


a  Hans  Dragendorff: 

Dömitius  ^),  C.  Gavias»),  C.  und  L.  Gellins »),  Hertoria*),  L.  Jegi- 
dius^),  C.  Memmias^),  C.  Murrins^),  M.  Perennins  Capito®),  L.  und 
C.  Petronius  %  der  Pablicii  *®),  L.  Rasrinias  Pisanus"),  T.  Bafrenias 
Rufio  «),  L.  Saufeius  ^»),  C.SentiusFirmns"),  C,  A.  und  L.  Sertorius  »*), 
P.Tellius»«),  C.undL,  Tettius"),  A.,C.,  Cn.,L.und  Sex.  Titius"),A., 
C.  und  L.  Vibins  **),  L.  Umbricius  **),  C.  und  L.  Volusius  *0.  Sicher 
Bcheint  die  arretiniscbe  Herkunft  auch  bei  Cn.  Ateius'*),  A.  und 
L.  AviUius**),  P.  Clodius  Proculus»*),  A.  Maneius**),  von  denen 
sehr  zahbeiche  Stempel  in  Arezzo  gefunden  sind  und  deren  Ge- 
wisse auch  sonst  ganz  mit  den  sicher  arretinischen  übereinstimmen. 

In  der  Form  der  Stempel^  der  Abkürzung,  Orthographie  u.  s.  w. 
herrscht  willkürliches  Schwanken.  Ein  wirklich  vollzähliges  Yer- 
zeichniss  aller  Varianten  wird  kaum  je  gegeben  werden  können. 

Im  Allgemeinen  ist  über  die  Abfassung  der  Stempel  Folgendes 
zu  bemerken: 

1.  Der  Fabrikherr  signirt  bald  mit  den  tria  nomina,  bald 
mit  praenomen  und  nomen,  bald  mit  dem  nomen  allein.    Häufig  steht 

1)  Ponte  dei  Carciarelle.    Gamurrini  p.  47. 

2)  Beim  Franciskanerkloster.    Gamurrini  p.  57. 

3)  Piazsa  St.  Agostino.    Gamurrini  p.  36. 

4)  Via  Casentina.    Gamurrini  p.  28. 

5)  Ebendort.    Gamurrini  p.  24. 

6)  Via  Guido  Monaco.    A.  d.  J.  1872  p.  293. 

7)  Via  Casentina.    Gamurrini  p.  24  f. 

8)  Piaggia  di  Murello.   Atti  d.  L.  [II  11.  452  ff. 

9)  Via  degli  Albergotti.    Atti  d.  L.  IV  3.  p.  438  f. 

10)  B.  d.  J.  1834,  102,  Gamurrini  p.  40  ff. 

11)  Beim  neuen  Theater.    Gamurrini  p.  30. 

12)  Piazza  St.  Agostino.    Gamurrini  p.  36  f. 

13)  Via  Casentina.    Gamurrini  p.  25. 

14)  Beim  neuen  Theater.    Gamurrini  p.  33. 

15)  Ebendort.    Gamurrini  p.  33. 

16)  Ponte  Buriano.  Notizie  1893  p.  138. 

17)  Piazza  St.  Agostino.    Gamurrini  p.  37. 

18)  Via  Casentina.    Gamurrini  p.  16  ff. 

19)  Bei  St.  Domenico.    Gamurrini  p. 

20)  Via  Guido  Monaco.    A.  d.  J.  1872.  p. 

21)  Beim  Kloster  d.  St.  Augustin.    A.  d. 
r  i  n  i  p.  57. 

22)  Gamurrini  p.  57. 
'  23)  Gamurrini  p.  59. 

24)  G  a  m  u  r  r  i  n  i  p.  35. 

25)  B.  d.  J.  1837.  105. 


27. 

Atti  d. 

L. 

III  11. 

452. 

293. 

J.  1872  p.  292. 

Gamur- 

Terra  Bigillata.  45 

von  jedem  der  drei  Namen  nur  der  Anfangsbuchstabe.  Beim 
praenomen  ist  dies  durchgängig  der  Fall;  z.  B.  L- RASIN  •  PISANI, 
LRASINI,    RASINI,    LRP,    L-RPIS»). 

2.  Wo  der  Name  ausgeschrieben  ist,  steht  er  im  Genetiv, 
z.  B.  SEXTIllANNM). 

3.  Dagegen  steht  der  Sklavenname  fast  durchweg  im  Nomi- 
natiV;  z.  B.  Archelaus  G.  Anni ').  Hier  wird  man  ergänzen:  feeit. 
Immer  ist  dies  der  Fall  bei  allen  Sklaven  der  Annii,  Avillii,  Calidii, 
Cispii,  Gellii;  Jegidii,  Manei,  Murrii,  Publicum  Saufei,  Vibii,  ümbrieii, 
Volusii.  Und  zwar  wird  der  Name  des  Sklaven  meist  dem  des  Herrn 
vorausgesetzt.  Der  Sklavenname  im  Genetiv  kommt,  so  viel  ich 
weiss,  nur  in  folgenden  Fällen  vor:  P.  Comeli  Didali  (1  mal)«), 
Mem(mi)  [H]ilari  (1  mal)  6),  M.Perenni  Tigrani  ^)  (doch  kann  Tigrani 
hier  auch  gekürzte  Schreibweise  für  Tigranius  sein),  L.  Ra8(ini) 
Drauci  ^),  Qnarti  Rasini »),  Cn.  Titii  Luscuü »),  Primi  L.  Titi  »<>) 
(wenn  nicht  Abkürzung  von  Primigenius),  Gemelli  Titi^^),  Chry- 
santi  L.  Titi  (1  mal)  ^2),  Philositi  Titi^»);  die  Fälle  sind  also  sehr 
wenig  zahlreich,  der  Nominativ  durchaus  die  Regel. 

4.  Die  Worte  of(ficina),  f(ecit),  manu  stehen  bei  den  sicher 
arretinischen  Stempeln  nie  dabei,  im  Gegensatz  zu  den  späteren  Si- 
giUaten,  bei  denen  der  Zusatz  sehr  häufig  ist.  Man  kann  aus  dem 
Zusatz  dieser  Worte  schon  a  priori  auf  jüngere  Zeit  sehliessen.  Das 
Fehlen  derselben  f&Ut  um  so  mehr  auf,  als  ja  die  ältesten  latemischen 
Stempel  auf  Vasen,  die  der  calener  Schalen,  fast  imm^  ^fecit''  hinzu- 
setzen. Es  wird  daher  bei  den  arretinischen  Vasen  wohl  Anlehnung 
an  die  griechische  Stempelform  vorliegen,  wie  sie  auf  den  megarischen 

1)  Z.  B.  C.  XII  5686.  739  oder  Atti  d.  L.  III  11.  325;  C.  X  8056. 
300  a.  C.  VIII  10479.  48.    C.  X  8055.  36.    C.  XII  5686.  787  etc. 

2)  Atti  d.  L.  IV  1.  p.  156. 

3)  Z.  B.  B.  d.  J.  1830.  238.    Gamurrini  p.  28  Nr.  120. 

4)  C.  II  4970.  146. 

5)  C.  IX  6082.  52,  Atti  d.  L.  III  10.  174. 

6)  Z.  B.  Atti  d.  L.  IV  1.  91.    Gruppe  11. 

7)  C.  II  6257.  162. 

8)  Atti  d.  L.  IV  2.  441  (wenn  nicht  Abkürzung  von  Quartio). 

9)  C.  XII  5686.  885. 

10)  Gamurrini  p.  16  ff.  Nr.  24,  vergl.  aber  Bull,  communale.  II  p.l97 
PRIMIG||TITI  •  ST. 

11)  C.  X  8056.  158. 

12)  Gamurrini  p.  19  Nr.  34  u.  35. 

13)  C.  X  8056.  265. 


46  HansDra^endorff: 

*  Bechern  yorkommt.  Auch  dort  ist  der  Genetiv  die  Regel  ^).  Ebenso 
signirt  Popilias,  der  die  megarischen  Becher  nachahmt,  im  Genetir. 

5)  Dagegen  ist  bisweilen  der  Znsatz  figul(i).oder  figul(i)  Arre- 
t(im)  g^nacht  und  zwar  kommt  er  vor  bei  A.  Titius  *),  C.  Titius  *). 
BeiSentius^)undSertorins^)  findet  sich  der  Znsatz  fignlus,  bei  L.  Titius 
und  Cn.  Ateins je  einmal  nurM,  wahrscheinlich  „Anetini"  aufeulOsen^). 

Der  Stempel  ist  entweder  in  ein  kleines  Rechteck  eingeschrie- 
ben oder  er  hat,  wie  bei  den  sttdrussischen  Vasen,  die  Form  einer 
Sohle.  .Yereineelt  kommt  auch  Halbmond  7),  Hufeisen  und  Ki^eis'), 
Kleeblatt^),  Kreuz">),  Dreieck")  vor.  Wie  man  auf  die  Form  der  Sohle 
verfallen,  die,  wie  gesagt,  weitaus  am  häufigsten  vorkommt,  habe  ich 
nicht  sicher  ermitteln  können.  Die  bisherigen  Erklärungen  sind  falsch. 
Nach  Gamurrini  bedeutet  sie  den  Besitz  und  komme  deshalb  nur  vor, 
wo  der  Name  des  Fabrikherm  auf  das  Geiftss  gestempelt  ist.  Aehnlich 
erkl&rt^schon  G  o  r  i  (Inscriptiones  etrnscae  p.  267)  das  Zeichen.  Es  be- 
deutet nach  ihm  den  Besitz  von  Immobilien,  die  Hand  den  vonMobilien. 
Seine  Beobachtungen  beziehen  sich  aber  auf  Grabinschriften  u.s.w.;  damit 
dürfen  wir  unsere  Töpferstempel  nicht  ohne  Weiteres  zusammenwerfen. 
Was  sollte  auch  ein  Zeichen  ftlr  den  Besitz  von  Immobilien  auf  einer  Vase! 

Was  Gamurrini's  Beobachtung,  dass  die  Sohle  nur  mit 
dem  Namen  des  Fabrikbenn  vorkommt,  betrifft,  so  ist  sie  im  Grossen 
und  Ganzen  richtig.  Einige  Ausnahmen  kommen  aber  vor.  So 
finctet  sich  einmal  der  Stempel  des  Corinthius  ^'),  den  wir  als  Sklaven 
des  A.  Maneius  kennen,  in  Sohlenfonn ;   femer  lesen  wir  auf  einer 


1)  Z.B.M6N6MAX0V  C.  R1874S.110.  GVBANOPOC  Ephem. 
Arch.  1892p.  191.  AIONVCIOVFurtwaengler,Samml.Sab.Taf.LXXIV, 
GPMOrENOV  auf  einer  südnissischen  Lampe,  Arch.  Anz.  VI  ö.  19,  8- 
Daneben  kommt  auch  der  Nominativ  ohne  weiteren  Zusatz  gelegentlich 
vor;    z.  B.  HPAKAGIAHC  B.  d.  J.  1868  p.  115. 

2)  Z.  B.  C.  X  9056.  354.  C.  II  4970.  519. 

3)  C.  IL  4970.  520. 

4)  Gamurrini  p.  33  Nr.  143. 

5)  C.  n  4970.  478.  b. 

6)  B.  d.  J.  1883.  43  ff.  Vergrl.  auch  Gamurrini  Nr.  16.  C.  VIII 
10479.  8. 

7)  C.  X  8055.  24  p. 

8)  Cf.  Funghini  p.  21. 

9)  Z.  B.  C.  II  4970.  51  c. 

10)  Z.  B.  C.  II  4970.  51  g, 

11)  Z.  B.  C.  n  4970.  55. 

12)  C.  X  8056.  100. 


Terra  siglHata.  47 

Sohle  die  Stempel  ERASTICANI  und  C  •  ERASTICANP). 
Dass  wir  es  hier  mit  einem  Sklavennamen  zu  thun  haben,  nieht  mit 
dem  eines  Fabrikherm,  (wie  Gamnrrini  vermuthcte,  der  Cai  Erasti- 
cani  las)  zeigt  C.  I.  L.  II  Suppl.  6257.  75,  wo  wir  den  Stempel 
ER...VSC'ANNI  haben.  Wir  müssen  also  lesen  Erastus 
G.  Anni  beziehungsweise  G.  Erastus  G.  Anni.  Die  Erklärung  aber  flQr 
die  von  Gamurrini  beobachtete  Thatsache  suche  ich  ganz  wo  anders. 
Wenn  der  Name  des  Herrn  und  des  Sklaven  im  Stempel  steht,  so  ist 
der  Stempel  zweizeilig,  lässt  sich  also  in  dem  schmalen  Raum,  den 
die  Sohlenform  bietet,  nieht  unterbringen.  Die  wenigen  Male,  wo 
ein  Sklavenname  in  der  Sohle  steht,  ist  er  ausnahmsweise  in 
einer  Zeile  geschrieben.  Andereraeits  steht  auch  der  Stempel  des 
Fabrikherm,  wenn  er  in  2  Zeilen  geschrieben  ist,  nie  in  der  Sohlen- 
form, so  z.  B.  bei  Domitius,  A.  Titins  figulus  Arretinus  u.  s.  w. 
Weiter  spricht  gegen  Gamnrrini 's  Erklärung  auch,  dass  dasselbe 
Zeichen  bei  den  südrussisehen  Vasen  oft  allein,  ohne  Namensbei< 
Schrift  vorkommt^). 

Eine  andere  Erklärung  hat  Fabroni  gegeben,  fttr  den  die 
Sohle  gleichsam  ein  Wahrzeichen  der  Töpfer  ist,  die  mit  den  Füssen 
den  Lehm  kneten  und  beständig  den  Abdruck  ihrer  Sohle  im  Lehm  sahen. 
Doch  ist  mir  ein  Analogen  zu  emem  derartigen  Zunftseichen  nicht  be- 
kannt und  es  bleiben  dann  auch  die  anderen  Stempelformen  uner- 
klärt. Den  richtigen  Weg  scheint  mir  Prof.  Loeschcke  einge- 
schlagen zu  haben,  der  hinter  dieser  Stempelform  einen  Aber- 
glauben sucht,  wie  ja  auch  der  Halbmond,  die  ceXr^vi^,  apotro- 
paeische  Bedeutung  hat').  Wie  der  Halbmond  als  Form  des  Siegel- 
ringes vorkommt,  so  wäre  der  Stempel  auf  den  Gewissen  nur  ein 
einfacher  Siegelabdruck.  Und  in  der  Tbat  lassen  sich  auch 
Ringe  nachweisen,  deren  Platte  die  Form  einer  Sohle  hat^).  Sie 
stammen  allerdings  meist  erst  aus  späterer  Zeit,  wie  z.  B.  der  B.  J. 
LXXXX  S.39.  22  erwähnte  Ring  mit  der  Legende  RVFI;  doch  habe  ich 
wenigstens  einen  gefunden,  der  sicher  dem  III.  vorcbristlicben  Jahr- 

1)  Gamurrini  p.  60.    Fabroni  Taf.  9  Nr.  5  u.  118. 

2)  Vergl.  oben  S.  37. 

3)  Vergl.  Otto  Jahn  in  den  Berichten  der  sächs.  Oesellsch.  d. 
Wissenßch.  Vü  1865  S.  42  Anm.  48.  Arch.  Z.  1884  Taf.  9,  7. 

4)  Ich  habe  diese  Kenntniss  durch  die  Gefälligkeit  des  Herrn'Dr. 
Fr.  Henkel  in  Darmstadt  erlangt,  der  auf  eine  Anfrage  Professor 
Loeschcke*8  hin  das  betreifende  Material  aus  seinen  reichen  Sammlun- 
gen über  antike  Ringe  zur  Verfügung  stellte. 


48  Hans  Dragendorff: 

hundert   angehört.    Er  ist  pnblizirt  im  C.  R.  1880  Taf.  III  Nr.  7 
u.  8,  S.  26  u.  76  ff.  und  trägt  die  Inschrift: 

eCT;ilAOCijMAM||MIAI. 

Neben  dem  Namen  weisen  die  arretiniscben  Stempel  oft  noch  ein 
*  kleines  Beizeichen  anf^  z.  B.  einen  kleinen  Zweig,  Delphin,  Blnme^ 
einen  kleinen  Kranz,  Stern  u.  A.  Die  Fabriken  haben  in  dieser  Bezie- 
hung v^erschiedene  Gebräuche.  Während  z.  B.  die  unzähligen  Stem- 
pel der  Titii  immer  ohne  Beizeichen  zu  sein  scheinen,  heri*schte  z.  B. 
bei  den  Fabrikaten  des  Ateius  hierin  eine  sehr  grosse  Mannigfaltig- 
keit. Bei  den  Stempeln  des  Domitius  findet  sich  fast  immet  eine 
Blume,  bei  denen  des  Sentius  und  Sertorius  ein  Zweig,  worin  Ga- 
murrini  (p.  33)  eine  Anspielung  auf  den  Namen  sieht 

In  vereinzelten  Fällen,  wenigstens  lässt  es  sich  nur  selten  nach- 
weisen, scheint  ein  Sklave  freigelassen  zu  sein.  Am  sichersten  ist 
esbeiC-MEMMIVS-C.LMAHE(s)i)C.  Memmius  Cai 
Libertus  Mahes,  ferner  bei  Tigranius,  von  dem  der  Stempel  M.  Peren(ni) 
Tigrani  vorkommt.  Dass  Tigranius  später  selbstständig  mit  einem  Skla- 
ven arbeitet,  zeigt  der  Stempel  Bello  Tigrani,  der  ebenfalls  in  Arezzo 
vorkommt*).  Da  wir  auch  von  Perennius  einen  Sklaven  Bello  kennen, 
so  fieheint  es,  dass  Tigranius  nach  seiner  Freilassung  den  Arbeiter  Bello 
des  Perennius  erworben  hat.  Sehr  wahrscheinlich  ist  die  Freilassung 
auch  bei  dem  eben  erwähnten  C.  Erastus  C.  Anni.  In  allen  Fällen,  wo  d^ 
Sklavenname  ausnahmsweise  im  Genetiv  steht  und  dem  Namen  des 
Herrn  nachgesetzt  ist,  z.  B.  P.  Comelii  Didali  oder  L.  Titi  Lnsculi, 
ohne  weiteres  an  einen  Freigelassenen  zu  denken,  der  neben  dem 
Namen  seines  Herrn  nach  dem  gewöhnlichen  Brauch  seinen  Sklaven- 
namen als  Cognomen  weiter  ftlhrt,  scheint  mir  nicht  statthaft,  da  dem 
ebenso  viele  Fälle  gegenflbersteheu,  wo  der  Sklavenname  im  Genetiv 
voran  steht,  also  au  einen  Freigelassenen  nicht  zu  denken  ist. 

Die  Sklaven  sind,  wie  die  Namen  zeigen,  zum  grossen  Theile 
Griechen.  Mit  Recht  hat  dies  Gamurrini  f&r  die  Chrono- 
logie verwerthet.  Vor  den  Kriegen  der  Rdmer  mit  den  Griechen, 
vor  146  V.  Chr.  wäre  dieses  Ueberwiegen  griechischer  Sklaven  kaum 
denkbar.  Neben  griechischen  Namen  finden  sich  die  gewöhnlichen 
lateinischen  Sklavennamen,  wie  Faustus,  Felix,  Jucnndus,  Com- 
munis, Optatus,  Auctns,  Suavis  u.  s.'w.  oder  von  der  Heimath,  ans 
der    die  Sklaven    stammen,   abgeleitete,    z.  B.   Suriis,    Corinthins, 

1)  Gamurrini  p.  89  Nr.  195. 

2)  Atti  d.  L.  III  IL  p.  4&S. 


Terra  sigillata.  49 

TigraniaS;  Bithys,  Samus  oder  Samo,  Samia,  Tauriscus.  Die  Fabrik- 
herren versahen  sich  uatttrlich  gern  mit  kunstgettbten  griechischen 
Sklaven,  und  es  ist  wohl  auch  kein  Zufall,  dass  3  der  Sklaven  in 
ihrem  Namen  einen  Zusammenhang  mit  der  Insel  Samos  verrathen. 
Die  schönen  ornamentii-ten  Stücke  tragen  fast  durchweg  griechische 
Namen.  —  Neben  den  griechischen  Namen  kommen  vereinzelt  auch 
etruskische  vor,  z.  B.  Mena  Avili,  Mama  Calidi,  Sasa  Strigonis  Galidi, 
Citlus  Saufei;  Dama  Saufei,  Mona  Saufei. 

Ich  erwähne  noch  einen  Apollo  C  •  A  N  N  i  und  einen  Her- 
mes C  •  T I  T I  *).  Ereterer  Name  ist  Menschen  überhaupt  sehr 
selten  beigelegt  (Meyersahm,  Diss.  de  deor.  nom.  hominibus  im* 
positis,  Eiliae  1891  p.  13  f.),  und  beide  zählen  zu  den  ältesten  Bei- 
spielen des  Gebrauches  eines  Göttemamens  als  nomen  proprium,  die 
überhaupt  bekannt  sind.  Sie  gehören  wohl  sicher  noch  vorchrist- 
licher Zeit  an,  aus  der  Meyersahm  (p.  24)  nur  2  datirbare  Bei- 
spiele auf  lateinischen  Inschriften  kennt.  — 

Die  Stempel  lehren,  dass  die  Fabriken  oft  mehrere  Generationen 
hindurch  in  derselben  Familie  blieben,  und  mit  den  Fabriken  auch* 
ein  Theil  des  Personales  sich  vererbte.    So  haben  wir  z.  B.  neben 
einem  Philo  L.  Comeli  einen  Philo  P.  Corneli,   neben  einem  Phile- 
ros C.  Tetti  einen  Phileros  L.  Tetti. 

Im  einzelnen  die  Zeit  jeder  Fabrik  und  das  zeitliche  Verhält- 
niss  derselben  unter  einander  zu  bestimmen,  dazu  fehlt  es  an  ge- 
nügend chronologisch  fixirtem  Material.  Etwa  Folgendes  lässt  sich 
festlegen:  zu  den  ältesten  Vasen  gehören  die  mit  Sigle  Q-AF, 
die  des  C.  Cispius  und  C.  Memmius,  von  denen  schwarze 
Gefasse  vorkommen,  L.  T  i  t  i  u  s ,  in  dessen  Stempeln  noch  alter- 
thümliche  Zeichen  erscheinen  und  von  dem  ein  Stück  zusammen 
mit  republikanischen  Münzen  in  Vulci  gefunden  ist*).  Zu  den  älteren 
Fabriken  rechnet  Gamurrini  noch  die  des  Vibius,  Volusius  und 
Gavius. 

Auch  die  Fabriken  des  Rasinius,  Perennius  und  Tellius,  aus 
denen  die  schönsten  omamentirten  Gefasse  hervorgingen,  gehören 
noch  der  ersten  Hälfte  des  I.  Jahrb.  v,  Chr.  an.  In  den  Scherben- 
haufen des  Rasinius  haben  sich  viele  republikanische  Münzen  gefun- 


1)  Gamurrini  p.  28  Nr.  121.    Atti  d.  L.  IIT  5,  p.  387. 

2)  B.  d.  J.  188.3.  p.  45  ff. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  Im  Rhelnl.  XCVI.  4 


60  HansDragendorff: 

den^)  and  die  Fände  in  Arezzo  zeigen  weiter,  dass  die  Fabriken 
des  CispiuS;  Perennius  und  Tellius  später  in  die  Hände  des  P.  Corne- 
lius übergingen.  Denn  in  den  Schutthaufen  dieser  drei  Töpfereien 
finden  sich  Scherben  mit  dem  Stempel  des  Cornelius  in  der  ober- 
sten Schicht.  Eine  in  Cincelli,  in  der  Fabrik  des  Cornelius  gefundene 
Schale  trägt  unter  ihren  Ornamenten  den  Abdruck  einer  Münze  mit 
dem  Kopf  des  jugendlichen  Octavian  und  der  Umschrift  A  VG  VSTVS*). 
Die  Schale  ist  signii-t  mit  dem  Namen  des  R  0  D  V  S.  Dieser  ist  uns 
als  Sklave  des  Coiiielius  bekannt,  zu  dessen  sonstiger  Dekorationsweise 
auch  dieses  GefUss  passt.  Daraus  ergibt  sich,  dass  die  Töpferei 
des  Cornelius  noch  in  der  Zeit  des  Augustus  arbeitete  und  die  an- 
sprechende Vermuthung  Gamurrini'S;  dass  er  ein  Freigelassener 
des  Sulla  war  und  mit  der  cornelischen  Colonie  nach  Arezzo  kam, 
steht  hiermit  nicht  im  Widerspruch^).  Zu  den  älteren  Fabriken, 
d.  h.  in  die  erste  Hälfte  des  I.  vorchristlichen  Jahrhunderts,  ge- 
hören auch  die  Töpfereien  des  Sentius  und  Domitius,  von  denen 
Stempel  neben  anderen  sicher  arretinischen  und  vorrömisch-galli- 
schen Scherben  auf  der  Stätte  des  alten  Bibracte  gefunden  sind, 
die  somit  der  Zeit  vor  der  Zerstörung  dieses  Ortes  durch  Caesar 
angehören  4).  Späterer  Zeit,  wohl  erst  dem  I.  nachchristlichen  Jahr- 
hundert, gehört  die  Fabrik  des  Cn.  Ateius  an,  die  massenhaft  in  die 
Provinzen  exportirt  und  von  der  sich  sogar  ein  Stück  in  Britannien 
findet'^).  Wir  kommen  damit  auf  die  Verbreitung  der  arretinischen 
Vasen. 


3.  Die  Verbreitung  der  arretinischen  Vasen. 

Das  durch  die  Fabrikstempel  sicher  als  arretinisch  zu  bestim- 
mende Fabrikat  findet  sich  in  Italien,  in  grosser  Masse  in  Spanien, 
in  Afrika,    vereinzelt  auf  den  griechischen  Inseln  bis  nach  Klein- 


1)  Atti  d.  L.  IV  3.  p.  281. 

2)  F  u  n  g  h  i  n  1  p.  30.  Taf.Nr.  62. 

3)  Wichtig  sind  für  diese  Verhältnisse  die  vorläufigen  Berichte  0  a- 
murrini's  in  den  Notizie  degli  scavi  1893  p.  138  nnd  1894  p.  48. 

4)  Sie  befinden  sich  jetzt  im  Mus.  v.  St.  Germain,  wo  ich  sie  gesehen 
habe.  Es  scheint  mir  keine  Scherbe  darunter,  die  man  späterer  Zeit  zu- 
schreiben müsste. 

5)  C.  VII  1336.  96. 


Terra  sigillata.  51 

asien  hin  ^).  Auch  in  Gallia  Narbonensis  sind  arretinische  Vasen 
noch  sehr  häufig,  seltener  wird  ihr  Vorkommen  im  übrigen  Gallien, 
obgleich  auch  dorthin,  wie  wir  eben  sahen,  schon  in  vorrömischer 
Zeit  einzelne  Stücke  verschleppt  wurden  ^).  Dagegen  sind  an*etinische 
Vasen  in  Germanien,  den  Donanländern  und  Britannien  so  gut  wie 
nicht  nachzuweisen,  mit  einziger  Ausnahme  der  Vasen  des  Ateius, 
von  denen  schon  am  Scblnss  des  vorigen  Abschnittes  die  fiede  war. 
Ich  kenne  aus  diesen  Gegenden  nur  folgende  sichere  Beispiele: 
AVCTVSMPVBLI  und  L  •  TITI  auf  2  TeUeni,  die  auf  einer 
Insel  im  Bieler  See  gefunden  sind »).  T  •  R  V  F  R  E  (nius)  auf 
einem  Gefilss  aus  Windisch  %  L  •  G  E  L  (1  i)  auf  einem  aus  Bilich- 
gratz  ^).  Von  diesen  stammen  die  beiden  ersten  aus  einem  celtischen 
Tumulus,  gehören  also  sicher,  wenn  nicht  in  vorrömische  Zeit,  so 
doch  in  die  erste  Zeit  der  römischen  Besiedlung  jener  Gegenden  ^). 
Wir  müssen  uns  aber  hüten,  aus  dieser  Thatsache  den  Schluss 
zu  ziehen,  dass  zur  Zeit  der  Ausbreitung  römischer  Kultur  in  jenen  a 
Ländern  die  Thonindustrie  in  Arezzo  bereits  erloschen  gewesen 
sei.  Wir  werden  vielmehr  später  sehen,  dass  schon  im  I.  vorchrist- 
lichen Jahrhundert  an  anderen  näher  gelegenen  Orten  Fabriken  der 
rothen  Töpferwaare  entstanden,  die  durch  ihre  günstigere  Lage  zu 
den  nördlichen  Provinzen,  den  arretinischen  Import  in  diese  Gegenden 
gänzlich  verdrängten.  Aus  den  oben  angezogenen  Stellen  des  P 1  i- 
nius  und  M  a  r  t  i  a  1  müssen  wir  den  Schluss  ziehen,  dass  die  Fa-  *- 
brikation  in  Arezzo  das  ganze  I.  nachchristliche  Jahrhundert  hin- 
durch fortgegangen  ist,  selbst  wenn  wir  annehmen  wollten,  dass  der 
Name  vasa  arretina  im  Laufe  der  Zeit  in  ähnlicher  Weise  Gat-  * 
tungsbegriff  geworden,   wie  vasa  sanrta.    Wie  lange  die  Industrie  in 


1)  Qae.  arch.  VI  pl.  33,  2  stammt  von  Melos,  1  aus  Parium  in  Klein- 
asien. 

2)  Beste  arretinische  Waare  ist  u.  A.  das  Fragment  eines  kleinen  Kra« 
ters  der  Form  11,  geschmückt  mit  einer  Fiügelfrau  auf  Ranken  stehend, 
wie  sie  häufig  auf  Campanareliefs  vorkommt.  Das  Fragment  habe  ich 
im  Mus^e  Carnavalet  notirt.  [  Es  ist  in  Paris  beim  Hotel  Dleu  gefunden 
und  trägt  den  Stempel  C  0  AA  M  V  N  I  S ,  stammt  also  vielleicht  ans  der 
Fabrik  des  Memmius,  der  einen  Sklaven  Communis  hatte.  C.  XII  5686.  578. 

3)  Seh.  633,  5464. 

4)  Seh.  4788. 

5)  C.  III  6010.  95. 

6)  B.  J.  V  Taf.  I  2a. 


52  Hans  Dragendorf f: 

Arezzo  dauerte;  können  wir  mit  dem  uns  heute  zu  Gebote  stehenden 
Material  nicht  entscheiden. 

Aus  der  Erwähnung  bei  Isidor  aber  den  Schluss  zu  ziehen, 
dass  die  Fabrikation  bis  ins  Vll.Jahrh.  fortgesetzt  worden  sei,  wie  Fa- 
hr o  n  i  und  neuerdings  erst  wieder  F  u  n  g  h  i  n  i  thnn,  ist  ein  Fehler. 
In  den  Funden  haben  wir  dafUr  gar  keinen  Anhalt.  Isidor  hat 
seine  Kenntnisse  aus  litterarischen  Quellen  geschöpft,  wie  auch  die 
anderen  Angaben  in  seiner  Compilation.  Seine  Zuthat  wird  blos  das 
Zeugniss  des  S  e  d  n  1  i  u  s  sein,  in  dem  r  o  t  h  e  Vasen  erwähnt  wer- 
den. Aber  auch  yon  Sedulius,  der  im  Anfang  des  Y.  Jahr- 
hunderts schreibt,  steht  es  nicht  fest,  dass  er  speziell  arretinisches 
Fabrikat  im  Auge  hatte. 

Die  Hanptbltlthe  der  arretinischen  Töpferei  liegt  zweifellos 
im  ersten  vorchristlichen  Jahrhundert  und  zwar  in  der  ersten  Hälfte 
desselben.  Denn  die  Fabrik  des  Coiiielius,  die,  wie  S.  50  gezeigt, 
bis  in  '  augusteische  Zeit  arbeitet,  zeigt  in  ihrer  Dekoration  schon 
einen  gewissen  Verfall  gegenüber  ihren  Vorgängern.  Bevor  wir 
aber  auf  die  omamentirten  Gefösse  näher  eingehen,  müssen  wir 
noch  die  anderen  italischen  Fabrikationscentren  rother  Vasen  ins 
Auge  fassen. 

VI.   Die   campanischen  Vasen. 

Dass  in  Campanien  im  I.  vorchristlichen  Jahrhundert  Vasen 
gefertigt  und  exportirt  wurden,  bezeugt  Horaz^).  Diese  campanischen 
Vasen  glaubte  Riccio  nachweisen  zu  können  in  Gefässen,  die  in 
Capua  gefunden  wurden,  und  die  er  in  einer  kleinen  Monographie^) 
publizirte.  Ich  kann  den  Beweis  nicht  für  erbracht  ansehen.  Denn 
die  Stempel,  die  Riccio  von  seinen  Vasen  notirt,  sind  fast  durch- 
weg entweder  arretinisch  oder  in  ganz  Italien  so  verbreitet,  dass 
kein  Grund  vorliegt,  auf  ihr  Vorkommen  in  Capua  hin,  sie  dort  zu 
localisiren.  Die  dekorirten  Gef&sse,  die  er  abbildet,  gehören  zu  den 
schönsten  arretinischen;  denn  ihre  figürlichen  Typen  lassen  sich  auf 
arretinischen  Gelassen  nachweisen. 

üebrigens  sind  R i c  c i o  's  Ausführungen  sehr  unklar.  Er  sagt, 
es  seien  auch  Formen   fllr  die  Herstellung  dieser  Vasen  gefunden. 

1)  Sat.  I  6.  117  f.,  IT  3.  142  fF. 

2)  Riccio,  Notizie  degli  scavamenti  nel  suolo  dell'  antica  Capua. 
Napoli  ia55. 


Terra  sigillata.  53 

Als  charakteristisches  Beispiel  bildet  er  auf  seiner  Tafel  VI  eine  Form 
ab,  die  allerdings  von  den  arretinisohen  sehr  verschieden  ist,  aber 
auch  mit  den  von  Ricci o  selbst  vorher  als  campanisch  abge- 
bildeten Gefässen  nicht  das  Mindeste  zu  thun  hat.  Mir  ist  die 
Form  verdächtig.  —  Wir  können  also  einstweilen  über  die  carapani- 
sehen  Vasen  des  Horaz  nichts  näheres  sagen,  ebenso  wenig  über 
die  von  M  a  r  t  i  a  1  und  P 1  i  n  i  u  s  erwähnten  Becher  von  Sorrcnt  *). 


VII.   Die   Fabriken   von   Moden a. 

Mutina  war  schon  von  Alters  her  durch  seine  Topfwaaren 
berühmt  und  wird  auch  von  Piinius  unter  den  Städten,  die  durch 
Töpferei  bekannt  waren,  aufgezählt  ^).  Es  sind  dort  mehrere  antike 
Töpfereien  aufgedeckt,  von  denen  die  eine  einem  L.  Aemilius  Fortisp 
gehörte.  Dieser  fertigte  Ziegel,  Lampen,  Vasen  aller  Art,  darunter 
auch  den  arretinischen  ähnliche^).  Den  Namen  einer  zweiten  Offi- 
cin  in  Mntina  kennen  wir  nicht,  doch  ist  diese  von  noch  grösserer 
Wichtigkeit,  weil  sie  den  üebergang  von  schwarzen  zu  rothen  Ge-* 
fassen  sogar  deutlicher  zeigt  als  die  arretinischen  Töpfereien. 

Es  fanden  sich  dort  erstens  schwarze  Vasen  wie  die  griechisch-  ' 
campanischen,  in  der  Mitte  bisweilen  mit  dem  Abdruck  einer  Gemme 
geschmückt,  was  ja  auch  bei  campanischen  Schalen  vorkommt.  Femer 
„röthliche"  Teller,  die  also  offenbar  keine  eigentliche  Glasur  haben.  ^' 
Hiermit  sind  die  Vasen  des  Popilius  und  einzelne  vorarretinische  in 
der  esquilinischen  Nekropole  zu  vergleichen  (vergl.  oben  S.  37  u.  39). 
Ihr  Boden  ist  mit  kleinen  im  Kreise  angeordneten  Palraetten  ver- 
ziert, wie  sie  bei  griechischen  und  unteritalischen  Schalen,  aber 
auch  bei  schwarzen  arretinischen  vorkommen*).  Endlich  wurden 
Vasen  von  der  Art  der  arretinischen  gefunden.  Man  sieht  hier 
deutlich,  dass  sich  die  ersten  rothen  Gefassc  eng  an  die  schwar- 
zen anschliessen,  und  wird  den  üebergang  in  Mutina  eher  früher  an- 
setzen als  in  Arezzo. 


1)  Mart.  XIV  102.  XIII  110.    Plin.  XXXV  160. 

2)  N.  H.  XXXV  160,  vergl.  Livius  XLI  14.  2  u.  18.  4. 

3)  B.  d.  J.  1837.  p.  10  fF.  1875.  p.  192  ff. 

4)  F  a  b  r  0  n  i  Taf.  I  Nr.  1. 


54  Hans  Dr  agendo  r  f  f : 

VIII.   Die   puteolanischen  Vasen. 

In  Puteoli  wurden  1874  grosse  Töpfereien  aufgedeckt,  in  denen 
rothe  Vasen  von  der  Art  der  arrctinisehen  gefertigt  wurden.  Es 
wurden  eine  grosse  Menge  Bruchstücke  von  Vasen  und  Vasenformen 
dort  gefunden,  die  sich  jetzt  zum  Theil  im  Berliner  Museum  be- 
finden 1). 

Bei  den  antiken  Schriftsteilem  haben  wir  keine  Ei-wähnung 
puteolanischer  Vasen.  Doch  schon  zu  Tibulls  Zeiten  waren  neben 
samischem  Geschirr  die  Vasen  des  Puteoli  benachbarten  Cumae  be- 
rühmt >).  Auch  PliniuB  nennt  diesen  Ort  in  seiner  Aufzählung  der 
berühmten  Töpferstädte.  Dass  die  cumanischen  Vasen  von  rother  Farbe 
waren,  erfahren  wir  aus  MartiaP).  Es  scheint  mir  danach  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  die  in  Puteoli  gefundenen  und  gefertigten 
^  Vasen  in  Zusammenhang  mit  den  cumanischen  zu  bringen  sind, 
besonders  da  sich  angeblich  in  Puteoli  der  Thon,  ans  dem  die  Vasen 
gemacht  sind^  nicht  findet,  es  daher  nicht  glaublich  scheint,  dass 
sich  dort  selbstständig  eine  Töpferindustrie  entwickelt  habe. 

In  dem  Schutte  der  puteolanischen  Töpfereien  lassen  sich  eine 
ganze  Reihe  von  arretinischen  Stempeln  nachweisen*).  Es  wird 
daraus  zu  schliessen  sein,  dass  zur  Zeit  des  Aufblühens  der  puteo- 
lanischen Töpfereien  Arretium  schon  so  sehr  den  Markt  beherrschte, 
dass  sich  die  puteolanischen  Töpfer  gezwungen  sahen,  auch  mit 
arretinischem  Geschirr  zu  handeln,  ähnlich  wie  unsere  Porzellan- 
fabriken neben  eigenem  Fabrikat  das  anderer  Fabriken  zu  führen 
pflegen.  Dass  die  puteolanischen  Töpfereien  später  sind  als  die 
•  ältesten  arretinischen,  wird  sich  unten  auch  aus  dem  Vergleiche 
der  Ornamente  ergeben. 

Die  grösste  der  puteolanischen  Fabriken,  diejenige,  von  der 
ich  allein  ornamentirte  Gefässe  kenne,  ist  die  des  Numerius  Naevius 
Hilarus*).  11  seiner  Sklaven  können  wir  nachweisen:  Agatheme- 
nis,  Atticus,  Garbo  Cocco,  Favor,  Felix,  Hermiscius,  Primus,  Specu- 
lator,  Tertius,  Valens,  Vitulus. 


1)  B.  d.  J.  1875.  p.  242  flf. 

2)  TibuU.  II  3.  47  f. 

3)  Martial  XIV  114. 

4)  B.  d.  J.  1876  p.  251  ff. 

5)  Der  volle  Name  ergiebt  sich  z.  B.  aus  C.  X  8056.  229.      Häufig 
sind  die  Gefässe  nur  N  -  N  -  H  signirt. 


Terra  eigillata.  65 

Eine  zweite  Fabrik  ist  die  des  Q.  Pompeius  Serenus^  eine 
dritte  die  des  Luc.  Valerius  Titos.  Die  puteolanischen  Töpfer  sig- 
niren  in  derselben  Weise,  wie  die  arretinischen. 

Bei  ihren  Fabrikaten  können  wir  keine  so  weite  Verbreitung 
nachweisen.     Fast  alle  sind  in  Süd-Italien   oder  Spanien  gefunden 
Ein  Gefäss   des  Pompeius  Screnus  kenne   ich    aus  Nemausus^,  — 

Sicher  hat  es  noch  an  vielen  anderen  Orten  Italiens  Töpfe- 
reien gegeben,  in  denen  Terra  sigillata  gefertigt  wurde.  Doch 
ist  darüber  vorab  noch  nichts  sicheres  bekannt.  Ich  gehe  daher 
auf  die  Betrachtung  der  Veraierung  der  Gefässe  über. 


IX.   Die   ornamentirten   Gefässe. 

1.  Herstellung. 

Kurz  mnss  ich  hier  auf  die  technische  Herstellung  der  orna- 
mentirten arretinischen  Gefässe  eingehen,  indem  ich  bemerke,  dass 
das  darüber  Gesagte  in  allem  Wesentlichen  auch  für  die  übrigen 
dekorirten  Terra  sigillata-Gefässe  gilt. 

Die  Töpfer  besassen  jedes  einzelne  Dekorationselement,  sei 
es  nun  figürlich  oder  omamental,  als  gesonderten  convexen  Stempel, 
fein  in  Thon  modellirt  2).  Es  wurde  nun  eine  Schüssel  mit  ziemlich 
dicken  Wandungen  gedreht,  deren  innerer  Contoar  der  Form  ent- 
sprach, die  das  zu  verfertigende  Gefäss  erhalten  sollte.  In  die 
noch  weiche  Wandung  wurden  die  Stempel  eingedrückt ,  sodass 
also  die  Formschüssel  alle  Ornamente  concav  an  der  Innenseite 
zeigte.  Diese  Schüssel  wurde  gebrannt  und  dann  in  ihr  das  eigent- 
liche Gefäss  geformt.  Durch  das  Trocknen  zieht  sich  dieses  soweit 
zusammen,  dass  es  aus  der  Form  genommen  und  dann  gebrannt  wer- 
den kann.  Stückformen,  die  aus  mehreren  Theilen  zusammengesetzt 
und  nach  der  Herstellung  des  Gewisses  wieder  auseinandergenommen 


1)  C.  Xn  5686.  696. 

2)  Ein  Stempel  aus  Arezzo  ist  abgebildet  bei  Fabroni  Taf.  Y.  4. 
y.  Hefner  (S.  25)  spricht  auch  von  der  Möglichkeit,  dass  Metallstempel 
verwendet  seien.  Beispiele  führt  er  nicht  an.  Ich  habe  immer  nur  Stem- 
pel aus  Thon  gesehen  und  für  Arezzo  erwähnt  auchFunghini  nurThon- 
atempel  (p.  19). 


56  HansDrageudorff: 

worden  wären,  Bind  nicht  nachweislicb.    Alle  heil  erhaltenen  Formen 

*  sind  ans  einem  Stttek^). 

Durch  diese  Art  derHeretcllungistdieFoiin  derGefässe  in  gewisser 
Hinsicht  bedingt.    Der  ornamentirte  Theil  darf  sich  nach  oben  zu  nicht 

^  verjüngen.    Um  dennoch    grössere  Mannigfaltigkeit    der  Form   er- 

0  zielen  zu  können,  halfen  sich  die  Töpfer  dadurch,  dass  sie  Fuss  und 
Rand  des  Gefässes  ohne  Form  herstellten  und  an  den  ornamentirten 
Theil  ansetzten.  Die  Formschllsseln  reichen  daher  immer  nur  bis 
zu  dem  Ornament,  das  Bauch  und  Rand  trennt. 

Es  sind  leider  noch  sehr  wenig  ornamentirte  aiTctinische  Ge- 
ßlsse  abgebildet.  Was  ich  an  Formen  ermitteln  konnte,  findet 
sich  auf  der  Formtafel  I  unter  Nr.  9 — 14:  Fragmente  von  solchen 
Gefassen,  an  verschiedenen  Orten  gefunden,  sind  von  Fabroni 
auf  den  seiner  Arbeit  beigefügten  Tafeln  publizirt,  einige  andere 
Gaz.  Arch.  VI  pl.  33,  Fragmente  aus  der  Fabrik  des  Cornelius 
bei  Inghirami  Mou.  etr.  V  Taf.  1,  aus  der  des  Pereunius  in 
schönen  Lichtdrucken  bei  Gamurrini  Atti  d.  L,  IV  1.  Taf.  1 — 3, 
wo  auch  noch  andere  Typen,  zu  Gruppen  geordnet,  im  Text 
beschrieben  sind  *).  Dazu  kommen  noch  2  Geßlsse  des  Lonvre  bei 
Rayet  und  Collignon  p.  357  und  die  von  Riccio  als  campanisch 
herausgegebenen.  Ausserdem  konnte  ich  Gipsabgüsse  arretinischer 
Fragmente  der  Sammlung  Dressel  benutzen,  die  sich  jetzt  im 
Dresdener  Museum  befinden. 

Von  Erzeugnissen  der  puteolanischen  Töpfereien  ist  noch  nichts 
veröffentlicht.  Ich  publizire  deshalb  auf  Taf.  IV,  V  und  VI  unter 
Nr.  22 — 77  einen  Theil  der  Foimen  des  Berliner  Museums,  die  ich 
nach  einer  von  Furtwaengler  für  das  Bonner  Kunstmuseum  ge- 
troffenen Auswahl  in  öipsausgüssen  benutzen  konnte.  Schon 
ans  dem  bisher  zugänglichen,  höchst  lückenhaften  Material  lässt 
sich  aber  erkennen,   dass  keine  freien  Erfindungen  der  Töpfer  vor- 

V  liegen,  sondern  dass  bekannte  Typen  benutzt  sind  und  ihre  Kennt- 
niss  den  Töpfern  durch  mehrere,  selbstständig  nebeneinander  be- 
stehende Mustersammlungen  vermittelt  worden  ist. 

Wie  bei  allen  Relicfgefässen  wird  man  auch  bei  den  rothen  a 
priori  auf  toreutische  Vorbilder  schliessen.  Im  Einzelnen  bestätigen 
das  auch  die  Formen  der  Vasen  und  die  Vorlagen,  die  bei  der  Dekoration 


1)  Z.  B.  Fabroni  Taf.  VUI. 

2)  Ich  citire  diese  nach  Gamurrini*s  Nummerirung. 


Terra  sigillata.  57 

in  Anwendung  gekommen  sind.    Die  besten  arretiniBchen  Vasen  er- 
innern in  der  Art,  wie  das  Relief  gleichsam  aus  dem  Grund  heraus-  ^ 
wächst,  wie  der  Kontur  weich  mit  dem  Grunde  verschmilzt,  in  der 
oft  bewunderungswürdig  feinen  Ausführung  des  Details  unmittelbar 
an  getriebene   und  nachciselirte  Metallarbeiten.    Bei  den  puteolani- 
schen  Gewissen  ist  diese  sorgfältige  Nachahmung  des  Stiles  getrie- 
bener   toreutischer    Arbeiten    mehr    ausser    Acht    gelassen.      Hier 
springt    die    Dekoration    oft    hart     und    unvermittelt     aus    dem « 
Grund  h^aus   (z.  B.  bei  der  Eentaurenvase  Taf.  IV.  27  u.  28),  so- 
dass die  Figuren  wie  aufgesetzt,  nicht  mehr  wie  von  innen  heraus- 
getrieben   scheinen.      Aus    dieser    technischen    EigenthOmlichkeit 
Schlüsse  auf  die  Art    der    toreutischen  Vorbilder  zu  ziehen,   etwa 
anzunehmen,  dass  die  puteolanischen  Töpfer  Metallgeräth  mit  em- 
blemartig  aufgehefteten   Ornamenten  imitirt    hätten,   die  Arretiner 
getriebene  Arbeiten,  scheint  mir  nicht  statthaft.     Denn  wir  werden 
später  sehen,  dass  die  puteolanischen   und  ein  Theil   der  arretini-« 
sehen  Töpfer  die  gleichen  Vorlagen  benutzen.    Wenn  wir  die  ganze 
Compositionsweise  betrachten,  werden  wir  vielmehr  zu  dem  Schlüsse 
gedrängt,  dass  gerade  diese  II.  Classe  der  ornamentirten  Vasen  mit 
ihrer  Vorliebe  fUr  raumfüllendes  Beiwerk,  dem  starken  Betonen  der 
Landschaft  u.  s.  w.  Metallarbeiten  zum  Vorbild  genommen  hat,  bei 
denen  die  Dekoration  aus  dem  Grunde  herausgetrieben  war,  dagegen  * 
die  erste  Classe,  die  ihre  Figuren  ohne  verbindendes  Beiwerk  para- 
taktisch  anordnet,   mehr   dem   Stile  solcher  toreutischer  Arbeiten 
entspricht,    bei   denen    die  einzelne  Figur   für  sich   gearbeitet  und* 
auf  den  Grund  aufgeheftet  wurde.    Es  mag  das  zum  Theil  an  der 
ähnlichen  Herstellung  der  Thongefasse  liegen.     Doch   ist   es  auch 
möglich,  dass  die  benutzten  Muster  wirklich  zum  Theil  mit  Emble-« 
men  verzierte  Metallarbeiten  waren. 

Die  Frage,  ob  alle  arretinischen  Fabriken  auch  Reliefgefasse 
hergestellt  haben,  muss  vorläufig  offen  gelassen  werden.  Ich 
kenne  bisher  solche  nur  aus  den  Fabriken  des  G.  Annius,  L. 
Annius,  P.  Cornelius,  M.  Perennius,  L.  Rasinius,  Tettius  und  Vi-  * 
bienus  *).  Die  GefUsse  des  Perennius  und  Cornelius  übei-wiegen  bei 
Weitem.  Doch  kann  dies  Zufall  sein,  da  wir  über  diese  Fabriken 
dank  Gamurrini's  sorgfältigen  Untersuchungen  am  besten  unter- 
richtet sind. 


1)  Atti  d.  L.  m  11.  462. 


58  Hans  Dragen  dorf  f : 


2.   Die   Vasen   der  I.  Klasse. 

Als  Vasen  der  ersten  Klasse  bezeichne  ich  diejenigen^  welche 
mit  einer  umlaufenden  Reihe  gewöhnlich  gleichartiger,  immer  aber 
gleich  grosser  Figuren  verziert  sind.  Das  Terrain  wird  nicht  an- 
gegeben. Das  Beiwerk  ist  auf  das  geringste  Maass  beschränkt.  Wo 
sich  Kränze  und  Guirlanden  finden,  sind  sie  nur  ganz  scheraatisch 
und  conventionell  angedeutet,  ohne  alle  nähere  Charakteristik  oder 
naturalistische  Ausführung.  Die  zu  dekorirende  Fläche  bildet  einen 
zusammenhängenden  Streifen,  der  bisweilen  eine  vertikale  Gliederung 
durch  Säulen,  Hermen  oder  mit  Statuen  geschmflckte  Pfeiler  er< 
hält,  nie  aber  horizontal  gegliedert  ist. 

E^  sind  diese  Gefässe  in  der  Ausführung  besonders  fein  und 
stammen,  soweit  es  sich  kontroUiren  lässt,  alle  aus  der  Fabrik  des 
Perennius.  ^ 

Ich  gehe  die  einzelnen  Figurencyklen,  die  hier  vorkommen, 
durch.  Es  wird  sich  dabei  zeigen,  dass  sie  auch  in  der  Wahl  ihrer 
Vorbilder  eine  geschlossene,  von  den  anderen  sich  sondernde 
Gruppe  bilden. 


a)   Kalathiskostänzerinnen. 

Auf  zahlreichen  Marmor-  und  Thonreliefs  sieht  man  Tänze- 
rinnen in  kurzem,  kaum  bis  an  die  Kniee  reichendem,  dorischem 
Chiton,  die  auf  dem  Kopfe  einen  Kalathos  tragen.  Sie  schreiten  auf 
den  Zehen,  die  Arme  rythmisch  gehoben. 

Alle  diese  Figuren  lassen  sich  durch  ihren  Stil  und  ihr  gemein- 
*  sames  Vorkommen  als  Glieder  eines  aus  wenigstens  1 1  gleichai-tigen 
Gestalten  bestehenden  Cyklus  erkennen.  Auf  arretinischen  Gef&ssen 
kommen  7  verschiedene  Typen  vor,  4  auf  dem  von  Ricci o  Taf.  V 
publizierten  Gefilss,  das  nebenstehend  (Fig.  14  u.  14a)  wiederholt 
wird,  2  auf  einem  der  von  Gamurrini  herausgegebenen  Frag- 
mente*), die  7.  wird  ebendort  im  Text  erwähnt.  Zu  welchem 
Typus  der  Kopf  einer  Kalathiskostänzerin  auf  einem  Fragment  in 
Sfevres  gehört,  lässt  sich  nicht  bestimmen.  Der  Unterschied  liegt 
immer  nur  in  der  Armhaltung  und  der  Drehung  des  Kopfes,  wes- 
halb ich  nur  diese  in  der  Beschreibung  erwähne. 


%)  Atti  d.  U  IV  1.  Taf.  I  2. 


TeiTa  sigillata. 


Ö9 


Fig.  14. 

1)  Oberarme  in  Schtilterhöhe  vorgestreckt,  Unterarme  senkrecht  in 
die  Höhe  gehoben  (Riccio  1). 

2)  Bechter  Arm  schräg  abwärts  gestreckt,  linker  hinter   dem  Kopf 
gehoben  (Riccio  2). 

3)  Beide  Hände  auf  die  Brust  gelegt,   der  Kopf  ziu'ückgewandt 
(Riccio  3). 

4)  Linker  Arm   wagerecht  in   Schulterhöhe   vorgestreckt,  rechter 
gesenkt  und  in  rechtem  Winkel  gebogen  (Riccio  4). 

5)  =3,  aber  der  Kopf  vorwärts  gewandt  (Atti  d.  L.  a.  a.O.  Taf.V2). 

6)  Rechter  Arm  auf  die  Brust  gelegt,  linker  abwärts  zurückgestreckt 
(ebendort). 

7)  Rechter  Arm  vorgestreckt,  linker  auf  die  Brust  gelegt  (a.  a.  O. 
p.  86  Gruppe  V  Nr.  3). 

2  kehrt  auf  einer  Marmorbasis  und  auf  einem  Pariser  Relief*) 
mit  einem  neuen  Typus  wieder: 

8)  Oberarme  in  Schulterhöhe  nach  beiden  Seiten  gestreckt,   Unter- 
arme gehoben. 

Drei  neue  Typen  gibt  ein  Kandelaberrelief,  das  Zoega  publi- 
zirt  hat*): 

9)  Linke  Hand  an  den  Kopf  gelegt,  rechter  Arm  wie  in  6  der  linke 
bewegt. 

10)  Sehr  ähnUch  9,   nur  hält  die  linke  Hand  eine  Schale  mit  Früch- 
ten in  die  Höhe. 

11)  Beide  Hände  sind  zum  Klatschen  gehoben. 

1  und  4  kehren  auf  einem  Campanarelief  wieder  *),    2  und  7 
auf  zwei  Marmorreliefs  im   Berliner  Museum*),    7  auch   auf  einer 

1)  Clarac  pl.  167  u.  168. 

2)  Zoega,  Bassi  rilievi  I  Taf.  XX. 

3)  Campana,    Op.  in  plastica  Taf.  IV. 

4)  Arch.  Anz.  1893   S.  76  u.  77  (Kekulö).    Vergl.  Furtwaeng- 
1er  M.  W.  S.  202. 


60  Hans  Dragendorff: 

Münze  von  Abdera  *),  4  und  5  auf  einem  neuattischen  Relief*), 
9  und  10  auf  einem  Marmorkrater,  verbunden  mit  einer  den  Sieges- 
trank  kredenzenden  Nike^),  über  die  später  noch  zu  handeln 
sein  wird. 

Aus  der  verschiedenen  Verbindung  dieser  Typen  mit  einander 
erhellt,   dass  wir   es  ^it  einem  Cyclus   derartiger  Tänzerinnen  zu 
thun  haben,  der  als  Vorlage  sowohl  den  arretini- 
schen   Töpfern   als   den  Verfertigem  neuattischer 
und  Campana-Reliefs  zugänglich  war.    Von  diesen 
drei  Denkmälerklassen  steht  fest,  dass  sie  toreu- 
tische  Vorbilder  bevorzugen.     Auch  das  Original         Fig.  14a. 
der    Kalathiskostänzerinnen   wird  seinem  Stil    nach  ein   Werk  der 
Toreutik  gewesen  sein. 

Dieses  dürfte  von  demselben  Künstler  oder  doch  jedenfalls 
aus  demselben  Kunstkreis  herrühren  wie  das  Original  der  „schwär- 
menden Maenaden":  die  Behandlung  der  Gewänder,  die  Propor- 
ilonen  des  Körpers,  die  Stilisirnng  der  Haare  ist  in  beiden  Gyklen 
nächst  verwandt. 

Nun  hat  allerdings  Winter  das  Vorbild  all  unserer  Maenaden- 
Oreliefs  in  einem  Marmorrelief  vom  Esquilin  erhalten  geglaubt,  aber 
Fnrtwaengler  hat  gegen  diese  Vermuthung  berechtigten  Einspruch 
erhoben.  Ob  Furtwaengler's  eigene  Annahme  (M.W.S.  202),  dieKala- 
thiskostänzerinnen  der  Reliefs  seien  den  saltantes  Lacaenae  des  Kalli- 
machos  nachgebildet,  das  Richtige  trifft,  würde  eine  eingehende  Unter- 
suchung erfordern,  für  die  hier  nicht  der  Ort  ist.  Es  wäre  nament- 
lich zu  erörtern,  ob  irgend  etwas  dafür  spricht,  dass  die  Tänzerinnen 
•je  statuarisch  ausgeführt  gewesen  sind  und  nicht  vielmehr  fUr  Re- 
lief erfunden,  ob  man  wahrscheinlich  machen  kann,  dass  die  Ballet- 
röckehen  lakonische  Tracht  gewesen  oder  doch  dafür  gehal- 
ten worden  sind,  ob  wie  der  Kultbrauch,  der  dargestellt  wird,  nicht 
auch  Stil  und  Technik  auf  ein  kleinasiatiscbes  Vorbild  hindeuten. 
Die  früheste  und  monumentalste  Vertreterin  dieses  Stils  bleibt  die 
Nike  des  Paionios. 


1)  Berl.  Münzeabinet  I  Taf.  IV  38. 

2)  Zoega,  Bassi  rilievi  I  21. 

3)  Hauser,  Neuatt.  Reliefs.  S.  96  Nr.  18. 


Terra  sigillata.  61 

b.   Figuren   des  dionysischen   Thiasos. 

I.   Schwärmende   Maenaden. 

Atti  d.  L.  a.  a.  O.  Taf.  III,  1. 

1)  Die  Maenade  hat  den  1.  Ami  gesenkt,  den  rechten  zurückge- 
streckt. Das  hinter  ihrem  Rücken  sichtbare  Tympanon  hängt,  wie  oft 
bei  diesen  Gefässen,  an  der  Guirlande,  da  man  es  der  Frau  kaum  in  die 
Hand  geben  kann,  ohne  ihren  Arm  gewaltsam  zu  verdrehen.  Aehnlich 
Hauser  32. 

Zwei  andere  Maenaden  finden  sich  auf  dem  Fi*agment  Gaz. 
arch.  VI  pl.  33  4,  das  in  Arezzo  gefunden  und  durch  seinen 
Stempel  (BARGAE)  als  aus  Perennius  Fabrik  stammend  erwiesen  ist. 
Die  eine 

2)  schlägt  das  Tympanon  und  entspricht  in  Kopf-  und  Armhaltung 
Haus  er  24,  ist  aber  voller  bekleidet.  Sie  kehrt  wieder  auf  der  Scherbe 
Fabroni  Taf.  I  5.     Die  andere 

3)  hält  in  der  vorgestreckten  Linken  den  Thyrsus,  die  rechte  Hand 
fasst  den  Mantel  und  ist  zurückgestreckt,  wie  Hauser  26. 

Die  kunstgeschichtliche  Stellung  der  Maenaden  wurde  schon 
bei  Besprechung  der  Kalathiskos-Tänzerinnen  berührt.  Wo  man  Vor- 
lagen ftir  derartige  Maenaden  finden  konnte^  zeigt  das  in  Kleinasien 
gefundene  Kybelerelief  der  Sammlung  Sabouroff ,  Taf.  CXXXVII,r 
auf  dem  die  Anten  des  Tempels  mit  Metullreliefs  verkleidet-  er- 
scheinen *). 

n.  Dionysisches  Opfer. 
Atti  d.  L.  a.  a.  0.  p.  84  f.,  Gruppe  II. 

1)  Nackter  Satyr,  mit  einem  Schlauch  in  der  linken,  einer  Fackel 
in  der  rechten  Hand. 

2)  Nackter  unbärtiger  Satyr  mit  gesenkter  Fackel.   St.  PERENN- 

3)  Weibliche  Figur  in  langem  Gewand,  die  ein  Ferkel  an  den 
Beinen  hält. 

4)  Satyr,  der  knieend  ein  Ferkel  schlachtet. 

5)  Frau  in  langem  Gewand,  trägt  auf  der  Schulter  einen  Korb  mit 
Früchten.   In  der  gesenkten  Hand  hält  sie  eine  Oinochoe.  (St.  PILADES.) 

6)  Bärtiger  Satyr  mit  Chiton.    Auf  dem  Arme  trägt  er  ein  Rind. 

7)  Eine  Figur  (ob  männlich  oder  weiblich,  ist  in  der  Beschreibung 
nicht  gesagt)  in  die  Tunica  gekleidet,  den  Kopf  mit  einem  Gewandstück 
verhüllt,  beu^  sich  über  einen  Altar,  den  sie  .bekränzt. 

in.   Trinkende  und  tanzende   Satyrn. 
Atti  d.  L.  a.  a.  O.  p.  86,  Gruppe  HL 
1)  Bärtiger  Satyr  mit  dem  Pantherfell  auf  dem  Kücken,  in  der  einen 


1)  Vgl.  B.  J.  XCV  S. 


62  Haue  Dragendorff: 

Hand  eine  Schale,  in  der  anderen  den  Thyrsus,  vor  ihm  steht  ein  grosser 
Krater.    Vgl.  Hauser  S.  98.  24  ff.,  S.  101.  32. 

Eine  ähnliche  Figur  auf  einem  Fragment  in  Dresden  (Taf.  IV  6). 

2  u.  3)  Ein  alter  und  ein  junger  Satyr  giessen  aus  Schläuchen, 
die  sie  auf  der  Schulter  tragen,  Wein  in  eine  grosse  Amphora.  Hinter  2  steht 

4)  Satyr  mit  Schale  und  Kranz  in  den  Händen, 

5)  Satyr,  bekränzt,  hält  in  der  Linken  ein  Pedum,  in  der  Rechten 
einen  Becher. 

Alle  diese  Figuren  kommen  zusammen  vor.     Mit  2  verbunden 

6)  flötenblasender  Satyr  mit  dem  Fell  auf  dem  Rücken  (Haus er  23), 
er  findet  sich  auch  auf  einem  Dresdener  Fragmente  verbunden  mit 

7)  nackter  Satyr.    Das  um   den  Hais  geknotete  Fell  hängt  hinter- 
dem  Rücken  herab.    Er  trägt  einen  Bock  auf  den  Schultern  (Taf.  IV  2). 

8)  Ferner  kommt  mit  6  zusammen  auf  einem  Dresdener  Fragment 
eine  langgewandetc  Maenade  vor,  langsam  nach  rechts  schreitend,  in 
derL.  hält  sie  den  Thyrsus,  in  der  gesenkten  R.  eine  Oinochoe  (Taf.  IV  3). 

Demselben  Kreise  gehört  endlich  ein  Berliner  Fragment  an, 
auf  dem  neben  einer  Muse  mit  Pedum  und  Rolle  (s.  unten  S.  70) 
sich  9  und  10  finden  (Taf.  IV  4). 

9)  Tanzender  Satyr,  das  Fell  über  der  L  Schulter,  Becken  schlagend 
(Hauser  19,  Fabroni  Taf.  III  4)  und 

10)  Rest  eines  bärtigen  Satyrs  nach  rechts  schreitend. 

11)  Auf  neuattischen  Reliefs,  femer  auf  Gemmen  (Arch.  Jahrb.  1888 
Taf.  10,  24)  u.  s.  w.  sehr  häufig,  ^in  nach  links  springender  Satyr,  der 
über  den  mit  dem  Kantharos  vorgestreckten  1.  Arm  das  Fell  hängen  hat, 
und  in  der  weit  zurückgestreckten  r.  Hand  den  Thyrsus  Schwingt.  H  aus  er 
S.  9Ä  27.  Mus.  Borb.  II  28,  3.  Clarac  II  179,  170.  Auch  dieser  kehrt 
wieder  auf  einem  Dresdener  Fragment:    Taf.  FV  5. 

IV.  Satyrn  bei  der  Weinlese. 
Atti  d.  L.  a.  a.  0.  p.  89,  Gruppe  VII. 

1)  Bärtiger  naekter  Satyr,  nach  r.,  tritt  die  am  Boden  Hegenden 
Trauben  aus.    Von  links  kommt 

2)  ein  jugendlicher  Satyr  heran,  der  in  dem  vor  die  Brust  gehaltenen 
Fell  Trauben  herzuträgt  (Atti  a.  a.  0.  Taf.  III  3). 

3)  Bärtiger  Satyr  nach  links,  ganz  entsprechend  a,  aber  mit  einem 
kleinen  Schurz  bekleidet  auf  einem  Dresdener  Fragment,  neben  ihm 

4)  jugendlicher  Satyr,  der  Trauben  in  das  vor  ^ie  Brust  gehaltene 
Fell  pflückt  (Taf.  IV  1). 

Dieselben  Figuren  finden  sieh  atdf  dem  von  Fnnghini  anter 
Nr.  64  abgebildeten  GefUssc  und  sind  auch  auf  neuattischen  Reliefs 
nachzuweisen.     Vgl.  Hauser  S.  103;  35.  Mus.  Borb.  II  ^ 

ß 

4 


\n 


Terra  sigillatn.  63 

V.  Dionysos  auf  dem  von  Kentauren  gesogenen  Wagen 
mit  Gefolge. 

Atti  d.  L.  a.  a.  0.  p.  85,  Gruppe  IV, 

Hierher  gehört  vor  allem  der  Krater  im  Lonvre  (Rayet- 
ColHgnon  p.  357)  und  ein  Fragment  in  Dresden. 

Wagen  mit  sitzendem  Dionysos,  neben  dem  Wagen  schreitet 
eine  Frau.  Vorgespannt  sind  2  bärtige  Kentauren,  denen  die  Hände 
auf  den  Rücken  gefesselt  sind.  So  auf  dem  Pariser  und  dem  Dres- 
dener Exemplar.  Im  Pariser  werden  sie  von  einem  Jüngling  in 
kurzem  Chiton,  der  eine  Peitsche  hält,  geführt.  Auf  dem  Dresdener 
Exemplar  (Taf.  lY  8)  steht  ihnen  zugewandt  ein  bärtiger  Silen 
mit  einem  Schurz  bekleidet,  der  einen  Schlauch  auf  dem  Rücken 
trägt  und  ihnen  den  Thyrsus  entgegenstreckt.  Vor  ihm  schreitet 
ein  Mädchen  in  dorischem  Chiton  (Taf.  IV  8),  das  die  Schild- 
krötenleier spielt;  vor  dem  Jüngling  2  Mädchen  mit  Cisten.  Auf 
dem  Wagen  raht  bei  einzelnen  Exemplaren  ein  gelagerter  Mann,  in 
anderen  zügelt  eine  Frau  die  Kentauren.  In  der  linken  Hand  hält 
sie  eine  Schale.  Es  ist  also  wieder  eine  grössere  Komposition  • 
die  Vorlage,  aus  der  willkürlich  bald  diese,  bald  jene  Figuren  aus- 
gewählt und  verwendet  sind.  Aehnliche  Dai'stellungen  kenne  ich 
von  neuattischen  Reliefs  nicht,  wohl  aber  kommen  sie  auf  den 
ihnen  nahestehenden  Sarkophagen  vor. 

c.  Oeflfigelte  Genien. 

Zwei  geflügelte  weibliche  Genien  stehen  einander  zugekehrt. 
Sie  sind  nackt  bis  anf  einen  Schurz.  Die  eine  bläst  die  Doppel- 
flöte, die  andere  spielt  Leier.  Getrennt  sind  sie  durch  ein  Acanthus^ 
blatt  (z.  B.  Atti  d.  L.  a.  a.  0.  Taf.  I.  3),  oder  ein  Oraament  mili 
Aehren  (auf  einem  Dresdener  Fragment),  auch  ein  Altar,  eine  Am- 
phora, ein  Dreifuss  oder  Candelaber  kommt  vor  (Atti  d.  L.  a.  a.  0. 
Gruppe  I  p.  83).  Dieselben  Genien  kehren  wieder  auf  einem  Cam- 
panarelief^). 

Zwei  andere  weibliche  Genien^  die  einen  Dreifnss  bekränzen, 
bietet  Atti  d.  L.  a.  a.  0.  Taf.  III  6.  Sie  tragen  einen  durchsichti- 
gen Chiton,  ähnlich   den  Kalathiskosttozerinnen.    Dass  er  nur  bis 


1)  Campana,  Op.  in  plastica  Taf.  CXI. 


64  Hang  Dragendorff : 

an  die  Kniee  reichte,  zeigen  ein  Fragment,  das  ich  v.  Bissing  ver- 
danke, nnd  die  Stuckreliefs  des  römischen  Hauses  bei  der  Far- 
nesina ^).  In  der  Bewegung,  der  Arm-  und  Handhaltung  stimmen 
«  diese  ganz  mit  der  auf  den  neuattischen  Reliefs  so  häufigen  Nike 
überein,  die  aus  der  hocherhobenen  Rechten  den  Siegestrank  in  die 
Schale  giesst^).  Diese  Nike  kommt  einmal  sogar  mit  2  Kalathiskos* 
tänzerinnen  vor,  wodurch  sie  ganz  an  unsere  Vorlagensammlung 
angeschlossen  wird^). 

d.  Hören. 

Zu  den  schönsten  arretinischen  Gewissen  gehört  der  von 
Riccio  fnr  campanisch  erklärte,  beistehend  nach  seiner  Abbil- 
dung reproducirte  Krater,   den   ich  bereits  oben   (S.  52)   den  arre- 


Fig.  15. 

tinischen  zugezählt  habe.  Dass  dies  berechtigt  ist,  habe  ich 
nachträglich  aus  einem  Fragmente  des  Louvre  gesehen,  das  wahr- 
scheinlich  wie  andere   dort  befindliche  Stücke  aus  Arezzo  stanmit^ 


1)  M.  d.  J.  Suppl.  Taf.  XXXIV  und  XXXV. 

2)  Z.  B.  Zoega,  Basal  ril,  Taf.  LXX. 

3}  Michaelis,  Anc.  marbles  p.  638  no.  66. 


Terra  si^llata.  65 

imd  das  die  eine  der  Hören  erkennen  lägst  ^).  Zu  demselben  Re- 
sultat führt,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  auch  die  De- 
koration selbst.  Die  Hören  schreiten  in  feierlichem  Zuge  hinter 
einander  her,  jede  durch  ihre  Gaben  gekennzeichnet.  Getrennt  sind 
sie  durch  Pfeiler,  auf  denen  eine  Pansmaske  liegt,  und  die  durch 
Guirlanden  verbunden  sind ;  nur  vor  der  Winterhore  steht  statt  dessen 
ein  grosser  Candelaber.  Der  Winter  trägt  Jagdbeute.  Ihm  folgt 
der  Sommer  mit  Aehren  und  Kränzen,  dann  der  Frühling  mit 
Blüthen,  endlich,  das  Haupt  mit  einem  Tuche  bedeckt,  die  Höre  des 
Herbstes;  auf  der  linken  Hand  hält  sie  einen  Korb  mit  Früchten,  die 
rechte  fasst  die  Vorderfüsse  eines  Ziegenböckleins)  das  vor  ihr  steht. 
Sie  blickt  nicht  wie  die  anderen  gerade  ans,  sondern  nach  dem 
Beschauer  zu. 

In  diesen  Hören  sind  Nachbildungen  eines  berühmten  Kunst- 
werkes erhalten,  wie  allein  die  grosse  Zahl  der  Repliken  lehrt,  die  * 
von  Robert  zusammengestellt  sind*).  In  Einzelheiten  finden  sich - 
kleine  Abweichungen.  So  hat  z.  B.  die  Herbsthore  auf  dem  Altar- 
relicf  in  Villa  Albani^)  und  einem  Campanarelief ^)  kein  Kopftuch, 
blickt  auf  dem  Campanarelief  ausserdem  nicht  zurück  und  zieht 
den  Bock  hinter  sich  her.  In  allen  Einzelheiten  aber  stimmt  mit 
unserem'Gef&ss  ein  Sarkophagrelief  überein  ^).  Doch  sind  hier  ausser  * 
den  Hören  noch  andere  Figuren  vorhanden.  Auf  der  einen  Seite 
sitzen  Braut  und  Bräutigam,  und  auf  sie  zu  kommen  in  langem  Zuge 
die  Gottheiten,  die  ihre  Gaben  darbringen,  Vulcan,  Minerva,  die 
4  Hören,  Hymenaeus,  Hesperus  u.s.w.  Von  Wichtigkeit  ist  die  Ver- 
bindung der  Hören  mit  Hymenaeus.  Hymenaeus  trägt  kurzes  Ge- 
wand und  Stiefel,  auf  der  linken  Schulter  die  Hochzeitsfackel,  in  der 
gesenkten  rechten  Hand  die  Lutrophoros.  In  ähnlicher  Weise  treten 
auf  dem  oben  angeführten  Campanarelief  die  Hören  zu  dem  jungen 
Paare.    Hier  sind  sie  von  Herakles    begleitet,   der  mit  gewaltiger 


1)  No.  439. 

2)  Sarkophagreliefs  II  S.  1  fP.  Sie  kommen  auf  den  rothen  Vasen 
auch  noch  einmal  in  kleinerem  Maassstabe  etwas  modifiziert,  offenbar  nach 
einer  anderen  Vorlage  vor.  So  die  Winterhore  auf  einem  Fragment  in 
Berlin  (Robert  a.  a.  0.),  die  Herbsthore  auf  einem  von  Funghini  publi- 
zierten Fragment  (Nr.  32), 

3)  Zoega,  Bassi  ril,  Taf.  XCIV. 

4)  Campana,  Op.  in  plastica  Taf.  LXII. 

5)  SarkophagreL  II  Taf.  1. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Altcrthsfr.  Im  Rheinl.  XCVI.  5 


66  Hans  Dragendorfl: 

Anstrengung  einen  Stier  auf  der  Schulter  herbeiträgt.  Als  drittes 
Stück  tritt  eine  vierseitige  Glasflasche  aus  ^yzikos  hinzu  ^),  deren 
Seiten  mit  Reliefs  geschmückt  sind.  Ausser  Hermes  finden  wir  hier 
die  Winterhore,  Herakles  mit  dem  Stier  und  Hymenaens.  Damit 
ist  der  Beweis  geliefert,  dass  sowohl  der  Künstler,  der  den  Sarko- 
phag meisselte,  wie  der  Töpfer,  der  das  Thonrelief  formte,  und  der 
Glasarbeiter,  aus  dessen  Händen  die  Flasche  hervorging,  ein  und 
dieselbe  Sammlung  von  Vorlagen  excerpierten.  Dass  aber  auch  dem 
arretinischen  Töpfer  dasselbe  Musterbuch  vorlag,  wird  dadurch  be- 
wiesen, dass  wir  den  Hymenaeus  auf  einem  aiTetinischen  Fragment 
nachweisen  können:  Fabroni  Taf.  HI  3.  Die  4  Hören  gehören 
zum  Typenschatze  der  Verfertiger  neuattischer  Reliefs^),  und  wir 
erinnern  uns  nun,  dass  wir  auch  bei  den  bisher  aufgezählten  Typen 
stets  Beziehungen  zu  den  neuattischen  Reliefs  fanden,  und  zwar 
ausschliesslich  zu  der  von  Hauser  festgestellten  zweiten  Klasse 
derselben,  deren  Typen  sich  scharf  von  denen  der  ersten  Klasse 
sondern.  Diese  Beziehungen  zwischen  neuattischen  Reliefs  und.  ar- 
retinischen Gefässen  hatte  Hauser  schon  bemerkt  und  kurz  be- 
sprochen^). Durch  das  neu  hinzugekommene  Material  erhält  seine 
Ansicht  ihre  volle  Bestätigung.  Es  ist  unzweifelhaft,  dass  eine  grosse, 
in  sich  abgeschlossene  Mustersammlung  bestand,  die  ausser  den  neu- 
attischen  Künstlern  der  „zweiten  Klasse"  den  arretinischen  Töpfern, 
speziell  Perennius  vorlag.  Benutzt  waren  bei  ihrer  Zusammenstellung 
toreutische  Werke  sehr  verschiedener  Zeit.  Die  Kalathiskostänzerinnen 
und  die  Maenaden  entstanden  in  der  zweiten  Hälfte  des  V.  Jahrhunderts. 
Dagegen  ist  die  Schöpfung  der  4  Hören  sicher  nicht  vor  den  Anfang 
des  III.  Jahrhunderts  zu  setzen.  4  Hören  als  Vertreterinnen,  der  4 
Jahreszeiten  lassen  sich  zuei*st  in  dem  Festzug  des  Ptolemaeus  Phila- 
delphus  nachweisen*).  Ebenso  ist  der  stiertragende  Herakles  eine 
Schöpfung  hellenistischer  Zeit  ^).   Es  ist  eine  Uebcrtragung  des  alten 


1)  Robert  a.  a.  0.  S.  5. 

2)  Hauser  S.  103  f. 

3)  S.  llOf,  Durch  den  Nachweis  der  Hören  auf  arretinischen  Vasen 
wird  auch  Haus  er 's  aus  dem  Stil  erschlossene  Zuzählung  der  Hören  zur 
zweiten  Klasse  der  neuattischen  Reliefs  voll  gerechtfertigt. 

4)  Athenaeus  V  p.  198  A. 

5)  Roscher's  Lexikon  S.  2243  (Fnrtwängler). 


Terra  sigillata.  67 

Typus  des  ebertragenden  Herakles  und   auch  ihr  liegt  sicher  ein 
bekanntes  Original  zu  Grunde^  da  sie  sich  mehrfach  findet*). 

H  a  u  s  e  r  ist  geneigt,  seine  zweite  Klasse  neuattischer  Reliefs 
auf  alexandrinische  Vorbilder  zurückzufahren*).  Er  folgt  darin 
den  Ansichten  Theodor  Schreiber's,  der  neben  Michaelis  das 
grosse  Verdienst  hat,  innerhalb  der  hellenistischen  Kunst  der  Kunst 
Alexandrias  ihre  geschichtliche  Stellung  angewiesen  und  ihren  Ein- 
fluss  auf  die  Kunst  Italiens  hervorgehoben  zu  haben.  Wenn  er  aber 
nahezu  die  ganze  künstlerische  Produktion  Roms  unter  alexandrini- 
schen  Einfluss  stellt');  so  glaube  ich,  dass  er  zu  weit  geht.  Mag  dieser 
auch  der  stärkere  sein,  in  Unteritalien  und  im  Rom  der  Kaisei*zeit 
zur  Herrschaft  gelangen  —  für  das  nördliche  Italien,  flir  das  Rom 
der  Republik,  namentlich  im  II.  vorchristlichen  Jahrhundert,  ist  er 
sicher  nicht  der  einzige.  Hier  lassen  sich  Strömungen  nachweisen, 
die  von  Kleinasien  ausgehen.  Dies  im  Einzelnen  klar  zu  legen,  muss 
einer  anderen  Gelegenheit  vorbehalten  bleiben.  Nur  wenige  allge- 
meinere Punkte  mögen  zur  Bekräftigung  des  Gesagten  hervorge- 
hoben werden.  Die  Vorlagen  der  Campanareliefs  sucht  Schreiber 
alle  in  alexandrinischer  Kunst.  Gerade  hier  aber  ist  neben  vielem, 
was  ganz  ausgesprochen  alexandrinischen  Charakter  trägt,  manches 
was  gegenständlich  wie  stilistisch  an  kleinasiatische  Kunst  anzu- 
knüpfen scheint.  Hierher  gehören  die  Arimaspen,  die  zahlreichen 
Greife,  die  mit  ihnen  kämpfend  vorkommen,  die  Vorliebe  für  Ama- 
zonenschlachten und  anderes.  Stilistisch  scheinen  die  häufigen  feinen  . 
Ornamente,  die  noch  ganz  den  Charakter  der  Metallarbeiten  gewahrt 
haben,  wie  sie  uns  mit  Figuren  unseres  Kreises  gerade  auch  in  den 
Stuckreliefs  des  römischen  Hauses  bei  der  Famesina  begegnen,  die 
aus  ihnen  herauswachsenden  schmächtigen  Thiere,  namentlich  Greife, 
Steinböcke  u.  s.  w.  in  ihrer  omamentalen  Ausgestaltung  kleinasiati- 


1)  Z.  ß.  auf  einer  Gemme  des  Anteros  Arch.  Jahrb.  III  Taf.  10  no.  15 
S.  323.  Als  Original  möchte  man  am  liebsten  eine  Einzelstatue  vermuthen. 
Der  Stier  ist  jetzt,  wo  die  Hören  in  gleicher  Grösse  als  Maassstab  daneben 
schreiten,  unnatürlich  klein.  Bei  einer  überlebensgrossen  Statue  da- 
gegen würde  gerade  der  im  Verhaitniss  zu  Herakles  kleine  Stier  das 
Uebermenschliche  in  Herakles,  das  ja  auch  in  der  gewaltigen  Wucht,  mit 
der  er  das  Thier  hebt,  zum  Ausdruck  kommt,  bedeutend  steigern. 

2)  Neuattische  Reliefs  S.  136  ff. 

3)  Besonders  Hellenistische  Brunnenreliefs  Anmerk.  95. 


68  Hans  Dragendörff: 

scher  Kunstweise  näher  zu  stehen,  als  der  realistischen  alexandrini- 
sehen,  üeber  die  Vorlagen  der  Cauipanarcliefs  wird  man  genauer 
erst  urtheilen  können^  wenn  H.  v.  Rohdens  vollständige  Samm- 
lung des  Materiales  vorliegen  wird.  Soviel  aber,  meine  ich,  lässt 
sich  jetzt  schon  erkennen,  dass  wie  ihre  Fabrikation  sich  auf  längere 
Zeit  erstreckt,  so  auch  die  Vorbilder,  die  sie  benutzen,  verschie- 
denen Kunstrichtungen  angehören. 

Gerade  auf  den  arretinischen  Vasen  und  dei\jenigen  Campanareliefs, 
die  mit  ihnen  zusammenhängen,  kann  ich  von  spezifisch  alexandrini- 
scher  Geschmacksrichtung,  wie  Schreiber  sie  charakterisirt^),  nichts 
finden.  Vergebens  suchen  wir  hier  jenen  Hang  zum  Idyllischen, 
jene  Vorliebe  für  Scenen  aus  dem  Leben,  wie  sie  so  ausgespro- 
chen in  den  von  Schreiber  gesammelten  Reliefbildern  entgegen- 
tritt, vollständig  fehlt  jener  Sinn  für  malerische  Gruppierung  der 
Figuren  in  der  Landschaft,  vollständig  der  Hang  zu  minutiösem 
Realismus  in  der  Ausführung  des  Kleinsten.  In  gleichmässiger  Reihe 
werden  die  Figuren  aneinandergefügt.  Die  Andeutung  des  Lokals 
beschränkt  sich  auf  das  Noth wendigste;  gegenüber  dem  Realismus 
der  Alexandriner  finden  wir  hier,  namentlich  in  der  Behandlung  des 
dekorativen  Beiwerkes,  einen  gewissen  Conventionellen  Zug.  Das 
Beiwerk  ist  auf  das  Aeusserste  beschränkt.  Während  bei  den  ale- 
xandrinischen  Reliefs  alle  Kränze,  Blumen,  Zweige  sich  nahezu  bo- 
tanisch bestimmen  lassen,  beschränken  sich  die  Künstler  der  klein- 
asiatischen Richtung  auf  die  einfache  Andeutung,  dass  Kränze,  Guir- 
landen  u.  s.  w.  vorhanden  sind.  Ein  hervoretechender  Zug  alexandri- 
nischer  Kunstwerke  ist  femer  die  dekorative  Zusammenhäufung  von 
„Stillleben",  wie  sie  das  Wiener  Löwenrelief  zeigt,  wie  auch  die  Silber- 
vasen ans  Herculaneum  und  Bemay,  auf  denen  zwischen  den  Ken- 
tauren Masken  und  allerhand  Geräth  aufgestellt  sind.  Nichts  davon 
findet  sich  auf  unseren  Vasen.  Und  endlich:  welch'  eine  Menge 
neuer,  frisch  erfundener  Typen  begegnet  uwr  auf  den  alexandrinischen 
Kunstwerken.  Dagegen  sehen  wir,  dass  die  Kleinasiaten  in  alten 
und  zum  Theil  ausgetretenen  Bahnen  weiterwandeln.  Sie  erfinden 
nichts  neues,  sondern  kopiren  berühmte  Kunstwerke.  Ein  gewisser 
klassizistischer  Zug  geht  durch  ihre  Schöpfungen,  auch  in  der  An- 
ordnung und  Ausführung  der  Reliefs.  Solche  Richtung  scheint 
Alexandria    fremd    gewesen    zu    sein     und    weist    vielmehr    nach 


1)  Vgl.  jetzt  auch  Alexandrinische  Toreutik  S.  145  ff. 


Terra  sigillata.  69 

PergamoD.  Die  grossen  pcrgamenischen  Reliefs  setzen  gegenüber 
den  ^malerischen^  alexandrinischen  die  alte  attische  Reliefteehnik  fort; 
diC;  auf  Andeatnng  des  Lokals  nnd  auf  alles  Beiwerk  verzichtend, 
ihre  Figuren  schlicht  aneinanderreiht,  ohne  zwischen  Vorder-  und 
Hintergrund  zu  scheiden. 

Ich  sehe  keinen  Grund  zu  der  Annahme,  dass  diese  klein- 
asiatische Stilrichtung  etwa  auf  dem  Umwege  über  Alexandria  nach 
Italien  gelangt  sei.  In  den  ersten  Kapiteln  dieser  Arbeit  glaube  ich 
gezeigt  zu  haben,  wie  stark  im  Anfang  des  II.  vorchristlichen  Jahr- 
hunderts das  italische  Handwerk  unter  dem  Einflüsse  des  klein- 
asiatischen  steht,  wie  es  für  seine  Bedürfnisse  auf  diesem  Gebiete 
die  gleichen  Quellen  bat,  wie  Süd-Russland,  das  ja  —  abgesehen 
von  der  Episode  der  attischen  Vorherrschaft  —  auf  künstlerischem 
Gebiete  stets  von  Kleinasien  abhängig  blieb.  Sollten  wir  nun  an- 
nehmen, dass  dieser  Einfluss  gerade  in  dem  Momente  aufhört,  in  welchem 
Italien  in  direkte  politische  Beziehungen  zum  Osten  tritt,  in  dem  Perga- 
mon  ein  Theil  des  römischen  Reiches  wird  und  in  Rom  die  litte- 
rarischen Studien  sich  unter  pergaraenischem  Einflüsse  entwickeln  ? 
Es  scheint  mir  vielmehr  in  hohem  Grade  wahrscheinlich,  dass  die 
Mustersammlung,  die  Perennius,  den  nenattischen  Künstlern  von 
Hauser 's  „zweiter  Klasse"  und  den  mit  ihnen  zusammenhängenden 
Verfertigem  von  Campanareliefs  vorlag,  sich  an  kleinasiatische 
Toreutik  anschloss.  Dies  Resultat  wird  noch  grössere  Wahrschein- 
lichkeit erhalten,  wenn  es  unten  gelingen  sollte,  arretinische  Vasen 
nachzuweisen,  die  sicher  alexandrinischer  Kunstrichtung  angehören, 
von  den  eben  behandelten  sich  dagegen  scharf  sondern.  Nicht  un- 
erwähnt will  ich  hier  lassen,  dass  auch  die  Namen  der  besten 
Sklaven  des  Perennius,  die  sich  besonders  häufig  auf  den  schönen 
dekorirten  Gcfässen  finden,  auf  einen  Zusammenhang  mit  dem  Osten 
weisen,  z.  B.  Bargatus,  Bithynius,  Pharnaces,  Tigranius. 

Ausser  den  bisher  aufgezählten  Typen  finden  sich  noch  folgende 
andere  auf  Gcfässen  des  Perennius,  die  der  ganzen  Anordnung  nach 
der  I.  Klasse  angehören,  deren  direkte  Zugehörigkeit  zu  dem  eben 
behandelten  Kreise  von  Vorlagen  sich  aber  vorläufig  nicht  nach- 
weisen lässt. 

e.   Nike,    den   Stier   opfernd. 

Fragment  in  Berlin.  Taf.  IV  9.  Nike  kniet  in  dem  bekann- 
ten Schema  auf  dem  zusammengebrochenen  Stier,  dem  sie  die  Kehle 


70  Hans  Dragendorff: 

durchsehneidet.  Der  Oberkörper  ist  nackt,  der  Unterkörper  mit 
einem  Gewand  umhüllt.    Es  ist  die  hellenistische  Umbildung  des  im 

^Y.  Jahrhundert  erfundenen  Typus,  den  Petersen  an  der  Nikeba- 
lustrade   nachgewiesen    hat*,    in  späterer  Zeit  ist  diese  Figur  sehr 

gebräuchlich,  kommt  namentlich  auf  Campanareliefs  oft  vor,  hier 
nicht  selten  ganz  ornamental  verwendet  und  in  Banken  auslaufend. 
Vgl.  J.  H.  St.  VII  p.  275  (C.  Smith). 


f.  Musen. 

Atti  d.  L.  a.  a.  0,  Taf.  II  2  p.  91,  Gruppe  XI  i). 

Diese  Musen  sind  einem  Cyclus  entnommen,  in  dem  sie  mit 
Herakles  vereinigt  waren.  Besonderes  Interesse  haben  sie  dadurch, 
dass  ihnen  gegen  die  Gewohnheit  der  arretiuischen  Reliefs  Namen 
beigeschrieben  sind  und  zwar  in  griechischer  Sprache*).  Folgende 
Typen  sind  erhalten: 

1)  KAHQ  ganz  in  ihr  Gewand  gehüllt. 

2)  €YT€PnH  mit  Lyra  und  Plektron. 

3)  Muse  mit  dem  offenen  Diptychon  in  der  Hand.  Der  Name  ist 
nicht  erhalten. 

4)  OAAHA  ohne  Attribut,  in  den  Mantel  gehüllt. 

5)  TePVHKOPH  mit  einer  Schriftrolle  in  der  Hand. 

6)  KAAHOTTH  mit  dem  Pedum.  Diese  ist  schon  oben  erwähnt,  da 
sie  sich  einmal  mit  Satyrn  zusammen  findet.    Taf.  IV  4. 

7)  M€ATTOM€NH  auf  einem  arretinischen  Fragment,  das  in  Pe- 
rugia gefunden  ist  3). 

8)'HPAKAHCM0CC0N  lorbeerbekränzt  in  Chiton,  auf  seine 
Keule  gestützt. 

Diese  Musen  haben  keinen  Zusammenhang  mit  den  Musenstatuen, 
die  Fulvius  Nobilior  187  v.  Chr.  aus  Ambrakia  raubte  und  in  Rom 
dem  Hercules  Musarura  weihte.  Diese  zeigen  bekanntlich  die  Münzen 
des  Pomponius  Musa.  Der  Hercules  ist  hier  ganz  anders  gebildet ;  er 
schreitet  Icierspielend  vorwärts.  Auch  die  Musen  zeigen  nicht  mehr  Ver- 
wandtschaft, als  bei  Werken  ungeföhr  der  gleichen  Zeit  natürlich  ist. 


1)  Bie,  Musen  S.  43  f. 

2)  Ich  kenne  nur  noch  ein  Beispiel  einer  Namensbeischrift  auf  arretini- 
schen Gefässen.  Auf  einer  mit  Tigranes  Perenni  signirten  Vase  steht  neben 
einem  Krieger,  der  die  Lanze  schwingt  HECTOR.  Atti  d.  L.  III  11.  453. 

3)  B.  d.  J.  1884.  p.  50. 


Terra  sigillata.  71 

Mit  der  als  Eaterpe  bezeichneten  Figur  ist  die  ambrakiscbe  Muse  II 
bei  Bie  zu  vergleichen;  der  Muse  mit  dem  Diptychon  (3)  ist  ähnlich 
die  erste  Muse  von  links  auf  dem  Sarkophagrelief  A.  d.  J.  1871  Taf. 
D  E  b. 

Durch  die  Beischriften  wird  wieder  bewiesen,  dass  die  arre- 
tinischen  Töpfereien  nach  griechischen  Vorlagen  arbeiten.  AuflFallend  ^ 
ist  die  Orthographie:  für  I  ist  immer  H  geschrieben.  Es  wurden 
also  beide  Buchstaben  gleich  ausgesprochen.  Das  geschah  in  jener 
Zeit  (imil.— I.  vorchristlichen  Jahrhundert)  nach  Blass  (Aussprache 
S.  30)  nur  in  Boeotien.  Es  war  also  entweder  der  Sklave  des 
PerenniuS;  der  das  Gei^s  fertigte,  ein  Boeoter  (was  nicht  wahr- 
scheinlich ist,  da  die  Beischriften  wohl  zu  den  Typen  gehörten, 
nicht  Zuthat  des  Töpfers  waren)  oder  die  künstlerische  Vorlage 
stammte  aus  Boeotien,  und  wir  werden  hierdurch  daran  erinnert, 
dass  wir  oben  bereits  ein  Centrum  für  Fabrikation  von  Reliefvasen, 
die  direkt  von  toreutischen  Arbeiten  abhängig  waren,  in  Boeotien 
constatiren  konnten.  Es  scheint  in  jener  Zeit  die  Toreutik  dort  in 
Blüthe  gestanden  zu  haben.  Von  Theben  stammt  der  Erzgiesser 
Myron,  der  im  II.  Jahrhundert  in  Pcrgamon  thätig  war.  Auf  ihn 
geht  die  Figur  der  trunkenen  alten  Frau  zurück,  die  in  mehreren 
Repliken  auf  uns  gekommen  ist^)  und  wenigstens  erwähnt  mag 
in  diesem  Zusammenhange  werden,  dass  die  reliefgeschmückte 
Kanne,  die  sie  in  der  Hand  hält,  in  der  Form  ganz  mit  der  home- 
rischen Kanne  des  Dionysios,  also  auch  eines  Boeoters,  übereinstimmt. 


g.   Nereiden   mit  den   Waffen   des  Achill. 
Atti  d.  L.   a.  a,  0.   Gruppe  VIII.  Taf.   II   1  p.  90.    Funghini   no.   39. 

a.  Nereide  auf  einem  Seepferd,  mit  dem  Helm  in  der  Hand. 

b.  Jugendlicher  Triton,  auf  seine  Lanze  gelehnt,  auf  einem  Delphin. 

c.  Seopferd  mit  Nereide. 

d.  Nereide  auf  einem  Seepferd,  trägt  Beinschienen  herbei. 

e.  Nereide  auf  einem  Scepferd^  reitend,  mit  dem  Schwert, 

Die  Typen  erinnern  an  Sarkophagreliefs.  Eine  eingehende 
Bearbeitung  des  Seethiasos  steht  bevor,  bei  der  auch  diese  Figuren 
ihre  Besprechung  finden  werden. 


1)  Vgl.  Ephem.  arch.  1891  p.  143  (Weisshäuptl). 


72  Hans  Dragendorff: 


h.   Scenen  beim  Symposion,   meist   erotischen 

Charakters. 

Atti  d.  L.  a.  a.  0.  Taf.  III  2,  4,  5  p.  88.    Gruppe  VI. 

Die  Gruppen  1 — 7  zeigen  je  einen  Jüngling  und  eine  Hetäre, 
die  hinter  oder  neben  einander  auf  der  Kline  gelagert  sind. 

1)  Die  Hetäre  hält  eine  Leier  in  der  L.,  der  Jüngling  ein  Salbgefäss. 

2)  Das  Mädchen  stützt  die  Leier  mit  der  R.  gegen  das  Knie,  in  der 
L.  hält  sie  einen  Kranz.  Sie  blickt  sich  nach  dem  Jüngling  um,  der  sie 
umarmt.  Berlin,  Taf.  IV  11;  unvollständiger,  aber  das  Mädchen  deutlicher 
Atti  d.  L.  a.  a.  0.  Taf.  III  5.  Eine  männliche  Herme,  die  in  einen  natu- 
ralistisch gebildeten  Fels  eingelassen  ist,  trennt  diese  Gruppe  von  der 
nächsten.  An  dem  Exemplar  in  Arezzo  bildet  eine  Weinguirlande,  nicht 
unähnüch  denen  an  den  sidonischen  Sarkophagen,  den  Schmuck  des  obe- 
ren Randes. 

3)  Das  Mädchen  hat  sich  nach  dem  Jüngling  umgewendet,  fasst  ihn 
liebkosend  an's  Kinn.  Er  zieht  sie  au  sich,  indem  er  ihren  Nacken  um- 
schlingt und  sie  am  Ann  fasst.    Dresden,  Taf.  IV  10. 

4)  Das  Mädchen  sitzt,  scheinbar  mit  einem  Salbgefäss  (?)  beschäftigt, 
das  sie  in  den  Händen  hält,  kühl  abgewendet  vom  Jüngling.  Dieser  be- 
rührt mit  der  ausgestreckten  Hand  ihren  Kopf.  Attid.  L.  a.a.O.  Taf.  III 4. 

5)  Jüngling  und  Mädchen  sich  küssend;  dabei  steht  ein  nackter 
Amor. 

6)  Nacktes  liegendes  Mädchen  auf  den  1.  Arm  gestützt,  den'^Kopf 
auf  die  Hand  gelegt.    Berlin. 

7)  Jüngling  und  Mädchen  auf  der  Kline,  der  Jüngling  ist  mit  über 
den  Kopf  gelegtem  r.  Arm  eingeschlafen.    Funghini  Nr.  28. 

8)  Erotisches  Symplegma.  Atti  d.  L.  a.  a.  0.  Taf.  III  2,  ähnliches  Frag- 
ment in  Dresden. 

9)  Sitzende  Leierspielcrin. 

10)  Sitzende  Kitharistria  mit  nacktem  Oberkörper.  Hinter  ihr  steht 
ein  nackter  Jüngling,  gleichfalls  mit  der  Leier. 

11)  Halbnackter  alter  Flötenbläser,  vor  ihm  ein  nacktes  ;Mädchen 
mit  Doppelfiöten. 

12)  Derselbe  Flötenspieler.  Neben  ihm  liegt  auf  der  Kline  ein 
Mädchen,  die  L.  auf  die  Leier  gestützt. 

Aehnliche  Symposien-Scenen  kommen  auch  auf  den  neuattischen 
Reliefs  der  IL  Klasse  vor,  wenn  auch  nicht  ganz  entsprechend 
(Haus er  a.  a.  0.  S.  94,  14;  111).  Der  Typus  8  findet  sieh  genau 
entsprechend  auf  dem  Fragment  einer  grüngelb  glasirten  Schale  aus 
Kleinasien  im  Louvre  (Nr.  793),  ein  Hinweis  auf  die  Heimat  der 
toreutischen  Vorbilder. 


Terra  sigillata.  73 

1.  Jagdsceneu. 

Atti  d.  L.  a,  a.  0.  Taf,  II  3  Gruppe  X  p.  90  und  mehrere  Fragmente  in 
Dresden  und  Berlin. 

Folgende  Elemente  lassen  sich  als  zugehörig  nachweisen: 
Ein  Jüngling  ist  lilckwärts  unter  einem  Baume ;  niederge- 
sunken. Mit  Hand  und  Fuss  sucht  er  einen  Bären  abzuwehren,  der 
sich  auf  ihn  geworfen  hat.  Dem  Genossen  zu  Hülfe  eilt  ein  in 
Kückenansicht  dargestellter  musculöser  Mann  mit  hoch  geschwun- 
genem Beil.  Die  Chlamys  ist  ihm  bei  dem  heftigen  Angriff  von 
der  Schulter  geglitten  und  liegt  über  dem  1.  Arm  (2).  Auf  dem- 
selben Fragment  findet  sich  noch  ein  Mann  (3)  im  Chiton,  der  mit 
dem  Speer  einen  von  1.  herankommenden  Eber  angreift.  Die  Fi- 
guren 1 — 3  sind  vereinigt  auf  dem  Fragment  Atti  d.  L.  a.  a.  0. 
Taf.  II  3.  Weitere  Fragmente  zeigen  einen  nackten  laufenden 
Jäger  (4),  der  seinen  Hund  gegen  ein  Wild  hetzt  (Taf.  IV  15)  und 
einen  weit  aussehreitenden  Mann  (5),  nackt  bis  auf  die  nachflattemde 
Chlamys.  Er  schwingt  mit  beiden  Händen  die  Axt,  vermuthlich 
gegen  ein  besonders  gefahrliches  Kaubthier,  das  ihn  oder  einen  seiner 
Genossen  bedroht  (Taf.  IV  13. 14)  (5).  Endlich  hat  sich  ein  Reiter  (6) 
erhalten  (Taf.  IV  16),  in  kurzem  Chiton  und  Chlamys,  der  Kopf  fehlt. 
Er  sprengt  auf  dem  mit  einem  Fell  gesattelten  Pferde  nach  rechts 
und  führt  mit  der  Lanze  einen  Stoss  nach  unten.  Vor  ihm  ist  noch 
der  Arm  eines  Liegenden  erhalten.  Hinter  dem  Ross  der  Rest  eines 
Raubthieres :  der  Reiter  eilt  also  seinem  zu  Boden  geworfenen  Jagd- 
genossen zu  Hilfe.  Der  Reiter  gleicht  in  seiner  Haltung  und  Kleidung 
sehr  dem  des  messenischen  Reliefs  im  Louvre^),  das  Loeschcke 
auf  Alexanders  Rettung  durch  Krateros  gedeutet  hat.  Auch  die 
Situation  erinnert  bis  zu  einem  gewissen  Grade  an  dasselbe,  beide 
sind  eben  abhängig  von  den  Schöpfungen  der  lysippischen  Schule. 
In  etwas  anderer  Brechung  begegnen  uns  die  Jagdmotive  auf  einem 
arretinischen  Gefilsse,  das  auf  dem  Esquilin  gefunden  ist  *).  Statuen 
des  Apoll  und  der  Artemis  trennen  hier  dekorativ  die  einzelnen 
Gruppen. 

Während  die  bisher  betrachteten  Kompositionen  in  fast  oiiia- 
mentaler  Gleichförmigkeit  einzelne  Figuren  au  einander  reihten,  be- 
gegnen wir  bei  den  Jagdscenen  einer  lebensvollen  Gruppirung  präch- 


1)  Arch.  Jahrb.  III  Taf.  VII  S.  189 ff.  (Loeschcke). 

2)  Bull,  communale  I  p.  308. 


74  Hans  Dragendorff: 

tiger  Gestalten,  die  schon  an  sich  auf  eine  gute  Vorlage  zurück- 
weisen. Dass  ein  berühmtes  toreutisches  Vorbild  benutzt  ist,  zeigt 
ein  von  Kluegmann  publiziertes  versilbertes  Thongefass ^).  Hier 
kehren  wieder  der  Jüngling,  der  unter  dem  Bär  liegt,  und  der 
Jäger,  welcher  den  Hund  hetzt.  Getrennt  sind  sie  durch  Artemis 
und  Athena,  beide  lebhaft  bewegt.  In  der  Ausfühining  steht  dies 
Gefäss  aber  hinter  den  arretinischen  weit  zurück  und  die  Anordnung 
der  Typen  ist  gedankenlos;  denn  wie  man  auch  die  Darstellung 
abtheilen  mag,  immer  laufen  entweder  Athena  oder  der  Jüngling  mit 
dem  Hunde  fort,  statt  dem  Gefährten  zu  Hülfe  zu  eilen.  Die  Ausflihning 
der  versilberten  Schale  wird  nicht  früher  als  in  das  IL  Jahrhundert 
zu  setzen  sein,  da  das  Gefäss  innen  glasirt  ist.  Die  Frage,  ob  man 
nicht  das  vorauszusetzende  berühmte  toreutische  Original  in  den 
mit  Jagdscenen  verzierten  Bechern  des  Akragas  suchen  darf,  muss 
wenigstens  aufgeworfen  werden*). 


1)  A.  d.  J.  1871  Taf.  Q.  p.  195  ff.  Ueber  die  versilberten  Tliongc- 
fässe  im  Allgemeinen  ist  zu  vergleichen  Kluegmann  A.  d.  J.  1871  p.  1  ff. 
Taf.  ABC,  M.  d.  J.  IX  Taf.  26.  Hinzu  kommen  jetzt  3  Teller,  die  bei 
Orbetello  gefunden  sind,  (Atti  d.  L.  TV  1  p.  420)  und  sicher  aus  derselben 
Fabrik  stammen.  Der  eine  Teller  stimmt  im  lunenbilde  genau  mit  dem 
M.  d.  J.  a.  a.  0.  no.  5  publizierten  überein.  Ferner  eine  Amphora  aus 
Orvieto,  jetzt  in  Berlin  (Arch.  Anz.  1893  S.  93  no.  11.  Dort  werden  noch 
weitere  Repliken  aufgezählt,  darunter  auch  eine  vergoldete.  Vgl.  auch 
Furtwaengler  Vasenkatalog  3896  ff.) 

2)  Plin.  XXXIII  155.  Akragas  Zeit  ergiebt  sich  wohl  durch  die  Zu- 
sammenstellung mit  Boethos  und  seine  Thätigkeit  auf  Rhodos.  Was 
neuerdings  Theodor  Reinach  (Rev.  arch.  N.  S.  XXIV  1894  p.  170) 
über  Akragas  scharfsinnig  vermuthet  hat,  halte  ich  für  verfehlt.  Er 
glaubt,  dass  ein  Toreut  Akragas  nie  existiert  habe,  sondern  nur  irrig  er- 
schlossen worden  sei  aus  der  Existenz  von  Schalen,  bei  denen  als  Em- 
blem Münzen  von  Agrigent  verwendet  waren.  Dass  der  Toreut  Akragas 
nur  einmal  In  der  Littcratur  erwähnt  wird,  kann  bei  der  lückenhaften 
üeberlieferung  kein  Grund  zur  Verdächtigung  sein.  R.  führt  ferner  an, 
Akragas  sei  kein  Personenname,  giebt  aber  selbst  zu,  dass  der  Heros 
eponymos  der  sizilischen  Stadt  Akragas  hiess.  War  aber  Akragas  ein- 
mal ein  Heroenname,  so  konnte  er  auch  jeder  Zeit  auf  Menschen  übertra- 
gen werden.  Vor  allem  ist  aber  zu  beachten,  dass  bei  den  Gefässen,  bei 
denen  sicher  ein  Münzabdruck  zur  Dekoration  verwendet  ist,  dieser  die  ein- 
zige Verzierung  bildet,  die  als  bequemer  Ersatz  für  grössere  Mcdaillon- 
bilder  gewählt  wurde,  wie  sie  die  Calener  Schalen  tragen,  und  nicht  etwa 
eine  selbständig  der  Torcutik  entlehnte  Dekorationsweise  repräsentirt.  Die 
Werke  des  Akragas  aber  trugen  Reliefschmuck,  den  man  sich  nur  an 
der  Wandung  angebracht  denken  kann* 


Terra  sigillata.  75 

Was  die  Jagdbilder  von  den  bisher  behandelten  Typen  unter- 
scheidety  ist  neben  der  einheitliehen  Komposition  die  realistische 
Ausfllhrung  der  Landschaft,  die  durch  ziemlich  naturgetreue  Gras- 
und  Schilf  büschel  angedeutet  wird.  Auch  das  Terrain  ist  darge- 
stellt, festes  Land  und  Sumpf  unterschieden,  auf  dem  einen  Frag- 
ment sogar  ein  Versuch  zu  perspektivischer  Dai'stellung  gemacht. 
Alles  das  mahnt  an  alexandrinische  Reliefbilder,  während  die  Ein- 
heitlichkeit der  Darstellung  unsere  Gefässe  zu  der  I.  Klasse  der 
Arretina  zu  stellen  nöthigt,  im  Gegensatz  zu  der  gleich  zu  be- 
handehiden  IL  • 

Zum  Schluss  will  ich  noch  zwei  kleine  Fragmente  hier  an- 
Bchliessen,  die  f&r*s  erste  vereinzelt  stehen,  aber  ein  gewisses  gegen- 
ständliches Interesse  haben. 

Taf.  IV  20  sitzt  eine  verhtülte  Gestalt,  mit  über  den  Kopf  gezoge- 
nem Mantel,  das  Haupt  auf  die  linke  Hand  gestützt.  Hinter  ihr  steht 
ein  nackter  Jüngling,  das  Kinn  auf  die  Hand  gestützt,  das  r.  Bein 
ziemlich  hoch  aufgesetzt,  ruhig  beobachtend.  Die  Chlamys  ist  um 
den  1.  Arm  geschlungen,  ein  Wehrgehenk  zieht  sich  über  die  Schulter. 
Man  wird  unwillkürlich  an  eine  Darstellung  des  Iphigenienopfers 
erinnert,  wozu  die  Verhüllung  der  Figur  trefflicl^.  passen  würde  und 
auch  der  ernste  Ausdruck  des  Jünglings.  Andererseits  ist  auch 
an  die  Reliefs  zu  erinnern,  auf  denen  sich  Darstellungen  bacchi- 
scher  Mysterien  finden^). 

Taf.  IV  19  stellt  offenbar  den  Raub  der  Proserpina  dar.  Er- 
halten ist  der  Rand  des  Wagens,  in  dem  ein  kräftiger,  bärtiger 
Mann  steht  und  eine  vollbekleidete  Frau  gefasst  hält,  die  sich  heftig 
sträubt  und  den  1.  Arm  mit  dem  Mantel  hoch  erhoben  hat.  Es  ist 
der  gewöhnliche  Typus,  der  namentlich  oft  auf  Sarkophagen  vor- 
kommt *). 

Der  ersten  Klasse  gehört,  wenn  es  wirklich,  wie  angegeben 
wird,  arretinisch  ist,  auch  ein  Fragment  aus  Taman  in  der  Krim  an. 
Man  sieht  Orest,  wie  er  über  die  schlafende  Erinys  wegsteigend 
aus  Delphi  entkommt').  Auch  diese  Figur  stimmt  vollkommen  mit 
Sarkophagreliefs  überein  ^). 


1)  Bull,  communale  VIT  Taf.  III-V. 

2)  Auf  den  Sarkophagen  II.  Gattung  I.  Species  I.  Typus  bei  Förster 
(Raub  der  Proserpina  S.  157  ff.). 

3)  C.  R.  1870  Taf.  V  11. 

4)  Robert  Sarkophagroliefs  II  Taf.  LIVff.  S.  166  ff. 


76  Hans  Dragendorff: 

3.  Die  Vasen   der  II.  Klasse. 

Die  Vorlagen,  die  dem  Perennius  zu  Gebote  standen,  enthielten, 
wie  die  in  seiner  Werkstatt  gefertigten  Vasen  lehren,  auch  Stücke 
mit  rein  omamentaler  Dekoration.  Durch  diesen  Mangel  figürlichen 
Schmuckes  treten  sie  in  deutlichen  Gegensatz  zu  den  bisher  be- 
sprochenen Vasen  der  I.  Klasse.  Hierhin  sind  die  Gruppen  XV  und 
XVII  bei  G  a  m  u  r  r  i  n  i  zu  zählen  und  einige  Fragmente  von  Formen 
aus  Perennius'  Fabrik,  die  ich  der  Freundlichkeit  des  Hm.  G.  Karo  ver- 
danke. Es  treten  hinzu  die  Gefasse  des  Cornelius*),  der  wie  oben  S.  49 f. 
ausgeflihrt  in  späterer  Zeit  arbeitet  als  Perennius,  und  endlich  die 
grosse  Menge  der  puteolanischen  Scherben,  von  denen  Proben  auf 
Taf.  IV  22— VI  77  abgebildet  sind.  Ich  fasse  alle  diese  unter  dem  Na- 
men der  IL  Klasse  zusammen.  Freilich  können  wir  hier  nicht  .ein  so 
geschlossenes  Musterbuch  konstatiren,  wie  das  mit  Hülfe  der  um- 
fassenden Vorarbeit  Hauser's  bei  der  I.  Klasse  möglich  war.  Immer- 
hin aber  wird  Niemandem  entgehen,  dass  die  Geschmacksrichtung, 
die  sich  in  diesen  Gelassen  ausspricht,  eine  gleichartige  ist,  und  im 
Gegensatz  steht  zu  der  der  I.  Klasse.  Bei  flüchtiger  Durchsicht 
schon  fällt  die  häufige  Verwendung  des  Ornamentes  gegenüber 
den  Figuren  auf.  Zwischen  den  Omamenten  finden  sich  Figuren, 
aber  ganz  ornamental,  häufig  in  statuarischen  Motiven,  z.  B.  Taf. 
V  34.  37.  38.  47.  Wir  sahen,  dass  die  Figuren  auf  den  Vasen  der 
I.Klasse  auf  einem  Streifen  angeordnet  waren  und  alle  gleiche  Kopf  höhe 
hatten.  In  der  II.  Klasse  werden  Figuren  ganz  verschiedener  Grösse 
zusammengestellt.  Der  Raum  ist  mit  Blättern,  Kränzen,  Mas- 
ken, Bukranien,  die  durch  Gnirlanden  verbunden  sind,  ausgeftlllt. 
Auf  den  Guirlanden  sitzen  Vögel,  Amoretten  laufen  oder  verfolgen 
Schmetterlinge.  Und  wie  anders  sind  die  einzelnen  Ornamente 
stilisiert!    Hier  haben  wir   realistisch   ausgeführte  Blätter,   Blüthen, 


1)  Gefasse  des  Cornelius  sind  z.  B.  Fabroni  Taf.  I.  6.  Taf.  VIII. 
Inghirami,  Mon.  ctrusc.  V  Taf.  I  und  bei  Funghini  nnter  no.  2—42 
abgebildet.  Uebrigens  ist  F  ii n  g  h  i  n  i  s  Trennung  der  beiden  Fabriken  des 
Cornelius  und  Perennius  ganz  unzuverlässig,  Stücke  wie  28,  32,  39  kenne 
ich  nur  aus  Perennius  Fabrik,  auf  28  und  23  ist  sogar  noch  inFunghinis 
Abbildung  der  Stempel  dos  Perennius  zu  erkennen,  ebenso  auf  31  der 
des  Tigranius,  seines  bekanntesten  Arbeiters.  Dagegen  stammt  46,  das 
bei  Funghini  dem  Perennius  zugeschrieben  wird,  sicher  von  Cornelius; 
es  ist  ein  bei  ihm  sehr  beliebter  Typus,  vgl.  no.  25,  Fabroni  Taf.  VIII. 


Terra  sigillata.  77 

Früchte.  Die  Guirlanden  sind  ans  wirklichen  Blumen  und  Blättern 
zusammengewunden,  die  sich  botanisch  bestimmen  lassen;  man  be* 
schränkt  sich  nicht  auf  die  Andeutung  eines  Laubgewindes  im  all- 
gemeinen; wie  bei  der  I.  Klasse.  Die  Ausführung  der  Ornamente 
ist  von  grosser  Feinheit.  Sie  hier  einzeln  aufzuführen  ^  unterlasse 
ich.  Die  Hauptsache  lehrt  ein  Blick  auf  die  beigegebenen  Tafeln 
besser  als  Worte  es  vermögen^  und  um  die  Ornamente  im  einzelnen 
kunstgeschichtlich  zu  verwerthen,  fehlen  noch  die  Vorarbeiten.  Eine 
genauere  Bearbeitung  der  hellenistischen  Ornamentik  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  verachiedenen  Stile  ist  eines  der  dringendsten 
Bedürfnisse.  Eingesetzt  muss  bei  den  pompejanischen  Wanddekora- 
tionen werden.  Hier  muss  man  scharf  untersuchen,  was  wirklich 
alexandriniseh;  d.  h.  im  Nillande  neu  erfunden  und  nach  Italien 
verpflanzt  ist,  was  die  Alexandriner  schon  aus  der  vor  ihnen  lie- 
genden griechischen  Kunst  übeinommen  und  nur  weiter  entwickelt 
haben,  was  sich  etwa  auf  anderen,  namentlich  kleinasiatischen  Ur- 
sprung zurückführen  lässt  und  erst  auf  italischem  Boden  mit  den 
alexandrinischen  Elementen  vermischt  wurde.  Damit  hängt  dann  auch 
die  Frage  zusammen,  ob  die  Kunst,  die  von  Alexandria  nach  Italien 
gebracht  wurde,  hier  selbständig  weiter  entwickelt  ist,  oder  ob  den 
verschiedenen  pompejanischen  Stilen  ebenso  yiele  alexandrinische 
parallel  gehen,  der  Stilwechsel  in  Pompeji  also  auf  immer  neuer 
Anregung  von  Alexandria  her  beruht.  Eis  müssen  umfassende 
Sammlungen  der  Ornamente  auf  Wandmalereien,  Keliefs,  Gefässen 
u.  s.  w.  gemacht  werden.  Was  einzelnen  Kunstzweigen  eigentbttm- 
Hch  ist,  muss  man  herausheben  und  in  seinen  Umbildungen  ver* 
folgen. 

Derartige  Arbeiten  sind  aber  um  so  mühsamer,  als  die  Hand- 
werker jener  Zeit  über  eine  sehr  grosse  Menge  von  Ornamenten 
verfügten,  die  sie  in  der  mannigfaltigsten  und  geschicktesten  Weise 
zusammen  zu  stellen  verstanden,  so  dass  immer  wieder  etwas  schein- 
bar Neues  herauskam.  Dies  lässt  sich  gerade  an  den  puteolanischen 
Fragmenten  besonders  gut  erkennen.  Man  findet  hier  keine  zwei 
Stücke,  die  gleich  dekoriert  sind.  Bei  genauerer  Zergliederung  der 
Dekoration  aber  findet  man  überall  dieselben  constituirenden  Elemente. 
Die  einzelnen  Typen,  die  den  Töpfern  zu  Gebote  standen,  waren  sehr 
klein.  Jedes  Dekorationselement  bildet  einen  Stempel  ftlr  sich  und 
der  Töpfer  setzte  diese  Stempel,  wie  bewegliche  Lettern,  nach 
eigenem  Belieben    zusammen.    In  dem  Blattwerk,    das  die  Gefässe 


78  Hans  Dragendorff: 

umzieht,  geben  nirgends  die  Elemente,  aus  denen  das  Ornament  ge- 
bildet ist,  in  einander  über,  sondern  es  ist  immer  der  Punkt 
sichtbar,  wo  sie  mechanisch  neben  einander  gesetzt  sind. 

Die  Muster  der  an-etinischen  und  puteolanischen  Töpfer  sind 
im  Wesentlichen  die  gleichen,  wie  die  Wiederkehr  dei*selben  Orna- 
mente und  dekorativen  Einzetfiguren  in  beiden  Gruppen  lehrt.  So 
haben  wir  auf  Gefässen  des  Perennius  in  Arezzo  tanzende  Skelette 
(G  a  m  u  r  r  i  n  i  Gruppe  XIII) :  dieselbe  Darstellung  auf  einem  Frag- 
ment aus  Pnteoli  im  Mnsäe  Guimet  ^).  Ebendort,  auch  aus  Puteoli, 
ein  kleiner  Eros,  der  auf  dem  Delphin  reitet,  wie  ihn  Gamurrini 
a.  a.  0.  p.  94.  8,  9  aus  Arezzo  beschreibt.  Die  Figur  bei  Fa- 
hr oni  Taf.  II  3  mit  dem  Stempel  M  *  E  REN  I  kehrt  mit  dem  Stem- 
pel A  T  T 1 0  V  S 1 1  N  A  E  V I  auf  einem  Berliner  Fragment  aus  Puteoli 
wieder. 

Könnte  man  schon  wegen  des  Naturalismus  der  Ornamente 
auf  den  Gedanken  kommen,  dass  Alexandria  die  Vorbilder  geliefert, 
so  lässt  sich  das  durch  einzelne  figflrliche  Typen,  wie  ich  glaube, 
beweisen.  Es  finden  sich  Männer  mit  grosser  Hakennase,  auf  dem 
Kopf  eine  Zipfelmütze.  Ein  Kopf  dieser  Art  auf  einer  Scherbe 
aus  Puteoli  ist  abgebildet  Taf.  IV  22.  Aehnliche  Figuren  kehren 
wieder  auf  Campanareliefs,  die  sich  durch  ihre  landschaftliche 
Staffage  mit  Krokodilen  u.  s.  w.  als  unzweifelhaft  von  alexan- 
drinischen  Vorbildern  abhängig  erweisen^.  Ganz  im  Sinne  alexan- 
drinischer  Karrikaturen^ist  auch  der  Pan  auf  Taf.  IV  23  auf- 
gefaast,  der  in  komischer  Grazie,  die  linke  Huid  vorgestreckt, 
die  rechte  auf  die  Brust  gelegt,  vorwärtsschreitet,  und  die  musici- 
renden  Thiere  auf  zwei  in  Cypem  gefundenen  Beliefvasen,  abge- 
bildet CesDola,  Salaminia  S.  248,  272  und  Cesnola,  Gypem 
Taf.  XLI,  2. 

Alexandrinische  ReUefbilder  glaubt  man  vor  sich  zu  haben 
bei  einigen  Fragmenten  im  Mus^e  Guimet.  Auf  dem  einen  sieht 
man  einen  knorrigen  Baum  mit  naturalistisch  ausgeführten  Blättern, 
an  denen  eine  Ziege  nagt.  Hinter  ihr  steht  als  Httter  ein  kleiner 
nackter  Knabe,  der  in  der  rechten  Hand  einen  Stab,  in  der  linken 
geschultert  einen  Zweig  hält. 


1)  Bekannt  ist  das  aus  dem  Puteoli  benachbarten  Kyme  stammende 
Stuckrelief  mit  tanzenden  Skeletten.  Vergl.  Abh.  d.  Berl.  Akad.  1830 
Taf.  IIL    Treu,  de  osBium  humanorum  imaginibus  p.  37. 

2)  Z.  B.  Campana,  Op.  in  plast.  Taf.  CXV. 


Terra  sigillata.  79 

Ein  anderes  Fragment  ebendort  zeigt  perspectivisch  einen  von 
Zinnen  bekrönten  Thurm,  ans  grossen  Quadern  erbaut. 

Auch  für  das  schönste  Stück  der  puteolanischen  Gefasse,  die 
Kentauren-Schale,  die  sich  in  mehreren  Wiederholungen  in  Berlin 
und  im  Musee  Guimet  findet,  lässt  sich  eine  alexandrinischc  Vorlage 
wahrscheinlich  machen.  Diese  hat  allerdings  kaum  Neues  erfunden, 
sondern  sich  eng  an  Werke  des  V.  Jahrhunderts  angeschlossen. 
Die  wilden  Kämpfe  zwischen  Kentauren  und  Lapithen,  wie  sie  jene 
Zeit  nicht  müde  geworden  war  zu  schildern,  treten  in  der  hellenisti- 
schen Periode  bekanntlich  zurück  vor  den  Darstellungen  der  Ken- 
tauren im  dionysischen  Thiasos  und  Bildern  des  idyllischen  Fami- 
lienlebens dieser  Halbthiere,  wie  Zeuxis  sie  zuerst  gewagt.  Auf 
dem  puteolanischen  Gefäss  aber  sind  die  Kentauren  noch  ganz  die 
wilden  Gesellen,  wie  wir  sie  in  Olympia,  den  Parthenon-Metopen  und 
im  Fries  von  Phigalia  sehen,  die  Feinde  aller  Ordnung  und  Sitte, 
mit  denen  die  Helden  als  Vertreter  der  Kultur  zu  kämpfen  haben. 
Fünf  Kämpfergruppen  'finden  sich: 

1.  Der  Kentaur  knickt  unter  der  Last  seines  Gegners  zusammen, 
der  ihn  mit  dem  rechten  Knie  zu  Boden  drückt  Mit  der  linken  Hand  packt 
der  Lapithe  den  Kentauren  im  Haar,  mit  der  rechten  holt  er,  das  Schwert 
über  dem  Kopf  schwingend,  zum  Schlag  aus.  Vergl.  Campana  a.  a,  0. 
Taf.  LXV.    Abgeb.  Taf.  V  30.  31. 

2.  Die  Gruppe  ist  der  vorigen  sehr  ähnlich,  nur  streckt  der  Lapithe 
das  Schwert  zurück  und  der  Kentaur  wird  von  vom  von  einem  zweiten 
Lapithen  angegrififen.    Abgeb.  Taf.  IV  27,  V  30. 

3.  Der  Kentaur  ist  in  weitem  Satz  über  einen  am  Boden  liegenden 
Verwundeten  hinweggesprungen  auf  den  vor  ihm  stehenden  Lapithen  los. 
Dieser  hat  ihn  ergriffen  und  würgt  den  Gegner,  während  die  linke  Hand, 
des  Kentauren  nach  dem  Kopf  seines  Feindes  greift.  Hier  scheint  eine 
Gruppe  ähnlich  der  desPhigalia-Frieses  Overbeck  Plastik  I  Fig.  132,  West.  8, 
missverstandeu  zu  sein.  Dort  hat  der  Kentaur  «den  Lapithen  ergriffen, 
drückt  seinen  Kopf  herab  und  beisst  ihn  thierisch  in  den  Hals,  während 
der  Lapith  ihm  das  Schwert  in  die  Brust  stösst.  Auf  unserer  Schale  sind 
die  Rollen  gleichsam  vertauscht.  Der  Kopf  des  Lapithen  neigt  sich  auf 
den  Nacken  des  Kentauren,  dessen  Kopf  niedergedrückt  wird.  Aus  dem 
Arm  des  Lapithen,  der  den  Todesstoss  führte,  ist  hier,  und  zwar  in  nicht 
verständUcher  Haltung,  der  Arm  des  Kentauren  geworden.  Auch  der 
Sprung,  bei  dem  der  Kentaur  mit  den  Hinterbeinen  hoch  ausschlägt,  war 
bei  dem  Vorbilde  des  Töpfers  dem  Fries  viel  ähnlicher.  Der  Töpfer  hat 
den  Stempel  falsch  gestellt.  Von  dem  urspi'ünglichen  Terrain  erkennt 
man  noch  einen  Rest  unter  den  Füssen  der  beiden  Ringenden.  Taf.  IV  28. 

4.  Der  Kentaur  wird  von  einem  mit  Schwert  und  Schild  bewaffne- 


80  HansDragendorff: 

ten  Lapithen  angegriffen.  Er  ergreift  dessen  gehobenen  rechten  Arm 
und  schleudert  mit  der  rechten  einen  Stein  nach  ihm.     Abgeb.  Taf.  V  29. 

5.  Erhalten  ist  nur  der  Kopf  des  Kentauren  und  seine  beideYi  Arme, 
die  er  zum  Kopf  erhoben  hat.    Abgeb.  Taf.  V  33. 

Die  Gruppe  1  kehrt  fast  ganz  entsprechend  mit  einer  6.  Gnippe 
auf  einem  Silbergefässe  in  München  ^)  wieder  und  hier  ist  die  landschaft- 
liehe Staffage,  der  knorrige  Baum  und  der  überhängende  Fels,  ebenso 
wie  an  dem  Fragment  Taf.  V  30,  ganz  im  Charakter  der  alexan- 
drinischen  Reliefbilder  gehalten.  Auch  diese  6.  Gruppe  ist  dem- 
selben Vorbilderkreis  entnommen,  wie  die  anderen  5.  Zu  verglei- 
chen ist  damit  die  nur  in  Carrey's  Zeichnung  erhaltene  Metope 
des  Parthenon,  Michaelis  III  11.^) 

üeber  die  Herkunft  einiger  weiterer  Typen,  wie  einer  alten 
Frau,  die  aufmerksam  in  eine  Schale  zu  blicken  scheint  (abgeb. 
Taf.  IV  26,  mehrfach  aus  Puteoli  im  Mus.  Guimet)  und  die  ver- 
hüllte gebückte  Gestalt,  Taf.  IV  24,  aus  einer  bacchischen  Mj^ste- 
rienfeier,  wie  sie  auf  Campanareliefs  öfters  geschildert  wird  (a.a.O. 
Taf.  XLV),  lässt  sich  Bestimmtes  nicht  vermuthen.  Auch  sie  können 
aber  sehr  gut  aus  alexandrinischem  Kunstbereieh  stammen.  Die 
Maske,  die  mit  dem  Rest  einer  Hand  hinter  dem  Mysten  erhalten 
ist,  gehörte  einer  Figur,  die  sich  eine  Maske  vor  das  Gesicht  hält, 
wie  sie  in  diesen  Scenen  häufig  sind.  Ein  hockender  Fan,  der  sich 
die  Maske  vor's  Gesicht  hält,  findet  sich  z.  B.  im  Musee  Guimet. 

Alexandrinischen  Geschmack  verräth,  wie  Ornamente  und 
Figuren  es  thaten,  endlich  auch  die  ganze  Compositionsweise. 
Das  felsige  Terrain  wird  dargestellt,  knorrige  Bäume,  Säulen  mit 
kleinen  Götterbildern  stehen  zwischen  den  Figuren.  Vor  allen  Din- 
gen aber  werden  dem  dekorativen  Gesichtspunkte  zu  Liebe  ver- 
schiedenartige Gegenstände  zusammengestellt,  wie  das  oben  S.  68  als 
ein  Charakteristikum  der  alexandrinischen  Kunst  hervorgehoben  ist. 
Zu  vergleichen  sind  hierfür  namentlich  Taf.  V  37,  46,  47,  die 
in  schärfstem  Gegensatze  etwa  zu  der  Tänzerinneuvase  des  Peren- 
nius  stehen.  Haben  wir  dort  ein  strenges  Festhalten  an  der  durch 
die  Form  des  Gef ässes  bedingten  Einheitlichkeit  des  verzierten  Rau- 
mes, so  wird  hier  der  Raum  nicht  als  etwas  Einheitliches  betrachtet, 
sondern    die  Fläche   in   mannigfacher  Weise  ^Jurchbrochen.    Es  ist 

1)  Arneth,  Gold-  u.  Silbermonumente  d.  k.  k.  Sammlungen  S.  81 
Taf.  S.  XI  1. 

2)  Ein  Stück  der  Metope  ist  neuerdings  von  Malmberg  nachge- 
wiesen worden.     Eph.  arch.  1894  Taf.  XL 


TeiTa  sigillata.  81 

ein  ähnlicher  Vorgang,  wie  er  sich  etwa  um  dieselbe  Zeit  auch  auf 
den  pompejanischen  Wandmalereien  vollzieht,  wo  die  ältere  archi- 
tektonische Gliederung  immer  mehr  durchbrochen,  die  Flächen  immer 
stärker  aufgelöst  werden  und  an  Stelle  der  organischen  Gliederung  eine 
phantastische  tritt.  Auch  in  der  Stilisirung  der  Gnirlanden  ist  die 
Entwickelung  auf  den  Keliefvasen  ähnlich  wie  in  der  Wandmalerei: 
an  Stelle  streng  stilisirter  conventioneller  Laubgewinde  treten  ganz 
allmählig  tippige,  naturalistisch  behandelte  Fruchtgehänge. 

Die  figürlichen  Typen  treten,  wie  schon  kurz  bemerkt,  auf 
den  Vasen  der  II.  Classe  sehr  zurtlck.  Einige  möchte  ich  hier 
noch  anführen.  Statuarische  Vorbilder  geben  Taf.  V  37,  38,  44, 
47  wieder.  37  ist  eine  Kallipygos  *).  Auf  44  ist  der  Rest  eines 
ausruhenden  Herakles  erhalten,  der  sich  auf  einen  Pfeiler  lehnt. 
Auf  der  gevmndenen  Säule  neben  ihm  steht  eine  kleine  archai- 
sirende  „Spes".  Herakles  ist  ttberhaupt  mehrfach  auf  puteolani- 
sehen  Vasen  zu  erkennen.  So  findet  sich  auf  Taf.  V  39  neben 
derselben  „Spes"  der  kleine  Herakles  in  dem  bekannten  Schema,  wie 
er  die  Schlangen  würgt.  Einen  sitzenden  bärtigen  Herakles  mit 
der  Keule  im  linken  Arm  zeigt  Taf.  V  40.  Taf.  V  41  erinnert  in 
der  Bewegung  an  die  Trierer  Marmorfigur  bei  Hettner,  Steindenk- 
mäler in  Trier  669,  doch  spricht  die  Haltung  der  r.  Hand  dafür,  dass 
die  Figur  einen  leichten  Gegenstand  warf,  etwa  Nüsse*).  Das  Ge- 
schlecht der  Figur  ist  zweifelhaft. 

Beliebt  sind  auch  Mädchen,  die  Früchte  und  ähnliches  tra- 
gen, auf  Taf.  V  42  einen  runden  Korb  auf  beiden  Händen,  auf 
Taf.  V  46  einen  Korb  mit  Fi-üchten  auf  der  linken  Hand.  Das  Mäd- 
chen Taf.  V  48  seh  eint  in  der  vorgestreckten  linken  Hand  einen  Kranz 
von  aufgereihten  Feigen  zu  tragen.  Diese  Feigenkränze,  wie  sie 
auch  jetzt  noch  gebräuchlich  sind,  finden  sich  auch  mehrfach  oma- 
mental verwendet,  z.  B.  Taf.  V  37,  46. 

X.   Die  Terra  sigillata-Industrie  in  den  Provinzen. 
Wir  haben  oben  gesehen,  wie  sieh  die  arretinischen  Töpfereien 
entwickeln  und  ihre  Produkte  weit  hin  versenden,   und   wie  neben 
Arezzo  noch   andere  Oiiie  Italiens   sich   dieses  Industriezweiges  be- 
mächtigen. Sehr  zu  bedauern  ist  es,  dass  genügendes  Material  fehlt, 

1)  Arch.  Jahrb.  II  S.  125  (H  e  y  d  e  m  a  n  n). 

2)  Wie  die  Figur  H e  1  b  i g  Führer  I  S.  586.  Baumeister  IT 
S.  780. 

Jahrb.  d.  Vor.  v.  Alterthsfr.  im  Rheiul.  XCVI.  $ 


82  HausDrageudorff: 

um  die  Geschichte  der  italischen  Terra  sigillata-Fabrikation  während 
der  Kaiserzeit  zu  verfolgen.  Wir  haben  keine  Fundberichte,  son- 
dern nichts  als  die  Verzeichnisse  von  Stempeln  in  den  Inschriften- 
sammlungen. Für  Griechenland  und  Kleinasien  fehlen  selbst  diese. 
Dass  aber  auch  dort  die  rothen  Gefässe  im  Gebrauche  waren,  zei- 
gen neben  den  schon  genannten  arretinischen  Stücken  Scherben 
der  gewöhnlichen,  jüngeren  Sigillata  im  Bonner  Kunstmuseum,  die 
Prof.  Lo esc hcke  gelegentlich  in  Athen,  EleGsis,  Rhamnus,  Oropos, 
Epidauros,  Eretria,  Arges,  Delos,  Troia  aufgelesen  hat,  und  ein 
Fragment  aus  Alexandria,  das  Prof.  Wie  dem  an  n  besitzt.  Ausser- 
dem hat  Prof.  Loeschcke  ein  Gefäss  mit  einem  von  ihm  nicht 
sicher  gelesenen  lateinischen  Stempel  im  Museum  von  Dimitzana 
(Arkadien)  notirt  und  einen  kleinen  Teller  ohne  Stempel  in  Tschanak- 
Kalessi  (Dardanellen).  In  Olympia  sind  nach  Für  twaen  gier  (Olym- 
pia IV  S.  206)  ebenfalls  Scherben  „arretinischer"  Geisse  gefunden. 
Der  einzige  dort  gefundene  Stempel  lautet  nach  Dr.  Purgold's  ge- 
fälliger Mittheilung  OCTSALVE.  Ein  paar  kleine  Näpfe  aus  Cy- 
pern  befinden  sich  im  Museum  von  St.  Germain.  Endlich  sollen 
rothe  Scherben,  wie  Dr.  Boehlau  freundlichst  mittheilte,  auch  in 
Pergamon  ziemlich  häufig  vorkommen. 

Bei  dieser  Sachlage  können  wir  nur  konstatiren,  dass  die 
rothen  Gefässe  in  der  Kaiserzeit  auch  auf  altgriechischem  Boden 
im  Gebrauch  waren  und  zwar,  da  die  beiden  einzigen  mir  bekann- 
ten Stempel  aus  jenen  Gegenden  lateinisch  sind,  wohl  aus  Italien 
importirt  wurden. 

Die  folgende  Untersuchung  muss  sich  also  fast  ausschliess- 
lich auf  die  in  Gallien,  Germanien  und  Britannien  gefundenen 
Vasen  beschränken.  Schnell  waren  diese  Provinzen  unter  römischer 
Herrschaft  aufgeblüht,  in  kui-zer  Zeit  hatten  sich  zahlreiche  italische 
Ansiedler  dort  niedergelassen  und  waren  unter  dem  Schutze  der 
römischen  Macht  dort  heimisch  geworden.  Nach  Möglichkeit  strebte 
man  danach,  sich  in  der  neuen  Heimatji  behaglich  einzurichten; 
Händler  brachten  zunächst  aus  dem  Süden  das  G^chirr,  an  das  man 
gewöhnt  war,  aber  kein  Wunder,  dass  man  bald  versuchte,  dieses 
an  Ort  und  Stelle  herzustellen,  um  den  langen  und  für  die  zerbrech- 
liche Waare  gefährlichen  Transport  von  Italien  her  zu  ersparen.  So 
entstehen  schon  im  I.  nachchristlichen  Jahrhundert  z.  B.  in  Gallien 
eine  Reihe  von  Töpfereien,  die  Terra  sigillata-Gefässe  fertigen  und 
in  der  Provinz  vertreiben. 


Terra  sigillata.  83 

Die  litterarische  Ueberlieferung  weiss  allerdings  Nichts  von 
dieser  Industrie.  Die  einzige  Provinzial-Stadt ,  die  unter  den  be- 
rühmten Töpferstädten  genannt  wird,  ist  Sagunt^),  und  saguntiner 
Vasen  werden  auch  von  Martial  und  Juvenal  erwähnt*).  Nirgends 
aber  werden  sie  genauer  beschrieben.  Auch  die  Aufdeckung  anti- 
ker Töpfereien  in  Sagunt  hat  die  Frage  nicht  entschieden').  Denn 
in  ihnen  sind  Vasen  verschiedener  Art,  darunter  auch  Terra  sigillata, 
gefunden,  und  es  ist  nicht  zu  bestimmen,  welche  von  diesen  mit  der 
von  Plinius,  Martial  und  Juvenal  erwähnten  Gattung  zu  identifi- 
ziren  ist. 

Dass  sehr  viel  Terra  sigillata  im  südlichen  Gallien,  am  Tarn 
und  in  der  Auvergne  gefertigt  wurde,  haben  die  Funde  bewiesen. 
Töpfereien  sind  z.  B.  aufgedeckt  in  Arles  *),  Nimes  ^),  Montans  (am 
Tarn)^),  ßanassac  (Lozere)'),  Lyon^),  Clermont-Ferrand^),  Chä- 
telet^^),  Lezoux  (Auvergne)  ^^),  Bordeaux ^^),  Paris  ^3),  Nancy"). 

Leider  fehlen  über  diese  wichtigen  Ausgrabungen  genauere 
Berichte;  wir  können  deshalb  weder  die  Zeit  der  einzelnen  Töpfe- 
reien zuverlässig  bestimmen,  noch  den  Wohnsitz  einzelner  Töpfer. 
Etwas  ausführlicher  ist  einzig  die  Abhandlung  von  Plicquc 
über  die  Töpfereien  von  Lezoux,  der  etwa  70  Werkstätten 
mit  160  Oefen  gefunden  zu  haben  angibt.  Aber  auch  sein  Bericht 
ist  nur  ein  vorläufiger.  Wichtig  ist,  dass  sich  der  Beginn  der  dor- 
tigen Industrie  einigermassen  datiren  lässt.  Es  hat  sich  bei  Lezoux 
eine  kleine  isolirte,  oflFenbar  auf  einmal  angelegte  Nekropole  gefun- 


1)  PUn.  H.  N.  XXXV  160. 

2)  Martial  IV  46.    VIII  6.    XIV  108.    Juven.  V  29. 

3)  C.  n  Suppl.  p,  1009. 

4)  Roach-Sraith,  CoU.  ant.  VII  p.  12  flF.     Bulletin    monumental   XLI 
p.  600.  XLII  p.  525. 

5)  Birch,  Hlst.  of  anc.  pott.  p.  572. 

6)  Roach-Smith  a.  a*  0,    Gazette  Arch.  1877  p.  175  f. 

7)  Gaz.  Arch.  a.  a.  0. 

8)  Birch  a.  a.  0. 

9)  Birch  a.  a.  0. 

10)  Caumont,  Cours  d'antiquitö  II  p.  211- 

11)  Brongniarti    Trait6  des  arts  c<^ramiques  I  p.  444.   A.  E.  Plicque, 
£tade  de  ceramique  arvern o-romaine,  Cacn  1887. 

12)  Birch  a.  a.  0.    Grivaud,  Monuments  Gauloises  p.  138. 

13)  Grivaud  a.  a.  0. 

14)  Grivaud  a.  a.  0. 


84  Hans  Dragendor f f : 

den,  in  der  jede  Aschenurne  eine  Münze  Vespasians  vom  Jahre  76 
enthielt.  Die  Gräber  sind  also  nach  76  angelegt.  Die  Gefässe 
nnn,  die  sich  hier  fanden,  stimmen,  vollkommen  mit  denen  der  unter- 
sten Scherbenschicht  bei  den  Töpferöfen  überein.  Danach  wird 
man  mit  Plicque  schliesseU;  dass  die  Töpfereien  um  das  Jahr  76 
zu  arbeiten  begonnen  haben. 


XL  Terra  sigillata-Gefässe  des  I.  nachchristlichen 

Jahrhunderts. 

Das  beste  Material  fQr  das  Studium  der  provinzialen  Keramik 
etwa  bis  zum  Beginn  der  Flavierzeit  bietet  die  frührömische  Nekro- 
pole  von  Andernach.  Ihre  sorgfältige  Erforschung  und  Auf- 
stellung im  Bonner  Provinzialmuseum  ist  das  bleibende  Verdienst 
von  Constantin  Koenen.  Sein  genauer  Bericht  darüber  findet 
sich  in  den  B.  J.  LXXXVI  S.  148  ß.  Auch  seine  Ausführungen 
über  Terra  sigillata  in  der  „Geßlsskunde  der  vorrömischen,  römi- 
schen und  fränkischen  Zeit  in  den  Rheinlanden^  S.  87  ff.  beruhen 
in  der  Hauptsache  auf  den  in  Andernach  gemachten  Beobachtun- 
gen^). Ausserdem  kommen  nur  noch  einige  Grabfunde  bei  Xanten 
in  Betracht*)  und  die  Scherben  aus  der  ßrandschicht  des  Lagers 
von  Neuss,  das  im  Jahre  70  n.  Chr.  zerstört  wurde. 

1.  Terra   sigillata  italischer  Art. 

Die  eigentlichen  Sigillata-Gefllsse  dieser  Fundgruppen  unterechei- 
den  sich  in  Form  und  Farbe  nicht  von  den  arretinischen  und  itali- 
schen, und  dass  sie  zum  Theil  aus  Italien  importirt  sind,  beweist  das 
Vorkommen  gleicher  Stempel  auf  Gef&ssen  in  Andernach  und  Xan- 
ten einerseits,  Italien  andererseits.  Hierhin  gehören  namentlich 
die  Stempel  des  Ateius^),  Bassus^),  Primus^),  Xanthus^). 


1)  K  0  e  n  e  n '  s  Gefässkunde  habe  ich  nur  noch  bei  der  Correctur 
benutzen  können.  Mein  Manuskript  war  vor  Erscheinen  derselben  in  den 
Händen  der  Redaktion. 

2)  Houben  u.  Fiedler,  Denkmäler  v.  Castra  Vetera.  Xanten  1839. 

3)  Z.  B.  C.  X  8055,  4-9,  8056,  5,  46-52. 

4)  Atti  d.  L.  IV  5.  p.  188. 

5)  C.  X  8066,  280  ff.    C.  V  8116.  97. 

6)  C.  X  8056,  397. 


Terra  sigillata.  85 

Die  Hanptformen  der  Sigillata-Geßldse  dieser  Zeit  habe  ich 
unter  Nr.  15 — 30  zugammengestellt.  Auffallend  ist  die  Seltenheit 
und  Einförmigkeit  der  ornamentirten  Vasen,  nur  29  und  30*)  pflegen 
Reliefschmuck  zu  tragen. 

Die  arretinischen  Formen  fehlen  unter  den  verzierten  schon 
ganz.  Da  die  Formen  29  und  30  noch  in  den  Limescastellen  vor- 
kommen, muss  man  schliessen,  dass  sie  das  ganze  L  nachchrist- 
liche Jahrhundert  im  Gebrauch  waren. 

Die  Dekoration  wird  später  (Cap.  XII  3  III)  behandelt  wer- 
den; hier  einige  Bemerkungen  zu  den  einzelnen  Formen*). 

Form  1 — 3.  15 — 17.  Die  alte  schon  in  Arezzo  gebräuch- 
liche Tellerform  kommt  in  Andernach  und  Xanten  in  mannigfach 
variirten  Gestalten  vor,  von  denen  ich  nur  einige  skizzirt  habe'). 
Auch  in  Pompeii  ist  sie  nicht  selten,  wie  mir  Hermann 
Schoene  mittheilt.  Aus  den  Limeskastellen  kenne  ich  nur 
ein  Exemplar.  Es  ist  auf  der  Saalburg  gefunden  und  trägt  den 
Stempel  B0LLV2FIC.  Am  Ende  des  I.  nachchristlichen  Jahrhun- 
derts war  die  Form  also  im  Verschwinden  begriflfen.  Die  Grösse 
wechselt.  Es  finden  sich  Stücke  bis  0,40  m  im  Durchmesser,  denen 
der  Stempel  dann  bisweilen  3 — 4  Mal  eingedruckt  ist.  Ausser  dem  Stem- 
pel trägt  der  Boden  ofl  auch  den  schraffirten  Kreis  wie  Fig.  1  a* 
An  der  Aussenseite  des  Randes  befindet  sich  bisweilen  ein  kleines 
Ornament,  ähnlich  dem  an  Form  25;  es  sieht  wie  das  Rudiment 
einer  Henkels  aus. 

Form  18.  Gefunden  in  Andernach  mit  einer  Münze  der  Antonia 
Augusta  ^).  In  Este  in  Italien  mit  dem  Stempel  S  E  R  R  A  E  in  einem 
Grabe,  dessen  späteste  Münze  ein  Augustus  ist*).  Die  Form  war 
in  denselben  Töpfereien  im  Gebrauch,  wie  Form  1,  da  auf  beiden 
die  gleichen  Stempel  vorkommen. 

Aus  der  Form  18  entwickelt  sich  die  spätere  Hanptform  des 


1)  B.  J.  LXXXVI  Taf.  VI  16,  Taf.  VII  18.  Eine  Form  wie  die  von 
Siebourg  B.  J.  XCIV  Taf.  III  hergesteUte  kenne  ich  nicht  und  der  Heraus- 
geber ist  jetzt  selbst  der  Meinung,  dass  die  Fragmente  nicht  zusammenge- 
hören. 

2)  Die  Stempel,  die  auf  den  einzelnen  Formen  vorkommen,  sind  im 
Anhang  I  zusammengestellt. 

3)  Z.  B.  B.  J.  LXXXVI  Taf.  VII  37.  39.  41. 

4)  B.  J.  LXXXVI  S.164  Taf.  VII  43. 

5)  Atti  d.  L.  IV  5,  p.  74. 


86  Hans   Dragendorff: 

Tellers  31.  Der  Rand  steht  etwas  scbräg  und  ist  leicht  nach  aussen 
gerundet.  Die  Mitte  des  Bodens  ist  etwas  erhoben.  Bei  den  späte- 
ren Exemplaren  wird  der  Rand  höher  und  steht  schräger,  der  Theil 
des  Bodens  vom  Ansatz  des  Randes  bis  zum  Fusse  wird  dadurch 
kürzer,  die  Mitte  des  Bodens  aber  hoch  herausgetrieben  wie  ein 
Kegel.  Ausser  nach  der  Güte  des  Materials  kann  man  schon  hiemach 
das  relative  Alter  eines  Stückes  abschätzen. 

Form  22  und  23,  immer  aus  sehr  gutem  Material  hergestellt, 
scheinen  auf  das  I.  Jahrhundert  beschränkt.  In  Arezzo  waren  sie 
schon  im  Gebrauch  *).  Ein  Stück  mit  dem  Stempel  L  M  V  ist  in 
einem  Grabe  des  I.  Jahrhunderts  gefunden  2).  Die  in  Trier  befind- 
liehen  Stücke  sind  ungestempelt. 

Form  24  und  25.  Gefunden  in  Castra  Vetera  mit  Münzen 
Caesars  und  Neros,  gestempelt  P  R  M  V  und  0  F  P  R  ^  *).  Andere 
gute  Exemplare  befinden  sich  in  den  Museen  von  Köln,  Trier,  St. 
Germain  u.  s.  w.  Die  Form  hält  sich  wohl  bis  ins  II.  Jahr- 
hundert, da  sie  noch  auf  der  Saalburg  und  in  Heddemheim  vor- 
kommt. Der  senkrechte  Rand  ist  meist  fein  geriefelt.  Bei  einzel- 
nen Exemplaren  ist  hier  auch  eine  kleine  Volute  aufgesetzt  (Form  25). 

Form  26.  Gefunden  in  Este  in  dem  oben  erwähnten  Grabe 
des  I.  Jahrhunderts,  gestempelt  mit  einem  kleinen  Halbmond  und 
Stern*).  Die  frühe  Zeit  dieser  Form  bestätigen  2  Stücke  des  Köl- 
ner Museums  mit  den  Stempeln  AT  El  und  ^OIL,  am  sichersten 
aber  das  Vorkommen  in  Bibracte*^).  In  Deutschland  ist  die  Form  selten, 
was  auch  dafür  spricht^  dass  sie  der  älteren  Gruppe  angehört. 

Form  27.  Ob  diese  eigenthümliche  Form  schon  in  Arezzo 
gebräuchlich  war,  weiss  ich  nicht.  In  Pompeii  kommt  sie  jeden- 
falls vor,  und  zwar  auch  in  Glas^).  Datirte  Exemplare  stammen 
caus  Xantener  Gräbern  mit  Münzen  des  Augustus  und  des  Domitian 
vom  Jahre  88').  Auch  in  der  Andernacher  Nekropole  findet  sich 
die   P^orm'').     Die  Näpfchen   dieser  Form   haben  stets   die   dunkle 

1)  Ich  verdanke  diese  Auskunft  v.  Bissing. 

2)  Atti  della  societA  di  arch.  di  Torino  IV  p.  305.  Taf.  XXI  13  f. 

3)  Houben-Fiedler  Taf.  II  6.  S.  45.  Taf.  XV  4. 

4)  Atti  d.  L.  JV  5.  p.  74. 

5)  Ein  dort  gefundenes  Exemplar  in  St.  Germain. 

6)  N  i  c  c  o  1  i  n  i ,  Gase  e  monumenti  di  Pompei,  descrizione  gene- 
rale Taf.  XLIII. 

7)  Houben-Fiedler  Taf.  XVIII  5. 

8)  B.  J.  LXXXyi  Taf.  VI  17. 


Terra  sigillata.  87 

Glasnr  der  älteren  Zeit;  sodass  man  danach  geneigt  sein  würde 
sie  sämmtlieh  der  früheren  Periode  zuzuschreiben,  wenn  sie  nicht  in 
den  Limescastellen  sehr  häufig  wären.  Sie  waren  also  noch  im  II. 
Jahrhundert  im  Gebranch.  Nicht  übersehen  darf  man  dabei  frei- 
lich;  dass  diese  Näpfchen  ihrer  geringen  Grösse  wegen  weniger  zer- 
brechlich und  leichter  transportabel  waren  als  z.B.  die  Teller,  und 
in  Folge  dessen  mitunter  lange  im  Gebrauch  gewesen  sein  können. 

2.  BelgischeVasen. 
a.  Hellrothe  Vasen. 

Neben  diesen  aus  Italien  importirten  Gefässen  findet  sich  im 
I.  Jahrhundert  in  Gallien  und  Germanien  auch  noch  eine  andere 
Gruppe  rother  Vasen,  die  sich  von  ihnen  scharf  unterscheidet.  Die 
Oberfläche  ist  hellroth  und  ohne  den  starken  spiegelnden  Glanz  der 
„echten"  Sigillata.  Diese  Färbung  beruht  nach  Hettner^)  ledig- 
lich auf  feiner  Glättung  der  Oberfläche,  nicht  auf  einem  Anstrich 
oder  einer  Glasur.  Zuerst  hat  diese  Vasen  von  der  dunklen  itali- 
schen Sigillata  Constantin  Koenen  consequent  unterschie- 
den, der  sie  in  seinem  Bericht  über  die  Andernacher  Nekropole 
„Orangeroth"  nennt  *). 

Auch  die  Formen  sind  andere.  Die  Teller,  abgeb.  Taf.  II 
19.  20,  sind  schwerer,  dickwandiger,  weniger  fein  profilirt,  der  hohe 
Fuss  der  italischen  Teller  ist  durch  einen  ganz  flachen  Ringfuss 
ersetzt.  Der  gleichartige  Becher,  Taf.  II  28  (Varianten  bei  Koenen, 
GefUsskunde  Taf.  XIII  3,  4),  hat  überhaupt  keinen  Fuss. 

Während  in  echter  Sigillata  nur  Teller  und  Näpfe  verschie- 
dener Grösse  fabricirt  worden  sind,  hat  man  in  der  hellrothen  Tech- 
nik auch  grosse  Becher  und  schlanke  Urnen  und  zwar  in  durchaus 
eigenartigen  Formen  (B.J.LXXXVI  Taf.  V  21,  VI  4.  9. 10)  und  mit 
charakteristischen  Ornamenten  hergestellt,  die  zugleich  mit  denen  der 
Terra  nigi-a  im  folgenden  Abschnitt  besprochen  werden.  Die  Gat- 
tung findet  sich  in  den  ältesten  römischen  Gräbern  der  Ander- 
nacher Nekropole,  die  etwa  bis  zum  Jahre  60  n.  Chr.  reichen,  femer 
in  der  Nekropole  von  Morsbach,  deren  Fundstücke  sich  im  Museum 
von  Metz  befinden.  In  späterer  Zeit  kommen  derartige  Vasen  nicht 
mehr  vor;  immer  aber  finden  sich  mit  ihnen  zusammen  GefUsse  aus 
Terra  nigra. 

1)  Festschrift  für  0  v  o  r  b  e  c  k.    Leipzig  1893.    S.  168. 

2)  B.  J.  LXXXVI  S.  155. 


88  Hans   Dragendorff: 

b.  Terra  nigra. 
Unter  Terra  nigra -Gefässen  verstehen  wir  streng  genommen 
Vasen  aus  einem  feinen,  hellen,  bläulich-grauen  Thon,  dessen  Ober- 
fläche aufs  sorgfältigste  geglättet  und  mit  einer  schwarzen  Politur 
versehen  ist.  Die  schwarze  Färbung  ist,  ähnlich  wie  bei  den  etras- 
kischen  Buccherogefässen,  durch  Dämpfung  in  Rauchqualm  und  Ein- 
reiben der  Kohlenpartikelchen  des  Russes  hervorgerufen,  nicht  durch 
eine  aufgestrichene  Farbe.  Von  dem  schwarzen  Firniss,  den  wir  so 
häufig  an  den  römischen  Vasen  des  II.  und  III.  Jahrhunderts  finden, 
ist  sie  ganz  verschieden.  Auch  der  Thon  ist  bei  diesen  ein  völlig 
anderer  als  bei  der  Ten-a  nigra,  dort  rothgebrannt,  hier  hellgrau. 
In  weiterem  Sinne  aber  müssen  wir  der  Terra  „nigra"  auch  die 
grauen  Vasen  zuzählen,  die  mit  ihr  zusammen  gefunden  werden, 
die  gleichen  Formen  und  Ornamente  haben  und  sich  von  den  schwarzen 
nur  dadurch  unterscheiden,  dass  die  Oberfläche  die  natürliche  Farbe 
des  Thones  zeigt,  während  jene  künstlich  gedunkelt  worden  sind.  Be- 
sonders deutlich  wird  dies  durch  die  nicht  seltenen  Stücke,  die  nicht 
vollständig  geschwärzt  wurden,  sondern  zum  Theil  grau  gelassen  sind. 
Und  dass  auch  die  hellrothen  Vasen  von  dieser  Gruppe  nicht  zu 
trennen  sind,  sondern  mit  den  schwarzen  und  grauen  eine  Gattung 
bilden,  beweisen  ausser  den  identischen  Formen  die  gleichen  Stempel, 
die  sich  sowohl  auf  schwarzen  als  auf  hellrothen  Tellern  und  Näpfen 
finden  ^).  Hellrothe  und  schwarze  Vasen  müssen  also  in  denselben 
Fabriken  neben  einander  verfertigt  sein.  Diesen  Schluss  haben  die 
von  Lehner  gemachten  Funde  römischer  Töpfereien  in  Trier  be- 
stätigt,  wo   neben  grossen  Massen   von  Terra  nigra  auch  hellrothe 


1)   Z.  B.  C  •  I  FW  G  A  3mal  gestempelt  auf  grossem  hellrothem  Teller 
in  Andernach.  C  I  R  V  G  A    auf  einem  schwarzen  ebendort  (B.  J.  LXXXVI 

S.  155  und  160).     — auf  schwarzen  und  rothen  Tellern  (B.  J. 

VOCAR 

ACVTI 
LXXXVI  S.  165,  LXXXIX  S.  55)  ACV  TO    und  auf  schwar- 

zen Tellern  in  Andernach  (B.  J.  LXXXVI  Taf  V.  35  S.  164  and  B.  J.  LXXXIX 
S.  51)  und  in  Trier  (no.  3048),  ACVTI  OS  auf  hellrothem  Teller  in  Speier. 

DVRV  DVRV 

—77— TT—     und    -  T/TTTT;      ^^^  rothen  Tellern   in  Andernach  (B.  J. 
CVAVO  CVAVO 

DVRVC 
LXXXVL    171).  ;,"  ,^    auf  schwarzem  Teller  in  Trier. 

7AVO 


Terra  ßigillata.  89 

Scherben  zum  Vorschein  gekommen  sind.  Für  die  liebeoBwürdige 
Bereitwilligkeit;  mit  der  es  mir  gestattet  wurde^  diese  Fände  im 
Provinzial-Mnseum  in  Trier  zn  stndiren,  und  überhaupt  fllr  die  viel- 
fache Unterstützung  und  Förderung  meiner  Arbeit^  die  ich  bei  wieder- 
holten Besuchen  des  Museums  dort  gefunden^  möchte  ich  den  Herrn 
Prof.  Hettner  und  Dr.  Lehn  er  auch  hier  meinen  herzlichsten  Dank 
aussprechen. 

Die  ganze  Vasenklasse  weicht  in  ihren  Formen  von  allem 
Römischen  stark  ab.  Besonders  charakteristisch  sind  hohe  schlanke 
Urnen  mit  scharf  umgebogenem,  schräg  stehendem  Band  und  bauchi- 
gere Urnen,  bei  denen  der  obere  Theil  der  Wandung  in  einer  scharfen 
Kante  eingezogen  ist.  Die  sich  in  den  Formen  verrathende  Nach- 
ahmung von  Metallgefässen  wird  noch  augenfälliger  durch  die  graue 
und  schwarze  Färbung  und  die  sorgfältige  Glättung  der  Oberfläche. 
Die  Formen  schliessen  sich,  wie  Koenen  zuerst  ausgesprochen  und 
jetzt  in  der  „Gefässkunde''  begründet  hat,  an  die  der  späten  La 
TSnezeit  an.  Schon  Lindenschmit  hatte  den  Zusammenhang  mit 
der  Yorrömischen  Keramik  bemerkt  und  nannte  die  Gefässe  „romano- 
germanische'^  Da  sie  aber  mit  germanischer  Töpferei  nichts  zu 
thun  haben,  hingegen  in  der  keltischen  La  T6ne-Cultur  wurzeln 
und,  wie  wir  sehen  werden,  in  Gallia  Narbonensis,  ganz  über- 
wiegend aber  in  Gallia  Belgica  hergestellt  worden  sind,  so  schlage 
ich  als  Gesammtname  „belgische  Vasen^  vor. 

Geßtoe,  die  an  die  flaschenförmigen  Urnen  (z.  B.  B.  J.  LXXXYI 
Taf.  VI  5}  und  an  die  oben  erwähnten  bauchigen  Urnen  (B.  J.  a. 
a.  0.  Taf.  VI  24,  VII  35)  erinnern,  kommen  schon  in  der  vor- 
römischen Nekropole  von  Nauheim  vor,  deren  Funde  sich  im  Frank- 
furter Museum  befinden  *),  ferner  in  den  La  Töne-Gräbern  von  Her- 
meskeil») (Lehner  Taf.  III  1.  12,  IV  11),  endlich  in  Mühlbach,  wo 
Ziffer  eine  Münze  von  Nero  gefunden  ist,  aber  kein  einziges  römi- 
sches Gefäss,  und  wo  die  den  Todten  mitgegebenen  Schwerter  be- 
weisen, dass  es  sich  nicht  um  Römer-,  sondern  um  Barbarengräber 
handelt').    Auch  das  Schwärzen  der  Gefässe  ist  bekanntlich  eine 


1)  Kurzer  Fundbericht  Annal.  d.  Vereins  f.  NasHauische  Altcrthums- 
künde  XIV  S.  415. 

2)  Vgl.    Lehn  er,    Jahresbericht    der   Gesellschaft    für    nützliche 
Forschungen  zu  Trier  von  1882—93.    Trier  1894. 

3)  W.  Z.  IV  S.  283  flF.  Taf.  15-18.    Vergleiche  auch  Much,  Kunst- 
histor.  Atlas,  herausgegeben  v.  d.  k.  k.  Centralkommission  I.  Taf.  73  u.  93. 


90  Hans  Dragendorff: 

in  prähißtorischen  Zeiten  viel  geabte  Technik,  für  die  wir  uns 
in  der  Zeit  der  Andemaeher  Nekropole  auf  klasaiscbem  Boden  ver- 
gebens nach  einer  Analogie  nmsehen. 

ünrömiscb,  wie  Form  und  Farbe,  ist  nan  auch  die  Oma- 
mentierung  der  Gef&sse.  Sie  ist  nie  in  Relief  ausgeführt  und  aus- 
schliesslich linear.  Die  bei  ihrer  Ausführung  gebrauchten  Hand- 
grifiFe  sind  verschieden.  Am  überaichtlichsten  hat  sie  Hettner  zu- 
sammengestellt und  erläutert  in  seinem  ausgezeichneten  Aufsatz  über 
römische  Keramik  in  der  Festschrift  fftr  0 verbeck  S.  170  f. 

a)  Mit  einem  scharfen  Instrument  ^sind  Linien  in  den  noch 
weichen  Thon  geritzt.  Je  2,  3  oder  mehr  Parallellinien  sind  zu 
Gruppen  verbunden,  so  dass  man  erkennt,  dass  ein  mehrzinkiges 
Werkzeug,  ähnlich  dem,  das  man  zum  Ziehen  von  Notenlinien  ver- 
wendet, bei  ihrer  Herstellung  benutzt  wurde.  Diese  Liniencomplexe 
sind  bald  senkrecht  neben  einander  gesetzt,  bald  kreuzen  sie  sich 
netzförmig*). 

b)  Die  Urnen  sind  mit  schraffirten  Bändern  umgeben,  die 
mit  einem  umlaufenden  Rädchen  hergestellt  sind^). 

c)  Die  Streifen  sind  senkrecht  oder  schräg  schraffirt  oder 
werden  durch  senkrechte  Linien  in  kleine  Vierecke  zerlegt,  die  ab- 
wechselnd von  rechts  nach  links  und  von  links  nach  rechts  gestreift 
sind,  so  dass  eine  Art  Flechtmuster  entsteht^). 

d)  In  einen  weniger  geglätteten  Streifen  des  Geßlsses,  der  in 
Folge  dessen  sich  in  seiner  Farbe  von  dem  übrigen  Gefässe  abhebt, 
sind  mit  einem  glatten  Holz-  oder  Hornstäbchen  Linien  eingeglättet, 
die  sich  nur  durch  ihren  Glanz  von  dem  matten  Untergrund  ab- 
heben*). 

e)  Die  Gef&sse  sind  mit  kleinen  aufgeklebten  Buckeln  verziert, 
eine  Anlehnung  an  toreutische  Vorbilder*).  Diese  Verzierungsarten 
sind  schon  der  vorrömischen  Töpferei  in  unseren  Gegenden  geläufig^). 


1)  B.  J.  LXXXVI  Taf.  V  15.  36.  Taf.  VI  6.  9.  Cleuziou  Fig.  39. 
Lindenschmit^  Alterthümer  unserer  heidnischen  Vorzeit  I  6.  Taf.  VI 
1.  2.  4. 

2)  B.  J.  LXXXVI.  Taf.  V  19.  21,  mit  Münzen  von  Augustus  bis 
Nero.    Cleuziou  Fig.  60.  61. 

3)  Z.  B.  B.  J.  LXXXVI  Taf.  V  1  und  9. 

4)  Hettner  a.a.O.S.  171.  B.J.  LXXXVI  Taf.  VII  14.  16.  Cleuziou 
Fig.  37.  38. 

5)  B.  J.  LXXXVI.  Taf.  VI  4. 

6)  Vgl.  ausser  I{ettner  a.  a.  0.  auch  Lehner  a.  a.  O.  S*  XXIV. 


Terra  sigiilata.  91 

ABdererseits  »ind  die  Teller  mit  ihrem  innen  angebrachten 
Wulst  gewiss  in  Anlehnung  an  die  römische  Tellerform  gemacht. 
Die  rothe  Färbung  einzelner  Stücke  erinnert  an  die  Sigillata;  wie 
diese  tragen  die  Näpfe  und  Teller  häufig  einen  Stempel  und  letztere 
auf  dem  Boden  bisweilen  auch  den  schraffirten  Kreis.  Wir  haben 
es  also  mit  einer  Thonindustrie  zu  thun,  die  direkt  die  voiTömisehe 
fortsetzt^  aber  stark  beeinflusst  ist  von  der  italischen.  In  Andernach^ 
den  frühsten  Gräbern  von  Castra  Vetera  und  den  Gräbern  von 
Morsbach  ^)  sind  die  „belgischen"  Vasen  reichlich  vertreten;  auch  im 
Bonner  Lagert  und  im  Lager  von  Dalheim^)  kommen  sie  vor.  In  Rott- 
weil^  dessen  Gründung  wohl  unter  Vespasiau  fällt,  ist  ein  vereinzeltes 
Stück  eines  Terra  nigra-Tellers  gefunden^).  In  England  sind  Terra 
nigra-Teller  selten^);  in  den  Limescastellen  fehlt  die  Gattung  ganz- 
Uch.  Es  spricht  demnach  nichts  dafür^  dass  die  „belgischen"  Vasen 
länger  als  bis  60  n.  Chr.  hergestellt  worden  sind^ 

Eine  andere  Frage  ist  es  aber,  ob  sich  nicht  einzelne  an  dieser 
Gattung  beobachtete  technische  Gewohnheiten  und  Fertigkeiten 
noch  länger  in  Uebung  gehalten  haben.  Sicher  ist  dies  der  Fall  — 
und  ich  modificire  damit^  was  ich  in  meiner  Dissertation  p.  14  ge- 
sagt —  bei  der  Kunst  ^  den  Gefässen  durch  Dämpfung  eine  matt- 
schwarze Färbung  zu  geben.  Diese  ist  das  ganze  II.  Jahrhundert 
hindurch  in  Gebrauch  geblieben  und  auch  auf  den  „belgischen" 
Vasen  fremde  Foimen,  namentlich  Trinkbecher,  übertragen  worden. 
Daneben  kam  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  I.  Jahrhunderts  auch 
diesseits  der  Alpen  das  Schwäi-zen  durch  einen  glänzenden  Fimiss- 
überzug  in  Gebrauch.  Beide  Techniken  gehen  neben  einander  her 
und  werden  an  denselben  Formen  angewendet,  so  dass  man  jedes 
Gefäss  einzeln  prüfen  muss,  ob  Dämpfung  oder  Fimissüberzug  vor- 
hat. Der  Firniss  erhielt  aber  immer  mehr  die  Oberhand  über  das 
ältere  Verfahren,  genau  wie  zwei  Jahrtausende  früher  die  mykenische 
Firnisstechnik  die  trojanische  Technik  verdrängt  hatte.  Denn  die  Vor- 
züge der  Firnissmalerei  waren  augenftlllig.  Der  schwarze  Kohlettberzug 
verträgt  nur  einen  verhältnissmässig  geringen  Hitzegrad ;  bei  stärkerer 
Gluth,  wie  sie  zum  Hartbrennen  erforderlich,  brennt  die  Kohle  voll- 


1)  Münzen  von  Augustus,  Agrippa  und  Vespasian. 

2)  Fragmente  im  Akad.  Kunstmuseum. 

3)  Mon-  bist,  dans  Luxembourg  1851/52  p.  121  ff. 

4)  Hoelder,  Thongefässe  von  Rottweil.   Stuttgart  1889  S.  8. 

5)  Smith,  Coli.  ant.  vol.  II  p.  35, 


92  Hans  Dragendorff : 

ständig  zu  Asche,  verschwindet  fttr  das  Auge,  und  der  Thon 
wird  roth.  Daher  finden  wir,  dass  der  Thon  aller  Terra  nigra- Vasen 
schwach  gebrannt  ist  und  noch  seine  ursprüngliche  hellgraue  Farbe 
behalten  hat.  Der  Firniss  dagegen  hält  einen  weit  stärkeren  Hitze- 
grad aus,  daher  sind  die  gefirnisstcn  Becher  härter,  dünnwandiger 
und  zeigen  im  Bruch  gerötheten  Thon. 

Ans  diesen  technischen  Bedingungen  erklärt  es  sich,  dass  z.  B. 
in  Trier  die  schwarzen  und  die  hellrothen  GefÄsse  in  denselben 
Töpfereien  hergestellt  wurden.  Beide  sind  ja  aus  demselben  Thon 
hergestellt  und  die  hellrothen  nur  schärfer  gebrannt  als  die 
grauen  und  schwarzen.  Als  Vermuthung  möchte  ich  aber  aus- 
sprechen, dass  die  in  der  Asche  an  ihrer  Oberfläche  enthaltenen 
Alealien  dazu  beigetragen  haben,  den  hellrothen  Vasen  beim  Brennen 
jenen  leichten  sigillata-artigen  Glanz  zu  geben,  der  diese  Gefilsse 
auszeichnet.  Er  ist  wie  eine  ganz  schwache  Glasur  und  wir  erinnern 
uns,  dass  bei  Herstellung  der  arretinischen  Vasen  im  Wesentlichen 
dasselbe  Mittel,  nur  in  weit  stärkerem  Maasse,  angewandt  wurde. 

Wie  die  Färbung,  so  gehen  auch  einige  der  Dekorationsarten 
weiter.  Die  Ritztechnik  (a),  das  Einglätten  der  Linien  (d)  und  die 
Verzierung  mit  Buckeln  (e)  scheint  mit  den  belgischen  Vasen 
aufzuhören.  Dagegen  findet  sich  die  Rädchenverzierung  (b)  und  das 
Flechtband  (c)  auch  später  noch.  Eratere  ist  häufig  gerade  auf  den 
älteren  gefirnissten  Bechern  und  kommt  auf  Sigillaten  in  den  Limes- 
castellen  vor.  Letztere  taucht  bei  den  letzten  Ausläufern  der  Si- 
gillata-Industrie  wieder  auf,  wo  sie  schliesslich  die  einzige  Dekora- 
tion bildet  und  etwas  modifizirt  in  die  fränkische  Keramik  übergeht. 

Vorläufig  mag  endlich  erwähnt  werden,  dass  sich  auch  die 
Anfänge  der  Barbotine-Verzierung,  über  die  unten  (XII  3)  genauer 
gehandelt  werden  wird,  auf  den  belgischen  Vasen  finden.  Ich 
habe  sie  unter  die  oben  aufzählten  Dekorationsweisen  nicht  auf- 
genommen,  weil   sie   auf   La  T^ne-GefUssen  nicht  vorkommt. 

Es  bleibt  nun  noch  die  Frage  zu  erledigen,  inwief era  der  von 
uns  gebrauch  te  Name  „  belgische"  Vasen  berechti  gt  ist.  In  Italien  fehlen 
sie  ganz,  in  Britannien  sind,  wie  oben  erwähnt,  ein  paar  Stücke  ge- 
funden'). Unter  den  spanischen  Gefässstempeln  findet  sich  ein  einziger 
(Q  •  AE)*)  „in  vasculo  nigro".    Ich  vermuthe,  dass  dies  ein  schwarze« 


1)  C.  VII  1336,  790. 

2)  C.  II  4970,  11. 


Terra  sigillata.  93 

arretinisches  GefaBS  ist,  von  denen  uns  ja  der  Stempel  Q- AF 
bekannt  ist^).  Die  meisten  stammen  aus  Gallien,  besonders  Gallia 
Narbonensis')  und  dem  Rheinlande.  In  Oesterreicb  feblt  die  Gat- 
tung wieder  ganz').  Gallien  und  Rheinland  sind  also  ihr  Verbrei- 
tungs-  und  damit  wohl  auch  Fabrikationsgebiet.  Das  bestäti- 
gen auch  die  Stempel.  Diese  sind  zwar,  soweit  sie  sich  über- 
haupt entziffern  lassen,  mit  lateinischen  Buchstaben  geschrieben  und 
ergeben  zum  grossen  Theil  auch  lateinische  Namen.  Daneben  aber 
kommen  auch  eine  ganze  Anzahl  sicher  unrömischer  Namen  vor, 
z.  B.  SEVVO,  VALLO,  BVDBARVS  (mit  dem  keltischen  aspirirten 
Dental)  TORNOS,  FARILOS  (mit  der  keltischen  Nominativendung 
-08  statt  -US).  Nach  Gallia  Narbonensis  ist  viel  arretinische  und 
italische  Sigillata  importirt,  wie  der  Vergleich  der  Stempelliste 
des  XII.  Corpusbandes  mit  italischen  ergibt.  Die  Terra  nigra-Teller 
sind  in  ihren  Formen,  wie  oben  erwähnt,  von  diesen  abhängig.  Ein- 
zelne Fabriken  scheinen  in  ihrem  Absatz  ganz  auf  die  Rhonegegend 
beschränkt  gewesen  zu  sein^).  Man  wird  den  Schluss  ziehen,  dasa 
hier  in  Gallia  Narbonensis,  wo  die  römische  Cultur  so  früh  in 
einem  La  TSne*6ebiet  festen  Fuss  fasst,  die  Fabrikation  schwai*zer 
Teller  begonnen  habe.  Dass  aber  hier  das  Hauptcentrum  der 
gallisch-römischen  Thonindustrie  überhaupt  gewesen  sei,  bezweifle  ich. 
Die  Fälle,  wo  wir  wirklichen  Import  von  schwarzer  Waare  aus 
Gallia  Narbonensis  an  den  Rhein  nachweisen  können,  sind  sehr  ver- 
einzelt^). Die  gallischen  Töpfer  haben  die  Eigenthümlichkeit,  dass 
sie  fast  ausnahmslos  die  Buchstaben  ihres  Stempels  kreisförmig  an- 
ordnen. Das  kommt  nun  auf  in  Germanien  gefundenen  Stücken 
fast  nie  vor.  Die  in  Gallien  gefundenen  Stempel  zeigen  fast  immer 
einen  verständlichen  Namen,  die  am  Rhein  gefundenen  sind  zu  einem 
grossen  Theile  unleserlich,  und  oft  sind  ganz  augenscheinlich  be- 
liebige Striche  und  Bogen  zu  einer  „Scheinschrift''  zusammen- 
gestellt, die  in  äusserlicher  Weise  einen  Stempel  nachahmt.  Wir 
haben  also  zu  schliessen,   dass  in  der  Zeit,   aus  der  unsere  Haupt- 


1)  A.  d.  J.  1880  p.  2^.    Vergl.  oben  S.  40. 

2)  C.  XII  5686  AI  Im  er,  Inscriptions  de  Vienne  IV  p.  19  ff. 
8)  Nach  einer  Mittheilung  Masners  an  Prof.  Loeschcke. 
4)  Allmer,   Inscr.  de  Vienne  p.  20.  C.  XII  5686.  831. 

6)  Vgl.  ATTALVS  C.  XII  5686,  95,  ATTAi  Andernach  B.  J. 
LXXXIX  S.  51.  C.  XII  5686.  594  und  B.  J.  LXXXIX  S.  54.  C.  XII  5686. 
718  und  B.  J.  LXXXIX  S.  54. 


94  jaans   Dragendorff: 

fände  an  „belgischen"  Vasen  stammen,  es  für  unsere  Gegend  ein 
anderes  Fabrikationsecntrum  dieser  Gefössgattung  gab.  Wo  dieses 
lag,  kann  man  meines  Eraehtens  genauer  bestimmen.  Das  Maseum 
von  St.  Germain  besitzt  in  seinen  reichen  Sammlungen  natürlich  auch 
eine  Menge  der  „belgischen"  Vasen.  Soweit  sich  eine  Provenienz- 
angabe findet,  stammen  sie  aber  zum  grössten  Theile  ans  Deutsch- 
land, Köln,  Mainz  (d.  h.  aus  deutschem  Kunsthandel),  Zahlbach. 
Daneben  kommen  als  Fundstellen  vor  Bois  Bernard  (Pas  de  Calais), 
Bethnne,  Mortigny  und  Etaples  (ebendort),  Bavay  (hart  an  der  bel- 
gischen Grenze),  Bray-sur-Somme  (am  obem  Lauf  der  Somme),  Cheppe 
und  Auves  (an  der  Marne),  Compifegne,  St.  Denis,  einige  vereinzelte 
Teller  und  Näpfe  stammen  aus  Paris.  Es  ist  also  ein  geographisch  ganz 
geschlossenes  Gebiet.  Man  könnte  das  fllr  Zufall  halten.  Ein  anderer 
Umstand  aber  weist  uns  in  dieselbe  Gegend.  Es  sind  das  die  aus 
willktlrlichen  Zeichen  zusammengestellten  Stempel,  die  sich  auf 
schwarzen  und  rothen  Tellern  finden.  Solche  kenne  ich  nur  vom 
Rhein,  der  Mosel,  aus  Luxemburg,  aus  der  Gegend  von  Namur*), 
wo  eine  der  Andemacher  ähnliche  Nekropole  gefunden  ist.  In  dieser 
Gegend  sind  also  die  GefUsse  zu  Hause.  Sucht  man  hier  den  Ort 
noch  genauer  zu  bestimmen,  so  wird  man  leicht  dazu  geführt,  das 
Land  der  Treverer  als  das  Centmm  zu  betrachten,  von  wo  aus  das 
übrige  Gebiet  mit  Topfwaaren  versorgt  wurde.  Dort  wird  ja  be- 
sonders früh  römische  Kultur  heimisch  und  blüht  das  provinziale 
Leben  schnell  auf.  lieber  Trier  geht  der  alte  natürliche  Weg  von 
der  Rhone  an  den  Rhein;  von  Gallia  Narbonensis  aus  war  Trier 
gegründet,  in  der  Architektur  und  Sculptur  sehen  wir  dort  südgalliflche 
Muster  und  Formen  weiter  leben'),  es  kann  also  nicht  Wunder 
nehmen,  wenn  anch  auf  dem  Gebiet  der  Keramik  hier  die  südgallische 
Technik  früh  Fuss  fasst.  Von  Trier  aus  kamen  unsere  Vasen  mosel- 
abwärts  an  den  Rhein,  moselaufwäii»  nach  Metz,  Luxemburg  und 
weiter  nach  Frankreich  hinein,  die  Maas  herunter  nach  Namur  und 
nach  Nordfrankreich.  Dass  diese  Gegenden  alle  von  demselben  Orte 
ihre  Waaren  bezogen,  zeigen  gleiche  Stempel,  die  sowohl  in  der 
Mosel-  und  Rheingegend,  als  auch  in  den  westlich  davon  gelegenen 
Landstrichen   auf  Terra  nigra   gefunden   sind.     Hierher   gehören: 


1)  Annales  de  Namur  IV  p.  90. 

2)  B.  J.  XCV  S.  261  (Loeschcke). 


Terra  sigillata.  95 

ACVTO  zweimal  in  Andernacb^),  einmal  in  Trier*),  ACVTIOS  in 
Speier  auf  einem  hellrothen  Teller, 

OeANO     j  Andernach»); 

ATT  Ab  Andernach*). 

ATTALO  Trier. 

BEHLO  Trier. 

BE\ALO  Köln*). 

BOLLVS  Morsbach  nnd  Compifegne*). 
DVRV 


Andernach  (hellrothe  Teller)'). 


1  Trier  (schwarzer  Teller). 


CVAVO 

DVRO 
CVAVO 
DVRVC 

VAVO 

INDVTIO  Andernach») 

INDVHO  Trier. 

IVLIOS  Andernach»), 

IVLIoS  Trier. 

IVLIO  [St.  Germain]. 

LOSAF  [Bonn,  hellroth]. 

LOSSAFEC  Trier. 

OA22  02  Morsbach»»). 

MEBDICF  Andernach"). 

M  E  D I  /  Epinay  -  St.  Beuve,  Normandie  "). 

0  VIR  VI  Andernach»»). 


1)  B.  J.  LXXXVI.  Taf.  V  36.  S.  164. 

2)  No.  3048. 

3)  B.  J.  LXXXIX.  S.  61. 

4)  B.  J.  LXXXIX.  S.^51. 

6)  L  er  seh,  Centralmuseum  I  S.  63. 

6)  Musenm  Metz  and  St.  Germnin. 

7)  B.  J.  LXXXVI.  171  f. 

8)  B.  J.  LXXXIX.  S.  68. 

9)  B.  J.  LXXXIX.  S.  63. 

10)  Von  mir  in  Metz  notirt. 

11)  B.  J.  LXXXIX  S.  54. 

12)  Cochet,  Normandie  souterraine  p.  174. 

13)  B.  J.  LXXXVI  S.  166. 


96 


Hans  Dragendorff: 


0W\  1/11/ 
VIRVNI 


TORNO 

TORNOS 

VOCARI 

TORNOS 

VOCAR 

TORNO 

TORNOS 

VOCARA 

VOCARA 

VOCARAF 

VOCATI 

VOCARI 


Trier. 

Winniugen  a./MoseP),  Urne.  Dies  Stück  beweist, 

dass  Urnen  und  Teller  in  denselben  Fabriken 

gemacht  wurden. 


Andernach  *). 


Trier. 

Xanten^). 
Köln^). 

Paris  s). 


In  Trier  ist  nun,  wie  schon  oben  erwähnt  wurde,  durch  Lehner 
eine  Töpferei  des  I.  Jahrhunderts  aufgefunden,  in  der  neben  anderem 
Geschirr  auch  schwarze,  graue  und  hellrothe  Teller  gemacht  wurden. 
Endlich  ist  auf  einem  der  in  Trier  gefundenen  Teller  der  Stempel  D  V  RO 

erhalten,  der  doch  gewiss  mit     r\/  k\/(\     ^^  Andernach  zu  verbinden 

ist.  Damit  ist  der  Beweis  erbracht,  dass  ein  in  Andernach  gefundenes 
Stück  in  Trier  fabrizirt  wurde.  Wir  werden  nicht  fehl  gehen,  wenn 
wir  das  Ergebniss  verallgemeinem  und  sagen:  Stücke  mit  gleichen 
Stempeln,  die  am  Rhein  und  in  Trier  gefunden  werden,  sind  in 
Trier  gemacht. 

Ich  fasse  das  Ergebniss  der  Untersuchung  kurz  zusammen. 
Wir  haben  in  den  Gräbern  des  I.  Jahrhunderts  neben  einander 
italische  TeiTa  sigillata  und  ^belgische"  Geisse.  Erstere  ist 
wohl    über    Gallia     Narbonensis    an   den  «Rhein    gekommen,    da 


1)  Jetzt  in  Oiessen  aus  der  Sammlung  Arnoldi.    Nach  freundlicher 
Mittheilung  von  Prof.  Hettner. 

2)  B.  J.  LXXXIX  S.  65.   B.  J.  LXXXVI  S.  165.   B.  J.  LXXVII  S  208. 

3)  Houben-Fiedler  Taf.  IV.  4. 

4)  L er 8 eh,  Centralmus.  I  63. 

5)  Von  mir  im  Muh.  Carnavalet  notirt. 


Terra  sigillata.  97 

sich  manche  der  Stempel  auch  dort  nachweisen  lassen  ^). 
Die  belgischen  Vasen  sind  je  nach  der  technischen  Behandlung^ 
namentlich  der  Schärfe  des  Brandes^  grau,  schwarz,  hellroth.  Sie 
sind  nach  Technik  und  Form  eine  Fortsetzung  der  einheimischen 
La  T6ne-Keramik,  die  in  Gallia  Narbonensis  Formen  und  Farbe 
der  römischen  Sigillata  nachzuahmen  begann.  Als  Gallia  Bei- 
gica  organisirt  wurde,  siedelten  auch  südgallische  Töpfer  in  die 
neue  Provinz  über  und  hier,  namentlich  in  der  Gegend  von  Trier, 
seheint  von  der  Zeit  des  Augustus  bis  zu  den  Flaviern  die  grosse 
Menge  der  in  Nordfrankreich  und  dem  Rheinland  gefundenen  belgi- 
schen Gefässe  gemacht  worden  zu  sein. 

3.  Gelbe  Vasen  mit  rother  Marmorirung. 
An  die  Sigillaten  der  ersten  Kaiserzeit  schliesst  sich  durch 
ihre  Formen  eine  kleine  Gruppe  von  Tellern  und  Näpfen  aus  rothem 
Thon  an,  die  mit  einem  gelben,  lackartigen  üeberzug  versehen 
sind,  der  mit  Roth  fein  marmorirt  ist.  Die  meisten  dieser  sel- 
tenen Gefasse,  8  Stück,  besitzt  das  Trierer  Provinzial  -  Museum 
aus  einem  Grabfund,  der  1864  in  Paulin  gemacht  wurde  (luv. 
105  ff.).  Dieses  Grab  enthielt  unter  anderem  auch  2  schöne  zwei- 
henkelige  Bronzevasen,  deren  Henkel  unten  in  Masken  enden.  Unter 
den  Gefassen  sind  3  Teller  feinster  Art,  der  eine  ähnlich  Taf.  1 16, 
die  2  anderen  wie  Taf.  I  15.  Alle  3  tragen  den  Stempel 
BOLLV^FIC«). 

ly^Tß.  Basßus  C.  XII  5686,  121.  Ateius  C.  XII  5686,  81  fF.  Ge- 
minus  C.  XII  5686,  383.  Maccarius  C.  XII  5686,  509 if.,  Xanthus  C.  XII 
6696.  962. 

Aus  Gallien  sind  nach  Andernach  auch  die  gallischen  Schnallenfibcln 
gekommen  (D  r  e  s  s  e  1 ,  B.  J.  XCV  S.  81  flF.).  Sie  finden  sich  überall  mit 
den  belgischen  Vasen  zusammen.  So  in  Trier  in  einem  Grabe  (Inv. 
875  ff.)  mit  hellrothem  Teller  und  schwarzer  Urne,  bei  F6camp  in  schwarzer 
Urne  (Co  eh  et,  Normandie  souterraine  taf.  V  48  p.  107).  Es  ist  eine 
spezifisch  gallische  Form,  die  in  Italien  fehlt.  In  Gallien  war  sie  schon 
vor  der  Römerzeit  gebräuchlich,  wie  ihr  Vorkommen  in  Bibracte  beweist 
(Daremberg-Saglio  Dictionaire  s.  v.  Fibula  p.  2009).  Andere  Exem- 
plare sind  gefunden  in  Reims  (C  a  y  I  u  s  ,  Receuil  III  Taf.  120.  1),  ChÄtelet, 
Bavay  (Grivaud,  Monum.  antiques  Taf.  30.  2),  Reuen,  Equiqueville,  in 
der  Bourgognc  (C  o  c  h  e  t  a.  a.  0.),  eines  auch  im  südl.  Britannien  bei 
Cambridge  (Smith,  Coli.  ant.  VII  Taf.  21,  p.  203  fF.).  Vergl.,  wie  ich  bei 
der  Correktur  hinzufüge,  Westd.  Korresp.  Bl.  XFV  S.  25  (Schumacher). 

2)  H  c  1 1  n  e  r  a.  a.  O.  S.  176. 

Jahrb.  d.  Vor.  v.  Alterthsfr.  im  Bhcinl.  XCVI.  7 


96  Hans   Dragendorff: 

4  Näpfe  haben  die  Form  Taf.  I  7,  einer  von  ihnen  den  Stem- 
pel PRIMI.  Ein  kleiner  Napf  (Taf.  III  41)  hat  einen  unleserlichen 
Stempel.  Ausser  den  Trierer  Exemplaren  waren  bisher  noch  von 
dieser  Gattung  bekannt:  eine  Schale  mit  steilem  Rand,  die  sich  in 
Mannheim  befindet  (erwähnt  bei  H  e  1 1  n  e  r  a.  a.  0.),  und  2  Scher- 
ben des  Frankfurter  Museums,  die  sehr  ähnlich  sind;  davon  stammt 
die  eine  aus  Heddernheim,  wird  also  nicht  vor  der  IL  Hälfte  des 
I.  Jahrhunderts  gemacht  sein.  Dazu  stimmt  gut,  dass  der  einzige 
SigiUata-Teller  alter  Form,  der  sich  auf  der  Saalburg  gefunden  hat, 
desselben  BoUus  ^)  Namen  trägt. 

Woher  stammen  diese  Gefässe?  In  Lezoux  unterscheidet 
Plicque  zwei  Arten  glasirter  Thonwaare*).  Die  eine  hat  weissen 
Thon  und  grüne,  gelbe  oder  braune  Glasur.  Sie  ist  in  Lezoux  fabri- 
zirt  und  trägt  keine  Töpferstempel.  Diese  Vasen  stimmen  genau 
überein  mit  den  auch  im  Rheinlande  vorkommenden  glasirten,  auf 
die  wir  später  noch  zurückkommen.  Die  zweite  Gattung  hat  rothen 
Thon,  wie  die  hier  besprochenen  Trierer  Vasen,  mit  rother,  roth 
und  gelber  und  gelb  und  rother  Glasur.  Während  die  erste  Gat- 
tung ohne  Stempel  ist,  hat  die  zweite  Stempel,  die  Plicque  leider 
nicht  angibt.  Diese  Vasen  sind  nicht  in  Lezoux  fabrizirt,  sondern 
nach  Plicque 's  Vermuthung,  der  sich  auf  Angaben  vonCir^s, 
des  Erforschers  der  Töpfereien  in  Gallia  Narbonensis  beruft,  vermuth- 
lich  in  Montans  und  Banassac,  im  südlichen  Gallien.  Diese  Annahnie 
lässt  sich,  glaube  ich,  zur  grössten  Wahrscheinlichkeit  erheben. 

In  den  römischen  Töpfereien,  die  in  Arles  aufgedeckt  sind, 
haben  sich  neben  vielen  Terra  sigillata-Gefkssen  auch  solche  gefun- 
den, zu  deren  Charasteristik  angegeben  wird:  Terre  jaune  veinöe 
de  rouge.  Auf  diesen  finden  sich  folgende  Stempel:  SIL  VAN  — 
CELErOS  —  FELICEN.TE?  —  OFVTIALI  (sie)»).  Dass 
diese  Gattung  in  Süd-Gallien  heimisch  ist,  zeigen  die  Funde.  Wäh- 
rend  bei   uns  derartige  Gefässe  zu   den   grössten  Seltenheiten  ge- 


1)  Der  Töpfer  ist  sicher  derselbe,  da  auch  bei  dem  Stempel  von  der 
Saalburg  das  umgekehrte  S  sich  findet. 

2)  Plicque,  p.  18ff. 

3)  Bull,  monumental  XLI  p.  600.  Danach  Smith,  Coli.  ant.  VII 
p.  13  f.  Die  Stücke  sind  sicher  in  den  Arier  Fabriken  gefertigt.  Der 
Name  Silvanus  ist  dort  einer  der  häufigsten,  auch  der  imverstttndlicho 
Stempel  FE L I CEN  •  TE  kehrt  auf  Sigillata  daselbst  wieder.  CELEROS 
hat  gallische  Endung. 


Terra  sigillata.  99 

hören,  sah  ich  unter  den  Seherhen  der  Nekropole  von  Trion  bei 
Lyon,  die  ich  im  Mus^e  Gnimet  untersuchen  konnte,  eine  ziemliche 
Anzahl  von  Fragmenten  solcher  Vasen  in  verschiedener  Foim*). 
Ein  Fragment  war  mit  Barbotine  verziert.  Auch  diese  Nekropole 
ist  nach  den  Funden  nicht  vor  die  II.  Hälfte  des  I.  Jahrhunderts 
zu  datiren.  Ebenso  finden  sich  roth  marmorirte  Stücke  unter  den  Scher- 
ben von  Vichy  (AUier)  in  St.  Germain,  ebendort  2  Gefässe  aus 
Orange.  Alle  diese  haben  den  rothen  Thon  der  Sigillata-Gefösse,  wie 
die  Trierer,  im  Gegensatz  zu  den  mit  ihnen  zusammen  gefundenen 
weissthonigen  mit  grüner  oder  gelblicher  Glasur. 

Wir  haben  hier  also  wieder  ein  sicheres  Beispiel  dafür,  dass 
im  ersten  Jahrhundert  feine  Thonwaaren  auf  dem  Handelswege  von 
Sttdfrankreich  an  die  Mosel  gebracht  worden  sind.  Es  lässt  sich 
aber  noch  ein  wichtigeres  Resultat  diesen  Vasen  abgewinnen  und 
damit  zugleich  ihre  Zeit  genauer  fixiren:  genau  entsprechende  Vasen 
sind  sowohl  in  Sardinien  und  ünteritalien  als  auch  in  Pompeii  ge- 
funden und  zwar  stammen  zwei  von  ihnen  aus  derselben  Fabrik 
wie  das  eine  Näpfchen  in  Trier.  Es  sind  folgende:  2  Gefässe  des 
Neapler  Museums  mit  Stempel  0  F  •  P  R I M I  und  0  F  •  P  R  fM  V  ^// «) ; 
2  ornamentirte  Gefässe  in  Pompeii  gefunden,  gelb  mit  rother  Mar- 
morirung*);  arretinum  fulvum  c.  sig.  Ä'VFI,  in  Neapel  und  in 
Sassari  gefunden*);  VIVKFI?  und  RIC||TT?  auf  Stücken  aus 
Pompei»);  APRIA  auf  einem  Gefäss  in  Neapel ß);  CASTYS-FE, 
,vasculum  gilvum  cum  venis  rubris'  in  Cagliari  gefunden');  eine 
,piccolissima  lagena  a  due  manici  con  vernice  gialla'  gefunden  in 
Pompeii  ®). 

Daraus  folgt,  dass  schon  vor  79  n.  Chr.  die  Töpferei  in  Süd- 
Gallien  so  hoch  entwickelt  war,  dass  von  dort  Thonwaaren  nach 
Italien  gebracht  wurden.  Man  könnte  den  Einwand  machen,  dass 
möglicher   Weise    die   Technik    in    Italien    erfunden    sei    und 


1)  Es  kommen  ausser  den  oben  genannten  noch  die  Formen  Taf.  II 
18.  22.  27  in  dieser  Technik  vor. 

2)  0.  X  8056.  283. 

3)  Mus.  Borb.  XII.  t.  45.  IX  t.  44. 

4)  C.  X  8056.  408. 

5)  C.  X  8056.  624.  8055.  55. 

6)  C.  X  8056.  41. 

7)  C.  X  8056.  81. 

8)  Giornale  degli  scavi  di  Pompeii.  N.  S.  II.    Neapel  1870  p.  221. 


100  Hans  Dragendorff: 

die  Fabriken  in  Gallia  Narbonensis  sie  vielleicht  imitirt  hätten,  so 
dass  die  Trierer  Stücke  aus  Italien  stammen  könnten. 

Dagegen,  ist  einzuwenden:  die  Trierer  Gefässe  sind  alle  in 
demselben  Grabe  gefunden,  daher  wahrscheinlich  auch  gleichzeitig 
und  von  demselben  Lieferanten  gekauft.  Eines  von  ihnen  trägt  den 
Namen  PRIMI,  stammt  also  aus  derselben  Fabrik  wie  die  Pom- 
peianischen  Stücke.  Ein  anderes  hat  den  Stempel  B0LLV3FIC, 
d.  h.  es  ist,  wie  der  unrömische  Name  lehii;,  nicht  in  Italien  ge- 
macht, sondern  in  Gallien,  wo  sich  der  Name  auch  sonst  nachweisen 
lässt^).  Daraus  folgt,  dass  auct  die  in  Italien  gefundenen  nicht  in 
Italien  verfertigt  sind.  Der  Name  Castus,  der  auf  dem  einen  Ge- 
fäss  aus  Gagliari  steht,  ist  in  Arles  gebräuchlich  und  findet  sich 
nicht  weniger  als  11  mal  auf  dortigen  Sigillatcu.  Ich  möchte  weiter 
noch  auf  die  eigenartige  Schreibung  F I C  für  F  E  C  i  t  auf  den  Trierer 
Gefässen  aufmerksam  machen.  Dieselbe  Form  scheint  nämlich  ur- 
sprünglich auch  auf  2  Neapler  Stempeln  gestanden  zu  haben  (AlVF- 
und  V I  Vv  F I ,  beide  unleserlich,  aber  wohl  aus  derselben  Fabrik), 
wodurch  abermals  bekräftigt  wird,  dass  die  italischen  und  die 
Trierer  Stücke  an  einem  Ort  gemacht  sind. 

Wie  man  darauf  gekommen  ist,  den  Vasen  diese  eigenthüm- 
liehe  Färbung  zu  geben,  weiss  ich  mit  Sicherheit  nicht  zu  sagen. 
Vielleicht  hat  man  versucht,  bunte  Glaswaare  nachzuahmen,  wie 
sie  in  Pompeii  und  in  Gallien  sich  häufig  findet  und  ihrerseits  Ge- 
fässe aus  kostbaren  Steinen,  Achat  u.  s.  w.  imitirt.  Man  könnte 
daran  erinnern,  dass  die  Formen  7,  27,  28  auch  bei  Glas- 
gefössen  jener  Zeit  gebräuchlich  sind  und  in  Gallien  die  Glasindustrie 
in  Blüthe  stände). 

Dass  bereits  vor  dem  Jahre  79  n.  Chr.  Thongefasse  von  Gallien 
nach  Italien  exportirt  worden  sind,  ist  ein  Resultat,  dessen  Tragweite  man 

1)  Zu  vergleichen  ist  der  Stempel,   der  sich  auf  Terra  nigra,  d.  h. 

B.O  L  L  0 
wieder  gallischem  Fabrikat  findet:   in  Trier,  Inv.  5176  u.  3424. 

Vgl.  C.  III  6010,  34.  Auf  einem  hellrothen  Napf,  der  in  der  früh-römischen 
Nekropole  von  Morsbach  gefunden  ist,  steht  ebenfalls  der  Stempel  BOLLVS» 
Aus  anderen  Gründen  halte  ich  diesen  nicht  Itir  identisch  mit  unserem 
Arier  Töpfer,  wohl  aber  kann  er  mit  dem  Fabrikanten  der  Terra  nigra- 
Vasen  identisch  sein. 

2)  Plin.  N.  H.  XXXVI  194. 


Terra  sigillata.  101 

leicht  erfasst;  es  wirft  ein  helles  Licht  auf  die  immer  wachsende 
Bedeutung  der  Provinzen  im  wirthschaftlichen  Leben  des  Römerreiches, 
und  von  selbst  drängt  sich  die  Frage  auf,  ob  nicht  auch  noch 
andere  in  Pompeii  gefundene  Gegenstände  aus  Gallien  stammen.  Auf 
diese  Frage  näher  einzugehen  ist  hier  nicht  der  Ort.  Einen  Punkt 
nur  möchte  ich  herausgreifen.  In  seinem  Aufsatze  über  die  Bronze- 
eimer von Mehrum  hat  Furtwaengler  bemerkt,  dass  ihre  Form 
keine  griechisch-römische  ist,  sondern  sich  an  die  alten  La  Tgne- 
Formen  anschliesst.  Diese  Eimerform  ist  denn  auch  im  Norden  in 
dieser  Zeit  die  gebräuchlichere.  Sie  kommt  aber  auch  in  Pompeii 
vor  neben  der  eigentlich  griechisch-römischen*).  Wir  haben  also 
in  der  II.  Hälfte  des  I.  Jahrhunderts  Fabriken,  welche  Bronzeeimer 
in  der  Form  der  nordisch-barbarischen  fertigen  und  ihre  Erzeugnisse 
sowohl  in  Italien  als  jenseits  der  Alpen  absetzen  *).  Der  Schluss  scheint 
mir  namentlich  nach  dem  eben  Ausgeführten  naheliegend,  dass  diese 
Fabriken  in  Gallien,  nicht  in  Italien  ihren  Sitz  hatten.  Dass  in 
Gallien  eine  grosse  Bronzeindustrie  blühte,  erfahren  wir  aus  Caesar. 
Auch  in  der  Technik  und  der  Stilisining  der  Oniamente  an  den 
Eimern,  namentlich  der  Köpfe,  scheint  mir  manches  zu  liegen,  was 
schwer  mit  griechisch-italischer  Kunstweise  zu  vereinigen  ist.  Es  sind 
griechische  Ornamente,  aber  in  eigenartiger  barbarischer  Stilisirung 
(vgl.  besonders  die  Sphinxe). 

4.  Ter  ra  sigillata-Schalen  mit  Tr  in  k  sp  r  ü  ch  en. 
In  einem  zweiten  Falle  scheint  der  Import  einer  Vase  von 
Südfrankreich  nach  ünteritalien  noch  sicherer.  Es  handelt  sich  um 
die  z.  B.  Mus.  Borb.  VII.  29  abgebildete  Schale,  die  sich  in  Neapel 
befindet  und  von  den  Herausgebern«)  als  in  Pompeii  gefunden  be- 
handeltVird.  Die  Fonn  ist  die  der  späteren  oi-namentirtcn  Sigillata- 
Schalen  (Taf.  III  37).  Der  obere  Rand  ist  wie  bei  diesen  glatt. 
Es'  folgt  ein  Eierstab,  dann  2  Omaraentstreifen.  Im  unteren  sind 
laufende  Thiere  dargestellt,  im  oberen  mit  grossen  Buchstaben,  die 
von  Blättern  geschieden  sind,  anfgepresst  BI-B-E'A-M-I'G-E- 

1)  Festschrift  zum  50jRhr.  Jubiläum  des  Vereins  von  Alterthums- 
freunden  im  Rheinlande,  Bonn  1891  S.  23  ff. 

2)  Dass  unser  Fund  in  diese  Zeit  zu  setzen,  beweisen  ausserdem 
auch  die  mit  ihm  gefundenen  Sigillatateller  bester  Art,  von  denen  der 
eine  den  Stempel  OFBASSI  Co,  der  andere  0  F  F  •  C  A  N  I  trägt. 
Ersterer  gehört  nach  den  Formen  seiner  Gcfässe  sicher  dem  1.  Jahrh.  an. 

3)  So  auch  Overbeck,  Pompeii  S.  450. 


102  Hans  Dra  gendor  ff : 

D  •  E  vM  •  E  •  0 '  Den  Anfang  des  Spruches  markirt  ein  bekränzter 
Kopf,  der  vom  unteren  Streifen  in  den  oberen  hinttber  reicht  und 
von  einem  Kranz  umgeben  ist. 

Stammt  dies  Gefass  in  der  That  aus  Pompeii,  —  und  nach 
dem  im  vorigen  Abschnitt  ausgeführten  ist  das  nicht  unwahr- 
scheinlich —  so  steht  es  hier  wie  in  Italien  überhaupt  ganz  ver- 
einzelt. In  Menge  aber  finden  sich  gleichartige  Geßlsse  in  Sttdfrankreich, 
besonders  in  Ntmes,  Orange^  Vieune,  Montans  und  Banassac  ^).  An 
letzteren  Orten  sind  sie  auch  in  den  Töpfereien  gefunden,  also  dort 
gefertigt.  Es  ist  wieder  ein  ganz  geschlossenes  Gebiet  Gal- 
liens, in  dem  sie  gefunden  werden  und  für  dessen  Gebrauch  sie  be- 
stimmt waren.  Das  bestätigen  in  hübscher  Weise  die  Inschriften, 
in  denen  z.  Th.  Yolksstämme  derselben  Gegend  genannt  werden, 
z.  B.  Gabalibus  felicit(er),  Remis  feliciter,  Lingonis  (felici)ter,  Sequa- 
nis  feliciter  etc.  Andere  Inschriften  sind  dem  Neapler  Exemplare 
ähnlicher,  z.  B.  veni  ad  me  amica,  bonus  puer,  bona  puella.  In 
derselben  Weise  wie  bei  dem  Neapler  werden  auch  hier  die  Buch- 
staben durch  Blätter  oder  andere  Ornamente  getrennt. 

Die  Sitte,  Sprüche  und  dergl.  auf  das  Geftlss  zu  schreiben, 
wodurch  dieses  gleichsam  redend  auftritt,  ist  nicht  italisch, 
sondern  griechisch.  Zu  vergleichen  sind  die  Inschriften  der  atti- 
schen Töpfer :  KaX6c  6  iraTc,  \axpe  kqi  irie  und  ähnliche*).  Später  ist 
die  Sitte  in  Gallien  sehr  gebräuchlich.  Hierher  gehören  die  bekann- 
ten schwarzgefirnissten  Becher  mit  weissen  Ranken  und  Aufschriften 
wie  ave,  vale,  bibe,  da  merum  u.  s.  w.  ^),  die  besonders  im  Rhein- 
lande so  häufig  sind  und  für  die  wir  ebenfalls  in  Italien  kein  Analogon 
haben.  Ferner  sind  auch  die  Vasen  zu  vergleichen,  deren  Aussen- 
seite  mit  einem  Medaillonbilde  vemert  ist,  das  eine  erklärende 
Beischrift  oder  auch  einen  Wunsch  oder  eine  Dedikation  erhält^). 
Auch  diese  sind  zum  Theil  aus  Terra  sigillata.  Sie  sind  in  dem- 
selben   Gebiete    heimisch,    wie   die    mit  Trinksprüchen   veij&ierten; 

1)  Anatole  de  Barth61emy,   Gaz.  arch.  III  1877  p.  172 ff. 

2)  Otto  Jahn,  Vasensamraluiig  König  Ludwigs  S.  CXI. 

3)  0  1 1  o  J  a  h  n ,  B.  J.  XIII.  S.  105  ff. 

4)  Gesammelt  und  erläutert  von  F  r  ö  h  n  e  r ,  Musee  de  France  Taf. 
XII  ff.  p.  52  ff.  Nachträge  von  R  o  u  1  e  z ,  Gaz.  arch.  1877  p.  66  ff.  Taf.  XII 
und  H  6  r  0  n  de  Viliefosse,  Gaz.  arch.  1880  p.  178  ff.  Hinzufügen  kann 
ich  noch  ein  Stück  im  IJniversitätsmuseum  in  Genf,  dessen  Photographie 
ich  Professor  Wiedemann  verdanke.  Dargestellt  ist  ein  obscoenes  Sym- 
plegma  mit  der  Beischrift  Teneo  te. 


Terra  sigillata.  103 

die  meisten  sind  in  Orange  gefunden.  Der  Zeit  nach  sind  sie  aber 
wesentlich  später,  wie  die  geringere  Ausführang  und  einzelne  Dar- 
stellungen zeigen.  Auf  einem  Stück  findet  sich  z.  B.  ein  Bild  des 
Kaisers  Geta. 


XII.    Terra   sigillata   der   späteren   Zeit. 
(c.  70-250  n.  Chr.) 

Ein  vollständig  anderes  Bild  bieten  die  Funde  vom  Ende  des 
ersten  Jahrhunderts  und  die  aus  dem  zweiten.  Fand  sich  in  den 
frtthrömischen  Gräbern  aus  Italien  importirte  Sigillata  und  gallisch- 
römische  Waare,  deren  hellrothe  Spielart  als  wenig  geglückter  Ver- 
such Sigillata  zu  imitiren  bezeichnet  werden  kann,  so  verschwindet 
erstere  jetzt  so  gut  wie  ganz,  und  an  Stelle  der  ungeschickten 
Nachahmung  tritt  eine  provinzielle  Fabrikation  von  Terra  sigillata 
mit  vortrefflicher  Technik  und  kttnstlerischer  Selbstständigkeit. 

Zur  Erforschung  der  Sigillata  des  II.  und  III.  Jahrhunderts 
besitzen  wir  ein  ziemlich  reiches  Material.  Zunächst  eine  Reihe 
gallischer  Nekropolen.  Es  sind  in  erster  Linie  die  von  Juslen- 
ville^)  (Münzen  von  Vespasian  bis  Marc- Aurel),  Waucennes^)  (Nero  bis 
Marc  Aurel),  Flavion^)  (Münzen  von  Claudius  bis  Commodus),  Fi- 
camp*)  (Nero  bis  Faustina  jun.),  Neuville  le  PoUet^)  (besonders  Ha- 
drian  bis  Commodus).  Leider  sind  diese  Nekropolen  meist  als  ein  ein- 
heitliches Ganzes  betrachtet  worden,  die  einzelnen  Gräber  nicht  ge- 
trennt. Dazu  kommen  Funde  aus  der  Villa  von  Houthem-St.  Gcrlach^) 
(Münzen  von  Traian  bis  Faustina  diva),  besonders  aber  die  Funde 
aus  den  Kastellen  am  germanischen  Grenzwall  und  den  zugehörigen 
Civilniederlassungen.  Einigermassen  reichhaltig  sind  die  Funde  aus 
den  Kastellen  im  Taunus  und  am  Main,  über  die  auch  eine  Reihe 
von  Publikationen  vorliegt,  so  namentlich  Heddernheim,  die  Saal- 
burg, Friedberg,  Rückingen,  Gross-Krotzenburg,  Miltenberg,  Kessel- 
stadt Dazu  kommt  noch  einiges  aus  Neuwied-Niederbieber,  Oeh- 
ringen,  Zahlbach.  Für  die  in  Butzbach,  Murrhardt  und  Unterböbingen 
gefundenen  Stempel  konnte  ich  durch  Prof.  Hettners  freundliche 

1)  Bull,  de  l'inst.  arch.  Lifegois  IX  p.  135  ff.  p.  433  ff.  X  p.  73. 

2)  Annales  de  Namur  XVI  p.  363  ff. 

3)  Annales  de  Namur  VII  p.  1  ff. 

4)  Goch  et,  Normandie  souterraine  p.  97  ff. 

5)  ibid.  p.  71  ff. 

6)  Pubiications  de  la  soc.  bist,  et  arch.  de  Luxembourg  V  p.  347  ff. 


104  Hans  Dragendorff: 

Vermittelung  die  Korrekturbogen  der  Publikation  der  Reiehslimcs- 
kommission  eingehen  ").  Die  Erbauung  dieser  Kastellinie  wird  ziem- 
lich gleichzeitig  erfolgt  sein  ;  das  liegt  in  der  Natur  der  Sache.  Unter- 
gegangen sind  sie  sicher  gleichzeitig. 

Wo  umfassendere  Beobachtungen  angestellt  sind,  gehen  die 
Münzfunde  in  diesen  Kastellen  nicht  weit  über  die  Mitte  des  III. 
Jahrhunderts  hinaus.  Es  ist  kein  Grund  anzunehmen,  dass  nach 
dem  Verlust  des  rechtsrheinischen  Obergermanien  unter  Kaiser 
Gallien  das  römische  Leben  hier  noch  fortgedauert  habe.  Mit^dem 
römischen  Soldaten  verlässt  auch  der  Civilist  diese  Gegenden,  das 
Aufgeben  der  Grenzwehr  bedingte  auch  das  Aufgeben  der  in'ihrem 
Schutze  aufgeblühten  Niederlassungen.  Dies  haben  z.  B.  die  Funde 
in  der  Civilniederlassung  der  Saalburg  bestätigt,  die  durchaus  den 
Kastell-Funden  parallel  gehen.  An  diesem  Resultat  ändert  es  nichts, 
dass  yereinzelte  spätere  Kaisermünzen  sieh  auch  auf  der  irechten 
Rheinseite  finden.  Römische  Münzen  finden  sich  ja  auch  in  Gegenden, 
wo  nie  ein  Römer  gewesen.  Wohl  aber  kann  man  mit  der  That- 
sache  rechnen,  dass  keiner  der  Nachfolger  des  Gallien  auf  einer 
rechtsrheinischen  Inschrift  vorkommt. 

Wann  der  Grenzwall  und  die  daran  liegenden  Kastelle  gebaut 
sind,  wird  die  systematische  Durchforschung  der  ganzen  Anlage, 
wie  sie  von  Reichswegen  in  Angriff  genommen  ist,  mit  Sicherheit 
lehren.  Jedenfalls  wird  man  die  Erbauung  nicht  zu  spät  ansetzen 
dürfen.  Das  scheinen  mir  schon  jetzt  die  keramischen  Funde  zu 
lehren,  die  sich  mit  denen  aus  den  oben  angeführten-  belgischen 
Nekropolen  (c.  70 — 200  n.  Chr.)  vollständig  decken.  Nicht  nur  der 
Formenschatz  ist  derselbe,  es  kehren  auch  eine  Menge  der  Stempel, 
die  in  den  Kastellen  sich  finden,  in  den  Nekropolen[[wieder.  Münzen 
der  Flavier  sind  in  den  Limes-Kastellen  häufig.  Sollte  aus  histori- 
schen Gründen  die  Anlage  des  Limes  in  die  Flavierzeit  gerückt 
werden,  so  sehe  ich  von  archäologischer  Seite  aus  absolut  nichts, 
was  einem  solchen  Ansätze  widerspräche. 

Ich  stelle  die  Stempel,  die  sich  in  diese  Zeit  datiren  lassen, 
zusammen  in  Anhang  II;  sie  können  unter  Umständen  ein  bequemes 
Ilülfsmittel  bieten  für  die  Datirung  eines  Fundes. 


1)  Mittlerweile  ist  diese  erste  Lieferung  der  Publikation  erschienen. 


Terra  sigillata.  105 

1.   Die   Fabrikatiousorte. 

Bei  Darchsicht  der  Stempel  fUllt  zunächst  auf,  daBs  die  Funde 
dieser  Zeit,  wenn  sie  auch  local  weit  auseinander  liegen,  eine  grosse 
Uebereinstimmung  aufweisen.  Nicht  nur  in  den  verhältnissmässig  nahe 
zusammenliegenden  Limes-Kastellen  und  den  belgischen  Nekropolen 
finden  sich  dieselben  Stempel,  sondern  die  meisten  kehren  in  Gal- 
lien und  Britannien,  >aele  auch  in  Spanien  wieder.  Es  gab  also 
damals  für  die  rothen  feinen  Gefässe  ein  Fabrikationscentrum,  wel- 
ches den  Weltmarkt  beheiTSchte.  . 

In  Britannien  scheinen  mit  Sicherheit  Töpfereien,  in  denen 
TeiTa  sigillata  fabrizirt  worden  ist,  nicht  nachgewiesen  zu  sein^). 
Dazu  stimmt,  dass  wir  den  weitaus  grössten  Theil  der  britannifichen 
Stempel  auch  in  anderen  Provinzen  nachweisen  können.  Für  Bri- 
tannien allein  bleiben  von  ca.  675  verschiedenen  Stempeln  nur  ca. 
250  übrig,  und  von  diesen  sind  noch  ca.  60  unleserlich  und  unvoll- 
ständig, sodass  ihre  Identifizirung  schwer  ftlllt.  Auch  darf  man 
nicht  vergessen,  dass  wir  ja  noch  keine  vollständige  Sammlung  der 
gallischen  Stempel  besitzen.  Es  würden  sonst  noch  viel  weniger 
Töpfemamen  für  Britannien  allein  übrig  bleiben. 

In  Germanien  kennen  w^ir  einen  grossen  Töpferort:  Kheinza- 
bem*),  einen  andern  in  Vindelicia,  bei  dem  heutigen  Westerndorf*). 
An  beiden  Orten  wurden  namentlich  omamentirte  Gef&sse  hergestellt. 
In  wie  weit  die  einfachen  Teller  und  Näpfe  dort  gefertigt  sind,  ist 
schwer  zu  sagen.  Einzelne  Stempel,  wie  GIINIALISF,  SIICAVITI, 
ABBOFEC,  PROPF,  A  V  C  T  V  S  F  E  C  finden  sich  bei  Rhein- 
zabern  auf  unverziertem  Geschirr  so  häufig,  dass  man  sie  für  die 
Stempel  dortiger  Fabriken  halten  wird.  Aber  genau  jedem  Fabri- 
kationsort seine  Stempel  zuzuweisen,  ist  mit  dem  gegenwärtigen 
Material  noch  nicht  möglich. 

Nichts  spricht  dafür,  dass  die  Rheinzaberner  Töpfereien  vor 
dem  II.  Jahrhundert  bestanden  hätten.  Die  von  Westemdorf  schei- 
nen sogar  erst  nach  der  Mitte  des  II.  Jahrhunderts  entstanden 
zu  sein.  Von  hier  kann  also  höchstens  ein  Theil  der  damals 
verbreiteten  Topfwaare  stammen,  weder  aus  Rheinzabem,  noch  gar 
aus  Westemdorf  wird    man  nach  Britannien   und  Spanien  exportirt 

1)  Smith,  Coli.  ant.  VI  p.  70. 

2)  Brongnlart,  Trait6  p.  429.  Taf.  30.  7  abc. 

3)  V.  Hefner,  Oberbayr.  Archiv  22. 


106  Hans   Dragendorff: 

haben.  Da  nun  aber  diese  Provinzen  vieles  aus  denselben  Töpfereien 
bezogen  haben  wie  Geiinanien,  so  entsteht  die  Frage,  ob  die 
Hauptmasse  der  Terra  sigillata  dieser  Zeit  nicht  in  Gallien  ge- 
macht ist. 

Es  sprechen  dafür  namentlich  folgende  Gründe: 
1.  Viele  Namen,  die  auf  den  Terra  sigillata-Gefässen  stehen^  sind 
gallisch,  z.  B.  Ardacus,  Juliacus,  Arvemicus,  Biturix,  Bonoxns,  Bo- 
rillus,   Boudus,  Belatullns,  Caratillus,  Mebdullus,  Medillns,  Cintucna- 
tus,  Criciro,  Dacomarus,  Maianus,  Mebdicus,  Melausus  u.  a. 

2)  Die  Namen  derjenigen  Töpfer,  deren  Werkstätten  in  Gal- 
lien aufgefunden  worden  sind,  kehren  auch  in  anderen  Provinzen 
wieder.  Hierhin  gehören  Libertus,  Albucus,  Sennonus,  Borillus, 
Butrio,  die  in  Lezoux  heimisch  sind^),  und  deren  Stempel  auch 
anderwärts  vorkommen*). 

3)  In  den  Stempeln  finden  sich  gallische  Schriftzeichen.  Den 
aspirirten  Dental  kenne  ich  in  folgenden  Namen:  BVBBARVS, 
OABBIRON-.,  MEBBICVS,  MEBBILVS,  MEBBIRIVS, 
MEBBVLVS,  MIVBBILO    F»). 

Das  punktirte  0,  das  Gallien  eigenthümlich  zu  sein  scheint, 
kommt  vor  in  O0M*),  A  -  P0  L  •  AVSTI »),  0F  BASSM), 
CER©T'||IM'),  L0LLIM8),  0F  NIGR«),  PATIRATI  0MO), 
OF.P0LIO"),  S0LLVS  F"),  ©F  C  \A*»),  VIR0NI-OF 
und  VIRONI-Opi*). 


1)  P  I  i  c  q  u  e  a.  a.  O.  p.  5  u.  9. 

2)  C.  XII  5686.  815  f.  138.  C.  VII  1336.  1028,  166 if.  187.  CHI 6010. 
43.  Seh.  5102-8,  847.  909  f.  Orelli  Inscr.  Helv.  309.  Grivaud,  Antiq.  gau- 
loises  Tafel  VIII. 

3)  Zeuss,  Grammatica  celtica  II.  Aufl.  S.  77.  Becker  b.  Kuhn  u. 
Schleicher,  Beiträge  zur  vergleichenden  Sprachforsch.  III  S.  207  if. 

4)  Tarraco.  C.  II  4970.  356. 

5)  London.   C.  VII  1336.  72a. 

6)  Paris.  Grivaud  Taf.  8.  45. 

7)  London.   C.  VII  1336.  302. 

8)  Vienne,  Äugst.    C.  XII  6686.  489.  b.    Seh.  3016. 

9)  London.  C.  VII  763c. 

10)  Althofen  mit  Münze  der  diva  Faustiua  C.  III  6010.  160. 

11)  Narbonne.   C.  XII  5686.  695. 

12)  Le  Mans.  Seh.  5288. 

13)  Narbonne.    C.  XII  5686.  898. 

14)  London.    C  VII  1336.  1188  b.  c. 


Terra  sigillata.  107 

Diese  Form  des  ©  kommt  schon  auf  einer  in  Toulouse  gefun- 
denen Inschrift  des  Jahres  47  v.  Ohr.  vor  ^). 

Der  gallische  Diphtong  OV  findet  sich  mehrfach;  z.  B.  in 
BOVDVS,  BOVTIVS«). 

4)  Häufig  ist  die  gallische  Nominativendung  -os  für  -us  und 
zwar  nicht  nur  in  gallischen  Namen,  sondern  auch  in  gut  lateini- 
schen, wie  IVLIOS,  PRISCOS. 

5)  Sehr  häufig  sind  in  den  Stempeln  dieser  Zeit  einzelne  kur- 
sive Schriftzeich^n,  besonders  A  und  A  für  A,  II  für  E,  K  fUr  L, 
V  fUr  F.  Diese  kommen  zwar  alle  schon  in  ganz  alten  Inschriften 
vereinzelt  vor.  Ihr  Gebrauch  mehrt  sich  aber  sehr  stark  erst  im 
II.  nachchristl.  Jahrhundert,  und  zwar  gerade  in  gallischen  und  bri- 
tannischen Inschriften,  unter  diesen  wieder  besonders  in  den  Töpfer- 
stempeln. Auf  italischen  SigiUaten  habe  ich  fast  keines  dieser  Zei- 
chen gefunden. 

Ich  glaube  aus  diesen  Gründen,  dass  weitaus  der  grösste  Theil 
der  SigiUaten,  die  vom  Ende  des  I.  Jahrhunderts  an  in  Germanien, 
Belgien  und  Britannien  benutzt  wurden,  in  Gallien  fabrizirt  ist.  Es 
ergibt  sich  daraus,  dass  die  gallischen  Fabriken  sehr  ausgedehnt 
waren  und  einen  grossartigen  Exporthandel  besassen.  Wir  haben  ge- 
sehen, dass  die  grossen  arretinischen  Fabriken  eine  Menge  Sklaven 
beschäftigten  und  dass  diese  oft  ihren  Namen  mit  auf  das  Geiäss 
setzten.  Obgleich  dies  nun  in  der  späteren  Zeit  nicht  mehr  ge- 
schieht, so  ist  doch  selbstverständlich,  dass  die  Töpfer  dieser  Zeit 
nicht  alle  Gefässe,  die  ihren  Namen  tragen,  eigenhändig  gedreht 
haben,  sondern  dass  auch  sie  Sklaven  beschäftigten.  Festzu- 
halten aber  ist,  dass  der  Stempel  den  Herrn,  nicht  den  Sklaven 
nennt;  denn  fast  alle  Namen  kommen  auch  mit  dem  Zusatz  „ofß- 
cina"  vor. 

Auch  die  mit  fecit  signirten  Gefässe,  z.  B.  Vitalis  fecit,  können 
wegen  der  grossen  Anzahl  derselben  kaum  mit  eigener  Hand  alle 
vom  Besitzer  der  Töpferei  gefertigt  sein;  nur  wenn  zum  Namen  der 
Zusatz  „manu"  oder  „manu  sua"  gemacht  ist,  wird  man  dies  anneh- 
men müssen. 

Jeder  Töpfername  kommt  auf  den  Stempeln  in  allen  möglichen 
Abkürzungen    vor,   sowohl   allein    als  kombinirt   mit   den  Zusätzen 


1)  C.  XII  5388. 

2)  Zeuss  a.  a.  0.  S.  108  f.    Becker  a.  a.  0.  S.  191  ff. 


108  Hans   Dr^gendorff: 

F,  FE,  FEC,  FECIT,  0,  OF,  OFF,  OFFIC,  M,  MAN,  MS 
u.  8.  w.  Es  geht  daraus  hervor,  dass  in  den  Fabriken  viele  ver- 
schiedene Stempel  zum  Zeichnen  der  Gefässe  vorhanden  waren. 
Natdrlich  mnss  man  immer  die  Möglichkeit  offen  lassen,  dass 
Erzeugnisse  verschiedener  gleichnamiger  Fabrikanten  vorliegen. 
Den  über  den  letzten  Zweifel  erhabenen  Beweis  flir  wirkliche 
Identität  zu  erbringen,  wird  nur  in  seltenen  Fällen  gelingen. 

Keineswegs  aber  darf  man  aus  einer  abweichenden  Fassung 
des  Stempels  in  jedem  Falle  auf  eine  andere  Fabrik  schliessen; 
denn  in  manchen  Fabriken  ist  der  Gebrauch  verschiedener  Stempel 
ganz  zweifellos  nachzuweisen,  z.  B.  in  der  des  Virilis.  Dieser  hat 
die  Eigenthttmlichkeit,  seine  Stempel  mit  kleinen  Punkten  zu  ver- 
zieren.   Es  kommen  vor: 

<•:  oFicviRiLi  :>y 

XI \X 

b.  ::.  OFLC-VIRIL«) 

c.  ::•  OFLC-VI  RIL.  3) 

d.  <.OFICVIRILI->^) 

e.  ////DFIC  VI  RIL-::  5) 

Wir  sehen  aus  Stempel  b  und  c,  dass  dieser  Töpfer  entgegen 
der  Sitte  jener  Zeit,  bisweilen  auch  mit  seinen  drei  Namen  stem- 
pelt. Es  gehören  also  auch  folgende  Stempel,  bei  denen  die  Pünkt- 
chen fehlen,  demselben  Töpfer: 

f.  OF-L-COS-VIRIL 

g.  F  •  L  •  C  0  S  •  Will 
h.  OF-LC-VIRIL 
i.    OFCLVIRIL^) 

k.  OFIC    LVChCOSVIRIL') 


1)  Köln.  Museum  Napf-Form  27. 

2)  Flavion.  Seh.  5791. 

3)  Tongres.  Seh.  5792. 

4)  Rottweil.  Holder  S.  25. 

5)  Bonn.  B.  J.  LXXXIX  S.  45.  363  a. 

6)  C.  VII.  1336.  346  a-i.  h  auch  aus  Vechten.  Seh.  5790. 

7)  AUier.  Seh.  5794. 


Terra  sigillata.  109 

I.  OFLCVIRILM) 
m.OF-LCViRiLI 

II.  0  F  .  L  .  C  V  I  R  I  L  «) 
0.  0  F  L  •  C  .  V  I  R  I  L  M) 

Wir  finden  also  mindestens  14  verschiedene  Stempelformen  in 
derselben  Töpferei  in  Gebrancb.  Zugleich  bieten  diese  Stempel  ein 
gutes  Beispiel  für  die  weite  Verbreitung  der  Eraeugnisse  einer  Officin. 
Sie  fanden  sich  in  England,  Holland;  Belgien,  Frankreich  bis  zur 
Allier,  Bonn,  Friedberg  und  Rottweil. 

Unsere  Ansicht,  dass  die  meisten  im  Kheinlande  vom  Ende 
des  I.  Jahrhunderts  an  gebrauchten  Sigillata -Vasen  gallischen  Ur- 
sprungs seien,  erhält  eine  Bestätigung  dadurch,  dass  die  wenigsten 
Stempel  derselben  sich  auf  Stücken  italischen  Ursprungs  wieder- 
holen. Von  den  über  400  Stempeln,  die  ich  dieser  Zeit  zuweisen 
kann,  kehren  nur  41  auch  in  Italien  wieder.  Es  sind  folgende:  Al- 
banus, Ateius,  Bassus,  Bellus,  Calvus,  Caratillus,  Cinnamus,  Co- 
lins, Communis,  Crestus,  Festus,  Fidelis,  Firmus,  Fuscus,  Germa- 
nus, lueundus,  lulius,  lustus,  Lucius,  Macer,  Marcius,  Niger,  Patri- 
cius,  Paullus,  Primus,  Priscus,  Probus,  Rufinus,  Rufus,  Saturninus, 
Satumus,  Secundus,  Severus,  Sextus,  Silvanus,  Silvius,  Tertius,  Tri- 
tus,  Victor,  Vitalis,  Utilis,  Aus  dieser  Zahl  sind  15  auszuschei- 
den, wo  sicher  mehrere  Fabrikanten  gleichen  Namens  existir- 
ten  und  daher  die  in  Deutschland  und  in  Italien  gefundenen  Stücke 
nicht  aus  derselben  Töpferei  zu  stammen  brauchen.  Es  sind  das 
Albanus,  Communis,  Crestus,  Festus,  Fidelis,  Firmus,  Fuscus,  lueun- 
dus, lulius,  Marcius,  Paullus,  Primus,  Secundus,  Severus,  Sextus. 
Zweifelhaft  sind  Colins,  der  einmal  bei  Schuermanns  (Nr.  1522) 
mit  der  unbestimmten  Fundangabe  „Italie",  und  Victor,  der  einmal 
mit  der  Provenienz  „Rome"  vorkommt  (a.  a.  0.  Nr.  5720).  Von 
den  übrigen  kommen  Bellus,  Calvus,  Caratillus,  Germanus,  Macer, 
Patricius,  Probus,  Rufinus,  Sextus,  Tritus,  Vitalis,  Utilis  nur  je 
einmal  in  Italien  vor,  sehr  oft  in  den  Provinzen.  Es  bleiben  also 
14  übrig,  und  bei  diesen  stammen  die  in  Italien  gefundenen  Exemplare 
fast  alle   aus  Gallia   cisalpina,    sodass   man  wenigstens   vermutben 


1)  Tongres.  Seh.  5799. 

2)  Bottweil.  Holder  S.  25. 

3)  Friedberg.  Seh.  5080. 


110  Hans   Dragendorff: 

kanii;  dass  ein  Tbeil  in  Gallien  gemacht  und  nach  Norditalien  impor- 
tirt  ist.  Caratillus  ist  ausserdem  ein  gallischer  Name,  Vitalis  sicher 
ein  gallischer  Fabrikant,  da  er  auch  schwarze  Gefasse  gemacht  hat. 
Bis  zum  Beweis  des  Gegentheils  wird  man  jedenfalls  stets  an- 
nehmen müssen,  dass  in  Belgien  und  Genuanien  gefundene  Terra 
sigillata-Gefässe  vom  Ende  des  I.  Jahrhunderts  an  nicht  mehr  aus 
italischen,  sondern  aus  proyinzialen  Fabriken  stammen. 


2.   Die  Formen. 

Wie  in  den  Provinzen  die  Töpferei  aufblühte,  sehen  wir  be- 
sonders auch  daraus,  dass  neue  Formen  und  neue  Dekorationsarten 
erscheinen,  die  in  Italien  unbekannt  sind.  Die  Formen  der  späteren 
Sigillaten  habe  ich  Taf.  II  31 — III  55  zusammengestellt.  Von  den 
älteren  Formen  gehen  24,  25,  27  *)  und  kurze  Zeit  auch  noch  29 
und  30  weiter^).  In  und  um  Rheinzabern  kommen  sie  aber  fast 
gar  nicht  mehr  vor,  was  auch  flir  die  späte  Datirung  der  dortigen 
Fabriken  spricht.  Aus  Foim  18  entwickelt  sich,  wie  schon  erwähnt, 
die  gebräuchlichste  Tellerform  späterer  Zeit  (31).  Daneben  kommt 
eine  neue  Tellerform,  32  auf,  meist  schon  in  ziemlich  schlechter 
Qualität  ausgeführt.  Fonn  33  ist  die  gebräuchlichste  Napfform  dieser 
Periode.  In  Italien  scheint  sie,  wie  die  Mehrzahl  der  folgenden 
Formen,  zu  fehlen,  würde  also  als  gallisch  gelten  müssen.  Doch 
bleibt  zu  bedenken,  dass  unsere  Kenntniss  der  späteren  italischen 
Sigillaten  sehr  lückenhaft  ist. 

34,  mit  2  Henkeln,  die  an  einem  etwas  aufwärts  gebogenen, 
schrägen  Rande  sitzen,  kenne  ich  nur  aus  Banassac,  von  wo  zahl- 
reiche Stücke  in's  Museum  von  St.  Germain  gekommen  sind^). 

38  kenne  ich  auch  nur  aus  den  Provinzen.  Der  obere  verti- 
kale Rand  ist  bald  höher,  bald  niedriger.  Die  Form  ist  eine  der 
wenigen  La  T6ne- Formen,  die  sich  bis  in  späte  Zeit  halten. 
Sie  kommt  bei  schwarzen  Gefässen  schon  in  den  Gräbern  von  Nau- 


1)  So  auch  Koeuen  (Gefässkunde  S.  93  m),  der  27  bis  an  die  Anto- 
ninenzeit  gehen  läset,  24  und  25  (Gefässkunde  S.  94  o)  etwa  bis  zu  der- 
selben Zeit. 

2)  Koenen  (Gefässkunde  S.  88  c.  90  e).   Vergl.  unten  S.  127. 

3)  Auch  bei  Koenen,  der  das  deutsche  Material  in  so  umfassender 
Weise  kennt,  finde  ich  sie  nicht. 


Terra  sigillata.  111 

heim  und  in  Andernach  vor^).  Das  älteste  in  Sigillata  ausgeführte 
Exemplar  ist  in  Xanten  mit  einer  Münze  des  Vitellius  gefunden^).  Der 
dünne  überhängende  Kragen  zeigt,  dass  die  Form  für  Metall  ge- 
dacht ist;  ein  in  Metall  ausgeführtes  Exemplar  ist  abgebildet  Gaz. 
arch.  VI  Taf.  1. 

Verwandte  Formen  sind  43 — 45.  43  und  45  sind  die  ge- 
bräuchlichsten Formen  der  sogenannten  Reibschalen,  deren  innere 
Wandung  durch  scharfe  Quarzstückchen  rauh  gemacht  ist.  Sie 
haben  am  oberen  Rande  einen  breiten,  flachen  Ausguss,  bisweilen 
auch  ein  rundes  Loch,  dessen  Mündung  mit  einem  Löwenkopf  ver- 
kleidet ist.  Sie  finden  sich  sehr  häufig  in  den  Kastellen,  dienten 
also  einem  täglichen  Bedürfuiss ;  wahrscheinlich  wurde  das  Brotmehl 
in  ihnen  gerieben  und  geschlemmt. 

Auch  39  und  42  sind  direkte  Nachbildungen  von  Metalltellem 
mit  breiten  jBlechrändem.  Sie  kommen  mehrfach  in  den  Limes- 
kastellen vor  und  die  Stempel  auf  diesen  Formen  (Victor,  Verus) 
kehren  dort  auch  auf  andern  Sigillaten  wieder. 

Form  40  begegnen  wir  schon  unter  den  gelbglasirten  Gefässen 
in  Trier'). 

47,  48,  49  sind  jüngere  Modifikationen  der  Tellerfoim  32  und 
des  Napfes  33.  Sie  haben  einen  starken  Randwulst  oder  eine  kleine 
Lippe  erhalten  und  sind  aussen  häufig  mit  der  schon  von  den  bel- 
gischen Vasen  her  bekannten  Rädchenverzierung  geschmückt. 

Form  50  kenne  ich  nur  aus  dem  Museum  von  St.  Germain. 
Sie  scheint  nur  in  gallischen  Töpfereien  verwendet  worden  zu  sein ; 
bei  Koenen  finde  ich  sie  nicht.  Vergleiche  zu  diesen  Bemerkun- 
gen auch  den  Anhang  I  über  die  Verwendung  einzelner  Formen 
durch  einzelne  Töpfereien. 

3.  Verzierungen  der  Vasen. 

Während  in  älterer  Zeit  bei  den  Sigillata- Gewissen  nur  eine 
Art  zu  verzieren  gebräuchlich  war,  die  mit  ausgepresstem  Relief, 
kommen  jetzt  zwei  weitere  hinzu,  die  mit  aufgesetzten  Verzierungen, 
namentlich  Verzierungen  en  barbotine,  und  die  mit  eingekerbten  Mustern. 

1)  Lindenschmit,  Centralmuseum  Taf.  32. 6.  B.  J.  LXXXVI,  Taf.  VI 
87.   Taf.  VTI  2. 

2)  Houben-Piedler  Taf.  XIX.  Koenen  datirt  ihr  Auftreten 
in  dieselbe  Zeit  (Gefässknnde  S.  94  p  u.  9). 

3)  Nicht  erst  in  der  späten  Kaiserzeit,  wie  K  o  e  n  c  u  Gefassknnde 
S.  112  f.  annimmt. 


112  Hans  Dragendorfft 

I.  Ge fasse   mit  aufgesetzten  Verzierungen. 

Die  Ornamente  können  auf  dreierlei  Art  hergestellt  sein: 

1)  aus  freier  Hand  geformt  und  dann  aufgeklebt, 

2)  en  barbotine  ausgeführt^),  d.  h.  aus  Thonschlamm  hergestellt, 
der  mittelst  eines  hornförmigen  Trichters  oder  eines  Pinsels  aufge- 
tragen wurde,  ähnlich  wie  der  Conditor  die  Zuckerdekorationen  auf 
dem  Kuchen  anbringt, 

3)  mit  einer  Form  ausgepresst  und  fertig  auf  das  Getass 
geklebt. 

Zur  ersten  Art  gehören  Gefässe  wie  B.  J.  LXXXVI  Taf.  VI 
29;  VII  4  (gef.  mit  Münze  des  Caligula)  mit  ihren  Schuppenvcr- 
ziei-ungen,  Cleuziou  p.  258  Fig.  197,  p.  213  Fig.  132,  wo  huf- 
eisenförmige Wülstchen  aufgeklebt  sind.  Einer  ähnlichen  Dekora- 
tionsweise begegnen  wir  schon  an  schwarzgefirnissten  Gefassen  des 
II.  Jahrhunderts  v.  Chr.  aus  Olbia^);  eine  Vorstufe  dereelben  bilden 
die  schuppenartigen  Blättchen,  die  in  der  „megarischen"  Töpferei 
so  häufig  die  untere  Hälfte  der  Schale  überziehen  und  sich  bereits 
an  gut  gefimissten  attischen  Reliefvasen  finden. 

In  römischer  Zeit  kommt  diese  Schuppen-  oder  Blättchen- 
Ornamentik  in  Anderaach  in  den  jungem  Gräbern  vor;  häufig  wird 
sie  an  schwarz,  braun  und  röthlich  gcfirnissten  Gefassen  des  II. 
nachchristlichen  Jahrhunderts  gefunden.  Im  I.  Jahrhundert  begegnet 
man  dem  Ornament  auch  an  Gesichtsurnen.  Auf  Terra  sigillata-Ge- 
tässen  kenne  ich  es  nicht. 

Viel  wichtiger  ist  aber  die  Barbotine-Technik.  Auf  klassischem 
Boden  haben  wir  nichts  Analoges,  vergleichen  aber  mag  man  immer- 
hin die  Art.  wie  auf  griechischen  Vasen  des  V.  und  IV.  Jahr- 
hunderts mit  feinem  flüssigem  Thonschlamm  Ranken  und  allerlei 
Ornamente  aufgesetzt  sind,  als  Unterlage  für  Vergoldung.  Kleine 
bogenförmig  angeordnete  Tüpfchen  aus  Thon  sah  ich  auf  zwei 
Bechern   ans  feinem  röthlichem   Thon   ohne  Ueberzüg  im  Louvre. 


1)  Der  Name  ist,  wie  mir  scheint,  von  v.  Heftter  in  unsere  Lite- 
ratur eingeführt,  der  ihn  a.  a.  0.  S.  51  aus  Brongniart  citirt  (Trait^.  I 
p.  425).  Ein  solcher  Trichter  soll  nach  Brongniart  in  Lezoux  ge- 
funden sein. 

2)  Arch.  Anz.  VI  S.  19.  9.    Zur  Datirung  oben  S.  34. 

3)  Z.  B.  Bonner  Prov.-Mus.  Inv.  no.  11. 


Terra  sigillata.  113 

Sie  sind  in  Aigai  in  Klein-Asien  gefunden  und  wohl  aus  hellenisti- 
scher Zeit. 

Die  Anfänge  der  eigentlichen  Barbotine-Dekoration  kann  man 
in  Andernach  und  sonst  an  den  schwarzen  und  grauen  Urnen  beob- 
achten,  die  mit  Münzen  von  Claudius  und  Nero  gefunden  wurden. 
Es  sind  hier  mit  hellgrauem  sehr  dünnem  Thonschlamm  Ringe  oder  aus 
Punkten  zusammengesetzte  Ornamente  aufgetragen^).  Dieselben  Orna- 
mente kehren  mit  Braun  aufgemalt  bei  den  gelblichen  Gesichtsumen 
wieder.  Es  scheint  bei  der  älteren  Barbotine-Technik,  im  Gegensatz 
zu  der  spätem  Gewohnheit,  beliebt  gewesen  zu  sein,  für  das  Orna- 
ment eine  andere  Farbe  zu  wählen,  als  der  Thongrund  hatte.  Die  Ver- 
zierung besteht  in  Ringen,  die  zu  mehreren  in  einander  gehängt 
sind,  wie  Glieder  einer  Kette. 

Auf  einzelnen  Andemacher  GeiUssen  finden  wir  aber  auch  schon 
Ornamente  in  compakterer  Barbotine*),  und  zwar  sind  es  bereits 
die  später  so  häufigen  spitzen  Blätter.  Auf  Terra  sigillata  und  auf 
glasirten  GeiUssen  scheint  Barbotine-Technik  in  der  ersten  Hälfte 
des  I.  Jahrhunderts  nicht  vorzukommen  ^).  Gegen  Ende  des  I.  Jahr- 
hunderts finden  wir  sie  namentlich  auf  3  Vasengattungen :  auf  ge- 
fimissten  Bechern,  auf  glasirten  und  auf  Terra  sigillata-Gefässcn. 

a)  Gefirnisste  Gefässe. 

Gefimisste  Vasen  fehlen  in  der  frührömischen  Andemacher  Nekro- 
pole  noch.  Sie  sind  das  charakteristische  Geschirr  des  IL  Jahrhunderts, 
gehen  das  ganze  III.  Jahrhundert  hindurch  und  bis  in's  IV.  hinein^).  Der 
Thon  ist  meist  roth  (doch  kommt  auch  weisser  vor),  die  Gefilsse  sehr 
dünnwandig  und  mit  einem  festen  braunen  oder  schwarzen,  oft  metal- 
lisch glänzenden  Firaiss  überzogen,  der  durch  starkes  Brennen  leuch- 
tend korallenroth  wird  und  dann  oft  schwer  von  Terra  sigillata  zu 
unterscheiden  ist. 


1)  Z.  B,  B.  J.  LXXXVI  Taf.  VII 15.  Taf.  VI  7.  Cleuziou  p;  53  Flg.  35 
u.  36  (aus  Köln  und  Metz).   Cleuziou  p.  213  Fig.  131,  auch  Halbmonde. 

2)  B.  J.  LXXXVI  Taf,  VT  11,  13  (Münze  v.  Nero),  Cleuziou  p.  210 
(dunkelgrau  auf  hellgrau)  p.  211,  (grau  auf  grau)  p.  212. 

3)  NachKoenen  kommen  Sigillata-Gefässe  mit  Barbotine  schon  mit 
Münzen  v.  Claudius  vor.    Ein  Citat  gibt  er  nicht. 

4)  Vgl.  auch  Koenen  Gefässkunde  S.  101  f. 

Jahrb.  d.  Vor.  v.  Alterthsfr.  im  Rheinl.  XCVI.  g 


114  Hans  Dragendorff: 

Die  Barbotine-Ornamente  sind  hier  bald  von  derselben  Farbe, 
wie  das  Gefäss,  bald  beben  sie  sieb  davon  ab. 

Bei  der  ersten  Art  wird  das  Ornament  auf  das  geformte  Ge- 
fäss gesetzt  und  dann  erat  dem  Ganzen  der  Ueberzng  gegeben.  Bei- 
spiele finden  sich  bei  Cleuziou  p*  241  Fig.  173,  p.  242  Fig.  174. 
Neben  Blättern  und  Ranken  kommen  Thiere  (Rebe,  Hasen, 
Hunde)  und  vereinzelt  auch  menschliche  Figuren  vor.  Bisweilen  ist 
das  Gefäss  auch  nur  mit  kleinen  stachelartigen  Warzen  veraehen,  oder 
es  ist  grober  Quarzsand  aufgestreut,  um  dem  Gefäss  einen  festeren 
Halt  in  der  Hand  zu  geben. 

Bei  der  zweiten  Gattung  ist  auf  das  fertig  gefirnisste  Gefäss 
feiner  weisser,  bisweilen  auch  gelber  Thonschlamm  aufgetragen. 
Hierher  gehören  vor  allem  die  Trinkbecher  mit  Aufschriften,  wie 
sie  sich  am  Niederrhein  und  auch  in  Frankreich  so  zahlreich 
finden.  Sie  beginnen  schon  im  II.  Jahrhundert,  wie  ihr  Vorkommen 
auf  der  Saalburg  lehrt  und  die  Güte  der  Formen  und  des  Firniss 
bestätigen.  Sie  gehen  dann  das  ganze  III.  Jahrhundert  durch  und 
bis  in's  IV.  Ein  Kriterium  für  das  Alter  der  einzelnen  Exemplare 
ist  die  Art  des  Barbotine-Reliefs,  das  bei  den  älteren  Stücken  rein 
weiss  oder  gelb  ist  und  in  dicken  Fäden  aufsitzt,  während  es  später 
oft  nur  wie  eine  dünne  Farbe  erscheint,  die  den  schwarzen  Grund 
nar  unvollständig  deckt.  Neben  den  Inschriften  treten  als  nahezu 
einziges  Ornament  Weinranken  und  Beeren  auf,  zuerst  naturalistisch 
dargestellt,  später  immer  mehr  stilisirt.  Grosse  Massen  dieser  Gefässe 
haben  sich  in  den  neu  entdeckten  Trierer  Töpfereien  gefunden,  die 
dem  IL  und  Anfang  des  III.  Jahrhunderts  angehören.  Aus  dem 
II.  Jahrhundert  stammt  wohl  auch  ein  in  Trion  gefundenes  Frag- 
ment im  Mus6e  Guimet,  das  auf  schwarzem  Fii*niss  braunrothe 
Barbotine-Ranken  zeigt.  Die  von  Loeschcke  aufgeworfene  Frage, 
ob  zwischen  diesen  Vasen  und  den  Ausläufern  der  griechischen 
Vasenmalerei  in  ünteritalien,  die  eine  einigermassen  ähnliche  Technik 
zeigen,  ein  historischer  Zusammenhang  bestehe,  hat  S.  Rein  ach 
(Bronzes  figur^s  du  Mus^e  de  St.  Germain  p.  21)  mit  Recht  verneint. 


b)  Glasirte  Öefässe. 

Dass  auch    die   Römer   schon   eine  Glasur  nach  Art  unserer 
heutigen   gekannt   haben   (denn  der  üeberzug  der  Sigillata-Gefässe 


Terra  sigillata.  115 

ist  immerhin  von  allen  heute  gebräuchlichen  Glasuren  noch  sehr 
verschieden),  hat  zuerst  Mazard  klar  gezeigt^),  der  in  seinem  grund- 
legenden Aufsatz  auch  eine  reiche  Materialsammlung  gibt.  Einen 
guten  üeberblick  über  die  Verwendung  der  Glasur  in  Aegypten  und 
Kleinasien,  das  Aufleben  der  Technik  in  hellenistischer  Zeit  und  die 
Verwendung  an  römischen  Gefössen  hat  bei  Besprechung  von  Ge- 
flissen  mit  Bleiglasur  Masner  gegeben*).  Genaueres  muss  hier  noch 
vergleichendes  Studium  der  in  den  verschiedenen  Provinzen  ge- 
fundenen Stücke  lehren.  Die  lokalen  Unterschiede  sind  sehr  grosse. 
1)  Die  älteste  Stufe  vertreten  Gefasse  kleineren  ümfangs,  die 
namentlich  in  Kleinasien  und  seiner  Umgebung  gefunden  und,  wie 
es  scheint,  dort  auch  fabricirt  worden  sind.  Proben  aus  Tarsos, 
Myrina,  Kyme,  Smyrna  u.  s.  w.  besitzt  der  Louvre,  Scherben  eines 
kleinen,  gelbglasirten  Bechers  aus  Kythnos  das  Bonner  Kunstmuseum. 
Die  Farben  sind  lebhaft,  einzelne  Gefasse  ganz  bunt,  andere  mit 
metallisch  glänzender  blaugrünlicher  Glasur.  Die  Formen  schliessen 
sich  eng  an  Metall  an,  namentlich  durch  ihre  charakteristische  Henkel- 
fonii  (Mazard  Taf.  XI),  die  auch  die  Bonner  Vase  iiat ^).  In  der 
Schärfe  der  Mödellirung  erinnern  manche  Reliefs  an  die  besten  Si- 
gillaten.  Von  dieser  kleinasiatischen  Waare  mit  Bleiglasur  sind  Proben 
nach  Italien  und  sogar  nach  Gallien  gekommen.  Denn  es  sind  dort 
in  Form,  Decoration  und  Glasur  ganz  entsprechende  Gefasse  ge- 
funden, die  sich  von  den  sonst  in  Italien  und  Gallien  vorkommenden 
scharf  unterscheiden*).  Nach  Gallien  kamen  sie  über  Massilia,  wo 
Mazard  Scherben  sah,  die  mit  den  tarsischen  neben  allem 
Anderen  auch  das  gemeinsam  haben,  dass  sie  häufig  aussen  grün, 
innen  gelb  sind.  Zu  diesen  importirten  Stücken  gehört  auch  ein  aus 
Orange  stammendes  Fragment  in  St.  Germain,  das  sich  auch  im 
Ornament  —  Blätter  und  Beeren  —  vollständig  mit  einem  klein- 
asiatischen Fragment  des  Louvre  deckt. 


1)  De  la  connaissance  par  les  anciens  des  gIaQUres  plotnbif&reS) 
Mus^e  arch^ologique  1879,  II  p.  373  ff. 

2)  Mittheilungen  des  k.  k.  österr.  Museums  für  Kunst  und  Industrie. 
N.  F.  8.  Jahrgang.  Heft  IX  und  X,  S.  452  ff.  Wien,  1893.  Speziell  über 
römische  glasirte  Gefasse  ist  auch  Hettner  a.  a.  0.  S.  169  zu  vergleichen; 
Im  Allgemeinen  ist  die  Litteratur  verzeichnet  bei  Daremberg-Saglio 
Dictionaire  8.  v.  figulus  p.  2031  f. 

3)  Vergl.  auch  oben  S.  41  Anm.  2. 

4)  Mazard.  a.  a.  0.  Taf.  XL 


116  Hans  Dragendorff: 

2)  Eine  zweite,  gleichfalls  nur  vereinzelt  in  Gallia  Narbonensis 
auftretende  Gattung  hat  eine  blaugrünliche  Glasur.  Manche  Exem- 
plare schimmern  perlmutterartig,  so  dass  die  Gefässe  fast  den  Ein- 
druck von  irisirendem  Glas  machen.  Auch  die  Formen  —  grosse 
Urnen  und  Kannen  -^  erinnern  an  dieses  Material.  Die  Feinheit 
der  Technik  nimmt  mit  wachsender  Grösse  ab,  die  Eeliefs  sind  oft 
ziemlich  roh.  Als  Fabrikationsort  nimmt  man  Italien  an.  Eine  An- 
zahl Gefässe  dieser  Art  aus  Italien  besitzt  der  Louvre. 

Von  diesen  beiden  Gattungen  unterscheiden  sich  wesentlich 
die  eigentlichen  gallischen  glasirten  Vasen,  die  ich  auch  allein  in 
den  rheinischen  Museen  gefunden  habe.  Sie  zerfallen  wiederum  in 
zwei  Arten. 

3)  Vasen  aus  hellem,  weissgrauem  Thon,  der  sehr  hart  ist  und 
fast  steingutartig  aussieht.  Dieser  ist  mit  einer  gelben,  gelblich- 
grünen  oder  bräunlichen  Glasur  versehen.  Die  Ornamente  —  kleine 
Blätter  u.  s.  w.  —  sind  mit  Formen  aufgepresst.  Es  kommen  in 
dieser  Art  kleine  Henkelkannen,  feldflaschenartige  Vasen  und 
Becher  vor.  Jp  St.  Germain  finden  sich  mehrere  Stücke  der  Art 
aus  Vichy,  andere  sind  in  Trier  und  unter  den  Andernacher  Funden  ^). 
Sie  sind  leider  nicht  fest  datirt,  Koenen  setzt  sie  aber  wohl  mit 
Eecht  in  die  Mitte  des  I.  Jahrhunderts. 

Im  Ganzen  machen  diese  Gefässe  keinen  eleganten  Eindruck. 
Das  Material  ist  für  die  kleinen  Formen  und  Ornamente  zu  grob. 
Wir  werden  es  hier  wohl  mit  Erzeugnissen  gallischer  Industrie  zu  thun 
haben,  wie  auch  Mazard  vermuthet,  da  sich  in  Italien  entsprechendes 
nicht  zu  finden  scheint.  In  Gallien  ist  diese  Waare  ziemlich  häufig*). 
Die  Andemacher  Stücke  decken  sich  mit  gallischen  vollkommen. 
Ein  liegender  Löwe,  ganz  entsprechend  dem  Andemacher^)  und  gewiss 
aus  dereelben  Fabrik,  ist  im  Museum  von  Rouen ;  den  kleinen  Ander- 


1)  B.  J.  LXXXVI.  Taf.  V  55.  VI  19. 20. 21. 22.  Hierher  gehören  jedenfalls 
auch  die  2  Wiesbadener  Kannen,  von  aus'm  Weerth  B.  J.  LXXIV  S.  152 
erwähnt  und  von  von  Cohauscn  beschrieben  als  hellolivengrün,  wenig 
glänzend  glasirt,  u.  8.  w. 

2)  Gallischen  Fundortes  sind  auch  Gefässe  in  St.  Germain,  die  den- 
selben schmutzig  gelbweissen  Thon  zeigen,  aber  keine  Glasur  tragen, 
auch  wohl  nie  gehabt  haben;  2  davon  haben  die  Form  und  Ornamentik 
der  Sigillata-Schalen  des  ersten  Jahrhunderts  (29). 

3)  ß.  J.  LXXXVI.  Taf.  VI  23.     * 


Terra  sigillata.  117 

nacher  Henkelkannen  genau  entsprechendes  findet  sich  in  der  Nor- 
mandie  und  an  der  AUier  (Mazard  p.  391  Fig.  7). 

4)  Die  zweite  specifisch  gallische  Gattung  ist  in  Andernach 
noch  nicht  vorhanden,  also  später,  als  die  eben  besprochene.  Die 
Vasen  bestehen  aus  feinem  weissem  Thon  mit  malachitgrüner  Glasur. 
Dass  solches  Geschirr  in  Lezoux  gefertigt  worden  ist,  habe  ich 
schon  oben  ei-wähnt*).  Auch  dadurch  werden  wir  in  die  zweite 
Hälfte  des  I.  Jahrhunderts  gewiesen.  Wie  lange  diese  Fabrikation 
gedauert  hat,  lässt  sich  vorab  noch  nicht  bestimmen.  Der  Ansatz 
von  Plicque  ( — 120  n.  Chr.)  ist  jedenfalls  zu  niedrig  bemessen,  da 
das  schönste  Stück,  eine  grosse  Henkelkanne  in  Trier,  mit  einer 
Münze  des  Hadrian  zusammen  gefunden  ist.  Ist  die  Angabe,  dass 
die  B.  J.  LXXXIV  S.  117  ff.  publizirte  Vase  in  einem  grossen 
Sarkophag  >(d.  h.  doch  wohl  in  einem  Bestattungsgrab)  gefunden  sei, 
richtig,    so    müsste  man  bis  in's  III.  Jahrhundert  hinunter  gehen  ^). 

Diese  Gefässe  ahmen  in  ihren  Formen  oft  unmittelbar  Metall- 
gefässe  nach,  so  die  Trierer  Kanne  und  der  oblonge  Teller  des 
Bonner  Provinzialmuseums^).  Andere  erinnern,  wie  Klein  richtig 
bemerkt,  an  Glasgefässe,  so  namentlich  die  gi-ossen  Vasen  der  Samm- 
lung Herstatt  ^)  und  eine  ähnliche  des  Wormser  Museums. 

Auf  dieser  letzten  Ali;  der  glasirten  Gefitsse  —  und  nur  auf  ihr  — 
finden  sich  nun  häufig  auch  Barbotine-Vei-zierungen.  Bald  sind  es  feine 
aufgesetzte  Fäden,  bald  die  uns  schon  von  den  gefirnissten  Gefössen  her 
bekannten  Oniamente  und  Thiere^).  Es  stimmen  die  am  Rhein  ge- 
fundenen Exemplare  in  der  Technik  und  dem  Thon  mit  den  gal- 
lischen so  überein,  dass  man  sie  alle  für  Import  halten  möchte, 
wenn  dem  nicht  aus'm  Weerth's  und  Kleines  Angabe  gegen- 
überetände,  dass  in  den  Resten  eines  Töpferofens  bei  Bonn  Tropfen 
grüner  Glasur  gefunden  seien  ^).  Ist  diese  Beobachtung,  die 
ich  nicht  kontroliren  kann,   richtig,  so  sind  die  gallischen  Gefasse 


1)  Nach  P 1  i  c  q  u  e  p.  18  f. 

2)  Auch  Koenen  Gefässkunde  S.  102  datirt  sie  im  Wesentlichen  in 
die  Zeit  der  Antonine. 

3)  B.  J.  LXXIV  S.  149,  womit  die  Metallschüssel  Lindenschmit, 
Centralmuseum  XXV  28  zu  vergleichen  ist. 

4)  B.  J.  LXXXIV  S.  117  flF.  Taf.  IV,  zu  vergleichen  mit  B.  J.  LXIV 
Taf.  X  3. 

5)  Vgl.  ausser  den  citirten  noch  B.  J.  LXXIV  Taf.  VII. 

6)  B.  J.  LXXIV  S.  152.  LXXXIV  S.  118. 


118  Hans  Drageudorff: 

hier  nachgemacht  worden^).  Dafür,  dass  die  Technik  im  Westen 
heimisch  ist,  spricht  auch,  dass  die  Gefasse  aus  Oesterreich,  die 
Masner  mit  Eecht  zum  grösstcn  Theil  für  einheimisches  halbbar- 
barisches Fabrikat  hält,  von  den  unsrigen  in  Form  und  Glasur  sehr 
abweichen  und  mehr  eine  schlechte  Nachahmung  italischen  Fabri- 
kates iw  sein  scheinen. 

c)  Sigillata-Gefässe. 

Am  verbreitetsten  sind  Barbotinc- Verzierungen  auf  Terra  sigil- 
lata-Gefässen,  und  zwar  finden  wir  auf  ihnen  nur  die  fertig  ausge- 
bildete Technik,  nicht  die  Vorstufen,  wie  wir  sie  an  Terra  nigra- 
ürnen  kennen  lernten.  Schon  damit  werden  wir  darauf  geführt, 
die  Sigillata-Gefässe  mit  Barbotine  frühestens  der  zweiten  Hälfte  des 
I.  Jahrhunderts  zuzuweisen.  Das  bestätigt  sich  auch  durch  andere 
Beobachtungen.  Zunächst  fehlen  sie  in  den  Andernacher  Gräbern. 
2  Stücke  sind  dort  in  den  Brandstätten  gefunden,  lassen  sich  also 
nicht  fest  datiren*).  Das  Fehlen  hat  seinen  guten  Grund,  denn  die 
Sigillata  der  Andernacher  Gräber  ist,  wie  wir  oben  sahen,  theils 
noch  italisch,  theils  im  engsten  Anschluss  an  italische  Fabrikate 
gearbeitet.  Nun  kommt  Barbotine-Technik  in  Italien  zwar  vor,  aber 
sehr  selten,  wie  ein  so  ausgezeichneter  Kenner  wie  H.  Dresse  1 
mitzutheilen  die  Freundlichkeit  hatte.  In  Dresden  sind  einige  in 
Italien  gefundene  Barbotine-Scherben,  im  Louvre  aus  der  Sammlung 
Campana  2  Vasen  3),  aber  nach  dem,  was  wir  oben  über  den  Import 
gallischer  Töpfe  nach  Italien  ausgeführt  haben,  ist  es  gar  nicht  un- 
möglich, dass  die  in  Italien  gefundenen  Barbotine-Proben  dorthin 
im  Alterthum  importirt  worden  sind  und  Barbotine-Fabriken  in  Italien 
nie  existirt  haben.  Auf  den  alten  arrctinischen  Formen  findet  sich 
diese  Verzierungsweisc  nie,  sie  ist  vielmehr  beschränkt  auf  die  Formen 
35.  36.  39.  42.  43.  44.  45.  50.  51.  52.  53.  54.  55,  d.  h.  lauter 
Formen,  die  erst  mit  der  zweiten  Hälfte  des  I.  Jahrhunderts  an- 
fangen, mit  der  Zeit,  wo  allmählich  die  gallische  Sigillata  die  ita- 


1)  Durch  Prof.  H  ettncr  werde,  ich  übrigens  darauf  aufmerksam 
gemacht,  dass  grüne  Glasur  als  Nebenprodukt  in  alten  und  neuen 
Töpferöfen  cutstehe.  Ihr  Vorkommen  in  Töpfereien  würde  also  noch  nicht 
eine  Lokalfabrik  von  grünglnsirten  Vasen  beweisen. 

2)  B.  J.  LXXXVl  Taf.  VII  46  S.  173. 

3)  Nr.  429  und  452. 


Terra  sigillata.  119 

lische  im  Rheinland  verdrängt.  Bestätigt  wird  dieser  Ansatz  dnrch 
die  datirten  ältesten  Stücke :  einen  Teller  in  Trier  mit  Münzen  des 
Vespasian  und  Nerva^),  einen  ebensolchen  aus  Xanten,  mit  Münze 
des  Domitian*),  einem  dritten  in  Caves-Inn  mit  Münze  des  Nerva 
gefunden^).  —  Geftsse  mit  Barbotiue- Verzierung  sind  ausser  in  Gallien 
auch  in  Britannien  und  Germanien  häufig.  In  den  Töpfereien  von 
Rheinzabern  sind  sie  sicher  ebenfalls  hergestellt  worden^),  ob  auch  in 
Westerndorf,  scheint  mir  fraglich.  Zwar  ist  ein  Gefilss  mit  Barbotine 
dort  gefunden*),  doch  sind  solche  Gefilsse  in  OesteiTcich  so  selten,  dass 
man  kaum  glauben  wird,  sie  seien  so  weit  östlich  gemacht  worden. 
Im  Hofmuseum  in  Wien  sah  Prof.  Loeschcke  nur  2  Stücke,  von 
denen  das  eine  aus  Camuntum  stammt,  das  andere  vielleicht  gar 
nicht  in  Oesterreich  gefunden  ist.  Ein  kleines  Näpfchen  der  Form  35 
ist  neuerdings  in  einem  Tumulus  bei  Anstetten  gefunden^),  wird 
aber  in  dem  Bericht  so  genau  beschrieben,  dass  schon  daraus  her- 
vorgeht, dass  es  sich  um  einen  für  jene  Gegend  ungewöhnlichen 
Fund  handelt. 

Schon  die  Herstellungsart  bedingt,  dass  die  Ornamente  wenig 
reichhaltig  sind;  denn  nicht  Alles  war  geeignet,  auf  diese  Weise 
dargestellt  zu  werden.  Die  gebräuchlichsten  Ornamente  sind  Ranken 
und  Blätter  und  zwar  letztere  entweder  lanzcttftirmig  oder  epheuartig'), 
ferner  Thiere :  Hasen,  Hunde,  Rehe,  Hirsche,  Löwen,  Pfauen  u.  a.  Vögel ; 
auch  Fische  kommen  vor*).  Vereinzelt  findet  sich  zwischen  den 
Thieren  wohl  auch  ein  Gladiator,  Bestiarius  oder  Jäger. 

Durch  die  Herstellung  der  Ornamente  ist  ihr  Styl  bedingt: 
alles  feinere  Detail  niuss  wegfallen,  die  Umrisse  werden  weich, 
Beine,  Homer  u.  s.  w,  lang  und  dünn,  fadenartig  ausgezogen.    Um 


1)  Inv.  no.  3732. 

2)  Honben-Fiedler  Taf.  XVIII  2. 

3)  Smith,   Coli.  ant.  I  Taf.  XVII  p.  35. 

4)  Wie   die   zahlreichen  und   besonders  guten    Stücke    in   Speier 
zeigen. 

5)  V.  Hefner  Taf.  IV  12. 

6)  Milth.  der  praehist.-hist.  Commission    der  Kais.  Academie,  Wien 
1893  S.  171. 

7)  Z.  B.  Cleuziou  p.  205  Fig.  124,  p.  222  Fig.  148,  p.  223.  Fig.  149, 
p.  303  Fig.  207.  B.  J.  LXXl  Taf.  IIT  2.  3. 

8)  B.  J.  LXXI  T.  III  1.    Lindcnschniit,  Centralmuseum  Taf. 
XXV  8.  10. 


120  Hans  Dragendorff: 

sich  die  Modellirung  za  erleichteiii,  bat  man  bisweilen  —  nnd  bier  liegt 
Einwirkung  der  IIL  Art  der  aufgesetzten  Verzierungen  vor  —  auch 
Formen  benutzt;  mit  denen  man  die  Thiere  nnd  Menschen  zwischen 
die  aus  freier  Hand  geformten  Ranken  setzte.  Der  rundliche  Cha- 
rakter des  Körpers,  der  schmächtige  der  Extremitäten  wird  hierbei 
festgehalten^  aber  man  erkennt  bei  genauerem  Zusehen  die  auf  diese 
Weise  hergestellten  Figuren  doch  leicht  an  der  besseren  Gliederung, 
der  detaillirtereu  Ausführung.  Formen  für  Barbotine  befinden  sich  in  St. 
Germain  und  Trier.  Die  an  letzterem  Ort  in  den  Töpfereien  an  der 
Stadtmauer  gefundene  Form  zeigt  einen  Bock,  ganz  in  der  Art  der 
Barbotine-Böcke ;  sie  ist  leicht  gekrümmt,  um  sich  bequem  an  die 
Gefässrundnng  anlegen  zu  lassen.  Mit  der  Barbotine- Verzierung  sind 
oft,  namentlich  in  späterer  Zeit,  auch  Aufschriften  in  weiss  ver- 
bunden *). 

Die  meisten  Barbotine-Gefässe   sind   ohne  Fabrikmarke,   doch 
kommen  auch  hier  Stempel  vereinzelt  vor.     Ich  kenne  folgende: 

A  B  B  0  F  E  2) 

AMMIVSF») 

AV////0.//*) 

COBVNA    (36)5) 

COSTVTVS«) 

EVRETVS    (37)') 

FRONTVNATVS») 

IVVENISFEC») 

M  A  R  T  I  A  L  I  S  10) 

MINVTVSF    (36)») 

PATRVINVS") 


1)  B.  J.  LXXI  Taf.  III. 

2)  Kölner  Museum.  Die  Form  B.  J.  LXXXIV  Taf.  2.  1. 

3)  Gef.  bei  Juslenville.    Bull.  Liögois  IX  p.  151. 

4)  Bonn.  Prov.-MuH.  B.  J.  LXXXIX  S.  4  uo.  29. 

5)  Juslenville.    Bull.  Liogois  IX  p.  433  ff. 

6)  Bonn.  B.  J.  LXXXIX  S.  11  uo.  91. 

7)  Speier.  Museum. 

8)  B.  J.  LXI  S.  123. 

9)  Gef.  bei  Bingerbrück. 

10)  Gef.  bei  Dahlheim.    Mon.  bist,  dans  Luxembourg  1851/52. 

11)  Köln.  Museum. 

12)  B.  J.  LXXXIX  S.  33. 


Terra  sigillata.  12J 

QVARTINVSF    (37)*) 
SATVRIOF    (37)«) 
VICTORINVS   (37)3) 

In  all  diesen  Fabriken  sind  auch  unverzierte  Vasen  herge- 
stellt worden. 

Die  Anfänge  der  Barbotine- Verzierungen  haben  wir  auf  den 
grauen  und  schwarzen  gallischen  Vasen  in  Andernach  kennen  ge- 
lernt. Die  künstlerische  Ausbildung  dieses  barbarischen  Keims  scheint 
unter  dem  Einfluss  der  Glastechnik  erfolgt  zu  sein,  die  bekanntlich 
während  der  Kaiserzeit  in  Gallien  in  hoher  Blüthe  stand.  Bei  dieser 
Annahme  erklären  sich  die  Ornamentformen  der  Blätter  aufs  beste: 
die  breite  Blattfläche  wäre  aus  den  aufgeschmolzenen  Glasklümpchen, 
der  lange  dünne  geschwungene  Stiel  aus  dem  Glasfaden  hervorge- 
gangen, der  in  die  Länge  gezogen  wurde,  bis  er  abriss.  Die  lanzett- 
förmigen Blätter  der  Barbotine-Gefasse  finden  sich  weiss  auf  blauen 
Grund  gesetzt  ganz  entsprechend  auf  einer  wohl  sicher  alexandrinischen 
Glasscherbe  im  Kunstgewerbe-Museum  in  Hamburg^),  ähnlich  auch 
an  pompejanischen  Gläsern^).  Den  weissen  und  gelben  Barbotine- 
Omamenten  auf  den  schwarzen  Bechern  sind  die  auf  weisse  Glas- 
gefässe  aufgeschmolzenen  gelben  und  blauen  Glasfäden  und  Klümp- 
chen  zu  vergleichen^). 

Weiter  ist  nicht  ausser  Acht  zu  laasen,  dass  sich  Barbotine 
gerade  an  solchen  Gefässformen  oft  findet,  die  unmittelbar  an  Glas- 
formen sich  anlehnen,  an  Bechern,  Kelchen,  Flaschen,  Kannen.  Hier- 
hin gehören  z.  B.  die  schönen  Vasen  des  Speierer  Museums  ^),  ferner 
Cleuziou  p.  195,  196,  258,  259,  ein  sehr  feines,  leider  fragmen- 
tirtes  kelchartiges  Gefilss  der  Bonner  Universitätssammlung  mit 
braunen  aufgesetzten  Fäden  auf  weissem  Thon.  Auch  die  in  Gräbern 
des  III.   Jahrhundei-ts   häufigen    schwarzgefirnissten   kugelförmigen 


1)  Köln.  Museum. 

2)  Speier.  Museum. 

3)  Speier.  Museum. 

4)  Ausser  diesen  Blättern  ist  auf  der  Scherbe  eine  Maske  erhalten. 
Die  Technik  ist  dieselbe  wie  bei  den  Karlsruher  Seherben  aus  der  Samm- 
lung T  hier  seh  bei  Schreiber  Relief bilder  Taf.  CIV. 

6)  Mus.  Borb.  V  Taf.  13, 12,  73.  Niccolini,  Suppl.  Taf.  XXV,  Descri- 
zione  generale  Taf.  83. 

6)  Z.  B.  B.  J.  XXXIII  Taf.  3.    B.  J.  LXXI  Taf.  VI  Nr.  1388, 

7)  Lindenschmit,  Centralmuseum  Taf.  XXV  8. 


122  Hans  Dragondorff: 

Flaschen  mit  trichterförmigem  Ausguss,  die  weisse  Barbotine-Orna- 
mente  tragen  und  in  der  Form  genau  übereinstimmen  mit  gleich- 
zeitigen Glasflaschen  *),  müssen  hier  erwähnt  werden.  Auch  sonst 
erweist  sich  ja  gerade  in  der  römischen  Provinzialkultur  die  Glas- 
bläserei als  die  führende  Kunst  im  Vergleich  zur  Keramik.  Die 
Nachahmung  von  Glasgefassen  ist  nicht  auf  die  Barbotinegefilsse 
beschränkt.  Der  Glastechnik  ist  es  z.  B.  entlehnt,  wenn  das  ganze 
Gefass  wie  mit  Stacheln  besetzt  ist  *) ;  von  Glasgefassen  stammt  auch 
die  Sitte,  die  Wandungen  der  Trinkgefasse  zu  falten,  wie  es  bei 
den  schwarzgefirnissten  Bechern  oft  der  Fall  ist,  um  ihnen  einen 
festeren  Halt  in  der  Hand  zu  geben  ^).  Solche  gefaltete  Wandungen 
kommen  bereits  an  pompejanischen  Gläsern  vor^). 

IL  Gefässe  mit  eingekerbten  Verzierungen. 

Konnte  bei  den  Barbotine- Vasen  noch  ein  Zweifel  über  den 
Creprung  der  Dekorationsart  bleiben,  so  ist  die  Nachahmung  von 
Glasgefassen  meines  Erachtens  sicher  bei  den  Vasen  mit  einge- 
kerbten Verziei-ungen.  Sie  ahmen  Glasgefässe  mit  eingeschliffenen 
Mustera  nach.  Eine  Reihe  derartiger  Gefässe,  die  sich  im  Bonner 
Provinzial-Museum  befinden,  hat  Klein  besprochen*).  Man  begegnet 
ihnen  so  ziemlich  in  allen  Rheinischen  Museen,  in  Gallien  und  Bri- 
tannien^). Die  Dekorationen  setzen  sich  zusammen  aus  Linien  und 
aus  gerstenkorn-  und  olivenförmigen,  scharf  eingeschnittenen  Orna- 
menten, die  in  der  mannigfachsten  Weise,  oft  zu  ganz  natura- 
listischen Blättern  und  Ranken  zusammengestellt  werden.  Die  Ränder 
derselben   sind   auf  das  sorgfältigste   geglättet.     Der   weiche  Thon 


1)  B.  J.  LXXI  Taf.  V  1629.  1633.  VH  1630. 

2)  B.  J.  LXXXVI  Taf.  VH  47.    Cleuziou  p.  216. 

3)  Cleuziou,  p.  225,  244,  245.  Dazu  von  Glasgefassen  zu  ver- 
gleichen etwa  B.  J.  LXXI  Taf.  V  1474.  Taf.  VII 1498, 1494,  1449  (?)  (unterste 
Reihe,  2.  von  rechts). 

4)  Mus.  Borb.  V  Taf.  XIII  14. 

5)  B.  J.  LXXXIV  S.  109  Taf.  II  Nr.  2.  3.  4.  5.  Cleuziou,  p.  189  f. 
aus  Clermont-Ferrand  (jetzt  in  St.  Germain).  Smith,  Roman  London 
p.  93.  V.  Hefner  Taf.  IV  11.  Cochet,  Normandie  souterraine  Taf.  II. 

6)  Ich  kenne  ausser  den  genannten  solche  in  Köln,  Trier,  Homburg, 
Speier,  Wonns,  St.  Gennain  (aus  Henin  Lietard  [Pas  de  Calais],  Vannes 
[Morbihan],  Vichy,  St.  Etienne  au  Tcmple  [Marne],  Conflans  snr  Seine, 
Sceaux  [Loiret],  Auberive  [Marne],  Jonchery  [Marne]).  Auch  in  der  Nekro- 
pole  von  Trion  finden  sich  Scherben. 


Terra  sigillata.  123 

gibt,  wenn  man  Einschnitte  in  ihn  zu  machen  sucht,  stets  etwas 
aufgeworfene  Ränder,  da  das  Material  elastisch  und  klebrig  ist. 
Diese  Dekoration  muss  daher  ursprünglich  für  einen  Stoff  erfunden 
sein,  dem  diese  beiden  Eigenschaften  abgehen.  Ein  solcher  Stoff 
ist  aber  das  Glas  und  zu  allen  Zeiten  bis  in  die  Gegenwart  sind 
für  den  Glasschliff  Olive  und  Gerstemkorn  die  beliebtesten  Dekora- 
tionselemente gewesen^). 

Als  Bestätigung  kommt  hinzu,  dass  auch  die  Gefässformen  der 
Glasfabrikation  entnommen  sind:  eine  schöne  Flasche  der  Wormser 
Sammlung,  eine  Vase  in  Speier  von  derselben  Form,  wie  die  mit 
Barbotine  verzierte  desselben  Museums  (53),  und  vor  allen  die  häu- 
figste, der  kleine  fusslose  Napf  (41)  mit  etwas  ausladendem  Bande. 
Alle  diese  kommen  in  Glas  vor. 

Was  die  Datirung  der  Sigillaten  mit  eingeschnittenen  Mustern 
betrifft,  so  sind  derartige  Gefässe  in  der  von  Goch  et  publizirten 
Nekropole  von  Neuville  le  PoUet  gefunden,  die  durch  die  Mttnz- 
funde  in's  IL  Jahrhundert  gerückt  wird  *),  femer  ein  Stück  auf  der 
Saalburg  (das  also  rund  zwischen  100  und  250  n.  Chr.  zu  datiren 
ist) ;  eine  grosse  Reibschüssel  mit  Kerbverzierungen  am  Rande  stammt 
aus  der  Fabrik  des  Asiaticus  in  Lezoux,  die  Plicque  etwa  240 — 268 
setzt;  mehrere  Stücke  schwarzer  Gefässe  mit  gleichen  Verzierungen 
kamen  in  der  Töpferei  in  Trier  zum  Vorschein,  werden  also  wieder 
in's  II.  oder  den  Anfang  des  IIL  Jahrhunderts  gehören^);  ein  Näpf- 
chen stammt  aus  einem  Remagener  Grab  (III.  Jahrhundert)*).  Es 
gehört  endlich  noch  hierher  der  Napf  B.  J.  LXXXVI  Taf.  X  33,  aus 
einem  der  spätrömischen  Gräber  in  Andernach  ^).  Alle  diese  Stücke 
weisen  also  in  spätere  Zeit,  keines  ist  älter  als  das  IL  Jahrhundert. 
Wir  werden  daher  der  Angabe,  das  von  Klein  B.  J.  LXXIV 
Taf.  II  3  publizirte  Stück  sei  mit  einer  Münze  des  Nero  zusammen 
gefunden,   kein  grosses  Gewicht  beilegen;    denn   die  Nachricht  ist 


1)  Froehner,  Verrerie  antique  Taf.  22.  93.  94.  B.  J.  LXXI  Taf.  V 
1517,  1363,  1364,  1535.  Taf.  VI  1367. 

2)  Cochet,  Normandie  sout.  Taf.  II  und  III,  p.  73 ff. 

3)  Auch  in  St.  Germain  habe  ich  schwarzgefirnisstc  Gefässe  mit  der- 
artigen Verzierungen  gesehen. 

4)  B.  J.  LXXXIV  S.  110  Nr.  5. 

5)  Auf  der  Tafel  nicht  gut  abgebildet.    Der   Rand   ist   wagerecht. 
Darauf  ist  eine  feine  Guirlande  eingeschnitten, 


124  Hans  Dragendorff: 

nicht  sicher  und  die  Münze  würde  ja  auch  nur  einen  terminns  post 
quem  geben*). 

Unsere  Datierung  lässt  sich  aber  auch  noch  auf  anderem  Wege 
rechtfertigen.  Einmal  kommt  eben  diese  Napfform  ohne  Verzierungen 
in  den  Gräbern  des  III.  und  IV.  Jahrhunderts  sehr  oft  vor,  ferner 
in  eben  derselben  Zeit  auch  ihre  Vorbilder  in  Glas.  Endlich  scheint 
das  Einschleifen  von  Verzierungen  in  Glas  überhaupt  erst  in  späterer 
Zeit  gebräuchlich  oder  doch  beliebt  geworden  zu  sein.  Wir  kommen 
somit  auf  einen  ziemlich  späten  Ansatz  für  diese  Gefässklasse. 

Im  Einzelnen  unterscheiden  sich  die  Exemplare  nach  der  Güte 
der  Ausführung  recht  erheblich  von  einander,  so  dass  man  sowohl 
einen  ziemlich  grossen  zeitlichen  Unterschied  als  auch  verschiedene 
Fabriken  annehmen  muss.  Das  Näpfchen  der  Bonner  Universitäts- 
sammlung Nr.  484  z.  B.  ist  von  feinster  Ausführung  mit  papierdünnen 
Wänden,  während  andererseits  das  in  Remagen  gefundene  ganz  die 
schlechte  Sigillata  der  späten  Zeit  zeigt. 

Dass  solche  Gefllsse  in  Lezoux  und  Trier  fabrizirt  wurden,  ist 
schon  gesagt.  Die  in  Rheinzabern  gefundenen  Stücke  machen  es 
wahrscheinlich,  dass  das  Verfahren  auch  den  dortigen  Töpfern  nicht 
unbekannt  war.  Stempel,  nach  denen  allein  man  über  die  Frage,  nach 
der  Herkunft  abschliessend  urtheilen  könnte,  tragen  die  Gefässe  mit 
eingekerbtem  Muster  nie. 


III.  Vasen  mit  ausgepresster  Reliefverzierung, 
a.   Italische   Vasen. 

Es  erübrigt  nun  noch,  dass  wir  die  weitaus  grösste  Gruppe 
der  dekorirten  Gefasse  betrachten,  diejenigen,  die  ganz  in  der  Weise 
der  arretinischcn  und  puteolanischen  mittelst  Formschtisseln  herge- 
stellt sind.  Sehr  zu  bedauern  ist,  wie  schon  erwähnt  wurde,  dass 
für  diese  spätere  Zeit  keinerlei  genügendes  Material  aus  Italien  vor- 
liegt. In  den  zahlreichen  Publikationen,  die  ich  durchgesehen  habe, 
fand  ich  von  verzierten  Sigillata-Schalen  italischen  Fundortes  nur 
ein  paar  unbedeutende  Fragmente,  die  in  Industria  gefunden  sind*) 


1)  Koenen  scheint  geneigt,  sie  sogar  erst  der  späten  Kaiserzeit  zu- 
zuschreiben (Gefässkunde  S.  112  e). 

2)  Atti  della  soc.  di  archeol.  di  Torino  III  p.  112  ff.  Taf.  28.  1  a.  b. 
2.  9  a— c. 


Terra  sigitlata.  125 

und  i^eiter  nichts  lehren,  als  dass  eben  auch  dort  ganz  ebensolche 
Gefösse  im  Gebrauch  waren,  wie  in  Gallien  und  Germanien.  Ob 
sie  in  Italien  gefertigt  oder  erst  durch  Handel  dorthin  gekommen 
sind,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Mehrere  Fragmente  aus  Rom  besitzt 
das  Bonner  Kunstmuseum.  Von  diesen  stimmen  einige  ganz  mit  den 
provinzialen  Schalen  des  I.  Jahrhunderts  überein.  Ein  paar  andere 
sind  plumper  in  der  Form  und  die  Glasur  ist  ungewöhnlich  dick. 
Die  Verzierung  besteht  aus  grossen  schlecht  gezeichneten  Figuren. 
Bei  dem  einen  Ge&sse  sind  diese  durch  schrafSrte  Dreiecke  ge- 
trennt, ein  geometrisches,  zweifellos  der  gallischen  Töpferei  der 
La  Tgne*Zeit  entlehntes  Fttllornament,  ftlr  das  es  in  italischer  und 
griechischer  Kunst  dieser  Periode  keine  Parallele  gibt.  Auch  unter 
den  provinzialen  Geissen  kenne  ich  nur  ein  Fragment,  das  sich 
hiermit  vergleichen  Hesse;  es  befindet  sich  in  Köln  und  zeigt  neben 
einer  Löwin  ein  schraffirtes  Dreieck  oder  Viereck*). 

Vielfach  sind  an  diesen  rohen  italischen  Fragmenten  auch  Halb- 
monde und  Sterne  als  Schmuck  verwendet.  Die  Gefässe  machen  einen 
sehr  unerfreulichen  Eindruck.  Zwei  von  ihnen  tragen  den  Stempel 
SEX  -M-  F.  Dieser  Stempel  kommt  oft  in  Pompeii  und  auch  sonst  vor  ^), 
wodurch  wir  das  überraschende  Resultat  gewinnen,  dass  schon  vor 
dem  Jahre  79  n.  Chr.  italische  Sigillata- Vasen  den  gleichzeitigen,  in 
Gallien  und  Germanien  gefundenen,  an  Qualität  nachstehen.  Ob  das 
durchgängig  der  Fall  war  oder  nur  in  der  Fabrik  des  Sextus,  von 
der  zufällig  Fragmente  bekannt  geworden  sind,  die  man  datiren  kann, 
lässt  sich  noch  nicht  entscheiden.  Auf  jeden  Fall  wirft  die  Thatsache 
ein  interessantes  Licht  auf  die  rasche  und  glückliche  Entwickelung 
der  gallischen  Industrie  in  jener  Zeit. 

Erwähnen  will  ich  hier  noch  ein  Fragment,  das  keinen 
Stempel  trägt,  aber  seiner  Formgebung  nach  hierher  gehört  und 
einen  merkwürdigen  figürlichen  Schmuck  aufweist.  Es  ist  mit  nackten 
tanzenden  Männern  geschmückt,   die  hohe   Mützen   tragen,   Haken- 


1)  In  der  Form  weicht  das  Kölner  Gefilss  Von  dem  italischen  be- 
trächtlich ab  und  ist  wohl  jünger. 

2)  C.  X  8055.  24  ff.,  8056.  195  flF.   C.  V  8115.  65.    C.  II  4970.  279. 

In  Gallien  ist  kein  Stück  dieses  Töpfers  gefunden.  Um  jene  Zeit 
kam  dorthin  eben,  wie  im  vorigen  Abschnitt  klar  gemacht,  keine  italische 
Sigillata  mehr. 


126  Hans  Dragendorff: 

nasen  und  lange  Phalloi  haben.  Sie  sind  die  direkten  Naebkommen 
der  alexandrinisehen  tp^XXoi,  denen  wir  anf  piiteolanischen  Gefässen 
und  Canipanareliefs  begegnet  sind. 

b.  Provinziale   Ge  fasse. 
1.  Dekoration. 

Aach  bei  den  provinzialen  omamentirten  Gefässen  müssen  wir 
aus  vorläufig  darauf  beschränken,  in  allgemeinen  umrissen  die  Ent- 
wicklung zu  skizziren.  Die  genauere  Bearbeitung  aller  Einzelheiten 
muss  späterer  Zeit  vorbehalten  bleiben.  Es  ist  dazu  vor  allen  Din- 
gen eine  möglichst  vollständige  Sammlung  imd  Ordnung  der  auf 
den  Sigillata-Gefässen  vorkommenden  Typen  erforderlich,  die  ich 
jetzt  noch  nicht  geben  kann.  Auch  bestimmte  Eigen thümlichkeiten 
einzelner  Fabriken  müssen  noch  mehr  beachtet  werden  *). 

Auffallend  ist  bei  den  omamentirten  Gefässen,  die  aus  den 
Provinzen  stammen,  die  geringe  Auswahl  der  Formen,  die  den 
TOpfeiTi  zu  Gebote  stehen.  In  der  frühen  Kaiserzeit  sind  es  die 
Formen  29  und  30,  über  die  schon  oben  S.  85  gesprochen  ist. 
Auch  hier  sind  die  ältesten  Stücke  die  besten.  Allmählich  nimmt 
die  Schärfe  des  Reliefs,  die  feine  Gliederung  und  Profilirnng  ab. 
Eine  direkte  Vorstufe  für  diese  Formen  kann  ich  in  Arezzo  und 
Puteoli  nicht  nachweisen.  Verwandt  der  Form  29  sind  die  oben  er- 
wähnten Schalen  mit  dem  Stempel  SEX-MVRR-FEC.  Die  Formen 
29  und  30  waren  in  denselben  Fabriken  in  Gebrauch.  OFMSCLl 
steht  in  einer  Schale  der  Form  29,  M  A  S  C  LV  S  auf  2  Näpfen  der 
Form  30,  von  denen  der  eine  in  Britannien,  der  andere  letzthin  in 
Asberg  gefunden  ist*). 

Die  Stempel   sind  wie    bei    den   undekorirten  Gewissen   innen 


1)  Die  in  Rottweil  vorkommenden  Typen  sind  zusammengestollt 
von  Holder  in  der  angeführten  Schrift,  Taf.  XVI— XX.  Die  Westerndor- 
fer  finden  sich  bei  v.  Hefner  auf  Taf.  I— HI  S.  28  flf.  Eine  Anzahl  in 
Paris  gefundener  hat  Gri  vaud,  Antiq.  gauioises  Taf.  X ff.  publizirt.  Scherben 
aus  dem  Casteli  Niederbieber  gibt  Dorow,  Alterthümer  von  Neuwied  Taf. 
XXVI  und  XXVn.  Einiges  aus  Lezoux  ist  bei  P 1  i  c  q  u  e  a.  a.  0.  abge- 
bildet. 

2)  Die  Kenntniss  des  Asberger  Gefässes  verdanke  ich  der  freund* 
liehen  Mittheilung  von  Dr.  0x6  in  Crefeld,  eine  Photographie  desselben 
Dr.  Siebourg.  Beide  Näpfe  sind  sicher  aus  derselben  Fabrik;  gegen 
den  sonstigen  Gebrauch  ist  bei  beiden  der  Name  aussen  angebracht  und 
zwar  sind  die  Buchstaben  zwischen  die  Ornamente  vertheilt. 


Terra  sigillata.  127 

angebracht;  also  abweichend  von  der  Sitte  der  arretinischen  und 
piiteolanischen  Töpfer,  die  bei  dekorirten  Gefässen  ihren  Stempel 
zwischen  die  Ornamente  setzen.  Gleichzeitig,  etwa  in  der  ersten 
Hälfte  des  I.  nachchristlichen  Jahrhunderts  scheinen  beide  Formen 
aufzutreten  und  sich  das  ganze  erate  Jahrhundert  hindurch  zu  halten. 
Allmählich  werden  sie  durch  die  spätere  Form  der  dekorirten  Schale 
(37)  verdrängt,  welche  im  letzten  Drittel  des  I.  Jahrhunderts  auf- 
tritt Die  Näpfe  (30)  scheinen  sich  etwas  länger  im  Gebrauch  er- 
halten zu  haben,  wenngleich  in  stark  vergröberter  Form.  Sie  kom- 
men noch  in  der  Westerndorfer  Fabrik  vor,  die  kaum  vor  der  Mitte 
des  IL  Jahrhunderts  ihre  Arbeit  beginnt*). 

Wie  sich  Form  und  Profilirung  der  fiühprovinzialen  Schalen 
nicht  direkt  an  die  der  puteolanischen  anknüpfen  lassen,  so  ist 
auch  die  Dekoration  bei  manchen  Aehnlichkeiten  im  Einzelnen  doch 
verschieden.  Wir  sahen,  dass  bei  den  puteolanischen  Gefilssen 
das  figürliche  Element  in  der  Dekoration  stark  zurücktrat,  ja  dass 
viele  Stücke  rein  ornamental  verziert  waren.  Dasselbe  ist  bei  den 
provinzialen  der  Fall.  Hier  fehlen  Figuren  zunächst  ganz  oder  sind 
beschränkt  auf  kleine  Vögel,  Hasen  oder  dergl.,  die  rein  dekorativ 
zwischen  die  Sanken  gesetzt  werden.  Während  aber  die  puteolani- 
schen Töpfer  ihre  Guirlanden  nach  eigenem  Geschmack  aus  einzelnen 
Blättern  und  Blüthen  combinirten,  sind  in  den  Provinzen  zur  Her- 
stellung der  Formschüsseln  Stempel  benutzt,  die  schon  die  fertige 
Guirlande  zeigten  und  nebeneinander  gesetzt  die  fortlaufende  Deko- 
ration ergaben*). 

Die  Elemente  der  Dekoration  sind  nur  in  wenigen  Fällen  den 
puteolanischen  und  den  provinzialen  Vasen  gemeinsam^),  es  klafft  zur 
Zeit  zwischen  den  italischen  und  den"  provinzialen  Sigillaten  eine 
Lücke,  die  sich  voraussichtlich  schliessen  würde,  wenn  wir  den 
Inhalt  einer  grösseren  Zahl  gallischer  Gräber  der  cäsarischen  und 
augusteischen  Zeit  besässen. 

Bei   den   schönsten   provinzialen  Ten-a  sigillata- Schalen   der 


1)  Vergl.  auch  K  o  e  n  e  n  Gefässkunde  S.  88  ff, 

2)  Proben  finden  sich  bei  Smith,  Collect,  ant.  I  Taf.  LIII. 

8)  Des  gegenständlichen  Interesses  halber  mag  hier  ein  Becher  des 
Mus.  V.  Orleans  erwähnt  werden,  auf  dem  4  Skelette  in  hohem  Relief 
(wahrscheinlich  aus  einer  Form  gepresst  und  dann  aufgeklebt)  sich  finden. 
Mömoires  des  Antiquaires  de  France  XXXI  p.  160  (de  Witte).  Skelette 
fanden  sich  auch  schon  auf  arretinischen  u.  puteolanischen  Vasen. 


128 


Hans   Dragendorff: 


Form  29  ist  der  untere  Theil  mit  einer  senkrechten  zum  Fusse 
spitzzulaufenden  Riefelung  versehen  (z.B.  Trier,  Inv.  2117.  Fig.  16). 
Hierzu  finden  wir  die  Anfänge  schon  bei  puteolanischen  Vasen. 
Vergl.  Taf.  VI  57.     Doch  ist  das  Ornament  dort  noch  mehr  blatt- 


\\>\\>wv.^'^\\\\\\v\vt\\V 


Fig.  16. 

artig,  etwas  gebogen,  und  dass  wir  es  wirklich  mit  einem  Blatt- 
ornamente zu  thun  haben,  zeigt  z.  B.  Taf.  V  37,  wo  sich  dasselbe 
Ornament  zwischen  anderem  Blattwerk  findet.  Aus  diesem  Grunde 
wird  denn  auch  oft  bei  den  provinzialen  Schalen  diese  Riefelung  mit 
vegetabilischem  Beiwerk  verbunden.  So  wächst  z.  B.  aus  jedem 
derartigen  Ornament  bei  einem  Mainzer  Gefäss  ein  schmales  Blatt, 
bei  einem  Trierer  Stück  eine  Eichel,  bei  einem  Pariser  ^)  eine  Blume. 
An  Stelle  dieser  Riefelung  zeigt  der  untere  Streifen  der  Scha- 
len oft  eine  zweite  umlaufende  Ranke,  so  ein  Exemplar  im  Museum 


Fig.  17. 


1)  Grivaud  Taf.  X  8. 


Tenra  sigillata. 


129 


von  St.  Germain  mit  Stempel  0  F  M  S  C  L I  aus  Vienne.  Selten 
folgt  unter  der  Riefelung  noch  ein  Rankenstreifen,  wie  bei  einem 
Fragment  der  Bonner  üniversitätssanimlung  Nr.  555  (Vig.  17). 

Dieses  System  wird  nun  in  verschiedener  Weise  gewandelt, 
immer  aber  bleibt  die  Zweitheilung  der  Dekoration  gewahrt. 

a.  In  die  Halbkreise,  welche  die  Ranke  mit  dem  sie  begren- 
zenden Perlstabe  bildet,  werden  kleine  Thiere  oder  auch  schuppen- 
artig angeordnete  Blätter  gestellt  (Fig.  18  und  Hoelder  Taf.  XVI 3. 4). 


^s^s^ssmsssss^r^^ 


iCdCjUCO 


Fig.  18. 


Fig.  19. 


b.  An  Stelle  der  oberen  Ranke  tritt  ein  Fries  von  laufenden 
Thieren  (Fig.  19.     Köln,  Tnv.  222.S). 

c.  Der  umlaufende  Streifen   wird  in  metopenartige  Abschnitte 
zerlegt  (Fig.  20.  Köln);    Grivaud   Taf.  XVIII  1;    Hoelder  Taf. 


kmmm«\i»vmvm»»vv^^^^^^ 


lOOOOOOÜOO 


i«Ämm%mmiMiPÄi 


Q  O  OO'O  C)  0  OOOOOOOOOi 


Fig.  20. 

XXI  2.     Häufig  ist  abwechselnd  ein  Abschnitt  mit  einer  Figur  und 
der   folgende   mit  Ornamenten  gefallt.    Letztere   zeigen    oft  kreuz- 


Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthafr.  im  Rheinl.  XCVI. 


180 


Hans  Dragendorff: 


weis  gestellte  Perlstäbe,  deren  Schnittpunkte  durch  kleine  Blüm- 
chen niarkirt  werden  und  aus  denen  Blätter  an  gebogenen  Stielen 
herauswachsen,  z.  B.  Fig.  21  (Köln)  Hoelder  Taf.  XV  9.  In  dieser 
Zerlegung  der  umlaufenden  Friese  in  kleine  Rechtecke  spricht  sich 
bereits  ein  Schwinden  des  Verständnisses  für  die  Congruenz  von 
Dekoration  und  Foi-m  aus.  Auch  zeitlich  sind  die  so  verzierten  Ge- 
fösse  später  anzusetzen  als  die   mit  umlaufenden  Friesen. 


Fig.  21. 


Meist  sind  sie  plumper  und  die  Profile  stumpfer.  Sehr  gebräuchlich 
ist  diese  Metopendekoration  bei  den  Näpfen  der  Form  30,  die,  wie 
oben  bemerkt,  erst  etwas  später  aufzutreten  scheinen. 

Mit  der  zweiten  Hälfte  des  ersten  Jahrhunderts  tritt  nun  eine 
neue  Form  der  dekorirten  Schale  auf  (37),  die  allmählich  die  ältere  (29) 
ganz  verdrängt.  Es  sind  einfache,  etwa  halbkugelige  Schalen,  oben 
durch  einen  Rundstab  abgeschlossen,  mit  niedrigem  Ringfuss.  Jede 
weitere  Profilirung  fehlt.  Die  regelmässige  Anordnung  der  Dekoration 
ist  die>  dass  oben  ein  breiter  glatter  Rand  gelassen  ist,  auf  diesen 
ein  Eierstab  folgt,  dann  der  eigentliche  Omamentstreifen ,  nach 
unten  durch  einen  Blattkranz  oder  auch  eine  einfache  Linie  abge- 
schlossen. Der  Köi-per  dieser  Schalen  ist  aus  einer  Formschüssel 
ausgepresst,  der  glatte  Rand  und  der  Fuss  aus  freier  Hand  dann 
angesetzt.  Die  grösste  Sammlung  von  Foimschüsseln  befindet  sich 
im  Museum  in  Speier;  sie  stammen  aus  Rheinzabem. 

Diese  Gefässe  kommen  mit  dem  Ende  des  I.  Jahrhunderts  iii 
Gebrauch.     Im  Brandschutte   des   70  n.  Chr.  zeratörten  Lagers  in 


Terra  sigillata.  131 

Neuss  fehlen  sie  noch  ^).  Bald  darauf  beginnen  sie.  Ein  Stück  ist 
in  der  Andeniacher  Nekropole  gefunden  2).  Es  gehört  zu  den  frühe- 
sten und  stimmt  in  der  Dekoration  (Banken  mit  darunter  gesetzten 
Thieren  [a])  noch  ganz  mit  den  älteren  Schalen  tiberein.  Aehnlich 
das  Gefäss  der  Bonner  üniversitätssammlung  Fig.  22.  Wie  bei  den 
Schalen  älterer  Form  finden  wir  auch  bei  der  Form  37  die  Metopen- 
einteilung  (c),  die  wir  dort  als  späteste  Dekorationsstufe  nachweisen 
konnten  und  an's  Ende  des  I.  Jahrhunderts  datiren  mussten.     Der- 


Fig.  22. 

selben  Zeit  lassen  sich  nun  auch  Schalen  der  späteren  Fonn  mit 
Metopendekoration  zuweisen,  die  in  einem  britannischen  Grabe  mit 
einer  Münze  des  NeiTa  gefunden  sind^). 

Ein  klares  Bild  von  der  Wandlung  in  der  Dekoration  ergiebt 
sich  auch,  wenn  man  die  Funde  an  den  Hauptfabrikationsorten  ver- 
gleichend betrachtet.  Dass  die  Form  29  in  den  südfranzösischen 
Fabriken  beliebt  war,  haben  wir  bei  Besprechung  der  gelbglasirten 
GefUsse  gesehen.  Unter  den  Stücken  aus  den  Töpfereien  von 
Lezoux,  die  Plicque  abbildet  und  die  er  nach  70  n.  Chr.  datirt, 
finde  ich  kein  Stück  einer  Schale  von  Form  29,  wohl  aber  Schalen 
37  der  frühesten  Art  mit  umlaufender  Ranke.  Diese  Dekorations- 
weise kommt  unter  den  Formen,  die  in  Rheinzabem  gefunden  sind, 
nur  ganz  vereinzelt  vor.  Häufig  ist  hier  die  Metopeneintheilung,  bei 
der  die  einzelnen  Figuren  in  von  Perlstäben  gebildete  Rechtecke 
eingeschlossen  sind.  Die  Töpfereien  von  Rheinzabem  beginnen  kaum 
vor  dem  Anfang  des  IL  Jahrhunderts  ihre  Thätigkeit.  Die  letzte 
Stufe  der  Dekoration  ist  die,  bei  der  die  Figuren  entweder  ganz 
frei  im  Dekorationsstreifen  vertheilt   sind,   oder  in  Medaillons  oder 


1)  Ko  e  n  e  n ,  Gefässkunde  S.  89. 

2)  B.  J.  LXXXVI  Taf.  VI.  15. 

3)  S  m  i  t  h ,  Coli.  ant.  I  Taf.  XVII  p.  35. 


132 


Hans  Dragendorff: 


nischenartigen  Umrahmungen  eingeschlossen  sind.  Diese  Art  ist  die 
allein  in  Westerndorf  gebräuchliche,  wo  alle  Metopeneintheilung  fehlt. 
Es  ist  schon  oben  gesagt,  dass  die  dortige  römische  Ansiedlung  erst 
von  der  zweiten  Hälfte  des  II.  Jahrhunderts  an  nachweisbar  ist^. 
Die  Datirung  für  diesen  Medaillonstil,  wie  ich  ihn  kurz  nennen  will, 
bestätigt  sich  durch  Fragmente  dieser  Art,  die  in  einem  Grabe  bei 
Springhead  mit  einer  Münze  des  Sept.  Severus  gefunden  sind*). 
Dieselbe  Geschmacksrichtung  tritt  uns  ja  auch  bei  den  Näpfen  ent- 
gegen, die  oben  S.  102  kurz  berührt  sind  und  sich  ebenfalls  der 
zweiten  Hälfte  des  IL  Jahrhunderts  zuweisen  Hessen.  Wenn  wir 
die  Entwicklung  der  Dekoration  auf  den  beiden  Formen  29  und 
37  schematisch  darstellen  wollen,  so  erhalten  wir  etwa  folgendes  Bild : 


Form  29. 

Oben:   Umlaufende  Ranke, 

unten:   Riefelung. 


F  o  r  m  37. 
Fehlt. 


Zwei  umlaufende  Ranken  (z.  B. 

in  Andernach  mit  Münze  des 

Augußtus  gefunden). 


Fehlt. 


Unter  die  Ranken  sind  Thiere 
gesetzt. 


Kommt  vor  in  Andernach. 

Vergl.  auch  Fig.  22.  Auch  in  den 

Fabriken  von  Lezoux 

gebraucht. 


Metopendekoration  bis  etwa 

zum  Jahre  100  n.  Chr.,  wo  die 

Form  verschwindet. 


Gefunden  mit  Münzen  des 

Nerva.     Gebräuchlich    in    den 

Fabriken  von  Lezoux,    Rhein- 

zabem. 


Fehlt. 


Medaillondekoration. 
Gebräuchlich  in  Lezoux,  Rhein- 
zabern,  Westerndorf.  In  Spring- 
head mit  Münze  von  Septimus 
Sevems  gefunden. 


Fehlt. 


Der   ganze   Dekorationstreifen 

ist  regellos   mit  Thieren    u.  a. 

Figuren  besetzt.    Rheinzabern. 

Westerndorf. 


Hand  in  Hand  mit  der  geschilderten  Wandlung  in  der  Deko- 
ration geht  eine  immer  grössere  Verrohung  der  einzelnen  Darstcl- 
lungen^  ein  Absterben  aller  künstlerischen  Erfindungsgabe.  Auf  die  von 
den  Töpfern  verwendeten  Typen  genauer  einzugehen,  muss,  wie  ge- 


1)  V.  Hefner,  Oberbayr.  Archiv  22  S.  3. 

2)  Smith,  Collect,  antiq.  I  Taf.  L,  LI  p.  110 ff. 


Terra  sigillata.  133 

sagt^  einer  späteren  Untersnckung  vorbehalten  bleiben.  Nur  einige 
allgemeinere  Punkte  mögen  hier  herausgegiiffen  werden. 

Auffallend  ist  zunächst  der  grosse  unterschied  zwischen  der 
Erfindung  und  der  Ausführung  der  figürlichen  Typen.  Es  begegnen 
uns  eine  Menge  vorzüglich  erfundener,  lebhaft  bewegter  Figui'en, 
aber  in  so  oberflächlicher,  meist  sogar  roher  und  plumper  Aus- 
führung, dass  die  figürlichen  Darstellungen  unmöglich  von  den  ein- 
zelnen Töpfern  erfunden  sein  können,  sondern  als  Nachbildungen 
älterer  Muster  angesehen  werden  müssen.  Dies  wird  dadurch  be- 
stätigt, dass  trotz  der  gallischen  Nationalität  der  Töpfer  doch  fast  alles 
specifisch  Gallische  in  dem'  Typenschatze  fehlt,  unter  etwa  120 
Typen  menschlicher  Figuren  kenne  ich  nur  2,  die  offenbar  gallische 
Erfindung  sind.  Der  eine  Typus,  der  mehrfach  auf  Westemdorfer 
Gefässen  vorkommt,  stellt  einen  Mann  in  dem  langen  gallischen 
Mantel  mit  Kapuze  dar,  der  andere,  auf  einer  Scherbe  in  Trier, 
einen  Jäger,  ebenfalls  mit  Kapuze,  der  hinter  seinen  Hunden  herläuft. 

Die  Darstellungen,  die  ich  hier  nicht  annähernd  vollständig 
aufzählen  kann,  sind  sehr  mannichfaltig.  Wir  finden  Götter, 
andere  mythologische  Figuren,  Menschen  in  den  verschiedensten  Thä- 
tigkeiten  (Krieger,  Gladiatoren,  Thierkämpfer,  Jäger,  Tänzer,  einen 
Töpfer  bei  der  Arbeit  u.  s.  w.),  femer  Thiere  (neben  Hausthieren 
vor  allem  Löwen,  Hireche,  Hasen),   allerhand  Blätter   und   Zweige. 

Von  Göttern  kenne  ich  folgende: 

Jupiter,  nackt,  die  Linke  hoch  aufs  Scepter  gestützt,  auf 
der  Rechten  den  Adler  haltend.  (Aus  Lezoux  in  St.  Germain.) 

Poseidon,  nackt,  die  Rechte  hoch  auf  den  Dreizack  gestützt. 
(Köln.) 

Apollo,  Leyer  spielend,  sowohl  sitzend  als  stehend,  immer 
nackt,  in  4  verschiedenen  Typen. 

Dionysos,  nackt,  stehend,  die  Linke  auf  den  Thyrsus  ge- 
stützt, in  der  gesenkten  rechten  Hand  eine  Kanne,  zu  seinen  Füssen 
liegt  ein  Panther.    (Rheinzabem.) 

Hep hast  OS  in  der  Exomis,  mit  Kappe  und  Stiefeln,  im  linken 
Ann  hält  er  die  Zange,  in  der  rechten  Hand  den  Hammer. 

Hermes,  mit  Kerykeion  im  Ann  (Westemdorf).  Die  in  den 
arch.-epigi'.  Mitth.  aus  Oesterreich  VIII,  Taf.  5  abgebildete  und  S.  228 
für  eine  Replik  des  Hermes  des  Praxiteles  erklärte  Figur,  der  da- 
nach mit  einem  langen  Thyrsus  in  der  rechten  Hand  ergänzt  wer- 
den  soll,    hält,   wie   viele   andere  Exemplare  lehren,   ein   Schwert 


134  Hans  Dragendorff: 

im  linken  Arm,  nicht  den  Bacchusknaben.  Vergl.  z.  B.  Holder, 
Taf.  XVII,  1. 

Derselbe,  mit  gesenktem  Kerykeion  in  der  Rechten,  Beutel 
in  der  Linken.  Ein  in  späterer  Zeit  gerade  auch  in  Gallien  sehr 
beliebter  Typus.     (Köln.) 

Herakles,  nackt,  stehend,  die  rechte  Hand  auf  den  Rücken 
gelegt,  über  den  linken  Ann  ist  das  Löwenfell  geschlagen,  die  linke 
Hand  hält  die  Keule.  (Holder,  Taf.  XVII,  13.  Speier.)  Herakles 
sitzend,  trinkend,  die  Keule  angelehnt.  Hamburg  (Gewerbemuseum) 
aus  Bacharach. 

Aphrodite  sind  wohl  manche  der  nackten  weiblichen  Figuren 
zu  benennen,  die  besonders  häufig  sich  finden  und  in  ihrer  Haltung 
an  Venusstatuen  erinnern. 

Artemis,  vorwärtssttirmend,  in  kurzem  Gewand,  mit  dem 
Bogen.    Neben  ihr  ein  Hund.     (Holder,  Taf.  XVII,  5.) 

Dieselbe,  in  langem  Gewand,  die  rechte  Hand  hält  einen 
Hasen  an  den  Vorderpfoten,  die  linke  den  Bogen. 

Athena,  mit  viereckiger  Aigis  mit  Gorgoneion,  die  Rechte 
hoch  auf  die  Lanze  gestützt,  auf  dem  runden  Schild  sitzt  die  Eule. 

Dieselbe.  Sie  hat  den  Speer  etwa  in  der  Mitte  des  Schaftes 
gefasst.  (Abgeb.  Fig.  23.) 

Dieselbe,  sitzend,  den  linken  Arm  auf  den  Speer  gestützt, 
die  rechte  Hand  ruht  auf  dem  Rande  des  neben  ihr  am  Boden 
stehenden  Schildes.  Sitzende  Darstellungen  der  Athena  gehören 
in  der  Kaiserzeit  zu  den  grössten  Seltenheiten,  sind  aber  im  Rhein- 
land unter  den  Terracotten  ziemlich  häufig.  Der  Typus  dürfte  ein 
durch  Massilia  vermitteltes  griechisches  Erbe  sein.  Vergl.  B.  J. 
LXXXXV  S.  261. 

Victoria,  von  vorn  gesehen.  Die  Rechte  hält  den  Kranz, 
die  Linke  die  Palme. 

Dieselbe,  von  der  Seite  gesehen. 

Einschenkende  Nike  in  kurzem  Gewand,  im  Typus  der  neu- 
attischen Reliefs.    (Heddemheim.) 

Fortuna,  sitzend,  mit  FüUhora. 

Eroten  kommen  in  zahlreichen  verschiedenen  Typen  vor:  eine 
Traube  oder  Schale  haltend,  Hasen  fangend  u.  s.  w.  Auch  Pane 
und  Satyrn  kehren  oft  wieder.  Erwähnung  verdient  ein  bärtiger 
Satyr  mit  der  Syrinx,  der  einer  die  Doppelflöte  blasenden 
Sirene  (Vogel  mit  Frauenkopf)  gegenübersteht.    Die  Gruppe  findet 


Terra  sigillata. 


Id5 


sich  sowohl  auf  einer  Scherbe  in  Trier,  als  auch  unter  den  Heddern- 
heimer  Funden  und  auf  der  Saalburg. 

Amazone  in  kurzem  Chiton,  die  linke  Hand  hoch  auf  den 
Speer  gestützt,  die  rechte  fasst  den  Speer  in  der  Mitte.  (Western- 
dorf,  Köln,  Rheinzabern,  Lezoux.) 

Gigant  mit  Schlangenfüssen,  eine  Keule  schwingend.  (Westcrn- 
dorf,  Paris,  Speier,  Lezoux,  Vichy,  Saalburg.) 

Aus  dem  Seethiasos  kommen  vor: 

eine   nackte   Nereide   mit  einem  Kranz  in  der  Hand,  auf 

einem  Stier  liegend.  (Westerndorf.) 

Erot  auf  einem  Seestier  reitend.     (Lezoux.) 

Triton  mit  Muschelhorn,  auf  einem  Seepferd.    (Westerndorf.) 

Seepferd.    (Paris,  Rheinzabem.) 

Seelöwe.   (Speier,  Heddernheim,  Saalburg.) 

Seepanther.  (Vichy.) 

Von  anderen  Fabelwesen  finden  sich  der  schreitende  Greif 
(Rheiuzabern,  Heddeniheim)  und  die  Sphinx  in  zwei  Typen,  a)  liegend 
(^Paris,  Rheinzabern),  b)  sitzend,  das  rechte  Vorderbein  gehoben 
(Paris,  Rheinzabern.) 

Sehr  vereinzelt  sind  mythologische  Szenen.  Pygmaee  mit 
einem  Kranich  kämpfend,  auf  einer  Scherbe  aus  Heddernheim.  Der 
Pygmaee  hat  einen  Amazoneuschild. 

Bellerophon,  nach  rechts  eilend,  den  auf  bäumenden  Pegasus 
am  Zügel  führend.    (Lezoux.) 

Dioskur,  eine  Leukippide  raubend.  (Köln.  Abgeb.  Figur  23.) 


Fig.  23. 

Toreutische  Verwendung   dieses   Typus   in   hellenistischer  Zeit   bei 
Schreiber,  Reliefbilder  Taf.  XLIX. 


186  Hans   Dragend  orf  f : 

Die  römiscbe  Wölfin  mit  Romulus  und  Remus  (Rottweil; 
Köln).  Die  von  Foereter,  Arch,  Jahrb.  IX,  S.  44  ff.  publizirte 
und  auf  Laokoon  gedeutete  Darstellang  möchte  ich  für  den  jugend- 
lichen Herakles,  der  die  Schlangen  würgt,  halten.  Die  Bewegung 
der  Arme  und  Beine  scheint  mir  für  diese  Deutung  zu  sprechen. 

2.   Tüpferstempel. 

Töpferstempel  finden  sich  auch  an  den  späteren  Schalen.  Doch 
stehen  sie  hier,  im  Gegensatz  zu  den  frühprovinzialen,  wieder  an 
der  Aussenseite,  wie  in  Arezzo  und  Puteoli.  Angebracht  sind  sie 
in  verschiedener  Weise.  Entweder  ist  ein  Stempel  mit  concaven 
Buchstaben  in  die  Formschüssel  gepresst,  so  dass  also  an  der  daraus 
geformten  Vase  sich  ein  erhöhtes  Siegel  mit  vertieften  Buchstaben 
befindet,  oder  es  ist  ein  Stempel  mit  erhöhten  Buchstaben  in  die 
Form  gedrückt,  so  dass  der  Name  des  Töpfers  gleich  den  übrigen 
Dekorationen  erhaben  an  der  Aussenseite  des  fertigen  Gefässes  steht. 

Häufig  finden  sich  an  einer  Vase  2,  und  zwar  verschiedene 
Stempel,  selten  mehr.  Es  fragt  sich,  wie  man  diese  doppelte  Stempe- 
lung erklären  soll.  Die  Lösung  bietet  der  Vergleich  von  Rheinzaberner 
mit  Westerndoifer  Stücken.     Wir  finden  auf  Rheinzaberner  Schalen 

combinirt: 

I.  IL 

CERIALFE  mit      CONSTANT 

COMITIALISFI     „       lOVENTI 

COMITIALISFI     „       LATINNI 

COMITIALISFI      „       SECND^MANI  (Secundiani?), 
auf  Westerndorfern  ^) : 

COMITIALISFE  mit  C-SS-EROT 

COMITIALISF       „    CSS-ER 

COMITIALISF      „    CSSMAIANVSF 

SEDATVSF  „    CSSER 

CSSMAIANVS         „    CSSER. 

Weiter  findet  sich  auf  einer  in  Rheinzabem  gefundenen  Vase 
der  Stempel  PRIMITIVOS,  derselbe  auf  einem  Westerndorfer 
Stück,  ebenso  auf  einem  Rheinzaberner  0  E  R I A  L I S ,  derselbe  auf 
einer  Formschüssel,  die  in  Bregenz  geftmden  ist*). 

1)  Die  Stempel  aus  Westerndorf  sind  zusammengestellt  bei  v.  H  einer 
a.  a.  O.    Jetzt  auch  4m  C.  III  6010. 

2)  Vergl.  den  betr.  Namen  in  C.  III  6010. 


Terra  sigillata.  187 

Wir  sehen  also,  dass  die  Namen  der  ersten  Columne,  COMI- 
TIALIS,  CERIALIS,  ebenso  wie  PRIMITIVOS,  mehreren  Fabriken 
gemeinsam  sind.  Dagegen  kommen  die  der  IL  Colnmne  theils  nur 
in  Rheinzabem,  theils  nnr  in  Westerndorf  vor.  Die  Namen  der 
zweiten  Columne  haften  also  an  der  Fabrik. 

Ausser  diesen  Namen  der  II.  Columne  kommen  mit  dem  Zusatz 
CSS  in  Westerndorf  noch  CSS  BELATVLLVS  und  CSS  VOLO- 
GESVSF  auf  dekorirten  Vasen  vor.  Alle  diese  sind  fast  immer  auf 
dem  oberen  glatten  Rande  des  Gefässes  angebracht,  d.  h.  sie  waren 
nicht  in  die  Formschüssel  eingedrückt,  wurden  also  nicht  mit 
den  anderen  Ornamenten  abgeformt,  sondern  sind  eret  auf  das  fer- 
tige Gefäss  gestempelt.  Der  Zusatz  der  Buchstaben  CSS  findet  sich 
nur  bei  den  Westemdorfer  Geftesen  ^).  Ein  einziges  Mal  steht  der  in 
Westerndorf  häufige  Stempel  CS- SERO  (C.  VII  1337.  23)  auf 
einem  Stück  aus  Britannien.  Dies  scheint  also  sicher  aus  Westerndorf 
auf  irgend  eine  Weise  nach  Britannien  gekommen  zu  sein.  Dagegen 
ist  die  Sitte,  den  einen  Stempel  auf  den  glatten  Rand  zu  setzen,  nicht 
auf  Westerndorf  beschränkt,  sondern  findet  sich  auch  bei  gallischen 
Stücken«).  Die  Stempel  mit  CSS,  CSSELEN  IVSF,  CSSMAR- 
CELLI. M,  CSSSEDATVS,  CSSVOLVGESVS  finden  sich 
auch  auf  unverzierten  Westemdorfer  Geftssen. 

Es  folgt  aus  alledem,  dass  die  Namen  in  der  II.  Columne  den- 
jenigen bezeichnen,  der  das  Geftlss  selbst  geformt  hat,  sei  es  nun 
in  Rheinzabem  oder  in  Westerndorf.  Dann  können  die  Namen  der 
ersten  Columne,  die  gleichmässig  in  Westerndorf  und  Rheinzabem 
wiederkehren,  nur  zu  etwas  gehören,  was  diesen  beiden  Fabriken 
gemeinsam  ist:  das  sind  aber  die  figürlichen  Typen,  die  zur  Her- 
stellung der  Formschüssel  verwendet  wurden.  Denn  dass  nicht  mit 
fertigen  Formschüsseln  Handel  getrieben  wurde,  zeigt  der  Umstand, 
dass  bei  den  Rheinzabemer  und  vereinzelt  auch  bei  den  Westem- 
dorfer Schalen  beide  Namen  in  die  Formschtissel  gepresst  waren'). 

1)  Wie  sie  zu  ergänzen  sind,  ist  mir  noch  nicht  ganz  klar.  v.  Hef- 
ner  S.  43  löst  auf  C.  Septimius  Secundianns  und  hält,  dies  für  den  Namen 
des  Fabrikherrn,  was  ja  möglich  wäre.  Wir  hätten  dann  in  Westerndorf 
wieder  eine  grössere  Fabrik  gegenüber  dem  offenbaren  Kleinbetrieb  in 
den  Provinzen. 

2)  BuUetin  monumental  XXV  p.  692  ff. 

3)  Damit  fäUt  v.  Hefner's  Ansicht.  Dieser  hatte  richtig  erkannt, 
dass  2  Arten  von  Stempeln  zu  scheiden  seien.  Er  bezog  aber  diese  auf 
den  Töpfer  und  den  Verfertiger  der  Formschüssel. 


138  Hans   Dragendorff: 

Unsere  Annahme  erhält  eine  Stütze  dadurch,  dass  in  der  That  ein 
grosser  Theil  der  verwendeten  Typen  sich  sowohl  in  Rheinzabem 
als  auch  in  Westemdorf  findet.  Beide  Orte  hatten  also  eine  gleiche 
Bezugsquelle  für  die  Typen,  die  sie  bei  der  Verfertigung  ihrer 
Formschüsseln  verwendeten,  und  weiter  sehen  wir,  dass  diese  Typen 
oft  mit  einem  Stempel  versehen  waren  ^).  Comitialis,  Cerialis,  Primiti- 
ves, Ginnamus  sind  demnach  nicht  Töpfer^  sondern  Bildner,  die  Figuren- 
Stempel  foimten  und  in  den  Handel  brachten.  Damit  stimmt,  dass 
ihre  Namen  nicht  auf  germanische  Vasen  beschränkt  sind,  sondern 
auch  auf  gallischen  und  britannischen  vorkommen,  während  die 
eigentlichen  Töpferstempel  in  der  II.  Columne  sich  auf  Germanien  be- 
schränken. Wenn  wir  dagegen  Gefässe,  die  in  Köln  gefunden  sind,  mit 
denen  von  Rheinzabem  oder  Westerndorf  vergleichen,  so  ist  es  auffal- 
lend, wie  wenig  die  Typen  übereinstimmen.  Wir  müssen  daraus  schlies- 
sen,  dass  die  niederdeutschen  Töpfer  ihre  Typen  aus  anderen  Fabiiken 
bezogen  als  die  süddeutschen.  Stempel  fehlen  leider  auf  den  Kölner 
Schalen  fast  vollständig.  Sowohl  die  Kölner  als  auch  die  Rhein- 
zaberner  und  Westerndorfer  Typen  aber  kehren  auf  gallischen  Stücken 
wieder.  Ein  Analogon  zu  diesem  Handel  mit  Typen  haben  wir 
bei  den  Terracotten.  Auch  an  Formen  für  Terracotten  finden 
wir  oft  2  Stempel.  Der  eine  steht  concav  im  Innen»  der  Form, 
also  convex  auf  der  Basis  der  fertigen  Figur.  Der  andere  ist  aussen 
in  die  Form  vor  ihrem  Brande  eingeritzt,  fehlt  also  auf  dem  ge- 
wonnenen Abdruck.  Es  hat  also  der  Künstler  eine  Figur  geformt 
und  als  seine  Erfindung  mit  seinem  Namen  signirt;  der  Töpfer  kaufte 
sie  sich,  fertigte  danach  seine  Form,  die  er,  um  sie  nicht  zu  ver- 
lieren, aussen  mit  seinem  Namen  kennzeichnete.  Daher  ist  hier  auch 
oft  der  Zusatz  FORMA  gemacht,  z,  B.  AVOTI  FORMA, 
N  AT  T I  FORMA«).  Die  Hauptfabriken  für  Terracotten  lagen  an 
der  Allier,  im  Gebiete  der  Arvemer.  Dass  sie  einen  guten  Ruf  hatten, 
beweist,  dass  NATTVS  seinem  Namen  den  Zusatz  ARVERNVS 
gibt.  Dort  mögen  auch  manche  der  figürlichen  Typen  für  die  Terra 
sigillata-Fabrikation  hergestellt  sein.  Libertus,  dessen  Name  an 
mehreren  erhaltenen  Typen  steht,   ist  sicher  dort  heimisch.    Diese 


1)  Cleuziou  p.  137,  140,  142  ff, 

2)  T  u  d  0 1 ,  Bull,  monumental  1857  p.  355  ff.  Smith,  Coli.  ant. 
VI  p.  69  ff.  B 1  a  n  c  h  e  t ,  M^m.  de  la  soci^t6  des  antiquaires  de  FraQce 
J890  p.  65  ff. 


Terra  sigillata.  139 

Frage  wird  sich  erst  genauer  behandeln  lassen,  wenn  wir  voll- 
ständigere Kenntniss  der  Töpfereien  an  der  AUier  haben.  Für 
jetzt  haben  wir  aus  der  Untersuchung  das  Resultat  gewonnen, 
dasfi  die  Typen  sich  nicht  auf  eine  Töpferei  beschränken,  son- 
dern oft  in  vielen  sich  nachweisen  lassen  und  dass  mit  ihnen  ein 
Handel  getrieben  wurde.  Dass  diese  Typen  bisweilen  von  den 
Töpfern  nachgeschnitten  wurden,  ist  mir  wahrscheinlich.  Denn  es 
kommen,  allerdings  vereinzelt,  Figuren  in  so  unglaublich  roher  und 
steifer  Ausführung  vor,  dass  man  sich  schwer  denken  kann,  dass  sie 
auch  in  der  Zeit  grössten  Verfalles  einen  Käufer  gefunden  hätten. 
Auch  sind  es  stets  besonders  häufige  Typen,  z,  B.  laufende  Hunde 
u.  dergl. 

XIU.    Das  Ende   der   Terra  sigillata-Industrie. 

Kurz  müssen  wir  noch  die  letzten  Ausläufer  der  Sigillata- 
Industrie  behandeln.  Dass  das  Zeugniss  des  Isidor  nicht  für  die 
Dauer  der  Fabrikation  zu  verwenden  sei,  habe  ich  bereits  oben 
S.  52  gezeigt.  Brongniart  und  Bi^ch  lassen  Sigillata-Gefässe 
etwa  bis  300  n.  Ch.  fabrizirt  werden^),  Gamurrini*)  etwas  länger,  bis  in 
die  Zeit  der  Constantine.  Letzterer  Ansatz  ist  richtiger.  Es  finden 
sich  Sigillaten  bis  ans  Ende  des  IV.  Jahrhunderts.  Doch  werden 
sie*seltener  und  viel  schlechter. 

In  den  spätrömischen  Bestattungsgräbem  von  Andernach,  die 
dem  IV.  Jahrhundert  angehören  (die  letzte  Münze  ist  von  Maximus, 
der  bis  388  n.  Chr.  regiert)  sind  noch  Sigillata-Gefilsse  gefunden; 
diese  sind  aber  schlecht  gebrannt  und  ohne  allen  Glanz.  Die  Haupt- 
foimen  sind  32,  33,  41,  47,  52,  54,  55.  Die  übrigen  Formen  ver- 
schwinden. Die  meisten  rothen  Gefässe  dieser  Gräber  sind  nicht 
aus  Terra  sigillata,  sondern  mit  einer  matten  rothen  oder  gelblichen 
Farbe  angestrichen,  auf  die  weisse  oder  dunkle  Ornamente  gemalt 
sind  *). 

Um  dieselbe  Zeit,  am  Ende  des  IV.  Jahrhunderts,  verschwinden 
die  feinen  römischen  Gefässe  auch  in  den  belgischen  Gräbern  ^).  In 
228  spätrömischen  Gräbern  bei  Strassburg  (letzte  Münze  von  Con- 
stantin  II,  gestorben  340)   sind   blos   3  Näpfchen   aus  Sigillata  ge- 


1)  Brongniart,  Trait6  p.  422.    Birch.  Hist.  of  anc.  pott.  p.  544. 

2)  Gazette  arch.  1879  p.  49. 

3)  B.  J.  LXXXVI.  Taf.  X,  20,  25  u,  s.  w. 

4)  Annales  de  Namur  XIX  p.  447. 


140  HansDragendorff: 

funden  (Form  33)*).  Nur  wenige  Sigillata  fand  sich  auch  in  den 
bei  Steinfnrt  aufgedeckten  Gräbern*),  die  Münzen  von  Claudius 
Gotbicus  bis  Arcadius  enthielten. 

Töpferstempel  fehlen  auf  diesen  spätesten  Sigillaten  fast  ganz. 
Die  omamentirten  Schalen  des  II.  und  III.  Jahrhunderts  sind  ver- 
schwunden. Manche  Gefösse  tragen  weisse  Malerei,  wie  die  schwarz- 
gefirnissten  Becher.  Dann  finden  sich  Schalen,  die  in  ihrer  Form 
sich  noch  an  die  früheren  ornaraentirten  anschliessen.  Ihre  Deco- 
ration besteht  in  flach  aufgepressten  Streifen  mit  geometrischer 
Verzierung.  Es  sind  stets  mehrere  Streifen  untereinander  gesetzt, 
durch  senkrechte  Theilung  in  kleine  Rechtecke  zerlegt  und  diese 
dann  schraflSrt,  oder  mit  Punkten,  Sternchen  u.  s.  w.  geschmückt. 
Als  letzte  Spur  klassischer  Ornamentik  findet  sich  hier  bisweilen 
noch  ein  einzeln  abgetrenntes  Glied  eines  Eierstabes.  Diese  Orna- 
mentirung  führt  uns  direkt  hinüber  zu  den  sogenannten  fränki- 
schen Vasen,  d.  h.  derjenigen  Kultur,  die  die  römische  in  den 
Eheinlanden  und  Gallien  ablöst.  Beispiele  dieser  letzten  römischen 
Gefässe  finden  sich  B.  J.  LXXXVI  Taf.  X.  60—63,  mit  denen  man 
die  fränkischen  Gefösse  B.  J.  LXXXXII  Taf.  X  vergleichen  mag. 
Dass  diese  Schalen  zu  den  letzten  Erzeugnissen  römischer  Keramik 
gehören,  zeigt  der  Umstand,  dass  sie  vereinzelt  sich  noch  in  ger- 
manischen Reihengräbern  finden  *) ;  auch  sind  sie  nicht  mehr  durch- 
weg aus  TeiTa  sigillata  verfertigt,  sondern  bisweilen  aus  weissem 
Thon  und  mit  rothem  Anstrich  versehen. 

So  sind  wir  an's  Ende  gelangt.  Mit  dem  Untergang  der 
römischen  Herrschaft  schwindet  auch  die  römische  Kultur  in  den 
Provinzen.  An  Stelle  der  römischen  Keramik  tritt  wieder  die  bar- 
barische. Die  Technik,  die  wir  fast  6  Jahrhunderte  dauern  sahen, 
geht  verloren.  Sie  vollständig  wieder  zu  finden,  ist  bis  heute  noch 
nicht  gelungen. 


1)  Bull,  des  monuments  historiques  S.  II  vol.  11. 

2)  Publ.  de  Luxeuibourg  V  p.  45  ff. 

3)  W.  Z.  IX  S.  IGO.  Taf.  IX  48.  Nach  Rheinische  Geschichtsblätter  I 
S.  194  sind  auch  in  fränkischen  Frauengräbern  bei  Nettcrshcim  in  der 
Eifcl  Gefässe  aus  Terra  sigillata  mit  römischem  Stempel  gefunden;  mög- 
licher Weise  hat  man  aber  Gräber  verschiedener  Perioden  nicht  gehörig 
unterschieden. 


Terra  sigillata.  141 


Anhang. 


Bemerkungen  zn  den  Formtafeln  I—lII. 

Form  1—14. 
In  Arezzo  gebräuchliche  Formen.     S.  40  f. 

Form  15—17. 
Tellerformen  des  I.  nachchristlichen  Jahrhunderts.  S.  85.    Auf 
den  Formen  1.  2.  3.  15 — 17  finden  sich  folgende  StempeP): 

OF  AQVITAN    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.  no.  430]. 
OF  AQViT     [Trier,  Prov.-Mus.]. 
OFAQVIAM     [St.  Germain]. 

ATEI    Anderaach  [Bonn]  B.  J.  86.  161. 

A^IEVO     Orange  [St.  Germain]  ,Atei  Euodus^ 


Andernach  [Bonn]  B.  J.  89.  47.  374  u.  B.  J.  86. 
XANT  164?  158.     ,Xanthus  Atci^ 

XAIII 
X-A-N 

lATM  ?    Andernach  [Bonn]  B.  J.  86.  164.     ,Gnae]i  At[ei] 
m[anu]'  ? 
OF  BASSI     [Trier,    Prov.-Mus.    no.  316];    Xanten    Houben- 
Fiedler  S.  48  und  sonst. 
OFIC-BILTC     [Trier,  Prov.-Mus.  no.  310  u.  5300]  ,Bilicatus'  vergl. 
C.  XII  5686.  129  f.     C.  VII  1336.  149. 
B0LLV8FIC     Saalburg    [Homburg];      [Trier,    Prov.-Mus. 
no.  105  fF.,  gelb  mit  rother  Marmorirung]. 


1)  Wo  nur  der  Aufbewahrungsort  ohne  Citat  angegeben  ist,  habe 
ich  den  Stempel  selbst  abgeschrieben.  Manche  von  diesen  können  mit 
schon  publizirten  Stempeln  identisch  sein.  Bei  der  oft  sehr  unsicheren 
Lesung  ist  die  Identifizirung  schwer.  Es  scheint  mir  nicht  überflüssig  bei 
den  einzelnen  Formen  die  darauf  vorkommenden  Stempel  zu  notiren,  da 
die  Formen  schon  einen  gewissen  Anhalt  für  die  Datirung  des  betreffen- 
den Töpfers  geben. 


142  Hans  Dragendorff: 

CABITON  ?    fSt.  Germain]. 

CAESTI    Andernach  [Bonn]  B.  J.  86.  161. 
OF  CALV    [St.  Germain]. 
.OF  CASt     [St.  Germain]. 
OF  COCI     [St.  Germain]. 

CRESt    Trier  [Prov.-Mus.  no.  4122]. 

ERTIVSI  ?    Orange  [St.  Germain]. 
OF  FEICIS    [Mainz]  ,of.  Felieis'. 

IVN    Vaison  [St.  Germain]. 
OF  LABIO    Vichy  [St.  Germain]  ,of.  Labionis'  vergl.  z.  B.  C.  XII 
5686.  473. 

MACOARI    [Benn,  Samml.  d.  Univ.  no.  447]. 

MODEST -F    [St.  Germain]. 

MONTANI    [St.  Germain]. 
OFPASSIENI  (rückläufig)    [Trier,  ProT.-Mus.  no.  18.312]. 

PASTORCE  [Bonn];  [St.  Germain]. 

PRIMVS     [Trier,  Prov.-Mns.  no.  7097]. 

RECENI    [Trier,  Prov.-Mns.  no.  11922]. 

REGENVS    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  545J. 

TRVi'RE 

RVi'ION 

SALVE-TV    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  328]. 
SALV    [St.  Germain]. 

SCOTNVS  [St.  Germain]  vergl.  C.  XII  5686.  796  und  sonst. 
SECVNDI    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  318]. 
SENICI    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  328]  ,Senicio'.  vergl.  C.  XII 
5686.808.  C.VII  1336. 1025.  CHI  6010.204. 
SRVIRATE?    [St.  Germain]. 
VAPVSVI  ?    Trier  W.  Z.  Corr.-Bl.  I  38.  [Köln]. 

Form    181).     g.  §5. 
OF  AQVITAN    [Köln  Mus.]-,  [St.  Germain]. 

ARTIVS    [St.  Germain]. 
OF  BASS  RO    [Mainz]. 
OFFCASTI  [Bonn,  no.  5602]. 
OF  CASt    Vaison  [St.  Germain]. 
CAVEATVS     [St.  Germain]. 


[St.  Germain]. 


1)  Die  Form  18  geht  allmählich  in  31  über.    Eine  scharfe  Scheidnng 
zwischen  beiden  ist  daher  nicht  möglich. 


Terra  sigillata.  143 

COSIRV-FI    Clermont-Feirand  [St.  Germain]. 

DAG0MARVSF    Bonn  [Samml.  d.  Univ.]  B.  J.  60.  85. 
OFFAGE///     [Bonn]  vergl.  C.  VII.  1336.  445.   Seh.  2151. 
©FRONtN  [Bonn.  no.  6040];  [Köln]. 
OF  GEN  JSt  Germain]. 

GERMANI    Orange  [St.  Germain]. 

lAPITVR  ?     Clermont-Ferrand  [St.  GermainJ. 
OF  ISCAA  ?    [St.  Gerroain]. 

MACGARI    Andernach  [Bonn]  B.  J.  86.  165. 
OFKMACOAR  [Bonn]. 
OFMACCAR    [Speier]. 

MARtlALFE    [Mainz]. 

MARtAtSMA  [Bonn  no.  3405]. 

MEMORISM  [Bonn  no.  6468]. 
OF  MOM    Vaison  [St.  Germain]. 
OF  PATRIC     Saalbnrg  [Homburg]. 
OF  PATRC    Saalbnrg  [Homburg];  [Köln]. 
OFIC- PRIMI    [Mainz]. 
OF  PRIMI  JSt.  Germain]. 

SECVNDI    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  318];  [Bonn]. 

SECVNDVS    Vaison  [St.  Germain]. 

SERRAE    bei  Este  Atti  d.  L.  III  13.  29. 
OF  SVLPICI    Bonn  [Samml.  d.  üniv.  no.  460]. 

SVRDILISFE    Mülhoven  B.  J.  72.  122. 

TITVLLI-M    Compifegne  [St.  Germain]. 

TOCCIVS    Vienne  [St.  Germain]. 

OFVERF    Milhan  (Aveyron)  [St.  Germain]. 

Form  19—21. 
Teller  ans  Terra  nigra  oder  hellrothem  Thon.     I.  Jahrhundert. 
S.  87  flf. 

Form  22  und  23. 
Näpfe  bester  Zeit.    Ohne  Stempel.    S.  86. 

Form  24  und  25. 
S.  86. 
ARDACVS    Juslenville  Bull.  Lifegeois  IX  p.  150. 
CASTI    Orange  [St.  Germain]. 
OME  [St.  Germain]. 


144  Hans  Diagendorff: 

COSOI?    [Trier,  Pi-ov.-Mus.  no.  230]. 

PRM    Xanten  Lerseh,  Centr.-Mus.  IH  107  ,Primu8'. 

QVART    [Trier,  Prov.-Mus.]. 

VIRTVSF    [Trier,  Prov.-Mus.  512]. 

VIRTV    [Köln]. 

Form  26. 
Napf.    I.  Jahrhundert.    S.  86.    In  Deutschland  selten. 

ATEI     [Köln]. 
^OIlL    [Köln]. 

Form   27. 
S.  86. 
All"     [Trier,   Prov.-Mus.    no.  11005];     [Bonn,    Samml.  d. 
Univ.  no.  519]. 
[0]F  ALBAN    [Mainz]. 
ALBV8    [Köln]. 
OF  ANO    Lyon  [St.  Germain]. 
AQVIT     [Köln.  2  mal]. 
BASSIC    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  390]. 
BOVDVSF    Saalburg  [Homburg]. 
aVCCVS    Saalburg  [Homburg]. 
OFCALVI    [Speier]. 

CASSIVSF    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.]. 

CENSCJ    Saalbnrg  [Homburg]     .Censorinus'. 

COWICA     Banassac  2  mal  [St.  Germain.] 

[C]VPITVS    Saalbnrg  [Homburg  2  mal]. 

DOMETOSI  Somme  [St.  Germain]  ,Domitu8f' ? 

DON /IC //IC    Bonn  [Samml.  d.  Univ.]   B.  J.  60.  77,   dort 

Donti  ofic.  gelesen.    Vgl.  B.  J.  35.  45. 
ERVIPINI  ?    Banassac  [St.  Germain]. 
FELIXSEV     [Köln  3  mal]. 
SlOiaaiO    [St.  Germain]  ,o.  Felieis'? 
OFRONTI    Saalburg  [Homburg]  ,o.  Frontini'. 
lANVARIVS     Saalburg  [Homburg]. 
IVCVND    Neuss  B.  J.  84.  263. 


Terra  sigillata.  145 

OF-LVCCEI     Bonn  [Samml.  d.  ünir.  no.  530]  B.  J.  60.  77. 
OF-MACCAR    Bonn  [Samml.  d.  üniv.  uo.  531]. 

MAIANV8-F     [Trier,  Prov.-Mus.  no.  9536]. 

MARTI AL  FE    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  361]. 

MARTIAL     Bonn  [Samml.  d.  üniv.  no.  532]. 
OF  MOI    [Köln]    ,Mode8ti'? 
OF  MOM    Neuss  B.  J.  84.  263. 

MONTANVS    Saalburg  [Homburg]. 
OF  MORIN    Andresy  (Seine  et  Oise)  [St.  Germain]. 

NASSOISF    Saalburg  [Homburg]. 

OCÜL    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.  no.  454]. 

OENCV     [Berlin,  Antiquarium]. 

Ol  VIA    Andernach  [Bonn]  B.  J.  86.  172  ,of.  Via[toris]"f' 

0MB    Orange  [St.  Germain]. 

OSS?    Saalburg  [Homburg];     [Köln]. 

PASSIE  Paris  [Mus^e  Camavalet]. 

PECVkUFE    Saalburg  [Homburg]. 

PECVLLFE    Saalburg  [Homburg]. 

PETRVLLVSFEC    Saalburg  [Homburg]. 

PLACIDVS    [Bonn,  Sammlung  d.  üniv.  no.  455]. 

PLAC— DYS    Saalburg  [Homburg]. 
OF  PRM    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.  no.  544]. 

PRM^M_  [Köln]. 

PRiM-MA  Paris  [Mns^e  Camavalet]. 

OF-PRIMI  Paris  [Huste  Camavalet]. 

PRM    St.  Beraard  (Ain)  [St.  Germain]. 

QVINTIM    Sufevres  [St.  Germain]. 

RVFNI    [St.  Germain]  ,Rnfini'. 

2V5I^O    Vieille  Toulouse  2  mal  [St.  Germain]. 

SABELLVSF    Saalburg  [Homburg]. 

SACERF    Saalburg  [Homburg]. 

SACRATV/    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.  no.  547]. 

SAIT///    Saalburg  [Homburg]. 

SATERNVS    Saalburg  [Homburg]. 
OF  SA  VF;    Saalburg  [Homburg]. 

SECVNDINI  [Köln]. 
OF  SEVER  Paris  [Muste  Camavalet]. 

MI>M3ITVv  Banassac  [St.  Germain],  Cn.Ticini  m."? 

TOCC-^    Saalburg  [Homburg]. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Aiterthsfr.  Im  Rhelnl.  XCVI.  IQ 


146  Hans  Oragendorff: 

TOCCA    Limesthurm  XI  an  der  Tannuslinie  [Homburg]. 

VERECVNDI  [Speier]. 
•rOFICVIRILI:-    [Köln]. 

OF  VITA    Saalburg  [Homburg]. 
OF  VITALI    [Köln]. 

Form   28. 
Napf  aus  Terra  nigra  oder  bellrotbem  Thon.    I.  Jahrbnndert. 
S.  87  ff. 

Form  29. 
Dekorirte  Schale   des   I.  Jahrhunderts.     In  den  sttdgalHschen 
Fabriken  verwandt.    In  Rheinzabem  und  Westerndorf  nicht  nach- 
zuweisen.   S.  85  u.  126  ff. 

ACVTI MA    Vichy  [St.  Germain]. 
lATEIF    Vichy  [St  Germain]. 

BALBVSF    Andernach  [Bonn]  B.  J.  86.  162.  Taf.  VI.  16. 
OF  BASSICO    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  389]. 
On-CATI    [St.  Germain]. 
OF  CRESfl    Vichy  [St.  Germain]. 
OF  CONSTIC?    [St.  Germain]. 

FELICISBß.    Vichy  [St.  Germain]. 
GEMINVS    Xanten  Houben  Fiedler  Taf.  15.  9. 
GERMNIOF     [Trier,  Prov.-Mus.  no.  265]  »Germani  of. 
IVCV-NDI    Vichy  [St.  Germain]. 
OF  MARC    [St.  Germain]. 
OF  ]ÄASCLI    Vienne  [St.  Germain]. 
OF  MERC    Vienne  [St.  Germain]. 
OF  MODESfl    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.  no.  509]. 
PRIMV2FE    Clermond  Ferrand  [St,  Germain]. 
OFSILVANI  Vichy  [St.  Germain]. 

Form  30. 
Dekorirter  Napf.    I.  u.  II.  Jahrhundert,  wie  das  Vorkommen 
in  Andernach  einerseits,  Westerndorf  andererseits   zeigt    S.  85  n. 
126  ff. 

M  A  SCLVS*F  Britannien. 
M  A  SCL  VS  Asberg. 


Terra  sigillata.  147 

Form  31, 
Tellerform  seit  Ende  I.  Jahrhanderts.    S.  110.  vergl.  Form  18. 

AENISATV    Saalbnrg  [Homburg]. 

AENICAly    Saalburg  [Homburg]. 

ALBVCIANI  Paris  [Musie  Camavalet]. 

[A]MABILIS    Saalburg  [Homburg]. 

AMATVS    Juslenville  Bull.  Liigeois  IX  433  ff. 

APERF  [Köln]. 

ARVERNICVS  [Köln], 

ATTAI  [Speier]  ,Attalu8'?  vergl.C.VII  1336. 104  f.  Sch.525. 

AVSTERINM  Paris  [Mns6e  Camavalet], 

BIGAFEC    Juslenville  Bull.  Liigeois  IX  433  ff, 
MBILLICEDOFI    Xanten  [Bonn,  Samml.  d.  üniv,  no.  450J. 

BOVDVS  E    Saalburg  [Homburg]. 

BOVDVS  F    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  432]. 

BVCCVS    Saalbnrg  [Homburg]. 

GAB//////   Saalburg  [Homburg].  »Cabrus'?  vergl.  Seh.  929  f. 
C.  VII 1336. 196.    Trier  [Prov.-Mus.  no,  3255], 

C^IVSr    Saalburg  [Homburg], 
OF  CALVI    [Mainz]. 

CARATILLI    Juslenville  Bull.  Liegeois  IX  433  ff. 

CELSINV    Bonn  [Prov.-Mus.]. 

CELSINF    Saalbnrg  [Homburg]. 

CELSINVS  [Köln]. 
OF  CEN  [Bonn]. 

CINT    [Bonn]. 

COMISILLF    Saalburg  [Homburg]. 

COSILVS    Juslenville  Bull.  Liegeois  IX  433  ff. 

COSINS?    Saalburg  [Homburg]. 

CVNISSA    [Speier]. 

CVRTIVS    [Köln]. 

DRAPPVSF    [Trier.  Prov.-Mus.];  [Bonn]. 

ERICIM    Juslenville  Bull.  Liegeois    IX  433  ff. 

FIISTVS  F  1      ^**'**"'"g  [Homburg]  häufig. 
FIOISIN?    Saalburg  [Homburg]. 
FLORIDVS    Saalburg  [Homburg], 
OFIC-ICO?    [Mainz], 

L^TINVSI'  [Köln]. 


148  Hans   Dragendbrff: 

LIOCCAFECIT    Saalburg  [Homburg] ;  [Speier]. 

LIPPO;    [Trier,  Pror.-Mus.]. 

LIPVCAF    JuslenviUe  Bull.  Liigeois  IX  433  ff. 

LOSSAFECIT    [Bonn]. 

LVCIVSF     [Bonn]. 

LVGETOFE    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  446]. 

LVPVS    [Speier]. 

MA  . . .  AIFE ?    [St.  Germain]. 

MARCIANV    [Trier,  Proy.-Mua.  no.  9545]. 

MAßflALFE     [Trier,     Prov.-Mus.    no.  9539];     [Mainz]. 
Häufig  auch  auf  der  Saalburg. 

]^BBIC-FE    Saalburg  [Homburg]. 

MEBDICE    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  533];  [Köln]. 

///BBVLF    Saalburg  [Homburg]. 

WICCFIV?    [Mainz]. 

MICCIO-I    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  535]. 

MINVSOF    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  328  u.  329]. 

MONTANV    [Köln]. 

MONT-^NVI    Saalburg  [Homburg]. 

MO[lß']ANV/    [Bonn,  Samml.  d.  üniv.  no.  464]. 
OFMONTO.    Paria  [Musie  Camavalet]. 

MVS Abbeville  [St.  Germain]. 

NASSOFEC    Saalburg  [Homburg]. 

NOVIVW  ?    Xanten  Houben-Fiedler  S.  46. 

OCCISO    JuslenviUe  Bull.  Li^geois  IX  433. 

OCöj    Saalburg  [Homburg]. 

OIICMVSF  [Bonn]. 
OF-PATE    Paris  [Mus.  Camavalet]. 
OFPATRIC  Saalburg  [Homburg]. 
OF  PATRC    Saalburg  [Homburg]. 

PETRVLIVEX    Saalburg  [Homburg]. 

PRIMITIVOSF    [Speier]. 

PVBLIVS    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  456] 

REQINVSF    Saalbnrg  [Homburg]. 

REGINVSF    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  457]. 

RRISVSF?    [Bonn]. 

RVCCAV    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  331]. 

RVFINIM    [Bonn]. 

e-MBE;    [Bonn,  Univ.-Samml.  no.  458]. 


Terra  sigilUta.  149 

OFSARRVT    [Mainz]. 

SIICAVITI    [Speier,  oft]. 

SEVERVS    [Speier]. 

SEVEEVS-V-F    [Speier]. 

SILVIN?    Saalburg  [Homburg]. 

20CC0^^    [Bonn,  Samml.  d.  Dniv.  no.  459]. 
OFSVLPICI    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  460]. 

SVOBNE  Paris  [Mus,  Carnavalet]. 

[S]VEIANVSF    Saalburg  [Homburg]. 

TAVRVS    1    ro    •    1 

tavrvsf)  [^p^'^'"^- 

TERTIVS    [Köln]. 

[T]OCCAF    Saalburg  [Homburg]. 

TOCCIVS    Saalburg  [Homburg]. 

TOCCIVSF    [Mainz]. 

VERCVNDVS    [Trier,  Frov.-Mus.]. 

VERECVN    Saalburg  [Homburg]. 

VICTOR    Saalburg  [Homburg]. 

VICTORFE  [Speier]. 

VICTORINVS    [Speier]. 

VIDVCVS    Köln. 

VIMPVS    Saalburg  [Homburg]. 
OF  VIRID    Xanten  Houben-Fiedler  S.  48. 
OF  VITAL    Xanten  [Bonn,  Samml.  d.  Dniv.  no.  461]. 

VO  : :  MI  F    Compifegne  [St.  Germain]. 

VRBANVSF    Saalburg  [Homburg]. 

Form  32. 

Tellerform  II.  Jabrbnnderts.   Besonders  in  Rbeinzabem  beliebt. 
In  späterer  Zeit  oft  obne  Stempel.   S.  110. 
ABBOFEC    [mehrfach  in  Speier]. 
ARENtiNVS    [Köln]. 
ATTIANVSF    [Speier]. 

fS&°}  -™  i"-  «•™'«'«"- 

ATTILLVSF    [Speier]. 
AVGVSTALIS  FEC    [Speier]. 
AVITVSF    [Speier]. 
BELATVLLVSF    [S 


150  Haus  Dragendorff: 

BELSVS    Saalburg  [Homburg]. 

BORIVSFEC    [Trier,  Prov.-Mus.]. 
OF  CALVI     Bonn  [Samml.  d.  Univ.  no.  433]  B.  J.  60.  77. 

CAPITOLINVS    Saalburg  [Homburg];  [Speier]. 

CASTVSF    [Bonn]. 

CENSORNI  sie!    Saalburg  [Homburg].- 

CINTVCNATV    Saalburg  [Homburg]. 

CONATIVSF    [Speier]. 

CVXSVSF    [Bonn]. 

DIVIXTVS  [Speier]. 

DONATVSF    [Speier]. 

FLAVIANVSFE    Saalburg  [Homburg]. 

FLORENTIN VS  F    Castell  Hcftrich  [Homburg] ;  [Speier]. 

FL0RENTINV2F    [Speier]. 

FLOREN?    [Speier]. 

FLORIDVS    [Mainz]. 
OF.QEMINI    [Speier]. 

GIINIALIS  F    [Speier,  sehr  oft]. 

I'^NVi*RIVS    [Speier]. 

IVCVNDVS    [Speier]. 

IVLIVSFEC    [Speier]. 

IVLIANVSF    Feldberg  [Homburg]. 

IVNIVSF    [Speier]. 

IVNIVSF///    [Mainz]. 

IVVHNISCVCE    [Köln]. 

IVVENISF    [Speier]. 

LAVINVSF    [Speier]  ,Flavianu8'? 

LAVRV2    [Mainz]. 

LILLYS"?    [Speier.  2  mal]. 

LVCIVSF    [Speier]. 

LVPVSF    [Speier]. 

LVPVSFEC    [Speier]. 

MARCVSF    [Speier]. 

MARINVSF    [Speier]. 

MARTINVSF    [Mainz]. 

MARTHVSFEC    [Mainz]. 

MATERNVS  FECIT    [Speier]. 

N0VANVS    [Speier]. 


Terra  sigillata.  161 

OVvVvIOR?    Saalbnrg  [Homburg],    etwa  ,Onm  of?    vergl. 

Scb.  4005,  4006. 
OTONIVS/    [Speier]. 
PATERNVSF    Saalburg  [Homburg]. 
P*TEICI4^NVS    Saalburg  [Homburg]. 
PEPPOFEC    [Speier]. 
PEPPOFECIT  [Speier]. 
PIIßVINCVS    Heftrich  [Homburg]. 
PMVATVS    [Speier];  Saalburg  [Homburg]. 
PROCLINVSF    [Speier]. 
PROPPIVSF    [Speier]. 
QVARTIN///     [Speier]. 
QVARTINVS    [Speier]. 
QVINTILIANVS    Saalburg  [Homburg]. 
REGINV8  FEC    Saalburg  [Homburg]. 
REGINVSF    [Speier]. 
RESSINVSF    [Speier]. 
RONT    Paris  [Mus.  Caruavalet]. 
SIICAVITI    [Speier]  mehrfach. 
SECVNDAVI    [Speier]. 
SEVERINVI    [Speier]. 
SIIVERIANVSF    [Speier]. 
SOLINIOFI  Paris  [Mus.  Camavaletj. 
SOLLOFEC    [Speier]  mehrfach. 
STABILISF    [Speier]  mehrfach. 
STATVTVSF    [Speier]. 
TEMP0RINV8  sie!    [Speier]. 
TEMTORIN    Saalburg  [Homburg]. 
//TVNATVS    [Bonn].     .Fortunatus'? 
VERINVSFj    [Speier]. 
VERVSFECIT    [Speier]. 
VERVSF    [Speier]. 
VICTOR  F    [Speier]. 
VICTORE    [Speier]. 
VICTORINVS     [Speier]. 
VRSIANVS  FEC    Rheinzabem  [Mainz]. 


153  Hans  Dragendorff: 

Form   33. 

Napf  seit  II.  Jahrhundert,  S.  110,  oft  ohne  Stempel,  besonders 
in  Rheinzabem. 

ABBOFEC    [Speier]. 

Alfl    [Bonn,  Samml.  d.  ünir.  no.  519  u.  520]. 

AMMIVSF    Saalburg  [Homburg]. 

'^NIeo-^TVS     [Trier,  Prov.-Mua.  no.  384]. 

ARVERNICI    Juslenville  Bull.  Li^eois  IX  433  flf. 

ATILLVS    [Speier]. 

ATTILLVSF    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  518|. 

[ATTJILLVSE    Juslenville  Bull.  Li^eois  X  p.  73. 

AVGVSTINVS    [Speier]. 

AVITVSFEC    [Speier,  oft]. 

FIG^\    Köln  [St.  Germain]. 

MDIN)3a?    [St.  Germain]. 

BORILLIOF    Paris  [Mus.  Camavaletj. 

BOVDVSF    [Trier,  ProT.-Mus.  no.  3244]. 

CASSIVSF    Juslenville  Bull.  Li^ois  IX  135. 

CATILO-F    [Speier]. 

CERIAL//    Paris  [Mus.  Camavalet]. 

CIVNI-RE?    Saalbnrg  [Homburg]  ,C.  lunius  fecit'? 

CIRIVNAI^    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  16951]. 

COMESII///    Saalbnrg  [Homburg]. 

CORISOFEC  Bonn  [Samml.  d.  Univ.  no.524]  B.  J.  60.  77. 

CORISOFECIT    [Köln]. 

CRICIROOF    Banassac  [St.  Germain]. 

DISETVSF    Saalbnrg  [Homburg]. 

DIVICATVS    Compifegne  [St.  Germain]. 

DOLCCVS  F    Saalburg  [Homburg]. 

DOMITVS  F    Banassac  [St.  Germain]. 

DOMITVS    Banassac  [St.  Germain]. 

DRAPPVSF    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  385,  385  a,  10905]. 

ELVISSAF    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  18253]. 

EKVISSAF    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  526]. 

FIRMANVS    [Speier]. 

FIRMVS-F    Saalburg  [Homburg]. 

GEMINIM-    Paris  [Mus.  Camavalet]. 


Terra  sigiUata.  163 

6ENI4^LIS-M    Oompi^gne  [St.  Germain]. 

GIAMATF    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  443]. 

6IIAMIKK?    Banassac  [St.  Germain]. 

lASSVSFE    Saalbnrg  [Hombarg]. 

L^TINVS  F    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  382  u.  10904]. 

MACCONO     Saalbnrg  [Homburg]. 

MACC0JI0I2    Saalburg  [Homburg]  vergl.  Seh.  3152. 

MACRIN    AbbeviUe  [St.  Germain]. 

MAINIVS    [Trier,  Proy.-Mus.  no.  338]. 

MARCVSF    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  5264]. 

MATERN    Compifegne  [St.  Germain]. 

MEDBICVS    [Trier,  Prov.-Mus.  Samml.  Wendel  no.  79]. 

MONTA[NVS]    [Bonn,  Samml.  d.  Univ.  no.  453]. 

MOXSIVSF    [Trier,  Prov.-Mus.,   no.  389  702,  898,  3249, 

3383,  7094  f.  12014]. 
NATALIS    [Trier,  Prov.-Mus.  no.  391]. 
PACATVS    [Speier]. 
OFPASSI    Saalburg  [Homburg]. 
PLACIDVS    Saalburg  [Homburg];  [Speier]. 
PRIVATIM    Abbeville  [St.  Germain]. 
PROPF    [Speier,  mehrfach]. 
JIECAISIO?    Sufevres  (Loire)  [St.  Germain]. 
RESTITVTVS    [Speier]. 
SARINVS    Saalbnrg  [Homburg]. 
SECCOF    Saalbnrg  [Homburg]. 
SOSA€    [Bonn]. 
TRITVSF    [Speier]. 
VENICARV8    [Köln]. 
OFVITA    [Köln]. 

Form  34. 

Napf,  mir  nur  ans  Banassac  bekannt.    S.  110.    Immer  ohne 
Stempel. 

Form  35.  36.  42. 
(Gefässe  mit  Barbotine.) 
Seit  dem  Ende  des  I.  Jahrb.   Stempel  sind  selten.   S.  118  ff. 
ABBOFE    [Köln]. 


154  Hans   Dragendorff: 

AMMIVS    JaslenviUe   Bull.  Li^eois  IX  p.  433  ff. 

^V///0?   Bonn  B.  J.  89.  4  no.  29. 

COBVNAFE    Juslenville   Bull.  Liigeois  IX  p.  433  ff. 

COSTVTVS    Bonn  B.  J.  89.  11  no.  91. 

EVRETVSF  [Speier]. 

FRONTVNATVS    Köln  B.  J.  61.  123. 

IVVENISFEC    Bingerbrüek. 

MARTIAliSM  Dalheim  Mon.hiBt.dan8Luxemboiirg  1851/52. 

MINVTVSF    [Köln]. 

PATRVINVS    [Bonn]  B.  J.  89.  33  no.  264. 

QVARTINVSF    [Köln]. 

SATVRIO    [Speier]. 

VICTORINVS    [Speier]. 

Form  37. 

Ornamentirte  Schale  späterer  Zeit.    S.  136  ff. 

Ein  Verzeichniss  der  oft  sehr  schwer  leslichen  Stempel  unter- 
lasse ich  hier.-  Es  sind  bei  diesen  Stempeln  Überdies  verschiedene 
Arten  zu  scheiden,  wozu  noch  umfassendere  Vorarbeiten  nöthig  sind. 

Form   38. 
Meist  ohne  Stempel.     S.  110. 

HIIHA5IA>    Compiögne  [St.  Germain]. 
MACCALIM    Pas  de  Calais  [St.  Germain]. 
PROBVS    [Mainz]. 

Form  39. 
ABBOFE    Köln  [Mus.]. 
VERVS^    [Bonn]  B.  J.  84  108. 
VICTOR  FE   [Speier]. 

Form  40. 
A8IATCIW    Compifegne  [St.  Germain]  ,Asiatieim'. 
FAVDACI    [Mainz]. 
CASIF    [St.  Germain]. 
ILLIOM    Suivres  [St.  Germain]. 
MELAVSI/    [Speier]. 
VICTORINVS    [Mainz]. 


Terra  sigillata.  155 

Form   41. 
Napf  mit  eingeschnittenen  Verzierungen.  S.  122  flf.    Stets  ohne 
Stempel. 

Form   43.   45. 
Reibeschalen.    Fast  immer  ohne  Stempel.    Ist  ein  solcher  vor- 
handen, so  steht  er  aussen  am  Rande.     S.  111. 

GEMINIMA    Paris  [Mus.  Carnavalet]. 

Form  44. 
Schale  S.  111.   Keine  Stempel. 

Form   46. 
Napf  späterer  Form.    Keine  Stempel. 

Form   47.   48. 
Teller  spätester  Form.    Keine  Stempel.  ^.  139. 

Form   49. 
Napf  spätester  Form.    Keine  Stempel.    S.  139. 

Form   50. 
Becher.    Mir  nur  ans  Banassac  bekannt.    Keine  Stempel. 

Form   51. 
Teller. 

AVGVSTALIS  FEC    [Speier]. 
IVLIVS  F    Saalburg  [HomburgJ. 
LVCIVS    [Speier]. 
PROPF    [Speier]. 

Form   62—55. 

Becher   und   Urnen  aus   Terra  sigillata,  bis   in   späteste  Zeit 
gebräuchlich.     Keine  Stempel.    S.  139. 


3.  Kleinere  Mittheilungen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn. 


Von 
Josef  Klein. 


*  42. 

Matronensteine  aus  Zingsheim. 

Beim  Dorfe  Zingsheim  in  der  Eifel  sind  in  neuester  Zeit  bei 
Feldarbeiten  im  Distrikt  ^am  Maulbeerbäumchen'^  Gräber  aus  spät- 
römischer Zeit  aufgedeckt  worden,  welche  ziemlich  nahe  an  der 
Oberfläche  der  Erde  und  zwar  fast  alle  in  der  Richtung  von  Westen 
nach  Osten  lagen.  Mit  Erde  im  Laufe  der  Zeit  voll  geschwemmt, 
da  sie  sämmtlich  in  einem  Hange  sich  befinden,  bargen  sie  jedes 
Mal  die  üeberreste  von  nur  einer  Leiche.  Beigaben  fanden  sich, 
soweit  auf  die  Aussage  der  Finder  ein  Verlass  ist,  keine.  Indessen 
die  Untersuchung  der  Gräber  ist  keineswegs  so  sorgiUltig  ausge- 
führt worden,  dass  sich  mit  Bestimmtheit  behaupten  lässt,  dass  die 
in  ihnen  Beigesetzten  ohne  jedwede  Beigabe,  sei  es  an  Waffen  oder 
an  Schmuckgegenständen  in  die  Erde  gebettet  worden  seien.  Die 
Gräber  selbst  waren  aus  einzelnen  Platten  von  Sandstein  in  zwar 
verschiedener  aber  annähernd  gleicher  Grösse  und  Dicke  zusammen- 
gesetzt und  mit  einer  oder  zwei  Platten,  je  nach  der  Länge  derselben, 
zugedeckt.  An  zweien  der  Gräber  fanden  sich  als  Seitenstflcke 
zwei  Matronensteine  benutzt,  welche  ähnlich  wie  bei  den  früher 
aufgedeckten  Grabstätten  aus  Zülpich  und  Floisdorf  mit  der  In- 
schriftseite nach  Innen  gekehrt  waren. 


Kleinere  Mittheilung^en  ans  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn.     157 

Der  erste  ist  ein  Votivaltar  ans  rothem  Eifeler  Sandstein  mit 
Voluten  an  den  Seiten  und  vom  in  der  Mitte  einem  kleinen  spitzen 
Dache  über  dem  Sims.  Oben  auf  der  Mitte  der  Bedachung  liegt 
ein  Kranz.  An  den  beiden  Seitenflächen  befindet  sich  je  ein  Lor- 
beerbaum in  Flachrelief.  Der  Altar,  welcher  jetzt  oben  und  unten 
sowie  an  der  rechten  Seite  vom  Beschauer  stark  zeretört  ist,  hat 
eine  Höhe  von  44  cm,  eine  Breite  von  49  cm  und  eine  Dicke  von 
20  cm.  Die  Widmung,  deren  Buchstaben  in  den  beiden  ersten  allein 
vollständig  erhaltenen  Zeilen  6  cm  hoch  sind,  lautet: 


1:10. 

Also:  Miatronis)  Fachinehils]  .  .  Flavius  Co[m]muni8  ei 
G{aius) 

Für  die  Ergänzung  des  M  zu  Anfang  der  ersten  Zeile  durch 
M(atro7ds)  verweise  ich  auf  den  Embkener  Votivstein  ^)  der  Matronae 
Veteranehae. 

Der  Name  der  Matronen,  Fc^hinehae  ist  meines  Wissens  bis- 
her noch  nicht  bekannt  gewesen.  Er  erinnert  in  seiner  Bildung  an 
den  gleichartigen  GuchineJiae^),  der  von  M.  Ihm«)  mit  grösserer 
Wahrscheinlichkeit  auf  das  in  unmittelbarer  Nähe  von  Euskirchen 
gelegene  Cuchenheim  als  von  Eick^)  auf  Geich  bei  Zfllpich  bezogen 
worden  ist.  Dass  auch  dieser  neue  Beiname  der  Matronen  eine  to- 
pische Bedeutung  hat,  kann  wohl  kaum  einem  Zweifel  unterliegen, 
wenngleich  es  mir  bisher  auch  nicht  gelungen  ist,  den  Ort  nachzu- 
weisen, von  dem  er  hergeleitet  sein  könnte. 

Die  Erklärung  des  Restes  der  Inschrift  bereitet  keine  grossen 


1)  C.  I.  Rhen.  575  -=  I  h  m ,  Bonn.  Jahrb.  LXXXIII,  S.  140  n.  1 

2)  C.  I.  Rhen.  641  =^  I  h  m  a.  a.  O.  S.  142  n.  255. 

3)  A.  a.  O.  S.  28. 

4)  Rom.  Wasserleitung  S.  98. 


158  JosefKlein: 

Schwierigkeiten.  Das  Cognomen  des  Widmenden  war  Communis 
und  wenn  in  dem  ersten  der  beiden  theilweise  zerstörten  Zeichen 
am  Ende  der  dritten  Zeile  ein  mit  E  zu  einem  Buchstaben  verbun- 
denes T,  wie  ich  glaube,  steckt,  dann  enthält  das  zweite  Zeichen 
den  Vornamen  eines  zweiten  Dedikanten :  G(aiu8).  Der  erste  Dedi- 
kant  unseres  Denkmales  scheint  demnach,  wofern  nicht  seine  Charge 
mit  der  des  zweiten  Widmenden  zusammen  hinter  dem  Namen 
dieses  Letzteren  genannt  war^  diesmal  nicht  ein  dem  Soldatenstande 
angehöriger  Mann,  wie  bei  einem  grossen  Theil  der  am  Khein  ge- 
fundenen Matronendenkmäler,  sondeiii  ein  schlichter  Einwohner  und 
zwar  aus  jener  Gegend  zu  sein. 

Graphisch  ist  noch  das  Zeichen  -I  statt  H  sowohl  in  dieser 
als  auch  der  folgenden  Inschrift  bemerkenswerth,  welches  sich  all- 
mählich zu  einer  selbständig  neben  H  gebrauchten  Buchstabenform*) 
entwickelt  hat.  Eigenthümlicher  Weise  findet  es  sich  häufig  auf  Ma- 
tronensteinen *)  angewandt. 

Der  zweite  Matronenstein  ist  ebenfalls  'eine  Ära  mit  einer 
vorne  über  dem  Sims  befindlichen  dachförmigen  Bekrönung,  deren 
Giebelspitze  theilweise  abgebrochen  ist.  Dieselbe  läuft  auf  beiden 
Seiten  in  Schneckenrollen  aus,  die  auf  der  Vorderseite  mit  Rosetten 
verziert  sind.  Die  rechte  Volute  vom  Beschauer  ist  jetzt  abge- 
brochen. Auf  der  Mitte  der  Bedachung  liegt  ein  Kranz.  Unmittel- 
bar unter  dem  vorspringenden  Sims  zieht  sich  ein  Eierstaboma- 
ment  hin,  ähnlich  demjenigen,  welches  auf  dem  zu  Lechenich 
gefundenen,  jetzt  im  Besitze  unseres  Vereines  befindlichen  Votiv- 
stein  ^)  der  Matronae  Lanehiae  zwischen  dem  Sims  und  der  Bedachung 
angebracht  ist.  Auf  den  beiden  Sehmalseiten  waren  Bäume  in 
Flachrelief  dargestellt,  wovon  noch  schwache  Reste  vorhanden 
sind.  Der  Altar,  welcher  aus  dem  rothen  in  der  Eifel  vorkommen- 
den Sandstein  gearbeitet  ist,  ist  an  der  linken  Seite  vom  Beschauer 
sowie  unten  abgebrochen,  weshalb  die  Anfangsbuchstaben  der  ein- 
zelnen Zeilen  mit  Ausnahme  der  ersten  und  der  Schlnss  der  Weih- 
inschrift verloren  gegangen  sind.     Er  ist  jetzt  50  cm  hoch,   50  cm 


1)  So  auf  Inschriften  der  Narbonensis :  C.  I.  L.  XII,  8234.  S242. 

2)  Vgl.  C.  I.  Rhen.531.  545.  685.  Bonn.  Jahrb.  LXXXIII,  S.  137,  216. 
LXXXIX,  S.  231,  I  u.  II.  Diese  Form  des  H  mag  noch  auf  anderen  Ma- 
tronensteinen sich  wiederfinden,  wenn  dieselben  einmal  speziell  mit  Rück- 
sicht darauf  einer  genaueren  Prüfung  unterzogen  werden. 

3)  C.  I.  Rhen.  564  —  I  h  m  a.  a.  O.  S.  144,  270. 


Kleinere  Mittheilungen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn.     159 

breit  und  10  cm  dick.    Die  Inschrift,  deren  Buchstaben  eine  Höhe 
von  6  cm  haben,  lautet: 


1  :  10 

Im  Anfang  der  zweiten  Zeile  kann  der  vor  A  stehende  hori- 
zontale Strich  nur  der  Rest  eines  F  sein,  so  dass  dieser  Altar  den- 
selben Matronen  wie  der  erste  gewidmet  war.  Im  Beginn  der 
dritten  Zeile  fehlt  ein  Buchstabe,  der  wahrscheinlich  den  abge- 
ktti-zten  Vornamen  des  Widmenden  bezeichnete.  Da  in  der  vierten 
Zeile  der  vor  V  noch  vorhandene  Strich  lediglich  von  T  oder  F 
herrühren  kann  und  ausserdem  vorher  nach  Massgabe  des  Raumes 
höchstens  drei  Buchstaben  ausgefallen  sind,  so  hat  die  Ergänzung  eines 
Cognomens  wie  Avittis  oder  Justus  am  meisten  für  sich.  Der  Schluss  ist 
zu  ergänzen  pro  se,  et  suisy  woran  sich  noch  vielleicht  die  bekannte 
Weihe-Formel  v.  s.  l.  w.  angeschlossen  hat.  Die  ganze  Inschrift 
wird  demnach  zu  lesen  sein: 

Matronis  Fachineihis  .  .  Crispinius  [. . .  .]u8  pro  se  [et  suis 
v{otum)  s{olvit)  Uubens)  m{erito)]. 

Im  Anschlnss  hieran  theile  ich  mit,  dass  ausser  diesen  beiden 
neuen  Matronensteinen  auch  der  von  G.  A.  Eick  zuerst  in  diesen 
Jahrbüchern  ^)  veröflfentlichte  Matronenstein  aus  Floisdorf  bei  Zülpich 
jetzt  in  das  Provinzial  -  Museum  gelangt  ist.  Der  Stein,  welcher 
oben  in  der  linken  Ecke  vom  Beschauer  stark  beschädigt  ist,  ist 
82  cm  hoch,  59  cm  breit  und  jetzt  bloss  12  cm  dick,  da  die  hin- 
tere Hälfte  des  Steines  abgeschlagen  ist.  Die  Inschrift  ist,  wie  eine 
Vergleichung  erwiesen  hat,  von  Eick  a.  a.  0.  ganz  genau  wieder- 


1)  Bd.  XXIII,  S.  73  ==  C.  I.  Rhen.  634. 


160  JoßefKlein: 

gegeben;  nur  ist  die  erste  Hasta  des  H  in  der  ersten  Zeile  von 
dem  übrigen  Buchstaben  getrennt  (H),  wofern  nicht  hier  Textumeihis 
wie  oben  Fachineihis  zu  lesen  ist.  Auf  dieselben  Muttergottheiten 
möchte  ich  trotz  des  Widerspruches  von  M.  Ihm^)  die  von  Freuden- 
berg bekannt  gemachte  Inschrift  von  Soller*)  bei  Zülpich  beziehen 
und  mit  Letzterem  auch  dort  Textumei{8)  ergänzen.  Was  die  von 
diesem  und  Ständer  auf  der  Rückseite  des  Steines  gelesenen  Zeichen 
o — ■^-~]^ —  K  V  I V  N  I  A  anlangt,  von  denen  Ihm  nichts  hat  ent- 
decken können,  so  befinden  sich  in  der  That  in  der  Mitte  der  Rück- 
seite, und  zwar  in  der  Richtung  von  unten  nach  oben  laufend  Zei- 
chen sehr  roh  und  flach  eingehauen,  die  folgendermassen  aussehen: 

O — I — ij 1  KvIvnIa.     Ob  denselben  die  von  Freu  den  berg 

vorgeschlagene  Deutung  [obiit]  k(al.)  v  lunias  zu  geben  ist,  das 
zu  entscheiden  überlasse  ich  lieber  Anderen. 

Auch  das  von  Freuden  berg  veröflFentlichte  Bruchstück 
eines  Grabmonumentes*)  aus  Nettersheim  mit  einem  Pilaster  zur  lin- 
ken Seite  vom  Beschauer,  auf  dem  Akanthus  dargestellt  ist,  und  mit 
der  Inschrift: 

DEC*C///////////////////////// 

CAPITONIAE//////// 

RAE*CON|VG^HE/////// 

in  prachtvollen  Buchstaben,  welche  in  den  beiden  ersten  Zeilen 
8V2  cm,  in  der  dritten  7^2  cm  hoch  sind,  ist  ganz  neuerlich  ins 
hiesige  Provinzial-Museum  gelangt.  Es  ist  jetzt  1,14  m  breit,  44  cm 
hoch  und  besteht  aus  rothem  Sandstein. 

43. 
Grabmonumente  aus  Köln. 
An  der  Aachener  Strasse,  deren  Neubauten  so  manchen  inter- 
essanten Fund  aus  römischer  Zeit  geliefert  haben,  wui*den  im  Früh- 
jahr des  verflossenen  Jahres  in  der  Nähe  der  Restauration  „Zorn 
Karl  des  Grossen^'  die  Reste  einer  in  mehrere  Stücke  zerbrochenen 
beinahe  quadratischen  Tafel  aus  Kalkstein  bei  Fundamentinmgs- 
arbeiten  in  einer  Tiefe  von  etwa  2  Meter  zu  Tage  gefördert.  Die- 
selbe, welche  59  cm  hoch,  58  cm  breit  und  5  cm  dick  ist,  hat  auf 
der  Vorderseite  eine  Randleiste,  welche  das  etwas  vertiefte  Inschriil- 

1)  Bonn.  Jahrb.  LXXXIII,  S.  148. 

2)  A.  a.  O.  XX,  S.  91.  .     3)  A.  a.  0.  XLIX,  S.  189. 


Kleinere  Mifctheilungen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn.      161 

feld  umgibt.     Die  Inschrift  selbst  ergab  nach  der  Zusammensetzung 
der  vorhandenen  Theile  den  nachstehenden  Wortlaut: 


1:15 

Die  Höhe  der  Buchstaben,  welche  ein  elegantes  und  regel- 
mässiges Aussehen  haben,  beträgt  in  allen  Zeilen  6  cm.  Auf  dem 
an  der  vom  Beschauer  linken  Seite  des  Steines  jetzt  fehlenden 
Stück  hat  in  jeder  Zeile  bloss  ein  Buchstabe  gestanden.  Die  Lesung 
ergibt  sich  ohne  Schwierigkeit:  D{i8)  Mianibus).  Jul{ia)  Pris[c]a 
Viva  [8]ihi  \f\ecit. 

Zu  bemerken  ist  die  syllabare  Interpunktion,  welche  nach  einer 
Beobachtung  Huebner's^)  hauptsächlich  bei  Grabinschriften  von 
Leuten  niederen  Standes  in  Gebrauch  gewesen  ist.  Regelmässig  ist 
sie  aber  auf  der  Kölner  Inschrift  nicht  durchgeführt.  Ebenso  wei- 
chen die  am  Ende  der  Zeilen  gesetzten  Interpunktionszeichen  von 
der  Regel  ab. 

Dieser  Grabinschrift  schliesst  sich  ein  zweites  ebenfalls  im 
Laufe  dieses  Sommers  in  Köln  an  der  Brüsseler  Strasse  in  unmittel- 
barer Nähe  der  Niederlassung  der  Barmherzigen  Brüder  zum  Vor- 
schein gekommenes  Sepulcraldenkmal  an.  Dasselbe  besteht  aus 
einer  4  cm  starken  Tafel  aus  Muschelkalkstein,  welche  jetzt  48  cm 
breit  und  ungefähr  90  cm  hoch,  an  den  beiden  Seiten  sowie  oben 
in  der  linken  Ecke  vom  Beschauer  starke  Beschädigungen  erlitten 
hat.  Das  Erhaltene  ist  in  zehn  Stücke  zertrümmert,  welche,  wenn 
gleich  sie  nicht  alle  jetzt  in  den  Brüchen  ganz  genau  zusammen- 
passen, doch  durch  die  Gleichartigkeit  des  Steinmaterials  und  der 
Schriftzüge  sich  als  zusammen  gehörig  erweisen.  Die  Vorderseite 
der  Tafel  ist  in  Gestalt  eines  Tempelchens   behandelt,    und  zwar 


1)  Exempla  Script,  epigr.  lat.  p.  LXXV^II. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthafr.  im  Rheinl.  XCVI.  H 


162  JosefRlein: 

unten  ein  schwach  vorspringender  Sockel,  oberhalb  der  Inscbrift  ein 
zn  beiden  Seiten  vortretendes  Sims,  auf  dem  ein  Giebel  ruht.  In 
dem  jetzt  zerstörten  Felde  desselben  befand  sich  einstmals  das  Brust- 
bild des  Verstorbenen  in  einem  Medaillon,  von  dessen  Randeinfassung 
sich  augenblicklich  nur  noch  ein  unbedeutender  Rest  erhalten  hat. 
Die  Grabschrift  selbst,  deren  Buchstaben  sehr  flach  eingehauen  und 
bei  dem  schadhaften  stark  verwitterten  Zustand  des  Steines  schlecht 
zu  lesen  sind,  lautet : 


1:15 

Z.  1.  Die  linke  obere  Ecke  der  Tafel  ist  abgebrochen  und 
mit  ihr  das  zur  Seite  des  Medaillons  stehende  D  der  Weiheformel  D{i8) 
M{anibu8)  verloren  gegangen.  Das  Zeichen  M  rechts  vom  Medail- 
lon hat  durch  Bruch  die  Füsse  der  beiden  Hasten  eingebüsst. 

Z.  2.  Die  beiden  letzten  Buchstaben,  deren  obere  Hälfte  durch 
den  Bruch  des  Steines  jetzt  fehlt,  sind  sicher  LI,  so  dass  das  Wort 
Aureli  zu  lesen  ist. 

Z.  3  ist  der  dritte  Buchstabe  I  nur  noch  schwach  erkenn- 
bar, ebenso  ist  Z.  4  der  zweite  Buchstabe  0  durch  den  mitten 
hindurchgehenden  Bruch  ziemlich  undeutlich  geworden,  femer  G  im 
Wort  LEG  zum  Theil  abgebrochen. 

Z.  o  ist  der  erste  Buchstabe  I  und  der  grösste  Theil  des  S 
am  Ende  der  Zeile  stark  verwittert,  während  der  dritte  Buchstabe, 
der  A  war,  fehlt. 

Die  folgenden  Zeilen  6  und  7  sind  am  schlimmsten  mitge- 
nommen. Z.  6  Anfang  kann  der  erhaltene  Schrägstrich  nur  der 
Hinterschenkel    eines  A   sein.     Zwischen   ihm   und   dem   folgenden 


Kleinere  Mittheilnn^en  ans  dem  Provinzial-Mnsenm  zu  Bonn.      163 

Buchstaben  ist  eine  Lücke  von  drei  Buchstaben;  ebenso  am  Ende 
der  Zeile  eine  solche  von  einem  Buchstaben ;  ich  ergänze :  A  mT  I D  E  «. 

Z.  7  fehlt  vor  I  ein  Buchstabe  und  zwischen  ihm  und  dem 
folgenden  Zeichen,  das  ein  in  seineu  Umrissen  eben  noch  schwach 
durchschimmerndes  S  ist,  zwei  Buchstaben.  Das  folgende  Wort 
LEG,  dessen  G  stark  gelitten  hat,  gibt  als  Ergänaang  für  das  erate 
Wort  m\le3  an  die  Hand. 

Z.  8  haben  zwar  die  vier  ersten  Buchstaben  alle  gelitten,  aber 
sie  sind  völlig  sicher.  Dann  folgt  eine  Lücke  mit  dem  Raum  für 
einen  Buchstaben,  der  nur  C  gewesen  sein  kann:  cOS.  —  Am  Ende 
der  Zeile  stand  nach  T  ein  Buchstabe  mit  verticaler  Hasta,  worauf 
noch  ein  zweiter  folgte,  also  PATRi.  Die  ganze  Inschrift  wird 
demnach  gelautet  haben: 

[D{is)]  M{anibus).  Aurelio  Aristaeneto  vet{eran6)  legiionis) 
primae  M{inerviae)  [A\ureUu^  A[ri8]tide[8  m]i  [le]8  legiionis)  primae 
M(inerviae)  b(ene)f{iciarius)  co{n)s{ulari8)  patr[i\. 

Die  fehlerhafte  Construktion,  wonach  Aurelio  Aristaeneto  zur 
Weiheformel  Dis  manibus  coordinirt  ist,  ist  eine  auf  Grabinschriften 
der  späteren  Kaiserzeit,  aus  der  auch  diese  Inschrift  stammt,  nicht 
seltene  Erscheinung.  Mit  dieser  Zeit  stimmen  die  griechischen  Gog- 
nomina  von  Vater  und  Sohn,  vor  Allem  aber  ihr  Gentilicium  Aure- 
lius  überein,  das  seit  der  Ertheilung  des  Bürgerrechts  an  alle 
Unterthanen,  durch  die  sogenannte  constitutio  Antoniniana  des  Ca- 
racalla^)  im  Jahre  212  zahlreicher  denn  je  in  den  Provinzen 
des  römischen  Reiches,  namentlich  in  Griechenland  und  Kleinasien, 
auftritt. 

44. 
Nene  Grabmonumente  aus  Köln. 

Im  Monat  Juli  des  vergangenen  Jahres  1894  Hess  Herr  Kauf- 
mann Carl  Heinz  zu  Köln  auf  einem  zwischen  der  Händel-  und 
der  Brüsselerstrasse  liegenden  Terrain  ein  grosses  Wohnhaus  mit 
Lagergebäifden  errichten.  Beim  Auswerfen  der  Fundamente  stiess 
man  auf  dem  nach  der  Brüsselerstrasse  hin  gelegenen  Theile  des 
Grundstücks  auf  zwei  in  unmittelbarer  Nähe  bei  einander  liegende 

1)  Digest.  I,  5,  17.  Nov.  Just.  97,  5  ed.  Zachariae  v.  Lingcnthal. 
Vgl.  Dittenberger  ad.  C.  I.  Att.  III,  1177. 


164  JosefRlein: 

grosse  Steinplatten,  welche,  nachdem  sie  mit  vieler  Mühe  aus  der 
Grube  gehoben  und  gereinigt  worden  waren,  sich  als  Grabdenk- 
mäler erwiesen. 

Das  erste  besteht  aus  einer  etwa  8  cm  starken  Kalksteinplatte 
von  1,02  m  Höhe  und  60  cm  Breite,  deren  linke  Ecke  vom  Be- 
schauer abgeschlagen  und  verloren  gegangen  ist.  In  dem  über  der 
Inschrift  befindlichen,  in  Gestalt  einer  viereckigen  Nische  gebildeten 
42  cm  hohen  Felde,  deren  Ecken  im  Gegensatz  zur  sonstigen  Ge- 
pflogenheit solcher  Denkmäler,  keinen  Blätterschmuck  zur  Füllung 
aufweisen,  befindet  sich  die  Darstellung  eines  sogenannten  Todten- 
mahles.  Das  Relief  zeigt  die  mit  der  den  Körper  bis  auf  die  Füsse 
bedeckenden  Tunika  bekleidete  Veretorbene  nicht  wie  dies  gewöhn- 
lich der  Fall  ist,  auf  einer  Kline  liegend,  sondern  auf  einem  hohen 
mit  halbkreisförmig  construirter  Rücklehne  und  Armlehnen  ver- 
sehenen, auf  niedrigen  Füssen  ruhenden  Sessel  sitzend.  Mit  dem 
am  Körper  anliegenden  rechten  Aime,  an  dessen  Handgelenk  man 
einen  Armreif  gewahrt,  hat  sie  ein  auf  ihrem  Schoosse  ruhendes 
Körbchen  (oder  Schüssel)  mit  Früchten  umfasst,  während  die  feh- 
lende Hand  des  im  Ellenbogen  gebeugten  rechten  Armes  einen  eben- 
falls jetzt  abgebrochenen  Gegenstand  hielt.  Vor  ihr  steht  ein  drei- 
beiniger runder,  mit  einem  Tischtuch  gedeckter  Tisch,  auf  dem 
eine  ovale  Schüssel  mit  drei  Birnen  steht,  daneben  eine  vierseitige 
Flasche  mit  kuraem  engem  Halse  und  einem  breiten  rechtwinkelig  am 
Flaschenkörper  ansetzenden  senkrechten  Henkel.  In  der  linken 
Ecke  der  Nische  sind  noch  die  Füsse  des  bedienenden  Sklaven  er- 
halten. Die  Darstellung  gehört  also  der  Zeit  nach  Domitian^)  an, 
wo  die  Tische  gedeckt  wurden,  während  die  ältere  Sitte  nur  un- 
gedeckte Tische  kennt,  die  zwischen  den  einzelnen  Gängen  abge- 
waschen wurden. 

Unmittelbar  unter  der  Nische  steht  die  Inschrift*): 


1)  Vgl.  Marquardt,  Handb.  der  röm.  Alterth.  VIT,  S.  303  f. 

2)  Diese  und  die  folgende  Inschrift,  obgleich  in  Wirklichkeit  erst 
im  Sommer  1894  aufgefunden,  sind  von  A.  Kisa  bereits  in  der 
Museographic  für  das  Jahr  18  9  3  (Westd.  Zeitschr.  XIIT,-  Sp.  312  f.) 
ihrem  Wortlaute  nach  mltgetheilt.  Wenn  dort  die  Richard-Wagnerstrasse 
als  Fundstelle  angegeben  wird,  so  ist  dies  nicht  ganz  genau^  denn  das 
Heinz'sche  Bauterrain  liegt  zwischen  der  Händel-  und  der  Brüsseler  Strasse, 
nicht  aber  an  der  Richard- Wagnerstrasse. 


Kleinere  Mittheilungen  aus  dem  Provinaial-Museum  zu  Bonn.      165 


1  :15. 

D{i8)  M{anibus)  Liber{ä)e  Liberalis  fil{iae)  pienti88im{a)e 
obit{a)e  pater  fecit. 

Die  Punkte  sind  ziemlich  leicht  eiugehauen.  Die  Schriftzüge 
noch  gut  und  regelmässig  und  durchweg  4  cm  hoch  mit  Ausnahme 
der  ersten  Zeile,  wo  sie  5  cm  hoch  sind. 

Auffallend  ist,  dass  der  Name  des  Vaters,  welcher  seiner  Toch- 
ter das  Grabdenkmal  gesetzt  hat,  nicht  beigefügt  ist,  obgleich  der 
Stein  noch  sehr  viel  freien  Raum  für  die  Nennung  desselben  bietet. 

Der  zweite  Grabstein  ist  eine  1,13  m  hohe,  71  cm  breite  und 
14  cm  dicke  Platte  aus  Kalkstein.  Derselbe  läuft  nach  unten  in 
einen  51  cm  breiten  Zapfen  behufs  Befestigung  in  eine  Unterlage 
bezw.  Sockel  aus,  welchem  Zwecke  ausserdem  die  unten  an  den 
beiden  Schmalseiten  befindlichen  Klauimerlücher  dienten. 

In  dem  oberen  Felde  des  Steines  zwischen  den  9  cm  hohen 
Buchstaben  D  M  der  Weihcformel  an  die  Dii  Manes  befindet  sich 
innerhalb  eines  viereckigen  vertieften  Rahmens  ein  dreieckiges  Gie- 
belfeld, das  mit  einem  Blätteromament  geziert  ist,  während  schnecken- 
artige Bekrönungen  die  Zwickel  des  Rahmens  füllen.  Darunter  hängt 
eine  Gnirlande,  von  der  an  beiden  Enden  je  zwei  Bänder  herab- 
reichen ;  über  derselben  befindet  sich  in  der  Mitte  eine  nach  links 
umgefallene   doppeltgehenkelte    Vase,    deren    Inhalt   an    Früchten 


166  JoscfKlein: 

zum  Theil  herausgefallen  ist.  Die  Mitte  des  Steines  nimmt  die  In- 
schrift ein,  deren  tief  einfi^egrabene,  6  cm  hohe  Buchstaben  höchst 
elegant  und  regelmässig  sind.     Sie  lautet: 


1:15. 

D{i8)  M{anibus).  Senecioni  limocincto  Geron  filio  piissimo. 

Welchem  Stande  die  in  der  Inschrift  Genannten  angehören, 
zeigen  schon  abgesehen  von  anderen  Indicien  die  Namen  Geron  und 
Senecio  an.  Sie  waren  Sklaven,  wie  dies  auch  aus  dem  von  dem 
Sohn  bekleideten  Amte  eines  Umocinctus  hervorgeht.  Dieses  Amt 
begegnet  uns  auf  Inschriften  ^)  sehr  selten  und  im  Rheinlande  über- 
haupt hier  zum  ersten  Male.  Den  Namen  Umocinctus  hatten  diese 
Magistratsdiener  von  ihrer  Tracht,  dem  Schurz  {Jiimua)  *),  der  ihren 
Körper  ab  umbilico  usque  ad  pedes  prope  ^)  bedeckte.  Auf  Omnd 
eines  Grabsteines  im  Museum  des  Lateran,  wo  ein  pubUcus  in  der 
Toga  ^)  dargestellt  ist,  hat  M  o  m  m  s  e  n  ^)  die  Vermuthung  ausgespro- 


1)  C.  I.  L.  V,  3401.    X,  2052.  3942  (farmlia  limata). 

2)  1 8  i  d  0  r ,  orig.  XIX,  33, 4 :  limus  est  dncttis,  quem  publici  hdbent 
nervi,  \^\.  Gell.  n.  a.  XII,  33.  Die  Lex  Ursonensis  (C.  I.  L.  II  supplem. 
n.  5439)  tab.  I,  3,  17  erlaubt  den  Aedilen  der  Colonie,  dass  sie  püblicos 
cum  cincto  limo  IUI  haben. 

3)  Vgl.  Serv.  zuVerg.  Aen.  XII,  120. 

4)  Benndorf  und  Schöne,  Lateran-Museum  S. 21  n. 33  =  C-  I. 
L.  VI,  2365. 

5)  Rom.  Staatsrecht  1»  S.  310, 


Kleinere  Mittheiluugen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn.      167 

eben,  dass  späterhin  ihnen  wie  überhaupt  den  Sklaven  der  Gemeinde 
vielleicht  das  Recht  eingeräumt  worden  sei;  die  Toga  zu  tragen. 

Unterhalb  der  Inschrift  ist  in  einer  viereckigen  Nische,  welche 
bei  einer  Höhe  von  16  cm  und  einer  Breite  von  24  cm,  eine  Tiefe  von 
1^/4  cm  hat,  ein  grosser  Hand  mit  leicht  nach  rechts  umgewandtem 
Kopfe  nach  rechts  schreitend  dargestellt.  Ob  und  welche  Bedeu- 
tung die  auch  sonst  auf  Grabmonumenten  begegnende  Darstellung 
des  Hundes  für  den  Verstorbenen  hat,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 

Auch  die  beiden  Schmalseiten  des  Steines  entbehren  nicht  des 
bildnerischen  Schmuckes.  Auf  der  rechten  vom  Beschauer  ist  eine 
Weinranke  mit  grossen  Blättern  und  Trauben,  auf  der  linken  eine 
Ranke  mit  Akanthusblättern  dargestellt. 


45, 
Inschrift  aus   Bonn. 

Im  Beginne  des  letztvergangenen  Sommers  Hess  ein  hiesiger 
Einwohner,  Herr  Johann  Grahn,  den  hinter  seinem  Hause  in  der  Wurst- 
gasse Nr.  25  gelegenen  baufälligen  Schuppen  niedeiTcissen,  um  ihn 
durch  einen  Neubau  zu  ersetzen.  Als  bei  dieser  Gelegenheit  die 
zu  dem  Zweck  erforderlichen  Fundamentirungsarbciten  vorgenommen 
wurden,  kamen  etwa  1  Meter  von  der  Grenze  des  dahinter  liegen- 
den zu  einem  Hause  der  Engelthalerstrasse  gehörenden  Grund- 
stücks entfernt  in  einer  Tiefe  von  1,80  m  die  Trümmer  einer  in 
gleicher  Richtung  mit  der  Wui*stgasse  laufenden  80  cm  starken 
Mauer  zum  Vorschein,  von  welcher  eine  zweite  von  fast  gleicher 
Stärke  im  rechten  Winkel  abbog  und  sich  in  das  Nachbarbesitzthnm 
hinein  fortsetzte.  Soweit  die  spärlichen  Reste  ein  Urtheil  zuliessen, 
scheint  Tnfstein  als  Hauptmaterial  verwendet  worden  zu  sein.  Leider 
konnte  eine  Veimessung  und  Aufnahme  des  Mauerwerks  nicht  aus- 
geführt werden,  weil  die  Nachricht  von  dem  Funde  erst  dem  Museum 
übermittelt  wurde,  als  ilasselbe  bereits  zum  grössten  Theile  von  den 
Arbeitern  ausgebrochen  worden  war.  Es  ist  indess  Hoffnung  vor- 
handen, doch  noch  ein  annäherndes  Bild  von  dem  Grundriss  und 
Charakter  des  Gebäudes,  welches  da  gestanden  hat,  zu  gewinnen, 
sobald  das  anstossende  Hintergebäude  des  Nachbarhauses  einmal 
abgebrochen  wird.    Es  ist  dies  um  so  Wünschenswerther,  als  gerade 


168  Josef  Klein: 

in  jener  Gegend  der  Stadt  bereits  zu  wiederholten  Malen  üeber- 
reste  römischer  Bauten  zu  Tage  gefördert  worden  sind.  Hier  mag 
es  genügen  darauf  hinzuweisen,  dass  bei  Erbauung  des  Hauses  des 
Herrn  Prof.  Koester  in  gleicher  Entfernung  von  der  Engelthaler- 
strasse  wie  die  jetzt  blossgelegten  Mauertrümmer  römische  Funda- 
mente beobachtet  worden  sind.  Ebenso  sind  bei  den  Aussehachtun- 
gen für  die  Reiz'sche  Dampfschreinerei  Mauerreste  aus  römischer 
Zeit  aufgefunden  worden.  Alle  liegen  fast  in  gleicher  Flucht- 
linie. Von  einer  an  jenen  Gebäulichkeiten  vorbeifahrenden  Strasse 
ist  bis  jetzt  freilich,  sei  es  aus  Zufall,  sei  es  aus  Unachtsamkeit, 
keine  Spur  entdeckt  worden.  Uebrigens  will  ich  nicht  unbemerkt 
lassen,  dass  nach  der  Tradition  einer  alten  Chronik  ^)  des  ehemaligen 
Frauen-Klosters  Engelthal  dort,  wo  jetzt  das  eben  erwähnte  Koester- 
sche  Haus  steht,  ein  Tempel  des  Mars  militaris  sich  beftmden  hat, 
von  dessen  Restauration  im  Jahre  295  n.  Chr.  eine  jetzt  im  Museum 
Wallraf-Richartz  zu  Köln  aufbewahrte  Inschrift*)  berichtet,  welche 
nach  einer  ansprechenden  Vermuthung  Freudenberg's^)  beim 
Neubau  des  durch  Brand  zerstörten  älteren  Frauenklosters  im  J.  1345 
ausgegraben  worden  ist.  Alles  dies  würde  jedoch  allein  nicht  mass- 
gebend sein,  um  eine  Mittheilung  über  diese  auf  dem  Grahn'schen 
Hofraum  aufgedeckten  Fundamente  zu  rechtfertigen,  wenn  nicht 
die  ihre  Auffindung  begleitenden  Umstände  das  Interesse  an  ihnen 
in  einem  ganz  besonderen  Masse  erhöhten.  In  der  Entfernung  von 
wenigen  Schritten,  nämlich  von  der  genannten  Mauer,  sind  die 
Bnichstücke  einer  einfach  profilirten,  9  cm  hohen  runden  Basis  aus 
feinkörnigem  Kalkstein  aus  der  Erde  herausgehoben  worden,  welche 
zusammen  gesetzt  einen  Durchmesser  von  57  cm  hat.  Unmittelbar 
daneben,  etwas  näher  der  Mauer  zu  lag  ein  schwerer  Block  aus 
Trachyt,  welcher  an  beiden  Seiten  und  unten  abgebrochen  ist.  Er 
hat  jetzt  eine  Höhe  von  38V2  cm,  eine  Breite  von  46  cm  und  eine 
Dicke  von  18  cm.  Die  Vorderseite  trug  ehemals  eine  grössere  In- 
schrift, von  der  noch  die  Reste  von  drei  Zeilen  erhalten  sind.  Wie 
gross  ihr  Umfang  ursprünglich  gewesen  ist,  entzieht  sich  deshalb 
der   Berechnung ,    weil    nicht  mit   Sicherheit    festgestellt   werden 


1)  Müller,  Geschichte  der  Stadt  Bonn.    S.  43. 

2)  C.  1.  Rhen.  467.    D  ü  n  t  z  e  r ,   Verzeichniss  der  röm.  Alterth.  des 
Museums  Wallraf-Richartz.    Köln  1885.    S.  30  n.  19. 

3)  Bonn.    Jahrb.  XXIX/XXX,  S.  102. 


Kleinere  MittheilungeD  aus  dem  Provinzial-Museuin  zu  Bonn.      169 

kann,  wie  breit  der  Stein  an  beiden  Seiten  gewesen  und  wie 
viele  Zeilen  er  unten  eingebtisst  hat.  Die  Buchstaben,  welche  in 
der  ersten  Zeile  eine  Höhe  von  9^2  cm  und  in  der  zweiten  eine 
solche  von  9  cm  haben,  weisen  auf  eiD  bedeutendes  Monument  hin. 
Das  erhaltene  lautet; 


1 :  71/2. 

Sie  verrathen  auf  den  ei*sten  Blick  eine  ziemlich  frühe  Zeit. 
Ihre  Schlankheit,  ihre  Einfachheit  und  Schlichtheit  spricht  für  die 
erste  Kaiserzeit,  wenn  auch  nicht  für  den  Anfang  derselben.  Denn 
gegen  die  Augusteische  Zeit  räth  nicht  bloss  der  Wortlaut  als  auch 
der  Umstand,  dass  es  im  Bheiulande  keine  Denkmäler  gibt,  welche 
zeitlich  über  das  Grabmal  des  Caelius  im  hiesigen  Provinzial-Museum 
und  über  das  auf  des  Kaisers  Augustus  Adoptivsohn  Lucius  von 
Hettner  wie  es  scheint  richtig  bezogene  Inschriftfragment  des  Trierer 
Provinzial-Museums  hinaufreichen. 

Dass  wir  es  mit  einer  Kaiserinschrift  zu  thun  haben,  darüber 
kann  fllr  den  Kundigen  kein  Zweifel  obwalten.  Das  zu  Anfang  der 
ersten  Zeile  zum  Theil  erhaltene  Zeichen  kann  seiner  Gestalt  nach 
nur  D  gewesen  sein,  woraus  sich  für  die  Reste  dieser  Zeile  die  Er- 
gänzung ciauDlWS  CAesar  ergibt.  Ebenso  unzweifelhaft  ist 
die  zweite  Zeile  ^ONTI  F- Mao;  zu  lesen.  In  der  dritten  Zeile 
steckt  in  den  beiden  letzten  Buchstaben  die  Abbreviatur  C  0 «  = 
co{n)8{ul),  Schwierigkeit  dagegen  bereitet  der  Rest  des  ersten 
Zeichens.  So  wenig  auch  in  demselben  die  Rundung  eines  P  ver- 
kannt werden  kann,  so  unsicher  ist  die  Ergänzung  des  Wortes, 
welches    ursprünglich    dagestanden    hat.      P    als    Abkürzung    von 


170  Josef  Klein: 

p{ote«tate)  statt  der  gewöhnlichen  pot.  oder  potest.  zu  betrachten^ 
80  dass  zu  ergänzen  wäre  trib{uniciä)  piotestate),  geht  bei  einer 
Inschrift  mit  offenbar  offiziellem  Charakter  nicht  gut  an,  wenngleich 
die  Stelle,  welche  die  tribunicische  Gewalt  in  der  Reihenfolge  der 
kaiserlichen  Amtstitel  einnimmt,  durchaus  nichts  Auffälliges  hat. 
Denn  seit  der  Zeit  des  Caligula^)  erscheint  die  Erwähnung  der- 
selben, welche  unter  Augastus  stets  hinter  dem  Consnlate  ihren  Platz 
hat,  in  der  kaiserlichen  Titulatur  zwischen  dem  Oberpontificat  und 
dem  Consulate  und  die  Ausnahmen  Yon  dieser  Regel  sind  äusserst 
selten.  Andererseits  erwartet  man  bei  einer  Inschrift  wie  diese  ist, 
dass  die  Ziffer  der  tribuuicischen  Gewalt  beigefügt  sei.  Aus  dem- 
selben Grunde  möchte  auch  die  Ergänzung  des  P.  durch  imp(erator) 
abzuweisen  sein.  Demgemäss  bleibt  die  einzige  Möglichkeit  P.  als 
Rest  des  Titels  p{ater)  piatriae)  zu  deuten,  welcher  ja  regelmässig 
80  abgekürzt  wird.  Damit  stimmt  sehr  gut  tiberein,  dass  die  Kaiser 
bis  auf  Titns  einschliesslich  diesen  Titel  vor  da«  Consulat  zu  setzen 
pflegen,  wie  dies  die  Münzen  beweisen.  Das  Fehlen  jeglicher  Zahlen- 
angabe auf  dem  Steine  lässt  eine  bestimmte  Entscheidung,  welcher 
Kaiser  auf  unserem  Steine  gemeint  ist,  nicht  zu.  —  Es  bleibt  die 
Wahl  zwischen  Claudius  und  Nero  offen,  welche  beide  den  Ge- 
schlechtsnamen Claudius  gef&hrt  haben,  entgegengesetzt  der  Sitte 
der  früheren  Kaiserzeit,  wonach  die  Herrscher  sich  des  Gognomens 
anstatt  des  Geschlechtnamens  bedient  haben.  Ist  Nero  hier  genannt, 
so  kann  die  Inschrift  nur  zwischen  den  Jahren  56 — 68  n.  Chr.  ge- 
setzt sein,  weil  Nero  erst  gegen  das  Ende  des  Jahres  55  oder  gleich 
im  Anfang  von  56  den  Titel  pater  patriae  nach  dem  Ausweis  der 
Münzen  ^)  angenommen  hat,  den  er  früher  mit  Rücksicht  auf  seine 
Jugend  abgelehnt  hatte.  Ist  die  Inschrift  aber  auf  Claudius  zu  beziehen, 
so  gibt  uns  der  Titel  pater  patriae  ebenfalls  eine  Handhabe  ftlr  ihre  Zeit- 
bestimmung. Denn  auch  Claudius  hat  denselben  nicht  sofort  nach 
seiner  Thronbesteigung  angenommen,  sondern  damit  beinahe  ein 
ganzes  Jahr  gewartet.  Da  wir  aus  der  Jahresfeier  der  Arvalbrüder- 
schaft^)  wissen,  dass  dies  zwischen  dem  5.  und  13.  Januar  42  ge- 
schehen ist,  so  wäre  das  Monument  frühestens  im  Anfange  dieses 
Jahres  errichtet.    Mit  Rücksicht  auf  die  Fassung  der  Inschrift  im 


1)  Vgl.  M  0  m  m  8  e  n  ,  Rom.  Staatsrecht  II^,  S.  759  f. 

2)  Sueton.  Nero  8.    E  c  k  h  e  I ,  Doctr.  numm.  VI,  263. 

3)  Dio  LX,  3.    E  c  k  h  e  1 ,  1.  c.  VI,  239.    Acta  Arv.;  C.  I.  L.  VI,  2082. 


Kleinere  Mittheilungen  aus  dem  Provinzial-Museum  zu  Bonn.      171 

Nominativ,  welche  die  Person  des  Kaisers  in  unmittelbare  Beziehung 
zum  Monumente  bringt,  und  auf  die  durch  die  Ehrenbasis  aus  Marsal  ^) 
bezeugte  Anwesenheit  des  Claudius  in  Gallien  bei  Gelegenheit  seines 
Zuges  nach  Britannien  im  Jahre  43,  welche  sich  auch  in  der  Für- 
sorge fUr  den  Strassenbau  am  Rhein  ^)  kund  gibt,  dürfte  vielleicht 
dieser  Kaiser  gemeint  und  unser  Denkmal  in  Folge  seines  damaligen 
Aufenthaltes  errichtet  worden  sein. 

Welcher  Art  das  in  Rede  stehende  Denkmal  gewesen  und 
welche  Bestimmung  es  gehabt  hat,  lässt  sich  kaum  mehr  feststellen. 
Anzunehmen,  dass  das  Inschriftfragment  zu  der  Basis,  mit  der 
es  zusammen  gefunden  worden  ist,  in  irgend  einer  Verbindung  ge- 
standen habe,  widerräth  die  Verschiedenheit  des  Materials.  Am 
ehesten  möchte  es,  da  es  in  unmittelbarer  Nähe  der  früher  erwähnten 
Mauerreste  gefunden  worden  ist,  als  Theil  einer  Baninschrift  anzu- 
sprechen sein,  welche  bestimmt  war,  in  die  Mauer  eingefügt  zu 
werden,  um  von  dem  durch  Claudius  bewirkten  Neubau  oder  um- 
bau eines  öffentlichen  Gebäudes,  vielleicht  eines  Tempels,  der  Nach- 
welt Kunde  zu  geben. 


1)  H  6  n  z  6  n ,  6214. 

2)  Zangemeister,  Westd.  Zeitschr.  III,  8.  311  f. 


4.  Domitian  in  Frontins  Strategemata. 

Von 
H.  Diintzer. 


Vor  sechs  Jahren  hat  Herr  Generalmajor  Wolf,  der  sich  durch 
die  Sorgfalt  und  Kenntniss,  womit  er  sich  den  Aufgrabungen  des 
Deutzer  und  des  Ältebnrger  Kastells  gewidmet  hat,  ein  bedeutendes 
Verdienst  erworben,  in  unsem  Jahrbttchem  (LXXXV,  172 — 176) 
Frontins  Stellen  über  den  Imperator  Domitian  eingehend  besprochen. 
Dabei  ist  er  zu  Ergebnissen  gelangt,  die  nach  meiner  Ansicht  vor 
einer  genauem  Betrachtung  nicht  Stand  halten,  vielmehr  die  Einsicht 
in  die  Kämpfe  der  Römer  in  Deutschland  unter  den  Flavischen 
Kaisem  trttben,  da  sie  auf  Domitian  bezügliche  Stellen  in  seltsamer 
Missdeutung  von  Germanicus,  dem  Sohne  des  Drusus,  verstehen 
wollen.  Weil  die  Spitze  dieser  Erörterungen  sich  persönlich  eben  gegen 
mich  wandte,  glaubte  ich  die  Widerlegung  dieser  mit  den  Quellen 
in  Widerspruch  tretenden  Ansichten  andern  Forschern  auf  diesem 
viel  bearbeiteten  Gebiete  getrost  überlassen  zu  dürfen;  da  aber 
bisher  Niemand  darauf  eingegangen  ist,  so  scheint  mir  eine  ruhige 
Erörterung  der  Streitfragen  geboten,  die  der  Sache  selbst  förderlich 
sein  dürfte.  In  Bezug  auf  die  von  Herrn  Wolf  aufgeworfene  Frage, 
ob  ich  die  Strategemata  des  Julius  Frontinus  wirklich  gelesen,  be- 
darf es  nur  des  Hinweises,  dass  der  wunderliche  Verdacht  allein  auf 
der  Bemerkung  fusst,  von  den  vielen  Geschichten  in  II,  11  habe 
Frontin  keine  einzige  als  Augenzeuge  erlebt,  was  ich  nur  von  den 
sechs  ersten  zugeben  kann;  wie  dies,  wenn  es  wahr  wäre,  meine 
Bemerkung,  Frontin  habe  manches  er/ählt,  wovon  er  als  Begleiter 
des  Domitian  Augenzeuge  gewesen,  widerlegen  und  mich  der  Un- 
kenjitniss  des  Strategemata  überführen  soll,  sehe  ich  nicht;  die 
Schwere  des  Vonvurfs  steht  zu  der  Haltbarkeit  der  Begründung  in 


Domitian  in  Prontins  Strategemata.  173 

umgekehrtem  Verhältniss.  Im  Vertrauen  kann  ich  meinem  werthen 
Gegner  versichern,  dass  ich  zuerst  vor  fünfzig  Jaliren  die  kleine 
Schrift  in  sprachlicher  und  sachlicher  Beziehung  durchgenommen, 
später  hei  besonderer  Gelegenheit  sie  wiederholt  gelesen,  mit  den 
Untersuchungen  von  Wachsmuth,  Wölflin  u.  a.  mich  eingehend 
beschäftigt,  auch  jedesmal,  wo  von  einer  Stelle  Frontins  die  Rede 
war,  auf  die  üeberlieferung  des  Textes  zurückgegangen  bin.  Da- 
gegen begnügt  sich  der  Zweifler  an  meiner  Bekanntschaft  mit 
Frontin  bei  der  Ausgabe  des  Scriver,  der  fast  vor  300  Jahren 
(1607)  den  Text  bearbeitet  hat;  dieser  habe,  meint  er,  „sich  offenbar 
genau  der  Handschrift  angeschlossen".  Als  ob  es  nur  eine,  als 
ob  es  eine  wirklich  fehlerfreie  Handschrift  gäbe!  Wie  übel  es  mit 
der  üeberlieferung  des  Textes  bestellt  ist,  wie  wir  hier  auf  ziemlich 
morschem  Boden  stehen,  ahnt  er  nicht,  und  doch  hängt  davon  die 
Beurtheilung  der  Zuverlässigkeit  wesentlich  ab.  Der  beste  zur  Zeit 
vorhandene  Text  war  der  von  Dederich;  hätte  Wolf,  wie  es 
recht  war,  dessen  Ausgabe  benutzt,  so  würde  er  die  Unsicherheit 
der  üeberlieferung  erkannt  und  sich  nicht  auf  den  Buchstaben 
gesteift  haben ;  er  hätte  erfahren,  dass  in  den  Handschriften  vielfach 
Worte  verschrieben,  verdorben,  ausgefallen,  eingeschoben  sind.  Selbst 
das  hat  er  unbeachtet  gelassen,  dass  Frontin,  wie  offen  vorliegt, 
mir  drei  Bücher  geschrieben  hat,  das  vierte,  wahrscheinlich  erst  im 
fünften  oder  sechsten  Jahrhundert,  untergeschoben  wurde,  und  dann 
auch  die  drei  ersten  Bücher  Zusätze  erhielten.  Ohne  Kenntniss 
dieser  Dinge  sollte  niemand  sich  auf  die  Benutzung  Frontins  ein- 
lassen. Herr  Wolf  will  es  nicht  Wort  haben,  dass  er  den  Philo- 
logen abgeneigt  sei;  und  doch  leugnet  er  nicht  ab,  dass  er  die 
Aeusserung  gethan:  „Die  alten  Bücher  sind  nach  allen  Richtungen 
durchwühlt,  und  wir  werden  aus  ihnen  kaum  mehr  erfahren,  als  wir 
T)ereits  wissen,  wie  gewaltige  Schrauben  wir  ihnen  auch  anlegen." 
Er  übersieht  also  völlig,  dass  wir  jetzt  im  Besitze  zuverlässigerer 
Texte  sind,  auf  die  wir  fussen  oder  die  Unsicherheit  der  üeber- 
lieferung genau  erkennen  können,  übersieht,  dass  wir  in  der  Aus- 
legungskunst weiter  fortgeschritten  sind,  vor  allem  in  Bezug  auf  die 
Geschichte,  in  welcher  besonders  der  Dilettantismus  sehr  lange 
schädlich  gewirkt  hat,  dass  viele  Entdeckungen  unsem  Gesichtskreis 
gereinigt  und  erweitert  haben,  und  wir  durch  alle  diese  Fortschritte 
in  Stand  gesetzt  sind  und  immer  mehr  in  Stand  gesetzt  werden, 
mit  klaren  Augen   die  schriftliche  üeberlieferung  anzuschauen   und 


174  H.  Düntzer: 

zu  verstehen.  Es  gilt  zunächst  in  allen  Fragen  die  üeberlieferung 
durch  sprachliches  und  sachliches  Verständniss  festzustellen^  dann 
die  Tcrschiedenen  Berichte  gegen  einander  abzuwägen^  was  nur  bei 
genauester  Beurtheilung  des  Charakters  der  Berichterstatter  und 
ihrer  Quellen  gelingen  kann;  erst  daraus  wird  sich  ein  lebendiges 
Bild  gestalten,  sofern  es  bei  dem  Stande  der  üeberlieferung  möglich 
ist  und  dem  Forscher  ausreichende  Kenntniss  und  besonnene  Berück- 
sichtigung aller  Verhältnisse  zu  Gebote  stehen.  Die  „alten  Bttcher" 
haben  jetzt  ein  anderes  Gesicht  gewonnen  und  der  wahre  Philolog 
zwingt  ihnen  nichts  mit  Schrauben  ab,  er  vereteht  ihre  Sprache^ 
nicht  bloss  ihre  Worte.  Dass  mehr  als  schriftliche  üeberlieferung 
sprechende  Ueberbleibsel  vermögen  und  planmässige  Ausgrabungen 
deshalb  von  höchstem  Werthe  sind,  das  hat  kein  denkender  Philolog 
seit  unserm  Jahrhundert  geleugnet,  und  wenn  es  je  verkannt  wurde^ 
schon  die  erste  Hälfte  unseres  Jahrhunderts,  noch  mehr  die  zweite, 
und  eben  jetzt  die  Limesforschung  haben  es  auf  das  glänzendste  er- 
wiesen. Aber  dabei  bleibt  der  kritischen  Verwerthung  der  schrift- 
lichen üeberlieferung  ihr  hoher  Werth.  Pflicht  der  Wissenschaft  ist 
es,  jedes  eigenwillige  Gebaren  ernst  zurückzuweisen. 

Wolf  hat  die  fünf  Stellen  Frontins  in  durchaus  willkürlicher 
Folge  behandelt;  er  beginnt  mit  der  vierten,  geht  dann  zur  ersten 
und  zweiten  über,  springt  darauf  zur  fünften  in  dem  später  geschrie- 
benen vierten  Buche  über  und  endet  mit  der  dritten.  Auch  fehlt  es 
an  einer  zu  Grunde  liegenden  festen  Ansicht  von  Domitians  kriegeri- 
schen Unternehmungen,  wie  sie  Asbachs  Aufsatz  „Der  Kaiser  Domi- 
tian  und  Traian  am  Rhein"  vier  Jahre  vorher  in  der  „Westdeutschen 
Zeitschrift'^  gegeben  hatte.  Wolf  fahrt  freilich  den  Aufsatz  an, 
aber  nur  um  Asbachs  Vermuthung  Sueborum  zurückzuweisen,  ohne 
dessen  sonstiger  Beziehung  der  Frontinstellen  zu  gedenken.  Wir  folgen 
zunächst  der  Folge  Frontins,  die  freilich  durch  die  Art  der  ange- 
führten Strategemata  bestimmt  ist,  aber  da  es  uns  vorab  darauf  an- 
kommt, die  Bezeichnung  des  Domitian  zu  beachten,  so  ist  es  von 
Wichtigkeit,  wie  diese  bei  der  ereten  Erwähnung  lautet.  Gleich  im 
ersten  Kapitel  {de  occultandis  consüiis)  finden  wir  Imperator 
Caesar  Domitianus  Augustus  Qermanicus,  obgleich  er  damals  noch 
nicht  den  Namen  Germanictts  führte.  Frontin  nennt  ihn  als  Kaiser 
mit  seinem  vollen  Namen,  auch  dem  Ehrencognomen,  das  er  als 
Feldherr  erhalten.  Die  Annahme,  Germanicus  sei  hier  ein  Glossem, 
wie  sich  andere,  aber  wohl  kein  ähnliches,  in  Frontin  finden^  wird 


Domitian  in  Frontins  Strateg^emata.  175 

dnrch  nichts  antersttttzt,  auch  nicht  dadurch,  dass  unmittelbar  darauf 
folgt:  cum  Germanos  .  .  .  vellet  opprimere.  Ist  es  ja  Frontins 
Weise,  unmittelbar  nach  dem  Namen  die  Zeit  zu  bezeichnen,  in 
welcher  die  Geschichte  stattgefunden.  Im  zweitfolgenden  Kapitel 
{de  constituendo  statu  belli)  wird  an  letzter  Stelle  Domitiauus 
mit  demselben  Titel  angeführt,  nur  folgt  Germanicus  nach  Augustus, 
an  den  sich  unmittelbar  die  Zeitbestimmung  auschliesst,  cum  Ger- 
mani  more  suo  .  .  impugnarent  nostros.  Leicht  könnte  man  an- 
nehmen, den  Ausfall  des  Namens  habe  die  Nachlässigkeit  des 
Schreiben  veranlasst,  der  mehrfach  ein  Wbrt  oder  mehrere  über- 
sprungen. Aber  Frontin  setzte  sich  in  diesem  Falle  keineswegs 
Qleichmässigkeit  vor.  Der  berühmte  Julius  Caesar  heisst  bei  ihm 
an  vielen  Stellen  Caius  Caesar  oder  einfach  Caesar^  aber  zweimal 
(II,  8,  13.  13,  11)  Divus  Julius.  Der  Zerstörer  Karthagos  wird 
an  einer  Stelle  (I,  2,  1)  Scipio  Africanus,  I,  3,  5  P,  Sdpio^  dann 
bloss  ScipiOy  I,  8,  10  wieder  Scipio  Africanus  genannt,  aber  nach 
wiederholtem  Wechsel  heisst  er  II,  3,  4  P.  Cornelius  Scipio,  cui 
postea  Africano  nomen  fuit.  Aber  dennoch  dürfte  es  wahrschein- 
lich sein,  dass  die  Auslassung  des  Germanicus  von  einem  Abschreiber 
kommt,  da  wir  einem  ganz  ähnlichen  unzweifelhaften  üeberspringen 
weiter  begegnen.  Denn  wenn  im  zweiten  Buche  zweimal  steht  Im- 
perator Caesar  Augustus  Germanicus,  so  muss,  da  diese  Bezeich- 
nung auf  keinen  einzigen  Römer  passt,  ohne  allen  Zweifel  das  un- 
entbehrliche Domitianus  dnrch  Schreibfehler  weggeblieben  sein,  das 
spätere  Handschriften  richtig  hinzufügen.  Der  Schreibfehler  hat 
Wolf  veranlasst,  hier  an  den  Germanicus,  den  Sohn  des  Drusus, 
zu  denken,  und  die  Unmöglichkeit,  dass  dieser  Augu«tus  genannt 
werde,  geduldig  auf  sich  zu  nehmen.  Wir  kommen  auf  diese  ün- 
glaublichkeit  weiter  unten  zurück.  Die  fUnfte  Stelle  findet  sich  im 
spätem  vierten  Buche,  wo  wieder  der  volle  Name  steht.  Freilich 
lesen  hier  (3,  14)  die  bessern  Handschriften:  Auspiciis  Imperatoris 
Caesaris  Domitiani  Augusti  Germanico  beU^,  quod  Julius  Civilis 
in  Gallia  moverat,  aber  es  ist  dies  einer  der  Fälle,  wo  in  spätem 
Handschriften  das  Richtige  durch  Vermuthung  hergestellt  ist.  Wir 
folgen  hier  der  Lesart  der  spätem  Handschriften,  nicht,  weil  diese 
urkundliche  Bedeutung  haben,  sondem  weil  sie  dem  geforderten 
Sinne  entspricht.  Frontin  schrieb  ohne  allen  Zweifel  Germanid  eo 
belloy  wie  alle  Handschriften  II,  11,  7  bieten:  Imperator  Caesar 
{Domitianus   fügen   nur   spätere  hinzu)    Augustus  Germanicus  eo 


176  H.  Düntzefi 

hello j  quo  victis  hostibus  cognomen  Germanici  meruit  Die  Un- 
richtigkeit der  tiberlieferten  Lesart  ergibt  sich  ans  der  nachfolgenden 
Bestimmung  des  Krieges  durch  den  Relativsatz,  wie  sie  nach  der  Be- 
zeichnung, gegen  welches  Volk  der  Krieg  gerichtet  war,  nie  folgt 
und  in  diesem  Falle  auch  völlig  überflüssig  war.  Am  wenigsten 
würde  sie  auf  Kosten  der  Vollständigkeit  der  Bezeichnung  des 
Kaisers  eingetreten  sein.  Es  ist  recht  bezeichnend,  wie  Frontin 
den  Namen  des  Kaisere,  dem  er  einst  im  Kriege  zur  Seite  stand, 
immer  in  aller  Vollständigkeit  gibt.  Dass  er  dieses  auch  bei  Ger- 
manicus,  dem  Sohne  des  Drusus,  gethan  haben  würde,  ist  ganz  un- 
glaublich. Nennt  er  ja  den  Stiefsohn  des  Augustus,  den  spätem 
Kaiser  Tiberius,  II,  1^  15  einfach  71r'.  Nero,  Die  in  Rede  stehende 
Stelle  des  vierten  Buches  ist  ganz  eigenthümlich.  Es  heisst  nach 
jenem  Eingange:  Lingonum  opulentissima  civitasj  quae  ad  CHviUm 
desciverqt,  cum  adveniente  exercitu  Caesaris  populationem  timeret, 
quod  contra  exspectationem  inviolata  nihil  ex  rebus  suis  amiserai, 
ad  obsequium  redacta  septuaginta  milia  armatorum  tradidit  mihi. 
Das  merkwürdige  mihi,  für  das  man  ei  veniiuthet  hat,  wird  von 
Wolf  ganz  übergangen.  Freilich  ist  es  hier  durchaus  nicht  an  der 
Stelle,  da  von  einem  Berichterstatter  keine  Rede  ist,  und  eben  so 
wenig  ist  das  dafür  vennuthete  ei  zu  billigen,  da  kein  Heei-fÜhrer 
genannt  ist,  nur  das  Heer  des  Cäsar  Domitianus,  auch  tradidit  keiner 
nahem  Bestimmung  bedarf.  Aber  wie  ein  so  widersinniges  Wort 
sich  eingeschlichen,  ist  schwer  zu  sagen.  Man  hat  vermuthet,  der 
Pseudo-Frontin  habe  aus  einem  Geschichtswerke  geschöpft.  Sollte 
vielleicht  Frontins  Werk  de  re  militari  zu  Grunde  liegen  und  er  in 
demselben  von  seiner  Theilnahme  am  Kriege  des  Jahres  70  erzählt 
haben,  das  mihi  ein  dort  in  einer  Handschrift  eingedrungenes  Glossem 
sein,  das  der  späte  Zusammenschreiber  des  vierten  Buches  mit  her- 
übergenommen hatte?  Er  stellte  es  unter  die  Beispiele  de  continentia, 
weil  der  Heerführer  die  üebergabe  der  Lingonen  annahm,  ohne  sie 
wegen  ihres  Abfalles  zu  bestrafen.  Wolf  hat  hier  des  Beinamens 
Oermxtnicus  sich  dadurch  erwehrt,  dass  er  die  Lesart  Germanico 
beibehalten,  an  zwei  andern  Stellen  dadurch,  dass  er  sie  auf  den 
Sohn  des  Drasus  bezieht.  So  ist  glücklich  dem  Domitian  der  Nam.e 
Germanicus  nur  an  einer  Stelle  geblieben,  bei  der  ersten  Erwähnung 
am  Anfange  des  Feldzuges,  nach  dessen  Beendigung  er  erst  diesen 
Beinamen  erhielt.  Der  Name  Augustus  macht  Wolf  freilich  einige 
Schwierigkeit,   oder  vielmehr  macht  er  sich  dieselbe,   da  er  meint, 


Domitian  in  Frontins  Strategemata.  177 

zur  Zeit  habe  Germanieus  diesen  schwerlich  geführt,  doch  erleichtert 
er  sein  Her/  durch  die  ans  der  Luft  gehaschte  Annahme,  es  sei 
höfischer  Brauch  gewesen,  auch  die  kaiserlichen  Prinzen  mit  dem 
Beinamen  Augustus  auszuzeichnen!  Auffallend  ist  es,  dass  ihm  der 
Name  Imperator  kein  Kopf  brechen  macht:  denn  dass  dieser  in 
dem  Titel  nicht  Heerführer  bezeichnet,  zeigt  schon  das  Voran- 
treten des  Wortes,  das  in  dieser  Bedeutung  immer  nach  dem  Namen 
steht,  nur  beim  Kaisertitel  voran.  Domitian  führte  den  Namen  Au- 
gustus  mit  demselben  Rechte,  mit  welchem  er  sich  Imperator  nannte, 
noch  ehe  er  wirklich  Kaiser  war ;  Germanieus  hatte  weder  den  einen, 
noch  den  andern.  Dafür  dass  Germanieus  hier  unmöglich  gemeint 
sein  kann,  werden  wir  noch  einen  entscheidenden  Grund  weiter 
unten  anführen. 

Die  vier  Stellen,  in  welchen  Frontin  selbst  in  den  Strate- 
gemata von  dem  Imperator  Caesar  Domitianus  Augustus  Ger- 
manieus berichtet,  betreffen  den  Kattenkrieg  seit  dem  Herbste  des 
Jahres  82.  Vgl.  Asbaeh,  Westdeutsche  Zeitschrift  III,  5  f.  17  ff. 
V,  369  ff.  Jahrb.  LXXIX,  137.  Auf  den  Beginn  des  Krieges  geht 
die  erste  Stelle  I,  1,  8,  wo  es  nach  der  Gundermann'schen  Aus- 
gabe von  Domitian  heisst:  Cum  Germanos,  qui  in  armis  erant, 
vellet  opprimere,  nee  ignoraret  maiore  bellum  molitione  inituroSy 
si  adventum  tanti  dueis  praesensissent,  profectioni  suae  census  oh- 
texuit  GalUarum:  suh  quibus  inopinato  bello  adfusus  eontusa 
immanium  ferocia  nationum  promneiis  consuluit,  Wolf  hält  sich 
an  seinen  Scriver,  nur  hat  sich  der  Druckfehler  Gallianum  statt 
GalUarum  bei  ihm  eingeschlichen.  Die  Abweichungen  Gunder- 
manns haben  keinen  Einfluss  auf  den  Sinn,  sie  treffen  nur  den 
Ausdruck.  Das  irrige  sensus  oder  sensu  ist  schon  von  Modius  in 
eensus  verbessert  worden.  Gundermann  hat  sub  quibus  y^ohl  mit 
Recht  unangetastet  gelassen,  weder  He  reis  subitus  noch  Dede- 
richs  subito  hostibus  für  eine  nöthige  Verbessening  gehalten.  Nach 
Frontin  hatte  Domitian,  da  die  Katten  sich  erhoben,  den  Entschluss 
gefasst,  einen  starken  Schlag  gegen  sie  zu  führen  und  selbst  gegen 
sie  zu  ziehen,  aber  bei  seiner  Abreise  von  Rom  diesen  Plan  ganz 
geheim  zu  halten,  vorgeblich  des  Census  wegen  sich  nach  Gallien 
zu  begeben,  von  da,  wie  es  zur  Zeit  Geimanicus  gethan,  an  den 
Rhein  zu  ziehen,  und  so  die  Katten  zu  überraschen,  die  sich  eines 
so  gewaltigen  Angriffes  unter  des  Kaisers  eigener  Führung  nicht 
versehen  hatten.    Wirklieh  war  dieser  Zug  weniger  durch  eine  Be- 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUcrthsfr.  im  Rheiiil.  XCVI.  12 


178  H.    Düntzer:       , 

wegung  der  Katten  veranlasst,  sondern  Domitian  hatte  den  Ent- 
schluss  gefasst,  in  Germanien  weiter  einzudringen.  Sueton  sagt  aus- 
drücklich, er  habe  diesen  Zug  nicht  necessario,  sondern  sponte 
unteraouimen.  Das  stimmt  auch  zu  der  Aeusserung  des  Frontin,  er 
habe  für  die  Ruhe  der  Provinzen  dadurch  gesorgt,  dass  er  die  Wild- 
heit gewaltiger  Nationen  gebrochen.  Contusa  ferocia  ist  ein  echt 
römischer  Ausdruck.  Bei  Vergil  weissagt  Juppiter  von  Rom  po- 
pulos  feroces  contundet,  bei  Horaz  heisst  es  vom  Triumphirenden 
regum  tumidas  contudit  minasy  bei  Livius  rühmt  sich  Claudius  Mar- 
cellus,  er  sei  derselbe ,  qui  post  Cannensem  pttgnam  ferocem  tric- 
toria  Hannibalem  contudisset,  um  anderer  Stellen  nicht  zu  gedenken. 
Mit  Recht  hat  schon  Asbach  die  falsche  Übereetzung  Zwanzigers 
zurückgewiesen,  Domitian  habe  sich  der  Sorge  für  die  Provinzen 
hingegeben,  nachdem  (statt  dadurch,  dass)  er  den  Trotz  wilder 
Völkerschaften  gebrochen.  Wenn  Frontin  den  Domitian  tantus  dux 
nennt,  so  kann  diese  Bezeichnung  sich  nur  auf  die  kaiserliche  Würde 
beziehen,  da  Domitian  noch  keinen  Feldzug  selbst  geführt  hatte^ 
nur  einer  unter  seinen  Auspicien  unternommen  worden  war. 

II,  3,  23  ist  von  einem  Strategema  in  der  Schlachtordnung 
{in  acte  ordinanda)  während  des  Kattenkrieges  die  Rede.  Domitian 
heisst  auch  hier  Germanicus,  obgleich  er  diesen  Namen  erst  nach 
dem  Kriege  erhielt.  Frontin  schreibt :  Cum  sübinde  Chatti  equestre 
proelium  in  Silvas  refugiendo  deducerent,  iussit  suos  equites  simul- 
atque  ad  impedita  ventum  esset,  equis  desilire  pedestrique  pugna 
confligere:  quo  gener e  consecutus,  ne  quis  locus  victoriam  mora- 
retur.  Wir  sind  hier  der  besten  üeberlieferung  gefolgt  mit  Ver- 
besserung offenbarer  Schreibfehler  {equester,  simul  ufque,  miraretur) 
und  Auslassung  von  non  nach  quis  und  von  eius  nach  victoriam. 
Non  ist  nach  ne  quis  nicht  statthaft,  das  dafür  vergeachlagenen  iam 
so  überflüssig  als  in  dieser  Wortstellung  störend,  das  daneben  ver- 
muthete  iniquus  stimmt  nicht  wohl  zu  impedita  und  den  Wäldern. 
Ob  ein  est  nach  consecutus  nöthig,  entscheide  ich  nicht.  Falsch  ist 
Wolfs  diducerent  statt  deducerent,  da  hier  nicht  das  Auseinander- 
halten (des  Reitergefechts),  sondern  dessen  Abhalten  erforderlich 
ist.  Ein  arger  sehr  störender  Druckfehler  ist  hei  W oK  impedimenta 
statt  impedita.  Dass  in  dem  Wolfischen  Abdruck  im  Namen  Do- 
mitians  Augustus  weggeblieben  ist,  entstellt  den  Thatbestand  der 
von  ihm  angeregten  Frage  sachlicher  Kritik,  wenn  es  auch  nur  auf 
einem  Versehen  beruht,  da  er  ja  an  einer  andeiii  Stelle,  die  er  gleich 


Domitian  in  Frontins  Stratcgemata.  179 

dieser  auf  den  Germanicus  bezieht,  sich  durch  das  Augustus  nicht 
irre  machen  lülsst.  Freilich  fehlt  es  ihm  auch  an  einem  sonstigen 
Grunde  nicht,  in  unserer  Stelle  den  Gennanicus  zu  verstehen.  Man 
höre!  In  den  drei  Beispielen,  wo  er  den  Domitian  verstehen  muss, 
zeigten  sich  die  den  Domitian  charakterisirenden  Eigenschaften,  Schlau- 
heit, List  und  Vorsicht;  „hier  aber  werden  wir  auf  das  Schlachtfeld 
geführt,  wir  sehen  den  kriegsgeübten  Feldherm,  welcher  an  der 
Spitze  seiner  Truppen  sofort  die  zweckmässigen  Anordnungen,  um 
die  rasche  Entscheidung  herbeizuführen,  trifft"  —  und  so  steht  der 
Sohn  des  Drusus  leibhaft  vor  uns.  Ich  sehe  von  allem  nichts,  weder 
den  Heerführer  auf  dem  Schlachtfeld,  noch  weniger  an  der  Spitze 
der  Truppen.  Nachdem  mehrmals  die  Reiterei  die  Katten  nicht 
hatte  in  den  Wald  verfolgen  können  (denn  subinde  deutet  bestimmt 
auf  mehrere  Fälle),  erliess  Domitian  jenen  Befehl,  wozu  er  sein  Zelt 
keinen  Augenblick  zu  verlassen  brauchte.  Dass  er  auf  dem  Schlacht- 
feld sonst  erschienen  und  die  Truppen  angefeuert  habe,  glauben  wir, 
obgleich  dies  hier  nicht  ausdrücklich  erwähnt  wird,  und  wie  steht 
es  mit  den  andern  Fällen,  wo  Domitian  nicht  weggeleugnet  werden 
kann.  In  einem  wird  freilich  der  Krieg  nur  unter  seinen  Auspicien 
geführt,  aber  in  den  beiden  andern  erscheint  er  nicht  weniger  als 
thätiger  Feldherr,  ja  die  Anordnung,  die  er  I,  3,  10  trifft,  würde, 
wenn  man  Wolfs  Missvei-ständniss  annähme,  ihn  noch  thatkräftiger 
auf  dem  Schlachtfelde  zeigen  als  in  unserer  Stelle,  aber  auch  nach 
der  richtigen  Deutung  bewährt  sich  hier  sein  strategischer  Blick, 
der  vor  der  Schlacht,  in  und  nach  dieser  (von  dieser  dreifachen 
Thätigkeit  handeln  die  beiden  ersten  Bücher)  sich  bewähren  muss; 
von  dem  persönlichen  Eingreifen  auf  dem  Schlachtfelde  redet  Frontin 
überhaupt  gar  nicht  besonders. 

Den  Germanicus,  des  Drusus  Sohn,  findet  Wolf,  wie  schon 
bemerkt,  auch  II,  11,  7.  Die  Stelle  beginnt:  Imperator  Caesar 
(Domitianus)  Augustus  Germanicus  eo  hello,  quo  victis  hostibus 
cognomen  Germanici  meruit.  Ich  wiederhole  nicht,  was  oben  tiber 
die  Unmöglichkeit  dieser  Annahme  gesagt  ist,  aber  auffallen  muss, 
dass  Wolf  tibersah,  die  Bestimmung:  mctis  hostibus  cognomen  Ger- 
mxmici  meruit  (nach  dem  bei  spätem  Schriftstellern  geläufigen,  auch 
bei  Frontin  stehenden  Gebrauch  von  merere  für  consequi),  schliesse 
schon  allein  die  Beziehung  auf  Germanicus  aus.  Domitian  erhielt 
den  Ehrennamen  Germanicus  eret  nach  der  Besiegung  der  Ger- 
manen, der  er  sieh  rühmte,   Geimanicus   aber   fühi-te  ihn  erblich, 


180  H.   Düntzer: 

seit  der  Senat  nach  dem  Tode  des  Drusus  diesem  und  dessen  Nach- 
kommen diesen  Namen  verliehen  hatte,  was  Wolf  selbst  S.  171 
erwähnt,  ohne  die  Beweiskraft  dieser  Thatsache  gegen  sich  zu  ahnen, 
vielmehr  benutzt  er  es,  um  darin  den  Grund  zu  entdecken,  weshalb 
Frontin  Germanicus  nicht  beim  Namen  setze,  sondern  die  Wendung 
gebrauche  eo  beUo,  quo  meruit  —  den  Grund  zu  einer  bloss  auf  Wolfs 
Versehen  beruhenden,  unrichtigen  Angabe.  Den  Ehrennamen  Ger- 
manicus fahrte  der  Sohn  des  Drusus,  ehe  er  den  Boden  Germaniens 
berührte;  Tacitus  und  die  übrigen  Geschichtschreiber  nennen  ihn 
regelmässig  so,  nirgends  wird  er  als  Imperator  und  Augustus  be- 
zeichnet. Die  Zeiten  des  Augustus  waren  hierin  viel  zurückhaltender 
als  die  der  Flavier.  Wolf  beklagt  sich,  dass  ich  seine  Deutung 
missverstanden;  er  habe  unter  dem  Imperator  Caesar  Augustus 
nicht  den  Augustus,  sondeni  den  Germanicus  sich  gedacht.  Ich  be- 
daure,  dass  ich  ihn  falsch  vei*standen,  aber  wie  konnte  ich  es  fQr 
möglich  halten,  dass  er  dem  Germanicus  den  Beinamen  Augustus 
zuschreibe,  da  er  nur  von  „Befestigungen  unter  Augustus^  sprach! 
Genug,  es  ist  von  allen  Seiten  die  Beziehung  auf  den  Sohn  des 
Drusus  ein  Missgriff. 

Vom  Imperator  Caesar  [Domitianus]  Augustus  Germanicus 
heisst  es  nun  im  Kapitel  de  dubiorum  animis  in  fide  retinendis 
II,  11,  7  nach  der  besten  üeberlieferung :  Cum  finibus  Cubiorum 
castdla  poneretj  pro  fructibus  locorum,  quae  vaUo  comprehendebat, 
pretium  solvi  iussit:  atque  ita  iustitiae  fama  omnium  fidem 
astrinxit.  Ob  vor  finibus  ein  in  einzuschieben  sei,  mag  man  be- 
zweifeln; Frontin  könnte  finibus  ohne  in  im  Sinne  an  derGrenze 
zur  Unterscheidung  von  in  finibus  für  im  Lande  gebraucht  haben. 
Statt  ita  haben  die  spätem  Handschriften  ea.  Wolf  folgt  seinem 
Scriver  in  der  Schreibung  übiorum,  ohne  zu  bemerken,  dass  dies 
eine  blosse  Vermuthung  von  Modius  sei,  die  man  als  leicht  sich 
darbietend  eben  so  leicht  aufgenommen  hat.  Aber  dass  ein  Schreiber 
am  Anfange  eines  Namens  einen  Buchstaben  vorgeschoben  habe,  ist 
eben  nicht  wahrscheinlich,  eher  Hess  man  Buchstaben  weg,  ver- 
wechselte den  Anfangsbuchstaben  oder  entstellte  die  Mitte.  Die 
Frage,  ob  hier  fines  Land  oder  Grenze  bedeute,  dürfte  sich  aus 
dem  Zwecke  der  castella  entscheiden  lassen;  sie  sollten  gegen  die 
Germanen  sichern,  mussten  also  nicht  im  Lande  der  Provinzialen, 
sondern  an  der  Grenze  des  ^eimanischen  Volkes  erbaut  werden, 
und    waren   deshalb  von  dem  Volke  zu  bezeichnen,    gegen  das  sie 


Doroitian  in  Frontins  Stratcgemata.  181 

gericlitet  wurden.  Das  den  Römern  verbündete  Volk  wurde  ent- 
schädigt für  den  Ertrag  des  Bodens,  den  die  ümwallung  der  Ka- 
stelle in  Anspruch  nahm,  und  diese  von  den  Römern  geübte  Ge- 
rechtigkeit befestigte  die  Treue  der  Verbündeten.  Demnach  kann 
unter  dem  Volke,  auf  dessen  Grenze  die  Kastelle  erbaut  wurden,  nur 
ein  freies  gennanisches ,  nicht  ein  den  Römern  verbündetes  ver- 
standen werden.  Mir  ist  es  jetzt  wahrscheinlicher,  dass  von  den 
manchen  Versuchen  der  Herstellung  der  von  Dederich  Cattorum 
das  Rechte  getroffen  hat.  In  der  Cursivschrift  werden  a  und  u 
leicht  vertauscht,  wovon  auch  Frontin  Beispiele  liefert;  bei  der 
jedenfalls  bedeutenden  Entstellung  lässt  sich  auch  ein  vielleicht 
allmähliches  üebergehen  von  tt  in  hi  wohl  denken.  Wolf  las 
aus  der  Stelle  heraus,  die  Römer  hätten  den  Ubiern  für  die 
unter  Augustus  in  ihrem  Lande  angelegten  Kastelle  das  Terrain 
baar  bezahlt,  was  zeige,  dass  diese  mit  Gerechtigkeit  und  Schonung 
von  ihnen  behandelt  worden  und  bald  nach  ihrer  Uebersiedelung  in 
geordnete  Rechts-  und  Eigenthumsverhältnisse  eingetreten  seien.  Dass 
Frontin  nur  von  den  fructus  des  in  der  ümwallung  eingeschlossenen 
Landes  spreche,  bemerkt  er  nicht,  und  doch  möchte  man  wissen, 
wesshalb  sie  hur  die  fructus  bezahlt  und  was  darunter  zu  verstehen 
sei.  Gern  wollte  ich  meinen  ubischen  Vorfahren,  wie  wenig  ich 
auch  mit  ihrem  Verhalten  gegen  ihre  geniianischen  Stammgenossen 
cinveretanden  bin,  diesen  locus  classicus  gönnen,  „steht  aber  doch 
immer  schief  darum".  Asbach  schreibt  pro  limitibus  locorum, 
aber  dass  sie  bloss  die  limites  der  umwallten  Strecken  bezahlt  hätten, 
verstehe  ich  nicht.  Für  Cuhiorum  vermuthet  er  Sueborurriy  was 
den  Buchstaben  nach  sehr  leicht  ist,  und  auch  sachlich  sich  da- 
durch erklären  Hesse,  dass  die  östlich  vom  limes  wohnenden  Her- 
munduren wenigstens  von  Tacitus  in  der  Germania  zu  den  Sueben 
gerechnet  werden,  und  will  man  dies  für  einen  Irrthum  erklären, 
wie  neuerdings  besonders  Kossina  gethan,  so  könnte  man  darauf 
sich  beziehen,  dass  auch  die  Katten  noch  in  den  Kämpfen  des 
Jahres  11  als  Sueven  erscheinen.  Wolf  erhebt  dagegen  Wider- 
spruch, weil  hier  ein  einzelner  deutscher  Stamm  genannt  sein  müsse. 
Als  ob  nicht  der  allgemeine  Name  Germani  oft  stände,  wo  von 
einer  besondern  Völkerschaft  die  Rede  ist,  AVie  Frontin  die  Katten 
zuweilen  Germanen  nennt,  auch  der  Sueve  Ariovist  rex  Ger- 
manorum  heisst.  Aber  ich  habe  schon  bemerkt,  dass  ich  jetzt 
Chattorum  vomehen  möchte. 


182  H.  Düntzer: 

Das  Kapitel  de  constituendo  statu  belli  (I,  3)  schliesst  mit 
dem  Beispiel:  Imperator  Caesar  Doniitianus  Augustus,  cum  Ger- 
mani  more  suo  e  saltibus  et  obscuris  latebris  subinde  impugnarent 
nostros  tutumque  regressutn  in  profunda  silvarum  haberent,  mi- 
litibus  per  centum  viginti  milia.passuum  actis  non  mutavit  tantum 
statum  belli,  sed  et  subiecit  dicioni  suae  hostes,  quorum  refugia 
nudaverat,  Dass  hier  im  Namen  Domitians  Germanicus  fehlt,  das 
wir  zwei  Kapitel  vorher  bei  ganz  gleichem  Anfange  fanden,  kann 
nur  die  Nachlässigkeit  des  Schreibers  verschulden,  der  anderswo  so- 
gar im  Titel  den  Namen  Domitianus  ausliess.  Bei  Wolf  ist  die 
Stelle  zweimal  abgedruckt;  beidemal  steht  viginta  statt  viginti  (dank 
dem  folgenden  millia),  an  zweiter  Stelle  fehlt  et  nach  sed,  Dass 
militibus  widersinnig  sei,  sah  schon  Scriver,  dessen  recetisio  Wolf 
benutzt,  er  schrieb,  was  jedem  aufmerksamen  Leser  einfallen  wird, 
limitibus.  Die  Verwechslung  von  limite  und  milite  in  den  Hand- 
schriften ist  schon  von  altern  Philologen  bemerkt  worden,  wie  denn 
die  Versetzung  von  Konsonanten  so  ausserordentlich  häufig  ist.  Wer 
die  Arten  der  Verwechslung  verfolgt,  dttrfte  meinen,  hier  sei  aucli 
noch  das  folgende  millia  eine  Veranlassung  zum  Fehler  gewesen; 
denn  da  der  Abschreiber  immer  eine  Anzahl  Worte  zusammen  liest, 
so  begegnet  es  ihm  wohl,  dass  er  ein  späteres  Wort  oder  den  An- 
fang eines  solchen  schon  an  einer  frühern  Stelle  setzt.  Doch  ab- 
gesehen von  der  Leichtigkeit  dieser  Verbesserung  ist  die  Noth- 
wendigkeit  derselben  augenscheinlich.  Wolf  aber  klagt  die- 
jenigen, welche  das  nothwendige  Wort  gesetzt,  einer  Fälschung  der 
Geschichte  an.  Er  erklärt,  Domitian  sei  ^nur  120  Meilen  tief  in 
das  Land  [also  auch  in  die  saltus  et  obscurae  latebrae]  einge- 
drungen und  nicht  weiter  vorgerückt,  sondern  (?)  habe  seine  Feinde, 
deren  Schlupfwinkel  er  blossgelegt  hatte,  zur  Unterwerfung,  ge- 
zwungen". Das  heisst  doch  der  Sprache  und  der  Sache  Gewalt 
anthun.  Milites  agere  soll  heissen  eine  Gegend  mit  Soldaten 
besetzen,  was  doch  hier  ein  höchst  unbezeichneuder  Ausdruck 
wäre.  Ich  weiss  wohl,  dass  man  agere  auch  von  einem  agmen 
militum  braucht,  aber  dass  man  von  dem  Einrücken  in  Feindesland 
je  gesagt  habe  milites  agere  per,  wer  glaubt  es  ?  Die  mannigfachen 
Ausdrücke,  die  den  kriegerischen  Römern  für  das  Einrücken  iu 
ein  fremdes  Land  zu  Gebote  stehen,  kann  jeder,  der  sie  nicht  kennt, 
in  einem  guten  deutsch-lateinischen  Wörterbuch  finden,  und  statt  aller 
dieser  sollte  Frontin  einen  solchen  lahmen,  ungebräuchlichen  gewählt 


Domitlan  in  Frontins  Strategemata.  183 

haben!  Dagegen  ist  limites  agere,  wie  jeder  weiss,  stehender  Aus- 
druck, und  dabei  allein  kommt  auch  das  per  zu  seiner  Geltung. 
Dass  Doniitian  sich  in  ein  so  gefährliches  Land  120  Meilen  hinein 
gewagt,  wäre  sachlich  eine  unbegreifliche  Tollkühnheit,  ja  das  hier 
erwähnte  strategema  zeigt,  wie  er  seinen  Zweck  auf  eine  sicherere 
Weise  durch  eine  lange  Grenzsperre  erreichte,  die  nicht  allein  den 
Germanen  ihr  plötzliches  Einfallen  mit  raschem  Zurückziehen  un- 
möglich machte  {mutavit  statum  belli),  sondern  auch  sie  zur  Unter- 
werfung geneigt  machte,  da  ihre  ohscurae  latebrae  von  ihm  bloss- 
gelegt  und  überwacht  waren.  Dass  mit  der  Grenzsperre  von  120 
Meilen  die  von  Lorch  bis  an  die  Kinzig  gemeint  sei,  behauptet 
Asbach  mit  Recht  (Westdeutsche  Zeitschrift  III,  20.  V,  371.  Jahrb. 
LXXXI,  29);  zunächst  mag  nur  die  gegen  die  Katten  gerichtete 
gezogen  worden  sein.  Wolf  meint  freilich,  hier  hätten  die  den 
Römern  ergebenen  Mattiaker  gewohnt,  die  keine  Einfälle  gemacht. 
Worauf  sich  diese  genaue  Kenntniss  zur  Zeit  des  Kattenkrieges 
gründet,  weiss  ich  nicht;  dagegen  steht  mir  fest,  dass  unsere  Stelle 
ganz  unzweifelhaft  von  einem  120  Meilen  langen  limes  Domitians 
gegen  die  Germanen,  wahrscheinlich  zunächst  gegen  die  Katten, 
spricht. 

Es  scheint  mir  eine  bemerkenswerthe  Thatsache,  dass  keines  der 
strategemata  des  Frontin  später  föllt  als  Domitians  Kattenkrieg, 
auf  den  allein  sich  vier  beziehen.  In  die  Zeit  Vespasians  gehört 
nur  eines  der  drei  echten  Bücher,  eines  in  die  des  Titus.  Dies 
dürfte  einen  nähern  Antheil  Frontins  am  Kattenkriege  mehr  als 
wahrscheinlich  machen,  und  so  ein  Gewicht  in  die  Wagschale  legen 
bei  der  von  Asbach  gegen  Zwanzigers  Einspruch  besprochenen 
Frage  (Westdeutsche  Zeitung  V,  369),  ob  Frontin  im  Kattenkriege 
ein  Kommando  gehabt.  Fehlt  auch  jede  bestimmte  Angabe,  so 
widerspricht  doch  nichts  der  ganz  von  selbst  sich  aufdringenden 
Annahme,  vielmehr  ist  es  wahrscheinlich,  dass  er  als  tüchtiger 
Kriegsmann,  wie  ihn  Tacitus  nennt,  dem  Domitian  auf  seinem 
ersten  Kriegsznge  zur  Seite  gestanden. 


5.  Römische  Strassen,  Landwehren  und  Erdwerke  in  Westfalen. 


Von 
J.  B.  Nordhoff  und  Fr.  Westhoff. 


Hierzu  Tafol  VII. 


Nachdem  die  Schriftsteller  und  Gelehi-ten  beinahe  drei  Jahr- 
hunderte hiudui-ch  lediglich  an  der  Hand  der  Schriftquellen  die  ßömer- 
kriege  in  Nordgeraianien  bearbeitet  und  damit  bezüglich  der  wich- 
tigsten Ocrtlichkeiten  zumal  der  Varus-Niederlage  und  der  Castells 
Aliso  nicht  viel  mehr  als  Fragen  und  Gezänk  heraus  gebracht  hatten, 
stellte  sich  seit  mehr  als  zwanzig  Jahren  immer  deutlicher  heraus, 
dass,  was  nur  nebenbei  in  Betracht  gekommen  war,  den  Schrift- 
quellen erst  Leben  und  Anwendungsfähigkeit  eingehaucht  werden 
könne,  wenn  neben  ihnen  auch  der  Nachlass  der  römischen  Werke 
und  Alterthümer  erforscht  und  besondere  für  die  Bestimmung  der 
zweifelhaften  Operatiouspunkte  ausgebeutet  werde.  Zu  den  einschlä- 
gigen Arbeiten  dieser  Art  zählen  auch  jene  beiden,  welche  den 
Gegenstand  unserer  nachstehenden  Besprechung  und  Erörterung 
bilden. 

General  von  Veith  fasste  vor  einigen  Jahren  an  dieser  Stelle  0 
behufs  näherer  Beleuchtung  ein  unter  den  römischen  Kriegsanlagen 
Nordgermaniens  betontes  Stück  ins  Auge,  nämlich  den  bisher  wenig 
beachteten  Limes  a  Tiber io  coeptus,  welcher  14  nach  Chr. 
von  Gcrnianicus  bei  einem  Zuge  durchbrochen  und  mit  einem  Lager  be- 
setzt wurde *).  Nachdem  Veith  bis  dahin  die  nordgermanischen  Kriegs- 

1)  Bonner  Jahrbücher  des  Vereins  von  Alterthuinsfreunden  im  Rhein- 
lande 1887,  H.  84,  1—27  mit  grosser  Karte. 

2)  Tacitus,  Annales  I,  50. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      185 

ztlge  skizzirt  und  nach  gewissen  Haltepunkten  deren  ungefähre 
Oertlichkeit  in  Westfalen  angegeben,  versuchte  er,  die  nähere  Be- 
schaffenheit und  mit  dieser  auch  die  engere  Lage  nach  der  vom 
Geometer  Aggenus  herrührenden  Erklärung  eines  limes  festzu- 
stellen : 

Limes  est,  quodcumque  in  agro  opera  manuum  factum  est 
ad  observationem  finium.  Es  geht  ihm  doch  im  Tiberius  -  limes 
oder  in  den  opera  manuum  Dicht  ein  von  Geometeni  vorgezeichnetes 
Grenzwerk  aus  Dämmen,  Gräben  und  anderen  Stoffen,  sondern  eine 
fast  dreieckige  meist  wie  von  der  Natur  befestigte,  doch  auch  durch 
Kunst  verstärkte  Landschaft  von  9  D  km  Flächenraum  auf: 
nämlich  das  ganze  im  Süden  auf  der  Lippe  basirte,  heute  durch- 
weg aus  Heide  oder  Wald  bestehende  Hügelrevier  zwischen  Bor- 
ken und  Schermbeck  einer-,  zwischen  Borken  und  Plaltem  anderer- 
seits, auf  den  Seiten  umgeben  von  der  Lippe,  Stcver,  der  Borkener 
Aa,  von  Niederungen  und  Morästen,  welche  gerade  auf  der  (östlichen) 
Frontseite  und  zwar  auf  der  Westniper  Heide  bei  Haltern,  an 
den  Borkenbergen  und  bei  Haus  Dülmen  noch  durch  vorgeschobene 
Erdwerke  veratärkt  seien.  Das  so  ausgewählte  und  durch  Kunst 
verbesserte  Terrain,  welches  zudem  nach  allen  Seiten  gute  Wege 
hatte,  erscheint  ihm  als  grosser  Vertheidigungs-Abschnitt,  d.  h.  als 
ein  sicherer  Stütz-  und  Ausgangspunkt  der  römischen  Kriegsopera- 
tionen, mit  anderen  Worten:  Veith  macht  aus  einem  Grenzwerke 
ein  defensives  Binnenland,  aus  dem  limes  die  castra  nova  diesseits 
des  Rheines,  wie  solche  auch  von  den  castra  vetera  jenseits  des- 
selben verlangt  worden  seien. 

Diese  Entdeckung  kleidet  sich  zwar  in  möglichst  zuversicht- 
liche Ausdrücke  und  Aufstellungen,  allein,  näher  betrachtet,  wäre 
sie  nicht  gemacht,  wenn  der  General  die  bezüglichen  Vorarbeiten 
allseitiger  herangezogen,  und  die  Bodenforschung  vorsichtiger  bo- 
trieben hätte,  wie  dann  auch  einzelne  Berichte  der  Alten  seltsam 
behandelt*)  und  gewisse  Ortsnamen  geradezu  naiv  gedeutet  sind^). 

1)  So  wenn  er  den  Terminus  „limes"  weder  in  kriegsrechtlicher  noch 
in  bautechnischer  Hinsicht  mit  dem  sprachlichen  und  monumentalen  Ver- 
gleichsmaterial erläutert  (vgl.  unten  S.  209),  oder  z.  J.  779  (S.  6)  dem 
Dorfe  Darup    einen  Mons  Coesius  andichtet. 

2)  So  die,  wenn  auch  nur  muthmassliche,  Zurückführung  der  Vele- 
ner  Aa  auf  Velia  (S.  19)  und  der  Stadt  Borkon  auf  Burcteri  oder  Bructeri 
(S.  21),  indess  der  Flur  „im  Trier**  „wahrscheinlich  der  korrumpirte  Tiberius 
zu  Grunde  liegt**  (8.  22). 


186  Nordhoff  und  Westhoff: 

Wir  wollen  seine  Darlegungen  nicht  nach  allen  Seiten,  sondera  nur 
im  Kerne,  d.  h.  darauf  hin  prüfen,  welche  Bewandtniss  es  mit  der 
Bodenbeschaffenheit  jenes  fraglichen  Terrains,  mit  den  von  ihm 
bemerkten  Erd werken  und  den  einschlägigen  von  den  Römern  benutzten 
und  angelegten  Wegen  hat.  Um  unseren  Vortrag  zu  veranschau- 
lichen, haben  wir  von  der  fraglichen  Limes-Gegend  eine  Aufnahme 
(Taf.VlI)  derBodeneigenthümlichkeiten  und  der  bisher  nachweisslichen 
Strassen,  Erdwerke  und  Alterthümer  veranstaltet,  und  zwar,  um  den 
Vergleich  mit  den  gegen theiligen  Aufstellungen  von  Veith  zu  erleich- 
tern, in  dem  Massstabe,  welcher  auch  seiner  Karte  zu  Grunde  liegt. 

Der  zuerst  von  ihm  angeführte  Weg  von  Vetera  über 
B  r  ü  n  e  n  nach  Borken  und  von  dort  nach  Münster  wird  von  Veith 
im  Ganzen,  wie  schon,  was  ihm  wohl  nicht  bekannt  sein  konnte,  ein 
Jahr  früher  von  J.  Schneider^)  bestimmt  —  Veith  verschiebt  ihn 
von  Borken  aus  zumal  in  der  Coesfelder  Gegend  zu  viel  nach  Nor- 
den, und  vereint  ihn  dann  zu  früh  mit  der  strata  regia,  nämlich 
bereits  zu  Darup,  da  doch  erst  in  der  Gegend  östlich  von  Schap- 
detten  sein  dreitheiliges  Wallwerk  wieder  auftaucht.  Jedenfalls 
irren  beide  Forscher  in  der  Lage  der  ersten  Strecke  von  Vetera 
bis  Borken.  Indess  sie  mit  bedenklichen  Krümmungen  und  ohne 
römische  Seitenfunde  verläuft,  markirt  sich  auf  ihrer  Südwestflanke 
die  wirkliche  Linie  und  zwar  vom  Rheine  aus  am  „ Hagenfeld ^  zu 
Krommert,  dann  neben  Fundstätten  von  Römermünzen,  dann  bei 
„Gohr"  und  „Lanwermann",  endlich  zu  Westborken  zwischen  Beckmann 
und  Huskamp  in  einem  geraden  Damme  *).  Die  durch  diese  Punkte 
angezeigte  Flucht  bezeichnet  eine  gerade  Linie  und  diese  zeigt 
auf  Vetera. 

Auch  der  Verfolg  der  Strasse  2  von  Borken  auf  Merfeld 
ruht  auf  schwacher  Grundlage,  trotzdem  Veith  es  um  so  mehr  daran 
liegen  musste,  dieselben  von  A  bis  Z  im  Laufe,  in  jedem  Reste 
und  Abzweige  genau  festzustellen,  als  die  pontes  longi  nicht  nur 
seinen  verdienten  Vorarbeitern,  sondern  auch  ihm  selbst  eine  Theil- 
strecke  derselben  ausmachen.  Wie  er  sie  erst  von  Borken  und 
zwar  als  Ast  von  1  abschwenken  lässt,  verkennt  er  zunächst  ihren 
thatsächlichen  Ausgangspunkt  und  damit  schon  ein  Wesentliches  ihrer 
grossartigen  Gesammtanlage. 

1)  Die  alten  Heer-  und  Handelswege  der  Germanen,  Bömer  und 
Franken  1886,  V.  13. 

2)  J.  Brinkmann,   Beiträge  zur  Geschichte  Borkens  1690  S.  19. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdworke  in  Westfalen.      187 

Sie  nimmt  am  Rheine  *)  vom  Reeser  Eiland  ihren  Anfang,  er- 
reicht in  sanfter  Nordostschwenkung  Bocholt  und  von  hier  in  gerader 
Flucht  Borken;  sie  kommt  Veith  (vgl.  seine  Karte)  nicht  anders 
als  eine  moderne  Strasse  in  Sicht,  zumal  da  ihm  ihre  Seitenfunde, 
so  mehrere  zu  Bocholt,  die  iudess  auch  einer  andern  Linie  zu- 
kommen mögen,  Römermünzen  und  Steinwaffen  im  Osten  und 
Westen  von  Rhede,  eine  Warte  zwischen  diesem  Orte  und  Borken 
ebenso  fremd  sind,  wie  die  Thatsache  der  Entdeckung  selbst. 
Schneider  hat  nämlich  seit  1868  den  Zug  fast  Glied  ftlr  Glied 
aufgefunden  und  1886  auch  einen  Ostlauf  von  Borken  auf  Dtllmen 
angegeben«).  Bei  Veith  figurirt  dieser  Ostlauf  als  Abzweig  von 
Strasse  1  und  neigt  zutreffender  als  bei  Schneider,  je  näher  Dül- 
men, um  so  mehr  nach  Norden  —  die  ganze  Linie  jedoch  nm-  ab 
ein  von  den  Römern  benutzter  und  ausgebauter  Strang  —  letz- 
teres sicher  mit  Unrecht,  wie  ihr  grossartiger  Verlauf  uns  lehren  wird. 
Da  sie  von  Borken  bis  Merfeld  heute  offenkundiger  Spuren  ent- 
behrt, so  folgt  sie  bei  Veith  wie  bei  Schneider,  anscheinend  indess 
fälschlich,  fast  durchgehends  der  entsprechenden  Landstrasse  nach 
Dülmen,  deren  niedrigen  und  zerstreuten  Seitcnwälle  aber  kein  urge- 
schichtliches Gepräge  vielmehr  jüngeres  Gepflänz  ftthren  und  eher  den 
beiderseitigen  Culturflächen  als  der  Wegesstrecke  gedient  haben. 

Dass  diese  höchst  wahrscheinlich  erst  in  der  neueren  d.  h. 
historischen  Zeit  entstanden  ist,  beweist  vor  Allem  ihr  mooriger 
Untergrund.  Der  Boden,  auf  dem  sie  liegt,  war  vormals  nämlich 
und  sieher  noch  in  den  Zeiten  der  Römer,  wo  die  Höhen  und 
Abhänge  einen  üppigen  Holzwuchs  *)  trugen,  Sumpf  und  Moor.    Erst 

1)  Uebrigcns  schimmern  auf  unserer  Karte  die  Anzeichen  eines 
andern,  nämlich  eines  geraden  Parallelstranges  von  Recs  bis  Wiekinghof 
südwestlich  von  Borkon. 

2)  1868  in  den  Neuen  Beiträgen  zur  alten  Geschichte  und  Geogra- 
phie der  Rheinlande  II,  41  ff.  bis  Weerth,  1874  das.  V,  7,  13  über  Bocholt 
ja  über  Rheede  hinaus,  1886  in  den  alten  Heer-  und  Handelswegeu  V,  17 
und  auf  der  Karte  bis  Dülmen. 

3)  Welche  Ausbreitung  einst  auf  den  Höhen  und  Flächen  die  Wäl- 
der bei  Heiden  und  Reken,  überhaupt  auf  dem  sogen.  Tiberius  •  limes 
hatten,  bezeugen  die  Markonnameu  Hülster,  Brenner,  Bann-Holt  und  Schma- 
loh  u.  8.  w.,  die  im  weissen  und  schwarzen  Venu  im  Moore  und  am  West- 
hange der  Borkenberge  unter  Sandwehen  begrabenen  Baumstämme,  die 
noch  vorhandenen  Eichen-  und  Buchenbestände  der  hohen  Mark  und  der 
Lembecker  Umgegend,  endlich  zersti-eute  Holzpartien  und  Bäume,  zumal 
die  Stechpalme,    die  stets   das   Wahrzeichen  des  Urwaldbodens  ist.    Vgl. 


188  Nordhoff  und  Westhoff: 

als  mit  dem  16.  Jahrhandeii  die  Entwaldung  mehr  und  mehr  zu- 
nahm und  dem  Sandboden  der  Höhen  und  Abhänge  Kraft  und  Verhalt 
entzog,  konnten  die  von  Westen  wehenden  Winde  ihn  in  Bewegung 
setzen  und  leicht,  wie  ein  Schnee  überzog  der  feine  Sand  die  angren- 
zenden Moorstriche  mit  einer  Decke,  die,  als  sie  hoch  genug  ge- 
worden, eine  Verlegung  des  Weges  gestattete. 

Wenn,  wie  nicht  anders  zu  veimuthen,  die  römische  Bahn  nicht 
auf  Moorgründen,  in  nassen  oder  dichten  Holzangen,  sondern  auf  trock- 
nem  lichtem  Boden  den  Westpunkt  der  beträchtlichsten  Moorenge  des 
Mcrfelder  Bruches  anstrebte,  so  wird  sie  zunächst  die  jetzige  Land- 
strasse auf  der  Südseite  und  zwar  meistens  den  unteren  Abhängen 
der  Heidener  und  Rekener  Höhen  entlang  bis  G  r  ö  n  i  n  g  nordöst- 
lich von  Gr.  Reken  begleitet  haben,  ohne  Frage,  wie  auch  ihre 
Oststrecken,  meistentheils  ausgebaut,  aber  nachgerade  den  (historischen) 
Sandwehen  und  deren  Entstellungen  preisgegeben.  Sind  dadurch 
ihre  Erdglieder  im  Sande  untergegangen,  so  markirt  sich  die  Linie 
doch  wahrscheinlich  heute  noch  im  Norden  von  Gr.  Reken  unter 
einer  Reihe  von  Ansiedlungen ;  denn  diese  danken  ihre  gerade  Flucht 
wie  ihren  ergiebigen  Hausboden  wohl  keinem  andern  Umstände,  als 
einem  verwtthlten  römischen  Dammbaue.  Ihre  Fortsetzimg  hat 
sich  dann  jedenfalls  von  Gröning  nach  Nordost  bis  gegen  den 
Heubach  in  einigen  aufgereihten  Dünen  erhalten« 

Um  von  hier  wieder  in  östlicher  Flucht  das  genannte  Merfel- 
derBruch  zu  überwinden,  suchte  die  Strasse  offenbar  so  wie  nenst- 
hin  allerdings  in  anderer  Richtung  die  Eisenbahn,  den  schmälsten 
und  untiefsten,  nur  2^2—3  km  langen  Strich  über  das  alte  Venn  und 
den  Heubach,  dann  über  den  Feldweg^)  bis  zur  Hallape  und  zog 
von  hier  in  einem  leicht  nach  Osten  geneigten  Damme  bis  zur  Letter 
Klüse.  Etwa  von  diesem  Punkte  sandte  sie  einen  Arm  nordöstlich 
gerade  auf  Warendorf  und  Bielefeld,  einen  südlichem  gen  Osten 
auf  Wiedenbrück  ab.  Beide  Arme,  wovon  der  Wiedenbrückcr  am 
Schlüsse  genauer  beschrieben  wird,  sind  also  zur  Ems  gezogen  und 
streckenweise  wahre  Muster  römischer  Dammstrassen,  ja  wie  sie 
gegenseits  vom  Osten  her  klar  vor  dem  Merf eider  Bruche  znsammen- 
kommen,    bestätigen  sie  ihren  vereinten  Fortlauf  über  Borken  bis 


Fr.  Westhoff  im  Jahresber.  der   botan.  Sektion  des  westf.  Provinzial- 
Vereins  1891/92  S.  16  ff.,  1892/93  S.  55  ff. 

1)  Er  ist  unter  den  modernen  Culturen  verschwunden,  aber  in  den 
Karten,  leider  Qhne  nähere  Angabe  der  Bauart,  erhalten. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      189 

zum  Rheine  und  besonders  als  ihr  Glied  und  Theilstück  den  noch 
unausgelöschten  Damm  im  Merfelder  Bruche. 

Wir  haben  alle  Ursache  bei  diesem  Damme  etwas  zu  verwei- 
len, zumal  da  Veith  ihn  naöh  anderweitigen  Vorarbeiten  mit  nur 
wenig  Zeilen  abthut  und  von  seiner  Fortsetzung  nach  Osten  *) 
nur  eine  dürftige  oder  unzutreffende  Mittheilung   macht. 

Der  Moordamm  liegt  noch  heute  offen  zu  Tage:  in  der  Sohle 
4—5  m  breit,  in  der  Krone,  obwohl  er  unter  dem  leidigen  Abpfaggen  3) 
stetig  sank,  noch  0,75  bis  1  m  hoch  und  mit  Gewächsen  bekleidet, 
die  der  Boden  beiderseits  heute,  geschweige  denn  vormals,  nicht 
kennt;  bevor  er  der  Stechpalme  (Hex  aquifolium),  einigen  Eichen- 
knorren, dem  Königsfarm  (Osmunda  regalis)  und  der  Rauschbeere 
(Vaccinium  uliginosum)  einen  gedeihlichen  Erd-  und  Nährgrund  geben 
koimte,  muss  eine  geraume  Zeit  verstrichen  oder  mit  andern  Wor- 
ten, er  muss  sehr  alt  sein. 

Dasselbe  folgt  nur  noch  bestimmter  aus  folgender  Thatsache: 
Als  1316  die  Häuser  Lette  (im  Nordwesten)  und  Merfeld  (im  Südosten 
des  Dammes)  über  eine  beiderseitige  Ausnutzung  der  Merfelder  und 
Letter  Bruch-Mark  Verabredungen  trafen,  theilte  beide  Marken  eine 
„Schnat"  (sneda)  nordöstlich  bis  zu  einem  alten  Wege  (antiqua  via 
Wellethe')  in  der  Bauerschaft  Weite  zu  Dülmen;  die  recht- 
liche Theilung  mag  früh  oder  spät  vollzogen  sein,  die  sneda,  wo- 
durch sie  örtlich  bewirkt  war,  reicht  in  die  urgeschichtliche  Zeit 
hinab;  die  sneda  aber  ist  unser  Damm,  der  heute  noch  als  „Grenz- 
wall" die  Gemeinden  Merfeld  und  Lette  auseinanderhält.  Erscheint 
er  schon  für  eine  mittelalterliche  Anlage  zu  linear  und  zu  dauer- 
haft,  so   ist  jener   „alte  Weg"    der  Bauerschaft  Weite  schlechthin 


1)  Nach  L.  Hölzermann,  Lokaluntersuchungen,  die  Kriege  der 
Römer  und  Franken  betrefFend  1878.  Karte  A  und  Westf.  Zeitschritt 
XX,  278  führt  er  sie  auf  Senden. 

2)  Wie  er  denn  thatsächlich  an  den  von  starken  Holzstämnien  be- 
schützten Stellen  noch  voller  aufragt. 

3)  . . .  quidquid  de  pecudibus  nostris  . . .  currerit  trans  divisionem 
marcarum  dictarum  .  .  .  que  d i  vi  s i  o  dicitur  sneda  vulgari  nomine, 
non  debet  capi  ...  Et  hec  divisio  .  .  .  incipit  ab  antiqua  via  Welletc  (im 
Osten)  et  extendit  se  juxta  Wulvelo  et  capit  finem  juxta  trabem  dictam 
Schuttebalcke  in  Brochusen  (im  Westen).  Leider  sind  die  Oertlichkeiten, 
welche  das  Westende  der  Theilung  (am  sneda-Damme)  bezeichnen,  heute 
verschollen.  Urkunde  bei  V.  Kindlinger,  Münsterische  Beiträge  zur 
Geschichte  Deutschlands  1787,  I,  Nr.  VIII. 


190  Nordhoff  und  Westhoff: 

eine  Theilstrecke  seines  nordöstlichen  Wegearmes,  und  wie  der  Damm 
selbst  dazu  geschaffen,  als  erhöhter  Erdkörper  einer  Strasse  eine  feste 
Grundlage  zu  geben.  Wenn  fcnaer  jener  alte  Weg  Wellethe==  Wall- 
heide ausser  seinem  ümlande  bis  jetzt  auch  der  Bauerschaft 
Weite  den  Namen  vermacht  hat,  so  ging  er  dieser  auch  an  Alter 
voran,  rückte  also  in  die  Urzeiten  der  politischen  Verbindungen 
Germanicns  hinab  —  und  mit  ihm  also  auch  sein  Grundstock,  der 
Merfeldir'  Moordamm. 

Dieser  ist  also,  das  besagen  unsere  Erörterungen  wohl  unbe- 
streitbar, die  Theilstrecke  einer  R  ö  m  e  r  b  a  h  n ,  die  sich 
vom  Rheine  hinaufwand  und  nachdem  sie  mittelst  des  Dammes  das 
Merf eider  Bruch  passirt  hatte,  in  zwei  Arme  spaltete;  er  ist,  da 
sein  breiter  und  fauler  Grund,  offenbar  ohne  unsägliche  Beschwer- 
nisse den  vollen  Breitbau  eines  Römerweges  nicht  zugab,  nur  als 
schmaler  Damm  hergestellt,  so  dass  er  statt  der  Manipelbreite  nur 
für  etwa  5  Mann  Raum  bot  *);  es  ist  jener  Weg,  dessen  schwache  Bauart 
und  kriegsunsichere  Umgebung  auch  einmal  den  Tacitus^)  zu  einer 
nähern  Schilderung  desselben  bewogen  hat  —  eine  Schilderung,  die 
daher  auch  auf  keine  andere  Theilstrecke  einer  Römerlinie  zwischen 
dem  Rheine  und  der  Ems  passt,  wie  auf  den  Merfelder  Damm;  es 
ist  wahrscheinlich  fener  von  Domitius  Ahenobarbus  c.  6  vor  Chr.  ange- 
schüttete, später  15  nach  Chr.  von  Cäcina  auf  einem  Rückzuge  mit 
allen  Fährlichkeiten  passirte  enge  Damm-  und  Moorstrang.  Cae- 
cina  .  .  .  monitus  .  .  .  pontes  longos  quam  maturrime  superare. 
Augustus  is  trames  vastas  inter  paludes;  cetera  (die 
Umgegend)  limosa  (faulgrundig),  teuacia  (anklebend)  gravi  coeno 
(Moor)  aut  rivis  (Heubach,  Halappe,  Kettbach)  incerta  crant;  cir- 
cum  Silva c  (worüber  unten  Näheres),  pauUatim  adclives  (die 
hohe  Mark,  die  Borken-Berge,  im  Osten  die  Velcner  und  Heidcner 
Höhen  und  der  Lünsberg  im  Westen).  Kurzum,  den  Merfelder 
Damm  umgaben  auf  allen  Seiten  Höhen  und  diese  waren  meist  be- 
waldet. 

Obwohl  der  enge  Dammweg  bis  auf  unsere  Zeit  unbekannt 
und  ungenannt  war,  beschäftigten  seine  „langen  Brücken"  *),  die 


1)  Vgl.  Dcppe  in  den  Bonner  Jahrb.  H.  89,  99. 

2)  Annalcs  I,  G3. 

3)  Sämmtliche  in  der  Mitte  Westfalens  aufgegrabene  Strecken  „der- 
selben", auch  der  1894  im  weissen  Venu  „auf  dem  Hcidenkirchkofe"  4  km 
nördlich    von    Gr.   Reken    in    beiläufiger    Länge   von    60   Meter   bIo.<^- 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      191 

bei  Cäcina's  Rückmärsche  bereits  in  Verfall  gerathcn  waren  (rupti 
vetustate  pontes)^?  stets  die  Phantasie  der  Gelehrten;  sie  mögen 
nicht  bloss  über  seine  Durchlässe  und  Moorbäche  geftihrt,  sondern 
ihn  auch  streckenweise,  z.  B.  an  der  Südwestseite  des  Heubaches,  wo 
möglicherweise  Dammreste  fehlten,  ersetzt  haben. 

Ihr  heikeles  Bauterrain  gehörte  einer  grossen  Heide- 
und  Sumpfniederung  an,  die  ungefähr  in  nordwestlichem  Zuge 
den  Südwestwinkel  Westfalens  von  dem  übrigen  Lande  abschneidet. 
Sie  nimmt  an  der  Lippe  in  der  Westi'upper  Heide  bei  Haltern 
ihren  Anfang  und  schweift  in  nordwestlicher  Richtung  über  die 
Sythener  Mark,  das  Lavesumer  Bruch  und  Venn,  das  Hülster 
Venu,  das  uns  noch  erinnerliche  Merfelder  und  Letter  Bruch,  das 
Rekensche  und  Heidener  (schwarze  und  weisse)  Venn,  das  Steveder 
und  Scholler  Venn,  über  die  grosse  Tungerloher  Mark  und  das 
Lohner  Bruch  bis  zur  Grenze  Hollands^  und  trennt  in  einer  Breite 
von  Vs — IV2  Meilen  die  südwestlichen  Höhen,  wovon  wir  gerade  die 
meisten  anführten,  von  den  nordöstlichen  Baumbergen. 

Wenn  diese  einsame  Zone  noch  heute,  nachdem  Cnlturcn 
und  Entwässerungen  daran  verschwendet  sind,  beiderseits  gegen 
die  wirthlichen  Nachbaretriche  absticht,  so  bildete  sie  im  Urzustände 
grell  eine  ethnographische  Scheide  und  mit  den  Sumpfstrecken  auch 
einen  militärischen  Abschnitt,  beinahe  vergleichbar  der  grossen 
Senne,  welche  von  Lippstadt  gleichfalls  nach  Nordost  streicht*).  Da- 
her schied  jene  bis  Holland  einst  die  Völkerstämme,  wie  noch  heute 
die  Dialekte^),  und  daher  bot  der  Pass,  den  sie  am  Südende  bei  Hal- 
tern gegen  die  Lippe  beliess,  den  Römern  den  Hauptanlass  zur  Errich- 
tung des  Annenberger  Lagers.  Aber  warum  wählten  diese  von  Borken 
aus  die  östliche  Wegeslinie  gerade  durch  das  bodenlose  Merfelder 
Bruch?  Offenbar  um  die  geradeste  Verbindung  mit  der  Ober-Ems 
und  den  Osningpässen  zu  gewinnen  —  Punkte,  welche  von  Borken 
über  Münster,  geschweige  über  Rheine  nur  in  weitem  Umwege  zu 
erreichen  waren. 


gelegte  Bohlenweg  (Vgl.  MünBterischer  Anzeiger  1894  18/6  Nr.  161)  be- 
standen die  Probe  nicht.  Letzterer  ausserhalb  jeder  Wegeslinie  g-elegen, 
aus  behauenen  Bohlen  zusammengesetzt  und  über  unbehauene  Stämme 
gelagert,  weicht  auch  im  Einzelnen  von  den  römischen  Bohlenwegen 
im  Norden  ab  und  entspricht  eher  einer  Schleifbahn. 

1)  V.  Veith  kennt  S.  21  deren  6—8. 

2)  N.  in  den  Bonner  Jahrbb.  1894,  H.  95,  S.  224  ff. 
8)  von  Landsberg,  Westf.  Zeitschr.  XX,  323  ff. 


192  Nordhoff  und  Westhoff: 

Nachdem  die  „langen  Brücken"  in  der  bezeichneten  Lage  be- 
reits von  General  von  Mü  ffling(-Münster),  dann  (1838)  vom 
Oberst-Lieutenant  F.  W.  Schmidt  mehr  gewittert  als  gefunden*) 
waren,  gelang  ihr  Nachweis  1871  ziemlich  unwiderleglich  dem 
Oberlehrer  Franz  H  ü  1  s  e  u  b  e  c  k  (-Paderborn  *).  Das  bestätigen 
hoffentlich  auch  diese  theils  auf  Ortsuntersuchung,  theils  auf  weite- 
ren üeberblick  hiesiger  Römerwerke  gestützte  Erörterungen. 

Wir  übergehen  Veith's  Lippestrassen  („3  u.  4"),  da  sie  voll- 
ständig auf  anderweitigen  Forschungen  beruhen,  und  wenden  unsere 
Blicke  dem  Wege  „5"  zu,  den  er  nach  Hölzermann's  Karte  aus  der 
Gegend  von  Schermbeck  über  Wulfen  und  Ontrup  auf  Dülmen  zieht. 
Obschoa  derselbe  in  der  Gegend  von  Lavesum  Flankenwälle  hat,  er- 
scheint er  Veith  als  Römerweg  doch  nicht  ganz  zweifellos  —  und 
das  mit  allem  Fug,  weil  der  Linie  weder  bis  Dülmen  noch  im  Fort- 
gange bis  Münster  ein  römischer  oder  auch  nur  ein  prähistorischer 
Fund  zur  Seite  steht. 

Die  Strasse  „6'*  vom  Steeger  Burgwart  a.  d.  Lippe  über  Raes- 
feld  nach  Borken  ist  auch  sonst  als  Römerweg  anerkannt  und  zu- 
mal durch  seine  Beschaffenheit  und  mehrere  Seitenfunde  als  solcher 
gesichert. 

Bevor  wir  die  weiteren  Beweismitteli  welche  der  General  för 
seinen  Tiberius  -  limes  auf  den  Plan  bringt,  nämlich  die  Erdwerke 
prüfen,  müssen  wir  wieder  die  betreffende  Gegend  näher  ins  Auge 
fassen  und  zwar  diesmal  um  zu  sehen,  ob  jene  Werke  nicht  viel 
mehr  der  Natur,  als  dem  Kriege  ihren  Ursprung  verdanken.  Die 
ganze  Landschaft  von  Haltern  bis  Borken  besteht  im  Gnindstocke 
aus  einem  zum  unteraenonischen  Kreidegebirge  gehörigen,  quarzigen 
Gestein  und  gestaltet  sich  als  ein  Hügelland,  dessen  höchste  Er- 
hebung in  der  hohen  Mark  bei  Lavesum  und  dessen  Ende  in  dem 
Tannenbülten-  und  im  Lünsberge  nördlich  von  Borken  liegt.  Nach 
Norden  hat  sie  einen  ziemlich  beträchtlichen  Abfall,  nach  Süden  eine 
allmähliche  Vei-flachung.  Die  Lehm-  und  Sandmassen,  welche  dieses 
Kreidegebirge  überlagern,  entstammen  grösstentheils  der  in  der  Gla- 
zialzeit durch  das  Inlandeis  zertrümmerten  Bodenkruste,  dessen  heu- 
tige Lagerung  aber  erst  durch  die  Wasser  des  abschmelzenden  Eis- 
stockes, die  hier  Bodenmassen  fortschwemmten  und  dort  wieder  zum 


1)  Westrni.  Zeitschrift  XX,  270,  278. 

2)  Paderborner  Gymnasial-Programin.     1871.    S.  21,  23. 


Ilöiiiischß  Landwehren,  Strassen  und  ICrdwei'ke  in  Westfalen.      19ä 

Absatz  brachten^  herbeigeführt  wurde.  Die  Konfiguration  der  Ober- 
fläche entstand;  als  nach  Ablauf  der  Gewässer  der  trockene  und 
leichtbewegliche  Sandboden  ein  Spiel  der  Winde  wurde,  was  so 
lange  dauerte,  bis  eine  dichte  Pflanzendecke  ihn  beschattete  und 
festhielt.  In  dieser  postglazialen  (also  noch  prähistorischen) 
Zeit  entstanden  auch  die  mächtigen,  oft  langgezogenen  Dünen- 
ketten und  schoben  sich  nach  und  nach,  da  die  Sandmassen  ge- 
wöhnlich (wie  heute  noch)  von  Südwest  verstöbert  wurden,  ain 
nordöstlichen  Rande  gegen  die  breite  Sumpf-  und  Moorniederung 
vor,  deren  Feuchtigkeit  sie  fesselte  und  so  ihren  Weiterlauf  zum 
Stehen  brachte.  Aber  noch  einmal  wurde  der  Sandboden  in  glei- 
cher Richtung  in  Bewegung  gesetzt,  als  nämlich  seit  dem  Beginn 
des  16.  Jahrhunderts  (d.  i.  in  der  historischen  Zeit)  die  alten 
Markenwälder  fielen  und  die  des  Pflauzenwuchses  entkleidete  und 
von  den  sengenden  Sonnenstrahlen  ausgedörrte  Bodendecke  wieder- 
um dem  Angriffe  der  Südwestwinde  ausgesetzt  war.  Diese  histori- 
schen Sandgebilde,  welche,  wir  oben  S.  188  bereits  angezogen 
haben,  ruhen  häufig  auf  humusreichen  Moor*  und  Waldgründ^i, 
was  bei  den  prähistorischen  niemals  der  Fall  ist;  beide  sind  also 
an  ihren  Lagerungsverhältnissen  leicht  zu  unterscheiden. 
Auch  beherbergen  letztere  vielfach  germanische  Todtenurnen,  wo- 
durch sie  ebenfalls  vor  ersteren  ihren  prähistorischen  Charakter 
beurkunden. 

In  der  That  sind  auch  die  verschiedene  Werke,  womit  der 
General  seine  Limes-Landschaft  versieht,  so  die  Lagerreste  bei 
Thier  (D),  die  Bollwerke  und  Schanzen  am  Langen-Berge  (£),  bei 
Gröning  (F),  Wehling  (G)  und  Hellermann  (H)  nicht«  anderes,  als 
solche  durch  Sandwehen  erzeugte  prähistorischen  Dünengebilde; 
daran  hat  die  Menschenhand  nie  Etwas  zu  fortificatorischen,  höch- 
stens wie  bei  der  Schanze  F  zu  wirthschaftlichen  Zwecken  gethan  oder 
gestaltet  gleichwie  sie  ja  auch,  wo  etwa  ein  Hof  in  oder  an  einer 
Düuenbank  angelegt  war,  deren  Einsattelungen  füllte  und  deren 
Kuppen  ebnete^). 

Wer  in  den  letzten  Jahren  beobachtete,  wie  unter  den  Culturen 


1)  Es  macht   einen  missligen  Eindruck,   wenn  so   sonderbare  Auf* 

Stellungen,  wie  die  Veith'schen,  statt  Zweifeln,   wozu  sie  doch  mindestens 

Anlass  geben,   geschweige    einer  Nachprüfung   zu  begegnen,   von   vorn 

herein  glftubig  aufgenommen  oder  gar  mit  Lob   weitergetragen   werden. 

Jahrb.  d.  Vor.  v.  Alterthafr.  im  Rhciiil.  XCVI.  13 


194  ^Jordhoff  und  Westhoffi 

von  Maria  Veen  bei  Gr.  Reken  solclie  Düneiigcbildo  abgetragen  und 
planirt  wurden,  konnte  sich  vollständig  davon  überzeugen,  dass  es 
nicht  etwa  künstliche  SandanschOttungen  oder  historische,  nach  der 
Entwaldung  entstandene,  Sandhäufungen,  sondern  dass  esNaturpro- 
ducte  d.  h.  geschichtete  Sedimente  postglacialer  Sandwehen  waren, 
zumal  da  sie  da  und  dort  noch  Stücke  von  germaniseben  Urnen  ent- 
hielten. Schon  die  curiosen  Figuren,  welche  darin  beschrieben  sind, 
widei-sprechen  einer  künstlichen,  geschweige  einer  römischen  Anlage. 
Nichts,  gar  Nichts  war  und  ist  an  den  Erdgebilden,  was  Rftmer- 
plan  und  Römerarbcit  entsprungen  sein  könnte  ^).  Und  wenn 
die  Wallungen  bei  Thier  die  flüssigen  Umrisse  der  Naturbiidung 
wirklich  verlassen  (S.  22),  so  schlagen  diese  noch  nicht  entfernt 
in  das  Gemessene  und  Regelmässige  römischer  Erdwerke  ein. 

Auf  Veith  machen  ferner  die  Thaimulde  bei  Heiden  (J)  mit  den 
„Düvel^steinen  und  einer  permanenten  Wasserquelle,  die  flachge- 
böschten  Seitenhöhen,  zumal  „sie  auf  ihren  Rücken  deutlich  1  bis  2 
Meter  hohe  Wallreste  tragen",  den  Eindruck  eines  Lagerplatzes. 
Nun,  die  Steine  als  Glieder  eines  alten  Httnenbettes  haben  mit 
den  Römern  Nichts  zu  thun,  und  die  Wallreste  wollten  einem  von 
uns,  der  noch  im  vorigen  Jahre  Ortsbesichtigung  hielt,  gar  nicht 
zu  Gesichte  kommen.  So  sehr  vermag  übrigens  die  einsame,  strup- 
pige Umgegend  die  Phantasie  zu  entflammen,  dass  einem  andern 
„Forscher"  jene  Thalmulde  gar  wie  ein  circus  maximus  vorgekom- 
men ist. 

Was  Veith  sonst  noch  an  Beweisstätten  für  seinen  limes  an* 
führt  (K  bis  N),  fällt  wegen  schwacher  Begründung  wohl  bei  ihm 
selbst  nicht  schwer  ins  Gewicht.  Deshalb  überschlagen  wir  sie 
und  um  so  mehr  den  Ort  Borken,  als  hier  die  Römerspuren,  womit 
Veith  nur  eine  unvollständige  Bekanntschaft  gemacht  hat,  mit  dem 
Knotenpunkte  der  Wege  und  der  hervorragenden  Bedeutung  des  Ortes 
in  der  römischen  Kriegsgeschichte  und  keinenfalls  mit  seiner 
grossen  Limes-Landschaft  zusammenhängen.  Gestattet  sei  nur  noch 
die  Frage,  ob  bei  Veith  in  die  dortigen  Wallreste  nicht  auch  mittel- 
alterliche Strecken  hineinlaufen.  Die  dortige  Stiidtzingel  wenigstens 
wird   mit   ihren  Wällen  schon  von  früh  in  den  Urkunden  genannt. 


1)  Auch  verdecken  jene  bei  Haus  Dülmen,  worin  schon  Dünzel* 
mann  (S.  114  der  unten  S.  196  benannten  Abhandlung)  Dünen  erkannte, 
nicht  etwa,  wie  er  einräumen  möchte,  ein  römisches  Lager. 


tlömisi'ho  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      19ft 

Und  die  Wallreste  der  Wcstrnper  Heide,  die  Borken-Berge 
und  die  Wälle  bei  Haus  DlUinen  (A  B  C)?  Sic  und  ihr  Territo- 
rium Btanden,  wie  allerlei  Funden  zu  entnehmen,  mit  den  Römer- 
kriegen in  unmittelbarer  Verbindung,  doch  vorab  nur  als  Vor- 
posten des  Annenberges  bei  Halteni.  Wenn  Veith  nun  bei 
der  Beschi-eibung  jener  Punkte  sagt  (8.  13):  ^Natürlich  haben  sieb 
diese  Dünen  vor  fast  zwei  Jahrtausenden  aufgeschüttet,  durch 
Stürme  und  Niederschläge  verändert,  als  wären  sie  nicht  künstliche 
sondern  natürliche  Zusammenwehungen,  während  der  Niemenwall 
hier  die  unzweifelhafte  Erklärung  gibt,  dass  jene  Dünen  das  ge- 
sammelte Material  für  seine  Erbauung  lieferten^,  so  mag  das  letztere 
passen.  Hätte  er  aber  diese  künstlichen  Dünen  und  den  Niemen- 
wall einmal  auf  ihre  Beschaffenheit  untersucht,  so  wäre  ihm  klar 
geworden,  dass  jene  eine  deutliche  Schichtung,  also  eine  natürliche 
Entstehung  zeigen,  diesem  aber  jede  Schichtung  abgeht  oder  viel- 
mehr jedes  Merkmal  einer  künstlichen  Aufrichtung  zukommt. 

Wie  zu  Borken  entfallen  sämmtliche  Whnisehe  Alterthümer, 
welche  etwa  Veith's  Aufstellungen  bestätigen  möchten,  also  Strassen, 
Lager,  Erdwerke  und  Kleinstücke  nicht  auf  den  Flächenraum  oder 
die  angeMirten  Erd werke,  sondern  auf  die  Saumgebiete  des 
fraglichen  limes  d/h.  diese  Denkmäler  begleiten  eben  römische 
Wege,  und  deren  Anfangspunkte  und  Endziele  richten  sich  in  keiner 
Weise  nach  dem  „limes^^,  dem  also  aller  Einfluss  auf  die  Fundstätte 
abgeht,  sondern  sie  gehen  jedes  Mal  weit  über  den  Bereich  des- 
selben hinaus  —  ebenso  sonnenklar  nach  der  Lippe,  wie  nach 
den  andern  Seiten.  Die  römischen  Münz-  und  andere  Funde,  welche 
massenhaft  von  Haltern  gen  Norden  auf  der  hohen  Mark  und  weiter- 
hin über  Lavesum,  also  alle  im  Limes-Gebiete  gemacht  sind,  grei- 
fen sonderbar  genug  in  Vcith's  Beweisftihnmg  gar  nicht  ein;  wer 
sie  aber  einmal  dafür  ausnützen  möchte,  hat  zu  erwägen,  dass  diese 
Funde,  zumal  da  sie  am  Annenberge  anheben  und  gegen  Norden 
immer  spärlicher  auftreten,  Streu  Verluste  der  aus  dem  Annen- 
berger  Lager  verjagten  römischen  Besatzung  sind;  denn  diese 
trat,  wie  die  Lagertrttramer  sofort  darthaten,  die  Flucht  in  nörd- 
licher Richtung  ^),  auf  Lavesum  an.     Und  woher  sollten  auch  plötz- 


1)  Das  Nähere  bei  S  c  h  m  i  d  t ,  in  der  westfäl.  Zeitschrift  XX,  2G7. 
Das  betreffende  Fundmaterinl  hat  sich  indess,  seitdem  Schmidt  das  Annen- 
berger  Lager  entdeckt  hat,  bedeutend  vermehrt. 


196  Kordhoff  und  Westhoff: 

lieh  80  reiche  Funde  in  dem  Südoststriche  des  „limcs"  stanmicn, 
indess  sein  sonst  so  weites  Planum  der  römische»  Alterthttmer 
überhaupt  völlig  baar  ist?  Sicher  kommen  darin  nur  germanische 
Urnen  und  auch  diese^  noch  ganz  spärlich  vor,  so  einmal  bei  Hei-, 
den,  an  den  Düvelsteinen  und  einige  Mal  in  den  Rekener  und  Bor- 
kener Dünen;  gleicher  Art  waren  vermutlilich  auch  die  von  Veith 
bemerkten  Gefasse  des  Langen-Berges  (wo  ?),  zumal  da  er  sie  selbst 
nur  mit  der  flauen  Charakterisirung,  „man  sagt  römische^  (S.  17), 
verwerthet  hat. 

Auch  wenn  der  General  die  von  uns  gestrichenen  Erdwerke 
und  Funde  für  stichhaltige  Belege  seines  limes  hielt,  wie  konnte 
er  unterlassen,  auf  den  Umstand  hinzuweisen,  dass  der  limes  in 
der  Gegend  von  Kl.  Reken  jeden  Fundes  und  jeder  Wehr* 
entbehrt,  da  doch  sonst  die  Stärke  der  römischen  Lager  und 
Castelle  gerade  im  Centrum  gipfelt?  Warum  befremdet  es  ihn 
nicht,  dass  seinem  Hmes  jede  Umfassung  von  Wall,  Graben  oder 
Gebüsch  abging?  Oder  gibt  es  im  Rheinlande  und  in  Nord- 
germanien einen  Parallelfall,  dass  eine  Landschaft  ohne  irgend- 
welche Umfassung  den  Römeni  als  Waifenplatz  gedient  hat? 

Am  Schlüsse  (S.  24,  12)  erwirbt  sich  Veith  unsern  Dank  daftir, 
dass  er  in  der  Borken-  Raesfeld-  und  Schermbecker  Strasse^  so  viel 
wir  wissen,  zuerst  ein  echt  römisches  Dammwerk  entdeckt 
hat.  Sollte  es  ursprünglich  nicht  gar  als  eine  Landwehr  (limes) 
geschaffen  und  später  erst  als  Weg  befahren  sein,  so  lag  sicher 
ein  ähnliches  Werk  in  östlicher  Nähe  daneben,  von  dem  Veitli 
vielleicht  noch  nichts  wissen  konnte.  £s  zog  ans  der  Gegend 
von  Südlohn  2  km  östlich  an  Borken  vorbei  über  das  ^Lammers- 
feld^  und  den  „Wallenkamp^  auf  Rhade,  dann  in  stldwestlicher 
Schweifung  am  „Hilgenberge"  vorbei  auf  und  über  die  Lippe;  leider 
steht  dahin,  ob  es  römischen  Ui*sprung8  ist.  Die  römischen  Land- 
und  Grenzwehren  wachsen  gen  Osten  bis  Lippstadt  hin  immer  mehr 
an  Zahl  und  treffen  oder  kreuzen  mehr  oder  weniger  senkrecht 
die  Lippe. 

Ein  weit  ausgedehnteres  Feld  der  Untersuchung  nahm  £.  Dfln- 
zelmann  für  das  „römische  Strassennetz  in  Nord- 
deutsch land"  1894*)  mit  drei  Karten;    es  reicht  von  der  Ems 


1)  Abdruck  aus  A.  Fleck  eisen 's  Jahrbücher  für  dasslsche  Philo- 
logie.   Supplementband  XX,  83—141. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      197 

bis  znr  Weser  und  fflr  einzelne  Strassenzüge  gar  bis  zur  Elbe;  im 
Westen  und  Süden  der  Ems,  also  in  der  Provinz  Westfalen  begreift 
es  jedoch  nur  den  Regierungsbezirk  Münster;  das  Lipperevier  und 
den  Haarstrang.  Beim  Verfolg  der  Strassen  spielen  nacbdrücklicb 
oder  gelegentlieh  in  die  Erörterung  germanische  Völkersitze,  römische 
Kriegszüge,  Castelle  (Marschlagcr,  Erdwerke),  die  Gegend  der  Va- 
russchlacht, sodann,  wie  bei  diesem  Schriftsteller  vorauszusehen,  die 
Bedeutung  der  Hunte  und  der  Hunteburg  (=Aliso),  und  was  sonst  noch 
alles  vermuthet  oder  behauptet  wird. 

Wir  lassen  hier  die  nebenläufigen  Aeusserungen  und  den  gröss- 
ten  Theil  des  auf  einer  Karte  veranschaulichten  Strassennetzes  auf 
sich  beruhen;  denn  „die  stattliche  Anzahl"  von  Strassen,  die  Dünzel- 
mann  bis  jetzt  gefunden  (S.  84)  hat,  würde  uns  in  Gebiete  führen, 
denen  sich  sonst  diese  Zeitschrift  verschloss,  und  uns  ausserdem 
eine  äusserst  umständliche  Boden-  und  Ortsforschung  auferlegen. 
Diese  könnte  bei  hinlänglicher  Müsse  und  voller  Anstrengung  nach 
den  Erfahrungen,  die  wir  bei  der  Strassenforschung  gemacht  haben, 
vielleicht  erst  in  Jahren  zu  erledigen  sein;  eine  Gesammt- 
prttfung  der  DUnzelmann 'sehen  Arbeit  möchte  gar,  fürchten  wir, 
schwerlich  mehr  mit  dem  Räume  und  den  Zwecken  einer  Zeitschrift 
überhaupt  in  Einklang  stehen,  insofern  voraussichtlich  wiederholt 
zur  Beurtheilung  des  Vorgetragenen  auf  die  Elemente  der  urge- 
schichtlichen Forschung  und  ihre  wankenden  und  festen  Ergebnisse 
zurückznschauen  und  stellenweise  eine  unnütze  Erörterung  vorzu- 
nehmen wäre;  denn  wieder  und  wieder  frappiren  uns  kühne  Ver- 
muthnngen,  Begründungen  und  Aussagen,  ein  leichtes  Hinwegsetzen 
über  einschlägige  Vorarbeiten,  solche  Querstellungen,  um  nicht  zu 
sagen,  Verstösse  gegen  die  errungenen  Fundresultate  und  eine  so 
gemächliche  Art  der  Ortsforschung,  dass  man  versucht  ist,  da  und 
dort  an  dem  Ernste  der  Auslassung  zu  zweifeln. 

Daher  beschränken  wir  uns  einfach  auf  jene  Strassen,  welche 
Dünzelmann  der  Provinz  Westfalen  zuerkennt.  Hier  hat 
auch  die  Erforschung  der  römischen  Landstrassen  im  engem  Nord- 
deutschland zuerst  ihren  Anfang  gehabt  und  dann  in  den  letzten 
Jahrzehnten  unter  Schneider,  Hülsenbeck  u.  A.  solchen  Aufschwung 
genommen,  dass  bis  jetzt  erfreuliche  Ergebnisse  in  einer  ziemlich 
reichhaltigen  Literatur  niedergelegt    sind^).     Leider  haben  wir  von 

1)  Vgl.  J.  B.  Nord  hoff,  das  Westfalen-Land  und  die  urgeschicht- 
liehe  Anthropologie  1890,  S.  5,  34  ff.,  N.  in  Bonner  Jahrbb.  H.  95,  223  f, 


198  Nordlioff  und   Westhoff: 

voraherein  zu  erklären:  Die  hier  von  DüDzclinann  der  Beitherigen 
Forschung  bestrittenen  Strassen  sind  vorbanden,  die  von  ihm  gefun- 
denen sind  etwa  mit  Ausnahme  der  Strecke  Minden-Leese  *)  nicht 
oder  nur  in  gewissen  Strecken  vorhanden. 

Es  konnte  nicht  andei*s  kommen,  da  Dünzolmann  die  wichtig- 
sten Kriterien  zur  Bestimmung  einer  Römerstrasse  abweist  und  die 
von  ihm  als  Maass  genommenen  durchaus  nicht  genügen. 

Als  westlichste  Römerlinie  giebt  Dünzelmann  der  Provinz  (S. 
133,  117)  eine  Strasse  von  Xanten  über  (Brünen)  Borken,  Coes- 
feld nach  Rheine;  Spuren  davon  gehen  ihm  von  Borken  südlicher 
als  bei  v.  Veith  (oben  S.  186)  fest  bis  Coesfeld,  dann  noch  ein- 
mal in  eineni  „Postwege"  von  2  km  Ausdehnung  nördlich  von 
Burgsteinfurt  auf  und  diese  kurzen  Strecken  genügen  ihm  völlig, 
ohne  Bedenken  die  Stunden  langen  Mittelstüeke  durch  Punktiruug 
einzusetzen,  sodass  ein  beträchtlicher  Strassenzug  herauskam. 

Sein  Anfang  über  Brünen  bis  Borken  kann  als  punktirtc  d.  h. 
als  vemiuthliche  Strecke  nicht  mehr  ins  Gewicht  fallen,  wie  wir 
vorhin  nachwiesen;  dagegen  ist  ihr  Fortgang  auf  Coesfeld  sicher 
ein  Glied  einer  grossen  Römcriinie,  deren  Ostlauf  durch  den  Süden 
von  Coesfeld  auf  Münster  abzielt.  Das  beweisen  hier  Dammreste, 
dort  der  Name  „Königsstrasse"  und  zumal  römische  Fundstücke  bei 
Borken,  Coesfeld  (östlich)  und  Nottuln.  Nichts  davon  bei  Dünzelmann; 
er  betritt  auch  statt  des  Ostlaufes  aus  dem  Westen  von  Coesfeld 
einen  Irrweg  nach  Rheine;  denn  diesem  gehören  weder  Dämme,  noch 
nimische  Seitenfunde  an,  und  der  kurze  Postweg  nördlich  von  Burg- 
steinfurt, der  als  voller  Eintrag  der  sonst  nur  punktirten  Linie  den 
Stempel  aufdrücken  soll,  befindet  sich  überhaupt  in  einer  fund- 
losen  Gegend. 

Jenseits  Rheine  ist  daher  die  Strecke  bis  Hopsten  nicht 
mit  Dünzelmann  an  diese  Bahn  zu  setzen,  sondern  an  die  grosse 
Bogenlinie  Rheine,  Ahaus,  Borken;  letztere  ist  von  ihm  zwar  Verstössen 
(S.  89),  aber  von  ernsten  Männern  verfolgt,  stellenweise  mit  Lager- 
stätten und  zu  Stadtlohn,  Nienborg  und  Rheine  mit  römischen  und  an 
letzter  Stelle  mit  sehr  merkwürdigen  Funden  behaftet. 

Von  dem  Strange  Bentheim   bis    Osnabrück    (S,  134) 

1)  Sie  ist  von  uns  nicht  untersucht  und  daher  hier  von  der  Bespre- 
chung ausgeschlossen,  wie  auf  dem  Westufer  der  Weser  die  zu  Minden 
zusammengehenden  Endstrecken  von  nördlichen,  nicht  pro vinzialen  Strassen, 
zumal  da  diese  von  D.  nur  vermuthet  werden. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.       199 

hat  sich  die  Westlinie  bis  Rheine  durch  kennzeichnende  Funde  zu 
Ohne,  Schtittorf  und  Bentlieim  als  römische  erwiesen  —  der  Üst- 
lauf  bis  Osnabrück  dagegen  als  eine  Täuschung  oder  Entstellung. 
Er  wird  nämlich  von  Dünzelmann  in  gerader  Richtung  auf  Osna- 
brück gelegt,  also  über  den  Osning  —  dagegen  spaltet  sich  die 
wirkliche  Linie  im  Nordwesten  des  (icbirgcs  vor  Bevergern  und 
begleitet  dann  mit  dem  einen  Anne  im  Norden  über  Ibbenbüren 
und  Lotte,  mit  dem  andern  im  KSüdcn  über  Riesenbeck  und  Bissen 
den  Gebirgsfuss.  Für  die  Echtheit  der  Südliuie  sprechen  wichtige 
Funde  zu  Riesenbeck,  Disseu  und  Halle. 

Und  wie  steht  es  mit  einem  grossen  Nordoststrange,  den  Dünzel- 
mann (S.  133)  von  Xanten  bis  W  u  1  f  e  n  in  Punkten  und,  nachdem 
ihm  zwischen  Wulfen  und  Haus  Dülmen  eine  leibhaftige  Römerstrasse 
erschienen,  von  hier  bis  Münster  wieder  in  Punkten  aber  sonst  ohne 
umstände  als  römische  Bahn  ausgibt?  Freilich  ist  es  von  Dülmen 
westwärts  ein  gewöhnlicher  Weg  d.  h.  wie  oben  (Ö.  192)  gesagt, 
ohne,  jegliche  Spur  römischer  Funde  und  Benutzung.  Seiue  Fort- 
setzung von  Münster  über  Greven,  Ladbergen  nach  Lengerich  verdient 
nicht  in  so  unzweifelhaften  Strecken,  wie  Dünzelmann  sie  zeichnet, 
den  Werth  einer  Römerstrasse,  indem  nicht  einmal  für  ihren  ur- 
heimisehen  Charakter  irgendwo  ein  stichhaltiger  Fund  eintreten 
will;  der  erste  Theil  eines  Weges,  den  Dünzelmann  von  ihr  aus 
der  Bauerschaft  Sandrup  über  die  „Schiflffahrt"  der  Ems  und  über 
Ladbergen  ziemlich  gerade  auf  Osnabrück  abzweigt,  kann  vollends 
nur  für  ein  Luftgebilde  gelten,  da  auf  dem  Erdboden  Nichts  davon 
zu  sehen  ist. 

Nun  Dünzelmann's  grosse  und  zackige  Linie  Ünna-Hamm- 
Drensteinfurt-Münster-B evergern:  sie  erscheint  im  Süden  bis Dren- 
stcinfurt  als  Vermuthung  —  durchaus  mit  Recht,  denn  diese  auch 
anderswo  *)  angenommene  Römerlinie  lässt  sich  wohl  nicht  mehr 
festhalten,  da  die  daran  gefundene  Römermünze  bei  Borgmühle 
vielmehr  einem  nachträglich  entdeckten  Strange  angehören  wird, 
der  sich  mit  der  Bauart  und  mit  Münzfunden  bei  Werwe  und 
Bockom  als  Römerwerk  dokumentirt.  Er  kommt  von  Kessebüren 
und  streicht  ziemlich  gerade  auf  Münster,  ohne,  wie  Dünzelmann 
(S.  133)  wähnt,  Albersloh,  Drensteinfurt,  geschweige  Hamm  zu  be- 


1)  Kunst-   und  Geschieht  s  -  Denkmäler  der  Provinz  Westfalen,    be- 
arbeitet von  J.  B.  Nordhoff.  L  Kreis  Hamm  1880,  S.  7. 


200  N  o  r  d  h  0  f  f  xmd   W  r  s  t  h  o  f  f ; 

rühren,  und  vereinigt  auf  sich  im  Norden  der  Lippe  Danim- 
strecken,  Erdwerke,  charakteristische  Funde  und  Flurnamen. 

Dieser  Strang  entlässt  auch,  doch  nicht  wie  auf  Dttnzel- 
mann's  Karte  zu  Drensteinfurt,  sondern  südwestlich  davon,  zu 
Mersch  einen  Seitenarm  auf  Hamm,  der  sich  vor  Hamm  auf  dem 
Nordufer  der  Lippe  mit  anderweitigen  Strängen  vereint  oder 
kreuzt.  Dieser  Umstand,  Dammreste  und  auszeichnende  Flurnamen 
verleihen  ihm  die  Gewähr  der  Echtheit,  „Nördlich  von  Münster, 
links  vom  Hause  Havichorat  zweigt  von  der  Chaussee  Münster-Len- 
gerich ein  Weg  nach  nGreven  ab,  die  alte  Römerstrasse",  so  heisst 
es  bei  Dünzelmann  S.  133  —  ganz  unzutreffend:  der  Zweig  ver- 
bindet nämlich  in  Wirklichkeit  Münster  und  Greven  in  einer  ziem- 
lich geraden  Flucht,  die  mit  Havichoi-st  Nichts  zu  thun  hat,  fällt 
dann  in  Strecken  bis  Saerbeck  mit  der  Dünzelmann'schen  Linie 
zusammen,  doch  auch  nur  soweit;  während  diese  nämlich  nach 
Bevergern  zielt,  geht  die  thatsächlichc  Fortsetzung  von  Saerbeck 
auf  Riesenbeck  und  Hopsten. 

Die  Reihe  der  Dünzelmann'schen  Linien  mit  Nordrichtung 
schliesst  S.  139  im  Osten  der  Provinz  eine  grosse  Strasse  von 
M a r s b e r g  über  Paderborn,  Bielefeld  nach  Osnabrück,  und 
zwar  ist  die  Strecke  zwischen  den  beiden  letzteren  Städten  in 
einer  Ausdehnung  von  beiläufig  45  km  hinzu  gedacht,  nachdem 
das  ganze  Endstück  von  Bielefeld  nach  Süden  als  Römerwerk  auf- 
gebauscht war.  Nun  ja!  über  den  Zug  von  Paderborn  bis  Mars- 
berg bestehen  nach  den  seit  1859  bekannten  Untersuchungen  des 
Obei*st-Lieutenants  Schmidt  nirgendwo  Bedenken;  von  Paderborn 
nach  Norden  ging  doch  die  zuverlässige  Römeretrasse  über  Neu- 
haus durch  die  Dörenschlucht  ins  Werrethal  zur  Weser  ^),  und  nicht 
auf  Bielefeld.  Eine  gerade  Verbindung  hatten  Paderborn  und  Biele- 
feld von  jeher  lediglich  in  einem  heimischen  Sandwege,  der  am  West- 
fusse  des  lippischen  Waldes  längs  der  Senne  verläuft  und  nur  die- 
sem entspricht  die  betreflTende  Strecke  bei  Dünzelmann.  Sobald 
es  auf  eine  gangbare  Bahn  und  festen  Fuss  ankam,  mnssten  die 
Römer  ihre  eigene  noch  in  Dammstücken  vorliegende  *)  Kunststrasse 
mit    einem   gewissen  Umschweife  benutzen ;    sie  ffthrte  von  Pader- 


1)  F.  Htilsenbeck ,  Die  Gegend  der  Varusschlacht  nach  den 
Quellen  und  Lokalforschungen.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Pader- 
born 1878  S.  5. 

2)  Vgl.  Bonner  Jahrbücher  1894  H.  95.  225,  228. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erd werke  in  Westfalen.      201 

borii  über  Delbrück  uud  Wiedeubrück  und  von  hier  mit  einer  von 
Westen  heranziehenden  Strasse  durch  die  Bielefchler  Schlucht. 

In  vorwiegend  östlicher  liichtung  kommt  bei  Dtinzelmann 
(S.  132,  130)  nur  eine  einzige  lange  Heerstrasse  in  Sicht  —  von 
Doreten  über  Recklinghausen,  Dortmund,  Unna  über  die  Haar  auf 
Büren  gezogen  und  von  da  plötzlich  nach  Nordosten  auf  Paderborn 
abgebogen.  Die  Strecke  von  Dorsten  bis  zu  der  oben  besprochenen 
Linie  Xanten-Wulfen  und  das  Glied  von  Recklinghausen  bis  Unna 
sind  von  Dünzelmann,  da  ^ihm  jede  Spur  zu  fehlen  scheint^,  in 
die  Linie  hinein  construirt,  —  entweder  aus  Irrthum  oder  aus  Fahr- 
lässigkeit, denn  die  Strecke  westlich  von  Dorsten  existirt  überhaupt 
nicht,  und  das  genannte  Bindeglied  liegt  vor  und  zwar  bestimmter 
durch  Römerfunde  bei  Marl,  Castrop,  Kirchlinde  bezeugt,  als  Dünzel- 
mann's  Haarweg ;  ja  das  Stück  Dortmund-Unna  ist  sogar  ein  Theil 
des  allbekannten  grossen  Hellweges,  der  sonst  leider  bei  ihm  keine 
Gnade  gefunden  hat. 

Der  H  a  a  r  w  e  g  erfreut  sich  dafür  einer  besondern  Beachtung 
(S.  89,  130),  nur  keiner  genauen  geographischen  Festlegung.  Er 
hat  auf  Dünrelmann's  Karte  seinen  Ausgang  bei  Unna,  in  der  Wirk- 
lichkeit aber  östlicher  in  der  Gegend  von  Werl  bei  Büderich  ^),  gewinnt 
in  einem  mehr  südlichen  Laufe,  als  bei  Dünzelmann,  die  Westgegend 
von  Büren  und  mag  dann,  wie  auch  die  Generalstabskarte  zeigt,  mit 
einem  nordöstlichen  Aste  zu  Paderborn  verenden,  kann  aber  laut  Dünzel- 
mann's  Meinung  mit  einem  südlichen  Aste  keinenfalls  auf  Knebling- 
hausen gehen,  weil  dieser  Ort  selbst  noch  auf  der  Nordflanke  seiner 
unbestrittenen  Linie  liegt :  es  überschritt  vielmehr  nach  der  Beobach- 
tung des  zuverlässigsten  Gewährsmannes*)  der  Haarweg  aus  der 
Südwestgegend  von  Büren  bei  Siddinghausen  die  Alme  unter  dem 
Namen  „Königsweg",  bei  Leiberg  die  Afte,  durchzog  als  „Hersweg, 
Hirschweg,  Hessweg"  das  Sindfeld,  kreuzte  dort  die  Strasse  Mars- 
berg-Padberg  und  ging  über  Meerhof  weiter  nach  der  Weser" 
—  also  in  einheitlicher  Ostflucht,  üebrigens  verliert  sich  auch  im 
Westen  mit  dem  Bogen  oder  mit  dem  Abschweife  auf  Büderich- 
Werl  höchstens  sein  Name,  indem  die  Vermuthung  Dünzelmann's, 
dass  er  eine  westliche  Fortsetzung  habe,  längst  als  wahrscheinlich 
und   sogar  mit  genauer  Ortsbestimmung   ausgesprochen  3)  ist.    Von 


1)  Hülsenbeck  a.  a.  O.  S.  5,  30,  32. 

2)  H  ü  1  s  e  n  b  e  c  k  a.  a.  0.  S.  5.    Derselbe,  Aliso  S.  174. 

3)  Kunst-  und  Geschichts-Denkmäler  der  Prov.  Westfalen  I,  6,  7. 


202  Nordhoff  und  Westhoff: 

dem  Abschweifungspunkte  bei  Bremen  geht  nämlich  eine  alte  West- 
strasse den  Haarrüeken  entlang  zwischen  Gräbera  und  Alterthttmern 
hindurch  über  W^iehagen  und  Bausenh«agcn,  um  bei  Wickede  jen- 
seits Unna  in  den  grossen  Hellweg  zu  münden.  Ist  etwa  die  Haar- 
strasse  in  ihrer  beträchtlichen  Länge  als  römische  Anlage  anzusehen 
und  den  Namen  ihrer  westlichen  Ortschaften  Wiehagen  und  Bausen- 
hagen  zu  entnehmen,  dass  sie  in  ihrem  Vorderlaufe  aus  Däumien 
bestand,  in  östlichem  UOhengange  aus  einer  Flachbahn? 

Denken  wir  nun  an  das  ÜUnzelmaunsche  Strassennetz  der  Pro- 
vinz zurück,  so  ergaben  sich  doch,  auch  wenn  es  probchaltiger 
wäre,  als  es  ist,  nur  einige  Fäden  des  t  hatsächl  ichen  Netzes: 
es  fehlen  die  mächtigsten  Züge,  die  einst  das  Land  oft  in  ge- 
drängter Folge  und  massigem  Baue  kreuz  und  (|ucr  überzogen,  es  fehlen 
namentlich  noch  Strecken  zwischen  der  Ems  und  mittleren  Lippe  M? 
darunter  eine  gerade  stolze  Mittellinie,  die  Emsuferstrasse,  sogar 
die  beiden  üferstrassen  der  Lippe,  die  doch  streckenweise  mit 
römischen  Werken  und  Klcinfunden  auf  beiden  Seiten  besäet  ist. 
Da  nun  so  wenig  Strassen  herauskommen  und  die  gegebenen  zum 
Theile  seltsame  Zickzacks  und  tiefbusige  Anschlüsse  haben,  so  dien- 
ten sie  Dünzelmann  bei  der  Beweisführung  leicht  dazu,  diesen  oder 
jenen  Kriegsmarsch  im  Sinne  des  Verfassers  und  zu  Ungunsten 
seiner  Gegner  zu  deuten  (S.  97,  105,  117). 

Dafür  verdichten  sich  ihm  die  Strassen  im  altwestfälischen 
Nordgebiete  der  Hunte  und  Haase  ganz  auffällig,  und  man  kann 
den  Gedanken  nicht  zurückwehren,  es  habe  darauf  auch  die  vom 
Bearbeiter  aufgestellte  Lage  des  Castells  Aliso  und  des  Varianischen 
Schlachtfeldes  eingewirkt. 

Man  hört  schon  längst,  wir  tragen  ganz  andere  Vor- 
stellungen von  der  Lage  und  von  der  BeschaflFenheit  der  Römer- 
strasse n  wie  Dünzelmann;  ihm  sind  sie  breite  Flachbahnen  (S.  90, 
118,  134)  von  mehr  als  örtlicher  Ausdehnung,  möglichst  gerade, 
strichweise  auch  Gemeindescheiden,  hin  und  wieder  wohl  noch  mit 
bedeutsamen   Namen,    wie   „Postweg",    „Folcweg"     .    .    .    belegt; 


1)  Nämlich  ucben  ,,dem  einzigen  Römerwege"  Münster-Hamni  bei 
Dünzelmann  S.  97.  1864  kannte  von  P  e  u  c  k  e  r ,  Das  deutsche  Kriegs- 
wesen der  Urzeiten  III,  361  als  Verbindung  von  Vetera  und  Aliso  lediglich 
den  grossen  Hellweg  im  Süden  der  Lippe,  indem  er  annahm,  dass  „inner- 
halb der  Marschgegend  zwischen  Lippe  imd  Ems  keine  Spur  von  römi- 
schen Bauwerken,  Lagern,  Strassen  oder  Wallinien  aufzufinden"  sei. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erd werke  in  Westfalen.      203 

eine  kiinstmässige  Zurichtung  ist  nicht  ausgeschlossen  (S.  93), 
doch  fehlen  Wälle  mit  Gräben  ganz  und  gar,  die  Hauptmerkmale 
einer  Römei'strasse. 

Wie  in  der  Charakteristik  der  Wege  weicht  Dünzel- 
mann  auch  in  ihrer  Erforschung  ganz  von  andern  Gelehrten 
ab;  die  Auffindung  und  Verfolgung  vollzieht  er  in  diesen  Strecken 
mittelst  des  Augenscheines,  in  jenen  einfach  mittelst  eines  Blickes 
auf  die  Reymannschen  und  andere  Hpecialkarten;  S.  88  gesteht  er 
ganz  oiFenherzig:  „Sie  alle  (nämlich  die  Wege)  in  derselben  Weise  (wie 
im  Beginne  der  Forschung)  zu  begehen,  würde  so  viel  Zeit  erfordern, 
wie  sie  einem  einzelnen  nicht  leicht  zu  Gebote  steht,  und  tlber- 
dies  überflüssig  sein.  In  vielen  Fällen  genügt,  es,  den 
Anfang  und  das  Ende  eines  jetzt  noch  völlig  vorhandenen  Weges 
in  Augenschein  zu  nehmen."  So  leicht  geht  das?  Keinenfalls 
existiren  für  ihn  in  Norddeutschland  römische  Dammwege  und 
warum  nicht  ?  weil  sonst  „nur  so  verschwindend  kümmerliche  Reste 
römischer  Heerstrassen  vorhanden"  wären,  „dass  es  sich  kaum 
lohnte,  Zeit  und  Mühe  auf  ihre  Erforschung  hin  zu  verwenden" 
(S.  90),  das  heisst  doch  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als  der 
Wissenschaft  zuzumuthen,  die  wirklichen  Römeretrassen  der  Vergessen- 
heit preiszugeben,  weil  ihre  Aufdeckung  zu  schwierig  ist,  und  daftilr 
andere,  nämlich  falsche,  zu  erfinden,  weil  diese  bequem  zu  haben  sind. 

Einzelne  Merkmale  der  Dünzelmann  'sehen  Römer- 
strassen treffen  freilich  auch  bei  jenen  Wegen  zu,  die  wir  für 
Römerstrassen  halten,  doch  geben  sie  geringern  Ausschlag  ftlr  Römer- 
linien als  für  altheimische  Wegeszüge.  Auch  diese  haben  jetzt 
noch  oft  einen  weitgehenden  Lauf  wie  eine  beträchtliche  Breite 
und  zwar  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  sie  einst  zumal  in  den 
(ungetheilten)  Marken  und  Gemeinheiten  mit  der  einen  Rille  neben 
der  andern  eine  grosse,  an  gewissen  Stellen  vielleicht  die  Breite 
einer  halben  Stunde  hatten.  Sie  waren  allen  Culturanzeichen  zu- 
folge neben  den  Fusspfaden  längst  gebahnt,  als  die  Römer  ihren 
ländergierigen  Blick  über  den  Rhein  warfen,  sie  waren  doch  von 
Haus  aus  Bedingung  und  Ergebniss  der  vorzeitlichen  Völkerzüge, 
die  sich  mit  Vieh  und  fahrender  Habe,  wo  die  Zweckmässigkeit  ge- 
bot, von  den  üfenvegen  allmählich  auch  durch  dunkele  Wälder  und 
lichte  Heideflächen  wälzten  ^). 


1)  Vgl.  Bonner  Jahrbb.  H.  95,  227. 


204  Nordhoff  und  Westhoff: 

Es  lag  ja  in  der  Natur  der  Sache,  dass  die  Römer,  welche 
unter  Umstände  gar  Waidpfade  betraten,  beim  Vordringen  in  Nord- 
deutschland zunächst  die  v  o  r  f  i  u  d  1  i  c  h  e  n  Wege  nahmen  und  je 
weiter  ihr  Kriegsfuss  und  ihre  Aussichten  gingen,  die  passenden 
Strecken  erbreiterten  oder  ausbesserten  und  schliesslich  in  den  er- 
gebenen Volksgebieten  für  die  weitergehenden  Kriegsziele  besondere 
Marscbstrassen  durch  Feld  und  Wald,  wo  die  Flucht  es  wollte,  über 
Berg  und  Thal,  durch  Tief-  und  Fanlgrtiude  anlegten,  mit  Lagern, 
festen  Punkten  und  andern  Werken  flankirten.  Diese  aus-  oder 
neugebauten  Anlagen,  nicht  die  ursprünglichen  Wege  des  Landes 
sind  die  Gegenstände  unserer  Untersuchung. 

Was  im  Rbeingebiete  schon  Fiedler^)  1824  dfimraei-te  und 
F.  W.  Schmidt  2)  1828/29  einleuchtete,  bestätigten  der  General 
von  M ti f f  1  i n g (-Münster)  1834 3),  darauf  wieder  Schmidt  und 
spätere  Forscher  auch  für  Westfalen  —  nämlich  dass  die  Römer- 
strassen im  Durchschnitte  breite  Damm  Strassen  mit  schmalem 
Fahrwalle  sind,  und  dasselbe  beobachten  andere  Forscher  für 
das  südliche  Deutschland*),  selbst  Bergier  (1622),  den  Dünzel- 
manh  S,  92  bei  der  Beschreibung  seiner  Flachstrassen  heranzieht, 
fand  die  römische  Dammstrasse  auch  im  fernen  Süden.  Wenn  dem 
gegenüber  Dünzelmann  in  W^estfalen  •'^)  noch  ernstlich  an  Flaeh- 
strassen  festhält,  wie  mag  er  dann  die  Beobachtungsgabe  und  das 
Bewusstsein  jener  ausgezeichneten  Männer  beurtheilen,  die  mit  so 
musterhaftem  Aufwände  von  Geist,  Kraft,  Beharrlichkeit  und  Opfern 
die  alten  Linien  in  Dämmen  und  andern  Resten  aufstöberten  und 
mit  weitern  Mitteln  als  römische  Werke  nachwiesen? 

Wie  bekannt,    gehören    die    Römerstrassen    in    Westfalen 

1)  Gesch.  u.  Alterthümer  I,  167  (Landwehren).  Vgl.  J.  S  c  h  n  e  i - 
der,  Neue  Beitrage  zur  alten  Geschichte  und  Geographie  der  Rhein- 
lande (1868)  III,  33. 

2)  Bonner  Jahrbücher  (1861)  H.  31  p.  IV,  6.  v.  P  e  u  c  k  er  a.  a.  0. 
III,  249. 

3)  Vgl.  P  0  t  e  n  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie  22,  453. 

4)  Vgl.  Schneider,  Neue  Beitrage  (1876)  VIII,  5,  XIIT,  10, 11,  16, 17. 

5)  S.  91  citirt  D.  auch  L.  Hölzermann,  Localuntersuchungen 
die  Kriege  der  Römer  und  Franken  .  .  .  betreffend  1878  S.  69,  63,  62  als 
Gegner  der  Dammstrassen  und  vergibst  dabei,  dass  H.  bei  seinen  oft 
anfechtbaren  Forschungen  (vgl.  Bonner  Jahrbb.  95,  2:K)  ff.)  dieselben  offen- 
bar anfangs  übersehen,  aber  1869  (Schneider,  Neue  Beiträge  XIIT, 
17)  zugegeben  und  S.  5  seines  Werkes :  „Die  Dammerhöhung  der  Nord- 
uferstrasse  der  Lippe  in  zwei  Strecken"  anerkannt  hat. 


ftöinisclie  Landwehren,  Strassen  und  Krdwcrke  in  Westfalen.      ÖÖ5 

ZU  den  peinlichsten  und  nothwendigsten  Sorgen  der  Wissenschaft 
und  wenn  sie  bei  ihr  auch  fortab  eifrige  Pflege  fänden,  mögen  doch 
noch  Generationen  vergehen,  bis  sie  in  allen  Bahnen  aufgeklärt  sind. 
Denn  da  sie  hier  nur  in  geringfügigen  und  schlichtgestalteten 
Strecken  mit  Steinen  oder  Kies  gepflastert  oder  wie  zu  Essentho 
in  den  Felsen  geschlagen  ^),  vielmehr  wie  die  Landwehren  und 
andere  Befestigungen  zwar  in  starken  Gliedern,  aber  immerhin 
nur  aus  Erde  ausgeführt  wurden,  so  liegen  sie  heute  in  einem 
schwindsüchtigen  und  durchaus  unkenntlichem  Zustande  vor.  Und 
weil  die  Alten  über  den  Wegebau  überhaupt  *)  und  über  die  nähere 
Bauart  und  Lage  der  hiesigen  Römerstrassen  nur  unbedeutende 
Worte  verlieren,  so  musste  und  muss  man  zu  ihrer  Erforschung 
ihre  Reste  und  Spuren  selbst  auskundschaften  und  als  redende  Zeu- 
gen behandeln. 

In  der  That  waren  die  hiesigen  Heerstrassen  •^),  wie  ihre  üeber- 
bleibsel  schon  anzeigen,  weil  für  schwerbeladene  Heerkörper  be- 
rechnet, kunstmässige  Erdbauten  ersten  Ranges  und  von  gewissen 
Ausnahmen  vorläufig  abgesehen,  zusammengesetzt  aus  einem  Haupt- 
und  Wegedamm  (agger  viae),  zwei  schwächeren  Seitenwällen  ^und 
vier  Gräben,  wovon  zwei  innere  die  Dämme  schieden,  zwei  äussere 
sie  bewehrten  —  eine  Gliederung,  der  sogar  die  drei  hochgewölbten 
Durchgänge  römischer  Triumpfthore  entsprachen-;  es  sind  also  eigen- 
artige Denkmäler,  die  sich,  wenn  sie  mit  den  historischen  Erdwerken 
heute  allesammt  noch  intakt  vor  uns  lägen,  von  diesen  und  zwar 
auch  von  den  formverwandten  leicht  unterschieden.  Besonders 
zeichnet  sie  aus  ihr  Ausgang  von  dem  einen  oder  andern  Punkte 
des  Rheines  und  in  den  Hauptlinien  der  flotte,  meist  pfeilgerade 
Zug  oder  bei  etwaiger  Abweichung  die  sanfte  Curve,  dann  das 
schöne  Profil  der  Wälle  und  Gräben,  und  die  erstaunliche  Wucht 
der  gerundeten  Dämme,  kurzum  in  hohen  und  tiefen  Gliedern 
meistens  ein  so  breites  und  massiges  Werk,  dass  sie  den  Vergleich 


1)  Die  Belege  bei  Hülsenbeck,  Aliso  S.  176.  Schneider  in 
Picks  Monatsschrift  V,  618.  N.  in  Bonner  Jahrbb.  H.  95;  227. 

2)  Vgl.  Pauli 's  Realencyklopädie  S.  2547  ff. 

3)  Ueber  die  Strassen  und  Landwehren  im  Allgemeinen  vgl. 
Schneider  a.  a.  0.  V,  513  fT.  Ders.  Neue  Beiträge  (1876)  VIII,  1  ff.  — 
Einzelbelege,  die  des  Raumes  halber  in  Folgendem  nur  selten  beige- 
bracht sind,  finden  sich  vielfach  bei  Nordhoff,  K.  u.  Q.  Denkm.  d.  Pr. 
Westfalen  I,  5  ff.,  II,  4  ff. 


206  Nordhoff  und  Westhoff: 

mit  den  heutigen  Bahndämmen  leieht  bestanden  hätten.  Sie  nähern 
sich  da  und  dort  auch  wohl  bis  auf  eine  halbe  Stunde  ^),  lieben  die 
Höhen  und  Höhenrücken,  bevorzugen  nicht  die  wirthlichen  vor  den 
unwirthlichen  Strichen,  die  Ortschaften  oder  alten  Verkehrspunkte 
vor  den  Einsamkeiten  oder  liegen  gar  in  den  Besten  anspruchslos 
nahe  neben  den  heutigen  Wegen.  Falls  sie  örtliche  Verkehrspunkte 
treffen  oder  streifen,  so  hing  das  ab  von  der  Befolgung  altheimi- 
scher Linien,  von  dem  geraden  Gesammtlaufe  oder  von  der  Terrain- 
beschaffenheit; treten  sie  als  Grenzen  oder  Scheiden  historischer 
Gebiete  auf,  so  fallen  sie,  wie  an  der  Lippe  mit  Natnrgrenzen  zu- 
sammen, die  zu  allen  Zeiten  ihre  Rechte  wahrten,  oder  sie  spielen 
diese  Rolle  erst  in  jungem  Zeiträumen  und  dann  wiederum  nur  in 
örtlichem  oder  landschaftlichem  Belange.  So  schiessen  sie  oder  doch  die 
Hauptzüge  hier  mitten  oder  quer  durch  die  Bauerschaften,  Ge- 
meinden, Archidiaconate,  Temtorien,  wie  das  ihr  westlicher  oder 
südlicher  Ursprung  und  ihre  fernen  Zielpunkte  nach  dem  Osten  und 
Norden  erheischten;  es  sind  nicht  die  Ziele  des  gemächlichen  Land- 
schaftsverkehrs, es  sind  die  römischen  Kriegsziele,  die  sich  bis  zur 
Elbe  und  dem  Nordmeere  erstreckten  2).  Mit  andern  Worten,  die 
Dammzüge  unserer  Untersuchung  entstammen  einer  Zeit,  welche 
von  der  Gruppirung  der  spätem  Tenitorien  und  Landschaften  noch 
keine  Ahnung  hatte. 

Ueberschaut  man  die  Geschichte  bis  in  die  Urzeit,  so  gibt  es 
hier  kein  Volk  und  keine  Macht,  der  man  so  gewaltige  Erdbauten 
und  in  solcher  Anzahl  und  Lage  zuschreiben  könnte,  als  den  Rö- 
mern. Gehörten  sie  der  Neuzeit  an,  so  liessen  sich  ihre  Entstehung 
und  ihre  Erbauer,  was  bis  jetzt  nicht  vorkam,  doch  offenbar  in  der 
einen  oder  andem  Theilstrecke  bestimmen. 

Wären  die  Urvölker,  germanische  Stämme,  Sachsen,  Franken 
deutsche  Fürsten  oder  Landesherren  ihre  Urheber,  so  richteten  sieh 
die  Damntzüge  doch  nicht  nach  Berg  und  Thal,  viehnehr  zunächst 
nach  dem  landschaftlichen  Verkehre,  nach  den  Bauerschaften, 
Kirchplätzen,  Städten  u.  s.  w.,  so  gäben  sie  uns  mit  der  Annähe- 
rung gewisser  Strecken  auf  engem  Räume  ebenso  unlösbare  Räthsel 
auf,  wie  mit  ihren  grossartigen   und  zahlreichen  Anlagen,  ihrer  elc- 


1)  Z.  B.  zwei  bei  Münster.  Vgl.  Bonner  Jahrbb.  95,  228. 

2)  Th.  Mommsen,    Im    neuen  Reich  (1871)  I,    537  f.,    546,  550  f. 
V.  Peuckcr  a.  a.  0.  III,  247. 


bömische  Landwehren,  Strassen  und  Erd werke  in  Westfalen.      20? 

ganten  Bauart  im  Laufe  und  Profile.  Denn  fast  bis  zur  Gegenwart 
hin  hingen  regellose  Züge  und  Profile,  knuflfige  Auf-  und  Auswürfe 
den  anderweitigen  Erdv/erken,  sogar  jenen  sächsischen  Burgen  an, 
wofar  hiesige  Römerlager  zum  Muster  genommen  waren  ^). 

Durchschnittlich  gehören  die  W  e  g  e  zu  den  sehwachen  Seiten 
des  Mittelalters;  ihr  mortaler  Zustand  war  bis  in  die  bessere 
Frühzeit  des  17.  Jahrhunderts  eine  ständige  Plage  und  Qual  wie 
für  den  durchgehenden,  so  für  den  kleinen  Verkehr.  Daher  das 
Verkürzen  der  Kirchgänge  durch  neue  Pfarrgründungen  2),  daher 
die  unsäglichen  Beschwernisse  kleiner  Fahrten  und  Beisen ; 
noch  1603  entschuldigen  auswärtige  Hanseaten  ihr  Fernbleiben 
vom  Hansetage  zu  Münster  nicht  minder  mit  den  schlechten 
Wegen  ^)  wie  mit  Kriegsunruhen.  1606  spottete  die  grosse  Bre- 
mer Handelsstrasse  über  Osnabrück  und  Münster  nach  Köln 
von  Dortmund  bis  Hagen  allen  Begriffen*),  welche  der  Gegen- 
wart noch  von  den  schauderhaften  Hohl-  und  Waldwegen  vorschwe- 
ben. Nach  dem  grossen  Kriege  begünstigte  man  bis  in  unser  Jahr- 
hundert im  Geheimen  und  Offenen  mehr  die  engen  und  schlechten, 
als  die  guten  Wege,  um  mit  diesen  nicht  Soldaten  und  Fremdlinge 
anzulocken.  Daher  hatte  sich  der  Land-  und  Kaufmann  für 
schwere  Fuhren  überall  auf  jene  Jahreszeiten  zu  vertrösten,  worin 
ihm  entweder  Hitze  oder  Frost  den  Weg  härtete.  Was  dagegen  ge- 
schah, war  in  germanischer  und  sächsischer  Zeit  gewiss  kaum  nennens- 
werth-,  unter  Karl  d.  Gr.  wird  das  Schliessen  der  Brücken  und 
Floßstibergänge  und  das  Auslöschen  der  Wege  verboten,  die  Auf- 
bessemng  der  letzteren  oder  die  Ausfftllung  ihrer  morastigen 
Strecken  anbefohlen,  jedoch  von  neuen  Anlagen  wenig  gesagt.    Und 


1)  Vgl.  Hölzermann  a.  a.  O.  S.  50  fF.,  76  f.,  110,  Taf.  IV,  XIX, 
LXVII.  .  Wie  das  Wort  „Strasse"  in  der  römischen  viastrata  (v.  Peucker 
a.  a.  0.  III,  207),  so  entquillt  unser  Wall  dem  römischen  vallum. 

2)  Vgl.  Nordhoff,  Das  westfälische  Pferd  in  Natur  und  Offen- 
barung, Münster  (1891)  37,  S.  847.  Derselbe,  Holz-  und  Steinbau  Westfalens 
1873,  S.  370.  Weitere  Belege  aus  deml4.  Jahrh.beiLamey,  Codex  diplom. 
Ravensbergensis  p.  101  ff.,  aus  der  Zeit  von  1700  noch  in  Münster.  Ge- 
schichtsquellen III,  275. 

3)  F.  J.  Pieler  in  der  (westfälischen)  Zeitschrift  für  Geschichte  u. 
Alterthumskunde  XV,  238. 

4)  H.  Brockens  Reisebericht  von  J.  S.  Seibertz,  Quellen  der 
westfäl.  Geschichte  II,  238. 


2Ö8  Nordhoff  und  Westhoff: 

wie  damals  die  Pflege  der  Strassen  den  Beamten  nnd  Aebten*),  so 
oblag  sie  später  den  einzelnen  Herren  nnd  Fürsten  für  ihr  Gebiet, 
also  jedes  Mal  nur  für  kurze  Strecken  und  die  Ausführung  selbst 
den  Anwohnern  in  der  Landfolge  *).  In  der  Neuzeit  sollte  sich  die 
wichtige  Angelegenheit  durch  eingehendere  Verordnungen  **),  Hebung 
von  Wegegeldern*)  und  besondere  Wegemeister ^)  regeln  und  ver- 
vollkommnen, schlug  aber  auch  jetzt,  wie  uns  vorhin  die  Thatsachen 
bezeugten,  auf  grossen  Strecken  gerade  ins  Gegentheil  um.  Was 
die  Klöster  und  besonders  die  Cistercienser  für  den  Bau  und  die 
Besserung  der  Wege  thaten,  kam  nur  dem  landwirthschaftlichen 
Betriebe,  also  kaum  dem  weiteren  Verkehre  zu  Oute  und  wenig 
Nachfolge  hatte  sclieint  s  der  Osnabrücker  Bischof  Benno  (1068 
bis  1088)  —  als  hervorragender  Landwirth,  Baumeister  und  Inge- 
nieur trocknete  er  Sümpfe,  schuf  er  Verkehrstrassen  und  zog  unter 
persönlicher  Leitung  durch  das  im  Sommer  unpassirbare  Wittefeld 
zwischen  Engter  und  Vörden  einen  kunstmässigen  Wegedamm  •). 
Wenn  einmal  wie  zu  Nottuln  1297  statt  des  morastigen  ein  neuer 
Weg  eingerichtet),  wenn  da  und  dort  ein  anderer  angeschüttet 
ward,  so  handelte  es  sich  immer  nur  um  kurze  Strecken,  keinen- 
falls  um  so  propere  und  wuchtige  Dammstrassen  wie  jene,  die  wir 
den  Römern  zuerkennen  müssen.  Auf  diese  aus  den  zerfahrenen 
Geleisen  die  Bahn  zu  verlegen,  war  vielmehr  zu  allen  Zeiten  und 
überall,  wo  es  eben  passte,  die  sicherste  Errettung  aus  der  Noth. 
Sondt  haben  die  mächtigen  Dammzüge  mit  dem  Mittelalter  Nichts 
zu  thun,  als  dass  sie  dessen  Wege  völlig  in  den  Schatten  stellen. 
Auch   in   der  Culturgeschichte   stecken   klare   Beweis- 


1)  V.  P  e  u  c  k  e  r  a.  a.  0.  (1860)  I,  359  ff. 

2)  N  0  r  d  h  0  f  f  a.  a.  0.  37,  351  ff. 

3)  Das  Master  einer  damaligen  Wegebanordnung  vom  Jahre  1554 
in  Scotti's  Sammlung  der  Gesetze  u.  Verordnungen.  Cleve-M»rk  I,  137; 
dennoch  soll  nach  H  ö  1  z  e  r  m  a  n  n  a.  a.  O.  S.14,  15  die  erste  Wogoordnung 
seit  1684  von  Churköln  ausgegangen  sein. 

4)  Spormacher*s  Chronik  von  Lünen  ad  ann.  1514  bei  J.  D. 
von  Steinen,  Westphälische  Geschichte  IV,  1450. 

5)  Urkunde  von  1575  bei  A.  Tibus,  Weihbischöfe  von  Mün8t4>r 
1862  S.  116. 

6)  Vita  Bennonis  C.  15.  Thyen  bemerkt  in  den  Mittheilungen 
des  histor.  Vereins  zu  Osnabrück  (1870)  IX,  69 :  jetzt  ist  jenes  Terrain 
(des  Wittefeldes)  .  .  .  eher  eine  Sandwüste,  als  eine  Sumpfgegend. 

7)  Westmi.  Urk.  Buch  III,  Nr.  1571. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      209 

mittel  dafilr;  dass  sie  ttber  die  historischen  Zeiträume  tief 
hinabgehen  und  daaselbe  gilt  auch  von  den  den  Strassen  in 
Stärke  und  Bauresten  eng  verwandten  Landwehren  der  Römer. 
Diese  unterstützten  das  Vordringe  des  Kriegsvolkes  von  Anfang  an 
in  der  Stufenfolge,  dass  sie  alle  Mal  ein  erobertes  Ländgebiet  nach 
der  (feindlichen)  Frontseite  abschlössen  oder  besonders  wichtige 
Striche  und  feste  Plätze  auch  auf  andern  Seiten  und  einzelne  da- 
von anscheinend  wie  ein  Netzwerk  umgaben;  ja  16  naeh  Chr.  wur- 
den zwischen  dem  Gastell  Aliso  und  dem  Rheine  oder  vielmehr  auf 
der  Lippelinie,  die  ja  die  erste  Obsorge  der  Römer  war,  die  be- 
stehenden mit  neuen  limites  aggeresque  vermehrt  und 
verstärkt^).  Dass  beiden  Arten  wenn  auch  in  verschiedener  Bau- 
weise die  Bestimmung  des  Abschliessens  und  Befestigens  zukam, 
verräth  unwidersprechlich  ihr  gemeinsames  Pi^dieat  permonire.  Dier 
lim  es  bezeiehnete  und  deckte  einen  errungen  Landbesitz^)  und 
da  er  einmal  eine  Grenze  beziehungsweise  einen  geographischen 
Abschnitt  bedeutete,  konnte  auch  ein  schmaler  Rain-  oder  Quer- 
weg ^)  seinen  Namen  annehmen.  Agger  aber  ist  bei  Tacitus  vorab 
der  starke  Wehr-  und  Sperrwall :  so  erklärt  zwischen  zwei  germani- 
schen Völkern  *)  und  deshalb  sicherlieh  auch  zwischen  einem  ei*ober- 
ten  und  einem  anfechtbaren  Rönergebiete. 

Gegenüber  den  Strassensträngen  besitzen  die  Land  wehren 
im  allgemeinen  eine  geringere  Längsdehnung  und,  in  den  grössten 
Strecken  mehr  Biegung,   einen,  drei,  in  der  Regel  zwei,  die  stärk- 


1)  Tacitus,  Aniiales  If,  7.  .  / 

2)  Cf.  Vellejus  Paterculus,  Historia  Romana  11,  120  (a.  llpost  Chr. 
Tiberins)  nitro  Rhenum  cum  exercitu  transgreditur  . . .  penetrat  interiu^, 
aperit  limites,  vastat  agros  ...  Taci tus  1.  c.  1,  50  (a.  14  n.  Chr.) :  At  Ro- 
manus (Germanicus)  agmine  propero  s  i  1  v  a  m  Caesiam  I  i  m  i  t  e  m  q  u  e 
a  Tiberio  coeptum  scindit,  castra  in  I  i  m  i  t  e  eollocat,  frontem  ac 
tergum  vallo,  latera  concaedibus  raunitus.  Fl.Vopiscus,  Tacitus  c.  3: 
Nam  1  i  m  i  t  e  ra  trlansrenanum  Germani  r  u  p  i  s  s  e  dicuntur  .  .  ,  occu- 
passe  urbes  validas,  nobiies,    divites  et  potentes.    Vgl.  noch  oben  S.  185. 

3)  L.  Pauli,  Limesblatt  1894  Nr.  7,  8  p.  227.  Vgl.  besonders  For- 
cellini*s  Lexion  ed.  Schneebergae  s.  vv.  limes  u.  agger  und  die  ganz  ent- 
gegengesetzten Lehren  bei  Dünzelraann  S.  128,  dem  die  von  beiden 
Arten  noch  vorhandenen  Denkmäler  oder  Reste  gar  nicht  zu  existiren 
oder  der  Beachtung  würdig  zu  sein  scheinen. 

4)  Tacitus  1.  c.  II,  19. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUerthBftr.  im  Rheiiil.  XCVI.  14 


210  Nordhoff  und  Westhoff: 

8ten  gar  vier  Walle  jedes  Mal  mit  Grabengeleit  ^).  Der  Mittelgrabcn 
der  zweidammigen  Wehr  gleieht,  doch  vielleicht  nur  streckenweise 
d.  h.  dort,  wo  ein  Weg  durchschneidet*),  einer  tiefen  und  wo  er 
noch  von  dem  Wallholze  verdunkelt  ward,  einer  unheimlichen  Schlacht*'^). 

Da  die  Landwehren  wie  die  Heerstrassen  mit  ihren  Endsträn- 
gen,  zumal  wenn  diese  sich  noch  in  Holz  versteckten,  dem  volks- 
tbftmlichen  Auge  im  Fortstreichen  fast  gleichartig  erschienen,  so 
theilten  beide  auch  bei  den  Leuten,  welche  ihre  Verschiedenheit 
kaum  merkten  oder  in  Anschlag  brachten,  dieselbe  Bezeichnung  „Land- 
wehr" und  andere  Namen,  und  übertrugen  diese  gern  auf  Fluren, 
Höfe  und  Bauerschaften,  womit  sie  sich  in  ihrer  Flucht  berührten. 
So  ist,  um  gleich  ein  schlagendes  Beispiel  anzufahren,  der  Wege- 
strang,  welcher  vom  Merfelder  Bruche  (bei  Dülmen),  südlich  an 
Münster  vorbei^  auf  Warendorf  zieht  entschieden  der  Pathe  für 
die  von  ihm  gequerte  Bauerschaft  „Welte^  (Wallheide)  zu  Dül- 
men^), für  den  anliegenden  Hof  „Wallgert"  zu  Everswinkel  und 
weiterhin  für  den  Haupthof  und  die  Bauerschaft  Wallgarden  zu 
Freckenhorst  geworden,  die  er  im  Norden  begrenzt. 

Die  Bauerschaften  datiren  wohl  von  der  Einkehr  der  Sachsen- 
benrschaft,  die  Bauernhöfe  wohl  schon  früher  vom  Anfange  des  7. 
Jahrhunderts^)  und  da  beide  den  Bestand  jener  „Landwehren"  vor- 
aussetzen, so  müssen  diese  mindestens  über  das  7.  Jahr- 
hundert und  jedenfall  noch  tiefer  in  eine  graue  Vorzeit   und  in 

1)  So  scheinbar  mit  Mittelgraben  auch  der  Beckumer  Laufgraben 
(d.  i.  Laubgraben).  F.  W.  Sc  hm  i  dt  in  d.  Westfäh  ZeitRchr.  20,  286. 

2)  Wie  an  der  Lemkerberger  Kapelle  zu  Liesborn  und  in  einem 
Abzweige  der  Strömeder  Landwehr  zwischen  Erwitte  und  Qeseke. 

3)  Bemerkenswerth  ist  die  verschiedene  Charakteristik  der  römischen 
Landwehren  bei  Schneider,  Neue  Beiträge  III,  18,  XIII,  27;  sie 
lässt  sich  auch  zur  Zeit  wohl  kaum  verschärfen,  weil  die  Werke  später 
so  vielen  Verstümmelungen  und  Aenderungen  unterlagen,  dass  heute 
zweifellose  Original-  d.  h.  maassgebende  Strecken  nur  unsicher  mehr  zu 
finden  sind.  Erst  wenn  die  römischen  und  sonstigen  Dammlinien  in  mitt- 
lerem Umfange  kartographisch  festgelegt  sind,  sticht  die  Verschiedenheit 
beider  Gattungen  und  innerhalb  der  römischen  zwischen  Strassen  und 
Landwehren  deutlicher  hervor.  Vgl,  auch  die  Charakteristik  der  Römer- 
Strassen  unten  S.  213  f. 

4)  Vgl.  Schmidt,  Westfäl.  Zeitschr.  XX,  278. 

5)  Vgl.  Wippermann,  Bukkigau  1859.  S.  152,  165.  Nordhoff, 
Haus,  Hof,  Mark  und  Gemeinde  in  Nordwestfalen  1889,  S.  14  f.,  26,  vor- 
her S.  206. 


Röniischo  Landwehren,  Strassen  und  Ehrdwerke  in  Westfalen.       211 

welche  anders,  als  jene  der  Römerinvasion,  zurückgreifen.  Ihr  ge- 
meinsamer Name  „Landwehr"  *)  erklingt  heute  zwar  am  Häufig- 
sten %  jedoch  auf  Baaemhöfe  übertragen  sehr  selten,  als  wäre  er 
überhaupt  erst  spät,  etwa  angeregt  von  den  mittelalterlichen  Land- 
und  Stadtwehren,  die  gleichfalls  holzbepflanzte  Wälle  mit  Gräben 
waren,  in  Brauch  gekommen.  Aelter  erweisen  sich  ihre  gemeinsamen 
Namen  Lette  (= Letze?),  dieser  klebt  den  Dörfern  (Bauerschaften) 
Lette  bei  Coesfeld  und  Lette  bei  Herzebrock  dort  von  einem  be- 
nachbarten Strassen-,  hier  von  einem  Wehr-Damme  an,  —  älter  so- 
dann die  Namen  Gar  (Gor,  Gaor)  Wall,  Hagen  *),  (mit  dem  Haupt- 
begriflfe  des  Holzbestandes)  Damm  (Scheide?)  u.  a.;  vielfach  verein- 
ten sie  sich  mit  den  Namen  verschiedener  älterer  Anliegenschaften, 
so  dass  dabei  oft  sonderbare  Lant-  und  Silbenverschiebungen  heraus- 
kamen. Also  besäumen  und  kennzeichnen  fast  jeden  Strang  unserer 
Forschung  von  Westen  bis  Lippstadt,  vielleicht  noch  weiter  gen 
Osten,  oder,  so  fem  er  verschwunden  ist,  seine  einstige  Flucht 
die  Hof-  und  Flurnamen  Dämmer  (bei  der  Westenholter  Mühle), 
Dämmerwald  (westlich  von  Schermbeck),  Hagemann(-Meier,  -Mense), 
u.  s.  w.,  Eickhiägc*)  .  .  .  Wallewic*)  (Fallmeier,  Valland  zu 
Dreinsteiufurt)  .  .  .  und  viele  andere  mit  diesem  oder  je-  ■ 
nem  Grundworte.  Das  Wort  gar,  (engl,  care),  endlich,  dessen 
schützende  Bedeutung  sich  am  geläufigsten  in  „Gerkammer"  er- 
halten hat,  kommt  ledig  oder  in  Zusammensetzung  der  Bauer- 
schaft Garbeck  zu  Balve  an  einem  Süd-Nordstrange  und  den  alten 
Höfen  Gar,  Overgar  und  Pellengar  zu  Hinteler  (bei  Beckum)  zii*). 
Sie  liegen  an  einem  Sodoststrange  und  in  dessen  Flucht  der  Hage- 
mann, vielleicht  der  jüngste  von  den  Höfen. 

1)  Lau  wer,  Lender,  Läufer,  Lander,  Lamber,  Lämmer  (so  in  Zu- 
sammensetzungen wie  Lammergraben  bei  Böckenförde,  neben  welchem 
nördlich  eine  Wall-Landwelir  fast  parallel  geht)  —-  Die  Hofesnamen  mit 
Heit  .  .  .,  Heide  .  .  .  lansen  sich  wohl  eher  auf  den  Bodeneharakter  als 
auf  Heide  =  paganus  zurückführen. 

2)  Auffallend  häufig  dienten  Landwehren  als  Rücklage  der  Vem- 
gerichtsstätten. 

3)  Hiege,   Hiäge,   Hege.     Ueber  Wel(=WaU)te    vgl.  vorher  S.  189. 

4)  W^ter  mit  Einzelbelegen  bei  N  ordhof  f  a.  a.  O.  S.  12  f. 

5)  Ein  untergegangener  Hof  östlich  von  Beckum,  Westfäl.  Urk.- 
Buch,  Index  Geographicus  1871  S.  28  s.  v.,  an  einem  dort  verwischten 
Süd-Nordstrange. 

6)  L.  Steub,  Die  oberdeutschen  Familiennamen  1870  S.  20:  „Kar, 
ker,  gar,  ger  (goor)  bedeutet  Speer"  also  die  Handwehr. 


212  Nordhoff  und  Westhoff: 

Noch  mehr;  verschiedene  Plöfe  überkamen  geradezu  den  Namen 
Römer  baar  oder  zusammengesetzt  von  unsern  Wallsträugeu  und 
von  diesen  führen  einige  wieder  in  gewissen  Strecken  die  Namen 
^Romerstrasse^  oder  „Römerg"  (Römerweg),  d.  h.  nicht  nach 
Büchern^  sondern  nach  einer  lebendigen  Tradition,  welche  also 
keinerlei  Völkerverschiebung  zu  verwischen  vermochte*).  Dasselbe 
Alter  nehmen  auch  die  „Heidenstrassen^  auf  fruchtbarem  Boden  in 
Anspruch;  denn  welche  „Heiden"  hier  gemeint  ^ind,  kann  kaum 
einem  Zweifel  unterliegen.  Ein  besonders  lehrreiches  Licht  wirft 
es  auch  auf  unsere  Wallinien  oder  deren  ursprüngliche  Flucht; 
wenn  sie,  wie  das  wiederholt  eintritt;  Plätze  oder  verschwun- 
dene Werke  streifen,  welche  im  Volksmunde  mit  den  Römeni  irgend- 
wie in  Verbindung  standen  oder  einen  mit  „Römer"  zusammenge- 
setzten Namen  tragen. 

Genug  nach  ihren  volksthümlichen  Namen,  nach  ihrem  ört- 
lichen Laufe  und  den  meist  weitgesteckten  Zielen;  nach  der  Bauart, 
der  Ueberlieferung  und  den  Forderungen  der  Culturgesehichte  kann  die 
von  uns  ins  Auge  gefasste  Dammstiasse  keinem  andern  Volke  ihren 
Ursprung  verdanken;  als  dem  römischen.  Sie  liegt  uns  indess  nur 
mehr  in  Gedanken  fertig  vor;  in  ihrem  gegenwärtigen  Befunde 
zeigt  sie  sich  grösstentheils  vergangen  oder  entstellt  oder  von  Haus 
aus  mit  gewissen  Eigenthümlichkeiten  behaftet,  die  fQg- 
lich  erst  jetzt  in  Rede  kommen;  wo  wir  daran  gehen,  ihre  Linie 
wieder  auf-  oder  zusammenzusuchen.  So  verliess  diese  wohl  auch 
die  gerade  Flucht,  wie  es  scheint  dann,  wenn  ihr  ein  Ueberschwem- 
mungsland,  Moräste  oder  unwegsame  Holzdickichte  entgegenstanden, 
SO;  erftihren  wir  (S.  189),  war  eine  Theilstrecke  im  Merfe}der  Bruche 
nur  ein  einziger  Damm  und  im  Ganzen  eine  schmale  BahU;  und  so 
werden  andere  Strecken  auf  festem;  wegsamen  Boden  nur  in  einem 
Damme  ^)  oder;  wie  auf  Heide-  und  Sandgründen  anzutreffen,  in 
schwächeren,  auf  Faul-,  Lehm-  und  Kleigi'ünden,  die  noch  beute 
dem  schlichten  Wandersmanne  die  Tritte  so  sauer  machen,  in  stär- 
keren Werken,  als  gewöhnlich,  ausgebaut  sein,  —  auf  festem  Bo- 
den erfuhr  der  Dammbau  wahrscheinlich  eine  vollständige  Unter- 
brechung,   so   dass   zu   solch   einer    ursprünglichen   Lücke    unter 


1)  Belege   bei   Nord  hoff  in   der  westfälischen  Zeitschrift  89  1, 
148  fP. 

2)  Schönes  Beispiel  bei  Hülsenbeck,  Aiiso  S.  125  ff. 


Römische  Landwehren,  Strassen  tmd  Erdwerke  in  Westfalen.      213 

spätem  Aendemngen  noch  neue  kamen.  Und  gegenseits  enthalten 
einzelne  Stränge,  z.  B.  westlich  von  Telgte,  südlich  nnd  nördlich 
von  Warendorf  gar  fünf  Parallelwälle,  sei  es,  dass  der  vierte  und 
fünft«  als  ursprüngliche  Flankenwehren  oder  als  spätere  Zulagen 
anzusehen  sind.  In  diesem  Falle  kann  das  breite  Werk  hernach 
als  Zufluchtsstätte  oder  wer  weist  wozu  sonst?  benutzt  sein. 

Aerger  als  diese  Unregelmässigkeiten  belästigt  den  Nachweis 
der  römischen  Dammlinien  —  also  auch  der  Landwehren,  der 
misslichc,  bröckelige  Zustand,  worin  sie  im  Laufe  von 
nun  fast  2000  Jahren  geriethen.  Die  grössten  Strecken  völlig  er- 
loschen, sonst  orts-  oder  strichweise  nur  Spuren  oder  Beste  mehr, 
welche  für  sich  betrachtet  Räthsel  bedeuten,  und  nur  da  und  dort 
noch  kenntliche  doch  meist  kurze  Torsos;  die  letzteren  vorab  friste- 
ten dadurch  ihr  Dasein,  dass  sie  von  Dornen  und  anderm  Holzbe- 
stande mit  den  Wurzeln  befestigt,  mit  Ast  und  Laubwerk  geborgen, 
dass  sie  in  einsamen  Lagen  der  Vergessenheit  Übergeben  oder  spä- 
ter als  Grenzscheiden  belassen  und  als  solche  namentlich  in  Stadt- 
und  andere  Erdwehren  eingeschaltet  oder  als  Schutzgürtel  für  Ritter- 
und Raubburgen  unterhalten  wurden,  wie  einzelne  Römerlager  als 
deren  Zingel  *),  Gewisse  ein-  bis  mehrmalige  Strecken  lagen  bis 
in  unsere  Zeit  als  Curiositäten  oder  Räthsel  herren-  und  steuerfrei, 
gleichsam  verwildert,  inmitten  von  Privatgründen  dahin;  sie  fielen 
sogar  dem  Laien  auf,  der  von  ihrer  Herkunft  keine  Vorstellung 
hat,  und  die  kräftigeren  Torsos  imponirten  Jedermann. 

Und  wodurch  ward  das  Schicksal  der  einst  so  stolzen 
Wallstränge  heraufbeschworen ?  Theils  durch  die  Unbilden  der 
Natur,  theils  durch  das  Planen  und  Schaffen  der  Menschheit. 

Wo  Gehölz,  Gemeinheiten  oder  eine  Grenzlage  keine  Schonung 
verhiessen,  wurden  sie  mit  dem  Spaten,  der  Hacke  nnd  Pflugschaar 
zum  Besten  der  Bodenwirthschaft,  der  Hausanlagen  und  anderer 
Nutzung  beschnitten,  zerrissen,  erniedrigt  oder  eingeebnet,  sodass 
stundenweit  davon  Nichts  übrig  blieb,  als  zerstreute  Grabentiefen 
(Sunk)  oder  Erdhöcker,  auch  wohl  ein  Dammstück,  das  als  Wall- 
hecke Gnade   gefunden,    oder  ein   mit  Gras,    Holz')    oder  kleinen 


1)  So  die  Mahlen  bürg  bei  Recklinghausen.    Vgl.  Hülsenbeck,  Das 
römische  Castell  Aliso,  1873,  S.  130. 

2)  Die  „hölzerne"  Strasse  zu  Wadersloh  war  Theilstrecke  einer  Süd- 
Nordlandwehr. 


214  Nordhoff  und  Westhoff: 

Wohnungen    bestandener  Rain,    dessen  grader  Trakt  sofort   in  die 
Augen  springt. 

Vollends  verunstaltete  das  ursprüngliche  Bild  des  Strassen- 
zuges,  wenn  dieser,  wie  das  ganz  häufig  vorkam,  auf  kürzere  oder 
längere  Strecken  Fuss-  oder  Fahrwege  aufnehmen  miisste;  dann  blie- 
ben von  den  Gräben  und  Wällen  nur  schmale  Tiefen,  beschnittene 
Wall-  oder  Erdstücke  übrig  oder  es  verflachte  sich  das  ganze  Werk 
zu  einer  breiten  Bahn,  die  stellenweise  in  eine  l^rralicbe  Wasser- 
strasse ausartete.  Doch  auch  in  dieser  Erniedrigung  behauptet  die 
Linie  noch  häufig  gegenüber  ihrer  Bodeuumgebung  eine  merkliche 
Kronenhöhe,  und  beim  Verlassen  der  geraden  Flucht  eine  ungewöhn- 
lich schöne  Curve,  aber  selten  mehr  einen  Schimmer  vom  ursprüng- 
lichen Wall-  und  Grabenprofil. 

Thiere,  natürlicher  Vergang  und  gewöhnliche  üeberschwemmun- 
gen  vermochten  dem  wuchtigen  Wallkörper  kaum  Etwas  anzuhaben; 
wohl  aber  versanken  einzelne  Strecken  unter  Sandwehen  (S.  188)  und 
flachere  Steinbahnen  unter  dem  Erdboden  *)  oder  es  verloren  beim 
natürlichen  Anwachsen  des  Bodens  besonders  in  wässerigen  Stri* 
chen  die  Gräben  an  Tiefe,  die  Wälle  an  Höhe  und  Profilscbärfe, 
und  beide  ihr  markirtes  Gepräge. 

Wie  die  Lippe  einst,  als  sie  bei  Hultrup  ein  nördlicheres  Bett 
suchte,  gewaltsam  ihre  Nordnferstrasse  durchbrach,  so  bat  die 
Werse  einmal  in  Nordnähe  von  Handorf  bei  allmählicher  Ost- 
biegung die  Emsuferstrasse  mit  dem  Untergründe  unterwühlt  und 
verschlungen. 

So  zerstttokelt,  verdeckt,  entstellt  und  unkenntlich  prä- 
sentiren  sich  dem  Auge  die  einst  so  mächtigen  Römerstrassen, 
dass  sie  heute  bis  auf  wenige  Beste  den  sonstigen  Damm-  und  Erd- 
werken gleichen  oder  ähneln.  Dahin  gehören  ^)  als  ein-  oder  mehr- 
fache Dammlinien,  gleichfalls  von  Gräben  flankirt  oder  mit  Holz 
besetzt,  die  altgermanischen  und  sächsischen  Langwälle,  die  Land- 
gräben, die  germanischen  Völkerscheiden  und  namentlich  die  römi- 
schen Landwehren,  aus  der  mittleren  und  neuern  Epoche  die  Land-, 
Gemeinde-  und  Stadtwehren,  Markenauf wflife,  militärische  Anlagen 
aller   Art,    Zoll-    und   Wassersperren,    Jagdgrenzen    (westlich   von 

1)  Beispiele  bei  Hülsenbecki  Aliso  S.  92  und  Nor  dh  off,  Das 
Weatfalenland  1890  S.  5. 

2)  V.  Peucker  a.  a.  O.  IIT,  404,  415.  Nordhoff,  Hole-  und 
Steinbau  S.  124-130, 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  £rd werke  in  Westfalen.      215 

Greffeo),  die  stärkeren  Wallheckcn,  die  Dammwehren  neben  den 
Wegen  ^)  und  zumal  j^e  neben  den  Treibwegen^  wodurch  das  Vieh 
von  den  Höfen  zu  den  Gemeinweidcu  wandelte. 

Auch  d  i  e » e  Alterthttroer  zeigen  oft  vermöge  ihrer  Bauart, 
nachträglichen  VerstOmmelongen  und  Zuthaten  ein  so  verschwommenes 
und  formloses  Aeossere,  dass  sie  den  entstellten  und  verkom- 
menen Resten  einer  Römerstrasse  vollständig  gleichen  oder  doch 
frappant  ähneln.  Bereitet  es  der  Wissenschaft  schon  so  mühselige 
Aufgaben,  jene  Strassenreste  mit  ihren  ursprünglichen  und  spätem 
Lttcken  aufzudecken,  so  verwirrt  und  erschwert  sich  die  Boden- 
forschung noch  wesentlich  dadurch,  dass  die  Strassenreste  von  den 
gleichförmigen  Erdwerken  anderer  Art  zu  scheiden  und  auseinander 
zu  halten  sind. 

Ist  es  nun  ein  gewisser  Argwohn,  dass  Römerstrassen  unseres 
Begriffs  gar  nicht  existiren,  oder  es  ist  eine  laienhafte  Em- 
pfindung, dass,  falls  sie  da  gewesen,  ihre  Erforschung  und  Be- 
stimmung in  dem  dichten  Netze  von  anderweitigen  Wällen  und  Erd- 
werken beute  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sei,  wenn  sogar  Gelehrte 
und  sogenannte  Historiker  den  Tliatsachen  wie  dem  seitherigen 
Wissensstande  zuwider  im  Stillen  die  dornenvollen  Arbeiten  der 
Bodenforscher  belächeln,  vielleicht  gar  mit  Hohn  und  Nachstellung 
gen  lohnen. 

Wie  löst  sich  denn  das  Knäuel  von  Nebeln,  in  welches  sich 
die  mannigfaltigen  Damm-  und  Erdwerke  von  Urzeiten  her  gehttllt 
haben  oder  mit  andern  unsem  Zwecken  angemesseneren  Worten:  Wie 
sondeiii  und  klären  sich  daraus')  die  wenigen  Römerreste 
und  wie  gliedern  sie  sich  mit  ihren  ursprflnglichen  und  spätem 
Lttcken  unbestreitbar  zu  jenen  grossen  Dammwerken  aneinander, 
worauf  es  uns  ankommt? 

Die  Wissenschaft  ist  heute  so  weit  gediehen,  dass  sie  eine 
bestimmte  Antwort  geben  kann  und  diese  lautet: 

„Zu  dem  erstrebten  Zide  ftlhren  Studium,  Ortsforschung  und 
Speculation,      wenn   dabei   die   Sachbegeisterang,     allerhand   An- 


1)  Nordhoff  im  Correspondenz-Blatte  für  Anthropologie,  Ethno- 
logie und  Urgeschichte  1890  S.  108. 

2)  Ira  Allgemeinen  sind  die  nichtrömischen  ungeschUichter  im  Durch- 
schnitt, begrenzter  im  Lauf,  die  mittelalterlichen  zudem  schwächer  an  Breite 
und  Höhe  und  als  solche  auch  leicht  mit  historischen  Mitteln  nachzu- 
weisen ebenso  wie  einige  urzeitliche  nach  den  Völkerscbeiden* 


216  Nordhoff  und  Westhoff: 

streDgnngen  und  Opfer,  bei  haiidert  vergeblichen  Forschnngsver* 
Bnchen  die  ünverdrossenfaeit  and  der  günstige  Zufall  nicht  fehlen/' 

Niemand  kann  ernstlich  und  erfolgreich  an  das  heikele  Ge- 
schäft der  Strassensnche  gehen,  dem  nicht  anderweitige  Unter- 
weisung, die  nothwendige  Bekanntschaft  mit  der  Fachlitterafnr  und 
praktische  Vorübungen  als  Stütze  dienen.  Mit  dieser  wird  er  in  Ab* 
sieht  auf  einen  umfassenderen  Bezirk  an  einer  Wallhecke  oder  gang- 
baren Orabensenkung  ebenso  kaltblütig  voiHbergeheu,  wie  der  Jüger 
an  einem  Sperling  und  bei  jedem  Erdwerke,  das  ihn  anzieht^  zu- 
nächst fragen,  ob  es  auch  künstlicher  und  nicht  bloss  natürlicher 
Entstehung  (Düne)  sei.  Findet  er  dann  einen  langen  Wallzug,  der 
genau  in  eine  sonst  festgestellte  Römerlinie  passt,  so  darf  er  ihn 
von  vornherein  als  Theilstrecke  derselben  begrüssen,  zumal  wenn 
sich  daran  sonst  noch  Merkmale  fremdartiger  Entstehung  finden 
sollten. 

Funde  dieser  Art  sind  allerdings,  wie  nunmehr  kaum  zu  be- 
tonen ist,  Ringeltauben;  denn  nicht  leicht  begegnet  ihm  m  der 
Folge  so  bald  ein  römischer  Wallstumpf  wieder  und  sollte  ihm  diese 
Freude  blühen,  so  kann  sie  sich  schnell  in  Traurigkeit  verwandeln, 
weil  in  geraumer  Zeit  nach  jenen  beiden  Richtungen^  wohin  der  neue 
Fund  zeigt,  keine  oder  nur  verkommene  bis  zweideutige  Anschlüsse 
auftauchen  wollen,  auch  wenn  er  alle  Mittel  der  Suche  und  Be- 
stimmung versucht  Die  fraglichen  Anschlüsse  haben  vielleicht  in 
Stunden  und  noch  weiter  erst  Fortsetzungen  und  zwar  lediglieh 
in  Erdhöckem  und  -Senkungen,  die  möglicherweise  einer  ehemali- 
g^i  Römerlinia,  aber  auch  gerade  so  gut  andern  Dammwerken 
angehören  können,  zumal  wenn  in  der  Nähe  deren  noch  andere 
voriiegen.  Vorab  ist  jeder  Fund,  der  einschlägige  wie  der  zweifel- 
hafte mit  den  Seitenfunden  nach  BcschalTenheit  und  Lage  genau 
zu  beschreiben  oder,  sofern  es  angängig,  abzubilden,  da  nur  seine 
Beschreibung  als  ständige  Urkunde  und  namentlich  dann,  wenn  der 
Fund  untergehen  sollte,  fortwirkt,  wohingegen  eine  bloss  kartogra- 
phische Festlegung  schwerlich  alle  Eigenthümlichkeiten  so  genau 
wiederspiegelt,  wie  das  Wort, 

Um  nun  Ki&rheit  über  diese  Trümmer  und  namentlich  darüber 
zu  gewinnen,  ob  sie  von  einer  Römerlinie  stammen,  trägt  der  For- 
scher Pundstück  für  Fundstttck  mit  Linien  in  eine  Karte  ein,  und 
übersieht  dann,  ob  die  Einträge  einen  geraden  oder  doch  regelmässi- 
gen Zug  und  bei  einer  etwaigen  Abweichung  eine  gefallige  Curve 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      217 

machen  oder  nicht.  Kommt  eine  ungelenke  oder  künstliche  Linie 
herauBy  m  ist  die  Untersuchung  bis  auf  Weiteres  aufzugeben  und 
höchstens  der  eine  oder  andere  anscheinend  bedeutsame  Fundrest  im 
Auge  zu  bebalten.  Kommt  jedoch  auf  der  Karte  ein  regelmässiger 
Lauf  zum  Vorscheine,  der  sich  zudem  mit  spätem  6ebietsgi*enzen 
gar  nicht  oder  nur  streckenweise  deckt,  so  lohnt  sich  schon  eine 
Sichtung  der  Funde  und  ein  Ausscheiden  jener,  welche  sich  als 
nichtrömisch  darsteHen.  Die  übrigen,  auch  die  zweideutigen  Stücke 
sind  behufs  weiterer  und  namentlich  jener  Prüfung  festzuhalten,  ob 
auf  ihre  Flanken  oder  auf  ihre  Gesammtlinie  römische  Alterthümer 
kommen  oder  bestimmte  Kriterien  römischen  Ursprungs  passen, 
welche  wir  gleich  besprechen  wollen.  Jene  Stücke,  welche  die 
Probe  nicht  bestehen,  werden  vorläufig  ausgeschieden,  nicht  gänz- 
lich verworfen,  da  sie  bei  der  fortschreitenden  Untersuchung  immer 
noch  als  Reste  anderer  Römerstränge  oder  Erdwerke  ins  Gewicht 
fallen  können;  die  übrigen,  deren  Echtheit  bei  der  Probe  sicher 
oder  wahrscheinlich  hervortritt,  bilden  mit  dem  anerkannten  Damm- 
stumpfe  eine  römische  Linie.  Gehen  dann  Suche  und  Probe  in  der 
beschriebenen  Weise  voran,  so  wächst  hoffentlich  nach  beiden  Seiten 
die  Linie  Glied  um  Glied  und  in  den  meisten  Fällen  mit  solcher 
Gesetzmässigkeit,  dass  man  mit  Aussicht  auf  eine  bejahende  Ant- 
wort brieflich  bei  Ortskundigen  anfragen  kann,  ob  nicht  da  und 
dort  noch  ein  Wall-  oder  Grabenrest  in  dieser  oder  jener  Rich- 
tung oder  sonstige  einschlägige  Spuren  erhalten  seien.  Ist  dies  der 
Fall  und  zeigt  der  so  gewonnene  Zug  auswärts  zum  Rheine  oder  setzt 
er  eine  sonstwie  unbezweifelte  Römerstrasse  fort,  so  walten  kaum 
noch  wesentliche  Bedenken,  dass  wirklich  ein  Römerweg  ent- 
deckt  ist. 

Die  letzten  Bedenken  schwinden,  je  mehr*auf  den  Fund  fol- 
gende Kriterien  passen :  zunächst  eine  etwaige  Bestätigung 
durch  die  Berichte  der  Alten;  schade  nur,  dass  darin  ausser 
den  Flüssen  die  wichtigsten  Ortschaften  und  geographischen  An- 
haltspunkte, welche  auf  die  Lage  der  Wege  Licht  zu  werfen 
vermöchten,  so  allgemein  und  vage  auftreten,  dass  sie  auf  die 
gegenwärtigen  Ortsverhältnisse  nur  immer  noch  eine  gezwungene, 
also  fragliche  Anwendung  und  im  Ganzen  bei  den  Forschem  nur 
ein  getheiltes  Vertrauen  finden.  Die  Ortschaften  bei  Ptolemäus 
sprechen    ja    wohl    zur    Feststellung   wichtiger    Plätze,     so    bei 


218  Nordhoff  und  Westhoff: 

Hülsenbeck^)  in  betreff  des  Castells  Aliso  mit,  doch  kanm  unbe- 
stritten,  geschweige  denn    fttr  die  Wissenschaft   durchschlagend  ^. 

Höchst  werthvoll  sind  charakteristische  Funde  auf 
oder  an  einer  fraglichen  Linie  zumal  römische  Alterthflmer:  Mttn- 
zen,  Geräthe,  Geschirre,  Baumaterialien'),  Lager,  Wartehttgel  und 
wo  die  Oertlielikeit  wie  das  Lippenfer  es  mit  sich  bringt,  Hafen 
und  Erdanlagen  ^).  Die  Kleinfunde  allein  wiegen  so  schwer,  dass 
wir  nun  nach  langer  Forschung  und  weiter  Umschau  behaupten 
dürfen:  sie  gehören  nur  dem  engern  Flankenbereiche  einer  Römer- 
linie an  und  erscheinen  sie  isolirt,  so  wächst  über  oder  neben  ihnen 
unter  der  fortschreitenden  Suche  allmählich  der  Erdstrang  ans. 
Funde  anderer  Art  bekunden  anderweitigen  Gebrauch  vor  oder 
nach  der  Römerzeit. 

Als  äusserst  willkommene  Wegweiser  leisten  ihre  Dienste 
der  Forschung  wieder  gewisse  Haus-,  Orts-  oder  Flurnamen*), 
denn  sie  bezeichnen  die  Lage  vorhandener  oder  vergangener  Lang- 
dämme und  Erdwälle  ganz  zuverlässig,  am  häuiigstien  und  auf  einer 
Dammflucht  am  zahlreichsten  die  römischen  Denkmäler  dieser  Art, 
eben  weil  letztere  entweder  die  längsten  Linien  oder  die  imposan* 
testen  Erdwerke  ausmachten.  Mit  geringer  Ausnahme  gingen  die 
Namen  mit  andern  Begriffen  Verbindnngen  ein  allerdings  oft  so, 
das»  das  eine  oder  andere  Theilwort  zumal  in  der  platten  Ueber- 
lieferung  einer  vollständigen  oder  zweifellosen  Deutung  spottet. 
Dahin  gehören  die  früher  bereits  (S.  211)   benutzten  Namen  Land* 


1)  Gasten  Aliso  S.  60,  135. 

2)  Vgl.  über  die  ün Zuverlässigkeit  des  Ptolemäus  W.  Christ,  Ge- 
schichte der  Griechischen  Litteratur  bis  auf  die  Zeit  JustiniaMS,  1889, 
S.  506.  Ortsbestimmungen  nach  Ptolemäus  und  den  Annalen  des  Tacitus 
bezüglich  Urwestfalens  versucht  bekanntlich  L.  v.  Ledebur,  Das  Land 
und  Volk  der  Bructerer  (nebst  2  Karten)  1827,  S.  320  ff.,  306  ff.  Es  ist 
ein  Jammer  zu  sehen,  wie  der  gelehrte  und  scharfsinnige  Verfasser,  so 
gewandt  er  auch  mit  allen  Handschrift-Matcrialen  operirt,  doch  kaum 
jenen  Boden  findet,  den  nur  mehr  die,  damals  noch  fast  ganz  verkannten, 
realen  Quellen  der  Funde  und  Erdwerke  schaffen  konnten. 

3)  Wie  der  Eisenschub  eines  Stabes  von  der  Lippebrücke  bei  Han- 
sel zu  Lippborg. 

4)  Bei  Hülse nb eck  a.  a.  0.  S.  93,  95  mit  Karte. 

5)  Mehrere  davon  schon  benutzt  von  F.  W.  Schmidt  (1838/41)  in 
d.  Westf .  Zeitschr.  1859  S.  259  ff.  von  Hülsenbeck,  Das  Castell  Aliso 
8.  136,  der  auch  die  Zusammensetzung  mit  Castel  (=:0a8tellum)  anfoahm, 
dann  von  Nordhof f,  K.u,  G.  Penkm.  d.  Pr.  Westfalen  I  6  ff.,  II  7  ff. 


Römiscbe  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      219 

wehfy  Rom,  Römer  (Römerweg;  ^Römerg^,  Röroerheide).  Damm . . . 
Wall .  • .  Hagen^  Heide( . . .  nstrasse)^  Gar ;  dazu  kommen  Heer 
(Heres- . . .  Hers  . . .  Hess  . . .,  Heerweg  und  wahrscheinlich  dessen 
Ablaut,  Hellweg  ^X  König  (Königsweg  . .  .,  Königsberg  mit  dem 
Lager  bei  Haltern),  Postweg,  Höchte-  oder  Heigte-Weg  (von  Cappel 
zur  Westenholter  Mtthie)  nnd  an  gewissen  z.  B.von  einem  Wege  durch- 
schnittenen Punkten  der  Linie  Gat  (Kat)  Klinke  *),  Schling,  Strick 
(Hakstrick  zu  Wadersloh)/  endlich  Baum,  Bäumker  (Bäumer,  Baum- 
höer),  Schlater;  denn  oft  sperrte  später  ein  Baum  den  in  einen 
ZoUpass  verwandelten  Wegeeinschnitt  und  der  Schlüter  (Schliesser 
oder  der  Bäumker)  spielte  den  Baomhttter  (Baumhöer).  Aehnlich 
wie  Heide  spricht  das  Wort  Hun,  Hflne^)  Ar  ein  hohes  Alter 
des  von  ihm  betroffenen  Werkes.  Den  Namen  Borg  schliesslich 
theilten  nicht  nur  einheimische  Ringwerke,  wie  jenes  zu  Kirch-  und 
Nordborchen,  sondern  auch  römische  Lager  benachbarten  Ortschaften 
mit,  80  jene  bei  ,;Borken^'  (vgl.  oben  S.  194),  auf  dem  Heikenberge 
bei  „Bork'^  und  bei  Hnnsel  zu  „Lippborg^^  ^). 

Dann  und  wann  mögen  dem  Forscher  neben  den  ttberliefbr- 
ten  Ortsnamen  auch  Volkstraditionen ^),  naehdämmemde 
Spukgestalten,  selbst  Prophezeihungen  willkommene  Winke 
und  Bestätigungen  geben,  insofern  die  letzteren  widerwärtige  Er- 
innerungen an  den  Baa  und  die  Benutzung  der  Römerwerke  ver- 
gegenwärtigen ^). 

Stellen-  und  streckenweise   macht   sogar   die  Vegetation 


1)  Vorher  S.  201  und  von  Peucker  a.  a.  0.  III  207;  andere  Deu- 
tungen bei  N  o  r  d  h  o  f  f ,  Kr.  G.  D.  d.  Pr.  W.  I  6. 

2)  Zusammensetzungen  mit  Schöär  =  Scharte  scheinen  gar  nicht,  mit 
,,Sehei(=Scheide)mann"  bis  jetzt  kaum  an  römischen,  sondern  nur  an  hei- 
mischen Landwehren  vorzukommen. 

3)  Hun  =  Schwellung,  Höhe  (vgl.  Th.  Lohmeyer  in  d.  Verhand- 
lungen des  naturhistor.  Vereins  (Bonn)  1894.  Verhandlungen  51 1,  46)  an- 
geblich bezeichnend  bis  zu  Karls  d.  Qr.  Zeit  nach  Schmidt,  Bonner  Jahrbb. 
1845,  VII,  122,  124. 

4)  Das  Wort  „Teufel"  scheint  ebensowenig  wie  „Var"  im  Sinne  von 
Vams  den  Denkmälern  zuzukommen. 

5)  Ein  schlagendes  Beispiel  bezüglich  der  Linie  Merfelder  Bmch 
bis  Warendorf  in  d.  Westf.  Zeitschr.  39 1,  149. 

6)  Z.  B.  bei  H  ü  1  s  e  n  b  e  c  k  a.  a.  0.  S.  94,  95  und  die  Prophezei- 
hungen ebenso  im  Paderborner  GymnHsial-Programme  1878,  S.  29.  N  o  r  d- 
b off  in  der  Westf,  Zeitßchr.  39  I,  148. 


220  Nordhoff  und  Westhoff: 

den  Wegweiser;  denn  abgesehen  von  beslimmteti  Pflanzen,  die  man 
wohl  für  Gefährtinnen  der  Römer  angesprochen  bat,  entsprossen 
der  rerarbeiteten  Dammerde  leicht  tippigere  Gewächse,  wie 
einem  dürren,  müden  Umlande  und  daher  verräth  noch  hente  ein 
grüner  grader  Streifen  in  der  Füchtorfer  Heide  den  Lahf  und  ge- 
wiss einigermaiiBsen  auch  die  Breite  eines  eingeebneten  Römer- 
stranges. 

Aach  die  Flora  der  alten  Erddämme  ist  stellenweise  der  Um- 
gegend gana  fremd  (  gewisse  Pflanzen  lieben  ausserdem  den  rer- 
arbeiteten Boden  der  Böschangen  und  folgen  daher  den  Wallzttgen 
meilenweit,  so  das  Polypodinm  Dryopteris  und  Pbegopteris  von 
Schapdetlen  gen  Osten  bis  in  die  BauerschaitMecklenbeck.  Sie  können 
also  an  bestimmten  Stellen  leicht  Wahrzeichen  alter  Dammzüge  sein, 
aneh  wenn  diese  zerrissen  oder  gar  vergangen  sind. 

Diese  Kriterien  gewähren  der  Forschung  nicht  nur  einen 
Prüfstein  fllr  ihre  Errungenschaften,  sondern  auch  eine  wesentliche 
Beihülfe  in  allen  Stadien,  insbesondere  leiten  die  betreffenden 
Ortsnamen  und  die  Alterthümer  leicht  auf  die  Spur  einer  Linie, 
und  wo  diese  abbricht,  helfen  sie  den  Faden  wieder  aufhehmen 
und  weiterspinnen. 

Wie  sollen  aber  jene  Alterthümer,  welche  den  Inhalt  der 
Kriterien  ausmachen,  vor  allem  die  Begleitnamen-  und  Funde  sowie 
ihre  genauen  Fundstellen  zur  Kunde  und  Ausbeute  des  For- 
schers gelangen?  Das  ist  in  allen  Haupttheilen,  wie  wir  auch 
bisher  nicht  anders  voraussetzten,  die  mühsame,  verantwort- 
liche und  wieder  und  wieder  vergebliche  Sache  des  Forschers 
selbst  gerade  so,  wie  die  wissenschaftliche  Ausbeute  auch.  Da 
unsere  Wissenschaft  erst  eine  Stufe  erreicht  hat,  worauf  ein  kleiner 
oder  grosser  Fund  von  Diesem  so  von  Jenem  wieder  anders  beur- 
theilt  werden  kann,  so  hat  der  Forscher  auch  das,  was  etwa  Orts- 
k und  ige,  Schriften  und  Karten  an  Alterthumsftinden  mittheilen, 
an  Ort  und  Stelle  in  Bezug  auf  Beschaffenheit  und  Lage  nachzu- 
prüfen, so  lange  über  die  Zuverlässigkeit  der  Mittheilung  noch  ein 
Zweifel  besteht,  —  und  das  gilt  oft  weniger  von  den  schlichten 
Berichten  der  Alterthumsfreunde,  als  von  den  lauten  Behauptun- 
gen laienhafter  Schriftsteller. 

Jedes  Fundstück  bedeutet  eine  Urkunde  und  ein  Geschichts- 
denkmal, und  ist  es  einmal  von  Halbwissern  oder  Banausen  völlig 
verkannt,  übergangen,    falsch    oder   entstellt   in  die  Oeffentlichkeit 


Römische  Landwebren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      221 

geachleitderty  so  Terwirrt  und  venseitcht  es^  wer  weiss  auf  welche 
Dauer^  die  Wissenschaft  und  wenn  es,  wie  heutigen  Tages  so  sebneli 
m  beftlrchten,  der  Zerstöning^  Verstttnmieltng  nnd  dem  Untergänge 
anbeimfiiUt,  bevor  ihm  eine  volbtäBdige  Aufnahme  mid  fachmätmische 
BesehreibuDg  angedieh,  so  ist  der  Schaden  fllr  die  Wissenschaft 
grösser,  als  wenn  es  ewig  im  Dunkel  geblieben  wäre^).  In  der 
Wissenschaft  ist  nach  Lessing  „ein  falscher  Gmnd  schlimmer  als 
gar  kein  Grund/  kann  also  der  Laie  wohl  nützliche  nnd  noth- 
wendige  Handreichnng  leisten  —  dartkber  hinaus  reicht  sein  Fo- 
rum nicht* 

Gewiss  ist  beim  Sammein  des  Stoffes  beständig  Rüeksehäu 
auf  alle  einschlägige  Literatur,  auf  die  antiquarischen  Fundbe- 
richte, Kataloge  nnd  die  Etiketten  der  reichhaltigen  sogar  der  priva- 
ten Sammlungen  und  Ausstellnngen,  anf  die  Jahresberichte  der 
Geschiebts-  und  Alterthums-Vereine,  auf  zutreffende  Karten,  auf 
die  nähere  und  entferntere  Ortsliteratur,  kurzum  auf  alle  Ehruck-  und 
SehriftstOcke,  welche  sicher  oder  vermuth lieh  Beiträge  oder  auch 
nur  Winke  zur  Kunde  der  fragliehen  Alterthümer  vasprecken.  Auch 
das  ist  mehr  als  eine  Eintag»-Arbeit,  indem  sie  sich  selbst  bei  nicht 
zu  weit  gesteckten  Ortsgrenzen  leicht  auf  eine  kleine  Bibliothek 
erstreoken  mag.  Was  Handschriften  und  Karten  anbelangt, 
so  danken  wir  einem  sehlichten  gutsherrliohen  Protokolle  die  erste 
Notiz  über  eine  völlig  verschwundene  Lippe-Laudwehi*,  die  nun 
wohl  in  ganzer  Ausdehnung  aufgedeckt  ist  Ton  den  Karten 
geben  die  ausgiebigste  Ausbeute  an  WaUresten  und  Plui-namen  viei- 
leieht  auch  an  Funden  die  i^liehen,  die  Sehlaebtenpläne  der  letzten 
jAbrhufiderte,  die  Oeneralstab»-  -und  die  Kataster-Karten.  Die  letz- 
teren enthalten  zwar  gegentiber  den  nachweisbaren  utid  noch  vor- 
fiadlichen  Dammwerkeh  deren. vörkältnissmässig-  nur  ivenige,  dafat- 
entschädigen  sie  mit  vielen  ohaitahteristisehen  Flnrtiamen,  und  er- 
gänzen diesen  oder  jenen  Mangel  die  (ursprünglichen)  Handzeichnun- 
gen.  Reichhaltig  sind  in  beiden  Beziehungen,  vornehmlich  an 
Dammwerken   die  Qeneralstabskarien  r^   und   hier  vorab   die  mit 


1)  Das  gilt.nicht  bloss  von  den  prähistoriachen,  sondern  ebenso  sehr 
von  den  archäologischen,  historischen  und  künstlerischen  Denkmälern 
des  Mittelalters  und  der  Neuzeit;  sind  sie  einmal  der  falschen  Bearbei- 
tung und  dann  der  Vernichtung  anheimgefallen,  so  wachsen  sie  dem 
Historiker  nicht  wieder,  wie  dem  Botaniker  die  Pflanze. 


222  Nordhoff  und  Westhoff: 

C.  Fr.  von  MflfBing  (vgl  S.  204)  bearbeiteten  22  Blätter  des  Gene- 
rals K.  L.  von  Leeocq  aus  dem  Jahre  1805  ^). 

Auf  den  französischen  Schlachtplünen  des  siebenjährigen  Krie- 
ges endlich  fignrirt  offenbar  ans  militärischen  Gründen  wohl  noch 
die  eine  oder  andere  wncbtige  „Landwehr^,  die  unserer  Forechnng 
zu  Gute  kommt. 

Was  nun  die  Mittheilnngen  und  Nachrichten  von  Alte r- 
thamsfreunden  und  Ortskundigen  anbelangt^  so  sind  dieselben 
geradezu  unentbehrlich  und  gehörig  gesichtet  und  erprobt  oft  von  ganz 
weittragender  Bedeutung^  obschon  die  Ortsansässigen  in  den  selten- 
sten Fällen  einen  Langwall  weiter  kennen,  als  sie  ihn  täglich  sehen ; 
es  weiss  doch  der  Einsiedler  einer  Heide  über  mancherlei  Dinge 
seines  Gesichtskreises  Auskunft  zu  ertheilen,  die  nie  in  eine  Feder 
gedrungen  sind^  zumal  in  einer  Wissenschaft,  die  noch  zu  wenig  Ge- 
meingut geworden.  Und  gerade  wo  es  sich  um  verborgene  Alter- 
thümer  beliebiger  Art  und  eine  langwierige  Suche  handelt,  vermögen 
aus  diesem  oder  jenem  Winkel  die  Forschung  wesentlich  zu  be- 
reichern jene  Ein-  und  Anwohner,  welche  Lust  und  Liebe  zur  Sache 
und  gewisse  Vorkenntnisse  aus  Schriften  oder  mündlichen  Belehrungen 
besitzen.  Sie  stehen  ja  zunächst  einer  bezüglichen  Anfrage  meist  rathlos 
oder  gar  betroffen  gegenüber;  wenn  man  sie  dann  mit  Worten,  Schriften, 
bereits  gewonnenen  Fundbeispielen  näher  über  die  Gegenstände  und 
Endziele  der  Arbeit  verständigt,  oder  auch  eine  einschlägige  Wall- 
strecke  etwa  mit  Begleitalterthümem  an  Ort  und  Stelle,  andernfalls 
mit  einem  Kärtchen  erläutert,  so  sparen  sie  dem  Forscher  leicht 
und  gern  persönliche  Anstrengungen  und  Ausgaben,  indem  sie  den 
einen  gehaltvollen  Berieht  über  Funde  und  Fnndkrilerien  dem 
andern  folgen  lassen  oder  gar  ein&elne  Entdeckungen  mit  alten  Flur- 
karten  und  neuen  Photographien  belegen.  Ihnen  geben  zwar  prä- 
cise  mit  Erläuterungen  versebene  Fragebogen,  welche  nach  allen 
Richtungen  des  Forschungsgebietes  vertheilt  werden,  die  nächsten 
Anhaltspunkte  und  tragen  gehörig  beantwortet  dem  Forseher  aller- 
hand Material  zu:  aber  wie  viele  kehren  ansgeftlllt  zurück  und 
mit  welchem  Inhalt,  wenn  nicht  die  persönliche  Ermunterung  und 
Unterweisung  hinzukommt? 

Nun   gut:    die   dargelegte  Methode   der  Auffindung   und    des 


1)  Vgl.  P  0 1  e  n  in  d.  Allgemeinen  deutschen  Biographie  18,  108  — 
22,  462  f. 


Römische  Landwehren,  Strassen  und  Erd  werke  in  Westfalen.      223 

NacAwetees  einer  römiseben  Strasse  (und  Landwehr)  >)  verlangt  viel 
mehr,  als  das  Dünzelmann'sche  Verfahren  bethätigt,  sie  verbürgt 
aber  aneh  zuverlässige  und  vollständige  Resultate.  Um  dies  zu 
erproben  und  die  Kernpunkte  unserer  Austtkbrungen  zu  belegen,  ver- 
folgen wir  zuDfiSchlnsse  die  schöne  Römeratrasse,  die  uns  oben  ge- 
legentlich schon  (S.  190)  vom  Rheine  bis  zum  Merfelder  Bruche 
aufging  nordwestlich  von  hier  bis  Wieden brück  an  die  Ems. 
Von  dort  gibt  Schneider^)  ihren  Nordostlauf  über  Bielefeld  und 
Minden  bis  Hamburg,  den  Westlanf  bis  Mcrfeld  jedoch  regelmässig 
ein  oder  mehrere  km  in  südlicher  Parallele  neben  der  thatsäch- 
liehen  Linie. 

Sie  ist  in  den  fruchtbaren  Landstrichen  meistentheils  verwischt, 
in  verkehrslosen  Sumpfstrecken  offenbar  später  als  Strasse  befahren 
oder  verkommen  und  daher  gerade  in  diesen  Fluchten  arm  an  Be- 
gleitfunden und  doch  lässt  sich  ihre  Linie  noch  sicher  aufspüren. 
Sie  berührt  keine  Stadt,  kaum  ein  Dorf  nnd  scheidet  bei  ihrer 
Länge  nur  zwei  Mal  Gemeinden,  obgleich  sie  deren  ungefähr  sechs- 
zehn trifft  —  so  unbekümmert  nm  alles  Oertliche  strebt  sie  ihrem 
Ostziele  zu.  Ihr  gerader  Zug,  ihre  beschwerliche  Anlage  in  Klei- 
und  Moorgebieten  und  einige  stolze  Dammreste  machen  es  höchst 
wahrscheinlich,  dass  sie  als  letztes  und  abkürzendes  Glied  ihrer 
Gesammtlinie,  wenn  nicht  überhaupt  als  letzter  Römerbau  anzu- 
sehen ist 

Sie  geht  an  der  Letter  Klüse,  deren  Boden  noch  Römermün- 
zen enthielt,  in  der  Diagonale  der  von  Schneider  nndVeith  (S.  187) 
gemachten  Irrzüge  gerade  nach  Osten  zunächst  flach,  dann  merk- 
lieb  in  Walltrümmeru,  auf  der  Südflanke  versehen  mit  den  Funden 
einer  Steinwaffe,  Urne  und  Römermünze  bis  zur  Kreuzungsstelle 
der  Dortmund-Ensoheder  Bahn;  hier  Hegen  wieder  Spuren  der  Wälle 

1)  Das  ist  also  Sache  unablässig  ernster  Anstrengung  und  hei  dem 
Mitreden  so  vieler  Hülfswissenschaften  lediglich  Sache  vielseitiger,  gründ- 
licher Durchbildung  und  langjähriger  Uehung.  Liehhaherei  und  Halb- 
wisserei  mögen  ja  leicht  einen  offenkundigen  Fund  anschreiben,  ver- 
messen und  zeichneni  aber  das  alles  bedeutet,  auch  wenn  noch  soviel 
Geld  und  Diiute  vergeudet  wird,  keine  wissenschaftliche  Ausbeute, 
keine  feste  Grundlage  für  eine  richtige  Weiterspekulation. 

2)  Die  alten  Heer-  und  Handelswege  IX,  24,  25  mit  Karte.  Seine 
daselbst  IX,  24  nach  anderweitiger  Mittheilung  gemachte  Angabe,  kann 
sich  nicht  auf  seine  Linie  beziehen,  nämlich  Nord  hoff  habe  von  Dülmen 
aus  die  östliche  Fortsetzung  aufgefunden. 


224  Nordhoff  und  West  ho  ff: 

vor,  womit  sie  einst  im  Norden  von  Dülmen  als  Glied  der  Stodt- 
landwehr  weiterging^  und  bald  darauf  folgen  in  ihrer  Ostflueht  die 
Nachbarbanerschaft  „Deverhagen'^,  weiterhin  in  Norduähe  von  Hid- 
dingsel  der  Hof  „Wallering",  die  Flurnamen  „Langhegge''  und  „üever- 
hagen'^  Im  SOden  von  ^Overhageu''  kommt  sie  mi^kurzem  Damm 
als  Scheide  der  Gemeinden  Senden  und  Lüdinghausen,  später  mit 
Doppelwall  als  ^Langhegge^  am  „Sehimmelbaum^,  woran  im  Süd- 
osten der  Flucht  das  Haus  „Wallbaum"  ')  schliesst,  und  mit  einzel- 
nen Sandhöhen  im  Nordosten  von  Ottmarsbocholt  zum  Vorscheine. 
Nan  V6rliei*t  sich  in  der  Ostflueht  die  offene  Spur  vor  einem 
ehemaligen  Moorstriche  der  Davert;  aber  die  vereteckte  liegt  jeden- 
falls vor  in  der  ersten  Strecke  eines  breiten,  jetzt  stillen  Weges, 
der  von  Ottmarsbocholt  in  merkbarer  Nordbiegung  über  einem 
trockenen  Erdsaume  das  weisse  Venu  und  die  grosse  Wüste  um- 
geht. Im  Osten  passirte  die  Fortsetzung  jedenfalls  den  ^Reh- 
baum"  im  Süden,  die  „Ashegge"  im  Norden,  dann  erscheint  in  der 
Flucht  der  Gesammtlinie  ein  Kilometer  im  Süden  von  Rinkerode 
der  ^Kuhlenbäumer",  welcher  hier  einen  Pass  bewachte,  daneben 
ein  langer  Streifen  Hochholzes,  der  schnurgerade  südlich  am  Hause 
Göttendorf  vorbei  ostwärts  auf  den  2  bis  3  Kilometer  entfernten 
Grenzwächter  von  Albersloh  und  Drensteinfnrt  zeigt.  Dies  ist  ein 
plötzlich  unter  Strauchholz  auf  Lehmboden  aufragendes  breites  Erd- 
werk mit  drei  hohen  und  so  schön  gewölbten  Wällen,  wie  sie  nur 
selten  mehr  den  Forscher  erfreuen.  Es  vergeht  nur  zu  schnell 
unter  Culturen  und  Anbau.  Doch  bald  spielt  wieder  ein  „Wall- 
haus", dann  ein  ,, Bäumer"  den  Verräther  und  mitten  durch  die 
Gemeinde  Sendenborst  streicht  als  ^Landwehr"  und  ^Hagen"  wieder 
kühn  das  Dampiw.erk  fort,  und  dass  in  solcher  Länge,  wie  uns  a«f 
dieser  Linie  noch  nicht  begegnet  ist.  Die  Nachbarschaft  vertreten 
zudem  im  Norden  ein  „Hagenholt",  im  Süden  ein  „Hagenkamp", 
die  Fundstätte  eines  römischen  Geräths  und  endlieh  wieder  ein 
„Wallbaum".  Weiterhin  tritt  in  einem  gesegneten  Erdreiche  eine 
lange  Pause  ein  und  erst  2  km  im  Osten  des  Beckumer  Bahnhofes 
erscheint  zu  Oelde  auf  dem  „hohen  Hagen"  die  ^Romerstraote"  als 
Dammwerk  mit  der  Seitenflnr  „Morgenhagen"  und  dem  Hofe  „Bäumer" 


1)  Die  beiden  Bäume   bezeichnen  ungefähr   die  Einmünduugsstelle 
einer  mächtigen  Dammstrasse,  die  von  Südwesten  aufzog. 


komische  Landwehren,  Strassen  und  Erdwerke  in  Westfalen.      22& 

und  dann  weiset  die  Flucht  dareh  den  Süden  von  Oelde  neben 
Römermttnzen  vorbei  auf  den  „Hangbäumker",  dann  zwischen  ürnen- 
funden  hindurch  über  „Klesinanns  Bauin"  auf  St.  Vit.  Hier  mündet 
sie  in  den  breiten  und  geraden  Landweg  von  Stromberg  nach  Wie- 
denbrüek.  Dieser  erweist  sich  nicht  undeutlicli  als  ein  zerstörte« 
oder  vieiraehr  zerfahrenes  Theilstück  des  alten  „HcUweges"  von 
Hamm  über  Beckum  zur  Bielefelder  Schlucht ;  es  ist  ausgezeichnet 
durch  die  Lager  von  Steinwaifen  auf  beiden  Seiten  und  durch  den 
Fund  einer  Römermünze  auf  der  Südflanke. 


Jahrb.  d.  Ver.  v.  Älterths^r.  \m  febelnl.  )CCVl  16 


6.  Das  Piium. 

Von 
0.  Dahm,  Oberstlieutenaiit  a.  D. 


Hierzu  Tafel  VIII  und  IX. 


Noch  vor  vierzig  Jahren  war  die  Construction  des  Pilums, 
der  vielgenannten  NationalwaflFe  der  Römer,  völlig  unbekannt. 
W.  Rttstow,  der  geistreiche  Verfasser  von  „Heerwesen  und  Krieg- 
fahrung  Caesars"  hatte  im  Jahre  1855  in  diesem  Werke,  nach  miss- 
verstandenen Angaben  des  Polybios  und  ohne  die  weiteren  üeber- 
lieferungen   durch    andere  Schriftsteller   und  durch  Monumente   zu 


Fig.  1. 

beachten,  eine  wahrhaft  ungeheuerliche  Reconstruction  dieser  Waffe 
veröffentlicht  (S.  vorstehende  Fig.).  Dieselbe  bestand  aus  eineml332  mm 
langen,  74  mm  starken,  vierkantigen,  unten  spitzen  Schaft,  mit  dem 
ein  gleich  langer,  am  oberen  Ende  zugespitzter  Eisenstab  in  der 
Weise  verbunden  war,  dass  man  letzteren  bis  zur  Hafte  seiner  Länge 
in  eine  entsprechende  Nute  des  Holzes  einlegte  und  mit  zwei  Nägeln 
befestigte. 

War   diese  Constructit)n   schon    aus   technischen  Gründen    — 
und  zwar  wegen  unzweckmässiger  Anordnung  der  Spitze  und  fehler- 


has  Pilum.  227 

hafter  Schweii^nnktslage  —  tinwahrscheinlich,  so  war  sie  geradezu 
unmöglich,  weil  ein  derartiges,  etwa  8  kg  schweres,  unhandliches, 
„balkenartiges  Geschoss",  wie  es  von  Linden  seh  mit  treflfend 
bezeichnet  wird,  ftir  den  Feldkrieg  völlig  ungeeignet  war.  Aber 
Rüstow  galt  mit  Recht  als  Autorität  auf  dem  Gebiet  des  antiken 
Militärwesens,  und  so  ist  es  erklärlich,  dass  seine  übereilte  Recon- 
stniction  nicht  nur  in  zahlreiche  Lehrbücher  etc.  aufgenommen  wurde 
und  deshalb  noch  heute  in  den  Köpfen  mancher  Laien  spukt,  son- 
dern dass  dieselbe  damals  auch  in  Forecherkreiscn  fast  allgemeine 
Zustimmung  fand.  Das  Verdienst,  diesen  Irrthnm  aufgeklärt  und 
gleichzeitig  die  Grundlage  zu  einer  in  den  Hauptsachen  richtigen 
Reconstruction  des  Pilnms  gelegt  zu  haben,  gebdhrt  in  erster  Linie 
Lindenschmit*)  und  Koechly*),  sodann  dem  Kaiser  Napoleon  IIT, 
und  zwar  den  erstgenannten  durcli  Auffindung  der  ersten  Pila  und 
rationelle  Sichtung  des  bezüglichen  Forschungsmaterials,  dem  letz- 
teren durch  die  von  ihm  veranlassten  Ausgrabungen  zu  Alise  Sainte- 
Reine  —  dem  alten  Alesia  — ,  die  insofern  von  hervorragender 
Wichtigkeit  waren,  als  durch  dieselben  eine  Anzahl  Pila  verschiede- 
ner Constmetion  zu  Tage  gefördert  wurde,  von  denen  der  Zeit- 
punkt ihres  Gebrauches  in  der  römischen  Armee  genau  bekannt  ist. 

Durch  Koechly  und  Lindensehmit  wurde  nicht  nur  dieCon- 
struction  des  Pilnms  in  den  wesentlichsten  Punkten  festgestellt,  son- 
dern auch  die  schwierige  Frage  der  historischen  Entwicklung  dieser 
WaflTe  einer  eingebenden  Untersuchung  unterzogen.  Wenn  es  nicht 
gelang,  letztere  wenigstens  zu  einem  vorläufigen  Abschluss  zu  brin- 
gen, so  ist  dies  in  der  Hauptsache  dem  Umstände  zuzuschreiben, 
dass  die  Ueberliefenmg,  so  verhältnissmässig  reich  dieselbe  in  die- 
sem Falle  auch  ist,  dennoch  recht  fühlbare  Lücken  aufweist,  so 
namentlich  für  die  Zeit  vom  Ende  des  zweiten  bis  zum  Ende 
des  vierten  Jahrhunderts  n.  Chr. 

Zur  Ausfüllung  dieser  Lücken  beizutragen,  ist  nun  der  Zweck 
der  vorliegenden  Arbeit,  die  veranlasst  wurde  durch  die  im  Herbste 


1)  a)  Die  vaterländischen  Alterthümer  der  fürstlich  hohenzollcrn- 
sehen  Sammlung  zu  Sigmaringen,  b)  Alterthümer  unserer  heidnischen 
Vorzeit,  c)  Tracht  und  Bewaffnung  des  römischen  Heeres  während  «ler 
Kaiserzeit  von  L.  Lindensehmit. 

2)  Koechly,  Verhandlungen  der  21.  Philologen -Versammlung  zu 
Augsburg  1862  und  der  24.  Philologen-Versammhmg  zu  Heidelberg  1865. 


ä28  0.  t)ahmi 

Y.  J.  erfolgte  Auffindung  eines  eigenartig  construirten  Pilnms  itt 
dem  5  km  nördlich  von  Ems  gelegenen  Limescastell  Arzbach-Angst, 
eines  Pilums,  welches,  wie  aus  den  Fundumständen  *)  mit  Sicher- 
heit geschlossen  werden  kann,  um  die  Mitte  des  dritten  Jahrhun- 
derts n.  Chr.  bei  der  Besatzung  dieses  Castells  im  Gebrauch  war. 
Um  den  Fund  an  entsprechender  Stelle  in  die  Entwickelnngs- 
geschichte  dieser  Waffe  einzureihen,  ist  es  nnerlässlich,  letztere  im 
Zusammenhange  zu  behandeln,  wobei  sich  dann  gleichzeitig  die  will- 
kommene Gelegenheit  bieten  wird,  einzelne  nicht  völlig  einwand- 
freie, bisher  unwidersprochen  gebliebene  Ansichten  der  mehrgenann- 
ten Forscher  einer  näheren  Besprechung  zu  unterziehen. 

Die  Geschichte  des  Pilums  gliedert    sich  in  5  Zeitabschnitte: 

L   Die  Pila   des  Polybios.    Mitte   des  vierten   bis   in   die 
zweite  Hälfte  des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr. 

Sallust  lässt  Caesar  den  Ausspruch  thun,  dass  die  Römer  ihre 
Bewaffnung  von  den  Samnitem  übernommen  haben.  Das  mag  zu- 
treffend sein,  sicher  aber  befand  sich  unter  diesen  Waffen  nicht 
das  Pilum,  obgleich  Dionysius  von  Halikarnass  in  seiner  Urgeschichte 
der  Römer  (V,  46)  erzählt,  dass  im  Kriege  mit  den  Sabinem  — 
503  V.  Chr.  —  in  einer  Nacht  die  neben  den  Zelten  in  der  Erde 
steckenden  römischen  Wurfspiesse  an  den  Spitzen  kleine  Flamm- 
chen  ausstrahlten,  und  dann  ausdrücklich  hinzugefügt: 

„Es  sind  dies  Wurfgeschosse  der  Römer,  welche  sie  vor 
^Beginn  des  Handgemenges  schleudern,  lange,  handaosftlUeude 
^Schafte  mit  wenigstens  3  Fuss  (==  887  mm)  langen  eisernen 
„Spitzen,  die  an  dem  einen  Ende  (des  Schaftes  nämlich)  gerade 
„heransstehen,  Wurfspiessen  von  mittlerer  Länge  gleich." 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  Dionys,  der  nicht  Sach- 
verständiger  war  und  zur  Regierungszeit  des  Kaisers  Augustas,  also 


1)  Das  Pilum  ^nirde  am  18.  September  1894  in  dem  eingeMscherten 
östlichen  Thurm  der  porta  praetoria  des  Castells  gefunden.  £s  lag  in- 
mitten zahlreicher  anderer  Fundstücke  (Theile  eines  Geschütees,  diverse 
Beschläge;  ganze  und  zertrümmerte  ThongefHsse  etc.)  in  einer  starken, 
Völlig  unberührt  geliehenen  Brandschuttschicht  und  ist  —  bis  auf  eine 
starke  Verbiegung  der  Klinge  ~  so  wohlerhalten,  dass  nicht  nur  die 
Construction,  sondern  auch  die  Abmessungen  mit  hinreichender  Genauig* 
keit  festgestellt  werden  konnten. 


Das  Pilum.  229 

ein  halbes  JahrtanBend  nach  den  Sabinerkriegen  schrieb,  sich  mit 
dieser  Erläuterung  im  Irrthum  befand,  denn  nach  Appian  war  das 
Pilum  sogar  150  Jahre  später  noch  nicht  in  die  römische  Armee 
eingeführt.  Dieser  Schriftsteller  berichtet  nämlich  in  seiner  römisch- 
keltischen Geschichte  über  den  im  Jahre  358  v.  Chr.  mit  den  Bo- 
jern  geführten  Krieg, 

,,da8s  der  Diktator  Cajus  Sulpicius  sich,  wie  man  en&ählt,  folgen- 
„der  Kriegslist  bedient  habe:  er  befahl  den  im  ersten  Gliede 
„Aufgestellten  die  Wurfspiesse  alle  zugleich  zu  werfen  und  dann 
„schleunigst  niederzufallen,  bis  das  zweite,  dritte  und  vierte  Glied 
„geworfen  habe.  Sobald  dieses  geschehen,  sollten  auch  diese  so- 
„gleich  niederfallen,  damit  sie  nicht  von  den  Spiessen  der  hinter 
„ihnen  Stehenden  getroffen  würden.  Wenn  endlich  die  Hin- 
„terstcn  geworfen  hätten,  so  sollten  alle  zugleich  aufspringen 
„und  mit  Geschrei  zum  Handgemenge  stürzen.  So  werde  der 
„Feind  durch  das  Werfen  so  vieler  Spiesse  und  den  darauf  fol- 
„genden  raschen  Angriff  in  Bestürzung  gebracht  werden. 

„Diese  Wurfspiesse  waren  nicht  ganz  dasselbe,  was  die 
„Schlenderlanzen  waren,  welche  die  Römer  Pila  nennen  und 
„welche  halb  ans  einem  viereckigen  Schaft,  halb  aus  gleichfalls 
„viereckigem  und,  mit  Ausnahme  der  Spitze,  weichem  Eisen  be- 
„stehen. 

„So  wurde  in  diesem  Gefechte  das  ganze  Heer  der  Bojer 
„von  den  Römern  aufgerieben.^ 

Aus  diesem  klaren  Bericht  ist  mit  Sicherheit  zn  schliessen, 
dass  Dionys  an  der  angefahrten  Stelle  nicht  den  Wurfspiess  be- 
schreibt, welcher  im  Jahre  503  v.  Chr.  bei  den  Römern  im  Ge- 
brauch war,  sondern  das  Pilum  seiner  Zeit,  also  des  ersten 
Jahrhunderts  v.  Chr.  —  ebenso  wie  Appian  das  Pilum  be- 
schreibt, welches  ihm  aus  eigener  Anschauung  bekannt  war  und 
in  dem  unschwer  die  cäsarische  Constiiiction  zu  erkennen  ist,  auf 
die  wir  noch  ausführlich  zurückkommen.  Appian  schrieb  zur  Zeit 
Hadrian's  und  des  Antoninus  Pius;  aus  seiner  Erzählung  geht  also 
die,  wie  wir  sehen  werden,  auch  durch  andere  Umstände  beglau- 
bigte Thatsache  hervor,  dass  das  cäsarische  Pilum  um  die 
Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.  in  der  römi- 
schen Armee  noch  im  Gebrauch  war. 

Aber  auch  in  anderer  Hinsicht  ist  dieser  Bericht  von  Wich- 
tigkeit   Appian   bezeichnet   die  Angriffsweise,   dass   zuerst  Pilum- 


230  0.  Dahm: 

Salven  abgegeben  und  daini  so  Bcbnell  wie  möglich  zum  Hand- 
gemenge übergegangen  wurde,  als  eine  Kriegslist;  das  Verfahren,  wel- 
che^ später  reglenientarisch  wurde  und  die  volle  Wirkung  des  Pilumfi 
in  der  Schlacht  erst  zur  Geltung  brachte,  war  also  im  Jahre  358 
V.  Chr.  noch  ein  Ausnahmeverfahren.  Es  ist  dies  ein  wichtiger 
Fingerzeig  für  das  Studium  der  Entwickelung  der  römischen  Taktik 
im  Allgemeinen  und  des  Pilums  im  Besondern,  denn  es  ist  einleuch- 
tend, dass  man  nach  den  überaus  günstigen  Erfahrungen,  die  man 
im  Kampfe  gegen  die  Bojer  mit  diesem  Strategem  gemacht  hatte, 
nunmehr  darauf  bedacht  war,  letzteres  weiter  zu  erproben  und  zu 
entwickeln.  Zu  diesem  Zweck  aber  mussten  in  erster  Linie  die 
Wurfspiesssalven  mögliehst  wirksam  gemacht  werden,  was  nur  da- 
durch geschehen  konnte,  dass  man  die  bisherige,  für  diese  specielle 
Aufgabe  nicht  besonders  construirte  Waffe  entsprechend  änderte; 
es  liegt  also  nahe,  dass  die  erwähnten  Kämpfe  den  ersten  Anstoss 
zu  einer  durchgreifenden  Verbesserung  des  Wurfspiesses  gaben. 
Mit  den  Fortschritten  im  Wafifenwesen  geht  es  aber,  wie  die  Er- 
fahrung lehrt,  für  gewöhnlich  recht  langsam.  Die  Armbrust  war 
länger  als  2  Jahrtausende  fast  ausschliesslich  als  Kleingewehr  im 
Gebrauch,  ohne  dass  dieselbe  eine  erhebliche  Verbesserung  in  ihrer 
Wirkung  erfuhr.  Ebenso  langsam  entwickelten  sich  auch  das  antike 
Geschtttzwesen  und  die  modernen  Feuerwaffen;  die  Wurfmaschinen 
der  Alten  sind  im  Laufe  eines  Jahrtausends  kaum  nennenswerth 
vervollkommnet  worden  und  das  Schiesspnlver  hat  Jahrhunderte  hin- 
durch nahezu  die  gleiche  Beschaffenheit  gehabt,  die  es  noch  vor 
wenigen  Jahren  hatte. 

Man  wird  deshalb  kaum  fehlgreifen,  wenn  man  annimmt,  dass 
auch  das  Pilum  eine  lange  Entwickelungsperiode  durchmachte,  be- 
vor es  diejenige  Vollkommenheit  erreichte,  in  der  es  uns  überliefert 
und,  besonders  von  Caesar,  in  seiner  verherenden  Wirkung  vor 
Augen  geführt  wird.  Aus  diesem  Grunde  erscheint  jeder  Versuch, 
einen  bestimmten  Zeitpunkt  fUr  die  Einführung  des  Pilums  in  die 
römische  Armee  zu  ermitteln,  aussichtslos  und  die  von  Koechly  ver- 
tretene Ansicht,  dass  der  Krieg  mit  Pyrrhus,  in  welchem  die  Römer 
zum  ersten  Mal  der  mit  Handwaffen  unangreifbaren  makedonischen 
Phalanx  gegenüberstanden,  diese  eigenartige  Waffe  gezeitigt  habe, 
dürfte  zum  mindesten  als  gewagt  zu  bezeichnen  sein,  wenngleich 
nicht  in  Abrede  gestellt  werden  kann,  dass  gerade  die  misslichen 
Erfahrungen    bei  Heraclea  und  Asculum  geeignet  waren,   in  inten- 


Das  Pilum.  231 

siver  Weise   förclerud   auf  die  weitere  Verbesserung  der  damaligen 
Wurfspiesse  einzuwirken. 

Die  ältesten  und  zugleich  wichtigsten  Nachrichten  über  das 
Pilum  stammen  von  Polybios,  der  um  die  Mitte  des  zweiten  Jahr- 
hunderts V.  Chr.  Folgendes  schrieb: 

^Hierzu  (nämlich  zu  den  vorher  aufgeführten  Ausrüstungs- 
„stücken  des  Legionars)  kommen  zwei  Pileu,  ein  Helm  und  Bein- 
„schienen  von  Erz.  Von  den  Pilen  sind  die  einen  stark,  die 
„andern  schwächer.  Von  den  stärkeren  haben  die  runden  einen 
„Durchmesser,  die  viereckigen  eine  Seite  von  4  Daktylen 
„(=  74  mm).  Die  schwächeren  gleichen  massigen  Jagdspiessen 
„und  diese  tragen  sie  neben  den  vorerwähnten.  Von  allen  diesen 
„hat  der  Schaft  eine  Länge  von  3  Ellen  (=  1332  mm).  An  jedem 
„ist  eine  eiserne  Spitze  mit  Widerhaken  befestigt,  welche  gleiche 
„Länge  mit  dem  Schaft  hat.  Die  Angel  und  die  Zwinge  der- 
„selben  befestigen  sie  so  stark,  indem  sie  den  Schaft  bis  zur 
„Mitte  hineinstecken  und  mit  vielen  eisernen  Bändern  und  Nieten 
„versehen,  so  dass  die  Verbindung  in  der  Zwinge  nicht  eher 
„nachlässt,  als  bis  das  Eisen  zerhauen  wird,  obwohl  die  Stärke 
„des  Spiesses  an  der  Stelle,  wo  Schaft  und  Spitze  zusammengefügt 
„sind,  nur  IV«  Daktylen  (=  28  nmi)  beträgt*).  So  viel  Fürsorge 
„venvendcn  sie  auf  diesen  Theil  der  Lanze." 

Als  Polybios  diese  Stelle  niederschrieb,  dachte  er  sicherlich 
nicht  an  die  Möglichkeit,  dass  dieselbe  einst  so  ausgelegt  werden 
könnte,  wie  sie  thatsächlich  ausgelegt  worden  ist,  insbesondere  dass 
man  das  von  ihm  beschriebene  schwere  Pilum  jemals  für  das  Feld- 
pilum  der  römischen  Armee  halten  würde.  Wie  bereits  oben  be- 
merkt wurde,  ist  diese  Interpretation  durch  Lindenschmit  und 
Koechly  beseitigt  worden  und  zwar  in  völliger  üebereinstimmung 
so  gründlich  beseitigt,  dass  es  überflüssig  erscheint,  hier  nochmals 
näher  darauf  zurückzukommen.  In  Üebereinstimmung  sind  die 
genannten  Forscher  auch  darin,  dass  das  leichte  Pilum  des  Poly- 
bios das  Feldpilum  der  damaligen  Armee  war;  auseinandergehend 
aber  sind    ihre  Ansichten  betreffs  der  Unterbringung   des  schweren 


1)  Für  die  nachfolgenden  Ausführungen  ist  es  gleichgiltig,  ob  die 
freie  Uebersctzung  dieser  überaus  schwierigen  Stelle  des  Polybios  völlig 
smtreffend  ist,  oder  nicht;  die  Hauptsachen  —  auf  die  es  hier  allein  an- 
kommt —  sind  nicht  anders  zu  verstehen. 


232  0.  D  a  h  m : 

Pilums  in  der  römischen  Röstkanimer,  eine  Aufgabe,  die  um  so 
schwieriger  ist,  als  von  keinem  andern  Schriftsteller  ein  solches 
oder  ähnliches  Ausrüstungsstück  erwähnt  wird.  Während  Lind cn- 
schmit  den  von  vorneherein  zweifelhaften  Weg  der  Emendation  ein- 
schlägt, hält  Koechly  an  den  von  Polybios  überlieferten  Abmessun- 
gen des  schweren  Pilums  fest  und  erklärt  letzteres  für  diejenige 
Waffe,  welche  ausschliesslich  bei  der  Vertheidigung  befestigter  Posi- 
tionen, inbesondere  des  seit  den  Samniterkriegen  reglementarisch 
gewordenen  Feldlagers,  Venvendung  fand.  Vollkommen  mit  Recht 
führt  er  diese  Ansicht  auf  die  Thatsache  zurück,  dass  zur  Zeit  der 
Samniterkriege  ausschliesslich  die  Triarier,  d.  h.  die  aus  den  älte- 
sten Jahrgängen  formirte  und  in  erster  Linie  zur  Vertheidigung 
des  Lagers  bestimmte  Legionsrcserve,  mit  dem  Piluni  ausgerüstet 
waren,  wodurch  die  ui-sprüngliche  Bestinjmung  dieser  Waffe  ange- 
zeigt und  deren  Schwere  begründet  sei ;  ausserdem  weist  er  darauf 
hin,  dass  diese  Annahme  durch  die  eigentliche  Bedeutung  des  Wor- 
tes „pilum"  unterstützt  werde,  womit  man  den  mannshohen,  schwe- 
ren, hölzernen,  mit  Eisen  beschlagenen  Stämpfel  bezeichnete,  mit 
dem  man  Getreide,  Steine  oder  dergl.  zermalmte  —  also  ein  Werk- 
zeug, das  lebhaft  an  die  in  Rede  stehende  Waffe  erinnere. 

So  logisch  diese  Beweisfiihrung  Koechly's  ist,  so  wenig  be- 
gründet ist  andererseits  seine  weitere  Folgerung,  dass,  nachdem  die 
Römer  das  schwere  Pilum  des  Polybios  von  den  Samnitern  übernommen 
hätten,  aus  diesem  dann,  in  Folge  der  Kämpfe  mit  Pyrrhus,  das 
leichte  Pilum  hervorgegangen  sei.  Wir  meinen,  die  Vorgänge, 
welche  der  Entstehung  der  beiden  Pilumconstructionen  zu  Grunde 
lagen,  seien  leicht  zu  erkennen.  Es  wurde  bereits  ei-wähnt,  dass  der 
Krieg  mit  den  Bojern  im  Jahre  358  v.  Chr.  besonders  geeignet  war,  die 
Aufmerksamkeit  der  Römer  auf  die  Verbesserung  ihres  Wurfspiesses 
zu  lenken.  Nichts  liegt  nun  aus  rein  technischen  Gründen  näher,  als 
dass  man,  um  letzteren  fQr  die  Abgabe  von  Salven  möglichst  wirksam 
zu  gestalten,  die  Klinge  möglichst  eindringungsiUhig,  also  möglichst 
dünn  und  lang  machte,  und  es  steht  der  Annahme  nichts  entgegen, 
dass  schon  zur  Zeit  der  Samniterkriege  der  alte  Wurfspiess  zum 
Theil  durch  eine  pilumähnliche  Waffe  ersetzt  war.  Dass  um  diese 
Zeit  bereits  wesentlichen  Neuerungen  in  der  Construction  und  Ver- 
wendung der  Wurfspiesse  eingetreten  waren,  bezeugt  übrigens  Livius 
(VIII,  8)^   der  bei  Beschreibung^  der  in  diesen  Kriegen  zuerst  auf- 


Das  Pilum.  233 

tretenden  Manipnlarlegionen  erwähnt,  dass  die  Leichtbewaffneten 
der  Hastati,  also  vernnithlich  diejenige  Truppenabtheilnng,  welche 
die  erste  Piluinsalve  auf  den  Feind  abzugeben  hatte,  mit  Hasta  und 
Gaesum  (dem  langen,  schweren  Wurfspiess  der  Gallier)  ausgerüstet 
und  dass  die  Principes,  bei  denen  für  gewöhnlich  die  Entscheidung 
der  Schlacht  lag,  mit  „vorzugsweise  ausgezeichneten  Waffen**  ver- 
sehen waren;  ausserdem  berichtet  dieser  Schriftsteller  an  anderer 
Stelle  (IX,  19)  bei  einer  Betrachtung  die  er  darüber  anstellt,  wie 
sich  die  Dinge  gestaltet  haben  würden,  wenn  Alexander  der  Grosse 
nach  der  Eroberung  Asiens  Italien  angegriffen  hätte:  „Zu  Waffen 
„hatten  jene  (die  Truppen  Alexanders)  den  Rundschild  und  die 
„Lanze,  die  Römer  den  langen,  den  Körper  vollständiger  decken- 
„den  Schild  und  das  im  Stoss  und  Wurf  ungleich  stärker  als  die 
„Lanze  wirkende  Pilum"  *)  —  wobei  sicherlich  nicht  an  das 
schwere  Pilum  zu  denken  ist,  welches  damals  —  wie  bereits  be- 
merkt —  nur  die  Triarier  fährten,  sondern  an  einen  pilumähnlichen 
Wurfspiess  der  Hastati  und  Principes. 

Je  mehr  Fortschritte  nun  die  Römer  in  ihren  Erorberungs- 
kriegen  machten  und  je  weiter  sie  ihre  Macht  ausdehnten,  um  so 
mehr  traten  naturgemäss  die  Kämpfe  um  befestigte  Positionen  und 
feste  Plätze  in  den  Vordergrand  und  um  so  dringender  musste  sich 
nothwendigerweise  das  Bedürfniss  nach  einer  entsprechenden  Aus- 
rüstung für  den  Angriff  und  die  Vertheidigung  solcher  Befestigun- 
gen fühlbar  machen.  Da  nun  aber  zur  Zeit  der  Samniterkriege  die 
Römer  nachweislich  noch  nicht  mit  dem  Geschützwesen  vertraut 
waren,  so  ist  es  vollkommen  erklärlich,  dass  man  diesem  Bedürf- 
niss entsprechend,  als  das  Nächstliegende  einen  möglichst  schweren 
Wurfspiess  construirte,  der,  vom  Wallgang,  von  der  Mauer  oder 
von  einem  Thurm  geworfen,  im  stände  war,  die  Deckungen  der  an- 
rückenden Sturmkolonnen  zu  durchschlagen  —  und  diesen 
Wurfspiess  nannte  man  dann  „Pilum",  nach  des  Wortes 
ursprünglicher  Bedeutung.  Dass  man  der  Construction  dieser  Waffe 
den  Wurfspiess   der    Feldtruppen    zu  Grunde   legte   und    dass   auf 


1)  Man  hat  aus  dieser  Stelle  gefolgert,  dass  das  Pilura  nicht  ledig- 
lich Wurfspiess  gewesen  sei,  sondern  auch  als  Stosslanzo  gedient  habe. 
Auch  diese  irrthümliche  Ansicht  ist  durch  K  o  e  c  h  1  y  und  Linden- 
s  eh  mit  gänzlich  abgethan,  wenngleich  nicht  die  Möglichkeit  in  Abrede 
gestellt  werden  kann,  dass  zu  Alexander  d.  Gr.  Zeiten  diese  Waflfe  noch 
für  beide  Zwecke  gebraucht  wurde. 


234  Ö.  Dahni: 

dieseu  dann  bald  auch  die  Benenunug  Pilum  übertragen  wurde,  ist 
wohl  ebenso  natürlich,  wie  die  durch  Polybios  constatirte  Tliat- 
sache,  dass  die  Legionen  zu  jener  Zeit  beide  Pila  mit  ins  Feld 
führten. 

Was  nun  die  Construction  dieser  Waffen  anbetrifft,  so  ist  die- 
selbe nach  der  Beschreibung  dieses  Schriftstellers  in  den  Haupt- 
sachen völlig  klar  (siehe  Tafel  VIII  u.  IX).  Beide  Pila  sind  voll- 
kommen gleich  bis  auf  die  Stärke  des  Schaftes,  welche  bei  dem 
schweren  Pilum  74  mm  betrug,  für  das  leichte  zwar  nicht  ange- 
geben ist,  aber  nach  dem  oben  angeführten  Bericht  des  Dionys  und 
und  besonders  nach  den  weiter  unten  noch  zu  erwähnenden  Funden 
mit  Sicherheit  auf  27 — 32  mm  festgesetzt  werden  kann.  Die  ganze 
Länge  der  Waffe  betrug  rund  2  m,  wovon  ^s  ^.uf  die  schlanke, 
eiserne,  mit  Widerhaken  versehene  Spitze,  */g  auf  den  runden  oder 
viereckigen  Schaft  entfielen.  Dass  die  Spitze  in  der  Längsachse 
der  Waffe  lag,  war  aus  technischen  Gründen  Erforderniss. 

Weniger  ausführlich  beschrieben,  weil  von  untergeordneter 
Bedeutung,  sind  die  Details  der  Verbindung  von  Eisen  und  Schaft; 
soviel  aber  geht  aus  den  betreffenden  Angaben  hervor,  dajss  diese 
Verbindung,  die  sich  bis  zur  halben  Länge  des  Schaftes  erstreckte, 
überaus  fest  und  sorgiUltig  durch  Zwinge  sowie  zahlreiche  Bänder 
und  Niete  hergestellt  war  und  dass  an  der  Stelle,  wo  Eisen  und 
Holz  zusammenstiessen,  der  Durchmesser  des  letzteren  28  mm  be- 
tinig,  woraus  gefolgert  werden  muss,  dass  man  den  Schaft  des 
schweren  Pilums  durch  Zuspitzen  an  seinem  oberen  Ende  auf  die 
Schaftstärke  des  leichten  Pilums  gebracht  hatte. 


IL   Das  Verschwinden  des  schweren  Pilums  aus  der 

Armee  und  die  Erleichterung  des  Feldpilums.     Ende 

des  zweiten  Jahrhunderts  v.  Chr. 

Seit  Polybios  hat  dann  das  Pilum  naturgemäss  verschiedene 
Constructionsänderungen  erfahren,  über  die  wir  —  wenigstens  für 
einen  Zeitraum  von  3  Jahrhunderten  —  ziemlieh  genau  unter- 
richtet sind,  und  es  ist  besonders  interessant,  die  deutlich  erkenn- 
baren historischen  und  technischen  GiUnde  zu  verfolgen,  welche 
diese  Aenderungen  veranlassten. 


Da«  Pilam.  235 

Zunächst  berichtet  Plutarch  (Mar.  25)  luit  Bezug  auf  die 
Cimberaschhicht  Folgendes : 

„Für  jene  Schlacht  soll  Marina  zuerst  die  bekannte  Aende- 
^rung  mit  den  Pilen  vorgenomuieu  haben:  bisher  war  nämlich  der 
^in  das  Eisen  eingeschobene  Theil  des  Schaftes  durch  zwei  eiserne 
„Niete  befestigt  gewesen;  jetzt  aber  Hess  Marius  nur  den  einen 
„Niet,  wie  er  war,  den  andern  aber  Hess  er  entfernen  und  statt 
„desselben  einen  leicht  zerbrechlichen  hölzernen  Nagel  einschla- 
„gen  in  der  Absicht,  dass  das  in  den  feindlichen  Schild  cinge- 
„drungene  Pilum  nicht  in  gerader  Richtung  stecken  blieb,  son- 
„deni  dass  dann  vielmehr  der  hölzerne  Nagel  zerbrach,  auf  diese 
„Weise  das  Eisen  mit  dem  Schaft  einen  Winkel  bildete  und  so 
„das  Pilum,  durch  die  Verbiegung  der  Spitze  festgehalten,  nach- 
„geschleppt  werden  musste.^ 

Aus  diesem  Bericht  geht  hervor,  dass  man  in  dem  kurzen 
Zeitraum  von  Polybios  bis  zur  Cimbemschlacht  bereits  eine  erheb- 
liche Erleichterung  des  Pilums  vorgenommen  hatte,  denn  von  der 
Zwinge  und  den  zahlreichen  Bändern  und  Nieten,  mit  denen  man 
früher  die  feste  Verbindung  zwischen  Eisen  und  Holz  hergestellt 
hatte,  waren  nur  noch  2  Nägel  tlbrig  geblieben;  dementsprechend 
musste  auch  die  Angel  verkttrat  worden  sein,  die  frtlher  bis  zur 
halben  Länge  des  Schaftes  reichte.  Die  Gründe  für  diese  Erleichterung 
der  Waffe  liegen  auf  der  Hand.  Mit  dem  ersten  punisehen  Kriege 
waren  die  Römer  in  den  Kampf  um  die  Weltherrschaft  eingetreten 
und  fast  ohne  Unterbrechung  wurden  von  ihnen  in  den  nächsten 
Jahrhunderten  gewaltige  Erobeningskriege  nahezu  auf  dem  ganzen 
damals  bekannten  Erdkreis  geführt.  Die  enormen  Strapazen,  welche 
diese  Feldzüge  mit  sich  brachten,  mnssten  naturgemäss  zu  einer 
möglichsten  Erleichterung  der  Truppenausrüstung  führen  und  so 
wurde  denn  auch  an  den  Waffen  alles  üebcrHüssige  fortgelassen, 
wozu  in  erster  Linie  die  unnöthig  schweren  Beschläge  der  Pila  ge- 
hörten. Aus  der  gleichen  Veranlassung  verechwand  damals  ohne 
Zweifel  das  schwere  Pilum  gänzlich  aus  der  Armee;  dasselbe  war 
überdies  entbehrlich  geworden,  nachdem  man  in  jener  Zeit  von  den 
Griechen  die  Geschütze  übernommen  und  sehr  bald  im  weitesten 
Umfange  zur  Anwendung  gebracht  hatte*).     So   ist    es    denn  auch 


1)  K  o  e  c  h  i  y    \md    R  ü  s  t  o  w ,      Griechische    Kriegsschriftsteller, 
I,  S.  189. 


236  O.  D  a  h  m  : 

vollkommen  erklärlich,  dass  wir  seit  Polybios  nur  noch  einmal  von 
einer  Waffe  hören,  die  an  das  schwere  Piluni  desselben  erinnert,  und 
zwar  von  Caesar  (b.  G.  V,  40  und  VII,  82),  der  dieselbe  unter  der 
Benennung  pilum  murale  in  besonderen  Fällen  eigens  f)tr  die  Yer- 
theidigung  befestigter  Positionen  im  Felde  anfertigen  Hess. 


III.  Das  Pilum  des  Marius.     Ca.  100  v.  Chr. 

Die  von  Plutarch  beschriebene  Aenderung  des  Pilums  durch 
Marius  hatte  einen  doppelten  Zweck:  einmal  sollte  der  Gegner  am 
Gebrauch  des  Schildes  behindert  werden  dadurch,  dass  das  in  letz- 
teren eingedrungene  und  durch  das  Brechen  des  Holznagels  in 
einem  Winkel  geknickte  Pilum  nachgeschleift  wurde,  und  ausser- 
dem wollte  man  die  Waffe  nach  dem  Wurf  vorübergehend  unbrauch- 
bar machen  um  zu  verhindern,  dass  der  weniger  gut  bewaifnete 
Feind  dieselbe  aufnahm  und  gegen  den  Angreifer  richtete.  Diese 
Absicht  wurde  jedoch  zweifellos  nur  unvollkommen  erreicht,  denn 
die  abgeänderte  Construction  war  technisch  zu  primitiv,  um  auch 
nnr  mit  annähernder  Sicherheit  in  der  erwünschten  Weise  zu  func- 
tioniren.  Sollte  der  hölzerne  Nagel  in  jedem  Falle  brechen,  so 
musste  man  vor  allen  Dingen  daftlr  sorgen,  dass  die  Kraft  des 
Stosses  auf  diesen  allein  und  nicht  gleichzeitig  auf  den  eisernen 
Niet  wirkte,  der  widerstandsfähig  genug  war,  um  eine  gleichzeitige 
Beanspruchung  des  Holznagels  über  dessen  Elastizitätsgrenze  aus- 
zusehliessen.  Brechend  wirkte  bei  dem  in  Rede  stehenden  Me- 
chanismus nnr  die  verhältnissmässig  geringe  Schwere  des  Schaftes 
und  diese  auch  nur  dann,  wenn  im  Moment  des  Eindringens  der 
Waffe  in  den  feindlichen  Schild  der  Holznagel  sich  in  horizontaler 
Lage  befand  *,  in  den  zahlreichen  Fällen,  in  denen  dieser  eine  andere 
Stellung  einnahm,  versagte  der  Mechanismus,  üeberdies  aber  war 
diese  Einrichtung  auch  insofeni  wenig  zweckmässig,  als  der  ge- 
brochene Holznagel  ziemlich  schwer  aus  dem  Schaft  zu  entfernen, 
die  gebrauchsfähige  Wiederherstellung  der  Waffe  also  umständlich 
und  zeitraubend  war  ^). 


1)  Koechly  (Verhandlungen  der  24.  Philologen- Versammlung  zu 
Heidelberg  1866,  pag.  204)  glaubt  das  marianische  Piium  dahin  vervoll- 
ständigen zu  sollen,  dass  er  den  Kopf  des  Schaftes  pyramidenförmig  zu- 


t>as  Piiam.  23^7 

IV.    Das   eäsarische   Piluni.     Mitte   des   ersten  Jahr- 

hnnderts    v.    bis    etwa    Anfang    des    dritten    Jahr- 

hnndertsn.  Chr. 

Schon  die  technischen  Mängel  des  marianischen  Pilnms  legen 
die  Vermuthnng  nahe,  dass  dasselbe  sich  nicht  lange  in  der  Armee 
halten  konnte,  und  in  der  That  war  letztere  kaum  ein  halbes  Jahr- 
hundert später  mit  einer  WaflFe  ausgerüstet,  bei  der  die  vorerwähnten 


spitzt  und  auf  denselben  eine  entsprechende  lose  Zwinge  setzt,  die  beim 
Wurf  von  selbst  abfallen  soll.  Der  Zweck  dieser  Einrichtung  ist  nicht 
einzusehen.  Noch  weniger  verständlich  ist  eine  zweite  Construction,  die 
darin  bestobt,  dass  das  Pilumeisen  unten  mit  einer  geschlitzten,  conischen 
Tülle  versehen  ist,  die  durch  lose  aufgezogene  Ringe  anf  dem  Schaft 
festgehalten  wird.  Die  Ringe  sollen  sich  gleichfalls  beim  Wurf  lösen  und 
die  Verbindung  zwischen  Eisen  und  Schaft  auflieben.  Abgesehen  daton, 
dass  letzteres  niemals  beabsichtigt  gewesen  sein  kann,  da  durch  eine 
völlige  Trennung  von  Eisen  und  Schaft  nach  dem  Eindringen  der  Waffe 
in  den  feindlichen  Schild  ein  sehr  wesentlicher  Vortheil  des  Pilums  -—  die 
Behinderung  des  Gegners  im  Gebrauch  seines  Schildes  —  verloren  ge- 
gangen wäre,  so  sind  auch  derartige  loseTheile,  wie  sie  die  der  Koech ly- 
schen Abhandlung  beigegebene  Zeichnung  veranschaulicht,  bei  Waffen 
überhaupt  nicht  anwendbar,  da  sie  erfahrungsmässig  verloren  gehen.  Es 
soll  dabei  keineswegs  die  Möglichkeit  in  Abrede  gestellt  werden,  dass 
ein  derartiges  Pilum  bei  den  Römern  thatsächlich  im  Gebrauch  war; 
in  diesem  Falle  aber  hatten  die  über  die  Tülle  ge- 
zogenen Ringe  gerade  den  entgegengesetzten  Zweck, 
nämlich  den,  eine  möglichst  feste,  und  nicht  —  wie 
Koechly  annimmt  —  eine  möglichst  lockere  Verbin- 
dung von  Eisen  utid  Schaft  herzustellen.  Tüllen  mit  ge- 
schlossenen Wandungen,  die  über  einen  Stiel  gezogen  und  mittelst  eines 
durchgehenden  Nagels  befestigt  werden,  lockern  sich  bekanntlich  leicht 
in  Folge  Eintrocknen  des  Holzes ;  ist  aber  die  Tülle  geschlitzt  und  durch 
Ringe  auf  dem  Schaft  befestigt,  so  erhält  man  eine  ausserordentlich 
starke  Verbindung,  die  Überdies  beim  Schwinden  des  Holzes  mit  Leich- 
tigkeit durch  Auftreiben  der  Ringe  auf  den  Conus  beliebig  nachgespannt 
werden  kann.  Eine  solche  durchaus  zweckmässige  Befestigung  wurde 
bekanntlich  bei  den  Angonen  der  Franken  angewendet  und  wir  neigen 
sogar  der  Ansicht  zu,  dass  die  Germanen  diese  Waffe  zur  Zeit  der  Ala- 
mannenkriege  direkt  von  den  Römern  übernahmen  und  dass  dieselbe  bei 
letzteren  im  zweiten  Jahrhundert  n.  Chr.  aus  einem  Pilum  hervorgegan« 
gen  ist,  wie  es  uns  durch  den  Grabstein  des  C.  V  a  1.  P  r  i  s  c  u  s  zu 
Wiesbaden  und  durch  den  Fund  von  H  o  f  h  e  im  überliefert  ist,  die  weiter 
unten  noch  besonders  erwähnt  werden. 


iSS  0.  Ö  a  h  ni : 

Zwecke  in  viel  eiDfacherer  Weise  und  mit  möglichster  Vollkommen- 
heit dadurch  erreicht  wurden,  dass  man  die  Klinge  aus  weichem 
Eisen  schmiedete  und  nur  die  Spitze  härtete.  Drang  ein  solches 
Pilum  in  den  feindlichen  Schild,  so  verbog  sich  in  Folge  der 
Schwere  des  niedersinkenden  Schaftes  die  Klinge  und  konnte  diese 
—  wie  praktisch  ausgeftlhrte  Versuche  ergaben  —  nur  mit  grosser 
Kraftanstrengung  und  unter  erheblichem  Zeitaufwand  wieder  von 
dem  Schild  getrennt  werden.  Selbstverständlich  musste  man  nun- 
niehr,  um  das  Verbiegen  der  Klinge  zu  sichern,  die  lockere  maria- 
nische  Verbindung  zwischen  Eisen  und  Schaft  aufgeben  und  man 
kehrte,  unter  Festhaltung  des  Prinzips  der  möglichsten  Erleichte- 
rung, wieder  zu  der  bereits  erprobten  solideren  Verbindung  des 
Polybios  mittelst  Angel,  Zwinge  und  Niete  zurück,  wodurch  man 
gleichzeitig  den  weiteren  Vortheil  erreichte,  dass  ein  Abschlagen 
der  .Waffe  von  dem  feindlichen  Schild  mit  dem  Schwerte  unmög- 
lich gemacht  wurde. 

Mit  dieser  Construetion  —  der  cäsarischen  —  erreichte  das 
Pilum  seinen  Höhepunkt. 

Caesar  beschreibt  diese  Verbesserung  zwar  nicht,  sie  ist  uns 
aber  hinlänglich  bekannt  durch  die  oben  angeführten  Angaben  von 
Dionys  und  Appian,  vor  allen  Dingen  aber  durch  die  Funde  von 
Alise  Sainte-Reiue,  die  auf  Veranlassung  des  Kaisers  Napoleon  III. 
durch  seinen  Ordonnanz-OflSzier  Verchfere  de  Reffye,  unter  Beigabe 
von  Photographieen  publizirt  worden  sind  ^). 

Bekanntlich  fand  man  in  dem  Terrain,  wo  Caesar  die  Con- 
travallation  gegen  die  Festung  Alesia  anlegte,  und  zwar  auf  der 
Sohle  eines  Grabens,  der  vermuthlich  während  der  Belagerung  mit 
Wasser  gefüllt  wurde,  eine  grosse  Anzahl  Waffen  jeder  Art,  darunter 
auch  viele  Pila.  Letztere  waren  zwar  durch  Rost  stark  angegriffen, 
aber  immerhin  noch  so  wohlerhalten,  dass  eine  vollständige  Recon- 
strnction  derselben  möglich  war.  Die  normalen  Klingen  der  Pila 
liatten  eine  Länge  von  durchschnittlich  80 — 90  cm  und  waren 
theils  rund,  theils  viereckig  mit  Brechung  der  Kanten  am  oberen 
Ende;  die  Spitzen  Ovaren  harpunenartig  (mit  4  Widerhaken)  oder 
pyramidal  gestaltet.  Ausserdem  aber  fand  sich  eine  Anzahl  Klin- 
gen   von   völlig   abweichender  Form  vor,   die  Verchfere   de  Reffye 


1^  Les  armes  d'AIise.    Noticc  avec  photographies   et  gravures  sür 
bois  par  M.  Verchere  de  Reffye. 


t)a8  Pilum. 


23d 


zwar  nebenher  erwähnt,  aber  merkwürdiger  Weise  nicht  besonders 
bespricht.  Es  sind  dies  nämlich  solche,  die  erheblich,  zuweilen  um 
die  Hälfte  kürzer  sind,  als  die  vorigen,  raid  deren  oberes  Ende 
nadeiförmig  oder  flach  herzförmig  zugespitzt  ist,  in  keinem  Fall 
aber  —  nnd  das  ist  besonders  hervorzuheben  —  die  erwähnte  pyra- 
midale oder  harpunenartige  Form  aufweist.  Schon  die  Photogra- 
phieen  lassen  mit  Sicherheit  erkennen,  dass  wir  in  diesen  Exem- 
plaren Klingen  vor  uns  haben,  die  im  Felde  gebrochen  und  dann 
mit  den  vorhandenen  Mitteln  nothdttrftig  reparirt  worden  sind ;  die- 
selben sind  also  hinsichtlich  ihrer  Länge  und  der  Form  der  Spitze 
abnormal  und  deshalb  in  diesen  Beziehungen  für  die  Reconstruction 
der  cäsarischen  WaflFe  auszuscheiden. 

Ebenso  verschiedenartig,  wie  die  Klingen,  war  auch  die  Ver- 
bindung zwischen  Eisen  und  Holz;  es  konnten  in  den  Hauptsachen 
folgende  3  Befestigungsmanieren  unterschieden  werden: 


I 


11 


Figur  2. 

a)  Das  Eisen  lief  unten  in  eine  etwa  15  cm  lange  Angel  aus, 
die  in  der  Querrichtung  behufs  Aufnahme  eines  Nietes  durchbohrt 
war.  Das  obere  Ende  des  Schaftes  umschloss  eine  Zwinge,  die 
letzterem  entsprechend  entweder  viereckig  oder  rund  gestaltet  war ; 
die  innern  Durchmesser  der  Zwingen  (und  somit  auch  die  Stärken 


240  0.  D  a  h  m  i 

der  Schafte)  differirten  xwischen  27  und  32  mm.  Die  Hirnfläche 
am  oberen  Schaftende  bedeckte  eine  mnde  bez.  viereckige  eiserne 
KopfplattCy  die  für  die  Klinge  dnrchlocht  war  und  den  Zweck  hatte, 
letztere  in  ihrer  centralen  Stellung  festzuhalten. 

b)  Das  Eisen  war  unten  zu  einer  flachen  28  mm  breiten  Zunge 
ausgeschmiedet,  die  mit  zwei  Durchbohrungen  versehen  war,  in 
denen  je  ein  Niet  steckte,  der  an  jedem  Ende  mit  einem  grossen 
runden  Kopf  versehen  war.  Die  Niete  waren  28  mm  lang.  Dieser 
Construction  entsprechend  musste  der  Schaft  an  seinem  oberen  Ende 
quadratischen  Querschnitt  haben;  sein  Durchmesser  ist  durch  die 
angegebene  Breite  der  Zunge  bez.  Auseinandcrstellung  der  Nietköpfe 
bestimmt. 

c)  Das  Eisen  endete  unten  mit  einer  conischen  Tülle,  in  die 
das  entsprechend  zugespitzte  Ende  des  Schaftes  eingetrieben  wurde. 
Die  Befestigung  des  Schaftes  in  der  Tülle  erfolgte  durch  einen  Niet. 

Auf  den  ersten  Blick  muss  es  aufl^allen,  dass  in  dem  Caesari- 
schen  Heer  eine  so  weitgehende  Verschiedenheit  nicht  nur  in  den 
Abmessungen,  sondern  sogar  in  der  Construction  dieser  wichtigsten 
Waflfe  der  Armee  vorhanden  war;  es  erklärt  sich  dies  jedoch  in 
einfachster  Weise,  wenn  mau  den  damaligen  Verhältnissen  Rech- 
nung trägt. 

Die  Wirkung  des  Pilums  war  in  erster  Linie  von  der  physi- 
schen Kraft  des  Soldaten  abhängig  und  es  ist  einleuchtend,  dass 
eine  volle  Ausnutzung  dieser  Waffe  nur  dann  möglieh  war,  wenn 
man  Körperkraft  und  Schwere  der  Waffe  in  Uebereinstimmung  brachte. 
War  die  Bewaffnung  unifoim  und  etwa  der  Durchschnittskrafl  des 
Soldaten  angepasst,  so  ging  bei  Abgabe  der  Salven  ein  grosser  Theil 
des  möglichen  maximalen  Gesammteffects  verloren,  denn  in  der 
Hand  des  schwächeren  Mannes  war  die  Waffe  nahezu  wirkungslos, 
während  der  stärkere  eine  erheblich  grössere  Pereussionskraft  mit 
einer  entsprechend  schwereren  Waffe  erzielen  konnte.  Die  Funde 
von  Alesia  beweisen  also,  dass  die  correcten  Römer  den  Vortheil 
zu  schätzen  wussten,  den  sie  dadurch  erreichten,  dass  sie  jedem 
Manne  ein  seiner  Muskelkraft  entsprechendes  Pilum  Übergaben,  wo- 
durch gleichzeitig  auch  dicThatsache  begreiflich  wird,  dass  man 
in  den  Museen  bis  jetzt  keine  Pila  vorfindet,  die 
sich  in  jeder  Beziehung  vollkommen  gleichen. 

Was  weiter  die  Vei*schiedenheiten  in  der  Verbindung  von 
Eisen  und  Schaft  anbetrifft,   so  sind  auch  diese  leicht  ku  erklären. 


t>a8  Piiiini.  241 

Im  Felde  ist  der  Verbraaob  an  Waffen  ein  überaus  grosser^  und  die 
natttrliehe  Folge  davon  ist^  dass  in  langen  Kriegsperioden  oft  auf 
die  ältesten^Bestände  zurückgegriffen  Ti^erden  muss.  So  ist  es  heute 
und  so  war  es  im  Alterthnm.  Es  ist  deshalb  nicht  zu  verwundern, 
dass  man  in  den  Retranohements  von  Alesia  neben  den  vor  Kur- 
zem aus  der  Werkstatt  hervorgegangenen  Pilen  auch  solche  fand, 
die  viele  Jahre  hindurch  in  den  Magazinen  gelagert  hatten  und  zu 
diesen  gehörten  offenbar  die  vorstehend  anter  b  anfgefitfarten  Exem- 
plare,  bei  denen  man  unschwer  die  zu  Marius'  Zeiten  im  Gebrauch 
gewesene  und  von  Plntarch  beschriebene  Construction  wieder- 
erkennt. 

Die  Befestigung  ad  c,  d.  h.  solche  mittelst  conisober  Tülle,  war 
flOr  die  dainalige  Zeit  abnorm^,  denn  dieselbe  kam  bei  dtn  Fuaden  von 
Alesia  nur  bei  Waffen  mit  verkürzter,  nadelfOrmiger 
Klinge  vor.  Ans  diesem  Umstände  darf  wohl  gefolgert  werden,  dass 
die  betreffenden  Pila  eilig  während  des  Feldzages  hergestellt  wurden, 
was  um  so  wahrscheinlicher  ist^  als  dieselben  in  dieser  einfachen 
Form  aus  jedem  Eisenstück  mit  den  einfachsten  Mitteln  auch  von 
ungeübten  Haadwerkera  gefertigt  wei-den  konnten. 

Die  ad  a  angegebene  Befestigiingsmanier  war  demmach  für  die 
damalige  Zeit  der  oisarischeu  Construction  eigenthündicb.  Fassen 
wir  nunmehr  die  charakteristischen  Merkmale  dieser  Oonstructioa 
zusammen,  so  waren  diese:  genügende  Länge  der  KlmgQ,  um  Schild 
and  Sehildtl'äger  zu  durchbohren,  starre  Verbindung  von  Eisen  und 
Schaft,  weich  geschmiedete  Klinge  mit  gehärteter  Spitze.  Was  die 
Gestalt  der  letzteren  anbetrifft,  so  mussten  die  bisher  gebräuchlichen 
Widerhaken  aufgegeben  werden,  weil  derartijg'  unregel- 
mässig geformte  Körper  sich  nicht  gut  härten 
lassen.  Anscheinend  verauchte  man  es  deshalb  zunächst  mit  der 
unter  den  Funden  von  Alesia  vorhandenen,  harpunenartig  mit  vier 
Widerhaken  versehenen  Spitze,  die  offenbar  den  üebergang  zu  der 
vierkantigen,  pyramidalen  Form  bildete,  die  leicht  zu  härten  war 
und  später  au^cbliesslich  angewendet  wurde.  Die  pyrami- 
dale Spitze  kennzeichnet  also  die  cäsarisohe  Con- 
struction. 

Dass  dieses  caesarische  Pilum  (s.  die  beigefügte  Zusammenstellung 
auf  Taf.  VIII)  in  allen  wesentlichen  Theilen  unverändert  während 
der  erst^en  zwei  Jahrhunderte  der  Kaiserzeit  im  Gebrauch  war,  geht 

^hrb.  d.  Ver.  v.  Alterthsfr.  Im  Rhelnl   XOVI.  16 


2i2  0.  DaKm! 

mit  Sicherheit  nicht  nar  ans  der  obenangeftthrten  Ueberlieferan^ 
des  Appian  hervor,  sondern  wird  aach  durch  eahlreieh«  Funde, 
tbeils  von  WaiFen  selbst,  theils  von  plastischen  Darstellungen  der- 
selben, bewiesen.  So  fand  man  %.  ß.  im  Rhein  bei  Mainz  zwei 
wohlerhaltene  Pila,  die,  bis  auf  eine  geringe  Gonicit&t  der  Zwinge 
und  Verbreiterung  der  Angel,  genau  den  Funden  voö  Alise  Sainte- 
Reine  ents^^rechen.  Ebenso  erkennt  man  diese  Construction  mit 
Bestimmtheit  auf  zwei  Qrabsteinen  des  Bonner  Museums  wieder,  von 
denen  einer  den  Soldaten  Q.  Pe  t  i  1  i  u  s  der  Leg.. XV  Pr.  diarstellt,  die 
in  der  Zeit  von  43 — 70  n.  Ohr.  am  Niederrüein  stand;  Wenn  diese 
und  andere  Darstellungen  auf  Monumenten  erhebliche  Abweiebun- 
gen  in  den  Längen-  und  Stärkedimensioncn  zeigen^  so  !ist<  darauf 
selbslverständliich  kein  Gewicht  bu  lege»,  da  es  dem  Bildbaner  in 
erster  Linie  auf  eine  künstlerische  Auffassung  und  auf  zweckmässige 
Ausnutzung  des  gegebenen  Raumes,  weniger  auf  eine  teehnisch  ge- 
nau richtige  Wiedergabe  der  Waffe  ankam« 

Dm  die  Wende  des  ersten  Jahrhundorts  sohennt  man  dann 
eine  allerdings  nebensächliche  Aenderung  des  Pilnuis  insofern  vor- 
genommen zu  haben,  als  man  die  sorgdame  polybiaiiidahe  Verbin- 
dung von  Eisen  und  Schaft  aufgab  und  dafür  die  einfacheve  Be- 
festigung ihittekt  Ttllie  einführte.  Bin6>  solche  Btfestigung,  und. 
s^ar  mitteilet  einer  oonisch  geformten  TttUe,  zeigt  der  Grabstein 
des  Soldaten  0.  Valerius  Crispus  zu  Wiesbaden  von  der  8^  Le- 
gion, die  ^m  Jahre  70  n.  Chr«  an  den  Rhein  kam  ^).     Ferner  fand 


1)  Der  Bildhauer  hat^  um  seinem  Crispus  ein  möglichst  martiali- 
sches Aussehen  zu  geben,  mit  künstlerischer  Licenz  das  Pilum  desselben 
mit  einer  anverhältnissmässig  starken  Klinge  resp.  Tülle  ausgestattet 
Llndenschmit  reconstruirt  au»  dieser  Darstellung  das  von  ihm  viel- 
gesuchte, schwere  Pilum  des  Polybios,  indem  er  den  eisermeti  Tbeil  der 
Waffe  soweit  verkürzt,  das«  i^us  der  Tülle  eine  ^stäropfdartige**  Verstär- 
kung des. Sehaftes  entsteht^  die. er  nun  mit  dem  bez.  Text  dieses  Schrift* 
stellers  in  üebereinstimmung  zu  bringen  sucht.  (Vgl.  Tracht  und  Bewaff- 
nung des  rbmisciien  Heeres  während  der  Kaiserzeit  von  Ludwig  Llnden- 
schmit S;  12  ff.  und  Taf.  IV.)  Könnte  auch  ohne  Weiteres  die  Möglich- 
keit zugegeben  werden,  dass  man  in  der  Nähe  des  Schwerpunktes  der 
Wam  (vielleicht  anstatt  des  Amentunis)  einen  kleinen  Kna.u^  anbrachte, 
um  das  schnelle  £rgreifen  des  Pilums  an  richtiger  Stelle  zu  ^ichei-n,  der 
Hand  beim  Wurf  eine  zweckmässige  Anlehnung  zu  bieten  oder  das'  Tra- 
gen der  Waffe  während  des  Marsches  zu  erleichtem,  so  ist  der  Zweck 
einer  derartigen  Verstärkung  im  Schaft,   wie  sie  die  Lindensehmit'sche 


baB  Pilum.  ^ 

man  in  einem  Canal  des  GasteUs  Hof  hei»  im  Taanis  ein 
Piliim  mit  874  mm  langer  Klinge,  vrelcheB  onten  in  eine  186  mm 
lange,  yiereokig  pyramidale  TuUe  endigte,  die  mit  einer  entspre- 
chenden Dnrchbohrnng.  stur  Aufnahme  eines  Nieies  versehen  war. 
Diese  Waffe  kann  frühestens  zu  A^f^^g  ^^  zweiten  Jabrtton- 
derts  n.  Chr.  an  den  angegebenen  Fundort  gelangt  sein,  da  das 
Castell  Hofheim^  obgleich  eines  der  ältesten  auf  rechtsrheinischem 
Ufer,  vermuthlich  erst  Ende  des  ersten  Jahrhunderts  n.  Chr.  in 
Mauerwerk  aasgeba^t  wurde. , 


V.  Die  Uebergangszeit  zum  Spicnlum.     Drittes  und 
viertes  Jahrh,undert  n.-Chr» 

Wie   lange   das  cäsarische  Pilum   nach  Antoninus  Pius   noch 

im  Gebrauch  war  und  ob  resp.  welche  Acnderungen  dasselbe  weiter 

erfuhr,  wissen; wir  nicht,  denn  fUr  die  nächsten  zwei  Jahrhunderte 

fehlte  bis  jetzt  überhaupt  jede  Ueberlieferung.  dieser  Waffe.     Erst 

am  Ende   des   vierten  Jahrhunderts   n.  Cbn   berichtet  Vegeüos  in 

seiner  Epitoma  rei  miUitaris  (L  20): 

„Von  den  Waffen  der  Alten:' 

„Die  Wmrftpiesse,  mit  denen  das  Fnsäheer  ausgerOstet'  war,  Pilä 

„genannt,  bentanden  aus  einem  fetnen,   dreikantigen,   9  Zoll   bis 


Aecenstmction  vorauflselztv  völlig  unerfindliob.  Daas  eine  solelie  Ver^ 
Stärkung  in  dQr  Xh(^t  nicht  Yprhanden,  war«  bo)¥eist  der  Fund  von  Hof- 
heim; überträe^t  Qian  dieses  im  Ganzen  1060  mm .  lange  Pilttmeisen  auf 
die  genannte  Beconstruction,  so  würde  man  eine  WafTe  von  nicht  weni- 
ger als  8*/9m  Länge  erhaltenratoä  eriit^  solche,  die  für  den  Wurf  gänzlich 
vngeeignel'war^. 

Ebensq  unpiotivirt  8in4<  in  ißji  ZeicbuTingen  der  Oxabm^^ntimente 
römischer  Soldaten  diePila  des  letzteren  am  unteren  Ende  oft  mit  spitzen, 
eisernen  Schuhen  verschen.  Solche  Schuhe  sind  weder  auf  den  Monu- 
menten selbst  angedeutet,  noch  sonst  irgendwie  nachzuweisen;  dieseli)en 
wären  Überdies  hS^chst  tmzweckmäsMg  gewesen,  da  siä  b^m  Gebraudh  des 
Pilüms  die  Mannachaftea  der>  rückwältigen  Glieder  gefährdet  hätten. 

/  Es.  ist  beda|ierU0b,  wdpfijif^fier  i^nd. immer  wieder  selbst  eitfahrepe 
und  verdienatvelle  Forscher  sich  verleiten  lasspn,  Fundstäcke  mit  ganz 
willkürlichen  Zuthaten  zu  versehen;  man  sollte  für  derartige  Bepro- 
ductionen  ausschliesslich  die  Photographie  anwenden  und'  es  jedem  Über* 
hissen,  sich  delb^t  dn'  Bild  von  etwa  vorzunehmenden  Ergänzungen  tu 
ooMtcben. 


ä44  O.  bahm- 

„1  Fugß  (222  bis  296  mm)  laB^en  Eisen,  \Telehc»  naeh  dein  Eia- 
^drtiigeii  in  den  Schild  nicht  lesgerissen  werden  konnte  und  b^i 
^geschicktem  «nd  kräftigen  Wurf  leicht  den  Flanatir  durehdrang; 
^eioe-  Waffe,  dfe  bei  uns  schon  sehr  selten  ist"  — 
mid'An  anderer  Stelle  (II.  15): 

„Wie  die  Legionen  in  Schlachtordnung'  aiifzustelleil  sind: 
„Die  Schwerbewaffneten  hatten''  (ausser  den  vorhör  aufge- 
führten Waffön  etc.)  „zwei  Wurfspiesse,  einen  grösseren  mit  drei- 
„eckigem Eisen  von  9  Zoll  (222  mm)  Länge  und  5V2Füs9(1627mm) 
„langem  Schaft,  damals  Pilum,  jetzt  Spiculum  genannt,  dessen 
„Wurf  die  Soldaten  vorzugsweise  übten  und  der,  mit  Geschick 
„und  Kraft  'geschlieudert,  •  oft  sowohl  Schild'  tind  Mann,  als  auch 
„den  gepanzerten  Reiter  durchbohrte ;  efneri  kleineren,  mit  einem 
:  „Eisen  von  5  Zoll  (123  mm)  und  einem,  Schaft  \m  3*/,  Fuss 
„(935  mm)  Länge,  früher  Vericulum,  j^tzt  Verutum  genannt" 

Vegetlus  ist  bekanirtlicli  aJs  Quelle  ziemlieh  unbrauchbar 
baaptsächlieh  deswegen,  weil  6f  mit  OonÄequenz  die  verschiedenen 
Perioden  ton  der  safeenhafteÄ  Voraeit  bis  auf  sein  Zeitalter  duneb- 
einandei-wirft;  das  aber  geht  mit*  voller  Siehierbeit  aus  de^i  ange- 
führten Stellen  hervor,  dass  am  Ende  des  Tteiien  Jahrhunderts  n. 
Qbi.  das  Piliua  r—  auch' dem  Namen  nabh  ^^  «hs  den  vöraisDhen 
Heei^  verschwunden  war  und  einer  wahrhaft  klftglicbeH  Waffe  Platz 
gemacht  hatte,  denn  eine  einfache  Messung  ergibt,  dass  die  Klinge 
des  S^enlnms,  selbst  wenn  dieselbe  vollstllndig  in  den  feindlichen 
SelliM  eindrang,  kaum  den  Körper  des  Gegncrä  erreichte,  gc- 
schwteige  denn  im  stände  war,  diesen  tu  durchbohrend 

Weiter  darf  aus  den  Ausfithrangen  des  Vc^etius  wohl  gefol- 
gert werden,  dass  zu  seiner  Zeit  diese  Waffe  bereits  eine  längere 
Oeschichte  Mtiter  sieh  hatte,  dehn  rttan  kommt  'beim  Lesen  dieses 
Schriftstellers  fast  auf  den  Gedanken,  dass  ihm  selbst  das  cäsarisehe 
Pilum  nicht  mehr  bekannt  war,  da  er  weder  dieses  noch  die  älte- 
ren Co^structionen  erwähnt,  vielmeju:  ansdi'üeklicb  dep  9  Zoll  bis 
1  Foss  langen  Spiess  als  das  Pilum  „der  Atten^^  bezieii&hndt  Und 
mit  dieser  Polgierung  steht  itu*  Einklang  der  Pftnd  von  Arz- 
bach-Augst,  der  eitiiges  Licht  in  die  völlig  duiikele  Zeit  des  dritten 
Jahrhunderts  n.  Chr.  bringt  uiid  die  ttberraschende  Thatsache  con- 
$|atirt,  das^  bereits  um  die  Mitte  dies^  Jahrhundert»  eine  spiculumr 
ähnliche  Waffe  im  Gebrauch  war  (siehe  Taf.  IX),     Man   war   bei 


Das  Pilum.  245 

derselben  dem  Fände  von  Hof  beim  gegenüber,  welcher  wohl  daii 
jttngste  der  aufgefundenen  Pilen  repräsentirt  ^\  mit  d^  Linge  der 
Klinge  von  874  auf  190  mm  und  mit  der  Länge  des  ganzen  Eisend 
von  1060  auf  290  mm  zarflckgegangen;  das  Gewicht  des  letzteren 
beträgt  nnr  145  g.  Die  cäsarische  Constraction  hatte  man  völlig 
aufgegeben  und  war  wieder  za  dem  marianischen  Prinzip  (mit  dem 
Holznagel)  znrückgekefart;  wobei  man  allerdings  die  oben  angefahrten 
Fehler  des  letzteren  in  geschickter  Weise  vermieden  hatte.  Man 
erreichte  dies  folgendermasso«:  Das  viereckige^  am  oberen  Ende 
abgernndete  mid  mit  zwei  kleinen  Widerhaken  viersebeBe  Eisen 
endete  unten  mit  einer  Gabel,  die  Aber  den  vierkantigen  Kopf  des 
Schaftes  mit  Spielraum  so  übergriff,  dass  die  Mittelachse  der  Klinge 
und  des  Schaftes  eine  gerade  Linie  bildeten.  Der  eiseriie  Niet  (s), 
der  die  unlösliche  Yerbindniig  zwischen  Eisen  und  Schaft  herstoUte, 
ging  durch  die  beiden  Enden  der  Gabel  und  das  Hohs,  durch  letz* 
teres  aber  nicht  unmittelbar;  sondern  durch  eine  eiserne  Bohre  (r)^ 
die  an  entsprechender  Stelle  in  den  Schaft  eingelassen  uiid  mit 
diesem  durch  Kitten  sorg^ltig  und  fest  verbunden  war.  In  dieser 
Röhre  hat  der  5  mm  starke  Niet  einen  Spielraum  von  5  mm;  letz* 
terer  entsprach  genau  der  Stärke  des  Holznagels  (n),  der  nicht, 
wie  bei  der  marianischen  Constmction^  Eisen  und  Holz  durchdrang^ 
sondern  durch  das  Loch  eines  flachen  quadratischen  Ansatzes  (p) 
an  der  KKnge  und  das  coincidtrende  Loch  eines  Hebels  (x)  ge* 
steckt  wurdC;  dessen  unteres  Ende  mit  dem  Schaft  verbunden  war. 
War  diese  Verbindung  von  Klinge  und  Hebel  mit- 
telst des  h  ölzernen  N  agels  hergestellt,  das  Pilum 
also  zum  Wurf  fertig,  so  lag  der  eiserne  Niet  (s)  an 
der  Innenfläche  der  Röhre  (r)  und  zwar  oben  nach 
der  Spitze  zu  fest  an;  die  ganze  Wucht  des  Stosises  beim  Auf  ^ 
treffen  der  Waffe  auf  das  Ziel  wurde  also  zunächst  von  d^n  hölzernen 


l)Lindensc  hm  i  t  berichtet  (Die  Alterthtlmer  unserer  heidnischen 
Vorzeit.  8.  Heft.  VI.  3)  über  einen  Pilumfand  iin  Limescastell  Orlen;  ein 
s<^cher  würde  mit  dem  Funde  von  Hofh^m  hinsiehtlich  des  Alters  con- 
GUrriren.  Der  MuseumsverwaUung  vou  Wiesbaden,  woselbBt  das  be- 
treffende Pilum  niedergelegt  sein  sol?,  ist  indess  von  einem  solchen 
Foiide  nichts  bekannt;  wohl  aber  befindet  sich  in  der  dortigen  fränki- 
schen Abthellnng  einAngon,  der  genau  der  von  Lindenschmit  gegebenen 
Zeichnung  des  Pilums  von  Orien  entspricht.  Deninaoh  darf  wohl  ange- 
nonmieii  weifden,  dasB  obige  Angabe  auf  einem  Irrthuin  beruht»    . 


246  0.  D  a  h  in  : 

Nagel  (n)  allein  aufgeftmgen,  und  erat  nachdem  dieser  zerbrochen 
war;  Yon  dem  eisernen  Niet  (s),  der  in  der  Röhre  soviel  Spielraum 
hatte,  dass  die  Elasticitätsgrenze  des  Holznagels  in  jedem  Falle 
ttbersehritten  werden  miisste. 

Um  das  rechtsoeitige  Brechen  dieses  Nagels  noch  mehr  zu 
sichern,  hatte  man  ausserdem  dem  Loche,  durch  das  dereelbe  ge- 
steckt wurde,  nicht  eine  runde,  sondern  eine  halbkreisförmige  Form 
gegeben  und  zwar  so,  dass  beim  Wurf  die  geradlinige  Seite  des 
Loches  gewissermaseen  schneidend  auf  den  Nagel  wirkte. 

Wie  der  Hebel  (x)  beschaffen  war,  der  den  Holznagel  auf- 
nahm, ist  aus  dem  aufgefundenen  Eisen  nicht  ereichtlich;  sicher  ist 
nur,  dass  er  am  oberen  Ende  einen  Schlitz  hatte,  in  den  der  qua- 
dratische Ansatz  (p)  der  Pilumklinge  genau  passte  und  dass  er  an 
diesem  Ende,  dem  Loch  in  dem  genannten  Ansatz  entsprechend, 
durchbohrt  war.  Auch  darf  angenommen  werden,  dass  derselbe 
aus  Eisen,  und  nicht  aus  Holz  gefertigt  war,  weil  es  behufs  Siche- 
rung des  Brechens  des  Holznagels  auf  ein  genaues  Coincidiren  der 
Nageilöcher  ankam,  was  bei  Holz,  in  Folge  leichter  Abnutzung  des- 
selben, nicht  zu  erreichen  war;  überdies  wurde  bei  Anwendung 
von  Eisen  der  Ersatz  des  Nagels  dadurch  erheblich  erleichtert, 
dass  derselbe  nach  dem  Brechen  von  selbst  aus  dem  Loch  herausfiel. 

Die  Untersuchung  des  Fundstttckes  mittelst  der  Feile  hat  nicht 
erkennen  lassen,  dass  die  Spitze  härter  war,  als  der  übrige  Theil 
der  Klinge,  wie  dies  für  die  marianische  Construetion  sowie  bei 
Anwendung  von  Widerhaken  auch  als  selbstverständlich  vorauszu- 
setzen war. 

Was  den  Schaft  anbetrifft,  so  ist  die  Stärke  des  oberen  qua- 
dratischen Theils  desselben  genau  bestimmt  durch  die  Länge  der 
erwähnten  eisernen  Röhre,  welche  36  mm  beträgt;  im  Hinblick 
auf  diesen  verhältnissmässig  grossen  Durohmesser  darf  angenommen 
werden,  dass  der  quadratische  Querschnitt  sehr  bald  in  einen  run- 
den überging  und  dass  nach  unten  zu  eine  starke  Verjüngung  vor- 
handen war.  Ein  eiserner  Ring  von  23  mm  innerem  Durehmesser, 
welcher  ganz  nahe  beim  Pilum  gefunden  wurde,  konnte  sehr  wohl 
der  Beschlag  des  unteren  Endes  der  Waffe  gewesen  sein*),   womit 

1)  Die  Schwei8S8tel]e  des  Ringes  hat  sich  durch  die  Einwirkung  der 
Hitze  beim  Niederbrennen  des  Turmes  gelöst  und  auseinandergebogen; 
der  Durchmesser  desselben  erscheint  deshalb  auf  der  Zeichnung  viel  zu 
gross,  auch  ist  der  Schaft  an  dieser  Stelle  irrthümiich  au  stark  dargestellt 


Das  Pilum.  347 

aber  kehieswegs  die  Nothwendigkeit  eines  solcben  Beschlages  be- 
hauptet werden  soll  um  so  weniger^  als  dieser  Bing  eben  so  gut 
auch  anderweitigen  Zwecken  gedient  haben  konnte. 

Der  Fund  von  Ar/bach-Augst  illustrirt  in  lebhafter  Weise  die 
Klage  des  Vegetius,  dass  die  Soldaten  jener  Zeit  sich  gegen  die 
bisherige  schwere  Ausrüstung  auflehnten,  indem  derselbe  uns  eine 
Waffe  vorführt,  die  kaum  noch  an  die  klassische  Nationalwaffe  er- 
innert, mit  der  die  Römer  einst  die  Welt  eroberten.  Welche  Zucht- 
losigkeit  und  Gorruption  mnss  damals  alle  Kreise  des  Staates  durch- 
drungen haben,  welcher  Geist  muss  in  der  Armee  vorhanden  ge- 
wesen sein,  wenn  es  möglich  war,  das»  man  angesichts  der  an 
allen  Grenzen  des  Reiches  rüttelnden  Feinde  eine  durch  Jahrhun- 
derte erprobte  WaflFe  aufgab  und  dafür  ein  Spielzeug  einführte  — 
denn  anderes  ist  der  Fund  von  Ai-zbach-Augst  nicht  zu  benennen; 
wahrlieh  —  wäre  der  rapide  Verfall  der  Kräfte  des  Reiches  nicht 
aus  der  Geschichte  jener  Zeit  herauszulesen,  so  könnte  man  ihn 
aus  dieser  Wafle  folgern.  Mit  Recht  kann  man  hier  sagen:  quippe 
ita  se  res  habet,  ut  plerumquc  cujus  fortunam  mutaturus  est  deus, 
consilia  corrnmpat  efficiatque,  quod  miserrimnm  est,  ut,  quod  acci- 
dit,  etiam  merito  accedisse  Wdeatur  et  casus  in  culpam  transeat  — 
und  die  gefahrlichsten  Gegner  Roms  —  die  Germanen  —  wussten 
sich  dies  zu  nutze  zu  machen  nicht  am  wenigsten  dadurch,  dass 
sie  die  fallengelassene  Waffe  aufnahmen  und  gegen  ihre  früheren 
Meister  kehrten;  es  erstand  aus  dem  Pilum  der  Angon  ^),  und  in  den 


1)  Angonen  wurden  in  erheblicher  Anzahl  und  zum  Theil  in  schönen 
Exemplaren  in  sogen.  Frank engräbem  gefunden;  ausserdem  beschreibt 
dieselben  Agathias  (II,  5)  wie  folgt: 

„Es  sind  die  Agonen  nicht  sehr  kurze,  aber  auch  nicht  gar  zu 
„lange  Spiesse^  sondern  in  eiiiem  Verhältniss,  dass  sie,  wenn  nöthig, 
„eben  so  gut  geworfen,  als  im  Handgemenge  zum  Stosse  verwendet 
„werden;  der  grösste  Theil  von  ihnen  ist  ringsum  von  Eisen  eiuge- 
„schlossen,  so  dass  vom  Holze  nur  ganz  wenig  nnd  kaum  der  ganze 
„Schuh  sichtbar  ist,  oben  aber  um  das  Ende  der  Lanze  ragen  von  bei- 
„den  Seiten  gekrümmte  Spitzen  und  zwar  aus  der  Lanzenspitze  selbst 
„hervor,  welche  wie  Angelhaken  umgebogen  sind  und  nach  unten  hin 
„stehen.  Es  wirft  nun  der  fränkische  Krieger  im  Kampfe  den  Angon; 
„trifft  er  einen  Körper,  so  dringt  die  Spitze  natürlich  tief  ein,  und 
„weder  der  Verwundete  selbst  noch  ein  Anderer  kann  den  Spiess  leicht 
„herausziehen,  denn  die  Widerhaken  hindern  es,  welche  tief  im  Fleisch 
„haften  und  heftige  Schmerzen  verursachen,   so  dass  der  Feind,   wenn 


248  0.  D  a  h  m  :    Das  Pilum. 

Händen  unserer  Vorfahren   trat  die  Waffe  zum  zweiten  Mal  ihren 
weiten  Siegeszug  an. 


„er  auch  nicht  gerade  eine  tödtliche  Wunde  empfangen  hat»  doch  daran 
„zu  Grunde  gehen  muss;  ist  aber  der  Angon  in  einen  Schild  gefahren, 
„80  hängt  er  an  demselben  herab  und  muss  mit  dem  Schilde  herum- 
„bewegt  werden,  indem  das  noch  übrige  Ende  auf  dem  Boden  nachge- 
„schleift  wird;  der  Getroffene  aber  kann  diesen  Spless  weder  heraus- 
„ziehen  wegen  der  eingedrungenen  Widerhaken,  noch  mit  dem  Schwerdte 
„durchhauen,  weil  er  das  Holz  nicht  erreicht,  sondern  das  Eisen  es 
„rings  umgibt.  Sieht  aber  dieses  der  Franke,  so  springt  er  rasch  zu, 
„tritt  mit  dem  Fuss  auf  den  Schuh  des  Spiesses  und  zieht  durch  diese 
„Belastung  den  Schild  herab,  so  dass  die  Hand  des  Trägers  nachgiebt 
„und  dadurch  Kopf  und  Brust  entblösst  wird.^ 

Die  Angabe,  dass  der  Schaft  der  Angonen  zum  grossten  Theii  mit 
Eisen  beschlagen  war,  ist  augenscheinlich  übertrieben,  denn  —  soviel  uns 
bekannt  —  hat  man  bis  jetzt  in  keinem  Grabe  solche  Beschlagstücke  ge- 
funden. 


1 


7.  Beiträge  zur  Alterthumskunde  des  Niederrheins. 

Von 
Max  Siebonrg. 


Hierzu  Taf.  X. 


I.    Weihestein    ans    Nieukerk,    Kreis   Geldern. 

CIRh.  2032  =  B.  J.  XLI  S.  178  gebe  ich  gestützt  auf  Ab- 
klatsch; Abschrift  und  wiederholte  Revision  in  berichtigter  Lesung; 
auch  glaube  ich  zu  der  Erklärung  und  Ergänzung  des  bedeutsamen 
Denkmals  etwas  beitragen  zu  können.  Das  Wesentliche  der  inter- 
essanten Fundgeschichte  steht  jetzt  bei  Clemen^  Kunstdenkmäler 
der  RheinprovinZ;  I.  Band;  II.  Kreis  Geldern  S.  57  ff.,  beruhend 
auf  dem  Schriftchen  des  verstorbenen  Herrn  Geometers  B  u  y  x  in 
Nieukerk:  Auffindung  eines  römischen  Yotiv- Altars  in  der  St.  Dio- 
nisius-Kirche  zu  Nieukerk.  (Druck  von  L.  N.  Schaffrath  in  Gel- 
dern. 12  S.  12^.)  Dasselbe  ist  nur  ein  Auszug  aus  einer  hand- 
schriftlichen Geschichte  der  Nieukerker  Kirche,  die,  von  demselben 
Herrn  Buyx  verfasst  und  mit  schönen  Zeichnungen;  Plänen  und 
Karten  geschmückt;  jetzt  im  Besitze  der  Wwe.  Buyx  ist  und  von 
mir  in  Nieukerk  eingesehen  wurde. 

Gefunden  wurde  der  Stein  anfangs  der  sechsziger  Jahre  bei 
dem  Erweiterungsbau  der  schönen;  auffallend  grossen  gothischen 
Kirche.  Als  man  die  beiden  Seitenschiffe  nach  Osten  verlängerte, 
wurden  zwei  romanische  Absiden  ausgegraben;  in  der  südlichen 
(in  Clements  Grundriss  S.  59  mit  b  bezeichnet)  fand  man  beim 
Abbruch  des  Altartisches  innerhalb  desselben  noch  den  der  früheren 
^  romanischen  Kirche  erhalten.  Er  war,  wie  Buyx  S.  7  schreibt; 
*  kastenförmig  aus  Tuffsteinen  ausgeführt  und  das  Innere  mit  Kiesel 
und  Mörtel  ausgefbllt;  nur  an  einer  Seite  vertrat  unser  Votivstein 


250 


Max   Siebourg: 


die  Tuffsteine,  der  Art  aber,  dass  die  Inschrift  nach  innen  gekehrt 
äusserlich  nicht  sichtbar  war  und  der  Stein  nnr  als  Baumaterial 
war  benutzt  worden'.  Buyx  hat  ihn  abgezeichnet;  die  an  der 
Spitze  der  erwähnten  handschriftlichen  Geschichte  der  Kirche  ste- 
hende Zeichnung  habe  ich  copirt.  Darnach  war  es  ein  Weihestein 
mit  Basis,  links  und  oben  fast  ganz,  unten  zum  Theil  abgebrochen, 
rechts  bis  auf  das  obere  Ende  wohl  erhalten.  B.  J.  XLI  S.  178 
werden  als  Maasse,  wohl  nach  Rein's  Mittheihmgen,  angegeben 
Höhe 3^3^' (= 1,014m), Breite  2^2^^  (=0,676 m), Dicke  1'  (==  0,314m). 
Später  wurde  der  Stein  auf  Veranlassung  von  Buyx  in  der  süd- 
lich an  den  Thurm  der  Kirche  angebauten  Kapelle  in  die  Thnrmwand 
eingemauert;  dort  ist  er  jetzt  in  einer  Nische  zu  sehen.  Grösse 
des  Steines  so  weit  sichtbar  59x85  cm,  der  Nische  66X987«  cm; 
die  Grösse  der  Buchstaben  steht  auf  der  hier  folgenden  Zeichnung 
neben  den  Zeilen. 


J. 


A^    ftV' 


coMM^DhANJTC  N 


4<e 


I  N  Wp^ 


uG^A 


-    S         L       M  1 


v^^ 


^/i- 


OfOK 


Hierzu  bemerke  ich  im  Einzelnen  Folgendes: 
Z.  1  ist  das  erste  Zeichen  wohl  Rest  eines  L,  nicht  E  wegen 
der  Länge   der   Querhasta  im    Vergleich   zu    den   E  Z.  8.    Nach 


Beiträge  zur  Alterthumskunde  des  NiederrheiDS.  251 

dem  V  folgt  ein  1^  der  Querstrich  ist  Verletzung.  Beim  ersten  An* 
blick  dachte  ich  I  longa  zu  sehen,  doch  das  ist  Irrthum;  dagegen 
spricht  auch  das  weitere  Fehlen  der  I  longa.  Der  im  CIRh.  und 
in  den  B.  J.  nun  folgende  Punkt  steht  nicht  auf  dem  Stein,  auch 
ist  vor  dem  S  kein  besonderer  Abstand.  Es  folgt  ein  klares  I  und 
etwas  weiter  als  gewöhnlich  entfeiiit  ein  S;  doch  ist  der  grosse  Ab- 
stand im  CIRh.  und  in  den  B.  J.  unrichtig  und  irrcftthi*end. 

Z.  2  von  P  nur  noch  der  Bogen  erhalten ;  die  Zeichnung  von 
Buyx,  auf  dessen  Lesung  in  minutiis  kein  Verlass  ist^  hat  das  P 
noch  ganz. 

Z.  3  sind  die  Buchstaben  des  ersten  Namens  ausgehauen  bis 
auf  das  I.  Doch  sind  auf  dem  Abklatsch  noch  zwei  M,  ein  D  und 
dazwischen  Spuren  eines  kleinen  0  sichtbar. 

Z.  4  vor  dem  G  noch  ein  kleiner  Rest  des  V  erhalten;  CIRh. 
und  B.  J.  lassen  ihn  falsch  von  links  nach  rechts  laufen.  Nach  Q 
deutlicher  Punkt,  der  im  CIRh.  und  B.  J.  fehlt.  Nach  P 1 1  sind 
wieder  etwa  6  Buchstaben  ansradirt,  doch  ist  der  letzte  mit  ziem- 
licher Sicherheit  ein  T  gewesen,  auf  das  ein  Punkt  folgt.  Ich  lege 
keinen  Werth  darauf,  dassBuyx  das  T  vollständig  hat.  Nach  den 
nun  kommenden,  in  späterer  christlicher  Zeit  quer  eingehauenen  3 
Buchstaben,  von  denen  das  I  z.  B.  die  charakteristische  Verjüngung 
in  der  Mitte  hat,  folgt  ein  Zeichen,  das  ich  nicht  f&r  ein  römisches 
I,  sondern  für  die  Bezeichnung  der  christliche  Abkürzung  STJ I  ^ 
sancti  halte;  an  den  Rest  eines  H  ist  nicht  zu  denken.  Vgl. 
auch  S.  7. 

Z.  5  ist  von  dem  G  im  Anfang,  welches  CIRh.,  B.  J.  und 
Buyx  haben,  jetzt  nichts  mehr  zu  sehen;  dagegen  stehen  deutliche 
Punkte  vor  und  nach  I,  nach  N  und  dem  letzten  Zeichen,  das  sicher 
ein  F  ist. 

Zwischen  Z.  5  und  7,  etwa  in  der  Mitte  des  Steines  ein  0,06  m 
tiefes,  fast  quadratisches  Loch,  das  als  aepulcrum  rdiquiarum  gedient 
hat.  Links  davor  in  Z.  6  P,  von  der  geraden  hasta  ist  nur  die 
untere  Hälfte  erhalten;  rechts  daneben  der  Rest  der  Querhasta 
eines  T. 

Z.  8  und  9  nach  G  jedesmal  deutlicher  Punkt. 

unter  Z.  9  schienen  Herrn  Prof.  Zangemeister,  dem  ich 
einen  Abklatsch  zugeschickt  hatte,  noch  Spuren  einer  weiteren  Zeile 
in  kleinerer  Schrift  dazustehen.  Eine  von  mir  daraufhin  vorge- 
nommene Revision  ergab,   dass   es  sich  da  nur  um   zufällige  Ver 


262  Max   Siebourg: 

letzungen  des  Steins  handelt  und  nach  Z.  9  niehts  mehr  gestan* 
den  bat. 

Was  nnn  die  Erklärung  der  Inschrift  anbetrifft^  so  haben  wir 
augenscheinlich  in  Z.  2,  3^  4  die  im  Genetivus  stehenden  Namen  des 
Kaisers  Commodns  Im]  pieratoris)  Caesiarü).  M.  Au[r\  [Co\fnmodi. 
Ant(m{ini)  \  [Au]g(u8ti).  Pii  [Fel{icis)].  Nach  der  Ermordnng  des 
Tyrannen  wurde  auf  Scnatsbeschluss  sein  Name  an  vielen  Orten  ge- 
tilgt ^),  allerdings  bald  darauf  auf  Veranlassung  des  Septimius  Seve- 
rus  vielfach  wiederhergestellt^).  Das  ist  hier  nicht  der  Fall,  viel- 
mehr hat  man  hier  Commodus  und  Felix  getilgt,  wie  CIL.  XIV  2947^ 
Imp, Caes !!!!!! \ II!  Antoninus \  Aug.  Pius !!!I!\ Germ. Sarm.  Brut. 
Da  der  Kaisername  im  Genetivus  steht,  so  muss  irgend  eine  Weihe- 
formel vorangegangen  sein,  wie  Fortunae,  genio,  nwmini^  incolumi- 
tatiy  pro  Salute  in  honorem  n.  ä.  In  Z.  4  ist  Raum  für  höchstens 
6  Buchstaben,  deren  letzter  ein  T  war;  was  nach  dem  Punkt  folgt, 
ist  meiner  Ansicht  nach  christlich.  Ich  ergänze  also  FEL-ET-, 
die  mangelnde  Ausfüllung  der  Zeile  wird  unten  erklärt  werden.  Die 
weiteren  Zeilen  bieten  keine  Schwierigkeiten:  5  [/eg^ioni«)]  •  I  • 
Mtn{ermae)  -p(iae)f{ideli8);  6  Nomen  undCognomen  des  (7)  [le]g{atu8y 
Augusti  (8)  \l]eg.  eiusdem,  des  kaiserlichen  Kommandanten  der  I. 
Minervischen  Legion  *),  der  (9)  [tiotum)]  s{olvit)  l{ibens)  m(erito). 
Das  Nomen  desselben  kann  AeUjms),  Jul{iu8\  Val(eriu8)  gcheissen 
haben;  das  Gognomen  beginnt  mit  P  und  endigt  auf  tinus.  Die 
Auswahl  ist  sehr  beschränkt,  Paeiinus  oder  Plotinu8,  beides  nicht 
vulgäre,  also  dem  hohen  Offizier  wohl  eignende  Beinamen.  Ich 
glaube  mich  mit  Sicherheit  für  Plotinus  entscheiden  zu  dürfen;  für 
AE  ist  kein  Raum,  wohl  aber  für  Ijb.,  L  mit  eingeschriebenem  klei- 
nen O.  Bücheier  schreibt  mir,  er  könne  an  diese  Verkürzung 
im  Hauptnamen  nur  schwer  glauben  und  würde  eher  noch  ein  nn* 
bekanntes  Petinu8,  Pu-Patinus  annehmen ;  ich  verweise  aber  auf  das 
in  Z.  3  feststehende  kleine  O  in  Commodi.    Dass  ich  nun  als  Nomen 


1)  Schiller,  Römische  Kaisergeschichte  I  S.  668;  die  indices  von 
CIL.  III,  V,  VIII  u.  8.  w.  CIRh.  1076. 

2)  So  z.  B.  CIL.  X  7237. 

3)  Brambach  schreibt  CIRh.  2042  add.  falsch  legiatus)  Augusii 
e  t  legionis  eiusdem.  Vgl.  Dessau  inscr.  Lat.  sei.  I  996,  1016,  1026,  1036 
leg.  Äug.  leg.  V.  Maced.  \  leg.  Aug.  pr.  pr.  provinciae  ludaeae  u.  a.  B.  J. 
XLI  p.  178  macht  er  den  Dedikanten  zum  Kaiserlichen  Statthalter  in 
Germania  inferior;  dann  müsste  pro  ptaetore  dabei  stehen. 


ßeitrUgo  zur  AlterthainBkiinde  dea  Niederrheins.  ^ 

Aelius  bevorzuge^  beruht  darauf,  dass  seit  langer  Zeit  die  gens  Aelia 
anf  dem  Throne  sass  *). 

Der  Legat  hat  also  diesen  Stein  fttr  das  Wohl  des  Kaisers 
Commodas  und  seiner  Legion  geweiht,  ähnlich  wie  der  Mainzer 
Stein  CIRh.  1076  pro  salute  des  Kaisers  Commodus  (auch  hier  ist 
Commodas  getilgt)  und  der  Fortuna  redux  der  legio  XXILpr.p.f, 
von  einem  ihrer  Veteranen  errichtet  ward^).  Was  hat  —  das  ist  die 
schwierigste  Frage  —  in  der  ersten  Zeile  gestanden?  Da  an  der 
Lesung  kein  Zweifel  ist,  so  glaube  ich,  dass  in  —  Iwisis  der  Rest 
eines  im  Dat.  plur.  siehenden  barbarischen  Götternamens  erhalten 
ist  Zangemeister  dachte  an  [SVL]£VIS,  um  dann  mit  Pro 
Salute  fortzufahren»  Dem  steht  die  klare  Lesung  entgegen.  Vor« 
zQgllch  würden  aber  zu  dem  Fehlenden  nnd  Erhaltenen  die  deae 
Malumae  des  Kölner  Steins  CIRh.  362  ^  B.  J.  83,  447  stimmen: 
In  h(onorem)  dJijomus)  d(iuinae)  \  diabus  \  Maluims  \  et  Siluano  \ 
Aur(elius)  •  Vere{cundus)  \  ordi(ne)  •  Brita(num)  \  u,  s.  l.  m.  Dann 
mUsste  noch  die  Wunschformel  in  die  erste  Zeile  hineingebracht 
werden.  Raum  ist  ftlr  drei  Buchstaben.  Ich  weiss  also  keinen  bessern 
Ratb,  als  R  •  S-  =  pro  salute  zu  schr-eiben,  wenn  ich  auch  nicht  ver- 
kenne, dass  die  Abkürzung  nicht  gerade  gewöhnlich  ist;  zumal  unser 
Stein  bietet  Z.  &MI1M,  7AVGVSTI  ohne  Abkäraung.  Uebrigens 
steht  P  •  S  •  D.  -  D  =3  pro  aalute  domus  diuinae  anf  zwei  Denkmälern 
CIL.  V  7865,  7866,  die  sonst  nur  wenig  abkürzen.  CIL.  III 884,  1781 
haben  p.  s.  d.  n,  3907  jpro  8.  d,  «.  4166  ß(iluano)  -  d(omestißo}  • 
8{acrum)  \  p(ro)  •  8{alute)  .  .  .  1301a  pro  8(alute)  3{ua)  |  suorumqus» 
Vor  dem  P  •  S  halte  anf  unserem  Stein  noch  ein  S(a€rum)  Platz* 
Die  andeve  auch  zum  Raum  stimmende  Formel  I  N  •  H{onorem)  will 
mir  weniger  nach  dein  ganzen  Zusammenbang  der  Inschrift  gefallen; 
Unsicher  bleibt,  ob  über  der  ersten  Zeile  noeh  andei«  gestanden 
haben.  Denkbar  wäre  z.  B.  I  •  0  •  M  •  ET  •  D  £  A  B  V  S.  Demnach 
würde  die  ganze  Inschrift  so  zu  lesen, sein: 

?  I  [Maf]  luisis  [siaci'um) .  p{ro)  .e^alute)?]  \  [iwi-j* 

p{eratori8)  Ca€8{ariis),M,Ati[r{elH)]  \  [Co]mmodi .  Antoniini)  \  {Au\g  * 
Pii[Fel{Jcis),e\t,  \  [leg{ionis)],  I.Min{erviae).p{iae)f{idelis)\  [Ae?]L 


1)  Schilling,  de  legion.  RomanorUiu  I  Min.  et  XXX  Ulpia 
(Leipziger  Stndien  XV)  nennt  ihn  S.  76  L,  I\anlli)nus  Und  setzt  ihn  gar 
unter  Antoninns  Pius. 

2)  Dessan  1  342  ist  pro  salute  des  Kaisers,  des  Senates,  des  Le' 
gaten  und  der  legio  III  Angusta  von  einem  sacerdos  geweiht. 


ä64  l^ax   l^ieboüi'^: 

F[lo]tinwt  I  [le]g .  Augwü  |  [l]egiionis)  .  eiusdem  \  [u(otufn]  \  s{oluü) 
l{iben8)  m{erito). 

Die  Zeit  wird  durch  die  Kaigemamen  bestimmt.  Das  Cogno- 
men  Felix  führt  Commodas  seit  dem  Starz  des  Präfekteu  Perennis, 
seit  185  >);  also  fällt  die  Widmung  zwischen  185  und  193.  Auch 
die  Kölner  Widmung  an  die  deae  Maluisiae  ist  wegen  der  Formel 
in  A.  d.  d.  nicht  vor  dem  letzten  Viertel  des  IL  christlichen  Jahrh. 
gemacht.  Die  Zeit  wii'd  noch  dadurch  beschränkt,  dass  wir  den 
Legaten  der  Legion  aus  dem  Jahre  188  kennen  *).  Was  die  Legion  oder 
eine  Abtheilung  derselben  in  dieser  Zeit  in  der  Nieukerker  Gegend 
za  thun  gehabt  hat,  wissen  wir  nicht  näher.  Dass  hier  eine  ent* 
wickelte  römische  Kultur  geherrscht  hat,  beweisen  die  StrassenzQge 
und  die  zahh'eichen  Grabfunde  im  Dorfe  Nieukerk.  Die  Schrift* 
steller  berichten  uns  übereinstimmend,  dass  unter  der  Regierung 
des  Commodus  mit  Glück  gegen  die  Germanen  gekämpft  worden 
isi^).  Da  mag  es  den  Kommandanten  gedrängt  haben,  ftlr  das 
Wohl  des  Kaisers  und  seiner  jedenfalls  am  Kampfe  1>etheiligten 
Legion  göttlichen  Schutz  anzurufen.  Vielleicht  war  das  gelegent- 
lich der  Expedition,  die  Clodius  Albinus  gegen  die  Friesen  im 
Jahre  186  zu  unternehmen  hatte  ^). 

Die  deae  Maluisiae  gehlen  in  den  weiten  Kreis  der  weib- 
lieben,  segenspendenden  Ortsgottheiten,  die  in  den  keltisch -germa- 
nischen Provinzen  von  den  Eingeborenen  und  niedrig  stehenden 
Leuten  zahlreich  verehrt  worden  sind  und  deren  wichtigsten  Theil 
die  Maires  sive  Matronae  ausmachen.  Wir  kennen  die  Maluisiae 
nur  aus  dem  einen  Kölner  Stein;  wie  ihr  Verhftltniss  zu  den  Ma- 
faponen  ist,  ob  sie  etwa  nur  einen  Beinamen  derselben  darstellen, 
bleibt  unentschieden,  DieDeutungO.  Kelle  r's^) :  'Wer  sie  schaut, 
dem  bekomtit  es  Abel',  ist  sicher  falsch:  solche  Gottheiten  ruft 
man  nicht  zum  Schutz  an.  Verbunden  sind  sie  auch  mit  dem 
segenspendenden  Silvanus.  Eher  möchte  ich  darin  einen  lokalen 
Beinamen  erblicken   nach  Art   der  deae  Lucretiae%   den  Schutz- 

1)  Schiller,  Rom.  Kaisergeschichte  I  p.  664.  Dessau  I  392  adnot. 

2)  B.  J.  L/LI  S.  188 ;  vgl.  B.  J.  73  8.  70,  wo  in  der  Liste  der  Le- 
gaten unser  Dedikant  irreführend  als  L,  P. inus  erscheint. 

3)  Vgl.  die  Stellen  bei  Schilling  de  legionibus  Roman.  I  Min.  ot 
XXX  Ulpia  p.  63. 

4)  Schiller  RKI  p.  665. 

5)  B.  J.  88  p.  101. 

6)  B.  J.  88,  449. 


beitrage  zur  Alterthumftkunde  des  Kiederrheins.  265 

göttinnen  des  Kölner  uicus  Lucreims  CIRb.348.  Man  kann  gegen 
meine  Ergänzung  des  Kienkerker  Steins  anftthren,  dass  die  Anrnfong 
der  barbarischen  Gk>tt]ieiten  des  niederen  Volkes  durch  einen  hohen 
Oi&Kier  auffallen  muss.  Darauf  erwidere  ich,  dass  er  das  für  seine 
Soldaten  that;  diese  stammten  entsprechend  den  seit  Hadrian  gel* 
tenden  Rekrutimngsgnmdsätzen,  wie  sie  Mommsen  im  Hermes 
Bd.  XIX  gelehrt  hat,  zma  grössten  Theil  aus  Niedergermanien,  w^ 
die  Legion  stand,  sie  haben,  wie  wir  wissen,  besonders  eifrig  zu 
den  einheimischen  Gottheiten  gebetet.  Grade  so  ist  der  Lyoncr 
Stein  B.  J.  83,  394  zu  erklären:  hier  weist  ein  Tribun  der  T:  Mi- 
nervischen  Legion  pro  salute  domini  nostri  L.  Septimii  Seueri 
Aug^sti  totiusque  domüs  eius  den  nitäerAienii^chQn'Matronae  Aufa- 
niae  und  den  Moires  Pannoniorum  et  Ddmatarum  eine  Ruhebank 
und  eine  tabula  —  er  thut  dies  im  Sinne  seiner  vom  Niederrhein 
und  aus  Pannonien  und.  Dalmatien  stammenden  Soldaten. 

Ein  besonderes  Interesse  gewinnt  der  Nieukerker  Stein  noch 
durch  die  an  der  rechten  Seite  quer  eingehauene  christliche  Inaefarift 
In  K{alendfs)  f  Oet(o)b(ris)  f  dedicat(io)  [aUari»oAet  ecelesiae]  SlÜi 
(ßancti)  DtonmL  Zunächst  ftusserlich*  Was  hat  den  christliohea 
Steinmestzen  veranlasst,  die  beschriebene  8eit6>  nicht  die  leere 
RtLc^Lwapd  zu  nehmen  und  dabei  so.scfaanend  mit  den  Buchstaben 
umzugehen?  Alterdings  hat  er  ja  in  der  Mitte  das  Sepulcrum  re* 
liquiarum  ausgehauen,  und  bei  der  durch  die  Verwendung  satr  Altäre- 
platte  gebotenen  Lage  des  Steins  mit  der  Längsseite  nach  oben 
steht  ja  die  ohristlicfae  Weiheinschrirt  am  Kopf  ziemlich  in  der  Mitte; 
aber,  bob^  ist  nichts  zerstört.  Ja,  meines  Eraehtens  beweist  der 
Anfwg  der  christlichen  Buchstaben  in  Z.  4^  dass  hier  nach.  40m 
T-  nichts  mehr  gestanden  hat,  was  ja  bei  der  sonst  durchgängigen 
AusfilUung  der  Zeilen  auffallen  kann.  Da  die  Endbuchstaben  von 
by  &,,!  imdeutUch  geworden  waren,  so  hatte  der  Steinmetz  vo| 
Z.  4 — 7  ziemlichen  Raum.  Sodann  zeigt  uns  die  christliche  In* 
Schrift,  verbunden  mit  den  Fundumständen  des  Steins,  eine  Auf^ 
einanderfolge  von  drei  christlichen  Kirchen  zu  Ehren  des  h.  Dio- 
nysius  an  einer  Stelle,  wo  in  römischer  Zeit  ein  heidnisches  Heilig* 
thum  gewesen  war.  An  der  uralten  Hochstrasse,  der  jetzigen 
Chaussee  nach  Q^dern,  h^t  dies  gestanden.  Als  man  dann  nmdk 
lange  vpr  dem  12.  Jahrb.*  in  der  Gegend,  sei's  nun  in  Nieukerk 
oder  Aldßkerk,  eine  chrifitlii^he  Kapelle  errichtete,  da  repwandtd 
man  bei  dem  Steinmangiel  dort  zu  Lande  gern  das  heidnische  Desk-» 


2&6 


Max   Siet)oUrgi 


mal  zur  Altai-platte.  Bei  der  im  12.  Jahrh.  erbauten  grossen  ro- 
manischen Kirche  wurde  er  zum  blossen  Baumaterial  degradirt: 
er  bildete  ein  Stück  der  Wand  des  Altiu'kastens^  die  Inschrift  war 
nach  innen  gekehrt.  Das  hat  sie  uns  gerettet.  Der  Baumeister 
endlich,  der  1421  an  die  Stelle  des  romanischen  Baues  den  gothischen 
setzte,  mauerte  seinen  Altar  einfach  um  den  romanischen  faerom. 
Die  Erweiterungsarbeiten  unsrer  Tage  brachten  den  heidnischen 
Stein  wieder  an's  Licht:  dem  historischen  Sinn  eines  fleissigen 
Sammlers  verdankt  er  seine  Erhaltung.  Wenn  je,  so  passt  hier 
das  Wort  der  Schrift  ol  ii^oi  xexQdSoyxai  *  die  Steine  werden  reden'. 


II.    Ziegelstempel   aus    der    Nähe   von   Gellep 

(Gelduba). 
Das  zu  besprechende  Stück  eines  rothen  Ziegels  wurde  1893 
nach  Angabe  des  Verkäufers  gefunden  am  Fürstenberg,  etwa  in 
der  Mitte  zwischen  Gellep  und  Langst.  Der  Punkt  heisst  auf  der 
Genendstabskarte  Porstberg  und  liegt  an  dem  Communalweg,  wel- 
cher von  der  von  Neuss  kommenden  Landstrasse  abzweigt  und  durch 
Lank  auf  Nierst  am  Rhein  zuläuft.  Der  stolze  Name  ftlr  die  nur 
wenig  aus  dem  Gelände  sich  erbebende  Stelle  entspricht  dem 
Sprachgebrauch  der  Gegend,  der  jede  derartige  Bodenanschwellnng 
Berg  nennt.  Im  vorigen  Jahr  ^vurde  das  Ziegelstück  ftlr  das  Cre- 
fdder  Museum  erworben. 

Die  Dicke  beträgt  an  dem  noch  erhaltenen  Handstfick  ge^ 
messen  0,030  m.  Fast  unmittelbar  an  diesem  Rand  ist  der  Stempel 
eingödrOckt,  der  nur  an  der  rechten  Seite  verletzt  ist.  Ausserdem 
seheint  vor  dem  Brand  auf  den  weichen  Thon  ein  schweres  Instru- 
ment aus  Unachtsam- 
keit gelegt  worden  zu 
sein,  das  in  den  untern 
und  Obern  Rand,  sowie 
in  die  letzte  Stempel- 
zeife  sich  einji:edrückt 
hat.  Die  kleinere  Seite 
des  rechteckigen  Stern- 
pelrahmens  ist  0,040  m 
lang,  von  der  grösseren 
Seite  sind  etwa  0,080  m  erhalten.  Die  Buchstabenhdhe  beträgt  in 
den  beiden    ersten  Zeilen  0,011,   in   der  letzten  0,009  m. 


Beiträge  zur  ÄlteHhumskutide  des  Niederrheins.  ^t 

Die  Lesung  steht  in  der  Hauptsache  fest.  Z.  1.  CASSIANO; 
das  erste  A  sehr  breit,  das  erste  S  nicht  ganz  scharf,  aber  sicher. 
A  nach  I  ohne  Querbalken,  vulgäres  N  mit  schräger  erster  hasta, 
kleineres  0. 

Z.  2.  INCALCARIA;  bei  N  beide  Hasten  schräg,  parallel, 
kein  Punkt  danach.  L  mit  kurzem  Querbalken,  R  mit  grossem 
Bogen  und  nach  rechts  schräger  Hasta. 

Z.  3  nach  dem  klaren  Anfang  M  A  (an  dem  A  ist  die  untere 
Hälfte  der  rechten  Hasta  unklar)  folgt  ein  Zeichen,  das  ich  für  X 
halte;  allerdings  treten  die  Hasten  nur  düun  heraus,  keine  von  beiden 
bildet  eine  gerade  Linie,  am  Schnittpunkt  ist  eine  Lücke.  Nun 
folgt  der  schon  erwähnte,  vor  dem  Brand  zußillig  erfolgte  Eindruck, 
dann  deutlich  I  M  V,  dann  ein  nicht  klares,  richtig  stehendes  ^)  S 
und  darauf  eine  senkrechte  Hasta,  in  deren  Mitte  noch  der  Ansatz 
eines  horizontalen  Striches  erkennbar  ist,  also  h.  Zwischen  dem  X 
und  I  ist  der  Raum  so  gross,  dass  dort  noch  ein  Zeichen  gestanden 
haben  muss;  also,  da  schwerlich  anMAXIIMVS  (=  Maxemus)  zu 
denken  ist,  wohl  ein  S,  welches  durch  den  zufällig  aufgelegten  Gegen- 
stand zerstört  wurde.  Die  Schrift  ist  die  der  späteren  Zeit,  saufen 
wir  einmal  3.  Jahrhundert. 

Der  Stempel  ist,  soweit  ich  sehe,  seinem  Wortlaut  nach  ein 
Unikum  nicht  nur  für  die  Rheinlande,  sondern  auch  für  die  anderen 
Provinzen.  Zangemeister  bestätigt  mir  das.  Auszugehn  ist  von 
Z.  2  und  3  in  calcaria  . . .?  |  Max[s]imu8  /{ecit);  denn  das  letzte 
Zeichen  ist  sicher  wohl  ein  F.  Bei  dem  in  calcaria  ist  zunächst 
nicht  an  den  Ort  Calcar  im  Kreise  Eleve  zu  denken,  das  zwar  von 
Marjan  von  calcaria  hergeleitet  wird;  dagegen  spricht  schon  der 
Fundort.  Gemeint  ist  vielmehr  ein  Kalkofen,  wie  in  der  sprüch- 
wörtliehen  Redensart  de  calcaria  in  carbonariam  peruenire,  'aus  dem 
Regen  in  die  Traufe  kommen'.  Solche  Kalköfen  findet  man  noch 
jetzt  in  der  Nähe  des  Fundortes,  z.  B.  bei  Uerdingen  am  Rhein. 
Nicht  weit  ab  wird  der  Kalk  noch  heute  gebrochen,  auf  der  rech- 
ten Rheinseite  etwa  zwei  Stunden  landeinwärts  bei  Ratingen.  Die 
letzte  Zeile  giebt  uns  dann  den  Ziegelbrenner  und  Töpfer  Maad- 
mu8,  dessen  Name  auch  sonst  im  Rheinland  vorkommt.  Was  be- 
deutet aber  die  erste  Zeile?  Im  XV.  Bande  des  Corpus  kommen 
am  nächsten  Stempel  folgender  Art:  15a  Pont  et  Eufin  cos  \  ex  fig 

1)  Ich  hebe   das  hervor,   weil  Zangemeister   auf  einem  Ton  mir 
ihm  übersandten  Gipsabguss  ein  umgekehrtes  ^  zu  lesen  glaubte. 
Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alter thsfr.  im  Rhelol.  XCVI.  17 


2^8  Max   Siebourgi 

Auitian  \  T.  F  Pri;  auch  in  figUnis  kommt  vor,  so  .-$07  ('. 
SatriniComminius  \  infiglinis.  Martianis\  357  fecit  in  figlinis  Ocea- 
nis.  Darnach  hätte  in  der  ersten  Zeile  de«  Gelleper  Stempels  das  Kon- 
sulat gestanden;  ein  Cassianus,  Statthalter  von  Numidien,  war  e{>s. 
designatusa.  211/12  (CIL.  VIII  2589),  konnte  also  kurz  darauf  con- 
sul  suflfectus  geworden  sein.  Zu  cakarin  wäre  dann  noch  ein  Bei- 
name nöthig  gewesen,  wie  Rhenana  oder  Octocaneha  (im  Hinblick 
auf  die  nahebei  gefundenen  Matronae  Octocanehae^);  in  der  letzten 
Zeile  musste  fecit  znm  mindesten  ausgeschrieben  sein.  Dieser  Er- 
gänzungsversuch  hat  gewichtige  Gründe  gegen  sich.  Zunächst  wer- 
den, wie  mir  Zangemeister  schreibt,  in  Germanien  die  Konsulate 
nur  mit  den  ordinarii  bezeichnet;  der  einzige,  welcher  Cassianus 
in  seinem  Namen  hat,  der  des  J.  126,  i\  Eggius  Ambibulus  Pofn- 
ponius  Longinus  Cassianus  L,  Maeeius  Postumus  hat  als  diakriti- 
schen Namen  Amhibulus  und  kann  als  Amfsgenosse  des  Veru«  erst 
an  zweiter  Stelle  stehen.  Sodann  würde  bei  den  in  allen  Zeilen 
nothwendigen  Ergänzungen  der  Stempel  eine  Ausdehnung  in  die 
Breite  gewinnen,  die  auffallen  mtisste.  Endlich  ist  der  Anfang  der 
drei  Zeilen  zu  beachten ;  der  erste  ist  weiter  eingerückt  als  die  bei- 
den anderen,  die  zweite  ist  auch  entsprechend  länger.  Nehmen  wir 
nun  an,  dass  am  Ende  der  Zeilen  kein  Buchstabe  mehr  fehlt  und  der 
Symmetrie  wegen  der  gleiche  Abstand  von  der  Umrahmung  wie  am 
Anfang  gewesen  ist,  so  ist  die  Breite  des  ganzen  Stempels  nicht 
mehr  ungewöhnlich.  Möglich  wäre  dann  zunächst  in  Cassiano  den 
Dativus  des  Besitzers  des  Kalkofens  zu  sehen:  'für  den  Cassianns 
hat  Maximus  den  Ziegel  gemacht'.  Fttr  wahrscheinlicher  halte  ich 
aber  die  Erklärung  des  CassianOj  die  ich  Zangemeister  verdanke. 
Er  fasst  Cctssiano  als  Lokativ  auf,  'in  Gassianum',  das  ein  praedium 
oder  eine  Ortschaft  sein  mag  und  vergleicht  zu  diesem  der  Volkssprache 
angehörenden  Lokativ  das  Casilino  auf  dem  kampanischen  Fcstver- 
zeichniss  vom  J.  387  CIL,  X  3792*),  sowie  die  Unteracbrift  actum 
CaHlino  auf  dem  interessanten  Ziegelgraffito  von  S.  Angelo  in 
Formis,  den  Zangemeister  in  den  Notizie  degli  Scavi  1894  Agosto 
S.  284  ff.  herausgegeben  hat.  Eine  Reihe  von  Beispielen  des  vul- 
gären Lokativs  giebt  der  Index  von  CIL.  X  S.  799.  Demnach 
lautet  die  ganze  Ziegelinschrift: 

1)  B.  J.  83  Nr.  321  ff. 

2)  Von    Mommsen    ausführlich    erläutert    in    den    Berichten    der 
Sachs.  Qesellsch.  der  Wissenschaften  1850  p.  64  ff. 


beitrage  zur  Aiterthumskundc  des  kiederrtieins.  259 

Cassiano  \  in  calcaria  \  Max[H\imu8  f{edt). 
Zum  Schtuss  verweise  ich  noch  auf  die  römischen  Kalköfen, 
die  bei  Mtinstereifel  zwischen  Iversheini  und  Arloff  am  Ufer  der 
Erft  —  wie  bei  Gellep  am  Ufer  des  Rheins  —  1870  gefunden  und 
B.  J.  L/LI  S.  182  f.  beschrieben  sind.  Dort  ist  auch  in  dem  Schutt 
eines  den  Oefen  der  Pfannenbäcker  ähnlichen  Gebäudes  der  inter- 
essante luschriftstein  des  Bonner  Mnscums  CfRh.  520  gefunden  wor- 
den, der  uns  meldet,  dass  im  J.  202^),  als  Jolius  Castinus  Legat 
der  I.  Minervischen  Legion  war,  ein  Detachement  derselben  unter 
dem  Kommando  des  Centuriouen  Petronius  Aquila  einen  furnus  ar- 
ualis,  einen  Feldofen,  gebaut  hat*). 

IIL     Thonbecher  mit  Graffito  aus  Asberg  (Ascibnrgium) 

bei  Moers. 
Gefunden  wurde  der  Becher  Februar  1894  in  Asberg,  west- 
lich der  Römerstrasse  von  dem  Arbeiter  Bremraenkamp,  der  planlos 
auf  dem  Grundstück  neben  dem  Hause  der  Wwe.  Gores  grub.  Das 
Crefelder  Museum  hat  ihn  erworben.  —  Der  kleine  kagelbanchige 
Becher  aus  weissgelbem  Thon  ist  0,010  m  hoch ;  die  Oeifnung  oben  hat 
0,058,  der  Fuss  0,035  m  im  Durchmesser.  Er  war  zweihenklig,  ein  FTen- 
kel  ist  abgebrochen ;  der  erhaltene  ist  so  klein  und  sitzt  so  hart  an,  dass 
er  zum  Anfassen  kaum  zu  verwenden  ist.  Die  Henkel  verbindet  ein 
von  zwei  Kreisen  eingefasster  Streifen,  0,011/0,012  m  breit.  In 
diesen  ist  die  nebenstehend  faksimi-  ^^ 

lirte  Inschrift  derartig  eingeritzt, dass  /  /^""^-t— -tv  """TT^^S^ 


der  Henkel  die  Buchstaben  von  der  ^^^^^^ClL^i/^  **'*^*** 
Zahl  scheidet.  Die  Lesung  macht 
Schwierigkeiten.  Das  erste  Zeichen  ist  ein  I,  es  könnte  bei  der 
vorkommenden  Verkrüppelung  der  horizontalen  Hasta  auch  ein 
T  sein.  Dann  folgt  ein  V;  das  dritte  Zeichen  kann  0  oder 
L  sein.  Weiterhin  zweifelloses  I A ,  letzteres  ohne  Querstrich , 
bei  der  rechten  Hasta  ist  der  Griffel  noch  nach  unten  ausgeglitten. 
Das  sechste  Zeichen  scheint  ein  S  zu  sein,  an  dem  der  Griffel  bei 
dem  Einritzen  des  mittleren  Theiles  nach  oben  ausgeglitten  ist;  eine 
andere  Möglichkeit  der  Deutung  sehe  ich  nicht.  Rechts  vom  Henkel 
steht  die  klare  Zahl  V 1 1 1.  Demnach  wären  folgende  Lesungen 
möglich : 

1)  So  Schilling   de  legion.  Romanor.  I  Min.  et  XXX  Ülpia  p.  65. 

2)  Vgl.  Hettner,  Katalog  des  Bonner  Museums  Nr.  120. 


^60  kax   Sieboürgi 

TVCIAS    VIII 
TVLIAS    VIII 
IVCIAS     VIII 
IVLIAS     VIII 
Bei  der  Erwägung  der  ersten  Möglichkeit   dachte  Bttcheler 
an   die  latinisirte  griechische  Namensform  Tvxtdg,   wozu  man   die 
Formen  Tuche  (CIL.  X  2614)  Tics  (X  8249)  =  Tvxf]  vergleichen  möge. 
Was  die  Zahl  VIII  anbetrifift,  so  ist  meines  Wissens  noch  nicht  ge- 
funden, was  derartige  auf  römischen  Gefässen  häufiger  vorkommende 
Zahlenangaben  bedeuten.    Der  Inhalt  des  Bechers  beträgt  0,4.5  Ltr. 
Möge  die  Deutung  des  Graflito  einem  Kundigeren  gelingen. 

IV.    Neue   Fabrikantenstempel   aus   Asberg. 

Unter  dieser  Nummer  fasse  ich  eine  Anzahl  von  Fabrikstem- 
peln zusammen,  die  auf  Lampen  und  Terra  sigillata  stehen.  Sie 
stammen  sämmtlicb  aus  Asberg  und  sind  im  Laufe  des  vorigen 
Jahres  in  das  Crefelder  Museum  gekommen. 

1.  Lämpchen  (Koenen»)  Taf.XVIlI  30),  0,091  lang,  roth, 

Griff  verletzt. 

FORTIS 
I 

2.  Lämpchen  wie  1,  0,082  1.,  rot  geftrbt 

FORTIS 
I 

3.  Teller  (Koenen  XIV  5),  0,175  Durchmesser.  Fragraen- 
tirt,  vertiefter  Omamentkreis  im  Innern.    Stempel  ohne  Kreis. 

OF  APRhS     ofificina)  Aprüisf 
Auf  dem  Fuss  aussen  in  graffito 

LV 

4.  Stück  einer  Tasse  (Koenen  XIV  10)  0,051  h.  Stempel 
mit  vertieftem  Kreis 

BASSI  BasH 
Vgl.  B.  J.  94,   71.   Asberg.    Auf  dem  Fuss  ausserdem   ein- 


geritzt 


+ 


1)  K.    Koenen,    Gefässkunde    der  vorrömischen,   römischen   und 
fränkischen  Zeit  in  den  Rheinlanden.    Bonn  1895. 


Beiträge  zur  Alterthumsknnde  des  Niederrheins.  261 

5.  Teller  (Koenen  XIV  4)  0,185  Dnrchm.  Ornamentkreis 
im  Innern. 

CATVLLVSh  CatuUus  flecit) 
Vgl.  CIL.  XII  5686,  206  a. 

6.  Fussscherbe  eines  Gewisses,  Stempel  mit  Kreis 
CATVSh  Catus  f{ecit)  oder  GAlVSh  Gaius  f\ecit) 

7.  Fassscherbe  eines  Tellers.  Drei  Omamentkreise.  Stempel 
mit  Kreis  rechts  verletzt. 

GABIXVS/  Gabiatus 

8.  Teller  (Koenen  XIV  4),  0,175  Dnrchm.  Ornamentkreis. 
Stempel  ohne  Kreis 

I  A  N  \A  R  I VS   I-  lanuarius  f{ecit) 
Vgl.  B.  J.  89  S.  18,146  b.    S.  53,21.    Bonn. 

9.  Grosser  Teller  (Koenen  XIV  4),  0,268  Durchm.  Frag- 
mentirt.    Strichelband.    Stempel  mit  Kreis. 

0  F  AA  8  C  L I  N  oflficinä)  -  MascUn{i) 
Vgl.  B.  J.  89  S.  24.   Bonn. 

10.  Cylindrischer  Napf  (Koenen  XIII  10),  mit  schönem 
Reliefschmnck  von  Ranken  und  Blättern.  Höhe  0,120  m,  Durch- 
messer oben  0,146  m.  Stempel  auf  der  Aussenwand  umgekehrt,  die 
Buchstaben  durch  das  Ornament  vertheilt. 

d    S    A    i'>i\fW  Masdus  fiecit) 
Vgl.  darüber  das  Nähere  unter  Nr.  V  S.  262  ff. 

11.  Fussscherbe  eines  Tellers.    Stempel  mit  Kreis 

KE  B  B  V  I  F    Meddul{u8)  f{ecit) 
Vgl.  B.  J.  89  S.  26,  205  a.     Bonn. 

12.  Fussscherbe  eines  TeUers.  Strichelband.  Stempel  mit 
Kreis. 

(J)   SEVERI   ofificina)  Severi 
Vgl.    B.    J.    89    S.    40,323    Grimlinghausen    OSE  VERL 
Hier  auch  (F)  ? 

13.  Teller  (Koenen  XIV  4),  0,166  Durchm.,  Verzierungg- 
kreis  schlecht  gerathen.    Stempel  ohne  Kreis. 

T  A  R  T  V  S  F    Tartus  f{ecü) 
Die  Fabrik  kann  ich  sonst  nicht  nachweisen. 

14.  Tässchen  (Koenen  XIV 10),  0,036  h.  Stempel  mit 
Kreis.  Anfang  unleserlich. 

//ABI    Möglich  wäre  A\  A  B  I  =  Amabiilü) 


262  Max   Sieb  ourg: 

15.  Tellei';  0,170  Duichm.  Ornamentkreis.  Stempel  ohne 
Kreis,  Anfang  unleserlich. 

^  I  ///  •  S  S  A   [Craci?]88a 
Vgl.  CIL.  VII  357 ab  CR AC ISS AF  Cantabrigiae,  Londinii. 
C  R  A  C  I  S  A  Londinii. 

16.  Scherbe  eines  Tellers.  Ornamentkreis.  Stempel  ohne 
Kreis,  vorne  zerstört. 

////?   RES. 
Vgl.  B.  J.  89  S.  12  OF  -CRES. 

V.     Unedirte    Terra  sigiUata  Näpfe   und    Glas- 
schalen   aus    Asberg    und    Xanten. 

1.  Auf  Tafel  X.  3  ist  ein  cyliudrischer  Napf  aus  Terra  si- 
giUata abgebildet,  dessen  Höhe  0,120  m,  dessen  Durchmesser  oben 
0,146  m  beträgt.  Der  Zufall  hat  die  vorzügliche  Erhaltung  des 
schönen  Gewisses  begünstigt.  Es  wurde  im  Juni  des  Jahres  1894 
zusammen  mit  der  hellgi'ünen,  mit  keulenartigen  Rippen  versehenen 
Glasschale  Taf.  X.  2  in  Asberg,  westlich  der  Römerstrasse,  von  Hoeh- 
jartz  gefunden.  Dieser  Mann  hatte  den  Tag  über  auf  seinem  Grund- 
stück nach  Kies  gegraben.  In  der  Nacht  trat  Regen  ein,  der  schräg 
fallend  die  beiden  Gegenstände  von  der  sie  umgebenden  Erde  frei 
wusch.  Der  erstaunte  Finder  konnte  sie  so  am  folgenden  Tage  un- 
versehrt hervorholen.  Er  verkaufte  sie  an  einen  Ruhrorter  Herrn, 
der  in  Asberg  die  Jagd  gepachtet  hat.  Von  diesem  erwarb  sie  das 
Crefelder  Museum,  zusammen  mit  der  Sammlung  des  Herrn  Reindell, 
der  längere  Zeit  in  Asberg  Lehrer  war  und  an  150  Asberger  Gegen- 
stände aus  Thon,  Glas  und  Metall  gesammelt  hatte.  Die  gestem- 
pelten Stücke  darunter  sind  unter  No.  IV  veröflFentlicht. 

Der  Napf  gehört  den  omamentirten  provinzialen  Sigillata-Ge- 
ßlssen  der  frühen  Kaiserzeit  an,  deren  Typus  Dragendorff  auf  Taf.  II 
Figur  30  abgebildet  und  an  verschiedenen  Stellen  besprochen  hat. 
Vergl.  S.  85,  126  ff.  Er  entstammt  der  Fabrik  des  MasdtM,  der  sei- 
nen Stempel  umgekehrt,  nach  links  laufend  auf  der  Anssenseite  der  Vase 
so  angebracht  hat,  dass  die  Buchstaben  durch  das  Ornament  aus- 
einander gerissen  werden.  Vgl.  S.  261, 10.  Man  beachte  dabei 
die  Form  des  A  und  des  V .  Während  sonst  die  Stempel  im  Innern 
stehen,  stimmt  die  Weise  des  Masclus  hier  überein  mit  der  der 
Arretiner  und  Futeolaner  Töpfer,   die   bei   dekorirten  Gefössen  die 


Beiträge  zur  Alterthumskunde  des  Niederrheins.  263 

Namen  zwischen  die  Ornamente  setzten.  Sicherlich  derselben  Fa- 
brik entstammt,  wie  schon  D ragen dorff  bemerkt  hat,  der  cylin- 
drische  Sigillata-Napf  ans  London,  den  Charles  Roach  Smith  in 
den  Illustrations  of  Roman  London  Taf.  XX VII  6  abbildet.  Der  Typns 
ist  derselbe.  Eine  Blätter- Guirlande  umzieht  in  Wellen  die  Wan- 
dung. Im  Berg  steht  ein  pantherähnliches  Thier,  das  in  eine  über 
seinem  Kopf  an  einem  Baum  hängende  Traube  beisst;  das  Thal 
füllen  zwei  Blätter  und  zwei  geriefelte  Aehren  derselben  Art,  wie 
sie  das  Asberger  GeiUss  zeigt.  Zur  Füllung  dienen  Thiere  (Hasen) 
und  Sterne.  Der  Stempel  MASCLVSF  ist  wieder  umgekehrt 
aussen  eingedrückt,  die  Buchstaben  sind  zwischen  das  Ornament 
vertheilt.  So  wird  die  durch  die  Ucbereinstimmang  der  Stempel  be- 
dingte Möglichkeit  gleicher  Herkunft  für  die  beiden  Gefässe  durch 
mehrere  UmstHnde  fast  zur  Gewissheit  erhoben.  Wir  fragen  uns 
daher,  wo  die  Fabrik  des  Masclus  gewesen  sein  mag,  ob  in  Asberg, 
in  London  oder  anderswo.  Erwägt  man  nun,  dass  der  Name  Mas- 
clus nicht  gerade  allzu  gewöhnlich  ist,  so  ist  es  nicht  unwahrschein- 
lich, wenn  wir  überall  da,  wo  wir  der  Marke  begegnen,  Erzengnisse 
ein  und  derselben  Fabrik  annehmen.  Auf  dieser  Annahme  beruhen 
die  unten  gezogenen  Schlüsse.  Von  Masclus  ist  Masculus  sicher  nur 
orthographisch  verschieden.  Der  Vorsicht  halber  will  ich  aber  in 
den  folgenden  Zusammenstellungen  die  beiden  Namensformen  aus- 
einanderhalten. In  Tabelle  I  und  II  habe  ich  die  mir  bekanntge- 
wordenen Stempel  des  Masclas-Masculus  nach  ihrer  lokalen  Verbrei- 
tung geordnet;  Tabelle  III  und  IV  geben  die  verschiedenen  Formen 
der  Marke. 


I. 

IL 

Deae 

OF  MASCL») 

Fins  d'Anneey  MASCy") 

Vieflne 

OF  MSCLI») 

Vienne        OFAASCVLJ«) 

OF  MASCLI») 

OF  AASCVI») 

OF  MSCl,*) 

OF  MASCVI«) 

1)  CIL.  XII  6686,  560  b. 

2)  CIL.  XII  5686,  560c  M,   1  im  Museum  zu  St.  Gormain,  vgl.  S.  267. 

3)  CIL.  XII  5686,   560  m,   vasculum  omaium  [Parisiis  aptid  Char- 
vetum]. 

4)  CiL.  XII  5686,  560  c. 

5)  CIL.  XII  5686,  995  vas  nigrum  [Ännecy  mus.]. 

6)  CIL.  XII  5686,  560  eii.  7)  CIL.  XII  5686,  56Q4. 
8)  CIL.  XII  5686,  560  i, 


264 


Max   Siebourg: 


Vienne        MASCLV///») 

MSCLI«) 
St.  Colombe  /SClVS») 

Aoste  OFMASCL*) 

[St.  Germain]  /V^SCLVS.  FE*) 


St  Colombe  OF  MYCVM») 

OF  MSC»«) 
Aoste  OFM?CVN") 

Le  Ponzin  OF  MASCVLM») 


Poitiers 

MASCLVS  FECIT«) 

Poiton 

MASCVLI-M»») 

Limogea 

OF    MASCLP) 

AUier 

MASCVLVS») 

Tongres 

OFMSCLI») 

Paris 

AASCVLVS«) 

Tarraco 

MAS'CL») 

Ilici 

A\SOLVSi«) 

Garthago 

MASOLIM") 

London 

M  A  SCLVS- F") 

London 

AASCVLVS") 

A\SCLVS") 

A\SOVLI») 

OF  MSCLI") 

ASGVLI") 
AASCVLVS   F») 
OF   MSCVI") 

Stansted  (Essex)  AASCVLVS") 

GleTum 

AASOVLVSF««) 

1)  CIL.  XII  5686,  560  k.  2)  CIL.  XII  5686,  560  g. 

3)  CIL.  XII  5686,   561  litteris  prominentibtis   [apud  Chavassienum] 
vas  omaiwm;  gladiatores  pugnantes. 

4)  CIL.  XII  5686,  560  s. 

5)  CIL.  XII  5656,  560  v.  [St  Germain  n.  10986  Parisiis  emptum]. 

6)  Sch(ürman8,   Sigles     figulines)    3390:      'ou  MASCVLVS 
FECir? 

7)  Seh.  3387.  8)  Seh.  3386.  9)  CIL.  U  4970,  306  b. 

10)  CIL.  II  6257, 113.    Ob  CIL.  II  6275, 199  0  F  T  R  A  M  S  C  V,  der- 
selben  Herkunft,  hierher  gehört,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

11)  CIL.  II  6257,  114. 

12)  CIL.  VII  1337,50;  der  Stempel  umgekehrt;  vgl.  oben  S.  14. 

13)  CIL.  VII  1336, 667.  14)  CIL.  VII  1336, 668. 

15)  CIL.  XII  5686,  560  n.  16)  CIL.  XII  5686,  560  p  q. 

17)  CIL.  XII  5686, 560 r  N  wohl  für  M  =K 

18)  CIL.  XII  5686, 560 1.  19)  Seh.  3392.  20)  Seh.  3394. 
21)  Seh.  3395.          22)  CIL.  VII  1336,  669  zweimal. 

23)  CIL.  VII  1336,670  a.  24)  CIL.  VII  1336,670  b. 

25)  CIL.  VII  1386,671  dreimal.  26)  CIL.  VII  1336,672  a. 

27)  CIL,  VII  1336,672b.  28)  CIL.  VII  1336,671, 


Beiträge  zur  AltertfamnBknnde  des  Niederrheins. 


265 


Isca 

OF  MASCVI«). 

Flavion 

OF   MSCV.I») 

Rossam 

OF  MSCVW) 

Voorbnrg 

MASCVLVS") 

Xanten 

MASCVLVSF»«) 

Andernach 

1  .  .  ASCVIM») 

Mainz 

AASCVLVS") 

Xanten 
Asberg 

OF  MASCLM) 
MASCLVSF») 

Oc   AASC») 

Bonn 

MASCM) 

Bonn 

llllll^ou*) 

WindiBch    OF   MASCLI») 
Oberwinterthur  A^S  C  L  I  «) 
Oberculm   OFMASCL') 


in. 

OF  MASCLI       Vienne 


OF   A^SCLI 
OF  /^^SCLI 

OF  MSCb 
OF  MASCL 

MASCLI   M 


Limoges 

Xanten 

Windisch 

Vienne 

Tongres 

London 

Vienne 

Deae,    Aoste, 

Oberculm 
Carthago 


MASCLVSFECITPoitiers 


IV 

OF.MASCVLI 
OF  A^SCV-  I 
OF  A\SCVLi 
OF  MASCVI 


OF  A^SCVI 
OF  MSCVI 

OF  A^^cvN 

OF  A^SCV 
OF  A^SC 


Le  Ponzin 
Flavion 
Vienne   (2  X) 
Vienne 
Isca 
Vienne 
St.  Colombe 
London 
Aoste 
Rossnm 
St.  Colombe  (2  X) 
Mainz 


1)  Lorsch,  Centralmnsenm  III  107.  2)  B.J.  %,  S.  13,10. 

3)  B.  J.  60,  77. 

4)  B.  J.  89,  S.  24, 192.    Terra  sig.  Teller. 

5)  Seh.  3887.  6)  Seh.  3885.  7)  Seh.  3384. 

8)  CJL.  VII  1336,672  b. 

9)  Seh.  3393.         10)  Seh.  3391.         11)  Seh.  3394.         12)  Seh.  3396. 

13)  B.  J.  86  S.  175  Nr.  27.    Koenen  schreibt:   .  .  Ascuii;    es  kann 
wohl  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  der  Masculus  gemeint  ist. 

14)  Becker,  Mainzer  Katalog  S.  105,123. 

15)  Becker  a.  a.  0.  124. 


266 

Max  Si< 

ab  our g: 

/V^SCLVS  FE 

[St.  Geniiain] 

MASCVLIM 

Poitou 

M  A  SCLVS- 

F   London 

MASCVLVSF  Xanten 

M  ASCk   V  S 

•  F  Aßberg 

AASCVLVS  F 

London    (3X) 

MASCLV 

Vienne 

Glevuni 

A\SCLVS 

Ilici,  London 

MASCVLVS 

Allier 

SCLVS 

St.  Colombe 

Voorburg 

AASCLI 

Oberwinter- 

A\SCVLVS 

Paris 

thur,  Vienne 

London   (2  X) 

////// SC  LI 

Bonn 

Stansted 

MASCL 

Tarraco 

Mainz 

MASCI 

Bonn 

A\SCVLI 

London 

ASCVLI 

London 

.  .  ASCVII 

Andernach 

MASC\> 

Fing  d'Annecy 

Gemäss  Tabelle  I  und  II  finden  sich  also  Erzeugnisse  der  Fa- 
brik vor  allem  in  Gallia  Narbonensis,  besondere  in  Vienne,  dann 
vereinzelt  in  dem  übrigen  Frankreich,  in  Spanien,  England,  hier 
häufig  in  London,  endlich  in  den  beiden  Germanien.  Zunächst  spricht 
die  lokale  Verbreitung  für  die  Identität  des  Masclus  und  Masculus; 
an  manchen  Orten  kommen  beide  vor.  Sodann  nöthigt  uns  die  weite 
Ausdehnung  des  Exports  Hochachtung  ab,  selbst  wenn  wir  moder- 
nen Maassstab  anlegen.  Was  die  Frage  nach  dem  Sitz  der  Fabrik 
angeht,  so  ist  es  wohl  angebracht,  das  sonstige  Vorkommen  des  Na- 
mens Mascius-Masculus  zu  berücksichtigen.  Da  ergiebt  sich  denn, 
dass  er  am  Rhein,  in  Britannien  und  Spanien  gar  nicht  erecheint, 
dagegen  häufiger  in  Gallia  Narbonensis  ist  —  andere  Gegen- 
den, wie  Noricum,  Africa  kommen  hier  nicht  in  Betracht.  Ver- 
gleicht man  dazu  Tabelle  I  und  II,  so  muss  man  den  Schluss  ziehen, 
dass  Masclus  in  der  Narbonensis  ansässig  war  und  etwa  in  Vienne 
seine  Fabrik  hatte.  Ich  war  erfreut  später  bei  Dragendorff 
S.  105  flF.  zu  lesen,  dass  er  aus  einer  Reihe  von  Argumenten  die 
Ansicht  gewinnt,  dass  das  Centrum  der  provinziellen  Fabrikation  der 
Terra  sigillata  in  Gallien  zu  suchen  sei.  —  Die  Marken  der  Gefässe 
des  Masclus  zeigen  gemäss  Tabelle  III  und  IV  die  verschiedensten 
Formen.  Dass  er  selber  Fabrikherr  und  nicht  bloss  Arbeiter  war, 
beweist  das  häufig  vorangestellte  ofificinä)]  das  gleichfalls  vor- 
kommende m{anu)  zwingt  aber  auch  zu  der  Annahme,  dass 
er    selbst    mitgearbeitet    hat.      Es    ist    wohl    nicht    erlaubt^    aus 


Beiträge  zur  Alterthumskunde  des  Niederrheins.  267 

der  Zahl  der  yerschiedenen  Stempelfonnen  auf  eine  entspre- 
chende Zahl  von  Arbeitern  zu  schliesBen:  das  Handwerkszeug 
ist  ja  dem  Verschleiss  ausgesetzt.  Bei  der  Frage  nach  der  Zeit* 
bestimmung  unseres  Fabrikanten  gehen  wir  von  der  Annahme  aus, 
dass  Masculus  von  Masclas  nicht  verschieden  ist.  Dann  weist  uns 
zunächst  das  Vorkommen  der  Marke  in  Flavion  in  die  Zeit  von  Clau- 
dius bis  Commodus;  hier  ist  eine  ununterbrochene  Münzreihe  gefun- 
den worden,  die  mit  Commodus  plötzlich  abbricht  (D  ragender  ff 
S.  103).  Genaueres  lehrt  die  Andemacher  Scherbe  mit  dem 
Stempel  .  .  A  S  C  V 1 1 ;  sie  entstammt  einer  Brandstätte  des  Mar- 
tinsberges, ist  von  festgebrannter,  glänzend  tiefrother  Sigillata, 
gerade  so  wie  der  Asberger  Napf  und  wird  von  Koenen^)  in 
die  Zeit  um  Nero  gesetzt.  Damit  ist  in  Verbindung  zu  bringen, 
was  Dragendorff  S.  85,  110,  127  über  den  Typus  29  und  30 
bemerkt  Beide  Formen  scheinen  ihm  in  der  ersten  Hälfte  des  I. 
nachchristlichen  Jahrhunderts  aufzutreten  und  sich  das  ganze  I.  Jahr- 
hundert zu  halten,  was  ihr  Vorkommen  in  den  Limeskastellen  be- 
weist. Allmählich  werden  sie  durch  die  spätere  Form  der  deko- 
rierten Schale  (No.  37)  verdrängt.  Unser  Typus  kommt  in  gröberer 
Gestalt  noch  in  der  Westemdorfer  Fabrik  vor,  die  kaum  vor  der 
Mitte  des  II.  Jahrh.  ihre  Arbeit  beginnt.  Eoenen  bemerkt  S.  90 
seiner  Gefösskunde,  dass  jene  Form  in  der  letzten  Zeit  der  Flavier 
zu  verschwinden  scheint  und  auf  den  Gräbern  der  Antoninenzeit 
nicht  mehr  angetroffen  wird.  Wir' werden  also  wohl  die  Arbeit  des 
Masclus  etwa  in  die  Mitte  des  I.  nachchristlichen  Jahrhunderts  zu 
setzen  haben. 

Schon  oben  Seite  126  ist  hervorgehoben  worden,  dass  in  der 
Fabrik  des  Masclus  Geftsse  der  Form  29  *)  wie  der  Form  30  gefertigt 
worden  sind.  Den  weiteren  Erzeugnissen  nachzngehn  ist  bei  der  Art 
der  bisherigen  Veröffentlichungen  kaum  möglich.  Das  Corpus  be- 
gnttgt  sich  meist  mit  der  Angabe  des  Stempels.  Es  ist  zu  wttnschen, 
dass  fernerhin  die  Bearbeiter  der  Inschriften  auf  Thonwaaren  immer 
einen  Verweis  auf  die  Formentafeln  von  Dragendorff  und  Eoenen 
hinzufügen.    Zu  dem  Stempel  aus  St.  Colombe  ^)  heisst  es  'gladia- 

1)  B.  J.  LXXXVI  S.  225  zu  Tafel  VII  49. 

2)  Gemeint  ist  das  S.  263  Anm.  2  erwähnte^  oben  S.  128  etwas  ge- 
nauer geschilderte  Geföss.  Das  auf  dem  Asberger  Napf  verwandte 
Herzblatt  kehrt  auch  hier  wieder;  vgl.  S.  269. 

3)  CIL.  XII  5686,  561. 


268  M  a  X    S  i  e  b  0 11  r  g : 

tores  pugnantes.  Gerade  Gladiatorenkämpfe  sind  häufig  auf  den 
ornamentirten  Gefössen  dargestellt.  Aus  Fins  d'Annecy*)  wird 
ein  'vas  nigrum'  aufgeführt,  eine  Notiz,  die  in  dieser  Form  wenig 
nützt.  Sollte  damit  allerdings  sog.  Terra  nigra  gemeint  sein,  so 
wäre  das  für  die  Zeitbestimmung  des  Töpfers  von  Bedeutung^).  In 
Bonn  ist  ein  Sigillata  Teller  mit  der  Marke  //////S  C  L  I  gefunden 
worden '). 

Zum  Schluss  noch  einige  Worte  über  Form  und  Dekoration. 
Die  Formgebung  ist  bei  unserem  Typus  sehr  konstant.  Den  oberen 
Abschluss  bildet  ein  Rundstab,  auf  den  ein  freier,  leicht  gerundeter 
Streifen  folgt;  er  ist  durch  Rundstab  und  Hohlkehle  von  dem  deko- 
rirten  Streifen  getrennt.  Diesen  schliesst  oben  ein  Eierstab  ab, 
über  oder  unter  dem  ein  Perlstab  läuft.  Das  Ornament  wird  auf 
dem  Asberger  Gefäss  auch  unten  durch  Perlstab  und  Hohlkehle  be- 
grenzt; dann  geht  es  zunächst  scharf  in  rechtem  Winkel,  darauf  in 
sanfter  Rundung  zu  dem  breiten  Fuss  über,  an  dem  sich  das  Spiel 
von  Rundstab  und  Hohlkehle  fortsetzt.  Die  glatte  Fläche  im  Innern 
ist  ebenfalls  stets  durch  eine  Hohlkehle  unterbrochen.  Das  Asber- 
ger GefUss  zeigt  nur  eine  leichte  Verjüngung;  der  Umfang  beträgt 
oben  0,466,  unten  0,415  m.  Der  Fuss  hat  einen  Durchmesser  von 
0,093,  während  der  Durchmesser  oben  0,146  ni  beträgt.  Dieselbe 
Form  hat  z.  B.  der  bei  Holder*)  Taf.  XXII  2  abgebildet«  Napf. 
Abweichungen  davon  betrefFen  im  wesentlichen  nur  das  Maass  der 
Verjüngung  und  die  Grösse  des  Fusses,  sowie  den  Uebergang  dazu, 
der  nicht  immer  rechtwinklig  beginnt.  Die  bei  Smith  Roman 
London  Taf.  XXVII  2,  3,  6,  8,  10  abgebildeten  Gefässe  zeigen 
stärkere  Verjüngung  im  Vergleich  zu  7.  Der  Uebergang  zu  Dragen- 
dorffs  Form  29  bUdet  Fig.  5  bei  Smith.  Der  Napf  bei  Koenen 
Taf.  XIII  9  hat  einen  kleineren  Fuss,  der  nicht  in  rechtem  Verhält- 
niss  zu  der  Breite  des  Gefilsses  steht.  Der  ganze  Typus  mit  seiner 
scharfen  Profilirung  geht  unverkennbar  auf  toreutische  Vorbilder 
zurück.  Eine  direkte  Vorstufe  dafür  kann  Dragendorff  in  Arezzo 
und  Puteoli  nicht  nachweisen  %  Man  hat  die  Form  auch  in 
Glas  hergestellt.  Ich  kenne  bis  jetzt  zwei  Abbildungen  solcher  Ge- 
fässe; die  eine  steht  bei  Fro ebner,  verrerie  antique  auf  dem  Titel- 


1)  CIL.  XTI  5686,561.        2)  Vgl.  oben  S.  88.        3)  B.  J.  89  S.  24. 

4)  O.  Holder,   Die  röm.  Thongefässe  der  Alterthumssanimlung  in 
Rottweil.    Stuttgart  1889. 

5)  Vgl.  oben  S.  126. 


j^eiträge  zur  Alterthumskunde  des  Niederrheins.  ^6^ 

blatt  nnd  S.  67;  die  andere  bei  Esp^randieu,  epigraphie  Romaine 
du  Poitoa  et  de  la  Saintonge  p.  363/4.  Auf  beiden  sind  kämpfende 
Gladiatoren  dargestellt,  denen  die  Namen  beigcBehrieben  sind.  Ein- 
zelne Namen  wie  Spiculus  Columbus  Prüdes  kommen  auf  beiden  vor. 
Die  Dekoration  der  cylindrischen  Näpfe  stimmt  im  wesent- 
lichen mit  der  der  Gefösse  Fig.  29  tiberein,  welche  oben  S.  128  ff. 
behandelt  ist.  Von  der  Fülle  der  Motive,  die  Pflanzen-,  Thier-, 
Menseben-  und  Götterwelt  geliefert  haben,  vermögen  die  Tafeln  XIII 
bis  XX  bei  Holder  eine  Anschauung  zu  geben.  Dagegen  lässt  sich 
die  Anordnung  und  Gliederung  der  Muster  auf  nur  wenige  Formen 
zurückfahren;  ich  meine  die  Gliederung  des  umlaufenden  Streifens 
durch  wellenförmige  Ranken,  das  Medaillonornament  und  die  Zer- 
legung in  metopenaiiiige  Felder.  Wenn  Holder  S.  14  noch  als  be- 
sonderen Typus  das  Festonornament  aufführt,  so  gehört  dasselbe 
m.  E.  zu  der  Metopendekoration;  denn  die  Säulen,  Stäbe  oder  hän- 
genden Quasten,  an  denen  die  halbrunden  Kränze  befestigt  sind, 
bedingen  eine  Einteilung  in  rechteckige  Felder.  Ist  das  Halbrund 
oben  aufgesetzt  als  Rundbogen,  so  entsteht  die  gerade  bei  den  cy- 
lindrischen Näpfen  häufige  Nische  (Holder,  Taf.  XXII,  2).  Selbst- 
verständlich kommen  diese  Dekorationsarten  nur  selten  für  sich  allein 
vor;  meist  finden  Kombinationen  statt.  Unser  Asberger  Gefäss  zeigt 
das  Rankenomament  in  seiner  ganzen  Reinheit  und  ist  wohl  schon 
darum  den  älteren  seiner  Gattung  zuzurechnen.  In  drei  Bergen  und 
drei  Thälern,  die  nicht  ganz  gleich  geraten  sind,  umläuft  die  Wellen- 
linie den  Streifen.  Daraus  wachsen  an  langen  Stielen,  deren  An- 
fang allemal  durch  Knötchen  bezeichnet  ist,  in  Berg  und  Thal  ein 
grosses  und  ein  kleines  Herzblatt  hervor,  welches  häufiger  ver- 
wandt wird.  Dasselbe  Motiv  zeigt  z.  B.  der  S.  267  erwähnte 
Masclus  -  Napf  der  Form  29  sowie  das  oben  S.  128  Fig.  17 
abgebildete  Bonner  Fragment.  Der  Berg  enthält  dazu  jedesmal 
zwei  geriefelte  Aehren,  das  Thal  eine  solche  Aehre  und  eine  Traube, 
nur  in  ein  Thal  hat  sich  eine  zweite  Aehre  verirrt,  die  ganz  muster« 
widrig  direkt  aus  der  Welle  beim  Ansatz  des  Stieles  des  grossen 
Blattes  entspringt.  Die  geriefelte  Aehre,  die  ich  botanisch  nicht  ztt 
bestimmen  wage  —  am  ersten  möchte  ich  sie  einer  Eichel  verglei- 
chen —  kommt  sehr  häufig  vor;  so  auf  dem  Londoner  Napf  des* 
selben  Töpfers,  ferner  oben  S.  128,  Fig.  20.  Alle  Zweige  des  Bau* 
raes  enden  darin,  den  Holder  Taf.  XX  Fig.  5  abbildet.  Er  nennt 
diese  Figur  und  Fig.  22  derselben  Tafel  typisch ;  letztere  stellt  einen 


2?0  Max  Sieböurg! 

Banm  dar,  deren  Zweige  in  Trauben  endigen,  die  m.  E.  nicht  y^t- 
schieden  sind  von  den  Tranben  des  Asberger  Napfes.  Holder 
meint  S.  22,  der  Banm  mit  den  Aehren  stelle  das  Laabholz,  wohl 
die  Buche,  der  mit  den  Trauben  das  Nadelholz  vor;  warum,  weiss 
ich  nicht.  Ich  glaube  die  geriefelte  Aehre  bereits  auf  einigen  der 
in  diesem  Hefte  abgebildeten  Scherben  aus  Puteoli  und  Arezzo  zu 
erkennen;    vgl.  Taf  IV  22,  V  37,  VI  53,  54,  59, 60, 63, 64,  76. 

Als  Probe  der  Medaillondekoration,  die  sich  der  Ranke  ein- 
fügt, ist  auf  Taf.  X  4  nach  einem  Gipsabguss  ein  cylindrischer 
Sigillata-Napf  des  Berliner  Antiquariums  aus  Xanten  abgebildet. 
Er  ist  0,119  m  hoch,  der  Durchmesser  oben  beträgt  0,154  m.  Statt 
der  einfachen  Wellenlinie  ist  wie  auf  dem  Londoner  Masclns-Napf 
eine  Blätterguirlande  in  sehr  exakter  Führung  alsKanke  verwandt. 
Ihren  Windungen  folgen  die  langen  Stiele  der  Weinblätter  und  Früchte, 
die  in  den  Thälem  stehen.  Der  Berg  enthält  ein  kreisrundes  Me- 
daillon, darin  der  eilende  Mercurius,  mit  der  vorgestreckten  R.  den 
Beutel,  in  der  L.  den  caduceus  haltend;  der  Reisehut  (petasus)  auf 
dem  Haupt,  die  Schuhe  an  den  Füssen  sind  geflügelt.  Im  Winde 
flattert  die  Chlamys  ihm  nach.  Genau  derselbe  Merkur  steht  auf 
einer  Lampe  aus  Xanten  bei  Honben-Fiedler,  Denkmäler  von 
Castra  vetera,  Taf.  XXX  Fig.  2;  die  kreisrunde  Oberfläche  der 
Lam{)e  entspricht  dem  Medaillon  des  Napfes.  Der  Lampen-  und  der 
Töpferfabrikant  haben  sicherlich  ihre  Muster  von  demselben  Formen- 
schneider bezogen.  Auf  dem  Berliner  Napf  dienen  in  Berg  und  Thal 
Vögel  als  Füllung,  die  auf  dem  Asberger  Gefiiss  noch  fehlen.  — 
Als  Beispiel  metopenartiger  Verzierung  sei  der  Rottweiler  Napf  bei 
Holder,  Taf.  XXII  2  erwähnt;  ähnliche  Felder  mit  Medaillons 
hat  das  Gefäss  bei  Smith  Roman  London  Taf.  XXVII  2.  Das 
Festonomament  giebt  die  B.  J.  94  Taf.  III  von  mir  veröffentlichte 
Scherbe  aus  Asberg'),  die  noch  darum  besonderes  Interesse  hat, 
weil  in  ungewöhnlicher  Weise  der  zu  vei-zierende  Raum  in  zwei 
Streifen  zerlegt  ist;  den  oberen  schmückt  Rankendekoration,  den 
unteren  Festons  mit  Vögeln. 

2.  Auf  Taf.  X  1  U.2  sind  zwei  Glasschalen  des  Crefelder  Mn- 
fienms  abgebildet,  die  aus  Asberg  stammen.  Die  hellgrüne  (2)  wurde, 


1)  Schon  Dragendorff  hat  oben  S.  85  bemerkt,  dass  die  von  mir 
Versuchte  Restitution  nicht  richtig  sein  kann  und  dass  ich  davon  jetzt 
selbst  Überzeugt  bin.  Die  Scherbe  gehört  vielmehr  der  hier  besprochenen 
Gattung  von  cylindrischen  Näpfen,  Typus  30,  an. 


ßei träge  zur  Aiterthumskunde  des  Kiederrheins.  2^1 

wie  erwälmt,  ziisaniinen  mit  dem  oben  besprochenen  Napf  gefunden. 
Sie  ist  0,043  m  hoch  und  hat  einen  Durchmesser  von  0,148  m;  ab- 
gesehen von  einem  freien  Rande  ist  sie  aussen  mit  dicken  keulenföp^ 
migen  Rippen  versehen,  deren  Enden  in  der  Mitte  des  Bodens  sich 
treffen.  Das  Innere  ist  glatt,  auf  dem  Boden  ein  grosser  und  ein  kleiner 
doppelter  Ornamentkreis.  Sic  hat  einen  Si)rung,  ist  sonst  aber  vor- 
züglich erhalten.  Die  dunkelblaue  Schale,  0,045  m  hoch,  0,155  m  im 
Durchmesser,  wurde  bei  der  Grabung  auf  einem  Stück  westlich  der 
Römerstrasse  gefunden,  die  der  Crefelder  Museumsverein  1885  ver- 
anstaltete; ein  genauer  Fundbericht  liegt  nicht  vor.  Die  Schaleist 
am  Rande  etwas  verletzt  und  zeigt  zwei  Sprünge,  die  Wülste  sind 
dünner  und  bedecken  nur  die  obere  Hälfte  der  Wand.  Das  Innere 
ist  wie  bei  der  grünen  behandelt.  Diese  Art  gerippter  Glasschalen, 
von  denen  völlig  erhaltene  Exemplare  selten  sind*),  muss  weit  ver- 
breitet gewesen  sein.  Houben-Fiedler  bilden  auf  Taf.  XXXVIII  7 
ein  grünes,  höheres  Stück  aus  Xanten  ab;  B.  J.  41,  Taf.  IV  steht 
eine  Schale  von  dunkelrothem  durchscheinendem  Glase  mit  zierlichem 
Handgriff,  gefunden  1865  in  der  Magnusstrasse  zu  Köln ;  das  Kölner  Mu- 
seum besitzt  zwei  grüne  und  eine  braune  Schale,  das  Bonner  unter  No.  864 
einen  schönen  blauen  Glaskumpen,  gefunden  zu  Müden  bei  Carden  a.  d. 
Mosel,  sodann  6  hellgrüne  Scherben  aus  dem  Neusser  Lager.  In  An- 
dernach fanden  sich  Scherben.  Fröhn er  bildet  in  derverrerie  antique 
pl.  XVIII 86  eine  sehr  schöne  gerippte  Schale  ab.  Smith  Roman  London 
gibt  pl.  XXXI  2  eine  grüne,  pl.  XXXII  1—6,  8  bunte  Scherben  aus 
London,  S.  123  ein  ganzes  Exemplar  aus  Takeley  in  Essex,  S.  122 
ein  solches  aus  Ntraes  (Nemausus).  Selbst  in  Süd-Russland  kommen 
sie  vor*).  Verschiedene  Umstände  weisen  nns  in  frühe  Zeit.  Die 
Asberger  giiine  Schale  wurde  zusammen  mit  dem  Sigillata-Napf 
gefunden,  den  ^r  in  die  Mitte  des  I.  Jahrhundert«  gesetzt  haben. 
Die  Andernacher  Scherben  setzt  Koenen  in  die  Zeit  nm  Nero*). 
Bei  dem  Bonner  blauen  Glaskumpen  fanden  sich  laut  Inventar  Mün^ 
zen  von  Vespasian  und  Domitian.  Die  Schale  aus  Takeley  stand  in 
einem  Sigillata-Gefäss,  das  auch  3  Münzen  von  Vespasian  enthielt,  die, 
wie  es  bei  Smith  Roman  London  S.  123  heisst,  Vom  Verkehr  nicht 
gelitten  hatten'. 

1)  Z.  B.  enthalten  die  Taf.  V— VII  B.  J.  71,   Gläser  der  Sammlung 
Disch,  T.  I,  II  B.  J.  81,  kein  einziges  Exemplar. 

2)  Antiqu.  du  Bosph.  Cimm.  Taf.  77,6;  78,5,6. 

3)  B.  J.  86  S.  173, 1  nr.  10  verbunden  mit  Taf.  VI  14  S.  223, 


8.  Die  Interpolationen  des  gromatischen  Corpus. 

Von 
Th.  Mommsen. 


Von  den  in  unserem  gromatischen  Corpus  vereinigten  Schrift- 
stücken gehören  die  grösseren,  meistentheils  mit  gesicherten  Autor- 
namen versehenen,  überwiegend  der  besseren  Litteraturperiode  an 
und  können  mit  den  überall  massgebenden  Einschränkungen  für 
die  sachliche  Untersuchung  als  zuverlässige  Quellen  betrachtet  wer- 
den. Aber  eine  allerdings  nicht  sehr  umfängliche  Reihe  anderer, 
theils  benannter;  theils  anonymer  Schriftstücke  sind  diesen  ungefilhr 
mit  demselben  Recht  beigesellt,  wie  das  Buch  Esther  dem  Penta- 
teuch.  Die  ziemlich  unterschiedslose  Benutzung  der  gesammten  uns 
unter  denselben  Buchdeckeln  vorliegenden  Masse,  wie  sie  zum  Bei- 
spiel in  den  sonst  so  trefflichen  gromatischen  Institutionen  Rudorffs 
durchgängig  stattfindet,  gereicht  der  Forschung  zum  Schaden,  und 
es  ist  der  Zweck  dieser  Blätter,  davor  zu  warnen.  Den  Philologen, 
die  sich  eingehend  mit  den  Oromatikem  beschäftigt  haben,  werden 
sie  wenig  Neue^  bringen,  aber  als  zusammenfassende  Uebersicht 
doch  vielleicht  nicht  ganz  unnütz  sein. 

Es  ist  dabei  auszugehen  von  dem  Gisgensatz  der  beiden  gro- 
matischen Corpora,  auf  welchen  unsere  Ueberlieferung  beruht:  das 
bessere  ist  überliefert  durch  die  erste  Klasse  Lachmann -Blumes, 
das  heisst  die  Handschriften  AB  nebst  den  aus  diesen  vor  dem  spä- 
teren Blattverlust  geflossenen  Abschriften  J  F,  sowie  durch  die  dritte 
Klasse  {E),  da  diese  von  der  ersten  sich  wesentlich  nur  durch  die  ver- 
änderte Ordnung  unterscheidet;  das  geringere  durch  die  zweite  Klasse 
der  Ausgabe  {PO^  welche  letztere  Handschrift  aus  der  ersteren 
jetzt  defecten,  damals  noch  vollständigen  abgeschrieben  zu  sein 
scheint).      Um    das    Gesammtergebniss    vorweg    zu    nehmen:    das 


t)ie  Interpolationen  des  gromaiischen  Corpus.  2fd 

eratQ  Corpus  ist  eine  gromatisehe  Gompilation  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  fünften  Jahrhunderts  und  im  Grossen  und  Ganzen  nicht 
interpolirt;  das  zweite  ist  aus  dem  ereteren  geflossen,  aber  in  der 
Weise  yermehrt,  dass,  was  dieses  allein  bietet,  überwiegend  als 
Fälschung  frühestens  der  zweiten  Hälfte  des  sephsten  Jalu'hjinderts 
sich  darstellt. 

Die  gromatisehe  Sammlung,  wie  sie  den  Handschriften  ABE 
zu  Grunde  liegt,  enthält  oder  enthielt  die  Schriften  des  Frontiii;  des 
Agennius,  des  Balbns,  des  Siculi^s  Flaccus,  die  beiden  dem  Hygin 
beigelegten,  die  Schrift  über  die  Lagerachlagung,  die  unter  den  Namen 
des  Epapliroditus  und  des  Vitruvius  gehenden  geometrischen  Auf- 
gaben, die  Schrift  des  M.  Junius  Nipsus^  das  mamilische  Geseta, 
endlich  ausser  einigen  kleineren  Pseudonymen  oder  anonymen  Trac- 
taten  {de  sepülchris  p.  271.  272;  üebersicht  über  die  termini 
p.  242,7 — ^243,17;  agrorum  quae  sit  inspecüo  p.  281 — 284)  das 
italische  Städte verzeichniss  wesentlich  in  der  Gestalt,  wie  es  in  der 
Ausgabe  als  Über  coloniarum  prior  vorliegt.  Der  Titel  finium  re- 
gundorum  des  438  publicirten  theodosischen  Codex  fehlt  in  AB, 
findet  sich  aber  schon  in  E.  Da  alle  auf  uns  gekommenen  Hand- 
schriften zerrüttet  und  verstümmelt  sind,  sind  mehrere  dieser  Stücke 
defect  und  können  kleinere  Bestaudtheile  der  Sammlung  uns  mög- 
licher Weise  ganz  fehlen,  üeberwiegend  gehören  die  in  dieser 
Sammlung  vereinigten  Stücke  der  Fachlitteratnr  der  guten  Kaiser- 
zeit an.  Indess  ist  dieselbe  von  Interpolationen  nicht  frei  geblieben. 
Abgesehen  von  den  kleinen  Tractat  de  sepülchris^  welcher  durch 
unvernünftige  Zusätze  am  Anfang  und  am  Sehluss  in  eine  an  die 
Triumvim  Octavian,  Antonius  und  Lepidus  adressirte  Verordnung 
des  Kaisers  Tiberius  umgewandelt  ist^  hat  am  meisten  das  Städte- 
verzeichniss  gelitten.  Die  Grundlage  dieser  Listen  ist  gut  wd  alt; 
aber  fast  bei  jeder  Ortschaft  zeigen  sie  die  Spuren  davon,  dass  sie 
um  450  n.  Chr.  aus  dem  Bureau  der  stadtrömischen  Fel4mes8er 
überarbeitet  hervorgegangen  sind^  wofür  ich  auf  meine  Darlegungen 
Feldm.  2,  176  fg.  und  Hermes  18,  173  fg.  verweise.  Es  gibt  uns 
dies  zugleich  einen  Anhalt  für  die  Epoche  der  Redaction  der  ganzen 
Sammlung.  Für  die  weitere  Entwickelung  kommt  in  Betracht, 
dass  in  den  wenigen  Abschnitten  des  Städteverzeichnisses,  welche 
der  Text  E  vor  dem  Text  A  voraus  hat  (p.  239,  20—240, 
15,)  sich  deutliche  fipuren  gesteigerter  Interpolation  zeigen;  es 
scheint  jener   einer    etwas    späteren   Textgestaltung    anzugehören. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthafr.  im  Rhcinl.  XCVI.  lg 


074  •?  h.  kl  o  m  m  ß  ^  n  i 

Im  Ganzen  aber  hält  die  Textfälschnng  sich  in  derReeension^jSJ^ 
in  bescheidenen  Grenzen. 

Ein  einziges  diesem  Coi*pu8  einverleibtes  SchriftstQek  scheidet 
durch  die  barbarische  Sprache  wie  dnrch  die  Nichtigkeit  seines 
Inhalts  ans  dieser  Beihe  werthvoUer  Reste  ans :  dies  sind  die  casae 
litterarum  (p.  327,4 — 331,7).  So  weit  es  nicht,  sicher  durch  die 
Schuld  mehr  des  Concipienten  als  des  Abschreibers,  geradezu  unver- 
ständlich ist,  stellt  es  sich  dar  als  entnommen  einer  Art  von  Situa- 
tionsplan,  darstellend  25  mit  den  Buchstaben  des  Alphabets  bezeich- 
nete Häuser,  dazwischen  Wasserläufe,  Berge  und  Wege.  Bei 
jedem  Hause  werden  zunächst  die  fines  angegeben»  das  heisst  die 
dazu  gehörige  Bodenfläche: 

P  finis  ante  se  habentem 

D.Q  finis  po8  se  habentes  oder  poa  se  finem  habet 

R  finis  super  se  habentem 

CT  finis  super  se   non  habentes   oder   super   se  finem  nihü 
habentem 

X  finis  in  longo  habentem 

B.Y  finis  grandis  habentes 

M.S.V  finis  egregios  habentes 

G  tortas  fines  habentis 

N  sinistram  partem  finis  nihil  habet 

Z  finis  nihü  habentes 

Aus  den  Angaben  über  die  Berge  und  die  Wasserläufe  setze 
ich  einige  leidlich  verständliche  her: 

V  super  se  montem  et  casa  in  piano  loco  posita 

N  aisa  in  eampo  posita 

F  (vgl.  G.H.O)  casa  in  monte  posita 

A  super  se  montem  habente 

D  super  se  mittit  usque  in  balle  montem  de  latus  habentem 

K  super  se  montem  habentem  de  latus  baUem  habentem 

A  sinistra  partem  aquam  mvam  significat 

K  et  in  vollem  duas  aquas  vivas  habentis 

M  dextra  levaque  aquam  vivam  significat 

Q  muUas   aquas   vivas  transeunt   de  sinistram  partem   in 

alias  fines 

S  super  se  aquam  vibam  significat  ^  de  orientalibus  partHms 

rivum  significat 


Die  Interpolationen  des  gromatischen  Corpos.  2^5 

V  8ub  86  rivum  discindit  et  de  leva  parte  rwus  alter 

Y  habentem  de  latus  in  rinistris  fontem super  casa 

duo  rif>ara  current 

Z    de  sinistris  partibus  proximum  fontanam  habentem 

M    hoc  casa  (occasuf)  aquam  in  curtem  habentem. 

Diese  wirren  Ansetznogen  steigern  sich  in  das  Maasslose  hin- 
sichtlich der  Angaben  über  Wege  und  sonstige  von  Menschenhand 
herrührende  Dinge :  wir  kommen  anf  die  Einzelheiten,  arca^  hoton- 
tinuSy  lavacrum,  memoria^  trifimum^  limes  sextaneus,  weiterbin 
zurück.  Das  Ganze  macht  den  Eindruck  eines  Scbnlexercitiams 
zu  dem  Zweck,  den  Schüler  die  auf  dem  Situationsplan  ge- 
gebenen Darstellungen  in  Wortbeschreibungen  umsetzen  zu  lassen, 
was  an  sich  wohl  für  den  gromatischen  Unterricht  passt,  hier 
aber  in  einer  theoretisch  wie  praktisch  gleich  unbrauchbaren 
und  völlig  barbarischen  Exemplification  auftritt.  Das  Merk- 
würdigste an  dem  ganzen  Stück  ist,  dass  es,  nach  Zeit  und  Ort 
hinreichend  bestimmt,  uns  einen  Maassstab  gibt  für  den  Tiefstand 
der  höheren  Bildung  in  der  Stadt  Rom  nach  Alarich  und  vor 
Theoderich. 

Auch  die  jüngere  Sammlung  ist  nach  Ort  und  Zeit  ungefilhr 
bestimmbar.  Sie  ist  so,  wie  sie  vorliegt,  im  Laufe  des  6.  oder  des 
7.  Jahrhunderts  gestaltet  worden.  Unter  den  hinzugekommenen 
Stücken  sind  für  die  Zeitbestimmung  wichtig  ein  Abschnitt 
der  im  J.  533  publicirten  justinianischen  Digesten  und  Aus- 
züge aus  den  Origines  Isidors  (f  636).  Da  der  Pandektentext  die 
vollen  InscriptioneA  und  die  griechischen  Stellen  im  Original  und 
unverdorben  hat  und  die  Digesten  nicht  lange  nach  Jnstinian  in 
Italien  ausser  Gebrauch  kamen,  kann  dessen  Aufnahme  in  die  Samm- 
lung nicht  wohl  später  als  in  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts  gesetzt 
werden;  wenn  die  isidorischen  Excerpte  nicht  bloss  durch  spätere 
Schreiberwillkür  mit  der  Sammlung  vereinigt  worden  sind,  was 
möglich  ist,  wenn  auch  nach  ihrer  Stellung  in  derselben  nicht  ge- 
rade wahrscheinlich,  so  ist  die  Sammlung  in  ihrer  gegenwärtigen 
Gestalt  mindestens  ein  Jahrhundert  jünger.  Eine  letzte  Grenze  gibt 
das  Alter  der  im  10.  Jahrhundert  geschriebenen  palatinisclien  Hand> 
Schrift.  —  Oertlich  kann  auch  diese  Sammlung  nicht  ausserhalb 
Italiens  entstanden  sein,  da  das  ihr  eigen thümiiche  Städteverzeichniss 
ausschliesslich  italienisch  ist.  Bestätigend  tritt  hinzu,  dass  in  den 
easae  litterarum  dieser  Recension    keine  andei*e   geographisch  be- 


2?6  th.  Moiilin^ehi 

Stimmte  Localität  gefunden  wird^  als  die  sehr  oft  genannte  Flaminia 
und  daBS  für  Fälle  extra  Italiam  Ausnahmebestimmungen  getroffen 
werden  (p.  335,7. 337,25).  Es  kann  dagegen  nicht  geltend  ge- 
macht werden,  dass  in  den  hinzugekommenen  Stücken  von  Messungen 
in  Constantinopel  (p.  351,15,  angeblich  vom  Kaiser  Arcadius)  und 
Africa  (p.  307,24.  344,4.  353,2.20)  gehandelt  wird,  da  das 
Rom  des  siebenten  Jahrhunderts  dem  byzantinischen  Machtbereich 
angehört.  Wahrscheinlich  ist,  wie  ich  schon  früher  vermuthet  habe 
(Feldmesser  2, 166),  die  jüngere  Recension  in  Dalmaticn  entstanden. 
Diese  Landschaft,  unter  Theoderich  ein  Thcil  seines  Ilerrschaitsge- 
biets^),  ist  auch  unter  dem  byzantinischen  Regiment  bei  Italien  geblie- 
ben; und  es  ist  schwerlich  zufällig,  dasB  in  dieser  zweiten  Redac- 
tion  dem  besseren  Über  colonim'um  die  Provinz  Dalmaticn  zugefügt 
worden  ist^). 

Diese  jüngere  Sammlung  ruht,  wie  gesagt,  auf  der  ältere^n; 
wenn  mamAe  der  in  dieser  enthaltenen  Stücke  i»  der  jüngeren 
Recension  verstümmelt  sind,  insbesondere  Frontinus  und  Kipsus, 
so  sind  dies  Schäden  der  Abschrift  und  hat  der  Redaetor  allem 
Anschein  nach  von  den  wesentlichen  Bestandtheilen  der  älteren 
Sammlung  keinen  geradezu  weggelassen  mit  Ausnahme  der  Schrift  über 
die  Lagerbeschreibung,  die  ihm  ohne  Zweifel  für  seine  praktischen 
Zwecke  entbehrlich  erschien.  Für  den  Text  ist  sie  selbständig  und 
sehr  häufig  werden  Lücken  der  älteren  Sammlung  (zum  Beispiel  die 
grossen  im  Siculus  Flaceus  p.  142,1—145,2.  148,19—165,24)  und 
Corrnptelen  derselben  durch  die  jüngere  authentisch  ergänzt  oder- 
gebessert. Auch  von  allgemeiner  Interpolation  der  Texte  (lält  sich 
die  Sammlung  frei.  Aber  einzelne  Abschnitte  sind  in  der  jüngeren 
Redaction  in  eine  andere  Foim  gebi-acht  oder  hinzugefügt  worden; 
von  diesen  soll  jetzt  gehandelt  werden. 

1.  Vor  allem  charakteristisch  für  die  jüngere  Recension  ist 
der  nur  in  ihr  auftretende  Commentar  zu  den  beiden  Tractaten 
des  Frontinus  de  agrorum  qtuilUate  und  de  controversiis,  welcher, 
in  der  handschriftlichen  Ueberlieferung   dem   echten  Frontinus  vor- 


1)  Neues  Archiv  für  deutsche  Geschichte  14,503;  meine  Caasiodor 
Ausgabe  im  Index  p.  503. 

2)  Constantin  Porph.  de  them.  2  p.  57  Bonn  :  ^  Sk  AaXfiaria  rtj^  'ha- 
Xias  iori  x^Q^'  J^^«  Lydns  (dem  ich  a.  a.  0.  Unrecht  gethan  habe)  dt 
mens,  4,60. 

3)  Auch  die  arcae  und  arcellae  passen  dazu  (vgl.  unten  J9^  290). 


Die  Interpolationen  des  gromatischen  Corpus.  277 

aufgebend  und  in  derselben  zu  Unreebt  dem  Agennius  Urbicas 
beigelegt,  als  Untersatz  zu  jenen  Traetaten  bei  Lacbmann  p.  1 — 26 
abgedruckt  ist.  Die  Bescbaffenbeit  dieser  Schrift  ^  obwohl  von 
Lachmann  wohl  erkannt,  ist  meines  Wissens  weder  von  ihm  noch 
von  Späteren  auseinander  gesetzt  worden.  Nach  der  VoiTede  ist 
das  Werk  ein  Schulbuch,  bestimmt  die  jungen  Leute,  die  nach  Er- 
ledigang des  niederen  Unterrichtes  dem  höheren  (Utteriif  seeundis 
ac  Itberalibus)  sich  ztiwenden,  in  diesen  Theil  desselben  einzufahren. 
Wir  erfahren  daraus,  was  meines  Wissens  sonst  nicht  bezeugt  ist, 
dass  in  der  Jugendbildung  dieser  Epoche,  wie  wir  sie  im  Allge- 
meinen ans  Augustinus,  Macrobius,  Boethius  kennen,  das  höhere 
Stadium  auch  die  Feldmesskunst  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
einschloss.  Zu  den  eigentlichen  vier  oberen  artes  liberales:  Geo- 
metrie, Arithmetik,  Musik,  Astronomie,  gehört  allerdings  die  Gro- 
roatik  nicht,  aber  scharf  war  dieser  Kreis  schwerlich  abgegrenzt 
und  sie  konnte  leicht  an  die  Geometrie  angeschlossen  werden.  — 
Der  Commentar,  der  uns  hier  vorliegt,  besteht  im  Wesentlichen 
darin,  dass  in  die  frontinische  Schrift  zwei  andere  ebenfalls  in  der 
älteren  Recension  enthaltene  gromatische  Schriften  oder  Schrift- 
theile  hineingearbeitet  sind,  welche  letztere  desshalb  aus  der  jüngeren 
Sammlung  beseitigt  wurden:  es  sind  dies  die  Schrift  des  Agen- 
nius Urbicns  über  die  agrarischen  Controversen  und  der  gleich- 
artige Abschnitt   des  (sogenannten  älteren)  Hyginus. 

a.  Von  der  Schrift  über  die  agrarischen  Controversen  (p.  59 
— 90  der  Ausgabe),  welche  die  ältere  Sammlung  in  der  Subscrip- 
tion  dem  Agennius  Urbicus  beilegt,  ist  in  die  zweite  Sammlung  in 
der  ursprünglichen  Form  nur  ein  einzelnes  Blatt  p.  73,28 — 74,10= 
42,  21—43,  13^)  gelangt,  das  ohne  Zweifel  in  dem  ihrem  Sedactor 
vorliegenden  Exemplar  der  älteren  Sammlung  von  seinem  Platze 
verschlagen  worden  war  und  darum  nicht,  wie  das  übrige  Werk, 
in  der  jüngeren  wegblieb.  Dagegen  hat  der  Verfasser  des  Com- 
mentars  zum  Frontin  in  denselben  eine  Reihe  von  Auszügen  aus  dem 

1)  Das  Anhängsel  74,11  nam  et  —  14  ostendunt  =  43,  14—17  ist 
nicht  zum  Agennius  zu  ziehen  schon  der  Zciclinungen  wegen  (auch 
Fig.  34  gehört  offenbar  zu  74, 11,  nicht  zu  74,  10),  die  im  Agennius  nicht 
vorkommen,  kann  aber  auch  nach  dem  Inhalt  {trifinium!)  zu  diesem  nicht  ge- 
hören. In  den  Handschriften  PGj  welche  dieses  Stück  aufbewahrt  haben, 
steht  es  zwischen  den  Excerpten  aus  Faustus  und  Valerius  p.  307.  308 
und  denen  aus  Latiuus  p.  309,  und  hierher  gehören  offenbar  auch  jene 
vier  Zeilep, 


278  Th.  Mommsen: 

Agennius  aufgenommen;  die  erste  derartige  Stelle  ist  p.  79,13  et 
sunt  pUrumque  —  17  ita  esse  =15, 10 — 19  und  es  folgen  weitere 
genan  in  der  Folge  bei  Agennius  bis  zu  der  letzten  p.  89,5  saus 
ut  puto  genera  controversiarum  exposui  —  90, 24  artifices  cogun- 
tur  =  25, 4 — 26, 25,  in  welchen  Epilog  ausserdem  einige  bei  Agen- 
nius in  der  Einleitung  stehende  Brocken  p.  68,16.  69,3.20.  70,1 
eingelegt  sind.  Mit  Rücksicht  darauf,  dass  der  Epilog  des  nur  die 
Controversen  behandelnden  Agennius  von  dem  Commentator  für  sein 
in  der  ersten  Hälfte  de  agrorum  queUitate  handelndes  Werk  ver- 
wendet wird,  setzt  er  nach  controversiarum  hinzu  vel  primum 
agri  qualitatem.  Was  schon  hiernach  evident  ist,  dass  nicht 
Agennius  aus  dem  Commentator,  sondern  der  Commentator  aus 
Agennius  geschöpft  hat^),  bestätigt  die  Vergleichung  überall.  Dass 
derjenige  Theil  des  agennischen  Werkes,  welcher  in  unseren  Exem- 
plaren der  älteren  Redaction  unter  dem  unzweifelhaft  echten  Namen 
des  Agennius  Urbicus  mit  In-  und  Subscription  vorliegt  (p.  77,20 
— 90,  21),  auch  von  dem  Redactor  der  zweiten  Sammlung  unter 
demselben  Namen  gelesen  ward,  wird  dadurch  ausser  Zweifel  ge- 
setzt, dass  er  mit  dem  Epilog  zugleich  diesen  Namen  übernommen 
und  ihn  als  Inscription  p.  1,  5  seinem  ganzen  Commentar  vorgesetzt 
hat.  Der  vorhergehende  Abschnitt  aber  (p.  58 — 77, 18),  der  in 
unseren  Handschriften  der  ersten  Recension  lückenhaft  und  ver- 
wirrt und  ohne  Verfassemamen  überliefert  ist,  war  wohl  schon 
zerrüttet,  als  die  zweite  Recension  entstand,  und  ging  unter  dem 
Namen  des  Frontinus,  da  der  Verfasser  des  Frontincommentars 
p.  10,19  eine  Stelle  daraus  p.  68,6  als  Worte  des  Frontinus  an- 
führt und  die  zweite  Recension  ihrem  vorher  erwähnten  einzelnen 
Agennius  -  Blatt  die  vermnthlich  dem  Uufenden  Blatttitel  entnom- 
mene Ueberschrift  gegeben  hat  ex  libro  Frontini  secundo*).    Aus 


1)  Dass  Lachmann  2, 110  dies  unentschieden  lässt,  ist  nichts  als  ein 
Uebersehen  der  nicht  von  ihm  abgeschlossenen  Untersuchung.  Danach 
kann  es  auch  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  der  Name  des  Agennius  Urbicus 
vor  der  Controversenschrift  zu  Recht  und  vor  dem  Frontincommentar 
zu  Unrecht  steht. 

2)  Diese  Ueberschrift  ex  libro  Frontini  secundo  ist  von  Lach- 
mann ohne  zureichenden  Grund  26,3  eingesetzt  worden;  hier  ist  über- 
haupt kein  Abschnitt,  da  25, 1  und  26, 5  deutlich  zusammengehören.  Meines 
Erachtens  kann  als  frontinisch  nur  p.  1—34,13  der  Ausgabe  betrachtet 
werden,  welche  auch  die  In-  und  die  Subscription  der  besseren  Recension 
dem  Frontin  beilegten.    Die   Ordnung  war  wohl  dieselbe  wie  bei  H7gin ; 


Die  Interpolationen  des  gromatischen  Corpus.  279 

inneren  Grttuden  aber  kann  dieser  Abschnitt  nmnöglich  fron-' 
tinisch  sein;  sicher  richtig  hat  Lachmann  darin  die  erste  Hälfte 
der  Controversen  des  Agennius  erkannt.  —  Das  Yerhältniss 
der  Controversenschrift  des  Agennius  zu  derjenigen  Frontins 
über  denselben  Gegenstand  kann  hier  unberührt  bleiben;  Lach- 
manns Ansicht)  dass  Frontinus  diesen  Gegenstand  zweimal  be- 
arbeitet und  Agennius  dessen  zweite  ausführlichere  Bearbeitung 
überarbeitet  hat;  scheint  mir  wenig  wahrscheinlich.  Auf  alle  Fälle 
ist  es  rathsam,  den  überlieferten  Text  des  Agennius  p.  59 — 90 
anstatt  des  von  Lachmann  daraus  hergestellten  nach  ihm  frontini- 
schen  p.  34^  13 — 58^  22  zu  benutzen. 

b.  Weiter  hat  der  Gommentator  den  letzten  Abschnitt  des  hy- 
ginischen  Lehrbuchs  von  p.  123, 17  nunc  de  generibus  conirover- 
siarum  perscribam  bis  zum  Schluss  p.  134  aus  seinen  Digesten 
entfernt  und  dagegen  sehr  umfängliche  Auszüge  daraus  seinem  Fron- 
tincommentar  einverleibt. 

Wenn  zu  diesen  Excerpten  noch  eine  einzelne  Stelle  aus  Baibus 
p.  4,28 — 5,  13  =  104,3 — 7  gefögt  wird,  so  ist  damit  erschöpft, 
was  der  Verfasser  des  Frontincommentars  aus  noch  vorhandenen 
Bestandtheilen  des  älteren  Corpus  entlehnt  hat^).  Aber  er  hat  auch 
Stücke  gehabt,  die  uns  fehlen,  nicht  eigentlich  andere  Quellen'), 
aber  wahrscheinlich  die  beiden  oben  angeführten  jetzt  stark  ver- 
stümmelten vollständiger  als  wir  sie  besitzen').   Zweimal  p.  3,23.  28 


de  limitibus  (p.  27, 13—34, 13)  —  de  agrorum  qucditate  (p.  1—8)  —  de 
controversiis  (p.  9—26, 2).  Der  Abschnitt  über  solidum  und  cuUellatum 
p.  26, 5—27, 12  scheint   nicht   am  richtigen  Platz   zu   stehen. 

1)  Die  Stelle  p.  11,24  kehrt  zwar  wieder  im  Städteverzeichniss 
p.  220, 15,  aber  Lachmann  2, 141  hat  sehr  schön  gezeigt,  dass  der  Gom- 
mentator sie  nicht  diesem  entnommen  hat,  sondern  dem  Hyginus. 

2)  Lachmanns  Vermuthiing  2, 108,  dass  der  Verfasser  des  Fron- 
tincommentars einen  älteren  gleichartigen  benutzt  hat,  kann  ich  nicht 
theilen.  Was  in  den  Stellen  steht,  auf  die  sich  Lachmann  beruft,  dass 
die  richterliche  Entscheidung  nicht  denMensoren  zukommt,  sondern  dem 
Statthalter  (16, 20),  und  dass  diese  nur  die  Grenzen  zu  weisen  haben,  aber 
Land  zu  adsigniren  allein  der  Kaiser  befugt  ist  (8, 26),  dürfte,  auch 
abgesehen  davon,  dass  dergleichen  bei  Hyginus  oder  Agennius  gestanden 
haben  kann,  der  Verfasser  des  Commentars  wohl  aus  eigenen  Mitteln 
haben  beschaffen  können. 

3)  Lachmann  (2, 129)  nimmt  an,  dass  der  Gommentator  nicht  bloss 
für  uns  verlorene  Blätter  des  Agennius  benutzt,  sondern  auch  in  dem 
anscheinend  äusaerlich  vollständigen  Theil   einen   volleren,  in  unseren 


280  Th.  Momni  sen: 

führt  er  den  Hygiiius  au,  wo  unser  Hygintext  anscheinend  versagt*); 
eine  Reihe    anderer  Stellen   aus   dem    Commentar  bat    Lacbmann 

Handschriften  durch  Schreiberwillkür  gekürzten  Text  gehabt  hat.  Aber 
die  fraglichen  Stellen  scheinen  mir  nicht  dem  Agennius  zu  gehören.  Es 
handelt  sich  um  die  folgenden: 

15. 10  nam  ubi  mons  —  16  stringebantur  (ergänzt  im  Agennius  79,  7—18,  im 
Frontin  48,9—16).  Es  ist  dies  lediglich  Amplification  der  im  Com- 
mentar vorhergehenden  Worte  Frontins  und  kann  füglich  dem 
Commentator  gehören. 

16, 16  sunt  et  aliae  proprietates^  quae  municipiis  a  principibus  sunt 
concessae  (danach  im  Agennius  80,  9. 10,  im  Frontin  49, 12. 13).  Dies 
ist  Umschreibung  des  Commentators  für  den  Satz  des  Agennius: 
alia  beneficia  etiatn  qtiaedam  municipia  acceperunt 

21.11  sunt  silvae  ....  14  peregrinis  (danach  im  Agennius  86,4—7,  im 
Frontinus  55, 4—7).  Da  von  der  Holzlieferung  in  balnea  eben  vor- 
her die  Hede  gewesen  ist,  so  hat  Agennius  schwerlich  die  Lieferung* 
in  lavacra  publica  folgen  lassen.  Die  Freigebung  der  pascua 
quibuscumque  m  urbem  venientibus  peregrinis  ist  seltsam  und 
schwerlich  jdem  Agennius  beizulegen. 

21, 20  sunt  autem  loca  publica  coloniamim  ....  28  casalia  non  utuntur 
(danach  bei  Agennius  86, 16—25,  bei  Frontinus  55, 16—22).  Was 
hier  über  die  praefecturae  gesagt  wird,  hat  der  Commentator  offen- 
bar aus  16, 10  wiederholt.  Warum  die  Bemerkung  über  die  Tiber- 
insel aus  Agennius  genommen  sein  soll,  ist  nicht  ersichtlich. 
22, 25  si  enim  loca  sacra ...  23, 28  perspicimus  (danach  bei  Agennius  88, 4 — 
17,  bei  Frontinus  p.  57, 5—20)  ist  sicher  in  dieser  Gestalt  nicht  von 
Agennius;  die  Worte  des  Commentators  in  Italia  multi  crescente 
religione  sacratissima  Christiana  lucos  profanos  sive  templorum  loca 
occupaverunt  et  serunt  sind  vielmehr  Umschreibung  derjenigen  des 
Agennius:  in  Italia  densitas  possessorum  multum  improbe  facit  et 
lucos  sacros  occupat,  ebenso  wie  bei  den  folgenden:  lucos  fre- 
quenter  in  tinfinia  et  quadrifinia  invenimus,  sicut  in  suburbanis 
.  .  .  perspicimtis  die  Stelle  des  Agennius  benutzt  ist:  haec  maxime 
aut  in  loco  urbis  aut  in  suburbanis  locis  privatis  detinentur. 
23, 31  si  aqua  ...  24, 18  peritia  finiendum  (danach  bei  Agennius  89, 3—9, 

bei  Frontinus  58, 4, 10)  passt  in  den  Agennius  nicht  gut. 
Wenn  man  erwägt,  dass  wir  die  handschriftlichen  Quellen  des  Commen- 
tators keineswegs  vollständig  besitzen  und  noch  weniger  zu  ermessen 
im  Stande  sind,  was  er  aus  seinem  eigenen  Vermögen  hat  hinzuthun 
können,  so  empfiehlt  es  sich  gewiss  nicht,  einen  in  der  bezeichneten 
Weise  vermehrten  Agennius-Text  zu  schaffen.  Die  Lachmannsche  Aus- 
gabe fordert  sehr  vorsichtigen  Gebrauch.  In  einem  neuen  Abdrucke  wäre 
es  dringend  zu  wünschen  in  dem  Text  des  Commentars  die  sicheren  und 
die  nur  conjecturalen  Entlehnungen  durch  verschiedene  Schrift  kenntlich 
zu  machen  und  auf  die  sämmtlichen  Reconciunationen  zu  verzichten. 

1)  Der  sogenannte  jüngere  Hygin  hat  entsprechende  Stellen,    aber 


Die  Interpolationen  des  gromatischen  Corpus.  281 

(2, 129  f.  139  f.)  vcrmuthungsweise  theils  dem  Agennius  p.  67,12. 
70, 11.  71, 11.  72,24.  73,5,  theils  dem  (älteren)  Hyginus  p.  108—111. 
113 — 115  zugewiesen.  Dabei  bleibt  selbstverständlich  das  Einzelne 
zweifelhaft;  indess  wird  man  im  Wesentlichen  dem  grossen  Sprach- 
meister wenigstens  hinsichtlich  des  Agennius  beipflichten  können. 
Ob  der  Commentator  den  sogenannten  älteren  Hygin  wirklich  voll- 
ständiger gehabt  hat,  ist  minder  sicher;  was  Lachmann  auf  diesen 
znrQckgef&hrt  hat,  kann  entweder  auf  freie  Benutzung  uns  erhal- 
tener Stellen  zurückgehen  (so  auf  133,9  die  schon  durch  die  Be- 
ziehung auf  den  augustischen  Keichscensus  bedenkliche  Stelle  8, 
18 — 22  =  111,3 — 7)  oder  auf  die  vielleicht  von  Lachmanu  etwas 
unterschätzte  eigene  Kunde  des  Verfassers. 

2.  Das  Städteverzeichniss  findet  sich  in  der  jüngeren  Recension 
in  doppelter  Gestalt,  von  denen  die  eine  (in  (?  fehlende)  im  Ganzen 
dem  Über  coloniarum  I  der  Ausgabe  entspricht,  diejenige  dagegen, 
welche  Lachmann  p.  252 — 262  als  Über  coloniarum  II  heraus- 
gegeben hat,  der  jüngeren  Recension  ausschliesslich  eigen  ist.  Was 
in  dem  Über  coloniarum  I  die  jüngere  Recension  allein  hat,  ist 
durchaus  minderwerthig.  Unzweifelhaft  gilt  dies,  wie  ich  schon  früher 
(Feldm.2, 157.  165)  hervorgehoben  habe,  von  einigen  bei  Picenum 
gemachten  kleineren  Znsätzen  und  von  der  neu  hinzutretenden  pro- 
vincia  Dalmatia ;  aber  auch  den  Abschnitt  über  die  überhaupt  be- 
denkliche provjincia  Valeria  p.  228,3 — 229,5  hätte  ich  strenger, 
als  a.  a.  0.  S.  167  geschehen  ist,  behandeln  und  mit  den  übrigen 
Stücken  der  zweiten  Recension  auf  eine  Linie  stellen  sollen.  Bei 
einem  neuen  Abdruck  der  gromatischen  Digesten  wird  es  nothwen- 
dig  sein  im  Über  coloniarum  I  die  in  -45  erhaltenen  relativ  reinen 
Bestandtheile  von  den  aus  EP  hinzutretenden  sorgfältig  zu  schei- 
den. Der  gesammte  Über  coloniarum  II  aber  charakterisirt  sich 
deutlich  als  verschlechternde  Ueberarbeitung  des  über  coloniarum  /, 
wie  dies  bereits  früher  (a.  a.  0.  S.  167  f.)  von  mir  entwickelt  wor- 
den ist. 

3.  üeberarbeitet  in  den  jüngeren  Digesten  ist  auch  der  kleine 
Abschnitt  p.  242,  7 — 243, 17,  eine  Uebersicht  der  verschiedenen 
Grenzsteiufonnen  von  Gracchus  bis  auf  Traian,  welche  in  den  älteren 
gromatischen  Digesten  unter  den  kleinen  Schlussstücken  steht,  wäh- 


sie  stimmen  im  Wortlaut   nicht  und  Benutzung  dieser  Schrift  durch  den 
Commentator  lässt  sich  nicht  erweisen. 


282  Th.  Mommsen: 

rend  sie  in  den  jüngeren  nuter  Verkürzung  und  Yerderbuug  des 
Anfangs  an  die  Erwähnung  der  termini  Augustei  p.  228, 1  ange- 
schlossen ist.  In  der  Ausgabe  steht  sie  nicht  zweckmässig  am 
Schluss  des  Über  coloniarum  L  Weiter  erscheint  die  jüngere  inter- 
polatorisch  verkürzte  Foim  im  wesentlichen  identisch  in  einem  der 
jüngeren  ßecension  eigenthümlichen  Abschnitt  (p.  347, 348)  unter  der 
Ueberschrift  Latinus  et  Mysrontius  togati  Augtistorum  oMctores.  Es 
mögen  hier  die  drei  Texte  stehen,  um  die  interpolatorische  Hand- 
habung der  zweiten  ßecension  zu  verdeutlichen. 


A  p.  242,7 

nxtio  militiae  (viel- 
leicht limitum)  adsig- 
nationis  prima  {pri- 
mae f)  triumviralis  la- 
pides  Graccani  ro- 
tundi  columniaci,  in 
eapite  diametrumped. 
I  et  ped.  18,  altus 
ped,  IUI  et  uns. 
Item  divi  luli  idem 
sunt. 

Item  Augustei  idem 
sunt  hoc  rattone  quod 
Augustus  eorum  men- 
suras  recensiit  et  ubi 
fuerunt  lapides  alias 
constituit  cet. 


P  p.  227, 16.  242, 11  PG  p.  348, 1 


et  variis  locis  termi- 
nos  Augusteos  ^),  per 
quorum  cursusinPice- 
no  fines  terminantur. 
Item  divi  luli  Augu- 
stei pro  hoc  ratione 
sunt,  quod  Augustus 
eos  recensivit  et  ubi 
fuerunt  lapides  alias 
constituit  cet. 


Nam  in  locis  mon- 
tanis  terminos  po- 
suimus  rotundos,quos 
Augusteos  vocamus, 
pro  hac  ratione  quod 
Augustus  eos  recen- 
sivit et  ubi  fuerunt 
lapides  alias  consti- 
tuit cet» 


So  geht  es   weiter  mit  Auslassungen,   aber  in    wesentlicher  Iden- 
tität des  jüngeren  Textes  mit  dem  älteren. 

4.  Analog  behandelt  werden  die  casae  litterarum.  Das  in  der 
älteren  Recension  vorliegende  Alphabet  wiederholt  in  dieser  bar- 
barischen Gestalt  in  der  jüngeren  sich  nicht;  aber  vier  durchaus 
analoge,  zwei  lateinische  und  zwei  griechische,   das  zweite  doppelt 


1)  Vgl.  P  bei   Dalmatien    p.  240,20:   summa   fnontiumy  terminos 
Augusteos,  id  est  rotundos  in  efflgiem  columnae. 


Die  Interpolationen  des  gromatischen  Corpus.  283 

(p.'SlO— 325.  331 — 338)  treten  daftlr  ein,  das  erste  nnter  der  üeber- 
schrift  ex  libro  XII  Innocentius  v.  p.  atictar  de  UtterU  notis  iuris 
exponendisy  das  zweite  ohne  Ueberschrifl;  das  dritte  in  dem  einen 
Text  ebenfalls  ohne  Ueberscbrift,  in  dem  andern  überschrieben  ex- 
positio  litferarum  finaliumy  das  vierte  betitelt  de  casis  litterarum 
montium  in  ped.  V  fac.  pede  uno.  Die  Sprache  ist  minder  roh 
als  in  dem  der  älteren  Sammlung  einverleibten  Exemplar^  die  Dar- 
legung aber  künstlicher  und  oft  unglaublich  verzwickt,  so  dass  die 
bei  jenem  mögliche  Annahme  einer  entsprechenden  einfachen  Zeich- 
nung sich  hier  nicht  mehr  durchfuhren  lässt.  Im  Wesentlichen  gilt 
sonst  von  diesen  Verzeichnissen  das  von  dem  ältesten  Gesagte. 
Augenscheinlich  haben  wir  gleichartige  Schulexercitien  vor  unS;  her- 
rührend von  einem  grammatisch  etwas  weiter  gediehenen,  aber  sonst 
dem  älteren  gleichwerthigen  Ludimagister,  dem  die  Feder  und  der 
GriiTel  offenbar  geläufiger  waren  als  die  Messstange. 

5.  Während  in  der  älteren  Sammlung  der  theodosische  Codex 
erst  in  der  Recension  E  vertreten  ist  und  die  posttheodosiscben 
Novellen  ganz  fehlen,  haben  von  diesen  drei  in  die  jüngere  p.  273 
— 275  Aufnahme  gefunden,  aber  in  einer  selbst  in  diesem  Kreise 
unerhört  interpolirten  Gestalt.  Zwei  derselben  tit.  24  vom  J.  443 
und  tit.  4  vom  J.  438,  die  von  den  milites  limitanei  handeln,  sind 
hier  dahin  umgestaltet,  dass  den  Mensoren  die  erste  grössere  Emolu- 
mente,  die  zweite  eine  höhere  Rangstufe  beilegt;  die  dritte  tit.  20 
vom  J.  440  ist  nicht  ganz  so  arg  misshandelt,  aber  zwei  rohe  Ein- 
lagen zeugen  auch  hier  von  der  Absicht  den  Mensoren  gegen  die 
bestehende  Ordnung  die  rechtliche  Entscheidung  in  Alluvionsstreitig- 
keiten  beizulegen. 

6.  Dazu  tritt  endlich  eine  der  älteren  Recension  gänzlich  un- 
bekannte Masse  von  angeblichen  Excerpten  aus  einer  Menge  von 
Schriftstellern,  auctores,  wie  sie  hier  heissen.  Es  sind  dies  die 
etruskische  Wahrsagerin  Begoe  (p.  348,17.  360,17),  deren  Brief  an 
den  Aruns  Velthymnus  allerlei  religiöse  Merkwürdigkeiten  enthält; 
Mago  (p.  348,46),  doch  wohl  der  alte  karthagische  Ackergelehrte; 
der  Kaiser  Arcadius  (p.  343,20.  351,12);  Theodosius  (p.  345,22), 
auch  wohl  der  Kaiser  Theodosius  II;  dann  die  meistens  als  viri 
perfectisfdmij  zum  Theil  auch  als  togati  (Advocaten)  titnlirten 
Auetoren  Dolabella  (p.  302);  Faustus  (p.  307,  21.  353,1);  Gaius 
(p.  307,1.  345,23);  Innocentius  (p.  310,2);  Latinus  (p.  305,1. 
309,  1,   347,  1);    Mysrontius    (p.  347,  1);    Valerius    (p.   307,  22. 


284  Th.  Mommsen: 

353,1);  Vitalis  (p.  307, 14.  343,20.  352,7),  denen  dann  noch 
eine  Reihe  kleiner,  ohne  Namen  der  Verfasser  auftretender  Abschnitte 
beigefügt  sind.  Die  Gesammtmasse  macht  den  Eindiuck  von  Ex- 
cerpten  ans  einem  nach  Art  der  justinianischen  Digesten  geord- 
neten, vielleicht  bloss  gromatischen,  vielleicht  umfassenderen  Sam- 
melwerk, dessen  zwölftes  Buch  zweimal  angeführt  wird,  einmal 
p.  310, 1  vor  dem  Auszug  aus  Innocentius  und  allgemein  von 
dem  Kaiser  Arcadius  p.  351,  20 :  sicut  in  Ubro  XII  auctores  con- 
stituerunt.  Dass  das,  was  uns  vorliegt,  in  der  That  Excerpte 
sind,  findet  eine  Bestätigung  darin,  dass  die  zwei  Stellen  aus 
Gaius  und  die  drei  aus  Vitalis  in  verschiedener  Vollständigkeit 
auf  eine  gemeinschaftliche  Quelle  zurückgehen.  Aber  damit  wird 
die  nicht  abzuweisende  Frage  nach  der  Echtheit  dieser  Collectaneen 
nur  etwa  um  eine  Stufe  zurückgeschoben.  Anderweitige  Anleh- 
nung finden  diese  Citate  nirgends  ausser  in  einem  anderen  der  Zu- 
satzstücke der  zweiten  Redaction,  indem  der  liber  coloniartim  II 
p.  253,24  mit  den  signa  quae  in  libris  auctorum  leguntur  (vgl. 
255, 16)  aufDolabella  p.  303,  4  verweist,  und  allenfalls  in  den  cas(»e 
Utterarumy  welche  mehrfach  (p.  313,12,  316,24.  317,14.  322,25) 
auf  die  auctores  verweisen.  Kann  einer  Compilation  des  6.  Jahr- 
hunderts n.  Chr.,  deren  Redaetor  die  Ueberschrift  Balbi  ad  Celsum 
umgewandelt  hat  in  lulius  Frontinus  Celso^)  und  dessen  Interpola- 
tionen der  theodosischen  Novellen  an  Unverschämtheit  ihres  gleichen 
suchen,  diese  Schaar  sonst  unbekannter  Gromatiker  in  gutem  Glau- 
ben entnommen  werden?  Dass  eines  dieser  Excerpte  in  der  älteren 
Sammlung  anonym  vorkommt,  während  es  die  jüngere  Recension 
in  interpolirter  Form  dem  Latinus  beilegt  ^),  und  dass  eine  Variation 
der  in  der  älteren  Sammlung  ebenfalls  anonym  auftretenden  Hans- 
alphabete hier  dem  Innocentius  und  dem  zwölften  Buch  der  Samm- 
lung zugeschrieben  wird,  muss  den  Verdacht  wesentlich  steigern. 

Dieser  durch  die  äusserlichen  Momente  erweckte  Verdacht  gegen 
die  der  jüngeren  Sammlung  eigenthttmlichen  Abschnitte  wird  zur  Ge- 
wissheit, wenn  dieselben  auf  ihren  Inhalt  geprüft  und  die  darin  auftre- 
tenden üngehörigkeiten  erwogen  werden.  Zwar  in  dem  Frontincommcn- 


1)  Allerdings  leitete  ihn  dabei  die  Subscription  der  Hlteren  Samm- 
lung p.  108,8:  explicit  liber  Frontonis. 

2)  S.  282.  Auch  das  dem  Mago  beigelegte  Stück  knüpft  p.  348,19  in 
bedenklicher  Weise  an  den  interpolirten  Abschnitt  der  älteren  Sammlung 
de  sepulcris  p.  271, 11  an,  sowie  p.  349, 10  an  die  Interpolation  der 
theodosischen  Verordnung. 


t)ie  Interpolationen  des  gtomatischen  Corpus.  085 

tar  begegnen  uns  dieselben  nicht,  sei  es,  dass  dieser  in  noch  umfassen- 
derem Grade,  als  jetzt  angenommen  wird,  einen  blossen  Cento  ans 
älteren  Schriften  darstellt,  sei  es,  was  mehr  Wahrscheinlichkeit  hat, 
dass  er  von  anderer  Hand  herrührt  als  die  übrigen  der  jüngeren 
Redaction  eigenthümlichen  Stücke,  die  Umarbeitung  des  Über  co- 
loniarum,  die  Zusätze  zu  den  theodosischen  Verordnungen,  die 
casae  littermmm ,  die  Auszüge  aus  den  gromatischen  Digesten. 
Durch  alle  diese  geht,  wie  ich  schon  vor  vielen  Jahren  in  den 
Feldmessern  (2, 163.  164)  erinnert  habe,  die  Tendenz  die  Grenzmarken, 
sowohl  die  natürlichen  wie  die  von  Menschenhand  gesetzten  Merkzei- 
chen zu  specialisiren,  und  an  dieses  Bestreben  knüpfen  sich  eine  Anzahl 
gleichartiger  Verkehrtheiten.  Schon  in  der  ältercti  Kecension,  so- 
wohl in  ihrem  Städteverzeichniss  wie  vor  allen  Dingen  in  dem  ihr 
einverleibten  schlechten  Schulexercitium ,  den  casae  Wterarum, 
zeigen  sich  davon  die  Anfänge,  so  dass  wir  den  Ursprung  dieser 
Schwindeleien  iii  der  Tradition  des  gromatischen  Schulunterrichts  zu 
suchen  haben  werden;  die  jüngere  wird  ganz  von  ihnen  beheirscht. 
Es  erscheint  erfonlerlich,  von  diesen  verwinten  Ansetzungen  die 
wiclitigsten  hervorzuheben.  Dass  auch  sprachlich  diese  Stücke 
gleichartig  sind,  zum  Beisi)iel  in  dem  Gcl)much  von  latitia  für 
latifudo  und  in  der  incoiTCCten  Verwendung  der  Präposition  de, 
will  icli  nnr  andeuten. 

Das  Limitationssystem  der  Römer  kennt  die  Zählung  der 
kardines  und  decimaniy  gibt  aber  der  sechsten  Stelle  keine  beson- 
dere Bedeutung.  Dagegen  spielt  der  limes  sextaneus^),  welcher 
in  der  älteren  Sammlung  nur  in  den  casae  und  in  dem  Verzeiehrtiss 
der  nomina  limitum  p.  248, 15  auftritt,  in  der  jüngeren  eine  het^ 
vorragende  Rolle:  er  ei-scheint  massenhaft  in  den  casae,  aber  auch 
bei  Mago  350, 14 :  limes  sextaneus  transit  per  limitem  possessionis 
und  bei  Vitalis  345, 18  «  352, 11  vgl.  342,25. 


1)  RutlorfP  2,  344  versteht  darunter  den  kardo  maximus  ^  weil 
dieser  in  horam  sexfam  trifft  (p.  170,  8).  Aber  es  kann  auch  der  Schreiber 
daran  gedacht  haben,  dass  der  limes  quintarius,  insofern  die  Haupt- 
h'öie  mitgezählt  wird,  auch  als  Bechster  geeählt  werden  kann  (p.  11^, 
91g.  174,17:  hunc  voliint  esse  guintum,  qui  est  sextus).  Die  unlateinische 
Endung  auf  -eus  ist  auch  charakteristisch  für  diese  halb  by^ntinischen 
Schriftstücke,  die  ebenso  stets  von  dem  limes  oder  terminus  Auqustetts 
sprechen,  niemals  lateinisch  von  Augustus  oder  Augustanus  (einmal 
Augustianus  p.  237, 2). 


iSA  Th.  Mommseni 

Von  dem  limes  GaUicus  weiss  die  gute  Litteratnr  ebenfalls 
nichts;  in  der  älteren  Sammlang  begegnet  er  nur  an  einer 
zweifellos  interpolirten  Stelle  des  Städteverzeichnisses  p.  227, 
11 :  ager  Falerionensis  limitibtts  maritimis  et  GaUids,  quos  diH- 
mu8  decimanos  et  kardines;  femer  wie  der  sextaneus  in  den  casae 
p.  328,20:  finis  quadratos  habentes  limites  maritimense  GaUicu 
intercidunt  und  in  dem  Namen verzeichniss  248,  10 :  limites  GaUici 
hinter  den  limites  maritimu  In  den  jüngeren  Stücken  findet  er 
sich,  abgesehen  von  der  Wiederholung  der  Notiz  über  den  ciger 
Falerionensis  p.  2ö6, 6,  an  folgenden  Stellen : 

lih.  coL  II  p.   252,2:   Adrianus  ager   limitibus   maritimis   et 

GMicis,  quos  nos  d.  et  k.  appeUamus. 
lib.  col.  II  p.  256, 16 :   Kamerinus   «...   ager   eins   limitibus 

maritimis  et  Gallicis  continetur. 
casae  p.  314, 30 :  fines  in  quadro  Habens :   limes  maritimus  Galr 
licum   intercidet  —  offenbar  Rectification  der  aus  der  älteren 
Sammlung  angeführten  Stelle. 
casae  p.  334, 12 :  per  GaUicum  limitem  latitia  ped.  oo  L. 
Fausttts  und  Yalerius  p.  308, 18  :  circa  urbem  Babylonis  Romas 

maritimum  fiet  et  GaUicum. 
expositio  limitum   p.  359, 15  fg. :    omnes    limites   maritimi   out 
Gallici   una  factura  current,   quoniam  sanctior   est,   id   est 
iustior  videtur  maritimus  limes  frequentius  solet  rede  studiri 
.  ...  est  GaUicus   in   sua  consuetudine  ....  contra   urbis 
Babylonis  Roma  maritimi  limites  fient  et  GaUicus  inpinget. 
Handgreiflich   ist  hier  aus   den   beiden  Stellen   der   älteren  Samm- 
lung,  die  allem  Anschein  nach   selbst   nichts   taugen,  dieser  Dop- 
pelgänger des   limes  maritimus   in   eine  Reihe   von  Angaben  der 
zweiten  Recension  hineingetragen  worden. 

Ein  Hanptkriterium  der  späten  Pseudogromatik  ist,  wie  ge- 
sagt, die  Specialisirung  der  arcifinischen  Grenzlinien  durch  zufällige 
die  Grenzsteine  oder  Grenzpfähle  ergänzende  Grenzmerkmale.  Was 
der  Art  bei  den  älteren  Schriftstellern  sich  findet,  ist  ebenso  spar- 
sam wie  sachgemäss :  genannt  werden  in  dieser  Beziehung  der 
Fluss,  der  Graben,  die  Strasse,  der  Höhenzug  {summa  moniium  iuga 
oder  ähnlich)  und  die  Wasserscheide  (divergia  aquarum),  die  Tief- 
linie der  Bodensenkung  {supercüium:  p.  128, 15.  143,3),  die  Hecke, 
der  Steinhaufen  {congeries  lapidum,  scorpio,  attina),  der  freistehende 
oder  gezeichnete  Baum.    In  der  späteren  Schriftmasse  dagegen  ver- 


Die  Interpolationen  des  gr omatischen  Corpus.  28? 

Behwinden  die  guten  alten  tecbnisehen  Ausdrücke^  wie  mpercilium 
und  divergium  aquarum^  ganz  oder  fast  ganz  und  treten  in  der  neuen 
Terniinologie  Wortgruppen  auf  folgender  Art : 

p.  227, 15  arcae,  ripae^  canabula,  noverca  .  .  .  murij  maceriae, 

BCorofioneSf  congerias,  carbuncuü,   fast  ebenso  211,9.228,5- 

262,3.256,8. 

p.  259, 25  areaBy  ripae,  sepulturae,  congeriae,  carbuncuU,  rwi, 

supercüia  et  limites  dscumani  et  kardines. 
Dies  ist  nichts  als  ein  wüstes  Conglomerat  halb  oder  nicht 
yerstandener  zum  guten  Theil  synonymer  oder  gar  in  diese  Verbin- 
dung nicht  gehöriger  Ausdrücke;  die  den  Grenzsteinen  etwa  unter- 
legten Kohlen  passen  zu  den  sichtbaren  Grenzmarken  übel  und  gar 
die  decumani  und  Jcardines  haben  mit  der  arcifinischen  Termination 
nichts  zu  thun.  Es  soll  dies  weiter  an  einzelnen  Beispielen  dar- 
gelegt werden. 

Als  arcifiniscbe  Grenzmale  begegnen  in  der  guten  gromatischen 
Li tteratur  Berge  und  Hügel  nicht*),  sondern  nur  der  Höhenzug,  die 
summa  montium  iuga ;  wo  von  montes  in  allgemeinen  Angaben  die 
Bede  ist  (p.  5, 8.  41, 10),  ist  dieselbe  Hochlinie  gemeint.  In  der  That 
eignet  die  Anhöhe  ohne  nähere  Determination  sich  ftir  eine  solche 
Verwendung  nicht,  weil  sie  weder  als  Punkt  noch  als  Linie  hin- 
reichend bestimmt  ist.  Zu  den  Kriterien  der  schlechten  Masse 
gehört  dagegen  der  moTdicellus^  er  begegnet  häufig  in  den  Auszü- 
gen aus  den  gromatischen  Digesten  (p.  305 — 3&7)  und  in  keines- 
wegs vertranenei'weckender  Weise.  Die  mit  gelehrtem  Herabsehen 
anf  die  Ignoranten  {qui  nesciunt  quid  est  in  lectionibus)  vor- 
getragene Auseinandersetzung  (p.  306,  9) ,  dass  in  Kriegszeiten 
{in  tempore  quando  milites  occidebantur  in  bello  püblico) 
die  Gefallenen  regelmässig  an  den  Trilinien  und  Quadrifinien*)  bei- 
gesetzt worden  seien  und  zwar  ein  jeder  unter  besonderem  Hügd, 
ist  hinreichende  Warnung.  Wenn  nach  einer  mehrfach  wiederholten 
Notiz  (307,17.345,15.352,8)  der  mitten  auf  der  Grenze  (lime^) 
stehende  Grenzstein  {terminus),   falls  er  nach  einer  Seite   hin   aus- 

1)  In  dem  Schema  19,  21  =s  114, 16  heisst  es  zwar:  ex  colle  (Hdschr. 
coUegio)  qui  appeUatur  Hie  ad  f/umen  iUuä,  aber  es  gehört  dies  zu  dön 
nur  im  Frontincommentar  enthaltenen  vermuthungsweifle  ron  Lachmann 
dem  Hygin  zugewiesenen  Stücken,  bei  weleben  die  Wortfassung 
keineswegs    zuverlässig  ist. 

2)  Was  die  centuriae  hier  bedeuten^  weiss  ich  nicht;  vielleicht  sind 
die  afrikanischen  Steuerhufen  (Marquardt  Staatsverw.  2,  280)  gemeinti    ^ 


288  Th*  Mommsent 

gehöhlt  ist^  auf  drei  Hügel  hinweist  (so  scheint  tres  monticetlos 
trarmt  gemeint  zu  sein)  und  auf  dem  dritten  Hügel  am  Bad  eine 
das  Quadrifinium  bezeichnende  Steinkiste  {arca)  sich  findet,  so  wird 
es  nicht  gelingen  diesen  und  ähnlichen  Angaben  eine  bestimmte  Vor- 
stellung abzugewinnen.  Verständlich  ist  es,  dass  nach  einer  an- 
deren Notiz  (p.  308,1)  bei  der  africanischen  Termination,  um  Grenz- 
steine zu  sparen^  dafür  Erdhügel  aufgeschüttet  werden,  sogenannte 
hotontini.  Es  ist  nichts  im  Wege  darin  eine  africantsche  Local- 
gewohnheit  und  Bezeichnung  zu  erkennen,  da  alle  die  botofUini 
behandehiden  Stellen  fttglich  von  africanischen  Mensoren  herrühren 
können;  für  die  allgemeine  Groniatik  ist  eine  derartige,  nur  durch 
die  Umgebung,  in  der  sie  auftritt,  verdächtige  Angabe  auch  dann 
nicht  verwendbar,  wenn  man  sie  gelten  lässt. 

Dass  die  Grabmäler  bei  der  arcifinischen  Termination  gelegent- 
lich erwähnt  (19,28  =  114,23.  19,30  =  115,1.  347,5.  348, 14)  und 
namentlich  in  den  casae  Utterarum  unter  dem  späten  Namen  memoria 
häufig  genannt  werden,  hat  keine  weitere  Bedeutung;  eine  ge- 
wisse Beachtung  aber  verdient  die  sepultura  finalis  (250,22.  341, 
n.  361, 12.  405, 19;  vergl.  243, 14.  271.  272),  insofern  die  römfache 
Sitte  die  Gräber  längs  der  öffentlichen  Wege,  eventuell  an  der  Grenze 
des  Privatackers  anzulegen  die  Frage  nahe  legt,  ob  sie  nicht  bei 
Grenzstreitigkeiten  unter  Umständen  Berücksichtigung  gefunden  haben. 
In  der  That  sieht  ein  dem  Dolabella  beigelegtes  Fragment^)  dies 
vor:  um  zu  finden,  nach  welcher  Seite  hin  das  Grab  an  die  Grenz- 
linie stösst,  soll  fünf  Fuss  von  demselben  der  Boden  ausgehoben  oder 
aufgepflügt  werden  und  ist  die  Grenze  an  derjenigen  Seite,  an  wel- 
cher Topfscherben  oder  ganze  Töpfe  zum  Vorschein  konunen.  Irgend 
welche  monumentale  Bestätigung  dieser  Angabe  ist  mir  nicht  bekannt 
und  bis  eine  solche  sich  finden  sollte,  verbietet  die  Unzaverlässig- 
keit des  Gewährsmannes  ihr  Glauben  zu  schenken. 

Am  auffallendsten  unter  den  Grenzmalen  ist  die  arca  oder 
arceUa,  Die  bessere  gromatische  Littcratur  kennt  die  arca  nicht; 
selbst  in  dem  Golonievei*zeichniss  findet  sie  sich  in  der  besten  Hand- 
schrift (Ä)  nur  an  einer  einzigen  zweifellos  in  später  Zeit  eingescho- 
benen Stelle^)  und  ebenso  wenig  erscheint  das  Wort  in  dieser  Ver- 

1)  308, 12  fg.  Zu  lesen  iBtwoh]  iuxta  sepuUuram  sive  bustum  {buxus 
die  Hdschr.)  she  etiam  cineres  {cineates  die  Hd8chr.)> 

2)  p.  227, 14  vgl.  2, 163.  Die  Worte  p.  227, 5  gui  in  madum  arceUae 
facti  sunt  fehlen  iui  Arcerianus  und  sind  Zusatz  der  jüngeren  Recensioo. 


Die  Interpolationen  des  ^oiäatischen  Corpus.  289 

Wendung  ausserhalb  des  gromatisehen  Corpus.  Dagegen  begegnet 
es  überall  in  den  nur  in  den  geringeren  Handschriften  {PO)  be- 
wahrten Abschnitten  des  Colonialverzeichnisses ;  femer  sehr  häufig 
in  den  Auszügen  aus  Latinus  und  den  gleichartigen  Autoren;  die 
arca  darf  als  das  rechte  Kennzeichen  der  Zugehörigkeit  zu  dieser 
verdächtigen  Masse  angesehen  werden.  Auf  die  Frage,  was  sie 
sei,  fehlt  die  Antwort  nicht:  sie  ist  von  Marmor  (p.  334,25:  arca 
constituta  marmorea.  363,28)  und  hohl  (p.  308,25:  terminua  in 
modum  arcellae  cavatus  Claudianus  dicitur;  ähnlich  p.  227,5).  Die 
Maasse  giebt  beispielsweise  das  Excei-pt  aus  Faustus  und  Valerius 
p.  353,6  =  356,21:  30  Fuss  lang,  15  Fuss  breit,  7  Fuss  hoch,  also 
3150  Fuss  im  Kubikinhalt,  womit  die  Zeichnung  (Fig.  288)  über- 
einstimmt. Aber  die  Zweckbestimmung  bleibt  fraglich.  Da  die 
arca  sehr  häufig  in  Verbindung  auftritt  mit  der  aqua  (z.  B.  305, 8 : 
ipsa  aqua  tiva  in  arca  trifinii  est]  ähnlich  314,17.320,2)  oder 
mit  dem  alveus  (312,  17:  ipsa  arca  alveum  significat]  317,33: 
arca  super  ripa  alvei  constituta  est;  319,10:  sub  alveo  arca 
constituta  est  pl[us]  m[inus]  ped,  C  de  ripa  alvei),  auch  mit  dem 
lavacrum  (307, 19.  311,27.  319, 20.  352,9),  könnte  an  einen  Wasser- 
behälter gedacht  werden;  aber  diese  Verbindung  ist  keineswegs 
durchgehend  und  auch  die  quadratische  Form,  welche  zum  Wesen 
der  arca  gehört,  kann  unmöglich  als  normale  der  Cisteme  hin- 
gestellt werden.  Am  nächsten  liegt  es  immer  bei  der  viereckigen 
hohlen  Steinkiste  an  den  Sarkophag  zu  denken,  der  ja  häufig  arca 
heisst;  insbesondere  wenn  man  sich  an  die  Sitte  der  Spätzeit  er- 
innert, die  Todten  beizusetzen  in  mächtigen  unter  freiem  Himmel 
stehenden  Steinsärgen,  wie  Cassiodor  (var.  3, 19)  die  für  die^carfa- 
vera  in  supernis  humata  in  Ravenna  angefertigten  arcae  beschreibt 
und  wie  sie  uns  der  Soldatenfriedhof  in  Concordia  und  ähnliche 
dalmatinische  Sarkophagfelder ^)  vor  Augen  ftihren.  Dass  der  Grab- 
stein, in  diesem  Spätlatein  memoria,  zuweilen  mit  der  arca  in  Ver- 
bindung gebracht  wird  (besonders  364, 28 :  quia  arcas  —  d.  i.  arcae 
—  aliquotiens  circa  sepulchrum  sine  dubio  ponuntur  et  super  ipsam 
arcam  memoriae  constitutae  .  .  .  ,  ut  in  ipsa  memoria ^consecra- 
retur  arca  finalis,  vgl,  315,27.324,2.329,7),  lässt  sich>it  der 
AuflFassung   der   arca   als  Sarkophag  wohl   vereinigen.     Hirschfeld 


1)  Ich  sah  ein  solches  bei  Spalato  auf  der  Strasse  nach  Trau  (C.  I. 
L.  III  p.  305). 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthifr.  Im  Rheinl.  XOVI.  19 


290  Th.  Mommsenj 

erinnert  daran,  dass  die  Bezeichnung  arcell^  ausser  bei  unseren 
Autoren  allein  auf  einer  dalmatiniscben  Insclnift  (C.  I.  L.  III.  5 
n-  9546)  sich  gefunden  hat  und  dass  die  dalmatinischen  Christen- 
gräber nicht  selten  in  eine  sonst  nicht  vorkommende  Verbindung 
mit  der  piscina  gebracht  werden;  da  die  Conipilatiou  in  Dahnatien 
gemacht  zu  sein  scheint  (S.276),  so  bieten  sich  hier  allerdings  nach  meh- 
reren Seiten  Anknüpfungspunkte.  Aber  andrerseits  passen  zu  der 
Auffassung  der  arca  als  Sarkophag  die  oben  angegebenen  Maasse 
keineswegs,  und  vor  allem  bleibt  es  unerklärt,  inwiefern  die  arca 
als  Sarkophag  zugleich  Grenzbezeichnung  sein  kann;  daran  aber  ist 
doch  kein  Zweifel.  Sie  heisst  arca  finalUi  (241,2.  363,23.  364,32) 
und  es  wird  die  arca  in  quadrißnio  unter  den  termini  aufge- 
führt (341,16),  auch  sonst  das  quadrißnium  (310,15.6  311,27. 
312,8.  16.  352,10)  wie  das  trißnium  (325,9:  arca  in  vionti' 
cello  posita,  cui  [d.  h.  iw  quo]  casales  f=  Dörfer]  conveniunt;  ideo 
arca  trißnium  signißcat  et  territoria  dividet;  313, 8.  315, 18.  352, 13. 
360,22)  durch  die  arca  bezeichnet^).  Richtig  kann  dies  nicht 
sein;  gegenüber  dem  Schweigen  der  älteren  und  zuverlässigen 
Zeugen  und  gegenüber  dem  Fehlen  aller  monumentalen  Belege*) 
erscheint  die  Bezeichnung  der  Trifinien  und  Quadriiinien  durch  Sar- 
kophage ebenso  widersinnig  wie  das  Schreiben  des  Kaisers  Tibcrius 
an  Octavian  und  dessen  CoUegen  im  Triumvirat.  Mir  gilt  die  arca  finalis, 
wie  die  verrückte  Schematisirung  der  Ebenen  und  der  Gebirge  nach  dem 
lateinischen  und  dem  griechischen  Alphabet,  als  dreiste  Erfindung 
nicht  eines  Feldmessers,  sondern  eines  Schulmeisters,  welchem  die 
Sarkophage  der  Gräberfelder  im  Sinne  lagen  und  dem  es  beliebte  in 
die  Planskizzen  für  seine  Schulübungen  dergleichen  Kasten  einzuzeich- 
nen, unmöglich  in  der  realen  Feldmesserei,  aber  wohl  geeignet 
in  dem  verfallenden  Unterricht  dieser  traurigen  Jahrhunderte  mitzu- 
wirken bei  der  Verdummung  der  Jugend.  Da  die  zufälligen  Grenzmar- 
ken dem  ager  arcißnius  eigen  sind  und  die  späteren  Schulmeister  die 
arca  sprachlich  mit  diesem  verknüpfen  (367,4:  arcam  ab  arcendo  vo- 


1)  Dies  hat  Rudor£P  2,  £64  richtig  erkannt,  aber  irrig  die  arcn  auf 
das  quadrifinium,  die  arcella  auf  das  triflnium  bezogen. 

2)  Den  quadratischen  Kern,  der  sich  kürzlich  in  den  sogenannten 
Begleithügeln  am  obergermanischen  Limes  herausgestellt  hat,  könnte 
man  mit  einigem  guten  Willen  wohl  arca  nennen;  aber  an  ihn  kann 
schon  darum  nicht  gedacht  werden,  weil  er  zugeschüttet  ward  und  die 
Anlage  dem  Auge  sich  als  Rundhügel  darstellt. 


Die  Interpolationen  des  aromatischen  Corpus.  ^1 

catam,  fines  enim  agri  custodit  eosque  adire  prohibet :  trifinium  dictum 
eo  quod  trium  possessionum  fines  attingetj  hinc  et  quadrifinium, 
quod  quattuor)j  so  mag  die  Lucubration  des  Stubengelehrten  darauf 
verfallen  sein  die  Knickpunkte  der  arcifiuischen  Termination 
häufig  durch  eine  arca  zu  illustriren.  Die  viereckige  Form  passte  zu 
dem  quadrifinium',  bei  der  arca  am  trifinium  mag  man  sich  vor- 
gestellt haben  entweder^  dass  die  eine  Seite  unbenutzt  blieb  oder 
dass  die  arca  selbst  hier  dreieckig  geformt  war  (vgl.  306,16). 

Das  trifinium  und  das  quadrifinium  kennt  die  gute  groma- 
tische  Litteratur  natürlich  sowohl  in  Beziehung  auf  die  nachbar- 
lichen Sacra ^)  wie  auch  bei  Grenzstreitigkeiten*);  aber  sie  werden 
nur  beiläufig  erwähnt,  da  die  Limitationsordnung  gar  nichts  mit  ihnen 
zu  schaffen  hat  und  auch  die  Termination;  so  viel  wir  wissen,  keine 
besonderen  Zeichen  und  Regeln  ftLi*  die  Fälle  aufstellt,  wo  der  Mark- 
stein mehr  als  zwei  Besitzungen  scheidet.  In  der  jüngeren  Sammlung 
hat  sich  nicht  der  Begriff  verschoben  ^),  aber  wohl  die  Himdhabung. 
Die  erate  der  Theodosius  IL  untergeschobenen  Constitutionen  spricht 
dem  Mensor,  si  fundo*)  cui  finem  restituens  in  trifinii  rationem 
institerit  et  convenientiam  trium  centuriarum  ibidem  esse  signaverit, 
ein  Honorar  von  drei  Goldstücken  zu,  und  dem  entsprechend  finden 
sich  die  trifinia  und  quadrifinia,  welche  in  der  älteren  Recension, 
abgesehen  von  den  co^ae  (327,  25.  328,31.  329, 10.  330,7),  gar 
keine  Rolle  spielen,  in  der  jüngeren  vielfach  und  zwar  in  dem  liber 
coloniarum  II  einmal  p.  252, 16  =  308, 26,  in  den  casae  an  un- 
zähligen Stellen  und  nicht  minder  häufig  in  allen  Excerpten  aus 
den  angeblichen  gromatischen  Digesten^).  Die  Vorstellung  dabei  ist 
überwiegend  wohl  die  eines  auf  drei,  resp.  vier  Seiten  markirten 
Grenzsteines : 

Latinus  p.  306,16:  terminus  si  in  tres  acies  constitutum  fueritj 
tres  lineas  auctoris  ostendit;  si  in  quattuor  acies j  quadri- 
finium facit. 


1)  Siculus  p.  141,18.    Agennius  p.  88,14.    Vgl.  3,4  =  110,11. 

2)  Frontinus  p.  10,3  mit  dem  Commentar  p.  10,9  =  39, 18  =  70,18. 

3)  Pseudo-TheodoBius    p.    273, 5.    Dolabella    p.  302, 20.    Anonymus 
p.  367,5. 

4)  So,  nicht  fundi  der  Palatinus. 

5)  Die  Stellen  hier  und  weiterhin  sind  im  Index  der  Ausgabe  ver- 
zeichnet. 


29d   Th.  Moititnden:  Die  Interpolationen  des  gfomatischen  Corpus. 

Gains  p.  307,  7 :  terminus  si  una{m)  acie{m)  reproha(m)  habuerit, 

hoc  est  non  aequalem   aciem,  .  .  .  ponitur   aliquando  in   tri- 

finium,  in  quadrifinium   autem  .  .  .  non  ponitur  nisi   solidus 

lapis.    Vgl.  344, 13. 

Aber   es  kommt   auch  Bezeichnung   durch    drei,   resp.    vier  Steine 

vor: 

Fanstus  und  Valerius  308, 25  (ähnlich  227, 5):  terminus  in  modum 
arcellae  cavatus  Claudianus  dicitur  .  .  .  et  si  tres  fuerinty  tri- 
finium  faciunt. 
Gaius  a.  a.  0. :  et  quatfuor  lapides  in  quadrifinium  constituimus. 
Bei    mancherlei    recht    wunderlichen    Einzelheiten,    zum    Beispiel 
der    festen    Normirung    der    Intervalle    theils    zwischen    Trifinien, 
theils  zwischen  Quadrifinicn   p.  343, 23.  34f),  24,  verweile  ich  um  so 
weniger,  als  diesen  Ansetzungeu  wohl  grösstentheils  gar  keine  greif- 
baren Vorstellungen  zu  Grunde  liegen  und  sie  vielfach  den  Eindruck 
sinnlosen  Wortgeklingels  machen. 


9.  Die  Freiherrlich  von  Zwierlein'sche  Sammlung  von  Glas- 
malereien zu  Geisenheim  a.  Rh.') 

Eine    kansthistorischc    Studie. 

Von 
F.  W.  E.  Roth. 


Freiherr  Hans  Carl  v.  Zwierlein  zu  Geisenheim  a.  Rh.  be- 
sass  grosse  Vorliebe  fär  ältere  Erzeugnisse  der  Glasmalerei.  Er 
begründete  die  spätere  reiche  188T  versteigerte  Sammlung  dieser 
Art  zu  Geisenheim.  Die  Zeitperiode  1820 — 1828  war  fittr  Anlage 
einer   derartigen   Sammlung    sehr    günstig.     Aufgehobene  Klöster, 


1)  Besprochen  i»t  diese  Sammlnng  historisch  und  technisch  von 
Prof.  aus*m  Werth  im  Repertorinm  für  Kunstwissenschaft  XI  (1888)  3, 
S.  262.  Der  Verfasser  dieses  Aufsatzes  wohnte  1887  ein  halbes  Jahr  im 
y.  Z  wierl  oi  n  'sehen  Hof  zu  Geisenheim  und  hatte  zu  dem  unverschlossenen 
Archiv  Zutntt,  machte  jedoch  von  den  vorhandenen  reichen  Akten  keinen 
Gebrauch  und  gab  daher  über  die  Herkunft  der  Gemälde  nur  Ver- 
muthungen.  Die  nachstehende  Darstellung  weist  aktengemäss  Herkunft 
und  Preise  der  einzelnen  Stücke  nach  und  dürfte  zunächst  interessante 
Schlaglichter  auf  wenig  bekannte  Kölner  Sammlungen  werfen,  üeberall 
habe  ich  die  Nummern  des  Katalogs  für  die  Versteigerung  1887  festge- 
stellt. Der  Titel  ist:  Die  Freiherrlich  von  Z  wierl  ei  naschen  Sammlungen 
von  gebrannten  Glasfenstern,  Kunstsachen  und  Gemälden  etc.  etc.  zu 
Geisenhein.  Versteigerung  den  12.  bis  15.  September  1887.  Köln.  1887. 
Octavo.  1887  war  aber  die  Sammlung  nicht  mehr  intakt,  daher  fehlen 
manche  Nachweise  der  Nummern.  1872  wurde  Manches  versteigert, 
Anderes  zerschlug  der  geistig  gestörte  letzte  Besitzer  Hans  v.  Zwier- 
lein, noch  mehr  verkam  sonst.  Die  ganze  Sammlung  führt  auf:  Katalog 
der  Ende  vor.  Saecl.  gesammelten  Reich sfreiherrl.  v.  Zwierlein 'sehen 
Glasgemälde;  Beginn  der  Versteigerung  am  19.  Oktober  1872.  (Folioblatt.)  — 
Alle  hier  gemachten  Angaben  beruhen  auf  den  Akten  des  v.  Zwier- 
lein'sehen  Archivs  zu  Geisenheim. 


294  F.  W.  E.  Roth: 

Kirchen  und  Privathäuser  entledigten  sich  ihrer  Glasmalereien  für 
wenig  Geld.  Andere  Sammler  waren  bereits  gewesen,  durch  Todes- 
fälle und  andere  Ereignisse  kamen  ihre  gesammelten  Stücke  in 
andere  Hände.  Mit  dem  direkten  Erwerb  aus  Klöstern  und  Kirchen 
scheint  Herr  v.  Zwierlein  nicht  besonderes  Glttck  gehabt  zu  haben, 
aber  aus  Privatsammlungen  wusste  er  hervorragende  Stücke  zu  er- 
werben. Die  erste  dieser  Sammlungen  ist  die  des  Optikers  Wil- 
helmDUssel  zu  Köln.  Derselbe  wohnte  am  Hof  Nr.  7  und  be- 
schäftigte sich  neben  seinen  Berufsgeschäften  mit  Sammeln  von 
Glasmalereien.  Seine  Sammlung  war  eine  der  reichsten  und  hervor- 
ragendsten zu  Köln.  Im  Jahre  1820  verkaufte  er  aus  nicht  fest- 
stellbaren Gründen  an  den  Freiherm  v.  Zwierlein  folgende  Stücke 
seiner  Sammlung: 

1)  Viereckigte  sechs  grosse  Fenster,  in  Bley  eingefasste  Vor- 
stellung aus  der  Kirchengeschichte.   50  Beiebsthaler. 

2)  Bund,  zwei  grosse  Scheiben  aus   der  Geschichte   der  St 
Brigida,  in  Holz  eingefasst.    16  Reichsthaler. 

3)  Bund,   1   altes  Konversationsstück  in  Bley  eingefasst  mit 
5  Figuren.    16  Beichsthaler.  Nr.  78  des  Geisenheimer  Catalogs. 

4)  Bund,  1  dito  in  Bley,  vorstellend  ein  Sterbender.    16  Reichs- 
thaler. Nr.  83  des  Geisenheimer  Katalogs. 

5)  Viereckt,  2  grosse  Wappen  colorirt,  in  Bley.  Jedes  4  Beichs- 
thaler. 

6)  Rund,    1    grosse    Scheibe,   die  Allgewalt   der   Liebe.     12 
Reichsthaler. 

7)  Rund,  1  dito,  die  Weiber  von  Weinsberg.    8  Reichsthaler. 
Nr.  98  des  Geisenheimer  Katalogs. 

8)  Rund,  1  dito>  Christus  am  Krentz.    8  Beichsthaler.    Nr.  74 
des  Geisenheimer  Katalogs. 

9)  Rund,    1  dito,   Moses  und  die  Schlangen.     8  Beichsthaler. 
Nr.  77  dqs  Geisenheimer  Katalogs. 

10)  Bund,  2  dito,  Konversationsstücke.    Jedes  6  Beichsthaler. 

11)  Rund,  1  dito,  St.  Ursula  u.  Comp.   4  Beichsthaler.    Nr.  51 
des  Geisenheimer  Katalogs. 

12)  Rund,  1  dito,  Auferstehung  Christi.    6  Reichsthaler.  Nr.  86 
des  Geisenheimer  Katalogs. 

13)  Rund,  1  dito,  ebendasselbe.    4  Beichsthaler.    Nr.  80  des 
Geisenheimer  Katalogs. 


Die  Freiherdlch  v.  Zwierlein*8che  Sammlung  von  Glasmalereien  etc.  295 

14)  Rund,  1  dito,  St.  Philippus  apostol.  12  Reichsthaler.  Nr. 
107  des  Geisenheimer  Katalogs. 

15)  Halbrund,  3  dito,  St.  Henricus,  ein  St.  Jacobus,  ein  St. 
Ursula.     Jedes  6  Reichsthaler. 

16)  Halbrund,  1  dito,  St.  Margaretha  Enthauptung.  8  Reichs- 
thaler.   Nr.  48  des  Geisenheimer  Katalogs. 

17)  Oval,  1  dito,  St.  Johannes  der  Täufer.  8  Reichsthaler. 
Nr.  40  des  Geisenheimer  Katalogs. 

18)  Viereckt,  2  dito  colorirte  Stücke.    Jedes  12  Reichsthaler. 

19)  Viereckt,  1  grosses  colorirtes  Wappen  in  Bley. 

20)  Viereckt,  1  blaues  Wappen  in  Bley. 

21)  31  Seheiben,  Wappen  verschiedener  Grösse,  19  grössere 
38  Thaler,  die  7  kleineren  4  Thaler  40  Sgr. 

22)  23  Vögel  verachiedener  Grösse.    23  Thaler. 

23)  Viereckt,  2  Schmetterlinge,  verschiedene  Stücker  far- 
biges Glas. 

Am  5.  September  1820  quittirte  Wilhelm  Dussel  über  er- 
haltene 200  Brabanter  Cronthaler  für  diese  23  Nummern  Glas- 
malereien. Dussel  sehrieb  am  14.  September  1820  an  Freiherrn 
V.  Zwierlein  wegen  Ankaufs  des  Marienbildes  aus  dem  Kölner 
Dom,  das  Zimmermann  besass  und  v.  Zwierlein  kaufen  wollte. 
Zimmermann  forderte  sechs  Louisdor  und  wollte  versuchen,  sich 
ein  neues  Bild  zu  machen.  Die  Dussel' sehen  Glasmalereien 
kosteten  zusammen  540  Gulden.  Der  Schiffer  Meier  bekam 
2  Gulden  42  Kr.  und  1  Gulden  21  Kr.  Trinkgeld  für  die  Fracht, 
Dussel  erhielt  noch  für  2  Tafeln  gelbes  Glas  nebst  Verpackung 
und  Fuhrlohn  am  7.  September  1820  7  Reichsthaler  40  Groschen.  — 
Die  zweite  Kölner  Sammlung,  welche  Glasmalereien  in  die  v.  Zwier- 
lein'sche  Sammlung  zu  Geisenheim  lieferte,  war  die  des  Chr. 
Geerling  zu  Köln.  Geerling  war  von  Beruf  Weinhändler  und 
dabei  leidenschaftlicher  Kunstfreund.  Er  verkaufte  im  Juni  1823 
verschiedene  Glasmalereien  an  Hans  Carl  v.  Zwierlein.  Die 
„Colonia"  vom  13.  März  1822  sagt  über  Geerlings  Sammlung  in 
einem:    „Kunstwanderungen   durch  Köln"   überschriebenen  Artikel: 

„In  Gesellschaft  eines  reisenden  Freundes begab  ich  mich 

an  den  Bach  zu  dem  Herrn  Geerling,  einem  jungen  fleissigen 
Sammler  in  dem  Reiche  der  Kunst. Was  er  in  dieser  Hin- 
sicht besitzt,  ist  vortrefflich  und  in  seiner  Art  einzig  zu  nennen. 
Das  älteste,  was  vielleicht  in  dieser  Kunst  aufzuweisen  ist,  befindet 


296  F.  W.  E.  Roth; 

sich  in  dieser  Sammlung."  Erwähnt  werden  Darstellungen  der  Ge- 
schichte des  hl.  Laurentius  aus  dem  zwölften  Jahrhundert,  Erweckung 
des  Lazarus  1340,  die  Aufopfenmg  im  Tempel  1340,  St.  Ursula 
mit  den  Jungfrauen  aus  dem  XV.  Jahrhundert  und  weitere  15  Fenster 
aus  dem  XIV.  Jahrhundert. 

Bereits  im  Februar  1823  schwebten  Verhandlungen  zwischen 
Herrn  v.  Zwierlein  und  Geerling.  Ein  gewisser  Elias  Mumm 
zu  Köln  besorgte  den  Ankauf  der  Glasmalereien.  Geerling  ver- 
sprach am  18.  April  1823,  Anfangs  Mai  nach  Geisenheim  zu  kommen, 
die  gekauften  Fenster  werde  er  dem  Schiflfer  Kiefer  um  diese 
Zeit  mitgeben.  Nach  dem  Verkaufs verti'ag  vom  11.  Juni  1823  hatte 
Freiherr  v.  Zwierlein  gekauft  drei  gothische  Fenster  jedes  von 
acht  Tafeln  und  drei  Spitzen,  den  Ritter  St.  Georg,  das  bereits 
gefasste  Gegenstück  dazu,  sowie  ein  Fenster  mit  Wappen  und  ein 
Bild  Moses  darstellend.  Geerling  hatte  davon  alle  Spitzen  zu  den 
drei  erstgenannten  Fenstern  mit  elf  Tafeln  bereits  geliefert  und  ver- 
sprach den  Rest  mit  dreizehn  Tafeln  innerhalb  vierzehn  Tagen  nach- 
zuliefern. Nach  Empfangnahme  derselben  zu  Köln  sollte  Geerling 
ein  Stück  Rtidesheimer  Hinterhaus  1822  und  ein  Halbstück  Rttdes- 
heimer  Berg  1818  sowie  6  Carolin  baar  und  eine  Tafel  Glasmalerei 
gegen  ein  von  Geerling  zu  lieferndes  Wappen  erhalten.  Geer- 
ling erhielt  noch  aus  der  ersten  Sendung  für  Kisten  und  Schnell- 
wagen 31  Thaler  15  Sbgr.  Er  selbst  hatte  diesen  Vertrag  am 
11.  Juni  1823  zu  Geisenheim  unterzeichnet.  Am  26.  Juni  1823 
liess  er  nach  Geisenheim  schreiben,  dass  die  dreizehn  Tafeln  bis 
zum  1.  Juli  in  Köln  zur  Abholung  durch  den  v.  Z wi er lei naschen 
Rentmeister  Roth  bereit  seien.  Der  Rentmeister  hatte  nach  einem 
Bericht  vom  4.  Juli  1823  beim  Abholen  zu  Köln  noch  verschiedene 
Schwierigkeiten  zu  beseitigen,  ehe  Geerling  sich  von  seinen  ge- 
liebten Fenstern  trennte.  Die  Kosten  dieses  zweiten  Transportes 
betrugen  nochmalige  35  Thaler.  Die  Geerling'schen  Fenster 
kosteten  das  Stück  Wein  1822  zu  900,  das  Halbstück  1818  zu  200 
Gulden  gerechnet  nebst  Baarzahlung  von  66  Gulden,  Vei-packung 
und  Versandt  54  Gulden  15  Kreuzer,  weitere  Versandtkosten  20 
und  26  Gulden  zusammen  1266  Gulden  20  Kreuzer.  Diese  Geer- 
ling'schen nach  Geisenheim  gelangten  Glasschildereien  bildeten 
das  Beste  der  si)äteni  v.  Zwierlein'  sehen  Sammlung  imd  zwar 
deren  Nummern  1 — 11,  12 — 22,  23 — 33,  34  und  zwei  weitere 
Fenster.    Geerling  behielt  den  Rest  seiner  Sammlung  und  setzte 


Die  Freiherrlich  v.  Zwierlein'sehe  Sammlung  von  Glasmalereien  etc.  297 

auf  jeden  Fall  das  Sammeln  fort.  Im  Jahre  1827  gab  er  auf  Snb* 
scription  herans:  ^Sammlung  von  Ansichten  alter  enkaastischer 
Glasgemälde,  nebst  erlänterndem  Text.  Heransgegeben  von  C.  Geer- 
ling.  Köln,  1827.  Gedruckt  bei  Fr.  X.  Schlösser.  Quarto.  Nebst 
drei  Heften  colorirter  Abbildungen  folio.  Am  10.  Mai  1825  lud 
er  Freiherrn  Hans  Carl  von  Zwieriein  zttr  Snbsoription  ein 
und  erbat  sich  am  25.  September  1827  für  das  übersandte  Exemplar 
des  Werkes  4  Thaler  16  Sgr.  Bezahlung.  In  der  vorgedruekten 
Subscribentenliste  ist  auch  Freiherr  v.  Zwieriein  genannt  Das 
ans  Geerlings  Sammlung  nach  Geisenheim  gelangte  herrliche 
Glasbild :  St.  Georg  mit  dem  Lindwurm  ist  in  dem  Werk  beschrieben 
und  in  Farben  abgebildet.  —  Die  dritte  Sammlung,  welche  Glas* 
gemälde  nach  Geisenheim  lieferte,  war  die  des  J.  B.  Hirn.  Stand 
und  Lebensverhältnisse  dieses  Kölner  Sammlers  geben  die  Akten 
nicht  an.  Er  sammelte  mit  Vorliebe  Glasmalereien,  gerieth  aber  in 
missliche  Yermögensverhältnisse,  so  dass  seine  Sammlungen  zwangs- 
weise versteigert  wurden.  Der  Versteigerungskatalog  erschien  in 
Quarto  mit  dem  Titel:  „Verzeichniss  einer  theils  aus  guizen  Kirehen- 
fenstem,  theils  aus  dnzelnen  Scheiben  bestehenden  grossen  Samm- 
lung gebrannter  GIftser  aus  verschiedenen  aufeinander  folgenden 
Zeitaltem  der  Glasmalerei,  welche  am  3.  Juni  1.  J.  in  dem  mit 
Nro.  12  bezeichneten,  im  Filzergraben  dahier  gelegenen  Hause  zur 
öffentlichen  Ansicht  aufgestellt  und  am  13.  September  1.  J.  in  dem- 
selben Lokale  öffentlich  verateigert  und  gegen  gleich  baare  Zahlung 
dem  Meistbietenden  zugeschlagen  werden  soll.  Köln.  1821.  Ge- 
druckt bei  M.  Du  Mont-Schauberg."  Der  Inhalt  kennzeichnet  die 
Sammlung  als  eine  der  hervorragendsten  dieses  Jahrhunderts  in 
Privatbesitz.  Es  waren  vertreten  ein  „Christus  in  rothem  Mantel^ 
aufm  Regenbogen  sitzend,  an  beiden  Seiten  des  Haupts  mit  einer 
geschmackvoll  gezeichneten  weissen  Einfassung  von  Weinranken 
umgeben.  Unten:  J.  N.  R.  J.  in  altgotbiseher  Schrift."  Zwischen 
1200  und  1300  entstanden.  Haupt  und  Leib  sowie  Manches  der 
Zierrathen  fehlten. 

Die  Sammlung  enthielt  noch  eine  Maria  mit  dem  Kinde,  den 
Halbmond  zu  Füssen,  im  Gewölk,  mit  weisser  Laubeinfassung,  ans 
der  Zeit  von  1300—1400.  Dem  Zeiträume  1400—1500  gehörte 
eine  grössere  Anzahl  Glasgemäldc  (Nr.  14—27  des  Versteigerungs- 
katalogs)  der  Zeit  von  1500  bis  1600  die  Nummern  28  bis  48  an. 
Die  Herkunft  aller  dieser  Glasgemälde  ist  unbekannt.  Einen  hervor- 


298  F.  W.  E.  Roth: 

ragenden  Cyclug  bildeten  die  gebrannten  Fenster  der  Abtei  Alten- 
berg in  Rheinpreasscn ,  bekanntlich  die  älteste  Gistercienserabtei 
der  Rheinlande  und  für  die  Verehrung  des  hl  Bernhard  von  bohem 
Werth.  Ihre  Herstellung  währte  über  ein  volles  Jahrhundert,  sie 
begann  Ende  dos  XV.  Jahrhunderts  und  scbloss  im  XVII.  Jahr- 
hundert erst  ab.  Alle  diese  Scheiben  stellten  Seeuen  aus  dem  Leben 
des  hl.  Bernhard  des  Ordenspatrons  vor.  Die  Ansicht,  dass  diese 
Scheiben  ans  dem  Eberbacher  Klosterhofe  zu  Köln  stammen,  ist 
Phantasie.  Der  Gyclns  bildete  die  Nunimein  49  bis  103  einschliess- 
lich des  Hirn'schen  Katalogs.  Die  Tbatsache  ist  interessant,  dass 
die  historischen  Details  der  Darstellungen  auf  Conrads  Abts  von 
Eberbach  legendenartiger  Sammlung  aus  dem  Gistercienserorden  dem 
exordium  magnum  heri'tthrcn,  was  fttr  dessen  Ansehen  und  Ver- 
breitung spricht.  Die  Nummern  104  bis  113  des  Hirn 'sehen  Ver- 
eeichnisses  gehörten  ebenfalls  Altenberg  an,  die  Nummern  114  bis 
155  entstammten  dem  XVII.  bis  XVIII.  Jahrhundert,  einzelne 
Seheiben  bildeten  die  Nummern  156  bis  193,  der  Rest  des  Ver- 
zeichnisses von  194  bis  247  bestand  aus  Bruchsttteken  und  £r- 
gänzungsscheiben.  Diese  werthvoUe  Sauunlung  wurde  in  alle  Welt 
zerstreut,  nur  von  einzelnen  Stücken  lässt  sich  jetzt  noch  der  spätere 
Verbleib  bestimmt  feststellen.  Herr  v.  Zwierlein  hat  auch  hier 
seinen  traffliehen  Kuustgeschmack  bewährt,  indem  er  wohl  das  Kost- 
barste erwarb  und  so  erhielt.  Was  damals  für  Oeisenbeim  erworben 
wurde,  lässt  sich  durch  den  handschriftlich  mit  Bemerkungen  ver- 
sehenen Hirn 'sehen  Katalog  (bei  den  Akten  zu  Geisenheim)  leicht 
feststellen.  Gesteigert  wurden  Nr.  112  des  Geisenheimer  Katalogs : 
Engel  mit  zwei  Wappen  (=  Nr.  31  des  Hirn' sehen  Katalogs). 
Dabei  bemerkt  der  letztgenannte  Katalog,  dass  drei  fehlende  oder 
falsch  ergänzte  Stellen  sich  an  dem  Bilde  befinden,  welche  Angabe 
sich  bewahrheitet.  Erworben  ward  ferner  Nr.  36  des  Kölner  oder 
Nr.  147  des  Geisenheimer  Katalogs,  wobei  bemerkt,  dass  20  fehlende 
oder  falsch  ergänzte  Stellen  zu  verzeichnen.  Aus  der  Hirn 'sehen 
Sammlung  stammt  auch  ein  Theil  der  Geisenheimer  Bernhardus- 
Scheiben,  welche  früher  die  Kirche  zu  Altenberg  zierten.  Nr.  51 
des  Kölner  Katalogs  entspricht  Nr.  120  des  Geisenheimer  Katalogs 
und  befand  sich  ehedem  ebenfalls  zu  Altenberg.  Der  Kölner  Kata- 
log gibt  sogar  das  in  der  Unterschrift  fehlende  Stück  als  nicht  vor- 
handen an,  was  die  Identität  augenfällig  nachweist.  Nr.  56  des 
Kölner    Katalog    acht    Figuren    mit    fünf  Defecten   ist  Nr,    116 


Die  Freiherrlich  v.  Zwlerleln*8che  Sammlung  von  Glasmalereien  etc.  299 

des  Geisenhehner  Katalogs.  Die  Geiselnng  Christi  Nr.  15  des  Kölner 
Katalogs  kostete  10  Tbaler  16  Sgr.,  Nr.  21:  Christus  vor  Pilatus 
6  Thlr.  1  Sgr.,  Nr.  31 :  Engel  mit  Wappen  25  Tblr.  8  Sgr.,  Nr.  36: 
Kreuztragung  Christi  144  Thlr.  15  Sgr.,  Nr.  51 :  hl.  Bernhard  auf 
der  Reise  von  einer  Wittwe  gespeist  und  versucht  11  Thaler, 
Nr.  56:  Bernhard  auf  dem  Konzil  zu  Pisa  26  Thlr.  6  Sgr.,  Nr.  132: 
Tobiasnacht  4  Thlr.,  Nr.  128:  Apostel  Petros  6  Thlr.  16  Sgr., 
Nr.  139:  Apostel  Mathias  5  Thlr.  2  Sgr.,  drei  Stücke  ans  Nr.  159 
kosteten  10  Thlr.  25  Sgr..  aus  Nr.  164  zwei  Sttlcke  15  Thlr.  Die 
fttr  Geisenheim  aus  der  Hirn' sehen  Sammlung  erworbenen  Glas- 
malereien kosteten  zusammen  277  Thlr.  6  Sgr.,  wozu  noch  10®/o 
Zuschlagsgebühr  mit  13  Thlr.  6  Sgr.,  Vergütung  an  den  Baumeister 
Weiser  als  Kommissionär  wegen  Nr.  36  10  Thlr.  kamen  und  damit 
die  Gesammtsumme  von  287  Thlr.  5  Sgr.  entstand.  Mit  den  25 
Thalem  10  Sgr.  fttr  die  Reise  des  Rentmeisters  Roth  nach  KOIb 
entstanden  312  Thlr.  15  Sgr.  Kosten.  Die  Rechnung  gibt  nebst 
den  Transportkosten  561  Gulden  45  Kreuzer  an. 

Die  aus  Köln  bei  Dussel,  Geerling  und  Hirn  erworbenen 
Glasmaleraen  sollten  nicht  allein  dem  Kunstgenuss  des  Herrn 
T.  Zwierlein,  sondern  kirchlichem  Gebrauch  dienen.  Da  die  Ge- 
mahlin des  Hans  Carl  v.  Zwierlein:  Marie  von  Gülich  katholisch 
war,  sollte  der  Familienhof  zu  Geisenheim  eine  Hauskapelle  er- 
halten und  diese  die  erworbenen  Gemälde  aufnehmen.  Ein  grosser 
Saal  ward  zur  Kapelle  zwar  umgebaut,  auch  die  Gemälde  fanden 
in  den  hergerichteten  Spitzbogenfenstem  ihren  Platz,  aus  der  Ein- 
richtung der  Kapelle  ward  aber  nichts.  Die  Einsetzung  der  Fenster 
geschah  im  Mai  und  Juni  1827  und  kostete  526  Gulden  4  Kreuzer. 
Als  Gesammtpreis  der  nach  Geisenheim  gelangten  Glasmalereien 
stellte  sich  die  Summe  von  634  +  1266  Gulden  20  Kreuzer  +  651 
Gulden  45  Kreuzer  heraus,  was  mit  dem  Einsetzen  3090  Gulden 
57  Kreuzer  ausmachte. 

Die  Pfarrkirche  zu  Lorch  a.  Rhein  besass  eine  Anzahl  ge- 
brannter Fenster,  welche  Herr  v.  Zwierlein  1820  von  dem  Kirchen- 
vorstande  erkaufte.  Am  31.  Mai  1820  schrieb  Johann  Travers 
(aus  Lorch)  von  Winkel  a.  Rhein  aus,  der  Kirchenvorstand  zu 
Lorch  wolle  die  Kirchenfenster  alle  abgeben  und  die  drei  Carolin 
Gewinn  für  Vorhänge  an  jene  Fenster,  woselbst  Beichtstühle  stän- 
den, verwenden,  um  das  anmuthige  und  vertrauliche  Dunkel  dort 
zu  erhalten.    Auch  die  Fenster  in  dem  Steinmasswerke  und  in  den 


300  F.  W.  E.  Both: 

Kleeblättern  ständen  zur  Verfttgnng  nnd  konnten  die  Stellen  mit 
weissem  Glas  ersetzt  werden.  Der  Kirehenvorstand  sehe  von  ge- 
zogenem sowie  sechseckigem  Lohrer  Glas  ab,  wodurch  sich  die 
Kosten  25  Gulden  30  Kreuzer  billiger  stellten.  Am  8.  Jani  1820 
bescheinigte  Jacob  Altenkireh  junior  33  Gulden  durch  den  Bedien- 
ten Weisel  von  Assmannshausen  für  die  Scheiben  von  Herrn 
V.  Zwierlein  erhalten  zu  haben.  Diese  Scheiben  stammten  möglicher- 
weise aus  der  Lorcher  Kirche,  aber  ebenso  gut  könnte  Privatbesitz 
angenommen  werden.  Ihre  Stelle  mit  weissem  Glas  zu  ersetzen, 
kostete  9  Gulden  30  Kreuzer.  Bestinmit  Lorcher  Kirchenfenster 
waren  es  aber,  welche  für  10  Gulden  48  Kreuzer  nach  Geisenheim 
wanderten;  ihr  Ersatz  mit  weissem  Glas  kostete  15  Golden.  — 
Aus'm  Werth  unterschätzte  den  Werth  dieser  Lorcher  Fenster.  Bis 
jetzt  lassen  sich  folgende  Nummern  des  Geisenheimer  Katalogs  als 
aus  Loreh  stammend  nachweisen.  Es  sind  dieses  Nr.  37  (Wappen- 
schild mit  dem  Mainzer  Rad),  Nr.  52,  72,  121  nnd  128  (mit  drei 
Heppen  im  Schilde  als  Wappen  der  Heppen  von  Heppenheft,  eines 
zu  Lorch  angesessenen  Adelsgeschlechts) '). 

Malten,  Rheinreise  1849  ist  jedenfalls  im  Irrthume,  wenn 
er  angibt,  es  seien  damals  noch  mehrere  schöne  Glasgemälde  zu 
Loreh  auf  der  Ostseite  der  Kirche  vorhanden  gewesen,  die  besten 
deraelben  wären  nach  Geisenheim  gekommen.  Diese  Scheiben  sind 
heute  noch  zu  Lorch  vorhanden.  Mit  mehr  Recht  gibt  Lotz  an, 
Pfarrer  Geiger  von  Lorch  habe  1819  die  Fenster  des  Chors  und 
des  Hauptschiffs  mit  den  Wappen  des  Loreher  Adels  entfernt').  Diese« 
könnten  die  nach  Geisenheim  gelangten  Scheiben  sein,  die  Jahres- 
zahl wäre  nur  zu  ftühe  angesetzt. 

Auch  aus  Assmannshausen,  unterhalb  Rttdesheim  a.  Rhein,  er- 
warb Herr  v.  Zwierlein  gebrannte  Glasfenster.     Aus'm  Werth 

1)  Die  Glaserrechnung  des  Peter  Josef  Stork»  Lorch  lOten  Juni 
1820  sagt:  „Erstlich  bei  Jakob  Altenkirch  zu  Lorch  die  geroahlte  Schei- 
ben aiiss  den  Fenster  aussgebrochen  und  stad  diesen  geniahlde  mit  Neu 
Glass  und  Blei  wieder  Ersetz  laud  akord  9  Gulden,  Stens  In  der  Kirch 
zu  Lorch  2  Gemahlto  Fligell  auss^ebrochen  und  aus  10  Stück  Klebläter 
die  2  Fligell  wider  hergestellt  und  gemacht  und  die  10  Stück  Klebläter 
mit  Lohrer  Glass  wieder  neu  gemacht  laud  Akord  14  fl.  3tens  Ein  roth 
getnahltes  Klcblat  aussgebrochen  und  eine  Kunde  Scheib  das  Kleblat  und 
die  Scheib  wider  neu  zu  machen  1  Gulden  30  Kreuzer.  In  Summa  24 
Gulden  30  Kreuzer." 

2)  Lotz,  Baudenkmäler  Nassau's  S.  306. 


Die  Preiherrlich  v.  Zwierlein'sche  SammlUDg^  von  Glasmalereien  etc.    801 

erwähnt  solche  nicht.  Am  25.  April  1820  veräusserte  Pfarrer  KraflFt 
zu  Assmannshausen  die  Fenster  dieser  Kirche  mit  Genehmigung  des 
Kirchenvorstandes  und  des  Nassauischen  Amts  gegen  Ersatz  mit 
weissem  Glas  und  bat  zugleich  um  einen  Beitrag  zur  Ausweissung 
„der  hiesigen  ganz  armen  Kirche".  Die  Fenster  zu  Assmannshau- 
sen kosteten  16  Gulden  12  Kreuzer.  Welche  Nummern  des  Geisen- 
heimer  Katalogs  aus  Assmannshausen  stammten,  steht  nicht  fest. 
—  HeiT  V.  Zwierlein  kaufte  auch  in  Freiburg  (Baden)  und  Solo- 
thum.  Darüber  sagt  er  in  seinen  Aufzeichnungen:  „Im  Sept.  1828 
kaufte  ich  zu  Solothum  23  Stück  alte  Glasmahlereien,  worunter 
mehrere  defect  aber  auch  viele  sehr  guth,  för  224  Frank  oder  101 
Gulden  38  Kreuzer.  Im  Sept.  1828  kaufte  ich  zu  Freiburg  im 
Breisgau  bei  den  Gebrüdem  Heimle  von  ihren  neuen  Glasmalereyen 

a)  eine  Madonna  mit  dem  Christus  Kinde, 

b)  einen  Johannes, 

Für  beide  Stücke  zusammen  bezahlte  ich  95  Gulden."  Am 
9.  October  1828  sandten  Gebrüder  Heimle  zu  Freiburg  beide  Fenster 
ab  und  am  9.  September  1828  quittirte  Jean  Brunncr  secretaire  a 
la  chancellerie  de  Soleure  über  erhaltene  234  Francs.  Die  Auf- 
zeichnungen sprechen  auch  von  einem  Ankaufe  1825  (zu  Solo- 
thum?): n April  1825  kaufte  ich  von  Herrn  Schreiber  aus  Basel 
bei  seiner  Durchreise  3  Stücke: 

a)  die  schwörenden  Schweizer, 

b)  die  Jungfrau  mit  dem  Christuakinde   und  einem  biscbof 
(das  Wappen  ein  Eichhörnchen  und  2  Adler), 

c)  die  Jungfrau   mit  dem  Christuskinde   und  einem  Geist- 
lichen (von  Hans  Jacob  Mensüger  gestiftet). 

Für  selbige  drei  Stücke  zahlte  ich  60  Gulden.''  Gerade  diese 
kleinen  in  der  Schweiz  erworbenen  Scheiben  bildeten  mit  das  Inter- 
essanteste der  Greisenheimer  Sammlung. 

Excurg. 
In  Vorstehendem  ist  die  reiche  Sammlung  vön  Glasmalereien 
zu  Geisenheim  nach  ihrem  Ursprung  besprochen,  es  dürfte  aber  als 
Excurs  des  Themas  am  Platze  sein,  die  Schritte  des  Sammlers  Hans 
Carl  V.  Zwierlein  zu  besprechen,  welche  zu  keiner  Bereicherung 
der  Sammlung  führten,  aber  kunstgeschichtliches  Interesse  bieten. 
T,  Zwierlein   suchte   überall    nach    alten   gemalten   Glasscheiben. 


802  P.  W.  E.  ßothi 

Sein  Verwalter  Krauss  zu  Wetzlar  sehrieb  ihm  am  9.  December 
1819:  „Wegen  der  Glasmalereien  habe  ich  mich  heute  erkundigt, 
allerdings  sind  noch  mehrere  sehr  wohl  erhaltene  vorhanden,  und 
wäre  mir  von  Ew.  Hochwohlgebohren  nur  14  Tage  früher  hierüber 
ein  Wunsch  geäussert  worden,  so  würde  ich  im  Stande  gewesen 
seyn,  ihn  zu  erfüllen,  allein  seitdem  wurde  auf  Befehl  der  Königl. 
Regierung  im  Kloster  ein  Inventar  errichtet,  und  auch  die  Glas- 
malereien verzeichnet,  und  ein  Verkauf  derselben  durch  die  Franzis- 
kaner ist  daher  nicht  mehr  ausführbar.  Dagegen  sagte  mir  eine  in 
Schwaben  sehr  wohl  bekannte  Pereon,  dass  man  dort  in  Klöstern 
noch  viele  Glasmalereien  finde  und  deren  Erhaltung  nicht  schwer 
werden  dürfte."    (Wetzlar,  9.  December  1819.     Orig.-Schreiben.) 

Die  Wilhelmiterkirche  oder  das  spätere  Spital  zu  Limburg 
a.  d.  Lahn  besitzt  in  dem  östlichen  Chorfenster  mit  zwei  Pfosten 
und  reichem  Masswerk  eine  Reihe  Darstellungen  aus  dem  apostoli- 
schen Glaubensbekenntniss  in  ziemlich  derbijr  Ausführung  des  XIV. 
Jahrhunderts^).  Ebenso  befinden  sich  in  der  Kirche  zu  Kirberg, 
Amts  Limburg,  spätgothische  sehr  durcheinandergeworfene  Reste  vcm 
Glasmalereien :  Christus  am  Kreuze,  Maria  und  Joliannes,  sowie  die 
Gregoriusmesse  in  zwei  Darstellungen*).  Auf  diese  Scheiben  war 
v.  Zwierlein  aufmerksam  geworden  und  suchte  solche  zu  erwer- 
ben. Für  erstere  bot  er  88,  für  letztere  44  Gulden.  Jnstizrath 
Grüsing  zu  Limburg  schrieb  am  28.  Juni  1823  an  v.  Zwierlein, 
er  wolle  ihm  demnächst  den  Entschluss  der  Amtsarmeneommission 
und  des  Hospitalprovisoriuras  zu  Limburg  wegen  des  Ankaufs  mit- 
theilen. Da  sich  dieses  verzögerte,  wurde  t*  Zwierlein  unge- 
duldig und  mahnte  ain  20.  Juli  1823  wegen  des  Entscheids,  sonst 
nehme  er  sein  Gebot  zurück.  Am  25.  August  1823  antwortete 
Grüsing,  die  Nassauische  Regierung  habe  beide  Verkäufe  abge- 
lehnt. Auf  v.  Zwierlein 's  Schreiben  vom  16.  October  1823  er- 
folgte am  23.  October  die  Antwort,  die  Hospitalverwaltung  habe 
den  Verkauf  auch  einem  Coblenzer  Herrn  gegenüber  abgelehnt.  Da 
das  herzogliche  Amt  zu  Limburg  den  Verkauf  genehmigt,  bestand 
V.  Zwierlein  auf  demselben.  Nach  langen  Schreibereien  lehnte 
der  Herzog  am  10.  April  1824  die  Sache  ab. 

Ebenso  wenig  glücklich  war  v.  Zwierlein  zu  Partenheim  in 
Rheinhessem    Dort  hatte  am  2.  August  1819  PfaiTer  Hacker   mit 

1)  L  0 1  z  a.  a.  0.  S  295. 
8;  Ebenda  S.  268. 


Die  Freiherrlich  v.  Zwierlein'sche  Sammlung  von  Glasmalereien  etc.    303 

dem  Kirchenvorstand  die  gemalten  Chorfenster  gegen  Ersatz  mit 
weissem  Glass  abgegeben.  Die  hessische  Regierung  gebot  durch 
den  Bürgermeister  zu  Parteuheim  Einhalt  gegen  den  Verkauf^  da 
solche  Kunstdenkmäler  nach  der  grossh.  Verordnung  vom  17.  März 
1818  nicht  verkauft  werden  dürften.  Der  Kirchen  vorstand  bestand 
auf  dem  Verkauf,  v.  Zwierlcin  wandte  sich  an  die  Daruistädter 
Regierung,  die  Fenster  seien  Stiftung  des  Orts-  und  Patronatsherrn 
des  Herrn  v.  Wallbrunn,  seines  Verwandten.  (23.  August  1819.) 
Am  14.  September  1819  beanspruchte  das  Oberbaucolleg  die  Fenster 
für  das  grossh.  Museum  und  wollte  dem  v.  Zwierlcin  die  bereits 
gefertigten  neuen  Fenster  vergüten.  Alle  Vermittelungsvereuche  des 
Bauraths  Möller,  selbst  ein  Bittschreiben  an  den  Orossherzog  vom 
28.  September  1819,  wenigstens  eine  Auswahl  der  Fenster  als  Er- 
innerung an  deren  Stifter  zu  erhalten,  war  umsonst,  es  wurde  dann 
aber  am  26.  October  1819  die  unentgeltliche  Abgabe  solcher  Schei- 
ben, die  fllr  das  Museum  werthlos,  bewilligt.  Trotzdem  fanden 
Qallerieinspeetor  Müller  und  Baurath  Moller  alle  Fenster  für  das 
Museum  geeignet,  was  v,  Lichtenberg  am  6.  März  1820  dem 
Herrn  v.  Zwierlcin  mittbeilte.  Am  25.  Mai  1820  wurd^  die 
alten  Fenster  beseitigt.  Schleiermac  her  in  Daimstadt  erkläi'te 
dieses  am  29.  März  1820  für  Irrthnm.  Museumsdiener  Walther  hatte 
aber  alle  Fenster  nach  Darmstadt  verbracht  Man  legte  in  dieser 
peinlichen  Verlegenheit  die  Sache  so  aus,  als  habe  v.  Zwierlein 
dem  Grossherzog  die  Fenster  für  das  Museum  überlassen  (16.  Mai 
1820),  wogegen  derselbe  am  25.  Mai  1820  von  Partenheim  aus  Ein- 
sprache erhob.  Damit  endete  diese  Verkaufsangelegenheit,  die  Par- 
tenheimer  Fenster  befinden  sich  zu  Darmstadt  im  Museum. 


10.  Meister  Eisenhuth. 

Von 
J.  B.  Nordhoff. 

VIP). 
Ich  bin  es  den  verehrlichen  Alterthumsfreunden  und  meinen 
günstigen  Lesern  schuldig,  die  seitherigen  Mittheilungen  über  den 
berühmten  Künstler  Eisenhuth  noch  um  einige  Zusätze  und  Nach- 
träge, wie  sie  neue  Funde  und  Literatur  an  die  Hand  geben,  zu 
erweitern.  Das  von  ihm  in  Kupfer  gestochene  Portrait  des  Pader- 
bomer  Bisehofs  Theodor  von  Fürstenberg,  welches  schon 
1826  bekannt  war*),  hat  sich  nunmehr  zu  Coesfeld  im  Privatbesitze 
des  Herrn  C.  Freund  in  einem  Exemplare  wiedergefunden')  —  im 
Ganzen  ein  vergrössertes  Gegenstück  von  des  Meisters  Portrait  des 
L.  Schrader  aus  dem  J.  1689*).  Das  Blatt,  dem  die  R&nder  fehlen, 
hält  in  der  Breite  SS*/»  cm,  in  der  Höhe  32  cm,  das  mittlere  Oval 
mit  dem  Bildnisse  ebenso  18  cm  und  mit  der  in  dasselbe  herab- 
hangenden Lünettenzier  20  cm.  Der  Bischof  ist  auf  einem  ge- 
musterten Teppich  dargestellt  als  Bruststück  ohne  ünteranne  mit 
Pelzmantel    und  Halskrause,    das  Haupt  mit  dem  Barette  bedeckt^ 


1)  Vgl.  Bonner  Jahrbücher  87,  118-84,  169;  82,  136. 

2)  Vgl.  Bonner  Jahrb.  H.  67,  139.  Vgl.  dagegen  Phi.  Bouttat's  Stich. 

3)  Jetzt  Eigenthum  des  Westfälischen  Kunstvereins. 

4)  Jahrbücher  82,  136  if.  Für  die  Wohlhäbigkeit  der  Ahnen  des 
Meisters  spricht  vielleicht  auch  folgende  Urkunde  des  Staats- Archivs  zu 
Münster,  Corvei  Lehen  679a  I  fol.  10:  Wilhelm  von  Haxthausen,  Propst 
to  dem  Rode  bei  Corvei,  belehnt  Johan  Lovelman,  Bürger  zu  Warburg 
1465  ^Vi2  niit  zwei  Hufen  Landes  vor  Warburg  zum  Behufe  Metten  Bren- 
dekens,  Tochter  des  Berthold,  seiner  Hausfrau,  der  Metten  Isernhod, 
des  Berthold  Brendekens  Schwester  und  der  Metten,  Tochter  des  verstor- 
benen Heinrich  Brendekens. 


Meister  Eisenhuth.  M 

die  Brust  mit  zwei  Ketten,  die  untere  Kette  behangen  mit  dem  Kreuze. 
Das  Antlitz  wendet  sich  naeh  links,  streng  und  ernst  für  das  da- 
malige Alter  des  Verbildlichten,  das  volle  Haar  ist  kurz,  Knebelbart 
und  Kinnhaar  klein,  der  Schnurrbart  voll.  An  der  untern  Seite  des 
Ovals  führt  ein  mit  Engclkopf  und  Blattwerk  belegtes  Viereck,  dessen 
obere  Ecken  als  Voluten  ausbiegen,  die  Inschrift:  D,  G.  Theödorus 
a  Furstenbergh  Ecclesiae  Pa  \  derbornensia  Episcopus  S:Ry  Im- 
perij  Prin  \  ceps  Etatis  44  <&  6  Mensinm  *^  1692,  Von  ihm  bis 
zum  unteren  Blattrande  zieht  sich  meist  in  schöner  Perspective  die 
eben  ausgebaute*)  Residenz  Neuhaus*),  ihre  Gartenanlagen  und 
wirthschaftlichen  Gebäude;  darunter  steht:  Anthonius  Eisenhoidt 
Warburgensis  Westphalus  Aurifex  fecit.  1692.  \  —  üeber  dem 
Hauptfelde  prangt  das  seitlich  von  Blindflügeln  und  Fruchtgehängen 
eingefasste  ovale  Wappen  Fürstenberg  unten  mit  Blatt-  und  Frucht- 
schnüren, oben  mit  denselben  Helmzierden  (Kreuz,  Mitra  und  den 
beiden  Reiherfedem)  ausgestattet  wie  des  Bischofs  Bibliothekszeichen 
von  1603 ')  und  der  hier  (H.  82,  140)  besprochene  Metallschnitt  eines 
Buches  von  1592.  Die  Herleitung  des  letzteren  von  Eisenhuth  ist  somit 
gerechtfertigt.  —  Die  freien  Seiten  des  Kupferstiches  füllen  die 
bischöflichen  Ahneuzeichen  und  zwar  beiderseits  von  unten  nach 
oben  verfolgt  (links)  Galen  —  (rechts)  Rede,  Bodelschwing  —  Her- 
tinghausen, Hoberg  —  Bock  zu  Palsterkamp,  Recke  —  Qwemheim, 
Ermelen  —  Nesselrott,  Galen  —  Papenheim,  Plettenbergh  —  Hoi-de, 
Furstenbergh  —  Westphal.  —  Die  Zwickel  unter  dem  Hauptbilde 
neben  dem  Schriftschilde  verziert  links  die  Misericordia:  ein  be- 
flügelter Genius  mit  erhobenen  Augen  hält  das  umgekehrte  Schwert 
und  im  Schilde  ein  freudestrahlendes  Angesicht «)  mit  dem  Blicke 
nach  oben;  —  rechts  die  Justitia^):  derselbe  Genius  richtet  hier 
das  Schwert  und  den  Blick  auf  den  Boden  und  zeigt  im  Schilde 
die  Waage.  Der  Schild  nimmt  jedes  Mal  die  Form  einer  Cartoucbe 
an.  —  üeber  dem  Hauptbilde  liegen,  den  b^den  unteren  Allegorien 
entsprechend,  links  die  Parcimonia  mit  einem  Schlosse  und  Schlüssel- 


1)  G.  Pauli,  Die  Renaissancebauten  Bremens  1890  S.  70. 

2)  Vgl.  damit   die  Ansicht  bei  Merian,   Topographia  Westphaliae 
zu  p.  88. 

3)  Bei  J.  Lessing,  Silberarbeiten   von  A. Eiscnhoit  s.  a.  Bl.  Ib. 

4)  Conf.  Psalm.  30,  7;  39,  10;  58,  17;  Eccli.  35,  25;  51,  37. 

5)  Misericordia  et  Justitiar    Prov.  21,  3;  21,  21. 

Jahrb.  d.  Vcr.  v.  Alterthsfr.  im  Rhcinl,  XCVI.  20 


SM  J.  fi.  Nordhoffs 

bnnde^  rechts  die  Liberalitas  mit  einem  Pokale  tind  einer  Kanne, 
jede  nach  aussen  gewandt  und  von  drei  Genien  umspielt.  Von  die- 
sen handhabt  der  auswärtige  auf  Pareinionia's  Seite  den  Hirtenstab, 
sein  Gegenfdssler  auf  Liberalitas'  Seite  das  Schwert.  Alle  Genien 
des  Bildes  sind  nackt,  die  Parcimonia  und  Liberalitas  aber  bis  auf 
einen  kleinen  Theil  der  Brust  mit  Kleidern  umhüllt  mächtige  hoch- 
gegürtete Weibsbilder  mit  riesigem  Unterkörper,  langen  Beineu  und 
geäugelter  Gewandung.  Diese  sowie  die  kurzen  ünterbeine  der  Ge- 
nien erinnern  wieder^)  zumeist  an  Aldegrever,  dessen  Stiche  auf 
den  Warburger  Meister  den  nachhaltigsten  Einfluss  gehabt  haben. 
Die  wechselvolle  Anordnung  des  Bildlichen,  des  Beiwerks 
und  des  Ornaments,  die  weiche  Behandlung  der  Halskrausen  und 
des  Pelzwerks,  die  gothisircnden  Blattarabesken,  welche  zumal  auf 
den  Rändern  als  Helmzier  um  die  Wappen  ranken,  verleihen  dem 
Bilde  den  Schein  des  Lebhaften  und  Malerischen,  welches  durch 
die  zarte  Technik  der  Meisterhand  und  den  gelblichen  Grundtou 
noch  wesentlich  veretärkt  wird.  Nur  das  Antlitz  zeigt  einen  trock- 
nen in  einzelnen  Zügen  stumpfen  und  daher  auch  müden  oder 
strengen  Ausdruck,  als  wäre  die  Mitte  der  Platte,  noch  bevor  unser 
Bild  davon  genommen  war,  häufiger  abgedruckt  worden,  als  die 
Randpartien.  Die  Ktlnstler-Inschrift  erlangt  hier  einen  besondern  Werth, 
weil,  was  sonst  nur  einmal  ^)  in  allen  Berichten  geschieht,  £  i  s  e  n  - 
huth  hierund  zwar  von  seiner  eigenen  Hand,  als  Goldschmied ') 
charakterisirt  wird.  —  1891  erschienen  aus  der  Feder  des  Gymnasial- 
Directors  J.  Hense  zu  Warburg  ^)  eine  ausführliche  Beschreiboug 
des  uns  bereits  bekannten^)  Warburger  Schützenschildes  mit  der 
Vorder-  und  Rückseite  in  Lichtdruck  und  ein  paar  kleinere  Mitthei- 
Inngen  aus  dem  Stadtarchive  über  die  Verzweigung  der  längst  aus- 
gestorbenen Familie  Eisenhwth  in  der  dortigen  Alt-  und  Neustadt. 
Die  Altstadt  wird  als  der  Wohnsitz  unseres  Künstlers  bezeichnet 
und  zwar  nach  dem  an  einem  Hanse  gefundenen  Sturmhute  von 
1526,    welcher   schon   früher    zum   Jahre  1524    unser   Augenmerk 


1)  Vgl.  B.  Jahrb.  H.  82,  141;  84,  172. 

2)  Lessing  a.  a.  0.  S.  6. 

3)  ücber  aiirifex    -  aurifaber.    W.  Wackernagel,  Deutsche  Glas- 
malerei 1855,  S.  135. 

4)  Jahresbericht  über  das  dortige  Gymnasium  1891,  S,  7. 

5)  B.  Jahrbb.  77,  148. 


Meister  fiisenhtith.  8Öt 

Erregt  hat^),  die  jetzige  Bernlmrdi-  (früher  Wullenweber-)  Strasse; 
die  Niederlassung  in  Warburg  oder  die  Heimkehr  von  Italien  soll 
schon  1581  erfolgt  sein,  weil  nun  in  einein  Schriftstücke  ein  Thonius 
Iserafaodt  als  Zinspflichtiger  des  Cyriakus-Hospitals  verzeichnet  steht; 
ein  anderes  Blatt  trägt  den  Vermerk:  „Auszug  aus  der  Camerarii 
Bernd  Ortwein  und  Anthon  Isernhots  Register  de  1603".  Eine  ein- 
gehende Erörterung  über  den  Schtttzenschild  führt  Hense  zu  der 
Erklärung,  dass  dei-selbe  ohne  Zweifel  für  eine  Arbeit  Eisenhuths  zu 
halten  sei;  mich  dagegen  bestimmen  erneute  Erwägungen,  gewisse 
Elemente  der  Decoration,  den  Adler,  die  beflügelten  Putten,  die 
Maskarons,  Köpfe  und  Halbmenschen  des  Kleinods  —  so  wurde  der 
Schild  schon  1591  in  einem  Schätzenbriefe  genannt  —  als  Zeich- 
nungen des  Meisters  oder  als  Abglanz  seiner  Werke  zuzugeben. 
Das  Lineare  des  Kernstückes,  manches  Ungelenke  in  Gontouren  und 
Stilformen,  also  Gesammt-Composition  und  Ausführung  weisen  eher 
auf  einen  a  n  d  e  r  n  Metallküustler.  Denn  selbst  während  derEisen- 
huthschen  Schafl'ensjahre  und  um  dieselben  herum  war  ja  bekannt- 
lich in  den  grossen  Städten  Westfalens  und  wie  nachfolgende  An- 
gaben beweisen,  sogar  in  mehreren  Kleinstädten  an  Goldschniieden 
kein  Mangel.  So  werden  bekannt  (nach  Ahlemeyer,  Rathsprotokolle) 
1553  der  Goldschmied  Bore  hart  Wolff  in  dem  blühenden  2) 
War  bürg,  1595  Peter  Losse,  1595/98  Christoph  D rau- 
ber, 1599  Peter  Busch  zu  Bielefeld,  1601  Casper 
Höxer  aus  Wildungen,  1604  Henning  Hans,  1610/16  die 
Brüder  Casper  und  Melchior  Kohl  zu  Blomberg  als 
Münzmeister   in  Lippischen ^),    (1565   und)    1572   Jasper  Over- 

1)  B.  Jahrbb.  84,  171. 

2)  1587  vollendete  zu  Osnabrück  der  Vicar  Jost  Bodeker  aus  Warburg 
wie  im  Wetteifer  mit  seinem  einstigen  Mitbürger  Eisenliuth  ein  grossartiges 
Uhrwerk  für  die  dortige  Domkirche  und  bereicherte  dasselbe  mit  dem  ersten 
bekannten  Centrifugalpendel  in  vollkommenster  Gestalt  (H.  Veitmann,  Osna- 
brückische Mittheilungen  XV,  232  fF.).  Bodeker  hat  damit  wohl  auf  den 
Casseler  Hofuhrmacher  (seit  1579)  Burg-i  eingewirkt  viclleich  durch  Ver- 
mittelung  Eisenhuth's,  welcher  ja  ßurgi's  Freund  und  Günstling  war. 
Bonner  Jahrbb.  84, 170  Lessing  S.  8.  Aus  Warburg,  wo  1278  ein  Glocken-, 
giesser  thätig  war  (Prüfer's  Archiv  (1884)  VIII,  82),  stammte  Hinrik  Scheg- 
hest,  welcher  1467  einen  Springbrunnen  für  Loccum  goss.  Mithoff,  Künst- 
ler u.  Werkmeister  A^  S.  283. 

3)  Loitzmann  in  der  Numismatischen  Zeitung  (1864)  XXX,  181. 
Ueber  Münzmeister  als  Goldschmiede,  vgl.  z.  B.  Hüllmann,  Stftdtewesen 
des  Mittelalters.  II,  21.    Augsb.  Allgemeine  Zeitung  1878  Nr.  82  ff. 


808  3.  fi.  Kordhoff: 

lacker  zu  Coesfeld*),  1568  Heinrich  Sigcnhirt  zugleich 
Chronist  zu  Höxter*),  1570  Johan  Schichtebrede  zu 
Warendorf»),  1574  Johan  von  der  Borch  zu  Geseke*) 
und  CortLersse  zu  Ahaus,  1576 — 1602  Johan  van  Dut- 
then  zu  Rheine*),  zu  Unna  1602  der  Goldschmied  Gerhard 
von  Olpe^),  zu  Höxter  wiederum  1604  der  Goldschmied  Lud- 
wig Fuchs'),  zu  Lichtenau  gleichzeitig  Otto  Meier,  von 
dem  sogleich  noch  besonders  gehandelt  wird,  zu  Bill  erbeck  1614 
ein  Goldschmied  Jobst...^),  zu  Steinfurt  1618  Peter  van 
Essen,  welcher  mit  Berend  Monster  man  zu  Osnabrück 
Pokale  fllr  Tecklenburg  ausführte®),  und  zu  Driugcnbcrg  da- 
mals schon  der  Meister  des  neuen  Liborischreincs  im  Dom  zu 
PadcrboiTi  1627:  Hans  Krako^»),  geboren  1587. 

Was  den  Goldkelch  zu  Herdringen  vom  Jahre  1604  bc- 
triflft,  so  haben  handschriftliche  Entdeckungen^*)  des  Grafen  J.  Asse- 
burg in  den  Tagesnotizen  Caspars  von  Fürstenberg,  die  nämlich 
von  Pieler  ")  nur  ungenügend  verwcrthet  sind,  meine  Ansicht"),  dass 
Eiseuhuth  daran  nur  einen  geringen  Antheil  habe,  bestätigt,  jedoch 
wider  mein  Erwarten  als  Meister  einen  Westfalen  ans  Licht  gebracht. 
Der  kunstreiche,    also  auch    im  Emailliren    bewanderte  Meister  ist 


1)  Staats  -  Archiv.  Execut.  Wilh.  Valcke  f  1572,  Gilden  u.  Zünfte 
13  a,  p.  38. 

2)  Wigand,  Corvey'ßche  Gesch.-Quellen  1841,  S.  09  ff.  185. 

3)  Copienbuch  der  Armen  in  Lamberting  Ms.  fol.  101. 

4)  Fahne,  Bocholtz  1  II  104.    Hofkammer  40. 

5)  Darpe's  Mittheilung  und  Staats- Archiv  Ms.  VII,  801. 

6)  Fahne,  Grafschaft  und  Reichsstadt  Dortmund  I,  213. 

7)  Dessen,  Gesch.  des  Bisthums  Paderborn  II  120. 

8)  Staats-Archiv  Gilden  und  Zünfte  13 a,  p.  54b. 

9)  Staats  -  Archiv.  Teckienburgcr  Acten,  üebor  den  Osnabrücker 
Meister  Monsterman  vgl.  Osnabr.  Mittheilungen  VII,  292.  XV,  350.  Zu 
L  i  p  p  s  t  a  d  t  bestellte  man  für  Haus  Geist  bei  Oelde  1544  einen  Ring 
und  ein  kostbares  Silbergeschirr  beim  Goldschmied  Hans  Ressen  (Staats- 
Arch.  Ms.  VII,  1711)  und  sogar  in  dem  Plätzchen  Wildeshausen, 
sass  c.  1540  ein  Goldschmied  Johan  Wilhelms.    (Staats-Arch.  Oldenburg.) 

10)  Ueber  ihn  und  andere  Metallarbeiter  zu  Dringenberg  vgl.  Mer- 
tens,  Der  h.  Liborius  1873  S.  104  und  B.  Jahrbb.  77,  168. 

11)  Zeitschr.  für  kirchl.  Kunst.  Köln.  I,  378  ff. 

12)  Tagebücher  Caspar's  von  Fürstenberg  1873,  wo  S.  164  auch  ein 
Goldschmied  zu  Meschede  vorkommt. 

13)  B.  Jahrbb.  70,  117. 


Meister  Eisenhnth.  809 

der  oben  schon  erwähnte  Otto  Meier  ans  der  kleinen  Stadt 
Lichtenau  bei  Paderborn.  Es  hat  nämlich  Caspar  dem  Eisenhnth 
1603  einen  Goldkelch  in  Anftrag  gegeben,  ihm  anch  Edelmetall  da- 
für zngestellt  —  allein  der  Tod  riss  den  Meister  schon  am  6.  Decem- 
ber  desselben  Jahres  ans  seiner  glorreichen  Künstlerbahn;  dass  er 
an  dem  Kelche  bereits  etwas  gethan  hatte,  erhellt  daraus,  dass  der 
Stifter,  nachdem  er  von  dessen  Wittwe  das  Gold  zurück  gefordert 
hatte,  ihr  auch  eine  kleine  Summe  auszahlte.  Durch  jene  Tagesnotizen 
wird  also  1603  als  Eisenhnth's  Todesjahr  festgestellt,  nur  leider 
nichts  Näheres  über  seine  Frau  ^)  und  Familie  erbracht.  Ihr  Heraus- 
geber lässt  mit  Grund  die  Eisenhnthschen  Kleinodien  nicht  für  Erb- 
stücke, sondern  für  Geschenke  des  Paderbomer  Bischofs  Theodor 
gelten,  die  er  bei  Lebzeiten  seinem  Stammhause  zugewandt  hätte. 
Bau  wie  Ausstattung  der  Kapelle  auf  dem  Schnellenberge  war  ja 
vom  Bischöfe  Theodor  bis  1600  glücklich  vollendet*). 

Otto  Meier,  der  hiermit  zuerst  in  die  Kunstgeschichte  ein- 
rückt, hat  etwa  ein  Jahr  nach  Eisenhuth's  Tode  den  Goldkelch 
nach  dem  neuen  Fttrstenberger  Sitze  Schnellenberg  befördert,  dort 
auch  Silbersachen  reparirt,  für  die  Schlosskapelle  zwei  silberne 
Kannen  und  für  das  Haus  jedenfalls  noch  andere  Kleinodien  ge- 
fertigt, die  man  nach  der  Stilweise  des  Herdringer  Kelches  be- 
stimmen wird.  Da  er  im  Entwürfe  und  in  der  Technik  ziemlich 
selbständig  dasteht,  kann  er  nicht  einmal  zu  den  Nachahmern  Eiscn- 
hnth's  zählen  und  hat  dieser,  wie  der  vorliegende  Fall  von  Neuem  *) 
lehrt,  keine  Schüler  gehabt  oder  doch  so  weit  gebracht,  dass  sie 
die  besondere  Kunstweise  des  Meister  fortzusetzen  vermochten. 

Die  Adern  des  reichen  Bornes,  woraus  Eisenhuth  seine  Formen 
schöpfte,  entquollen  den  gothischcn  Linienzügen  und  der  realistischen 
Bildncrei*)  seines  Vaterlandes,  weiterhin  der  deutschen  und  zumal 
der  italienischen  Renaissance  und  schliesslich  den  Früherecheinungen 
den  Barocks.  In  mehreren  Kupferportraits  und  in  der  Kusstafel*) 
(Pax)  z.  B.  schliessen  diese  S  t  i  1  a  r  t  e  n  fast  alle  zusammen,  am 
Kreuze    und    Rauchfasse    überwiegt    die  Gothik   dagegen    in    den 


1)  Dass.  70,  113  Nr.  1. 

2)  E.  aus'm  Werth  in  B.  Jahrbb.  72,  108. 

3)  Das.  77,  152. 

4)  Die  mit  der  Gothik  nichts  mehr  zu  thun  hat.    Vgl.  A.  Springer 
in  der  Zeitschrift  für  bildende  Kunst  (1880)  XV,  346. 

5)  B.  Jahrbb.  77,  146;  72,  107  Taf.  VII,  VIII. 


310  J.  B.  Nordhoff: 

Bilberoen  Buchdeckeln  und  Rundbildcben  ^),  am  Weihkeßsel  und 
vorab  am  Kelche  die  Renaissance,  welche  natürlich  den  Grundton 
angibt;  ihr  gehören  nämlich  noch  die  meisten  Ornamente  und  Rah- 
men, die  Putten  und  gerundeten  Knaben,  die  so  elastisch  an  einen 
Wappenrand  geschmiegten  Weibsgestalten ^),  die  im  Mittelmaasse  und 
in  fast  reiner  Gewandung  entworfenen  Kirchenväter  (Buchdeckel) 
und  andererseits  mehrere  aussergewöhnliehe  Körperlängen  ^).  Diese 
mochten  am  Weihwedel  vom  Räume  dictirt  sein,  bei  gewissen  bibli- 
schen, allegorischen,  heiligen  und  Engel-Gestalten  und  besonders  bei 
der  Samariterin  vor  Christus  (Weihkessel)  recken  sie  sieh  so  mäch- 
tig oder  gar  schmächtig,  als  hätten  Aldegrever's  Kupferstiche*) 
darauf  noch  einen  besondern  Druck  ausgeübt,  wie  offenkundig  auf 
die  meisten  Faltenbrüche  •'^).  Sie  halten  auf  den  Buchdeckeln  noch 
Maass,  schweifen  anderawo  ins  Unruhige  oder  wie  bei  der  Liborius- 
figur  (Fax)  und  bei  Christus  am  Brunnen  so  ins  Runzelige  aus, 
als  hätten  sich  noch  italienische  Renaissance  -  Motive  unglücklich 
hineingemischt. 

Abschweifungen  von  der  Natur  oder  Schönheitslinie  offenbaren 
wohl  zumeist  auf  Eingebungen  des  Mittelalters  bei  verschiedenen 
Gestalten    die    vortretenden  Leiber    und    eingezogenen  Gürtel,   so- 


1)  B.  Jahrbb.  77,  147.  Scliöne  kunstreiche  Silbereinbande, 
damals  ein  seltener  Luxus,  wurden  dem  Herzog  Albrecht  von  Baiern 
(t  1579)  für  seine  RaritUtcn-Saunnlung  zum  Kaufe  angeboten  (J.  Janssen, 
Geschichte  des  deutschen  Volkes  VI,  122)  und  vom  Herzoge  Albrecht  von 
Preussen  (1490—1568)  als  Silberbibliothek  erworben  nämlich  14  Folio-, 
4  Quart-  und  2  Octav-Bändeüetzt  in  Königsborg.  Vgl.  Tschak  er  t  in  den 
Publikationen  aus  den  Prcuss.  Staats-Archiven  43,  236),  mit  getriebener, 
mcistcntheils  mit  gravirter  Belebung,  stellenweise  mit  Vergoldung,  Email, 
und  Niello,  gefertigt  von  norddeutschen  Goldschmieden ;  nur  zwei  Silber- 
deckel entfallen  auf  einen  Meister  der  Stadt  Nürnberg,  wo  nach  1550 
kunstreiche  MetallbelHge  grossen  Formats  zuerst  aufkamen.  Vergl« 
Schwenk  e  und  Lange,  Silberbibliothek  des  Herzogs  Albrecht  von 
Preussen  1894  mit  Tafeln. 

2)  Bei  L  es  sing  Taf.  5a. 

3)  Die  italienischen  Einflüsse  B.  Jahrbb.  67,  143;  77,  150  ff. 

4)  B.  Jahrbb.  82,  139—141;  ganz  allgemein  wurde  und  wird  dieser 
Einfluss  verkannt. 

o)  Sowie  auf  den  glatten,  gelblichen  Grundton  der  Ei senhuth 'sehen 
Stiche  und  das  perspectivische  Zurücktreten  der  Architekturen,  z.  B.  unten 
auf  Fürstenbergs  Bildnisse, 


Meister  Eiaenhuth.  811 

dann  auf  südliehe  Anreize  hin  gewisse  Körper-  und  Gliederla^en, 
zumal  die  gespreizte  Stellung  des  Spielbeines^  z.  B.  bei  Moses  im 
Hintergrunde  des  Hohenpriesters  (Buchdeckel),  bei  einigen  Weibs- 
bildern und  selbst  bei  Gottvater,  als  er  die  ersten  Menschen  des 
Paradieses  verweist  ^)  (Crucifix),  endlieh  die  gedunsenen  Wand-  und 
Mundpai*tien  einzelner  Weibsbilder  und  die  kurzen  birnförmigen 
Schienbeine  der  Putten  und  Knaben. 

Im  Reiche  der  Linien  kommen  bereits  zwei  verdächtige  Bild- 
einfassungen zum  Vorscheine:  nämlich  das  schwere  Oval  und  ein 
Langrahmen,  der  sich  an  den  Schmalseiten  nicht  mehr  ohne  Mittel- 
glieder verbinden  will.  AU'  diese  formalen  Mängel  sind  Vorboten 
des  Barockstiles,  baar  der  Schönheit  der  Renaissance  wie  der  wahren 
Charakteristik  des  Spätmittelalters;  sie  bezeichnen  beinahe  so  grell 
wie  die  Stilverhältnisse  unter  den  seither  beachteten  oder  näher 
betrachteten  Schöpfungen  Eisenhnth's  erstaunliche  Unterschiede 
und  Abstände  —  deren  Erklärung  sowohl  in  den  wandelbaren 
Gnlturzuständen  der  Zeit,  als  auch  in  dem  Bildungsgange  und 
der  eigenartigen  Veranlagung  des  Meisters  zu  suchen  ist;  denn 
die  Einzelwerke,  worunter  in  der  einen  oder  andern  Hinsicht  die 
auffälligsten  Gegensätze  hervortreten,  erscheinen,  sofern  sie  nicht 
durch  Inschriften  beglaubigt  sind,  bei  näherer  Prüfung  wieder  durch 
verwandte  Werke  als  Mittelglieder  so  nahe  verbunden,  dass  sie,  der 
Warburger  Schild  etwa  ausgenommen^),  auf  die  Meisterhand  oder 
doch  auf  die  Eingebung  ein-  und  desselben  Künstlers  zurückweisen. 
Die  verschiedenen  Stile  kommen  ja  wohl  alle  an  einem  Werke,  z.  B. 
dem  Crucifixe  und  ebenso  die  Formen,  z.  B.  auf  den  Buchdeckeln, 
zusammen. 

Einzelnes  mag  immerhin  in  dem  formalen  oder  stilistischen 
Bereiche  von  anderen  Händen  herrühren  —  doch  dann  eher  von 
Gehülfen  oder  anderweitigen  Meistern  als  von  Schülern.  Von  die- 
sen verlautet  nie  Etwas;  wie  dagegen  bei  Eisenhuth's  Ableben  0. 
M  e  i  e  r  zu  Lichtenau  den  zweiten  Herdringcr  Kelch  in  Arbeit  nahm  ^), 
so  mögen  schon  früher  benachbarte  oder  entferntere  Kunstgenossen 
auf  Verlangen  dem  Meister  bei  diesem  oder  jenem  Werke  Aushülfe 
geleistet  haben.     Unter  den  Gehülfen  oder  auswärtigen  Meistern  be- 

1)  Bei  Leasing  Taf.  7. 

2)  Siehe  S.  306,  Note  4  u.  5, 

3)  Siehe  S.  309, 


812  J.  B.  Nordhoff: 

fand  sich  jedenfalls  da  nnd  dort  ein  Nachbeter,  wie  jener,  von  wel- 
chem das  Soester  Krenz  ^)  herrührt  Die  Wiederholung  eines  Por- 
traits  oder  eines  (vereinfachten)  Ornaments  im  Holzschnitte,  wie  bei 
dem  Kupferbildnisse  Schrader's  nachzuweisen  war  *),  erfolgte  gewiss 
ohne  Zuthuen  und  Vorwissen  des  Urhebers. 

Eisenhuth's  Wirken  ist  meteorartig,  kurz,  glanzvoll  ohne  er- 
hebliche Nachwirkung.  Und  welcher  Künstler  hätte  ihm  in  der 
mannigfaltigen  Formen-  und  Stilwelt  mit  Glück  zu  folgen  vermocht ! 
Die  Nachwirkung  macht  sich,  soweit  bisher  die  vergleichende 
Forschung  reicht,  nur  vereinzelt  in  den  Kleinkünsten,  so  in  Pothof  *8 
Schilde  der  Münsterischen  Goldschmiede  1613  geltend^),  an  dessen 
Seiten  sich  eine  Weibsgestalt  ähnlich  anschmiegt,  wie  auf  dem 
Eisenhuth'schen  Vorlegeblatte  an  einen  Wappenschild;  bedeutsamer 
erscheint  sie  in  der  monumentalen  Steinplastik.  Wie  Hein- 
rich Gruninger  (Gronier)  zu  Paderborn  die  auf  Wolken  thro- 
nende Gottesmutter  für  ein  Epitaph  *)  —  ebenso  verwerthete  er  nach 
1618  die  kniende  Papstfigur  (beide  auf  den  Silberdeckeln)  für  das 
Grabbildniss  *)  des  Bischofs  Fürstenberg  in  der  dortigen  Domkirche. 
Zu  Münster  wurde  1635/47  an  einem  Epitaph  des  Liebfrauen- 
thuimes  der  Heiland  zwischen  einem  Kriegsknechte  und  dem  Hohen- 
priester so  componirt  und  mit  denselben  langen  Gliedmassen,  wie  die 
Gruppe  am  Knaufe  des  Herdringer  Kreuzes  auftritt,  in  Stein  aus- 
gehauen wahrecheinlich  von  dem  Bildhauer  Johan  Mauriz 
Gröninger;  Gröninger's  Anverwandter  und  Namensgenosse  Gert 
ist  es*),  welcher  schon  um  1630  am  Letmathe- Altare  des  Domes 
ganz  nach  Eisenhuth's  Art  die  Putten,  in  den  Reliefs  die  marki- 
gen Körper   und   Körpertheilc  anbrachte   und   über   die  Beine  die 


1)  B.  Jahrbb.  70,  118  If. 

2)  B.  Jahrbb.  82,  138. 

3)  B.  Jahrbb.  67,  40;  70,  126;  77,  159. 

4)  B.  Jahrbb.  67,  144. 

5)  Und  hiernach  ist  wieder  das  Bilduiss  des  Bischofs  B.  v.  Galen 
(t  1678)  im  Dome  zu  Münster  gearbeitet. 

6)  Heinrich  Gnmin^er  als  Bildhauer  zu  Paderborn,  in  Schriften 
und  Werken  nachzuweisen  von  1589—1631,  ebenso  zu  Münster  Gert  Grönin- 
ger von  1610—1631  und  Joh.  Mauriz  Gröninger  von  1645—1700;  des  letzteren 
Sohn  Johan  Wilhelm  Gröninger  (1681—1729)  errang  mit  der  inviduellen 
Gesichtsbildung,  markigen Musculatur  und  (wohl  kaum  mehr  nach  Eisenhuth- 
schen  Erinnerungen)  mit  zackigen  Gewandfalten  in  der  Bildsäule  und  be- 
sonders im  Relief  gewaltige  Erfolge.     Vgl.  Westd,  Zeitschr.  III,  135, 


Meister  Eisenhuth.  313 

Gewänder  hingoss.  Einst  erinnerte  auch  in  der  Liebfranenkirche 
ein  Alabaster-Relief:  Die  Himmelfahrt  Maria's,  insonderheit  die  star- 
ken nnd  muskulösen  Aposteln,  und  die  Büekenpartie  jenes,  der  im 
Vordergründe  stand,  so  lebhaft  an  das  Mahl  des  jüdischen  Oster* 
lammes  (Buchdeckel),  dass  der  Künstler,  unzweifelhaft  einer  von 
den  beiden  Gröningem,  sich  tief  in  Eisenhuth's  Formenwelt  hinein- 
gedacht haben  muss. 

Erwägt  man,  dass  bei  Lebzeiten  Eisenhuth's  zwischen  ihm  und 
Mitteldeutschland  mehr  als  geschäftliche,  zwischen  ihm  und  den  Nie- 
derlanden  klarweg  künstlerische  Beziehungen^)  bestanden,  so 
nehmen  sich  die  vorgeführten  Nachwirkungen  durchaus  vereinzelt 
und  örtlich  begrenzt  aus.  Dabei  überrascht  aber,  dass  sowohl  jener 
Pothof,  wie  die  Bildhauer  von  Paderborn  und  Münster,  welche  dem 
Warburger  Kunstvorgänger  so  gelehrig  nachschauten,  je  in  ihrer 
Kunst  auf  der  Höhe  standen. 

Es  kümmerten  sie  also  die  formalen  und  stilistischen  Gegen- 
sätze Eisenhuth's  so  wenig,  wie  ihren  Urheber  selbst.  Sie  kommen 
doch  dem  volksthümlichen  Genüsse  kaum  zum  Bewusstsein  unter  der 
Schöne  und  Herrlichkeit,  welche  das  gesammte  Schaffen  des  grossen 
Meisters  umleuchten:  die  unverglciche  Grösse,  Erhabenheit  und  Ma- 
lerei der  Silberdeckel,  die  wunderbare  Gestaltung  gewisser  Figuren 
und  ihre  Anpassung  an  die  Räume,  die  flotte  Composition  der  Grup- 
pen, der  oft  grossartige  FIuss  der  Kleider,  die  reichen  Landschaften*), 
die  elegant  entworfenen  und  gegliederten  Geräthe  und  Kleinwerke, 
die  reiche  Oinamentik  und  Formenwelt,  die  feine  Zeichnung,  die 
fertige  Arbeit,  die  meisterhafte  Technik,  und  die  verschiedenen  mit 
einander  so  leicht  vermählten  Stilarten. 

Wer,  wie  es  seit  dem  Untergänge  des  Rococco  geschiebt,  nicht 
bloss  zur  Schulung,  sondern  als  ernsthafte  Leistung  in  fremden  Stilen 
arbeitet,  hat  keinen  Stil,  nnd  das  Copiren  ^ist  das  letzte  Siegel  des 
künstlerischen  Todes"  ^).  Bei  Eisenhuth  sind  die  Renaissance  und 
das  Bai'ock  ja  so  natürlich,  wie  bei  andern  Meistern,  deren  Wirken 
auf  eine  Culturscheide  stiess,  zwei  Stilarten;  doch  während  bei  die- 
sen in  der  Regel  die  eine  die  andere  verdrängt,  wirken  die  ver- 
schiedenen Stile  bei  Eisenhuth  gleichzeitig,  wenn  auch  nicht  gleich- 

1)  B.  Jahrbb.  70,  114;  77,  150;  82,  139;  84,  196. 

2)  B.  Jahrbb.  84,  172,  175). 

3)  Vgl.  L.  V.  Sybel,  Weltgeschichte  der  Kunst  1888,  S.  369. 


814  J.  B.  Nordhoff: 

massig;  mit  dem  alteu  Realismus  blühte  höchstens  die  Gothik  in  der 
Architektar,  sonst  nirgendwo  in  einem  Knnstzweige  so  frei  nach, 
wie  in  dem  Linienreiche  Eisenhuth's.  Er  denkt  auch  in  den  For- 
men des  späten  Mittelalters,  sonst  hätte  er  sie  an  der  Pax  weit 
voller  gegeben^  und  am  Crucifixe  nicht  förmlich  umgebildet  —  fem 
vom  historischen  Copiren.  Die  Stile  entsprangen  seinem  eigensten 
Empfinden,  Fühlen  und  Können  und  zwar  in  einer  Zahl,  wie  es  bei 
keinem  Künstler  einer  lebendigen  Kunst  stattfand  und  kaum  statt- 
finden konnte. 

Unter  und  innerhalb  der  mannigfaltigen  Schöpfungen  unseres 
grossen  Künstlers  ragen  die  malerischen  Silberbilder,  die  mehrzähli- 
gen  und  gleichzeitigen  Stilformen  in  lebensvoller  ücbuug  wie 
Ruhmestrophäen  auf,  welche  so  vereint  wie  bei  ihm  schwerlich  die 
Bahn  einer  anderen  Grösse  der  Kunstgeschichte  auszeichnen. 


A 1  d  e  g  r  e  V  e  r  -  A  n  1  a  g  e. 

Nachdem  also  jelzt  und  bei  früheren')  Anlässen  Heinrich 
Aldegrever  in  Erinnerung  gebracht  ist,  mögen  noch  einige 
Nachrichten  über  seine  Familie  und  sein  Leben  Platz  finden.  Zu- 
nächst sind  aus  der  Umgegend  seiner  Vaterstadt  Paderborn  an 
^Trippenmakere''*  nachzuweisen  zum  Jahre  1445  ein  Regenhard 
„de  eider"  zu  BrakeP),  zum  Jahre  1480  ein  Lodewich,  Richter  zu 
Salzkotten  ^),  zum  Jahre  1523  ein  Magnus,  Rathsherr  zu  Geseke*). 
War  dieser  Heinrich  verwandt,  so  vermittelte  er  leicht  des  letzte- 
ren früher  erörterte'^)  Verbindung  mit  dem  Geseker  Maler  Gert 
van  Lon. 

Die  in  den  Jahrbüchern  H.  87  S.  135  bcauszugte  Urkunde  von 
1491  vermeldet  von  Hennan  Trippenniaker,  offenbar  dem  Vater 
Heinrichs;  das  kann  ein  Gcriach  Trippenmaker,  der  1492  am  (Casse- 
1er)  Spicringsthore  zu  Paderborn  sein  Wohnhaus  hatte,  nicht  sein; 
denn  es  stand  ihm  damals,   also  längst   vor  Heinrichs  Geburt,    nur 


1)  B.  Jahrbb.  (1886)  H.  82.  141  flF.;  H.  84,  172;  H.  87,  135  Nr.  2. 

2)  Westf.  Zeitschr.  40 II,  149. 

3)  Bonner  Jahrbb.  87,  135. 

4)  Staats-Archiv  Münster.    Bödeken  Urk.  Nr.  243, 

5)  Bonner  Jahrbb.  82,  127, 


Meister  Elsenhuth.  816 

eine  Tochter,  Namens  Katharina,  zur  Seite  *).  An  demselben  Thore 
wurde  1471  der  Krämer  Johan  Trippenmaker  nnd  Neze  seine  Frau 
vom  Domcapitel  mit  einem  Hofe  belehnt  %  und  der  Belehnte  mag*  mit 
Fug  für  Gerlach's,  vielleicht  auch  f ftr  Hermans  Vater  anzusehen  sein. 
Wichtiger  ist  eine  Nachricht  von  1512,  wonach  Heinrich  Geschwister 
hatte;  denn  nun  empfangen  zu  Paderborn  gegen  einen  Goldgulden 
Jahreszins  vor  dem  Vicecurat  Johan  Voslo,  der  z.  Z.  den  Dom- 
kemener  Johan  von  Valkenborch  vertrat,  Haermen  Trippenmaker  und 
Katharina  seine  Ehefrau,  Bürger  zu  Paderborn,  vom  Capitel  zu  Bus- 
dorf für  sich  und  „ere  Kindere**  eine  Summe  Geldes  und  erwerben 
damit  zu  ihrem,  ihrer  Kinder  und  Erben  Nutzen  bei  dem  Minoriten- 
kloster  ein  Haus  vom  Meister  Jacob  Weseman  dem  Gold- 
schmiede^), möglicherweise  demselben,  bei  dem  Heinrich  bald 
in  die  Lehre  trat,  lieber  die  Namen,  Zahl  und  die  Geschicke  sei- 
ner Geschwister  erfahren  wir  nichts  und  die  Literatur  weiss  durch- 
schnittlich von  keinem  andern  Nachkommen  Hermans  etwas,  als 
von  Heinrich,  daher  bis  auf  diesen  Hermanns  Kinder  frtth  verstor- 
ben sein  müssen,  wie  dann  l«54o  allem  Anscheine  nach  unser  Künst- 
ler als  alleiniger  Erbe  des  Vaters  auftritt.  Der  Künstler  führte 
nach  heutiger  Wissenschaft  bestimmt  den  Namen  Heinrich,  nach  der 
früheren  Literatur  jedoch  vereinzelt  den  Namen  Albert,  so  zwar, 
dass  dann  Albert  auch  für  alle  erwiesenen  Arbeiten  Heinrichs  zu 
Buche  stand*);  daneben  kamen  noch  zwei  Ktinfetler  Aldegrever  in 
Rede,  und  in  diesem  Falle  hiess  der  eine  Albert,  der  andere  Hein- 
rich. Der  entschiedenste  Anwalt  für  dies  Künstler-Paar  ist  der 
Kölner  Bibliograph  Hart/heim  %  ein  ebenso  belesener  wie  bis  in  die 
kleinsten  Einzelnheiten  auch  zuverlässiger  Gewährsmann.  Seine  Auf- 
stellung ist  daher  reiflich  zu  prüfen  und  sicher  nicht  aufs  Gradewohl 
über  Bord  zu  werfen;  nach  ihm  theilen  beide  Meister  bis  etwa 
auf  zwei  Jahre  das  Geburtsdatum,  welches  für  Albert  um  1500,  für 
Heinrich  auf  1502  angesetzt  wird,  sie  theilen  den  Wohnsitz  (Soest), 


1)  St.-Archiv  Ms.  Fürstenthum  Padorbom,  Urk.  21öl. 

2)  St.-A.  Ms.  Domcapitel  Paderborn  Nr.  1970. 

3)  St.-A.  Ms.  I,  V22  fol.  135  b.  Nach  einer  Abdiiighofer  Urkunde  gab 
es  1522  auch  einen  Syriacus  Goltsmit. 

4)  So  bei  Sand  rar  t,  beiVasari,  Levite  di  piu  eccellenti  pittori . . . 
ed.  Milanesi  V,  439,  Nr.  3,  und  bei  Förster  in  der  deutschen  Vasari-Aus- 
gabe  1845,  311,  351. 

5)  Bibliotheca  Colonieusis  1747,  p.  10,  112. 


816  J.  B.  Nordhoff: 

in  der  Hauptsache  das  Feld  der  Kanstübang^  ebenso  den  Familien- 
namen; denn  weicht  dieser  aach  in  Hartzbeim's  Buche  flir  den  einen 
nnd  andern  Meister  etwas  ab,  so  flgnriren  sie  doch  beide  am  Schlüsse 
(p.  369),  nämlich  im  alphabetischen  Künstlerverzeichnisse,  unter  ein« 
und  demselben  „Aldegraeff^.  Kurzum  was  Harzheim  nicht  ausspricht, 
dürfen  wir  wohl  erschliessen :  dass  nach  seiner  Anschauung  beide 
auch  Anverwandte,  wenn  nicht  Brüder  gewesen  seien. 

Allerdings  gehört  von  den  Werken,  die  der  Gewährsmann  dem 
Albert  zumisst,  der  grösste  und  bedeutendste  Theil  thatsächlicli  Hein- 
rich an,  und  diejenigen,  welche  fttr  Albert  übrig  bleiben,  sind  an 
Zahl  und  Werth  nicht  der  Art  mehr,  dass  eine  grosse  künstlerische 
Ausbeute  zu  erwarten  wäre,  zumal  da  dieser  Rest  nach  einer  andern 
Quelle  auch  Heinrich  zukommen  kann.  Fast  vermuthet  man,  irgend 
ein  Irrthum,  etwa  eine  unrichtige  Deutung  von  Heinrichs  Monogramm, 
worin  ja  das  A  so  klar  hervortritt,  habe  den  Gewährsmann  ver- 
leitet, diesem  als  Genossen  der  Kunst  und  des  Hauptnamens  einen 
Albert  an  die  Seite  zu  stellen.  Und  obgleich  weiter  bei  Hartzheim 
das  Lebensende  bezüglich  beider  Meister  genau  auseinander  gehalten 
wird,  nimmt  sich  doch  das  Grabdenkmal  Alberts  bei  Hartzheim 
form  verwandt  mit  jenem  Heinrichs^)  aus.  Selbst  Albert«  Sterbeort  Son- 
tini  könnte  als  Verderbniss  für  Susati  in  den  Druck  eingeschlichen 
sein,  zumal  da  man  ihn  nur  gezwungen  in  dem  niederländischen 
Zanth  wiederfindet.    Die  betreffende  Stelle  lautet: 

(Albertus)  Sontini  (!)  mortuus  est  et  sepultus  jacet  sub  cippo, 
qui  nomen  viri  famosum  cum  signis  communibus  ostentat. 

Auf  der  andern  Seite  klingt  sie  in  allen  Theilen  wiederum 
so  bestimmt,  als  wenn  ihr  Inhalt  dem  Augenscheine  entflossen  wäre, 
zudem  Hesse  sich  ja  auch  die  Fonuverwandtschaft  der  beiderseitigen 
Grabmäler  erklären  mit  der  Natur  der  Sache  selbst.  Dazu  kommt, 
dass  der  oben  angedeutete  Rest  von  Alberts  Kunstwerken,  welche 
in  Hartzheims  Aufstellung  mit  jenem  Heinrichs  collidirt,  eine  aus- 
erlesene Kunstart,  nämlich  Blätter  mit  wunderechönen  Zier- 
den und  Schriften  darstellt,  gegen  welche  Heinrichs  Alphabete*) 
nur  einen  untergeordneten  Werth  haben  wüi"den.  Die  bezügliche 
und  merkwürdige  Stelle  lautet:  Noverat  (Albertus)  praeterea  cha- 
racteres  et  scripturas  rara  arte  et  admirabili  ele- 


1)  Siehe  Seite  320,  Note  3. 

2)  Bei  Bartsch,  Le  Peintre-graveur  Nr.  206,  250, 


Meister  fiibenhttth.  817 

gftntia  formftre.  Exemplaria  aliquot  cariori  pretio  etnpta  ha« 
buit  .  .  .  legatUB  regia  Sueciae  D(om]nus)  de  Schiring.  Dies  war 
nach  der  gleiehfolgenden  Außsage  van  Manders  der  schwedische 
Gesandte  bei  den  Generalstaaten,  nach  anderweitiger  und  glaub- 
hafter Angabe^)  der  schwedische  Geschäftsträger^) Schering  (=  Rosen- 
baum) zu  Münster  1642—1645»),  dann  zu  Paris  1645—1649.  Er 
sammelte  nicht  für  sich,  sondern  fttr  seine  Königin  Christine  und 
westfälische  Gegenstände  gewiss  damals  noch  eher  in  Westfalen,  als 
anderswo. 

Die  andere  Quelle  för  die  Zierblätter  ist  nach  Karel  van  Man- 
der's  Ausgabe  1764  I,  452  Sandrart,  Academia  artis  pictoriae  1683, 
dei-en  Ausbeute  hier  nur  nach  dem  Mander'schen  Auszuge  erfolgt, 
weil  mir  von  Sandrart  augenblicklich  nur  die  deutsche  Ausgabe  1774 
zu  Gebote  steht,  welche  die  fragliche  Stelle  nicht  enthält.  Damach 
kaufte  der  Gesandte  Spiering  (!)  zu  hohem  Preise  ein  boekge 
of  veraameling  van  100  of  daar  ombti-end  blaadjeus,  in't  weelk  deze 
vermaarde  meester  zo  veele  tekeningen  van  zyne  band  gemaakd 
had.  Ohne  Zweifel  war  sie  Hai*tzheim,  der  sich  ja  zunächst  auf 
Sandrart  beruft,  bekannt  und  vielleicht  auch  die  Veranlassung,  dem 
Albert  irrthümlich  ^)  ein  so  bedeutendes  Arbeitsfeld  einzuräumen;  denn 
sie  betrifft  lediglieh  Werke  Heinrichs,  insofern  dieser  bei  Sandrart 
stets  den  Namen  Albert  führt.  Merkwürdig  bleibt  aber,  dass  sie 
wesentlich  von  der  Aussage  Hartzheims  abweicht;  und  hätte  dieser 
oder  sein  Berichterstatter  andere  Exemplare  jener  Blätter,  als 
Sandrart,  vor  Augen  gehabt,  so  verliehe  das  seiner  Aussage  ein  be 
stimmtes  Gewicht. 

Eui-zum  sollten  einmal  zu  Rom  unter  den  Schenkungen 
der  Königin  Christine  von  Schweden  jene  exemplaria  aliquot 
wieder  an  den  Tag  kommen,  so  würden  ohne  Frage  ihre  Inschriften, 
ihr  Monogramm    oder   andere  Beweismittel,   z.  B.  der  Stilvergleich 

1)  Freundliches  Schreiben  des  schwedischen  Reichs- Antiquars  Dr. 
Hans  Hildebrand  d.  d.  23.  I.  91. 

2)  Schering  ist  Taufname. 

3)  Seine  Autobiographic  sagt  nach  Hildebrand^s  Schreiben : 
„Ich  muss  bekennen,  die  vier  Jahre,  die  ich  in  Münster  verlebte,  sind 
mir  die  besten  xmd  angenehmsten  meines  ganzen  Lebens  gewesen." 

4)  Schon  der  Zeit  wegen  schwebt  bei  Hartz  heim  p.  11  s.  v. 
Albertus  Aid.  nach  M  a  i  1 1  a  i  r  e ,  Ann.  Typogr.  E*  p.  740  in  der  Luft : 
Ein  boeck  mit  seer  curieuse  prenten  vai\.  Albert  D  e  u  r  e  r  en  A  1  d  e  - 
g  r  e  V  e  geppreden  in  folio  anno  1500  s.  1.  et  typ.  n. 


818  i.  B.  Kordhoffs 

mit  Heinrichs  anerkannten  Werken  unschwer  für  immer  den  Sach- 
verhalt aufklären  und  die  Entscheidung  bringen^  ob  bei  Hartzbeim 
eine  Verwechselung  vorgekommen  ist,  oder  mit  andern  Worten,  ob 
jene  schönen  Stücke  von  Heinrich  oder  von  einem  Albert  Alde- 
grever  herrühren.  Dann  würde  erst  mit  Bestimmtheit  Albert  ent- 
weder der  Geschichte  wieder  gewonnen  oder  dereelben  für  immer 
verwiesen  werden,  und  in  diesem  Falle  Heinrichs  Arbeitsfeld  und 
Bedeutung  noch  zunehmen. 

Heinrich  Aldegrever  *)  (Aide  Grave),  Herr  der  Malerei,  der  Gold- 
schmiede, des  Kupferstiches  und  des  Siegelschnittes,  lernte  zu  Pader- 
born vielleicht,  wie  oben  schon  bemerkt  wurde*),  bei  dem  Gold- 
schmiede Jacob  Weseman  und  vollendete  seine  Ausbildung  unter 
Dürers  Einflüsse,  d.  h.  entweder  vor  des  Meisters  Stichen  und  Holz- 
schnitte^  oder  in  dessen  Werkstütte:  letzteres  steht  bei  einigen 
Schriftstellern  ^)  fest  und  ist  eine  ausgemachte  Thatsacbe,  falls  Alde- 
grever Schildereien  zu  Nürnberg  und  andei*swo  hinterlassen  und 
einen  Klappaltar  des  grossen  Franken  in  der  Petrikirche  zu  Soest 
aufgestellt  hat^).  Hier  fand  er  schon  um  1528  Beschäftigung  in  der 
Malerei  %  und  richtete  hier  wohl  bald  darauf  seine  Werkstätte  ein. 
Soest  war  noch  nngefilhr  die  reichste  und  grösste  Stadt  des  Landes^), 
in  der  reich  verzweigten  Kunstübung  jedoch  von  der  alten  Höhe 
herabgesunken  und  daher  für  Aldegrever  seit  Jürgen  Marschalks 
(1501 — 25)  Ableben ')  wohl  ebenso  wenig  Concurrenz  in  der  Malerei  von 


1)  Vgl.  Woltmann-Sc'hmidt  im  Allgemeinen  Künstler-Lexikon  s.v., 
(Gehrken)  in  Tross'  Westphalia  1826  III  4—7.  Fuhrmann  das.  III  193. 
Gehrken  in  der  westfal.  Zeitschrift  f.  Geschichte  und  Alterthuni«kiinde 
IV  150.  Paßsavant,  Le  Peintre-graveur  I,  227  f. 

2)  Oben  S.  315. 

3)  z.  B.  bei  Füe sslin,  Allgemeines  Künstler-Lexikon,  Zürich  1779 
I,  17  u.  Karel  van  Man  der  1.  c.  I,  151.  Nach  Ilg  in  Bucher's  Ge- 
schichte der  technischen  Künste  II,  345  hat  er  sich  erst  zu  Nürnberg  der 
Malerei  und  dem  Kupferstiche  zugewandt. 

4)  Gehrken  in  der  Westfäl.  Zeitschrift  IV,  150. 

5)  Bonner  Jahrbb.  82,  127.  Zu  Soest  erscheint  schon  1390  ein  Con- 
seko  Trippennieker  im  städtischen  Protokollbuche  Fol.  28  b. 

(3)  H.  Hamelmann,  Opera  Genealogica  .  .  .  Lemgoviae  1711, 
p.  75.  Soest  hatte  1517  in  der  Pest  beinahe  4000  Einwohner  verloren. 
B.  Wittius,  Historia  Westphaliae.  Monasterii  1778,  p.  G58. 

7)  Bonner  Jahrbb.  82,  126.  Es  begegnet  uns  1.501  ein  Johan 
plattenschlHger   zu  Soest,   bei   Mithoff,   Künstler  und  Werkmeister,  A' 


I 


Meister  fitsenhüth.  819 

dem  eiDinal  genämiten  m  eil  er  Thomas,  als  in  der  Goldschmiede 
von  einem  Uinrik  Dreigger  zu  befürchten,  an  dem  ein  anderer 
Goldschmied  Adam  einen  Bürgen  fand.  Die  Reformation,  deren 
Regungen  zu  Paderborn  1527  erstickt  waren*),  gedieh  seit  1529 
ungestörter  zu  Soest*),  und  ihr  hing  Aldegrever  an,  von  ihren  Geg- 
nern scharf  verurtherlt,  von  seinen  Anhängern  so  hoch  gesehätzt, 
dass  er  1531  vom  Rathe  den  Auftrag  erhielt,  zur  Abfassung  einer 
kirchliehen  Ordonnanz  den  Gerd  Omeken  von  Lippstadt  heranzu- 
ziehen*).  Zeitweise  Freundschaft  mit  den  Wiedertäufern  schadete 
ihm  so  wenig,  dass  er  schon  1538  vom  Soester  Bürgermeister  Albcii; 
von  der  Helle  ein  schönes  Kupfer-Portrait  anfertigen  durfte.  Nach 
einer  glaubhaften  Handschrift  verkaufte  er  1545  zu  Paderbom  sein 
Vaterhaus  an  den  dasigen  Richter  und  hatte  wegen  des  rückständigen 
Kanfschillings,  sicher  wegen  Gelder,  Kleinodien  und  andeiii  Nach- 
lasses noch  viele  Briefe  zu  wechseln  *).  So  anscheinend  durch  Eltern- 
gut  und  reges  Schaffen  in  behagliche  Verhältnisse  versetzt,  genoss  er 
als  Bürger  und  Künstler  Ansehen  und  galt  er  1547  als  vollwich- 
tiger Zeuge  für  einen  Bernd  Koip,  nachdem  dieser  wegen  nach- 
theiliger Reden  über  die  Stadt  in  Haft  gebracht  war-*^).  Der  künst- 
lerische und  halbwegs  auch  der  religiöse  Boden  verband  ihn  zu  ge- 
meinsamen Reisen  und  beständiger  Freundschaft  mit  dem  Mfinste- 
rischen  Maler  Ludger  to  Ring*')  d.  J.,  und  dieser  hinterliess  jeden- 


S.  75  ein  Plattner  Curdt  Corner  zu  Minden  1587  tliätig  für  den  Hof 
zu  Wolfcnbüttel ,  in  einem  GoldBclmiiede- Buche  1594  ein  Lodcwig  De- 
gen er,  WaflFen-  und  Steinschneider  zu  Münster  also  neben  den  Knops 
(B.  Jahrbb.  87,  157  ff.,  165).  An  die  altern  westfÄlischen  Panzerschmiede 
zu  Marsberg  erinnert  noch  gern  der  Regen  des  Himmels,  indem  er  dort 
am  Berghange  feine  Kettenstückchen  von  den  Schlacken  eutblösst. 

1)  G.  V.  Kleinsorgen,  Kirchengeschichte  von  Westfalen  II,  343; 
über  das  Verhalten  des  alten  Trippenniaker  zu  Paderborn,  llamelmann, 
p.  1329.  Die  1522  von  Soest  an  den  Herzog  von  Jülich  überreichte  halffer- 
des  Kanne  bezahlt  mit  117  M.  3  st.  5V3  Pfg-  war  bereits  in  Köln  bestellt. 
Stadt.-A.  Soest,  Protoc.  missivarum  LI,  6. 

2)  Rademach  er,  Chronik  der  Stadt  Soest  Ms.  fol.  64.  lieber  das 
Ms.  meine  Denkwürdigkeiten  aus  dem  Münster.  Humanismus  1874,  S.  190. 

3)  Dieser  Auftrag  sowie  die  erwähnten  Künstler  bei  Daniel  von 
Soest  herausgog.  von  Jostes  1888,  S.  11,  20,  118. 

4)  Fuhrmann  a.  a.  O.  III,  193. 

5)  Rademacher  a.  a.  0.  f.  72. 

6)  K.  von  Man  der  1.  c.  I»  151.  Prüfe  r^s  Archiv  f.  kirchl.  Kunst 
(1685)  IX,  82. 


32Ö  J.  B.  Nordkoffs 

falls  in  Soest  Spuren  seiner  Malerei,  wie  Aldegrever  solche  der 
Metallarbeit  für  Münster.  Des  letzeren  Lebetage  reichten  vermuthlich 
über  1556  hinans,  ob  noch  bis  in  die  Soester  Pestjahre  1566—67  *), 
ist  unentschieden,  ebenso  ob  er  ohne  Vermögen,  Anverwandte  und 
Ortsfrennde  hinstarb.  Als  nämlich  einmal  Ludger  to  Ring  ihn  in 
Soest  besuchen  wollte,  fand  er  ihn  bereits  dürftig  bestattet  im  Grabe 
angeblich  *)  auf  St.  Petri  Kirchhofe  „neben  dem  Leiden  des  Herrn" 
und  daher  ehrte  er  dasselbe  durch  ein  Denkmal  mit  dem  Meister- 
naroen  und  demselben  Zeichen,  welches  Aldegrever  auf  seine 
Werke  setzte*).  —  Aldegrever  galt  noch  bei  Lebzeiten  sogar  bei 
seinen  Glaubensgegnem  für  einen  mester  grot  und  bei  spätem  Schrift- 
stellern ftlr  einen  Maler  und  Kupferstecher,  der  in  Deutschland  seines- 
gleichen nicht  gehabt*).  Dass  von  seiner  Formenwelt  und  Technik 
Verschiedenes  bei  Lorichs  zu  Flensburg  und  namentlich  bei  Eisen- 
huth  nachlebte  und  ausblühte,  ist  vielleicht  sein  köstlichster  Lorbeer. 

Nach  ihm  übte  zu  Soest  den  Kupferstich  sein  Gopist  und  vielleicht 
sein  Schüler  AT  1569 — 70,  die  Malerei  ein  Mathias  Knipping^) 
1593,  1605,  dessen  Michel  Angeleske  Foimen  an  Lndger  to  King 
d.  J.  erinnern,  den  Kupferetich  wieder  um  1600  ein  Herr  von  Dael*'). 

Aldegrever  hat  im  Kupferstiche,  der  wohl  einst  wie  jetzt  das 
Schwergewicht  unter  seinen  Werken  war,  auch  die  beiden  Häupter 
der  Münsterischen  Wiedertäufer  verewigt,  den  König  Jan  von  Lejdcn 
imd  dessen  Schwertträger  und  Stadtvogt  Bernhard  Knippcrdölling;  er 
hat  also  unzweifelhaft  mit  ihnen  zu  Münster  in  einem  längeren 
Umgänge  und  Verkehre  gestanden.  Der  Gedanke  legt  sich  nahe, 
der  Meister  sei  zu  diesem  Kunstschaifcn  von  den  nach  Soest  entbotenen 


1)  Rademac  her  1.  c.  p.  84.  Aldegrevers  Ende  1558  nach  J.  Heller, 
ZüRätze. zu  Bartsch'  Peintre-graveur  1854,  p.  1;  gegen  1560  nach  Jani- 
tschek,  Gesch.  der  deutschen  Malerei  1890,  S.  529;  1562  nach  Notices  sur 
les  gravenrs  1807,  I,  5. 

2)  Fuhrmann  a.  0.  III,  193. 

3)  K.  van  Mander  a.  O.  I,  151. 

4)  Stangefol,  Opus  chron.  .  .  circuli  WestphaUci.  Colon.  1651  lib. 
IV,  p.  20.  Ueber  sein  Ansehen  in  Paris  vergl.  G.  B.  Depping  im  Westf. 
Anzeiger  1806  Nr.  50  S.  794. 

5)  Prüfers  Archiv  X,  21  N.  3. 

6)  Hartzheim  1.  c.  p.  70.  Das  Soester  Geschlecht  dieses  Namens 
soll  von  Italien  nach  den  Niederlanden  gekommen,  von  da  unter  Alba's 
Regiment  nach  Belgien,  von  hier  nach  Sachsen  ausgewandert  sein.  Meh- 
rere Glieder  desselben  kennt  Fuhrmann,  Miscellanea  Susatensia  Ms.  p.  ITC. 


Meister  j^isenhuth.  021 

f  ropheten  des  Königs  bewogen  worden.  Diese  erlitten  zwar  bald 
wegen  ihres  Auftretens  und  ihrer  Lehrneuerung  ein  schmähliches 
Ende,  doch  nicht  ohne  dort  einen  versteckten  Anhang  zu  hinter- 
lassen^). Ihr  Führer,  der  Prophet  Johan  Dusentschuer,  war  doch  als 
Goldschmied  der  nächste  Kunstgenosse  Aldegrevers ;  stets  muss  seine 
Thätigkeit  für  die  Sache  der  Wiedertäufer,  mit  welchen  Soest  ja 
nichts  zu  thun  haben  wollte,  auflPallen,  zumal  wenn  der  Sage  einige 
Wahrheit  zu  Grunde  liegt,  er  habe  die  beiden  Häupter  der  Wieder- 
täufer auch  in  Farbe  „öfter'^  abgebildet. 

Dass  er  thatsächlieh  seine  Kunst  in  ihren  Dienst  gestellt,  er- 
gibt sich  offenbar  aus  zwei,  oder  wie  wir  später  erörtern  wollen, 
vielleicht  aus  mehreren  Kunstwerken,  welche  er  entweder  im  Auf- 
trage der  Wiedertäufer  oder  auf  eigenen  Willensentschluss  hin  der 
Mit-  und  Nachwelt  beschcert  hat.  Denn  jene  beiden  Kupferstiche 
mit  Knipperdölling  und  dem  Könige  Jan  ^)  sind  nach  den  Inschriften 
nicht  zu  Münster,  sondern  zu  Soest  1536,  also  erst  ein  Jahr  nach 
dem  Falle  (1535  24./6)  des  neuen  Sion  gefertigt  und  zwar  als  „wahr- 
haftige", d.  h.  historische  „Conterfets"  zweier  denkwürdiger  Grössen, 
würdevoll  in  Haltung  und  Schmuck,  ohne  jeden  Nebenton ;  es  sind 
zudem  mit  dem  Selbstportrait  des  Stechers')  die  beiden  schönsten 
und  vollendetsten  von  allen  Portraits,  die  von  Aldegrevers  Hand 
vorliegen.     Ihre  historischen  Distichen  reden   deutlich   von   unter- 


1)  Münster.  Geschichtsquellen,  herausg.  von  Cornelias  II,  276,  881. 
Hamelmann  1.  c.  p.  1114. 

2)  Vgl.  die  Beschreibungen  bei  Woltmann -Schmidt  a.  0.  I,  241, 
248,  Bartsch,  Le  Peintre-Graveur  VIII,  378  Nr.  415,  416;  noch  lag  auf 
der  Ausstellung  zu  Münster  vor:  ^Portrait  auf  Perlmutterschale  in  Kupfer- 
stichmanier. 12,  5h.  6b:  Johan  von  Leyden.  Mit  Monogramm  des  H. 
Aldegrever.  Sprechender  Ausdruck,  kräftige,  sichere  Handhabung  der 
Radirnadel  —  v.  Frankenberg."  Katalog  zur  Ausstellung  westfäl.  Alter- 
thümer  und  Kunsterzeugnisse  .  .  .  1879  zu  Münster  A  '  S.  151  Nr.  1945. 

3)  Ebenso  wie  der  König  in  der  Natur:  Nach  Hamelmann  1.  c. 
p.  1196:  Adolescens  longae  ac  decorae  staturae,  plane  imberbis  (bei 
Aldegrever  und  sonstwo  bereits  bärtig)  cuius  mentum  vix  pauca  lanugo 
attigebat,  homo  eleganti  et  mira  . .  .  forma,  in  sua  dictione  et  idiomate 
valde  facundus  et  delectabilis,  mulierculis  propter  elegantem  corporis 
dispositionem,  faciem  formosam  et  jocuudos  sermones  eosque  ad  modum 
blandos  gratissimus  et  acceptissimus,  qui  se  obsequio,  humilitate  et  loquela 
Omnibus  accomodare  noverat.  Qui  istis  dein  de  dotibus  addebat  hoc, 
quod  miram  prae  se  semper  vidoretur  ferre  sanctitatem  . .  .  Uebor  des 
Königs  dramatische  Vorbildung  vgl.  Kcrssenbrock  a.  a.  0.  II,  52. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Altorthsfr.  im  Rheinl.  XCVI.  21 


322  J.   B.   Nordhoff: 

gegangenen  Grössen  und  anseheinend  deren  Anhängern  und  Wider- 
sachern gegenüber  unparteiisch: 

Haec  facies,  hie  c(v)ultus  erat,  dum  sceptra  tenerem 

Rex  avaßaiTTicTwv  sed  breve  teinpus  ego  .  .  . 

1^11  otuB  nuUis  Knippcrdollfngius  oi'is 

Talis  eram  sospes,  cum  mihi  vita  foret  .  .  . 

Die  Portraits  und  die  Verse  zusammen  verkündigen,  besondei-s 
gegenüber  den  schriftlichen  und  bildlichen  Darstellungen  der  Sieger*), 
eher  etwas  Rühmliches  als  Nachtheiliges  für  die  Verbildlichten, 
gerade  so  wie  unter  den  zahlreichen  Wiedertäufer-Münzen  die 
beiden  schönsten  und,  wie  sich  unten  zeigen  wird,  wohl  gleich- 
falls aus  Aldegrevers  Hand  hervorgegangenen  Stücke  mit  dem  Bild- 
nisse des  Königs  —  jedenfalls  aus  diesem  Grunde  gilt  der  Künstler 
sowohl  bei  Passavant,  wie  sicher  mit  Unrecht  dessen  Vater 2),  bei 
Heller')  flir  einen  Parteimann  der  Wiedertäufer.  Doch  da  die  Verse 
zumal  für  den  König  kein  Wort  des  Mitleids  oder  der  Anerkennung 
haben,  so  mag  den  Meister  immer  noch  keine  religiöse  Parteinahme, 
vielmehr  die  Absicht  geleitet  haben,  die  Wiedertäuferbilder  ohne 
Tadel  und  ohne  besonderes  Lob  möglichst  objektiv  oder  unanstössig 
zu  halten  und  ihnen  dadurch  überall,  wenn  auch  nicht  bei  den  Be- 
siegern, so  doch  bei  den  Taufgesinnten  und  allen  Geschichtsfreunden, 
welche  sieh  des  abenteuerlichen  Königs  und  Reiches  Sion  erinnerten, 
einen  möglichst  grossen  Absatz  zu  sichern.  In  welchem  Maasse  das 
Münsterischc  Wiedertäuferthum  auch  nach  dem  Untergange*)  die 
Hei*zen  und  die  Phantasie  seiner  Freunde  und  Feinde  bewegt  hat, 


1)  z.  B.  das  von  Aldegrever  ganz  abweichende  Portrait  des  Königs 
auf  einer  bischöflichen  Denkmünze  von  1536  abgebildet  bei  Mieris, 
Uistori  der  Nederlandsche  Vorsten  1753,  II,  415.  Sonst  haben  die  landes- 
herrlichen Mtinzen  jener  Zeit  z.  B.  eine  grosse  mit  Hciligenbildnissen  von 
1535,  auf  das  Wiedertäuferthum  wohl  keinen  Bezug. 

2)  Vgl.  Hamelmann  1.  c.  p.  1329. 

3)  a.  0.  1.    Passavant  1.  c.  IV,  103. 

4)  1537  in  Tremonia  fabricatae  sunt  tres  sportae  ferreae  a  magistro 
Berthol do  Smit  (alias  de  Ludinckhusen  dicto),  in  quibus  su.spendendi 
erant  Rex  Monasteriensis  et  Knipperdollinck  et  pastor  in  Gildehusen. 
Regis  sporta  in  libra  XXXX  wagen  yserens  min  13  punt;  libra  centnm 
talenta.  Anno  1536  his  sportis  innectuntur.  Bertold  fertigte  für  die  Do- 
minikanerkirche zu  Dortmund  auch  einen  Kandelaber  vor  dem  Marien- 
bilde. Chronicon  Dominican.  Tremon.  der  Königl.  Bibliothek  zu  Berlin. 


Meister  Eifienhuth.  323 

können  uns  die  zahlreichen  Bildnisse  Jan's  und  Enipperdölling's 
lehren,  die  auf  Münzen,  in  Farben,  Stichen,  Holzschnitten  und  iu 
Copien  die  Welt  durchschwirrteu.  1536  beklagte  schon  der  Ma- 
gistrat zu  Antwerpen  dat  eenighe  printers,  druckers,  figuer- 
stekers,  schilders  oft  anderen  hen  vorderen  dagelyx,  soe  lanck 
so  meer,  diveree  ketters,  delinquanten  ende  malefacteurs  (als  eenen 
genaempt  Jan  van  Leyen  .  .  .)  met  synen  complicen  ende 
adherenten,  die  eensdeels  tot  Munster  ende  el der s  geexecu teert 
syn,  te  schilderen  ende  te  contrefeyten,  vrelcke  figueren  oick 
eenige  persoonen  achter  Straten  te  coope  dragen  oft  ter  venten 
stellen,  ende  eenige  andere  binnen  heuren  huysen  ende  eiders 
plecken  ende  voorstellen  .  .  .^) 

Man  kann  nicht  leicht  über  den  Gedanken  hinweg,  der  aus- 
gezeichnete Künstler,  welcher  im  Bildnissfache  für  die  Wiedertäufer 
arbeitete  und  sonst  in  Zeichnung  und  Ausführung  die  Metallkünste 
betrieb,  habe  diese  auch  irgendwie  an  andern  Geschmeiden  des 
„königlichen**  Hofes  bethätigt,  der  gleichsam  in  Gold  und  Silber 
schwamm. 

Woher  kam  die  Unmenge  von  Edelmetall'?  Obschon  Kirchen, 
Klöster  und  Bürger  ihre  Kostbarkeiten  oder  doch  die  Hauptklei- 
nodien zeitig  geflüchtet  oder  geborgen  hatten,  Hessen  sich  von  den 
beiden  ersteren  noch  beträchtliche  Rückstände  an  Geld  und  Geräth 
und  stellenweise  auch  verborgene  Schätze  beitreiben  *) ;  anscheinend 
reichlicher  schaarte  sich,  nämlich  unter  der  Parole  der  Gütergemein- 
schaft, Geld,  Gold,  Silber  und  Edelgestein  aus  städtischen^)  und 
bürgerlichen  Häusern,  indem  der  König  einmal  selbst  mit  dem 
„Gottes  Willen"  die  Nachrede  niederechlagen  musste,  er  und  sein 
Hof  trügen  der  Bürger  Gold  und  Silber.  Die  „guten  Christen"  opfer- 
ten im  harmlosen  Glauben  Alles;  die  „Zweifler",  welche  nur  einen 
Theil  ihrer  Habe,  und  die  „Gottlosen",  welche  Nichts  anliefern 
wollten,  wurden  allgemach  durch  Busspredigten  oder  radicale  Mittel 

1)  Bei  Chr.  Sepp,  Verboden  lectuur.  Een  drietal  indices  librorum 
prohibitorum.  Leiden  1889  p.  3;  von  den  nicht  genannten  Münzen  sind 
die  medaillenförmigen  nach  G  r  o  t  e ,  Münzstudien  I,  297  alle  später 
in  HoUand  gemacht. 

2)  Vgl.  die  Ordnung  der  WiderteufFer  von  1535  in  der  Westfäl. 
Zeitschr.XVII,  240ff.  Münst.  G.  Q.  I  332—334,  Kerssenbrock  a.  0.  II,  510 
524,  638  und  über  versteckte  aber  aufgestöberte  Schätze  (der  Georgs- 
Commende  und  des  Klosters  Niesink)  das.  II,  524  M.  G.  Q.  II,  431.  432. 

3)  ex  coramunibus  aedibus  (darunter  gewiss  auch  die  GildehUuser) 
Hamelmann  1.  c.  p.  1238. 


&U  J.  ß.  Nofdhoff: 

bekehrt.  Welche  Sehätze  und  Weithstücke^)  lagerten  am  Ende  wohl 
zu  den  Füssen  der  Gewalthaber,  wenn  man  in  Betracht  zieht,  dass 
Münster  damals  gerade  die  höchste  Stufe  der  Blüthe,  des  Wohl- 
standes oder  gar  des  Reichthunis  erstiegen  hatte,  und  wenn  man 
hinzunimmt,  wie  viel  Geld,  Kleinodien  und  Geschmeide  das  neue 
Reich  umstrahlt  hat.  Als  dasselbe  bezwungen  war,  richteten  sich 
doch  gleich  Hans  Roichers  Schritte  nach  der  königlichen  Schatz- 
kämmer  und  seine  Hände  nach  den  königlichen  Tnsignien  und  Klei- 
nodien; das  Gerücht  steigerte  am  Ende  irrthümlich  die  Beute  auf 
fünf  bis  sechs  Tonnen  Goldes,  indess  sich  für  die  Landsknechte  nur 
eine  halbe  Tonne  mehr  vorfand*). 

Abgesehen  von  den  an  die  Gläubigen  vertheiltcn  (Heller)  Zei- 
chen, bediente  sich  das  neue  Regiment  massenhaft  alter  und  neuer 
Münzen  und  Medaillen,  verschieden  an  Form  und  Stoff;  aus  curren- 
ten  Geldsorten  bestanden  die  Schmuckgehänge  der  „Herzöge"  und 
„Lutenants",  nämlich  die  werthvollen  an  Seidenschnttren  aufgereihten 
Gold-  oder  Silbermünzen,  aus  schlichteren  und  aus  kunstvollen  Stücken 
der  Neuschlag.  Den  Hofprunk  machten  namentlich  die  Silberketten 
der  Räthe'),  die  Fingerringe  der  Trabanten,  31  Pferde  mit  Gold- 
satteln, Gold  und  andere  Zierrathen,  die  mit  Gold,  Edelsteinen  und 
anderen  Stoffen  ausstaffirten  Pferdezeuge,  der  silberne  (weisse)  Stab 
des  Hofmarschalls  Tilbeck,  der  Pomp  des  Schwertträgers  Knipper- 
dölling  und  der  ersten  Königin,  —  des  Königs  goldiger  Sattel,  mit 
Gold  oder  Silber  durchwirkter  Ornat,  der  vorn  und  an  den  Aermeln 
mit  goldenen  Schleifen  und  andern  Glanzstücken  durchsetzte  Seiden- 
mantel, der  Goldbelag  (gülden  stuck)  des  Königsthrones,  die  Gold- 
tapeten und  Decken  des  Schlafgemachs,  die  Königs-  und  eine  Art 
von  Kaiser-Krone  aus  feinstem  Golde  mit  Edelsteinen,  die  erstere  mit 
Thürmen  ausgeziert,  die  Kaiserkrone  ausserdem  mit  einem  Kreuz- 
baMachin  überhöht  und  noch  th eurer  in  der  kunstvollen 
Arbeit,  als  in  den  Stoffen,  die  goldene  Halskette  behangen  mit 
der  goldenen  (Wclt-)Kugel,  durch  weiche  zwei  umgekehrte  Schwer- 
ter gingen,  eins  aus  Gold,  eins  aus  Silber;  zwischen  ihren  Griffe» 
stand  auf  der  Kugel  ein  goldenes  Kreuz  und  um  die  Griffe  wan- 
den sich  später  zu  mehrerem  Glänze   schwere  von  Edelsteinen  fun- 


1)  Bald  vom  König  selbst  bewahrt.   Niesert's  M.  Ürk.-Slg.  I,  38,  30. 

2)  M.  G.  Q.  III,  232  f.  und  Handschrift ;    II,  32  f.  179,  372,  211,  212. 

3)  M.  G.  Q.  II,  27,  184,  178. 


Meister  Eisenhuth.  82b 

kelnde  Ketten;  das  Kriegsschwert  nnd  dessen  Seheide  gerade  so 
von  Gold  wie  die  Reitsporen,  am  Knechtsdegen  das  „Ortband" 
und  die  Besteck  -  „Huven'V  das  mit  drei  goldenen  Reifen  um- 
gebene Königsscepter,  und  so  \iele  goldene  mit  Edelsteinen  besetzte 
Ringe,  dass  darin  die  Finger  schier  erstarrten;  am  Zeigefinger  ein 
Ring  von  eitelm  Golde,  oben  prachtvoll  mit  Schwertern  und  Sentenz 
ausgestattet,  22  rheinische  Goldgulden  schwer,  derselbe,  welcher 
endlich    an    den    Goldschmied    David  Knop  kam  ^). 

Um  diese  Prachtstücke  und  Kunstwerke  in  so  kura  bemessener 
Zeitspanne,  als  das  Reich  währte,  zu  entwerfen,  zu  bearbeiten  und 
zu  vollenden,  waren  allerdings  in  Münster  und  selbst  im  Gefolge 
des  Königs  Künstler  genug  3)  zur  Hand,  wie  eine  spätere  Arbeit 
näher  darthun  mag.  Unter  ihnen  befand  sich  wohl  auch  der  Kupfer- 
steeher NicolausWilborn  (1531 — 1537)  ^),  für  dessen  Heimath 
man  Münster  allgemein  ansieht.  Er  hat  die  Häupter  der  Wieder- 
täufer in  Kupfer  gestochen,  doch  nicht  nach  eigener  Aufnahme,  son- 
dern nach  Aldegrever's  Vorbildern  *) ;  dieser  hatte  also  auf  einen 
der  vorfindlichen  Meister  eher  oder  später  Einfluss. 

Sollte  Aldegrever,  als  in  Fülle  die  Aufträge  fllr  Medaillen, 
Münzen,  Insignien  und  Geschmeide  des  Königs  und  der  Höflinge 
zu  vergeben  waren,  nicht  mit  Rathschlägen  eingegriffen,  mit  Zeich- 
nungen und  Musteranweisungen  ausgeholfen,  sollte  er  nicht  einzelne 
Werke  anzufertigen  übernommen  haben?  Um  seine  Hand  nachzu- 
weisen, gebricht  es  Mangeis  einschlägiger  Nachrichten  längst  an 
der  unerlässlichen  Vorbedingung,  nämlich  an  jenen  Cimelien  und 
Geschmeiden  selbst,  welche  wir  am  Hofe  oder  im  Schmucke  des 
Königs  nachwiesen.     Sogar  die  drei  heute  vorliegenden  Goldketten  ^)^ 


1)  B.  Jahrbb.84, 122.  Hamelmann  I.  c.  p.  1238  M.  G.  Q.  II,  91  137, 
Kersscnbrock  a.  0.1,56— 58,  Nieser t  1,35.  Zeitschr.  f.  bild.Kunat  X,  84  f. 

2)  Neben  Aldegrever  wurden  bereits  B.  Jahrbb.  77,  15*5  Nr.  3  zwölf 
Goldschmiede  oder  Münzmeister  benannt.  Vor  ihnen  wirkten  zu  Münster 
laut  Rechnungen  des  alten  Domes  Georg  Trippenhover  1513,  Johan 
Menckeu  1520,  nach  den  Amtsrechnungen  Wolbeck  Gort  Kinsen  1523,  laut 
Landes-Archiv  37  Nr.  2  seit  1517  als  bischöflicher  Münzmeister  Wilhelm 
•van  Acken.  Als  Wiedertäufer  ündet  hier  noch  besonders  Platz  der  Gold- 
schmied up  der  Trappe  St.-Arch.  Wiedertäufer  D.  9. 

3)  V.  Lützow,  Geschichte  des  deutschen  Kupferstichs  u.  Holzschnitts 
1891,  S.  194.   Passavant  a.  O.  IV,  139. 

4)  Woltraann-Schmidt  a.  0.  I,  248. 

5)  Während   der   Alterthums- Ausstellung  zu  Münster   1869    „lagen 


826  J.  B.  Nordhoff: 

die  man  aus  dem  Wiedertänferreicbe  herleitet,  entbehren  der  nähern 
Beweise  der  Echtheit.  Selbst  das  Mervelder  Exemplar,  welches 
bestimmter  für  die  Königskette  ausgegeben  wird  ^),  passt  mit  den 
kleinen  Gliedern  und  der  schlichten  Arbeit  überhaupt  weder  zu  den  in 
Aldegrever's  Wiedertäufer-Sticlien  dargestellten  Ketten,  noch  zu  den 
sonstigen  Prunkstücken  des  Hofes  und  entspricht  bei  seiner  Länge  eher 
einem  Schulter-  oder  Gürtelband,  als  der  uns  näher  bekannten 
Halskette  des  Königs;  diese  bestand  nach  dessen  von  Aldegrever 
gegebenen  Portrait  aus  grossen  Rundringen  und  reichte  nur  bis  auf 
die  Brust  hinab;  keinenfalls  besitzt  das  Mervelder  Stück  eine  künst- 
lerische oder  stilistische  Eigenthümliehkeit,  wie  die  von  Aldegrever 
verewigte  Halskette. 

Es  kann  sich  vorerat  nur  um  des  Meisters  Theilnahme  an  der 
Herstellung*)  derMünzen^)  und  Medaillen  handeln,  welche  in  nicht  ge- 


auch  drei  denkwürdige  goldene  Ketten :  die  Ketten  des  Wiedertäufer- 
Königs  Johann  von  Leiden  im  Besitze  des  Erbmarschalls  Grafen  Merveldt 
und  zwei  andere  mit  einer  Kugel  von  feinster,  durchbrochener  Arbeit  ge- 
schmückt, gleichfalls  von  den  Wiedertäufern  stammend,  welche  Frhr.  von 
Heeremann  ausgestellt  hatte".  Vgl.  den  Bericht  in  der  Westfftl.-Zeit«clir. 
(1872)  30,  239  f. 

1)  Als  solche  allein  und  zuerst  auf  einer  Ausstellung  des  Jahres 
1836  in  Wigand's  Archiv  f.  Gesch.  u.  Alterthumsk.  Westfalens  VII.  278. 

2)  Eine  nach  Kerssenbrok  verkürzte  WicdcrtÄufergeschichte  (Ms.) 
mit  dem  Chronogramm  1529  (!)  bringt  aus  späterer  Feder  folgendes  Ge- 
schichtchen: Diese  originale  stempeis  von  der  wiederteuffer  ihre 
raünts  hat  meister  Peter  Av  er  feit  schlosser. . .  dem  hern  obristen  Lam- 
berto  Friderico  Corfey  (1668—1733)  von  der  artillerie  zu  Münster  fol- 
gender gestalt  übergelassen.  Der  meister  hat  selbige  stempeis  g.  h.  obri- 
sten vorgezeiget,  dass  selbige  an  ihme  von  raht  (der  Stadt)  weren  in  be- 
sahlunge  gethaen  in  valore  alsz  alt  eysen,  wofür  g.  h.  obrister  ihme 
Averfeit  die  valeur  an  gelt  anpresentirt,  welches  acceptirt  und  folge  stem- 
peis an  ihme  h.  obristen  übergelassen.  Vom  diesseitigen  Nachlasse  Corfey's 
ist  keine  Kunde  mehr.  Doch  wurde  nach  der  Numismatischen  Zeitung 
1866  Nr.  1  8.  3  damals  im  fürstlich  Fürstenbergischen  Palais  zu  Prag 
ein  aus  zwei  Theilen  bestehender  Prägstock  gefunden,  womit  die  Wieder- 
täufer .  .  .  1534  .  .  eine  Denkmünze  in  Thalergrösse  prägten,  nämlich 
eins  von  jenen  Stücken  ohne  Bildwerk  und  Zierrath.  „Wie  diese  inter^ 
essante  Antiquität  nach  Prag  kam,  ist  gänzlich  unbekannt".  Diese  Notiz 
und  andere  Aufklärungen  über  Wiedertäufermünzen  gab  mir  der  hoch- 
verdiente Münzforscher  W.  A.  Wippo  f  1892  22/^. 

3)  Vgl.  ihre  Anzahl  nach  den  Literatur- Angaben  bei  P.BÄhlmann, 
Westfäl.  Zeitschr.  (1893)  51,  I,  171). 


Meister  Eisenbuth.  827 

ringer  Zahl  von  den  Wiedertäufern  auf  uns  gekommen  sind.  Von 
diesen  entbehrt  die  Mehrzahl  der  Zeichen  und  Merkmale,  wonach 
sie  verschiedenen  oder  bestimmten  Urhebern  zugetheilt  werden 
könnten;  nnr  eine  mit  dem  Zeichen  K  geht  sicher  auf  einen 
Münsterischen  Bürger,  auf  den  Münzmeister  P.  Koppelin  (Koe- 
pelin)  zurück,  der  von  1521  sicher  bis  1539  seines  Amtes  waltete  ^). 

Alle  übrigen  sind  ohne  Zeichen,  ohne  Bild  und  so  schmuck- 
los,  dass  sie  sieh  nur  mit  den  Münzern  oder  mit  den  gewöhnlichen 
Goldschmieden  in  Verbindung  bringen  lassen.  Was  kunstreiche  Be- 
handlung im  Entwürfe  und  in  der  Ausführung  anlangt,  scheiden 
aus  der  Gesammtzahl  nur  zwei  bis  drei  Stücke  aus,  jedenfalls  als 
Werke  Aldegrever's,  und  dies  sowohl  vermöge  seiner  oben 
entwickelten  Beziehung  zu  den  Wiedertäufern,  als  veiinöge  seiner 
Meisterschaft  in  verochiedenen  Zweigen  der  Metallkunst.  Als  kunst- 
reicher Goldschmied  und  Ciselirer  machte  Aldegrever  Vorzeichnungen 
für  Dolch  -  Messerscheiden,  Wehrgehänge  und  sonstige  Kleinwerke, 
und  namentlich  rührt  von  seiner  Hand,  wie  mir  der  verstorbene 
Custos  Franz  Schestag  zu  Wien  mitgetheilt  hat,  ein  prachtvolles 
Schwert  im  Besitze  des  dortigen  Grafen  Clary  aus  den  1530  er 
Jahren;  an  demselben  ist  Griff  wie  Scheide  von  Silber,  der  erstere 
durchaus,  die  letztere  auf  der  Vorderseite  getrieben,  auf  der  Rück- 
seite reizend  gravirt.  Mit  eigener  Hand  fertigte  Aldegrever  Ringe 
und  Siegel,  unter  diesen  noch  1552  zwei  für  seinen  Herzog  Wilhelm 
von  Gleve,  und  Münzen  hat  er  schon  1537  und  1539  unter  seine 
Ornamente  aufgenommen  ^). 

Unter  den  drei  Denkmünzen  nun  (wovon  eine  gegossen) 
führen  die  beiden  grössten  und  schönsten'^)  im  Avers  des  Königs 
Bildniss  mit  der  Kette  und  anderm  Schmucke,  im  Revers  unter  der 
Krone  die  Weltkugel  mit  Kreuz,  Schwertern  und  herabwallenden 
Bändern,  kurzum  bis  auf  gewisse  von  der  Münzfläche  erheischte  Aus- 
lassungen gerade  so,  wie  Aldegrever's  Kupferportrait  und  die  Schriften 
uns  die  Iiisignien  schildern,  und  zwar  in  ihrer  Kunstart  als  echte 
historische  Denkmünzen  nicht  minder  schön  im  Bildlichen  und  vor- 
züglich in  der  Arbeit,  wie  das  Portrait.  Die  eine  datirt,  wie  dieses. 


1)  Staats- Arch.  Münst. Landes- A. 37,  82   Vgl.  Nordhoff,  Kr.  Warcn- 
dorf  1886  S.  35. 

2)  In  Obernetter's  Facsimiles  Bl.  17,  18. 

3)  Ab^ebUdet  bei  Mieriß  1.  c.  II,  41}. 


828  f'  B.  Nordhoff: 

von  1536,  die  andere  gehört  zwar  noch  dem  Jahre  der  Vertreibung 
der  Wiedertäufer  an,  beruht  aber  offenbar  auf  derselben  Portrait- 
Zei  chn  u  ng,  die  etwas  später  im  Kupferstich  und  in  der  jungem  Münze 
zum  Vorschein  kommt.  Diese  herauszugeben,  gab  jedenfalls  ein 
massenhafter  Absatz  der  erstem  den  Anstoss.  Beide  unterscheidet 
fast  unmerklich  die  Randzier  hier  ein  Schnürchen,  dort  ein  Blatt- 
kranz. Hiernach  ist  auch  das  dritte  Stück,  eine  Medaille  *)  oder  Münze 
oder  vielmehr  ihr  wie  aus  Aldegrever's  Stiche  geschnittener  Kopf 
des  Königs  ohne  Datum,  oben  jedoch  wie  zum  Tragen  mit  einer 
Oehse  besetzt  und  gleichfalls  elegant  behandelt,  sowohl  eine 
Schöpfung  Aldegrever's  wie  ein  Erinnerangszeichen  an  das  Münste- 
rische  Sions-Reich  *).  Dass  dieses  nach  dem  Sturze  noch  Partei- 
gänger und  Verehrer  hatte,  bewegt  uns  nicht  mehr  so,  wie  die 
Thatsache,  dass  die  Kunst  in  schönsten  Denkmälern  den  König  und 
seinen  Schildknappen  verherrlichte,  welche  so  leidenschaftlich  alte 
Schönheitswerke  zertrümmert  hatten. 

Dass  bei  Aldegrever  „trotz  der  vorwiegenden  Renaissance 
gothische  Formelemente  sich  nicht  verbergen  können"  ^),  ist  mehr  an 
seinem  Kupferstiche,  worin  das  Scepter  oben  noch  in  eine  Kreuzblume 
ausläuft,  als  an  dem  Münzpaare  zu  beobachten :  hier  hallen  nämlich 
aus  alter  Zeit  die  Windelbänder  der  Kugel,  das  naturtreue  Portrait 
mit  Costüm  und  Beiwerk  nach;  dagegen  sind  die  Antiqua-Schrift, 
die  Schriftschilder  und  bei  der  einen  Münze  die  Randschnur  ent- 
schiedener der  altheimischen  Weise  abgewandt  als  der  neuitalieni- 
schen zugethan,  die  erklärt  nur  im  Blattkranze  der  andern  hervor- 
bricht.   Scepter,  Schwertgriff  und  anderes  liegen  bei  der  einen  wie 

1)  Abgebildet  bei  Micris  IT,  411.  Passavant  1.  c.  IV,  103  benennt 
als  Aldegrever  -  Arbeiten  die  Wiedertäufer-Portraits  ainsi  que  (seltsamer 
Weise)  les  matrices  executees  par  Ini  du  thaler  d'argent  (!>  que  le  roi 
. . .  aimait  A  distribuer  k  ses  fideles.    Vgl.  jedoch  Grote's  Ansicht  S.  323,  N.  1. 

2)  Auf  andere  Meister  gehen  offenbar  die  sonstigen  anabapti- 
stischen  Bildmünzen  zurück;  diese  sind  entweder,  wie  die  genannte  fürst- 
bischöfliche  mit  dem  Königsbildnisse  von  15.35  und  eine  zweite  mit 
dem  Bildnisse  des  Königs  und  Knipperdölling  (bei  Madai,  Vollstän- 
diges Thaler-Cabinet,  Königsberg  1765  I  Nr.  2362)  vom  wiedertäufe- 
rischen Gegenpart  ausgegeben,  oder  sie  sind  ohne  Datum  und  überhaupt 
ohne  sichere  Anzeichen  wicdertäul'erischen  Ursprungs  und  das  nament- 
lich zwei  Stücke,  welche  Dr.  Cappes  neben  S.  105  in  einem  Exemplare 
von  Niesert's  Beiträgen  zur  Münzkunde  1838/41  ausführlich  beschrie- 
ben hat. 

3)  W.  Schmidt  in  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie  I,  336. 


Meister  Eiaenhuth.  329 

der  andern  unentscbieden  zwischen  der  alten  und  der  nenen 
Stilart. 

Die  bildlosen  Mtlnzen  haben  einen  schlichten  Charakter 
nnd  daher  schon  von  altheimischen  Formen  kanm  mehr  bewahrt, 
als  hier  nnd  da  eine  Rosette  oder  nnten  am  Schriftschilde  eine  spitz- 
bogige  Base.  Das  Weitere  von  der  Schriftfonn  bis  zn  den  Rand- 
sehnttren  ist  ein  Ansflnss  der  Renaissance,  aber  noch  unklarer,  als 
die  Zierelemente  der  beiden  Denkmünzen. 

Wenn  hiernach  an  den  Wiedertäufer- Geschmeiden  die  Re- 
naissance^) schön  in  unentwickelten  Anfängen  und  die  Gothik 
nur  mehr  in  den  schwächsten  Ausläufern  vorkommt,  während  die 
letztere  in  der  Bildnerei  und  besonders  in  der  Architektar  doch  die 
Herrschaft  oder  doch  die  Oberhand  hat,  so  hängt  das  nicht  mit 
den  Religionsneuerungen,  sondern  lediglich  damit  zusammen,  dass 
die  grossen  Kttnste  den  Stilwechsel  später  eingingen,  als  die  kkinen. 
Abgesehen  von  dem  Randkranze  der  einen  Prachtmünze  hält  die 
neue  Stilweisse  in  sämmtlichen  Wiedortäufer-Münzen  jene  Stilstnfe 
inne,  welche  damals  die  Goldschmiede  in  sonstigen  Kleinwerken 
und  namentlich  im  kunstreichen  Siegelschnitte  vertrat.  Denn 
wie  ich  schon  früher  bemerkte*),  verliessen  die  Siegel,  die  techni- 
schen Halbbrüder  der  Münzen  und  Medaillen,  um  1510  mehr  und 
mehr  den  gotbischen  Typus  ^)  und  lenkten  seit  1519*)  (also 
mit  dem  Bücherholzschnitt)  bis  1532  immer  bestimmter  in  die  Re* 
naissance  über.     Den  Anlass   zu    der   Neuerung   boten   der  Gold- 


1)  lieber  ihre  Anfänge  in  der  Malerei  zu  Soest  um  1528  (Bonner 
Jahrbb.  82,  126  fP.),  zu  Münster  um  1537  (Prüfer's  Archiv  f.  k.  Kunst  1885 
IX,  75,81)  —  in  der  monumentalen  Architektur  seit  1540  (Bonner  Jahrbb. 
93,  243  f.)  — -,  in  der  decorativen  Architektur  aber  schon  (vereinzelt)  1521 
am  Schade-Epitaph  des  Domes  zu  Münster  (Prüfer's  Archiv  IX,  82.  Bonner 
Jahrbb.  93,  244);  sie  wirkt  (nachhaltig)  1536  an  der  grossen  Sakraments- 
turris   und  1544/57  an  der  Holztäfelung  des  Capitelsaales  daselbst. 

2)  Bonner  Jahrbb.  1873  8.  54,  24,  Prüfer's  Archiv  IX,  82. 

3)  So  hat  das  kleine  Siegel  des  Bischofs  Erich  von  Münster  1510 
bloss  römische  Schrift  und  keine  Kunstcharaktere,  das  des  Herzogs  Georg 
von  Sachsen  1512  mit  derselben  Schrift  auch  steif  gewundene  Arabes- 
ken. Die  Siegel  des  Klosters  Scheda  vertauschen  seit  1518  die  Minuskel 
mit  der  Capitale. 

4)  Unter  vielen  Siegeln  einer  Urkunde  von  1519,  worin  westfälisobe 
Ritter  sich  zum  Schutze  ihrer  Rechte  verbinden,  zeigt  das  des  Grafen  Arndt 
von  Bentheim-Steinfurt  erklärte  Renaissance-Arabesken. 


830  J.  B.  Nordhoff! 

schmiede  offenbar  kleine  italienische  Eindringlinge,  so  ein  Siegel 
des  Cardinais  Raimnndus  von  S.  Maria  Novella  aus  dem  Jahre 
1503  ^)  nnd  gleichzeitig  erschienen  andere  Elemente  des  neuen 
Stiles,  Blattkranz  und  Grotesken,  in  einem  illustrirten  Ablassbriefe, 
welcher  von  mehreren  Gardinälen  für  Unna  ausgestellt  ist^). 

Werfen  wir  nochmals  einen  Blick  auf  das  schöne  Denkmünzen- 
Paar  Jan's  von  Leyden,  so  ergaben  sich  für  ihre  Zurttckführnng 
auf  Aldegrever  mehr  oder  weniger  gewichtige  Gründe  in  den  zeiti- 
gen Stilznständen  und  in  seinen  nahen  Beziehungen  zu  Münster. 
Auffallend,  fast  befremdlich  ist  dagegen  die  Thatsache,  dnss  das 
Münzenpaar  oder  vielmehr  seine  Renaissance  sich  geradezu  anspruchs- 
los und  rudimentär  ausnimmt  gegenüber  jener  schweren  Drechsler- 
Architektur  des  Stiles,  welche  sich  an  einem  Altare  der  Wiesen- 
kirche zu  Soest  schon  um  1528  offenbart.  Der  Altar  ist  angeb- 
lich von  unserm  Meister  oder  vielmehr,  wie  ich  schon  früher  ein- 
gestand^), doch  unter  seinem  Beistande,  und  das  gerade  in  den  deco- 
rativen  Architekturen,  gemalt.  Man  konnte  ja  sagen:  Der  Pinsel 
und  der  Grabstichel  behandeln  je  nach  ihren  Mitteln  die  Formen 
in  stärkerm  oder  schwächerm  Ausdrucke  —  zwischen  der  Anferti- 
gung des  Altares  und  der  betreffenden  Münzen  lagen  mehrere  Jahre, 
die  läuternd  und  bildend  auf  die  Formen  des  Meisters  einwirkten  — 
der  üebergang  von  festgewurzelten  Formen  zu  neuen  vollzieht  sich 
nicht  stets  eben-,  sondern  auch  sprungmässig  —  der  Meister  be- 
thätigte  an  dem  Altare  die  in  der  Fremde  angenommene  Stilweise 
und  mässigte  diese  dann  nach  dem  Geschmacke  der  Heimath :  auch 
in  diesem  Falle  überrascht  noch,  dass  die  Architekturen  der  Alde- 
grever'schen  Stiche  so  lange  entweder  mittelalterlichen  oder  doch 
unausgeprägten  Stilformen  nachhangen  und  erst  gegen  1553/54  ent- 
schiedener die  Renaissance  vorkehren,  wie  damals  die  monumentale 
Landesbaukunst  auch  *),     Noch  1555  vertragen  sich  auf  einem  Blatte 

1)  Bonner  Jahrbb.  a.  0.  S.  54.  Das  erste  nach  Wcistfalen  gekom- 
mene Sicg-cl  der  Renaissance  (Schrift  u.  Architektur)  hängt,  leider  defect, 
au  einer  Urkunde  des  Cardinais  Nicolaus  vonCusad.  d.  14515/7  im  Staats- 
Archiv  Münster.    Fürstenthum  Minden  Nr.  301. 

2)  Abbildung  in  Kunst-  und  Geschichts  -  Denkmälera  der  Provinss 
Westfalen  I  zu  S.  108.  Weiteres  bei  Wi  Im  an 's  in  Pick 's  Monatsschria 
II,  67.  Vollendete  Renaissance  erschien  in  dem  grossen  Siegel  Karls  V  zu- 
meist an  Lehenbriefen  1521  vielleicht  schon  früher. 

3)  Bonner  Jahrbb.  82,  126  ff. 

4)  Vgl.  vorher  S.  329,  Note  1. 


Meister  Eisenhiith.  Bdl 

gothisirende  Hallen,  romanische  Reminiscenzen  und  Kreuzstabfenster^). 
Doch  unsere  Bedenken  schwächen  oder  beheben  sich  im  Hinblicke  auf 
Eisenhuth's  gleichartige  Stilbehandlung  in  noch  späterer  Zeit*)  und 
auf  den  entschiedenen  Wandel,  welchen  auch  das  eigentliche  Flächen- 
ornament der  Renaissance  bei  Aldegrever  noch  1549  durchmachte'). 

Bezüglich  der  Hauptkleinodien  des  Wiedertäufer-Königs  äussert 
ein  zeitgenössischer  Zeuge*):  De  kröne  und  ander  zirath  ist  dorch 
de  goltschmidt  gemacket  rayt  der  anhengener  werlt  an  der 
ketten  .  .  .  Der  Künstler  war  also  JohanDusentschuer  aus 
Warendorf;  denn  ihn  verstand  man  damals  meistens  unter  dem 
„Propheten"  und  stets  unter  dem  „Goldschmiede"*)  (vgl. oben 8.321); 
die  betreffenden  Stücke  gothisiren  bei  Aldegrever. 

Nun,  neben  Aldegrever  und  Dnsentschuer  mögen  wenig  auswärtige 
Künstler  für  die  Wiedertäufer  gearbeitet  haben;  denn  wenn  man 
bedenkt,  dass  selbst  jene  wundervolle  Holzverkleidung  des  Capitel- 
saales  (S.  329)  auf  die  einheimischen  Meister  Johan  Kumper  (to 
Camen)  und  Lambert  von  (oder  to)  Camen^)  zurückgehen  und  da- 
mals in  Münster  alle  Kunstzweige  in  Werken  und  Meistern 
hervorleuchteten,  so  neigt  man  mehr  und  mehr  der  Ansicht 
zu,  dass  auch  die  kostbaren  Gold-  und  Silbergeschmeide  des 
Königs  und  seines  Hofes  hauptsächlich  Früchte  Münsterischer 
Werkstätten  seien.  Das  um  so  mehr,  als  den  Wiedertäufern  ein 
König  erst  während  der  Belagerung  erstand,  und  diese,  was  die 
Stadt  betriflft,  wenn  nicht  den  Ausgang,  so  doch  den  Zugang  bis 
auf  geheime  Ausnahmsfälle  gänzlich  abschnitt. 

T)  Bartsch  1.  c.  VIII,  Nr.  29. 

2)  Oben  S.  313,  314. 

3)  A.  Li  cht  war  k  im  Jahrbuch©  der  Königl.  Proussischcn  Kuiiöt- 
Sammlungen  V,  89,  96. 

4)  Niesert  a.  0.  I,  54. 

5)  Gütige  Mitthcihing;  des  Herrn  Bibliothekars  Dr.  D  e  t  m  c  r. 

6)  A.  Krabbe  in  d.  wcstf.  Zeitschr.  24,  368,  Prüfer's  Archiv  IX,  74; 
Kunst-  u.  Gesch.-Denkm.  d.  Pr. Westfalen II,  80;  Bonn.  Jahrbb. 93, 295.  „Camen 
oder  to  Camen"  war  anscheinend  längst  MÜnstcrischer  Familienname. 

Nachtrag:  Zwei  Schweriner  Bildnisse  (des  Fr.  Floris?;  vgl.  Fr. 
Schlie's  grossherzogl.  Gemälde-Gallerie  zu  Schwerin  1882  S.  524  f.),  deren 
Gleichzeitigkeit  zweifelhaft  ist,  geben  der  Königin  Krone  und  mehrere 
Ketten  aus  Gold  (vgl.  S.  3*24),  dem  König  zutreffend  (Niesert  I,  28)  eine 
Krone  auf  dem  Barette,  sonst  ein  gemeines  Antlitz  (vgl.  S.  321),  eine 
schlichte  Doppelkette  (S.  326)  und  ein  zweites  Kreuz  an  einer  Schnur  (vgl. 
S.  354)  —  afjes  von  Gold. 


II.  Litteratur, 


1.   Dr.   Mathaeus   Much,   die  Kupferzelt   In  Europa  und   ihr 
VerhÄltnisö   zur   Kultur   der  Indogermanen.    Mit   112  Ab- 
bildungen  im  Text.    Zweite   vollständig  umgearbeitete  und  bedeu- 
tend verjnehrto  Auflage.  Jena,  H.  Costenoble.  1893.   XU  u.  376  S.  8^. 
In  dieser    in    der  That    völlig   neuen  Gestalt    wird  Much's    Buch 
über  die  Kupferaeit  sich  noch  mehr  Freunde  erwerben,  als  in  der  frühei*en. 
Das  Werk  gehört   zu  den   gediegensten  Arbeiten  auf  dem  Gebiete   der 
europäischen  Vorgeschichte,  die  wir  besitzen. 

Die  erste  Hälfte  gibt  einen  geordneten  Ueberblick  über  das  Vor- 
kommen, die  Verbreitung  und  die  Art  der  Kupferfunde.  Das  Material 
wird  nach  den  Fundorten  geordnet  vorgeführt.  Die  durchgehenden, 
typischen  Eigenschaften  treten  deutlich  heraus,  ebenso  wie  die  relativ 
nicht  bedeutenden  lokalen  Abweichungen  bemerkt  werden.  Eine  tabel- 
larische Uebersicht  beschliesst  diesen  Theil. 

Die  zweite  Hälfte  des  Buches  untersucht  zunächst  das  Alter  der 
Kupferfunde.  Der  Verf.  beweist  es  zur  Evidenz,  dass  sie  im  Ganzen 
älter  als  die  Bronzefunde  sind  und  die  Zeit  des  ersten  Bekanntwerdens 
der  europäischen  Menschheit  mit  den  Metallen  vergegenwärtigen.  Der 
innige  Zusammenhang  der  Kupferfunde  mit  der  jüngeren  „Steinzeit" 
wird  ausführlich  dargelegt.  Der  Verf.  kommt  zu  dem  Schlüsse:  „Der 
Besitz  des  Metalles  ist  am  Ende  der  jüngeren  Steinzeit,  aber  noch  wäh- 
rend ihrer  vollen  Herrschaft,  in  einem  weitaus  allgemeineren  Umfange 
verbreitet  gewesen,  als  es  je  nachzuweisen  möglich  sein  wird"  (S.  221). 
Von  den  Kupferfunden  findet  der  Verf.  dann  den  üebergang  zu  dtMi 
ältesten  Bronzefunden.  Im  Folgenden  schildert  er  die  Verarbeitung  das 
Kupfers.  Diese  geschah  in  Europa  —  zum  Unterschiede  von  Amerika  — 
nicht  durch  blosses  Hämmern,  sondern  bestand  von  Anfang  au  im 
Schmelzen  des  Rohmetalles  und  Giesscn  in  eine  wenngleich  rohe  Ge- 
stalt, die  dann  durch  Hämmern  nur  vollendet  wurde.  Durch  Funde  in 
den  Alpen  gelingt  es  ihm,  die  ganze  bergmännische  C^winnung  des 
Kupfers  in  der  urgeschichtlichen  Zeit  wieder  zu  rekonsti-uiren.  Die 
Funde  in    den  österreichischen  Alpen,   besonders  auch  in  den   dortigen 


Littetatuf;  SÖd 

t^fahlbauten  bilden  überhaupt  das  starke  Fundament  in  den  Untersu- 
chungen des  Verf.;  denn  jene  sind  ja  sein  eigenstes  Gebiet.  —  Ein  Ab- 
schnitt „über  die  Entdeckung  der  Metalle  und  des  Kupfers  insbesondere" 
gelangt  zu  dem  Schlüsse,  dass  „die  Möglichkeit  dc-r  selbständigen  Ent- 
deckung des  Kupfers  auf  europMischem  Boden"  sich  nicht  bestreiten 
lasse.  Der  enorme  Spüreifer,  mit  dem  in  der  jüngeren  Steinzeit  alle  Ge- 
steinsarten durchsucht  wurden,  scheint  das  Auffinden  der  Metalle  herbei- 
geführt zu  haben. 

Die  letzten  Kapitel  sind  allgemeineren  kulturgeschichtlichen  Inhalts 
und  handeln  von  der  „Kultur  und  Rasse  der  mitteleuropäischen  Steinzeit- 
völker** und  veranstalten  eine  „Prüfung  der  archäologischen  Thatsachen 
durch  die  vergleichende  Sprachfonschung**.  Die  Vorstellungen  von 
einem  „Nomadenleben"  der  vorgeschichtlichen  Bevölkerung  Europas  und 
von  dem  plötzlichen  Eindringen  einer  mit  dem  Vollbesitz  der  Metalle  aus- 
gerüsteten neuen  Rasse  werden  ebenso  wie  das  konventionelle  Herleiten 
aller  Kulturfortschritte  aus  dem  Oriente  gründlich  abgethan.  Hier  wan- 
delt der  Verf.  durchaus  auf  gesunder  Bahn,  so  sehr  auch  Einzelnes  — 
besonders  mangelhaft  ist  das  letzte  Kapitel  „Zeitbestimmung**  —  noch 
der  Korrektur  bedürftig  scheint. 

Der  bleibende  Werth  des  Werkes  liegt  in  dem  Herausschälen  der 
Kupferfixnde  und  dem  Beweise,  dass  sie  die  älteste  Verwendung  der 
Metalle  in  Europa  darstellen;  sein  Hauptverdienst  in  dem  vorurtheils- 
losen  durchaus  selbständigen  Verarbeiten  des  üeissig  gesammelten  Ma- 
terials. Wir  wünschten  mehr  derartige  Werke  über  vorgeschichtliche 
Dinge  in  deutscher  Sprache  zu  besitzen. 

A.  Furtwängler. 

2.  Konstantin  Koenen^  Gefässkunde  der  vorrömischen, 
römischen  und  fränkischen  Zeit  in  den  Rheinlanden. 
Mit  590  Abbildungen.  Bonn,  P.  Hanstein  1895.  154  S.  8«. 
Den  Zweck  des  vorliegenden  Buches  bestimmt  der  Verfasser  in 
der  Einleitung  dahin,  die  rheinischen  Thongefässe  nach  Wort  und  Bild 
so  vorzuführen,  dass  Jedermann,  der  ein  Gefäss  oder  eine  Scherbe  findet, 
beurtheilen  kann,  ob  sein  Fund  vorrömisch,  römisch  oder  fränkisch  ist, 
und  in  welche  Epoche  der  genannten  Zeiträume  er  gehört.  Demgemäss 
liegt  denn  auch  sein  Hauptwerth  in  den  21  Tafeln,  die  in  vielen  Hun- 
derten von  Abbildungen  die  Anschauung  der  verschiedenartigen  Formen 
der  Gefässe,  ihrer  Verzierung,  zum  Theil  auch  der  Beschaffenheit  der 
Gefässwände  und  des  Randprofils  geben.  An  ihrer  Hand  wird  es  in  der 
That  in  den  meisten  Fällen  möglich  sein,  einen  Fund  mit  den  darge- 
stellten Gelassen  zu  identlfiziren.  Ein  wesentlicher  Mangel  ist  dabei 
aber  das  Fehlen  aller  Massangaben,  wofür  die  im  Text  gegebenen  Be- 
zeichnungen der  einzelnen  Gefässe   nur  geringen  Ersatz  bilden.    Dieser 


384  Litteratur. 

^ibt  sich  nun  nicht  etwa  als  ein  erklärendes  Verzeichniss  zu  jenen  Ab- 
bildungen, sondern  will  auch  eine  geschichtliche  Darstellung  der  fort- 
schreitenden Entwicklung  der  Keramik,  ihrer  Beeinflussung  von  aussen, 
ja  vielleicht  noch  mehr  sein.  Dass  sich  die  Beschreibung  nach  den  drei 
geschichtlichen  Perioden  ordnete,  welche  das  Buch  im  Besonderen  be- 
handelt, war  wohl  unumgänglich,  auch  bei  der  reinlichen  Scheidung, 
welche  für  die  römischen  Gefässe  möglich  ist,  unbedenklich,  und  für  die 
fränkischen  Gefässe  glaubt  der  Verfasser  eine  festere  Grundlage  für  ein- 
gehendere zeitliche  Sonderung  in  einem  früheren  Aufsatz  der  Wd.  Z. 
gelegt  zu  haben,  aber  gelegentlich  macht  es  sich  geltend,  dass  für  die 
Beschaffung  genauerer  Perioden  nicht  von  den  Gefftssen  selbst,  ihrer 
Form,  Technik,  Verzierung  u.  dergl.  ausgegangen  wird.  Das  triflft  vor 
Allem  das  schlüpfrige  Gebiet  der  vorgeschichtlichen  Zeit,  wo  z.  B.  die 
von  Naue  für  die  oberbaierischen  Funde  aufgestellte  Klassification  für 
das  Rheinland  übernommen  wird.  Ueberhaupt  dürfte  dieser  Theil  des 
Buches  in  dem  Sinne  des  Verfassers  am  allerschwersten  zu  benutzen 
sein;  es  werden  hier  eine  Menge  Dinge  zum  Theil  ausführlicher  besprochen, 
die  den  Gegenstand  des  Buches  nur  wenig  berühren,  ja  sehr  fern  liegen. 
So  behandeln  die  10  ersten  Seiten  Fragen  der  Anthropologie  und  Geo- 
logie aus  einem  Zeitraum,  der  Gefässe  überhaupt  noch  nicht  kennt,  und 
dabei  werden  dem  Leser  weder  Auseinandersetzungen  über  den  Nean- 
derthaler  Mensch  (sie)  noch  eine  chemische  Analyse  des  rheinischen  Löss 
und  Angaben  über  die  darin  vorkommenden  Spezies  von  Schnecken  er- 
spart. Am  erfreulichsten  ist  dagegen  der  Abschnitt  über  die  Geßlsse 
der  mittleren  römischen  Raiserzeit,  wo  der  Verfasser  durchweg  klar  und 
sachlich  ist  und  meist  die  Beziehungen  der  Gefässe  zu  den  Formen  der 
früheren  Raiserzeit  klarstellt,  wie  auch  Ausblicke  auf  die  spätere  Um- 
gestaltung gibt,  ohne  dass  die  Uebersichtlichkeit  darunter  litte.  —  Als 
erste  zusammenfassende  Darstellung  des  Gegenstandes  wird  das  Buch 
unentbehrlich  sein,  und  die  Hoffnung  des  Verfassers,  dass  es  Gelegenheit 
gebe,  bei  der  Veröffentlichung  eines  Gefässes  die  betreffende  Form  da- 
nach zu  citiren,  kann  sich  durch  die  zahlreichen  Abbildungen  leicht  er- 
füllen. —  Der  Druck  ist  recht  fehlerhaft;  das  Verzeichniss  der  Fehler 
enthält  33  Berichtigungen  von  Verweisungen  auf  die  Figuren  der  Ta- 
feln, und  auf  S.  28  ff.  ist  ausserdem  fast  regelmässig  statt  Taf.  III  ge 
setzt  Taf.  IL  S. 

3.  C.  Mehlis,  Studien  zur  ältesten  Geschichte  der  Rhein- 
lande. Elfte  Abtheilung.  Der  Drachenfels  bei  Dürkheim  a.  d.  H., 
t.  Abth.,  mit  einem  topographischen  Plan  dos  Drachenfels.  Neustadt 
a.  d.  H.    1894.    8.    32  S. 

Der  Verf.  beginnt  mit  topographischen  und  geologischen  Angaben 
über  den  pfälzischen  Drachenfels,  der  unter  diesem  Namen  erst  in  einer 


Litteratur.  835 

Karte  von  1799  erscheint.  Die  in  der  Umgebung  der  Höhe  auftretenden 
Namen  Drachenkammer,  Drachenhöble,  Drachendelle,  Sigfriedsbrunnen, 
sind  modernen  Ursprungs  und  imAnschluss  an  den  Namen  des  Drachen- 
fels, in  dem  man  den  Dracbenfels  der  deutschen  Sage  suchte,  gebildet. 
An  zweiter  Stelle  werden  die  auf  dem  Berge  geraachten  archäologischen 
Funde  an  Stein-  und  Eisenwerk  zeugen  verzeichnet;  auch  eine  Bronze- 
münze des  Kaisers  Magnentius  ward  1822  hier  entdeckt.  Ausföhrlich 
werden  femer  die  hier  vorfindlichen  Wallanlagen  geschildert,  welche  der 
Verf,  für  eine  von  den  Römern  um  die  Wende  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
für  militärische  Zwecke  verwendete  und  z.  Th.  umgeänderte  vorrömische 
Befestigungsanlage  erklärt.  Eine  AufTührung  der  alten  Strassenzüge 
in  der  Umgebung  des  Drachenfels  und  der  an  diesen  Strassen  gelegenen 
Verschanzungen  bildet  das  dritte  Kapitel.  Einige  Bemerkungen  über 
die  vermuthllche  Besatzung  der  Drachenfels-Verschanzung  zur  Römer- 
zeit, ihre  Stammesangehörigkeit,  Zahl  u.  s.  f.  beschliessen  die  Schrift. 

4.  Ed.  PI  et te,  L'6poque  eburn^enne  et  les  races  humaines  de  la 
p6riode  glyptique.    Saint-Quentin.    1894.    8.    27  S. 

Inder  „glyptischen  Periode"  unterscheidet  Piette  zwei  Epochen,  die 
„^burneenne",  in  der  man  Elfenbein,  und  die  „tarandienne*,  in  der  man 
Rennthierknochen  bearbeitet  habe.  Hypothesen  über  den  Verlauf  dieser 
beiden  Epochen,  das  Aussehen  der  in  ihnen  lebenden  Menschen,  ihre  Be- 
schäftigung u.  s.  f.  werden  in  poetischer  Ausmalung  vorgeführt. 

5.  Die  Mosella  des  Decimus  Magnus  Ausonius.  Herausgege- 
ben und  erklärt  von  Dr.  Carl  Hosius,  Privatdozent  Anhang: 
Die  Moselgedichte  des  Venantius  Fortunatus.  Marburg,  N.  G.  Elwert'- 
sehe  Verlagsbuchhandlung  1894.    Mk.  1.40. 

Die  Mosellaner  sind  eigentlich  dem  Ausonius  zu  grossem  Dank 
verpflichtet;  vielleicht  werden  sie  ihn  noch  einmal  in  unserer  denkmal* 
frohen  Zeit  äusserlich  verewigen,  weil  er  ihre  mores  und  ihr  laetum 
fronte  serena  ingenium  gepriesen  hat.  Aber  auch  wer  in  sonnigen  Tagen 
zum  Wanderstab  gegriffen  und  das  liebliche  Moselthal  durchzogen  hat, 
der  wird  sich  gerne  von  dem  liebenswürdigen  Gallier  vorplaudern  lassen 
von  dem  krystallhellen  Wasser  des  Stroms,  von  den  Fischen  im  Grund 
und  den  stolzen  Villen  auf  den  Hügeln,  von  dem  lustigen  Burschen,  der 
den  Berg  hinankletternd  den  Juchzerruf  hinausjubelt  und  den  Wanderer 
im  Thal  zur  Antwort  lockt,  die  des  faulen  Winzers  spottet. 

Wir  danken  C.  Hosius  dafür,  dass  er  uns  den  Dichter  in  einer 
hübschen  Ausgabe  zugängig  macht,  die  bequem,  handlich  und  billig  ist 
und  den  BedürAiissen  sowohl  des  Gelehrten  wie  des  Liebhabers  gerecht 
wird.  Die  Ausgabe  mit  deutschen  Anmerkungen  fällt  aus  dem  Rahmen 
der  uns  geläufigen  Teubner*8chen  oder  Weidmännischen  heraus  —-  nicht 


3ä6  Liiteratüi». 

zu  ihrem  Nachtheil.  Gleich  die  Einleitung  schreitet  ohne  das  schwer^ 
Gerüst  gelehrter  Belege  einher:  sie  schildert  in  fesselndem  Essaystil 
Leben  und  Werke  des  Dichters;  man  wird  gerne  die  treffende  Charakte- 
ristik S.  4  und  17  lesen.  Am  Schhiss  der  Einleitung  versucht  Ilosius 
die  Abfassungszeit  der  Moseila  neu  zu  bestimmen:  er  nimmt  das  Jahr  371 
an.  Gegen  Seeck  und  den  letzten  Herausgeber  de  la  Ville  de  Mir - 
mont  bezieht  er  mit  Böcking  V.  409  flF.  auf  den  S.  Petronius  Probus 
und  deutet  die  Worte 

Quique  caput  rerum,  Romam,  populumque  patresque 
Tantum  non  primo  rexit  sub  nomine,  quamvis 
Par  fuerit  primis 
auf  das  Consulat  des  Probus  im  J.  371 ;  da  war  er  der  Amtsgenosse  des 
Kaisers  Gratian,  par  primis.    Aber   das  Perfectum   rexit?    Müsste   das 
nicht  regit  heissen,  wenn  der  Dichter  noch  innerhalb  des  Consulatsjahres 
geschrieben  haben  soll? 

In  den  Anmerkungen  hat  sich  Hosius  eine  doppelte  Aufgabe  ge- 
stellt: einmal  will  er  dem  Freunde  des  Gedichtes  die  nöthigen  sachlichen 
Erklärungen  bieten,  mögen  sie  topographischer,  historischer  oder  natur- 
geschichtlicher Art  sein;  sodann  hebt  er  die  sprachlichen,  stilistischen 
und  metrischen  Eigentbümlichkeiten  hervor  und  erläutert  sie  durch  zahl- 
reiche Parallelen.  Den  ersten  Zweck  hatte  Böckings  Ausgabe  im 
7.  Bande  dieser  Jahrbücher  vorzüglich  erfüllt;  was  seitdem  an  neuen 
Funden  und  Forschungen  zugewachsen  ist,  hat  der  Verf.  getreulich  ver- 
werthet.  Unsere  Jahrbücher  mit  ihren  trefflichen  indices  erleichtern  diese 
Arbeit  in  dankenswerther  Weise.  Die  zweite  Aufgabe,  sagen  wir  kurz 
die  grammatische  Interpretation,  ist  fast  neu  für  unsern  Dichter:  die 
grosse  Belesenheit,  die  Hosius  in  der  lateinischen  Poesie  besitzt,  hat 
hier  schöne,  für  den  Forscher  werth volle  Sammlungen  gebracht.  Ich 
stimme  ihm  durchaus  darin  bei,  dass  diese  Behandlung  der  spätem 
Dichter  nicht  nur  für  das  Verständniss  nöthig  ist,  sondern  auch  histo- 
risclien  Werth  hat:  sie  zeigen  uns,  was  jene  Zeiten  noch  gelesen  haben. 
In  interessanterweise  erläutert  uns  z.  B.  Hosius,  wie  V.  77  AT.  aus 
Vergil,  Ovid,  Lukan  zusammengestoppelt  sind.  Man  darf  derartiges 
selbstverständlich  nicht  in  modernem  Geiste  beurthellen.  Das  Alterthum 
hat  den  Begriff  des  geistigen  Eigenthums  nicht  gekannt,  lieber  das 
Maass  des  zu  Erläuternden  werden  die  Meinungen  auseinandergehen. 
Für  den  Liebhaber  hätte  ich  mitunter,  so  V.  55  ff.,  gerne  noch  mehr  er- 
klärt gesehen.  Hosius  sagt  selbst  mit  Recht,  dass  das  Verständniss  der 
Moseila  nicht  überall  auf  den  ersten  Blick  gegeben  ist. 

Nach  dem  Vorgang  Böckings  hat  Hosius  der  Moseila  die  drei 
Moselgedichte  des  Venantius  Fortunatus  angehängt:  der  Freund  der 
Moeel  wird  gerne  auch  diese  Erzeugnisse  des  6.  Jahrhunderts  lesen.  In 
der  Anmerkung  zu  dem  ersten  Gedicht  über  die  Burg  des  Nicetlus,  des 


Littei-aitif.  ^i 

äischofs  von  Trier,  verwirft  Hoslus  die  Anidcht  Böckings,  der  sie 
auf  den  Bergkegel  der  Ehrenbarg  setäsen  wollte.  Mit  Bock  in  g  ist  er 
gegen  den  Bischofstein  zwischen  Moselkem  und  Hatseport  ntid  glaubt 
mit  Recht,  dass  die  Beschreibung  des  Venahtius  nicht  genau  genug  ist, 
um  eine  sichere  Fixirung  zu  ermöglichen. 

Ich  halte  es  nicht  für  angebracht,  hier  auf  Einzelheiten  einzugehen, 
wie  dass  ich  V.  29  der  Mosella  für  potis  eintrete,  54  figurae  verlange 
u.  a.  m.  Ein  Kärtchen  der  Mosel  würde  in  einer  zVeiten  Ausgabe  för- 
derlich sein.  Allen  Freunden  ünsrer  rheinischen  AlterthÜmer,  insbeson- 
dere allen  frohgemuthen  Moselwanderern,  die  ihr  Latein  noch  nicht  ver- 
gessen haben,  sei  das  Büchlein  warm  empföblen. 

Crefeld.  M.  Si  e  b  o  u  r  g. 

?.  J,  A.  Ort^  Oudheidkundige  Mededeelingen.  sHertogen- 
busch  1894. 

J.  A.  Ort,  MJEijor  der  Cävallerie,  hat  der  Vereinsbibliothek  obigen 
i^eparatabdruck  aus  den  „Handelingen  u.  s.  w.  in  Noord-Brabant  1891—93" 
überschiekt^  in  welchem  ein  Vortrag  abgedruckt  ist,  den  der  Verfasser 
am  10,  Nov.  1892  gehalten  hat.  In  der  Arbeit  werden  die  archäologischen 
Funde  in  N.  Brabant  in  dankeii^werther  Weise  kurz  "besprochen.  Eine 
Thon-Statuette  der  Diana  yenatri\,  welche  in  Veldhoven  gefundien 
wurde,  dürfte  die  Leser  dieser  Zeitschrift  am  meisten  interessireh. 

'■■'■•■■■•"-■  ■  .  .  .   •        ^^ 

7.  Keue  Beiträge  sbur  Geschichte  der  Stadt  Geseke.    I.  Theil. 
*    Aliso  und  benachbaHe  Festungen   der  Rönber  voh  AdVlf 

Viedenz.    Mit  3  Tafeln  Zeichnungen.    Eberswalde.   1894.   8.    16  S. 

Preis  60  Pf.  • 

Dem  Verfasser '  erscheint  es  n{<^ht  ausgeschlossen,  dass  dfe  Stätte 
des  ehemaligen  Aliso  iii  d^r  Stadt  Geseke  zu  suchen  sei.  Et'  stellt  bidl 
diesem  Anlasse  die  hier  und  in  der  I^ähe  (Paderborn,  Stöermede)  gefun- 
denen römischen  oder  für  römisch  gehaltenen  Anlagen  zUsamnien;  'be- 
sonders iBefestigungen  und  die  beiden  Strassenzüge  des  Heiweg  und 
Haarweg',  und  die  hiermit  iii  Zusammeiihang  stehenden  vereinzelten 
Funde  von  Münzen  und*  Thongeschirr.  ' 

8.  Die  Kunstdenkmäler  der  Hheinprovinzi  Dritter  Band. 
I.  Die  Kunstdenkmäler  der  Stadt  und  des  Kreises  Düs^ 
seldorf;  11.  Die  Kunstdenkmäler  der  Städte  l^armen,  El- 
berfeld,  Remscheid  und  der  Kreise  Lennep,  Mettmann, 
Solingen.  Im  Auftrage  des  Provlnzialverbandes  der  Rheinpröv'inz 
herausgegeben  von  Paul  Yülemen.  Düsseldorf.  L.  Schwann,  1894.. 
gr.  8.    VI  und  172:  VI  und  134  S.    Preis  6  Mk.  und  5  Mk. 

Jahrb.  d.  Ver.  r.  AltertlisAr.  im  Bhelnl.  XOVI.  22 


3dS  Liiterainl*. 

.  Düsseldorf,  mit  dem  der  dritte  Band  der  Kunstdenkmäler  anhebt, 
verdankt  seine  kunstwissenschaftliche  Bedeutung  jetzt  vor  allem  der 
Kunstakademie,  deren  Behandlui;]^  dem  Plane  des  Werkes  zu  Folge  an 
dieser  Stelle  fehlt,  doch  hat  der  Verfasser  wenigstens,  um  diese  noth- 
gedrungene  Lücke  weniger  fühlbar  zu  machen,  die  wichtigere  Litteratur 
auch  über  diese  Anstalt  und  das  neuere  Düsseldorfer  Kunstleben  mit  ver- 
zeichnet Im  Werke  selbst  spielt  nur  die  Altere  Düsseldorfer  Kunst  eine 
Rolle  und  werden  deren  Ueberreste  aufgezählt  Darunter  finden  sich 
gute  Proben  der  Kunstrichtung,  wie  sie  in  Architektur  und  Plastik  unter 
den  Düsseldorfer  Kurfürsten  im  17.  und  18.  Jahrhundert  in  Blüthe  stand, 
noch  an  Ort  und  Stelle,  wie  das  bekannte  Reiterstandbild  des  Kurfürsten 
Johann  Wilheln^  von  Grupello  auf  dem  Markte,  welches  zu  einem  der 
Wahrzeichen  der  Stadt  geworden  ist  Von  den  Bauwerken  ist  zwar  das 
vielumgebaute  grosse  Schloss  durch  den  Brand  von  1872  zerstört  worden, 
aber  doch  an  andern  Anlagen  genug  erhalten  geblieben,  um  die  Re- 
konstruktion eines  Bildes  der  alten  Residenzstadt  in  den  letzten  Jahr- 
huiiderten  zu  ermöglichen.  In  übersichtlicher  Form  werden  nach  dem  in 
den  früheren  Heften  verwendeten  Schema  diese  Bauten  besprochen  und 
die  wichtigeirnauch  im  Bilde  vorgefiihrt  Bei  den  Kirchen,  besonders 
der  Andrejs-  und  Lambertus:Kirche  werden  die  in  ihnen  erhaltenen 
Kunstdenkmäler  registrirt,  bei  letzterer  ist  leider  die  Abbildung  der  alle- 
gorischen Figuren  vom  Grabmale  Hers^og  Wilhelms  auf  Taf.  Itt  wenig 
klar,  ausgefallen.  Zahlreich  sind  in  Düsseldorf  die  Kunst-  und  Alter- 
thümersammlungen,  an  deren  Spitze  das  Kunstgewerbe-  und  das  Histo- 
risch^ Museum  stehen,  während  das  Staatsarchiv  und  die  Landesbiblioth^k 
zal^l^elche  kum^tgeschicbtlich  wichtig^  Handschriften  enthalten.  Ihnen 
zur  .$eiie  tritt  eine  längere  Reihe  von  Privatsa^mlungen,  über  deren 
Inhalt  auf  Grund  von  Notizen  der  jeweiligen  Besitzer  Uebersichtep  ge- 
gebe^i  werden.  Mit  der  Behandlung  der  Stadt  Düsseldorf  ist  die  der 
an^tQpaenden  Orte  Bilk  und  Derendorf  verbunden  worden. 

Im  Kreis  Düsseldorf  ist  von  besonderer  Bedeutung  Gerresheim  mit 
seiner  1236  vollendete^  Stiftskirche^  welche  sehr  ausführlich  behandelt 
Y^rd;  dann  ^aiserswerth  mit  der  viel  umgebauten,  vor  etwa  20  Jahren 
restaurirten  Stiftskirche  und  den  Resten  der  alten  Burg;  dann  Ratingen 
mit  den  Ueberresten  seiner  alten  Mauerthürmei  endlich  Benrath  mit  dem 
in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  errichteten  Schlosse,  wel- 
ches seinen  Qesammteindruck  besser  bewahrt  hat,  aijs  das  etwa  gleich- 
zeitige ächlöss  Pempelfort  (Jägerhof)  zu  Düsseldorf,  dessen  Front  durch 
ein  Mitte  dieses  Jahrhunderts  vorgesetztes  Glashaus  völlig  entstellt  wor- 
den ist.  Auch  einige  malerische  und  auch  sonst  beachtenswerthe  Burg- 
und  Sciilossanlageh  (Angermund,  Heitorf,  Hugenpoet,  Kalkum,  Lands- 
berg —  die  Fahnenburg  mit  wichtiger  Qemäldesammlung  ist  modernen 
Ursprungs) ,  und  frühmittelalterliche  Befestigungsanlagen  (bei  Hain,  Hilden, 
Hubbelrath,  Rath)  befinden  sich  innerhalb  des  Kreises. 


Ötadt  and  Kreis  Düsaeldorf  fttllon  das  erste  Heft  des  Bandes,  dlis 
tweita  betrKditlich  dtnnere  behandelt  S  Städte  nnd  8  Kreise.  Wir  steilen 
hier  anf  indnstriellem  Boden,  in  dem  die  Entwickhing  der  Nenseit  sich  der 
Erhaltung  des  Alten  natnrgemttss  feindlich  erwies;  ansserdem  haben  aber 
aneh  ungünstige  geologische  VerhSltkiisse  hier  der  Entwickhing  grösserer 
kfinstlerischer  Werke  entgegengewirkt.  In  Barmen  sind  nnr  einige  Priva^- 
banten  des  vorigen  Jahrhunderts  beschtenswerth«  In  Etberfield  ansser  awei 
nahgelegenen  Wallbargen  und  zwei  unbedeutenden  Kirchen  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  gleichfalls  PriTatbauten  des  18.  Jalirhundert«,  dkruflter 
ein  reizendes  Qartenhttuschen  In  der  Kam^strassei  Remscheid  besitzt 
nur  eine  1726  neu  erbaute  Pfarrkirche. 

Im  Kreise  Lennep  knüpft  sich  das  Hauptinteresse  an  das  neuer- 
dings restaurirte  Sobloes  Bui^  an  der  Wupper  an,  welches  seit- der  Mitte 
des  12.  Jahrhunderts  einer  der  Hauptöitze  der  Grafen  von  Beong  war. 
In  Plänen  und  Ansichten  werden  der  Bau  und  die  zugehörigen  Kirchen- 
anlagen erläutert^  besonders  Tafel  I  zeichnet  sich  hier  durch  iluren  an- 
sprechend warmen  Farbton  aua.  Zu  nennen  sind  dann  die  Pfanridrehen 
in  Beyenbnrg,  Lennepi  Wermelskirchen  (Thurm),  das  Schloss  zu  Hücke»* 
wagten  und  Haus  Lifaitenbeck  zu  Sonnborn,  •  Privatbaaten  sn  Häckeswagtttt 
und  der  malerischeSWüstenhof  bei  Wermelskirchen.  ^  Der  Kaeis  Mettmann 
enthält  eine  erhebliche  Zahl  alter  Wallbürgen,  vor  Allem  die  Altebmg 
im  NeaAderthal;  auch  Ton  alten  Land  wehre»  sind  grössere  Beste  er« 
halten  geblieben.  Unter  den  Kirchen  waren  die  zu  Dttssel  und  Oraiten 
durch  ihr  Alter  von  Bedeutung,  dieselben  sind  aber  Umbauten,  bez. 
der  Abtragung  zum  Opfer  gefallen.  Von  Schlössern  ist  das  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  umgebaute  Hardenberg  zu  nennen. 

In  der  Stadt  Solingen  finden  wir  eine  Reihe  geschmackvoller  Pri- 
Tatbauten  des  vorigen  Jahrhunderts.  Im  Kreise  treten  in  Bürgel  wich- 
tige, in  diesen  Jahrbüchern  öfters  behandelte  römische  Ueberreste  auf, 
in  Gräfrath  eine  im  Innern  malerische  Barockkirche  mit  reichem  Schatze, 
in  Monheim  ein  fester  Thorthurm  des  15.  Jahrhunderts,  in  Rheindorf 
eine  ursprünglich  romanische  Kirche,  in  Vorst  endlich  eine  grosse  Schloss- 
anlage, kleinerer  Bauüberreste  zu  geschweigen. 

9.  Bibliographie  [der  Geschichtswissenschaft]  bearbeitet  von 
Oscar  Masslow  und  Gustav  Sommerfeldt  (Separat-Abdruck 
aus  der  Deutschen  Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft,  Bd.  XI, 
Heft  1  und  Heft  2,  Freiburg  i.  B.  1894). 

Sorgfältige  Zusammenstellung  der  historischen,  einschliesslich  der 
kulturhistorischen  Litteratnr  des  letzten  bezw.  der  beiden  letzten  Jahre, 
bei  der  für  die  politische  Geschichte  Deutschlands  Vollständigkeit  erstrebt 
ist,  während  für  die  übrigen' Gebiete  eine  Auswahl  getroffen  ward.  Die 
Utteratur  des  Alterthums  ist  von  Juli  1892   bis  Ende  März  1894,  die  der 


JSa6  Ütterattiif. 

Weltgesduohte  seit  Aufzug  Mürz  13d$,  die  des  Mittelaitera  vou  Anfang 
Anglist,  IBdd  bis  Mitte  ApcU  1894,  die  der  NeiueU  von  Mitte  Aagust 
)a93  Ins  Ende  Mal  l&H  gegeben«  Berücksichtigt  sind  sowohl  Bücher 
and  Zeitschriftßaufsatze  wie  auch  wichtige  Becensionen.  Als  .Wegweiser 
djtirch.die  ao^gedehple,  für  den  Forseher  oft  fast  unübersehbare  Menge 
wisaeqschaftUcher  StudM^n  Ist  die  selbstveriaugneiide,.  aureriassige  ut\d 
tthersichttiche  Arbeit  der  Verfasser  von  grosstem  Werthe. 

l(i  J%  Sehheider,   Die   alten  Heer-   und  Han.del.swege 

'  der  Germanen,  Rom ^  r  and  Franken  i.m  deutschen 

Reiche.     10.   Heft.     Das    römische. St rassenneta    in 

•  dem  mittleren  Theile  der  Rheinpir  o  vine  und   die 

römischen    1 1  i  u  e  r  ^a  r  i  e  n.     Frankfurt   a.    M.    18di.     gr.   8. 

/     2dS.    2  Karten.    Preis:  2  Mk. 

IMe  Sebrilt  bespricht  die  RömeMtraasen  (Haupt-,.  Seiten-  -und  Ver 

bindungsstvasMn)*  des  Geibietes,>  welches  etwa  durch  die  Pumkle  Maimedy, 
Remagen^  Altenkiiroken,  Sayn;  <}obleiiLZ,  WasserbiHig  begranat  wird;  die 
Kart»  'steigt  dieselben  dann*  in  scharfen  Lilnieit  eingeaeichnct.  Bemer* 
kungen  übeb  die 'Anlage  der  Römerstrassen,  dieMUtel  und  Wege^  ihren 
y erlauf  durch  lokale  Forschung  festzuiiCeUciki,  sindder^^eassenschilderüng 
aeibat  ingefügti  Dann  werden  jdf(ß  Angaben  der  P^utinger'scfaen 
Tafel' und  des  Aotoik  Itinerar»  behandelt^  and  mit  idem  lokalen. Befunde 
vetigUchenj*' 


III.  Hlscellen. 


t  .1.  Ein  atCiechefl  Vasenfr agmenl  in  Erbach.  In  der 
grä)i<^^  SaiOttluftg  in  fir^aeb  im  Odani^^liie  wird  die  nuBtiehend  ab- 
gebtTdete  rothfigariige- Vagenacherbe  aofbewahrt ;  ich  bin  ItiderL^i^r  das 
l£leine,*b4gher  für  y erschollen  geltende  Kunstwerk  nach  seiner  Herkunft 
mit  annähernder  Genauigkeit  zu  bestimmen,  wenn  auch  der  zwar  über- 
aus sorgfältige  aber  nach  veralteten  Grundsätzen  aufgestellte  handschrift- 
liche Katalog  der  Sammlnng  seiner  nur  mit  wenigen  Worten  ge- 
denkt. Der  schöne  Kopf  ist  zuerst  abgebildet  als  Vignette  von  Tisch- 
bein (Homer  nach  Antiken,  Text  S.  32)  und  dann  bei  Lenormant  und 
de  Witte  (Elite  diram.  I  29,  1).  Die  erstere  Zeichnung  zeigt  den  Cha- 
rakter der  Malerei  besser  alf*  die  leta^tgenannte ,  aber  beide  lassen 
eine  erneute  Wiedergabe  nicht  Uberftüssig  erscheinen,  zumal  sie  nur 
den  Kopf  darstellen,  und  der  Text  an  keiner  der  beiden  Stellen  Aus- 
kunft über  Gestalt  und  Grösse  der  Scberb«  gibt.  Sie  Ist  aus  dem  Rande 
eines  grossen  Gefäsees  nut  weiter  Oeffl&ung,  zweifellos  eines  Glockenkra- 
ter, ausgebrochen,  der  oben  {pit  reicheid  Pateettenoimament  verziert  war. 
Die  grösste  Dicke  des  Rafides  beträgt  1,7  cm«  die  t>icke  der  Bildfläche 
0,7  cm.  In  der  Gestalt,  wie  die  Scherbe  nach  Etbach  kam,  findet  sie 
sich  in  dem  genannten  geschriebenen  Katalog  abgebildet;  später  wurde 
der  Kopf  herausgesägt  und  in  den  Deckel  einei^ flachen  Dose  eingelassen; 
das  übrig  bleibende  Stück  mit  ftitf  Omamej^C  wird  jetzt  in  einem  Schrank 
aufbewahrt.  >   ' 

Als  1806  der  handschriftliche  Katalog  der  Sammlung  angefertigt 
wUrd^,  war  *das  Fragment  schon  in  Erbach. '  Als  Ort  seiner  Herkunft 
wird  Locris  in  Calabrien  genannt;  nach  Tischbein  war '^ie  „ehemals  bey 
deiri  CaValiere  Venutt  äu  Neapel  auffcewahrt*.  Nuii'  war  Graf  Franz  von 
ErbÄch,  der  Gfründer  der  Sammlung,  mit  Riclolfinö  Ventiti'in  ftaH^n  pei*- 
söhltcii'  bekannt 'gewordein  und  hatte  sich  seiner  yermittlung  bei  verschie- 
denen Ankäufen  bedient,  wie  die  vor  2  Jahren  bei  einem  Brajidcf  zu  Grüri^^ 


342 


Miscellen. 


gegangenen  Sammlungsakten  beweisen,  die  mir  noch  vorgelegen  haben. 
Der  Besitzer  der  Scherbe  wird  Ridolfinos  Bruder  Niccolo  Marcello  ge- 
wesen sein,  der  im  Auftrage  des  Infanten  Don  Carlos  in  den  vierziger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Ausgrabungen  in  Herculaneum 
leitete.  Da  er  eifriger  Sammler  war,  hat  -er  wohl  während  seines  län- 
geren Aufenthaltes   in   oder  bei  Neapel   die  Scherbe  erworben;    durch 


Vermittlung  seines  Bruders  Bidolfino  wird  sie  dann  in   den  Besita  dea 
Olafen  übergegangen  sein.  , 

Der  Besc^reibuiig  des  Bildes  bei  Lenormant  und  de  Witte  ist  wenig 
zuzufügen.  Dargestellt  ist  ßin  schöner  jugendlicher  Frauenkopf  in 
Profil;  palmettenforniige  Ohrgehänge,  und  ein  reichge^iertes  Diadem 
echpiücken  den  Kopf.    Wichtig  für  die  Bestimmung  der  dargesMltea 


Miscellen.  848 

Gottheit  scheinen  die  beiden  Flttgelpferde,  die  sich  ttber  der  Stirn  ans 
dem  Diadem  erheben.  Gleichen  Stirnschmuck  zeigt  eine  Athena  bei 
Millingen  (Vas.  gr.,  div.  coli.  pl.  49),  und  wenn  anch  Lenormant  und  de 
Witte  die  Darstellung  der  Scherbe  mit  den  EOpfen  der  Hera  LaeSnia  auf 
Münzen  von  Kroton  zusammenbringen  wollen,  so  iät  doch  nach  Furt- 
wttngler^s  Ausführungen  über  die  Entwicklung  des  Typus  der  helmlosen 
Athena  nicht  zu  zweifeln,  dass  hier  Pallas  dargestellt  ist.  Furtwängler 
selbst  (a.  a.  0.  S.  26,  A.  1)  führt  das  Erbacher  Fragment  an,  das  ihm 
aus  Tischbein's  Zeichnung  bekannt  war  und  bestimmt  zugleich  seine  kunst- 
geschichtliche Stellung,  indem  er  es  mit  den  Figuren  der  weissgrundigen 
Berliner  Euphronfosschale  zusammenstellt  Wir  haben  in  der  Vase  nach 
Technik,  Stü  und  Dekoration  eine  vortreffücbe,  bald  nach  den  Perser- 
kriegen entstandene  attische  Arbeit  zu  erkennen;  das  Ornament  der 
Scherbe  kommt  auf  anderen  Gefftssen  gleichen  Ursprungs  vor,  so  in  ge- 
nauer Uebereinstimmung  und  gleicher  Grösse  auf  einer  .Volutenamphora 
aus  Bologna  (Mon.  d.  J.  X,  74  a),  genau  horizontal  getheilt  auf  einem 
Glockenkrater  aus  Orvieto  (Mon.  d.  J.  XT,  88,  39),  ähnlich  auf  einer  Yo- 
lutenamphöra  aus  Bologna  (Mon.  XI,  14,  15)  und  etwas  rescber  ausge- 
staltet bei  Brunn-Lau  (Omam.  Taf.  24,  16).  Ton  der  Darstellung  auf  der 
Vase  ist  ausser  dem  Kopf  der  Athena  leider  nur  das  obere  Ende  eines  Bozens 
erhalten:  vor  Athena  stand  also  wahrscheinlich  Arteniis  od^r  Hierakles. 
Darmstadt.  £d:  Anthes. 

2.  Köln.  Funde  römischer  AI  terthümer  am  Aposteln* 
markt  Nr.  25.  Bei  den  Erdarbeiten  zum  Neubau  des  Herrn  Georg 
Bergfa  gehörenden  Hauses  Apostelnkloster  25  wurden 'im  Jakre  1894 'die 
Baureste  eines  römischen  Hauses  aufgedeckt.  Die  aufgeftindenen  Mauer- 
reste decken  sich  etwa  mit  dem  heutigen  Grundstück.  Ob  das  römisehis 
Wohngebttude  nach  den  beiden  seitlichen  Naehbarterrains  noch  mebfere 
Ritume  hatte,  konnte  nicht  festgestellt  werrden.  Nach  äei  Strasse  "zu 
scheinen  noch  mehrere  Räume  gewesen  zu  sein,  da  die  Maueransätz^ 
gefanden  wurden.  Die  hinteren  Grenzen  des  Gebäudes  sind  noch  unauf- 
gedeckt.  Der  Fussboden  des  Gebäudes,  weicher  ca.  8  m  unter  der  Strassen- 
kröne  lag,  bestand  aus  Estrich  und  war  mit  einer  dicken  Bnundschiebt; 
ioirelelier  sich  grosse  Stücke  HohkoMen  vorfanden,  bededct.  Ueberdiee^ 
Kohlenschicht  lag  eine  ca.  1,(X)— 1,50  m  hohe  Schicht  R<)mersehutt  mit 
BramdBlüdken  vermischt.  Die  darüber  befindliche  Sohkiit  war  aufge- 
sebütteter  Boden  afus  späterer  Zeit.  XHeMauerreete*  bestanden  aUsGtau- 
wacke  ndt  Ziegehi  und  ragten  nur  in  geringer  Höhe  Über  dem  Esirldi 
hervor;  theü weise 'befand  sich  noch  dor  bMiaHeWandputa  an  diebe^ 
Mauerresien. 

In  dem  voi^deren^der  jetzigen  SIrusse  zugekehrtlsn  Theile-  wurden 
mir  rohe  und  mifid^rwerthige  T«pf^  uud  Toher  g«lber' Wand^^uta  gie^ 


344  Miscelleo. 

fUnden.  VollBtändig  erhaltene  Dachziegel,  Hohlziegel,  Heizungsrobre, 
runde  ThoD Scheiben,  geschmolzene  Eisentheile,  geschmolzenes  Ola^i,  fan- 
den sich  im  ganzen  Gebäude  zerstreu!;  vor. 

Die  wichtigsten  Funde  wurden  in  den  hintersten  Büumen  gemacht. 
Dieselben  waren  durchgehend  geglättet  und  fein  bemalt  in  pompejani- 
schem  Roth.  Auch  verzierte  bemalte  Wandstücke  fanden  sich  vor.  Ausaer- 
dem  viele  Scherben  von  reich  ornamentirten  Terra  sigillata-Oefässen.  In 
einem  dieser  Räume,  in  der  Nische  der  Mauer,  stiess  man  anscheinend 
auf  eine  Truhe  oder  Schrank  in  schräger  Lage,  umgeben  von  geschmol- 
zenem Eisen.  Hier  wurden  gefunden:  verschiedene,  sehr  schöne,  voll- 
ständig erhaltene  Töpfe  von  verschiedenen  Formen^  zwei  grössere 
Schüsseln  aus  Terra  sigillata,  welche  mit  zwei  kleineren  zugedeckt 
waren.  Dieselben  enthielten  Speisen,  Geflügelüberreste,  Austernscha^ 
len  etc.  Mehrere  sehr  sehöne  Gläser,  worunter  eine  feine  Glassehale  und 
ein  Weinheber,  fand  man  in  diesem  Schranke  ebenfalls  vor.  Leider 
waren  die  feineren  und  dünnen  Gläser  grösstentbeils  zerbrochen,  nur 
einige  dicke  Gläser  sind  vollständig  erhalten  geblieben.  In  den  dicken 
Gläsern  war  vielfach  noch  der  Inhalt  vorhanden;  auf  einem  Glase  be- 
findet sich  uaten  am  Boden  ein  Stempel.  Ein  anderes  Glas  scheint  be- 
malt gewesen  zu  sein.  Ausserdem  befanden  sich  in  dem  Schrank  Mün- 
zen; zwei  davon  lagen  fest  aufeinander;  die  eine  war  eine  ältere  mit 
der  Umschrift  Trajan  und  war  vollständig  abgegriffen.  Die  avdAre  war 
auf  der  Seite,  wo  sie  auf  der  ersteren  Münze  lag,  vollständig  neu  und 
wie  es  schien,  noch  wenig  im  Gebrauch.  Diese  Münze  zeigt  auf  der  einen 
Seite  ein  Jupiterbild  mit  der  Siegesgöttin,  unten  einen  Adler  und  einen 
Gefangenen  mit  den  Händen  auf  dem  Rücken  gebunden.  Die  Umschrift 
lautet  lOVI  CX)NS£RV ATORI.  Auf  der  anderen  Seite  ist  ein  Kopf  mit 
der  Umschrift  LICINIVS  NOB.  0.  (cf.  Cohen,  Licinius  fils  nr.  25).  Eine 
andere  gut  erhaltene  Münze  zeigt  auf  der  einen  Seite  ein  Thor  mit  der 
Umschrift  PROVIDENTIAE  CAESS  und  unter  dem  Thore  die  Inschrift 
ASIS,  auf  der  anderen  Seite  ist  ein  Kopfbild  mit  der  Umschrift  CON- 
STANTIVS  (cf.  Cohen,  Constance  II  nr.  253  ff.).  Weniger  gut  erhalten 
ist  eine  Münze  mit  der  Umschrift  CONSTANTINVS  (II),  auf  der  Rück- 
seite anscheinend  römische  Feldzeichen.  Ausserdem  fanden  sieh  noch 
Müitten  von  den  Kaisern  Hadrian  UAd  Antoninus  vor.  Im  ganacB  war* 
den  ca.  8*— 10  Münaen  gefunden. 

In  dem  daneben  gelegenen  Baume  fand  man  in  einev  Eoke  über 
dem.  Estrich  ein  vollständiges '  im  Lehmschutt  steckendes  Skelett  Der 
Schädel  ist  vollständig«  erhalten.  In.  d^n  der  Strasse  nahegelegenen 
Nebenraome  wurden  ebenfalls  über  dem  Estrichboden  menschlfche  Sebä^ 
delreste  gefunden.  In  den  Räumen  an  der  Strasse  selbst  —  iv^ahrsoheilk- 
lieh  Stille  —  fanden  sich,  sehr  viele  Thierlunocben^  welche  theilweise  ver- 
brannt u^d  tcblacketiaftig  geschmolzen,  varen,  vqc.  In  4er  Tiefe  von  eineai 


Mtscellen.  845 

Meter  unter  dem  Estrichboden  'dieses  Hattses  fand  man  noch  zwei  Stein- 
sarkophage,  den  eines  Erwachsenen  und  eines  Kindes.  In  den  Sarko- 
phagen befanden  sich  sehr  schöne,  vollständig  erhaltene  Gfäser  tind  Ge- 
fasse.    Auf  eincim  Gefäss  steht  IMPLE. 

Aus  den  gemachten  Funden  dürfte  zu  schliessen  sein,  dass  dieses 
Haus  in  seineu  nach  der  heutigen  Strasse  zu  liegenden  Theilen  zu 
Oekonomiezwecken  benutzt  wurde,  wegen  der  hier  so  viel  vorgefun- 
denen Thierknoeben,  der  primitiven  Funde  und  des  primitiven 'Wand- 
putzes. Der  Raum  dahinter  scheint  ein  Hof  gewesen  zu  sein.  Auf  der 
Mauer  zwi^hen  ihm  und  dem  Durchgang  standen  wahrscheiriHch  Holz- 
sttulen.  Reste  von  Steinsäulen  waren  nicht  vorhanden.  Hingegen  deuten 
die  vielen  'Brandstücke  und  Holzkohlen  auf  viel  Vernrendung  voil  Holz 
bei  diesem  Gebäude.  Die  hinteren  Räume  waren  entschieden  die  'besse- 
ren, was  aus  der  besseren  Ausstattung  au  Malerei  und  den  vorgefundenen 
Gegenständen  -  tu  schliessen  ist.  Hier  werden  wir  die  Wohnräume  des 
ehemaligen  Besitzers  zu  suchen  haben. 

üeber  die  Zerstörung  des-  Gebäudes  können  aus  dem  vorliegen- 
den Material  ziemlich  bestimmte  Schlüsse  gezogen  werden.  Dass  das 
Gebäude  gewaltsam'  und  zwar  durch  Brand  zerstört  worden  ist,  beweisen 
die  vielen  'Brandspuren,  geschmolzenes  Glas  und  Eisen,  verbrannte  Kno- 
chen u.  s.  f.  Die  Zerstörung  scheint  auch  eine  plötzliche  gewesen  zu 
sein,  da  das  Vieh  sich  noch  in  den  Ställen  befand,  femer  noch  Einwohner 
in  dem  Hause  waren,  welche  einen  jähen  Tod  fanden.  Nach  den  Mün- 
zen, deren  späteste  aus  der  Zeit  um  850  n.  Chr.  stammt,  dürfte  das  Haus 
um  oder  vor  350  n.  Chr.  durch  die  Einfälle  der  Franken  zerstört  wor- 
den sein. 

Eberlefn. 

d.  Kreuznach.  Von  der  alten  Niederlassung,  welche  sich  an  das 
römische  Kastell  (jetzige  Glashütte)  ansdiloss,  sind  Jetzt  weitergehende 
Spuren  an  der  Bosenhetraer  Landstrasse  in  der  Entfernung  von  10  Minu- 
ten zu  Tage  getreten.  Beim  Ausschachten  für  ein  Gewächshaus  der 
Gärtnerei  ^Hübsch  und  Bieuter^  fanden  sich  in  einer  Tiefe  von  1— -1,60 
Meteit  ibests  von  römiscben  grauschwarzen  un^  guten  rotfien  Qefässen 
«ftd  Ziegeln,  sowie  kleine  Broneecierfatfaen  und  eine  Sehiebwagei  Vorhan- 
den ist  da»  eine  Stück^  eine  Bronceröhre  Von  20  cm  Länge  und  2^  om 
Durehmesser.  In  einem  Ring  am  Ende  hängt  der  Haken  für  die  Waare, 
ijb  und.. 13  cm  vom  Ende  entfernt  befinden  sich  auf  entgegengesetzten 
Selten  die  .wohlerhalt^nen  Hängerorricftitungen  für  schwerere  und  leicsh- 
tere  Waaren;  das  cylindrische  Gewicht  aus  Blei  mttBronceüberzug  tribgi 
3  Kilo.  Leider  ist  der  wahrsobeinlich  eiserne  WagetMtlken,  an  dem  das 
Gewicht  hin  und  her  geschoben  wurde,  und  der  nrspvünglicli  tief  in  der 
Broncevöbre  steckte,    nicht  mit  gefondea*  worden*     Die    betreffenden 


846  MlBceUen. 

Qegenstttnde  sind  der  Sanunlung  des  &atiqa.-bisioriacheii  Vereins  ein- 
verleibt. 

Bei  dem  Gladiatorenmoaaik  an  der  Hüffelsheimer  Landstrasse  hat 
sich  eine  römische  Wasserleitung,  Bohren  von  12  cm  Durchmesser  und 
1  m  Länge,  gefunden.  Kohl. 


4.  Aufdeckung  eines  Hallstattgrabes  in  Mittelalter. 
Unter  den  von  Sacken  (Das  Grabfeld  von  Hailstatt.  Wien  1868)  abge- 
bildeten Grabfunden  des  grossen  oberösterreichischen  Grabfeldes  «von 
Hallstatt  befinden  sich  eine  Anzahl  (Taf.  IV  4-8),  bei  denen  nur  die 
l^liochen  der  Beine  und  des  Beckens  unversehrt  erscheinen,  wäbrraid 
der  Oberkörper  verbrannt  worden  ist.  Dass  gelegentlich  eine  theilweiae 
Verbrennung,  auch  in  anderer  Art,  stattgefunden  habe,  constatirt  der 
Herausgeber  ausdrücklich,  bespricht  lihnliche  Vorkommnisse  in  anderen 
Ländern  und  deutet  die  Möglichkeit  an,  dass  eine  dunkle  religiöse  Vor- 
stellung die  Zerstückelung  des  Leichnams  und  seine  theilweise  Verbren- 
nung möge  v^aulasst  haben  (S.  13—17).  Unter  den  fränkischen  Gräbern 
in  Meckenheim  (B.  J.  d2  S.  179  f.)  befanden  sich  auch  awei,  die  imr  die 
Beine  eines  Skeletts  enthielten,  von  dem  einen  heisst  es  im  Fundbericbt: 
der  obere  Theil  des  Skelettes  war  verwittert.  Theilweise  Verbrennung 
bei  rheinischen  Funden  erwähnt  auch  D  o  r  o  w  (vgl.  Konen,  Gefüfls- 
künde  S.  28  f.).  Wenn  nun  Hoernes  (Urgeschichte  des  Menschen  8. 
6)8)  bemerkt,  dass  die  ganse  Sache  vielleicht  nur  auf  die  partielle  Zer- 
störung alter  Skelettgräber  durch  jüngere  Brandgräber  zurückBUführen 
sei,  eine  Annahme,  die  zu  den  vorhandenen  Verhältnissen  nicht  gerade 
im  Widerspruch  steht,  so  dürfte  es  nicht  unangemessen  sein,  darauf  hin- 
zuweisen, dass  ein  analoger  Irrthum,  wenn  anders  es  einer  ist,  schon 
vor  vielen  hundert  Jahren  begangen  wurde.  Caesarius  von  Heisterbach 
berichtet  nämlich  (Dial.  mirac  IV  32,  vol.  I  p.  193  Strange),  wie  ihm  der 
Schultheiss  von  Königswinter  erzählt  habe,  dass  er  einst  von  einem  frem* 
den  Geistlichen  erfuhr,  auf  welche  Weise  der  Himmel  eine  jähzornige 
und  zänkische  Jungfrau  eigenthümlich  bestraft  habe.  Am  Morgen  nach 
ihrem  Begräbnisse  sah  man  aus  dem  Grabe  Rauch  aufsteigen  und  fand 
beim  Nachgraben  die  obere  Hälfte  des  Körpers  von  Feuer  versehrt,  die 
untere  wohl  erbalten.  Den  Rauch  und  die  Beziehung  auf  eine  bekannte 
Person  der  Zeit  wird  wohl  der  moralisirende  Eifer  des  Ersählera  dazu 
getban  haben,  aber  die  merkwürdige  Erklärung  der  eigenthümliehen 
Strafe,  die  A.  Kaufrnann  in  seiner  Uebersetzung  (Niederrh.  Ann.  XLVII 
8. 151,  wo  die  Sache  ungenau  nach  Königswinter  selbst  verlegt  ist)  über- 
ginge mag  doch  auch  noch  eine  Stelle  finden:  vx)hiit  deus  in  eins  cor- 
pore ostendere,  quantum  ei  placeret  virtus  castimoniae,  et  qaantnm  ab- 
borreret  Vitium  iracundiae.   quia  virgo  früt,   castitatis  gratia   crura  eins 


MkceUen.  847 

e«iD  femovibas  illaesa  servayit,  et  quia  irseunda  erat  nimis,  fei,  cor,  )ln- 
£^ain,  manus  cum  suis  sedibus  ignis  devorarit  S. 

5.6iegburg.  Seherbenhtigel.  Unweit  der  Aggerbrlleke  zwi* 
sehen  Siegbarg  und  Troisdorf  am  iinken  Ufer  des  Flüsschens  nnd  links 
Yon  der  Chaussee  erhebt  sich  ein  umfangreidiery  mit  Buschwerk  bestande- 
ner künstlicher  Hügel  hoch  aus  dem  Felde.  Derselbe  besteht  aus. Scher- 
ben und  war  vor  Zeiten  noch  beträchtlich  grösser,  doch  sind  allmählich 
zahllose  seiner  Scherben  auf  die  umliegenden  Aeeker  verschleppt  wor- 
den. In  seiner  trefflichen  Bearbeitung  der  Geschichte  der  Biegburger 
Kunst-Töpfergilde  (Ann.  f.d.NiederrbeinXXV  S.  10  f.)  gedenkt  Dornbusch 
dieser  Anhöhe  und  verzeichnet  eine  mündliche  Ueberliefemng,  der  zufolge 
der  Seherbenberg  etwa  1820  bei  dem  Hofe  Ulrott  abgetragen  und  hier, 
einige  hundert  Schritte  vom  Hofe  entfernt,  wieder  aufgeschüttet  worden 
wäre;  er  rühre  von  der  wahrsclieinlich  bei  dem  Hofe  um  1600  in  ziem- 
licher Ausdehnung  betriebenen  Töpferei  her;  sein  Name  „Galgenberg^ 
sei  erst  in  späterer  Zeit  von  dem  jetzt  eingeebneten  alten  Qalgenberge, 
der  näher  nach  dem  Driesch  zu  gelegenen  Bichtstätte  Siegburgs,  auf 
ihn  übertragen  worden.  Von  diesen  Angaben  erscheint  nur  die  letzte 
richtig.  Die  Annahme  einer  Töpferei  zu  Ulrott  beruht  nur  darauf,  dass 
IMS  sidi  die  Herren  von  Edelkirchen^)  über  den  Verkauf  des  zu  Gunsten 
der  Töpfer  Johann  und  Hermann  Flach  mit  200  Goldgulden  und  900 
Thr.  belasteten  Hofes  einigten.  Die  Fortschaffung  eines  Seherbenhügeb 
von  dem  unfruchtbaren  Boden  bei  dem  Hofe  auf  fruchtbares  Ackerland 
ist  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich  und,  da  es  nur  auf  der  Erinne* 
rung  alier  Leute  an  etwa  ein  halbes  Jahrhundert  zurücktiegende  angeb* 
liehe  Ereignisse  beruht,  wohl  mythischer  Natur.  Was  aber  das  wichtigste 
und  zugleich  der  Grund  der  Erwähnung  des  Hügels  an  dieser  Stelle  ist, 
ist  der  Umstand,  dass  die  ihn  bildenden  Scherben  nicht  der  Zeit  um  1600 
entstammen,  sondern  der  ältesten  nachweisbaren  Zeit  Siegburger  Töpfsrd 
überhaupt.  Sie  entsprechen  den  Scherben,  welche  Dornbusch,  der 
offenbar  keine  Gelegenheit  hatte,  den  betreffenden  Hügel  selbst  zu  unter* 
rochen,  sonst  (a.  a.  0.  S.  56  f.)  der  Zeit  vor  1800  zuschreiben  will.  Ob 
diese  Zahl  so  genau  angegeben  werden  kann,  ist  ekie  andere  Frage, 
sioher  steht  nur,  dass  die  Herstellung  der  fbagUehea  Gelasse  zwischen  die 
Frankenzeit  und  den  Beginn  der  Neuzeit  zu  setzen  ist. 

Der  Thon,  aus  welchem  die  den  Scberbenhügel  bildenden  steinhart 
ten  Topfreste  gearbeitet  waren,  ist  sehr  ungleichartig;  ehaarakteristiBeh 
für  ihn  sind  zahlreiche  eingeba«keoe,  äusserst  kleine  SteinstttekcheB^ 


1)  Am  22.  Aug.  1568  erschoss  ein  von  Edelkirchen,  Inhaber  von 
UJrott,  den  Jost  von  Eller,  Amtmann  von  Lewenberg  und  Luisdorf  (Fahne, 
Köln.  Qeschl  II.  S.  36). 


848  MisceUen. 

wdcbe  den  Bruehfläohen  einen  schillernden  Glanz  geben  and  wfM  die 
Festigkeit  des  Thones  erhöhen  sollten.  Ein  Thon,  welcher  die  sandige, 
körnige  Beschaffenheit  zeigt,  welche  für  die  Herstellung  solcher  Töpfe 
nothwendig  war,  findet  sich  in  der  sumpfigen  Niederung  zwischen  Sieg 
und  Agger  etwas  unterhalb  des  Hügels  nicht  selten,  wfthrend  der  schöne 
weisse,  von  Beimischung^)  freiere  Thon,  wie  er  für  die  spätere  weisse 
Siegburger  Waare  nöthig  war,  u.  a.  etwas  oberhalb  von  Ulrolt  auftritt. 
Die  Färbung  der  Scherben  ist  gleichfalls  efne  ungleicfamässige,  von 
schmutaig  weiss  bis  schmutzig  schwarz  schwankende;  am  häufigsten  fin- 
det sich  ein  dunkles  Braun.  Daneben  treten  etwas  seltener  Siegel-  und 
hellrothe  Stücke  auf,  welche  sorgsamer  gearbeitet  sind  als  die  dunkler 
geCärbteii.  Au^  die  eiftiz^lnen  Stücke  zeigen  Farbenunterschiede,  wie 
Me  bei  ungenügenden  Schutzvorrichtungen  gegen  das  Htneinschlagen 
der  Stichflammen  und  des  Rauches  in  den  Ofen  während  des  Brandes 
aufzutreten  pflegen.  Meist  fehlt  eine  wirkliche  Glasur;  wo  sie  auftritt, 
ist  sie- wenig  sorgsam  aufgetragen,  vielfach  abgeflossen  und  von  wecfa- 
ßeinder  Dicke  auf  dem  gleichen  Stück.  Dass  sie  an  Ort  und  Stelle  vor- 
genommen ward,  beweisen  vor  allem  die  in  dem  Hügel  nicht  seltenen 
Bruchstücke  der  gebackenen  Erde^  auf  der  die  Töpfe  während  des 
Brennens  standen  und  auf  .welche  Glasur  abgelaufen  ist. 

Die  einzelnenTöpfe  waren  zumeist  12—20  cm  hoch,  doch  kommen 
auch  kleinere  und  weit  grössere,  mit  einem  FussduK'hmesse^  von  nahezu 
20  cm  vor.  Ihre  Formen  entsprechen  iiA  Allgemeinen  den  der  von  Dorn- 
busch, a.  a.  O.  Taf.  I,  Fig.  1— &  veröfl^ntKchten  Stücken.  Wo  Henkel 
auftreten,  setst  deren  obere>s  Ende  zumeist  wenige  Millimeter  unter  dem 
oberen  Rande  des  Topfes  an;  der  Henkel  selbst  pflegt  an  der  Oberseite 
durch  eine  oder  zwei  eingedrückte  Linien  in  2,  bez.  3  Wülste  zerlegt  zu 
sein.  Die  meisten  Töpfe '  jedoch -waren  henkellos;  der  obere  Rand  er- 
weitert sich  gewöhnfftch  nach  oben  hin  etwas,  aber  nur  ganz  schwach, 
und  s<^Ue8st  meist,  im  Gegensatz  zu  den  Dorn  husch  ^schen  Töpfen, 
nach  oben  mit  einer  scharfen  Kante  ab.  Diese  bildet  gleichzeitig  das 
obere  Ende  eines  Wulstes  von  meist  dreic^ckigem  Durchschnitt,  der  lült 
scharfbr  Aussenkante  um  das  obere  Gefäss  herumläuft.  Meist  zeigt  <er 
dabei  nur  eine  Aussenkante,  seltener  ist  die  Aussenseite  breiter  und  shid 
2  oder  3  Parallelkanten  mit  Hülfe  eines  spitzen  Instrumentes,  welches 
etwa  die  Gestalt  eines  grossen  Nagels  gehabt  habeil  mu^s,  in  diesen 
Halswvlst  eingeschnitten.  Die  obere  Oeffhung*  pflegt  kreisrund  zn  sein; 
selten  ist  ein  Ausguss  dad^voh  hergestellt,  dass  man  an  einer  Stelle  des 
abcm  Randes  den  noch  wevchen  Thon  'mit  den  Fingern  zusammen  drückte 
—  man  legte  dabei,  wie  die  Fingereindrücke  noch  zeigen,  Daumen  und 
MUtelfiinger  aussjen,  den  Zeigpfinge;*  zwischen  ihi^en  innen  an  —  und  so 
eine  kurze  SchnauBe  hetstellteJ 

Der  Fuss    der  Töpfe   zeigt  noch  nicht  die  „Löckcben*  '  dei*  Si^g^- 


Mi9cei]€fn.  ä4d 

iöwget  BHithezei«,  wohl  abei»  dferen  Vorläufer.  Der  etwas  rerdickfe, 
nAoh  der  Beilie  und' unten  vorstehende  Fuss-Wulst  wurde  von  Aussen 
mit  an  einander  gereihten  Fingerehidrttcken  versehen,  wodurch  er  eine 
wellige  Oberfläche  ertiieK  und  eine  sicherere  Aufstellung  des  Topfes  er- 
m5gilehte,  als  es  ein  gliktterPusd  vermocht"  hÄtte.  Ah  der  Innenseite  der 
FüssilUshen  erkennt  man  noch  detftlieh  die  spiraligen  WIlTste,  welche  die 
Drehmbelfoe  hervorbrachte  und  die  abzuglätten  man  nicht  für  ndthig  ge- 
halten hat 

Der  Bauch  ist  glatt  oder  mit  einer  Reihe  von  parallelen  Horizontal- 
WMsten  verziert/ die  sich  am  besten  .ausgeführt  auf  zumeist  rothen  Ge- 
fftssen  des  Typus  bei  Dornbusch  Fig.  1  vorfinden.  —  Von  den  ge- 
schilderten Formen  abweichende  Exemplare  sind  selten.  Zu  erwähnen 
shid  nur- ziemlich  grosse  eiförmige  Töpfe,  deren  Unterende  keinen  Fiiss 
zeigt,  sondern  rundlich  zuläuft,  die  man  also  bei  der  Aufstellung  in  die 
Erde  stecken  musste,  und  dann  flache,  Aledere  Töpfe  von  etwa  Ö  cm 
Durchmesser,  defen  oberer  Rand  .sich  schnell  einzieht,  so  dass  sie  den 
m  Odern  en'Ifhitnin'ations  topf  eben  ähneln;  sie  mögen  den  alten  Siegbürgern 
als  Lampen  gedient  haben. 

'  Ausser  den  Wlilsten  zeigen  die  Töpfe  nxir  wenige  TerZiertingen, 
die  am  obem  Rande  oder  am  obem  ThdM  des  ßaTtthes  an^ißbracht  wer- 
den, jeweils  ahm*  tirti  den  ganzen  Topf  lieruhilaüfch.  Es  sind  zunäclisl 
annähernd  parallcte' mit'  eiheW  stumpfen  Nagel  eingegrabene"  Linien ; 
dättn  Wellebtitiicn,  die' mit  einer  Art  vierzinkiger  GaVel'  eingegraben 
werden.  Meist  tveVdön  zwei  Wellensysteme  sbVerfeinigt,  dasri  däsWellen- 
thal  des  einen  unter  den  Wellenberg  des  andern  zu  stehen  k omni t,'  dfö 
Zwischenstücke  berühren  sich  oder  de'ckeu'sich  stli^^iiibar,  'kreuzen  sich 
aber  nicht.  Dann  werden  mit  verhältnissnlässlg  kleinen  Stempeln  — 
häufig  ist  die  Stelle,  wo  der  Stempel  neu  aufgesetzt "wurd^*,  'noch' 
klar  erkennbar  —  Systeme  von  viereckigen  vertieften  tankten  "  einge- 
drückt. Dieselben  werden  in  jeweils  3  Horizontalreihen  geordnet  und' 
sind  entweder  alle  gleich  gross  und  quadratisch  %  oder  nur  d\^.  obere 
und  untere  Reihe  besteht  aus  Quadraten,  während  die  mittlere  aus  zwar 
ebenso  breiten,  aber  etwa  doppelt  so  hohen  Rechtecken  sich  zusämmeti- 
setzt.  Endlich  wird  ein  schmales  Bandornäment  dadurch  gebildet,  ddss  sich 
ein  8)iitz winkliges  Dreieftk,  dessen  seitliche  ßegrenzungslinien  schwacK  erhöht 
sind,  auf  einer  vertieften  Linie  nach  dem  Halse  des  t^efässes  zu  erhebt; 
dann  senkt  sich  ein  eben  solches  Dreiectc  von  oben  herab,  dann  erhebt  sich 
Wieder  ein  gleiches  Dreieck  u.  s.f.  Je*  zwei  Dreiecke  werden  durch  einö 
schräge  erhöhte  Linie   von  einander  getrennt.    £!rhHhte '  figui'lictie  Dal"- 


1)  Vgl.  die  Omamentiruugeu  der  "Töpfe  von  MeckeMheim  bei 
£  0  e  n  6  n ,  Jahrb.  92.  Taf.  X  z-  o.  nr.  19^  wo  aber  4  Reihen  Quadrat^ 
steh  finden.      '  •      *     > 


S60  Üxficehm. 

steUungen  fehlen  völlig,  währe^d  solche  in  Gestalt  einer  SoUaiige  (vgt 
Dornbusch  Taf.  I.  6),  einer  rohgearbeiteten  Madonna  mit  dem  Kinde, 
mUnnlicher  Köpfe,  kleiner  Rosetten  n.  s.  f.  anf  in  Haterial,  Form  nnd 
Technik  den  Stücken  vom  Scberbenhügel  gleichartigen  Resten  in  den 
Scberbenanhäufüngen  in  der  Aalgasse  bei  Siegbarg  nicht  selten  anftreten. 
Allem  Anscheine  nach  hat  man  allen  diesen  £igenthümliehkeiten  der 
Scherben  zu  Folge  in  dem  Hügel  an  der  Agger  Ueberreste  der  iirlmitiv^- 
sten  Werkstätten  der  später  zu  hoher  künstlerischer  Entwicklang  aaage- 
stalteten  Siegburger  Thonindustrie  vor  sich. 

A.  Wiedemann. 

6.  Zur  Richtigstellung.  Bereits  im  Jahre  1871  hat  der 
Unterzeichnete  eine  alte  Dammstrasse  vom  Rheine  unweit  Ruhrort  in 
östlicher  Richtiug  bis  zur  Provinz  Westfalen  beschrieben  und  gezeichnet 
(Neue  Beiträge  etc.,  3  F.  S.  11).  Später  ist  diese  Strasse  durch  West- 
falen über  Ahlen  und  Bielefeld,  und  weiter  nach  Norden  untersucht  worden 
(Die  alten  Heer-  und  Handelswege  etc.,  9.  H.  S.  24).  Bei  Ahlen,  wo  sich 
mit  ihr  ein  vom  Rheine  bei  Rees  kommender  Arm  vereinigt  (Neue  Bet- 
träge etc.,  2.  F,  S.  41,  Die  alten  Heer-  und  Handelswege  etc.,  5.H.  S.17), 
tritt  die  Strasse  an  die  Köln-MMPidener  Blisenbahn,  und  folgt,  ganz  nahe 
neben  dieser  Bahn,  zum  Theil  links,  dann  rechts,  deqi  Laufe  derselben 
bis  zur  Bielefelder  Schlucht.  In  einer  hint^Iassenen  Karte  hat  der  Oberst- 
lieutenant Schmidt  diese  Strasse  in  der  letztgenani^ten  Strecke  durch  eine 
Linie  jg^ezeichnet  (Westf.  Zeltschrift  20.  Bd.  S.  281)  und  ein  Uakundiger, 
der  den  Weg  nicht  aus  eigener  Anschauung  kennt)  kann  (freilich  nur  bei 
sehr  oberflächlicher  Betrachtung)  auf  den  Gedanken  kommen,  die  Schmid^ 
sehe  Linie  bezeichne  die  heutige  Eisenbahn,  neben  welcher  die  Strasse 
einherllluft.  A  her  abgesehen  von  der  Unwahrscheinlicbkeit,  dass  Schmidt 
bei  seinen  Forschungen  statt  einer  alten  Strasse  eine  neue  Eisenbahn  in  die 
Karte  gezeichnet,  spricht  der  Umstand  geradezu  dagegen,  dass  die  Reste 
der  alten  Strasse,  auf  eine  Strecke  unter  dem  Namen  „Kattenstroit^,  neben 
der  Eisenbahn  noch  jetzt  deutlich  sichtbar  sind,  sowie  nicht  minder  der 
Umstand,  dass  die  Schmidt 'sehe  Linie  sich  bei  Ahlen  in  zwei  Arme 
theilt,  was  die  Eisenbahn  nicht  thut,  wohl  aber  die  alte  Strasse  (Die  alten 
Heer-  und  Handelswege  etc.,  9,  H.  S.  23  ff.  u.  d.  Karte).  Ausserdem 
wendet  sich  jene  Linie  westlich  von  Brack wede  in  einem  grossen  Winkel 
ganz  von  der  Eisenbahn  ab  und  läuft  in  westlicher  Richtung  dem  Osnlng- 
gebirge  entlang,  stimnit  daher  weder  in  dem  nördlichen  noch  in  dem 
südlichen  Ende  mit  dem,  Laufe  der  Eisenbahn  überein. 

Vorstehende  Mittheilungen  sind  veranlasst  durch  eine  Bemerkung 
in  dem  vorigen  Hefte  der  Jahrbücher  S.  231,  232,  worin  ein  Unbekannter 
die  E<ttdecknng  gemacht  zu  haben  glaubt,  dass  die  von  Schmidt  in  die 
Reymann'sche    Karte    gezeichnete  und    von    dessen  Bruder^    dem 


Misteiien.  %1 

Migor^E.  Schmidt  geaau  beschriebMie  Linie  nicht  eine  alte  (Strasse,  son- 
dern ,,eine  Theilttrecke  der  damals  projectfrten  Eisenbahnlinie  Kttin- 
ftfinden^  sei,  und  mit  den  Worten  sohHesst»  dassder  „bestimmte  Ansdrnclc 
im  Texte  sogar  Schneider  (Heer-  nnd  Handelswege  etc.,  IX,  23,  24) 
y erführt,  ihn  für  baare  Münse  %n  halten*^  J.  Schneider. 

7.    Znm  Verständniss    der  linksrheinischen     römischen 
Grenz  Schutzlinie. 

(Römische  Militär-  und  Privatbauten  auf  dem  Reckberg  bei  Neuss.) 

Eine  Stande  oberhalb  der  heutigen  Stadt  Neuss,  aber  nur  eine 
halbe  Stunde  oberhalb  des  Legionslagera  von  Novaosium,  durchschneidet 
die  linksrheinisehe  römisclie  Uferstraase  (vgl.  J.  Schneider,  Bonner 
Jahrb.  U^  S.  1  ff.;  Derselbe,  Die  alten  Heer-  und  Handelswege,  8.  Hett, 
S.8ff0  die  «Sandhügel  desReckberges*^,  von  denen  aus  man  die  Um- 
gebung weit  Übersehen  kann.  Die  Umwohner  unterscheiden  den  nach 
Neuss  gerichteten,  westlichen  Tbeil  als  „Erster  Reekberg*^  Ton  dem 
etwas  höheren^  östlichen  Tlieil,  welcher  „Zweiter  Reckberg^  genannt 
wir4.  Die  Ebene. westlich  des  Reckberges  kennt  man  als  „Taubenthai^, 
4)e  südöstliche  trügt  den  Namen  „Unter  den  Gnaden''.  „Am  Fahr'' 
h^isst  die  westlich  Aeben  dem  «^Ersten  Beck  her  g'*  befindliche  Nacheu'- 
station  für  VoUmerswerth-Flehe. 

Obg&eicb  die  Sandbügel  des  Re4kbetges  sction  seit  Jahre»  «bekannt 
sind  als  ergiebige  Fandstelle  von  römischen  Altertfattmem^  ist;  nie  »der 
Versuch  gemacht  worden,  durch  eine  t^Btematische  Grabung  die  Frage 
nach  der  Bedeutung  dieser  Culiurreste  »u  beantworten;  man  grub  'Küt- 
nach  Rarittttchen  und  stiess  man  dabei  anfällig  <  auf  Mauerreste,  sd<  aog 
man  es  vor,  baldmöglichst  wieder  die  für  Altertbümersammler  ergiebi- 
gem Gräber  aufzusuchen.  Es  schien  mir,  nachdem  ich  in  den  Bonnea' 
Jahrbüchern  cur  Bestimmung  der  Zwischencastelle  des  linksrbeiaiachen 
römischen  Festungsgürtels  angeregt  (vgl.  Bonner  Jahrb.  H.  98,  S.  27i  ff.), 
wissenschaftlich  dringend  nothwendig,  auch  selbst  mit  •  einem  guten 
Beispiele  voranaugehen  und  wenigstem  durch  eine  Giraibung,  wenn 
auch  vorläufig  nur  bestimmend  einsugreifen.  Der  Erfolg,  welcher  durch 
Nachstehendes  eine  Veröffentlichung  fiahdet,  ist  ein  wertbvoUeP' Beitrag 
zum  Verständniss  der  linksrheinisohen  römischen  GrensBchutslinie. 

Quineburg.  Zunächst  fand  ich  awischen  dem  Fähr  und  dem. 
„Ersten  Reckberg"  Baufundamente.  Da  sie  In  einer  Parcelle  Uegen, 
die  den  Namen  „Quineburg''  führt,  während  historisch  ein  in  derselben 
Gemarkung  oberhalb  GrimUnghausen  gdegener,.  jetzt'  Terechwundener 
alter  Pfarrort  „Quinom,  Quinem  oder  Quinfaeim"  bekannt  ist  {rgh 
Tue  hing,  Geschichte  der  Stadt  Neuss  S.  68  u.  &  76)>  au  dem  anchGritt« 
linghausen  gehörte  (a.  a.  O.;  Lacomblet,  Urkundenbuch  H»  S.  bS)»  dürfte 


36^  MiBceiletii 

hier  wohl  eine  feste  Burg  yon  QuIimhu  entdeckt  worden  -sein*  Aber  erst 
eine  yöUige  Aufdeckung  der  Fundamente  gibt  sidieroD  Anfschlitfis  über 
Bedeutung,  Entstehung  und  Zerstörung  des  Bauwerkes.  •  Es  liegt  jeAe»- 
falis  noch  kein  Grund  vort  das  Gebäude  ohne  Weiteres  Ittr  nullelalter* 
lieh  zu  erklären. 

Römische  Rhein-Ueberfahrtstation.  Gleich  südöstlich  neben 
der  Fundstelle  führt  der  unter  dem  Namen  „Düsseldorfer  Pfad"*  be- 
kannte Arm  einer  voii  Aachen  über  Jülich,  Caster  nach  Grimlinghausen 
und  von  da  über  Hoiterhoif,  Düsseldorf,  Grafenberg  in  das  Bergische 
führenden  Hauptrömerstrasse  bis  dicht  an  den  Rhein;  auf  der  anderen 
Rheinseite,  dem  Ende  der  Zweigstrasse  gegenüber,  leitet  'ehi^  Fortsetzung 
desselben  vocn  Volmerswerth^Flehe  über  Unter-Biik  in  die  Hai^tstrasae 
(vgl  J.  Schneider,  Bonner  Jahrb.  H.  LXXIII,  8. 1  ff.  u. LXXVI,  8.20fr.; 
Derselbe,  Jahrbuch  IV  des  Düsseldorfer  Qeschichtsrereins,  8.  1  ff.).  So- 
wohl zu  beiden  Seiten  des  linksrheinischen  Theiies  der  2weigstnisse,  als 
aAoh.  im  Vecfolge  ihrer  rechtsrbeiniscAien  Foitseteung  Mnd  zahlreiche 
Culturreste  der  erstea  röraisch^in  Kaiserzelt  gefunden  worden-,  besonders 
Gräber  dieser  Periode  (vgl  Ä'c'h  n ei d e^r  a.  a.  0.).  Solche  ThatSai^hen 
machen-  es  nicht  Unwahrscheinlich,  dass  Hier -bereits  zUr  RöAierzeft  dne 
Ueberfabrks-Station  bestand.  -  Eine  derartige  ESinriehlwig  im  1>errftoriuM 
desliegionsfefllung'vonNoVaesiKm'kanB  Iman-'iMch  ka€d  ohne'besondete 
militärische  Bedeckung  vorstellen. 

...  BöMisbhe V  Waohlthufi «r.  Ungefähr  1  Kilbmetef  südöstikh dieser 
SMIe  'entdeckte  ioh  auf*  ^  dem  Iköohsien  Punkte  des  „Zweiten  Reck- 
berg^esi^i  didUiam  alten Bheinuferrahde,  48 Meter  iiordöstifeh  der  Ihiks- 
rbeinisoken.röMiscbeaUlbrstrasse Sandsteinstücke mit Möttelresten.  Meine 
damalige,  aust  einem  alten  Rafrier  hergestellte,  vonEÜglfche  Sonde  und 
eine  geringe  KachseMnrfYmg  ergaben  ein  Gemäuer,  das  nach  seiner  Grösse 
und  C^straction  zweifellos  auf  den  steinernen  Unterbau  eines  römischen 
Waekttkurtnes.  deutete.  Sicherheit  gewann  ich,  afs  a;nf  meinen  Vorschlag  hin 
Herr  CR  auter  tun  meinem  Beisein  durch  einen  Arbeiter  die  Römerwsrte 
völtig  aufideckte.  Es  ergrab  sich  der  in  Abbildung  auf  S.  358  wiedergegebene 
quadratische  unterbau*  A'en  c  4,W)  m  SeHe.  Das  Fundament  ist  aus  gro- 
bera>  imit  Xiakm  rerbundenem«  Geschiebe  hergestellt  und  hat  eine  Breite 
VOR'  Itan-Auf  diesem*  ruht  eiMe  1  cm  dicke  '  Lehmlagcf  ufad  auf 
dieser  der*  avs  mit' »Mörtel  rierbundenem  Liedberger  Sandstein  berge- 
staute  Unterbau  <  (vgl;-  O.^  R  a  a  t  e  r  t ,  Heimathskunde,  Jahtg.  1880,  B.  1. 
Nv.  13).  Der '  «igentlieke  Hochbau  dürfte  wohl  aus  fiolz  bestanden 
habeti.  .... 

•  fUaeer  Waohtthurm  ist  im  Vergleich  zu  den  bisher  am  Limes  gefun- 
denen Anlagen  dieser  A»rt  nicht  atifrallend.  Beispielsweise  hat  der  auf 
der  reckteii  Bhniueeüie)   in   der  Nähe  von  Heimbach   und  Weiss,  aufge- 


« 


Miscelleti.  363 

deckte  römische  Wachtthuriu  fast  dieselben  Verhältnisse.  Derselbe  bildet 
nach  meinen  Messungen  ein  Quadrat  von  4,63  bis  4,70  m  Seite.  Das  auf- 
gehende Mauerwerk  ist  0,90  m  breit.  Der  Reckberger  Wachtthurm  hat 
um  so  grösseres  Interesse,  da  man  bisher  auf  der  linken  Rheinseite 
keinen  steinernen  Wachtthurm  kannte.  Wohl  machte  unser  thatkräfti- 
ger  unermüdlicher  Forscher,  Professor 
Dr.  J.  Schneider,  ehe  wir  daran  dach- 
ten, zahlreiche  „Warten  und  Grenz- 
wehren und  Heerstrassen^  bekannt 
(P  i  c  k '  s  Monatsschrift  für  rheinisch-west- 
fälisdien  Geschichtsforschung  undAlter- 
thumskunde  V,  S.  434  flf.),  aber  sein  Be- 
weis, dass  diese  Erdhügel  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  römisch  sind,  würde  wesent- 
lich unterstützt  werden  durch  die  steiner- 
nen Thurm- Fundamente.  Freilich  wird 
man  bei  den,  nur  in  der  Frühzeit  benutz- 
ten römischen  Warten,  soweit  sie  wegen  des  vergeblich  erwarteten 
dauernden  rechtsrheinischen  römischen  Erfolges  als  interimistische  oder 
provisorische  Anlagen  aufgegeben,  schwerlich  Steinfundamente  finden. 
Deshalb  dürften  vielleicht  alle  rechtsrheinischen,  soweit  sie  ausserhalb 
des  späteren  Limes  liegen,  gleich  den  daselbst  errichteten  Römerstrassen 
einfache  Erdwerke  geblieben  sein.  Finden  sich  somit  Erdhügel  entlang 
der  Strassen  und  Grenzwehren  in  bestimmten,  regelmässig  wiederkehren- 
den Abständen,  wird  man  wohl  mit  genügender  Sicherheit  auch  ohne 
nachweisbaren  Steinbau  auf  Warten  schliessen  dürfen,  so  wie  dies  durch 
J.  Schneider  geschah. 

Römisches  Zwischencastell  Reckberg.  Meine  fortgeführten 
Untersuchungen  zeigten  ungefähr  140  m  südlich  des  bestimmten  Wacht- 
thurmes,  Flur  B.  ^Vn»>  ^^^  ^^^  Ackeroberfläche  liegende  Bausteiustücke 
mit  Mörtelresten,  die  durch  den  Pflug  zu  Tage  gefördert  worden  waren. 
Die  daraufhin  durch  mich  veranlasste  und  geleitete  Ausgrabung  ergab 
das  nachstehende  römische  Zwischencastell,  dass  ich  nach  der  Fundstelle 
„Zwischencastell  Reckberg"  nenne. 

Dasselbe  hat  den  Grundriss  eines  fast  regelmässigen  Quadrates, 
dessen  Ecken  abgerundet  und  mit  je  zwei  nach  dem  Castellinnern  reichen- 
den, sich  hier  verschmälei*nden  Mauerstreifen  versehen  sind.  Es  zeigt 
an  der  Römerstrasse,  mit  der  es  parallel  liegt,  das  Hauptthor,  an  der  ent- 
gegengesetzten, auf  den  Rhein  blickenden  Flanke  nur  eine  schmale  Mauer- 
Unterbrechung.  Rings  um  das  Casteli  führt  ein  Doppelspitzgraben.  Die 
Grabeneinschnitte  allein  trennen  das  Fort  von  der  römischen  Rheinufer- 
strasse. Auf  der  entgegengesetzten  Seite  erreicht  man  in  40  m  Entfernung 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  AUerthsfr.  im  Rbelnl.  XCVI  23 


864 


Jiisc^lleH. 


fa.as 


6,SQ 


^,7S 


-S,fO-2aA      */.#o 


t'ig.  2* 


Fig.  1. 

das  linke  römische  Rheinufer;    das    heutige  Rheinufer  liegt  nahezu   V/f 
Kilometer  nordöstlich. 

Die  Abbildung  (mit  eingezeichneten  Maas8en)zeigtFig.l  denOrundriss 
des  Castells  und  Fig.  2  ein  Profil  des  Doppelspitzgrabens  nebst  Umfassungs- 
mauer. Die  Umfassungsmauer  und  Strebepfeiler  sind  sehr  sorgfältig  aus 
sauber  zugeschlagenen  kleinen  Grauwackensteinen  mit  gutem  Mörtel 
aufgebaut.  Gleschickt  hergestellt  ist  auch  der  Umfassungsgraben,  wie 
schon  das  scharf  in  den  Sand  des  Urbodens  eingeschnittene  Profil  zeigt. 
Die  Linie  b  bezeichnet  die  Stelle,  wo  der  Querschnitt  gemacht  wurde 
und  ist  zugleich  die  Oberfläche  des  Ackers,   von   der   aus  vorläufig  die 


Miscelien.  ibk 

Tiefen  senkrecht  gemessen  wurden.  Nur  die  aufgedeckten  Oastelltheile  sind 
dunkel  ausgesogen;  an  den  nur  durch  SchrafArung  oder  durch  Kurs- 
strich markirten  Stellen  wurde  nicht  gegraben;  Areilich  ist  der  Doppel- 
spitsgraben  an  allen  vier  Seiten  durch  Querschnitte  festgestellt.  Wie  die 
Einselheiten  der  Eingänge  beschaffen  waren,  namentlich  ob  im  Casteil- 
mnem  Fundamente^  etwa  auch  ein  Brunnen,  eine  Latrine  oder  andere 
Bauten  vorhanden  sind,  das  festsustellen  bleibt  einer  völligen  Auf- 
deckung tiberlassen;  mir  fehlten  dasu  die  Mittel,  denn  meine  Unter- 
suchung ging  nicht  vom  Provinsialmuseum  aus,  sondern  sie  war  rein 
privater  Natur. 

Zur  Hygin'schen  Theorie  eines  Sommerlagers  gegen- 
über Castellbefund.  Der  Umfassungsgraben  des  Castells  ist  sweifel- 
los  die  von  Hygin  (Liber  de  munitionibus  castrorum.  Ausgabe  von 
A.  V.  Domassewski.  Leipzig  1887.  c.  48;  49)  kurz  angefahrte  fastigata, 
welche  oben  breiter  ist,  deren  schräge  Wände  sich  verengen  und  am 
Boden  zusammenlaufen.  Aber  der  vorgefandene  Sandboden  ist  für  einen 
solchen  scharfen  Einschnitt  ungünstig,  weil  die  Wände  leicht  nachstürzten. 
Hygin  würde  hier  nach  c.  bS :  „ Aggeribus  autem  ita  fit  vallum,  si 
„locus  petrosus  aut  arenosus  fuerit,  qnod  sine  dubio  aggere  facto  muni- 
„tionem  castris  praebet"  zweifellos  an  Stelle  des  Qrabens  Dämme  auf- 
geworfen haben;  das  geschah  aber  nicht.  Eigenthümlieh  ist  der  aus 
dem  Profil  zu  erkennende,  10,25  m  ausserhalb  der  Umfassungsmauer- 
flauke,  8,75  m  vor  dem  Graben  vorgefundene,  bis  1  m  unter  der  Ober* 
fläche  reichende,  0,60  m  breite  Graben.  Ich  habe  leider  nicht  feststellen 
können,  in  welcher  Länge  er  sich  hinzieht  und  ob  er  an  allen  Castell- 
selten  vorhanden  ist.  Derselbe  ist  vielleicht  mit  dem  sogenannten  Limes- 
Gräbchen  zu  vergleichen,  das  ich  bei  Adolfseck  unweit  Bad  Schwalbach 
in  den  harten  Fels  des  Gebirges  eingemeisselt  vorfand.  Dieses  Gräb- 
chen hat  nach  den  Entdeckungen  des  Streckencommissars  W.  Kohl 
(vergl.  Limesblatt  10  S.  304)  wenigstens  am  raetischen  Limes  sicher  zur 
Aufhahme  eines  Palissadenzaumes  gedient.  Auch  unser  Gräbchen 
würde  für  eine  Pallisadenwand  passend  erscheinen  oder  aber  für  eine 
Hygin 'sehe  Schutzmauer  aus  astreichen  Baumstämmen  (cervoli  vgl. 
a.  a.  O.    c.  49, 51  und  52). 

Unsere  Aufmerksamkeit  verdienen  auch  die  in  den  abgerundeten 
Ecken  angebrachten  Strebepfeiler.  Wie  die  Abbildung  zeigt,  wurde  der 
nördliche  der  von  der  Ostecke  des  Castells  ausgehenden  Pfeiler  völlig 
aufgedeckt.  Die  Süd'ostseite  ergab  eine  Tiefe  von  2,30  m;  die  Nordostseite 
hat  1,20  m  Tiefe.  Die  Pfeilerbreite  an  der  Ost49eite  beträgt  1,90  m,  wäh- 
rend die  Westseite  1,20  m  breit  ist.  In  der  Regel  pflegt  man  solche 
Mauersüge,  die  oft  rechtwinkelige  Flügel  haben  oder  nach  der  Innenseite 
ganz  geschlossen  sind  (vergl.  die  zahlreichen  Beispiele  u.  a.  bei  v.  Co- 
hausen,   Grenz  wall),   als  Eckthürme    zu  bezeichnen.    Aber  gegonübef 


366  Miscellbii: 

dieser  Auffasamig  ist  die  Frage  berechtigt :  ob  wir  hier  nicht  zU  br- 
achten haben,  was  Hygin  (a.  a.  0;  c.  58)  sagt:  ,,Meinini8se  oportet  in 
;,hÜatico  ascensus  valli  duplices  et  frequentes  facere  et  tormentis  tribu- 
,,nalia  extmere  circiun  portas,  in  coxis  in  loco  tnrrium.  Maxime  in- 
jyStruendum  Mt  yallum  tormentis  ab  eo  iatere,  quo  novercae,  si  vitari 
i^on  ^ottlerunt."  Sollte  man  es  hier  nicht  mit  den  in  den  Lagerecken 
an    der  Stelle    d^r  Thttrme   zu   errichtenden   GeschützbHnken   zu   thun 

iiaWo? 

Eine  iNreitel-e  Sache^  die  in  bezug  auf  unser  Castell  Keckberg  zu 
beachten  ist,  dürfte  dessen  Lage  sein.  Es  wird  nämlich  von  Nordwesten 
aus  durch  die  Höhe  des  'Zweiten  fieckberges'  überragt.  Von  da  aus 
konnte  man  thatsächlich  leicht  einen  Ueberfall  ausführen  oder  erspähen, 
was  im  Lager  vorging.  Aber  eine  solche  Lage  des  Sommerlagers  steht 
mit  Hygin  in  grobem  Widerspruch:  „Iniqua  loca,  sagt  Hygin  (a.  a.  O. 
j^c,  57),  quae  a  prioribus  novercae  appeliantur,  omni  modo  vitari  debent; 
^,ne  mous  castris  immineat,  per  quem  supervenire  bestes  aut  prospicere 
,,possint,  quid  in  castris  agatur"  u.  s.  w.  Auch  unsere  modernen  Stra- 
tegen würden  bedenklich  den  Kopf  schütteln  ob  der  Lage  unseres  Zwi- 
schencastells.  Aber  so  wohnte  die  Besatzung  gegen  den  scharfen  Nord- 
westwind geschützt;  zudem  war  jene  Höhe  durch  den  Wachtthurm  be- 
setzt. Eine  solche,  auf  das  Leibeswohl  bedachte  Intention  scheint  für 
den  schon  nicht  mehr  Cäsarischen  Römer  ausschlaggebend  gewesen  zu  sein. 

Zum  Abstand  der  römischen  Wachtthürme.  Aus 
demselben  Grunde,  um  nämlich  das  in  der  Ebene  errichtete  Castell 
EU  decken,  wird  es  sich  erklären,  warum  der  auf  dem  Zweiten  Reckberg 
festgestellte  Wachtthurm  nur  etwa  140  m  nordwestlich  des  Castells  liegt 
und  nicht  in  dem  Abstände,  dem  man  allgemein  bei  den  Warten  be- 
gegnet, nämlich  etwa  1000  Schritte.  Allerdings  wird  noch  festzustellen 
sein,  ob  beide  Anlagen  gleich  alt  sind  oder  welche  älter  ist.  Die  von 
mir  im  Castelle  gefundenen  Gefässscherben  sind  in  die  Flavier-  und  An- 
toninen-Zeit  zu  setzen;  einzelne  reichen  bis  in  die  spätrömische  Periode. 
Die  Münzen  sind  ein  Mittelerz  des  Vespasian  und  eine  Kleinbronze  von 
Valens. 

Römischer  Privatbau  im  Legionsterritorium.  In  nächster 
Nähe  südwestlich  des  Castells,  auf  der  Südwestseite  der  römischen  Rhein- 
strasse, liegt  das  Fundament  eines  grösseren  römischen  Privatbaues  mit 
Brunnen  und  Wasserleitung.  Dasselbe,  schon  im  Jahre  1844  von  Sanitäts- 
rath  Dr.  Jäger  angeschnitten  (vgl.  Bonner  Jahrb.  H,  V  u.  VI,  S.  406), 
erinnert  hier,  im  Territorium  der  Legion,  an  die  in  Begleitung  der  Limes- 
castelle  selten  fehlende  „römische  Villa"*.  Es  ist  zur  Beurtheilung  dieser 
Bauten  sehr  zu  beachten,  dass  schon  in  dem  zwischen  70  und  120  be- 
wohnten Legionslager  von  Novaesium  der  Centurio  einen  Raum  inne 
•hattCi  der  von  den  Mannschaftsräumen  sich  durch  seine  dem  Grundrisse 


Miscellen.  357 

des  römischen  Hauses  gleichende  Anlage  auszeichnet.  Auch  ist,  während 
das  Contubemium  (nebst  arma  und  jumenta)  eine  Fläche  ron  50  [^  m 
einnimmt,  das  Haus  des  Centurio  300  Q  m  gross.  Bei  allen  Kasernen 
findet  man  diese  Unterschiede,  durch  welche  die  Anfänge  einer  Ueb^- 
tragung  der  Bequemlichkeit  des  Privatlebens  auf  die  strenge  Disciplin 
des  Lagers  bezeichnet  sind.  Während  das  ältere  Lager  ausser  der  durch- 
aus amtlichen  Charakter  tragenden  Anlage  des  Prätoriums  keinen  ande- 
ren Bau  für  den  Commandanten  kennt,  erseheint  bereits  in  der  genann> 
ten  Festung  Ton  Novaeslum  links  neben  dem  Prätorium  ein  mit  Bffosaik- 
boden  und  Malerei  kunstvoll  ausgestatteter,  mit  Heiz-  und  Badeanlage 
versehener  Kolossalbau  als  Privatwohnung  .des  Legionsftthrers.  Aber  die 
Badeanstalt  liegt  noch  ausserhalb  des  Lagers  vor  der  porta  decimana. 
Erst  SeptimiusSeverus  (193— 211)  legte  das  Messer  an  die  militärische  Dis- 
ciplin, als  er  den  Soldaten  gestattete  ,,bei  ihren  Concnbinen  zu  wohuen'. 
Daraus  geht  hervor,  dass  der  römische  Soldat  schon  während  der  Dienst- 
zeit seinen  Wohnsitz  ausserhalb  des  Lagers  haben  konnte  (vgl.  A«  Schul- 
ten im  Hermes  B.  29,  S .  509).  Gewiss  wird  damals  der  Heerführer  selbst, 
welcher  sich  schon  im  J.  69  nächtlicher  Weile  ausserhalb  der  Mauern 
wohler  fühlte  (vgl. Tacitus,  Historien  5,  22)  seine  Villa  in  der  Nähe  des 
Lagers  errichtet  haben,  das  selbst  nunmehr  zum  Zufluchtsort  in  Kriegsgefahr 
oder,  wie  nach  ihren  Fundamenten  Bonna  und  Camuntum,  zur  halbmili- 
tärischen  Gamisonstadt  heranwuchs.  Daher  kann  unsere  Villa  im  Lager« 
bezirk  von  Novaesium,  zu  dem  zweifellos  die  „Forts  und  Wachtthürme^ 
gehören  (vgl.  Schulten,  a.  a.  O.  S.  516),  in  nächster  Nähe  des  Oastells 
historisch  nicht  auffallen.  Wir  haben  es  offenbar  mit  der  Privatwohnung 
des  Offiziers  der  Castellbesatzung  zu  thun. 

Römisches  Gräberfeld  im  Legionsterritorium.  Ebenso 
wenig  befremdet  ein  in  demselben  Gebiet  in  allernächster  Nähe  der  be- 
schriebenen Bauten  befindliches  römisches  Gräberfeld,  das  in  die  Zeit  der 
Existenz  jener  Militäranlagen  gehört.  Ich  sah  viele  daher  stammetide 
Thongefässe.  Das  Meiste,  was  den  Todten Wohnungen  entnommen  wurde, 
besitzt  das  Historische  Museum  der  Stadt  Düsseldorf  aus  dem  Nachlasse 
Guntrums.  Alles,  was  ich  bisher  beobachtete,  scheint  mit  der  Flavier- ' 
epoche  anzusetzen  und  bis  in  die  spätrömische  Kaiserzeit  zu  reichen. 
Aber  es  sind  nur  Brandgräber  zu  Tage  gefördert  worden;  die  n)it  Oon> 
stantin  d.  Gr.  beginnenden  Skeletgräber  fehlen.  Auch  sind  die  von  Dp. 
Jäger  diesem  Gräberfelde  entnommenen  Münzen  von  Nero,  Domitian, 
Trajan,  Hadrian,  vier  kleinere  von  Tetricus  pater  et  filius,  Julia  Mammaen 
und  Constantinus  (Bonner  Jahrb.  H.  V  u.  VI,  S.  414  u.  415).  Bei  diesen 
Gräbern  wurden  frei  im  Saude  vier  eiserne  Lanaenspitzen  gefunden,  wie 
solche  vielfach  aus  Soldatengräbern  bekannt  sind. 

Principielie    Bedeutung    der  Militäranlagen   des    Reck«* 
berge s.    Ich   bin  überzeug^  dass  wegen  der  Billigkeit  der   dortigen 


35)8  Miscellen. 

Grundstttcke  und  der  leichten  Bodenbearbeitung,  dort  leicht  auB- 
fübrbare  systematische  archäologische  Ausgrabungen,  wenn  sie  mit  der 
erforderlichen  Gründlichkeit  geleitet,  dem  Gerippe,  das  ich  hier  entwarf, 
Fleisch  und  Blut  geben  werden. 

Die  grosse  principielle  Bedeutung,  welche  die  Entdeckung  des 
Zwischencastells  Reckberg,  der  Warte,  seiner  Villa  und  seines  Gräber- 
feldes für  die  Erforschung  des  iinkrheinischen  römischen  Festungsgürteis 
hat,  berührte  ich  bereits  in  meiner  Besprechung  des  Zwischencastells 
Weerthausen  (Bonner  Jahrb.  XCIII,  S.  271  ff.).  Schon  damals  (J.  1892) 
führte  ich  letzteres  Castell  als  eine  Militäranlage  auf,  die  sich  mit  den 
Zwisebencastellen  des  deutschen  Limes  und  dei^enigr^n  desHadrian>  und 
Pius- Walles  in  Grossbritannien  vergleichen  lasse.  Meine  damalige  Auf- 
fassung wies  auf  die  Möglichkeit,  dass  der  Abstand  von  dem  Fort  zu 
Weerthausen  zu  dem  Alenlager  Asciburgium,  der  eine  halbe  Stunde  be- 
trägt, zeige,  wo  die  übrigen  Zwischencastelle  zu  finden  seien.  Ich  ver- 
wies schpn  damals  auf  die  thatsächlich  an  der  Rheinstrasse  von  V2  Stunde 
zu  Vs  Stunde  vorherrschenden  römischen  Culturstätten  und  Ortsbezeich- 
nungen. Unter  anderen  Orten  nannte  ich  vor  drei  Jahren  auch  bereits 
den  Vs  Stunde  oberhalb  der  Legionsfestung  von  Novaesium  gelegenen 
Reckberg  als  wahrscheinliche  Stelle  eines  der  Zwischencastelle  (Bonner 
Jahrb.  a.  a.  O.  S.  93).  Diese  Combination  hat  sich  jetzt  in  so  über- 
raschender Weise  bestätigt,  dass  ich  nunmehr  mit  noch  grösserer  Wahr- 
scheinlichkeit behaupten  möchte,  dass  dem  linksrheinischen  römischen 
Festungsgürtel  dasselbe  Princip  zu  Grunde  liegt  wie  dem  rechtsrheini- 
schen, ja,  dass  der  rechtsrheinische  jedenfalls  in  dem  älteren  linksrheini- 
schen sein  System  ergründete,  sodass  man  erst  die  rechtsrheinischen, 
späteren  Anlagen  verstehen  wird,  wenn  man  die  älteren,  consequenter 
militärischer  Disciplin  entstammenden  linksrheinischen  kennt.  —  So  gut 
wie  man  den  Grundriss  von  Carnuntum  und  Bon  na.  in  deren  auf  uns 
gelangten  Architektur  (die  verschieden  ist  im  Vergleiche  zu  der  von  No- 
vaesium, weil  sie  in  der  Periode  späterer  Lagerentwicklung  entstand), 
unmöglich  recht  verstehen  kann  ohne  Novaesium  zu  kennen,  so  wird 
man  auch  den  deutschen  Limes  erst  dann  endgültig  beurtheilen  können, 
wenn  die  älteren  unveränderten  Anlagen  des  linksrheinischen  Festungs- 
gürtels gründlich  erforscht  sein  werden. 

Nachtrag.  Zwischencastell  Altwahlscheid.  Soeben  (5.  Mai 
1895)  habe  ich  ca.  800  Meter  nordöstlich  des  Castells  Beckberg,  gleich 
westlich  neben  dem  Alt-Wahlseheiderhof  ein  weiteres  Zwischencastell  ent- 
deckt. Es.  bildet  ein  Rechteck  mit  abgerundeten  Ecken  von  ca.  40  Meter 
Länge  und  ca.  30  Meter  Breite,  ist  von  einem  ca.  10  Meter  breiten  Gra- 
ben umgeben  und  hat  auch  im  Innern  Steinfundamente  aufisuweisen.  In 
demselben  Abstand  unterhalb  des  Castells  Reckberg  liegen  die  Funda' 
mente  der  ,^Quinebur9'^.    Vielleicht  stellen  auch  diese  sich  als  römische« 


Miscellen. 


869 


Zwischencastell  heraus.  Die  Abstände  dieser  Anlagen  stimmen  mit  den- 
jenigen überein,  die  am  Limes  Deutschlands  bei  den  ZwischencasteUen 
beobachtet  wurden,  sodass  also  bei  weiterer  Verfolgung  dieser  Erschei- 
nung die  Gleichheit  in  der  Anlage  der  linksrheinischen  Festungslinie  mit 
der  rechtsrheinischen  noj[sh  deutlicher  würde. 

Constantin  Koenen. 


8.  Karolingische  Grenzfestungslinie  zwischen  Ost-  und 
Westlothringen.  Auf  der  Grenze  zwischen  holländisch  Limburg  und 
Preussen  sieht  man  in  der  Richtung  von  Brüggelchen  und  Zollhaus  Bo- 
denbach, also  in  der  Linie  von  Südwest  nach  Nordost  leitend,  strecken- 
weise noch  wohl  erhaltene  Reste  einer  hochinteressanten  Grenzschutz- 
anlage. Auf  Veranlassung  und  unter  liebevollster  ortskundiger  Hülfe- 
leistung der  Herren  Bürgermeister  Nathan  aus  Heinsberg  und  Premier- 
lieutenant Nathan  untersuchte  ich  diese,  bisher  als  räthselhaft  betrach- 
tete Anlage  zunächst  im  Kreise  Heinsberg,  -unweit  der  Wolfshager  Mühle 
bei  Karken,  von  wo  aus  dieselbe  zur  Chaussee  nach  Posterholt  führt. 
Wir  sehen  dort  einen  2,60  m  hohen  Wall  von  11  m  Sohlenbreite,  be- 
gleitet von  zwei,  3  m  tiefen  und  oben  7,  unten  2  m  breiten  Gräben.  Man 
erkennt  deutlich,  dass  der  Wall  durch  Aufwurf  des  beim  Einschnitt  der 
Gräben  gewonnenen  Sandbodens  entstand. 


Im  Verfolge  dieses  Grenzwalles   sind  Oasteile  errichtet:    Das  best- 
erhftlf€(ne,  au3  vorßtehepder  Abbildmig  zu  erkennende,  liegt  im  Re^.-Bez, 


360  Miscellen. 

Aachen,  Kreis  Heinsberg,  westlich  von  Brüggelcben,  nördlich  Waldfencht, 
Flur  2  Vt^^,  und  führt  den  Namen  „Im  Cämpchen'*.  Wir  sehen  hier,  in 
snmpflger  Niederung  aufgeworfen,  einen  mächtigen,  oben  horizontal  ge- 
ebneten und  hier  25  m  im  Durchmesser  breiten,  kreisrunden  Erdhügel, 
dessen  Böschungswinkel  bei  einer  Hohe  von  10  m  53^  zeigt.  Am  Fuss 
des  Hügels  ist  ein  1  m  breiter  Umgang  angebracht,  der  sich  nach  Süden  hin 
zu  einer  4  m  breiten  Rampe  erweitert.  Vor  derselben  erstreckt  sich  ein 
rechtwinkliger  mit  abgerundeten  Ecken  versehener  Vorplatz  von  50  m  Breite 
und  44  m  Tiefe.  Letzterer  sowohl  als  auch  der  Hügel  sind  von  einem 
6  m  breiten  verschlammten  Graben  umgeben ,  der  beide  Anlagen  zu 
einem  einheitlichen  Ganzen  verbindet.  Der  östliche  Theil  des  Gra- 
bens ist  in  der  Mitte  des  Vorplatzes  von  einem  3  m  breiten  Weg  unter- 
brochen, welcher  augenscheinlich  von  jeher  als  Zugang  diente.  Die 
Wasserversorgung  des  Grabens  wurde  durch  einen  schmalen  Bach, 
„Ritschbach^  genannt,  vermittelt,  indem  dieser  an  der  Südwestecke  des 
Vorplatzes  in  den  Graben  führt  und  an  der  Nord  Westseite  des  Hügels 
den  Graben  verlässt.  —  Ortskundige  sprechen  noch  von  einem  ,drei- 
eckigen^  Grabeneinschiuss,  welcher  vor  der  Südflanke  des  genannten 
Vorplatzes  gelegen  habe;  auch  kennen  sie  einen  „Laufgraben^,  der  vom 
Gasten  aus  zu  der  ca.  400  Schritte  westlicher  gelegenen  Grenzwehr 
führte,  die  hier  aus  zwei,  durch  Gräben  von  einander  getrennten  Wällen 
bestanden  habe. 

Ungefähr  100  m  nordwestlich  „In  den  Brüchen**,  Flur  2,  Nr.  246 
liegen  die  Reste  eines  gleichartigen,  jedoch  etwas  kleineren  und  weniger 
gut  erhaltenen  Castells. 

Ein  drittes  Castell,  das  dem  erst  beschriebenen  noch  ähnlicher  ist 
als  das  zuletzt  angeführte,  liegt  bei  der  Wolfshager  Mühle  „Im  Herren - 
bend^,  Flur  1  ||f .  Ich  sah  den  Hügel  von  der  Krone  aus  bis  zur  Sohle 
rund  herum  abgefahren,  sodass  nur  der  Mittelkern  des  Erdwerkes  mit 
senkrecht  abgeschnittenen  Seitenwänden  dastand. 

Die  Frage,  wann  diese,  an  und  für  sich  betrachtet  so  räthselhafte 
Grenzschutzlinie  entstand  und  welchen  Zweck  sie  hatte,  ist  bedeutungs- 
voll; erfolgte  doch  auf  dem  im  Jahre  1868  in  Bonn  tagenden  internationa- 
len archäologischen  Congress  bei  der  Frage,  durch  welche  Kennzeichen 
sich  ausserhalb  des  Limes  die  römischen  Wälle  von  den  germanischen 
unterscheiden,  keine  Antwort!  —  Schneider  (Neue  Beiträge  1876, 
S.  14)  'erklärt  dieses  „aus  dem  tiefen  Standpunkt,  den  bis  jetzt  die  Erfor- 
schung, der  alten  Wallanlagen  im  Rheinlande  noch  immer  einnehme^. 
Mit  Recht  nennt  Schneider  die  Bestimmung  der  Construction  als 
Mittel  zur  Altersbestimmung  jener  Erdwerke;  allein  es  lässt  sich  die  Zeit- 
stellung dieser  oder  jener  Bauart  von  Erdwerken  erst  durch  die  in  Be- 
gleitung derselben  vorgefundenen  chronolog'isch  bestimmten  GefHssscherben 
ermittelet 


Miscellen. .  d61 

So  fanden  sich  auch  bei  der  Wolfshager  Mühle,  in  der  an  mehreren 
Stellen  von  oben  bis  unten  angeschnittenen  Erdauschüttung  des  Walles 
sowie  auf  der  Oberfläche,  die  den  Wall  trägt,  zahlreiche  kleinere  und 
grössere  Bruchstücke  von  Gefässen.  Es  lassen  sich  zwei  Arten  unter- 
scheiden. Zunächst  grössere  und  kleinere  Stücke  jener  leicht  gebackotien, 
braun-  oder  röthlichschwarzen  germanischen  Urnen  aus  der  Zeit  um  den 
Anfang  des  ersten  Jahrhunderts  n.  Chr.  (vgl.  R  o  e  n  e  n ,  Gefässkunde 
Taf.  XrX,  Fig.  1—7,  dazu  S.  116— 119).  Dieselben  rühren  von  einem  bei 
Anlage  der  Erdgräben  angeschnittenen  Hügelgräberfelde  her;  sie  haben 
deshalb  nur  insofern  eine  Bedeutung  für  die  Chronologie  des  Walles,  als 
der  Wall,  in  und  unter  dem  diese  Scherben  lagen,  jünger  sein  muss  als  jene 
Scherben.  Auf  der  Oberfläche  des  Walles  und  vereinzelt  auch  in  dem 
Wallboden  selbst,  lagen  ausserdem  nur  jene  steinharten  dünnwandigen 
blauschwarzen,  grauen  oder  gelblichen  spätkarolingischen  Gefässreste 
(vgl.  Koenen, •„Gefässkunde",  Taf.  XX I,  3—13).  Auch  in  der  Sand- 
niasse  des  Castells  von  Brüggelchen  fand  sich  jene  von  zerstörten  Urnen- 
gräberu  herrührende  altgermanische  Waare,  wohingegen  auf  dem  Hügel 
zerstreut  gefundene,  zweifellos  von  dem  Errichter  und  Benutzer  des 
Castells  herrührende  Scherben  wiederum  karolingisch  waren,  abgesehen 
von  vereinzelten  der  Neuzeit  angehörenden  Bruchstücken.  In  dem 
Castell  an  der  Wolfshager  Mühle  wurde  dieselbe  Beobachtung  gemacht. 
Hier  sehen  wir  in  der  Höhe  von  8  bis  9  m  über  der  Sohle,  bedeckt  von 
einer  1^/2  bis  2  m  hohen  Erdmasse,  Brandreste,  die  vermischt  sind  mit 
Erde  und  Feldsteinen  sowie  mit  Stücken  von  roth  angebranntem  Lehm- 
bewurf,  der  scharfe  Abdrücke  von  Flechtwerkzweigen  zeigt.  Bereits  vor 
meiner  Anwesenheit  hatte  Herr  Bürgermeister  Nathan  der  Brandschicht 
mehrere  jener  blauschwarzen,  steinhart  gebackenen  Kugeltöpfe  spätkaro- 
lingischer  Zeit  entnommen.  Ich  selbst  schnitt  aus  der  Brandschicht  eine 
grössere  Anzahl  von,  Scherben  derselben  spätkarolingischen  Waare.  Dann 
erzählten  mir  die  Umwohner,  Graf  Mir bach  habe  im  J.  1869  durch 
Vermittlung  des  Herrn  Rentmeisters  Frischen  auf  Schloss  Harf  einen 
in  der  Brandschicht  gefundenen  kleinen  Metallbecher  erhalten. 

Zur  Altersbestimmung  ist  zunächst  zu  berücksichtigen,  dass  der  Mittel- 
kern  des  Castellhügels  an  der  Wolfshager  Mühle  einen  Durchschnitt  der 
Culturschichten  in  so  vorzüglicher  Weise  zeigte,  wie  er  nicht  besser  von 
archäologischer  Seite  bei  systematischer  Grabung  hätte  gewonnen  wer- 
den können.  Die  Culturfläche  nebst  den  Brandschuttmassen  der  Zerstö- 
rung des  Castells  lagen  da  so  sprechend,  dass  jede  Möglichkeit  eines  Zu- 
falls ausgeschlossen  ist.  Was  ich  hier  fand,  redet  so  sicher  wie  eine 
Steiuinschrift  oder  Pergamentui'kunde.  So  setzen  die  gefundenen  Feld- 
steine nebst  Lehmbewurfstücke  mit  Flechtwerkabdrücken  einen  hölzernen 
Wachtthurm  n)it  aus  Flechtwerk  hergestelltem  Hochbau  voraus.  Gegen 
das  Flechtwerk  geworfener  Lehm    diente  zu  dichterem  Verschlusse  und 


S69  MiflceUen. 

gab  eine  der  Wandarten,  die  wir  noch  heute  bei  dem  deutschen  Bauern- 
haus finden.  Die  Einäscherung  des  Thurmes  muss  in  spätkarolingischer 
Zeit  erfolgt  sein;  denn  in  diese  Periode  der  Gefässent Wicklung  gehören 
die  in  der  Brandschicht  gefundenen  Scherben  und  Kugeltöpfe  (vgl. 
K  o  e  n  e  n  ,  „Zur  karlingischen  Keraraik",  Westd.  Zeitschrift,  Jahrg.  VI, 
H.  4,  S.356  Nr.  4;  Derselbe,  „Gefässkunde",  S.  Hl).  Ich  habe  sie  schon 
Yor  Jahren  als  charakteristisch  für  die  bei  den  Normannenzügen  vom 
J.  881  entstandenen  Brandschichten  bezeichnet  ( vgl.Wd.  Z,  a.  a.  0.).  Dass  da- 
mals besonders  auch  die  Maasgegend  von  den  Normannen  verwüstet 
wurde,  ersehen  wir  u.  A.  auch  aus  R  e  g  i  n  o ,  Chronik  ad  ann.  881  u. 
892.  Jedenfalls  muss  am  Ende  des  9.  Jahrhunderts  die  Grenz- 
wehr mit  ihren  Schutzanlagen  ihren  Zweck  gehabt  haben 
und  benutzt  worden  sein,  bis  sie  von  den  Feinden  zerstört 
wurde. 

Die  ältesten  Gefässscherben,  welche  die  Herren  Bürgermeister 
Nathan  und  Lieutenant  Nathan  sowie  ich  selbst  auf  der  Grenzwehr 
und  auf  dem  schön  erhaltenen  Castellhügel  bei  Brüggelchen  vorfanden, 
haben  die  erste  Spur  von  Wellen  platte,  steinharte  blauschwarze  oder 
graue  und  auch  gelbliche  dünne  Wände,  welche  zum  Theil  mit  roth- 
brauner Farbe  gitterartig  gestreift  sind,  kurz:  es  sind  diese  Scherben 
stilistisch  etwas  jünger  als  die  von  0.  Rautert  in  der  Meckenheimer 
Brandschicht  gefundenen  Scherbenmassen  aus  der  Zeit  Karls  d.  Grossen, 
aber  älter,  als  die  der  Normannen- Brandschichten  vom  J.  881;  sie  tragen 
allejeneEigenthümlichkeiten,  die  ich  bereits  in  der Westd.Zeitschr. 
(Jahrg.  VI,  H.  4,  S.d55  unter  3  b  und  S.362,  b  sowie  Gefässkunde  S.  141, 
la)  in  die  Zeit  „um  den  Anfang  des  9.  Jahrhunderts  gesetzt 
habe,   sodass  also  damals  die  Erbauung  erfolgt  sein  würde. 

Damals,  nach  dem  Tode  Lothar  s  II  (J.  868),  war  bekanntlich 
Kaiser  Ludwig,  der  älteste  Bruder  Lothars  II,  «rechtmässiger  Erbe 
des  Reiches  Lothringen,  in  dem  unsere  Grenzschutzwehr  liegt.  Nach  dem 
Versuch  Karls  des  Kahlen,  sich  des  Landes  zu  bemächtigen,  nöthigt 
Ludwig  d.  Deutsche  letzteren  im  J.  870  (oder  873)  durch  den  Ver 
trag  zu  Mersen  a.  d.  Maas,  Lothringen  in  Os^  und  Westlothringen  zu 
theilen.  Ludwig  d.  D.  erhielt  damals  den  östlichen  Theil  des  Maas- 
gaues, Karl  d.  Kahle  den  westlichen.  Diese  Grenzscheide  zwischen 
Ost-  und  Westlothringen  liegt  in  der  That  in  der  Linie  unserer  Grenz- 
wehr: in  der  Mitte  des  Maasgaues.  Noch  heute  bildet  unsere  Grenzwehr 
auf  langer  Strecke  die  Grenzscheide  zwischen  der  damals  in  den  Besitz 
Karls  d.  Kahlen  gelangten  holländischen  Provinz  Limburg  und  der 
an  Ludwig  d.  Deutschen  abgetretenen  preussischen  Rheinprovinz. 
Weil  nun  unsere  Grenzcastelle  östlich  der  das  ostfränkische  und  das 
westfränkische  Reich  theileuden  Grenzwehr  liegen,  haben  wir  offenbar  in 
Ludwig  d.  Deutschen  den  Errichter  der Castelle  gefunden,  der  be- 


MisceUen.  868 

kanntlich  mit  seinem  westlichen  Nachbar  Karl  manche  blutigen 
Kämpfe  auszutragen  hatte.  Da  aber  Ludwig  d.  Deutsche  bereits 
876  starb,  fällt  die  Anlage  in  di  e  Zei  t  z  wisch  en  870  (bezw. 
873)  und  876. 

Dieses  Resultat  wirft  einen  hellen  Lichtschein  in  das  Dunkel,  wel- 
ches bisher  die  Erdwerke  ähnlicher  Construction  verhüllte;  es  liefert 
einen  willkommenen  Beitrag  zur  Erforschung  der  alten  Gaugrenzen 
unserer  Heimath;  wir  sind  ferner  um  die  Kenntniss  eines  grossartigen 
militärischen  Denkmals  unserer  vaterländischen  Geschichte  reicher  ge- 
worden. Wenn  wir  femer  beobachten,  wie  unsere  Grenzscbutalinie  eine 
grössere  Anzahl  kleinerer  Wehren  bald  durchschneidet,  bald  verbindet, 
dann  verkennen  wir  auch  die  weitgehende  Bedeutung  nicht,  welche  dieser 
chronologisch  bestimmte  Grenzwehrzug  für  die  Beurtheilung  eines  ganzen 
Systems  ähnlicher  Anlagen  hat.  Aber  der  ideale  Werth,  den  dieses 
Werk  als  erste  Grenzvertheidigungsanlage  Deutschlands 
wider  seinen  westlichen  Nachbar  hat,  rechtfertigt  es  allein 
schon,  wenigstens  das  noc)i  in  so  vorzüglichem  Zustande 
befindliche  Gasten  von  Brtiggelchen  in  allen  Einzelheiten  ar- 
chäologisch zu  untersuchen,  zu  reconstruiren  und  dauernd 
zu  erhalten« 

Constantin  Koenen. 


9.  Fünfunddreissigte  Plenarversammlung  der  histori- 
schen Kommission  bei  der  königl.  bayer.  Akademie  der 
Wissenschaften  am  17.— 19.  Mai  1894.  Seit  der  letzten  Plenarver- 
sammlung, Mai  1893,  sind  folgende  Publikationen  durch  die  Kommis- 
sion erfolgt: 

1.  Allgemeine  deutsche  Biographie.    Band  XXXVI  und  Lieferung  1 
des  Bandes  XXXVIL 

2.  Deutsche  Reichstagsakten,  jüngere  Reihe.    Band  I:  Die  Reichs- 
tagsakten unter  Kaiser  Karl  V.    I.  Band. 

3.  Die  Recesse  und  andere  Akten   der  Hansetage  von  1256—1430. 
Band  VII. 

4.  Jahrbücher  des  deutschen  Reichs  unter  Heinrich  IV.  und  Hein- 
rich V.    Band  II. 

Die  Hanserecesse  gehen  ihrer  Vollendung  entgegen.  An  den 
Jahrbüchern  des  deutschen  Reiches  wird  rüstig  weiter  gearMitet  >- 
Von  der  Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland  ist 
zunächst  die  Geschichte  der  Geologie  von  Professor  von  Zittel  zu  er- 
warten. Die  Geschichte  der  Physik  liegt  in  den  Händen  des  Professors 
Karsten.    Die  Vollendung  der  Geschichte   der  Rechtswissenschaften 


364  MiscelleD. 

von  Professor  Landsberg  steht  über  einige  Jahre  in  Aussicht.  — 
Von  der  Allgemeinen  deutschen  Biographie  sollen  im  nächsten 
Etatsjahr  ausser  den  noch  fehlenden  Lieferungen  des  37.  Bandes  zwei 
weitere  Bände  erscheinen.  —  Von  den  Chroniken  der  deutschen 
S  t  ä  d  t e  I  unter  Leitung  des  Geheimen  Rath  von  Hegel,  ist  Band  XXIII, 
der  IV.  Band  der  Chroniken  der  Stadt  Augsburg,  im  Druck  weit  vorge- 
schritten und  wird  demnächst  erscheinen.  —  Die  Druckausgabe  des  schon 
im  vorigen  Jahr  angekündigten  neuen  Bandes  der  westtUlisch-nieder- 
rheinischen  Chroniken,  der  eine  Verfassungsgeschichte  der  Stadt  Soest 
von  Archivar  Dr.  1 1  g  e  n  in  Münster,  chronikalische  Aufzeichnungen 
des  Stadtrnths  von  Soest  und  eine  Chronik  von  Duisburg  bringen  wird, 
wird  voraussichtlich  im  nächsten  Herbst  beginnen  können. 

Für  die  Reichstagsakten  der  älteren  Serie  sind  die  ge- 
wohnten Arbeiten  fortgesetzt  worden.  Der  zehnte  Band,  bearbeitet  von 
Dr.  Herre,  kann  voraussichtlich  bereits  im  gegenwärtigen  Sommer,  der 
elfte,  bearbeitet  von  Dr.  Bock  mann,  ein  Jahr  später  fertig  gestellt 
werden.  —  Die  Reichstagsakten  der  jüngeren  Serie  sind  nach 
dem  Tode  des  Professors  von  KTuckhohn  unter  die  Leitung  des  Dr. 
W  r  e  d  e  gestellt  worden.  Ausserdem  ist  Dr.  B  e  r  n  a  y  s ,  seit  dem  1. 
Januar  1894  von  Simancas  nach  Göttingen  zurückgekehrt,  vollständig  in 
den  Dienst  der  Reichstagsakten  getreten.  Vorerst  hat  Dr.  Wrede  das 
Regfister  zu  dem  ersten  Band  abgefasst  und  im  August  diesen  Band  er- 
scheinen lassen.  Darauf  wurde  die  Redaktion  des  zweiten  Bandes  in 
Angriff  genommen,  der  die  Zeit  von  der  Kaiserwahl  bis  zum  Schluss 
des  Wormser  Reichstags  umfassen  wird.  Bis  zum  Herbste  wird  hoffent- 
lich das  ganze  Manuscript  des  zweiten  Bandes  druckfertig  sein.  —  Die 
ältere  Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Korrespon- 
denzen erwartet  ihren  Abschluss  und  die  Beendigung  des  Drucks  des 
dritten  Bandes  der  Briefe  des  Pfalzgrafen  Johann  Casimir  im  Jahr  1896. 
—  Für  die  ältere  Bayerische  Abtheilung  der  Witteisbacher 
Korrespondenzen,  unter  Leitung  des  Professors  Loosen,  hat  der 
Druck  des  vierten  Bandes  begonnen.  —  Die  jüngere  Bayrisch- 
Pfälzische  Abtheilung  der  Witteisbacher  Korrespondenzen, 
die  Briefe  und  Akten  zur  Geschichte  des  dreissigjährigen 
Kriegs,  unter  Leitung  des  Professors  Stieve,  verdankt  dem  halbjäh- 
rigen Aufenthalt  des  Dr.  Mayr-Deisinger  in  Simancas  und  der  Güte 
des  Burggrafen  Richard  Friedrich  zu  Dohna-Schlobitten,  der  die 
Papiere  seines  Familienarchivs  zu  Schlobitten  mit  hochherzigem  Vertrauen 
in  die  Hü&nde  der  Kommission  gelegt  hat,  werthvolle  Materialien. 

Der  Druck  des  sechsten  Bandes  der  „Briefe  und  Akten",  der  den 
Anfang  der  Jahre  1608—1610  enthält,  hat  im  Februar  1894  begonnen  und 
wird  seitdem  rasch  gefördert. 


kiscellen.  ^6^ 

io.  Grabfunde  aus  Bonn.  Im  Nachstehenden  gebe  ich  einen 
kurzen  Bericht  über  die  hauptsächlichsten  Grabfunde  von  Bonn  aus  dem 
Jahre  1894,  so  weit  sie  zu  meiner  Kenntniss  gelangt  sind. 

1.  Im  März  vergangenen  Jahres  stiessen  Arbeiter  beim  Lehmstechen 
auf  der  Ziegelei  des  Herrn  Rolef  hier,  welche  von  der  Eisenbahn,  der 
Reuterstrasse  und  dem  Kessernicherwege  begrenzt  wird,  auf  ein  römi- 
sches Gtab.  Dasselbe  enthielt:  1.  Eine  vertiefte  Schüssel  aus  gewöhn- 
lichem weissem  Thon  mit  leicht  nach  innen  gewölbtem  Boden  und  am 
äusseren  Rande  herumlaufenden  furchenformigen  Ringen  verzieft, 
Durchm.:  HVs  cm.  2.  Zwei  bauchige  einhenkelige  Krüge  aus  weissem 
Thon  mit  kurzem  Halse,  der  eine  21  cm  hoch,  der  andere  birnenförmig, 
20  cm  hoch.  3.  Ein  kleines  un>enartiges  Gefäss  aus  grauem  Thon,  OVsCm 
hoch,  mit  weiter  Mündung  und  etwas  eingezogenem  Rande.  Auf  dem 
oberen  Theile  der  Wandung  läuft  ein  Ornamentband  von  aufgetragenen 
Ringen  ringsherum.  4.  Zwei  tiefe  Teller  aus  Terra  sigillata  von  ITVa  cm 
Durchm.  auf  niedrigem  Fuss  und  mit  schräg  aufsteigender  Wandung. 
Beide  hatten  im  Inneren  des  Bodens  Stempel,  von  denen  der  eine 
SACERIOF  lautet,  der  andere  jedoch  jetzt  bis  zur  völligen  Unkenntlich- 
keit abgerieben  ist.  5.  Ein  kleines  tiefes  Schüsselchen  aus  Terra  sigillata 
mit  einer  Einschnürung  in  der  oberen  Hälfte  des  Halbrundes  und  einem 
Rundstab  als  oberem  Rand,  welcher  einen  Durchmesser  von  I2V2  cm  auf- 
weist. Im  Innern  des  Bodens,  umgeben  von  einem  Kreise,  der  Töpfer- 
stempel: hCBDVI^*).  6.  Eine  kleine  Lampe  von  9  cm  Länge  aus  feinem 
weissem,  ursprünglich  braun  überstrichenem  Thon  in  der  Gestalt  eines 
rechten  Fusses.  Derselbe  steht  auf  einem  Hypodema,  welches  mit  Riemen 
am  Fusse  befestigt  und  dessen  untere  Fläche  mit  Nägeln  besetzt  ist.  Die 
Abschnittsfläche  über  dem  Knöchel  ist  bohl  und  bildet  die  FüUöffnung. 
Die  grosse  Zehe  verläuft  in  den  Dochtansatz.  Die  massive  Handhabe  setzt 
oberhalb  der  Ferse  am  Fusse  an  und  ist  nach  unten  mit  einem  kleinen 
Loch  zur  Aufnahme  einer  Schnur  versehen.  Diese  Gegenstände  sind 
sämmtlich  ins  Proviuzialmuseum  gekommen.  Endlich  7.  fanden  sich  bei 
diesen  Gegenständen  zwei  Mittelerzmünzen,  welche  die  Arbeiter  ander- 
wärts veräussert  haben.  Nach  der  Aussage  des  einen  der  Arbeiter,  bei 
denen  ich  Erkundigungen  einzog,  war  die  eine  der  beiden  Münzen  von 
Grünspan  ganz  zerfressen  und  unleserlich,  auf  der  anderen  etwas 
besser  erhaltenen  waren  neben  dem  Kopfe  deutlich  die  Buchstaben  PAS 
zu  lesen.  Dies  würde  uns  auf  Vespasian  führen.  Wir  würden  so  einen 
Anhaltspunkt  für  die  Zeitbestimmung  des  Grabes  gewinnen,  mit  der  übri- 
gens die  gefundenen  Gefässe  übereinstimmen. 


1)  Nur  das  erste  der  beiden  D  ist  gestrichen,  es  dient  zur  Bezeich- 
nung der  ceitischen  Dentalaspiration. 


ä6ä  Miscellen. 

2.  Ein  zweiter  Grabfund  wurde  an  den  frostfreien  Tagen  des 
Januar  dieses  Jahres  auf  derselben  Ziegelei  gemacbt.  Auch  er  umfasste 
meistens  nur  Thonsachen.  Gefunden  wurden:  1.  Ein  kleiner  Becher  aus 
weissem,  gelblichbraun  überstrichenem  Thon  auf  enger  runder  Fussplatte, 
über  der  sich  der  Körper  des  Gefässes  rasch  erweitert,  um  sich  langsam 
nach  einer  kleinen  Einschnürung  hin  unbedeutend  zu  verengen,  von 
welcher  der  Rand  sich  nur  wenig  ausladend  abhebt;  67»  cm  hoch.  2.  Ein 
dem  vorher  beschriebenen  ganz  ähnlich  gebildeter  kleinerer  Becher  aus 
weissem  Thon,  6  cm  hoch,  welcher  ebenfalls  Spuren  eines  ursprünglichen 
Ueberzuges  von  brauner  Farbe  an  sich  trägt  3.  Ein  fragmentirter  ähn- 
licher Becher  aus  weissem  graubraun  überstrichenen  Thon,  dessen  Wan- 
dung mit  einem  weissen  griesartigen  Ueberzug  versehen  ist;  9  cm  hoch. 
4.  Das  Bodenstück  eines  flachen  Tellers  aus  weissem  gelb  überstrichenem 
Thon  von  14  cm  Durchm.  5.  Eine  kleine  einfache  Lampe  aus  röthlichem 
Thon  mit  durchbrochener,  jetzt  zerstörter  Handhabe.  Auf  der  vertieftoi 
Vorderfläche  das  Füllloch,  sowie  vorne  hinter  dem  Dochtansatz  noch  ein 
kleines  Loch  zum  Aufstochern  des  Dochtes;  V/^cm  lang,  6.  Eine  Lampe 
aus  weissem  Thon  in  der  Gestalt  eines  hingekauerten  Kaninchens,  dessen 
emporgebogener  Schwanz  als  Griff  dient.  Auf  dem  Kopf  das  Füllloch. 
An  dem  jetzt  abgebrochenen  Vordertheil  der  Lampe  war,  nach  der  Ana- 
logie ähnlicher  Lampen  zu  urtheilen,  das  Dochtloch  wie  ein  Füllloch  ge- 
bildet gewesen,  an  dem  das  Thier  lecken  zu  wollen  scheint.  Jetzige 
Länge:  7Vt  cm.  7.  Ein  sog.  Thränenfläschchen  aus  hellgrünem  Glase 
mit  kurzem  konischem  Körper  und  langem  röhrenförmigem  Halse,  dessen 
Rand  etwas  ausladet;  10  cm  hoch.  8.  Ein  rechteckiges  10  cm  langes  und 
5^4  cm  breites  ornamentirtes  Beschlagplättchen  aus  dünnem  Bronzeblech, 
welches  an  dem  einen  Ende  einen  hohlen,  halbkreisförmigen  Buckel  auf- 
weist, der  an  seiner  Basis  einen  Durchmesser  von  4^/4  cm  hat.  —  Wenn 
man  nach  den  Gefässen  Schluss  auf  die  Zeit  dieses  Grabes  ziehen 
darf,  so  scheint  auch  dieses  der  früheren  Kaiserzeit  zugewiesen  werden 
zu  müssen. 

3.  Bei  den  Grundarbeiten  für  den  Neubau  des  Hauses  Poststrasse 
Nr.  34  fand  sich  ein  frührömisches  Leichbrandgrab ,  etwa  iVs  m  unter 
dem  Strassenniveau.  Es  bestand  aus  einer  hohen  Thonurne  von  grau- 
schwarzer Farbe,  welche  von  den  Findern  anfangs  verschleppt,  dann  aber 
zurückgegeben  und  durch  den  Eigenthümer  des  Grundstückes,  Kgl.  Rent- 
meister Herrn  Alexander  von  Ciaer  dem  Museum  überwiesen  wurde. 
Ob  sie  bloss  Aschen reste,  wie  die  Finder  angaben,  oder  auch  andere 
Gegenstände  wie  Münzen  und  Gewandnadeln  enthalten  hat,  muss  da- 
hin gestellt  bleiben,  da  sie  bei  ihrer  Auffindung  leider  von  keinem  Sach- 
verständigen auf  ihren  Inhalt  hat  untersucht  werden  können. 

4.  Ein  vierter  Grabfund  kam  an  einer  von  der  Fundstätte  des  zu- 
letzt beschriebenen  Grabfundes  nicht  weit  .entfernten  Stelle  von  Bonn 


Miscelien.  ä6? 

isam  Vorschein.  Wenngleich  auch  er  keine  Gegenstände  von  grossem 
Werthe  geliefert  hat,  so  ist  er  doch  insofern  von  Interesse,  als  er  als 
Ausgangspunkt  dienen  kann,  sei  es  für  neue  Nachgrabungen,  sei  es  um 
die  Grenzen  des  römischen  Bonn  genauer  zu  bestimmen,  Diesmal  ist  es 
die  eigentliche  Altstadt^  welche  ihren  Schooss  geöfftaet  bat  und  zwar  an 
einer  Stelle,  welche  bisher  noch  fast  gar  keine  Römerspuren  gezeigt 
hatte.  Im  Laufe  des  August  des  verflossenen  Jahres  Hess  der  Möbel- 
und  Sargfabrikant  F.  Lanser  das  bisher  von  ihm  bewohnt«  Haus  auf 
dem  Dreieck  Nr.  1  neben  der  Restauration  „zum  Hähnchen"  niederlegen 
um  es  dem  heutigen  Geschmack  entsprechend  wieder  aufzubauen  und 
zugleich  eine  grössere  Werkstätte  zu  gewinnen.  Als  man  die  Funda- 
mente für  die  letztere  aushob,  fand  man  3  m  unter  dem  jetzigen  Strassen- 
niveau  eine  grosse  in  der  Mitte  durchgebrochene  Aschenkiste  aus  Tuffstein 
von  1,1b  m  Länge,  62  cm  Breite  und  47  cm  Höhe,  deren  Hohlraum  d2  cm 
lang,  40  cm  breit  und  25  cm  hoch  ist  und  am  Kopfende  eine  bankartige 
Erhöhung  hat.  Sie  war  mit  einem  ebenfalls  in  Stücke  gebrochenen 
Deckel  aus  Tuffstein  geschlossen,  der  ebenso  lang  wie  die  Kiste  selbst, 
aber  nur  40  cm  breit  und  15  cm  hoch  ist.  Im  Innern  lagen  ausser  den 
Aschenresten  des  Verstorbenen  die  kaum  nennenswerthen  Splitter  von 
zwei  gänzlich  zerstörten  Gefässen  aus  bräunlichem  Glase,  dann  eine 
kleine  einfache,  an  der  Handhabe  und  dem  Dochtansatz  beschädigte 
Lampe  aus  gelbem  Thon  von  7  cm  Länge,  ein  einhenkeliger  9  cm  hoher 
Krug  aus  gelblich  weissem  Thon  mit  abgeplattetem  kugelförmigen  Bauche, 
kurzem  Halse  und  am  Rande  zusammengekniffenem  Ausguss,  ein  frag- 
mentirter  Napf  aus  gewöhnlichem  weissem  Thon  mit  scharf  profilirter 
Leibung  und  einer  Einschnürung  unterhalb  des  Halsrandes  von  7  cm 
Höhe,  sowie  ein  zweiter  mit  schmalem  Fuss  und  nach  innen  gebogenem 
Rande,  und  endlich  ein  becherartiges  7  cm  hohes  Gefäss  aus  rothem, 
glänzend  schwarz  gefirnisstem  Thon  mit  ausgebauchtem,  oben  und  unten 
durch  je  zwei  ringsumlaufende  Reihen  Strichelverzierungen  abgegrenzt 
tem  Körper  und  sich  allmähhch  verjüngendem  Halsrand.  Neben  und  um 
die  Aschenkiste  herum  standen  die  nachfolgenden  Gefässe.  Nämlich  ein 
10  cm  hohes  Kännchen  aus  rauhem  gelblich  weissem  Thon  mit  seitlich 
angebrachtem  Henkel  und  zugespitztem  Ausguss,  ein  19  cm  hoher  bauchig 
ger  Krug  aus  geschlemmtem  weissem  Thon  mit  kurzem  Halse  und 
kleinem  gerieftem  Henkel,  ein  I5V9  cm  hoher  Krug  aus  gleichem  Stoff, 
mit  stark  ausgebauchtem,  oben  etwas  abgeflachtem,  in  der  Mitte  mit 
einer  concentrischen  Einschnürung  versehenen  Körper,  kurzem  Halse 
und  drei  Henkeln,  endlich  eine  20  cm  hohe  Urne  aus  weissem,  dunkel- 
grau  überstrichen em  Thon,  deren  sich  allmählich  erweiternder  Körper 
sich  unmittelbar  unter  dem  eingeschnürten  Halsrande  wieder  verengt. 
Unter  demselben  läuft  eine  vertiefte  wagerechte  Doppellinie  als  Ver- 
zierung herum.    Hierzu   würde  noch   ein   hübscher  Krug  aus  weissem 


36ä  ^tisceilcti. 

Thon  in  Birnenform  mit  stark  ausladendem  Halsrande  von  11  cm  Höhe 
hinzuzufügen  sein,  wenn  es  feststände,  dass  er  mit  jenen  oben  beschrie- 
benen Geschirren  zusammen  in  unmittelbarer  Nfthe  der  Aschenkiste  ge- 
funden worden  wäre.  Indessen  da  die  Aussagen  der  bei  dem  Funde  be- 
theiligten Arbeiter  nicht  mit  einander  übereinstimmen,  ziehe  ich  es  vor, 
um  nicht  Sicheres  mit  Unsicherem  zu  vermischen,  einfach  die  Thatsache 
zu  registriren,  dass  der  Krug  auf  demselben  Bauterrain  zu-  Tage  geför- 
dert worden  ist,  wiewohl  an  und  für  sich  Nichts  gegen  seine  Zugehörig- 
keit zum  ganzen  Grabfunde  spricht,  welcher  etwa  dem  zweiten  Jahrhun- 
dert u.  Chr.  anzugehören  scheint. 

5.  Endlich  sind  beim  Fundamentgraben  für  den  an  der  Friedrich- 
strasse Nr.  23  zu  errichtenden  Neubau  des  Bäckermeisters  Jacobs  in 
einer  Tiefe  von  2  Metern  zwei  Steinsärge  aus  TuflTstein  aufgedeckt  wor- 
den. Da  dieselben  zur  Hälfte  unter  die  Mauern  des  Nachbarhauses 
Nr.  21  hinüberragten,  so  konnten  sie  ohne  Schädigung  des  letzteren 
nicht  von  ihrem  Platze  entfernt  werden.  Aus  Neugierde  wurden  sie  da- 
her, so  weit  sie  frei  lagen,  von  den  Arbeitern  gewaltsam  zerstört.  Der 
eine  enthielt,  wofern  die  Aussage  der  Arbeiter  Glauben  verdient,  keine 
Grabesbeigaben,  sondern  bloss  Kuochenreste.  In  dem  anderen  fanden 
sich  ausser  den  Ueberresten  des  Verstorbenen  eine  vertiefte  Schale  aus 
grünlichem  Glase  mit  abgerundetem  Boden,  und  niedrigem  geradseitigem 
Halsrand  von  18  cm  Durchm.,  ferner  ein  nach  oben  stark  ausladender 
Becher  aus  weissem  Glas,  auf  dessen  Wandung  feine  concentrische 
Ringe  als  Verzierung  eingeschliffen  sind,  von  8V2  cm  Höhe  und  ein 
kleiner  kantiger  unverzierter  Ring  aus  Bronze  von  1^/2  cm  Durchm. 
Wenn  man  erwägt,  dass  noch  jedesmal  bei  der  Ausführung  von  Erdarbeiten 
in  der  genannten  Strasse  Gräber  gefunden  worden  sind,  welche  sich 
durch  ihre  reichen  Beigaben  an  Thongeschirren  au.sgezeichnet  haben, 
so  wird  es  mindestens  begründet  sein,  einen  leisen  Zweifel  an  der  Rich- 
tigkeit der  Angaben,  dass  der  erste  Sarg  inhaltslos  und  der  zweite 
bloss  jene  drei  eben  erwähnten  Gegenstände  enthalten  habe,  zu  äussern. 

Bonn.  Klein. 

11.  Köln.  Vor  Kurzem  wurde  an  der  Händelstrasse  zu  Köln  bei 
den  Ausschachtungen  für  einen  Neubau  ein  Fragment  einer  Figur  aus 
weissem  fein  geschlemmtem  Thon  gefunden,  welches  in  den  Besitz  des 
hiesigen  Provinzialrauseums  gelangte.  Es  ist  die  inwendig  hohle  Sta- 
tuette einer  Fortuna  auf  einer  viereckigen  Basis.  Die  Göttin  sitzt  auf 
einem  auf  gedrehten  Stollen  ruhenden  Sessel  ohne  Lehne,  bekleidet  mit 
einem  hochgeschürzten  Chiton  und  Himation,  welches  letztere  hinten 
um  den  Unterkörper  geschlagen  auf  der  linken  Seite  des  Knies  wulst- 
artig aufliegt.  Sie  hat  das  linke  Bein  über  das  rechte  gesetzt,  welches 
auf  einer  schemelartigen  Erhöhung  oberhalb  des  Postamentes  ruht.    Die 


Miscellen.  969 

Fasse  sind  mit  Schuhen  versehen.  Der  ganze  Oberkörper  mit  dem 
Kopfe  und  dem  linken  Arme  fehlt  jetzt,  in  Folge  dessen  die  Figur  bloss 
10  cm  hoch  ist.  An  der  rechten  Seite  neben  der  Figur  unten  erblickt 
man  die  Kugel  als  Symbol  ihres  wandelbaren  Wesens  sowie  den  unteren 
Theil  des  Steuerruders,  welches  ihr  ja  stets  beigelegt  wird,  um  sie  als 
Lenkerin  der  Geschicke  zu  kennzeichnen.  Mit  der  rechten  Hand  hat 
sie  das  Steuerruder  erfasst,  während  die  linke  höchst  wahrscheinlich  ein 
Füllhorn  gehalten  hat.  Zu  ihren  Füssen  steht  links  neben  ihr  auf  einem 
runden  Schemel  in.  kleineren  Dimensionen  ein  nackter  Knabe  in  Vorder- 
ansicht. 

Was  der  Figur  ein  besonderes  Interesse  verleiht,  ist  der  Umstand, 
dass  sie  eine  doppelte  Aufschrift  trägt,  welche  vor  dem  Brennen  einge- 
ritzt worden  ist.  Auf  der  bankartigen  Erhöhung,  auf  der  ihre  Füsse 
ruhen,  liest  man  vorne  AAF.  Dieselbe  Aufschrift,  jedoch  vollständiger, 
kehrt  auf  der  Kückseitc  des  Sessels  wieder.  Hier  hat  sie  den  folgenden 
Wortlaut: 

ALF 

FE 

Also:  Älfius  feidt). 

Der  Verfertiger  dieses  kleinen  Götterbildnisses  erscheint  hier  nicht 
zum  ersten  Male.  Denn  er  sowohl  als  seine  Fabrik,  welche  vor  dem 
Hahnenthor  an  der  linken  Seite  der  Aachener  Strasse  gelegen  hat,  ist 
in  dem  Firmenregister  der  alten  Kölner  Thonwaarenindustriellen  aus 
römischer  Zeit  wohl  bekannt.  Im  Jahre  1885  sind  nämlich  zu  Köln  an  der 
eben  genannten  Strasse  die  Trümmer  mehrerer  neben  einander  liegen- 
der eingestürzter  Töpferöfen  entdeckt  worden,  in  welchen  eine  grosse 
Menge  von  Bruchstücken  von  Thonfiguren  aufgefunden  wurden.  Bei 
der  grossen  Eile  jedoch,  mit  welcher  die  Arbeiten  an  dem  dort  zu  er- 
richtenden Neubau  betrieben  wurden,  ist  leider  mehr  zerschlagen  als  ge- 
rettet worden.  Meinen  in  diesen  Jahrbüchern*)  gegebenen  Bericht  über 
den  Inhalt  der  Töpferöfen  kann  ich  jetzt  nach  den  Aussagen  eines  Augen- 
zeugen, der  den  Fund  damals  verfolgt  hat,  vervollständigen.  Ausser  den 
dort  beschriebenen  Gegenständen  fand  man  kleine  Büsten,  namentlich 
von  Kindern  und  älteren  Männern  mit  frazzenhaftcn  Gesichtszügen,  von 
denen  mehrere  sich  durch  das  beim  Hin-  und  Herbewegen  entstehende 
Geräusch  der  eingeschlossenen  Kieselsteinchen  als  Kinderrasseln  kund- 
gaben, ferner  Figürchen  von  Thieren,  wie  z.  ß.  Pferdchen,  Hahnen, 
sitzende  Hunde  und  Nüsse  nagende  Eichhörnchen,  dann  einen  Eber  und 
zahlreiche   Köpfe   von    weiblichen    Figürchen    der   verschiedensten   Art, 


1)  LXXIX  S.  195. 

Jahrb.  d.  Ver.  v.  Alterthafr.  im  Rheinl.  XOVI.  24 


870  Miscellen. 

welche  mit  geringen  Ausnahmen  sammt  und  sonders  wegen  ihres  be- 
schädigten Zustandes  von  den  Arbeitern  auf  den  Schuttkarren  geworfen 
worden  sind.  Besser  erhalten  dagegen  waren  einzelne'  Statuetten  von 
Gottheiten  wie  der  Venus,  der  Diana,  der  sitzenden  Minerva  mit  Schild 
und  Lanze,  der  Fortuna  und  der  Muttergottheiten  mit  Fruchtkörbchen 
auf  dem  Schooss,  von  welchen  die  weitaus  grösste  Zahl  nach  aussen 
verschleppt  worden  und  nur  ein  geringer  Bruchtheil,  wie  ich  bereits 
a.  a.  O.  erwähnt  habe,  theils  in  die  Hände  von  Privatsammlern,  theils 
ins  hiesige  Provinzialmuseum  gelangt  ist.  Die  eine  der  ins  hiesige  Museum 
gekommenen  Figuren,  nämlich  die  der  Diana,  trägt  auf  der  Kückseite 
der  Basis  die  Inschrift^): 

ALFIV 

SFE 

welche  auch  auf  mehreren  anderen  daselbst  gefundenen  Bruchstücken 
beobachtet  worden  ist.  Sie  nennt  also  denselben  Mann  als  ihren  Verfer- 
tiger, dem  wir  jetzt  die  Figur  der  Fortuna  verdanken.  Die  Thonwaaren- 
fabrikation  scheint  demnach  im  römischen  Köln  in  ziemlicher  Blüthe  ge- 
standen zu  haben,  was  nicht  Wunder  nehmen  darf,  wenn  man  bedenkt, 
dass  ganz  in  der  Nähe  der  Stadt,  bei  Frechen,  ergiebige  Thonlager  sich 
befinden ;  denn  wir  kennen  ausser  diesen  Fabrikanten  bereits  zwei  andere, 
den  Servandus,  welcher  ad  cantunas  novas  zu  Köln  wohnte  und  den 
Vindex,  welcher  ad  forum  hordiarium  sein  Geschäft  betrieb. 

Bonn.  Klein. 

12.  Blankenheim  in  der  Eifel.  Die  von  mir  im  Heft  LXXVI 
S.  244  dieser  Jahrbücher  geäusserte  Hoffnung,  dass  noch  manches  der 
als  verschollen  geltenden  Denkmäler,  welche  dereinst  zum  Bestände  der 
für  ihre  Zeit  höchst  bedeutenden  Sammlung  der  Grafen  von  Blanken- 
heim-Manderscheid  auf  Burg  Blankenheim  gehört  haben,  sich  in  den  Ge- 
bäuden daselbst  im  I^ufe  der  Zeit  wiederfinden  werde,  hat  sich  in  jüng- 
ster Zeit  aufs  Neue  erfüllt.  Bei  Restaui-ationsarbeiten,  welche  dort  im 
Herbst  1893  vorgenommen  wurden,  kam  eine  kleine,  an  den  Ecken  lei- 
der mehrfach  beschädigte  Platte  aus  Trachyt  von  21  Va  cm  Breite,  12Vs 
cm  Höhe  und  I6V2  cm  Tiefe  zu  Tage,  welche  als  Werkstück  in  eine 
Mauer  der  Burg  eingefügt  war.  Durch  die  Aufmerksamkeit  des  Herrn 
Bürgermeisters  Wassong,  der  sie  in  dankenswerther  Weise  dem  hiesigen 
Provinzialmuseum  als  Geschenk  überwiesen  hat,  wurde  sie  vor  der  Zer- 
störung gerettet.  Es  ist  die  von  Brambach  (C.  I.  Rhen.  390)  abgedruckte 
Inschrift,  welche  zuerst  Gruter  p.  44,  1  nach  einer  Mittheilung  von 
Arnold  Mercator    als   im  Besitz  der  Familie  von  Liskirchen    in  Köln  be- 


1)  Hiernach  ist  die  von  mir  a.  a.  0.  S.  196  gegebenen  Lesung  zu 
berichtigen.    Vgl.  B.  Jahrb.  LXXXVH,  82. 


Miscellen.  371 

flndlich,  dann  nach  ihm  genauer  Broelmann  (Epideigma  II,  1)  und 
Schannat  (Eiflia  illustr.  Taf.  XVII,  66  p.  565)  herausgegeben  haben.  Die 
Lesung  der  früheren  Herausgeber 

HERCVLI 
lANVARlNlVS 
MODERATCOL 
EQVITVM-DD 

wird  hinsichtlich  der  Ligatur  von  N  und  I  Z.  2  durch  den  Stein  be- 
stätigt. Dagegen  für  die  beiden  letzten  Zeilen  lässt  er  uns  jetzt  insofern 
im  Stich,  als  dieselben  durch  Beschädigungen,  welche  der  Stein  erfahren 
hat,  nur  in  verstümmeltem  Zustande  erhalten  sind.  Dieselben  sehen  jetzt 
so  aus 

//V\ODERAT.CO^ 

//////0VIT///7/////// 

Leider  ist  gerade  die  interessanteste  Stelle  des  Steines  stark  mitgenommen, 
so  dass  sich  nicht  mit  Sicherheit  die  Lesung  des  letzten  Wortes  der  3.  Zeile 
ermitteln  lässt.  Indessen  glaube  ich  noch  die  Kopfenden  zweier  verti- 
caler  Hasten  deutlich  zu  erkennen.  Es  wird  demnach  das  Wort,  wel- 
ches da  gestanden  hat,  eher  COH  als  COL,  wie  die  Herausgeber  gegeben 
haben,  gelautet  haben,  wodurch  das  collegium  equitum,  oder  gar  der 
Moderator  collegii  equitum  Schannat's  in  ihr  Nichts  zurückfallen.  Da- 
gegen ist  das  von  Brambach  vor  COH  ergänzte  Zeichen  1  für  centurio 
gewiss  nicht  vorhanden.  Ob  EQVITVM  so,  wie  es  alle  Herausgeber  an- 
geben, voll  ausgeschrieben  war,  lässt  sich  nicht  mehr  entscheiden.  Zum 
Schluss  bemerke  ich  noch,  dass  die  Buchstaben  der  1.  Zeile  20  mm,  die 
der  übrigen  17  mm  hoch  sind. 

Bonn.  Klein. 


(Jnfvcrgitttts-Buclulruckcrei  von  Carl  Goorf^l  In  Bonn. 


X 


Jdhii.  d.  Yereins  u.  MtcHhumsfr.  im  Rheinland,  Heß  ZXXXM. 


TafL 


Icv. 


8. 


12. 


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Formen  römischer  Terra-sigillata-Gefässe. 


Jahii.  d.  Yerdnsü.  JlterOiumsp:  im  Rheinland.  Beß  LXXXXYI. 


Tafm 


17, 


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36. 


'^         '^    \ 


Formen  römischer  Terra-sigillata-Gefässe. 


Jahrbd,  Yereuis d.  Jlterthnntsfn  im Rheiiüand  Uefl IXXXXFI. 


Tafm. 


37. 


ymfjwjirjfflgBCTä 


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38 


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Formen  römischer  Terra-sigillata-Gefässe. 


■^Ä;*.  d'Pemw  nAlterihumMv  im  Rheinland.  HeÜ  XCVI 


Tafel  n: 


r  -h  rl  Prmm  nAUnihnmli:  im  RheiiiJarul.  /M  AT  17 


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ir/'.  d.  Verrm  nJlterthumsfr:  im  Rheinland.  Hefi  XCVI. 


Tafel  VI. 


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Jahrb,  d^  Vereins  p.  Mterihumsfr  im  Uheinland  Uejl  XCVL 


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Z  €  i  che/t  "  Er  kl  äriin(f. 

Moderner  Ort     \\ Feudite  Niederung  (Wiese ^  Su mpf^Moor),     .^-.  RömerrBcg.     ^  . ^Maimt 

Veiterlauf  dcsselherL,    Trähistori scher  oder  alterWrq,    .^f^^Bohlenmeg,     .^^ww^FmÄ/ 

Vallwerk  (Lmidmehr).  O  Prä  historische  ffjermaiiLsche)  WaÜbiirq,  ^Triihisiorisdier  ödtrahvr 
^latz.  ZZlTlömischer  laqernlati,  oWarte.  ^  ^Menschliche  SkelellreMe.  B  Urnen htd,  g 
^iedhof  D  QQ  Stebihi.'iteugrah  mit  Urnen .  ^^—cr^ Hüh n enqra  h  (Dtdrne)  Q  [Jj  (nTmamdie  B 
ml  menschlichen  Skeleäen.  uOernianiseher  Opferstein .  ^Prälüstorischerljiegehiem,  c^J^r^ 
'r  Tuffstein.  °o^  sP^nhistarisehtr  Stein  ring,  cm  Prahisterisehes ,  gebundenes  Stet  rmerk , 
'/ Waffen  find.  nGeniL  un  Gerät  fand  ^  Schißsanher  T  Statueilc,  %  Münze.  ^^  Mi 
—L^  Stein     ^.^.k^B ranze.      Z:Z:X  Bisen.     --^^Olass.    rRSmiscJi.  W 

'#>  schräge  Stelhin^  eines  Fundzeichens  bedeutet^  duß  die  genaue  Fundstelle  unhekmu 

Thatsa  eh  liehe   lundk  arte    der    von     Ycifh  *  sehen     Tal  ni  esgef/öft  d 


esffef/mA 

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frtfcf  IX. 


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